v^ ^^/' Hundert Tage auf Reisen in den österreichischen Staaten von I. G. Kohl. Vierter Theil. Reise in Ungarn. Zweite Abtheilung. Dresden und LeipM, in der Arnoldischen Buchhandlung. 1842. Hundert Tage auf Reisen in den österreichischen Staaten, von A G. Kahl. „Gesegnet werde, wer d„ lol't, „Gcscgnct werde, wcr da zischt/ Vierter Theil. Rcisc in Ungarn. Zweite Abtheilung. ^ Mit einem Titelkupfer. Dresden und LcipM, in der Arnolbi fchen Buchhandlung. 18 4 2. Reise l » U n g a r tt, A G, A«>,l, „Ach wie lüiig' ist's, l>uß ich waUc^ „Suchend >n,f dcr ßldc Flur!" Zweite Abtheilung. Das Banal, die Pusten und dcr Plattensee, Mit einem Titclkupf«. Drcsdm und FcipM, in der A^Nl>ldtschcn Puchhandlnn!;. 1 » 4 2. G ///v,^/,/-/ Inhaltsverzeichnis. Vesuch l'ei'm türkischen Pascha ill Or sow a. l Oesterreichische Begleitung in die Türkei. — Zimmer des Pascha. — Heiri Bcg Miri Alai. — Allgemeine Augsbuvger Zeitung. — Eine türkische Stadt. — Türkische Befestigungen. -— Fort Schistab. —- Die türk-ischen Forts und Festungen an der Donau. >— Der gepeitschte Adler. Das eiserne Thor.......... il> Die Felsen und Strudel in der Donau. — Das Grab Petri. — „Eintauchen! >V»«i! Wut;i!" — „Bratet uns einen Lappen Fleisch." — Gewitter auf der Donau. — Serbisches Dorf. — Contumazanstalten. — Rauber? bratet. — Homerische Mahlzeit. — Serbininnen. — Columbaczer Mücken. — Contumazsubtilitäten. — Der Hausenfang in der Donau. — Romischer Canal. — Vegetation. — Erziehung der Schweine. — Die Geisstiche. Oester reich isch Orsowa........ 5l Arbeitslohn. — Die walachischcn Marktweiber. — Verbreitung der griechischen Sprache an der Donau. — V» Seite Die Skew's und Rastelle. — Geographische Lage Or-sowa's. DieHerculesbädervonMehadia . . . 60 „Vermischtes Vieh." — Zigeuner. — Der Koramniker Schlüssel. — „Wenn ein Herr Badegast ein Stück Lamm schlachten will." — Leidenschaft für Schwefelbäder. — Die Herculesquelle. — Die „römische Grundfrau." — Walachisches Dorf. — „Muß sein! Herr, muß sein." — Lüffelmühle. — Römische Andenken. Das obere Tschernathal und das Leben der Gränzer.......... 80 Die Bergpferde. — Die walachische Alpenwirthschaft. — Die Szekler. — Die siebenbürgischen Sachsen. — ,,I^»l,-Ii3n >li,82Är!" — Gemsen. — Bären. — Die Coroonsinspicirungen. — Trockene Gränze. -— Walachische Räuber. — Mittagsmahl der Gränzer. — Die Serreschaner. — Die Parole. — Die türkischen Gränzwächter. — „Imp^^tu nuütru." — Die „Zubereiteten." — Der fischfangende Bär. — Der Ziegen-Hirt. — Das Einschwärzen des Salzes. — Die Räu« berhöhle. — Hercules als Räuberhauptmann. Dlc Schlüssel von Teregowa und Slatina. 145 Walachische Art zu reisen. — Der Thurm des Ouidius. Vichhcerden. — Beschreibung der Engpässe von Tere-gowa und Slatina. — Blutcgelhandel. — Blutegelplantagen. —^ Die Zwetschen und Zweschpen. — Das nazende Dorf. — Gewitter. Karansebes und alte Münzen.....133 „Im Namen des Nerva Trajaiius." —> Griechische, römische, arabische, byzantinische Münzen. — Großer Müuzcnfund. — Die „t^»wm i>ut,Lc!." — Die Schu- VI l Seite lm in der Militärgrünze. — Civil- und Militärverwaltung. Lu^os und wnlachische Tanze.....^7 Sarmizcgtthusa. — Römische und deutscht Coloniecn in Dacicn. — Deutsche Verwaltung des Banats. — Ba-natischcr Adel. — Die Swctschen. — Viehhecrden. — Deutsch - und Walachisch - Lugos. — Kettengeklirre. — Der Name Illyricn. — Griechische und katholische Kirche. —- Griechen, Katholiken, Protestanten. — Der wa« lachische Dschoku. — Tänzer und Tänzerinnen. — Zwei Oelgemalde. —^ Traum. — Walachische Elegie. Temeswar und die banatischen Fieber . 183 Walachischc Dörfer. — Walachische Weinlese. — Die Schokazen. — Deutsche Colonie. — Güter des Fis» cus. — „Schpendiren." — Rümerschanzcn und Ava-renringe; — Fieberkranke. — Verbrecher. — Tenus« warer Handel. — Schloß des Johann Hunyades. — Mahomedanischer Pilgrim. — Kloster Radna. — Protestanten unter der Türkmherrschaft. — Volkersympa-thieen. — „Ribisel" und „Agresel." —- Tokaier Aus-druch und Maslasche. Die banatischen Niederungen und ihre Co- lonieen............222 Reisegesellschaft. — Abstufungen der Cultur. — Aegypt« ische und banatische Fruchtbarkeit. — Dorf Schandoshaz. — Contractualisten. — Hcirathen zwischen Walachen und Deutschen. — Seidcnzucht, Reißbau. — Die Deutschen und der Maulbeerbaum. — Der Fürst Ba-thyany und das Banat. Gedanken über die friedlichen Wanderungen der euroPäischen Nationen und Vlll Seile über ihre manchfaltigen Niederlassungen in den verschiedenen Gegenden unseres Welttheiles......23« Magyaren. — Russen. — Polen. — Spanier. -— Türken. — Dakoromanen. — Böhmen. — Serbier. -"— Kroatm. — Slavonier. — Bulgaren. — Griechen. — Italiener. — Franzofen. — Engländer. — Iren. — Schotten. — Skandinavier. — Deutsche. — Juden. — Armenier. — Perser. — Zigeuner. Das Vanat und seine Wege.....287 Vrandcnburgische und banatische Fläche. — Banatische Bildergalerie. — Emschmuzung. — Bulgarische Co-lonie. — Markt. — Bulgarische Bettler. — Die Gusle. — Bulgarischer frommer Gesang. — Der junge Wolf. — Raubmord. — Pferdemühle. — Zigeunerischer Possenreißer. — Ungarische Tscharden. — Deutsche Handwcrkersitten in Ungarn. — Mündung der Maros. — Die Wasser.....y's. Szegedin, die Theiß und die Sodateiche. 315 Die Städte der Theiß und ihrer Nebenflüsse. — Handel von Szcgedin. — Bauart der magyarischen Städte. >— Die Hottar's. — Theißbrücken. — Die Theißsische. — Die Sodasiedereicn. — Der Szek. — Das Keimen der Soda. — Sodateiche. — Seifensiedereien. — Die Deportatenanstalt. — Gefangene Italiener. — „?dilk! nukil«! Kl»r»<>l«— Der ungarische Edelmann und der lateinische Gelehrte. — Die Ingnnnen. — Schäferhunde. — Standrecht. — Erdhütten, Rohrhütten. — Zigeunerlager. — Soroksar. — Wettrennen. Stuhlweißenburg und Vcszprim ... 406 Donauncbcl. — Räubergcschichten. — Verschiedene Benennungen der Räuber. — I^'ei-v.-lr. — Preßhäuser. — Die Weinhausstadt. — Ungarische Wcinstdcke. — Der „Stehwein." —> „Der Iohannisstgen." — ,,1>Knt5cli klui'." — „I^il>c>rtkte8 iiintlamentale«." — ?lim3k ^onn>!. —> plllow. — Der häßlich« Ochse. — „Se-kiren" und „stichelircn." — Die Piaristm. — Der Bischof und die Domherren von Vcszprim.— Nachtfahrt. — Sage von der Entstehung des Valawn. — Der ungarische Liebhaber und stin Liebchen. — Braune, schwarze und blonde Haare. Kloster Tihany und der Plattensee . . 4Z9 IV. X Seile Badegäste in Füred. — Halbinsel von Tihany. — Die Merkwürdigkeiten von Tihany. — Plattensee und Genfer See. — Ebbe und Fluch im See. — Fische und Fischfang. — Slavische und römische Namen des Valawn. — Lateinisches Billardspicl. DerVakonyer Wald, seine Dichter, Schlösser und Räuber.........464 Der Neusiedler See und Plattensee. — Der „Babat-schon."—Zipser Deutsch. >— Rcformirte Kirche. — Ungarischer Baueredelmann.— Räuberei." Schümegh. — Der ungarische Orpheus. — Französisch in Deutschland und Deutsch in Ungarn. — Die Ungarn und der Stock. — Joseph und seine Siebcnbürger. — Einwandernde Steiermärkcr. — Attila und Napoleon. — Das Innere eines Tschardengchdftes. — Das Hetzen der Büffel und Schweine. — Westliche Reihe ungarischer Städte. — Xörmcinll. — Der Räuber Gcobri. Die Hienzen. — Wasserkroaten. — Das Fegefeuer. — Die Christen und die Griechen. Bcsuck beim türkischen Pascha in Vleu-Orsowa. «Fn Orsowa trafen wir unsere walachischen Bojaren wieder, doch verloren wir den lieblichsten Theil unserer Reisegesellschaft, für den wir am Morgen die Milch geholt hatten / freilich zu unserem Troste mit der Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen. Es machte uns, den Franzosen und mich meine ich, etwas melancholisch, und wir beschlossen, diese Melancholie sofort in einer neuen Expedition zu ertödten. Wir trafen Anstalten zu einem Besuche bei dem benachbarten türkischen Pascha von Neu-Orsowa. Es gehörte dazu ein Erlaubnißschein des in Orsowa commandirenden österreichischen Majors (die Oberbehörden in den Städten der Militar-granze sind natürlich ebenfalls militärisch) —- alsdann eine doppelte Begleitung, erstlich von einem Lontumaz-beamten nebst einem niederen Lontumazdiencr und zweitens von einem Mauthaufscher. Jene beiden sollten das Einschmuggeln der Pest, diese das des Salzes und anderer Dinge verhüten. Wir bekamen ebenfalls von iv. 1 2 der Contumaz ein gutes Schiff mit sechs Rüderem, und mein Franzose und ich stiegen, mit Weintrauben, Käse, Butter, Vrod, Fleisch und anderen Dingen wohl ver-proviantirt, ein. Es dauerte nicht lange, so schwammen wir wieder mitten auf dem breiten Strome, von dem aus der Umblick herrlich ist. Das österreichische Orsowa hat das Ansehen einer blühenden Ortschaft. Es liegt an der Donau lang hingestreckt, verbreitet sich aber auch noch ziemlich weit landeinwärts. Sein Handel ist bedeutend. Namentlich war er es aber während der französischen Kontinentalsperre. In dieser Zeit wurden vom mittelländischen Meere aus für Triester Rechnung außerordentlich viele und bedeutende Speculationen über Orsowa dirigirt, ebenso wie über Salonichi und Belgrad. Es haben damals viele Waaren bald auf Kameelen, bald auf dem Rücken von Saumthieren durch die Gebirge Rumiliens und Serbiens ganz wunderbare Reisen gemacht, um auf bedeutenden Umwegen zu ihren Con-sumenten zu gelangen. Der Preis vieler dieser Waaren wurde durch den kostspieligen Transport um das Zwei- und Dreifache erhöht, und doch wurde dabei nicht wenig prositirt. Dieser Handelszweig ist nun freilich abgestorben. Aber doch ist es wahrscheinlich, baß auch jene vorübergehende Erscheinung nicht wenig mit zur Belebung des Donauhandels beigetragen hat. Denn wenn der Handel sich nur einmal irgendwo eine Bahn gebrochen hat, so lasit er immer wohlthätige Spuren 3 auf dieser Vahn zurück, die auch den nachfolgenden Entreprisen noch förderlich sind. Das türkische Orsowa liegt auf einer Insel mitten im Donaustrome, und zwar so, daß auf jeder Seite der Insel ein beinahe gleich mächtiger Flußarm bleibt. Die Festung wurde von den Oesterreichern sehr solid gebaut, als sie eine Zeit lang im Besitze der Insel waren, dann aber den Türken wieder abgetreten und im vorletzten Türkenkriege durch ein mehre Monate dauerndes Bombardement, das die Oesterreich« von dem benachbarten Berge auf sie richteten, zerstört, besetzt und bann abermals den Türken in diesem zerstörten Zustande übergeben. Auf der einen Seite der Insel liegt, wie gesagt, also der A'lion, ein hoher abgerundeter und bewaldeter Berg, der die ganze Gegend beherrscht; auf der anderen Seite aber erheben sich die schroffen serbischen Berge, und an der vorspringenden Wand des einen dieser Berge klammert sich das Fort Elisabeth an, das hier ebenfalls von den Oesterreichern gebaut wurde und von den Türken jetzt besetzt ist. Die Lage der türkischen Insel, aus deren Gebüschen und Mauerwerken ein hoher Minaret hervorragt, inmitten dieser ganzen großartigen Umgebung ist vortrefflich. Nach einer halbstündigen Reise landeten wir am niedrigen sandigen Ufer derselben, und eine Reihe türkischer Kanonen richtete ihre Schlünde auf uns. Wir erschraken; denn wir wußten noch nickt aus eigener Erfahrung, wie unschädlich türkische Kanonen sind. Die Contumazdiener nahmen uns sofort in ihre Mitte 1* 4 und beruhigten uns. Sie sagten, der Pascha sei ein ganz charmanter Mann, jeder Fremde würde gastfreundlich bei ihm aufgenommen, und er ertheile jedem ohne Weiteres die Erlaubniß, stin Haus, seine Festung, sein Fort, die Stadt und ihn selbst sofort zu besehen. Das Haus, das der Pascha bewohnte, lag hart am Wasser. Man hatte uns langst ankommen schen, und als wir in den Garten kamen, fanden wir schon einige Sclaven in großem Tumulte damit beschäftigt, unter einer Art von Laube Kissen zusammenzuwerfen und einen Diuan und Stühle zu errichten. Auf einmal wurden sie durch einen Gegenbefehl, ick weiß nicht warum, in ihren Bemühungen unterbrochen und stürzten alle wieder in's Haus, welches übrigens eine ziemlich dürftige Varake war. Wir rückten immer langsam und vorsichtig vor, von unseren Contumazdienern stankirt. Es hieß, der Pascha wolle uns nicht im Gatten, sondern oben in seinem Zimmer empfangen. Ein Dolmetsch, ein geborener Serbier, kam, uns dieß in deutscher Sprache anzumelden. Und wir stiegen die Treppe, eine Art enger Hühnerstiege, langsam hinauf — langsam, Schritt vor Schritt, denn ein Ncinigungsdiener ging voran, fegte mit seinem Stocke die Treppe erst rein und blies jedes Federcken und jedes Ställbchen weg, das etwa das Theilchen eines nach den österreichischen Eontumazvor-schriften verdächtigen Körpers sein könnte. Es wurde uns, wenn uns unsere Freiheit lieb ware, auf das 5 Strengste untersagt, irgend etwas Anderes anzurühren, als was sie uns in die Hand geben würden. Mein Franzose und ich thaten unser Möglichstes, alle unsere Extremitäten bei einander zu halten. Wir machten kleine und vorsichtige Schritte, hielten die Arme steif an den Körper, und der Franzose gab sich sogar Mühe, wie er mir sagte, seine Nase und Ohren ein klein wenig einzuziehen. So kamen wir nach oben. Hier ging auf den Vrctern des Fußbodens eine türkische Schildwache auf und ad. In dem Hintergrunde standen baarfüßige Neger, Araber und andere Gesichter, Junge und Alte, die uns anglotzten. Es war die mit goldgesticktem Feß, brodirten Jacken und weiten Hosen theilweise bekleidete Dienerschaft des Pascha. Ich erschrak darüber; denn ich hatte mir nicht eingebildet, daß Afrika und Arabien so tief in Europa hineinblickten. Ich weiß nicht mehr recht, was ich vorher dachte. Aber ich glaubte doch sicher nicht, daß ich Alles bis aufs Härchen so asiatisch finden würde. Die armen Leute thaten mir zugleich leid; denn sie zogen sich, aus Rücksicht für uns, scheu vor uns zurück, weil sie wohl wußten, wie sehr wir ihre Berührung fürchteten. Diese Leute haben ganz andere Begriffe von Kontumaz und Pest als wir, und Manche von ihnen mögen sich wohl einbilden, daß die Europäer sie für unsauber hielten und blos zu stolz seien, mit ihnen in Berührung zu kommen. Wir traten in das Zimmer des Pascha, dessen 6 Thüre und Fenster offen standen. Das Zimmer war klein und hatte weiter keine Möbeln als einige Stühle und in der Ecke, die sich der Thüre gegenüber befand, einen Divan, auf dem der Pascha und neben ihm sein Dolmetsch saß. Der Pascha war ein ziemlich hübscher, wohlbeleibter Mann von etwa 45 Jahren. Er hatte einen hohen rothen Feß mit blauem Seidenschweife auf und trug einen blauen Ueberrock mit aufstehendem Kragen. Um den Hals hing ihm, von Edelsteinen strahlend, ein halber Mond von ziemlicher Größe, den er vom Sultan für seine Verdienste empfangen hatte. Es war nämlich der Erbauer der Festung Warna, den wir vor uns hatten, ,,Heiri lie^, Niri ^lai", ein in der Kenntniß der Mathematik und der Kriegswifsenschaften ausgezeichneter Mann, ein vom verstorbenen Sultan Begünstigter, „enlin un komme xiill schiedener Größe, alle sehr symmetrisch rangirt. Bei näherer Betrachtung gewahrte ich zu meiner Verwunderung, daß es lauter österreichische Silbermünzen waren, Zwanziger-, Zehn- und Fünfkrcuzerstücke. Diese Münzen, sagten mir die Leute, sind überall in Serbien und der Walachei gangbar und überhaupt in den ganzen nördlichen Provinzen der Türkei. Auch im nordlichen Beß-arabien war, wie ich früher selbst erfahren hatte, dieß der Fall, und ich war erstaunt über das große Verbreitungsgebiet dieser deutschen Münzgeprage. Außer unserer Wirthin war noch ein junges Mad» chen da, welches weniger ausgeschmückt war, ich vermuthe, ihre jüngere Schwester. Sie hieß leider nicht Hero, sondern „Iana" (Johanna), sonst hätte ich gleich vermuthet, daß sie wohl so eine sein könnte, derentwegen ein walachischer Leander, der sie etwa in einer der österreichischen Skelas und Rastelle gesehen hatte, der wil- 3* 36 den Donau und dem Pestcordon zum Trotz, nachtliche Ueberfahrten hatte wagen mögen. Denn sie war sehr anmuchig und hübsch, obgleich eine kleine Barbarin. Sie saß 6 Schritt vor uns auf der Hausbank mit Wollezupfen beschäftigt. Bei dieser Gelegenheit beklagte mein französischer Freund am meisten die bcoauernswer« then prHliFli« der Oesterreicher. Er sagte, wenn Iana die Pest bringen könnte, so habe er sie schon langst von ihr, denn es seien wenigstens schon 20 Fliegen, Mücken und andere Insecten von ihrer Wange auf sein Ohr und von seiner Nase zu ihrem Munde hin« und Hergestogen. Mir siel dabei ein, daß er wohl nicht Unrecht haben mochte, denn auch mir war es schon aufgefallen, daß die Neinigungsdiener, die alles An« dere, Feder und Haar, so sorgfältig von uns entfernten, gar nichts thaten, uns die Insecten abzuwehren, von denen viele doch auch eben solche hornartige Haare auf dem Leibe trugen wie die Ochsen. Es stiegen sogar viele der verschiedensten Insecten aus den Pestländern in die Nichtpestländer herüber. So z. B. bekommt das ganze Banat eine gewisse Art von sehr qualenden Mücken, die sogenannten Columbaczer Mücken, aus Serbien. Aus jener serbischen Höhle von Columbacz nämlich, die wir schon erwähnten, gehen im Frühlinge zahllose Schaaren von Mücken hervor, die sich m großen Schwärmen dießseits und jenseits der Donau verbreiten und eine Plage für Menschen und Vieh sind. Das Wetter schien sick) indessen ein wenig bessern 37 zu wollen, und wir warteten seine völlige Aufklärung bei einer gemüthlichen Nachmittagspseife ab, bei welcher Gelegenheit auch unsere ganze Mannschaft mit einer Pfeife tractirt wurde. Odysseus kannte den Taback noch nicht, sonst hätte Homer gewiß auch nie vergessen, uns zu schildern, wie er sich am Abend mit seinen Gefährten rauchend an den Strand setzte. Von dem serbischen Dorfe, das uns umgab, konnte ich nur so viel in Betracht ziehen, als wir von unserer Matte aus sehen konnten, denn weiter vorzuschreiten und herumzugehen ward uns nicht verstattet. So viel sah ich aber, daß, wenn Strabo sagt, die alten Dardaner in Mosten (im Quellengebiete der March, des vornehmsten serbischen Flusses) hätten in höhlenartigen, mit Mist bedeckten Wohnungen gehaust, man daraus schwören könnte, die heutigen Serbier wohnen noch ganz ab-curat ebenso wie die alten Dardaner. Die Hütten rund herum waren so elend, wie man sich nur eine menschliche Behausung denken mag. Plunder, Schmuz und Mist zeigten sich überall. Die Dächer schienen mit Moder und Mist bedeckt, auf denen Unkraut in Haufen wuchs. Dabei zerfielen sie alle in viele kleine, ohne Zusammenhang und Ordnung nebeneinander gestellte, oder vielmehr durch einander gewürfelte Behausungen, die eine für dieß Vieh, die andere für jenes, die eine für Kukuruz, die andere für Menschen; sie waren übrigens 'n der Bergschlucht, in der das Dörfchen lag, so pit' toresk unordentlich vertheilt, daß ein Maler ebenso viel 38 Freude als ein National-Oekonom Aerger daran nehmen mußte. Ebenso paßt auch das noch auf die jetzigen Serbier, was Strabo von den alten Dardanern sagt, daß sie große Freunde der Musik, des Gesanges, der Saiteninstiu» mente und der Poesie seien; denn man kann keine mu-sikliebenderen Leute finden, als die serbischen es sind, und ihr Reichthum an Volksliedern ist ja bekannt. Ich glaube nun einmal an die Abstammung der Serbier von den alten Dardanern fest und eigensinnig — und kann mich nicht überreden, daß dieses Volk, wie Einige meinen, erst im Mittelaller hier eingewandert sei. Auch der Salzhandel, den jetzt die Serbier an der Donau hier betreiben, ist wahrscheinlich uralt und fand vielleicht schon zu Homer's Zeiten statt. Denn im Homer werden im Norden von Macedomen und Epeiros „Menschen ohne Salz" erwähnt. Nach der Homerischen Karte von Voß fallen diese Menschen ungefähr in das heutige Bosnien und Serbien. „Menschen ohne Salz" werden gewiß nichts weiter bedeuten sollen als Menschen, die in ihrem Lande kein Salz haben, die dessen aber nichtsdestoweniger bedürftig sind und es durch den Handel von anderen Volkern beziehen. Ohne Zweifel hatte Odysseus oder Homer nur durch Handelsleute Kunde von diesen Menschen, die vielleicht (kann man nicht sagen: höchstwahrscheinlich?) damals, wie noch jetzt vom schwarzen Meere her und aus den salzreichen walach-schm Gebirgen ihr Salz auf dem Isther bezogen. Wir setzten uns in's Schiff, und die Leute zogen 39 basselbe in ziemlich raschem Schritte fort. Es dauerte nicht lange, so hatten wir cm solches türkisches oder serbisches Salzschiff eingeholt, wie dergleichen hier vielleicht schon seit Homer's Zeiten die Donau hinaufschleichen. Dieses Schiff hatte ein rundgewölbtes Dach, auf welchem Türken oder wenigstens türkisch, in Turban, röche Binden und Pantoffeln gekleidete Leute wüßig saßm und rauchten. Arme serbische Schisssknechte zogen das Schiff. Sie sagten, daß diese Ladung Salz für unseren Freund, den Pascha von Or-sowa, bestimmt sei. Es gab nicht wenig Noth, daß wir mit diesen Leuten in keine Berührung kamen. Denn wenn auch nur unsere Schissszieher die Lein? der Türken bei'm Vorbeipassiren ganz leicht berührt hätten, so wäre den Suppositionen der Contumaz-Gesctze gcmaß die Pest sofort an dem Sricke hinauf und an den anderen Stricken hinab m's Schiff gelaufen und hätte uns, die wir den Strick vielleicht berührt hatten, (dieß wird so angenommen) wie ein Blitz getroffen. Ich wollte es Anfangs nicht glauben, daß dieß so wäre. Allein die Contumaz^ Beamten erzählten mir, daß noch vor nicht langer Zeit folgender Fall vorgekommen sei. Ein Schiff mit Passagieren, Schisss-lcuten und Beamten war, so wie unseres, an der serbischen Gränze hingezogen worden, und die Ziehleine hatte zufällig, indem sie bei einem temporären Nachlassen oder Ausruhen der Schisssknechte in's Wasser hinabgefallen war, cm türkisches Fischerneh berührt. Dieß hatte einer der Reinigungsdicner gesehen und 40 es sofort für seine Pflicht gehalten zu rufen: „wir sind vermischt." („Vermischt sein" ist ein Kunstausdruck, der so viel bedeutet, als mit irgend einem pestfangenden Gegenstände in Berührung gekommen sein, man sagt sogar „vermischtes Vieh," d. h. „noch nicht gereinigtes Vieh".) Freilich hatten die Passagiere im Schiffe die Geistesgegenwart gehabt, die Leine zu kappen, und sie behaupteten nun, daß nur die Schiffsknechte und der Reimgungsdiener vermischt seien, nicht aber sie im Schiffe. Der Reinigungsdiener sagte nun aber dagegen, er habe gesehen, daß der Mantel von einem der Passagiere die Leine bei'm Abkappen gestreift habe, und daß sie mithin sämmtlich vermischt seien. Bei dieser Aussage blieb er auch vor dem Richter, und da diesen Leuten Alles geglaubt wird, so mußten Alle mit einander auf zehn Tage in die Contumaz. Nachher processirten sie noch lange darum, wer für die Kosten dieses zehntägigen Aufenthalts die Anderen zu entschädigen habe. Das Merkwürdigste war dabei, daß das berührte Fischerneh erwiesener Maßen schon drei Tage im Waffer gelegen hatte. Alle die Beamten der Contumaz sind natürlich außerordentlich streng verpflichtet, und die schwersten Strafen drohen jedem geringsten Versehen. So z. V. steht auf der Verschweigung irgend einer geschehenen „Vermischung" — (z.B. wenn mein Mantelzipfel irgend ein türkisches Schiffsseil berührt) — zehn- bis fünfzehnjährige Festungsstrafe. Selbst die höheren Beamten unterliegen einer großen Verantwortung. So soll der 41 vorige Director der Contumaz von Orsowa im Gefängnisse an Gram und Verzweiflung gestorben sein, weil er das Factum verschwiegen hatte, welches ihm bekannt geworden war, daß ein Reisender mit seinem Stiefel einen Strick auf dem serbischen Ufer berührt hatte, obgleich er darauf seine Stiefeln ausgezogen und in's Waft str geworfen hatte. Unverzeihlich aber ist es, daß bei dem Nastell in Orsowa der Platz, der für die Türken und Serbier bestimmt ist, nicht von einer Barriere umgeben ist, und daß man auch durch keinen Anschlag dem Vorübergehenden bekannt macht, daß das ein gefährlicher und verbotener Platz sei. Wir waren selbst mehre Male in Gefahr, diesen Platz zu betreten. Ein armer Franzose chat es nicht lange vor unserer Anwesenheit wirklich. Er wurde ohne Gnade auf zehn Tage in die Contumaz gebracht. Die Leute sagten uns, er habe förmlich geweint, als man ihm seine ge-wiß ungerechte Verurcheilung angekündigt habe. Denn cr habe seine Waaren, die er bei sich geführt, bereits der Dampfschifffahrtsgesellschaft übergeben gehabt, und diese seien nun ohne ihn allein nach Pesth und Wien gegangen. Am meisten Noth machten uns unterwegs die vielen serbischen Fischernetze, die wir am Ufer vorsichtig zu umgehen hatten, weniger die einzelnen serbischen Reisenden, die uns begegneten. Es waren diese Reisenden übrigens alle zu Pferde, und auch alle mit Pistolen 42 und linderen Wehren bewaffnet, trotz der größeren Sicherheit, die jetzt in Serbien herrschen soll. Die merkwürdigsten Anstalten für Fischfang, welche wir passirten, waren die großen Wehre, die man für den Hausenfang hier mitten in dem Strome und namentlich auch zwischen einigen Felsen und Stromcana--!en des eisernen Thores angelegt hat. Diese Hausenfänge verdienen eine Beschreibung, weil sie sich nicht nur hier bei'm eisernen Thore befinden, sondern auch ganz in derselben Weise weiter unten in der walach-ischen Donau vorkommen. Oberhalb dieser Gegenden sah ich sie aber nirgends im Strome. Es sind hohe, ziemlich rohe, zuweilen etwas schiefe Baumstamme, die man wie große Wehre in der Mitte des Stromes in zwei langen Reihen neben einander eingerammt hat. Die beiden Valkenreihen laufen in convergirende Linien zusammen. Die größere Weitung des dadurch entstehenden Trichters ist stromabwärts gewendet. Die Schenkel des Winkels stehen aufwärts. Die Zwischenräume der Baume sind mit Weidenruthen durchflochten. Hinten, wo die beiden Wehre zusammenstoßen, befindet sich eine ebenfalls aus Flechnverk zusammengesetzte Tod-tenk^mmer. Der Hausen, wenn er angeschwommen kommt und auf das Flechtwerk des Wehrs stößt, geht dann, gegen das Wasser schwimmend, immer an demselben hinauf. Er schlägt nicht leicht zurück und geräth so in die hintere Enge, aus der er den Ausweg nicht mehr findet. „Er hat nicht die Klugheit," sagte mir einer der Leute, „daß er gerades 43 Weges mit dem Strome wieder zurückschwimmt, sondern er hält sich immer gegen den Fluß und stößt stets mit der Nase an das Gestecht des Wehrs." Die Wa-lachen nennen ein solches Bauwerk für den Hausenfang: „(!3l ziehung hangt er, wie alle diese türkischrn Festungscom-Mandanten, mehr von den Serbicrn ab, als sie von ihm. Nicht weit von dem Fort Elisabeth, durch welches wir wieder hindurchklettem mußten, lag ein hölzernes Gebäude, welches, wie man uns sagte, zum Abschlachten der Ziegen und zum Auskochen ihres Fettes diente. Die Oesterreicher nennen eine solche Vorrichtung einen „Geisstich," die Serben dagegen „Kosara." Es giebt solche Geisstiche überall am serbischen Ufer, bei Mila-nowatz, bei Palanka, bei Belgrad, bei Orsowa allein drei. Blos in diesen drei Geisstichm von Orsowa sollen jährlich an 15,000 bis 20MU Ziegen getödtet werden, so daß also die serbischen Gebirge einen ungeheueren Ueberfiuß an diesen Thieren haben müssen. Man gewinnt die Haute und das Unschlitt, was beides nach Ungarn und Oesterreich geht. Ein Theil des Fleisches, den man nicht auskocht (was z. B. mit den Schenkeln der Fall ist) wird in der Umgegend zu Spottpreisen verkauft. Auch in ganz Siebenbürgen giebt es solche Schlachtbänke der Ziegen. Als wir an der Stelle ankamen/ wo wir wieder 4H in das Schiff steigen sollten, um nach der Militär-gränze überzusetzen, bot sich uns ein anderes eigenthümliches Schauspiel dar. Es war hier eine ganze Ncihe serbischer Weiber aufgestellt, deren jede auf einem weißen Tuche verschiedenerlei Speisen vor sich im Grase liegen hatte, „Kosch" lein Gericht aus Kukuruz), Fleischsülze in kleinen Töpfen, Milch in Flaschen und noch andere flüssige und consistence Dinge, die ich nicht kannte, in lauter kleinen Portionen. Ihnen gegenüber traten nun diejenigen unserer Schiffsknechte, welche Serbier und die Ehemanner jener Frauen waren. Es war der Proviant, welchen ihre Weiber ihnen für die eben begonnene Woche bereitet hatten, und welche sie ihnen sonst auch wohl im Rastell übergeben. Mrhre der Weiber nickten ihren Männern freundlich zu, hatten ihnen auch recht viele gute Speise bereitet und schienen gern zärtlich thun zu wollen. Andere aber singen mit ihren Männern an zu schmälen und behaupteten, sie brachten ihnen nie ttwas von ihrem Arbeitslöhne herüber, und sie würden das nächste Mal nicht eher Speise bringen, als bis sie ein Stück Geld zu sehen bekamen. Die meisten Männer guckten in ihren Topf und waren zufrieden. Einige erlaubten sich Kritiken. Aber Streitende und Liebende hielten die österreich» ischen Reinigungsdiener auf gleiche Weise in der nöthigen Entfernung auseinander. Es giebt eine Menge serbischer Ehepaare, die auf diese Weise, weil die Manner in der Militärgränze ihren Unterhalt suchen, Jahre lang von einander getrennt leben; denn natürlich muß der Mann jedes IV. 4 50 Mal, wenn er seine Frau ohne Aufsicht besuchte, sich wieder der Contumaz untenverftn. So hatten wir also auf kurzer Reise mancherlei Scenen aus dem serbischen Volksleben an der Gränze gesehen und aufgefaßt. Oesterreichisch Orsowa. «Fn dem österreichischen Orsowa, wie natürlich überhaupt in den meisten Orten der Militärgranze sind noch manche türkische Sitten und Gewohnheiten im Schwünge, besonders bei den niederen Klaffen, obgleich sonst auch hier, wie überhaupt in allen den Provinzen, welche zur Türkei gehörten, durchaus keine Spur von türkischer, d. h. mohammedanischer Bevölkerung zurückgeblieben ist. Auch die türkischen Maße und Gewichte (die Okka's ic.) sind hier noch im Verkehre geblieben. Wie sehr bemerkenswert!) der Verkehr dieser Gegenden in neuerer Zeit zugenommen habe, wies mir ein Kaufmann nach. Noch vor achtzehn Jahren, sagte er, konnte man hier unter den Arbeitern auf dem Markte ganz nach Belieben wählen. Ich konnte hingeben und s"gen: „Komm, du bist stark, dir gebe ich 18 Kreuzer, und du bist jünger, dir gebe ich nur 12 Kreuzer. Jetzt fordert einem oft schon ein Kind 24 Kreuzer ab, und für einen regulären Arbeiter muß man nicht weniger 4* 52 als 36 Kreuzer Münze bezahlen. — Auch die Grunts stücke sind überall im Werthe gestiegen." (Dasselbe hatten uns unsere walachischen Bojaren zu wiederholten Malen von den Grundstücken ihres Vaterlandes versichert.) Auf dem Markte von Orsowa sieht man beständig eine Menge walachischer Weiber sitzen, die schönes Obst, Weintrauben, Pfirsiche u. s. w. feil haben. Wenn die Wiener Fratschlerinnen es nicht übel nehmen wollen, so möchte ich wohl glauben, daß, wenn man einmal zwischen ihnen, die gerade in dem Mittelpuncte des Reichs, nahe bei der hohen Kaiserburg sitzen, und den armen Walachinnen, die am äußersten Rande der Monarchie den Türken gegenüber Platz nehmen, eine Parallele ziehen wollte, diese nicht zum Vortheile der Nefidenzstadterinnen ausfallen würde. Ich habe über die Fratschlerinnen schon oben etwas gesagt. Die walachischen Orsowerinnen fand ich folgendermaßen. Gewöhnlich saßen sie still und ruhig nrben ihrem Fruchtkorbe, ohne sick mit einander oder mit den Vorübergehenden zu zanken. Sie waren beständig fast alle ohne Ausnahme beschäftigt, einige mit dem Brodirm ihrer Hemden, durch deren Aermel und Manschetten sie rothe Fadchen zu allerlei Figuren zogen, die meisten aber mit dem Spinnrocken. Von dem Spinnrocken, eben jener ,/Furka," die wir oben von den österreichischen Granitschari's geschnitzt werden sahen, sind die walachischen Weiber so unzertrennlich, baß sie fast zu einem Theile ihrer Kleidung zu gehören scheint. Sie haben diese Furka stets in ihrem Gürtel stecken. Sie ragt schief nach der Seite hin daraus hervor, und die Weiber mögen thun, was 53 sie wollen, Vieh treiben, spazieren gehen, zur Nachbarin hinüber laufen, hinter'm Ofen swen oder Obst verkaufen, nie reißt der wollene Faden ab, den sie aus dem Rocken hervordrehen und auf eine herabhangende immer «m Schwung? erhaltene Spindel winden. Ich glaube, baß, wenn die römischen Manner stolz darauf waren, daß das Schwert in ihrer Hand so lebe, wie ein Theil ihres Körpers, so kann ein Weib kein besseres Ding zu den Gliedern ihres Leibes rechnen als den Spinnrocken. Die walachischen Manner haben ihre Vorfahren, die Römer, durchaus nicht in Bezug auf das Schwert nachgeahmt, ihre Weiber verdienten aber wirklich von den müßigen und zankischen Wiener Fratsch-lerinnen in Bezug auf die Fulka nachgeahmt zu werden. Wir wurden in Orsowa auch mit einem Lehrer der griechischen Sprache bekannt, der vor einem Jahre von den Inseln gekommen war. Er war an der Stadtschule angestellt, und man sagte mir, er empfinge von Seiten der Kaufmannschaft seinen Gehalt von 40U Gulden. Auch in anderen Donaustädten Oesterreichs hat man jetzt griechische Lehrer angestellt. Das Bedürfniß nach ihnen wurde bei der Kaufmannschaft lange gefühlt. 'Aber erst seit zwei Jahren hat man mit häufigerer Anstellung von solchen Lehrern begonnen. Es wird nun die griechische Sprache wissenschaftlich und systematisch in vielen kleinen Colonieen an der ganzen Donau hin bis nach Wien hinauf cultivirt. Schon bei Neusatz hatte mir eine deutsche Mutter geklagt. daß ihr 54 Sohn so schwer Griechisch lerne, was doch so sehr von Nöthen sei. Nirgends hörte ich souiel von Gesundheit reden als hier in Orsowa und überhaupt im ganzen Banale. Ich ' schloß daraus gleich, daß es wohl sehr ungesund sein müsse, und es ist dieß in der That so. Von den Fiebern in den Theiß- und Maroschgegenden werde ich nachher zu sprechen Gelegenheit haben. Es war mir nur auffallend, daß diese Sumpffieber hier selbst in den so hochZcbirgigen Theilen des Vanates nicht aufhören. Man sagte mir, es möchte dieß daher rühren, weil die meisten Thäler des Gebirges unculti-virt seien, das Wasser in ihnen Moräste bilde und dle Ausdünstung in ihnen stocke. Nach Mehadia hinauf soll es gesunder werdm. Dann aber nach Temeswar hinab nehmen die Fieber wieder bedeutend zu. An dem folgenden Tage, einem Markttage, sdh ich auch den merkwürdigen Gränzverkchr in der Skela oder dem Rastel! (die Leute schienen mir beide Ausdrücke hier immer pi-nmi»c,ie zu brauchen). Die Orsowa'sch? Skela war ein großer hölzerner Schuppen von einem Hofe und Zaune umgeben. Der Schuppen liegt der Lange nach am Ufer der Donau hin und ist ebenfalls der Lange nach durch zwei hölzerne Gelander oder Gitter, die etwa drei Ellen weit auseinander stehen, in drei Theile abgetheilt. Zum Flußgitter kommen nun die Serbier oder, wie sie hier noch immer heißen, die Türken auf Schiffen heran, und zum Landgitter die österreichischen Unterthanen. Beide bringen ihre Waaren 55 mil und zeigen sie sich über dem Gitter. Die Oesterreicher können den Türken Alles verkaufen, was sie wollen, die Türken aber den Oesterreichern nur die keiner Ansteckung fähigen Sachen, Getreide, Früchte, Fleisch, Holz imd dergleichen. Eind sie um den Preis "nig, so wirft, wenn der Türke bezahlen muß, derselbe sein Geld in eine Schüssel mit Wasser/ nachdem er es dem Oesterreich« vorgezählt hat, und dieser fischt es dann daraus wieder hervor. Oesterreichische Neinigungsdiener und Schildwacken passen in dem Zwischenraume auf, daß Alles der Vorschrift gemäß geschehe. Für mich war dirß ein sehr interessantes Schauspiel, und ich dachte mir, wenn man einmal so ein Nastell, recht zierlich ausgebaut, auf die Bühne brächte und die Decorationsmaler dazu in den Coulissen rechts und links naturgetreu die imposanten Donauufer und die serbischen Gebirge darstellten, wenn dabei dann die verschiedenen walachischen, serbischen und türkischen Volks-costume richtig beobachtet würden, und wenn zu dem Allen noch eine Liebesgeschichte käme, — siehüben,— er drüben, und ferner die Ideeen der Pest, des ewigen Granchaders, des Mohammedanismus und des Christenthums richtig aufgefaßt und klug eingemischt würden, so könnte dieß eine ganz neue, auf unserer Rühne noch nie gesehene Scene zur Eröffnung eines ersten oder «weiten Actes (ich denke an den Marktplatz in der Stummen von Portici) abgeben. Die ganze Militär« .qranze st^t voll von solchen neuen, nie gesehenen dra- 56 malischen und poetischen Dingen, und es wäre wohl der Mühe werth, daß einmal ein Schauspieldirector, ein dramatischer Dichter und ein Decoraiionsmaler sich as-sociirten und sie von Bosnien an bis nach der Moldau hin durchreisten. Wenn diese Herren Geist hätten, so würden sie mit. ihrer neuen Anschauung allen bisherigen Bühnenapparat reformiren und revolmiomren. Ich setze aber dabei voraus, daß sie immer auf beiden Seiten der Donau reis'ten. Denn es wäre eben die Hauptsache, daß das Stück auf beiden Seiten spielen müßte, eine Scene in der Türkei und eine andere im großen deutschen Christenreiche. Orsowa hat eine in historischer Beziehung höchst interessante Lage. Es war seine Umgegend von jeher ein Schauplatz vieler wichtigen Ereignisse von Trajan's Zeiten her bis auf den Türkenkrieg unter Joseph II. hin, in welckem dieser Kaiser, in Begleitung des nachmaligen Kaisers Franz, damals eines jungen Erzherzogs, den Türken wichtige Schlachten lieferte. Orsowa war nach Belgrad für Ungarn, Oesterreich und Dacim von jeher der wichtigste Punct, um den sich das kriegerische Leben dieser Gegenden wie um einen zweiten Angelpunct drehte. Es beruht diese Wichtigkeit auf folgenden geographischen Umstanden und Bodengestaltungen der Umgegend. Von dem nördlichen Zipfel der Moldau, dem südöstlichen Ende Siebenbürgens her zieht sich eine ganze lange, breite und hohe Mauer von Gebirgen in südwestlicher Richtung über die Donau hin nach Ser- 57 bien hinein. Diese Gebirgsmauer nun scheidet die österreichischen Länder, Siebenbürgen und Ungarn, von den türkischen Ländern, der Walachei, Bulgarien:c., — oder zu der Nömer Zeiten das Ufer- und das mittlere Dacien (I)acw Hi^cn«!» und Vi^i» Neliiterrant;») von dem Dacien jenseits der Alpen (O^ci» 1><»i8«Ipina). Die bezeichnete Gebirgsmauer ist schr rauh, wild und unzugänglich. Nur an einigen Slellen ist sie von Flüssen durchbrochen, und bei diesen Durchbruch-stellen befinden sich dann berühmte Pässe oder Thore, durch welche sowohl alle kriegerischen und commercirllen Expeditionen auS den südlichen Ländern nach den nördlichen, als auch umgekehrt die Einfälle aus den nördlichen Gegenden nach den südlichen statt hatten. Die beiden bedeutendsten dieser Durchbrüche sind 1) der der Donau bei Oisowa und 2) der des größten walachischen Flusses, der Aluta oder Alt. Neben beiden läßt sich nur noch der zweite bedeutendste walachische Fluß, der Schyl, nennen. Im Schyl führt von Crajova eine Straße nach Siebenbürgen hinauf, die durch den uom Flusse gebildeten Vulkanpaß in Siebenbürgen eintritt. An der Mündung der Aluta liegt Nikopoll, und da, wo sie jene Gebirgsmauer durchbricht, befindet sich der „rothe Thurmpaß." Von Nikopoll aus führte in dem Thale der Aluta hinauf schon eine alte Nömer-straße, sowie auch jetzt ein bedeutender Verkehrsweg durch den berühmten „rothen Thurmpaß" aus der Türkei nach Siebenbürgen einführt. 53 Endlich nun wird die bezeichnete, Nord- und Süd-Dacien, Ungarn und die Türkei trennende Gebirgs-mauer auch noch durch die Donau durchbrochen. Dieser Durchbruch geht uns in gewisser Beziehung hier weiter nichts an. Denn die Donau führt weiter auf Belgrad/ dessen historisch-geographische Bedeutung wir schon betrachteten. Zu gleicher Zeit aber schließt sich dieser Durchbruch an einen zweiten Durchbruch an/ welcher bei Orsowa mündet und gewissermaßen von dem Hauptdurchbruche der Donau die nördliche Branche bildet, durch welche sich die südlichen Donaugegenden ebenso wie durch den rothen Thurmpaß mit dem nördlichen Dacien (dem Va-nat und Siebenbürgen) in Verbindung setzen. Steigt man nämlich von Orsowa aus nördlich in das Thal des hier mündenden kleinen Flusses Tscherna (d. h. die Schwarze") hiniuf und hält man sich dann immer nördlich bis nach Karansebcs im Bannt, so findet es sich, daß in dieser Richtung die große Gebirgsmaffe sich bedeutend erniedrigt und gebahnt hat. Die Quellen der Temes und der Tscherna sind es, die diese Gebirgsemsattelung angebahnt h^ben. In dem höchsten und innersten Paffe liegt der berühmte „Teregovaer Schlüssel," durch welchen die Straßen in's Vanat und nach Siebenbürgen weiter gchen. Orsowa, als Mündungsplatz dieses Paffes an der Donau, mußte daher sowohl als Handelsplatz wie auch als Festung von jeher eine große Bedeutsamkeit haben. Aus dcr Bulgarei (aus No^iu inOriol') von Konstan- 59 tinopel her zielte in Folge dessen von jeher eine wichtige Straße auf Orsowa hin. Daher baute hier in der Nähe Trajan seine Brücke, auf welcher er die Donau übersetzte, um dann über Orsowa durch das Tscherna-thal, durch den Teregovaer Schlüssel u, s. w>, den De-cebalus im Herzen von Dacien anzugreifen. Daher die Schlachten am Alion, die Bombardements von Orsowa. Daher haus't denn auch jetzt noch im Mittelpuncte dieses Schlüssels oder Passes, wie in Belgrad, ein türkischer Pascha, der indeß ebenso wie sein Freund, der Belgrader, nur einen verdorbenen und ruinirten Schlüssel zu jenem Thore hat. Die Herculesbäder von Mehadia. 38ir setzten uns nun am folgenden Tage zu Wagen und fuhren auf jener merkwürdigen Straße an den Ufern der Tscherna hin, um die berühmten Bäder von Mehadia, die in diesem Thale liegen, zu besuchen. Die Oe-sterreicher haben hier eine vortreffliche Chaussee gebaut. Mein Franzose hatte von mir mit dem Versprechen Abschied genommen, daß er mir am folgenden Tage, wenn es seine Geschäfte erlaubten, nach Mehadia nachfolgen würde. Allein er ließ mich später in Mehadia freundlich grüßen und sein Bedauern ausdrücken, daß er diesen interessanten Ort nicht mit mir besehen könne. Ich sah ihn zu meinem Bedauern nicht wieder. Nahe bei Orsowa, jenseits der Mündung der Tscherna, befindet sich noch die kleine Merkwürdigkeit eines zwischen Türken und Oesterreichern gemeinsamen Besitzthums. Es ist ein kleiner unbewohnter begraster Sumpf, eine wiesenreiche Strecke an der Donau hin, der Inselfestung Orsowa gerade gegenüber. Diese Strecke darf in der Regel weder von Türken, noch von Oesterreichern besucht werden. Nenn aber das Gras reif ist, so kommen die Türken und mähen, trocknen und häufeln es. Darnach ziehen sie sich zurück, und die Oestrrreicher kommen ihrer Scits und theilen das Heu in zwei Thcile, von denen sie einen mit sich hinwegnehmen, worauf die Türken die andere Hälfte holen. Wir besuchten, obgleich unsere Chaussee nicht eigentlich daran vorüber führte, den österreichischen Gränzposten an der Tscherna, der dadurch interessant ist, weil bei ihm der größte Theil das walachischen Rindviehs vorüber muß, das in großen Heerden beständig nach Ungarn einwandert, um die durch die Auswanderung nach Oesterreich hier entstandenen Lücken wieder zu füllen, und welches auf dem bezeichneten Trajan-ischm Wege nach Temcswar und Szegedin weiter geht. Der Befehlshaber des Postens führte uns in stincn Garten, in welchem es treffliche Pfirsichbäume und Mus-katellertrauben gab. Der Garten wie der ganze Posten stand auf einer kleinen Erhöhung, die wahrscheinlich früher eine römische Befestigung gewesen war, und hinten im Garten fanden wir auch noch mehre tiefe feste Gewölbe, in welchen sich jetzt der Weinkeller des Postencommandanten befand. Jenseits der Tscherna lagerten große Heerden walachischen Viehs. „Es ist noch vermischt," sagten die Granzer, „aber diesen Nachmittag wirb es in's Wasser geführt und geschwemmt, dann 'st es rein und kann herüber kommen." Mehadia ist ein großer walachischer Marktflecken im 62 Tschernathale. Zu der Nömer Zeiten hieß dieser Marktflecken „all medilml," und durch eine wunderliche Verwerfung der Sylben wurde daraus ,,m<5.»ll-lliain" und mit Vermeidung des Hiatus „Mehadiam", oder, da daS „m" in der schnellen Aussprache doch ausgelassen wurde, „Mehadia." Vis Mehadia ist der untere Theil des Tscherna-thals zwar angenehm, sehr unterhaltend und schön, aber er hat doch keineswegs so viel Außerordentliches, wie der obere von Mehadia zu den Herkulesbadern aufwärts. Wir blieben zunächst in jenem unteren Theile, dessen besondere Abtheilungen wieder besondere Namen haben und das Schupaneker Thal, der Koramniker Schlüssel u. s. w. heißen. Im Koramniker Schlüssel fanden wir ein Zigeunerlager am Flusse, welches wir besuchten. Es waren etwa ein halb Dutzend Familien in ebenso vielen Zelten. Sie schmiedeten Nagel und bedienten sich dabei eines Blasebalges aus behaarten Ziegenfellen. Ihre ganze Einrichtung war nicht um ein Haar besser als die der Päschacähs in Südamerika. Dabei haben sie doch einen außerordentlichen Stolz, wie mir mein Begleiter, ein Bewohner des Banats, versicherte. Er habe bemerkt, sagte er, daß die Zigeuner noch größeren und versteckteren Nationalstolz als die Juden hatten. Denn sie behaupteten, sie wären von allen Völkern Europas das älteste. Im Banale und in Siebenbürgen giebt es mehr Zigeuner als in irgend einem anderen Theile Ungarns. Dieß rührt von der großen und innigen Ver-schwisterung her, welche die Walachen, die auch in je- 63 nen Provinzen die Grundbevölkerung bilden, mit den Zigeunern eingegangen sind. Der (übrigens höchst achtbare) ungarische Statistiker Schwartner sagt: „Dem Ungarn hängt der Zigeuner mehr als dem Slaven an, am allerwenigsten aber sympathisirt er mit dem Deutschen." Mir haben viele Ungarn versichert, daß dieß wahr sei, und ich glaube, wir Deutsche können uns dadurch eher geschmeichelt als verletzt fühlen. Im Na-nat, wie überhaupt in dem ganzen übrigen Dacien, wohnen sie im Sommer in Zelten, haben aber daselbst im Winter gewisse Zusammenkunftsplatze, wo oft mehre hundert Familien in Höhlen, Erdlöchern und Lehmhütten bei einander nisten. Sie reden in diesen Gegenden überall die walach-ische Sprache und dann unter einander auch Zigeuner« isch. Es ist merkwürdig, daß die Walachen, welche mit den Zigeunern am meisten zu thun haben, eine Menge Worte von ihrem Namen gemacht haben, mit welchen sie unanständige Handlungen und Dinge bezeichnen. Man findet in ihrem Lexikon z. B. folgende: ,/l8cki^nu" heißt erstlich „der Zigeuner/' dann ist es aber auch ein Scheltwort. „I'scliigamc" heißt die „ratio Xin^aric»," ober „der Zingarismus." ,,1'i;cIliFali08,i" heißt „ importunus," „ungestüm wie ein Zigeuner." „i'sclnFÄnescu" (verb.) heißt „petezcu importune," „ungestüm etwas begehren, wie ein Zigeuner." 64 „I'sekinFAnesce (adv.) heißt ^xin^cu-ico," „zigeu-nerisch," auch „schmuzig." Sollten die Zigeuner, wie es jetzt nach allen Untersuchungen höchst wahrscheinlich ist/ wirklich aus Indien stammen, und sollten sie dort noch viele Stammverwandte und Brüder haben, so wäre es ein höchst betrübtes Zeichen für die Langsamkeit der Fortschritte der Cultur in jenen Gegenden, daß diese Nace vier Jahrhunderte unter allen möglichen gebildeten Nationen leben konnte, ohne auch nur eine Spur von Civilisation anzunehmen. Es ist dieß eine Ausdauer in der Barbarei, wie sie in der europäischen Geschichte nicht wieder vorkommt. Uebrigens ist der Stamm nun doch wohl über-" all im Abnehmen begriffen, — in Deutschland gewiß, in Ungarn auch/ in Spanien (?). Auch muß doch ihre Barbarei sich wenigstens insofern andern, als ihr von den europaischen Nationen, unter denen sie wohnen, nicht mehr soviel Vorschub geleistet wird. So z. V. sind sie jetzt in Ungarn und Siebenbürgen blos noch die Musikanten und Schmiede, wahrend sie dort sonst ebenso viel mit dem Henkerbeile als mit dem Hammer zu thun hatten. Im sechszehnten und siebcnzehnten Jahrhunderte wurden in Siebenbürgen die Köpfe unzahlig vieler Granden von den ungeschickten Händen zi-geunenscher Henker abgesagt, und den berühmten Bauernkönig Dosa haben Zigeuner auf einen glühenden Thron gesetzt und ihm eine glühende eiserne Krone auf's Haupt geschmiedet. Es wurde uns schwer, uns von den Zigeunern 65 loszureißen, erstlich, weil ich nie aufhören kann, diese wilde Race wieder und wieder zu betrachten, und zweitens, weil sie uns nicht loslassen »rollten. Sie hatten nämlich angefangen zu betteln, und weil mein Reisegefährte sehr freigebig gegen sie gewesen war, so hatten sie noch mehr gebettelt und waren alle aus ihren Zelten herbeigestürzt. Zuletzt kamen sie in eine solche Vitt-wuth und Vettelleidenschaft, daß sie uns in einem undurchdringlichen Haufen umstanden und uns an den Kleidern packten. Mit Mühe und Noth' kamen wir davon, und unser Kutscher erzählte und versicherte uns, daß, wenn wir bei dieser Gelegenheit von den Zigeunern nackt ausgezogen und ausgeraubt worden wären, wir nicht die Ersten gewesen sein wüibcn, denen solches widerfahren. Oberhalb des Koramniker Schlüssels befinden sich, an eine schroffe Felswand angelehnt, die schönen Trümmer einer Wasserleitung. Es stehm von derselben noch elf große schöne Bogen unversehrt neben einander, die anderen sind zerstört. Die Gelehrten sind nicht einig darüber, von wem diese Wasserleitung herrühre. Einige behaupten, sie sei von den Römern angelegt worden. Der edle, großartige Styl des Ganzen spräche wohl dafür, ob aber die Art der Zusammenlegung der Steine? Es sind nämlich die Vögen aus großen Feldsteinen und rothen Mauerziegeln gebaut, und zwar so, daß außen und innen eine doppelte Schicht von Ziegeln auf eine vierfache Schicht großer Feldsteine folgt. Diese für iv. 5 66 die Beurtheilung wichtige Bemerkung habe ich noch in keiner Reisebeschreibung gelesen. Gegen Abend ging unser Weg von der großen Militarstraße, welche dem Teregowaer Passe zueilt, rechts ab in das obere Tschernathal hinauf, dessen Felswände immer höher und imposanter werden und zugleich immer näher zusammentreten. Es läßt sich gar nicht berechnen, wie viele tausend Schiffsladungen von Pulver nöthig waren, um diesen furchtbaren Felsspalt, in welchem die Herculesbäder liegen, auszuarbeiten. Wir kamen erst noch bei einigen walachischen Dörfern vorüber, dann schlangelte sich der schön gebahnte Weg durch tiefliegende Felder und Wiesen, setzte auf zwei eleganten eisernen Kettenbrücken zwei Mal über den Fluß, spazierte durch einige Wall-nußbaumpartieen — und wir gelangten endlich, wie uns dieß der Schwefelbampf und der hier unaufhörliche Schwefelgeruch verkündeten, bei den ersten Restaurationen, Frem-denherbergen und endlich bei dem Hauptgebäude der Bäder selber an. „Wenn ein Herr Badegast ein Stück Lamm, Kalb oder Kitz schlachten will, so darf dieß nur auf der dazu bestimmten Schlachtbank geschehen." Dieß war eine der Bestimmungen, auf welche mein Auge, nachdem ich meine Sachen in meinem Zimmer etwas geordnet hatte und mir die an der Thür befestigte Badeordnung durchlas, zuerst siel. Es ist dieser Artikel zum Theil charakteristisch für die ganze eigenthümliche Gesellschaft, die sich an diesen berühmten Quellen zusammenfindet, O? denn außer dem vornehm?« ungarischen und sieben-dürgischen Adel, für den natürlich eben dieselben Vorschriften gelten wie für die Besucher unserer Bäder, und der sich in den Restaurationen des Bades speisen und bedienen läßt, kommen hier, bei der Leidenschaft, welche alle umwohnenden Nationen für die Bäder haben, auch viele walachifche und ungarische Bauern, kleine Leute aus den Städtcn der Mililargranze und kleine Bojaren aus der Walachei und Serbien hierher, die alle, um Geld zu sparen, ihren eigenen Kessel und Mundvorrath mitbringen, und die jener Artikel und einige andere Vorschriften derselben Art angehen. Die Walachen sind die leidenschaftlichsten Besucher dieser Schwefelbäder, und hauptsächlich aus dieser Leidenschaft kommt es auch, daß sie hier den Oesterreichern die Gränze streitig machen. Die Walachen (ich spreche hier von der walachischen Bevölkerung der Umgegend) behaupten nämlich, daß das halbe Tschernathal bis zum Flusse ihnen gehöre, und daß die Oesterreicher ihre Posten, die sie auf dem hohen Gebirgsrücken des östlichen Flußufers aufgestellt haben, bis an den Fluß zurückziehen müßten. Ich weiß ebenso wenig, worauf die Walachen ihre Ansprüche an das linke Tschema-Ufer gründen, als worauf die Franzosen ihr Recht auf das linke Rheinufer basiren; denn die Gränzen, wie sie jetzt bestehen, sind durch den Friedensschluß von Belgrad im Jahre 1739 bestimmt. Allein sie bilden «s sich nun einmal ein, sie können ohne Schwefelbäder 5* 68 nicht leben, und da sie mit der linken Seite der Tsckema auch einige heiße Schwefelquellen erwerben würden, die sie jetzt nur, nachdem sie Quarantäne gehalten haben, benutzen können, so gelüstet es sie nach dieser linken Seite. Diese für Schwefelwasser so passiomrten Leute sind schon zuweilen in großen Haufen zu Hunderten, mit Mistgabeln, Knüppeln, Pistolen und Säbeln bewaffnet, angekommen und haben die österreichischen Granzposteil angefallen und cinen oder den anderen verjagt, indem sie behaupteten und schrieen, das Land bis zur Tscherna hinab gehöre ihnen. Diese sonderbare Idee der Leute und der daraus erfolgende kleine Gränzposten-krieg um die Tscherna-Ufer steigen bis hoch in das vor-ige Jahrhundert hinauf. Und noch im vorigen Frühlinge, noch vor vier Monaten, erzählte man uns, seien zwei ganze österreichische Granzcompagnieen zusammengezogen worden und hatten aus's Gebirge marschcren gemußt, um dergleichen tractatwidrige Ansprüche der verrückten wa-lachischen Bauern zurückzuweisen. Es giebt außer Mehadia noch mehre Heisie Schwefelquellen und kleine Badeörter in dem ganzen sieben-bürgischen Gebirge. Sie sind bestandig jeden Som-« .mer von vielen walachischen Bojaren und Bauern besucht. Ja sogar im Winter kommen sie oft in die Bäder von Mehadia und stecken eine Zeit lang irn Wasser, dem sie so heilsame Kräfte zuschreiben. Wie die Slavonier in der Militärgränze ihre kleinen Kinder mit Branntwein waschen, weil sie dieß für heilsam halten, so kommen hierher oft die Walachinnen, um die 69 ihngm einmal in die Schwefelquellen zu tauchen. Ich sprach später selbst eine walachiscbe Mutter, die ein krankes Kind hatte und mir traurig sagte: „Ach könnte ich mein Kind nur einmal in die Schwefelbad der von Mehadia bringen, so würde es wohl besser werden!" Es ist dem Allen nach wohl wahrscheinlich, daß diese Quellen nie völlig unbenutzt waren, vielleicht selbst schon zur Zeit der alten Dacier nicht. Für die Römer übri-gens entdeckte und nahm sie in Besitz der Kaiser Tra-jan. Er und seine Nachfolger ließen hier viele Gebäude, Badehäuser, Tempel und dergleichen aufführen, wrßhalb man auch noch das ganze Thal voll römischer Antiquitäten findet. Ein fthr kenntnißreicher österreichischer Oberst in der Militärgränze versicherte mir, daß er in Mehadia nie habe graben lassen, ohne irgend etwas Interessantes an Münzen, Mdsaulchen, bronzenen Sachen, Votivtafeln u. f. w, zu finden. Von dm Romern, welche hier einen Tempel des Hercules bauten, schreibt sich auch noch der heulige Name der Bäder her, so wie insbesondere der der stärksten hier zum Vorschein kommenden Schwefelquelle, welche „die Herculesquelle" heißt und ohne Zweifel ein Hercules unter allen Schwefelquellen der Welt ist. Denn sie ist noch mächtiger als die starke Ofener Schwefelquelle und soll in einer Stunde nicht weniger als 5045 Kubikfuß Wassef liefern. Viele römische Inschriften und Bildsäulen, die man entdeckte, hat man überall in den Vadehäusem, sowie >n den Felsen am Wege eingemauert. Ich besah nnr 70 dieselben am anderen Morgen in Begleitung eines Wa-lachen, der sie mir deutete. Dieser Walache hieß Juri (Görq) und war der mir zugewiesene Badediener. Als wir zu einer Inschrift kamen, bei welcher wir auch noch die etwas verwischten Portraits einer römischen Frau und ihrer Tochter en da« relief in Stein aus-gehauen fanden, sprach er im österreichisch-walachischen Deutsch: „Schaun's, dieses ist eine römische Grundfrau (gutsbesitzende Edeldame), die mit ihrer Tochter hierher kam. Das Fräulein war an Handen und Füßen krumb und lamb, und sie brauchte dagegen unsere Bader. Das Fraulein wurde aber ganz g'sund, so daß es tanzen konnte, und zum Andenken ließ da die Grundfrau den Stein hier herrichten." Es kam mir dabei so vor, als wenn dieser dumme Juri durch seine Rede mir die entlegenen römischen Zeiten so nahe legte, daß ich sie fast mit Handen greifen konnte. Auf einem anderen Steine dankte ein Gouverneur der dacischen Provinzen (praeses vilcigi-mn), wieder auf einem anderen ein Prafect Mercmius „mit den Seini-gen" (cmu 3,115) dem Hercules und der Venus oder den Göttern und Genien der Gewässer sviis «t immi-ni!iu8 a^narum) für die wiedergeschenkte Gesundheit. Unter Trajan, Hadrian und den Antoninen bis auf des Decius Zeiten badeten sich hier die römischen Gränz-wachter und Obersten und sprachen hier vom fernen Italien und Nom, wie jetzt die Präfecten und Centurionen der österreichischen Granztruppen, sich hier vom fernen Wien unterhalten. Die Völkerwanderung 71 warf Alles über den Haufen, und selbst die Türken, diese passionirten Liebhaber der warmen Bäder, thaten nichts für Mehadia. Nur einige Zelte und Hütten, welche sich die Walachen hier aufschlugen, sah man zu Zeiten auf den römischen Trümmern erscheinen und verschwinden. Erst seit hundert Jahren, seit Kaiser Carl's IV. Negierung, sing es wieber an, in diesem Thale lebendiger zu werden, seitdem ist immer mehr und mehr dafür gethan worden, und jetzt haben die Anstalten wieder eine so gute Einrichtung und einen so verbreiteten Ruf erlangt, daß Mehabia zu besuchen, unter den vornehmen Ungarn schon anfängt Mode zu werden. Die ganze kleine Badeansiebclunq "steht wie Alles in der Militärgränze unter militärischem Commando. Es ist ein Hauptmann, der hier im Winter und Sommer wohnt und den ganzen Ort, sowie das Bade-, Wirths- und Kasseehauswesen unter seiner Leitung hat. Die Hauptgebäude stehen in zwei regelmäßigen Reihen, casernenartig an einer breiten Straße einander gegenüber. Auch ihr Inneres ist casernenartig eingerichtet und gewahrt nur soviel Comfort und Eleganz, als man H5er an der Walachischen Gränze suchen wird. Die Bedienung bilden meistens invalide Soldaten. In jenen Hauptgebäuden befindet sich das vornehmste Kaffeehaus, und hier wohnen die reicheren Badegäste. Sowohl oberhalb als unterhalb dieses Mittelpunktes des Ganzen befinden sich die verschiedenen kleinen und größeren Badehauser, neben den 72 Orten, wo eben die Quellen hervorsprudeln. Es sou im Ganzen nicht weniger als 24 heiße Quellen geben. Weiter hinaus sieht man noch andere lange Gebäude, in welchen diejenigen ,,Herren Badegäste" wohnen, welche wir oben aufgefordert sahen, ihre Kalber und Kitzen an keinem anderen Orte als auf der angewiesenen Schlachtbank zu schlachten. Es giebt hier bestandig viele ganz arme Leute, die mit ihrer kleinen Wirthschaft sich oft auf sehr lange Zeit einquartieren. Sogar auch ein kleiner Platz für die Zelte der Zigeuner ist da, die gewöhnlich wahrend der Badesaison hierher kommen, um Musik zu machen, die Kessel zu sticken, wahrzusagen und zu betteln, sowie endlich ein anderer Platz für die Voutiken und hölzernen Varaken der Kaufleute, die mit Bijouterieen, Manufacturwaaren und anderen Dingen heranziehen. Es mag sich dieß Alles in der Mitte der lebendigsten Vadesaison eigenthümlich genug ausnehmen, da wir es schon jetzt so interessant fanden, wo nur noch wenige Ueberreste der Gesellschaft vorhanden waren. Diese Wenigen bestanden in einigen sehr liebenswürdigen Szekler Offizieren, einigen ungarischen Herren und einigen walachischen Bauem. Am Abende trafen wir mit diesem ganzen kleinen Gesellschaftsreste in dem Speisesaale der Restauration zusammen, wo die Unterhaltimg recht lebhaft war. Sie erzählten mir, daß die eigentliche Vadesaison nur 3 Monate (Juni, Juli und August) dauere und daß sie morgen alle mit Ausnahme der Offiziere abreisen würden. M Eine walachische Dame stammt? xttus einer der vornehmsten griechischen Familien aus Konstantinopel und war wiederum an einen der vornehmsten Bojaren in Bukarest verheirathet. Sie hatte bis zu ihrem 13. Jahre im Fanal in Konstantinopel gelebt und war dort nach der damaligen griechischen Weise erzogen worden. Ihr einziges Vergnügen, sagte sie mir, habe darin bestanden, auf dem Bosporus dann und wann einmal spazieren zu fahren. Uebrigens ware die Gesellschaft unter den Griechen damals in Konstantinopel schr gut gewesen, denn alles vornehme Griechische hätte man dort im Fanal vereinigt gefunden. Sie, die Griechen, hatten allein Lateinisch, Französisch und die Wissenschaften studirt und unter den unwissenden Türken alle Geschäfte geleitet. Jetzt sei das ganz anders geworden. Seit der Revolution seien alle vornehme griechische Familien aus dem Fanal entweder nach Rußland, odcr nach der Walachei oder nach Athen ausgewandert, viele aber seien auch durch die Revolution geradezu völlig ausgerottet worden. Sie selbst sei seit ihrem 13. Jahre, wo sie sich nach Bukarest vcrheirathet habe, nie nach Konstantinopel zurückgekehrt; auch denke sie nicht mit Sehnsucht an ihre einförmige Jugend zurück. Wir endigten unsere erste Soiree in den Hercules-badern mit der betrübten Aussicht, unsere neuen Bekannten sofort wieder zu verlieren, und sahen in der That "uch am anderen Morgen früh eine Reihe von Wagen in verschiedenen Richtungen dahinkutschen, vor jedem eine kleine Heerde von Pferden angespannt, weil es zu M den unergründlichen Wegen der Walachei und des Va-nats gehen sollte. Uebrigcns blieben mir noch erstlich der gebildete und treffliche österreichische Hauptmann, ein höchst achtungswerther Steiermärker, der die Bäder von Mehadia commandirte, und dann ein paar liebens» würdige Szekler Huffarenoffizicre, an die ich mich anschloß, und mit denen ich für den kommenden Tag «inen Ausflug in das obere Tschernathal verabredete. Für heute sah ich mich nur in der nächsten Umgebung von Mehabia um und machte mit meinem Bade-diener Juri einen Spaziergang zu einem benachbarten Gränzdorfe Petfchineska, wohin uns cin anmuthiger Weg an den Ufern der Tscherna hinführte. Wir fanden in diesem Dorfe eine außerordentliche Thätigkeit und alle Bewohner in einer gemeinsamen tumultuarischen Arbeit begriffen. Es war hier nämlich gegen das alte ehrwürdige walachische Sprüchwort: „So habe ich es gefunden, und so will ich es auch lassen", von Seiten der Militärbehörden eine Verordnung erlassen worden, die dahin ging, die alten Häuser ihres Dorfes zu erweitern und theilweise zu ganz neuen umzubauen. Jenem Sprüchworte zufolge leben die Walachen lieber in dem alten, ihnen achtungswerthen Schmuze und Ruine ihrer Vater so lange fort, bis sie einmal eine solche wohlthatige und streng durchgreifende Verordnung von oben herab zwingt, besser zu wohnen. In der Nähe eines jeht so stark besuchten Bades wie Mehadia hatte ein anderer Schlag von Bauern langst darauf gedacht, seine Hauser freundlicher cinzu- 75 nchten, um die Badegäste in's Dorf zu locken. Hier aber mußten die Leute von oben herab daran erinnert werden/ auf ihre eigene Bequemlichkeit und ihren Vortheil Bedacht zu nehmen. Es war ihnen ein Termin angesetzt, innerhalb dessen sie den Umbau vollendet daben mußten; daher schleppten fie aber nun auch die Balken, Steine, den Lehm und Kalk heran wie die Ameisen. Selbst die Weiber halfen, und manche hatten sogar für einen Schnaps und ein paar Kreuzer einige Zigeuner willig gemacht, auch Hand an's Werk zu legen. „Nun ihr seid ja recht fleißig!" redete ich einen an. „Muß sein! Herr, muß sein!" war die Antwort. Hinter dem Dorfe kommt ein kleines reizendes 2H.1I aus den hohen Gränzbergen gegen die Türkei herab, und in diesem Thale schlangelt sich das schmale Band eims kleinen Baches, der gerade Kraft genug hat, eine winzige walachische Lössrlmühle zu treiben, wie ich sie schon oft in der Ferne erblickt hatte, wie ick sie hier aber mir in der Nahe genauer betrachten konnte. Wir machten dieses Mühlchen zum Ziele unseres Spazierganges. Das kleine, hölzerne Gebäude, ein viereckiger Kasten , stand klappernd auf vier wackelnden Füßen über dem kleinen Bache, der unter ihr weglief. Die Art und Weise, wie die Steine der Mühle in Bewegung gesetzt wurden, ist das Wunderlichste, das ich je gesehen habe. Die Welle, ein ziemlich dicker Stab, lief senkrecht unter der Mühle heraus und ragte mi: dein horizontalen Wasserrade in den Bach hinein. Die 7s Zähm oder die Schaufeln dieses Wasserrades waren viele nach Art der Suppenlöffel ausgehöhlte Klötze, die schief in den horizontalen Kamm des Rades eingesetzt und so gegen den Wasserstrahl gestellt waren, daß sein Stoß gegen diese Löffel das Rad herumdrehen mußte. Von diesem Wafferrade haben denn diese walachischen Mahlmafchinen auch den deutschen Namen: „Löffelmühle." Die Walachcn, bei denen dieß — wenigstens im Gebirge — die gewöhnliche Mühle ist, nennen sie blos „mora" (Mühle). Eine kleine Leiter führte durch ein niedriges Pfört-chen in die oberen engen Räume der Mühle. Hier fanden wir eine junge Walachin. mit dem ganzen Schmucke ihrer Opintschen, Oprätschcn, Münzen, Perlen und Haarflechten angethan. Sie hatte natürlich ihre Furka an der Seite und spann beständig, sie mochte nun stehen, sitzen, liegen, oder um die kleinen, steißig sich schwingenden Steine herum gehen, um zu Zeiten nach ihrem Kukuruz zu sehen, den sie aufgeschüttet hatte. Eine solche Mühle gehört nämlich oft einem ganzen Dorfe, und jeder geht dann, wenn er in seinem Haushalte das Bedürfniß nach Mchl fühlt, mit seinem Kornsacke dahin, läßt das Waffer, das man mittels einer Röhre zu- oder ableiten kann, an die Löffel spritzen und schüttet den Kukuruz auf die Steine. So hatte auch unsere Müllerin ihren Sack mitgebracht und schüttete zu Zeiten eine Hand voll Körner auf. Die Mühle schien es recht gründlich zu nehmen; die Körner fielen so langsam herab, dasi man sie zahlen konnte, und die Steine verarbeiteten sie Stück für Stück. (5cl giebt gewisse Leute, deren Weise zu arbeiten ganz dem Verfahren dieser walachischen Löffelmühle gleicht. Unsere Walachin erzählte uns, daß sie die „xi^ia-lixa" (Hausfrau) eines jungen Granitscharen sei, daß der hohe Baum, unter dem ihre „mora" stände, ein „nuk.u" (Nußbaum) fei, und daß die übrigen Baume umher „ lsira^l»«,'« " und „niscluil^s " (süße und sauere Kirschen), „pru^u'»" und „i'^i-^s" (Pflaumen und Birnen) wären. An einem dieser Baume hatte sie ihre „capra" (Ziege) angebunden, die sich in dem schönen Grase gütlich that. — Wir wünschten ihr darauf, sie möchte aus dem Mehle ihrem „Fasllakesck" (Hausherrn) eine gute „piw" (Brot) backen, und entfernten uns. Kaum hatten wir uns entfernt, so hörten wir, wie unsere spinnende Müllerin zu singen anfing. Ich blickte auf die kleine, unter Obstbäumen gelegene Mühle zurück, sah die Ziege daneben, die türkischen Granzgebirge dahinter, horte den hübschen Gesang, der sich mit dem Gemurmel des Baches und dem Geklapper der Mühle vermischte, und fand, daß dieß walachische Gemälde ganz allerliebst war, und nur langsam konnten Juri und ich uns von diesem Gemälde trennen, um über einige „^ll.'