^f/^r^ Aus Mehemed All's Neich. Erster Theil. Aflnter - Aegypten. V o m Verslvsser der Driefe eines Verstorbenen. ! Stuttgart. H 'i < l bcvge l ^ schr A c r l a ^ l' h and! >i n ^, Aus Mehemed Ali's Neich. Eistei Theil, Unter-Aegypten. Von, Versasser der Driest eines Verstorbenen. Der Au«g»ng » Orient, Denn die Damen ritten noch 4 ' 4 » Auch Sultan Mahmud hat, gleich Mehcmcd Ali, den Fortschritt gewollt, doch war cr offenbar hierin nur seines großen Gegners Schüler. Er hat, ihm nachahmend, zwar dasselbe System ergriffen, es aber mit unendlich mehr Uebereilung, weniger Takt, Geist und Erfolg durchzuführen gewußt — dennoch ist auch er dadurch zur Förderung des großen welthistorischen Zweckes nichts weniger als unnütz geblieben, wenn auch cr und seine eignen Länder weniger Vortheil daraus gezogen haben. Die unbestreitbaren specielleren Verdienste Mc-hemed Ali's, wie sie als Fakta vor Aller Augen stehen, sind folgende: Er hat mit bewunderungswürdigem Organisationstalent in einem der verwahrloststen und verwildertesten Länder der Welt Ordnung und Sicherheit, die ersten Bedürfnisse eines civilisirten Staates, in einem solchen Grade herzustellen gewußt, daß man sein unermeßliches Ncich vom Taurus bis an die Grenzen Abysst'nicns, so weit fein Gebiet sich zwischen Meer und Nil und Wüste erstreckte, mit Gold beladen sicher und ohne Visiten, und aßen gleich den Männern mit den Fingern. Gabeln wurden erst zu Ende deö vierzehnten Jahrhunderts erfunden. 5 Furcht durchziehen konnte, wo sonst jeder Schritt Beraubung und Tod drohte. Er hat in der Ausübung der Justiz und in der Verwaltung innerhalb seines Gebiets mehr Gerechtigkeit und feste Norm eingeführt, als in irgend einem andern orientalischen Staate annoch eriftirt. Er hat den Fanatismus gebändigt, eine größere Toleranz in religiösen Dingen geübt, als in manchen christlichen Staaten stattfindet, und die Christen in seinen Landern nicht nnr beschützt, sondern selbst in einer Art bevorzugt, die fast zur Härte für die Muselmänner ward. Er hat den Handel mit Europa nicht nur belebt, er hat ihn größtcntheils neu geschaffen, und durch die großartigsten Anlagen aller Art den in Aegvptcn gänzlich untergegangenen Sinn für Industrie wohlthätig wieder erweckt. Der Anbau der Baumwolle, des Indigos, des Zuckerrohrs, welcher mit immer steigendem Erfolg betrieben wurde, ist durch ihn erst hervorgerufen worden, und ein großer Theil dieser Produkte wird im eigenen Lande durch auf seine Kosten angelegte Fabriken verarbeitet. Ebenso vermehrte er bedeutend den 6 Seidenbau in Syrien durch die ausgedehntesten Anpflanzungen des Maulbeerbaumes, die freilich durch den Befreiungskrieg (!) der Engländer größtentheils wieder zerstört worden sind. Er hat für die Bildung der künftigen Generation ein Erziehungs- und Schulwesen gegründet, von dem man vor ihm im Orient seit Jahrhunderten gar keinen Begriff mehr hatte, und ungeheure Summen diesem cdlcu Zwecke geopfert. Er hat mehr gebaut und mehr gemeinnützige Anstalten in's Leben gerufen, als irgend ein Beherrscher Aegyptcns seit Saladin's Zeiten. Er hat zu alle den: noch Mittel gefunden, er, dem Acgyptcn znficl ohne ein Schiff und einen einzigen disciplinirtcn Soldaten, sich eine Flotte von zwölf Linienschiffen und zweimal so viel Fregatten und Corvcttcn zu bauen, und eine europäisch geschulte Armee von mehr als 100,000 Mann zu schaffen. Und mit diesen Mitteln ist der albanc-sische Bauer, der erst im 35stcn Jahre lesen lernte, der unbedeutende Häuptling, der hundertmal in seinem Leben nicht wußte, wo er sein Haupt mit Sicherheit hinlegen sollte, ein Fürst geworden, dessen Armeen 7 zweimal den Beherrscher der Gläubigen auf seinem Throne zu Vyzanz erzittern machten, und dessen immer steigendes Ansehen ihm schon eine Stelle unter den Weltmächten anzuweisen begann. Da ward er endlich, nach so großen Thaten und Siegen, wie weiland der gcfürchtctc Corse (nur mit weit weniger gntcm Grunde) von europäischen Interessen in den Bann gethan, und ist in diesem ungleichen Kampfe mit unvorhergcahnter Schnelligkeit unterlegen. Wie zu erwarten stand, becifcrte sich sofort eine Heerde von Kläffern verschiedener Parteien maßloser als je über den schon so lange beneideten, kranken Löwen herzufallen, und zugleich jubelnd über alle diejenigen den Stab zu brechen, welche, früher in stupider Blindheit, diesen besiegten Mann für ausgezeichnet und grost hielten, und solches sogar öffentlich auszusprcchcn wagten. ') l) Als ein possnliches Beispiel cn'nnerc ich mich unter andern eine^ Corrrsp^ntcntcn der Augolunger allgemeinen Zeitung vom Nheine, der unmitlelbar nach dem Falle von St. Jean d'Ane auönef: „Meheineb Ali hat capitulnt! der Mann ist entlarvt, der Jahrelang die Geister hingehallen und die Federn zu Lob >,der Tadel dcschMgt hat. Die Freunde, die 8 Man findet in Mehemed Ali's Unglück noch mehr Aehnlichkciten mit dem Schicksal Napoleons, erstens: daß er in Wahrheit nur durch einen Zusammenfluß der ungünstigsten, nicht vorherznsehenden Umstände, die von ihm selbst größtentheils nicht mehr abhingen, gefallen ist; zweitens, daß ihn im Augenblick der Entscheidung sein mächtiger Allinter, auf dessen Mitwirkung er alle seme Pläne basirt hatte, verließ; drittens endlich, daß er sein früheres Glück nicht mit der Conscqueuz eines Aleranders oder Cäsars verfolgt, und nie die Sachen ohne Anhalt zum völligen Ende zu bringen gesucht hatte. Napoleon wie Mehemed Ali hätten an Aleranders Stelle schon nach der ersten Schlacht mit dem Perserkönig Friede gemacht — freilich nicht ohne die Idee, gelegentlich wieder anzufangen, aber im Glück ist es eben nöthig, die Gelegenheit vollständig zu benutzen, die d a ist. Im Unglück zeigte sich jedoch Mchemcd Ali kaltblütiger und klüger als Napoleon, wenn gleich seine Handlungsweise nicht eben heroisch zu nennen ist. ihn so hoch gepriesen, verstummen in seiner Noth!" Ich erwiederte ihm damals: „Ach nein, lieber Rheinländer, nicht Alle! Du selbst aber hättest besser geschwiegen. Du hast gesprochen — und Du bist entlarvt!" Denn von dem Augenblick an, als cr sich, von Frankreich im Stich gelassen, der vereinten Macht Englands und Oesterreichs preisgegeben sah, vertheidigte er sich eigentlich nur noch pro forma, da cr zu klug war, um nicht mit einem Blick zu überscheu, daß jetzt für ihn der Erfolg auf die Länge unmöglich geworden. Weil er mm weder eigensinnig, noch eitel genug ist, um uur Alles — oder Nichts zu wollen, so gab er, da der Tag einmal unglücklich, und dieß nicht zu ändern stand, statt Alles auf eine Karte zu setzen, lieber das ganze Spiel auf. Die Möglichkeit, es bei einer bessern Chance wieder anzuknüpfen, blieb ihm ohnedicß. Nachdem nun sogar St. Jean d'Acrc, eigentlich nicht genommen, sondern durch die unwiderstehliche Kraft von fünfhundert Feuer-schlündcn auf Vüchscnschußwcite in die Luft gesprengt und vernichtet worden war, dachte der Vicctö'nig nur noch daran, sich zu erhalten, was noch zu erhalten war. >) l) Die Engländer selbst rühmten sich im Morning chronicle, einem ministeriellen Blatt, daß durch den immensen Vortheil, den ihre beweglichen Secbattericen jetzt durch die großen Furtschritte in diesem Fach darbieten, feine Festung, die vom Meere ans beschossen werden lönne, einer Flotte von 5 — 6oo Feuerschlünden mehr zu widerstehen im Stande wäre. Das wareu also leichte Lorbeeren! I» Ich weiß aus bester Quelle, daß Ibrahim von Anfang an Instruktionen in diesem Sinne von seinem Vater hatte, was auch allein die Lauheit und ganz negative Kriegführung dieses sonst so feurigen und determinir-ten Soldaten erklären kann. Die Rolle eines Mannes, wie Mehemeb Ali, ist aber nie als ganz ausgespielt zu betrachten, so lange er in Freiheit lebt, und uoch alle Elemente der Macht in seiner Hand hält. Dies hat er sich aber, sowie seine faktische Unabhängigkeit, mit vieler Geschicklichkeil zu bewahren gewußt, und wer kann vorhersagen, ob die Vorsehung, die ihm einmal eine welthistorische Bestimmung gab, dieses Amt ihm schon gänzlich abgenommen hat. Abgeschmackt ist es aber jedenfalls, aus dessen jetzt so sehr verminderter Bedeutung folgern zu wollen, daß ein Mann, der durch das Außerordentliche seiner Thaten so lange Jahre hindurch die Blicke der Welt auf sich zog, von jeher nur ein Taschenspieler gewesen sep, der dem Orient und Europa ein bloßes Blendwerk vorgemacht. Dies wäre wahrlich noch weniger schmeichelhaft fü'r die Vctrogncn als den Betrüger. Wahr ist es aber und merkwürdig, daß ein 11 Hauptgrund dcs schnellen Falles Mchcmcd Ali's gerade in seinem verdienstvollsten Wirken zu suchen ist. Denn dadurch, daß er die Völker dcs Orients zu einer höhcru Bildung zn erheben suchte, daß er zu diesem Behuf immer mehr und mehr selbst Europäischen Sitten und Gebräuchen sich uäherte, Vieles davon allgemein einzuführen suchte, und seine ganze Regierung diese Tendenz immer deutlicher verfolgen ließ, auch daß der Sultan, seinem Beispiel folgend, denselben Weg einschlug — erwachte ein ganz neuer Sinn im Orient. Jene seit lange so stationär gebliebenen Völker begannen zu cchncu, daß sie fremden Einflusses bedürftig seven, und daß ihnen nur Verschmelzung mit europäischer Cultur — ich meine nicht durch bloße servile Nachäffnng, noch weniger durch religiöse Bekehrung — eiue neue, eigne, organische Umbildung, und dadurch kü'nftig ciucn weit sicherern und glücklicheren inneren Znstand gewahren könne, als sie bisher nnter irgend einem muhameda« nischcn Scepter genossen hatten. Eine direkte Ober-' Herrschaft europäischer Machte erschien daher schon seit geraumer Zeit Vielen unter ilmen nicht uur möglich, soudcrn auch wünschenswert!) — denn sie 12 erhielten dann aus erster Hand, was ihnen Mche-med Ali nnr mittelbar und unvollständig geben konnte. Als daher die Engländer und Deutschen gegen diesen feindlich in die Schranken traten, kam ihnen überall Syriens Bevölkerung fast jubelnd entgegen, und siel ohne Halt vom Aegyptischen Gouvernement ab, bis anf den einzigen Emir Bcschir, der eine tiefere Einsicht, und überdieß mit Mehemcd Ali nur ein gleiches Interesse hatte. Demohngeachtct wußten die Syrier recht gut, daß sie, selbst unter Ibrahim's Säbclscevter und den vielfachen partiellen Bedrückungen seiner Günstlinge, (denn Mehcmed Ali hatte leider Syrien seinem Sohne fast unumschränkt übergeben) doch immer noch weit besser daran waren, als sie unter des Sultans schwachem Regiment je gewesen, und daß sie auch wiederum in ein weit größeres Elend versinken müßten, wenn die alten Verhältnisse zurückkehrten — aber sie hofften dunkel auf ganz neue Verhältnisse, einen neuen Herrn von Europäischer Hand. Ein großes Motiv hierzu lag schon darin, daß in Syrien, besonders im Littorale und dem Libanon, ein großer Theil der einflußreichsten Bewohner bereits Christen sind, ein anderer, eben so zz mächtiger, die Drusen, keine kirchliche Intoleranz kennen, und sich im Gegentheil mit jeder Religion sehr leicht abzufinden wissen '). Aber selbst eine große Anzahl der gebildeten Muselmänner gab solchen Gedanken Naum, und mit Verwunderung fand ich diese, mit den ehemaligen fanatischen Ansichten dieser Länder so stark contrastirendc Idee nicht allein m Syrien, sondern selbst in Kleinasien, wenn auch nicht den Massen völlig klar, doch keimend, und unter den mehr Sclbstdenkcnden auffallend verbreitet. Es ist daher nur der Wahrheit angemessen, wenn ich sage, daß die heutigen Sieger grö'ßtentheils Mchemcd Ali selbst jenen gewichtigen Vortheil, das Volk auf ihrer Seite gefunden zu haben, danken müssen, ein Vortheil, dessen Daseyn ihn desto leichter stürzte, (wie dasselbe Streben anch Mahmud's Macht untergrub) aber dem Orient im Ganzen doch der größte Gewinn bleibt, hätte auch Mchcmed Ali nur, gleich den Massen, sich selbst unbewußt »der Gottheit lebendiges Kleid gewirkt." y Der Emir Beschir war Christ und Muhamedaner zugleich, und wäre auch uvch Jude geworden, wenn ihm dies den Scepter Syriens hätte verschaffen können. 14 Gewiß ist cs zugleich, daß eine solche, den letzten Ereignissen schon zuvorgegangcnc Stimmung in den Völkern des Orients, auch in Zukunft jeder Europäischen Macht, die sie wird ausbeuten wollen und können, eine entscheidende Einwirkung auf jene Länder sehr erleichtern muß, und die Zeit wird kommen, wo dies geschieht. Findet dann eine gegenseitige heilsame Durchdringung der so lange geschiedenen Bildungselcmentc beider Welttheilc statt, so wird dies ohnfchlbar zu einer Hauptepoche in der Geschichte, wie im allgemeinen Fortschritt der Menschheit führen, und beschattet dergestalt einst, in mehr oder weniger ferner Zeit, ein solcher fruchtbeladncr Baum die Welt, so wird man auch Mchemed Ali eines Ehrenplatzes an seinem Fuße nicht berauben können. Es bleibt mir nun blos noch übrig, einiges Persönliche anzuführen, was ich ganz übergehen würde, wenn es nicht der Schwachen und Leichtgläubigen wegen nöthig wäre. Man hat in mehreren öffentlichen Blättern behauptet, ich nähme nur deßhalb so leidenschaftlich Mehcmed Ali's Partie, weil er mich mit Geschenken !5 und Gnaden überhäuft, ja man gab beinahe zu verstehen, ich stünde so gut wie in seinem Solde. Diesen Insinuationen liegt wenig Wahres zum Grunde. Was die mir erwiesenen Gnaden und Gunst betrifft, so habe ich mich deren allerdings eine geraume Zcit lang in seltnem Grade zu erfreuen gehabt, und werde derselben auch stets mit Dankbarkeit und persönlicher Genugthuung gedenken, besonders, daß der Vicckö'nig einmal, auf meine alleinige Fürsprache, einem der angesehensten und reichsten Kaufleute Kahira's die gesetzlich verwirkte Freiheit, wie den Verlust des größten Theils seines Vermögens, ohne Rückhalt zurückgab. Während dieser Zeit ward ich auch durch viele Monate, nach orientalischer Sitte, als des Fürsten Gast betrachtet, und als solcher für Wohnung und Lcbcns-mittcl, wie sie das Land liefert, frei gehalten, in Kahira nnd Alerandricn sogar mit einer Pracht, der ich gern enthoben gewesen wäre, da sie mir viel gsne verursachte, und auch Jedermann weiß, daß die orientalische Gastfreiheit der Großen an ihre Diener oft theurer bezahlt werden muß, als sie werth ist. Uebrigcns war es Mehemcd Ali bekannt, daß ,6 der Bey von Tunis mich ganz mit derselben Muni-sicenz behandelt hatte. Was aber die Geschenke betrifft, so kann ich versichern, daß ich von Mchcmed Ali nie ein anderes Geschenk erhalten babe, als ein nacktes Füllen, was nur dadurch einen großen Werth für mich bckam, daß er es selbst für mich im Gestüt von Schubra auswählte. Auch Ibrahim Pascha gab mir deren zwei von seiner Zucht durch Vaki Bey. Der Transport dieser Thiere, für die ich ein eignes Schiff nach Trieft miethen mußte, hat mich weit mehr gekostet als sie werth waren, und unter den ächten arabischen Pferden, die ich später selbst in der Wüste kaufte, ist kcins, was nicht den Preis dieser drei Füllen zehnmal überstiege. Ein sonderbarer Umstand ist es, beiläufig gesagt, daß Mchcmcd Ali's munterer Hengst, der ein gutes Iagdpfcrd geworden war, beim Sprunge über einen Bach sich tödtlich beschädigte, an demselben Tage wo St. Jean d'Acre siel. Indessen ich blieb vielleicht zu lange im Acgppti-schen Neich. Der Charakter der Orientalen ist voller Argwohn, und Mehcmed Ali hat mehr als irgend 17 Einer nur zu oft triftige Ursache gehabt, Europäern zu mißtrauen. Die Auszeichnung, die er mir zu Theil werden ließ, die unverdiente Bcdcutcndhcit, die er mir beilegte, hatten bei vielen einflußreichen Personen, Europäern wie Türken, in hohem Grade Neid und Mißgunst erregt, wozu noch kam, daß ich, wenn Mehemed Ali es verlangte, ihm meine Ansichten über Jedermann ganz ungescheut (vielleicht auch unge-scheidt) mittheilte. So gewahrte ich denn bald, daß Intriguen aller Art gegen mich in Bewegung gesetzt wurden, kümmerte mich aber wenig darum. In dieser Zeit, d. h. während meines zweittn Ausenthaltes in Kahira, (wo ich Mchcmed Ali's genereusc Gastfreiheit ganz abgelehnt batte), sandte ich einen Artikel in die Augsburger allgemeine Zeitung, in dem sich einige sehr unschuldige Bemerkungen über die corpu-lentc Beschaffenheit des jüngeren Sohnes des Vice-kö'nigs, Said Bey, befanden, die aber ein übles Ansehen durch den unglücklichen Umstand erhielten, daß die Redaction für gut fand, dem erwähnten Aufsatz die Ucbcrschrift: „der dicke Prinz" zu geben. Dieß warb übersetzt und Mchemed Ali vor- Mchcmcd Ali's Mcich. I. 2 18 gelesen. Von diesem Augenblick an bemerkte ich eine gewisseKältc und verminderte Vertraulichkeit in seinem Wesen, die mich betrübten, gegen die ich aber nichts mehr thun konnte, da jede Erplication das Uebel nur ärger machen mnßte. Spater, als ich in Syrien war, wo Ibrahim herrschte nnd ein sichrer, direkter Verkehr mit Mehemed Ali mir nicht mehr möglich war, wußte man meine Abwesenheit wohl noch besser zu benutzen, mn mich der Gunst des Vicckö'nigs zu berauben. Denn nach einer Anfangs sehr glänzenden Aufnahme in Syrien durch Soliman - Pascha kam ich bald, in Folge einiger unangenehmen Vorfälle, an denen ich durchaus keine Schuld hatte, und von dcucn im Verlaufe dieses Werks specieller die Ncdc seyn wird, mit Ibrahim-Pascha's Gouvernement in ein höchst unfreundliches Verhältniß, nnd die deshalb von mir an Mehcmed Ali gerichtete Beschwerde — blieb ohne alle Antwort. Seitdem habe ich, obgleich ich noch über sechs Monate im Lande verblieb, vom Gouvernement weder etwas angenommen, noch ferner mit ihn: das Geringste zn thun gehabt, bis auf eine, in langen Intervallen, fortdauernde Correspondenz mit Voghos 19 Bey, der sich stets gleich gegen mich geblieben ist, und mich auch des Vicekönigs freundlicher Gesinnung immer versichert hat, ohne daß ich dergleichen für mehr als eine Phrase der Courtoisie genommen hätte. Demohngeachtet gab mir dies später Gelegenheit, mich bei der bekannten Verfolgung der Juden in Damaskus für einen unter ihnen, von dessen Unschuld ich überzeugt war, bei Boghos Bey zu verwenden, und die Danksagungen, die ich von der in Ncde stehenden Person erhielt, haben mir den guten Erfolg verbürgt. Man sieht also, daß meine Beziehungen zu Mehemcd Ali nicht immer ungetrübt geblieben sind, und ich, gerade dem Ende nach, aus persönlichen Rücksichten wenig Beruf fühlen könnte, für ihn die Feder zu führen, wenn mich nicht die wahrste Verehrung für die hohen Eigenschaften und die große historische Wirksamkeit dieses Fürsten heute wie damals bewögen, wenigstens unparteiisch das, was ich für Wahrheit halte, über ihn zu sagen und dadurch, so weit meine schwachen Kräfte reichen, ihn gegen die vielen ungerechten Anklagen und schiefen Beurtheilungen zu vertheidigen, mit denen namentlich 2" 20 deutsche Schriftsteller und deutsche Berichte ihn zu Verfolgen so viel Beharrlichkeit zeigen, was um so auffallender ist, da die ausgezeichnetsten Männer unter den Engländern und Franzosen, wie noch neuerlich der tapfere Commodore, der ihn so hart bekämpft, ihm stets weit mehr Gerechtigkeit widerfahren ließen. Aus Mehemed Ali s Reich< Erster Theil. Nnterägypten. Ankunft. Eine goldne, feurige Sonne leuchtete mir zum ersten Tage des neuen Jahres 1837, einc warme, balsamische Luft wehte über dem wolllistig sich schaukelnden Meere, doch schwarze Wolken rollten einzeln am Himmel, und verdeckten von Zeit zu Zeit das wohlthätige Gestirn des Tages — ein Bild des irdischen Lebens, wenn dies zu den glücklichsten gehört. In höchster Pracht glänzte der Ida auf Kandia, vom frisch über Nacht gefallenen Schnee in ein flimmerndes Gewand fleckenlosen Weißes gekleidet, gehoben noch vom dunklen, tief ausgezackten Kranz der Berge und Felsen, die sich gleich einer treuen Leibwache um ihn her lagerten. Sanft glitten wir in der bequemen Felutke über den Wasserspiegel hin, und näherten uns mit taktmäßigen Ruderschlägcn der Brigg des 24 Vicckönigs von Acgypten, Scmcndidschad, ') die mich in einer kahlen Bucht der Insel Dia erwartete, und jetzt mit dem Donner ihrer Kanonen empfing. Sie hat ein historisches Interesse, diese kleine Brigg, denn auf ihr entfloh Osman Pascha, des Vicckönigs undankbarer Liebling, zum türkischen Sultan nach Constantiuopcl. Ich bestieg sie mit meinem geringen Gefolge, und befand mich in wenig Augenblicken als dc alleinige Europäer (nur mit Ausnahme eines einzigen meiner Diener, der ein Deutscher ist,) unter einigen hundert Kandioten, Arabern, Türken und Negern, fremdartigen Anblicks und mir meist unverständlicher Rede. Doch Jeder von ihnen bccifertc sich, mir seine Ergebenheit zu bezeigen, außerdem waren des Kapitäns Zimmer, mit allen nöthigen Bequemlichkeiten verschen, mir auf Mustapha Pascha's Befehl zuvorkommend eingeräumt worden, und Alles versprach daher die angenehmste Fahrt über die l) Ich beziehe mich. die Orthographie der arabischen Worte betreffend, auf Tcmilass» in Afrika. Ich schreibe sie nicht ara^ bisch, sunvern nach dem Klänge, für Ohren und Augen der Deutschen. 25 Lybischc Sec. Doch kannte ich mein Unglück anf dem Meere bereits zu gut, um je solcher Hoffnung mit Zuversicht Raum zu geben. Gegen Abend fanden wir auch schon ein von den heftigen Südwinden der vorigen Woche aufgewühltes Meer, das, uns wild entgegenströmend, dem durch günstigen Nord getriebnen Schiff die widerlichsten Stöße gab, und in der Nacht steigerte sich der Wind fast zum Sturm. Die zierliche Ordnung, welche ich in meiner Kajüte mühsam hergestellt, fand bald ein klägliches Ende. In wenig Augenblicken waren alle Tische mit Papieren, Büchern Flaschen, Gläsern unter fürchterlichem Gckrachc übereinander gestürzt, uud während ich mich an mein Bett anklammerte, um wenigstens meinen eignen Posten zu behaupten, rollte auf dem Verdeck eine Tonne über den Glasdom meiner Schlafkammer hin, und sandte diesen in hundert Scherben zerschmettert, gleich spitzen Schloßen, auf mich nieder. An ein Aufräumen dieser chaotischen Massen war bei dem fortwährenden gewaltigen Schwanken der Brigg, über welche die Wellen mehrmals hin-wcgströmtcn, gar nicht zu denken. — Uebcrdem 26 befanden sich alle meine Leute schon seit mehreren Stunden in einer solchen Agonie der Seekrankheit, daß ich in den zwei Tagen und Nächten, wo dieses Wetter andauerte, keinen davon mehr zu schcn bekam. Hätte sich nicht ein alter Neger aus dem Sennär meiner erbarmt, ich wäre ohne allen Beistand geblieben, denn weder der Kapitän, von dem der Neger mit einiger Verachtung sagte, er sei selbst seekrank, noch sonst Jemand von der Schiffsmannschaft ließen sich blicken. Uebcrhaupt schien viel Verwirrung beim Kommando zu herrschen, und alle Evolutionen gingen mit einem Lärm und zugleich einer Langsamkeit vor sich, die man auf europäischen Kriegsschiffen nicht gewohnt ist, so daß, hätte ich nur diese Brigg von Mehcmed Ali's Flotte kennen gelernt, ich mir eine sehr ungünstige Idee von derselben gebildet haben würde. Es war nichts zu thun, als sich mit Geduld zu wassnen, so ruhig als möglich im Bett zu verweilen, und es den zerbrochen umhcrgestrcuten Effekten zu überlassen, sich von selbst nach und nach wieder unter einander fest zurollen. Fünfzig Stunden brachte ich in dieser Lage mit türkischem Phlegma zu, von der Krankheit selbst nur mäßig heimgesucht, aber fast 27 jeder Bewegung unfähig, und nur selten, mit nicht geringer Mühe das Kunststück versuchend, eine Tasse Fleischbrühe, die mir dcr Neger, wie ein Seiltänzer sich gcbehrdend, hcrbcibrachte, auszutrinken, ohne die Hälfte derselben ins Bett fließen zu lassen, oder ein mageres Stück Hammelfleisch mit den Fingern zu zerpflücken, um der unumgänglichsten Nahrung nicht ganz zu entbehren. Erst am dritten Tage, während wir beständig mit eingezogncn Segeln geschifft, die Nächte aber uns sogar furchtsam «n p«„n« gelegt, und dennoch fünf bis sechs Miglien in der Stunde im Durchschnitt zurückgelegt hatten, besänftigte sich dcr Sturmgott, das Meer ward bcmcrklich ruhiger, und mit großer Freude erfuhr ich von einem meiner endlich wicdcrauferstan-denen Diener, daß Abukir's Bai sich schon seitwärts hinter den schwankenden Wellen zeige, und Aleran-dria's Arsenal am Horizonte sichtbar werde. Obgleich noch betänbt und von dem heftigsten Kopfschmerz, als gewöhnliche Folge dcr Seekrankheit, geplagt, warf ich schnell meinen Mantel nm, und kletterte zum Verdeck hinan. Noch immer stiegen die aschgrauen Wogen bis an des Schiffes Nand, noch immer war man das 28 Spiel einer auf- und niedcrgoschwungenen Schaukel — doch in erträglicherem Maaße als bisher, und der Anblick des schon vom Nil gefärbten Meeres, der Anblick Aegyptens — des langersehnten — ließ mich bald alles Leid vergessen. Noch einige Stunden — und da lag sie vor mir, des unsterblichen Macedoniers stolze Stadt — mit allen ihren tausend romantischen Erinnerungen, neu geboren durch einen neuen mace-dom'schen Helden der Geschichte, schon glanzvoll wieder erwachsen zwischen der Wüste und dem Meer, halb europäisch, halb orientalisch aus den Wellen emporsteigend, und gleich einer Fata morgana über stachen Sanbufern thronend, welche hinter den bäumenden Wellenreihen bald jähling aufzutauchen, bald eben so schnell wieder zu verschwinden schienen. Ohne sichtbare feste Basis erblickte man, wie in der Luft schwankend, weiße Pallästc, crcnclirtc Wälle, grüne Palmcnhaine, des Pompejus hohe Säule, und vor ihr einen Wald von Masten aus dem Meere ragend, der von einem Ende des majestätischen Hafens bis zum andern reichte. Ein Fort nimmt jetzt die Stelle des alten berühmten Pharus der Ptolemäer ein, uud des Vicekönigs weitläuftigc Residenz trennt den neuen 2D Hafen von dem alten, welche beide ihre Benennungen vertauscht baden — denn der älteste ist heute wieder der allein gebrauchte geworden, der sogenannte neue ohne Schiffe und versandet. Das ganze Schauspiel war im hohen Grade aus dem Gewöhnlichen heraustretend, doch je näher wir kamen, je außerordentlicher ward die Scene, vor allem der Anblick der Flotte, dieses kolossalen Werkes von nur acht Jahren in der Hand eines schöpferischen Genius. Wir befanden uns im Anfang des Bairam, und zehn Linienschiffe, jedes von mehr als hundert Kanonen, sechs Fregatten über fünfzig, und einige zwanzig Corvetten und Briggs, in langen Reihen ausgestellt, und mit unzähligen Flaggen der verschiedensten Farben vom Gipfel der Mäste bis zum Verdeck herab bedeckt, boteu ein Fcstgcprängc von seltner Pracht. Kaum aber hatte der Pilot uns durch den seichten Eingang hindurchgcführt, als von allen Forts und von allen Schiffen ein Feuer begann, das den vollständigsten Begriff einer Seeschlacht gab. In wenigen Sekunden verschwanden die Palläste, die Schiffe, das Meer selbst vor unsern Augen, und nichts als ein wirbelnder Nauch erfüllte die Atmossphäre, 3N nichts blieb sichtbar als die rochen Blitze der Fcuer-schlünde, nichts hörbar als ihr betäubender Donner, rechts und links und vor und hinter uns, als habe ganz Alerandricn sich in einen feuerspeienden Vulkan verwandelt. Der Geist des Mannes, der hier waltet, schien auf den Wassern zu schweben, um sich in aller seiner Macht und Größe kund zu thun. Es war ein erhebendes Gefühl, ein herrlicher Empfang an der Grenze des geheimnißvollen Reiches, des Landes alter und neuer Wunder, das endlich vor mir lag, und ich dankte tief ergriffen meinem Stern, der mich nach manchem Sträuben, nach mancher mir in den Weg geworfenen Gefahr, zuletzt dennoch glücklich hergeführt. Alexandvia. Alexandvia. Empfang. Nelson, Voghos Dry. Wir hatten kaum geankert, als man mir schon den Besuch des Major-Generals der Flotte, Bcsson Bey, ankündigte, der, durch den Scraskier Kandia's von meiner Ankunft unterrichtet, mit großer Zuvorkommenheit mir eine Wohnung in scinem Hütel auf dem neuen Ibrahimsplatze anbot, und mir zugleich ankündigte, daß seine Equipage mich, sobald ich bereit seyn würde, am Ufer erwarte. Dieser hoch von Mchemed Ali geehrte Franzose, die eigentliche Seele der hiesigen Marine, ist derselbe ehemalige französische Kapitän Bcsson, welcher Napoleon in Nochcfort anbot, ihn nach Amerika zn führen, und als der Kaiser, trotz allem Flehen Vcsson's, bei dem für ihn so schicksalsschweren Entschluß verblieb, 32 sich dem Edelmuts dcr Engländer anzuvertrauen! noch einen Tag vor dem Kaiser allein absegelte, und — auf seiner ganzen Fahrt keinem einzigen feindlichen Schiffe begegnete! Ich bat nur um einige Zeit, das Chaos meiner Sachen auf dem Schiffe zu ordnen, und als ich nach einer halben Stunde am neuen Quai an's Land stieg (ohne irgend eine Belästigung der dienstbeflissenen Populace zu empfinden, wie sie z. B. in Algier und mehreren andern Hafenstädten so peinlich wird) fand ich bereits einen eleganten englischen Wagen mit zwei arabischen Pferden bespannt, und mehrere riesige Kamcclc zum Transport meiner Effekten vor. Sehr zufrieden, wieder festen Vodcn unter nur zu fühlen, sprang ich eilig in die Vritschka und rollte im raschen Trabe durch die engen Gaffen des noch türkisch gebliebenen Theiles dcr Stadt, mit seinem eben so buntcu als schmutzigen Gewühl, seinen rothen, weißen und grünen Soldaten mit blitzendem Gewehr, und — wie H. v. Prokesch so treffend sagt ^ seinen orientalischen Schichten von Gestank und Wohlgcrüchen. So gelangte ich bis zum Frankenquartier, dessen nettes, reinliches Ansehn und seine ganz im euro- 3s Päischen Stpl erbauten Palläste jede Stadt unseres civilisirteren Weltthcils zieren würden, obgleich ein Theil des Bodens, aus dem sie stehen, erst kürzlich dem Meere abgewonnen wurde. Hier wohnen auch sämmtliche fremde Consuln, deren des Vairams wegen aufgezogne ungeheure Flaggen den festlichen Anblick des Ganzen um so mehr erhöhten, da nach allen diesen Fahnen, die an hohen Mastbäumen auf den obersten Terrassen der Häuser wehen, leichte Wendeltreppen, gleich Schneckcnthürmen, bis an die höchste Spitze der Masten hinaufführen. Der liebenswürdige General empfing mich an der Pforte seines Hätels, wies mir eine reich mcublirte, wcitla'uftigc Neihe Zimmer im ersten Stockwerk an, machte mich dort mit Herrn Noqnerbes, dem preußischen Consul, bekannt, der, wie ich vernahm, über mir in demselben Hause wohnte, und sorgte so gütig und vollständig für alle meine Bedürfnisse, daß mir auch nicht das Geringste zu wünschen übrig blieb. Schon am andern Tage war die Antwort des Vice-Königs auf die Seiner Hoheit zugesandten Briefe Mchcmcd Mi's Rcich, I. I 34 angekommen, worauf Bogos Bey, der erste und vertrauteste Minister Mehemed Ali's, mich mit seinem Besuche beehrte. Bogos Bey ist ein Armenier und Christ, der als Dragoman seine Carriere begann, sich aber durch sein Talent, seine Treue, und ein in hohem Grade conciliantes Bene men gegen Hohe und Geringe, die volle Gunst seines Herrn und viel Popularität bei Fremden und Einheimischen, besonders lden geringeren Klassen, zu erwerben gewußt hat. Seine Erscheinung zeichnet sich durch die größte Einfachheit aus, und seine Formen, obgleich die eines Mannes von Welt, sind fast von studirter Demuth, wiewohl keineswegs ohne Würde, noch selbst ohne das wohl merkbar werdende Gefühl seiner Wichtigkeit im Staat, Wie des hohen Einstuffes, den er bei seinem Herrn genießt. Nur einmal, und vor langer Zeit, sagt man, schwankte diese Gunst aus unbekannten Gründen, und Mchemcd Ali's Zorn ward in solchem Grade rege, daß er Bogos' heimliche Hinrichtung befahl. Der Consul Nosetti rettete ihn auf fast abenthcuerliche Weise, und hielt ihn so lange ver- 35 borgen, bis der Pascha, der seinen Befehl längst ausgeführt glaubte, tiefen Schmerz bezeigte, einen Mann verloren zu haben, der ihm unentbehrlich sey. Man wagte jetzt, Mehcmed Ali die Wahrheit zu entdecken, und von diesem Augenblick an hat, so viel man weiß, das Vertrauen, welches er Vogos Bey geschenkt, nie einen zweiten Stoß erlitten. Aber auch des Ministers Dankbarkeit gegen die Familie seines Retters hat sich, selbst nach dieses Tode, noch auf seine hinterlassenen Erben ausgedehnt, und ebenfalls nie einen Augenblick gewankt. Alle Handelsgeschäfte, aller Verkehr mit den Consuln, wie die äußere Politik werden durch Bogos Bey geleitet, und da der Vice-König bis jetzt noch der einzige gigantische Kaufmann seines Reiches, ist, auch Politik und Handel hier mehr noch und specieller als anderswo mit einander zusammenstießen, so kann man darnach den Umfang seines Wirkungskreises und seiner Geschäfte abmessen. Er