68___PETER GSTETTNER Der Ortstafelsturm vor 30 Jahren - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung Eine Analyse der Mikropolitik rund um das Jahr 1972 in Kärnten Im Herbst 1972 erschütterte der "Ortstafelsturm" die politische Landschaft in Kärnten und beschäftigte nachhaltig das österreichische Parlament. Anlaß war ein Gesetz über die topographischen Aufschriften, das die Bundesregierung in Wien mit Stimmenmehrheit der Sozialdemokratischen Partei erlassen hatte. In Kärnten ging ein Teil der radikalisierten deutsch nationalen "Heimatschützer' auf die Straße, um die aufgestellten zweisprachigen Ortstafeln abzumontieren und zu entfernen. Ein Großaufgebot von Gendarmerie konnte gerade noch verhindern, dass es zu größeren Ausschreitungen und Gewalttaten kam. Der "Terror der Straße" endete erst, als die Regierung bereit war, auf die Neuaufstellung der Ortstafeln zu verzichten und eine Novellierung des Gesetzes vorzunehmen. Dieser ''Sieg in deutscher Nacht" war für die slowenische Volksgruppe in Kärnten ein neuerliches Trauma, das 30 Jahre lang nicht aufgearbeitet wurde. Deshalb wird hier erstmals der Versuch gemacht. durch eine konkrete Analyse zu zeigen, wie durch den organisierten Terror auf der Straße die Regierung unter Druck kam, eine Beschädigung der Demokratie hin zu nehmen und die Minderheitenrechte weiter einzuschränken. Dies erklärt, weshalb in Kärnten minderheitenfeindliche Politik bis heute Konjunktur hat und der Österreichische Staatsvertrag von 1955 immer noch nicht voll erfüllt ist. Stichwörter: Kärnten, zweisprachige Aufschriften, Minderheitenschutz Napad na krajevne table pred 30 leti - gibanje proti zakonitosti in reuu. Analiza mikropoli-t!ke na Koroškem okoli leta 1972 Vjeseni 1972je politično podobo Koroške pretreslo podiranje dvojezičnih krajevnih tabel s čimer seje posledično ukvarjal tudi avstrijski parlament: povod je bil Zakon o dvojezičnih krajevnih napisih, ki ga je avstrijski parlament sprejel samo z glasovi socialističnih poslancev. Na Koroškem je Šel del najbolj radikalnih *varuhov domovine<• na ceste, da bi odstranili že postavljene dvojezične krajevne table. Samo posredovanja policije je komaj preprečilo, da ni prišlo do večjih izgredov in nasilja. »Teror na cestah*■ se je končal šele, ko se je bila vlada pripravljena odpovedati nadaljnjemu postavljanju dvojezičnih krajevnih tabel in pripraviti novelizacijo zakona. Ta «zmaga v nemški noči* je za slovensko narodno manjšino na Koroškem pomenila travmo, ki po tridesetih letih še vedno traja. V prispevku je prvič narejen poskus s konkretno analizo pokazati, kako se z organiziranim terorjem na ulici lahko pritiska na vlado, škoduje demokraciji in dodatno zožujejo manjšinske pravice. Slednje pojasnjuje tudi zakaj na Koroškem manjšini sovražna politika uspeva vse do danes in zakaj avstrijska državna pogodba še ni izpolnjena. Ključne besede: Koroška, dvojezični napisi, manjšinska zaščita 69 VORREDE: "ORTSTAFELPOGROM" Vom "Ortstafelproogrom" spricht, hat Assoziationen zur Reichspogromnacht vom 9- November 1938, als SA-Sturmtruppen jüdische Einrichtungen gewaltsam zerstörten und jüdische Menschen mißhandelten, willkürlich verhafteten und in Gestapo-Gefängnisse und Konzentrationslager verschleppten. Der gängige Ausdruck "Kristallnacht", eine Anspielung auf die Glasscherben, die in der Nacht vom 9- auf den 10. November 1938 überall in Deutschland und Österreich auf den Gehsteigen lagen, ist heute, nach einhelliger Meinung der Historiker, eine verharmlosende Irreführung des öffentlichen Bewußtseins. Es war nicht das zerbrochene Glas, das später betrauert werden mußte, es war der Zivilisationsbruch, der Bruch mit den elementarsten Menschenrechten, das NS-Regime endgültig außerhalb der zivilisierten Gesellschaft stellte. Ähnlich wie Martin Fritzl1 hatte auch ich beim Studium der Vorgänge rund um den Ortstafelsturm den Eindruck von pogromartigen Zuständen, vor allem durch die nachträgliche Beschwörung der "Spontaneität" des Ortstafelsturmes und des angeblich vorhandenen "Volkszornes". Dann war da das Bestreben, das Problem der topographischen Aufschriften durch den Druck der Straße quasi "von unten" her aufzurollen und damit die Behörden unter Zugzwang zu setzen. Unter dem inszenierten "Aufbäumen der breiten Volksmasse" konnten sich dann die Spitzen von Partei und Politik als scheinbar unbeteiligte und versöhnliche "Friedensvermittler" betätigen. Schon vor den Ausschreitungen gab es dunkle Ankündigungen und "Prognosen", was geschehen würde, wenn ... Es waren auch die spätere Schönfärberei und die mediale Schönrederei, die mir als Reaktionen der Täter-Gesellschaft bekannt vorkamen. Schließlich wurden auch Exekutive und Sicherheitsorgane angewiesen, den Demonstranten nicht in offener Konfrontation entgegen zu treten, sondern sie gewähren zu lassen. Die Anzeigen, so es welche gab, gegen die Täter wurden alle zurückgezogen, Angeklagte freigesprochen, Verfahren eingestellt. Alle diese gesellschaftlichen Reaktionsweisen sind von den Novemberpogromen 1938 her bekannt und gut untersucht. Daß sie sich 1972 auf struktureller Ebene wiederholten, war eine beklemmende Entdeckung. Wer heute den Ortstafelsturm als spontanen Volksaufstand und als "Scherbengericht für die sozialistische Politik der 70er Jahre" verharmlost, tut im Grunde nichts anderes, als ein Legitimationsmuster zu bemühen, mit dem schon die Nazis ihren aggressiven Antisemitismus zu begründen versuchten. -k -k -k 1 Martin Fritzl: Der Kärntner Heimatdienst. Ideologie, Ziele und Strategien einer nationalistischen Organisation. Klagenfurt/Celovec 1990. 1 70 Peler Gsleliner Der Ortslofelslurm vor 30 Inhren - eine Bewegung gegen Geselz und Ordnung Die Wortschöpfung "Orcstafelpogrom" kommt also nicht zufällig zustande, mögen auch zeitgeschichtliche Assoziation dieser Art als "historisch unseriös" gelten; dennoch: die Geschichte lehrt uns, das Augenmerk verstärkt auf den "Vorkrieg" zu lenken; im Pogrom hat sich schon oft genug ein späterer Krieg angekündigt. Der alte, bitter-böse Text eines jüdischen Liedes verweist auf die existenziell-vernichtende Dimension aller Pogrome: Stürmet, stürmet, böse Winde, jetzt ist eure Zeit, lang wird dieser Winter dauern, der Sommer ist noch weil. Reißt die Läden von den Fenstern, Scheiben brecht heraus, brennt ein Licht noch wo im Dunkeln, löscht mit Zorn es aus. Jagt die Vögel aus den Wäldern, weit vertreibt sie fort, denn die nicht mehr fliehen können, bleiben tot am Ort. 2 DER KÄRNTNER ORTSTAFELSTURM IM RÜCKBLICK Im Jahre 1988 erschien mein Buch "Zwanghaft Deutsch?", das in Kärnten große Erregung hervorrief.3 Der Zeitpunkt des Erscheinens fiel in die Endphase der 4 Jahre dauernden Diskussion um das Minderheitenschul-Trennungsmodell, mit dem die drei Kärntner Parteien die Minderheitenschule "reformieren" wollten. Die Hauptintention dieser "Reform", die auf gemeinsame Aktionen von FPÖ und KHD ("Kärntner Heimatdienst") fußte, war, den gemeinsamen Unterricht von deutsch- und slowenischsprachigen Kindern in der Volksschule aufzulösen. Es sollte ein nach ethnopolitischen und sprachlichen Kriterien getrennter Unterricht stattfinden: "Deutsche Lehrer für deutsche Kinder und slowenische Lehrer für slowenische Kinder", hieß einer der KHD-Slogans. In meinem Buch sind die pädagogischen Argumente und öffentlichen Aktionen (wie Interviews, Flugblatttexte, Reden bei Demonstrationen usw.) versammelt, die ich im Laufe 2 Zilien nach Valentin Senger: Der 9- November 1938, in: Micha Urumlik und Petra K.unik (Hg.): ReichspogromnachL Vergangenheitsbewältigung aus jüdische Sicht. Frankfurt/M. 1988, S. 33- 3 Peter Gstettner: Zwanghaft Deutsch? Über falschen Abwehrkampf und verkehrten Heimatdienst. KJagenfurt/Celovec 1988, 1. und 2. Aufl. [?ri7prave in grodivo, [jubljono. 2002. st. 41 71 von 4 Jahren, also von 1984 bis 1988 gegen das Trennungsmodell vorbrachte -immerhin mit dem Erfolg, daß die Trennung vier Jahre lang aufgehalten wurde und daß sich die Kärntner Regierung mit einer öffentlichen Diskussion konfrontiert sah, die sie in dieser Form noch nie erlebt hatte.4 Im Sommer 1988 konnte dann das Gesetz im Parlament verabschiedet werden, weil die drei Parteien den Grün-alternativen Minderheitensprecher, den Kärntner Slowenen und damaligen Nationalrat Karel Smolle, so lange bearbeitet und mit Versprechungen gefügig gemacht hatten, bis er schließlich dem Gesetzesantrag zustimmte. Der "Neue Dialog", auf den die Führung der Kärntner Slowenen jetzt so stolz war, eröffnete die weiche Flanke der Volksgruppe für neue und immer unverblümtere Etpressungsversuche durch FPÖ und KHD. Ab jetzt hatten die Deutschnationalen ein leichtes Spiel. Die Kärntner Slowenen waren nun für FPÖ und KHD keine Ernst zu nehmenden Gegner mehr; aber auch keine echten "Partner"; Landeshauptmann Jörg Haider sagte es ihnen gerade erst kürzlich wieder: Was er jetzt erwarte, sei zunächst einmal "Dankbarkeit"; ja, bevor es weitere "Geschenke" an die slowenische Volksgruppe gäbe, z. B. neue zweisprachige Ortstafeln, sollte es ein "Danke" geben (so Landeshauptmann Jörg Haider bei den 10. Oktober-Feiern des Jahres 2002). Als Begründung für seine Erwartungshaltung meinte Haider: Die Regierung in Kärnten hätte zu jeder Zeit die Verpflichtung, die kultureile und sprachliche Identität der Kärntner Slowenen zu wahren, eingelöst - und das seit 1920; dafür sei nicht die Zahl der zweisprachigen Ortstafeln relevant, sondern die allgemeine Situation der Volksgruppe, die heute so gut sei wie noch nie.5 In meinem Buch wird die Situation der slowenischen Volksgruppe in Kärnten nicht rosig dargestellt. Während sich der dramatische zahlenmäßige Rückgang der Kärntner Slowenen in der 2. Republik von Volkszählung zu Volkszählung durch eine abfallende Verlaufskurve darstellen läßt, gab es immer wieder Ereignisse, die als einschneidende Zäsuren schockartig wirkten. Der Ortstafelsturm von 1972 war zweifelsfrei so ein traumatisches Ereignis. * * * ^ Die ethnische bzw. sprachliche Trennung der Schülerinnen im zweisprachigen Gebiet ist eigentlich schon ein "altes" Anliegen von FPÖ und deutschnationalen Organisationen. Gleich nach Abschluß des Staatsverrrages kam der gemeinsame Unterricht ins Visier der Kärntner "Abwehrkämpfer". Mit dem Teilerfolg von 1958/1959, als das Abmelde- bzw. Anmeldeprinzip eingeführt und die obligatorische zweisprachige Schule zerschlagen wurde, wollte man sich nicht zufrieden geben. Solange Restbestände des gemeinsamen Unterrichts als "Provisorien" bestanden und sogar gut gediehen (d. h. die Anmeldungen zum Slowenischunterricht nahmen in den vergangenen Jahren kontinuierlich zu), blieb dieser Stachel im Fleisch der Deutschnationalen. 