« .k lem" und „i»l>. " Das ganze TfchernatlM ist vollkommen unangebaut, und es befindet sich darin oberhalb der Herculesbader, bis zu den Quellen des Flusses am Pietrilla Alba (auf acht deutschen Meilen) auch nicht ein einziges Dorf, ja nicht ein einziges Wohnhaus, außer den Tschardaken dec österreichischen und walachischen Granzwachter, sowie keine Spur von menschlichem Anbau, außer den Patrouillenwegen, welche alle öden Gebiete der Militargranze durchziehen, und außer den nur wenig ausgetretenen Fußsteigen der Hirten, die zuweilen von ihren hohen Bergen zum Wasser des Flusses herabkommen. Der ungeheuere Felsern'iß, der dieses Thal bildet, ist in seinen Größenvechaltmsscn ganz dem Spalte, in welchem die Donau in der Clissura fließt, zu vergleichen. Es ist dasselbe Gebirge (Kalkgebirge), ganz dieselbe Gestaltung und Formung der Felsen, ganz dieselbe Höhe der schroffen Gehänge (man braucht überall zwei bis drei Stunden, um aus der Tiefe zu der höchsten Kante zu kommen), nur mit dem Unterschiebe, daß hier die kleine Tscherna, dort die breite Donau stießt. Ich möchte daher auch wohl glauben, daß das ganze Tscher-nachal in geologischer Hinsicht eine Fortsetzung der Missura nach Norden sei und mit ihr einen gemeinsamen, gleichzeitigen und durch dieselben vulkanischen Entwickelungen veranlaßten Ursprung habe, so daß man 'Uso die Clissura eigentlich als von Orsowa aus sich über die Herculesbader fortsetzend denken müßte. Dicß W scheint mir um so wahrscheinlicher, da die Bergseilen der Donauufer unterhalb Orsowa einen ganz anderen Charakter annehmen. Man konnte diesen ganzen be' zeichneten Riß die „Tscherna-Gissura-Spalte" nennen, eine der in historischer Hinsicht merkwürdigsten Erdspalten, die es in Europa giebt, und zwar um so interessanter durch den Gegensatz des öden, wasserlosen nordöstlichen Theiles zu der waffer- und handelerfüllten westlichen Hälfte. Je öder es in der Menschenwelt des bezeichneten Thales aussieht — (obgleich es acht Meilen lang ist, so hat es, ich wiederhole es, gar keine beständig angesiedelten und vielleicht höchstens 20l) nomadisirende Einwohner, Gränzwachter und Schafhirten), — desto lebendiger ist es in seiner Thierwelt. Doch scheinen es auch hier gerade die wildesten in jeder Gattung zu sein,, Adler, Gemsen und Vären. Die Adler siedeln in großer Menge auf den äußersten Felsenspitzen des Thales. Ich bemerkte auf unserem Ritte ihrer drei, die sich wie Könige in den höchsten und lichtesten Räumen, zu denen wir aus der Tiefe aufblickten, mit Flügelschlag erfreuten. Die Gemse wird von den Walachen „capi-a ä« mimt«" (die Ziege der Berge) genannt. Sie bewohnt den ganzen Zug der dacischen Alpen, sowie sie auch überhaupt auf dem ganzen Karpathenrücken vorkommt. Daß man sowohl nach den beßten Schriftstellern über diese Gegenden (nach Schwa rtener, Hietz-inger ic.), als nach den Aussagen der Einwohner des 91 Landes selbst noch immer nicht darüber auf das Reine kommen kann, ob es in der That in diesen Gebirgen noch Auerochsen giebt oder nicht, ist wirklich ein höchst Merkwürdiges, aber ausgemachtes Factum. Die Bären sind dagegen in diesem wilden Thale, wie auch überhaupt in allen benachbarten Thälern, sthc häufig. Wir sahen freilich keinen einzigen, aber alle Leute wußten soviel von diesem interessanten Thiere zu erzählen, daß ich darnach fast jede Höhle, deren diese Kalkfelsen so unzählig viele haben, in Gedanken damit bevölkerte. Die Thore der mächtigen Felsmassen schlössen, sich, — sie öffneten sich wieder, — sie schlössen sich abermals und öffneten sich wieder, — über ungeheuere Trümmer und Ruinen flog der Vlick, zu deren Herstellung selbst die Cyklopen eine lange Zeit gebraucht haben müßten. — Sie schlössen sich noch einmal und öffneten sich von Neuem, und so erschien eine Perspective von Riesensau-len und Rieseuthoren hinter einander, bis unser Weg dann ganz zum Flusse hinabging, wo endlich auf einem kleinen niedrigen, versteckten Vorsprunge das Ziel unserer Neise, der Ofsiziersposten Tschesna, lag. Wir trafen den Offizier leider nicht zu Hause, und die Schildwache spazierte einsam auf ihrer Schilderbahn auf und ab, zuweilen den Fluß hinab in das Oesterreichische, zuweilen hinauf in das Walachische spähend. Sie sagte uns, ihr Offizier sei am Abend vorher aus-geritten, um seinen Lorbon zu inspiciren, doch könnte er in jedem Augenblicke wieder zurückkommen. Wir traten in die Wohnung und fanden hier für den Herrn 92 Lieutenant außer einem hölzernen Feldbette und einem kleinen Tische, auf dem einige deutsche Literatur lag, erstaunlich wenig Comfort. Der Offiziersraum war auf der einen Seite, der Raum für die Gemeinen auf der anderen Seite der Thüre. Hier nahm eine große hölzerne Pritsche ohne Stroh allein fast den ganzen Platz weg, und an der Wand hing eine Neihe von Mehl-, Käse- uno Milchsacken aus rauhem Ziegenfelle, deren mehre nur noch einige Krümchen Speise enthielten. Wie gesagt, auch Milchsacke waren darunter; denn auch die Milch, die sie etwa bekommen, thun sie in solche Schläuche. Das Leben dieser Offiziere an der Gränze ist äußerst hart, voll Entbehrungen und reich an Beschwerlichkeiten aller Art, und sie träumen hier wohl manchen wunderschönen Traum von den Ballen der Gesellschaften in Herrmannstadt, Karlsburg oder Kronstadt. Der Mensch lernt aber nichts leichter liedgewinnen als das Eigenthümliche und Absonderliche; ja gerade in dieses verliebt er sich oft am meisten. Daher giebt es viele Offiziere, die für dieses Cordonleben ebenso besonders pas-sionirt sind, wie die Seeleute für das Seeleben. Ja, und sogar mancher, der auf dem Cordon nach den geselligen Freuden der Städte verlangte, sehnt sich wiederum in den rauschenden Vergnügungen der Städte nach sei' nem einsamen, romantischen, einförmigen und ungenirtett Cordonleben, wo er freilich viele Pflichten hat, wo er aber auch oft in einer weiten wüsten Strecke der unbeschränkteste und respectirteste Gebieter ist. Sowie die Corporate bestandig den ihnen übergebenen 93 Posten zu überwachen haben, so müssen die Lieutenant?« und Hauptleute wiederum unaufhörlich die ihnen untergebene Wachenreihe inspiciren. Die Lieutenants de« reisen natürlich ihre kleinen Strecken häusiger als der Hauptmann seine größere. Die Majors wieder, unter denen mehre Hauptleute stehen, bereisen ihren Cordon seltener. Manche Majors (so z. B. der von Orsowa) haben eine Strecke von 15 Meilen Gränze, andere sogar ein noch ausgedehnteres Gebiet unter ihrer Aufsicht. Die Obersten und Generale kommen natürlich noch seltener und die Generalcommandeure alle Jubeljahre. Aber kein Subaltern ist nur einen Augenblick sicher,, baß nicht seine Oberen erscheinen. Diese Cordoninspicirungen, obgleich noch wohl der leichteste Theil des Dienstes, sind nicht wenig beschwerlich, besonders da, wo trockene Gränze ist, und wo daher ein beständiges Patrouilliren nöthig wird. Zu ihrer Erleichterung haben die Oesterreicher im Laufe des vorigen und dieses Jahrhunderts dafür gesorgt, daß gute, bequeme und zweckmäßig eingerichtete Patrouillenwege, die in der Regel indeß nur zu Fuß oder zu Pferde zu Passiren sind, angelegt werden. Noch jetzt werben hier und da solche Patrouillenwege, wo man das Ve-dürfniß fühlt, neu angebahnt, oder neue an die Stelle der alten geseht, deren Direction man als unzweckmäßig befunden hat. Im Ganzen aber ist jetzt das Netz guter Patrouillenwege, das sich von Generalat zu Generalat, von Compagnie zu Compagnie, von Posten zu Posten, von Tschardake zu Tschardake, durch 94 Wälder und Thaler, über Sümpfe und Bache, auf Brücken, an Fclsabhängen, über Bergrücken, in der ganzen, 2l)l) Meilen langen Militargranze um die Monarchie herum spinnt, ziemlich vollständig ausgearbeitet. Am beschwerlichsten vnd am unruhigsten ist der Dienst an den beiden entgegengesetzten Enden der Mi-lilärgränze, nämlich an der bosnischen und dalmatischen und dann an der siebenbürgischen. In der Mitte, an der Donau und der unteren Sau, ist er am leichtesten. Denn erstlich ist hier eine scharf bestimmte und leicht zu überwachende Wassergranze, und zweitens wohnt jetzt auf der entgegengesetzten Seite ein minder uncultivittes und unter der Herrschaft eines geregelten Staates vereinigtes Volk. Auf dem westlichen Ende haben aber die Gränzer theils trockene Gränze, theils sich gegenüber die barbarische, unruhige und stets zu räuberischen Einfällen geneigte bosnische Nation. Weil die türkische Negierung nicht stark genug ist, diese räuberischen Einfälle in das Oesterreichische, so willig sie dazu wäre, zu verhindern, so hat sie dem österreichischen Gouvernement ein- für allemal die Erlaubniß gegeben, die Heiligkeit der türkischen Neichsgranze nicht zu achten, und die Gränzer können daher nicht nur räuberische Einfälle der Bosnier zurückschlagen, sondern auch die Räuber und Tumultuamen auf das türkische Gebiet verfolgen, dort bekämpfen, gefangen nehmen und dem Standrechte unterwerfen, — oder, mit einem Worte, einen söge- 95 nannten „Naubertrieb" auf türkischem Gebiete veranstalten. Die Oesterreicher können sogar, wenn die Bosnier auf ihrer Seite einen Einfall thaten und, wie das zuweilen geschehen ist, ein Dorf in Brand steckten, zur Vergeltung und Blutrache wieder hinübergehen und wieder einige bosnische Orte abbrennen und das Vieh wegtreiben, ohne darüber mit der Türkei in Krieg zu gerathen. Solche Maßregeln sind zuweilen von Nöthen geworden, weil sich diese Völker durch keine anderen Mittel zur Ruhe verweisen lassen. Es ist noch nicht lange her, daß zu einem kleinen Kriege dieser Art zwei österreichische Granzcompagnieen in das Türkische hinüber rückten. Wenn solche Krieger dann aus der Türkei zurückkehren, müssen natürlich die ganzen kleinen Armeen der Pest wegen in die Contumaz wandern. Auch der siebenbürgische Cordon hat seine besonderen Beschwerden. Erstlich ist die Gränze trocken und läuft immer entweder in felsigen Thalern, oder auf wilden, öden und kahlen Gebirgsrücken hin, auf denen oft sechs Stunden in der Runde keine Menschen-feele zu finden ist, außer einem einsamen walachifchen Schafhirten. Auch soll das Wohnen auf diesem Gebirge ungesund sein und die Fieber auf ihnen ebenso c< °^ 107 lag auf der österreichischen Seite der Tscherna. Ein kleiner Hirtensteig führte uns durch ihn hin auf ein ähnliches vorspringendes Grasplateau, wie dasjenige war, das wir eben verlassen hatten. Es lag nur höher, und wir hatten hier sowohl den walachischen als den österreichischen Posten tief unter uns. Hinter uns aber klomm es wieder in hohen, steilen Spitzen zu den Wolken empor. Von hier aus bot sich uns der schönste und interessanteste Neberblick des wilden Thales dar. Ich übertreibe um kein Haar, wenn ich sage, daß er uns in Entzücken versetzte, besonders der Blick in den noch wilderen Theil des Thales, die Tscherna aufwärts, wo Alles von Felsen stockt und starrt. An mehren unzugänglichen Wanden bemerkten wir Höhlen, die auch, wie einige Höhlen unserer Gebirge, voll von Knochen des Höhlenbären sind, nur mit orm Unterschiede, daß hier die Knochen auch Fleisch und Seele haben, dort aber nur als Trümmer im antidiluvianischen Schlamme liegen. Der hiesige Bär, wie ihn meine Begleiter beschrieben , ist von einer sehr großen und starken Race. Nichtsdestoweniger hat er aber, wie alle seine wilden Brüder, eine unüberwindliche Scheu vor dem Menschen. Wenn er einem Menschen begegnet, so steht er still, besinnt sich einen Augenblick und kehit um. Er frißt Alles, Wurzeln, Obst, Kukuruz, Ziegen, Schafe; auch junge Wölfe "nd Füchse zerreißt er zuweilen. Er selbst aber wird "°n Niemandem hier gespeist, auch von den Menschen nicht; denn die Walachen haben einen Aberglauben da- bei. Meistens lebt er in den Höhlen oder hinter den Felsschluchten des Kalkgebirges. Die Bauern treiben ihn mit Rauch heraus, und einige passen ihm dann auf, wenn er hervorkommt. Es giebt im Tschernathale an den Ufern des Flusse viele ebene, etwas feuchte Wiesenstellen, die m«t außerordentlich großen Farrenkrautern dicht bewachsen sind. In diesen Farrenkrautern versteckt sich der Bar sehr häufig, entweder der Kühlung wegen, oder um irgend einem Thiere aufzulauern. Zu gewissen Tageszeiten findet man ihn immer in diesen Farrenge-büschtn. Er kommt auch oft zum Flusse, theils um sich zu baden, theils um Fische zu fangen. Wenn das ungeschickte Thier dann von seinen hchen Felsenspitzen über Stock und Block herabpoltert, giebt es einen so gewaltigen Lärm in den raschelnden Gebüschen, als wenn ein Felsblock in das Thal hinabrollte. Die beß< ten Fische in der Tscherna sind die Forellen, und diese liebt er am meisten. Sie sitzen oft unter den Steinen, die im Wasser liegen; der Bar weiß das, und er holt sie oft mit seiner Tatze darunter heraus und wirft sie mit einem geschickten Stoße an das Land. Zuweilen auch schlagt er zuvor mit einem anderen Steine auf den Block, unter welchem er Forellen vermuthet, damit sie daraus hervorkommen mögen. Auch wenn er gejagt wird, wobei er gewöhnlich so lange flieht, bis er verwundet ist, worauf er aber sofort Kampf und Gegenwehr beginnt, vertheidigt er sich mit Allem, was er greifen kann, und schleudert mit Steinen und Holzblöcken un» sich. Noch vor Kurzem hat man dem General-Lom- 109 Mandanten dcr banatischen Gränze eine große Jagd auf Bären und Gemsen veranstaltet. Uebrigens sind keineswegs alle Höhlen des Tscherna» thales Bärenhöhlen oder Räuberhöhlen, obgleich es auch von den letzteren etliche giebt. Viele, aus denen die Räuber und Bären vertrieben wurden und die koch in der Nähe der Alpenregion liegen, dienen den Schaf-und Ziegenhirten zum Nachtlager. Ja, in einigen sogarstecken den ganzen Winter über Hirten; denn manche treiben ihr Vieh das ganze Jahr über nicht nach Hause, sondern nähren es so gut, als es gehen will, mit dem kümmerlichen Futter, welches sic selbst noch im Winter in der Nähe finden können. Ihre Ziegen haben sie dann im Hintertheile der Höhle. Sie selbst schlafen vorn bei einem Feuer. Auch auf unserem Plateau, von dem wir jene Aussicht genossen, fanden wir einen kleinen walachischen Ziegenhirten, der der Milch wegen so nahe zum Cordon hinabkommen und dieses Plateau abweiden durfte. Die Soldaten holen von ihm für ihre Offiziere zuweilen süße Ziegenmilch herab. Sonst müssen sich die Hirten in respectvoller Entfernung von den Gränzposten halten. Denn es giebt hier gar viele verführerische Gelegenheit, mit den türkischen Nachbarn in einigen Verkehr zu treten, so z. B. des Salzschmuggelns wegen. Ein Sackchen mit Salz oder auch nur einen kleinen Block krystallenen Felssalzes tragen sie, weil sie es dort so billig haben können, gar zu gern in ihre Hütte hinüber. IM Meistens Werden sie von den argusauglgen Serrescha-nern und Granzpatrouillen entdeckt und verfolgt. So lange sie können, schleppen sie ihr Salzstück mit. Füh-lm sie sich aber ihre Verfolger hart auf den Fersen, so lassen sie es fallen, bedienen sich aber auch dabei wohl der List, an verschiedenen Orten etwas fallen zu lassen, Lumpen, Kleider ?c.; denn da Alles Pest ist, und Niemand es anrühren darf, so muß bei jedem Lappen eine Schildwache gelassen werden, und so vermindern sie die Anzahl ihrer Verfolger. Entkommen sie auf diese Weise, was selten ist, glücklich, so giebt es dann über die zerstreuten Salzstücke, Säcke und Lappen einen großen Proceß, einen weitläufigen Bericht, gränzenlose Schreiberei und detaillirte Untersuchungen und Nachforschungen darüber, ..... wem diese Lappen, die man immer nur aus der Ferne betrachten kann, wohl gehören, — woher die Leute gekommen, — wohin sie gegangen, <— wie viele ihrer gewesen sein mögen. Die Wälder müssen durchspürt werden, um Gewißheit ;u erlangen, ob nicht noch an anderen Orten Lappen oder Salzstücke liegen. Alle diese Sachen muß man gerade da lassen, wo sie liegen, sorgfältig bewachen und dann vor allen Dingen darüber an die nächste obere lFontumazanstalt umständlich folgendermaßen berichten -„Gestern Abend hätten walachische Schwärzer Salz über die Gränze zu bringen versucht. Sie wärm entdeckt und verjagt worden, selbst freilich entkommen, aber ihr Salz hätten sie im Stich gelassen. Ein Sack läge da und dort, ein Stück hinter jenen Felsen. Eine Kappe, eine n Mütze oder ein Wams sei hinter jenem Banme, der da und da stche, gefunden worden, 'Alles habe der Postencommandeur unter Wache genommen, und er bäte nun, 'hm Reinigungsdiener zu schicken, um die genannten Dinge m die Kontumaz zu bringen." ^ Nach so und so viel Tagen kommen dann endlich Reinigungsdiener heraus, reißen mit eisernen Zangen die Säcke vom Salze ab und tragen ebenso mit eisernen Zangen die Lappen auf einen Haufen zusammen und verbrennen sie, wenn sie sonst nichts werth sind. Den Salzblöcken aber schütten sie ein paar Mal Wasser über das Haupt, nach welcher Taufe sie als gereinigt erscheinen und als genießbar für das westliche Europa, welches nichts davon weiß, durch ein wie mühevolles und umständliches Verfahren es vor der Pest geschützt wird. Unser freundlicher Wirth gab uns mit einigen seiner Granzcr und Serreschanem, die alle beritten waren, das Geleit auf die nächsten Posten, die er zugleich bei dieser Gelegenheit inspicirte, und wir trabten dann ruhig auf unserem Patrouillenwege wieder den Herculesbädern zu, ließen unterwegs unsere Blicke noch an den pittoresken Felsenwänden weiden, betrachteten die dichten Far-renkräuterplähe, in denen der Bar sich verstecken, die Forellensteine, bei denen er den geschäftigen Fischer spielen, und die Höhlen, die er, oder eine Räuberbande, oder eme Ziegenhirtenbrüberschaft bewohnen sollte, und endlich zum Schlüsse noch, als es Abend geworden, stiegen wir in eine dieser Höhlen, d. h. ick "Nd Juri, mein treuer Begleiter, die anderen ritten 112 langsam voraus. Juri hatte zu diesem Ende schon vom Hause aus eine Fackel mitgenommen. Wir banden unsere Pferde an einen Baum und erklommen auf ei' nem bequemen Fußpfade einen niedrig im Thale liegenden Eingang zu dieser Höhle. Es war die größte und besuchteste Höhle im Tschemathale, die vorzugsweise sogenannte „Rauberhöhle." Diese Höhle ist im Kleinen ganz das, was die Veteranische Höhle in der Clissura ist. Wie diese muß auch sie meist als eine Art von Festung oder Raubschloß benutzt worden sein; denn man findet vor ihrem hohen Felsenchore noch Ueberreste von Mauern, mit denen dasselbe einst völlig vermauert gewesen ist-Die Höhle spaltet sich im Inneren in mehre Theile, und durch verschiedene niedere Klüfte/ die man gebückt durchkriechen muß, gelangt man in einige hohe Raume, welche die Zechsale, Magazine und Schlafkammern der Räuber gewesen sein mochten. Der größte Saal hat 60 Fuß Höhe, 100 Fuß Länge und 50 Fuß Breite, und die Herren Rauber mochten hier gewiß in vieler Hinsicht noch bequemer wohnen als so mancher unserer Raubritter mitten in seinen engen Schloßgemächern. Im Hintergrunde verengt sich die Höhle zu einem schmalen, in die Tiefe gehenden Spalte. Dieser Spalt soll, wie das Volk sagt, durch das ganze Gebirge hindurchgehen und mit anderen festen Schlössern jenseits der Verge in Verbiiroung stehen. Mein Da" sier, Juri, murmelte mir, indem er Alles mit der Fackel beleuchtete, immer halb walachisch, halb deutsch vom Hercules vor. Ich verstand nur so viel davon, M3 daß er mir sagen wollte, der schreckliche „Rauberhaupt-mann Hercules" habe sonst diese Höhle bewohnt. Als wir darnach weiter ritten, um unsere Gefährten wieder einzuholen, machte ich eine interessante Bemerkung an meinem kleinen „Mokanu." Er ging einen scharfen Paß und hielt den Kopf zum Boden ge-senkt. Ich holte ihn anfangs einige Male mit dem Zügel herauf; allein das Thier senkte ihn immer wieder zu Boden und hielt die Nase dicht über dem Wege, >ndem es immer trabend wie ein Hund die Erde be< roch. „Es spürt die anderen", sagte Juri. Ob auch andere Pferde diese Eigenthümlichkeit und diese Geschick--lichkeit, wie die Hunde zu spüren, besitzen? Da unsere Gefährten einen zu weiten Vorsprung hatten und schon zu Hause sein mußten, als wir die' ersten Vadehauser erblickten, so benutzte ich diese Gelegenheit, noch an diesem Abende vor meiner Weiterreise die Höhlung zu besehen, aus welcher die Her-culesquelle hervorbricht. Auch hier half Juri mit der Fackel aus. Es ist ein enger, kleiner Canal oder Riß im Kalkfelsen, in welchem das Wasser hier und da einige Nischen ausgeweitet hat. Man kann bis zu einer Stelle vordringen, wo das heiße klare Wasser mit heftigem Gepolter aus einer natürlichen Fels-tähre hervorbricht. In den Nischen befinden sich In-Schriften von den antiken, wic von den neuen Römern. Die Quelle geht in ein dicht an den Felsen sich lehnendes Badehaus und vertheilt sich in mehre Separatbader, sowie in ein großes gemeinsames Bad. In die- !I4 sem gemeinsamen Bade, in welchem die Walachen sich vorzugsweise gern baden, sieht man noch eine Bildsäule im Felsen, bei welcher mir Juri wieder elwas vom „Harambassi Hercules" vormurmelte. Sollte man cS glauben, daß im verleumderischen Munde der Menschen dieser allergrößte Raubervertilger, der je cristirt hat, noch selber zum Räuberhauptmann sich muß echeben lassen?! Die bezeichnete Bildsäule soll in der That eine Statue deS Hercules sein. Doch sind ihre Linien bereits sehr abgerundet und ziemlich unkenntlich geworden, denn die Walachen, wie Herr von Dorn er in seinem interessanten Werkchen über Mehadia bemerkt, schaben zm weilen etwas vom Steine ab und nehmen dieses Steinpulver, mit etwas warmen Schwefelwasser vermischt, als eine, wie sie dafür halten, sehr heisame Medicin-Auch die Römer schon, bemerkt eben dieser Herr von Dorn er, sollen dieser Herculesquelle, gerade sowie die Walachen noch jetzt, mehr als den übrigen 21 Quelle" des Bades getraut haben. Der Spalt, aus dem die Quelle kommt, soll durch den ganzen Berg hindurch geh"' und obtn auf einem Norsprunge einen zweiten Ausgang zu Tage treiben, aus dem Schwefeldampfe aufsteigen. Die Schlüssel von Teregowa und Slatina. «Oe, ^»ien walachischen Granzwächtern also, ^ bei ienen Aegenhirten «m Tschernathale, — bei jenem Abschiede von meinen Bojaren am eisernen Thore ...... und bei jener mit Münzen behangenen schönen Iana in Serbien -- hatte ich die äußersten Puncte dieses türkisch-österreichischen Gränzgebiets, in welchem die Völker auf einander schlagen, — und die letzten Enden der österreichischen Monarchie im Sübosten erreicht, und ich war nun darauf bedacht, mir einen interessanten Rückweg zu suchen. Ich wählte die große Diagonale, welche von diesem südöstlichen Winkel Ungarns burch das Banat über Temeswar und Szegedin, und bann durch die mittleren Steppen des Landes der Ja-«ygen zum Centrum des Landes, Pesth, zurückkehrt. Es ist eine der in historischer und commercieller Beziehung merkwürdigsten Tmcte des Landes. Es ist oiejen-'s« Straße, auf der Trajan in Dacien eindrang, auf welch« Joseph „oh am Ende des vorigen Iahrhun- 8* 116 derts gegen die Türkei vorrückte und auf welcher noch jetzt ein großer Theil des Verkehrs dieser Länder mit der Türkei sich bewegt. Ich bestieg den höchst bequemen Heu- und StrohsH eines kleinen walachischen Vauerwagens, der mit drei kleinen Mokanus aus dem Tschernathale bespannt war. Die Pferde waren mit allerlei Stricken/ Bändern und Riemen aufgeschirrt, die Breter des Wagens an verschiedenen Stellen sehr haltbar gestickt, mein Kutscher hatte die Livree an, welche die walachischen Bauern bei'm Ackern sowohl als bei'm Ausmisten tragen, und ich selbst war in verschiedene Tücher und Bandagen eingewickelt, die bei der in diesen Berggegendm des Morgens bereits eingetretenen Kalte meine etwas sommerliche Kleidung completirten; auch hatte die Güte des corn-manbirenden Hauptmanns der Bäder mir außer meinew Mantel noch ein Schaffell über die Füße geworfen. S^ kutschte ich von Mehadia ab, das Bella-Reka-Thal aufwärts, dem Teregowaer Engpaffe zu. Fast hätte ich mich in diesem Aufzuge ein wenig geschämt, besonders wenn ich die schone ebene Chaussee, auf der wir hit^ rollten und die für elegantere Equipagen gemacht Z" sein schien, mit mir in Vergleich brachte. Allein mich kannte hier ja kein Mensch, und die Leute, welche w^ begegneten, konnten ja ebenso gut denken, dasi ich H"r PP. oder XM als Herr NN. sei, und Niemand könn" mir nachsagen! „aber, lieber Herr NN., welche erbärM' liche Figur machten Sie gestern!" -^ Auch sind die Leute das hier seit alten Zeiten gewohnt, denn die Subalternoff^ n? ziere der pi-aefecti vaemrum, wie die der österreichischen Generalcommandanten fuhren und fahren hier um ke>n Haar anders. Ich tröstete mich mit dem Gedanken an alle diese ehttnwerthen Herren und fand sogar noch viele Passagiere unterwegs, die zwar stolz auf mich herabsahen, mit "knen ich aber auf keine Weise hatte tauschen mögen. So i> V. begegnete ich einer großen Familie walachischer Bo-laren. die, ich weiß nicht von woher, in ihr Vaterland zurückkehrten. Sie hatten mehre große Wiener Reisewagen ylNter einander, jeder mit einem Dutzend von Pferden spannt, und jeder zum Ersticken voll mit Menschen, sanulienmitgliedern, Kammerzofen, Jungfern, Bedienten, Mn, Köchen u. s. w.; hinten thürmten sich aufgebundene ^s^rsaHe, ei^ Last von Heu, Kessel und anderweitige "Igeschirre, ^f denen wiederum einige Bediente ba- "ncirten. Es ist dieß die gewöhnliche Weife, wie hier " kroßen fahren müssen. Da haben es die Kleinen °"s ihrer Karre noch besser. Ote G^sch im Thale der Bella Reka, obgleich Nlcht ,m entferntesten mit dcr des Tschernathales zu l^Is^ '^ ""^"9s noch ziemlich anmuthig und ab-ecyselnd. Je ^h^ ^^ ^^ ^^^^ dest^ ^^. mmt s,e den Charakter einer wilden und einförmigen ^"chgegend an. Die Berge sind meistens öde, unw Outend, bewaldet und nur hier und da angebaut. Zu- "Im passirt man ein walachisches Dorf, und in der "ndschaft zerstreut finden sich mitunter kleine Flecken "Uten Landes, die gegen die Wölfe und Bären, sowie 118 gegen das eben oft schwer zu zügelnde und schlecht be-° aufsichtigte Vieh mit hohen Dornhecken umgeben sind, Auf einigen der Berge erblickt man Ruinen von ehemaligen kleinen Schlössern oder Forts, welche die Bane des Banats oder die Grafen von Temeswar gegen die Türken errichteten. Meistens sind es nur viereckige, 10 bis 15 Klaftern hohe Thürme mit drei Etagen oder Abtheilungen, ähnlich denen, welche noch jetzt einige kaukasische Völker gegen die Russen errichten. Dieser Thürme kommen bis nach Karansebes hin mehre vor, und bei Karansebes selbst steht der letzte, welcher der Ovibsthurm (Oviciii turri») genannt wird; denn Ovidius soll ihn bei seiner berühmten Verbannung hier bewohnt haben. Von dem Banat bis nach Varna und von Varna biv an die Mündung des Dniestr (Ovidiopolis) scheint sich jedes Volk gem die Ehre aneignen zu wollen, daß der Dichter seine elegischen Tristia bei ihm geschrieben 5 denn es giebt hier mindestens fünf verschiedene Platze, wo Ovidius das Unglück beweint haben soll, an dem Hofe des Augustus etwas gesehen zu haben, das er nicht sehen sollte. Uebrigens scheint es wohl gewiß, baß nicht Karansebes, welchen Namen einige gelehrte Pa° trioten des Banats ungeschickt genug sogar von dertt Omdischen „Oara me°l »elle«" herleiten wollen, jener Thränenort gewesen sei; denn Ovidius starb bereits im Jahre 17 nach Christi Geburt, und die Römer eroberten Dacien erst um das Jahr 100 herum. Auch die kleinen Dreschplätze der Walachen, die sie im freien Felde liegen haben, und auf denen wir jetzt 119 viel Beschäftigung fanden, gewährten uns manche Abwechselung. Weit mehr aber noch als Triptolem war Pan am Wege geschäftig, uns Unterhaltung zu "erschaffen, vorausgesetzt, daß dieser Gott nicht blos die idyllisch lebenden Schafchen und Rinder Arkadiens, sondern auch die Heerden walachischen Schlachtviehs zu seinen Schützlingen zählt. In keinem Hause Europas wird soviel Fleisch gegessen, als bei „Haus Oesterreich/' Und so viele Heerden es auch schon selbst produ-tirt, so hat es doch immer noch eine bedeutende Ein-fuhr von außen her nöthig. Mir scheint dieß für die Ungarn nicht ehrenvoll zu sein. Da sie gewiß nicht viel weniger als 5000 üj Meilen Viehtriften haben, so sollten sie doch mindestens die Stadt Wien satt machen können. Es ist aber nicht so. Die Lücken, welche d?r gefräßige Zahn des Menschen in die ungarischen Heerden hineinarbeitet, müssen beständig wieder von außen her besetzt werden. Den Weg, auf dem die Schweine kommen, die Donau, betrachteten wir schon oben. Der Straßen, auf denen das meiste Rindvieh cinpassirt, sind vornehmlich zwei, erstlich die aus der Moldau, Beß-arabien und überhaupt aus dem südlichen Rußland kommende und durch Galizien und Mahren die Karpathen umwandelnde und dann zweitens die Straße aus der Walachei über Orsowa, auf der wir uns jetzt befinden. Alle Augenblicke begegneten uns große Viehheerden, deren Hörner sämmtlich auf Pesth und Wien gerichtet waren. Wenn wir so eine Heerde im scharfen Trabe p"W«st,, ^ Martin, mein Kutscher, hatte sehr 120 wenige Rücksichten gegen sie, — so gab es beständig ein gewalliges Hirtenhallo; denn sie waren immer von einer Partie walachanischer Hirten begleitet, deren wilde Stimmen und barbarisches Aeußere noch Alles, was wir hier bei den österreichischen Walachen sahen, übertrafen. Das Vieh, das sie hüteten, sah dagegen ebenso cultivirt aus, wie das unseuge. Gewöhnlich gehen diese Leute nur bis Pesth mit, kommen aber auch wohl zuweilen nach Wien und noch weiter nach Deutsch' land hinein. Alle Hirten in der Welt sind bekanntlich von Haus auS Rauber. Es ist dieß eine unwiderlegliche Thatsache, aber eine noch nicht gehörig erklärte Erscheinung. Und so ist denn auch diese Hirten- und Heerdenstraße nicht eben eine der sichersten. Vor 15 oder 20 Jahren noch, sagten mir die Leute, hätte man hier am hellen Tage sogar besser gethan, bewaffnct und in guter Gesellschaft zu reisen. Jetzt geschahe nur noch in der Nacht zuweilen etwas. Die Aufsicht in der Militärgränze sei immer besser geworden, auch die schöne neue Straße habe viel zur Sicherheit beigetragen. Doch sah ich auch an ihr noch, theils als Bürgschaft für die Sicherheit des Reisenden, theils als Beweis der allgemeinen noch Herr' schenden Unsicherheit neben der Chaussee hin viele kleine Wachhäuser von Granzfoldacen, die gewöhnlich neben den Chausseeeinnehmer-Hausern errichtet waren. Son!l patrouillirten auch hier die Serreschaner beständig Tag und Nacht. Jetzt, glaube ich, geschieht es blos bei Nacht. Was die Serreschanec im militärischen Banale, 121 sind die „Plajaschen" im „Provinzialischen," nämlich die Räuberpolizei. Die Anführer dieser Planschen haben, wie mir Jemand sagte, auch türkische Namen. Sie heißen „Vulibascha's." Man findet, wenigstens im südlichen Ungarn, fast in jedem Comitate eine andere Art von Gensd'armerie und auch andere Namen für sie. „Tschetniken" (vom Türkischen t,«cl,«t3, d. h. die Truppe), ^ „Hadnagy," - „Haiducken/' — „Persecutores," dieß sind lauter verschiedene Benennungen für die Räuberpolizei in verschiedenen Gegenden Ungarns. Wir passmen über einen hohen Bergrücken und kamen gegen Mittag m Teregowa an, welches an den Quellen der Temes, am Eingänge des berühmten Schlüssels oder Engpasses liegt. Die Bodengestaltung in dieser Gegend ist folgende: das Land rund umher, obgleich Hochland, ist doch niedriger als die Bergmassen, welche zu beiden Seiten nach Osten und Westen*- liegen. Die höchste Spitze der Massen im Westen ist der Semenik, — sowie im Osten den mittleren Hauptknoten der Sarko bildet, — dieser über 7000, jener über 5000 Fuß hoch. Drei niedrigere Bergzüge spinnen sich von der einen dieser Hauptmassen zur anderen hinüber. Der erste dieser Züge, den wir soeben passirten, hat nur eine wenig erniedrigte Einsattelung, in welcher die Gewässer auf beiden Seiten nach der Donau und nach der Theiß abfließen. Der zweite und der dritte Bergzug "ber sind vom Gewässer durchbrochen. Von dem Se-"enik kommt nämlich die Temes und vom Sarko der Hldcg herab. Diese Flüßchen vereinigen sich bei Te- regowa und durä)brechen erst den zweiten Bergzug, stießen dann in einer mittleren Weitung oder einem Becken fort und durchbrechen dann ebenso den zweiten Damm. Der erste Durchbruch heißt der „Teregowaer," der zweite der „Slatinaer Schlüssel." „Schlüssel" scheint hier ein ebenso gewöhnliches Appellativum für die kleineren Engpässe zu sein/ wie „eisernes Thor" für die größeren Bergpforten. In dem öden Teregowa trafen wir im Wirthshaus« ein hübsches junges Ehepaar, Deutsche, er aus Böhmen, sie aus dem Erzherzogthume. Sie ordnete und wasserte in seinem Zimmer seine Blumen, er fütterte in ihrem Gattchen ihre Tauben. Wir speisten bei diesen netten Leutchen besser zu Mittag, als man unö in manchem Kaffeehause Wien's servirt hatte. Sie gaben mir auch einige Trauben, die sie als etwas Rares in dieser kalten Höhe von Orsowa empfangen hatten. Mein Mitgast war ein Jägersmann, der auch nach Karansebes wollte, und der sich entschloß, den Heuwagensitz neben mir bis dahin anzunehmen. Nur eins bat er, er müsse auch seinen großen Jagdhund mit in den Wagen nehmen dürfen. Die Schäferhunde der Walachei seien so bös, daß er es nicht wage, ihn hinter dem Wagen herlaufen zu lassen. Gegen sie vertheidig? sich kaum ein Wolf, geschweige ein Jagdhund. Der böhmische Wirth und unsere hübsche Wirthin erzählten uns, daß, wenn ich ein wenig früher gekommen wäre, ich einen Blutegelwagen hätte ansehen kö«' nen, mit dem hier heute Morgen ein Franzose passitt 123 wäre. Der Wirth sagte, er habe diesem französischen Blutegelhänbler schon seit Jahren immer seine Pferde gestellt. Sie holen diese Blutegel vorzüglich aus der Walachei; denn mit diesen Thieren ist es ebenso wie Mit dem Viehe. Ungarn hat deren schon nicht mehr hinreichend. Es ist ein ganz eigenthümlicher Handel und ein ganz besonderer Transport, der von Etappe zu Etappe, durch ganz Ungarn und Oesterreich und Deutschland direct bis Paris geht. Die Franzosen müssen wohl in einer gemeinsamen Compagnie vereinigt sein. In Orsowa sitzen einige von ihnen; diese lassen aus der Walachei die Blutegel in einzelnen kleinen Partieen hereinschwärzen, vielleicht weil ihre Ausfuhr aus die» fern Lande verboten ist. Hier in Orsowa haben sie einen großen Teich, in welchem sie ihre Waare sammeln, und von da aus transportiren sie dieselbe in vierzehn Tagen (?) bis Paris. Sie haben für diesen Transport eigens eingerichtete Wagen. Es ist ein großer Kasten, der sehr sorgfältig auf Federn gesetzt ist, um die Erschütterungen zu schwächen. In diesem Wagenkasten, welcher durchlöchert ist, befinden sich viele Abtheilungen oder Fächer aus Drahtgitter, so daß überall frische Luft durchströmen kann. Jede Abcheilung ist so groß, daß sie einen Sack mit sechs Okkas (zu 2^ Pfund) Blutegel aufnehmen kann. Di? Egel werden aus dem Teiche vorsichtig gefischt und zu kleineren Parlieen m diese Säcke gethan, die man eine Zeit lang in frische Luft hängt, damit sie abtrocknen. Denn naß bür-fen die Thiere nicht transportirt werden. Die Blutegel ,24 ziehen sich dann ganz wie Kugeln zusammen, und fo aufgerollt, verharren sie auch in einer Art von Erstarr-ung wahrend des Transports. Der Centner Blutegel kostet den Franzosen in Orsowa 400 bis 500 Gulden, und sie führen oft für 10,000 bis 15,000 Gulden Waare bei sich! Es ist einer der gefahrlichsten und de-licatesten Handelszweige von der Welt. Bei schwüler Luft crepiren die meisten Thiere unterwegs. Auch Frost können sie nicht vertragen. Und bei plötzlich einfallendem Froste gehen oft ganze Transporte zu Grunde, ebenso bei schwülen Gewittern. Am beßten ist ihnen eine kühle Witterung. Damit der Transport rasch von Statten gehe, haben die Franzosen mit den Bauern oder Wirthen in allen den ungarischen Dörfern, welche sie passiren, Lontracte abgeschlossen, daß sie stets ihre Pferde für sie in Bereitschaft halten. Sie geben ihnen vorher Nachricht, oder sie machen ihnen auch Zeichen unterwegs. An einem Ende des Dorfes klatschen sie mit der Peitsche auf eine gewisse Weise, dieß hören ihre Leute, und sie finden dann am anderen Ende die Pferde schon angeschirrt. An verschiedenen anderen Orten auf der Vlutegelstraße sind wieber Franzosen ange-siedelt sso z. V. in Baja an der Donau). Diese ha' ben dann wieder Teiche, bei denen eine Zeit lang gehalten wird, um die Thiere zu erfrischen und die unterwegs gestorbenen sorgfältig von den noch lebensfti' schen zu sondern. Jene fallen sofort zu Boden. Auf diese Weise geht es bis Paris, wo die Egel das Stück oft mit einem halben Gulden bezahlt werden. 125 ^ An manchen Orten haben sie auch förmliche Blut-egelplcmtagen, in welchen sie diese Thiere zur Fortpflanzung bringen. Sie haben große Teiche, deren Ufer sie Mit Rasen ausschlagen; doch sterben die Blutegel >" diesen Plantagen oft zu Tausenden, ohne daß man iedesmal die Ursache davon anzugeben wüßte. Manche behaupten allerlei Mittel zu kennen, um solches Unglück zu verhüten, wahrend Andere wieder diesen Mitteln keine Kraft zuschreiben. So soll die Anpflanzung des On^ lamn« aromatic»« in jenen Teichen sehr heilsam sein. Auch auf die Art des Fangens der Thiere aus dem Wasser kommt Vieles an. Die Franzosen sollen sie oft mit Iuchtenleder fischen, das sie wahrscheinlich mit irgend einer den Blutegeln angenehmen Essenz bestreichen, denn sie fallen sehr gierig über diesen Köder her und saugen.sich an dem Leder fest. Andere wiederum fangen sie mit Sieben, weil sie dicß für die geeignete Weise halten. Uebl'igens ist es merkwürdig, daß diese Thiere, welche den Menschen bei so vielerlei Krankheiten helfen, selbst wiederum an so manchfaltigen Uebeln und Krankheiten leiden. Sie wachsen in den Plantagen erstaunlich langsam. Selbst in einem Zeiträume von fünf Jahren bemerkt man kaum eine Vergrößerung ihres Körpers. Weil sie im Winter vor Frost geschützt werden müssen, so werden sie im Herbste aus den Plantagen der Teiche herausgefangen und alsdann in Gefäßen in Keller gesetzt. In diesen Gefäßen legt man erst eine Schicht ^yon, darauf die Blutegel, dann wieder eine Schicht Thonerde und so abwechselnd fort. Sie machen sich 12« Löcher und Gänge durch die Thonschichten und kriechen durch das Labyrinth hin. Uebrigens sagte man mir in mehren Gegenden Ungarns, daß sowohl die Zahl dieser Plantagen als auch überhaupt der ganze Blutegelhaw del stark im Abnehmen begriffen sei. Sowie von Ungarn und der Walachei, so geht auch von Polen aus ein großer Blutegelhandel durch ganz Europa. Berlin, Bremen, Hamburg und überhaupt der ganze Norden Deutschlands werden meistens mit polnischen Blutegeln versorgt. Die Polen legen die Blutegel ebenfalls in Säcke, hängen dann aber diese Sacke in Tonnen auf, welche oben Luft haben und zum Theil mit Waffer gefüllt sind. Auf diese Weise kommen die polnischen Blutegel nach Berlin, Hamburg und Bremen. Und von hier aus werden sie dann wieder weiter nach London geschickt, wo sie um allerthcuersten sind; denn hier gelten sie oft vier, fünf und sechs Mal soviel als in Berlin, wo in den Apotheken das Stück zu drei Silberqroschen verkauft wird. Hinter Teregowa passirten wir nun den ersten Schlüssel, einen tiefen, schmalen und waldigen Einschnitt, der sich eine halbe Stunde lang hin- und herwindet. Dann kommt man in daS besagte weite Becken und darauf in den zweiten, den „Slatinaer Schlüssel," der dem ersten ganz gleich steht. Er ist nur eln wenig weiter und gemächlicher. Die Walachen nennen diese Schlüssel „Prolaz." Dieß Wort, sowie das andere, das wir schon an der Donau kennen lernten, „Islaz," 127 (es giebt an der unteren walachcmischen Donau noch e'N „Islaz") scheint auch ein Appellativum zu sein, Wie „eisernes Thor," und bedeutet ungefähr soviel wie ^Durchlaß" oder „Paß." Hinter Slatina geht es nun fort in dem breiten Thale der Temes, das sich über Karansebes und Lu-M hinaus immer mehr und mehr weitet, bis dann am Ende da, wo die Ebene sich vollkommen herausstellt, die gebietende Stadt Temeswat liegt. Je weiter wir uns hinabsenkten, desto mehr ging HWter uns die Gegend der beiden Schlüssel in die Höhe, und eben das, wo wir nur Vertiefung, Thal und Einschnitt gesehen hatten, lag am Ende wie eine Mauer hinter uns, welche in einem Bogen vom hohen Muntje Sarko zum Muntje Semenik hinüberschweifte. Nur hier erst konnten wir die ganze Höhe dieser dacischen Berge ermessen, die wie mächtige Pforten zur Seite des großen, in die Ebene mündenden Amphitheaters dalagen. Da unsere Augen mehre Tage zwischen lauter Felsen genistet hatten, schweiften sie nun mit Entzücken über die schone Fläche hin. Es bietet dieses Amphitheater wieder eine Arena großer und gewaltiger Kämpfe, zu deren Deutung der Schlüssel in den besagten „Schlüsseln" zu sindcn ist. Denn diese Pässe zur Donau, zu den Tummelplätzen von Orsowa hin zu erkämpfen, lagerten in dieser Arena Nlcht nur die Oesterreicher unter dem Erzherzoge Franz von Toscana im Jahre N38, und abermals im Jahre l788 unter dem Kaiser Joseph den Türken gegew 128 über, die sich durch die beiden Schlüssel in wilden Scharen in die Banaler Ebene herab ergossen hatten, nicht nur die Ungarn unter Kinys/ Hunyades und un-zähligen anderen Helden hatten hier Kämpfe zu be-stehen, sondern auch die Römer, die über die Tra-jcmische Brücke und durch den Schlüssel kamen, fanden hier ohne Zweifel einen Theil, wo nicht die Hauptmacht der dacischen Völker zu bekämpfen. Man sieht auch von hier aus bereits den Muntje Mik und den Muntje Ruska, zwischen denen in der Mitte sich jener berühmte zweite Ausgang dieses Amphitheaters, das siebenbürgische „eiserne Thor" befindet, durch welches Trajan, nachdem er dem Decebalus ein entschei' dendes Treffen geliefert, in das Herz von Dacien eindrang. Die letzte furchtbare Türkenstulh, welche diese Gegend verwüstete, ihre Ortschaften in Staub und Asche legte und das stäche Land entvölkerte, hatte im Jahre 1787 statt. Die Scenen aus dieser Verwüstung leben noch frisch im Andenken der Leute. Mein Wirth in Karansebes erzählte mir, wie er mit seinen Aeltern vor den Türken in das Innere geflohen sei und wie sie und alle die unzählbaren anderen Flüchtlinge dort auf der einen Seite mit Sehnsucht täglich den Kaiser Io> seph und auf der anderen Seite mit Furcht und Zittern stündlich die Türken erwartet hätten, — wie sie dann nach Vertreibung der Türken zurückgekehrt seien, und wie sie dm Bauplatz ihrer vom Boden wegrasirten Stadt kaum wiedergefunden hätten. Das Franziskanerkloster 129 sei das einzige Gebäude gewesen, welches noch aufreckt gestanden hätte. Der Leichnam des Klosterpriors habe vor dem Altare der Kirche gelegen, verfault und beinahe völlig verwest; denn es habe sich auch von den Siegern, bie im Lager gestanden, Niemand um die Beerdigung der Leichen bekümmern können. Auch von der Türken-Verwüstung im Jahre 1738, die um so schrecklicher war, d" zugleich mit dem Feinde die Pest in das Land brach, und selbst in Pesth und Ofen 6000 Menschen in Folge dessen starben, hat man in Karanscbes noch Traditionen in dem geschriebenen Tagebuche eines Franziskanermönchs. Derselbe war mit einem Trupp heimathlos gewordener Menschen in den ungarischen Steppen, in welche Viele auch der Pest wegen flohm, herumgezogen und hatte Tag für Tag aufgeschneben, was ihnen begegnet war und was sie erduldet hatten. Im Jahre l787 und 1788, wie gesagt, war es das letzte Mal, und seitdem ruhen diese Gegenden in Frieden und Preisen das Glück des Verfalls des osmanischen Reichs. Hier in der Ebene war es nun um Mittag wieder sehr warm, ja schwül geworden, und Martin hielt bei jedem Brunnen still, um seine Pferde saufen zu lassen. Auch wir konnten unseren Durst so wenig löschen, wie griechisches Feuer. Gern hatten wir noch b^zu einige von den schönen blauen Zwetschen ge-Zkssen, die uns bei jedem Dorfe aus den Bäumen lntgegendämmenen. Die Walachen haben hier ganze ^roße Plantagen von Zwetschen- oder — wie die Leute hier sagen — von „Iweschpenbäumen." Diese Bäume »V. 9 130 waren dabei alle so mit Früchten beladen, daß die Flur geradezu von ihrer anmuthigen Farbe erblaute. Es war für uns aber diese Bläue nichts als eine vergebene und trügerische I?ata Nor^an»; denn wir durften nichts davon genießen, weil Martin sagte, an diesem Obste hange das Fieber. Da er selbst erst vor Kurzem vom Fieber genesen war, so machte er dazu ein so erbarm-liches Gesicht, daß wir uns immer vor der lockenden Frucht wie vor Sirenengesang hüteten. Die schöne un» garische „Zweschpe" —- man gewöhnt sich dieses Wort sehr leicht an, denn es liegt viel bequemer in den Lippen als unsere Zwetsche, — verlor übrigens für mich auch bald ihren Reiz, theils wegen der großen Massen, die es davon gab, theils aber auch deßwegen, weil wir hörten, daß alle diese Früchte nur des fatalen ,,U»^ (Branntweins) wegen, den man davon brenne, gezogen würden, — nicht aber um den trockenen Gaumen ei' neS Wandersmanns zu erfrischen, oder um einem Gaste im zierlichen Körbchen von der hübschen Tochter des Hauses präsentirt zu werden, oder den Kindern zul Speise und Freude zu dienen. In einem Dorfe Namens Petroschnltza hielt Martin wieder bei einem Brunnen an. Er fuhr, wie gewöhnlich/ ohne Weiteres zum Wasser, spannte seine Pferde, indem er uns mit dem Wagen unter einem schattigen Baume stehen ließ, aus und ließ sie nach Herzenslust saufen. Es war sehr heiß, und meine Schaffelle «nd Tücher vom Morgen waren vollkommen überflüssig. I" Dorfe schien Alles im Nachmittagsschlafs versunken zu ft'"-Menschen ließen sich nicht sehen. Sie „nazten" ge""ß 131 etwas auf ihren Teppichen. Auch die Kühe lagm auf den Gehöften und „nazten," das ganze Dorf schien zu "Nazen," d. h. es war im Nachmittagsschlafe versunken. Nur die Gänse, die ewigen Capitolswächter, schrieen bei unserer Ankunft. Dicht bei unserem Wagen legten slch zwei Schweine nieder. Sie hatten, wie alle Schweine bieser Gegend, einen dicken langen Stock vor der Brust, der mit einem Stricke am Halse befestigt war. Dieser Querstock hindert sie daran, durch die Zaune der Gärten einzubrechen, was sie sonst gar zu gern thun. In allen diesen Gegenden war ich immer von mehr Thieren als Menschen umgeben; zum Theil kommt dieß auch daher. weil die Thiere gewöhnlich keinen Stall haben. Auch vor dem Fenster des Hauses, das nicht weit vom Brunnen stand, sah ich kein hübsches Mad-chen sitzen, sondern ein Katzchen, das sich bemühte, in der engen Mütze eines österreichischen Beamten sich einen behaglichen Sitz zu bereiten. Der knappen und engen Form dieser Mütze wegen waren aber alle seine Bestrebungen vergeblich. Desto besier aber schienen die Bestrebungen gewisser anderer kleinen Thierchen zu gelingen, die auf der Gartenseite des Hauses fleißig summten, b?r Bienen nämlich, denen die Walachen hier eine Reihe von Körben errichtet hatten. Diese Körbe haben eine ganz eigenthümliche Form. Sie sind aus Weioenrulhen ' ge-stochten, cylinberartig und zugespitzt wie Zuckerhüte und rund umher mit Kuhmist verschmiert. Die Leute versichern, daß das Verfahren, sie mit Thon zu verschmieren, nicht so 8Ut sei; die Bienen hatten den Kuhmist gern. Wahr« 9* 132 scheinllch ist er deßwegen besser, weil er poröser als der Thon ist und mithin die Ausdünstung der Bienen leich' ter durchläßt. „Es wird gewiß noch heute ein Gewitter geben," sagte mein Jäger, als wir aus dem nazenden Dorfe weiter fuhren. Dieß wäre mir sehr unangenehm gewesen, und ich behauptete daher, „ich glaubte, daß es kein Gewitter qeben würde." Der Jäger erwiderte, „ich möchte denn doch einmal nach dem Munlje M'k und Muntje Sarko sehen, wie schwer die schwarzen Wolken darauf herabhingen; auch blitze es ja schon hell und klar über den Gebirgen!" — Aber, wie ge» sagt, es wäre mir höchst unangenehm gewesen, naß zu werden, und obgleich ich längst die wundervollen schwarzen Wolken, die rund herum überall an dem Rande unseres Amphitheaters hingen, gerade so, als spiegele sich das Vild der Gebirge noch einmal am HiM' mel ab. bewundert, und obgleich ich längst das Blinke« der Blitze von den Seilen in meinen Augen wahrge^ nommen hatte, so sing ich doch mit meinem Jäger z" zanken an und blieb bei meiner Negation. Ich machlt es wie gewisse Staatsmänner, die, wenn sie grw'sse Anzeichen von gewissen Bewegungen nicht gern seh^ sie wegleugnen und eines anderen Weges blicken. Ich blickte beständig in den Sonnenschein vor uns und sprach ebenso viel vom schönen Sonnenschein, wie mc>" Jäger vom Regen, und die Sache endigte damit, daß wir am Abende ohne Sonnenschein und bis auf die Haut durchnäßt in Karansebes ankamen. Karansebes und alte Münzen. 3)as herrliche, imposante Gewitter, daß uns den Reise-spaß ebenso gut erhöht, als in gewisser Hinsicht freilich verdorben hatte, schüttete sich jedoch so zeitig aus, baß ich noch denselben Abend meinen Brief dem würdigen Geistlichen überbringen konnte, dem ich empfohlen war. Ich fand ihn in einer Gartenlaube, sich mit seinen Blumen und Sträuchern der erquicklichen abgekühlten Atmosphäre freuend. In einem Lande, wie dieser Theil der Militärgränze ist, — denn auch Karansebes liegt noch im Bezirke des walachisch - illyrischen Regiments, — kann es zwischen denen, welche die Wissenschaften lieben, nicht an interessanten Gesprächen fehlen. Denn da der Stoff hier so äußerst manchfaltig und dabei noch so wenig erörtert ist, da auch die, welche sich zu den Gebildeten oder Gelehrten zählen, hier rar sind/ so werden zwei solche, wenn sie sich treffen, bald ein Herz und eine Seele, wie ich und mein Propst es wurden, alS er 134 mich einlud/ mit ihm den Abend in seiner Laube zu verbringen. ,/Im Namen des Decebalus, im Namen des Nerua Trajan und des Herenmus Mösius, treten Sie naher!" wenn er auch wirklich nicht so sprach, so klang es mir doch beinahe so, als wenn er so spräche. Unsere Conversation drehte sich natürlich hauptsächlich um Trajan. Denn Alles, was hier nach ihm kam, waren mehr oder weniger Barbaren, und es wurde von ihnen mehr verwüstet als gestaltet. Die jetzigen neuen deutsch-ungarischen Zeiten ließen wir aber spater freilich auch an die Reihe kommen. Es ist bekannt, daß diese Gegenden zur Römer-Zeit zu der Provinz „Ufer-Dacien" (Nlicüt ri^nsl«) gehörten. Trajan eroberte sie in der Schlacht am eisernen Thor, in welcher er den „Decebalus" vernichtete. Dieser Decebatus und seine Vorgänger „Dorpora," „Kotiso" u. s. w. müssen keine unbedeutenden Leute gewesen sein, da sie den beßten römischen Kaisern so viel zu schaffen machen konnten, — der Decebalus insbesondere, der sogar Gift nahm, weil er den Tod der Sklaverei vorzog. Gehöri nicht schon ein ziemlich hoher Grad von Cultur dazu, um Manner von so edelmüth-iger Gesinnung an die Spitze zu bringen, und ist nicht schon die Erfindung unendlich vieler politischer Einrichtungen nölhig, um einen so bedeutenden Staat, wie Decebalus ihn befehligte, denkbar zu halten? Und von der ganzen Einrichtung dieses Staates wissen wir gar nichts, sowie von seiner Geschichte nur sein Ende, und 135 über die Nationalität seiner Bewohner sind wir vollkommen in Zweifel. Wenn wir von allen den hun» derttausend dacischen Worten, die ehemals von Millionen von Menschen gesprochen wurden, nur einige wenige Dutzend in reiner ursprünglicher Beschaffenheit hatten, so könnten wir manche Fragen vielleicht gleich entscheiden. Auch des Lvsimachus gedachten wir, der noch früher als die Römer hier gekriegt hatte. Ich weiß nicht, ob die Gegenden genau bekannt sind, in welchen er jenem bacischen Könige ein so unglückliches Tressen lieferte, daß er, der Herr von ganz Kleinasien und dem groß' ten Theile der griechischen Halbinsel, Gefangener dieses Barbaren-Königs wurde. Es ist aber sehr wohl möglich, baß es die Gegend von Karansebes war; denn man findet noch diesen Augenblick hier sehr viele Lysimachische Münzen. Ueberhaupt ist die Erde der Umgegend von Karaw sebes so reich an thracischen (Lvsimachischen), griechischen, dynhachischen (byrrhachische Münzen finden sich durch die ganze Donau-Gegend hin), römischen, byzanti- Nischen Münzen (nach arabischen fragte ich sonderbarer» weise überall vergebens, da sie doch sonst vom Handel bis an die Ostsee in Kurland und Livland, ja bis an das Nordmeer in Biarmien getragen worden sind), — so viel, sage ich, findet man hier von diesen Münzen, daß es nicht rühmlich ist für viele Gelehrten, daß der Hab' sucht wegen der Voden besser und sorgfältiger (rund 13S umher giebt es gute Eisen- und andere Bergwerke) durchsucht wird als der Wissenschaft wegen. Um meine Behauptung von dem Neichthume die« ser Gegenden zu erhärten, nur ein Factum, daS sich ganz kurz vor meiner Anwesenheit zugetragen hatte, und das mir mein priesterlicher Freund erzählte. Vor vier Wochen wurde dem in Karansebes commandirenden Obersten angezeigt, man habe auf dem Felde cin frisch gegrabenes Loch gefunden und daneben mehre silberne Münzen in der aufgeworfenen Erde und im Grase umher entdeckt. Diese Münzen wurden gebracht und als römische erkannt. Es waren ihrer 95, lauter silberne. Man fand, daß in dem aufgegrabenen Loche ein Kasten gestanden haben mußte, dessen Form noch deutlich in der Erde ausgeprägt war, und man sah bestimmte Spuren, daß er mit Balken herausge« hoben worden war. Es war offenbar eine Schatzgraberei gewesen, wie sie in hiesigen Gegenden nicht selten vor» kommen, Die gefundenen Münzen zeigten, welcher Alt wahrscheinlich die übrigen gewesen waren, und die große Anzahl derer, welche die Schatzgräber nur aus Nach-lässigkeit auf der Erde zerstreut hatten, bewies, wie bedeutend der ganze Fund gewesen sein mußte. Es war eine ganze Kiste voll römischer Münzen. Nach dem besagten Erdloche, das man ausmaß, konnte diese Kiste, wenn sie, wie zu vermuthen, voll gewesen war, etwa 60 Okka's (anderthalb Centner) Münzen enthalten haben. Anderthalb Centner Münzen auf einem V"te! dabei muß einem Alterthumssceunde der Mund wassern. 