ist jetzt ein Mann von einigen sechzig Jahren, mit blitzenden kleinen Augen, deren Feuer und listigen, etwas unstätcn Ausdruck er sehr charakteristisch durch das stets tief hcrab- 3" 3S gezogene Tuch seiner Kopfbedeckung möglichst zu mildern und zu verbergen sucht. Ohne alle Gescha'fts-Affcktation und leicht zugänglich ist er doch von unermüdlicher Arbeitsamkeit, dabei von einer sich nie vcrläugnenden Affabilität gegen Jedermann, ein Feind alles Lurus und aller Ostentation, tief verschwiegen, und gewiß der Schlauste unter den Schlauen. Ueber dies Letztere klagt der Handelsstand, dennoch hat Jeder lieber mit ihm als mit anderen Mächtigen hier zu thun, denn die List tritt wenigstens immer sanfter auf, als die rohe Gewalt, wenn auch die Resultate zuletzt oft dieselben bleiben. Ich werde wahrscheinlich häusig Gelegenheit haben, auf diesen für Acgyptcn so bedeutenden Mann zurückzukommen, hier möge es genügen hinzuzufügen, daß unsre erste, sehr vcrschiedne Gegenstände berührende Unterhaltung mein lebhaftestes Interesse erweckte, so wie die freundlichen und schmeichelhaften Worte, welche er mir von Seiten Seiner Hoheit überbrachte, in der That eben so sehr meine Verwunderung als meine lebhafteste Dankbarkeit hervorrufen mußten. Während meines diesmaligen Aufcnt- 37 Halts in Alerandrien sah ich ihn nur noch einigemal in seinem eignen Hause, aber jeder Besuch bekräftigte die vortheilhafte Meinung, die mir seine erste Erscheinung eingestöst. Ich mußte dabei in gleichem Maße den Scharfsinn bewundern, mit dem er Europäische Zustände und Politik benrtheilte, als mir die sichere Gewandtheit des vollendeten Hofmanns und die Grazie der Formen an einem Manne ausfielen, dem alle Art Europäischer Bildung stets fern geblieben war. Endlich ist es fast Pflicht, hier meinen Dank für die völlig unverdienten Auszeichnungen auszusprcchcn, die mir auf Befehl des Vicekönigs durch ihn zu Theil wurden. Equipagen nud Reitpferde Seiner Hoheit wurden zu meiner Disposition gestellt, man sandte mir eine Ehrenwache, die ich nur mit Mühe ablehnen konnte, bei meinem Besuch der Flotte ward ich vom Admiral mit denselben Ehrenbezeigungen wie in Kandia empfangen, und jedes Verlangen, das ich nur äußerte, es mochte seyn wo es wollte, becifertc man sich sogleich mit der größten Bereitwilligkeit zu erfüllen, so wie mich Alles sehen zu lassen was ich wünschte, ohne 38 dabei der geringsten Geheimnißkramerei Raum zu geben '). l) Vog»s Bey ist, wie bekannt, kürzlich gestorben, ein großer Verlust für den Vicekönig, denn dieser hatte wenig treuere, «nd gewiß keinen gescheidteren Diener. Der neidische Haß der Großen wagte erst an Vogos Vey'S Grabe sich zu verrathen. Alle Europäer haben nur Ursache sein Andenken zu ehren, und dieses auch durch ihre Theilnahme bewiesen. Alterthümer. Mem erstes Geschäft nach Beseitigung der gesellschaftlichen Pflichten war natürlich die wenigen Ucberrestc aus alter Zeit zu besichtigen, die Alcrandrim noch auszuweisen hat. Nur weit sich zwischen dem Meer und dem See Mareotis hin-erstreckcnde Hügclreihen von Schutt, die Jahrtausende gebildet, sind von so vielen vergangenen Herrlichkeiten und einer Stadt mit 600,000 Einwohnern übrig geblieben, welche lange als die zweite der Welt angesehen wurde, und es vielleicht wieder einmal werden kann. Doch mag man in diesem Gewirr noch deutlich die Lage jener Hauptstraße erkennen, welche vom Kanoväischen Thore bis zur Nckropolis, 30 Stadien lang von Ost nach West, führte. Viele Säulen, die längs derselben noch vor zehn Jahren standen, wurden seitdem niedergerissen 4« und zum Theil beim Bau dcs Arsenals verwandt. Von der zweiten prachtvollen Straße, die jene erwähnte vom Thor der Sonne nach dem dcs Mondes durchkreuzte, ist selbst die Spur verschwunden, und nur die sogenannte Pompejussäulc, die Nadeln der Cleopatra nnd die Katakomben verdienen einen Besuch. Sie sind sämmtlich so nnzähligcmal beschrieben worden, daß ich sie mit wenigen Worten abfertigen kann. Ich besah sie auf einem unterhaltenden Spazierritt in Gesellschaft dcs Herrn Lesscvs, des eleganten Consuls Frankreichs, und eines jnngcn Arztes, Herrn Aubcrt, der sich während der letzten Pest- und Cholcracpochen durch seine Intrcpidität und Geschicklichkcit viel Ehre hier erworben hat. Er versicherte uns, daß er den Tod der Pestkranken für einen der angenehmsten halte, denn wenig Schmerz und heitre Phantasien führten den Kranken sanft hinüber in das unbekannte Land. Nebrigcns verläßt die Pest Alcrandricn fast nie ganz, und anch jetzt ereigneten sich stets mehrere Fälle dieser Art, obgleich die eigentliche Epidemie längst aufgehört hat. Glücklicherweise ist die Pest von allen ansteckenden Krankheiten diejenige, deren man sich durch Vorsicht am 4t 4t leichtesten erwehren kann; weit fürchterlicher in jeder Hinsicht erscheint ihre grausame Schwester, die Cholera. An den Nadeln der Cleopatra, (ein hyperpoe-tischcr Name!) worunter man zwei Obelisken aus rosafarbnem Granit versteht, von denen der cinc umgeworfen ist, und die vereint einst vor dem Tempel Cäsar's standen, fiel mir die gewaltige Wirkung der Wittcrnng in einem so günstigen Clima anf, welche an der Ostscitc des noch aufrecht stehenden Obelisken die über einen Zoll tief eingemeißelten Hieroglyphen fast ganz zerstört hatte, während die Schrift an der westlichen Seite noch wie neu erscheint. Inmitten der kahlen hohen Schutthaufen, wo sich diese Nadeln befinden , machen sie nur wenig Effekt, obgleich ihre Massen von 80 Fuß Länge ans einem Stück an sich anschulich genug sind. Schade, daß ihre Versetzung heutzutage zn viel Schwierigkeiten macht, um sie so leicht zu neuen Zwecken anzuwenden. Herr von Pro-kcsch erzählt, daß der liegende Obelisk dem Könige Englands von Mehemed Ali geschenkt ward, der sich sogar erbot, ihn bis an's Meer auf seine Kosten schaffen zu lassen. Der hergesandte Ingenieur fand 42 aber den weitern Transport zu kostspielig. Leider haben die Franzosen sich von einer gleichen Rücksicht bei dem Obelisken von Theben nicht abschrecken lassen — ich sage leider! denn dort ist eins der erhabensten und noch fast vollständigen Monumente des Alterthums, der prachtvolle Tempel zu Luror, durch die Wegnahme des cinen seiner Obelisken vor dem Eingang wesentlich entstellt worden, während die Versetzung der hiesigen beiden Nadeln nach Europa dort noch glänzend angewandt werden und hier nichts verderben könnte. Vcide müßte man freilich nehmen, denn ein einzeln stehender Obelisk ist eine Anomalie, die bei den Aegyptern nie vorkam. Sie benutzten die Obelisken nie anders als doppelt zum Schmuck ihrer grandiosen Eingänge. Die Säule des Pompejus, jetzt dem Diocletian zugeschrieben, gewährt von ihrer Spitze ein interessantes Belvedere auf Wüste, Meer und Stadt, und ihr an 50 Fuß hoher Schaft aus polirtem Granit von ägyptischer Arbeit ist schön, das übrige, von den Römern Hinzugefügte barbarisch, und die kahle nähere Umgebung desolat, übcrdieß rund umher so voll Rattenlöcher, daß das schnelle Reiten darüber 43 wahrhaft gefährlich wird, wovon wir ein Beispiel erlebten. Die Katakomben, nebst den lächerlich so getauften »Bädern der Cleopatra," kleine Felsenkammern, die das Seewasscr anfüllt, und die vielleicht zum Waschen der Leichen dienten, aber gewiß keine Bäder waren, sind es kaum werth, daß man sich der Unbequemlichkeit ihrer Durchkriechnng unterzieht. Sie haben viel Achn-lichkeit mit denen von Milo, und wenig Acgvvtischcs, noch weniger etwas durch Knnstwcrth Ausgezeichnetes, obgleich zuweilen europäische Kleinstädter auch hier in Crtase gerathen zu müssen glauben. Dem Fcllah, welcher uns mit einem Bündel Kienholz vorlcuchtete, ging diese Leuchte aus, und wir mußten lange in der Dunkelheit bei erstickender Hitze verweilen, ehe er den Ausweg gefunden hatte, um eine neue Fackel zu holen. So unbedeutend nun auch die noch vorhandenen Alterthümer Alerandriens über der Erde sind, so wundert es mich dennoch, daß man nicht häusigere und besonders gründlichere Nachgrabungen unter ihr in diesen unermeßlichen Schutthaufen versucht hat; besonders, wenn man bedenkt, daß gerade hier zuerst die Hicroglvphenschrift in die Sprache der Eroberer 44 übersetzt wurde, und vielleicht eine einzige gefundene doppelte Inschrift, gleich dem Steine von Nosetta, bei dem jetzigen Stande der Forschung hinlänglich wäre, die umfassendsten Resultate zu gewähren!') !) Wie wir hören, hat Lepsius diesen grcsien Fund in Philae gethan. Glück auf! Die Fellah's und ihre Verhältnisse. Da es die Zeit noch erlaubte, setzten wir unsern Weg bis zu der ganz kürzlich angelegten Eisenbahn fort, bestimmt, Steine zu den neuen Bauten am Meere zu führen. Hier arbeiteten eine große Menge Fellah's, Männer, Weiber und Kinder, deren Lohn der Vicckö'mg bei allen öffentlichen Arbeiten eben um einen halben Piaster erhöht hatte. Da ich in den weiften Relationen über Aegppten die kläglichsten Icremiaden über das Elend dieser unglücklichen Klasse gelesen hatte, so war ich nicht wenig verwundert, meistens kräftige, gesund aussehende und lnstigc Menschen zu finden, die singend und lachend ihre Arbeit verrichteten, von den Aufsehern höchst nachsichtig behandelt wurden, und selbst das Backschis (Trinkgeld), um das sie uns ansprachen, nur im Scherz zu verlangen schienen. Ihr Ansehen war 46 allerdings zerlumpt, aber wo sieht man es im Orient, wie auch in Griechenland anders? Das Klima verlangt so wenig, und Ordnung und Reinlichkeit gehört noch nicht zu den Tugenden dieser Länder. Ich habe später diesem Gegenstand fortwährende Aufmerksamkeit geschenkt, und die feste Ueberzeugung gewonnen , daß die hiesigen Fellah's im Vergleich mit manchen andern ihrer Kameraden in Europa, z.B. den irländischen Bauern, welche doch Unterthanen des erleuchtetsten Gouvernements in der civilisirten > Welt sind, oder den armen Webern im Vogtlande, von denen ich erst heute, im Jahr 1843, in den Zeitungen las, daß sie ihren täglichen Verdienst höchstens auf zwei Gröschel bringen könnten, und wenn ihre einzige Nahrung, die Kartoffeln, fehlschlügen, dem Hungcrtode nahe kämen — daß, sage ich, diese Fellah's sich, obgleich mancher Härte und Willkühr-lichkeit ausgesetzt, die ich nicht abläugnen will, doch immer noch in einer Lage befinden, welche viele unsrer Proletarier oft beneiden könnten. Die Häuser der Fellah's sind meistens kleine Hütten von an der Sonne gedörrten Lchmsteinen, oder auch nur von getrocknetem Lehm aufgeführt, 47 ohne eine andere Ocffnung als die Thüre. Aber diese Wohnungen sind meistens dicht und warm im Winter, immer vor leichtem Regen und Unwetter, was ohnedem so selten hier eintritt, geschützt, schattengebend im Sommer, und geräumig genug für die geringen Bedürfnisse dieser Leute, während in Griechenland selbst die Wohlhabenderen unter den Landlcuten selten ein Dach besitzen, das nicht Schnee und Regen durchließe, und erinnert man sich vollends der von erstickendem Rauch angefüllten Schwcinstä'llc, in denen die armen Irländer hungern, und die in jenem vcrhältnißmä'ßig so kalten Klima fast gar keinen Schutz gewähren, so richtet sich das Mitleid nach einer ganz andern Seite. Die Fellah's sind arm; aber in den geringsten Dörfern Acgyptens, wo ich hinkam, fand ich fast immcr Brod, Milch, Butter, Käse, Eier, Gemüse in Fülle, auch Geflügel, in den größeren selbst Schlachtfleisch, was man uns gern für einen sehr billigen Preis zum Verkauf anbot, sobald nm kein Gouver-ucmcntsbeamter dabei war, deren Naubsucht allerdings zu den Kalamitäten Aegpfttens gehört — während in Griechenland häusig Zwiebeln, und ein fast ungenießbares Maisbrod, das Einzige sind was man 48 sich verschaffen kann, auch die Leute selbst dort in der Regel von gleicher Kost leben müssen, wie in Irland von Kartoffeln und Whiskey. Endlich hörte ich noch nie, daß ein Fellah verhungert sey, was zur Schande der Menschheit bei den irländischen Bauern notorisch schon öfters vorgekommen ist, und vielleicht heute noch möglich seyn mag. Die Fellah's sind ferner höchst elend gekleidet, aber auch hier ist der Vergleich zu ihrem Vortheil, denn erstens bedürfen sie bei dem milden Klima fast gar keiner Kleidung; zweitens habe ich bis jetzt noch nicht gesehen, daß die hiesigen Weiber, gleich den irländischen Frauen und Mädchen der genieinen Klaffen, nicht einmal Lumpen genug besaßeu, um ihre Blöße so weit zu bedecken, als es die Schaam« haftigfeit gebietet. Im Gegentheil erblickt man die Weiber der Fellah's, wenn auch oft in zerrissenen Gewändern, doch immer wie die übrigen Morgcnlän-derinnen bis an dcu Mund verhüllt, wozu sie meistens 5 — 6 Goldstücke, in einer Reihe vorn vom Antlitz bis auf die Brust herab aufgenäht, tragen, was ebenfalls mit der bodenlosen Armuth nicht recht übereinstimmen will, von der unsre philanthropischen Reisenden 49 uns ein so abschreckendes Bild entwerfen, weil sie wohl den Strohhalm im fremden Auge, aber den Balken im eigenen nicht sehen. Ich glaube, daß mitten in Paris und London thcilwcise gräßlicheres Elend nachzuweisen ist, als in ganz Aegypten gefunden werben kann. Auch hörte ich nie von Selbstmorden, die bei uns so häufig sind, und die außerordentliche Abneigung der Fcllah's, Soldaten zu werden, die sie zu den grausamsten Sclbstverstü'mmlungcn treibt, ist gleichfalls kein Beweis, daß sie sich in ihrem jetzigen Zustande so überschwenglich elend fühlten. Wer aber frisch aus Europa hier dcbarkirt, und zum erstenmal das gemeine Volk in Schmutz und Lumpen gehüllt sieht, was im Orient gang und gäbe, in Europa aber uur die Livree des höchsten Elends ist, dessen Einbildungskraft wird zu leicht ergriffen, und er sieht von nun an mit gefärbter Brille, im Fall er nicht gar absichtlich falsch seheu will. Dahin gehören aber Viele. Der größte Theil der europäischen Kaufmaun-schaft z. B., namentlich in Alerandrien, ist dem Vice-köm'g anfsäßig, aus Vrodncid, wcil er als einziger Colossalkaufmann seines Landes, sic durch sein System verhindert, die unwissenden Aegppticr nach Mchcmcd Ali's Rcich, I. 4 5 a Belieben im freien Handel zu bevortheilen, und dies wohl zum Theil selbst übernimmt, überdies aber die Spekulanten mit überlegner Schlauheit und Macht häufig zwingt, ihm seine eignen Waaren theurer abzukaufen, als es ihnen nachher Prosit bringt. Andere Feinde findet der Vicetönig in allen Avantüriers, die in Aegppten ein Eldorado für Stümper und Nichtsthuer zu finden hoffon, und es, weil sie zu nichts taugen, unvcrrichtetcr Sache wieder verlassen müssen; in Solchen ferner, die sich zwar im Anfang branchbar zeigten, aber wegen impertinenter Prätcnsionen oder zu unverschämten Dicbstahls wieder weggejagt werden mußten; llittu in obscuren Autoren, die, erstaunt vom Pascha ganz übersehen und unbeachtet geblieben zu seyn, obgleich sie ihre Intention über Acgypten zu schreiben hinlänglich annoncirt, dieß Land ohne einen Pfennig Geld, aber voll bittrer Galle verlassen, und, in Europa mit dem leeren Säckel wieder angelangt, ihr Müthchen an dem orientalischen Barbaren kühlen wollen; endlich in ehrlichen, aber imbccillen Philan-tropcn, meistens Engländern, die, sobald sie einen Mann ohne Hosen am Leibe und, allcr Wahrschein- 51 lichkeit nach, auch ohne rn5H«><>« ist frei von Feinden.' Die Perthuis Bretons sind offen — wer weiß, ob sie es morgen noch sepn werden!" Diese Worte waren leider prophetisch! Noch am 12. wußten die Engländer nichts vou des Kaisers Ankunft in Rochefort, welche ihnen erst durch den Vesnch des Herzogs von Sa-Vary und Grafen Laseases auf dem Vellerovhon bekannt ward. Dies wird dadurch unwidersprechlich bewiesen, daß sie sich bio zu diesem Zeitpunkt un-verrü'ckt am Eingang der Giroudc und deo Pcrchuis d'Antiochc hielten, um jeden Fluchtversuch der Fregatten, die auf der Nhedc der Insel Air vor Anker lagen, zu hindern. An demselben Abeud aber, wo 73 sie des Kaisers Ankunft durch die genannten Herren erfuhren, setzte sich sofort der Bellerophon in Bewegung, um in der raä« 6e» linsyuk» Anker zu werfen! allerdings die rechte Position, die er von Hause aus nehmen mußte, um beide Ausgängc zugleich zu bewachen. Ich verließ den Kaiser und stieg zum Grafen Bertrand hinab, der mir sagte, daß einige junge Offiziere, an deren Spitze sich ein gewisser Gentil, Schiffslicutcnant, befände, gekommen wären, um dem Kaiser anzubieten, ihn an Bord einer Schaluppe (clmluupe pontee) von Rochelle zu cmbarkiren, und ihn damit bis zum Eingang der riviere cle Lm-«leaux zu bringen, die Meerenge von Monmouffon passircnd, wo sich ein amerikanisches Schiff befände, das dem Kaiser die Ueberfahrt nach Amerika gestatten würde, oder dessen man sich im Fall der Weigerung bemächtigen könnte. Es waren in der That mehrere amerikanische Schiffe bci Nopant, welche der General L'Allemand besuchte, und deren Kapitäne Sr. Majestät ihre Dienste angeboten hatten. Da ich die braven jungen Leute sehr wohl kannte, die dieses Anerbieten machten, und deren 74 Namen der Nachwelt erhalten zu werden verdienen (die Herren Dovet, Lnseio-ne äe vni«»«»«, Ritter der Ehrenlegion, ein junger Mann voll Nnterneh-innngsgcist, der Ehre nnd dem Kaiser treu ergeben, Cond«, Aspirant erster Klasse, in jeder Art würdig, in die Fußstapfen seines braven Vaters, des Kommandanten Cond«, zu treten, nnd Gcntil, einer der entschlossensten Offiziere, der den ganzen spanischen Krieg unter den n,ln>l>« lie la ^ai^e mitgemacht hatte,) so erwiederte ich dem Marsch all: ich sei überzeugt, daß der Himmel selbst Seiner Majestät einen sichern Rcttungswcg anzeige, nnd daß man ihn nur sogleich benutzen müsse, da jeder Umstand sich zum glücklichen Gelingen zu vereinigen schiene. »Was wollen Sie damit sagen?" rief dcr Marschall verwundert ans. Ich will mich sogleich näher erklären, erwiederte ich. Die zwei Schaluppen von Nochelle sind vortreffliche Segler, besser ohne Zweifel als die englischen Kreuzer. Man müßte sie abschicken, eine durch die Enge von Monmousson, die andere durch den Perthuis d'Antiochc, und anf beiden Personen und Effekten einschiffen, die dem Kaiser angehören, 75 doch so, daß die Schiffscquipagcn unter sich selbst nicht wüßten, wcr sich am Bord der andern Schaluppe befände. Dann brauche man nnr, fuhr ich fort, den Befehlshabern beider leichten Fahrzeuge, jedem separat, die Ordre zu geben, die englischen Kreuzer selbst aufzusuchen, sich von ihnen jagen zu lassen, und sie so weit abzuziehen als es ihnen möglich sey; hier aber müsse man die Nachricht unter der Hand verbreiten, daß sich Napoleon auf einer dieser Schaluppen cmbarkirt habe, so daß das Personal einer jeden Schaluppe selbst der Meinung bleibe, der Kaiser sey auf der audcrn. Sobald dieser Plan genehmigt und gehörig verbreitet sey, könne man die Schaluppen am folgenden Abend absegeln laffcn, und der Kaiser wiirde an, Morgen darauf mit mir folgen, wo er dann zwei Chancen mehr hätte, seine Rettung glücklich zu bewerkstelligen. Es ist um so nöthiger, setzte ich ausdrücklich hinzu, von allen diesen günstigen Umständen auf das Schleunigste zu Prositiren, da cs höchst wahrscheinlich ist, daß der Feind, der sich jetzt noch am Eingang des Perthuis d'slntioche unter Segel hält, des Kaisers Gegenwart ignon'ren mnß, denn wüßte 76 er sie, so würde er gewiß nicht ermangeln, eine Position in der racl« äes basques zu nehmen, von der er beide Perthuis zu bewachen im Stande ist. Der Marschall schien meine Meinung zu theilen, und da er den Kaiser sogleich davon benachrichtigen wollte, nahm er mich mit zu ihm hinauf. Wir fanden Napoleon mit dem Ellbogen auf ein schönes Necessaire von Vermeil gestützt, ein Geschenk von seiner Gemahlin Marie Louise, und ein Meublc, welches Seine Majestät gewünscht hatte, bis auf den letzten Augenblick bei sich zu behalten, welches daher auch fast allein von allen noch nicht embartirt worden war. Der Kaiser erhob den Kopf und sagte mit dem Ausdruck sehr guter Laune: >>KK dien, Lertrauä, huo vou8 kl äit 1e eapita'mk Lesson?« Nachdem ihm Alles, was ich gesagt, wiederholt worden war, bezeigte er seine volle Zufriedenheit mit meinem Vorschlag, und befahl sogleich mehrere Effekten seiner Suite und eine Anzahl Provisionen an Bord der genannten Schaluppen bringen zu lassen, die Sage zu verbreiten, daß er selbst auf einer derselben sich einschiffen wolle, und sie dann beide kurz vor seiner eignen Abreise abzu- 77 senden; dann fuhr er fort: je suis ä present decide ä paitir avec vous Capitaine dans la nuit du 13. au 14.« Ich sah mit tiefem Schmerz ein, daß dieser neue Aufschub Alles unnütz machen werde, und wagte auch diesem Gedanken Worte zu geben, jedoch ohne Erfolg. Den 11 und 12. beschäftigte man sich mit den Schaluppen, und am 13. früh gingen sie unter Segel mit allen Instruktionen, die verabredet waren, welches ungehindert stattfand, obgleich der Bellerophon, auf die unterdeß erhaltene Visite des Herzogs von Savary und des Grafen Lascases, schon am 12. Abends seine neue Position in der ,-l»6e äe« dll8ljsu«8 genommen hatte. Am 13. kam Herr Marchand mit Tages Anbruch zu mir an Bord, um mir cinen ledernen Gürtel mit Gold angefüllt für des Kaisers Rechnung anzuvertrauen, und brachte mir zugleich den Befehl, mich sogleich selbst zu Seiner Majestät zu verfügen. Es schien, daß das wenige Gold, das der Kaiser mit sich nahm, getheilt worden war, und daß Herr Marchand Jedem, der sich mit Seiner Majestät ein- ___78 schiffen sollte, einen Theil davon aufzubewahren gegeben hatte. Um sieben Uhr begab ich mich zum Kaiser, den ich vollständig angezogen in seinem Zimmer auf- und abgehen fand. „Ah vous voila!" nef n \>ti ittctncm (Sintvttt, „les chaloupes sont parties, ä ce soir done .... Iß sort en est jete." Er frug mich hierauf, ob ich sicher sey, diese ganze Küste genau zu kennen, indem er mit dem Finger auf die Karte von Poitou mit der Insel Air n. s. w. zeigte, welche auf dem Tische lag. Als ich antworten wollte, trat Herr Marchand cm und sagte dem Kaiser etwas in's Ohr, worauf ich schnell verabschiedet wurde. Im Herausgehen begegnete ich einer Person, die ich vorher nie hier gesehen, und erfuhr später, daß es der König Joseph gewesen sey. Der ganze Tag ging mit möglichster Vervollständigung aller Vorbereitungen zur Neisc hin, und bei Einbruch der Nacht sagte man mir, daß die Herren, welche der Kaiser von Neuem nach dem Vellcrophon geschickt, zurückgekommen seyeu. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß erst an diesem Tage gewisse Personen von Napoleons Gefolge ihn 79 definitiv bewogen hatten, aus Besorgmß, mit ihm am Bord meiner Jacht gefangen genommen zu werden, sich mit dem Kapitain Maitland in ernstliche Unterhandlungen einzulassen, und daß dessen Antwort eben eingetroffen war, doch hatte ich damals noch keine Ahnung davon. Im Gegentheil, als Seine Majestät mich, kurz nachdem es dunkelte, wieder rufen ließ, fühlte ich die größte Freude, endlich dem Ziel meiner Wünsche nahe zu seyn. Als ich eintrat, fand ich den General Savarp, den Grafen Lascases, den Grafen Montholon und einen mir unbekannten Fremden gegenwärtig. „Kapitain," sagte der Kaiser zu mir, „Sie werden sich sogleich an Ihren Bord verfügen und meine sämmtlichen Effekten wieder ausschiffen lassen. Ich danke Ihnen aufrichtig für Alles, was Sie für mich haben thun wollen. Wenn es sich darum handelte, ein unterdrücktes Volk zu befreien, wie es meine Absicht war, als ich die Insel Elba verließ, so würde ich keinen Augenblick anstehen, mich Ihnen anzuvertrauen , aber da hier nur einzig und allein von meiner Person die Rede ist, so will ich die, welche 8a mir treu geblieben sind, und die mein Schicksal theilen, nicht Gefahren aussetzen, die zum mindesten unnütz sind. Ich bin entschlossen, nach England zu gehen, und ich begebe mich morgen auf den Bellerophon." Ein Blitz, der aus heiterer Luft mich niedergeschmettert hatte, würde keine schrecklichere Wirkung auf mich haben machen können als diese letzten Worte. Ich fühlte, daß alles Blut aus meinen Wangen wich, Thränen stürzten aus meinen Augen, und ich blieb einige Augenblicke unfähig, eine Sylbe zu erwiedern. Gleich einem aufgeschlagenen Evangelium lag es vor mir, wie furchtbar sich der Kaiser in seinen cheva-lercsken Ideen über die Magnamnntät des englischen Gouvernements irre, und tausend Gedanken der traurigsten Art stürmten auf mich ein. War ich nicht selbst während fünf langer Jahre zu verschiedenen Malen das Opfer dieses Gouvernements gewesen, dessen Treue von jeher nur mit der pmn'schcn verglichen werden konnte! ') Es ist dcchcr nicht zum i) Kapitain Äessoil war zweimal Gefaxqcut'r auf den schrecklichen englischen Pontons, sein Cntkommcn von dort romanhaft, und scine zurückgebliebene Erbitterung wohl verzeihlich. 81 Verwundern, daß ich voraus sah, was nachher geschah. „Nach England, Sire," rief ich endlich mit erstickter Stimme, »nach England! Dann sind Sie verloren! Der Tower von London wird Ihre Wohnung sepn, und Sie mögen sich glücklich schätzen, wenn es Ihnen nicht noch schlimmer ergeht. Wie, Euer Majestät wollen sich, Hände und Füße gebunden, diesem Verrätherischen Cabinet übergeben, das frohlocken wird, Den vernichten zu können, der es so tief ins Herz zu treffen wußte und seiner ganzen Enstenz den Untergang drohte — Sie der Einzige, den es zu fürchten hat, wollen sich ihm freiwillig und ohne alle Noth übergeben? Sire....." Gott weiß, was ich in meiner Verzweiflung noch hinzugesetzt haben würde, als der General Savary, der sich in einer Ecke des Salons befand, mit seiner sonoren Stimme einfallend, mir auf barsche Weise Schweigen auferlegte. „Kapitain," rief er, „Sie erlauben sich zu viel! Vergessen Sie nicht ganz, in wessen Gegenwart Sie sich befinden!" )>0l,, llll88e2 16 pmier!« sagte der Kaiser mit einem wehmüthigen Blick, der mich bis in's Innerste erschütterte. Doch sah ich bald, als ich Mchcmcd All's Rcich. I. 6 82 nur einigermaßen meine Fassung wieder erlangt, wie unnütz hier alles Weitere sey. „Verzechung, Sire," fchr ich fort, „wenn ich zu viel gesagt; ich selbst aber bin durch Ihre Entscheidung wie vom Donner gerührt, und vermag nur noch um Euer Majestät Nachsicht zu bitten. Was Sie aber betrifft, Herr Herzog," fügte ich, mich zu diesem wendend, hinzu, »so ersuche ich Sie, wenigstens den Posten zu befehlen, diese Nacht nicht Wieder auf mich zu feuern, denn es wäre zu grausam für mich, hier durch eine französische Kugel beim gezwungenen Ausladen von Effekten getroffen zu Werden, die ich in Amerika debarkiren zu können gern mein Leben zehnmal geopfert haben würde.« „Gehen Sie, Kaftitain," sagtc der Kaiser sanft, „und beruhigen Sie sich. Wenn Ihr Geschäft gethan ist, kommen Sie wieder." Ich that, wie mir befohlen, obgleich in der trostlosesten Gemüthsstimnnmg, und um 9 Uhr Abends am 14. Juli war alles beendet, worauf ich auch sogleich zur Meldung beim Kaiser wieder zurückkehrte. Ich fand ihn allein mit Herrn Mar-chand, den man wohl die pcrsonisicirtc Treue nennen 32 könnte, dessen Gefälligkeit für mich sich nie verleugnete, und ohne dessen Hülfe der Kaiser für mich vielleicht ganz unzugänglich geblieben seyn würde. Denn das Reich der Intrigue hatte schon eben so festen Fuß auf der Insel Air gefaßt, als früher in den Tuilericen. Ich will nur ein Beispiel davon anführen. Die Personen, welche bestimmt waren, sich mit dem Kaiser auf der Magdalena einzuschiffen, waren der Marschall Bcrtrand, der Graf Lascases und der General Montholon. Die zwei Letzteren waren nur sehr unbedeutend bei dem Gouvernement des Königs comvromittirt, und hatten daher nichts zu fürchten, während der General L'Allcmand bereits zum Tode verurthcilt war. Demohngcachtet konnte es dieser verdienstvolle General nic dahin bringen, seine Reklamation dem Kaiser vor Augen zu legen. Durch alle möglichen Mittel immer daran verhindert, bat er mich endlich zu gestatten, daß er sich als Matrose verkleidet unter meine Equipage mischen und so sein Leben retten dürfe. Sobald der Kaiser mich eintreten sah, ging er auf mich zu und sagte: „Kavitain, ich danke Ihnen von Neuem; sobald Sie sich hier frei gemacht haben 6'' 84 werden, kommen Sie zu mir nach England. Ich werde ohne Zweifel auch dort noch" — setzte er lächelnd hinzu — „eine Person Ihres Charakters nöthig haben können." — „Ach, Sire," erwiederte ich betrübt, „warum dars ich auch nicht die mindeste Hoffnung hegen, daß je ein Tag kommen wird, wo ich einem so schmeichelhaften Befehl Folge zu leisten berufen werden mag!« Ich wollte meiner Empfindungen nicht mächtig mich eilig entfernen, als der Kaiser mir zu bleiben winkte und Herrn Marchand hinausschicktc, um dcn Marschall Bertrand zu holen; dann nahm er von einigen Waffen zu seinem Privatgebrauch, die in einem Winkel der Stube standen, eine kostbare Doppelflinte auf, die er lange auf der Jagd geführt, und indem er mir sie darreichte, sagte er mit sehr bewegter Stimme: „Je n'ai plus vien dans ce moment a vous ofFrir, mon ami, qne cette arme. Veuillez Tacccptcr coinme un souvenir de moi." Dieses mir so unschätzbare Geschenk, und die unbeschreibliche Anmuth, mit der es gemacht wurde, 85 bewogen mich, allem mit dcm Kaiser mich sehend, fast unwillkührlich zu einem letzten Versuch. Ich warf mich ihm zu Füßen, und beschwor ihn unter Thränen bei Allem, was mir die kummervollste Ueberzeugung eingab, sich nicht den Engländern zu überliefern, da jetzt noch nichts verloren sey, und ich mich anheischig mache, in zwei Stunden Zeit alle seine Effekten von Neuem wieder an Bord zu schassen, worauf er augenblicklich selbst folgen könne. Es bedürfte nur seines Entschlusses, seines Befehls. — Ach! Alles war umsonst! — „Wohlan, Sire!" rief ich aufstehend . . . doch der unterdessen eingetretene Marschall unterbrach mich: „Kavitain, lassen Sie von Ihrem unnützeu Bestreben ab," rief er unwillig, »Ihr Eifer ist lobenswert!), Ihr Benehmen ist edel, aber Seine Majestät kaun jctzt nicht mehr zurück!" Es mochte wohl so seyn, und ich verschluckte, was mir noch anf der Zunge schwebte. »Es bleibt also nichts übrig, als mich bei Euer Majestät zu beurlauben," sagte ich, und — „abzureisen mit derselben Jacht, Sire, die für Euer Majestät bestimmt war. Ich werde genau der Route folgen, die Sie 86 approbirt hatten, und die Zeit wird, fürchte ich, Euer Majestät nur zu bald belehren, welche von beiden Partieen zu ergreifen die sicherste war." Den Tod im Herzen zog ich mich jetzt zurück und begab mich an meinen Bord. Es war zehn Uhr Abends. Ich ließ auf dcr Stelle die Anker lichten und segelte mit einer frischen Ostbrise ab, ohne durch irgend etwas beunruhigt zu werden. Beim Anbruch des Tages befand ich mich am Eingang der Pcrthuis Bretons unter die Cabotcurs gemischt. Es ist nöthig zu bemerken, daß dcr Kaiser sich erst um fünf Uhr früh auf dem Epervicr einschiffte und um neun Uhr früh am 15. auf demBcllerophon ankam. Ich hatte also langst vorher schon meinen Weg mit den Caboteurs unbemerkt fortgesetzt, und erst nachdem ich mich den Sables d'Olonncs gegenüber be--fand, nahm ich selbst Abschied von meinem Kapitain, ihm den Befehl gebend, sich auf Oucssant und Kiel durch den englischen Kanal zu dirigircn, wo er auch zwanzig Tage darauf glücklich ankam, ohne, wie bereits am Eingang erwähnt wurde, von einem ein- 87 zigen englischen Kreuzer visitirt oder sonst beunruhigt worden zu seyn. Hierauf kehrte ich für meine Person mit einem der Saboteurs nach Nochefort zurück, wo ich mich zum Marine-Prä'fckten begab, um dessen Befehle einzuholen. Dieser sagte mir, daß er auf Verlangen des Kaisers bis zum letzten Augenblick zwei Kisten mit Vaisselle bei sich zurückbehalten habe, um sie Madame Vesson zu überwachen, im Fall der Kaiser mit mir gegangen wäre. Da dieser jedoch nun einen andern Entschluß gefaßt, so habe er es für passend gehalten, diese Kisten nebst noch einigen andern, die ihm Seine Majestät anvertraut, auf den Bellcrophon zu senden. In der That sind es diese nämlichen Silbcrkisten, deren Verkauf dazu diente, in Helena des Kaisers dringendste Bedürfnisse zu befriedigen, ich selbst aber war sehr entfernt davon gewesen, nur zu ahnen, daß Seine Majestät die Fürsorge so weit getrieben haben würde, sich sogar mit dem Schicksal meiner Frau zu beschäftigen, im Fall mein Projekt zur Ausführung gekommen wäre. Meine erste Entrevue mit Madame Wesson gehörte zu den traurigsten! Wir brauchten lange Zeit, ehe wir gegenseitig Worte finden konnten für unsern 88 tiefen Schmerz. Der unglückselige Entschluß des Kaisers vernichtete ihn selbst auf immer, aber auch mein Schicksal war unvermeidlich niedergezeichnet. Ich mußte das Opfer meiner freiwilligen Handlung werden, und ich ward es. Verabschiedet als unwürdig, dem neuen Gouvernement zu dienen, sah ich mich gezwungen, mein Vaterland zu verlassen, während ich meine durch die Agitationen der letzten Tage erkrankte Frau in Nochefort allein zurückließ, wo sie lange allen Arten von Vcrationen ausgesetzt blieb. Nichts ward ihr erspart, und sie so nach und nach von den Verfolgungen der Polizei bis nach Vordeaur getrieben, wo sie endlich Gelegenheit fand, sich nach Kiel einzuschiffen. Hier sahen wir uns im December 1816 zum erstenmal wieder. Seit dieser Zeit irrte ich in dcrFrcmde umher, ohne zu wagen, mich Frankreich wieder zu nahen, ausgenommen im Jahre 1826, wo mich Seine Hoheit der Vicekö'nig von Acgpvtcn nach Marseille sandte, um die Kriegschiffe zu armiren, hie der General Livron daselbst für Seine Hoheit bauen ließ. Scu dieser Epoche datirt meine Dienstzeit in Acgypten, Dienste, welche Mchcmcd Ali mir mit Großherzigkeit belohnt hat, und glücklich werde ich 89 mich schätzen, wenn meine Thätigkeit, mein gntcr Wille, und meine innige Zuneigung für den außerordentlichen Mann, zu dem die Vorsicht mich geführt, dazu beitragen können, mich seiner Wohlthaten immer mehr und mehr würdig zu machen. Man wird diese einfache Darstellung kaum aus der Hand legen können, ohne für die Hauptfiguren derselben, den großen Kaiser uud den braven Befson die regste Theilnahme zu fühlen, obgleich man sich auch nicht verbergen kann, daß der gealterte, seit Jahren gejagte, harassirte, erschöpfte Held nicht mehr die Frische des Entschlusses besaß, die den General Bonaparte so hoch erhoben hatte. Damals war er auch noch von keiucr Hofluft berauscht worden, die nach oben allmählich selbst den besten Kopf schwächt, nach unten aber nur die Herzen anfrißt. Gott hat es indeß, wie immer, auch hier am besten zu machen gewußt, und Bcsson mag sich vollständig trösten. Dem Kaiser wäre allerdings, wenn ihn sein Netter nach Amerika gebracht, der persönliche Leidenskelch einiger Jahre erspart worden, aber W sein Ruhm, ich wiederhole es, hätte durch ein solches obscures Ende im Privatstande nur tö'dtlich leiden können. Besser war es als der Gefangene Europas auf St. Helena zu sterben. Napoleons Verehrer mögen sich daher vielmehr freuen, daß es so gekommen ist wie es kam, und nur die Engländer mögen darüber klagen, daß des kühnen Besson Plan gescheitert ist, denn sein Gelingen hätte ihnen eine der schmachvollsten Seiten ihrer Geschichte erspart. ') i) Als ich acht Monate, nachdem ich dieses geschrieben, von einer beschwerlichen und gefahrvollen Reise in Afrika's Wüsten zurückkam, fand ich den in voller Lebenskraft verlassenen Besson schon im Grabe.