7 ' fr/'/' Hundert Tage auf Reisen in den österreichischen Staaten von I. G. Kohl. Zweiter Theil. Reise von Linz nach Wim. Dresden und Feipzig, >n dei Arnoldischen Buchhandlung. 18^2. Hundert Tage auf Reisen in den österreichischen Staaten, von A G. Kohl. „Gesegnet werde, w«r da lobt, „Gesegill weihe, wcr ba zischt." ..<'2 welter Thell. Reise von Linz nach Wien. Mit einem Uilellupfer. Dresden und Leipzig, tn der Arnold« schen Buchhandlung. 18 4 2. N c i s e von L i u z u ach Wie u, vun I, W. K«!,l. !«Jin-BK/ „Aus den Nafscrn schallt ls Untwoil, „In de» Wlndc» Mnzt es wied«." Mit ciiienl T i tc l l» p fc r. Dresden und Leipziss, > >t dcr ?l r n ol d i sch c n Buchhandlung. 1 8 4 2. ^ff.Mfif'M. O. /ft/m/if .iv. Inhaltsvorzeichniß. Linz. Seite Die Teppichfabrik......... I Ihre Geschichte. — Ihr Ginfluß auf die österreichische Fabrikation.— Meister Dufresne. — Manipulation des Wollendrucks. Das Irrenhaus.......... 9 Wahnsinniger Maler. -» Mörder. — Anwendung der Douche. Die Iesuilenschulc........ 14 Die Iefuitcnhäuser in Oesterreich. — Die 8«cii. — Aeußerungen eines Jesuiten. — Ihre Hoffnungen. — Bettler. Provinzialmuseum........ 25 Wohlthätiger Einfluß. — Antiquitäten. — Unten und oben. Kloster St. Florian........ 30 „Wir bekommen heutc wunderschön." ^ Die regulirten Augustiner Chorherren. — Die Wirksamkeit der Mönche. — Pater Kurz. — Visthum Passau. — Der heilige Florian. — Gemäldegalerie. Vesuch bei österreichischen Vauern. . 46 Der „Meier in der Tann' "— Ahnenbilder der Bauern. — „'s Pinzgcr G'schlag." — Der „Vua" und „'s Dianbel." — Der „Stedingcr." WaS machen denn die schönen 3«"- ze rinnen?............57 Die Kuchcmnadl. — Linzer Torten. — Die schdne Peppi. -^ Die brafen Mädel»,. — „Der Meine." ^- ,,'s isch VI Geit« jachte so kümma." — Josephine Klaar und die Linzer Goldhaubcn. — Die „Flinstln." — Bürgermeister Pi liner. — Ein Mieris auf dem Markte. Bibliothek............ 76 ^v^,/3 ^«ryklnv. — Verbotene Bücher. — Luther's Werke. — Altes Verbot. Die Gemäldegalerie zwischen Linz u,,d Wien............. 80 Die Stirn Germaniens und die Augenbrauen der Donau. — !^el,»lo8» <3ermlmi». — „partlun IVIanzieui'!" — KunstaM'drückc der Donauschisser. — „Lasse hä! lasse hä!" — Rhein und Donau. — Das Bild voi, Mauthausen. — Abschnitte d«r Donaugebicte. — Bilder in niederländischem Style. — Die Biber. — Scenische Verwandlungen. — Historischer Rausch. — Ein Sal-vator Rosa. — Der Strudel. — Der Leser und der Schriftsteller. — Deutsch-Italiener. — Gesprach mit Hühnern. — Graphit. — Literatur der Donau- — Die schönste Abtei des römisch-deutschen Reichs. — Richard Ldwenhcrz und Blondcl. -^ ,,^'»> n'c' p»s I'il!tim!r6 cnn im Mittclaltcr Jemand auftrat, so wußte Jedermann gleich an Farbe und Schnitt der Kleidung, weß Geistes Kind oder doch wcß Standes Gonof, er wäre. Wenn aber in unserer Zeit, die auf der Oberfläche, d. h. so weit die Kleidung geht, Allcs mehr oder weniger ega-listrt hat, obgleich der wahre Unterschied der Personen nach Stand und Würden und Reichthum eigentlich noch in eben der Scharfe fortbesteht, wie sonst, ein Reisender, in einen einfachen braunen Oberrock gehüllt, in die Linzcr Tep-pichfabrik eintritt, was kann ein solcher nicht Alles sein und vorstellen, besonders wenn sein deutscher Dialekt dem Oesterreicher etwas fremdartig klingt. Er kann ein Doctor, ein Professor, ein Geheimrath und angesehener Mlitair in CiviMcidung, eine Grcellenz sein, — vielleicht auch nur, was aber doch auch sehr angenehm wäre, der Reisende für ein großes KaufmannShaus, der bedeutende Einkauft machen will, oder ein vornehmer Varon aus dem hohen Norden, der von weiten Fahrtm zurückkehrt, oder doch wohl ein reicher 2 Englander, der gut, — aber ausgezeichnet gut deutsch gelernt hat, — es kann ja auch der vertriebene Herzog von Vraun« schwelg in jenem Ucbcrrocke stecken, der sein Geld für Nichts und wieder Nichts verschwendet, — ja selbst es kann ein gekröntes Haupt sein, das seine Krone freiwillig für eine Zeit lang niederlegte und wie Harun Alrcschid incognito herumgeht.— „Gewiß/' dachte ich mir, als ich in,die bezeichnete Teppichfabrik im braunen Neiscrocke eintrat und eine Menge höchst dienstfertiger Leute, die mich sehr freundlich und erwartungsvoll ansahen, mir ihre Teppiche producirten, „gewiß erwägen jetzt diese Menschen dergleichen Dinge bei sich." —Ich hielt es für meine Pflicht, sie sofort aus der Verlegenheit zu reißen und ihnen zusagen, daß ich, von Hanse abreisend, weder ein Königreich, noch cin Nabobthum, noch ein Vesitzthum von 10,000 Seelen, noch ein Capital von 250,000 Franken Renten, noch sonst etwas der Art zu< rückgelassen hätte, und daß ich so, wie ich mich ihnen dar« stellte, weiter nichts wäre als ein.simpler neugieriger oder, wenn sie mir dieß zu sagen erlauben wollten, Wißbegier« iger Reisender, der gar nichts einzukaufen beabsichtige, als was man mit den Augen und Ohren beisteckc und mit einem freundlichen Danke bezahle, worauf denn zu meiner Verwunderung diese Leute es ihrerseits für ihre Pflicht hielten, von ihrer gastfreundlichen österreichischen Dienstfertigkeit auch nicht um ein Haar breit abzulassen, vielmehr mir um so mehr ihren Einfluß bei Veschauung ihrer Werke und Producte anzubieten. Alis letzteres war ich um so begieriger, da ich wußte, welche merkwürdige Rolle diese Linzer Fabrik in der Geschichte der ganzen österreichischen 3 Manusaction und Fabrication gespielt, und welche interessante Bedeutsamkeit sie neuerdings wieder erlangt hat. Bis zum Jahre 1783 oder 1784 nämlich war die Linzcr Wollemnanufactur fast vie einzige dieser Art in den österreichischen Staaten. Sie wurde, ich glaube, noch am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, oder wenigstens ganz im Anfange des achtzehnten von einem Linzer Bürger be« gründet und ist somit auch die älteste noch thätige Fabrik in ganz Oesterreich. Dieser Bürger übergab sie später der sogenannten orientalischen Compagnie, welche ein Privilegium aus die Verfertigung von Wollenstoffen aller Art erhielt. Die schlechte Oekonomie, welche in den Angelegenheiten dieser Compagnie waltete, und die prächtigen und unnöthig großen Gebäude, die sie verschwenderisch aufführte, bedrohten ihre Unternehmung mit dem Unter« gange, und um die Sache nicht zum Schaden vieler Ve-thciligtcn in Stockung gerathen zu lassen, übernahm sie die Regierung auf ihre Rechnung, indem sie das den Unterthanen früher ertheilte Privilegium sich selber zuschrieb. In die Perioden von 1740 bis zur völligen Aushebung dieses Privilegiums fällt der größte Glanz des Elablisse-incnts, und es beschäftigte zu Zeiten über 20,000 Arbeiter, selbst Spinner und Weber in Böhmen und allein in Linz nicht weniger alö 2000 Menschen. Der große Geist, von dem fast alles neuere Leben im österreichischen Staatskörper ausging, Joseph, hob auch das Privilegium, von dem diese 20,000 Menschen aus Kosten einiger anderer Millionen profitirten, auf, und seitdem zerstreuten sich jene Arbeiter in alle Theile der Monarchie, Meten Fabriken 1* 4 in Vrünn, Wien und anderen Städten und begründeten die jetzt so bedeutende Wollenmanufactur von Nicdcröster-rcich und Mahren. Seitdem hat die Fabrik von Linz immcr mehr in ihrer Wirksamkeit abgenommen, nnd ihre großen caferneu-artigen Gebäude stehen zlliu Theil leer und scheinen eine andere Bestimmung zu erwarten. Nur in ganz neuerer Zeit haben zwei Zweige der Wollemnanufactur bier wieder neue Wurzelu und Vlüthen getrieben, die Verfertigung bunter Teppiche und die Druckerei wollener Tischdecken. Man hat so vielen (^cschmack in diesen Artikeln entwickelt und weiß die Farben so lebhaft und dauerhaft auf die Wolle aufzutragen, daß diese Linzcr Productc jeht ein ziemlich weit verbreitetes Ncnommä in den Kaufladen uno Salons erlangt haben. Man findet von dieser Fabrik begründete Niederlagen in Leipzig, Prag, Mailand, Wien, Pest il., und sogar nach England und Frankreich hat man bereits Versendungen gemacht, und was ihnen balo noch weitere Verbreitung verschaffen könnte, ist ihre ausierordcntlichc Billigkeit. Denn man kauft hier für fünf bis sechs (dulden so viele höchst prachtvolle und künstliche Vlumcnl'onquets, als man von keinem (Gärtner für das Doppelte an natürlichen und leicht verweltlichen aus dem Karten erhalt. Die Wollendruckcreicn sind überhaupt noch selten in der Welt, und es ist daher um so erfreulicher, daß man es hier bereits zu einer solchen Vollkommenheit in dieser schwierigen Manipulation brachte. Es scheint mir indeß, als wenn mau doch nicht ganz ohne die Einflüsse Frank- 5 rcichs so weit gekommen sck. Wenigstens sind die Dessilla-tenrs der Fabrik zum Theil Franzosen, und man erwartet noch jetzt zn den neuesten Zeichnungen die Ideen anö Pa< ris, welche Stadt in Erfindung wohlgefälliger Farbcnver< schlingnngen und ini Arrangircn geschmackvoller Kränze und Blumensträuße unübertrefflich ist. Auch war der Mann, welcher den ganzen Teppichdruck leitete, französischer Abstammung. Dieser Mann hlesi Dufresne. Er übernahm die Mühe, nüch in seiner Deckendruckerci herumzllführcn, und wurde mir, der ich solche Allstalten noch weit mehr der Menschen als der gedruckten Kranze wegen besuche, in knrzcr Zeit sehr achtbar und werth. Er hinkte und erzählte mir bel Gelegenheit seines krummen Peincs seine Lebenögeschichte. Sein Vater, ein französischer Gmigr«:, habe sich nach Nien geflüchtet und hier des taglichen Prodes halber sich bcmüht, eine kleine Kattundruck-crei zu begründen. Ein österreichischer Graf H'., ein gro-sier Freund der Franzosen, verlieh ihm ein kleines Capital und einen Winkel seines Hauses und sprach zu ihm: „Da nehmt, arbeitet und nperimentirt." Die Sache ging sehr gut, der Vater hoffte auf Wiederherstellung seines irdischen Glücks, und er, der Sohn, den die Mutter, aus Frankreich flüchtend, noch ungcboren mit sich getragen, und der indcsi das Licht ver Welt erblickt hatte, wurde zum Militair-dienstc bestimmt. Allein der Himmel verfügte anders über ihn. Eines Tages stürzte er mit dem Pferde, brach das Vein »nd bequemte sich in der Folge zu des Vaters Drucker^ ^schüft. Dieser starb auch bald darauf, hinterließ seiner 6 Familie weniger, als sie gehofft hatte, und der Sohn mußte nun für die Mutter das kleine Geschäft übernehmen. Er sann auf neue Verbesserungen nnd Erfindungen, und als er eines Tages englische Wollendrücke zu Gesichte bekam, versuchte er, sie nachzuahmen, und ruhte nicht eher, als bis er nicht nur damit zu Stande gekommen, sondern auch die englische Manipulation vereinfacht und das Product übcrtroffm hatte. So bei Farben und Unglück aufgewachsen und mit etwas regem Geiste versehen, sei er nun Das geworden, als was ich ihn vor mir sahe, „kaiserlich königlicher Wollendeckendruckerci-Inspector," zn welchem Amte mit gutem Gehalte man ihn später berufen habe. Die ArbcitSlocale, die ich darauf mit Herrn Du» fresne besah, waren alle sehr zweckmäßig eingerichtet, hell, reinlich und in guter Ordnung. In dem großen Saale, wo die Farbensctzer beschäftigt waren, las ich auf einer hochgestellten Tafel die mit Kreide geschriebenen Worte: „Mit Gott!" — „Sie wundern sich wohl?" sagte Herr Dusresne. „Ja sehen Sie, dieß ist die Hauptsache. Unser Geschäft ist ein sehr schwieriges und mühsames und erfordert nicht nur kluge, überlegsamc, sondern auch sehr amsige, fleißige und gewissenhafte Arbeiter. Wenn ich einem Farbensetzer ein Muster übergebe, so gebe ich ihm zugleich cine kleine Anleitung dabei, wie er die Sache ungefähr zu machen habe. Dieß muß er aufmerksam und willig anhören und annehmen, dann aber auch selbst sinnig überlegen, mit welcher Farbe er am bcßtcn beginnen, mit welcher fortfahren und enden könne, und eifrig, wie cm Maler, dabei sein; denn ich kann ihnen nicht in jedem kleinen 7 Detail der Arbeit zur Seite bleibe» und muß mich viel« fach auf die Gewissenhaftigkeit der Arbeiter verlasse», die mit einem einzigen falschen, unüberlegten Drucke sehr viel verderben können. Sie ihrerseits müssen volles Vertrauen zu mcr haben und in kritischen Fällen sich an mich wenden. Sehen Sie, und dieß Alles läßt sich am beßten erlangen und erhallen, wenn man auf jene zwei Worte, die ich dort angeschrieben habe, fein Acht hat. Man sagt, daß die innere Seele aller Kunst Gottesfurcht und Re» ligion fei. Aber ist es denn nicht mit der Arbeit ebenso, — gewiß ist es so, wenigstens mit unserer Arbeit, die auch eine Art Kunst ist. Ich nehme keinen Arbeiter an, von dessen gutem (Charakter ich nicht überzeugt bin. Denn ich gebe darum noch weit mchr als um alle Geschicklichkeit. Und wenn ich dann einen angenommen habe, so beobachte ich ihn erst, um mich zu überzeugen, ob er auch mit Gottesfurcht nicht sowohl bctct, sondern ob er mit Gottesfurcht vor allen Dingen auch arbeitet. Viele habe ich schon blos ihres gewissenlosen Charakters wegen verabschiedet. Und ich glaube, daß sich bei dieser meiner Politik die Kasse der kaiserlich königlichen Fabrik gut befindet und mich deßwegen beloben wird. Des Morgens fangen wir Alle mit einem kurzen Gebete an, und jene zwei Worte kommen hier nie weg. Auch habe ich noch die Absicht, aus Schiller's Glocke die schönen Worte: „„Wenn gute Reden sie be« gleiten, so stießt die Arbeit munter fort :c.,"" vor unsere Thür auf eine Tafel setzen zu lassen, und ich denke, daß das Geld, das wir für diese Tafel allsgeben, sich gut renüren soll! — So sehen Sie, mein Herr, nun kennen 3 Sie mich ganz," sagte er dan», indem er mir, zutraulich lächelnd, mit der Hand anf die Schulter klopfte und mich, als ich ihm applaudirte, bat, ich möchte ihm meinen Namen znm Andenken in sein Taschenbuch schreiben. Die Manipulation des Wollcndruckö selbst ist eine der zierlichsten, die man seyen kann, und es schien mir, als müßte mehr Freude dabei sein, mit diesen Lenten in einer von so gutem Geiste beseelten Fabrik zusammen an diesen Decken zu arbeiten, als nachher die zierlichen Pro-ducte selber in einer vornehmen Gesellschaft zu vernützen. Die Arbeiter haben jeder einen großen weißen wollenen Teppich vor sich ausgespannt, daneben ihr Muster, die colo-rirte Zeichnung. Sie setzen mit hölzernen Typen die verschiedenen Töne einzeln anf und haben daö Vergnügen, bald einen Erfolg ihrer Mühe in einem ziemlich rasch sich entwickelnden Gebilde zu erblicken. Man hat jetzt bereits 240 verschiedene Deckcnmuster in diese Fabrik eingeführt. Diese Zahl könnte auf dcn ersten Anblick gering erscheinen Allein die Schwierigkeiten der Einführung eineö neuen Dessins sind sehr grosi. Denn für jedes muß man einen besonderen Plan ersinnen und für jedes natürlich ganz „eue Holzschnitte verfertigen. Einige Farben setzt man schroff mben einander, andere aber läßt man sich theilweise decken ulld allmahlig in einander übergehen. Man bringt auf diese Weise daher mit 10 Farben im Farben» topfe oft 20 bis 30 auf der Wolle hervor. Besonders schwierig ist es aber, sogleich zu beurtheilen, wo ein solches Decken, wo ein Ginzclstehcn der Farben zweckmäßig ist, um darnach dann die Holztypen anfertigen zu lassen. 9 Dm wahren Göprit, Leben, Halt zugleich und Weichheit giebt aber den Farben erst der heiße Dampf, dem die Deckengemälde eine Zeit lang ausgesetzt werden müssen, und in welchem erst die Vlumen und Kränze zur täuschendsten Lebensfrische erblühen. Nahe bei der Teppichfabrik in Linz, ebenfalls wie sie an der Uferstraße der Donau, liegt das Irrenhaus dieser Stadt, die, obgleich sie nur 25,000 Einwohner hat, doch schon seit ziemlich langer Zcit mit einer wohlthätigen Anstalt dieser Art' verschon ist. Ich trat mit dein gefälligen Verwalter dieses Hauses zunächst in das Comptoir, daS ebenso eingerichtet war wie daS Gefchaftslocal jedes anderen Etablissements, nur mit dem Unterschiebe, daß da, wo man sonst wohl die Worte „Wein-, oder Kaffee-, oder Taback-Conto" sinvet, hier auf jeder Tabelle, auf jedem Foliobandc mit großen Buchstaben gedruckt zu lesen stand: „Conto der irrm Knaben" — „der wahnsinnigen Mädchen," — „der wahnsinnigen Weiber," — „der Findlinge A." — Wie die Erziehung der Findlinge, so ist auch noch die Behandlung der Lustsicchcn nach einer ziemlich sonderbaren und veralteten Classificirung der der Pflege bedürftigen Menschen in den Kreis der Thätigkeit dieses Hauses gezogen. An rein psychisch Leidenden zählte das Haus jetzt 8l) Patienten. Unter diesen waren mehre, die nmn besonderes Interesse in Anspruch nahmen. Zuerst interessirte mich ein Maler, von Geburt ein Ti- 10 roler, der sich in dem Tiroler ^'reihntskampfe ausgezeichnet und dafür einc kleine Ocldbelohnnng von der Regierung eo halten hatte. Da cr von Jugend anfüllst und Talent zum Zeichne» in sich verspürt und auch schon in Wien sich einigermaßen darin ausgebildet hatte, so verwandte er dieses Geld zu einer Reise nach Italien, um die Meisterschaft zu erringen. In Nom glaubte cr aber plötzlich, den vielen großen lebenden Künstlern nnd alle den herrlichen Werken den noch größeren verstorbenen Meistern gegenüber zu erkennen, daß er kaum mit der größten Anstrengung etwas leisten könne. Die ängstliche und wohl nicht von dem rechten Genie unterstützte Arbeit brachte.seinen Geist in krankhafte Aufregung; — seine Leistungen befriedigten ihn nicht, und die vollkommenen Werke, welche er täglich sah, schienen ihm alle bittere Vorwürfe über seine eigene Unfähigkeit zu enthalten. Er zeichnete nicht übel, und Ware er bei dem Griffel geblieben, so hätte er vielleicht ein ganz brauchbarer architektonischer oder mathematischer Zeichner werden können. Allein er befaß nicht die Klugheit, die Jeder so nöthig hat, sich mit seinem bescheidenen Theil zu begnügen und mit seinen Geisteöfahigkeiten, so viel oder wenig Gott ihm gab, in dein ihm vorgeschriebenen Kreise zu wuchern. In der Anstrengung, ein ausgezeichneter Maler in Oel zu werden nnd auf eine Höhc zu gelangen, die ihm nicht erreichbar war, ging cr zu Grunde. Er« schreckt und voll Verzweiflung entfloh er von Nom und kehrte — verrückt zu den Seinen zurück. Er bildet sich nun ein, daß alle Oelfarben ihm schädlich und voll Gift seien. Der Anblick eines Oelgemäldes verursacht ihm die größte» 11 Qualm, und man muß Alles von ihm entfernen, was ihn an Pinsel und Palette erinnern könnte. — Mit dem Bleistifte und Griffel aber beschäftigte er sich noch gern, und viele Kranke des Hauses hatten ihr eigenes wohlge-troffcnes, von ihm gezeichnetes Portrait über ihrem Vette hängen. Ich fand ihn ganz friedlich mit der Zeichnung einer kleinen hübschen Landschaft beschäftigt, und er uer-sicherte mir freundlich lächelnd, daß er das eigene Unglück habe, daß Oelfarben ein böftö Gift für ihn seien und daß er, lvcnn er sie nur rieche, auf der Stelle sterben müsse. Rom und Rafael und Correggio schien er ganz vergessen zu haben. In der Verrücktheit selbst liegt dock noch eine Art von Glück und Beruhigung, und der Zustand, welcher ihr vorangeht, der K.nnpf zwischen Wahnsinn und Vernunft, muß noch viel schrecklicher sein. Nelclic Mar-terkammcrn mochten für diesen Maler sein Atelier und die Gcmäldegalcriccn in Italien gewesen sein. Jetzt hatte er Rom, Rafael, Correggio, ihre Meisterwerke und seine eigene Unfähigkeit ganz vergessen und gab nun Alles ruhig dem Gifte in den Oelfarbcn Schuld, vor dem man ihn nur zu hüten brauchte, um ihn ruhig zu machen. Das Ver< rücktwerden ist wie eine Fcucrsbrunst, das Verrücktsein ist einem altsgebrannten Gebäude ähnlich. Es ist ein geistiger Tod, der für den vernünftigen Zuschauer vielleicht grau-senerregend ist, wahrend für den Leidenden selbst die Kram« Pfe und Wallungen der vorhergehenden Krantheiten viel schrecklicher waren. Diese Krankheiten gleichen chemischen Processen mit gewaltigen Gährnngen und Aufregungen, bei deren Veendung sich irgend eine kleine sire Idee, die 12 dann freilich oft nicht mehr wegzubringen ist, als Niederschlag zeigt. In einem folgenden Zimmer putzte ein anderer armer Narr einen messingenen Ring. Er versichene uns mit großer Freude, daß er immer blanker werde, und daß bald das Gold erscheinen werde. Der Director des Hauses sagte mir, daß er diesen Ning schon seit vielen Wochen so putze und alle Tage dasselbe versichere. Ein großer Gewinn in der Lotterie hatte sein Unglück begründet. Er vergeudete und verpraßte den größten Theil dieses Gewinnes in kurzer Zeit und kam nicht eher znr Besinnung, als bis ihn: nur noch wenige hundert Gulden kavo» übrig waren. Diese verwandte er dazn, sich fünfzig neue Loose anzuschaffen, und erwartete in großer Schwermut!), daß ihm diese fünfzig doch mindestens eben soviel eintragen würden, als das erste einzige Loos. Sie kamen aber alle mit Nieten heraus, und der Abgrund, der sich nun gähnend vor ihm eröffnete, machte ihn erblasse», und seitdem Putzt er messingene Ringe und überlaßt sich der kindischen Hoffnung, sie alle in Gold zn verwandeln. Wie sehr der angehende Wahnsinn einer Feuersbrunst gleicht, zeigt sich auch in den guten Erfolgen, welche man m den Irrenanstalten bei der Behandlung mit kaltem Wasser liemcrkt hat. Namentlich traut man in allen österreichischen Irrenanstalten der Douche Wunderdinge zu und wendet sie mit besonderer, ohne Zweifel begründeter Vorliebe an. Auch hier in Vmz wurde uns wieder von einer eclatanten Kur, die im Laufe deö Sommers mit Hülse deö kalte» Wassers gelungen war, erzahlt. Es wurde cin Manu, der 13 sich lange Zeit mit tiefer Melancholie, firen Ideen allerlci Art und periodischem complete»» Irrsinn geplagt hatte, innerhalb zehn Wochen durch die Douche vollkommen geheilt nnd als ganz vernünftiger, mit sich und Anderen zufriedener Mensch entlassen. Hinter eisernen Gittern sahen wir hier auch noch mehre arme menschliche Wesen, deren Wahnsinn bereitö dem Leben anderer ihrer Mitbrüder verderblich geworden war. <5s mochten auch solche darunter scin, drreu mörderische Thaten noch Zweifel übrig ließen, ob sie auf dem Schafsotte abzubüßen oder in einem solchen Krankenhause zu cor-rigircn waren. Die Geschichte eines derselben klang besonders furchtbar. Es war diesi ein Vürger von Linz selbst, der vor zehn Jahren mit einer unbesiegbaren Furcht vor Gespenstern und Hercn geplagt gewesen war. Er glaubte, in jedem spukhaften Geräusche und in jeder ans" fallenden Erscheinung einen übernatürlichen (5>nsiuß vermuthen zn muffen, und hielt seme Frau selbst, wenn sie nn-vermuthet zu ihm trat, zuweilen für ein Gespenst. Diese pflegte ihren Mann über diese kindische Furcht aufzuziehen und lächerlich zu »lachen. An einen» stürmischen und unheimlichen Abende, wo alle Thurmfahnen und Fensterladen grausig knarrten, sprach sie wieder zu ihm: „Nun du närrischer Mann, hellte Abend werden gewiß die Heren kommen und Dich holen." — Es wurde darüber Nacht und der Man» immer stiller und ängstlicher. Spät um clf Uhr wachte eins der Kinder auf, und die Mutter, die es nicht beruhigen konnte, rief ihm endlich zu: „Schlaf, Du Hrrenkind, oder ich schlage Dich todt." Dieß unvor- 14 sichtige Wort schien wie ein elektrischer Funke auf den vor sich hin brütenden und in furchtsame Veschauung seiner Hirngespinste verlorenen Menschen einzuwirken und rief ihn, wie das Stichwort den Schauspieler, auf eine Vühne grausenhafter Thaten. Mit einem Veile bewaffnet, sprang er gegen die Wiege seines Kindes heran und rief: „Ja Hwenkind! Ja todtschlagcn! Lauter Hcren sind rund umher, und ich will Euch alle umbringen." Er mordete nun zuerst seine lamentirende Frau und dann seine schreienden Kinder der Ncihe nach, auch eine arme Dienstmagd siel unter seinen Streichen, und darauf ver« rammelte er Thüren und Fenster, um den anderen Hereu, die von außen tommen tonnten, den Weg zu versperren. Nachdem er die ganze Nacht bewaffnet bei den Leichnamen der vermeinten Hcren vor der verrammelten Thüre gewacht, kam endlich der Morgen und beschien diese Gräuelscene. Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, sahen die Nachbarn ihn mit den Leichnamen seiner Kinder, und von ihrem Vlute triefend, über die Strafte gehen. Er rief ihnen zu, er trage Herentinder weg, um sie in's Wasser zu werfen, und wurde dann so ergriffen und als wahnsinniger Wütherig hinter sein jetziges Gitter gebracht, wo wir ihn nun in einem Winkel im Stroh verkrochen vor uns liegen sahen. Wenn eine Irrenanstalt den Zweck hat, Verrückte mög« lichst zur Vernunft zu bringen, so kann man dagegen eiue Jesuiten schule in gewisser Beziehung eine Anstalt nennen, mn Na- 15 türlichflugen künstlich den Kopf zu verdrehen, wenigstens wenn man die Ansichten, welche die Aufgeklärten unserer Zeit von den Iesuitenkünsten hegen, theilt. Anch eine solche Anstalt besitzt ^inz, und zwar ist dieselbe sonderbar genug in einem ^encr berühmten Thürme oder Citadellen, welche die Stadt in einem gewaltigen Kranze umgeben, etablirt. Der Erzherzog Maximilian nämlich, der jene Thürme erfand und bauen ließ, trat den Jesuiten denjenigen, den er Anfangs nur zur Probe und auf seine eigenen Kosten auf dem sogenannten Freiberge baute, zu ihrem Schulgcbaudc ab. Die Marimiliamschen oder Lmzer Thürme sind eigentlich von Haus aus große, cirkclrunde Gebäude mit dicken Mauern, die mehr in die Erde hinein als über die Oberfläche hinaus gewachsen sind. Denn während sie unter dcm Vodcn mchrc Nagen haben, ragen sie über denselben nur wenige Fuß hoch empor und sind dabei mehre Mm boch mit Nasen bedeckt, so daß sie, besonders von der äußeren Seite, wo sich noch der Mantel eines ganz allmählig sich erhebenden Walls zu ihnen heranzieht, beinahe gar nicht bemerkt werden. Die Kugeln der Feinde müssen vielfach schadlos über sie hinweghüpftn, und ihre eigenen Kugeln, welche aus Kanonen kommen, die nur wenige Zolle über den Nasen des DammcS erhobeil und dabei in tiefen Mauerhöhlcn versteckt sind, springen un-Versehens aus dem Grase hervor. Alle Thürme, es sind ihrer, glaube ich, siebenzcbn oder zwanzig', stehen unter einander in einer gewissen planmäßigen Verbindung. Doch auch selbst dann, wenn ihre Kette durchbrochen und der Feind ihnsn im Nucken sein sollte, können sie sich noch 10 jeder einzeln vertheidigen, da sie rückwärts ebenso bequem feuern als seitwärts und vorwärts. Wahrlich! wenn der erlauchte und in die Kriegswissenschaftcn tief eingeweihtc Erfinder nicht bekannt wäre, sollte man meinen, dieses Ver« theidigungssystem sei von den Jesuiten ersonnen. In einer solchen Festung also haben sich die Jesuiten festgesetzt, nachdem sie dieselbe nach ihren Bedürfnissen und ihrem Geschmack umgewandelt. Auf die dicken, bombenfesten Grundmauern haben sie noch zwei Stockwerke aufgesetzt, das Innere der Festung heiter und freundlich ausgebaut, das Aeusiere mit einer gefälligen rochen Farbe übertüncht, alle Thüren mit ihrem Zeichen I. H. 8. versehen, jede Mauernische, wo sonst eine Kanone stand, in ein geräumiges Schlaf- und Wohnzimmer umgewandelt und darin einige ihrer Zöglinge oder einen ihrer Oberen cinlogirt, zu denen elegante, in der Mitte des ganzen Gebäudes herumgehende Wendeltreppen emporführen. Neben dem Thurme wurde ihnen noch ein Gärtchen zu Theil, das sie fleißig bebauen, und cm anderes Plätzchen auf der vorderen Spitze des Frei« bcrges, wo sie ein elegantes Kirchlein in gothischem Style errichteten. Das Hauptmobiliar in dieser kleine» Kirche ist ein prachtvoller Thronsesscl mit Baldachin, die beide der Art von gleißendem Golde strotzen und blinken, das; man wohl kaum glauben sollte, daß sie zum Vetwintcl Dessen be« stimmt sind, der der Gemeinde in demüthiger Andacht zu Gott mit leuchtendem Beispiele vorangehen soll. Und doch war dieß in der That so. ,M ist dieß der Thron des Pontisicanten", sagte mir einer der jesuitischen Laienbrüder, 1? der in der Kirche gegenwärtig war und den ich gefragt hatte, ob mcm mit jenem Throne vielleicht dem etwa die Kirche gelegentlich besuchenden Kaiser oder sonst einer erlauchten Person gastfreundlich dienen wollte. Pfui, dachte ich da bei mir, pfui über die Pontific.inten; arme, reuige, in Sack und Asche Buße thuende Vorl'eter und keine gleißenden und in irdischer Pracht sich spreizenden Ponti« sicanten solltet ihr haben. —> Die Kirche ist außerdem mit mehren neuen Vildern ausgeschmückt, welche Darstellungen aus dem Leben eines neuerdings erst heilig gesprochenen Jesuiten Namens Hieronymus enthalten, einmal, wie er mit dem Abcndmahlsbcchcr in der Hand an das Ufer des Meeres tritt und neapolitanischen Fischern einen gesegneten Fischfang giebt, ein ander Mal, wie cr mit dem Kreuze in der Hand den feuerspeienden Vesuv beschwichtigt. Diese und ahnliche Bilder waren, wie überhaupt die ganze Kirche, nicht durch Seitcnftnstcr, sondern durch Glasscheiben erleuchtet, die sich im Dache befanden und die nach neumodischer Art das Licht von oben fallen ließen. Sicht man dergleichen Dinge bestaubt in einem alten, halb verfallenen Kloster, oder von irgend einem längst vermoderten Pinsel geinalt in einer Gemäldegalerie, so denkt man dabei weiter an nichts Arges. Aber ich kann nicht lengnen, daß diese Vilder so in dieser Beleuchtung, so frisch in einem, ganz neuen Gottestempcl an die Wand gemalt und angeblich Ereignisse unserer Tage darstellend, einen besonders unangenehmen Eindruck auf mich machten. Man kann, glaube ich, eben nicht sagen, daß die Jesuiten reißende Fortschritte in Oesterreich machen. Klagen ii 2 18 hört mail wohl hier und da, das, der Adel sich ihnen z« sehr hingebe; aber das; es so wieder werde wie ehemals, ift fast unmöglich. Alle aufgellarten Leute, imd deren sind in Oesterreich gowiß sehr viele, haben sie entschieden wider sich, und selbst die geringeren Stande machen eifrige Opposition gegen sie und wollen nichts mit ihnen zu thun haben. Indeß haben sie, und dieß ist unzweifelhaft, doch schon wieder einen nicht unbedeutenden Anfang gemacht, ihre feinen, aber starken Netze auszuspannen. In Galizien sind sie am zahlreichsten. In Ungarn giebt es gar keine. In den deutschen Provinzen haben sie drei „Hauser", eins zu Gratz, eins zu Linz und einö zu Inspruck. An dem letzten Orte sind sie bisher mehr als an den anderen zu Macht ,,nd Einfluß gelangt, und noch vor nicht gar langer Zeit wurde ihnen das dortige Gymnasium übergeben, »im es aus ihrer Mitte mit Lehrern zu besetzen, und mehrfache Klagen vernimmt man seitdem von dort, daß mm nicht mehr die Tüchtigkeit der Schüler, sondern der Adel und das Ansehen ihrer Aeltern über ihre Bevorzugung entscheide. Jedes der drei genannten Häuser hat einen Superior, einen Minister (des Superiors Stellvertreter uud Gehülfe), mehre Priester (Weltpricster) und einige Laienbrüder, die den Garten bauen, die Küche und das Haus besorgen und sonst vielseitig dienen. Der Superior deS Winzer Hauses war zur Zeit meines Besuches auf einer „Geschäftsreise" begriffen. Der Minister saß eben in dcr Kirche tm Beichtstühle, wo ich ihn mit verhülltem Angesichte, sein Ohr einem neben ihm kniccnden Bußfertigen darleihend, gesehen hatte. Ich wandte mich daher, um das Innere 19 des Gebäudes zu besehen, an einen der Priester, der auck gefallig genug war, mir seine Dienste anzubieten. Wir durchstoßen die llnterrichtszimmer und die Studicrstuben der jungen Zöglinge des Instituts. Sie wohnen alle zwei und zwei zusammen, in manchen Zimmcru auch drei, nach dem Princip der Jesuiten, daß mau in der Regel nie ein Mitglied des Ordens ohne die Begleitung, Aufsicht und nahe Hülfe eiues zweiten lassen dürfe. Nach diesem Principe erhält auch keiner dcr Ordensbrüder die Erlaubniß zu einem Ausgange iu die Stadt allein, sondern er muß immer einen zweiten Vrnder, seinen Vocius, dabei mitnehmen. 'Auf diese Weise rann kein Jesuit iu einen Streit, oder iu eine Disputation, oder iu irgend eine Anfechtung fallen, ohne seinen helfenden Freund zur Seite zu haben. Sie sind gewissermaßen also überall, wo sie auftretcu, zweiköpfig und vierarmig, und ohne Zweifel ist jene Vorschrift eine dcr politischesten ihrer ganzen Gesetzgebung. Selbst die Laienbrüder dürfen nicht ohne ihren 8ociu3 sein. Es erinnert dieß au jene spartanische Legion, die hauptsachlich auch darum so unüberwindlich war, well sie aus lauter Paaren auf Leben uud Tod vcrbrüderter Freunde bestand. Zwei mit einander verbundene Menschen geben eine viel größere Kraftsmmue als zwei einzelne, un-fähr wie zwei durch eine Kette an einander geschmiedete Kanonenkugeln eine viel schrecklichere Wirkung haben als zwei getrennte. — Es wohnen in dem Linzer Hause jetzt einige dreißig Jesuiten, unter denen neun Priester, neun Laienbrüder uud die Uebrigeu Novizen. Die »leisten von ihnen sind Deutsche. 2* 20 ' „Besonders stark," sagte der mich begleitende Priester, als wir auf die große schöne Plateforme des breiten Thurmes traten, um die herrliche Aussicht zu genießen, „be-sonders stark ist der Zufluß aus Deutschböhmen. Die Mehrzahl unserer Zöglinge ist von dort. Wir haben darüber einige Freude, obgleich sich dieß nicht vergleichen laßt mit dem, was in Belgien geschieht. Dort sind im vorigen Jahre allein nicht weniger als 84 junge und auch einige ältere Manner zu unserem Orten übergetreten. Slaven haben wir gar keine oder nur höchst wenige in unserem Hause. Wir nehmen am liebsten dic Kinder des Landes, dem wir unsere Bemühungen widmen, also Deutsche. In Linz hat indeß bisher unsere Sache noch wenige Fortschritte gemacht, denn wir besitzen hier noch nichts als provisorisch dieß Haus. Das Gymnasium in Linz besetzen noch die Floriancr. Wir sind auch nur ganz provisorisch und »ll interim hier und bilden un« sere Zöglinge nur aä interim (hat dieß interim nicht auch den Schalk hinter ihm? dachte ich dabei) in der Hosfnung, daß ihnen und uns mit der Zeit ein bedeutenderer Wirkungskreis eröffnet werde. Wir beschäftigen uns daher alle nur ur," antworten sie, wenn man sie fragt, was das sei. Im übrigen Deutschland sieht man sie nie; denn noch jetzt, wie ehemals, gelangt viel Italienisches nicht über die Donau hinaus. Mancher Neiftnde wird vielleicht nichts von diesen musicirenden Italicnern in Linz erfahren haben, weil er Mittags und Abends seiuen Appetit eine Treppe hoch in dem Obcrparlamentc des Gasthauses stillte und nie w. herab, überall gut bedacht zu finden. Auch die Älauumnita (!cr. nmlwruin fehlten nicht. Einen nicht geringen Schrecken aber verursachte mir ein historisch-geographisches Werk über Untcröstcrreich in 30 Bänden. Sollte dieses Werk dereinst, wie Mcidinger's Grammatik, die doch noch schlechter ist, auch zwanzig Auflagen erleben, so könnte man gcwisi mit all dem Papiere einen guten Theil von dem nur 300 Quadratmeilen grosie» linteröstcrrcich zudecke». Nahme malt alle Maculatur der Deutschen zusammen, so könnte man damit den ganzen Crdglobus betleben und vielleicht auch noch dazu die Sonne verkleistern. Das Floriancrkloster besitzt alö sein Eigenthum nicht weniger alö 787 Häuser und Höft oder, wie sie sich ausdrücken, 767 „Nummern." Vs ist aber doch nur ein „Drciviertclskloster." Die meisten Klöster sind nur „halbe" oder „Vicrtelörlöster," Kremsmünster aber ist eins von den wenigcu „ganzen Klöstern." Ich habe nicht recht erfahren können, nach welchem Masistabe das Volk, bei dem diese Ausdrücke ganz gang und gebe smd, und das alle Klöster darnach zn classisuiml weiß, dabei verfahrt, und selbst die Geistlichen 45 hatm mir dieß nicht sage» können. Vielleicht »nag cö einc alte Redeweise sein, aus dm Zeiten, wo die Klöster uoch der Kriegssteucr wegen abgeschätzt winden. Florian mußte sonst 50,000 bis 60,000 (dulden Kriegssteuer zahlen, wen» Kremsmünstcr 80,000 Gulden gab. Zu jenen Zeilen der Kriegösteuer zogen die Erzherzoge von Oesterreich oft mit 450 Reisigen lind Pferdeil zu Gastgclagen ,,bei den Florianern" ein. Die jetzigen Kaiser, die auch wohl noch kommen, ziehen oft viel bescheidener daher. Doch ist man bestandig alls ihren Besuch eingerichtet und hat hier, wie auch in allen anderen österreichischen Klöstern, eine ganze Suite sogenannter „Kai" serzimmer." Die Reihe der hohen Gaste, die hier, von Kaiser Arnulph dem Kinde an, bei den Augustiner Herren miö« und einwanderten, ist zahllos. Auch dem hochherzigen Türkenbezwmger, dem Prinzen ssngen, wanden sie Lorbeer». Bei seiner Anwesenheit dahier schlief er in einer prachtigen Bettstelle, an deren vier Füße türkische Gefangene geschmiedet waren (d. h. in esligi«:). Gemälde der Schlachten von Zenta, Mohacs und Belgrad schmückten die Wände, und jede Kerze im Gesellschaftszimmer wurde von einem in Holz geschnitzten Mohren getragen. Und dicsi Alles wurde noch biö hellte zum Andenken so gelassen. Auch der Papst PiuS Vl. wurde hier auf jener merkwürdigen Neise nach Wie» bewirthet und ertheilte von dem Valcon seines Zimmers herab nicht weniger als 30,000 von dieß-- und jenseits der Donau, von ob und unter der E„s zusammengekommenen Menschen seinen Segen. Außer den Kaisern, Prinzen und Päpsten kehren auch 46 gewöhnlich dic reisenden Studenten in diesem Kloster ein, und zur Zeit der Ferien findet man immer einige davon in den ihnen unten angewiesenen Zimmern. In einem der-» selben fand ich ein räthselhaftes Möbel, dessen Bestimmung ich nicht gleich errieth. Mein Begleiter machte mich auf eine Inschrift, die es an der Stirne trug, aufmerksam, und ich fand darin folgende sinnreiche Bezeichnung eines Ofens: ,)H«c >« tmn„I« 1licm5 i. 4 50 nennen daS „Einschichten" oder „einschichtige Hose." Vielleicht mag diese auch m Westphcilen und anderen Gegenden Deutsch» lands übliche Weise hier zunächst, wie die Bevölkerung selbst, aus Vaiern gekommen sein, wo man auch in einigen Donaugegenden von einschichtigen Höfen spricht, die man dann weiterhiD in Vaiern selbst „Einöden" nennt. Die Bauern haben alle einen doppelten Namen, erstlich einen Familiennamen, der auf alle ihre Kinder forterbt, und dann einen Namen als Besitzer des Gehöftes, der bloö auf ihre Nachfolger übergeht. Die letzteren Namen sind ohne Zweifel uralt, ebenso wie die Gehöfte und ihre Gebiete selbst. Solche Namen sind z. V. folgende-„der Lchner im Föhrenbach," „der Meier in» leeren Vusch," „der Zehnter auf'm Gö!nmcring,"„dcr Mcicr in der Tann'," „der Schildhuber," „der Dindelhnber," und der vollständige Name eines solchen Bauern, den sie auf ihren Papieren als Unterschrift setzen, ist dann oft ganz prächtig und lang, z.V. „Johann Plaß, Meier in der Tann'," öder „Joseph Fimberger der Schildhuber." Im gewöhn-lichen Leben aber ist die Bezeichnung nach dem Gehöfte gewöhnlicher als die nach der Familie. Man sagt daher häusiger: „der Schildhuber war heute da," und nicht: „Joseph Fimberger." Die Frauen werden aber gewöhnlich bei ihren Familiennamen genannt, jedoch auch auf eine von unseren Gewohnheiten abweichende Weise. Es wird nämlich alle Mal die weibliche Endung angehängt, z. B. „Maria Fimbergerin," „die Möserin," statt, wie wir sagen würden', „Frau Möser," und so schreiben sie sich auch. 51 Der „Meier in der Tann'," sagten mir alle, „ah der hat a Haus wie ein G'schloß," und in der That sind die meisten dieser großen Valiernhäuser wie Schlösser mit vier Flügeln in einem Carr^ gebaut. Durch eine enge Thür kommen dic Fußgänger in dem einen Flügel in's Wohnhaus, und durch einen großen Thorweg im anderen Flügel fahren die beladenen Wagen in das innere Gehöft ein. Die Stallungen, Wagenschuppen, Kornböden, Heu« schellern u. s. w. sind in den anderen Flügeln vertheilt Das Ganze ist zweistöckig und von stattlichem Ansehen. Das Haus ist außen und auch innen über den Thüre» mit frommen Sprüchen versehen, und ebenso sind auch die Hansgerathschciften bis auf die Teller herab mit Vibelstellen und Versen geschmückt. Vei'm Meier in der Tann' fand ich sogar die Mehlsäcke in erster Person reden, und wo wir weniger poetischen Norddeutschen uns einfach mit einem Stempel oder mit den Worten: „Fritz Meier" begnügt hätten, stand hier auf den Mehlsacken: „Gs wissc hiermit Jedermann: „Ich gchöre allezeit dem Meier in der Tann'." Das große Hauptzimmer des Hauses, das gleich in der Nahe des Vorhauses liegt, nennen sie die „Meiersstube" oder nach österreichischer Aussprache die „Moies-stubn." Sie ist der gewöhnliche Aufenthalt und Sammelplatz aller Hausmitglieder, sowie auch das Speisezimmer; auch sitzen die Weiber im Winter darin zum Spinnen und zu anderen kleinen hauslichen Geschäften vereinigt. Daneben befinden sich gleich die Schlafstuben deS Ehepaars und ihrer Kinder und gegenüber, auf der anderen Seite 4* 52 des Vorplatzes die Schlafstuben der Knechte und Mägde, vo» denen aus eine Thür? in die Küche nnd dann in den Pferdestall führt. Der „Meier in der Tann'" hatte auch noch sein eigenes Arbeitszimmer und Cabinet daneben. Oben im zweiten Stock befinden sich die Gast- und Sonntagszimmer und Vorrathskammern. Manche haben in den Sonntagszinimcrn sich selbst und ihre nächsten Verwandten und Ahnherren portratirt biö zum Großvater und Großonkel hinauf. Vei'm Meier in der Tann' sahen diese Ähnenbilder alle wie Venetiamsche Edelleute aus, denn sie waren, Manner wie Weiber, alle von Kopf bis zu Fuß in rabenschwarzer Kleidung. Man findet auch im« mcr hier eine Reihe von Betten mit magnifiken Federge-birgcn und bunten Decken belegt, für Gäste, die etwa kommen könnte». In diesen Sonntagöstuben liegen denn auch »n Schränken, Kasten und Truhen der Vrautschmuck, die Leinwand - und Mctallschatze und die Feierklcidcr der Frau, — ein schwarzer Spenzer, ein schwarzseidener „Kittel" (so nennen sie selbst das besite Kleid) und eine hübsche, oben auf der Spitze mit einem ans Perlen zusammcnge' setzten Sterne versehene Ohrhaube von Otterfell verborgen, lauter Dinge, die noch jetzt in Form und Stoff vielfach an das Mutterland Vaiern erinner». Dann ist aber auch das „Kastl" (Zimmer) zum Obst, wo man ganze Kasten voll getrockneter Aepfcl, Pflaumen und Virnen findet, alsdann eine eigene „G'schirrkammer," in der die Fülle von Pferdegeschirren, die Ordnung und der einfache Schmuck unter ihnen mehr gefällt als der brillanteste Putz und 53 die peinlichste Alcnratcsse l» einem königlichen Marstalle, weil es eben bei Bauern ist. Zuweilen findet man da auch alte, lange gesparte Sattel, nut rothem Sammet überzogen, die ihrer Form nach so alt scheinen, wie die Reitkunst. In manchen Bauernhöfen giebt es nicht weniger als vierzig solcher Zimmer und Raume. Die berühmteste und am meisten verbreitete Pfcrderace in allen den Landern zwischen München und Wien iui Süden der Donau ist die Piuzgaucr, „'s Pinzgcr G'schlag," sagen die Oesterreicher. Es sind dieß sehr große, stattliche Thiere. Sie kommen als Füllen gewöhnlich hierher, wer» den auf den schönen Wiesen der Donauebeue aufgezogen, als Ackerpferde von de» Bauern eine Zeit lang gebraucht und gehen dann wohl nach Wien. wo man diese Riesen-thiere im Dienste der Schlächter und Pierbrauer das Pflaster treten sieht. Vei'm „Lehner im Föhrcnbach" sah ich elnen zweijährigen Pinzgauer Hengst, den ich gewiß für ein cm-tidiluvianisches Thier gehalten hatte, wenn ich nicht bestimmt überzeugt gewesen wäre, daß die Sündfluth an diesem Tage langst abgebüßt gewesen. Auch daö Hornvieh der Donauebencn bekommt von den Gebirgen her, wo oft Viehzucht die einzig mögliche Beschäftigung ist, einen bestandigen Zuwachs. Alls dem Pinz-gau, Pongau und von den steierischen Alpen her wandert immer nach der Donau hin das Vieh hinab, um hier die Lücken zu füllen, welche der Tod und der Schlächter in den Stallungen machten und welche die geringere Vieh-Production der Ebene nicht völlig wieder ausfüllt. Die merkwürdigsten Stallungcn sind aber bei diesen 54 österreichischen Bauern ihre Schweineställe, besonders für Jemanden, der aus einem Lande kommt, n>o „Swinekowen" gebräuchlich sind, ich meine, für einen Norddeutschen. Es sind diese österreichischen Schweinestalle hohe, große Räume, in denen sich lange Reihen von kleinen, allseitig geschlossenen, nur oben offenen Kasten befinden. Jeder dieser Kasten ist die Wohnung eines Schnicines. Gewöhnlich sind diese Kastell aus dicken Balken zusammengezimmert, bei den reicheren Bauern aber bestehen sie aus soliden, plattbehaucnen Quadersteinen. Die Fütterung wird jedem Schweine besonders in seinem Kasten gegeben. Auf diese Weise haben die Schweine beständig frische Luft, und doch sind sie eng genug eingeschlossen, um sich dem Fettwerdcn mit gehöriger Muße und Bequemlichkeit überlassen zu können. Dabei schützt sie das Isolirungssystem eins vor dem anderen, und in dem steinernen Kasten laßt sich auch bei diesem schnulzigen Thiere die größte Reinlichkeit erzielen. Ich glaube, eS sind dieß die vollkommensten Schwcineställe, die man in Europa findet, und denke, daß selbst Circe für Ulyß und seine Gefährten kcine besseren hatte. Auch die „Mostpresse" muß man in einem österreichischen Vaucrnhculse bewundern. Obgleich sie nur Cider be-» reiten (denn in Oberösterreich giebt eS noch keinen Weinbau), so machen sie doch großes Wesen davon und gewinne» sowohl von Virnen als von Aepfcln den berauschenden Saft. Die Früchte werden zuvor unter einem großen Steine, der von einem Pferde in Bewegung gesetzt wird, zerdrückt und dann auf Pressen völlig ausgequetscht. In großen Wirthschaften sieht man oft zehn bis zwölf solcher Pressen. 55 So wenig unS da? sauere Getränk so vieler Umstände werth scheint, so ist e6 hier doch ein unal'weiöliches Bedürfniß geworden, und die „Zehntner im Gönnmring" und die „McierS im leeren Busch" würden morgen am Tage ihre Knechte verlieren, wenn sie ihnen nicht die gewohnte Portion „Aepfclwcin" mehr zutheilen wollten. Weiter oben nach der Donau hinauf, im Lande der vertrinkenden Vaiern, hört dann auch der Cider' auf. Weiter unten hinab kom-inen aber die saueren österreichischen, dann die süßen ungarischen Weine. Der „Meier »n der Tann'" hat nicht weniger als vierzig Leute, seine Kinder eingerechnet, in seinem Hause. Er erzählte mir viel vom Kaiser Franz und vom Erzherzog Marimilian, die wiederholt bel ihm eingekehrt waren. Die Frau und die Kinder machten Nudeln für den mor« genden Festtag. Es waltete dabei Zucht und Ordnung, und hinter dem Christusbilde an der Wand sah ich das« jenige Erzichungshülfsmittel stecken, welches wir gewöhnlich hinter dasjenige Hausmöbel verbergen, das uns taglich und stündlich die meisten angenehmsten und unangenehmsten Wahrheiten sagt. Als der „Meier in der Tann'" mich über seinen Hof zum Thore hinaus begleitete, fragte ich ihn: „Diese fetten „Händl" da verkaufen Sie wohl in die Stadt?" „Na," antwortete er, „warum soll ich sie zur Stadt verkauft?'— Ich kann sie ja selber esse. 's isch besser aso!"