137 Aber man höre die traurige Geschichte nur weider an, es wird ihm das Wasser auch noch in die Augen treten. Man stellte nun natürlich Nachforschungen nach den Dieben an und war endlich so glücklich, einer verdächtigen Frau habhaft zu werden, deren Mann seit einiger Zeit verschwunden war. Diese gestand denn am Ende auch, daß ihr Mann und noch einige andere Leute den Schatz gehoben und sich zu Nutze gemacht hatten. Sie hallen die Absicht gehabt, alle Münzen einzuschmelzen und das Silber an Goldschmiede zu verkaufen. Einen Theil davon, nämlich etwa 79 Pfund, hätten sie auch wirklich schon „z'sammen g'schmulzen" — sage 79 Pfund kleine historische Document?, 70 Pfund Inschriften und Porträts von Trajan, Hadrian, Severus, AureliuS und anderen Kaisern, — 7N Pfund zierlicher, deutlich redender und gewissermaßen lebendiger Zeugen der Gestaltung der Dinge in so grauer Vorzeit. Wie höchst, höchst be« klagenswerlh! — Und doch ereignet sich dergleichen hier gar nicht selten. Die Mittel, die den Offizieren der Mwtargranze von der Regierung bewilligt werden, sind nicht sehr bedeutend und müssen fast alle auf andere Dinge verwendet werden. Eie können daher, wenn sie, wie dieß oft der Fall ist, Liebhaberei für Altertumskunde haben, in der Regel nichts dafür thun, b"ß jene Art von Schatzgräber?! mehr von den Gebil« "tten als von habsüchtigen Dieben beuieben werde. Wie schön wäre es, wenn man von Wien aus dafür ebenso gut einen Fond etablirte, oder den bereits etwa vor» 138 handcnen vergrößerte, wie twin es für die Beförderung so vieler materiellen Interessen gethan hat. Man hat sich von der Militärgränze aus schon oft an die Directoren der Wiener Sammlungen gewendet. Aber auch diese haben nicht viel dafür bewilligen können. Die meisten römischen Münzen, welche sich im Vanate zeigen, sind aus der Zeit der genannten Kaiser. Doch findet man auch noch Münzen von den späteren Kaisern bis zum Ende des Reichs hinab, ja sogar von den oströmischen bis in's 6. Jahrhundert, von Constants bis Justinian und Justin 11./ ein Zeichen, daß diese Provinzen noch lange mit den Römern im Verkehr blieben, selbst als sie ihrem Reiche nicht mehr für beständig einverleibt waren. Man sollte wohl denken, daß von den byzantinischen Kaisern bis aus den letzten hinab Münzen zu finden wären. Allein man hat mir gesagt, man fände solche Münzen nicht. Mein geistlicher Freund war selber ein großer Al' terlhumsforscher und namentlich hatte er sich z. B. viele Mühe gegeben, alle noch vorhandenen Reste der berühmten sogenannten Avaren-Ringe aufzufinden. Dieser Ringe oder, wie die Deutschen sie nannten, „Hage^ (Gehäge) sollen nach einer alten Tradition, die sich schon von den Geschichtsschreibern Karl's des Großen vererbt hat, 9 gewesen sein. Und auch mein Freund sprach wieder nur von 9„5ircull8." Es waren groß^ weit ausgedehnte Circumvallationen, die wahrscheinlich ^ nach Art der chinesischen Mauer — nicht blos einzeln« Städte, sondern ganze Provinzen schützten. Die Avaren 139 hatten innerhalb dieser Ringe ihre Dörfer oder Lager . und ihre Viehtriften. Von ihren Kriegern wurden die Nmge bewacht, und auS den Thoren derselben brachen sie zu Zeiten hervor, um zu rauben und zu plündern und dann die Schatze der benachbarten europäischen Länder hinter den Schanzen zu verbergen. Das Volk hatte auch seinen Namen von diesen Ringen, denn V»,-hieß in der Sprache der Hunnen und Avaren (sowie auch in der der jetzigen Ungarn) so viel als befestigter umzäunter Platz; Avaren bedeutet also so viel als die „Gehege-Bewohner." Der Hauptring der Avaren war bekanntlich im Eentrum Ungarns, bei Ofen, zwischen der Donau und Theiß. In ihm residirte der „Ka^an" (sollte dieses Wort nicht auch vielleicht nur ein deutsches und von „Hag" abzuleiten sein, der llaxan oder Xa^n, d. h. der Gehege-Herr?). Karl der Große, der bekanntlich die avarische Nation vernichtete, zerstörte auch die meisten ihrer Ringe und nahm ihnen in einem Kriege, welcher seine armen fränkischen Soldaten reich machte, die Beute Europa's ab. Das größte aller Werke auS dem Alterthume ist aber wieder ein Römerwelk. Es sind dieß ohne Zweifel die Bergwerke in den banalischen Gebirgen Kei dem alten „(^utum putoa" (d. i. „die hundert Schachte"), ^s sind hier viele höchst sehenswerlher Stollen und Schachte in dem hatten Fels ausgearbeitet, und zwar gewiß auf sehr mühevolle Weise. Wie die Russen Hl Sibirien hahen, so hatten die Römer ihr Dacien, und wie in Nußland die härteste Strafe die ist, in die 140 Ural'schen und Nerlhschinskischen Bergwerke verurlheilt zu werden, so war ?Z bei den Römern das Aergste, in Dacien „ad metaila llamnan." Lauter arme „aä metalla liamnati" haben unter der Leitung römischer Offiziere jene bewundernswürdigen Werke ausgeführt, welche die Vorläufer der jetzigen österreichischen (die Oesterreichs sind vielfach in die Fußstapfen der Römer getreten) Bergwerke im Banale sind. Leider war es mir weder vergönnt, diese ,,hun» dert Schachte" der Nömer zur Linken, noch auch die großen, in neuerer Zeit berühmt gewordencn Eisenwerke von Rußberg zur Rechten von Karansebes zu besichtigen. Diese letzteren großen Eisenwerke — ich erwähnte ihrer schon oben — waren sonst „ararisch," d. h. sie wurden auf Rechnung der Regierung verwaltet. D« aber eine solche Verwaltung immer wenig ergiebig ist, —' die Fahrlässigkeit, die Gleichgültigkeit und die Betrügerei der Beamten allen Nutzen hinderten, so wurden sie iw Jahre 1826 an österreichische Privaten abgegeben. Seit-dem wurde auf ein Mal der Eisenberg so ergiebig-daß nun die wichtigsten Eisenarbeiten für ganz Ungar« daraus hervorgehen. Die eisernen Brücken bei Mehadia, bei Lugos und anderen Orten kamen von hier, sowie eine Menge nützlicher Maschinen und Werkzeuge. Und die Eisenwerke von Nußberg nehmen jetzt in der öste^ reichischen Monarchie eine sehr bedeutende Stellung ein< Es giebt Bergwerke aller Art in den banatischen Gebirgen, welche nur eine Forlsetzung des an Metallen 141 so äußerst reichen siebenbürgischen VergzugeS sind. Es 'st dabei nur höchst merkwürdig, daß die meisten und wichtigsten Werke erst aus dem Anfange dieses Jahrhunderts stammen, und daß hier also wahrscheinlich noch sehr viel zu thun und zu entdecken ist. Goldwäschereien haben hier wie an anderen Gold füh' renden Flüssen Ungarns die Zigeuner. Auch hier ist es zum Gesetz gemacht, daß kein Zigeuner in der Militärgränze geduldet werden soll, der nicht wenigstens 3 Ducaten Goldes jährlich an das Bergamt zu cinem bestimmten niedrigen Preise abliefert. Was sie über 3 Ducalen bringen, wird ihnm l,I ^«iri bezahlt. Ihr Verfahren ist zum Theil dasselbe, welches wir schon oben angaben. Zum Theil ist es aber noch vitt roher. Ein Äugenzeuge schilderte mir es so: die Zigeuner schürfen, muthen oder probiren ebenso wie andere Bergleute an gewissen Stellen, an denen sie Gold vermuthen. Gewöhnlich holen sie es aus dem Sande der Flüsse, be» sonders dann, wenn diese angeschwollen sind und frisches Gerölle von oben herbeiführten, oder auch. wenn sie sehr ausgetrocknet sind und der Goldsand dann auf dem Boden gefunden wird,— aber sie graben auch darnach, weil es unter der Ackerkrume des Bodens auch goldhaltige Erdschichten, wahrscheinlich verlassener und bedeckter Flußbetten, giebt. Der Goldsucher hat oft weiter nicht« als eine breite flache Schaufel in Händen, die muldenartig ct» was vertieft und dann in die Quere mit kleineren Ein« schnitten gereift ist. In diese Schaufel bringen sie den 142 Flußsand, gießen Wasser auf, rühren in demselben so lange herum und spielen oben immer neues Wasser zu, bis die meisten erdigen Theile abgeschwemmt sind. Das Gold bleibt mit gröberen Stückchen in den Einschnitten zurück. Da es hier nicht sowohl als ein feiner Staub oder Sand sich darstellt, sondern in kleinen oder größeren eckigen Stückchen und Brückchen erscheint, so erkennen es die Zigeuner leicht bei'm Umrühren aus dem Uebrigen heraus. Sie haben in der rechten Hand ein wenig weiche Thonerde, welche sie spitz andrehen, und mit dieser Thonspitze tüpfeln sie dann das Goldkörnchen behutsam heraus. Auf diese mühsame Weise sparen sie sich ihre jährlichen 3 Ducaten zusammen. Zuweilen haben sie aber auch ein besonderes Glück. So z. B. fand im vorigen Jahre ein Zigeuner ein Stück reinen Goldes von 17 Ducaten an Werth. Mit solchen nützlichen und angenehmen Unterhaltt ungen verstrich uns der Abend, und am anderen M»^ gen eilten wir zu dem das walachisch-illyrische Regiment commandirenden Alterthumsfreunde, der uns die Geschichte von dem Münzfunde nicht nur bestätigte, sondern uns auch sagte, daß nicht nur 95, sondern bereits 150 Münzen in der Nahe der bewußten Grube aufgesammelt worden seien. Dieser Herr hatte das Vochaus seiner Wohnung auf eine ganz allerliebste Art mit römischen Antiquitäten ausgeschmückt. In die Wände waren mehre interessante römische Inschriften eingemauert, auch einige Statuen-Bruchstücke, darunter ein äußerst zierlich gearbeiteter Miniatur-Kopf des Hercules aus 148 Marmor. Auch cine Mosaik aus Ziegelsteinen befand sich hier. In der Nähe des eisernen Thores bei ^rmixe^ku»" "der Olpia I'r^an! hat man mehre solcher Mosaiken entdeckt, und noch mehre hat man ohne Zweifel dort noch "icht entdeckt. Mit Erlaubniß dieses humanen Herrn und in Begleitung meines Geistlichen, der schon /,sehr an guter Freund zu mir geworden war" (um auf österreichische Weise, die ich liebe, zu reden), besichtigte ich dann l-uch die Schuleinrichtungen des Orts. Es bestchen hier, wie in allen Hauptorten der Gränze, nämlich folgende Schulen: „eine Madchenschule," «ine sogenannte „Ober- oder Normal-Schule" und außerdem noch einige „ Trivial' Schulen." In der ganzen walachisch - illyrischm Militärgränze giebt es dann noch vier Divisionsfchulen, eine jede derselben für 2 Compagnie--Bezirke. Und dann ist, oder soll doch sein in jedem Dorfe eine National- oder Gemeinde-Schule. Die Normal-Mädchen- und Divisions - Schulen und die an ihnen angestellten Lehrer werden von der oberen militärischen Verwaltung unterhalten und besoldet, und in ihnen geschieht der Unterricht durch' weg in der ganzen Militärgränze in deutscher Sprache. Die Trivial-Schulen sind oft Privat-Unternehmungen. Die Gemeinde-Schulen in den Dörfern werden auf Veranlassung des Gouvernements auf Kosten der Gemeinde errichtet, und in ihnen bedient man sich dann natürlich immer derjenigen Sprache, welcher b'e Gemeinde angehört. Deutsche Stadtschulen giebt 144 es außer den genannten auch noch sonst in jeder eini« germaßen bedeutenden Stadt der Militärgranze. Es gilt das Gesagte auch von der siebenbürgischen Militär-Gränze. Auch unter den Szeklern sind die Normal' Schulen alle deutsch und mit deutschen oder doch in's Deutsche eingeweihten Lehrern beseht. Die Gebäude der Schulen in Karansebes, welche ich sah, waren nicht allein gut, sondern ganz vortrefflich zu nennen. Da gerade Ferien waren, so konnte ich keiner Lchrstunde beiwohnen, doch sah ich die schriftlichen Musteracbeiten der Schüler, welche dem Host kriegsrathe in Wien eingeschickt werden sollten. Diese Arbeiten bestanden erstlich in „Schönschrift-Arbeiten," dann in „Dictando-Arbeiten" und endlich in „Aufsätzen" und mathematischen und militärischen Zeichnungen. Ich muß sagen, daß ich nicht glaube, daß die Illy-rier, Walachen, Slavonier u. s. w. von selbst ebenso gut das Schreiben und Zeichnen gelernt hatten, als wie sie es hier unter Anleitung der Deutschen zu Stande gebracht halten. Es ist hier und da mit Necht, w>e eS scheint, der Zweck, aus den Knaben nicht nur allgemein gebildete Menschen, sondern eben auch vor allen Dingen gebildete Gränz-Militärs zu machen. I" dieser Beziehung waren die aufgegebenen Thema's der Aufsatze sehr zweckmäßig gewählt, als z. B. solche: „Bericht an den Hauptmann über eine staltgehabte Schwärzung," „Beschreibung eines durch ein Wild-Wasser angenchleten Schadens" :c. Die entworfenen Pläne und Karlen waren ebenso 145 "us der nächsten Umgegend gegriffen, z. B. Zeichnungen benachbarter Berge, eine Uebersichts-Karte eines Theils der an der Gränze sich hinziehenden Patrouillcnwege u. s. w. Eine besondere Abtheilung der Oberschule bildet die machemalische, in welcher die ausgezeichneteren Schüler zu Unteroffizieren gebildet werden. Sie können auch in Offizieren sich emporschwingen, wenn sie sich genug Bildung erwerben, ja sogar bis zu dcn obersten Stellen gelangen, und es giebt mehre geringe Walachen, denen bicß gelang. Da es überhaupt in der Militärgränze keinen privilegirten Adel giebt und da die adeligen Offiziere Oesterreichs sich wohl eben nicht sehr nach dem Dienste in der Militärgränze drängen, so ist vielleicht in dieser Abcheilung der österreichischen Armee mehr Freiheit und Gleichheit in der Concurrenz zu den obersten Offizier-Stellen als in irgend einer anderen. Ich stelle dieß indeß blos als eine Vermuthung, die ich wage, hin. In der mathematischen Abtheilung befanden sich im Jahre 184!. 86 Schüler und in den anderen Abtheilungen 300. Wie diese Anzahl der Schüler, so haben sich auch die Schulen seit Hietz-inger's Beschreibung der Militärgränze bedeutend ver--Mehrt, — obgleich, wie man mir sagte, die Abneig' ung gegen die Schulen bei den Gränz-Nationen noch wenig vermindert ist. Im Ganzen müssen die Aelrern "och durchweg gezwungen werden, ihre Kinder für die Schulen herzugeben. In dem Schulplane siel mir als ein eigenchüm« 146 licher Unterrlchtszweig auf die sogenannte „Belehrung der Kinder in ben Pflichten der Unterthanen." Es waren in den unteren Classen dafür drei Stunden wöchentlich angesetzt. Wahrscheinlich mag dieß bei Nationen, die so wenig von der politischen Einrichtung des Staatsgebaudes wissen, und von denen doch eine so exacts Erfüllung der Pflichten verlangt wird, ein sehr heilsamer Unterrichts-Gegenstand sein. Uebrigenß ist es eine bemerkenswerthe Erscheinung, die sich bei der Geschichte der Militargränze schon mchre Male herausgestellt hat, daß die Gränzer die militärische Verwaltung ihres Landes lieber habm als eine „civile." Es wurden schon bei mehren Gelegenheiten Theile der Militargranze unter Civil-Verwaltung gestellt. Sie sehnten sich dann nach der Militär - Administration zu-rürk und petitionirten so lange, bis ihnen gewillfahrt wurde. Lugos und walachische Tänze. ^(achdem ich noch einmal meinem geistlichen Freunde zum Abschied einen Besuch gemacht hatte, fuhr ich mit Meinem Wirthe, der mir seine Equipage selbst lenkte, weiter auf der grvßen Straße nach Lugos (sprich Lugosch). Er hatte die zwei raschen schönen Pferde, die uns mit Windeseile entführten, für nicht mehr als 300 Fl. W.W., d. h. für etwa 15 Lcmisd'or gekauft, und ich glaube, daß man in keinem Theile Deutschlands zu solchem Preise so muntere und dabei schöne Renner haben kann. Der kleine Sohn meines Wirthes wurde auch mitgenommen, er war von seiner Mutter sauber gekämmt und sagte mir, was sein deutscher Vater nicht wußte, daß die Walachen das eiserne Thor, das uns zur Linken liegen blieb, ,,porta ^am ^u^ust», ^lonm 5lelr<^ polls" remplacirte. Diese Gegend ist der klassische Herzpunct des alten sowohl als des römischen Daciens und das Gefilde, auf welchem sich die Gedanken und Traume der tva' HA9 lachischen Patrioten noch oft ergehen, denn man darf sich nicht einbilden, daß etwa die walachische Nation so herabgedrückt, so vergessen ihrer ehemaligen Große sei, daß sie nicht noch oft mit Wärme des alten rö-Misch-dacischen Colonieen-Staates gedächte. Es ist sogar, wie ich aus guter Quelle weiß, in Bucharest ernstlich davon die Rede gewesen, ob nicht ein Wiederauf' leben des Königreichs des Decebalus möglich wäre. Wenn es jetzt schon da wäre, dieses Neich, so wäre es schon gut, und die Walachen, die nicht nur den Gegner des Traian, den König Decebalus, sondern auch den großen römischen Kaiser Aurelianus, sowie auch den römischen Kaiser Valerius*), zwei tüchtige Soldaten zu ihren Landsleuten rechnen, ja die sogar auch Ungarn mit seinem tapfersten, edelmüthigsten und berühmtesten Könige, dem Matthias Corvinus (sein Vater Johann Hunyad es war ein Walache) und mit seinem größten Türkenfresser, Paul Kinys, Grafen von Temeswar, beschenkten, würden ja wohl im Stande sein, große Manner zu produciren, welche ein so großes Reich regieren könnten. Allein wer könnte den blutigen Weg nur ansehen, auf welchem ein solches Reich zum Dasein gelangen müßte? Die Ungarn, die Deutschen, die Türken, die Russen würden alle auf gleiche Weise dagegen sein, die Türken indeß wohl am wenigsten. Von Sarmizegechusa oder Ulpia Trajani aus ging eine Kette römischer Colomeen durch ganz Siebenbür- *) Beide Kaiser warm geborene Dakoromanen, 150 gen weit nach Norden bis zn den Quellen der Theiß hin, wo die letzte paraiissum Oc>Ionia hieß. Noch in diesem Augenblicke liegen die großen siebenbürgischen Städte Karlsburg und Klausenburg in dieser Kette. Zwischen dieser dacischen Colonieenkette und jener pan-nonischm an der Donau hin bis Carnuntum blieb das ganze mitten innen liegende Land, das 5l) Meilen breite, flache Centtalungarn, leer von römischen Colomeen. In» Grunde genommen, wenn man, wie man dieß mit Recht thun kann, die Deutschen in Bezug auf Colonieen-Anlegung, Städtebau und Communen-Begründung M diesen Gegenden als Nachfolger der Römer betrachtet, ist es noch jetzt so. Denn zwischen der östlichen Kette deutscher Städte-Communen Hermannstadt, Karlsburg und Klausenburg in Siebenbürgen und der westlichen vorzugsweise deutschen Donaustädte Ofen, Pest, Raab :c. Men tn die Mitte nur die ungarischen Viehtriften und die vorzugsweise magyarischen Städte: Szegedin, Debretzin tt< Als wir nun bei dem Anfange der ganzen Colo-nieenkette vorüberkreuzten, gedachten wir der Sorgen Tra> jan's, und ich muß gestehen, wenn ich mir die ungeheuere Ausdehnung, die das römische Reich damals hatte, lebhaft vergegenwärtigte, so begreife ich nicht, wie dieser große Mann in diesem versteckten Winkel seines Reiches so, ich möchte fast sagen, leichtsinnig kriegen konnte. Wenn er der Provinz Spanien, der Provinz Gallien, Britanniens gebachte, oder wenn er an den Euphrat und an den Tigris, an die Patther in Asien, oder an Aegypten und Afrika und an das Cap Nun (denn so weit gingen ja die römischen Se- 151 flhungen) sich erinnerte und sich vorstellte, was da wohl geschehen, was dort gegen ihn unternommen werden möchte, so muß man staunen, wie ein Mann die Last so riesengroßer Sorgen tragen und muthig in diesen kleinen Thalern, in diesen engen Paffen und Schlüsseln sich herumschlagen konnte. In dem Mittelpuncte seines Reiches, von allen Gefahren auf der Stelle benachrichtigt, Nach allen Seiten seine Diener sendend, so nur kann ick) Wir ein so großes Staatsoberhaupt deutlich vorstellen. Der österreichische Militarposten störte mich in der weiteren Verfolgung dieser Ideeen. Er fragte nach Meinem Paß und gab mir einen Verweis, daß ich ihn nicht hatte in Karansebes visiren lassen. In der ganzen Militärgränze ist das Paßwesen nämlich sehr re-guttrt, und man muß hier überall visiren lassen, was man in Ungarn nicht nöthig hat. Die gelbe und schwarze österreichische Farbe sieht man hier zum letz« ten Male. Oesterreich hört auf, und Ungarn, dessen Krone der Kaiser von Oesterreich trägt, beginnt, und damit hören denn auch die Vortheile der Ordnung und der Regelmäßigkeit, wie sie in Oesterreich herrscht, auf, und es beginnen freilich viele Vortheile der ungarischen Freiheit, aber auch viele Nachtheile der Art und Weise der Handhabung dieser Freiheit sich zu entwickeln. Sonst war dieß nicht so, vielmehr wurde gleich zu Anfang nach seiner Eroberung das ganze Banat einer militärischen Verwaltung, ganz ähnlich der der Militär-gränze, unterworfen. Diese Verwaltung organisirten der Prinz Eugen und der General Mercy. DaS ganze 152 eroberte Land, das zum Theil sehr entvölkert war/ wurde mehr oder weniger als für das Haus Oesterreich erworbenes Eigenthum angesehen (weshalb auch noch in diesem Augenblick die Krone Ungarn nirgends mchr Ka-meralgüter hat als im Banale). Viele Deutsche, Spanier und Italiener wurden berufen, das Land zu bevölkern (ebenso wie auch die Nömer unter Trajan aus Italien, Spanien und anderen Ländern schon ein' mal viele Colonieen hierher geführt hatten). Sie be» lehnle man mit Ländereien und schenkte verdienten Ge> neralen ebenfalls Güter, verkaufte auch dergleichen zu billigen Preisen. Deutsche und serbische Stadt-Ma< gistrate wurden in den zu Städten erhobenen Ortschaften eingesetzt, und diese erbauten sich Nalhhauser, sowie für die Soldaten überall Kasernen errichtet wurden. Mehre Canäle für Schifffahrt und zur Austrocknung der Sümpfe wurden gegraben, zu wiederholten Malen serbische, bulgarische und deutsche Kolonisten in's Land gezogen. CS wurde dann das Ganze mappirt, katastrirt, aUen Dörfern das Ihre genau ausgemessen. Der ganzen Verwaltung stand ein sogenannter „Präsident" vor, und übrigens war das Land nach deutscher Weise in Kreise getheilt, deren jeder einen Kreishauptmann an der Spitze hatte. Alles dieß geschah nach und nach in einem Zeitraum von ungefähr 60 Jahren, und die Leute im Va-nat nennen diese Periode die Zeit der „deutschen Verwaltung." Den Ungarn aber schien diese deutsche Verw^t-und eine Verletzung ihres alten Vesitzrechtes an diesen 153 Gegenden zwischen der Maros, Theiß und Donau, Welche die österreichischen Kaiser nicht als solche, sondern als Könige von Ungarn und nicht für sich ncu-erobert, sondern für die ungarische Kione zurückerobert hätten. Sie lagen daher der Kaiserin Maria Theresia schon lange an, das Vanat wieder mit dem Königreiche Ungarn zu vereinen und dort wie im übri» gen Ungarn die Verwaltung der Gcspanschaften und die Theilnahme dieser Gespanschaften an den ungarischen Reichstagen einzuführen. Gegen das Ende der Re< gierung dieser Kaisenn erlangten sie auch dieß Zuge-ständniß. Die deutsche Verwaltung, welche das Vanat allein zu dem gemacht hatte, was es geworden ist, die fruchtbarste und eine der bevölkertsten Provinzen Ungarns, hörte auf, der Präsident dankte ab (das Prä-sidentenhaus steht noch in Temeswar), und die Ungarn nahmen Besitz vom Vanat und theilten es nach alter, vortürkischer Weise in drei Comitate, das Temescher, Krassover und Torontaler. Aus jener deutschen Zeit aber stammen hauptsachlich die vielen deutschen Colonieen im Banat; daher kommt es, daß Tcmeswar mehr als irgend eine Stadt im ganzen östlichen Ungarn noch jetzt deutsch ist (ich erinnere dabei wieder daran, daß es auch ehemals, als Tibiscum, eine ebenso bedeutende römische Eolonie enthielt), und daher schreibt sich endlich auch noch die Anhänglichkeit dieser Deutschen in Temeswar und 'M ganzen Banale an jene alte deutsche Verwaltung her, welche das Land neu constiluirte, und unter welcher slch wohl entschieden die Bauern und Bürger wohler l54 befanden als unter der jetzigen Adelsherrschaft, die den Bürger und Bauer weniger achtet, als es die österreichischen Präsidencen/ welche von Mercy an fast lau-ter Deutsche oder doch wenigstens Nicht-Ungarn waren/ so Engelshofe n, Baron Lutzen, Fochtern, Graf Thierheimb, Villars, Clary und die Administrationsräthe Hildebrand, Knoll, La ff, Neumann ic. :c. In der Militargranze, wo der österreichische Kaiser allein der Grundeigenthümer ist (er hat das OdereigenchuM aller liegenden Güter), wo aller sonstige Grundbesitz nur Militärlehn ist, und wo ein Offizier außer eineM Obst- und Gemüsegärtchen nichts besitzen, ja nicht einmal ein größeres Grundstück in Pacht nehmen darf, giebt es keine Spur von grundbesitzenbem Adel. Sowie man aber die ungarische Gränze überschreitet, hört und sieht man überall gleich die „Grundherren" und ihre Herrschaften. Es ist vielleicht der Adel keiner europäischen Provinz so wunderlich zusammengesetzt wie der der drei ba-natischen Comitate. Ich will nur einige seiner Elemente bezeichnen. Zuerst giebt es allerdings unter ih-nen mehre der edelsten ungarischen Geschlechter, als z. B. Barhyany's, Szapari's :c. Ebenso sind auch hier viele deutsche adelige Familien besitzlich geworden, doch bilden sie die Minderzahl, und namentlich giebt es der ächten magyarischen Familien-Stämme, welche fast alle unter der türkischen Herrschaft erloschen oder vertrieben wurden, weniger als in irgend einew 155 anderen Theile des Königreichs. Ebenso auch hat man einige Geschlechter walachischen Ursprungs, z. V. die Iosika's, doch sind diese in der Regel schon seit alten Zeiten magyarisirt. Obgleich sich über eine Million Nalachen in Ungarn und Siebenbürgen befinden, und zwar in einem Theile des Landes, der als ihr maltes Stammland zu betrachten ist, so giebt es hier doch keine walachischen Bojaren, wie in der Walachei, Moldau, Bukowina und Bessarabien. Ich glaube, daß die alten edlen walachischen Geschlechter alle im Laufe der Zeit entweder ausgestorben sind, ober sich zu Magyaren umgebildet haben. Der Hauptstamm des banatischen Adels ist ein völlig neugeschaffener, es sind meistens Serbier und zum Theil auch Armenier. Diese letzteren, die Armenier, sind die großen Viehzüchter, sowohl in diesen Gegenden Ungarns als auch in den im Norden der Ma-ros liegenden Comitaten. Sie werden häufig sehr reich bei diesem Geschäfte, und da in keinem Lande der Adel leichter zu erwerben ist als in Ungarn, wo er zugleich auch mehr Prärogativen gewährt als in irgend einem anderen Lande, so kaufen sich solche Herren dann sehr gewöhnlich im Banate an und gehören dadurch zum Adel. Ganz etwas Aehnliches ist es mit den Serbiem, auch unter ihnen sind viele, die durch Viehhandel und andere Geschäfte außerordentliche Reichthümer erwerben, und sie pflegen sich jetzt seit langen Zeiten schon in dem Banate, welches durch die vielen seibi- 156 sckien Auswanderungen und Niederlassungen ein halbes Neuserbien geworden ist, anzukaufen. Diese so entstandene Classe serbischer Edelleute bildet entschieden die Mehrzahl im kanarischen Adel, und ihre Hauptstadt ist Temeswar. Auch der Fürst Milosch wollte sich nach dieser unter den auf österreichische Seite übergetretenen Serbiern herrschenden Sitte im Vanate ankaufen, was ihm aber bekanntlich nicht gestaltet wurde. Diese Ser» bier sind griechische Slaven, weshalb auch in ihren Zir< keln in Temeswar über den Sturz von Warschau keine große Betrübniß herrschte. Mein heutiger Kutscher dachte über die bcmatischen Fieber anders als der gestrige, welcher sie dem Obst-essen zuschrieb. C'r sagte, dieß ware Vorurtheil, die Fieber kämen von dem eigenthümlichen Wasser des Vanats her, vor Obst brauche man sich gar nicht zu hüten. Er legte mir daher ohne Weiteres einen gro-ßen Zweig mit schönen Zwelschen vor, die so dick waren wie Hühnereier. Ich hielt diesen Zweig in der Hand und dachte eben daran, wie Huysum oder Kuyp ihn wohl gemalt haben würden, als mein Kutscher wieder von Naki zu sprechen anfing, worüber der ganze Zwetschenzweig wir zuwider ward. Jenes feurige Gift weiß der Mensch im Schönsien und im Nützlichsten zu finden, hier findet er es in den Zwetschen, in Preußen in den Kartoffeln, in Schweden im Korn, in Frankreich in den Trauben, in Ostindien im Reis, bei den Kalmücken sogar in der Milch, dem scheinbar unschuldigsten Stoffe von der Welt. 157 Von den Deutschen im Banate horte und sah ich ebenso viel Gutes als von denen in der Vatschka. Sie bauen z. B. den beßten Taback, eine Pflanze, die sehr gepflegt sein will. Das Land, in dem sie steht, muß gut gepflügt werden, die Blätter muffen bei'm Trocknen sowohl vor dem Regen als auch von der oft zu starken und zu heftig trocknenden banatischen Sonne geschützt werden. Alle diese und nndere Pflege lassen die Deutschen dem Taback mchr angcdeihen als die Wa-lachen. Die Walachen halten am meisten auf ihre ^Kukurlisitzcde", d. h. auf ihre Maisfelder / denn der Kukuruz ist ihr Ein und ihr Alles. Die Aufspeicherung dieser vielgebauten Frucht hat hier eigenthümliche und, wie es scheint, sehr zweckmäßige Wirthschaftsgebäude hervorgerufen. Diese Gebäude, die man bei jeder walachischen Wohnung stehen sieht, und die auch bei den größeren gutsherrlichen Wirthschaften immer cinen großen Theil der Baulichkeiten einnehmen, heißen: „ku. kurualcara" und sind folgendermaßen eingerichtet. < Es sind bei den Bauern auf vier Pfählen etwas über den Boden erhabene und unter Dach gebrachte Scheunen, äußerst schmal (5 bis 6 Fuß breit) und ungemein lang (30, 40 bis 100 und 200 Fuß, je nach dem Reichthum des Besitzers). Sie sind über dem Boden erhaben, um Feuchtigkeit abzuhalten, und von Flechtwerk, da-wit die Luft durchziehen und die Sonne darauf ein» Wirken kann. Aus derselben Ursache auch find sie schmal und lang; denn in einem runden oder breiten Gebäude würden die frischen Körner der Kolben leicht 15» sticken. Diese Gebäude gleichen also in der Art und in dem Zweck ihrer Construction den Gradir-Mauern bei unseren Salinenwerken. Auf den Edelhöfen sind die Kukuruzkora's solider aus lauter schmalen Latten mit Zwischenraumen errichtet, und sie stellen sich hier oft von außerordernlicher Lange dar. Die Maiskörner dürfen nicht gleich, so wie sie reif vom Acker gearntet sind, wie anderes Getreide gedroschen werden, sondern sie müssen in dem Kolben selbst erst völlig austrocknen und nachreifen. Dieß thun sie in den Kora's, in denen sie oft den halben oder ganzen Winter, wie in einem Kasten übereinander gepackt, liegen bleiben, bis man sie dann im Frühling erst ausstampft. Mir scheint es, daß man in allm unseren maisbauenden Gegenden die Construction dieser nützlichen Bauten nicht kennt. Walachaner Schweine, Walachaner Ochsen, Wa-lachaner Büffel, Walachaner Schafe, die beiden erste« in großen Heerden, die letzteren in kleineren Partieen, waren auf dem ganzen Wege bis Lugos hin unsere regelmäßige Gesellschaft. Gewöhnlich waren bei jeder Heerde ein paar grausam und wild aussehende, aber gewiß unter Umstanden ganz gutmüthige Walachaner Menschen als Treiber und zuweilen außerdem noch, ein paar Servier zu Pferde, die Besitzer der Heerde selbst, oder ihre Kommissionäre, meistens jeder mit zwei bis drei Pistolen und einem Iatagan bewaffnet. Bei einigen dieser Heerden vernahm ich das Geläute einer Glocke, das lauter schöne Gedanken an die Schweizer-Alpen in mir auf- 159 steigen ließ, jedoch nur so lange, bis ich den Träger der Glocke zu sehen bekam, welcher gewöhnlich keine behagliche, mit Blumenkränzen geschmückte Alpenkuh, son-bern ein großes, grunzendes Mutterschwein war, dem die übrige Heerde von Grunzern folgte. Außer dieser Glocke Müssen die Walachaner aber auch sonst noch allerlei Kunststücke anwenden, um ihre Heerde in beständigem, willigen Marschir-Humor zu erhalten, ^ der vorangehende Treiber lockt, trillert, schreit, zwitschert, pfeift und ermuntert beständig. Die Sckweme mögen sich daran gewöhnt haben, und es mag wohl ohne dieß Hallo nicht von Statten gehen. Vielleicht denken sich die Hirten aber auch dergleichen nur aus, um sich selber damit zu amüslren. Wie unzählig virle „Rostbratcln" und „Schweinscoteletten" ließ ich hier nicht am Wege, derentwegen man noch einmal in Pesth oder Wien den Wirth beloben undsagen wird: ,/AH,IhrFleisch ist ausgezeichnet, Herr Wirth!" wie unzählig viele andere, derentwegen man dem Kellner ein schiefes Gesicht machen und rufen wird: „Kellner, nehmm's aweck, 's isch so hart, das Rostbratl, man verbeißt sich die Zahne schier drauf!" Eine dieser Hcerden hatte hier kürzlich den Ruß-berger Eifenherren einen argen Streich gespielt. Sie hatte dle ganze schöne Lugoscher Eisenbrücke zusammen-gerissen, die wir nun jammerlich zerbrochen im Flusse liegen sahen und neben der wir durch's Wasser passen mußten. Dieß war so zugegangen. Eine Heerde scheuer Süffel war eben im Begriff, diese Brücke langsam zu überschreiten, und einige von ihnen waren bereits auf 160 dem jenseitigen Ufer angekommen, als ein kleines Hündchen vor ihnen aufsprang und sie anbellte. Die Vor' decmanner wichen scheu vor dem Hunde zurück, und dieser folgte bellend nach. Die Vordermänner drängten auf die Hintermänner. Durch das entstehende Getrampel auf dcr Brücke mochten sie alle noch wirscher werden, und kurz, die ganze Heerde kam in der Mitte der Brücke in einem wilden Gedränge und verwickelten Knoten zusammen, den die Hirten nicht schnell genug lösen konnten. Die Last wurde der Brücke zu groß, sie brach, sank, und alles todte Eisen und all die lebendigen Büffel polterten mitsammen in den Fluß hinab» Da sah man recht, auf wie außerordentliche Falle man bei allen Werken und Unternehmungen im Leben gesaßt sein muß. Mehre Büffel wurden bei dieser Gelegenheit erschlagen, andere so schlimm zugerichtet, daß man ste schlachten mußte, und Lugos und die Umgegend hatte in diesen Tagen sehr billigen Büsselbraten auf der Tafel. Einige behaupten, die Brücke sei falsch construirt gewesen, und dieß trage die Schuld des unerfreuliche" Ereignisses — Andere sagten, das Comitat, von wclchew das Holz geliefert worden, habe schlechte, feuchte und bald verfaulte Balken gegeben und müsse die Zeche bezahlen — wieder Andere wollten den armen Büffelhirten zu Leibe, die ihr Vieh geschickter hatten treibe« sollen — und Etliche suchten den Besitzer des Hm'des zu entdecken, der die nächste Veranlassung gegeben. I^ möchte wohl wissen, wie dieser gordische Knoten von Proceß noch entschieden wurde. 161 Bei Lugos ziehen sich einzelne kleine Vergzweige in die Ebene hinab und verlaufen sich ganz allmählig 'n derselben, in äußerst unmerklichen?lbstufungen immer nur ein Weniges niedriger werdend, bis sie endlich völlig mit der Fläche verschmelzen. Ucbrigens zieht sich in einem größeren Vogen noch ein Hauptast der sie-benbürgischen Alpen weit um die Stadt herum und läuft dann erst im Norden von Temeswar zwischen der Temes und der Maros ebenfalls äußerst allmählig, von hohen Bergen zu niedrigen, von Bergen zu Hügeln, von Hügeln zu Dünen, von Dünen zu noch unmerklicheren runden Buckeln und endlich zu völlig egalen Flächen absteigend. In dem Wirchshause von Lugos kam uns^ kein Kellner entgegen — wir mußten lange pochen, ^stampfen und schelten, bis sich Jemand zeigte, der uns bewillkommnen wollte, — die Thüren der Zimmer waren mit doppelten Schlössern verrammelt, wie wir cs bei unserem ersten Eintritt in Ungarn in Eisenstadt fanden. Es war uns dieß in der Militargränze nirgends vorgekommen. Wir hatten dort vielmehr überall gute Bedienung, reinliche Wirthshauser und treffliche Speisen gefunden. Es müßte wunderlich zugegangen sein, wenn das cin bloßer Zufall gewesen wäre. Lugos theilt sich in Deutsch-Lugos und in Wa-lach'sch-Lugos. Dieß ist hier im Banat mit mehren ^«en der Fall. Ja ich werde später noch Gelegenheit ^ben, zu zeigen, daß auch viele Dörfer so eingerichtet sind, daß auf der einen Seite der Straße '" 11 IS2 Deutsche, auf der anderen Walachen oder Serben woh< nen. Eine der verbreitetsten Familien in Lugos ist die Familie „Deutsch." Ich sah diesen Namen häusiger als irgend einen anderen. Ich sollte eigentlich von Lugos nichts als nur Schönes und Gutes sagen; denn ich fand hier so lie« benswerthe und so sehr von mir verehrte Menschen, mit denen es mir vergönnt ward so äußerst angenehme Stunden zu verleben. Doch glaube ich, daß diese einen Fremdling so freundlich willkommen heißenden Menschen Lugos selbst, wenn auch gerade nicht für einen verächtlichen, doch auch eben nicht für den reizendste« und lieblichsten Aufenthalt halten, den sich ein Mensch wünschen könnte, und in dieser Voraussetzung thue ich meinem Urtheile keinen Zwang an. Mich weckte am anderen Morgen in Lugos das Ketten' geklirr von Verbrechern, ein unleidlicher Klang, der aber in den ungarischen Comitatsstadten ein sehr gewöhnlicher ist, T^e Verbrecher werden in diesen Städten nämlich theils zu allerlei Arbeiten für die Conütatsbeamtcn verwandt, theils ist es ihnen auch erlaubt, aber nie ohne ihre Ketten, in die Privathauscr zu gehen und sich durch ^ beit einige Pfennige zu verdienen. Sie klirren daher überall auf den Straßen herum, und ich sah sie selbst Abends ohne Aufsicht ihre Kelten schleppen. Ich ""' stehe keine Sylbe davon, warum man nicht >n Ungarn eine andere und bessere Gefängniß-Ordnung einführt, als diese ist, welche fortwährend mit Ketten be- 163 lastete Räuber und Banditen in die Gesellschaft ehrlicher Leute führt. Durch dieses Kettengeklirr wurde ich am folgenden Morgen, wie gesagt, geweckt. Es war ein Sonntag, und ich besuchte die verschiedenen Kirchen des Orts, die katholische und griechische. Die letztere nennt man hier die „illyrische" Kirche. Das Wort „illyrisch" scheint dem Reisenden in diesen Gegenden ein wahres (Chamäleon zu scin, eine höchst schwankende, unbestimmte und unsichere Benennung; denn es werden unter dem Namen „Illyrier," den sich alle, als einen berühmten und edlen Volksnamen, gern gefallen lassen und soviel als möglich zueignen, während sie zugleich die Benennung Naizen und andere Spottnamen ungern hören, nicht nur die Bewoh' ner eines gewissen Landes (des alten römischen Illyricums) verstanden. Der Name geht jctzt vielmehr weit über die Gränze dieser Provinz hinaus. Auch nicht blos die Glieder eines gewissen VolkZstammes werden mit diesem Namen bezeichnet; denn die Walachen, die auch zur illyrischen Kirche gehören, haben nichts mit den Slaven zu thun. Auch werden endlich darunter nicht durchweg die Mitglieder einer und derselben Kirche verstanden, denn die Kroaten nenncn sich vor allen Dingen Illyrier und sind achte Katholiken, wahrend d>e illyrischen Serbier der griechischen Kirche angehören. Der Name Illyricr ist also weder eine genetische, noch eine geographische, noch cine Religions-Partei'Benennung. ->!ch habe mich bemüht, darüber in's Klare zu kommen, und mir scheint Folgendes das Nichtige. Der Name Illyrier ist nie ganz außer Gebrauch 11* 164 gekommen. In Oesterreich hat man damit von jeher mehr eine Kirchenpartei bezeichnet, und zwar die griechische. Und in dieser Beziehung hat man von der illyrischen Kirche gesprochen und auch von den illyrischen Nationen / worunter man alle diejenigen verstanden, die lm Südosten der österreichischen Monarchie der griechischen Kirche zugethan sind, mögen sie Serbier, Wa-lachen oder Slavonier sein. Seit langer Zeit bestand daher auch in Wien eine eigene Hofkanzlei ,,!n lil^i-icis" (in Angelegenheiten der griechischen Kirche). Ebenso nannte man auch die Versammlungen der walachischen, scrbi-schcn und slavonischen Deputirten zur Wahl eines neuen Erzbischofs oder Metropoliten den „illyrischen National-Congreß." In neuerer Zeit aber, besonders seit N^ poleon wieder ein illyrisches Königreich aufleben ließ, ist der edle Name „Illyrier" in noch größere Achtung und Mode gekommen, und jetzt will man dem Worte blos eine genetische Bedeutung unterlegen und den gaN-zm südöstlichen Stamm der Slaven / wie wir scho" oben naher ausführten, so nennen, und in diesem Sinne gehören dann die Walachen nicht dazu. In der illyrischen Kirche fand ich ein paar Pl^ .jaschtschen in prächtiger Kleidung, viele walachische Männer festtäglich angethan und mit- frommen ehrfurchtsvollen Mienen. Die Einrichtung der Kirche, das Ikonostas, die Art sich zu bekreuzen, die Bilder zu küssen, das 7,s."5l>s,«U pmn'ilüi," der ganze Hergang der Messe, das Aeußcre der Priester, dieß Alles war gM ebenso wic in den griechisch-russischen und wie über- 165 Haupt in allen griechischen Kirchen. Einige Verschiedenheiten sielen mir aber doch auf. Die Melodieen der Gesänge schienen etwas anders zu sein. Auch ging der Priester während des Gottesdienstes durch die mittleren königlichen Pforten des Ikonostases aus und ein, was er in Rußland für gewöhnlich nicht thut. Dann bemerkte ich nicht, daß die Leute auf die Erde niederfielen und mit der Stirne den Boden schlugen. Besonders auffallend aber war es mir, so ungleich viel mehr Männer als Frauen in der Kirche zu finden. In der katholischen Kirche, die ich darnach besuchte, war dieß umgekehrt. Ich glaube, daß durchweg in der ganzen griechischen Kirche die Manner mehr an dem Gottesdienste Theil nehmen als bi? Frauen. In der griechischen Kirche standen die Männer alle vorne an und bildeten die mittlere Masse der Versammlung; die Frauen aber waren mehr hinten zerstreut. Auch dieß war umgekehrt in dcn meisten ungarischen katholischen Kirchen, die ich sah, in denen immer die Frauen vorn und in der Mitte in Masse zusammensaßen, während die Manner hincen an den Mauern, vor den Thüren und in den Gängen vertheilt waren. Auch diese Gruppirung des Publicums in den verschiedenen Kirchen hängt gewiß mit dem Charakter beider zusammen. Die griechische Kirche ist eine Männcrrcligion, die katholische, welche die Mutter Maria so hoch stellte, hat weit mehr dem tiefreligiösen Sinne, der in dem Wesen des Weibes liegt, gehuldigt. Daher giebt es w der katholischen auch wcit mehr heilig gesprochene Frauen als in der griechischen, im Ganzen, glaube ich, 16S wenigstens drei Mal so viel. Auch Nonnenklöster giebt es deshalb bei den Katholiken mehr als bei den Griechen. Es bezeichnet dieß außerordentlich stark den gewaltige« Unterschied des Geistes, der in beiden Kirchen waltet. Die illyrische oder griechische Kirche ist in diesen Gegenden, wie in der östlichen Militargränze, noch immer die entschieden herrschende. Denn es kommen in der Krafsoer Gespanschaft, zu welcher Lugos gehört/ auf 156.000 Griechen 15,000 Katholiken und nur 80 Protestanten. Dicß Verhältniß ändert sich in der Linie, in welcher wir gegen die Theiß hin vorschreiten, bedeutend. Der Griechen werden immer weniger, der Katholiken und Protestanten mehr, wie sich dieß aus folgender Uebersicht der von Osten nach Westen hin bis zur Theiß neben einander liegenden Comitate zeigt. Das Verhältniß der drei verschiedenen Kirchen^ Parteien stellt sich so: In der Krassoer Gespanschaft kommen auf 1000 Gr. 100 K. i Pr. In der Tcmcscr — — 1000 - 300 - 20 < In der Toronthaler — — 1000 - 500 « 60 ' In der Tschongraoer oder Szegcdmer Gespanschaft —- 1000 Gr. 30000K. 11000 P. Man kann noch mehre solche interessante Linien durch Ungarn verfolgen und zwar so: Es laßt M dieses Land als ein Viereck mit vier Zipfeln auffassen. Der südliche Zipftl, in dem wir uns befinden, del Zipfel der Walachen und Serbier, ist der Sitz der orientalischen Kirche, — die nordöstliche Partie, der "lte Wohnplatz der Magyaren,^ hat den Kern der reformirten 167 Bevölkerung, — in dem nordwestlichen Ende, dem Lande der Slowaken, befinden sich die meisten Lutheraner — und in dem südwestlichen Viertel, im Gebiete der Kroaten, herrscht der reinste Katholicismus. Auf den Linien, welche alle die extremen End' Puncte mit einander verbinden, laßt sich ein allmahliges Aufsteigen der einen, sowie eine fortschreitende Abnahme der anderen Kirche nachweisen. Beispielsweise wollen wir nun einmal zwei Linien, die uns in diesen Gegenden besonders interessiren, näher angeben, nämlich diejenige, welche von dem südöstlichen Griechenthum nach Westen durch die ganze Mi» litärgränze zum kroatischen Katholicismus geht, und dann die, welche nach Norden zum magyarischen Cal< vmismus aufsteigt. Auf den verschiedenen Puncten der ersten Linie stellen sich die Religionsparteim so dar: In d. banatischen Gränze kommen auf !000 Gr. 100 K.33Pr. Ind. slavonischen Gränze — — <— , 1000 - 30 » Kn d. kroatischen Gränze — — — « 1100- ^-In Kroatien selbst (dem Agramer Comitat) — — — - M,000 - 0, Auf der zweiten Linie nach Norden zum Calvinismus hm verandern sich die Neligions-Vechaltnisse nach folgender Proportion. Auf 1000 Griechen kommen: 'm Banat (Temeser u. Krassoer Eomtt.) 200 Kathol. 10H Pr. " der Arader Gcspanschaft 160 - 60 « mderGroßwardeinerGespanschafr 160 » 1200 ' w der D«br«tzin«r Gespanschaft 140 . 1000 « 168 In der Stadt Debretzin selbst kommen auf 42,000 Einwohner 38,000 Protestanten, 4000 Katholiken und nielleicht einige hundert Griechen. Wir haben hier bisher unter den Protestanten die Reformirten und Lutheraner zusammengenommen. Trennt man sie, so zeigt sich die große Ueberzahl der Reformirten in dem nordöstlichen magyarischen Theile des Landes, wo oft auf 1000 Neformirte ein, zwei oder drei Lutheraner kommen, während, wenn man von hier zum nordwestlichen slowakischen Theile übergeht, die Lutheraner im Verhältniß zu den Neformirten so zunehmen, daß umgekehrt auf 1000 Lutheraner oft nur 50, oder gar nur 2 oder 1 Reformirter kommen; z. V. die Preßburger Gespanschaft hat: Lutheraner: 18000, Neformitte: 2000, Prop. 1000:100; die Neutraer Gespanschaft hat: Lutheraner: 17000, Neformirte: 3000, Prop. 1000:60; die Trentsiner Gespanschaft: Lutheraner: 21000, Reformirte: 20, Prop. 1000:1*). Am Morgen gchen die Walachcn in die Kirche, am Nachmittage zum Tanz oder, wie sie es nennen, zum ,,I)5c1io1<»." Dznnoku (italienisch 6i,wc<») heißt eigentlich das Spiel, vorzugsweise aber das Tanzspiel, woher auch llsckokare tanzen heißt. Sie nennen übri- . ^) Wir haben alle die oben stehenden Verhättnißzahlei, nacl, Hletzlnger lIahr 1820) und nach cmer unaanschen Statistik von Mag da bestimmt. 169 gens auch den Tanz „vanxio" und tanzen „v»h" (nach der Mode tanzen) und „M88ich" (nalionalisch tanzen). Es ist dieß übrigens noch mit vielen anderen Völkern der Fall. Es ist höchst merkwürdig, daß dieses deutsche Wott Tanz auch durch das ganze übrige Europa geht. Englisch, französisch: cwucL, italienisch: als wenn die Winzer Trauben austreten. Ebenso machte es auch die Dame. Sie näherten sich trippelnd ein wenig, ebenso entfernten sie sich wieder. Dieß ging unermüdlich oft fünf Minuten lang ohne Variation so fort, und wenn man bedenkt/ daß das, wie ich sagte/ 40 bis 50 Paare so thaten, so kann man sich ungefähr eine Vorstellung davon machen, wie komisch das aussehen mußte. Nach fünf Minuten aber ergriffen die Tänzer ihre Damen, schwenkten sie hin und her, oder im Bogen herum und bewegten sich dann auch mit ihnen wohl von der Stelle durch das Gewirr der übrigen hin, bis das Trippeln und Schaukeln auf einem Flecke wieder ansing. Einer der Tanzer, ein recht flotter Bursche, zeich« nete sich vor allen anderen aus; er hatte seine Jacke ausgezogen und zeigte in ihrer ganzen Pracht eine Wests mit silbernen Knöpfen. Vorn im Gürtel hing ihm sein hübsch gesticktes Schnupftuch lang herab und wehte in der Luft wie eine Flagge (wie die ketten mit den Hand' tüchern, so machen die Walachen und Ungarn mit den Schnupftüchern Parade). Dabei schnalzte er zuweilen mit dem Munde, begleitete die Musik mit lauten Ausrufungen, Gesang und improvisirten Scherzen. 6k schwenkte seine Tänzerin hin und her, ergriff sie, ließ sie los, ergriff sie wieder, hob sie ein wenig vom V^ den, kurz bearbeitete sie auf die manchfaltigste Weise- Sie, die Tänzerin, eine junge Walachin, hatte eine 171 hübsch bordlrte Schürze vor, an welcher am Rande hin die Gold- und Silberfädchen schimmerten. Ohne Zweifel hatte sie dieselbe selbst gestickt llnd nicht, wie ls jetzt wohl, wenigstens in den walachischen Städten, Mode wird, bei einer Putzmacherin bordiren lassen. Auf ihrem Kopfe lief die Scheitellinie der Haare nicht witten über das Haupt, sondern, von den beiden Schläfen angefangen, rund um dasselbe herum, eine Art von Abtheilung der Haare, wie ich sie bisher noch nicht gesehen hatte, wie sie aber bei den hiesigen Walachin» nen ganz üblich ist. Der obere Haarschopf war zu einer dichten Flechte vereinigt, ebenso auch der untere Haarzops. Die untere Flechte war die stärkere und schlang sich schief um den Kopf herum, so daß es aussah, als wenn sie nachlässig auf eine Seite herabsiele. Die obere Flechte dagegen lag in einem Kreise gewunden ganz horizontal und gerade auf dem Scheitel. Zwei Flechten auf diese Weise zu vereinigen, dich ist bei den Walachinnen Mode, und wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so muß ich sagen, daß mir in dieser Vereinigung des Schiefen und Geraden ein großer Reiz zu liegen schien. Ich erinnerte mich hierbei des russischen Zweigespanns, bei welchem ein Pferd im Trabe geradeaus läuft, wahrend das andere im Galopp und zur Seite gebogen daneben springt. Ich weiß nur nicht zu sagen, woher es kommt, daß wir eine gewisse Abweichung von der Regelmäßigkeit so schön finden, wie es i- B. zu erklären, daß die schief aufsitzende Mütze einen "«strich von Poesie und Genialitat giebt und diese 172 schiefe Flechte der Walachinnen einen so großen Neiz hat. Die Walachinncn halten auf die beiden dicke» Haarflechten, welche ihr Haupt umschlingen, so viel/ daß diejenigen sogar, welche nicht von Natur hinreichenden Haarwuchs haben, sich eine falsche Flechte machen lassen (ebenso wie die Russen bei jenem Zweigespann ihren Pferden falsche lange Mahnen einbinden). Diejenigen, welche weder Haare, noch auch Geld genug haben, sich diese zweite Flechte anzuschaffen, begnügen sich natürlich auch mit einer, doch ist dieß dann immer die schief auf einem Ohre liegende. Gewöhnlich also, sage ich, war es so, daß die verschiedenen Paare einzeln durcheinander tanzten, und dieß, sagten sie mir, sei der eigentliche „Dsclwkll". Zuweilen aber auch faßtm sich mehre Paare (4, 5 u. 6) zusammen an und bildeten Neigentanze, die sich im Kreise herumdrehten und zusammen das ausführten, was frü' her jedes einzelne Paar für sich bargestellt hatte. Die' ser Kreis-, Reihen- oder Gürteltanz heißt im Walach' ischen „Kola". Eigentlich bildet bei diesem „Kow" die gewöhnliche Musik der Walachen, der Dudelsackpfeifer, den Mittelpunct, um den sich Alles herumbewegt» Hier, wo die Musik ein ganzes Chor war, siel dieß weg. Sie gaben sich dabei die Hände. Uebrigens haben sie auch eine Art von Kolo, „der Kolofchären-tanz" genannt, den gewöhnlich blos Manner aufführen und bei welchem sie sich nicht die Hände reichen. Dabei hat jeder gewöhnlich einen großen Hirtenstab in der Hand, dessen er sich wie der Bar bei'm Tanze bedient. 173 Der Dudelsackpfeifer steht bei diesem Koloschärentanz in ber Mitte. Die Tänzer führen mit ihren Stäben (die zuweilen auch durch Veile ersetzt werden) allerlei seltsame Bewegungen aus, schreiten von allen Seiten gegen den Dudelsack vor, fahren in verschieden gerichteten Radien Wieder auseinander und gehen im Kreise rechts und dann wkder links herum. Dieser Koloschärentanz kommt besonders bei den Walachen in den siebenbürgischen Alpen vor. Außerdem haben sie aber auch noch andere Tänze; Mir wurden noch genannt die „Xr^ronka", dann „Ann-wncsciiU" und „K:tt.-n.<^cl,t;", d. h. „auf gebirgisch" und „auf soldatisch", doch kann ich sie nicht naher beschreiben, weit ich keine deutliche Vorstellung von ihrer Weise erlangte. Auch einiger hübscher Oelgemalde muß ich noch erwähnen, die ich hier in Lugos zu sehen Gelegenheit hatte, weil sie Gegenstände darstellten, die namentlich für die Gegenden, in welche ich nun hineinreise, für die ungarischen Flachlander, charakteristisch waren. Beide Gemälde waren von einem österreichischen Maler Namens Prestel und beide ganz aus dem Leben der hiesigen Natur- und Menschenwelt gegriffen. Das eine stellte einen Theil der ungarischen Steppen dar, eine breite, unabsehbare wüste Fläche, über welche bereits der Schleier der Abenddämmerung herabgesunken ist. Ein trüber, Uef niederhängender Wolkenhimmcl vermehrt noch die F'nsterniß, und nur vom fernsten Horizonte schimmert ein le'ser Lichtstreifen. Im Vordergrunde reitet die Haupt« 174 sigur des Bildes/ ein „I'scklkogcli" (ungarischer Pferde» Hirt) auf einem wilden rauhhaarigen Thiere im ge" streckten Galopp vorüber. Ein junges Kalb liegt blökend und schreiend vor ihm quer auf dem Pferde, er halt es fest wie ein Wolf seine Beute. Seinm Hut hat er tief in's Gesicht hinabgedrückt, und indem er sein Pferd anspornt, blickt er scheu rückwärts, um zu sehen, ob nicht Jemand den Rauber verfolge, denn er hat sich in dieser Dämmerung die Zeit ersehen und jenes Kalb nach der Weise der Tschikosen, welche sich wie die Falken meistens von kühn im Fluge erhäschtem Fleische nähren, gestohlen. Das andere Bild stellt ebenfalls einen Theil der ungarischen Steppen dar und darauf ein Wettrennen lvalachischer und ungarischer Bauern. Man sieht mehre ihrer Wagen in der Ferne auf der Flache kreisen. Einer davon ist mit 15 Pferden bespannt, die zu 2, 3 und 4 neben einander geschirrt sind und alle im Lauft mit dem großen Wagen durchgehen. Nebenbei cara« coliren die kleinen Füllen. Einer der Wagen, ich glaube, ein ungarischer, mit vier Pferden bespannt, kommt allen voraus. Die Peitschenhiebe fliegen von der Rech' ten und Linken herbei, der Staub wirbelt in die Höhe, der Kutscher beugt sich mit Ermunterungen vorn über seine Pferde hin, auf seinem hopsenden Sitze balanci-rend, die vier Pferde scheinen aber im Begriff, jUt" Bilde heraus und in's Zimmer hinein zu springen, denn der Maler hat das ganze Viergespann gerade von vorn aufgefaßt und die Pferde sämmtlich mit der Brust und 175 Stirn, eine nicht leichte Aufgabe, gegen die Zuschauer gerichtet. Da gar kein Boden mehr als Vordergrund Klassen ist, so macht dieß einen sehr lebhaften Eindruck, dessen Ausführung dem Maler vortrefflich gelungen ist. Ich weiß nicht, war es der Eindruck, den diese lebhaften Steppenbilder auf mich gemacht hatten, oder war es die Vesorgniß vor dem Eintritt in diese einförmige Steppe, der mir nun bevorstand, ich verließ die Berge so ungern, daß mir unterwegs immer so zu Muthe war, als müßte ich mich an jeden anklammern; ich sage, ich weiß nicht, war es dieß oder war es sonst etwas, genug, ich hatte in der folgenden Nacht in Lu« gos eine wundervolle Täuschung, die mir Bilder hervorzauberte, welche im geradesten Contraste mit den ge' schauten Steppengemälden standen. Ich erzähle dieß natürlich nicht, weil ich glaube, daß der Leser verpflichtet wäre, auch von meinen Träumen Notiz zu nehmen, sondern nur weil mir die Sache in psychologischer Hinsicht interessant war. Ich wachte mitten in der Nacht "Uf, und zwar dießmal als Ausnahme in Ungarn nicht von Flöhen geweckt, sondern von einem wunderschönen Gesänge, dessen Töne so reizend, so melodisch durch die Luft sich schwangen, daß ich nicht unterlassen konnte, an's Fenster zu treten und sie näher i" belauschen. Ich sah hinaus und erblickte einen großen Strom, die Donau, auf dem ein kleines Schiff' Am schwamm, in welchem die Sänger, eine hübsche Uialachin und ein Walache, saßen. Gegenüber sah 176 ich deutlich das serbische Ufer, die hohen dunklen bewaldeten Gebirge, in denen mir hier und da einige Feuer zu schimmern schienen. - Kurz, mit einem Worte, ich war wieder bei Plawischtschewiza in der Clissura. Mein erster Gedanke war, ob wohl unsere Damen bei dem walachischen Popen ruhig schlummern möchten. Daß ich meinen Franzosen und den österreichischen Gränz-posten nicht bei mir fand, wunderte mich in dem ersten Augenblicke nicht, denn mich entzückte wieder der reizende Gesang, der auf der Donau so himmlisch dahinfloß. Ich horchte ihm lange zu und genoß der wun-decherrlichen Aussicht, indem ich deutlich verspürte, wie die Poesie und die bedeutungsvolle Nomantik dieses welthistorischen Thales mir zu Herzen ging und zauberisch durch's Vlut rieselte. Ich schwelgte in diesem Genusse wenigstens einige Minuten. Auf einmal aber verstummte der schöne Gesang, und damit schwand auch meine Illusion. Ich rieb mir die Stirn, sah noch einmal scharf und deutlich hin und gewahrte, wie der Donaustrom stockte und zu der breiten Lugoscher Straße erstarrte, die vor meinem Wirthshause hinlief, und wie es nichts als die gegenüberliegende Reihe von Hausern war, was ich für das serbische Gebirge gehalten hatte» Auch hatte ich noch Zeit genug, zu erkennen, daß ein kleiner walachischer Vauerwagen, auf dem wahrscheinlich zwei singende Marktleute gesessen hatten, gerauschlos auf der sandigen Straße um die Ecke bog. Ich hatte diesen Wagen für eine Gondel genommen. Etwas enttäuscht legte ich mich zu Bette, obgleich mir der W7 besang noch immer in den Ohren klang. Das Merkwürdigste dabei war mir dieses herrliche, überirdische Gefühl, das mich bei dieser Tauschung überströmte und das mich auf eine noch viel wohlthuendere und mir Noch weit unvergeßlichere Weise ergriff als damals bei dem Anblicke der Wirklichkeit selbst, obgleich auch diese wich zu entzücken nicht verfehlt hatte. Weder später "och früher habe ich je eine solche liebliche Täuschung erlebt, da ich gar nicht zu Träumereien und Visionen geneigt bin. Vielleicht führte der reizende Volksgesang das Ganze herbei, und ich war von nun an darauf bedacht, Mir wo möglich noch einige walachische Volkslieder zu verschaffen. Ich setzte mich deßwegen in der Folge mit einigen WcUachen in Korrespondenz, doch eihielt tch nichts, weil Krankheit und andere Umstände sie an Sammlung dieser Volkslieder hinderten, so gut auch der Wille war, mir zu dienen. Nur von Lugos aus erhielt ich spater durch die Vermittelung eines verehrten Bekannten zu meiner größten Freude ein noch ungedrucktes wa-lachisches Lied, welches ich hier, wo ich nun bald von der Walachei Abschied nehmen muß, hersetze, indem ich bann noch einige Bemerkungen darüber beifügen will, da es in vieler Hinsicht höchst interessant ist. Ich kenne freilich nicht die näheren Umstände, unter denen bleses Lied aufgezeichnet wurde, auch weiß ich nicht, 'vte und auf welche Weise es im Munde des Volkes tbt, d. h. ich meine, in welcher Gasse des Volkes es zu Hause ist, und wie weit es unter ihm verbreitet 178 ist, von wem und bei welchen Gelegenheiten es gesungen wirb. Allein es ist mir als ein Volkslied, das aus dem Munde der Leute genommen sei, bezeichnet worden. Ich habe es durch die Sorgfalt meines dortigen Gönners sowohl in walachischer als auch in einer an Ort und Stelle verfertigten deutschen Uebcrsetzung erhalten. Ich gebe diese wörtliche Uebersetzung, die von einem des Deutschen kundigen Walachen herrührt. Das Lied ist eine Elegie der Nachkommen der römischen Colo-nisten in Dacien, über den Untergang des römischen Reiches. Die strahlende Sonne, von Wolken ist sie überzogen. D«s romanischen Geschlechtes Hohheit ist gesunken. Einst vielleicht könnte es einmal wieder heiter weiden, Denn der romanische Strahl erlosch nicht auf immer. Es war dereinst, ja cs war ein schr großes Volk, Der romanische Zweig, er war der breiteste unter dcr Sonne, Es waren bei ihm die tapfersten Männer unter allen Nationen, Da unter den Waffen der Romanen die ganze Welt erstufz^' Heut zu Tage was sind sie? Jammer und Trauer! Wehmüthig seufzen sie unter fremden Zungen! Wohin ist Roma, das durch romanisches Blut So viel vertheidigte, das nun aber klagende? Das Vaterland, das theure, wir haben es verloren; Das Schwert der Feinde hat cs uns cntriffm. Weinet daher, weinet, ja weinet wehmüthig! ? Denn was Ihr bereits verloren, wird es je wieder gefunden- Weinet auch, ihr Gebeine, ihr Gräber der Römer, Ueber uns Fremdlinge in fremden Gebieten. Beweinet eure nachgcborcnrn Enkel, Die im fremden Lande verfolgt werden von Allen. Weinet, ihr Tochter und Sohne, ihr würdigen Sprößlinge Aus des großen Romulus erlauchtem Stamme. Hebet bis zum Himmel die Klage der Wehmuth, 179 Denn der romanische Ruhm ist auf ewig verschwunden. feinet auch ihr, ihr Hügel und Berge in Trauer, ^hr Bäche und Quellen in das Thal hernieder, Auch ihr kleinen Vögel hört nimmer auf, At uns insgemein die Traucrklange zu singen. ^ußcs Italien, du schönstes der Länder! ^! wie habcn dich die Feinde von uns entfernt! Aü mehr wirst du haben solche Helden in Waffen, Aü es waren die Römer, deine ächten Sohne. ^l'e mehr wirst du sehen ein römisches Heer, ^'n Triumphe marschircnd aus dem Reiche der Griechen. ^le mehr sehen die Hirten auf fetten Weiden herumgehen, jugendliches Vieh zur Hcimath fröhlich treibend. ^u mehr ertont in den Hainen dic Flöte, "u mehr tanzet die Stora das römische Mädchen. ^ du eitle und gebrechliche Welt! ^"n ganzer Ruhm ist vergänglich, ^a römische Pracht und römische Herrschaft Zurren konnte wie Gras, welken konnte wie die Blume. Für diejenigen, welche das interessante Gedicht mit kw Originale veraleichen mochten, setze ich letzteres ylerher: z**'e fotsitul Szoare tie Nori sze kuprinszc; A Gjntei Romane Merirea sze sztinsze. *oate vre oclate Kzcriii iar «ze fie; ivets Romaha Raze nui Sztinsze in vetsie. Josztan oare konilra, fosztau Ginte mare, Komana mleditze mai Iata szub szoare. Jo^ztau intre Niamnri mai vitcze gloat*, Ke.t szubt alor anno, gyp.inia lamia toate. ar tse szunt iei asztez, Zsalo si intrisztare, T s*"l> »ztrfiine Linibe SyKm ku «znperare. MC! ma karia ')r'" Hoinamil szingye, Mult fn a|i«ratc, iar akumaplingyc. 1 Htna uibito iate 6 am perdnto, szalna Duzsmani din Mini niaa repito. icngyetz dare plengyetz, pleiigyetz ku intricztare Kets tse atz picrdut >oi, nuniai are a flare 'mgyetz schi voi oäsze, Romane Mnrmunturi Pre noi kari szuntein sztreim in peinuntnri 12* 180 Plingyotz pre ai vostri nrmetori nepotzi kari in tzeri sztrcinc sze goneszk de totzi Plingyetz fti si fete din merita vitze A mareliii Romnl viteze nileditze Glasz cle tinguirc datz pcnla tzer szusz kets szlava Romane in vets an apusz. Plingyetz si voi dialuri voi muntz ku zsale Riuri achi szvoare tse kurgyetz [n-e vale Nitsi voi paszcruikc nu vetz iutscta ku noi ipreune Z.salnik a kenta, Italia dultsc pria sormoasze tzare, Oh 1 kutnte Duzsmanii de noi depertare. Nuvei mai avo. tu vitezsi in Armatz, kum an soszt Roniani fii adeveratz. Nu vei mai ave tu vaszte Romenyaszko, viind ku triinnfuri din tzara gretsaszke Nits pre kempuri grasze pesztori preiimblind Jurme tinerele la sztan adukcnd. Nnva szuna in kodru mai mult fluoritza Nits va szalta stora Romana fetitza 01» Lunie desarte si in schele toare? Joate ata merire iaszte treketdäre Kum Romana laude si Doinnia mare, sze uszke ka iarba, vestozi ka floaria. Das Original hat Reime, die ich im Deutsche" nicht wiederzugeben versucht habe, um nicht der Wo^ lichkeit der Uebersetzung zu schaden. Mir wurde es ohne Ueberschrift zu Theil; die Ueberschrist, die ich >hw gegeben habe, bezeichnet genau seinen Inhalt, der l der That die merkwürdige Erscheinung bestätigt, baß sich noch eine römische Klage, ein romisches Heimwed durch die ganze bunte Geschichte der Rumunier bis auf unsere Tage herabzieht. Unwillkürlich erinnert M"" sich bei der Lesung dieses Gedichtes der Elegieen, b>e der Römer Ovid vor 1800 Jahren in eben diesew ?ande dichtete, und ist versucht, einen Vergleich w' 181 'hnen anzustellen. Diese Klagelieder Ovid's mochten damals wohl, sobald er sie geschrieben hatte, unter den Römern in diesen Gegenden von Hand zu Hand gehen; denn es mochten viele, wenn gleich nur in einem freiwilligen Exile, an einem ähnlichen Heimweh leiden wie er. Lange vielleicht traditten sich hier die Ovid'-schen Tristia von Mund zu Mund. Wie viele andere Römer auch noch in l_Nina 'I>»Mli, '1'ierlM, ^»p»«» ("lonia und ?»l-Äii88uin (^oiunik mögen ähnliche Tristia gedichtet haben wie er, wenn sie auch nicht so berühmt wurden wie die seinigen. Unter der Herrschaft der Go-then, der Hunnen, Avarcn und endlich der Ungarn und Türken mögen solche alte Lieder sich immerfort erhalten haben, und neue in der Weise der alten, stets von der Unterdrückung der Barbaren und von der Herrlichkeit und dem Fall der römischen Pracht handelnd, mögen sich wieder erzeugt habm, und so kann denn auch unser Lied vielleicht als ein uralter Klagegesaug betrachtet werden, wenn gleich die Form, die ihm gegeben ist, eine spatere sein mag. Das Merkwürdigste dabei ist nur, daß ein gewichtloses in cinem Winkel der Wclt verlorenes (5o-lomstenvolk den Untergang Roms beklagt, wahrend man unter den Ruinen Roms selbst vergebens nach solchen Klageliedern fragt. Doch erklart es sich einigermaßen "sims dahcr, daß in Rom die alte Herrlichkeit spater, wenn auch in einer anderen Form, wieder auflebte, indem 5le wellbeherrschenden Kaiser, die ohneoieß sich ja "uch schon „?