--------Nur sein Manuscript ist mir als Beleg für das hier mitgetheilte Bruchstück aus seinem «och in vieler andern Hinsicht höchst merkwürdigen Lcbenolcmfe zurückgeblieben. Das neue Arsenal. Wenn man das Arsenal zum erstenmal betritt, und diese colossale Anstalt mit solid und schön aufgeführten Gebäuden in ihrer ganzen unermeßlichen Ausdehnung überblickt, eine Anstalt, die den meisten ihrer Art in Europa in nichts nachsteht, ja sie in manchen Dingen noch übertrifft, wenn man die größten Schiffe dort im Bau begriffen, und lange Magazinreihen mit allem Nöthigen angefüllt vorfindet, um eine doppelte Anzahl derselben auf der Stelle vollständig equipircn zu können— wenn Einem dann gesagt wird, daß auf dieser selben Stelle vor acht Jahren noch das Meer seine Wogen rollte, und die ganze prachtvolle Flotte, die jetzt den Hafen füllt, aus eben diesem Arsenal erst hervorging, so glaubt man fast ein Mährchen zu hören. Bedenkt man endlich noch, daß diese Wunder der Thätigkeit und 92 Einsicht in einem Lande der vollendetsten Barbarei, in welchem damals kaum ein einziges der dazu erforderlichen Mittel, Arme und Hände ausgenommen, noch vorhanden waren, durch den unerschütterlichen Willen eines Einzigen gegen die Meinuug aller seiner Landsleute geschaffen worden sind, so muß sich das Staunen verdoppeln uud man gestchen, daß seit den Zeiten Peter des Großen kaum irgend ein Europäischer Souvcrain Aehnliches iu gleicher Zeit zu bewerkstelligen im Stande war. Demohngcachtet rastet Mchemcd Ali's kühner Geist auch jetzt noch nicht, und man ist eben mit einem fast gleichen Riesenwerke beschäftigt, nämlich dem Meer und einem 400 Fuß tiefen, sich darunter hinbreitcnden Schlammboden ein beliebig trocken zu lcgeudes Bassin für die ganze Flotte abzugewinnen. Die ungeheuren, mit Steinen angefüllten Kasten, die man zum Vchuf der Versenkung auf den Chanticrs konstruirt, und deren schon viele eingesenkt sind, erreichen ziemlich die Größe der Linienschiffe. Man zweifelt fast allgemein an der Möglichkeit des Gelingens, nur Mche-med Ali zweifelt nicht, denn er kennt, wie Napoleon, das Wort »unmöglich" nicht. Einer der fremden _9^ 93 Consuln sagte ihm abrathend: „Euer Hoheit werfen Ihr Geld m's Meer!" — „^llak kkeiim!« erwiederte der Vicekönig, »seit vielen Jahren thue ich nichts anderes!" In der That mußte Mehemed Ali viel Lehrgeld geben, ehe er zum Zwecke kam, aber eben daß er dieses nie scheute, und immer wieder von Neuem begann, bis der Erfolg seine Beharrlichkeit krönte — macht ihn zu dem großen Manne, der er ist. Einem meiner Freunde, der ihm einst vorwarf, sich fortwährend von Abenteurern und nnwisscndcn Projekt-machcrn täuschen nnd betrügen zu lasscn, gab er in dieser Hinsicht eine merkwürdige Antwort. „Ich weiß," sagte er, „daß nnter fünfzig Menschen, die aus Europa kommen, mir ihre Dienste anzubieten, ncunnndvierzig nur unächtcn Edelsteinen gleichen. Ohne sie zn erproben, kann ich aber den einen ächten Brillanten, der vielleicht darunter seyn mag, nicht herausfinden. Ich kaufe sie also vorläufig alle, und habe ich dann den rechten entdeckt, so ersetzt er mir oft allein den erlittenen Verlust hundertfältig.« Ein solcher ächter Brillant für den Vicckonig ist jetzt Besson, und früher war es Herr von Cerisp. 94 Schon über eine Million Gelb und ein Jahr Zeit hatte Mehemed Ali auf sein Arsenal verwandt, als dieser ausgezeichnete Franzose, nur mit geringen Empfehlungen versehen, in Alerandrien ankam. Er ward dem Vicekönig vorgestellt, der ihm gleich nach der ersten Unterhaltung auftrug, den neuen Bau zu untersuchen und ihm seine Meinung darüber mitzutheilen. Der sehr aufrichtige und etwas barsche Cerisy machte den kurzen, aber energischen Rapport, daß alles bisher Aufgeführte nicht nur nichts tauge, sondern selbst der Ort, den man dazu gewählt, ganz unpassend sey. Man kann sich denken, welche Interessen ein solcher Ausspruch beleidigen, welche Intriguen er hervorrufen mußte! Mehcmcd Ali, ohne sich irre machen zu lassen, befahl dem Herrn von Cerisy, ihm in einem dctailirtcn Memoire die Sache genauer auseinander zu setzen, und zugleich einen neuen Bauplan, ganz nach seiner individuellen Ansicht, einzureichen. Nachdem er diesen sorgfältig geprüft und des Franzosen siegende Gründe ihn überzeugt hatten, ließ er auf der Stelle den alten Bau sistircn, vergaß die unnütz verwandten Summen, und der neue begann in demselben Moment. Hier 95 war, so zu sagen, Meer und Land erst zu schaffen, doch nichts hielt den Vicekönig auf. Das Wasserbassin ward ausgegraben, das fehlende Land aufgekarrt, und schon nach vier Jahren wurden mehrere der größten Linienschisse aus dem fertigen Arsenal vom Stapel gelassen, das gleich ihnen aus dem Nichts hervorgerufen worden war. Dies sind Charakterzüge eines Reformators, eines Mannes, der einer Idee, und nur ihr lebt, und von keiner Schwierigkeit abgeschreckt wird — leider nur zu abstechend gegen die Unentschlossenheit, die kleinlichen, ärmlichen Rücksichten und Mittelchen, die wir so häufig im alterschwachcn Europa angewendet sehen, ohne damit je aus den provisorischen Zuständen herauszukommen. Um jedoch auch die Schattenseite der hiesigen Unternehmung nicht zu übergehen, so kanu allerdings nicht geläugnct werden, daß Mchemcd Ali's zu große Ungeduld im Verfolg seiner Pläne ihm vielen Nachtheil gebracht, und noch größeren bringen wird. Cerisy ward, trotz seiner wiederholten Gegenvorstellungen, gezwungen, seine Schisse aus zu frischen Hölzern zu erbauen, in Folge dessen die ganze Flotte den Keim ihres Verderbens vor der Zeit in sich trägt. Der 96 Vicekönig war dafür nicht blind, aber er bewog Cerisy dadurch zum Gehorsam, daß er ihm sagte: »Ich brauche diese Schiffe, und ich brauche sie bald! Haben sie ihren Dienst erst gethan, wie ich hoffe, so mögen sie nachher immerhin zwanzig Jahre früher verfaulen." Das Schicksal hat diese Hoffnung nicht erfüllt, man kann jedoch nicht behaupten, allein durch Mehemed Ali's eigne Schuld. Es kann meine Absicht nicht seyn, das hiesige Arsenal im Detail zu beschreiben, da dergleichen Etablissements hinlänglich bekannt sind, und sich überall mehr oder weniger gleichen muffen. Ich hebe nur Einiges hervor, was mir besonders aufsiel. Dahin gehört die vortrefflich eingerichtete Seilerwerkstatt, welche der von Toulon an Größe gleicht und sie an Zweckmäßigkeit der Einrichtung übertrifft. Auch ist hier die ingenieuse, von einem Franzosen erfundene neue Maschine zur Drehung der Taue in Wirksamkeit, deren Arbeit mir an Schnelligkeit und Güte der besten englischen dieser Art nichts nachzugeben schien. An Ordnung und scrupulcuser Reinlichkeit, sowohl in den Magazinen, als in den Arbeitslokalen, 97 stehen die französischen Arsenäle, die ich gesehen, dccidirt dem hiesigen nach. Eine vortreffliche Einrichtung unter andern ist die, daß nach Feierabend alle über Tag gebrauchten Instrumente an den Wänden und Pfeilern in verschiednen, ein für allemal angeordneten, zierlichen Desseins, wie es zum Schmuck der Waffcnsälc üblich ist, von den Arbeitern aufgehangen werden müssen, bevor diese das Lokal verlassen dürfen. Dies giebt nicht nur eine elegante Dekoration, sondern hat auch den Vortheil, daß nie Instrumente verlegt oder verloren worden können, eine Entwendung aber auf der Stelle sichtbar wird. Diese, wie so viele andere zweckmäßige Einrichtungen, dankt das Arsenal hauptsächlich der nie rastenden Fürsorge des General Bcsson, der den genialen Gründer desselben, den für Acgyvtcn unsterblichen Ccrisp, so würdig ersetzt hat. In den Magazinen erblickt man, dic feinern nautischen und mathematischen Instrumente ausgenommen, jetzt nur noch wenig europäische Produkte. Waffen, Papier, Kleidung, Leinwand, Lcberwcrk, Tuch, (das letztere zum Theil aus Baumwolle) Mthemek Mi'« Reich. I. 7 98 Alles ist schon aus Aegyptischen, vom Vicekönig angelegten Fabriken bezogen. Drei Linienschiffe befanden sich in diesem Augenblick im Bau, unter Chantiers die das Clima hier erlaubt unbedeckt zu lassen. In den aus großen Quadern bestehenden Untermauern derselben waren mehrere antike Granitsäulen und ägyptische Figuren nicht ohne Geschmack angebracht, was als cm Beweis der fortschreitenden muselmämuschcn Civilisation auch in ästhetischer Hinsicht der Erwähnung werth ist. Wie Flotte. Die effektive Seemacht Acgyptens im Jahr 1837 bestand aus Linienschiffen: Kaiil'ncn u, (ioronü. Pfündcr. Tchi'ffjmannsch. ^cie .... 104 30 1200 I>Ia»8r .... 104 - - — 1200 M'lmliet el Kuli»» 100 - - — 1150 8lliln<^ol- . . . 100 — 1150 Hlail8ui'ali . . . 100 - 1150 I!ttM8 .... 100 — 1150 608 S9 Stanmtn ii. Goronn. $funfc«r. ©c$iffsmannf<$. Transport 608 7000 Beleng ... 96 30 1000 Abukir . , . 82 — 950 Fregatten: Avadalla . , . 64 — 600 Raschid ... 60 == 24 580 Beherah . . . 60 = ' — 580 Mufta dschehad 60 - - — 580 Dsclrir-dschehad 60 = s — 580 Kafferscliäk . . 60 * = — 580 Damiat ... 54 == — 500 d o v »c 11 c n: Tantah ... 24 (Soronnab. 30 200 Dschenali-Bacharih 24 s —• 190 Belenghi-dschehad 22 * 18 190 Dschehad-Beker 22 * — 190 33ri8g6: Schaika ... 18 ^ 16 120 Wasclnnytoii . 18 — 100 Semendi-dschehad 18 * — 1^0 Bedi-dschehad . 16 — 100 Lai. 1366 La*- 14140 7- zoo Äanontn u. ßoronn. *Pfünfcer. @ 150 2&an.älaPexhansl 1428 Fcuerschlünde 14610 Bewaffnete Transports, deren Equipage 1080 Arsenal, Zimmerlcute, Kalfatcrer, Tischler:c. 4500 Schiffmannschaftcn Total. 20190 ^L. Das ganze Personal des Arsenals ist als militairische Ouvriers organisirt, und versteht im Nothfall auch seinen Schliß zu thun. Schiffe, die sich noch auf den Chantiers befind en: Linienschiff Nr. 9. 100 Kanonen u. Coronn. zu 30 - 10. 88 - - - - — - 11. 100 - - - ' — - - 12. Von diesem sind zwar alle Theile fertig, aber es befindet sich zur Zusammensetzung noch nicht auf den Chantiers. 101 Drei Fregatten ersten Ranges sind eben so weit gediehen, jede zu 64 Coronnaden 30 Pfünder l). Die mit dem Arsenal verbundene Seeschule von Rassetin enthält 1200 Eleven, welche auf Kosten des Gouvernements unterrichtet, uniformirt und gänzlich unterhalten werden, außerdem aber noch Jeder monatlich von 20 bis 100 Piaster Gehalt bezieht! Diese Eleven liefern die nöthigen Subjekte für die Marine, und zum Theil auch für die Bedürfnisse der Administration. Außerdem befinden sich zwei rein nautische Schulen, deren Elcvenzahl nicht fin'rt ist, am Bord der Linienschiffe ^,«,'e und 3I.i,i8u> ai,. Die Bedingungen sind die nämlichen, jeder Eleve erhält aber hier 109 Piaster monatlichen Gehalts. Unter diesen befindet sich auch des Vicekönigs Sohn Said Bey, der dieselbe Summe bezieht, auf ähnliche Art wie einst der König von Frankreich einen Gehalt als Domherr zu Auch empfing. Die Seeleute sind folgendermaßen gestellt. Jedem Seemann bewilligt das Gouvernement jährlich: 3 complette baumwollene Anzüge, nämlich l) Zwei Jahre später alle vollendet. 102 l von Zeuch zur Arbeit, 1 feinen Anzug für die festlichen Tage, 1 Capotte für den Winter, 2 Tarbusch (Fes), H Hemden, 4 Paar Schuhe, hinlängliche Seife zum Waschen seiner Effekten. Die Matrosen zerfallen in vier Klassen. Die erste Klasse erhält monatlich 30 Piaster, die zweite - - - 25 - die dritte - - - 20 - die vierte - - - 15 - (Diese letztere besteht aus den Rekruten.) Die Mestrance wird in derselben Proportion bezahlt. Die Ration besteht aus den zweckmäßigsten und gesundesten Nahrungsmitteln, und ist völlig hinlänglich, zwei Personen zu nähren. Seine Hoheit erhält iiberdem alle männlichen Kinder der Seelente und gewährt ihnen vom Augenblick der Geburt an eine volle Ration, dieselbe wie dem Vater, nebst fünf Piaster monatlich an Geld. Die Invaliden der Marine werden in ihren 103 respektive« Wohnort zurückgesandt. Sie erhalten bort monatlich 30 Piaster Pension, und werden zugleich als Aufseher bei verschiedenen Gegenständen verwandt, so daß die, welche noch zu arbeiten fähig sind, außerdem die Bezahlung dafür mit ihrer Pension vereinigen können. Ofstziercorp» der Marine. Muftapha Pascha, welcher die ganze Seemacht en ckef commandirt, hat so lange den Rang als temporaircr Admiral, ist aber effektiv nur Vice-admiral oder Gcncrallieutenant. Der Viccadmiral ist gleichfalls tcmporair und nur UirilivÄ ). ') Man kann sich hier der Betrachtung nicht erwehrt«, waö w.'hl geschehen seim würde, wenn beim Beginn deS letzten Krieges gegen Mchemcd Ali, wo die Engländer nicht mehr als acht oder neun Linienschiffe, die Franzosen aber beträchtlich mehr im mittelländischen Meere stationirt hatten, was, sage ich, geschehen seyn würde, wenn Frankreich mit größerer Entschlossenheit die ganze Flotte des Vicekönigs, zu der damals noch die übergegangene türkische s'am, durch französische Offiziere befehligt, mit in den Kampf gezogen, und so, die Initiative ergreifend, mit fast vierfacher Überlegenheit die englische Flotte angegriffen hätte! Schon oft hat eine gänzliche Niederlage den Nimbus, der die größten Seemächte umgab, so erschüttert, daß sie von da an nur eines langsamen Todes starben, So viel ist gewiß: eine gleiche Gelegenheit für die Franzosen wird schwerlich jemals wiederkehren. — Gut für den Weltfrieden, daß sie nicht benutzt wurde. Ilo Said Bey, der streng zum Seemann gebildet wird, ist ein junger Prinz von freundlichem Charakter und viel versprechenden Eigenschaften, der unter der Leitung des General Besson und seines speciellen Hofmeisters, Herrn König, eines Mannes voller Kenntnisse und Erfahrung, und des ehrenwerthesten Charakters, schon ziemlich die Allüre eines Europäischen Prinzen angenommen hat, sich auch nicht weniger als ein solcher zu fühlen und zu betragen anfängt. Demohngeachtet ist er noch etwas schüchtern, und man lernt seine liebenswürdigen Seiten erst ganz kennen, wenn er zutraulicher geworden ist. Er spricht bereits geläufig französisch, und mit nur wenig Accent, auch etwas englisch. Gewiß würde er in Europa gefallen und zuvorkommend aufgenommen werden, auch wünscht er selbst sehnlich die Reise dahin zu machen, es steht dieser aber ein vor der Hand unübersteiglichcs Hinderniß ganz eigner Art entgegen. Der Prinz ist für einen so jungen Mann außerordentlich corpulent, und sein Vater will ihn nicht eher sich in Europa produciren lassen, bis er magrer geworden ist. Ich selbst hatte später Gelegenheit mit dem Viceköm'g vertraulich über diesen Gegenstand zu sprechen, und that mein Möglichstes, ihn auf andere Gedanken zu bringen, konnte aber nichts ausrichten. Mehemed Ali wiederholte mehrere-male, daß er seinen Sohn in so unförmlicher Gestalt nicht reisen lassen könne. Ich habe deshalb dem Prinzen ein Regime vorgeschrieben, setzte er hinzu, er befolge es und werde mager, dann mag er reisen, aber nimmer vorher. Mit diesem Regime quält man nun den armen Said Bey nicht wenig, ohne daß es^bis jetzt sonderlich anschlagen will. Alle Wochen wird er gewogen, und in dem dctailirten Erzichungs-tzericht, der regelmäßig von hier nach Kahira gesandt werden muß, darf das Resultat dieses Wagens nie fehlen, wo dann ein Erguß übler Laune unvermeidlich ist, wenn die Pfunde sich nicht llerrkscenäo erweisen. Das sicherste Mittel, dcn Prinzen von seiner überflüssigen Corpulcnz zu befreien (auf die übrigens in Europa natürlich gar nicht reflektirt werden würde), wäre, ihn nach England zu schicken und durch die Borer in training setzen zu lassen. In vier Wochen würde er so schlank seyn wie ein Aal, und kräftiger, ___112 als cr sich jc gefühlt hat. Es kamen neulich zwei englische Mädchen nach Aegypten, die einen Prospek-tus austheilten, worin sie versprachen, gegen gute Bezahlnng die Weiber in den Harems auf europäische Weise zu bilden, nach welcher Vervollkommnung die mnsclmännischen Ehemänner jedoch wenig Lust bezeigten. — Ein besseres Glück könnte, nach der eben gegebenen Notiz, ein Vorcr machen, der den Prinzen Said Vep endlich in den Stand setzte, seine große Tour zu beginnen '). Meine erste Entrevue mit Said Bey blieb ziemlich im Bereich der lieux eommu>,8, später ward ich jedoch bald mit ihm bekannter, und fand ihn lustigen Temperaments und voll Scherz. Einmal kletterten wir sogar zusammen um die Wette auf den Strickleitern des Admiralschiffs nach dem großen Mäste hinauf, wobei cr mich trotz seiner Corpulenz sehr überflügelte. Demohngcachtet wunderte man sich ') Da Eaid Vey seitdem in Constantim'pel war, um eine türkische Prinzessin zu hrnathcn, muß die väterliche Kur endlich wohl gelungen seyn, indeß scheint die Heirath selbst nicht stattgefunden zu haben. 113 (man verzeihe meiner Eitelkeit diese Bemerkung), daß ich, ohne ein Seemann zu seyn, mich noch so gut aus der Affaire gezogen hatte, und die arabischen Matrosen nannten mich seit dieser Zeit nicht anders als den preußischen Admiral, ein Titel, um dessen Natisicirnng ich an den Ufern der Spree noch einmal einzukommen gedenke, wenn erst die deutsche Nationalflotte in's Leben getreten seyn wird. Ich wünsche von Herzen, daß dies Letztcrc mit eben dem festen Willen, derselben Energie des Entschlusses, und mit noch mehr Bedacht und Geschick-lichkeit in der Ausführung als hier geschehen möge. Das erste preußische Kriegsschiff ist ja schon vom Stapel gelassen. Warum hat man es aber „Amazone" genannt, da Amazonen keine Nachkommen haben! Eine wahre Zierde der Flotte ist das in London gebaute Dampfschiff tl»e Nile, welches in Allen: ohne Ausnahme der Mcdea — dem anerkannt schönsten Dampfschiffe der englischen Marine — gleich ist, auch von einnn englischen Maschinenmeister m dem vortrefflichsten Stande erhalten wird. Eben Mchcmcd Ali's Rcich. I. 8 114 so ausgezeichnet in ihrer Art sind einige in Frankreich gebaute Fregatten. Nur unter den kleineren Fahrzeugen bemerkte man mehr Vernachlässigung, gleich der Brigg, mit welcher ich von Kandien gekommen, und von deren mangelhafter Befehligung ich bereits während der Uebcrfahrt Zeuge gewesen war. Gesellschaftliches. Umgebung. Mir gefiel es wohl in Alexandria und seiner europäisch - afrikanischen Mischung. Die fremden Consuln, welche im Allgemeinen die erste Rolle in der hiesigen Gesellschaft spielen, leben hier, wo etwas großstädtischere Formen herrschen als in den übrigen Städten der Levante und Bcrbarei, in weit größerer Eintracht, und die vielen Ausländer, meist Franzosen im Dienste des Vicekönigs, vermehren und erheitern diese gebildeten Cirkel mamuchfaltig. Ein sehr glänzendes Haus machte unter andern ein Va-taillonschcf und Adjutant Solimcm Pascha's, Herr von W ........, früher Kammcrhcrr des Herzogs von Lucca, dessen Gemahlin aus einer vornehmen hanövrischcn Familie herstammt. In diesem Hause herrschte gediegner Lurus uebcn der vollkommensten Urbanität; es ist aber ziemlich charakteristisch für die 8" l,6 etwas leichtfertige Beschaffenheit des hiesigen Treibens, daß an einem schönen Morgen dies alles in Rauch aufging und viele der vermögendsten Capitalists Alerandrias mit Schrecken gewahr wurden, daß die vortrefflichen Din6's, zn denen sie Herr von W........ täglich einlud, nur durch das von ihnen erborgte Geld bestritten worden waren. An eine Rückzahlung war nicht zu denken, und nach vielem Lärm ergab man sich in sein Schicksal. Hr. von W. aber vertauschte Alerandria un't Constantinopcl. Es gibt iudcß neben den vielen Abenteurern doch auch sehr solid etablirte Familien hier, von denen manche wahre Pallästc bewohnen, und dem entsprechend leben. Zu diesen gehört vor Allen der schwedische General-Consul, Chevalier Anastasi, dessen Einrichtung und gastfreye Lebensweise in allen Welttheilcn für reich und geschmackvoll gelten würde. Es sey mir vergönnt, einige Worte mehr über diesen braven Mann beizufügen, da ich mit ihm zufällig in nähere Berührung kam und, im Vorbeigehen gesagt, auch cr es ist, dessen Freigebigkeit unser Berliner ägyptisches Museum seinen kostbarsten Sarkophag verdankt. 117 Der gütige Leser wird aus dem «Vorläufer" vielleicht meinen Sekretair, Theolog, noch im Andenken behalten haben. Theologides ist der Sohn einer Nichte des Chevalier Anastasi, der früher die Kosten seiner Erziehung bestritt, aber durch einige leichtsinnige Streiche und eine tolle Geldverschwendung seines Schützlings in München so entrüstet ward, daß er ihm endlich seine Protektion gänzlich entzog. Hierdurch ward dieser in die traurigste Lage gebracht, in welcher ich ihn in Athen fand, und mehr aus Mitleid als aus Bedürfniß zu mir nahm, hauptsächlich aber um, wenn irgend möglich, in Alerandria, wohin ich damals meine Schritte richtete, die Aussöhnung mit seinem Großonkel zu bewirten. Komisch kam es mir dabei vor, daß ein berühmter diplomatischer Professor Deutschlands, der Theolog in Griechenland kennen lernte, und ihn nach Deutschland zu gehen bewog, nach des Letzteren Versicherung, vorzüglich Schuld an den erwähnten Naivetäten meines jungen Schützlings gewesen seyn sollte. Er ricth ihm nämlich, sagte Theolog, so viel Gelb als er nur könne, auf Rechnung seines großmüthigen Verwandten in Trieft zu beziehen, wohin er accreditirt war, damit er für 118 semen ganzen Studienkursus im Voraus geborgen wäre. Ich habe Grund, an die Wahrheit dieser Aussage zu glauben, da mir Herr Anastasi lachend erzählte, besagter Professor habe ihm nachher einen Vrief geschrieben, den er als ein merkwürdiges Aktenstück noch aufhebe, uud in welchem jener die unverzeihlichen Schritte des jungen Menschen damit zu entschuldigen sucht, 1) „daß Herr Anastasi ein Kaufmann sey, folglich Vanquerott machen könne, 2) daß Herr Anastasi ferner bereits alt sey, folglich bald nnd plötzlich sterben könne — er es daher seinem Ncssen nicht so sehr verdenken dürft, wenn er sich mindestens für die Zeit seiner Studien habe sichern wollen." Man kann nicht nmhin, eine solche Diplomatie, wenn nicht geschickt, doch wenigstens originell zu nennen. Ihren Zweck verfehlte sie freilich, und hätte wohl auch den Sanftesten erbittert; doch gelang es uns, den gütigen und edlen Mann zu versöhnen. Theolog ward wieder zu Gnaden angenommen, anständig durch die Aussetzung eines nicht unbedeutenden Kapitals versorgt, und ihm auf Kosten seines Onkels eine Hau-delscarnere eröffnet, in welcher er noch eben so reich werden kann, als es der Chevalier Anastasi selbst ist, 119 wenn er mit dessen Gcschäftskenntniß dasselbe Glück und besonders dieselbe Biederkeit verbindet. Denn auch Herr Anastasi war nicht immer glücklich. Im Anfang seiner Laufbahn mißlang ihm Alles, und er sah sich endlich gezwungen zu falliren. Ein gerichtlicher Vergleich mit seinen Creditoren erfolgte, Kraft dessen er ihnen 25 Prozent vcrgütigtc. Klein und unansehnlich begann er von Neuem, aber Fortuna's Rad hatte sich gedreht. Jede Spekulation lohnte sich doppelt und dreifach, und in wenigen Jahren war Herr Anastasi ein sehr reicher Mann. Hier zeigte sich nun sein wahres Schroot und Korn. Obgleich durch das Gesetz zu nichts verpflichtet, rief er öffentlich alle seine alten Gläubiger oder ihre Erben zusammen und zahlte ihnen gewissenhaft Kapital und Zinsen bei Heller und Pfennig nach. Dergleichen Beispiele sind selten in unsren: egoistischen Zeitalter, und verdienen wohl die ehrenvollste Anerkennung der ganzen Gesellschaft. Auf diese Weise kam ich denn um meinen dritten Rciscsckrctair auf dieser orientalischen Wanderschaft, und es ist seltsam genug, daß alle drei etwas vom Verlornen Sohne an sich hatten, ich auch 120 Gelegenheit fand, sie alle drei ihren respektive« Familien zum Genuß des geschlachteten Kalbes wieder zurückzuführen. Ob es bei Allen dennoch Bestand haben wird, ist eine andere Frage. Was mich betrifft, so fühlte ich große Lust, nachdem ich es hintereinander mit einem Protestantischen, einem Israelitischen und einem Gricchischkatholischen Sekretair versucht (von denen der Israclit bei Weitem der Beste war), jetzt meine Wahl auf einen Muselmann zu lenken. Es gibt ja bereits solche in Menge hier, die in Europa studirt haben, und daher leicht mehr wissen mögen als ich. Als mir z. V. der Prinz Said Vey seinen Gegenbesuch machte, kam in seiner Gesellschaft ein solcher, vollständig europäisch gebildeter Türke mit, der Viccadmiral Hassan Bey, der so geläufig französisch sprach, daß ich ihn lange für einen rechtgläubigen französischen Christen hielt, bis ich ihn plötzlich nicderknieen und sein musclmännisches Gebet verrichten sah, welches, wenn die Stunde dazu gekommen ist, immer rücksichtslos von guten Muselmännern vorgenommen wird, sie mögen sich befinden, wo sie wollen. Dieser Admiral, früher ein Mameluck 121 (persönlicher Sklave) Mehemed Ali's, ftassirt flir den besten Reiter in Aegppten, eine seltne Eigenschaft für einen Seemann, und hat überhaupt viel von der Welt gesehen, und viel in ihr erlebt. Er erzählte uns, daß er in Chili durch seine Reiter-knnstc über verschiednc der dort Berühmtesten in dieser Hinsicht obsiegte, dadurch aber ihre Eifersucht in einem solchen Grade erregte, daß man mehrmals seinem Leben nachstellte und er zuletzt das Land deshalb verlassen mußte. Der Admiral besitzt jetzt das kostbarste Pferd in Alerandrien, einen ächten Ncdschdi, den er mir später auf meine Bitte vorritt, und dabei seinen Ruf als Rcitkünstler auf das Glän-zendstc bewährte. Man konnte nicht schöner und fester zu Pferde sitzen, und ein feuriges Noß nicht vollständiger in seiner Gewalt haben. Sein Apfelschimmel mit der Isabellenschnauzc, dessen ich nur für die Hivpologcn erwähne, war nicht hoch, aber von kräftigem, gedrungenem Van, ziemlich starken magern Knochen ohne Fehl, und wäre, bei sehr übereinstimmenden Verhältnissen, vollkommen schö'n gewesen, wenn er nicht einen etwas zu kurzen Hals gebabt hätte, was bei den Ncdschdi häufig der 122 Fall ist. Er war nicht so lang gefesselt als die meisten arabischen Pferde, und eben so feurig als fromm. Doch gehörte dies Pferd noch nicht zu der alleredclsten Raee der Wüste, die Hassan Bey, der früher den Krieg gegen die Wechabys mitgemacht hatte, folgendermaßen schilderte. „Die Einzigen, welche ich je von diesen Auserwählten gesehen," sagte er, »waren die Leibpferde Abdallah's, des Anführers der Wechabiten, die mit ihren Herren in unsre Gefangenschaft geriethcn, und welche ohne dieses Kricgs-ereigniß keine Summe, noch so groß, zu erkaufen im Stande gewesen sepn würde. Sie waren wohl eine Hand höher als mein Pferd (also reichlich 4 Zoll unsres Maaßes), mit Augen und Knochen gleich der Gazelle, die Letzteren zwar fein, aber fest wie Stahl. Ihre Schönheit und die Grazie aller ihrer Bewegungen war mit nichts zu vergleichen, uud an blitzähnlicher Schnelligkeit und Gcwandheit, wie unverwüstlicher Dauer, konnte keines unsrer, mitunter doch vortrefflichen, Pferde ihnen nur nahe kommen." Diese edlen Thiere gingen leider in einem damals noch sehr schlecht gchaltnen ägyptischen Gestüt schon 123 123 das Icchr darauf zu Grunde, und so spurlos flir die ägyptische Zucht vorüber. Doch ich kehre zu der Alcrandrincr Gesellschaft zurück. Zu den vielen Vereiniguugsmitteln, welche dieser zu Gebote stehen — woruutcr hohes Hazardspiel in Privathä'uscrn, eine alte Mode aus der guten Zeit der «mip«»'«, der ich selbst uicht abgeneigt bin, obenan zu stehen scheint — gehören auch zwei sehr artig zusammengesetzte Liebhabcrtheatcr, ein französisches und ein italienisches. Das erste und vorzüglichste verdankt seine Entstehung und Fortdauer fast allein dem unermüdlichen Eifer des Herrn Ncin-lcin, Viccconsuls von Holland, der bald, als kleiner Talleyrand, alle Finessen der Diplomatie, bald, als glücklicher Nachahmer Mchemed Ali's, alle Energie seines Willens in Wirksamkeit setzt, um die oft zur Rebellion geneigte Truppe so vornehmer Freiwilligen zusammenzuhalten. Herr Reinlcin lebt und webt nur in Musik und Theater, und da ich glaube, daß eine große Passion dieser Art, wenn sie hinlängliche Befriedigung sindet, einen wahren Theil des Lebcnsglü'ckcs ausmacht, so ist Herr Rcinlein nur 124 dazu Glück zu wünschen; denn die Reiter auf Steckenpferden sind immer mehr zu beneiden, als die, welche den Pegasus oder das Schlachtroß des Ehrgeizes wählten. Es ist indeß wahr, daß Herr Reinlcin auch noch neben diesem Glück die angenehme Zugabe hat, eine äußerst hübsche und liebenswürdige Spanierin als Frau zu besitzen, die ihm wahrscheinlich noch mehr beneidet wird, als scin Theater-Dilettantismus. Das französische Theater war leider jetzt geschlossen, und ich kann es daher nicht mit genug Dank erkennen, daß eine beim französischen Consnl, Herrn Lcffeps, mir Unwürdigen zu Ehren impro-visirte Darstellung nicht die mindeste Oftposition fand, und in wenigen Tagen mit der humansten Bereitwilligkeit in's Werk gerichtet wurde. Man gab eins der besten Stücke von Scribe, und die Hauptrollen wurden durch Frau von Wülfingen und Herrn Iam'n, einen St. Simonistcn und Bruder des berühmten Perlet meisterhaft dargestellt. Eben so zeichnete sich Herr Ianin im zweiten Stück, dem t^meclicl, (l'^tamp68. ans, wo seine ergötzliche Carrikatur der englischen Lady um so mchr Lachen erregte, als mehrere der Zuschauer ein kürzlich hier gesehenes, 125 125 wo möglich noch possirlichercs Original dieser Carika-tur m n»tm-a noch im frischesten Andenken hatten. Im italienischen Theater hörte ich nur ein Concert, in dem einige Sänger verdienstlich waren, besonders eine Dame, von der man mir sagte, daß Lord Byron einst zu ihren Anbetern gehört habe, ohne daß die Zeit ihr seitdem so übel mitgespielt hatte, als der