— Später erst lernte ich, daß dieß cine stehende Redensart der reichen österreichische» Bauern bei manchen Gelegenheiten sei. „I 56 kann's ja selber brauche, 's csch besser äso!" sagen sie von vielen Dingen. Der „Vua" und „'s Diandel" begleiteten uns; der Vua hieß Seppi und 's Diandcl Barbara, zwei frische, freundliche Kinder. Als wir unter den großen Bäumen, die das Gehöfte umgaben, (wie denn gewöhnlich jedes dieser Gehöfte von solchen alten Bäumen umgeben ist) ankamen, wünschten sie mir freundlich ein „Behüt' Ihne Gott! behüt' Ihne Gott!" — und ich sagte ihnen auf ihre Weise mein „Gelt's Gott, Kinder! Gelt'ö Gott!" und trat die Rückreise nach Ebelsberg an, durch alle die gesegneten Fluren, auf welche die rauhen und armen Hochgebirge beständig so neidische Blicke werfen. Der reichste Bauer in ganz Oberösterreich ist der Stcdinger. Auch ihn hatte ich spater Gelegenheit zu besuchen, doch glich sich auf diesen Gehöften, im Ganzen genommen, Alles wie ein Ei dem anderen. Von persönlichen Leistungen der Vaucrn an die Grund-Herrschaft, von Frohnden oder, wie die Oesterrcicher sagen, „Roboten" ist in den Landern ob und unter der Ens wenig mehr die Rede. Es sind in der Regel Gcldabgabm an ihre Stelle getreten. Aber der Zehnte, den die Grund» Herrschaften überall erheben, die virlm Einquartirungs-lasten, die Militairconscrivtion, welcher der Adel nicht unterworfen ist, und viele kaiserliche und herrschaftliche Steuern drücken den Bauernstand vorzugsweise. Da das Land im Ganzen aber fruchtbar ist, die Leute fleißig und mas?ig leben und dabei die gerichtliche Praris der llngünstigfeit der bestehenden Steuergesetze zum Trotze den Unterthanen so günstig 5,7 sich zeigt, das; selbst Kaiser Frau; sich zuweilen lnklagte, er könne in seinen Processen gegen sc,me eigenen Bauern nicht Recht erhalten, so ist bei dem Allen der Ackerbau in so gutem Stande, wie wir ihn oben schilderten. — Ein merkwürdiges Gesetz bei ihnen ist noch das, daß nicht ans den ältesten, sondern auf de» jüngsten Sohn das Bauerngut übergeht. Man nimmt an, daß die alteren Brüder bci'm Tode der Aeltern sich schon anderweitig haben versorgen können, wahrend der jüngste dann oft besonders einer Erbschaft bedarf. Bei uns ist wohl die richtigere Idee herrschend, daß in der Regel der älteste Sohn auch der tüchtigste zmd natürlichste Vormund für die anderen sei und also besonders in Stand gesetzt werden müsse, um auf wirksame Weise an die Stelle der Aeltcrn treten zu können. Was machen dcnn die schönen Linzcrinnen? DaZ Donaudampfschiff war angekommen, und ein guter Bekannter, mit dem ich in Linz zusammentreffen wollte, stieg aus. „Aha, guten Morgen, mein Lieber!" sagte er zu mir, „nun, was machen denn die schönen Linzerinncn?" — Wie ein schwerer Vorwurf siel mir diese Frage, die vielleicht auch schon manchem meiner Leser uns den Lippen geschwebt hat, auf'S Herz. Denn in der That ich war schon zwei Tage in Linz und hatte noch gar nicht ernst« lich an jene so gepriesenen Celebritatcn dieser Stadt gedacht. „Aber, mein Gott. wie ist das möglich?" wird hier viel-« leicht mancher geneigte Leser denken. „Begegnen Einem denn nicht die schönen Linzcrinnen auf allen Straßen? Cieht 53 man denn diese herrlichen schlanken Mädchen nicht in allen Kuchen? Pr^scntirm sich denn ihre reizenden Gesichter nicht in hundert Eremplare» auf den Märkten, in den Theatern, in den Kirchen?" — Nein, daö ist eS eben, daß dieß Alles nicht so der Fall ist. Ich war auf dem Markte gewesen, hatte daselbst viele Vauermadchen ganz arglos angesehen, ohne mich auch nur in eine einzige zu verlieben. Ich war in der Kirche gewesen, wo ich blos alte Weiber fand. Auch war ich im Theater gewesen nnd hatte daselbst mehre kleine krüppelige und zwcrg-ige Personen gesehen, freilich auch viele gerade gewachsene, und so machte es sich denn ganz natürlich, daß ich die Schönen von Linz über die Irren, die Teppiche, die Bauern und Mönche so ganz und gar vergessen konnte. „Aber vorhanden sind sie doch nichtsdestoweniger, davon bin ich überzeugt," sagte »nein Freund. „Dcnn ich habe noch keinen weit in der Welt verbreiteten Ruhm gefunden, der ganz aus der Luft gegriffen gewesen wäre. Alles Schöne will aufgesucht sein." Und um uns die aufgeworfene Frage: „was machen denn die schönen Lmzerinnen'?" be< antworten zu können, nahmen wir unseren Stock und Hut und spazierten aus unserem zweiten S:ocke die Treppe hinab. Dieß führte uns zunächst in die Küche, welche in den österreichischen Wirthshäusern fast durchgangig eine Treppe hoch ist. Wir fanden darin vier bis sechs junge Madchen und einc etwas ältere, die eigentliche Köchin und Lehrerin der übrigen. Diese ältere war die hübscheste von allen, und ich bat sie nicht wenig um Verzeihung, daß ich ihre leb" 59 haften Linzer Augen und ihren beständig schalkisch lächelnden Winzer Mund bisher so geringer Aufmerksamkeit gewürdigt hatte. Sie buken eben „backen' Hänel" und „Linzer Torten," und wir nahmen diese Gelegenheit wahr, sie um das Recept dieser berühmten Torte zu befragen. „Na, gcng's her," sagte die Hauptköchin, „mhmen's Vüchel und schreiben's aufi, waö i soag': Zum Lmzer Torten nchmt's a Butter, gflaumig abgerieben, und schüttet's in die heiße Kuchcnform. Zum Kuchenteig selbst nehmt's a Zucker, a wenk (wenig) fein gestoßen, Mehl und Eier. Mit einem Theelöffel legt's davon in die Butter, a Füllung von Ol'stsaft oder sonst etwas Einkochtes darüber. Das Ganze zugedeckt mit Teigkugeln, die es in der Hand dreht, — im Fcucr gebacken, — noch. Mal Zucker darauf gestreut, und fertig ist die Lmzer Torten, daß es einbeißen könnt." Necht hübsch, ganz allerliebst klang in ihrem Munde dieses Linzcristhe Deutsch. Wir dankten ihr, und wenn sie auch nicht hübsch genug war, um schön genannt zu werden, so gab sie uns doch schon eine kleine Idee und Vorahnung davon, was die Linzer-innen zu scin vermögen, wenn die guten in ihnen liegenden Anlagen sich zu einer höheren Blüthe entfalteten. Wir stiegen auch die zweite Treppe des Hauses hinab und kamen vor die Thüre, vor welcher mehre Stcllwagen aufgefahren warcn. Der eine meldete auf seinem Schilde, daß er nach Steycr führe, der andere, daß er um vier Uhr nach Wels abgehe. „Halt! was sitzt da in dem Stey'rer Wagen?" rief mein scharfsichtiger Freund, „wahr« lich eine schöne Linzenn! — Wie heißt Du, mein gutes A) Kind!" — „Peppi, Herr!" — Die schönen Linzerinnen heißen wunderbarer Weise in der Regel „Peppi;" jedoch auch „Nannerl" zuweilen, auch andere mitunter „Nesi" (Therese). Die Pferde waren noch nicht vorgespannt. Aber Peppi'saß doch schon seit einer guten Viertelstunde auf ihrem Platze, mn desselben gewiß zu sein. Denn die schönen Linzermnen finden nicht überall so artige Männer, wie meinen Begleiter, der ihr gewiß alle Platze der Welt, sogar den ihm theuersten, an seinem Vusen, angeboten hätte. Iil der That, sie gefiel ihm sehr und mir auch und war ohne Zweifel eine von den Hauptstützen des großen Namens ihrer Landsmannschaft im Auslande. Da der Wagen sich, wie gesagt, nicht von der Stelle bewegte, so saß sie unter seinem auf den Seiten offenen Dache wie ein schönes Vild da. Sie stützte ihren Arm auf die harte Holzlehnc des Wagensitzcs und blickte halb verlegen, halb schaltisch lächelnd zur Seite. Wahrlich gerade auf solche schöne fcucrige Augen, gerade auf einen solchen mit sanfter Nöthe erblühenden Teint, auf solche edle Conturen des zierlichen Gesichtes und auf keinen anderen als gerade auf einen so schlanken eleganten Wuchs, wie er uns durch das offene Gestell des Wagenstuhlcs sichtbar wurde, mußten die Fundamente des Ruhmes der Linzer Schönheit gebaut sein. Wir wünschten Peppi nach einigen artigen Complimcntcn, die ihr mcin Begleiter machte, eine glückliche Neisc, und sie gab uns ein freundliches „Gelt's Gott." „Peppi" hatte ein eng anschließendes Mieder von dunkler Farbe an, und um ihr schlicht gescheiteltes Haar trug 61 sie eln schwarzes „Tuchl" geknotet, dessen lange ssnden zur Seite in die Luft flatterten. Und so auf diese Weise Haben's fast alle Peppi'S und Rcsi'ö in Linz. Wir fanden, daß sie dies; Alles, besonders das flatternde Tuch mn den Kopf so lmbsch kleidet, daß wir beinah sämmtlichen Schönen der Welt diese Coiffure anempfehlen möchten. „O, Linzcrinnen, wachet und bewahret die Tracht; denn nach den Zeiten, da Linz Freude und Jugend euch bot, kommen verführerische." Im Ganzen freilich bin ich der Meinung, die Linzerinncn sind „brafc Mädeln." Wenigstens sagten mir die Leute immer, wenn ich mich wohl nach der einen oder der anderen erkundigte: „O 's isch a brafcö Mädel!" — Aber dennoch die große üppige Hauptstadt Wien hat schon mancher das Köpfchen und das Herzchen dazu verdreht. Freilich haben sie auch in Linz ihre Verehrer, und es ist keine unter ihnen, die nicht ihren Liebhaber besäße, und die nicht irgend einen jungen Menschen „den Ihrigen" heisicn könnte. „Der Meine" nennen sie ihn, wenn sie Anvercn davon er» zählen. Das Verhältniß mit „dem Meinen" ist aber in der Regel ein ganz unschuldiges. Die schöne Linzerin hat ihn am Gängelbande, »vie ein Hündchen. Der Meine muß ,,der Seinen" in allen Stücken zu Willen sein, sie verehren und nach ihr schmachten. Er muß bei'm Brunnen ihre Thränen trocknen, die sie über harte Acllern oder Herrschaften weint, dann sie vor allen Dingen Sonntags auf den Tanzboden führen und sie bei diesem Vergnügen frei halten. — So ein „Meiner" bleibt der Seinen oft sechs und mehr Jahre lang treu, und die Seine bleibt 62 dabei immer „an brafes Mädel," bis es dem Ihrigen eines Tages möglich wird, ihr statt des schwarzen Kopftüchel die goldene Haube der Winzer Bürgerinnen anzubieten. Aber, wie gesagt, die Kaiserstadt Wien ist nahe und macht den schönen Peppi's und Resi's von Linz oft noch viel angenehmere Anerbieten, als „die Meinen" es vermögen. In Lmz spielt nur Herr Paurrl auf einer schlechten Vio« line zum Tanz auf. In Wien aber kann Jedermann nach der weltberühmten Violine des Herrn Strauß tanzen. In Linz geht man allenfalls mit einem Blumensträuße in der Hand auf dem Freinberge spazieren. In Wlen — aber wer wollte wohl lange bei dem Vergleiche von Wien und Linz verweilen, zweien Dingen, die sich verhalten wie die große Sonne zu einem kleinen Planeten. Genug, wenn eine junge schöne Linzenn einen Antrag von Wien aus erhalt, als „Stubcnmadl," oder als „Kaffcehausdame," oder als „Ladcnmamsell," oder „Putznähterin" — (und da die Wiener sehr gut den lieblichen Ruf der Linzerinnen ken-nen, und sie besonders bei ihnen beliebt sind, so werden ihnen solche Antrage häufiger als ihren anderen Provinz« schwcstcrn gemacht), — dann greift sie sogleich mit beiden Handen zu, verschenkt ihr schwarzscidenes Kopftuch'! an ihre jüngere Schwester, packt, was sie sonst von ihren Sachelchen der Mühe werth halt, ein, sagt dem „Meinen^ ein „Behüt di Gott," tröstet ihn damit, daß sie bald wiederkommen werde, und kutschirt mit dem nächsten Stesswagen über Ens, MölkundSt. Polten nach Wien ab oder „abe," wie sie hier sagen. — Ich bin freilich weit davon entfernt, zu glauben, daß diese Fahrt nach Wien für alle jungen «3 kmzerinnen eine directe Fahrt zur Hölle sei. Ab?r eine solche Himmelfahrt, wofür sie die meisten halten, ist sie auch nicht. Was aus den „brafen Linzer Mad'ln" in Wien wird, ist nicht leicht zu sagen. Denn gewöhnlich vergessen sie Linz, und Linz vergißt sie. Sie altern dort als Jungfern, sie sterben zum Theil dort in der Blüthe ihrer Jahre, einige kommen auch unter die sittsame Haubc, viele aber erliegen unter den Verführungen der Residenz. — Ich war am Tage vorher schon einer auffallend prachtig gekleideten, großen, schönen und schlanken Dame begegnet und hatte sie für irgend eine vornehme Fremde gehalten. Als ich nun heute mit meinem Freunde von der Hausthüre unseres Wirthshauses und von dem Stell« wagen mit der hübsche» Pcpfti aus meinen Weg fortsetzte, begegnete mir dieselbe Dame wieder. Ein weiteö, faltiges Seidcngcwand von einer besonders in's Auge scheinenden Vronccfarbc umwallte ihre schlanken Glieder. Ein ganz kleiner, mit künstlichen Blumen besetzter Hut saß ihr im Nacken, wte es jetzt bei den Damen Mode ist, und eine lange, dichte Traube von Locken fiel auf die etwas gebleichten Wangen hinab. Ein großer Wiener Shawl umsing sie da mit prunkendem Faltenwurfe, wo bei den Linzerinnm sonst nur der bescheidene Zipfel eines kleinen, meist braunen Tüch'ls flagget. Dieß war Alles schr vornehm, nur ihr Gang war es nicht, und sie trug die Last ihres ganzen Schmuckes mit einer gewissen unverkennbaren Schwerfälligkeit. Gestern war sie allein, heute ging ein kleines Linzer Madchen mit schwarzem Kopftüch'l neben ihr her, und einige der vorübergehenden Linzcr Bürger 64 grüßten sie. Ich vermuthete nun es möchte cine von jenen schönen Linzcrinnen sein, welche über St. Polten nach Wien reisen und dann wohl einmal von dort ihre Vaterstadt Linz wieder besuchen, um sich den Ihrigen in ihrer ganzen Pracht zu zeigen. Einer der Bürger, welche sie grüßten, sagte mir, es sei so, wie ich vermuthet, dieses Mädchen heiße jetzt bei der französischen Modistin in Wien, bei der sie in Diensten sei, Josephine. Hier bei ihren Acltern in Linz habe sie „Scfsi" oder „Sefferl" geheißen, — was freilich, dachte ich für mich dabei, eine so häßliche Verwandlung des Namens Josephine ist, daß man sie, auch ohne Modistin zu sein, verabscheuen kann. Der Bürger, den wir gefragt hatten, und der bemerkte, wie wir dieß in einen stolzen Pfau verwandelte Taubchen mit einiger Verwunderung an uns vorübcrrauschcn sahen, sagte dann noch kopfschüttelnd: „Ja, ja, 's isch halt sehr jachte (jäh, schnell) so kümma!" Die Linzer selbst, wenn sie von ihren hübschen Töchter, Cousinen und Schwestern sprechen, nennen sie natür» lich nicht „die schönen Linzermnen," sondern sie sagen von ihnen: „die unsrigeu Mädel." — Wenn so „ane unsrigcs Mädel" nun heirathet, dann wird es „ane unsrige Frau," und statt des schwarzen Kopftüch'ls setzt eS dann „a Gold-haub'n" auf. Diese Goldhauben sind eine so allgemeine Tracht der schönen Linzerinnen, daß mein Freund und ich, als wir dabei waren, das schon oft genannte Capitel der Ethnographie zu studiren, es für unsere Pflicht hielten, auch diese Hauben mit in den Kreis unserer Forsch» lmgen zu ziehen und bei der Josephine Klaar auf einen Augenblick einzusprechen, die, auf einem großen Schilde an einer Straßenecke ankündigte, daß sie «in ein sehr Billiges die schönen Linzerinnen unter jede von ihnen beliebte Haube brächte. Josephine Klaar mochte sich vielleicht rühmen, vor Jahren auch einmal zu dem Orden der „unsrigm Mädel" gehört zu haben. Jetzt aber war sie Wittwe, die auf die besagte Weise ihr tägliches Vrod erwarb. Wir traten in ihr kleines, enges, aber freundliches Stäbchen und wünschten ihr einen guten Morgen. „Ergiebigster Diener, meine Herren," sagte sie, ohne diese wunderliche Redensart mit derjenigen zu vertauschen, mit welcher sie uns eigentlich begrüßen wollte, und mit der sie uns weniger ihre Ergiebigkeit als ihre Ergebenheit zu erkennen geben wollte, und dann belchrte sie uns über einen Gewcrbszwcig, der nicht blos in Linz, sondern auch überhaupt in ganz Oesterreich, bis nach Wien hin — und auch noch m einen: Theile von Vaiern blüht; denn in allen diesen Gegenden Deutschlands tragen die Frauen solche goldene Hauben von ähnlicher Arbeit, wie die Linzerinnen, wenn auch von verschiedener Form. „Schon recht! schon recht! meine Herren," sagte Frau Klaar zu uns. „Ader, mit Erlaubniß, der Gewerlszweig blüht? Nein, das nicht mehr. Ja, er blühte. Aber jetzt ist beinahe die goldene Zeit der goldenen Hauben vorbei, und Sie sind gekommen, um nur die traurigen noch bestchcnden Neste einer untergegangenen Pracht kennen zu lcrncn. Ja, sonst trug jede Frau hier in Linz und in der Umgegend eine goldene Haube, die einen durchaus nnabwciölichcn 66 Theil ihres Vrautschmuckes ausmachte. Ja, in früh« ereil Zeiten, hat man mir wohl gesagt, daß unsere goldenen Hauben selbst von Edelfrauen und auch von deutschen Prinzessinnen getragen wurden. Und ich glaube gewiß, daß so eine Haube einer Prinzessin vollkommen gut genug sein könnte. Denn schaut's der Herr mich mal on, hat meine Haub'n nicht etwas ganz Förmliches? (sie wollte sagen, etwas ganz Stattliches in ihrer Form). Jetzt sind unsere schönen Haub'n aber ganz in die Verachtung gerathen, und sie kommen noch immer mehr ab, weil der Mittelschlag der Menschen immer größer wird, und die, welche ordentlich sind und sich etwas absparen, immer seltener. Sie wollen jetzt alle das Villige, und da tragen sie nur eine Melange von Spitzen, falschen Vlumcn und sonstigem Geschlamperwerk auf dem Kopfe, das sie alle vier Wochen ein Mal umändern muffen, und das ihnen das Leben doch theuerer macht, als wenn sie sich von oben bis unten in Gold kleideten. Nur wenige honette Vür» gcrsfrauen giebt es noch, die noch wissen, was 'ne solide Haub'n ist, und sich nicht scheuen, 70 bis 80 Gulden für etwas anzulegen, was sie bci'm Tode noch auf die Kinder vererben können." Das goldene Gewebe und aucl> die goldene Stickerei darauf für die Linzcr, Enser, Steirer und andere Hauben wird in der großen österreichischen Fabrikstadt Wien g^ macht, und der rohe Stoff dann an die Modistinnen der Provinzen geschickt, welche ihm diejenige Form geben, die bei ihnen gerade beliebt ist. In Linz ist dieß jetzt folgende: eine runde Haube, daran binlen zwei lange, steif 67 ln die Luft hinauf geschweifte Schwalbenschwänze und oben, wo der Schwanz ansitzt, ein goldener Kopf oder Knopf, „das Vnnderl" genannt. Ich fand, — behielt diese Bemerkung aber ganz still für mich, — daß die Linzerin sehr hübsch sein müsse, wenn sie unter dem barocken Gold" kopfputz nicht häßlich erscheinen solle. In Wien, wie gesagt, sind die großen Ooldfabrikan-ten — die „großen Goldherrcn" nannte sie Frau Klaar — die den Provinzarbeitcm den Stoff schicken. Sie schicken ihnen zugleich dabei auch noch große Partieen der zierlichen kleinen Goldflittern oder „Flinseln," wie die Ocstcrreicher sagen, mit denen die schönen, prächtigen Vlumcn auf dem Gewebe gestickt sind, und die sie brauchen, um das, was bei der Verfertigung der Mütze, am Muster etwa beschädigt würdc, wieder auözubcssem oder abzuändern. Diese „Flinseln" haben, obgleich sie nur so groß wie Linsen oder Nadclküöpfe sind, die manchfaltigste Form und danach auch verschiedene Namen, die, so viel ich weiß, noch kein deutscher Ethno»> oder Lexikograph bekannt ge-machl hat. Die einen heißen „Schüssclflinseln," — die anderen „KrauMnscln," — dann „Französel" (weil sie vielleicht aus Frankreich, wo es ähnliche Manufacturzweige giebt, kamen),— dann ,Mmdel" (weil sie wie ein Türkenbund, Turban, gestaltet sind), — „ Pollionen " (auch wohl ein französisches Wort), — „Virnperlen," — „Wcmgcnpcrlen," — „Hüterleperlen" u. s. w. — Eie sind eigentlich nicht von Oold, sondern von übergoldetem 5* 68 Silber. — „So eckschplicirt mir eS wenigstens der Gold-Herr," sagte Fran Klaar. Die Mode wechselt anch in den Mustern und For-men dieser Goldhauben, — jetzt wenigstens, wo sich die «eucre Industrie und Speculation auch dieses, wenn gleich verfallenen Gewerbszweiges bemächtigt hat und den wenigen, noch am Alten hängenden Frauen anch selbst ihre altfrank« ischen Kleidungsstücke auf's Geschmackvollste und Reizendste darzubieten sich bemüht. Die Klaar hatte eine Menge alter Hauben, die ihr zum Einschmelzen verkauft worden waren. So wechseln dann selbst auch die Beständigen mit der Mode in unseren Zeiten, wo Alles wankt und schwankt. Mein Freund und ich dankten der Klaar für die Klarheit ihrer Erklärungen und begaben uns weiter auf unserer Jagd auf dic schönen Linzerinnen, einer Jagd, bei welcher der Jäger häufiger vom Pfeile verwundet zu wer" den pflegt als das Wild. Und kaun» hatten ivir wieder einige Schritte auf dem Markte gemacht, so fühlte sich mein Iagdgenoffe schon wieber von einen: solchen Pfeile getroffen. „Welche hübsche Linzcrm!" sprach er und führte mich zu einem Frauenzimmer, die vor einem Hause am Markte das Pflaster fegte. Ich betrachtete mir dieß Pflaster naher, und als ich darin mit eisernen Stiften, die zwischen die Steine eingeschlagen waren, die Jahreszahl 1693 dargestellt fand. welche noch dazu von einem großen eisernen Ringe umgeben war, vermuthete ich sogleich etwas Besonderes und redete unsere Linzcr Bürgerin darüber fragend an. ,M ist dieß das Maß der großen Glocke, die im Iabre 1693 der Bürgermeister Pruncr für 69 die Hauptkirche der Stadt hat gießen lassen. Der eiserne Ring giebt den Umfang der Glocke an, und der Bürgermeister P runer hat ihn znm Andenken auf ewige Zeiten vor diesem Hallst einsenken lassen. Sonst war dieß sein Hans, jetzt wohnen aber mein Mann und ich darin, und wenn's dcn Herren gefällig ist, es anzuschauen, so be-lieben's hereinzuspaziercn!" Was konnte uns gelegener kommen als diese freundliche Ginladung einer schönen Vinzerin? Denn wir hatten ja dieses anmuthige Geschlecht bei der Pcppi in der Küche und auf dem Stellwagm in seiner schönsten Iugendblüthe und beider Josephine in seinem bürgerlichen Verfalle erblickt; was blieb uns nun zunächst noch übrig, als es in seiner bürgerlichen Ncife und Häuslichkeit zu betrachten? Vei der Klaar hatten wir schon gesehen, wie man die golde-nen Hauben verfertigt. Wir mußten nun scheu, wie die Linzcrinnen sie tragen. Dank sei dem Bürgermeister Johann Adolph Prun er, der uns dazu verhalf! , Dieser Mann war einer von jenen Charakteren, die jetzt immer seltener werden. Nr war ein eiserner Geschäftsmann. Dadurch wurde er reich. Uebrigens lebte er wie ein Sonderling, blos im engsten Kreise seiner Geschäfts» freunde, und machte keinerlei Aufwand. Dadurch wurde er noch reicher, und endlich Bürgermeister von Linz, und als solcher verheirathcte er stch mit einer schönen Linzerin. Eeine Handelsverbindungen gingen außerordentlich weit, m,d er hatte selbst in Trieft ein Comptoir. Da er aber i" Linz geblieben war und von da aus arbeitsam an den 5'äden gesponnen hatte, die sein Haus mit der ganzen Han« 70 delsrvelt in Verbindung brachten, so kannte er seine Triester Leute nicht weiter als aus der lange mit ihnen geführten Correspondent Gr nnhm sich jedoch einmal vor, sie persönlich kennen zu lernen, reis'te nach Triest, kam als unbekannter Fremdling auf sein dortiges Comptoir und forderte die Gincassirung einiger auf dieß sein eigenes Comptoir trassirten Wechsel. Da er sah, wie prompt diese Eincassirung erecutirt wurde, und wie ordentlich überhaupt alle Manipulationen von seinen Mannern ausgeführt wurden, so gab er sich zu erkennen und veranstaltete dann ein Vanquett, wie es ihm hier am Platze zu sein schien und von dem in Trieft dazumal noch lange geredet wurde. — In Linz hatte er an der Donau ein kleines Gärtchen und Lusthäuschen. Darin pflegte er gewöhn» lich nach der Arbeit und an Festtagen zu sitzen und auszuruhen. Eines Tages saß er auch wieder in diesem Gärtchen, aber sehr sorgenvoll und traurig. „Die Zeitungen," erzählte unsere Linzerin, „hatten viel Unglück gemeldet." — Sie meinte wohl, daß die schöne große löschpapicrene Linzer Zeitung schon seit Olims Zeiten gedruckt sein müßte, und bedachte nicht, daß dieß herrliche und für alle Maculaturbcdürftige so äußerst interessante Vlatt erst eine Erfindung unserer neuesten aufgeklärten Zeiten sei. Genug, aber Bürgermeister Pruner war sorgenvoll, weil alle Vriefe und alle reitenden Voten und Reisenden, von denen man damals die Neuigkeiten erlauschte, seit einiger Zeit nichts als lauter Unfälle, die in allen Theilen der See geschehen sein sollten, mel» deten. Er hatte noch mehre reich bcladene Galeere» alls 71 dem Meere, deren Ankunft er schon seit lange vergebens erwartet hatte. Sollten sie verloren sein, so wäre sein ganzes HauS und er selber mit verloren. Soeben wollte cr sich der finstersten Melancholie völlig hingeben, und indem er aus seinem Lusthäuschen in die vorbeieilenden Wellen der Donau blickte, tam ihm der Gedanke, daß den Fischen im kühlen Wasser weit wohler sein müsse als den Menschen in der heißen Sorgenluft, — als ihm — ein neuer — großer Vrief gebracht wurde, den er erbrach, und in dem er, — o Wunder! — die Nachricht las, — seine Galeeren seien alle auf einmal heil und unversehrt in den Hafen von Trieft eingelaufen. Aus dankbarer Erinnerung an diesen glücklichen Moment seines Lebens, in dem die finstersten Wolken von den heitersten Sonnenstrahlen so plötzlich verjagt wurden, ließ nun der fromme Mann sein Portrait anfertigen, und zwar in dem Augenblicke, wie er jenen besagten Brief eben erbrochen und gelesen hat und einen dankbaren Blick zum Himmel hinaufschickt. Dieses Portrait hängt noch in diesem Augenblicke auf dem Rathhausc zu ^inz, und eine Covie davon sahen wir in unserem Hause am Markte. Der alte Pruner blieb aber dabei nicht stehen, er gründete außerdem noch eine Wohlthätig« keitsanstalt, das nach ihm sogenannte Pruner'sche Stift, für die Verpflegung von zwölf armen Weibern, zwölf alten Männern, zwölf Knaben und zwölf Mädchen. (3» Linz, wie in ganz Deutschland und überhaupt in der halben Christenheit, war damals bei solchen Instituten die Beschränkung auf die Zahl 12, die von den Aposteln her eine Art von Heiligkeit bel den Christen genoß, gewöhn« 72 lich.) Auch ließ cr dann jene große Glocke gießen, die noch jetzt zum Lobe des Erretters aus der Noth und in seinem Dienste thätig ist. Daö Pruner'sche Stift aber eristirt jetzt nicht mehr; denn Joseph II., der auch in dem La« byrinthc der mittelalterlichen Stiftungen aufräumte, schmolz es mit mehren anderen ähnlichen zusammen, ließ ihre Fonds in die StaatScasse fliesten und Anstalten nach dem neuen Schnitt daraus hervorgehen, unter anderen auch jenes Irrenhaus, in das wir schon oben den Leser ein« führten. Nm jedoch auf unser Thema wieder zurückzukommen, so begriffen wir bei näherer Besichtigung gar nicht, wie die längst verblichene schöne Linzerm, die junge und später alte Frau Bürgermeisterin Prun er, in so einer wunder« lichen Hauseinrichtung, wie daö Pruner'sche Haus sie uns offenbarte, in dessen entlegensten Winkel sogar vorzudringen uns seine jetzige freundliche Vesitzerin erlaubte, gut zurecht gekommen war. Wie konnte man in diesen dunkeln, engen Gängen, in diesen kleinen, niedrigen und nicht zusammenhangenden Zinnnern, auf diesen unbequemen, finsteren und so unvernünftig und planlos angelegten Treppen und Trcppchen allerlei Art, weise und verständig schalten und walten im hauslichen Kreise, der hier gar kein Kreis, sondern eine vielfach zusammengesetzte, winkelige und viel-eckigc Misisigur sein mußte! In der Tbat, wenn man solche mittelalterliche Wohnhäuser unserer Vorväter, die doch sonst die schönen gothischen Kirchen bauten, sieht, und wenn nlan bedenkt, wie einfach doch im Ganzen die Regeln der architektonischen Kunst, die zweckmäßige Wohnhauser 73 schaffen soll, sin?, welche nur verlangt, daß die Thüren etwas höher sind als die Länge eines mittelgroßen Mannes, daß die Zimmer vom Gesellschaftszimmer zur gewöhnlichen Wohnstube, bis zur Küche und den Schlafkammcrn in einem gewissen vernünftigen Zusammenhange stehen, daß auf einer Treppe, wo ^als und Fuß in Gefahr sind, nicht die Finsterniß des Grabes herrsche, so muß man sich billig wundern, daß solche einfache, handgreifliche und na< senstößliche Dinge der Menschheit so schwer in den Kopf gingen, und daß man Jahrhunderte, man kann sagen, Jahrtausende lang in engen Gebäuden und bei niedrigen Thüren sich die Stirn wund stieß, welche weit weniger zweckmäßig und systematisch waren als eine Dachshöhle oder ein Biberbau, und daß erst unserer neueren Zeit es geglückt ist, das rationell zusammengesetzte und verständig eingerichtete Wohnhaus zu erfinden und auszuführen. Unsere junge Linzcr Bürgerin war eine Chocolaten-fabrikantin, und sie tractirte uns mit einem Taßchcn frischer, schöner Chocolate, das wir in Gesellschaft ihres ganzen häuslichen Kreises genossen. Indem wir uns dann empfahlen, versprachen wir, das hübsche Vild, das dieser Kreis gewahrte, nicht zu vergessen und in aller Welt die eheliche Glückseligkeit der hübschen Linzerinncn zu loben. Die letzte schöne Linzerin, die wir auf unserem Spaziergange erspurten, erblickten wir gegen Mittag auf dem Markte, und hatte Micris oder Dow sie gesehen, sie hätten sich vielleicht noch mehr gefreut als wir; denn sie gewährte in ihrer Situation ganz und gar ein Gemälde, das für den Pinsel dieser Maler wie aufgestellt zu sein 74 schien, und wären sie dabei gewesen, sie hätten ohne Zweifel, wie Rafael bei jener Madonna, zur Kreide oder zur Kohle gegriffen und das Bild auf der nächsten bcßtcn Tonne verewigt. Besagte schöne Linzcnn saß nämlich mitten auf dem Markte auf einem Stuhle und schlief. Gewiß war sie nicht spät aufgestanden, um ihre Gemüse und Semmeln zur rechten, Zeit auf dcn Markt zu bringen, und die Hitze der Sonne, die für sie schon Nachmittagssonne war, sowie die Strapazen des Tages, mochten sie zu dieser Siesta veranlaßt haben. Das Getümmel und Getreibe der Menschen um sie her und der süße Schlummer, in dessen Armen sie ruhte, gewahrten einen eigenen Contrast. Ihr Nähzeug, das sie vielleicht noch eben fleißig bewegt hatte, war auf den Echooß gesunken, und einige Faven davon hingen an ihrer Schürze herab. Ihr dicker Fingcrhut lag oben d'rauf, und der Garnknäuel war anf die Erde gefallen. Die rechte Hand mit der feiernden Nadel ruhte auf dem Schooße, und auf der linken fand ihr schwankendes Haupt eine Stutze, die aber jeden Augenblick nachzugeben drohte. Ihr runzeliges Gesicht — denn es war, um die Wahrheit zu sagen, nur eine gewesene schone Linzcrin, nicht aber eine noch seiende, mit einem Worte es war ein uraltes Mütterchen, gerade so wie es Mieris, Dow und Denner oft so trefflich malten, — ließ uns ahnen, daß die schönen Züge ihrer Jugend sehr weit in das Jahrhundert zurücklagen, wo es noch keinem reisenocn Schriftsteller einfiel, den Ruhm der Llnzer Schönheiten der Welt kund zu thu«, imd wo sie ungckannt und imgerühmt und von Reisenden unl'egafst für ihren eigenen Spiegel und für ihre eigene» 75 „Ihrigen" grünten und blühten. Mcin Freund und ich betrachteten in Muße dieß hübsche und lehrreiche Vild. Wir hätten gern die Peppi, die Rest und vor allen Dingen die Sefferl hierher gerufen, um bei Gelegenheit jener Runzeln einige Worte der Ermahnung an sie zu richten. Aber freilich fragt sich's, ob wir viel damit ausgerichtet hatten. Die Linzer Madchen haben in ihrem Rocke auf beiden Seiten zwei Taschen nahe über den Hüften. Ich habe bemerkt, daß sie gewöhnlich, wenn sie müßig herumgehen oder wenn sie bei'm Brunnen schwatzend bei einander stehen, beide Hände in diesen Taschen stecken haben und daß besonders dann, wenn es bei irgend einer Attaque irgend einer lebhaften Erwiderung gilt, oder mit einem Worte, wenn sie mit einander keifen, die Hände sogleich in die Taschen hineinfahren wie Mäuse in ihre Höhle. Die Arme werden dabei in die Seiten gestemmt, was ihrer Haltung etwas Nachdruckvollcs und Impomrcndcs giebt. Ebenso hatten nun, davon bin ich überzeugt, Pcppi, Rest, Franzel und Sefsi bei solchen Ermahnungsworten ihre Arme in die Seitentaschcn gestemmt und gesagt.' „Was schieren unS die Runzeln, Herr Pastor, sind wir nicht junge und saubere Mädeln?" — Und so hatten sie uns den Nucken gekehrt, wie wir ihn jetzt der Alten kehrten, nachdem wir ihr zuvor noch vorsichtig den Knauel aufgehoben und leicht in ihren Schooß gelegt hatten. M war nur noch ein ganz kleiner Nest Garn, gerade soviel als so eine alte Person von Ariadne noch nöthig hatte, um sich durch das letzte Stückchen Lebenslabyrinth hin« durch zu finde». 76 Bibliothek. Die Donau hat em aquamaringrüncs Nasser, der Rhein ein smaragdgrünes. Das Donauwasscr ist unklar, das des Rheins viel heller und durchsichtiger. Es mag die Farbe ihres Wassers besonders von dem Schlamme bestimmt werden, den die Donau mit sich führt, und der ebenfalls milchgrün ist, «ls wenn dem Quarzsande eine Menge Serpentinstcinstaub beigemischt wäre. Sie setzt diesen Schlamm sogar in den Vadewanncn der kalten Vader ab, die jetzt überall, auch bei Linz, am Ufer errichtet sind. Das Donauwasser scheint mir nicht nur stellenweise, sondern auch durchgängig uicl kalter zu sein als daö der anderen großen Flüsse Deutschlands, und ein Vad in ihren grünlichen Wellen gchört zu den anmuthigstcn Labsalen, die man dem Leibe bereiten kann. Ich kam eben aus einem solchen erfrischenden Donau-bade und machte meinen letzten Spazicrgang durch die Gassen der Stadt Linz, als mir die IMlinttloca public» des Linzer Lyceums in dm Weg kam, vor welcher die schöne griechische Inschrift: „^^'5 iwr^kluv" (der Seele Labsal und Hälkosthaus), zu lesen ist. Was konnte mir gelegener kommen? Ich trat ein. Der erste Name, der mir hier, wie fast in allen öffentlichen Instituten Oester-reichs entgcgcntöntc, war der Joseph's II. Joseph ll. war der eigentliche Begründer dieser Bibliothek, wie auch der Stifter so vieler anderen. Er zwang oder veranlaßte die reichen Klöster zu Veitragen an Vüchern und bildete daraus solche Sammlungen in den hauptsachlichsten Städten der Monarchie, die Jedermann zugänglicher 77 warm als die in den Klostermauern versteckten Schätze. Kremsmünster mußte für Linz besonders herhalte». Rotteck'S Weltgeschichte fand ich hier, wie in allen österreichischen Bibliotheken, und ebenso die ,,8lmz»!ice V«. rita, o^ostll »l!« menxn^ne cli Enrico ^lisle^," ein von einem Italiener geschriebenes Werk, das eine Erwi« dcrung auf das Vnch des genannten Engländers sein soll, der die Verfahrungsweise des österreichischen Gouvernements in Italien angegriffen hatte. Zu den interessantesten Werken muß man sich in manchen österreichischen Bibliotheken noch mittels der Leiter erheben; denn in den obersten Rangen und Reihen, hoch über den schweinsledernen Banden der theologischen Schrift ten erhaben, thronen die Bücher verbotenen, aber gewöhnlich saftrcichsten Inhalts. Man hängt diesen Vrodkorb mit Fleiß so hoch, damit die Kinder sich nicht darin über-» essen. Auch hier fand ich diese Einrichtung, dabei war aber auch noch die Leiter so kurz, daß ich nur mit Gefahr meines Lebens, auf ihren obersten Sprossen stehend, einen Blick in diese Regionen thun konnte. Ich langte mir hier „den Triumph der Philosophie," „Moser's patriotische Phantasiern," seine „politischen Wahrheiten" und ähnliche Werte herunter. Zu meiner Verwunderung aber gab mir ein abermaliger Griff, den ich wagte, zwei Bände von Buffo n's Naturgeschichte in die Hand. Ich konnte dieß Allee zjelnlich gelassen ansehen. Aber die österreichischen Studiosen, wie mochten die nach diesen verbotenen und dadurch gewiß in ihren Augen zwiefach verherrlichten Früchten lugen; ohne Zweifel wie ein Knabe 78 im Baume nach den obersten schönen Kirschen ill der schwankenden Krone, zu denen er nicht gelangen kann. Das merkwürdigste Vnch aber, welches ich hier traf, war für mich eine vollständige Sammlung von Luther's Schriften, und zwar die älteste Ausgabe. Sie waren sehr verstaubt, und ich fragte den Vibliothekdiener, ob sie denn auch wohl gelesen würden. „Nein," sagte er, „seit den dreißig Jahren, daß ich hier bin, habe ich sie wenigstens nie hervorholen dürfen." — Vielleicht ließ man sie nur damals, als man noch hoffen durfte, von einer Widerlegung des Luther'schen Irrglaubens Nutzen zu ziehen, kommen und sah sie seitdem nicht mehr an. Vielleicht kommt bald die Zeit, wo Oesterreich in seinen Bibliotheken die Leitern etwas länger machen oder die oben zu den Spinnen und zum Staube verbannten trister in die Kreise der übrigen hinabsteigen läßt, und wo dann seine Bibliotheken in einem höheren Sinne als jetzt wahre ^v^? so-r^sc« seiu werden, und wo man dann in ihnen so erlabende Scelenbadcr nehmen darf, wie sie jetzt nur die Leiber in seiner erquickenden Donau nehmen. In dieser vielleicht schon anrückenden Zeit werden dann auch gewiß nicht mehr solche altgochische Gesetze und Gebote wieder erneuert werden, wie mau deren eins an dem Ständchause in Lin; in Stein gehauen erblicken kann. Diese merkwürdige Inschrift und Publication lautet folgen< dermaßen: „Der Römisch-Khaiserlichcn Majestät, auch zu Hungern und Vchaimb Khunigs, unfcrcs allergnadigsten Herrn ernstliche Meinung und Vcfchl ist, daß sich Riemands, 79 wer dcr auch sein mag, sich unterstehe, neben, in und vor diesem befreiten Landhause die Nehr zu rückbcn, oder zu Palgen, oder zu schlagen, noch zu rumoren. Welcher aber freventlich dawider handle, daß derselbe an Leib und Leben nach Ungnaden bestraft werde. Ncnouirt 1568, 1679, 1745 und 1825." Ich glaubte Anfangs, daß man dieß wunderliche und hartklmgcnde Verbot nur der historischen Kuriosität halber renovirt habe, aNein ein Linzer belehrte mich, daß man ohne Zweifel noch damit zu schrecken und das Standehaus zu priuilcgiren und zu wappnen die Absicht hege. In der That, es rvär^ schlimm, wenn es Oesterreich so schwer fiele, von dem Veralteten abzulassen. W Die Gemäldegalerie zwischen Linz und Wien. VaS Stück der Donau, das man zwischen Lin; und Wien befahrt, ist ohne Zweifel der herrlichste Theil des ganzen großen Flusses, denn es haben sich hier Natur und mensch« liche Kultur in einem so hohen Grade bemüht, die Ufer und Anlande reich zu schmücken, wie sonst nirgends mehr auf der ganzen, 4UU Meilen weiten Strecke des Flnßlaufes. Nnd all das Schöne und Grosie, all das Anmuthige und Interessante, alle die historischen Monumente nnd die von der Natur geschmückten Landschaften in der kurzen Zeit eineö halben Tages an geistigen und leiblichen Augen vorübergehen zu lassen, scheint ein zauberischer Tranm und versetzt den empfänglichen Geist in einen entzückenden Rausch. Die Römer, als sie hier noch saßen, haben freilich nichts von diesem Rausche gekannt, und ihnen erschien ein Aufenthalt an den Donaunfern wohl nicht anders als wie ein sehr schwerer und drückender Traum. Gerade an dieser schönsten Strecke' der Donau hin biö Vindobona hatten sie ihre vorzüglichsten Kampfplätze und Schlachtfelder mit 81 den Germanen. Das linke Ufer der Donau nannten sie l>oi>» (^ermainae (die Stirn Deutschlands) nnd das recht«', das sie beseht hielten, die tiu^ercilia Istliri (die Augenbrauen der Donau). Und wie mochten ihre Erzahllingen wohl klingen, wenn sie von diesen äußersten, kalten Nordgränzcn ihres schönen Reiches Briefe an die Ihrigen nach Italien schickten und ihnen Schilderungen machten von den Nnnzeln, Auswüchsen, Zacken, Felsen und Hörnern der rauhen Stirn Germaniens, oder von den dichten und wilden Waldungen und den Schilfsümpfcn der Augenbrauen des lstner? Wahrlich, wenn irgendwo, so ist hier auch ein Erdfleck, um die Wandlung der Dinge und den Umschwung der Begebenheiten zu bewundern. Die Augenbrauen der Donau sind gelichtet unter dem Velle und dem Pfluge, diesen Scheermessern der Cultur. Die Haupter der ungc-bändigtcn Auerochsen fangt man nun wie zahme Fische aus dem (Grunde des Flusses. Die (Gefilde sind mit dem reichsten und schönsten Anbaue bedeckt, und von den Waldungen blieb nur so viel, als der Maler gern hat zur Würze und Hebung des milvercn Ausdrucks der Wiesen und Ackerfluren. Die Stirn Deutschlands und das, was sonst äußerste Grenze war, bildet nun den innersten Kern eines großen Neichs, und der verworfene Baustein ist zum Eck- und Grundsteine geworden, denn hier liegt daS Fundament uno die Wiege der österreichischen Monarchie. Von Weitem eilen die Fremden aus allen Landern herbei, um die aus den römischen Stationsplahcn und Feldlagern erwachsenen Städte, die geplättete l'rnuz 6«nnH. m»e und den gebändigten Nückcn des wilden liitlier ;n 82 schauen. Der Fremden kamen schon immer viele, und mancher Englander und Norddeutsche achtete nicht die Strapazen, die bis vor anderthalb Jahrzehnten eine Donaufahrt auf den unbequemen sslußfahrzeugcn gewährte. Jetzt aber kom» mm auch, und dieß scheint noch wichtiger, die Nachbarn und Inlander herbei, seitdem durch die Dampfschifffahrt die Donau im Vergleiche mit früher in einem zehn- oder zwanzigfachen Verhältnisse erschlossener und fahrbarer geworden ist. Gs wandeln mm die Mönche aus ihren Klöstern hervor und schauen sich dag neue Wunder an. Es eilen von allen Seiten die Studenten herbei, denn jetzt reicht ihr schmaler Beutel auch für das ganze Dcinau-paradies. Es machen sich die Beamten auf, denen es sonst nicht möglich war, ihren kurzen Urlaub zu einer so weiten Reise zu nutzen. Cs wagn« sich Frauen und Kinder heran, setzen sich in die schönen Kajüten und treiben in diesem beweglichen Hause, unter dem Schutze des ganzen Publi« cmns, gemächlich stromabwärts und stromaufwärts. In der That, durch die Dampfschifffahrt haben viele Leute Füße bekommen, die sonst keine hatten, andere haben Sieben« meilcnstiefeln erhalten, die sonst nur gewöhnliches Schuhwerk trugen, die Geldbeutel sind uoller geworden und die Tage länger. Das Wetter am 5. August Morgens 6 Uhr — als die Glocke des Dampfschiffs Erzherzog Stephan die Passagiere herbeirief, und als darauf Specimens von allen ohen genannten Klassen der menschlichen Gesellschaft her» zustürzten, — Engländer, die kein Wort deutsch verstanden, Mönche mit geschorenen Scheiteln, — Damen mit Kin- 83 dcrn an der Hand,- - Ungarn mit Schnurrbärten, — Wiener Stntzer mit Lorgnetten statt der Augen im Kopfe, — Berliner Reisende mit Donnerwettern im Munde, — als alle diese Passagiere nnd noch viele andere dazu mit Mänteln und Saloppen, Hut« nnd Mützenschachteln, Sonnen- und Regenschirmen, Spazierstöcken und Pfeifen, mit Kästchen und Kasten beladm, zum Dampfschisse Stephan eilten, war es gerade so ein Wetter, wie es nach den Einbildungen der Romer in der ncdulosa ^erinam» immer sein mochte. Ein dicker Nebel hing nicht nur wie ei» undurchdringlicher Schleier über die Alpcnkette herab, sondern er verhüllte selbst die schwarzen, mit goldenen Arabesken so hübsch bordirten Thurmspitzen der Stadt Linz. AuZ dem Nebel entwickelte sich ein feiner Regen, der allgemach starker und stärker wurde, und es schien demnach, als sollte es ein Tag werden, den alle Schnecken und Enten des Landes ob und unter der Cns hoch gepriesen haben würden. Wir armen Passagiere, die wir dem Erzherzog Stephan so zahlreich auf dem Rücken saßen wie die wilden Enten einem Wassertümpel im Donauschilfe, verkrochen uns wie die Schnecken bei Sonnenschein in die GeHause unserer Mantel und Regenschirme, und wer Platz gewinnen konnte, zog sich in die Ecken und Winkel der Cabinets und Cajüten zurück. Die schönen scenischen Verwandlungen, welche die Stadt Linz und ihre Umgebung, die man zunächst auf einem großen Bogen der Donau in» Halbcirkel umkreist, bei jedem Weiterschritt gewahren soll, spielten sich ab, ohne von uns bemerkt zu werden, denn was mich betrifft, so konnte ich mit bestimmter Klarheit die Gegenstände nur 6* 84 so weit erkennen, als das Bereich meines Regenschirms reichte, an dessen Grenzen die dicken Regentropfen niederschlugen, und meine Nachbarn schienen auch nnr nrchr damit beschäftigt zn sein, ihre Cigarren glimmend zn erhalten, als das Feuer der Reiscbcgeisterung anzuschüren. — Wir waren alle flau und mißgestimmt nnd ahnten nicht, welcher herrliche Tag sich noch spater über unserem Haupte entwickeln sollte und welche schöne Stunden uns bevorstanden. Gleich zu Anfang bei'm Eintritt auf das Dampfboot, als ich über die Brücke schritt, welche vom Festlande auf das Schiff führte, hatte ich das große Glück gehabt, das; mich einer der Passagiere mil der Ecke seines Koffers dermaßen in die Seite rannte, daß ich im Stillen Gott für die dauerhafte Elasticität meiner Knochen dankte. Ich sage, ich hatte das Glück, denn in der That der Stoß war so heftig, daß sich der Mann nicht mit dem gewöhnlichen „^xcuscx" oder „p»l<1on, Nonsimir," womit wir Deutschen um Verzeihung bitten, begnügen zu können glaubte. Vr kam, nachdem er seinen Kasten weggestellt, noch ein Mal zn mir, er« griff meine Hand und bat noch tausend Mal um Vergebung, indem er sich besorglich nach meinem Schmerze erknndigte, und ich hatte auf diese Weise unter den vielen Unbekannten sogleich einen Freund gewonnen und eine Bekanntschaft gemacht, die ich sonst bei der Beobachtung des gewöhnlichen Artigkeitsceremoniels, das uns so lange zur Slnmmheit verdammt, bis ein ganz besonderer Vorfall uns einander nahe bringt, vielleicht erst nach Stunden gemacht hatte. Der Mann war ein Geschäftsmann, er hatte die Donau schon häusig in allen Richtungen benist und lebte 85 feit seiner Jugend an ihren Ufern. Da er sich zu mir setzte, so ließ ich daher vorlaufig an die Stelle des Schonen das Nützliche treten und nahm von ihm eine Lehrstunde über die Beschaffenheit des Donaubcttes und des Handelsbetriebs auf dein Flusse, und so lange es regnet, will ich nun dem Leser hier mittheilen, was ich von ihm lernte, indem ich gleich noch hinzufüge, was ich spater selbst sah oder von Anderen hörte. Die Donau fließt bei Linz, von Bergen eingeengt, in einem ungetheiltcn Strome. Unterhalb der Stadt aber fängt sie bald an, sich auobreitend, viele große uud tleine In-sew zu umfassen und sich in viele Arme zu spalten, von denen indeß gewöhnlich einer als die Hauptadcr betrachtet werden kann. Dieß geht so fort bis in die legend des berühmte,: Strudelö bei Grein, wo dann wieder alle GeWasser vereinigt in demselben Canale zehn Meilen weit fortpulsiren, bis sie bei der Stavt Krems sich durch die Gebirge und Engpässe durchgearbeitet haben, ebeneres Land betreten und ihre Insel- und Armbildung wieder beginnen, waö sie dann bis über Wien ymaus fortsetzen. Die Zustande, in denen das Wasser deS Flusses auf diesem bunten und vielfach beengten Laufe geräth, und seine Brauchbarkeit für Handel und Schifffahrt, sind sehr verschieden, und es sind hier daher viele eigenthümliche Worte für die W a sserzn stände und die verschiedenen Flusitheile erfunden worden, die man an anderen Flüssen nicht kennt. Den Hauptstromsaden, in dem die große Schiffsahrt statthaben taun und muß, den Stromstrich, nennen sie die „Naufahrt." und die Lootscn oder Steuerleute, welche 86 diese Naufahrt genau kennen müssen und deren cinch wir immer einige auf dem Dampfboote hatten, heifien die„Nau-förch" (die Nanführer). Die Naufahrt verändert sich in den Engpaffen der Donau natürlich selten oder nie. In den Inselgegenden aber wechselt sie bei der reißenden Schnelligkeit des Wassers sehr häufig, und zuweilen wird cin Arm des Flusses geschlossen, der sonst gangbar war, zuweilen ein anderer für die Schifffahrt eröffnet, der sonst todt war. Die großen, breiten Fwsifäden oder Spaltungen nennen sie auch „Arme." Die kleine» Arme aber Heisien „Nunzen" und sie unterscheiden dann noch große und kleine Runzen. Die kleinen Einbuchten und Seeen, welche oft abgeschlossen zwischen den Sandbänken und Inseln oder Halbinseln liegen, heißen „Laken." M geht mir diesen Laken eine beständige Veränderung vor sich, und zuweilen brechen sie aus, das stagnirende Wasser bekommt Fluß, und die „Lake" wird zu einer „Runzen." Das Flußmaterial nennen die Donauanwohner „Vach« grieS," „Stromgries" oder „Schutt." Die Sandbänke, welche dieser Gries, wenn er vom Strome zusammengeführt wird, bildet, werden nicht „Sandbänke," sondern „Haufen" genannt. Bestehen diese Vanke nicht aus Sand, sondern sind es Felsen, die unter der Wasseroberfläche bleiben, so Heisien sie in der Donausprache „Kugeln," wahr» scheinlich von der abgeschliffenen Forin aller dieser Felsen. Erheben sich jene Haufen so hoch, dasi sie aus dem Wasser hervorragen und dann auch mit Holz bestanden sind, so nennt man sie „Auen." Dlcse mit Espen, Ellern, Linden, Pappeln, Ahornen, Weiden und Gebüschen aller Art bestände- 8? nen Auen bieten große Weideplätze für eine unzahlige Menge von Wild, worunter auch Hirsche, dar, sowie die Runzen und Laren gewöhnlich mit zahllosem Wassergeflügel be» deckt sind, nüt wilden Enten und Gänsen, mit Reihern, Kranichen, Kibitzen und Krähen, und vor allen Dingen mit Möven, welche die Leute hier „Fischer" nennen. Die Auen werden noch häufig des Jahres mit Waffer überschwemmt. Erst wenn die Landfeste so hoch wird, daß eine regelmäßige Benutzung und Bebauung derselben von Seiten des Menschen stattfinden kann, ist die Bildung einer Donauinsel vollendet. Auch in allen diesen Festlandgebilven findet in dem Donaubcttc ein fortwährender Wechsel statt. Vald bildet sich eine Sandbank, wo früher Tiefe war, bald nagt der Strom wieder an einer Insel, die er früher im ^ fahrencn lind kenntnißreichen Vorrciter commandirt, der der „Waghalö" oder auch der „Stangcureiter" genannt wird, weil scin Commandostab eine lange Stange ist, mit der er theils Zeichen giebt, theils den Fluß beständig sondirt. Die andere» Reiter heißen die „Jodeln." Die Commas dos, welche der Stangcnreitcr giebt, ooer welche ihnen vom Schiffe aus zugerufen werden, wiederholt sofort das ganze 8!> Chor der Jodeln in wildem Geschrei, indem es sie zugleich ausführt. Die Commandoworte selbst sind gewöhnlich einige kurze, zu bloßen Interjektionen zusaiumengeschmolzene Worte, z.V. „Ho! ho!" (d. h. hoalt! hoalt!), welches das Wort für's Anhalten der Pferde ist, o?er: „Lasst hä!" (laßt's gehn!) das Commando bei'm Weitergehen. Kaum hat der Stangenreiter oder der Stencrmann auf dem Schiffe sein „Lasst ha!" langsam und schneidend durch die Lüfte ertönen lassen, so schallt's in vielstimmige,« Gcho von den vierzig Jodeln zurück- „Lasst ha! lasse ha!" und vierzig Peitschen und viermal vierzig Pferdefüße setzen sich zu« gleich in Veniegung. Der dicke Strick, an dem alle ziehen, hebt sich langsam aus dem Wasser, und die Gegenfuhr schleppt sich rauschend im Slromc den Verg hinauf. Die Pferde der Jodeln sind in der Negel, oder doch häufig „Pinzgaucr." Sie werden aber in diesem Theile des Donaugcbictes überall „Traunpferdc" genannt, vielleicht weil die meisten Pinzgaucr Ausfuhrartikel auf sehr natürlichen Straßen ihren Weg zur Donau durch das Traun-thal finden. Die Wege an den Donauufern hm sind noch zum Theil sehr schlecht, die großen Alien nnd Schilfinseln zum Theil sumpfig und künstliche Wege für die Schiffspferde daher sehr nöthig. Man nennt diese Wege am Rheine den „Leinpfad," hier heißen sie der „Hufschlag" oder der „Treppelweg." Vald befinde» sich diese Treppelwege auf dem rechten, bald auf dein linken Donauufer, nnd es ist daher ein öfteres Anhalten und ein häufiges Ein- uno Ueberschiffen der Pferde von der einen Seite aus die an» dere nöthig. Oanze Strecken, wo das Ufer gar nicht fahrbar, oder die „Naufahrt" sehr weit davon entfernt ist, müssen auch die Pferde im Wasser gehen, und man kann sich daher denken, wie gefahrvoll die Arbeit ist, welche sie und ihre Jodeln verrichten. Die größten Scbiffe, die auf diesem Theile der Donau fahren, hcisicn „Hohcncmer." Sie laden 2UU0 Centner und darüber und werden auch „Klobzillcn" genannt. Nach ihnen kommen die Kchlhcimer oder, wie die Ocster-reicher sagen, „Kehlhamer." Die „Hohenauer" gehen gewöhnlich blos hinab unv sind ln der Negel auch, obgleich größer, doch schlechter gebaut als die Kchlheimer, welche abwärts und gcgenwärts gehen. Nach diesen kommen die „Gamsein" und „Plätten," und dann die „Zillen" (Nachen). Die kleinen Zillen, welche den großen Hohcnauern und Kehlheimern noch zur Hülfe angehängt sind, heißen die ,,Nebenbei's," und solche Zillen, welche bei Ueberfuhren dienen, nennt man „Waidszillen/' Ist die Ueberfuhr bedeutend, so geschieht sie auch mit „Plätten." Wieder einen besonderen Namen haben diejenigen Schiffe, welche l'ei'm Ge-gentricbe zum Uebersctzcn der Pferde und Jodeln und zu anderen dabei vorfallenden Geschäften dienen; sie heißen die „Schwemmer," und diejenigen kleinen Schiffe, welche das dicke Schiffsseil tragen — es sind gewöhnlich drei oder vier — nennt man „Mutzen." Sie sind ganz auf dieselbe Weise eingerichtet wie die kleinen Schiffe, welche bei der fliegenden Vrücke die Seile tragen. W steht aber der ganzen Vcschiffuugsweise der Do« nau eine völlige Reform bevor, die auch zum Theil schon 91 in's Leben ssetreten ist. Die ssoncurrenz der Dampfboote zwingt zu allerlei Verbesserungen, und wir werden noch in der Folge Gelegenheit haben, nachzuweisen, wie man auch die gewöhnlichen Donallschisse nach einem verbesserten Plane zu bauen begonnen hat. Auch mit Dampfflößen und mit eisernen Schiffen bat man schon mehre, bisher zum Theil freilich noch mißglückte Versuche gemacht, um alte Schiffs» sonnen mit neuen, zweckmäßigeren zu vertauschen. Auch sonst haben die Donauschiffer noch für alle fie angehenden Erscheinungen, Vorfälle und Gegenstände eine ganz besondere Terminologie. Windstille nennen sie z. V. „Windfeier." „DaS Schiff wird gewappt," sagen sie, wenn die Wellen hineinschlagen und es sich mit Wasser füllt, weil es zu stark geladen hat, oder well es, wenn etwa dle Jodeln zu stark anziehen lassen, tiefer ln das Waffer einschneidet. Doch mit allen diesen Dingen könnte man kin ganzes Vnch anfüllen; genug für jetzt des Nützlichen, und wenden wir uns' nun zu etwas Schönem und An< genehmen. Der Regen, von dem, wie gesagt, Manche von uns in ihrer bodenlosen Verzweiflung schon gefürchtet hatten, daß er uns den ganzen Spasi, d. h. den Oenuß der ganzen schönen Bildergalerie, die zwischen Linz und Wien an den Ufern der Donau aufgestellt ist, verderben würde, hatte bereits aufgehört. Wir waren rasch auf den Fittigen des Dampfes durch die Schlechtwctterregion hindurch geeilt und kamen nun in Gegenden, wo Alles heiter auösah. Der lieblichste Sonnenschein ließ sich auf die feuchten Gefilde unserer Män« tel herab und trank die Thautropfen, die an unseren Hüten und cm den Locken der Damm lnngcn. Steyeregg, das Echloß der alte» .jkhuenringer, — ^ichtcnberg, das Schloß der Starhem berge und Schallen berge, — Tillyöburg, die alte Festung der Volkers dorfe, welche Kaiser Ferdinand seinem Fcldhanptiuann Till y schenkte, .— und dan» Spielberg, dcr Sitz der Ritter von Spielberg und später dao Eigenthum der Herren von Weißen« wolf, und noch viele andere schöne Dors- und Schloss scenen waren für uns verloren gegangen. Nur so viel erlaubte uns der Regen hier und da zu scheu, daß die Situation von einign dieser Schlösser ganz ausgezeichnet gut zum Raube auf dem Flusse gewählt war. Spielberg z. B. liegt wie eine Viberwohnuyg ganz hinter Auen und ihren Gebüschen versteckt, mitten in den Donamnscln hart au dem innersten Hafen einer Nunzcn und hat durch diese zwei Nasserauögangc zur Donau, so daß schon auf diese Situation allein manche.