,/r«, -^ Hundert Tage aus Reisen in den österreichischen Staaten I. G. Kohl. Erster Theil. Reise in Bbhmen. M Dresden und LcipM, in der Arnoldiscken Buchhandlung, 1842. y//./x^j« Hundert Tage anf Reisen. in den österreichischen Staaten, von A V. Kohl. „Gesegnet werd«, >o«r da lobt, ^ „Gesegnet weide, wer da zischt." "^ Erster Thell. Reise in Böhmen. Mit einem Tilelkupfer. Dresden und Leipzig, in der Arnoldischen Auch Handlung. 18 4 2. N e i s e i n Bo h M e N, von ; >ü- * a.. ■ •■' ^* «a J „Dcin ringer M»!>d«sp!^el sci die Welt!' Mit einem Tltelkupfer. Dresden «nd LcipM, in der Arnoldischen Buchhandlung. 18 4 2. -«5 S r. Gr c ell enz dem Herrn Varon Alerander von Humboldt, Königl. Preußischem Ttaat«mi«lft«r, in tiefer Verehrung gewidmet Verfasser. Vorwort. »Wie grost war diese Welt gestaltet, „So lang die Knospe sie nock barg, „Wle wenig, ach! hat sich entfaltet, „Dieß Wenige, wle Nein und kaig'" Die Länder der österreichischen Monarchie gehören ohne Zweifel zu den interessantesten unseres Welttheils. Denn es sinden sich hier von den drei vornehmsten europäischen Völkerfamilien, der germanischen, der slavischen und der romanischen, so bedeutende Elemente zu einem und demselben Staatskörper vereinigt, wie dieß in keinem zweiten Reiche mehr statthat. Außerdem aber umfassen die Gränzen jener Monarchie auch noch ein merkwürdiges Volk ganz, welches bisher weder in Europa, noch in Asien seine ursprünglichen Wohnsitze und Stammverwandten hat auffinden können, und das in dieser Beziehung so isolirt in der Welt dasteht, wie kein zweites, nämlich die Ungarn. Vlll Der österreichische Adler überschattet die schönsten Gauen des östlichen Deutschlands, den größten Theil der herrlichen und wunderrcichen Alpenländer nennt er sein, dann das productenreiche Pannonien, die Hälfte Daciens, weite und bunte Landschaften an der türkischen Gränze und bis zu dem Reiche der Griechen hinab. Giner der qrösztcn europäischen Gebirgszügc, die Karpathen, gehört dieser Monarchic mit Anfang und Ende in seiner ganzen Ausdehnung an — und mitten hindurch zieht sich, alle österreichischen Lande mit einen, gemeinsamen Bande einend, der «nächtigste Strom Europa's, die Donau. Eine Reise durch diese schonen buntbevölkerten Lander, — in diesen großartigen Gebirgen, auf — jenen prächtigen Strömen, — kann für Jemanden, der Freude in der Belehrung sucht, nicht anders als vom höchsten Interesse sein. Es ist der Zweck der vorliegenden Mittheilungen, über eine solche Reise einen möglichst genauen, treuen und lebendigen Bericht zu geben. Ich wünschte die Dinge zu schildern, wie ich sie mit eigenen Augen sah. Daher versuchte ich, diese Schilderungen so zu geben, wie ich sie den Gegenständen selber gegenüber entwarf. Das, waS ich von Anderen hörte, wollte ich so viel als möglich gerade so wiedererzählen, wie ich es horte. Daher habe ich die Personell auch meistens selber in ihrer eigenen Sprache redend eingeführt und möglichst wenig an ihren Ausdrücken geändert. IX Von meinen eigenen Gedanken und Ideeen endlich wollte ich auch nur die ausführen, die mir an Ort und Etclle selber kamen, und die daher auch gewissermaßen die Farbe der Localitat tragen. Älus Büchern und spaterer Ueberlegung habe » I/lbu.^n. —- Io-feph Tzschak, PuNesant. — „I geb's holt nit wek, das Buch l" — Petrus und der Teufel. — Die Reise Xll Seite des heiligen Longinus. — „Majestät Joseph." — Der russische Kaiser auf dcm Wiffehrad. — !^I»ß«!!»lu8 I^ri«1kric)U8. — „Gelten's, Herr Voat'r, so war es?" — Horomir und sein Rappe. — Die slavischen Mädchen. Die Metropolitankirche nuf demHradschin 74 Friedrich's II. Bombardement. — Die Metropolitankirche in Prag und in Krakau. <>— Die Scylla Nepomuk und die Charybdis Slawata und Martinitz. — „Auf Alttschechisch." — „Asche bin ich, Asche werd' ich." — Die versteckten Kroninsignicn. — „So will ich Dich heute noch besser bewirthen!" — Reformation und Contrareformation in Böhmen. — Fürsten«- und Bett-lcrmantel. — Die letzten Przcmysliden. — Reliquien. — Der Rost im böhmischen Reichsschwcrtt. Oeffentliche Institute und Kloster . . 110 Bibliothek. — Alte Prachtwerte. — Feuerschläger, Lichtanzünder, Feuersbrunst. — Dic Brudcrbibel. — Mozart's Werke. — Der böhmische Gutenberg. <— Die Taubstummcnschule. — Die Irrenanstalt. — Die pflügenden Wahnsinnigen. — Stadtblindenschulc. —> Die barmherzigen Schwestern. — Carmelitennnen. — Thomas von Kempen. — Die Prämonstratenser. — Das Kloster zu Emmaus. — Das Evangelium von Rheims. — Die russischen Manen. — Die Judenstadt...........157 Vertheilung der Juden in der österreichischen Monarchie. — Der Iudenkirchhof. — Die vierzig alten Juden-weiber. —> Der verwilderte Iudenjunge. — Die Altneuschule. — „O für Weiber immer genug!" — Die „Alten" und „Neuen." — Die Rabbiner. — Herr Rappoport. — Die Worte Baruch's. xiii Seit»! Volksleben in Prag........'8« Musik und Tanz. — Die böhmischen Bänkelsänger. — Das Annenfest. — Die Farbcrinsel. — Prager Schönheiten. — Grünberger nach Champagner. Böhmische Patrioten.....« . . 208 Tschechische Literatur. — Böhmisch und deutsch. — Böhmischpatriotische Gesellschaft. — Böhmische Münzen. — Schlict'schc Thaler. — Der böhmische Löwe auf den Münzen. — Poetisches Pfeilgcsicdcr. — Naturhistorische Sammlungen. — Der verwünschte Burggraf. — Heidenthum, Gnechenthum, Katholicismus, Hljssitismus. — Deutschthum und Slaventhum. Das Lebensbuch a» der Moldau ... 240 Die Herren Stände. — Böhmischer Adel. — Das Mädchen mit der Pfirsich. — Der lesende Eremit. Tycho dc Brahe. — Buchdruckern von Hase. — Doctorcreationen. — Die Gärten. — Die Sage vom « Ritter Brannik. — Suchy's Uhrcnmagazin. — Glasläden. — „Annengrün. — Lcnorgrün. — Goldglas." Von Prag nach Vudweiö......263 Tschechisch-deutsch. — Die Fidlowatschka. — Tabor. — „Ha! ha! Huß! Huß! Katzer! Katzer!" —Ziska's Geburt, Charakter, Leben und Tod. — Böhmische Fasanen. — Iohannisbesen. Die Schwarzcnbergischen Schlösser und Besitzungen . . . .......275 Der südlichste Zipfel von Bdhmen. — Die Rosenberge. — Frauenberg. — Eine sehr ansprechende Idee. — Das verwirklichte Mährchen vom gestiefelten Kater. — Die großen Wildschweinjagdcn. — Hetzschloß. —> Hamilton's Gemälde. — Gratzen. — Die „Bukwa's." — XIV Seite Oesterreichische Antipathie und Sympathie. — Das Rakauskische Erzherzogthum. — Der Rosenberg'sche Fischteich. — „Es brennt! es brennt!" —Glashütte. — Krummau. — Willkommensbücher. — Die Herren „», rosi«." — Die weiße Frau. — Der süße Brei. — Die Rüstkammer. — Das Archiv. — Fünfhundert Jahre alter Wachsgeruch. — Das Verließ. — Die Schwarzenberg'sche Leibgarde. — Die gehegten Bären. Von Vudwels nach Linz.......328 Handel und geographische Lage von Budweis. — Die Budweis - Linzer Eisenbahn. — Die Salzbefürderung. Erklärung des Titelkupfers.....350 T e p l i tz. ^/(eisen oder Nichtrcisen, das war abermals die Frage. Wandern, Schweifen die Welt entlang, oder Bleiben, Wurzcltreiben, einem Vamnc gleich. — Ob's einem Manne edler sei, ein Gärtlein fleißig zu bauen, oder, sich waffnend gegen eine See voll Plagen, den Stern der Nrde zu umpflügen? — DaS Feuer auf eigenem Heerde zu schüren, ein treues Weib zu herzen, zu Gott aus gläubig frommer Vrust im engen Kammerlein zu beten, —- o es ist ein Ziel, auf's Innigste zu wünschen! Ein Haus oder ein Zelt, ein warmeS Stübchen oder ein windiger Sitz im Postwagen, — ein schaltender Baum oder ein blüthenloser Wanderstab, — ein einziger Freund oder tausend freundliche Gesichter — ein kleiner voller runder Kreis oder ein weites unzusam-inenhangendes Gebiet, diese Erwägung zwingt uns, still zu stehen, das sind die Rücksichten, die den Mann zu festen» Orund ^h Voden kommen lassen. » 1 2 Ich must gestehen, ich hatte irgendwo von einem stillen Gehöfte an dem Elbufer das Orakel der Hühner „nd Hahne vernommen, ich hatte die geweihten Raume deö Hauses gesehen, — die friedlichen Zimmer — das tränte Gartchen, <— das schützende Gemäuer rund nmhcr, — das zufriedene Vieh im Stalle, — und der Versucher hatte zu mir gesprochen: „O du Glücklicher, könnte dies; nicht dein sein? und könntest du daS, was du draußen suchst, nicht Alles in diesem Gehege finden, und träfst du nicht nahe bei dir in eigener Vrust die ganze Welt, die nur nicht zur Geburt kommen kann, auS Mangel au Nuhc." — „Ja, wenn er sich selbst in Ruhestand setzen könnte mit einem Wunsche bloß, wer trüge Lasten und stöhnte nnd schwitzte unter Rcisemühe'?" erwiderte ich meinem berathenden Freunde, flüsterte ihm noch Manches leise in's Ohr, was die Umstehenden nicht hören sollten, schloß dann mit den Worten: „siehe, Theurer, so macht die Noth Veherzte nuö uns allen, und Unternehmungen, dein Anscheine nach voN Mark und Nachdruck, durch diese Rücksicht in die Bahn getrieben, verlieren leider so das Verdienst einer Handlung," und nahm Abschied von ihm, indem ich in den sächsischen Postwagen stieg, der langst angeschirrt auf dem Dresdener PostHofe stand, und der dazu bestimmt war, die Richtung nach Teplitz einzuschlagen, um uns dort einem böhmischen Wagen zu überliefern. Dieser böhmische Wagen sollte uns dann an die Donau zu einem Dampfschiffe bringen, welches uns bis Wien zu führen bestimmt war. Von da wollten wir unser 3 Leibliches ^„em ungarischen Vauerwagen anvertraue!, und bann später bald zu Wagen, bald zu Schiffe, bald zu Pferde, bald per Dampf bis in die Gegenden vordringen, „wo hinten fern in der Türkei die Volker auf einander schlagen," und darauf wieVer in das theuere Vaterland zurückkehren. So war unser Neiseplan. Nur ein Landsman» von Sir Faulconbridge hin« derte uns noch fünf Minuten lang daran, ihn sofort zur Ausführung zu bringm. „Das Vildlüß eines hübschen Mannes," wie Porzia sagt, d. l). ein Eng« länder kam gerade, als die Pferde eben zutreten woll" ten, in den Posthof hereingestürzt. Sehr auffallend war sein Acufiereö. Ich glaube, sein Kollet kaufte er in Italien, seine Pluderhosen in Frankreich, sciuc Mütze in Deutschland und sein Benehmen aller Orten. Er trug, obgleich es nicht regnete, einen großen Regenschirm gegen die Sonne. Er war außer Athem, stellte sich einen Augenblick quer vor die Pferde, blies sich «uf, zupfte sich seine Cravatte zurecht, staubte sich den Nock ab und fing dann mimische Demonstrationen ge« gen die Pferde, den Postillon und den Echinmcister an. Die Pferde allein, die er am Zügel hielt, ver« standen ihn, sonst sprach er weder lateinisch, noch französisch, noch italienisch, noch auch ein sterbendes Wort« chen deutsch. — Man errieth indeß bald, daß er ein verspäteter Passagier sei, und wartete ihm zu Liebe noch ein wenig. Spornstreichs rannte er nun an die machte sich dann aber bieder in stummer Verzweiflung durch den Zuschauer- 1. 4 Haufen Vahn und blickte auf die Straße hinaus. Die Conducteure ergriffen ihn darauf bei'nt Arm und führ» ten ihn zum Wagen zurück. Aber cr sträubte sich und rannte wieder auf die Gasse, rechts und links um sich blickend. Kein Mensch errieth, was das Alles bedeutete. Wir hätten ihn bald seiner Verzweiflung allein überlassen, wenn nicht noch eben ein Lohndiener, der mit einer Hutschachtel hcrangckcucht kam, den Knoten gelöst hätte. Als der Engländer endlich neben mir saß, erzählte cr mir, daß er alle Provinzen der österreichischen Monarchie besehen und bereisen wolle, und cr kam mir daher vor, wie ein Mann, der ausgegangen war, einen Acker zu bebauen, aber den Pflug dazu vergessen hatte. Auch in der englischen Sprache war er nicht geschwätzig. „Wer kann mit einem stummen Gemälde sich unterhalten?" sagt Porzia, und ich hatte also Zeit genug, über mein Thema, Bleiben oder Reisen, weiter nachzudenken. Alle die reizenden Weingärten und wohnlichen Landhäuser, die von jenseits der Elbe zu uns herübcnvink-ten, alle die freundlichen sächsischen Dörfer der Dresdener Ebene, die wir bis Pirna passirten und in denen sich Tausende von Menschen ehrlich nährten, alle die sOOdO friedlichen Einwohner von Dresden, die hinter unS zurückblieben, schienen mir Vorwürfe zu machen, und wenn eln Arbeiter von seiner Arbeit aufschauete, und sein stummer Vlick unserer wandelnden Kutsche folgte, schien er mir zu sagen: „O warum bliebst du nicht lm Lande und nährtest dich redlich?" AlS Na, poleon nach dcr Schlacht von Kulm, die seln Vor-trab verlor, hier rückwärts zog, mochten die Dörfer anch anfangen, ihm Aehnlichcs z» sagen. Viesscicht rührte das Plötzliche Unwohlsein, welches ihn in Verggießhübel anwan« delte, daher. Er regierte wohl noch jetzt im schonen Frank« reich, wenn er daS Bleiben im Lande besser befolgt hatte. Schon von Pirua, ja von Dresden aus über Berg« gicßhübel bis Teplitz geht man auf einem alten Kampf-nnd Schlachtcnwcge. Der Befreiungskrieg, der siebenjährige, dcr dreißigjährige, die Hussitenkriege, sie hatten a>'le hier in den böhmischen Engpässen ihre Schlachtfelder, bei Kulm, bei Pirna, bei Mären und aber» und nochmals bel Kulm, biS zu jener ^kulmrr Schlacht hinauf, wclche der deutsche König Lothar gegen den böhmischen Sobjeölaw im Jahre 1126 verlor, in der Albrecht der Bar auf ahnliche Weise von den Böhmen gefangen wurde, wie Vandamme 700 Jahre später von den Kosaken. Ganz auf ahnliche Weise wäre auch um ein Haar dcr nachrückende Napoleon selbst umzingelt worden, wie dcr seiner Avantgarde nachrückende Lothar wirklich umzingelt wurde, so daß kein Mann von seinem Heere entkommen konnte, und er selbst mn Frieden bitten mußte. Ja ohne Zweifel noch weiter in die dunkelen Jahrhunderte der Vorzeit hinauf mag hier schon oft das Schicksal Böhmens entschieden worden sein; denn viele unwandelbare natürliche Verhaltnisse und Umstände führten -von je her die vornehmsten Handels- und Heerstraßen Böhmens im Abthalc herab durch diese Engpasse. Die Gränze Böhmens erreicht man bei Peterswaldc. s Im Ganzen genommen streicht diese Gränze durchweg auf dem höchsten Kamme des Erzgebirges hin. Doch ist es merkwürdig und klingt fast unglaublich, daß selbst bei einer so vielfach besprochenen Gränze zwischen zwei so cultivirten Ländern, wie es Böhmen und Sachsen sind, noch Gränzstreitigkeiten stattfinden können, und doch ist dieß bei mehren Puncten der Fall, wie es sich erst bei der Aufnahme der neuen prachtvollen Karte von Sachsen herausgestellt hat. Die sächsischen Vermesse r kamen hier an der nördlichen Gränze von Vöh-men in ein Dorf, welches sie für sachsisch hielten, wo die Einwohner sie aber zmn Orte hinaus verwiesen, weil sie behauptck'it, sie gehörten zu Oesterreich. Sie sollen aber eben so auch schon oft die österreichischen Zoll-einnehmer unter dem Vorwande, sie gehörten zu Sachsen, vertrieben haben. Der Ort ist nun einstweilen auf der sächsischen Karte «lit einem weißen Flecke bezeichnet, bis es auf diplomatischem Wege entschieden sein wird, unter wessen Flügel dieses rebellische Hühnchen kriechen mnß. Das Erzgebirge darf man sich nicht als eine Neihe neben einander gestellter Vergpyramiden vorstellen, sondern man muß es als eine gewaltige breite und weit ausgedehnte Erdscholle ansehen, die auf ihrer, im Ganzen genommen, flachen, übrigens auch durch Flüsse vielfach zerklüfteten Nordseite die Ortschaften des Königreichs Sachsen tragt und sich hier auf der Linie über Plauen, Zwickau, Chemnitz, Freiberg und Dresden in die Ebene verliert, während sie gegen Böhmen hin sich schroff auf- 7 bäumt und hier mit einem plötzlichen Absätze zu den Ebenen des Vger- und des Vilathales jählings abfällt. Von Sachsen aus gewinnt man daher auch keine im-Ponirende Ansicht des Gebirges, wahrend man von Böhmen aus es überall das Land mit mächtiger Mauer umkränzen sieht. Eben so auch und aus denselben Nr« fachen gewähren die Rückblicke nach Sachsen nichts Erhebendes, wahrend überall, wo man auf die Höhen jener Mauer kommt, sich herrliche Aussichten iu's Innere von Böhmen eröffnen. „Ach meln Gott! Was ist denn das?" rief eine unserer Gesellschafterinnen im Postwagen aus, „sehen Sie doch, mein Herr, dieses schöne Land «nter uns. Tlefe Abfasse und Vergriffe zeigen sich uns zu Füßen, eine schöne Ebene «üt reizenden Städten und Dörfern entwickelt sich vor unS, und ferne Verge umschließen den , Horizont." — ,M ist dieß," antworteten wir ihr, „diejenige Schattirung unserer helllcuchtenden Erdscheibe, welche sich den Mondbewohnern als ein helles, von dunkelen Seiten umgebenes Quadrat darstellt, und welches ihre Astronomen vielleicht das Gebiet Alpha oder das Land Pst nennen, und von dem sie vielleicht fabeln, daß es eine Insel sei, indem sie die dunkelen Nänder für licht-absorbircnde Wasserarme halten. Auf der Erde nennen wir dieses Land Böhmen, und wir könnten den Mondastronomen sage», daß die dunkelen Nänderschattirungen von den ebenfalls Uchtabsorbirenden Wäldern und sin-« steren Oebirgssthluchtcn herrühren. Es ist wohl kein Zweifel, daß, wie wir Irdischen vom Manne im Monde 5 reden, die Mondbewohner, wenn sie die Zeichnung un-sereS Europas überblicken, ebenso von der Jungfrau in der Erde sprechen. Wie die Völker der Erde die wunderlichsten Fabeln von jenem Manne haben, so mögen denn auch die Völker der Mondscheibe eben so Wunderliches von dieser Jungfrau fabeln. Vielleicht halten sie das Quadrat Böhmens, daö ungefähr in der Gegend des Gürtels der Jungfrau sitzt, für ihre Gürtelschnalle. Und sie sprechen, wenn ganz Böhmen mit Nebel und Wolken überdeckt ist und ihnen dann dunkler erscheint als an Tagen, wo die Sonnenstrahlen von der Oberfläche des Vodenö unmittelbar zurückgeworfen werden, vielleicht so: „heute ist die Schnalle der Jungfrau blind," oder im umgekehrten Falle: „heute hat die Jungfrau ihre Schnalle geputzt." Dem sei indeß, wie ihm wolle, so ist soviel gewiß, daß sich Vöh-nlen rühmen kann, seine Gränzen würden sogar den Schülern auf dem Monde gelehrt, wahrend von den Gränzen Sachsens, Preußens und anderer Königreiche, die sich nur durch politische Bestimmungen bemerklich mache«, dort nichtS bekannt sein könne. DaS Stück von Böhmen, welches dem entzückten Auge auf der Nollendorfer Höhe zunächst sichtbar wird, ist das Thal der Vila, in welchem die Anwohner wie in einem Paradiese leben. Der Anblick ist so reizend, daß fast Jeder, so gut- er auch vorbereitet sein mag, wenn ihm das schöne Vild erscheint, unwilltührlich wie unsere Gefährtin auSruft: „Mein Gott, was ist das?" Auf langgeschlangeltcn Wegen windet man sich an der Gebirgswand in's Thal hinab, beständig begleitet von kleinen Madchen und Knaben, die dem Reisenden für Himbeeren nnd Erdbeeren einen kleinen Granztribut abfordern und ihn mit „Gelobt sei Jesus Christus!" anrede«. Die drei Adler, deren Flügelschlzg an diesen Höhen den Franzosen so unheilvoll umrauschte, haben auf dem Schlachlfelde in der Nähe der Straße drei Monumente errichtet, bei denen alte Krieger als Wäch« ter postirt sind. Die Englander Psscgcn sich hier gewissenhaft zu notiren, wie viel Centner Metall zu jedem ver-wendtt wurden. Der unsrige schrieb außerdem auch noch sein Urtheil hinzu, das österreichische sei sehr groß und solid, das preußische sehr klein und das russische sehr elegant. In Teplitz haben nicht bloß die Wirthshäuser, son-der« auch alle Priuata/baude ihren eigenen Namen und' führen ein besonderes Zeichen oder Wappen vor der Thüre. Das eine heißt z. V. „zur goldenen Leier", das andere „zur Laube", das dritte „zum Engel", das vierte „zum goldenen Ringe" u. s. w. Es ist dieß eiue weit hübschere, aber freilich unbequemere Vezeichnungsweist der Gebäude als die durch Nummer», und diese Sitte ist in Böhmen und auch in andern benachbarten Landern weit verbreitet. Man muß in Teplitz, um den Ort recht kennen zu lernen, wo möglich mit einem der altm jährlichen Badegäste und Besucher herumwandern. Es giebt de« ren, die, von Gicht und anderen liebeln geplagt, hier zu gewissen Zeiten so bestimmt eintreffen wie auf den w Strohdachern die Störche oder wie in den Kafsechäu« fern die Stammgäste. — Sie interessiren sich dann für Teplitz, wie für ihr eigenes HauS und sehen bei ihrer Ankunft hier überall nach, wie in ihrer eigenen Wirthschaft, ob das Clary'sche Schloß noch steht, ub die Promenaden noch in der alten Ordnung » sind. Sie laufen in die Vader, wo ihnen die vorjährigen Vadediener mit Entzücken die Hand küssen, und in die Glaöwaarenläden, wo ihnen die neuerblühten Farben und Glaser am Fenster erscheinen. Jedes Jahr bringt nämlich in den böhmischen Glasfabriken ebenso gewiß seine neuen Farben an's Tageslicht, wie auf den böhmischen Wiesen ohne Zweifel wicdcr die alten erscheinen. — Dann werden die schönen Galanterie- nnd Manufacturwaarenläden besucht, die mit Wiener Pro-ductcn angefüllt und anf das Geschmackvollste arrangirt sind. Die Ladendiencr sind geborene Wiener, die aNein im Besitze der Kunst sind, Tücher, Shawls und Wc-stenzenge auf eine stets neue und gefällige Weise zusammenzuwerfen und zu gruppircn, oder, wie sie sich ausdrücken, eine lockende „Anölage" zu machen. „Ja", sagte nur einer dieser Ladendiener, „der Geschmack schreitet auch hierin immer fort. In Wien ist er jetzt am höchsten gestiegen, und da habe ich meine Föne und Routine — „in der Auslage gefaßt." In der That hatte dieser Mann mit Sammt- und Seideflccken eine so leichte, elegante und, ich möchte sagen, geniale Arabesken- und Figurenzusammenstellung zu Siande gebracht, daß ihr Entwurf dem Geschmacke jedes Decorations- malers Ehre gemacht habe» würde. — Diejenigen Kunstkenner, welche, wenn sie sonst an einem Gemälde nichts zu loben wissen, mit Begeisterung von dein Faltenwürfe zu reden anfangen, müßte man einmal vor eine solche Wiener „Auslage" führen. Da können Se sich satt bewundern an Faltenwürfe» der phantastischesten Art. In hunderterlei Stellungen und Attitüden coqucttiren die Tücher mit den Damen, die unwiderstehlich in ihre Zauberkreise gezogen werden, — den Geldbeutel ziehen — kaufen — und dann ihrer Seils wieder die Draperie» und Faltcnwurfe^perimente auf ihren eigenen Schultern fortsetzen. In den erste» Tagen lebt der -Teplltzer Badegast im Wirthshause, und er überläßt sich in dieser Zeit allen Freuden deS Wiedersehens und des Wiedergenießens, bis er dann ein Privatquartier „ zu den drei Kosaken"' oder „zum Paradiese", „zum Palmbaum" oder „zum Fürsten von Ligne" gefunden hat. Dann spricht er mit seinem Arzte und übergiebt sich nun den Vorschriften der Cour und einem ordentlichen Tcplitzer Kran-kenleben, steht des Morgens früh auf, trinkt gewissenhaft an den bezeichneten Quellen seine vorgeschriebene Quantität Schwefelwasscr, das mit Begleitung der lieblichsten Musik zwischen seinen Lippen dahinstirbt, versäumt um 12 Nhr die große Promenade im Cl.ny'schen Schloßgarten nicht, wenn er auch nur auf einem Rollstuhl daran sollte Theil nehmen können, und geräth überhaupt regelmäßig in promenirendc Bewegung, ruht, verfällt in Schlaf und macht sich an Speise und Trank 12 ganz nach der Vorschrift des Arztes, der ihm seine Uhr auszieht und stellt. Die Teplitzer Quellen, die auS unerforschten und tief verborgenen Feuerschlünden als Dampf aufsteigen und erst weiter an der Oberftäche sich in tropfbarem Zustande darstellen, sind äußerst kräftig und heilsam. Es kamen oft Gichtbrüchige hier an, die so hinfällig waren, daß sie keinen Schritt ohne Unterstützung thun konnten, und die dann nach wenigen Wochen der Cour auf den Schloßberg und den Viliner Felsen hüpften. Der Ort und seine Umgebung ist indeß so reizend, daß ich begreife, wie auch nur ein ganz leiser Anstug von Gicht viele Menschen zu bestimmen vermag, alljährlich hier zu erscheinen. Das prachtvolle Palastdorf Schönau, die interessante Vergstadt Graupen, den merkwürdigen V> liner Felsen, von den: Humboldt erklärte, daß er einzig in seiner Art in Europa sei, die zahlreichen Schlösser, Ruinen und Lustgärten umher, — wer wagte dieß Alles zu schildern, da fast aller gebildeten und gereisten Europäer Augen auf diesen Gegenden ruhten, und sie alle wissen, wie viel schöner der Anblick selbst ist als jegliche Beschreibung. — Kloster Osseg, Schloß Dur, der Tcplitzer Schloßberg, der Milleschauer, ia wer nennt alle die interessanten, romantischen lind pittoresken Gegenstande und Dinge, die den Fremden nach Teplitz locken, den Anwesenden entzücken und den Abgereisten noch in der Erinnerung mit Enthusiasmus erfüllen. In den entferntesten Thalern von Schottland und Schweden, in den entlegensten Sümpfen von Polen und Livland giebt W es Cchloßbewohner, die, wenn sie des Winters an ihren Kaminen sitzen, freundlich lächelnd davon reden, wie es lm Sommer im schönen Vilerthale aussieht. Die Aussicht auf dem Schloßberge gewährt das Schönste und Umfassendste; denn man übersieht hier das ganze Hauptstück des Thales biS z« den Quellen der kleinen Nebenflüsse hinauf. Ich Pilgerte zu sei-» nem Gipfel mit einigen Polen. Unterwegs trafen wir in ciucm kleinen böhmischen Dorfe mit polnischen Iu« den zusammen, die häusig in Böhmen herumwandern. Sie lnigen in ihren Kasten allerlei kleine Schmucksachen für die Vauern Hern,», Spendein (Stecknadeln), Tuchnadeln, Perlen u. s. w. Sie nannten diesen Kram mit einem deutsch-polnischen Worte: „Spindliki" und sagten, sie wären in Riga, Vrody, Warschau und Kra-kau gewesen. Sie sprachen böhmisch, polnisch, deutsch und russisch. Und man kann dieß Alles alö allgemein gültig für alle in den slavischen Ländern Osteuropas umherziehende und hansircnde Juden betrachten. In Russisch-Polen, sagten sie, hatten sie sonst die beßtm Geschäfte gemacht. Es sei dort das meiste Geld. Jetzt "ber lasse sie der Russe nicht mehr herein. Der Schloßberg ist, wie die ganze Gegend von -T'eplitz, vulkanischer Natur. Er ist ein ziemlich regelmäßig gestalteter Kegel, der mit einer Höhe von 1600 Fuß in der Mitte des Thales aufsteigt. Ein Waldkranz schöner Eichen umgürtet ihn in der Mitte, und die Ruinen seines nun auch schon ausgebrannten Schlosse« krönen '"n Haupt, das ein erloschener Krater bildet. Die 14 Durchblicke durch die Eichen und die Landschaftsbildcr, welche ihre Gezweige umrahülen, sind so entzückend wie die Aussichten und Gemälde, die sich von den verschiedenen Punkten der Ruinen darstellen. Doch Alles, was die Feder davon sagen kann, erscheint nur als Gekritzel, und selbst ei» Pinsel mag sich hüten, diese bezaubernden Vildcr verewige» zu wollen. An schönen Tagen wimmelt und wogt es hier oben beständig von Besuchern und Gästen, die sick) in verschiedenen Ecken, Thorwegen und Terrassen der Ruinen an Tischen und Bänken etabliren und den Sonnenball seinen wundcrsa« men Kreis beschreiben lassen, bis er hinter ven Karlsbader Bergen hinabsinkt. Die wundervollen Lichteffccte bci'm Untergänge der Sonne, die ganze unendNche Scala von Farbcnnnancen, welche sie durchspielte, und der ganze herrliche Abend, den wir genossen, brachte unsere Polen so in Entzücken, dasi, als wir durch den Eichengurtel zurückkehrten, ihre Lieder: „5e«c«:«e ?o!«Icn, ne-Finala" („noch ist Polen nicht verloren") und „<^<1^ im vv^dr^?.«?^" weit hin erschallten. Das letztere ist eines der schönsten patriotischen Lieder der Polen. Cs heißt in der Uebersetzung ungefähr so: ,, Wenn du einmal am Ufer des Mee-,,res ein Schiff siehst, vom Sturm verschlagen, wel-„cheS nicht aus Schuld der Wellen, sondern aus Schuld „veS Steuermannes auf verrätherischen Sand gesetzt ist, „so widme ihm, widme ihm wenigstens eine kleine Thräne, „denn es wird dir das Schiff das arme Polen in's „Gedächtniß rufen. Wenn du einmal siehst jeuen „Vulkan, der der Riese ist unter den rauhen Bergen, "der Lava auswirft und Rauch auöspeit und der in „seinem Vusen brennt in ewigem Feuer, so erinnere ,/dich, daß so — die Liebe zum Vaterlande im Vuscn „des Polen brennt." Jahr alls, Jahr ein giebt es unter den Fremden, welche sich auf dem Schloßberge treffen, Zank darüber, welches der höchste der umliegenden Verge sei. Auch wir hatten diesen Streit durchgekämpft, und Vinige hatten steif und fest behauptet, der Vüincr Felsen sei der höchste von allen, der Millcschauer aber ungefähr gleich hoch mit dem Schloßbergc. Am anderen Tage, als wir auf dem hohen Mllleschauer ware», hatten wir Mühe, den Schloßberg unter den anderen Hügeln dcö Thales herauszufinden, und der Viliner Felsen verlor sich noch mehr. Wir schlugen endlich die Höhenbeflimm-ungeu von Humboldt nach, und es fand sich, daß der Miner Felsen, der niedrigste von aNen, nur 1100 Fuß hoch sei, der Schloßberg aber noch 1000 Fuß niedriger als der Milseschauer, der bciuahe 3000 Fuß hoch ist. Ich ,iah„i ,^r darauf vor, von ciuem niedrigen Standpuntte aus die Oroßenverhaltnisse der Dinge nic beurtheilen zu wollen. Der Milleschauer ist der höchste Verg des Mittelgebirges, das u,an von seinem Gipfel aus in seiner ganzen känge übersieht, so wie man auch zu beiden Seiten in die anliegenden Cbcueu hinabschaut. Das ganze Mittelgebirge besteht aus lauter neben einander legenden erloschene,, Vulkanen, die alle ziemlich rcgcl- IS mäßige Kegel barstellen. Die Elbe bricht hier schnell hinter-einander durch zwei GebirgSreihcn, erstlich durch dieß Mittelgebirge und dann durch die Fortsetzung des Erzgebirges, und es ist beachtenswerth, daß gerade in der Gegend dieses Wasserdurchbruchs auch die Thätigkeit des Feuers so groß war. Als Böhmen noch ein See war, musi der Anblick des Mittelgebirges dem Archipel der Liparischen Inseln geglichen haben, eine dichtgedrängte Gruppe von mit Wasser umgebenen, Feuer speienden Vcrgcn. — Der Milleschauer hat auch den Namen „Donnersberg". Sollte wohl dieser Name auf eine entlegene historische Zeit hindeuten, wo noch Intonationen im Innern des Verges statthatten? Haben wir nicht überhaupt mehre Donnersberge, die ausgebrannte Vulkane sind? Die Aussicht vom Milleschauer ist eine der entzückendsten für Auge und Geist, die man sich wünschen kann. Die entferntesten Linien und bläulichen Tinten des hier überschauten Horizonts gehören auf der einen Seite dem Niestngebirge, auf der andern den Vorbergen des Vöhmcrwaldcs und nach Süden der Gegend von Mittelböhmen an, und man kann sich hier also der schmeichlerischen Einbildung überlassen, mehr als die Hälfte des ganzen Königreichs zu seinen Füßen zu haben, und in dem Genusse schwelgen, die Schauplätze des Leidens und Freuens von mehren Millionen menschlicher Wesen zu übersehen. Man ist in diesem Genusse dcn Göttern ähnlich, man schaut die Welt nicht brockenweise, sondern im Zusammenhange. Du erspähst die Schisse auf der Elbe, von denen die Anwohner der Gger, die du auch vor dir hast, nichts wissen. Du siehst die Wagen, die aus Lobositz auSfahren, während sie den Thalbewohnern der Vila tics' «erborgen sind. Du erblickst die Schneekoppe deutlich, nach deren Anblick der arme Schlesier, der dort unten in Libochowiß wohnt, sich in langjährigem Helmweh vergebens sehnt. Wir können ihm beinahe zurufen, daß seine geliebte Schnee» foppe noch in ihrer alten Pracht am alten Flecke stehe. „Liebe Elise, wie gern käme ich einmal zu Dir aus „meiner öden Waldgegend bei Katharinenberg im Erz-„gebirge, wenn mich mein häusliches Wirken nicht in „meinen engen H'reiö bannte. Wie gern stiege ich „einmal die Verge hinab in Gncr schönes Böhmen, „um Dich in Deinem reizenden Melnik zu besuchen, „pflückte mit Dir Blumen, die hier so spärlich wachsen, „und äße von Deinen Trauben, die eS hier weit nnd "breit nicht giebt." Diesen Brief giebt Louise aus Katharincnberg an Vlise in Melnik dem Stadtboten "lit, mid zwei oder drei ganze Tag« lang schleppt sich der Brief, bald von dieser, bald von jener Gelegenheit befördert, durch die Gegend, bis er endlich der Elise in Melnik in die Hand kommt. Wir übersehen Beides lm selben Augenblicke, die Tannenwälder auf Kathari-nenberg und die Weingärten von Melnik, und wollte Louise uns nur ein Zeichen geben, so sollte Elise sofort Nachricht von ihr haben. Als wir auf den Gipfel des Milleschaner kamen, war das Wetter äußerst günstig. Die Luft war im » 2 Ganzen klar und durchsichtig und die Fernsicht nnbe-gränzt. Nur hier und da zogen einzelne Wolken um« her, und i» einigen entfernten Gegenden tobten Gewitterschauer. So ;. V. war das ganze Herzogthum Schlan und Munzifay eine Zeit lang mit grauen Wolken überzogen. Diese schrägen Streifm der Wolken ließen auf einen starken Sturm schliesien, und ihre grauweiße Farbe deutete auf Hagel. Die Hühner jagten hier mit zerzausten Federn vor dem Sturme her, die Hunde verkrochen sich, und die Menschen sprachen, sich verriegelnd und verrammelnd: „Gott sei uns gnädig, welches Wetter! Die Sonne verfinstert sich. Wie lange wird's denn noch wahren? Wird denn die Welt untergehen?" — „O ihr Thoren von Munzifay!" dachten wir auf unserem Oöttersche. „Sähet chr doch, wie klein und kurz das Erdenleiden ist," und wir blickten in die Grafschaft Teplitz und in den Leltmeritzer und grosim Vunzlauer Kreis, wo überall die schönste Ruhe herrschte und die heiterste Luft. Hier wohnen 7l)0l) Menschen auf jeder Qundratmcile, und siebentausend-züngig erschallte von jeder Quadratmcile das Vob des Wetters zur Sonne empor. — „O, des Himmels blaues Firmament wölbt sich schön über uns wie ein fester Dom." Ohne Regenschirm gingen sie spazieren nnd fuhren umher in unbedeckten Karossen. Die Kurzsichtigen! sahen sie doch nur, wie es schon hinter den Krkono^sfy-Vergcn (so nennen die Vöhmm das Riesen-grbirge) sich finster zusammenzieht, und wie der neckische Rübezahl ihnen bald ,ine Wolle über die Köpft hin< blasen wird, die mit Millionen von Regentropfen Tau« sende von Querstnchelchcn in ihre Rechnungen ziehen wird. Auf der obersten Spitze des höchsten Nuckels des Gipfels des Donnersberges steht unter einem Dache ein hölzerner Stuhl. Der König von Preußen soll ihn sich haben errichten lassen. Er schwelgte hier stundenlang im Anblicke der wundervollen Landschaft. Es ist ein wahrer Königsstuhl, ein Götterthron, und lch begreift nicht, daß die alten Könige von Böhmen, denen man auf dem an» Moldamifer versteckten Wissehrade huldigte, sich nicht lieber hier im Angesicht ihres ganzen Königsreiches bekrönen und bcsceptern ließen. — Man schaut bis an dle Gränzen der Gebirge, wo die böhmische Sonne aufgeht, und verfolgt ihren ganzen Kreisgang durch das Land bis an die westlichen Gebirge, wo die böhmischen Sterne untergehen. Hier hätten die Unterthanen und die Knieten und Zupanen den Eid der Unterwerfung aus vollstem Herzen und aus ganzer Seele geleistet. Denn sie hatten es mit Augen und Handen gegriffen, wie groß das Ganze des Vaterlandes, wie klein das Einzelne. Wie SokrateS den AlcibiadeS, der doch wie der Fürst von Schwär-zenbcrg 99 Herrschaften besaß, hätte der böhmische Kö« ">g vor der Huldigung seine Magnaten am Arm neh-men und ähnlich so zu ihnen sprechen können: „Sehen Sie da, Magnat! Dieß hier ist unser Vaterland Vöh-"'en. Jener kleine Nebelstrcif dort deutet diejenigen weitläufigen Besitzungen von Koth an, mit denen Sie gesegnet sind und die Ihren Stolz ausmachen. — Sie, 2* Herzog von Friedland, Sie finden Ihr Herzogthum dort jenseits jener Verge in den Thalschluchten versteckt. — Und wo finde ich denn gleich Ihr Fürstenthum, Herr NeichSfürst von Gottes Gnaden von Schlan und Munzifay. Erlauben Sie. — Ah! — wir müssen ein wenig warten. Denn es ist eben von einem Wölk-lein etwas verdeckt. Doch über das Gewölk hinweg, dort, wo jener helle Streif erscheint, Ihr streitlustigen Herren und Kmetcn aus dem Veraunerthal, daS ist Euere Heimath! Haltt den Streif in Stücke, und jedes Stücklein ist eincö von Eueren Gebieten, zwei aber gehören den hochweisen Nathsherren von Veraun nnd Rakonitz. Laßt Euch hierbei ermähnen, lebt in Frieden beieinander und streitet um ein Flickchen solchen Nebclstreiss mehr oder weniger nicht auf'ö Blut. — Und nun Ihr ehrenwenhen Herren und Räthe alle, schaut mit Eins aufs Ganze rund umher. Scht, wie die Thürme dort von Nandnitz winken, von Lobositz und Trebnitz, Vrozan, Auscha und dl« von Vilin, Vrur und Dur und dort die von Außig, Karbitz, Gulan, seht, wie hier der Nauch der Hütten aufsteigt, und dort nnd dort und überall, wie es nistet und brütet in alleil Winkeln, wie die Verge das Ganze einend umfassen, und wie die Ströme Alles bindend durchwandcln. — Das ist unser schöneS großes Vaterland. Das Ganze groß, das Einzelne nichts. D'rum laßt unö treu und fest für'ö Ganze stehen, und — setzt mir meine Hrone auf's Haupt." Sollte der König von Böhmen dann noch wie LI ^r hen Moment eines Regenbogens zu seinem Krönungsact abzupassen wissen, so wäre die Pracht vollkommen. Ein kleines Streifgeschwader von Wolken, dag stch von der im Lande schon den ganzen Nachmittag Herumziehenden Hauptarm« detachirt hatte und seinen Ueberssusi dicht vor dem Gipfel des Verges niederschüttete, führte uns dieß herrliche Schallspiel herbei. Ganz uahc vor unseren Augen tröpfelten die goldenen Perlen herab, aus denen der Vogen gebaut war, und da die Sonne schon im Hinabsinken begriffen war, so zog sich das wundervolle Phänomen hoch über unsere Köpfe hin. Am Ende aber wurden wir a.ar selber inlt in das feuchte Fimbament des BoqenS vermauert, und von sie-bcnfarbigen Tropfen benäßt, mußten wir uns dann in die Mooshütten deS Donnersberges zurückziehen, welche das eigenthümlichste Hotel darstellen, daS man sehen kann. Eine ganze Menge Neiner, niedriger, auS Stel-mn erbauter und mit Moos tapezirter Hütten steht m einem engen Kreise um ein enges Gehöfte herum. )" der Mitte ist ein Platz für böhmische Musikanten, die wahrend der Teplitzer Vadesaison alle Tage hier spielen. Die anderen Mooökabinette enthalten Speise-""d Trinksäle, Schlafzimmer, Vichstasse und Wohnstuben für Ginheimische und Fremde, und in dem einen 'st ftgar ein Museum von den mittelgebirgischen Natur-mertwurdigkeiten aufgestellt. Jeder Eingang und jeder "usgang ist von dem poetischen Wirthe mit Sprüchen und Versen verziert, und bei'm Abschiede erhält jeder e>»ende von seiner schönen Tochter ein zierliches Vou- quet, das alls den Vlumen des Verges zusammenge« wunden ist. Es hatte tüchtig geregnet, als wir wieder aus den Mooskabinetten zum Vorschein kamen, um uns zur Rückreise zn rüsten, und unsere Führer versicherten uns, nun würden die Bauern bei Trzeblitz gewiß viele Granaten finden, nicht etwa, weil die Granaten vom Himmel regnen, sondern weil die Leute sie hier dann leichter bei'm Ackern auf dem Felde entdeckten. Trzeblitz ist ein Dorf am Fuße des Mittelgebirges, wo die Granaten nicht nur zufallig l» Menge gefunden, sondern auch absichtlich auSgegraben werden. — „Aber daS Getreide wird bei dem Regen gelitten haben," sagte mein Führer. „Wie so?" fragte ich. „Weil er durch einen Regenbogen gefallen lst. Der Regen, der durch den Regenbogen gefallen ist, schadet viel. Er wird dadurch ein giftiger Mehlthau. Nnd wenn er auf den Acker kommt, so brennt er das Getreide schier weg." — „DaS ist ja ein rechter Spuk!" sagte ich. „Ja, ja!" erwiderte er, „Spuk giebt's hier genug! Da an jenem Berge mit Ruinen giebt's eine Höhle, in der die Leute auch sagen, daß es spukt. Eie wird die Teufelshöhle genannt!"—Ich übersetzte dieß dem französischen Herrn auö VourgeS, mit dem ich auf dem Milleschaucr bekannt geworden war und mit dem ich nun den Verg hinabtletterte. „(5omln<:nt »r1e plu« <1e» clemons, bemerkte er. )n der That ist es merkwürdig, daß in allen Ländern des ganzen christlichen Europa's soviel v"l Teufelshöhlen, Teufclsbrücken, Teufelsfelsen, Teu. fclssprüngen und Teufelömauem gehört wird bei Gegcnstän» den, die »ft so wundervoll pittoresk und schön sind, daß man sis auch eben so gut als ein Werk von riesenstarken Angeln und Göttern betrachten könnte. Auch ich begreife nicht, warum die Germanen, Gallier, Hel-vetier, Spanier und Italiener überall den garstigen geschwänzten Teufel zu Hülfe rufen. — Die Griechen, glaube ich, hätten jene Dinge ganz anderen Geistern zugeschrieben und statt jener Teufels«omenclatur lieber Vacchushöhlcn, Dianenbrücken, Vulkansmauern, Eilenenfclsen und 3iymphensprü»ge gehabt. Wie viel schöner und heiterer sind die Vorstellungen und Geschichten, die solchen Benennungen zum Grunde liegen, als die Werke des überall spukenden Teufels! Und nun gar, was für ein abscheulicher Aberglaube, das zierliche bunte Kleid der Iris zu fürchten und Unheil für die Gegend zu prophezeien, über deren Fluren diese liebliche Göttin hin wallte. Ich möchte wissen, aus welcher verkehrten Phantasie- und Betrachtungsweise der Natur dieser Aberglaube entsprossen sei. Steckt so etwas Finsteres im nordischen Vlute? Lehrt uns nicht die Bibel selbst den Regenbogen als einen herrlichen Voten deö Fnedens zu betrachten? Unter diesen Gesprächen hatten mein Franzose und lch unsere Reisegesellschaft etwas aus dem Gesichte verloren, und plötzlich fanden wir uns nach einiger Zeit ilemllch allein. Wir horchten, und auf einmal vcruahm 24 ich zuerst die entfernten Stimmen und Tritte. Als ich darauf bemerkte: „Wir sind recht, ich höre sie kom< men!" rief er, mit mir weiter gehend, ganz erstaunt aus.- „Wahrhaftig, Sie haben gute Ohren. Ich hörte wirklich gar nichts! In der That ich bewunderte schon oft die feinen Sinne der race» primitive». Denn ich reiste früher in Nordamerika und habe dort merkwürdige Beispiele bei den Indianern davon erlebt!" Dann erzählte er mir viele Erempel von Wilden, die etwas hörten und sahen, was seine von uralter Cultur geschwächten und verklebten Augen und Ohren nicht wahrnahmen. „Die Cultur," schloß er dann, „schwächt ullsere Sinne, denn sie führt uns tiefer und tiefer in die geistigen Gebiete. Die i-ace« primitive» leben den Thieren gleich in inniger Gemeinschaft mit der Natur in den Wäldern und Feldern und haben daher Nasen wie die Hunde, Augen wie die Luchse und Ohren wie die Löwen!" — Ich blickte mich, während mein Franzose so redete, in den Tannenwäldern, die wir passirten, um und sah, daß sie wild genug waren, um einige Stämme von den race» primitive» zu beherbergen. Es fehlte wenig, so hätte ich mir eingebildet, in den Augen des Franzosen ein Kind dieser Stämme zu sein, doch betastete ich meine Ohren und fand zu meinem Glücke in ihnen ganz reine und unbehaarte Culturglieder, mit denen ich dann noch manche Klagen vernehmen mußte über die kurzen Betten und die schmalen Bettdecken der Deutschen (offenbar ein Zeichen dcr Primitivität ihrer Race, denn die Irokese» 25 haben auch nur kleine oder gar keine Betten, und die größten Betten sind in den Culturländern Italien und Frankreich), über die auffallend schlechten Zähne der deutschen Damm (das würde nun wieder für die NichtPrimitivität ihrer Nace zeugen), dann über das schlechte iwt an pmiiet, das man ihm im Teplitzer Nirthshause bereitet hatte, (wieder ein Zeugniß für die Primitivität, denn dieß fade, nüchterne Culturgetränk weiß man nur in der Capitale der europaischen Bildung, in Paris, richtig zu mischen) nnd endlich über den tiefen und krassen Aber-, Gespenster- und Geisterglauben, in den die Deutschen versunken seien. Es war indeß stockfinstere Nacht geworden, noch ehe wir das kleine Gebirgödörfchen erreichten, wo unser Wagen auf uns wartete, und da die anderen Gefährten vorausgeeilt waren, so wurde meinem Franzosen bange, wir möchte» den Weg verlieren. Ich sagte ihm "ber, er möchte sich auf meinen primitiven Geruch vereisen. Ich könnte den rechten Weg auch allenfalls wie "n Irokese herausricchcn. Auf diese Weise kamen wir denn auch richtig zu unserer Kutsche und fuhren nach Haufe. Am anderen Morgen putzte sich wieder ein heiterer ^wsetag heraus, den wir zu einer anderen Ausfahrt m d.e Umgegend von Teplitz benutzten. Es giebt Men. 'chen genug, die keinen Postwagen anschirren, keinen armen rchenden Handwcrksburschen vorübcrwandcln sehen in'?V.