zur Polizei übergegangnen mm6 ok Noch immer wie in alter Zeit lieben die Alexandriner Landparticen zu machen, obgleich sie fast kein Land mehr haben, und statt der paradiesischen Vos-kets, welche die Dörfer des Sees Marcotis einst umgaben, und wo jener köstliche, von Horaz, Athcnä'us und Strabo gefeierte Wein wuchs — ihucn jetzt nur kahle Schlamm- und Sanddünen, nebst ausländischen Weinen übrig geblieben sind. Doch giebt cs einige wenige sich besser ausnehmende Oasen. Diese kennen zu lernen machte ich mich an einem heitern Freitage, dem Sonntage der Muselmänner, mit Herrn und Madame Noqucrbcs — der reizendsten Smprnaerin in Alerandrien, und dcv einzigen Dame meiner hiesigen Bekanntschaft, welche 12S türkischen Kaffee in idealischer Vollkommenheit selbst zu bereiten versteht — eine Ercursion zu Pferde, um die wenigen angebauten Flecke der Umgegend zu besichtigen. Eine Villa des Ministers Vogos Bey mit herrlichen Palmen und artigen Vlumenparterrcs geschmückt, ward zuerst besucht. Viele der Dattel-bä'ume hingen noch voll Früchte, die ich im frischen Zustande zuerst in Alcranbricn kostete, weil ich mich in der Bcrberci nicht während der Periode ihrer Reife befand. Sie gleichen den getrockneten Datteln, die wir in Europa essen, nicht im Geringsten, sondern sind im Aeußern mehr unsern Pflaumen ähnlich, von dunkclblancr Farbe, äußerst saftig, aber nach meinem Geschmack fast zu süß. In einer Doppelreihe Windmühlen, die erst seit einem Jahrzehnt in Acgypten eingeführt worden sind, und bei einem großen Vaumwollcnmagazm des Vicctömgs vorüber, ritten wir von hier nach dem noch im Bau begriffenen neuen Lustschloß Mchemcd Ali's, das mit großer Pracht, aber ganz im national türkischen Geschmack aufgeführt wird. Dieser Styl ist nicht ohne Grazie, obwohl die barbarische Mischuug von ölgetränktem Holz und Marmcr, von weiß- 127 getünchten groben Wänden und kostbar vergoldeten Plafonds, nebst andern Disparate« solcher Art einem geläuterten Geschmack zuwider scpn müssen. Es war, Wie bemerkt, am türkischen Sonntage, und wir sahen daher mehrere Spaziergänger im Garten; als wir aber an den Eingang des Pallastraumcs kamen, fanden wir diesen barrikadirt und keinen Menschen im Innern, um uns Auskunft zu geben. Ich kletterte mit Herrn Noqucrbcs auf die hohe rundum laufende Mauer, welche innerhalb der wcitlä'uftigm Gärten noch besonders (des Harems wegen) den Pattast umschließt, um von da besser umherspähen zu können, aber erst nach vielen: vergeblichen Rufen erschien ein halbnackter Araber mit einer großen Art in der Hand, mit der er uns anfänglich grimmig drohte, nach dem Versprechen eines Vakschis aber sie nur dazu anwandte, um den festgenagelten Holzricgcl des provisorischen Vrcttcrthores dm'chzuhaucn, der uns den Eingang verwehrte. Die Form des Pallastes ist originell, aber auf möglichsten Comfort berechnet. Er besteht uämlich aus vier isolirten, im Quadrat erbauten Pavillons, die in den vier Ecken durch hohe Thore verbunden werden, welche nach dem 128 verschlossenen Garten des Harems führen; eine runde, bunt bemalte und bedeckte Gallerie oder Veranda umgiebt den ganzen innern Hof, der mit Kieseln verschiedner Farben ausgelegt ist, und in dessen Mitte sich eine schöne Fontaine befindet. Den Haupteingang bildet, in dem der Stadt zugewandten Pavillon, eine hohe Säulenhalle, welche einstweilen von Holz errichtet worden ist, künftig aber in orientalischem Alabaster ausgeführt werden soll, wozu die riesenmaßigen Blöcke schon dalagen. Die Dächer wechseln in geschwungenen und spitzen Linien ab, gleich den chinesischen, was gut zum phantastischen Charakter des Ganzen paßt. Ich füge für Liebhaber nebenstehend den Grund plan des Ganzen bei. In den äußern, dem Publikum offnen Gärten dieses Pallastes, welche nach allen Seiten hin einen schr großen Naum einnehmen, aber, wie fast alle Gärten des Orients, blos verzierte Gemüse- und Obstplantagen sind, bewunderte ich viele schön blühende Gewächse, die wohl nach Europa zu verpflanzen werth wären, unter andern eine Art Bohne mit großer dunkelblauer Blüthe, und eine sehr reiche Uhonert* (7iri-trrt Jllu/nen-frciftzft Shmien * Girtm. •fnidenAa/ie 129 Winde mit violet und rothen Glocken, welche mehrere Mauern und elegant geflochtene Schilfzäunc so dicht bedeckten, daß kaum der mindeste Zwischcuraum sichtbar blieb. Mit der Zeit wird diese Anlage gewiß viel zur Verschönerung der bis jetzt so undankbaren Umgebung Alcrandricns beitragen. Auch Ibrahim Pascha thut in dieser Hinsicht außerordentlich viel für die Stadt. So ist z. V. der große prachtvolle Platz, auf dem ich wohne, von ihm allein mit großen Kosten geschaffen, und der sehr bedeutende Miethzins für die ihu umschlicßeuden Hütclo, die er dort aufgebaut, den Wittwen seiner gcbliebnen Krieger großmüthig als Pensionsfond angewiesen worden. Noch mehr dieser Art geschieht durch Ibrahim Pascha in Kahira, und gleiches in Syrien. Dagegen ist bei den Eingebornen selbst der Sinn für Pflanzungen und Anlagen äußerst schwer zu erwecken, und des Vicckö'nigs Bemühungen scheitern häusig an der allgemeinen Indolenz. Von vielen Tausenden junger Oclbäumc z. B., die er vor einigen Jahren ^ratl» vertheilen ließ, steht fast kein einziger mehr, weil man sie auf lüdcrlichc Weise Pflanzte und dann nicht im Geringsten unterhielt. Daher kommt es auch, Mchcmcd Mi's «cich. I. 9 I3N daß der Kanal von Mahmudieh, dies ebenfalls riesenhafte Werk Mehemed Ali's, an dem täglich 50,000 Menschen arbeiteten, und die zwanzig Stunden lange Strecke seines Laufes in wenig Monaten vollendeten — nur kahl aufgeworfne Ufer bietet, die doch bei dem schnellen Wuchs der Bäume im hiesigen Klima jetzt längst schon jenen gleichen könnten, von denen Dukiircl-el-Halali sang: „Welche Reize umgeben dich Kanal von Aleran- »bria! Ihr Anblick gießt Wonne in die Brust. „Die Wäldchen, die dich beschatten, wölben «Lauben von Grün über den Schiffer, der dich „befährt. Die Hand des Nords furcht mit »süßem Spiel die Fläche der Wellen und streut »Frische über sic alts. Die herrliche Palme, „ihr biegsames Haupt weich hingescnkt, wie ein »schlummerndes Mädchen, prangt mit ihrer »Krone hängender Trauben darüber u. s. w." (Siehe Prokcsch Beschreibung dieses Kanals.) Die Ausgrabung des Mahmudich muß hier um so schwieriger gewesen seyn, da man in Aegypten weder Spaten noch Schaufeln, noch Schubkarren kennt, sondern die weiche Erde überall von den Arbeitern 131 nur mit den Händen zusammengekratzt und in Körben fortgetragen wird, worin Erwachsene wie Kinder eine bewundernswürdige Fertigkeit erlangt haben, und schwer dazu vermocht werden würden, unsre europäische Manier anzunehmen. Auf dem Rückweg besuchten wir die Residenz Mehcmed Ali's in der Stadt, welche am Ende der zwischen den beiden großen Häfen hervortretenden Landspitze liegt. Es charaktcrisirt gewissermaßen diesen Herrscher, daß eine 2000 Schritt lange Allee von acht Fuß hohen gemauerten dachloscn Thürmen aus der Stadt dahin führt, welche Thürme keinen andern Zweck haben — als den innerhalb derselben gepflanzten jungen Akazien einen sichern Schutz vor Beschädigung zu gewähren. Der Pallast ist königlich und von großem Umfang, die Audicnzsälc sehr einfach, doch würdig, und die grandiose Haupttreppe von kararischcm Marmor schöu, aber ihr Geländer auch hier wiederum nur von gewöhnlichem Holze, mit weißer Oelfarbe angestrichen, construirt. In einem der Säle steht, ganz abweichend von mnha-medanischer Sitte, eine colossale Gppsbüste Mehemcd Ali's, die von einem der hiesigen St. Simomstcn 132 nicht ohne Geschick gearbeitet worden ist. Sie kann auch in den einzelnen Theilen ähnlich genannt werden, aber der merkwürdige eigenthümliche Ausdruck der Physiognomie des großen Pascha fehlt ihr ganz. Die Hauptpracht der Muselmänner ist immer für den Harem rescrvirt; dieser Theil der Residenz blieb uns aber unzugänglich, da leider einige der ausrangirtcn Damen hier zurückgeblieben waren. Ein großes Seebad, das in der Sonnenhitze anmuthig seyn muß, und wo der Vicckönig zuweilen Audienzen ertheilt, war Alles, was mau uns davon zu besichtigen gestatten konnte. Ich trennte mich hier von meinen liebenswürdigen Begleitern, und nahm ein Boot um an Bord einer türkischen Corvette aus Constantinopel zu fahren, welche kürzlich einen Gesandten des Sultans hierher gebracht hat. Der Kapitain empfing mich sehr artig. Er war bis auf den Fes (hier Tarbusch genannt) ganz nach russischem Schnitt gekleidet, und zeigte mir sein in Amerika gebautes Schiff im größten Detail. Es herrschte nicht ganz dieselbe Eleganz, aber zu meiner Verwunderung kaun: mindere Ordnung und Reinlichkeit daselbst als auf der ägyptischen 133 Flotte, und die europäisch um'formirten Scesoldaten, in ihren rothen Jacken und dunkelgraucn Pantalons, schienen nicht schlechter cincrercirt als die Araber, doch war ihr Aussehn unbeholfner, nnd in der Schnelligkeit der Manöver sollen die türkischen Matrosen den ägyptischen eben so weit nachstehen, als diese den Engländern. Man gab mir während meines Aufenthalts in Alerandrien eine Reihe Diners und Soirees die Gelegenheit zu mehreren angenehmen Bekanntschaften darboten. Ich will indeß hier nur drei dieser letzteren erwähnen, die mich besonders ansprachen, zuerst die des dänischen Gcncralconsuls, Herrn Dnmrcikcr, ein geborner Baicr und einer der würdigsten Ausländer in Aegpptcn, der besonders jedem Deutschen werch seyn muß, da die viclcn Dienste, die er Individuen dieser Nation geleistet, ihm schon längst hier den Beinamen: »Vater der Deutschen" erworben haben. Die zweite mir denkwürdige Person ist der berühmte schwedische Naturforscher Hedcnborg, der vor Nufseggcr der Region der Mondgcbirgc von allen Reisenden am nächsten gekommen ist, und dies ohne alle Untcrstützuug der Behörden, seitdem jedoch durch 134 eine schwere climatische Krankheit, von der er sich noch bis jetzt nicht völlig erholen konnte, einstweilen unthätig geblieben ist. Seine während sieben Jahren fortgesetzten naturhistorischen Sammlungen, die er in sein Vaterland gesandt, sollen zu den ausgezeichnetsten ihrer Art gehören, und der geistvolle Mann mit dem glühenden Enthusiasmus des wahren Gelehrten für sein Fach zog mich lebhaft an. Das Kleeblatt schließt mit einem Herrn ganz verschicdner Art, dem General der Kapuziner, Legaten des heiligen Vaters für Hindostan, und Erzbischof von Adra, nach welchem Sitz er sich jetzt über Aleran-dricn und Bombay bcgiebt, ein schöner, kaum dreißig Jahre alter Mann, von den anmuthigsten Weltsitten, wie der muntersten und vorurthcillosesten Unterhaltung. Er hielt hier einige Predigten, die den größten Zulauf der eleganten Welt erhielten, und den Privat-thcatern wahren Abbruch thaten, weil der schalkhafte Erzbischof mit feiner Menschenkenntniß sie dadurch pikant zu machen wußte, daß er in seinem sonoren Italienisch den Damen während derselben die stärksten Wahrheiten, in perfide Comvlimcnte eingekleidet, in's Gesicht sagte. Ich hörte mit großer Ergötzung 135 eine dieser Predigten an, die mit folgenden Worten begann: „O dn kopfloses und gebrechliches Geschlecht, das nur aus Eitelkeit an diesem heiligen Ort erscheint, um seine Reize, die so verführerisch sind, oder seine Kleidung, die so geschmackvoll gewählt ist, von noch kopfloseren Anbetern bewundern zu lassen :c." Nach wenig Wochen war der originelle Apostel der Lieblingsredncr des schönen Geschlechts zu Alcran-drien — man sage also nicht, daß die Frauen nicht gern die Wahrheit hörten, es kommt nur auf das Wie und Wann und von Wem dabei an. Neise auf dem 3dil nach Kahira. Ich schrieb gestern einer Dame, die viel Lust zum Reisen fühlt, sich aber vor den damit verbundenen Gefahren und Mühseligkeiten scheut, daß ich ihr, um beide zu vermeiden, keine bequemere Wintcr-tour als die nach Acgppten cmrathen könne, wo man in seiner Stube und von aller gewohnten Häuslichkeit umgeben, so gemächlich auf dem alten Nile hingleitet, daß man kaum des Schiffes Bewegung bemerkt, wenn man nicht auf die fliehenden Ufer blickt. Und wo zöge man sicherer dahin! — in keiner Postchaise und in keiner Diligence Europas, Der gute General Wesson hatte mich noch einmal in seinem Landhausc bewirthen wollen. Ein gewölbter Weingang führt vom Speisesaal dieser Villa bis an den Kanal von Mahmudieh, und die Nacht öffnete schon ihre dunklen Fittige, als ich 137 diesen anmuthigen Gang in des Generals und Herrn Noquerbc's Begleitung durchschritt, um die Kangsche zu besteigen, welche das Gouvernement mir nebst einem Kawaß (was man ehemals einen Ianit-scharen nannte) zu bewilligen die Artigkeit gehabt hatte. ' ^ Nachdem ich bis znm Morgen sehr sanft geschlafen, stieg ich früh aus der Gondel, um auf die Jagd zn gehen, denn der Wind war uns entgegen und die Matrosen mußten das Fahrzeug am Strick ziehen, was ziemlich langsam von statten ging. Wir trafen kein eßbares Wilbprct an als Lerchen, aber diese auch in so großer Menge, daß ich oft mehrere auf einen Schuß erlegte, und so in kurzer Zeit dreißig feiste kleine Braten für die Küche zu liefern im Stande war. Raubvögel gab es in großer Menge, auch Seemöven, und eine Viertelstunde lang segelte ein endloses Geschwader von Kranichen in geordneten Kolonnen über uns hinweg nach Europa. „ Segler der Lüfle, Wer mit euch schiffte!" rief ich in empfindsamer Laune, und schoß meine letzte Lerche figürlich, denn ich trat in ein Ratten- 138 loch und fiel in sehr unsanfter Berührung auf den alttlassischen Boden nieder. Die Gegend erschien von den kahlen Dämmen, welche den Kanal einfassen, ziemlich einförmig, grüne Feldebncn fast ohne Bäume, nördlich am Horizont der See von Abukir, und hinter uns die Sandhügel der Wüste. Ich frühstückte in einer der verschrieenen Fellahhütten, wo ich vortreffliche Butter und Milch erhielt und als Dessert zum erstenmal in meinem Leben frisches Zuckerrohr genoß, dessen Geschmack ich sehr angenehm fand. Die Sonne war stechend heiß, aber im Schatten die Luft kühl. Als wir uns Hatfel) näherten, zeigten sich die Dämme thcilweise mit Akazicngrnpften besetzt, unter deren Schutz sich anch die Ufer sogleich berast hatten, und in schönduftiger Ferne erblickten wir die Häuser und Minarets von Damanhur, dem alten llerma-pali« pllrv», welche aus einem Palmenwaldc südlich hervorschimmerten. Es wurde Abend, ehe wir in Hatfeh am Ende des Kauals anlangten, und da man hier umladen uud eine neue Kcmgsche nehmen muß — weil man bei Grabnng des Kanals seine Mündung in den Nil, nm schneller fertig zu werden, 139 mehrere Stunden zu weit obcrwärts angelegt hat, weshalb nun für eine den Schiffen zu öffnende Schleuße kein gehöriges Gefalle eristirt — so sah ich mich genöthigt, die Nacht hier zuzubringen. Doch kann man sich denken, daß ich's leinew Augenblick versäumte, mich durch den Menschenhaufen und die aufgeschichteten Vaumwollenballen hindurch zu drängen, um noch vor Sonnenuntergang das andre Ende des Orts zu erreichen, wo der heilige Nil strömt, den ich nun zum erstenmal'sehen sollte. Solche Augenblicke sind ja der Lohn des Neisenden! Der prächtige Fluß ist in seiner Breite hier mit der Elbe zwischen Dresden und Meißen zu vergleichen, auch sein Wasser hatte jetzt ziemlich dieselbe Farbe, denn es war nur wenig gelblich. Die Ufer dagegen glichen von allen europäischen Gegenden Holland am meisten, nur mit Ausnahme der Palmen. Das Laub der Pappeln, Maulbecrbäume, Iujubiers und andrer Obstbäume bedeckte schon die Erde, wodurch die Landschaft allerdings etwas an ihrem Reiz verlieren mochte, auch dadurch au manchen Orten, wo die immergrünen Bäume nicht aushalfen, winterlicher aussah, als ich erwartet hätte; doch entzückte überall 14« der saftgrüne Untergrund der Fluren unter dem wolkenlosen, ticfazurblauen Himmel. An den ziemlich hohen, häusig abgerissenen Ufern sah man deutlich, wie stark der Fluß bereits gefallen war. Man hat jetzt ein eignes Mittel gefunden, zu beurtheilen, ob man für das folgende Jahr „einen guten oder schlechten Nil" zu erwarten habe. Es wird nämlich die Höhe seines Steigcns ans der größcrn oder mindern Menge der Regenwolken kalkulirt, die das Jahr über aus dem Norden über das Meer kommend nach Abpssinieu ziehen, und eigne Leute sind zu dieser fortwährenden Beobachtung förmlich angestellt. Der Gouverneur von Hatfeh hatte einige Mühe, eine andre Kangschc für uns zu finden, und wir wurden vor Mittag des folgenden Tages nicht fiott, so daß unsere Fahrt während desselben sich nicht weiter als bis Fuah erstreckte. Diese bedeutende Stadt, bei welcher der Nil sich um das Dreifache verbreitert, und eine baumreichc Insel umspült, hat die bezauberndste Lage. Mit hohem Schilf eingefaßte Orangengärten; unabsehbare Baumwollenfeldcr mit stockigen Früchten bedeckt; reiche Kleematten, welche sich !41 in goldgrüncm Glänze von ihnen landeinwärts erstrecken; Tausende von Palmen am Ufer, und zwischen ihnen prächtige Gruppen hoher Sycomore, dem majestätischten der Bäume Aegyptens; dann durch die Laubgewölbe schimmernd lange Reihen weißer Fabrikgebäude, die von Weitem mit ihren flachen Dächern italienischen Pallästcn gleichen, und diesen unmittelbar sich anschließend, im Hintergrunde, der dunkle Haufen meist zweistöckiger türkischer Häuser der Stadt mit zahlreichen bunten Minarets, welche schlank und zierlich in Obelisken- und Säuleuform daraus emporsteigen — alles fremdartige Gegenstände, die in ihrer reichen Abwechselung hier schon zum Anfang eins der anziehendsten Bilder dieser lieblichen Flußfahrt gewähren. Ich stieg nicht weit von der Stadt, blos von meinem Dolmetscher begleitet, an's Land, um mich recht nach Herzenslust im Grünen zu ergehen,, und besichtigte am Ende des erfrischenden Spaziergangs die auf meinem Wege nach der Stadt liegenden Fabriken. In der ersten werden jetzt so viele Fes (Tarbusch) verfertigt, daß nicht nur der ganze Bedarf für das Land dadurch gedeckt ist, sondern noch 142 eine bedeutende Menge zur Ausfuhr übrig bleibt; und an Güte stehen diese Fes den Tunesischen nur wenig nach. Die Arbeiter beiderlei Geschlechts, Kinder und einige Greise für die leichtere, Erwachsene für die schwerere Arbeit, verdienen hier täglich, wie ich aus ihrem eignen Munde hörte, einen bis vier Piaster, was in diesem wohlfeilen Lande unserm Tagclohn völlig gleich kommt. Sie verrichten ihr Tagwerk in großen, luftigen und reinlichen Sälen, sind weit besser gekleidet als die Fellahs außerhalb, und es war mir eine Freude zu bemerken, wie gesund und heiter sie aussahen, und mit welcher Milde sie durchgängig von den Aufsehern behandelt zu werden schienen. Kein Europäer befindet sich mehr in dieser Fabrik, eben so wenig als in der großen Baumwollenspinnerei, die ich nachher besuchte, und die den englischen dieser Art genau nachgebildet ist, obgleich das Ncinhalten der Maschinen hier wegen des feinen Staubes im Sonnner weit schwieriger als dort ist. Doch ist es nur eine Fabel übelwollender Berichterstatter, daß deshalb mehrere Fabriken hätten eingestellt werden müssen. Der Vicekönig, der Alles auf colossale Weise erfaßt, 143 hat das Fabrikwesen gleichfalls auf einmal und wie durch Zauber in Masse hervorgerufen, ähnlich Friedrich dem Großen, den man damals auch genug deshalb tadelte, und dem doch Preußen die Gründung seiner jetzigen so hochgestiegnen Industrie allein verdankt. Krieg, Pest und Cholera haben jedoch den Vicckönig allerdings seitdem gezwungen, dem Ackerbau nicht mehr so viel Arme zu entziehen, und manche Spekulation mag sich auch durch die Erfahrung nicht so bewährt haben als man erwartete. Aus diesen Gründen ist Vieles wieder eingestellt worden, doch was beibehalten wurde, ist desto gediegener, und wird in einem Zustande erhalten, der bei so jählingen Schöpfungen und einer allen Neuerungen so feindlichen Bevölkerung doppelt lobenswerth ist. Ich erfuhr übrigens später aus Mchemcd Ali's eignem Munde, daß er im Ganzen nicht mehr als zehn Millionen spanische Thaler auf alle von ihm angelegten Fabriken verwandt, und jetzt über eine Million reinen Ertrag von ihnen beziehe, dessen Steigerung noch erwartet werden dürfe. Man kann also nicht sagen, daß die Spekulation für ihn mißglückt sey, der Vicekönig ist aber 144 keineswegs der Mann, der, wie man zu sagen Pflegt, in seinen eignen Beutel lügt. Aus den Fabriken begab ich mich auf die Bazars, wo ich als Curiosum einen in Sachsen verfertigten Toilettenspiegel, mit der Inschrift Chemnitz, in der Bude eines schmutzigen Arabers kaufte. Bei dem außerordentlichen Gedränge, was hier herrschte, verlor ich meinen Spartaner Susannis (einen mir in Mistra verehrten Hund, s. Vorläufer), und konnte ihn trotz aller Mühe nicht wieder sindcn, weshalb ich zu wcitcrn Nachforschungen die Nacht hier bleiben mußte. Der klassische Hund hatte, wie ich am Morgen erfuhr, von neuem einen seltnen Beweis anhänglicher Treue gegeben. Genau den Weg verfolgend, den ich gekommen war, hatte er in beiden Fabriken so zn sagcn nachgefragt, und als er mich nirgends fand, war er an der Stelle, wo ich gelandet, in's Wasser gesprungen, glücklich durch den hier mehr als eine Viertelstunde breiten Nil geschwommen und nach Hatfeh zurückgekehrt, von wo er eben seine Reise nach Alcrandrien weiter fortsetzen wollte, alo ihn meine ausgeschickten Boten nur mit großer Mühe wieder einsingen. Noch ganz mit 145 Schlamm bebeckt und tödtlich ermüdet, traf der Aermste auf der Kangsche ein, wo er von der ganzen Schiffsgesellschaft mit einem Hurrah von Lachen über seine traurige Gestalt und Freude über seine glückliche Wiederkehr empfangen wurde. Ich hatte in allen Rciscbeschreibungcn so viel von den Tänzerinnen Acgyptens, den Almehs, gelesen, und wie sie an die Barken geschwommen kämen, eigne Dörfer bewohnten und unter eignen Gesetzen lebten u. s. w., daß ich sehr verwundert war, bisher keine einzige derselben zu Gesicht bekommen zu haben, und daher in Fuah meinem Kawaß auftrug, mir von ihnen einige auf das Schiff zu bringen. Es scheint aber ein Ende mit dicscr Unterhaltung in Aegpptcn zu haben, was ich für meine Person, des Charakteristischen und Nationalen wegen, sehr bcdauro. Der Vicckönig hat, den guten Sitten zu Liebe, die doch in der Regel wenig durch dergleichen Prohibitionen gewinnen, und in Kahira schon die tanzenden Mädchen durch tanzende Knaben ersetzen, die harmlosen Geschöpfe mit einem Anathema belegt, und da Niemandem besser gehorcht wird als ihm, so wagt keine mehr sich blicken zu lassen. Man vertröstete mich 146 für dies nationale Schauspiel auf Oberägypten, wohin der Viceköm'g einen großen Theil dieser Mädchen in's Eril geschickt hat, dort aber die Polizei etwas weniger streng geübt wissen will. Die Aussicht von Fucch ist eben so schön als dessen Anblick. Salamich, eine ansehnliche Stadt, thront vom jenseitigen Ufer über dem Walde her, und weiterhin ragt massenhaft ein schwarzes hohes Mauerviercck hoch empor, eine verlassnc Fabrik, aus dichten Palmen über endlose Fluren niederschauend, die dem Meere gleich am Horizont verschwimmen. Fortwährend blieben auch im Verfolg unsrer Reise die Ufer reizend, und die Jagd ward immer ergiebiger. Wir schössen Schnepfen, wilde Tauben, Krammetsvögel und einen sehr hübsch gezeichneten bunten Vogel, der ebenfalls eine leckere Speise abgicbt. Die Fellahs zeigten sich überall freundlich und behülflich, nur einmal verwiesen sie uns das Todten in der Nähe eines heiligen Grabes. Auch dies aber nur zn unsrem Besten, denn der Santon, meinten sie, würde sich rächen, wenn wir sein Grab nicht respcktirtcn. Wir folgten gehorsam. 147 Am Morgen daranf, und nachdem wir die ganze Nacht weiter geschifft, erlebten wir einen Londncr Nebel, der in dieser Jahreszeit auf dem Nil nichts Seltnes ist, und sahen bis 1 Uhr Nachmittags kaum mehr als das Wasser des Flusses und unsre Barke. Desto fleißiger sangen die Schiffslcutc. Das Geschrei, Stöhnen, Wichern und Singen dieser Araber bei allen Geschäften ist zuweilen belustigend, aber häufiger lästig. Oft klingt es als wenn sie die Vastonnade bekämen, oder sich in Colik-Schmerzen wälzten, aber alles im Takt; cm andres mal möchte man glauben, das Schiff ginge unter, so furchtbar steigt der Lärm, es wird aber nur ein Segel gewendet. Heute hätte man sich einbilden können, wir wären von Seeräubern angefallen worden, und in der That entstand unter ohrbctäubendcm Geschrei eine Art Kampf zwischen unsern am ganz nahen User die Kangsche ziehenden Schisssleuten und mehreren bcrbcigckommencn Fremden. Der Grund war, daß unser Rais (Schissshcrr) den Dorfbewohnern früher eine kleine Summe Geldes schuldig geblieben war, und obgleich mein Kawaß seine Autorität 40" 148 geltend machen wollte, mußte der Rais doch bezahlen, um seine bereits gefangen genommene Mannschaft wieder auszulösen. Ich bin überzeugt, daß bei diesem Streit mehr an den gegenseitigen Lungen abgenutzt wnrde, als der ganze Gegenstand desselben werth war. Es sind jedoch rüstige Leute diese Schisser, die mehr als Andre vertragen können, bald ihr Fahrzeug angestrengt fortrudernd, bald am Strick ziehend, bald am seichten Boden es fortstoßend , bald wie Eichhörnchen an ihren hohen, dünnen Segelstangcn halsbrechcnd hinaufkletternd, aber immer, um mich eines Waidmannsausdruckcs zu bedienen, »laut jagend." Wir debarkirten Abends bei dem kleinen Dorfe Sydi Ibrahim, um Provisionen einzukaufen, und fanden alles was ein europäischer Stadtmarkt dar«-bietet, mit sehr gutein Nind- und Kalbfleisch und vortrefflichem Gemüse, vorrä'thig. Ein fettes lebendiges Schaaf kostete nach preußischem Gelde 1^ Thaler, und das Pfund Schlachtflcisch 1'/? Groschen. Die Gemüse waren fast umsonst. Ich erwähne dies noch einmal besonders, als einen Beweis, wie sehr die Schilderungen des in Acgypten überall stattfin« 149 denden Elends und Mangels bei den Landlcuten der Wahrheit entbehren. Nach dem häßlichen Morgennebel hatten wir eine wundervolle milde Mondnacht, und obgleich man alle Fremde warnt, sich einer solchen hier nicht im Freien auszusetzen, so empfand doch Keiner von uns üble Folgen davon. Dies, wie Anderes, wird übertrieben, und ich glaube, daß weder Nacht noch Tag in Aegvpten schädlich sind, wenn man sich nur sorgsam vor Erkältung und hitziger Nahrung hütet, welche hauptsächlich die Ovhtalmiecn herbeiführen. Auch soll diese Krankheit mit der beginnenden Civilisation und daraus folgenden veränderten Lebensart und zweckmäßigeren Kost sehr abnehmen. Man sieht allerdings noch viele Einäugige und zuweilen auch Blinde, aber daß der zwölfte Mann hier an den Augen litte, wie ein Reisender behauptet, ist nur ein abgeschmacktes Mährchen. Was mir als fremdartige, obgleich aus Büchern wohlbekannte Gegenstände in diesen Tagen, wo die Gegend reizloser blieb als bisher, auffiel und mich vielfach unterhielt, waren hauptsächlich folgende Dinge. Zuerst die oft den Fluß durchschwimmenden, 150 so eigenthümlich geformten Büffel, bei denen, im Gegensatz zu der Natur übriger Thiere, die jungen unendlich häßlicher als die alten skud; ferner die ihre hohen Kruge antiker Form so geschickt und graziös auf dem Kopfe tragenden Weiber, welche mich immer an entsprechende Darstellungen in meiner Vilderbibcl erinnerten, so wie die.einzelnen, vom Sonnenuntergang oft seltsam verklärten und wie mit einer Glorie nmstofsencu, stillen Beter am Nil; die wunderlichen Reisenden, welche auf einem ganz klei-ncu, nur von Binsen gestochtnen und kaum 5 Fuß iu's Gevierte haltenden Floß über den breiten Fluß sich selbst mit einer ganzen Familie hinüberrudern, ein Gcbranch, dessen schon Strabo erwähnt, der aber nur firmcu Schwimmern anzurathcn ist; dic vielen Hnnderte spitzer Taubcuschläge in Form von Bischofsmützen neben den Dörfern, wie Bienenstöcke stets umschwärmt, und die gleich einer Allee nie abbrechenden, von Ochsen oder Kameelcn langsam gedrehten, weithin knarrenden Vcwäfserungsrädcr längs des Flnsses, Saki genannt; endlich die Masse herrenloser Hunde, die man überall herumlaufen sieht, und deren ganz eigenthümliche Sitten zu 151 studiren mir sehr interessant war, weit interessanter als dem geplagten Susannis, den sie als einen Fremdling stets gemeinschaftlich anfielen, während sie einen Menschen nie belästigen, nie sich zur Wehre setzen, wenn man sie schlägt, als dankten sie jedem Einzelnen für die ihnen geschenkte Duldung von Allen. Es ist auch eigen, daß die Türken und Aegypticr, obgleich sie die Hunde, wie überhaupt alle Thiere, liebevoll behandeln, doch nie selbst eigne Hunde halten, wohl aber Katzen. Der Grund liegt ohne Zweifel in dem religiösen Vorurthcil, das den Hund, wie das Schwein, zu einem unreinen Thiere stempelt. Auch bemerkte ich, daß nie ein Türke einen Hund anders als mit der linken Hand anfaßt. Mit der Vcrbcrci, so weit ich sie bereiste, hat Unterägpptcn fast gar keine Aehnlichkeit. Zuerst fehlen ihm die hohen Gebirge uud Felsen, wie jener der majestätische Fluß. Dann sind Städte und Dörfer dort immer blendend weiß getüncht, freundlich im Grün gelagert, oder an farbige Felsen gelehnt, und selbst wenn sie von wüstem Sande umzingelt sind, noch glänzend wie im Schmuck, wenigstens von Weitem gesehen; hier, wo sie wegen der Ueber- 152 schwemmungen des Nils auf künstlich errichteten grauen Sandhügeln gelagert, und die Häuser meistens schwarz, aus Erdziegcln erbaut sind, erscheinen sie von ernsterem, etwas traurigem Charakter. Selbst die stets wiederkehrenden Palmen geben der Landschaft zuletzt viel Einförmiges, so wie auch die ewigen grünen Flächen, eben wie mit dem Richtscheit vlanirt, auf die Länge gleichfalls ermüden. Die Palmen selbst zeigen sich in beiden Ländern sehr verschieden, in der Verberei niedrig mit weit ausgebreiteten Kronen, hier weit höher, aber oft mit bloßen Büscheln oben auf den kahlen Stämmen. Sie sollen auf diese Weise reicher tragen. In Vielem erinnert übrigens das hiesige Land durch den Fortschritt neuerer Civilisation schon an Europa, gleich Algier, während Tunis und die übrige Berbern noch ganz ungestört den afrikanisch-ausländischen Charakter erhalten haben. Da der Wind fortwährend entgegenblies und wir nur sehr wenig vorrückten, blieb ich zwei Tage lang in meiner Cajüte mit Schreiben beschäftigt, die vorüberziehenden Bilder nur durch die Fenster betrachtend, bis wir an eine Stelle kamen, wo die Wüste in glatten Sand- 153 Hügeln bis an den Nil herantritt. Es gewährte eine Veränderung, und ich stieg daher an's Land. Der Sand war meistens so hart, daß man sehr angenehm darauf hinwandelte, und nur selten etwas einsank. Auch hatte der Anblick dieses sehr bewegten Terrains, obgleich ohne Vegetation, doch gar nichts so Abschreckendes als man sich gewöhnlich unter Wüste vorstellt, und ich kann den Berlinern zu ihrem Troste die Versicherung geben, daß viele Stellen ihrer Umgegend die ächte Wüste noch übertreffen. Es dauerte indeß nicht lange mit dieser Wüstenfreude, und gleich darauf gelangten wir wieder in die aller fruchtbarsten und auch durch Bäume aller Art verschönten Goldauen, die den Nil von Alcran-drien bis Kahira fast durchgängig begrenzen. Da aber der Fluß hier einen großen Haken macht, so kamen Wir zu Fuß unsrem Schiff so weit voraus, daß wir nach Sonnenuntergang wieder umkehren mußten, um es aufzusuchen. Auf dieser Ercursion erlegten wir einige wilde Gänse und Enten, und mein Diener Ackermann schoß in der Krone eines immergrünen Baumes, der im Abcndwindc, gleich einer Aeolsharfe, 154 zuweilen melodische Töne von sich gcbcn soll, grausam vier Turteltauben auf einen Schnß. Die Barke hatte, dem tiefern Strome folgend, sich auf die andre Seite gewandt, und wir mußten in einem Kahne uns zu ihr übersetzen lassen. Der schwarze Araber, welcher uns mit herkulischer Kraft allein hinüberruderte, glich, ohngeachtct dieser Starke, ganz dem berühmten französischen Skeleton, das in England an einem ungewohnten Bcafsteal, zu dessen Vcr-zehrung es sich m cincr schwachen Stunde verleiten ließ, den bittern Tod fand. Der Mann vor uns bestand wörtlich aus nichts als Haut, Muskeln und Knochen, ein im Fleische schon Abgeschiedener, und in unsern Augen das vortrefflichste Abbild des Charon. Es hatte sich ein schwacher Nordwind erhoben, der uns in der Nacht etwas rascher vorwärts trieb, und als ich aufstand zeigte man mir, gleich blauen Felsentuppcn am Horizont, die Pyramiden von Dschisch. Wie