<>liM<:e8 .»ax'!»,'.'' uannlett, nun 182 zu weltbeherrschenden Päpsten wurden, die fast ebenso viele Armeen in die Welt aussandten als jene, und zweitens auf der anderen Seite daher, daß die Dacier in der Beklagung des fernen Roms mehr nur ihr eigenes nahes trauriges Geschick beweinten. Ihre Klagen über ihre nächsten Leiden hatten vielleicht diese Form der Beklagung Noms gewissermaßen als ein Symbol angenommen, ebenso wie die Klagelieder der Juden in Rabylon mehr über ihre babylonischen Leiden als über die Leiden, die Jerusalem bei seinem Untergange erduldete, jammerten. Es ist sonderbar, daß man an den äußersten Enden des römischen Reiches noch die Volkslieder sammeln muß, welche an seine große Macht erinnern. Auch die Schotten haben in ihren Volksgesangen noch Erinnerungen an Roms Größe, aber freilich in einem anderen Sinne. Ein Walache versicherte mir, daß es unter den Dako-Nomanen unserer heuligen Tage keine Lieder mehr gäbe, welche an dcn Untergang der daci-schen Herrlichkeit, an Decebalus, Sarmizegechusa :c. erinnern. Diese Dinge beweinen die heutigen Walachen weniger schmerzlich; denn sie sind, so behaupten s", reine Sprößlinge Roma's. Temeswar und die banatischen Fieber. Äuf eine schöne Täuschung in der Nacht folgte am anderen Tage eine traurige Wirklichkeit, ein regnichter Reisemorgen und dazu ein kleiner offener walachischer Vcmerwagen, auf den meine Sachen gepackt wurden. Ich wollte eben, eingedenk des unbarmherzig raschen Fahrens der Bauern in Ungarn, den Wirth fragen, wie „langsam" auf Walachisch heiße, als ein Vlick auf die kleinen, kümmerlichen Pferde mich dahin entschied, lieber mir das Wort „schnell" übersetzen zu lassen. Auf diese Weise, da dieß meine letzte Tagereise in dem von Walachen bewohnten Lande war, habe ich nie erfahren, wie „langsam" aus Walachisch heißt; schnell aber heißt ,,j>lhe!" und indem ich meinem Kutscher, einem blutjungen Romanen, der kein Wort deutsch verstand, zu Zeiten das Wort „i'lhe! jnt.^!" zurief, fuhr ich in den Regen hinaus. Mein Kutscher hüllte sich i" seinen Schafpelz und ich in meinen Mantel. Ich hwg meinen deutschen Gedanken n^ch, und er vertiefte 184 sich in seine walachischen Ideen. Nur zu Zeiten con-versirten wir durch Zeichen. Auf der ganzen Straße bis nach Temeswar hin sind noch die meisten Dörfer von Walachen bewohnt. Doch trifft man hier auch schon deutsche Colonieen. Die hiesigen walachischen Dörfer sind, wie überhaupt fast alle Dörfer des Banats, nach einem regelmäßigen Plane gebaut, denn es sind fast lauter erst in neuerer Zeit, d. h. im vorigen Jahrhunderte entstandene Colo-nieen. Die Pläne, nach denen die banatischen Dörfer angelegt wurden, sind natürlich sehr verschieden, denn oft hielt ein anderer Präsident oder Grundherr einen anderen Plan für besser. Einige sind znkelrund gebaut. Im Centrum liegt die Kirche, und von einem weitläufigen Platze, der sie umgiebt, laufen die Zeilen der Häuser aus, andere erstrecken sich nur als zwei parallele Häuserreihen an der Straße hin. Die meisten aber sind in einem Quadrate oder Parallelogramme zusammengestellt, das in der Mitte einen freien Platz, die Kirche und die obrigkeitlichen Gebäude hat und durch mehre unendlich breite Straßen regelmäßig der Lange und Breite nach durchschnitten ist, an denen die kleinen Häuser und Gehöfte der Reihe nach i" gleichen Entfernungen hin liegen. Da der Voden des Banats so flach und eben ist wie ein Neißbret, s" konnte man jeden beliebigen Plan hinzeichnen und ohne Hindernisse ausführen. Wir passitten viele solche Dörfer bis Temeswar. Es sind die beßten von Walachen bewohnten Dörfer, 185 die ich noch irgendwo gesehen habe. In der Walachei giebt es gewiß keine so guten, in Bcffarabien, wie ich versichern kann, auch nicht, und in Siebenbürgen, wo der Bauer noch mehr gedrückt ist als in Ungarn, wahrscheinlich ebenso wenig. Mir war das Fahren durch diese Dörfer, die oft eine halbe Stunde lang waren, und in denen es dann auch in der geraden Seitenstraße wieder lange Perspektiven gab, höchst amüsant, und ich freute Mich jedesmal, wenn ich einen Kirchthurm von Weitem entdeckte. Die breiten Straßen des Dorfes waren gewöhnlich mit Gänsen, Truthühnern, Schweinen und aw derem Vieh bedeckt, so weit man sehen konnte. Die walachischen Mädchen und Weiber, stets ihre weiße Wolle zupfend und die Spindel steißig drehend, wandelten dazwischen herum, entweder ihren Nachbarinnen einen Besuch zu machen, oder um aufs Feld eine Speise hinauszutragen, oder dem Vieh zu steuern, oder sonst etwas zu besorgen. Ueberall entdeckte ich die großen schiefen Haarsiechten auf ihrem Kopfe und die dicken silbernen Nadeln und Knöpfe, die sie darin anbringen. Männer sah ich seltener. Zum Theil waren sie m der Weinlese beschäftigt. Da es den ganzen Tag über häufig regnete, so war diese sehr fröhlich, denn die Walachen freuen sich, wenn es bei der Weinlese regnet, erstlich, weil es dann mehr Wein giebt, und zweitens, weil, wie sie mir sagten, die Trauben dann eine feinere Haut bekommen und sich leichter pressen lassen (?) Ueberall waren sie unterweges voll des Lobes über dm 186 Regen! Die Weingarten liegen ganz im flachen Felde, und neben diesen langen Weinftldern waren überall kleine Wagen aufgefahren, bei denen Ochsen weideten. Auf den Wagen hatten sie die Fasser mit den im Felde selbst ausgetretenen Trauben stehen. Gewöhnlich treten sie sie mit den Füßen aus. Doch haben sie auch ein hölzernes Instrument dazu, das unten in mehren Spaltungen auseinander geht, wie die Finger einer Hand. Mit diesem quetschen sie erst die Trauben, tauchen dann einen Topf ein und holen damit den Most heraus. Diesec Most giebt die erste und beßte Sorte ihres Weins, der Nest wird erst nachher noch einmal gepreßt und liefert die zweite Sorte. Vei einem Weinftlde sah ich, wie die Walachett ihren Bacchus heimführen. Voran geht der Wein-' garten-Besitzer und Hausherr. Ihm folgt der Wagen, mit vier Ochsen bespannt, die ihm nachgehen und die er gewöhnlich ohn? etwas Weiteres in ihrem Gange dadurch leitet, daß er ihnen voranschreitet. Auf dem W"-gen sitzt ein Bursche, sein Sohn, und treibt die Ochst" mit einem langen Stecken. Drei Fasser voll M^ oder ausgetretener Trauben stehen auf dem Wagen, und über den Fässern liegen große Traubenzweige mit aus' erlesenen und großen schönen Trauben, die sie zuw Erntekranze und zum Essen aufbewahren. Auch theil' ten die Vorüberfahrenden uns davon mit. Hinter deM Wagen her gehen drei bis vier schwatzende und unauf^ hörlich spinnende Weiber, die Gemahlin, Mutter «nd Tochter des Hausherrn, nebenan, die Fässer und 167 Wagen beaufsichtigend, die Knechte oder sonstigen Gehülfen. Das größte Dorf zwischen Lugos und Temeswar «st Rekas, ein? weitläufige Kolonie mit schönen Bauerhäusern, größtcntheils von Deutschen bewohnt; in einem Theile desselben wohnt aber auch ein anderes Volk, welches ich noch nicht kannte. Die deutschen Leute sagten mir, es seien „Schokazen." Ich konnte nicht ausmachen, welche Nation damit gemeint sein wöchte. Ich fragte, ob es vielleicht Razen oder Serbier waren. „Nein," hieß es, „diese Schoka-zcn sind blos in diesem Dorfe. Es sind katholische Illyner." Ein 'Anderer versicherte mir, es wären zu Chnstcn umgetaufte Türken. Ein Herr, den ich in Temeswar deßhalb befragte, sagte mir, er glaube, es waren diese Schokazen von dem adriatischm Meere hierher verpflanzte Dalmatier. Höchst wahrscheinlich waren es sogenannte „Schokzen." die einen Stamm der Sla-vonier ausmachen. Ich führe jene verschiedenen Meinungen der Leute nur an, um die Völkeruerwirrung in Ungarn zu bezeichnen. In Rekas machte ich Mittag. Hier, wie in allen anderen passirten Ortschaften fand ich ganz gute deutsche Wirthschaften. Es war ein großes Leben in diesem Wirthshause. Bei Tafel crzahl.e man mir, in Groß-Betschkcrek hätten sie kürzlich bei einer Restauration mehre Bischöfe unter den Tisch geworfen. Auch hätte eine Partei ihren Candidate« in allen Zimmern des Co- 183 mitatenhauses herumgetragen, sei aber doch nicht zu ihrem Zwecke gelangt. Das Fieber grassitte hier diesen Sommer im ganzen Vanate erschrecklich. Die Deutschen in Nekas erzählten mir, in ihrer Ortschaft hätte es Jeder ohne Ausnahme gehabt. Oft wäre nur ein Dritttheil dcr ganzen Mannschaft des Orts arbeitsfähig gewesen, und auch jetzt noch sei es kaum mehr als die Hälfte. Viele hat" ten sich vollkommen aufgerieben, denn sie hätten des Nachts beständig gefiebert, und am Tage hätten sie sich doch aufgerafft, um wenigstens die nöthigste Arbeit nicht zu versäumen. Mir sagte dieß ein Bauer, der selbst noch nicht völlig genesen war. Er wäre, sprach er, sonst ganz gesund, aber er fühle sich in allen Gliedern so schwach, daß es ihm selbst Ueberwindung koste, die Peitsche aufzuheben, um seine Pferde anzutreiben. Auch die Husaren, die im Banat lagen, hat das Fieber in ihren zum Theil sehr unvorcheilhaft gelegenen und nicht auf das Vollkommenste eingerichteten Easemen dergestalt mitgenommen, daß man z. B. zu zwei Schwadronen eine Compagnie Infanterie als Hülfe schicken mußte, um die Verpflegung der Pferde der Husaren zu übernehmen, welche diese selbst nicht mehr versehen konnten- Uebechaupt war das Banat dieses Jahr in eineM schlimmen Zustande; denn zu den Krankheiten kam auch noch der Mißwachs. Am schlechtesten war der H^s" gerathen. Und ich sah unterwegs mehre Bauern, die ihre Pferde mit Kürbissen fütterten. Die armen Thi"'s nagten diese Frucht, von der ihnen die Bauern einigt 189 Hälften vor die Füße in's Gras geworfen hatten, M,z sauber bis auf die Schale ab. Die Leute hofften, daß der Mais ihnen spater, wenn cr erst geerntet wäre, noch ein gutes Futter abgeben würde. Die Deutschen in dem schönen Rekas sind Kam-Merbauem, und ihr Dorf und ihre Landereien sind „ka-meralisch," d. h. sie müssen dem Fiscus des ungarischen Königs Erbpacht zahlen und werden durch seine Beamten verwaltet. Ob sie mit dieser Verwaltung ilü Durchschnitt nicht zufrieden sind, und warum nicht, wciß ich nicht. Doch so viel weiß ich, daß, als ich vor der Thüre des Wirthshauses stand, ein paar Bauern, die mich schon lange angeguckt hatten, sich mir ganz höflich näherten, den Hut abnahmen und mir sagren: „Sie wären so frei, — ich möchte verzeihen, — sie hätten gehört, — es hatte sich das Gerücht verbreitet, — man sagte, — ich wäre ein kaiserlicher Ingenieur, der von Wien geschickt wäre, um ihren Zustand zu untersuchen. Sie bäten mich, ich möchte sie in ihre Wohnung begleiten, da wollten sie mir Alles zeigen und erzählen, was sie drückte, sie würden dann gewiß vom Kaiser Recht und Linderung erhalten." Ich erwiderte ihnen, daß ich jedoch nur als simpler lernbegieriger Fremdling, gern einmal ihre Wirthschaft besehen würde. Sie zeigten mir dann Alles und erzählten mir Vieles von erlittenen Ungerechtigkeiten, die ich nicht wieder vortrage, weil ich nicht vollkommen ge-w'ß bin, ob ich mit bloßen sogenannten Malcontenten z" thun hatte oder mit solchen, die ich als im Namen "Uer redend hätte betrachten können. Als ich wegging, 190 steckten sie mir die Hände voll der schönsten Wallnüsse, die ich je gesehen habe, und wollten mir noch einen ganzen Sack voll davon mitgeben, wahrscheinlich um mich für sie zu gewinnen; denn sie ließen es sich nicht ausreden, daß ich ein kaiserlicher Ingenieur sei, der gekommen wäre, ihnen Recht zu sprechen. Es war mir anfangs bei'm Anblick des reichen Dorfs, der schönen Häuser, der fetten Ländereien :c, gar nicht eingefallen, baß hier auch Malcontenten sein könnten. Auch glaube ich nickt, daß die Leute von oben herab, vom Fiscus gedrückt werden. Aber da die gute Situation der Bauern, ihr rühriger Fleiß und der fette Boden das Ihrige thun, sie zu bereichern, so mögen auch ungerechte Beamten das Ihr? thun, sich ihrerseits diese Wohlhabenheit zu Nutze machen. In keiner Provinz von Ungarn, ja man kann sagen, in keiner Provinz des ganzen Kaiserstaats hat der Fiscus so viele Güter als im Banale, aus den schon oben beregten Gründen. Ob hier auch alte ungarische Krondomanen sind, bezweifle ich. Man unterscheidet nämlich die Krondomanen, die immer bei der Krone bleiben müssen, von den fiskalischen oder Kammergütern, die der König wieder vergeben kann. Aus diesen liegenden Gründen, zu denen wir auch noch die Metall-Bergwerke rechnen, zieht der König von Ungarn seine vornehmsten Einkünfte, mit Ausnahme des Salz-Mo--nopols, denn dieses bringt allein souicl ein als alles Ucbrige. Die Bergwerke und Domainen aber bringen dann für sich wieder doppelt soviel als das noch Uebrige, 191 was aus Dreißigstgefällen, Toleranztaxen, Archen, dem Posiertrage zc. eingeht. Das Wort „schpendiren" wird im Oesterreich von Böhmen bis zur Türkei hin (ich bewundere immer die ungrheuere Ausdehnung des österreichisch-deutschen Dia-lrkts) mit besonderer Vorliebe bei den verschiedensten Vorkommnissen gebraucht. So bat mich einer meiner Tisch genossen in Rckas, als ich mich zur Abreise rüstete: „Ach ich bitt' Ihnen, daß Sie mir Ihren Namen schpendiren!" «nd als ich in den Wagen stieg, kam cm kleiner Student (so heißen in Ungarn die Schüler und auch die fahrenden armen Schüler, die es hier noch giebt, wie chrmals im heiligen römischen Reiche) heran und sprach: „Ich bin ein armer Bursche, geben's mir eine kleine Schpendage!" Wir haben schon oben gesehen, daß in diesen Gegenden die Brücken zu Zeiten einfallen. Ich traf unterwegs noch mehre solche eingestürzte Brücken. Es ist kein Zweifel, daß, wenn noch die deutschen Prasi' denten hier den Vorsitz führten, wir solche Brücken nicht getroffen hätten. Manche sagten mir, gewisse Beamten fanden ihren Vortheil dabei, wenn die Brücken nicht zu schnell wieder gebaut würden, und sie verschöben diese Mühe gern auf ihre Nachfolger. Sonst pflegt eine Brücke ein Zeichen zu sein, daß man an d'eser Stelle über den Fluß fahren könne. Hier schep "en sie ein Warnungszeichen zu sein, daß man an leser Stelle um des Himmelswillen nicht über den «"ß fahren solle. Mein Walache und ich bogen 192 daher auch immer, schon wenn wir von Weitem eine Brücke sahen, vom Wege ab und schwammen durch's Wasser. Uebrigens muß ich bemerken, daß ich hier und da in diesem Theile von Ungarn auch recht gute und sogar großartige Brücken fand. Es ist je nach den Comitaten und nach dem Geiste, der in den verschiedenen Gespan-schaften herrscht, sehr verschieden. Denn diese Comitate kann man gewissermaßen als unabhängige/ kleine, neben einander bestehende Republiken betrachten, deren jede ihre eigenen Maßregeln nimmt. Die großen, administrativen und polizeilichen Maßregeln von oben herab können hier nicht so energisch durchgreifen wie in anderen Staaten. Auch der Fürst Pückler-Muskau soll die ungarischen Wege sehr schlecht gefunden und namentlich von dem Wege über Temeswar und Arab nach Pesth sehr treffend bemerkt haben, es sei derselbe eine groß»' Rennbahn „mit Hindernissen." Dieß sollen ihm wiederum einige Ungarn sehr übel aufgenommen haben, was derjenige, welcher diese Wege kennt, ebenso wenig begreifen wird, als wenn ich es z. B. übel aufnehmen würde, wenn wir Jemand bemerkte, ich hatte meinen Rock zerrissen (wenn dieß nämlich wirklich so ware). Es würde unbegreiflich sein, wenn ich darüber blos zürnen wollte, ohne jedoch meinen Rock zum Schneider zu schicken. In der Mitte zwischen Rekas und Temeswar paft sirt man ein Stück der sogenannten alten „Römer-schanze," von der man sowohl zur Rechten, als zur 193 Linken des Weges einige Spuren liegen sehen kann. Alle solche alte Ueberbleibsel von Circumvallationen, deren es eine Menge im Bannte giebt, werden in der Regel vom Volke „Römerschanzen" (ungarisch «omai ^cliInxok) genannt. Einige Gelehrte haben aber geglaubt, diese Schanzen für Reste von Avarenringen zu halten und sie alle mit einander den Avaren zuzuschreiben. Es ist wohl höchst wahrscheinlich, daß weder das Eine, noch das Andere ganz recht sei. Namentlich nimmt Grissellini (der ein dickes, in vieler Hinsicht sehr wmhvolles Buch über das Banat geschrieben hat) diesen von uns berührten Wall für den im Vanat längere Zeit bestandenen Avarenring „kl<,rom," und zwar hauptsächlich aus folgenden Gründen: erstlich weil die Avaren, wie alle asiatischen Nationen, die Sitte gehabt hätten, sich hinter Wälle zu verschanzen, und zweitens, weil uns keine alten Schriftsteller davon Meldung thun, daß die Römer hier gerade Schanzen gebaut hatten, während drittens jener Avarennng Unrom hier hausig genannt würde. Allein diese Gründe können wenig beweisen, denn dem ersten steht die ebenso unbestreitbare Wahrheit gegenüber, daß auch die Römer lange Schanzen zu errichten pflegten, und dem zweiten und dritten kann kein Gewicht beigelegt werden, weil auch ebenso wenig daS Zeugniß eines Schriftstellers dafür spricht, baß gerade " !3 194 diese in Frage stehende Schanze zu dem besagten Avaren-ringe „Norom" gehöre. Da historische Document? nicht sprechen, so bleibt hier also die Entscheidung einer raisonnirenden Betrachtung der Sachlage überlassen. Erwagt man diese, ft findet sich, daß die besagte Schanze sich in einer ziemlich zusammenhangenden, geraden, zwanzig Meilen langen Linie von der Maros bis zur Donau erstreckt. Es giebt eigentlich zwei solche Walllinien. Sie liegen aber nur wenige Meilen auseinander und laufen beide so in derselben Richtung, daß es offenbar ist, duß beide den' selben Zweck hatten und nur als eine und dieselbe Befestigung anzusehen sind. Entweder wurden beide gleich vom Anfange herein als eine Befestigung nnt doppelten Linien errichtet, oder, was wohl wahrschein" licher ist, die eine wurde spater noch weiter hinausg^ legt, um noch mehr Land einzudämmen, welches "^ mählig in der Nahe der ersten für die Cultur gew»^ nen war. Von der Maros also nicht weit oberhalb Ä"d fangt die Schanze oder fangen die Schanzen an, lssU" fen immer an dem Rande der äußersten Ausläufer der dacischen Gebirge (ein oder zwei Mal durchschneiden ^ ein paar äußerste Spitzen derselben), indem sie imn^r auf der Granzlinie zwischen dem Hügellande und der Ebene, welche zugleich auch die Granzlinie des römisch" Colonieenlandes (vacia ripen«!») und des Hirtenkindes war, bleiben, hin und erreichen die Donau bei Uj Palanka, welchen Ort wir ebenfalls schon als den Granzort der 195 endigenden Ebene und des anfangenden Gebirges kennen lernten. Im Westen der bezeichneten Linie war Alles Sumpf, Sandwüste, Viehtrift, im Osten aber lagen die schönen Weinberge, Aecker und die reichen Berg-Werke und Eolonieen der Römer. Aus dem stachen Lande der Iazygen führten die Wege in den Thalern der Ma-ros und Temes zu den Thoren Daciens hinauf, und da sich in dieser Richtung kein Fluß darbot, der zur Vertheidigung hatte dienen können, so wäre es wirklich geradezu unbegreiflich gewesen, wenn die Römer hier nicht das Hügelland durch einen davor aufgeworfenen Wall von Fluß zu Fluß geschützt hatten. So höchst wahrscheinlich es demnach ist, daß die „Römer in dem besagten Striche eine Vcfestigungslinie hatten, so unwahrscheinlich, ja unbegreiflich würde eine auarische Verschanzung in der besagten Gegend und in der angedeuteten Richtung erscheinen. Die „Ninge," „Hage" oder „Circuli" der Avaren haben wir uns nach allen durch die Geschichtschreiber aus der Ka-rolingischen Zeit überlieferten Beschreibungen als runde Umwallungen zu denken. Auch solche runde Unuvall-ungen allein konnten im Lande der Avaren einen Zweck haben. Wozu halten sie 20 Meilen lange geradlinige Mauern mitten in ihrem eigenen Lande bauen sollen. Ihnen gehörte ja beinahe 2l)ll Jahre lang ganz Dacien und Pannonien, diesseits und jenseits des Banales. Weshalb hatten sie auf der Gränze des Hügellandes und der Ebene einen oder gar mehre lange Wälle bauen sollen? — etwa um ihre Viehtriften gegen das Hügelland, in 13* 196 dem noch viele Reste römischer Kolonisten hausten, und durch welche die byzantinischen Kaiser einbrechen konnten, zu vertheidigen? Wo hätte man je gehört, daß Hirten-völker große Militargranzen gegen cultivirtere Staaten errichteten? Ihre „Ringe" in der Ebene waren sowohl gegen eigene einheimische Rauber, als gegen andere vielleicht noch nachkommende asiatische Horden sehr gut, und diejenigen Wallstücke, die man noch weiter hin in der Ebene des BanatS, z. B. südlich von dem großen Alibonaer Moraste, findet, mögen Theile von solchen Avarenringen gewesen sein. Hinter diesen Wällen hören nun fast alle Spuren von Nömerreich und Gebirgslandschaft auf, und man fahrt in der Ebene, welche die Römer den Hirten überließen, bis an die Thore von Temeswar. Temeswar ist die wichtigste Stadt im ganzen Ba-nate, das sonst oft nur die Grafschaft Temeswar ge^ nannt wurde, daher auch die Residenz des serbischen Adels der Provinz — und ebenso der Hauptsitz der banatischen Fieber. Schon unterweges hatten mir die Leute gesagt: „Nun, wenn Sie erst nach Temeswar kommen, da werden Sie sich über das Fieber wundern, da schleichen alle Leute mit blaffen Gesichtern herum, und man sieht keine anderen als leidende Gestalten," ' " dieß fand ich buchstablich so. Gleich als ich bei dew Tkore der Stadt vorfuhr, kamen mir ein paar sol^ fiebrische Jammergestalten entgegen. Ein gesunder M""« führte sie. Er sagte mir: „Ich führe diese arwen Leute hinaus, um ihnen das Fieberkraut zu zeigen, das 197 hier in der Umgegend wachst und das uns besser gegen die Krankheit hilft als die Medicin der Apotheken." Nachdem ich durch die lange Vorstadt „Fabrik," dann abermals durch ein weites sumpfiges Glacis gefahren, endlich in den inneren Kern der Festung gekommen und in dem „Trompeter," einem der beßten Wirthshäuser, die man sich überhaupt irgendwo wünschen kann, abgestiegen war, machte ich einen Besuch bei einem Beamten, dem ich empfohlen war. Sein Kam-merdiener kam langsam, schwerfallig, mißmuthig und kopfhängerisch zum Vorschein und sagte mir, ich möchte entschuldigen, sein Herr hatte gerade heute seinen Fieberanfall und liege im Parorysmus zu Bette, morgen aber wäre er frei, und wenn ich dann kommen wollte —" „Was haben Sie denn selbst, daß Sie so betrübt aussehen?" fragte ich den Diener. „Ach!" sagte er, „auch das Fieber, mein Herr." Ich ging weiter zu einer Dame, die ich von Wien aus grüßen soUte. „Ach ich bitte Ihnen, meine gnädige Frau hat schon seit drei Jahren das Fieber, und jetzt ist es gerade recht mit ihr am ärgsten." Kurz, wohin ich nur kam, fand ich die arme Stadt Temeswar vom Fieber geplagt. Wie ich schon oben andeutete, ist man über die Ursachen der in dem Banale bestandig herrschenden Fieber sehr verschiedener Meinung. Einer schreibt es dem vielen Obste, besonders den Wassermelonen zu, ein Anderer meint, es läge am schlechten Waffer, ein Dritter sagt, die Fieber siegen aus den Sümpfen des BanatS hervor, wie die an-bere Plage des Landes, die Columbatzer Mücken. Ohne 198 Zweifel haben wohl diese am meisten Recht, namentlich in Bezug auf die Lage von Temeswar. Diese Stadt liegt nämlich an dem Flusse Vega (nicht an der Temes, obgleich sie sonderbarer Weise die „Temesstabt" heißt), und dieser Fluß bildet hier bereits viele Sümpfe, in deren Mitte sich die Stadt eingenistet hat. In, Sommer ist die Hitze oft zum Ersticken groß, und da» bei herrscht oft wochenlang eine schwüle Windstille. Freilich hat man den ganzen Fluß Bega auch mehr als zwanzig Meilen weit durch den berühmten Canal, dec bis Temeswar blos Abzugs-Canal, von hier aber auch Schifssahrts-Canal ist, rectisicirt. Allein die Versumpf' ung der stachen Gegend, die auch von so vielen Seiten Nahrung empfängt, ist zu groß, als daß man sie nüt einem Canale überwinden konnte. Es müßte hier, wie in Holland und in Aegypten, Alles kreuz und quer ca-nalisirt werden. In diesem heißen Sommer war es mit den Fi^ Hern so arg, wie man sich seit langer Zeit her es nicht zu erinnern wußte. In der inneren Festung der Stadt war es gewöhnlich so stickend heiß und schwül, daß es dem von außen Kommenden daraus wie aus einem Backofen entgegenschlug. Die entschiedene Mehrzahl der Einwohner der Stadt war diesen Sommer vom 3^ ber ergriffen worden, und selbst die, welche frei blieben, fühlten sich mehr oder weniger unwohl. Von den 2l)0t> Soldatm, welche als Besatzung in der Festung liegen, waren einmal wahrend einer Woche 900 zugleich im Spital, wo die meisten nun an der Erde auf e^ 199 was Stroh ihre Krankheit überstehen mußten. Ja die Besatzung wurde am Ende so schwach, daß sie mehre Wachposten einziehen mußte, weil sie nicht mehr alle Mit dienstfähiger Mannschaft besetzen konnte. Die Fieber zeigen sich im Vanate sehr manchfach und haben ebenso viele Formen wie die Melonen und Kürbisse, welche in diesen Gegenden wachsen. Bei einigen Menschen kommen die Fieberanfälle alle Tage, bei anderen alle Nachte. Bei anderen sind sie intermit' tirend. Jedoch soll der Eine seinen Anfall alle zwei, der Andere alle drei Tage haben. Ja es soll sogar ein viertägiges Wechselsieber geben, und dieß soll gerade am allerschwersten zu heilen sein. Auch sind bei diesen alle vier Tage wiederkehrenden Fiebern die Anfalle am stärksten. Zuweilen je nach der Constitution des Patienten ist eine beständige Kälte mit dem Fieber verbunden, zuweilen eine beständige Hitze. Gewöhnlich wechselt Hitze und Kälte ab, diesen Sommer aber litten alle Fieber« Patienten mehr an Hitze als an Kälte. Es giebt Fieber mit und ohne Paroxysmen, ohne Kopfweh und auch mit den heftigsten Kopfschmerzen'verbunden. Manche hatten das Fieber auf der Stelle, an demselben Tage bekommen, an welchem sie in Temeswar angelangt waren. Die meisten Anlangenden bekommen es nach einiger Zeit. In der Regel genügt schon eine Reise nach Pesth, um es wieder los zu werden; Manche aber schleppen sich auch damit lange, selbst auf Reisen im Auslande herum und werden es in Jahren nicht wie« der los. 200 Da ich also am ersten Tage meiner Anwesenheit keinen parorysmusfreien Menschen finden konnte, so nahm ich mir den ersten beßten Burschen als Lohndiener an und wanderte in der Stadt und den Vorstädten umher. Dieser Mensch konnte ziemlich flink gehen, denn er war schon seit sechs Tagen vom Fieber frei geblieben. Er erzählte mir auf Deutsch, er sei in Kroatien geboren und könne ungarisch, walachisch, kroatisch, serbisch und deutsch reden. Wer bei uns fünf Sprachen gelaufig spricht, der braucht wenigstens nicht in zerrissenem Rocke zu gehen, wie mein Begleiter that. Aber hier sprechen die Leute alle ein halbes Dutzend barbarischer Sprachen, die ihnen, sowie sie ihr Vaterland verlassen, im übrigen westlichen Europa nichts Mehr helfen. Das Deutsch? nehme ich natürlich immer aus, denn das Deutsche, die gebildete Hauptsprache des mittleren Europa, ist diejenige Sprache, durch welche man mit den meisten Völkern Europas in Verbindung trelen kann. Das Deutsche ist der für einen Ethnographen unent-behlliche Schlüssel, durch welchen er sich mel)r Schlösser zur Kenntniß von Völkern in Europa öffnen kann als durch irgend eine andere Sprache. Mit der Kenntniß der deutschen Sprache kann man nämlich mit großem Nutzen folgende Lander und Völker bereisen: alle deut' schen Staaten, zum Theil Holland, Dänemark, Liv-land, Esthland, Finnland, Rußland, Polen, fast alle slavischen Lander bis nach Serbien hinein, Ungarn, bis an's schwarze Meer, die Alpen, die Schweiz, einen Theil von Frankreich. Weder Französisch, welches nur von 201 den Vornehmen gesprochen wird, noch Englisch, welches nur die Liebhaber kennen, noch Slavisch, welches blos M den slavischen Ländern und da auch nur mehr von ben geringeren Classen gesprochen wird, kann dem Reisenden in allen den bezeichneten Länderstrichen, die zum Theil ganz von Deutschen, zum Theil von deutschen Co-lonistm oder von deutsch sprechenden Eingeborenen, auch zum Theil von deutsch redenden Israelite« bewohnt werden, so nützlich sein als das Deutsche, welches namentlich in Ungarn von oben herab in noch weit höherem Grade und bis zu noch weit tieferen Stufen der Gesellschaft hinab gerade dasselbe vorstellt, was das Fran« zösische in manchen anderen Ländern ist. Die Stadt Temeswar ist eine der beßtgebauten und größten in Ungarn. Sie hat nahe an 20,000 Einwohner und schließt sich in Hinsicht ihrer Bauart an Ofen, Pesth, Raab und andere solche meistens von Deutschen gebaute Städte an, weil sie eben auch größtentheils von Deutschen oder doch unter deutscher Verwaltung gebaut wurde. Sie hat mehre sehr schöne Straßen und einzelne ganz ausgezeichnete Gebäude, insbesondere die innere Stadt oder Festung, welche auch nach einem sehr regelmäßigen Plane angelegt ist. Indem ich meinen Spaziergang durch Temeswar machte, fuhr es immer, wie am vorigen Tage, fort, zu 3men zu regnen. Es kam ein heftiger, kleiner Schauer, der sich ausweinte, worauf dann wieder ein Stückchen Sonnenschein folgte. Wahrend des Regens kehrte ich gewöhnlich irgendwo ein und sehte dann meinen Spa- 202 ziergang während des Sonnenscheins wieder fort. Ich kann daher füglich meine Bemerkungen über Temeswar nach Regenschauem und Sonnenscheinen mittheilen, wie man sonst wohl Capitel-Eintheilungen macht. Erster Regenschauer. Vei'm ersten Regen, der mich noch auf dem Markte der Stadt traf, flüchtete ich in's Comitatshaus. Hier fand ich, wie gewöhnlich in den ungarischen Comitats-Hausern, eine Menge mit schweren Ketten belabener Menschen aus- und eingehen, Weiber sowohl als auch Man» ner, welche Wasser zutrugen, Steine herbeischleppten und dergleichen. Ich fragte meinen Begleiter: „Was sind das für Leute?" „Das sind solche Leute," sagte er, „die Raub, Mord, Todlschl^g und dergleichen begangen haben. Sie siezen im Walde und passen den Reisenden auf, und, wenn's einen verspüren, da brmgen's ihn um. Daher find's in Ketten und müssen im Co-mitatshause Arbeit thun. Und alle dritte Jahr, wenn Congregation ist, bekommen's Schlag', 30, 40, 50, j« nachdem!" Es ist ganz unleidlich, daß in allen ungarischen Städten solche Leute auf offenem Maikte herumgehen. Warum halt man sie nicht in Arbeitshäusern? Auch ist es unverzeihlich, daß gewöhnlich die Gefangnisse dieser Leute so erschrecklich sind. Zuweilen sind sie noch unterirdisch, selbst hier in Temeswar, wo man doch der Sümpfe wegen nicht einmal im unteren Stocke wohnen sollte. Die Raume sind daher feucht, eine Wohnung für Kröten und Frösche. Zwan- 203 zig bis dreißig Verbrecher liegen in einem und demselben Raume auf niedrigem Stroh. In einem solchen Gefängnisse einer gewissen Stadt Ungarns brach vorigen Sommer der Typhus aus, und die ganze Stadl wurde mit Ansteckung bedroht. Um etwas Lust in das Gefängniß zu bringen, erweiterte man die Luftlöcher in der Mauer zu etwas größeren Fenstern. Doch ließ man das nur so lange so, als der Typhus dauerte. Als die Krankheit erstickt war, mauerte man wohlweislich die Löcher wieder zu. So wurde mir von glaubwürdigen Personen erzählt. Bei den vielen Verbesserungen, Welche die Ungarn jetzt in ihrem Vaterlande einführen, werden sie gewiß auch bald die Gefangnisse der Co» mitate und die darin leidende, sowie die durch sie bedrohte Menschheit berücksichtigen. Erster Sonnenschein. Der Regen hörte auf, und ich wanderte welter durch die Straßen. Viele (ob die meisten?) Hauser der Stadt ruhen auf Wolis, denn der Grund, auf dem hier Alles steht, ist meistens Sumpf, Torf, dann weiterhin Braun- und Steinkohle. Steinkohlen sind im Banat gewiß sehr viele zu finden. Ein sehr bedeutendes Lager soll man in der Nahe von kugos bei'm Brunnengraben entdeckt, bisher aber noch nicht benutzt haben. Für die Dampfschiffahrt auf der Donau kann dieß einmal sehr wichtig werden. Die Stadt ist ganz neu und hat sonst gar nichts mehr aus der türkischen Zeit. Ehemals gingen die Sümpfe 204 bis mitten in die Stadt hinein, und man soll noch vor 70 Jahren zuweilen mitten in der Festung Enten auf dem Wasser haben schießen können, wo jetzt solide Häuser stehen. Gute süße Brunnen giebt es noch jetzt nicht in der Stadt. Man hat vergebliche Versuche mit artesischen Brunnen gemacht. Nur in der Vorstadt sind einige gute, trinkbare Quellen. Bei einer der beßten und ergiebigsten hat Maria Theresia eine Wasserleitung angelegt, welche in zwei eisernen Röhren das Wasser in das Innere der Stadt und Festung führt. Im Sommer ist dieses Wasser oft ganz lauwarm. ZU' weilen verstopfen sich die Röhren, oder es passirt sonst ein Versehen bei ihnen. Dann gerath ganz Temeswar in große Noth, denn sie leidet an zwei entgegengesetzten Mängeln. Sie hat zu viel Wasser und zu wenig. Man hilft sich in solchen Falten mit dem Wasser aus dem Begacanal. Die Festungswerke sind von außerordentlicher Ausdehnung, und man sagte mir, sie waren sogar so weitlausig, daß die Vertheidigung dadurch sehr erschwert würde. Ich übersah sie von dem kleinen, niedrigen Thurme der katholischen Kirche aus; die meisten Kirchen von Temeswar sind sonst illyrisch oder griechisch. Diese katholische Kirche ist ein recht hübsches Gebäude, der Thurm aber so niedrig, daß man kaum über die Fest' ungswerke hinaussieht. Die Psalterien, Lhoral- und Meßbücher in der Kirche waren lauter schöne italienische meistens in Venedig angefertigte Drucke. 205 Eine illyrlsche Kirche, die ich auch besah, war eben neu ausgeschmückt worden und schimmerte in lauter schönen hellen Farben, Blau, Weiß und Gold. Auch war das Ikonostas mit vielen frischen Heiligenbildern bemalt. Der Maler, sagte man mir, fei ein junger Walache gewesen, der sich selber ohne Unterricht zum Maler herangebildet habe. Ich tadelte daher die außerordentlich großen Verzeichnungen in den Gemälden weniger stark und wußte mir die schönen hellrochen, bläulichen und zarten Farben zu deuten, in denen das Ganze ge-halten war. Zweiter Regenschauer. Unser Schirm war gerade wieder trocken genug geworden, um einen neuen Regenschauer aufnehmen zu können. Und dieser ließ auch nicht lange auf sich warten und wurde bald so heftig, daß ich mich nach einem neuen Schutzdache umsehen mußte. Ich fand es bei einem serbischen Kaufmann, mit dem ich mich über die Handelsangelcgenheiten des Vanats unterhielt. Temeswar, welches ungefähr in der Mitte des ganzen Vanates liegt, ist auch der Haupthandelsplatz des ganzen Landes, und zwar um so mehr, da hier auch die erste Möglichkeit gegeben ist, die Waaren auf dem Begacanale einzuschiffen. Dieser Canal geht mitten durch das ganze Banat hin und ist der große Abzugs-canal für alle die Waaren, die dieses reiche Land an «ndere abgeben kann. Durch diesen Canal gelangen seine Früchte und sein Getreide auf kürzerem Wege in die Donau als mittels der Maros und Theiß. Auf der Donau gehen die banatischm Kornschiffe nach Raab hinauf und von da nach Wieselburg «. Man kann Raab und Temeswar als die beiden Endpuncte einer großen Schiffahrtslinie betrachten, von denen jener, Raab, in der Nahe einer getreidebedürftigen Gegend (Wien) liegt, während dieser, Temeswar, in der Mitte eineS getreidereichen Landes sich befindet. Ich glaube, mit keinem Orte steht Temeswar in so lebhaftem Verkehr als mit Raab, wo sich, wie wir schon oben bemerkten, auch ebenso wie hier eine bedeutende Colonie serbischer Kaufleute niedergelassen hat. Die zweite große Handelsstraße, die aber nicht so wichtig wie die erste ist, führt aus dem Vanate die Dräu und besonders die Sau über Semlin hinauf. Auf dieser Straße wird banatisches Getreide durch die Kulpa, oder auch durch die obere Sau bis nach Laibach und von da zu den Häfen des abrauschen Meeres gebracht. Der Begacanal hat auf allen diesen Verkehr äußerst wohlthätig eingewirkt. Von da herauf kommt aber nur wenig. Jedoch leidet der Hanal' an denselben Fehlern, an denen das ganze Banat leidet, an großem Wassermangel nämlich, sowie zu anderer Zeit an großem Wasserüberfluß. Zuweilen >st die Bega nicht hinreichend zu seiner gehörigen Speisung-Zuweilen aber tritt auch das Wasser aus seinen Dämmen aus, indem diese letzteren, besonders in den unteren Gegenden, zu nahe an den Fluß hinangelegt sein sollen. Denn nicht sowohl für einen durch Schleuse" 207 «gulitten Canal, als vielmehr für einen canalisirten Fluß tst dieser Begacanal zu halten. Zweiter Sonnenschein. Wie gesagt, was heftig kommt, das dauert nicht lange, der Regen war mit großer Vehemenz ^abgeschlagen, und der Sonnenschein folgte ihm auf dem Fuße. Ich benutzte dieses neue Intermezzo zu einem Spaziergange auf den Promenaden, welche daS Te-meswarer Glacis nach Art des Wiener Glacis durchziehen. Zum Theil recht artige Anlagen, aber eine Unzahl kleiner Frösche hüpfte darauf herum. Diese Frösche sind aus keinem Keller von Temeswar zu vertreiben, und sowie man diese Thiere hier sicht, so hüpfen und hocken sie auch hinter den Weinfässern, in den Brunnen, in den Gefängnissen der Verbrecher, in allen Souterrains. Ich ging mit einem Umwege auf dieser Promenade zu dem Hause einer von mir verehrten Dame, der ich von Pesth aus einen Gruß zu bringen hatte, und lernte durch ihre Güte einen liebenswürdigen, jungen Mann kennen, der außer vieler anderen Güte für mich auch diese hatte, mir durch seine Bekanntschaften Eingang zu dem Zeughause zu verschaffen. Dieses interessante alle Gebäude, das mich in vieler Hinsicht an das alte Schloß der Könige von Polen in Krakau erinnerte, war ehemals das Schloß des Johann Hu-nyades, des Vaters von Matthias Corvinus. Später, glaube ich, haben hier die türkischen Comman- 208 danten von Temeswar gewohnt, und jetzt enthält es eine Rüstkammer mit Waffen für 30,000 Mann. Unter diesen Waffen befindet sich auch manches Interessante, so z. B. in einer besonderen Abtheilung des Arsenals eine Masse von „Sturmspießen", Sensen und alten Lanzen für den ungarischen Landsturm, oder, wie der Unteroffizier, der uns führte, sagte, „wenn man das Volk bewaffnen will." Auch die alten, abgenutzten Gewehre der Soldaten kommen in dieses Arsenal. Wenn sie ;um Dienst untauglich geworden find, so sagt man das schlechte Ende ab und giebt den Rest den Bauern in die Hand. Auf die Türken können sie doch noch damit schießen. Ich weiß nicht, ob hier in der türkischen Gränzprovinz, dem Banale, vielleicht der Landsturm noch etwas anderS organisirt ist, als in hem übrigen Ungarn die Insurrection. Auch türkische Waffen waren noch mehre da, die man vielleicht nach 100 Jahren, wenn die Türken einmal aus Europa ganz gewichen sein werden, mit groß' tem Interesse sehen wird. Auf dem einen Vatagan stand die fromme Inschrift und das andachtige Gebet seines Besitzers Halil: „Der Herr allein ist meine Hoffnung und meine Zuversicht. Gott segne den Ha-lil, den Besitzer dieses Degens." Auch die Kanonen, die unter Karl VI. gegossen wurden, zeichnen sich, wie die Gebäude dieses Kaisers, durch Pracht und Zierlichkeit aus. Es lagen hier in Temeswar viele ausgezeichnete Exemplare, die auf das Zierlichste geschmückt und in Wien gegossen waren. 209 Dieser Sonnenschein dauerte sehr lange, und es blieb uns blauer Himmel genug, um noch einen Besuch bei einem hochgeachteten Geistlichen zu machen und in dessen lehrreicher Gesellschaft ein angenehmes Stündchen zu verbringen. Kenntniß und Bildung sind überall wohlthuende Erscheinungen; aber wenn sie uns U! Ländern begegnen, die so entfernt von den Mittelpuncten der europäischen Cultur liegen, so heißt man sie doppelt willkommen. Ich hatte in Temeswar überall das Glück, nur mit freundlichen und gebildeten Leuten zu verkehren. Bei meinem geistlichen Bekannten war kürzlich einer von jenen orientalischen Pilgrimmen eingekehrt, die durch Ungarn nach Ofen zu pilgern pflegen- Dieser Gast aus fernem Lande hatte ihn nicht zu Hause getroffen und sich einstweilen in den Garten verfügt, um daselbst den Hausherrn, dessen Gastfreundlichkeit er in Anspruch nehmen wollte, zu erwarten. Als dieser kam, fand er den Orientalen mitten im Garten, mit dem Gesichte gegen Mekka gewendet, auf einer Matte liegend und sein Abendgebet verrichtend. Der katholische Priester trat zurück, bis jener vollendet hatte, sich erhob und ihn um Obdach bat, das ihm sofort gewahrt wurde. Man gab ihm den anderen Tag ein Mittagessen, bei dem mehre andere katholische Geistliche zugegen waren. Die Suppe, die Man dabei präsentitte, aß er nicht, wohl aber eine ge-w'sse ungarische Mehlspeise, die er sich ohne Weiteres zweimal reichen ließ; den schönen Menescher, von dem iv. 14 210 man ihm em Gläschen anbot, probirte er, wies ihn aber, indem er „Raki!" ausrief, mit einer Miene des Abscheues zurück; er meinte nämlich, es wäre Branntwein. Den Champagner aber trank er gern. Man fragte ihn, ob er Geld habe für die Weiterreise. „Nicht mehr," antwortete er, „als nöthig ist, um bis zur nächsten Stadt zu gelangen. Dort wird mich Allah, sowie er heute Euch mir gegeben hat, auch wieder andere gastfreund' liche Menschen finden lassen, die mir weiter helfen. Denn er ist groß und ernährt alle Kreaturen." Im Norden von Temeswar an der Maros liegt der berühmte Wallfahrtsort Rad na mit einem Kloster-Es soll eine reizende Gegend sein, und in Temeswar sucht man die Reisenden zu überreden, einen Ausflug nach Radna und nach dem nahen Menescher Gebirge zu machen, auf dem der /ll).,?^5 v/,^ ^^F^u^, der honigsüße rothe Menescher, wächst, welcher nach dern Urtheile aller Ungarn den ersten Rang nach dem T^ kaier einnimmt. Es muß in der That eine wunderschöne Gegend sein, in welcher ein so lieblich die Sinne bezaubernder und durch sein Feuer zugleich den Geist erweckender Rebensaft gedeiht. Das Menescher Gebirge ist einer der äußersten Ausläufer der stebenbürgischeN Alpen und stößt an die große Theiß-Ebene, ebenso wie die „Ue^aih-a" (sprich: Hetjalja), welche von den Tokaier Reben geschmückt ist, eine der äußersten Aus' laufer der slowakischen Karpathen ist und ebenfalls nut der Theiß-Ebene gränzt. Das Kloster Radna hat wahrscheinlich seiner muthige" 211 Ausdauer unter der Türkenzeit seinen jetzigen Ruhm zu verdanken. Seine Mönche sind vom Orden der Franziskaner, die sich überall unter dem mahomedan-ischen Joche zu fügen wußten, und die den Rest des unter den Türken in Ungarn fortbestehenden Katholicismus nicht nur gegen die Türken, sondern auch gegen die Verketzerung durch Protestanten rein zu erhalten wußten. Den Franziskanern hat man es wahrscheinlich zum Theil zu verdanken, daß alle diejenigen Magyaren, welche unter die Herrschaft der Türken sielen, Katholiken blieben, und der Protestantismus (das refor-Mirte Glaubensbekenntniß), der doch sonst im Norden Ungarns, vorzugsweise der „Magyar Hit" (der magyarische Glaube) genannt wird, in dem ganzen mittleren und südlichen Ungarn keine solche Fortschritte machte, wie in dem nördlichen Ungarn, wo Alles schon aus politischer Opposition gegen Oesterreich protestantisch wurde. Es mögen mehre Male von Protestanten Versuche gemacht worden sein, ihre Lehre auch unter den türkischen Katholiken zu verbreiten, und häufig mögen ihnen die Franziskaner ihren Plan so verdorben haben, wie einmal in Szegedin. Als hier, ich weiß nicht, welcher türkische Pascha gebot, kam auch ein Protestant in die Stadt und bat den Pascha, seine neue und treffliche Lehre den Leuten predigen zu dürfen. Die Franziskaner lagen dem Pascha an, er möchte dieß nicht gestatten. Der Protestant aber sagte, wenn der Pascha eine öffentliche Disputation zwischen ihm und den Franzis-. kanern gestatten und anhören wolle, so würde er bald 14* 212 wahrnehmen/ wie viel besser seine Lehre sei als die alte christliche. Der Türke gestattet? in der That die öffentliche Disputation, und zwar in ungarischer Sprache, welche damals auch die meisten türkischen Beamten in Ungarn verstanden; denn sie waren selbst oft zum Ma-homedanismus übergegangene Ungarn (auch zu den Ja' nitscharen sollen die Ungarn nicht wenige tüchtige Leute geliefert haben). Die Disputation, bei welcher ein gemeiner Franziskaner die Vertheidigung des katholischen Glaubens übernommen hatte, dauerte sehr lange, und als sie zu Ende war, wußte der Pascha doch noch nicht recht, ob er sich gegen oder für den Protestanten entscheiden sollte, und er brachte daher die ganze Discussion auf einen einfachen und klaren Satz zurück, indem er den Protestanten fragte, „welches die größten Propheten der Welt seien." Dieser antwortete: „Moses und Christ us!" „Wie?" schrie rasch der Franziskaner dazwischen, „und des Mahomed erinnerst Du Dich nicht?" Als der Pascha dieß hörte, gab er dem Protestanten Unrecht. Er mußte die Stadt unverrichteter Sache verlassen. Die Franziskaner standen von nun an noch höher bei den Türken in Gunst als zuvor, und die Stadt Szegedin bewahrte den Ruhm einer der katholischesten Städte Ungarns, dessen sie sich noch jetzt erfreut. Drittes Regenwetter. ' Temeswar ist, wie wir schon oben andeuteten, die Residenz des großen serbischen Adels des Banats. Man kann sie als die Hauptstadt der österreichischen Serbier, 213 wie Belgrad als die Hauptstadt der türkischen Serbier betrachten. Es sind dieß die beiden größten Städte, in denen Serbier die erste Rolle spielen. Daher war auch das Gastmahl charakteristisch, welches der griechische Bischof hier kürzlich dem Fürsten Mi losch gab, als er nach Wien durchreiste und an dem alle vornehmen Serbier Antheil nahmen. Sie sind hier oft sehr prachtvoll eingerichtet, speisen von Silber und Gold, aber für Bildung und Wissenschaft haben sie wenig Sinn. In Gesellschaften reden sie deutsch, unter sich in kleinen Zirkeln serbisch. Sie sind alle Bewunderer der großen Macht Rußlands, von wo sie auch bisher ihre Kirchenbücher bezogen. Meistens sind es, wie gesagt, lauter neue Familien. Einige sind schon 60, 80 bis 100 Jahre alt. Je älter, desto gebildeter sind sie. Ihre Reichthümer beziehen sie aus den fetten Ebenen des Banats, besonders aus dem in Bezug auf Fruchtbarkeit blos mit Aegypten zu vergleichenden To-rontaler Comitate, welches sich an den Mündungen der Theiß und der Maros hin erstreckt. In diesem merkwürdigen Comitate zählt man allein nicht weniger als 16 bis 18 serbische Familien, deren jede 100,000 bis 150,000 Gulden Revenueen hat. Zu den billigsten Preisen haben sie im vorigen Jahrhunderte die schönsten Güter erworben, auf denen sie wie die unumschränktesten Dynasten von der Welt leben und die jetzt durch die Zunahme des Verkehrs in der Colonisation des Vanats s^t 80 Jahren um das Sechs-, Acht- und Zehnfache 'M Werthe gestiegen sind. Wegen der zwischen den 214 Serben und Ungarn (d. h. zwischen Slaven und Magyaren, neuem und altem Adel, neuer und alterer Bildung, Grie-chenthum und Katholicismus) bestehenden entschiedenen Abneigung kaufen sich sehr selten magyarische Edelleute in diesen Gegenden an. Nur die Comitats-Ve-amten sind in der Regel Ungarn. Eben daher und theils auch der vielen Deutschen wegen, die hier woh- . nen, hat auch die ungarische Sprache hier noch gering« ere Fortschritte gemacht als in anderen Gegenden des Landes. Die Abneigung der Deutschen und der Ungarn gegen die Serben oder „Razen" ist so groß, daß sie mir merkwürdig wurde. In der Regel ziehen beide den Walachen noch dem Serbier vor. Dem sei indeß, wie ihm wolle, soviel ist gewiß, daß es für einen Deutschen keine angenehmere Erscheinung im Banate giebt als die vielen gebildeten Deutschen, die man hier findet. „Ach, ich möchte da nicht wohnen, wo es keine Deutschen mehr giebt!" sagte mir einer von ihnen, und ich muß gestehen, daß ich ihm von ganzer Seele hierin beistimmte. In dew deutschen Gemüthe ist so viel Wohlwollen, so große Empfänglichkeit und Offenheit nach allen Seiten, ss viel Bildungsfähigkeit, Bildung und Gemüth, daß man selbst als Unparteiischer nicht umhin kann, sich i" freuen, m der Fremde von deutschen Leuten etliche zu finden. Ich möchte doch wissen, ob die Razen auch so denken, daß sie da nicht mehr wohnen möchten, wo es keine Razen mehr giebt, und die Walachen, baß 215 sie da auch nicht mehr bleiben möchten, wo keine Wa« lachen mehr sind. Diese Frage that ich mir aber ganz im Stillen, als es wieder anfing zu regnen. Ich mußte mich abermals und zwar zum letzten Male flüchten, denn mit diesem Regen brach auch zugleich der Abend ein, und es gab keinen Sonnenschein wieder. Ich ging zu einem liebenswürdigen deutschen Landsmanne, in dessen Familienkreise ich die letzten Stunden des Tags verbrachte. Ich sage, zu einem lieben deutschen Landsmanne, obgleich er ein ungarischer Deutscher war. Denn mit uns Deutschen ist es so bestellt: Ziehen wir in unserem Vaterlande einen engen Kreis von we» nigen Meilen, so finden wir sechserlei Nationen, Preußen, Hannoveraner, Sachsen, Weimaraner, Koburger, die sich mit mancherlei Verschiedenheiten und Abneigungen einander gegenüber stehen. Erweitern wir den Kreis zu einer Linie, die das Ganze umfaßt, und kommen Norddeutsche nach Südbeutschlanb, so begrüßen sie sich als liebe Landsleute unler einander, wenn sie auch noch so verschiedenen Fürsten gehorchen. Wenn m Oesterreich der Sachse einen Preußen, der Preuße "nen Hamburger reden hört, so glaubt er, heimathliche Töne zu vernehmen, und sie schließen sich an einander. In Ungarn aber und weiterhin stießen auch Nord- und Süddeutschland zusammen, und erst durch das Weilen M diesen Landern wird man fähig, im vollen Sinne "n deutscher Patriot zu sein und das ganze Vaterland N"t Liebe zu umfassen. Erst da erkennt man, wie 216 viele zarte und doch feste Bande der Verwandtschaft alle Deutsche mit allen Deutschen verknüpfen. Noch weiter hinaus giebt es dann selbst Gegenden/ wo nicht nur alles deutsche, sondern selbst alles germanische Blut sich zu lieben beginnt. In den romanischen Landern, in den entfernten slavischen, in Petersburg schon vermischt sich der Schwede, der Däne, der Holländer mit den Deutschen, die auch der Russe alle „Njemtzui" nennt. Im ganzen Osten Europa's sympathisiren alle Westeuropäer zusammen und erkennen, mit wie vielen gemeinsamen Banden sie verbunden sind, und welchen Gegen-satz sie zum Osten bilden. Man sieht dort Deutsche selbst mit Italienern fraternisiren. In Afrika oder in sonst einem entfernten Welttheile mögen am Ende wohl auch alle slavischen, germanischen und romanischen Gegensätze sinken, und selbst der Ungar und der Serbe/ selbst der Deutsche und der Russe werden sich hier als Landsleute und als Mitglieder der großen kaukasische" Race die Hände drücken. Der preußische, der sächsische und hannöver'sche Patriotismus, alsdann die deutsche Vaterlandsliebe, endlich die germanische Bruderliebe, ferner die europäische Verwandten-Zuneigung und die kaukasische oder indogermanische Stamm-Sympathie, es stnb dieß Alles in unseren Herzen verborgene Anlagen und in unserer Seele waltende Kräfte, die freilich in der Regel schlummern, die wir aber alle unter gewissen Umständen als thätig und in uns wirksam verspüren können, ^ls dem wüsten Trabanten unserer Erde, unter den bizarren Mondbewohnern würden wir endlich auch die Welttheil- 21? Antipathie, die europäischen und asiatischen Vorurtheile, die afrikanischen und australischen Abneigungen, den süd -und nordamerikanischen Völker-Gegensatz, den christlichen, Mahomedanischen und hindostanischcn Ncligionshaß, die in-do-germanischen, semmitischen und malaischen Racen-Nu-ancen in allgemeiner Liebe aufgehen sehen, und selbst in dem schwarzen Gesichte des Negers würde dort ein amerikanischer Dandy nur das Allgemein-Menschliche auffassen, und sogar eines Parisers Herz in Liebe erweicht werden zu den Hottentotten oder Paschärahs. Ja wer ahnt alle die Kräfte der Liebe und des Hasses, die das Weltall durchströmen ! Auf dem Sirius würden wir sämmtlichen Bewohner dieses Sonnensystems vielleicht Partei machen gegen das Wesen-Geschlecht jenes Sternes und einen Uranus-Bewohner als werthen Landsmann aus unserem Sonnensystem begrüßen. Wo aber endlich ist der Mittelpunct des Weltalls, wo alle Aeußerlichkeiten sinken, wo alle Wesen sich in Liebe umfassen, wo alle Disharmonie, welche diese Länder und Sonnensysteme feindlich durcharbeiten, in ewiger Harmonie aufgehen? Wie unzählige Stufen mögen wir noch durchzumachen haben, bis wir reif und fähig werden zu einem solchen alle Wesen liebevoll umfassenden Weltenleben? Solche und ahnliche Dinge verhandelte ich mit meinem lieben ungarischen Stammgenossen, als uns seine Hausfrau in diesen Betrachtungen unterbrach. Sie kam soeben, wie deutsche Frauen pflegen, mitten aus öligen Haushaltungs-Geschäften. Sie hatte gerade „Ribisel" und „Agresel" eingemacht. Da ich auf mei- 218 ner ganzen Reise durch Ungarn schon immer viel von Ribisel sowohl als von Agrescl gehört hatte, so wollte ich denn doch endlich einmal dahinter kommen, was dieß denn eigentlich für Dinge waren, und ich wagte vor dem Nachhcmsegehen die Bitte, daß man mich in einige Geheimnisse ^>es ungarisch-deutschen Küchenlateins — wie man gleich sehen wirb, ist dieser Name buchstäblich richtig — einweihen möchte. Wir gingen in die Küche, wo viele reinliche Gefäße mit allerlei leckeren eingekochten Früchten gefüllt wurden. Erstlich also „Ribisel." Dieses Wort ist lateinisch-ungarisch-deutsch, denn es werden damit diejenigen Früchte, welche wir „Johannisbeeren" nennen und welche auf Lateinisch bekanntlich Ail»e» (H.i1>f)8 rnder) heißen, bezeichnet. Von dem lateinischen Worte „i-idcs" ^h^ ^ Ungarn „Ri-bizli" und die ungarischen Deutschen „Ribisel" gemacht. „Agresel" aber sind die Stachelbeeren, welche auf La-teinisch „L,l!)«8 FrosslilÄlia" oder „^^resta^ und italienisch ,,3<;re8to" heißen. Davon haben die Ungarn ihr „exrt^cd", ^ Slaven ihr „e^ez", und die Deutschen „hob'n daraus ihr „Agrescl" g'mocht." Auch ein anderes sonderbares Wort für eine wohl« schmeckende Sache lernte ich noch in dieser Küche kennen, nämlich das Wort und die Sache „Manllen-Leck-war." Marillen sind Aprikosen, und Leckwar, welches vielleicht das verdorbene und verdrehte Wort „Latwerge" sein mag, bedeutet soviel als Mus. Man hat Leckwar der verschiedensten Art, z. B. „Marillen-Leckwar, Trauben-Leckwar, Tianoel-Leckwar." Um das letzte Wort 219 sich zu erklären, muß ein Norddeutscher wieder wissen, daß mit „Tindel" oder „Tiandel" die Corneliuskirschen hier getauft wurden. Endlich erfuhr ich nun hier auch etwas über die Bedeutung und die Vemtungsweise der ungarischen Weinausbrüche, wonach ich schon lange geforscht hatte. Nur von den edleren Weinen des Landes werden Ausbrüche gemacht. Vei den unedleren lohnt es sich nicht der Mühe. Man hat daher Tokaier, Menescher, Rüster und Ofener Ausbruch. Es werden zur Verfertigung des Ausbruchs die minder schönen und minder reifen und gelbgrünen Trauben zuerst zu dem gewöhnlichen Wein ausgelesen. Die schöneren, süßeren und reiferen Trauben laßt man noch an dem Stocke, um sie völlig nachreifen und etwas trocken werden zu lassen. Man nennt diese trockenen Beeren dann auch „Cibeben" oder Rosinen, weil sie beinahe so trocken werden, wie diese. Und von ihnen wird der Ausbruch gemacht. Der Name kommt, glaube ich, von dem Ausbrechen oder Auslesen der schlechten und der guten Trauben her. Bei Tokai und überhaupt in Oberungarn nennt man dasselbe richtiger: „Trockenveerwein." Die Trauben für den Ausbruch bleiben nun noch einige Zeit, oft bis in den November hinein, am Stocke hängen; dann werden auch sie geerntet. In sehr nassen und kalten Jahren, wo die Weinbeeren nicht zu großer Reife gelangen können, wird daher auch kein Ausbruch gemacht, und man schneidet, wenn man nicht mehr auf 220 viele Weine hoffen darf, dann alle Trauben für die ordinären Weine ab. Da natürlich der schönen und trockenen Trauben immer nicht so viele sind, so lohnt es sich nicht für jeden Weinbergsbesitzer, Ausbruch zu machen. Viele lassen daher ihre Trockenbeeren nur für andere sitzen, welche erklart haben, daß sie dieß Jahr Ausbruck machen wollen, und welche dann die Cibeben von jenen zusammenkaufen. Zu Zeiten werden diefe ausgesuchten trockenen Beeren zu sehr hohen Preisen verkauft (z. B. in Tokai im Jahre 1807 das Faß zu 100 Gulden, im Jahre 1718 gar zu 100 Thalern). Es wird nun auf die trockenen Trauben anderer guter Wein aufgeschüttet. Sie werden dadurch erweicht und dann zerstoßen. Der Saft der Cibeben vermischt sich mit dem Weine, dieser wird abgelassen, und das giebt nach der Gährung und den anderen gewöhnlichen Processen den ersten Ausbruch. Auf den Rest der Trockenbeeren gießt man dann noch einmal Wein auf, und dieß giebt den zweiten Ausbruch, die sogenannte „Maslasche." Oft macht man sogar noch einen dritten Ausbruch. Einige aber nehmen noch vor dem ersten Ausbruche die sogenannte „Essenz" vorweg. Diese entsteht dadurch, daß man die trockenen Trauben, ohne Wein aufzuschütten, ein wenig preßt und den dicken ausfließenden Saft ohne Hülfe eines anderen Weines die Gahrungsprocefse durch' machen läßt. Diese Wemefsenzen sind natürlich noch kostbarer und seltener, und in der Regel trinkt man sie nur, indem man sie anderen Weinen beimischt. Da 221 bei jedem Grade der Pressung der Traube auch Zanz andere Regionen und Theile jeder kleinen Veere zur Quetschung kommen und bei jeder Pressung also eine andere Art von Saft ausfließt, bei dem einen Grade blos der innere flüssigste Saft, bei dem anderen auch der äußere und äußerste der Schale, so hat natürlich jeder Grad von Ausbruch seinen ganz eigenthümlichen, dem Kundigen erkennbaren Geschmack. Es ist bemerkenswerth, daß so viele Ausdrücke bei'm Weinbau in Ungarn deutsch sind. Doch sind einige auch ungarisch, z. B. „Maslasch," vom ungarischen Worte „Nä»," d. h. ein „Anderer," ein „Zweiter." Die banatischen Niederungen und ihre Colonieen. Vie Regenschauer des vorigen Tages hatten sich am folgenden Morgen alle brüderlich die Hand gereicht, die einzelnen blauen Stellen am Himmel verschwanden in dem allgemeinen Grau, welches das ganze Firmament überzog, und der Regen, den die Banaler im Sommer so oft vergebens ersteht hatten, und den wir heute verwünschten, stieg in überschwanglicher Fülle zur Erde hernieder, wo er nun, da er z>o3t lestulN (nach dem Erntefeste) kam, nur den Walachen die Weinbottiche füllen half und uns die Wege verdarb. Die Wege in der fetten, schweren, weichen Erde des Banats bei Regenwetter sind wirklich unglaublich schlecht. Es läßt sich ihnen diesseits der Karpathen nichts an die Seite stellen. Nur noch wenige Meilen jenseits Temeswar geht ein sogenannter, „gemachter Weg" fort, dann aber hört alle Kunst an den Straße« auf, und man ist dem rohen Walten der Naturkräfte völlig preisgegeben. Wir waren daher mit Recht auf 223 em sehr langsames Vorrücken gefaßt, obgleich unsere Diligence nicht sehr überladen und mit sechs starken Pferden bespannt war. Diese Diligence war ein ziemlich einfacher, indeß doch wenigstens gegen den Regen gut geschützter Leiterwagen. Es gehen solche Wagen (gewöhnlich Privat-Unternehmungen) jetzt von Pesth «us in verschiedene Gegenden Ungarns. Der unsrige wurde von einem Fuhrmanne aus Szegedin, in welcher Stadt ein sehr bedeutendes Fuhrwesen betrieben wird, unterhalten. Der Wagen holte, so groß er war, die einzelnen Passagiere in ihren Hausern ab, und so fuhr er auch des Morgens früh mit lautem Hallo auf dem Hofe des tresslichen Wirthshauses zum Trompeter ein, um mich einzunehmen. Ich meinerseits war glücklicher Weise frei vom Fieber geblieben. Aber im Wagen saßen eine elende, kranke, junge Frau, die nach Pesth reiste, um sich dort kuriren zu lassen, — ein junger deutscher Handwerker, der vor vier Wochen nach Temeswar gekommen war, um Arbeit zu suchen, diese zwar nicht fand, aber oas Fieber bekam und der nun ebenfalls nack Pesth zurückreiste, — ferner ein Kutscher, der außerordentlich wohl und munter aussah, am anderen Tage aber ein sehr saueres Gesicht machte und sagte, er verspüre, daß das Fieber ihn packe, — ein unglaublich schmuziger und fieberkranker Jude, der unser Londucteur war, und außer Hm und mir noch ein sieberfreier Passagier. Mit dieser Leute hinfälliger Leiblichkcit schleppten sich also die sechs besagten ungarischen Pferde auf dem Banater 224 Ochmuze in das Temeser Comitat Hindus. Wir erkannten bald, daß es eine Unmöglichkeit sei, noch heute nach dem 14 Meilen entfernten Szegedin zu gelangen, und daß wir schon froh sein müßten, wenn wir gegen Abend noch wirklich die Mittelstation St. Miclosch er-leichten. Mir war dieß Alles ziemlich einerlei, denn langsam oder schnell, zu denken gab's am Wege immer genug, und ich war stets damit beschäftigt, die Gedanken bei mir zu verarbeiten, welche mir der Anblick der Dinge und der kleinen Ereignisse der Reise eingaben. Die junge Frau, die mit uns fuhr, zeigte, obgleich sie nicht aus einem der sogenannten höheren Stände war, doch viel Bildung und Gemüth und sagte mir, sie habe bisher in Temeswar gewohnt. Freilich sei die Veranlassung, weshalb sie nach Pesth gehe, das Fieber, das sie nicht loswerden könne, nicht gerade die angenehmste. Nichtsdestoweniger aber freue sie sich doch/ daß ihr Schicksal sie nun gerade in eine Richtung führ?