^riegolist der Herren von Spiel» berg gegründet werden, konnte. Der Rhein entbehrt in seiner schönen und so oft mit diesem Tonaustücke verglichenen Partie von Mainz bis Vonu ganz dieser wilden Insel- „nd Auanstchteu. Viele setzen ihn darum um so höher, aber ich muß sagen, mir schien die Donau in oiescn wilden Scenen nur noch einen Reiz mehr zu haben. Diese Schlösser, im Schilfe versteckt, diese Inseln, nur hier und da von einem einsamen Fischer bewohnt, diese viclgespal« tcnen Flußadern, die sich ganz in Wilduist verlieren und zu verirren scheinen und doch nach einiger Zeit wieder aus den Walvcrn klar uuo unversehrt hervorkommen, ,„u sich mit dc»u großen Strome wieder zu verbinden — cine Insel 93 ist schon an sich etwas Poetisches und bildet eine Erscheinung, die in einen: Strome nicht zu oft sich niederholen kann — mit einem Worte, alle diese heftigen Bewegungen in der Donau und diese fast vorsündsiuthlicheu Begebenheiten in ihrem breiten Eanale, gegenüber der doch reichen Cultur, Historie und Malerei au seinen Ufern, bilden einen Contrast, dessen Reiz der Nhcin entbehrt, wo man Alles mehr an den Usern, im Flusse weniger suchen dars. Am Nheine ist die Lilltnr machtiger, fast zu mächtig. An der Donau ist die Natur wilder — „und," setzt vielleicht Mancher hinzu, „fast zu wild." Auch St. Peter in der Au, Abelsberg und Pulgarn gingen uns im Negen verloren, und erst bei der Mündung der Ens, auf der Oiränzschride der beiden österreichischen Crzherzogthnmer, wo das Schönwctterland begann, fing für uns jene Gemäldegalerie an sichtbar zu werden, zu welcher die „Nansahtt" der Donau den Korridor und unser dampfender Erzherzog Stephan den beweglichen Nollstnhl vorstellte. Es kann hier nicht meine Absiebt sein, alle Gemälde, die ich auf diesem flüchtigen Nollstuhlc erblickte, nachzeichnen zu wollen. Wie könnte diesi ein Dampfschiff-Passagier wagen, dem sich nlle solche schönen Dinge imt einer Schnelligkeit durch Kopf und Augen jagm, wie das wilde Heer in der Wolföschlucht. Aber das Ganze kann ich zeichnen und dann Einzelnes herausheben und werde daneben vor allen Dingen den Vordergrund aller dieser Gemälde, unsere Dampfschiffgesellschaft, nicht vergessen. . Das erste Stück, welches sich uns darstellte, war Mauthausen, der Mündung reruns gegenüber. Dieß Gemälde 94 ist im Genre der Rheinbllder gemalt. Der Ort ist uralt, liegt dicht am Uftr dcs Flusses, cm verfallenes, thurm-ähnliches Schloß in der Nähe. Die antiken Hauser liegen, zu einigen krummen Gassen vereinigt, über- und nebeneinander, und man freut sich, daß man dabei nur als bei einem Gemälde vorübergehen kann, nicht aber darin zu wohnen braucht. Hinter dem Orte erheben sich Verge mit berühmten Steinbrüchen, in denen seit alten Zeiten ein schöner Granit auf mühevolle Weise für die Kaiserstadt gewonnen wird. Eine altdeutsche Kirche, die Nikolaus' kirchc, erhebt sich in der Mitte dcs Vildes, und eine fliegende Brücke im Vordergrunde bringt nach alter, umständlicher, hergebrachter Weise Passagiere über den belebten Strom. Das Dampfschiff hielt bei diesem Gemälde gerade so lange an, als nöthig war, diese dürftigen Züge auszufassen und eine schöne ungarische Gräsin mit ihren noch schöneren Töchtern in einem Boote auszusetzen. Ich hatte mich schon recht auf ihren Anblick im Sonnenscheine gefreut, aber nun verschwanden diese lieblichen Gebilde, mitten in das Gemälde von Mauthausen hinein steuernd und seinen Vordergrund verschönernd. Sie wollten, sagte «mn mir, „bei'm Thürhcim" einige Tage zum Besuche weilen. An der Mündung der Ens, Mauthausen gegenüber, läßt sich im Ganzen wenig erblicken, denn dieser Flnß strömt auf einem niedrige», flachen Vorlandc, welches er selbst geschaffen hat, in die Donau ein. Desto mehr aber laßt sich dabei denken; denn in geographischer und historischer Hinsicht ist sie gewiß der allerwichtigste und interessanteste Punct zwischen Linz und Wien. Ich hatte schon oft an 95) diese Bedeutsamkeit der Ensmündung gedacht und mir auch schon oft ,die Frage vorgelegt, warum wohl die Oestcr-reicher ihr Land gerade nach der Ens in ein Land dieß« und jenseits der Ens, und nicht nach der Donau in ein Land dieß- und jenseits der Donau zerfallen ließen. Meine Harte der Donaulander vor Augen, verlor ich mich, während unser Rollstuhl weiter rollte, darüber in Grübeleien, wovon Folgendes die Resultate: Die Donau, dieser mächtige, schiffbare Fluß, ist der große elektrische Leiter für alle die Völker gewesen, die von dem Wirbel der Ereignisse in seine Gebiete geführt wurden. Sie hielten an der Donau, als an der Hauptpulsader ihres Lebens, fest und griffen von ihren Ufern aus an beide» Seiten sowclt um sich, als cS die Verhältnisse gestatteten. So breiteten sich die Ungarn auf beiden Seiten der Donau aus,— so griffen die Ocsterrcichcr rechts und links derselben um sich, — so schrieben die Vaicrn auf beiden Ufern das Land sich zu, und ebenso fanden sich die Schwaben zur Rechten und Linken der Donau ein. Alle Lander, Würtcmberg, Vaiern, das Land ob der Ens, das Land unter der Ens, Ungarn, liegen allesammt an beiden Seiten der Donali, die mitten durch sie hindurchgeht, und sie sind daher, so zu sagen, wie Perlen auf diesen Faden angereiht. Auch an dem Strome auf- und abwärts drängten die Völker hinanf und hinab und blieben hier gewöhnlich bei den Sprossen einander gegenüber stehen, welche dein Hauptstamme des Flusses zur Seite eingefügt sind, d. h. bei den Nebenflüsse,,, welche ihm seitwärts, mit ihm rechie Winkel bildend, zugehen. Solche Stufen bildende Sprossen sind z. V. die Illcr — der Lech — der Inn — die Ei,s — die Leitha und March — die Dran und die Sau. Diese Flüsse zerschneiden alles das Land, welches durch den einigenden Faden der .Donau der Lange nach verbunden war, in die Quere in viele Stücke, und die Volker styten sich diese Flüsse als Gränzen und schlössen ihre Länder in dein Schnitte dieser Einkerbungen ab. So macht dann die Illcr die Gränze zwischen den Staaten von Wür« temberg und Vaiern — der Lech zwischen den Völker--stännnen der Schwaben und Vaiern — der Inn zwischen dem Königreiche Vaiern und dem Crzherzogthume Oesterreich — die March und Leitha zwischen Ungarn und Oesterreich — die Dran zwischen Ungarn und Slavonien — die Sau zwischen Slavonien lind der Türkei. Zwischen Inn und March nun kommen außer der Traun und der Ens keine bedeutenden Einkerbungen des Landes vor, von denen die der Cns aber, weit mehr der Mitte des bezeichneten Striches zufällt und daher zu einer Zerschneidung und Unterabtheilung desselben vor allen geeignet war, und zwar dieß um so mehr, da ihr Lauf auf den Hanptstrich der Donau völlig rechtwinkelig gerichtet ist. Wir führten schon oben an, daß auch die Nömer die Wichtigkeit dieses abtheilenden Thales erkaunten lind darnach ihr Nuricum ri^euse ungefähr in dieftlbcn Länderstücke zerfallen liesien, welche jetzt das Land ob und das Land unter der Ens genannt werden. An der Enßmündnng hatten sie ihre grösue Niederlassung in diesen Gegenden, I^ureilcum, das spätere „Lorch," wo eine Legion ihr 97 Standlager, ein Dux limitig (Generalcommandant) seinsn Sitz und eine Flotte ihren Haftn hatte. 9tach den Zeiten der Römer erstand an dem Platze von Lorch das noch heute bestehende Ens, das im Nibelungenliede gefeiert wird und seines Handels wegen so wichtig war. Carl's des Großen Neich ging Anfangs nnr bis an die Ens, und als er im Jahre 7!)1 stincn großen Feldzug gegen die Avaren beschlossen hatte, eröffnete er denselben von den Ufern dieses Flusses wieder und schwang sich dann von hier aus bis zur nächsten Donausprosse, der Raab, weiter fort. Als spater d''e Ungarn in den.Donauländcrn auftraten, griffen sie wieder eine Sprosse rückwärts und machten unter Arnulph dem Kinde die Ens eine Zeit lang abermals zur Gränze des deutschen Neichs. Dasi in der Nahe der Ensinündung, in Mauthausen, seit alten Zeiten ein Zoll erhoben wurde, als käme man in fremdes Land, hängt ebenfalls mit der von der Ens bewirkten Zcrfcheidnng des Landes zusammen. Sowie an die bezeichneten Kerbschnittc der Nebenflußthäler Vorzugs" weise die Hauptentwickelungöftunkte des Verkehrs und die vorzüglichsten Vestimmungsnwmente der Landeseinthcilung fallen, so sind hier auch die vorzüglichsten Kampf- und Schlachtfelder um deren Besitz zu suchen. Und so haben denn auch die MündungFufcr der Ens genug von Kämpfen zu erzählen, von jenen ununterbrochenen der Römer bis zu den letzten Feldzügcn in dieser Gegend, wo selbst Napoleon noch an der Ens Gelegenheit fand, sich über die Gränel eines Schlachtfeldes zu entsetzen. Nach dein Gemälde von Mauthausen r'ommeu wieder einige unbedeutende Leistungen.- das Vild deü Stiftes St. ii. 7 Peter zu Erla, seiner melancholischen Töne und düsteren Haltung und Vehandlungsweifc halber ^ic-giilm genannt, — dann Vaumgartenberg, mit einem Cisttrzienscrtloster der berühmten Familie Mach land, ein kleines, schatzbares Gemälde, an welchem die Grafen von Mach land viele Jahre arbeiten ließen, und für dessen bloße Reparatur sie manche 1000 Stück Ducaten bezahlten. In den vielen Auen und Inseln, welche die Donau hier bildet, giebt es wieder eine Unzahl von Bildern in niederländischem Style, die, mitten zwischen den großartigen Verglandschasten eingeschoben, einen ganz eigenen Effect machen. ES sind darunter Fischer am niedrigen Ufer eines Flußgestadcs mit der Hcrrichtung eines Netzes beschäftigt, daS man in den Doncmgegenden „Taubel" nennt. Es ist dieses Taubel eine Art gewaltig großer Hamen, der wie ein Wagebalkcn an einem in den Fluß gerammten Baumstämme leicht auf- und niederbewegt werden kann. Eine Wassermühle in der Mitte eines großen Stromes, flache Inseln, mit schwankenden Weiden und Pappeln bewachsen, in der Nahe. Sie erheben sich kaum über die Oberfläche des Wassers, und einige Büsche tauchen im reißen« den Flusse auf und nieder. Ein Müller sitzt auf der Spitze eines in's Wasser hinausragenden Balkens und schmtt mit irgend einer Reparatur beschäftigt. Ein kleiner Holzhafen am Ufer der Donau. Man sieht wieder den bretten Strom. Hart am Oestadc, im Inneren einer ^ake, ist Holz aufgestapelt, wie die Leuie es in den großen Auen des Flusses fallen. Einige Schiffer 99 sind mit dem Aufladen des Holzes in ein kleines Fahrzeug beschäftigt, um es nach Wien hinabzuführen. Rund umher nichts als Wasserfläche und waldreiche Aueinsamkeit. Die Gemälde sind alle gut conservirt, die Farben hell und frisch, der Firniß unübertrefflich. Obgleich viele Mallst sich in der Galerie aufhalten, so haben sie doch an den Bilder» noch gar nichts verdorben. Ja sogar die Biber, welche hier wohnen und bestandig die Gemälde zernagen, tragen, ohne ihnen zu schaden, nur zur Erhöhung ihres Interesses bei. Diese bewunderungswürdigen Thiere sind an der ganzen Donau zwischen Linz und Win sehr häufig. Sonderbar ist es, daß die Cultur sie hier noch nicht völlig verscheucht hat, und daß sie i» den doch viel wilderen Ge-» genden der mittleren Donau seltener sind ills hier, wo ihnen sowohl ihres Felles als auch ihreS Geils wegen so häufig nachbestellt wird, und wo man den Wertl, eines ganzm, zum Verkauf gebrachten Bibers aus5il) bis 6(1, ja, wenn das Geil gut ist, auch aus 1Ul1 Gulden Münze anschlagt. Die Viber haben ihre Wohnungen in der Regel an jenen oben beschriebenen Bruchgestätten der Donau, und von hier aus machen sic dann Ercursionen in die Auen des Flusses, in denen sie, wie die Holzhacker, die Vaume fällen, besonders und mit Vorliebe die Espen und Pappeln, deren Holz nicht zu hart ist und die ihnen in der dicken, fleischigen oder lederartigen Rinde ihre Lieblingsspeise gewähren. Die Wohnungen der Biber an den Vruchgestatten sind sehr schwer zu entdecken, denn diese Thiere legen den Eingang zu ihren Hohlen immer unter dem Wasser an und höhlen dann von unten herauf die Erde auö. Obc» sitzen sic 7^ W Peter zu Erla, seiner melancholischen Töne und düsteren Haltung und Vehandlungöwcise halber ^legium genannt, — dann Vaumgartcnberg, mit einem Cistcrziensertloster der berühmten Familie Machland, ein kleines, schatzbares Gemälde, an welchem die Grafen von Mach land viele Jahre arbeiten ließen, und für dessen bloße Reparatur ste manche 1(M Stück Ducaten bezahlten. In den vielen Auen und Inseln, welche die Donau hier bildet, giebt es wieder eine Unzahl von Bildern in niederländischem Style, die, mitten zwischen den großartigen Vcrglandsch asten eingeschoben, einen ganz eigenen Effect machen. Es sind darunter Fischer am niedrigen Ufer eines Flußgcstadcs mit der Hcrrichtung eines Netzes beschäftigt, das man in den Donaugegenden „Taubel" nennt. Gs ist dieses Taubel eine Art gewaltig großer Hamen, der wie ein Wagebalkcn an einem in den Fluß gerammten Vaum-stamme leicht auf-- und niederbewegt werden kann. Eine Wassermühle in der Mitte eines großen Stromes, flache Inseln, mit schwankenden Weiden und Pappeln bewachsen, in der Nahe. Sic erheben sich tauin über die Oberflache des Wassers, und einige Vüsche tauchen im reißen« den Flusse auf und nieder. Ein Müller sitzt alls der Spitze eines in's Wasser hinausragende'» Valtenö und scheint mit irgend einer Reparatur beschäftigt. Gin kleiner Holzhafen am Ufer der Donau. Man sieht wieder den breucn Strom. Hart am Gestade, im Inneren einer Lake, ist Holz aufgestapelt, wie die Veule es in den großen Auen des Flusses fallen. Einige Schiffer 99 sind mit dem Aufladen des Holzes in ein kleines Fahrzeug beschäftigt, um es nach Wien hinabzuführen. Rund umher nichts als Wasserfläche und waldreiche Alleinsamkeit. Die Gemälde sind alle gut conservirt, die Farben hell und frisch, der Firniß unübertrefflich. Obgleich viele Mallst sich in der Galerie aufhalten, so haben sie doch an den Bildern noch gar nichts verdorben. Ja sogar die Biber, welche hier wohnen und beständig die Gemälde zernagen, tragen, ohne ihnen zu schaden, nur zur Erhöhung ihres Interesses bei. Diese bewunderungswürdigen Thiere sind an der ganzen Donau zwischen Linz und Win sehr häufig. Sonderbar ist es, daß die Cultur sie hier noch nicht völlig verscheucht hat, und dasi sie in den doch viel wilderen Gegenden der mittleren Donau seltener sind uls hier, wo ihnen sowohl ihres Felles als auch ihres Geils wegen so häufig nachgestellt wird, und wo man den Werth eines ganzen, zum Verkauf gebrachten Bibers auf 50 bis 60, ja, wenn das Geil gut ist, auch auf 100 Gulden Münze anschlägt. Die Biber haben ihre Wohnungen in der Regel an jenen oben beschriebenen Bruchgestatten der Donau, und von hier aus macheil sie dann Ercursionen in die Auen des Flusses, in denen sie, wie die Hohhacker, die Banms fallen, besonders und mit Vorliebe die Espen und Pappeln, deren Holz nicht zu hart ist und die ihnen in der dicken, fleischigen oder ledcrartigen Rinde ihre Lieblingsspeise gewahren. Die Wohnungen der Vibcr an den Bruchgestatten sind sthr schwer zu entdecken, denn diese Thiere legen den Eingang zu ihren Höhlen immer unter dem Wasser an und höhle» dann von unten herauf die Erde auö. Oben sitzen sie IM dann in der eigentlichen Höhle, die sie nut Holzvorräthcn ausbauen, im Trocknen. Unten aber ist die Thüre und der Vorplatz ihres Hauses mit Wasser bedeckt, in das sie sich sogleich bei dem Herannahen irgend einer Gefahr hinabstürzen und worin sie verschwinden. „Vei ihren Arbeiten," erzählte mir ein Herr, der sich als Jäger und Naturliebhaber viel mit ihrer Beobachtung abgegeben und selbst auf seinem Gute mehre Vlber in Gefangenschaft gehalten hatte, „bei ihren Arbeiten sie zu belauschen, ist eins der interessantesten Vcr< gnügen, das man sich an der Donau verschaffen kann. Sie benehmen sich dabei so komisch wie die Affen und so stink und behende wie Leute, die durchaus keine Zeit zu verlieren haben. Die Bäume fällen sie mit ihrem harten, wirklich furchtbaren Gebiß, wie geschickte Holzhacker mit wenigen, sicher berechneten Schlägen unglaublich rasch und zerschneiden sie in Blöcke. Wie Pudel apportiren sie diese Blöcke in ihre Wohnung/ wo sie aufgestellt und mit Lehm, den sie mit ihrem Schweife anschlagen, befestigt werden. Sie patschen so rasch durch'S Wasser hin und zurück, die Holzblöcke schiebend, zerrend und stoßend, als wäre ein großer Wetteifer unter ihnen und als gälte es einen kostbaren Preis zu gewinnen. Das; sie, wie man be» hauptet, Pfähle mit ihrem Schweift einHauen, habe ich nie geftyen und glaube auch, dasi dieses weiche Instrument gar nicht dazu eingerichtet ist. ^ Wohl aber schlagen sie mit diesem Schweift häusig auf die Oberfläche des Wassers, daß es weithin spritzt, zuweilen ans bloßem Uebcrmnth und aus Spielerei, zuweilen aber auch, wenn Feindliches naht, wo st, dann mit einem solchen Wasserschlage unter der 1(11 Oberfläche des Wassers verschwinde», indem sie es dein Feinde in's Gesicht zu spritzen vermeinen. Sie sind sehr schwer zu erlegen. Sie auszugraben, wie die Dachse, ist bei der Einrichtung ihrer Höhlen unmöglich. Sie zu überraschen ist ihrer Vorsichtigkeit und Behendigkeit wegen ebenfalls schwer. Am meisten fängt man sie in Fallen, die man auf ihren gewohnten Wegen ausstellt. Weil sie ihre Speisen, anderö als die fleischfressenden Thiere, überall in der Natur finden, so kann man diese Falle» nicht nach den gewöhnlichen Principien banen und einrichten; denn wenn man auck den delicatcsten Pappelast hineiustecken wollte, er würde sie doch wenig reizen, und man ist daher gezwungen, immer viele Fallen alls den Wegen, die sie zu gehen pflegen, aufzustellen, muß aber sehr vorsichtig dabei verfahren, rocil sie leicht Witterung vom Visen erhalten. Ich hatte ciumal in der Nahe eines Biberbaues fünfzehn Fallen ausgestellt und war glücklich genug, in der folgenden Nacht zwei Biber zu fangen, die argloö und unvorsichtig auf ihrcu Wegen und Stegen herumge-tappelt waren. In der andere» Nacht aber sing ich gar keinen, in der folgenden auch keinen. Es war das Unglück der beiden Genossen sofort im ganzen Viberbaue bekannt geworden, und alle hielten sich still zu Hause in ihrer Höhle. Dies; dauerte zehn Tage, so dasi ich immer vergebens meine Fallen aufstellte und vergebens am Morgen besuchte. Endlich mochte sie doch die Langeweile und der Hunger wieder zum Loche hinaustrciben, und in der elften Nacht sing ich wieder einen, und zwar einen merklich ab-« gemagerlen. Hiermit war es aber ganz vorbei. Die Viber hatten meine Nachstellungen so übel aufgenommen, daß sie ihren Vau gänzlich verließen und aus der Gegend, ich habe nicht erfahren, wohin, auswanderten. Man sing dort seitdem nie mehr einen Biber." Sechs Meilen unterhalb Linz, von Wallsee an, hängen die schönsten Gemälde an der Donau. Im Ganzen haben alle diese Donaugemälde eine vortreffliche Beleuchtung, denn das Licht fallt durch das große gewölbte Himmclsfenster von oben und allseitig herab und laßt keine störenden Neflere zu. Indessen kann man doch einen kleinen Unterschied zwischen der südlichen und der nördlichen Wand machen. Die Donau flicsit nämlich dirert von Westen nach Osten, und da nun die Sonne in der Regel mehr im Süden steht, so werden die nach Süden gekehrten Fronten der Schlösser, Städte und Verge der nördlichen Wand in der Regel besser beleuchtet sein als die Fronten der Bilder der südlichen Wand, die häufig zu gewissen Tages- und Jahreszeiten dunkle Schatteil in die Donau werfen. Für uns war es, als wir bei Wallsee anlangten, noch Morgen, und dieß schöne Schloß am rechten Donauufer war noch in seiner schönsten Beleuchtung ans Osten oder Südosten zu sehen. Auf senkrecht abfallenden Felsen, welche die Donau in leidenschaftlicher Umarmung rauschend umströmt, erhebt sich dieß prachtvolle Rittergebäudc. Aus der anderen sieht es sich von schönen üppigen Gefilden, wie von friedliebenden, arbeitsamen Unterthanen, umlagert, und fern, in den Hintergrund zurückgedrängt, stehen die Vergriesen, die Häupter von dunklen Waldungen umschattet. Das Schloß bauten und besaßen die berühmten Herren von W 103 Walse, eine große österreichische Familie, von deren Rein-prechtö, Eberhards und Ruprechts die deutschen Geschichtschreiber manche schöne und interessante Donausasse zu erzählen wissen. Und später saß hier das fremde Geschlecht der Grafen Gujard von St. Julien. O alle diese romantischen Sagen, diese pittoresken Ansichten, diese Entzücken erregenden Gefilde „überströmen," wie ein Reisender mit classischem Vombaft bemerkt, „mit dem effektvollsten Eindruck die Seele und erweitern das Herz zu Größengcfühlcn!" — Ja wahrlich, Herr Reisender, wenn Sie auch wunderlich sprachen, gefühlt haben Sie recht. In der That, ich glaube, selbst einen Antienthu-siaftm müssen die herrlichen Anschauungen, die sich von Wallscc aus entfalten, zum Entzücken und zur Begeisterung hinreißen. Nur auf der Harfe und in einer Reihe von Dithyramben sind sie würdig zu besingen. Wirklich man geräth dabei außer sich, man ist bezanbert und wie verheit. Ich konnte mir zuletzt nicht mehr helfen und bildete mir ein, ich sasie in einem großen, wundersam eingerichteten Kaleidoskop, das nach allen Seite» hin Figuren bildete. Ruinen — Schlösser — Palaste — Klöster -— friedliche Dörfer —> kleine Städte — Einsiedeleien — ferne Verge — nahe Thürme — dunkle Schluchten — offene Thäler — schroffe Abhänge — lachende Auen, das Asses war in diesem Kaleidoskop wie Erbsen und Vohnen, Mooskrümchcn, . Flitter und Perlenstückchen durcheinander gemischt, und all dieser ungeheuere Wirrwarr von Dingen ficl bei jedem Stoße des Dampfcylinderkolbens anders und immer wirder anders durcheinander, und doch immer schön IM und immer wieder schön, als hätte ein Zauberer jedes Sachrlchen an einem Fadchen und zöge es in jedem Moment wieder an seinen rechten Platz. Zuweilen freilich verwirrten und verhakelten sich die Dingelchen wohl etwas. Mein Stephan (unser Dampfer) brauchte dann nur einige Male wieder zu schütteln, so war der Knoten gelöst, und der goldene Faden der pit» toreöken und harmonischen Figuren spann sich wieder ab wie zuvor. Hunderterlei hübsche Täuschungen führt der vielverwundene Lauf des Stromes herbei, hunderterlei Erwartungen, kleine Hoffnungen und Befürchtungen macht er rege. Zuweilen zieht er sich langgestreckt vor den Blicken hin, wie eine große Chaussee und stellt ill nebeliger Ferne viel Schönes in Aussicht. Man erblickt undeutliche Puncte, schwache Schattirungen und matte Umrisse. Was mag es sein? Was wird sich zeigen'? — Nur wenige Momente Geduld! Wie ein Pfeil, aus dem Nücken des eiligen Strom-gottes getragen, stiegt das Pyroskaph dahin. Die Puncte zeigen sich bald alö Samenkörner und Embryonen höchst fruchtbarer Art, gehen alls zu vollständigen Ansichien und gestalten sich zu Farben und Formen mit einer Schnellig» kcit, wie die Blumen, die ein Taschenspieler in wenigen Augenblicken keimen, wachsen und erblühen laßt. Zuweilen wieder ist er wie in Stücke zerhackt. Verge schließen ihn von allen Seiten ein, und wir fahren wie in dem engen Kreise eines einsamen Vergsees. Wir drehen uns, und wieder schießen wir in eine solche abgeschlossene Wassermasse hinein, und es scheint, als 1U5 reihe eine «Kette von Seen sich aneinander. Mein Gott! der Dampfer braust mit uns in einen solchen Kessel hi,i' ein, als gäbe es keine Felsen rnnd umher. Cicher! wir werden scheitern an jener Ecke; doch nur ein kräftiger Hän« debruck vom sicheren Steuermanne, und alle Felsen rund umher drehen und wenden sich, und ein neues Thor thut sich auf, um uns neue Wunder in Nähe und Ferne zu zeigen. Bei solchen plötzlichen Wendungen des Schiffes, die oft in einem Halbzirkcl von sehr kurzem Radius ausgeführt werden, erecutirt dann das Kaleidoskop seine nnvergleich« lichsten Meisterstücke, und die hochschwebcnden Landschaften, Farbencompositionen und Zeichnungen, die dann durch das Segel- und Tauwerk der Masten gehen, oder sich in die Rahmen der zwölf Cajütenftnster wechselnd stellen, oder bei jedem beliebigen anderen Loche, durch das man die Blicke hiuausscndet, in veränderlichen Darstellungen vorüberziehen, gewahren dann dem Auge, so zu sagen, eine Art Waffersturz von Ansichten und Vildern, in welchem alles Einzelne verschwindet, wahrend das Ganze einen mächtig berauschenden Eindruck auf die Seele ausübt. U. Ein recht sensibler Maler, denke ich mir, müßte bei solchen Drehccken, um nicht schwindelig zu werden und vor Entzücken über das Geländer des Dampfschiffes hinweg zu Voltigiren und in die Donau zu springen, zuweilen beide Augen zuschließen. Hat der Maler aber noch den Historiker in sich, so hilft ihm dieß freilich wenig. Denn im dunklen Vusen des Historikers selber tauchen dann neue Abgründe, Wirbel und Fernsichten auf, und es stellen sich ebenso bunte Gemälde vor seinem inneren Auge unab< WO weislich dar. Da liegt der Nibelungenhort in der Donau, da ziehen die Nibelungcnhelden an ihren Ufern herab. König Etzel zieht herauf ihnen entgegen. 'Die Gewitterwolken stoßen aneinander, und die Blitze und Klanqe der Hunnenschlachten tönen im Donauthalc wieder. Carl der Große dringt siegreich herab und lehrt triumphircnd zurück. Da kauern sogar noch die Geister der römischen Centurionen und Granzcommandanten in zahllosen Schaaren am Ufer, und die italienischen Weiber kommen weinend und den Germanen fluchend herbei, um den Tausenden ihrer hier gefallenen Geliebten einen Kranz zu winden. Dann wieder ziehen deutsche Vebancr, Franken, Vaiern und Schwaben singend den Fluß herunter. Auf ihren Schiffen haben sieder Ceres und dem Vacchu ö Altare errichtet, um sie und ihre Mysterien in fremde Lande zu tragen. Äbcr der Ungarn wilde Schwadronen stürzen über das Alles herein, über das Alles hinauS, und durch die Donallschluchten brechend, bringen sie Trauer und Wüste wie eine machtige Fluth über die entferntesten Völker. Zwölf Könige der Ungarn reiten herauf^—zwölf Kaiser der Deutschen marschiren hinab und spielen durch Jahrhunderte hindurch das blutige Spiel mit den eisernen Würfeln des Krieges. Bald rückten sie ihre Gränzen hinaus, bald wichen sie zurück. Doch mitten zwischen all diesen: Schwanken, welch neuer Wechsel, welche mächtigen Klänge, welche frommen Gesänge? Hunderttausend und aber hunderttausend Männer, Ritter aus Norden und Westen wallen den Strom in wenigen Jahrhunderten hinab in ferne Zonen, um des Erlösers Grab mit Thränen und Vlut zu netzen, und die Ritter der Donau 10? stoßen ihre Nachen vom Ufer nnd schließen dem Zuge sich an, die Clams — die Dietrich steins — die Prü-schcnken — die Schweinpöke — die Brenner — die Salaburger — die Persenberge und wie alle die uralten deutschen Geschlechter hießen, die an diesen Hügeln der Donau einst blühten und jetzt schon zum Theil wie Vlumen verwelkt sind, zum Theil noch grünen wie Eichen. Wie reich, wie herrlich diese Fahrten der Kreuzheere nach dem Osten! Wie schrecklich, wie furchtbar darauf aber die Antwort des Orients, die er der Donau hinüber sendet! Die Ianitscharen überbringen sie nach Wien. Doch Gott sei Dank, man nimmt sie nicht an, man laßt sie nicht ein, und wieder ein paar Blätter des Buches werden vom Sturme gewendet, und siehe, Deutschland steht sieg« reich da, gebietend fast bis zur Mündung deö Stromes. Ja es ist wunderbar, höchst wunderbar, wie sich das hin und wieder bewegte hier im Donauthale, wie es auf-und niedcrflackerte gleich den machtigen Fackeln und den leuchtenden )MMaggeu des Nordlichtes, welche die nordischen Völker mit den Schwertern der Krieger vergleichen. Wie das wallet und arbeitet, wenn man so nicht in einem Vuche Brocken für Brocken und Jahr für Jahr die Geschichte zusammenbuchstabirt, sondern auf dem Dampfschiffe über den Strom der Zeiten mitten zwischen den Monumenten von zwanzig Jahrhunderten dahin saus't! Wie sich dann Alles rasch bewegt und schnell gestaltet! Ja wie es dann siedet und wallet und zifcht! wässcr wieder herumgedreht und weiter gestoßen. Äuf diese Weise entsteht dann hinter dem Strudel, in einer Entfernung von INlil) Schritten, der berühmte „Wirbel." Da an einer und derselben Stelle zwei verschiedene und entgegengesetzte Nicht-ungen nicht zugleich im Wasser sein können, so ist es natürlich, daß jcne rückwärts herumgedrehte Linie deS Wir* liels sich zugleich auch spiralförmig nach unten schlingt — ohne Zweifel werden die zurückgeprallten Gewässer Kon den ncu ankomnmidcn auch hinabgedrückt — und dann unter dem ersten Anfange der Krümmung durchgeht, wodurch sich auch die in die Tiefe hinabziehende Kraft des Wirbels erklärt. Des Schönen und Romantischen, dcZ Bewunderungswürdigen und Malerischen, des Einzigen und Unvergleichlichen ist in diesem merkwürdigen Donaupuncie so viel, das; der Schilderer sich in der That eben so schwer davon treunt wie der Beschauer, und daß man Ursache genug findet, die vielen Worte zu bereuen, die man am Ende doch fast vergebens darüber gemacht hat. Ich sehe mich indesi dennoch genöthigt, auf diesen schönen Salvator Rosa, dessen Coftirung wir versuchten, 8* Nft noch einmal einen Blick zu werfen, und zwar um dem Leser noch von der Staffage des Bildes zu berichten und bei dieser Gelegenheit ihm endlich jene lauten Ausrufungen zu erklären, die uns in unseren historischen Forschungen so plötzlich störten und die eben durch den Anblick jener Saluawr-Nosa'schen Staffage unter unserer Dampfschiffgesellschaft erregt wurden. In der Mitte des herrlichen Gemäldes, ganz nahe im Vordergrunde, sah man ein Schiff, und zwar ein Dampfschiff dargestellt, das eben im Vegriff zu sein schien, in diesem gefahrlichen und verrufene« Donaustrudel Tchiff-bruch zu leiden und mit Mann und Mails unterzugehen. Der Maler hatte gerade den Moment gewählt, wo das Schiff, vom trügerischen Strome hintergangen, mit seiner Spitze den ersten Stoß gegen die Felsen nicht weit unterhalb Wer-fcnstein thut und ein panischer Schrecken sich auf den blassen Angcsichtern und blaulichen Lippen der zahlreichen Passagiere verbreitet. DasVogsprict ist bci'm Stoße wie ein Strohhalm zusammengeknickt und hangt an einigen Stricken wie ein zerbrochener Arm an den u«zerrissenen Sehnen herab. Der ganze Vordertheil deö Schiffes hat sich natürlich gegen die Felsen etwas hinausgehoben und ist hinten um ein Weniges in das Wasser hinabgedrückt, so daß die grüne Woge der Donau bereits durch die Cajütenftnster hereinstürzt. Unter den Passagieren ist die größte Verwirrung, und die Gruppen sind uom Maler wirklich mit großer Lebendigkeit, viel Laune und Wahrheit ausgeführt. Ein dicker Eng«-lander z. B. steht in der Mitte dos Schiffes, beide Hände in den Taschen, beide Veine ausgespreizt und den Blick 117 unverwandt nach dem Vogsprict mid dem Felsen gekehrt, als hoffe er, das Boot so balanciren zu können. Gin junger Mensch, der, neugierig, zu schen, was es gäbe, zum Kajütenfenster hinauöblickt, bekommt gerade die ganze frische Donau, die ihm eutgcgendringt, über den Kopf. Eine allerliebste, schöne, junge Ehefrau sinkt an den Vusen ihres Gemahls und verbirgt ihr Angesicht; man glaubt von ihren Lippen tie Worte zu vernehmen: „Ach Heinrich!" Werden es ihre letzten sein? Wird dieses schöne Paar den bitteren Tod in den Wellen sterben? Unwillkürlich drangen sich dem Beschauer des so naturgetreuen Bildes diese Fragen ans. Nein, sie werden gerettet werden, mitleidsvoller Beschauer, oder vielmehr, sie sind schon gerettet worden; ich kann das am bcßten wissen, ich war ja selber dabei. Die oben beschriebene Staffage des Valuator-Nosa'schen Bildes gab nnser eigenes Dampfschiff, der Stephan, und wir die Paffagiere, die wir in alle jene verschiedenen In-terjectionen ausbrachen, welche ich oben citirt habe. Ich weiß nicht, was es war, ob vielleicht eine Veränderung in der Richtung der vielen Wasserfaden, die im Strudel durch einander brausen'''), — oder pure Ungeschicklichkeit oder Unachtsamkeit der Lootsen, — oder Un-gehorsamkeit des Schiffes, — ich meinte Anfangs, als ich das Vogspriet dem Felsen immer naher und naher kommen sah, es wäre der vollkommenste Orad von Kühnheit und Sicherheit, und sagte zu einem neben mir stehenden *) Daß solche Veränderungen stattfinden, ist ohne Zwcifcl, bei jeder verschicdmcn Wasserhdhe bewegen sich die Gewässer auf der Oberfläche etwas anders. 113 Engländer: „Bemerken Sie doch, wie wenig Gefahr der sonst so gefürchtete Strudel jetzt fur die AuMldungsstnfe unserer Schissfahrt hat und mit welcher Präcision wir dem drohenden Felsen gewissermaßen dicht vor der Nase vorübersegeln." -— Kaum war dieß ausgesprochen, so fühlten wir uns ganz sanft ein wenig in die Kniee sinken, was eine Folge jcneö oben bereits beschriebenen Stoßes war. Unser Schiff bekam dabei einen Umschwung und drehte sich dermaßen, daß wir nun das gebrochene Vogsprict hinten und statt dessen das Steuerruder vorn hatten. Das goldene Brustbild des Erzherzogs Stephan, das unter dem Vogspriet auf der Spitze des Sckiffes saß, war ebenfalls gebrochen und stand nun gan; scbief und znr Seite gewandt, als möchte es nicht weiter. „Aha, der Sle-phel hat a Woatschen kriekt!" sagte ein Vinzer Vauers-mann auf dem zweiten Platze, nachdem der erste Schrecken vorüber war und wir den Schaden in Muße betrachteten. Das Ganze dauerte nur einen Moment. Mit mehr Leichtigkeit, als man ein Schwefelstück zerknickt, wan'n die Palten des Bogfpriets zerbrochen, so zu sagen, blos abgestreift — und schneller, als man ein Glas Champagner hinunterstürzt, war jener in das Cajütenfenster sich verzweigende Donauarm getrunken. Wie ein walzendes Paar, das in der Eile des Tanzes auf seine Vordermänner stößt, ctwas leise für einige Augenblicke den Krebsgang geht und dann mit neuem Ansatz seinen Weg wirbelnd fortsetzt, so drehten auch wir uns eine Zeit lang herum, gingen schief und rückwaris durch den Wirbel, faßten dann aber wieder mit erneuerter Schaufelkraft die Wellen, wandten das Ru- N9 der und schössen aus der geraden Ame weiter vor, als wäre nichts passirt. Wir kamen bei Sarbllngstein vorüber, das Kaiser Ferdinand baute, um die Donau gegen die Türken zu befestigen, und bei Freinstein, iu dessen Nähe Carl der (Hroße den Herzog Tassilo überwand, und bei Persen« berg, dessen hcrrlicheo kaiserliches Schloß unter diesem Namen schon seit uralten Zeiten berühmt ist, denn bereits der Markgras Engel schalt 1!.. der vor 1000 Jahren in die Tochter des Kaisers Arnulph verliebt war und sie raubte, besaß dieses Schloß. Wir konnten indeß diesen interesscm-i ten Puncten nicht die ganze Aufmerksamkeit widmen, die sie wohl verdienten, weil wir noch immer zu sehr mit unserem Dampfschiffe und seinen« Versuche zum Scheitern, sowie niit den Mitgliedern unserer erschreckten Reisegesellschaft beschäftigt waren. Unter der letzteren hatte ich, außer jener mcmer ersten intimen Bekanntschaft, die ich mittels des bewußten Koffers machte, schon wieder manche neue Freunde gewonnen. Nichts nähert die Menschen mehr und macht sie zum Anschließen geneigter als ei» hoher Grad von gemeinsamer Freude oder Betrübniß. Der gemeinsame Jammer bei dem traurigen Negenwettcr, mit welchem der Tag begann, hatte mehre Herzen für mich erweicht, — die Freude und Begeisterung bei den hinreißend schönen Nawrscenen hatte noch mehr dazu beigetragen, selbst wider Wille» die Eiszapfen des gute» Tones, mit denen wir unser Herz garnirt halten, hinschmelzen zu lassen, — und bei dem Vorfalle uu Snudel, welches der Höhepnnct war, stoß endlich noch l20 der Rest der Seele» ln einander. Ja wie willst du denn widerstehen, wenn bei einer solchen Gelegenheit ein ganz wildfremdes, höchst elegant gekleidetes, sehr hübsches Dämchen, »nit dem du bisher kein Wort gesprochen hast und das bis jetzt nur stumm nnd stolz jeden Fleck, wo ein Herr stand, wie einen verpesteten Ort sorgfaltig gemieden hat, plötzlich allen Anstand vergißt, dich heftig bei'm Arm ergreift und ausruft: „Ach lieber, theuerer, beßter Herr! was ist denn da geschehen'?!" wie willst du denn da widerstehen und nicht, sogleich die angebotene Freundschaft schließend, antworten: „O meine verehrteste, gnädigste, Frau oder mein liebstes, schönstes Fräulein! beruhigen Sie sich. W wird wohl nicht viel auf sich haben!" Und bei den genannten Schlössern Weins und Persebnrg konnten wir uns nun alle mit einander als gute Bekannte und treue, offenherzige Freunde betrachten. Sind die Anschauungen der Natur schwer zu schildern, so sind eS die Freuden der Geselligkeit nicht minder, und ich würde es als eine der schwierigsten Aufgaben, die mir gegeben werden konnte, ansehen, wenn ich dem Leser ein vollständiges Vild von allen den kleinen geselligen Freuden und Erlebnissen unserer schönen Donaufahrt geben sollte. Wie die Natur in ihren Werken und herrlichen Scene-riecn eine in der Beschreibung unerreichbare Vielseitigkeit zeigt, und wie sogar die geringste Scenerie, die ein einziger Vllck des Auges selbst dem Geiste weit genießbarer macht, als die nmständlichste Schilderung es selbst mit dem groß-» ten Aufwande von Worten könnte, so haben auch die Begegnungen der Menschen, ihr Umgang und ihre Untcr^ 121 redungen eine Vielseitigkeit und einen Reichthum an Genüssen, den aNe Berichte darüber nicht wiederzugeben vermögen. Und was der Weise vom goldenen Baume des Lebens sagt und von seinem matten Vildc, das die Vücher zeigen, das gilt von den Donaulandschaften sowohl, als auch von dem Verkehre und dem Treiben der Leute, die auf dem Dampfschiffe zwischen ihnen dahineilen. Man sollte auf diese Weise lieber den Versuch zu Schilderlingen irgend einer Art ganz aufgeben und aufhören Vücher zu schreiben, wenn nicht noch der Umstand dabei wäre, daß auch die Leser der Vücher ihre Phantasie, ihre Erfahrungen, ihre Erinnerungen, ihre Wünsche und ihre Hoff« nungen haben. Gs entsteht daraus das, was man das 5!esen zwischen den Zeilen nennt, was jeder Leser, ohne sich defseu oft bewußt zu werden, übt. Gelingt es dein Schriftsteller anch nicht, die Naturftcncn so zu malen, wie sie sind, so macht sich doch der Leser schon bei den Worten: „romantische Wildniß," „entzückend schöne Gefilde," „reiche, üppige Fluren," sein eigenes Bild, schickt diesen Worten eine früher gehabte Anschauung oder ein völlig aus der Luft gegriffenes und blos in seiner Ginbildung bestehendes Zauberland unter und freut sich über seinen Anblick. Heißt es- „ein stolzes Schloß alls der Stirne des Felsens," so befriedigt dieß den Schriftsteller nicht, weil er die Mager« keit seiner Worte einsieht, in Vergleich mit der Wahrheit des Dinges selbst, das seinem Gedächtniß noch so deut-» lich vorsteht, wie es einst vor seinem Auge stand. Den Leser aber ficht dieß weniger an; denn er baut sich bel jenen Worte» ein Schloß, das vielleicht noch viel schöner 122 ist als das wirkliche. Ebenso auch geht eS nun mjt den Berichten über angenehme Gesellschaften und Gesprächs-und llmgansssfreudeu, die man genossen hat. Spricht da nun der Berichterstatter z. V. auch mir so- „wir saßen so traulich beisammen — indem wir uns dic intcressall-testeil Geschichten von der Welt erzählten" — ohne diese interessanten Geschichten selbst wiederzuerzählen, so wird nichtsdestoweniger gleich der Leser durch diese Worte angeregt und gewissermaßen elettrisirt. Es steigen mehr oder minder deutliche Erinnerungen in ihm ans, an trauliche Kreise, an denen auch ihm einst Theil zn nehmen vergönnt war, — oder wenigstens die Wunsche werden rege, daß er doch auch einmal in eine so höchst interessante Ge< scllschaft kommen möchte. Er empfindet so Alles nach, was der Autor sagt oder uicht sagt, und selbst einige interessante Geschichten falle« ihm wo möglich noch ein, mit denen er den Tert des Buches ausfüllt. Auf diese Weise werden dann durch jeneS Lesen zwischen den Zeilen die mageren Vnchstabcnreihcn und die dürren Lettern farbig, voll und lebendig. Der Schriftsteller, der leider hinter den Coulissen steht, sieht nichts als Dintc und Druckerschwärze. Der getauschte Leser aber erblickt Vergo und Schlösser, schöne Damen und Gngcl in der <^»-merk lil)8curi» seines Kopfes. Jener kommt mir wie ein Musiler auf einem Fortepiano vor, dessen Saiieu in der Sccle des Lesers ausgespannt sind. l3r greift bestandig die Tasten, ohne auch nur einen Klang zu vernehmen, der scser abcr hört die Musit in seinem Innern und hat also offenbar mehr Genuß dabel als jener, der nichts zu thun 123 hat, als die rechten Tasten auszusuchen. Daher kommt es auch — nebenbei ssesagt — daß manche Schriftsteller einigen Leser» so außerordentlich gefallen, während sie andere, welchen nicht dieselben Erinnerungen, nicht dieselbe Besaitung ihres Instruments zu Gebote stehen, gar nicht ansprechen. Nun also zur Sache: Wir saßen so traulich beisammen auf dem Hintertheile unseres unermüdlichen Dampfers, ließen die Trinkschale der Unterredung kreisen und erfreuten uns über der abfälligsten (bespräche Entfaltung. London, Paris und Wien hatten ihre Deputirteu abgesandt, um unseren Kreis vollständig zu machen, doch hatte Wien — ich danke dein Himmel dafür — den bedeutendsten Antheil daran. Die erste Deputirte war eine junge Schauspielerin, und zwar die ausgezeichnetste auf den Vrc-tern des Vurgtheaters. Sie kam von einer Klmstreise nach Hause, erzählte uns auf sehr geistreiche Weise Vieles von den,, was sie hinter und vor den Coulissen erlebt hatte, und cor-rigirte mir allemal aus Freude, wieder im schönen Oesterreich zu sein, meine nach österreichischen Regeln falsche Aussprache der passirtcn Ortsnamen, iudcm ste sagte: „Marbach nicht, nein „Moaba" heißt das hübsche Dorf, das wir dort hinter uns lassen, auf Wiancrisch! und Neustadt müssen Sie nicht sagen, sondern „Neischtadel," und wenn Sie mir dazu Glück wünschen wollen, daß ich wieder in meiner Heimath bin, so müssen sie dieses Wort „Hoamat" aussprechen." Dafür bot ich ihr, als die Sonne heftig zu scheinen anfing, meinen österreichischen ,,LamprelI" oder Sonnenparapluls und fragte, ob ich sie damit nicht „protetiren" könnte. Sle darauf „hat 124 das deliziös gefunden" und „ist schier lachend g'worden." Der österreichische Lamprell ist nämlich dasselbe, was der deutsche Regenschirm vorstellt, er kam ohne Zweifel aus Italien hierher. Was wir aber pvotegiren nennen, sprechen dieOestcrreicher„protckireu." „Deliziös" ist einer ihrer Lieb« lingsausdrücke, und wo wir sagen: „da lachte ich," da sprechen sie: „da bin i lachend g'worden." Letztere Ne-denöart klingt ganz allerliebst und ist gewiß, wie viele österreichische Redensarten, noch aus dem Mittclaltcr geblieben. Gbtz von Verlichingen und Consorten, denke ich mir, müssen auch so gesprochen haben: „da bin i lachend g'worden." Neben Fräulein Ve...... — o weh? bald hatte ich ihren Namen verrathe», — saß eine schöne Wienerin mit ihrem Manne und ihrem allerliebsten kleinen Töchterchen. Sie kamen ans Italien, wo der Gemahl in kaiserlichen Diensten angestellt war. Wir sprachen natürlich viel von dem schönen 'l.'ande, wo die Citronen blichen, und besonders that dieß die junge Mutter mit Begeisterung. Ich fand sie zu meiner Verwunderung auch keineswegcs dazu gestimmt, den herrlichen Donauufcrn Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Auch im Theater in Linz hatte sie sich gestern Abend bei der Wiener Localposse, die mir wenigstens eine Kaffeetasse voll Lachthrancn getostet, zu meiner noch größeren Verwunderung gelangweilt. Sie hatte dieß Alles höchst trivial gefunden und meinte, solche äquivoke, ob-stöne und alle Sittlichkeit verletzende Dinge könnten in Italien nie auf die Vreter kommen, wo man in diesen: Puncte, wie auch in vielen anderen, unvergleichlich viel 125 delicctter sei als in Deutschland. Der Gemahl war schweigsamer und bei dem frei und offen ausgesprochenen Tadel und Lobe seiner schönen Frau' zurückhaltender. Die kleine Tochter aber — sie war 4 Jahre alt — war eine vollkommene Italienerin. Sie sprach kein Wort deutsch und tänzle ausgelassen auf dem Verdecke herum, weil das Dampfboot nun bald nach „caza nostra" kommen würde. Die Mutter sagte mir, sie verstände das Deutsche wohl, aber sie wollte eö nicht sprechen und hatte eine entschiedene Abneigung dagegen, es ware ein wahres Unglück mit dem Kinde, doch hoffe sie nun einigen Erfolg von dem Aufenthalte in Wien. Ich legte mir dabei im Stillen allerlei Fragen vor und machte mir diese und ienc Gedanken. Sollten wohl die Ocstcrrcichcr, die lange in Italien bleiben, sogar die Beamten, als schlechte Patrioten von dort zurückkehren? Sollte wohl von Italien ans dieß schöne Oesterreich in einem ganz anderen, viel düsteren Lichte erscheinen? Sollten selbst die Freuden und viel gelobten Genüsse, die es gewahrt, in diesem Lichte kleiner und unbedeutender erblickt werden? Und ist es wohl etwas Allgemeines, der deutschen Nationalitat Eigenes, die Muttersprache so rasch mit der schöneren italienischen zu vertauschen? Gewinnen die italienischen Kinder, die in Oesterreich aufwachsen, eine ähnliche Vorliebe für das Deutsche und eine ähnliche Abneigung gegen das Italienische? Auch der langwellige Wiener Stutzer, der etwas seitwärts von uns saß, mischte sich zu Zeiten in unsere Unterhaltung, gewöhnlich aber blieb er in einiger Entfernung und flüsterte mit einer ältlichen Dame viel Oehcimnißvolles 120 von der Gräfin Therese, von der Fürstin Anna oder der Baronin Sophie, und erwähnte „den Lichten stein," „dm Stahremberss," „den Fürstenfeld" und andere solche allgemein in der Gesellschaft bekannte Personen, die nach der Wienerischen Grammatik immer den bestimmten Artikel erhalten. (7oln!t un comm^r^^e ennobli ^'«lr ies Nnter den Engländern befand sich ein Courier aus London, dcr in sechs !agcn von dort nach Linz gekommen war. Er guckle bestandig mit eincin Freunde in ein Vuck, auö dem dieser ihm die Beschreibung der Merkwürdigkeiten, die sich an den Usern der Donau bis Wien finden, vortrug. Sie lasen darin so eifrig, als läge dicß interessante Land hundert Meilen weit entfernt und nicht ihnen dicht vor der Nase. Auch auf dem zweiten Platze, vorn bei der zerbrochenen goldenen Bildsäule des Erzherzogs Stephan, gab es der interessanten Leute mehr als zuviel. Vor allen fiel mir der alte ehrliche Linzcr Vauer auf, der so gleichmüthig dabei blieb, als der Stephan die „Woatschen klickte." Er hatte eine» breitkrämpigcn Hut auf und sah in seinem dicken, vierschrötigen, blauen Rocke und seiner wohlbeleibten Unbe-wcglichkeit selber wie eine aus Holz geschnitzte Bildsäule aus, aber wie eine sehr gut gearbeitete, ansprechende und wohlgefällige. Ich sah ihn, so oft ich zu ihm kam, bei 5en lebendigen Hühnern stehen, deren ein österreichisches Dampfschiff der „backen Handel" wegen natürlich immer eine ganze Anzahl nöthig hat. (5r fütterte sie mit Wei-zenlörnern, die cr aus der Tasche holte und ihnen mit 12? einem ganz eigenthümlichen Rucke seines Armes zuwarf. Da er keine» Wiener Stutzer, keine hübsche Italienerin und keine geistreiche Schauspielerin fand, die mit ihm con-versirten, so unterhielt er sich milden Hühnern und sprach: „Kommt's hier, Handel, i will eng futtern" — „i will enq fett mache. Do! do hobt's a Unterhalting!"— ,.Do hobt's a Befattigung!" — „Do hobt's a Handel!" (die Hühner stritten sich nämlich darum). Ich muß sagen, ich habe Leute mit Hunden, Affen, Papageien und Pferden reden hören, aber daß Jemand so und noch ausführlicher, als ich es hier sagen kann, mit Hühnern sprach, vernahm ich hier zum ersten Male. Wer als 5Njahriger Mann mit so wenig erleuchteten Thieren eouverstren kann, der muß einen hohen Grad von gutmüthiger Naivetät besitzen, wie er nur dem österreichischen Volke eigen ist. Auch einige Mitglieder des erst ganz neuerlich wieder errichteten Ordens der deutschen Schwestern hatten wir bei uns, eine Schwester und eine Novize. Dieser Orden war einst im Morgcnlande mit dem Orden der deutschen Vrü-der zur Pflege der kranken Ritter verbunden, verschwand aber dann bald wieder. Erst unsere Tage, die den gothischen Vauftyl wieder in Mode brachten, holten auch diese altmodische Erscheinung wieder an's Sonnenlicht hervor. Mit ihrer Kleidung aus den« zwölften Jahrhundert nah« men sie sich ganz sonderbar zwischen diesen Wiener und Pariser Toiletten auS. Was mir aber im Sonnenschein besonders unangenehm auffiel, war, daß ihre weiße, grobe Wäsche uicht nur schlecht gewaschen, sondern auch hinterher noch uon Fliegen arg besteckt war. Sie erzählten mir, 128 daß den 16. Juli dieses Jahres ihr erstes Hospiz in Vozen errichtet worden sei, nachdem der Papst den 3. Mai dieses Jahres dazu die Erlaubniß gegeben habe. Sie seien mm aus dem Wege, um in Brunn ein zweites Hospiz zu begrün» den nnd neue Schwestern einzukleiden, und sie erflehten dazu den Veistand des heiligen Vincentlus, der der Schutz« patron ihres Ordens sei. Die alten von ihnen sagte mir, sie sei aus dem Oroen der grauen Schwestern übergetreten, und man ziehe von diesen mehre heran, um ihre Erfahrung und Uebung in Verpflegung von Kranken benutzen zu können. Wahrhaftig! kein Mammuthzahn liegt unserer wunderlichen und Alles durchforschenden Zeit zu tief unter dein Schütte Vergraben, sie, die Neugierige, holl ihn heraus — keine Mumie ist so dicht in Pyramidendnnkel, in Seide, Leinwand, Balsam, Pech und Theer begraben, sie, die Wißbegierige, schafft sie an's Tageslicht — keine Nonne ist so hoch mit Jahrhunderten, mit Mittelalter, mit neuerer und neuester Zeit bedeckt, sie, die Mterthumöfrenndin, zieht sie aus der Vergessenheit, stößt ihr Leben ein, kleidet sie ein und läßt sie zwischen den Kindern der letzten Stunde her-umwandeln. Ware es nur möglich, den ägyptischen Mumien dieß Leben wiederzugeben, wir würden auch sie bald unter uns sehen. Eben wollte ich dcn zweiten Platz wieder verlassen, als mir unter dem Haufen noch ein paar geschwärzte Gestalten auffielen, die mich eilten Augenblick denken ließen, daß meine letzte Idee wegen der Mumien bereits in Er-» füllung gegangen Ware. Allein auf nähere Nachfrage er« 129 fuhr ich, es feien Arbeiter aus den berühmten Graphit-gruben bei Marbach, einem kleinen malerisch gelegenen Orte, den wir soeben zur Seite gelassen hatten. 'Diese Graphitwerke von Marbach sind schon seit uralter Zeit bearbeitet, in ganz neuerer aber erst haben sie eine bedeutendere Wichtigkeit erhalten. Die Engländer sind nämlich dahinter gekommen, daß dieser Graphit auch noch zu etwas Anderem tauge, als blos zum sogenannten Schwarzgeschirr, das man bisher in dieser Gegend daraus zu verfertigen pflegte. Sie haben gefunden, daß er sich zur Füllung ihrer bcßtcn Bleistifte eigene, und lassen ihn seit einigen Jahren in ziemlich großen Quantitäten kommen. Voriges Jahr allein sind 2000 Centner Graphit von hier nach England versandt worden. Die Wiener bekümmern sich seitdem nun etwas mehr um die gute Bebauung der Gruben, und erst vor zwei Jahren hat man deren einige neu angelegt. Es >hat sich eine Gesellschaft in Wien für diesen Aussuhrartikel gebildet, an dem auch Rothschild Theil hat, und wir hatten selbst einen jungen sachsischen Professor an Vord, der auf die Einladung jener Herren die Gruben besichtigt hatte. Es war mir auffallend, daß die Ocsterreicher nicht lieber selbst den rohen Graphit zu Bleistiften verarbeiten. Aber die Englander verstehen diese Sache besser und haben auch besseres Holz dafür. Sie erhalte» den Graphit von Oesterreich aus pul-verisirt, schlemmen ihn aber noch sorgfaltig, verschließen ihn in Cedernholz und lassen ihn als bewundert feinen englischen Bleistift an alle Maler der Welt gehen. Ihre eigenen Graphitgruben werden taglich ärmer, wahrend II. 9 130 die österreichischen täglich zunehmen, da man die reichen Stoffe, welche die Natur anhäufte, und ihre» Umfang täglich besser erkennt. Während der junge Professor uns dieses Alles gefällig auseinanderfetzte, holte die junge Deutsch-Italienerin einen feinen englischen Bleistift heraus und überließ ihn mir, damit er seine eigene Lcbcnsgcschichte, die soeben gegebenen Notizen, in mein Tagebuch schreiben möchte. Auch die Schmclztiegcl von Ips und Marbach sind in der ganzen Welt verbreitet, und ein großer Theil der Gold- und Silberarbciter, nicht nur Europa's, sondern auch Amerika's kennt und braucht diese Waaren. Der zweite Platz ist auf dem Verdecke der österreichischen Dampfschiffe vom ersten durch einen feinen Strich und eine dicke eiserne Schwelle getrennt. Diese Schwelle ist auf dem Boden des Decks befestigt. Der feine Strich aber geht senkrecht auf einer kupfernen Matte an der Wand derKüche herab, und es ist dabei auf Ungarisch, Deutsch und Französisch zu lesen.