viele, lange Jahre schon hatte ich mich nach diesem Anblick gesehnt! Daß sie endlich vor mir lagen, goß eine wohlthätige, befriedigende Nnhe in meine Vrnst, und ich bitte die Critikcr, »55 mir diese Anwandlung von Sentimentalität diesmal zn Gute zu halten, ohne sie für eine Affektation auszugeben. Von dem unbefangenen Leser habe ich ohnedem nichts dieser Art zu befürchten. Man wird jetzt immer mehr gewahr, daß man sich der Hauptstadt nähert. Eiuzelue Landhäuser mit Mauern umgeben unterbrechen die grünen Fluren rechts und linls des Flusses, die Citadelle am Fuß des dunkeln Mokatamm blitzt in der Ferne auf, man kommt bci den prachtvollen Gärten von Schubra vorüber, weiterhin steigen thurmhohc Feueressen der Dampfmaschinen neben ausgedehnten Fabrikgebäuden empor, dicke schwarze Rauchsäulen hoch in die blaue Luft wirbelnd, und so von Ucberraschung zu Ucbcrraschung fortschreitend, erreicht man endlich Bulac, den Hafen Kahira's von der Mcerscite. Während dieser im buntesten Gewirrc das geschäftige Leben des Handels entwickelt, zeigt sich gegenüber im reizendsten Contraste uud in idyllischer Nuhc die liebliche Insel Garante, sich mit ihrem Lustschloß und ihren weiten Pflanzungen hinter einem transparenten Mantel von Trauerweiden verbergend, wie eine Schöne unter einem Schleier von Gaze, nur 156 UM desto aufmerksamer betrachtet zu werden. Kahira selbst bleibt noch unenthüllt. Von mehreren großen Pallästcn der Vorstadt, die sich über den Nilufern aneinander reihen, maskirt, ahnet man es mehr als man es sieht, und nur einzelne Spitzen seiner Kuppeln und Minarets, wie sie hie und da zwischen dem Fluß und den schroffen Felsen des Mokatamm sichtbar werben, verrathen die unermeßliche Stadt, «das Meer der Welt," nach des Morgenlands poetischer Benennung. Kahira (Ulnsr el Käliira). Lnstallalion in Vaki Bey's Paüast. Ibrahim's Anlagen. Ich landete an der erwähnten Insel nut der Absicht hier in dem leerstehenden Gartcnpalais Is-mael Pascha's, eines Enkels des Vicekönigs, der in Schcndy verbrannte, vermöge eines Trinkgeldes an den Aufseher die Nacht zuzubringen, wie es die orientalischen Sitten verstatten. Erst am andern Morgen, nach gehöriger Nuhe, gedachte ich meinc offizielle Entroe in Kahira zu bewerkstelligen. Alles Nöthige ward demgemäß von meinem Dragoman besorgt, nnd während man in der Eil einige Stnben für mich herrichtete, benntzte ich diese Zeit, um zn-erst in den mehr als gewöhnlich zierlichen Parterres des ehemaligen Serails mich nmzusehen, nachher 198 aber einen Spazicrgang in jener wohl eine halbe Stnnde langen Allee von Trauerweiden zu machen, die ich schon vom Wasser aus so sehr bewundert hatte. Sie führt immer dicht am Nilufcr hin, wo sie zwischen ihren hängenden Zweigen Bilder auf Bilder jenseits des Flusses entfaltet, indeß sich ihr auf der andern Seite, nach dem Innern der Insel zu, eine wcitlänftigc Pflanzung junger Oelbäume auf dem Untergrund hellgrünen Klee's anschließt. Ich und mein griechischer Page bildeten die einzige Staffage dieser Allee, mit Ausnahme eines athletisch gebauten, ganz nackten Aegppticrs, der wahrscheinlich aus dem Flnßbadc kam, denn er hielt ein Bündel Schilf in der Hand, das er als Feigenblatt benutzte. Ich war eben stehen geblieben, um die sich mir gegenüber stattlich ausbreitende Residenz Ibrahim Pascha's genauer zu betrachten, als mehrere Leute, schon von weitem mir zuwinkend und rufend, uns nachgelaufen kamen. Um mein projcktirtcs Inkognito war es geschehen. Der Vicekönig, welcher in der Absicht seinen Sohn daselbst zu empfangen, den man täglich von Syrien erwartet, Ibrahims Pallast jetzt 159 provisorisch bewohnt, hatte meine Ankunft schon erfahren, und auf seinen Befehl war mir eine Gondel entgegengeschickt worden, mich in Vaki Vcv's Pallast zu bringen, der, wie ich vernahm, ganz neu mcublirt nnd mit aller nöthigen Dienerschaft und Zubehör versehen, zu meiner Disposition gestellt worden war. Ich fand, als ich daselbst ankam, schon eine Ehrenwache auf ihrem Posten, und mehrere reich angeschirrte Pferde vor der Thüre stehen; ein Obcr-Kawaß Seiner Hoheit mit einem langen Stabc, dessen silberner Obertheil mit vielen rasselnden Ketten geziert war, schritt, von sechs Untergebnen gefolgt, und unter dem Wirbeln des Tambours der Wache gravitätisch vor mir her. Im Vorsaal empfing mich das für die Dauer meines Hierseyns zu meinem Dienst bestimmte Personal von Mamelucken, Dienern und Sklaven, und geleitete mich nach dem Divan (Salon), wo mir sogleich eine reich mit Brillanten besetzte lange Pfeife und nach Ambra duftender Mokkakaffee in gleichfalls von Diamanten schimmernder Tasse aus Email resepektvoll überreicht wurden. Mit der taktvollen Delikatesse und Höflichkeit, welche die Orientalen auszeichnet, überließ man mich hierauf las eine Stunde lang ungenirter Erholung. Dann erst erschien der Hausherr, welcher Chcf eines Conseils und General ist, ein in Griechenland gcborner Türke von einer vornehmen Familie aus der Morea, um mich als Wirth willkommen zu heißen; als Dolmetscher begleitete ihn der Schwager unsres Consuls in Alerandria, Herr Vonfort, das Factotum Ibrahim Pascha's, und einer der achtungswcrthesten Männer, die ich in Kahira kennen gelernt habe. Kurz nach ihnen kam Artim Bey, der Dragoman Seiner Hoheit, der mir die freundlichsten Begrüßungsworte des Vicekö'm'gs überbrachte. Er wiederholte, daß ich Pattast uud Dienerschaft als mein Eigenthum anzusehen habe, und setzte sogar hinzu, daß Seine Hoheit bcdaurc, nicht im Stande gewesen zu scpn, mich bei einem Pascha zu logircn, da eben alle sich hierzu qualisicirende Personen dieses Ranges in Aufträgen abwesend wären. Zugleich kündigte er mir an, daß der Vicckönig Herrn Lubbcrt, Historiographcn Aegyptcns, und Rath im Ministerium des öffentliche« Unterrichts, beauftragt habe, mich als Cicerone überall hinzubcglcitcn und mir jede Merkwürdigkeit der Stadt und Umgegend zu 161 zeigen. Ich hatte wirklich Mühe, meine Dankbarkeit für so viel ganz unerwartete und unverdiente Ehrenbezeugungen, wie für eine so grandiose Gastfreundschaft genügend auszudrücken, fand aber an Artim Bey, der einen Theil seiner Erziehung in Paris erhielt und französisch wie seine Muttersprache spricht, einen eben so feinen als nachsichtigen Entschuldiger meiner Unbeholfenheit. Viele andere Visiten folgten sich jetzt, unter denen mich vorzüglich die Sami Vey's interessirte, des ersten Adjutanten und Lieblings Seiner Hoheit, welcher nicht blos als Staatsmann, sondern auch als orientalischer Sprach-gclehrtcr und erotischer Dichter eines großen Rufes hier genießt. Ihm folgte Muktar Bey, General-lieutenant und Chef des Ministeriums des öffentlichen Unterrichts, welcher ebenfalls sieben Jahre in Europa verweilte, und mit vornehmen Anstand eine angenehme Conversation verbindet, als Minister aber nicht beliebt seyn soll. Das Palais, welches ich bewohne, besindct sich in der Vorstadt und hat eine überaus reizende Lage, denn es steht unmittelbar am Nil, von dem es nur ein schmaler Blumengarten trennt, so daß ich aus Mchcmed Ali's Rcich. I. H !62 meinem Schlafzimmer rechts meine Lieblingsinscl Garante, und links die ewigen Pyramiden vor mir sehe, hinter denen jetzt eben, während ich schreibe, die Sonne rothglühcnd untergeht. Es hat dieses Haus aber auch eine historische Bedeutsamkeit. Der berühmte Mehe-med Bey erbaute es, der vertrauteste Gefährte und Diener Mehemed Ali's, dcr an jenem denkwürdigen Tage, welcher über des Vicekönigs Herrschaft und Leben entschied, zu dem Untergang dcr eonspiriren-den Mamluckcnhällptlingc den Plan entwarf und auch selbst die Ausführung übernahm. Man hatte durch einen glücklichen Verrath erfahren, daß in drei Tagen, bei Gelegenheit einer großen Nevüc, die Mehemed Ali angeordnet, die Mamluckcn mit ihrer ganzen Macht dort über ihn herzufallen beabsichtigten, um ihn wo möglich mit allen seinen Getreuen auf einen Schlag zu beseitigen. Es galt ihnen zuvorzukommen, wozu man offen nicht die Macht besaß, und doch war kein Augenblick Zeit mehr zu verlieren. Jedermann kennt das verzweifelte Auskunftsmittel, dessen man sich bediente, doch herrscht über die Details in Europa viel Irrthum. So stellt z. V. das durch Kupferstiche überall ver- 1«3 breitete Gemälde Forbin's die Scene so dar, als habe ihr Mchcmed Ali, seinen Nargileh gelassen rauchend, wie einem Theaterstücke zugesehen. Die Wahrheit ist aber, daß er gar nicht dabei gegenwärtig war, noch, der Lokalität nach, füglich seyn konnte. Sobald die Beys Abschied von ihm genommen hatten, und sich im Hofe auf ihre Pferde schwangen, sagte Mehcmcd Vey zu ihm: „Nun ist Deine Nolle vorüber und meine beginnt, ich beschwöre den Pascha sich in sein Harcm zurückzu^ ziehen." Dies geschah sogleich, und Augenzeugen, Eunuchen aus dem Serail, haben mich versichert, daß der Vicckö'm'g, verstört und schweigend, iu großer Gemüthsbewegung den Ausgang abwartete, kein Wort sprach, nur mehrmals kaltes Wasser zu trinken begehrte, während der Lärm des Schießens und der Tumult der rcitcrloscn Pferde mit dein Angstgcschrei der Fallenden von fern zu seinen Ohren drang. Dies ist auch nur menschlich wahrscheinlich, und Mehcmed Ali wahrlich so wenig blutdürstig, als es Napoleon war, aber er ist auch keiu Ludwig der Sechzehnte, und scheut daher selbst Blutvergießen nicht wo es senn muß, und wo es zu rechter Zeit 164 angewendet, durch wenige Opfer später das Leben Hunderttausender erspart, ja oft das künftige Heil ganzer Nationen begründet, wahrend weichliche Unterlassung sie nicht selten zu Grunde gerichtet hat. Und am Ende ist sich auch Jeder selbst der Nächste. Wer mich in eine Grube stürzen will, den werft ich ringend selbst hinein wenn ich kann, und bin nur ein Schwach köpf, wenn ich es nicht thue. In späterer Zeit zeichnete sich Mchcmed Bey noch durch eine andere, nicht weniger kühne That aus, indem er einen Abgesandten des Sultans, der in Abwesenheit Mehemed Ali's nach Kahira kam, um ihm die seidne Schnur zu überbringen, ohne langes Besinnen noch Einholen einer Instruktion, provisorisch den Kopf abschlagen ließ. Ich widmete meinen ersten Tag in Kahira ohne auszugehen nur häuslichen Geschäften, der neuen Einrichtung, dem Bade und der wohlthätigen Nuhe. Erst am andern Morgen begab ich mich in Ibrahims Pallast zur Audienz bei dem Beherrscher des Landes. — Der eine starke Viertelstunde weite Weg führte mich durch einen Theil der ncuen Promenaden, 165 welche seit m'cht länger als acht Jahren durch Herrn Von fort auf Ibrahims Befehl nnd Kosten ausgeführt wurden. Sie sind bestimmt, den ganzen ungeheuren Naum zwischen dem Nil, Vulak, Kabira und Alt-Kahira einzunehmen, von welcher Riesenarbeit auch schon an zwei Drittheile beendigt sind. Eine wahrhaft königliche Anlage! Denn früher befand sich an der Stelle dieses lachenden Grüns, unter dem Schatten jetzt schon ansehnlicher Bäume, nichts als unzählige Massen 50 — 100 Fuß hoher schwarzer Haufen, oder vielmehr Berge Schuttes, die alle, der nöthigen Bewässerung wegen, sorgfältig planirt und mit vielen Saki's (durch Ochsen getriebene Wasserleitungen) versehen werden mußten, ehe man zur Pflanzung und Bebauung schreiten konnte. Ibrahim Pascha, den wir in Europa nur als kühnen Soldaten kennen, den man hier aber als Pflanzer und Ackerbauer in so großem Maaßstabc einer wohlthncndcrcn Bewunderung würdig findet, begnügte sich auch hiermit nicht, sondern dehnte seine Culturen noch auf mehrere Theile der nahen östlichen Wüste jenseits Kahira's aus, die sämmtlich unter des rastlosen Bonfort's Leitung stehen. Dieser 166 hat jetzt für die gcsammten Anlagen Ibrahims in Ober- und Unterägypten über zehntausend Tagelöhner im Solde, die täglich von 1 '/2 bis 3 Piaster Lohn erhalten, und regelmäßig alle Freitage baar ausgezahlt werden! Wie viel Europäische Prinzen thun ein Gleiches? und wäre es nicht wahre Barbarei, so etwas nicht mit Achtung anerkennen zn wollen? Ich weiß zwar recht wohl, daß Ibrahim Pascha nicht der Mann dazu ist, um ans bloßer Philanthropie so zu handeln, es ist eine Spekulation, gleich feinem Häuserbau in Alexandria, die ihm gut rcntirt und zugleich seine künftigen Hauptstädte verschönert. Aber eben dadurch stiftet er hier den größten Nutzen, denn wenn die noch rohe Population, welche jetzt ihr überflüssiges Geld verbirgt, oder doch todt liegen laßt, sieht, daß der älteste Sohn und Erbe des Herrschers, der überdem ein berühmter Krieger ist, mit gleichem Erfolge als Industrieller auftritt, so wird sie auf die sicherste Weise dadnrch zur Nachahmung bewogen. Man muß nie zu genau den Motiven menschlicher Handlungen nachforschen, wenn nur ihre Resultate gemeinnützig sind. Im tiefsten 167 Grunde wird man vielleicht bci allen den ersten Keim stets im Egoismns finden, der sich unter Millionen vcrschicdncr Formen verbirgt. Keine Ncgcl wird allgemeiner in der Welt befolgt, als die: Charite bien entendue commence par soi me me. Aber viele sehen dies selbst nicht ein, und noch Wenigere gestehen es. Bei dem anßcrordcntlich schnellen Wachsthum der Bäume in dem hiesigen ölima (ich sah deren von fünfzehnjährigem Alter, die bci uns wenigstens fünfzig Jahre zn gleicher Entwickelung brauchen würden,) nnd bei dem nngemein frischen Triebe aller Vegetation, die nur Bewässerung braucht, nm allsoglcich die Wüste in fruchtbares Land zu verwandeln, aber ohne Bewässerung auch sogleich aus fruchtbarem Lande wieder zur Wüste wird — müssen noch acht Jahre mehr hinlänglich seyn, dcn Pflan-znugen dieses Parks ihre vollkommene Ansbildung zn gewähren, nnd es wird dann wenige Hauptstädte in der Welt geben, die sich eincr gleich reizenden Umgebnng, so wie schönerer nnd schattigerer Promenaden zu erfreuen haben. Alle diese Anlagen bilden durchgängig regelmäßige großartige Formen, 168 der einzige Styl der, meines Erachtens, für die Majestät der hiesigen Gegend paßt, wie ich mich hier sogleich überzeugte, und spater noch näher beleuchten werde. Die angewandten Bänme sind hauptsächlich: der Sycomor, ein herrlicher, Acgypten und Nubien eigenthümlicher Vanm, der die Höhe und Breite unsrer Eichen übertrifft, mit runden Blättern, die der Erle gleichen, aber größer und von schönerer, hellgrüner Farbe sind; ferner mehrere immer grüne Akazienartcn, der Oelbaum, dessen Laub hier schwarzblaner als in Enropa und äußerst dicht ist, der aber weniger gute Früchte trägt; endlich Cypresscn, Mimosen, Pappeln und einige Obstbanme, alle reihenwcis entweder um freie Plätze, oder en yumyunnee, oder in breiten und schmaleren Allem gepflanzt, welche respektive für Equipagen, Reiter und Fußgänger bestimmt sind, und hier, wo es so selten regnet, leicht hart und eben wie eine Tenne erhalten, auch täglich gegen den Staub begossen werden. Alle Flächen zwischen den Baumpflanzungcn sind, da Rasen hier nicht gedeihen kann, größten-theils mit Futterkräutern von einem blendenden Hellgrün besät, worin die kleinen Quadrate, in ,69 welche das Terrain zum Behuf der Bewässerung abgetheilt ist, einen ganz originellen schachbrettartigen Effekt machen. Zuweilen wechseln die Futterkräuter auch mit kleinen Gemüse-, Orangen- und Obstgärten verschiedner Sorten ab. Hecken blühender Sträucher umgeben diese. Viele Palläste, Lnsthäuser und andere Gebäude beleben die Promenaden mannigfaltig; unter andern befindet sich das Grab Mehcmed Vep'ö in ihrem Bereich, das er sich noch lebend baute. Es besteht aus zwei weißen Pavillons mit Eiscngittcrn, hinter deren eiuem der Bey, biuter dem andern sein Busenfreund, ein Derwisch, in frei stehenden Stcinsärgcn liegen. Beide Pavillons Werden durch ein großes Wasserbassin, das zum Gebrauch des Publikums dient, verbunden. Denn die Orientalen haben die schöne Sitte, alle Monumente, die sie errichten, immer mit einem gemeinnützigen, wohlthätigen Zweck zu verbinden. Die hier zu jeder Cultur so nöthigen zahlreichen Saki's sind durch massive Ruhesitze verdeckt, deren Nück-maucr die das Wasser heraufziehenden Thiere verbirgt, indeß die davor angebrachten, mit blumenreichen Winden und Monatsroscn übcrhangcncn 17« Veranden die amnuthigstcn Erholungsplätze darbieten. Eine hundert Fuß breite Haupt-Avenüe führt mitten durch die Anlagen von Kahira, und zwei andere halb so breite von Alt-Kahira und Vulak aus zu dem königlichen Pallaste Ibrahims, vor dem jetzt die Menge der Wachen, das Gewühl wiehernder Pferde, die vielen ab und zueilenden Großen in glänzender Kleidung, die Haufen von Tschausch und Kawaß, so wie die zweihundert Dromedare, welche stets dem Vicckönig folgen, um seine Eilboten augenblicklich nach allen Theilen des Reichs tragen zu können, hinlänglich anzeigten, daß wir uns der momentanen Residenz des Mannes näherten, den die Vorsehung bestimmt zu haben schien, die Bahn zu einer innigeren Vcreinignng des Orients und Qccidcnts, und dadurch zu einer höhern Civilisation beider, mit starker Hand zn brechen. Die Großmächte Europa's haben seitdem diesem Streben Einhalt gethan mit überlegner Kraft — und was die Gewalt thut, ist, so lange sie dancrt, ja immer wohlgethan. Audienz bei Mehemed Ali. Audienz bei Mehemed Ali. Es ist cm so großes Ding um ciuen Herrscher über Millionen, die nur von seinem Winke abhängen, daß ich nie einem Solchen ohne eine gewisse innere Bewegung nahe, um wie viel mehr dann, wenn er zugleich ein so außergewöhnlicher Mann ist wie Mchcmcd Ali. Ich hoffe, man wird es mir daher Dank wissen, und auch keine thörichte Eitelkeit darin snchcn, wenn ich diesen ersten Besuch bei dem Vicekönig auf das Ausführlichste beschreibe, wobei ich freilich gezwungen bin, neben dem Großen auch vom Kleinen zu sprechen, nämlich von mir selbst. Mehemed Ali ist fast täglich (oder war es wenigstens damals) ein Gegenstand der Unterhaltung in Europa, und doch kennt man ihn im Gruudc bort nur sehr wellig; deun was man über ihn so 172 mannigfaltig Mblicirt hat, ist zu widersprechend, um ein sichres Resultat daraus ziehen zu können. Ich wenigstens muß aufrichtig gestehen, daß ich auch jetzt noch nichts der Art gelesen, was mich vollständig befriedigt hätte. Viele dieser Autoren, die Mchcmcd Ali nur oberflächlich gesehen, beurtheilen ihn nach unzuvcrläßigen Anekdoten und bloßem Hörensagen, und die meisten derjenigen, welche ihn besser kennen, sind, wie ich schon früher angedeutet, zu oft von persönlichen Motiven bei ihrem Urtheil geleitet, so daß sie ihn entweder zu hoch zu erheben, oder zu tief zu erniedrigen suchen. Es gibt aber überhaupt nur sehr wenige Europäer, die Gelegenheit hatten, Mehemcd Ali in einiger Intimität zu beobachten, was bei den gewöhnlichen Privat-andicnzen, wenn man dergleichen auch noch so viel erhält, durchaus nicht stattfindet, am wenigsten grade da, wo es sich nur um Geschäfte handelt. Noch wenigere Personen aber gibt es vielleicht, die, selbst wenn ihnen die Gelegenheit nicht fehlte, philosophischen Scharfblick und unbefangene Freiheit des Charakters genug besaßen, um einen Mann wie Mehemed Ali ganz richtig zu schildern. Weit entfernt, 173 mich selbst für competent hierin zu halten, scheint es mir doch eine Art Pflicht, auch meinen Beitrag auf die vollständigste Weise zu dcr richtigeren Würdigung dieses Fürsten zu geben, dessen gewaltiger Einwirkung auf eine beginnende Regeneration des Orients, wohin ich die nördlichen Länder Afrika's mitrechne, die Zukunft erst volle Gerechtigkeit widerfahren lassen wird. Er theilt diesen glorreichen Einfluß, was den Orient betrifft, nur mit dcm Sultan Mahmud, den man m vieler Hinsicht seinen gelehrigen Schüler nennen kann; in Europa aber hat nur Frankreich Anspruch auf solchen Ruhm durch die Eroberung Algiers, deren noch unberechenbare Folgen für die künftige Welt, selbst wenn Algiers jetzige Abhängigkeit von Frankreich in: Laufe der Zeiten aufhören sollte, doch immer cinen Glanzpunkt in der Geschichte dcr Franzosen begründen werden. Siemöchten sogar höher in manchem Bezüge anzuschlagen scpn, als alle fruchtlos und ephemer gebliebenen, wenn gleich dcs militärischen Ruhmes so vollen, Ueberrennungen Napoleons. Wenn ich also sagte, daß ich mich gcwisscr-maaßcn verpflichtet fühle, Mehcmcd Ali als ein Hauptthema meines Werkes zu betrachten, so liegt l74 doch der Grund davon keineswegs in irgend einer Parteiabsicht, sondern nnr darin, daß mich während eines Aufenthaltes von beinahe zwei Jahren in den Ländern, welche Mehcmed Ali damals regierte, und die ich von den Grenzen des Sennaar bis Adana in einer ununterbrochenen Ausdehnung von mehr als fünfundzwanzig Vreitegradcn durchstrichen, die Umstände auf eine Art unterstützt haben, und die Gelegenheit Mehemed Ali genauer kennen zu lernen, sich mir so oft und in so günstigen Verhältnissen dargeboten hat, als dies selten einem reisenden Privatmanne zu Theil werden kann. Demohngeachtet ist es weit weniger meine Intention, eine erschöpfende Charakteristik desselben zu liefern, noch, wenn ich mein persönliches Urtheil über ihn ausspreche, dieses als Norm aufzustellen, als vielmehr nur durch die einfache, treue Erzählung dessen, was mir mit ihm begegnete, was ich von ihm sah, nnd aus seinem Munde hörte, und welche Betrachtungen dies in mir hervorrief — so weit die Diskretion dies gestattet — den Leser zu befähigen, sich selbst aus allem diesen ein wahres ähnliches Bild des Individuums zu abstrahircn, von 175 dem hier die Rede ist. Man wird die dahin gehörenden Züge daher auch nur zerstreut in dem vorliegenden Buche finden, was die allgemeine Disposition desselben unvermeidlich machte, aber die Znsammenstellung im Gedächtniß des Lesers ist nicht schwer, nnd der Stoff so reich, daß eine ungctrenntc Bearbeitung desselben leicht hätte ermüden können. Diese Prärogative haben aber nur klassische Schriftsteller, die ich aus dcr Ferne bewundern must, ohne die Präsumtion hegen zu können, ihnen nachzuahmen. Aus diesem Gesichtspunkte also wünsche ich mein sehr anspruchsloses Bestreben, Mchcmcd Ali betreffend, in dcr Folge stets beurtheilt zu sehen. Seine Hoheit empfing mich in einem untern Saale des Pallastes, der mit einer ehrerbietigen Menge seiner Hof- nnd Staatsdiener angefüllt war. Erst als ich durch diese hindurchgedrungen, sah ich den Vicckönig, von den Uebrigcn getrennt, auf der Estrade vor seiner Ottomane stehen, nnr Artim Bey, den Dragoman, an seiner Seite. Meine Uebcrraschung war groß ^ denn nach der in Ale-randricn befindlichen Büste, und einigen Portraits, die man fnr ähnlich ausgab, hatte ich mir einen 176 streng, ja hart aussehenden Mann im prunkvollen orientalischen Schmuck gedacht, mit Zügen, die, wie ich an der Büste bemerkt, auffallend an Cromwells Bilder erinnerten. Statt dessen stand in einen schlichten braunen Pelz gekleidet, mit dessen weißem Besatz der ehrwürdige Bart von gleicher Farbe seltsam zusammenfloß, den einfachen rothen Tarbusch ohne Shawl und Edelsteine auf dem Haupte, keine Ringe an den Fingern, noch, wie im Orient gewöhnlich, einen kostbaren Rosenkranz in der Hand haltend (die übrigens so schön geformt ist, daß eine Dame sie beneiden könnte) — ein kleiner freundlicher Greis vor mir, dessen kräftige, wohlpropor-tionirte Gestalt nur durch eine fast coquctt zu nennende Frische und Reinlichkeit geschmückt war; dessen Gesichtszüge aber eben so viel ruhige Würde als wohlwollende Gutmüthigleit aussprachen, und der, obgleich ftine funkelnden Adleraugen mich durch und durch zu schauen schienen, doch durch die Grazie sciucs Lächelns, wie die Leutseligkeit seines Benehmens, nur uuwilltülirlichc Zuneignng und nicht die mindeste Scheu einflößte. Auch entsprach diesem Eindruck, wie ich später zu beobachten ,77 Gelegenheit hatte, vollkommen das Benehmen seiner Hofleute, die, wenn auch voll Respekt, doch sehr zutraulich und unbefangen mit ihm verkehrten, während er selbst sie zwar mit feiner Nliancirung gegen Einzelne, aber im Allgemeinen stets mit vieler Urbanität behandelte. Ucberdics ist nichts leichter, als vom Vicekönig Gehör zu erhalten. Kein Herrscher kann zugänglicher seyn und weniger Maßregeln für seine persönliche Sicherheit nehmen als Mchemed Ali, der sich täglich jedem Versuche unbesorgt Preis giebt, den ein Fanatiker auf sein Leben zu richten beabsichtigen könnte. Wie möchte er dies wagen, wenn er der Tyrann wäre, den alberne Unwissenheit und bösartige Absichtlichkeit in Europa so häufig aus ihm machen wollen! Indeß ist doch nicht zu laugnen, daß ungeachtet des stets humanen Betragens Mehcmcd Ali's und seines meist freundlich milden Blickes, der ihm das Ansehn eines der gutmüthigsten unsrer christlichen Monarchen giebt — dieser Blick doch zuweilen, besonders in den Momenten, wo er sich unbemerkt glaubt, einen ganz eignen Ausdruck bittren Mißtrauens annimmt, bei dem dann das etwas unheimlichere türkische Element, Mchcmcb Ali's Rcich. I. 42 178 von dem ohne Zweifel der Viccköm'g auch einen guten Theil besitzt, voll hervortritt. Man kann vielerlei in diesem Blicke lesen, was vielleicht die Schattenseite seines Charakters ausmacht, womit ich jedoch keinen besondern Tadel aussprechen will; denn zu einem großen Manne gehören eben so nothwendig dunkle und helle Seiten, als bei jedem andern Sterblichen. Nach der ersten Begrüßung setzte sich der Vice-könig, und winkte auch mir, mich neben ihm auf der Ottomane niederzulassen, worauf für ihn und mich Pfeifen und Kaffee gebracht wurden. Ich muß hier eine kurze Notiz über die Höf-lichkeitsbczeugungcn im Orient und namentlich in Aegypten einschalten, über die wenige meiner Leser unterrichtet sepn möchten, und deren Verständniß doch nicht ohne Interesse ist. Es herrscht hier in dieser Hinsicht weit mehr Etikette als bei uns, und die Abstufungen sind bestimmt. Zuerst das Grüßen betreffend, kann man schon aus diesem sogleich auf die verschicdne Stellung beider Theile schließen. Der Vornehmste grüßt stets zuerst. Der viel Höhere legt die Hand auf die Brust, während der ihm im 17!) 17!) Range Nachstehende die Hand gegen die Brust, und dann gegen die Stirn emporhebt, dies anch wohl zweimal wiederholt. Gleiche, oder im Range nur wenig Verschicdnc grüßen sich entweder auf eben diese letztere Manier gegenseitig, oder aber nur mit einer Bewegung der Hand nach dem Gesicht, fast so wie wir uns eine Kußhand zuwerfen. Ganz Niedrige machen als Zeichen der Unterwürfigkeit die Pantomime, als wenn sie Staub von der Erde aufheben und diesen sich ans die Brust und Stirn legen wollten. Gegen den Vicekönig trifft es sich indeß wohl, daß gelegentlich auch Generale und Pascha's dieses Zeichen machen. Der Vicekönig selbst grüßt seine Untergebnen, indem er die Hand auf den Leib legt; gegen Fremde, die er auszeichnen will, erhebt er die Hand nach dem Gesicht. Man muß schon im Rang einem Andern einigermaßen nahe stehen, um sich bei ihm auf die Ottomane setzen zu dürfen, und die Arten selbst wie man sich setzt, sind dreifach nach den verschicdnen Graden der schuldigen Ehrerbietung: 1) mit einem untcrgeschlagncn Beine anf dem Rand der Ottomane, 2) anf beiden Knieen, aber etwas entfernt, ganz 12 180 darauf Platz nehmend, ohne sich anzulehnen, D endlich es sich nach Belieben bequem machend, wo man vertraut, oder gleich und gleich ist. Kaffee und Pfeife reichen zu lassen, ist eine Ehrenbezeigung, aber die Nuancen sind auch hierbei vielfach, und werden zum Theil durch das mehr oder minder kostbare Material ausgedrückt. Wer das Nccht zu sitzen hat, erhält in der Regel auch den Kaffee, die Pfeife aber ist eine größere Auszeichnung. Man darf weder Pfeife noch Kaffee, noch irgend etwas, sey es auch nur ein Glas Waffer, empfangen (außer bei Tafel, wo alle Ccremonicen wegfallen), ohne beim Nehmen und auch beim Wiedcrabgeben des leeren Geschirrs oder der Pfeife durch einen Gruß zu danken. Ja selbst der Wirth in seinem eignen Hause, sobald ein Vornehmerer als er bei ihm ist, grüßt diesen, dankend für Alles, was ihm seine eigenen Diener scrvircn. So wird auch dem Vornehmsten immer zuerst präsentirt, er sep Wirth in seinem eignen Hause oder Gast in einem fremden. Diese ganz genau festgesetzten Sitten haben ihre große Bequemlichkeit, sobald man einmal bekannt mit ihnen ist, und scheinen mir deshalb den 18l jetzigen Europäischen vorzuziehen, wo man, außer England, in welchem die Etikette auch genau geregelt ist, nirgends mehr weiß, was Andere zu präten-dircn haben, noch was Einem selbst zukommt, und immer in Verlegenheit ist zu viel oder zu wenig zu thun. So finden wir z. B. in einem der ersten Staaten Deutschlands, wo in größeren Dingen so viel Vortreffliches besteht, nnd noch viel Größeres zu erwarten ist, in der erwähnten Hinsicht einen recht empfindlichen Mangel für gesellschaftliche Bequemlichkeit, indem das Rangvcrhältniß nur im Dienste fest normirt, und dabei überhaupt das dienende Princip so sehr dem freien vorgezogen wird, daß eigentlich nur Diejenigen der Auszeichnung eines bestimmten Ranges und Ansehens dort theilhaftig werden, die zur Hierarchie des Hof- oder Staatsdienstes gehören, jeder außerhalb dieser Kategorie Stehende aber hinsichtlich seiner Ansprüche, er sey nnn dazu durch eminente Geburtstitcl, oder ständische, oder Besitzcs-Würden berechtigt, in der Gesellschaft nnd selbst an den verschiednen Höfen niemals genau weiß, wo er hingehört, indem ihm nach Laune oder Gunst heute der, morgen jener Nang 182 angewiesen wird. Es ist gar nicht nöthig, rang-und titelsüchtig zu seyn, um dies sehr unbequem zu finden, da man eben so wenig gcdcmüthigt werden, als Andere demüthigen will, was bei dieser Unbestimmtheit ganz unvermeidlich, bei fester Rangordnung aber ganz unmöglich ist. Nur ein Narr kann sich darüber ärgern, wenn Jemand das ausgesprochne, anerkannte Nccht hat, sich in der gesellschaftlichen Stufenleiter als über ihm stehend anzusehen, er komme ursprünglich her woher es sey; wenn dieser cs sich aber nur anzumaßen scheint, so ist es eine halbe Beleidigung, und geht der unbegründet gegebne Vorzug von einem Höchstgcstellten aus, eine Kränkung. England ist das freiste und gewiß liberalste Land in Europa, dcmohngcachtct ist bei diesem praktischen Volke durch alle Stände und Grade was Jedem zukommt so fest geregelt, daß ein Prä'cedenz-streit dort ein Unding ist. In Nußland hat nur der Dienst Rang, und der Lcibtutschcr des Kaisers würde dem Abkömmling der ältesten Bojarcnfamilie vorgehen, wenn dieser keinen Dienstrang hätte. Cs mag uns dies etwas seltsam vorkommen, aber cs ist doch bestimmt. Man weiß woran man ist. 183 Als Ludwig der Vierzehnte in Frankreich eine Rangordnung beliebt hatte, durch welche die Pairic sich verletzt fand, wagten Einige dem Könige darüber Vorstellungen zu machen. Der König frug M. Legrand (wie der damalige x^ncl ecu)or abgekürzt genannt wurde): „Et vous, qu'en dites vous?" — „Sire« antwortete btefer, „tout ce que je sais, e'est que Ic charbomiier est in ait re chez lui." So ist es ohne Zweifel, der absolute Herrscher kann die Sache ordnen wie ihm beliebt, nur sie unbestimmt zu lassen, scheint mir eine Anomalie. Daß aber solche ungewisse Verhältnisse zwischen Gcburts-, Höft, Dienst- und Verdienst-Rang nicht blos die Gefühle der Eigenliebe auch bei dem Bescheidensten häusig verwunden müssen, sondern daß sie selbst in einzelnen Fällen Dem oder Jenem den reellsten Schaden zu bringen im Stande sind — das könnte ich durch mehrere schlagende Beispiele in's hellste Licht setzen, wenn dabei nicht Persönlichkeiten bloßgcstellt werden müßten, die mir die orientalische Lehre in's Gedächtniß rufen: »Wenn die Rede Silber ist, so ist das Schweigen Gold." Vielleicht habe 184 ich in den Augen der Sparsamen schon zu viel Silber ausgegeben. Seine Hoheit der Vicekönig behandelte mich durch die Art seines Empfanges mit der größten Courtoisic, und der einzige markirtc Unterschied bei der Bedienung bestand darin, daß, obgleich uns die Pfeifen zu gleicher Zeit von zwei Dienern gebracht wurden, doch ihm die seinige einige Sekunden früher als mir präscntirt wurde, ferner auch nur dic Pfeife nicht aber die Tasse für mich ganz so reich als die für ihn bestimmte mit Diamanten besetzt war. Die Auszeichnung war um so schmeichelhafter, da sie bisher nur wenig Personen zu Theil ward, namentlich dem Marschall Marmont, dem rückkchrcndcn Gouverneur von Indien, und einem außerordentlichen Gesandten Frankreichs während des Krieges mit der Pforte, der eigentlich diesen