5 Peter Gstettner: Kärntner Minderheitenpolitik als Mittel zum Zweck. Wie Haider seinen "Freistaat" errichtet und damit die Republik beschädigt. In: Razprave in gradivo. Treatises and Documenta, Ljubljana Vol. 38/39, 2001/2002, S. 118-129; gekürzt: Kärntner Minderheitenpolitik. Das Mittel zum Zweck. In: Volksstimme, 10.1.2002, S. 12-13; auch in: Slovenski vestnik. 4.1.2002, S. 3-4. 72_Peler Gstettner: Der Orlslofelslurm vor 30 jähren - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung Während mein Buch insgesamt von den drei Parteien sofort nach dem Erscheinen zum politischen Skandal hoch stilisiert wurde, nutzte der KHD die aufgeheizte Stimmung um gerichtliche Schritte gegen mich einzuleiten. Der Obmann des KHD, Dr. Josef Feldner, brachte im März 1988 einen Strafantrag gegen den Autor und gegen den Verlag wegen des Vergehens der üblen Nachrede ein. Im Kern ging es dem KHD um zwei Aussagen: Auf Seite 47 steht: Daß in Kärnten der "schleichende Faschismus wieder hoffähig geworden ist, ist das zweifelhafte Verdienst jener deutschnationalen und neonazistischen Kräße, die im KHD organisiert sind"... Und auf Seite 55: "1972: Der 'Ortstafelsturm wird organisiert (mit maßgeblicher Unterstützung des KHD)..." 6 Die erste Passage enthielt also die Einschätzung, daß "neonazistische Kräfte" beim KHD mit im Spiele sind. Die zweite Passage wurde geklagt, weil - offenbar auch nach Ansicht des KHD-Obmannes - beim Ortstafelsturm ein ungesetzliches Handeln vorlag bzw. durch den Ortstafelsturm strafrechtlich relevante Tatbestände gesetzt wurden. Im Verlauf der Recherchen zum Prozeß wurde mir bald folgendes klar: Erstens: - Es gibt in der Bevölkerung ein breites und zum Teil detailliertes Wissen über den Ortstafelsturm. Es ist ein "Untergrundwissen". Man redet über dieses Wissen jedoch nicht in der Öffentlichkeit. Es stellte sich auch heraus, daß selbst diejenigen Personen, die bereit waren, mir "Geschichten von damals" zu erzählten, ihr Wissen niemals öffentlich Preis geben würden. Noch viele Jahre nach dem Ortstafelsturm war der soziale Druck, dem die gesprächsbereiten Zeitgenossen ausgesetzt waren (und immer noch sind), ganz deutlich spürbar. Ein Gesprächspartner, der am Ortstafelsnirm aktiv teilgenommen hatte, gab nach 20 Jahren (also 1992) der Zeitschrift "profil" ein Interview; in diesem Interview hatte er sich als "Bekehrter" geoutet, als "reuiger Sünder", der sich seiner damaligen Schandtaten schämte. Später versicherte er, er werde nie mehr ein Interview geben, weil er nach der Veröffentlichung des '£>ro/z'/"-Interviews im Dorf als "Verräter" bezeichnet wurde; es wurde gesagt, seine Interviewaussagen seien die reinste "Frechheit" und zudem ein völliger "Schwachsinn"; er mußte den Vorwurf hören: "Wie konn ma denn seine eignen Freind so verrotn"!?7 -* ■* * 6 Vgl. Gstettner, Zwanghafi Deutsch? s. 45 ff. 1 Ton band abschrifi, Archiv d. Verf. i?n7prave in grodjvo. Ljubljona, 2002, st. 41 73 ZWEITENS: - Was in dem Buch "Zwanghaft Deutsch?" über den KHD und den Ortstafelsturm geschrieben steht, deckte sich also weitgehend mit dem Wissen, das in der Bevölkerung kursiert, das jedoch nicht öffentlich wird. Ich bekam viele bestätigende Hinweise, unter vier Augen; Leute gratulierten mir und sagten, "machen Sie bitte bloß weiter so", und ließen gleichzeitig erkennen, daß diese inhaltliche Übereinstimmung eine Geste der persönlichen "moralischen Unterstützung" sei; sie schätzten mein öffentliches Auftreten gegen den KHD, sie selbst hätten aber gerade andere Sorgen oder müßten gewisse Rücksichten nehmen und könnten deshalb ihr Wissen nicht öffentlich machen - und schon gar nicht vor Gericht. Sie müßten ja weiter Tür an Tür mit ehemaligen Ortstafelstürmern leben - und oft genug auch mit "Stürmern" in der eigenen Verwandtschaft. Drittens: - Seit 1972 ist der KHD schon x-mal wegen der Anschuldigung, den Ortstafelsturm organisiert zu haben, vor Gericht gegangen; das wußte ich allerdings 1988 noch nicht. Alle Verfahren verliefen im Sand oder endeten mit einem Vergleich. In keinem Fall, von dem ich Kenntnis bekam, wurde der Wahrheitsbeweis auf der materiellen Ebene geführt. Mit anderen Worten: Noch niemand hatte vor mir die Vorgänge rund um den Ortstafelsturm empirisch erforscht. Ein Beispiel: Thomas Pluch, dem wir das Buch, und dem Regisseur Fritz Lehner, dem wir den Film "Das Dorf an der Grenze" verdanken, haben in einschlägigen Passagen und Szenen (im 3- Teil des Films, Ausstrahlung im Sommer 1983) den KHD eindeutig mit dem Ortstafelsturm in Zusammenhang gebracht. Pluch legte in einem Artikel in dem SPÖ Organ "Zukunft" (1983) noch an Deutlichkeit nach, als er schrieb, daß der "rechtsradikale Heimatdienst (...) alleiniger Verantwortlicher für die chauvinistischen Ausschreitungen im Jahre 1972 gegen zweisprachige Ortstafeln und gegen Bundeskanzler Kreisky" sei.8 Der KHD klagte bei der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes. Im Verfahren wurden vom Beklagten ORF bzw. Pluch/Lehner keine materiellen Wahrheitsbeweise für diese Behauptung erbracht; es wurde aber folgender "Kompromiß" ausgehandelt: Da das Werk ("Das Dorf an der Grenze") keine historische Dokumentation sei sondern ein "Dokumentarspiel", komme, ähnlich * * * 8 Thomas Pluch: "Unter-vier-Au gen "-Sozialismus. Zum Kärntner SP-Sturm auf das "Dorf an der Grenze". In-, Zukunft, Juli/August 1983; abgedruckt in: Borur Sommeregger; Kärnten: Ein Dorf an der Grenze? KIagenfurt/Celovec 1983, S. 3/4. 74 Peler Gstettner: Der Orlslofelslurm vor 30 jähren - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung wie für die Gattung "Roman", in der Darstellung die "künstlerische Freiheit" zur Geltung, die ihrerseits den Szenen erlaubt, daß sie nicht exakt den historischen Abläufen entsprechen müsse. Der KHD zog daraufhin seine Klage zurück bzw. stimmte dem Angebot zu, daß vom ORF noch im selben Herbst eine Club 2 Diskussion zum Film veranstaltet würde, bei der der "Kärntner Standpunkt zum Slowenenproblem", vertreten durch den KHD-Obmann Feldner, breiten Raum einnehmen sollte.9 Bis heute hat sich an dem Zustand der defizitären wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Ortstafelsturm bzw. der Rolle des KHD nicht viel geändert, d. h. auch nach 30 Jahren verfügen wir über keine zeitgeschichtlichen Forschungen, die den Ortstafelsrurm zum Thema gemacht hätten. Immerhin gibt es wenigstens eine wissenschaftliche Arbeit zur Geschichte, Struktur und Arbeitsweise des KHD, nämlich das Buch von Martin Fritzl, "Der Kärntner Heimatdienst" (Klagenfurt/Celovec 1990), in dem es auch ein Kapitel über den Ortstafelsturm gibt. Was dort geschrieben steht, einschließlich der Namen und Organisationen, die mit dem Ortstafelsturm in Zusammenhang gebracht werden, deckt sich mit unserem Beweismaterial (bzw. stammt aus diesem); die Aussagen in dem Fritzl-Buch wurden vom KHD nicht geklagt. Das Forschungsdefizit steht in einem krassen Widerspruch zu dem Ereignis, das in seiner Bedeutung für die 2. Republik einmalig war und ist: Ein Bundesgesetz konnte nicht vollzogen werden, weil ein aufgehetzter Pöbel, eine kleine Minderheit militanter und intoleranter Chauvinisten, strafbare Handlungen gegen die Exekutive setzte, und weil schließlich durch den politischen Druck der Straße die Regierung ein Gesetz zurück nehmen mußte und damit genötigt war, die Rechte der Minderheit zu minimieren. Daß dadurch die Autorität der legitimierten Staatsorgane beschädigt und die Minderheit selbst zutiefst gedemütigt wurde, ist bis heute nicht wirklich bearbeitet; es handelt sich -der NS-Zeit ähnlich - um eine "unbewältigte Vergangenheit".10 Das Trauma "Ortstafelsturm" wurde nie aufgearbeitet. Insofern nimmt es nicht Wunder, wenn diese Vergangenheit Kärnten heute wieder eingeholt hat: Die * * -* 9 Vgl, Stellungnahme des ORT zur KHD-Klage; abgedruckt in Sommeregger, Kärnten, S. 155 ff. Es verwunden nicht, daß der Ortstafelsrurm, im Vergleich zu anderen konflikthaften Ereignissen, "wegen seiner symbolischen Bedeutung und der starken emotionalen Komponenten" der Bevölkerung im Gedächtnis geblieben ist (Wilhelm Filla u.a.: Am Rande Österreichs. Ein Beitrag zur Soziologie der österreichischen Volksgruppen. Wien 1982. S. 82). Hmsprechend stark sind auch die unbewußten Abwehr- und Deurungsieaktionen. In rechtsexirennen Kreisen reichen sie bis zur Aussage, der Ortsiafelstunu sei ein "Akt der Notwehr", ein 'Aufschrei" der südkärntner Bevölkernng gewesen, so Franz SLOurac in seiner vervielfältigten Broschüre: Dr. Gstettner gegen das Oremrechi! Eine Antwort auf Dr. Gstettners Zwanghaft Deutsch? Klagenfurt/Celovec (ohne Jahr). in qrodivo. Liubljono. 