- „Wer diesen Strich überschreitet, zahlt den Preis des ersten Platzes." Ueberhauftt sind die Inschrift ien, Publicationen und Gebote überall auf diesen Dampfschiffen in jenen drei Sprachen abgefaßt; so steht z. B. über der Treppe zu der Maschine: „Hier ist der Eingang verboten. I'iloz a demenet." Es sind dieß jetzt die am weitsten nach Westen in Gesellschaft der französischen und deutschen Sprache getragenen ungarischen Publicationen. Die in derselben Gesellschaft am weitesten nach Westen erscheinenden russischen Publicationen sieht man in Dresden, wo es sogar Verkauft locale mit russischen Aufschriften giebt, und in Leipzig, 131 wo man in der Vorhalle dcr Post lics't: ,,8l!el» 3». pr«3c!lt«c!ienli0 llurrltj, hier ist es verboten zu rauchen." Die Einrichtung auf dem Stephan, der übrigens eines der vorzüglichsten Donau^Dampfböte ist, fanden wir dem Anscheine nach ebenso gut, wie die auf den Rhcin-dampfschiffen. Doch gehört, um Schiffe in ihrem ganzen Wesen zu beurtheilen, natürlich ebenso gut, wie zur Beurtheilung der Menschen, eine intimere Bekanntschaft. Die Cajüte ließ nichts zu wünschen übrig. Für's Rauchen der Herren gab es eigene Zimmer. Cabinets für Damen waren hinreichend vorhanden. Die Geschäfte des Conductcurs, der sein eigenes Comptoir hatte, sowie die des Capitains, wurden prompt betrieben. Und was das Gepäck betrifft, so hatten wir weniger dafür zu sorgen als auf den Rhein-schissen. Auf diesen legt Jeder hin, nimmt Jeder weg. was und wo es ihm beliebt. Auf den Donauschiffen liefert man ab und aus gegen ein Avis, auf den die bezeichnete Nummer pasit. Auch an dem Essen fand ich meinerseits nichts auszusetzen. Freilich würzte uns die angenehme Gesessschaft das Mittagsmahl so, daß wir dem Koch auch wohl manches Gewürzlose verziehen hatten. Auch die Literatur der Donau kann sich jetzt mit der des Rheins messen. Ich meine hier nicht die größeren wissenschaftlichen und schöngeistigen Reisewcrke. I» solchen ist die Donau schon seit Olims Zeiten besprochen worden. Ich meine diese Local- und Hülfs-Literatur, die dem Neifeuden an jedem Ort das Nöthige und Wissen swürdige in kleinen geschmackvollen Brochure,, bictct. Man kann solche Vrocburen für den 9* 132 ganzen Lauf der Donau von ihrer Quelle bis zur Mündung haben, oder auch blos für den Theil bis Wien oder bis Pcsth. Und auch davon giebt es wieder besondere Unterabteilungen, so Schilderungen des Stückes von Passau bis Linz, dann desjenigen von Linz bis Wien u. f. w. An jedem Hauptortc bieten sich wieder viele zum Theil sehr verständig abgefaßte Schilderungen der Ortsmerkwürdigkeitcn, so für Linz, für Passau, für Pcsth, für Prcßburg u. s. w. Die Kartenzeichner und Kupferstecher sind nicht hinter den Schriftstellern zurückgeblieben, dem Reisenden das Donaugcbiet zu erschlichen, genießbarer und begreiflicher zu machen. Dcr größte und interessanteste Theil ihres Laufs ist so vollständig genau und schön aufgenommen, daß kein Schloß und kein Gebäude darauf fehlt, und daß Mancher nun wohl gar auf dic Idee kommen könnte, bei der Möglichkeit, sich solche Hülfsmittel um cin Bissiges zu verschaffen, lieber die ganzen Kosten der Reise selbst zu sparen. Die Matrosen des Stephans waren zum Theil Deutsche, Venetian« und Dalmatier. Auch unter den Capitalien der Donau-Dampfböte fand ich mehre Italiener. Ob sie aber in überwiegender Anzahl vorhanden sind, wage ich nicht zu bestimmen. — Es herrschen gastfreundliche Sitten unter den Schiffern auf der Donau. Dic Dampfschiffe, die sich begegnen, salutiren sich gewöhnlich gegenseitig mit einem Kanonenschusse, wahrend die geschäftigen Nheinschiffe bei einander vorüber fahren, »chnc Notiz von einander zu nehmen. Freilich würde 133 bei ihnen auch ihrer großen Anzahl wegen des Kanoni-rcns kein Ende sein. Auch bei den gewöhnlichen Fluß-schiffcrn bemerkte ich jedesmal, daß sie sich artig gegenseitig grüßton, indem sie den Hut abnahmen, wenn sie an einander vorüber fuhren. Nur die Donau-Müller, die mit ihren großen Wassermühlen überall bis dicht an das Fahrwasser der Schiffe reichen und fast mitten im Strome liegen, leben mit den Schissern in einer gewissen Art von Feindschaft. Die Schiffer ärgern sich, daß diese Müller hier zuweilen den Weg versperren, und die Müller, welche behaupten, daß Gott die Donau für die Schiffer nicht allein geschaffen habe, beklagen sich, daß die letzteren bei Sturm und anderen Gelegenheiten zuweilen ihre Mühlen gefährden. So bekamen auch wir, wenn wir bei einer solchen Mühle vorüber fuhren, die unsere hohen Ruderwellcn in schaukelnde Bewegung setzten, gewöhnlich irgend einen neckenden Gruß oder eine komisch spöttische Fratze zu sehen. Vei Maria-Taferl, dem berühmten Wallfahrtsorte, wo jährlich an einem bestimmten Tage viele tausend Menschen zusammenströmen, und wo sie auf der Höhe des Verges auf einer steinernen Tafel vor der Kirche »ach dem Gottesdienste ihre Speisen aufstellen, — saßen wir selber gerade bei Tafel, und ich habe nichts davon bemerkt. Außer dieser Tafel und jener berühmten Zelle der Maria giebt es auch einen Mariengarten, ein Maria-5!ab, einen Marien-Berg, und man könnte, wenn man noch weiter nachsuchte, so der Maria wohl eine ganz brillante Haushaltung im Oesterrcichischen zusammensuchen, 134 die viel reicher ausfallen würde als die, welche sie in Palästina hatte. Auch auf Groß-Pöchlarn konnte ich nur einen flüchtigen Vlick durch das Cajütenfenstcr werfen, als ich mich eben etwas erhob, um Fräulein Be.... (pst! pst! schon wieder hätte ich bald ihren Namen verrathen) ein Glas Wein einzuschenken. Der Bischof Vatnrich in Regens-bürg wird sich Anno 831, wo er Groß-Pöchlarn von Ludwig dem Deutschen geschenkt erhielt, den Ort wohl einmal genauer betrachtet haben. Trotz seines viclver-heißendcn Prädicats hat dieser Ort doch nur 45 Häuser, ist aber nichtsdestoweniger eine Stadt, und zwar eine so alte, daß in ihrer Geschichte beinahe ebenso viele Jahrhunderte, als in ihren Straßen Hauser gezahlt werden. Denn schon die Römer kannten den Ort unter dem Namen ^reltl^e, und int Nibelungen'Liede wird die Stadt Vechelaren genannt. Diese kleinen, winzige» Orte spielen am reibenden Hofe des Flußgottes der Donau cine sso große Rolle, breiten lind spreizen sich trotz dem Veßtcn und haben einen so gepriesenen Namen, wie selbst die bedeutendsten Städte nicht in Böhmen oder der Lüneburger Heide, denen es wie großen Geistern und bedeutenden Männern in der Provinz geht. Selbst die Dürfer an der Donau dünken sich von Adel und sind eö auch. So streitet sich z. V. das gegenüberliegende Klein-Poch-larn mit Groß-Pöchlarn, welches das eigentliche ^rol^.e der Römer sei, und welchen: von ihnen der Beiname „praeclnra," den die Römer dieser Stadt gaben, gebühre. Pci jeder Gesundheit, die wir an unserer Table 135 d'hote ausbrachten, ging eil, altes Donauschloß durch die Lüfte, wein, auch nicht ausgesftrcn.it von Pulverrauch, s» doch hoch über uns fort- und vorübcrgerisscn vom Was-scrdampf, bei der ersten Gesundheit Schloß Weitcneck, bei der zweiten Cchloß ^übereck. Und als wir uns endlich in unseren verschiedenen Dialekten gesegnete Mahlzeit wünschten, wir Norddeutsche: „gesegnete Mahlzeit," die Oesterreichcr: „g'segnt Mohlzeit," die Äreslauer: „wünsche wohl gespeist zu haben," worauf einer der Engländer, dem auch jeder von uns ganz ernsthaft denselben wichtigen Wunsch äußerte, von dem er aber weiter nichts verstand, als daß es ein guter Wunsch für ihn wäre, immer ganz ernsthaft erwiderte: „Du auch, Du auch." ((5in anderer Englander, den ich kannte, und der bemerkt hatte, daß wir Deutscheu uns bei'm Niesen etwas wünschen, ohne daß er doch unser „zur Genesung" recht behalten hatte, Pflegte jedcs Mal, wenn emcr in der Gesellschaft nieste, auszustehen und ihm zu sagen: „Gott sei Daut!") AlS wir, sage ich, auf diese Weise, indem wir uns den Mund wischten und die Servietten zu den Vrodkrumm auf den Tisch warfen, uns bccoinplimentirten, hieß eS auf ein Mal: „Da ist Molk! Moll! die schönste Abtei des ganzen heiligen römisch-deutschen Ncichs." Alles stürzte die Cajüten-Treppc hinauf, um sich Molk anzuschauen. Wir führten schon oben Nniqes an, was in unserem Auge den prachtvollen Gcmälde-Corridor der Donau zwi schen Linz und Wien von dem des Rheins zwischen Mainz und Ponn charakteristisch unterscheide. Ich glaube, 1« daß auf solche Unterschiede auch diese Erwägung noch führen könne, daß es am Rhein auf der einen Seite Ruinen, auf der anderen neue elegante Landhäuser in überwiegender Anzahl giebt, an der Donau dagegen nicht so zahlreiche Trümmer, weniger Villen, Vorwerke und Weinbergschlößchen, aber häufiger große Schlösser im alten Style mit neuer Bekleidung. Am Rhcine liegt die ganze mittelalterliche Zeit in Trümmern, und es scheint zwischen ihr und der Neuzeit eine große Kluft zu sein. An der Donau dagegen hat sich das Mittelalter mit der Neuzeit verschwistcrt und seiuc Formen mit in diese hinübcrgebracht. Wie wir am Hofe des großen Donau-Kaisers in Wien alte Gewohnheiten in Uebung seheil und alte Costume und altes Ceremonie! dort erblicken, so ist es auch am Hofe des alten Flußgottes selber. Da erscheinen Aebte und Prälaten in ihren reichen Abteien, alte ritterliche Familien in ihren unzer-störten Schlössern. Theils mag die Reformation am Rheiue Vieles verwischt, theils mag auch die Nachbarschaft Frankreichs das Alte schneller in Schutt gelegt haben. Eine so gründliche Verwüstung, wie die eines Theils der Rhcingebiete unter Ludwig XIV., haben die Donau-Gegenden nicht erlitten. Der Einfall der Türken' der ungefähr zu derselben Zeit stattfand, war freilich eine sehr schmerzliche, aber doch rasch vorübergehende Episode, und wahrend das schone Heidelberger Schloß seit jenem Franzosen-Einfalle in malerischen Trümmern liegt, blieben ähnliche Schlösser hier an der Donau seit jene», Türkm-<5msallc noch in pittoresker Ganzheit dastehen. 137 Ueberhaupt haben diese Douaugegenden in der ganzen Neuzeit weit weniger gelitten als die Rheingegenden. Selbst im ruinösen dreißigjährigen Kriege wälzten sie mehr Unglück auf andere, als ihnen vergolten wurde. Auch der siebenjährige Krieg drehte sich um anderswo gelegene Schlachtfelder, und wie ruhig saßen selbst in neuester Zeit die Schlösser und Städte an der Donau, wahrend die Sansculotten am Nheine Pastillen zertrümmerten. Man betrete nur eines der an der Donau liegenden Ritter- oder MönchSschlösfcr, und ick glaube, man wird diese und andere Bemerkungen zum Theil treffend finden. Es ist ein ganz eigener altdeutscher und dabei großartiger Styl darin, und dieser Styl findet sich in der ganzen Monarchie wieder. Die schöne Abtei Molk oder, um uns besser und richtiger auszudrücken, die prachtvollen Paläste und Kathedralen dieses unvergleichlichen Prälatensitzes liegen oder besser stolziren und thronen auf einem Granitrücken, der das äußerste Vorgebirge eines von den Alpen auslaufen-dcn Gebirgsarmes ist und mit geschmückten Abhängen gegen die Donau hin abfällt. Auf jeder Seite des Hügels zieht sich ein Fluß heran und schüttet sein Wasser in die Donau, auf der einen die Molk, auf der anderen die Vilach, und ihre Thäler legen sich wiesen- und ackerreich der sie beherrschenden Chorherren-Abtei zu Füßen. Das Innere von Mölk bekam ich nicht zu sehen. Ich hatte mir freilich vorgenommen, hier «nf einen Tag auszusteigen und dann den anderen Tag mit dem Dampfschiff weiter zu gehen. Aber wenn man dabei ist, das Ganze zu überschauen, so verschwindet in diesem berauschenden Genusse selbst ein so schönes Einzelbild, wie Mölk, nur als ein einzelner Punct. Und dann wurde es mir auch, aufrichtig gesagt, schwer, mich schon wieder von der kaum lieb gewonnenen Gesellschaft auf dem Dampfschiffe zu trennen, die ich morgen vielleicht so nicht wieder gefunden hätte. Kurz, ich ließ also die Abtei vorüber rauschen und blieb einer von den hundert Zuschauern, die sie in diesem Augenblick anstaunten, anstatt mich zu der Minorität zu schlagen, die ans einem Venedictincr-Chor-herrn und einem jungen Vaucrburschcn bestand und eben, in einem kleinen Boote uns verlassend, abstieß. Ich glaubte, ich würde bei unseren Gefährtinnen recht viel Lob ernten, als ich ihnen sagte, dasi ich der Gesellschaft wegen lieber an Vorv geblieben sei, aber nichts weniger als das, ich bekam Vorwürfe zu hören. „Es wird wohl ein wenig Weichlichkeit sich einmischen," meinten sie. „Nach Tische rührt man sich nicht gern, und eö ist bequemer, hier unter uns auf der Vank zu sitzn» als da oben auf dcn Bergen und Treppen mühsam herumzusteigen." Ich verbarg meine Ucberraschung hinter einem kleinen Cigarren-Ranchgcwölke. Aber meine Strafprcdi-gerin fuhr fort: „Wie? Sie, mein Herr, ein enthusiastischer Liebhaber der Geschichte, Sie lassen sich diesen merkwürdigsten Punct an der ganzen Donau, wo sich Ihnen die schönste Gelegenheit zu historischen Forschungen dargeboten hätte, so leichtsinnig, so gleichgültig, Kaffee 139 trinkend ,md Cigarren rauchend entfahren, — dieses merkwürdige Samara der Römer, — dieses wichtige Melll-cium, des mächtigen Ungarnfürstcn Geisa Hauptsitz, >— diese» ursprünglichen Ncsidenzort der berühmten Vaben-bergischcn Regenten, in dem auch noch jetzt die Grabma-ler jener erlauchten Herren, die hier sich zu ihren Vätern versammelten, zu sehen sind, — diesen Geburtsort Leopold's, des Schutzpatrones von Oesterreich!" — „Ich schätze," erwiderte ich darauf, „in der That alle diese Erinnerungen sehr, außerordentlich! Aber ich kann mich ihnen ja in Ihrer Gesellschaft auf eine mindestens ebenso angenehme Weise überlassen, als in der der Chorherren da oben, und mir geht doch am Ende die jetzt mit mir lebende, mit mir genießende Gesellschaft und Mitwelt über alles Andere!" „Nun, was haben Sie denn hier eben Großes von der Mitwelt gewonnen? Ein paar talkete Weibsbilder, sagen die Oestn reicher, das ist Alles. Und nun hören Sie mir einmal zu. Ich will Ihnen aus meinem Führer vorlesen, was Sie da obcu Alles verloren haben, vielleicht auf ewig und für immer verloren. Zuerst cincn prachtvollen Kirchenschatz mit kostbaren Paramenten und einem Kelche aus Donauwaschgolde." „Ach liebe Zeit, diese Herrlichkeiten bedauere ich gewiß am wenigsten, denn den Schmuck, den Sie an Ihren Fingern und Ihrem Nacken tragen, betrachte ich mir viel lieber als alle diese Edelsteine, welche die Aebte einmal getragen haben; auch ist mir dieß gefüllte Gläschen lieber als dcr leere Kelch aus Donauwaschgold." H«0 „Weiter: die Wildnisse aller österreichischen Regenten, vonGrabner gemalt, und viele treffliche Oel - und Fresco-gemaldc von S canzon i, Lucas von Leyde», Schin-nagel, Querfurt und sogar eine Menge anderer von unbekannten Meisten», die bekanntlich noch viel mehr Reiz haben als die bekannten/' „Ich habe Ihnen schon heute Morgen gesagt, daß ich mich beständig von einer Gemälde-Galerie umgeben sehe, die mich mehr intercssirt als Alles, was Lucas von Lcydeu oder Schinnagel von Pöchlarn gemalt hat." „Dann die Münzsammlung, das Naturaliencabinet, die Kaiserzimmer und außerdem noch viele andere schöne Gastzimmer, iu deren einem Sie selber ohne Zweifel hätten wohnen können. Was sagen Sie dazu?" „An diesen Zimmern habe ich auszusetzen, daß sie auf dem Felsen festgenagelt sind. Aus einer wandelnden Cajüte lockt man mich in ein feststehendes Kaistrzimmer nicht so leicht hinaus." „Aber nun hören Sie zuletzt noch. Eine herrliche Bibliothek mit 20,000 Vandeu und noch außerdem mit 1700 seltenen Manuskripten und Incunabeln. Nun, Herr Gelehrter, was sagen Sie dazu? Fallen denn diese Bücher nicht wie 20,000 Kartätschen und die Inkunabeln gar wic I700Vomben auf Ihr unerwcckliches Gewissen?" „In der That! ein energischer Angriff! Aber leider, ach ich muß es gestehen, ich wandelte schon unerschüttert und uncrregt durch Bibliotheken, die Hunderttausend«: ili ihre» Rangen zahlten. Gewahren Sie mir die kurze 141 Quintessenz, oic in allen diesen Büchern steckt, in Ihrer Nahe, — das Leben selbst und eine warm und willig sich erschließende Menschenseele, so lasse ich alle 1?(w In-cunabeln von Mölk gern und ohne Neue in ihren staubigen Wiegen ruhen." So sprach ich, und so kam ich denn, um meine Handlungsweise zu beschönigen, zu Behauptungen, die nur zum Theil mir von Herzen kamen; denn gehören denn nicht diese staubigen Bibliotheken und alle die anderen genannten Gegenstande ebenso gut und ebenso innig mit zum Leben, wie sonst irgend etwas? Aber der Leser wird doch aus unserem Gespräche — und deßwegen führte ich cö auch hier an — wohl entnommen haben, wie lohnend ein Besuch auf Kloster Mölk scl» muß, und er wird ihn daher dereinst einmal selber machen, wenn er sich nicht gerade, wie ich, auf einer raschen Durchreise nach Ungarn und anderen östlichen Gegenden dieser Stiftung gegenüber befindet. Die Donau ist hier im Erzherzogthume Oesterreich mehr als sonst in irgend einem Theile ihres Laufes die Hauptlebensader des umliegenden Landes, von dem alle Nebenadern ausgingen, das Hauptrnckgrat, an dem sich das ganze Gerippe des Landes ansetzte. Hier liegen die reichen Stifter, welche die Thaler hiuaufwarts bebauten und beherrschten, <— hier liegen auch die ersten deutschen Colonicen, welche die Seitenthäler dann weiter besamten, — hier liegen die Hauptschlösser, die der Feind zuerst erstürmen musite, wenn er das Ucbrige bewältigen wollte, ^ hier liegt Willendorf, von wo aus der heilige Wall- 142 fahrtsort Maria-Zell im Gebirge gestiftet wurde, — hier liegen die kleinen Handelshafen, welche die Bergbewohner des Innern von jeher mit der Welt in Berührung setzen, — hier an der Donau liegt auch der Drt Weißcnkirchen, wo die erste österreichische Nebe gepflanzt wurde, die dann ihre Schößlinge und Triebe durch das ganze Land ranken ließ. Von der Donau her erwarteten die Nachbarn stets ihre Wohlthäter, ihre Herrscher, ihre Religionshelden, alles Heil, aber auch alles Unheil; denn hier liegen auch die festen Burgen, von denen aus die Tataren, Hunnen, Ungarn und Türken, sich seitwärts verbreitend, das Land verwüsteten, oder in denen wilde Raubritter hausten, die Plager und Zwmgherren der Bauern und Kaufleute weit und breit. Da liegt die Teufelsmauer unweit Molk, welche, der Volkösage nach, der Vöfe baute, um daunt den Fluß zu sperren, und in ihrer Nahe sieht man die Schlösser Schönbühel und Aggstein, bei denen der Geschichte nach den Raubrittern das wirklich gelang, was der Teufel selber nur vergebens versuchte. Der Ritter Schrecken-Wald zog hier in dieser wilden Gegend eine Kette über die Donau und plünderte und brandschatzte die vorüber-fahrmden Schiffe. Auf diesem Schlosse hatte der genannte Ritter sein „Rosengartlein," wie er einen tiefen Abgrund nannte, in welches er durch eine eiserne Thüre die gefangenen Reisenden über Felsen hinabstürzte. Hier auf demselben Schlosse herrschte im dreizehnten Jahrhunderte eine andere Personificinmg des Vösen, der weit und breit gefürchtetc Had mar der Khuenringer, dessen Sohn Albert den Menschen nicht Wohlthaten genug glaubte 143 spenden zu können, um die Missethaten des Vaters eini« germaßcn zu sühnen. Auch die berühmte Familie der Swelenpeckhcr hatte Schlösser in dieser Gegend, und in Schönebühel wohnte einst ein Markward von Scho-nenpuchele, lauter Namen, die ich nur citire, weil sie mir so fremdartig klingen wie die alte Zeit, und weil in ihnen sich selbst sogar etwas von der Romantik der Gegend abzuspiegeln scheint. Und endlich liegen hier auch unterhalb Mölk, der berühmtesten Donaual'tei, die Ruinen Dürrensteins, des berühmtesten und besungensten Donausch loss c s. Die Donau macht kurz vor diesem Puncte eine Krümmung und kurz nachher wieder eine, und das Schloß präsentirt sich daher, auf grausigen Fclszacke» thronend, ziemlich plötzlich, und da es im Rücken wieder von Felszacken und Bergmauerll umschlossen wird, so erscheint es, trotz dem, daß es an dem landerverbindellvcn Strome liegt, sehr isollrt und wie in einer felsigen Einöde liegend. König Richard, als er m diesem Gefängniß saß, mag daher wirklich nicht wenig gelitten haben. Nur wenn er nach der östlichen Seite hin etwa sein Zimmer hatte, konnte er einige Aussicht in die Ferne genießen. Doch führte dicse Aussicht seine Blicke gerade in das Herz uon Oesterreich, das ihm verhaßt sein mußte. Nach der Gegend von England hin, wohin seine Sehnsucht stand, war die Aussicht am allerbeschranktesten. Ich möchte wohl etwas genauer wissen, womit der löwenherzige König sich in diesem grausenhaften Felsenncste beschäftigt hat, — wie weit er gehen durste, >— ob sie ihm Ketten anlegten,— wer sein GcfMgenwarter war, — was und 144 wie er mit ihm sprach, ob er wohl einige Worte österreichisch Deutsch lernte, z. V. „kiß die Hand!" oder „kann nit dienen!" oder „b'hüt' Ihnc Gott," oder „ksegnet Mohl-zeit," oder sonst so etwas. Ich glaube, daß man selbst ohne authentische historische Nachweisungen annehmen kann, daß dieser edelmüthigc Kämpe gegen seine Bedienung, die Leute des Schloßbesitzers Hadmar des Khuen ringer, gütig und huldreich war und des Morgens, wenn sie ihm sein Frühstück brachten — worin bestand dieß wohl? Kaffee war es nicht, — etwa Mehlbrei? aß man damals hier auch schon „backne Handel'?" — freundlich und gütig, wenn auch mit etwas englischem Accente, sagte' „Griß di Gott, Seppi!" Wie schade, daß es über alle diese Dinge keine Spe-cificirung irgend einer Art giebt. Wie unbesonnen, daß es dem Vlondel nicht einfiel, uns darüber ein Tagebuch herauszugeben; denn gewiß hat ihm doch hinterher, als sie zusammen erst im Freien waren, sein königlicher Freund Alles haarklein erzahlt. Welch seltenes, von einem Psychologen und Geschichtsfreunde nicht theuer genug zu bezahlendes Buch würde das sein: „Vlondel's Memoiren über die fünfzehnmonatliche Gefangenschaft König Richard's des Löwenherzen." Wie selten ereignet es sich einmal im Laufe der Weltgeschichte, daß ein solcher königlicher, nur für die ungebundenste Freiheit geborener Löwe einmal hinter ein Gefangnißgitter geräth! Und daher ist denn auch die Sage von dieser Gefangenschaft so außerordentlich weit verbreitet und wird nun schon seit fast 700 Jahren von allen europäischen und amerikanische» Groß- 145 vattrn auf alle amerikanische und europäische Kinder und Enkel tradirt und wieder tradirt. Und doch wie kurz und in wie wenige Worte faßt sich diese ganze Sage! wie viel bleibt da noch auszufüllen, was sich jeder Erzähler dann auf seine Weist ergänzt. Wie denkt sich wohl jeder deu Herzog Leopold, den hinterlistige» Wolf, wie jeder den muthigen, arglosen Richard, den duldenden Löwen, und dann den treuen Vloudel, den sanften, gesangreichen Freund! — Die Sage ist, wie alles Schöne, trotz ihrer wenigen Daten, so in allen Stücken schön und ergreifend, daß sie bleiben wird, so lange die Felsen bleiben, aus denen sie wiederhallt. Ich möchte wissen, wie sie spater wohl noch einmal lauten wird. Sie ist jetzt gewissermaßen noch jung, denn die Reisenden wissen noch Alles haar« klein und drängen sich begierig alle auf die eine Seite des Dampfschiffes, um die Trümmer vom Schlosse Dur-renstcin zu schcn, als Ware hier von einem kürzlichm im» erhörten Ereignisse ganz frische Kunde zu ihnen gelangt. Mit Perspective»! wird mikroskopisch das Loch untersucht, hinter dem der König gesessen haben soll, und der Säu-lenftnmpf und die eine Wand des Rittersaales, in dem der Held zuweilen mit dem Khucnring er verkehren durfte, und die Bruchstücke von Malereien in der zerstörten (5a-pelle, sowie die verschütteten Keller und Gewölbe. W kann nicht lange dauern, vielleicht höchstens ein paar Jahrhunderte, so werden auch diese wenigen Ueberreste verschwunden sein. Dann wird man vielleicht die Bruchstücke der Mauersteine aus dem Gerölle des Berges suchen, — diese Stückchen in Papier einschlagen und darauf schreiben- 146 „ein Stem von der ehemaligen Vurg Dürrenstein, in welcher der hochherzige Richard Löwcnherz gefangen saß" «. s. w. Endlich werden aber auch diese Stcinchen fehlen; dann weis't man vielleicht noch lange — etwa einige Jahrtausende — auf den leeren Fleck hin und erzählt sich dabei in ganz fremden Sprachen irgend eine unsichere Geschichte von einem Könige, die immer weniger und weniger Leute interessirt, bis unsere Zeiten, aus der Ferne besehen, so nahe bei den Herkulischen liegen, daß man zuletzt vielleicht den König Löwenherz mit einem Löwen vertauscht und von irgend einer furchtbaren, wilden Veftie so erzählt! „In uralten Zeiten, als noch das Volk der Germanen hier wohnte, soll hier in dieser Wilbmß der letzte Löwe gefangen gewesen, dann aber wieder m die Freiheit entsprungen sein." Eine solche Verwandlung der Sage halte ich für die Zei« ten, wo auch Afrika einmal von Löwen gereinigt sein wird, für gar nicht unmöglich. Als wir vor Dürrenstein vorbei fuhren, fing einer der Deutschen an die Arie zu summen: ,,0 Richard, o mon roi, „L'univers t'abandoime." Ich machte die Bemerkung, daß die Worte ergreifend wahr seien; denn das Schloß liegt in der von Felsen« zacken und Stcinspitzen starrenden Schlucht so einsam, dasi sich Richard wie ein vom Universum Verlassener erscheinen mußte. „Ja," sagte mein Sänger, „o sein Geist mußte auf diesen Felsenzacken in solchen Qualen liegen, wie ein Verbrecher, den man auf eiserne Spieße hinab- 147 stürzte, und das fünfzehn Monate lang! Es ist schreck« lich und rührt mich beinahe zu Thränen!" In der That, die Localität ist so ergreifend, daß auch ich, der ich sonst zu sentimentalen Rührungen — der Leser erlaube mir dieß Geständmsi — nichts weniger als geneigt bin, bei'm Anblick derselben eine leise „Gänsehaut" — wie man in Norddcutschland zu sagen pflegt — über meinen Kopf und Rücken hinsthanern fühlte. Es ist sonderbar! Ist denn der Mensch so ein närrischer Poet? Oder schweben wirklich um die von der Geschichte und Sage geweihten Orte Geister der Vorzeit? Hatten wir nicht schon hundert Mal vorher diese Erzählung gehört, gelesm und selbst nacherzählt, ohne besondere Aufregung. Und ist das Ganze denn nicht nur eine Idee? eine Ginbildung? Was war es denn, was uns diesem Orte selber gegenüber so leise übcrschlich und »nächtig ergriff. Nenn ich mich schon früher immer bei der Erzählung von Richard's Gefangenschaft darüber ärgerte, daß es ein deutscher Fürst war, der die unedelste Nolle darin spielte, so kam es mir hier nun wieder wunderlich vor, daß ein Deutscher ein Loblied in französischer Sprache auf den englischen König sang, — aber es empörte mich fast, als ein Engländer, den ich um die anderen Verse dieses Liedes fragte, die wir beiden Deutschen nicht kannten, mir ganz trocken und mürrisch, indem er sich den Halskragen zu-recht zupfte, erwiderte: „^m n'« pas I'mtimite äe tout« «ette cnoLe." Hinter Dürrenstein nun, wenn man um die Ecke nach Mautern zu herum romint, steht das letzte schöne Bild 1U* 148 in der herrlichen Gemäldegalerie, die wir durchliefen und in der es so unerschöpflich viel Schönes zu sehen giebt, daß man ein Argus mit hundert Augen sem müsite, wenn man Alles darin entdecken wollte. Wir erlauben uns nur noch eine flüchtige Skizzirung des letzten Bildes bei Mautcrn und dem ihm gegenüber liegenden Städtchen Stein. Dieses Bild zeigt eine reiche, üppige Landschaft in dem Genre von Claude Lorrain. Gs ist freundlich und ansprechend und vom Galeriedirector gewiß absichtlich an dieser Stelle aufgehängt, um nach dem wilden und ausregenden An« blicke des rauhen Dürrenstein das Gemüth wieder zu be» luhigen und zu versöhnen. Das heisit, wenn man voraussetzt , daß man die Galerie in der Richtung von Westen nach Osten durchwandern soll; denn für die von Wien Kommenden muß dann freilich Dürrenstein um so mehr erschrecken. Zur Rechten und Linken der Donau liegen die kleinen freundlichen Städte Stein, Mautern und Krems, lauter alte und im Nibelungenliede bereits besungene Orte, sämmtlich hier in den Propyläen der Tempelhallcn des Donaugottes versammelt. Von einem Orte zum anderen zieht sich über die Donau hm eine Schiffsbrücke, auf der ganzen Strecke von Linz her die erste. Veidcs, die Vrücke und die Städtchen, interessante Erscheinungen in dieser geographischen Position, an der Scheide des Donaugcbirgs-landes und der Donauebenen. Vorn, aus dem Fenster eines Hauses, das weit in die Donau hinausgreift, blicken gemüthlich ein paar Mönche auf daS unruhige Treiben auf dem vorüber rauschenden Dampfschiffe hin. Eine über den Fluß hinausgehende Terrasse des Hauses ist mit Blumen 149 besetzt. Im Hintergründe sieht man die Prachtgebäude des dritten großen Donaustiftcs Gottweih auf eine,» 700 Fuß hohen Verge hervorragen. Sie bedecken, wie die Vürger von Zion, den ganzen ziemlich breiten Rucken dieses Ver» geS, der mitten in einer weit und breit ausgedehnten schönen Ebene liegt. Weingärten bekränzen überall die Hügch welche sich zu den Seiten der kleinen Städte erheben. Im Vordergründe und in der Mitte auf dein sich krümmen« den Flusse bewegen sich Schiffe hin und her. Ein deli« zioses — ein reizendes Bild! Was nun noch an Gemälden folgt, ist, im Ganzen genommen, ziemlich werthlos und unbedeutend. Die Farben sind theils so eingeschlagen, theils haben sie so nachgc-dunkelt, daß man nichts mehr erkennt. Hier und da sind die Bilder sogar mit einem grünen Schimmel und sonstigem Unkraut überzogen. Es ist dieß zum Theil wohl nur Nachlässigkeit der Galeriediener, denn ich kann mir nicht denken, baß nicht mit einiger Mühe und gehöriger Behandlung alle diese unabsehbaren Donauaucn, Sümpfe und wüsten Wiesengründe zu hübschen Gemälden umzuwandeln wären, wenn auch nur „Niederlander" daraus würden, fette Marschländer mit Deichen eingedämmt, ein paar freundliche Hauser in der Mitte und wohlgenährtes Vieh umher. Diese 'Auen scheinen aber völlig öde und gewahren ill Mitte der Donau, welche sie vielarmig durch« fliesn, ill ihrer unübersehbaren Anzahl einen recht uner» freulichen Anblick, eine so erwünschte Abwechselung auch zwischen den Bergen die früheren Auen, die wir oben lob« ten, gewährten. 150 Nur die schöne Abtei Gottweih, die dem Dampfboot-Gefangenen so manchen sehnsüchtigen Seufzer entlockt, bleibt noch lange als letzter Trost für all das Verlorene sichtbar. Diese ganze Gegend, die ihr tributpflichtig ist, beherrscht sie auch mit ihrem erlabenden Anblicke. Selbst über die Spitzen des WeidcngestrüppcS der Auen und Inseln bei Hollenburg sahen wir ihre fernen Gebäude noch dahinziehen und endlich am grauen Horizonte wie ein fernes Gewölkchen verschwinden. So kann man sich denn, von dem ganzen gewaltigen Rausche der Tagesfreuden ermattet, etwaö auf die eleganten Divans des Stephans zurückziehen und sich von einem Kundigen noch einmal die hübsche Geschichte von der Stiftung von Gottweih erzählen lassen. Sie lautet, wie der Bischof Altmann von Passau, der im elften Iahrhun« derte lebte, sie in seinen alten Tagen zu erzählen pflegte, so' „In meiner Jugend, da ich noch ein fahrender Schü» ler war, und alS die Majestät des jetzt verblichenen Kaisers Kunrad noch waltete, kam ich in die entferntesten Gegenden meines bischöflichen Sprengels in dem Lande, welcheö wir Deutschen den Hunnen und Avaren abgenommen haben, unter unserem Kaiser Carl gottseligen Angedenkens, den wir mit Recht jetzt anfangen „den Großen" beizunamen. Ich war in Gesellschaft meiner lieben, theueren Brüder und Freunde Adalbert, des Bischofs in Würzburg, und Geb« hardt, des Bischofs von Salzburg. Sie waren aber dazumal, ebenso wie ich, blos arme fahrende Schüler. Wir drei feiern jetzt manchen frommen und heiteren Sonn« tag zusammen. Dazumalen aber hatten wir nur Arbeit, 151 Noth und Mühe zu theilen, doch gingen wir allzeit steißig mit einander herum, beteten und sangen, stndirten und hielten uns bestandig zum Worte Gottes. In jenem Lande nun tamen wir einsmals auf einen hohen Berg, mitten in einer fruchtbaren, aber sowohl in geistiger als in an< derer Hinsicht noch wenig benutzten Landschaft an den Ufern des breiten Donaustromes, und wir armen Reisenden ruhten daselbst ans und überschauten die Gegend, die weit umher sich ausbreitete. Wie wir drei kleinen und nichts bedeutenden Leutchen uns nun da alts der Spitze des hohen Bergrückens, in Mitte der großen Natur, von aller Welt unbeachtet, dasitzen sahen, da überkam uns ein Gefühl unserer eigenen Unbedcutcuheit, und ein heftiger Wunsch ergriff uns alle drei, daß wir stärkere und träft-» igere Diener Gottes werden möchten. Wir beteten zu Gott, daß er uns in seinen Diensten zu einem höheren Amte verhelfen möchte, und schloffen, indem wir uns die Hände reichten, einen Bund, daß wir uns auf allen Wegen und Stegen des Lebens, die wir im Namen Gottes betrate», getreulich begleiten und helfen wollten, und daß wir nicht eher ruhen und rasten wollten, als bis wir alle drei den Bischofsstab in unserer Hand sahen und eine Heerde, die wir im Namen des Herrn weideten. Nun! wir haben den Bund getreulich gehalten, und unsere jetzigen bischöflichen Sprengel gränzen nahe an einander. Ich aber selber that damals auf jenem Berge für mich im Stillen noch das Gelübde, daß, wenn ich Bischof von Passau werden würde, ich ein Kloster auf diesem selben Berge errichten wollte, das den "Anbau der Aecker und der Herzen der Umgegend 1S2 fördere. Auch dieß habe ich gehalten. Ich bin jetzt Vischof von Passau, und das Kloster dort unten an der Donau ist längst unter Dach gebracht und Gottweih von mir geheißen worden, weil ich es dem Schöpfer und Herrn der Welt geweiht haben wollte. Auch ist daselbst bereits mein Sarg gezimmert und meine Lcichengruft gebaut. Denn ich wünsche dereinst auf diesem Platze meiner schönsten Jugend« erinnerung begraben zu sein." — Auch dieß, können wir noch hinzufügen, wurde ausgeführt; denn noch jetzt weilen die Wanderer dort einen Augenblick betrachtend an dem Grabe des armen, später so machtigen, fahrenden Schülers Altmann. Das Wort „Au" hat im Deutschen einen gar freund« lichen Klang. Die Dichter brauchen es oft und geben ihm gewöhnlich die schönsten Prädicate, als: „reizende/' oder „liebliche Auen." Man muß aber nur einmal auf der Donau von Stein nach Wien gefahren sein, um des Na» mens und der Sache überdrüßig zu werden. Ich habe wenigstens auf dieser Fahrt so viel unliebliche und reizlose Auen gesehen, daß ich dieß Wort nun recht en «lepit habe — und dasi ich mich damals nicht wenig freute, als wir des Leopoldsbcrgcs und des Kahlcnbcrgcs ansichtig wurden, und als wir bei Klostcrneuburg vorübersegelten und es endlich bei Nußdorf hieß: „Halt, stopp die Maschine!" Dieses Nußdorf ist der Donauhafen für Wien; denn es liegt gerade an der Einmündung des Donauarmes, der sich hier abzweigt, und dann mitten durch die Kaiserstadt fließt. Hier landen die meisten für Wien bestimmten Do« naufahrzeuge an und ebenso auch die Dampfschiffe, und 1)3 es ist hier daher ein beständiges Gewimmel von Fahrzeugen, Menschen und Wagen, für daS man sich mit Langmuth und Aufmerksamkeit rüsten muß, um inmitten dieses Strudels nicht in Wirbel zu gerathen, welche dem Geldbeutel, der heilm Haut und den Neisecffecten gefährlich werden könnten. Die Stadt Betsch. ^uf die besagte Welse kamen wir denn endlich zil der großen Stadt Vetsch cm der Donau. Es ist ein im ganzen Oriente weit gepriesener Name, obgleich sonderbarer Weise in Europa wenig bekannt. Die Stadt Vctsch hat über 400,000 Einwohner und ist die Residenz eines machtigen Zaren oder Schahs, der ein Land beherrscht, welches grüßer ist als Velud-sckistan und Afghanistan, und welches man Njemzestan nennt. Dieses Land Njemzestan einhält eine Menge von Schachthümern und Vjaltten, über denen allen aber der oberste Herr der genannte Schah in Vetsch ist. Der größte von den Unterkönigen dieses Schahs ist der von Trandebog, welches gen Mitternacht liegt. Seine Unterthanen, die sogenannten Trandebogdans, belaufen sich wieder auf viele Millionen. Die Sprache, welche man in Vetsch redet, ist ein ganz eigenthümliches Gemisch. Sie gleicht weder dem Türkischen, noch dem Persischen. Am meisten Aehnlichteit 155 soll sie mit dem Deutschen haben. Doch habe ich dieß nicht immer bestätigt gefunden. Denn als ich eines Tages die Leute auf der Straße nach der Vurg des Kaisers fragte, dauerte es lange, bis ich Jemanden fand, der mich verstand. Ich fragte immer nach der Vurg, indem i<1' nach unserer Weise das ,,g" in diesem Worte ganz weicd aussprach, und dieser Umstand allein war hinreichend, um mich unverständlich zu machen. Nach häufigen Wiederholungen von meiner Seite hieß es denn endlich: „Aha nach der Vurk will der Herr, ja schau'ns nach der Vurk geht's dahin." Doch auf die Sprache des Landes werden wir später noch einmal zurückkommen, und hier wollte ich eigentlich zunächst nur von den interessanten Verbindungen, welche jene Stadt mit den: Oriente unterhält, reden. Vetsch oder Wien, denn dieß ist eins, und die Türken, sowie auch schon die Ungarn und alle Wlkcr, die von Ungarn an bis tief in Asien hineinwohnen, nennen Vetsch, was wir Wien Heisien, sowie sie mit dem Namen Njemzestcm unser ganzes deutsches Vaterland bezeichnen, über welches ihrer Meinung nach noch immer des Kaisers von Oesterreich Majestät oberherrlich waltet, denn obgleich Kaiser Franz als deutscher König abdankte und des deutschen Reichs Pracht und Herrlichkeit längst erlosch, so dauert es doch bekanntlich immer lange, bis man in entfernten Gegenden den Untergang eines Sternes gewahrt, da seine einmal entsendeten Lichtstrahlen noch auslange Zeit nachwirken und uns noch lange sein Vild hinzaubern. Oesterreich insbesondere nennen die Türken Austria, Bran- 156 denburg corrumpirten sie auf cine sonderbare Weise zu Trandebog, und Trandebogdan heißen die Leute, welche der Wiener gleich auf den ersten Vlick als Preußen er» tcnnt. Vetsch oder Wien also, das in dem östlichen Zipfel von Deutschland liegt, ist neben Trieft der vor» nehmste Vcrmittelungsplatz aller Geschäfte unseres Vater« landes mit dem Oriente. Es führen aus den östlichen Landern zwei große Wasserstraßen nach Deutschland hinan. Die eine ist der breite Canal des adriatischen Meeres, der in nordwestlicher Richtung aus Griechenland kommt, und vie andere ist der schmale Faden der Donau, die aus den Gewässern des türkischen Meeres in ungefähr derselben Nichtlmg, bis tief nach Deutschland hinein sich verzweigend, emporsteigt, nnd in diesen beiden Hauptrichtungcn — auf der Donau und der Adria-Straße — spannen sich von jeher alle die Faden aus, welche Deutschland mit dem Oriente verban« den. Am Ende der Adria-Strafte wurzelt Trieft, das seine Verbindungen über die ganze Levante hin bis auf der einen Seite nach Aegyptcn und auf der anderen Seite nach Smyrna und Konstantitwpel ausdehnt. Auf dem einen Ende der Donau-Straße aber liegt Wien, von wo aus sich eine Reihe von Handelsplätzen an der Donau hinabschlingt bis an das andere Knde der Kctte, nach Konstantlnovel. Von Wien verzweigt sich dann der deutsche orientalische Handel in das Innere von Deutsch« land hinein, sowie er sich von Konstantinopel auS nach Trapczunt und Smyrna entfaltet. Wien ist der westlichste deutsche Punct, bei dem dco 157 türkischen Padischahs drohende Heere lagerten, und noch jetzt der westlichste Ort, an dem sich eine orientalische Handels-Colonie oder Factorei befindet. Dasjenige Volk, welches Colonieen bildend an der ganzen Donau hin die Beziehungen Deutschlands zum Oriente sowohl durch seinen Handel als durch seine Flußschiffahrt großen Theils vermittelt, sind die Serbier, die in Wien wie auch in ganz Ungarn „Naizcn" oder nach der öfter« reichischcn Aussprache „Razen" genannt werden. Ich habe weder durch Lertüre, noch durch mündliche Nachfrage mit Sicherheit erfahren können, woher diese Bezeichnung der Serbier abzuleiten sei *). Auch im ungarischen Latein heißen die Serbler „Nasci", und ihr Land wird „Nazcia" genannt, sowie der Könlg von Ungarn auch „rex It«,«-cmc" betitelt wird. Die Ungebildeten in Wien nennen dann auch wohl Jeden, der sich m orientalischer Kleidung zeigt, einen Razcn. Diese Naizcn nun haben in Pcsth, in Wien, wie auch in anderen Donaustadtcn, ihre Colonieen und sind hier überall den Bewohnern der Städte beigemischt, wie die Armenier, Vucharen und Griechen im südlichen und östliche» Nußland, wie die Juden in anderen Ländern. Auch gehören sie zu den vornehmsten Schiffern auf der mittleren und unteren Donau. Man trifft sie und ihre Weiber überall in Wien auf den öffentlichen Plätze», wo sie sich *) Es giebt cincn kleinen Fluß in Scrbim, der einen ähnlichen Namen hat, und von dem jener VoWnamc cntlchnt sein soll. 15V in einer sonderbaren Mischung europäischer und orientalischer Tracht zeigen. Neben diesen Raizen spielen die'sogenannten türkisch-spanischen Juden in den Handelsbeziehungen Wiens mit dem Oriente eine Hauptrolle. Diese merkwürdige Branche jener merkwürdigen Nation hat sich, nachdem die christlichen Könige Spaniens sie aus ihrem Reiche vertrieben, über das ganze türkische Ncich verbreitet. Sie haben Handels-Etablissementö in vielen türkischen Städten Afri-t'a's nnv Europa's (auch in denen Asiens?) und sind so auch als Vermittler des Ostens und Westens nach Wien gekommen, wo sie sehr bedeutende Handelshäuser gegründet haben. Sie hciben, wie die Serbicr, aber in weit geringerer Anzahl als diese, sich an der ganzen Donau hinunter in Pcsth, in Neusatz, in Scmlin und Belgrad verzweigt und sind besonders in den Verbindungen der Donau-Lander mit Thcssalonich, wo ebenfalls viele der Ihrigen etablirt sind, wichtig. Diese türkischen oder spanischen Juden haben orientalische Kleidung angenommen, wahrscheinlich weil diesi eine Bedingung sinn yua nnn ihrer Aufnahme in der Türkei war. Dagegen haben sie die spanische Sprache beibehalten. Sie convcrsiren und correspondiren unter einander von Belgrad nach Salonichi und von Neusatz nach Wien noch jetzt in spanischer Sprache, wahrscheinlich weil ihnen dieses Idiom als ein hier unbekanntes sehr erwünscht sein mochte. Sie genießen hier in Wien mancherlei Vorrechte, unter anderen auch das, daß sie, obgleich in dieser deutschen Stadt ansässig und etablirt, türkische Un- 159 terthanen bleiben dürfen, und sie stehen daher hier unter dem türkischen Gesandten, uon den Ortsbehörden ungefähr ebenso unabhängig, wie die Franken unter ihren Consuln im türkischen Reiche. Außer den genannten sind aber auch noch viele griechische und armenische Kaufleute in Wien etablirt. Unter den Griechen giebt es Häuser, wie das von Sina, dem ersten Banquier deS Kaiserreichs. Nachdem es durch die neuerlichen Verbesserungen der Donau-Schifffahrt nun möglich geworden ist, von der deutschen K'aiserstadt innerhalb weniger als 14 Tagen nach Trapezunt und innerhalb 3 Wochen in das Innere des persischen Reichs zu gelangen, erscheinen auch Trapeznntischc Handler und persische Spihmntzen in der Nähe der Stephanskirche. Doch halten sie sich hier nur vorübergehend auf. Im Ganzen schlagt man gemeiniglich die beständige Anzahl aller Orientalen in Wien auf circa 1000 Seelen an. In welchem Verhältniß sich ihre Zahl in der neu» esten Zeit bei der immer zunehmenden Erschließung des Orients vermehrt haben mochte, schloß ich auf dem Bureau der Wiener Fremden-Polizei, wo ich Gelegenheit hatte, einen Blick auf die Register der Fremden zu thun, n»r daraus, daß man zur Verzeichnung der Namen und Wohnungen der in Wien sich aufhaltenden türkischen Unterthanen von 1822 —1831 (in 9 Jahren) einen starken Folioband verbraucht hatte, von 1831 —1836 (in5 Jahren) einen ebenso starken unv von 1836— 1840 (in 4 Jahren) einen dito. Der Wiener Schematismus für das Jahr 1840 ili0 giebt darüber die Notiz, daß an türkischen Unterthanen, die im Großen Handel» und niit ihren Firmen in Wien protocollirt sind, daselbst sich befinden- 1) griechischer Religion (die wenigsten davon griechischer Nation): 52, i!) israelitisch-türkische Handelsleute (von denen die meisten noch jeyt spanische Familiennamen haben, z. V. Somajo, Majo, Abincri, Venture, Major, Sabetay): 48, und 3) armenische Kaufleute: 9. Die meisten Orientalen halten sich in Wien in der Nahe der Straße auf, welche der alte Fleischmarkt genannt wird. Hier sieht man sie häufig, gravitätisch wie Störche, 'langsam in dem europäischen Straßcngcwirrc einherschrci-ten oder noch lieber aus den Fenstern eines Haufes, auf die schonen rothen Kissen, wie sie bei den Wiener Fenster-» Brüstungen gewöhnlich sind, bequem gelehnt und eine Pfeife rauchend, auf dieses Gewirrs hinabblicken. Hier sind auch die beiden Kaffeehäuser, das sogenannte griechische und das Kaffeehaus zur Stadt London, in denen sich die Orientalen vornehmlich versammeln. In dem ersten findet ein bestandiges Ein- und Auswandern der orientalischen Kaufleute statt, doch kommen auch viele Griechen, Juden und Italiener dahin. Das zweite haben sich besonders die jungen türkischen Studenten und dann die Herren Offiziere der Pforte, welche in neuerer Zeit vom Bosporus zu den Quellen der Aufklärung und der Künste an der Donau zahlreich Pilger- 161 ten, zum Schauplatz ihrer geselligen Vergnügen, welche vornehmlich i« Tabackrauchen und Vcisammensitzen bestehen, erwählt. Die letzteren lernen natürlich alle Deutsch, und ihre Aussprache schien mir in der Regel weich, wohllöncnd und angenehm. Doch kam es mir immer sehr komisch vor, wenn ein solcher Fremdling sich oft die bcßte Mühe gab, die österreichischen Provinzialismen so recht zierlich nnd gewissenhaft nachzusprechen, z. V. wenn ein Türke, mit dem ich mich in ein Gespräch ein-gelassen hatte und der mir ansah, daß ich einen Fidibus für meine Cigarre suchte, mich fragte.- „Schaffen's a Fidibus? — Wart a bisl!" und mir dann freundlich ein Stück Papier überreichte, — oder wenn ein anderer bei'm Villardspiel, wenn er einen Fehlstoß machte, verzweifelnd ausrief: „Ach a Sau-Spiel, a verwünschtes!" Villig wundert man sich nur, daß diese Wiener Kaf-' feewirthe ihre Gastzimmer, die sie doch orientalische nennen, noch so wenig ihren Gästen zu Liebe nach ori» «Malischer Weise gemodelt haben, daß sie nicht einmal «inen so breiten schönen Divan darbieten, wie man ihn in türkischen Kaffeehausern findet. Bedenkt man, wie wichtig selbst bei uns unruhigen Franken der kör« Perliche Zustand ist, den wir das Sitzen nennen, und wie W, selbst wir das bequeme Sitzen für etwas so Vorzügliches halten, — einen Veweis dafür geben auch unsere bildlichen Ne-densartcn: irgendwo gut sitzen, in der Wolle sitzen, Jemanden im Schooß sitzen, auf Nadeln sitzen, ansaßig sein, seinen Sitz irgendwo haben, was, wenn wir uns nicht so viel «l. 11 102 ans dem Sitzen machten, ja ebenso gut „irgendwo bequem stehen, auf Nadeln stehe:,, seinen Stand haben" ic. heißen könnte. — Vedenkt man, sage ich, wie selbst wir bei der allgemeinen Unbequemlichkeit unserer Sitz-Maschinen uns doch an gewisse Arten derselben so leiM gewöhnen, daß andere uns dann unbequem werden; eine deutsche Dame sagte nur z. V. einmal, daß sie sich an das Sitzen auf Rohrstühlcn so gewöhnt habe, daß sie die gepolsterten Stühle gar nicht mehr leiden könne, wobei ich noch eben zur rechten Zeit die philosophische Bemerkung unterdrückte, die mir in den Sinn kam, daß auf diese Weise doch auch selbst gewisse, sonst dem psychischen Leben sehr ferne Theile unseres Organismus gewisse Ge« Wohnungen für sich allein annehmen können, durch die dann, wenn ihnen etwas Ungewohntes entgegentritt, im ganzen Organismus ein Mißbehagen erregt wird. Ich z. V. habe einen Finger, der gewohnt ist, einen enganschließenden Ring zu tragen und der cs beständig unangenehm empfindet, wenn ich diesen Ning einmal ablegte. Dergleichen laßt sich weit treiben, und man kann jene Siygewohnheiten sehr fein ausspinnen. So z. V. kannte ich Jemanden, der nur auf Iuchtcnledcr recht bequem sitzen zn können glaubte, jedes andere Leder fühlte er sofort heraus. Ist man an eine gewisse Höhe der Stühle gewöhnt, so merkt man bei anderen Stühlen selbst eine sehr geringe Differenz der Höhe. Vedenkt man dieß Alles, sage ich, so wird man begreifen, daß ich nie anders als mit dem größte» Mitleiden die armen Orientalen in Wien auf diesen unseren schmalen, hochbeinigen, wackeligen, engen 163 Eitzgeralhschaften ansehen konnte, auf denen sie ernst und traurig, ihr Herz vom Heimweh zernagt, dasaßen, das eine Bein nach Vaterwcise auf den Stuhl heraufgezogen und untergeschlagen, daS andere aber, das keinen Platz mehr darauf fand, einsam und verwaist in den leeren kaltm Ramn unheimlich und langstakig hinabgelassen. II* Besuch auf dem Wiener Stephans-thurme. 