^"° ^" """ ^ssl" poetischen Sehnsucht vl« Fcr„e ergriffen zu werden. Die wandernden 29 Wolken, die flatternden Vögel, die segelnden Schiffe, die pilgernden Sterne, der schiffende Mond, alle unsteten und fessel- und wurzellose Dinge haben einen ungemeinen Reiz für diese Menschen, die gewöhnlich solche sind, welche sich durch irgend ein unlösbares Vand an irgend einen Fleck des Erdbodens gefesselt sehen. Auf unseren leichten Reisewagen, auf unseren rothwamsigen österreichischen Postillon, dessen Hörnerklang fur die, welche die Wolken beneiden, wie ein Mendelson'sches Lied ohne Worte klingen nmsite, und auf unser wundervolles Reisewetter würden sie mit besonderem Neide gesehen haben. Äußer elnem werthen Freunde — wenn «tan einen solchen bei sich hat, muß man auf Reisen mit der Gesellschaft nie zu wählerisch sein — waren auch ein paar Nationalböhmen aus Prag mit von der Partie. Sie erzählten uns viel von böhmischen Nationalbestrebungen, von der gelehrten böhmischen Gesellschaft in Prag und von den nationalböhmischen Ballen, welche die Patrioten im vorigen Winter dort gegeben hätten. Es war dabei der Vall-saal mit den böhmischen Farben, Weiß und Roth, geschmückt. Es dnrfte nur böhmisch gesprochen werden. Das Deutsche war verpönt. Anch alle Eintretenden wurden von den Entrepreneurs in böhmischer Sprache begrüßt, in derjenigen Sprache, die man noch vor nicht gar entlegener Zeit allgemein in Böhmen selbst blos die „Vauernsprache" nannte. Auch die Ankündigung des Balles sollte blos in böhmischer Sprache geschehen. Hierzn konnte man jedoch nicht die Erlanbnisi 27 ber Polizei erhalten, welche im Gegentheile verlangte, ^ solle, wie alle Ankündigungen in Böhmen, in deutscher und böhmischer Sprache zugleich geschehen. — Daß bie Tschechen indeß auch außer solchen Ankündigungen sehr häufig das Deutsche und Tschechische mischen, hatte ich auch in dem Gespräche dieser meiner Reisegefährten zu bemerken Gelegenheit. So kam z. V. eiumal folgende Redensart vor: „6a ^sem kil na Obstmarku » kl'I»il wn schweixi«" (ich war selbst auf dem Obstmarkte und kaufte dort Weichselkirschen). Nach dem Sprüchworte: „eine Gule nach Athen bringen," könnte man wohl mit Recht Alles, was ich noch über Dur und Osseg sagen möchte, für lauter Eulengeschrei halten. Ich habe daher auch keinesweges die Absicht, noch einmal eine Beschreibung dieser herrlichen Schlösser zu liefern, und will mich nur kurz fassen über Einiges, waö mir dort auffiel und was ich in anderen Schilderungen nicht, erwähnt gefunden habe. Wir besuchten zuerst das Kloster Osseg. Es ist eines der ältesten in Böhmen. Mehre Theile deö Gebäudes stammen noch aus dem Jahre 1196. In den Kreuzssängen und Corridoren der Klöster pflegt man gewöhnlich eine Menge von Bildern zu finden, die sich "uf die Geschichte des Ordens, dem das Kloster ange-^ort, und auf die fromme Wirksamkeit seiner Mitglieder bez'chen. Gewöhnlich sieht man z. V. da einen Stamm-°aum ^ Klöster des Ordens, — Wunderbegeben-""en und Wnnderverrichtungen von Aebtcn «nd Mön- 28 Hen, — die Portraits der Stifter und Beschützer des Klosters, zuweilen auch die Portraits der Päpste, die aus diesem Orden hervorgingen. Hier in Osseg kann man z. V. die sechs Papste kennen lernen, welche Ei-sterziensennönche waren. Von den großen Oelgemälden interessirten mich besonders drei, das eine, welches einen gelehrten Franzosen Namens Alanus aus Paris vorstellte, wie er als Schafhirt in einer einsamen Waldgegend mitten unter seiner Herde sitzt. Als Blüthe aller Weisheit und Wissenschaft hatte er nämlich gefunden, daß der Mensch nur bei den einfachsten Beschäftigungen das vollkommenste Glück erreichen könne, und er war von einem gelehrten Doctor ein philosophirender Schafhirt geworden. — Das andere präsmtirte den Abt Erro von Armcntaria, wie er in den Wald gcht, um über den ihm unerklärlichen Satz nachzudenken, daß vor dem Herrn die Jahre dahingehen wie Augenblicke und die Jahrhunderte vorüberziehen wie Gedanken. Als er in den Wald kam, flatterte ein Vogel vor ihm her, dessen zauberischer Gesang ihn so entzückte, daß er ihm immer tiefer und tiefer in den Wald hineinfolgte. Als der Vogel feinen Gesang geendet hatte, bedauerte er es, und seine Kürze beklagend, ging er aus dem Walde nach Hause zurück. Zu seiner Verwunderung fand er hier indeß Alles verändert, sein altes Kloster lag in Ruinen, ein neues war daneben erbaut. Er kannte die Leute nicht, die darin wohnten, und sie kannten ihn nicht. Er fragte.' wie, wo und warum? und erfuhr, daß man jetzt das Jahr deS Herrn 1367 schreibe, während er im Jahre 1167 ausgegangen war, daß er also 200 Jahre lang dem Vogclgesauge gehorcht habe. Da erkannte er die Wahrheit des biblischen Spruches nud bat Gott, ihn zum Himmel emporzunehmen. — Auf einem dritten Nilde war cin anderer Cistcrzienser, Namens Daniel, zu sehen, der in seiner Einsamkeit so eifrig nild gern in den Büchern las und stndirte, daß die Flammen seines heiligen Eifers ihm als kleine leuchtende Lichterchcn zu den Fingerspitzen hervorschlngen. Wie kleine Talglichter hielt er daher die brennenden Finger zu seinem Buche, um sich damit zu leuchten. — In der That giebt es gewiß eine solche selbstleuchtende Kraft in dein menschlichen Geiste, die ihm auch ohne alleS Licht fremder Belehrung die tiefen Geheimnisse Gottes klar macht, aber die Sache ist hier vom Erfinder jeneö Gemäldes etwas komisch dargestellt. Es sieht fast so aus, als wolle er sich darüber lustig machen. In der eigentlichen Bildergalerie in den oberen Zimmern des Klosters interessirten uns vor Allem zwei Portraits, die von Luther und Melanchthon. Sie wa« ren auf H^z gß,„alt und mit dem Zeichen Albrecht Dürer's versehen. Luther schenkte sie seiner Schwester,-welche Nonne in einem Kloster in der Lausitz war und auch bis an ihr Lebensende Katholikin blieb. Dieses lausitzer Kloster hängt noch jetzt von Osseg ab, und so kam das Bild hierher. In dem reizenden Parke der Zisterzienser genossen wir die wundervollsten Aussichten "'s Vilathal, und in den kleinen Karpfenteichen des M Blumengartens lockten wir hundert fette Karpfen mit ein paar Vrodkrümchen an die Oberflache. Der uns begleitende Mönch erzählte unS, dieß seien nur dle kleinen Wasserbehälter, welche das tägliche Bedürfniß cnt« hielten, die eigentlichen grosien Fischteiche seien weiterhin. Er sagte, daß 24 Dörfer dem Kloster gehörten, und dann hätte der Abt für sich aNein noch die Re-venueen einer Herrschaft mit sechs Dörfern. Oleich hinter dem Erzgebirge findet man Dinge, die man von hier bis zum norwegischen Nordtap und noch weiter hin vergebens sucht. Im ganzen nördlichen Europa kennt man ein solches wohlhabendes, reiches, schönes und auch wohlthätiges Kloster nur aus den Romanen. Hier greift man'S mit den Handen. Der jetzige Abt von Offeg, Herr SalcsiuS Krüger, soll einer der ausgezeichnetsten und liebenswürdigsten Menschen sein. Wir wurden seines Anblickes leider nur in dem schönen Vilde theilhaftig, das Prof. Vogel von ihm entworfen hat. Kloster Offeg liegt unmittelbar am Fuße des Crz-gebirgeS. Nach dem Waldstcm'schcn Schlosse und Städtchen Dur fährt man in der Gbene hinab. Die Kunst-schätze dieseS Schlosses sind höchst interessant und lassen sich um so reizender genießen, da sich hier nicht wie etwa in den Sammlungen einer deutschen Universität Alles nur der strengen Wissenschaft und der Vollständigkeit des Systems wegen da befindet. Schöne Treppen- , gänge und mit Blumen geschmückte Corridore führen zu ß den Zimmerabtheilungen. Die Gemälde hängen zum M ^heil in den Wohnzimmern der Schloßherren, u»d die Divans und Sophas deuten an, daß sie täglich mit Muße und Gemüthlichkeit genossen werden. Die Na« Wralicnsammlung steht auf dem böhmischen Grunde und Voden selbst, dem die meisten ihrer Gegenstände ent< no»nmcn sind. Der Waffcnsaal steht in unmittelbarer Beziehung mit dem Schlosse und den Schloßherren, und die Bibliothek tst in Verbindung mit den Kabinetten ihrer Besitzer. Nie verwaist erscheinen schöne Gemälde sonst oft in öffentlichen Sammllmgcn, wie gesucht und außer Zusammenhang die Alterthümer und Bildsäulen. In einem solchen Schlosse steht Alles an seinem Platze und im Zusammenhange mit den Menschen, dem Ge-« bäude und den herrlichen Gärten und Landschaften draußen. Die Portraits des Herzogs von Friedland von Van Dyk sind wohl die interessantesten Bilder in der Ga« lerie, und wenn auch einem Reisenden alle die Netschers, Dows und Rubens, die er ebenfalls hier zu sehen bekommt, in den Massen von Nctschers, Dows und Rubeus, die er schon anderswo auffassen mußte, wieder verschwinden sollten, so wird er sich doch gewiß stets der Züge Wallcnstein'ö erinnern, die er so nur hier zu sehen bekam. Der Herzog ist zweimal da, einmal als junger Mann und einmal als ergrauter .Krieger. Der Vergleich beider Bilder ist höchst interessant. Blondes, etwas gekräuseltes Haar, von dem «ine kleine Locke auf die Stirn herabfällt, ein zierlicher, "icht fthr voller Schnurrbart, dem er eben recht sorg« 32 fältig einen kühnen Dreh nach oben gegeben zu haben scheint, so daß er beinahe eine in sich selbst zurücklaufende Kreislinie beschreibt, ein etwas längliches Gesicht, schöne helle, ich glaube, blaue Augen und eine edle lange Nase zeichnen dcn jungen Mann ans, über den sich ein blauer, wolkenloser Himmel wölbt. Dieselben edlen, aber mehr geharteten Grundzügc bei'm alten Nal-lenstein. Die glatte Haut ist in eine unzählige Menge von Falte» zerfetzt. Kleine feine Risse nur, aber doch die Zeugen großer Leidenschaften und bunter Schicksale. Der buschige Wald der Haare ist gelichtet, und der Schnurr-bart hat seinen zierlichen Vogen zu beschreiben verges« sen, in einzelnen steifen Linien starren die Härchen wild durch einander, ganz wie die Värte, mit denen Netzsch in seinen Skizzen soviel Effect hervorbringt. Zornig und gebieterisch blickt das alte, wie die Rinde einer Eiche verwitterte Gesicht heraus. Das Schwert ist halb gezogen, als sollte es eben zum Kampfe gehen. Trübe zerrissene Wolken hängen am Himmel entweder als Reste der soeben ausgebraustcn Gewitter oder als zu neuen Schlachten und Entladungen angeworbene Truppen. Der blaue Himmel der Jugend hat sich nie wieder über dem Herzoge hergestellt, wie es sonst den Alten nach den durchgekämpften Schlachten des Lebens zu ergehen Pflegt, sondern mitten in dem unaufgehcllten Dunkel stiller Lebensatmosphäre hat er einen trüben Untergang gefunden. Man bewahrt auf dem Schlosse Dur noch ein Stück des Schädels von Walleustein auf, das man nach dem Gall'schm Systeme untersucht hat. Alle auf» »3 gefundene Protuberanzen sind «lit Nummern bezeichnet, denen die entdeckten Eigenschaften beigeschriebcn stehen. Man sieht darunter: 6) Festigkeit, 7) Schlauheit, 18) Kühnheit, 19) Vedenklichkeit, 20) Eitelkeit, 21) Stolz und Ruhmsucht. Auch zeigt man noch die Partisane, Mit der er erstochen wurde, sowie seinen gestickten Hemds-kragcn, der mit dem Vlutc seiner Todeöwunde besteckt wurde, endlich auch einen Brief von ihm, in welchem er einige Vürger hinzurichten befiehlt, die gegen den Kaiser gedient haben. Eine Copic seiner Unterschrift sieht so aus: Auch das Vild seiner ersten schönen Gemahlin hangt neben dem Portrait des jungen Herzogs. Es ist dieß ein so reizendes Vild, ein so schöncö Gesicht, daß jeder Vc-trachtcr seine Augen schwer davon wegbringt, und für böhmische Frauenschönhcit ist es ein Typus, den jeder Ethnograph auswendig lernen und sich tief einprägen kann. Er wird später überall diese dunkelen großcu Augen, diesen reizenden, nicht allzufeurig blühenden Teint, dieses schöne Kopfoval, dieß schwarze Haar, diesen etwas melancholischen Ausdruck, dieß weiche und doch feurige Wesen wiederfinden. In dem großen Familiensaale zeigte uns unser ,. 3 Führer dam« noch einige Darstellungen aus dem „spanischen Sectionskriege," (er meinte den Succesiouskricg) machte uns später auf das hübsche Portrait, ich weiß nicht mchrwel^ cher Fürstin aufmerksam, indem er bemerkte, wenn wir die Dame einmal selbst sehen sollten, würden wir wohl finden, „daß sie sich sehr verloren habe," und entließ uns dann, nachdem er uns aufgefordert hatte, doch auch einmal dem jetzigen Besitzer von Dur qelegenhcitlich unsere Aufwartung zu machen, mit der Versicherung, daß der Graf sehr hervorkommend gegen Fremde sei. Von Tcplitz nach Prag. 33on Teplitz aus schwingt man sich zunächst über das Mittelgebirge. Ein böhmischer Vogel braucht dazu drei Minuten, ein böhmischer Landkutscher drei Stunden. Jenseits des Gebirges steigt man dann in eine Ebene hinab, das sumpfige Land, in dem Gbe und Eger sich vereinigen. Wie die Gewässer, so fallen auch die Ve-^ölkerungsströmungen zusammen, und es liegen hier drei berühmte böhmische Städte so nahe wie Dörfer bei einander, nämlich Lobositz, Leitmeritz und Theresicnstadt. Das erste sieht man in der Nahe und erkennt es als eine comfortlosc Iudenstadt, das zweite erblickt man nur aus der Ferne, und es erscheint Einem als stattlicher Fa< brikort', das dritte aber besieht man sich genauer, denn es ist die wichtigste böhmische Festung und die Station des Frühstücks für die von Teplitz früh Aufgebrochenen-Der Bau von Theresimstadt wurde nicht von Maria Theresia vollendet, sondern ihr zu Ehren von Io< 3* 36 seph. Es ist cine starke Festung, welche Sümpfe rings umgeben. Sie ist daher auch noch cine Jungfrau, obwohl schon über 6N Jahre alt. Noch nie ward sie erobert. Im Jahre 1^13 freite Napoleon nach ihr. Sein Vraut« Werber, der Marschall Vandammc, war anf den« bcßtcn Wege hierher. Vr kam auch richtig an, aber nicht als Triumphator, wie er dachte, sondern als Kriegsgefangener. Die Bänder und Gewänder dieser Jungfrau müsse» schon enorme Summen gekostet haben, denn sie hat Mes in, beßten Stande. Doch lohnt sich's bei ihr auch der Mühe, denn ihr Vrautschatz ist das ganze nördliche Böhmen, daS sicherlich dem zufällt, der ihren Gürtel löst. Auch der Perlenschatz, den diese Braut besitzt, ist groß. Wir sahen große Haufen ncugegosse-ncr Vomben und Granaten auf den öffentlichen Platzen geordnet. Bei den Fcstnngsgcfangencn in Thcrcsienstadt bc-mcrkte ich, wie man vorsichtige Maßregeln genommen hatte, um ihnen den Druck und das Gewicht der schweren ssußkettcn zu erleichtern. An die dicken eisernen Ringe, welche lose um die untere Wade schlotterten, hatte man nämlich noch einen ledernen Riemen gebunden, der an einem breiten Bande über dem Kniee angeschnallt war und so die Ketten und Ringe trug. Es ist dieß eine kleine wohlthätige Erfindung, die überall nachgeahmt zu werden verdiente, wo man der Meinung ist, daß die Gefangenen nur deS Festhalten«, nicht aber einer ewigen schrecklichen Tortur wegen mit Ketten belastet werden. Es giebt noch Gegenden genug in Europa, wo man nicht darnach sieht, ob die Fußringe, auf dem Fußgelenke lastend, einschneiden oder nicht. Vielleicht hat schon Mancher in solchen Gegenden darauf gedacht, wie diesem Uebelstande abzuhelfen sei, ohne daß er auf den Emfall kam, jenen Riemen anzuwenden, der so einfach aus der Noth hilft. Ich glaube daher, daß jeder Menschenfreund sein Möglichstes thun müsse, um denselben den Gefängnißaufschern bekannt zu machen. Es ist merkwürdig, daß die letzte Stadt im Eger-thalc (Theresienstadt), wie die erste (Eger), eine Festung ist. Diese vertheidigt die Quellen, wie jene die Mündung. Das Thal, welches von der einen dieser Städte znr anderen sich hin erstreckt, ist der schönste und auch der in Europa bekannteste Theil von Böhmen. Er ist größtenthcils von Deutschen bewohnt, und das Sprüchwort, das man von den böhmischen Dörfern hat, paßt hier nicht. Gs giebt hier vielmehr manche Dörfer, die so berühmt sind, daß sie Jeder, der sich für einen gereiften Mann ausgeben will, kennen muß. Eö sind die viel beschauten Gegenden des Leitmeritzer, Saatzer und Elnbogener Kreises. Auf der einen Seite gränzen diese orci Kreise gegen Sachsen, und nur mit ihren südöstlichen Enden tauchen sie in Stockböhmen hinein. Im Ganzen hat Vöhmen sechszchn Kreise, von denen drei andere noch mit Schlesien, wieder drei mit Vaicrn und abermals drei mit Mahren gränzen. Ebenfalls drel liegen im innersten Kerne des Landes, ohne eine Gränze zu berühren, und nur einer, der Vudweiser Kreis, stößt au Oesterreich. Nein stockböhmisch sind nur die drei. 38 innersten Kreise. Die sämmtlichen anderen Kreise theilen sich in eine stockböhmische und eine deutsche Hälfte. Rein stockdeutsch ist die Grundbevölkerung von keinem. Die am stärksten bevölkerten sind die drei nach Schlesien fallenden Kreise, wo über 6000 Menschen auf die Qna-dratmcile kommen, in der Königingrätzer Gegend sogar 6900. Die am schwächsten bevölkerten Gegenden des Landes sind die südlichen, der Vudwciscr Kreis, der nur 2800 Menschen auf der Quadratmcile hat, dann die Gegenden des Vöhmer-WaldcS und der mährischen Ge« blrge. Die Kreise deö Kgerthales stehen i» der Mitte ,md haben im Durchschnitte 4000 bis 5000 Menschen auf der Quadratmeile. So verschieden wie die Vevöl-kerungs quantitat in den verschiedenen Gegenden Böhmens ist, so verschieden ist auch ihre Qualität. Im Norden und Nordosten, in den schlesischen und sächsischen Krei, sen ist die Industrie zu Haust, und cs wimmelt hier von Fabriken und industriellen Unternehmungen aller möglichen Art. Im Süden und Südwesten giebt es mehr Viehzucht und Ackerbau. Wie außerordentlich der Unterschied sein musi, bezeichnet am beßtcn das Verhältniß des Tagelohns in den verschiedenen Gegenden. Während derselbe im Norden, im Leitmeritzer Kreise, für einen gewöhnlichen Arbeitsmann 5 bis 7 Groschen betrug, stand er im Süden, im Taborner Kreise, auf 2 bis 4 Groschen. Es waren dieß freilich nur die Zahlen zur Zeit meiner Anwesenheit, doch versicherten mir fündige Leute, mau könnte sie auch als coustante Durchschnittszahlen gelten lasse». 39 Ich hatte einen Stockböhmen znm Kutscher. Er sagte mir, als wir zur anderen Seite v«m Theresien« stadt wieder hinausfuhren, hier sei nun gar kein Deutscher mehr. „Aber bei Königingratz sind schon wieder die Deutschen, und bei Vudweis und hinter Pilsen sind auch schon wieder die Deutschen. Die Deutschen gucken rund herum in's Vöhmenland hinein." Ich erinnerte mich hier, daß dichö Land auch zum deutschen Bunde gehöre, und zerbrach mir den Kopf darüber, was die Leute hier wohl vom deutschen Vuude denken möchten. Es wollte mir aber nicht gelingen, ihnen in irgend einer Sprache eine» Vegriff von Dem zu machen, was ich meinte. Und ich glaube, die Leute wissen hier erstaunt wenig von: deutschen Bunde, dessen Mitglieder sie sind. Sollten wohl von den drei Millionen Stockböhmen, die es giebt, etwa 100,000 oder 10,000, ein Dritttheil oder ein Zehntheil oder etwa ein Hundert« theil den Namen des deutschell Bundes einmal haben nennen hören? — Ich sah einmal einen Vöhmcn, der ganz außer sich gerieth vor Aerger, als er in einem deutschen Vuche folgende Stelle las: „Eine der schön« sten Städte Deutschlands ist Prag." — Derselbe Böhme fragte mich, ob in dem deutschen Liede: „Was ist des Deutschen Vaterland? ist's Preußenland? ist's Schwabenland?" nicht auch das Vöhmenland mit genannt sei, und er beruhigte sich nicht eher, als bis ich es ihm gedruckt wies, daß dieses Land nicht darunter stehe. Derselbe Böhme sagte mir auch, der Deutsche verdiene in der That den Namen, den er in einigen slavische» M Gegenden trage: „der deutsche Kuckuck." Denn alle die unzähligen Ortschaften auf „itz" (Staditz, Kasitz, Reck-nltz ic. il. ic.), die von Böhmen aus durch Sachsen bis an die Ostsee gingen, das seien eigentlich lauter slavische Mcistnuester, in die der deutsche Kuckuck seine Vier gelegt. Ich, Kuckuck, wäre beinahe mit der slavischen Meise in einen harten Disput gerathen, besonders als diese mir dazu noch versicherte, daß ein anderer gewöhnlicher Titel, den der Deutsche bei den Böhmen bekäme, auch noch der wäre: „deutscher Käfer" („?^e- Die böhmischen Dörfer, die wir hinter Theresien-stadt passirten, brauche ich nicht erst zu beschreiben. Denn obgleich es in ganz Deutschland heißt: „Dieß ist mir so unbekannt wle die böhmischen Dörfer," so ist doch Jedermann schon aus hundert Klageliedern von Reisenden über ihr Aussehen berichtet. Ich will hier die Elegieen über böhmischen Schmuz und unordentliche Wirthschaft nicht wiederholen. Denn leider, kenne ich auch in Deutschland Gegenden und Striche, wo die ganze Bevölkerung in ziemlich argem Schmuze lebt. — Mich iuteressirten in jenen Dörfern insbesondere die eigenthümlichen kleinen Krambuden, die wir auf jedem Markte errichtet fanden, und ihre slavisch« deutschen Waaren und Waarcnnamen. Sie nennen eine solche' Vude „Kramet" (von dem deutschen Worte Kram) und haben darin zum Verkaufe ein Häufchen geschmackloser Birnen, cm Tcllerchcu voll snurer Kirschen und zur Ausschmückung daneben ein Töpfchcu mit Blumen, dann „Münsemel" (Mundfemmcl), das Stück um „Zweikreizer" (zwei Kreuzer) und endlich noch dle beliebten böhmischen Vrodformen: „Vandur" und „Noch-litschck." — Solche „Kramcks" findet man auf jeder Station, und gewöhnlich sitzt ein altes stilles Männchen lm dunkelen Hintergründe der Bude. Durch vergleichsweise mit der Leitmeritzcr Gegend ziemlich ödes und schlecht bebautes Land kamen wir endlich bei Ncltrus an den böhmischen Hauptfluß, die Moldau. Von Weitem sieht man die Münduugöcapitale der Moldau, Melnik, liegen, das berühmt ist durch seinen Hopfen und seinen Wein. Der Hopfcnruhm ist aber alter, denn die Stadt hat selbst den Namen davon. „Mel" heißt dcr Hopfen und Mclnik also ungefähr soviel als die „Hopfenstadt." Den Wein soll hier erst der Kaiser Carl IV. oder, wie die Böhmen ihn nennen, König Carl I. angepflanzt haben, was beinahe unglaublich klingt. Denn die Weinrebe ist danach an dcr Donau und am Rheine über IWl) Jahre älter als an der Elbe. Der Melniker rothe Wein ist der beßte von allen Elbweinen, die freilich in Bezug aus Quantität wie auf Qualität sich zu den Rhein- und Donauwcinen wie 1 : 16 verhalten. Von Melnit die Elbe hinab über Aussig, wo die zweite böhmische Weinqualität zu finden ist, wird es immer schlechter mit dem Weinbaue, bis er sich unterhalb Meißen ganz verliert, und eben so geht es über Prag hinaus stromaufwärts. Neberhaupi sind bei fast allen Strömen deS mitt- «3 leren Europas die wichtigsten Wclnbaugegenden in ihrem mittleren Laufe zu suchen, so bei'm Rheine, bei der Donau, der Elbe, der Loire, der Garonne u. Uebcrall sind die Quellengcgenden und die Mülldungslandschaften ohne den Schmuck der Rebe. Im östlichen Europa ist es anders; denn hier sind bei'm Dniepr, Dniestr, Don lc. blos die Mündungen mit Reben bekränzt. Auf der pyrcnaischen Halbinsel befinden sich die trefflichsten Weingegenden an der Meeresküste, und in Griechenland auf den Inseln. Daß vorzugsweise gerade die Ufer der Flusse und die Küsten der Meere der Sitz der Neben sind, erklärt sich zum Theil wohl ganz natürlich daher, daß hier sich Hügelgelande besonders bequem darboten. Daß es unter den Flüssen aber besonders die großen Ströme sind, mag wohl ebenfallö in einem causalen Zusammenhange init der Natur derselben stehen. Wie Carl der Vierte den Bacchus nach Böhmen brachte, so führte er auch die Musen hier ein. Denn er pflanzte »mch de» alten, noch grünenden Rebstock der Universität in Prag. „llnter ihm legten die Tschechen," wie die böhmischen Geschichtschreiber sagen/ „den Rest ihrer rohen Sitten fast ganz ab. Sie hatten damals die gelehrtesten Leute und die größten Staatsmänner unter sich und waren mit einen: Worte die herrschende Nation in Europa, so daß man es für einen besonderen Vorzug hielt, ein geborener Vöhme zu sein." Wenn dieß wahr ist, so hat sich das Matt später gewaltig gewendet. Denn nach den jetzt herrschenden 43 Ansichten oder Vorurthcilen möchte sich wohl Niemand irgendwo, außer Oesterreich, noch damit empfehlen, daß er sich für einen Stockböhmen auögebe, seitdem dieser Name durch die böhmischen Dörfer und durch die Zigeuner, die nicht blos in Frankreich und England, sondern auch in einigen Theilen Deutschlands*) Böhmen gcnaunt werden, in Misicrcdit gekommen ist. Die Herrschaft Wcltrus gehört den Grafen von Chotek, von denen einer jetzt die oberste Stelle in Böhmen bekleidet. Früher war hier eine stehende Vrücke. Doch wurde sie vor langen Jahren von der Moldau zerstört, und seitdem hat man sich mit einer fliegenden behelfen. Um einen der alten Brückenpfeiler hat man daS Ankcrtau dieser fliegenden Brücke geschlungen. In diesem Falle ist das Uebergehen vom Stehen zum Fliegen kein Fortschritt, und ich begreift nicht, wie man auf dieser großen Landstraße noch auf eine so altcrthümliche Weise über einen Fluß setzen kann. Ein paar böhmische Harfner stiegen mit uns auf das Floß, und so wie dieses abstieß und von den anschlagenden Wellen fortgeschaukelt wurde, fingen sie an zu spielen mid zu singen. Ich bedauerte von Herzen, daß Schloß Weltrus so ganz unter Bäumen versteckt war, daß wir auch nicht einen Schornsteinzipfel davon sehen konnten; wir hatten sonst gewiß irgend eine romantische Begebenheit auö der alten Runenschrift *) In Hannover pflegte man sonst, als Zigeuner hier noch häufiger sich zeigten, von ihrem wunderlichen deutschen Dialekte zu sagen: ,,sie «den böhmisch." M seiner Steine gelesen. Auch in Prag bin ich später noch zweimal bei der gewöhnliche» Flußsahrc mit Musik über den Fluß gesetzt. Ich erinnere mich nicht, daß mir dieß noch sonst in irgend einem Lande pafsirt sei. Es kommt dieß auf Rechnung der böhmischen Musikliebe. Der Uebcrgang über die Moldau bei Weltrus ist durchaus keine Abkürzung der Straße. Er führt vielmehr einen Umweg herbei. Denn, auf der linken Seite der Moldau bleibend, könnte man weit schneller nach Prag gelangen. Allein über ein Viertel aller cinf diese Stadt hin zielenden Wege vereinigen sich bei dem nordöstlichen Thore derselben, dem sogenannten Porzizer Thore, und auch die Dresdener Straße eilt diesem Thore zu, zu welchem aNein beinahe so viele Fremde und Waaren ein- und ausgehen, wie zu allen übrigen sieben Thoren Prags zusammen; die Porzizcr Thorstraßcn führen gerade auch in die belebtesten Gegenden Böhmens, in den Rayon, der zwischen einem auf Krakau und einem auf Dresden gezogenen Radius liegt. Eg hat sich dieß ohne Zweifel so gemacht, weil Prag vou dieser Seite zuganglicher ist als von der Seite des Hrad-schins, und weil man von hicrauö leichter von der Hochebene, auf der man fahrt, in's tiefe Moldauthal hinabsteigt als dort. Die Stadttheile, die jenem, Sachs«» und Schlesien zugewendeten Thore nahe liegen, sind daher auch in neuerer Zeit mehr als alle anderen bebaut und ausgebaut worden, waö gewiß nicht be-deutlMgöloö erscheinen kann. 45 In Gesellschaft aller derjenigen Personen und Dinge, welche gerade um sieben Uhr Abends nm 23. Juli 1841 aus dem nördlichen «nd östlichen Böhmen, aus Sachsen, Preusien »nd Scandinavien, auS Schlesien, Polen „nd dein russischen Asien in Prag anzulangen bestimmt waren, rückten wir nun durch das besagte Porzizer Thor in die Prager Neustadt ein und legten uns dann unter dem schützenden Scepter des Bürgermeisters der Altstadt zur Ruhe. Der Wissehrad. Ileberall grünt und blüht es noch tn Prag von Ruinen nnb Monumenten alter nnd ältester Jahrhunderte. An seinen Straßen, in seinen Kirchen, auf seinen Fried-Höfen predigen hundert Dinge von der Geschichte des Landes und Volkes. Seine Paläste, seine unzähligen Thürme ragen wetteifernd einer über den anderen hinweg, auS früher und früherer Vorzeit hervor. Sogar von den Wänden der Wirthshäuser liest das Volk die Namen dcr ersten böhmischen Herzoge ab und erzahlt fich dabei ihre Geschichte. An einem großen Wirthshaus«, daS in der Nähe des Wisschrad auf dem Platze steht, wo ehemals die alten Herzoge begraben wurden, sieht man in grotesken Wandgemälden die Portraits der 6 ersten unter ihnen und dabei ihre Namen gcschrie-men: Przemiölus, — NezamiZlus, — Mnata, — Wogen, — Wratislav, — Wenzislaus. — Und zwar sind die Züge dieser längst vermoderten Herren 47 noch neuerdings wieder aufgefrischt worden. Mo wäre der Ort/ möchte man hierbei fragen, in Deutschland, wo es so von deutscher Geschichte lebte und webte, wie hier von tschechischer und wo die Deutschen daS für ihre großen Kaiser vollbrachte», Ivas hier die Böhmen für ihre kleinen Herzöge thaten und thun? Böhmen ist ein wundervoll von der Natur in sich abgeschlossenes Landganze. Der Zauberkreis, der eS umgkebt und der aus uralten, mächtigen, von den Titanen selber aufgestellten Hieroglyphen besteht, sind die Gebirge, die es in einem herrlich abgezirkelten Kranze umziehen. Nnd die Strahlen, die von diesem Zauber« kreise wachsend und wachsend ausgehen und sich in der Mitte zu einem mächtigen Knoten verschlingen, sind die aus Süden, Osten und Westen heranfließenden Ströme, an denen das Leben zum Centrum hinab und von ihm zu den Gränzlinien hinaufpulsirte. In d.er Mitte des Kreises und in der Nahe des Einigungsvuneteö der angedeuteten Kreisradien erheben sich die Hügel und Verge von Prag, an denen sich von jeher alle ge-» schichtlichen Bewegungen, die sich innerhalb des Kreises kundgaben, verewigten, entweder in neuen Gebäuden und Monumenten, wenn sie fruchtbringender Natur waren, oder in Schutt und Ruinen, wenn sie Verderben athmeten. Als unausweichlicher Mittelpunct eines von der Natur scharf gezeichneten und streng von anderen gesonderten Landerkreises, innerhalb dessen sich immer wieder von Neuem ein eigenthümliches politisches Leben gestaltete, ist Prag voll geworden mitRuinen und Palästen und alö sol» 48 chem auch kann man der Stadt eine noch fernere Vc-deutsamkeit für lange, kommende Jahrhunderte provhc-zeihen; und wenn ihre Hügel von den Sagen der Vorzeit Liebliches singen, so sind sie zugleich von prophetischen Stimmen der Zukunft gehcimnißvoll umflüstert. Der Hügel, von dem die älteste böhmische Geschichte spricht und auf dem die ersten böhmischen Herzoge thronten, ist der Wissehrad, von dem aus „Vates I^!,,,88»", die Prophetin Libussa, den zukünftigen Ruhm von Prag und seiner Größe verkündete, indem sie der Stadt weissagte, sie würde eine Sonne unter den Städten („»öl urliium") werden. Die alten böhmischen Chroniken nennen die Stadt daher auch eine Tochter der Libussa. „O du dreimal grosie Dreistadt, du Haupt des Erdkreises und Schmuck Vohemiens, du der schönen Libussa schönere Tochter!" (0 ter magna trini-1,8, trnirl)8 t>8 ca^nt, et clecu» Lolinniae! ^lllclirllc silia pniclii-ior I^dussaL!") So wurde die herrliche Stadt, in welche Carl IV. so verliebt war, daß er sie „einen Garten der Frendc nannte, in welchem die Könige sich vergnügten^ („Il<>i-t«,n -liciariim, in l» rosss!» liolicilirentur"), von dem alten Hammerschnlidt an ihrein tausendjährigen Geburtstage im Jahre 1723 angeredet, zu welchem Feste er seinen „pl-oclroinl,» Qioi-mo ?rn<;«n««" schrieb. Der Wissehrad ist ein oben flacher, rund herum schroffer Verg, dessen Plateau emen vortrefflichen Platz zum Anbau und zur Befestigung darbot. Der Hrad- 49 schin ist freilich höher alS der Wisfchrad und auch Pittoresker gelegen. Aber er wird von noch höher liegenden Vergcn beherrscht, und bevor man sich mit den Vefestigungswerken nicht so weit ausdehnen konnte, anch diese mit hineinzuziehen, war cr wenig zur Residenz der Herrscher geeignet, und es ist daher wohl natürlich, das, früher als der Hradschin der Wissthrad besetzt wurde, den Wiesen «Fi), denen Prag wahrscheinlich seinen Namen verdankt. Darf man glauben, daß die Phantasie der böhmischen Geschichts- und Sagenerzahler den Ort der Wahrheit gemäß schildern, so bildet die Pracht, die hier ehemals herrschte, mit dem Schütte und dem Staube, die jetzt ringsherum erscheinen, einen merkwürdigen Gegensatz. Denn hier, wo sonst der Mittelpunct dcS StadtlebenS war, ist jetzt das äußerste Ende der Prager Welt, und gerade die ärmlichsten Stadttheile liegen nun in der Nahe des verfallenen Wissehrad's, der vor der Einbildungskraft der Vöhmcn so herrlich dasteht. Auf der nördlichen Seite der „Hochburg" oder „Mropolis" (dieß ist die Bedeut» ung von Wissthrad) fließt der kleine Bach Votitz vorüber, jetzt ein schnulziges Gewässer, sonst aber, als be» deutungsvoll in dieser geographischen Position, in den «. 4 böhmischen Ländern vielfach besungen imd reich an Erinnerungen, Schlachten imd Thaten. Auf der ansiersten HalbinseWtzc zwischen dem Votitz und der Moldau, wo sich die herrlichste Anssicht ausPrag, das wiesenrciche Violdauthal und dlc cö umkränzenden Verge darbietet, mag auch der Sanger gestanden haben, der das alte böhmische Lied dichtete,- Wo ist mcin Hans? Wo ist mcmc 5^>cimath? Wasser ncsctt üba- dic Wiesen, Bäche murmeln über dir Fclsen. Ueberall blüht das Frühjahr und die Blumen. Es scheint cin irdisches Paradics, — Und dieß ist das schdne kand, Es ist Böhmen, mein Vaterland. Wo ist mein Haus? Wo ist meine Hcimath? Kennst du die Gegend, die Gott liebt? Wo die edle Scclc im Wohlgestalten Körper lcbt? Wo der hcllc Blick jede feindliche Kraft vernichtet? Das ist der Tschechen löblicher Stamm! Unter den Tschechen ist meine Heimath! Was mich betrifft, so war ich zweimal auf der Prager Hochburg, einmal in Begleitung eines hochgeachteten Oastfrenndcö, eines Präger Professors, der mit seiner gelehrten Kunde mir jeden Stein der Nmne deutete, und einmal in Vegleitung von ein paar ganz eigenen Leuten aus dem Volke, die mir mit bereiten» Munde jeden Vusch lebendig machten. Diese Menschen waren 5l der alte Joseph Tschack, der bereits seit 52 Jahren an der Kirche des Wisschrad angesteNt ist, und seine ebenfalls nicht mehr junge Tochter. Ich hatte dieses originelle Paar flüchtig schon bei meinem ersten Besuche kennen gelernt und es dann gebeten, am nächsten Sonntag Nachmittag zu Hause zu bleiben, wo ich noch einmal kommen wollte. Wenn ich gleich gestchen muß, daß ich mir in der Begleitung meines hochgeschätzten gelehrten Freundes ebenso wohlgcfiel, so habe ich doch Ursache, zu glauben, daß der Leser mich lieber mit dem Joseph Tschack und seiner Tochter sieht, weil sie die originellsten Führer sind, die ich je irgendwo gehabt zu haben mich entsinne. Früher war Joseph Tschack blos „PuNesant", d. h. Glockenlauter an der Kirche deö Wisschrader Stifts gewesen, spater wurde er Kirchendiener und tragt seit Ende deö vorigen Jahrhunderts einen rothe» Rock, der jetzt fast nicht minder verblichen und ergraut ist als die ehemals braune Farbe seiner Haare. Seine Tochter ist jetzt nach dem Tode der Mutter in deren Amt eingetreten und reinigt die Wäsche für die 8 ehrwürdigen Herren des Stiftes, sowie sie dann auch die Spitzen für die Altare und Heiligen der Kirche steift und plattet. Sie wohnen zusammen in einem kleinen Häuschen auf der Mitte des Plateaus der Hochburg, alls welcher sie soviel freien Platz habeu, daß man sagen kann, sie wohnen hier, wo cö 5)00 Jahre lang von Menschen wimmelte, in einer förmlichen Einode. Die Tochter ward hier oben unter Trümmern der Vorzeit a,c- 4' boren und erzogen, und der Vater hat seit einem halben Jahrhundert den Thürschließer und Zeichcndcuter für alle geringen wie hohen Leute gemacht, die den Wiffehrad besuchten, unter denen sich sogar mancher Kaiser und König befindet. Beide aber haben sich mit ihren Nilincn, dem einzigen Oegenstando ihrer Beschäftigung, so vertraut gemacht, so ganz sich in die Vergangenheit hiuübergelebt, daß sie nun selbst nicht den uninteressantesten Theil des Wissehrad ausmachen. Die „böhmische Chronik von Hajek", die „Glorie Prags von Hamiuerschmidt" und einige andere alte Historien haben sie auswendig gelernt; dann haben sie aufgehorcht, was die Leute, die Priester und Nachbarn vom Wissehrad erzählen, und Manches hier und da von ihrer eigenen Phantasie beigemischt. Kurz sie haben ganz so wie unsere Professoren verfahren und dann dieses Mirtum - Compositum allm ihren zahlreichen Zuhörern seit einem halben Jahrhundert vorgetragen. Niemand freilich hat es der Mühe werth gefunden, bei ihnen ein Collegienheft zu schreiben. Nichtsdestoweniger aber hat sich ihre Lehre weit verbreitet, und was der alte Stephan Tschack auf dem Wissehrad gesagt hat, darauf schwürt noch mancher Bauer, Bürger und Edelmann in nahen und fernen Landen. Ihre Erzählungen sind daher schon als eine Quelle selber der Sage interessant. Ich will es versuchen, sie in der eigenthümlichen Einkleidung, in welcher sie sie vortragen, möglichst treu wiederzugeben. „<5i »nein Gott, mein gnädiger Herr, da sind Sie 53 ja wirklich!" — so kam mir die Tochter des Joseph Tschcick entgegen, als ich in ihre Hütte an dem besprochenen Sonntage eintrat. Es wurde gerade an diesem Tage ein großes Fest der heiligen Anna gefeiert, und die ganze Stadt Prag taumelte in den Wirthshäusern, auf den Moldauinseln und Tanzsälen in Lust und in Freude. Dcr Wisschrad lag wie gewöhnlich einsam und vergessen daneben. Auf seinem kahlen, öden Scheitel wehte ein feuchter Wind, und viele zerrissene Wolken schifften eben vorüber und unter ihnen die Naben, die in großen Schaarm heimkehrend zur Stadt zogen; denn auch sie haben wie der Mensch ihre Nachtquartiere die Moldau etwas weiter abwärts verlegt. „Da sind Sie ja wirklich, mein lieber Herr. Soeben sitze ich da mit meinem Herrn Voat'r zusammen, und wir denken, weil heute Anncntag ist, an unsere liebe selige Frau Mutter Anna. Wir weinten eine Thräne und sahen zum Fenster hinaus. Da erblickt der Voat'r das St.-Iacobskirchlein da unten und spricht: morgen mußt du zu St. Jacob hinabgehen und der Mutter Anna eine Messe lesen lassen. Ja! sage ich und denke bei mir weiter: Die liebe Frau Mutter ist nun todt. Mcin Voat'r hat 45 Jahre mit ihr hier oben gelebt. Der Herr Voat'r selber ist alt. Freundschaft haben wir gar nicht. Wenn er stirbt, bist allein. Da denke ich, will ich dem Voat'r auch ein Gebet lesen lassen und auch selber den lieben Gott bitten, daß cö ihm gefallen möge, ihn n,ir noch lange zu lassen. Ist's nicht wahr, Ew. Gnoad'n, 64 ist's nicht gut, dasi ich das thue? Und schauen Sie, indem ich so denke, da kommen Sie da gerade herauf und spendiren sich den weiten Weg zu uns her. Ach mein Gott, Sie müssen sich ja ganz müde gelaufen haben. Setzen Sie sich doch a weng." Ich that dieß, denn in der That gefiel mir die häusliche Einrichtung des alten Pullcsanten sehr wohl. Sie bestand aus einigen antiken Möbeln, und die Wände waren mit Landkarten und Bildern geschmückt, unier denen auch eins den Wisschrad darstellte, wie er sich früher ausnahm. Er schien mir darnach sehr viel Aehnlichkeit mit dem Kreml von Moskau zu haben. — Auch eine Bibel fand ich bei ihnen, und ich äußerte ihnen darüber meine Freude. ,,Ja ja," sagte die Tochter, „darauf halten wir große Stücke. Der Jude hat uns schon zwei Gulden Conventionsmünze dafür geboten. Aber der Herr Voat'r spricht: Wir wollen sie nicht weggeben. Der Hinrich, meines Bruders Sohn, hat Kinder, die können sie noch einmal brauchen, wenn wir einmal nicht mehr lesen. Gelten's, Herr Voat'r, so ist es?'' — „Ja ja," sagte der Alte, „i geb's holt nit wek, daS Vuch!" Ich lobte sie dafür nach bcßten Kräften und bestärkte sie in ihrem Vorsatze, und dann gingen wir alle drei zur Besichtigung des Wissehrads, den ich nicht bloß fthen wollte, wie er ist, sondern auch, wie er sich in der Phantasie dieser Leute im Spicgclbilde zeigt. „Es ist hier holt noch wenig von der früherm Zeit übnggeblicben," hob der Alte an, „und selbst von 55 dem Wenigen weiß man nicht mehr, was es Alles bedeutet. Denn schon der alte Hammcrschmidt sagt zu seiner Zeit: Es soll dieß sein, cs soll jenes sein. -^- Man sagt und man vermuthet. Und jetzt mag's nun noch schlimmer damit stehen. Aber wir wollen Ihnen nichts zeigen, als was g'wieß ist. Und zunächst und vor allen Dingen ist das diese Kirche, die sonst dem heiligen St. Veit, spater aber dem Petrus gewidmet war. Alle Krieger, die hier das andere Mauerwcrk umwarfen, müssen doch noch wohl ein wenig Respect uor dem Got-teshause gehabt haben, und so ist eö denn länger stehen geblieben als alles Uebrige." Die zitternden Hände und die klirrenden Schlüssel des Alten arbeiteten ein wenig an der wackelnden Thüre der Kirche, und wir traten ein. Es ist ein seit uralten Jahren der Gottheit geweihter Platz. In der Heidenzeit stand hier ein Tempel des slauifcken Kriegsgottes Swantowid. Ihm wie auch dem Sauet Veit, war ein Hahn heilig, und so machte sich die Ueber-tragung der Stelle von dem einen auf den andern leicht, und zwar um so leichter, da auch der Name Swantowid mit dem des Sanct Vit so ziemlich stimmte. Die Kirche wnrde von dem ersten Könige Böhmens Wratislaw gebaut und IW8 vollendet, später nach einer Zerstörung durch die Hussiten wieder hergestellt. Die Hussttcn mochten noch mehr an ihrem geweihten Gemäuer gewüthet haben als selbst der Teufel, der ihr bloß einmal aus Aergcr ein Loch in's Dach warf, das nachher nie wieder zugemauert werden konnte- Die sft weltbekannte Ursache dieses Zornes erzählte meine Führerin so: „Es ging einmal ein armer Mann in den Wald. Da begegnete ihm ein lustiger schmucker Jäger. Er meinte nämlich, es wäre ein Jäger, aber es war der Teufel selbst in Iagerkleidung. Der Jäger nun redete den bekümmerten Mann an und fragte ihn: „Vist du arm, Alter?" — „Ach ja/ antwortete der, „arm, elend und voll Sorgen!" — „Wie viel Kinder hast du denn?" — „Sechs, Herr," erwiderte der Andere. — „Willst du mir das von deinen Kindern, welches du selbst nicht kennst, zu ewigen Zeiten zu eigen schenken, so will ich dir Geld die Fülle geben." —-„Ja gern, Herr", erwiderte der unkluge Alte. — „So komm und verschreibe mir's." Der Alte that's und empfing unsäglich viel Geld. Als er nach Hause kommt, findet er zu seiner Verwunderung sieben Kinder. Seine Frau hatte unterdessen das siebente geboren. Da wurde dem Vater unheimlich, und er merkte, daß der Teufel ihm sein Kind abgeschwatzt hatte. AuS Vcsorgniß für seinen Sohn nennt er ihn nun Peter, weiht ihn dein heiligen Petrus und bittet ihn, sein Kind gegen den Teufel zu vertheidigen und zu schützen. Petrus verspricht es ihm im Traume, wenn er den Sohn dein Dienste Gottes und der Kirche widmen will. Und der Alte ließ darauf sein Kind zum Priester erziehen und bilden. Peter wurde gut, fromm und gelehrt. Als cr mündig, 24 Jahre alt und installirter Priester an der Kirche auf dem Wisschrad geworden war, 57 da kam der Teufel, ihn für sich abzufordern. Der heilige Apostel Petrus aber behauptete, der Trac< tat, den er mit dem Vater des Sohnes geschlossen, fel ungerecht, und sie geriethen darüber in Streit. Der arme Priester floh indessen in seiner Seelcnangst zum Gebete und las die Messe in der Kirche. Da sie nicht einig werden konnten, so machte Petrus endlich den Vorschlag, sich zu vergleichen und einen neuen Tractat abzuschließen, und er sprach zum Teufel: „Fliege nach Rom und bringe mir uon dort eine der 12 Säulen der Peterstirche herüber, und wenn du sie mir noch eher hierher bringst, als niein Priester die Messe beendigt hat, so fti er dein, wo nicht, so sei er mein. — Mit Vergnügen ging der Teufel dicsi cm, denn er dachte rasch genug zu sein, und in der That sah ihn Petrus schon nach wenigen Augenblicken wieder mit der bezeichneten Säule aufsteigen. Er wäre ohne Zweifel zur rechten Zeit gekommen, wenn Petrus ihm nicht schnell entgegengegangen wäre und ihn mit seiner Peitsche überfallen hatte. Der Teufel, um sich zu wehren, ließ seine schwere Last los, und die Säule fiel in's mittelländische Meer. Freilich war er, wie ein Vlitz dahinter her und holte sie aus dem Grunde der See wieder herauf, aber er kam nun doch zu spät, und der Priester hatte bereits soeben sein „iH, missa e»t" gesprochen und das Meßgebet zu Gnde gebracht, als der Teufel mit der Säule auf dem Wissehrad anlangte. Petrus lachte ihn aus, der Teufel warf uor Aerger die Säule durch vas Dach der Kirche, so daß sie in 5» drei Stücke zersplittert auf den Vodcn herabfiel. Das im Kirchendache entstandene Loch versuchte man zuzumauern, aber vergebens. Die Arbeit der Maurer stürzte immer wieder ein/ und man unterließ endlich die Wiederholung des Versuchs, und Jahrhunderte lang stand so dieser eine Theil des Kirchendachs offen für Regen und Wind. Erst der Kaiser Joseph wagte es, den strengen Befehl zu geben zu seiner abermaligen Vermauerung. In der Spitze des Gewölbes legte man zwei Schlüssel des heiligen Petrus vor, und nun hielt es." Die Schlüssel sieht man noch jetzt im Gewölbe. Sieliegcn kreuzweise über der Gewölbspihe. Ich glaube aber, daß nicht sowohl Joseph, als die Priester ihre Vorlegung verordneten, um doch noch den Anstand zu retten. Denn wenn man sie jetzt fragte, wie es komme, daß das Loch nun doch hallte/ so blieb ihnen die Ausrede, es geschehe durch die Kraft der heiligen Schlüssel. — Auch dle drei Stücke der Säule lagen sonst in der Kirche. „Aber der Kaiser Joseph hnt g'sogt: „In der Kirche soll »tan zu Gott beten und nit vom Teufel schwatzen und von seinen verruchten Werken." — „Diese selben Worte, ^w. Onod'n", sagte mein Alter, „habe ich mit meinen Ohren alls dem Munde von dem hochscligen Kaiser selber vernommen, als ich ihn herumführte, wle er damals hier war und sich Alles genau anschaute. I meine Halter auch nit, daß eS a große Sund sein wird,'wenn man die G'schicht nit glauben kann." — Das große Oclbild, worauf Petrus dargestellt ist, wie 59 er den saulenschleppendcn Teufel peitscht, und das mittelländische Mccr darunter ist nach Joseph leider wie-» der in die Kirche hineingekommen. Die Säule selbst liegt neben der Kirche im Grase in 3 Stücke getheilt. „Der Stein, aus dem sie besteht," sagte die Alte, „ist zusammengesetzt aus siebenerlei Steinen. Einer davon ist sehr kostbar, einer sehr hart, und einer stinkt abscheulich. Als die Majestät des hochseligen Kaisers Franz hler war und mein Herr Voat'r und ich ihm dieß auch erzählten, da hat Majestät Franz g'sogt: „Der Stein stinkt? — Na da hat wohl Halter der Teufel noch etwas d'ran g'lassen?" —- Unten ist die Säule etwas verwittert, und da Pflegt mein Herr Voat'r wohl für die Fremden ein Stückchen zum Andenken herauszuholen. Auch Pulversiren stch die Soldatm, die hier oben stehen, diese Stückchen und haben sie gut gegen allerlei Krankheit befunden.