Charakter nicht vollständig hatte, von Mchcmcd Ali aber nicht ungern als solcher angcschn und behandelt wurde. Den Generalconsuln, wenn sich deren gegenwärtig befanden, sah ich immer nur Kaffee in ordinaire« Tassen und keine Pfeifen, und von den anwesenden Muselmännern im Dienste des Vicekönigs Keinem weder ,85 Kaffee noch Pfeift präscntiren, selbst dem Sheriff von Mekka, Ibn-el-Aun, nicht, den ich zweimal bei Seiner Hoheit antraf. Es war dies ein schöner, geistreich aussehender schwarzer Araber, in einen grasgrünen Talar und weißen Turban, als Anverwandter des Propheten, gekleidet; er betrug sich sehr unterwürfig gegen den Vicckönig, und nahm seinen Platz zwar auf der Ottomane, aber nur weit ab, in der von mir angezeigten zweiten Stellung, d. h. auf den Knieen, ein. Nur die Pascha's ersten Ranges und besondre Lieblinge läßt der Vieckönig neben sich sitzen und ihnen Kaffee reichen. Einzelne Ausnahmen fallen indessen vor, da sein Wille immer Gesetz ist. Ein so Begünstigter war der bereits mehrmals erwähnte Mchcmed Bey, nnd ich hörte hierüber eine artige Anekdote erzählen. Mchcmed Bey hatte eigenmächtig einem sehr thätigen Unterbcamten eine Gehaltszulage bewilligt, worüber der Vicckönig, dem man es sogleich hinterbrachte, ungehalten war. Als sich nun Mchcmcd Bey das nächstemal bei ihm einfand, gab er ihm nicht nur einen Verweis, sondern auch sein Mißfallen noch dadurch zu erkennen, daß er ihm keinen 186 Kaffee reichen ließ. Der Gescholtene erwiederte kein Wort und ging. Sobald er aber nach Hause kam, stellte er eine Ordre aus, daß die Besoldung des in Rede stehenden Beamten noch um vier Beutel jährlich vermehrt werden solle, und genehmige es der Vicekö'nig nicht, er das Geld aus seiner Tasche bezahlen werde. Am andern Tage erschien er wie gewöhnlich bei Seiner Hoheit ^ und was that der Tyrann Mehcmcd Ali? Kaum ward er den, vielleicht doch etwas ob seiner Kühnheit besorgten alten Freund gewahr, alö er lachend laut nach Kaffee rief. »Komm her," setzte er hinzu, »ich werde mich wohl hüten, Dir keinen Kaffee mehr zu geben, denn ich sehe, es kommt mir zu theuer zu stehen." Ich zweifle nicht, daß Manche alle diese cerc-mom'cllen Details sehr kleinlich finden werden, meines Erachtcns gehören sie aber wesentlich zur Schilderung hiesiger Sitten und sind deshalb nicht überflüssig. Ich begann das Gespräch nüt den bei den Orientalen ebenfalls zur Etikette gehörenden Sanitätskomplimenten, und eilte dann, meinen Dank für die Freundlichkeit und edle Gastfreiheit auszudrücken, deren Seine Hoheit mich würdige, was, glaube ich, 187 nicht ganz der türkischen ^itte gemäß war. Denn Mehcmcd Ali schüttelte lächelnd den Kopf, erwiederte dann aber verbindlich: „wenn ein fremder Mann von Ansehn so weit herkäme ihn zn besuchen so wäre es wohl das Wenigste, was er thun könne, ihm durch möglichste gute Aufnahme seine Freude darüber zu bezeigen. Er bcdaurc uur," setzte er mit großer Bonhomie hinzu, „daß ich, gegen En-ropa gehalten, Alles hier noch sehr unvollkommen finden muffe." Dies gab nur die natürlichste Gelegenheit, mein Erstaunen über die Wnndcr auszudrücken, die ich bereits in Alerandricn und Kahira gesehen, und ich bat im Voraus Seine Hoheit, mir zu verzeihen, wenn der Enthusiasmus, den so Außerordentliches in nur erwecke, meinen Worten das Ansehen der Schmeichelei gäbe, da sie doch nur der treue Ausdruck meiner Empfindungen und der hohen Verehrung für einen Fürsten wären, der dem Orient jetzt das sey, was einst Peter der Große für Rußland gewesen, zu dessen jetzt so furchtbar angewachsener Land- und Seemacht dieser doch allein den ersten Grund gelegt. l88 „In wie viel Zeit,« siel Mehemcd Ali lebhaft ein, „hat Peter der Große seine Marine hergestellt, und ans was für Schiffen bestand sie?" Ich muß gestehen, daß ich im Augenblick weder eins noch das andere wnßtc, aber wohlbekannt mit der Ncgcl, daß man große Herren nicht ohne Antwort lassen darf, gab ich in Erwiederung der unerwartet praktischen Frage Zahlen an, die zu verifi-circn glücklicherweise Niemand gegenwärtig war, schnell hinzufügend, daß zu des Czaars Zeiten diese Branche überhaupt viel unvollkommncr als jetzt gewesen sey, und daher die Resultate in jeder Hinsicht auch nur viel geringer hätten ausfallen können, als die Schöpfungen des Vicekönigs, die wahrscheinlich einzig in ihrer Art in der Geschichte des Orients dastünden. Und damit sagte ich nur die Wahrheit. »Wohlan," fuhr Mchcmed Ali fort, „ich will nicht läugnen, daß hier mehr als Alltägliches geschehen ftp, nnd ich habe allerdings gestrebt, den Beispielen großer Männer zu folgen, so weit ich es vermochte. Es ist auch gewiß, daß ich jetzt mit mehr Beruhigung fortarbeiten kann. Ich stehe nicht mehr, wie früher, ganz allein. Man fängt wenig- 18» ftens an mich zu verstehen, und die Maschinerie ist im Gange. Doch nur meine Enkel können einst erndten, was ich gcsä't habe. Wo eine so grundlose Verwirrung herrschte, als hier, wo eine so vollständige Auflösung aller gesunden Staatsvcchälttnssc statt fand, wo ein so ganz verwildertes, unwissendes, zu aller heilsamen Arbeit unfähiges Volk lebte — da kann die Civilisation nur langsam wieder emporwachsen. Sie wissen, daß Aegvptcn einst das erstc Land der Erde war, das allen übrigen vorlcuchtete; jetzt ist es Europa. Mit der Zeit nimmt die Aufklärung vielleicht auch hier von Neuem wieder ihren Sitz. Es schaukelt ja. Alles ewig in der Welt!" (Ein Licblingsausdruck des Pascha.) Er frug mich hierauf, wie ich Kandia gefunden, und ich konnte nur mit größter Gewissenhaftigkeit erwiedern, daß ich nirgends die Griechen wahrhaft freier, wohlhabender nnd größtentheils selbst zufriedner angetroffen habe als dort, aber auch überzeugt sey, daß des Vicckönigs früher daselbst geübte Strenge während einer partiellen, durch auswärtigen Einfluß fomentirten Insurrektion, » eben so viel als seine unparteiische Gerechtigkeit und Milde seitdem, 190 dazu beigetragen hätten, cincn solchen erfreulichen Zustand hervorzurufen. »Sie hatten mich bei meiner Herrschcrchre angegriffen," rief der Vicekönig mit Feuer, »und das darf kein Fürst dulden, der scinc Pflicht kennt nnd sich selbst achtet. Im Uebrigen bin ich immer bereit gewesen, Alles für die von mir abhängigen Griechen zu thun, was in meinen Kräften stand, ja ich habe sogar, als die Europäischen Mächte mir fortwährend Vorstellungen in dieser Hinsicht machten, mich erboten, Kandia ganz nach dem Muster zu regieren, das Europäische Weisheit in Griechenland selbst aufstellen würde, und nur gebeten, mich so bald als möglich mit genauen Notizen über die Resultate zu versehen, doch ist mir nie dergleichen zugekommen." Die Ironie dieser Aeußerung war nicht zu verkennen, ich eilte daher, das Gespräch auf Fabriken und neue Anlagen jeder Art, welche die Höhcrc Cultur des Landes bezwecken, zu lenken, und damit traf ich auf des Vicekönigs Steckenpferd — wahrlich kein unwürdiges für einen Sonverain! „Er hoffc," »sagte er, »ich würde mit dem, was cr hierin bereits geleistet, znfricden seyn, obgleich 191 man auch hier nie einen Europäischen Maaßstab anlegen muffe, wie er sich gern beschcide. Bald," fügte er hinzu, »wird dieses Laud wenigstens im Stande sepn, sich im Nothfall, unabhängig von andern Ländern und ihren Produkten, eine Zeitlang selbst genügen zu können. Deshalb, und nicht blos des Gcwinnstes wegen, obgleich auch dieser mir nicht entgeht, lege ich eine so große Anzahl neuer Manufakturen und Fabriken an. Ueberdics," fuhr Mehcmcd Ali fort, „sind diese Etablissements in mehr als einer Hinsicht eines der kräftigsten Civili? sationsmittel für das Volk, und würden mir zugleich," setzte er mit einem glänzenden Aufblick der Augen hinzu, »im Nu 40,000 gute Soldaten mehr liefern, wenn ich sie brauchen sollte. Doch wünsche ich weit mehr, daß das Schicksal mir gestatten möge, alle meine Kräfte der Industrie und dem Ackerbau allein widmen zu dürfen. Krieg habe ich immer nur geführt, wo er nicht zu vermeiden war, und ich bin fern davon ihn zu lieben." Es ist wahr, daß Napoleon immer dasselbe zu versichern Pflegte — indessen benutzte ich die gute Gelegenheit, sofort auf die glorreichen Campagnen 192 Ibrahims überzugchen; aber obgleich ein Wink Mc-hcmed Ali's schon seit einiger Zeit den ganzen Hof entfernt hatte, und wir allein waren, lies sich doch der Vicckönig über diesen Gegenstand nur in Gemeinplätzen, oder, wenn man lieber will, in diplomatischen Phrasen aus. Doch lächelte er, als ich ihm sagte, es sei Seiner Hoheit wahrscheinlich ergangen wie dem Feldmarschall Suwaroff, der oft versicherte, er liebe den Krieg nicht, aber der Krieg liebe ihn; — und ich hättc zugleich, fuhr ich- fort, auf den Werften von Alexandria wohl bemerkt, wie gut Scink Hoheit es verstanden habe, sich durch den Krieg Mittel zum Kriege zu erwerben, womit ich das Holz zu seinen Schiffen meinte, das ihm früher gänzlich fehlte, während Adana jetzt fast allen Bedarf zu diesem Zweck im vortrefflichsten Ma-ten'ale liefert. Die nicht ganz heitre Miene Mehemcd Ali's verrieth während dieser Nedc, daß er über das angeregte Kapitel mehr dachte als er sprach. Gewiß ist es, daß er jetzt vollkommen einsehen muß, wie seine Zögcrung nach der Schlacht von Konieh, wo ein zu unerwartetes Glück ihn überraschte, der einzige große politische Fehler bleibt, 193 den ihm die Geschichte bis jetzt vorwerfen kann. Sachkundige wissen sehr wohl, daß Ibrahim, wenn er die Erlaubniß seines Vaters gehabt hätte, Vrussa zu besetzen und bis in die Nähe Constantinopcls vorzudringen, was nach jener Schlacht militärisch keine Schwierigkeit mehr hatte — er unter den damaligen Umständen dem Sultan den Frieden nach Belieben diktiren konnte, ehe Nußland dies mit ge-waffncter Hand zu verhindern im Stande war. Die europäischen Mächte aber fürchteten mit gutem Grunde seit Jahren insgesammt den Krieg zu sehr, und bewachten sich selbst gegenseitig mit zu eifersüchtigem Auge, um einem einmal solid erlangten «kttu» hun sich irgendwo ernstlich entgegenzusetzen, wie die Erfahrung seit Napoleons Tode überall zur Genüge bewiesen hat. In dem vorliegenden Falle würde die Diplomatie ohne Zweifel einige Millionen Federn mehr abgeschrieben und eine verhältnismäßige Anzahl Papierricßc und Tintenfässer verbraucht haben, ja die Protokolle der Confercnzen wären vielleicht auch jetzt noch nicht geschlossen — aber »der große Pascha" (wie ihn hier die Fremden nennen) würde deshalb nicht minder seine Stellung befestigt, und Mchemed Ali's Rn'ck, l. 43 194 die letzte Catastrophe dadurch vielleicht vermieden haben, und jetzt ein selbstgckrönter wenigstens theilweis anerkannter, unabhängiger Monarch geworden seyn, gleich Louis Philipp in Frankreich, König Leopold in Belgien, und Donna Maria de Gloria in Portugal!, ohne von St. Domingo, den spanischen Colonien und Spanien selbst zu sprechen, iu welchem letztern der endliche unzweifelhafte Sieger ebenfalls der Anerkennung nirgends ermangeln wird. Selbst die Polen würden sie erhalten haben, wenn sie nur zu siegen verstanden hätten. — Ich glaube, daß alle ParM'en bei diesem Ausgange der Sache gewonnen haben müßten, selbst der Sultan, der Syrien nicht regieren kann, und wenn er auch heute Aegyftten wieder eroberte, es doch immer nur dem Namen nach in seinem Besitz zu erhalten vermögen würde, der also vielleicht weiser gehandelt haben würde, das immer noch kolossale, von der Natur so viel mehr als andere Länder begünstigte Reich, welches ihm geblieben war, durch Civilisation und allmählige Reform zu consolidircn, als davon einmal abgc-rissne Provinzen wieder zu erlangen zu suchen; der ferner vernünftigerweise es hätte vorziehen sollen, 195 statt eines bci jeder günstigen Gelegenheit wieder drohend dastehenden Feindes, unter der bloßen Firma eines von ihm abhängigen Pascha's, einen lfreien muhammcdanischen Souvcrain zum Nachbar zu haben, dessen eignes Interesse ihn von dem Augenblicke an, wo er seine Unabhängigkeit erlangt hat, zum na^ türlichsten Bundesgenossen der Pforte machen muß; der endlich zu berücksichtigen hatte, daß Mehemed Ali für eine solche Concession jedes mögliche nachhaltige Gcldopfcr freiwillig zu bringen bereit gewesen sepn würde, cine Resource, welche bci dem Zustande dcr türkischen Finanzen willkommener gewesen wäre als ungehorsame Provinzen wieder zu erlangen, die mehr kosten alo einbringen. Wie oft mag es das spanische Gouvernement schon bereut haben, in ähnlicher Lage mit seinen insurgirten Co-lonicn zu lange gezögert zu haben. Daß ganz Europa's Ruhe, und der allgemeine Friede in mehr als einem Bezüge auf lange Zeit durch kein Ercigniß mehr hätte gesichert werden können, kann wohl kaum bezweifelt werden. Den größten Vortheil würden allerdings Mehemcd Ali's eigne Länder nebst einem großen Theile Afrika's daraus gezogen haben, wenn 13" 19O dieser Fürst die ungeheuren Summen, welche ihn sein prekairer Zustand zwang, auf eine Flotte von mehr als fünfzig Schiffen und eine Landarmee von nahe 150,000 Mann, inclusive der irregulairen Banden zu verwenden, zum höhern Flor der innern Industrie jeder Art, und zu eincr durchgreifenden Verbesserung der Lage seiner Unterthanen zu benutzen im Stande gewesen wäre. Kunst und Wissenschaft, die neubegonnene Civilisation eines ganzen Wclttheils, waren gleich lebhaft bei der Sache intcrcsfirt — und es blieb praktisch und theoretisch unpassend, so mannigfachen Interessen nur die Illegitimität Mchcmcb Ali's entgegensetzen zu wollen, da dieser Begriff im Orient gar nicht auf dieselbe Weise eristirt als bei uns. Und war seine Macht illegitim, zugleich aber doch zu fest begründet, um anders als gewaltsam umgestoßen werden zu können, so wäre cs eben der beste Weg für künftige Nuhe und Stabilität des Orients gewesen, sie je eher je lieber zu legitimircn, damit sie nicht ewig ein offenes Pulverfaß darbiete, das der erste vorüberflicgende Funke wieder entzünden kann. Mehemed Ali bedürfte es zur unerschütterlichen Conservation seiner selbst, seiner Familie und 197 197 des großen Werkes seines thatenreichen Lebens, daß dic Unabhängigkeit, welche cr äe kllcto errungen, auch 6e iuro anerkannt worden wärc. Und er konnte dieser Hoffnung Raum gcbeu, da man anderwärts ja überall in diesem Sinne gehandelt. Gehörte denn Griechenland den: Sultan nicht eben so rechtmäßig, als Syrien und Aegpptcn, und ist König Otto ein Vasall der Pforte? — Hatte der Sultan nicht auch auf Algier dieselben -legitimen Ansprüche wie auf die ägyptischen Länder, und erkennt Louis Philipp daselbst etwa die Oberherrschaft der Pforte an, welche diese früher über den dortigen Dey ausübte? Oder fehlte es Mehcmcd Ali etwa an gleich fest begründeter Autorität? Er ist bis auf diesen Augenblick noch ein weit unumschränkterer, ein weit besser rcspcktirter Herrscher in dem Gebiet, was er sich erhalten hat, als es bis jetzt weder König Otto in Griechenland, noch die Franzosen in Algier, noch der Sultau in seinem eignen Reiche, sind. Hätte er daher nur den rechten Moment benutzt, und sich damals als Sieger, nach seinen gewonnenen Schlachten, nebst der Sache auch den Namen gegeben, und sich mit kühner Hand selbst die Krone aufgesetzt, so 198 würde sie ihm wahrscheinlich wedcr das Schwert noch die Diplomatie wieder entrissen haben, ja entreißen wollen. Was er aber damals als schnelle That versäumte, auf dem Wege der Negotiation zu versuchen, war eine Schwäche und das Gelingen unmöglich, wrnn er auch alle Vcrmmftgründe der Welt auf seiner Seite gehabt hätte. In der Politik, wie in der Liebe, gibt es Dinge, „inc große Nolle inAegyp-ten spielen werden, und dies verdienen, gehört auch Artim Vcy, des Viceköm'gs Dragoman, der am vollständigsten Europäisch Gebildete^ unter den Nichteuro-päcrn in Acgpptcn. Mit der Verwaltung des Innern haben indeß Alle diese nichts zu thun, uud in Spricn, wo der Schuh am meisten drückt, hat Niemand Einfluß als Ibrahim Pascha uud seine Creature«. Wie diese aber beschaffen sind, davon ein a»dresmal. Ich fand im Hause des Hcrru Hammont zahlreichen Besuch, und sah hier zum erstenmal eine Almeh, welche die damals berühmteste der Hauptstadt war, notorisch durch die Gewalt ihrer Ncizc, die sogar cincn Engländer vermocht, ihr seine 264 264 Hand anzubieten, welche sie ausschlng — die schöne Saffia mit einem Wort, leider schon etwas zu lange berühmt, aber noch immer ihren Ruf verdienend. Sie ist zu reich und zu sehr Dame geworden, um in der allgemeinen Proscription ihrer Gefährtinnen imit einbegriffen zu seyn, doch mnß auch sie, gleich den vornehmen Pharaospielcrn in Europa, vor der Polizei auf ihrer Hut seyn. Schlank und hoch gewachsen, weiß wie eine Engländerin, von edlem Anstand, mit sanften nnd einschmeichelnden Manieren zeigte sie sich in der That als eine sehr vortheilhafte Repräsentantin ihres Standes. Die Art ihres Tanzes war ganz dieselbe, wie ich sie in Algier und Tunis gesehen, mit Ausnahme eiycs Wassentanzes, den sie mit ihrer Sklavin, ein fast noch hübscheres Mädchen als sie, selbst aufführte, und wo sie den Säbel trotz einem ehemaligen Mamluckcn zn führen wußte, an deren Costüm auch ihre ungeheuer weiten rothen Hosen und ihre goldgestickte hellgrüne Weste erinnerten. Ihre rei-chen schwarzen Haare, gemischt mit eben so viel falschen, hingen in unzähligen Tressen bis über die Hüften herab, und ich sage gewiß nicht zu viel, wenn ich versichere, daß über tausend kleine und größere currentc Goldmünzen 2«5 hineingeflochten waren, die allerdings hier sehr leichten Gewichts sind. Nachdem sie eine Viertelstunde getanzt, trank sie Kaffee und rauchte mit uns so würdevoll wie ein Pascha, als ihr aber nachher einige Gläser Liqueur gereicht worden waren, welchen diese Mädchen allgemein zu sehr lieben, verwandelte sich ihre angenommene Nuhe bald in eine bacchantische Wildheit, die mir mehr originell als anziehend vorkam. Doch schienen mehrere Herren der Gesellschaft in dem Augenblick, als ich diese verließ, einer ganz entgegengesetzten Meinung zu seyn. Nach dicscr reizenden.Houri des Kahiracr Paradieses zeigte mir Derselbe Abend m der Allee von Schubra auch den ägyptischen Himmel in seiner ganzen Pracht, und diese Darstellung war höherer Natur. Es ist fast unmöglich, eine Scene, wie sie an diesem Tage hier der Sonnenuntergang bot, zu beschreiben, ohne der Uebertreibung beschuldigt zu werden; und doch kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich während derselben ganz neue, früher nie gesehene Farben-nüancen kennen lernte, und von der ätherischen Zartheit dieses Schauspiels vorher gar keinen Begriff hatte. Bei uns spielen Abends nur die Wolken am 266 Himmel in mannigfachen und brennenden Farben, hier gab cs keine Wolken, aber der ganze Himmel und auch die ganze Erde waren in sanft glühende Tinten von unbeschreiblicher Lieblichkeit gehüllt. Aus der glänzenden Goldfarbe am äußersten Horizont entwickelte sich über dem reinen Aether ein durchsichtiges, wunderbares Meergrün, und helle Nosa-banden gingen von diesem in Lila- und Silbcrstrei-fen über, die in Osten wieder in lichtes Blau verflossen. So schimmerte in' erhabner Milde und Pracht das ganze weite Himmelsgewölbe, während das die Erde deckende Grün, zu höchster Saftfrischc gesteigert und wieMrch eine GloHe verklärt, häufig, gleich dreifarbig gewebtem Seidenstoff, zu gleicher Zeit in grün und blau und gelb zu schillern schien. Dazu funkelte die perspektivisch sich zusammenziehende Arkade der Allee vor und über uns in einem so magischen Goldlicht, als wären tausend Lampen dahinter verborgen, bis nach und nach der untere Theil des unabsehbaren Doms sich in Dämmerung zu hüllen begann, und alle Gegenstände nur noch undeutlich und fahl beleuchtet, wie im Kampf des Lichtes mit der Finsterniß erkennen ließ. Plötzlich 2N7 stieg da, wo die Sonne eben niedergesunken war, dunkles Noch aus der Tiefe herauf; der Baumkronen feuriges Grün über mir verlosch im Nu, ein starker Duft wie von Veilchen und Rosen erfüllte die Atmosphäre, und ehe ich noch recht zur besonnenen Zergliederung des Gesehenen gelangen konnte, war schon, mit der diesem Clima eignen Schnelligkeit, die orientalische Nacht mit ihren schwärzesten Schleyern niedergesunken, und das Vergangene verschwunden, wie zurückgekehrt in des Traumes ungewisses Neich. Die Stimmung, welche dies' in mir hervorrief, war vollkommen passend für die Gesellschaft, welche mich zu Hause erwartete, wo ich heute, außer meinen steten Begleitern, dem Ministerialrath Lubbcrt und dem Doktor Koch, noch die Herren Lambert und Cavillia zu Tisch gebeten hatte. Beide letztgenannte Herren sind nicht ohne jenen phantastischen Anflug, den ich so liebe, wiewohl sehr verschieden in der Anwcnduug dieser Gcistesrichtung. Der Erste ist St. Simonist mit Leib und Seele, aber bei allem Enthusiasmus für seine abenteuerliche Lehre so scharf und klar, daß man ihm hier scherzweise den Vei- 268 namen des Jesuiten der St. Simonistcn gegeben hat. Von Niemand kann man sagen, daß er besser verstehe ,.äe piecnei' pour »a pa,m88e," und er weiß eben so gut das Wahre hervorzuheben, als schwache Seiten durch die gefährliche Waffe einer beißenden Ironie zu unterstützen, welche die Lacher auf seine Seite bringt. Doch ist er weit entfernt, ohne Veranlassung das Thema seines Glaubens, nach Art der christlichen Missionäre, den Leutcn dn!,l»l« uinl^ll» aufzudringen, und da cr voll Verstand und Kenntnisse, wie reich an Wcltcrfahrung ist, so gewährt seine Unterhaltung, auch außerhalb der St. Simonistischcn Region, immer ein ungc-meines Interesse. Herr Cavillia ist ein Illuminat, und von der Wahrheit vieler Dinge überzeugt, die in Europa für Mahrchcn gelten würden, als z. V. die Enstcnz weißer und schwarzer Magic, so wie von den Auserwä'hltcn erhaltener und immer noch wirksamer Geheimnisse aus der Schule ägyptischer Priester, die nach ihm cinc weit Höhcrc Ausbildung des thierischen Magnetismus zur Grundlage haben, als wir bis jetzt noch ahnen; ferner die Nähc geistiger 209 Wesen übermenschlicher Natur, mit denen wir unter gewissen Umständen in persönliche Verbindung treten können, u. s. w. Als ich gegen ihn äußerte, daß ich sehr wünschte, einen jener Vorgänge selbst zu schauen, von denen englische und französische Reisebeschreiber sprechen, wo durch einen unbekannten Zauber ein unschuldiges Kind befähigt wird, in der Fläche seiner Hand irgend eine beliebige Person zu sehen und zu beschreiben, über die man Auskunft zu haben wünscht, sey sie auch noch so fern, ja selbst schon längst vergangenen Zeitaltern angchörig — antwortete er, daß nichts leichter sep, und Lord Prudhoe wie mehrere Andere, die früher ungläubig gewesen, sich bis zur Evidenz von der buchstäblichen Wahrheit der Sache überzeugt hätten; es käme nur darauf an, setzte er sehr kaltblütig hinzu, im Fall ich dieselbe Erfahrung zu machen wünschte, ob ich mich vorher auch dazu verstehen wolle, dem bösen Geiste formell zu huldigen. — Ich frug ihn hier lachend, ob er glaube, daß jene erwähnten Herren dieselbe Bedingung erfüllt hätten. Dies ist keinem Zweifel unterworfen, erwiederte er, denn ohne diese Formalität ist die Sache nur auf dem entgcgcnge- 270 setzten Wege, nämlich durch weiße, heilige Magie möglich. Dazu aber gehört eiu langes, schweres Leben der Vorbereitung. Nachdem Herr Cavillia hierauf uoch allerlei nicht weniger auffallende mystische Andeutungen gemacht, in die er auf eigene Art das Christenthum einmischte, welches er (nicht mit Unrecht) das Wort nannte, das von Ewigkeit sey, und auch die Eingeweihten im ägyptischen Pricsterthum schon erfüllt habe, gab er nicht undeutlich zu verstehen, daß er selbst zu diesen Eingeweihten der ersten Klasse gehöre, die den Grund aller Dinge erforscht. Im Verfolg der Unterhaltung behauptete er, daß ihm die neueste französische Revolution durch seinen «pnitus familiari« schon sechs Monat vor ihrem Ausbruch verkündigt worden sey, so wie er es damals auch auf der Stelle Mehreren mitgetheilt. Die Art der Offenbarung war nicht wenig eigenthümlich, denn der Geist erschien ihm riesengroß, über Alcrandrien in den Wolken thronend, und links seiner Nase wuchs eine dreifarbige Fahne, rechts das kolossale Bild Louis Philipps hervor. Es steht auch noch mehr Bedeutendes in der Welt zu erwarten, fuhr Herr Cavillia fort, 271 denn das Phantom erschien mir kürzlich wicdcr. Welcher Art jedoch diesmal die Offenbarung war, ward uns nicht vertraut. Capitain Cavillia war in der letzten Zeit mit einer neuen Untersuchung der Pyramiden beschäftigt, wozu er sich mit dem englischen Generalconsul, Oberst Campbell, dem englischen Viceconsul in Alexandrien, und dem englischen Obersten Howard Wyse, durch Contrakt ajsociirt hatte, und zwar, wie er sich ausdrückte, dergestalt, daß die Engländer das Geld und er den Kopf zu der Unternehmung herzugeben sich verpflichteten. Ein erfolgter Streit zwischen ihm und Oberst Wpse hatte diese Verbindung vor einigen Tagen jedoch wicdcr aufgelöst, und der Oberst die Fortsetzung des Geschäfts allein übernommen, und „den Kopf" weggelassen, worüber Herr Cavillia sich, als eine gewaltsame, eigenmächtige Aufhebung des formellen Contrakts, bitter beklagte. Als ich indeß später den Oberst Wpsc bei meinem Besuch der Pyramiden dort antraf, führte dieser ebenfalls mehrere plausible Gründe für sein Verfahren an, so daß ein Dritter, ohne genaue Kenntniß der Sache, kein Urtheil darüber zu fällen sich erlauben 272 5 272 darf. Herr Cavillia war voll sanguinischer Hoffnungen über die Möglichkeit großer Entdeckungen, von denen er bereits, wie er versicherte, die untrüglichsten Andeutungen habe. Er hoffe, der Welt bald ein noch ungckanntes Wunder ägyptischer Architektur im Innern der Pyramiden enthüllen zu tonnen. Obgleich er stets in halben Räthseln sprach, glaubte ich doch so viel zu verstehen, daß, seiner Meinung nach, der ganze obere Theil der, großen Pyramide, über den gefundenen Grabkammern hohl sey und einen ungeheuren Saal bilde. Als dies die Nedc auf die sogenannten Zimmer des Königs und der Königin brachte, nnd ich Herodots Tert citirte, nach welchem der königliche Erbauer der Pyramide gar nicht in derselben, sondern in der Fclscnbasis darunter, von einem unterirdischen Canal des Nils umflossen, begraben liegen soll, unterbrach er mich lebhaft: „Nein," rief er, „dort liegt das gefeite große Krokodill, das die Quintessenz alles Geschehenen und Kommenden in sich faßt—" und nun begann er eine höchst seltsame Erzählung, deren Ton er jedoch so geschickt zu handhaben wußte, daß es stets ungewiß blieb, ob er allegorisch oder ironisch, oder 273 in vollem Ernste spreche, ob er uns nur scherzend zum Besten habe, oder wachend phantasire. Ich für meinen Theil glanbc indeß, es war Etwas von beiden Elementen darin vorhanden, und Herr Ca-villia, gleich allen übrigen Propheten, halb inspirirt und halb besonnen, halb Glaubender und halb Täuschender. Man kann es jedoch auf keine unterhaltendere nnd ansprnchlosere Weise sepn, als dieser originelle Mann, wenn er dazu aufgelegt ist, cm Fall, der übrigens sehr selten eintritt, da er, immer mit mysteriösen Studien beschäftigt, in der Ncgel nichts weniger als communikativ erscheint. Mchemcd Ali's Rcicb. I, 18 Die Pilger nach Mekka. Die Gräber der Ghalifen. Die Pilger nach Mekka. Die Gräber der Ghalifen. Am andern Morgen weckten mich die Kanonenschüsse, welche die Abreise der Hadschi's der großen Caravane nach Mekka verkündeten. Mein, dem Leser schon aus Alexandria bekannter junger Freund, der französische Consul Lesseps, ein Pariser Elegant in der Wüste, holte mich auf seinem tunesischen Nenner ab, und wir eilten bei Dcsair umgeworfenem Monumente und dem prächtigen Thore des Sieges (kaii-el-N^r) vorüber, einen freien Platz zu gewinnen, bei dem die Procession vorbeikommen mußte. Einige Regimenter stehen jetzt dort in Zeltlagern, täglich mauövrirend, heute aber fanden wir sie, dem heiligen Teppich zu Ehren, mit der irregulairen Kavallerie auf bcidcu Seiten der Straße Spalier bildend. In der Nähe dieser placirten wir uns auf einer Anhöhe. Schon 275 nahte der Zug. Voran ein Detachemcnt Kavallerie, die Officiere in ihrer Staatsuniform, in Roch und Gold gekleidet. Dann mehrere einzelne, mit bunten Bändern geschmückte Kamcclc, auf deren einem cin ganz nackter, sehr schmutziger Heiliger (8antnn) saß. Hierauf, gleichfalls von Kavallerie umgeben, erschien cine Art reich gestickter Sänfte mit gleichem Baldachin, alles von grüner Farbe, welche den Teppich enthielt, den der Sultan alljährlich der heiligen Käba verehrt. Andere geschmückte Kamecle folgten und noch einige Reiterei, der sich die lange Ncihc der Hadschi's anschloß. Das Gros der Caravane versammelt sich jedoch erst eine Station weiter in der Wüste, wo cin mehrtägiger Halt gemacht wird, bis Alles vereinigt und geordnet ist. Eine große Menge Volkes umgab die Procession mit lautem Geschrei, und Viele schössen als Freudenbezcigung ihre Gewehre, zum Theil dicht neben uns, ab. Noch vor wenigen Jahren würden Christen in ihrer europäischen Tracht großer Gefahr ausgesetzt gewesen seyn, diesem Schanspiel beizuwohnen, jetzt schien man uns kaum zu bemerken, und nicht einmal eine feindliche Miene drohte uns. Im Gegentheile wich man 18 " 276 stets ehrerbietig vor meinem Kawaß zurück, wo cr uns Platz zu machen für gut fand, und einige nackte muhamedanischc Ringer von athletischem Körperbau baten während der Ceremonie sogar um die Vergünstigung, nns Ungläubigen en pedant cine Vorstellung ihrer Künste zu geben, die ich jedoch erbärmlich fand, da sich alles auf bloße Demonstrationen beschränkte, und ein wirklicher Wettkampf unter ihnen nie stattfand. Nachdem der kleine scidnc Tempel mit dem heiligen Teppich, der hier die Nacht zubringen sollte, niedergelassen und mit einem dichten Schwärm Kavallerie nmzingelt worden war, um jeden profanen Blick abzuhalten, ritten wir eine halbe Stunde weiter, den imposanten, leider nun schon halb verfallenen Grabmälern der Chalifcn zn, die dem Architekten fast unerschöpfliche Modelle der mannigfachsten, eben so geschmackvollen als originellen Zicrra-then altarabischer Baukunst darbieten, und wiederum deutlich zeigten, daß dieser Vanstyl mit dem gothischen auf, das Innigste verwandt, ja beide oft sich fast gleich sind. Mitten im Sand der Wüste gelegen, und in so töbtlich einsamem Contrast mit dem 277 Gewühl der nahm Hauptstadt, machten diese vcr-hältnißmäßig modernen Ruinen, diese Menge von Pallästcn hingeschiedner Größe in verwitternder Kunst und Pracht, einen viel wehmüthigeren Eindruck auf mich, als die uns schon so vicl weiter entrückten Todtcnstädte der alten Aegppticr. Der erste Dom, in den wir traten, war das Grab des von den arabischen Dichtern hochgcfcicrten Helden Melct-cl-Adhcl, der auch Chateaubriand den Stoff zu einer seiner lieblichen Dichtungen lieferte. Die Arabcskcnmalerci und zierlichen Schriftlichen dieses Monuments werden als die vollendetsten ihrer Art in Kahira angesehen. Die Kuppel ist tühn, leicht und luftig, von imposanter Wirkung, noch voll Farbcn-glanz und Vergoldung, doch da das Ganze an vielen Orten gewaltsam beschädigt wurde, droht, ohne schleunige Reparatur, die von den Türken nie zu erwarten ist, diesem schöucn Mausoleum der baldige Einsturz. Eius der großartigsten und prachtvollsten Gräber, von dem ein Theil wahrscheinlich zugleich als Pallast gedient haben muß, ist das eines Kaliphcn der ersten Dynastie und seiner Gemahlin, deren Namen mir entfallen sind. Es bildet ein Viereck mit 278 zwei hohcn Thürmen und zwei Kuppeln, eincn ansehnlichen Hof umschließend, in dessen Mittc sich eine Fontaine befindet. Unter den beiden Kuppeln, die sich an den Endpunkten eines weiten Saales erheben, liegt das Hcrrscherpaar begraben. Mit bunten Marmorarten ausgelegte Wände und bewunderungswürdig gearbeitete, transparente Metall- und Holzgitter schmücken diese Näume. Auch der Saal ist von edlen Verhältnissen und seine zierliche Steinkanzel würde die schönste unsrer Kathedralen würdig schmücken. Alles stand hier offen, jeder Verheerung preisgegeben, ohne Schutz, langsam selbst mit den Körpern vermodernd, die es birgt. Wir bestiegen, der Aussicht wegen, einen der Thürme auf der entgegengesetzten nach der Stadt gewandten Seite, obgleich in den, zum Theil außerhalb angebrachten Treppen mehrere