3/tein beßter Freund in Wien hieß Stephan. Da ich hörte, daß er scit einiger Zeit Witwer geworden sei, so galt ihm eine meiner ersten Vcileidsvisiten. Ich verstand die Redensart: „Witwer geworden," anfangs nicht ganz, denn soviel ich wußte, war mein besäter freund Stephan, der über 400 Fuß Länge und über 500 Jahre Alter hat und niemand Anderes ist als der berühmte Stephansthurm, den in Wien Viele auch nur kurz „den Stephan" nennen, nie vcrhcirathet, wie wohl manche seiner Brüder, die Doppelthürme in Nheims, die gepaarten Thürme in München, Lübeck und andere» Orten. Vielmehr ragte er ja beständig einsam und allein während der ganze» Dauer seines Lebens in den hohen Luftraum empor, ohne baß er je die Freude hatte, wie Adam aus seiner Nippe sich ein treues Weibchen erstehen zu sehen. Ich fragte daher mit Recht: „warum? wie so? Witwer geworden?" — „Ja weil es dem Schicksale und der Wiener Sicherheitspolizei gefallen hat, ihm sein Kreuz abzunehmen." — Dieß ist also ein Wiener Witz, den, 165 glaube ich, alle verheiratheten Damen der Welt sich recht gern gefallen lassen werden, da das Compliment, welches ihnen dadurch gesagt wird, noch weit größer ist als die Nnartigteit, die auf den ersten Anblick darin liegen könnte; denn wenn man behauptet, daß der Ehemann sein Weibchen tragen müsse, wie der Stephansthurm sein Kreuz, so muß man doch dabei auch zugeben, daß ihm, dein dicken, starken Herrn, diese kleine Last ziemlich leicht werden mußte und daß sie außerdem ihn beherrschte und krönte. Auch war dieses Kreuz in Verbindung mit einem doppelten Adler, der seine Fittige herrschend über den Thurm hielt, wie die Ehefrauen gern ein anderes bei ihnen beliebtes Instrumentchcu befehlend über ihre „Ehehcrren" — „Ehediener" sollte man sie lieber nennen — halten. Der Wiener Stephansthurm wird freilich in der Regel nur von friedlichen Vögeln umflattert oder von den unschädlichen, obgleich hier in so großer Höhe oft recht ausgelassenen Windgöttern umbraust — aber alle 10t) Jahre kamen periodisch einmal andere Vögel angeflogen, feindliche, schwarze, störrische und hartköpfige Gesellen, die eben nicht behutsam nachsahen, wo sie dem stattlichen Herrn Stephan in seine zierliche Halskrause oder seinen mühsam gesalzten Busenstreif verwirrend hinein fuhren. In der That sind fast immer zwischen den verschiedenen Vombardemcnts, die Wien und insbesondere sein schöner Stephansthurm erst von den Ungarn, dann von den Türken, dann abermals von den Türken unv endlich von den Franzosen erdulden mußte, gerade 1W Jahre verflossen. Seit der letzten Beschießung durch die 16tz Franzosen sind mm schon bald 49 Jahre vergangen, und es wäre doch merkwürdig, wenn noch 60 friedliche Jahre wiederum ein Jahrhundert vollzählig machten. Aus welcher Richtung einmal Anno 1W7 oder 19W die Kugeln pfeifen konnten, ist gar nicht schwer abzusehm; denn jedem Neisenren, der nach Oesterreich kommt, fallt die Frage schwer auf's Herz, warum sie denn nicht alle Fenster und Thurmlöcher, die nach Nordostm schauen, noch besser verkitten und vernageln. Nun, auch dem fünften Bombardement von 1907 wird Stephan hoffentlich muthig und ausdauernd trotzen, und vielleicht wird cr noch ein sechstes und siebentes dahin nehmen können. Aber zuletzt wird im Laufe der ganzen Reihe der auf ihn gemachten Stürme doch auch ihm der Muth entsinken. Vr wird einmal morsch werde» und die Sicherheitspolizei der Stadt Wien oder wie der Ort, der ihm z» Füßen liegt, dann heißen mag, wird darauf verordnen, den alten, morschen, hinfalligen, untauglichen Stephan der Sicherheit der Köpfe der ehrenwerlhen Stadtbürger wegen abtragen zu lassen. Doch es ist, Gott sei Dank, einstweilen noch im tiefsten Dunkel der fernsten Zukunft verbog gen, welche Hände dieß Merk und zum Fromme» welcher Köpfe sie es vollführe» werden. Denn vorläufig ist mall wieder thatig dabei, die alten hohlen Knochen dem Thurmo lmszunchmcil und ihm neue starte Gebeine einzusetzen. Icy besah mir diese Arbeiten genau. Die Erlaubniß dazu holt man sich im Bureau des .Archenmeist^-Amts, wo man einen gedruckten Paß für oiesc kleine Reise zu den Wolken erhalt. Dieses Kirchen- 167 meister-Amt, das ill der Nahe des Thurms seinen Sitz aufgeschlagen hat, ist schon selber eine kleine Merkwürdigkeit, denn es fragt sich, ob irgend ein Dom einen so weitläufigen Hofstaat hat, wie der Wiener Stephan. Dieser uralte Herr hat noch viele mittelalterliche Gebräuche und Sitten mit in unsere neue Zeiten hinübcrgebracht und besitzt viele eigenthümliche Einkünfte, die ebenso schwierig zu verwalten sind, wie sein bunter gothischer Van in architektonischer Hinsicht schwierig zu beaufsichtigen ist. Das sogenannte „Niesenthor" z. V., einer seiner 5 Gn-gange, das mit allerlei unerklärlichen Verzierungen geschmückt ist, öffnet et bei gewöhnlichen Gelegenheiten nie, und es erscheint daher meistens wie verrostet und verstaubt. Es kostet mehre hundert Gulden, wenn die Verwandten eines vornehmen Todte» bei'm Vorübcrführen dcs Leichenconducts cmch diese Thüren geöffnet zn sehen wünschen. -Auch die zahlreichen Sterbeglocken der.Arche haben ihre verschiedenen Preise, und will man, daß der Stephatt einem Verstorbenen mit aller ihm zu Gebote stehenden Trauer-glockenmusit seine (Ehrfurcht beweise, so muß man dazu ein namhaftes Capital aufwenden. Doch es wäre zu weit* lausig zu beweisen, daß die Kenntniß aller Satzungen und des ganzen (5erc»wniels und Haushaltes dieser Kirche ein tiefes Studium erfordert. Mit diesem Studium und dessen praktischer Ausübung befassen sich die Herren vom Kirchenmeistcr-Amt, deren nicht weniger als 21 sind und zwar nach Nang und Würden folgende- 1 Kirchenprobst, 1 Controleur, 4 Kirchenamts-Tesmäre, 1 Meßncr, 2 Oberlirchendicner, 3 Nntcrtirchcndiencr, 4 Kirchendiener- 168 Gehülfen, 4 Conductansager, 2 Ucberzahlige. Dabei isi wohl zu bemerken, daß dieß nur eine Branche der mit dem Dom sich beschäftigenden Behörde ist, so zu sagen, seine Polizei. Der oberen Dombehörden sind noch weit mehr, und ebenso ist das weibliche Personal, sowie die Thurmwächter, Kirchenmägde ic. nicht eingerechnet. Nicht weit von der Thüre, durch welche man zum Thurme geht, befindet sich an der Kirchenmaucr unter den vielen Monumenten über todten Gebeinen auch ein alter Grabstein, auf dein man die Worte: „lortiter ac «,mvi-ter!" liest. Ich übersetzte diese Worte der nellgicrigm kleinen Ecrbierin, die nebst einem Anhange von Perwandten und Brüdern mit mir den Thurm besteigen wollte, und wir nahmen uns diesen Spruch als ein Viaticum mit auf den .Treppenweg. Diese )nnge Orientalin hatte einen ebenso häßlichen Kopfputz, wie alle ihre Landsmänninnen in Wien — ein Tuch nämlich, ganz platt und straff angezogen, um den Kopf gewickelt und daraus ein Bouquet grellfarbiger Blumen hervorblickend, wie der Fcderbusch auf dem Tzschako eines Soldaten. Nichtsdestoweniger aber war und blieb sie sehr hübsch, und ich versprach, ihr meinen Arm anbietend, gern für den ersten Theil jenes Spruches nach Kräften zu sorgen, wogegen sie sagte, daß es ihr nicht schwer fallen würde, mit dem «NÄviter zuweilen meinen Eifer zu dämpfen. Der Stephans-Thurm ist von unten bis oben von sehr verschiedenen Menschen und Thieren bewohnt. Ganz unten führen den Fremden in der Regel junge anwesende 169 Geistliche herum. Weiter hinauf bis zum Kirchendache herrschen die Kirchendiener. Dann kommt man in das Gebiet der Glockenlautcr, nnd endlich ganz oben schalten und walten die Thurmwachtcr. Sie alle inachen auf verschiedene Weise die Honneurs des Thurmes und brandschatzen die Neugierde der Reisenden. Ilcberatt muß man etwas be« schauen nnd bewundern, hier ein Loch, durch welches vor einigen Jahren ein lebenssatter Mann seinen Hut in das Innere dcr Kirche hinabschleuderte und sich dann selber diesem nachstürzte, — dort die Glocken, die Kaiser Joseph I. aus den eroberten Türken-Kanonen gießen ließ — hier den großen „Mondschein," den die Wiener an dem Kreuze ihres Thurmes befestigten, um die türkischen Vomben zur Schonung des hcrrllcheu Gebäudes zu bewegen, — dort die zweckmäßige Vertheilung der 12 Was-serspritzcn und dcr AU Wasscrgcfaßo, die das Gcbaude vor Feuersgefahr schützen sollen. Sie werden im März mit stark gesalzenem Wasser gefüllt, das sich dann den ganzen Sommer hindurch hält. Auch den großen geschmacklosen Doppeladler, der auf dem Dache der Kirche mit ausgebreiteten Flügeln liegt, wahrscheinlich die grüßte Vogclsigur in der Welt, muß man bewundern. Wenn er sich einmal vom Dache der Kirche in die Luft erhöbe, würde er sich für ein Junges des Vogels Rok ausgeben können. Denn von einer Flügelfpitze zur anderen mißt er nicht weniger als 18t) Fuß. Jedes seiner Augen ist aus 4 vergoldeten Dachziegeln gebildet, und jeder seiner Schnabel hat nicht weniger als 3l» solche große Schnppen. 17N Wer gern an der neueren Zeit ein Aergerniß nimmt, hat auch auf diesem Kirchendachc wieder Gelegenheit die Fülle dazu. Im Jahre 18-W nämlich fand man es nölhig, einen Theil dieses Daches mit neuen Ziegeln zu belege». Man formte und färbte also Ziegel ganz nach dem Muster ver allen und führte die Arbeit aus, die sich indeß nur wenige Jahre in ihrer Frische erhielt. Jetzt, nach zehn Jahren, sind diese neuen Ziegel scholl veraltet. Die Glasur und Farbe ist von den meisten abgesprungen, die wcißglasirten namentlich haben sich völlig gcrothet, iuvem die nackte Naturfarbe de3 Thones überall hervorkam, wahrend die allen Zicgel, welche schon in Minelaltcrs-zeiten gelegt wurden, noch mit jugendlicher Färbung uno Friscbe daneben licgcn. Man fürchtet, die neue, schlechte Bedeckung möchte dem Dacystuhle der Kirche schaden, unv denkt bereits auf abermalige Erneuenmg der Arbeit. Nicht weniger als 700 Stufen hat man bis zu der Region des Thurmes zu steigen, in der die Thurmwachier ihre Wohnungen und Veobachtungspuncte haben. Die Vorrichtungen, welche man hicr für diese Vcute erfunden hat, um ihnen die genaue Bestimmung eine« Hauscs, iu dem es breunt, möglich zu machen, sino gauz cigciuhüm-lich und interessant. Auf den Brüstungen der vier nach Osten, Westen, Süden und Norden schauenden Fenster nämlich befinden sich vier Perspective so besestigt, daß man sie sowohl von unten nach oben, als von der Rechten ^ir linken leicht bewegen und stellen kann. I^cs Pcrspcmv oder, wie sie hicr diese ganze Aorrichunig »cimc», jcdec-„T'oposkop" beherrscht einen Quadranten oeö ganzen treis- 171 förmigen Häusermeres, das sich nach allen Seiten hin um den Thurm verbreitet. Der Plan dirses Quadranten ist, durch Kreise und Radien in viele Sectionen getheilt, neben jedem ihm angehörigen Topoftope ausgelegt. Da nnn jeder Punct, d. h. jedes Haus dieses Quadranten, unter einem anderen Winkel erblickt wirv, und das Pcrspemu daher bei jedem anders gerichtet werden muß, so laßt sich aus der Abweichung dieser Nichtung von der Rechten zur Linken und von unten nach oben die Section, in der das brennende Haus liegt, leicht bestimmen, und ebenso dann aucli dieses Haus ausfinden. Auster dem Stadtplane befindet sich dann noch neben jedem Topostope ein dickes Vuch, daö alle Namen der Hausbesitzer, nach denselben vorhin erwähnten Häusern abgetheilt, enthalt, und somit laßt sich das Haus nicht nur bestimmen, sondern auch benennen. Ist der Name des Besitzers aus die besagte Weise anfgc-funden, so wird er sosort auf einen kleinen Zettel geschrieben und dieser in eine kleine messingene Kugel eingeschraubt. Diese Kugel wird in eine Röhre geworfen, und sie spaziert alsdann als geflügelter Schreckensbote rasch durch alle Räume des Thurmes in die unten befindliche Wohnung des Meßners, wo sie eiu beständig aufmerksamer Wachter in Empfang nimmt und sosort mit ihr in das städtische Unteramt eilt. Hier öffnet man sie dann und publicist denen, welche es angeht, den Namen des vom Unglücke betroffenen Hanseö. Diese Operationen erscheinen in der Vcschrcibnng etwaö lang, doch vollführt man sie mit ziemlicher Schnelligkeit u,lv Sicherheit, und das iopostop laftt sich, wie aus un-scrcr obigen Schilderung auch hervorgeht, bei Nacht so gut 172 wie bei Tage gebrauchen; doch wird natürlich für die entfernteren Gegenden der Vorstädte die Vestimmung schwier« iger, da der Schwinkcl und der Stellwintel des Topostops ilnmer kleiner werden. Nur auf einem so hohen Thurme, wie cö der Wiener Stephan ist, läßt sich eine solche Vorrichtung mit Vortheil gebrauchen. Die Lange des Stücks, welches man jetzt des wankel-müthigen Kopfendes wegen vom Thurme abgetragen hat, betragt 11 Klaftern, mithin, da der ganze Thurm etwa 72 Klaftern hoch ist, beinahe ein Sechstel der ganzen Höhe. Dieß ganze Stück war schon lange etwaö ans dem Loche gewichen, man sagt, in Folge eines Erdbebens, anfangs nur mit einer Abweichung von drei Fuß in der höchsten Spitze des Kreuzes. Zuleyt, behauptet man, sei aber diese höchste Spitze sogar eine ganze Klafter von der scnl-rechten Linie abgewichen. Auch viele Kleinigkeiten waren theils bei den verschiedenen Bombardements, theils bei der Einwirkung verderblicher Natureinflüsse, in allen Theilen des Thurmes start beschädigt worden. So z. V. sind die Kronm vieler kleinen Scitenthürmcheu von oben bis uuten gespalten , und gewichtige Steinbrocken und Splitter hängen Verderben drohend über dem von Menschen wimmelnden Abgrunde. Die bisherigen Reparaturen waren sehr mangelhaft. So z. V. hat man um viele jener kleinen Thürmchen dicke eiserne Vander gelegt, welche die losen Steine kaum zusammenhalten. Bei anderen hat man nur einige eiserne Stangen und Klammern hinzugefügt, mn die wantcl-müthigcn und abtrünnigen Herrchen an ven Hauptlörper ihrse großen Meisters zu fesseln. Besonders hat man 1809, 173 nach dem französischen Bombardement, viel in solchen Klammern und Stangen verschwendet. Im Jahre 1838 begann man die jetzt in Arbeit befindliche Hauptreparatur. Von dem sogenannten Balken- oder Rundeorridor ist der Thurm mit einem gewaltigen Valkcngerüste umgeben, achtzehn ans starken Balken gezimmerte Galerleen, die unter sich wieder mit Leitern verbunden sind, steigen eine über der anderen bis zur Höhe des Kreuzes hinauf. Den 24. September des gedachten Jahres fing man mit dieser Arbeit an; in drei Jahren hoffte man sie zu beenden, doch werden wohl noch drei Jahre hingehen, bis sich das schöne Gebäude wieder in seiner ganzen Pracht nnd Vollendung zeigen kann. Welch Frcudentag wird dicsi für die Wiener sein! Die solide Errichtung jencs Gcrüstcs alleln mag schon nicht geringe Schwierigkeiten dargeboten haben, nnd von unten konnte ich das Gezimmer in den hohen Näu-men nicht ohne eine kleine Anwandlung von Furcht ansehen. Könnte nicht einmal da oben ein starker Orkan kommen, der diese Stäbe wie Schwefelstückchen spielend mit sich fortnähme und sie wie Cyklopenhammer auf die Dacher und Menschen niederhagcln ließe. Bei jeden» starken Winde ist eine Fortsetzung der Arbeit unmöglich, und die Arbeiter ziehen sich zurück. So nur ist es bisher gelungen, Uu» glück zu vermeiden; doch erzählte mir einer der Leute, daft er "sich einmal von einem neckischen Windgotte habe überraschen lassen. Es habe ihn derselbe machtig in die Höhe gehoben nnd reitends auf einö der Gelander gesetzt; glücklicherweise habe er sich noch zur rechten Zeit, bevor der Wind zum zweiten Male ansetzen konnte, fest au die 174 Balken geklammert und, nach innen zurückkriechend und kletternd, sein 5,'eben gerettet. Welche Schwierigkeiten die Ausführung des Baues selber hat, mag man nur aus dem einten Umstände schließen, daß die Bausteine dieselbe Strecke, welche jenes oben genannte Vranpkügclchcn in einem Momente zurücklegt, während einer ganzen Tageshälfte durch alle Etagen des Thurmes von unten bis oben hinaufspaziercn. Die Steine sind alle ziemlich groß, und elf Arbeiter vermögen wahrend eines Tages nur zwei von ihnen hinauszubefördern. Um die frische Farbe der neuen Rcparatursteine nicht zu sehr von der alten Farbe abstechen zu lassen, hat man eine eigene Farbe erfunden, mit der man sie überstreicht, allein man hat die Nuance der Thurmfarbe nicht recht getroffen; von unten erkennt man sogleich überall die re-parirten SteNen an dieser sehr eigenthümlichen Farbe. Es ist ein belles Vlauqrau, und wenn man die Spitze auch damit überzieht, wie dieß die Absicht ist, so wird sie gewiß leider sehr unangenehm auffallen und sich wie ein neuer Flicken auf altem Ocwande ausnehmen. Wir machten die ^euic darauf aufmerksam, und sie erwiderten uns, daß sie nach vielen Versuchen doch keine bessere Farbe hatten finden können. Es kam uns anfangs sonderbar vor, baß es so schwierig sein sollte, die richtige Farbe eines alten grauen Gemäuers zu treffen, und wir unterzogen daher die natürliche Färbung des Gesteins einer genaueren Untersuchung. Wir fanden sie nicht nur bei jedem einzelnen Steine, sondern auch bei den verschiedenen Gegenden und 175, Seiten derGebaudeoberflache so verschieden nuancirt,daß schon daraus hervorging, das, eine und dieselbe Farbe für alle Theile gar nicht genügte, um Altes und Neues in einander verschmelzen zu machen. Besonders hangt die Farbe von den Pflanzen — den Moosen >—> ab, die fast überall die Oberfläche des Thurmes bedecken. Diese Moose sind stellenweise schon verfault und verdorrt nnd überziehen dann die Steine mit einer duntelgrauen Lage, die man abbröckeln und zwischen den Fingern zu Staub zerreiben kann. Hier und da giebt es ganze Partiecn neuen, jungen Mooses, welches grüngraue Färbungen herbeiführt. Dann spielen aber auch noch weißgraue, bläulich und gelblich angelaufene Stellen mancl'fach durch einander. Alle diese durch Zerlegung gewonnenen Farben in einen Topf zu bringen, durch einander zu rühren und dann mit dem Gemisch das Ganze zu überziehen, genügt nicht. Man inüßte, um den rechten Effect hervorzubringen, wie die Portraitmaler cs thun, alle diese verschiedenen Töne neben und über einander setzen und sich leise verschmelzen lassen. Aber selbst dieses sorgfaltige Verfahren hatte nicht einmal völlig genügt, denn der Thurm verändert auch mit dem Temperatur- und Witternngswechsel sein Ansehen. Bei feuchter Witterung und Negen nämlich gewinnen nicht nnr die unbedeckten Steine eine andere Farbe, sondern namentlich auch die mit der Moosdecke belegten. Deun diese Moosdecke zieht die Feuchtigkeit an, und viele kleine, bei großer Trockenheit verdorrte Pflanzen gewinnen wieder neues Leben. So er grünt denn der Thurm bei Regenzeit auf der einen Seite sehr lebhaft, und keine Oelfarbe wäre im 176 Stande, diesen Veränderungen zu folgen. Außerdem endlich fragt es sich, ob nicht die Oelfarbe mlt der Zeit abgeht und so die nackte Oberfläche des neuen Steines doch wieder blos legt, und ob es nicht am beßten gewesen wäre, die neuen Steine ganz bei ihrer Naturfarbe zu lassen und der Zeit die allmaligc Verfchmelzung mit dcm Alten, durch Verwitterung und Bemoosung der Oberstäche, anheimzustellen. Dieß mag nun sein, wie es will, so viel ist gewiß, daß die gewählte Farbe uicl zu lebhaft blau ist und mehr in's Gelblichgraue hätte spielen müssen. Die Flora des Stepbansthürmcs ist lueit einförmiger als z. V. die der Thurmruine des Kölner Doms, wo hun» dert verschiedene Pflanzn durch einander ranken. Einförmige Moose überziehen besonders auf der Nordseitc alle Theile und Theilchen seines componirten Baues. Sie und der Regen bewirken es, daß der Thurm hier ergrünt, wie jener Freiherr von Mimchhansen in Immermann's trefflichem Werke. Sie haften besonders an den horizontalen, nach oben gekehrten und nur schwach geneigten Seiten der Steine, weßhalb man auch von oben nach unten Alles mehr mit Moos bedeckt sieht als von unten nach oben. Die Südseite hat wenige oder gar keine Pflanzen. Im Früh-iahre, wo Alles sich erneut und belebt, regen sich auch die kleinen Moose des Stephansthurmes «nd lassen diesen auch, wie die Vaume umher, stellenweise lebhafter ergrünen, sowie er im Sommer gleich den Väumen vertrocknet. Auch die Fauna des Thurmes ist manchfaltig genug. Von den Menschen sprachen ivir schon oben. Die Krähen, Dohlen, Habichte, u.s. w. theilt er mit allen Stadtthürmcn 177 Deutschlands, Eulen sind sehr selten auf ihn, die Wächter sagten hier, es gäbe gar keine; das wäre merkwürdig. Aber die Fledermäuse sind so zahlreich, daß die Leute be« hanpteten, sie hätten bei einer kürzlich angestellten Unter' suchung ihrer Schlupfwinkel nicht weniger als fünfzig entdeckt und erschlagen, weil sie bei ihrer Nachtpatrouillc zuletzt nicht mehr ihre Laternen und ihr Gesicht vor diesen Kobolden hatten schützen können. Eine andere, noch schlimmere Plage aus dem Gebiete des Thicrreiches sind hier die „Gölscn," jene kleinen, langbeinigen, stechenden Insecten, welche an der ganzen Donau hin allen Reisenden und Schiffern so viel zu klagen geben. Ich möchte wissen, was diese winzigen, aus dem Sumpfe hervorgekommcnen und für die Niederungen geborenen Thierchen bei diesem hohen Niesen zu suchen haben, dm sie Sommerszeit in solchen Schaaren umtanzcn, daß die Wachter nicht anders als mit feuchten Tüchern auf dem Gesichte schlafen können, um sich vor ihren Nissen zu retten. Stubenfliegen kommen auch hinauf, jedoch, wie die Wächter sagen, in nicht großer Anzahl. Mäuse giebt es keine. Auch die Spinnen haben die lange Wanderung von unten her, vom StephanZplatze über das Kirchendach hin, Aber alle die unzähligen Thürmchrn und Zacken und durch das ganze Steingezwcige zu diesen hohen Sitzen hin unter« nommen und sich hier niedergelassen. Wir fanden sie hier so häufig, daß wir fast zwischen allen Steinzacken und zwischen jedem Thürmchenpaare ihre zierliche» Gewebe entdeckten. Spinnen und Gölsen haben schon seit 490 Jahren auf dirscm Gebäude des Friedens Krieg geführt. 178 Es mag hierManchcö in der Spinnenwelt Passiren, was wohl eillen Naturforscher interessircn könnte. Vielleicht werden auf diesen gothischen Thürinen die längsten Spinnenfäden gesponnen, die in der Natur vorkommen, z. B. wenn sich eines dieser Thierchen bei windstillem Wetter von den äußersten, in den Luftraum hinausragenden Stcinzacken in die Tiefe hinablaßt. Uebcrhaupt, glaube ich, könnte ein Naturforscher immer noch mit Nutzen für die Wissenschaft auf der Hohe des Stephanothurmes einmal seine Residenz aufschlagen. Von den Gewittern erzählten die Leute, daß sie hier fast alle aus Norden kämen. Sowie der Hahn sich im Sommer rasch nach Süden drehte, hätten sie ein Wetter zu erwarten. Einer der jüngeren, kürzlich erst auf diesem hohen Posten angestellten Leute erzählte unö, daß die Wetter hier höchst schrecklich wären. Als er neulich das erste mitgemacht, habe ihn die furchtbare Ianitschar-musik des Windes, sein Pfeifen und Sausen m allen Steinlöchern, Nitzen und Winkeln, das Wanken und Knarren der Thurmspitze, das wilde Heer der vorüber gejagten Nebelgespenster, das Leuchten der Vlitze und das Gcpauke des Donners so mit Schrecken erfüllt, daß er gemeint habe, er muffe geradezu auö dem ersten beßten Loche zur Erde binab springen. Für akustische Beobachtungen möchte hier noch ein reiches Feld sein. Wir bemerkten im Hinauf" steigen, daß der Wind durch jedes Luftloch der Treppen aus einem andere» Tone pfiff. Natürlich! der Stephans-» thurm ist in dieser Beziehung ja nichts als eine riefen« große, aufgerichtete Pfeife. Mich wundert, daß die ka- 179 cholischtn Kirchcnbauer dabei nicht auf ädnlicbe Einfälle gerathen sind. wie die ägyptischen Priester bei der Mem-nonssäule. Hätte man die Windlöcher von einer gewiffen Größe in richtig berechneten ssnlfermmgen angelegt, so hätte nian vielleicht zu Zeiten einen niachtigen und erha« benen Sturmaccord über die Stadt Hinspielen lassen können. Auf jmen l'öl^ernen Galerieen, die zum Zwecke der Reparatur errichtet wurde», lann man jetzt das ganze Panorama der Stadt Wien und ihrer Umgegend schöner und bequemer überschauen als je zuvor. Mich gelüstete aber, dieß Schauspiel auf einer der obersten Spitzen der kleinen Seitentbürmchen zu genießen. Diese Spitzen be« stehen aus einer Alätterrosette, die oben abgeplattet ist und für zwei menschliche Füße gerade staun« genug gewährt. Wir stiegen hinauf und standen dann auf diesem äußersten Steinzipfelchen wie Eichhörnchen mif der äußersten Spitze eines Vaumastes. DaS schöne Wien breitete sich „nter unseren Füßen aus. Es war ein herrlicher, rubiger, kla» rer Sonnentag. Wir hörten und sahen AlleS deutlich, was in der Stadt passirtc, sogar den Gesanq ^.^ kleine» Kanarienvögel, die in den» Fenster irgend eines Palastes g»< fangen saßen und deren ftlesang bis zu uns empor schmetterte, lind dann die kleinen Schmetterlinge, die von Dach zu Daä, über die Eladt hin irrten, um wieder ein Stücken Wiese jenseits dieseS für sie so öden Gebietes zu suchen. Wir hät< tm Herrn N. N.. der eben bei'm Stock am Eisen um-herspazierte, recht gut sagen können, wo sein Bruder, den er suchte, steckte; denn wir sahen denselben gleichzeitig in seiner ssarosse auf dem Glaei« emherfahren. Das Glacis, 12* 130 welches mit einem breiten, grüne» Ringe den inneren Kern der Stadt Wien umgiebt, verleiht viescm Panorama seinen vornehmsten Schmuck, denn es bewirkt das Zerfallen des ganzen Gemäldes in mehre malerische Partieen und erlaubt es, dasi die schönen Häuserreihen der daran stoßenden Vorstädte sich nicht blos mit den Dachern, sondern in ihrer ganzen Größe prasentircn können. Sie liegen rund herum am Rande des grünen Glacis, wie weiße Blumen in einem grünen Kranze. Die Thurmwächter riescn uns alle Namen der Marktplätze, Straßen, Häuser und Palast? zu, die wir hier überblicken konnten, zeigten uns die Donau, die karpathischen Vorberge, die steierischen Alpen und die Wege und Stege, die nach Deutschland, Böhmen, Mahren und Italien führen, und „das da ist, bitt' ich, die Land« straße nach Ungarn hinlinterzu," — und ich sah, daß da Stoff genug sei, von einem so eigenthümlichen Katheder herab eine prophetische Predigt zu halten. Ich hielt diese Predigt aber nicht, denn es wäre auch nur eine verhallende Rede in der Wüste gewesen. Unsere kleine Ser-bierin wollte aber auch gern „die Straße nach Ungarn himmterzu" sehen, die ja auch zu ihrem Vaterlande führte. Ich bot ihr die Hand, machte ihr noch ein wenig Raum auf der Thurmspitze, und sie setzte dreist die Spitzen ihrer Füßche» auf die äußersten Rander der steinernen Vlumcn-krone, indem sie ihre Blicke auf die ungarischen Gefilde bimnlsweidcn ließ, und so standen wir eine Weile regungslos und fast wie steinerne Bildsäulen auf ihren Postamenten. Nicht der geringste Schwindel wandelte uns an; denn 181 freilich darf ich auch nicht vergessen zu sagen, daß rund um uns her Alles mit Vretern wohl befestigt war. Ve, sagte Thurmspitze nämlich war auch mit in das Gezimmer der Galerie hineingezogen, und nur ihr Kopf guckte zu bequemer Bearbeitung aus dem Vodcn einige Zoll hervor. Das Vergnügen, auf ihm zu stehen, war daher ein sehr unschuldiges und gefahrloses. Nachdem wir uns an der Aussicht, die sich uns darbot, hinlänglich gesättigt hatten, stürzten wir uns, ich und meine Serbierin, stugS von unserer Thurmspitze auf das Pflaster der Straße hinab, wo eben österreichische Truppen in» Anzüge waren, dic wir uns auch noch zu beschauen wünschten. Auch dieß Manöver ist im Oanze» ziemlich bequem, und man kommt ganz unversehrt unten an, wenn man es nämlich, wie wir es thaten, auf der oben benannten 7l)ll Fuß hohen Treppe ausführt. Die Menagerie in Schönbrmm. Vaß dcr Mensch sich verstandig und klug beträgt, ist uns nun eben weiter kein Wunder, denn alle Welt weiß es ja wohl, daß der Mensch ein Mal für alle Mal ein vernünftiges Wesen ist und bleibt. Aber daß die dummen, kurzsichtigen Thiere auch mitunter so gescheit sind, bleibt uns stets ein staunenswürdigeö Naturgeheimniß. Bei den Menschen ist der Geist ein helles Licht, das in seinem Aeußeren und Inneren Alles klar und deutlich beleuchtet. Vei den Thieren aber ist die Psyche ein kleines, trübe schimmerndes Lampchen, daS, vielfach verhüllt, aus tiefer Dunkelheit hervorschimmert und nur zuweilen helle Strahlen wie aus im Innersten verborgener Höhle heraussendet. Bei den Aegyvtern lind anderen Völkern betete man die Thiere als Naturwunder an; bei uns Europäern sind sie in ziemliche Verachtung gerathen; doch glauben auch wir uns oft unter Thieren und Pflanzen, die so wenig aus sich selbst und Alles unmittelbar von Gott empfangen zu haben scheinen, der Gottheit näher als unter Menschen. 183 Was mich betrifft, so kann ich nicht einmal einem Schafe in's Auge schauen, ohne bei'm Anblicke dieser Verhüllung des Weltgeistcs von wundersamen Ahnungen er< griffen zu werden. Der Lcser wird sich daher nicht wun« dern, wenn er mich und meinen Gefährten, den Varon K., schon geringe Zeit nach meiner Ankunft in Wien zunächst nicht nnter den Fratschelweibern, Fischern, Elegants, Ossi-zieren, Modedamen, Tandlern, Tabackstrafikanten, oder wie alle die Verpuppungen des menschlichen Wesens heißen, die sich in Wien offenbaren, findet, sondern in Schönbrunn, mitten untcr den Varen, Affen, Tigern, Adlern, Löwen und wie alle die Vermummungen der thierischen Psyche heißen, welche in dem Garten jenes Ortes eine während des ganzen Faschings und auch noch nach demselben fürt« dauernde Maskerade aufführen. Wir waren mic cmem der vielen hundert Stellwagen dahin gefahren, die in Wien zu allen Tageszeiten nach aller Welt Enden mit Allermanns Personen und Bagage auö- und einkutschen. Wir hatten zum Reisegefährten einen alten, galant gekleideten Wiener Bürger, der, als er hörte, daß wir die Thiere in Schönbrunn sehen wollten, bei diesem 5 i>r«i, phanten — dieser Wcsenspecies gehörte nämlich das in Nede stehende Pärchen an — dem anderen so gerade vor die Augen gestellt habe, machte er seinem Unmnth in einer Invective gegen gewisse Leute Luft, auö der ich ungefähr entnahm, daß man für die neuerlich erst angekaufte Miß Scheck keinen anderen Platz gehabt hätie, oder daß man vielleicht auch hoffte, eine eheliche Verbindung zwischen ihnen zu Stande zu bringen und ein Geschlecht von Schönbrunn er Schecks und Jacks zu begründen. 190 Es war interessant genug, den Herrn Jack in seiner Tantalusqual zu beobachten, um so mehr, da von der wilden Leidenschaft, die in ihm wühlte, nur wenige bei aufmerksamer Betrachtung zu bemerkende Anzeichen zu Tage kamen. In sein singerdickes Fell gepackt, bewegte er sich hinter dem langen Valcon seines engen Hauses hin und her, seine ganze häutige Kiwchenmasse balo auf die rechten, bald auf die linken Vcine werfend. Nur zuweilen warf er seinen Nüsse! in kurzen Stößen rechts und links, wie wenn ein Mensch in verbissenem Grimm mit den Lippen grinsend zuckt. Seme kleinen Augen schienen ganz ruhig und stier, obgleich der Führer behauptete, daß er im In« neren voll Fcucr lind Flammen sei und keinen Moment die Dame gegenüber aus dem Gesichte verliere. Von allein Uebrigen schien er keine Notiz zu nehmen, obgleich der Wachter versicherte, daß dieß blos geschehe, weil er, in seine Balken eingeschlossen, doch wohl einsähe, daß er nichts ausrichten könnte. Es würde aber Alles, Lebendiges oder Todtes, was in den Bereich seines Rüssels und seiner Füße kainc, sofort von ihm zertrümmert und zer» treten werden. Das Vrot, welches wir ihm zuwarfen, würdigte er auch nicht einmal der oberflächlichsten Ve-rlechung, während Miß Scheck sogleich ihr weiches fleischiges Maulchen aufsperrte und schnalzend jede auf' gefangene Semmel verzehrte. Eine solche tief in Knochen, Speck und Fleisch versteckte Leidenschaft mag man nur noch bei den Wallfischen wiederfinden können. Miß Scheck wurde um Mittag ein wenig in's Freie auf die Weide hinausgelassen. Hinter dicken Val« ken und Baumstämmen, aus denen man ein Geländer zusammengesetzt hatte, konnten wir ihrem Treiben zusehen. Sie trabte ruhig den gewohnten Gang zur Weide, der mit einem eben solchen Geländer an den Seiten geschützt war, hinab, bog sogleich links um und blieb eine Zeit lang ganz still vor dem Gange von Jack stehen, als wollte sie ihm hier guten Morgen sagen. Als er aber nicht heraus kam, ging sie auf dem Rasen spazieren und machte ihre Toilette, wobei ihr cm kleiner Windstoß, der sich erhob, behülflich war. Er fegte eine ganze dicke Wolte von Spreu, Staub und Schmnz von ihrem breiten Rücken. Den Jack, sagte man uns, dürfe man nicht in's Freie lassen, wenn man nicht die Mauern und Bäume umher der größten Gefahr aussetzen wollte. Es ist merkwürdig, daß bei einigen Thieren mehr das männliche Geschlecht von dem machtigen Geschlechtstriebe zu leiden scheint, bci anderen mehr das weibliche. Denn wahrend wir Miß Scheck bei aller Pein ihres Liebhabers völlig gleichmüthig bleiben sahen, fanden wir dagegen eine amerikanische Löwin in den schrecklichsten .ssrampfcn der Brunst liegen. Auf dem Bauche, auf allen Vieren ausgestreckt, die Schnauze in der einen Ecke ihres Käfigs versteckt, abgemagert bis auf die Knochen, stimmte sie ein so ohrcnzcrreißendcs Zetergeschrei an und schien, nach den Zuckungen, welche ihrcn Leib beständig durchbebten, zu schließen, von solchen Schmerzen zerwühlt, daß wir meinten, sie müßte wenigstens einen Centner Ar< senik im Leibe haben. Die Wärter versicherten, daß sie i» diesem Zustande periodenweise eine ganze Woche liege, 192 und daß dieß furchtbare Geschrei, welches bei ihr dasselbe sei, was bei den Nachtigallen das viel bewunderte Flöten vorstelle und womit sie ihren Geliebten in den amerika-nischcn Wäldern vergebens rufe, weder Tag noch Nacht einen Augenblick aufhöre. In der Regel haben alle größere Thiergattungen in Schönbrunn ihr besonderes Haus und ihre eigene Gartensec-tion. In einem Hause aber befinden sich aus dem Kaycnge-schlechte sehr kiele ssrcmplarc bei einander logirt, unter ihnen auch ein König, der ein geborener Republikaner ist, ein Löwe aus Hamburg, von nicht sehr imponirender Größe, aber mit einem sehr schönen auodrucksvollen Kopfe. Es ist in der menschlichen Seele eine eigene Lust und Freude an dem Gefährlichen tief begründet, und zwar sowohl in der Seele des Furchtsamen als in der des Muthigen, nur mit dem Unterschiede, daß jener die Gefahr nur dann liebt, wenn er der Gewährleistung sicher ist, daß sie ihm nichts schaden kann. Daher sind auch die Menschen in der Regel am leidenschaftlichsten in diejenigen Handwerke und Beschäftigungen verliebt, welche am gefährlichsten sind. Daher fühlen wir Friedlichen uns am heimlichsten bei'm Ofen, wenn vor'm Fenster die Stürme heulen. Daher konnte anch einer unserer Begleiter in Schönbrunn, der, wenn uns nicht alle Anzeichen betrogen, ein ausgemachtes Hasenherz war, trotz aller Bitten und Verbote der Warter nicht der Versuchung widerstehen, jeden Löwen oder Tiger mit seiner Reitgerte so lange zu reizen, bib er aufstand und an den Stäben seines Gitters die Zähne zeigte. Da< her begriffen wir auch vollkommen daS Verfahren einiger 193 Wiener Herren, tue, wie uns die Leute saften, ohne Naturforscher over Psychologen zu sein, täglich einmal zu diesen Thieren, denen die Dichter so viele schone Vergleiche entlehnen muffen, kämen, um ein paar Mal cm ihren Käfigen vorüber zu spazieren und sich von derjenigen Gattung von Poesie, die aus lhren übelriechenden Behältern hervorhaucht, anwehen zu lassen. Wir unserer Scits konnten sogar der Versuchung nicht widerstehen, eimnal in ciuen dieser Käfige hineinzukriechen, um uns seine innere Einrichtung zu besehe». Es war ein Lcopardenhaus. Die Wände waren mit eisernen Platten sehr sorgfaltig beschlagen, die man mit einer himmelblauen Farbe überstrichen hatte. Die Vorrichtung für Ableitnng deß Un-raths und die Abtheilung in ein Vorder- «nd Hintergemach war sehr zweckmäßig. Die Leoparden, die hier wohnen sollten, waren aber noch nicht da. Der jetzige Kaiser thut wieder viel für die Menagerie, und wir sahen mehre solche neue, eben vollendete Käsige. Keins der hier versammelten Thiere hat sich in der Gefangenschaft so vermehrt, wie die brasilianischen Hasen. Vor wenigen Jahren bekam mau von dieser Species ein Paar, und jetzt sind ihrer schon 3l) vorhanden, und viele andere hat man schon von der Nachkommenschaft ver< schenkt. Die wildesten und scheusten von allen hiesigen Thieren sind die sardimschc» Moufflons. Sie weideten an dem entferntesten Ende der ihnen zugetheilten Section, und wir durften nicht einmal ihren Weideplatz betreten, weil die Wachter behaupteten, daß sie bei der Annäherung von irgend etwas Fremdartige»» sofort davon sprangen 194 und dann blindlings mit den Köpfen gegen Vaumc und Mauern anrennten. Selbst ihre Jungen sind gleich nach der Geburt von solcher Scheuheit beseelt, daß sie schon den anderen Tag alles Feindselige mit der größten Schnelligkeit fliehen und daß es platterdings unmöglich ist, sie zu haschen, während doch selbst die jungen Varen „nd Löwen sich ganz geduldig in die Hand und wie Kinder auf den Arm nehmen lassen. Unter den Kameelen, die überhaupt alle hier so wenig wie in Arabien friedfertig mit einander leben, sondern vielmehr vielfach mit einander kämpfen, sich mit den Vorderfüsien schlagen und beißen, war eines besonders unverträglich, wcßhalb es auch beständig im Stalle an der Kette liegen mußte. Seine knochige Gestalt, sein schäbiger, stellenweise kahlgerupfter Pelz, seine verblichene graugelbliche Farbe, die schlaff und kränklich an den Seiten herabhangenden Hügel seines Rückens, sein bissiges und giftiges Speien und Prusten, sobald sich etwaS Menschliches nahte, sowie sein selbstzufriedenes Ruminiren, sobald man es allein ruhig liegen ließ, machten es uns zum wahrhaft ekelhaften Vilde dcö krassesten Egoismus, das um so widerlicher wurde, da es dabei noch äußerst dürre und mager war. Fett und wohlgenährt sieht aber ein Kamecl fast ebenso wenig schön aus. Denn selten oder nie, ich weiß nicht, woher es kommt, ist seine Behaarung recht in Ordnung und vollständig. Die feisten, fetten, speckigen Stellen seines Leibes schimmern daher hier und da mit bläulicher Farbe oft recht widerlich durch die lederne Haut hindurch. Es war auch ein solches set- 195 tes Kameel hier vorhanden, das noch in Acgypten geboren war. Das Kameel ist von allen zahm gemachten Thieren vielleicht dasjenige, welcheS den tückischesten Charakter hat. Die Zebus, friedliche, zahme Kühe aus Ostindien, haben hier mit den Kameelen einen gemeinschaftlichen Teich, aus dem sie saufen und der ihre Gebiete aus» einander hält, wie das ostindische Meer Hindostan und Afrika, ihre Geburtsländer. An Zebras giebt es in Schönbrunn einige außerge-wohnlich schön gezeichnete. Eins davon war trächtig. Ein anderes hatte man mit einem deutschen Esel zusammengelassen, und aus ihrer Begattung war ein Junges hervorgegangen, das fast ganz dem Vater glich. Nur an den Beinen verriethen einige Ansätze von Streifen den Einfluß der mütterlichen Haut. Für die Vögel sind wieder besondere Abtheilungen und Vorrichtungen. So giebt es für die Wasseruogel einen eigenen Fischteich. Hier werden sogar Karpfen für die Löffel gänsc fett gemacht, die deren oft dreipfündige und fußlange mit einem Mal verschlucken, ohne das; man ihnen hinterher auch nur die geringste Unbchaglichkeit amnerft. Dieß ist mehr, als der Löwe taun, der darnach, wcnn er ein verhältnismäßiges Schluckvennögen besäße, etwa ein ganzes Lamm aus einmal seinen Schlund hinabspazieren lassen müßte. Den Strauß in Afrika in der freien Wüste laufen zn sehen, muß ein entzückendes Vergnügen fein; denn schon die wenigen federleichten Sprünge, welche man ihn auf seinen engen Wiesen in Schönbrunn, Paris und London machen sehen kann, wenn die Wachter ihn aus 13* 196 seinem engen Käsige hervorrennen lassen, gewähren cm schönes Schauspiel, wobei jedoch sein wunderleicht ihn umspielender Fcderpelz die Hauptrolle spielt. Man hat sich in Schönbrunn viele Mühe gegeben, Junge von dem Strausienpaar z» erhalten, jedoch hat man es damit nur bis zum Eierlegen gebracht. Da die Alten diese selbst nicht auszubrüten verstanden, und da anch die deutsche Sonne nicht die lebendigmachende Kraft der afrikanischen besitzt, ft legte man die Gier anfangs Puterhennen unter, die auch darüber brüteten, aber nicht Wanne genug besaßen, um solche Riesensöhne aus diesen Eidotterfasichcn in's Leben zu rufen. Man verfnchtc es alsdann mit der Ofenwarme. Doch auch dieß wollte nicht gelingen. Ebenso auch hat man von den Papagaien bisher nur Eier erhalten, aber noch keinen vermögen können, sich seiner im Embryo schlafenden Rachkommenschaft durch Sitzen und Brüten anzunehmen. Von allcn hier gefangenen Thieren machen keine einen melancholischeren Eindruck als die Adler, die Königsund Lämmergeier. Diesen großen, stets in hohen und weiten Regionen horstenden und kreisenden Herren hat man ihr Gefängniß am wenigsten naturgemäß einrichten können. Denn in der That gleicht ein hölzerner Käfig mit eisernen Stäben immer noch eher einer Löwmgrnbe oder einer Tigerhöhle als einem hochthronmden Adler-nestc. Sie können in diesem engen Gefängnisse nicht einmal dazu kommen, ihre Flügel ausznstrccken. Und doch thitt ihnen dieß ohne Zweifel ebenso noth, wie z. V. dem Menschen das Strecken eines Armes oder Veincs nach 197 langen» Sitzen oder Vieren, was man schon deutlich aus der Gewohnheit aller gefangenen Vögel sieht, die Federn der Flügel zn Zeiten langsam und gähnend auszubreiten. Jene Gebieter des Lnftrcichs, die Steinadler und Lämmergeier, sitzen daher alle still auf ihren Stocken, als waren sie selber Steine oder Lämmer. Einer, den ich beobachtete, sah mit schiefgedrehtem Kopfe unverwandten Vlickes den Hin:^ met an; ein anderer gab in langen Intervallen einen sehr melancholischen Ton von sich und lüftete dabei in bestimmten Tempos zu Zeiten seine lahmen Flügel. Ginige von thnen sollten schon uralt sein. Man erzählte mir von einem, der schon 5t) Jahre in der Gefangenschaft sitze. In 50 Jahren kann ein Adler, wenn man auch nur annimmt, daß er per 3aq 3l) Meilen mit Hin« und Her-ftiegen zurücklegt, wenigstens 500,000 Meilen durchstiegen, das heißt, hundert Mal die Grdc umkreisen. Großer Gott! welch schreckliches Schicksal, diese Kraft in sich zu fühlen und ewig an einen schmuzigen, übelriechenden Fleck gebannt zu sein. Da die Adler hier weder fröhlich sind, noch in ihrer Eigenthümlichkeit sich zeigen, so kann weder der Natur-liebhabcr Freude, noch der Kenner Nutzen an ihnen finden, und man thäte beinahe besser, sie von der Last des Lebens zu befreien und ausgestopft in's Museum zu stellen. Eine Procedur, der sich diese Adler, wie freilich auch die Papagaien und einige andere Vögel, hier in der Gefangenschaft noch unterziehen müssen, sind die Vader von Tabackslauge, welche sie der Insecten wegen zu Zeiten zu nehmen gezwungen sind. Man bestreicht uud bcreibt damit ihre Haut rückwärts gegen die Richtung der Federn 198 In der Gefangenschaft leiden sie mehr von Insetten als in der freien Wildniß, weil sie sich selber ihrer nicht mehr so tbatig erwehren. Das Papagaienhaus, zu dem, wie zu ihrem Centrum, alleKreissectionen, sich verschmälernd, zusammenlaufen, ist inwendig noch mit den Bildnissen Kieler Thiere geschmückt Die Papagaien aller Farben sitzen hier so dicht bei einander wie in keinem Urwalde Südamerika's. Diese Vögel sind gefiederte, zweibeinige Affen. Sie sind ebenso un. ruhig, so gelehrig, so nachahmungssüchtig, so komisch, wie die vierfüßigen Affen. Im Käfig bilden sie den größten Contrast mit dem ernsten, bewegungslosen Adler, indem sie sich, die Gefangenschaft leicht ertragend, auf's Herrlichste darin zu vergnügen scheinen. Sie sind in unauf« hörlicher Vcwegung begriffen, steigen ans und ab, treten hin und her, scheinen mit ihrem stets aufmerksamen Auge Alles zu beobachten und über Jegliches eine Weile nach-zudenken und schreien und kreischen beständig fort. Zuweilen war das ganze, in jenem Lusthause versammelte Heer ganz mäuschenstill, zuweilen aber schrieen sie alle wieder in einem gräßlich, unharmonischen Unisono auf, als hatte man sie alle an den Spieß gesteckt, welche Ehre doch Niemand ihrem schwarzen und geschmacklosen Fleische anthut. Noch ausgezeichneter als durch ihre Thiere sind in« deß die Schönbrunner Garten durch ihre Anlagen und ihre Pflanzen; jedoch nicht durch diejenigen Pflanzen, welche sich gleich bei'm Eintritt dem Augen in langen Alleen als schöne, große, aber höchst grausam verstümmelte Linden- 19» bäume darbieten. I» der That giebt es wohl eine Weise, wie man den natürlichen Wuchs und die Figur der Vaume künstlich zum Vortheile des Gartenschmuckes verändern kann. Man kann Schlinggewächse auf vielfache Weise sich schön emporwindcn lassen, Vaume am Spalier zur Zierde voll Gebäuden heraufziehen u. s. w. Selbst die sogenannte alte französische Gartenkunst hat ihre ästhetische und poet« ische Seite; denn indem sie die Baume allseitig bearbeitet und Pyramiden, Thore, Bogengange, Saulenpartieen und andere Baulichkeiten daraus bildet, ruft sie überraschende Täuschungen hervor. Alls der Ferne schließt man aus den architektonischen Formen auf Stein und Eisen und entdeckt in der Nähe, daß in diesen zauberischen Mauer» Vögel wohnen, Früchte reifen und die Winde säuseln, und erkannte man in der Nähe den Vaum und die beweglichen Platter, so scheint in der Ferne wieder die ganze archi< teutonische Form felsenfest zu stehen. Da auf diese Weise die Kunst die ganze Form des Baumes von Grund aus verändert und nichts Natürliches daran gelassen hat, so vergißt man dabei die ursprüngliche Gestalt und überlaßt sich willig der neckenden Täuschung. In Schönbrunn aber, wo man die ganzen großen Lindenbaumalleen nur auf der inneren Seite beschnitt, wahrend die andere, nach außen gekehrte Seite in ihrer natürlichen Unregelmäßigkeit blieb, hat man wahre verstümmelte Baumungethüme geschaffen, die auf der einen Seite enorm hohe, platte Blattermauern bilden, wahrend sie auf der anderen einem wilden Walde gleichen. Auch sind dic Schönbrunner Bäume nicht einmal oben von der Sche«« MY auf einer gleichen Höhe gehalten worden, sondern sie ranken hier mehr, dort weniger hoch hinauf, so daß das Trugbild einer Mauer nicht einmal entstehen kann, und mcm nichts weiter sieht als verstümmelte Väume. Wenn Jemand ans Marmorstatum Säulen drechselte, um daraus einen Porticus zu bauen, so würden wir ihn einen Var-baren schelten. Aber wenn er die Statuen nur halb durch-» sägte und dann aus ihnen seine Gemäuer bildete, so würden wir ihm diesi noch weniger Dank wissen. Alan wendet sehr viel Mühe auf, um die beschriebenen Vaunivcrftüm-melungen in Schünbrmm zu Stande zu bringen, und hat unter Anderem große, 50 bis 60 Fuß hohe, vieletagige Maschinen, die auf Rollen im Garten herumgefahren werden, erbaut, damit die Gartner mit ihren Schecren, Aer-ten und Sagen bequem zu jedem Zweige gelangen können. Doch darf man in Gärten, die, wie die Schönbrunncr, noch außerdem so viel Herrliches gewähren, nicht lange bei'm Aerger über diese Linden stehen bleiben. Wir über-« ließen unS gern der Führung der gefälligen Pfleger dieser Gärten durch ihre manchfaltigm Pflanzenschatze, und wenn wir auch nicht im Stande sind, cinen genügenden Ueberblick über diese Reichthümer zu geben, so wollen wir doch Einiges,» was uns in diesen Gärten Ausgezeichnetes aufsiel, zu schildcru versuchen. Auch außerhalb der Gewächshäuser werden hier, iui freien Vodcn des Gartens, viele Pftanzen gepflegt, die man anderswo vergebens sucht. Wunderschön und einzig in seiner Alt ist z. V. das Vrcmvlar der Fo^Iwrn ^»oliica, eines herrlichen, große» Baumes mit äußerst scingcfiedcr- 201 ten Blattern. Er steht auf elnem schönen Rasenplätze, und die Verschlingung seiner Aeste, sowie die ganze Zeichnung deö Baumes ist so malerisch, daß er schon mehre Male portraitirt wurde und sich auch in der Sammlung von Schönbrunncr Pflanzen- und Vauingcmalden befindet, welche der jetzige Kaiser besitzt. Zur Portraitirung einzelner Baume oder selten erscheinender Blüthen für den Kaiser, oder für einen wissenschaftlichen Zweck sind in diesem Garten fast beständig mehre Maler beschäftigt, wie denn überhaupt gewiß die ganze Ordnung und Pflege, die man hier den Pflanzen angedeihen laßt, wenig oder nichts zu wünschen übrig laßt. Die Gewächshäuser sind alle geräumig, zweckmäßig und schön, und in diesem Augenblicke wird wieder ein ncuer, großer Dryadentcmpel in kaiserlichem Style gebaut. Ueber-all, wo es Noth that, fanden wir, daß man den an Selbsthülfe so armen und ungeschickten Pflanzenwcsen sorgfaltige Unterstützung gewährt hatte. Wo ein Zweig vom Winde gebrochen war, hatten die Pflanzenchirurgm mit eisernen Ringen, Stricken und Bandagen sogleich geholfen. Bei jeder der Orchideen sahen wir an den Wurzeln sorgfältig eine Kartoffel hingelegt, damit die Kellerwürmer hineinkriechen möchten, welche sonst die Pflanze selber aufsuchen würden. Für manche Bäume, die im Freie» stehen, werden im Winter eigene Hütten gebaut, wie z. B. für die H.rkmcurm excels» eine, die noch dazu jedes Jahr erhöht werden muß, weil der Baum sehr rasch wächst. Icde Pflanze erzeugt oder lockt ihre besonderen Insccten, und man sieht überall die Gärtner fleißige Anstalten treffen, 202 um sie zu fangen und zu todten. An der brasilianischen Schirmpalme hängen lange Faden herunter. Jeder dieser Fäden ist ein vob der Schönbrunner Gartenordnung-, denn er ist lang, wohlerhalten und nicht zerrissen, wie man dieß wohl in anderen Gewächshäusern sieht. Die Palmen, an denen man bekanntlich hier reicher ist als selbst im Mtlin ties Dantes von Paris und in den Gärten von Kew, haben sehr lange, leicht zerbrechliche Wurzeln und erfordern daher bei ihrer Versetzung viel Vorsicht, und daß diese hier beobachtet ist, dafür bürgt der gesunde, schlanke Wuchs jeder Palme, die das Glück hat, ein Pflegekind dei Schönbrunner Gewächshäuser zu sein. Die 5tcma i,a!I!i8 gleicht einem Kalbs-grkröse, und die (lnngora nmcnlata aus Merico hat an langen, dürren Stielen schwebende Blüthen, welche ganz frappant die Gestalt der Wasserjungfern nachahmen, und sonderbar ist es, daß diese Pflanze also an demselben Thiergeschlechte gewissermaßen Vergeltung übt, welches in manchen seiner Species es sich herausgenommen hat, die Pflanzen nachzuäffen und als lebendiges Vlatt davon zu stiegen. Man erzahlt sich von Shakespeare und auch von anderen wahrhaft großen Mannern, daß sie bei aller Tiefe ihres Geistes doch anch an bloßen bedeutungslosen Scher« zen und kindischen Spielereien viel Vergnügen gesunden; die Natur gleicht diesen großen Geistern, die aus Neberfülle von Genie oft in Lappalien ihre Kraft vergeuden. An sonstigen Pflanzenraritatm pflegt man dem Frein- 204 dm hier noch zu zeigen: einige Ven. Auch in Wien thmi sich die Fischer auf ihre von allen Kaisern bestätigten alten Freiheiten viel zu Oute. In neuerer Zeit ift aber kein stadtisches Gewerbe, wenn man etwa das der Perrückcnmachcr und einige andere bedeutungslose anönimmt, von seinem alten Glänze so herab-gekommcn alö das der Fischer. Die lutherische Kirchen-reformation und dann in katholischen wandern die in neueren Zeiten überall la^rcr werdenden Ansichten von den Satzungen der Kirchenfasten haben dic Privilegkn, deren die Fische sonst auf den Tafeln der Christenheit genossen, «äm« lich zu gewissen Zeiten ausschließlich genossen zu werden, und in Folge dessen auch die Privilegien der Fischer selbst sehr reducirt. Auch in Wien hört uian darüber die Klagen der letzteren sich sthr laut machen. „Sonst kamen," sagte mir ein alter Fischer, den ich zuweilen besuchte, „oft 15 bis 16 Wagen, mit Fischen 14> 212 beladen, in die Winner Stadt hereingefahren, und jetzt schreit man schon Wnnder, wenn nur zwei oder drei hinter einander her kutschen. Mein Voat'r selig, der noch in den guten Zeiten lebte, brachte zuweilen 300 bis 400 Maß Oründeln auf ein Mal zn Markte, nnd ich, sein Sohn und Nachfolger, wenn ich jetzt 30 Mas; absetze, so bin ich ubervergnngt. So sehr haben sich die Zeiten auch hier ««rändert. Sonst, ich meine vor 40 bis 50 Jahren, hielt man noch etwas auf die Religion und die Fastentage, und ich weiß reiche Hänser, wo man an einem Freitage und Sonntage sich auch nicht eine Messerspitze Fleisch erlaubte. Ja, «nd die Klöster in Wien, was brauchten die an Fischen, die Carmelitcr, die Augustiner, die Mmoritcn, die Var-bariten, nnd wie sie alle heißen. Ich gedenke noch, das; es hier ein Kloster hatte, in welchem die Mönche das ganze Jahr hindurch fasteten und dein wir sonst dic deliratesten Fische fuderweise zuführen mußten. Das hat jetzt Alles auf-g'hört. Die Große» denken gar nicht mehr an's Fasten und Fischessen, und auch die Mönche sind gottloser geworden. Keiner weiß es recht mehr wie sonst zu schätzen, was ein feiner Fisch ist; denn mein Vater erzählte uns, daß zn Maria Theresia's Zeiten oft an 200 bis 300 Centner Fokasch verkauft worden seien. Jetzt, wenn ein Großer einmal Fotasch kauft,'— in einem Sewiettl trägt man's leicht nach Hanse, und sie scheinen's sich alle zum Stichblatt genommen zu haben, daß sie nichts als Rinder- und Schweinefleisch essen wollen." „Auch viele andere Neuerungen haben noch dazu beigetragen, uns Fischern Abbruch zu thuu, z. V die Ver< 2? 5 andcrungen, welche im Inneren der Haushaltungen vorgegangen sind. Sonst verköstigte in den »leisten großen Häusern der Hausherr scine Diener auf eigene Kosten und speiste sie dann lieber mit Fischen als mit dem theueren Fleische. Jetzt sind die dienenden Klassen unabhängig geworden; sie empfangen jetzt fast überall mehr Lohn, beköstigen sich selbst nnd essen dann lieber Fleisch als Fisch. Sonst, gedenke ich noch, gingen wohl die Regierungö-rathinnen selber aus den Markt, um Fische einzukaufen. Jetzt überlassen sie Alles den Köchinnen, die noch vornehmere Damen geworden sind als die Hofrathinnen und lieber auf dem Wildpretmarkte ihre Einkaufe machen als bei uns. Auch sind die Leute alle unordentlicher und verschwenderischer geworden. Ehemals hinterließen selbst die Armen doch so viel, daß sich ihre Erben wenigstens ein Gericht Fische zähmen konnten. Jetzt hinterlassen sie Alle — Schulden, wovon selbst der Teufel keine Fische kauft. Früher mußten auf jeder Mahlzeit ein paar ausgesuchte Fische unter den Hauptgerichten Paradiren, jetzt ist das auch nicht mehr so. Der Lichtenstein giebt selten einmal ein Diner, der Kollo wrat nur einige Mal im Monat. Solche Herren aber, wie der alte ZichY, — Gott segne sein Andenken, der brauchte viel Fische, aß sie gern und wußte, was glit war, — solche Menschen giebt es goar nit Mehr, in Wiän wenigstens nit, und es scheint fast, als meinten die Leute, daß der liebe Gott die Fische im Wasser für nichts und wieder nichts geschaffen habe." Vis auf den letzten Punct mochte mein guter Wiener Meister Recht haben, dcnn es werden bei dem Men noch 214 Fische genug in Wien verspeist und sogar cmsernte Gewässer dazn in Contriblltion gesetzt. So liefert z. N. der Plattensee in Ungarn einen sehr bäufige» Fisch, den dc-licaten Fokasch. Im Winter konnncn sogar vom adriati-schen Meere Fischer mit Meerspiunen, Auster» lind Seekrebsen herangereist, erstere in (5iö verpackt, letztere sogar auch lebendig in durchlöcherten Kasten auf Lorbeerblättern, auf denen sie also schon ausruhen, selbst ehe sie sich auf dem Teller eines Gourmands die Lorbeern verdienten. Aucb au0 den böhmischen Teichen kommen viele Fische, die meisten nber natürlich ans der Donau selbst, und zwar zunächst aus dem großen Donauarme, der mitten durch die Stadt fließt. Die Fischer, von denen man jetzt noch ebenso viel lernen kann alS zu Khristi Zeiten, gaben nur über diese Fische einige recht interessante Notizen. So sagten sie mir z. V., daß die Hausen nur bis etwa vier Meilen vor Wien i,i der Donau aufwärts steigen. Prcßburg ist der höchstge-legcne Punct, wo sie gefangen werden, die meisten kommen von Pesth. Vor vkr Jahren brachte man von dort einen zehn Centner schweren Hausen, den grüßten, den man seit langer Zeit in Wien erblickte, und von dem man keine kleineren „Schnitzler" (Scheiben) schneiden konnte als zu vier Pfund. Nis Ulm hinauf sollen die Donau und die Donaune-benflüsse keine Aale habm *). WaS man daher von dieser *) Auch die Ströme des südlichen Rußlands, sowie alle Flüsse, welche in's schwarze Meer gehen, und ihre Nebenflüsse, haben bis zu einer sehr bedeutenden Entfernung von diesem 215 Fischsotte in Wien braucht, lommt von Ulm herab und aus Böhmen. Auch Lachse giebt es in der Donau nicht. Man ißt Vlb- und Rheinlachs und bringt Lachsforellen aus den Seen des Salzkammcrgutes. „Kopen" (vielleicht von Kopf?) sind ganz kleine Fische mit dickem Kopfe. Lie sind Raubthiere und leben mit den Forellen in denselben Gewässern, in der Traun und anderen kleinen Vergflnssen. Wenn der Kope in der Küche gescheit behandelt wird, so ist er sehr gut, und in Wie» garnirt man damit die Schüsseln, auf denen größere Fische aufgetragen werden, damit es „gustiöö" aussehe. Die schönsten Fische der Donau sind der Schill und der Huchen. Letzterer ist wie eine Forelle gezeichnet, wird aber wohl 5l) bis W Pfund schwer. Sowie der Kopcn keine Graten hat, so ist der Huchen ohne Schuppen oder besitzt deren doch nur ganz kleine, kaum bemerkbare, weß-halb er der vornehmste Fisch der Wiener Juden geworden ist, dic keine Fische mit Schuppen essen dürfen und deßhalb auch auf den Huchen so „ eingeschftrengt" sind, daß sie seinen Preis sehr vertheuern. Die kleinen trefflichen „Sterl" (eine kleine Störgattung), welche dic Wiener Kellner dem Fremden oft so nachdrücklich empfehlen, kommen ebenfalls nur aus der ungarischen Donau. Sie „vermakeln" sich leicht mit ihren Schnäbeln in die Netze, und man fangt dann oft sehr viele aus ein Mal. Meere teiue Aale, wic mir ein großer Kenner dieser Strom-gebiete versicherte. 