/ die derjenigen entgegengesetzt wäre, in welche sie sich noch uor Kurzem habe wenden wollen. Kürzlich habe es nämlich geheißen, daß ihr Vater, ein kleiner Beamter, nach Siebenbürgen versetzt werden solle. Sie kenne dieses Land nicht, aber sie denke es sich dort sehr sin' ster und unheimlich, und die Leute sehr ungebildet, und sie hätte um Alles in der Welt ihrem Vater nicht dahin folgen mögen, bei dem sie als Wittwe wohne-„Jetzt geht cs nun nach Pesth," sagte sie, „ach mein liebes, gutes Pesth! O/ Sie glauben nicht, wie froh 225 lch bin, wieder dahin zu kommen. Ick) bin dort geboren, und die Menschen sind daselbst viel gebildeter und höflicher als in Temeswar. O, wenn wir erst die Donau sehen, wie wird mein Herz vor Freuden hüpfen!" Bei diesen Worten meiner Gefährtin fiel mir erstach eine deutsche Frau ein, die ich vor Jahren einmal 'n Befsarabien gesprochen. Sie war aus Siebenbürgen gebürtig. Wir s^n aus der beffarabischen Ebene, wo s'e jetzt in einem kleinen Orte wohnte, zu den entfernt am Horizonte dämmernden siebenbürgischen Alpen hinauf, und sie redete mit einer Begeisterung von der Bildung, die dort wohne, und dann mit einer Verachtung von der Barbarei, welche sie hier umgebe, daß ich wohl sah, wie ihre sehnsüchtigen Blicke nach Siebenbürgen, wie zu einem Lande des Lichts, hinaufgerichtet waren. Alsdann gedachte ich auch einer Wienerin, die mir m Pesth eine Parallele zog zwischen der Bildung in Wien und derjenigen, welche in Pesth herrsche. In Wien wiederum hatte ich einmal einen Westdeutschen über den Materialismus, ja die Unwissenheit und Uncultur, die in Oesterreich vorwalte, predigen hören, und ich selbst hatte schon mehre Male die Eindrücke erfahren, die man, die Gränze von Oesterreich ^ch Sachsen oder Baiern überschreitend, empfängt. " ist einem zu Muthe, als träte man in einen besser "leuchteten Saal. In Würtemberg und Baden glaubt "an wiederum weiter zu sein als in Vaiem, und in " That giebt es dort höchst charmante Leute. Aber in traßburg und der Schweiz halten sie sich weit über '^ 15 die Transchenanen erhaben, und in Paris gar, in welche Finsterniß vermeint man von dort aus zu blicken, wenn stwn in den badischen lorel. uoir hinaussieht. Wie ein leuchtender Blitz erhellte mir also die Rede meiner Gefährtin die ganze Stellung der Völker Euro' pa's. Wie die Mahomedaner von allen Seiten ihr An« gesicht nach Mekka und Medina gewendet haben, wie die Feueranbeter stets nach Morgen gekehrt sind, wo der Sonnenball sich emporhebt, so ist die Phantasie aller europäischen Nationen von Osten nach Westen gerichtet. Denn dort liegen die Quellen der Bildung, welche Europa durchrieseln, dort brennen die Feuer, deren Strahlen weit hin die Lander durchleuchten. Vom weit entfernten Sibirien, vom Kaukasus, — denn auch dort noch finden sich manche der Unseren (ich meine der Cultursonnen-Verehrer) — vom schwarzen Meere und von der Ost^ see her blickt man auf uns Deutsche. Die Siebenbürger/ die Ungarn, alle deutschen Lander in der ganzen österreichischen Monarchie sind Auge und Ohr für das, was man in Deutschland spricht. Die Dänen, die Schn>e< den bis zum Nordcap hin haben wieder uns Deutsche" das Angesicht zugewandt. Wir selber aber, indem wir den Russen den Nucken zudrehen, blicken, wenn auck nicht mit beiden Augen, doch mit einem nach Frank-reich hinüber. Die Franzosen wiederum wenden uns den Nucken zu und sehen nur sich selber an, denn sie glauben, auf dem Gipfel zu stehen. Auch die Italiener kehren uns den breiten Rücken zu und haben ihre eigene« Schwerpuncte. In dem schmalen Landerstriche, der von «27 England, Frankreich und Italien gebildet wird, da lie« gen die obersten Gipfel der geistigen Höhen Europas (Nom, London und Paris), von denen aus man auf alles Andere hinabsieht, wo man sich ganz oben fühlt, und von wo aus es in unzähligen feinen Abstufungen sich durch Deutschland nach Norden zu den Mooshüttcn der Lappen und durch Oesterreich und Ungarn über das südliche Nußland hin bis zu den nomadischen Heerden der Kalmücken hinab verstacht. Paris, Baden, Würtemberg, Baiern, Oesterreich, Wien, Pesth, TemeSwar, Siebenbürgen, Bessarabien, es ist eine Reihe von immer schwacher erleuchteten Zimmern. Schaut man aus einem der helleren Räume rückwärts, so schaudert man, und eS scheint einem AlleS dunkel. Blickt man aber vorwärts, so glaubt man Alles klar und strahlend zu sehen. Nähert man sich selbst dem einen ober dem anderen Ende, so sieht man zuweilen, wie sehr man sich in manchen Stücken tauschte. Man erkennt bann die Flecken der leuchtenden Gestirne und sieht den eigenthümlichen Schimmer selbst des dun-leisten Planeten. Auf weitere Gedanken und Einfalle brachte mich ble bunte Bevölkerung des VanatS, die jenseits Temes. war noch viel bunter wird, als sie es zuvor war. Am buntesten ist sie da, wo das Land am fruchtbarsten wüo, in der Torontaler Gespanschast. Hier ist der Bo« "" zwischen der Theiß und der Maros außerordent' "cd fett und bringt ohne Dünger, Jahr aus, Jahr ein, °h"t je sich zu erschöpfen, den schwersten Weizen hervor, 15* wie Aegypten. Darum nennen die ungarischen Schrift' steller diese Gegend auch das ungarische Aegypten, „über-täte locorum, coeliyno beniFnitut« nulli terraruM Von hier aus nach Pesth zu, jenseits der Theiß, geht's mit der Fruchtbarkeit immer mehr bergab, und im Pesther Comitate ist mehr unfruchtbare Sandstäche, als es in Ungarn sonst irgendwo giebt. Die unvergleichliche ägyptische Fruchtbarkeit sindet sich auf ganz gleiche Weise auch im Norden der Ma-ros, im Araber und Tsanader Comitate, und desgleichen findet sie sich in den Gegenden an der Körös im M-keser Comitate. Dort überall ist das Land ein so flach niedergetretener Butterkuchen wie im Banat. Gegen Debretzin zu wird es schon wieder etwas sandiger. Auf den bezeichneten fetten Niederungen nun war sonst zur Türkenzeit Alles gerade am allerwenigsten bewohnt. Denn natürlich floh unter ihrem Regimcnte die Bevölkerung in die etwas mehr Sicherheit gewährenden Städte und Gebirge. Man rief spater Italiener, Spanier, Franzosen, Deutsche, Serbier, Dalmatier, Bosnier und Bulgaren herbei, um diese Länder wieder zu bevölkern/ und jetzt sieht man da, wo vor 100 Jahren eine schmuzige Hirtenhütte, ein türkisches Vad, ein einsamer Brunnen oder ein armenischer Meierhof stand, Dörfer mit 5000, 6000, 8000, ja 13000 Einwohnern sich ausbreiten. Es fehlt freilich noch viel, daß hier scho" Alles so im Stande, so besetzt und bebaut sei, w«e es nach der Kraft und Energie des Landes sein könnte. 229 Namentlich sind die Comitate im Norden der Maros und Köros in der Errichtung von Colonieen hinter dem Banale zurückgeblieben, wo die österreichische Negierung wehr einwirken konnte. Merkwürdig ist es, daß man in dem ganzen Ba« nate keine magyarischen Eolonieen findet. Die Magyaren sind hier unter der türkischen Herrschaft fast völlig ausgerottet worden, und es ist kein einziges von Ungarn gestiftetes neues Dorf hier zu nennen. Im ganzen Banate sind sie blos einzeln und zerstreut zu finden und als Element der Bevölkerung kaum in Anschlag zu bringen. Die Ungarn, so weitschweifende und rastlose Nomaden sie sonst waren, so außerordentlich anhänglich und zäh kleben sie jetzt cm ihrem heimathlichen Boden. Es ist, als wenn sie gar nicht zur Auswanderung aus ihrem Vaterlande zu vermögen waren. Und doch gehört das Banat noch wesentlich mit zu ihrem Königreiche. Es sind mir, soviel ich auch gesucht habe, außerhalb der Gränze des eigentlichen Ungarns nur an drei Stellen ungarische Eolonieen bekannt geworden, erstens die beiden schon oben erwähnten magyarischen Dörfer zwischen der Dräu und der Sau in Syrmien, zweitens ein paar magyarische Dörfer am Dmestr in der Bukowina, die ich schon bei einer früheren Gelegenheit besuchte, und drit-tens mehre magyarische Colomeen in der Moldau und Bosnien, welche die Türken mit Gewalt dahin versetzen (was, wie ich glaube, auch bei den bukowinischen b" Fall war). Höchst selten sogar und sehr wider Willen soll ein 230 Magyar aus einem Comitate in's andere gchen. Wle sonderbar! Es ist, als wenn die Magyaren, die sonst »wig unruhig Bewegten, bevor sie endlich von den Ufern der Dwina und Wolga hier an der Donau ankamen/ wohl 10 Mal ihr Vaterland wechselten, nun des Wan-derns so überdrüßig geworden waren, daß sie sich jetzt gar nicht mehr vom Flecke rühren wollten. Es ist, als wenn sie die Rollen mit den Deutschen getauscht hätten, welche nun seit dreihundert Jahren mit dem Spaten, dem Pfluge, dem Hobel und dem Hammer in der Hand in das Land der Ungarn einwandern. Die Gutsbesitzer im Banale suchen überall bei An« legung neuer Dörfer deutsche Bauern zu bekommen. Denn es werden noch immerfort solche neue Colonieen angelegt. Gewöhnlich sind dieß solche Bauern, die in den übrigen Dörfern keinen eigenen Hof erwerben können. So trafen wir z. V. das neue, schöne Dorf SchaN« dorhaz (Aleranderhausen) in der Mitte des Weges zwi' schen Temeswar und St. Miklos. Dieses Dorf hat der Bischof von Agram in diesem Jahrhunderte anlegen lassen. Es hat dasselbe einen großen schönen öf' sentlichen Platz. Die Kirche mit zwei Thürmen, welche in der Mitte dieses Platzes steht, winkt dem Reisenden schon von Weitem entgegen. Um den Platz herum liegen, regelmäßig vertheilt, zierliche und nach einem und demselben Plane gebaute Häuser, und von ihm aus laufen fächerförmig, wie in Karlsruhe, die Straßen der, Colonie aus. Die Häuser sind mit freundlichen Farben, Weiß und Grün, angestrichen. Die Einwohner dleseS Dor- 231 fes sind eben durch solche neue Schößlinge aus alten deutschen Dörfern des Banats zusammengekommen. Man hat hier für solche uon Edelleuten für den Zweck von Colonieen angeworbene Landleute einen eigenen Ausdruck "funden. Man nennt sie „Contractualisten." Dik» selben stehen in den verschiedensten Verhältnissen zu ihren Grundherren, je nachdem sie über einen mchr oder minder vortheilhaften Contract mit ihnen cinig wurden. Da die Grunbherren immer nach deutschen Contractuci-listen verlangen, so ist es um so merkwürdiger, baß die Einwanderung deutscher Ackersleute in's Bannt gcmz aufgehört hat und seit 50 Jahren gar keine mchr gt' kommen sind. Die Grundhenen nehmen die Deutschen deßwegen gern, weil sie bci ihnen sicher sind, daß der Contract erfüllt wird. „Sie lieben uns aber doch nicht," sagte mir einer dieser Leute, „weil sie wohl wissen, baß der Deutsche, wenn er auch seine Pflicht thut, doch nie geneigt ist, mehr zu leisten, als wozu er contract» mäßig verbunden ist. Fordert m.in unrechtmäßig mehr, so widersetzt er sich. Die Walachen aber lassen sich d"s Fell über die Ohren ziehen." Auf einer Puste, wo wir anhielten, kam ich mit «lnem deutschen Schulmeister zusammen. Er trug einen so schönen Schnunbart, wie bei uns ihn mancher Hu« s"r nicht hat, war übrigens ein sinniger und kenntniß» reicher Mann und erzählte mir von sciner Schule. In derselben waren nicht weniger alö 600 Kinder (die Dörfer sind hier alle außerordentlich groß). Diese Schule "äre in drei Klassen gelheilt. Er hätte die zweite Llasse, 232 ein Oberlehrer die erste. Von den 3000 Walachen des Dorfes kämm etwa 40 Kinder in die Schule, und von den 3000 Deutschen über 500. Es giebt hier nämlich auch Dörfer, die halb von Walachen, halb von Deutschen bewohnt sind. Ich traf unterweges ein solches Dorf, in dem die Walachen alle auf der einen Seite der Straße, die Deutschen sämmtlich auf der anderen wohnten. Sie mischen sich aber nicht. Obgleich sie, wie gesagt, nur durch die Straße des Dorfes getrennt und obgleich unter den Walachen sowohl, als unter den Deutschen hübsche Madchen sind, so hat Amor doch noch nie einen Pfeil über diese schmale Straße gesandt. Die Liebe ist, scheint es, hier nicht so blind, daß sie nicht immer noch für die Unterschiede zwischen Deutschen und Walachen, zwischen Katholiken und Griechen Augen behielte. „So lange unser Dorf steht, ist noch nie eine Heirath zwischen einem der Unseren und der Walachen von der anderen Seite vorgekommen," versicherte mir einer der Einwohner dieses Dorfes. Ich fand dieß ganz unglaublich, aber er sagte: „Ja, j", 's isch so, 's G'blüt uetträgt's halt nit!" „O ja," bemerkte der Wirth, der hinzukam, „prügeln unter einander, das thun sie wohl, aber Heirachen nit!" In anderen Dörfern sind auch Deutsche mit Ungarn und Deutsche mit Serbiern unter ahnlichen Verhältnissen gemischt, doch mit den Ungarn verheirathe« sie sich leichter. Der Kutscher, welcher jenem Schulmeister die Pferde lenkte, war der Sohn eines französischen Bauers. Er 233 sprach deutsch und war auch sonst in anderer Hinsicht vollkommen verdeutscht. Es ist bemerkenswerth, daß die Italiener und Spanier, welche im Banat angesiedelt wurden, alle in der deutschen Nationalitat untergegangen sind, ebenso wie diejenigen Italiener und Spanier, von denen ich schon bei Ösen sprach. Was die Franzosen betrifft, so ist auch mit ihnen größtcncheils dasselbe der F'Ul. Doch soll in einigen französischen Ortschaften noch französisch gesprochen werden. Aber selbst diese, welche noch französisch unter sich reden, verstehen doch auch schon alle deutsch. Es zeugt dieß, besonders wenn man hinzunimmt, baß die Serbier und Walachen entschieden die Mehrzahl bilden, von einer weit größeren Hinneigung jener romanischen Völker zu den Deutschen als zu diesen östlichen Nationen. Die Italiener wurden vornehmlich der Seidenzucht und des Reißbaues wegen in's Banat gerusen. Allein beide Culturzwcige. sind, soviel man auch von ihnen, sowie von der im Vanat gepflanzten Baumwolle gesprochen hat, noch höchst unbedeutend. Im Lande selbst hört man kaum etwas davon. Es wurde mir sehr schwer, zu erfahren, wer denn hier noch eigentlich Baumwolle, Reiß und Maulbeerbäume pflanze. Das Ganze redu- ürr sich auf eine nicht erwähnenswerthe Bagatelle. Nur bie Seidenzucht möchte noch einigermaßen deßwegen zu nennen sein, weil mir allgemein versichert wurde, daß die Deutschen sehr üdel gegm dieselbe gesinnt seien. "Sie lieben den Maulbeerbaum nicht, unsere Deutschen," s"gle mir ein cameralistischer Beamter, „wenn sie con- 284 tractmaßig muffen, so pflanzen sie allerdings die festgesetzte Zahl von Bäumen, bekümmern sich aber weiter nicht um ihr Gedeihen, während der Weizen unter ihren Händen so reiche Ernte gewählt. Ja es giebt unter ihnen viele, die man geradezu Feinde des Maulbeerbaumes nennen könnte, und die ihn ausrotten, wo sich Gele« genheit dazu bietet." Das eigentliche Volk der Landleute beschäftigt sich im ganzen Banate gar nicht mit der Sei< denzucht. Meistens sind es nur einige Geistliche, Be» amten und Wittwen, die ihre Zeit damit ausfüllen. Wenn die Deutschen keine Freunde des Maulbeerbaumes sind, so bauen sie um so besser den Weizen und die Kartoffeln an, außerdem aber auch den Kuku° ruz, Taback, Mein lc, Bei den Italienern und Fran» zosen findet man den Neiß und den Maulbeerbaum als etwas Eigenthümliches. Die Magyaren sind am meisten mit dem Taback und Wein beschäftigt. Die Naizen Und Walachen haben sich den Kukuruz zu ihrer Lieb« lingspflanze erkoren. Mit der Pferdezucht beschäftigen sich wiederum die Deutschen mehr als mit der Vermehr« ung des Hornviehes, die Naizen und Bulgaren aber sind die vornehmsten Rindviehzüchter. Merkwürdig für die Stellung dieser Völker zu einander und zu dem Vertrauen, das man ihnen von oben schenkt, ist es auch noch, daß es den Deutsche« durchgängig erlaubt ist, ein? Flinte zu haben, während den Raizen und Walachen dieß meistens verboten wurde. Die Deutschen haben daher auch fast alle ein Schießgewehr im Hause. 235 Es ist eine Sage unter den Deutschen im Banat, — wenigstens wurde mir's an zwei verschiedenen Orten erzählt, da ich in keinem Buche etwas Positive« darüber erfahren konnte, so weiß ich nicht, was daran ist, — daß Maria Theresia, als sie bei ihren großen Kriegen in Geldnoth gewesen, das ganze Banat, d. h. Alles, was die Krone darin besaß, (dieß kam aber da» mals ungefähr dem ganzen Vanate gleich) gegen drei Millionen Gulden habe verkaufen wollen. Der Fürst Bathyany fti in der Provinz umher gefahren, um sich dieselbe vorher anzusehen, habe aber dann den Handel ausgeschlagen, indem er gesagt, das Banat fei nichts als ein Stück Himmelsgewölbe und darunter ein unabsehbares Stück Morast, wofür er so viel Geld nicht geben könne. Da waren nun zunächst Armenier aus Sie» bcnbürgen gekommen und hatten der Kaiserin das Land oft zu unglaublich billigen Preisen abgekauft, das Joch (1600 rüKlaftern) z. B. zuweilen für zwei Gulden W.W. und mitunter für noch geringere Preise. Jetzt dagegen habe sich durch die Colonieen, durch die gestiegene Cultur, durch die Austrocknung der Sümpfe :c. das Land so geho» ben, daß die Fürsten Bathyany, welche jetzt im nord« westlichen Winkel des Vanats ein einziges Gut besaßen, aus diesem Gute allein so viel Revenueen zögen, daß dadurch die Hälfte der Zinsen jenes Kaufpreises gedeckt werden könnte. Jetzt ist es so weit gekommen, daß bie Güter sogar zuweilen über ihren Preis bezahlt ""den, weil die reichen Serbier, welche des Adels wegen 236 nach Grundbesitz streben, sich diesen oft in Meistgeboten hoch hinauftreiben. Es ist aber keine Frage, daß, wenn man sich diese fette Erdscholle in ein anderes Land unter günstigeren Umständen, mit besseren Handelswegen und Abzugscanalen für seine Producte versehen denkt, dann ihr Preis und Werth noch 4 oder 5 Mal erhöht werden könnte. Es ist ein Jammer und Elend, daß die Natur hier und da mit ihren kostbarsten Schätzen so verschwenderisch umgegangen ist, während sie anderswo sich so karg gezeigt hat. Die fette Vanater Erde, in welcher man 4, 6 und 8 Ochsen vor einen Pflug spannen muß, liegt hier und da 4, ja 5 Fuß lief, während es anderswo Lander giebt, die mit einer leichten Decke von kaum 5 bis tt Zoll Ackerkrume bedeckt sind. Man könnte hier immerhin eine ganze Schicht von 2 bis 3 Fuß Pflanzenerde entbehren. Wie viele arme Sand-länder könnte man damit beglücken! Wenn der Fürst Bathyany gesagt hat, das ganze Banat sei ein Stück Himmelsgewölbe und darunter ein Stück Morast, so hat ein Anderer, ich weiß nicht mehr wer, von einem banatischen Wege folgende Desi^ nition gegeben, „es sei ein zwischen zwei Gräben ein-geschlossener unausweichlicher Morast." Diese Definition fanden wir besonders gegen Abend sehr treffend, wo auch die letzten Spuren der von Temeswar ausgehenden gemachten Wege langst verschwunden waren. Unser Wagen kroch trotz des ewigen Geschreies unseres munteren Kutschers und trotz der heroischesten Anstrengungen 237 unserer armen geplagten Pferde wie eine Schnecke im Schlamme fort. Es wurde am Ende finster, dabei hörte es nicht auf zu regnen. Der Stoff zum Reden war während des langen Tages nach und nach ganz verbraucht, und so bemächtigte sich denn bei diesem langweiligen Geschäfte allmählig aller meiner Reisegefährten eine vollkommene Redestauheit; entweder schliefen sie oder überließen sich ihren Gedanken. Ich hatte den ganzen hinteren Sitz des Wagens für mich allein, konnte von hier aus das Ganze übersehen und überließ mich nun ebenfalls meinen Gedanken mit ziemlich gemächlicher Resignation. Sie bezogen sich dießmal auf diejenigen Gegenstände, welche mich den ganzen Tag über beschäftigt hatten, nämlich auf die Colonieen der verschiedenen Nationen im Banale. Von diesen Colonieen im Vanate ging ich über zu den dolonieen-Vegründungen j« ganz Ungarn und gedachte der vielen Nationen, welche dieses Land noch jetzt, mehr oder weniger bleibende, mehr oder weniger bedeutende Ansiedelungen begründend, durchziehen. Ich bemerkte, daß einige Nationen gar nicht in diese, Niederlassungen stiftende Bewegung sich hineinziehen lassen, während andere bald für diese, bald für jene Art von Ansiedelung besondere Neigung verrathen. Ich verglich dann im Stillen Ungarn mit anderen Landern in Europa, und auf diese Weise gestalteten sich denn meine Gedanken über die friedlichen Wanderungen der europäischen Nationen und über ihre manchfaltigen Niederlassungen in den verschiedenen Gegenden unseres Welttheiles zu einer förmlichen kleinen Abhandlung, die ich wahrend der dreistündigen Nachl-Schncckenfahtt im Gedanken aus' arbeicele, und hier als einen kleinen Versuch, der seiner Neuheit wegen vielleicht auf einige Entschuldigung seiner Unvollstandlgkeit hoffen darf, einschalte. Es giebt in Europa mehre Nationen, welche gar keine, oder doch höchst unbedeutende Niederlassungen außerhalb ihres Vaterlandes begründet haben, oder doch wenigstens jetzt keine mehr begründen. Wir wollen mit der B^ trachtung dieser nichtwandernden Nationen beginnen, weil dadurch uns dann gleich diejenigen, auf die es hauptsächlich ankommt, am meisten in's Auge fallen. Jene Nationen sind folgende: I) Unsere Magyaren. Sie haben viele Lager, einzelne Gehöfte, Dörfer und Marktflecken in den W von ihnen eroberten slavischen und dakoromanischen Län» dern begründet. Sie haben von diesen Lagern und Marktflecken aus halb Europa, nämlich Deutschland bis an die Nordsee, — Italien bis an das adriatische und genuesische Meer, — Frankreich u. s. w., durchzogen, obne irgendwo eine Colonie, eine Niederlassung, ohne irgend eine nützliche Spur ihres Daseins zurückzulassen. Sie haben Bosnien, Bulgarien, Serbien, in verschie« denen Perioden, ganz oder nur zum Theil beherrscht, ohne daselbst irgend eine bleibende und noch jetzt bestehende Niederlassung zu hinterlassen. Selbst unter denjenigen Gebieten, die sie noch jetzt zu ihrem Vaterlande rechnen, giebt es manche/ in welchen sie als Element der Grundbevölkerung nicht zu Hause sind, z. B, das Vanat, Syrmien, Slavonien, Kroatien ic. Die wenigen Ausnahmen davon haben wir schon namhaft gemacht. Außerhalb Ungarns giebt es nur in Wien eine bedeutende Kolonie von Ungarn. Es sollen hier I5M0 Ungarn sein (indeß doch wohl auch diese nicht einmal lauter Magyaren?). 2) Die Russen. Auch die Russen verlassen Hr Vaterland nicht, sie haben nirgends eine Lolonie außerhalb ihres Vaterlandes gestiftet. Die einzige Ausnahme davon machen einige in Berlin mit russischen Waaren angesessene Kaufleute und eine kleine Colonie russischer Bauern bei Potsdam. Allenfalls könnte man auch die periodisch in Hammerfest und einigen anderen kleinen Hafenplatzen in Schweden erscheinenden russischen «Ascher als eine unbedeutende Ausnahme betrachten. Auch 2W in Leipzig halten sich oft lange Zeit wegen des Meß-Verkehrs mehre Russen auf, sowie ganz Europa beständig von den gebildeten Classen dieser Nation rastlos durchzogen wird*). Doch sind diese Ausnahmen so unbedeutend, daß sie kaum in Anschlag kommen. Und im Ganzen muß man die Russen durchaus denjenigen Nationen bei« rechnen, welche sich dem großen europäischen Völkerverkehre entziehen und nicht durch Wanderungen und Niederlassungen sich dem Gemeinwesen unseres Welttheiles nützlich machen. Sie halten sich vielmehr, im Ganzen genommen, sireng in den Gränzen ihres Vaterlandes, welches sie das heilige Rußland nennen. Wo ihr Zar und ihr Gott nicht herrscht, fühlen sie sich nicht zu Hause. Dagegen aber entwickeln sie innerhalb dieser bezeichneten Gränze ihrer Herrschaft, im strengsten Gegensatze zu den Ungarn, eine außerordentliche Wanderlust und Niederlassungs-Leidenschaft. Sie haben das ganze ungeheuere Gebiet dieser Herrschaft allmahlia, mit einer Masse von (5olonieen überzogen, sowohl Jäger-und Fischer-Colonieen, als auch militärischen und Ackerbau-Colonieen (besonders die Kosaken und Kleinrussen). Nicht nur viele von Grund aus neue Colomeen dieser *) Daß es in Chiwa und einigen anderen tatarischen Orten eine bedeutende Colonie russischer Gefangenen, — in Peking eine Colonie russischer Geistlichen, — in Nordamerika mehre Colonieen russischer Fischer und Pelzjäger giebt, gehört, da wir nur von dem europäischen Völkervertehre sprechen wollten, nicht hierher. 241 Art haben sie gestiftet, sondern auch jede alte Ansiedelung, die ihrem Vaterlande incorporirt wurde, haben sie mit solchen Colonieen-Anhängseln versehen. Den Magyaren fehlt es vollkommen an aller Industrie. Sie können sich daher den anderen Völkern 'n nichts nützlich machen, und außer ihrer Anhänglichkeit an ihren Boden mag daher dieser Umstand sie zu Hause halten. Den Russen fehlt es nicht cm Neigung zu industriellen Spekulationen, doch können sie nichts product-ren, was man in anderen Landern nicht besser machte, Und außerdem sind sie größtentheils ^lekae atlscripti und auch schon daher an die Scholle ihres Vaterlandes gefesselt. Was von den Nüssen gilt, gilt auch von vielen ihren unterworfenen Nationen, z. B. von den Letten und Lithauern, die blos ackerbauende Völker und ebenfalls durch ihre politischen Verhältnisse an ihre Hei-Math gefesselt sind, alsdann von den krim'schen und wolga'schen Tataren, welche unter den sie überwuchernden russischen Colonieen allmählig dahinsterben. Nur 'n Rußland selbst sieht man verschiedene Niederlassungen dieser Tataren, z. B. in Moskau, Novgorod und einigen anderen Städten kleine Gemeinden tatarischer Fuhr-^te. Auch als Kutscher und als Handelsleute mit gewissen Waaren (Shawls und Schlafröcken) sieht man sie, jedoch gewöhnlich nur sehr einzeln, im großen deiche zerstreut. Auch viele finnische Stämme scheinen unter der russischen Herrschaft zu verschwinden. 242 3) Die Polen. Die Polen haben ohne Zweifel von jeher an den Bewegungen des europäischen Völker-Verkehrs mehr Antheil genommen als die Russen, und es giebt und gab immer einzelne in verschiedenen Zweigen der menschlichen Beschäftigungen verstreute Polen in allen Landern. Allein von eigentlichen polnischen Colonieen, polnischen Factoreien, polnischen Gemeinden in irgend einem fremden Lande, die sie freiwillig, von industrieller Unternehmungslust getrieben, irgendwo gegründet hätten, hat man nicht gehört. Das unglückliche Schicksal ihres Vaterlandes allein hat sie in der neuen Zeit zu gezwungenen Kolonisten in verschiedenen Gegenden gemacht. Auf der einen Seite hin sind sie dadurch nach Westen in Deutschland, Frankreich, Eng-land und Amerika zerstreut worden, wo es namentlich in London und Paris bedeutende Polen-Gemeinden giebt, und auf der anderen Seite nach Osten, nach Sibirien, wo ebenfalls viele Polen gezwungene Niederlassungen aller Art gestiftet haben. Wahrend der Herrschaft, welche sie früher über mehre russische und lithauische Stämme ausübten, haben sie viele Adelscoloniecn in den Ländern dieser Stämme gestiftet und sogar die höheren Classen derselben fast durchweg polonisirt. 4) Die Spanier. So außerordentlich großartig diejenigen Colonieen sind, welche die Spanier und Portugiesen in anderen Welttheilen, in Amerika, Aft'ka und Asien, begründet h.ibcn, so wenig kommen sie h>^ wo wir die Colonieen und Wanderungen betrachten/ welche die europaischen Völker zu einander anstellten/ 243 in Betracht. Freiwillig haben die Spanier nur wenige Eolonieen im übrigen Europa gestiftet. Einige Handcls-etablisssmmts in England und Frankreich, sowie einzelne wenige Lolonieen in den österreichischen Staaten, wo spanische Militärs, die durch die Verbindung der Habs-bllrgischen Häuser dahin gezogen wurden, zuweilen ansässig gemacht wurden, sind davon auszun'chmen. In verschiedenen österreichischen Provinzen findet man noch Mehre spanische Familien-Namen aus jener Zeit her verstreut, wie auch aus eben dieser Zeit herrührende deutsche Namen in Spanien. Die ganze Energie der Nationen der pyrenäischen Halbinsel wandte sich nach Westen und Süden über's Meer nach Afrika und Amerika, wo sie nicht nur viele Städte stifteten, sondern auch ganze große Reiche begründeten und diese Reiche mit einer Grundbevölkerung aus allen blassen der Gesellschaft versahen. 5) Die Türken müssen wir insofern hierher rechnen, als sie zum Theil in Europa wohnen. Sie ha-bm, kann man sagen, in Europa fast keine anderen ^s militärische Niederlassungen begründet. In allen den Landern, welche unter ihrem Scepter lagen, haben sie nur als Gouverneure, Festungscommandanten und. Soldaten gelebt. Sie sind gar nickt oder nur hier und b" in gewisse Elassen (z. B. in Bosnien bei'm Adel, bann in Albanien) mit ihrem Glauben, ihren Sitten. 'l)"r Sprache (der bosnische Adel spricht in der Re-9°l nicht einmal türkisch) durchgedrungen. Ucberall, wo >hre Herrschaft abgestreift wurde, (in Griechenland, Uw 244 gärn, Serbien, der Walachei) verschwanden sie daher auch völlig. Nur einige solche militärische und befestigte Co-lonieen haben sie noch jetzt in jener Festungskette auf serbischem Grund und Boden, die wir oben betrachteten. Die, welche sich bel uns als handelnde Türken zeigen, sind in der Regel andere, nur den Türken unterworfene Nationen, Juden, Armenier :c., aber keine eigentlichen Osmanlis. 6) Die Dakoromanen oder „Walachen" (ein Volksstamm mit mindestens 7 Millionen Stammge-noffen). Auch von ihnen gilt, daß sie ihrer politischen Verhältnisse, ihrer geringen Industrie, ihres Mangels an Cultur und Kenntniß wegen selten über die Gran-zen ihrer heimathlichen Lander hinauskommen. Doch haben sie auf österreichische Veranlassung hier und da in Ungarn und Siebenbürgen und der Militärgranze neue Ackerbaucolonieen gestiftet. Auch findet man natürlich in den Hauptstädten derjenigen Lander, zu welchen sie gehören, immer einige walachische Beamtencolonieen-Die meisten sind z. B. in Wien, dann in Pesth und Lemberg. Sehr viele walachische Edelleute befinden sich auch in russischen Diensten, und in Odessa halten si^ mehre walachische Erpatrioten auf. Doch ist dieß Alles unbedeutend. Diese genannten Nationen also und noch eimge andere völlig unbedeutende (als z. V. die Lappländer) können wir als solche bezeichnen, welche man auf den großen europaischen Völkermärkten in der Regel nichl sieht, und die entweder, weil ihr Naturell der W""^ 245 derung abgeneigt, oder weil ihre Industrie nicht so bedeutend ist, daß sie sich anderen Völkern nützlich machen können, oder endlich weil ihre politischen Verhältnisse sie an den heimathlichen Boden fesseln, in der Regel nicht als Colonistm unter den übrigen europäischen Bewohnern erscheinen. Es bleiben demnach nun noch als europäische Völker, welche vorzugsweise in den Kreis unserer Betrachtung fallen, folgende: I. Die westlichen und südlichen Slaven (Böhmen, Serben :c.). II. Die Griechen. III. Die romanischen Franzosen, Italiener. IV. Die germanischen Engländer, Niederländer, Dänen, Normanen, Schweden, Deutschen. . V. Außer diesen Hauptvölkern mehre Nebenvölker: Juden, Armenier, Zigeuner, Vucharen, Indier ic. I. Die Slaven. Unter den Slaven sind keine zur Wanderung mehr geneigt als die Böhmen und Serben. 3u den Böhmen gehören auch die Mähren und Slowaken (die Bewohner des nordwestlichen Ungarns), zusammen eine Volksmenge von mehr als 6M0M0 Menschen, die in Europa auch außerhalb der Gränzen 'htes Vaterlandes eine nicht unbedeutende Rolle spielen. 3u verschiedenen Zeiten, bei sehr verschiedenen Anessen und zu sehr verschiedenen Zwecken sind von je-her Slaven dieses Stammes in's Ausland geführt wor-ben- Als ackerbauende Colonisten finden wir sie in 246 mehren Provinzen der österreichischen Monarchie, z. B. im Bannte. Als religiöse Flüchtlinge, sowohl als uon bett Hussiten vertriebene Katholiken, wie auch als uon den Katholiken verjagte Hussiten, kamen sie in beinahe alle Theile Europa's. In und bei Berlin giebt es noch in diesem Augenblick eine kleine böhmische Colonie. Die mahrischen Brüder stifteten deren selbst in fernen Welttheilen. Böhmische Hussiten-Schwärmc vermehrten und verstärkten zu wiederholten Malen ihre in Ungarn ansässigen slavischen Brüder. Die Vohmen gehören namentlich zu den industriö-sesten Unterthanen der österreichischen Monarchie, und man findet sie als Fabrikanten, als Manufactunsten und Handwerker in allen Städten dieses Reiches niedergelassen. Ebenso merkwürdig ist die Rolle, welche die Böhmen und Mähren in der österreichischen Beamten--Hierarchie spielen. Es giebt in Wien, wie überhaupt in allen österreichischen Provlnzstädten kaum ein Decasterium oder Bureau, in welchem nicht Böhmen eine bedeutende und oft die bedeutendste Rolle spielten. In Wien ist namentlich die böhmisch-mährischslowakische Kolonie außerordentlich bedeutend, und man findet sie hier von dem Kreise Derer, welche den Thron zunächst umgeben, bis zu den allergeringsten und ärmsten Tagelöhnern herab. Ganze Schwärme von Vöh-men wandern jährlich nach Wien, weilen dort eine Zeit lang und kehren dann mit ihrem Erworbenen in ihr Vaterland zurück, oder lassen sich daselbst auch für «mmet nieder. 24? Ebenso senken sich aus den Thälern der von Tschechen (Vohmen-Slowaken) bewohnten oberungarischen Berge zahlreiche Eolonleenschwarme herab nach dem Süden hin. Sie haben nach dem Zeugnisse eines einheimischen ungarischen Schriftstellers „unter allen Bewohnern Ungarns die meiste Fortufianzungskraft und das energischeste Attrattions-Vcrmögen. Denn wo dieselben bisher unter Magyaren und Deutschen einmal Wurzel faßten, hörten beide auf zu gedeihen, und in einer Zeit von wenigen Generationen wurden dieselben entweder selbst zu Slowaken, oder sie starben ganzlich ab." Beispiele ganzer und halber Städte und Dörfer, die seit 200 Jahren von den Deutschen an die Slowaken übergegangen sind, giebt es sehr viele. Ebenso groß ist die Zahl der magyarischen Flecken und Dörfer, welche im Süden Ungarns von den Türken verwüstet, von den Slowaken (und Serbiern) aber wieder in's Leben gerufen wurden. -Als Krämer wandern die Tschechen (z. V. die Mahrer mit Arzneiwaaren, die Slowaken mit Leinwand und anderen Manufacture«) durch alle Theile der österreichischen Monarchie und (sonst wenigstens) durch viele Gegenden Polens. Die mährischen Arzneiwaaren-handler findet man selbst in den entferntesten sibirischen Städten. Im Dienste der Künste und Handwerke zerstreuen sich die Tschechen ebenfalls in alle Welt. Die böhmischen Musiker sind auf der ganzen östlichen Hemisphäre bekannt, die slowakischen Nastelbinber oder Has- 243 ner wenigstens in ganz Deutschland und Polen, die mährischen Thierärzte bis tief in Nußland hinein, und endlich, wenigstens in Ungarn und Galizien, die slowakischen Olejkari (Oelkrämer), kIlrannitscln (Safranbrauer), riatennici (Leinwandhändler), Glashandler, Wachshändler, Lebküchler und noch viele andere Hau-sirer der verschiedensten Art. Will man indeß dasjenige Landergebiet, auf welchem die Tschechen als Colonisten vorzugsweise bedeutsam erscheinen, naher bestimmen, so muß man die Staaten des österreichischen Kaisers als solches bezeichnen. Außer den Tschechen ist keiner der südlichen und westlichen Slavenstamme in Bezug auf Wanderung und Colonieenstiftung so äußerst merkwürdig als der der Serbier. Sie sind erstlich im südlichen Ungarn ungefähr das, was die Slowaken im nördlichen, d. h. sie haben hier, wie jene dort, viele neue ackerbauende Colonicen außerhalb ihres Varerlandes gestiftet, sowohl in der ganzen Militärgränze hin, als auch im Banate und in anderen ungarischen Provinzen. Wie die Böhmen zum Theil durch die hussitischen Unruhen, so wurden die Serbier zum Theil durch die türkischen Plackereien dazu veranlaßt. In großen Schwärmen kamen sie hier zu verschiedenen Epochen in das österreichische Gebiet, wo sie aufgenommen und als ackerbauende Soldaten angesiedelt wurden. Außerdem aber, und dieß ist noch wichtiger, ist 249 dieses Volk von großem Handelsgenle beseelt, und da seine Nachbarn, die Ungarn, nichts weniger als kaufmännische Talente und Gaben besitzen, so haben sich denn die Serbicr, Handclsetablissements begründend, durch ganz Ungarn verbreitet. Fast alle ungarischen Städte, vornehmlich aber die Donaustadte, haben eine sogmannte „Razen- ober Serbcnstadt," wie unsere Städte wohl ein Juden-Quartier. Und das äußerste Glied dieser serbischen Donau-Colonieenkette befindet sich in Wien. Die Serben — als eine minder cultivirte Nation — haben weniger Sinn für die Manufacture«, Handwerke und Künste als die Böhmen. In anderen Chargen als in denen von Handelsleuten und ackerbauenden Soldaten finden sie sich kaum oder wenigstens auf keine irgend bedeutsame Weise. Auch in der ganzen türkischen Monarchie finden sich Serbier zerstreut, und wie die Böhmen, obgleich nicht zur herrschenden Nationalität gehörend, in Oesterreich dock) oft zur höchsten Gewalt gelangten, so gaben auch die Serbier, obgleich eine unterjochte Nation, doch dem türkischen Staate oft seine ausgezeichnetsten Groß-vesire und obersten Beamten. Und noch jetzt sind Mehre der ersten Pascha's geborene Serbier. Wenn man den Tschechen hauptsächlich die Länder der österreichischen Monarchie als das Gebiet ihrer Verzweigungen und Wanderungen zuschreiben muß, so kann man den Serbiern als ein solches Gebiet nur das Königreich Ungarn vindiciren und zwar auch hier nur vor- 250 zugsweise die der Donau naheliegenden Gegenden. Ihre äußerste Colonie ist in Wien. Süd-, nord und westwärts von Wien findet man keine Spur mehr von Razen. Außerdem aber, wie gesagt, finden sie sich auch noch in der ganzen türkischen Monarchie und endlich in einem Theile von Rußland. Denn auch nach Nußland, in das sogenannte Neuserbien, wanderten serbische Ackerbauer, welche, 3llMl) an der Zahl, unter Maria Theresia Ungarn verließen. Auch sindet man unter den russischen Beamten und im Militär, obgleich selten, geborene Serbier. Die nächsten Verwandten der Serbier sind auf der einen Seite dieKroaten und Slavonier, auf der an-deren die Bulgaren. Es finden sich einzelne kroatische Dörfer bis zu den Thoren von Wien. Auch kommen die Kroaten als Zwiebelhandler und als sonstige unbedeutende Kramer und Hausirer wohl in andere Theile der österreichischen Monarchie. Doch läßt sich dieß mit den Wanderungen und Ansiedelungen der Serbier und Tschechen in keinen Vergleich stellen. Die Bulgaren haben ebenfalls, meistens in neuerer Zeit, außerhalb ihres Vaterlandes einige ackerbauende Colonieen gestiftet, z. B. im Banale (mehre blühende Dörfer), in der Walachei (einige Dörfer und auch in den Städten Gemeinden politischer Flüchtlinge) und endlich in Südrußland, wo es um Odessa herum sllt dem letzten russisch-türkischen Kriege ebenfalls mehre bulgarische Dörfer giebt. 251 II. Die Griechen. Die Griechen waren ehemals das im südlichen Europa und im westlichen Asien, was späterhin die Germanen für den Osten und Norden Europas wurden, die Colonieenstifter und Städtebauer bei allen un-cultiuitteren Nationen. Es ist hier, wo wir mehr von der heutigen Zeit sprechen, nicht unsere Absicht, die ungeheueren (5olonieen-Verzweigungen der alten Griechen im Detail zu überblicken, welche sich durch das ganze mittelländische Meer bis zu den Säulen des Hercules und dann durch dos schwarze Meer bis zum Kaukasus und tief in Skythien hinein zogen. Doch müssen wir wenigstens im Ganzen uns das Bild dieser Verzweigungen vergegenwärtigen. Denn im Grunde genommen ist der griechische Handelsgcist ungefähr in denselben Gränzen und auf ähnliche Weise, wenn auch nicht in dem ganzen ehemaligen Umfange und mit der ganzen alten Thatkraft, noch jetzt wirksam. Nicht nur in allen Städten der türkischen Halbinsel, in dem freien Königreiche Griechenland, auf den Inseln des ageischen Meeres, in den Städten Maccdoniens und Thrakiens (vornehmlich in Thessalonich und Konstantinopel), nicht nur in den kleinasiatischen Städten, sondern auch in den neuen russischen Handelsplätzen am schwarzen Meere, in Odessa, Taganrog lc. spielen die Griechen als Großhändler, als Banquiers, als Seeleute die vornehmste Rolle. Auch in den meisten vornehmsten Handelsstädten im Inneren "on Rußland, z. V. in Moskau und Twer, finden sich be> deutende griechische Handels-Etablissements, und man 252 kann die Kette oder vielmehr das Netz ihrer Nieder« lassungen bis Petersburg verfolgen. Eben ein solches Netz von Ansiedelungen griechischer Negotianten zieht sich durch die Walachei durch Ungarn und die ganze österreichische Monarchie bis nach Wien und Leipzig hin. In allen Städten und Marktflecken Ungarns findet man Griechen. Doch machen sie daselbst (anders als die Serbier) auch nirgends eine einzige unvermischte Dorfgemeinde aus (im südlichen Rußland giebt es allerdings mehre ackerbauende griechische Colomeen). Durch ihre Hände gehen die meisten Gelder und Waaren, die von Oesterreich nach der Türkei zielen. (In Bezug auf die Waaren concurriren mit ihnen die Serbier.) Es sind dadurch unter ihnen in der österreichischen Monarchie geschlossene Handels-Com-pagnieen veranlaßt worden, deren Mitglieder von Athen und Theffalonich bis Pesth und Wien, von Trapezunt bis Leipzig sich die Hand reichen. In Wien ist der größte Banquier nach Rothschild, Sina, selbst ein Grieche, und in Leipzig giebt es einige bedeutende griechische Häuser. In den Gegenden/ wo Griechen und Serbier -concurriren, kann man beide ungefähr so unterscheiden, baß jene mehr den levantischen und dann, gleich den Juden, den Geldhandel, diese aber mehr den Binnenverkehr und dann den Probuctenhandel, z. B. den Kornhandel des Banats, den ungarischen Viehhandel :c., betreiben. 253 III. Die romanischen Nationen. Die alten Italiener, die Kinder oder doch dieZög-linge der Griechen, die weltbeherrschenden Römer, sind ohne Zweiftl diejenige Nation, welche das Auswander-ungs- und Colonieenwesen am beßten organisirt hatte, und von welcher im Alterthume selbst noch weit zahlreichere und auch für die Jetztzeit noch weit wichtigere Colonieen-Stiftungen ausgingen, als von den Griechen. Es liegt indeß die genauere Betrachtung dieser interessanten römischen Colonieen außerhalb des Kreises unserer Abhandlung. Die ehemaligen Theile des großen Niesenreichs bilden wiederum eigenthümliche Staaten und Namen, die sich allerdings noch in den alten Bahnen, aber doch von einander gesondert und ohne Zusammenhang bewegen. Für Europa sind von den romanischen Nationen keine wichtiger als die jetzigen Italiener und Franzosen. Naher als die römische Colonieemvelt liegen uns die Wanderungen und Ansiedelungen, welche von den Italienern desMittelalters ausgingen. Die meisten derselben bezogen sich auf den Handel und gingen vorzugsweise von Venedig und Genua aus. Diese italienischen Kaufleute und Schiffer traten in die Fußstapfen der Griechen, als das Genie dieser letzteren von den Türken gehemmt und unterdrückt wurde, und erfüllten das schwarze, das ägeische und das mittelländische Meer (besonders den östlichen Theil desselben) mic 'hrm Thaten, Schiffen und Comptoircn. Durch die 254 Entdeckung Amerikas und des Seewegs mich Indien wurden sie gestürzt, und während ihre romanischen Nachbarn und Brüder, die Portugiesen und Spanier, sich ganz diesen neuen Colonieengebieten zuwandten und in Europa selber fast nie hinausschwärmten, nahmen die Italiener (trotz ihres Columbus) an jenem außereuropäischen Schwärmen sehr wenig Antheil, und ihre auswärtigen Handelscolonieen wurzeln noch jetzt fast alle auf europaischem Boden. Trieft, die dalmatinischen Häfen, Odessa, Taganrog, Smyrna, Konstanlinopel, mit einem Worte das Colonieengebiet der Genueser und Venetianer, sind auch noch jetzt diejenigen Orte, wo man am meisten italienische Kaufleute, die mit dem See-Handel zu thun haben, angesiedelt findet. Außerdem aber findet man ja auch in fast allen deutschen, polnischen und ungarischen Städten bis nach Rußland hinein und bis nach Schweden hinauf gewisse Handelszweige mit gewissen Waaren, italienischen und leuantischen Früchten, italienischen und levantischen Weinen, so ausschließlich in den Händen italienischer Auswanderer, daß man in Deutschland z. V. den Namen „ein italienischer Laden" oder „italienischer Kaufmann" schon vorzugsweise für einen solchen Kram gebraucht, selbst wenn er nicht gerade von einem Italiener betrieben wird, ebenso wie man noch jetzt in Ungarn mit dem Worte „Wälscher" vorzugsweise den Gewürzhändler bezeichnet. Nach Ungarn kamen von jeher viele Italiener (lw»j>>te8 latin,), besonders seitdem im vierzehnten und 255 fünfzehnten Jahrhundert Könige und Königinnen aus Italien geholt wurden. Es wanderten in jener Zeit viele italienische Priester nach Ungarn aus, wo sie fette Pfründen fanden, ebenso wie auch noch jetzt nach Bosnien und einigen anderen türkischen Provinzen italienische Priester gesandt werden, die dort freilich nicht so gute Versorgungen finden. Solche italienische Priester schwärmten übrigens ja in alle Welt hinaus. Auch ackerbauende Italicner kamen nach Ungarn, z. B. in's Vanat, besonders um dort den Reiß und- den Maulbecrbanm zu bauen. Der Seidenzucht und der Seidenfabrikation wegen wanderten von jeher, und wandern noch in diesem Augenblicke nicht wenige Italiener nach Frankreich, Deutschland (namentlich nach Tirol) und Ungarn aus. Einige Italiener neigen sich mehr zur Auswanderung als andere, vor allen diejenigen, welche die nördlichen italienischen Gebirge bewohnen, — die Savo-yarden, die Bewohner der italienischen Eantonc der Schweiz, der italienischen Consinien Tirols u. s. w. Die Savoyarden spielen bekanntlich in ganz Frankreich und namentlich in Paris als Schornsteinfeger, Stiefelputzer und Possenreißer eine bedeutende Nolle. Selbst in Ungarn waren noch bis in dieses Jahrhundert hinein alle Nauchfangkehrer Savoyarden. Italienische Salami- und Parmesan-Kasekramcr, Chocolatenmacher durchziehen Ungarn und die ganze österreichische Monarchie. Namentlich findet man sie auch in Wien. Die Consiseurs und Kaffecwirthe aus den italienischen Kantonen der Schweiz fehlen fast in keiner Haupt' und 258 Nebmstadt Europa's, und italienische Gypsfigurenver-fertiger und Stukkaturarbeiter sind ebenso allgemein verbreitet. Italienische Musiker und Sanger stehen mit den Deutschen an der Spitze der europäischen Musik, und auch sonst giebt es noch viele wichtige und unwichtige Chargen und Posten/ welche in dem europaischen Völkerhaushalte von Italienern besetzt zu sein pflegen. Bemerkenswerth ist aber im Allgemeinen sowohl die große Manchfaltigkeit ihrer Beschäftigungen, als auch die große Zerstreutheit ihrer Ansiedelungen. Sie erscheinen in allen Ländern Europa's fast nur einzeln. Nirgends bilden sie eine Factorei; nirgends giebt es italienische Städte-Quartiere, wie in Ungarn die „Nazen-städte", oder wie in Nußland die „deutschen Sloboden" und in Deutschland die „Iudenviertel," nirgends Fac-toreien, wie die englischen Factoreien (z. V. die englische Factorei in Petersburg). Betrachten wir diese allgemeine Verbreitung der Italiener in Europa, bemerken wir namentlich auch, wie viele italienische Familien in den Adel vieler europäischen Staaten übergingen, (in den höheren Classen Frankreichs giebt es viele Familien italienischen Ursprungs, in Oesterreich ist es dasselbe, auch in Ungarn, desgleichen in Rußland, sogar in kleineren deutschen Staaten, Z. B. in Hannover und Oldenburg, findet man ebenfalls italienische, jetzt freilich nationalisirte Familienstamme unter dem Adel) und fragen wir dann nach den Vettern der Italiener, nach den Spaniern, so geht' 257 hieraus insbesondere ber große Unterschieb ber Gtellung der Italiener und der Spanier und ihrem Verhältniß zu Europa hervor. Merkwürdig ist es, daß die Franzosen im Ganzen so wenig Eolonieen gestiftet haben, und daß Alles, was von ihnen ausgegangen ist, sich nicht im Entferntesten mit dem, was die Italiener im Mittelmeere, oder mit dem, was die Spanier und Portugiesen in Amerika, Afrika und Ostindien ausrichteten, vergleichen läßt, geschweige denn mit dem, was die germanischen Nationen in Europa wie in allen Welttheilm thaten. Alle französischen außereuropäischen Eolonieen (in Canada, Gujana, Afrika, Ostindien :c.) erscheinen gegen die neben ihnen aufgeblühten spanischen, englischen, holländischen Pstanzstadte und Staaten höchst unbedeutend, und nirgends haben sich die Franzosen, es sei denn jetzt in Algier, ein großes Colonieen-Laud eröffnet. Auch in Europa selbst giebt eS im Ganzen nur wenige Chargen, welche ihnen ausschließlich zu Theil werden, und welche sie in unseren Staaten regelmäßig erscheinen lassen. Es giebt kein europäisches Land (Belgien vielleicht ausgenommen), wo die Franzosen in so dicht gedrängten Colonieen erscheinen, wie z. B. die Serbier in Ungarn, oder wie die Deutschen in slavischen Landern. Es giebt kein Land, wo die Franzosen versucht hatten die ackerbautreibende Grundbevölkerung zu bilden. ES giebt auch keine Stadt außer Frankreich (Belgien wieber ausgenommen), in welcher die Franzosen sich in solchen compacts« Massen zeigten, wie z. B. die Ita' iv. 17 258 liener in Wlen, oder die Deutschen in Paris. (London hat von allen nichtfranzösischm Städten Europa's wohl die meisten Franzosen,) Mm könnte daher den Franzosen vor allen anderen Völkern Europa's den Wandertrieb oder die Fähigkeit, Colonieen zu stiften, mn wenigsten beilegen. Es giebt in Europa nur sehr wenige französische ackerbauende Colonieen, z. B. in Ungarn einige, in Südrußland einige. Doch stammen auch selbst diese mehr aus dem westlichen, unserem Deutschland verwandten Theile Frankreichs, aus Elsaß, Lothringen und Luxemburg. Man nennt sie daher in jenen Landern zwar „französische Colonieen", doch sind sie es nicht alle. Auch wurden sonst wohl hier und da einiger Industriezweige wegen Franzosen in andere Lander gerufen, jedoch nur höchst selten und einzeln. Weniger der freie Auswanderungslrieb, als politische und religiöse Unruhen haben die Franzosen zuweilen in das außerfranzöfische Europa getrieben und durch sie französische Industriezweige in andere Lander versetzt. Die französischen Colonieen in Dresden, Berlin und anderen deutschen Städten stammen aus den Zeiten der religiösen Verfolgungen in Frankreich. Die politischen Unruhen und Kriege des letzten Jahrhunderts gründeten überall in Deutschland und England vorüber' gehende französische Niederlassungen. Nur wenige dieser Niederlassungen waren bleibend, obgleich allerdings seitdem nicht nur in Deutschland, sondern auch in Nuß- 259 land, sogar in Asien zerstreut einige Franzosen hangen geblieben sind. Im vorigen und vorvorigen Jahrhundert durchschwarm-ten französische Abenteurer ganz Europa und spielten an den verschiedenen Höfen der Länder oft sehr bedeutende Rollm. Das hat aufgehört. Aber französische Erzieher und Erzieherinnen, namentlich aus der französischen Schweiz, Genf, Lausanne, Neufchatel und dann aus Paris, aus Mömpelgard und noch aus einigen anderen durch sie berühmten Platzen sind noch jetzt in allen Städten Deutschlands, Schwedens, Polens, Rußlands ic. so häufig, daß sie in vielen wirklich kleine Colonieen und bemerkbare Elemente der Stadtbevölkerung bilden. Französische Weinreisende, französische Bijouterie-Händler und Edelsteinschleifer, französische Köche, Pasteten-backer und Consiseurs, alsdann, was noch wichtiger, französische Dessinateurs in den deutschen Fabriken, französische Decorationsmaler, französische Putzmacherinnen, französische Etuisverfertiger findet man in allen Theilen Deutschlands, in allen Fabriken Deutschlands, in allen Hauptstädten Europa's, in Wien, Dresden, Berlin, Petersburg, Moskau, Konstantinopel. Obgleich hiermit noch keineswegs alle Chargen genannt sind, welche die Franzosen noch jetzt zum Theil m Europa zu bekleiden pflegen, so gilt doch von ihnen im Ganzen dasselbe, was wir von den Italienern sagten. Sie sind außerordentlich vereinzelt und zerstreut. 17* 260 IV. Die germanischen Nationen. Wir kommen nun endlich zu den germanischen Nationen, von denen man im Allgemeinen behaupten kann, daß sie jetzt an der Spitze der meisten Angelegenheiten des Erdballes stehen, und daß sich Alles, was sich hienieden auf diesem Sandkorne, den wir unseren Globus nennen, geistig regt, sich entweder mittelbar oder unmittelbar in ihren Formen und Bahnen bewegt, indem alle diese Nationen entweder reine germanische Stämme sind, als z. B. die Bewohner Norwegens, Schwedens, Dänemarks, Hollands, Englands, Deutschlands, der noroamerikanischm Freistaaten, — oder doch unmittelbar germanischen Nationen untergeben und ihren Impulsen folgend, z. B. die Bewohner vieler slavischen Lander, des nördlichsten Theiles von Nordamerika, Ostindiens, überhaupt des südlichen Theiles von Asien, des ostindischen Inselarchipels, aller Meere der Welt und unzahliger an ihnen liegender Inseln und Küsten, — oder solche, die entweder in der Hauptsache oder in vielen wesentlichen Dingen germanische Institutionen empfingen, als z. B. die romanischen Länder und ihre unermeßlichen Coloniegebiete, die meisten slavischen Lander und Ungarn (in Bezug auf Städtebau und Cultur). Hiervon indeß abgesehen, — denn Alles, was außer Europa in den übrigen Welttheilen geschah, wollten tvir nicht hierher ziehen, — so ist so viel gewiß, daß für Europa keine Colonceen bedeutender, wichtiger und auch 261 zahlreicher sind als die von den Germanen und nament< lich von den Deutschen ausgegangenen. Beginnen wir auch hier mit dem minder Bedeutenden, mit dem Unwichtigeren (d. h. um es noch einmal zu sagen, mit dem für Europa und für die Jetzt» welt Unwichtigeren), so ist hier ohne Zweifel zunächst von den England ern zu reden. England h.n zu verschiedenen Zeiten vom Continents, von den celtischen Niederlanden, von dem römisch-cel» tischen Gallien, von dem normannischen Frankreich, von den deutschen Nordsee-Ländern, von Dänemark und Norwegen, mit einem Worte von dem ganzen Halbkreise von Festlandern, der dasselbe umgiebt, Einwanderer em« pfangen, aber solche eben diesen Landern nie in gleichem Maße zurückgegeben. Es ist auf dem Continente kein Land zu nennen, in welchem die Englander Ackerbau-Colonieen, oder Städte, wie die Deutschen, gestiftet und mit der vorwaltenden Bevölkerung versehen hatten, wie sie selber dieß in Amerika und in anderen Welttheilen gethan haben. Nirgends haben sie über irgend eine continentale Scholle Europa's die Hauptmassen ihrer Grundbevölkerung herrschend vorgeschoben. Zu verschiedenen Zeiten waren freilich einzelne Theile des Conti-nentes mit ihrem Staats - Connex verbunden, z.B. das westliche Frankreich, Holland, Hannover. Aber entweder faßten sie daselbst gar nicht, oder doch nicht dauernd festen Fuß. Die ganze Energie ihres Wandertriebes, ihrer Eroberungslust und ihres Colonisirungseifers wandte sich nach außen. Sie bevölkerten fremde Welttheile, sie 262 besiedelten die Küsten aller Meer?/ und ohne eine einzige Scholle auf dem Continente zu beackern, ohne hier einen Fuß breit Landes zu besitzen (die einzelnen Puncte auf Malta, Helgoland, Gibraltar, den ionischen Inseln :c. machen eine unbedeutende Ausnahme), üben sie doch einen Einfluß auf Europa, der mindestens einer Herrschaft auf dem Viertel des Welttheils gleich kommt. Im Ganzen genommen dienen die Englander nur sich selbst, und wahrend man andere Nationen im Dienste von aller Welt findet, geben die Engländer sich nur selten dazu her, sich auf dem Continente nützlich zu machen. Bei einigen Fabriken und Manuftcturzweigen findet man sie bei uns verwendet. Vei unseren Maschinen-Fabriken, unseren Eisenbahnen, Dampfschiffen, Gasbeleuchtungen haben sie uns hier und da geholfen. Selbst in Rußland stehen sie an der Spitze industrieller Unternehmungen. Vei Brückenbauten (die Pesthcr Riesen' brücke wird von Engländern ausgeführt), bei gothischen Ge-baudcn (selbst in der Krim wird ein großes gothisches Palais von Engländern gebaut), bei Wasser- und Hafenbauten namentlich werden sie zu Zeiten verwendet. Doch führt sie dieß in der Regel nur vorübergehend zu uns herüber. Ebenso vorübergehend sind diejenigen zahlreichen Ansiedelungen der vornehmen und gebildeten Engländer, welche nur der Bildung und des Vergnügens wegen den Continent bereisen. Obgleich diese Art von Niederlassungen, von denen die bedeutendsten in Neapel, Rom, Florenz, Mailand, Wien, Dresden, Berlin, Baden, 263 der Schweiz, Brüssel, vor allen aber in Paris sind, in nationalökonomischer Hinsicht nicht so wichtig ist, so kommen sie doch bei keiner Nation mehr in Anschlag als bei den Engländern. Das Wichtigste sind indeß wohl die Etablissements, welche die Engländer auf dem Continente des Handels wegen begründet haben, namentlich auf der pyrenaischen Halbinsel (in Oporto, Lissabon, Ladix, Gibraltar), dann in Italien (z. B. in Livorno), in der Türkei (auf den ionischen Inseln, in Smyrna, Konstantinopcl lc.) und in Nußland (in Riga, Petersburg, in welchem letzteren Orte sie eine große Factorei bilden). Außer den vielen zerstreuten Englandern, welche man überall hier und da fest etablirt findet, möchten wohl diese Handels - Etablissements die wichtigsten, eine einigermaßen compacts und bedeutende Masse von englischen Colonisten darbietenden Niederlassungen sein. ^ Auch der Wanderer, welche der Vibelvertheilung, der Iudenbekehrung, der Gefängniß-Verbesserung, oder anderer ideellen Zwecke wegen zu Zeiten von England ausgehen unb als Missionäre sich immer in einzelnen Theilen Europas aufhalten, kann man bei dieser Gelegenheit gedenken. Unter den Engländern wohnen die Iren und Schotten, beide Nationen, obgleich von nicht germanischem Stamme, doch sehr in die germanische Lebensweise hineingeführt. Beide haben, auf den Flügeln germanischer Wanderlust getragen, viele Colonieen in auswärtigen Landern gestiftet. Doch fallen dieselben in der Regel mit denen der Engländer zusammen und zielen meistens nicht 264 auf Europa. Eine Ausnahme dagegen machen die Wanderungen der irischen Küstenbewohner an die französischen Küsten / wo sie verschiedenen Geschäften obliegen, und alsdann die Stiftungen, welche die frommen Schotten im Mittelalter hier und da in Deutschland und in anderen Ländern machten, (z. V. die Schotten-Abteien ln Passau und in Wien). Die Germanen«« Skandinavien gehören ebenfalls zu den größten Colomem-Stiftern Europa's. Wenn wir hier auch nicht der aus Schweden gekommenen Gothen und der von ihnen in Europa gegründeten Staaten gedenken wollen, so ist es doch wichtig, die Normannen in Dänemark und Norwegen zu erwähnen, die Europa im Mittelalter mit einer unzahligen Menge von Colonieen überschwemmten. Noch jetzt führt die Nor-mandie ihren Namen, noch jetzt leitet der englische Adel sei-NM Ursprung bis zu ihnen hinauf, noch diesen Augenblick tragen, wie man sagt, die neapolitanischen Ducas und No-bills die hellen Flachshaare des Nordens und scheiden sich als erobernde Fremdlinge von dem dunkelhaarigen unterjochten Volke, noch heutiges Tages glauben manche russische Große von dem Normannen Rurik herzustammen. Is> land ist ein europaisches Land, das ganz von Dänen colonisirt wurde. Die Dänen sind so gute Seeleute/ daß sie in der englischen Marine hausig angetroffen werden. Ihre Colonieen außer Europa sind noch jetzt im Verhältniß zur Kleinheit des Staates nicht unbedeutend zu nennen und waren ehemals, als Grönland noch grünte und nicht unter Eis erstarrte, sehr bedeutend. 265 Die Schweden haben in Finland eln großes Co-lonieen - Gebiet gehabt. In dieser jetzt russischen Provinz haben sie die meisten Städte gegründet, und ihre Bürgerschaften, ihre Sitten und Sprache blühen noch jetzt daselbst. Auch verzweigten sich viele ihrer Colonieen nach Liv- und Esthland hinüber. Doch haben die Skandinavier in neuer und neuester Zeit mehr und mchr aufgehört, auf den Verkehrsplätzen der europäischen Völker, auf den Märkten und den Schlachtfeldern (auf diesen gaben sie noch vor 15t) Jahren zuweilen den Ausschlag) unseres Welttheiles eine bedeutende Rolle zu spielen. Dasselbe ist, wenn auch nicht in gleichem Grade/ der Fall mit denjenigen Germanen (fast könnten wir schon sagen, Deutschen), welche in den Niederlanden wohnen, die gleichfalls zu den schwärmlustigsten Nationen Europa's gehören. Die Niederländer, Fla ndrer, Holländer und Friesen haben nicht nur einen großen Theil der außereuropäischen Welt (Java, — das Capland, — nordamerikanische Provinzen :c.) mit Bewohnern versehen, sondern sie haben auch beständig, und zwar mit ihren Brüdern, den anderen Deutschen, gemeinschaftlich in viele Striche Europa's Pflanzer ausgesandt. Friesen gingen mit den Angeln und Sachsen nach England. Flandrische Bürger und Bauern („Flandrenser") wurden im Mittelalter überall im nördlichen Deutschland angesiedelt, und namentlich in den den Slaven abgenommenen Gebieten, an der Ostsee, in der Mark Brandenburg, in Sachsen, ja bis Baiem, Oesterreich und Ungarn hin. 296 Und mit diesen unseren niederländischen Brüdern sind wir denn nun eigentlich auf deutschem Boden und in der Mitte dieser merkwürdigen Wandcrerströmung, welche von Deutschland ausging, angelangt. Die deutschen Sueven hatten ihren Namen vielleicht von dem deutschen Worte „schweifen." (Sollten nicht die Vandalen ihren Namen von dem Worte „wandern" ableiten können? Sie kamen von der Ostsee bis Afrika und sollten wenigstens wohl den Namen „Wanderer" vor allen Deutschen vorzugsweise für sich in Anspruch nehmen können.) Die „Flanderer" dagegen haben entweder ihren Namen von einem alten deutschen Worte, welches so viel als „wandern" bedeutet, erhalten (franz. „lwnoi-"), oder sie haben ihren Eigennamen der oft von ihnen geübten Handlung gegeben. „Flandern" oder „herumsian-dern" heißt noch jetzt in einigen deutschen Dialekten, z. B. in dem Dialekle der Zipser Deutschen in Ungarn, so viel als „herumlausen", und ein Flandrer so viel als ein „Wanderer" oder ein „Eolonist" überhaupt. Dem mag sein, wie ihm wolle, so ist so viel gewiß, daß kein Volk, so lange die Welt sich dreht, so in allen Welttheilen gewandert ist und sich zerstreut hat, wie die Deutschen, und daß namentlich und vor allen Dingen in Europa selbst ihnen in dieser Bezieh' ung keine andere Nation gleich kommt. Die deutsche Nation, im Herzen von Europa g«/ legen und auf allen Seiten mit Nachbarn von den verschiedensten Stämmen in Berührung kommend, mit dcn Franzosen, Engländern, Normannen, Slaven, Tür- 267 ken, Italienern, (die Franzosen haben nur Italiener, Deutsche und Spanier zu Nachbarn, die Spanier aber nur die Franzosen) ist theils durch ihr kosmopolitisches Naturell, theils durch ihre geographische Situation, welche jenes Naturell noch mehr entwickelte, vor allen dazu geeignet, sich unter fremden Völkern der verschiedensten Art niederzulassen, fremdartigen Verhältnissen und Umständen sich anzupassen und mit verschiedenartigen Volkscharakteren sich auszugleichen. Dazu kommt, daß sie zu allen nützlichen und heilbringenden Beschäftigungen des Lebens auf gleiche Weise aufgelegt und fähig sind. Sie sind fleißige Freunde des Ackerbaues, sie sind eifrige und brauchbare Handwerker und Künstler, sie sind im Bergbau besonders erfahren, und da ihr Vaterland in der Mitte unseres Welttheiles, von dem Hafer und der Fichte bis zum Wein, zum Kastanien- und zum Maulbeerbaum, fast alle europäische Products erzeugt, so kann man aus Deutschland ebenso gute Weinbauer, als Tabackspstanzer, ebenso forstkundige als ackerbauverständige Leute erhalten. Im Handel sind die Deutschen vorsichtig und geschickt, wie sich dieß in den in aller Welt geachteten hanseatischen Kaufleute zeigt. Sie lernen gcm Alles und lehren auch gern Alles. Als Schüler, sowohl als auch als Lehrer, Erzieher und Prediger heißt man sie daher in der Fremde willkommen. Dabei ist das Sprüchwort von deutscher Treu und Glauben kein leerer Wahn, und die Fremden lassen sich daher gern mit ihnen ein, weil sie in dem deutschen Charakter eine Bürgschaft 268 zu haben glauben, daß die eingegangenen Verpflichtungen m Erfüllung gehen werden. Diese Umstände, diese ursprüngliche allseitige Offenheit des deutschen Charakters und diese ihr Vorschub leistende ebenso allseitige Offenheit unseres Vaterlandes, welches im Gegensatze mit dem überall vom Meer umschlossenen England mit den Nachbarn durch trockenes, jeden Augenblick leicht zu überschreitendes Festland innig verwebt ist, und durch welches zur Verstärkung dieser innigen Verwebung außerdem noch die Bänder und Leiter der Flüsse nach allen Seiten gehen, — der Rhein nach Belgien, — die Donau nach dem Oriente, —- die Weichsel durch Polen, — die Rhone, die mit ihren Quellen nahe an Deutschland hinanragt, nach Frankreich, diese Umstände, sage ich, mögen es fein, welche theils ursprüngliche, theils Vorschub leistende Ursachen der starken Wanderlust, oder, besser gesagt, des starken Umsiedelungstrie-bes der Deutschen waren. Indem wir wiederum die Thaten, welche nur noch aus grauer Vorzeit herüberklmgen, die Wanderungen der Deutschen nach Süden und Westen, die Staaten und Städtegemeinden, welche sie auf den Trümmern des römischen Reiches errichteten, die Umsiedelung der Lon-gobarden nach Italien, der Franken nach Gallien, der Angeln nach Britannien, unberücksichtigt lassen, überblicken wir hier nur diejenigen Wanderungen, welche solche Abzugscanale eröffnet, die noch jetzt zum Theil nicht verstopft sind. Von den ersten Zügen der Cimbren und Teutonen 269 zu des Mari us Zeiten bis auf die endliche Zerstörung des römischen Reiches blieb die Richtung der deutschen Uebersiedelungen und Wanderungen eine westliche und südliche. Von der Stiftung des großen Karolmgischen Reiches an aber wurde sie mehr eine östliche, und diese Richtung behielt sie bis auf unsere Tage herab bei, indem sich die Franken und mit ihnen im Bunde dann alle Deutschen zu den Aposteln der Christianisirung und Bildung des weiten europäischen Ostens aufwarfen und in diesem Sinne mehr oder weniger stark diesen ganzen Osten mit Colonieen versahen. Am Rheine beginnt diese Besiedelung der östlichen Länder mit Deutschen. Die rheinischen westlichen Deutschen warfen sich auf die östlichen und nördlichen Landsleute, und diese trieben dann weitere Aeste hinaus in die weiten Länder der Slaven, Finnen (Esthland) und Magyaren. Die rheinischen Franken, alsdann die Flandrer und spater die Pfa'lzer wanderten nach Sachsen, Brandenburg, und weiterhin verzweigten sich die Brandenburger und Sachsen mit Colonieen in Polen hinein, und es laßt sich hier und da eine ganze Kette von Colonieen, von denen eine aus der anderen hervorging, von Osten her bis nach Westen zum Rhein hin verfolgen. Z. B. in den südlichen Steppen Rußlands giebt es Ackerbau-Colonieen mit deutschen Bauern aus Ungarn. Die Vorväter dieser deutsch-ungarischen Bauern kamen aus Oesterreich, die Vorväter der Oesterreicher aus Vaiern, 270 und zum Theil auch vom Rhein von den Franken Carl's des Großen. Eine andere Kette solcher Colonieentriebe, von denen eine aus der anderen hervorging, wäre diese: In Petersburg und in anderen russischen Städten giebt es hier und da gar nicht unbedeutende Branchen der daselbst heimischen deutschen Gesellschaft, welche man als livlandische Coterieen und als kleine livlandische Colo-nieen bezeichnen kann. Sie kamen aus dem deutschen Livland. Die Livlanber kamen größtencheils aus Preußen, ihrem Mutterlande, die preußischen Deutschen aber aus Westphalen, vom Rhein, aus Brandenburg. Im Ganzen darf man hier aber weniger an eine genaue Nachweisung des Hervorgehens einer einzelnen Colonie oder gar einer einzelnen Familie aus der anderen denken als an eine Massenentwickelung aus Massen. Es ist z. B. gewiß, daß die Hauptmasse der österreichischen Deutschen aus Baiern hervorging, und ebenso gewiß ist, daß die Hauptmasse der ungarischen Deutschen sich wieder aus Oesterreich herausarbeitete, und endlich wieder, daß die deutschen Verzweigungen in Serbien und der Walachei meistens aus Ungarn und Siebenbürgen hervortraten, obgleich allerdings doch zuweilen Kolonisten von den entferntesten Gebieten des reinen deutschen Stammlandes plötzlich und ohne Zwischenstufe in die entferntesten Gegenden des Colomeenlandes versetzt wurden, und obgleich bei jeder einzelnen entlegensten dieses Herauswachsen von Wachsthumsknoten zu Wachs-thumsknottn sich selten bis zum Rhein verfolgen ließe. 