2002, sl. 41 75 Demontage der Hinweisschilder "Ljubljana" und "Udine" an der Autobahn bei Villach, die Weigerungen des Kärntner Landeshauptmannes Haider, das VGH-Urteil über die topographischen Aufschriften zu vollziehen (d. h. weitere zweisprachige Ortstafeln aufzustellen), seine Schmähungen des obersten Gerichts und seine Drohungen in Richtung slowenische Volksgruppe, sind nichts anderes als die Wiederkehr eines Habitus, der für absolutistische Machthaber typisch ist, die über "ihr" Volk so regieren, daß sie die willfährigen Untertanen belohnen, die Freunde begünstigen und die Widerspenstigen bestrafen. Schon an dieser Stelle läßt sich sagen: Der Ortstafelsturm war ein für die 2. Republik einmaliger Vorgang der Demütigung der Volksgruppe und der Mißachtung staatlicher Autorität. DER MYTHOS VOM ORTSTAFELSTURM ALS SPONTANE VOLKSERHEBUNG Der beliebteste und eingängigste Mythos ist der von der spontanen Volkserhebung,- wenn sich der aufgestaute Unmut, der "berechtigte Zorn des Volkes" seine Bahn bricht, dann sind die formalen Regeln der Demokratie ebenso außer Kraft gesetzt wie die bürgerliche Vernunft; das lehrte uns schon die Massenpsychologie vor 100 Jahren. Als spontane Volkserhebung sollte auch der Ortstafelsturm eingeordnet und der Nachwelt überliefert werden. Die spontane Volkserhebung, so der ehemalige Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Heinz Stritzl, soll eine Folge der verfehlten sozialistischen Politik gewesen sein; d. h. bekämpft wurde im Grund eine "sozialistische Politik", die in Wien ein angeblich schlechtes Gesetz gegen Kärnten gemacht hat, eine Politik, die auf die warnenden Stimmen von ÖVP und FPÖ im Parlament nicht geachtet hat, eine Politik, die das Kärntner Mehrheitsvolk nicht informiert hat und die ausgerechnet um den 10. Oktober 1972 in Kärnten zweisprachige Ortstafeln aufstellen ließ. Dies soll ein Ausdruck "krasser Fehleinschätzung der Stimmung in Kärnten" durch die führende SPÖ gewesen sein, so die Deutung von Heinz Stritzl 20 Jahre nach dem Ortstafelsturm ("Keine Zeitung", 6. 10. 1992). Es sei deshalb durchaus verständlich, so Stritzl weiter, daß das "latente Unbehagen" der Deutschkärntner zu "emotionsgeladenen Reaktionen" führen mußte und daß die "aufgewühlten Gefühle" schließlich eskalierten und Ortstafeln niedergerissen wurden. Daß der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky im Oktober 1972 in Klagenfurt beschimpft, bedroht und attackiert wurde, sei ebenfalls Schuld der SPÖ (Stritzl: "Hunderte SP-Funktionäre waren nicht in der Lage oder wollten nicht ihrem Vorsitzenden Schutz gewähren. Die Polizeikräfte waren zu schwach dazu."). Es sei auch Kreiskys eigene Schuld gewesen, daß er beim Verlassen der Klagenfurter 76 Peler Gstettner: Der Orlslofelslurm vor 30 jähren - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung Arbeiterkammer durch die aufgebrachte Menge attackiert wurde, weil er es abgelehnt hätte, "das Haus durch eine Hintertür zu verlassen, um Demonstranten zu entgehen".11 Die "Kärntner Nachrichten" (FPÖ - Organ) empörten sich 20 Jahre nach dem Ortstafelsturm immer noch über "sattsam bekannte linke Journalisten", die vom "deutschnationalen Mob" geschrieben haben, der die Straßen beherrscht hätte; dabei waren es doch, "die heimattreuen Kärntner; die sich einem verfassungswidrigen Diktat Wiens widersetzt" hätten.12 Der spätere Landeshauptmann Wagner, der eigentlich der Profiteur davon war, daß LH Sima über den Ortstafelsturm gestolpert ist (Sima wurde 1973 als Landesparteiobmann durch Wagner abgelöst und 1974 als LH durch Wagner ersetzt), interpretierte 1989, also 17 Jahre später den Ortstafelsturm wie folgt (in einem Interview im "Falter")13: WAGNER: "Ich glaube, daß es zum Teil eine spontane Publikumserhebung war. (...) Es ist durchaus das legale Recht der Bevölkerung, gegen irgendetwas, das sie als Zwangsmaßnahme ansieht zu demonstrieren. (...) Es Ist dem Volk gestattet, sich gegen etwas aufzulehnen. Und das hat das Volk gemacht" Der Interviewer (Wolfgang KOCH): Nein, eine radikalisierte Truppe von Deutschnationalen hat der slowenischen Bevölkerung ihre staatsvertraglich zugesicherten Rechte mit kriminellen Aktionen vorenthalten. WAGNER : "Das sagt man so im allgemeinen, aber das ist nicht meine Meinung. Hier Ist das Volk aufgestanden." Auch der KHD-Obmann Josef Feldner will 20 Jahre nach dem Ortstafelsturm seine Organisation als Friedensbewegung eingestuft haben. In einer KHD-Aussendung, die in der Kleinen Zeitung abgedruckt wurde, betont Feldner, daß der KHD (bzw. konkret: die KHD-Großkundgebung am Alten Platz am 15. Oktober 1972 in Klagenfurt/Celovec, an der ca. 15.000 Menschen teilgenommen haben) vor allem eines erreicht habe: Es sei dem KHD gelungen, "den breiten Protest gegen die verfassungswidrige und auf völlig unzulänglichen Grundlagen beruhende Ortstafelregelung in demokratische Bahnen zu lenken" (zit. nach "Kleine Zeitung", 9-10.1992). 1992 bekam übrigens der Heimatdienst-Obmann Dr. Josef Feldner das "Große Ehrenzeichen des Landes Kärnten" verliehen (von ÖVP LH Christof Zernatto, der tatsächlich meinte, die Geehrten hätten "den guten Ruf Kärntens mitgeprägt." Und Zernatto weiter: "Ich kann mich nicht erinnern, daß ■* ■* * 11 Zitate aus: Heinz Striizl: Spuren in Kärnten. 40 Jahre Kleine ZeiiungTag für Tag. KJagenfurt 1994, S. 145 ff. 12 So die Kärntner FPÖ-Zeirung, "Kärntner Nachrichten" Nr. 43a, Oktober 1992. •3 Taller" Nr.30/19S9, Seile 6. Pn7prove in grodivo. Ijubliano. 2002. sl. 41 77 unter den Geehrten Rechtsradikale oder Deutschnationale gewesen wären." (Zit. nach "Tango", 11.2.1992) Interessant ist, daß auch die Kleine Zeitung irgend etwas zu diesem "guten Ruf beitragen wollte: 20 Jahre nach dem Ortstafelsturm veröffentlichte sie die Fotos vom Ortstafelsturm bei Sl Kanzian/Skocijan, die damals in allen Medien publiziert wurden, jetzt aber erstmals mit "schwarzen Balken" vor den Augen, um die Anonymität der Täter zu wahren.14 Der Ortstafelsturm als demokratische Protestbewegung, das ist ein weiterer Mythos, an dem die Kärntner Politik heute wie damals höchst interessiert ist. Ein mit parlamentarischer Mehrheit verabschiedetes Gesetz wird zum "Diktat aus Wien" uminterpretiert; so wurde nämlich vom Kärntner Heimatdienst das Gesetz bezeichnet, das mit voller demokratischer Legitimation im österreichischen Parlament verabschiedet wurde (allerdings eben "nur" mit SPÖ-Stimmen-mehrheit). Die Auflehnung gegen "das Diktat von Wien" erschien dem Volk besonders dann plausibel und legitim, wenn beim Protest die heimischen Politiker mit von der Partie waren und vorzeigten, wie's gemacht wird - das "Erheben des Volkes" bzw. das Ausheben der Ortstafeln. Ein ehemaliger Ortstafelstürmer (O) im Interview mit einer Studentin (I): O: Eines stimmt sicher, durch das Mittun des Bürgermeisters war die Aktion bzw. die Aktionen schon nicht mehr so illegal für uns. Es kann auch sein, daß viele aus Solidarität mitgetan haben; aber ich glaube eher, daß alle, die dabei waren, sehr für die Sache waren... I: Für welche Sache? O: Na ja, die Tafeln zu stürmen, Kärnten zu retten... I: ...retten wovor? O: Sie wissen schon, was ich meine, uns nicht verkaufen zu lassen Nicht gegen unseren Willen zwangsbeglückt zu werden.15 Ein anderer ehemaliger Ortstafelstürmer, der inzwischen in der Heimatgemeinde ein politisches Spitzenamt bekleidet, im Rückblick nach 30 Jahren: "Ich war damals ein begeisterter Anhänger des Kärntner Heimatdienstes. Der KHD hat den Hass geschürt. Uns wurde eingetrichtert, daß Jugoslawien Ansprüche an unser Land stellt, die Grenze nicht anerkennt. Uns Junge haben sie * * * Vgl. "KJeine Zeitung" um 6.10.1992S S. 6/7: "Onstafelsturm: Jubilrium, das nicht zu feiern ist" von Heinz Siritz). Tonbandabschrift, Archiv des Verf. 78_Peter Gsteltner; Der Qrtsiofelslurm vor 30 lohrcn - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung dann vorgeschickt. "(Zit. nach "Kärntner Monat", Oktober 2002, S. 33) Ob dieser junge Mann, der damals 15 Jahre alt war, wirklich 'Vorgeschickt" wurde, darf bezweifelt werden. Er selbst schildert sein Mittun so: "An einem Herbstlag 1972 war ich mit einem Arbeitskollegen auf dem Heimweg nach St. Primus. Vor dem. Gasthaus war eine Menschenmenge. Es hieß: Heute gibt 's den Ortstafelsturm. Wir sind gleich mitgefahren. Eine Nacht lang waren wir unterwegs, mit 60 bis 70 Autos, von Tafel zu Tafel Wir haben sie in den Klopeinersee geworfen. Die Ortstafel von Obersammelsdorf habe ich selbst herausgerissen." (Zit. nach "Kärntner Monat", Oktober 2002, S. 32) Zum Mythos von der spontanen, friedlichen Protestbewegung, zu der der Ortstafelsturm umgedeutet wurde (sei es aus schlechtem Gewissen oder aus vordergründigen politischen Motiven), gehört auch das Image der Gewaltlosigkeit. Nochmals Heinz Stritzl von der damaligen Kärntner Chefredaktion der "Kleinen Zeitungjetzt schon fast beschwörend im Kampf um die "richtige" Erinnerung nach 20 Jahren: "Es muß aber mit dem gebotenen Nachdruck gesagt werden, daß Opfer der Gewalt ausschließlich Ortstafeln waren". ("Kleine Zeitung", 6. 