21S Vom Fokasch werden wir noch weiter unten einige Bemerkungen beibringen. Sehr merkwürdig war mir noch das, was einige Fischer mir von dem Einflüsse des Wiener Stadtwassers sagten. Sie behaupteten, daß alles Wasser, welches aus den Straßen, Canälen und Schleusen der Stadt käme, so giftig, so pestartig sei, daß es die Fische oft in Massen im Donaucanale todte. Vei plötzlichem heftigen Regen im Sonl-mer, wo denn die ganze Stadt sich zuweilen aus ein Mal alles ihres Schmuzes und Giftes entlade, und wo das kothige Wasser plötzlich aus allen Schleusen in den Donauarm einströme, wäre dieß besonders bemerklich, und dann hätten sic oft den größten Schaden, indem zuweilen mehre tauftnd Centner Fische — die Fischer wiegen diese Thiere in Gedanken schon, selbst wenn sie noch im freien Elemente hausen — zum Canale hinaus gingen oder um's Leben kamen. Im Sommer 1833 sei die Donau äußerst niedrig gewesen, plötzlich aber habe ein heftiger Wolten-bruch das Wasser um 10 Fuß erhöht. AuS der Stadt seien Ströme schmuzigen Wassers, dicker wic Tinte, her-vorgestossen. Die Fische, die fast alle überaus reinliche Thiere seien, hatten wie Verzweifelnde, rasch an die Oberfläche kommend, die heftigsten Sprünge in die Luft gemacht und viele der gepeinigten seien schaarenweise an's Nfer gesprungen. Es wäre ein Jammer, so etwas anzn-sehcn, um so mehr, da oft nur die barste Dummheit die Fische m's Verderben führe, denn sie könnten zuweilen das klarste Wasser ganz in dcr Nähe haben. .ibcr so klug wären sie nicht, das aufzusuchen. 2N - Das Wortchen, welches mm« Fischer über das häufige Kaufen des Wildprets hatte fallen lassen, und woraus ein ziemlich lebhafter Neid auf diesen Handelsartikel hervorblickte, brachte mich auf den Gedanken, daß, wenn ich mich einmal auf den Wiener Wildpretmarkt «erfügen wollte, ich statt des eben betrachteten verfallenen Handelszweiges daselbst einen anderen sehr blühenden entdecken würde, und in der That fand ich, daß ich mich darin nicht getauscht hatte, und gewann den Glauben, daß überhaupt Jeder seine Cigarre ebenso nützlich und angenehm in dem Laden eines der großen Wildprethandler als in den oft so menschen-üollen und doch so gcisteslecren Kaffeehausern verdampfen lassen könnte. Die Meisten werden indeß doch aus einer gewissen Bequemlichkeit wahrscheinlich lieber wieder auf gewohntey! Wege in ein Kaffeehaus gehen, um zu lesen, was ein Reisender über die Wildprethandlcr geschrieben hat, als diese selber sich anschauen. Wenn man an den Reichthnm Böhmens an genießbaren wilden Thieren denkt, wo selbst Fasanen in großen Ansiedlungcn heimisch sind, an die zahlreichen Arten wilden Geflügels, die auf den ungarischen Seen leben, au die großartigen ungarischen Hirschjagdcn im Süden des Plattensees, die nirgends in Europa mehr ihres Gleichen finden, an die Gemsen, die in dem benachbarten Steier-Mark in größeren Hecrdcn hausen als in irgend einem anderen Lande, nnd wenn man nnn erwagt, wie Wien gerade in der Mitte aller dieser unerschöpflichen Wildpret-schatzrammern liegt und aus ihnen allen hierher der vornehmste Tribut stießt, so wird man die Behauptung sehr 21» wahrscheinlich finde», daß Wien f„r diese Haltung von Waare del» reichsten und besetztesten Markt von Europa darbieten möge. Ill der That ist kaum eine Gattung europäischen Wildprets ^u nennen, die aus dem Wiener Markte nicht vorkäme; denn da die Connerionen der hiesigen Wild-prethändler der Eigenthümlichkeit ihrcö Handels wegen sehr weit gehen, so beziehen sie, was dem reichen Oesterreich etwa noch fehlen sollte, alts dem Auslande, 5. V. sogar zuweilen Elenthiere alls Polen und Haselhühner ans Rußland. Wie groß der Verbrauch in einigen Artikeln ist, zeigte sich kurz vor meiner Anwesenheit bei folgender Gelegenheit. Die Wiener Behörden hatten alles Geflügel, das vom ^andl! hereingebracht wurde, Hübncr, Puter, Outen, mit einer Consumtionsstcuer von sechs Kreuzern per Stück belegt, und die Zöllner hatten diese Abgabe auch von del« kleinen wilden „Dnck-" und ,,Krickantcln" erhoben, die vom !)leusicdlerscc »nd einigelt anderen Donauuieder-ungen eingebracht werden. Da diese kleinen Thierchen einen so enormen Zoll nicht zu trage»« im Stande waren, so hörte der Handel damit sogleich auf. Hierdurch sahen sich die beeinträchtigten Wildprethändler veranlaßt, der Behörde eine Vorstellung zu machen, worin sie ihr die Größe des von ihnen dadurch erlittenen Schadens darthaten und nachwiesen, daß sie jährlich bisher eine halbe Million Stück von diesem Geflügel eingeführt hätten, von denen nun keines mehr komme, daß viele Menschen, die sich mit dem Fange der Duck- und Krickanteln abgegeben hatten, brotlos geworden seien, und daß mal, daher den Zoll auf die großen, fetten, zahmen Vnten beschranken möge. Man that dieß denn auch, besonders bewogen durch die Vorstellungen eines der' größten und einflußreichsten Wiener Wildprethändler, den ich auch persönlich kennen zu lernen das Vergnügen hatte und bei dem ich nicht wenig Gelegenheit fand, mich über die Ausdehnung seiner Geschäftsverbindungen, übe,- die Größe feines Handelsbetriebes und über die Manchfaltigkeit seiner Kenntnisse zu wundern. Den Jägern ein Stück wildes Fleisch a'b-zukaufen und es den Köchen aus den Heerd zu liefern, scheint eine so einfache Sache, daß man im ersten Augenblicke nicht begreift, wie sie zu einer bedeutenden Stellung im Staate verhelfen könne. Es ist mit der Verkettung unserer bürgerlichen Geschäfte — selbst die kleinsten sind Glieder iu dieser Verkettung — ebenso wie mit der Verbindung der Wissenschaften unter einander, und man kann nicht eines auf eine einigermaßen großartige Weise betreiben, ohne zugleich einen Ginfluß auf viele andere zn erlangen und mit ilmm sich einigermaßen vertraut zu «lachen.. Ja etwas Anderes wäre es, wenn der Hirsch blos Fleisch hätte. Dann ginge er blos den Koch etwas an. Nun ragt er aber mit seinem Geweihe in das Gebiet ver Drechsler, die dasselbe dem Wildprethand-ler abkaufen, sein Fell fällt den Gerbern anheim. Die Vögel liefern ein manchfaltiges Gesieder, das verschiedenen Gewerben nutzt. Der Naturforscher findet stets bei'm Wildprethandler einige Kuriositäten zu beschauen und weiß ihm für manche Gefälligkeit Dank. Die Vornehmen «nd Großen geben ihm viele gute Worte, mn den Ertrag ihrer Jagden zu vergrößern oder für ihre Küche 22a eine besonders gute Lieferung von ihnen zu erlangen. Ja bis zum kaiserlichen Hofe gehen seine Connerionen hinauf, denn man weiß, daß man bei besonderen Gelegenheiten sich auf ihn verlassen kann und dasi man z. V., wenn der russische Thronfolger in Wien zum Besuche ist, mit Bestimmtheit erwarten darf, einen polnischen Glcnsbraten nnd russische Haselhühner zu Ehren dieses seltenen Gastes alis der Tafel erscheinen zu sehen, die der Wildpretsspe-culant von Vrody nnd Krakau ans frisch nnd zur rechten Zeit ankommen laßt. Da ich mir diese Dinge schon vorher alle so einiger-maßen überlegt hatte, so war ich daher nicht im Geringsten erstaunt, bei näherer Bekanntschaft in meinem wild» prethandclnden Herrn N. N. einen trefflichen, aufgeklarten, tüchtigen Mann zu finden, der von der Naturgeschichte gar Manches verstand, auch in der Anatomie und Geologie nicht unbewandert, von aller Art Jägerei nnd Iagd-betrieb genau unterrichtet war ,md die interessantesten Detailkenntnisse von dein Leben und Wesen der Thiere besaß, der Vuffon's nnd Cnvier's Werke stndirt hatte und der namentlich über Vuffon's Uebertreibungen, Ausschmückungen und widernatürliche Behauptungen eine strenge Kritik übte, — der dabei auch vom Grafen 5. und Fürsten V. als voll seinen guten Bekannten sprach und mir erzählte, daß die Regierung vor einiger Zeit die Absicht gehabt habe, die Verfassung des Wildprethandler-Mittels, — „Mittel" nennt mail diese Corporation — zu verändern, daß dieses aber durch seinen Einfluß hintertrieben worden sei. Ebenso wenig wunderte ich mich darüber, daß ich in seinen »nit Geweihen aller Art und mit in Gyps ausgearbeiteten Köpfen von allerlei Thieren neben verschiedenen anderen Menschen auch einen Maler beschäftigt sah, der mir versicherte, daß er hier immer Arbeit sinde. Während meiner Anwesenheit t'am noch ein Professor der Naturgeschichte hinzu und sagte- „Lieber Herr N. N>, ich wollte nur eben a Viß'l hereinriechen und fragen, ob Sie auch etwas Neues für mich hätten." — Auch ein Cavalier tan, und sagte: „Lieber Herr N. N., ich wollte nur einen Augenblick hereinriechen und Sie auf morge» zu einer Iagdpartie einladen." — Die Wildpret-leute haben den eigenthümliche» Geruch des Wildes so gern, wie die Schiffer den des Tauwerkes und Theeres, und brauchen das Wort „hereinriechen" daher als einen Kunstausdruck für „Visitc machen." Ich roch später auch noch oft bei Herrn N. N. vor und fand immer interessante Lente. Nas mit dem Wilde, überhaupt was mit der Natur zu schaffen hat, ist beinahe Alles interessant. So fand ich hier einmal einm steierischen Kemsja-ger, der nur einen sehr merkwürdigen Vorfall erzählte, den er auf einer Gemöjagd erlebt hatte. Als er bemerkte, das, ich mir hier und da kleine Notizen machte, sagte er: „Na schreibcn's glei aufi. I ka Ihne was erzähle von der Klugheit der Gamscn, was noch Niemand hat g'schaut." Die Sache war diese. Im vorigen Jahre hatte er eine trächtige „Geis" (Gcmsmutter) entdeckt. Kr schlich ihr 8 Tage laug nach, um zu sehen, wo sie ihre, Jungen hinlegen möchte, denn auf diese, „die Kitzen," hatte er es abgesehen. Zuweilen zog er seine Schuh? Z22 aus und kletterte ihnen wie eine Katze auf bloßen Füßen nach, ja einmal, wo er an einer steilen Wand hinaufklimmen mußte, schnitt er sich alle seine Knöpft vom Leibe und legte sie vorsichtig bei Seite, damit sic bci'm Hinaufsteigen nicht etwa unvcrfeheno „a Viß'l anen Klatsch" machen möchten. Endlich warm eines Tages wirklich zwei kleine Oemskitzen zur Welt gekommen, und er entdeckte sie früh Morgens an einer hohen Felsenwand in einer Nische oder in einem „Kastl", wie dic Jäger sagen. Die kleinen Kiken spielten fröhlich um die Mutter herum, und diese blickte zu Zeiten aufmerksam thalwärts, um zu sehen, ob nicht etwas Feindliches nahe. Um nicht von ihr entdeckt zu werden, machte mein Jäger einen großen Umweg von einer Stunde und gelangte so in die Nähe des einzigen Einganges, der zum Kästl führte. Gerade vor der Nische ging es senkrecht steil in unergründliche Tieft hinab. Im Hintergründe war ebenfalls schroffe Felswand. Nur dem bequemen Zugänge gegenüber hatten die Felsen einige Absätze und Vrüche, die indeß nur von der alten Mama zur Flucht allenfalls hatten benutzt werden können, yen Kitzen abcr zlt hoch ware«. Der Jäger frohlockte also, als er diese Lage der Verhaltnisse betrachtete, und drang gegen die Thiere, die ihm nicht entgehen zu könne« schienen, vor. Als die Alte ihn entdeckte und ihrerseits ebenfalls die verzweifelte und zur Flucht ungünstige Gestaltung der Felsen mit einem Vlick ermaß, sprang sie mit dem Muthe, den Mutterliebe selbst dem schüchternsten Wesen giebt, auf den feindseligen Menschen los. Solche Angriffe der Gemse» sind weniger durch die Kraft der Stöße, deren Nachdruck nicht groß ist, gefährlich, als dadurch, daß die Gemsen mit ihren wie Fischangeln gekrümm» ten Hornspitzen irgendwo die Beine des Jägers zu fassen suchen und dann, rückwärts drängend, ihm dieselben unter-» weg ziehen. Es ereignet sich dabei zuweilen, daß die Gemse» sich mit ihren Hörnern in die Kleider der Jäger „vcnnackeln" und dann wohl mit ihnen in den Abgrund stürzen. Unser Mann war nicht in der Verfassung, auf die ihn angreifende Gems zu schießen, da er beide Hände brauchte, um sich auf seinen Standpuncte festzuhalten und auf dem schmalen Gauge weiter zu kommen. Er erwehrte sich daher mit den Füßen des -Angriffs so gut, als er konnt?, und kam näher. Die Angst der Gemömutter steigerte sich. Sie stürzte zu ihren Kleinen in der Felsnische zurück, rannte schreiend um sie herum, um sie auf die Gefahr aufmerksam zu machen, und sprang dann, indem sie ihre Kräfte zusammennahm, auf einen jener oben erwähnten Absätze hinauf, von wo der zweite, aber schwierigere Ausgang von der Grotte zu gewinnen war. Von diesem Absatz aus mäckerte sie nun zu den Kleinen hinab, alö wolle sie dieselben zu sich heranrufen und sie zum Zusammenml'mm aNer ihrer Kräfte ermuntern. Vergebens mühten sich die kleinen Kitzen mit Sprüngen ab uud stießen sich die Köpfe an den Felsen wund, die ihnen zu hoch warcn, und vergebens machte ihnen die Mutter mit eleganten sicheren Sätzen das Experiment mehre Male vor. Es war dieß Alles das Werk weniger Augenblicke, während derer auch der Jäger wieder einige Schritte näher gekommen war. Soeben wollte er de» letzten thun, 224 um in die Grotte selber zu sselangen, als sein erstauntes Auge folgendes Tableau erblickte, von dem er mir eben als von einem Wunderdinge erzählen wollte. Die alte Gems hatte sich, mit den Hinterfüßen auf dem Boden bleibend, mit den vorderen aber weit uud hoch ausgreifend und die Felswand berührend, wie eine Brücke ausgestreckt, um so ihreu Jungen einen neuen Absatz zu gewähren. Diese hatten die Absicht der Mutter gleich verstanden, saften ihr rasch wie Katzen auf dein Rücken und erreichten von hier aus nun leichter den rettenden Felsen-vorsprung. Leider dauerte dieß Gemälde nnr so lange, als der Jäger nöthig hatte, um seinen letzten Schritt zu thun. Cr that ihn, sprang hinein, haschte nach den Kitzen, in deren Besitz er sich schon so sicher glaubte, aber verschwunden war Alles wie der Wind, und ei» paar Schüsse, die er den Fliehenden nachsandte, machten durch ihr ßcho allen umherliegenden Felsenwanden fund, daß er sie verfehlt habe. Die Gemsen sind jetzt in den steirischen Alpen noch häufiger als in Tirol, und hier häufiger als in der Schweif Dic Stcmlöckc dagegen kommen nur noch an dem entgegengesetzten westlichen Ende der Alpenkette vor. Sie sind aus dem ganzen östlichen uud mittleren Theile derselben vertrieben, und nur die höchsten und am seltensten besuchten Gipfel der savoyischen Gebirge gewähren ihnen in diesem Augenblicke noch denjenigen Grad von Wildheit und Felsenwüstcnei, der ihnen zusagt. Sie stehen jetzt in Savoyen unter dem Schutze eines gegen Menschen sehr strengen Gesetzes, das jeden Unbefugten, 225 der einen Steinbock todtet, zum Tode verdammt. Nichtsdestoweniger können die ^eutc rort doch zuweilen nickt der Versuchung widerstehen, jenem gehörnten Könige der Monte-Rosa'schen, Orajischcn und Iulischen Fels-und Gisregionen nach dem !l?ebcn z» trachten, und es soll noch in diesem Augenblicke mehre solcher kühner zum Tode verurthcilter und zu 2l)jähriger Zuchthalisstrase begnadigter Iaqcr in den Gefängnissen Tavoyens geben. Vor zwei Jahren noch passirten durch Wien zwei lebendige Steinböckc, die dcr Beherrscher von Savoycn dein Kaiser von Rußland zum Geschenke »»achte. Dieß waren nach dem in neuerer Zeit erfolgten Aussterben der in Salzburg gehegten Steinböcke die letzten, welche den österreichischen Boden lebendig betraten. Todte mögen zu Zelten noch nach Wien kommen. Wenigstens hörte ich, daft ein Wiener Wildprethandler vor einiger Zeit einen hohen Preis auf einen solchen ausgesetzt und das, in Folge dessen ein Sa-voycr einen alten Etembock geschossen und eingeliefert habe. Der Mann wurde hinterher als dcr Thäter entdeckt und von den königlichen Jägern verfolgt, entzog sich ihnen aber, nach der Schweiz über die Gletscher entfliehend, auf denen ihm die Stege besser bekannt waren als den Jägern. Ich komme auf meinen Freund N. N. zurück. Er sagte mir, es kämen ihm die seltensten Dinge zu Gesichte, da seine Bekannten in Ungarn und Böhmen ihm oft Thiere zuschickten, die selbst nicht immer in „nmiltelbarstcr Beziehung zu seinem Geschäfte ständen, und es wäre wohl laum eine Thierspecies je durch einen österreichischen Wald ,,. 15 22ft spaziert, die nicht auch einmal wenigstens in einigen Gr< einplann durch seinen Laden spaziert sei. Gr führte mich ln seinen Eiskeller, wo ich in der That viele der verschiedensten Wesen alls dem Eise liegen sah. Er hatte diesen Keller mit nngarischen „Daten" (Matten) ausgeschlagen und ebenso daS EiS selbst mit Daken be< legt. Er sagte, es sei bei den Eiökellerbcsitzcrn noch nicht gehörig bekannt, daß man so mittels der Matten das Eis weit länger erhalten könne, als wenn man eg der unmittelbaren Berührung mit dcn Wänden und der Luft aussetze, und daß man daher auf diese Weise eine viel geringere Quantität nöthig habe. Auch hatte er eine Sammlung höchst interessanter Hirschgeweihe und besaß in Gypsabgüssen dic Köpfe und Klauen mehrcr seltener Thiere, z. V. eines ausgezeichnet großen Elens. Von letzterem hatte er schon mehre nachgemachte Abgüsse an österreichische Cavalicrc abgegeben, die ihre Schlösser damit verzieren wollten, was in Livland und Polen, wo diese Thiere zu Hause sind, Niemandem einfällt. — Man sieht aus dem Allen, daß die Wiener Wildprethänd-ler dcn Betrieb ihres Geschäfts auf eine sehr hohe Stuft der Ausbildung gebracht haben. Cö wäre nur zu wünschen, daß die Cultivirten und Gelehrten ihrerseits sich zuweilen noch etwas mehr die Kenntnisse und speciellen Details, welche jene Menschen der Natur abgelauscht haben, zu Nutzen machen möchten! Die Tabacktrafikanten. Ach betrachtete die große Kaiserstadt Wien zu Zeiten von der Höhe des Lcopolds-Vergeö aus. Sie kam mir dann uicht vicl größer als ein großer Ameisenhaufen vor, in dessen Mitte eine hohe Stange, der Stcphansthunn, aufgesteckt war. Von der Höhe des Schmebergcs aus sieht sie zuletzt gar nur wie ein winziger Puntt auo, wie ein von Infusorien wimmelnder Wassertropfen, der am Stephansthurme herabträufelte und mit seinem ganzen Lebensinhalte nun auf dem Boden liegt. Was sich in diesem Wassertropfen dem unbewaffneten Auge zeigt, ist schon häufig in Allgenschein genommen und beschrieben worden, aber die Infusorien, die das Mikroskop nur entdeckt, liesi Man gewöhnlich zur Seite licgen, obgleich sie oft ebenso interessant und noch interessanter sind. Erst in neuerer Zeit fangen die Reisenden und Naturforscher an, auch mehr mit dem Mikroskope zu arbeiten, und wie daher ietzt in den Wecken der Gelehrten neuerer Zelt die 3n-steten, die Mollusken, die Infusorien und andere solche früher weniger betrachtete Thiere besonderer Aufmcrksam- 15 ' 228 keit gewürdigt werden, so füllen nun auch die Reisebe-schreiber ihre Bücher mit Darstellungen des Lebens der unbedeutendsten und niedersten Volksklassen, mit Beschreibungen der Pariser Vcttler, dcr Lumpensammler, der Straßen-buben und anderer menschlicher oder politischer Infusorien an, wahrend sonst nnr die Löwen und Tiger, die Vierfüßer, Vogel und Wiederkäuer, die Höfe, dcr Adel, die Gesellschaft und die hochberühmtestm Merkwürdigkeiten besprochen wurden. Ich war schon früher einmal in Wien. Da besah ich mir alle die prachtvollen Sammlungen dieser Stadt der Reihe nach, vor Mem die kaiserliche Bibliothek, das Vcl-vedere und das Ambraser Cabinet. Da sah ich die kaiserlichen Ctallungen, das Innere des Schlosses, der Schloßkapelle und erblickte die Majestät selber, inmitten der italienischen, deutschen und ungarischen Nobelgarde im Innersten ihres Palastes vorüberziehend. Dicstmal fühlte ich mich diesen Dingen nicht gewachsen, achtete mehr auf Kleinigkeiten und ging unbctrctene Fuß- und Nebensteige, nicht weil ich die Paläste lind großen Heerstraßen verachten wollte, nein, Palaste wie Hütten sind beide in ihrer Art lehrreich! Aber die letzteren zogen mich als das Unbekanntere dießmal mehr an. Alan braucht in dem Wiener Ameisenhaufen auch gar nicht lange nach solchen Dingen zu suchen. Mich führte gleich am ersten Abend meines Dortseins das Verlangen nach einer Cigarre in eine mir unbekannte Re-qion des Wiener Lebens, in einen kaiserlich königlichen Ta-backverschleisiladen oder, wie es gewöhnlich heißt, „Taback-Trasik." Obgleich diese Läden überall an allen Stra- 229 ßcn liege», so fällt es doch nur selten einmal Einem ein, länger darin zu verweilen, als nothig ist, um seine Cigarren- oder Schnupftabackdose zu füllen. Ich that mehr, bezahlte meine Cigarren und rauchte sie mit Erlaubniß der gefällige» Verschleißerin im Lade» selbst. Es war dieß eine alte originelle Frau, von der Nestroy oder Raimund ohne Weiteres, wie sie stand und ging, für ihre Local-Dramas eine Copie bätten nehmen können. Ihre Vude war so bunt wie das Zimmer eines Alchymisten ausstaffirt. Zuerst zeigten sich die verschiedenen Arten der getrockneten Blatter, die deu Gegenstand des österreichischen Tabackmonopols ausmachen, in verschiedenen Päckchen bis zu den ganz kleinen herab, welche sich die Soldaten am Sonntage für einen Kreuzer kaufen, um ihre Feiertags« pfeife daraus zu stopfen, — „Knaster" (der beßte zu 12 Gulden das Pfund), — dann „Kaisertaback" („Kruhl" heißen sie ihn in Vöhmen, was von dem tschechischen Worte „Kurul," so viel als „König," herkommt), — der „Sonne und Mond" („er ist auf Türkisch g'schnitten, Ew. Gnod'n"), — der „schwarze Dreitönig," der „rothe Dreikönig" und endlich die gemeinste Sorte, „der Limmito-Taback" („so heißen sie ihn im Schreibstyle, Ew. Gnod'n, sonst nennen wir ihn gewöhnlich den „Lause-rocnzel"). Die Regierung kauft davon den ganzen Cent-» ner roher Blätter zu 1 Gulden 12 Kreuzer. Die Leute, welche ihn kaufen, verlangen ihn immer nur unter dem Namen „Ordinär, zwei Packel Ordinär, zuweilen anch 20 Päckel Ordinär" für eine ganze Schustergesellenherberge. Viele hungrige Nasen kamen und füllten sich 230 ihre Dosen mit einem Loth „Tiroler," oder „Oallizier" oder init einem halben Loth „Nonpareille." Die ausländischen Rap-pes kann man nur gegen besondere „Vezugsboleten" (Bezugs-billete) bekommen. Seit einiger Zeit hat nämlich die österreich^ ische Negierung insoweit von ihrem Tabackmonopole nachgelassen, daß sie hier und da Einzelnen, die dazu mit einer besonderen Bittschrift einkommen müssen, die Erlaubniß giebt, eine gewisse Quantität ausländischer Tabacke und Cigar-ren einzuführen. Seit 3 Jahren hat auch ein Wiener Handelshaus die Begünstigung erhalten, gegen einen solchen hohen Zoll mit ausländischen Cigarren handeln zu dürfen. (Anige meinen, daß dieß der Anfang dazu sei, allmalig das ganze Tabackmonopol zu untergraben, Andere aber, daß blos dem doch sonst nie ganz zu unterdrückenden Schmuggelhandel nüt ausländischen Cigarren dadurch entgegengearbeitet werden sollte. Sonst wurden mit dem Verschleiß des kaiserlichen Tabacks in der Regel nur ausgediente Militärs begnadigt. Auch jetzt geschieht dieß noch zu Zeiten. Doch wirb er jetzt in der Regel aus dem Wege der Licitation dem Meistbietenden überlassen. Die Regierung bestimmt den Preis, zu dem diese Leute dic Waare dem Publicum verkaufen müssen, und rechnet ihnen etwas weniger dasür an, welches Minus dann ihren Profit ausmacht. Das Feld der Speculation ist aber doch trotz dieser scheinbar engen Gränzen groß genug. Die speculative» Trafikanten finden sich auf sehr verschiedene Weise mit den Regierungsbeamten, die ihnen den Taback überliefern ab und wissen sich, obgleich sie nicht unter und nicht über den Preis hinaus gehen dürfen, und auch 251 ihre Waare durchweg von derselben schlechte» Qualität ist, doch ihr Publicmn durch andere Künste zu locken und auf Kosten dcr weniger industnösen zu erweitern. Mit vem Tabacktrasit verbinden sich dann auch immer noch andere llcine Geschäfte sehr gewöhnlich, z. V. der Verkauf der Lotto-Nummern. Hierbei ist immer die große Schwierigkeit der Wahl der glücklichen Zahlen. Meistens haben sie, um die Lcute aus der Verlegenheit zu ziehen, ein Vret im Laden, auf welchem gewisse Ziffern verzeichnet sind, deren Zusammensetzung glücklich sein soll. Sie nennen dieß eine „Gabala." Meine Taback-Verschleißerin hatte z. V. auf ihrem Vrete die Gabala: ? 0 5 Daraus setztc sich einer ihrer gewinnlustigen Kunden dir 5 Zahlen 15, 51, 17, 71 und 14 zusammen. Andere, die der Gabala nicht trauen, greifen in einen Loosc-Topf, der zu diesem Vehufe im Laden immer bereit steht, und ziehen sich ihre Nummern. Viele aber, die ihre Glücks-zahlen ohne Zweifel im Traume gesehen haben, kommen hastig hereingestürzt und lesen sie von einem mitgebrachten Zettel ab. (tin junges Mädchen, das hereintrat, hatte sich eine Nummer in den Sinn genommen, die es dnnn als günstig betrachten wollte, wenn ihm heute auf dem Prater ein gewisser Jemand begegnen würde. Sie hatte einen Zettel in der Hand, den sie zu einem „watschen Herrn" bringen sollte. Sie gab ihn mir zu lesen, nnd es stand darauf: „Dem k. k. Ratten -vertreiber — luzzi wird hiermit aufgegeben, das reißend überHand nehmende Ungeziefer im k. t. Vankgcbäude so- 232 fort zu vertilgen."— „Der—luzzi war sonst ein Fa< brikant," sagte sie, „er hat aber Krida g'mocht, und nun hat er alle öffentlichen Gebäude, um sie vom Ungeziefer rein zu halten. Er steht sich dabei sehr gut, den» cr allein darf das Gift besitzen, mn die Nattc» zu vertreiben.^ — „V'hüt di Gott, schönes Mädel! b'hüt di Gott, schönes Mädel!" schrie auf einmal, indem sie so sprach, Jemand dazwischen. Ich schaute auf, es war ein Staar, den meine alte Trafikantin in der Ecke ihrer Bude fütterte. „Das ist mein Starel," sagte sie, „Sie, das ist a Vogel. Jetzt ist er nur a Visil still, weil es schlecht Wetter ist, aber bel'm Sonnenschein, da plauscht er den ganzen Tag. —> Pussi, Pussi*), mein Pcppi!" (Küßchm, Küßchcn, mein Peppi!) Dreimal hab' ich ihm die Zunge lösen lassen. Sonst fütterte ich ihn mit gehackten Nindcrherzen. Aber ich hatte ein faules Dienstmadel, die nicht Lust hatte, daS Fleisch jedesmal frisch zu hacken. Sie gab ihm faules Futter. Da war's g'sehlt, und »nein Peppi wurde trank. Jetzt gebe ich ihm nun nichts alö Ameiseneicr. Pussi, Pussi, mein Peppi! I lehr ihm jetzt auch noch anen andern Schnack! „Trum, trum! der Kaiser tnmmt!" Vald kann er's schon. Peppi: Trum, trum! der Kaiser knmmt." — Wüßte man nur, welche Redensa» ten in allen Landern die Staare und Papageien lernen, es würve dieß ein Veitrag mehr zu ihrer Kenntniß sein. ') „Pussi" oder „Busserl" heißt im Oesterreichjschcn cm Kuß, sonderbarer Weift bcmahc buchstäblich so wie im Arabischen. Wiener Moden. Ver erste Mai ist bekanntlich der Tag, wo die Frühlings« saison in Wien mit der großen Promenade im Prater eröffnet wird. Vis zu diesem Tage haben sich alle Wiener Schöne» mit ihrer Sommertoilette bereits versehen, und es ist die Epoche, wo sich die Wiener Eommermoden ziemlich unwandelbar festgestellt haben. Wie streng dieß zu nehmen sei, erfuhr ich einmal bei einem Wiener Stroh-hutfabrikantcn, ver mich in die Details der Mysterien seines Geschäfts einweihte. Er sagte mir, er beschäftige zwanzig Mädchen in seiner Fabrik, die den Strohgeflechten der Ve-netianer, Florentiner und Schweizer diejenige Fa^on gäben, welche den Wienerinnen wohlgeficle. Er könne sie indeß „ur im Winter und Frühlinge beschäftigen. Vom Januar an läßt er sie arbeiten, weil schon im Februar hier und da Strohhüte verlangt werden. Zuerst wird nun noch die Fa^on des vorigen Jahres gemacht. Einige Damen wünschen indeß ihre Hüte hier und da ein wenig geändert und lassen es auf die Gefahr hin thun, daß die Variation, die sie sich ausdachten, nicht allgemein angenommen werde. Vis zum 234 ersten Mai steigern sich dann die Nachfragen nach Strohhüten immer mehr. Die Einsalle der Damen sind sehr verschieden, und die Moden schwanken hin und her, bis endlich von einigen Faxons der Verkäufer sagen kann-„diese Art geht sehr stark/' „auch diese Fa^on wird sehr viel verlangt." Das sind denn, so zn sagen, die Can-didaten, welche auf der Liste stehen nnd über die der große Wahl- und Gerichtstag der Praterpromenade entscheidet. Nach diesem steht dann Alles über Form und Größe des Hutschutzes, der Krampe, der Blumen und der Bänder unwandelbar fest, und es werden nun vom Mai bis Illli von dcr beliebten und herrschenden Fa^on unzählige Exemplare verfertigt. Anfangs Juli hört die Arbeit auf, weil nun der Vorrath für die immer geringer werdenden Anfragen ausreicht. Was im Reste des Jahres nicht in Wien abgefetzt wird, das wird im Februar und März des folgenden Jahres an vie Juden aus Lemberg verkauft, die ganze große O-uantitaten alter Wiener Modeartikel mit nach Lcmberg und Polen nehmen. In der ganzen österreichischen Monarchie herrschen und gebieten die Wicncr Moden. In Pesth und Ofen sind sie jetzt zur selben Zeit wie iu Wien, in Lemberg, wie wir sahen, eln Jahr später. Es giebt aber auch Gegenden dcr Monarchie, wo selbst unter den fashionablen Leuten die Wiener Moden erst nach zwei Jahren durchdringen. Mein Fabrikant klagte sehr. Sonst sei er der einzige Stohhutvcrfertiger in seinem Stadtquartiere gewesen, jetzt seien aber noch fünf andere da. Auch würden die Moden immer complilirter und daher die Arbeiten schwieriger. So 235 sei z. N. sonst der hintere Hheil des Hutes, der sogenannte Hutkasten, nie mit in den Strudel der Modelaunen gezogen worden, vielmehr habe seine Fa^on ein für alle Mal felsenfest gestanden; man habe daher einen großen Vorrath solcher Hutkasten im Herbste und Winter anfertigen lassen können und im Frühlinge nur den Rand oder die Krampe anzusetzen gebraucht. In neuerer Zeit sei aber auch er wandelbar geworden, bäume sich bald in die Höhe, bald drücke er sich hinab, bald ziehe er sich zusammen, bald rage er lang hinten hinaus. Dlc Herbstarbcit müsst daher wegfallen, und mau müsse nun deu Launen der Mode von ihren ersten Regungen im Februar an auf Schritt und Tritt folgen. Mitunter sei dieß recht schwierig, denn wenn auch in der Regel freilich das einmal Gekrümmte sich nur allmahlig wieder strecke, und das einmal Niedergedrückte nur im Laufe der Jahre sich wieder emporrichte, so würden doch auch zuweilen wunderliche Sätze und Sprünge gemacht, und aus Kurz entstände mitunter auf einmal Lang, aus Gerade plötzlich Krumm, und das Hohe würde zuweilen augenblicklich niedrig. Ich fragte ihn, ob er nicht glaube, daß die Menschheit doch endlich einmal zu einem Ideal von Strohhut kommen und bei diesem dann stehen bleiben würde. „Nein/' sagte er, „dieß glaube ich nicht; es scheint mir vielmehr in der Geschichte des Strohhutes durchaus keine allmahlige Annäherung an irgend ein Höchstes nachweisbar; vielmehr wie es in den Köpfen der Menschen selbst hin« uud herwogt, und sie weder zu dem beßten Staate, noch zu der Feststellung des höchsten Gutes gelangt sind, so wogt es auch über ihren Häuptern in ihren 236 Hüten stets wandelbar hin und her, und her und hin, und es wird hier noch bls an's Ende der Welt beständig Variationen über ein gewisses Thema geben, ohne daß dieses gewisse Thema selbst in einigen klaren, bestimmten Accorde» festgestellt würde." Sommernachtstraume und Blumenfestc. ^)n der Wirthschaft 8anZ3ouci bei Mödliug findet matt auf einer Wiese neun Zelte ans rothen und weißen, geschmackvoll drapirten Tüchern errichtet. Jedes dieser Zelte ist einer der neun Musen gewidmet, deren Namen, auf flatternde Fahnen gestickt, darüber hmwehen: Kalliopc — Klio -— Euterpe u. s. w. In der Mitte steht ein zehntes Zelt, in welchem irgend ein Wiener MuManden-anführer, wie ein Apollo bewundert, den Musen Straußische Tänze vorspielt. Diese Musen selbst stud junge Mädchen und alte Krauen, von Herren und Kindern begleitet, die in den nomadisch-luftige« Muscntempeln Kaffee trinken. Auf diese poetische Weise Kaffee einzunehmen, ist recht in dem Geschmacke der Wiener, deren orientalische Phantasie immer das Erhabenste mit dem Alltäglichste» mischt, und die gern für die unbedeutendsten Dinge die hochtrabendsten Aufschriften wählen. Vei dem Wiener Humor weiß man immer nicht recht, wie man daran ist, ob er daö Gemeine mit einem poetischeren Farbenglanzc umgeben, oder ob er das Erhabene und Hohe, der Prosa deö Lebens gegenüber, ungläubig persifliren will. Die Rai- 238 mund'schen Stücke: „der Diamant des Geisterkönigö," „das Mädchen aus der Feeenwelt" u. s. w. sind in dieser Hinsicht sehr interessante Gegenstände des Studiums, die über die Lebens- und Denkweise der Wiener viel Ausschluß geben können. Die Musen, Apollo, der Tob, der Teufel, Oberon, ja alle Götter »nd Geister spielen in diesen Stücken eine ebenso bedeutende Rolle, wie der Tanzmeister Paurrl, die Wiener Tandler, Kellnerinnen und Schneidergeselleu, mit welchen prosaischen und alltäglichen Gestalten die Sibyllen, Furien und alle Machte der Ober- und Unterwelt wie mit Bekannten und ihres Gleichen umgehen. Man möchte sich zuweilen mit Verachtung abwenden von diesem abscheulichen Gemisch des Heiligsten init dem Gemeinsten. Und doch ist, wenigstens in den Raimund'schen Stücken dieser Art, ft viel tiefe Wahrheit, so viel philosophischer Humor, daß man wieder den Geist bewundern muß, der selbst die geringfügigste» Ereignisse mit dcm Walten der Schicksals« mächte in Verbindung setzte, und der hundert Mal den einen Schritt, den es, dem französischen Sprüchworte gemäß, vom Sublimen zum Lacherlichen giebt, »nachte, ohne dabei zu straucheln, — indem er, wie eben die Wiener es wollen, sublim und komisch, Philosoph und Narr zu gleicher Zeit war. Die Wiener sind wie die hohen Potentaten. Eie wollen, daß ihnen die Weisheit nur in der Narrenkleidung erscheine. Aber sie sind auch nachdenklich genug, um die Schicksalsmächte zu ahnen, die überall, selbst in den unbedeutendsten Ereignissen und Angelegenheiten des Lebens,die Hand mit im Spiele haben. Daher wollen sie ihren 2M Haff« in Viuscntempeln trinken und den bitteren Trank der Wahrheit mil dem Confect der Heiterkeit zugleich verschlinge«. Daher alle die sonoerbarm Figuren von Rammnd'scher Erfindung, die Sibyllen als alte Mamsellen, — die Genien als Kegclbubcn, — die Zauberer und Magier aus Wa-rasdin und Donaueschingen, die in schwäbischem und ungarischem Deutsch unermüdlich läppische Witze und scherzhafte Weisheit hervorbringen. Daher die Vriefboten des Geistcr-reichs,— die Kammerdiener des Hasses, —die Leibbusaren des Todes, — die Furien als Tonkünstler <— und die mächtigen Feen der Widerwärtigkeit und des Unglücks aus der Militärgränze. Die Titel der Naimund'fchen Stücke und der in ihnen herrschende Styl sind fast alle bei uns bekannt geworden, weniger aber der ebenso cigcnchümlich damit verwandte Ltyl, der in den Ankündigungen ;u fmocn ist, mit denen die Wiener Wirthe und Concertmcister das Publicum zu ihren zauberische» Volksfesten locken. Auch ich hatte früher den mit solchen Publicationen aller Art beklebten Thoren und Straßenecken wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Aber eines Abends spät, um 11 Uhr, zu welcher Zeit in Wien schon Alles mäuschenstill ist, fand ich einen Menschen in der Straße, der unter der ^!ast einer ungeheueren Masse von bedruckten Papicrbogcn keuchte und damit beschäftigt war, die alten Publicationen des verflossenen Tages abzureißen und neue anzukleben. Ich bat ibn, mich einige von seinen Zetteln sehen zu lassen, und er warf mir einen ganzen Ballast von der gewünschten Lecture zu. Herr Lanncr ließ für morgen ein „großes Gartenfest mit außerordent- 240 licher Decorirung und Neleuchtung" unter der Bezeichnung: „Ein Sommernachtstraum" ankündigen. Herr Strauß hatte für ein anderes Fest, welches cr im Sperle veranstalten wollte, einen noch reizenderen Titel erfunden. Er nannte es, wie ich bei'm Schimmer der Laternen las: „Phantasie und Harmonie im Nosengcwandc der Freude, ein ländliches Vlumenfest mit Vall." Auf einem dritten Zettel kündigte der berühmte Da um eine große „Festsoiree nebst Conversation in seinem Elysium" an. „Es werden dabei/' Husi es, „sich vier charakteristische Musiken in den verschiedenen Moralitäten prodm'iren. Ferner werden die mit vielem Beifall aufgenommenen, für diese Saison neu arrallgirten originellen Darstellungen, wie folgt, stattfinden." „In Asien (einer Partie des Oartens)" „zeigt sich durch drei Salons eine brillante orientalische Illumination, eine Palmenallee zur Promenade, geschmückt mit den ncuerfundcncn transparenten Irisblunimguirlandcn, und am Schlüsse ein imposanter Hauptprospett, Asien allegorisch darstellend, an dessen Ende verborgen die Instrumentalmusik ertönt." „Im eleganten Europa (einer anderen Partie des Gartens)" „ist ein römischer Triumphbogen errichtet, der sich im passenden Momente in eine amphitheatralische Kämpferloge verwandelt, worin die olympischen Spiele in charakteristischen Kostümen producirt werden." „In Amerika (einem Grasplatze)" „findet die so beliebte Eiscnbahnfahrl nach Australien, ge« 241 leitet von den geschmackvoll gekleideten Herren und Damen Apollo, Pluto, Diana und Minerva, statt." „In Afrika (einer anderen Localität des Elysiums)" „wird, nebst den beliebtesten Darstellungen auf der Schau-tribune, Herr Starsch, Escamoteur aus Verlin, mehre neue interessante Produttionen zu zeigen die Ehre haben. In dem festlich decorirten Harem findet ein afrikanisches Sommerfest statt." „Als Souvenir für diese Conversation erhält jede Dame auf eine festliche Weife zwei Abbildungen aus dem Elysium, sammt einer Erklärung." „Zur größeren Annehmlichkeit der geehrten Besucher wird sich die atmosphärische Luft mit dein neu erfundenen Schönbnmner Vlumenstor-Parfum vermengen und überall verbreiten." Ich glaube, daß selbst in Indien nicht solche Volksfeste auf eine pompösere Weise erdacht und angekündigt werden könnten. Ich habe mir spater noch viele solcher Wiener Fcsttitel angemerkt, z. V. - „Eine Nacht im Paradiese," „der Tanz der Elfen/' u. s. w. Der eine übertrifft immer den anderen an brillant erfundenen Anspielungen. Ein HauptlockunaMittel für die Wiener ist bei allen diesen Festen Tanz und gute Musik, und die Festgeber sorgen dafür, daß die Musik wo möglich von einem der beliebten Com-Ponisten, Lanner, Strauß oder Fahrbach, eigens für den Abend neu componirt sei. Auch diese neue Musik wird den Leuten unter ausgesucht pikanten Titeln angepriesen. Ein neu componirter Walzer von Stransi z. V. 242 bekam den Namen: „der elektrische Funken," ein anderer hieß „die Abendsterne/' ein dritter „die Freudenchranen," ein vierter „8t. leun ii'^cre", ein fünfter „Rokoko." „Musikalische Soireen," „musikalische Ständchen" und „Tongemälde" aller Art sind fast mit jedem dieser Feste verbunden, und wie weit die Wiener Componistcn mit ihrer Tonma« lerei gehen, mag nur folgende Specificirung eines solchen Gemäldes andeuten, welches man gerade damals, wo der erzherzogliche Eroberer von Saida in Wien der Held des Tages war, überall zu sehen und zu hören bekam. „Bestürmung von Saida (neues Tongemälde)." „Erste Abtheilung. Ankunft der englischen Flotte." „Zweite Abtheilung. Ankunft der österreichischen Flotte." „Dritte Abtheilung. Charakteristik der Verbündeten und des Feindes." „Vierte Abtheilung. Aufforderung zur Uebergabe, — verneinende Antwort,— Ausschiffung,— Angriff, — Kanonade, — Bombardement, — Vrand und Sturm." „Fünfte Abtheilung. Freudige Bewegung unter den Siegern und Dankgebet." „Sechste Abtheilung. Siegesfeier und Triumphmarsch." Außer den „Wohnparteien" giebt es in Wien kelne anderen Parteiungen mehr als die musikalischen, die von der vornehmsten Gesellschaft bis tief in die untersten Volksklassen hinab ihre Ramisicationen haben. Die Con-certmeister Strauß (der berühmteste), Lanner (der originellste) und Fahrbach (der rühmlich bekannte) sind 243 die Anführer und Abgötter dieser Parteien, so zu sagen, die Wiener Volkötribunen. Wie die römischen Volkstribunen bieten sie alles Mögliche auf, mu ihre Partei an sich zu fesseln und zu vergrößern. Wenn sie im Volks« garten oder im Sperle unter kleinen, zierlichen Tempeln in einem künstlich arrangirten Gebüsch von Orangen, Ro« dodendren und anderen Topfpflanzen ihre Violine streichen und ihre neuesten und effektvollsten Compositionen mit ihrer unglaublich perfect einererclrten Vand? (Strauß enrolirt blos Vöhmen) vortragen, scheinen sie gewissermaßen wie die Koryphäen und Lenker dcZ Gartenpublisums dazustehen. Vor ihnen sammelt sich ein lauschender Kreis von Horchern, mit dem sie fortwahrend coquettiren, indem sie ihren Freun« den mitten in der Arbeit des Spielenö zuwinken und bei Erccutirung schwieriger Passagen freundlich zulächeln. Jeden ausgezeichneten Vortrag belohnt ein lauter Beifall, und jede neue oder beliebte Composition ein stürmisches Da c«l»o. Selbst bei'm Tanze auf den Volksballen ist die Musik so wenig Nebensache, daß auch hier die Tänze oft mit lärmenden« Veifallsgetlatsche für die Musiker und Com-ponisten unterbrochen werden. Sogar auch bei den Festen der Schwarzenberge und Lichtensteine soll sich ein gewisser vertraulicher Verkehr mit den beliebten Musikern bemerklich machen, der nur bei einem weniger für Tanzmusik enthusiasmirten Publicum unstatthaft gehalten wer-den würde. Strauß und Consorten sind immer darauf bedacht, außerordentliche Erfindungen auf dem Felde der Musik zu machen. Sie haben fast in jeder Saison irgend etwas 16* 244 Neues auf's Tapet gebracht, irgend cin ncues Rutsch«, Klatsch«, Klapp- und Klangmstrument, oder irgend ein ungewöhnliches Manöver auf den alten, schon erfundenen Instrumenten. So z. V, ließ hier Strauß vorigen Som< mer in einem Potpourri plötzlich alle seine Violinisten, Violoncellisten und Contrabassisten den Mund aufthun und das Rheinlied: „Tie sollen ihn nicht haben," singen, was besonders bei den Bassisten einen höchst komischen Effect machte. Und Herr öanner lockte sein Publicum mit einem jungen Manne, der wirklich auf eine meisterhafte Weise Duette zwischen einer Dame und einem Herrn vortrug, wobei er die Höhe und Feinheit der Frauenstimme ebenso vollkommen erreichte, wie die Tiesc und Starke der Männerstimme. Auch gaben sie keine musikalische Soiree, ohne dieselbe mit dem KnaNcffccte eines Feuerwerkes zu enden, wo sich dann die Töne mit dem Knallen der Na-kelen und mit dem Sprühen der Funkengarben vermischen und mit ihnen dahin sterben. Am anderen Tage liest man dann in den Wiener Journalen, die, wie man sagt, auch ihren Antheil an den Concerten haben, einen langen Artikel, der so anfangt: „Wiederum hat unser viel und mit Necht gepriesener, unser unerschöpflicher Strauß (oder Lanner, oder Fahrbach) uns den gestrigen Abend mit einem ncuen brillanten Werke seines bewunderungswürdigen Genies verherrlicht. Alle, dk das Glück hatten, bei seiner Vorstellung zugegen zu sein, ic. 'r." Es giebt eine eigene Druckerei in Wien, die blos für die typographischen Bedürfnisse solcher Festgeber, .Theater-directoren, Con«rtmeister und Tanzwirthe eingerichtet ist, 245 und die außerdem wcitcr nichts in Druck nimml als Publicationen nnd Anschläge aller Art, Komodienzmel, Speisekarten u. s> w. Der Besitzer dieses Etablissements, Herr Hirsch fcld, hat viele Leute im Dienste, die sich auf eine geschmackvolle typographische Anordnung solcher Zettel, welche dem Straßenpublicum die richtigen Stich« wortei „v»! drülant," „zauberische Illumination," „Rosengewand der Freude," „Sommernachtstraume" u. s. w., init großen und hübschen Lettern sogleich i>« die Augen springen lassen, aus dem Grunde verstehen. Ich besuchte diese interessante Druckerei, wo von den dort angestellten Cor-rectoren die Schreibereien der Kellner und Marqueure corrigirt und drnckgerecht gemacht ^wurden. Die großen Riesentypen sind alle uo» Holz, und man speeulirt beständig, wie man mit schwarzen Lettern auf daS Angc und die Phantasie des Menschen einwirken könne, und die großen xylographischen Buntdrucke der Ankündigungen von Güter-ausspirlungen, bei denen alle Buchstaben mit Schloß- und ^andschaftöansichten durchweht sind, und wo sich jede Million mit den zierlichen frischen Blumengewinden der Hoffnung umschlungen darstellt, sind in psychologischer wie in xylographischer Hinsicht wahre Meisterwerke. Die ungewöhnlichen und nicht haustg wiederkehrenden Worte werden gelegentlich ans einzelnen vettern zusammengesetzt. Die berühmten Wiener Voltsnamen aber, z. V.: „Strauß" — „Lanner" — „im Sperl" — ,M)simn" — „Prater" — „goldene Virne u. s. w., sind bei Hirschfeld schon ein für alle Male auf ganzen Holzstücken ausgearbeitet, in mehren Eremplaren vonäthig, ebenso wie jene Wiener Stich« 24« Worte und Zauberformeln: „Illumination" — „Dccora-tlon" — „Tanz" — „Festsoiree" ,c.. Wer bei Hirsche seld einmal stereotyp geworden ist, der kann sich auch mit Fug und Recht für einen innerhalb der Mauern Wiens berühmten Mann ausgeben. Merkwürdig, obgleich natürlich, ist es, daß auch selbst alle diese Ankündigungen und Speisezettel, alls denen doch die unschuldigsten Dinge, als z. B. „Aspick" — „grüne Fisolen" — „Zuckererbsen" und „faschirte Schweinsköpfe" zur Publicist gelangen, der Censur unterworfen werden, und zwar einer doppelten, erstlich der obersten Censurbe-hörde, die das „Imprimatur" ertheilt, und dann der untere» Polizeibehörde, welche, auf die näheren Umstände und Lo< calitätcn Rücksicht nehmend, die etwa nöthigen Ginwend-» ungen macht. „Sie drehen ihnen aber doch zuweilen eine Nase," meinte jener Anschlager, den ich in der Nacht traf, „neulich haben sie im Sperl einen Ball 'geben, wo sie bis 6 Uhr Morgens tanzt hob'n, obgleich sie auf ihrem Zettel, der'S Imprimatur hatte, angekündigt hatten, der Pall sollte nach Mitternacht aus fein. Als die Polizei sie darüber zur Rede stellte, meinten sie, 6 Uhr Morgens wäre auch nach Mitternacht." Vin Herr von A. hat in Wien das Privilegium des öffentlichen Anschlags von der Stadtbe-hörde für jährlich 5W0 Gulden gepachtet, und er hat dafür das Recht, an den Thoren und öffentlichen Gebäuden große hölzerne Nahmen aufzuhängen, in welchen die Zettel angeklebt werden. Findet er noch sonst anderweitige für den Anschlag passende Stellen aus, so giebt ihm die Stadt- 247 bchörde die Erlaubniß, auch sie zu benutzen. Durch Weihnachtsgeschenke an die Haushofmeister u. s. w. weiß cr sich dann auch von den Hausbesitzern die Erlaubniß, ihre Wände zu benutzen, zu verschaffen. Viele Aus» rufer und Anschläger sind Tag und Nacht in seinem Dienste; „Rahmen«rpedicnt" ist der Titel, den sich die ersteren beilegen. Ihrem ärmlichen Aeußeren nach würde ihnen aber das Wiener Volk nur solche Titel beilegen, wie „Würstelpeter," „Fisolenseftpel," „Kreuzerwastel," „Zwetsch« kenhänsel," mit denen es viele Angestellte der allern ledigsten Grade zu beehren pflegt. „Na, b'hül' Ihne Gott, Ew. Gnoden!" sagte endlich, seine papierene Last wieder über sich nehmend, mein Rah-menerpedient, „ich muß mich sputen, daß ich noch bis zum Sunnenschein alle die Vlumenfeste und Sommcrnachtöträume da an die Wände bringe. B'hül' Ihne Gott!" Das projectirte Stadtviertel. Eines der interessantesten Dinge, die man während meiner Anwesenheit in Wien sehen konnte, war die in Holz zierlich ausgeführte Darstellung des beabsichtigten Aus- und Anbaues des inneren Kerns der Stadt, zu dessen Berathung und eventueller Ausführung fünf der ersten Banquier-hauser Wiens, Sina, Pouthon, Gskeles, Maier und Corth zusammengetreten sind. Der Plan dieses Anbaues ist — in Europa wenigstens — so außerordentlich und dabei so großartig und nützlich zugleich, das, man ihm durchaus einen guten Fortgang wünschen muß und noch gern ein wenig bei der Betrachtung der Unternehmung verweilt, die den Zweck hat, jenen engen inneren Stadtkern um ein Namhaftes zu erweitern. Es herrscht vielleicht bei keiner Stadt Deutschlands ein so eigenthümliches Verhältniß zwischen der eigentlichen Stadt und ihren Vorstädten als bei Wien, und namentlich ist auch in dieser Beziehung der Contrast mit dem zunächst zum Vergleiche sich darbietenden Prag groß. In Prag ist fast das Ganze Stadt, und nur höchst un- 249 bedeutende Stadttheilchen liegen außerhalb der Stadtmauern. In Wien dagegen steckt ungefähr A der Bevölkerung in den Vorstädten. Die Ursache davon ist die, daß Wien trotz seines vielleicht älteren Ursprungs (^abignuin — Vin-liodnnn) doch erst spater als Prag zu der Vcdentsamkcit einer Königs- und Kaiserresidenz gelangte. Noch im zwölften Jahrhunderte nahm Wien nur den fünften Thell des Terrains des jetzigen Stadtkerns und nur den vierzigsten Theil des ganzen Etadtbodens ein, zur selben Zeit, in welcher Prag schon beinahe I seines jetzigen Umfanges hatte. Und erst seit etwa 200 Jahren, seit Kaiser Rudolph II., der noch für gewöhnlich in Prag wohnte, re-sidirm die Kaiser beständig in Wien. Daher denn auch dieser rasche Anflug großer, machtiger Vorstädte an den Stadtkern, daher dieser außerordentliche Contrast zwischen der planmäßigen und gemächlichen Bauart der Vorstädte und dem ungeheueren Gebaudewirrwarr innerhalb der Stadtmauern. Die Straßen sind hier eng, die Hauser bis zu sechs, sieben und acht Stock in die Höhe getrieben, und Gebäude, die ihrer Großartigkeit nach einen großen öffentlichen Platz zur Umgebung verlangen könnten, sind von einem schmalen Sackgaßchcn umschlichen und im Häuser-Walde versteckt. In manchen Straßen der Stadt ist ein lebensgefährliches Gewirre, das um so schlimmer wird, da es bisher noch unmöglich war, bei der geringen Breite der Straßen auch nur eine halbe Mc breit Trottoire für die ssußganger zu gewinnen. Die Wagen fahren noth-gedruugen oft scharf bei den Fenstern und Mauern der Häuser hin, und es ist daher ein sehr gewöhnliches Ma« 250 nöuer der Wiener Fußgänger, in den Wagentritt hineinzuspringen, mn sich vor der Zerquetschung an der Mauer zu retten. Zuweilen sicht man Wagen, an die sich Fußgänger hinten und vorn anklammern, und recht oft hat man Gelegenheit, dem Himmel zu danken, daß man eine offene Hausthüre fand, in dic man zu seiner Rettung hineinschlüpfen konnte. Cine nicht geringe Hülfe gewahren dem Fußgänger indeß die zahlreichen Nebengange durch Pnvalhällscr und Gehöfte, an denen das Publicum ein Servitutsrecht auS-«bt. Man nennt diese Gange in Wien, wie in Dresden, „Durchhäuscr." Die ganze Wiener Stadt ist mit diesen Durchhausern, ft zu sagen, durchlöchert wie ein Ameisenhaufen, und wer in diesem Labyrinthe recht Bescheid weiß, der kann ganze Strecken weit immer unter Dach fortlaufen und alles Wagcngetümmcl vermeiden. In keiner anderen Stadt Deutschlands ftuthet cin so großer und ununterbrochener Strom von Karossen und Wagen auf und ab. Die Eckhäuser des inneren Stadttheils sind daher auch gegen diese gefährliche Fluth besonders geschützt und gewappnet. An allen Eckhäusern findet man große, schräg ablaufende Ecksteine errichtet, die mit breiten, fingerdicken Gisenringen und mit einer ebenso dicken eisernen Kapsel gepanzert sind. Die glatte Politur, welche dieser Panzer gewohnlich hat, zeigt deutlich genug, wie oft die Wagenstöße, welche den Häusern zugedacht waren, daran abglitten. Die arme» Fußgänger können sich leider nicht mit solchen Panzern versehen, und es fragt sich, ob in Bengalen oder in Wien mehr Leute ihre Glieder unter Wagenradern zerbrechen. 