2N Im Ganzen also, so viel steht fest, gingen und gehen zum Theil noch jetzt die Umsiedelungen der Deutschen von Westen nach Osten und Norden. Und wie Deutschland selbst in zwei große Haupttheile, Nord- und Süddeutschland, zerfallt, so gingen auch jene Wanderungen hauptsächlich in zwei Richtungen, in einer nach Nord-ostcn an der Ostsee hm, wo Preußen (und die sich daran anschließenden Landschaften), und in einer zweiten nach Südosten die Donau hinab, wo Oesterreich (mit den von ihm abhangigen Ländern) die vornehmsten Colomeen-Gebiete zeigt. Als eine dritte mittlere an die vorige sich süd- und nordwärts anschließende Richtung könnte man die Vorschiebung deutscher Lolonieen durch Sachsen, Böhmen und Schlesien nach Polen hinein bezeichnen. In allen drei Richtungen hin verloren sich allgemach die Wellen der friedlichen deutschen Völkerbrandung in die Türkei, Tatarei, Polen, Rußland, Sibirien hinein, immer schwächer werdend, bis selbst an die chinesische Mauer hin. Es ist kaum eine Art von menschlicher Beschäftigung zu nennen, welche nicht im Stande gewesen wäre/ deutsche Kolonisten aus ihrem Vaterlande in jene Gegenden zu locken. Den Handel betrieben die deutschen Hanseaten an der ganzen Ostfee hin. Sie stifteten Handels-Colonieen in Riga, Newal, Novgorod, und ihre Nachkommen betreiben den Handel dort noch auf dieselbe Weise und beinahe in denselben Niederlassungen. Den Ackerbau verstehen sie am beßten, und sie könnten darin den Russen, Polen und Ungarn als ein Muster der 272 Nachahmung dienen, wenn Fleiß, Arbeitsamkeit, Sorgfalt und andere Tugenden, die den Deutschen auszeichnen, sich so leicht nachahmen ließen. Des Bergbaues sind die Deutschen besonders kundig. Die Franken brachten ihn in's Land der Sachsen aus den Harz. Von hier aus wurden die Minen des Erzgebirges entdeckt, und dann minirten sich die deutschen „Berghauer" bis nach Ungarn in die Karpathen und sogar bis in die banatischen Gebirge an der türkischen Gränze hinein, sowie sie auch nach Rußland, nach Sibirien, geholt wurden, um die Berge an den chinesischen Gränzen auszubeuten. Auch als Winzer und Gärtner gingen und gehen noch unzahlige Deutsche durch ganz Europa, um diese Riesenjungfrau selbst in ihren ödesten Besitzungen mit Blumenkränzen und Rebengewinden zu schmücken. Es ließen sich auf diese Weise viele Zweige der menschlichen Cultur und des bürgerlichen Haushaltes anführen, und man konnte nachweisen, wie sie sich, durch deutsche Hand gepflegt, allmahlig und stufenweise (sowohl in räumlicher als in zeitlicher Beziehung) aus dem deutschen Westen nach Osten lM entfalteten. Nach Westen und Süden hin waren und sind noch jetzt diese friedlichen Wanderungen der Deutschen nicht so bedeutend, nur selten wurden sie dahin als Ackerbauer und Bergleute geholt, doch giebt es einzelne derselben selbst in Spanien. Am meisten kommen sie in diese Gegenden als Handwerker, z. V. die großen deutschen Handwerker-Colomeen in Paris, oder als Kaufleute 273 (viele deutsche Häuser in Bordeaux, in London, in Hull) oder als Beamte (in's nördliche Italien). Manche kleine Zweige der bürgerlichen Beschäftigungen führen noch beständig Deutsche in jene Gegenden hinüber (hessische Besenbinderinnen, deutsche Viehtreiber in Frankreich). Die schweizer Deutschen waren für diese Gegenden immer besonders wichtig, und sie durchwandern (mit verschiedenen Industrie-Producten), sowie auch die Tiroler (mit ihren Handschuhen und Decken) und die Schwarz-waldler (mit ihren Uhren) sowohl diesen Westen Europa's als jenen Osten. Auch die deutschen Militär-Colo-nieen (die deutschen Trabanten, die Schweizer-Garden), die es seit alten Zeiten in Frankreich und Italien giebt, kann man noch hierher rechnen. V. Verschiedene Nebenvölker. Außer den genannten Haupt-Nationen Europa's giebt es nun noch viele Nebenvölker, welche, obgleich meistens nicht einmal ursprünglich in diesem Welttheile zu Hause, doch unzählige Niederlassungen in allen europäischen Ländern gegründet haben und noch jetzt gründen. Dieß sind besonders die Juden, Armenier, Zigeuner und noch einige andere. Die Juden haben sich m Europa und überhaupt in der ganzen Welt fast ebenso weit verbreitet wie die Deutschen, und oft mit den Deutschen selbst (was schon die deutsche Sprache, deren die Juden sich in Polen, Ungarn, Rußland und in Frankreich bedie^ nen, beweist). Nichtsdestoweniger aber sind die von IV. 18 274 ihnen gestifteten Colonieen so ganz andrer Art (blosie Krämer- und Geldmänner-Colonieen) und haben eine so einseitige Bedeutung für die menschliche Cultur, daß sie mit der Wichtigkeit der deutschen Colonisirung natürlich in gar keinen Vergleich kommen. Diejenigen Gegenden, in welchen die Juden die größte Rolle spielen, sind die slavischen, ungarischen und danach die deutschen Lander. In Deutschland sind ihnen fast ausschließlich nur gewisse Kram- und Handelszweige zu Theil geworden, in den slavischen Ländern aber außerdem auch noch viele Handwerke, besonders solche, welche sich auf die Persönlichkeit der Menschen beziehen, das Schneider- und Schusterhand-werk. Die Juden suchen immer mehr mit Personen als mit Sachen zu thun zu haben;....... Häuserbau, Zimmer- und Maurer-Handwerk ist nicht ihr Geschäft, ebenso wenig Ackerbau, Viehzucht tt. Auch ist das Fuhrwesen in einigen slavischen Ländern häusig vorzugsweise in ihren Handen, jedoch wiederum nur in Vezug aus den Personentransport. Waarentransport ist weniger ihre Sache, sie lassen ihn gewöhnlich, selbst in eigener Angelegenheit/ von Anderen besorgen. Sonst besaßen die Juden in diesen slavischen Ländern sogar die Verwaltung des Postwesens, und jetzt haben sie wenigstens noch das Gasthauswesen in ihren Händen. Als Ackerbauer haben viele Juden, nothgedrungen, zu verschiedenen Zeiten weite Striche Rußlands besiedeln muffen. Doch sind diese Colonieen nie zu bedeutender Blüthe gelangt. 275 Zwischen fast allen jüdischen Colonieen Europa's finden höchst merkwürdige Verbindungen und Wanderungen von der einen zur anderen statt. Deutschland als das Mutterland laßt sich auch gewissermaßen als vermittelndes Stammland betrachten, und von hier aus gehen noch jetzt immer neue Senblinge aus, um die Juden - Colonieen anderer Länder zu vermehren oder an-zufrischen; z. V. von Böhmen wandern noch heut zu Tage viele Juden nach Ungarn, ebenso von anderen Theilen Deutschlands nach Paris. Die portugiesischen Juden mit ihren Ansiedelungen m Holland und Frankreich bilden einen eigenen Colonieen-Zweig, — ebenso die spanischen Juden, die nach Afrika und in das türkische Reich bei ihrer Vertreibung aus Spanien auswanderten und von Konstantinopel und Thessalonich aus eine Reihe kleiner Niederlassungen in den Städten an der Donau hinauf bis nach Wien gegründet haben, in welcher letzteren Stadt sie (spanisch und türkisch redend) als türkische Unterthanen eine eigene Gemeinde bilden und schon fast 200 Jahre unter alten Privilegien leben. — Eben derselbe Fall ist es endlich mit den karaitischen Juden, welche in den Städten der Krim, Südrußlands und der Türkei kleine Handelsfactoreien besitzen, in denen sie sich mit dem orientalischen Handel beschäftigen. Die Armenier sind in Europa eine viel neuere Erscheinung. Sie wurden hier theils durch die Türken, theils durch die Russen eingeführt, durch die Türken, 18* 27ft deren Unterthanen sie waren, und durch die Russen, zu denen sie sich oft vor den Bedrückungen der Türken flüchteten. Durch die Türken wurden die Armenier wohl gleich bei der Eroberung Rumiliens in Europa eingeführt. Durch die Russen geschah dieß crst spater, als die tatarischen Reiche Kasan und Astrachan erobert wurden und die Russen in die Nahe des Kaukasus und Per-siens kamen, wo dann zu wiederholten Malen eine Menge von Armeniern sich zu ihnen flüchtete und im südlichen Rußland sich verbreitete. Sie kamen von hier aus auch nach Polen, wo ihre Haupt-Colonie in Lemberg ist. In die Walachei und nach Siebenbürgen mögen sie wohl schon durch die Türken verpflanzt worden und auch von hier aus aus einem zweiten Wege nach Polen gekommen sein. Nach Ungarn kamen sie auch ohne Zweifel schon durch die Türken, in größerer Menge aber erst in der zweiten Hälfte des 17t?n Jahrhunderts von Siebenbürgen und ebenso noch einmal von dort aus, als die von den Ungarn zurückeroberten Domanen im Banat um ein Billiges verkauft wurden. Es giebt freilich auch kleine armenische HandelSco-lonieen sogar in London, Amsterdam, Marseille, Petersburg und Moskau, wie es deren bis nach China und bis zum Ganges hin giebt. Allein das vornehmste Gebiet der Colonieen-Verbreitung der Armenier in Europa (außer der europäischen Türkei) ist das südliche Ruß' land, die Walachei, Siebenbürgen, das südliche Gali-zien bis Lemberg und das östliche Ungarn. 277 Im südlichen Rußland bauten die Armenier sogar ganz neue Städte (z. V. Nachitschewan), wurden auch an mehren Orten des Seidenbaues wegen angesiedelt. In den meisten anderen genannten Landschaften haben sie eigene zusammenhaltende Gemeinden, die sich von den übrigen sondern und in Sitte, Sprache, Religion «. unterscheiden, (in Ungarn z. V. eine neue Gemeinde in Neusatz). In dem ganzen Oriente sind die Armenier die vornehmsten Kaufleute. In allen walachischen Landern sind sie auch sehr häufig die Gastwirthe, wie die Juden. In den Steppen Südrußlands und Ungarns haben sie sich noch eines anderen Geschäftes bemächtigt, welches hier Niemand in der Großartigkeit betreibt wie sie. Sie sind hier nämlich, besonders im östlichen Ungarn, die größten Landpächter, Viehzüchter und Ochsenhändler. Außerdem befleißigen sie sich hier und da auch der Bienenzucht auf eine großartige Weise. Sie betreiben düse Gegenstande aber in einer ganz anderen Art als die deutschen Bauern, nämlich mit sehr viel eigenem oder zusammengelichenen Capitale, gewissermaßen fabrikmäßig, weniger aus Liebhaberei für diese Zweige des Ackerbaues als des Geldgewinns wegen. Viele dieser Armenier sind auch bereits vermöge ihres gewonnenen Gelbes dem ungarischen Adel einverleibt worden. Ebenso gingen Armenier in den polnischen Adel Galiziens, in den walachischen der Bukowina, der Moldau und Walachei über, und endlich giebt es auch unter dem höchsten russischen Adel Leute armenischen Geblüts. 278 An die Armenier schließen sich die Perser, die auch hier und da in Europa kleine Gemeinden (selbst solche mit einem eigenen Schulischen Vethause) bilden, z.V. in Petersburg, Moskau, Astrachan, — dann die Bucharen, welche als einzelne Zugvögel sowohl in ganz Nußland als auch selbst bei uns in Leipzig bekannt sind, — endlich die Parsen (Feueranbeter), welche eine Colome in Europa, nämlich in Astrachan, haben. Uebngens giebt es noch viele der verschiedensten Nationen aller Welttheile, welche nach Europa geführt werden, und die da, wo sie sich treffen, eigene kleine Conventikel und Coterieen bilden. Man achtet z. V. oft wenig auf die zerstreuten afrikanischen Negergesichter, die man hier und da sieht. Besucht man sie aber einmal in ihren oft sehr versteckten Schlupfwinkeln, so ist man nicht selten höchst erstaunt über die große Neger-Societät, die sich in einigen Städten zusammenfindet. In Berlin gab es sonst viele, und es hat von ihnen die Mohrenstraße ihren Namen. Auch kleine arabische (z. B. in Konstantinopel, Moskau), maurische (in Frankreich), malaische (in London, Amsterdam) Verbrüderungen oder Associationen lassen sich leicht überall entdecken. Die sonderbarste Erscheinung unter allm Völkern Europa's bilden aber die Zigeuner, welche unter allen Nationen Europa's ihre Zclt-Colonicen aufschlagen und abbrechen und seit vier Jahrhunderten eine unwandelbare Wildheit zur Schau tragen, die so schr Alles überbietet und lillen Culcivirungsversuchen dermaßen trotzt, 279 wie dieß bisher noch bei keinem von allen je in Europa aufgetretenen Völkern der Fall war. Es giebt kein Land in Europa, das von Zigeunern ganz frei geblieben wäre; doch wie die Juden sich Polen / so scheinen die Zigeuner sich die von Walachen bewohnten Lander (Siebenbürgen, das östliche Ungarn, die Walachei, die Moldau, die Bukowina, Vessarabien) vorzugsweise zu ihrem zweiten Vaterlande erkoren zu haben. Sie betreiben in ganz Europa nur drei Gewerbe, die alle drei immer bei ihnen gefunden werden, obgleich sie nichts mit einander gemein zu haben scheinen, nämlich das Schmiedehandwerk, den Pferdehandel und die Musik (außer-dem das Wahrsagen, Betteln und Stehlen). Die Musik treiben sie mit besonderem Erfolge in Ungarn und der Tatarei. In Moskau scheint es die am wenigsten wilden Zigeuner zu geben. Bei sich zu Hause, wo sie allein und unter sich sind, müssen die meisten Völker in der Regel allen Ansprüchen des Lebens genügen; sie müssen dort den Ackerbau betreiben, sie müssen Handelsleute erzeugen, Handwerker unter sich haben ic. In die Fremde aber pflegen sie nur durch besondere Neigungen und Talente verlockt zu werden, und dort pflegen sie daher nur das zu betreiben, worin sie vor Allem stark sind. (Die Bewohner des Engadin z. B. haben bei sich zu Hause Viehhirten, Schuster, Schneider, Bauern :c., in der Fremde aber sind alle Engadiner Zuckerbäcker). Man kann daher bei jedem Volke die Art der von ihm gestifteten Colonieen bezeichnen. 280 Die geographische Situation des Muttellandes, die Sympathieen und Antipathieen, welche zwischen den Völkern existiren, alsdann auch oft der Zufall oder eine durch irgend ein historisches Ereigniß einmal gegebene Richtung haben es veranlaßt, daß ein Volk oft vorzugsweise in die Gebiete eines anderen Volkes coloni-sirend eingedrungen ist. Man kann daher Hauptco-lonieen - Gebiete jedes Volkes bezeichnen. Wir wollen es versuchen, nach dem Vorigen ein übersichtliches Verzeichniß der europäischen Völker mit Beifügung der Art der hauptsachlich von ihnen außer Landes betriebenen Geschäftszweige und der Angabe ihres vornehmsten Verbreitungsgebietes anzufertigen. Das Gesagte wird dann, in einer solchen Uebersicht neben einander stehend, noch deutlicher in's Auge springen. Da hier bei einem so neuen Versuche dieser Art über' Haupt nicht von Vollständigkeit und völliger Abrundung die Rede sein kann, sondern das Ganze, wie bemerkt, nur der Versuch einer Skizzirung des behandelten Gegenstandes sein soll, so brauchen wir nicht zu s"* gen, daß allerdings vor allen Dingen eine quantitative Schätzung der ausgestoßenen Colonieen - Masse diese Skizze begleiten sollte. Doch sind unsere Statistiken einstweilen noch so beschaffen, daß nicht einmal eine entfernt approximative Schätzung dieser Art gewagt wer^ den dürfte. In der ersten Colonne dieser Uebersicht haben wir den Namen der europäischen Nationen angegeben, 281 in der zweiten die Beschäftigungen, welche sie außerhalb ihres Vaterlandes betreiben, und in der dritten die Länder, in denen sie vorzugsweise Colomeen begründeten. Magyaren. Russen. Polen. Spanier. Türken. Daco-Roma- nen. Tschechen. Serben. Griechen. Italiener. Des Hofes wegen in Wien, sonst nur in wenigen Ddr--fern gezwungene Auswanderer. Vornehme zum Vergnügen reisende Russen im Auslande. 1) Politische Verbannte. 2) Adels-Colomeen. Politische Flüchtlinge. Militär-Colonieen. Zerstreute Beamte, Offiziere. 1) Industrielle Colonicen. 2) Musikbanben, verschiedene Krämergeschäfte. Handels-Colonieen (Frucht-und Viehhandel). Handels - Colonieen (Geld« und Waarenhandcl). 1) Handels-Coloniecn. 2) Verschiedene kleine Gewerbe (Gewürzkramerei, Stukkaturarbeit, Zuckerbäckern ic). Oesterr. (Wien), einige türkische Provinzen. Deutschland, Italien. Frankreich, England. Lithauen, Podo-lien, Volhymen. Frankreich, Italien, England. An der Donau. Oesterreich,Ruß-land, Türkei. Oesterreich. In der ganzen Welt. Ungarn. Ungarn, Türkei, Rußland. Levant. Länder. Deutschland. 282 Franzosen. Engländer. Skandinavier. Niederländer. Deutsche. Juden. Armenier. Zigeuner. Wenige Ackerbauer, Mode-Händler, Erzieher, Köche, Zuckerbäcker, verschiedene Fabrikzweige. 1) Großhändler auf der See. 2) Einige Fabrikzweige. Ackerbau - Colonieen u. Handels-Colonieen. Ackerbauende Colonieen. Ackerbau, Bergbau, Handel, Handwerke und Gewerbe aller Art. Geldgeschäfte, Krämerei. Handel, Viehzucht, Länder-eien - Pacht. Musiker, Schmiede, Pferdehändler. Das ganze nicht-französische Europa. Portugal, Spanien, Rusiland, Türkei. Deutschland. Island, Finnland. Deutschland. Der Osten Europa's. Polen, Ungarn. Südost-Europa. Ganz Europa. Mit solchen Untersuchungen und Gedanken beflügelten wir den langsamen Gang der auf den banatischen Schmuzwegm und in der Abenddämmerung, welche uns umgab, dahin schleichenden Zeit. Hätten wir nur auch unseren schwerfälligen Wagen etwas damit beflügeln können! Aber di^ftr schlich n einer der größeren Städte deS Königreiches vorgekom- 284 men. Eine Anzahl von Freunden der Bühne hatte eine Subscription herumgehen lassen, um eine deutsche Schauspieler-Gesellschaft für den kommenden Winter in der Stadt etabliren zu können. Auch die Patrioten wünschten ein Schauspiel, waren aber entschieden gegen ein deutsches. Da sie die Mehrzahl bildeten, so kam denn dieses nicht zu Stande. Es fragte sich nun, wie man ein magyarisches an die Stelle treten lassen könne. Magyarische Schauspieler giebt es fast noch nicht, oder sie sind doch nur, wie alles Seltene, mit großen Kosten zu erlangen. Diese, die Kosten meine ich, scheut indessen doch selbst der glühendste Patriotismus unserer egoistischen Zeit mehr als Alles. Es wurde daher der Vorschlag gemacht, als das Billigste, ein Liebhaberthealer zu errichten. Wahrscheinlich wird dann auch wohl dieser Vorschlag durchgegangen sein. Man wird sich vermuthlich mit einem langweiligen ungarischen Liebhabertheater, statt einer, wenn auch nicht ausgezeichneten, doch jedenfalls amüsanten deutschen Bühne, begnügt haben. Ich hätte gern den Ausgang dieser Angelegenheit erfahren. Das Wirthshaus war voll von Offizieren der österreichischen Kaiferhusaren, angenehmen, gebildeten Leuten, in deren Gesellschaft ich einen recht interessanten Abend zubrachte. Sie erzählten mir, daß sie kürzlich in einem adeligen ungarischen Dorfe Execution gehabt hatten. Die adeligen Einwohner dieses Dorfes hatten schon seit langer Zeit völlig ungestraft allerlei Unfug getrieben. Sie hätten z. B. Vieh geraubt, unadelige Per- 285 sonen auf's Höchste beleidigt und am Ende auch gar die in Folge der Beschlüsse des letzten Landtags zu stellenden Rekruten verweigert. Die Comitats-Verwalt-ung habe sie mil Güte nicht zur Ordnung bringen können und daher am Ende sich genöthigt gesehen, von den Kaiserhusaren „Vrachium" zu verlangen. „Li-acki. i,m," im Lateinischen bekanntlich „der Arm", ist im ungarischen Latein der Ausdruck für militärische Hülfe, gewaltsame Execution. Jene Bauern waren sogenannte Prädialisten, d. h. mit adeligen Rechten versehene Aftervasallen eines Bischofs und zwar hier deS Bischofs von Agra m*). Der Anführer derKaiscrhusaren war daher, um in keiner Beziehung eine Verantwortlichkeit auf sich zu laden, vorsichtig und ließ sich von den Oberbeamten des Eo-mitats die Aufforderung und Befugniß zur Leistung des Vrachiums schriftlich geben. Darauf rückte er mit seinen Husaren, die Comitats-Veamten in der Mitte, gegen das rebellische Edelleute-Dorf vor. Er hatte seine Leute die Pistolen ziehen und spannen lassen, und so zog er in die Gassen des Dorfs ein, wo die Bauern versammelt waren und die Soldaten mit Steinwürfen neckten und ihrer spotteten, indem sie sprachen, sie hätten sicher keine Kugeln, sondern nur Papier geladen. *) Nach der ungarischen Gesetzgebung haben nämlich der Erzbischof von Gran, der Bischof »cm Agram und der Bischof von Raab das Recht, ihren Afterva fallen adelige Rechte zu ertheilen und sie dadurch von der Wcgemauth und überhaupt von allen Staatsabgabe», namentlich dem landesfürstlichen Drei-ftgst, zu befreien, und rbm diese Vasallen heißen „Präbialisten." 289 Der Offizier, welcher die Schwadron commandirte, gab darauf, da der Andrang und Tumult starker wurde, er aber doch gern Blutvergießen vermeiden wollte, einem der Seinen einen Wink, er solle sein Pistol fallen lassen. Dieß geschah, und es wurde von den Tumul-tuanten sofort aufgegriffen. Sie zogen neugierig die Patrone heraus und fanden wider ihr Erwarten eine gewichtige bleierne Kugel. Ihr Enthusiasmus für ihre Sache wurde dadurch sehr abgekühlt, sie unterwarfen sich und stellten die geforderten Rekruten. Diese Leistung des Vrachium kommt sehr oft in Ungarn vor, weil eben die Widersetzlichkeiten gegen die Ausführung der Gesetze so häusig ist. Aber nicht immer geht es so ohne Blutvergießen dabei her, wie jenes Mal, wo ein kluger Offizier die Execution leitete. Das Vanat und seine Wege 3)er Anblick, den das Vanat am anderen Tage jenseits St. Miklos gewährte, war in der That höchst eigenthümlich. Das Land ist, wie gesagt, hier vollkommen stach und eben. Auch bei Berlin, auch bei Leipzig, auch in Holland und anderen Orten ist das Land eben und stach, und doch ist zwischen Flach und Flach ein so großer Unterschied, daß der Anblick der Gegend bei jenen deutschen Städten auch durchaus nicht im Entferntesten mit dem Anblick, den uns das Banat gewährte, in Vergleich zu bringen ist. Wenn man die Gegend bei Berlin durchwandert, so bemerkt man doch hier und da noch kleine Anschwellungen des Bodens, kleine unmerkliche Hebungen und Senkungen, kleine Sandhügclchen, die sechs/ sieben bis zehn Fuß ansteigen und wieder fallen. Sucht man von einem höheren Standpuncte die Gegend zu überschauen, z. B. von einem Thurmc, so tauchen am Ende auf einem größeren Terrain auch solche Bodenerhebungen hervor, die man in der Mark Brandenburg 238 „Berge" nennt, Sanddünen von 30 bis 40 und mehr Fuß Höhe. Es kommt daher, daß der auf einem niedrigen Standpunct Stehende, z. V. der Wanderer in der Mark, trotz ihrer großen Ebenheit doch nicht viel mehr übersieht als in einem gebirgigen Lande, ja oft noch weniger, weil in einem Gebirgslande zuweilen das Bild der Landschaft durch die Verge gewissermaßen herausgehoben ist, und eine Gebirgswand laßt sich von der tiefsten Stelle des Thales aus von oben bis unten überschauen. Nicht so ist es im Vanat, wo jedes Stückchen Erdreich platt, wie mit einem Vrete angeschlagen, erscheint. Hier giebt es weder Sandhügel von 50 Fuß Höhe, noch auch solche kleine Hebungen und Senkungen des Bodens von sechs, sieben oder zehn Fuß, sondern Alles ist spiegelglatt und eben, wie ein Meer bei Windstille, und man sieht daher, selbst wenn man auch die Augen nicht höher stellt, als sie in einem sechs Schuh hohen Menschen zu stehen pflegen, unendlich weit. Man könnte demnach den Anblick und Ausdruck der Physiognomie des Vanats mit Holland zu vergleichen geneigt fein. Aber auch hier ist noch ein großer Unterschied. Holland ist reich an Gewässern, Flüssen, Flußarmen und Lanalen. Die Aecker der Landleute sind doch wenigstens mit Graben umzogen, mit Hecken, oder Mauern und Dämmen. Dieß Alles, was die Natur und der Mensch in Holland schufen, fehlt im Banale. Flüsse giebt es nicht. Von St. Miklos bis Szegedin, auf bei» nahe zehn Meilen, sahen wir außer dem Flußarme, der 280 hier aus der Maros hervorbricht und durch die Ebene bei dem genannten Orte selber vorübergeht, nur noch ein einziges winziges Bächelchen, das, ich weiß "icht, und vielleicht wußte es der Bach selber nicht, rechts oder links hinausirrte. Canäle durchkreuzen das Land ebenfalls nicht. Mit Graben, Dämmen, Hecken, und Mauern ist kein einziges Feld umgeben. Alles ist freie, durch nichts coupirte Fläche. In Holland hat außer den genannten Dingen der Mensch auch noch so vieles Andere geschaffen, Dörfer, Städte, Gebäude. Städte giebt es auf den 140 Quadrat-Meilen der Torontaler Provinz keine einzige, Dörfer und Marktflecken 169, mithin auf jeder Quadratmeile im Durchschnitt einen Wohnort. Diese Dörfer liegen sehr ungleich vertheilt, hierund da nahe beisammen, hier und da fährt man aber zwei bis drei Meilen weit, ehe man einen Kirchthurm gewahrt, und in den Zwischenräumen der Dörfer ist Alles leer und öde, ohne Busch und Baum, ohne Stock und Stein (es giebt hier keinen einzigen Pflasterstein) wie auf einem Tanzboden. Unter den vortrefflichen, lithographirtcn Skizzen aus Ungarn von dem Englander Hering, welche überall den originellen Charakter des Landes so treu und wahr wiedergeben, wie sonst kein mir bekannt gewordenes Kunstwerk über dieses Land, befindet sich auch eine, welche eine Ansicht aus den ungarischen Ebenen giebt. Dieses Bild, obgleich es groß ist, stellt platterdings weiter gar nichts dar als eine Landfläche, darüber ein Stück Himmel iv. 19 290 und als einzige Staffage einen Storch und einen Ziehbrunnen im Vordergrunde. Und trotz dieser drei ein« förmigen Gegenstände ist das Bild ergreifend wahr, ja ich möchte sagen, höchst poetisch und pittoresk, wie alles Originelle und Treffende. Der Himmel ist mit Wolken und Wölkchen behängen, deren Ränder von der Morgensonne beleuchtet werden. Man verfolgt ihre langen Reihen, wie die nahen, entfernten und fernsten Segel einer großen Flotte, bis in unermeßliche Entfernungen hin, denn der klare Himmel läßt auch selbst noch die äußersten kleinen Lichtränder deutlich erblicken. Der Boden liegt in seiner ganzen Oede in der Nähe dicht im Vordergrunde des Beschauers; weiterhin liegt er ebenso stach darnieder, und noch weiter und weiter wiederholen sich tausend Male die geraden, parallelen, in die Lange gezogenen Linien der Flachen ohne die Un' terbrechung einer Wellenlinie oder einer Winkellinie irgend einer Art. Nach allen Seiten hin verlaufen die Farben vollkommen auf gleiche Weise, aus dem hellen Grün des nächsten Rasens in ein verwischteres Grün, in Grau, und endlich in Blau, und selbst aus einem schmalen Streifen von einem Zwanzigstel-Zoll Breite kommt noch der trübe Schimmer einer ganzen fernen Landschaft in's Auge. Man glaubt, man müsse in irgend einen fremden Welttheil hineinblicken können. Doch ist es bittere Täuschung, und das Gemüth erfüllt sich mit Trauer, wenn es denkt, daß keine Seele hier wohnt. Nicht einmal ein flatternder Vogel zeigt sich in den Lüften. Nur eine Farbenschattirung am Hori- 201 zont, die einer aufsteigenden Rauchsäule ähnelt, läßt es ungewiß, ob nicht dort in der Ferne einige auf einsamer Sallasche wohnende Hirten ein Feuer anmachten. Der Storch im Vordergrunde steht ganz still und ruhig simulirend in einem Stückchen Sumpf. Er und die Frösche, denen er auflauert, sind die einzigen lebenden Wesen, die man mit Sicherheit wahrnimmt. Der Brunnen ist verlassen, denn er wird nur selten besucht, und meistens baumelt sein Schwengel in dem über die Ebene streichenden Luftzuge knarrend hin und her. Dieser knarrende Brunnenschwengel ist oft Tag und Nacht wett und breit der einzige hörbare Ton, der zuweilen von dem Quaken der Frösche accompagnirt wird. Obgleich dieses treffliche Bild von Hering recht mitten aus dem Centrum einer ungarischen Wüste genommen zu sein scheint, so paßt es doch ganz und gar auf viele Gegenden des östlichen Ungarns, und man könnte zwischen der Donau, Theiß, Korös und Maros noch taufend solcher ganz ahnlicher Gemälde gewinnen (die Torontaler Provinz, in der wir jetzt fuhren, ist noch zum vierten Theile vollkommen uncultivirter Sumpf) und daraus eine große, diese Ebene charakterisirende Bildergalerie zusammensetzen. Nun versetze sich der Leser in Gedanken nur auf ein halbes Stündchen in eine solche Bildergalerie von, ich will nur annehmen, <>W Gemälden, deren jedes aber weiter nichts darstellt "ls die besagten vier Gegenstande, Wolken, Erdreich, einen Brunnen und einen Storch, jedoch nur mit der 19 * 292 Abwechselung, daß die Wolken auf dem einen Gemälde so, auf dem anderen so gruppirt sind, bald größer, bald kleiner, — der Brunnenschwengel ist auf diesem Gemälde nach vorn, auf jenem nach hinten übergestürzt, bei dem ersten steht der Storch auf dem rechten, bei dem zweiten auf dem linken Beine, bei'm dritten mausert er sich mit dem Schnabel die Federn, bei dem vierten hat er wirklich einen Frosch gefangen. Ja, auf jedem zehnten Gemälde kann, ich gebe dieß zu, auch die Variation einer Vichheerde und einer Hirtengesell' schaft erscheinen, und auf dem zwanzigsten außer dem Brunnen und Storch auch noch ein Kirchthurm, aber nur in der Entfernung. Die Sümpfe im Vordergründe könnten hier und da zur Veränderung mit Binsen, Rohr und Riedgras bestanden sein, doch dürfte der Maler nicht überall zu verschwenderisch damit umgehen. Jedes hundertste Gemälde endlich könnte das Innere eines Dorfes zeigen. Eine solche Gemäldegalerie würde erst den wahren Total- und Specialeindruck von dem geben, was die Ebenen des östlichen Ungarns vorstellen und sind. Nun also, wie gesagt, wir reisten wieder auf ein paar Tage in diese Ebenen hinaus. Es war das herrlichste Wetter von der Welt, die Wolken hatten sich ausgeregnet, die Sonne schien fröhlich und lachend in die himmlischen Räume hinein, und uns allen war so reiselustig zu Muthe, baß wir eine Eisenbahn mit fliegenden Locomotiven halten vor uns haben mögen. Wir hatten aber leider nichts vor uns als jene Definition 293 eines banatischen Weges, „einen zwischen zwei Graben eingeschlossenen unausweichlichen Morast." Das Regenwetter der vorigen Tage hatte dermaßen die Oberflache der ganzen Gegend aufgeweicht, daß wir von der Thür des Wirthshauses an nicht anders als den mühseligsten Schritt fahren konnten. Bei uns, wenn die Wege grundlos sind, giebt es für den Reisenden doch immer noch einige Auskunftsmittel. Man laßt z. B. den Wagen allein weiter fahren und geht zu Fuß auf einem kleinen Fußwege nebenher, oder springt, wenn es nicht anders sein kann, von Stein zu Stein. Hier im Banale aber, wo es keine erhöhten Raine an den Feldern, keine Steine und kein einziges Fleckchen Erbe giebt, welches anders vom Regen assicirt ware als die übrigen, ist dieß unmöglich. Die Graswiesen, welche uns zur Seite lagen, luden uns mehre Male ein, zu Fuß nebenher zu gehen, aber wir fanden, daß eS plat< terdings unmöglich war, drei Schritt darauf zu thun. Alles Erdreich war zum Umsinken weich. Mich wundert nur, daß die Grashalme sich in diesem Breie aufrecht erhalten konnten. Es ist für einen fahrenden Reisenden ein höchst angstliches Gefühl, so weit und breit nur einen unabsehbaren weichen Brei vor sich zu sehen, in dem man nicht einen einzigen festen Anhaltspunct zu gewinnen weiß. Der schöne Sonnenschein > ermangelte nicht, unsere kage sehr bald noch zu verschlimmern. Die Sonne stieg nämlich höher, cs wurde srhr heiß, und je heißer es wurde, desto mehr verdickte sich sichtbar die Masse. 294 Am vorhergehenden Tage hatte der Regen das Ganze flüssiger erhalte«) auch hatte er dazu beigetragen, dm Schmuz immer wieder von unserm Radern abzuspülen. Jetzt aber blieb Alles dickflüssig hangen und kleben. Da ich sonst nichts zu thun hatte, so beobachtete ich, wie der Proceß des Schmuzansetzens an den Rädern vor sich ging. Zuerst beklebten sich die eisernen Beschläge mit Koch, dann die Seiten der Radfelgen, der Besatz wurde immer dicker, und zuletzt hoben wir ganze zentnerschwere fettige Sumpfstücke aus dem Boden heraus. Von diesen sielen zuweilen einige Brocken herunter und überzogen die Speichen mit ihrem zähm Leim, blieben auch wohl an der Nabe der Rader hangen; dann umhüllte sich die ganze Nabe mit Schmuz, und endlich füllten sich auch alle Zwischenräume der Speichen damit aus. Die armen Pferde arbeiteten und keuchten, die Schmuzlawinen der Räder wuchsen, und am Ende rollten wir nicht mehr auf vier Rädern, sondern — wir standen fast auf vier festen Schmuzballen, an denen nicht eine Spur von Rad mehr zu erkennen war (buchstäblich zu nehmen!) Sowie man in Nußland einschneit und einfriert, so waren wir eingeschmuzt. Es war schlechterdings unmöglich, das Fuhrwerk noch einen Zoll weit von der Stelle zu bringen. Wir mußten alle aus dem Wagen steigen und mit Beilen und dicken Stöcken, die schon auf diesen Fall mitgenommen worden waren, den Schmuz von den Rädern abmeißeln, und zwar mußte dieß rasch geschehen, denn bet der steigenden Hitze der Sonne waren wir in Ge- 295 fahr/ am Ende sogar einzutrocknen. Der zähe Schlamm der banaler Erde trocknet sehr rasch und wird dann so hart wie Stein. Der Proceß der Versteinerung unseres Wagens konnte sich sehr schnell vor unseren Augen vollenden. In zehn Minuten kamen wir mit der Arbeit zu Stande, und die Pferde konnten uns wieder ein Bißchen weiter schleppen. Jeder von uns nahm nun einen Knüppel in die Hand und faßte neben einem Rade Posto, welches er beaufsichtigte und bearbeitete, indem er beständig die sich ansetzenden fetten Klumpen abstieß. Nichtsdestoweniger nahm hier und da die Ein-schmuzung so überHand, daß wir uns noch zweimal festrannten und uns auf die besagte Weise loseisen oder vielmehr losschmuzen mußten. So reist man im Vanate, wenn Sonnenschein auf Regen folgt. Gegen Mittag war der Eintrocknungs-proceß jedoch soweit vorgeschritten, daß ich zu meiner Freude hier und da auf den Wiesen nebenher spazieren konnte. Da man uns gesagt hatte, daß die Seitenwege etwas besser seien, so waren wir von der großen Haupt' straße etwas abgewichen. Obgleich wir uns sehr ge» täuscht fanden, so verschaffte mir doch dieser glückliche Irrthum den sehr interessanten Anblick der großen bulgarischen Colonie „0 Lesckenjä" ober /,Alt-Beschenowa". Dieser Ort hat fast 10,000 bulgarische Einwohner, obgleich es nichts mehr oder weniger als ein Kornbau und Viehzucht treibendes Dorf ist. Die Bulgaren, die hier wohnen, wanderten um die 296 Mitte des vorigen Jahrhunderts in's Vänat ein. Der Bischof Stanislo witsch, ihr Landsmann, der schon unter österreichischem Schutze lebte, zog sie allmählig herein. Sie sollen schon einigen Reichthum mitgebracht haben, wurden hier aber, wo man ihnen große Ländereicn schenkte, die sie trefflich zu nützen wußten, noch viel reicher. Sie bewohnen ganz und ausschließlich hier nur drei Ortschaften, von denen O-Veschenjö und dann Vinga bei Temeswar die hauptsächlichsten sind. Da sie sich aber sehr stark vermehren und schr maßig, sparsam und arbeitsam sind, so haben sie auch von diesen Stamm-Colonieen aus schon manche kleine Nebenzweige getrieben und sich der Bevölkerung vieler anderen Colonieen beigemischt. Im Ganzen mag es wohl an 25,000 Bulgaren im Vanate geben. Sie sind lauter Katholiken und wurden, als sie sich vor den Vedrängungen von Seiten der Türken hierher retteten, zum Theil von Franziskanern angeführt, die ihnen in Vinga auch noch heutiges Tages vorstehen. Sonst sind die Bulgaren in der Regel bekanntlich griechischen Glaubens. Von diesen griechischen Vulgären haben sich viele in die Steppen Südruß-lands hinübergesiedelt. Da ich diese dort schon gesehen hatte, so war mir der Vergleich mit den österreichischen Bulgaren besonders interessant. Bei beiden fand ich eine gleiche Bauart der Dörfer, bei beiden Gleichheit der äußeren Erscheinung und Gleichheit der Beschäftigung, sowie auch über beide das Urtheil ihrer Nachbarn ganz gleich lautend. In Südrußland haben die 297 Bulgaren ebenso wie hier den Ruf, daß sie sparsame, oft geizige, sehr mäßige und höchst arbeitsame Wirth-schafter sind, daß sie daher in der Regel besonders durch Kornhandel und Viehzucht sehr wohlhabend werden und Schatze zurücklegen. Wir trafen es so vortrefflich, daß wir gerade die ganze Bauernschaft des Ortes, mehre tausend Menschen, Weiber, Mädchen und Männer, auf dem öffentlichen Platze und in den breiten Straßen versammelt fanden. Es war Markttag; der Anblick dieser Versammlung machte mir in der That Vergnügen; die Weiber besonders waren alle sehr freundlich und reinlich gekleidet. Sie haben ihre Nationalkleioung treu bewahrt. In kleinen Zelten und Buden, auf Teppichen und leinenen Tüchern, die man auf dem schmuzigen Boden ausgebreitet hatte, wurden Trauben, Obst aller Art, Melonen, dann Honigkuchen in allerlei Formen, Pfeifen und Pfeifenköpft, Schafspelze und wollene Gewänder verkauft, das Meiste nach bulgarischer Art. Zwischen dem fröhlichen Getümmel und Gehanbel der Jungen schleppten sich hier und da ein paar alte ehrwürdige Bettler herum, und an mehren Stellen saßen auf einem freien, etwas erhöhten Grasplatze oder auch mitten im zähen Schmuze zwischen dem Getümmel ein paar blinde Sanger und Gusle-Spieler. Ich hörte einem dieser Sänger zu, dessen wehmüthig klagende Stimme sich in dem Lärmen der Uebrigen verlor, und besah mir zuerst sein Instrument, die „Gusle". Ich hatte schon viel von diesem eigenthümlichen Instrumente gehört, denn 298 es ist bei vielen slavischen Nationen, besonders bei den Bulgaren und Serbiern, zu Hause. Nirgends aber noch hatte ich eine deutliche Beschreibung davon gelesen, die ich nun zu geben versuchen will. Die Gusle oder, wie die Bulgaren mir zu sagen schienen, „Gusle" ist ein Streichinstrument, das aber nicht wie die meisten der unsrigen zwischen den Knieen oder zwischen dem Kinn und der Schulter, sondern auf dem Schooße gehalten wird. Der Spielende sitzt dabei am flachen Boden und halt die Gusle auf den Knieen. Der Kasten des Instruments ist eine Art von halber Trommel, wie eine Schildkröte. Diese Trommel ist auch mit einem Felle überzogen; an der einen Seite derselben sitzt ein langer Stiel zum Festhalten und zum Greifen der Saiten. Ueber die Mitte dieser mit Fell überzogenen Trommel und über das Griffbret hin ist nur eine dicke Saite gezogen. Diese Saite besteht aus zusammengewundenen, m einander geflochtenen oder gedrehten schwarzen Pferdehaaren. Sie wird mit einem höchst solide gearbeiteten Bogen gestrichen. Derselbe ist so beschaffen: es ist ein Holz, welches in einen Halbzirkel ungefähr wie ein halber Tonnenband gekrümmt ist. Die Sehne des Bogens wird ebenfalls durch eine Schnur gedrehter Pfer-dehaare gebildet, welche mit Harz bestrichen werden. Der Bogen selbst ist zu größerer Festigkeit, auch wohl zum Schmucke, rund herum mit Eisen beschlagen, und an diesem Eisen sind viele kleine eiserne Ringe lose befestigt, so daß sie, besonders wenn der Spieler etwas leidenschaftlich spielt, oder auch, wie es zuweilen 299 wohl geschieht, mit dem Bogen mehr aufklopft als streicht, dann das Spiel und den Gesang immer mit Geklirre begleiten. Ohne Gesang wird diese Gusle nie gespielt, und der melancholische, aber oft sehr schöne und melodische Gesang, dazu die einförmigen Grundtöne der Gusle und dann das Accompagnement der eisernen Ringe geben wirklich ein ganz eigenthümliches musikalisches Ensemble. Ich möchte wissen, ob das Wort Gusle mit dem Worte l^u«, (Gans) zusammenhängt, oder etwa mit dem Worte „^usai/^ oder „ßu-w", das so viel bedeutet als „Spinnrocken." Die letztere Ableitung halte ich insofern für die natürlichste, als sich in der That die Töne von der Gusle ebenso ununterbrochen und auch fast ebenso gleichförmig abspinnen wie der Faden von einem Rocken. Mein armer Blinder faß nur halb bekleidet auf dem bloßen schmuzigen Grunde. Seine bloßen Füße und Beine waren bis an die Kniee mit dem tintigen Schlamme, den ich beschrieben habe, überzogen. Sein Rock war überall durchlöchert, seine schwarzen Haare sielen ihm lang und wild über die Schultern, und seine leblosen Augenhöhlen waren beinahe immer gegen den Himmel gewandt, als suchten sie das Licht, wahrend sein Mund in melancholischer Tonart die Worte ertönen ließ: „O du großer Ruhm Gottes! O du großer Name Christi! O du gebenedeiter Name der heiligen Mutter Maria!" (0 neUKa Logu «la^a! — 0 neUkoi Okristi inm! Ich verstand nur diese Worte). Gestehen muß ich es, ich fand noch keinen Streicher, 300 der mich mit seinem Lobe von Gottes Ruhme und von Christi großem Namen so rührte als dieser von des Himmels Segen scheinbar so gänzlich entblößte Bettler. Ich fragte einen Beamten des Ortes, der beaufsichtigend auf dem Markte herumging, ob sie nichts für ihre Armen thäten. „O ja," sagte er, „aber der völlig hülflosen Blinden sind gar zu viele." Es fielen mir dabei die unzähligen blinden Bettler in Kleinrußland, wo ich oft 4 bis 5, welche sich gegenseitig die Hand gereicht hatten, in einer Reihe hinter einander hergehen sah, wieder bei, und ich dachte, ob wohl in dem Klima aller dieser südlichen Slavenlander oder in dem Volksstamme etwas liegen möchte, was diese Blindheit hervorriefe. Ich fragte, um die Ideeen dieser Leute von ihrem eigenen Ursprünge zu erfahren, den Beamten, woher sie in dieses Land gekommen seien. Aus der Bulgarei, sagte er, dort hatten einmal in einem Kriege die Vul' garen, ihre Vorvater, den Türken zu Gunsten der Oesterreicher einen Hinterhalt gelegt. Sie seien aber dabei von jenen überrascht und als Verräther niedergemacht worden; dabei hatten aber die Türken auch noch 3N,000 andere Bulgaren zur Nache zusammengetrieben und alle mit einander, mit Weibern und Kindern ge-tödtet. Darauf waren viele Bulgaren, vom Schrecken ergriffen, über die Gränze geflohen, und das seien ihre Vorfahren gewesen. Ich hatte den Mann in einem schlechten Russisch angeredet und mich dadurch mit ihm verständigt. Zu meiner Verwunderung aber bemerkte ich nach einiger Zeit, daß er auch Deutsch verstand, 301 und als Ich dann für seine Nachrichten dankte, sagte er in ganz reinem Oesterreichisch: „'s isch mir ane b'suntere Ehre gewes'n!" Als wir außerhalb O-Beschenjö wieder an unserer Schmuz-Calamitat fortarbeiteten, entdeckte sich uns der außerordentliche Heerdenreichthum dieser Bulgaren. Die ganze weidenreiche Grasstur war mit einer Unzahl von Heerden von Gänsen, Schafen, Ochsen, Schweinen, Pferden (mit letzteren Gattungen jedoch am seltensten) bedeckt, soweit das Auge nur reichte. Es siel mir auf, daß die Heerden in eine außerordentliche Menge kleiner Parteien zerfielen. Einer unserer Begleiter sagte mir, daß dieß daher käme, weil die Bulgaren immer alle ihr Land bei Erbschaften zu theilen gewohnt waren. Es bekäme immer jeder Sohn ein Stück von der Erbschaft. Die Deutschen im Vanate machten dieß gerade umgekehrt. Sie ließen immer den ganzen Hof zusammen, den dann einer der Erben übernähme, während er den anderen ihr Erbtheil auszahle, welche Tagelöhner würden oder sonst etwas ansingen. Weit mehr als mit ihren Wiesen sei dieß mit ihren Aeckern der Fall. Er habe einmal drei Bulgaren auf einem Acker pflügen sehen, der kaum ein Joch Größe gehabt habe, und jeder von ihnen habe seine besonderen, ihm eigenthümlich gehörigen Winkel dieses Ackers für sich bebaut. Ich lasse dieß dahingestellt, doch war ich sehr geneigt, meinem Referenten Glauben zu schenken, da ich selber schon früher unter dem, den Bulgaren verwandten Stamme der Kleinruffen Aehnliches bemerkt hatte, wo 902 unter dem Adel z. B. ebenfalls das System der Theilung herrscht, so daß es dort Edelleute giebt mit einem Besitzthume von drei oder zwei und auch noch weniger Seelen. Die bulgarischen Heerden unterhielten unser Auge eine ganze Zeit lang, dann krochen wir aber wieder in unabsehbarem Moraste fort. Doch wie gesagt, wir konnten um Mittag wenigstens nun zu Fuße nebenan gehen. Einer unserer Reisegefährten erzählte mir dabei eine Geschichte von einem Wolfe, die mir in natuchistorischer und psychologischer Beziehung interessant war; wenigstens wußte ich noch nicht, daß der Wolf in seiner Jugend so gute Anlagen zeige, und daß die böse, wilde Natur sich so rasch in ihm offenbare. Er hatte einen kleinen Wolf einem Hirten abgekauft und ihn sich zum Scherze erzogen. Das Thier zeigte sich sehr gelehrig, folgte ihm auf seinen Ruf, fraß Mehlspeise, Brot, Milch und Alles, was er ihm vorsetzte. So lange es noch sehr klein war, nahm er das Thierchen bei seinen Geschäftsreisen, die ihn sehr oft zu Pferde in die ungarischen Pusten oder Steppen führten, mit sich aufs Pferd. Er brauchte sich hier gar nicht um ihn zu bekümmern. Er setzte ihn unter seinen Schafpelz, und da hielt sich der Wolf zusammengekauert am Sattel und am Pelze so fest, daß er nie herunterfiel. Als er größer wurde, ließ er ihn nebenher laufen, und wie ein Hund trabte er immer lustig voran, oder getreu hinter ihm her. Wenn der Herr zuweilen allein verreiste und den Wolf zurückließ, so war er außer sich 303 vor Schmerz, sowie außer sich vor Freude, wenn sein Gebieter zurückkehrte. So wurde das Thier ein Jahr und einige Monate alt, und es schien, als habe es ganz seinen wilden Ursprung vergessen, und als Ware es mög-lich, einen Wolf durch Erziehung zu einem zahmen Hausthiere umzuwandeln. Aber auf einmal und ganz ohne vorhergehende Anzeichen veränderte er seine Natur. Der Herr kam eines Tages von einer größeren Reise zurück und ging wie gewöhnlich zu seinem Wolfe, um ihn zu begrüßen, aber das Thier schien ihn nicht mehr zu kennen. Scheu zog er sich vor ihm zurück, verkroch sich in einen Winkel seines Stalles, und als er sich ihm näherte, schnappte und biß er nach ihm. Der Herr wandte wieder seine ersten Erziehungsmittel an, er prügelte den jungen Rebellen unbarmherzig und ließ ihn drei Tage hungern. Er prügelte ihn abermals halb zu Tode, dann bot er ihm Speise; der Wolf kam hungrig und demüthig nun allerdings angekrochen, schnappte die Speise weg, gab aber kein einziges Zeichen seiner früheren freundlichen Gesinnung von sich und blieb trotz aller angewandten Mittel ungehorsam, aufsetzig, bissig und wild. Es blieb am Ende nichts Anderes übrig, als ihn zu erschießen. Wie einen Wolf erschossen fand ich denn hier auch jenen Serbier, dessen Bekanntschaft ich in Raab machte und von dessen Tode ich schon im Voraus sprach. Die Sache war diese. Wir kamen auf eine solche Puste (Wüstenei), wie das genannte Bild von Hering sie vorstellt, zu einem solchen einsam stehen- 304 den Brunnen, wie der Leser ihn auf jenem Bilde gesehen. Dieser Brunnen war eine große, aus Holz gebaute Cisterne oder ein tiefer Kasten aus eingerammelten Pfeilern. In der Mitte hing an einem langen Schwengel ein solider Eimer, und zur Rechten und Linken gingen lange Tröge hinaus, in welche man zum Viehtranken das Wasser schüttet. (In ganz Südrußland findet man auch in den Steppen hier und da solche einsame Brunnen, jedoch nicht so hausig wie im Vanate). Unsere Pferde wurden ausgespannt und an den einen Trog gebracht. An dem anderen Troge saßen schwatzend mehre Hirten mit ihrem saufenden Hornvieh. Es war erschrecklich heiß und die Wüste umher endlos weit. Blos eine einsame Tscharde, d. h. ein alleinstehendes Wirthshaus, entdeckte man in einiger Entfernung. Ich erquickte mich hier mit etwas schönem Menescher, den ich in ein ausgehöhltes Brot goß und mit sammt dem Brote verspeiste. Ich erfreute mich eben dieses lieblichen Getränkes, als mein Auge auf einen frisch aufgeworfenen Erdhügel siel, auf welchem ein aus zwei Stäben zusammengeschlagenes Kreuz aufgestellt war. Ich fragte unseren Kutscher, was dieß wäre. Er sagte: „Sie hoab'n hier anen armen Sersianer ausg'raubt und um-g'bracht, und der liegt do b'groben." — „Ei! kanntest Du ihn?" — „O Jesus Maria! Ob ich ihn kannte! 's war sehr an guter Freund zu mir! und sehr an guter junger Mann. Vor vier Wochen ist er in Raab oben g'west. Do hoat er Schwein aufi g'brocht und hoat 17UUl) Gulden baares Geld b'kummen und damit 305 ist er nach Sersien zurückgereist mit seinem Compagnon. Das wor aber a Schpitzbub und mit seinem Antheil an Gewinn nit z'frieden, sundern wollte auch noch die 17000 Gulden des Andern hoab'n. Er hat sich darum mit dem Kutscher z'sammenthan, und dort in jener Tscharde Haben's sich b'redl." — Mein Ser-vianer wollte in dieser Tscharde übernachten. Seine falschen Freunde aber schlugen ihm vor, noch weiter zu gehen, die Nacht sei schön, man könne noch einen guten Vorsprung gewinnen. Er ließ sich überreden, aber zu seinem Unglück. Nicht weit von der Tscharde bei dem Brunnen sielen sie ihn an, und sein verrätherischer Compagnon packte ihn an der Kehle, indem er ihm einen Messerstich gab. Sie muffen ihn anfangs nicht gut getroffen haben, denn man fand das Erdreich uon den Fußspuren aufgerissen und weit und breit Blut vergossen. Es war ein sehr schöner starker junger Mann, und er mochte sich tapfer gewehrt haben, so daß die Mörder sich endlich genöthigt sahen, die Pistolen zu ziehen und ihn niederzuschießen. Die Hauptwunden waren im Rücken, und vielleicht gelang es den Bösewichtern nur, ihn auf der Flucht niederzustrecken. Darauf warfen sie ihn in den Brunnen und gingen mit seinem Gelde davon. Am anderen Tage kamen Hirten zum Brunnen, ihr Vieh zu tranken, und als sie das Waffer heraufzogen, war es roch gefärbt. Sie entdeckten auch den Körper. Man zog ihn herauf, „und da hoab'n's'n hier verscharrt und das Kreuzerl g'setzt." — „Aber den Pistolenschuß müssen doch wohl die Wirthsleute in der Tscharde gehört haben?" — IV. 20 309 „I woaß nit!"— „Vielleicht haben die Wirthsleute auch um das Verbrechen gewußt?" — „I woaß nit! Aber meistentheils gehen sulche Leit' wohl in die Türkei, do find's sicher!" Ich hatte gleich eine Ahnung gehabt, daß der Getödtete mein Freund aus Raab gewesen sein möchte, und fand meine Vermuthung nur zu sehr bestätigt, als ich mich nach Kleidung, Alter, Namen und Datum seiner Anwesenheit in Raab erkundigte. Ich muß gestehen, mein Menescher kam mir nun minder lieblich vor, als ich unter diesen Umstanden auf den Grabhügel eines Menschen trat, mit dem ich noch vor Kurzem so lebenswarm zusammengefessen hatte. Es wurden, da wir nun durch die Umstände wieder auf das Capitel der Rauber gekommen waren, darauf viele schreckliche Geschichten von Morden, Raubereien und Verbrechen verschiedener Art erzählt. Ich will diese in der That merkwürdigen Geschichten nicht wiedererzählen, erstens weil sie mir nicht gehörig verisicirt wurden, und zweitens weil ich mich nicht überwinden kann, diese grauenhaften Ereignisse mir wieder vor die Phantasie zu führen. So viel ist aber gewiß, daß es wohl kein Zufall war, daß ich so oft in allen ungarischen Dili-gencen und Wirthshausern von solchen Geschichten hören mußte. Wir hörten die Leute unterWeges von einem kleinen sandigen Striche sprechen, und um diesen zum Weiterkommen zu benutzen, machten wir abermals einen kleinen Umweg. Solcher kleinen sandigen Striche giebt es im nördlichen Vanate nur äußerst wenige. Im südlichen 307 aber, an der Donau, am Fuße der Berge giebt es sogar eine große Sandwüste, „822IIY Komnk" genannt. Von Sümpfen hingegen ist der größte der Alibonaer Morast mitten im Lande. Mittag, obgleich es langst über die Mittagszeit hinaus war, machten wir in einem deutschen Dorfe. Hier war es, wo unser Kutscher sich marode und sieberkrank erklärte. Er konnte nicht mehr den Eimer schleppen, die Pferde zu tranken, und für den Nest der Reise mußte der Jude die Zügel führen. Die kleinen Löffelmühlen der Walachcn und Serbier im Gebirge beschrieb ich oben. Sie gehen in dieser Weise durch einen guten Theil der siebenbürgischen Alpen. Die Wassermühlen auf der Donau, welche das Getreide des mittleren Ungarns mahlen, erwähnte ich schon früher. Hier im flachen, windstillen und waffer-losen Banate haben sie, wie in den anderen Ebenen vor den siebenbürgischen Bergen, meistens Pferdemühlen. In jener deutschen Eolome besah ich mir eine solche. Ein Bulgare war der Müller. Diese Mühlen sind wirklich, wie es scheint, wunderbar unpraktisch eingerichtet. Unter einem großen runden Dache lauft nämlich ein Pferd mit einem ungeheuer großen horizontalen hölzernen Rade herum, an welches es inwendig anqe-spannt wird. Das Rad hat auf seiner Stirn oder auf der äußeren Seite viele hölzerne Pflöcke, ist also ein Kammrad. Diese Pflöcke greifen unmittelbar in die Speichen oder Zähne einer senkrecht um sich s>ibst sich drehenden Welle, und an dieser Welle M sofort der 20* 308 eine Mühlstein. Der Grundherr des Dorfes erhalt die Abgabe von der Mühle in nawra. Es steht zu dem Zwecke ein großer verschlossener Kasten in der Mühle' mit Löchern im Deckel. Dieser Kasten heißt der Mamh-kästen, und es wird sofort von jedem Mehlsacke eine Partie für den Grundherrn hineingeschüttet. Hier, wie in Südrußland, bestehen die meisten Hauser der Landleute, selbst die besseren und oft recht freundlichen, ja sogar mitunter eleganten der deutschen Eolonisten, aus gestampfter Erde. Sie werden folgendermaßen gebaut. Man zeichnet erst den Umriß und die Größe des Hauses mit dem Spaten auf dem stachen Boden ab. Dann stellt man zwei Breter in so großer Entfernung parallel neben einander, als die Mauer dick werden soll, schüttet Erde in die Zwischenraume und stampft sie fest. An beiden Enden werden die Breter mit Stangen, welche man in den Boden einschlug, oder auch mit Stricken zusammengehalten. Die Erde gewinnt sehr schnell »Festigkeit. Man spannt die Breter höher, schlägt wieder Erde ein und bringt auf diese Weise die Mauer bis oben hin zu Stande. Das Haus (mit Ausnahme des Daches), alsdann der Heerd, die Bänke und Tische (zum Theil wenigstens) bestehen aus der gestampften Erde, und daS ganz? Haus mit seiner ganzen Einrichtung/ ist daher buchstäblich aus einem Gusse. Wir speisten bei unseren Deutschen vortrefflich und außerordentlich billig. Zum Kaffee und zur Nachmittagspfeife kam ein Zigeuner herein, ein unglaublich frecher und närrischer Bursche. Er sprach deutsch, ungarisch 309 und walachisch durcheinander und spielte den sonderbarsten und fratzenhaftesten Possenreißer, den ich je gesehen habe. Ich hielt ihn anfangs für betrunken, und er sagte mir auch, daß ein ungarischer Magnat ihn im vorigen Monat mit köstlichen Weinen so herrlich und reichlich bewirthet habe, daß er seitdem noch immer berauscht sei. Die Deutschen, die ihn schon kannten, versicherten mir aber, er sei immer so. Sie hatten ihm seine Violine verdorben, und er mußte sie mit neuen Saiten beziehen. Bei diesem Geschäfte brachte er eine halbe Stunde zu, indem er sich bestandig mit Witzen und Scherzen unterbrach. Endlich wollte er anfangen zu spielen, aber es hatte ihm ein Anderer den Vogen mit Talg beschmiert. Dieß gab zu manchem Hallo und Spaß Anlaß. Er mußte nun seinen Vogen radical kuriren; er ging daher an die Thür und strich ihn so lange im Kalke an der Ecke der Mauer, bis die Saiten erklangen. Darauf spielte er eine ungarische National-Melodie, die unglaublich rührend klang. Zigeunerische Possenreißer sind mir mehre in Ungarn vorgekommen, und ich glaube, sie sind hier in der ganz eigenthümlich wilden und zügellosen Weise dieses Volkes gewöhnlich. Ich hatte aber noch mehr Eremplare davon beobachten müssen, um diese ihre Weise charakteristischer schildern zu können. Je mehr man sich nun dem äußersten Ende des Banats, dem Mündungslande der Maros und Theiß, nähert, desto magyarischer wird Alles. Die Walachei Uegt längst dahinten. Auch die deutschen Colonisten hören 310 auf, oder wohnen vermischt mit den Ungarn. Die letzten Dörfer waren schon ganz und ausschließlich von Ungarn bewohnt. Noch einmal machten wir Halt in einer ungarischen Tscharde (Isar^). Man nennt bekanntlich die einsam liegenden Wirthshauser in Ungarn so. Durchweg sind diese Tscharden nach einem und demselben Schnitt eingerichtet/ und zwar nach folgendem. Es sind zwei Gebäude, das eine die Wohnung der Menschen, das andere die Stallung für die Pferde. Zwischen beiden Gebäuden ist ein großes Gehöfte, und mitten auf diesem Gehöfte steht auf hölzernen Säulen ein großes Dach, ein Schuppen zum Untersahren für die Wagen der Reisenden. Das Ganze ist mit hohen Mauern umgeben, welche zwei Thore haben, das eine zum Einfahren, das andere zum Hinausfahren. „Diese Thore werden jeden Abend wie die Thore einer Festring geschlossen," sagte mir unser Eonducteur, „es wäre sonst wohl kein Pferd im Stalle sicher." Die Gehöfte der Hauser in den ungarischen Dörfern waren überall mit Tabacksblattern auf Schnüren reich behängen, und auf aller» saßen die Leute in großen Gesellschaften beisammen, die Tabacksblatter auszulesen. An allen Stücken und Theilen der hauslichen Einrichtung erkannte ich, daß ich wieder in's Land der Magyaren kam. Auch fand ich neben den Hausern unter dem Vordache wieder die eigenthümlichen magyarischen Ehebetten stehen, wie ich sie schon in der ersten ungar- 311 ischen Ebene von Naab gesehen hatte. Sie waren hier wie dort mit Vorhängen von Netzen gegen die Golfen versehen. In einem dieser Dörfer sah ich auch die Weise des Melkens der Schafe in diesen Gegenden. Der dunkelbraune, halbnackte Hirt, eine große cyklopische Gestalt, setzte sich auf einem Stücke Holz vor die Thüre des Gehöftes, die Schafe standen alle darin und verlangten meckernd Einlaß. Dabei half noch ein Junge sie von hinten heraustreiben. Sowie sich eines vordrängte, ergriff es der Hirte bei einem Hinterbeine, hielt ihm den Kopf mit dem Ellbogen nieder und drückte ihm mit der anderen Faust die Euter aus. Dieß war ja ungefähr die Weise Polyphem's. Es ist auch die Weise der südrussischen Schafhirten. Zuweilen haben die Ungarn auch ein Gitter in der Mitte des Gehöftes, wo die Schafe durchpassiren müssen, und wo dann der Melker ihnen aufpaßt. Das Geschäft wird so roh als möglich betrieben, das ganze Cuter wie ein Schwamm in die Hand genommen und ausgepreßt. Hinterher giebt der Hirt dem Schafe einen Schlag, laßt eS hinein hüpfen und ergreift hurtig ein anderes. Es geht außerordentlich rasch. Am Ende kamen wir über die Bathyany'schen Güter, von denen ich bereits sprach. Wir passirten nahe an dem Hauptgute vorbei. Auf einer einsamen Tscharde, Wo unsere Pferde bei einem deutschen Wirthe das letzte banatische Heu zu fressen bekamen, wußten die Leute nichts davon, ob ein Verwalter oder ein Administrator auf dem Gute wohne, oder ob es verpachtet sei; !" sagten, sie kennten blos den Cafsirer, der zuweilen 312 im Jahr einmal zu ihnen käme, mit den Anderen hatten sie nichts zu thun. Hatten mich die schrecklichen Schelm- und Räubergeschichte« unterwegs wenig erbaut, so war mir desto interessanter gewesen, was mir andere Reisegefährten, die Handwerksburschen, von den deutschen Handwerksgebräuchen in Ungarn erzählten. Es existiren dort ohne Zweifel noch manche solche Gebrauche, die in Deutschland längst veraltet sind. Meine Freunde waren Sattler, und sie sagten mir, daß bei ihrem Gewerbe in Ungarn noch überall streng darauf gehalten würde, daß jeder fremde Gesell, der bei einem Meister Arbeit suche, sich auf die alt hergebrachte Weise mtroducire. Vor 5 Uhr Abends muß er bei'm Meister eintreten. Denn da um 6 Uhr Feierabend ist und dann gegessen wird, so würde es sich schlecht ausnehmen, wenn er gerade zur Feierstunde und zum Abendmahle einträfe. Bei'm Eintreten muß er die Worte sprechen: „Gott grüß'Sie, Meister!" Der Meister antwortet dann mit den Worten: „Willkommen, Schulherr!" „Dm Gratia«!" antwortet dann der Gesell. ,,Wegen Gruß werden Sie kein Bedenken haben (d. h. den Gruß, den ich Ihnen bringe, werden Sie gewiß achtbar finden). Ich grüße Sie vom Meister so und so." „?egt ab, Schulherr!" Dann legt der Gesell Mütze, Stock und Reisesack ab und wendet sich mit einem ebenfalls eigenthümlichen Gruße an die Gesellen und dann an die Lehrburschen, doch habe ich diesen Gruß vergessen. Dann wird er zum Effen eingeladen und kann auch, wenn der folgende Tag ein 313 Sonntag ist, selbst wenn er keine Arbeit bekommt, diesen ganzen Sonntag bei'm Meister bleiben. Die Sattler und Gerber stehen in Ungarn in intimer Freundschaft und gewahren sich gegenseitig Gastfreiheit. Auch sind ihre Handwerksgebrauche sich so ziemlich gleich, doch sind die Sattler in ganz Ungarn die einzigen Handwerker, welche das Recht haben, einen Degen zu tragen; jedoch wird dieses Recht, obgleich es ihnen noch nicht gesetzmäßig genommen worden ist, nur selten mehr exercirt. Ob sie aber bei Aufzügen nicht bewaffnet erscheinen? Ich habe nicht erfahren können, ob diese Gebräuche auch noch in Deutschland für die Sattler im Schwange sind. Aber selbst wenn das der Fall wäre, so war es mir doch interessant, wenigstens zu constatiren, daß mehre deutsche Handwerkersitten durch ganz Ungarn gehen. Sie zweigen sich auch lief in Polen hinein. Das Gesagte gilt indeß natürlich nur von den deutsch-ungarischen Handwerkern; denn was die eigentlichen magyarischen Handwerker betrifft, so bilden diese überall ihre besonderen Genossenschaften. Wir kamen zuletzt über einige Brücken, welche über große ausgetrocknete Flußlhaler führten. Man sagte uns, im Frühjahre bei hohem Wasser verzweigten sich Arme der Maros in diese Gräben, weßhalb die Brücken nöthig seim. Im Frühjahre wird aber auch gewöhnlich diese ganze Gegend überschwemmt. Die Maros fließt auf eine sehr ungünstige Weise in die Theiß ein. Wahrend ihr Lauf im Ganzen aus Osten nach Westen geht und mit der Theiß einen rechten Winkel bildet, krümmt 314 sie sich kurz vor der Mündung nach Norden und Nordosten herum und fließt der aus Nordosten herabkommenden Theiß geradezu entgegen. Wenn nun beide Flüsse angeschwollen sind, so wird dann durch den Zusammenstoß der Gewässer ein Aufstauen und eine Ueberschwemmung der ganzen Umgegend veranlaßt. Freilich gehen sowohl an der Maros als an der Theiß hin schützende Wafferdamme und Deiche, aber ihr System ist nicht vollständig, und ihre Unterhaltung mag schlecht sein. Man hat schon lange den Plan gehabt, die Maros durch einen Canal in einer anderen günstigeren Richtung in die Theiß zu leiten. Aber bisher ist dieß noch nicht ausgeführt worden, obgleich, wie es nach jenen Flußarmen, die sich im Frühlinge von der Maros abzweigen, scheint, die Sache nicht unmöglich ware. Es gäbe, sagte man mir, eine Magnatenfamilie . . . . p in Ungarn, die schon scit 5l) bis 60 Jahren mit der Ausführung dieses Projectes und bei den Wasserbauten beschäftigt sei. Das heißt, Mitglieder dieser Familie sind immer an der Spitze der Commissionen für die Wasserbauten gewesen (die aber ^L. alle noch nicht zu Stande gekommen sind). Man nennt daher diese Familie___p, um sie von anderen Familien gleichen Namens zu unterscheiden, „die Waffer . . . . ys." Sie reisen seit langen Zeiten alle Jahre einmal an die Maros und Theiß, um die Wasser - Projectc wieder aufzunehmen. Szegedin, die Theiß und die Soda-Teiche. 