10. 1992) Ganz ähnlich 1990 auch Andreas Mölzer, zeitweise Chefredakteur der "Kärntner Nachrichten" und persönlicher Berater von Jörg Haider : "Es kam dabei nirgends zu Ausschreitungen, geschweige denn zu Tätlichkeiten gegen die slowenische Bevölkerung. Von 'antislowenischen Exzessen\ wie es in ausländischen Medien danach hieß, kann deshalb keineswegs die Rede sein. Die vielen slowenischen Privataufschriften auf Gebäuden im Grenzland blieben dabei ebenso unbehelligt wie etwa slo wenische Grabsteine".16 Die Polizeiprotokolle der damaligen Zeit widerlegen die Chefredakteure Stritzl und Mölzer eindeutig. Die Gewalt richtete sich nicht nur gegen Ortstafeln: die Autoreifen des Wagens von Landeshauptmann Sima wurden aufgestochen, Partisanendenkmaler geschändet, Wegweiser und Fahrbahnen wurden mit Parolen wie "Tod dem Sima" beschmiert, dem Gendarmerieposten Kühnsdorf/ Sinca vas wurde von einem anonymen Anrufer gedroht, es würde ein Elektromasten gesprengt, "wenn noch einmal ein Abwehrkämpfer wegen Übermalung von Ortstafeln zur Anzeige gebracht werde" ("Kärntner Tageszeitung", 1.10.1972). Nach Zeitungsmeldungen gab es allein bei der Zusammenrottung von deutschnationalen Demonstranten am 25.9.1972 vor der Klagenfurter * * * Andreas Molzen Kilrntner Freiheit. Ein österreichischer Sonderfall. Wien/München 1990, S. 103. Daß die ' vielen slowenischen Privataufschriften" auf Häusern und Grabsteinen unbehelligt blieben, soll offenbarden Oriscafelstürmern als Verdienst angerechnet werden und ihre hehren politischen Absichten legitimieren helfen. ppj>prnvp in orgdivo, Ljubljona. 2002. st. 41 79 Arbeiterkammer als Bundeskanzler Bruno Kreisky versuchte, vom Ausgang aus sein Auto zu erreichen, sechs verletzte Polizisten. Kreisky erinnert sich zehn Jahre später "Die sind mit zerbrochenen Ortstafelschildem auf mich losgegangen. Reine Nazis. Tausende Leute. "17 Die antisemitischen Attacken gegen Kreisky - er wurde mit Ausdrücken wie "Judensau" und "Saujud, ich schneid dir die Gurgel durch" beschimpft bzw. bedroht'18 - wurden später von der Kärntner Presse schamhaft verschwiegen.19 Auch Kreiskys Einschätzung dieser Erlebnisse in Klagenfurt als "größte nazistische Demonstration nach dem Krieg", wurde in Kärnten weder geteilt noch mitgeteilt. In der Erinnerung von ehemaligen Aktivisten des Ortstafelsturmes sind Szenen präsent, wo ein "Blutvergießen" gerade noch vermieden werden konnte. Der oben zitierte vormalige Ortstafelstürmer: O: "Sie (die Exekutive) zeigte Verständnis und. es kam. zu keinen blutigen Auseinandersetzungen. (...) Ich muß hier den Sicherheitsdirektor Y sehr lobend erwähnen, der immer versucht hat, die Menge zu beruhigen; er hat es wirklich geschafft, das Schlimmste zu verhindern - den gewallvollen Zusammenstoß zwischen Menge und der Exekutive. Natürlich gab es auch Handgreiflichkeiten, auch ich erinnere mich, einen Beamten mit den Fäusten attackiert zu haben, aber das war nicht mehr als eine Rangelei Das Faß zum, Überlaufen gebracht hätte aber beinahe der damalige Gendarmerieoberst Z, der androhte, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, woraußtin sich die Stimmung verschärft hat und sogar Kommentare zu hören waren wie 'das nächste Mal nimm i a Pistoln mit'. Im großen und ganzen verhielt sich aber die Exekutive tolerant. Was meines Erachtens damit zusammenhängt, daß die auswärtigen Beamten sich auf nichts einlassen wollten. Die waren jung und eine blutige Konfrontation hätte sicher ihrer Laufbahn geschadet. Außerdem hauen die überhaupt keine Ahnung, worum es hier ging. '-0 * * * 17 Zit. im Bericht von Roben Buchacher im "profil", 13.6.1983. 18 Vgl. Robert Buchacher im "profil" am 13.6.1983; abgedruckt in Sommeregger, Kärnten, S. 133; vgl. auch Vida Obid, Mirko Messner, Andrej Leben. Haiders Exerzierfeld. Wien 2002, S. 137 f. 19 In der Literatur fand ich nur eine Stelle, an der explizit auf "Antisemitismus" Bezug genommen wird: "Unschwer war den Beschimpfungen und tätlichen Bedrohungen des Bundeskanzler? Bruno Kreisky und des Kärntner Landeshauptmannes Hans Sima zu entnehmen, dnli sich Antisemitismus und Anrisozialismus in durchwegs eindeutiger und undemokratischer Ausformung einmischten". (Mirko Bogataj: Die Kammer Slowenen. Klagenfuri/Celovec 1989, S. 138) 20 Tobandabschrift, Archiv d. Verf. 80 Peler Gstettner: Der Orlslofelslurm vor 30 jähren - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung Andere Aktivisten dramatisieren die Situation später in ähnlicher Weise: "Diese fremden Gendarmen werden jedoch von ihren Kärntner Kollegen sofort 'zur Ordnung'gerufen. Die Beamten sind in der Bevölkerung bestens integriert und in den betroffenen Ortschaften zu Hause. Sie kennen die Stimmung nur zu gut. Sie wissen, daß es bei eventuellen Zusammenstößen mit Verletzten zu einem Bürgerkrieg kommen könnte." 21 Die "fremden Gendarmen", von denen hier die Rede ist, mindestens 150 an der Zahl, wurden aus anderen Bundesländern abgezogen und zur Bewachung der Ortstafeln in Kärnten eingesetzt - nicht nur zur Verstärkung der Kollegen von der Kärntner Gendarmerie, sondern um "objektive Amtshandlungen" zu garantieren, weil zu befürchten war, daß die einheimischen Kollegen vielleicht doch eine zu große "Toleranz" gegenüber den Ortstafelstürmern aufbringen würden. Diese Befürchtung war nicht unbegründet, sind doch Szenen überliefert, in denen die Ortstafelstürmer die bewachenden Gendarmen ablenkten und austricksten oder sich ihnen mit der vertraulich-provozierenden Ansprache näherten: "Herr Inspektor, dürf ma Sie vielleicht ablösen?" (berichtet von Eugen Freund, "DerStandard, 28.9. 1992) Interessant ist auch, daß zu Beginn der Aktionen die Gendarmen in Zivil waren und sich in der Näher der Ortstafeln versteckt hielten, d. h. den Auftrag hatten, die Ortstafeln zu bewachen ohne sich selbst zu zeigen. Außerdem hatten sie den Auftrag (vom damaligen Innenminister Rösch), um Zusammenstöße zu vermeiden, keine Personaldaten aufzunehmen sondern nur die Nummern der Fahrzeuge der Ortstafelstürmer zu notieren. Das hatte sich in der Szene rasch herumgesprochen. An manchen Fahrzeugen der Ortstafelstürmer waren die Beleuchtungen der Kennzeichen abmontiert oder die Nummernschilder unkenntlich gemacht bzw. mit Tüchern verhängt. Eugen Freund, der damals vor Ort recherchierte und die Ereignisse in seinem Tagebuch festhielt, berichtet 20 Jahre später folgende Szene: "Nach und nach kommen Autos, werden am Straßenrand abgestellt. 2 Gendarmen in Zivil: "Was wollen S' da?" - "Wir holen die Tafeln!" - Die verblüfften zwei Gendarmen, die die Tafeln bewachen, kamen erst gar nicht dazu, irgend etwas zu unternehmen. Aus den Autos stiegen ca. 150 - 200 Leute, denen es in wenigen Minuten gelang fünf der sechs Hinweisschilder zu demontieren, wobei man sich anfänglich sogar darüber stritt, ob man sie samt den Ständern entfernen und was mit der einen einsprachigen Tafel geschehen sollte. Man einigte sich schließlich darauf, die zweisprachigen abzumontieren ("A hol wer an Zehner-Schlissel do?") und die deutschsprachige stehen zu lassen." (''Der Standard", 28.9.1992) * * * 21 Horsi Grimm und Leo Besse r-Walzel: Die Corporaiionen. Handbuch zu Geschichie-Daien-Fakien-Personen. Frankfurt/M. 1986, S. 199. £n7prnve in Qfodivo. Ljubljono, 2002. sl. 41 II Der Ortstafelsturm-Mythos beruht demnach weitgehend auf mediale und politische Schönfärberei, denn: Der Ortstafelsturm war keine "spontane Volkserhebung". Der Ortstafelsturm war keine "demokratische Protestbewegung". Der Ortstafelsturm verlief nicht "friedlich". Die Polizeiprotokolle berichten von Tätlichkeiten und Verletzungen, infolge der Attacken der Ortstafelstürmer.22 Am Rande der Aktionen, aber damit im Zusammenhang, kam es zu antisemitischen Ausschreitungen. Im weiteren Umfeld des Ortstafelsturmes gab es auch Schwerverletzte bei Zusammenstößen zwischen Deutschnationalen und Kärntner Slowenen. In der Kärntner Öffentlichkeit sind alle diese Vorgange so gut wie unbekannt geblieben. Landesarchiv, Geschichtsverein, Landesmuseum und die Historikerinnen des Landes zogen es vor, zu schwiegen oder zu verharmlosen. Es durfte auch nicht bekannt werden, daß die Kärntner Landesregierung noch unter Landeshauptmann Sima eine "Ortstafelsturm Dokumentation" (abgekürzt: OT-Doku.) angefertigt hatte, zu deren Veröffentlichung es jedoch nie kam. Seither kursieren kopierte Exemplare dieses "Geheimberichts", der für die Politik von LH Sima zwei Aufgaben erfüllen sollte: Dokumentation und Legitimation. Aus verständlichen Gründen war die Landesregierung unter Landeshauptmann Wagner nicht mehr daran interessiert, daß diese Dokumentation an die Öffentlichkeit gelangte. Die wenigen kopierten Exemplare dieses "Geheimberichts", der dem Ortstafelsturm-Mythos ein Stück weit den Boden hätte entziehen können, konnten ihre aufklärende Wirkung nicht entfalten. Interessant ist dabei, daß die OT-Doku. später auch nicht von den Kärntner Slowenen veröffentlicht wurde. Wie auch immer - diese Dokumentation ist bis heute als eine singulare Erscheinung zu betrachten; das Studium dieser Dokumentation erhellt einige "vergessene" Details der Geschichte. DER KAMPF UM DIE ZWEISPRACHIGE TOPOGRAPHIE Die Frage der zweisprachigen topographischen Aufschriften wurde auf politischer Ebene schon in den 60er Jahren heftig und ausführlich diskutiert. Die FPÖ, angeführt durch den Abgeordneten Dr. Otto Scrinzi (dessen Naheverhäitnis zu Alt- und Neonazigruppen kein Geheimnis ist) und der KHD (unter dem damaligen Obmann Heribert Jordan - ebenfalls ein Mann mit NS-Vergangenheit) waren * * * 22 Die männliche Form "Ortstafelsrtirmer" wird hier bewußt verwendet. Kein einziges mir bekanntes Foto zeigt, daß sich auch 1-rauen als "Ortstafelsrürmerinnen'' betätigt liaben; vielleicht kam es dennoch vor und sie wurden nur nichr dabei fotografiert. 