251 Alle diese angedeuletm und noch viele andere nicht von uns lenchrte Uebelstände sind nun in neuerer und neuester Zeit mit dem Wachsthume der Vorstädte noch fühlbarer geworden. Alle Vorstädte haben natürlich in dem Centrum der Stadt ihr vornehmstes Rendezvous. Nicht nur die Vornehmen, die im Sommer in den Gärten außerhalb der Linien wohnen, besitzen hier in der Nähe der Burg ihre Winterpalaste, sondern auch die Fabrikanten und Kaufleute, wenn sie auch in der Vorstadt wohnen, haben doch hier ihre Niederlagen, Voutikm uud Geschäfts« locale, und fast jeder Einwohner sucht irgend ein kleines pied 5, terre im inneren Kerne der Stadt zu gewinnen, weil fast jeder mit den wichtigsten Elementen des städtischen Lebens, die derselbe umfaßt, in näherer oder entfernterer Beziehung steht. In den engen, mittelalterlichen Panzer seiner Bastionen, Wälle und Graben eingeschlossen, hat nun aber dieser Kern sich nicht in demselben Verhaltnisse ausdehnen können wie die Vorstädte, die immer mehr uud mehr bequemlich in's flache Land hinauswuchsen und ein Dorf nach dem anderen mit in die städtischen Häuserla» winen verschmolzen. Freilich ist in neuerer Zeit sckon Manches geschehen, um dem immer stärker in die Thore der Altstadt einströmenden Verkehre Vorschub zu leisten und ihm den so sehnlich begehrten Raum zu gewähren.. Wie in allen Städten Deutschlands, hat man auch in Wien überall an den alten, schiefen und krummen Straßen geflickt, polirt und rerti-sicirt. Man hat, wo es nur möglich war, die Durch-Häuser vermehrt, die Stadt hat zu hohen Preisen hier und 252 da mehre alte und besonders hinderliche Gebäude angekauft und, um Platz zu schassen, niederreißen lassen. Alte Aus-und Vorbauten sind überall weggeschlisscn worden, bei jedem Neubau wird mit Strenge darüber gewacht, daß keine Behinderung des Verkehrs daraus entstehe, und das Pfla» ster, welches mall in den Straßen hergestellt hat, ist das vortrefflichste, das man wünschen kann. Allein eine solche alte Stadt, in der die Häuser wie Felsen stehen und die Straßen wie tiefe Thaleinschnitte und Schluchten laufen, dehnt und weitet sich so leicht nicht, und Alles, was man that, blieb im Verhältniß weit hintrr dem steigenden Vc-dürfnisi der vergrößerten Bevölkerung zurück. Die Hauptschwicrigkcit der Erweiterung sind die Festungswerke der inneren Stadt. Ihretwegen muß man sie durch einen 300 bis 400 Klaftern breiten freien Namn (daS Glacis) von ihren Vorstädte» getrennt erhalte,,. Könnte man die Festungswerke ganz fallen lassen und dann auch das Glacis bebauen, so würde der Stadt dadurch ei» Naum zuwachsen, der beinahe dreimal so groß ist als der Platz, den sie jetzt einnimmt, und sie würde dann mit ihren Vorstädten zu emcm schönen, bequemen Ganzen verschmelzen können. Die Vortheile würden für die Stadt außerordentlich sein; denn eine leicht anzustellende Verech» nung laßt es wahrscheinlich erscheinen, daß die Eristcnz und die Erhaltung der Festungswerke dm Wiener Vcwohnern jährlich auf directen und indiretten Wegen unzählige Millionen kosten müssen. Man würde unendlich billiger in Wien wohnen und an Wagen nnv anderen Dingen große Summen ersparen. Auch schöner würde man wohnen, 253 lind anS allen diesen Gründen Verkehr und Bevölkerung sich noch mehren. Alis politischen Gründen aber hat sich die Regier« llng noch nicht entschließen können, die Befestigung Wieus aufzugeben, obgleich wir doch offene Residenzen in Menge haben, und obgleich viele der Meinung sind, daß im Falle eines Krieges die jetzigen Bastionen der Stadt wenig oder keine Dienste leisten könnten. In der ganzen Gegend zwischen dem Schotten-Thor und dem Donau-(5a-nale ist das Glacis besonders breit. Und auf diesen Umstand hat nun die Gesellschaft jener Banquiers einen großartigen Plan zur Erweiterung der inneren Stadt gebaut. Sie haben den Vorschlag gemacht, hier die alten Befestigungen abzureißen, sie weiter hinein zu verlegen und dadurch für die Anlage neuer Gebäude einen leeren Naunl von circa 80,000 Quadrat-Klaftern zu gewinnen. Sie haben sich erboten, diese Verlegung der Festungswerke unter Aufsicht der Negierung auf eigene Kosten zu bewerkstellign, und von dem Architekten Förster einen Plan entwerfen lassen, nach welchem der neue Stadt-theil aufgeführt und mit den alten Stadttheilen auf's Zweckmäßigste in Verbindung gesetzt werden könnte. Die öffentlichen Gebäude, die Kirchen, Brunnen, Theater, Monumente, Stadtthore ?c., welche in diesem neuen Quartiere nöthig würden, wollen jene Herren ebenfalls auf ihre eigenen Kosten bauen, sowie natürlich eine Entschädigung für das verloren gehende Glacis-Terrain gewähren, unter der Bedingung jedoch, daß ihnen dam: gestattet würde, die Plätze für Privathauser aus ihre eigene Nech< 254 nung zu verkauft». Sie haben, wie gesagt, das ganze zu errichtende Gebäude-Ensemble mit allen Details in Holz zierlich ausführen lassen und eö den Augen der Behörden und deö Publicums dargestellt. Das alte dunkle und verwachsene Wien, in dessen Finsterniß so manche schöne Perle so gut wie verloren ist, würde darnach mit einem magnifiken, hellen, regelmäßigen Appendir von Stadttheil versehen werden, der seines Gleichen suchte. Ein großer freier Platz mit Monumenten des Kaisers Franz und der ersten Staatsmänner aus seiner Zeit (M etterni ch's ls.) und daneben eine in gothischem Style ge" baute Kirche nimmt den Mittelpunct dieses neuen Stadt« theils ein. Eine schöne Reihe gleich prachtvoller und doch, um Einförmigkeit zu vermeiden, in verschiedenem Geschmack gebauter Privathauser bildet an dem ganzen Donauarm hm einen herrlichen Quai, an dem Wien bis jetzt noch einen vollkommenen Mangel hat, und gerade diejenigen öffentlichen Gebäude, die in Wien bisher noch in besonders schlechtem Zustande sich befinden, die Börse, daö Postamt, ein Theater mit 2 Seitengebäuden für Kunstanstalten und ein weitläufiger Bazar, zeigen sich hier auf deut neugr-» wonnenen Terrain in einer besonders großartigen Umgestaltung. Am Flusse selbst sind Bassins mit Waarenhallen in Antrag gebracht, und 4 neue Brücken, die mit bereits eristirenden Straßen correspondiren, setzen das Neue mit dem Alten in Verbindung, sowie auch die neu-projectirten Straßen alle nur in der Verlängerung der alten fortlaufen und doch dabei auch untereinander mög« lichst regelmäßige« Zusammenhang haben. 255 Auch in der Vurg ist dieß Vild bereits vom Kaiser und von den Erzherzögen bewundert worden, und man hoffte damals a»f die allerhöchste Bestätigung des Planes. Das Hauvtbedcnken, das man noch dabei hat, sind, glaube ich, wiederum die Vefestigungswerke, durch deren Verleg-uug man die Festigkeit des Ganzen zu gefährden fürchtet. Sollte die Sache aber noch durchgehen, so würde dann das alte Wien einen neuen Flecken aufgesetzt erhalten, der das Ganze bedeutend verschönern müßte. Da ohne Zweifel viele Bewohner der Altstadt in den neuen Stadt-thcil sich übersiedeln würden, so würde dann auch all-mählig dort mehr Luft und Licht geschaffen werden können. Ob nicht vielleicht noch einmal die Erfindung des Erzherzogs Maximilian, die der Linzer Thürme, hier aus der Verlegenheit helfen wird? Mit ihnen könnte man ja dann leicht die ganze Wiener Stadt mit sammt ihren Vorstädten nmgebcn nnd so Alles in den Kreis der Befestigung ziehen. An dem Glacis selbst ware, sowie eö jetzt ist, voll einförmiger, kränkelnder Vaum-Alleen, wüster, zum Theil staubiger Platze und sumpfiger Grabeil, wenig verloren. Es ist zu groß, um es wie die Promenaden anderer Städte als einen Garten zu bebauen. Man könnte aber dabei immer einen kleinen, bescheiden schmalen Kranz von freien Plätzen zurücklassen, die dann in ge« nießbare nnd liebliche Garten verwandelt werden würden. Das Quartier der Cavaliere und das der Fabrikanteu. Vie belebtesten Theile von Wien liegen um den StephanS-Platz, den Graben und den hohen Markt herum. Hier ist es voll von Boutiken, Kramladen und Verkaufsplätzen aller Art. Die ruhigste Partie dagegen ist seitwärts von der Burg am Minoritcn-Platze, in der Herrengasse, der Teinfallstraße, der hinteren und vorderen Schenkengasse ?c. „Hier wohnen unsere großen Cavaliere," sagte mir ein Wiener, „und da ist es ganz still, still, ganz mäuschen-» still!" Man sieht in jener ganzen Stadtgegend durchaus keine Läden, kein geschäftiges und handelndes Getümmel. Wenn es in den anderen Straften Stöße und Püffe regnet unv man seine liebe Noth hat, daß man die Kniee von den Rädern und die Füße unter den Pferdehufen wegbringt, und wenn es dort von Kroaten, Slowaken, Serben, Deutschen und weiß Gott noch von welchen anderen Nationen wimmelt, so sieht man hier in der Negel Niemanden als stumme Palaste, vor deren Thüren die gal-lonirten Haushofmeister oder Portiers sich spreizen, als 25? wären sie die Herren nlcht nur vom Hause, sondern auch von der Straße. In diesem stillen Viertel von Wien, es heißt das Tein-Vicrtel, befinden sich die Paläste der Lichten steins, derStahremberge, der Harrachs, der Fe-stetics, derColloredos, derEsterhazys, derTraut-mannsdorfs und Schönborns. Hier prangen uralte Wappenbilder vor den Häusern, die noch unter der Regierung Rudolph's von Habsburg, Karl's des Großen und zu anderen unvordenklichen Zeiten zusammengestellt wurden, und goldene Vließe schimmern von den Dächern. Wenn die kleinen Söhne dieser Großen auch so auf den Dächern herumkltttern, wie die Knaben in anderen Städten, so mögen sie hier zwischen den Schornsteinen des Tein-Viertels allerlei aristokratische Erinnerungen einsammeln. Dann finden sich hier die imponirmdm Gebäude der ungarischen und der siebcnbürgischm Hosianzlci, das Ständchaus, die Hof- und Staats-Kanzlei, die Bank und mehre oberste Gerichtshöfe. Der ganze Naum, der alle diese für ein ganzes Kaiserreich so wichtigen Ge< bäude trägt, ist zwischen der Freiung, der Burg und der Bastei nicht über 200 Klaftern lang und breit, von welcher Größe es in Petersburg mehr als einen öffentlichen Platz giebt. Und wahrscheinlich kann man behaupten, daß der hohe Adel keineS anderen europäischen Reichs sich in einem so engen Winkel behilft, wie der österreichische. Freilich hat er in diesem Winkel dann auch Gebäude zusammengestellt, die stattlich genug sind, um damit, wenn sie nur gehörig vertheilt würden, eine ganze Residenz zu zieren. «,. 17 258 Nicht gar weit von dem Quartiere der Cavaliere in der Nähe des Iudenplatzcs ist wieder eine andere Gegend der Stadt, in welcher sich vorzugsweise die Klasse der Fabrikanten etablirt hat. Wie in jenem Theile die Wappen, so erblickt man hier fast über jedem Hause die Firma irgend eines Baumwollengarn- oder Seidengeschafts und die Niederlagen von Tüchern, Shawls, von Kundschnüren und Wollenborteln, von„Fischamenter Vaumwollensvunnst," von allen Gattungen weißer und gefärbter Strickbaumwolle, von Seidentüchcrn und Vortcn. Es sind indeß nur die Niederlagen dieser Dinge, aus denen sie en ^rn« an die Kaufleute verkauft werden. Die Krambuden, in denen man sie en Muil verkauft, liegen wieder anderswo beisammen, und die Fabriken, aus denen sie hervorgehen, muß man in den Vorstädten suchen. Dort findet man wieder, besonders in den westlichen Vorstädten, ganze Quartiere, wo eine Fabrik neben der anderen liegt. Es ist dieß Alles neuer und neuester Anbau. Denn wenn in frühesten Zeiten Wien nur ein römischer Lagerplatz, dann eine kleine Residenz österreichischer Herzöge und unter hundert anderen eine deutsche Reichsstadt war, und wenn es darauf spater die unvergleichliche Kaiserstadt und der erste Handelsplatz des österreichischen Reiches wurde, so ist es nun in neuester Zeit auch noch der vornehmste Fabrikort dieser Monarchie gcworven, der seine geschmackvollen Artikel in alle österreichische und auch in einen großen Theil der nicht österreichischen Welt versendet. Oumpcndorf, Laimgrubc und Mllriahilf heißen die Vorstädte, in denen fast Alles Fabrikant ist, ebenso wie in 259 den noch außerhalb der die eigentliche Stadt umschlichen« den Linien liegenden Dörfern Fünfhaus, Sechshaus u. a. Hier sind die einfachen und einförmigen Hauser der Weber und Spinner zu Hunderten aufgeschossen, und man glaubt hier, wenn man an das Tein-Viertel zurückdenkt, in einer anderen Welt zu sein. Die rohe Baumwolle kommt von zwei Seiten hierher, über Trieft aus Aegyp-tcn und über Hamburg auS Amerika und Westindien. Spinner, Garnhandler, Weber und Drucker woh" nen hicr alle nahe bei einander, und die Waare wandert nun von Nachbar zu Nachbar oder von Stadt" quartier zu Stadtquartier, um fertig in die Hand des ebenfalls benachbarte» Kaufmanns und Cunsumentcn zu gelangen. Es giebt hier viele Fabrikanten, die so« luohl hier in den Wiener Vorstädten, als auch in Vöt> inen, wo das Lohn billiger ist, ihre Etablissements haben. Mehre von ihnen sollen, auch an der sächsischen Gränze solche Etablissements blos „ans Pasch" gegründet haben, d. h. sie haben dort eine kleine Spinnerei, die eigentlich nur dem Namen nach «istirt, weil sie wenig arbeitet, aber viel englisches Garn über die Gränze hercinschmug« gclt. Die Engländer können ihr Garn den Wienern noch billiger stellen alö die Spinnereien in den Vorstädten. Diese genießen daher einen Schutzzoll von 15 Proccnt, der ihnen aber dann durch jenes Schmuggelgeschaft gekürzt wird. Eben diescö Schutzzolls wegen liegen die Wiener Vorstadt-Weber, die ihn natürlich nicht wünschen, weil sie ohne ihn das englische Garn billiger beziehen könnten, immer 17* 260 mit den Spinnern, ihren Nachbarn, in Streit. Beide haben ihre Versammlungen und Verbindungen zur Wahr« ung ihrer Interessen unter sich und suchen bei den obersten Behörden gegen einander zu operircn. Vci einem dieser Versuche zu Machinationen gegen dm Schutzzoll haben die Weber uoch kürzlich wieder unterlegen. Die Spinner fürchten aber, daß der Zoll doch bald fallen wird. Dann werden sie es nicht mit den Englandern aufnehmen können. Denn selbst wenn sie auch noch so steißig sein wollen und auch ihre Maschinen noch so gut und zweckmäßig einrichten, so haben doch die eng-lischen Spinner von Manchester, die an der Quelle des Welthandels sitzen, zu anßerordentlichc Vortheile, als daß es ihnen mit dem beßten Willen in Wien Jemand gleich thun könnte. So haben, um nur Eins anzuführen, die Manchester Spinner ihre Eisenbahn nach Liverpool, durch die es ihnen möglich wird, den Vorrath ihrer Wolle in kleinen Quantitäten ganz nach ihren Bedürfnissen zu kaufen. Sie können heute bis auf den letzten Faden abspinnen, fahren dann morgen nach Liverpool und holen sich neuen Vorrath herüber. Sie können also allen Bewegungen des Preises mit Leichtigkeit folgen und nur kleine Quantitäten kaufen, so lange die Waare theuer ist, und größere, wenn sie billiger wird, während der Wiener Spinner oft, wollend oder nicht, zu theueren Preisen große Quantitäten nehmen muß, aus Furcht, seine Arbeit könnte in Stocken gerathen. Alsdann fehlt es in Wicn ganz an den großcn Spcculantell, die England hat. Diese Spcculanten kaufen fortwährend Garn ein, weil ihnen «I die Wege in alle Welt offen stehen und weil sie immer sicher sind, Irgendwo einen Markt für ihre Waare zu erspähen. Hier dagegen wird fast nur fur die österreichische Monarchie gesponnen. Der Weber steht selbst ohne Mittelglied neben dem Spinner und kauft ihm nichts ab, wenn er nichts nöthig hat und wenn seine eigenen Waaren keinen Ab« gang fanden ES treten daher in der großen Maschinerie des Verkehrs hier weit häufiger allerlei kleine Stockungen ein als in England, und der Spinner fühlt sich »nil sei» ner Waare, die ihm die Procente und vielleicht auch noch die Mausc fressen, auf den Sand gesetzt. Achnllche Vortheile, wie sie die englischen Fabrikan» ten vor den Wienern und überhaupt vor denen der gan» zen Welt voraus haben, haben wiederum ihrer Seits die Wiener vor den übrigen Fabrikanten der österreichischen Monarchie voraus. Hier in Wien hat man, im Ganzen genommen, dic bcßtc Ueberficht und Kenntnis; von Allem, was den Slavonicrn, Kroaten, Aclplcrn, Polen, Sieben« bürgern nöthig ist, und hier verfertigt man daher viele Artikel, welche «ach den, Geschmack dieser Nationen sind. Wir sahen schon bei Linz, daß sogar die altmodigcn Goldstoffc für die obcrösterreichischen Hauben in Wien fabrilirt werden. Ebenso verhalt es sich mit den silbernen Knöpfen, mit denen sich die Lcutc durch ganz Ungarn schmücken, sowie auch mit den schwarzscidmcn rothgt'tanteten Tüchern, welche die magyarischen Hirten um den Hals winden, und ebenso ist es mit hundert anderen Artikeln. Zu gleicher Zeit aber sitzt man auch an der Quelle der 262 österreichischen Moden und lauscht daher jenen Völkern nlcht nnr ab, was sie zu tragen wünschen, sondern schreibt ihnen auch schon vor, was sie tragen sollen. Wiener Moden und Wiener Waaren herrschen die ganze Donau hinab bis an's schwarze Meer, bis nach Polen und Rußland hinein uud brechen sich auch vielfach Nahn in die türkischen Gebiete. Kenner wollen freilich behaupten, daß, im Ganzen genommen, viele Wiener Waaren einer scharfen Kritik nicht sonderlich Stich halten. „Schmarren sind es, alle Wiener Fabrikate," sagte mir ein in London und Paris bekannter Eingeborener, „sss wird hier Alles nur, wie man zu sagen pflegt, „auf Puff" gearbeitet. Weil wir Wiener leicht, wandelbar und vor allen Dingen geschmackvoll sind, so wird überall mehr auf eine wohlgefällige Form als auf soliden Stoff gesehen." Von dem höchsten Standpuncte aus, den man nur in Paris und London gewinnen kann, besehen, mag dieß allerdings zum Theil wahr sein. So viel ist aber gewiß, daß, wenn man eine Linie von der Ostsee biö au'ö adriatische Meer zieht, im Osten dieser Linie dann tcine einzige Stadt mehr gefunden werde, die es an Billigkeit lind Geschmack, in Quantität und Qualität mit den Producten der Wiener Fabrikation aufnehmen könne. Besonders ihrer im Verhältniß zu ihrer Güte außerordentlichen Billigkeit wegen haben manche Gegenstände nicht nur in ganz Deutschland, sondern auch in Amerika ihren Weg gefunden. Man macht hier z. B. Tafeluhren von einer Eleganz, daß sich kein Salon ihrer schämen darf, zu 8 bis 9 Gulden daS Stück. 263 Ebenso werden ganz feine Shawls zu 10 bis 12 Gulden gemacht, bei deren Anblick man über Preis und Güte auf entgegengesetzte Weise in Verwunderung geräth. Die Shawlfabrikation ist eine der bedeutendsten und bedeutender als sonst noch irgendwo im mittleren und östlichen Europa. Ihrer außerordentlichen Billigkeit wegen gehen die Wiener Shawls stark in die Türkei. Ein Shawlfa-brikant, dem ich nicht zu mißtraue!, Ursache hatte, meinte, es möchten mit diesem Artikel ietzt allein wohl 4000 Menschen in Wien sich beschäftigen, waö um so merk> würdiger ist, da das Emporblühcn der Wiener Shawl-fabrikatiou sich erst seit dem Jahre 1812 datirt. Den» nur einige wenige Etablissements stammen aus einer früheren Zeit. Es ereignet sich, glaube ich, nur selten, daß gewöhnliche Reisende zu dem Anblick einer Shawlfabrik gelangen. Und auch ich verdanke denselben nur einem Freunde, der mich seinem Freunde, einem Vaumwollen-spinner, empfahl, welcher dann seiner Seits uns bei seinem Freunde, einen« Shawlfabrikanten, introducirtc. Denn eö ist hier eine Ha,iv gegen die andere. Jeder hat seine kleinen Handgriffe und Geheimnisse, die er nicht ausgeplaudert wünscht, und macht seine Erfindungen, mit denen er sich zu fördern denkt. Vei allen diesen Shawünbei-tern ist auch jetzt der Iaquart'sche Webestuhl in Gebrauch, der von einem Herrn I aquart in Lyon erfunden worden ist. In der ganzen webenden Welt ist diese künstliche Maschine mit Necht berühmt. Die Nichtweber wissen gewöhnlich nichts davon, obgleich dergleichen Producte des 264 menschlichen Verstandes ja ebenso bewunderns« und len-nenswerth sind, wie alle anderen. Eine Beschreibung dieses merkwürdigen Instruments hält freilich ohne Zeichnung sehr schwer. Doch will ich versuchen, den deutschen Damen und den türkischen Herren, die gern wissen möchten, auf welche Weise die Blumen, die sich als Turban um ihren kahlen Kopf oder als Shawl um ihre schlanken Schul-tern winden, entstehen, wenigstens einen oberflächlichen Begriff von dieser interessanten Maschinerie, deren man sich jetzt in ganz Europa bei allen Mustcrwcbcreic» bedient, zu geben. Die unzähligen Faden der Kette (bei sehr breiten ShawlS sind ihrer oft mehre tausend) werden zunächst alle auf dem Wcbestuhle aufgespannt, und zwar in der Reihenfolge, in welcher nach der Vorschrift deö Musters bald diese, bald jene Farbe nöthig ist. Vei'm Einschie-ßen deö Einschlags kommt eS zunächst darauf an, daß diejenigen Faden färben, welche oben erscheinen sollen, nach oben gezogen werden, und die, welche der Einschlag verdecken soll, unten bleiben. Jeder Faden der Kette hangt daher in einem glatten Glasringe an einer Schnüre, die unten mit einem kleinen Gewichte versehen ist und dann nach oben in die Krone des Webstuhlcs hinaufgeht. Hier oben nun hängen alle diese unzahligen Schnuren mit einer Art von Claviatur zusammen, an der äußerlich viele Stifte erscheinen und die so eingerichtet ist, daß, wenn der eine oder der andere dieser Stifte berührt wird, auch der eine oder der andere der damit verbundenen Schnuren und mittels der gläsernen Ringlein dann ebenso der Faden der Kette in die Höhe geht. Diese Claviatur 265 nun bei jedem Einschlage mit dem Finger zu spielen, wäre natürlich eine Unmöglich feit. Herr I a quart hat daher auf andere Mittel gedacht. Er läßt die Sache durch Cartons verrichten, welche die ganze Claviatur der Stifte verdecken. In diesen Cartons befinden sich hier und da kleine Löcher, welche die Größe der Stifte haben, so dasi, wenn der Carton auf die Stifte gedrückt wird, einige derfel« ben durch diese Löcher durchpassiren, andere aber, wo sicki keine Löcher befinden, vom Carton berührt und eingedruckt werden. Nur die Faden der berührten und gedrückten Stifte gehen in die Höhe. Da bei jedem Einschlage das Muster sich ein wenig verändert, so muß bei jedem ein anderer Carton, bei dein die Löcher etwas anders gestellt sind, angewendet werden, und es müssen natürlich so viele verschiedene CartonS sein, als Einschläge nöthig sind, um das ganze vorgeschriebene Muster einmal zu vollenden. Fangt dasselbe Muster dann wieder von Neuem an, so kann man auch wieder dieselben Cartons der Neihc „ach gebrauchen. Nm das Andrücken der Cartons zu bewerkstelligen, sind diese alle lose an einander genäht und über eine vierseitige prismatische Walze gelegt, welche sich jedesmal mit dem nöthigen Carton der Claviatur der Stifte nähert und bei jedem Tritte des Webers sich einmal dreht und dann den folgenden Carton vorschiebt. Da natürlich in die Quere für den Einschlag ebenso viele Farben nöthig sind wie in die Länge für die Kette, so hat der Weber immer mehre (oft 7 bis 8) Schisschen, die alle verschiedene Farben tragen, und von denen zuweilen das eine mit Seide, das andere mit Vaumwollc, 266 das dritte mit Wolle (denn alle diese Stoffe kommen bei den Shawls m Anwendung) beladen ist, als Stenermcmn zu dirigiren. Weil indeß die ShawlS oft so breit sind, daß der Weber allein dic Leitnng der Schiffe nicht besorgen kann, so steht ihm immer ein kleines Mädchen znr Seite, das auf dem anderen Ende der Vank sitzt und jedesmal mit stinken Fingern die Rückfahrt der kleinen Schiffe besorgt. So viele tausend Shawlweber es in Wien giebt, so viele tanscnd Vrustleidende giebt es anch, denn bei diesen brmcn Geweben ist ein so heftiges Anschlagen der Lade nöthig, daß die dadurch hervorgebrachte Erschütterung in der Negel Vrustübel, Vlutspeicn nnd Lungenschwindsucht bei den Webern hervorruft. Ein paar Manipulationen, die noch später mit den fertigen Shawls vorgenommen werden, sind folgende. Zuerst werde» diese zarten, verbrennlichen Gegenstände noch durch Feuer geläutert, indem man sie entweder langsam über ein glühendes Eisen, oder über eine Spiritusflamme weggehen läßi, um die Rauhigkeit der Faden weg-znbrcnncn, und dann werden sie mit frisch gebackenem Roggenbrote abgerieben, das sie vollkommen reinigt nnd läutert, indem es alle die verschieden gefärbten kleinen Fadrntheil-chen, welche sich störend anderen Farben etwa beigemischt haben, wegnimmt. Die wenigsten Damen haben gewiß eine Ahnung davon, daß ihre schönen Tücher sich solchen wnnderlichen Processen unterwerfen mußten, doch könnten sie mit feiner Nase beide hcrausricchm, den» sowohl der Geruch des Roggenbrotes, als anch der der Feucrtortur stecken immer bnde unverwüstlich in den Wiener Shawls. Die Boutiquen in Wien. ^)u dm interessantesten Spazlergangcn, die ein Philosoph in der unvergleichlichen Donau-Kaiserstadt machen kann, gehören vor Allem auch die auf dem Kohlmarkte, am Graben hin, über den Stephansplatz, zu der Vischofsstrasie und in mehre diesen Straßen benachbarte Nebengassen; denn eö ist dieß ein Weg, der täglich von Tausenden von NichtPhilosophen und Weltkindern, von schönen und nicht-schönen Damen und Herren bewandert ruirv, und auf welchem sich in den glänzenden Läden und Kaufgcwölbcn alle Gegenstände in grosier Fülle und in den geschmackvollsten Formen darbieten, die dem Wiener Menschen als nothwendige Lebensbedürfnisse erscheinen, und die dann der Wiener wieder dem slawonischen, dem ungarischen, dem walachischcn und vielen anderen Menschen als höchst schatzenswerthe und durchaus nothwendige Dinge anpreist und aufdringt. „Ich habe mir diese Tafeluhr am Kohl-Markte und jenes Silberservice am Graben in Wien gekaust," hört man noch an der türkischen Gränze die Leute oft versichern, und die Vazare des Kohlmarktes und des 26» GrabenS sind zum mindesten auf den 11,000 Quadrat-mcilen der österreichischen Monarchie bei Jedermann be-tannt und beliebt. Gs ist in Wien eine Mode der Kaufleute, so viel Waaren als nur irgend möglich am Fenster auszustellen; sie nennen dicsi die „Auslage." Zuheilen geht diese Mode, man kann sagen, diese Sucht, so weit, daß fast ebenso viele Waaren in der Auslage stecken, als im Laden selber zu finden sind. Die Waarenausstcllung in den bezeichneten Gegenden der Stadt gehört daher zu den brillantesten, die sich in irgend einer Hauptstadt Europas darbieten, und man betrachtet sie bei dein guten Pflaster, der großen Reinlichkeit und der guten Gesellschaft in den bezeichneten Straßen auf sehr angenehme Weise. Es ware mir nicht möglich, selbst von dem, was ich hier sah, eine umständliche Rechenschaft abzulegen, geschweige denn von dem ganzen Wiener Voutiquenwcsen eine vollständige Uebersicht zu geben. Doch aber will ich den Leser bitten, mir wenigstens in einige der Läden zu folgen, in denen so zahlreiche Quellen für die Kenntniß der Wiener Zustande stießen, und in denen es noch mehr Wiener Spiegelbilder giebt als in der allgemeinen Zeitung. Von den Modewaarcnhandlungcn blüht in diesem Augenblicke keine schöner als „der Lorbeerkranz," und es ist wohl der Mühe werth, sich einmal seine reiche Aus« wähl von nwdigen Stoffen anzusehen, die er den Wiener Dandys, Elegants und Modedamen allbietet. Vor dem ,,3orbcerkranze" war es „der Amor" (bekanntlich hat jeder Wiener Laden sein Zeichen, unter dem er mehr betannl 269 ist als unter dem Namen seines Besitzers), der den Preis überall davon trug. Der Amor hat sich nun alö reicher Mann aus dem Kohlmarktsgcwühlc zurückgezogen und sich schöne Garten und Villen in den Wiener Vorstädten gebaut. Der Lorbeerkranz wird auch noch einmal auf seinen Lorbeeren ausruhen, den» in Wien bekleidet keiner eine Zeit lang die Stelle eines oberste» Modisten, der nicht bald Gelegenheit fände, in die Klasse der müßigen Rentiers überzuttctcn und seine Boutique mit einem Palaste zu vertauschen. Sollst war bekanntlich Augsburg diejenige deutsche Stadt, dic in ciselirten Silbcrarbeitcn ercellirte. Jetzt kennt man, in Oesterreich wenigstens, nur „Wiener Vunsen-arbeit." Die größte Silberwaarenfabrik ist die von Mayer-hofcr und Klinkosch, die gleich an der Eckc dcs Kohl-» marktes ihre prachtvolle Auölage haben. Ihre große Fabrik liegt in der Vorstadt selbst und verdiente eine eigene Beschreibung. Der grüßte Theil des österreichischen Adels laßt das Silberzeug, das in seinen Familien forterbt, in dieser Fabrik machen. Man findet hier daher auch in einem besonderen Schranke, auf einer lange Reihe von Stempeln die Wappen der meisten österreichischen Familien, mit denen jedes Stück der bestellten Service versehen werden musi, aufgestellt. Auch für Mehemed Ali hatten sie kürzlich eine Bestellung auf ein großes Service gehabt. Vei dein vielen hohen Adel, der in Wien residirt, ist es kein Wunder, daß es hier viele Medailleurs und Graveurs giebt, und daß die Kunst, Wappen zu stechen und zu componiren, hier besonders eifrig betrieben wird. 270 „Nur hier in Wien," sagte mir ein solcher Graveur, „ist der achte, wahre Geist der Wappenkunst zu Hause. Wir erkennen hier sogleich jedes anderswo gestochene Wappen als nicht ganz acht." Es werden hier nicht nnr beständig viele neue Wappen nach alten Negeln gebacken, für die vielen Edelleute, die noch taglich als Ahnherren adeliger Familien aus den österreichischen Hofkanzleien und Ordensämtern hervorgehen, sondern auch viele der urältesten und ächtesten Wappen bestandig wieder in Stahl, Gold, Silber und Edelsteine von Neuem producirt. Man sindet daher überall, wo man sich umblickt, Hände mit der Darstellung dieser heraldischen Hieroglyphen beschäftigt, hier und da sogar auch zierliche Frauenhände. Wenn man erwägt, daß die Holländer manchen Krieg um nichts als einige Pfefferkörner führten, daß noch jetzt der ganze englisch-chinesische Zwist sich um einige Kisten Opium dreht, und daß an Talg, Theer und Thran nicht die unwichtigsten Interessen Rußlands, die oft ein Gegenstand der Aufmerksamkeit hoher und höchster Politik werden, geknüpft sind, so wird man mir nicht vorwerfen, daß ich mich mit Lappalien beschäftigte, wenn ich auf dem Wiener Kohlmarkte auch in einen Stcarinlichterladen trat, dessen künstliche und geschmackvolle Auslage mich anzog. Aus der weißen, delicalen Stearmmafse hatten sie einen Berg und darin eine Eis - oder Stalaktitenhöhle zusammen-geträufelt, in welcher ein Stearin-Eisbar wohnte. Dann waren im Laden selbst die Lichtcrbündel so geschmackvoll arrangirt, wie die Pistolen und Gcwehrlaufe in einem Arsenale, und hier und da waren Säulen daraus gebildet, 271 auf deren Knäufen Blumentöpfe standen. Ueberhaupt war der ganze Laden mit Blumen verziert. Durch die Erfindung der Stearinlichter ist daö Talg gewissermaßen iu den Adelstand erhoben worden, und in diesem Zustande ist es nun in den vornehmsten Salons zulässig. In Wien hat es jetzt auch bei Hofe Eingang gefunden. Auch verfertigt man hier jetzt dicke Kircheukcrzen aus diesem geadelten Talge; übrigens ist es ein Gegenstand der Discussion der höchsten geistliche»» Behörden geworden, ob es statt des Wachfes auch in den Gotteshäusern zuzulassen sei. Wenn ich mich recht erinnere, so haben die Bischöfe in einigen Diö-cescn es verpönt. In der griechischen Kirche wird es sicher nie angenommen werden, und in ihnen der fleißige« Bienen uralte edle Arbeit immer in Ehren bleibe«. Es ist unmöglich, allen den Wandlungen in der Welt der Wiener Vazarc z» folgen. Es verändert sich hier täglich ctwaS, es versiegt heute die eine oder die andere Gewerbs« quelle, und es ctabliren sich morgen wieder neue. Einer der zuletzt hier ctal'lirten ).'ädcn war der Vronccladeu des Englanders Morton, der jetzt auch bereits in Mailand, Pesth, Prag und anderen Hauptstädten der Monarchie seine Maletablisfements hat. Das Reizendste, was ich hier sah, war ein broncenes Vogelgebnuer, das aus vergoldeten Stäbchen bestand und von reizenden, emaillirten Blumengewinden umschlungen war. Das erste Vogelgcfängniß dieser Art war für die Kaiserin Mutter a»s Paris gekommen; seitdem hatte man siebcnzchn davon verfällst, von denen allein zehn nach Konstantinipel bestimmt gewesen waren. Als ich aus diesem Bronccladcn trat, wurde ich Augen- 272 zeuge eines kleinen Vorfalls, der für Menschen und Thiere, die dabei die Hauptrolle spielten, gleich ehrenvoll und rührend war. Ein paar kleine Sperlinge waren bei ihrem ersten Ausflüge, den sie mit ihren Alten über die Dächer der Nesidcn; machten, ermattet und in der Straße von einem Burschen gefangen worden, in dessen Hand sie jämmerlich piepten und schrieen. Die Alten flatterten angstlich an den Wanden der Hauser herum, setzten sich auf die Schilder der Laden, auf die Latcrnenpfähle und verfolgten den Jungen mit ihrem Geschrei, indem sie zuweilen bis mitten in das Straßengetümmcl hinabflatterten. Ich bat den Jungen, er möchte die Thicrchen loslassen, und da auch sein Mitleiden schon durch das Jammern der Alten erregt war, so ließ er sie beioe los', aber täpvisch flogen sie gegen die Mauern und fielen auf die Straße matt zu« rück, wo sie wieder von den Leuten gehascht wurden. „Gieb sie mir für meinen Kleinen!" „gieb sie mir für meine Kinder!" schrieen einige Weiber. Aber die kleinen gefiederten Aeltern zirpten so mitleidsuoll dagegen, daß am Ende alle indeß versammelten Leute, lauter Wiener Plcbö, laut riefen: „Nein, nein! laßt sie frei! gebt sie frei!" Es waren auch Juden darunter, die besonders laut schrieen. Mehre Male wurden die Vögel in die Luft geworfen, fielen aber immer wieder auf die Straße zurück, was denn jedesmal m, Jammergeschrei aller Anwesenden, sowie auch der flatternden Alten zur Folge hatte. Endlich brachten sie eine lange Leiter geschleppt. Alle griffen zu, setzte» sie an den Vorbau eineö kleinen Hauses, und wahrend die Anderen schrieen und sich bei'm Festhalten bemühten, 273 stieg einer hinauf und setzte die jungen Thierchen auf das Dach. Die Alten kamen zu ihnen herab, und die ganze kleine Familie flog dann zum allgemeinen Jubel der für die Freiheit enthusiasmirten Fisoleuscppel und Würstelpeter davon. Sogar ein paar „Glacefranzcl" (petits^umitres) blieben stehen und bclorgncttirten lachelud die Scene von Weitem. Zu den Artikeln, die in Wien für Ungarn, Polen und andere Lander in großen Quantitäten gemacht werden, gehören unter anderen auch alle die bei Theatern nöthigen Gegenstände, mit denen sich alle stehenden und herumziehenden Thcatergesellschaftcn der österreichischen Staaten von Wien aus versorgen. Man findet hier Vuden, die mit lauter solchen Gegenständen, Garderoben, Flittern und Fcderputz aller Art, verschen sind, und insbesonder«' mit Diademen, Diamant» gürtcln und Vlillantschmucken für die Vreterköniginnen und die Vühncnprinzessinmn. Diese falschen Diademe werden von den Wiener Goldschmieden in großen Quantitäten angefertigt. Sie nehmen dazu eine eigene Composition von Vlei, Zinn und Wiömuth, welche „Theatercompositionsmasse" genannt wird. Diese Masse macht so viel Effect, daß das Feuer der echten Steine für eine gewisse Entfernung wirklich höchst tauschend dadurch nachgeahmt wird. Die kleinen polirten Facetten des Metalls werden dabei uicht erhaben, sondern vertieft zusammcngesetzt, und das Licht spielt ebenso aus ihnen zurück, alö waren es lauter erhabene Steine. Es giebt viele Artikel, die man in Wien vorzüglich gut arbeitet; dahin gehören auch z. V. Korallen und Perl» Mutter. Man findet mehre Korallenladen, die das Zier» ,i. 18 274 Uchste enthalten, was man schen kaun. Vielleicht ist diese Arbeit von Neapel, wo man bekanntlich das Schönste in Korallen ausführt, hier hcrübcrgcpflanzt worden. NebrigcnS ist bei allen diesen Sachen, den Bijouterie-Waaren und derQuincaillerie, die so außerordentlich billig nnd gut in W>n gemacht werden, der Nebelstand, daß man sie hier nicht in so großen Quantitäten beisammen findet, daß sie von einer bedeutenden Wichtigkeit für den Welthandel werden könnten. Ich traf einen Amerikaner in Wien, der mir sagte, daß er die Wiener Produtte der genannten Art zum Theil so ausgezeichnet billig und verhältnismäßig schon sinde, daft er überzeugt ware, man könne in England W Procent und in Amerika gar W Procent oder noch mehr damit verdienen. Indessen habe er nicht weniger als acht Monate Zeit gebraucht, um für seine mitgebrachten 15>0,0NU Gulden Waaren genug zusammenzubringen, so sehr sei Alles in kleinen Magazinen zerstreut, und er glaube daher nicht, daß er seine TpelU" lation wiederholen werde. Wicn ist in allen Stücken nur noch anf die mit kleinen Quantitäten zu befriedigenden Ve< dürfnifse seiner Provinzen eingerichtet, für den Welthandel aber ist der Platz unbedeutend. Es ist merkwürdig, daß man etwa erst seit fünfzehn Jahren in Hamburg ein Handelsbuch einzubinden versteht. Vis zn dieser Zeit verschrieben die meisten großen Handelshäuser ihre großen Folio-Schreibebüchcr aus England. Erst seit fünfzehn Jahren geschieht dieß nicht mehr, und man kann nun auch in Hamburg solche Bücher machen, die sich mit einer elastischen Feder öffnen, und deren Blätter sich, man 275 mag sie aufschlagen, wo mau will, überall ganz schlicht in cine vollkommene Ebene ausbreiten. Die Wiener verstehen diese scheinbar ft einfache Kunst noch nicht, denn der größte Wiener Buchbinder, Girard et, der mit 36 Gesellen arbeitet, bat darunter für alle soliden und besonders schwierigen Arbeiten drei (Engländer und für die, besonders feine Behandlung und ausgezeichneten Geschmack erfordernden neun Franzosen in Dienst. Diese Leute verstehen ihr Geschäft aus dem Grunoe, und was sie unter Händen hat» ten, ist tüchtig und scl'ön geworden. Sie arbeiten ganz gesondert von den deutschen Gesellen, damit die Geheim-» nissc ihrer Kunst nicht verrathen werden. Es giebt viele feine Ledcrarten, die man in Deutschland noch gar nicht bekommen kann, und sie, der Stoff, sowie die Werkzeuge und Werklcute, sind aus England und Frankreich verschrieben. Die Zierlichkeit, Eleganz und Solidität der Arbeit erreicht das Höchste, was man sich denten kann, und die Manchfaltigkeit der Erfindung ist ebenso bewunderns-werth. Alle acht Wocbcn räumt Herr Girardet und ist alle acht Wochen mit ganz nagelneuen Erfindungen und Formen versehen. Nachdem ich eine Revue der ganzen Magazinen» und Vudcnstadt gehalten und dabei auch die Karlsbader Seenadeln, die Voralberger Spitzen, die Wiener Parfumfabrik nach orientalischer Art, die leonischen Arbeiten, verschiedene sleisiige Frauen, welche Goldhauben „klickerten," besucht hatte, kam ich am Ende der Vischoföstrasie und der Rothen-Thnrmgasse, bei'm „ Salzgrics" zu einem Laden, der den Schluß machte, und zwar mit einer in Wien sonst 18* 276 ziemlich seltenen Handelswaare, nut Affen, die unter allen Vierfüßern mn meisten Achnlichkeit mit den Menschen haben, und mit Papagaien, die unter allen Vögeln am meisten dm Affen ähnlich sind. Der Besitzer dieses Kaufladens erzählte mir, daß die Witterung dieses Jahres für seine Waare besonders nachtheilig gewesen sei; er habe für mehr alö 1709 Gulden Affen eingebüßt, die alle einen Husten bekommen hätten und gestorben wären. Einer der Affen hnstete noch, und ich war erstaunt über die Ähnlichkeit seines Hustens mit dem der Menschen. Ich fand hier mehre verschlossene dunkle Käfige, welche die Studir-zimmrr der Papagaien vorstellten. Abends und Nachts verschließt sie ihr Lehrer in diese Gefängnisse und bringt ihnen dann das Sprechen bei. Wenn er die Käfige nicht verdecken würde, so würde sich ihre Neugieide immer mit anderen Gegenständen beschäftigen, und wenn sie sich gar unter einander sehen könnten, so würden sie sich nur in ihrer amerikanischen Wildensprache unterhalten wollen. Es dauert sehr lange, bis cln Papagai eine neue Redensart gelernt hat. Viele hat der Schulmeister in Kost und Lehre bei alten Weibern, die ihnen dann wieder ihre Wiener Schnaken beibringen. Die mchrsten von ihnen schrieen die Redensart: „Vivat k'eräinaiKiu» krimu»!" Ausflüsse. Man hat es schon oft beklagt, dasi die Stadt Wien sich mit den großen zu ihr hineilenden Eisen- und Wasser-bahnen nicht in eine innigere Verbindung gesetzt hat. Die Dampfschiffreiscndcn verwünschen diesen Umstand, wenn sie nicht lange nach Mitternacht das Vetl verlassen müssen, um wenigstens um fünf Uhr Morgens mit dem Pyro-staph abgehen zu können, und die Gscnbahn-Passagiere schelten daranf, wenn sie erst eine Neise durch die ganze Stadt, die Vorstädte und Vordörfer machen müssen, bis sie sich den raschen Locomotivcn in die energischen Arme werfen können. Die verschiedenen Bahnhöfe und Dampf" schifffahrtsstationeu liegen alle zwei biö 3 Stunden von einander entfernt und zum Theil ebenso weit von dem Mittelpuncte der Stadt. Eine unglaubliche Menge von Flackern, Stellwagen und Postkutschen beschäftigt sich mit der weit-laufigen Personenzufuhr zu diesen Stationen. Auch der prachtvolle Vahnhof der sogenannten Wien-Raaber Eisenbahn, dem ich eines schönen Sonntags zu-» eilte, liegt vor den äußersten Linien der Stadt. Seine Po- 278 sition ist so hoch, daß cs ei» Leichtes gewesen wäre, die Bahn über alle, selbst die höchsten Dächer der Stadt bis in das Centrum hinein wegzuführen, ohne auch nur den Rauch irgend eines Schornsteines zu behindern. Auf dem Stcphansflatze ware man dann mit dem Ende der Vahn ungefähr in der Mitte der Höhe des Stephansthurmes angelangt; denn um so viel niedriger liegt diese Gegend der Stadt, und das hatte freilich noch viel unbequemere Transportmittel nöthig gemacht, als die Stcllwagen es sind. Vor der Einrichtung der Eisenbahnen waren einem großen Theile der Wiener Bürger manche Partieen der schönen Umgegend der Stadt ein verbotenes Paradies. Denn die, welche keine andere Locomotive in Bewegung setzen konnten als die, für welche ihr Schuster das Lcder-werk besorgte, kamen in Jahr und Tag oder auch in ihrem ganzen Leben nicht nach Vaden, Stockerau oder sonst einem solchen entfernten Puncte. In den letzten Jahren wurde nun durch die Eisenbahnen jedem Wiener ein Schlüssel zu diesen Paradiesen gegeben, und alle Augenblicke bei der Eröffnung eines neuen Giscnbahnstückes oder einer neuen Vahnbranche kündigten die Wiener Blatter dieses Ereigniß in einer Weise an, wie man sonst vielleicht Cook's Landerentdeckungen ankündigte, und es wurde jedes Mal eine besondere reizende Schilderung dcS neuen Landes Stockerau, der Briel, des Helenenthales n. s. w. entworfen, um die Leute damit zu Tausenden auf die Vahn hinauszulockcn. Durch diese Eisenbahnen wird die ganze Umgegend von Wie» umgewandelt, und das ganze System von Ver- 379 gnügungsanstallen, wie es bis jetzt bestand, über den Haufen gestoßen werden. Der Prater und der Augarten sind verloren und stehen jetzt, wo Alles auf drei bis vier «ltd fünf Meile» Entfernung hlnausrollt, lm Vergleich mit früh er leer. Der Prater hittc heute die wundervollsten Versprechungen gemacht. Er hatte ein großes Vacchusfest angekündigt, das mit einer naturgetreuen Darstellung der Eruption von drei Vulkanen auf ?m ziuncwlin,»). Die Situation des Gartens und Schlosses gehört wohl zu den reizendsten, die man für ein Schloß erdenken kann. Er liegt am Rande eines Gebirgslan< des, in der Oeffnung eines Thales, im Angesicht einer reich bebauten Ebene. Zu beiden Seiten steigt man zu waldigen Höhen hinan, und hinten geht es in enge Thalschluchten hinauf. So findet die Seele hier Alles vereinigt, das nahe warmc Vild eines lieblichen Thales, die erhebende Aussicht in ein fernes, lebens- und hoffnungsreiches Land und den Rückzug in eine freundliche Waldeinsamkeit. Ich suchte vor Allem diese und fand am Ende des Thales eine hül'scde Wiese mitten im Gebüsch am Rande des Flusses sich hin erstreckend. Diese Wiese heißt die „Haus-wiefe." Wahrend in Baden Alles gefüllt mit Menschen war, verloren sich hierher nur Wenige. Ein kleiner Knabe producirte sich auf der Violine und empfing für sein meisterhaftes Spiel mit warmen Dank die großen Kupferstücke seiner wenigen hier spazierenden Mäccne. Nach Baden zurückgekehrt, erfrischten wir uns mit einer Tasse Kaffee und mit ciuigen tresslichen Kipfeln, die hier besser gebacken werden als selbst in Wien. Sie «lachen hier Kipfel von allen Größen, von einem halben 28s Kreuzer bis zu 5 Gulden das Stück. Auch haben die aristokratischen Backer auö Kipfelteig gcbackcne Kronen oder Wappen vor ihren Fenstern hangen. Man »»acht sich so viel aus eben gebackenen Kipfel», daß die Bäcker nicht, wie die unsrigen, das Gebäck nur einmal am Tage frisch geben, denn manche haben an ihren Laden angeschlagen: „Hier ist dreimal taglich frisches Vrot zu haben." Von Baden aus haben sich die Kipfel neuerdings auch nach Paris verbreitet. Der Baron Rothschild ließ einen Vadener Backer dorthin kommen, dessen Gebäck soviel Beifall fand, daß er in kurzer Zeit reich wurde. Das Leben in Vaden hat sich in neuerer Zeit außerordentlich verändert. Sonst wohnte der Kaiser Franz hier imSom-mer und sautmcltc hier, wie der König Fr ic d rich W ilhclm in Teplitz, viele vornehme Welt um seine Person. Beide Orte haben durch den Tod dieser beiden Herren in gewisser Hinsicht viel verloren, und jetzt, da die Eisenbahn tagtäglich Tausende von allerlei Menschen herführt und die Gegend mit Rauchern, Trinkern und Köchinnen über» schwemmt, werden die Freuden der Arena unendlich viel bedeutender als die des Salons. Die Bader werden jedenfalls dabei gewinnen. Denn ihre Benutzung ist nun vielen Menschen erlaubt, die früher nicht daran Theil nehmen konnten; so kommen z. V. jetzt früh mit dem ersten Wagcnzuge viele kranke Beamten an, baden sich und kehren noch vor Eröffnung ihrer Bureaus wieder nach der Hauptstadt zurück. Der Fürst Pückler-Muskau machte die Bemerkung, daß man in der deutschen Stadt Wien wohl ein 289 „Lamprell" und ein „Parapluie", aber keinen „Regenschirm" kenne. Auch ich hatte Gelegenheit genug, zu bemerken, wie gern ^cute aus den ungebildeten Standen sich mit ei» paar französischen Redensarten etwas zu, Gute thun. Als ich am Abend zur Eisenbahn zurück' kehrte und in dem Vorzimmer der zweiten Klasse mit einigen hundert Menschen die Ankunft des Trains abwartete, kam ich neben einer dicken, starkgeputzten Dame zu sitzen, die mit einem vor ihr stehende»! Herrn französisch sprach. „Comment vous porte^-vouz?" fragte sie ihn. „On! oui, dien!" antwortete er. „?lene2 place ici. Voulex-vo»« ?" — ,,^on!" — „kousquoi-donc?" — „Won! je — je.... Ah, wie soll i sog'n, i kann nit sog'n: Ich stehe lieber!" Dabei lachte er laut auf. — „II i»it tr«5-cncluc! ici!" fuhr sie fort. „Sie manen, es sei heiß hier. Jo 'sisch a Hitz, das eristirt nit!" „0m, e'est trnp!" nahm die Dicke wieder das Nort, ,,'sisch schon zu arg. Wenn sie die Hitze hier alle auffingen und in die Lowmotiue ließe», da tonnten sie die Feurung sparen." — Ich verließ meinen Platz, um am Fenster frische Luft zu schöpfen. „Schaunse!" hörte ich den Herrn hinter nur sagen, „nun setz' ich mich nieder, denn wo Giner aufsteht, da kann der Andere Platz nehmen, hat der Kaiser Joseph g'soagt." Die Rückfahrt um 11 Uhr Nachts war wirklich brillant und die vorsichtige Beleuchtung der Vahn beinahe übelflüssig. Rothe und grüne Lampen illummirten die Stationsplähc. An dem ganzen Wege hin waren Fackeln und Laternen aufgestellt, und außerdem noch leuchtete der Mond ». 