3)ie Theiß ist ein schöner, breiter, schissbarer Strom, der in seiner unteren Hälfte in gerader Linie von Norden nach Süden geht. Er hat rund umher Ebene. Die letzten Ausläufer der siebenbürgischen Gebirge bleiben alle ungefähr in einer Entfernung von 15 Meilen von der Theiß stehen und verlieren sich hier in einer Linie, welche ebenfalls in der Richtung von Norden nach Süden gcht. Hauptsächlich öffnen sich die Gebirge, welche Siebenbürgen von Ungarn scheiden, zu drei großen Thoren und lassen aus diesen Thoren drei Flüsse heraus, nämlich die Körös, die Maros und die Temes mit der Bega, letztere beide dicht neben einander und durch gemeinschaftlichen Parallellauf, wie auch durch mehre Arme, mit einander zu einem und demselben Flußsysteme verbunden. Alle diese drei Flüsse strömen von Osten nach Westen, die Körös und Maros ganz direct, die Vega und Temes etwas südlich gerichtet/ der Theiß zu und 316 bilden mit ihr rechte Winkel. An dem Eingänge zu den siebenbürgischen Thoren, da, wo die Berge aufhören und die Ebene und mit ihr die Schiffbarkeit der Flüsse sich völlig herstellt, haben sich die ersten bedeutenden Städte an den Ufern dieser Flüsse gebildet, und zwar an der Temes - Bega: Temeswar, an der Maros: Arab und an der Körös: Großwardein. Diese Städte sind weit und breit die wichtigsten Stapelplätze für die Waaren der umliegenden Provinzen, die sie auf ihren Flüssen weiter spebiren, und zugleich sind sie auch alle drei große Festungen zwischen Ungarn und Siebenbürgen, zwischen dem Gebirgslande und dem Lande der Ebene. An den Mündungen der Flüsse in die Theiß, 15 Meilen abwärts, ist dann ein zweites Trio von Städten abgesetzt, die als Mündungs-Capitalen den Dienst bei dem ferneren Verkehre auf der Theiß leiten, so bei der Körös: Tschongrad, bei der Temes: Vega-Titel und Pamschowa und bei der Maros, dem größten der genannten Flüsse, Szegedin, die größte der genannten Städte. So ungefähr ist die Gestaltung des Bodens und der Lauf der Flüsse in diesen Weltgegenden, und dieß ungefähr sind die Verhältnisse, welche der Stadt Szegedin ihre Wichtigkeit geben. Sie ist das Product der rechtwinkeligen Vereinigung der Maros mit der Theiß. Die Waaren der Maros (es sind dieß die Waaren der Hälfte Siebenbürgens) werden von Szegedin theils auf der Theiß, theils per Fracht zu Lande nach 317 den oberen Donauplatzen, für welche sie vornehmlich bestimmt sind, weiter spedirt. Der Weg auf der Theiß nach Süden und dann wiederum auf der Donau nach Osten und Norden ist des LaufeS der Flüsse wegen mit großen Umwegen verknüpft und betragt bis Pesth, die unzähligen Krümmungen der Flüsse mit gerechnet, über 80 Meilen, während man zu Lande den vornehmsten Donauhafen, Pesth, auf einer kurzen Linie von 24 Meilen erreicht. Man hat daher den Plan langst besprochen, das Mesopotamien zwischen der Donau und Theiß von Pesth nach Szegedin mit einem Canale zu durchstechen. Durch diesen Canal würbe man von Pcsth, Wien und Regensburg aus eine beinahe ganz gerade Schifffahrtsstraße in südöstlicher Richtung durch ganz Ungarn bis nach Siebenbürgen hinein herstellen. Doch ist man bisher noch immer nicht über das Project und den guten Willen hinausgekommen. Auf der Maros sollen in Szegedin allein jahrlich 300 Schiffe mit Salz anlangen, ebenso eine bedeutende Anzahl, mit Holz und Holzwaaren beladen. Die zweite für Szegedin wichtigste Straße ist der Landweg, auf dem wir heranreiften und der der Stadt aus der Türkei alle die Baumwolle und das Hornvieh zu-" führt, dem wir unterweges begegneten. An Getreide aus den umliegenden fetten Aeckern der Maros - Provinzen sollen hierher jetzt jährlich 60,000 Prcßburger Metzens *) Die Preßburger Metze ist das in ganz Ungarn gewöhnliche Maß trockener Sachen — zwei Cubikfuß Wiener Maß. 318 Getreide, 60.000 Centner Taback, 40,000 Centner Baumwolle und 17,000 Centner Wolle verkauft werden, wahrlich keine unbedeutenden Quantitäten, besonders wenn man bedenkt, wie nach unserer Schilderung die Landwege, auf denen ein großer Theil dieser Waaren zugeführt wird, beschaffen sind. Wenn jener Canal erst fertig wäre und man jene unausweichlichen Moraste in Chausseen verwandelt hatte, was könnte dann die Stadt Szege-din, die jetzt schon nahe an 40,000 Einwohner zahlt, werden! Die Stadt selbst liegt auf dem rechten, höheren Ufer der Theiß, ebenso wie Tschongrad, Zenra, Kanisa und alle bedeutenderen Städte der unteren Theiß, ebenso wie auch die meisten Niederlassungen an der mittleren Donau unterhalb Pesth bis Belgrad und Semendria auf der rechten Seite des Flusses liegen. Auf der linken Seite liegt nur eine Vorstadt, und dieser näherten wir uns nun, wie gesagt, gegen Abend. Große Viehheerden hatten uns immer begleitet, auch da, wo ich sie nicht besonders erwähnte, und mit ihnen unzählige Schaaren von Staaren und anderen kleinen Vögeln, welche die gewöhnlichen Begleiter dieser Viehherden sind. Aus den Vorstädten von Szegedin kamen uns wieder serbische Viehhändler in kleinen Reitertrupps entgegen, alle mit Dolchen und Pistolen zum Ueberstuß bewaffnet. „Sie reiten ihren Heerden, welche sie erwarten, entgegen", sagten uns die Leute. Alles bezieht sich in diesen Szegedin'schen Vorstädten auf Vieh, Viehhandcl und Viehfütterung. So sahen wir hier große 319 freie Platze, auf welchen viele Menschen damit beschäftigt waren, das Heu in kleinen P^rtieen zu häufeln. „Es geschieht das für das Vieh, welches sie erwarten." Auch viele solcher gegitterter, länglicher Kora's (Ku-kuruz-Scheunen), wie wir sie oben beschrieben, sahen wir m diesen Vorstädten. Sie waren von oben bis unten mit Maiskolben, die aus den Zwischenräumen der Latten hervorblickten, gefüllt. „Sie sind für das Vieh (für die Schweine), das hier in den Vorstädten so lange gefüttert wird, bis es weiter versandt werden kann." Die Vorstädte von Szegedin sind ebenso wie auch die Stadt selbst zum Erstaunen weitläufig, und wenn es auch etwas übertrieben ist, daß man sagt, die Stadt sei so groß wie London, so fehlt doch auch nicht gar viel daran. Diese weitläufige Bauart ist allen ächt ungarischen Städten eigen, und eine solche ist Szegebin. Sie ist in dieser Beziehung die Schwesterstadt von Debretzin zu nennen. Denn beide sind von allen hauptsächlich von Magyaren gebauten und bewohnten Städten die volkreichsten. Debretzin hat indeß vor Szegedin in dieser Beziehung noch den Vorrang; denn es finden sich dort noch weniger Deutsche und Serbier als hier, wo schon die Nähe des Banats und der Donau und dann die Mitte zwischen Temeswar und Pesth mehr Deutsche und Serbier herführt als nach Debretzin, welches in oer Nähe des Endes der ungarischen Welt liegt. Vei der Parallele, die man zwischen beiden Städten ziehen kann, spricht sich auch darin eine Verschiedenheit aus, d"ß Szegedin die vornehmste Stadt der katholischen, 320 sowie Debretzin der Hauptort der reformirten Magyaren ist. An erstaunlich breiten, ungeplasterten, in Schmuz versunkenen oder in Staub gehüllten Straßen ziehen sich die langen Reihen der kleinen Häuser Szegedin's hin (in manchen Quartieren der Stadt sind sie sämmtlich gleich groß und gleichen sich alle wie 1000 Eier 1000 anderen Eiern). Man kann nicht sagen, daß diese Häuserchen häßlich aussahen, im Gegentheil, sie sind fast alle ganz nett angestrichen und auch meistens mit grüner Farbe zierlich eingefaßt. Aber keines von ihnen macht auf Solidität und architektonische Großartigkeit Anspruch, und man sieht, daß sie alle ebenso leicht hergestellt als weggeräumt werden können. Zuweilen stehen vor den Häusern Bäume, in den Hauptstraßen laufen hölzerne Trottoirs oder vielmehr Brücken hin, um die Fußganger vor dem Versinken zu retten. Auch auf den öffentlichen Platzen sind hier und da, wenn es gar zu arg wird, an einigen gefährlichen Stellen Bre-> ter zu demselben Zwecke gelegt. Man läuft auf diesen hölzernen Brücken und in diesen endlosen Straßen stundenweit hinaus, bis sich am Ende ohne Mauer, ohne Thor, ohne Prolog und Epilog die Stadt in die sie umgebenden Wüsten und Viehtriften verliert. Auf dieselbe Weise sind die meisten ächt ungarischen Städte gebaut. Sie gleichen nach unseren Begriffen von Stadt weniger Städten als Marktflecken, und sie sind dieß nicht blos ihrer Bauart nach, sondern auch zum Theil der Beschäftigung der Leute nach in der 321 That. Die meisten Bürger nämlich, die in diesen Städten wohnen, — namentlich die magyarischen Handwerker, die kleinen Edelleute lc. — treiben in der Negel nicht blos ein städtisches Gewerbe, sondern zugleich auch eine Beschäftigung, die bei uns allein denLandbe» wohnern zufallen würde, Viehzucht, Acker- und Weinbau. Jede dieser Städte hat nämlich ihren sogenannten „tlatäi-", d. l). ihre Gränze, ihr „Weichbild"*). Innerhalb dieses Stadtgebietes liegen nun nicht e^twa ackerbauende Dörfer, wie in den Weichbilden unserer Städte, sondern das ganze Land innerhalb desselben gehört theils der Stadt als Commune, theils den einzelnen Bürgern derselben. Diese Gebiete sind oft sehr groß, und Szegedin z. B. hat einen Hatär von mehr als 12 Quadrat-Meilen Landes. Dieser ganze Hatär ist nun in viele kleine oder vielmehr große Güter abgetheilt, und jedes derselben wird von einem Bürger bebaut, der in der Mitte sich ein einsames Landhaus, einen sogenannten „Zxgllasck" (Sallasche) gebaut hat. Die Zisckmenmacher (Schuster), die Schneider, die Schnürmacher und die Barbiere (dieß sind die vier Künste, denen die Ungarn Vorzugs» *) Das Wort Hatir (sprich Hottahr) ist weit verbreitet in den östlichen Gegenden Europa's und wahrscheinlich slavischen Ursprungs. Die Mähren und alle Illyrier nenncn Nutar oder Okolar ebenfalls ein dem Landbau gewidmetes Gebiet. Ebenso haben die Deutschen jener Gegenden das Wort in ihre Sprache aufgenommen und sprechen von „Hotter." Auch in Sudrußland bci Odessa heißt „(^»utor" oder „Nuter" ein Landgut in den Steppen. »V. 21 322 weise und oft ausschließlich sich widmen) der ungarischen Srädte wohnen im Sommer ganz einsam auf der Steppe in diesen Sallaschen, treiben Viehzucht, Weinbau, pflanzen Taback, etwas Mais u. s. w., versorgen sich auf diese Weife mit Wintervorrächen und gehen dann im Herbste in ihr Häuschen in die Stadt zurück, wo sie im Winter davon zehren und zugleich nebenher eines der genannten Handwerke betreiben. Die Städte sind also gewissermaßen ein temporäres Rendez-vous für den Winter und die Sallaschen ein einsamer Aufenthalt für den Sommer. Nebenher erklärt sich auch aus dieser Lebensweise jener Leute die ungeheuere An» zahl von Zischmenmachern, Schnürmachern und Schneidern, welche es in jeder ungarischen Stadt giebt. Sie bilden in den meisten ungarischen Städten die größte Masse der Bevölkerung. Zisch nmmacher oder Schuster gab es in De-bretzin im Jahre 1805 75 l. (in Paris zu derselben Zeit dagegen >Hli9). Von ihrem Handwerk allein, ohne ihre Salla-schen könnten sie nicht bestehen, ebenso wenig, wie die unzahligen Töpfer, TopPricker, Mundstückdrechsler, Kürschner und Fleischhacker, die man ebenfalls in jenen Städten findet. Sie all? lassen ihre Knöpft, Töpfe, Mundstücke und Pelze für den Sommer im Stiche und kehren im Winter zu ihnen zurück. Die Lockerheit des städtischen Häuserbaues und überhaupt des städtischen Verbandes, wie sie sich in Ungarn darstellt, wird nach Osten hin in Europa noch größer. Man findet dasselbe bei den Walachen, den Russen, den Rulhenen. Die meisten Städte in den 323 Ländern dieser Völker sind auf einem so weitlausigen Gebiet« ausgebreitet, daß solche Kernstädte, wi? unser Leipzig oder Frankfurt es sind, drei- bis zehnmal darauf Platz hätten. Es kommt dieß ganz natürlich daher, daß jene Völker Mehr oder weniger keine Idee haben von der Innigkeit des städtischen Verbandes, als eines einigen, kräftigen Ganzen, in dem alle Einwohner oder Bürger nur kleine Glieder sind. Vei Szegedin befindet sich eine lange Schiffbrücke über die Theiß. Auf der ganzen Theiß, so weit sie befahrbar ist, d. h. etwa von Tokai an bis zur Mündung, giebt es nicht mehr als vier solcher Brücken, nämlich außer bei Szegedin noch eine bei Szib.kh.iza, bei Szolnok und bei Tisza Füred. Da diese Strecke, seldst wenn man die kleinen Krümmunaen des Flusses nicht mit rechnet, über 70 Meilen beträgt, so kommt also ungefähr auf je 20 Meilen Fluß eine Brücke. Eine stehende Jochbrücke giebt es an der ganzen Theiß nicht (ihr Quellengebiet vielleicht ausgenommen), und die Theiß kann sich also rühmen, einer der fteiesten Flüsse von Europa zu sein. Weber die Römer, noch die Deutschen, noch die Ungarn legten ihr ein Joch auf. Wir fuhren über jene lange Brücke, durch jene breiten Straßen, über jene weitläufigen Stadtplätze und gelangten gegen Abend in ein Wirthshaus, welches uns in jeder Hinsicht vollkommen befriedigle, denn es waren dort große Räume, gute Betten und keine schlechte Küche. Auch war die Gesellschaft, die aus einigen deutschen Offizieren, einigen recht gebildeten Ungarn und 2l* 924 einigen serbischen Kaufleuten bestand, nlchts weniger als klein und uninteressant. Wenigstens wurden in jeder Hinsicht, die langsame Bedienung ausgenommen, meine Erwartungen übertroffen. Am anderen Morgen früh eilte ich zunächst und vor allen Dingen auf den Fischmarkt hinaus, um die in ganz Ungarn so berühmten Theißfische näher zu betrachten. Das Wasser der Theiß ist bekanntlich rine Fischweide, wie Europa, vielleicht die Wolga ausgenommen, keine zweite hat. Nach Pesth, zu der von Fischen weit ärmeren Donau, werden von hier aus beständig viele dieser Thiere gebracht. Allein in Pesth machen dieselben gewöhnlich ein sehr betrübtes Gesicht und haben ein sehr lahmes und schmachtendes Aussehen, während sie hier auf dem Szegediner Fischmarkte äußerst frisch und ausgelassen sind und, so zu sagen, mit der größten Fröhlichkeit in die Töpfe der Köchinnen springen. Selten sah ich einen durch Kaufer und Verkaufer und durch unzahlige durcheinander hüpfende Fischgattungen so belebten Fischmarkt. Es zog sich eine lange Reihe von Fischbütten zur Rechten und zur Linken hin, in deren Mitte die Kaufer sich drängten. Von außen schleppten die Theißfischec beständig neue, zappelnde, eben gefangene Waare in Netzen herbei. Es waren Karpfen, Hechte, Störe, Hausen, Stirle, Schills, Dicks und andere Sorten, unter ihnen auch viele Schleien, welche die Ungarn, weil sie gern im Schlamme wohnen, „Zigeunerfische" nennen. Man soll hier noch oft Il)0 fette, große Karpfen für einen Ducaten kaufen (in Berlin kostet 325 das Pfund 6 bis 8 Groschen). Die Preise der übrigen Fische waren alle unglaublich niedrig. Doch habe ich mit Bestimmtheit nur den der Krebse behalten. Von ihnen kosteten 25 Stück einen Groschen W. W- also etwa einen Kreuzer Münze. (In Berlin kosten die Krebse das Schock IN diö 20 Silbergroschen). Die Leute sagten mir, sie zögen oft 8U00 Krebse auf einmal aus dem Wasser. Das ist ein eindnrra« >icifch, steckte es an kleine Stöcke und briet es. Es war ganz frisch und schmeckte vortrefflich, denn der Pustensand ist im Sommer so trocken, daß er alles in ihm Verborgene vor Faulniß schützt. Sie holten dazu ihre Tschuttora, die mit Ungacwein gefüllt war, aus dem Wagen. Der Priester gewann volles Vertrauen und sagte mir, er erinnere sich nicht, daß ihm je Etwas so köstlich geschmeckt habe wie dieser Kalbsbraten und Wein auf der einsamen Puste. Sie schliefen alsdann zufammen ein wenig auf dem trockenen Sande und brachen am Morgen ganz früh wieder auf nach Szegedin. Das Kalb, welches jener Szegediner auftischte, war ohne Zweifel kein gekauftes. Es war ganz gewiß ein vom Schicksal ihm gegebenes. Vielleicht war er zufällig auf die Weide hinausgeritten, zum Spazieren, um sich zu erholen, oder um sich das schöne Vieh zu besehen. Hier kam es wieder zufällig, daß ein kleines dummes Kalb vor seinem Pferde erschrak und 368 auf die Seite sprang. Er ritt neugierig hinter das kleine schüchterne Thier her, und es lief ihm in die Arme. Um es näher zu besehen, nahm er es in seine Hütte, und um es von aller Angst und Sorge zu befreien, schlachtete er es ab und tractirte sich und auch seine Gaste damit auf die gastfreundlichste Weise von der Welt. So gastfrei wie die Szegediner Fuhrleute, sind auch die Hirten auf den Pusten selbst; wer zu ihnen kommt, wird auf das Freundlichste aufgenommen und — nach ihrer Art — prächtig bewirthet Hat der Wirch gerade nichts Geschlachtetes im H^use, so ist er nichtsdestoweniger gar nicht verlegen und sagt: „ich werde schon schaffen, Herr!" — Er weiß dann eben solche Zufalle herbeizuführen, wie jener Szegediner Fuhrmann sie erlebte, oder vielmehr, um es lieber geradezu zu sagen, er stiehlt und raubt für seinen Gast; dieß kommt ihm kühn und edel vor. „Ich werde schon schaffen, Herr! sagte uns ein ganz kleiner junger Bursche," — so erzählte mir ein anderer Ungar, der ebenfalls auf seiner Reise durch die Pusten in einer einsamen Sallasche zu übernachten gezwungen war, — „und es dauerte nicht lange, so hörten wir ein Schaf blöken, ein Feuer knistern und einen Braten brutzeln. Dieser kaum zwölfjährige Knabe hatte das Schaf indeß gestohlen, geschlachtet und briet es nun für uns aus. Es ist in diesen Gegenden, als wenn das Rindvieh eine Art von Wild wäre." Diese Hirten in den Pusten haben übrigens manche höchst interessante Kenntniß, die bei ihnen zu finden uns Wunder nimmt. So z. V. kennen sie nicht nur 369 dm Gang der Sonne und beobachten ihn bestandig, sondern sie haben auch in dem Gewirre der unzähligen Sterne sich viele gemelkt, mit besonderen Namen bezeichnet und in ihrem Gange verfolgt. Sie wissen daher oft sehr genau bei Nacht die Stunde anzugeben. Ein Ungar erzählte mir, er habe einmal um ll^ Uhr Nachts einen dieser Hirten auf die Probe gestellt und ihn, indem er die Uhr in die Hand genommen, nach der Zeit gefragt. Dieser habe dieselbe ganz richtig angegeben und, befragt, woher er dieß wisse, mehre Slerne bezeichnet, die im Untergehen begriffen gewesen wären. Auch manche physikalisch? Kenntniß machen sich diese Leute in ihrem alltaglichen Leben zu Nutze, die Viele von uns, wenn sie nicht in die Geheimnisse der Wissenschaft eingeweiht sind, gar nicht anzuwenden verstehen, wie z. B. Folgendes. Wenn die Hirten der Pusten irgend eine Sache kühl zu halten wünschen, so bedienen sie sich dazu des Feuers, und zwar auf diese Weise. Sie graben ein Loch in die Erde und setzen die Milch oder die Sülze (sauere Milch), oder was es sonst ist, hinein. Sie geben dem Loche oben einen engen, flaschenartigen Ausgang und machen über demselben ein Feuer an. Dieses Feuer nun zieht alle Wärme auS dem Loche heraus, und es wird unter ihm kalt. Sie werfen das Loch dann schnell zu und erhalten ihre Lebensmittel so ganz frisch und kühl. Uebrigens aber find sie doch bei aller ihrer gerühmten Kenntniß auch dem Aberglauben sehr ergeben. So haben auch sie, wie wohl alle Völker der Welt, den ,v. 24 576 Glauben an das böse Auge. Sie meinen, baß man mit bösem Blick und Willen es Jemandem anthun könne. Sie nennen dieß „H^eine^ m<^ verni", mit dem Auge „Jemanden treffen" oder „schlagen." Es giebt aber noch viele andere Zaubermittel, einen Anderen in's Verderben zu bringen, die sie „Nul>t»scli" (h. h. buchstäblich: das „Verderben") nennen. So z. B. kann man gewisse böse Worte in einen Zwirnsfaden, aus dem man einen Knaul macht, einwickeln und sie in den Weg werfen, den Jemand passiren muß. Tritt er darüber hin, so geht der böse Wunsch in Erfüllung. Auch kann man einen blanken Knopf an einen Zwirnsfaden binden, denselben hin- und herschaukeln, dabei gewisse Worte sprechen und dadurch einem Feinde Böses zufügen. Daher hütet sich jeder Ungar auch wohl, wenn er etwas Absonderliches am Wege liegen sieht, darüber hinzutreten. Ebenso glauben sie auch, man könne sich Jemanden durch übernatürliche und unwiderstehliche Kräfte geneigt machen. Man muß zu einer gewissen Nachtstunde bei Monden-schein gewisse Krauter kochen und den Absud davon, heiß, wie er ist, in den Heerd des Hauses vermauern. Es wird dabei in der anzulockenden Person eine unwiderstehliche Neigung entstehen, den Heerd mit seinem Besitzer in Liebe und ehelicher Gemeinschaft zu theilen. Es ist wirklich wunderbar, wie einige aberglaubige Meinungen, — ebenso wie manche Sagen, Legenden, Sitten und Gewohnheiten, — die Runde durch die ganze Welt zu machen scheinen. Es giebt dergleichen, die bis in's geringste Detail, bis auf die Zauberformeln 371 herab, welche man sprechen muß, bei den verschiedenartigsten Nationen ganz auf gleiche Weise vorkommen. Es wird einem oft schwer, an eine gleichförmige Entstehung aus gleichen psychologischen Gründen zu glauben, und eine historische Uebertragung nur möglich zu denken, ist beinahe ebenso schwer. Der Glaube an Hexen ist auch selbst aus anderen Classen des ungarischen VolkeS noch nicht gar lange verschwunden. So giebt es bei Szegedin eine Insel in der Theiß, die Hexenmsel („Lasxorkan? 52',^") genannt. Auf dieser Inscl wurde noch im Jahre 1746 eine Frau und zwar von vornehmen Stande, nachdem ihr ein förmlicher Proceß gemacht worden war, als Hexe verbrannt. Die Urenkel dieser Frau leben noch heute. (In einer Gegend von Holland soll, wie mir ein glaubwürdiger Mann versichert hat, noch im Anfange dieses Jahrhunderts eine Frau der Hererei beschuldigt und von den Bauern, die mit ihr im Wasser erperimcntirten, ersauft worden sein. Sonderbar ist es, daß der allgemeine Versammlungsplatz der ungarischen Hexen ebenso wie der in Deutschland heißt. Es ist der „Blocksberg" bei Ofen. Er hat diesen Namen wenigstens bei allen ungarischen Deutschen. Vielleicht haben sie ihn, aus dem ungarischen Aberglauben den Anlaß nehmend, so genannt. Oder ist vielleicht erst der Aberglaube aus der Namens-Aehn-lichkeit mit unserem Blocksberg entstanden? Die Ungarn Nennen diesen Berg „8^«it kellert ke^e", d. h. „St.-Gerhards-Berg", weil sie meinen, der heilige Gerhard habe sich uon diesem Verge in die Donau ge- 24* 372 stürzt, obgleich dieser Mann, ebenso wenig wie eine Hexe, je auf jenem Borge war; denn der heilige Gerhard, einer der ersten christlichen Bischöfe Ungarns, wurde von den aufrührerischen Heiden an einem ganz anderen Platze gesteinigt und stürzte sich nicht, wie die Sage — freilich poetischer — meint, von jenem Verge in die Donau freiwillig hinab, um den Ungarn das Verbrechen seiner Ermordung zu ersparen. Vom „blühenden Fett der behaglichen Grunzer", ich meine, vom Schweinespeck, sind die Ungarn ganz besondere Freunde, und sowie der Schweinehandel in ihrem Lande auf eine so großartige Weise betrieben wird, wie nirgends mehr, so ist auch das „Schweineschlachten" oder der „Sautanz", wie das Wort „cli^no tor" in dem ungarischen Lexikon übersetzt wird, eines ihrer Hauptfeste, wie in Deutschland die Wurstfeste. Ei« laden dazu weit und breit ihre Freunde ein, und jeder Gast ist dabei willkommen. Es fällt dieses Fest in den Herbst, wo es auch schon jungen Wein giebt, und so wenig daher Most und Zigeunermusik dabei fehlen, so wenig fehlen auch Tanz und ausgelassene Lustigkeit. Wir Deutsche haben auch viele Worte, die mit „Schwein" oder „Sau" zusammengesetzt sind, die Ungarn aber noch mehr. In einem kleinen ungarischen Lexikon finde ich allein 33 solcher Wolle, was ?Zss aller in die-sem Lexikon verzeichneten Worte ist. Ich finde darunter allein neun Pflanzen, die nach dem Schweine be« nannt sind, nämlich folgende,' visilw-bab, auch deutsch: Saubohnen. 373 v!82n<,.I,,,n)mr (buchstäblich: das Saukraut) — das Mückenkiaut. 0!52nn'k«i,l,8tH (buchstäblich: der Saukohl) ^- auch deutsch: die Saudistel. Oi^nn-kel'Lt'r (buchstäblich: das Saubrot)'-Kartoffel. I)i52nn-komei,^ auch deutsch: Saufenchel. Vl52nl,- ms>ss>«lo (buchstäblich: die Saunuß)^ Spitz» klette. VlFxno-i»^ (buchstäblich: der Sauspinat) ^-Bingelkraut. vi^norepa (buchstäblich: die Saurübe) — Erdapfel. vizxnu-tnvis (buchstäblich: der S.iudorn) ^- Eberwurz. Man sicht daraus, wie sehr die häusige Beschäftigung der Nation mit Viehzucht auf die Wortbildung und Sprache eingewirkt habe. Bei denjenigen Festen der Ungarn, mit welchen sie die Hauptereignisse des menschlichen LebenS feierlich be» gehen, z. B. bei den Todtenmahlzeiten, bei den Hochzeiten u. s. w., soll es, wie mir ein Ungar versicherte, so steif und förmlich hergehen, wie am spanischen Hofe. Ich will dieß nach dem Ernste, welcher mir dem ungarischen Naturell einzuwohnen scheint, gern glauben, obgleich es dier sehr schwer ist, die Grade und Abstufungen der Feierlichkeit zu bestimmen. Denn mehr oder weniger zeigen sich die ungebildeten Classen aller Nationen bei Begehung feierlicher Handlungen steifer und förmlicher als die höheren. Die Sitten und Gebräuche 374 bei den ungarischen Hochzeiten schilderte einer meiner kundigen Reisegefährten, jener geistliche Herr, der mit uns durch die Pusten fuhr, folgendermaßen. Wenn ein junger Ungar eine junge Ungarin, entweder weil sie ihn bei'm Tanze bezauberte, oder wcil ihre Augen es ihm anthaten, oder weil ihr Fleiß und ihre Sittsamkett ihm wohlgesiclen, oder endlich weil er sonst seine Berechnung dabei hatte, — zu seinem Ehegemahl zu wünschen beginnt, und sie auf alle Weife für sich zu gewinnen beschlossen hat, so eröffnet er sein Herz erst einigen Freunden, und diese gehen ihrerseits zu der Ersehnten und thun ihr zu wisscn, in welcher Richtung die Wünsche ihres Freundes Andresch, Ianosch oder Petruschka segeln. Es ist dabei Sitte, daß diese werbenden Freunde immer des Abends in der Dämmerung zu der Jungfrau kommen. Diese will natürlich anfangs nichts davon hören, sie sagt, sie würde nie heirathen und vor Allen auch den Ianosch, Andresch und Petruschka nicht. Nichtsdestoweniger unterhält sie sich, wenn ihr der Bräutigam im Stillen zusagt, mit den Freunden lange von dieser Abneigung gegen das Heirathcn. Die Werber müssen ihre abendlichen Besuche wiederholen. Ihre Beredsamkeit wird dringender, das junge Mädchen wird nachgiebiger und erklärt endlich, wenn sie sie denn durchaus wider ihren Willen zwingen wollten, so möchte Ianosch einmal kommen und sie besuchen. Dieser erste Besuch des Geliebten, der seine Absicht kund gegeben, heißt die „Besichtigung der Braut", und dieser erste bedeutende Schritt zur Ehe ist die ver- 375 legmste von allen Scenen. Die Verwandten, die auch in« deß befugt und zu Rathe gezogen wurden, sind dabei zugegen und präsentiren das Mädchen dem jungen Manne, der dann von diesem Abende an der „Volussc»,^" (Bräutigam) heißt. Die Braut ist dabei so schüchtern, ängstlich und so äußerst verschämt, daß es zum Sprüchwort in ganz Ungarn geworden ist: „so verschämt wie eine ungarische Braut" (sxf^eläs mmt l>rme!,^ asxsm^). Sie hat indeß ein schönes Taschentuch gestickt, welches sie so lange in der Hand hält, bis sie endlich den Muth faßt, es ihm zu überreichen. Dieses Taschentuch ist nun das Zeichen der völligen Einwilligung und Abmachung der Sache. Er steckt es mit dem einen Zipfel in die Vusencasche, laßt es lang heraushängen und von nun an auf dem Tanzboden als Siegeszeichen weit hinstattern. Es folgen nun noch mehre Besuche, die ebenfalls sehr steif und ceremoniös sein sollen, und bei denen wieder andere Geschenke überreicht werden, bis endlich der Tag der Trauung bestimmt ist. Nach der Trauung verfügt sich jede Partie nach Hause/ und es beginnt nun sowohl in dem Hause der Braut, als in dem des Bräutigams ein Fest. Nachdem dieß eine Zeit lang gedauert hat, schickt der Bräutigam zu der Braut und ihren Gasten und läßt sie alle zu sich einladen. Allein sie, ihre verschämte Rolle weiter spielend, weigert sich anfangs, zu kommen. Endlich sagt sie zu, aber kommt doch nicht. So muß sie dreimal beschickt werden, bis sie sich endlich entschließt, ihr väterliches Haus 376 zu verlassen und in das des Bräutigams hinüberzugehen. Hier wird dann viel Wein, gutes Weißbrot, worauf der Ungar viel hält, und Paprika-Speck, Paprika-Fleisch und Paprika-Fisch, Grütze, Velesch (ungarisch-deutsch: die „Peltsche", ein Kuchen aus 2l) feinen Teigfl,',den, die so dünn wie Papier sind und zwischen welche Apfslschnittchen gelegt werden) und andere ungarische Nationalgerichte, deren wir schon oben einige nannten, aufgetischt. Von allen diesen Gerichten ißt aber die Vraut, die immer in Trauer und Schamh^fligkeit versunken ist, gar nichts, und wenn sie es thäte, wenn sie sich so weit vergäße, etwas Paprika fleisch oder Velesch zu essen, so würden alle Gaste, die es sich indiß fthr wohl schmecken lassen, darüber scandalisiren. Noch lange würde man davon auf der ganzen Puste sprechen, daß die und die junge Frau auf ihrer Hochzeit Fleisch gegessen h..be. Desto mehr müssen die Gäste effen, und dis Vraut und der Bräutigam würden ihrerseits es sehr übel aufnehmen, wenn man ihren Speisen nicht alle mögliche Ehre anthäte. Gegen das Ende des Festes erfolgt das „Einbinden des Kopfes," eine der wichtigsten Ceremonieen der Hochzeit. Das Madchen trug bisher die Haare auf die Schultern herabhangend, zuweilen mit Bandern zierlich geschmückt. Sie werden ihr nun in einem künstlichen Haarknoten auf dem Kopfe zurecht gelegt, der „Xont/l genannt wird (es heißt so überhaupt der „Schöpf", dann insbesondere die Flechte, die nicht herabhängt, son« 377 dern auf dem Haupte zusammengelegt wird), und dazu wird ihr das Kopftuch umgewickelt, welches die Frauen tragen. Hierbei muß jede Falte des Tuches, wie es sich gehört, zurecht gelegt werben. Ist dieß geschehen und ist die Mahlzeit zu Ende, so gehen die Freundinnen der Vraut herum und fordern den ,Ali«ckl,pen>^ (den Grühpfennig) ein. Sie nehmen ein Waschdecken, ln welchem jeder sich die Hände wascht, oder dock fingirt, dieß zu chun, indem er dabei ein Geschenk an Geld in's Wasser fallen laßt. Darnach geht man zu Bette. Am anderen Morgen wird dann die Hochzeit mit dem sogenannten ,,Käläto^, dem Hochzeilsfrühstück, beschlossen. Ich habe die Bedeutung dieses Wortes in einem ungarischen Lexikon nicht finden können, doch sagte mir ein Ungar, es heiße soviel als im Lateinischen etwa ,,visio «lamm." Eine ebensolche Visio !um. Sollte das gnmamsche „Holm" nicht auch damit zusammenhängen? 380 Backe, Flüsse und andere Dinge Gränzen machte, desto größer und unverwüstlicher mußte die künstliche Gränze gemacht werden. Vei uns werden die Königreiche nicht durch so große Gränzmonumente geschieden, wie hier in den Steppen die Haters und Pusten. Ich gab oben mich einer ungarischen Statistik den Hatär der Szegediner zu ?3 Quadratmeilen an, die Szegediner selbst aber behaupteten ihr Hatär sei 23 Quadratmeilen groß. The-resiopol soll den größten Halär von ganz Ungarn haben, nämlich einen von 34 Quadratmeilen. Nach diesem Hatär folgen nun die eigentlichen Pusten, die großen Besitzungen der ungarischen Edelleute, Hirten und Bauern. Hier sieht man dann mehr „I'an^a's" als Sallaschen. Die Tanya's find kleiner als die Sallaschen, und wenn man diese die „Meierhöfe" der Steppen nennen will, so kann man jene die „Weiler" derselben heißen. Es ist dieses Wort ,/llm^« in ganz Ungarn und auch bei den meisten Slaven für einen kleinen Aufenthaltsort oder für ein Standquartier der Hirten und Fischer gebräuchlich. In der Regel sind diese Tanya's nichts als kleine „putri", d. h. Erdhütten, oder „t^un^ka", d. h. Schilfhütten. Je weiter wir von Szegedin wegkamen, desto trauriger wurde die Landschaft. Kahle Sandstellen (auf Ungarisch ',8lvanl>l>innk" genannt) und unfruchtbare Sandhügel zeigten sich in großer Fülle. Hier und da waren die Sandhügel ganz vom Winde zerrissen, und wir sahen, wie er in einigen schroffen Wänden der Hügel wirbelte. Die Ungarn nennen solche schroffe Wände oder Sand- 381 Hügel-Ecken, aus denen der Oiinb den „V'nta Iinmnk" (dm laufenden Sand) herausholt, „Lucxkak." Nur hier und da kam ein klcines, freundliches, mit grünem Grase frisch bewachsenes Wiesenstück. Die Ungarn nennen eine solche Grasstelle: „^eml^eic." Gewöhnlich sind es Vertiefungen, auf der sich oi? Feuchtigkeit besser hält. Nimmt man zu diesen Semlyeks nun noch die kleinen, winzig kleinen Tümpel und Teiche hinzu, so hat man in dem Obigen so ziemlich alle die verschiedenen Oberflächen-Phasen, in welche dieser Boden der Pusten dem Auge erscheint, genannt. Auf der academischen Ausstellung dieses Sommers (1842) in Dresden befand sich ein treffliches Bild aus den ungarischen Pusten von Kummer, der den Charakter dieser Gegenden außerordentlich schön und poetisch auffaßte. Ueber der wilden Ebene, in welcher man nichts entdeckt als einige Sanddünen und einen öden See voll schmuzigen Waffers, braust ein schweres Gewitter heran. Zwei berittene Tschikosen, gleich seinen Trabanten, galoppiren vor dem Sturme her. Der letzte erbleichende Sonnenstrahl fällt auf sie und das Wasserbassin herab. Es wurde gegen Mittag außerordentlich warm, und „Pferde unsere" (so sprach einer unserer Conducteure, und so sprechen alle Ungebildeten unter den Ungarn, weil sie gewohnt sind, das Pronomen nachzusetzen, und sie nicht sagen: „unk kax" ^unser Haus^j, sondern kaxunk, lHaus unser)) — „Pferde unsere", sage ich, hatten m dem Sande und in der Hitze viel zu thun, unsere« Wagen im gehörigen Rollen zu erhalten. Doch thaten 382 sie das Ihrige mit LaufM, sowie auch unser munterer Kutscher Andresch das Seinige that mit Ermähnen und Antreiben. Ganz wie die ruffischen Kutscher, haben auch die ungarischen immer viele Schmeichelnamen für ihre Pferde und sind stets darauf bedacht, sie damit zu ermuntern. Die Pferde kennen zuweilen ihre Namen, an die sie gewöhnt sind, und sind wirklich thätiger bei diesen Liebkosungen. Ich will die Namen, welche unsere Pferde hatten, hierher setzen, weil sie zum Theil die Phantasie, welche der Ungar bei Aufsuchung der Pferdenamen walten läßt, bezeichnen. Das eine hieß blos einfach: „LurkuZcll", d.h. der Preuße; es mochte vielleicht aus Preußen stammen. Das zweite hieß „Xes«ck<^", ebenfalls nichts Besonderes; es war nach seiner Farbe so genannt; denn Kescliex heißt der „Schecke." Das dritte, nach den Eigenschaften seiner Seele benannt, hieß „Vnläin", d. h. der „Muntere", „Heitere." Das vierte hieß „S^iltc^" (sprich Iilkosch), d. h. der „Mörder", wegen seines Uebermuthes, und das fünfte hatte den poetischesten Namen von allen, denn es hieß „ZMra", d. h. der „Funke", wegen seines unermüdlichen Eifers. Dieß Letzte war entschieden die schönste Benennung für ein Pferd. Auffallend war es mir, daß unser Kutscher immer die Interjection der Aufforderung ebenfalls hinten ansetzte; so sagte er z. V. nicht, wie unsere deutschen Kutscher es thun würden: „nun!" oder „no!" oder ,,na! Preuße!" sondern „IjurKuZ<ü,i>5!" „KMrcma!^ „VicIaiimÜ!" Die Ungarn haben einen wahren Postpositions-Eifer. Freilich ist es sonst, glaube ich, auch 383 bei ihnen gewöhnlich, die Interjektionen voran zusetzen. Aber die Kutscher thun so, wie ich sagte. Wir hatten ziemlich viel von der Hitze zu leiden, aber am 18. Juli, jenem in der Wetterkunde berühmten Tage, sagte unser Londucteur, habe hier in den Pusten ein wahrer Ecirocco geherrscht. Die Hitze war so arg, daß man alle Augenblicke anhalten mußte, weil die Pferde nicht mehr weiter konnten. Einige hundert Mal noch rief unser Kutscher „Lnr. kuscbnÄ! 82ikr3n5!" bis endlich die Vordersten in unserem Wagen sagten: „Gott sei Dank, ich sehe den Galgen von Felegyhaz." Wir wußten, daß wir in Felegyhaz Mittag machen wollten, guckten alle zum Wagen hinaus und erblickten richtig auf einem Sandhügel den großen, weiß angestrichenen Galgen von jener Hauptstadt der Kumanen. Ich beobachtete ihn mit dem Perspective und sah, daß es ein solides Gebäude war. Unten zeigte sich ein viereckiges Gemäuer, durch welches eine kleine Thüre führte. Aus allen vier Ecken kam eine Säule hervor, und über dem Ende dieser Säulen waren kreuzweise die Balken gelegt, an denen die Verbrecher aufgehängt weiden. Es ist wirklich merkwürdig, daß diese Galgen in Ungarn immer so außerordentlich gut unterhalten sind. „Gott sei Dank! da ist ja der schöne weiße Galgen von Felegyha;," wiederholten wir alle, und es zeigte sich dann auch die in der Sandebene aus nahe zusammengerückten Sallaschen bestehende Stadt dieses Namens. Wir fuhren hinein und fanden ein ganz vortreffliches und comfortables Wirthshaus nach österreichischem Schnitt. Die Kumanen, Iazygen und Haiducken. Deutsche aus allen Kreisen des deutschen Reichs mit sehr verschiedenen Berechtigungen und Privilegien (die Zipser Itt Städte — das Volk der Sachsen in Siebenbürgen — die deutschen ackerbauenden Colonieen — die deutschen Bürger in den Städten :c.), Deutsche von den verschiedensten Graden des Deutschthums, der Ma-gyansirung, der Slovacisirung, der Dacisirung lc., Magyaren von verschiedenen Stämmen (siedenbürgische Magyaren, ungarische Szekler), Russen (mit dem Zweige der Schotaken), Slowaken (eigentlich Böhmen), Serbier und Servianer, Walachen und Walachaner/ Kroaten, Slavonier und Dalmatiner, Italiener, Griechen, Armenier, Juden (deutsche, böhmische und türkische Juden), Gememiner, Zinzaren, Zigeuner, Bulgaren, Bosnier — dieß sind ungefähr die Völker Ungarns, die wir bisher zum Theil kennen lernten, und nun kommen noch dazu die Kumanen (die Groß- und Klein-Ku-manen), die Haiducken oder Labantzen und die Iazygen, in deren Lande wir uns jetzt bch'nden. 385 ^., Die Gebiete dieser drei letztgenannten Nationen befinden sich sämmtlich in der Ebene an der Donau und Theiß, wo ihnen die Könige von Ungarn zu verschiedenen Zeiten große Landstriche angewiesen haben. Alle die verschiedenen Striche, die sie bewohnen, betragen zusammen etwa 100 Quadrat-Meilen, sowie ihre Seelenzahl ungefähr 160,000 Menschen. Die Iazygen wollen die Slaven gern für Neste jener alten slavischen Nation der Iazygen halten, welche die Römer hier als Aborigines aufführen, und sie leiten diesen Namen von dem slavischen Worte: „5a. 8?Ic," die Zunge/ ab. Die Ungarn aber halten dies? Iazygen für Kumanen, welche im Jahre 1125 unter einem Anführer Namens Tatar in Ungarn einfielen, und sagen, daß sie von einem ungarischen Worte, welches soviel als Bogen bedeutet, „Iaszen oder Iazygen", d. h. „Bogenschützen," genannt seien. Die Kumanen, wahrscheinlich eine Nation tatarischen Ursprungs, saßen ebenfalls wie die Magyaren jenseits der Karpathen in den südlichen Steppen Nußlands. Viele von ihnen, unter sieben, noch jetzt bekannten Anführern, zogen schon gleich mit den Magyaren um das Jahr 900 mit in Pannonien und Dacien ein und verloren sich wie viele andere Völkerreste unter ihnen. Der größte Theil der Kumanen blieb jenseits der Theiß zurück. Einzelne Trupps aber machten von hier aus häusige Einfalle nach Ungarn, so ein Trupp unter dem Chan Oscu im Jahre 1074, ein anderer unter dem Chan Tatar im Jahre 1125. Sie wurden besiegt RV. 25 389 und niedergemacht, ober als Gefangene und Kriegsge-noisen hier und da angesiedelt. Als die Mongolen über diese östlichen Völker hereinbrachen, kamen andere Kumanen als Flüchtlinge und Schuhsuchende, z. B. 1227 eine große Horde, ferner im Jahre 7239 eine Horde von 40.000 Mann. Die ungarischen Könige nahmen sie gern auf, weil sie in ihnen eine Stütze gegen ihre eigenen Mißvergnügten sahen und auch, weil sie mit ihrer Bekehrung zum Christenthume sich am päpstlichen Hofe ein Verdienst zu erwarben suchten. Ja ein König von Ungarn, Ladislaus, lebte sogar (am Ende des I3ten Jahrhunderts) ganz unter den Kumanen, ließ sich, wie sie es thaten, den ganzen Bart wachsen, vertauschte die engen ungarischen Kleider mit der weiten orientalischen Tracht der Kumanen, trug einen spitzigen Filzhut und wohnte mit ihnen unter ihren Zelten von Filz. ' ^'^ Sie leisteten den ungarischen KM,^s) Die reitenden Wächter,,,welche -auf der Ketskemeter ^Hgide von Sallasche zu Sallasche herumstreifen, hatten ihre Pflicht gethan, und wir fand«, uns am Morgen wieder Alle vollzählig, lebendig, unberaubt und ungefesselt .zusammen. Ein dicker Nebel bedeckte die Gefilde, doch 2«jn schöner Tag chrach durch. . Unser Kutscher versicherte uns, es würde auch noch länger so schön bleiben, und wir würden einen herrlichen Herbst bekommen, weil der „?jj>»l8eli^ (der rothe Feldmohn, ?l»p2ver Nknea») noch ,so spät blühe; dieß sei ein untrügliches Zeichen in .Ungarn. >, -^.,^ Wir sahen unlerweges mehre ^on^iyer httr,sehr häufigen Kreide «Erde ganz milchweiß gefärbte Wassertümpel. Diese Erde graben die Leute auf den Pusten, und mit 399 Hv streichen fie ihre Hauser an, bi? daher hier auch überall so ftisch weiß aussehen, wie ich schon öfter bemerkte, und wie dieß in Südrußland ebenfalls der Fall ist. Es gehen überhaupt viele ähnliche Naturverhalr-Ntffe und Volkssitten durch die russischen Steppen i> wohl als durch die ungarischen, die beiden gemein sind. Auch die mit Salzen geschwängerten Gewässer der Steppen — manche enchalttn mehr Kochsalz als Natron —» benutzen die Leute in ihrem Haushalte zuweilen. 'Weil nämlich des königlichen Monopols wegen das Salz 'im Lande theuer ist, so graben die Steppenbewohner nach solchen Salzbrunnen und kochen in dem Wasser derselben ihr Fleisch. Es soll dieß aber sehr ungesund sew, und es ist daher verboten, dergleichen Brunnen '»anzulegen. Auch hier in Ketskemet und in anderen Ortschaften dieser Gegend bestehen zahlreiche Seifensiedereien, die ihr Fabrikat ebenfalls meistens aus Schweinefett bereiten. Die Lichter dagegen haben sie hier aus Ziegcntalg, entweder von ihren eigenen Ziegen, oder, was gewöhnlicher ist, von jenen Ziegen, die wir bei Orsowa kennen lernten und die von den serbischen und siebenbürgischen Gebirgszügen kommen. Die Pommade für ihr Haar ist aber wiederum Schweinefett. Sie glauben, daß dieses Fett für die Haare und den Kopf sehr gesund sei, und schmieren zuweilen so viel davon ein, daß, wenn es recht heiß ist, es ihnen aus den Locken träufelt. Vei uns brauchen die Weiber mehr Pommade als die Männer, hier die Männer mehr als die Weiber, weil die „Ingrinnen" 400 (so heißen sonderbarer Weist in ganz Ungarn die Frauen der Magyaren, und man spricht: „der Ungar" und „die In grin") mehr Tücher um den Kopf tragen. Auf einer Station, wo wir frühstückten, sahen wir ein Paar ungarische Schäferhunde. Diese Thiere,,-die, wenn man sie sich selbst überlaßt, weder mit dem Wolfe, noch mit einem fremden Menschen Erbarmen haben, heißen auf Ungarisch.' „Hseliutlek." Sie habW langes Haar, von verschiedener Farbe, Weiß, Grau und Nraun, und sehen dem Wolfe oft ebenso ähnlich, wie die großen Schäferhunde, welche die südrussischen Tschabans an der Kette mit sich herumführen, wenn sie einen von Menschen bewohnten Ort Passiren. Mir erzählte Jemand, daß ein Ungar einmal mit vier solchen Hunden nach Italien gereis't sei und sie dort als Wölfe gezeigt habe. Die Hirten gebrauchen die Szelindeks blos zur Vertheidigung ihrer Heerden gegen den Wolf. Um die Schafe zusammenzuhalten und zu dirigiren, haben sie meistens noch einen gewöhnlichen kleinen Hund („!">V"). Auch hier in den Steppen, wo ich so viele ächt magyarische Physiognomiken zu sehen bekam, fand ich wieder bestätigt, was ich schon früher bemerkt hatte, daß die ungarische Physiognomie in ihren Grundzügen eine sehr schöne ist und daß sie gewiß nicht im Geringsten das Mongolische hat, was Manche düMN h«b«n finde» wollen. -" ^ -! ^ Wie bei allen ungarischen Städten der Galgen, so präsentirt sich in allen ungarischen Dörfern der „Straf- 401 Mock" oder „Schandklotz." Die Ungarn nennen dieses Instrument „klilmw," ein slavisches Wort, welches »nan auch bei den Russen, Mahren, Illyriern und Kroaten kennt. Es ist dieser Kaloda anders eingerichtet als der bei uns übliche Schandpfahl. Gs besteht derselbe nämlich aus zwei dicken, wie die Arme einer Scheere zusammengefügten und auf einander klappenden Bretern. In dem unteren Vrete sind halbzirkelförmige Löcher ausgeschnitten, m welche die Füße und Veine des Delinquenten gelegt werden -, in dem oberen Vrcte sind eben solche halbzirkelförmige Löcher ausgeschnitten, die auf die unteren passen -, auf den Gnden werden die Vreter verschlossen, und der arme Gefangene liegt mit diesem Klotze an den Beinen 22 oder 24 Stunden am Voden, der Unbill des Wetters und dem Blicke der Vorübergehenden preisgegeben. Ein solcher Klotz zeigt sich vor dem Gerichtshause jedes Dorfs. Uebrigens habe ich selbst nie einen Menschen in einem solchen Klotze eingesperrt gesehen. Viehdiebstahl ist in diesen Steppen ein ebenso gewöhnliches Verbrechen, wie in manchen Gegenden Deutschlands Holzdiebstahl. Menschenberaubung ist weit seltener als im Vanat bei den Walachen; daher standen auch die Comitate, welche wir hier durchführen, nicht unter dem Standrechte, wahrend das Torontnler Comitat im Vanate schon seit langen Jahren nicht vom Standrechte frei gekommen sein soll. Wenn in einem Comitate nämlich hausige Raubereien geschehen und die Gegend umher sehr unsicher wird, so kann ein solches Comitat »v. 26 403 bei dcm Könige um Ertheilung des Standrechtes einkommen. Alsdann tritt ein summarisches Verfahren bei allen Criminalprocessen in diesem Conütate ein, und die Capitalverbrecher, die in tla^ranti äelietn ergriffen werden, kommen gar nicht mehr unter Dach, die Ge-richtspersonen verfügen sich an Ort und Stelle, und nach gefälltem Richterfpruche hat der Verbrecher nicht mehr als drei Stunden zu leben, während ihm sonst drei Tage gegönnt sind. Die Geistlichkeit (ob auch der Adel?) ist aber vom Stanorechtc ausgenommen. Auf langer als höchstens drei Jahre wird einem Comitate nie das Standrecht ertheilt; dann musi von Neuem darum eingekommm werden. Als ich in Ungarn war, hörte ich von drei Comitaten, in welchen das Standrecht publieirt sei. Es wird in allen Wirthshäusern bekannt gemacht. Wir besahen unterwegs die Niederlassung einer Zigeuner-Colonie. Es waren viele „putri" (Erdhütten) und „(nln^Kn" (Nohrhütten), die hinter einem schützenden Sandhügel aufgestellt waren. Zu meiner Verwunderung fand ich auch eine deutsche Frau unter ihnen, die mir versicherte, daß sie das Leben der Zigeuner lieb gewonnen habe und nicht davon lassen würde. Diese Deutsche hatte ich gern länger gesprochen; denn sie hatte durch das bestandige Herumschweifen mit den Zigeunern «ine große Kenntniß von Ungarn erlangt. Sie sagte mir, die schlimmste und rachsüchtigste Nation in Ungarn wären die Zinzaren. Ihr erstes Wort, wenn Jemand sie beleidigt habe, wäre immer.- „ohes- 403 pantiti! ot^pantiti.'"*) und das hieße: „daran sollst Du Dich erinnern!" Dann steckten sie einem das Haus über dem Kopfe in Vrand oder thäten sonst so etwas. Auch wußte sie nur Vieles von den Serbicrn, unter denen sie lange gelebt hatte, zu erzählen, was mir später Andere bestätigten. Die Serbier bejammerten, sagte sie, die Todten und aßen bei'm Vegräbniß eine Speise aus Weizen, mit Rosinen vermischt (ebenso wie die Russen). Alsdann feierten sie den siebenten, den vierzigsten und den Jahrestag nach dem Begräbnisse ; natürlich jedoch nnr, wenn Jemand reich und angesehen war. Dann haben sie unter vielen anderen kirchlichen Festen auch das der „Einweihung der Felder." Hierbei stellen sie sich auf die Ecken der Kirchhofsmauern und streuen Weizen auf die innerhalb derselben um die Kirche herumgehende Procession. Man kann sich kaum denken, wie freudig der Deutsche, wenn er ein paar Tage lang nichts als solche Zigeunerbehausungcn, Eallaschcn und Pusten gesehen hat, wieder den ersten deutschen Ort begrüßt. Den Ort Ocsa, muß ich dabei bemerken, der durch verschiedene Dinge sehr interessant sein soll, sahen wir nur in der Ferne; denn, wie gesagt, wir fuhren nach der Weist der Szegedincr Kutscher auf allerlei Nebenwegen. Für uns war jener erste deutsche Ort der große, von Deutschen bewohnte Marktflecken Soroksar an der Donau. Es war gerade Sonntag, und die deutschen Mädchen kamen aus der Kirche; sie waren alle deutsch in sehr ') Ich weiß dieß barbarische Wort nicht zu deuten. 26* 404 saubere und nette Tracht gekleidet, nur die Männer hatten den ungarischen „vuncia" (Pelz) angenommen. Es ist wunderbar, daß hier in Ungarn ebenso wenig wie in Südrußland, selbst im Sommer nicht, das Schaffell abgelegt wird. „Gott segne die deutsche Nation und Alle, die ihr angehören!" dachte ich im Stillen und sagte dann laut: „Vivat Soroksar!" „Nicht zu laut! nicht zu laut rufen Sie das!" bemerkte dabei einer meiner Reisegefährten, „es könnte dieß einer von jenen ehrlichen Leuten sehr übel nehmen ; denn man Pflegt die Soroksarer iu Pesth damit zu necken, daß man ihnen zuruft: Vivat Soroksar! Vollständig heißt diese spottende Redensart eigentlich so: „Vivat Soroksar! Maria Theresia ist ein Marktflecken .'" und eS < bezieht sich dieß auf die Regierungszeit jener Kaiserin, welche den Ort von einem Dorfe zu einem Marktflecken erhob. Als ihnen dieß auf ihrem Gerichtshause bekannt gemacht wurde, wollten sie rufen: Vivat Maria Theresia! Soroksar ist ein Marktflecken! aber sie versahen sich alle mit ein-« ander und riefen cinmüthig das Umgekehrte. Jetzt hat man sie nun so damit eingeneckt, daß man nur „Vivat Soroksar!" zu sagen braucht, um sich ihren größten Zorn zuzuziehen. Auf diese Weise kamen wir nun ,,drobm" in der Gegend bei Pesth an, alle Straßen von „drunten" (aus dem Vanat, den südlichen Pusten und den unteren Donaugegenden) vereinigen sich hier bei Soroksar. Man hat daher auch den Weg von hier aus bis Pesth chaussirt, und auf dieser Chaussee, die an der Donau hingeht, trifft man ein beständiges reges Treiben. 405 Wlr fuhren hier in Gesellschaft vieler großer fünf- und sechsspänniger Fracht- und Personenwagen, und je näher wir der Hauptstadt kamen, desto schneller ging es mit unserem Weiterkommen. Zuletzt wurde, wie das bei den ungarischen lebhaften Kutschern und feurigen Pferden gewöhnlich ist, ein förmliches Wettrennen daraus. Die ungarischen Fuhrleute haben äußerst lange Peitschen, weil sie nicht selten mit 6 oder noch mehr Pferden vom Vocke fahren. Die Peitschen schwenken sie bestandig über ihren Thieren, indem sie die unendlich lange Schnur, die daran sitzt, sehr geschickt schnell fahren zu lassen und ebenso rasch wieder auf den Peitschenstiel aufzuwickeln wissen. Wir stellten am Ende ganz das Vild dar, welches wir, in Oel gemalt, im Banat gesehen hatten. Unser Kutscher, da er einmal (freilich nur ganz stillschweigend) mit einem anderen Sechsspänner die Wette eingegangen, war nicht mehr zu halten, ebenso wenig wie unsere Pferde, obgleich wir sie nach der mühseligen Arbeit im Sande für völlig entkräftet hielten, und in eine Wolke von Staub gehüllt, vntre 5 torre fuhren wir mit unserer großen, unbeholfenen Carosse in Pesth ein, wo wir schmachtend und mit zerstoßenen Gliedern ankamen. Stuhlweißenburg — Vesprim. Ner Vakonyer Wald streicht m seiner Hauptrichtung von Südwesten nach Nordosten und setzt sich durch die Ofener Gebirge his nach Pesth und Ofen fort. Im Norden von ihm geht die Donanstraße hin mit den Städten Raab, Gran und Walzen, im Süden aber liegt der lange Plattensee mit ihm Parallel, und in seiner Verlängerung streicht am Fuße jenes Gebirges die südliche Gbene ebenfalls bis Ofen. In dieser Richtung geht eine andere der vornehmsten ungarischen Straßen hin, welche über die großen Städte Stuhlweißenburg, Vesprim, Schümegh und Körmönd zn den fteirischcn Alpen führt, und dieses ihres schönen Zieles wegen wählte ich sie zur Rückkehr in's theuere deutsche Vaterland. Regelmäßige Verbindungen der in dieser Richtung liegenden Gegenden mit der Hauptstadt giebt es außer den Personenwagen, die nach Stuhlweißenburg führen, noch keine; doch ist es leicht, zu ziemlich billigen Preisen 407 in jedem Orte kleine Fuhrwerke zu bekommen, wenn man bei ihrer Wahl nur nicht schwierig ist. Ich trat daher am frühen Morgen des 26. Septembers Meine Reise an. Die Donau hatte einen äußerst dichten Nebel entwickelt, der beide Städte Ofen und Pesth dermaßen verhüllte, daß, als wir nur einige Schritte zu ihren Thoren hinaus gemacht hatten, auch gar nichts mehr davon zu sehen war. Die Pein des Abschieds wurde uns daher sehr verkürzt, und wir befanden uns sofort in neuen, fremden Landen. Wie auf der Pesther Seite der Donau Soruksar und andere deutsche Orte liegen, so liegen auch hier viele deutsche Dörfer. Wir passirten deren drei, unter ihnen „Hanselbeck," ein deutsches Dorf mit türkischem Namen. Wie Petersburg, und Odessa, wie sogar Tiflis im Kaukasus und viele andere Städte des Ostens, so haben auch die magyarischen Hauptstädte deutsche Colonistcn in ihrer Nähe angepflanzt, um von ihnen' mit reinlicher Milch und Butter und mancherlei Productm deutscher Gartencultur versehen zu werden. Von Petersburg aus macht man Landpartieen zu den deutschen Colonisten bei Pawlowsk. Die Odessaer fahren, wenn sie etwas Landluft genießen wollen, zu dem Orte Lustdorf. Hier bei Pesth und Ofeu geschieht dasselbe mit den hiesigen Colonieen. Unsere Pferde scheuten sich unterwegs vor verschiedenen Dingen, einmal z. V. vor einem Comitatshaiducken, der in vollem Galopp bei uns vorübersprengte. Diese Leute müssen hier Tag und Nacht herumpcnromMren 408 und ihr Leben oft genug wagen; „denn mancher wird von den Räubern weggeblasen," sagten die Leute. Ein ander Mal vor einem betrunkenen Postillon, der das Leitseil stives Einspänners verloren hatte und quer vor unsei'en Wagen fuhr. Bei den Bemühungen, den Zügel wiederzubekommen, fiel er zum Wagen hinaus, under wäre wahrscheinlich liegen geblieben, wenn unsere Leute nickt freundlich genug gewesen wären, ihn wieder hineinzusehen und ihm die Zügel in die Hand zu geben. Ich begriff nun vollkommen, daß es mit der Correspondenz m Ungarn zuweilen recht langsam gehen müsse. Ich selber aber scheute in unserem Wagen vor den entsetzlichen Mord- und Räubergeschichten zurück, die von den Passagieren vorgetragen wurden. Diese waren folgende: ein mit Ungarn höchst unzufriedener Oesterreicher, der alte Kammerdiener eines „Ercellenz-Grafen" (so wird in Ungarn und Oesterreich ein Graf immer genannt, wenn er durch irgend ein Amt auch C'Icellenz ist) und ein ungarischer Fiscal. Es wurde von einer Tscharde erzahlt, welcke die Rauber ausgeplündert hatten, obgleich 14 Personen im Hause gewesen, — von einem 18jahrigen Burschen, der die ganze Familie seiner Herrschaft umgebracht, — von einem Manne, der seinen Bruder deßwegen tödtete, weil dieser zuvor einen Mord begangen, der jenen wurmte und zur Rache aufforderte, —' von einer Familie, in welcher der Mord erblich sei, — kurz lauter grauenhafte Geschichten, deren Details ich weglasst, weil sie, obgleich zum Theil höchst interessant und eigenthümlich, wirklich — milde gesprochen — zu 409 wenig erbaulich waren. Mir that nur der arme ungarische Fiscal leid, der unter uns Deutschen so viel Unvortheilhciftes von seinem Vaterlande mit anhören mußte, und namentlich auch von feinen Standesgcnossen. Ich suchte mehre Male daS Gespräch davon abzulenken, aber man schien in dieser Hinsicht unerschöpflich zu sein und kam immer wieder aus Räubergeschichte« zurück. Auch mußte ich durchaus noch die verschiedenen ungarischen Benennungen für Räuber anhören und mir bemerken, was ich auch geru that, weil ich so doch allmählig die Conversation auf das Gebiet der Sprache hinüberführen konnte. Hier ist jene Terminologie: ,/I'a!v<ü" heißt ein „Dieb," „Nadiu" em Räuber überhaupt, „Uaramia" ein Straßen- und Waldräuber, „KMas" (sprich: Illkosch) ein Raubmörder von Handwerk. Gegen Abend offenbarte sich uns die Stadt Stuhl-weißenburg, die auf Ungarisch „k>jelv»r"*), auf Slavisch „NßlFi-2<1" und auf Lateinisch ,,^!b» r^ia," was Alles ungefähr dasselbe bedeutet, genannt wirb. Die Lage dieser Stadt bietet einen ganz eigenthümlichen Anblick dar. Sie liegt mitten in einer sumpfigen Ebene, hat aber ihre Weinberge oder vielmehr ihre Weinhügel in einiger Entfernung von ihren Thoren. In diesem Weingehügel hat jeder Bürger seine kleine Besitzung und in jeder Besitzung seine Hauseinrichtung. *) Eigentlich sekez.^ervar, aber im gemeinen Leben wird sie immer blos b'ejervnr genannt. 