^ Außer jenem gemalten und gepeitschten Teufel entdeckte ich noch einen anderen Teufel in der Kirche, einen ganz kleinen und zierlich aus Holz geschnitzten, den der ebenfalls aus Holz geschnitzte Procopius an der Kette führt. Es giebt zwei berühmte Männer dieses Namens in der böhmischen Geschichte, erstlich den Hus-sitenanführer und dann einen der ersten Verkünder des Christenthums in diesen Gegenden. Wo der letztere jetzt in böhmischen Kirchen dargestellt wird, erscheint er gewohnlich in der Gesellschaft von kleinen Teufeln, die er an der Kette wie Hunde führt. Er beschwor viele Teuftl, und es giebt noch jetzt ein Loch in den Bergen W der Nachbarschaft von Prag, in welches er sie verbannte. „Da fliegen noch jetzt die Teufel zu Tausenden ein und aus", sagte die Alte. Procop war zu seiner Zelt ein großer Gegner des Adalbertus, ebenfalls eines Böhmen, der eigentlich Woidjeg hiesi, vom Bischöfe von Magdeburg aber unter jeuem Namen getauft wurde. Procop war für den slavischen Gottesdienst und neigte sich auch mehr zum Gricchcnthum hinüber, das die slavische Sprache in der Kirche beibehielt. Adalbertus aber war ein strenger Anhänger des römischen Ritus, und beide führten also unter einander schon am Ende des 1l). Jahrhunderts einen Streit, der sich durch die ganze böhmische Geschichte bis auf unsere Tage hinab durchzieht, den Streit zwischen dem alten patriotischen Slavcnthum und dein neuen römischkatholischen Dcutschthum. Die Bildsäule des Adalbert steht der seines Widersachers Procovius gegenüber. Adalbert ist auch derselbe, der in Ungarn ein so mächtiger Verkünder des Christenthums war und auch den König diescö Landes taufte. Vel einer Reaction der Heiden gegen die christliche Lehre wurde er aber vertrieben. Da gab er dem Lande seinen Fluch, und 7 Jahre lang wuchs und gedieh nun nichts darin. Man rief ihn zurück, er hob seinen Fluch auf, und nun fiel Regen, und Thäler und Berge ergrünten und erblühten ringsumher. Eiu anderes in der böhmischen Christenheit berühmtes Relicsuiuln dieser Kirche ist der steinerne Sarg des heiligen Longinus. Dieser Mann, so geht die Sage, 61 war ein römischer Hauptmann, d?r bei der Kreuzigung Christi zugegen war. ssr war blind, als ihn aber das Vlut des Heilands bespritzte, wurde er sehend und fing an, den Erlöser zu loben, und sprach.' Das ist Christus der Gesalbte. Da steinigten ihn die Solda< ten, legten ihn in einen steinernen Sarg und warfen ihn sammt dem Sarge in'ö Wasser. Der Sarg, obgleich von Stein, schwamm mit seiner heiligen Ladling nach einer christlichen Stadt und kam endlich nach Vöh-mm. Die Hnssiten warfen ihn hier abermals in's Wasser und zwar in die Moldau. Man wusite lange nicht, wo er hier zu suchen sei. Eines Tages aber, nachdem die Hussitennnruhen beseitigt, sahen die Fischer ein Feuer über dem Wasser, das nicht zu löschen war und immer an derselben Stelle blieb. Man vermuthete gleich ein Wunder. Eine Commission von Geistlichen wurde ernannt, und siehe vor ihren Augen hob sich aus den Wellen der steinerne Sarg des heiligen Longinus auf einem Altare stehend empor. Er wurde abgehoben und wieder auf den Wissehrad gebracht. „Ob's halt so is?" — setzten meine beiden geschwätzigen Alten hinzu. „Wer weiß? Aber ein Arm vom heiligen Longinus liegt noch jetzt im Sarge. Als Ihro Majestäten der hochsclige Kaiser Franz, der russische Kaiser Alexander und der preußische Konig Friedrich Wilhelm hier oben waren — sie waren alle drei Majestäten ganz allein hier mit meinem Herrn Voat'r und mir, nur noch einen Vüchsenspanner oder Iüger hatten sie bei stch, — da muslten wir ihnen auch die-- M sen Sarg ganz genau zeigen, und in dcr Eile wußten wir sogar noch zwei Lichter vom Altare nehmen, um ihnen zu leuchten. Die russische kaiserliche Majestät wollten es am genauesten wissen und krochen soweit, als sie konnten, hinein, um nach dem Arme des Longinus zu fühlen, dcr noch darinnen steckt. Ganz mit Spinnewebe und Staub bedeckt, kommt er wieder heraus. Sprech ich zu ihm: „O, Herr Majestät! Sle haben sich ja ganz treckig g'mocht", und klopfe ihm den Nucken ab. Spricht er zu mir: „Schon gut, mein Kind, gut! gut!" — und ich wundere inlch, dasi er so sehr an gutes Deutsch red't." — Im Jahre 1187 lebte in Vöhmm ein Herzog Na-menö Friedrich, der mit der Geistlichfeit in Zwist ge-rieth, weil er das irgend einem Kloster oder Domca-pitcl gehörige Dorf Tfchcrnowitz zum Frommen seines Fiölus in Besitz genommen hatte. Die Priester mochten ihn dafür stark in Vuße genommen haben, und einer hatte sich vielleicht sogar erkühnt (Gregor VlI., der einen deutschen Kaiser wie einen Bettler im Vorhofe stehen ließ, war noch nicht hundert Jahre todt) — ihm dafür die Vußc der Geißelung aufzulegen. Die Priester verewigten dieß in einem Vilde, auf dem sie dm Herzog vorstellten, wie er von St. Peter gepeitscht wird. Unter dem Vilde, welches sich noch in der Kirche befindet, steht die lateinische Inschrift: „I'l-l^llatu« I'riclsü-ic».«!, I)„x v^nemia«?, kl 8. l'etro <,!> 5>Nßs»iM nnminl? <Ü2orn<»Vlt2 nk«'»lil?nk<.liin 1187." (Der vom heiligen Petrus wegen dcr Entwendung des Dor- 03 fes Tschcrnowitz gepeitschte Friedrich, Herzog vun Böhmen.) Drrselbc Friedrich starb im Jahre 1190 und gab vor seinem Tode, mit der Geistlichkeit versöhnt, dem Conventc auf dem Stifte Wissehrad )eue Flagel-latio zum Mappen, auf dem der heilige Petrus eine tüchtige mchrendige Peitsche fuhrt. Die geistlichen Herren bedienen sich dieses Siegels noch jetzt. „MS wir Sr. Majestät Joseph ll. dieses Vild zeigten," hob mein Alter an. „Vr war hier oben mit dem Laudon, Lascy und anderen hohen Herren. Ich glaube, eS war im Jahre 84. Ich war damals noch ein junger Pullcsant und stand von fern, aber ich habe Alles genau mit angcsrhen und nichts überhört. Die ganze prachtige ungrische Garde war auf dem Wissehrad aufgestellt, und viele schöne Karossen, welche den Kaiser und seine zahlreiche Begleitung herangebracht hatten, hielten dahinter. Se. Majestät fuhr nachher mit seinen 3 Generalen über's Wasser nach der Stadt zurück. — Als wir also dem Joseph das Vild von dem Herzoge zeigten, ward er etwas böse und sagte, indem er den Kopf schüttelte, für sich.' „Das war doch grob, daß der Petrus einen Fürsten so geißelte — das war doch grob", sagte er noch einmal. Dann blickt er einen Augenblick so nieder auf die Erde, als wenn er sich besänne, und dann spricht er: „Aber eS ist alt, es mag halt bleiben!" Der Laudon stand dabei und lächelte ein wenig. — Merkwürdig war mir noch in der Kirche daS Grab eines Utraquisten oder CaliNinerS. Dieser Leute ft4 vornehmste Idee war der Becher. Sie führten den Vecher auf ihren Fahnen, und wie ich hier sah, schlieft» sie auch den Todcsschlaf unter dein Vecher. Denn eS war ein solcher auf dem Grabe ausgemeißelt. Ehe diese wilden Herren den Wissehrad, den Sigismund's Truppen vergebens vertheidigten, eroberten, sollen hier nicht weniger als 13 Kirchen gestanden haben. Sie begruben die meisten in Schutt und Asche. Die oben beschriebene ist aNein übrig geblieben und dann ein kleines Mauerstückchen von einer anderen, das sich wie ein Bruchstück von 3 Zeilen aus einem verloren gegangene« Gedichte ausnimmt. „O schrecklich inuß es hier hergegangen scin,^ sagte der Alte, indem wir über die Mauerbruchstücke stolperten, „die Hussiten hatten kein Erbarmen. Sie führten auch Hunde und Adler mit in den Krieg gegen Menschen." Hinter der Kirche liegen nun ein ncugebautes Zeughaus und mehre Caserncn für Soldaten. Denn noch jetzt ist der Wisschrad ein Stück von einer Festung. Die Franzosen, die hier 1741 mit Carl VIl. waren, führten im Namen dieses Kaisers wieder bedeutende Werke auf, die freilich spater nicht ganz vollendet wurden. Auf dem vordersten Felscngipfel, der besonders rauh und schroff gegen die Moldau abfallt, steht man noch uraltes Gemäuer, daS die Sage der Vurg der Libussa zuschreibt. Einen Theil der Ruiycu nennt man sogar noch das Vad der Libussa. „Gs ist aber Mes contrarwärts gesprochen," sagte weine Führcrm, „gelten's, Herr Voat'r, mit Gewischnt weiß man nichts mehr davon? — Daß die k'ibussa aber hier auf diesen Steinzackcn und zwischen dcn Büschen und deni Gestrüpp einmal in einem schönen Palaste gelebt hat, daö ist g'wieß. Sie war freilich nur cine Heidin, aber Königin von Böhmen und sehr eine brafe Frau, Men's, Herr Voat'r? Sie hatte zwei Schwestern, Kascha und Hheka. Die Kascha half ihr regieren, die Theka aber war eine Apothekerin. Sie hatte Kenntnis; von allen Pflanzen, und von wcit und breit kamen die Edelleute zu ihr, um sich bei ihr kuriren zu lassen. Auch die tranken Bauern heilte sie mit ihrer Medicin. Sie konnte auch wahrsagen und stand den Schwestern mit weisem Rathe bei." „Dieß wurde anders, als Libuffa sich verheirathete an Przcm'.isl, der nun als König «lehr zu sagen hatte, ^ibllssa hatte zur Kammerjungfer die Wlasta, sehr ein schönes Fraulein. Sie hatte ein rechtes rundeS böhm< isches Gesicht, — gelten's, Herr Voat'r, so war es? -— und bildete sich ein, nach dem Tode der Libussa muffe der Przcmysl sie heirathen und sie zur Königin von Böhmen machen. Dieß geschah aber nicht. Ihr Antrag wurde verworfen. Wlasta gerieth darüber in Zorn, schwor Nache und entschloß sich, auch ohne den. Przemysl Königin von Böhmen zu werden. Sie ging auf die andere Seile der Moldau ^- dazumalen war hier noch eine Brücke über den Fluß — und stiftete dort vi» » vi» dem Wissehrad ihr Reich, indem sie 4W böhmische Mädeln und Weiber, die auch mit ihren Männern oder Geliebten unems waren, um sich ver« ,. 5 M sammelte ,md sie bewaffnete. Dort jenseits der Wiese in der Ecke des Nergeinschnitts können Ew. Onod'n noch die Stelle deutlich sehen, wo der Wlasta ihre Burg Diwin genannt, stand und von wo ans sie und ihre Mädchen einen so schrecklichen Krieg niit allen böhmischen Männern führten. Allen Knaben schnitt sie den Daumen der rechten Hand ab, damit sie den Vogen nicht spannen könnten. Allen Mädchen aber schnitt sie die rechte Vrust ab, damit sie sie bei'm Vogenlea.cn nicht hindere. — Für sich allein hätte sie wohl nicht so viel vermocht. Aber sie hatte eine Zauberin in ihren Diensten. Diese alte Here ftrach zu ihr: „Mein gnädiges Fraulein, wenn Ihr in den Krieg zieht, so werde ich vor <3uch her stiegen. Beachtet dann nur meine Gc-berden und meinen Flug. Ich werde Euch die Verstecke Eurer Feinde anzeigen und Euch verrathen, was Ihr thun müßt." Nenn sie dann auszogen m den Krieg, so flog die alte He^e in die Lust, und alle Amazonen griffen zu den Waffen und schrieen: „Iaja! jaja! Vaba, Vaba!" Gelten's, Herr Voat'r, so Haben's g'schrien?" — „Ja, ja, mein Kind, so Haben's g'schrien!" —> „Und dann haben sie die Ritter herangelockt und ihnen Ohren und Nasen abgeschnitten, oder sie von den Felsen geworfen, oder in einen tiefen Brunnen gestürzt, und alle Ritterburgen rund umher haben sie erobert. Dort oben weit hinauf auf jenem hohen Berge lag die große Vurg des Ritters Modol, cincs treuen Freundes des Przemyst. Diese haben sie auch erobert. Die Wlasta schnitt dem Modol eigenhändig G den Kopf ab, und dann stellt sie sich, — das tolle Mädel! — selber auf die Mauer und trompetet dem Przemlist zum Spott, dasi er ihren Sieg auf dem Wifschrad hören sollte. Sie hatte dabei ihren silbernen Harnisch au, den sie immer im Kriege trug, und ihr schönes blankes Haar fiel ihr bis auf die Menbogen herunter, und eine Fahne hielt sie in der linken Hand. Als der Przemysl sic so sah und trompeten hörte, mochte er sich doch ärgern, dasi er sie nicht von freien Stücken zu seiner Frau genommen hatte. — Aber er machte noch einen Versuch, die Wlasta zu bezwingen, und schickte seinen General Prostirad aus mit einer unzählige» Menge von Niltern, daß er lhm den schönen runden Kopf der Wlasta bringen sollte. Diese gingm nun über die Moldau, eroberten die Vurg von Modol zurück und tödte-ten die Wlasta. Die anderen Mädchen, die noch übrig geblieben waren, zogen sich darauf nach der Burg Di< Win zurück, und endlich wurden auch sie hier nach einem langen Kriege besiegt und ihnen allen die Köftfe abg'schnitten. Gelten's, Herr Voat'r, sie haben ihnen die Köpfe abg'schnittcn?" „Ja, ja, mein Mädel, sie haben ihnen die Köpfe abg'schnittcn." „Auch unter dem Nachfolger von Przemysl, dem Krzcsomysl, hat sich eine interessante (beschichte zugetragen. Schauen Gw. Gnoden dort die Moldau aufwärts, wo das Land auf der Ecke ein wenig grün in's Wasser vorragt. Diese Stelle nennt man ,^>>kn?.«cllilx« dem Dämmerlichte der grauen Vorzeit sucht und im 70 Sonnenscheine der Gegenwart nicht mehr finden zu können vermeint. Nnermüolich schwatzend begleiteten mich beide Alte i» der Dämmerung bei dcr Martinscapelle und bei der Schanzen-Muttergottcs vorüber zum französischen i höre, wo eben lange Reihen von böhmischen Frauen und von „Oenij Hknvllll«!«^ (slavischen Mädchen) mit Gemüsen und anderen Victualien bepackt vorüberzogen, wie sie nun schon seit tausend Jahren hier vorüberziehen, um am anderen Morgen bei Zeiten mit ihren Waaren zu Markte zu sein. Ginige schwatzten mit einander, andere sangen alte böhmische Lieder. Die Züge gingen sehr malerisch bei dem französischen Thore des Wisschrad's vorbei über allerlei Stege und Vrücken und zwischen allerlei aufgegrabene»» Gemäuer und Nuin. Man brach hi.er damals in der Nähe einen neuen Weg durch, und dieß vermehrte die natürliche pittoreske Unordnung, die hier schon seit langer Zeit eristirt, noch mehr. Da der Mond eben aufging, so dachte ich mir, daß unter den gesungenen Liedern auch wohl jenes so beliebte böhmische sein könnte: „Kdya mesycek spanile swjtil „Woywoda Bfetislaw wstall." („Da dcr Mond jungfräulich anfing zu scheinen, „stand der Wonvodc Brctislaw auf. „Denn er empfand das Feuer der Liebe, „welches schon lange in ihm gelodert hatte lc.") Dieses Lied vom Woiwoden Vretislaw, der seine Geliebte aus dem Kloster entführte, ist uralt in Böhmen und weit und breit beliebt. Und ich sage, ich 7t würde mich nicht gewundert haben, wenn ich es von einer dieser Vauerdirnen gehört hatte, denn ich muß gestehen, daß Poesie hier in Böhmen weit mehr ein wahres Element des Volkslebens ausmacht als bei uns in Deutsch» land, wo man sich gewiß mit Recht sehr wunder«! würde, wenn man eine der citirten ähnliche Romanze, z. B.: „Ritter, treue Schwesterliebc widmet Euch dieß Herz," oder sonst so eine von Bauern singen hörte. Schon die letzten Herzöge wohnten für gewöhnlich auf dem Hradschin und hatten auf dem Wiffehrad nur noch ihre Sommerresidenz und ihre Zuflucht in Kriegeszeiten. Jetzt ist ein Theil dcS SchloßgebieteS Ackerland, und ein anderer Theil wird von Ochsen beweidet. Und unten am Verge wohnen, wie gesagt, die armseligsten Leute von Prag. „Sie sind fast noch ärmer als die hinter dem Hradschin," sagte mir ein Prager. Denn auch hinter diesem Schloßberge hat sich ein anderer Theil der Prager Armen angesetzt, gleichsam als Moder auf den Ruinen des Reichthums. Der Name des Dorfes oder der Vorstadt auf der anderen Seite des Wissehrad „Podol" ist in der ganzen slavischen Welt sehr gewöhnlich für die im Thale am Fuße der Akrovolis liegenden Stadttheile. Auch der Stadlthcil von Kiew z. V., der am Fuße des Kiew'schm Schloß-nnd Kirchenberges liegt, heißt „Podol," was man durch „Thalstadt" übersetzen könnte. Es giebt mehre Orte in verschiedenen slavischen Ländern, die Podol heißen, und eben daher auch hat Podolien seinen Name», der souiel bedeutet als daS „Thalland/' 72 Der Wissehrad selbst und seine ganze Umgebung ist der Gegenstand uieler böhmischer Volkslieder, die ihn und das, was auf ihm geschah, besingen. Es giebt eine Menge von Gedichten, die so anfangen- „An Libussa's güldnem Vatersitze, „Auf dem Wisschrad, des Vaters Hochburg," oder so: „Ha! unsere Sonne, „Fester Wissehrab." Der letzte Liederanfang heißt auf böhmisch so. „Na! t^ nllZcli« »lunr« und unter anderen fängt das hübsche „Miunclied am Wissehrad" ,nit diesen Worten an. Zum Schlüsse unseres Spazier-gangcs auf diesem intercffanten Hügel mögen wir eö hier dein Leser mittheilen. Es lautet: „Ha! du uns're Sonne! „Fcstcr Wisschrad! „Kühn und stolz dort stehst du, 'M««W! „Dort auf steiler Höh'! «^ „Nagcst vom Fclscn „Fmndlingm furchtbar. -'» „Unter dir rollet /M „Gilcnd der Strom hin! „Rollct der Strom, die „Mächtige Moldau." „Und die Nachtigall dorl „Singet vor Freude, „Singet vor Trauer, „Wie sic im Herzchen ,/Freudig und bangem „Gchncn empfindet. „Wäre der Vogel i» 73 „Grünender Au ich, „Fldg' ich schnell dahin, wo „Wandelt am Abend „Duntel die Holde." „Alles weckt Liebe, „Und was mir lebct, „Fühlet ihr Sehnen, „Fühlet ihr Stredm, „Ich auch Armer schmachte „Holde nach dir, sei „Milde dem Aermsten." Die Mctropolitaukirche auf dem Hradschi«. Aer herrliche Dom auf dem Hradschin, die Prager Metropolitankirche, die dem St. Veit gewidmet ist, wurde in den furchtbaren Knegeöstürmen, die zu verschiedenen Zeiten das ganze böhmische Land verwüsteten und durchwühlten, eben ft scharf mitgenommen wie fast alle anderen Gotteshäuser in Böhmen, in die bald Hussite»«, bald Katholiken, Protestanten, Schweden, Deutsche und Ungarn zerstörend nnd raubend und die Heiligthümer der Gegenpartei schändend einbrachen. Die Hussiten beraubten diese Kirche einst fast alles ihres Schmuckes. Die Schweden, die noch im letzten Jahre des dreißigjährigen Krieges sich durch List des Hradschins bemächtigt hatten, plünderten sie auch zum Theil aus und sandten ganze Schiffsladungen von Kostbarkeiten auf der Elbe hinunter, die noch in diesem Augenblicke in den Sammlungen zu Stockholm paradiren. Friedrich der Große endlich schim es bei seiner Belagerung von Prag V3 im Jahre 1757 insbesondere auf Zerstörung dieses Herr« lichen Bauwerks abgesehen zu haben. Denn er ließ den Dom vorzugsweise von allen Gebäuden Prags am meisten beschießen. Ich möchte wissen, welchen Grund er dazu hatte. Schwerlich konnte er vermuthen, daß die 50,000 Mann Truppen, welche in der Stadt lagen, sich, um diese Kirche zu retten, an ihn ergeben würden. Auch that ihm dieß Gebäude, das nicht von Truppen besetzt war, sondern nur von armen Priestern und Kirchendienern, welche sich beständig bemühten, die kostbaren Gemälde, Etatuen und andere Schätze dieser Kirche zu rette» und zu schützen, durchaus keinen Scha-den. Und der Protestantismus steckte doch auch nicht so tief in ihm, daß er deßwegen mmn alten katholischen Gebäude den Untergang hatte schwören sollen, ohne Rücksicht zu nehmen ans das Alter, die Schönheit seines Baues und die Unschatzbarkeit seiner artistischen und historischen Schätze. Ich möchte wissen, ob Friedrich sich irgendwo in seinen Werken über dieses rücksichtslose Bombardement der Hradschmer Mctropolitan-tirche gerechtfertigt oder ob ihn auch überhaupt irgend Jemand darüber angeklagt hat. Vei dein unparteiischen böhmischen Historiker Pelzcl findet man ein ziemlich genaues Verzeichniß aller der glühenden Kugeln, Vomben und Carcassen, welche Friedrich so unbarmherzig auf diese bewundernswürdige Antike schleudern ließ. Am 5. Juni des gedachten Jahres warf er ihr 537 Vom-ben, 989 Kugeln und 17 Carcassen zu, welche freilich größtentheils das Gebäude nicht erreichten. Am 6., TV 7., 8. und 9. Juni wurde» der Stadt im Ganzen 7144 Bomben, 14,821 Kugeln und IN Carcasscn zu-geschleudert, von dcuen eine große Partie der Kirche zugedacht war. Blos während dieser vier Tage fing sie 3t) Mal zu brennen an, und nur durch die Wachsamkeit des damaligen Domherrn Johann Kaiser wurde das Feuer 30 Mal gelöscht, und die Kirche eben so oft vom gänzlichen Untergänge gerettet. Das Blcidach der Kirche allein wurde vou 215 Kugeln durch« löchert, und als nach beendigtem Bombardement die Kirche wieder aufgeräumt wurde, schleppte man uocl> nicht weniger als 770 dieser Kugeln aus den Winkeln und Seitengewölben zusammc». — Als Napoleon den ersten Schritt in Moskau that, schickte er sofort den kleinen russischen Kindern im dortigen großen Fmdclhause eine starke Schutzwache zu, um sie vor Unheil zu bewahren. Ich legreife den großen Friedrich nicht, warum er nicht auch, als er die erste Kanone auf Prag abschoß, sofort der Hradfchiner Metrovolitankirche eine Sauvcgarde dadurch gewährte, dafi er seinen Artilleristen anbefahl, das Stück des Gesichtskreises, welches sie einnahm, als geheiligt und unverletzlich zu betrachten. Ja hätte er es nun nur noch bei den in einem Bombardement oft unvermeidlichen Verletzungen bewenden lassen. Aber ich komme nicht darüber hinaus, daß er gerade vorzugsweise auf dieses Gebäude schießen ließ, welches ja nicht den Pragern oder Böhmen, sondern der Kunst und Wissenschaft gehörte und nicht dem Kaiser von Oesterreich, sondern der Gottheit gewidmet war.— Nun! 77 cs ist gut für Friedrich, daß er gar nicht in die Stadt hlneinkam. Ich glaube, er, der große Kunstfreund, hätte doch Aergerniß an seinen Kugeln genommen, wenn er die heruntergeworfene» gothischen Ornamente, die zersplitterten zierlichen Saulchen, die zerrissenen, mühsam berechneten Bogen, die verstümmelten schönen Statuen gesehen hätte. ES ist fast keins der herrlichen Grabmonumente vollkommen unversehrt geblieben. Weder das schöne Denkmal aus Marmor, das Nudolph II. 1589 von Kolin in Nürnberg für Maximilian II., Ferdinand l. und dessen Gemahlin Anne verfertigen ließ, und .das gewiß zu den trefflichsten KunstleistlMgcn der damalige» Zeit gehörte, und unter dein die Gebeine von 7 böhmischen Königen und deutschen Kaisern ruhen, noch die ehrwürdigen auf langen Sarkophagen ausgestreckten Bildsäulen der alten böhmischen Herzöge Spitignew und Vrzeleslaw, noch die Capelle mit den Grabmälern der Erzbischöfe, noch auch die andere Capesse mit den Grabmälern von 24 alten böhmischen Familien, noch auch alle die übigen vortrefflichen und interessanten Denkmäler dieser Kirche, — mit einziger und alleiniger Ausnahme des schönen Grabsteins des Wratiölaus von Barenstein, des Kanzlers Maximilian's II. Es ist indeß bemerkenöwerth, daß bei allen Monumenten nur Kleinigkeiten fehlen, Nasen, Finger, Rockzipfel, Fusizehcn, selten ein Kopf oder Arm. Friedrich's Bomben und Carcassen, wenn sie immer direct aufgefallen wären, hatten die Steine noch ganz anders 78 zertrümmern müssen. Es mögen daher die Kugeln denselben weniger als die durch sie in Flug gebrachten Balken splitter, Dachziegel u. s. w. geschadet haben. Nc« brigens ist auch wohl manche der besagten Nasen» «nd Fingerverstümmclungcn den Schweden auf Rechnung zu bringen, die hier 1648 sehr muthwillig hauseten. Nur durch wenige Kirck'en in Dclilsckland wird dieser Hradschlner Dom an Schönheit, Reichthum und Interesse der historischen Monumente übkrtroffen. Am meisten fühlt man sich hier erinnert an denjenigen Tempel, welcher den Staub aller polnischen Könige umschließt, > an die Metropolitankirche in Krakan. Es liesic sich zwischen beiden Kirchen eine Parallele ziehen, die in der That sowohl in Beziehung auf die Baulichkeiten belder Gotteshäuser, als in Vezng auf ihre historische Bedeutsamkeit, die Zeit ihrer Blüthe und ihres Verfalles ungemein frappante Äehnlichkeitcn hervorstesscn würde. Zuweilen kommt es Einem vor, als wäre in allen diesen Puncten die eine nur eine Copie von der anderen. Sogar die NepomukSgcschichtc findet sich in Krakau anch, und zwar selbst in kleinen Details so ahnlich, daß man es sehr bewundern muß, wie an zwei so entfernten Orten, die von einander wenig Notiz nahmen, sich alle Ereignisse auf, fast möchte «tan sagen, so vollkommen gleiche Welse gestalten konnten, blos in Folge des unter beiden Nationen ähnlichen Volksgeistes uud des zu allen Zeiten mächtigen Zeitgeistes. Wenn irgend welche Geschichten dem Reisenden in Böhmen oft erzählt werden, so sind es erstlich dle vom 79 heiligen Nepomnk und dann die Kon den beiden kaiserlichen Räthen Slawata und Martinitz, die 1618 zum Fenster herausgeworfen wurden. Man kann ln der That sagen, daß diese beiden Geschichten Einen in Böhmen buchstäblich verfolgen und auss Höchste quälen. — Selbst wenn man als wohl vorbereiteter Reisender, der längst die geheimen Triebfedern und den ursprünglichen Ansang deö dreißigjährigen Krieges bei den Professoren in Bonn imd Göttingcn gelernt hat und weiß, daß derselbe auf den Augenblick festzusetzen sei, wo besagte beide kaiserliche Räthe auf den weichen Düngerhaufen unter dem Hmdschin hinabfielcn, so kann man eö doch »icht vermeiden, daß man ln der Diligence irgend einen gelehrten Mann findet, der die Geschichte gelegentlich noch einmal erzählt. Und derselbe gelehrte Mann wird dir ohne Zweifel bei der nächsten böhmischen Brücke, auf welcher der heilige Nepomuk steht, dann auch dieselbe Geschichte dieses Heiligen vortragen, die du doch vielleicht schon außerhalb Böhmens einigemal gehört und einigemal wieder vergessen hattest. Kommt dann noch eine Brücke, wie daS ohne Zweifel geschieht, so heißt es: „Sehen Sie, daS ist wieder der heilige Nepomuk. GZ ist ebenderselbe wie jener, welcher vom König Wenzel ic." — Gelangt man in die Gegend von Prag und sieht man den Hradschin auch nur von Weitem, so heißt cö: „Sehen Sie, das ist das Schloß, auf welchem die beiden königlichen Nathe Slawata nnd Martinltz ir." — Geht ihr dann den ersten Morgen nach der Ankunft über die Präger Brücke, 80 und bleibt zufällig bei den fünf goldenen Sterne»« ste« hm, dir sich auf dieser Brücke befinden, so HM ihr gewiß bald einen gefälligen Cicerone in der Nähe, der euch Folgendes erzahlt: „Hier bei dicsen fünf Sternen wurde der heilige Nepomuk in das Wasser geworfen. Er war ei» frommer Mann. Der König Wenzel aber,c. — Sprichst du: „Um des Hinumls willen, ich kenne diese Geschichte, mein Veßter" — und stichst du vor ihm in ein benachbartes Kaffeehaus, aus dessen Fenstern man zufälliger Weise den Hradschin erblicken kann, so tritt, indent du deine Tasse Bouillon schlürfst, der Wirth freundlich zu dir heran. Du fragst: „was giebt es denn Neues, Herr Wirth?" — „Ew. Gnaden schauen da zum Fenster hinaus. Belieben die Gnade gehabt zu haben, schon oben gewesen zu sein? Sie können hier gerade auf die inwendigen beiden Fenster schauen, bei welchen vor langer Zeit sich einmal ctwas sehr Merkwürdiges ereignete." Du hast noch den Schrecken, den dir der unsterbliche Nepomuk einjagte, in den Gliedern und fragst neugierig.- „Vielleicht eine romantische Liebesgeschichte?" — „Nein, mein Herr,' Hier wurden einst die beiden königlichen Nathe des Kaisers Matthias, Namens Slawata und Martinitz" — „O, Himmel", — Slawata und Martinitz —^ fahrt dir es wie Gicht durch die Seele. Deine Bouillon scheint sich dir i^ Gift zu verwandeln, und du greifst zu Stock und Hut und begicbst dich in die St.-Veitöt'irche, in der Hoffnung, man werde dir hier zu deiner Zerstreuung etwaS von St. Veit erzählen. Mit nichtcn. ^ 81 Ueber diesen Heiligen schweigt man völlig. Der Kirchendiener begrüßt dich freundlich, und in der schmeichlerischen Hoffnung eines guten Trinkgeldes fängt er an: „Das Merkwürdigste, was wir in unserer Kirche haben, ist dieses reiche Silbermonument, zu dem nicht weniger als 27 Centner feinen Silbers verwendet wurden. Es wurde dem heiligen Nepomuk gesetzt, der bei'm Kaiser Wenzel lc." — O weh, armer Leser! Du entkommst dieser Zwickmühle nicht. Der heilige Ort erlaubt dir keine Verwünschung. Den würdigen Domherrn, der des Kirchendieners Erzählung noch ergänzt und vervollständigt, darfst du aus Höflichkeit nicht unterbrechen. Du siehst nun eln, daß du irrtest, wenn du meintest, die Scylla und Charybdis lägen bei Sicilien. Ach nein, sie befinden sich in Böhmen, diese beiden schrecklichen und unvermeidlichen Strudel, und die eine heißt „Nepomuk^, die andere „Sla-wata und Martinitz." Ertrage geduldig dein Leiden und höre die Geschichten immer muthig an. Es kommt einst die Stunde, wo du gerettet wieder Land rufst. „Also Nepomuk oder eigentlich Iohanko von Nepomuk wurde gegen Mitte des vierzehnten Jahrhunderts in dem böhmischen Städtchen Nepomuk geboren, und man sagt, daß, als er auf die Welt gekommen, hell leuchtende Strahlen um seiner Mutter Haus gesehen worden seien. Anfangs war er Prediger in der Altstadt Prag, kam aber bald in ein solches Ansehen, daß man ihm das Amt eines königlichen Almostniers und Beichtvaters bei der Königin übertrug. Als hier-K. 6 82 cms der König (es war Wenzel IV., der berühmte deutsche Kaiser, Sohn des deutschen Kaisers und böhmischen Königs Karl IV.) gern wissen wollte, was seine Gemahlin, an welcher cr öfters einige Betrübniß und .Tiefsinnigkeit wahrgenommen, ihm in der Veichte anvcr--traut, ob sie nämlich etwa mit seinem unartigen Wesen nicht zufrieden sei, oder nüt einem Anderen in geheimen Liebesuerständniß stände, so war Iohanko keineswegs dahin zu bringen, daß er dem Wenzel daS Geringste entdeckt hatte. Kurz darauf begab es sich, daß ein kaum halbgebratener Kapaun auf die königliche Tafel kam, was den König dergestalt verdroß, daß er den Koch lebendig an einen Spieß stecken und braten ließ. Diese Grausamkeit vermochte Nepomuce-num, baß er dem Könige dasselbe nuf's Glimpflichste verwies; erbekam aber nichts Anderes dafür z»m Lohne nls ein harteS Gefängniß. Nun wurde cr zwar nach einigen Tagen wiederum losgelassen und zur königlichen Tafel berufen, weil WenzcslanS noch immer hoffte, etwas von der von seiner Gemahlin abgelegten Vcichte herauszubringen. Allein es schlug ihm dieß gänzlich fehl. Nepomuccnus hielt bek seiner Pflicht; doch prophezeite er sich dennoch einen baldigen gewaltsamen Tod und nahm in der nächsten Predigt von seinen Zuhören» den beweglichsten Abschied. Als er am folgenden Tage bei dem Schlosse vorbeiging, ließ ihn der König zu sich rufen und wiederholte nochmals sein voriges Begehren. Als sich Iohanko dazu aber nicht verstehen wollt«, ließ er ihn an Händen und Füßen bin- 83 dm und bei Nacht von der Brücke in die Moldau werfen. Der König meinte zwar, es würde von dieser unverantwortlichen That Niemand etwas erfahren, allein sie wurde bald offenbar, weil man an dem Orte, wo der Körper lag, nicht allein helle Lichter erblickte, sondern auch das Wasser drei ganze Tage ausgetrocknet war. Vei seinem Grabe sind viele Wunder geschehen. Ja mau will auch bemerkt haben, daß, so Jemand dessen Heiligkeit angefochten oder aus Spott und Unglauben auf dessen Leichcnstem getreten, derselbe den Tag über einer sicheren Schande, Schmach oder einem Unglück nicht entgehen können. Später wurde er vom Papste Clemens XI. beatificirt und von Benedict Xlll. ca-nonistrt. Die wirkliche Vergötterung erfolgte erst im Jahre 1729." Seitdem aber hat sich der Name und die Verehrung dieses Heiligen mit einer wunderbaren und fast beispiellosen Napidität in VöhmeN/ Mähren und einem Theil von Polen und Oesterreich ausgebreitet, wo er überall als Schutzgeist der Brücken und Flüsse verehrt wird, obgleich doch wirklich auf dieses Amt der Baumeister, welcher die berühmte Moldaubrücke glücklich zu Stande brachte, weit eher Anspruch gehabt hätte als Nepo» muk, der von eben dieser Brücke verunglückte. Kann dann das Gebet der Vöhmcn zu diesem anders lauten als so.- ,,O heiliger Nepomuk, gieb, daß es uns auf dieser Vrücke nicht so unglücklich gehe wie dir!" — Vielleicht ist die Ideenverbindung diese, daß Nepomuk gewissermaßen für alle Anderen in's Wasser gefallen sei nnd dadurch 6* 34 diese Art von Unglück für Alle abgebüßt und die bösen Wassergewalten gesühnt habe. Neben dem silbernen, von ebenfalls silbernen Engeln umschwebten Monumente Nepomuk's hangt eine kostbare goldene Lampe. Diese wurde schon dreimal heimlich entwendet. Jetzt nun, um sie und die übrigen Kostbarkeiten zu schützen, laßt man jeden Abend einen großen, starken Hund in die St.-Veitskirchc ein, 5 der die schönen Monumente und Heiliglhümer durchwandelt und bewacht. Nie gut, daß die Mohamcdaner selten den Hradschin besuchen; denn der die Hciligthü-mer bewachende Hund würde dann bei ihnen ebenfalls zu den berühmten Gräueln, die sie sich von den Chri« sten erzählen, gehören. Ihnen ist das Thier so unrein, daß sie lieber noch, glaube ich, irgend einen bösen Dämon selber in die Kirche eingesperrt wüßten. Daß die Geschichte von Ncpomuk auch noch vielfach anders erzählt wird, ist natürlich. Doch wollen wir unS mit Varianten nicht aufhalten, um dcn Loser um so schneller durch das Fegefeuer oder vielmehr Fege« Wasser der besagten Scylla und Charybdis zu führen. Also nun muthig zur Charybdis (d. h. zu Slawata und Martinitz), in welche man in diefer Kirche dadurch geräth, daß sich hier das Grabmal jenes Martinitz befindet, der zum Hradschinfenster hinausflog, wobei noch das merkwürdig ist, daß sich diesem Grabmale wieder gerade derjenige Name gegenüber befindet, der dem Namen Martinitz bei jenem 8»It<> mnr-tale so behülflich war. Die Sache ist nämlich diese: 35 Aus Furcht vor dem wachsenden und täglich zunehmenden Protestantismus in Böhme» hatten ein katholischer Grundherr und ein katholischer Abt im Jahre 1613 zwei neugebaute protestantische Kirchen schließen und zerstören lassen, indem sie dabei vorgaben, es geschahe dieß auf des Kaisers Matthias Vcfehl. Sämmtliche Protestanten und Utraquistm in Vöhmen, zu denen sehr viele der Vornehmsten gehörten, waren darüber aufgebracht und hielten Versammlungen, in welchen sie bewiesen, daß ein solches Verfahren dem ihnen ertheilten MajestatSbriefe zuwiderlaufe. Sie schickten eine Vorstellung über das Geschehene nach Nien. Der Kaiser nahm die stürmischen Versammlungen der protestantischen und utraquistischcn Stände sehr übel auf und sandte ein drohendes Schreiben an sie ab, zu dessen Anhörung nun die Stände auf dem Hradschin zu erscheinen von den vom Kaiser eingesetzten Statthaltern und Rathen eingeladen wurden. Sie erschiene», ver» nahmen die ernsthaften Drohungen des Kaisers und versprachen, den folgenden Tag Antwort zu bringen. Sie kamen mit einer großen Menge bewaffneten Volks her«» bei und fanden die königlichen Statthalter Slaiuata, Martinitz, Adam von Sternberg und Dicpold von Lob-kowitz versammelt. Von diesen vier Mannern waren die beiden letzten als wohlwollende Menschen beliebt und angesehen, die beiden ersten aber als Erzkatholiken und chrannische Beamte verhaßt, und unter den Ständen waren viele/ die da meinten, daß die Religionsfreiheit in Böhmen nie auf festem Fuße stehen würde, so lange 86 jene Männer noch vorhanden wären, und daß es daher am beßten wäre, man räume sie ohne Weiteres aus dem Wege. Ginige widersetzten sich diesem Vorhaben, aber die Mehr« zahl rief dem Vorschlage Beifall zu und drang aus dem „grünen Zimmer" des Schlosses, worin sie sich berathschlagt hatten, mlt tumultuarischem Ungestüm in den Statthalterschaftssaal, wo sie den Statthaltern bittere Vorwürfe darüber zu machen ansingen, daß sie die Utra-quisten um ihren Majestätsbrief bringen wollten. — Der Oberstburggraf Adam von Stcrnberg hielt eine besänftigende und gelinde Anrede an die immer zahlreicher werdende Versammlung und forderte sie auf, keine Gewaltthätigkeit auszuüben. Hierauf trat Kolon von Fels hervor und erklärte: „man habe nichtö wider den Herrn Oberstburggrafen, noch wider den Herrn von Lobkowitz, mit welchen beiden man zufrieden wäre; im Geringsten aber nicht mlt den Herren Slawata und Martinih, als welche in allen Gelegenheiten die Ntra-» qulsten zu unterdrücken suchten." Wenzel von Naupowa rief darauf: „es sei am besiten, man werfe sie über die Fenster, nach altem böhmischen Gebrauche!" („pa 8tklrat5eko8iin", d. h. „auf alttschechisch"). Hierauf traten nun einige zum Oberstburggrafm Sternberg und zmn Grandprior Lobkowitz hinan, nahmen sie bei'm Arme und führten beide höflich zum Zimmer hinaus. Den beiden Anderen, Slawata und Martimtz, trat nun der Schrecken in's Herz. Sie machten Vorstellungen, sie sagten, wenn sie etwaS verschuldet hätten, so möge man sie nach den Gesetzen richten. Sie schützten ihre Unschuld vor. ANein nichts konnte die erbitterten Gemüther wieder besänftigen. Wilhelm von Lobkowitz trat zuerst an Martinitz hinan und ergriff ihn bel beiden Händen. — Dieß war eigentlich der erste revolutionäre Act des böhmischen AufstandeS und des ihm folgenden dreißigjährigen Krieges. O hätte Wilhelm von Lobkowitz nur einen Blick auf all' das unsägliche Elend, das darnach über sein Paterland kommen sollte, thun können, gewiß er wäre zurückgcbebt und hätte gesagt: „Ich will nicht der sein, der den ersten Stein aufhebt zu der furchtbaren Lawine." Zwar kann man schwerlich nachweisen, daß das Ungethüm des dreißigjährigen Kllegeö nicht geboren worden wäre, wenn Wilhelm von Lobtowitz nicht Hand an dcn Martinitz gelegt hatte, und wenn die utraquistischm Stände sich noch einmal besonnen und den Weg der Güte eingeschlagen hatten, denn die Ereignisse gestalten sich wle die Flüsse und wachsen an wie Ströme, aus hundert Quellen Nahrung erhaltend *). Indeß, wie dem auch sei, Wilhelm von Lobkowitz philosophise nicht lange, er ergriff den Martinltz bei beiden Handen. Vier andere Herren, unter denen auch ein Kinsky war, also wahrlich kciu Pöbel! (in Böhmen und Polen führten die Herren vom Adel die« *) Viele Geschichtsfteunde, die da mcincn, wcnn diese oder jene tlcinc Bcgcbcrihcit sich andcvs sscstaltct hätte, so wäre diese oder stne großc Entwickelung gar nicht erfolgt, gleichen jemm Ocstcrreicher, der da meinte, wenn cr den Fuß vor die Donauquelle setzc, so würde der ganze Strom nicht nach Wien kommen. «8 selben Dinge aus, die in anderen Ländern vom Pöbel geschehen, sowie in Rußland auS dem Schooßc der höchsten Stände die Verschwörungen gegen des Kaisers Leben hervorgehen) — schoben sich unter des Marti-nitz Rücken, trugen ihn an das nächste Fenster und stürzten ihn hinaus. Wie sehr, wie innig mochte der geangstigte Mann in diesem Augenblicke wünschen, es möchte irgend eine Ouidische Verwandlung mit ihm vorgehen. Gewiß ware er mit dem bescheidensten Theile zufrieden und glücklich gewesen, wenn er nur etwa als Sperling oder Kanarienvogel hatte weiter stiegen können. Aber im Gegentheile, cs ging ihm „halt conträr-wärts", wie die Oesterreicher sagen. Cr fiel richtig die 28 Mm vom Hradschin auf die Oberfläche der Erde hinab. — Man sagt, daß nach verübter That die Herren einen Augenblick erschrocken und sprachlos im Saale dagestanden und es nicht gewagt hatten, zum Fettster hinauszufchauen. Dieses Stillschweigen trat auch nach Cäsar's Ermordung ein, und es trltt überhaupt wohl nach jeder Begehung' einer Uebelthat ein, die vorher so ganz anders aussieht als nachher. Doch ist dieser Augenblick leicht überwunden, und man stürzt dann von Neuem und rascher weiter auf der betretenen Nahn. ,,Edle Herren, hier habt Ihr den Anderen!" — so unterbrach der Graf von Thurn das Stillschweigen, indem er auf den obersten Landhofrichtcr Slawata deutete. Nasch ergriff man ihn und stürzte ihn ebenfalls 89 hinaus, und noch rascher wurde ihm der Geheimschrei-ber Magister Philippus Platter nachgeworfen. Ich möchte wünschen, daß uns ein Geschichtsschrel-ber genau berichtet hätte, welche Stimmung nun, nachdem man reine Vahn gemacht, im Saale geherrscht hätte, welche Mienen man erblickt, welche Reden man vernommen. Ich glaube, die Luft wirv hier den Herren bald zu heiß geworden sein, ebenso wie den Mördern Cäsar's im Senatssaale zu Rom. Wie diese den Leichnam Cäsar's im Stiche ließen, werden auch jene sich gleich anfangs nicht um das Schicksal der zum Fenster Hinausgeflogenen bekümmert haben. Auch sieht man bald nackhcr die Stände und sonderlich den Grafen Thurn in die Stadt hinabreiten und das Volk beschwichtigen, das in Furcht und Schrecken gerathen war. Sie möchten sich beruhigen, es solle Niemandem Etwas geschehen, und was sie selbst gethan, würden sie auch selbst zu verantworten wissen. — Erst am dritten Tage nach diesem Auftritte versammelten sie sich wieder, errichteten ein Vündniß und Einigkeit untereinander und wählten 30 Männer, welche nach Abdankung der königlichen Statthalter die Staatsangelegenheiten verwalten sollten. Die böhmische Revolution war erklärt, die dann nach zwei Jahren mit einer so schrecklichen und so consequent durchgeführten Contrarevolution endigte. Denn es war das letzte Mal, daß die Böhmen sich ihrer alten tschechischen politischen Sitten bewußt wurden, und «tie hatten sie spater noch einmal Gelegenheit, das „po «wrotsckesku" zu nben. 90 Sehr merkwürdig ist, daß alle je„e drei Herren ihren Satz aus dcm Fenster so äußerst geschickt aus-» führten, daß auch nicht einer von ihnen dabei einen Finger sich verstauchte. Uebrigcns war der Magister Philivpus der Erste, welcher wieder auf die Veine kam. W scheint darans hervorzugehen, daß die Magister- und Sccrctairgeschäste keine so große Neigung zur Fettsucht wie die eines Oberhoflandrichters erwecken. Und könnte man alle Secretaire, Protocollisten, Magister, Nichter und Oberhoslandrichter einmal zusammenbringen wie Korn und Spreu in eine Schaufel und sie auf der Tenne „worfeln", wie der Ausdruck in Nieder-dcutschland lautet, so würde sich immer dasselbe Resultat des von den Böhmen auf dem Hradschin versuchten Experiments herausstellen. Die leichte Spreu der Secretaire stiegt leicht und flatternd davon. Platter lief schnurstracks aus dcm Hradschiner Schloßgrabcn, in den er gefallen war, nach Wien, wo er dem Kaiser diesen seltsamen Casus erzählte und Nachricht von dem Aufruhre brachte. Platter muß sich wirklich glücklich gefühlt haben, baß er gerade der Grste in der ganzen Welt war, der außerhalb Vöhmen jene Geschichte erzählen konnte, wenn man bedenkt, wie viele Tausende nach ihm sich noch jetzt immer ein Verdienst damit zu erwerben glauben, daß sie diesen Vrci noch einmal aufwärmen, obgleich sie ihn dem Reisenden gewöhnlich ungevfeffert und migesalzcn zu verschlucken geben. Der Gehcimrath Martinitz uud der oberste Richter Slawata fanden hülfrcichc Menschen auf der Straße, 91 selche sie in das Haus des Oberstkanzlers Zbenick von Lobkowitz brachten, wo sie Pstege und Schlitz fanden. Graf Thurn kam freilich mit einen: Schwärme Allfrüh» rer vor dm Palast und verlangte die Auslieferung bei-» der Herren. Aber die Dame des Hausi-s, Polyrma von Lobkowitz, besänftigte ihn mit süßen Worten und versicherte ihm, daß beide in einem bedauernswürdigen Zu-stände im Veit? lägen. Slawata hatte eine starke Wunde am Kopfe erhalten und mußte bleiben. Martinitz aber entkam verkleidet nach München und starb erst 6 Jahre nach diesem mißlichen Vorfalle, der fast noch berühmter geworden ist als der dreißigjährige Krieg selbst. Ein Lobkowitz saß mit dem Martinitz lm Statthalterrathe, ein Lobkowitz war es, der ihn oben zum Fenster hinauswarf, und ein Lobkowitz wiederum, der ihn unten freundlich empfing. Auch ist eS nun endlich, wie gesagt, ein Lobkowitz, der mit ihm und neben ihm in der Nahe der Wenzelscapelle in der St.-Veitskirche ruht. Eigentlich ist der Familienname dieser Lobkowitze vom Hause aus „Popel," und in allcn alten Büchern und Chroniken werden sie nur Popel genannt. Daher kommt auch der Wahlspruch, den noch jetzt die Lobkowitze im Wappen führen: „i'opol sen,, Popel ducw," was zweierlei Bedeutung haben könnte; denn erstlich heißt eS: „Gin Popel bin ich, ein Popel werde ich," und man könnte dieß auf den großen Familienstamm der Lobkowitze beziehen, wo sich immer von unvordenklichen Zcitcn her big in alle Ewigkeit ein Lobkowitz auS dem andern entwickelt. Zweitens bedeutet Popel S2 aber auch soviel als Asche, und jener Spruch heißt daher auch: „Asche bin ick), Asche werde ich." — Veide Deutungen enthalten eine gleich unbestreitbare Wahrheit. In dcr Wenzelcapelle war ich besonders neugierig, zu erfahren, an welcher Stelle hier die böhmischen Krönungsinsignien aufbewahrt werden möchten. Dcr Führer, den ich hatte, sagte mir, er dürfe mir das nicht sagen. Denn dcr Ort, wo diese Sachen, d. h. übrigens blos die Krone und der Scepter, in der Mauer versteckt bewahrt würden, wäre eln geheimer und würde jedem Fremden verborgen gehalten. Es sei eine eiserne Thür vor der Maueröffnung, in dcr sic liegen, und diese eiserne Thür sei mit drei Schlossern verschlossen, zu denen drei verschiedene Schlüssel wären. Und jeder dieser drei Schlüssel habe einen anderen Vewahrer; den einen habe der Oberstburggraf, den anderen der Grzbischof und den dritten, glaube ich, der Oberstkanzler. Ich bat ihn dennoch dringend, er möchte mir den Ort anzeigen, wo sie wären, weil ich ihm gestehen müßte, daß ich in der Nähe jedes historisch interessanten Gegenstandes gern weilte, da ich eine besondere Empfänglichkeit in mir spürte sür die Wahrnehmung der von ihm ausströmen« den elektrisirenden Gindrücke. Ich sagte ihm, daß ich in Bezug anf Antiquitäten eine Art von CaSpar Häuser wäre, und daß ich, wie dieser die Ginwirkungen des Silbers von denen des Goldes unterscheiden gekonnt hatte, auch we»n sie durch Papier verdeckt gewesen waren, eben so die Gindrücke von Königskronen und solchen Dingen spüren könnte, auch wenn sie in einer Mauer 93 Men, und daß ich mich gern in ihrer poetischen Atmosphäre badete. Insbesondere aber würde ich dieß äußerst gern thun bei einer so ungemein interessanten Krone, die von so vielen böhmischen Königen und deutschen Kaisern getragen, um die so mancher blutige Strauß gekampft worden wäre, und die selber auch so vielerlei Schicksale erlebt hatte, die Joseph II. nach Wien hätte führen lassen, die schon der Winterkönig (so heißt Friedrich von der Pfalz) eingepackt gehabt, aber in Angst und Eile der Flucht mit sammt den noch mit anderen Kostbarkeiten gefüllten Koffern und Kisten mitten auf dem Prager Markte hätte stehen lassen, —> dieselbe alte Krone und derselbe Scepter, die schon Kaiser Sigismund früher einmal entführt hatte, derentwegen die hussttischen Stände unter den 14 Veschwerdeartikeln, die sie Anno 1421 an diesen Kaiser schickten, und die so anfingen: erstlich, haben Ew. Majestät zugelassen, daß der Magister Johann Huß, ungeachtet des gegebenen Geleits, zur Schande und zum Spotte der ganzen böhmischen Nation, ist verbrannt worden, auch folgende aufnahmen: Elften s. Haben Ew. Majestät die Reichsheilig« thümer, welche der Kaiser Carl mit vieler Mühe und Unkosten nach Böhmen, zur Ehre der Nation, gebracht hat, ohne Wissen der Stände aus dem Lande geführt. Zwölftens. Haben Ew. Majestät verschiedene »Kleinodien, welche unsere Vorväter mühsam erworben und zur Ehre Gottes und unserer heiligen Patrone, als einen Schatz deö Königreichs aufbewahrt, wegge« 94 nommen und verschwendet, zum großen Schaden des Landes. Dieselbe Krone und derselbe Scepter, die doch immer zurückgekehrt wären und nun wieder in den heiligen Mauern der Mctropolitankirchc steckten. Es war MittagS 1 Uhr, draußen regnete cs unbarmherzig, und ich war ganz allem mit meinein Caplan in der Kirche. Hierdurch ermuthigt und durch meine Reden bewegt, sagte er endlich, indem er die Wcnzels-capelle öffnete, zeigen dürfe er mir den Ort nun einmal nicht, weil dieß auf alle Kriegs- und Friedensereignisse, die vorkommen tonnten, Freunden und Feinden verborgen bleiben müsse, aber ich sollte auf ihn aufpassen; wenn wir an das Bild kämen, wohinter die eiserne Thür des Kronen- und Sccpterschrcines stocke, so wolle er etwas mit dem Kopfe nicken und mit den Augen zwinkern, und ich könnte dann daraus schließen, daß ich mich im Bereiche der im Dunklen verborgenen Krondiamanten befinde. -Ä ,-, Wir fingen nun an, alle die interessanten Dinge, welche sich in dcr Lapcllc des heiligen Wenzels befinden, zu besichtigen, erstlich die schönen Achate und Jas-pisarten, mit welchen die Wände dieser Capelle ausgelegt sind, — dann die Grabmäler dcr ältesten böhmischen Herzoge, die man hier errichtet hat, — und endlich den Ring, an welchem sich der Herzog Wenzel festhielt, als er, von seinem Vruder verwundet, niederstürzte. Dieser sein Bruder, Namens Voleslaw, war nämlich nach der Krone begierig und stellte sich an dic Spitze einer Ner- schwörung der mit der Regierungswcise Wenzel's Unzufriedenen, denen Wenzel zu fromm, zu gläubig und zu Priesterliebend war. Wenzel, der in seiner Frömmigkeit so weit ging, daß er sogar eigenhändig den Weizen und die Trauben, die znr Vereitung des bei'm Abend« mahle nöthigen Weines und Brotes nöthig waren, schnitt, mähte, drosch, kelterte, buk und gähren ließ, und der über alle diese frommen Arbeiten und über das Kir-chenbaum und Kirchenbaubesichtigen die Staatsgeschäfte vernachlässigte, kam eines Tages zu einem Kirchweihfestc nach Punzlau und war hier zu Gaste bei seinem Bruder Voleslaw, der daselbst residirte und bei dieser Gelegenheit seinen und der Verschworenen Plan zur Ausführung brachte. Nach Palazky ging es dabei so zu: Am Morgen des Tages nach der Ankunft am 28. September 936 eilte Wenzel wie gewöhnlich auf das Morgengeläute in die Kirche. Vor der Thüre derselben begegnete er seinem Wirthe und Vruder Voleslaw und lobte freund' lich selne gute Vewirthung von gestern. Da sah ihn Voleslaw spöttisch an und sagte, indem er sein Schwert zog und ihm einen Schlag über den Kopf gab: „so will ich Dich heute noch besser bewirthen." Er traf lhn aber nicht tödtlich, und dcr sich vertheidigende Wenzel ergriff den Mörder, entwand ihm das Schwert und warf ihn selbst zu Voden. „Das verzeih' Dir Gott, Bruder!" rief er ihm zu. Voleslaw schrie um Hülfe, als wäre er der Angegriffene, und seine Diener und Ntitverschworcnen liefen herbei und sielen über den Herzog her. Dieser schlug sich, obwohl schwer verwundet, 96 bis zur Thüre der Kirche, in der er Rettung suchen wollte, durch, sank hier aber nieder, von den Streichen der Verschworenen durchbohrt, und erfaßte, noch immer kämpfend und sterbend, den metallenen Ning der Kirchenthür, den cr noch krampfhaft in Händen hielt, als er schon todt war. Als man später seinen Leichnam hierher auf den Hradschin in die von ihm gegründete St.