19 290 am Himmel. Selbst in so später Nacht begegneten wir noch mehren hin- und herkreuzenden Trains', und es ist keine Uebertreibung, wenn ich sage, die Locomotivm piepten und Pfiffen so zahlreich ans der Bahn wie die Mäuse auf einem Kornboden. Meine Nachbarn im Wagen waren ein paar italienische Herren, die in ihrer Muttersprache sich mit einander unterhielten. Zu meinem Leidwesen bemerkte ich, daß sie dann und wann aus meiner Muttersprache einige Worte beimischten, die nicht eben die lieblichste Bedeutung hatten. Mehre Male gebrauchten sie die deutschen Worte- „Zuchthaus, Zuchthaus-Verwalter" und ähnliche. Diese Worte mögen in Italien so berühmt und gefürchtet sein wie in Deutschland die ,,Knute und Sibirien." Sckönborn'sche Gemäldegalerie. HHon allen den mit Oel und Pinsel auf Leinwand gebrachten Phantasie - und Lebensbildern, die sich in den Palasien dcr Stadt Wien befinden, konnte ich dieses Mal leider nur die besuchen, welche vom Grafen Schönborn gesammelt sind. Es ist eine kleine, aber ansgesuchte Sammlung, die man seltener erwähnt als die Lichten-stcin'sche und Efterhazy'sche. Der Besitzer derselben gehört nicht zu Denen, welche nicht begreifen, wie man durch richtige Darstellung eines Butterbrotes, eineö halb ausgetrunkenen Vierglases, einer Blume oder eines angebissenen Apfels Bewunderung erregen und sich einen berühmten Namen verschaffen könne. Denn es finden sich hier viele schöne Vlumcn - und Fruchtstücke, Rosensträuße und Obstkranze von Mignon, Heem, Vken und Anderen. Vs giebt Leute, die anf Bildergalerieen dergleichen als verächtlich ganz übergehen und meinen, man müsse diese Dinge gar nicht mit in das Gebiet der erhabenen Kunst ziehen. Allein Göthe sagt irgendwo bei'm Anblicke eines Korbes mit Obst, „f? wäre vom Reichthum, von der Fülle, von der Manch- 19* 292 faltigkeit des himmlischen Schauspiels entzückt gewesen. Gewiß dieser Genuß des Auges und des inneren Sinnes ist höher, ist des Menschen würdiger. Er ist vielleicht der Zweck der Natur, wenn die hungrigen und durstigen Menschen glauben, für ihren Gaumen habe sich die Natur in Wundern erschöpft." Gewiß noch viel inniger als Göthe bei'm bloßen Anblick eines solchen Obstkorbes haben die Frucht- und Blumenmaler das, was er ausspricht, bei'm Malen selbst empfunden. Gs gehört freilich eine ganz eigene Phantasie dazu, um ihnen nachzufühlen, und ich glaube, viel Wenigeren ist diese Fähigkeit gegeben, als die, einem Historien- oder Genremaler nachzufühlen. In diese duftigen, rosigen Blumenkelche sich mit dein Geiste zu vertiefen, das Licht gebrochen schanen durch ihre halbdurch--sichtigen Wände, die Lichtnflere von den glatten Oberflächen der Kirschen aufzufangen und den Blicken und Strahlen des Helios zu folgen, wie sie sich in die saftigen, transparenten Schläuche der Trauben vertiefen, die Schönheit und Zierlichkeit in diesen kleinen Formen und Gestalten zu entdecken, die Heiterkeit der Farben zu empfinden und die Fülle, den Ueberfluß, die Dürftigkeit, die Kindlichkeit und lausend andere Ideen und Dinge in den Vlumen und Früchten verkörpert zu sehen, dazu gehört die seltenere Phantasie der kleinen Vlfen und Gnomen. Dazu gehört die Behendigkeit eines Schmetterlings, das Köpfchen einer Fliege und die nichts verschmähende Aemsigkeit einer Biene. Die Maler selbst zeigen ja auch den Beschauern den Weg, indem sie ihre Blumen und Früchte immer von Vögeln, Schmetterlingen und Insetten umflattert darstellen. Die 293 wenigsten Geister verstehe», es aber, sich diesen Thierchen auf den Rücken zu schwinden lmd mit ihnen ihre kleinen Reisen zwischen den Blumen nnd Früchten hindurch zu machen, um alle die verschiedenen aus ihnen herausblickenden Physiognomiken sich zu betrachten. Den Amor sah ich nie so dargestellt wie hier auf einem V an-Dy k'schen Vilde. Grwar ein wilder Knabe im rothen Gewände, der über die Fluren dahin brauste wie ein Sturm. Der Himmel war dabei von Wolken getrübt. Ich begreife nicht, dasi die Maler von dem alten, als kleinen heiteren Knaben tradirten mythologischen Amor nicht öfter abgewichen sind. Oft könnte man ihn geradezu als einen ausgemachten wilden Teufel darstellen. Eins der ergreifendsten Vilder ist hier ein Rembrandt: Sim son und Deli la Der starte Simson liegt am Voden. Die Augen werden ihm ausgebrannt. Vor Schmer; ist die ganze riesige Gestalt verzerrt. Die Fußzehen krüminen sich krampfhaft. Die Knechte fesseln die gewaltigen ringenden Arme, und die Verrätherin ent» siieht mit den geraubten Haaren, indem sie sich rückwärts nach ihrem Opfer umschaut. Die Fignr des Simson erinnert fast in allen Stücken an die Figur des PetruS auf dem berühmten Nuben'schen Bilde in Cöln, wie denn überhaupt gcwisi trotz aller Verschiedenheit doch auch Verwandtschaft zwischen den Geistern der beiden berühmten Maler eristirt. Wären die Umstände ihrer Geburt und ihres Lebens nicht so verschieden gewesen, so wären sie sich vielleicht noch ähnlicher geworden. Ein zweiter berühmter Rembrandt iu der Schön- 294 born'schen Sammlung ist der Christus, der die Kinder segnet. Der Gegenstand ist ächt Rembrand tisch aufgefaßt, d. h. vollkommen naturgetreu und wie aus dem Leben gegriffen. DaS eine kleine Kind z. V., welches Christus bei'm Arm nimmt, blickt ganz verlegen vor dem fremden Manne nieder und beisit sich dabei ganz kindlich-dümmerlich auf den Zeigefinger, den es im Munde herumdreht, ein unerklärliches, aber sehr gewöhnliches Experiment der Kinder, wenn man ihnen etwas sagt, was sie nicht verstehen. In der anderen Hand halt das Kind einen Apfel, den es eben angebissen. Ich sah bei'm Anblick dieseS Rembrandt'schen Kindes in Gedanken die verständig und liebevoll aufschauenden Kindlein mit begeistertem Blick, wie sie hier wohl andere Maler gezeichnet haben würden, und wie man sie wohl oft in den Schauspielen auf der Vühne, selten aber im Leben sieht. Das bäuerische Glück der Kinder, wie es Rembrandt darzustellen verstand, und derentwegen sein Christus sie seliq pries, ist etwaö soliderer Natur alö das des „kleinen artigen Wilhelms und „der klugen und verstandigen Marie." Sonntagsspaziergänge. Es war Sonntag Nachmittag, und ich ging auf die Oasse hinaus, um mir die Wiener Stadt auch einmal zu dieser Wochen- und Tageszeit anzusehen. Das Alltags- und Morgen-Straßengetümmel war ganz verschwunden, das beständige „Ho! ho!" der Fiaker und das „Auf!" der Karrenschieber und Fuhrleute verstummt, denn 20,000 Wiener rollten auf der neu eröffneten Eisenbahn in daS neu erfundene Paradies bei Stockerau, und 25,000 flogen auf der Raaber Eisenbahn nach Mödling, Baden und in die anderen Thaler des Wiener Waldes; 50,000 Wiener be« finden sich schon ohnedieß den ganzen Sommer über auf dem Lande, und andere 50,000 waren ihnen auf Fiakern und eigenen Fuhrwerken bereits am Sonntag Morgen nachgerutscht, um die Mühen der Woche bei ihnen zu vergessen. Gine andere nicht minder respectable Summe von Bürgern und Bürgerinnen hatte sich in die Garten der Vorstädte, in den Prater und die Au vertheilt, und so blieb ich mit einem kleinen Reste von Hausmeistern, Kammerzofen, Vettlem und Kranken allein im Besitze der 296 inneren Stadt, die, wenn die Türken diesen Moment abgewartet hätten, ohne Zweifel, wie Rom bei'm Einfalle der Gallier, rettungslos verloren gewesen ware. Die Hausmeister standen vor den Thüren und unterhielten sich mit ihren Vis-ü-viz-Hausmeistern. Die Kellnerinnen lind Kammermädchen schwatzten mit ihren Nachbarinnen im Inneren der Gehöfte. Nur das Kaffeehaus der Orientalen, die wohl schwerlich unsere Art, den Sonntag zu feiern, billige»« werden, war mit Menschen gefüllt. In der Stephans-Kathedrale saßen ein paar Dutzend alte Weiber beisammen, die nach dem Rosenkränze ein Gebet nach dem anderen, laut schreiend, durch die Kirche sangen; eine kreischende Stimme unler ihnen schrie vor Allem laut das am Ende jedes Verses wiederholte „Heilig! heilig! heilig!" In einem der Gehöfte, in welches ich, weiter wandernd, blickte, fand ich einen kleiuen Knaben, der aus einem Vuche laulc Gebete vorlas. Er sagte mir, er sei 8 Jahre alt nnd thue dieß alle Sonntage. Ich nahm sein Vuch und sah, daß er das Evangelium Lucas, Vers 9 bis 14 las. Er sagte mir, dieß wäre das Evangelium für diesen Tag, und es gäbe viele solche Knaben, die am Sonntage das Evangelium in den Hausern Wien's läsen. Als er fertig war, ließ sich ein milder Regen von Kreuzern, die in Papier gewickelt waren, aus den oberen Stockwerken auf ihn herab. In dem gewöhnlichen alltaglichen Gewimmel deS Stadt« lebenS hatte ich viele kleine Elemente der Wiener Bevölkerung nicht bemerkt, die ich mm erst erkannte und gewisser« maßen entdeckte, wie man die Bewohner des Meeres leichter 297 „ach abgelaufener Fluth an» Strande findet. Daher siel mir hier zum ersten Male der Wiener Kasehandler auf, der mit italienischem und ungarischem Käse in der Straße umherzieht. Gewöhnlich sind es Leute aus der Gegend von Udine, die außerdem noch italienische Salami ausbieten. Die meisten sprechen so viel Deutsch, als sie auf den Wiener Straßen nöthig haben. Es giebt im Ganzeil nicht weniger als 30,000 Italiener in Wien, und man wird sogar nicht selten von Bettlern in italienischer Sprache angeredet, z. B. mit den Worten: „poveretta! «lßnor mio! 1» cariw!" Die Bettlerinnen sollten aus Politik immer diese fremde Sprache beibehalten, denn sie erregt mehr Mitleiden als die Sprache deg eigenen Landes. Weiter schreitend fand ich vor einem Bäckerladen einen Mann, der ein kleines Dienstmädchen anöschalt. Ich ließ mich mit ihm darüber in ein Gespräch ein. Er sagte, sie heiße Vawy, Babi, Babette oder Barbara, was Alles Vins sei, und sei eine Vöhmin. „Das muß ein sehr armes Land sein, das Vöhmen," sagte er, „denn es kommen hier jährlich Tausende solcher armen böhmischen Madchen, Knaben, Männer »nd Frauen nach Wien. Sie lernen hier nothdürftig Deutsch, suchen sich irgend einen Dienst, sind sehr mäßig in ihren Anforderungen, nehmen mit einer Schlafstelle im Stalle oder auf dem Boden fürlieb und kehren dann, wenn ste sich ein paar Gulden verdient haben, wieder in ihr Vaterland znrück." In der That, wenn man die Leute in Wien nach ihrer Landsmannschaft fragt, so ist die Antwort, die man unter hundert zwanzig Mal erhält: „Ich bin ein Pchm'." Man kann die Anzahl aller 299 Slaven in Wien, wie man sagt, wenigstens auf 60,000 annehmen und die aller Nichtdeutschen gewiß auf 10(1,000. Von den obersten Regionen der Gesellschaft bis zu den allertiefsten mischen sich überall nichtdeutsche Elemente bei. Die Anzahl der Ungarn in Wien berechnet man auf 15,000, es frägt sich aber, ob darunter lauter Magyaren zu verstehen sind. Man konnte damals in Wien nut einem 'Menschen nicht drei Worte sprechen, ohne auf den Geymüller'-fchen Concurs zu kommen. Mein Packer, deu ich bat, mir den Weg zum Glacis zu zeigen, sagte mir unterwegs, «s sei das älteste Vanguierhauö gewesen, das über 60 Jahre storirt habe. Der letzte Baron Gcymüllcr sei eigentlich kein Oeymnller, sondern nur ein angenommener Sohn des vorigen; auch sei dieser Varon eigentlich kein Varon, sie hätten ihn aber dazu gemacht, er habe jahrlich 150,000 Gulden verpufft, viele Reiche und Arme seien durch ihn unglücklich geworden, und nun hatten sie doch diesen Un-heilstister zum Thore hmaus geleitet, und er lebe jetzt in Paris mit seiner Frau von den nicht geringen Resten ihres Reichthums. „Lauter Politik! lauter Politik!" setzte er hinzu, „der Teufel finde sich da heraus!" Unter diesen Gesprächen kamen wir zum Saitzer Hof, wo unsere Wege sich trennten. „Schaun Sie diesen Hof, da haben früher auch Nonnen drin gewohnt. AlS aber Kaiser Joseph die Pfaffen verjagt, da. wurde er auch leer. Dafür haben die Pfaffen aber dem Kaiser H,lzullwAma eingeben, und er mußte sterben. Der Popften, der deö Kaiscrö Freund war und der ihm dabei geholfen, 299 hat's ihm ssleich g'sagt: „Du lebst nicht lange und ich auch nicht." Und dem Popsten haben sie auch HyuatoüanH eingeben." Dieses ist die offene Meinung und Ansicht eines Wiener Bürgers, eines „regulären Mannes," der mir diese Sache ganz einfach erzählte, über jene Angelegenheit, und Folgendes ist die Declination des Wortes Papst nach der österreichischen Grammatik: ^iom. „der Popsten," llen. „des Popsten," vat. „dem Popsten/' H.cc. „den Popsten." So kam ich endlich zur Stadt hinaus auf das Glacis. Hier schien Alles zurückgeblieben zu sein, was zu kurze Beine hatte, um durch die langen Vorstädte Wien's hin das freie Land zu gewinnen. Viele kleine Kinder mit ihren Wärterinnen lagen und spielten in den Wiesen des Glacis herum. Gs war in der Nähe des sogenannten „Wasser-glacis," wo es alle Nachmittage eine heitere Musik giebt. Ganze Schulen unter Anführung ihrer Lehrer waren hinaus gewandert und im Grase gelagert. Ginige von ihnen hatten sich m der Mitte einer breiten Glacis-Wiese ein Zelt gebaut, in dessen Nähe sie campirten und spielten. Es giebt keine zweite Stadt in Europa, die so mitten in ihrem inner« sten Kerne den Kinder» solche Spielplätze darbieten konnte. Die Bänke des Wasserglacis waren übrigens von anderen Besuchern alle leer; nur auf einer saß mitten zwischen den Kindern ein vereinsamter Türke. (3r trank seinen Kaffee, und die Kipfel, die man ihn« dazn gegeben hatte, vertheilte er unter die Sperlinge, die stetS in Schaaren auf den Wiener Glacis herumfliegen. Ich setzte mich einen Augenblick zu ihm und half ihm Kaffee trinken und die Z00 Vögel füttern llnd bemerkte bei dieser Gelegenheit etwas bel den Sperlinge», was ich früher noch nie an ihnen bc-obachtct hatte. Einige unier ihnen waren so gierig, daß ste sich flatternd in der Luft erhielten, oder anch vom Boden aufflogen und unftrc Vrotkrümchen in der Luft weg-fingen, noch ehe sie den Voden erreicht hatten, wo viele andere amsig pickten. Vom Glacis aus hat sich die Stadt Wien mit ihren Vorstädten und Vorstadtdörfern auf sehr unregelmäßige Weise in die umliegende Gegend Hinalls verbreitet, ie nachdem natürliche Hindernisse ihrem Wachsthume in den Weg traten. Gegen Nordosten setzten die Donauarme und Donaltauen der Verbreitung solche natürliche Gränzen, sowie gegen Süden das kahle Plateau des Wiener Verges. Gegen Westell und Nordwesten aber spannen sich die meisten Verzweigungen der Stadt in die fruchtbare Ebene hinüber, und die größte Hauscrmasse wurde im Thale der Wien hinaus-und hinaufgeschoben. Hier liegen selbst noch außer den Linien, welche die Vorstädte umgeben, viele Dörfer (Döbling, Waring, Lerchcnfeld, Meidling, Hietzing, Penzing, Nein, Herrnals u. a.), von denen es nicht mehr zweifelhaft ist, daß ste durchaus keine Dörfer (Ansiedelungen von landbauenden Colonisten), sondern vielmehr Theile der Stadt, d. h. Colonieen voll städtischer Elemente, bewohnt von Bürgern und städtischen Gewerbsleutcn, sind. Wie wenn man einen Polypen umwendet, sich dann das innere Leben nach außen und die äußere todte Haut nach innen kehren, so kehrt sich am Sonntage das Leben der Stadt Wien so um, daß man nun eben das Gewimmel von Menschen, 3M welches man Mags geschäftig «ltd marktschreierisch auf den Straßen lind öffentlichen Plätzen der inneren Stadt sah, jetzt singend, nmsicirend und tanzend, trinkend, essend und ronversirend in den Vorstädten und ihren Wirthshäusern findet. Zu meinem Sonntagsspazicrgange, zu meiner po-veretta, zu dem einsamen Orientalen, zu dem Gebete lesenden Johann, zu den „heilig! heilig!" singenden Weibern in der Stephans-Kathedrale paßte dieß Gedudel und Gesumme indsß wenig, und ich flüchtete mich zu einigen „litten in diesem Lärme liegenden Oasen, von denen ich gewiß wußte, daß ich sie heute mehr als an anderen Tagen für mich allein haben würde, zu den Kirchhöfen und den Blumengarten, die auch, wie die Tanzplätze und die Wein-Häuser, ln diesen Stadtrayon fallen. Auf dem Wahringcr Kirchhofe fand ich Beethoven's Grabmal. Sein einfacher Familienname steht in goldenen Buchstaben auf dem Steine. Seit Kurzem ist aber ein Busch dauor gewachsen und verdeckt den Namen beinahe völlig. Der Todtengraber, den ich fragte, warum sie den Busch nicht weghacktcn, damit man den Namen deutlich sehen könne, sagte mir, die Freundschaft wolle es nicht. Auf jedem Kirchhose der Welt giebt es gewisse Redensarten, die man immer wiederkehren sieht. To steht hier gewiß auf der Hälfte der Leichensteine das Wort: „Unvergeßlich ?" welches mir ebenso wenig zu sagen scheint, als es kurz ist. Auf mehren Gräbern brannten kleine dichter in Laternen, die man zwischen die Blumen gestellt hatte. Es ist eine Wiener Sitte, dieß an dem Sterbetage der Beerdigten zu thun. Der Währinger Kirchhof ist einer 302 der vornehmsten in Wien, und Viele haben auf den Gräbern ihrer Verstorbenen kostbare Blumen, für die es ein eigenes Gewächshaus auf dem Kirchhofe giebt. Des Nachts, sagte mir der Todtengraber, würden zwei Hunde losgelassen, welche die geringe Habe der Todten gegen Diebe bewachten. Nichts schließt sich besser an die Todten an als dic Blumen, und zum Schluß meiner Sonntagspromenade besah ich mir daher noch einige Blumengarten des Herrn NN., des Baron HF. und gerieth dann endlich in den großen Nuprecht'fchen Handelsgarten, der für Ungarn und überhaupt für alle die Lander, die durch Wien mit dem Samen der Cultur versehen werden, keine unbedeutende Rolle spielt. Sie behaupten, hier nicht weniger als 2000 Varietäten Wein und 409 Arten Kartoffeln zn haben, welche letzteren besonders für die besagten, noch immer mit Kartoffeln schlecht versehenen Lander von Wichtigkeit sind. Auch für die Cultur der Georginen, dieser jetzt auf eine so merkwürdige und so unerhörte Weise durch alle Gärten Europa's wuchernden Vlume», ist der Nuprecht'sche Garten von Bedeutung, und er hat neben dcn Hamburger und Erfurter Garten bei den Georginenliebhabern den größten Nuf. Der Besitzer behauptet, mit nicht weniger als 900 Varietäten getaufter und mit Namen versehener Georginen aufwarten zu können. Wie man gewisse Blumen stets von gewissen Schmetterlingen oder Insecten umflogen findet, so trifft man auch bei den Georginen des Rup-recht'schen Gartens fast beständig einige verliebte Georginenfreunde, die aus irgend einem Theile der Monarchie hierher gekommen sind, um ihre Collection verschiedentlich S03 gefärbter Blumen zu vervollständigen. Wie in England, wie in Hamburg, in Erfurt und an anderen Platzen, geht man auch hier auf Grzielung und Taufung neuer Georginen aus. Die „Fürstin Kin sky" (weiß mit zartem Lillaanfluge) ist ein solches Wiener Erzeugniß. Auch die „Baronesse Hcrdcrfeld" (helllilla mit dunkelvioletter Verbrämung) und der „Graf Funfkircheu" tragen die Namen österreichischer Großen. Das Allerneueste von Georginen, die letzten Erzeugnisse aus England und Deutschland tommeu hier zunächst in diesem Ruprecht'schen Garten au. So blühte hier jeyt gerade zum ersten Male iu der österreichischen Monarchie der „Karl XII.," ein schönes weiches Sammetviolett im Kelche, das sich allmahlig zu eineni zarten Lilla verwäscht und am Nandc der Blatter rein weiß ist. Der letzte Transport brachte allein 84 neue Arten, die aber erst im nächsten Jahre zum Blühen kommen sollen. Gs ist merkwürdig, wie großartig die englischen Gärtner jetzt diesen Georgincnzwiebelhandel betreiben. Vei jedem Namen der Zwiebeln ist auch der Erzeuger der Varietät genannt, und dann ist in der Regel noch eine schone Abbildung hinzugefügt, um zu zeigen, wie sich die Blume in der Blüthe ausnchmcn wird. Gegen Abend kam ich aus das Glacis zurück, und ich erlebte hier eine Scene, die ich nie vergessen werde. Vine Plötzlich zum Ausbruch kommende Gewitterwolke, die ganz unerwartet mit Donner und Blitz losbrach und Regen oder Hagel nachzuschicken drohte, hatte alle die iu dem Rasen des Glacis uomadisirende Jugend plötzlich aufgeschreckt, und sie befand sich eben, als ich anlam, auf 304 der Wanderung im Sturmschritt. Alles eilte den« nahen Franzenthore zu und stürzte über die schmale Zugbrücke und durch die enge Pforte. Die Ammen hielten ihre Säuglinge auf dem Arme und verbargen sie vor dem verfinsterten Himmel in ihre Tücher. Von den Kinderwarterinnen hatte eine jede zwei, drei, vier kleine Wesen am Schlepptaue, und einige Lehrer trieben ihre kleine Schaar vor sich her. Es gab ein Laufen, Drängen und Eilen, als wären die Türken wieder in der Vorstadt. „Wilhelm! Du dummer Junge, so buchstabire doch den k^anciscus knmu« nicht" (uor dem besagten Thore steht der Name dieses Kaiserö in goldenen Buchstaben), „zu Hause sollst Du genug buch-stadiren, spute Dich doch, Junge! Hörst Du nicht, wie es donnert!" „Vabette! na ich bitte Dich, so laß doch die Vrückenkette los! Jetzt ist keine Zeit, die Glieder zu zählen! Du haltst uns ja schrecklich auf!" „Ach mein Gott, wo steckt denn nur der Eeppi'?" „He! Seppi, Seppi, spute Dich! der Rege» wird Dir sonst Dein ganzes Schemiscttl verderben!" So schrieen die Mütter und Wärterinnen durch einander, und alle schleppte»« die Kinder in Hast davon, als drohe der Äethlehemitische Kindermord noch ein Mal. Ich bin überzeugt, daß diese Scene sich vielen dieser Hundertc von kleine» Kinderköpfen unvergeßlich eingeprägt hat, und war froh, daß ich Zeuge gewesen war von der Weise, wie auf dem Glacis, der Kettenbrücke und den Thorwegen der Festungswerke dieser Stadt sich die Ingend-erinnerungen der Wiener gestalten. Am Ende dieseö neun" zehnte« Jahrhunderts wird vielleicht noch ein Siebzigjähriger spreche»' „Meine erste Lebenserinnerung, die ich habe, steigt 3ö5 bis zu einem Gewitter auf, dessen Blitze ich noch jetzt deutlich vor mir sehe. Es war im längst entschwundenen Jahre 1841, wir waren alls dem Glacis gewesen und wurden vom bösen Wetter hineingetrieben." „Ach ja/' fallt dann Vielleicht ein anderer alter Mann ein, „ich erinnere mich wohl, ich war ja auch dabei, Du warst noch ganz klein und wurdest von Deiner Wärterin getragen. Ich war drei Jahre älter und bekam von meiner Wärterin eine Ohrfeige, weil ich durchaus erst den ?rancl5cu3 ?rimu» lmch-stabirm wollte. Ein fremder Mann, Gott weiß, wo der jetzt sein mag, trat darauf zu mir heran, trocknete meine Thränen ab und nahn» mich bei der Hand, indem er mich hinter der Wärterin herführte." 2« Klosterneuburg. Eines Tages stieg ich auf dem Stephcmsftlatze abermals mit einer kleinen Gesellschaft von Wienern und Wienerinnen in einen Stellwagen — dieß Mal, um einen Ausflug zu dem benachbarten berühmten Klosterneuburg zu machen. Als der Wagen voll war, fuhr der Kutscher zu, und es fand sich, daß unsere Reisegesellschaft aus folgenden Elementen be» stand, ans einem kleinen hübschen Madchen mit ihrer alten Mutter, einer jungen, etwas blassen Frau, die ich anfangs für eine Genossi« der Zunft ver Nähterinnen hielt, einem ältlichen Männchen und noch einigen stummen Passagieren auf dem Rücksitze, die nicht weiter in Betracht kamen. Das kleine Madchen trug einen Korb mit Wäsche auf dem Schooße. Sie hielt ihn nachlassig >»nd ließ ihn gleich bei einem der ersten Hopser, die unser Wagen auf dem Pflaster machte, zur Thür hinausfallen, zum großen Entsetzen der Mutter, das sich durch einen lauten Schrei kund gab. Der Kutscher hielt an, ich^ war rasch hinter dem Korbe her, der glücklich genug, ohne seinen delicate« Inhalt zu verschütten, sich herabgelassen hatte, holte ihn zu- .807 rück und sagte, daß ich ihn fernerhin selber schon festhalten und bewahren wolle. Ich gewann mit dieser kleinen Gefälligkeit gleich daS Vertrauen der Leute, ein Gespräch war angeknüpft, und wir brachen damit nicht eher wieder ab, als bis wir uns in Klosterneuburg trennten. An Stoff fehlte es nns nicht; denn in einer Stadt wie Wien brütet jede Nacht irgend ein Greigmß aus, welches die redelustigen Zungen des folgenden Tages in Bewegung setzt. Wir sprachen daher von Geymüller's Bankerott, der da» malS allen Wiener Sprechmaschine» Waffer genug für zwei Monate auf die Mühle lieferte, und womit jeden Morgen, wie mit einem regelmäßigen Morgcngebete, jede Conversation eröffnet wurde. Gs wurde behauptet, der Sina habe eigentlich den Geymüller gestürzt. Der Buchhalter von Geymüller habe es dem Sina Verrathen, wie schlecht es mit seinem Principal stehe, und jener sei darauf zunächst, um seine bedeutenden Guthaben zu sichern, mit seinen Ansprüchen hervorgetreten. Die Commis von GeynMer hatten darüber den verrathcrischen Buchhalter zur Rede gesetzt und ihn um's Leben bringen wollen. Aber Oeymüsser selbst sei dazwischen getreten und habe gesagt: „Laßt ihn leben! denn diesen Menschen, den ich aus der Niedrigkeit hervorgezogen habc, und der mich zur Vergeltung verrathen hat, wird Gott richten!" Dann kamen die beiden letzten Feuersbrünste an die Reihe, und am Ende erzählte gar noch Giner, daß man in der vorigen Nacht in der Leopoldstadt einen jungen Menschen um's Le< ben gebracht und ausgeplündert habe. „Na schaunse, daS geht hier in der Wiäner Schtadt ja 20* 308 jetzt ganz galizisch her!" sagte plötzlich die blasse, magere, junge Frau, die ich anfangs für eine Modistin gehalten, die sich aber nachher als die Gemahlin eines Tabacksregie-Verwalters zu erkennen gab. „Zwei Mal in einer Woche Brand, — ein Mensch ermordet, — Geymüller Krida g'macht! das ist ja ganz galizisch, auf Ehre!" „Waren Sie, wenn ich fragen darf, in Oalizien?" sagte ich zu ihr gewandt. „Ach ja!" sagte sie, „Gott sei es geklagt, zwei ganzer Jahre," setzte sie mit einem Seufzer, den sie tief auS der Vrust holte, hinzu. Hierdurch gewann unser Gesprach eine andere Richtung, denn auch ich war in Galizim gewesen und interes-sirte mich für dieses Land und für die Ansichten, welche andere Menschen darüber hegen könnten. Wien, dicß warme, lebensfrohe Herz dcr österreichischen Monarchie, dieser hellc, wcitleuchtende Glanzpunct, diese heitere Residenz alles Vornehmsten, Sorgenlosesten, Schönsten, Geld- und Geistreichsten des ganzen großen Kaiserstaates, — man kann sich denken, wie sehnsüchtig und neidisch zu ihm hin von allen Seiten her die Blicke der Provinzleute gcrichlet sind, und wie hoch in lauter Pracht und Herrlichkeit diese Kaiscrstadt in der Phantasie derjenigen Provinzialen thront, welche deö Glückes nicht theilhaftig werden konnten, sie von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Umgekehrt aber wird man sich ebenso leicht vorstellen können, wie trostlos einem Wiener oder einer Wienerin die Aussicht erscheinen muß, welche sich von diesem Gipfel der Freude, von diesem Tempel des Ruhmes und von die- 309 ser Quelle alles Genusses in die vergleichsweise freudeleeren Provinzen darbietet. In der That habe ich die Wiener, besonders aber die Wienerinnen nie beredter gefunden, als wenn auf die Böhmen, Mähren ober gar auf die Polen, Ungarn, Kroaten und andere entlegene Völker der Monarchic die Ncde kam. Als Gemahlin eines Offiziers, oder eines sonstigen Veamten muß manches hübsche österreichische Kind in die Länder dieser barbarischen Nationen wandern. Wer Gelegenheit gehabt hat, in der Bukowina oder in Siebenbürgen oder in der Militärgränze ihre Klagen zu hören, wird gestehen müssen, daß die Je« rcmiadcn der chinesischen, an mongolische Prinzen verhei-ratheten Prinzessinnen, wie sie uns Rückert in seinem Schi-king mitgetheilt hat, nicht tiefer empfunden, nicht bitterer und poetischer sind, sowie auch die Freude, welche diese Prinzessinnen fühlen, wenn sie in die Residenz des Sohnes der Sonne, in die Hauptstadt des Reiches der Mitte zurücklehren, nicht größer ist als die Gefühle des Entzückens, dcncn sich eine Wienerin überläßt, wenn sie nach eincr mehrjährigen Residenz in Galizien oder Ungarn zuerst des Stephansthurmes wieder ansichtig wird. Wünscht man zu wissen, welche Bilder sie von den verlassenen Ge« genden den Ihrigen entwerfen, so höre man meiner Tabacksregie-Verwalterin einige Augenblicke zu, wie sie uns Galizien schilderte. Wie gesagt, „daö ist ja ganz galizifch!" sprach sie bei Gelegenheit der erwähnten Unglücksfälle und Missethaten. „Na nun werden wir hier in der Wiäner Schtadt auch wohl bald solche Schauspiele haben, wie man sie in SW Lemberg alle Tage schaut. Da wurden wahrend meiner Anwesenheit, binnen sechs Wochen, neun Menschen gehangen. Einmal wurden vier Spitzbuben alt einem und demselben Tage gehenkt. Sie hingen sie abwechselnd auf, einen Christen und einen Juden, dann wieder einen Christen und einen Juden. Hier, Gott sei gedankt, ist doch bce Todesstrafe so ziemlich ganz abgekommen. Nur das Militair, glaube ich, das köpfen oder erschießen sie noch. Neberhaupt daö ganze Galizien, na das ist ein Land! das Gott erbarm! Ich bin schon viel gereist und bin auch in Böhmen und Mahren gewesen; dort schon, glaubte ich, daß die Armuth und das Elend der Leute über alle Vegriffe ging, und fcandalisirte mich darüber. Aber Jesus Maria, nachher habe ich's noch besser gelernt, als ich erst nach Galizien ging, da sah ich erst, was ein Land heißen wollte, in dem die Cultivirung noch so weit z'ruck ist. Ne! solche Vagafche und Füttikerls, wie dort die Leute sind, das habe ich mir nie denkt. Sie rauben und stehlen, glaube ich, alle und begehen Excessen jeder möglichen Art. Anfangs ging's noch so immrr mit den Diligence,! auf der großen Landstraß'n. Aber spater hatten wir unseren eigenen Ertramiethwagen. Selbst auf der großen Landstraß'n muß mau immer Prügel geben, wenn man etwas haben will. Abseits der Landftraß'n bekommt man aber auch mit Schelten und Prügeln nicht mal et-waö. Der Jude, der uns fuhr, rief einmal eines AbendS: „Schaut's die Sterne, schaut's die Sterne, der Schabbes fängt an!" und wollte unter freiem Himmel die Pferde ausspannen und unS zum Uebernachten zwingen. 311 Mein Onkel, der mit mir reiste, gab ihm Prügel, da fuhr er wieder a Vißl weiter. Und so mußte ihn mein Onkel sechs Mal prügeln, bis wir an Ort und Stelle kamen." Ich blickte hierbei unsere Nednerin, die mich übrigens gar nicht darum gefragt hatte, ob ich nicht auch etwa selber schon in Lemberg gewesen sei, mit einem forschenden Vlick an. Allein ich fand, daß sie ganz treuherzig und bona ülle dabei aussah und uns eben einen solchen treuherzigen Glauben zutraute. „Lemberg nennen sie ihre Hauptstadt. Das Gott erbarm, welche Hauptstadt ! Hier in der Wiäner Schtadt, wenn du einen Gulden in die Hand nimmst, kannst doch etwas damit machen, du kannst dir einen Spaß machen, kannst dafür satt werden. Aber dort nehmt's zwei in die Hand, und ihr könnt noch nicht einmal etwas dafür haben; nichts, gar nichts! Die Kaffeehäuser sind schlecht, schmuzig und garstig. Eine Tasse Kaffee kostet 24 Kreuzer Münze!" „Münze?" fragte ich. „Ja' vier und zwanzig Kreuzer Münze! und doch ist er noch nichts werth. (5in Veamter in Lemberg, der 900 Gulden Münze jahrlich hat, kann noch nicht einmal sagen, daß er's eigne Leben hat, geschweige denn Brot für die Kinder. Mein Onkel ist dort, wie wir an-kamen, zwei Monate lang von einem Kaffeehause in's andere gegangen, bis er seine Partie Whist finden konnte." Wir kamen hier bei Nußdorf vorbei, wo viele Fiacker hielten, um die Passagiere des Linzer Dampfbootes zu empfangen. „Ja in ganz Lemberg, einer Stadt von 80,000 Einwohnern, — na wenn man die Leute überhaupt einmal Einwohner nennen kann — in ganz Lein- 312 berg sind nicht halb so viel Fiacker, wie hier an dem einen Platze stehen. Ich versichere, es sind dort nicht mehr als 12 Fiacker, nicht mehr! — Und die Deutschen nennen sie dort Schwob'n, haha! das talkcte Volt nennt uns Schwob'n. Ich wohnte bei meinem Onkel. Und als der Winter kam, wollten wir auch ans die Ncdout'n gehn. Mein Onkel hatte sich auf's Besite herausgeputzt, und auch ich hatte mich ausgeputzt, ich war ganz bloß, mein Nacken mein' ich — und hätt' mich natürlich ordentlich fristren lassen, wie sich'ö gehört, und so wie wir hier in Wien auf dir Nedout'i» gehen. Wir fuhren auch erst um halb eilf Uhr hin, das war noch früh; denn wer fährt denn hicr in Wien wohl vor 11 Uhr ans die Redont'n? Da fanden wir sie denn schon alle versammelt, und zwar — o ich vergeß es mein Lebtage nicht — die meisten m Pelzen, einige auch in Schafspelzen und in Stiefeln und Sporen, sowie sie auf der Straß'n gehen. Und alö mein Onkel und ich zu unserem Platze gingen, da riefen sie sich einander zu: „Schaut's die Schwob'u! Schaut's die Schwob'n!" — Mein Onkel, rer polnisch verstand, übersetzte mir Alles, was sie unter einander von unS sprachen, die bockbeinigtcn Kerle! Juden und Zigeuner giebt's dort in Massa, Zigeuner, o 'sisch a Schand', in ganzen Horden! Sie leben in einem Glende, das sich nicht beschreiben laßt, und wenn die Vagasche noch etwaö dazu thäte, sein Loos zn verbessern. Aber in dem Lande schiebt'S (finer dem Andern in die Schuh. Der Edelmann sagt, der Vauer ist faul, und der Vauer schreit, daß der Edelmann ihn peitscht. Nun die Juden müssen's zuweilen aus« 3l3 baden! Die Juden, ach! ich versichere, dieses Volk" —. (Die österreichischen Deutschen haben die Dialekt-Eigenheit, daß sie nie sagen: „ich versichere Ihnen" oder „ich versichere Sie," sondern blos: „ich versichere/' z. B. ich versichere, Sie sehen ganz blaß aus, oder eigentlich: „i verßiechere.") Unsere beredte Dame, deren Rede zuletzt in der durch den Beifall einiger Anwesenden noch gesteigerten Wärme der jedem Wiener inwohnenden enthusiastischen Antipathie gegen Ungarn und Galizien zuletzt so flüssig wie geschmolzenes WachS geworden war, wurde bei jenem österreichischen Provinzialismus zu unserem Leidwesen unterbrochen, und zwar durch einen anderen österreichischen Provinzialismus; denn „hor-fchamer Dinner" (gehorsamer Diener), rics uns der HanS-knecht des Klosterneuburg'schen Wirthshauses zn, öffnete die Wagenthür und fragte: „Belieben Vw. Gnoden auszusteigen?" — Wir thaten es und eilten in's Kloster. Die alte Sage von der Stiftung dieses Klosters, daß Leopold der Heilige cs an oiescm Platze gegründet, weil er hier auf einem Hollunderbusche (auf einer Holerstaude, sagen die Oesterreicher) den verlorenen Schleier seiner Gemahlin, der schönen Markgräfin Agncs, wiedergefunden, mußten auch wir uns, wie alle die Tausende von Reisenden, welche hier alljährlich an die Pforte dieses Klosters anpochen, wieder vorerzahlen lassen. Auch mußten wir i>n Reliquienschatze dieses Klosters ein Stück von jenem Hollunderbusche, ein Endchen jenes Schleiers n»d einen Theil der Hirnschale, unter deren schützendem Dache der Gedanke der Klostcrstiftung ausgebrüht ward, bewundern. 314 Die Legenden der katholischen Kirche sind wirklich manchmal recht unbegreiflich insipide. Was hat man nicht für Umstände um jenen markgrastichen Schleier geinacht, dessen Verlust doch so sehr unbedeutend und höchst irdischer Natur war. Auf einem Gemälde bemüht sich sogar eine Schaar kleiner Engel, den wiedergefundenen Schleier der Gräsin zurückzubringen. Und deswegen ein Kloster ;u stiften? Man begreift es nicht. Ja wen» der Schleier bei unseren christlichen Frauen noch die Bedeutung wie bei den mohamedanischen hätte, die sich bestandig vom Kopf bis zu den Füßen darein hüllen, und die bei seinen, Verluste ihre halbe Weiblichkeit verloren ;n haben glauben können. Solche Gedanken vergällten uns den Aufenthalt in der Reliquienkammer, und wir verlangten bald, in die prächtige Bibliothek des Klosters geführt zu werden, um doch etwas Vernünftiges zu sehen. Allein leider kamen wir vom Regen in die Traufe. Denn das erste Buch, welches uns hier in die Hände fiel, waren die ^lironicÄ ^ustriae, abgefaßt von Johann Rasch, und die erste Bemerkung, auf die wir bei'm Aufschlagen dieses Buches verfielen, war diese, daß Noah anch einmal Erzherzog von Oesterreich gewesen wäre. Als nämlich die Länder aus den Wogen der Sundfluth wieder hervorgetaucht wäre», und er Besitz davon ergriffen hätte, sei er Alleinherr und einziger Ne-gcnt der ganzen Welt und sonnt auch Oesterreichs gewesen. Bei näherer Betrachtung dieses merkwürdigen Buches fand ich, daß außerdem auch noch viele andere vor- und nachsündfiuthige Ereignisse in Oesterreich darin erzählt waren, von denen andere Geschichtschreiber 315 nichtS berichten. Auch fand sich folgendes Verzeichniß österreichischer Regenten nach Noah darin: Fürsten- ^,. . l Landes? Regiert« Begläb- ! __ .. namen. ^^"' > name. Jahre. niß. < ^ll"ber. Abraham Heide, Markgraf zuAralin 33 Stockerau Susanne. Athaim Heide, Markgraf zuAratin unbekannt Tuln Mannaim. Geman Iud, Herzog z.Mitenas 8 Jahr unbekannt Salin. Auf diese Weise waren nicht weniger als 40 heidnische Fürsten aufgeführt, dann mehre jüdische. Darauf hieß es: „Nun folgen wieder heidnische Fürsten in Oesterreich und zwar sieben." Dann kamen die christlichen: Ro-> lantin, Raptan, Amanus ic., im Ganzen 1l)0 Häupter, welche alle der verrückte Geschichtschreiber in seiner Phantasie taufte, krönte und mit den einem Fürsten gebührenden Ehrenbezcignngcn begrub, — bis auf die Vaben-berger herab, deren II, und die Habsburger, deren 15 aufgezählt werden. Der Verfasser dieses, wenn auch nicht in historischer, doch gewiß in psychologischer Hinsicht sehr merkwürdigen Buches war Lehrer zu den Schotten in Wien, und das Interessanteste ist dabei, daß eS teinesweges etwa in einem komischen Tone abgefaßt, sondern vollkommen ernstlich gemeint ist. Es ist, fleißig durchgeführt und mit der alten, festen, sorgfaltigen und gewissenhaften Handschrift der vorigen Jahrhunderte geschrieben. Vei den erzählte» Ereignissen sind immer die Jahreszahlen ganz genau beigeschrie' ben, sowohl wie lange nach Erbauung der Welt, als auch wie lange nach der Sündflulh und in welchem Jahre vor Christi Geburt sich die Sache zugetragen hat; z.V. so: „Im Jahre 1807 nnch Erbauung der Welt, im 31« 151sten Jahre nach der Sündssuth und 2156 sten vor Christi Geburt brachte Tuisco aus Armenten ein groß Volk mit sich, Heutsche und Wenden, darunter 25 Grafen und etliche 30 Fürsten." Auch werden bei einigen der Fürstennamen sorgfältig viele Variationen dieser Namen angeführt, z. V.. „Im Jahre 2390 nach Erbauung der Welt, 734 nach der Sündfiuth lebte der deutsche Hercules, Nercu-les Hiemanlncu«, auch itercul«, ^Vei^le, ^rgie, Lxcl« oder ^r^ion genannt, der „Held mit dem bösen Löwen/' den er an einem Ketten mit sich herumgeführt, auch zmn Zeichen im Schilde geführct." Das Ganze ist auch mit Bildern illustrirt und bei jedem Fürsten sein Wappen beigemalt. So führt Abraham z. B. einen goldenen Adler im schraggestellten schwarzen Schilde. ES frägt sich, ob man noch irgendwo den uns allen inwohnenden Hang, an die Ausgeburten unserer Phantasie steif und fest, wie an Wirklichkeiten, zu glauben, auf eine so eclatante Weise documentlrt findet. Gar manche Historiographen haben auf ähnliche Weise an der Verherrlichung deS Glanzes und des Alters des alten Hauses Oesterreich gearbeitet, aber keiner ist so weit gegangen wie jener Johannes Nasch. Sollte es wohl möglich sein, daß man zu seiner Zeit (er lebte zu Anfange des 17ten Jahrhunderts) dermaßen von Eitelkeit und Selbsthochachtung umnebelt und umwölkt war, daß sein Buch bei den Zelt-genoffen doch einigen Anklang fand? Nebrigens lehrte uns ein weiteres Umschauen in den 317 prächtigen Vibliotheksälen dieses Klosters, daß hier noch manches anderweitige interessante Vuch zu finden war. Hanf-stän gel's Lithographieen nach den Gemälden aus der Dresdener Bildergalerie, S a I t's Vie^v af Inck», D e n o n's Reise nach Aegypten und viele diesen ähnliche Prachtwcrke fehlten nicht. Die Incunabeln und Manustripte der Bibliothek waren kürzlich alle in Iuchtenleder, das gegen die Würmer gut Stand hält, neu eingebunden worden. Unter ihnen sahen wir schöne alte Missales (Meßbücher) und Brcviarieu (Muö-züge aus der Vibel), eine Prachtausgabe deS Pllnius, wie sie unsere Zeit mit so unverwüstlichem Papier, mit so geschmackvollem präcisen Drucke, mit einen» so bombenfesten schweinsledernen Ginbande nicht mehr zu Stande bringt. Die Incunabeln mußten sehr alt scin, denn die Papierzahlen und die Uebelschriften waren «och mit der Feder geschrieben. PliniuS, der alte heidnische Weise, saß vorn in buntfarbigem Portrait darin, von einem Heiligenschein das Haupt umgeben, und sein Evangelium wie Johannes schreibend, Beweis genug, wie hoch selbst im Mittelalter die Mönche die classischen Werke der Alten zu schätzen wußten. Auch manche Manuscripts alter deutscher Dichtungen und Legenden sind noch hier. Ich zog eins davon hervor und fand es von einer Maus angenagt. „Ei, ei, sieh," sagte einer der mich herumführenden Patres, „irgend eiu boshaftes Thier hat uns das Vuch benagt. Ach! es ist doch undeutlich geschrieben, Ich kann diese alten Lettern nicht lesen und mag's nicht lesen, ich lese lieber Geläufiges, TchöngedruckteS." Dann an's Fenster tretend, trll« 318 lerte er die Melodic nach, die eben unten auf der Straße von einem Orgeldreher gespielt wurde, und sagte: „Das ist ein hübsches Lied. Es ist auS den Puritanern." Ich kramte indeß in dem Mäusefutter weiter und fand noch ein altes bestaubtes Vuch. Es hieß: „Vom deutschen Kriege von Hortleder." So wird hier in Oesterreich der Krieg Karl's des Fünften gegen die Evangelischen genalmt. Es ist genug, den Titel dieses Buches gelesen zu haben, um auch uon seinem Inhalte schon einen hinreichenden Geschmack zu bekommen. Er ist zugleich charakteristisch für die Art und Weise der Führung jenes Krieges selbst, sowie für den damaligen Zeitgeist, der diese Kriege wie diese Bücher dictirte. Er lautet! „Vom deut» schen Kriege, uebst den Sendbriefen, Berichten, Unterricht, Klage und Supplication, schriftlichen Vefrhl, Vorladungen, Rathschlägen, Bedenken, Entschuldigungen, Protestationen und Recusationen, Repliken, Ablehnungen, Ausführungen, Bündnissen und Gegcnbündnisscn, Bundsordnungen und Abschieden, Hülss-, Zu« und Absagebriefen, Fehde« und Verwahrungsbricftn, An- und Friedständen, Schlachten, Bataillen, Gefechten und Scharmützeln, — mit einem Worte von den Ursachen des deutschen Krieges." Wird'S einem bei diesem Titel nicht schon ganz heiligen-deutsch«rö-mischen-reichsmaßig zu Muthe? Klosterneuburg, sowie es jetzt dasteht, ist eines der Riesen-Prachtgebaude, die auf Veranlassung des größten Baumeisters, den Oesterreich je auf seinem Throne gesehen, Karl's des Sechsten, gebaut wurde. Es ist in eben dem großartigen Style angelegt, in welchem der Plan zu allen 319 architektonischen Werken dieses Monarchen entworfen wurde, und, leider oder glücklicherweise? auch wie viele dieser Werke nicht vollendet. Mangel an Geld, der plötzliche Tod Karl's des Sechsten und die ihm nachfolgenden Kriegs-zelten unter Maria Theresia verhinderten diese Vollendung, die «lau später noch oft, ohne znm Ziele zu kommen, versuchte, weil die Gelder nie mehr so reichlich stießen wollten, wie unter der Regierung jenes Herr». In neuester Zeit ist indeß doch wieder Manches geschehen, — die Bibliothek ist neu, — eine prachtvolle, manches Tausend von Gulden kostende Treppe wurde zu Stande gebracht, — die Ausbauung des grosien Marmorsaaleö ist beendet. Die Aufräumung deS RlesensaaleS, der einstwellen noch so dazuliegen scheint, wie die Arbeiter ihn vor hundert Jahren verlassen, hofft man bald beginnen zu tonnen, wenn nur erst die neue Kirche, die das Kloster einer seiner Gemeinden in der Vorstadt Hitzing bauen mnß, fertig ist. Ihre Kosten sind auf 100,000 Gulden angeschlagen, stc wird aber wohl 150.000 Gulden kosten. Das Kloster übt das Patronat über nicht weniger als 25 solcher Kirchen. Die Gemeinden leisten ihm bci'm Vau und bei der Reparatur dieser Kirchen Hand- und Zugrobot. Die Architekten aber. die Maurer, die Zimmcrleute und das Material bezahlt das Kloster. „Wie viel Geld kostet uns das nicht Alles! So können wir an den Ausbau unseres eigenen Hauses gar nicht denken," seufzten meine Patres mir vor. Ich sagte: „Ach ja!" und dachte: „Wie viel bringt ench das aber auch nicht ein, ihr Lieben!" Besonders reich ist Klosterneuburg an Wciubcrgm, ». 21 320 und sein Wnn rinnt aus de>» Tonnen der Wirthshauser weit und breit umher. Daher hat es auch unter den» Volke den Veinameni „zum rinnenden Zaps' Göttweih wegen deS vielen haaren Geldes, das es einnimmt, „zum klingenden Pfennig" genannt wird, und wie die Geistlichen von Mölr die Herren „vom reißenden Metzen" heißen, weil sie so viele gesegnete Getreidefelder besitzen. Das Getreide „reißt gut," heißt nämlich „es giebt gut aus," d. h. „es füllt das Maß." „Zum reißenden Metzen" bedeutet also auf Norddeutsch ungefähr so viel, als „zmu vollen Scheffel." Kaiser Karl der Sechste wollte in Klostcrneuburg seine gewöhnliche Sommerwohnung aufschlagen und erbaute das Kloster für sich als ein kaiserliches Lustschloß. Daher findet sich auch wieder neben den Zellen der Stifts« herren eine ganze Reihe brillanter sogenannter „Kaisorzim-mer" darin, die nun den Mönchen weiter zu gar keinem Nutzen sind, deren Unterhaltung vielmehr nur eine Last für sie ist. Und ebcn daher krönte auch wohl jener Kaiser die Spitze der einen Hauptkuppel des Klosters mit einer deutschen Kaiserkrone lind die audere mit dem Erz-hcrzogshute. Jene deutsche Kaiserkrone liegt auf der östlichen Kuppel. Sie, sowie auch das gigautische Kissen, auf dem sie ruht, ist aus Eisen und eine treue Nachbildung der achten deutschen Kaiserkrone in Wien. Sie ist inwendig so geräumig, daß 2l) Menschen darin Platz finden, und es sind Balken darin ausgespannt, um dein Ganzen mehr Halt zu geben. Die Edelsteine darin sind große, blau und roch angestrichene Buckeln aus Eisenblech, 321 in denen sich kleine Fenster oder I huren befinden, auö denen um», die Aussicht genießen kann. Diese Krone ist vielleicht die größte, die je von Schmieden geschmiedet wurde, und sollten die deutschen Volker sich dereinst einmal daran machen, ihren deutschen Kaiserreif zusammenzusetzen, so würde er auch an Größe und Macht alle anderen überrage», und der Alan», der ihn trüge, müßte ei» Niese sein, wie dicß Klosterneuburg'sche Gewölbe, das jenen Eisenreif trägt. Der Erzherzogshut auf dem anderen Gewölbe hat hier einstweilen noch mehr zu bedeuten als die Krone. Denn das Klosterneuburg ist das eigentliche erzherzoglich österreichische Hauptlloster und bewahrt das Original je« nes Hules selber aus oder nennt denselben vielmehr sein eigen. Der Erzherzogshut gehört nämlich, so behaupten die Mönche, nicht dem kaiserlichen Hause, sondern dem Stifte, und wenn die Kaiser sich als Erzherzöge huldigen lasse«: wollen, so müssen sie das Kloster um Verleihung des Hulcs bitten. Dc»n der Erzherzog Maximilian widmete diesen Hut „ex clevotioue" dem heiligen Leopold, dem Schutzheiligen und überirdischen Eigenthümer des Klosters, und legte ihn in der Kirche nieder. Vei, einer solchen Verleihung des Hutcs znm Zwecke der Vrb-huldigung cincö neuen Kaisers oder Erzherzogs geht es nach einem altherkömmlichen Ceremonie! so zu: Zwei kaiserliche Commissaricn, gewöhnlich ein Paar große Herren von altem erzherzoglich österreichische» Adel, Grafen Hardeggs, Auerspergs, Schönborns, Trautmssnnsdorfs oder solche, kommen an einem be- 21* 322 stimmten Tage in Begleitung eines Cavaleriedetache-ments in einer sechsspännigen Hofeqnipage vorgefahren und werden vor der Thüre des Klosters vom ganzen Capitel, den „regierenden Prälaten" an der Spitze, empfangen. Auf dem Hofe des Klosters paradirt dabei die bewaffnete und uniformirte Bürgerschaft der Stadt Klosternculmrg. Nach freundlicher Bewillkomm-«ung der vornehmen Gäste begiebt sich die ganze vereinigte Gesellschaft in die Leopolds-Kapelle, wohnt einem Gottesdienste bei und singt ein I'o I)eum, wornach sich der regierende Prälat, angethan mit seinem prachtigen Ornate und seinen schönen, goldenen, mit Edelsteinen besetzten Krummstab, den der Reisende in der Schatzkammer bewundert, in der Hand, in den Thronfaal begicbt, den kaiserlichen Commissarien Andienz ertheilt und sie um ihr Begehren befragt. Diese halten dann in altherkömmlichem Styl eine Rede an die „Lieben, Andächtigen und Getreuen," und erklären dann, daß ein neuer Herrscher sich mit der Glorie und den Emblemen der Majestät zu umgeben denke und das Stift daher um den alten Hut bäte. Hierauf erhebt sich der ernste regierende Herr Prälat und erklärt, daß er nichts wisse, was diesem Ansinnen zuwiderlaufe, und daß daS ganze Capitel diese allerhöchste Bitte gern und untcr-thänigst gewahren würde. Hiermit endigt nun der erste Act dieses hochwichtigen Schauspiels, die Einführung, Vitte und das Ziigcstandniß, woraus man sich, um Mnth und Kraft zu dem zweiten Acte, dem Nebcruchmm des Hutes selbst, zu gewinnen, vorlausig 323 zur Tafel verfügt, wobei dann „der rinnende Zapfen" sich sicherlich nicht karg beweis't und auf das Wohl des alten gesegneten Hauses Oesterreich manches Glaschen füllt und auch leert. Nach der Tafel schreitet man zur Uebernahme deS HutcS und zwar vorläusiq erst z» seiner Besichtigung und der Verificirung seiner Aechtheit und Idenlitat in allen Theilen. Die kaiserlichen Commisfare ziehen ein altcS Papier hervor, auf welchem der Hut en il beschrieben ist. Der große blaue Saphir, der oben in der Mitte dieses Huteb sitzt, die schönen Perlen, Rubinen und Smaragden, die um diesen sich rund herum angesetzt haben, jeder Stein, jedesZobclschwänzchcn, All>s wird genau untersucht, verglichen und richtig beflmden. Darauf wird der Hut wieder in eine rothlederne Kapsel gepackt, verschlossen und vom Dechanten des Klosters mit Unterstützung zweier Geist-, lichen die Treppe hinab bis zur Hausthüre getragen. Hier wird die Kapsel alsdann den kaiserlichen Com-missaren übergeben, die sie in eine von zwei Maulthieren getragene Sänfte fetzen. Dieser Sanfte gehen zwölf Herren von der österreichischen Nobclgarde altadeligen Geschlechts zunächst. Dann folgen die beiden Commissarc in ihrem Wagen, darauf der leere Wagen des Prälaten und hinter diese«! ein Theil der Heerde seines Krummstabeö, die berittene Vürgergarde von Klostcrneuburg mit ihren Trompetern. Die letzteren und der leere Wagen gehen nur bis zum Wiener Schottenthore mit, woselbst dann die Wiener Nationalgarde aufgestellt ist, um die Kloster-ueuburger abzulösen und den Hut zu seiner Bestimm- 324 ung weiter zu befördern. Die Rückgabe des HuteS an das Kloster geht ungefähr auf dieselbe Weise, doch etwas weniger umständlich, vor sich. Unter allen den vielen interessanten Dingen, die es in Klosterneuburg zn beschaueil giebt, nehmen auch die vortrefflichen Gobelins aus Arras nicht den letzten Platz ein. Eine derselben ist besonders schön; sie stellt eine Eberjagd vor; eine junge, hübsche Dame ist mit ihrem Pferde gestürzt, und ein wilder, schmuziger Eber dringt eben anf sie cin, mn seine krummen Hauer in ihren zarten Leib zu stoße»; Jäger eilen herbei, sie zu retten. Der Erzherzog Leopold der Heilige ist der Schutzpatron des Erzhcrzogthums Oesterreich. Nepomuk uno Florian werden aber als Nebenpatrone dieses Landes be' trachtet. Leopold ist hier begraben. Sonst liegen die anderen Erzherzoge in Vlölk, einige auch in anderen Abteien begraben. Die Emailarbeit an dem Grabe Leopold's wird pflichtgemäß von allen Fremden bestaunt, obgleich eö da unten so dunkel ist, daß ma>, wenig davon sieht. Die prachtvolle Stuttaturarbeit in der Kirche des Klosters verdient aber in der That die größte Vlwunder-ung, denn ich glaube nicht, daß man in Deutschland noch vieles in dieser Art so Vollkommenes sehen wird. Eine solche llmmöse Fülle der Formen, eine solche schöne Cor-recthcit der Zeichnung, eine solche Dauerhaftigkeit der Arbeit, die schon über hundert Jahre steht und aussieht, als wäre sie gestern gemacht, ein solcher Geschmack in ver Anlage und Verthcilung der Gruppen, ist in der that einzig und macht den Augustiner-Chorherren von Klostcrim,- 325 burg, wenn sie Antheil an diesem Werke haben, alle mögliche sthre. Ich muß gestehen, daß, nachdem ich alle diese Herrlichkeiten eines österreichischen Klosters angeschaut hatte, mir zu Muthe war, als hätte ich au einer großen Tafel zu Mittag gegessen. Zwei Herren, die sich mit mir zur Rückfahrt in den Stellwagen setzten, war es auch ebenso zu Muthe, nur mit dem Unterschiede, daß sie auch in der That und Wirklichkeit getafelt hatten. Sie waren bei'm Prälaten zu Tische gewesen und voll seines Lobes. Unterwegs zeigten sie nur, etwa in der Mitte zwischen Klosterneuburg und Wie», ein Monument, das einer der vorigen Prälaten dort wegen einer ihn nahe bedrohenden Gefahr, der er aber glücklich entgangen war, hatte errichten lassen. Gr fuhr eben an dieser Stelle vorüber, als auf der benachbarten Türkenschanzc eine Puluererplosion einige tausend Kanonenkugeln iu die ^uft schleuderte. Eine dieser Kugeln schlug gerade quer durch das Wagendach des Prälaten, ohne ihn zu beschädigen, und zum ewigen Andenken daran ließ er diese Kugel auf die Spitze einer Säule auf-schluicdeu und eine Inschrift dabei setzen, welche die Bedeutung dieses sonderbaren Monuments erklärte, das mir ,»ehr als alles Andere die große Vedeuteuheit des Kloster-neuburger Prälaten zu beurkunden schien. Erklärung des Titelkupfers. Auf dem Tilelkupfcr ist nuten eine Ansicht von Linz gegeben, während die Raudzeichmmg vielfach auf das Leben und Treiben auf dem großen Flusse anspielt, der von jener Stadt aus bis zur Türkei hin so sehr die Aufmerksamkeit des in den österreichischen Staaten Reisenden in Anspruch nimmt. Druck von B G. Teubner in Leipzig, Ill bcr Arnoldischen Buchhandlung in Dresden und LciWg sind folgende Werke esfchmml imd in allen Vuch-hiindlliügl'n zn crhaltcli' Koh1,I. (Y., Neisen in Eüdrußland. 2 Thle. Mit einer Karte der Anlande dcö Pontuö und zwei lithographirten Titelblatten,, gr. U. 1841. 3^Thlr. Inhalt: >. Rcise durch die llkraine und Neu-rufüand: Puttawa, Kremc^tschug» die ncurussischcn Stcppcn, Vtitoluicss, — ll. Ddcssa. Handc!, össcntlichc Institute, Markte und Studtt'crkchr, Misccllcn. — III. Ausflüge in die Steppen, deutsche Kolonieen, Fahrt zur Dnicssc-Mundunq, Akmnan.— IV. DicKlim. Fahlt auf dcm Pontxs, Ialtn, fluscht«, Sim-phcl»p?I, Naklschlsürl, Scwostopol, Nalnklnwa, AN>pla < Conoe?-satlünsfiüchtt übli dm K>,i!tas»s, die Djsctrn, t,n>l!schc Nieccllen. — V. V sßarabien. Slcppr Icdisian, Acnder, Kischcncw, Nililzui, Gr!'>»^!»l>t No,'ossl!li!)zc, — VI. Zur Lhar« N crlstll der pon^ tischen 2tcppen. !) Ddcrfllichlngestllltung. 2) Klim». .i) Ve-aelalion. ^) ,A)!crl»,chln. 5) Hirten- und Herbentcbcn. Dle Pserbc, vie Schofherbcn, dle H«d«n des «inbolelies. — Vll. Velg!t!chl,,ld« Hinblicke auf die nicht pontischcn Sttrpe». Nachträgliches. Dic Kuiliiten. Zu den Titelblättern. --------Reisen im Inneren von Rußland und Polen. Erster Theil: Muskau. Mit einem Titcttnpfcr und einem Plane von M'Slan. 8. 1841. broch. ^ Thlr. Inhalt: I. Bon Pctcisbulg nach Moskau. — II. Moskau, l) Pla», Bauart und Strußm. 7) Der Kreml. !>) Die Warkt-plnhc. «) <Äotteei,äuser. 3j Dle Klöster.