410 Diese Weinberghäuser sind so zahlreich und dabei zum Theil so groß, daß sie eine eigene Stadt für sich zu bilden scheinen, so daß man die Weinbergsstadt und die eigentliche Stadt Stuhlweißenburg unterscheiden kann, welche beide durch eine» Theil jener sumpfigen Ebenen, der ganz unbebaut ist, völlig von einander getrennt werden. Wir fuhren zuerst durch die Weinbergsstadt. Rechts und links lagen viele Weinberghäuserchen, „Preßhauser" nennen sie die Ungarn. Mit solchen Preßhäuscrn ist jede ungarische Weinbergsstadt in der Regel ebenso umgeben, wie die viehzuchttreibenden Hirtenstadte der Pusten mit Sallaschen. M sind diese Häuser auch ähnlich eingerichtet wie jene Sallaschen, insofern nämlich, als man in ihnen auch einen Heerd und eine Wohnung findet, und als die ganze weinbauende Bevölkerung während der Weinlese zu ihnen mit Sack und Pack hinauszieht und eine Zeit lang in ihnen wohnt, wie die viehzuchttreibende in den Sallaschen. Meistens haben diese Häuschen nur ein oder zwei Fenster, einen Raum mit einer Presse und eine' große Thür, die in einen Keller führt. Die meisten sind auch nur ein Stock hoch. Je nach dem Reichthum des Eigenthümers und der Größe der Besitzung aber sieht man auch sehr weitläufige und elegante, z. V. das palastartige „Preßhaus" des Bischofs und das elegante des Grundherrn so und so. Um das des Bischofs lagen die Preßhäuscr mchrer Edelleute herum ', dann kamen die der Professionisteu. Links von der Straße hatten die Raizen von Stuhlweißenburg die ihrigen. Wie 411 gesagt, diese Weinbergsstadt war ein treues Spiegelbild der jenseits der Ebenen liegenden Stadt Stuhlweißen-burg selbst. Während der 14 Tage oder 3 Wochen, daß in dieser Weingartenstadt die Bevölkerung von Fejervar wohnt und Trauben erntet, ist hier ein gar lustiges Leben. Die Erntearbeit, die Bacchus herbeiführt, ist selbst schon mehr ein Fest als eine Arbeit. Es wird auch jede massige Stunde benutzt, um der Freude zu huldigen, besonders wenn die Ernte so gut war wie dieses Jahr. Zigeuner-Musiker ziehen im Weingebirge von Weinhauschen zu Weinhäuschen herum. Auf freien Plätzen wird getanzt; auch ist sogar mitten zwischen den Rebengeländern ein eigener Tanzsaal für die vornehme Welt' der Weinstadt errichtet. Der Bischof hat hier zwischen den Reben eine Capesse erbaut, in welcher Sonntags Gottesdienst gehalten wird. Zu ihr findet bei'm Anfange der Weinlese, wo das „Gebirge eröffnet" wird, eine große Wallfahrt statt, worauf in ihr ein feierlicher Gottesdienst gehalten wird. Wir kamen leider schon etwas zu spat, um dieß fröhliche Treiben noch mit anzusehen ; denn die Weinlese war bereits beendigt, da sie in diesem heißen Jahre in Ungarn überall 2 bis 3 Wochen früher stattgesunden hatte als in anderen Jahren. Alle Preßhäuser waren schon verriegelt und «erschlossen und standen wie eine todte Stadt zwischen den abgelesenen Nebenstöckcn. Nur hier und da war noch die Thür eines Nachzüglers geöffnet, und hier und da erblickten wir arme Mädchen, welche 4!2 noch die letzten Neste der Trauben aus den Blättern sorgsam hervorsuchten. Man sagte nur, viele Reiche pflegten diese Nachlest armen Lenten zu erlauben. Cine der berühmtesten und festlichsten ungarischen Weinlesen war sonst auch die Ofener. Kein Winzer unterließ hier sonst, seinen Winzerkranz aus mächtigen .Trauben zusammenzusetzen und ihn unter heiteren Feierlichkeiten mit Tanz und Gesang heimzuführen. Jetzt hat das mehr oder weniger aufgehört, die Weingärten Ofen's haben sich ungeheuer ausgedehnt, die Weine sind billiger, die Zeiten schlechter und die Winzer ernster geworden. Die Ungarn lassen den Weinstock in der Regel nicht zu einem hohen, langen Stamme aufwachsen, sondern sie schneiden die Schößlinge des Jahres immer dicht am Voden weg, ebenso wie man dieß in der Provence thut. Dadurch schwillt nun der Stock zu einem dicken, knorrigen Gewächsknoten an, aus welchem im Frühlinge wieder die neueren Triebe hervorschießen. Diese Knollen nehmen nun natürlich allerlei verschiedene, oft recht wunderliche Formen an. Auch sie gehören zuweilen mit zu den Emblemen der ungarischen Winzerfeste. Mit dem Traubenkranze werden oft solche wunderliche alte knorrige Stämme nach Hause getragen und zum Andenken zuweilen an den Mauern der Privathäuser aufgehängt, wie die Hirschgeweihe in unseren Iagd-schlössern. Man verfertigt zuweilen auch wohl Pokale von ihnen, indem man den Stamm aushöhlt. Der Stuhlwcißenburger Wein ist nicht eben einer 413 der berühmtesten in Ungarn. Man sagt, die dortigen Keller seien nicht zweckmäßig eingerichtet. Dagegen ist die Quantität desselben sehr groß, und die Stuhlweißcnburger selbst vertrinken einen guten Theil davon mit „Iohannissegen" und „Stehwein." „Stehwein" nennen sie das Schlückchen Wein, das Jemand bei einem Freunde nimmt, ohne sich zu setzen. Es giebt Leute, sagt man, die so viel „Schlückchen Stehwein" an einem Morgen nehmen, daß sie das Stehen darüber völlig verlernen. Der „Iohannissegen" ist ein anderes Schlückchcn Nein, das man Jemandem noch zum Abschied einschenkt. „Nun, Sie müssen doch noch den Iohannissegen nchmm," spricht man, wen» ein Freund sich zum Aufbruch rüstet. „Der Ausdruck," sagte mir ein Stuhlweißenburger, „kommt daher/ weil sie mit einigen Flaschen (vielleicht an einem dem Johannes heiligen Tage?) zum Priester gehen, dieselben einweihen lassen, davon den verschiedenen Fassern etwas zuschütten und aus diesen nun den Gasten mittheilen." Nach dem Weingehügel folgte, wie gesagt, eine wüste, unbebaute Ebene, und dann kam die Stadt. Einige hundert Schritte vor ihren Thoren kamen wir zu den unbedeutenden Trümmern einer Kirche. Man sagte mir, die Stadt habe sich sonst bis hierher ausgedehnt. Der große Sumpf bei Stuhlweißenburg heißt der Sarret-Morast. Das Hauptstück desselben (3 Quadratweilen groß) befindet sich im Westen der Stadt, ein anderes großes Stück im Osten. Die Stadt erhebt sich mitten lnne, auf völlig trockenem Lande; sonst lag sie nur auf Inseln im Sumpfe, weßhalb auch in alten Urkunden ihre 414 verschiedenen Theile ,,82iF!p2rtitum des Werbötzy" (einem von dem berühmten Protonotar und Palatin Werbötzy entworfenen Rechtsbuche), welches in Ungarn so angesehen ist, daß es fast Gesetzes Kraft hat, nicht vertilgt ist, so haben viele ungarische Eoelleute die Sache noch nicht vergessen und wollen sich ietzt noch immer darauf berufen. Auch die Augsburger allgemeine Zeitung fand ich in dem Kloster von Fejervar. Meine geistlichen Freunde meinten, es kämen etwa 12 Erenlplare derselben regelmäßig in ihre Stadt. Es fragt sich, ob man in Nord-deutschland nicht mehre Städte von 20,000 Einwohnern finden könnte, in welchen eine geringere Anzahl von Exemplaren dieses deutschen Blattes gehalten würde. Am anderen Morgen fuhr ich mit ein Paar raschen Pferden, wie man sie in Ungarn überall bekommt, nach Vesprim. 423 Zur Rechten hatte ich baS Vertescher Gebirge, das hier einen ganz merkwürdigen Durchbruch hat. Es ist der Gebirgsrücken von einem breiten Thale der Art durchschnitten, daß alles Gebirge aufhört, und daß man in der Ferne die Verge zur Rechten und zur Linken wie Thorpfosten schroff stehen sieht. Durch dieses Thor kommt die große Straße von Raab. Sehr viele Waaren machen von Pesth aus den Umweg über Stuhlweißenburg nach Raab und Wien, weil hier die Straßen besser sind als auf den Wegen, welche directer durch das Ofcner Gebirge die Donau anfwärts fuhren. Als wir das genannte Verglhor und die Stadt Stuhlweißenburg hinter uns hatten, ging der Weg immer an dem Fuße eines Zweiges des Vakonyer Naldeö hin. Die Verge waren meistens mit Weinreben besetzt. Unsere Pferde scheuten wieder, erstlich uor einem todten Hunde, darauf vor einem todten Pferde, die beide am Wege lagen, dann vor einem mit einem Esel bespannten Zigeuner-» karren. Dieser Karren war zweiraderig und etwa für zwei Mehlsacke groß genug ; es saßen aber 3 Zigeuner-Weiber mit ihren Kindern darauf. Gin junger Bursche saß dem Esel auf dem Rücken, und ein alter Zigeuner hockte dickt hinter dem Gsel auf der Deichsel. Der Bursche, zügelte das Thier, und der Alte trieb es mit einem dicken Stocke an. Alle waren so schwarz, als wären sie eben frisch aus dem Negerlande angekommen. In Polota, einer Stadt, die den Zichys Unterthan ist, sah ich eine Synagoge mit einer neuen Inschrift in magyarischer Sprache, ein Zeichen des großen Patrio- 424 tismlts der dortigen Juden, — (haben bei uns die Synagogen irgendwo deutsche Inschriften wie in Ungarn ungarische?) — und außerdem noch die Kirchen von 4 anderen hier, wie man sieht, in Frieden neben einander wohnenden Religionsparteien. Die Situation des Ortes am Fuße der Verge war nicht übel, und mitten hinein ragt auf hohem Felsen ein altes und ein neues Castell der Grafen Zichy. Von hier an giebt es nun überall Castelle und Schloßruinen am Fuße des Vakonyer Waldes hin. Eine der größten Merkwürdigkeiten, die in dieser Gegend eristirt, ist ein gewisser Proceß, der im Jahre 1727 eingeleitet wurde. Die Beseitigung und Erörterung verschiedener Vor - und Competenzfragen dauerte 111 Jahre, bis zum Jahre 1838. Jetzt sollte es nun bald zum Processe selbst kommen; doch haben die Parteien, durch hundertjährige Erfahrung klug geworden, sich entschlossen, dieß Unglück durch einen Vergleich zu verhüten. Gs ist dieseS nicht das einzige Proceßmonstrum, welches in Ungarn eristirt. Rosa di Tivolis sieht man in Ungarn fast noch mehr als in den deutschen Gemaldegalerieen, wo doch die Schafe, Ochsen und Hirten dieses fleißigen Malers schon äußerst zahlreich sind. Ueberall sahen wir die schönsten Vieh - und Hirtengruppen auch hier. In Schaffelle gehüllte Gulyasftn kochten sich bei einem Feuer ihr Mittagsmahl oder erlabten sich unter einem schattigen Baume mit Nichtsthun, das Vieh, um sie herum gruppirt, mit Fressen beschäftigt. Die Rinder waren fast durchweg schon. Schön zu sein ist bei den Thieren 425 etwas ganz Gewöhnliches; denn nur der Mensch ist auch häßlich. Vei einer jener Gruppen entdeckte ich aber wirklich als eine wahre Seltenheit auch einen grundhäßlichen Ochsen. Sein Maul wich von den gewöhnlich so regelmäßigen Linien der Physiognomie seiner Race außerordentlich ab, das Gebiß war schief und verkrüppelt, die Hörner, mit denen sonst jeder ungarische Ochse Staat macht, auf eine widerliche Weise verwachsen und die Augen von einem abscheulichen Ausdruck. Die Zeichnung des Fells war durchaus unschön, und über den ganzen Kopf, der sonst bei anderen Ochsen so weiß zu sein pflegt, lies auf höchst unnatürliche und entstellende Welse ein dunkles, kaffeebraunes Muttermal hin. Die Häßlichkeit des Thiers war so auffallend, daß sie selbst uns Menschen einleuchtete. Es mögen aber noch manche feine Nuancen der Schönheit und Grade der Häßlichkeit unter den Ochsen ctistiren, die nur den Kühen nicht entgehen. Hinter Palota fuhren wir bei einem höchst merkwürdigen Mauerwerke vorüber. Es war eine mehre hundert Schritt lange, aus lauter schönen Quadersteinen gebaute, 3 bis 4 Wen breite, niedrige Mauer, hinter welcher sich ein sumpfiges Wasser angesammelt hatte, das von den Bergen kam. Die Leute sagten, die Türken hatten diese Mauer gebaut, und es sel dahinter ein großes Türkenbad gewesen. Es erfordert aber kein großes Nachdenken, um diese Angabe als unwahrscheinlich zu erkennen. Die Mauer schien mir für die Ewigkeit gebaut, und ich zweifle nicht daran, daß es ein Römerwerk 426 war. Das Ganze glich frappant denjenigen Wasser-Reservoirs, welche die römischen Kaiser an den Abhängen der Gebirge bei KoLMuinopel so zahlreich gebant haben, die sie „vmin3tia ve«trk," Euere Herrschaft oder Guere Gnaden, dabei sup-Pliren. Zuweilen wird aber auch der Titel vnmmatic» vesti-a hinzugefügt, indem man fragt: „O,in qilanccazinneDnmi-NHtio vestra nllvsmN" „Gelegenheit" ist österreichisch-deutsch, und man versteht darunter das Reisefuhrwerk. Es wird 428 dieß mit „occasion«" wörtlich in's Lateinische über^ tragen. „I^nm pi-npliain occa^ionein »ccepit?" fragte inein Lateiner sogleich weiter. ,,It» pro^rmin occa-«ionem accepi." Wir beide verstanden einander herrlich; aber kein Lateiner Westeuropa's wird wieder ahnen können, was er mit seiner Frage und ich mit meiner Antwort andeuten wollte. Man muß wieder zum Oesterreichisch-Deutschen seine Zuflucht nehmen, um dieß zu erklären. „Eine eigene Gelegenheit aufnehmen," heißt in jenem Deutsch.- „einen besonderen Reisewagen miethen;" dieß geben die Ungarn mit „accipere." „Uum lilFNabitul eccieziain nastlIM inzpicere?" (Werden Ew. Gnaden würdigen, unsere Kirche anzusehen? oder ganz kurz österreichisch- „Belieben unsere Kirche zu b'schaun?") So sagen sie auch: „Nun, lÜFimtuF e«,t, ibi 5m88e?" d. h. „Velieben's do g'wcsen zu sein?" Zuweilen kommt auch ein ungarisches Flickwort dazwischen, z.V. das ungarische Fragewort: „tasclnk" (Was belieben?), das sie auch immer ihrem Deutsch beimischen. Unzählige im Ungarisch-Lateinischen übliche Ausdrücke sind nur latinisirt-ungarische Worte, ebenso wie in unserem mittelalterlichrn Latein. So sind z.V. die lateinischen Namen der ungarischen hohrn Erz- und Hofbeamten ohne das Ungarische ganz unverstandlich, z.V..- ^nsnnumNe^a-Hum HlÄgiztei-" (Erzhofmarschall), „pineernai-llm Ne-ßalium U»A8ter" (Erzmundschenk), „Vamis Ci-oatiae" (der Van von Kroatien) >c. Es ist übrigens bekannt genug, daß die gebildeten Geistlichen ein sehr guteS 429 Latein reden, und daß alle gebildete Ungarn dasselbe wenigstens sehr geläufig sprechen. Endlich gelangte ich zn denjenigen geistlichen Herren, denen ich empfohlen war, und welche die Güte hatten, wich in ihrer Stadt herumzuführen. Vesprim hat eine fo eigenthümliche Lage, wie keine zweite ungarische Stadt, die ich zu sehen Gelegenheit fand. Die Lage der Vergstadt Schemnitz soll Aehnlichkeit damit haben. Es liegt im oberen Thalc des Sed, in der Nähe der Quellen dieses Flusses. Das hohe Land ist (ob durch diesen Fluß oder durch vulkanische Eruptionen?) mehre Male tief eingeschnitten. Die geschlängelten Linien dieser Einschnitte laufen am Ende im Sed-Thale zusammen. Es entstehen dadurch mehre hohe Landzungen oder Vorgebirge, und auf diesen Vorgebirgen und Landzungen sowohl als in der Tiefe jener Thaleinschnitte liegt Vesprim; in der Mitte des Ganzen, auf einem jener länglichen Vorgebirge, einem schroffen Kalkfelsen, erheben sich der bischöfliche Palast, das Seminar, das Gymnasium, das Comitatshaus und überhaupt alle die vornehmsten Gebäude der Stadt. Das Felsenriff läuft noch mit einem sehr langen, höchst schmalen und hohen Felsenkamme weit hinaus. Von hieraus übersieht man die Stadt am allerbeßten.' bas „Kotzenmacherviertel," das „Lumpenuiertel," das „Ierusalemsviertel/ die „Ralzenstadt" und alle die anderen eigenthümlichen Theile, aus denen Vesprim besteht. Auf dem Felsenkamme waren noch mehre Trümmer zu sehen, die von den Zerstörungen der Türken her- 430 rühren sollen. Auch haben die Türken auf dieser steilen Kante viele Domherren um's Leben gebracht. Der Bischofssitz von Vesprim ist einer der einträglichsten in Ungar«/ und der Bischof ist so sehr der große und größte Herr in dieser Stadt, daß fast Alles, was man Gutes sieht, ihm zugeschrieben wird; auch gehört der Bischof voft Vesprim zu den ältesten und vornehmsten des Reichs, und schon im 13. Jahrhunderte blühte hier unter seinem Schutze eine hohe Schule (die älteste in Ungarn), welche man nach dem Muster der Pariser Universität angelegt hatte; auch waren damals in dieser Stadt allein 20 Pfarrkirchen. Wie alle alte Herrlichkeiten UngarnS ging auch die Herrlichkeit Ves-prims unter, als der türkische Halbmond an dem poli» tischen Horizonte dieses Landes aufging, und was jetzt hier gesehen wird, ist Alles die Schöpfung des vorigen Jahrhunderts. Der Palast des Bischofs, den wir en detail besahen, enthält manches schöne Kunstwerk, einige treffliche Gemälde, z. B. von französischen Malern aus der Zeit Ludwig's XV. In der Capelle ergriff uns vorzüglich ein dornengekrönter und gegeißelter Christus. Er soll von Titian sein, und die Trefflichkeit des Gemäldes, der ergreifende Ausdruck des liefen Leidens in dem Angesichte des Dulders, scheint dem nicht zu widersprechen. Unter den Bildnissen der Bischöfe, die hier residirt haben, sieht man Mitglieder aus den vornehmsten Familien des Königreichs, z. N.: Esterhazys, SzchenyiS ic. Jetzt ist der Primas des Reichs zugleich auch Bischof von 431 Vesprim. Man sagt, daß baS Visthum mindestens 300,000 Gulden Schein eintragen soll; eb ist also eine herrliche „vlnea Domini." In Frankreich ist die fire Revenue eines Orzbischofs etwa 25,000 Franken, die eineS Bischofs 15,000 Franken. In Ungarn giebt es noch jetzt ganze Gesellschaften von Domherren, deren jeder mehr hat. Die Vesprimer Domherren gehören zu den reichsten. Von einem dieser reichen Vesprimer Domherren ist hier im Jahre 1811 ein Erzichungshaus ganz eigenthümlicher Art errichtet worden. Es nimmt dasselbe blos Kinder aus gemischten Ehen auf, weil, wie mein Geistlicher mir sagte, „die Erziehung solcher Kinder sehr vernachlässigt wird, und erzieht sie natürlich in der katholischen Lehre." Der Domherr gab dazu 300,000 Gulden her. Diese 300,000 Gulden sanken aber nach dem Patentedictc auf den Werth von 60,000 Gulden herab, und man konnte daher erst 1827, nachdem wieder em anderer reicher Domherr nachgeholfen hatte, zur wirklichen Errichtung der Anstalt kommen. Es werden hier nun 20 Knaben und 20 Mädchen erzogen. Die Mädchen erhalten spater, wenn sie beirathen, 100 Gulden Aussteuer. Der Director der Austalt schien ein sehr gebildeter und gelehrter Mann zu sein. Man sagte mir, er habe viele stille Verdienste um die Anstalt, die nicht recht anerkannt würden. Auch nach Ungarn wie nach Böhmen und Mähren wurde das Christenthum zuerst aus Griechenland gebracht. Mehre ungarische Heerführer und Herzöge wurden iu Konstantinüpel getauft. Selbst unter Sarolta, der Mutter 432 König Stephan's des Heiligen, bestanden noch mehre griechische Klöster in Ungarn. Die Trümmer von einem derselben sieht man in einem engen Thale bei Vesprim. Man kann Ungarns Schicksal nicht genugsam preisen, daß es sich von Deutschland und Italien auS für die lateinische Kirche gewinnen ließ. Hierdurch wurde es für das Land entschieden, daß es uns Westeuropäern angehören sollte, und dieß ist die beßte Bürgschaft dafür, daß es stets bei allen Wechselfallen der Ereignisse gegen den Osten mit uns zusammenhalten wird. Was den Abend um mich her vorging, das weiß ich nicht; denn es war bereits ziemlich dämmerig, als ich meine Reise zum Plattensee fortsetzen konnte, und es wurde bald stockfinster. Nur einige, mit 4 schönen Ochsen bespannte Wagen, welche für den Vischof Getreide, Mehlsäcke und Heu zur Stadt Vesprim hinführten, und noch einige, mit 4 schönen Pferden bespannte Wagen, die, ganz mit Hühnern bepackt, zur Stadt hinausfuhren, ebenfalls für den Vischof, erkannte ich noch im Dammerscheine. Spat Abends kamen wir in dem berühmten Vade-orteFüred an und hatten hier lange an den Thoren, Mauern und Fenstern zu pochen, ehe uns Jemand aufmachte. Wir glaubten schon, es wäre hier Alles ausgeftorben, alS endlich sich ein Mensch blicken ließ, der uns bei Licht besichtigte und, da wir ehrlichen Leuten gleich sahen, uns die Thore öffnete. Wir fragten die Leute im Hause, ob sie denn unser lautes Pochen und Lärmen gar nicht gehört hatten. ,,Oja wohl!" sagten sie, „aber wir möchten es nicht übel nehmen, bei Nacht wären alle Katzen grau, und man 433 könne nicht gleich wissen, wer vor der Thüre sei. In so später Jahreszeit pflegten keine Vadegaste mehr zu kommen, und der Vakonyer Wald, „»nti^,,» «ilva, »talmia M» ierarum," sei nahe. Da hätten sie denn die Lichter lieber bei Seite geschafft, weil oft alberne, betrunkene Leute sich meldeten, die nachher nur Lärm machten und Zank u. s. w. Wir möchten's doch nur ja nicht übelnehmen." Ich beruhigte die Leute vollkommen und sagte ihnen, sie hatten mir viel zu viel Ehre angethan, wenn sie mich etwa für einen kühnen Vanditenhauptling genommen hätten; denn ich wäre von Haus aus durchaus sehr furchtsamer Natur und herzlich froh, wenn Andere Mich in Frieden ließen, geschweige denn, daß ich es sollte wagen können, Andere anzupacken. Uebrigens freute ich mich herzlich, mitten unter ihnen zu sein, und ich bäte sie, nun ja wieder die Thüre recht sorgfaltig zu verrammeln. Sie nannten mich von allen Seiten „gnädiger Herr." Auch dieß, sagte ich, müsse ich mir verbitten, denn ich wüßte gar nichts, wovon ich Herr wäre, auch wäre ich mir keiner Gnade bewußt, die ich gewahren könnte. Darauf stimmten die beiden hübschen Töchter des Hauses ihre Guitarren, und indem ich mich mit den Kunstwerken der Küche ihrer alten, guten, sechsundsiebenzig-iährigen Tante, der Schwester des Wirthes, und dabei mit einem Gläschen trefflichen Ungarweins erlabte, sangen sie ein ungarisches Lied, dessen Titel war: „der vulatoi,," d. h. der Plattensee. ,^ ,',,.., -, ^ l < , iv. ' 28 434 Leider habe ich dieses Lied, da eS ungarisch gesungen wurde, nicht völlig verstanden, doch war sein Inhalt etwa folgender. Der liebe Gott schickte einst zwei Engel als Voten auf die Erde, um nachzusehen, ob sein Name auch aller Orten in Ehren gehalten würde. Diese Engel fanden überall bei Bauern und Bürgern Gottes Namen in hohen Ehren gehalten. Sie wurden aller Wege als Voten Gottes mit Freude und Ehrerbietung aufgenommen. Da kamen sie zuletzt zu dem Paläste eines vornehmen Herrn und einer reichen Dame. Hier verstießen sie die Diener und wollten nichts von ihnen und ihrem Gebieter wissen. Die Herrschaft verweigerte ihnen auch die Almosen und ließ sie vertreiben, obwohl sie von der Reise sehr müde waren. Nur ein armer Schäfer, den sie auf der Weide trafen, erquickte sie mit seinem Brote und seinem Tränke, so daß sie noch zum Himmel zurückfliegen konnten. Sie erzählten dem lieben Gott Alles, wie sie es gefunden, und klagten den vornehmen Schloßherrn an. Da zürnte er und sandte abermals Voteu, ließ das Schloß von Grund aus zerstören, und damit dieser Fleck, wo sein Name nicht in Ehren gehalten wurde, vom Erdboden verschwinde, ließ er an seiner Stelle alles Land mit Wasser überschwemmen, und dieses Wasser ist der Balaton oder Plattensee *)- Seit dieser Zeit nun wohnen da, wo ehemals ein Schloß stand, nur stumme Fische, abcr dagegen rund um den Valaton herum haben sich Gottes Macht ver- *) Dieselbe Sage von dieser Entstehungsweise des Balaton ist auch bei den Serbiern zu Hause, wie ich später erfuhr und wie man bei Csaplowus lesen kann. 435 ehrende Menschen desto zahlreicher angesiedelt. Ich bat meine freundlichen jungen Wirthinnen, mir auch von diesen Menschen irgend ein ungarisches Liedchen zu singen, und sie stimmten von Neuem ein Lied an, welches ich ebenfalls nicht in schönen harmonischen, metrischen Formen zu geben vermag und deßhalb hier in buchstäblicher Uebersetzung folgen lasse. W führt den Titel: id. h. der Ritt zur Geliebten am Plattensee). Vers 1. Auf die trockene Erde fällt der Reif. Mcin liebes Pferd, friß nicht, es möchte dir cm Uedcl verursachen. Lieber taufe ich dir einen seidenen Saum und einen sammetnen Sattel, trage mich nur zu meiner Lust. Vers 2. Harte Erdschollen rollen unter deinen Füßen. Liebes Pferd, hüte deine Füße, fliege mit mir zu meiner hcrzgcliebten Rose, denn von ihr fern leidet tiefen Schmerz meine Seele. Vers 3. Siehe, da fängt der Mond an, hell zu leuchten. So rein hat er noch nie geschienen. O spende mir bis dahin dein Licht, daß ich mich dießmal nur im Dunkeln nicht verirre. Mrs 4. Siehe, hell glänzt uns der schöne Balaton entgegen. Du blinkender See wirst dich doch nicht über die Felder ergleßen und uns den Weg versperren. O schöner Balaton, gieße dich nicht über den Weg. Siehe, ich könnte mein armes Pferd in Gefahr bringen. Vers 5. Halt, mein Thier! wir sind angelangt. Schau! durch ihr Fenster schimmert rrübc eine Lampe. Sieh doch, da sitzt ein Wnges brunettes Mädchen schlummernd!— He! holla, mein theueres Mädchen! schlummere nicht! Dein Geliebrcr wartet draußen auf dich! 28* 439 „Dabei müssen Sie wissen," sagte meine gefällige, sanglustige Ingnn, „daß der Plattensee an einigen Stellen wirklich zuweilen austritt »md die Wege ungangbar macht. Auch haben in der That unsere ungarischen Burschen die Sitte, ihre Geliebten bescheiden bloS am Fenster zn besuchen und mit ihnen so, indem sie sich dabei aus dem Fenster legt, sich zu unterhalten.^ „Es ist dieß dieselbe Situation zweier conversirenden Liebenden," bemerkte ich, „die Shakespeare so schön in Romeo und Ililie angewandt hat, wo Sie auf dem Val-con steht und Er unten im Garten. Es ist dieß weit poetischer, als wenn die Liebenden sich schon im Schooße sitzen und auf diese Weise mit einander sprechen. In Ihrem Liede selbst hat es mir im vierten Verse besonders gefallen, daß der Reiter den See nicht für sich, sondern blos für sein armes Pferd um Erbarmen bittet, sowie im ersten Verse, daß er seinem Pferde weiß machen will, das Fressen könnte ihm schaden, und auch seiner Gitel-keit durch den schönen sammetnen Sattel und seidenen Zügel zu schmeicheln sucht, ohne ihm den wahren Grund von dem Men zu verrathen." „Ja und dann müssen Sie auch noch das brunette Mädchen bemerken," hoben meine Sängerinnen wieder an, „die Ungarn lieben keine anderen als braune oder schwarze Haare- Blonde Mädchen sind ihnen unangenehm, und bleiche, kraftlose, matte, blonde Haare geradezu häßlich und verhaßt. Daher werden Sie gewiß auch in keinem ungarischen Liede eine blonde Geliebte gepriesen finden, wie doch in so vielen deutschen!" 43? „Ja, und wie »wch inehr in den italienischen," setzte ich hinzu, „denn die Italiener, sowohl die alten, als auch die späteren, haben immer blonde, besonders goldig schimmernde Haare für das Schönste gehalten. Die alten Römerinnen trugen falsche Locken von blondem Haar, und unzahlige Maler Italiens stellten ihre Ideale von Schönheit auf ihren Bildern mit blondem Haar dar. Selbst die Portraits der reizenden Laura des Petrarca (es befindet sich z. V. eins auf der Berliner Galerie) haben blondes, fast weißes Haar!" „Nein das ist ja gräulich!" sagten meine Ingrin« nen entsetzt. Ich suchte ihnen die Sache einigermaßen zu erklären und sie mit der Vorstellung zu beruhigen, daß blondes Haar an die Seide erinnere, und der viel gepriesene Farbenglanz dieses zarten Stoffes in der Regel auch weit seidiger und weicher sei als anderes, dunkler gefärbtes Haar. „Die Nuancen des Farbenspielcs," setzte ich hinzu, „sind auch größer im blonden Haar als im braunen oder schwarzen, und es muß daher die Aufgabe für einen Maler reizender sein. Endlich auch convenirt diese sanfte, weiche, milde Farbe viel besser mit dem Charakter der Frauen als iene schroffen, schwarzen Töne, die einem Manne besser anstehen. Doch kann ich mir auch wohl die Abneigung der Ungarn gegen diese Farbe deuten; denn sie verbinden wahrscheinlich mit dem Monden, das sich dem Grau und Weiß nähert, die Idee des Greisenalters und mit dem farbcnvollen Schwarz die Idee der Lebensfrische und Jugend." Die Abneigung der Ungarn gegen die Deutschen, 438 meinte ich, könne nicht an der Verachtung der Monden Schuld sein; denn die Italiener hätten von jeher in noch weit größerer Feindschaft mit den Deutschen gelebt. Doch wäre die Sache gewiß einer weiteren Untersuchung werth und hinge sicher noch mit anderen Vorstellungen des Volkes zusammen. Hier wurde ich den Mädchen zu lang; sie stimmten abermals ihre Guitarren und sangen mir ein Trauerund Klagelied, das der Graf Nessele ny in der Gefangenschaft dichtete, von dem ich aber leider nichts behielt, und dann schlössen sie mit dem Gesänge von einem Husaren, der in den Krieg zieht und seine braune Geliebte um einen Abschicdstuß und eine Vlume bittet. Sie antwortet, sie habe keine Zeit, denn sie müsse der Mutter die Blumen bringen; wenn er aber aus dem Kriege zurückkehre, dann wolle sie ihm einen Kuß und eine Vlumc geben. Der Husar erwidert aber, vielleicht käme er nicht zurück, vielleicht bliebe er todt in der Schlacht. „Dann, ja dann werde ich die Vlume auf Dein Grab pflanzen und den Kuß Deinem Kreuze geben," sagt sie, indem sie in Thränen ausbricht und ihn so viele Küsse nehmen läßt, als seine Liebe verlangt. Kloster Tihany und der Plattensee. <4.m anderen Tage besah ich mir iit Begleitung des gefälligen Vaters meiner Sangerinnen und einiger Beamten die Badeanstalten von Füred. Alle diese Anstalten gehören verschiedenen Personen, welche in der Nachbarschaft begütert und mit einem Antheile an den Quellen des Bades und ihrem Ertrage berechtigt sind. Gin Vade-haus haben die Venedictiner der benachbarten Abtei Füred gebaut, ein anderes errichtete die gräflich Esterhazy'sche Familie, ein drittes gehört vierzig Vaueredelleuten gemeinschaftlich. Alle diese zum Theil recht großen Gebäude, dazu noch einige Vcrgnngungssalc, ein Theater u. s. w. und dazwischen kleine Vaumalleen und Gartenanlagen bilden jetzt eine recht hübsche Ansiedelung unmittelbar am Ufer des Plattensees. Im Hintergrunde derselben ist ein an-muthiger Eichenwald, und vorn breitet sich der schöne See aus, der hier eine kleine Bai bildet, welche von der Halbinsel Tihany umfaßt wird. 440 Wie Trentschm im nordwestlichen und Mehadia im östlichen, so ist jetzt Füred im südwestlichen Ungarn der besuchteste und berühmteste Badeort. Sein „Säuerling" ist vortrefflich, und es ist zu bewundern, daß man erst in neuer und neuester Zeit ihn zu benutzen anfing. Die ungarischen Reisenden des siebenzehnten Jahrhunderts sprechen von dieser schönen Quelle mit dem Bedauern, daß nur die Hirten der Nachbarschaft kamen, ihr herrliches Wasser zu trinken. Erst seit Kaiser Joseph II. (dessen Namen man in Oesterreich, wie den Peter's des Großen in Nußland, bei fast allen nützlichen Etablissements verherrlicht findet) geschah etwas Bedeutendes für die Bequemlichkeit der Badegäste, deren jetzt hier jährlich über IWl) erscheinen sollen, um sich des Lebens und einer besseren Gesundheit zu erfreuen *). Auch hier hat, jetzt die lobcnswerthe Leidenschaft für die kalten Bäder Wurzel gefaßt, und außer den Anstalten für die Trinker bei dem Sauerling findet man nun auch im Plattensee noch Vorrichtungen zu kalten Seebädern, die dieß Jahr wieder erweitert werden sollten. Das kleine Theater in Füred ist ausschließlich nur für Darstellungen in ungarischer Sprache bestimmt. Die Inschrift vor demselben ist in ungarischer Sprache abgefaßt. Sie soll sehr bombastisch sein, und ein Herr, der sie mir übersetzen wollte, sagte, es wäre platterdings unmöglich, sie im Deutschen wiederzugeben. Der kurze Sinn Ware aber *) 1836 sollen hier, ohne die flüchtig Durchreisenden mitzuzählen, gerade 1030 Gäste gewesen sein,' 1840 aber 1600. 441 ungefähr der: „das Vaterland seinen Söhnen." Gher hätte ich noch verstanden: „die Söhne ihrem Vaterlands" nber wenn man bedenkt, daß das Theater höchst unbedeutend und winzig war, so erscheint mir die Inschrift viel zu pompös und zu großartig. Ueberhaupt ist in ganz Füred Alles sehr patriotisch. Alle Hof- und Garton-umzäunungen sind mit den ungarischen Farben, Roth, Weiß und Grün, bemalt, die kleinen Gartenbrücken, auch der kleine Pavillon über der Sauerquelle tragen diese Farben. Und voriges Jahr wurde sogar einer Gesellschaft deutscher Tiroler, die von ihren Alpen heruntergekommen waren, aus Patriotismus das Singen nicht gestattet. Es wird wohl keinem Menschen einfallen wollen, den Ungarn zu tadeln, wenn er sein Vaterland liebt, aber man muß sich wundern und kann sich nicht darüber freuen, wenn diese Liebe so weit getrieben wird, daß sie sich sogar alle vom Auslande kommenden Genüsse versagt, besonders wenn sie so unschuldiger Art sind, wie tiroler Gesang. Wir Deutschen lieben auch unser Vaterland und freuen uns doch recht herzlich, wenn wir in Ungarn irgendwo ein schönes Lied finden. Auch aus Politik schon sollten die Ungarn mit ihrem Patriotismus nicht so weit gehen; denn Alles, was auf die Spitze getrieben wird, überstürzt sich selbst und schadet seinem Bestehen. Nach Tische setzte ich meine Reise fort, um noch zeitig genug auf der gepriesenen Abtei „I'illan?" (sprich: Tihonj) anzukommen, wo ich dem Abte einen Gruß 442 und einen Brief von einem Freunde aus Pesth zu bringen hatte. Der Plattensee bildet ein längliches Parallelogramm, welches überall ziemlich geradlinige Ufer hat. Nur einmal, ungefähr in der Mitte der nördlichen Küste, findet davon eine Ausnahme statt, indem hier eine große Halbinsel in den See so weit hineintritt, daß zwischen ihrer Spitze und dem gegenüber liegenden südlichen Ufer nur eine schmale Wasserenge bleibt und der See dadurch in zwei Abtheilungen, in eine östliche und eine westliche, getheilt wird. Diese merkwürdige Halbinsel ist offenbar vulkanischen Ursprungs; sie besteht, wie man deutlich genug wahrnehmen kann, aus zwei stark vertieften Kesseln, wahrscheinlich ehemaligen feuerspeienden Kratern, die nach dem Balaton zu mit schroffen Gehangen absetzen. In der Tiefe des einen dieser Kessel befindet sich jetzt ein kleiner See, in dem anderen nur ein feuchter Wiesen-gründ. Mit dem Ufer sind diese beiden an einander hangenden Kessel blos durch eine flache, sumpfige Niederung verbunden, die wahrscheinlich ehemals, als der See noch höher war, unter Wasser stand, so daß die Halbinsel damals eine völlig isolirte Insel war. Auf dem schroffen Uferabhange des zweiten Kessels liegt die Beherrscherin der ganzen Halbinsel und, man kann hinzusetzen, der halben Umgegend — die Abtei Tihany. Ich fnhr dahin auf einem kleinen ungarischen Nagen, der auf den Unebenheiten des Weges eine Musik machte, wie die mit Messingblechen behangenen Pferdegeschirre 443 unserer deutschen Fuhrleute. Was wir an die Pferde hänge», hangen die Ungarn hier am Plattensee an den Wagen. Es waren mehre kleine eiserne Scheibchen, die auf den eisernen Stangen, welche seitwärts von der Deichsel zu den Vorderrädern führen, aufgereiht waren und klirrend und klappernd hin- imd hertanztcn, als wenn die Wage» nicht schon ohnedies; genug Geklapper und Gequieke hören ließen. Mit dieser Musik kamen wir auf dem Isthmus, welcher die TihanUcr Halbinsel mit dem Festlande verbindet, an und — versanken hier im Schmuze; denn, wie gesagt, sie ist ganz sumpfig und so stach wie ein Tisch. Sowie man die Halbinsel selbst erreicht, steigt es hinan, und hier Präsentiren sich auch sofort die Ueber« reste von Schanzen und Befestigungen, welche man den Römern zuschreibt; denn daß die Römer diese Halbinsel oder Insel schon als einen militärischen Haltpunct benutzten, ist gewiß, wenn schon es nur eine schöne, unbegründete Sage sein mag, daß die Kaiserin Valeria, die Gemahlin des Kaisers Galerius, der zu Ehren dieser ganze Theil von Pannonien die Valerianische Provinz genannt wurde, nach dem Tode ihres Gemahls sich mit ihrer Mutter Prisca auf diese Halbinsel zurückzog und daselbst ein einsiedlerisches Leben führte. Im Inneren ist die Halbinsel ziemlich wüste. Die beiden vulkanischen Kessel bieten nur nackte, grasige Viehtriften, mit wenigen Aeckern untermischt, die Vasalt« kuppen auf der südlichen und westlichen Seite sind mit Wald besetzt, die auf der östlichen sind kahl. Wir 444 fuhren durch den ersten Kessel, dann wieder hinauf und kamen in den zweiten. Hier fahrn wir die Abtei auf der Hohe liegen, ihr zu Füßen, an der Kesselwand bis zu dem inneren kleinen See sich hinabziehend, ein ungarisches Dorf. Die Venedictiner Herren bereiten jedem ihnen einigermaßen empfohlenen Gaste bei sich ein freundliches Quartier, und ich verlebte ein paar angenehme Tage bei ihnen. Ich wurde zuvörderst, bis der Abt, der noch etwas zu besorge» hatte, sich selber mit mir beschäftigen konnte, einem der Klosterdiener übergeben, der mich zu den sogenannten Merkwürdigkeiten der Insel führen sollte, und der mich dabei noch durch das originelle Deutsch, welches er sprach, und durch seine zuthatigc Schwatzhaftigkeit herrlich amüsirte. „Wie beneide ich Sie," sagte er, indem wir uns auf den Weg machten, „daß Sie so reisen können. Wie viel Erfahrenheit und Kennerschaft läßt sich nicht auf Reisen sammeln! Freilich nutzt das Reisen auch nur dem Klugen. Denn unbewußte Leute mögen noch so viel reisen, sie werden dadurch doch nicht wissenschaftlicher, oder wie wir im Ungarischen sagen: „Schickt einen Esel nach Wien, eö wird doch kein Pferd daraus." Und Mancher bleibt immer zu Hause und wird doch ein kluger Mann, wie H. V. unser großer Dichter Kisfalndy, der nicht weit von hier in Schümegh wohnt. Er ist unser ungarischer Orpheus und vielleicht noch mehr, und doch ist er nie aus Ungarn herausgekommen. Kennen Sie seine Her-ausgebungen wohl? Was sind das für schöne Gedanken! Seine letzte Herausgabc, die beßte von allen, waren 445 Lieder über die Umgebenheit des Balaton. Nun, wenn ich nur mal auf Reisen käme, ich würde mich schon zu halten wissen; denn ich bin von meinem Vater, was die Hauptsache ist, sehr gut in der Religion erzogen worden. Mein Vater that alle seine Kinder sehr religiös erziehen. Wir mußten AlleS Punct für Punct auswendig lernen, die Hcrstammung Christi, Gottes Nachsicht und Vorsicht, und wenn man das Alles weiß und festhalt, so kann man getrost in's Leben und in die Welt hinaus gehen.^ „Wo bist Du denn erzogen worden?" „In Debretzin, wo wenig deutsch gesprochen wird. Das Deutsch habe ich erst hier gelernt. Dort in Debretzin giebt es sehr wenig verdeutschte Ungarn, schon mehr geungerte Deutsche. Auch sprechen die Ungarn dort in Debrctzin ein anderes Ungarisch als hier. Sie sprechen sehr vergröbt und nicht recht stießlich. Hier sprechen sie viel verfeinerter und verzierter. No sind Sie denn her?" ,)Li-emiaI,o! aus Bremen," antwortete ich ihm, „leinet 822i»2082ta" (nicht gefülltes Sauerkraut), an der Mittwoche gelbe Rüben, Kohlrabi, Linsen, am Donnerstage „82-vnn^u r«^a" (weiße eingesäuerte Rüben), am Freitage gelbe Rüben und am Sonnabende Spinat, Wurzeln oder dergleichen. Im Ganzen wäre die erste Hälfte der Woche dem Kohl, die zweite bis zum „Z^oiudat" (auch die Ungarn haben für den Sonnabend die hebräische Ve-Neunung Sabbath, wie fast alle östlichen Völker Euro-Pas, angenommen) den Rüben gewidmet. Mit diesen Untersuchungen kamen wir wieder bei unserer Abtei an, wo wir dann mit den geistlichen Herren 448 den Abend wirklich einem Theile der eben genannten Gerichte und einer gebildeteren Conversation widmeten. Es war der schönste Mondschein von der Welt, Und ich konnte es nicht unterlassen, nach dem Abendessen noch ein wenig die Aussicht aus meiner Zelle zu genießen. Diese meine Zelle war ein großes, mit gothischen Bogen überwölbtes Gemach. Ich öffnete das Fenster und ließ meine Augen über den schönen See hingleiten, in dem des Mondes Sichel auf tausend schwebenden Wellen sich schaukelte. Auf der einen Seite lagen die finsteren Berge des Bakonyer Waldes, auf der anderen verlor sich der blinkende Spiegel der Seeoberflache in trübe Ferne, und nur eine unbestimmte Linie ließ die Stelle ahnen, wo die Römer den See durch einen Canal in die Donau abzuleiten versuchten. Rund umher, außer dem Rauschen des Sees, kein Lärm; kein Schiffsruder plätscherte in den Wogen, kein Gesang tönte von nah oder fern. Auch in meinem Kloster war Alles mäuschenstill, und ich glaubte, mit mir und den Gottheiten des Sees allein zu sein. Man kann den Plattensee in vielen Puncten als das Widerspiel deZ Genfer Sccs betrachten. Dieser liegt am Fuße des westlichen Endes der großen, 15l) Meilen langen Alpenkette, jener am Fuße der äußerst östlichen Ausläufer eben dieser Kette. Zwischen beiden Seeen schlingt sich sowohl im Norden als' im Süden dieses mächtigen Gebirges stets ein Kranz von Seeen herum, im Norden die schweizer Seeen, der Vodensce, die baier'schen Seeen, die Seeen des Salzkammergutes, der Neusiedler 449 See, im Süden die italienischen und einige kleine illyrische Seeen. Von einem dieser Seeen zum anderen machen sich allmahlig Uebergänge bemerklich; die größten Contraste aber geben die entferntesten, der Balaton und der Genfer See. Hier das größte Leben, dort die größte Ruhe. Hier alte berühmte Städte, dort von alten Zeiten her nichts als einige Marktflecken. Hier Handelsschiffe, Gondeln, Dampfboote, dort nur zuweilen kleine Fischcrnachen und ein Pramen, der die Leute von der Tihanyer Halbinsel an das andere User hinüberführt. Dort das Paradies von Europa, hier — nun! auch ein kleines Paradies — für Ungarn. Ich möchte wissen, ob beide Seeen und die zwischen ihnen liegende Seeenkette wohl in irgend einer gemeinsamen geognostischen Verbindung unter einander stehen, ich meine, in einer gemeinsamen Beziehung zu der Erhebung des hohen Gebirgsstockes der Alpen zwischen ihnen. Ich erinnere mich nicht, daß Iemanv schon einmal diese Frage aufgeworfen oder erörtert hatte. Man erzahlt sich bekanntermaßen von dem Wasser des Sees viel Wunderbares. Es sei, sagt mau, in fortwahrender Bewegung, selbst bei ganz stillem Wetter, und schäume und brause bestandig, besonders des Abends, werfe stets Wellen und treibe dieselben gegen das Ufer. Ebenso sei ihm eine schwache Ebbe und Fluth eigen, und der Mond mache zu gewissen Stunden das Seewasser hoher oder geringer. Das Wasser des Sees, das oben ausdünste, erneuere sich beständig durch unter-iv. 29 450 irdische Quellen, welche aus dem nahen Kalkgebirge kämen und viele Kohlensäure mit sich führten, die sich bei'm Eintreten in den Balaton absondere und dadurch sein Wasser schäumend mache. Die Farbe des Sees sei in der Regel schön hell und weiß; aber wenn ein Gewitter nahe, nähme er, auch ohne daß schon Wolken am Himmel ständen, eine dunkele Färbung an, weßhalb man schon aus der Farbe des Sees das Netter treffend verkündigen könne. Das ganze Wesen des Balaton ist noch immer nicht gehörig und gründlich untersucht, und daher glaube ich, daß immerhin in dem, was man mir an Ort und Stelle darüber mittheilte, noch einiges Neue enthalten sein könne. So viel ist gewiß, daß, obgleich es mir eine vollkommen ruhige Atmosphäre zu sein schien, doch der See an jenem Abende sichtbar Wellen schlug, und daß ich auch deutlich genug sein schönes Rauschen in der stillen Nacht vernahm und mich nur schwer von dieser lebendigen Musik trennen konnte, um mich dem Schlafe zu überliefern. Am anderen Morgen ging ich zu der Fähre hinab, welche sich auf der Spitze dieser Halbinsel befindet. Diese Fähre verbindet das Salader Comitat im Norden des Sees mit dem Schomotjer im Süden. Es führt eine Straße mitten durch die Halbinsel, auf welcher die Leute, welche in's „Schomotj" (so spricht man) wollen, wie auf einer Brücke hinfahren. Auf der Schomot^er Selte ist ein ungarischer Fährmann, auf der Tihanyer ein deutscher. Der Spaziergang vom Kloster zu dieses 451 deutschen Fährmanns Hütte beträgt bsinahe elne Stunde. Der Mann hieß Dicker, und er hatte bereits seit 18 Jahren den See befahren. Er sagte nur: „der See gäbe nimmer keinen Frieden nich;" auch wenn es viertägige Windstille wäre, ginge die Bewegung doch immer „staht" vor im Wasser. „Wenn es auch in der Luft ganz ruhig ist, im Wasser ist doch nie keine Ruh." Auch das, sagte er, wäre wahr, daß man im See schon vorher das Wetter spüren könnte. „Wenn das Wetter auch noch in Deutschland ist," sagte er, „der Eee hat es doch schon im Leibe und kocht und branst schon im Voraus." In der kleinen Wasserenge bei der Spitze der Halbinsel — der See ist hier nur 2W Klaftern breit — ist die Bewegung am stärksten, und zu dem Wellenschläge auf der Oberfläche gesellt sich hier auch noch eine fortwährende Strömung. In der Mitte der Meerenge, jedoch etwas näher zu der Tihanyer Halbinsel hinan, ist die Strömung am stärksten; auch ist hier das Wasser am tiefsten, sieben Klaftern tief. Diese Strömung hört nie auf und geht bald aus dem östlichen Theile des Sees in den westlichen, bald umgekehrt. Ob die Strömung doppelt sei, sowie bei anderen Wasserverengungcn, wußten mir die Leute nicht zu sagen. Die Mönche meinten, diese Strömung käme blos von einer Ueberfüllung des einen oder des anderen Theiles des Seebeckens her. Wenn der Wind lange aus Osten wehe, so treibe er das Wasser in den westlichen Theil, und eS ströme dann ostwärts zurück, und so umgekehrt. Der Schiffer meinte aber, die Strömung wäre immerwährend, auch wenn lange Zeit kein 29* 452 Wind daS Wasser in den mm« oder anderen Theil getrieben habe. Bei lange anhaltendem starken Winde wird das Seewasser trübe. Für gewöhnlich aber ist es selbst zwischen dem Schilfe so klar „wie Scheidewasser." Für die Winde haben die Leute hier eigene Benennungen. Den Nordwind aus dem Bakonyer Walde nennen sie „den oberen Wind," -^ der Südwind, der aus dem Schomotj, kommt, heißt „der untere Wind," — der Westwind der ,,Saler," weil er aus dem Sa-lader Comitate weht, — der Wind gegen Sonnenaufgang aber wird der „calvmische Wind" genannt, vielleicht weil er ans den ungarischen Steppen her zieht, wo mehr Calvimsten wohnen als in dem mchr katholischen Westen Ungarns. Der Saler Wind von Kanisa, von den Alpen her, der die ganze Lange des Sees überstreicht, ist der heftigste; er treibt die Wellen häuscrhoch und führt auch die meisten Welter herbei. Von einem regelmäßigen Steigen und Fallen des Wassers mit dem Monde wollte Niemand hier etwas wissen. Die schäumenden Bewegungen im See selbst mögen aber wohl der großen Quantität von fohlensauerem Gase, das ihm durch unterirdische Quellen zugeführt wird, herrühren. Das Wasser des Balaton ist so stark damit geschwängert, daß man den ganzen See, nach Professor Schuster, geradezu als ein großes, mit sehr verdünntem Sauerwasser gefülltes Becken ansehen kann. Die Bewegungen auf seiner Oberfläche mögen daher auf ähnliche Weise zu erklären sein, wie die Vibrationen auf der Oberstäche eines Champagnerglases. Das gelbe Papier 453 wird von dem Wasser des Plattensees ziemlich schnell braun« roth ,md das rothe blau gefärbt. Der Geschmack desselben ist zusammenziehend, >md die feine Haut wird bci'm Waschen davon spröde und rauh. Die Bindehaut der Augen wird bci'm Vaden empfindlich gereizt, und diese Reizung nicht selten zur Entzündung gesteigert. Den Pferden, welche in dieß Seewasser in die Schwemme getrieben werden, springen die Hufen bald auf, und dieselben müssen daher mit Fett eingerieben werden. Das Wasser des Sees kann man lange aufbewahren, ohne daß es fault, und man kann darin sogar Fleisch oder ähnliche Substanzen mehre Tage ganz frisch erhalten. Auch die Fische, welche sich in dem See befinden, sollen ganz anders beschaffen sein als die von derselben Oattung aus anderen Gewässern. Sie sollen ein viel festeres, schmackhafteres und gesunderes Fleisch haben als diese. Nie ich bereits andeutete, haben schon die Römer das Wasser in dem Plattensee zu verringern gesucht. Sie machten einen Canal in der östlichen Ecke des Sees, wo der kleine Fluß Sio hinausgeht, der dann, sich mit der Sarwitz verbindend, in die Donau stießt. Der Sio ist, wie man mir sagte, indeß nur ein intermit-tirendcr Fluß; er fließt nicht immer und stellt zuweilen nur einen länglichen Sumpf dar. Die Römer sollen durch den Sio-Canal sehr viel Land am Ufer dcö Sees gewonnen haben -, erst spater ist dasselbe alles wieder überschwemmt worden, weil ihr Canal sich verschlammte. Da durch die Ablassung des Plattensees gar kcinc 454 Schissfahrt auf den Sand gesetzt werden würde, und nur allenfalls die delicaten Fogaschfische auf den Pesther und Wiener Tafeln zu erscheinen aufhören würden, so wäre an dem ganzen See nicht viel verloren, und die Ungarn könnten nichts Besseres thun, als in die Fußstapfen der Römer treten und den Canal wieder ausräumen. Als ganz ausgemacht und gewiß versicherten mir die Schiffer bei der Tihanyer Ueberfahrt, daß der See seit 1834 um ganze fünf Schuh gefallen sei. Diesen Sommer, der sehr trocken gewesen / seien seit drei Monaten wieder fünf Zoll abgegangen. Ich fragte sie, wie sie das wissen könnten, und sie zeigten mir darauf cinen Maßstab, den sie sich an den tief in den Node» eingerammten Balken gemacht hatten, welche eine Art von Brücke oder Anfahrt zum Fährschiffe trugen. Von den früheren Zuständen der Wafserhöhe vor 1334 habe ich nichts mit Gewißheit erfahren können, und es ist daher die Frage, ob der See constant abnimmt, oder ob, was die Leute hier im Ganzen zu glauben scheinen, ein periodisches Abnehmen und ebenso ein periodisches Zunehmen stattfindet. Merkwürdig aber war es mir, daß diese Berichte von der Abnahme des Plattensees, sowie auch von der Epoche des Beginns derselben, so ganz mit dem mir vom Neusiedler See Erzählten übereinstimmten. Im Winter wachst der See ^ — 1 Fuß. Im März hat er seinen höchsten Stand. Das südwestliche Gnde des Sees verliert sich ill Sümpfen, durch welche dem See mehre kleine Fluß--chen zukommen. In diesen Sümpfen sollen in neuerer 455 Zeit mehre künstlich herbeigeführte Austrocknungen stattgefunden haben. Sollte vielleicht dadurch auch das Wasserquantuin im See etwas angegriffen worden sein? Es ist möglich, wenn man annimmt, daß ein Theil des Seewassers in jenen Sümpfen steckte. Es wäre aber auch das Umgekehrte, eine dadurch herbeigeführte Vermehrung des Seewasstls, möglich, wenn man sich denkt, daß alles Wasser jener kleinen Flüsse jetzt ganz in den See kommt, welches sonst zum Theil in den Sümpfen stecken blieb. Die Fische des Plattensees sind durch jene Eigenschaften, welche wir schon oben an ihnen lobten, berühmt. Es giebt hier weit mehr Arte» als im Neusiedler See; unter ihnen aber sind zwei die entschieden wichtigsten, eine, weil sie für den Feinschmecker so köstlich ist, und die andere, weil sie sich in so außerordentlich großen Quantitäten zeigt. Jene ist der berühmte ,,Fo« gasch'," diese die „Oarda." »? Der Fogasch (deutsch: Zahnsisch), eine Art Sander (?erc2 luciaporca), kommt blos in diesem See vor. Er wird gewöhnlich 7, 10 bis 15 Pfund schwer. Am häufigsten wird er in der westlichen Hälfte des Sees gefangen und zwar namentlich bei dem Marktflecken Kesthely, einer Besitzung des Graftn Festetiz. Er hält sich meistens in dem tieferen Wasser des Sees auf; daher ist er auch sehr empfindlich gegen das drn Fischen feindliche Element der Luft. Sowie er aus dem Wasser gezogen ist, stirbt er auch. Er liebt klares Wasser und sandigen Vode,,, im Schilfe und Sumpft findet man 456 ihn nicht. Sein Fleisch ist sehr weiß und dabei „fester und körniger als anderes Fischfleisch," wie mein Seemann sich ausdrückte. Die „Garda" ist eine Art Schwertling. Sie sieht dem Häring so ähnlich, wie ein Bruder dem anderen, nur ist sie etwas kleiner; die deutschen Leute hier in der Gegend nennen ihn daher auch gewöhnlich nur Haring. Gr ist sehr delicat, hat aber nur Gräten. Nährend man bei'm Fogafch schon sehr froh ist, wenn man in einem Zuge einen oder ein Paar fangt, und nur selten 5 bis 19 in's Netz gehen, zieht man von diesen Garda's oft 20 bis 50 Centner, ja zuweilen auch 100 Centner auf einmal aus dem Wasser. So klein das ihnen zugewiesene Wassergebiet auch ist, so haben doch auch diese Seeharinge ebenso wie ihre Brüder, die Meerharinge, eine große Wanderlust, und sie reisen in diesem kleinen Scebecken nach Herzenslust herum. Man weiß nicht recht, von welcher Leidenschaft sie dazu getrieben werden, doch sieht man sie nicht selten in großen Schaa-ren auf der Oberstäche des Wassers aus dem östlichen Ende des Sees zu dem westlichen hinüber fliehen oder umgekehrt. Einen großen Einfluß darauf mag auch wohl die Witterung üben. Im Winter, auf dem Eise, fangen sic die Garda's am meisten, und zwar auf folgende Weise. Zuerst machen sie viele kleine Löcher in's Eis, in geringer Entfernung auseinander, und zwar in einem Kreise rund herum. An zwei entgegengesetzten Puncten des Löcherkreises werden alsdann zwei etwas größere Löcher hineingearbeitet, 457 das eine zum Hineinlassen, das andere zum Herausziehen des Netzes. M sieht also ungefähr so aus: H 1 ^ ^ w In das Loch a wird das ganze, mit zwei Flügeln versehene Netz hineingelassen. Mit langen Stangen, an denen eiserne Haken sitzen, sucht nun ein Fischer das Ende des einen Flügels durch das Loch 1 zu fassen, und em anderer faßt den zweiten Flügel durch das Loch 2, und sie ziehen die beiden Enden nahe zu diesen Löchern heran. Hier faßt sie ein anderer Fischer mit einer Gabel und schiebt sie in der Richtung des nächsten Loches weiter unter das Eis fort, wo dann wieder die eisernen Haken ihnen entgegenkommen. Diese Operation wiederholt sich so lange, bis die beiden Flügel ihren Halbkreis durchgemacht haben und bei dem Loche b zusammenkommen, wo dann daS ganze Netz mit seinem Inhalte herausgezogen wird. Zuweilen fangen sie so viel, daß sie das Netz nicht herausbringen können, und die Fische muffen dann zuvor noch einzeln aus dem Netze herausgefischt werden. Da jene Arbeiten sich leichter beschreiben als ausführen lassen, und da der Löcherkreis und die Netze sehr groß sind, so sind immer viele Menschen bei dieser Fischerei erforderlich. Da nun außerdem wohl nicht die stärkste Dicke des Eises abgewartet werden darf — die beßte Fischerei ist im Anfange des Winters — so ereignet sich manches Unglück dabei. Die Leute erzählten mir, daß einmal bei einem Fischzuge nahe an ül) Menschen um's Leben gekommen seien. Die Fischer sind meistens Nationalungarn, wie denn überhaupt der Plattensee rund umher nur von magyarischen Dörfern und Marktflecken umgeben ist. Dieß ist bei seinem Bruder, dem Neu-» siedler See, ganz anders. Dieser ist fast durchweg von deutschen Dörfern und Städten umgeben, und nur seine südöstliche Ecke allenfalls ist ungarisch zu nennen. Ne-brigenö kann sich der Neusiedler See dem Balaton in keiner Beziehung an die Seite stellen, wie auch zum Theil schon aus dem Vorigen hervorgeht. Das naturhistorische, das pittoreske, wie auch das historische Interesse des letzteren ist weit größer; darum ist er auch in Ungarn viel berühmter und in der Volkspoesie mehr verherrlicht. Schon zu den Rbmerzeiten war der Balaton berühmter, wahrend man noch nicht einmal mit Gewißheit weiß, welchen Namen die Römer für den Neusiedler See hatten, und Einige sogar noch bezweifeln wollen, daß derselbe zur Zeit der Römer überhaupt etistirt b,be. Die Römer nannten den Plattensee „?e1so.^ Wahrscheinlich ist dieß eine Corrumpirung des uralten slavischen Namens „valotoi,," was so viel bedeutet wie das römische „?a!u5" und wahrscheinlich auch mit diesem aus 459 einer Urwortwnrzel ist. Das „t" in „Lolatnn" konnte leicht in ,,»" übergehen. Die Römer nannten ihn auch „Vnlncoa" (»cp»!»»), was wieder ein auf andere Weise verderbtes ,,vnlnwn" sein mag. Die Deutschen machten aus demselben Worte „Blatten-" oder „Plattensee," die Ungarn „valatnn." Im Grunde scheint also bei allen Nationen derselbe alte slavische Name im Gange gewesen zu sein. Die Ungarn haben aber auch einen anderen Namen für ihn. Sie nennen ihn nämlich auch: „tejor tonFer," d. h. „das weiße Meer." Ich kehrte von meinem Ausflüge zu der Tihanyer Seeverengung zeitig genug zurück, um noch vor dem Diner eine Partie „Luli,^ tlillicolai-is", d. h. eine Partie Villard, mit einigen der Mönche zu spielen. Ich fragte sie, warum sie das Spiel „tlilliculali«" nannten. „Huia tunclitur!" sagten sie. Mich nannten sie immer aus Höflichkeit „iunc Hannibal as,mc tot» pn^itio l1,f6ci!i8 est. I>iil vicl«o! Niki ca<^l!i1f!!lm ot rulirum percut^re veils«." „Ich sehe nichts V'sund'res. Doch können's hier den Rothen und Vlauen carambollren!" „^.li! an! 8>iliti1lt feln, selbst wenn er sie auf uns hetze, herauskommen wollten. Der Hirt, mit dem wir immer etwas Zank und Hader hatten und der uns gern einen kleinen Tort anthnn wollte, ging dlc Wette ein. M galt ein Faßchen Wein. Wir nahmen unsere Knüppel, und der Hirt fing an, seine Büffel zu rufen. Vr rief: „I-ckteimem! iscktennelu!"(O 491 Gott, wehe! wehe!) Dieß ist ihr Hülferuf und Wehcge-schrei. Sie kainen darauf langsam, nach ihrer Art aber inuner schnell genug, heran. Wir gingen ihnen entgegen, ehe sich ihr Kreis zu sehr concentrirt hatte, sogleich kamen einige ans uns los, uns zu besehen und zu bericchcn. „Iscnteunem! i5«üitennem!" „Wehe! Wehe!" schrie wieder der Hirte, und die Büffel «lachten Miene, uns anzugreifen, — wir standen unter einem Vamne, der uns den Rücken deckte; 200 Schritte weiter stand ein anderer Baum, und nach abermals 200 Schritten ein dritter. Nenn wir bis zu dem dritten Vaume uns durchgeschlagen haben würden, so sollte die Wette gewonnen sein. Wir machten uns also auf den Weg. Ich hatte gehofft, daß uns die Knüppel dazu dienen könnten, gelegentlich einem der plumpen Thiere damit die Füße unten wegzuschlagen. Aber einige unserer Streiche, welche auf ihre Kniee sielen, machten keinen anderen Gf« fect, als wenn wir auf eine eherne Sälile geschlagen hatten. Sofort warfen wir die Knüppel weg und verließen uns allein auf unsere Gewandtheit und Schnelligkeit. In» deß es entsank uns früher, als wir gedacht hatten, der Muth. Die schnaubenden Thiere setzten uns so scharf zu, daß ich es sofort für gerathen fand, als ich den zweiten Baum erreicht hatte, ihn zum umfassen und zu erklettern. Meinen Freund sah ich auf krummen Abwegen, von den Büffeln verfolgt, in das Weite hinausrenncn. „Wollt ihr um Gnade flehen!" fragte mich der Hirt, und als ich dieß sofort bejahte, um meinen Freund zu retten, rief er, daß es lant über die Flur schallte: »Nei! ^ae! ^«'." warf sich rasch selbst zwischen die Hccrde und trieb die 492 Thiere von meinem Freunde zurück, der bereits niedergefallen war! Unsere Wette war verloren. Ich habe seitdem einen Aerger an allen Büffeln. Es sind garstige Thiere. Mit den Pferden und Ochsen können die Hirten es nicht so machen!" „In der That, Joseph", sagte ich, „es war ein recht einfältiges Wagestück; denn ich mnß gestehen, ich wollte lieber zweimal, wenn es sein müßte, von einem Löwen zerrissen, als von solchen Büffeln zertreten oder von Schweinen gefressen werden. Es ist nur erstaunlich zuwider." Alle die Büffel, die wir sahen, waren außerordentlich fett. „O, diese Thiere," sagte Joseph, „werden fetter mit Stroh, als der Ochse mit Klee." Auch der Esel ist leichter mit schlechtem Futter befriedigt als das Pferd. Es ist vielleicht in der Thierwelt allgemein, daß das Unedelere sich mit unedlerem Futter behilft. Alls den besagten Schleichwegen, auf welchen wir fuhren, bekamen wir natürlich gerade die Dinge zu sehen, die ein Reisender vorzugsweise zu sehen wünscht, Scenen alls dem Inneren des Landes. Wir überraschten die Hirten bei ihren Feuern, — die Mädchen und Frauen bei ihren hänslichen Beschäftigungen, bei'm Waschen und Bleichen, >— die Kinder unter den Kastanienbämnen, die alten Frauen und Männer vor del: Hanöthüren. Die Landschaft wird immer anmnthigcr,— Alles belebter und bewohnter. Kurz vor Kormönd sahen wir einen Strohwisch an einen« Baume hängen. Es w,n' die Gränze des Eisenburger Comitats, deß letzten, das wir noch zu durchfahren hatten. Diep Comitat ist eins der bevölkertskn in Ungarn, wie denn alle die 4!N an Deutschland gränzenden Comitate mehr Einwohner haben als die des Inneren. Es hat über 3Wl) Menschen ans einer Quadrat-Meile. Vom Plattensee aufwärts wird daö Futter und die Nahrung theuerer. Mein Joseph klagte schon gleich hinter Schümegh darüber, und je weiter man kommt, desto theuerer wird es nun, — ein erfreuliches Zeichen! Schöne Kastaniciibaumc zeigen sich neben den Hausern, die öden Striche werden immer kleiner. Alles zieht sich in kürzere oder krausere Linien zu» sammen. Es wird die Landschaft hier in der That ein Bild. Knrz, so wie man immer zu den deutschen Vcr-gen aufsteigt, so geht auch eine aufsteigende Linie von hier aus zu höherer Cultur mit sehr merklichen Stufen hinauf. Es gewahrt einen hohen Genuß, auf einer solchen Linie hinanzusteigen. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang in Körmönd an. Diese Stadt ist vielleicht das alte l^urw der Römer. Sie liegt in der Gbene des Raabflusses. Im Hintergrunde sieht man die Vorberge der steierischen Alpen aufsteigen, deren letzte Ausläufer sich hier verlieren. Denselben gebirgigen Hintergrund im Westen und denselben ebeneren Vordergrund im Osten hat man in den Städten GünS, Stein-amanger, Ocdenburg, Eiseustadt, und »nan kann diese ganze Kette von Städten, welche alle drei, vier bis fünf Meilen weit auseinander liegen und über die von Wien und Waras-din eine ziemlich geradlinige Straße führt, als die erste Städtekette von Westen herein betrachten, welche sich in Ungarn gebildet hat. ' Sie haben sich alle da abgelagert, wo die Verge aufhören und ebeneres Land beginnt. Es ist eine Kette von Städten, deren Formation man mit der 494 oben von uns berührten Kttte Temeswar-Arad u. s. w. am Fuße der letzte,« Ausläufer der sicbcnbürgischen Karpathen und am Rande der Ebenen parallclisiren kann. Hier fanden wir —> es war eine Sonntag-Abend« Feierstunde — alle Leute beschäftigt, Kastanien zu braten und zu essen, und man erblickt von hier an nun überall auf den Marktplatzen aller Orte die kleinen rauchenden Hütten, in welchen alte Weiber oder Männer Kastanien braten. Es sollen hier uon diesen Kastanienbaumen ganze Walder vorhanden sein. Die Ocdcnburger Kastanien sind berühmt. Einige ungarische Schriftsteller meinen, daß die Kastanien in diesen Landstrich durch die römischen Legionen versetzt worden seien, die hier bekanntlich einige schöne Colo-nieen hatten, z. V. Hubari», 3carÄb9ntm u. s. w., eben jene Städtereihe, die wir oben mit den jetzt üblichen ungarischen Namen bezeichnete». Da sich die Kastanien indessen von hier an durch die ganzen Alpengebirge hinziehen, so erklart sich ihr Erscheinen weit leichter aus der Geologie als aus der Geschichte. In Körmönd sah ich auch wieder einen Park und Garten. Es ist ein Vathyamscher, neben dem Schlosse dieser in der Umgegend sehr reich dotirteu Familie. Cr schließt sich an die Esterhazy'schen Garten, die wir in Eisenstadt erwähnten, an. Es ist hier der Strich für das, was Ungarn an Garten Allsgezeichnetes besitzt. Die Garten- und Vaumzucht ist in diesen westlichen Gegenden Ungarns sehr bedeutend. Im eigentlichen mittleren Magyarenlande giebt es keine Garten oder nur wenige Spuren. Anders wieder ist es natürlich im Slowakenlande. Das Obst 49.) dieser Gegenden, die wahre Obstmagazine sind, ist meistens unter dem Namm des „Oedcnburger Obstes" bekannt und kommt ssetrocknet in den Handel. Wien versorgt sich größtentheils von hier aus mit diesem Artikel. I» dem Bathyany'schen Garten sah ich eine so prachtvolle Wand von He8^Ic!li. ^x «llama in liv« »ot«, t,rn!i»ll>tt!(l Oom tke <3«?rmllN k> 8ir li»>i>t, H. ^ngtrutker. tt. ^84l>. broch. 1 Thlr. Heller, W.N., Novellen. Erster Band. 6. 1837. broch. 2 Thlr. Inhalt: Vu Crobccung von Jerusalem. --------deren zweiter Band. 8. 1838. iz Thlr. Inhalt: 1) b« Treulose, 2) der Bettler, 3) dll Finkcnsttllc?. --------deren dritter Band. 8. 1840. 2 Thlr. InHall: I) der GuenllalMetling. 2) ble Liebe zweirr Kinder, 3) der Mimlthicrtieibcr von St. Pierre, 4> dle ssa^ritarbeitenn. Heusinger, Dr. I. H. (^., die allgemeine Geschichte. (5in Lehrbuch für Icren, wacher diese Wissenschaft in ihrer Allgemeinheit und in ihren Haupttheilen kennen lernen will, vorzüglich aber für das Vednrftnß der Lebrer und Lehrerinnen eingerichtet. (5rste Abtheilung: «eschichte der Menschheit. Nebst einer ZeMftl. Zweite Abtheilung: beschichte der Völker. Dritte Abtheilung: Geschichte einzelner Begeben-heilen. Vicrtc Abtheilung: Geschichte einzelner Personen. 8. 1835. broch. 2 Thlr. Kohl, I. O., Erwiderung auf I>r. Fr. Krusc'S, kaiftrl. russischen Ctaatsrathö und Professors an der Universität zu Dorpat. Bemerkungen über die Ostsceprovinzcu. 8. 1842. broch. ^ Thlr.