-Veitskirche schaffte, wo man ihn dann auch seines frommen Lebens und unglücklichen Endes wegen als einen Heiligen verehrte, brachte man auch jenen Thürring mit, den hier nun jeder Reisende betasten kann, auch wenn er nicht Lust hätte, auf die Weife des Herzogs Wenzel die Canomsirung sich zu erwerben. Darnach kamen wlr zu dem (Grabmale des Herzogs Vrzctislaw II., besahen dann einige Bilder heiliger Personen, der heiligen Lud-milla, des heiligen Christophorus u. s. w. Ich behielt meinen Kirchendiener immer scharf cm Auge, und es entging mir nicht, bei welchem Gemälde er mit dem Kopfe nickte und mit den Augen zwinkerte, so leicht und vorübergehend er cs auch machte, aus Furcht, daß sein Miencnspiel einer offenbaren Verratherei zu ähnlich werde. Der Leser und ich wissen nun schon, was es damit auf sich hatte. Aber nur ich weiß, welches von jenen genannten das rechte Vild war, und darf es auch dem Leser nicht verrathen, um die Krone VöhmenS nicht einer schrecklichen Gefahr blos zu stellen. Gern wandelt jeder Vöhme zum Monumente des heiligen Nepomul in die Wenzelscapelle und in die Grabcapellm der übrigen Herzöge und Könige, denn sie 9? umschließen und zeigen Namen und Dinge, welche die (Geschichtschreiber seines Volks mit Vorliebe schmücken und die er selber ehemals in der Schule und im väterlichen Hause in dem goldenen Lichte seiner jugendlichen Phantasie verherrlicht erblickte. Aber auch die interessante Hradschiner Metropolitankirche hat ihre Kehrseite. Den Heiligen Nepomuk und Wenzel gegenüber auf der anderen Seite der Kirche sieht man in einer Neihe uon Vo-tivtafeln oder Monumenten, in Holzschnitten und Ocl-gemälden dcn Sieg am weißen Verge verherrlicht, den die Böhmen beweinen, und der folgenreicher war als alle anderen je in Böhmen erfochtenen Siege; denn er stellte den Zustand des Vandes seit mehr als 220 Jahren bis auf unsere Zeit hinab fest. Da sieht man in rohen Holzschnitten die Schlacht am weißen Verge dargestellt, den Einzug des Herzogs von Baiern, des Feldherrn des Kaisers Ferdinand, in Prag und die Flucht des unglücklichen Winterkönigs, das Gericht, das Ferdinand anordnete, bis endlich zu dem frommen Gebete, das er nach der Pacificinmg Böhmens mit seiner Gemahlin Mconore, seinem Sohne Ferdinand lll. und dessen Frau in frommer Andacht knieend verrichtete. Kein Deutscher, kein Oestcrreicher, kein Menschenfreund kann dem Böhmen sein Mitleid versagen, wenn er ihn trauernd durch diese Bildergalerie schreiten steht. Denn in der That, wer kann sich der Thränen über das Schicksal, bag sich die Menschen bereiten, erwehren, wenn er bedenkt, mit welchen furchtbarm Wehen der Utraquismus und Protestantismus zum Lichte emporrang, und wie-i. 7 W derum mit welchen schrecklichen Reactionen in Vöhmen diese Geburt in's NichtS zurückgeworfen wurde. Die Schilderungen, welche uns die böhmischen Ge< schichtschreiber vom Zustande des Landes unter den letzten milden Kaisern und Königen des scchszehntcn Jahrhunderts entwerfen, unter Marimilian ll. und Rudolph 1l., sind wirklich reizend. Wissenschaften nnd Künste blühten im Lande. Maler kamen und schmückten die Kirchen der Städte. Gemäldegalerleen wurden angelegt. Tycho Vrahe und Kepler und andere eminente Geister des Jahrhunderts arbeiteten, schrieben und lehrten in der böhmischen Hauptstadt. Die Schulen waren bortrefflich in Stadt nnd Land, und es gab selbst Frauen, die sich in Gelehrsamkeit und Kenntnissen auszeichneten. Dichter und Redner erhoben sich, und die Sprache, in der sie redeten, ist noch jetzt den Böhmen classisches Muster und Vorbild. Die verschiedenen Neligionspartcien, die „Herren suk mill und »uk utraquo," die Hlissiten, böhmischen Brüder, Katholiken und Protestanten hatten sici, mit ihren Meinungen und gegenseitigen Abneigungen einigermaßen in's Gleichgewicht gesetzt, und die religiöse Duldsamkeit war im Allgemeinen groß, selbst so groß, daß man sogar in einem Dorfe oft dreierlei verschiedene Parteien mit drei Predigern an der Spitze in Frieden bei einander fand. Und wo etwa eine Streitfrage entstehen konnte, da waren durch ausgleichende Gesetze, durch kaiserliche Majestätsbriefe die Rechte der Parteien bestimmt. Die Engel im Himmel mußten sich über diesen Zu- 99 stand freuen. Aber die Jesuiten hatten ihr Aergerniß daran. Sie machten das Waffer trübe, sie warfen den ersten Fellerbrand in das Gebäude. Sie hatten die Herzen der Fürsten in ihren Händen, und als nun auf ihr Anstiften das Gebäude in Flammen gericth, da schickten sie von allen Seiten Fürsten und Heere in's Land, welche die Brunst löschten und bei der Gelegenheit das Gebäude selber niederrissen. Die Schlacht am weißen Verge, welche die aufrührerischen Böhmen unter Friedrich von der Pfalz, dem Winterkönig, gegen Maximilian von Vaiern verloren, entschied Alles. Maximilian's und Ferdinand's Truppen besetzten Prag und von hier aus daö ganze La„d und hielten es wie ein unglückliches Schlachtopfcr fest bei den Operationen, die nun Ferdinand II. auf Anstiften der Jesuiten mit ihm vornahm, und die eine in der That frappante Achnlichkeit haben mit denjenigen Anordnungen, die Philipp II. in Belgien getroffen hatte. — Zunächst ließ man in Prag ein Schaffot errichten, das die Haupträdelsführer der Cm-pörung der Ncihe nach besteigen mußten. Das große Urtheil über die Hochvcrrather, das man hier in Ausführung brachte, ist wirklich ein Meisterstück von detail-lirter Criminaljustiz. Es war darin angegeben, wer mit dem Veilc, wer mit dem Schwerte hinzurichten sei, wem die rechte Hand vor der Hinrichtung, wem sie n a ch derselben abzunehmen sei, wem und wie die Zunge zuvor auszulösen sei; ebenfalls war genau bestimmt, wie man die Leichname der bereits todten Hochverräther zu behandeln und hinzurichten habe, wen man in 4 oder 7* 100 8 Stücke zerschneiden muffe, und wo, auf welchen Thoren oder öffentlichen Plätzen diese Stucke aufzustellen seien. Nach diesem Gerichte begann man mit der Contre« reformation.' sts wurden in allen Städten Böhmens und jedem Hause dieser Städte jeder Frau, jedem Bürger, jedem Knecht, jeder Magd, jedem Gesellen, jedem Burschen die Fragen vorgelegt! I) Seid ihr katholisch geboren? 2) Seid ihr katholisch geworden? 3) Versprecht ihr, katholisch zu werden? 4) Wollet ihr auf keine Weise katholisch werden? Wer nicht katholisch werden wollte, dem wurde alles bürgerliche Handwerk verboten, und die Meisten von ihnen wurden auch ihrer Güter beraubt und zum Lande hinaus getrieben. Man ging damit so weit, daß man sogar die nicht katholischen Armen und Kran-» ken aus den Hospitälern warf und befahl, es sollten nachher keine anderen als katholische angenommen werden. Nachdem diese Dinge, deren Detail schrecklich ist, binnen sieben Jahren in's Werk gerichtet waren, kam der Kaiser mit seiner Familie selbst nach Prag und ließ nach Zusammenberufung eines allgemeinen Landtages seinen Sobn Ferdinand III. zum Könige krönen. Keiner von den Ständen, die noch wenige Jahre zuvor die Frage besprochen hatten, ob man aus Vöhmen nicht lieber eine Republik machen wolle, statt den Friedrich von der Pfalz zum Könige zu wählen, nach dem Vorbilde der Schweiz und Hollands, unterstand sich jetzt, die Frage aufzuwerfen, ob Vöhmen ein Nahl- oder Erbkönigreich sei. Ferdinand annullirte dm Majestäts- brief und die übrigen Privilegien der böhmischen Stande und schaffte den Gebrauch der böhmischen Sprache bei den Gerichten ab. Die Vornehmen nahmen die deutsche Sprache an, nnd der Bürger mußte sie anch lernen, weil die Mönche in den Kirchen deutsch predigten. Man fing in den Städten an, sich der böhmischen Sprache zu schämen, auf die sonst doch der Adel stolz gewesen war, und die man selbst am Hofe deutscher Kaiser geredet hatte. Nur der Bauer Pflanzte sie noch fort, und man nannte sie hinführo nur die Vauernsprache. Co hoch die Böhmen unter den vorigen Kaisern in Wissenschaften und Künsten gestiegen waren, so tief sanken sie jetzt in Unwissenheit. Um das Volk noch mehr in der Finsterniß zu erhalten, zogen die Jesuiten von Stadt zu Stadt als Missionäre und nahmen den Leuten die Bücher weg, welche man verbrannte, und „ein böhmisches Buch" oder „ein rares Vuch" ist seitdem in Böhmen eins. Die Böhmen änderten damals sogar ihre Tracht. Visher hatten sie lange Barte, weiße Kragen, kurzes Haar, kurze Mantel, Gürtel um den Leib und breite Beinkleider getragen, wie man es noch auf alten Gemälden aus jener Zeit sehen kann. Sie nahmen nach und nach die heutige Kleidung an. „Ich muß hier noch erinnern/' setzt der alte Pelzet am Schlüsse seiner Betrachtungen über die Folgen der Schlacht am weißen Berge hinzu, „daß von dieser Zeit an die Geschichte der Böhmen aufhöre nnd die Geschichte anderer Nationen in Böhmen anfange." Böhme» steht nun ganz ähnlich da, wie seine Me- 102 tropolitankirche, wie blest unvollendet, wie diese ^oll Narben und halb verwittert, wie diese aber auch dem Frieden und der Ordnung zurückgegeben. Man muß die böhmischen Landtagsurrordnungen lesen, um zu sehen, wie weit und nach welchem Plane die Böhmen das Staatsgebäude auszubilden trachteten; in das kleine Zimmer aber muß man treten, in welchem der Kirchenschatz und die Rcichsheiligthümer aufbewahrt werden, um zu sehen, in welcher Größe die St.-Veitskirche ausgeführt werden sollte. Es befindet sich nämlich in diesem Zim° mer, das über dem Gewölbe einer der kleinen Neben-capellen versteckt ist, und zu dem eine enge Stiege hinaufführt, eine vollständige Zeichnung von dem ganzen beabsichtigten Vaue der Kirche. Man entnimmt daraus mit Bedauern und Schrecken, daß die Kirche, wie sie jetzt dasteht, nur ein kleiner Anfang ist und ungefähr ein vollendetes Drittel der ganzen Arbeit ausmacht. Der Reichthum an kostbaren Sachen in dieser Schatzkammer ist wirklich bedeutend. In einem einzigen Schranke befinden sich z. V. nicht weniger als 32 verschiedene Sorten von goldenen Infuln, und zwar von jeder verschiedenen Sorte 12 Stück. Ich hob einige auf und bemerkte meinem Führer, sie seien außerordentlich schwer. „Ach und doch," sagte er, „tragen sie unsere Herren so außerordentlich gern." — Man zahlt in unzahlbaren Schubladen 368 Meßgewänder, das eine reicher und prächtiger als das andere, lauter Fürsten-mantcl. Nur einS darunter ist der Art, daß es zu einem Fürsten- und einem Vettlermantel zu gleicher Zeit 103 taugt. sss ist nämlich aus gemeinem Stroh, dabei aber so ungemein zierlich gestechten und bearbeitet, daß es einer feinen Stickerei gleicht. Die meisten dieser Gewänder sind Geschenke böhmischer Herrschaften, und Man lernt hier viel für die eigenthümlichen Gebrauche und den großen Reichthum dieser Herrschaften Lehrreiches. So ist z. V. ein Meßgewand hier, das cine Grafin Tschermn aus ihrem Hochzeitstleide machen ließ, so wie ein anderes, welches aus dem Krönungskleide Maria Theresia's verfertigt wurde. Und eine der reichsten hier aufbewahrten und bei feierlichen Gelegenheiten benutzten Monstranzen hat der Fürst von Schwarzenberg mit einer Menge von kleinen goldenen Reben und Trauben behängen lassen, deren einzelne Beeren lauter Edelsteine sind, und dann mit allen dm Knöpfen, die er an sei» mm Hochzeitsgewande trug. Jeder dieser Knöpft stellt ein aus einem Edelsteine sehr künstlich gearbeitetes und in Gold gefaßtes Thier vor. Welche Verschwendung! Und welche sonderbare Sitte, Hochzeitsgewander von Damen und Herren dein Dienste der Kirche zu weihen! Eins der Gewander ist von Maria Theresia eigenhändig gestickt, andere von den Händen anderer vor« nehmen Damen. Die wundervollste Stickerei aber ist aus dem ''Anfange des vierzehnten Jahrhunderts von der böhmischen Königin Anna („^nna Karolewu» tscuegka"). Sie und ihre Schwester Elisabeth waren die letzten Sprößlinge aus dem alten böhmischen Fürstenstamme des Przcmysl, den Libussa aus dem Dorfe Staditz bei T'epütz auf dcn Thron rief. Es ist in der That der 104 Mühe werth, daß unsere jungen Damen, die sich feiner Stickereien rühmen, hierher kommm und sich einmal die Arbeit dieser letzten Przemyslidin ansehen. Es ist eine feine weiße Leinwand, in welcher mit goldenen Faden die künstlichsten und zierlichsten Figuren und Blumengewinde eingestickt sind. Die Stickerei ist auf beiden Seiten gleich und so äusierst accurat nnd künstlich gemacht, daß man nicht aufhören kann, die Arbeit zn bewundern. Dabei geht es mit steter Wiederholung und unerschöpflicher Entwickelung neuer Formen und Figuren ft durch 33 Ellen hindurch; denn so lang ist das ganze Stück. Die Länge des Weges, den die kleine Nadel und die zierlichen Finger der Königin, den goldenen Faden hinter sich herschleppend und über die Leinwand hin- und hcrwandernd, machten, betragt mehr als zehn Stunden Weges, und sie muß, scheint es, mehr als eineS halben Lebens Mühe darauf verwandt haben. Sie verfertigte diese Arbeit in der Frcmoc und sandte sie den: Hradschine, dem Sitze der ganzen nun abgeschlossenen Reihe ihrer Vorfahren, als Angebinde der letzten Przc-myslidin. — Ihre Schwester Elisabeth und ihr Bruder Wenzel waren ihr bereits im Tode vorangegangen. Traurig ist das Schicksal dieser letzten Przemysliden, und manches böhmische Gedicht ist ihrem Untergänge gewidmet, namentlich dem gewaltsamen Tode des liebenswürdigen Königs Wenzel, des Dritten seines Namens. -^- Auch der Zustand Böhmens war zn dieser Zeit so traurig, wie gewöhnlich der Zustand der Königreiche »ach dem Untergänge alter Dynastiem und vor der 105 sicheren Befestigung einer neuerm Dynastie zu sein Pflegt. „Ein jeder Mensch, der gesunde Augen hat, fliehet die Finsterniß und suchet das Licht! Das Königreich Böhmen, so itzt mit Nacht, Trübsal und Kummer überzogen ist, nimutt gleichfalls seine Zuflucht zu dem Lichte des berühmten Namens Deiner Majestät," so begann am 15. Juli 1310 aus der Versammlung der deutschen Reichsstände zu Frankfurt am Main der Abt von Kö-nigssal, der Sprecher der böhmischen Abgesandten, seine Anrede an den deutschen Kaiser Heinrich, den Lnrem-burger, den sie bewegen wollten, seinen Sohn Johann den Vöhmcn zum Könige zu gebe», und dem er deßhalb eine kurze Schilderung von dem Zustande des Landes und von dm letzten Ereignissen in demselben entwarf. „Würdige Dich also, o Herr und Kaiser!" fuhr er fort, „uns arme Böhmen mit einem milden Blicke anzuschauen, damit wir Dir als unserem Könige «dienen mögen. Gott hat uns den königlichen Stamm, wrlcher seit dem Przemysl fünfhundert achtzig und vier Jahre geblühet, weggenommen. Der letzte männliche Sprößling desselben, unser uielbetrauerter König Wenzel, wurde in der Blüthe seiner Jahre, »lit Zulassung Gottes, von einem schändlichen Meuchelmörder um's Leben gebracht, ohne Kinder zn hinterlassen. Nur seine Schwestern, Anna und Elisabeth, waren noch die einzigen Sprossen unseres alten Königsstammes. Die Prinzessin Anna nahm Heinrich, Herzog von Karnthe», zur Gemahlin, die Elisabeth blieb aber bisher «och mlver-» 106 heirathet. — Der Erzherzog Rudolph, den wir zunächst nach der Ermordung Wenzel's wahltett, starb bereits nach einem Jahre. Nach stillem Tode geriethen unsere Herren nnd Stände abermals in Zwist über eine neue Wahl. — Die Einen schlugen den Erzherzog Friedrich, den Bruder des verstorbenen Rudolph/ vor, die Anderen schrieen: „Wir wollen keinen Oesterreicher!" Dann sagte scherzweise ein gewisser Nittcr Vcchina: „nun, so möchte „man aus dem Dorfe Staditz, woraus der vorige kö« „nigliche Stamm entsprossen, wieder einen Bauer holen „und ihn aus den Thron setzen." Darauf kam es zum Zank, jener Vechina und Andere wurden erschlagen. — Endlich aber wählten wir jenen Heinrich von Kärnthen, den Gemahl der Anna, und er gelangte hierdurch auf den Thron, den er noch besitzt. Mein er herrscht sehr unordentlich, und unter ihn: sind der Friede und die Gerechtigkeit — vielleicht unserer Sünden wegen — aus dem Lande verschwunden. Täglich werden unter seinem Regimente Räubereien und Mordthaten ausgeübt, «nd er thut, als wüsitc er nichts davon. Er schleppt das Gold und Silber aus unserem Vöhmen nach seinem Kärnthen und begegnet der Prinzessin Elisabeth, seiner Gemahlin Schwester, sehr hart, wie er sie denn sogar in ein Gefängniß eingesperrt hat. Sie ist daraus spater entflohen nnd hat mm die gerechten Waffen gegen ihren tyrannischen Schwager erhoben. Diese Elisabeth ist auch eine böhmische Erbin; sie ist ein tugendhaftes, edles, gutherziges m,d schöneö Frauenzimmer (,,ein brafes und schmuckes Mädel." wie die jetzigen Böhmen, 107 und vielleicht auch die damaligen, zu sagen Pflegen). Auch sie bittet «lit uns zugleich, daß sich Deine Majestät unserer erbarmen, und in der Person Deines jungen und mit so seltsamen Tilgenden geschmückten Sohnes Iuhann uns einen König und ihr einen Gemahl geben möchte." Es geschah dieß nun, und Johann rückte mit deutscher und böhmischer Heeresmacht vor Prag, wo ihm die Bürger zugethan und auf seiner Seite waren. Sie ließen ihn bitten, an das Zderaser Thor zu rücken, sobald er den nächsten Morgen das Geläute von der Theinkirche hören würde. Die Prager Fleischer hieben das Thor in Stücken und ließen den Konig Johann mit der ganzen Macht in die Stadt. Der Herzog Heinrich nahm mit seiner Gemahlin Anna die Flucht. Diese stickte ihr goldleinenes Gewand für die Veitskirche auf dem Hradschin in der Verbannung. Aber auch ihre Schwester Wisabeth starb unglücklich. Denn ihr Gemahl, der König Johann, regierte die armen Vöhmen, als er zur Herrschaft gelangt war, nicht milder als seine Vor« ganger, und seine Gemahlin starb, mit der Tröstung ihrer gedrückten Landsleute und init Andachtsübungen beschäftigt, im Jahre l330 nach einer langwierigen Krankheit im 39stm Jahre ihres Alters im Haltst des Propstes Johann auf dem Wissehrad, und mit dem Tode beider Prinzessinnen erlosch nun der alte böhmische Kö-nigsstamm auch in den weiblichen Linien. Auch von anderen Damen befinden sich hier im böhmischen Schatze noch manche Reliquien, so z. V. das Nähelästchen der Kaiserin Eleonore. Es ist dieses zier« 108 liche Geräth, obgleich es für den alltäglichen Gebrauch einer Hausfrau bestimmt war, unendlich viel bedeutungsvoller und, so zu sagen, gelehrter allsgeschmückt, als man jetzt noch die Dintefasser oder die Arbeitstische oder andere wichtige Geräthe der Weisen, Professoren und Gelehrten ausstaffirt. Denn es ist an diesem Nähe-kastchen vom Künstler ein ganzer Thierkrcis angebracht und außerdem oben darauf eine Arche Noah's mit allen darin enthaltene» Thieren in zierlicher Nachbildung. Au wirtlichen Reliquien von heiligen Gegenstätldeu ist hier ebenfalls Uebcrstuß, z. V. ein sehr zierlich ausgekleidetes Händchen von einem der kleinen Kinder, die bei dem Vethlehemitischen Kmdermorde um's Leben kamen, — ein Stück von dem .Tischtuche, das dein Heilande und seinen Jüngern bei'm Abendmahle diente, — so wie des Kruges, aus dem die letzteren dabei tranken, — ein Nagel vom Kreuze des Erlösers, der rund umher von schönem reinem Ducatengolde eingefaßt ist. In ein Kreuz eingelegt, befindet sich hier ein Stück vou dem Schwämme, mit dein Christus am Kreuze getränkt wurde, und ein Dorn von seiner Dornenkrone. Dieses Kreuz küsse» die Könige von Böhmen bei ihrer Krönung. I» der That, in der Reliquiensucht sind wir Christen weiter gegangen als irgend eine andere Reli-gionspartei. Eine vollständige Uebersicht und Classifi-cirung aller der Reliquien und Reliquienclassen würde ein nicht geringes Interesse gewahren. ES würde zeigen, Wie weit hier die christliche Phantasie ging und was sie Alles mit besonderer Vorliebe umfaßte. 109 Auch von dem Grabe Abraham's, Isaak's und Jakob's findet sich hier noch manche Reliquie, die Gottfried von Bouillon mitbrachte. Der übrige Krönuugsapparat, ausier der in der Wenzelscapelle versteckten Krone und dem Scepter, Prangt ebenfalls hier oben, so z. V. die vler gegossenen Statuen der uraltesten, echt tschechischen Heiligen Adalbert, Wenzel, Veit und Ludmilla, die dem Könige bei der Krönung vorangetragen werden, und dann das Staats-schwcrt der Könige, mit dem sie nach der Krönung gewöhnlich einige Herren zu Rittern schlagen. Es ist dieses Schwert ungemein leicht. Es war vor einiger Zeit eln wenig Rost hineingekommen, etwa in der Mitte der Breite. Damit es nun nicht heiße, Böhmens Staatsschwert roste, hat man diese Stelle herausgeschnitten oder herausgesägt. Dem dadurch entstandenen Loche hat man die Gestalt eines Kreuzes gegeben. Das Loch in Krcuzgrstalt habe ich selbst gesehen. Daß die Ursache und der Zweck dieses LocheS die beabsichtigte Weg« schaffung des Stoffes gewesen sei, erzählte man mir. Oeffentliche Institute und Klöster. Aic königliche Bibliothek befindet sich m dem sogenannten großen Collcgiumsgcbaude Der Besuch, den ich ihre» 1W,l)l)l) Büchern machte, fiel gerade auf einen gcräusch- lind geschaftÄosen Nachmittag. Das Lesezimmer, die Vüchcrsäle, die am Morgen noch von fleißigen Gelehrten, Schriftstellern und Schülern belobt waren, zeigten sich nun ganz still wie ein ausgestor-bcner Bienenkorb. Es war eigentlich eine ungewöhnliche Zeit für den Besuch der Bibliothek, der gütige Bibliothekar machte aber eine Ausnahme und scheute nicht die Mühe, für mich die doppelten Schlosser der doppelten Thüren zu öffnen und sorgfältig wieder zu schließen. Und als das letzte schwere Schloß nun hinter uns zufiel, — wobei ich mich noch gern behülflich zeigte, — und ich dann den Blick durch die langen Hallen und Säle schweifen ließ, überrieselte mich ein geheimer Schauer, der gemischt war mit einem Gefühle von Wollust, das mich auf einer Bibliothek, wo die Ill Tische mit den Producten deS menschlichen Geistes so reich bedeckt sind, immer anwandelt. Wir waren für diesen Nachmittag von der Welt durch starke Mauern und Nickel geschieden, Cinsiedlcr in einer Eremitage, in der sich fast alle Früchte, die der Vaum der menschlichen Erkenntniß wenigstens in Europa trug, aufgespeichert befandet«. Ich dachte an Odysseus, wie er sich in der Höhle des Cyklopen die schön geputzten Näpfe besah, in denen die fette Milch schwamm, und die Käse- und Vuttergefasic, in reinlichen Reihen geordnet, und die Tonnen voll Honigseim, bis an den Naud mit Labung gefüllt. Der Unterschied war nur, dnß der Cyklope den OdysseuS eingesperrt hatte, während wir umgekehrt unseren Cyklopen, die lärmende Welt, aussperrten. Zu jener Zeit, als in Prag noch auS allen Theilen Deutschlands sich, wie Einige, wohl stark übertreibend, behaupten, 60,999 oder, wie Andere mildernd sagen, 40,000 oder auch, wie Alle zugeben, doch 20,000 Studenten *) hier zusammenfanden, mag es in diesen Hallen, buchstäblich wie in einem Bienenkörbe gewimmelt haben, und noch jetzt sind in der That die ') Selbst dicscs Minimum ist immer noch bedeutend genug, und cs bleibt mir etwas Unbegreifliches dabci. Dcnn'es möchten wohl jctzt auf allen dcutschcn Universitäten kaum mehr Studenten sich zusammenrechnen lassen. Und doch gab es auch damals schon noch andere deutsche Universitäten. Und viele Deutsche gingen nach Italien, und dabei haben wir jctzt weit mehr Einwohner in Deutschland und weit mehr Lrute, die sich mit Wissenschaften beschäftigen. 112 Lesezimmer, die Geschäftsstuben und die Vüchersäle ft groß, daß jene Zeit, wo die Prasser Universität nicht weniger als 66 Decane zählte, immerhin des Gebäudes wegen noch einmal wiederkehren könnte. Unter diesen 66Decanen, welche an der Spitze der verschiedenen Nationen, in die sich die Studentenschaft theilte, standen, waren nur 12 böhmische. Tic Deutschen hatten bei Weitem die Neberhand. Wie noch ietzt, so bestand auch schon damals eine beständige Spannung und Reibung zwischen der deutschen und böhmischen Partei. Huß war von der letzteren. Um der Deutschen Ginstuß an der Universität zu vernichten, schlug er vor, daß in allen Universitatsangelegenheiten die einheimische böhmische Nation zwei Stimmen nnd alle nbri-gm Nationen zusammen nur eine Stimme haben sollten, man solle auch hierin, wie in den anderen Einrichtungen/ die Universität in Paris zum Muster nehmen. Dieser Vorschlag insbesondere führte die Auswanderung der Deutschen im Jahre 1409 und den Verfall der Prager Universität herbei. — Die Präger tha-lm sich selbst dadnrch großen Schaden, und es fehlte damals auch in Böhmen selbst nicht an Pasquillen auf die böhmische Partet. Die erbitterten deutschen Studenten und Professoren aber, so erzählt und meint man noch jetzt in Prag, gingen hinaus und klagten Husi bei der Geistlichkeit nnd bei'm Kaiser an, und ihren rachsüchtigen Anschwärzungen, mit denen sie ihn bei'm Kaiser und Papste verfolgten, ist seine Verurtheilung 113 noch weit mehr zuzuschreiben als der Furcht und Abneigung vor seinen Grundsätzen. Wenn damals die Prager Universität nicht mehr Bücher hatte als jetzt, so konnte jedem Studenten, wenn Man auch die ganze Bibliothek preisgab, doch nicht wehr als ein Werk von einigen Bänden übergeben werden. Denn die Summe aller Vande beträgt noch nicht völlig 100,000. Am 26. Juli 1841 war die gahl gerade 99,888. Die Kataloge sind so eingerichtet, daß die laufende Anzahl jedes Tages sich in einem reinen Facit herausstellt. Es giebt unter dieser Anzahl trotz dein, daß Wien schon manches Ausgezeichnete von hier bezog, doch immer noch Vücher, die ebenso gut einer Beschreibung werth sind, wie irgend eine andere Stadt- und Landmerkwürdigkeit. Eins der interessantesten ist ein großes utraquistisches Canzionale (ein Gesangbuch der Hus-siten), das mit einer seltenen Pracht geschrieben und mit herrlichen Malereien geziert ist. Vs ist dieses Vuch, das manche tausend Gulden gekostet haben mag, durch gemeinsames Zusammenwirken aller hussitischcn Vewohner von Prag entstanden. Jede Zunft und Gilde der Stadt ließ auf ihre Kosten nach einem gemein« sam entworfenen Plane einige Gesänge schreiben und malen, auch einige adelige Familien thaten dasselbe. Und jede Familie nnd Zunft setzte ihre Wappen und Zeichen der von ihr herrührenden Abtheilung des Buches vor. In allen anderen böhmischen Städten entstanden zu der Zeit der Herrschaft des Mraquismus in Vöhmen ähn-«. N ,l4 liche Canzionales dieser Art, mid ich glaube kaum, daß noch irgend eine der gegen den Papst protestiren-den Setten solche prachtvolle Gesangbücher zu Stande gebracht hat. Die Bilder in dem Prager Canzionalc find alle ausgezeichnet und in ihrer Art meisterhaft gemalt. Sie enthalten zum Theil Darstellungen aus der Bibel, zum Theil Vorfälle aus Hustens Leben, z. B. seinen religiösen Disput mit einem katholischen Priester — seine Verbrennung, bei welcher auch wieder dieser Priester gegenwärtig ist. Der Maler hat ihm aber einen zierlich und naturgetreu ausgeführten Eselskopf an-gedrechsclt. Priester mit dicken Vauchcn, Mönche, Papst und Kaiser umstehen den Scheiterhaufen deS von Engeln in seiner Pein getrösteten Huß. Der arme Huß fachte elne Flamme au, in der er zunächst selbst verbrannte und nach ihm noch vlele Andere, ohne daß doch die Nacl'welt zum Genusse des Lichts und der Wärme jenes Feuers gekommen wäre. Die böhmischen Utraquisten haben eine so traurige Geschichte, wie kaum cine andere Religionspartci, denn keine Lehre wurde unter so furchtbaren Gewaltthätigkeiten verbreitet, und keine mit so grausamer Reaction wieder fast bis auf die letzte Spur vernichtet. Auch die Wiege des Lutherthums mnbrausten wieder furchtbare Stürme, doch haben sie sich beruhigt, und was das Lutherthum erstrebte, dessen sind nun viele Millio-» nen im Frieden theilhaftig. Die Hussiten zündeten einen furchtbaren Prand an, den die Oestcrreicher bis auf den letzten Funken auötraten. Die Lutheraner aber lib machten das Feuer in ihren Oefen an und behielten Wärme im Zimmer trotz aller Katholiken. Auf dem Titclblatte eines Vuchs dieser Prager Bibliothek sieht man die verschiedenen Versuche zum Abschütteln des Jochs der katholischen Hierarchie so charakteristrt: Wik-less steht oben auf dem Bilde und schlagt Feuer an. Huß zeigt sich in der Mitte und zündet ein Licht an, Luther aber erscheint unten mit einer brennende» Fackel. Das Licht leistet mehr im Haushalte als die Fackel und gebührte daher eigentlich dem Luther. Luther's Angesicht ist auf jenem Bilde ausgelöscht, wahrend Huß unversehrt dasteht. Ohne Zweifel war dieß das Werk ei-nes katholischen böhmischen Patrioten. Der Katholi. cismus in ihm machte ihn nüt Luther so übel verfahren, stin böhmischer Patriotismus aber legte bei'm Katholicismus Fürsprache für Huß ein und hieß ihn verschonen. Ich habe oft bemerkt, wie Religion und Vaterlandsliebe bei den Böhmen mit einander in Wi« derspruch gerathen. Als Böhmen wollen sie sich gern alleS dessen, was die Hussiten Großes thaten, rühmen, als Katholiken aber können sie es nicht billigen. Der Anfang des Mraquismus fallt in die Zeit, wo die Vuchdruckerkunst noch nicht erfunden war, daher jene mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Canzionalcn. Nachher ließen die Hussiten auch viele Bü-cher in Böhmen drucken, und dann, als dieß im Lande selbst nicht mehr anging, wurden ihre Bibeln im Auslande gedruckt, viele z. B. in Venedig, dessen Drucker-eien im 16. und 17. Jahrhunderte so vielen Religions« 8* N6 Parteien dienten. Auf der Präger Bibliothek sieht man mehre in böhmischer Sprache zu Venedig gedrnck-te Vibeln, eine z. V. vom Jahre 1506, in der sich auch ein merkwürdiges Vild befindet, eine Darstellung der Hölle nämlich, in welcher der Teufel über den Papst und die Priester zertretend hinschreitet. Von fremder Hand ist daneben geschrieben: „Papst Julius II. in der Hölle" („^' pekle" lautet es auf Böhmisch). Die beßte Nibel in tschechischer Sprache entstand jedoch erst später in Mähren auf den» Schlosse Kralitz, wohin ein mährischer Großer viele böhmische Gelehrte zusammenkommen ließ, welche dann in den Jahren 1579 — 1593 die Vibel von Neuem auS dem Ur-terte übersetzten. Sie soll die neueste und unübertroffene Bibel sein, die in böhmischer Sprache und — setzen die Böhmen gern hinzu — vielleicht in irgend einer anderen Sprache e?istirt. Sie heißt- „IMIia Oiesk» Nl-nterzka," d. i. die böhmische Vruderbibel. Noch jetzt soll man sie in Berlin für die mährischen Brüder drucken. Die Kenntniß der Bibel war unter den Hus-siten, Utraqnisten, Taboriten und mährischen Brüder«, von jeher groß. Selbst die böhmischen Frauen waren ehemals so bibelfest wie Theologen. Aeneas Silvius sagte schon: „die zum Disputircn mit den Hussiten be' stimmten Geistlichen möchten eS wohl kaum mit den böhmischen Frauen in dieser Hinsicht aufnehmen können." Noch in diesem Augenblicke giebt es Frauen in Böh. men, welche die Bibel zum Theil buchstäblich «uswen- dig wissen und »nit Jede»« über jeden Punkt zu dis-putiren übernehmen. Es befindet sich hier auf der Prager Bibliothek der älteste böhmische Druck. Er ist vom Jahre 1462 von ThomaS von Acnün. Die alten böhmischen Drucke sind so solid wiedie alten deutschen und hollandischen, —- festes unverwüstliches Papier, einfache, schöne, deutliche und sorgfältig geschnittene Lettern; was daunt gedruckt ist, steht für die Dauer fest. Mehre neuere Druckpapiere sind hinfallig wie Zunder. Wir trafen hier ein neues Buch, das vor einigen Tagen vom Buchbinder zurückgekommen war. Indem wir darin blätterten, fielen von ei-Nige» Blätter» die Spitzen der Ecken ab. Mit einem Finger konnte man leicht durch das Papier hmdurchfahrcn. Wenn das so mit der Fabricinmg des Maschmenpapicrs und mit der Erfindung von solchen Schnclltrocknungs-methoden, wie sie uculich ein Franzose aufbrachte, fortgeht, so kann cö leicht dahin kommen, daß man nach 500 Jahren, nichts mehr in unseren Bibliotheken findet als die soliden Incunabcln und Pergamentmanuscriptc. Die Prager Bibliothek besteht hauptsächlich aus drei Theilen, erstens der eigentlichen kaiserlichen Nniversitats-sammlung, der die alte von den Jesuiten begründete Sammlung zum Grunde liegt, und die aus unter Joseph aufgehobenen Klöstern einen großen Zuwachs erhielt, dann aus der Kinsky'schen Sammlung, die nur zur Nutznießung, nicht als öffentliches Eigenthum hierher gegeben wurde, und endlich aus der böhmischen Nationalbibliothck, die wieder eine besondere Abtheilung 118 für sich ausmacht. Das Ganze hat jährlich 1600 Gulden auf den Ankauf neuer Vücher zu verwenden und wächst, nebst den gemachten Geschenken, jetzt in jedem Jahre ungefähr um 1000 Vände. In dem großen Vibliothckssaale finden sich die Portraits mehrer Prager Jesuiten und anderer ausgezeichneter Männer, z. V. des Jesuiten Campianus, der nach England ging und hier hierarchischer Umtriebe halber unter der Königin Elisabeth hingerichtet wurde, — dann des Professors Collin, Lehrers der griechischen Sprache in Prag, des Freundes des letzten Palalogus, der in Nom auf Vcschl der Inquisition verbrannt wurde, — ferner Georg Plachy's, des Anführers der Prager Studenten, mit denen er gegen die Schweden d!e Prager Brücke rühmlichst vertheidigte. Das interessanteste Vildniß in diesen Räumen ist aber das ln Marmor ausgeführte Brustbild Mozart's, des größten musikalischen Genius von Deutschland. Es steht dasselbe ln einer vierten kleinen Abtheilung der Bibliothek, welche in einer eigenen Halle blos die Werke dieses GeisteS, seine sämmtlichen Compositions, umfaßt. Diese Sammlung macht ein Filiale der großen Bibliothek aus. Mozart ist einer von den wenigen Deutschen, denen auch die böhmischen Patrioten ihre Hochachtung ohne Arrierepense'e gern und offen zollen. Doch setzen sie auch hier hinzu, daß mau Mozart, wenn gleich er in Deutschland geboren ward, doch gewissermaßen auch als einen Böhmen betrachten könne. Denn erstlich habe 119 er seine herrlichsten Werke hier in Prag unter dem Einflüsse des böhmischen Himmels und in der Atmosphäre der böhmischen Musik geschrieben, nämlich den Don Juan, Figaro und einige andere. Dann verstehe man auch nnr eigentlich in Böhmen diese Werke ganz. In Wien habe man ihn Anfangs gar nicht recht zu schätzen gewußt. Dort in Wien habe einmal bei Ueber-reichung eines neuen Werkes dcr Kaiser Joseph den Dichter gefragt: „Aber, lieber Mozart, warum denn so erschrecklich viel kleine Noten?^, worauf Mozart geantwortet habe: „Ew. Majestät, weil ich keine einzige von diesen kleinen Schwarzköpfen entbehren kann!" „Ach ja, Nur in Prag versteht man mich!" habe Mozart selbst zu wiederholten Malen gesagt. „Mein Vater," erzählte mir ein Böhme, „suchte einmal auf einem Kirchhofe Wiens Mozart's Grab auf. Der Todtengräber konnte Anfangs nicht recht verstehen, wen er uuter dein berühmten, dem göttlichen Mozart meine. Endlich sagte er' „Ach so, Ew. Gnaden meinen wohl den versoffenen Musikanten?" Cinc Anekdote, die mir mehr für die Charakteristik des Orts interessant war, wo sie mir erzählt wurde, alö für die Charakteristik des Orts, von dem sie handelte. Böhmische Musiker waren es, welche die schönsten Compositionen Mozart'S zuerst in die Tonwelt einführten, und böhmische Große warm es, die ihm dafür zuerst huldigten. Der Don Juan war noch nicht fertig, als die Vorstellung schon anfing. Mozart schrieb, und die Musiker spielten, von seinem Geme inspmrt, seine Com- GW) Position ohne Probe vom Blatte weg. Vielleicht ist noch nie ein solches Meisterstück des menschlichen Geistes so rasch, einem Blitze gleich, in's Leben getreten. Nur in dem Leben Shakespear's findet sich vielleicht etwas Aehnliches. — Der böhmische Reiche, bei dem Mozart in Prag Hausfreund war, war der Graf Pachta. Für die Töchter des Hauses componirte Mozart zuweilen etwas. „Nun kommt, Mozart, setzt Euch her," pflegte wohl der Graf zu ihm zu sagen, „schreibt mir ein Paar Tänze für meine Töchter; wenn Ihr fertig seid, dann kommt zu Tische!" —> Ein von Mozart unter solchen Umständen geschriebener Tanz befindet sich noch jetzt in Prag zwischen seinen Werken. Die Inschrift auf Mozart's Monumente besagt, dasi er zu Salzburg daö Licht der Welt erblickt habe im Jahre 1756 und zu den himmlische» Harmoniern zurückgerufen worden sei zu Nicn 1791. ,^caw8," heißt es. Auch die Inschrift am Eingänge der seinen Werken geweihten Halle ist hübsch, sie heißt: „sterna innnlnentIica U5,ii conseclÄvero musicac »rtis cultores Dolicmi ^uuo 1837.« Wir haben oben angedeutet, daß die Böhmen hier und da Mozart gern, wenn auch nicht buchstäblich für einen Sohn, doch für einen Bürger ihrcö musikalischen Vaterlandes angesehen wisscu möchten, weil sein Geist und Leib hier viele Nahrung empfangen haben. Sie machen es also umgekehrt wie die Polen, welche »nö Deutschen auch den Kopernicus rauben wol-» 121 Icn, weil er in riller Stadt unter polnischer Oberhoheit gebore» worden ist, obgleich seine Aeltern Deutsche waren, sowie auch seine Erziehung und Bildung deutsch war. Es giebt noch viele ebenfalls ausgezeichnete Geister, die zwischen den Slaven und Deutschen streitig sind. Die Slaven eignen sich gern jeden Deutschen zu, der zu ihnen kommt und sich ihnen aneignet. Doch halten auch wir manchen Schriftsteller slavischen Geblüts fur einen Deutschen, weil er etwa der größeren Verbreitung unserer Sprache wegen deutsch schreibt, sowie wiederum die Franzosen manchen Deutschen, der französisch schrieb, für einen ehrlichen Franzosen nehmen. Wir Deuschen denken übrigens auch weniger an die Nationalität der ausgezeichneten Leute, welche uns aus den westlichen Slavcnlandern kommen, und nehmen sie im Allgemeinen für Deutsche, weil wir denken, wir haben einmal die Erziehung dieser Lander gemacht, wir flößten ihnen deutschen Geist und deutsche Bildung ein, und sie gebären sich nun aus diesem Geiste heraus. Je weniger genau aber wir bedenken, waö eigentlich slavisch unter uns sei, desto mehr rechnen uns die Slaven dieß nach. So z. V. muß ich gestehen, hatte ich früher nie daran gedacht, ob Huß ein Deutscher oder ein Slave sei. Ich hatte ihn, bevor ich nach Böhmen kam, immer ohne Weiteres für einen ehrlichen Deutschen genommen. Erst in Böhmen ging mir darüber ein Licht aus. „Huß" (sprich „Chuß") ist ein ächter tschechischer Vnuername. <3ö bedeutet soviel als „Gans" (auch im russischen Guß — Gans), und der 122 berühmte Huß selbst war in einem tschechischen Dorfe von slavischen Aeltern geboren- Auch mir kam der ganze Streit Hußens und seiner Vöhmen mit dem Kaiser und der deutschen Geistlichkeit, sowie die nachfolgenden Hussitenkriege, die ich gewöhnlich nur für religiöse Streitigkeiten in Deutschland angesehen hatte, in ein ganz anderes Licht, und ich sah, dasi cö weit mehr noch nationale Protestationen der Tschechen gegen die Deutchen und Theile des großen Kampfes der Slaven mit den Germanen waren. Wenn ich nicht sehr irre, so habe ich auch cin-mal in Vöhmen behaupten hören, daß es sich nachweisen ließe, daß der Erfinder des Pulvers auch ein Böhme gewesen sei. Daß aber der Erfinder der Vuch-druckerkunst kein Deutscher, sondern ein Slave, und zwar ein böhmischer, gewesen sei, ist neuerdings bei Gelegenheit der Vuchdruckerfcsie in Böhmen häufig besprochen worden, und Einige haben geglaubt, es authentisch beweisen zu können. Was die Vöhmen darüber sagen, ist dieß. W lebte im Anfange des 15. Jahrhunderts in der böhmischen Stadt Guttenberg oder Kuttenberg ein Mann mit Namen „Joseph Tschastni." Dle< ser Mann war ein Gelehrter, und nach der Weise der damaligen Gelehrten übersetzte er seinen böhmischen Namen ln'ö Lateinische und nannte sich, da Tschaötnl soviel als der Glückliche bedeutet, „laustus." Zugleich setzte er ebenfalls nach der Sitte der Gelehrten seinen Geburtsort bcl und hieß also vollständig! 5o3n. neZ?au3t,u8 Xuttendei-ßensi». Im Jahre 1421 wurde 123 er bei dem Beginn des Hussitenkrieges auö seinem Va< terlande vertrieben und kam als Flüchtling nach Straß-bürg, wo er sich bloß einfach Johann Gutenberg nannte, damit er durch diesen Namen den Nuhm der Erfindung der Vuchdruckerkunst seinem Vaterlande zuwende*). Man zeigt auch noch das Haus in Prag auf dem Viehmarkte, wo dieser Faust, der demnach init Gülten-berg zn einer Person «erschmilzt, gewohnt haben soll. Er musi ein wohlhabender Mann gewesen sein, denn es ist ein ziemlich großes Gebäude und enthalt jetzt ein anderes öffentliches Institut Prags, die Taubstummenschule, die ich theils Faustens, theils der Taub" stummen wegen besuchte. M ist dieses Institut eine Privatanstalt, die mit dem allgemeinen böhmischen Wit-wenpensionsinstiwte verbunden ist und meistens durch milde Beitrage besteht. Es gewahrte im verflossenen Jahre 41 Zöglingen Unterricht und Pflege, und 12 taubstumme Kinder erhielten hier außerdem noch bloß Unterricht; A von diesen Kindern sind etwa slavischen Stammes, ^ deutschen. Sie lernen aber alle das Deutsche, grammatikalisch und tüchtig jedoch wohl nur die Hälfte der Böhmen, dle sich technischen Ge- *) SDie ©tetfe cfnes often SQfomifcripts, cuts bte man fid) Jberuft, lautet bucbftiblirfi so: — „posteaquam artem libro-irum iiuprimeiidorum isdein Joannes Kuttenbergeusis Boemus, patria Kuttenbergensis, prius Joannes Faustus nominatus, t\m circa annum 1421 beila Hussitica fugiens in Germaniam »biit ätrustiburgi se Kuttenbergiuin a patria (ex more eju» temporia et simul ut patriam suam ab inventionc Typogra" phiae commendaret) appellavit." t24 werben oder sonstigen städtischbürgerlichen Beschäftig« ungen widmen. Die andere Hälfte, die in'ö Innere von Stockböhmcn zn ihren böhmischen Aeltern zurückkehren, lernen das Deutsche nicht. Ich habe nie recht gewußt, wie man es mache, den Taubstummen, denen »nan Sprache lehren wolle, einen Begriff davon beizubringen, was man denn eigentlich von ihnen verlange. Ich sah dieß hier zum ersten Male bei einem neu aufgenommenen Schüler. Man Icgte ihm seine eigene Hand auf den Kopf oder an den Hals und ließ ihn so die Erschütterung fühlen, die hier bei'm Sprechen entsteht, und munterte ihn dann auf, noch einmal diese Erschütterung hervorzubringen. Ist es auf diese Weise möglich geworden, ihn immer zu einer Lauterzeugung zu veranlassen, so muß dann später die Modisicirung dieses bei den meisten Taubstummen furchtbaren Urlauts, die Beobachtung der Mund - und Zungcnbcwegungen des Lehrers und ihre Nachahmung das Meiste thun. Selten ist es jedoch, daß Einer vollkommen taub sei. Starke Laute vernehmen sie gewöhnlich. Die hier Versammelten hörten z. V. alle immer das „U." Vielleicht theilen sich ihnen dergleichen dröhnende Laute, die den Voden vibriren lassen, auch schon durch das Tastgefühl der Füße mit. — Wenn wir sehr langsam sprachen, so verstanden die Kinder das Meiste, indem sie unseren Mund scharf beobachteten. Ich versuchte eö, ihnen den Vorfall mit dem Elerlegen der Rksenschlangc in Paris zu erzählen, und wir kamen ziemlich damit zu Stande.' 