82 Peter Gsteltner; Der Qrtsiofelslurm vor 30 lohrcn - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung von Anfang an für eine "Minderheitenfeststellung". Die ÖVP schwenkte ziemlich genau zu dem Zeitpunkt auf diese Forderung ein, als die ersten Schmieraktionen gegen zweisprachige Aufschriften (damals noch nicht Ortstafeln) stattfanden, nämlich 1968.23 Die Gegenseite war auch nicht träge: Vor allem ab dem Jahre 1970 gingen junge Leute von der slowenischen Volksgruppe verstärkt daran, einsprachige Ortstafeln mit slowenischen Bezeichnungen zu ergänzen.24 1970 war überhaupt ein Jahr der verschärften Polarisierung, da die 50-Jahr-Feiern des Abstimmungsereignisses von 1920 ins Haus standen, Feiern, die seit jeher von den Deutschnationalen für ihren Kultur- und Volkstumskampf funktionalisiert wurden. So auch 1970, wo auf Transparenten die "Minderheitenfeststellung" geforderc wurde, die "Gleichberechtigung für die Mehrheit" und "Toleranz ja -weitere Geschenke nein". Der dem deutschnationalen Spektakel wohl gesonnene SPÖ-Landeshauprmann Sima fand es passend, einen ehemaligen SS-Oberscharführer und Kreishauptamtsleiter und Gaureferenten der NSDAP, einen Mann, der in der Nazizeit schon für Eindeutschungsaufgaben im slowenischen Oberkrain/Kranj herangezogen worden war, mit der Organisationsaufgabe der Landesfeiern des Jahres 1970 zu betrauen, nämlich Dr. Franz Koschier.25 Provoziert durch dieses Zurschaustellen und Abfeiern des großdeutschen Sieges (Eichenlaub und NS-Abzeichen wurden bei der 10. Oktober-Feier offen getragen), verschärften die Kärntner Slowenen 1971 ihre Angriffe auf die SPÖ-Landespolitik und auf die Symbole des Heimatdienstes und des Abwehrkampfes. Abwehrkampf- und Kriegerdenkmäler wurden beschmiert. Im Gegenzug dazu wurden Partisanengrabstätten geschändet. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß schon zu diesem frühen Zeitpunkt, also 1 Jahr vor dem Ortstafelsturm, eine Verstärkung für die Exekutive von der Wiener Staatspolizei angefordert wurde (OT-Doku. S.27). Die Regierung Kreisky war bereits 1971 fest entschlossen, durch das Aufstellen zweisprachiger Ortstafeln etwas zur Erfüllung des Art. 7 des Österreichischen Staatsvertrags von 1955 beizutragen. Landeshauptmann Sima, bei dem sich Kreisky mehrfach rückversicherte, unterstützte den Bundeskanzler bei diesem Vorhaben vorbehaltlos und kündigte seinerseits in der Kärntner Landtagssitzung * * im Sommer 1968 kam es zu Schmieraktionen an der Spar- und Darlehenskasse Völkermarkt, deren slowenische Aufschrift, überstrichen und mit der Beschriftung "Kärnten isr deutsch" versehen wurde. Ein Jahr spater wurde die neue zweisprachige Tafel an diesem Geldinstitut abgeschraubt und entfernt (OT-Doku. S.13). 24 Beim Besprühen der Ortstafel von Hermagor wurde am 26.10.1970 Marjan Sturm, heute Vorsitzender des VoLksgruppenbeirates im Bundeskanzleramt, erwischt und angezeigt. Anzeige und Prozeß lösten ein internationales Medienecho aus. Auch andere damalige Aktivisten werden in der OT-Doku. namenüich genannt. z-> Koschier war SPO Mitglied und 1970 auch Direktor des ].andesmuseums sowie Multifunktionär in mehreren KHD-Mitgliedsorganisaiionen; vgl. Frirzl, Heimatdienst, S. 24 ff. Pn7pfove in grodivo, Ljubljono, 2002, sl. 4) 83 Ende November 1971 an, daß das Land jetzt Aktivitäten setzen würde - und zwar ohne Minderheitenfeststellung. Die Aufstellung sollte auf der Basis der Volkszählung von 1961 und nach der 20 % Klausel erfolgen. Diese Kriterien erfüllten 205 Ortschaften in 36 Gemeinden. Zweisprachige Ortstafeln in 205 Ortschaften waren 1972 das Plansoll der Regierung; 205 Ortschaften, die dann vom Ortstafelsturm betroffen waren. Im Frühjahr 1972 eskalierte die Stimmung, es wurden permanent Delegationen zu Verhandlungen ausgeschickt, es wurde ununterbrochen diskutiert, gestritten, Tafeln beschmiert und Flugblätter gestreut. Von einer "überfallsartigen Nacht- und Nebelaktion" - gemeint ist dabei immer, die politische Entscheidung, mit dem Aufstellen der zweisprachigen Ortstafeln zu beginnen -kann deshalb wirklich nicht gesprochen werden kann. Aber es gehört zum Ortstafelsturm-Mythos, daß dieser Eindruck des überfallsartigen, von Wien aus befohlenen Aufstellens der Ortstafeln bis heute überlebt hat. Die Kärntner Medien schürten damals systematisch diesen Eindruck, in dem sie seit Jänner 1972 von einem "Sima-Geheimplan" bzw. von einer "Geheimdiplomatie der SPÖ" und einem "Geheimvorschlag Simas" sprachen. Dieses Vokabular wurde beibehalten, obwohl eben diese Medien bereits im März 1972 die Meldung verbreiteten, daß 205 Ortschaften zweisprachige Aufschriften bekommen sollten.26 Die Aufstellungsorte blieben allerdings wohlweislich bis zum Schluß "geheim"; jeder Sachkundige konnte sich allerdings aufgrund der Kriterien leicht ausrechnen, wo welche aufzustellen sind. Die Bevölkerung war also durchaus "vorbereitet", allerdings im negativen Sinn; KHD und Abwehrkämpferbund hatten am fleißigsten mobilisiert und am deutlichsten angekündigt, was geschehen würde, sollten die Ortstafeln - ohne vorherige Minderheitenfeststellung - aufgestellt werden. Bei der Jahresversammlung des Kärntner Abwehrkämpferbundes am 22. April 1972 in Klagenfurt/Celovec rief der Landesobmann, Siegfried Sames, zu einem "neuen Abwehrkampf' auf: "Wir sind wieder in einen Abwehrkampf, wenn auch mit geistigen Waffen, eingetreten." (Zit. in "Kärntner Tageszeitung23-4.1972) Ein Zwischenrufer aus dem Fußvolk meinte dazu: "Versuchen wir es noch einmal mit einer Unterschriftensammlung, und wenn auch das nicht hilft, dann: Volk steh' auf - Sturm, brich los." (OT-Doku. S.47) Auch Landeshauptmann Sima wurde von einer Abwehrkämpferbund-Delegation darüber informiert, daß man nicht gewillt sei, "eine Vergewaltigung Südkärntens durch einseitige Maßnahmen zu Gunsten der slowenischen Minderheit" hinzunehmen (OT-Doku. S.47). * * * Vgl. Franz Dotter Der Deginn des "Ortsiafelstreits" in den Kärntner Tageszeitungen. In: Arbeitsgemeinschaft Voiksgruppenfrage (Hrsg.): Kein einig Volk von Brüdern. Studien zum Mehrheiren-/Minderheitenproblem am Beispiel Kärntens. Wien 1982, S. 182-233- 8-4 Peler Gslellner: Der Ortslciielsturm vor 30 lahrer; ■ eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung Die "Kärntner Nachrichten" (FPÖ-Organ) gehen über die Phantasie einer slawischen Vergewaltigung Südkärntens noch hinaus, wenn sie am 10. Juni 1972 schreiben: "Eine planmäßige Aussiedlung aller Deutschen aus dem gemischtsprachigen Gebiet wird vorbereitet." Woher diese Nonsens-Phantasie stammt, wird wahrscheinlich nie mehr zu erkunden sein. Dafür haben sich die "Kärntner Nachrichten" auf einem anderen Gebiet als wahre Propheten erwiesen. Sie schrieben bereits am 18. März 1972: "Wenn in Hermagor, Klagenfurt und Völkermarkt slowenische Ortstafeln aufgestellt iverden sollten, wird dies von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als Herausforderung empfunden werden. (...) Es ist darum zu erwarten, daß diese Tafeln von der empörten Bevölkerung heruntergeschlagen würden (...) und es wird nicht möglich sein, zu jeder slowenischen Ortstafel Tag und Nacht einen Gendarmen dazuzustellen." Am 2. Juli 1972 wußte die "Volkszeitung" (ÖWP-Organ) zu berichten, daß der damalige stellvertretende KHD-Obmann Josef Feldner in Feriach für seine Organisation unterstrichen habe, "daß der KHD nicht die Absicht habe, zur geplanten Ortstafelregelung zu schweigen und tatenlos zuzusehen, wie sie auf einer völlig unzulänglichen Grundlage zur Durchführung gelangen soll". Später hatten nur mehr ganz wenige KHD-Organisationen den Mut, hinter diesen Aufrufen und den sich daraus ergebenden Folgen zu stehen. Zu den Organisationen mit Bekennermut gehörten die waffentragenden Studenten der "schlagenden Burschenschaften", die später sowohl von einer im "geplanten Ortstafeldemontage" sprachen, als auch offen bekannten, welche Corporationen aktiv am Ortstafelsturm teilnahmen. "Am Vorabend des 10. Oktober erlebt das Kärntner Unterland ein gespenstisches Schauspiel, das die Regierenden nie wieder vergessen sollten. Im Gemeindegebiet von Ludmannsdorf Költmannsdorf und St. fakob im Rosental entsteht am Abend eine Kolonne von mehr als hundert Autos mit demonstrierenden jungen Kärntnern. Der Zug begibt sich durch das Rosental in Richtung Rosegg bei Velden am Wörther See. (...) In den ersten Autos sitzen Burschenschafter der Alpinaten, Taurisken, Freyonen und Gothen." 