Stufen und an vielen Stellen die Geländer fehlten. Kaum waren wir im ersten Stocke angelangt, als uus ein starker Ambragcruch cntgegcn-duftcte, und gleich darauf, wie ciuc Erscheinung, ein hübsches Mädchen aus einer niedrigen Seitenthüre heraustrat, die, auf das Bunteste geschmückt, sich tief verbeugte, und demüthig eincn Vackschis 279 (kleines Geschenk) für sich erbat. Wir waren anfänglich nicht wenig erstaunt über diese so unerwartete Begegnung, doch das Räthsel löste sich bald: Zwei der aus Kahira, durch das harte Gesetz Me-hcmcd All's kürzlich vertriebenen Hetären hatten sich hier cinquartirt, um unter dem Schutz vcrlassc-uer Gräber ihr, diesem Lokal so heterogenes Geschäft verstohlen und ungestört fortsetzen zu können! Dic armen Kinder, eine Schwarze und eine Weiße, erregten unser Mitleid zu sehr, um nicht — uud diesmal wenigstens in aller Unschuld — eine reiche Erndte zu machen. Schule von Kasserleng. Die Insel Ruda Obgleich man gewöhnlich den Fremden zu versichern Pflegt, daß es in Kcchira nie regne, so wurden wir doch auf dem Rückweg von cincm gewaltigen Gewitter überrascht, dem ein zweistündiger Platzregen gleich einem Wolkcnbruchc folgte, und uns bis auf die Haut durchnäßte. Doch ließ ich mich nicht abhalten, noch einen Besuch in der Schule von Kasserleng (Kasr-el-Ain) zu machen, die erste der vom Viceköm'g geschaffnen Anstalten dieser Art, die ich sal), und deren musterhafte Einrichtung jeden Unparteiischen mit Achtung für ihren Gründer erfüllen muß. Mehrere zusammenhängende zweistöckige und großartige Gebäude im Europäischen Styl umschlossen einen Garten und einen großen, mitBaum-allcen bepflanzten Hof, in dessen Mitte die Moschee steht. Die erwähnten Gebäude enthalten Wohmmgs-, Schule von Kasserleng. Die Insel Ruda 28! Schlaf-, Sfteisc-, Kranken- und Nnterrichtssäle für zweitausend Schüler, nebst den Wohnungen der Lehrer und Diener, einem großen Bade, den Küchen, Vorrathskammern u. s. w. Jeder Saal hat seine besondern, anständig gekleideten Diener, welche auch bei Tafel servircn, und die strengste Ordnung und Reinlichkeit herrschte von der Schwelle bis zum Dache. Die Schüler sind sämmtlich uniformirt und wert n alle Jahre neu gekleidet. Jeder hat ein Bett mit eiserner Bettstelle, einen verschlossenen Schrank für seine Habseligkcitcn, eine Matte mit Tcppich, und ein Kissen zum Sitzen. Der Gebrauch der Zeit ist militärisch geregelt, und um die jungen j^cute nie aus der Ordnung zu lassen, müssen sie, selbst zum Unterricht wie zur Tafel, stets militärisch marschircn. Ich war bei ihrer Mahlzeit gegenwärtig, deren zwei des Tages stattfinden, und die ich besser und reichhaltiger als in irgend einer unsrer, mir wenigstens bekannten, deutschen Schulanstaltcn fand, besonders solchen, welche auf Kosten des Gouvernements bestehen. Die Eleven aßen in zwei Sälen, an runden, von Bänken nmgebcncn Tischen, je zehn zu zehn mit einander, höchst anständig in ihrem Bc- 282 nehmen, obgleich mit voller Freiheit der Unterhaltung , und auch durch keinen Besuch im mindesten gehindert, wäre es auch der desVieckö'nigs selbst, da es eine sehr vernünftige und humane Bestimmung türkischer Sitte ist, daß beim Essen Niemand aufsteht, noch grüßt, oder zu sonstigen Nespcktsbczcu-gungcu verbunden ist, es mag kommen wer da will. Dies gilt auch für alle Dienerschaft, und selbst Thiere werden nur im höchsten Nothfall während ihrer Füt-teruug gestört. Dic Aussicht aus den hohen offenstehenden Fenstern dieser Säle auf die neuen Anlagen Ibrahims, die dahinter liegende, in Palmen eingehüllte Stadt, auf die Citadelle und den weit hingestreckten dunkeln Mokkatamm mit seinen verschiedenen kleineren Forts, im vollen Glanz der jetzt wieder hervortretenden Sonne, war bezaubernd schöu — eine wahre Bildergallcrie flir die Speisenden — und daß man auch hier nicht unempfindlich für diese Natnrschön-heiten blicb, bewies uns schon der arabische Lehrer, der mich sogleich darauf aufmerksam gemacht hatte. Der Unterricht, den die Knaben erhalten, ist der Tendenz der Schule angemessen, die den Uebergang 283 von der Primairschule zu den höheren zu machen bestimmt ist. Die militärische Bildung geht damit Hand in Hand, worüber ich nicht selten tadelnde Anmerkungen hörte. Meines Erachtens entspringt daraus nur ein doppelter Vortheil für die zu erziehende Jugend, wenn er anch zugleich den Privat-zweckcn des Vicekönigs dienen mag. Ein sehr intelligenter, vortrefflicher junger Mann, Mustapha Bey, ein Aegypticr, der seine Bildung in Europa empfing, steht an der Spitze dieses Etablissements, und die Leidenschaft, die ihn selbst dafür beseelt, sprach ihm aus den Augen, gewiß der sicherste Bürge für eine gute Amtsführung in jeden: Fach. Da sich das Wetter aufgeklärt hatte, wollte ich es benntzcn, um dem Vicekönig noch einen Besuch zu macheu, hörte aber, daß er nach M-Kahira geritten scp. Ich wandte daher mein Pferd nach derselben Richtung, in der Hoffnung, ihm zu begegnen, nnd bei dieser Gelegenheit anch zn sehen, in welcher Weise er sich dem Publiko zeige. Es dauerte nicht lange, als schon ein vorreitender Kawaß sein Kommen anzeigte. Ich rangirte mich mit den Umstehenden, um Seine Hoheit vorbeizulassen, sobald 284 284 Mchemed Ali mich indeß gewahr ward, winkte er mir, mich an seine Seite zu begeben, und ich begleitete ihn dann bis zum Pallast znrück. Er war ohne allen Prunk, nur von einem sehr kleinen Gefolge umgeben, unter dem sich besonders Menicli Pascha dnrch seine höbe Gestalt und kriegerische Haltung auszeichnete. Achmcd Menieli Pascha ist ein in Aegppten berühmter Kavallerie-General, der seit Kurzem erst zum Kricgs-Mimster ernannt wurde, und durch seinen glänzenden Angriff mit dein Garde-Regiment, welches er damals 'kommandirte, viel zum glücklichen Ausgangc der Schlacht von Konich beitrug. Der Vicckönig selbst zeichnete sich von den Ucbri-gen nur durch seine größere Einfachheit aus. Ucbcrall schienen aber des Volkes Blicke, das sich ehrerbietig bei seiner Erscheinung aufstellte, ihm mit Liebe und Bewunderung, ohne alle Anzeigen sklavischer Furcht zu folgen; eine Behauptung, welche in Enropa Manchen überraschen wird; aber ich überzeugte mich hundertmal, daß Mehemcd Ali in seinem Lande wirklich, trotz aller despotischen Maaßregeln, populär bei Großen wie Kleinen ist: der beste Beweis, daß seine 285 Negierung hier nicht so unpassend seyn muß, als unsre Theoretiker sie beurtheilen. Er grüßte fortwährend rechts und links mit vieler Grazie und Freundlichkeit, ohne seine lebhafte Unterhaltung mit mir "inctl Augenblick zu unterbrechen. So erreichten wir den Pallast, wo ich mich beurlaubte, um den schönen, vom Negen köstlich erfrischten Abend auf der nahen Insel Nuda zuzubringen. Diese so reizende, bamnreichc Insel ist leider durch den unglücklichen Gedanken sehr verdorben worden, auf derselben einen sogenannten englischen Garten oder Par anzulegen. Ich habe schon früher bemerkt, daß Gärten in diesem Geschmack, dessen Hauptelemente Frische, Wald, Wiesen und Rasenplätze sind, und der weniger einer erhabenen, als vielmehr freundlichen und ländlichen Natur zusagt, für das hiesige Clima und den imposanten Ernst Aegyptcns durchaus unpassend sind. Diese bisher nur a primi gefaßte Idee fand ich nun hier auf das Vollste durch den Augenschein bestätigt, und um so kläglicher war das Resultat, da ein höchst unwissendes Subject, ein wahrer Iobn-Vull-Gä'rtncr, wie es deren in England jetzt nur zu viele giebt, den geschmacklosesten 28« Unsinn mit ungeheuren Kosten hier zusammengchäuft hat. Dahin gehört untcr andern cm lächerliches Gebäude, im Styl ächter englischer nc>n86N8e-Archi-tektur aufgeführt, wo alle Vau-Ordnungen unter einander gemengt sind, die griechische aber vorherrschen soll, wozu es denn bewundernswürdig gut paßt, daß eine der Facaden ciue Muschclgrottc mit natürlichen Felsen darstellt, die überdies höchst ungeschickt nachgeahmt sind. Diesem ist noch die ganz zwecklose Unbequemlichkeit hinzugefügt, daß man sich durch den laum fußbreiten, gcwuudcncn und niedrigen Eingang nur tief gebückt hindurch winden kann, um in den innern dunklen Naum der Grotte zu gelangen, den Culminationspunkt des Ganzen, wo, auf vorhergegangene Bestellung, zwei Minuten lang eine kleine Cascade herabfällt, zu dcr eine Cisternc auf dem Dache das Wasser liefert. Vor dem Eingang dieser absurden Spielerei sind außerhalb Stu-fensitzc angebracht, von denen man die Aussicht auf einen in irregulären Schlangenlinien geformten See hat, dessen schroffe Grenzen, um sie noch unnatürlicher zu machen, dnrch wohlgeputzte Steinmauern mit einer runden Wulst darüber eingefaßt sind. Wci- 287 terhin läuft diese Wasserpartic in cincn engen, oft zum Uebersvrmgen schmalen Kanal aus, der sich, fortwährend von gleichen Mauern eingefaßt, in den Windungen eines Korkziehers und voll von stinkendem Schlamm, wie ein cckelhaftes Reptil, durch den ganzen Park schlangelt, bis er an seinem Ende wieder ein kleines Becken bildet, das genau die Gestalt eines gewissen Mcubles hat, welches reinliche Personen bei ihrcrZNorgen- und Abendtoilette gebrauchen. Das grüne Wasser dieses Kanals ist von kümmernden und vertrockneten Schrubbs oder Kleefeldern eingefaßt, die der hier unentbehrlichen Bewässerung wegen, statt einer glatten Pelousc, nur eine Menge kleiner, erhabener Quarrce's, wie in einen: Gemüsegarten, zeigen. Selbst die hierauf vertheilten losen Vaumgruppen machen daher cincn widerlichen Effekt, ohngcfähr so, als wenn man dergleichen bci uns, statt auf einer Wiese oder einem Weideplatz mitten in ein Kartoffelfeld oder einen Gemüsegarten pflanzen wollte. Man sieht hier, was das npropa» bei jeder Sache thut, da in den rcchtwinklichtcn, von graden Alleen durchschnittenen Figuren der von mir gerühmten Promenaden um Kahira diese selben re- 288 gelmäßigen, freien Kleequarr<5e's, die dort, als bloße Füllungen benutzt, einen: kolossalen Damenbrcttc gleichen, und in Harmonie mit den eben so regelmäßig sie umschließenden Gängen einen dem Auge wohlgefälligen nnd originellen Anblick gewähren, hier, wo sie der Natur nachgeahmte Waldplätze und Wic-sengründc darstellen sollen, nur die ungeschickteste Wirkung hervorbringen. Die Bestrebung, dem Terrain durch Künstliche Erhöhungen mehr Bewegung zu geben, und einzelne Hügel zu formircn, ist eben so widersinnig ausgefallen, da die crstern durch ihre unnatürliche Form nur Dämmen, und die andern Tumulis ähnlich sehen. Aber selbst in den Pflanzungen hat sich dieser iusularifchc Künstler als den größten Stümper dargethan. Einige gigantische alte Spcomorc-Väume, die, mit Geschmack benutzt, zu den grandiosesten Partieen Gelegenheit gegeben haben würden, sind durch die Vorpflanzung flattriger Pappeln und Weiden entweder ganz versteckt, oder ihre imposante Wirkung doch gänzlich gestört worden. Die Schrubbs sind meist so durchsichtig gepflanzt, daß mehr schwarze Erde, als grünes I^iub sichtbar wird, überall ist das 289 Nadelholz dicht an dic Wege gestellt, die cs verwächst, und die Gruppen sind so schroff, steif und klccksartig über die Kleefelder vertheilt, daß in der That die Acgpptier, wenn sie das herrliche, von Griechen ausgeführte Schubra mit diesem Salmagundi vorgeblicher englischer Gartenkunst vergleichen, von dieser nur einen höchst betrübten Begriff erhalten können. Wahrscheinlich ist dies auch die Ursache, daß man bereits einen andern Theil derInscl einem zweiten (ich glaube französischen) Gärtner überlassen hat, der mehr den Stpl von Schnbra beibehalten, und so einige weit hübschere, obgleich jenen vortrefflichen Gärten immer noch lange nicht gleich kommende Anlagen gemacht hat. Denn leider ließ er, trotz besserer Einsicht, sich von dem nahen schlechten Beispiel verführen, in seine regelmäßigen Zeichnungen dennoch hie uud da einige der unglücklichen Ven'rrungcn seines Collegen mit zu verweben, welche weder der Kunst noch der Natur angehören. Ich glaube, daß man für die ägyptische Gartenkunst einen ganz neuen Aenre erfinden müßte, in welchem Regelmäßigkeit zwar Grundprinciv, abcr Mchcmcd Ali's Ncich. I. 19 29N höchste Mannichfaltigkeit dennoch nicht ausgeschlossen bleiben würde. Da die stete Bewässerung zugleich hier eine conclitio »mo hua i,on, nnd auch nicht zu verbergen möglich ist, so müßte diese selbst zur Zeichnung der Formen dienen, was, wohl bedacht und geschickt ausgeführt, höchst originelle Effecte schaffen uud im Großen wie im kleinsten Detail die gefälligsten Bilder hervorbringen könnte, in seinem Ganzen gewissermaßen einem Arabeskenbild vergleichbar , in dem die Contuse von den unvermeidlichen Wasserkanälen, die Füllung und Schattirnng aber durch Vegetation aller Art, wie sie dem Klima angemessen, vom riesigen Sycomore bis zur kleinsten Blume herab, gebildet würden. Wie die Natur in jedem Himmelsstriche verschieden ist, und den unter diesem liegenden Ländern einen eigenthümlichen Charakter aufdrückt, so muß auch die Gartenkunst überall verschiedenen Principien folgen. Für das nördliche Europa paßt das Princip der englischen Landschafts-gärtnern, meiner Ueberzeugung nach, besser als jedes andere, mit wenigen einzelnen Lokal-Ausnahmen. Italiens Villen verlangen schon eine andere Umgebung, und für Algier mit der Vcrbcrei, für Grie- 291 chenland, wie für Aegpptcn, unterhielt es mich, mir ganz neue, und für jedes dieser Länder von einander abweichende Systeme auszudenken, welche ich später als Anhang meines kleinen Werkes über Land-schaftsgärtncrei, das vom Publikum über Verdienst gütig aufgcuommcn worden ist, bekannt zu machen gedenke. Hier sey genug über diesen Gegenstand gesagt. 49- Der Sclavenmarkt. Fostat. Thura. Die nächsten Tage absorbirtc dic Gesellschaft. Ich mußte den Herren Consuln ein Din« geben, nachher einigen vornehmen Türken, welchen auch während dem Essen Pfeifen servirt wurden, dann auch noch versäumte Besuche nachholen, und endlich verschiedene Einkäufe machen. Mau trifft in Kahira viel Interessantes dieser Art an. Indische Waaren verschiedener Natur, Stoffe, künstliche Arbeiten, von den Gourmands geschätzte seltne Früchte u. s. w. sind hier vcrhältnißmäßig wohlfeil, allerlei kostbare Steine, namentlich eine große Auswahl schöner Tür-kisse und Smaragden, findet man ebenfalls zu billigen Preisen, die Produkte aus Jemen sind barock, und die Waaren aus dem innern Afrika bieten zum Theil noch merkwürdige Curiositäten dar, wie z. B. die wunderlichen Reitpeitschen aus Hippopotamushaut, 293 im Arabischen Kurbatsch genannt, woher ohne Zweifel seit den Krcuzzügcn das Wort „Kardätsche" nach Deutschland gekommen ist. Was türkischer und syrischer Gewcrbsteiß liefert, ist dagegen hier theuer und die Auswahl nur gering. Bei dieser Gelegenheit besuchte ich auch den schwarzen Sclavenmarkt, der allerdings, so milde die Sclaven auch in der Negel hier behandelt werden, dem Europäer ganz andere Gefühle als dem Orientalen einflößt. Es ist niederschlagend, daß demohngcachtct die allgemeine Stimme der Europäer selbst sich in der Behauptung vereinigt, daß die Sclaven von diesen härter wie von den Muselmännern behandelt werden. Kann man sich überwinden, das Tragische, was in dem ganzen System liegt, einmal bei Seite zu setzen, und was hülft es auch, darüber, als etwas hier vor der Hand noch Unvermeidliches, unnütz zu jammern, so muß man ohne Affectation gestehen, daß dieser Sclavcnmarkt neben der menschlichen Herabwürdigung (der man aber in goldnen Sälen, unter Sternen und Orden, oft noch widriger begegnet, weil sie da freiwillig ist) auch viel Komisches darbietet. Die Sclaven selbst zeigen für's Erste gar keinen Ausdruck des 294 Kummers oder der Schwermuth in ihrem Benehmen, wohl aber die verschiedensten und originellsten Sitten. In den offnen Zimmern und dem Hofe eines großen Gebäudes vertheilt, sitzen sie in Grnvpen umher, meistens scherzend und lachend, oft auch mit einer stupiden Gleichgültigkeit und thierischem Ausdruck ihrer Mienen. Frisch angekommene Selavin-ncn sieht man häufig noch im Costüme ihres Landes, d. h. fast nackt; sind es aber solche, dic schon aus zweiter Hand verkauft werden, so sind sic orientalisch angezogen, und diese zeichnen sich gewöhnlich durch üble Laune und ein ziemlich impertinentes Wesen aus, das dennoch nicht ohne eine gewisse Coquettcrie bleibt. Diese weigern sich auch oft, ihr Gesicht sehen zu lassen und affektircn Zorn und Abneigung gegen den Käufer, während die noch im halben Naturstande Begriffnen mit eben der Gleichgültigkeit nicht nur ihr Antlitz, sondern Alles, was man verlangt, entblößen, wie es ein Schaaf ruhig duldet, daß man seine Wolle befühlt. Wir hatten einen im französischen Consulat angestellten Lcvan-tiner mit uns, von dessen merkwürdiger Routine und grotesken Unbefangenheit im Sclavennntersu- 295 chungsgeschäft, verbunden mit feinen dahin gehörigen Kunstausdrückcu, man, trotz allem Widerwillen, unmöglich ohne Lachen Zeuge seyn konnte. Ohne alle Umstände nahm er cm vierzehnjähriges Mädchen beim Arm und befiihltc, ihr den Bcrnus abstreifend, in welchen sie sich gehüllt hatte, ihre jungen Brüste, wie man dic Neife ciner Frucht vrobirt, „Fort bicii,« rief ev 31t uuč gcWstttbt, wc'cst frais, cela a pousse corame uiie orange." Jetzt ergriff er unsanfter eine andere, aus zweiter Hand, und hob ihr, wenig auf ihr Sträuben achtend, dcn lang herabhängenden llcberwurf auf, ließ ihn aber bald mit deO Worten wieder fallen: »t^e n'e^t si«,, spoilt; c,8t/«it,^." Eine dritte, weit hübscher als die Vorhergehenden, aus AbMnien, wurde von der Schuhspitze bis zu ihren hundert Haarflechten untersucht, mußte dann noch die Zunge hcrausstreckcn und die Zähne weisen, worauf ihr als Resultat der Visitation das Attestat gegeben ward: »Voila une jolie fille, bleu portaiite, d'tine belle chute de reins, mais la gorge est applatic en (liable!u Dies ist gemein, aber ein treues Bild des hiesigen Verkehrs, charakteristisch, uud folglich, glaube ich, an seinem Platze. 296 Um indeß den Gegenstand, der in mehr als einer Hinsicht seine schwarze Seite hat, schnell zu wechseln, führe ich den Leser jetzt durch Alt-Kahira nach der Artillerieschule von Tuhra, ein Ort, der wahrscheinlich auf der Stelle des alten Troja erbaut ist, sowie man auf den Bergen hinter Fostat das ägyptische Babylon sucht. Ich glaube jedoch, daß dies Letztere da stand, wo sich jetzt Mehemed Ali's Citadelle befindet. Wir begannen in Fostat (Alt-Kahira) mit Besichtigung der koptischen Kapelle, unter der ein kel-lcrartigcs Gemach für die GrotR ausgegeben wird, in welcher die Jungfrau mit Vater Joseph und dem Jesuskinde auf ihrer Flucht nach Acgyptcn eine Ruhestation machte. Wir mußten, wie billig, dem führenden Mönche für das christliche Spektakel einen arabischen Backfchis verehren, obgleich der gemauerte Keller in keiner Art einer Felsengrotte ähnlich sah. In der Kapelle selbst befanden sich aber einige eben so kostbare als geschmackvolle, mit Holz und Elfenbein eingelegte maurische Arbeiten. Von hier begaben wir uns nach der verfallncn und nur von öden Trümmerhaufen umgebnen, aber Pracht- 297 vollen und im edlen Styl gebauten Moschee Amru's, des Eroberers Aegpptens. Ein weiter Hof, von drei-und vierfachen Säulenhallen mngebcn, würde auch eine antike Akademie Griechenlands nicht verunziert haben. In der Mitte dieses Hofes steht ein kleines, gleichfalls artig verziertes Gebäude, ein bleibendes Zeichen der Gerechtigkeit Annu's, gleich der Mühle von Potsdam; denn es gehörte einer armen Jüdin, die es dem Sultan nicht verkaufen wollte, weshalb er es nur rings umbaute, statt cs abzureißen. Man sieht einige Wunderdinge in dieser Moschee, welche sich auch noch dadurch auszeichnet, daß alle Jahre am letzten Freitage des Nhamadan der Viceköm'g mit allen seinen Großen und Beamten sie in Ccr-monic besucht. Die wunderbaren Gegenstände bestehen: erstens in einer Säule, welche der große Amru, ich weiß nicht bei welcher Gelegenheit, von einander hauen wollte, ihr aber nur ciuen tiefen Einschnitt mit seinem Damasccnersäbel beibrachte, ein Effekt, der durch eine Ader des Marmors artig dargestellt wird; zweitens in einem Doppclpaare anderer Sau--len, die eine ähnliche Eigenschaft haben sollen, als 298 die berühmten zwei in der heiligen Moschee zuKo-ruan, nämlich daß nur der Gerechte sich gefahrlos durch sie hindurchdrängt, der Sünder aber darin stecken bleibt. Sie gaben heute zu einem lustigen Intermezzo Anlaß. Der Kawaß Seiner Hoheit, der mich, ich mag wollen oder nicht, überall hinbegleitet, ein langer dürrer Alter mit einer sehr langen Nase und breitem Munde, trägt, wie bereits gemeldet, als Zeichen seiner Würde, einen eben so langen Stab als er selbst ist, von einer silbernen Maschine mit mehreren Schellen gekrönt, die ganz unsern Kinderklappern gleicht, weswegen ich ihm den Namen meiner obligaten Klapperschlange gegeben habe, mit welchem er jetzt auch allgemein von meiner enropäischen Umgebung bezeichnet wird. Besagte Klapperschlange ließ sich also, nach langem Sträuben, von mir überreden, sein Glück zwischen den verhängnißoollen Säulen zu versuchen, und siehe — so stark ist die Macht der Einbildung! — er blieb stecken trotz seiner Magerkeit, ward erst kirschroth, dann leichenblaß, und wäre am Ende vielleicht vom Schlage gerührt worden, wenn ihn nicht der starke Ackermann gepackt und gewaltsam durchgc- 299 schoben hätte. Dieserbccillc sich, ihm hieraufsclbst wohl-gemuth zu folgen, obgleich um die Hälfte dicker und auch in der Moralität ihm wahrscheinlich nicht sehr überlegen, freilich aber ein rechtgläubig katholischer Ehnst, und der Andere nur ein muhamedanisches Tenfclskind, was keinen kleinen Unterschied hervorbringt. Die übrigen Muselmänner inciner Begleitung wollten nach dieser unglücklichen Probe keine zweite Darstellung derselben liefern, und so setzte ich lachend meinen Weg nach Thura fort. Hiuter Fostat wird der mehr als eine Viertel-meile breite Fluß durch eine Neihe uralter Spco-more bcgreuzt, und bietet eine schöuc Aussicht auf Dschiseh und die lange Ppramidcnfolgc am andern Ufer bis jenseits des Palmcnwaldcs von Memphis. Nachdem wir uns einige Minuten in dem Attelicr aufgehalten hatten, wo die kostbaren Blöcke orientalischen Alabasters für die Moschee Mchemed Ali's bearbeitet werden, setzten wir unsern Weg durch cinc wüste Gegend längs des Mokatam fort, während uns Herr Lcffcps, der einer der besten und elegantesten Reiter Frankreichs ist nnd sein schönes Bcrbcrpfcrd ritt, durch seine, alle Spiele der Araber 3Ntt in größter Vollkommenheit nachahmende Geschick-lichkcit ergötzte. Der besonnene Schimmel des Vice-köm'gs, den ich ritt, hätte, anch bei dem besten Willen meinerseits, nichts Aehnliches vollführen können, so daß ich mich mit einem knrzen Galopp geradeaus begnügen mußte, der uns bald in die unermeßlichen Steinbrüche brachte, aus denen die Pyramiden erbaut wurden, und wo auch noch mehrere Königsringe und Hieroglyphen nebst kunstvoll ansgchancncn Thoren das einstige Walten der alten Aegpfttier verkünden. Ungeheure Gewölbe ziehen sich tief in dic Felsen hinein, doch licht uud frei, nicht in der Art der griechischen Steinbrüche durch lange, dunkle Gallcricn uud Irrgänge mit einander verbunden. Der Sandstein bricht in Schichten, welche die Bearbeitung sehr erleichtern, und im Steinbruch schon gewissermaßen das Format der kolossalen Steine anzeigen, welche man beim Bau der Pyramiden verwendet hat. Auch jetzt ward fleißig gearbeitet, um für ein gleich gigantisches Unternehmen das Material zu sammeln, welches dann durch eine Eisenbahn zum Wasser gebracht werden soll. Das Werk, von dem ich spreche, ist die von Herrn Linant 30! projektirte und vom Vicckönig bereits genehmigte Sperrnng (!e bar,»^e) des Nils beim Beginn des Delta, von dem ich noch ausführlichere Nachricht ertheilen werde, und dem, wenn es gelingt, wie man hofft, kaum ein Bau alter und neuer Zeit, sowohl hinsichtlich seiner Folgen, als der Kühnheit des Planes, an die Seite zu stellen seyn möchte. Es war dieses Umstandes halber doppelt angenehm für mich, daß Herr Linant selbst, dieser eben so anspruchslose, als durch seine geniale Thätigkeit ausgezeichnete Mann, sich ebenfalls unter meinen gütigen Begleitern befand. Herr Linant bewohnt Aegppten schon seit sieben Jahren, und die Lcscwclt kennt seine Reisen in Arabien und nach Mcroc, von dessen Ruinen er die ersten authentischen Zeichnungen lieferte. Er hat sich die Sprache nnd Sitten der Araber während dieser Zeit in solchem Grade zu eigen zu machen gewußt, daß er, sich unter sie mischend, so oft er wollte, für einen der Ihrigen angesehen wurde, und er selbst fand so viel Geschmack an dem freien Naturleben dieser merkwürdigen Mcnschenracc, daß er uns mehrmals versicherte, er habe die glücklichsten Tage, deren er sich erinnere, in seiner Besitzung am 302 Berge Sinai zugebracht, und dort gedenke er auch einst sein Leben zu beschließen. Ein gewinnendes Aeußere, die sanftesten Formen, mannigfache wissenschaftliche Bildung, ein feuriger, unternehmender Geist, verbunden mit großer Ruhe und Beharrlichkeit, macheu in der That Herrn Linant zu einem Manne, der jeder Nation, durch Geburt oder Wahl, zur Ehre gereichen muß. Herr Linant war wörtlich in den Steinbrüchen zu Hause, denn er, der so wenig Bedürfnisse kennt, verlebte hier mehrere Monate lang in einer Höhle, um die Arbeiter selbst zu leiten und durch seine stete Gegenwart zu ermuntern, konnte es aber, trotz aller angewandten Mühe, dennoch nicht dahin bringen, daß sie gleich ihren Vorbildern, den alten Acgyfttiern, tief in den Felsen hineinarbeiteten, statt nach ihrer jetzigen Weise, sehr unzweckmäßig, nur von außen abzuräumen. Die Furcht vor den unterirdischen Geistern ist so stark bei ihnen, daß sie erklärten: lieber sterben zu wollen, als sich der Gemeinschaft nut solchen Genossen in der Felsen Tiefe auszusetzen^ für deren kabbalistische Zeichen sie die hie und da an den Steinwänden befindlichen Hieroglyphen noch 3l»3 immer ansehen. Wir stlbst waren bei unsern Untersuchungen nicht so glücklich, von Geistern beunruhigt zu werden, es müßte denn in der Gestalt wilder Tauben und Fledermäuse gewesen seyn, deren uns gar viele mit schwarzem Fittig umkreisten. Die Artillerieschulc zu Tuhra, auch eine der großartigen Schöpfungen des Vicekönigs, ist die einzige dieser Art, welche nicht durch einen Franzosen , sondern durch einen Spanier, General Seguerra, orgam'sirt wurde, seit seinen: Abgänge jedoch mehrere nachtheiligc Veränderungen erlitten nnd sehr viel an ihm verloren zu haben scheint. Seguerra, der als Artillerie-Oberst im spanischen Kriege gegen Frankreich mit vieler Auszeichnung gedient hatte, und, wie man versichert, sein Fach aus den: Fundamente verstand, ist als der Schöpfer des ganzen ägyptischen Artillcriewcsens anzusehen, und sein Verlust ist uncrsctzt geblieben, die Artillericschulc selbst aber mit allen andern mili-tairischcn Etablissements dieser Art auch in die Hände Muktar Vey's, gewiß des unwissendsten, anmaßendsten, mit Einem Wort incapabelsten Men- 304 schen gefallen, den der Vicekönig in seinem Dienste hat, und dem dieser leider ein unerklärliches Vertrauen schenkt, weil er sein Landsmann ist, die Eigenschaften eines guten Hofmannes besitzt, und sieben Jahre in Frankreich auf Kosten des Vicekönigs stu-dirt hat, ohne aus diesem Lande, dessen Sprache allein ausgenommen, etwas Andres, als eine zehnfach erhöhte Arroganz nebst dem Laster des Trunkcs im unsinnigsten Maaße mitzubringen. Semen Intriguen ist hauptsächlich der Abgang Segucrra's zu verdanken, eine der vielen Wunden, die er weniger Vielleicht aus üblcm Willen als aus caprizicuscr Dummheit dem Interesse seines zu gütigen Herrn beigebracht hat. Scgucrra war ein Mann ^e I'micwnue roclie, der seine Schuldigkeit aus das Aeußcrstc erfüllte, aber vies auch von allen Audcrn mit großer Härte und ohne Nachsicht verlangte. Seine Formen mögen dabei allerdings etwas zu stolz und barsch gewesen seyn, und da er Keinen verschonte, er mochte seyn wcr er wollte, so konnte es nicht fehlen, daß er sich viele geheime und offne Feinde zn-zog. Er äußerte häustg, daß er in Aegpptcn von Niemand als von Mehemed Ali selbst Befehle an- 305 nehmen wolle, da Niemand anßer ihm hier sey, der von seinem Fache so viel verstehe als er selbst. In der That schickte er anch mehr als einmal dergleichen Befehle an den Minister zurück, mit der Wei-snng, daß dieser erst lernen müsse, nm was es sich handle, ehe er Befehle ertheile, die unsinnig und unausführbar seyen, und folglich von ihm nicht beachtet werden könnten. Wolle man ihn aber mit Mchcmcd Ali's souvcrainer Autorität drängen, so werde er die Schule verlassen und verlange seinen Abschied. Bei einem dieser Zwiste, die nicht selten vorfielen, erzwang er, nachdem er das ihm ertheilte Oberstenvatcnt znrückgcsaudt hatte, als öffentliche Satisfaktion den feierlichen Besuch Mehemcd Ali's in der Artillerieschulc und, nach abgehaltuer Prüfung der Zöglinge; die sehr glänzend aussiel, seine Ernennung zum ägyptischen General. Endlich wurden indeß die stets wiederholten Chitancn dennoch zu viel für ihn, so daß er bestimmt und unwiderruflich erklärte, nicht länger in den hiesigen Diensten bleiben zu wollen, und trotz aller Bemühungen Me-hcmcd Ali's, der sein Verdienst wohl erkannte, kurz Mc!,cmcd Mi's Älciä', I. 20 30« darauf nach Spanien zurückkehrte, wo er jetzt einen hohen Posten bekleidet, und einer der einflußreichsten Anhänger der Königin ist. Vei aller Stärke seines Charakters scheint jedoch Segucrra eine Schwäche gehabt zu haben, die nicht wenig zu dem Abbrechen seiner hiesigen Carriere beigetragen haben mag, dcnn die Türken fürchteten ihn zn sehr, um ohne fremde Hülfe so consequent in seiner Verfolgung geblieben zn seyn. Diese Schwäche war ein ganz irrationeller Franzoscnhaß, der bci jeder Gelegenheit ansbrach, und ihn, der sich sonst voll Edcl-muth und Dicnstfcrtigkeit für dic Fremden aller andern Nationen zeigte, zu offenbaren Ungerechtigkeiten Verleitete, sobald ein Franzose im Spiele war. Dies verfeindete ihn auch mit Soliman Pascha, von dem er eben so wenig als von den Türken eine Abhängigkeit dulden wollte, indem er von ihm sagte: daß So-liman Pascha wohl einer der alten, aber deswegen noch keineswegs einer der guten Soldaten Napoleons scp, von der Artillerie aber jedenfalls nichts verstehe, wenn er auch ein Husaremnanövcr kommandiren könne. Was würde der arme Segucrra sagn,, wenn er hörte, daß jetzt die besten seinrr Schüler zu Schreibern in 3«? Mnktar's Mimstcrio aus Tnhra entommen werden, während man ganz unwissende Günstlinge des Ministers statt ihrer als Offiziere in der Artillerie pla-cirt, nnd daß zum Direktor des Eramens in derselben Artillcrieschnle Herr Lnbbcrt, der ägyptische Historiograph, ernannt worden ist, welcher in Paris als Atmlilliomm« <>>'il'«3 ,1l5 111 clilnlil)!'