125 Schneller aber und ohne daß Repetition nöthig ist, verstehen sie sich unter einander dnrch ihre Zeichensprache. Die Zeichen für die verschiedenen Dinge haben sie zum Theil selbst erfunden. Ich ließ mir einige vormachen, z. V. das für Gott und den Himmel, wobei sie alle einen frommen Blick znm Himmel thaten. Als tch ihnen etwas von einem Thurme erzählen wollte und das Zeichen, das mir der Lehrer dafür angegeben hatte, dabei wiederholte, schienen sie meine Angaben nicht reimen und verstehen zu können, und als der Lehrer dazwischen trat, fand es sich, daß sie unter meinem Thurmzeichen den Papst verstanden hatten, der ebenfalls wie ein großmächtiger gothischer Thurmbau vor ihrer Einbildungskraft steht. Eins der bedeutendsten öffentlichen Institute Prags ist dieIrrenanst alt. „Freilich entspricht diese Anstalt", wie sich in einer umständlichen Schilderung derselben einer der bei ihr angestellten Aerzte ausdrückt, „noch keineswegs in jeder Beziehung den Anforderungen, die man heutzutage an dergleichen Institute macht." Allein wenn man bedenkt, wie weit man auch noch an« derswo davon zurück ist, jenen Anforderungen, jenem Ideale, daö man von einem solchen Institute aufstellen könnte, zu genügen, so wird der Leser gewiß nach den wenigen Notizen, die wir ihm über diese Anstalt geben können, geneigt sein, zu vermuthen, daß sie zu den beßten gehört, die überhaupt eristiren, und daß nur bie große Bescheidenheit, welche alle Oestcrreicher auf 126 'cine so liebenswürdige Art auszeichnet, zu jenen» gedruckten Geständniß veranlaßte. Im Durchschnitt werden jährlich 100 Kranke in dieser Anstalt aufgenommen, von denen man die Hälfte heilt, während ungefähr 20 davon sterben nnd am Ende des Jahres noch 30 in der Anstalt zurückbleiben. Im Durchschnitt sind gewöhnlich für beständig 190 Irre in der Anstalt gegenwärtig. — So groß die Nänme, die schon jetzt dem Irrenhause zu Gebote stehen, sind, so genügen sie doch noch nicht für die große Anzahl von Irren, welche sich jährlich aus allen Theilen Böhmens melden, und es wird daher in diesem Augenblicke in der Nachbarschaft des alten ein neues großes Gebäude auf dem sogenannte» Windbergc aufgeführt, welches die Bestimmung hat, in Zukunft das Hauptwohnhaus der Irren zu sein. Die Gärten, welche die Anstalt besitzt, sind groß und schön und in verschiedene Abtheilungen gebracht für die Verschiedenen Grade oder Arten des Wahnsinns. Die minder gefährlichen Irren haben alle Sonntage in dem Hanvtgarten Reunion, und lnan sorgt vor Allem dafür, daß eine hübsche Gartcnmusik dabei nicht fehle. Die Gemüsegarten werden von den Irren selbst bestellt, und hinter den Gärten breiten sich noch große Ackerfelder auS, welche ebenfalls von den Irren gepflügt und besäet werden. Cö findet sich hier sogar ein Stück Landes, das dem Hopfen gewidmet ist, damit die, welche aus dem so hopfcnreichen Vunzlauer Kreise kommen, ihre gewohnte heimathllchc Arbeit nicht entbehren. ^ Arbeit ist Vemerkenswcrth ist es, daß man nicht die gewöhnlichen Mittel zur Erlangung hülfreichcr Hände bei Errichtung des Instituts ergriff, und daß man, anstatt besoldete Veamte zu nehmen, die Dienste der grauen Schwestern zu Hülfe aufrief. Man schickte vier junge Vöhminncn nach Nancy, damit sie sich bei dm dortigen 5oeur8 ^rizes zu dem Ge« schäfle der religiösen Krankenpflege, dem sie sich widmen wollten, vorbildeten. Mit Hülfe dieser vier unverhei-ratheten Damen, denen man eine französische graue Schwester aus Nancy zur Leiterin und Aebtissi» gab, errichtete man das Institut. Die achtbaren und ausgezeichneten Manner und Frauen, welche an der Spitze der Anstalt stehen, sind der Meinung, daß die Kranken sich weit besser bei der Pflege solcher Personen befinden, die sich derselben aus freier Entschließung und religiösem Eifer widmen, alö bei solchen, die das Meiste nur des Geldes wegen und aus Furcht, entlassen zu werden, thun. Nir machten der französischen Vorsteherin selber unseren Besuch und fanden in ihr eine rüstige, rasche Frau, die, eben an ihrem Vurcan arbeitend, die Feder 9* 532 niederlegte und ihre Geschäftspapiere verlies;, um uns zn begrüßen. Sie sagte, daß das Oanzc nur noch ein kleiner Anfang sei, daß man aber an seiner Erweiterung thätig arbeite. Als ich sie fragte, ob sie sich denn hier in der Fremde wohlbesinde, sagte sie, es wäre ihr Anfangs wohl ein wenig sauer geworden, sich in alles Neue hineiiMfiuden, doch hätten ihr Gott und gute Menschen redlich geholfen. Gleich im ersten Jahre ihres Hierseins habe sie auch einmal traurig und einsam auf ihrem Zimmer gesessen und, von einer Art Heimwehs ergriffen, daran gedacht, wie viel Unbequemes doch die Fremde habe. Da habe es angepocht, und ein ältlicher Herr sei hercingctreten, der sich ihr als Gutsbesitzer vorstellte und nach den Umstanden der neubegründetcn Anstalt erkundigte. ,Ma cköro nit^," hob er an, „Sie sind fremd hier und haben wohl mit mancher Noth zu kämpfen. Ihre Unternehmung ist noch jung und bedarf allseitiger Theilnahme. Erlauben Sie mir, Ihnen dieß Päckchen zu überreichen, als einen kleinen Veitrag zu den vielen Bedürfnissen Ihrer Kostgänger." Hiermit gab er ein versiegeltes Päckchen der Alten in die Hände, und wahrend diese noch die Aufschrift las' „An die barmherzigen Schwestern," hatte der Fremde sich schon empfohlen. Sie sprang schnell auf znr Thür, zur Treppe, um ihn zu fragen, ihm zu danken., Aber er war verschwunden. Sie fand nachher ein artiges Sümmchen in dem Packetc, dessen Geber aber drei Jahre lang ihr verborgen blieb. — „Später setzte sich der mir bisher unbekannte Fürst L. mit mir in Correspondenz," erzählte 133 sie weiter, „weil er ein Malinstitut für Vlindc in Melnik zu errichten wünschte. Als die präliminären Unterhandlungen zum E»de gediehe» sind, reise ich denn jetzt vor einigen Wochen nach Melnik hin, um dem Fürsten meine Aufwartung zu machen und dieß Filiale in's Leben zu rufen. Ich trete ihm gegenüber, ich entdecke in ihm ein gewisses mir bekanntes Wesen. Mein Gott!" sage ich, „Sie sind ia —. Es war der Wohlthäter, der mich damals in meiner ersten traurigen Zeit so freundlich tröstete." Sie sagte mir ferner, daß solche Protestanten aus Norddeutschland, wie ich einer wäre, recht oft zu ihr kämen, und sie habe jedes Mal eine kleine stille Schadenfreude daran, wie diese ^eute mit so gar großen Vor-urthcilen in ein klösterliches Institut eintraten. Eine gewisse schüchterne Verlegenheit, mit der sie sich umschauten, und eine gewisse Befangenheit in ihrer Unterhaltung wären ihr ein sicheres Zeichen von den bösen Dingen, die sie im Stillen bei sich denken möchten. Sie lasse sich aber dadurch nicht irre machen, rede mit ihnen wie mit anderen Menschen und habe dann ihre Lust, zu bemerken, wie sie allmälig aufzuschauen und Ver« trauen zu fassen wagten. In der That fielen nur auch noch einige protestantische Schuppen von den Augen, als zwei der untergeordneten grauen Schwestern zu uns traten, und ich bemerkte, daß sie in ihrem ganzen Sein und Wesen nicht etwa hohläugigen, blassen, abgehärmten Nounen, sondern tüchtige«, gesunden, frischen Wirthschaftsmamstllen 194 glichen. Insbesondere tummelte sich die eine höchst frisch und lebensfroh in Küche und Keller und zwischen den hülfiostn Minden, wo wir sie begleiteten, herum. Die Welt, sagte sie, entbehre sie gar nicht, sie stehe früh auf und schaffe den ganzen Tag. Der Orden der barmherzigen Schwestern und Brüder, sowohl der der grauen, als der der braunen und schwarzen, außer denen es auch noch grüne, blaue und rothe Brüder giebt, füllt in den katholischen Ländern so manche Lücke in dem Systeme der öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten aus, dasi an ihrem Fortbestehen, so lange man noch nichts Besens an ihre Stelle zu setzen hat, Niemand Anstoß nehmen wird. Dagegen erscheint jetzt auch wieder ein anderer Nmmenorden in Prag, der das luknra mit dem oi-a nicht so gut zu vereinigen wußte und daher auch von Joseph II. als höchst überflüssig aufgehoben, spater aber wieder eingeführt wurde. Ich meine den Orden der Carmeliterinnen, die da glauben, daß ihre Schwesterschaft die älteste in der Christenheit sei, und dasi selbst die Maria und Anna und Mag-dalcna und alle heiligen Franc» des neuen Testaments bereits Mitglieder derselben gewesen seien. Die Carme-literinnen und Carmcliter behaupten, daß ihr Orden noch vom Propheten Mas selber auf dem Vorgebirge Carmel in Palastina gestiftet worden sei, und daß alle Propheten und frommen Männer von Clias bis auf Pythagoras und Christus ihm angehört hatten. In dem stolze» Gefühle der unübertroffenen Anciennetat ihrer von so vielen hochberühmten Heiligen gewissermaßen ge- 135 adelten Frömmigkeit schließen sie sich daher auch strenger als alle ander«, Orden von der profanen Welt ab und unterwerfen sich den härtesten Regeln, indem sie sich »loch weniger als irgend ein anderer Orden für das Wohl der Menschheit gemeinnützig machen. — Joseph II. hob die Stiftungen dieseö Ordens ln Prag und auch in anderen Theilen der Monarchie auf und entließ die Carmelitermnen in die Welt. Diese aber blieben, so gut es anging, auch außerhalb ihres Klosters ihrer Regel treu, wohnten von der Welt geschieden bei einander, beteten und nährten sich von milden Gaben und ihrer Hände Arbeit. Als dieß später dem Kaiser Leopold berichtet wurde, rührte es ih», ,md er gab ihnen zu ihrem Gebrauche das Varnabitenkloster auf dem Hradschin, in dem sie sich nun verschanzt und vermauert haben. „Diese Carmelitennncn essen ihr ganzes Leben hindurch nichts als die magerste Fastcnspeise, sie beten Tag und Nacht und gönnen sich wenig Schlaf. Sie schlafen nie anders als auf Holz und haben einen Stein zum Kopfkissen. Sie tragen ein härenes Gewand auf bloßem Leibe und legen zuweilen als Gürtel eine Kette mit eisernen Stacheln um. Von der Welt sind sie so ab« geschlossen, daß sie weder Vater, noch Mutter, noch sonst einen anderen liebenden Menschen sehen oder sprechen dürfen. In das Innere ihres Klosters dringt außer dem Essenkehrer kein lebendiges Wesen, das dem männlichen Geschlechte angehört, und nichtsdestoweniger gkbt es Mehre zarte und junge Mädchen unter ihnen." Dieß und noch viel AergereZ, noch viel Interessanteres lind Geheimnisvolleres erzählte man mir in Prag von den Carmeliterinnen. Ich war daher bald entschlossen, so weit als nur irgend möglich in daS Kloster einzudringen und über jene Dinge einen etwas authentischeren Aufschluß zu erhalten. Ein Mönch aus dem Kloster Stra-Hof half mir dabei mit gutem Rathe. Er beschrieb mir eine Thür des Klosters, bei der ich anpochen solle. Der Frau, die mir öffnen würde, sollte ich dann nur auf ihre Frage, was mein Vcgehr sci, erwidern, ich sei ein Fremder und wünsche die heilige Maria Glecta zu sehen. Diese heilige Maria Glecta sei die schwache Seite der Carmeliterinncn, die sich gern mit ihr etwas breit machten und einem Fremden nicht leicht den Zutritt zu ihr versagten. „Aber, ehrwürdiger Vater," erwiderte ich, „ich bin ein Protestant und werde der Heiligen nicht die Hände oder Füsic küssen und keine Gcbcte bei ihrem Schrein verrichten." — „Man wird Sie uicht über Ihre Religion befragen- Wie ich sagte, dieß ist der einzige Weg." Ich ging, ich sand die bezeichnete Thür und pochte an. Man that mir auf, und ich sah in einem kleinen, ringsum vermauerten Vorhauschm eine altliche Frau, die zu dem weltlichen äußeren Dienstpersonale des Klosters gehörte und mich fragte, was mein Begehr sei. Ich sprach, wie mich der Mönch gelehrt, „ich sei ein Fremder und wünsche die heilige Mutter Maria Elecla zu sehen." In der Wand, welche der Thüre gegenüber war, 137 befand sich eine Oeffmmg, und in dieser Oeffmmg drehte sich eine senkrecht stehende Walze mit mehren Fächern, die bei jeder Umdrehung immer die Oeffmmg völlig verdeckten und doch auch dazu dienten, irgend etwas aus dem Kloster heraus oder von außen etwas hinein zn spediren. Hier pochte meine Frau an, und ich hörte bald darauf etwas hinter der Oeffnung rauschen, und eine leise Stimme fragte: „Was ist?" „Ein Fremder, ehrwürdige Schwester, der unsere heilige Mutter Maria Elccta zu sehen wünscht und sich die Schlüssel zur Kirche erbittet." Dieselbe leise Stimme lispelte zurück: „Ja ja!" — und nach einiger Zeit sielen ein paar schwere Schlüssel in eins der Fächer deö senkrecht stehenden Cylinder-Kastens. Die Frau drehte ihn um, nahm die Schlüssel heraus, und wir gingen in die Kirche des Klosters. — Bei'm Eintritt zeigte mir diese Kirche eben nichts VcsondcreS. Aber am entgegengesetzten Ende in der Nähe des Altars bemerkte ich ein eisernes Gitter, hinter dem sich etwas Schwarzes hin und her bewegte. „ Was ist das?" fragte ich meine Begleiterin. „Dahinter sitzt die Mutter Maria Electa, und eine der ehrwürdigen Schwestern ist dabei beschäftigt, ihren Schrein zu öffnen, damit Sie sie besser sehen können. Warten Sie ein Bißchen, bis sie —" Allein ich wartete keinen Altgenblick, vielmehr war ich rasch in der Nähe deö GitterS, das aus dicken eisernen Längs- und O-uerstäben bestand. Ich blickte in die Dämmerung dahinter hinein und sah eme tief verhüllte Nonne, die vor einer alten braunen cingetrockneten Mumie kniete, indem sie ihr 138 Hände und Füße küßte und Gebete sprach. Die Mumie war die Maria Electa, die auf einem geschmückten Throne, mit allerlei Spitzen und Flitterwcrk geziert, dasaß. Sie war von einem gläsernen Schranke umgeben, den die Nonne für mich geöffnet hatte. Sie hatte sich etwas verspätet, und ich war uielleicht zu schnell gewesen. Genug ich sah, daß es trotz der strengen Regeln des Carmeliterordens doch möglich sei, dasi ein junger Mensch sich einer Nonne dieses Ordens in größerer und mehr unbeaufsichtigter Einsamkeit gegenüber befinden könne, als dieß in der Welt bei der dort herrschenden (Etikette vorkommen könne. Dcml wir waren, da meine Alte bei der Thüre zurückgeblieben war, und weder aus dem Inneren des Klosters, noch aus der äußeren Welt ein Laut zu uns eindrang, vollkommen einsam, nur durch das besagte Gitter geschieden. Ich redete sie an: „Erlauben Sie, ehrwürdige Schwester, ist das die Maria Elccta?" „Gelobt sei Jesus Christus.' Gott grüße Sie," erwiderte sie nach einiger Zeit, nachdem sie ihre Küsse und Gebete vollendet hatte, „ja das ist unsere theuere, heilige, hochverehrte Mutter Maria Electa!" — Sie stand nun ganz aufrecht vor mir, und obgleich sie von oben bis unten in ein großes dickwolliges Gewand gehüllt war — auch ihr Gesicht bedeckte ein schwarzer dickwolliger Schleier —, so schien es mir doch, alS waren ihre äußeren Formen anmuthig und schön. Ihre Stimme war äußerst weich und schmelzend, und IM sie hauchte und lispelte mehr, als sie sprach. Ich fand dieß Anfangs sehr hübsch imd reizend, bis ich später merkte, daß alle Carmeliterinnen eine solche lispelnde und leise hinschmelzcnde Stimme haben, und daß bei den meisten das Gespräch ein gewisses sentimentales Wimmern ist, welches sie sich bei ihrem bestandigen Veten angeeignet haben. Mit lieblicher, sanft hauchender Stimme erzählte sie mir dann die Geschichte der Maria Glecta. „Sie ist, sagte sie, vor 200 Jahren Vorsteherin unseres Stiftes gewesen, und ihr frommes und heilsames Wirken hat sie uns unvergeßlich gemacht. Der Himmel hat daher auch zum Andenken daran das Wunder gestattet, dasi ihre theuere leibliche Hülle uns unversehrt und un-verweset zurückblieb. Sie ist noch ganz so wie im Leben, und sogar die Hände, Arme und Finger sind noch ganz beweglich. Der heilige Vater, der Papst, wird sie daher vielleicht auch heilig sprechen, was immer bisher noch nicht geschehen ist." „Wünschen Sie dieß denn?" „O ja, wir wünschen es sehr! Die Sache ist auch bereits im Werke. Sollte sie zu Stande kommen, so wurde unserem Kloster darauö eine grosie Ehr« und gar mancherlei Vortheil erwachsen. Die Geschichte der Maria haben wir gedruckt, und ich kann Ihnen sogleich ein Eiemplar davon geben." Sie überreichte mir ein Vüchelchcn, welches ich durch die engen Maschen des Gitters hindurchzwangte. Ich bemerkte, daß dabei ein äußerst zartes, feines Händchen 140 unter dem Scavulier hervorkam. Ich muß gestehen, daß ich mir nun sofort einbildete, daß das Gesicht, das' zu dieser feinen Hand und zu dieser zierlichen Stimme gehörte, wie überhaupt das ganze unter dem Schleier verborgene Wesen ebenso fein, zierlich und interessant sein müsse. Ich erzählte ihr daher sofort etwas von anderen Heiligen und überhaupt von anderen Kirchen und Landern, die ich gesehen, sowie von meiner wandernden Lebensweise, was sie gern zu hören schien, um mlr dadurch ein Necht zu erwerben, sie nun auch um eine Schilderung ihrer Lebensweise zu bitten. „O unser Leben", sagte sie, „ist herrlich, denn es ist dem Gebete zu Gott geweiht. Ich lebe nun so schon seit 5 Jahren. Mein Vaterland ist Stciermark, und meine Aeltern wünschten, als ich ihnen meinen Entschluß erklärte, in ein Kloster zu gehen, ich möchte eine der minder strengen und harten Ordensregeln erwählen. Allein ich zog entschieden die der Carmeli-terinen allen anderen vor; denn nur wenn man von der Welt sich ganz lossagt, kann man dem Himmel ganz angehören. Gern und willig unterzog ich mich dem strengen dreijährigen Noviziat, dein alle sich unterwerfen müssen, welche als Schwestern in unseren Orden aufgenommen zu werden wünschen. Wir müssen während dieser Zeit mancherlei Prüfungen bestehen, unter anderen auch wahrend eines ganzen Jahres unS aller lallten Unterredung mit Anderen, außer der mit Gott und den Heiligen, entziehen. Selbst unsere Mit- 141 schwestcrn sprechen während dieses Jahres bloß durch Zeichen mit uns, und auch dieß noch so selten als möglich. Diejenigen, welche wahrend dieser drei, Jahre nicht beständig freudige Hingebung in ihrem harten Dienste gezeigt haben, werden nicht in den Orden aufgenommen. Auch können die, welche stch nicht stark genug fühlen, noch vor Ablauf der 3 Jahre wieder zurücktreten; denn nnr solche, die freiwillig und aus Sehnsucht nach dem Gebete und nach der Gemeinschaft mit den Heiligen der Welt entsagen, wünschen wir zu Schwestern. Auch kann keine vor dem 24. Jahre daö Gelübde, nach dessen Vollziehung dann keine Rückkehr in die Welt mehr möglich ist, ablegen." Ich berech« »ete nun hierbei nach den im Obigen gegebenen Daten im Stillen das Alter meiner Gesprachsgenossin und fand, daß sie noch nicht über die dreißig hinaus sei. Ein hübsches Alter dachte ich, von dem es wohl noch ein weiter schmerzlicher Weg ist, bis man zu einer so ganzlichen Abtödtung des Fleisches kommt, wie die Dritte in unserem Vunde, die in ihrem Glasschranke thronende Maria Clecta. Dann fragte ich, ob auch jetzt noch wieder Novizen daseien. „Ja, vier!" sagte sie, „und 16 Schwestern sind wir im Ganzen." Ohne Zweifcl, dachte ich, 16 höchst wunderbare, romantische und vielleicht sehr be-trübie Lebens- und Gcisteseittwickelungen, von deren Bestehen in unserem Jahrhunderte ein solches norddeutsches Kind der neuesten Zeit sich gar keinen rechten Begriff mehr machen kann. 142 „Auch als Schwestern fuhren wir ein entbehrungs« reiches Leben, das Ihnen gewiß hart erscheint, fort. Sieben Stunden des Tages bringen wir regelmäßig im Gebete zu. Doch haben wir anßcrdcm auch noch an manchen Festtagen des Jahres Gebete und Messen um Mitternacht zn singen. Am Tage über sprechen wir gewöhnlich nicht zusammen. Nur des Morgens und des Abends haben wir eine Stunde „Necreation." Wahrend dicscr beiden Stunden besuchen wir uns und sitzen im Gespräche beisammen. Wir beschäftigen uns noch außer dem Gebete mit dem Nähen u»d Flicken unserer Kleider, oder mit anderen kleinen Arbeiten im Kloster, die wir soviel als möglich alle selbst besorgen." „Ist es wahr," fragte ich sie ferner, „daß Sie bloß dieß grobe wollene oder härene Gewand tragen?" „Ja, dieß ist das einzige Gewand, das wir tra« gen. Unsere Speise ist ebenso mager. Wir essen nie Fleisch, sondern stets nur Gemüse, Fisch mit Oel oder Vutter, und Wasser ist unser Getränk. Wir sind aber froh und zufrieden dabei, und es kommt uns nicht in den Sinn, noch etwas zu begehren. Wir schlafen auf Stroh und haben auch kein anderes Kopfkissen als einen Strohsack. Zuweilen aber genügen Einigen von uns diese Vüßungen noch nicht, und sie fügen freiwillig noch härtere hmzu. Z. V. sie schlafen zu» weilen auf bloßem Holze, oder sie sparen sich an ih. rcn kärglichen Mittagsportionen noch etwas ab und schicke» es armen Leuten in die Welt hinaus, oder sie durchwachen betend ganze Nächte. Darin suchen 143 wir uns oft noch untereinander zu übertreffen, und wir können uns darin nie genug thun; denn kann man das sündhafte Fleisch wohl je genug kasteien und abtödten?" Mein Gott, dachte ich, welche große Prüfungen, welche ungeheuere Opfer! und zwar aufgelegt hinter Mauern, die rund umher mitten zwischen Palästen stecken, und mitten in dem Treiben und Getümmel ei« ner volkreichen Stadt! und unwillkürlich fragte ich: „Aber warum wohnt Ihr denn nicht in der Einsamkeit in irgend einer Wald« oder Haidewildniß." „Allerdings sollte es fo sein," sagte die feine Stim« me unter dem dicken Schleier, „und wir wünschen es sehr, aber wir vermögen leider nicht nach unserem Willen das uns angewiesene Kloster zu transportiren und sind nicht reich genug, uns ein anderes an einem zweckmäßigeren Orte zu bauen. Doch leben wir auch hier frei von Anfechtung, glücklich und vergnügt, eintrachtig und der Liebe zu Gott und der Freundschaft zu einander hingegeben." Hierbei tauchte eines jener kleinen gekrümm« ten Wesen, die wir Fragezeichen nennen, vor meiner Einbildungskraft auf, wackelte zweifelnd mit seinem Kopfe hin und her und sprach zu mir: „Alle Acußer« ungen Ihrer verschleierten Unbekannten in Ehren, was jedoch die Eintracht dieser Damen betrifft, so stellen Sie mich doch in Klammern und unverschlciert dahinter!" -— „Es hatte Recht," sagte mir spater Jemand, dem ich diese Aeußerung mittheilte, „die Eintracht ist leider 144 nicht so groß, wie man es wohl gern von solchen beständig frommen Beschäftigungen hingegebenen Menschen wünschen möchte. Intriguen nnd Cabalen finden auch in diesem kleinen Staat im Staate statt, die besonders bei der Wahl ihrer Oberinnen, die alle drei Jahre nen gewählt werden, sich an- und ausspinnen." Seufzend aber und leise lispelnd versicherte mir meine Carmcliterin noch einmal: „Ö Sie glauben nicht, wie glücklich, wie gänzlich selig, wie nichts wünschend nnd nichts entbehrend wlr hier leben. Nur bei unserer strengen Negel ist es möglich, schon hleniedcn das Himmelreich zu erwerben!" Sie verschloß dann den Schrein der Maria Glecta, nachdem sie ihr noch einmal die getrocknete Hand gcknsit, und zog sich, indem sie mir noch ein „Gott behüte Sie" wünschte, in's Innere des Klosters zurück. Durch die geöffnete Thüre erblickte ich einen Klostergaug und dahinter einen kleinen freien Raum, der mit einigen Vaumen besetzt war, den einzigen unbedachten Platz, auf dem diese armen Geschöpft Gottes offenen Himmel schauen. — Gott sei mit dir, dachte ich, indem ich den letzten Zipfel ihres schwarzen Gewandes um die Ecke verschwinden sah, arme Seele, wie schwer machst dn dir das Leben, von dem doch der Herr selbst sagt: mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. Und ich erinnerte mich dabei der vielen trencn, dem lieben Gotte wohlgefällig und den Menschen nützlich lebenden Mütter, die ich schon früher außerhalb der Klostermaucrn gesehen hatte. Der große Reiz, den die Klöster und insbesondere 145 die Nonnenklöster für uns haben, liegt in der Unge-wöhnlichkeit der hier abgelegten Gelübde und in der Außerordentlichkeit der Charaktere und der Lebensschicksale, welche wir hier demnach finden zu müssen vermuthen, sowie endlich in dem tiefen Geheimniß, welches über dem Allen schwebt. Dieser für einen nüchternen Protestanten insbesondere unwiderstehliche Reiz brachte mich auch noch einmal wieder zu den Carme-literinncn, und zwar dicßmal in Begleitung einer vor« nehmen Prager Dame, die sich und mich bei der Oberin Aloysia anmelden ließ. Wir wurden in Paria-torium empfangen. Dasselbe ist durch eine Mauer in zwei Abtheilungen getheilt. Diese Mauer hat ein doppeltes Gitter, wie eö den Carmeliterinnen bei allen Thüren, Fenstern und sonstigen Ocffnnngen, in welche die Welt hineinschauen könnte, entgegentritt. Hinter dem Gitter hing noch ein dunkeler Vorhang, der dann aufrollte, als die Oberin und eine andere ebenso wie sie verschleierte Nonne, wie ich hörte, die frühere Oberin, eintraten und uns wiederum zwei vermummte Gesichier zeigten, über die zu denken uns allcS Mögliche erlaubt war, da wir nicht den leisesten Schimmer davon zu sehen bekamen. Meine gütige Begleiterin sagte mir freilich, sie wolle die Oberin ersuchen, sich zu entschleiern, und sie würde es dann thun. Aber ich bat sie um des Himmels willen, dieß zu unterlassen, denn ich fürchtete, ich wüßte nicht, warum, die Enthüllung dieses Räthsels. Ich fragte die schwarze Figur, welche die Oberin bedeutete, nach der Bibliothek ihres Klosters und hörte von ihr, I. 10 146 daß sie einige Legenden von Heiligen, einige Uebersetzungen der Schriften von Kirchenvätern, die Vibel und Thomas von Kempen besäßen. Als ste dieses letzte Vuch nannten, vereinigten sich alle Anwesenden in seinem Lobe. „Ja daö ist ein schönes Vuch!" rief ich, der Protestant. „Das ist herrlich!" sagte meine Begleiterin und Gönnerin, die Mutter mehrer hübscher Kinder. „Ach es ist das nützlichste Buch, das ein Christ nach dem Evangelium schrieb", flüsterten die Carmeli» terlnnen mit leisen Stimmen durch's Gisengitter. Gs ist wunderbar, dachte ich dabei, wie doch ein wahrhaft frommer Mann, der einmal die ächte Weise des Lobes Gottes anstimmt, alle Herzen für sich gewinnt. Uebrigens bemerkte ich doch, daß die Carmeliter-innen nicht in dem Grade von der Welt abgeschieden waren, wie man dieß in Prag erzählt. Ihre Oberin steht mit manchen Damm auswärts in freundschaftlichen Verbindungen, empfängt von ihnen kleine Ge« schenke und freundliche Grüße und schickt ihnen zuwei» len wenigstens Grüße wieder, um im Falle der Noch, der stch häufig einstellt, ihres Schutzes sich erfreuen zu dürfen. Ich glaube auch schwerlich, daß die Versicher» ung meiner Carmeliterin, sie würden gern in einsamer Wildniß wohnen, aufrichtig gemeint war, und denke mir, daß sie sich alle dafür bedanken würden, wenn dle Kaiser von Marocco oder China sich erböten, ihnen den schönsten Strich Landes in einer weiten und breiten Wüstenei abzutreten und zu eigen zu schenket«. Trotz dem, daß st« die Welt nicht sehen, ist es ihnen 147 doch, glaube ich, Bedürfniß, die Welt wenigsten« um um sich herum zu wissen und ihre wogende Vrand» ung uon fern an den Manern ihres Klosters zu hören, und trotz dem, daß sie aller Eitelkeit glauben entsagt zu haben, ist ihnen doch das Bedürfniß geblieben, für diese Entsagung sich bewundert zu wissen. Sie legten daher ihre Klause den Kaiser-» und Fürstenpa» lasten des Hradschins gegenüber, wie Diogenes seme Tonne den Palästen dcr Athenienser. Nur in dieser Lage als Verachter der Paläste, die ihm zu sei« ner Größe ebenso nöthig waren, wie dem Perikles und Alcibiades zu der ihrigen, stand Diogenes so groß da. Wenn alle Äthcnicnser mtt ihm in Tonnen gekrochen wären, so hätte er wohl bald vor Langweile wieder ein ordentliches Haus bezogen. So, glaube ich, würden auch bald diese Carmeliterinnen ihre Eiscngit«-ter wegsagen, wenn sie hörten, daß auf einmal rund umher alle Frauen Prags sich vermauert hätten. In Wien sind die Carmeliterinnen seit Joseph's Zeit nicht wieder aufgelebt. Es giebt dort kein Kloster dieses Ordens, ebenso wenig wie cs dort Jesuiten giebt, die doch bereits in der Provinz hier und da wieder zugelassen wurden. Neberhaupt hat Prag wohl mehr Klöster und Orden aufzuweisen als Wien oder als vielleicht irgend eine andere Stadt Oesterreichs, und es lassen sich weit eher alle die Orden, welche man hier nicht findet, herzählen als die, welche man in manchfaltlgen Uniformen auf den Straßen der Stadt erblickt. 10* 148 Sie alle in ihren Zellen zu beobachten, möchte wohl sehr der Mühe lohnen. Doch begnügten wir uns mit dem Wichtigsten und vergaßen daher auch vor allen Dingen nicht, die weißen Herren Prämonstra-tenser des Klosters Strahof aufzusuchen, dessen Bibliothek eine der berühmtesten in Böhmen ist. „Strascha" heißt im Böhmischen soviel als Wache, und das in der Nähe des äußersten Swdtwachtpostcns angelegte Kloster wurde darnach auf Böhmisch das Straschow'sche genannt, woraus die Deutschen „Strahof" machten. Es wurde bereits im Jahre 1140 von Wladislaus ll. gegründet, d. h. nur 29 Jahre später als ein Vugel dem heiligen Norbert in der Nähe von Coucy in Frankreich die Wiese zum ersten Kloster dieses Ordens gezeigt hatte (pr« mnntr^, woher Prämonstratenstr). Von aNen den 2000 Klöstern, die dichr Orden im 13. und 14. Jahrhunderte besaß, war das Strahossche in Prag der Zeit der Stiftung nach das achte, wie man auS einer genealogischen Tabelle dieser Pranwn-stratenserklöster, die hier gezeigt wird, entnehmen kann. Und außerdem hat Strahof zugleich auch die Ehre, jetzt, wo der Orden auf wenige 100 Klöster reducirt ist und in Italien z. V. gar keine mehr besitzt, eines der letzten und zugleich reichsten zu sein. Wie alle österreichischen Prachttlöstcr ist auch Strahof nicht ganz vollendet. Seine Kirche z. V. ist ziemlich verfallen und sticht gegen die schönen Viblio-thekssäle auf unangenehme Weise ab. Herrlich muß es um die Wirksamkeit dieser Bibliothek stehen, wenn 149 die schönen Sprüche, die zwischen den Büchern an den Wändm und Pfeilern zierlich angebracht sind, nicht nur als architektonische Zierath Prunken, fondern auch in den Herzen der Mönche mit goldener Schrift geschrieben stehen. „Initimn sarn^ntia« tiinor Dei", heißt's hier, „0 vivi«, vit» martui»" dort. Un-ter dem Plafond des Hauptsaales sind an einem großen geschmackvollen Deckengemälde alle Weisen der Welt versammelt, Moses mit den 10 Tafeln, Sokrates und Plato mit ihren Schülern, Paulus, der in Athen über die Inschrift des Tempels- „I^now Deo", die in der Mitte des Ganzen steht, predigt. „Da fehlt ja nur noch Zoroaster, Confutse und Mahomed," sagte ich zu dem mich begleitenden Mönche, swollen Sie diese denn nicht auch aufnehmen?" — ,,Warum denn nicht," erwiderte er, „aber von Mahomed ist gar kein Portrait gemacht worden, und von Zoroaster und Confutse können wir sie hier in Strahof schwer erhalten/' Die 50,000 Vände der Sammlung sind mit einem Lurus und einer Ordnung aufgestellt, die nichts zu wünschen übrig lassen. Wenn man nur noch «in wenig mehr fleißige Bienen auf dieser schönen Wiese erblickte. Die 30 Mönche des Klosters können den aufgespeicherten Honig nicht alle consumiren, und die Kanäle, durch welche er in die unten liegende Stadt hinabrinnen könnte, muß ein Joseph noch einmal wieder eröffnen. Ziska, der im Namen von Huß predigte und da mit Feuer taufte, wo Huß mit dem kühlenden Waffer gekommen war, — jener wilde Iiska, der neben Io- seph II. in allen böhmischen Klöstern am meisten genannt wird, verstopfte nicht nur jene Kanäle, sondern auch selbst die Honigquelle dazu. Denn er zerstörte das Kloster Strahof, wie so viele andere, von Grund aus. Jetzt aber nach vergessenen Leiden sieht man daö Portrait seiner wilden einäugigen Gesichtszüge in der Gemäldegalerie des Klosters ruhig neben denen mehrer anderer historisch denkwürdiger Personen hängen. Ich habe das Portrait dieses Kloster- und Schlösser« felndes überhaupt in den Sammlungen vieler böhmischer Schlösser und Klöster gefunden, und dic, welche ihn, wenn er noch lebte, wohl an den Galgen brächten, sind gar am Ende jetzt noch ein wenig stolz darauf, daß ein solcher energischer Hartkopf ein Lands mann von ihnen war. Den berühmten Schatz bei den Kapuzinern auf dem Hradschin habe ich nicht gesehen, worüber ich später viel Tadel habe hören müssen. Leider auch habe ich nicht das hübsche Glockenspiel der Thurmuhr der benachbarten Lorettokirche vernommen, was ich selbst am meisten bedauere- Dieß Glockenspiel trägt hier, wie man mir erzählte, alle Stunden ein uraltes böhmisches Volkslied vor, das ibm vor langen Jahrhunderten, ein Kapuziner sagte mir vor Illvl) Jahren, cin geschickter Uhrmacher lehrte. Der heilige Franz von Assist verbot freilich bei der Stiftung seines Ordens die Gelehrsamkeit, gab seinen Schülern bekanntlich nur drei Knoten lu ihr Cingulum, von denen der oberste Gehorsam, der mittlere Keuschheit und der unterste Armuth bedeutete, für die 151 Gelehrsamkeit aber gab er ihnen keinen Knoten. Vielmehr schloß er Kenntniß und Wissenschaft als unnöthige Dinge von den Gegenständen erpreß aus, denen sie sich zu widmen hätten. Aber selbst wenn ich diese drei Kapuzinerknoten auch nicht als genügende Bürgschaft für jene 1000 Jahre annehmen dürfte, so mögen es doch 500 sein, denn als uralt ist jene Thurminelodie in ganz Prag, so sagte man mir wiederholt, bekannt, und es bleibt innmr eine interessante Idee, daß sich während langer Jahrhunderte Stunde für Stunde diese hübschen Klänge durch alle den ungeheueren Wechsel der Begebenheiten bis auf den letzten und neuesten Augenblick herab hlnburchwan-den. Vielleicht hörte man diese liebliche Melodie schon, als noch die alten Tschechenfürsten auf dem Wissehrad wohnten. Gewiß vernahmen sie die Hofleute des prachtliebenden Carl's IV. und die Ritter der anderen Kaiser, die auf Vem Hradschin thronten. Sie erklangen mit lieblichen Stimmen bei dem Kanonendonner der Schlachten am weißen Verge und verstummten nicht mitten in dem Bombardement, das Friedrich's des Großen Pulverfabrikanten der Stadt bereiteten. Gewiß hörte das alte böhmische Lied Ferdinandus des Zweiten Krieger, wie sie als schreckliche Triumphatoren uuv furchtbare Sieger den Strahof'fchen Weg hinabzogen. Nie wie bei dieser Uhr, die sich so leise durch cm halbes Jahrtausend hindurchtickte und so Stunde für Stunde den Mund zu demselben Gesänge aufthat, wurde es mir deutlich, daß die Jahrhunderte nur auS Stunden be- B52 stehen, und daß sie wie diese in raschem Fluge an uns vorüberellen. Auch des Gegensatzes zu den Strahofer Prämon-ftratensern wegen war mir der Vesuch bei den Kapuzinern interessant. Denn wie bei jenen Ordnung, Eleganz und Vildung, herrschen bei diesen Schmiiz, Armuth und Stupidität vor. Eine Bibliothek wiesen sie mir nicht, und das einzige Latein, das ich hier zu sehen bekam, stand auf einer Tafel im Gange, wo alle die Gebete mit kleinen Stiften bezeichnet waren, die sie an dem heutigen Tage zu sagen hatten. Es waren diese: „I'ro aniinabus in I'ur^ntnrio," — ?,!"" vivis bou«st»ctnrlliu8," — >,pl« iutirma prole," — „pro llefunctis tratribu«," — „in sonorem 31a-rill«,^ — „pro ^enellictione cliviull.^ Strahof liegt auf der linken Seite der Moldau und zwar am äußersten Ende der Stadt, da, wo daö Thal, welches von der sogenannten „kleinen Seite" mit Häusern ausgefüllt wird, sich zu einer engen Schlucht verliert und am Ende mit dem hohrn Plateau, von dem eö herabkommt, ausgleicht. Das zweite größte und interessanteste Kloster in Prag, das Kloster zu Emaus, liegt an der rechten Seite der Moldau am entgegengesetzten Ende der Stadt. Es soll Carl dein Vierten, seinem Erbauer, wie er selbst einmal geäußert hat, noch einige Scheffel Groschen mehr gekostet ha-hc,l als die Moldaubrücke. Vor der Zerstörung, die es durch die Schweden und Hussiten erlitt, war dieß 153 deutlicher in den Gebäuden zu ersehen alö jetzt. Man erkennt in dem, was sich heut zu Tage noch vom Kloster darbietet, wohl kaum mehr den Lieblingssttz eines so prachtlicbendcn und banlustigen Kaisers, wie es Carl IV. war. Nur durch cm Äild noch, das im Gange des Klosters hangt, kann man sich eine Vorstellung machen von dem, waS eö früher war. Auf diesem Vilde erscheinen Carl IV. auf der einen Seite auf dem Throne und sein Sohn Wenzel auf der anderen, nebst ihren Gemahlinnen, und in ihrer Mitte das schöngethürmte Kloster z» Gmaus. Carl der IV., den die Böhmen mit mehr Recht einen Slaven nennen zu können glauben, weil er größtcntheils in Böhmen erzogen wurde und die böhmische Sprache an seinem Hofe die Herr« sehende war, als die Deutschen ihn einen Deutschen nennen, weil er aus einem deutschen Hause stammte, setzte slavische Mönche in dieses Kloster. Später wurden diese daraus vertrieben, und es kamen spanische Priester hinein, welche überall die glagolitischen In« schriften mit lateinischen vertauschten. Das Merkwürdigste an diesem Kloster und der Grund, weßhalb z. V. alle Franzosen es kennen sollten, ist, daß von hier das berühmte Evangelium von Rheims kam, auf dem von alten Zeiten her die französischen Könige den Eid ablegten. Es war dieses Buch nämlich, so erzählte mir ein Prager Gelehrter, in einer Sprache und mit Lettern geschrieben, die in ganz Frankreich Niemand kannte, und von denen sie nicht wußten, ob sie sie für armenisch, syrisch oder ägyptisch halten sollten. Genug, 154 sie glaubten aber, da ihnen daö Evangelium aus dem Oriente zugekommen war, daß es uralt und in irgend einer der 50 orientalischen Sprachen, in der die Apostel geredet, abgefaßt sei. Zu verschiedenen Zeiten hatte man schon mehre Akademiecn vergebens um Auflösung des Räthsels gefragt. Auf einmal kam diese Auflösung von Einem, der freilich schon manchen gordischen Knoten zerhauen, von Peter dem Großen, dem Zar der Reußen, der auf seiner Durchreise zu Nheims auch jenes be-« rühmte Evangelium der Könige von Frankreich in die Hand Nahm und den Leuten zu ihrer Verwunderung etwas daraus vorlas, indem er sagte, daß dicß ein alt-« slavonisches, mit glagolitischen Schriften geschriebenes neues Testament sei. Freilich mochte dieß den meisten Franzosen wieder ein böhmisches Dorf sein. Doch war wenigstens für den Gelehrten der Schlüssel gefunden. Die Frage aber blieb, auf welchen Schicksalspfaden dieses slavische Evangelium aus Konstantinopel nach Nheims gelangt sei. Böhmische Gelehrte, deren mehre nach Peter dem Großen das Buch sahen, glaubten darin eine gewisse in Böhmen einst berühmte Bibel zu erkennen, welche Carl IV. in Gold prachtvoll eingebunden an sein öieblingskloster zu Emaus zum Geschenk gemacht. Durch die Hussiten nun, so ist dieser Gelehrten weitere Hypothese, die an dem griechischen Hofe zu Konstan-tlnopel Freunde suchten und dort ihre Empörung als aus altslavonischcr Abneigung gegen den Katholicismus hervorgehend darstellten, kam das herrliche Evangelium nach Konstantinopel, wo eS dem Kaiser als ein auch 155 von den slavischen Hussiten verehrtes altslavonksch griechisches Evangelium überreicht wurde. Konstantinopel wurde bald darauf von den Türken zerstört, und ein griechischer Gelehrter brachte das kostbare Buch nach Italien, wo es einem französischen Prinzen aus dem Hause Anjou in die Hände kam, der es als eine Art heiliger verehrungswürdiger Reliquie nach Frankreich sandte. —> In der Revolution wurde das vielgewandcrte Evangelium seines wcrthuolleu Deckels beraubt und das Manuscript bei Seite geworfen. Wo es jetzt geblieben ist, weiß man wenigstens in Böhmen nicht. Ursprünglich wurde das Emauskloster dem Cyril« lus und Methodius zu Ehren erbaut, und daher mögen auch seine mancherlei Beziehungen, die es mit der griechischen Kirche gehabt zu haben scheint, kommen. Eine altgriechische byzantinische Mutter Gottes mit der byzantinischen Physiognomie und der dunkelbraunen Gesichtsfarbe, die noch jetzt in der Klosterkirche hängt, ist Zeuge dieser Beziehungen. Es ist bekannt, daß bereits ein großer Theil der westlichen Slaven das griechische Christenthum ebenso umarmt hatte, wie ihm alle ost« lichen Slaven beigetreten waren, und daß nur durch eine römisch-deutsche Reaction Böhmen, Mähren, Ungarn, Kroatien u. s. w. für den Katholicismus gewonnen wurden. Es blieb aber noch immer eine kleine Sympathie aller westlichen Slaven für die griechische Kirche bcmcrklich, und daher sieht man auch mehr alö in anderen katholischen Kirchen in ' den böhmischen, mährischen u. s. w. solche alte braune byzan- 156 tinische MuttergottcSbilder, die das griechische Zeichen W^------OV (M^ ^,>5) zur Seite tragen, erscheinen. Das Volk in Vöhmcn nennt solche Vilder: „Il,u88»n3ka Maria," d. k. „russische Marieen." Diese russischen Marieen haben alle einen braunen indischen Teint und die bekannten Gesichtszüge, fcinge-schlitzte Augen, schmale Nase u. s. w. In dein Entaus-kloster ist aber auch noch eine andere Maria zu sehen, welche das Volk )Ma^nln»Ka ^laika Noskia," d. h. „die mohrische Mutter Gottes," nennt. Sie hat einm vollkommen schwarzen Teint und ganz mohrksch weiße Augen und dicke rothe Lippen. Man sagt hier, die spanischen Mönche hätten sie aus ihrem Vatcrlande mitgebracht. Man bringt mit dieser mohrischen Maria auch die Königin aus dem Mohrenlande zusammen, die den Salomo besuchte, und bezieht darauf, was im vkrten, fünften und sechsten Verse des Hohenliedes steht: „Die Frommen Ucbcn Dich." „Ich bin schwarz, abrr gar lieblich, ihr Töchter Ierusa-lems, wie die Hütten Kedcir's, wie die Teppiche Salomo's." „Schet mich nicht an, daß ich so schwarz bin; denn die Sonne hat mich so verbrannt." Die Vöhmen beten hier übrigens vor der mohrischen Mutter ebenso wie vor der byzantinischen und römischen. Am zweiten Ostcrtage strömen hier die meisten Gebete zum Himmel auf, denn er ist der größte Festtag des Klosters und überhaupt einer der größten Feiertage in. ganz Vöhmcn. Die Iudcnstadt. ^>ie Iudengemcinde in Prag rühmt sich eine der zahlreichsten und ältesten der österreichischen Monarchie und überhaupt ganz Deutschlands zu sein. Was den ersten Punct, ihre Anzahl, betrifft, so beträgt diese ungefähr 10,000 Individuen, d. h. 10 Procent der ganzen Bevölkerung der Stadt. Nur in Ga« lizien findet man in den Städten die Juden noch zahl« reicher. In Wien dagegen ist die Iudengemeinde fünfmal kleiner als in Prag, und bringt inan noch die größere Veuölkerung Wiens in Anschlag, so verhält sich die Prager Iudenbevölkerung zu der Wiener wie 20.- 1. In ganz Böhmen giebt es ungefähr 70,000 Juden, und die Prager Gemeinde «lacht also den siebenten Theil dieser Summe aus. Da Böhmen in Summa 4,000,000 Einwohner hat, so ist hier also ungefähr jeder sechszigste Bewohner eilt Jude. Es giebt Provinzen in Oesterreich, die gar keine Juden haben. Diese jmd das Land ob der Ens, Steiermark, Kärnthen und Krain. Erst 153 seit einigen Jahren giebt es in 5er letzten Provinz 19 jüdische Individuen, in Steiermark nur ein einziges. In allen österreichischen Staaten befinden sich jetzt 652,000 Juden. Davon kommt über ein Drittel allein auf das österreichische Polen, nämlich 265,000. Ebenfalls über ein Drittel davon hat Ungarn, nämlich 260,000. Ein Sechstel davon, nämlich 110,000 kommen auf Böhmen und Mahren, und der ganze kleine noch übrige, kaum nennenswerthe Rest vertheilt sich in kleinen Portionen von wenigen Tausenden und Hunderten auf alle übrigen Provinzen des Reichs, z. B. auf Siebenbürgen mit 3,500, auf Tyrol mit 1,900, Dal-matien mit 500, die Lombardei mit 2000, das venetiamsche Königreich mit 4000, die Militargranze mit 400 u. s. w. Es waren also besonders die slavischen und magyarischen Stamme, welche die Juden vorzugsweise zuließen, während die deutschen und italienischen sie mehr verschmähten. Auf alle reindeutsche Provinzen in Oesterreich kommen nur etwa 5000 Juden, auf alle rein-italienische nur 7000, auf alle überwiegend slavische und magyarische aber über 620,000 Juden. Nach den Vevölkerungslisten der österreichischen Monarchie, von den Jahren 1834 bis 1839*), stellt sich das merkwürdige Resultat heraus, daß sich die Juden in einigen Provinzen Oesterreichs vermindern, in anderen dagegen an Zahl zunehmen. Im Lande unter der Ens (in Wien) vermindern sie sich von Jahr zu Jahr, ») Wie Beck er sie nämlich m seiner neuesten Statistik giebt. 