27 Am Anfang sollen es jedoch, so die beiden Autoren, "junge Windische" gewesen sein, die (am 3- Oktober 1972) zweisprachige Ortstafeln zu demontieren begannen -eine interessante ethnische Zuschreibung, die speziell auf (über)assimilierte Kärntner Slowenen abzielt: "Es sind junge Windische, die mit der Anbringung der Ortstafeln ohne vorhergegangene Minderheitenfeststellung nicht einverstanden sind."28 -Ar * * 27 Grimm/Besser-Walze), Die Corporationen, S. 203. 2® Grimm/Besser-WaJze), Die Corporationen, S.198. Auch dieser Topos ist aus der Geschichte bestens bekannt: Für die herrschende Schichte ist es immer am günstigsten, wenn die Unterdrückten selbst ihre Unterdrückung in die Hand nehmen. ("Die jungen Windischen" sind die "deutsch fühlenden Slowenen", die keinesfalls zu den "nationalen Slowenen" gerechnet werden wollen.) jXgjTprnv/ff in gradivo. Ljubijana. 2002. št. 4 i 85 CHRONOLOGIE DER EREIGNISSE In der Nacht zwischen dem 20. und 21. September 1972 werden die ersten zweisprachigen Ortstafeln aufgestellt. 24 Stunden spater setzen die ersten Schmier- und Demontageaktionen ein. Gleichzeitig gibt es die ersten anonymen Bombendrohungen (gegen das Gebäude der Landesregierung und das der Schulschwestern in Völkermarkt/Velikovec). Die ersten Ortstafelschmierer werden festgenommen. Die beschmierten Ortstafeln werden von der Straßenverwaltung innerhalb von 24 Stunden wieder gereinigt, demontierte Ortstafeln neu befestigt. Am 24. und 25- September gehen die Aktionen weiter. Polizei- und Gendarmerie bekommen Verstärkung aus anderen Bundesländern. Je drei Beamte werden - zunächst noch in Zivil - auf Streife und in Hinterhalte geschickt. Dies erwies sich als nicht sehr effektiv. In jeder Nacht werden Ortstafeln beschmiert oder abmontiert. Bei mehreren Gendarmerieposten (Kühnsdorf/ Sinča vas, Eisenkappel/Železna kapla, Völkermarkt/Velikovec) gehen anonyme Drohungen ein, es würden Hochspannungsmasten gesprengt, sollte die Gendarmerie weiterhin die Aktionen der Ortstafelstürmer behindern. Die Beteiligung am Ortstafelsturm weitet sich rasch aus. Später war zu erfahren, daß manche Ortstafelstürmer jede Nacht bzw. mehrmals pro Woche ausrückten. Am 5. Oktober sind es ca. 100 Leute in St. Kanzian/Škocijan; in St. Primus/Št. Primož ca. 90 Leute in 35 Autos; am 6. und 7. Oktober 120 Leute und 42 Autos. Man hört, daß bis zum 10. Oktober keine einzige zweisprachige Ortstafel mehr stehen soll. Insgesamt hatten bereits vor diesem 10. Oktober ca. 120 Aktionen gegen Zweisprachige Ortstafeln stattgefunden (wie die Volkszeüung zu berichten wußte). In der Nacht vom 9. auf 10. Oktober brachen die Kolonnen direkt von den Abstimmungsfeiern "52 Jahre Abwehrkampf und Volksabstimmung" zum Ortstafelsturm auf. 200 Autos fuhren von Ferlach/Borovlje ins Rosental. Zwischen Köttmannsdorf/Kotmara vas und Ludmannsdorf/Bilčovs formierte sich ein Zug von ungefähr 100 PKWs. Gegen 22h30 vereinigten sich beide Kolonnen mit lautem Gehupe zu einem gewaltigen Demonstrationszug. Ein Teil davon fährt nach Klagen für t/Celovec, wo vor dem Gebäude der Landesregierung die zweisprachigen Ortstafeln und Hinweisschilder abgeladen werden. Einer der Anführer, Major der Reserve und heute ein lang gedienter KHD-Funktionär, macht dort vor seinen Mannen eine gefechtsmäßige Meldung: "Meine Herrn, unsere Aufgabe ist damit erfüllt; ich danke Ihnen, die daran teilgenommen haben, nochmals." (OT-Doku. S.66) Anschließend fuhren rund hundert sangesfreudige Randalierer zur Wohnung von Landeshauptmann Sima, um dort den 86___Peter Gsteltner; Der Qrtsiofelslurm vor 30 lohrcn - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung Terror bis 2 Uhr früh fortzusetzen. Anzeige wurde erstattet. In St. Margarthen im Rosental/Smarjeta v Rozu versammelten sich am gleichen Abend nach den Feiern ca. 120 Menschen mit Fackeln in den Händen und machten sich auf den Weg nach Zell-Freibach/Sele-Frajbah. Auch in Volkermarkr/Veliicovec bildete sich eine Kolonne von 100 PKWs und fuhr über Kühnsdorf/Sinca vas und Miklautzhof/ Miklavcevo weiter nach Bleiburg/Pliberk. Insgesamt waren in dieser Nacht weit über 1.000 Menschen in rund 600 Autos zum Ortstafelstürmen unterwegs, aufgehetzt, gewaltbereit und zur radikalen "Säuberung" entschlossen. Die Folge: Am 10. Oktober 1972 gab es praktisch keine zweisprachige Ortstafel mehr im Kärntner Unterland. Am 14. Oktober begann die Straßenverwaltung neuerlich mit der Aufstellung von Ortstafeln. Es tauchte die Idee auf, sie mit dem Emblem der österreichischen Fahne zu schmücken, um offenbar den psychologischen Effekt zu erzeugen, daß man sich scheuen würde, sich an einem so "ausgezeichneten" Staatseigentum zu vergreifen. Ortstafelstürmer, so wurde später erzählt, hätten gleich darauf Erkundigungen eingezogen, wie hoch denn jetzt die Verwaltungsstrafe sei, wenn man erwischt würde. Es wurde auch davon gesprochen, daß die "Belohnung" für das Ausreißen von Ortstafeln diesem neuen Strafsatz angeblichen würde. Wer so eine "Belohnung" ausgelobt hatte, wollte niemand sagen. Zur "Beflaggung" von neuen Ortstafeln kam es nicht. Der Ortstafelsturm ging indes weiter und in der Nacht vom 25. zum 26. Oktober kam es in St. Kanzian/Skocijan neuerlich zu gewaltsamen Aktionen. Rund 300 Leute in ca. 150 Autos waren unterwegs, um zweisprachige Ortstafeln zu stürmen. Ein Bürgermeister wurde von der Gendarmerie als Anführer einer Kolonne Ortstafelstürmer identifiziert. An dieser Stelle soll aus einem aufschlußreichen Dokument eine längere Passage zitiert werden. Es handelt sich dabei um die Strafanzeige eines Gendarmeriepostenkommandos gegen einen der Anführer wegen Verdachts einer strafbaren Handlung (Strafanzeige vom 16. November 1972 an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt/Celovec)2?: "Der beschuldigte X fuhr am 25■ Oktober 1972 gegen 1930 Uhr mit seinem. PKW K...... als Anführer einer Kolonne von ca. 150 Kraftfahrzeugen auf der Turnersee-Landesstraße zur Abzweigung der Gemeindesiraße nach Obersammelsdorf, wo die Kolonne anhielt und den Kraftfahrzeugen mindestens 300 Personen entstiegen. Diese Personen versammelten sich schreiend und johlend vor den zweisprachigen Wegweisern nach Obersammelsdorf und Unternarrach, um diese zu entfernen. Die angeführten Wegweiser wurden durch zehn Gendarmeriebeamte unter dem Kommando von XYgeschützt, der den unmittel* * * Zitat leicht verändert, da Personennamen anonymisiert wurden; Kopie der Anzeige im Archiv d. Verf.; Pn^-prove in grodivo. Ljubljono. 2002. si. 41 87 bar vor ihm stehenden (beschuldigten) X sowie die Menschenmenge "Im Namen des Gesetzes" auf die Strafbarkeit ihres Verhaltens aufmerksam machte und sie aufforderte, von der Beschädigung und Demontage der zweisprachigen Wegweiser Abstand zu nehmen. Diese Aufforderung wurde mit lautem Gelächter und Pfuirufen quittiert und der unmittelbar vor XY stehende (beschuldigte) X forderte die Volksmenge mit den Worten 'Burschen, die Tafeln müssen weg' zur Entfernung der Tafeln auf Hierauf drängle die Volksmenge die Gendarmeriebeamten ab, befreite in einem Massenangriff gewaltsam einen durch XY "Im Namen des Gesetzes"festgenommenen unbekannten Mann, demontierte gewaltsam alle zweisprachigen Hinweistafeln und nahm diese mit. An dem tätlichen Angriff gegen die Gendarmeriebeamte hatten sich in diesem Falle etwa 20 männliche Personen beteiligt. " Der Anzeige ist weiters zu entnehmen, daß die Kolonne ihre Fahrt fortsetzte und eine halbe Stunde spater neuerlich Gewaltakte setzte. Bei diesen wurde abermals ein Mann, der zum Einsatzfahrzeug abgeführt werden sollte, von etwa 60 Personen gewaltsam befreit; er konnte, wie das Protokoll vermerkt, "unerkannt in der Menge untertauchen. Bei diesem Vorfall wurden die Beamten herumgerissen und herumgestoßen, ein Beamter wurde auf einen Sandhaufen geworfen und einem anderen ein Tritt gegen den Hoden versetzt. " Die Aktionen gegen das Ortstafelgesetz wurden bis Jahresende 1972 fortgesetzt, bis keine neuen Ortstafeln mehr aufgestellt wurden. Der Ortstafelsturm versandete durch das Bemühen der Politiker, Kommissionen zu installieren und auf Verhandlungsebene den Konflikt zu befrieden.^0 Schon zuvor war offensichtlich die Situation den meisten Politikern zu heiß geworden; dem KHD waren die Aktionen schon Anfang Oktober '72 aus dem Ruder gelaufen. Außenpolitische Konsequenzen zeichneten sich ab, da die jugoslawische Regierung, die 1955 auch den Österreichischen Staatsvertrag unterzeichnet hatte, immer deutlichere Depeschen nach Wien schickte und in Ljubljana schon Zehntausende gegen die Kärntner Minderheitenpolitik demonstriert hatten. * * * Die österreichische Bundesregierung setzte eine "Siudienkommission für die Probleme der slowenischen Volksgruppe in Kärnten" (die sog. Ortstafelkommission) sowie ein "Kontaktkornitee" ein, dem auch Vertreter der slowenischen Organisationen angehörten. Von den ursprünglich 205 Orischaften, die im Jahre 1972 zweisprachige Tafeln bekommen sollten, blieben 1977, als das Verhandln ngsergebnis in Form einer Verordnung der Bundesregierung festgeschrieben wurde, nur mehr 91 Orischaften übrig (aufgrund der 25 % Klause), angewandt auf die Ergebnisse der "Volkszahlung besonderer Art" aus dem.Jahre 1976), Tatsachlich wurde aber auch dieses Ergebnis niclu überall umgesetzt. 