159 während die übrige Bevölkerung hier doch bedeutend zunimmt. Eben so vermindern sie sich in der Lombardei und Venedig. In der Lombardei z. V. waren im Jahre 1834 3015 Juden, „ „ 1837 2931 „ „ „ 1839 2897 „ In einigen Provinzen dagegen bleiben sie fast vollkommen auf derselben Anzahl stehen, z. V. in der Mi-litärgranze, wo fast in jedem Jahre 450, oder einige mehr oder weniger angegeben werden. In entschieden den meisten Provinzen aber wachsen sie jährlich an Anzahl, jedoch in keiner Provinz in einem größeren Verhältnisse als die christliche Bevölkerung, vielmehr fast durchweg in einem bei Weitem klei-neren. In Böhmen z. V. vermehrte sich in den 6 Jahren von 1834 bis 1839 die Iudenbevölkerung nur so, daß auf 60 Juden einer mehr kam, wahrend in derselben Zeit bei der ganzen Bevölkerung des Landes auf 20 Menschen einer mehr kam. Tiie Iudenbevölkerung schritt also in einer dreimal geringeren Proportion vor als die ganze Bevölkerung des Landes. In Galizien scheinen die Juden in derselben Proportion zuzunehmen, wie die ganze Bevölkerung, denn bei beiden war in dem besagten Zeitraume eine Vermehrung der Bevölkerung von einem Individuum auf 15 zu bemerken. In Ungarn hingegen schreiten die Juden in einem zweimal rascheren Tempo vor als die übrigen Gin-wohner des Landes, denn während auf 24 anfängliche 160 Juden in sechs Jahren I^ neue hinzukamen, kamen auf 5l> vorhandene christliche Einwohner 1^ hinzu. Die andere Frage vom Alter der Prager Juden-gemeinde läßt sich weniger leicht lösen, und es sind die Meinungsverschiedenheiten darüber so groß, daß bei einigen Zeitpuncten, die dabei erörtert werden müssen, die Differenz dcs von den Einen nnd des von den Anderen angenommenen gerade 1l)l)l) Jahre betragt. Die Juden nämlich behaupten, daß sie seit unvordenklichen Zeilen und zum mindesten seit dem Jahre 632 nach Christi Geburt in Prag wohnen. Denn diese Jahreszahl tragt der älteste Lcichcnstein auf ihrem Kirchhofe, auf dem sich außerdem noch mehre andere befin« den, welche Jahreszahlen auS dem achten Jahrhunderte aufweisen. Die Böhmen gönnen den Juden diesen Nuhm eines so hohen authentisch nachgewiesenen Alterthums nicht und meinen, daß jener Stein deßwegen nicht wahr reden könne, weil die Juden ihre jetzigen Stadt« quartiere erst seit wenigen Jahrhunderten inne hätten. Sie wohnten nämlich früher auf der linken Seite der Moldau, wurden aber, ich glaube im sechszehnten Jahrhunderte, auf Vcfehl eines böhmischen Königs auf die rechte hinübergewiesen, wo sie noch jetzt denjenigen Theil von Prag innc haben, der dle „Iudenstadt" genannt wird. Ein böhmischer Gelehrter sagte mir, jene Jahres-zM 632 bedeute wahrscheinlich soviel als 1632, wie man denn noch jetzt in Oesterreich die Tausende der 161 der Jahreszahlen nicht anfuhrt und z. V. allgemein so« wohl schreibt als spricht 841 statt 184!.. Wenn die Juden Recht hätten, so fiele der erste Anfang ihrer Gemeinde noch unter die Herrfchaft des berühmten slavischen Königs Samo, welcher von Vöhmen und Mahren aus ein großes slavisches Reich stiftete, und an und für sich wäre es gar nichts Unwahrscheinliches, daß dieser machtige Herrscher, unter dessen Negierung auch bereits vom Handel Böhmens gesprochen wird, schon Juden in seiner Hauptstadt besaß. Freilich ist es nicht bestimmt gesagt, wo dieser König seinen Sitz hatte, und eö wird erst von seinen Nachfolgern, Krok und Libussa, behauptet, daß sie Prag stifteten. Allein, da cs nach Ptolomaus beinahe außer Zweifel ist, daß schon die alte Hauptstadt des mächtigen Mar-bod und seiner Markomannen, Marobudum genannt, an demselben trefflichen, geographisch so gut siwirtm Stadtrbauplatze lag, wo man spater Prag baute, so hat höchst wahrscheinlich auch Samo von diesem Ufer der Moldau aus das Land beherrscht. An und für sich liegt daher nichts Ungereimtes in der Behauptung der Juden, daß sie schon 1200 Jahre hier auf dem Bauplätze von Prag wohnen, wenn gleich es sich noch fragt, ob ihnen dieß ihre Leichensteine be» weisen können. Ja man könnte es sogar als ziemlich gewiß annehmen, daß schon der große König Marbod, der Zeitgenosse August's, der so Vieles von den Römern annahm, auch Juden von ihnen nach seiner Residenz Marobudum überkam. Sollten sie nicht auch schon >'n i. 11 162 dem vorchristlichen Vubicnum gesteckt haben, das vor dem Eindringen der Markomanne» die Hauptstadt ver celtischen Vojcr war und ebenfalls an der Stelle von Prag lag, wo noch jetzt ein vor den Thoren der Stadt liegendes Dorf Vubcnctz hcisit. Es könnte dann sein, daß das Iudenthum in Äöhmen älter sei als Heiden- und Christenthum und älter als Deutsch- nnd Slavcnthum. Dem sei indeß, wie ihm wolle, so ist soviel gcwisi, daß der besagte indische Kirchhof, sowie anch einige der jüdischen Synagogen in Prag ein Ansehen von äußerst hohem Alter haben und zn den interessantesten Gegenständen gehören, die man beschauen kann. Der Kirchhof liegt innerhalb der Indenstadt, sclbst mitten zwischen den engen Gassen nnd Gebäuden derselben. Seine Gränzen sind sehr unregelmäßig gestaltet, und wie ein bald breiter, bald schmaler Streifen schlangelt er sich zwischen den Häusern herum, die über seine hohe Mauer hinübcrblicken. Schon diese Gestalt scheint für sein hohes Alter zu zeugen, denn man sieht daraus, wie nur im Laufe langer Jahrhunderte der Todtenacker um sich griff und bald hier, bald dort sich ausdehnte, wo er eilt Stückchen Laud, alls dein die Häuser in Trümmer fiele», für seine Saat nrbar machen konnte. In der Mitte des AckerS sind unter grünen Gebüschen die Leichenstcine der Art gehäuft, wie ich diesi noch nirgends sah. Um die Todteustadt, hart an der inneren Seite der Mauer hin, führt ein Fußweg, nnd man 163 hat eine gute Viertelstunde rasch zu gehen, um ganz herumzukommen. Da die Juden nicht wie wir, nachdem die Gebeine eines längst Verstorbenen vermodert sind, den Be-gräbnißstock wieder für andere Leichen benutzen, sondern immer eine Leiche neben der anderen oder über die andere legen, so sind der Leicheusteine auf ihrem Kirchhofe zahllost. Ich glaube, man kann mehre hunderttausend annehmen. Sie gleichen sich alle insofern, als sie sämmtlich einfache viereckige, mit sorgfaltig eingemeißelten Inschriften versehene Steinplatten sind. Es ist dieß, scheint es, die allgemeine bei den Juden nicht nur, sondern auch überhaupt in» ganzen Oriente übliche Leichen stein form. Sie stehe» hier buchstäblich so dicht wie die Garben auf einem Acker. Alle sind wohl erhalten, aber einige sind ein wenig, andere halb, andere fast ganz und zwar senkrecht in die Erde versunken. Eine kleine Spitze guckt aber von ^jedem heraus. Das Ganze überwölben alte Hollunderbüsche, die mit ihren knorrigen und vielgewundenen Aesten und Wurzeln von Stein zu Stein ranken. Diese Hollunderbüsche sind die einzigen Vaume auf dem Kirchhofe, »nid sie erzeugen sich beständig von Neuem. Einige sind der Art mit den Leichensteinen verwachsen, daß sich daraus ergicbt, daß sie ebenso alt wie diese Steine sein müssen. Es ist, nebenher sei es gesagt, mir nierkwürdig gewesen, auf vielen Kirchhöfen.in Böhmen den Hollundcrbusch ebenso ausschließlich wie hier im Besitze des Terrains zu finden. Durch daS dichte Vuschwcrk von Hollunderbäumen 11* 164 und Lelchenstelnen führen viele kleine enge Fußwege. Wenn man sich aber in das Dickicht selbst hineindrängt, so entdeckt man hier und da kleine erhabene, freie, blos mit Gras bewachsene Stellen. Ich muß gestehen, wenn ich ein Maler wäre, der die Auferstehung der Todten aus ihren Gräbern darstellen wollte, so würde ich einen dieser kleinen freien Grasplätze des Prager Iudenkirchhofs wählen, um diesen Act zu belauschen, denn man könnte diese Erscheinung nirgends malerischer erleben, als wie hier, und mich wundert es, daß wir sogar bessere Gemälde von dem berühmten Türkenkirchhof bei Konstantinopel haben, als von diesem Iudenkirchhof in Prag. Alle Inschriften der Leichensteine sind blos in hebräischer Sprache. Die böhmische erscheint nirgends, nur auf den neuesten Steinen der jüngst verstorbenen Iudcn ist die deutsche Sprache gebraucht. Die Jahreszahl steht immer oben auf dem Steine. Die Steine der Verstorbenen aus Aaron's Geschlechte zeichnen sich durch zwei Hände aus, die auf ihnen eingemeißelt sind, sowie die auS dem Stamme der Leviten durch einen Krug, was eine Hindeutung auf die Verpflichtung der letzteren ist, jenen bei'm Naschen im Tempel das Wasser auf die Hände zu schütten. Die Kinder Aaron's kommen nur todt auf den Gottesacker, denn lebendig dürfen sie ihn nie betreten. Sie werden durch jede nahe oder entfernte Berührung mit Leichnamen verunreinigt. Sie dürfen daher auch nie ill einem Hause wohnen bleiben, in welchem sich 165 eine Leiche befindet. Nur eine Ausnahme leidet jeneS Gesetz. Nämlich wenn eines Aaroniten Vater gestorben ist, dann darf er sich dieser Leiche bis auf drei Ellen nahern und auch auf den Kirchhof gehen bis ebenfalls auf drei Ellen Entfernung vom Grabe. Es ist in den jüdischen Gesetzen mit der ihnen eigenthümlichen Genauigkeit die Größe der Entfernung bestimmt, in welcher ein Aaronite bei einem Kirchhofe vorübergehen kann. Diese Entfernung wird nicht von der Kirchhossmauer, sondern von den äußersten Leichen an gerechnet. Bei dem Prager Kirchhof ist nun der eigene Fall, daß auf seiner cinen Seite eine Straße ganz dicht an seiner Mauer hin führt, und daß auch gerade hier die Leichen bis dicht an die Mauer hin sich anhäufen und einige sogar noch unter ihr liegen. Ohne besondere Veranstaltungen würde jene Straße daher einem Aaronitm ein ganz verbotener Weg sein. Man hat deßhalb, um den Verkehr nicht zu hemmen, und um auch ja nicht die Gefahr herbeizuführen, daß ein Aaronite dadurch das Gesetz verletzen könne, daß er auf die, einen Leichnam bedeckende Erde trete, an der ganzen Malter hin die Straße unterwölbt. Der leere Raum, den diese Gewölbe machen, scheidet den über sie hinschrciten-den Wanderer so stark, als lägen die Leichname IWt) Ellen tief im Boden. Denn nach jüdischen Ansichten ist eine Elle überwölbter leerer Tiefe so gut als 190 Gllen mit Grde gefüllter Tieft. An beiden Enden der Gewölbe sind wieder zwei Hände eingehauen, zum Zeichen, daß hier die Gewölbe aufhören. In diese Mauer 166 sind auch viele der Lelchensteine eingemauert, welche die Juden von der anderen Seite der Moldau mit herüberbrachten, als sie von dort hierher versetzt wurden. Sie warm des Kindermords und anderer Greuel beschuldigt, und der König, dessen „Kammerleute" die Juden damals genannt wurden, machte von seinem Nechte Gebrauch, sie dahin zu transportiren, wo er es für gut fand. Auch jetzt dürfen sie noch nicht wieder auf der Klein-» scite und um den Hradschin herum wohnen. Wie auf jedem Iudenkirchhofe giebt es auch auf diesem eine eigene Abtheilung für die unzeitig und todt geborenen Kinder. Sie sind hier alle seit alten Zeiten auf einem dazu abgesteckten Platze verscharrt und angehäuft. Im Laufe der Zeit ist dadurch ein hoher Verg oder Damm entstanden, der 12 Fuß hoch, 80 Schritt lang und 10 Schritt breit ist und aus lauter kleinen Kmdergerippen und dazwischen geschütteter Erde besteht. Gphel heißt im Hebräischen eine Geburt, die uur vier Wochen alt wurde, und die Juden nennen daher auch diesen ganzen Verg Ephcl. Zur Seite des Ephel liegen mehre alte Häuser, die den Einsturz drohen. Die Einwohner derselben haben Balken zwischen den Verg und ihre Häuser eingeschoben, und so stützen die vielen tausend kleinen Wesen mit dem Gewichte ihres Staubes diese Wohnhäuser. Als der Kaiser Joseph vor 60 Jahren die Beerdigungen lnnerhalb der Mauern der Siadt verbot, hatten die Juden eben noch ein kleines Stück Land angekauft und cS ebenfalls als Gottesacker eingeweiht. Dieses 167 Stück ist mm durch die Einweihung, obgleich noch keine Leichen darauf beerdigt sind, heilig und unveräußerlich geworden. Es darf uuter keiner Bedingung verkauft werden. Wohl ciber kann man es verpachten, und dieß geschieht auch und zwar an eincn Holzhandler, der sein Holz darauf speichert. Ueberhaupt darf kein Theil des ganzen Kirchhofs, der jetzt nach Joseph nun nichts mehr ist als eine interessante Antiquität, bebaut oder sonst benutzt werden. Der ganze Grund und Vodeu ist durch die Leichen geheiligt, die doch ihrer Scits wieder durch eincn wunderlichen Widerspruch in den jüdischen Gesetzen die Aaroniten entheiligen und bestecken. Die Prager Iudcngcmcinde genießt einen großen Ruf unter den Iudengemeinden des mittleren Europas. Viele ausgezeichnete jüdische Gelehrte, mehre interessante und einflußreiche Frauen, Geld- und Geschäftsmänner gingen aus ihr hervor. Die Prager Gemeinde kann man als die Stammmutter vieler polnischen und ungarischen Iudencolonieen ansehen, und wir hatten spater in Ungar» Gelegenheit, zu bemerken, wie einflußreich in diesem Königreiche die von hier dahin auswandernden Juden noch heutiges Tages sind. Die Prager Juden zeigen auf ihrem Kirchhofe dem Fremden das Grabmal manches von ihnen hochverehrten Menschen. So mußte ich hier das schön geschmückte und zierlich gemeißelte Monument einer schönen Jüdin bewundern, die stch^bis zu einer vornehmen Dame, zur Gemahlin eines reichen polnischen Grafen, aufgeschwungen hatte, — dann die Monumente mehrer Rabbiner und Leviten, die als verstorbene Weise 168 in der Gemeinde verehrt wurden, — auch das eines jungen Menschen von 18 Jahren, der vor mehren Jahrhunderten lebte und starb. Dieser Inde war schon tn seiner frühesten Jugend ein Wunder von Gelehrsamkeit, Weisheit, Schönheit nnd Tugend. Gott hatte ihn mlt den wohlgefälligsten Eigenschaften begabt, «nd Ie-hova's Geist schwebte beständig über des Jünglings Haupte. Allein er war zu gut für diese Erde, und sein Schöpfer nahm ihn im achtzehnten Jahre seines Lebens hinweg. Vei seinem Tode geschahen Wunder und Zeichen, und eS verfinsterte sich der Himmel. Der König von Böhmen, welcher damals herrschte, schickte, als er dieses bemerkte, über die Moldau zu den Weisen der Juden hinüber und ließ fragen, was die Verfinsterung des Himmels bedeute. Diese erklärten es ihm und sagten, es hätte eine engelglciche Seele soeben den Erdboden verlassen. — Solche sonderbare und interessante Geschichten und Sagen coursircn noch mehre unter der Prager Iudenschaft, und wenn man sie hört, sollte man oft meinen, man wäre im alten Babylon zur Zeit der Herrschaft Nebucadnezar's, so fthr gleichen sich noch jetzt alle Vorfälle, alle Charaktere und die Weise, sie aufzufassen, zu erklären und zu erzählen. Ein anderer reicher und wohlthätiger Prager Jude, dessen Grabstein —- im Anfange des vorigen Jahrhunderts, glaube ich — hier errichtet wurde, hieß Meißel. Dieser Mann erbte von seinem Vater nichts und handelte sein ganzes Leben hindurch mit altem Eisen. Er lebte so bescheiden, ja so kümmerlich und 169 ärmlich wie die anderen armen Juden Prags. Aber er baute für das Geld, welches er ersparte, das jüdische Nathhaus in Prag und 4 Synagogen. Er ließ 6 Ctrasim pflastern und wöchentlich ans seine Kosten 60 Arme speisen. Nie hat man erfahren, woher er sein Geld hatte, nnd auch nicht, wo er es hatte. Man glaubte, er habe bei einer Portion alten Eisens, welches cr billig kaufte, auch viel unter Nost und Schmuz verstecktes Gold gefunden. Wie jene Tugendhelden, bei deren Tode sich der Himmel verfinstert, findet man auch solche Charaktere auf allen alten Iudenkirchhöfen wieder. Gs geht jetzt dem Iudenkirchhofe wie allen wenig besuchten Orten und alten Ruinen. Seine Gebüsche und Mauerstrine dienen zuweilen Dieben und Deserteuren zum Versteck, die sich hinter dc» Wohnungen der Todten eine Zeit lang verkriechen. Unter den Häusern, die nahe an den Kirchhof stosien, befinden sich auch die jüdische Kleinkinderbewahranstalt, das jüdische Siechenhaus nnd ein Krankenhaus. Den kleinen Kindern hat man erlaubt, durch die Mauer ihres HauseS, welche auch zugleich die des Kirchhofs ist, eine Thüre zu brechen und einen kleinen leeren Winkel desselben alö Spielplatz zu benutzen. Man hat ihnen diesen Platz mit eimm Schuppen oder Lusthaus überbaut und ihnen Vänke und Tische darunter gesetzt. Ich muß gestehen, daß ich die Kleinen dort in ihrem engen Kirchhofswinkel mitten zwischen den zahllosen Grabsteinen nicht scherzen sehen konnte, ohne mich zu fragen, welchen 170 Einfluß ein solcher Spielplatz ihrer Kindheit auf die Entwickelung ihres (Geistes haben müßte. Die alteren unter ihnen Pflückten sich die Nnkrautblülhcn von dem Rande der Grabhügel und wanden sich Kranze davon. Ich gedachte anderer zarter Kinder, deren erste Schritte zwischen den prachtvollen Blumen eines Parks wandeln. Es waren viele erstaunlich blasse, magere und hülflose kleine Würmer darunter, und als Gegenstück zu ihnen fand ich im Siechenhause viele alte Frauen und Männer, die wieder ganz zu der Hülslosigkeit der Jugend herabgesnnkcn waren, unter anderen ein hundertjähriges altes Iudcnwcib, das schon seit mehren Jahren gekrümint, blind und fast regungslos wie eine Pflanze im Vette lag und kein anderes Zeichen des Lebens von sich gab als ein leise wimmerndes Stöhnen. O Menschengeist, du Gottessohn! dachte ich, mit welchen gränzenlos schweren Sclavenfesseln bist du beladen, o du flüchtiger, geflügelter, zum Aether aufstrebender Pegasus, in welche Abgründe tiefster Knechtschaft bist du gestürzt! Es husteten, hinkten und stöhnten 40 alte Weiber und Männer „m uns herum. Ein angesehener Mann aus der Gemeinde war bei mir. Sie begrüßten ihn ganz auf orientalische Weise, kamen herangestolpert, küßten ihm den Rock, nannten ihm einmal über das andere „gnadigster Herr!" und wünschten ihm langes Lebe», Gesundheit und Gottes Segen, indem sie sagten: „Lange, lange möge der Herr Sie unS erhalten/' Ich glaubte, 40 solche alte Zigeunermütter, wie sie in Preciosa vorkommen, auf einmal erscheinen zu sehen. Manche von ihnen besaß in dieser Anstalt, an der ich eben weiter nichts zn loben fand, als daß sie da war, nichts weiter als einen sehr wenig einladenden Winkel nebst Vett, und doch waren sie voll Danks für die über sie ausgeschütteten Wohlthaten und Segnungen. Ich schauderte, denn es fiel mir ein, wie trübselig wohl die Ursachen dieses Dankes sein nwchten, die Höhlen und Hütten des Elends, denen man sie entrissen. In der That haucht in der Prager Iudenstadt so mancher Mensch unter so widerlichen und herzergreifenden Umstanden seinen Geist aus, daß man ein solches Krankenhaus doch immer noch eine Wohlthat nennen kann, und Dank wirb gewiß jeder Menschenfreund den Männern nicht versagen, die es mit Eifer und Aufopferungen zu Stande brachten. Mochten sie nur von Anderen noch kräftiger unterstützt werden, damit sie noch etwas mehr Terrain einfrieden und eindeichen könnten gegen die Ströme des Elends und der Gebrechen, die in der Prager Iudenstadt stießen. Welche unbebaute Gefilde sich in dieser Stadt noch einem refonnirendm und thatigen Menschenfreunde darbieten möchten, entnahm ich aus einem lebendigen Wesen, welches mau mir in diesem jüdischen Krankenhause als etnen verwahrlosten, auf der Straße aufgefangenen Knaben zeigte. Ich will über diesen merkwürdigen und mir unerklärlichen Fall nur daS einfach berichten, was ich selbst sah und was man mir Glaubliches erzählte. Dieser Knabe war dem Anscheine nach etwa 16 bis 172 12 Jahre alt. Die Polizei hat ihn auf der Straße, wie gefagi, als ein wildes, unerzogenes, keiner Sprache machtiges Wesen, daS nicht für sich selbst zu sorgen im Stande, entdeckt und dein jüdischen Magistrate übergeben. Dieser hat ihn, ich weiß nicht wo, ein Jahr lang ernährt und dann dem Kranken- nnd Siechm-hause übergeben, weil sich keine Angehörige zu dem Knaben meldeten und dieselben auch auf keine Weise von der Polizei ausfindig gemacht werden konnten. Man hat ihm einen Namen gegeben und ihn Lebel Kremsicr genannt. Wir fanden ihn in einer Ecke zwischen einem Schranke und einem Fenster kauernd. „Er ist wild und unbändig," sagte der Vorsteher des Krankenhauses, und trotz dem, daß ich ihm schon manche Tracht Schlage gegeben habe, springt er doch noch zuweilen wie eine Katze aus dem Fenster hinaus und verkriecht sich hinter den Gebüschen des Kirchhofs. Gern hascht er hinter den, Katzen her und springt ihnen überall nach. Wo er kann, bringt er sie um's Leben. Er hat starke Glieder und ein besonders starkes Gcbisi." Der Vorsteher öffnete darauf dein Knaben den Mund und zeigte uns seine Zähne. „Daher frißt er auch soviel als wie zwei Große. Wählerisch lst er in der Speise nicht, und er schlingt hinunter, was er nur beißen kann. Zu Zeiten ist er besonders wild. Dann ist er gefährlich und kratzt und beißt die Menschen. Vei mir aber wagt er es nicht. Er spricht nichts, und wenn man ihn etwas fragt, so wiederholt er bloß die Frage selbst wie ein 173 undeutliches Echo." Das Gesicht dcs Knaben ivar regelmäßig gebildet, auch waren dle Augen lebhaft, nur schien es mir, als wenn er sie ein wenig verwerfe. Wir fragten ihn: „Wie heißt Du?" — „eißt Du!" tönte das nur halb articulkrte Echo aus seinem Munde wieder. „Warum hast Du keine Hosen an?" — „rum — ast — oscn." — „Lebel Krcmsier, ist Dir kalt?" — „alt" tönte es wieder. Indem er diese Worte wiederholte, erbebten seine Gesichtszuge m beständigem Lachen oder Grinsen. Ich glaubte Anfangs es wäre Verlegenheit oder Freundlichkeit, aber der Vorsteher sagte mir, es sei bloße Furcht, und ich bemerkte in der That, daß der Knabe am ganzen Leibe zitterte. Als wir weggingen, warf ich dann in einiger Entfernung noch einen Blick auf ihn und bemerkte, daß er so bestandig, zitternd und lachend zugleich, stehen blieb. Man hat wohl in wüsten, wald- oder sumpfreichen Gegenden zu Zeiten solche wilde und verwahrloste oder verlorene Individuen gefnnden. Wie es aber möglich ist, daß in dem Quartiere einer Stadt wie Prag ein ähnliches unglückliches Geschöpf wie jener Lebel Krcmsier groß werden konnte, daS bleibt mir in der That ein Räthsel, dessen Lösung ich nicht zu geben vermag. Denn AlleS der Unordnung in der Gemeinde schuld zu geben und den Lebel als eine bloße Blüthe der moralischen Versumpfung in jenem Iudenviertel zu betrachten, wage ich nicht, weil mir ein solcher Fall 174 doch einen gar zu anarchischen Zustand vorauszusetzen schiene. M giebt nicht weniger als 20 jüdische „Less» Ueäeresck", d. h. „Häuser des Unterrichts", und außerdem noch acht Tempel in Prag, von denen die meisten in der Nähe des beschriebenen Kirchhofs liegen. Die älteste und interessanteste unter ihnen ist die sogenannte ,,Allncufck'ule", deren innere Einrichtung jetzt, namentlich neuerdings wieder in einem um so interessanteren Lichte erscheint, da der alte Styl ihreS Baues und der in ihr geltenden gottcsdicnstlichen Gesetze Gelegenheit zu Vergleichungen mit dein neu aufkommenden reformirtcn Gottesdienste der Juden giebt, der jetzt hier in Prag auch Wurzel gefasit hat und die alten Synagogen und Schulen zu verdrängen droht. Ich glaube nicht, daß man überhaupt in ganz Deutschland noch etwas Aehnliches findet, wie die Altncuschule in Prag, und ich gebe daher hier dem Leser eine Schilderung derselben, soweit ich sie bei meinem Besuche auffassen konnte. Von außen ist diese Synagoge einem solchen alten Speicher oder Waarenhause ähnlich, wie man sie wohl noch jetzt in einigen mittelalterlichen deutschen Handelsstädten findet, und im Inneren gleicht sie an Staub, Schmuz, Finsterniß und Näuchrigkeit einer Katakombe. An dem Gewölbe hängt eine große Riesenfahne, die sich durch die ganze Synagoge hinzieht. Die Iudenschaft erhielt sie vom Kaiser Ferdinand III. nach der Beendigung des dreißigjährigen Krieges für den Patriotismus und die 175 Tapferkeit, welche sie bei der Belagerung der Stadt Prag d,,rch die Schweden im letzten Jahre dieses Krieges entwickelt hatte, einer Belagerung, bei welcher sämmtliche Pürger PragS, auch die Studenten, sowie auch die Jesuiten und die Mönche aller Orden, auf den Mauern und bei Ausfällen und Handstreichen sich so ausgezeichnet tapfer benahmen, daß der Kaiser nachher unter vielen anderen auch alle Rathsherren in den Nitterstand erhob und alle verschiedenen Gemeinden, Korporationen und Klöster der Stadt noch besonders belohnte. Das Lsara« ^oZckim, d. h. die Abtheilung der Synagoge, welche für die Frauen bestimmt ist, ist hier durch eine anderthalb Fusi dicke Mauer von dem eigentlichen, für die Manner bestimmten Hauptraume des Tempels völlig abgesondert. Eine enge Treppe, ähnlich denen, wie sie in schlechten Theatern hinter die Coulissen führen, steigen dic Frauen hinauf. In den schmalen und rund ummauerten Gangen haben sie ihre Stühle. In dem Raume selbst aber befinden sich in gemessenen Distanzen kleine, etwa eine Elle lange und kaum einen Zoll breite Ritzen oder Oeffnungen. Durch diese geizigen Oeffmmgen dringt Alles, was sie von Gottes Wort zu hören bestimmt sind, durch. Sie liegen hier wie Vic-„en, die an der engen Thüre ihres Vicncnkorbes sich drängen, und lauschen und gucken kn den Tempel hinab, von dem Cine, selbst wenn sie die ganzen Ritze für sich allein hätte, doch nur Weniges sähe. „Sie werden hier nicht viel vernehmen," bemerkte ich einem 176 , Juden, der mich hinabgeleitete. „O für Weiber/ sagte er, „immer genug." Ich hatte nicht gedacht, daß innerhalb der Gränzen des deutschen Bundes noch irgendwo solche altorientalische Ansichten von den geistigen Bedürfnissen deö schönen Geschlechtes grünten und blühten. Es ist auf die besagte Weise den Mannern ganz unmöglich zn ahnen, daß sich Frauen im Got-teöhause befinden, denn die Augen, die durch jene Wand" ritze herabblitzcn könnten, müßten schon solche Feuer» äugen sein, wie sie in Romanen vorkommen. Auf der Tribune in der Mitte der Synagoge stand ein alter Nabbmer und predigte. Auf der Stufe der Tribune und auf der Tribune selbst neben dem Prediger drängten sich die Zuhörer. Dicht vor dem Redner saß ein alter weißhaariger Greis, der harthörig war und sein Ohr nahe zum Redner hinanhiclt. Kleine Knaben saßen daneben. Der Redner stand nicht an einen Platz gebunden in dem Gefängniß eines Katheders, sondern bewegte sich ziemlich frei auf seinem Posten hin «nd her. Wie vieles lag in dem Allen, was in unseren geordneten protestantischen Kirchen unschicklich gewesen sein würde. In unseren Kirchen kann Lcssing nicht seine Studien zu seiner berühmten Hussitenpredigt gemacht haben. In dieser Altiieuschule hätte man gleich »lit dein Daguerrotyve ein interessantes Vild liefern mögen, wenigstens was Gruppirung und Form betraf, denn leider fehlte der Geist bei'm Redner, so laut er auch sprach. Seine Rede war das merkwürdigste Gemisch von Hebräisch 177 und Deutsch, welches ich jemals gehört habe. Jede Redensart und jeder Vers, der aus der Vibcl entlehnt war, wurde zuerst hebräisch gesagt und dann in's Deutsche übersetzt. Vald kam der Redner auf Nebu-kadnezar zu sprechen, bald auf die Zerstörung Jerusalems durch Titus und bald auf die falsche Aufklärung un-sner Zeit, und von dieser ging er, um neue Beispiele zu holen, in einem Athemzuge und in einige» Sprüngen die ganze Leiter der Geschichte wieder rückwärts bis zu Adam hinauf. Jene Veränderungen nun, welche die aufgeklärten Juden bei diesem alten jüdischen Gottesdienste vorgenommen haben, greifen nirgends einen wesentlichen Theil desselben an, vielmehr lassen sie Alles, was das Gesetz sowohl übcr das Acllßcrc als das Innere des Gottesdienstes festgesetzt hat, bestehen. Nur Zusätze aus spateren Jahrhunderten haben sie angegriffen, wenn sie störend sind, und die Gesetzvorschriften selbst bringen sie in einer Weise und in einem Geiste zur Ausführung, der nicht in zu krassem Widersprüche mit der Aufklärung unserer Zeit steht. So z. V. bleiben in diesem rcformirten Gottesdienste die Frauen allerdings auch noch von den Männern getrennt, aber nicht durch dicke Mauern mit dünnen Ritzen, sondern blos durch offene Geländer. Vbcnso sind auch die jüdischen Gesinge geblieben, aber man sieht mehr darauf, daß sie schöner vorgetragen werden, und besoldet eigene Eängerchöre zu diesem Zwecke. Gleicherweise ist der Inhalt der Predigt und ihrer Lehre nicht verändert, aber man hält aus i. '2 178 oratonsche Befähigung des Redners, befleißigt sich eines reineren Deutsch ohne die, häufige Ginmischung des Hebräischen und gestattet der Nede auf Küsten der übrigen Ceremonieen etwas mehr Raum. Die ersten Vereine, um diese Reformen ln's Leben zu rufen, entstanden in Berlin und Hainburg, denen bann später alle bedeutenden Gemeinden Deutschlands folgten, und deren Anordnungen den letzteren zum Muster dienten. In Prag thaten sich ungefähr 1W Männer zusammen, bauten eine neue Synagoge, schickten Deputirte nach Hamburg und Berlin, um die dortigen reformircnden Einrichtungen näher in Augenschein zu nehmen und daselbst einen Prediger zu Wahlen, der Gelehrsamkeit, Glaubcnsfestigteit und Vcrcdtsamkeit vereinte. Die erste Wahl mißglückte; denn der berufene Prediger fand nicht den gehofften Anklang. Der zweite aber, den man ebenfalls von Berlin kommen ließ, Herr Sa,r, hat so viel Beifall gefunden, daß jetzt sogar Katholiken und Protestanten in die Synagoge gehen, um ihn zu hören. Leider wurde mir dieses Glück nicht zu Theil, da an dem Gedächt-nlßtage der Zerstörung Jerusalems durch Titus, an welchem ich die neue Kirche besuchte, die Rede eben geendigt war. Die Frauen saßen hier wie die Männer im unteren Raume des Tempels, nur hatten die Männer die Mitte, die Frauen die Seitcngange inne. Das Sängerchor bestand aus vielen jungen Leuten und Knaben, die eine schwarze Kleidung und schwarze Sam« metkäppchen trugen. Eine kleine Orgel begleitete ihren 179 Gesang. Die Psalmen wurden nach einer neuen geschmackvollen Uebersctzung gesungen. Die Reform des jüdischen Gottesdienstes ist in Wien schon ciwas früher eingetreten nls in Prag, und von beiden Puncten aus dringt sie nun zu den übn» gen Gemeinden Oesterreichs durch. Sie wird auch eine Verbesserung der Schulen, Krankenhäuser und anderer mit den Kirche näher in Berührung stehenden Anstalten nach sich ziehen und thut dieß auch in der That scholl zum Theil, wie ich später im Einzelnen nachzuweisen Gelegenheit finden werde. Die österreichische Regierung hat diese Reformen geduldet und beför« dert, da bisher noch keine Parteiungen und religiöse Zwiespalte daraus entstanden sind. Diese suchen auch die Freunde der Reform und deS Fortschrittes auf alle mögliche Weise zu vermeiden, weßhalb sie auch lebhaft dagegen Protest!« reu, dasi sie eine Partei seien. Indeß ist doch wohl eine Abneigung zwischen den „Alten" und den ,,Neuen" (diese Ausdrücke hörte ich sie in Prag oft von einander gebrauchen) nicht zu verkennen. Die altgläubigen Juden betrachten bei aller Vorsicht, welche die anderen anwenden, doch ihr Beginnen als gesetzwidrig und murren dagegen. Iudeß ist kein Zweifel, daß, wenn die Reformen mit der jetzigen Mäßigung vor sich gehen, sie sich zum Stillschweigen bequemen müssen. „Unser Ober-rabbincr Rappoport ist ein aufgeklarter Mann", sagte mir einer der Reformfreundc, „und er ist gewiß im Herzen auf unserer Seite. Aber er darf es mit bei- 12* 180 den Theilen nicht verderben und spricht sich daher auch nicht entschieden gegen die Alten aus." Dieser Mann, Herr Navpovort, ist jetzt einer der angesehensten und ausgezeichnetsten Männer in der Prager Gememdc, obgleich er erst kürzlich hierher gekommen ist, und zwar ans einer Gegend, in der die Aufklärung unter den Juden noch wenige Fortschritte gemacht hat, aus Polen. Er war früher in Tarnopol in Galizien. Doch der Ruf seiner Gelehrsamkeit und seiner Gcisteslautcr-keit erscholl weit umher und versetzte ihn vor einigen Jahren an seilten jetzigen Platz. Ich besuchte ihn und, fand eine Menge von Schriftgelehrten bei ihm versammelt. — Die Rabbiner dieser Gegenden (ich meine Böhmen, Polen «>ld Ungarn) leben noch ganz nach der Sitte orientalischer Weisen. Sie lassen ihr Licht auf ganz andere Weise leuchten als unsere europäischen Stubengelehrten, die nur zu gewissen Stunden vom Katheder herab ihre mit Ehrerbietung angehörten Lehren vernehmen lassen und übrigens dem Belehrung suchenden Publkum so ziemlich unzugänglich smd. Wie die Könige und Richter des Orients auf offenem Markte fitzen, stets bereit, rasch und einfach Jedem das Seine zuzuerkennen, so sitzen auch ihre Weisen stets bei offenen Thüren und, so zu sagen, wie Vater mitten in der Gemeinde, um alle Anfragen und Zweifel geistiger Natur zu beantworten und zu schlichten. W gab und giebt noch Lander, sagt man, wo die Dichter und Rapsoden das Volk auf den Gassen erfreuen, wo die PI klugen Männer überall, wann Lehre Noth thut, den Mund nicht verschließen, und wo die Redner öffentlich und überall, wenn es die Gelegenheit erfordert, in der Gemeinde sprechen. „Wo verstecken sich denn eure klugen Leute, und unter welchen Scheffel stellen denn bei euch die Weisen ihre Lichter?" konnte Jemand bei uns fragen, der an solche Sitten gewöhnt wäre. Die Macht, die wir in unserer Gemeinde vorzugsweise auf den Straßen und Markten schalten und walten sehen, ist die Polizei, und verge-» bens fragt man nach den Orten, wo die Philosophie, wo die Religion, wo die Musen Jedermann zu jeder Zeit ihre Audienzen ertheilen. Nun wie gesagt, die Juden in den bezeichneten Ländern haben noch jM Manches von der alten Sitte der Peri-pathctiter. Ihre Rabbiner halten cö fürPflicht, taglich für Jedermann zu Hause zu sein., Namentlich aber sitzen sie an den Feiertagen von Morgens bis Abends bei offenen Thüren jedem Besuche zuganglich in ihren Wohnungen, die weniger für Privatwohnungen als für Gemeindehäuser gehalten werden. In der Negel findet man in einem Vorzimmer ihre Frauen oder Tochter. Diese geleiten den Gast in das Zimmer des Vaters, der in seine amtliche Kleidung gehüllt am Ende einer langen Tafel unter einer gewöhnlich nicht geringen Zahl von Besuchern, Fremde» und Befreundeten prasidirt. So fand ich es auch bei Herrn Nappoport, den ich kennen zu lernen begierig war. Er hatte die Kleidung der östlichen europäischen Juden noch nicht abge- 182 legt unv saß in hoher Pelzmütze und schwarzseidenem Kaftan in seinem Lehnstuhle. Einheimische und fremde Israelite« aus Magdeburg, Hamburg, Warschau und Amsterdam saßen um ihn herum, und anderer Besuch ging ab und zu. Ich freute mich, aus so verschiedenen Gegenden Manner beisammen zu finden, und fragte sie,-ob es bei ihnen Sitte sei, daß die Fremden sich bei'm Rabbiner trafen. Sie sagten, dieß sei alte Sitte. Schon ein Grabstein auf ihrem Kirchhofe, von dem ich kam, hätte mich darüber belehren können. Derselbe sei vor mehren hundert Jahren von einem Prager Rabbiner einem seiner aus der Fremde herangcwandcrten Gaste, der das Unglück hatte, hier fern von der Heimath zu sterben, gesetzt worden, und zwar dem Joseph Salomon del Medigo, einem hochgeehrten Juden und berühmten Reisenden aus Veuedig. Er hätte sich hier nach großen Reisen in Asien aufgehalten, um sich zu neuen Wanderungen vorzubereiten, an deren Ausführung ihn aber der Tod gehindert. Von eben diesem Gelehrten, sagten sie, wäre auch die Salbe erfunden worden, mit welcher die Juden sich den Vart abnehmen statt des Nasir-messers, dessen sich zu bedienen ihnen nicht gestattet wäre. Diese Salbe, sagten sie, wäre in Vöhmen noch stark im Gebrauche. Doch thaten es allerdings die meisten mit der Scheere. Herr Rappoport ist ein Aaronite. Seine Vorrechte und Privilegien als solcher sind nur mehr lästige und beschrankende als vortheilhafte Auszeichnungen. Gins derselben, in Bezug auf die Berührung der Leichen, 183 lernten wir schon oben kennen. Gin anderes ist das, daß jedes erstgeborene Kind einem Aaroniten zum Einsegnen präsentirt wird. Es giebt auch noch Leviten in Prag. Doch sind dieselben weniger zahlreich als die Aaroniten. Und dieses Verhältniß fände, sagten sie, in allen jüdischen Gemeinden EuropaS statt, weil Cyrus, als er Jerusalem wiederherstellte, mehr Naroniten als Leviten mitgebracht habe. Es mag in Prag etwa 100 Aaroni-» ten geben. Sonst aber giebt es keine anderen Stamm-unterschiedc unter den dortigen Juden. Auch tragen weder die Leviten noch die Aaroniten ein äußeres Abzeichen ihrer Stammverschiedenheit. Um ihre Abkunft zu beweisen, haben sie keine Stammbaume, doch steht durch Tradition hier Alles ebenso fest, wie bei uns durch Papiere. Herr Rappoport erzählte uns, die jüdischen Ka-raitm in der Krim und in der Türkei hatten vor einiger Zeit einen Stein gefunden, durch dessen Inschriften sie ei» ungemcin hohes Alter ihrer Sccte zu beweisen getrachtet hätten; allein er habe diese Meinung kürzlich in einem Vliese an sie widerlegt und ihnen gezeigt, daß der Stein unacht und seine Angabe falsch sei, und zwar aus dem Grunde, weil er die Jahreszahl, auf die es ankäme, nach der Erschaffung der Welt angäbe, zu einer Zeit, wo die Juden gar nicht sich der Zeitrechnung »ach der Erschaffung der Welt bedienten. Er hätte den Karaiten in diesen: Briefe deutlich nachgewiesen, daß sie die Jahre ursprünglich nach der Flucht aus Aegypten, welche den Anfang ihrer eigentlichen politi- 184 schen Geschichte bildet, gezählt hätten und zwar dieß etwa 1l)W Jahre hindurch, — daß sie aber dann wie die Chaldaer, Syrer, Perser und wie überhaupt der ganze Orient die seleucidische Rechnung angenommen hätten, die dann über 1000 Jahre von ihnen beibehalten worden wäre, und daß sie erst gegen das Ende des Mittelaltcrs seit 500 Jahren die Rechnung nach der Erschaffung der Welt in Gebrauch genommen hatten. Die Juden sind das alieste Volk in Europa, denn wahrend die Geschichte vieler europäischen Volkstämme sich schon mit 1000 Jahren in völliges Dunkel verliert, wenige nur bis zu Christi Geburt noch mit einiger Sicherheit in ihre Vergangenheit hinaufschauen, und nur zwei, die Griechen und Römer, auch ihre vorchristliche Zeit hell erleuchtet schen, verfolgen die Juden mit ganz genauen Chroniken und Gencalogiccn ihre Geschichte bis nahe zu den dtluvianischm Zeiten hinauf und wissen sogar noch den ersten Mann, durch dessen Familie ihr Volk gestiftet wurde, feine, seiner Kinder imd Kindeskinder Schicksale nachzuweisen. Da sie so gut von Nebukad-nezar'ö und des CyruS als von Alexander's und Napoleon's Fcldzügcn beiden und Vortheile hatte», so umfaßt der unter ihnen tradirte historische Stoff einen so großen Zeitraum wie bei keinem einzigen anderen Volke, und da sie durch ihre unter allen Zonen und unter allen Völkern verstreuten Colonieen, durch brieflichen und gastfreundlichen Verkehr mehr oder weniger mit einander in Verbindung stehen, gewissermaßen allgegenwärtig auf dem Erdboden sind, so befindet man sich unter ih- 185 nen in einem so interessanten historischen Elemente, wie sonst nicht leicht irgend wo, in Europa wenigstens, wo es kein zweites Volk giebt, dessen Adel, wie der der jüdischen Aaroniten, seinen Ursprung von einem Freunde des fünfzehn Jahrhunderte vor Christus verstorbenen Moses ableitet. Auch die Religion ist ein Gegenstand des gewöhnlichen nnd beständigen Gesprächs unter den Juden, weil sie das Element ist, in welchem sich alle ihre politischen und moralischen Zustande entwickelten. Uns brachten die goldenen Cherubimflügel darauf zu sprechen, welche die Prager Israelite« über dem heiligen Schreine der Gesetzestafeln angebracht hatten. Ich sagte, ich hatte bei diesen Flügeln sehr die Figur der Engel vermißt. Sie sagten nur, daran erkennten sie in mir den Christen, ihnen würde eine solche Figur der größte Greuel sein, und in einer christlichen Kirche sei ihnen noch jetzt immer nicht viel anders zu Muthe als vielleicht ihren Vorfahren in einem der heidnischen Tempel. Gs sei merkwürdig, daß alle im Orient entstandene Religionen, sowohl der Feuerdicnst des Zcrduscht, als die altmosaische Lehre, als auch die mahomcdanische, mit einziger Ausnahme der neumosaischen oder christlichen sich sy voll-kommcn rein vom Bilderdienste erhalten hatten. Vei allen genannten Religionen sei das Gesetz nnd die Lehre höher geachtet als der Lehrer, nur bei den Christen wäre an die Stelle des Gesetzes die Persönlichkeit des Stifters getreten. Einer derAnwesenden meinte, es möchte der Kunstsinn der Ro- 186 mer und Griechen besonders Schuld sein an den vieleu Statuen in dcn christlichen Kirchen, denn die vielen Bildsäulen, mit denen jene ihre heidnischen Tempel versorgten, fanden nachher auch Eingang in die christlichen Kirchen, „und so mögen wir dem Himmel danken, daß nie große Bildhauer und Maler unter uns in Arabien und Syrien erstanden, weil zum Theil auch daher sich unser Monotheismus so rein erhielt." Von da führten die Juden mich auf ihr Nathhaus, welches jener IsraelitMeiscl bauen ließ, dessen Grabstein wir auf dem Kirchhofe fanden. Denn so wie die Kleinseitr, die Neu- lmd die Altstadt in Prag ihre eigenen Bürgermeister, Rathe und Nathhauser hatten und haben, so haben cS auch die Juden. Es werden hicrselbst noch ihre alten Privilegien aufbewahrt, welche von allen Kaisern und Kaiserinnen Oesterreichs bei der Thronbesteigung bestätigt und unterschrieben wurden. Sie be« wahren sie wie einen großen und kostbaren Schatz auf, und doch wird wohl eben keine andere besondere Prärogative ihnen darin bewilligt sein als das, was man einem Menschen und Staatöunterthanen gar nicht erst verbrieftn und versiegeln sollte, die einfache Erlaubniß zur Duldung und Eristenz. — Auf dem Thurme dieses Nathhauscs Übersicht man die ganze Iudenstadt, die auf der einen Seite von Wasser begränzt wird, und an welche auf der anderen eine Neihe von christlichen Kirchen stößt. Man überblickt alle die jüdische» Straßen, in denen es von Bettlern wimmelt, und alle die ärmlichen Dächer, unter denen so viele Arme und Sieche seufzen. 187 — Und es fiel mir das Wort Varuch's in den ersten Versen des zweiten Capitels seines Buches ein, wo er sagt: „Und der Herr hat sein Worl gehalten, das er geredet hat zu uns und unseren Richtern, Königen und Fürsten, die Israel regieren sollen. — Und hat solche große Strafe über uns ergehen lassen, deßgleichen unter allen Himmeln nicht geschehen ist, wie über Jerusalem gegangen ist. — Und er gab sie dahin zu Knechten in alle Königreiche, die umherliegen, zur Schmach und zum Fluch unter alle Völker, die um uns sind, unter welche sie der Herr zerstreut hat. Und sie werden immer untergcdrückt und können nicht wieder aufkom-men." Wie traurig trifft dieß Wort für alle Himmelsstriche und aNc Zeiten zu. Wird es wohl den Bestrebungen unseres Jahrhunderts gelingen, es endlich un< wahr zu machen? Volksleben in Prag. Nie Oesterreicher sagen von den Böhmen, d. h. von den Tschechen, sie seien keiner offene», sich ganz hingebenden Heiterkeit fähig. Denn im Grunde seien sie finster und verschlossen und eher zur Melancholie geneigt. Dieß Urtheil über die Böhmen steht bei den Oesterreichern durchweg fest, und es ist unmöglich, dasi cs nicht in gewisser Hinsicht begründet sei; denn es giebt kein Urtheil einer Nation über die andere, so hart und scharf es auch sein möge, das nicht irgendwie wohlbcgnmdct sei und zutreffe. Wir wollen uns hier einstweilen weder auf die Untersllchling einlassen, wie die Oesterreicher zu jenem Urtheile gekommen sind, noch ans eine Erklärung, wie die große Verschiedenheit der Begriffe, welche die Ocsterreicher und die Böhmen von Heiterkeit haben, die Oestcrreicher dazu bringen konnte, ihren Nachbarn allen Hang zum Frohsinn ab" zusprechen, noch auf eine Nachwcisimg darüber, wie jene Urtheile dieser zwei kleinen Theile der großen deutschen 189 und slavischen Völkerfamilie mit den allgemeinen Ansichten der Deutschen über die Slaven zusammenhängen, — denn wir wollen uns hier mehr mlt Facten und Gr-lebnissen als mit Meinungen, und weniger mit den Vöhmen im Allgemeinen als zunächst mit der Stadt Prag, die immerhin einen bedeutende» deutschen und namentlich österreichischen Anstrich erhalten hat. Für einen Deutschen, der nicht Bürger oder Nntcrthan der österreichischen Monarchie ist und keine deutlichen Begriffe hat' von den provinziellen Mschattirungen dieser Monarchie, sind solcherlei Fragen auch gewiffcrmasicn nur Subtilitäten und Spitzfindigkeiten. Kommt ein solcher nach Prag, so meint er nichts Anderes, alö er sei in einer österreichischen Stadt, und er findet hier gleich den österreichisch - deutschen Dialekt, die österreichische Gutmüthigkeit, österreichische Lustigkeit und das ganze Wienerische Volksleben, indem er dabei die Pragerischm und böhmischen Modisicirungen dieser Dinge nicht erkennt. Jedoch zur Sache, d. h. zu meinen kleinen und freilich nicht zahlreichen Erfahrungen auf den Schauplätzen des tschechisch-österreichischen Volkslebens in Prag, die ich dem Leser in einer Neihe kleiner Bilder vorführe» will. Als ich eines Tages durch die Straßen von Prag ging, erblickte ich das erste dieser Vilder in dem Hintergrunde eines Hauses, dessen Thüre offen stand. W schallte Musik und Gesang daraus hervor. In dem Gehöfte stand ein Orgcldreher, der eine böhmische Polka 190 aufspielte, und nach dem Tacte dieser zufällig sich darbietenden Musik tanzten zwei hübsche Mädchen im Hofe und cms der Flur des Hauses. Sie schwebten lachend und scherzend bis an die Hausthür heran, kehrten dann um, flogen die lange Flur hinab und tanzten wieder recht anmuthig auf dem Hofe herum. Mit Vergnügen blickte ich ihrem lustigen Treiben lange zu und dachte, weiter gehend, darüber nach, ob ich wohl auch in anderen Städten von der Straße aus Aehn-liches gesehen. Eines anderen Tages wiederum ging ich auf die Färberinsel, um in ihrem hübschen Garten, dem „Sperl" und „Prater" der.Prager, noch mit dem Anhören der Abendmusik meinen Tag zu beschließen. Leider kam ich zu spät. Denn das Musikcorps des Orenadierregiments war bereits im Abmärsche und kam mir auf dem breiten Wege der Insel mit voller Musik entgegen. Schon dieß gefiel mir. Ich habe wohl an anderen Orten auch Musiker, selbst Militärmusiter, auseinandergehen sehen, aber sie gingen nach Beendigung des letzten Stücks einzeln nach Hause. Daß diese Grenadiere in cor^i-e und wieder mit Musik abmarschirten, schon das machte einen angenehmen Gindruck. Aber nun die Weise ihres Abzuges. Neben ihnen her gingen fünf bis sechs kleine Knaben, denen die Soldaten Fackeln zu tragen gegeben hatten, und auf dem breiten ebenen Wege der Promenade vor den geraden Linien der Soldaten, die einen Straußischcn Walzer spielten, tanzten zehn bis zwölf fröhliche Paare in raschem Fluge einher. Es waren 191 nicht nur Kinder und Knaben, sondern auch erwachsene Mädchen/ die sich in einer Anwandlung der fröhlichsten Tanzlaune umschlungen hatten und den steifen Marsch der Krieger mit gefälligen Tanzbewegungen umgaben, wie blühende Nanken eincn stämmigen Baum umranken. Die bärtigen Grenadiere litten gern diese Fröhlichkeit der Jugend und schienen nur um so frischer drein zu blasen. Die Madchen waren unermüdlich, und trat ein Paar ans, so schwenkte sich aus dem Gedränge des Publikums ein anderes wieder hinein. Die Burschen beleuchteten das ganze Vild mit ihren Fackeln, und so ging es die Promenade der Färberinsel entlang und über die kleine Brücke hinüber, welche diese Insel mit dem Festlande verbindet. - Jenseits machte leider das unebene StrasienPflaster dem Tanze ein V»de. Ich hatle gern eincn Maler bei mir gehabt, um dieß Gemälde sofort auszuführen, welches ich mir wieder als eine eigenthümliche Scene ans dein Prager Volksleben meinem Gedächtnisse glaubte einprägen zu dürfen. Denn ich erinnerte mich nicht, irgendwo Soldaten auf diese Weise abmarschircn gesehen zu haben. Anderswo kämen das Volk und die Mädchen, glaube ich, nur dann so weit, wenn sie freudetrunken bei einem Siege triumphirende Soldaten geleiteten. „Ich finde es außerordentlich," sagte ich zu meinem Begleiter, indem ich noch einen Blick auf das hübsche hinter der Brücke verschwindende Bild warf. „Es ist hier gewöhnlich," erwiederte er. Wenn irgend etwas, so ist das wahr, daß die Böhmen 192 Musik, Gesang und Tanz lieben. WaS die Musik betrifft, so weiß dieß schon lange die ganze Welt. Denn böhmiscl'e Musiker erscheinen nicht nur in allen Ländern Europas/ sondern sie gingen auch mit den Russen nach Sibirien hinüber und kamen mit ihnen bis an die chinesische Gränze. Neuerdings gingen sie mit den Franzosen nach Afrika, und ganz kürzlich noch vernahmen wir von böhmischen Musikanten, denen man in Syrien und Aegyptcn mit Vergnügen gelauscht hatte. Aber auch von der Aechtheit der beiden anderen in jenem Satze enthaltenen Behauptungen hat man täglich und überall in Prag Gelegenheit sich zu überzeugen. Tanz kam mir auf Wegen entgegen, wo ich ihn nicht vermuthen konnte. Gesang, und zwar sehr harmonische Gesänge hörte ich bäufig aus den Souterrains der Häuser, aus den Vcdientcnzimmern der Großen und auf den Straßen erklingen. Und Musik, — ohne sie, scheint es, kann keine öffentliche Gesellschaft, namentlich kein Vierhaus der unteren Classen bestehen. Um einmal zunächst bei diesen Vierhausern der unteren Classen, die selten ein anständiger Reisender besucht, obgleich auch hier ein Schauplatz der Beobachtungen für eincn Philosophen wäre, zu verweilen, so muß ich gestchen, daß ich darin einen höchst auffallenden Unterschied zwischen ihnen und denen in den anderen, Böhmen benachbarten Hauptsammclplätzen von Menschen, in Vreslau, Dresden und München, gefunden habe. Im Ganzen schien mir in den Versammlungs-häuscrn dieser Art in Prag weit mehr einer gewissen 103 Poesie gehuldigt als in denen der genannten Orte. Man trete in elnes der vielen Vierhauser, die am Prager Vichmarkte liegen, lind die des Abends fast beständig von lustigen Gästen voll sind, und schaue sich mit unparteiischen Aligen mn. — Es sind gewöhnlich große Zimmer oder Hallen parterre. Der Eingang schon ist «lit Tannen nnd anderem grünen Laube geziert, und ebenso sind die Wände des Inneren mit Tannenzwcigen ausgeschmückt, oft nach eigenen Einfallen der Wirthe. Hier und da fand ich auch wohl in einem Gehöfte recht hübsche Lauben arrcmgirt und illu-minirt, in denen die Gäste zechten. Samstags, Sonn« tagS und MontagS giebt eS in allen diesen Häusern, und in manchen auch an anderen Tagen der Woche Musik, nnd zwar eine so gut besetzte Musik, daß ich nicht aufhören tonnte mich zu wundern über die Er-giebigkeit der Quellen, aus denen diese Musiken hervorkamen. Gewöhnlich ist es ein vollständiges Orchester, daS sich besonders durch seine Tactfestigkeit nnd Präcision im Vortrage auszeichnet. Ohne Zweifel befand ich mich schon früher in besserer Gesellschaft alö in diesen Präger Vierhäusern nnd hatte doch, wenn ich diese Prager Vicrhausmusik schon damals gekannt hätte, viel Ursache zum Neide gehabt. Man sagte mir, daß in der neueren Zeit eine große Revolution mit der ganzen wandernden böhmischen Orchestermusik vorgegangen sei, und daß sie namentlich durch den Einfluß der großen Wicuer Tanzorchestcrdirectoren Strauß, «an-ner, Labitzky lc. sehr an Energie gewonnen habe- Die 194 Eompositionen dieser tonangebenden Herren müssen mit einer außerordentlichen Tactftstigkeit und mit bedeutender Präcision vorgetragen werden, und obgleich ihr Einfluß in anderer Hinsicht wieder sehr bedauernswerth sein mass, so hat er doch gewiß das Gute gehabt, daß der schläfrige Schlendrian, mit dem sonst wohl die schlechteren unter den böhmischen Musikanten ihre eingeübten Stücke ableierten, zu größerer Lebendigkeit erwacht ist. Nicht selte» auch findet man Sanger in den Präger Vierhäusern, die gewöhnlich mit der Harfe ihre Vortrüge begleiten. Sie haben in der Negel eine zahlreiche Sammlung uon Liedern u»d Melodiem bei sich, und ich glaube, daß ein Musikfreund bei ihnen wohl noch manches köstliche Liedchen, das nur in Abschriften unter ihnen von Hand zu Hand geht, entdecken könnte, ebenso wie die Maler zuweilen bei den armen Antiquitätenhändlern noch manches schöne Bild aus dem Staube ziehen. Gewöhnlich fand ich Lieder sowohl in deutscher als in böhmischer Sprache. ben, was ein böhmischer Deutscher gegen mich von der ganzen Bewegung und Aufregung unter den böhmischen Patrioten behauptete: „Es sei ein ungeheuerer Lurus, den einige junge müssige Leute, einige Herren Professoren und Altcrthumöliebhabcr mit dem böhmischen Wesen treiben, und durchaus keine Bewegung, die aus einer inneren Aufregung oder einem tiefen Bedürfniß des böhmischen Volts hervorgehe. Die Hauptsache ist ja bei uns überall vollkommen deutsch. Unsere Gebildeten, wenn sie etwas Schönes lese» wollen, lesen Schiller und Göthc, im ganzen Lande wird deutsch „amtirt", d. h. die Schriftsprache des ganzen Veamtenstandes bis zu den geringsten Officiantcn herab ist die deutsche. Ueber« all ist jedem Böhmen das Deutsche zu seinem Fortkommen durchaus von Nöthen, und da freut sich dann der arme Mann, wenn er nur einmal ein deutsches Buch in die Hand bekommt, daß er etwas lernen kann, was ihm auf seiner Lebensbahn weiter hilft; auch hat er gar leine Zeit, sich den Phantasiern der 214 tschechischen Patrioten hinzugeben. Zudem muß ja auf allen unseren Schulen die deutsche Sprache ex oMcic» gelehrt und gelernt werden. Viele unserer Herren vom Adel verstehen ja nicht einmal das Patois des Landvolks. Und was bedeuten denn nun gegen alle diese durchgreifenden Dinge die Bestrebungen einzelner Patrioten und alle die Opfer, welche sie vergebens einer unwiederbringlich verlorenen Sache widmen? Unsere Negierung fühlt sich, im Ganzen genommen, sicher und laßt die Tschechensreunde ziemlich gewähren. Nnd die Deutschen im Auslande gehen zu weit, wenn sie Alles, was hier für das T'scbechenthum geschieht, auf Rechnung des sogenannten Panslavismus setzen. Der forschende Sinn der neueren Zeit, die überall erwachte Liebe zur Rettung des Alterthümlichen hat ja in allen auch nicht slavischen Landern ahnliche Bestrebungen wie hier hervorgebracht. Jede Provinz in Europa hat ja ihre alten Erinnerungen aufgefrischt, ja jode Stadt hat einen Vlick in ihre alten Chroniken gethan und ihre alten Kirchen und Rathhäuscr mit Sorgfalt restaurirt. Wir stehen an der Gränze einer völlig neuen Zeit, und wir herzen noch einmal rückblickend das, was wir bald auf ewig fahren lassen müssen. Nicht nur die slavischen Provinzen, sondern auch alle anderen Provinzen Oesterreichs haben ihre Alterthümer gesammelt, ihre alten Provinzannalen ab« gestaubt nnd noch einmal m neuem Einbande in schönen Schränken aufgestellt. Und dasselbe hat man in allen Provinzen Preusiens und überhaupt fast in allen Provinzen aller europäischen Lander gethan. Ein sorgfäl- 2!5 tigeres Studium der Geschichte hat eö offenbar gemacht, daß es «och sehr an dem Specialstudium der einzelnen Landertheile fehlt, und so ist man von den großen Weltgeschichten ans die Bearbeitung der Geschichte der Provinzen gekommen, und wahrend wir schon früher treffliche Werke über die großen Welthandel hatten, bekommen wir nun erst classische Geschichten ein« zelner Landcrtheile und Städte. Eben der allgemeiner werdende Kunstsinn und dic sich überall verbreitende Bildung und Wissenschaftlichkeit, welche die Aufmerksamkeit und die Sympathie für die mittelalterlichen Oebaudcrcstc hervorriefen, erregten auch die Liebe für die alten untergegangenen oder untergehenden Dialekte. Daher die lange Kette künstlicher Auffrischungen alter Dialekte und Literaturen, die vom äußersten Schottland, wo man Ossian'ö Literatur aus dem Grabe erstehe» ließ, nach Deutschland, wo Voß plattdeutsch und Hebel allcmannisch dichtete, und wo sich gelehrte plattdeutsche, westphälische, sachsische, brandenburgische und hundert andere solche provinzielle Gesellschaften bildeten, und endlich nach Vohmcn, wo man nun dasselbe thut. — Nicht also derPanslavislnuö und die Lust der westlichen Slaven an der ihnen von Osten her angetragenen Verbrüderung ist es, was alle diese slavischen Journale, Grammatiken, Le-licons und Gedichtsammlungen hervorrief, fondern die Richtung der ganzen europäischen Bildung überhaupt, hat den Hauptantheil daran. Ueberall in Europa hat man sich bestrebt, die heilbringenden Kenntnisse allge« 216 meiner mitzutheilen und in's Volk eindringen zu lassen, und man hat daher die Volksdialekte auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Iournalliteratur überall einführen müssen. Daher wurde die Bibel neuerdings wiederum in so unzahlig vielen Sprachen gedruckt. Da-» her schrieb man in England und sogar hier und da in Frankreich Vücher in der Volkssprache, die man sonst gar nicht oder nur in der allgemein im Lande herrschenden Sprache verfaßte. Daher erscheinen selbst in Rußland Tageblätter und Volksbücher in lettischer, esthnischer, finnischer und anderen Sprachen, deren sich sonst kein Literal, es sti denn etwa auf der Kanzel, bediente. Auch in Schweden und Norwegen geschah wiederum Einiges für die Finnen und Lappen in Folge derselben von dem allgemeinen europäischen Zeitgeiste gegebenen Impulse. Vei dem Allen ist allerdigs nicht zu läugnen, daß die provinziellen, literarischen und patriotischen Bewegungen in den österreichischen Slavenländern durch den Panslavismus eine ganz eigenthümliche Färbung gewinnen. Kein Volk, so lange es noch einen Hauch von Leben in sich hat, verschmerzt den Verlust seiner nationalen Unabhängigkeit, und selbst wenn die Vohmen, die Slowaken und die anderen Slaven auch, wie das wahrscheinlich ist, viel besser thun, bei dem im Ganzcn genommen und vergleichsweise sehr milde regierenden Scepter Oesterreichs zu verbleiben, als nach der von Osten her, ich will nicht sagen, direct angebotenen, aber doch durch die Lage der Dinge in Aussicht uuh Hoffnung gestellte» Unabhängigkeit zu 217 greifen, so ist doch weder ein einzelner Mensch noch eine ganze Nation vor dummen Streichen, die dem eigenen Heile entgegen sind, sicher, und die Böhmen müssen sowohl ihrer selbst als Oesterreichs wegen bewacht und behütet werden. Die Leute übrigens, von denen in Vöhmcn am Meisten abhängt, sind wohl am wenigsten für Rußland eingenommen. <3s ist dieß die Geist« lichkeit und der hohe Adel. Diese beiden Stände wissen selber am beßten, was sie bei einer Vertauschung der österreichischen mit der russischen Oberhoheit, wenn überhaupt von der Möglichkeit eines solchen Austausches hypothetisch die Rede sein darf, zu gewinnen hatten, und namentlich ist m neuester Zeit, selbst wahrend der innere böhmische Patriotismus an Terrain gewann, die Sympathie für Rußland eher im entgegengesetzten Verhältniß gefallen, besonders nach den Vorfällen in Polen und Weißrußland. Von den gc» ringeren Vöhmcn nehmen freilich viele die Anfchwarz-ung des russischen Despotismus für eine deutsche anti-slavische Verleumdung. Die höher stehenden aber wissen oft selbst aus eigener Anschauung, woran sie sich zu halten haben. Und Summa Summarum lasit sich die Vermuthung sehr wahrscheinlich machen, daß in einem ' slavisch-germanischen Kampfe die Tschechen, die vordersten Slaven sich trotz aller ihrer Antipathieen gegen die Deutschen doch auf der Seite derselben befinden werden und ihres eigenen Veßten wegen befinden müssen. Von den Sammlungen der böhmischen patriotischen 218 Gesellschaft, die sich aus dem Hradschin befinden, und die ich in Begleitung eines gelehrten und hochgeachteten Böhmen besah, interessirte mich zunächst besonders die Münzsammlung. Denn obgleich sie keineswegs so vollständig ist, wiedieböhmischen Alterthumsfreunde es wünschen, so ist sie doch die reichste böhmische Münzsammlung, welche eristlrt, und mlr bot sie so viel Neues und Interessantes, daß ich glaube, den deutschen Leser einen Gefallen zu thun, wenn ich die Lchrstunde, die ich hier empfing, so gut, als ich es vermag, recapitulirc. Die Münzen sind blos böhmische, und die Gepräge, welche früher Vojer, Markomannen und Römer innerhalb des böhmischen Gebirgskranzes cursiren lassen mochten, sind unberücksichtigt geblieben. Dagegen stammen die tschechischen Münzen noch von den ersten heidnischen Zeiten hier. Die alten heidnischen Goldmünzen gleichen nur dicken roh bearbeiteten goldenen Knöpfen. In der ersten christlichen Zeit, wo es noch ungewiß war, ob Nöhmen und die übrigen westlichen Slavenländer der byzantinischen Bildung und dem griechisch-slavischen Chri-stenthume oder der römischenCuliur und der italienisch-deutschen Kirche anheimfallen sollten, macht sich bei den Münzen ein byzantinisches Gepräge bemerkbar und laßt die Vermuthung wahrscheinlich erscheinen, daß damals, als noch die von Methodius hier ausgeworfene Saat grünte, wohl Manches in der böhmischen Kunst byzantinisch sein inochte. — Später, nachdem die Vöhmen durch den Einfall der Ungarn von der byzantinischen Welt ab« geschnitten waren, erscheint italienisches und zwar flo- 219 rentinisches Gepräge. Auf diesen florentmischen in Böhmen geprägten Ducaten sieht man den florentinischen Johannes und daneben ganz klein den böhmischen, ebenso wie die Polen in ihrer Revolution 1831 holländische Ducaten prägten, wo neben dem holländischen Ritter ein ganz kleiner polnischer Adler erscheint. Man bemerkt dann noch später, als sich eigene böhm« ische Gepräge und Wappen entwickelten, ein mehrfaches Steigen und Fallen der Kunst, und die blühenden Zelten Carl'ö IV., das rohe Jahrhundert der kunstzerstörenden Hnssiten, dieß und Anderes spiegelt sich Alles auf den kleinen blirckcrndcn Münzen, den Denaren und Ducaten, den Thalern und Vracteaten, deutlich ab. Auch von allen den großen böhmischen Familien, die das Mün^privilegimu übtcn, giebt es hier Münzen. Es sind dieß vorzüglich die Schlicks, die Nosenberge und die Waldsteine oder, wie Schiller diesen unbequemen Spondens dem Versmaß zu Liebe verwandelte, die Wallenstcinc. Die graflich Waldstein'sche Familie hat indeß nur unter ihrem berühmten Ahnherrn geprägt, dessen Münzen besonders gut sind und der auch Goldmünzen schlagen ließ. Mit seinem Tode hörte aber die Waldstein'sche Münze auf. Am längsten von allen böhmischen Familien haben die Grafen von Schlick das Münzrecht geübt. Von ihnen giebt es Münzen biS auf die neueste Zelt herab. Ihr berühmtes Silberbergwerk zu Ioachimöthal war so ergiebig an edlem Metalle, daß sie im Anfange des sechszchnten Jahrhunderts 220 viele zwei Loth schwere Silbermünzrn schlagen ließe», die man Anfangs Ioachimsthalcr lind nachher kurz „Thaler" nannte. Selbst in Rußland sind diese Schlick'-schen großen Silbermünzen unter beiden Namen bekannt und verbreitet. Sie heißen dort sowohl „Thaleri" als „Iefimki" (von Iephim — Joachim). Eine ganz eigenthümliche Art von böhmischer Münze sind die königlichen Rechenpfennige. An den verschiedenen Ober-« und ltuterbchörden des böhmischen Kammerhofs war nämlich seit alten Zeiten eine gewisse Münze zur Ausgleichung der Rechnungen üblich, die als eine Art von kupferner Anweisung auf wirkliches silbernes oder goldenes Oeld betrachtet werden kann und nur bei den besagten Behörden Cours hatte. Die verschiedenen grosien böhmischen Familien ahmten diese Sitte nach und schlugen auch solche mit ihrem Waft« pen versehene Pfennige für die Rechnungsansgleichungen zwischen den verschiedenen Branchen ihrer Gutsverwaltungen. Auch mit diesen verschiedenen königlichen und herrschaftlichen Rechenpfennigen ist die Sammlung reichlich versehen. Der gekrönte, auf seinen Hinterpratzcn aufrecht sichende zwcischwänzige böhmische Löwe erscheint fast auf allen böhmischen Münzen, sogar fast unter allen Habs-burgern noch. Erst mit Maria Theresia fangt er an zu verschwinden. Die letzten Ducaten mit dem böhmischen Löwen wurden im Jahre 1780 geprägt. Auf den großen Silbcrmünzen dankte er zuerst ab. Auf den kleinen Münzen behielt ihn noch Joseph II. während 221 seiner ganzen Regierung bei. Darnach aber wurde Alles rein österreichisches Gepräge. Uebrigcns sind auch aNe freudigen und schrecklichen Ereignisse in der böhmischen Geschichte in Silber- und Goldmünzen verewigt worden. Man sieht Denkmünzen mit dem Bildnisse Hustens, der, wie die Umschrift lautet, nach gebrochener pllklica ll»z einfach und alisrichtig, was sich ereignete. Vei Palazky, der übrigens als Forscher und auch in anderer Rücksicht viel höher steht, ist eine gewisse Bitterkeit gegen uns Deutsche nirgend zu verleimen, und er gesteht den Deutschen fast kcme anderen Verdienste um Böhmen zn, als daß sie allenfalls mit den Inden zu« samluen den meiste» Handel des Landes betreiben. Ich kenne überhaupt keine» slavischen Schriftsteller, der gegen uns Dentsche gerecht wäre. Von uns Deutschen und unseren Urtheilen über die Slaven gilt freilich in der Negel dasselbe. Allein es giebt doch Deutsche, die ohne Abneigung und Ingrimm von den Slaven spreche». Ich glaube, daß es uns theils unsere wahrheitsliebende Natur, welche uns zuweilen vermag, nationale Vorur-thcile und Abneigungen und der Gerechtigkeit zu Liebe unseren Haß zu verlaugnen, theils in Folge unserer imponirendc» Stellung, die wir den Slave» gegenüber einnehmen, leichter wird, die Wahrheit nicht zu verhehlen, wahrend die Slaven, als die Unterdrückten, schwerer die Wohlthaten, welche sie von den Deutschen genossen, als solche anerkennen. In dem Naturalicnkabinctte auf dem Hradschin zeigt man den letzten Varcn, der in Vohmm eristüt haben soll. Er wurde im Jahre 1817 geschossen. Doch hatte 232 ich später Gelegenheit, noch zu berichtigen, was man mir davon hier im Museum erzählte, und zu sehen, daß noch in diesem Augenblicke wenigstens ein Dutzend wilder Bären in Böhmen eristiren, nämlich auf den Schwär-zenberg'schcn Gütern bei Vudweis. Luchse und wilde Katzen giebt es ebenfalls noch jetzt in den böhmischen Gebirgen, und auch Vibcr in der Moloau, jedoch nur im O-uelleugebiete des Flusses. Zu Zeiten kommen sie indeß doch, wie es z. V. vor einigen Jahren geschah, die Moldau hinab bis nach Prag. Mau hatte sie hier vielleicht gar nicht entdeckt, wenn nicht ein Proceß zwischen ein paar Laudleuten zu einer genauen Untersuchung durch Sachkundige Anlaß gegeben hatte. Gin Bauer, der seinen Acker nahe am Flusse hatte, bemerkte nämlich, daß über Nacht häufig Väumc und' Sträucher aus seinem Gebüsche gefällt und verschleppt würden, und beschuldigte feinen ihm frindseligen Nachbar, daß er ihm diesen Streich spiele. Die Sachkundigen aber erklärten bei'm Allblicke der Väume, es müsse einem Nagelhiere deßwegen der Proceß gemacht werden, und es wurde eine Filialcolonie der Viber deö Vudweiser Kreises entdeckt. Die mineralogische Sammlung theilt sich in eine si)stematische, in welcher die böhmischen Mineralien nach den Rubriken geordnet sind, welche die naturforschenden Systematiker für alle Mineralien erfunden haben, und in eine geologische, welche sie in derjenigen Ordnung zeigt, in welcher sie von den antidiluviamschcn Gewalten i» dem Gebirgskessel des Landes angehäuft wurden. 233 Böhmen ist ein von der Natur wundervoll regelmäßig gebautes Quadrat- oder Kreisland. In der Mitte erhebt sich der Brdywald, dessen Fortsetzungen die mit Vlut so reichlich getränkten und von so zahlreichen Menschen besetzten Berge bei Prag sind, und nach den vier Himmelsgegenden liegen dann die vier bekannten Gebirgszüge, welche Böhmen von seinen Nachbarländern scheiden. Dieß Alles liesi sich zwischen den vier Wanden eines Zimmers herrlich nachahmen. In der Mitte dieses Zimmers stehen zwei Pfeiler nahe bei einander, von denen der eine in den an ihü angelehnte» Kasten imb Schranken die Grd- und Fclöarten der Präger Verge zeigt, wahrend der andere, den Vrdywald vorstellend, die reichen Vrze dieses zweiten und ccntralcn böhmischen Erzgebirges, namentlich dcö Stuckes von ihm, das man das Przibramer Gebirge nennt, enthalt. Die eine Seite des Saales stellt die südöstliche Gränze Böhmens dar, die andere die nordöstliche oder das Riesengebirge, die dritte den Böhmerwald und die vierte das Erzgebirge, mit ihrem ganzen Reichthume an Mineralien, von denen einige so schön sind, daß man auch von ihnen sagen kann: „Salomon in aller seiner Herrlichkeit war nicht geschmückt wie derselben eins." — U„f ^^ Art hat man die horizontale Verbreitung der Mm-ischen Erdrindenbestandtheile nachgeahmt. Ihre pcrpen-dlculäre Schichtung hat nmn ebenfalls soviel als thunlich in der Ordnung der Sammlung beibehalten, «nd zwar in solcher Weise, daß man die obersten miuerali- 234 schen Blüthen oben in Glaskasten zur Schau auflegte und dann die unterste» Schichten, Wurzeln und Fundamente der Gebirge der Reihe nach bis zum tiefstlicgenden hinab in Schubladen versteckte. Man hat so die ganze Structur des böhmischen Landes, ein kleines Böhmen vor sich, in dem man sich sofort ebenso zurechtfinden kann, als hatte man das ganze große Böhmen mit hunderttausend Gangen unterminirt und zu jedem Minerale einen besonderen Stollen angelegt. Eines der berühmtesten Stücke dieser Sammlung ist der „verwünschte Burggraf," einer der größten Meteorsteine, die in Deutschland eiistiren. Er hat über 2 Centner Gewicht. Einst mochte dieser Stein, als er noch als selbststandige und freie Asteroide im Aether schwebte, von Licht mnwebt sein. Wie er aber, von der gebietenden Kraft der Erde angezogen, als über-wältigtcr Sklave, seinen Kreislauf endend, auf böhmischen Boden herabpurzcltc, umhüllte ihn die aber--gläubische Sage des böhmischen Volkes ,»it stacht und Dunkel. Ein grausamer und tyrannisier Burggraf, erzählte man, sei einst bei lebendigem Leibe in die Hölle gefahren, und an seiner Statt sei dann auf der Oberfläche der Erde dieser schwarze Metallllumpen zu« rückgeblieben. Nicht als eine Hieroglyphe aus dem Reiche der Natur, deren Entzifferung neues Licht schaffen könnte, sondern als ein Wunder der Wirksamkeit des Teufels oder der Eugel wurde er auf das Rath-Haus der Stadt Einbogen gebracht und daselbst lange 235 unter dem obigen Namen gefangen gehalten. Auch wur-> den ihm Heilkräfte zugeschrieben. Wer den „verwünschten Burggrafen," mciltte man, höbe, verlöre gewisse Krankheiten bald, und die Bauern kamen oft auf's Rath-« haus, um ihn zu heben. Nnd in der That ist es sehr glaublich, daß für den Kranken, der noch einen so schwefelt Stein heben konnte, noch viel Hoffnung vorhanden sein muftte, sowie einige gymnastische Nebimgen mit ihm den Körper machtig starten mochten. Als später die wissenschaftlichen Sammlungen von Wien jene Ausgeburt des Aethers für sich in Anspruch uahmcn, wollten ihn doch die ^lnbogener Rathslcute unter keiner Bedingung ganz fahren lasse», und er mußte daher zersagt werden. Gin Stück lain nach Wien und das andere blieb in Clnbogen auf dem Rathhause. Die böhmischen Vaterlandsfreunde in Prag aber mußten sich mit der bloßen Nachbildung begnügen. Auch in der Sammlung böhmischer 'Antiquitäten findet der Reisende Vieles, was noch wenig — in Nei-sebcschrcibungcn wenigstens, wohl allerdings in vielen kleinen, dem größeren Publikum unzugänglichen Vrochuren und Abhandlungen — besprochen ist. So sieht man hier z. V. viele von den uralten Beilen auö Vronce, die man Celte nennt, und mit denen hier in Böhmen wahrscheinlich die Cclteschen Bojer ihre Baume behautcn oder ihre Streitigkeiten schlichteten. Die Böhmen haben einen eigenen Namen für diese Celte. Sie nennen sie „Otka," d. h. Pflugschaar, weil sie mit einer Pflugschaar einige Aehnlichteit haben. Daim liegen hier einige sogenannte „Prawo's," d. h. Richtcrstabc. Diese Prawo's sind auö 236 Weideitruthen zusammengedreht. Oben und unten sind sie mit ledernen Riemen umflochten, die mit blanken Nägeln angenagelt sind. Diese Art von Nichtersiepter hatte sonst jeder Dorfrichter in Vöhmen. Die Herren „8,il»tri«! et ^nero«»« Vnmilm«," und darunter die Worte: „1^6 potm«, lzilmn Inüxiri," (d. h. „lieber etwas sein, als scheinen"). „Kurz und schön!" dachte ich, „Du Tod ten mann von Johann Steen, ich freue mich, daß du mich noch diescs Vlatt umwenden ließest." — Ein böhmischer Deutscher flüsterte mir dabei in's Ohr, daß einige übertriebene tschcchifche Patrioten den Tycho de Vrahc, der bekanntlich aus einer alten dänischen Familie Vrahe stammte, für einen Prager hielten und wollten, daß das Brahe soviel als Praha, d. l. Prag, bedeuten sollte. Auf dem Grabmale des erwähnten kleinen Juden-jungen war folgende Geschichte erzahlt. „Ein kleiner 248 Iudenknabe (Hedraeoi^) stoh im Jahre 1693 im September, von Gott inspirirt, in das Clementinum, das Collegium der Jesuiten, um die christliche Tauft zn empfangen. Nach wenigen Tagen wurde cr verrather-lscher Weift aus seinem Zufluchtsorte geraubt. Mit Schmeicheleien, Drohungen, Schlagen, Hunger und schrecklichem Gefängnisse wurde cr von seinen Aeltern und Freunden gequält, und da cr nichts desto weniger treu am wahren Glauben hielt, unterlag cr ihren Händen und starb den 12. Februar 1694. Sein heimlich begrabener Körper wurde am sechölen Tage ausgegrabcn, obrigkeitlich inspicirt, frei von allem schlimmen Gerüche, bei natürlicher Farbe und in rosenrothcm Mute (i-l>8l?o «an^nine) schwimmend gefunden, aus dem Nath-hause in großem Lcichengeprange und bei einem Zusammenflüsse vieler frommen Leute hierher getragen und an diesem Platze begraben." Die Teinkirchc war sonst der Haupttempel der Hus-siten, und damals waren alle Bilder darin zerstört. Jetzt ist sie wieder ziemlich reich damit verschen. Sonderbar sind die Antworten der Leute in Prag auf die Frage, ob es noch jetzt Hussitcn gäbe. Der Ginc leugnet dieß, der Andere bejaht es. Einige sagen, es gäbe sogar in Prag ein hussitisches Vethaus. Ein Wohlunterrichteter aber sagte mir, cs würde dasselbe jetzt alö Magazin gebraucht. Die Meisten meinen und sagen: „O in den Vcrgen" — nach den Bergen wird überhaupt Vielerlei von Prag aus verlegt — „giebt cs noch Hussitcll genug." „Aber verkappt unter dem Pro- 249 testantißmus," setzt ein Anderer hinzu. Die Sache ist die, daß ofsiciell keine Husstten mehr bekannt sind; daß aber ihrc Lehre noch immer vielen stillen Anhang und Sympathie finden mag, ist wohl sehr wahrscheinlich. Als Protestanten erscheinen in den officiellen Vevölkerungs-listen Böhmens nicht ganz 100,000 Seelen (1839 waren e6 81,000), also ungefähr 2^ Proccnt der ganze» Population. In Mähren ist ihre Anzahl größer, nämlich 110,000 Seelen, d. h. ungefähr 6 Prormt der Bevölkerung. Früher war dieß umgekehrt. Die größeren Anstrengungen der Protestanten in Böhmen führten hier aber auch größere Ocgenanstrengungcn herbei als in Mähren. Uebrigcnö ist die Anzahl der Protestanten sowohl in Mähren als in Böhmen noch immer größer als in irgend einem anderen Theile des deutschen, polnischen oder italienischen Oesterreichs; denn hier beträgt sie gewöhnlich nur 1 oder I2 oder höchstens 2 Promit der Bevölkerung. Ein anderes Blatt des Prager Lebensbuchcs studirte ich in der großen Buchdruckerci von Hase. Sie ist die größte in der österreichischen Monarchie und überhaupt nach den Vrockhausischen und Cotta'schen Instituten dieser Art die größte in den deuiftben Vundesstaatcn. Sie beschäftigt nicht weniger als 170 Arbeiter, 30 gewöhnliche Pressen, 6 Schnellpressen und unter diesen eine doppelte. Diese vollführen die schwierigsten typographischen Arbeiten und erhalten selbst von Wien aus viele Aufträge. Sie haben auch manche für die österreichische Monarchie nützliche C'rsindmlg gemacht. Doch 250 zeigte ihr Musterbuch meistens nur englischen und fran' zösischen Geschmack; denn auch für die Frisur, Kleidung u»d Tournurc der kleinen Buchstaben fließen die tonangebenden Quellen der Mode in London und Paris. Man möchte aber die futile» Zwecke bedauern, derentwegen die kleinen Lettern hier rekrutirt und in Reihe und Glied gestellt und rangirt werden. Denn was diese Zwecke und die Dienße, welche sie der Literatur leisten, betrifft, so steht die Wirksamkeit dieser ersten Prager Druckerei in sehr unbedeutendem Verhältnisse zu anderen deutschen Anstalten dieser Art. Die Prager Zeitung ist einer ihrer stehenden Artikel, den bedeutendsten von allen aber bilden die Register für die Behörden und dann die Vignetten für den Taback der österreichischen Regierung. Diese Vignetten sind nicht nur bei jeder Sorte Taback, sonderu auch in jeder Provinz des Kai-serthums verschieden, und es werden ihrer jahrlich unzahlige Millionen gebraucht. Die Hase'sche Buchdruckern versorgt damit jetzt ausschließlich fast das ganze Reich, nur der Vertrieb für die italienischen Provinzen fehlt ilmen noch. Uebrigens sind ja bekanntlich auch viele treffliche Werke aus dieser Druckerei hervorgegangen, und sie ist auf alle möglichen Falle gefaßt, sie hat sogar eine eigene Abtheilung für hebräische Bücher, und es ist in Oesterreich angenommen, daß, was in der Hase'schen Druckerei nicht geliefert werden könne, nirgends in Oesterreich zu haben sein möchte. -— Diesi ist nicht wenig gesagt, denn bei der verhältnißmäßig großen Bedeutungslosigkeit der meisten Artikel sind doch bei der ungeheueren Manchfaltig-keil der Nationen und Religionen in Oesterreich die 251 Ansprüche an eine Druckerei, die Allein genügen soll, sehr bunt. — An dem Gutcnbergfeste haben sie hier Alle vielen Theil genommen, aber keinen thätigen Antheil. Die Feier in Prag selbst war nicht gestattet, und über die Gränze zu gehen konnte den Druckern nicht einfallen, weil sie gerade zu dieser Zeit mit einer außerordentlich dringenden Arbeit beschäftigt warm. An die kleinen Lettern der Hafe'schen Druckerei schließen sich lange Reihen von großen Vuchstaben und Runen, die sich in der Gestalt von Häusern — einer Art nicht leicht zu entziffernder Hieroglyphen — darstellen und die „Rittcrgassc" und „Eisengüsse" genannt werden. Da, wo beide zusammcnstosien, kommt der Leser wieder an ein anderes Platt des Prager Le-beusbuches, das früher eine weit interessantere Lecture als ftyt gewahrt haben mag. GZ ist die Universität, das berühmte Carolinum, an welchen» Huß, sein Freund Hieronymus und nach ihnen noch so viele andere berühmte Männer lehrten, und dessen Gottcsgclehrte in der hussitischen Zeit eine so merkwürdige Rolle spielten. „Darauf kamen die Männer und Gotteögelehrten vom Carolino zusammen und beschlossen," ist eine Redensart, mit der mancher Abschnitt der böhmischen Geschichte be-» ginnt. ES wurde auf diesem von Carl IV. eingefügten Blatte vor Allem viel corrigirt und radirt, besonders von den Jesuiten, welche die Nachfolger und Meister ber Hussiten wurden, und zwar soviel, daß es in vieler Beziehung spater einer tndula rasa glich. Jetzt befin« den sich uoch manche Arabesken und Schnörkel lm No« 252 corostyle darauf. — Die Doctorcreationen geschehen wohl an keiner unserer deutschen Universitäten mit solchem Pompe wie hier in Prag. Die Aula ist geräumig und mit des Kaisers Bilde geschmückt. Dem Katheder zur Seite steht ein Sitz für den Nettor, welches immer der jedesmalige ^rzbischof von Prag ist, und dann die alten, in Holz geschnitzten und wie Kirchcnsitze befestigten Sitze der Professoren, die bei uns gewöhnlich nur auf losen Stühlen Platz nehmen. Die Beendigung und glückliche Durchfechtnng iedcr These wird wie ein Sieg mit Pauken und Trompeten verkündigt, und für den Gottesdienst am stnde der gan;en Ceremonie findet sich der Aula eine eigene kleine Kapelle angebaut. Im Inneren der Altstadt Prag stehe» die Zeilen so eng und so unregelmäßig gedruckt, wie man dieß in gewöhnlichen Büchern gar nicht findet. In der die Altstadt in einem Halbzirkel umgebenden Neustadt ist Alles regelmäßiger und schöner. Zuletzt hören die Lettern und Hieroglyphen der Häuser auf, und die Neustadt ist rund hcrnm mit einer anmnthigen Nandzeichlumg hübscher Garten eingefaßt. Nnd darnach kommen die festen Mailern und Walle, in welche das Ganze fest und dauerhaft eingebunden ist. Bei Prag sinoet nämlich der merkwürdige Umstand statt, daß die ganze Stadt mit Allem, was man anderswo Vorstadt nennen würde, was aber hier noch mit den drei Städten, aus denen Prag besteht, mit der Neustadt, Altstadt und Kleinseite, verbunden ist, zusammen innerhalb der sehr ausgedehnten, das Ganze umfassenden Festungö^ 253 werke liegt, und daß es außerhalb dieser Festungswerke gar keine Vorstädte, sonder« nur stacheS Land giebt. Fast alle Kohl- und Gemüsegärten, viele Blumen-, Handels- und Lustgarten liegen noch innerhalb der Fcstungsmauern, die auf diese Weise fast eine Meile im Umfange haben. Kinc Ausnahme davon machen nur die großen Wimmer'schcn Anlagen, der Prater der Prager, dann bel'm Augezder Thore der an der Moldau hingehende Anbau, den man Smichow nennt, der officiell indeß nur für ein Dorf gilt, obgleich er in der Wirklichkeit eine Vorstadt Prags ist, und endlich der Wissehrad mit dem an seinem Fuße liegen« den Staotchcn, das in der That auch alg Vorstadt Prags anzusehen ist, obgleich es ofsicicll eine eigene Stadt bildet, die sogar nicht einmal mit Prag zu dem-» selben Kreise gehört. 'Die jetzige Neustadt ist ein nur spater beigehefteter und hinzugebundener Theil, und das Vand der Festungswerke lief sonst rund um die Altstadt herum, da, wo jetzt die schönsten Straßen des Stadtinneren, die neue Allee und der „Graben" nur noch in ihrem Namen entfernt daran erinnern, daß hier einst Festungswerke waren, und wo nur «och selten ein Elegant, wenn er die prächtigen Hauserreihen und die geschmückten Spaziergänger und Damen die Nevue Passiren laßt, daran denkt, daß an cbcn diesem Graben hier ehemals Kaiser Otto der Große mit einem großen deutschen Heere lagerte und mit dem Herzoge Boleölaw und seinen Kriegern blutig kämpfte. 254 In der besagten Randzeichnung von Gärten lernte ich nur den gräflich Salm'schen und den fürstlich Kins-ky'fchcn Garten kennen, zwei Vlattcr aus dem Präger Vllche, die in der ^hat mit sehr anmuthiger Schrift beschrieben sind, zwei Erdschollen, die man mit Blumen und Pflanzen auf eine seltene Art besetzte. In dem gräflich Salm'schen Garten sind nicht weniger als 2ll Gärtner und Gärtnergehülftu mit einem graflichen „Hofgärtner" an ihrer Spitze angestellt. Sie behaupteten, hier mehr als 350 Arten ssriken zu haben, und es waren unter ihnen, wie auch unter der reichen Sammlung neuholländischer Pflanzen viele, die erst eben in diesem Jahre als vollkommene Neulinge auf böhmischer Erde angekommen waren. Der Handel mit diesen Pflanzen von Prag aus, wo man über Hamburg und Holland am beßten die tropischen Pflanzen sich verschaffen kann, in's Innere der österreichischen Monarchie, und zunächst mit den Gewächshäusern des inneren Böhmens ist sehr bedeutend, so wie denn überhaupt auch die ganze Prager Gartenkunst von Einstuft auf die weiter nach Osten liegenden Gärten ist. Die fremden Pflanzen werden hier zuerst für österreichischen Voden aktlimcttisirt und die Gärtner zum Theil selbst für Ungarn gebildet. Auch in Wien traf ich viele böhmische Gärtner wieder. Ich fand im Salm'schen Garten nicht weniger als 10W kleine eben gesetzte Stecklinge von Azaleen und Georginen. Wie sehr sorgfältig man die Pflanzen behandelte, bemerkte ich an einem Glephantenfusie, der an einer Stelle verwundet war. Man hatte ihm die Wunde Hüü ausgeschnitten, ausgebrannt und darnach mit Kohle und Kalkpuder bestreut, was gewiß viel sagen will, in einem Garten, wo man die Wunden und Brüche so vieler tausend Pflanzen zu behandeln und zu curircn hat. In dem zweiten, dein Kinsky'schen Garten verstummen alle statistischen Betrachtungen und staatsökonomi-schen Bemerkungen. Denn es entzückt vor Allem die malerische Situation, in welcher hier die Eriken und Georginen, die Büsche und Baume Posto gefaßt haben. Der Garten liegt ans der Klcinscite und geht in verschiedenen 'Abstufungen und Terrassen an dem AbHange eines zur Moldau hervortretenden Vorgebirges hinauf. Auf dessen Hohe bietet sich ein Panorama von Prag und seiner Umgegend dar, das zu denjenigen Dingen gehört, mit denen das Auge sich so gern berauscht, und von denen die ermattende Feder nur versichern kann, daß sie unendlich schön sind. Ich überblickte das herrliche Ganze in Gesellschaft eines alten Einwohners von Prag, der der Geschichte und der Verhältnisse seiner Vaterstadt sehr kundig war. Wir hatten die Prager Moldauinseln und die Kettenbrücke zu unseren Füßen. Wenn sie und alle die anderen Arbeiten, welche sie noch herbeiführt, einmal fertig sein werden, wird das Aeußcre von Prag noch sehr gewinnen. Es fehlte der Stadt noch gänzlich an einem schönen Quai an den Ufern des Flusses. Dieser entsteht nun durch die Kettenbrücke, in deren Nähe man eine ganze Reihe ältlicher und kleinlicher Hauser angekauft hat, um ste wegzureißen lind um den dadurch gewonnenen 256 Raum theils zur Anlage eine^ neuen soliden Uferstraße, theils zum Allstau schönerer und größerer Gebäude, welche dem Flusse eine passendere Einfassung gewähren, zu benutzen. — Zahlreiche „Schinakeln" — eine Sache, die man überall rennt, ein Wort aber, das blos in der österreichischen Monarchie gebräuchlich ist für das, was wir „Nachen" nennen — belebten den Fluß, an dessen Ufern der große botanische Garten und andere Garten sich hin erstreckten. Gegenüber trauerte der öde Wissehrad, und die Moldau aufwärts winkte alls der Ferne der berühmte Felsen, „Brannik" genannt, aus dessen Eingeweiden viele der Hauser, die uns zu Füßen lagen, geboren wurden. Denn dieser Felsen enthalt und liefert die vortrefflichen Bausteine, aus denen die meisten Gebäude von Prag errichtet wurden, und die schon von den Italienern, welche unter Carl IV., unter Rudolph Is. und anderen baulustigm Kaisern hier waren, unter dem Namen „pasta lli ?r^a" gerühmt und be ruh int wurden. Von dein Felsen selber erzählt man sich eine Sage. <5in Ritter Vrannik habe eristirt und auf jenem Felsen gewohnt. Er und viele andere Helden seien daselbst begraben. Der böhmische zweigeschwänzte Löwe wohne jetzt in ihren Grabhöhlen. Gewöhnlich ruhe er darin als Wachter der Gräber. Nur einmal im Jahre erhebe er sich an einem gewissen Tage, käme aus dem Felsen hervor an'S Tageslicht und brüllte in's Moldau-thal hinaus. Bekäme er dann keine Antwort, so gehe er in die Höhle zurück und lege sich zu einer neuen Iahresruhe nieder. Sollte er aber einmal Antwort bekommen, so würde Kampf in Böhmen entstehen. Die Geister der entschlafenen Helden würden den Böhmen beistehen, und der Sieg ihnen gewiß sein. — Es ist bei dieser Sage wohl zn bemerken, daß sie nicht etwa eine alte, langst verschollene und nur allenfalls noch in gedruckten Büchern repctirte Erzählung ist, sondern, daß sie noch heutigcö TngeS im Volke zu leben scheint. Ich selber kannte sie früher nicht und habe sie aus dem Munde eines Mannes vom Volke. — Uebrigens ist es bekannt, daß in Böhmen stinem noch überall, so zu sagen, auf allen Straßen Sagen begegnen. Sie leben in den Waldern, die das Land rings umgeben, in Schaaren, sie wohnen in Prag selbst mitten unter seinen hunderttausend Einwohnern. Sie hüpfen mit dem Reisenden in den Postwagen und begleiten ihn auf allen Stegen und Wegen, die er im Lande betritt. Sie sprechen ihn aus dem Munde junger blühender Madchen cm und erzählen ihm Wunderdinge in der Gestalt alter redseliger Greise. Sie ticken und tacken, sie lauten und klingeln, sie pfeifen und spielen in allen Gckcn und Winkeln, wie — die hundert Uhren des Herrn Suchy an der Ecke der Obstgasse und des Roßmarktes. Dieser Herr Suchy ist nämlich der größte Nhren-fabrikant in Böhmen. „Er hat sogar .mehr Arbeiter und ein größeres Lager als irgend ein Uhrmacher in Wien," sagten mir die Prager, die in einem bestandigen Vergleiche ihrer Artikel und Productionen mit denen der Wiener begriffen sind, ungefähr so, wie die Mondbewohner auch wahrscheinlich stets daran denken werden- 258 „sollten sie das auf der Erde wohl besser haben als wir hier auf dem Monde?" Dem sei indeß, wie ihm wolle, so lohnt es sich für einen müßigen Spaziergänger anf dem schölten Prater Graben immerhin einmal der Mühe, in den reichen Laden des Herrn Suchy auf einige Augenblicke einzutreten. Ich that dieß gerade, als eben alle Prager Thurmuhreu in vielfältig gestimmten Tönen manniglich kund thaten, daß die Sonne den Meridian Passire. In Suchy'ö Gewölbe wiederholten mir diesi die Hunderte kleiner Taschenuhren, der Wand-, Tafel-, Ncisc-, Haus- uud Nipptischuhren in einem klingelnden Potpourri sonder Gleichen. Alle schrieen: „die Glocke ist zwölf," die einen in tiefen dumpfen Tönen, den Thurmuhrelt nachahmend, die anderen in schärferen und hellereu Schlägen, und rasch uud unermüdlich hämmernd, als hätten sie kein Körnchen Zeit zu verlieren. Es war kaum zu ertragen für einen Menschen, der gewohnt ist, jede entschwindende Minute seines Lebens zu beklagen, und dem jeder nun verklingende Glockenschlag wie aufschreckender Kanonendonner in der Sccle nachhallt. Herr Suchy steht mit Genf, Paris und London, denjenigen Orten, wo man in vieler Beziehung immer weiß, was die Glocke geschlagen hat, in engster Verbindung, und von diesen Orten her hat er eö vernehmlich erfahren, auf wie mancherlei Weise man das, was die gewöhnlichen Nhrcnzeiger und Pendel uns so prosaisch und platt sagen, auf eine etwas poetischere Art darstellen lassen taun, und wo überall in der WO Natur diejenigen Dinge zu finden sind, die uns den rasche» und nie rückkehrenden Gang der Zelt versinnlichen können. Und es ist ein merkwürdiger Umstand, daß ein Poet zu einem Uhrmacher gehen m»ß, um diesen Gegenstand in seiner ganzen Fülle anzuschauen. Mir ging es wenigstens so, daß erst, nachdem ich die manchfaltigen Auffassungen und die vielfach variirten Kunstwerke des Herrn Suchy gesehen hatte, mir alle tactmäßigen Bewegungen im Natur- nnd Menschenleben als Zeit- und Minutenmefser erschienen. Die flackernde Flamme, die schaukelnden Wellen, die hämmernden Schmiede, der Schlag der Ruder, der Marsch der Soldaten, das Tretrad der Spinnerin, der Flügclschlag der Vögel, der schwingende Ring des Papageis, Alles, Alles, sieht man hier benutzt, um auf abwechselnde Weise den Gang der Zeit anzudeuten. Manchem niag ln der That dieser Gang der Zeit nicht anders vorkommen, als wenn ein Papagel sich in seinem Ringe schaukelt. Doch anders noch hat der alte fromme Uhrmacher die Sache aufgefaßt, der das künstliche Uhrwerk an dem Prager Nathhause a«f dem Marktplatze anfstellte. Er hat nämlich als Glocken-lauter ein Todtcngerlppc hingestellt, das an einer Schnur den Hammer anzieht und die Glockeuschlägc erklingen laßt. Für diese ernste Weise, die Stunden anzusagen, muß Herr Euchy heutiges Tages wohl keine Abnehmer finden; denn er hat sie nicht nachgeahmt. Es giebt indeß in Prag noch viel wichtigere Fabrikate als diese Suchy'schen Uhren, denn die Stadt ist 17* 260 neuerdings, ebenso wie Wien und Vrünn, einer der be» deutenderen Fabrikorte Oesterreichs geworden. In der Nähe jenes Porzizer Thores, in welches man zunächst gelangt, wenn man aus den fabritreichstm nördlichsten Gegenden Böhmens ankommt, zeigen sich in der großen Schillingsgasse und im Carolinenthale viele Etablissements für Fabrikation. Auch ist Prag selbst für alle zahlreichen böhmischen Erzeugnisse und Fabrikate der vornehmste Lager- und Stapelplatz, der zum Theil das Ausland und den grösitcn Theil des Inlandes damit versieht, und zwar auf den drei Hauptstraßen des Landes, denen keine andere an Bedeutsam-« keit gleichkommt, auf der Straße nach Sachsen und Hamburg die Moldau und Elbe hinab, die sich jetzt durch die Dampfschiffahrt noch weit mehr beleben wird, dann auf der Straße die Moldau hinauf über Vudweis zur Donau, die durch Eisenbahnen und einige andere Verbesserungen in neuerer Zeit auch nicht wenig gewonnen hat, und endlich auf der Straße nach Vrünn, welche nun bald durch die jetzt in's Leben tretende Eisenbahn noch weit wichtiger werden muß. Vor allen eigenthümlich und nirgends wieder so reich anzutreffen sind die Präger Glasladcn, denn man sieht hier das Geschmackvollste, Neueste und Prächtigste, was die böhmischen Glaskünstler in diesem interessanten, von den Phöniziern begründeten Industriezweige zu Tage förderten. Die Prager Glaswaarenhändler, die zum Theil auch Fabrikbesitzer sind und von diesen: Platze aus die Arbeiten ihrer gewöhnlich entlegenen Fabriken 2M., leiten und regnliren, haben nicht nur eigene Chemiker in ihrem Solde, welche beständig mit neuen Combinationen der Metalle und Farben beschäftigt sind und fast jedes Jahr irgend eine neue, schöne, dem 'Auge schmeichelnde Farbennuance an's Licht treten lassen, sondern auch besonders geschickte Maler und Zeichner, die auf alle Zeichen der Zeit passen und bestandig bemüht sind, dem herrschenden Geschmacke und Zeitgeiste etwas zu Ul'ftrn, das ihm gefallm könne. Sie lassen den Schleifer die Krystalle des Chemikers bald nach etrurischen, bald nach gothischen Umrissen, bald im Nococostyle formen, wobei indeß zu bemerken ist, daß daS Glas, welches geschliffen wird, seiner Eigenthümlichkeit gemäß mehr als das Holz, welches geschnitten, und auch mehr als das Eisen, welches gegossen wird, seinen eigenen Gang geht und seine eigene Mode sich macht. Auch sind die Zeichner beständig damit beschäftigt, das Gebiet des Glases zu vergrößern, d. h. den Kreis derjenigen Dinge, die man allenfalls in Glas darstellen könnte, auszudehnen. Die vornchmsten und currcntesten Gegenstände und Formen sind alle in große Folianten lithographisch eingetragen, unter verschiedene Rubriken gebracht und mit Nummern und Buchstaben bezeichnet. Manche Häuser haben bereits ganze Bibliotheken solcher Folian» ten. Ihre Fabriken, bei denen sie arbeiten lassen, haben ebenfalls ein Cremplar dieser Bibliothek und können dann Bestellungen auf so und so viel Stück von 3tr. 288 Litt. v. oder von irgend einer anderen Nummer annehmen. Für die Arbeiter selbst wird dann der zu verfertigende Gegenstand wieder besonders heraus- 262 copirt in einer eigenen schönen Zeichnung. Es wurde mir erlaubt, einige dieser Folianten durchzublättern, und ich erstaunte über die ungeheuere Manchfaltigkeit der Bemühungen und Erfindungen, die man für Kaffee-, Thec-und Milchtöpfe gemacht hatte, über die zahllosen Variationen auf ein so einfaches Thema, wie es sich in einem Flaschenstüpscl darstellt, über den ungeheueren Aufwand uon neuen und immer neuen Darstellungen eines nicht bedeutenderen Gegenstandes, als es ein Odcurflacon ist, und über den tyrannischen Wechsel der Mode, der jährlich Tausende Don Formen zerschlagt und gebieterisch Tausende von neuen Geburten taglich verlangt. In der Farbe herrscht ein nicht geringerer Wechsel als in der Form, und doch zieht sich hier wie dort durch allen Wandel der Jahre immer das Ginfache als beliebt «nd herrschend durch. DaS einfache, reine, klare, farblose Krystallglas hat zu allen Zeiten seine Freunde gesunden, und der Geschmack kehrte nach allen Verirrungcn in den brillantesten Farben und de» buntesten Formen zu ihm zurück. All dieß schöne „^euorgrün" oder „Chrysopras" von 1840, dieß „An»engrün" oder „Goldglas," das „mattirte Glas," der „Alabaster" mit schwach angeflogenen blaulichen Rändern von 1841, sie werden eine Zeit lang beliebt sein und dann untergehen. Der reine Krystall des Mases aber wird bleiben, ebenso, wie die reinen einfachen Krystalle des guten Geschmacks, der Moral und dcö Rechtes selbst stets wieder aus dem Chaos aller Verirrungen und Absurditäten, zu denen der Mensch sich zuweilen verliert, siegend hervortauchen. Von Prag nach Budweis. ^o vielerlei Neisegelegenhelten eS auch letzt schon zlvi» schm Pra.i »nd Hudweis giebt, Diligence», Mallcposten, Lohnkutscher, Stellwagen, so lst doch noch keine dieser Beförderungsweisen in ihrer Art vollkommen gut zu nennen. Die böhmischen Diligence« sind hinter den norddeutschen noch eine kleine Strecke zurück/ und die Lohn« kutschcr sind langsam, wie überall in Deutschland. Die Stcllwagen hatten für mich den Vorzug daß ich noch nie