88__Peler Gstettner: Der Orlslofelslurm vor 30 jähren - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung WIESO KONNTE DAS TERRORISTISCHE KALKÜL DER ORTSTAFELSTÜRMER AUFGEHEN? Nach diesem Überblick über Umfang und Ausmaß des Ortstafelsturmes stellen sich einige Fragen: Gab es in Kärnten schon Vorerfahrungen mit antislowenischen Demonstrationen? 1958 wurde von den Deutschnationalen die erste große Kampagne gegen die obligatorische zweisprachige Schule gestartet. Eltern wurden aufgerufen, ihre Kinder nicht mehr zur Schule zu schicken, sofern die Regierung am "SchulSprachenzwang" festhielt. Dieser "Schulstreik" war die erste gemeinsame Aktion der "heimattreuen Verbände", die nach 1955 wieder ins Leben gerufen wurden, nicht selten in personaler Tradition zu den entsprechenden NS-Kultur-organisationen. "Man xuar nun offensichtlich in der Lage, die angekündigten Streiks auch tatsächlich zu inszenieren. (...) Die führende Rolle des KHD im Kampf gegen den verpflichtenden zweisprachigen Unterricht war schon damals offensichtlich", schreibt Martin Fritzl31. Organisationen mit Infrastruktur und entsprechende Erfahrungen, unter anderem auch die, wie leicht die Landesregierung in die Knie zu zwingen ist, lagen also vor.32 Wie wurde der Ortstafelsturm organisiert? Daß er organisiert war, steht außer Frage. Aber wie? Ein in dieser Angelegenheit neutraler Fachmann, ein Offizier des Österreichischen Bundesheeres, der die oben genannten Kraftfahrzeugströme analysierte, kam zu dem Ergebnis, daß "motorisierte Kolonnenmärsche" dieser Größenordnung, zumal wenn sie in der Nacht in Marsch gesetzt werden, einer logistischen "befehlsmäßigen Steuerung" bedürfen. In seinem nüchternen militärischen Jargon schreibt er zum Thema "motorisierte Kolonnenmärsche": "Da sind Mindesterfordemisse an befehlsartigen Anordnungen nottvendig über - Marschziel - Marschweg - Marschgeschwindigkeit - Marschfolge. * -k * 3* Frjtzl, Heimacdienst, S. 65 32 Der sozialdemokratische Landeshauptmann Ferdinand Wedenig beugte sieh dem Druck der deutschnationalen Organisationen (wie "Kärntner Schulverein Südmark" und "Kilrntner I ieimaidienst") und gab am 22. 9- 1958 einen Erlaß an die Bezirksschulbehörden heraus, wonach die Fltern Antrage auf Befreiung vom zweisprachigen Unterricht stellen konnten. "Daraufhin wurden von insgesamt 12.774 Schülern 10.375 (81%) durch die Eltern abgemeldet" (S. )81; Geschichte der Kärntner Slowenen von 1918 bis zur Gegenwart unter Berücksichtigung der gesamtslowenischen Geschichte. Hermagoras Verlag, Klagenfurt/Celovec 1988). Rnzprave in grodivo, Ljubljana. 2002. st. 41 89 Zudem kommt das Problem des Einfließens in einen Verfügungsraum, das Parkplatzproblem und die Führung der Kolonne aus diesem Verfügungsraum heraus zu einem bestimmten Marschziel. "33 Die Ergebnisse meiner eigenen Recherchen vor Ort müssen als Hypothesen formuliert werden, weil sich die konkreten Vorgänge mangels Zeugen, die das auch vor Gericht unter Eid aussagen würden, nicht beweisen lassen: Sicher ist, daß es vereinbarte Treffpunkte gab, zumeist waren es Gaststätten, in denen man sich auch sonst oft traf. Die Burschenschafter trafen sich in den Wohnungen der "Alten Herrn". Die Information, wann und wo es los geht, wurde auf verschiedenen Wegen weiter transportiert, z. B. nach dem Schneeballsystem über Telefonketten, an Vereinsabenden bzw. bei Chorproben, nach Sportveranstaltungen. Der "harte Kern" sprach sich vermutlich gleich nach jeder Aktion für die nächste Nacht ab. Manche Autos mögen wie Sammeltaxis fungiert haben; man hat sich das Codewort von Fenster zu Fenster zugerufen, "morgen obend pock mas Wieda"; oder man gab vor dem Fenster Hupsignale. Vermutlich hatte jede Aktion bzw. jede Kolonne einen Anführer; das war auch notwendig, da sich auch Nicht-Ortskundige an den Aktionen beteiligten (PKW-Kennzeichen aus Oberkärnten und aus anderen Bundesländern wurden gesehen). In einem Fall wurde bekannt, daß Lautsprecher und Funkgeräte im Einsatz waren; in zumindest zwei Fällen haben die Anführer am Treffpunkt "Reden" gehalten (ein Fall kam zur Anzeige, weil die Versammlung nicht angemeldet war). Planungen und Absprachen waren auch über die "Arbeitsteilung" notwendig. Es gab zumindest folgende Funktionen: Anführer (mit Ortskenntnis, die wußten, wo welche Tafeln standen, sie konnten auch Sicherungs- und Ablenkungsaufgaben wahrnehmen), Fahrzeuglenker (sie werden später zu Protokoll geben, sie seien nur aus Neugierde mitgefahren; die Leute, die ihnen die Ortstafeln in den Wagen geladen haben, hatten sie noch nie vorher gesehen), Ortstafelträger (Männer, die die abmontierten Ortstafeln in die bereit stehenden Autos luden oder die sie im Klopeinersee oder in der Drau "entsorgten"; manche von ihnen bewahrten die Tafeln als Trophäen auf; einige Leute wissen, auf welchen Dachböden heute noch diese Trophäen gelagert werden) und schließlich die Ortstafeldemontierer (da gab es solche, die in Rambo-Manier die Ortstafeln samt Verankerung ausrissen, und solche, die die richtigen Werkzeuge mit führten, damit die Tafeln, ohne beschädigt zu werden, abmontiert werden konnten). Wahrscheinlich gab es auch Organisatoren, die völlig im Hintergrund blieben und die an den Aktionen nicht direkt teilnahmen: sie hatten den Überblick, wo Ortstafeln wieder aufgestellt wurden, welche Strategien und welche * * * 33 Walter und Ilse Strauss, Das stürmische 1972er Jahr. Wie war das damals? Seminararbeit, WS 1988/89, Univ. Klagenfurt/Celovec; Kopie im Archiv d. Verf.). 90 Peler Gsteilner: Def Or Isla Fe [stürm vor 30 bhren - eine Bewegung gegen Geselz und Ordnung Sicherheitsvorkehrungen die Gendarmerie plante; sie gaben die Instruktionen, worauf zu achten ist bzw. mit welchen Strafen zu rechnen ist, bei Sachbeschädigung, bei boshafter Sachbeschädigung, bei einer einzelnen Ortstafel mit oder ohne Rahmen, bei nächtlicher Ruhestörung und Übertretung der Straßenverkehrsordnung usw.; ich vermute, daß den Ortstafelstürmern auch ein "Rechtsschutz" zugesagt wurde, falls es zu Anklagen käme; und damit war zu rechnen. Der Ortstafelsturm war keine Geheimaktion; jeden Tag stand in der Kleinen Zeitung, wo schon wieder Ortstafeln aufgestellt wurden - und in der SPÖ-Zeitung, Kärntner Tageszeitung, stand dann am nächsten Tag, wo sie gestürmt worden sind. Man darf auch nicht vergessen, daß zwar die meisten Aktionen in der Nacht stattfanden, daß aber meistens Journalistinnen dabei waren, die Blitzlichtaufnahmen machten, zum Teil auch Filmaufnahmen. Dns wurde von den Aktivisten natürlich nicht gerne gesehen, auch nicht von den Gendarmen, die sich dann in der Zeitung abgebildet sahen, wie sie untätig den Ortstafelstürmern zusahen oder wie sie lachten, als Bundeskanzler Kreisky und das Ehepaar Sima mit Eiern und Tomaten bzw. abgebrochenen Ortstafeln attackiert wurden. Nicht alle haben sich so mutig den Ortstafelstürmern entgegengestellt, wie die im Akt zitierten Beamten, die Verhaftungen vornehmen wollten und die gegen Ortstafelstürmer Anzeige erstattet haben. Die Orlstafelstürmer haben sich vermutlich auch dahingehend abgesprochen, wie sie sich rechtfertigen, falls sie verhört werden; außer, "ich habe nichts gehört und nichts gesehen", und "ich war gar nicht dabei", oder "ich habe nicht gewußt, daß die zweisprachigen Tafeln entfernt oder beschädigt werden sollen", gab es auch Widersprüche in den späteren Zeugenaussagen: Einer sagte aus, beim Zusammenstoß mit den Demonstranten hätte ein Gendarmen seine Pistole gezogen; ein andere sagte, er hätte nur die Aufforderung zum Pistolen ziehen gehört; ein dritter hat davon weder was gehört noch gesehen, dafür macht er die Aussage: "Die Demontage der Wegweise habe ich nur aus der Ferne beobachtet; Unbekannte haben mit Schraubenschlüsseln Tafeln abmontiert." - Sehr ferne kann er nicht gestanden sein, dieser Augenzeuge. Er wurde auf einem Foto direkt neben den in Aktion befindlichen Ortstafelstürmern identifiziert. Es soll gegen Ortstafelstürmer angeblich ca. 300 Anzeigen bzw. Zeugeneinvernahmen durch die Gendarmerie gegeben haben. Ich konnte diese Zahl nicht überprüfen und kann sie deshalb nicht bestätigen. Vielleicht waren es 300 Anzeigen gegen "unbekannte Täter". Die Information, daß bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt in dieser Causa 37 Zeugen-Einvernahmeakten liegen sollen, reduzierte sich schließlich auf die Zahl von 24, die ich durch konkrete Akteneinlagezahlen verifizieren konnte. Pn7prove in qrodivo. Ljubljono. 