mit ihnen gefahren war. Es giebt in allen österreichischen Provinzen solcher Wagen, die für das ge< ringerc Publicum bestimmt stnd und den Personenverkehr zwischen den Provinzstädten befördern. Man trifft auf ihnen daher ln der Regel keine Fremden an und hat so die beßte Gelegenheit, die Eigenthümlichkeiten der Provinzialm zu betrachten. " Kaum hatte der Prager Nachtwächter die vierte Morgenstunde abgerufen, und kaum hatten Apollo'S Pferde, dadurch erschreckt, ihren goldenen Wagen zum 264 > Thore des Ostens hervorgetummelt, so trabte auch unser Stellwagen zum Roßthore auf der Vudweiscr Straße hinaus. Vei'm Lichte besehen, fand sich, daß unsere Gesellschaft aus einem Prager Goldschmiede, einem Kupferstecher, einem Förster, einem Ockonomen und einer jungen Mutter bestand, die ihren kleinen Sohn auf dem Schooße hielt, und welcher Mutterliebe und Muttersorge deutlich genug m den Gesichtszügen verzeichnet waren. Ich studirte unter diesen Leuten zunächst die Eigenthümlichkeiten des böhmischdeutschenVolködialckts und bewunderte die unabänderliche Festigkeit der falschen Negcln, der Fehler und Idiotismen, mit denen sie unsere Grammatik und Pronunciation nach ihrer Weise modeln. Unter Anderem lassen sie regelmäßig dm Artikel aus, z. V. „in Kuchel" statt ,,i» der Küche." Ebenso sehr häufig und in gewissen Redensarten clidiren sie beständig das Pronomen, z. V. „wie meinen?" statt „wie meinen Sie?" — „Belieben" statt „belieben Sie gefälligst," was für unser deutsches Ohr sthr unangenehm klingt, so schr man auch de» Mangel des Artikels und der Pronomina bei der lateinischen, griechischen und slavischen Sprache als Kürze rühmt. Ebenso oft setzen sie nach slavischer Neise in gewissen Redensarten das Participium statt des Infinitivs, z. V. „gengmer bisl gcspatziert" statt „gehen wir ein wenig spazieren." — Statt „o" scheu sie in den meisten Worten „u" und statt „ü" ebenfalls „n," z. V. „kumm" statt „komm," „Nucken" statt „Nucken," „Kuppstuck" statt „Kopfstück," Pulizcit" statt „Polizei." — 265 Französischdeutsche Worte werden im Munde des ge« melnen Böhmen manchmal bis zur Unkenntlichkeit entstellt, z. V. „Schmießl" statt „Chemisetten/' „Okolon" statt „N»u er wurde von seiner durch die Wehen plötzlich überraschten Mutter in' einem Walde unter einem Vaumc geboren, — sein Charakter — er war im höchsten Grade wild und grausam, in gleich hohem Grade tapfer und beredt, (die böhmischen Geschichtschreiber sagen, die Eigenthümlichkeit seines StylS lasse sich ebenso wenig im Deutschen wiedergeben wie die Feinheiten der Beredsamkeit Casar'S) — seine Thaten und Erlebnisse — er stieg von niedriger Stufe zur höchsten Gewalt in seinem Vaterlande 272 „nd war Anfangs alS Einäugiger, nachher als Blinder in 13 ordentlichen Schlachten Sieger, — sein Tod — er starb auf dem Gipfel der Macht an der Pest — sein Andenken — noch diesen Augenblick ist der Fleck, wo er an's Licht kam, bekannt und wird ebenso als ein unheiliger und unheilbringender betrachtet wie der Fleck, auf dem er seinen Geist aushauchte. Letzterer besindet sich mitten auf eiuem Ackerfelde. Er wird un-b«ackert gelassen, so weit das Todeszelt des Ziska reichte. Wie Napoleon's Geschichte allen Europäern gelaufig und sein Portrait in allen Winkeln der Welt zu finden ist, so ist Ziska's Leben noch allen Böhmen bis ln die kleinsten Details bekannt, 'und sein Bildmß hängt in allen Schlössern und Klöstern des Landes. Nach dem Tode Ziska's, ihres Vaters, nannten sich seine Krieger „verwaiste Kinder", theilten sich aber dann in 4 Haufen oder Parteien, die „Waisen", die „Taboriten", die „Orebiten" und dle „Prager". Böhmen nannten sie das „gelobte Land," die umliegen-« 5en deutschen Provinzen aber die „Länder der Philister/ Moabiter und Idumaer" — Aus dieser Zeit stammt ohne Zweifel anch die Benennung des großen Sees tn der Nahe von Tabor, der noch jetzt der „Jordan" heißt, und der Name des Berges hinter Tabor, den man noch Verg „Horeb" nennt. Wie Tabor der Hauptsitz der Hussiten gewesen war, so wurde es auch der Schauplatz ihrer ärgsten Ausartungen, die ihren Gipfel erreichten in den Ausschweifungen der husfitischen 273 Secte der Adamite», und wie er hier ansing, so endigte sich auch hier der Hussitenkrieg; denn Tabor war die letzte Stadt, die sich den königlichen Ständen unterwarf. Noch jetzt soll es in Böhmen Adamiten gcbcn. Auch trägt man sich mit der Sage herum, daß noch heuli^cö Tages verschiedene andrre hnsst tische Sectcii eristiren, die sich untereinander „rothe Vrüder" heißen, und wieder andere, die sich „^ammbrüder" nennen. In Tabor wurde uns gesagt, daß auch noch Familim daselbst cristiren, die seit jener Zeit dort eingebürgert sind und bis auf unsere Tage herab daselbst gewohnt haben. So wurde uns die Familie Vurianek als eine solche genannt. Dieft sahen und erfuhren wir also alts unserer interessanten Station von Tabor. Auf einer anderen Station hinter Tabor, deren Namen ich aber leider nicht angemerkt, hatte ich Gelegenheit, einen Vlick in eine böhmische Fasanerie zu thun, die einzige von allen den vielen hundert böhmischen Fasanerieen, die ich zu sehen bekam. Die Fasanenzucht ist in Böhmen so au< ßerordentlich bedeutend, um so viel großartiger als in allen umliegenden Ländern, daß es sich wohl der Muhe lohnen möchte, einmal den Verhältnissen, der Geschichte und den förderlichen Umstanden dieses Industriezweiges in jenem Lande naher nachzuforschen. Man theilt in Böhmen die Fasane in wilde und in zahme. Die wilden werden in großen Vaumgehcgen gehalten, die zahmen in Etallungen und umzäumten Höfen gefüttert. Wie zahl« reich die Thiere in diesen ssasaneriee» sein muffen, lernte 274 ich durch die Annonce eines Grafen Schlick, der nicht weniger als 3l)0l) Paare lebendiger Fasane auf einmal feil bot. Auf derselben Gutswirthschaft besahen wir auch die Vierbrauerei. Wir fanden alle Arbeiter, die bei'm Kochen des Getränks beschäftigt waren, singend. Die Gesänge klangen wie fromme Kirchenlieder. Man sagte uns, es seien dieß alte, herkömmliche böhmische Melo-dieen und Verse, die nur bei'm Kochen des Bieres gesungen würden, um damit des Himmels Segen bei'm Brauen zu erbitten. In den Flachsfeldern fanden wir hier und da halbverbrannte Besen aufgestellt. Auch dieses, sagte man uns, sei eine besondere böhmische Sitte. Diese Besen nenne man „Iohannisbefen", und sie würden unter Beobachtung gewisser Cercmoniem im Frühlinge zwischen die Flachsfelder gesteckt, nachdem man sie vorher angegezündet habe. Sie sollen dem Gedeihen des Flachses förderlich sein. In tiefdunkeler Nacht endlich zogen wlr in die Stadt Vudweis ein, wo zum Glück dem Reisenden seit einigen Jahren die Sonne Licht zu spenden nie aufhört; denn das Wirthshaus dieses Namens hat die ganze Nacht eine Lampe im Vorhause brennen. Die Schwarzenberg'schen Schlösser und Besitzungen. Der südlichste Zipfel von Böhmen, in dessen Mitte Vudweis liegt, ist selbst in diesem an prächtigen Stammsitzen alter Familien so reichen Lande noch ausgezeich« net durch seine Schlösser und bedeutenden Gutsherr-schaften. Man kann diese südliche Ecke von Vöhmen oder den Budweiscr Kreis auch das Quellengebiet der Moldau nennen. Denn dieser Fluß entspinnt sich eben hier aus vielen kleinen Nebenflüssen, die von allen Seiten zu dem in der Mitte liegenden VudweiS hinabfließen, und die auf diese Weise das große Bild der von allen Seiten nach Prag hin zusammenströmenden Flüsse Böhmens l>n mmiatili-e wiederholen. In diesem Quellengebiete der Moldau war sonst die mächtigste Familie die der Rosen berge, welche dereinst dem königlichen Throne so nahe stand, daß sie ihm selbst Königinnen aus ihrer Mitte gab. Die Herren 18* 276 von Rosenberg waren oft nüt deutschen Prinzessinen vermählt, und einer von ihnen stand soqar einmal als Candidat ans der Liste der polnischen Kronprätendenten. Jetzt ist diese Familie ausgestorben, was Noah, die trojanischen Helden, Carl der Große und andere solche Stammväter sehr bedauert haben müssen, weil damit wieder eine directe Nachkommenschaft ihrer erstgeborenen Sühne nnd Lieblingskinder erloschen ist. Es ist sonderbar, daß auch der Zweig der Nosenbcrge, der nach Kurland verpflanzt wurde, nicht viel später als der böhmische ebenfalls erlosch. Sollten wohl die Familien selbst in ihren getrennten Zweigen als ein organisches Ganze zu betrachten sein, dem je nach der in dem Stamme steckenden Energie nnd Lebensfähigkeit ein gewisses Alter zugeschrieben werden konnte? Es giebt mehre solche Geschlechter, die, in verschiedene» wandern vertheilt, überall zu gleicher Zeit, verschwunden sind. Im Bremer Rathskeller giebt es einen Wein, der so alt ist und durch das Alter einen so kostlichen Geruch, eine so fein< Blume, wie die Weinkenner sich ausdrücken, erhalten hat. daß man nur ein paar Tropfen davon in's Schnupftuch zu schütten braucht, um sich noch viele Tage nachher daran, wie an l^au ll« O,!oFn,e," das „Nakaustische Erzherzog thnm." Nicht nur der gemeine Vöhme, sondern auch der gebildete und selbst die Vornehmsten nehmen an dieser Abneigung gegen die Ocsterreichcr mehr oder weniger Aittheil, uild sogar die böhmischen Deutschen stimmen in dieser Beziehung ganz mit den böhmischen Slaven überein, mit denen sie sonst doch innerhalb derselben Mauern nicht immer ans einer Tonart singen. Wir hatten den Abend in Gratzen fast lauter böhmische Deutsche in unserer Gesellschaft, und doch bemerkte ich auf den Gesichtern Aller ein gewisses sarkastisches halbunterdrücktes Lächeln schweben, als ich die Vertheidigung der Oesterreicher übernahm. „Ja ja," hob endlich einer von ihnen an, „ehrlich sind die Oesterreicher, keine „Katzelmacher," wie die Italiener, und steißig sind sie auch, aber großer Gott," hier schüttelte er den Kopf und lächelte, „sie sind grob, wie grob! wie, verzeihen Sie, wie unbeholfen, tolpatschig und dumm!" — ,M ist mit einem Worte eine völlig verkehrte Nation!" setzte er dann noch hinzu. Die Oesterreicher ihrer Seits werfen dem Vöhmcn 294 Falschheit und Unzuvcrlassigkeit vor. „A falscher Vöhm'!" ist eine gewöhnliche Redensart, und der Oesterrcicher schildert den Vöhmen in der Regel als einen Menschen, in dessen Innerein es unheimlich, melancholisch und trübe aussähe. Doch scheint mir die Abneigung der Böhmen stärker als die der Oesterreicher, denn sie ist immer mit Bitterkeit und Spott gewürzt, wahrend der Oesterreichrr es dann mit seinem Scheltworte ehr-licher und derber meint. Ein fetter Karpfen in schwarzer Sauce, nach Vorschrift der böhmischen Nationaltüche aus geriebenem Honigkuchen, Vlut und Zwiebeln zusammengesetzt, der bei unserem Abendessen aufgetragen wurde, gab uns Gelegenheit, das zweite, oben bereits angezeigte Capitel zu berühren, die berühmten Fischteiche dieser Gegend. Vöhmen ist überall reich daran, aber die Anzahl der Teiche in diesem Landstriche übersteigt Alles, was man sonst davon sieht. Gratzcn hat 60 Teiche, das Herzogthmn Krummau 79, Frauenberg 145 und WitUngau, das beinahe eben so viele Teiche als Aeckcr hat, und der eigentliche Hauptsttz der böhmischen Tcichfischereien ist, nicht weniger als 279. (5s befindet sich darunter der bench inte Nosenberger Teich, welcher nahe an 1209 Joch Landes einnimmt. Die beschichte dieses großen Teiches, vielleicht deg größten in der Welt, seiner Anlage, seiner dreifachen Umdannnunss, seiner Brücken, seiner unzähligen Wehre, Schleusen und Ablaßröhrtu, sowie die Vertrage, die seinetwegen mit den Rachbarn abgeschlossen und sogar 295 „landtaflich intabulirt" wurden, dieß Alles ist in den böhmischen Annalen genau beschrieben und verzeichnet. Er ist, wie auch die meisten übrigen jener 270 Teiche, mit Karpfen, Hechten, Schielen, Varschiingen, Narben und anderen Fischen besetzt. Und bloS an Karpfen liefert die Herrschaft Nittingau jährlich nicht weniger alS 4000 Centner, oder cn-c« 400,000 Pfund (daS Pfund zu dem niedrigen Preise von 4 Ogr. gerechnet, wäre dieß eine Revenue von circ^i 200,000 dulden W. W.). Wien bezahlt uud verspeist davon die größte Anzahl. Das sehr künstliche, complicirte und gewiß höchst interessante Teich wcse n der Vöhntcn, ihr Verfahren bei'm Anlegen und Ablassen der Teiche, bei der Erziehung, Mischung und Sondcrung der Fische, und dann bei'm Fangen, Versenden und Verkaufen derselben, ist mir nicht so deutlich geworden als dasjenige Verfahren, welches sie bci'm Zubereiten und Verspeisen beobachten. Dieses lernt sich bald, jenes aber nur bei einem längeren Aufenthalte. Da aber bisher die Reisenden diesem merk-würdigelt Industriezweige noch wenige Aufmerksamkeit widmeten, so will ich hier in Kürze beibringen, waö ich darüber erfuhr. Die Hauptsache ist, daß die Fische auf den ve» schiedcnen Stufen ihres Alters uud zu den verschiedenen Zeiten des Jahres eine verschiedene Größe und Tiefe des Wassers bedürfen, und daß ferner manche Fischgattungen sich nicht gut mit einander vertragen. Da nun natürlich ein Teich nicht allen diesen Anforderungen auf einmal genügen kann, so haben die böhmischen 296 Gutsbesitzer die vielen Teiche auf ihren Gütern in ein gewisses System gebracht und jeder Classe von Teichen ihre eigene Vcstimmnng gegeben. Zunächst haben sie die „Vrut- oder Satzteiche," in denen die jungen Fische ihre erste Erziehung erhalten. Sie sind klein und bieten wenig Nahrung. Sobald daher der Fisch wächst, wird er aus diesen Vrutteichen in größere gebracht, welche man „Strcckteiche" nennt, weil der Fisch sich darin „strecken" soll. Dieser Streckteiche giebt es verschiedene Grade, „erster, zweiter Streckteich" u.s. w., nnd ans ihnen kommen die Thiere dann endlich in die großen Wasserbehälter, welche „Kammer- oder Haupttciche" genannt werden. Im Winter ist das Wasser in der Tiefe warmer, im Sommer aber umgekehrt anf der Oberfläche. Junge Fische, die noch mehr der Wärme bedürfen, nuisscn daher im Winter oft in tiefere Teiche versetzt werden, und umgekehrt kaim ,nan die alten Fische, die man im Winter in tiefen Teichen hielt, im Frühlinge in stäche umsetzen, um sie dieselben benutzen und gleichsam abweiden zn lassen. Da cs ebenso unvernünftig sein würde, alte Hechte und junge Karpfen in dasselbe Wasser zu lassen, als wollte man Wölfe und Schafe in demselben Stalle ausfüttern, so hat man für die Karpfen besondere Teiche. Sind aber die Karpfen älter geworden, so werde» sie leicht trage und stecken gern lange im Sumpft oder im trüben Wasser am Boden, was ihrer feinen Ausbildung schadet. Man giebt ihnen dann gern einige junge Hechto bei, welche ihnen zu schassen machen und ihre 297 Republik vor dem völligen Erstarren und Einschlafen bewahren, wie die ausgelassenen Oppositionsmänner den Staat. Man kann sich denken, welche außerordentlich umständliche Arbeiten diese beständigen Versetzungen und Mischlingen der Fische in den verschiedenen Teichen und die dabei stets nöthigen Räumungen und Abfischungcn herbeiführen. Gewöhnlich finden diese Arbeiten im Frühlinge und Herbste statt, und es ist dabei mancherlei Vorsicht zu beobachten, z. V. die, daß kein Schnee auf die Fische falle. Sobald dich geschieht, sind sie zum ferneren Leben in den Teichen unbrauchbar, und es musi sofort die ganze beschneite Partie zu jedem Preise an die Fischhändler verkauft und auf den Markt gebracht werden. — Wie für alle Ereignisse, Verrichtungen und Manipulationen bei ihrem Gewerbe haben die böhmischen Fischer auch für den Schaden, welchen der Schnee den Fischen bringt, einen eigenen Kunstausdruck. Sie sagen davon: der Schnee „schreckt" die Fische, und die Fische „werden geschreckt." W fährt ihnen wie Gicht in die Glieder, und eö ist ans mit ihnen. Gs ist erstaunlich, wie viele Thiere bei außerordentlichen Naturereiguisscn und Wettervhanomcnen, denen der Mensch nicht zeitig genug vorbeugen tonnte, in diesen großen Teichen um's Leben kommen, z. V. wenn ein plötzlich einfallender Frost sämmtliche Teiche mit Eis überlegte und man nicht schnell genug überall Luft schaffen konnte. Die Fische kommen dann zu Schaaren an die Oberfläche heran, und wenn sie auch nicht gleich 298 ersticken, so „verbrenne,," sie sich doch dle Flossen an der Eisdecke. (Auch diesi Verbrennen am Gist ist ein böhmischer Knnstausdruck.) Auch trockener Sommer und Wassermangel bringen oft gränzenlose Noth in diesen Teichen zuwege. Natürlich ist es immer sehr wichtig, daß die Teichbeamten zu jeder Zeit wissen, wie viel Wasser sich in den Teichen befindet, und es ist daher in jedem Teiche eln Ticfenmaß angebracht, das die Höhe des Niveaus angiebt, und das hier zu Lande „Cement" genannt wird. Theils der Fische wegen, theils wegen der Gefahr vor Ueberwasscrung der benachbarten Landereien, deren Eigenthümer beständig mit den Herren der Teiche in Hader und Proceß liegen, ist es nöthig, die Höhe oder, wie der Kunstansdruck lautet, die „Spannimg" der Teiche zu kennen. Aller Schaden, der aus einer „lie-berspannung" derselben hervorgeht, — und ein Zoll mehr oder weniger macht hier schon sehr viel — fallt natürlich den Teichherren zur Last. Für die verschiedenen Höhen der Spannung hat man hauptsächlich drei Grade, die man hier die drei verschiedenen „Hitzen," die „erste, zweite, dritte Hitze" nennt. Und so hört man bestandig: „dieser Teich steht auf der ersten, jener steht dieß Jahr auf der zweiten Hitze :c." Höher als auf die dritte Hitze darf ein Teich nicht gespannt werden. Wo» her dieser sonderbare Ausdruck Hitze für Wassertiefe kommen mag, habe ich nicht recht ergründen tonnen, vielleicht daher, weil, je tiefer das Wasser, es auch im Winter um so warmer ist. Je nach dem Verrathe 299 von Fischen, je nach der Jahreszeit und nach dem Reichthum oder Mangel an Wasser wird ein Teich auf die erste, zweite oder dritte Hitze gestellt. Die grosien Wittingauer Teiche, insbesondere der genannte Rosenberger, sind daS vornehmste Rendezvolts aller wilden Gänse, Cmten und Fischreiher Böhmens, und diese Thiere finden sich hier in so außerordentlich großen Gesellschaften ein, das; alle umwohnenden Bauern zu gleicher Zeit von Haus aus Wildschützen und Jäger, wie auch geborene Fischer sind. Diese Thiere passen auch besonders bei'm Ablassen der Teiche auf, wo sie sich über die Frösche und die im Schlamm zurückbleibenden Fische hermachen. Die letzteren müssen sie indeß noch einmal wieder mit den Menschen theilen. Denn es ist Sitte, daß, nachdem die Herrschaft bei dieser Operation mit ihren großen Netzen den Haupttribut des Wassers sich gesichert hat, der Rest dann den Bauern und Fischern, die dabei oft zu Hunderten versammelt sind, preisgegeben wird. Man nennt dieß daS „Frei" geben der Fische." Die Teichmspcctoren geben den Moment, wo die herrschaftlichen Fischkasten sich befriedigt fühlen, an, und das hergebrachte Losungswort für diesen Moment ist der Ausruf des Inspectors.- „llarzii! Iini-xi!" („Es brennt! es brennt!") Sobald dieß Zeichen gegeben ist, stürzt sich die ganze Menschenmenge mit dem Geschrei „lwrxi! knrxi!" in den Teich, und sie plündern, indem sie die Gänse und Neiher vertreiben, den ganzen Sumpf unter Iubilirm und Frohlocken aus. -^ Die Bauern der ganzen Umgegend leben wcit mid breit 300 von delicatcn Fischen. Jemand sagte nur, daß sie selbst die Karpfen räuchern und für den Winter allfsparen. Außer von den Gänsen und Reihern wird ihnen aber diese ihnen so nöthige Nahrung auch noch von manchen anderen Thieren bcknappt, so z. V. von den Fischottern nnd Bibern, die sich ebenfalls in der Wit-tingauer Gegend häufig aufhalten, von Jahr zu Jahr jedoch minder zahlreich erscheinen. Die Nacht verbrachten wir unter höchst anmuthig abwechselndem Schlummer und Geplaudcr in dem ganz leidlichen Herrcnwirthshaust. Am anderen Morgen aber machten wir unter höchst „unliebsamen" —- ich bin ein Visichen verliebt in dieß hübsche österreichische Wort und gebrauche es gern, es verhüllt seinen Sinn unter so zartem Schleier und deutet so anmuthig auf seine Meinung hin, daß cs in ganz Deutschland eingebürgert zu werden verdiente —> unter sehr unliebsamen Umstäuden also machten wir am anderen Morgen einige Ausflüge in die von Wolken verhüllte und im Regen völlig zerfließende Gegend. Der in Böhmen vielgclobte Park Therestenthal und sein schöner dem berühmten Schleierfalle nachgebildeter Wasserfall blieben für uns ungenießbar, und wir fuhren daher zähneklappernd und wärmesuchend zu einer wenige Stunden entfernten Glashütte Namens Gcorgeuthal. Die Gratzener G lashüttc n nehmen unter den böhmischen Fabriken dieser Art reinen unbedeutenden Rang ein und sind wenigstens im südlichen Böhmen die ansehnlichsten von allen. Auf ihnen wird vorzugsweise das neuerdings so berühmt gewordene und auch jetzt in den Apotheken viel gerauchte Hyalithglaö «erarbeitet. Es ist auch hier erfunden worden. Wir fanden unsere Glashütte mitten in großen Wäldern in einer einsamen legend versteckt. VZ sind mit ihr, wie mit den meisten böhmischen Glashütten, gleich eine Schleiferei und andere Glasraffineriewerke verbunden, und wir freuten uns nicht wenig, diese schönen böhmischen Pokale und Flaschen, aus denen alle Welt in Guropa, Amerika und Asien so gern trinkt, in einer ihrer Geburtsstatten zu sehen. Eö giebt hier viele Gebäude und Gebäudeab-theilungen, die alle. ihre verschiedenen Bestimmungen haben. In dem einen wird das Glaö theils geblasen, theils gegossen oder wie holländische Waffelkuchen gebacken. In einem anderen, der Schneiderei und Schleiferei, wird es geschliffen und geschnitten, wiederum in einem anderen vergoldet und volirt. — Manche ausgezeichnete Arbeiter habcn ihre besonderen Wohn- und Arbeitszimmer, und bei diesen findet man gewöhnlich einige Prachtstücke in Arbeit, die jedoch in der Negel Producte ihrer Mußestunden sind, weil die laufenden Arbeiten an den gewöhnlichen Dingen doch mehr Zeit wegnehmen und das eigentliche tagliche Brot liefern. Vei unseren' Fischern von gestern fanden wir viel Ursache die sonderbare Poesie zu bewundern, die sich in ihren Kunstausdrücken äußert, indem sie bei einer Angelegenheit, wo es sich nur von kaltblütigen Fischen, kaltem Wasser und noch kälterem Eise handelt, so außerordentlich viel von „Vrcnnen," „Verbrennen^ und „Hitze" reden, als 302 wollten sic wie die Poeten «lit dem Sontrarium auf das Oontrurimn hinweisen. Wir erwarteten daher heute mit einigeln Rechte, dasi man uns in den heißen Glashütten von nichts als von Eis und Kälte reden würde. Dock) täuschten wir uns, nur die furchtbar heißen „Kühlöfen" in den Glashütten enthalten eine Andeutung jener eigenen Liebhaberei des menschlichen Geistes, auch selbst bei allen technischen Ausdrücken der Gewerbe und Künste einige Phantasie obwalten zu lassen. Dic Entdeckung eines anderen uns bisher unbekannten Kunstausdrucks der Glasschleifer machte uns nicht geringe Freude. Diese Leute nennen nämlich das, was die Schmuckhandler bei'm Edelsteine das „Feuer" und bei der Perle das „Wasser" nennen, bei ihren herrlichen reinen Krystallglasern den „Geist." — In der That man muß sich wundern über die Adaquatheit aller dieser Ausdrücke. Das Feuer ist für das innere Glühen und die wie elektrische Blitze aus ihm hervorschießcndcn Strahlen des Edelsteins höchst bezeichnend, sowie Wasser, wobei man gewöhnlich an etwas Bewegliches denkt, für die Perle, deren halbdurchsichtige Oberfläche in vielfachen zarten, in einander leise verwaschenen Farben spielt, gerade das rechte Wort ist. Bcidcö, Feuer wie Wasser, trifft bei'm Glase nicht recht zu. Selbst das schönste Krystallglas giebt nicht diese warinen scharfen Strahlen des Edelsteins und hat nicht das Schillernde und Gewasserte der Perle. Sein höchster Triumph ist vollkommene Klarheit und Durchsichtigkeit, völlige unsichtbare Geistigkeit, so zn sagen. Dieß wird ihm mm durch 303 die feinste Politur und durch dic innigste Verschmelz« »tin's und Abklärung der Masse gegeben, was dann die Künstler „Geist" nennen. Man muß ein blindes, matt geschliffenes, so zu sagen, todtcö Glas unter der Hand des Polirers Geist und Leben gewinnen sehen, und man wird gestchen, daß die Leute auch hier das Ding durchaus bci'm rechten Namen nannten. Auch an anderer Industrie sind die Gratzener Gränzgebirge nicht arm. In einigen Dörfern beschäftigen sich die Leute mit zierlichen Holzschnitzarbcitcn, in anderen giebt es Eisenwerke oder Papierfabriken. Auch werden aus den Hölzer» der Wälder manche Parkette für Wiener Tänzer verfertigt. Stückweise in kleinen Quadraten gehen die Tanzböden von hier an die Donau und nach Wien hinab. Mittags bei Tische wurde viel von den Servilen, die unten in der Stadt in einem Kloster wohnten, gesprochen. Die Gutsherrschaft musi ihnen jahrlich 60 Scheffel Weizen, 60 Fasi Vier, eine gute Anzahl von Kalbern, Ochsen und Schweinefleisch und ich weiß nicht wie viele Malter Kartoffeln hinabschickcn. Sie speisen das Alles auf und lassen auch nicht die Neige in den Bierfässern. Sie ihun dafür gar nicbts und leben zankisch mit einander. In ordentliche Gesellschaft kommen sie gar nicht. Nur bei den kleinen Leuten gchcn sie herum, wo sie etwas zu erbetteln finden, und in den Vierhausern, wo sie es wieder verzehren. Sonntags in der Kirche bringen sie oft Predigten zu Tage, denen zuweilen nichts weiter als die baarstc Eifersucht und 30t der ärgste Neid zum Grunde liegen, und die um so eifriger sind, je mehr dieß der Fall ist. So z. V. war in der Nachbarschaft vor einigen Jahren ein Streit zwischen zwei Klöstern, der beständig auf ihren Kanzeln bepredigt wurde. In dem einen Kloster verehrte man das Vild einer schwarzen (byzantinischen) Mntter Maria, in dem anderen das einer weißen, und da sich min seit einiger Zeit die Leute mit ihren Spenden und Verehrungen mehr der schwarzen Mutter zugewendet hatten, so wurden die Mönche der weißen dadurch aufgebracht und zogen alle Sonntage auf der Kanzel gegen die schwarze Maria zn Felde. Sie nannten es unfromm, schlecht und gottlos, daß die Leute jetzt alle zur schwarzen liefen, von der man doch nichts so Besonderes wisse, wahrend ihre ge-benedeiete weiße Mutter — bei diesem Namen rückten sie allemal ehrerbietig das Kappchen vom Kopfe, das bet der Nennung der schwarzen Mutter ruhig auf seinem Flecke blieb, — doch von jeher sich gegen Alle gnädig und huldvoll erwiesen habe. „Auf! auf! meine Brüder in Christo!" schloffen sie dann gewöhnlich, „opfert Eucrcr gnädigen weißen Mutter ein Scherfleiu. Sie ist genügsam und nut Allem zufrieden, doch sieht sie das Große groß an und vergilt Euch Cuere Gebete tausendfaltig!" Am Abende kehrten wir zurück nach Vudweis, doch der andere Morgen sah uns schon wieder in einer anderen Richtung hinauseilen, um dem berühmtesten Schlosse der ganzen Gegend, dein alten Krumm au, das in jeder 305 Hinsicht einer der interessantesten Fürstensitze der österreichischen Monarchie ist, zuzueilen. Den Abend vorher hatte ich mit Vielem Interesse die Geschichte einer großen und ausgezeichneten Familie Böhmens gelesen, die weiter nichts im Wappen führt als eine roth- und eine schwarzbemalte Schildhalfte und schon diesem einfachen Wappen gemäß zu den ur< ältesten Familien deS Landes gehört. Der Verfasser jener Geschichte sagte von diesem Wappen: „Nars et mor« cl^peum sibi «livizei-e, crunrem Uars »inat, et morti linl-n, ni^r3 placet." (Mars und der Tod haben sich das Schild getheilt, Blut liebt MarS, und dem Tode gefallt die schwarze Linie.) Dann bemerkt der Verfasser weiter, mit dieser Familiengeschichte habe er einen Beitrag zur böhmischen Historie geben wollen, „als ein Glied zu der goldenen Kette, die sich von den Großen des Reichs zu dem goldenen Mittelpunkte des Herzens des Monarchen schlingt." Alsdann hatte ich jetzt am Morgen zur Reiselektüre ein Willkommcnsbuch bei mir, das von irgend einem alten böhmischen Schlosse sich nach Vudweis und so ln meine Hände verirrt hatte. Nach alter deutscher Rittcrsitte nämlich, die anch besonders in Böhmen lange blühte, gab es solche Willkommensbücher, in welche sich jeder fremde Oast, nachdem ihm die Frau vom Haufe den Willkommcnsbecher gereicht hatte, eintrug, seine Namensfertigung nämlich und einen Wahlspruch mit dem Datum seiner Ankunft. Es war also eine Art von Gast- und Fremdenbuch, wie sie noch jetzt in Deutschland l. 20 306 in Wirthshäusern und an merkwürdigen Punkten oder Gebäuden üblich sind. Ich blätterte in dem alten Buche und fand die meisten alten Familiennamen Böhmens darin verzeichnet, die dem Schlofthcrrn die <5hre ihres Besuchs erwiesen hatten. Gewöhnlich waren die gewählten Wahlsprüchc alle so kurz, einfach und ernst, wie jenes einfache, alte, schwarzrothe Wappen, z.V.! „In allen Fällen meines Lebens empfehle ich mich Gott dem Herrn." ^ „ Georg Graf Wratislaw." oder.' „Wie Gott will, so geschehe mir." „Woko Rosenberg." „^nno Domini 15l7 „dm 24tcn ^anuarii." Auch eine Geschichte des Schlosses und der Herrschaft Krummau hatte ich bei mir, deren Ursprung in das graueste Alterthum hinaufragt. Ich erfuhr daraus, wie die ersten historisch nachweisbaren Vesitzer dieser Herrschaft, die etwa 15 Quadratmeilen mit 50,000 Einwohnern zu ihrem Vesitzthume zahlt, aus dem Geschlechte der Rosenbcrgc, die eigentlich auf Böhmisch „Witkowze" heißen, gewesen und dieß auch über 5 lange Jahrhunderte hindurch geblieben seien. Diese Rosenberge, die eine fünstlätterige Nose im silbernen Schilde führen und daher im Lateinischen kurzweg auch „» ro-sis" genannt werden, starben im Anfange des 17. Jahrhunderts mit dem Peter Wok von Rosenberg aus, und mittels Ankaufs ging der ganze Krummau'sche Gü« 30? tercompler auf den Kaiser Rudolf II. über, der ihn für seinen Sohn Don Julius d'Austria bestimmt hatte. Vis zum Jahre 1622 blieb Krumman mit seinen weitläufigen Appendixen im Privatbesitze der Kaiser. Dann aber verschenkte es Ferdinand II. an feinen Oberst-hofmcistcr, den HanS Ulrich Freiherrn von Gggenberg, für die „unverdrossenen Fleißes, ungespart Leibes imd „Guts, willig, treulich und nützlich geleisteten Dienste, „damit er hicdurch die langst wohl verdiente Kaiserliche „Gnad und Dankbarkeit desto besser im Werk erkennen „und genießen möge", —- und hundert Jahre später erbten es dann von den Eggcnbergs die mit ihnen verwandten Schwarzenbergs nnd zwar »nd titulo clocali, den Kaiser Karl IV. ihnen ertheilte, mit allen den Prärogativen, welche nach der böhmischen Landesverfassung die böhmischen Herzöge vor den Fürsten voraus haben. Von den Gebirgen, Strömen, Kunststraßen, Städten, Schlössern und überhaupt von der ganzen Lan-desbrschaffcnhnt dieses Herzogthums giebt es bereits umständliche Beschreibungen, aus denen mich indeß nur die Nachricht besonders interessirte, daß der Sprachen, die in diesem Herzogthume gesprochen werden, zwei sind, die deutsche nnd die böhmische, wesihalb auch das ganze Land eingetheilt wird in die „dentsche" und die „böhmische Seite". Die Deutschen sind hier nämlich von Oesterreich aus, ansiedelnd und den tschechischen Stamm in's Innere zurückdrängend, in Böhmen vorgedrungen, ebenso wie sie dieß im Norden von Sachsen, im We- 20* 308 ften von Vakern. und im Osten von Schlesien aus thaten. Es gab von jeher solche halbsouveraine Herzog« thümer in Vöhmen, so das Herzogthum Friedland, das dem Wallenstein geschenkt wurde, das Herzogthum Reichsstadt für Napoleon's Sohn und noch jetzt außer Krummau das Herzogthum Naudnitz, das dem Fürsten von Lobkowitz gehört. Mit solcher feudalistischer Lecture also beschäftigt, rückte ich jenem berühmten Stammsitze so berühmter Feudalherren näher und machte endlich meine Bücher zu, da ich eben bemerkte, daß mein Kutscher durch das große steinere Thor auf einem Vorhofe des Schlosses einbog. Dieser Vorhof ist der sogenannte „Tummelplatz", 5er früher zu Rittcrspiclen diente und jetzt noch von alterthümlichen Stallungcn und Veamtenwohnungen umgeben ist. Im Hintergründe des Gehöftes sieht man einen großen Flügel des Schlosses selbst, „daS alte Schloß" genannt, hervorragen. Eine Zugbrücke führt durch ein mächtiges steinernes Thor in den zweiten Hof, „der Gardehof" genannt. In dem Graben der Zugbrücke sind die sonst darin gehaltenen Vären erst seit 39 Jahren verschwunden, und in dem Thorwege erblickt man noch das Kamin der ehemaligen Schloßwache. Ein Decorationsmaler, der eines alte» Tummelplatzes für sein Schauspiel bedürftig wäre, könnte den Krummauer nur, wie er noch jetzt besteht, ohne Weiteres co« piren, und er wäre. trefflich bedient. 3U9 Im Gardehofe befindet sich die Hauptwache der herzoglich Schwarzenberg'schen Grenadierlcibgarde, etwa 40 Mami trefflich armirter und aufs Feinste uniformir-ter Soldaten, die ein im herrschaftlichen Solde stehender Hauptmann commandirt. In diesem Hofe machte jch dem Amtsdircttor meine Aufwartung, zu dessen Wohnung ich durch verschiedene Corridore, Nebenhöfe und Brücken gelangte. Als ich ihm sagte, daß ich mit seiner Erlaubniß mir das Schloß gern recht genau ansehen möchte, fragte er mich, wie viele Wochen ich denn hier zu bleiben gedachte, und ich erkannte bald, besonders als ich das Archiv gesehen hatte, daß diese Frage keine große Uebertreibung in sich schließe. Aus dem zweiten bereits genannten Hofe geht eö noch in dm dritten, vierten, fünften, sechsten. Dem Ansehen nach scheint hier nie etwas niedergerissen worden zu sein, und die verschiedenen Rosen-, Eggen-und Schwarzenberge haben nur immer dem Alten, wenn es ihnen nicht ganz gefiel, das Neue hinzugefügt, so gut es die Umstände erlaubten, und das ganze imposante Hauptwerk interessanter Gebäude, das den Schloßberg überall bis an seine äußersten Ränder bedeckt, ist also ein Labyrinth von Thürmen, Mauern und Gcbaudethei-len in sehr verschiedenem Style von langen Suiten großer prachtvoller Zimmer, wie sie in Kaiserschlössern erscheinen, und von planlosen Zusammensetzungen kleiner enger Räume, wie man sie nur in winzigen Felsenne-ftern kleiner Ritter sieht. Wie alt hier das Alte sein mag, kann man schon darauZ schließen, daß das Neuere 3W schon so alt ist. Denn das noch jetzt sogenannte „neue Schloß" kommt bereits vor 350 Jahren in den Urkunden unter diesem Namen Vor. Schloß Krllmmcul schien mir ans diese Weise ein treues Spiegelbild des ganzen österreichischen Staatsgebäudes im Kleinen zu sein, bei dessen Aufbau und Zusammensetzung auch dieselben Grundsatze walteten, uyd in dessen Innerem bei allem Neuen und Eleganten, das man dem Alten hinzufügte, noch eben solche alte Burgverließe, enge Schlupfwinkel und wunderlich gothische und byzantinische Thüren sich finden. Wir begaben uns zunächst in die Bildergalerie, die auf langen Corridoren und in mehren von alter, groß» väterlicher Pracht strotzenden Gemachern aufgestellt ist. Zwischen den Gobelins, Tapeten und antiken Möbeln dieser Gemächer glaubt man in irgend einer Ncsidcnz Carl's V. oder Fe>dinand's l. zu sei,^ und vermeint, die alten ritterlichen Herren und Fürsten, die an der Wand hängen, könnten auch wohl in leiblicher Person dort durch die hohen schweren eichenen Thüren eintreten. Thaten sie es wirklich, sie würden finden, daß ihre Thüren noch ebenso knarrten als vor 309 Jahren, und jeder würde auch seiucn Lchustuhl wiederfinden, in dem er damals nach den Kriegen für die Ferdinande ausruhte. In der That der Ahnherr eines < österreichischen großen Hauses zu sein, lohnt sich noch der Mühe. Man wird von den Kindern geehrt bis in's zehnte 311 und zwanzigste Glied. In großen und zum Theil ausgezeichneten Gemälden sind die großväterlichen Gesichtsbildungen der meisten Eggen-, Nofen- und Schwarzenberge hier verewigt und blicken noch ritterlich und Icbcnofrisch in, ihre alten Prunksäle hinein. Das mußte ein Familienfest sein, wenn sie sich hier einmal alle wieder vereinen könnten. Raum, sie unterzubringen, wäre hinreichend vorhanden. Aber nur einer einzigen von ihnen ist eS bestimmt, noch jetzt zu Zeiten diese alten Schloß-Hallen zu durchwandern, der Vcrtha von Noscnberg nämlich, jener berühmten weißen Dame von Ncuhaus, die hier wie in Neuhaus und Wittingaü in einem lebensgroßen Portrait zu sehen ist. Diese Bertha oder Verchta oder amb Vricbta war mit einem Lichtenstein verhcirathct, wie denn noch jetzt die Nachfolger der Nosenberge, die Schwarzcnbergc, sich oft schon in der Wiege mit den Lichtenstcins vermählen. Das Hinneigen dieser großen österreichischen Familienstämme zu einander ist uralt, und noch jetzt bestehen Sympathiecn, aber auch Antipathieen und Feindschaften zwischen ihnen, die schon seit Mittcialtcrs Zeiten her glühen. Jener Lichtcnstcin, Vertha's Gemahl, war ein Wüthcrich und behandelte das zarte Wesen, seine Frau, nicht viel besser, als weiland Nitter Blaubart die seine, nur mit dem Unterschiede, daß er sie bei'»» Lcbcn ließ. Die Leute der Umgegend der No-scuberg'schcn Schlösser erzählen, daß sie oft blutige Thränen über ihr großes Leid geweint habe, und sprechen von ihrem Kopfkissen und ihren Handtüchern, die 312 man des Morgens zuweilen in Blut getränkt fand. Bertha mochte, bevor sie den Lichtenstein heirathete, ein so empfängliches Gemüth für die Freuden und Verführ« ungen der Welt haben, wie jedes andere junge Mädchen. AIs eS aber Gott gefiel, ihren Tyrannen abzurufen, ging sie aus dieser Ehe als eine fromme und gottesfürchtige Witwe hervor, die im Unglücke die tröstende Kraft der Religion zur Genüge kennen gelernt hatte. Sie zog sich sofort zu ihrem geliebten Bruder, dem Herrn von Rosenberg, der ebenfalls sein Ehege» mahl durch den Tod verloren hatte, zurück und führte ihm, dem Witwer, als Witwe den Haushalt. Sie waltete weise in seinem häuslichen Kreise, hatte bestan« dig ein Vund Schlüssel an der Seile nnd beaufsichtigte Alles auss Pünktlichste in den Hallen der Nosenberg'-schen Schlösser. DaS größte Mitleiden hatte sie mit den Armen und ließ allen Kranken auf den Gütern ihres Vrudcrs die liebevollste und sorgfältigste Pflege zu Theil werden. An gewissen Tagen der Woche pflegte sie alle Armen der Umgegend, die Hunger hatten, zusammenzurufen und ihnen einen süßen Brei, ein böhmisches Nationalgericht, zu kochen und zu vertheilen. Dieser süße Vrei oder vielmehr, wie die Böhmen sagen, dieser „süße Koch" wird noch in diesem Augenblicke seit jenen Zeiten hier vertheilt, und es ist dafür auf den Rosenbcrg'schen Gütern eine Stiftung gemacht, deren Ziuse>i die Kosten bestreiten. In den lateinischen Urkunden der Schloßarchive wird der Vrei 313 „clulc« muz?" genannt. Man hat schon oft vorgeschla« gen, die Vertheilung dieses Breies, die manches Unbequeme hat, in eine Vertheilung an Geld zu verwandeln. Aber die Bauern wollen dieß nicht. Sie fürchten, „die Bertha möchte es übel nehmen." Die schwarze Farbe als die Farbe der Trauer zu betrachten, ward erst von Frankreich und Deutschland her in Böhmen Mode. Sonst war es allgemein die weiße, und Vertha trug, wie aNe Witwen damaliger Zeit, nack dem Tode ihres Gemahls ein weißeS Gewand. Sie legte ihrer melancholischen oder ernsten Stimmung wegen dasselbe bis zu ihrem Tode nicht wie« der ab und ließ sich auch in ihrem weißen Witwen-trauertleide begraben. Schon bei ihren Lebzeiten wurde sie daher auch vom Volke die „weiße Frau im Schlosse" genannt, und unter diesem Namen roar sie weit und breit in dcr Gegend hochverehrt. Wie nach ihrer Ehe eine fromme Frau, so wurde sie nach ihrem Tode ein Engel und eine von allen Leuten verehrte Heilige. Da die Geistlichkeit keine Gelegenheit nahm, sie unter die Zahl der Heiligen zu versetzen, so machte sie nun das Volk auf seine Weise dazu und behauptet seit jenen alten Zeiten her, Vertha wandle noch immer wie damals als ein Schutzgeist der Rosenberg'schen Familie und ihrer Nachfolger und Unterthanen in Neuhaus, Wittingau und Krummau umher, um nachzusehen, ob auch Alles in gehöriger Ordnung, ob die Herrschaften gut seien und ob die Armen ihr „sluice mu»" bekommen. Den Menschen 314 sichtbar ist sie diesem Glauben nach für gewöhnlich mcht. Aber wenn ein besonderes Unglück den Mitgliedern der Herrscherfamilie droht, erscheint sic auf den Schlössern den Bewohnern in weißer Witwcntracht, in der sie lebte uud starb. Die Böhmen der Nachbar-» schaft raunen sich dann in'sOhr: „Üi^-Iita 2' ltnxcm-derka cknlU", was die Deutschen der Umgegend, wenn sie es erfahren, sich dann flüsternd so übersetzen: „die Vertha von Rosenberg geht um." Es erfolgt dann jedesmal unabwendlich ein Todesfall in der Herrscherfamilie. Leider habe ich nicht in Erfahrung gebracht, ob die weiße Dame auch bei dem Tode des letzten Fürsten von Schwarzenberg umgegangen sei. Im Echloß Wittingau und auch in Neuhaus befindet sich cm alter Corridor, auf dem sie gewöhnlich wandeln soll. Er heißt bei der Schlosibcvölkenmg „der verrufene Gang," uud kein Kaunnerzöfchcn, sagte man mir, würde es wagen, nach der Abenddämmerung auch nur einen Schritt auf diesem Gange zu thun, ohne vollständige Begleitung und ohne eine hinreichend helle Vrleuchtlmg. Die Schloßleute von dem Kammerzöfchcn weiter aufwärts sprechen freilich von der ganzen Sache jetzt in hochveruünftigcm Tone wie von einem aberglaubigcn Volksmahrchen, das heißt, doch nur bei hellem Tage; denn um stockfinstere Mitternacht habe ich auf jenen verrufenen Gangen nicht mit ihnen von der weißen Dame gesprochen. Ich muß gestehen, daß ich weit davon entfernt bin, zu glauben, daß selbst die aufgeklärten Mitglieder der Herrscherfamilien von NeuhauS u. s. w. von Ub dem Glauben an die weiße Dame vollkommen frei sind, und ich möchte wohl meinen, daß sie nicht völlig gleichgültig dabei bleiben, wenn sie Plötzlich das vicl-züngige Gerücht vernehmen: „Lrickta 2' Ro2emliei-K.2 cda6i!" Auf Schloß Neuhauö sowohl wie auf Wittingau und Krummau befindet sich das lebensgroße Portrait der weißen Dame. Es ist wunderbar, daß alle drei Bildnisse sich vollkommen und bis auf's Härchen gleichen, weßhalb auch die drei Schlösser sich darum streiten, welches von ihnen das Original besitze. Dje Dame hat ein blasses, sehr leidendes Gesicht von einem fast halb» durchsichtigen Teint. Sie ist mager, aber doch schön und von einem äußerst milden und sanften Ausdrucke. Eine lange Locke ihres wallenden hellfarbigen Haares — die Dunkelheit des Korridors, auf dem das Gemälde an der nicht von den Fenstern beleuchteten Wand hing, verhinderte mich, deutlich zu erkennen, ob das Haar grau oder blond war, und ich wage diesi daher nicht zu entscheiden, es hatte aber einen etwas hellen Schimmer — eine lange Locke dieses HaarS fällt über die linke Schulter herab. Ebenso hangt ihr auf der Stirn eine Locke, aber eine ganz kleine und zierliche, ein solches kleines Löckchen, wie cS auch oft noch dem ordnenden Kamme unserer jungen Damen — zufällig oder absichtlich — entfallt und dann reizend nachlassig, gleichsam der Sclaverei der übrigen straff angezogenen und gebundenen Haare entschlüpfend, auf der schönen Stirne frank und frei, in seinem elge< 316 ncn Kreise sich krümmend schwebt — acrockeg 5ivi", im Norden aber ,,8ukk,<: Xrlllnwstvvi" nnd iill Westen „Vanarsks; Xrlllow»-t^i"^). Für den Etockböhmen im Inneren sind diese Granzlander gerade so fabelhaft, wie ihre Namen klingen, für den Deutschen aber verliert sich der Zauber, wenn er erfahrt, daß jene Worte der Reihe nach weiter nichts bedeuten alö: Markgrafschaft Mähren — Graf- *) Ich schrieb oben lmacfähr so, wie man spricht, sonst schreiben sich auf ächt Böhmisch jene Namen so: IVInrlckradktwH 8-. Kohl, I. G., die deutsch-russischen Ostsecpro^ii^cn oder Na tur- und Völkerlrbe» ln Kur-, Liv- und Esthland. M«t eiuer Karte der ONsecproviuzen, 2 Titelblättern und 6 an-dereu artistischen Beilagen in Kupferstich. 2Tl,le. 8. 1841. broch. 5z Thlr. Inhalt: I. Von Lübeck nach Libau. — H- Lil'au, -III. Das Innere Kurlands. — I V. Von Zierau nach Dodangen, ^ V. Mitau. — VI.Von Mitau nach Riga, — VIl. Riga - VIII. Die Insel Runo«. — IX. Von Riga bis Dorpat, ^ X. Die Universitätsstadt Dorpat. — XI. Benachbarte Städte. Pernau. Hapsal. Rewnl. — XII. Von Dorpat bis ^tarwa. — Xlll.Narwa. — XIV. Von Nanva bis Petersburg. — XV. Baltische Natnransichten. — XVI. Die baltische Ceres. — XVII, Elemente der Bevölkerung, — XVIlI. Die Letten. >) ?lbstammung. 2) Wohnsitze. ,^) Mythologies. 4) Nationalcharakter. 5>> Verbreitungszonen nordischer Sitten. s)Spruchwörter, 17) Von der Poesie und dem Gesänge der Letten. ». Inhalt der Lieder, d. Form der Lieder. «. Gntstehungsweise und Vortrag. 1«) Musik und Tanz. — XIX. Die EstlM. 1) Slainmverwandlschaft, 2) Wohnsitze, 3) Nationalcharakter. 4) Lebensweise. Wohnung, Kleidung. 5) Sprache. 0) Poesie. 7) Sitten und Gebräuche. 8) Aberglaube, yj Acker - und Gartenbau, Bienen- und Viehzucht. — XX. Alte Leibeigenschaft und neue Freiheit der Letten und Esthen. — XXI. Deutschthum und Russenthum. l) Die deutschen und russische» Institutionen. 2) Das Lulherthum und die griechisch-russische Kirche. 3) Die deutsche und russische Sprache. — XXII. Die deutsche Mundart in Kur-, L!v- und Esthland. — XXIII.Dl« Alterthümer der Ostseeprovinzen. — XXIV. Blick auf das Deutschlhum in Finnland. — Anbeutungen ;u den artistischen Beilag««. Kohl, I. (y., Petersburg ln Bildern und SllMn. Mit einem Grundriß von Petersburg »nb zwei litho^raphirttn litcl^ blättern. 2 Thle. qr. 8. I«4U br»ch. 4z Thlr. Inhalt: I. Panorama. — II. Bauart. — III. Dle Newa. — IV. Straßenleben. — V. Die Iswofchtschlls. — VI. Der Winter. - VII. Marktplätze. — Vlll. Das schwarze Volk. — IX. Die Kirchen. — X. Die Begräbnisse «nd Kirchen. — XI. Die Monumente. — XII. Die Arsenale. — XIII. Die Kaiserpaläste. — XI V. Die Eremitage. — XV. Die Gammlungen. — XVI. Die Krankenhäuser. — XVlI. Das Irrenhaus. — XVIII. Das Findelhaus. — XIX. Die Börse. — XX. Die Theeliden, — XXI. Industrie. - XXII. Tafel und Küche. — XXIIl. Pädagogisches. — XXIV. Die Dienerschaft. — XXV. Die Nuttenvocw. - XXVI, Die großen Fasten. — XXVII. Das Osterfest. — XXVIII. Die Deutschen. — XXIX. Dle Treibhäuser. — XXX. Die Gärte,/ und Datschen, — XXXI. Kronstadt. - XXXII. Miscellen. Notizen, Zugaben und Nachtrage. — XXXIII. Petersburg und die Pro-V!,,,,. — Zu den Titelblättern.