2002. sl. 41 91 Alle Verfahren (auch die gegen die "Ortstafelschmierer" aus der slowenischen Volksgruppe) wurden ein Jahr später, also 1973, eingestellt oder niedergeschlagen. Keiner der Ortstafelstürmer hatte irgendwelche Konsequenzen zu tragen. Welche Organisationen waren direkt oder indirekt am Ortstafelsturm beteiligt? Diese Frage läßt sich annäherungsweise beantworten, sofern man die angezeigten Personen oder die in den Vernehmungsprotokollen genannten Personen Organisationen als Mitglieder zuordnen kann. Martin Fritz schreibt, "unter den Ortstafelstürmern... befanden sich zahlreiche Sympathisanten des KHD".Unter diesen konnten von mir mehrere als Mitglieder von Teilorganisationen des KHD identifiziert werden. Teilorganisationen, wie der Kärntner Turnerbund, der Sängerbund, Freiheitliche Studentencorporationen (also "Schlagende Verbindungen"), der Abwehrkämpferbund, der Turnerbund (Sportvereine), der Kärntner Schulverein Südmark, der Bund der Kärntner Windischen waren durch Mitglieder oder Funktionäre vor Ort, wobei bei den Recherchen zahlreiche Doppelmitgliedschaften von Aktivisten zutage traten. Außerdem waren zu dieser Zeit Organisationen in Kärnten aktiv, die nicht Mitgliedsorganisationen des KHD sind, wobei aber einzelne Personen erwiesener Maßen in einem Naheverhältnis zu ihm stehen; solche Organisationen, deren Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Ortstafelsturm standen, waren die Neonazigruppen NPD (Nationaldemokratische Partei Norbert Burgers, 1988 behördlich untersagt) und ANR (Aktion Neue Rechte). Wie haben sich die Kärntner Slowenen während des ca. 2 Monate dauernden Ortstafelsturmes verhalten? In den betroffenen Dörfern hatte man Angst, auf die Straße zu gehen; es war bedrohlich und gefährlich; das wird in der Erinnerung an die damalige Zeit heute noch artikuliert. Marjan Sturm, der zu dieser Zeit in Wien studierte, erzählt: "Meine Mutter hat mich tränenüberströmt angerufen und gesagt; Es ist eine Kolonne von Ortstafelstürmern im Hof sie umkreisen uns in der Nacht. Komm ja nicht nach Hause!" (Zit. nach Kärntner Monat, Oktober 2002, S.32) Es wurde berichtet, man habe auch Schüsse gehört. (Das kann stimmen, denn in einem Protokoll gibt ein Gendarm an, daß Ortstafelstürmer aus einem Auto heraus mit einer Spielzeug-Maschinenpistole Schreckschüsse abgegeben hätten). -k -k * Fritzl, Heimatdienst, S. 88. 35 Recherche-Aufzeichnungen, Archiv d. Verf. 92 Peler Gstettner: Der Orlslofelslurm vor 30 jähren - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung Generell war zu hören: Wir blieben zu Hause, machten die Läden zu, drehten das Licht ab - und hatten einfach schreckliche Angst; fetzt sind sie wieder da, die Nazis; hoffentlich kommen sie uns nicht holend Es war für Sloweninnen wirklich nicht ratsam, sich einem hupenden Autokonvoi oder einer jolenden Menschenmasse deutschnationaler Randalierer in den Weg zu stellen. Es gibt jedoch einen Fall, wo ein Ehepaar den Mut hatte, nachzuschauen, was da bei der Ortstafel vor sich ging; Autonummern wurden notiert und Anzeige erstattet; und dann brachte es noch den Mut auf, bei der Behörde nachzufragen, was nun mit der Anzeige geschehen sei. Es schrieb sogar in dieser Sache an den damaligen Bundeskanzler Kreisky und später auch an Landeshauptmann Wagner. Gerade weil dieser Fall des Ehepaares Maria und Miro Miskulnik so singulär ist, muß man ihn erwähnen - auch oder gerade weil die Anzeige im Sande verlaufen ist. Einen Ausschnitt aus einem Protokoll einer Zeugeneinvernahme (als Folge der Anzeige durch Herrn Miskulnig) möchte ich abschließend zitieren. Man weiß ja wirklich nicht, soll man lachen oder weinen, wenn man diese "Rechtfertigung" eines Mannes hört, der zugibt, dabei gewesen zu sein (aufgenommen am 1912.1972, zweieinhalb Monate nach dem Ortstafelsturm). Der als Zeuge geladene XYZ gibt zu Protokoll^6 "Ich habe keine zweisprachige Ortstafel abmontiert, wohl aber habe ich mich aus Protest gegen die Anbringung der zweisprachigen Ortstafel am 9-10.1972 mit dem PKW meines Vaters K.......an der Demonstrationsfahrt von Feistritz i.R. über St Jakob i.R., Rosegg nach Klagenfurt beteiligt. Irgendwelche Zwischenfälle bei der Abmontierung der ziveisprachigen Ortstafel habe ich nicht wahrgenommen. Die Personen, die die Ortstafel abmontiert haben, sind mir nicht bekannt, und würde ich diese auch nicht mehr wiedererkennen (sie!). Der Verdächtigte Z hat auf der Fahrt mit einem Lautsprecher immer wieder zur Besonnenheit die Teilnehmer des Demonstrationszuges ermahnt, insbesondere hat er die Teilnehmer ermahnt, die Tafeln nicht he runterzureissen, sondern sie herunterzuschrauben und sie nicht zu beschädigen." Der "Dank des Vaterlandes", so möchte man zynisch sagen, wurde Herrn Miskulnik in einem Brief des damaligen Landeshauptmannes Leopold Wagner ausgesprochen.37 Herr Miskulnik wird von Wagner als Kommunist bezeichnet, der ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie habe und außerdem noch ein "leidenschaftlicher Slowene" sei und der - wir lesen es mit Erstaunen - angeblich selbst * Hk * Zirar leicht verändert, da Personennamen anonymisiert wurden; Kopie der Anzeige im Archiv d. Verf. 37 Wagner Brief vom 23.6.1983; Kopie im Archiv d. Verf. j?n7prove in grodivo. Ljubljono, 2002, st. 41 93 gar nicht dabei war, beim "Tafeisturm". Nur über ein Psychogramm von Wagner würde sich erschließen, weshalb er den Brief von Herrn Miskulnig als "Drohbrief auffaßt, in seinem eigenen Schreiben aber gleichzeitig durchblicken laßt, er habe einiges gegen den Herrn Miskulnig in der Hand, das ihn (Wagner) möglicherweise "zu Konsequenzen" greifen lassen werde, sollte einmal mit ihm (Wagner) "das Temperament durchgehen". ZUSAMMENFASSUNG: TERRORAKTIONEN GEGEN MINDERHEIT UND STAATSORGANE Will man die analytischen Kategorien von Peter Waldmann anwenden38, so steht der Ortstafelsturm von 1972 für jene historische Schnittstelle, an der ein "illegaler Protest", wie es der Schulstreik von 1958 war, in eine Terroraktion überging. Folgende Merkmale charakterisierten die Terroraktionen, die - etwas überspitzt - auch als "irregulärer Krieg der Deutschnationalen gegen eine sozialdemokratische Regierungsmehrheit" interpretiert werden können: 1) Die Aktivisten agierten aus dem Untergrund und rechneten mit Sympathieeffekten bei der Bevölkerungsmehrheit. 2) Die Aktivisten verletzten die demokratische Verfassung durch gezielte Regelverstöße bzw. Gesetzesüberschreitungen. 3) Die Aktionen waren gewaltförmig; die Aktivisten attackierten die Vertreter der staatlichen Macht. 4) Die Aktivisten waren organisiert und nutzten Kader- und Infrastrukturen von Vereinen, die ethnopolitischen und/oder kulturellen Zwecken dienten. 5) Die Aktivisten griffen eine Gruppe an, deren nationale Symbole und Einrichtungen "staatlichen Minderheitenschutz" genossen. 6) Es wurde ein Feindbild konstruiert; gegen den "Feind" wurden Antipathien gerichtet und Aggressionen mobilisiert. 7) Die Ortstafelstürmer schufen ein hoch emotionelles Klima; dumpfe Gefühle (antislawische Urängste) und antisemitische Vorurteile wurden geweckt und offen ausgespielt. * -k * Vgl. Peter Waldmann: Terrorismus. Provokation der Macht. München 1998. sowie Vortragsmitschrift des Verf. von der Veranstaltung mit Peter Waldmann und Basam Tibi in Klage nfurt/Cdovec am 25.10.2002 94 Peler Gstettner: Der Orlslofelslurm vor 30 jähren - eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung 8) Die Aktivisten stilisierten sich zu "Opfern" staatlicher Macht; sie meinten, sie müßten sich wehren, weil sie in einer Nacht- und Nebelaktion überfallen und "vergewaltigt" würden. 9) Der Ortstafelsturm erzeugte Angst und Unsicherheit bei der slowenischen Minderheit. 10) Der Ortstafelsturm zwang den Staat, Untolerierbares, nämlich einen Gesetzesbruch, zu tolerieren. Der Terrorismusexperte Peter Waldmann schreibt: "Strukturell sind offenbar jene Gesellschaften besonders anfällig für Terrorismus, in denen Probleme sozialer Integration und kollektiuer Identität auftreten und deren Machthaber Mühe haben, ihre Herrschaft zu legitimieren ''.39 Die Kärntner Nachkriegsgeselischaft war offensichtlich in den 70er Jahren in einem besonderen Maße damit beschäftigt, Fragen der "Integration" der slowenischen Minderheit und solche der Diffusion der eigenen kulturellen Identität einer Lösung zuzuführen. Die Lösungen mußten destruktiv ausfallen, da die entsprechenden Fragen in diesem Land seit 50 Jahren entweder vernachlässigt, verdrängt, totgeschwiegen oder herrschaftlich von oben herab beantwortet wurden. Der Ortstafelsturm war so etwas wie eine brutalisierte "Kommunikation", die den Ortstafel-Terror als Signal nach zwei Seiten nutzen wollte: einmal, um der Minderheit zu bedeuten, daß sie im Grunde "minder" und ungeschützt ist, wenn die deutsche Mehrheit es so will, und dann, um der Zentralmacht in Wien zu zeigen, wer in Kärnten der Herr im Hause ist. Wenn der "Heimatdienst" in dieser Auseinandersetzung schon relativ früh betonte, daß es ihm nicht um einen Angriff auf die slowenische Minderheit gehe, so kann man dazu abschließend nur sagen: Selbst wenn der Angriff auf die zentrale Symbolik der Kärntner Slowenen nicht in der Intention des KHD lag, so ist dennoch die Gesamtwirkung des Ortstafelterrors von ungleich größerer Nachhaltigkeit gewesen: Es wurden die Grundmauern der demokratischen Verfassung, die Säulen des Staates, Legislative und Exekutive, erschüttert und zum Nachgeben gezwungen; davon war nicht nur die slowenische Minderheit in Kärnten betroffen sondern die demokratische Mehrheit in ganz Österreich; leider haben beide von dieser Beschädigung bis heute kein wirkliches Bewußtsein -sonst wären in der Folge alle Organisationen und Aktionen, die dazu angetan sind, "das Volk" gegen den Staat und seine Organe aufzuwiegeln und zu mobilisieren, zu verbieten gewesen. Daß dies bis heute nicht geschehen ist, zeigt die * * -* Wald mann, Terrorismus, S. 54 j^nrove in qradivo. Ijubijano. 2002. si. A 1 .95 Parteien übergreifende Verstrickung der Macht, wenn es um die Umsetzung des Art. 7 des Staatsvertrags geht, und verweist auf die Loyalität der Mächtigen zur ■'deutschen Volksgemeinschaft", wenn es um die Minderheitenrechte der slowenischen Volksgruppe geht.