^ den königlichen Theatern vorstand, wo zwar jetzt auch viel Pulver verschossen wird, das Studium der Artillerie aber wahrscheinlich noch ^eiliger zn erlangen ist, alo Taktik von den sieben Mädchen in Uniform. Dieser Art sind die neurn Einrichtungen Mnltar Sey's, und obgleich Segucrra's Geist auch jetzt noch immer in der von ihm gestifteten und- so lange vortrefflich geleiteten Anstalt weht, so ist doch abzusehen, daß unter den obwaltenden Umständen bald jede Spur desselben daraus verschwinden wird, wenn Mehemed Ali nicht bald andere Maßregeln zn ihrer Wiederherstellung ergreift. Der jetzige Vorsteher in Tuhra, der diesen Posten nur in einem weit untergeordneteren Grade als früher Seguerra bekleidet, und dem beim Empfang unzweckmäßiger Befehle nur Gehorchen und ein still- 2» - 308 schweigendes Achselzucken übrig bleibt, ist der Kommandant Vruncau, ein Franzose von Verdienst, und ihm zur Seite steht der in Frankreich erzognc Nazir Mustapha Esscndi. Die Gebäude sind einfach, geräumig, dem Zwecke angemessen, aber noch nicht ganz vollendet, d. h. die Ställe sind noch im Bau begriffen, das Lokal für die Schule selbst aber nebst allen nöthigen Wohnungen bereits fertig. Daß nicht weniger Ordnung, Reinlichkeit und Vollständigkeit hier herrscht als in Kasscrlcng, darf man nach dem, was ich früher gesagt, schon voraussetzen. Auch hier sind die 'Höfe anmuchig mit schattigen Bäumen geziert, und ein herrlicher Exerzierplatz dehnt sich hinter der Anstalt bis an die Vorhügcl des Mokta-tamm aus. Nach einigem Fußcrcrzircn der Eleven in dein großen Hofe, das recht gut ausgeführt wurde, begaben wir uns auf den genannten Platz, um den Schießübungen mit Kanonen und Mörsern beizuwohnen. Hier zeigten sich noch die Folgen von dem hohen Grade der Einübung, zu dem es Sc-guerra bei seinen Eleven gebracht hatte. Ich habe selten besser schießen gesehen, denn bei einer Entfernung von 700 Schritt trafen von ä8 mit freier 3N9 Hand gerichteten Kanonenschüssen 28 die Scheibe, und mehrere der Bomben fielen gleichfalls (auf 1200 Schritt Distance) sehr nahe dem Ziele nieder. Die Anstalt ist auf 330 Zöglinge berechnet, von denen jedoch in diesem Augenblick nur 180 vorhanden waren, da der Minister eine bedeutende Anzahl derselben vor dem Verlauf ihrer Studienzeit zu An-stclluugen verschicdner Art abberufen hatte, wovon aber die wenigsten zur Artillerie! Die Zahl der Professoren und Lehrer beträgt sechs, und die Wissenschaften, worin sie hauptsächlich Unterricht ertheilen, sind: militärisches Zeichnen, wovM ich ausgezeichnete Proben sah, Geometrie, einfache und angewandte Algebra, Mathematik, Mechanik, Fortifikationsknnst und orientalische Sprachen. Hinsichtlich des Unterhalts der Eleven herrscht eine noch größere Muni-sicenz als in Kafscrleng, denn sie sind reich und geschmackvoll gleich Linicntruppen nniformirt, nnd erhalten nach der neusten Verordnung Mehemed Ali's jeder in Zukunft einen monatlichen Gehalt von 100 bis 150 Piastern. Welche reelle Fortschritte die Zöglinge in den ihnen hier gelehrten Wissenschaften jetzt noch machen, tonnte nur cm regelmäßiges Era- 310 men genügend darthun; auf gelegentliche Fragen erhielt ich passende und rasche Antworten, nnd was den guten Anstand, wie die äußere militärische Haltung betrifft, so befriedigten die jungen Leute, wenn man billig ftpn will, gewiß jede Verständige Erwartung. Ich sagte schon, daß Tuhra, wie mau annimmt, auf der Stelle dco alten Troja steht, welches wahrscheinlich seinen Namen von einer griechischen Soldatenlolonic erhielt. > Hcrr Linant hatte die Güte gehabt, zu unserer Rückkehr seine Gondel herkommen zu lassen, in der wir uns, nach der Vewirtlmng unt einem guten Gabelfrühstück im Refectorinm von Tuhra, sämmtlich einschifften. In einer so herrlich eingerichteten Kangsche, wie die des Herrn linant, der selbst eine ausgewählte kleine Bibliothek nicht fthlt, ist es cm himmlischer Genuß, an einem ägyptischen Winterabend den Nil hinabzufahrcn. Kein Lüftchen bewegte die goldrcinc Luft, und so schwammen wir, unr vom Stromlauf getrieben, sanft und langsam dahin, dem koptischen Kloster von'ibcr, wo angcblich Moses als Kind aus dem Wasser gezogen wurde; betrachteten dann das einem andern Cultus geweihte 311 Haus der Derwische, wo diese alle Freitage im betäubenden Drchtanz die Frommen ihres Glaubens entzücken, und schifften später einem kleinen Pallaste vorbei, der dem Letzten der Manilukcnhäuptlinge gehört, den Mehcmed Ali begnadigte und in Nuhc sein Alter genießen läßt. Er rettete sich aus dem Gemetzel, indem er sich todt stellte, und auch als todt forttragen ließ, dann aber die erste günstige Gelegenheit wahrnahm, und, obgleich schwer verwundet, glücklich entfloh. Nnr Einer noch außer ihm cultam gleichfalls, durch die Vravour seines Pferdes, das über eine 7 Fuß hohe Mauer sprang, und zwar anf der Seite, wo die Felswand wenigstens 80 Fuß hoch ist, unten den Hals brach, seinen Reiter aber so unversehrt herabbrachtc, daß dieser sich, ehe die Verfolgung nahte, zu verbergen im Stande war. Reizend traten beim Schein der untergehenden Sonne die Vaummasscn der Insel Nuda hervor, und warfen ihre Schatten bis auf den gegenüber liegenden Nilomeler, über welchen Herr Linant jetzt anf Befehl dco Vieelönigs einen leichten maurischen Schutztcmpel aufführen laßt; dann verschloß die 3l2 schnell herandringende Nacht dcn Augen bald jede Aussicht, was für die letzten Minuten dcr Fahrt Alle vielleicht in sich selbst zurückfahren mochte, denn ein tiefes Schweigen herrschte, als wir bei Sternenlicht den kleinen Garten meiner Wohnung und die einsame Stcintrcppe erreichten, welche aus dem Flusse zu ihm hinanführt. Garoussel zu Dfchiseh. Garoussel zu Dfchiseh. Dcr nächste Tag war glänzender als dic vorhergehenden und doch nicht weniger genußreich für mich. Seine Hoheit hatte mich einladen laffen, den Uebungen dcr Eleven dcr Kavallcricschnlc zu Dschisch, die unter dcr Leitung des so hoch um Ae-gppten verdienten Obersten Warin, ehemaligen ersten Adjutanten des Marschalls St. Cpr, steht, beizuwohnen, und Vaki Bcy's Gondel holtc mich um sieben Uhr dahin ab. Als ich in Dschisch ankam, fand ich schon sämmtliche Consuln, einen ansehnlichen Theil der >»<^u mcin^ Kahira's, und eine große Menge geringerer Zuschauer daselbst versammelt. Oberst Warm führte mich in ein oberes Zimmer seines Hauses, wo ich ucbst einigen Fremdeu auch die liebenswürdige Familie Herrn Vonfort's, deren Gesellschaft ich täglich vor allcn andern aufsuche, 314 antraf. Herrn Vonfort's Schwester, Madame Chianti, wird in dcn europäischen Cirkcln Kahira's nur die „schöne Wittwe" -/«?-' ctzo^,i genannt, und ihre jüngere Schwester rivalisirt mit ihr in blühender Frische. Doch auffallender ist Herrn Vonfort's Cousine, Mademoiselle Maritza. Dies ist ein mchr als gewöhnlich reizendes Geschöpf, in deren lieblicher Erschcimmg man schon jene uns erst bevorstehende Vereinigung des Orients mit dem Westen verkörpert zu sehen glaubt — denn asiatisch ist die Ueppigkeit nnd das vollkommene Ebenmaaß ihrer Gestalt, ihr kohlschwarzes Haar und die brennenden Augen; europäisch dcr feine Mund, der tief denkende Ausdruck, der fühlende, scclcnvolle Blick, der melodische Ton der Stimme, und in Heiterkeit wie Schmerz dcr unverkennbare Stempel eines innigen Gemüths. Es ist aber noch etwas mchr an ihr bemerkbar, das in Worten auszudrücken schwer fällt — ich möchte es eine tragische Glorie nennen, die gewisse Personen wie ein magnetischer, transparenter Schleier sichtlich umhüllt, und ihren: Andenken dadurch etwas Unvergeßliches beimischt. Man verstehe mich indessen wohl, ich meine dadnrch keineswegs 312 die Vorbedeutung eines tragischen Schicksals, sondern nur die sichere Andeutung einer tragischen innern Kraft. Die Eigenschaft ist selten, und von allen Frauen, die ich je gesellen, war dieser eigenthümliche Zauber bei keiner stärker ausgedrückt, als bei der nie wieder erreichten, größten aller Schauspielerinnen, Miß Oncil. Es ist daher sehr wahr, daß eben für eine dramatische Laufbahn keine Eigenschaft vorcheilhaftcr, des Erfolges sichrer seyn kann, und oft, wenn ich die herrliche Maritza mit der Stimme einer Pasta, und aller Anlage bei guter Schule und geschickter Leitung einst eine gleich große Künstlerin zu werden, singen hörte, ihre tadellose Gestalt, und ihr schönes, tief bcdcutcudes Gesicht betrachtete, konutc ich mich kaum des Vedancrus erwehren, daß durch die alltäglichen, gesellschaftlichen Verhältnisse ein so seltner Verein von Eigenschaften seiner zweckmäßigsten Bestimmung, zum Verluste Tausender, entzogen werden sollte. Ich dachte an die St. Simonisten und ihre Träume, von denen es zum Theil wirklich schade ist, daß sie uoch so ganz unrealisirbar sind. Doch alle diese Gedanken wurden jetzt durch 3,6 die Ankunft Mehemed Alis unterbrochen, der mit betäubendem Iubclruf und militärischer Musik empfangen, von Muktar Bey und dem neuen Kriegsminister unterstützt rasch das steile Ufer hinanstieg, sich dann rüstig auf ein bereit gehaltenes, dicßmal reich geschmücktes, Pferd schwang und sodann dem Exerzierplatz und der dort für ihn bereiteten Tribüne zueilte. Man ertheilte mir die Weisnng, ihm dahin zu folgen. Wie immer auf das Freundlichste empfangen, lud er mich ein, auf einem Fautcm'l rechter Hand des seim'gcn Platz zn nehmen, um die beginnenden Manövers mit anzusehen. Zur Linken des Vicekönigs saß auf einem Nohrstuhl (denn die Orientalen sind wahre Spanier für die Etikette, obgleich sie sie nicht im geringsten nach unsern Convcnienzcn anwenden) Herr ^esscps, sonst war kein fremder zugelassen worden. Aber der ganze Hof des Vicekönigs stand um uns her, so daß nur nach vorn der Blick frei blieb. Herr Lesscps, dessen Anmuth und allgemeiner Beliebtheit ich schon früher erwähnt, wird fast wie ein Sohn von Mehemed Ali betrachtet, da des jungen Consuls Vater durch alle Zeiten hindurch, gute und böse, sein treuer 317 Freund blieb, und, als Mchemcd Ali noch in kleinen Verhältnissen seine Laufbahn erst begann, oft sein weiser Nathgcber und nicht selten sein Beschützer war. Dazu hatte aber damals, wie jetzt, ein europäischer General-Consul in: Orient — durch eine wirklich merkwürdige, freiwillige Unterwerfung der Türken unter europäische Civilisation uud intellektuelles Uebergcwicht — wie es sich ihuen hauptsächlich im merkantllischcn Interesse offenbart — viel mehr Gelegenheit und Macht, als ein Ambassadeur an den Höftn Europas. Es ist daher auch etwas Dünkelhaftigkeit, welche man diesen Herren, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht, im Orient vorwirft, ihnen, die in Europa so uubedentcnd und hier so wichtig sind, nicht allzusehr zu verdenken. Der Fehler liegt nicht in den Consul», sondern in der menschlichen Natur, die sich immer nach den Umständen gestaltet. Um so erfreulicher ist es jedoch, wenn ma»i au einem jungen Manne, der mit seiner Consularwürde ausgezeichnete persönliche Eigenschaften verbindet, und dazu die erklärteste Gunst des Landcsoberhauptes genießt — dennoch nie eine Spur vou Arroganz gewahr wird, sondern immer nur den 318 lebhaftesten Wunsch: Jedem zu gefallen, Viclc zu verbinden, und mit feinem Takte das sich Widerstrebende (dessen es so viel hier gibt) zu einigen und zn versöhnen, wo sich nur die Gelegenheit dazu darbietet. Dieß ist die Rolle, welche Herr Lesseps hier spielt, und nicht weniger mnßte ich der Art seines Benehmens bei dem väterlichen Entgegenkommen des Vicekönigs Gerechtigkeit widerfahren lassen, denn es ist immer ein angenehmes Schauspiel, wenn man das richtige Gleichgewicht zwischen eigner Würde, Pflicht und individueller Dankbarkeit so vollständig erhalten sieht. Auch bin ich fest überzeugt, daß, obgleich Herr Lesseps zu jedem hö-hern diplomatischen Posten sich eignen würde, doch, so lange Mehcmed Ali lebt, kein französischer Gc-ncralconsul seinem Vatcrlande je so nützlich in Ac-gpptcn werden kann, wie er es dort seyn kann. Man hat mir eine Anekdote erzählt, die nicht nur die gewandte Freimüthigkeit dieses jungen Mannes anf das Treffendste charaktcrisirt, sondern dnrch die hochverehrte Person, welche sic betrifft, auch ein allgemeines Interesse hat. Als Herr Lcsscps im vorigen Jahre in Paris war, frug ihn der König, 319 die zu scharfsichtig ist, um nicht eine hohe Meinung von M'hemcd Ali zu hegen, vertraulich: „Was aber ist eigentlich an Ibrahim?« »Sire,« erwiederte Lesscvs, „ich wage es nicht, mir ein bestimmtes Urtheil über ihn anzumaßen, da ich ihn zu wenig kenne; aber so viel ist gewiß, daß Niemand besser als Ibrahim fein Privatvcnnögen zu verwalten weiß, nnd die Erfahrung lehrt uns, daß Männer, welche dieß gut verstehen, auch als Verwalter der Staaten g/oß werden." Ich sehe im Geist das kluge und gewinnende Lächeln, mit dem der König der Franzosen diese Antwort anfgenom-men haben mnß, die ein ganzes Berliner Eramcn in der Diplomatie aufwicgt, und selbst von einem Russen beneidet werden konnte.') Da ich aber einmal auf Anekdoten gekommen bin, so will ich noch eine von Mchemcd Ali selbst hinzufügen, die zu drn originellsten gehört, und die ungcmcinc Natürlichkeit, ja, ich möchte wohl mit Recht sagen, die antike Unschuldsciufalt des großen Mannes in das hellste Licht stellt. Als er einst mit Herrn Lcsseps i) Die glänzende N>.'ttc, welche Herr Lesscps seitdem in Spanien gespielt, bethätigt da^ hier von ihm Gesagte, 320 von den Diensten sprach, die ihm dessen Vater geleistet, ein Thema, dessen er dankbar oft und gern gedenkt, fuhr er lachend fort: »Einmal ward ich in seinem Hause in keine geringe Verlegenheit gesetzt. Ich und einige andere Türken, rohe Gäste, unwissende und zügellose Menschen, wie wir damals Alle waren, hatten bei ihm zu Mittag gespeist, als man nach Tisch gewahr ward, daß einige silberne Bestecke fehlten. Nie habe ich mich in solcher Beklemmung gefühlt und ämsigcr ciucn Dieb zu entdecken gesucht, denn der Gedanke peinigte mich unaufhörlich: daß mein Freund glauben konnte, ich selbst habe die fehlenden Bestecke gestohlen. Glücklicherweise ward jedoch der wirkliche Entwender kurz nachher aufgefunden, was nur einen großen Stein vom Herzen nahm." Ich enthalte mich jedes wcitern Commcn-tars zu diesen Worten, bedaure aber die Philistcr-haftigkeit desjenigen, der, als aus Mchemcd Alis Munde kommend, die edle Naivität derselben nicht fühlt. Die Manövers fesselten von nun an unsere ganze Aufmerksamkeit, und ich werde sie hinlänglich charaktcrisiren, wenn ich sage, daß sowohl in Betreff 321 des äußern militärischen Anstandes, wic dcr Eleganz dcr Uniformen (grüne Dolmans mit gelben Schnüren und scharlachrothe weite Pantalons), als in der Präcision dcr verschiedenen Evolutionen, die ausgeführt wurden, diese vier Eskadrons dcr Kavallerie? schule von europäischen Regimentern nicht zu unterscheiden waren, mit dcr einzigen Ausnahme, daß sie weit schönere, bessere- und gewandtere Pferde ritten, was sich besonders bei der Attaque durch die blitzartige Napidität und den wie versteinerten Halt derselben auf glänzende Weise darthat. Dcr Vice-könig sagte mir bci dieser Gelegenheit, er besitze jetzt eine Kavallcriebrigadc in Syrien, die durchgängig mit Nedschdi beritten wäre, wofür er weder Mühe noch Kosten gescheut, von diesen Regimentern aber nun auch das Doppelte erwarte, was jedes andere zu leisten fähig sey. »Auch ich," rief er mit einem ihm wohl anstehenden Enthusiasmus aus, „war einst ein firmer Kavallerist und nicht der schlechteste Reiter. Jetzt, seit wir das europäische Exercitium angenommen haben, kommt freilich mehr das eu^omdle in Betracht, dennoch bleibt auch heute noch ein gu- Mchcmcd Ali's Rcüb, l. 21 322 tes und wohldressirtes Pferd das nothwendigste Ingredienz zum guten Kavalleristen." „Eucrc Hoheit," fiel Herr Lesseps ein, „sind in Wahrheit nur noch ein zu guter Reiter, denn vor Kurzem sahen wir Sie auf dem glatten Boden der Citadelle so wild umher sprengen, daß uns allen bange dabei wurde." Mchemed Ali strich sich lachend den Bart, erwiederte aber: „Nein, nein, das ist Kinderei, jetzt bin ich alt und überlasse diese Künste Jüngeren, wie Du bist.« Er erzählte nun von den mancherlei tour» äo km-ce der Mamwken, und meinte, man möge sagen, was man wolle, eine solche Kavallerie als die ihrige gäbe es nicht mehr, und es wäre falsch, wenn die Franzosen sich rühmten, daß die ihrige, in gleicher Anzahl und ohne Hülfe der Infanterie, es je mit der der Mamluken habe aufnehmen können, eine Behauptung, die ich übrigens schon früher von einigen französischen Offizieren aus jener Zeit aufstellen hörte. »So etwas von Neuem zu schaffen, ist aber nicht möglich," fuhr der Vicckönig fort, »Alles hat seine Epoche, und ist diese vorüber, macht sich etwas Anderes Naum. Das Todte kann man nicht wieder 323 ins Leben rufen." Du lieber Gott, dachte ich, wollte doch diese praktische Lehre des Muselmanns mancher unsrer christlichen Machthaber beherzigen! Wir wurden hier von einen: sonderbaren Zufalle unterbrochen. Die Hitze war so drückend, daß einer der Diener aus dem Gefolge Mehemed Ali's einen Anfall des bösen Wesens bekam, und plötzlich die furchtbarsten Töne, wie sie dergleichen Leidende oft auszustoßcn Pflegen, dicht hinter uns, wahrhaft Grauen erregend erschallten. Mehcmcd Ali schien gar nicht darauf zu achten, obgleich man viele Mühe hatte, den Brüllenden fortzuschaffen, sondern setzte die Unterhaltung so ungestört fort, als habe er nichts gehört. Sobald jedoch alles beseitigt war, bemerkte ich, daß er zweimal sich nach dem Vcfin-dcn des Kranken erkundigte, und Befehle gab, für ihn zu sorgen. Diese mildthätige Berücksichtigung, wie die Würde seiner vorhergehenden Ruhe, die unsern europäischen Sitten gar nicht eigen ist, gefielen mir ungemeiu. Nach Beendigung des Manövers ritten wir unter klingendem Spiel nach der großen, oben offnen, aber von hohen Mauern eingeschlossenen Manöge, wo 21 5 324 eine andere geräumigere Tribüne für den Vicckönig bereitet war. Hier standen Divans, auf denen er sich nach türkischer Art niederließ, und mir meinen Platz wieder neben sich anwies, während sich die Mi-litairs und Hoflcute wie vorher stehend umhcrreihten. Bald dieser, bald jener von diesen ergriff dann den Fliegenwedel, um Seiner Hoheit diese hier so lästigen Insekten abzuwehren. Nachdem hierauf Pfeifen und Kaffee gebracht worden waren, machten dem Fürsten auch die andern anwesenden Consuln ihre Aufwartung. Ehe dieses indeß noch stattfand, siel eine kleine Scene vor, die ich nicht übergehen darf, obgleich sie für meine Eitelkeit eben nicht schmeichelhaft ist. Die große Freundlichkeit des Vicekönigs, und eine momentane Distraktion meinerseits verleiteten mich zu einer jener Taktlosigkeiten, die zuweilen auch dem sonst in dieser Hinsicht Vorsichtigen arrivircn können, aber immer eine tabelnswcrthc Unschicklichkeit bleiben. Ich vergaß nämlich ganz der Umstehenden, die man an einem orientalischen Hofe noch leichter als an einem europäischen für bloße Statisten anzusehen sich gewöhnt, und mich eben so wenig erinnernd, daß man zu Muselmännern nie vom weiblichen Geschlechte spre- 325 chen darf, sagte ich unbedacht zum Viccköm'g: „Beinahe Alles gefiele mir in Acgppten, Vieles errege meine größte Bewunderung, aber Eins habe ich Seiner Hoheit doch auf der Ncisc hierher sehr verdacht, nämlich, daß er den armen Almch's, die einen ganz eigenthümlichen Zug ägyptischer Nationalität darstellten, ihr tanzend musikalisches Gewerbe so streng und plötzlich untersagt habe." An dem Erblassen des Interpreten und den crschrocknen Mienen derjenigen unter der Umgebung, die französisch verstanden, ward ich augenblicklich meine bkvuo gwahr, und fühlte, wie mir das Blut darüber in's Gesicht stieg; doch half es nun nichts mehr, um so mehr, da Mehemed Ali, dem nichts entgeht, schon gleichfalls etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte, und Artim Bey, der sich sonst vielleicht irgend eine Modifikation meiner Worte ausgcdacht haben würde — obgleich es gefährlich für den Dolmetscher ist, den Sinn einer dem Viccköm'g adressirtcn Phrase zu entstellen — ausdrücklich fragte, was ich gesagt habe. Mit verlegener Miene stotterte nun Artim Bey die Phrase her, welche ich damals gern mit vielem Gelde zurückgekauft hätte. Doch jetzt reut mich 326 meine Gaucherie nicht mehr, denn ich würde ohne sie nicht Gelegenheit gchabt haben, Mehemcd Ali's wahrhaft königliches Benehmen in einem Moment bewundern zu können, der, nach den Sitten nnd Gewohnheiten der Türken zu urtheilen, wirklich ein kritischer genannt werden konnte. Ohne eine Miene zu verziehen, wandte er sich, wie immer freundlich lächelnd, zu mir, und sagte: »Ich verstehe diese Frage nicht; wer und was sind Almch's? Ich habe noch nie von dergleichen sprechen hören." Alles blieb stumm. „Ach," rief er plötzlich, wie sich besinnend, aus, „Sie meinen gewiß die öffentlichen Musikanten ^) — ja, das ist eine Sache, die meinen Polizcirath angeht, und wenn der streng gegen diese Leute verfahren ist, werden sie ihm wohl hinreichende Ursache dazu gegeben haben. Doch will ich mich darnach erkundigen, deun ich selbst erinnere mich nicht, daß mir je ctwas über diesen Gegenstand vorgetragen worden sey" — nnd nun ging er höchst unbefangen zu einem andern, Thema über, mit eben so viel Scho- 1) Die Almeh's sind in der Negel innncr von inännlichen Musikanten begleitet, die auch ohne sie oft allein zur Ergötzung tlu'fischcr Gastmähler geholt werden. 327 mmg als Feinheit, meine eigne Reise hierher deren ich erwähnt hatte, dazu wählend, indem er sich angelegentlich nach diesem nnd jenem erkundigte, um das Chokante des Vorhergegangenen desto schneller in Vergessenheit zu bringen. Selten habe ich eine eindringlichere, noch auf mildere Weise gegebene Lektion erhalten. Auch konnte ich später nie bemerken, daß ich durch diesen, wenn gleich ungeschickten, doch unwillkürlichen Fehler im geringsten etwas in der Gunst Mchemed Ali's verloren, ich fand sogar hinreichenden Grund, zu glauben, daß, wenn ich jene Saite nur unter vier Augen, in der einzigen Gegenwart des Dolmetschers, berührt hätte, die Antwort ganz aufrichtig und ohne allen Rückhalt erfolgt seyn würde — denn über viele Vorurtheile seiner Nation, und selbst die andrer Nationen hat Mehcmcd Ali sich längst erhoben. Ja ich hatte es in seiner großmüthigen Seele vielleicht grade dieser kleinen Demüthigung zu verdanken, die er mir ansehen mußte, daß er mir gleich darauf eine Ehre erwies, die, wie man mich versichert hat, bei einer so öffentlichen Gelegenheit wie diese, noch keinem Fremden vor mir zu Theil ward. Als man ihm ankündigte, daß 328 seine Tafel bereit sey, und ich aufstand, mn mich mit den Consuln zu entfernen, frug er mich: ob ich ein europäisches Mahl, wie es für uns bereitet sey, vorziehe, oder wenn ich mich entschließen könne, einmal die türkische Weise zu versuchen, vielleicht mit ihm töte 5 töt6 speisen wolle? Man kann sich leicht denken, mit welchem Eifer ich diese Gelegenheit ergriff, um dankbar und bezugsweise darauf zu erwiedern: daß ich zwar fürchten müsse, in den türkischen Sitten noch zu unwissend zu seyn, um nicht vielleicht unwillkürlich mehr als einmal dagegen zu verstoßen, die mir angcbotne Ehre jedoch zu groß ftp, um nicht auf jede Gefahr hin ihrer theilhaftig werden zu wollen. Kaum hatte ich dies gesagt, als die bisher um uns stehende Menge, mit Ausnahme Artim Vey's, verschwand, und zwei Diener Seine Hoheit und auch mich mit goldgestickten Servietten von Musselin umhingen, und dann knieend ähnliche über unsre Schenkel breiteten, während andre dienstbare Geister uns große silberne Becken mit Nosenwasscr zum Waschen vorhielten, und wieder Andere einen mit reichem Vermeilge-schirr und vielen Speisen besetzten Tisch hereinbrach- 329 ten. Doch außer einigen fein geschnitzten und mit Perlmutter ausgelegten Holzlöffeln war von Bestecken weiter nichts vorhanden, man mußte statt Messer und Gabel sich auf gut türkisch der Hände bedienen. Es blieb mir nichts übrig, als dem Vicekömg in Allem möglichst genau uachzuahmen, und bei der Zierlichkeit, mit der er das schwierige Geschäft abthat, hätte ich nicht geahnt, was ich später erfuhr und selbst zu sehen nachher oft Gelegenheit hatte, daß er seit vielen Jahren schon in seinem Pallast immer auf europäische Weise speist und nur bei öffentlichen Veranlassungen die alte türkische Mode beibe-Mt. Uebngens war die Zubereitung der Speisen ganz vortrefflich, und der Viceköm'g aß auch selbst davon mit dem Appetite eines Jünglings. In goldnen Schalen ward uns dazu gekühltes Wasser und mir auch ercellenter Bordeaurwciu scrvirt. Der Gerichte waren sehr viele, und seltsam wechselten süße, saure und Fleisch-Speisen fortwährend mit einander ab,wozunoch eine Menge kalte dm-» 6 ueuvie«, die rund um den Tisch standen, genossen wurden. Ein besonders gesticktes Tuch lag, außer denen, mit welchen man uns früher behängen hatte, neben Jedem von uns, um 330 sich die Hände daran zu reinigen. Nach einer halben Stunde kündigte der Pilaf, hier immer die letzte Schüssel, das Ende der türkischen Mahlzeit an, worauf das Dessert folgte, welches Schubra für des Vicc-königs Tafel in so vorzüglicher Auswahl liefert. Jetzt trat ein Geheimsekrctair in das Zimmer, um Seiner Hoheit einen eben eingelaufnen Brief des Gouverneurs von: Sndan aus dem Scnnär zu überreichen, den er nachher vorlas. Sein Inhalt betraf eine von Mehemcd Ali bcfohlne Expedition in der Richtung der noch immer halb fabelhaften Mondbcrgc, dem Laufe des Vahr-cl-Adiad (des weißen Flusses) folgend, und eine auderc dem Vabr-el-A;rak (blauen Fluß) entlang nach dem Fazoli, wo man reiche Goldminen vermuthet. Um über das Letztere genau unterrichtet zu wcrdeu, hat sich Mchemed Ali vom österreichischen Gouvcrucmcnt eine Gesellschaft von zehn Bergbauvcrständigen und Naturforscher«, denen er höchst generöse Bedingungen gewährt, erbeten, die schon auf der Neisc nach jenen fernen Gegenden begriffen, aber bei den Schwierigkeiten, welche das hiesige Clima und die ungewohnte Lebensart den Europäern entgegensetzen, noch nicht sehr weit fort- 331 geschritten sind. Er zeigte eine kleine Anwandlung von Ungeduld bei dieser Zögerung, und benutzte, als beim Kaffee der Hof und die Consnln sich wieder eingefundcn hatten, die Gelegenheit, Herrn Lamm, den österreichischen Generalconsul, dringend um seine MitMfc zur Beschleunigung einer Angelegenheit zu bitten, die ihm sehr am Herzen liege. Ich äußerte, der maccdonische Philipp habe auch aufge-fundnen Goldbergwcrken einen großen Theil seiner glücklichen Kriegführung zu danken gehabt, wie nicht minder scin Nachfolger, der große Alexander, und ich wünsche von Herzen, daß Seine Hoheit, die so viel von jenen berühmten Landslentcn geerbt, auch hierin ein gleiches Schicksal mit ihnen haben möchten. „Wir muffen sehen, was nns Gott bcscheercn wird," erwiederte der Vicekö'm'g, »allzuviel rechne ich nicht darauf, doch sind die günstigen Anzeichen nicht zu vernachläßigcn." ') Wir wurden hier durch den Wie-dcranfang des Carouffels unterbrochen, das vor und nach unsrer Mahlzeit in vcrschiednen Reprisen von den ausgewähltesten Schülern der Anstalt, unter An- 1) Der Erfolg hat seitdem dcr Hoffnung Mchemcd Ali'Z, was das Gold betrifft, nur unvollkommen entsprochen. 332 führung ihres geschickten Stallmeisters, Herrn Bier, eines Deutschen, mit größter Meisterschaft, sowohl was Pferdcdressur und Neitergewandtheit, als Rin-gelrcnnen, Pistolenschießen, Fechtübungen, Voltigiren u. s. w. betraf, ausgeführt wurde. Indem ich dem Vicekönig meine Verwunderung über diese ausgezeichnete Geschicklichkcit und Präcision der Eleven der Schule ausdrückte, frug ich ihn, ob sich auch arabische Fellah's unter denselben befänden. Er antwortete: „O nein, das sind alles Türken," obgleich er sehr wohl wußte, daß das Gegentheil der Fall sep. Er gab diese Antwort offenbar nur, um den umstehenden Türken seines Hofes zu schmeicheln, die gleich ihm selbst mit Verachtung auf die Araber herabsehen, welche, obgleich bei weitem die besten Soldaten Mehcmed Ali's, erst in neuster Zeit aus bloßer Noth bis zu den niedrigsten Offiziersgraden, aber nicht höher, avancirt wurden. Dies ist eine Schwäche Mehemed Ali's, die gewissermaßen dem Adelstolz bei uns gleichkommt, und ihn vielleicht allein verhindert hat, noch eine weit größere Nolle zu spielen, als ihm jetzt zu Theil geworden ist. Hätte er vom Anfang an der Richtung gefolgt, sich für einen Fürsten, 333 einen künftigen Khalifen der Araber anzusehen, und diese unermeßlichen Massen, mit gänzlicher Befreiung vom langen türkischen Joch, alle in einem ncugcbornen Enthusiasmus um seine Person zu vereinigen gewußt, so wäre seine Macht kolossal geworden — statt daß jetzt die Türken, deren kleiner Zahl er die Araber ^unterwirft, immer noch halb an Constantinopcl hängen, und doch eigentlich nur seinem Glücke folgen. Im Unglück möchte die Treue vieler derselben sehr problematisch seyn. Die Anstalt zn Dschiseh ist unter der unermüdlichen Sorgfalt des Oberst Warin zu einer solchen Vollkommenheit gediehen, und hat zugleich ein so ganz Europäisches Ansehen gewonnen, daß man in ihrem Bereich wirklich ganz vergessen könnte, in Ae-gyptcn zu seyn, und versucht wird, denen Recht zu geben, die behaupten: daß Erziehung und Dressur allein den Charakter der Völker wie den der Individuen bestimmen. Soviel ist nicht abzustreiten, daß hier rohe Türken und der Sclaverei frisch entrissene Fellah's, wenigstens in Allem, was man äußerlich an ihnen bemerken kann, zu vollkommncn Franzosen umgcschaffen worden sind, diesen wirk- 334 lich bis in den kleinsten nationellen und militärischen Manieren gleichend. Dies ist hier sogar noch weit vollständiger der Fall, als selbst bei denjenigen Ae-gyptiern, die in Frankreich erzogen worden sind und ihre ganze Iugendbildnng dort erhalten haben. Vom Oberst Warin kann man aber auch sagen, daß er für eine solche Stelle geschaffen sey; schon in Frankreich nannten ihn deshalb seine Kameraden: le t)'p6> 6e I'oftieier 6<; I stat major, und nachher nur kurzweg le t^pe. Alles indeß, was ich hier sah, zeigte mir zugleich, daß, so streng er die Form verehrt, und vielleicht als Hauptsache ansieht, er doch auch keineswegs den Geist darüber vernach-läßigt. Viele der von seinen Eleven angefertigten Situations- und Positionspläne, die er mir später zeigte, mit Darstellung theils wirklich stattgcfunde-ner, theils singirtcr Gefechte, hatten von den geschicktesten Offizieren nicht besser geliefert werden können, und überall fand ich, daß die von dem Obersten befolgte Unterrichtsmethode sich nicht blos darauf beschränke, aus den Eleven gute Kavalleristen, sondern überhaupt vortreffliche Soldaten zu machen, 335 so weit individuelle Fähigkeiten des Ziels Erreichung hoffen ließen. Der Viccköm'g erkennt dies, und es war eine delicate Attention von seiner Seite, daß er nicht nach der Prüfung, sondern schon den Tag vorher dem Oberst Warm die Würde eines Bey's (die anßcr dem erhöhten Nang auch eine schr bedeutende Vcsoldungs-Erhöhung mit sich führt) ertheilt und die Insignicn in großen Brillanten übcrschickt hatte, indem er ihm dazu ausdrücklich sagen ließ: diese Auszeichnung betreffe in keiner Art die Dienste, welche der Viccköm'g noch vom Oberst Warin er-warte, sondern scy nur die Belohnung der von ihm bereits geleisteten, nnd ein Zeichen aufrichtigster Anerkennung derselben. Herren, die so graziös zu belohnen wissen, sind bei uus selten geworden, und aus demselben Grunde auch die Freude an ihrem Dienst. Wasil Vcp, denn so heißt der Oberst Warin jetzt, hat eine sonderbare Schicksalsaffinität mit dem berühmten Allard, jetzigen Generalissimus im Königreich Lahore. Beide sind aus demselben Ort, von geringen Eltern abstammend; Beide ergriffen an demselben Tage das Soldaten- 33« Handwerk; Beide hatten ihr erstes Duell an demselben Tage; Beide Mrden an demselben Tage Offiziere, nnd hatten darauf eine lange andauernde Liebesverbindung mit zwciZwillingsschwestcrn; Beide wurden an demselben Tage zusammen verwundet; Beide mußten Frankreich nach Napoleons Stnrz verlassen; Beide endlich fanden Auszeichnung und Vermögen (wenn auch auf nicht gleich glänzende Weise) im Dienste der beiden größten jetzt lebenden Fürsten des Orients, Mehcmed Ali nnd Nunjct Sing'). In der Anstalt befindet sich cm zum Islam bekehrter Franzose, der ein talentvoller Mann ist, und gütig die Bestellung eines Bildes annahm, das mir diesen in so vieler Hinsicht denkwürdigen Tag in spätern Zeiten lebendig zurückzurufen bestimmt ist. Und bis zum Ende lächelte mir heute das Glück. Die am Eingang dieses Aufsatzes flüchtig von mir geschilderten drei Damm fanden bei der Nachhause-fahrt am Abend, durch ein Versehen der Leute, ihre Barke nicht vor, so daß ich ihnen, nebst einigen Herren ihrer Begleitung, die meim'ge anbieten dürfte. i) Allard ist seitdem gestorben m,d ich glaube, Obnst Wann auch, ob abermals Beide an demselben Tage, weiß ich nicht. 337 Welch ein Gemälde bot jetzt mcine mit drei Divans umgcbne Cajütc dar! Auf jedem der Divans schien eine der den Rechtgläubigen in Michomeds Paradiese Verheißnen in verführerischer Grazie hingegossen zu ruhen, schwer zu entscheiden, welche die verführerischste Stellung gewählt. Da ergriff, als die Dämmerung hereinbrach, Maritza die Guitarre und sang die in den Pariser Salons einst beliebte, rührende Romanze: l^ lMe — bald die volle silbcruc Stimme laut wie im wahnsinnigen Entzücken erhebend, bald in tödtlichem Schmerz und herzzercißcndcm Jammer langsam dahin sterbend. Sie schwieg schon längst, und noch schien Keiner von uns zu wagen, auch nur mit dem leisesten Hauch die Todtcnstillc zu uu-terbrecheu. Kurz darauf landeten wir an der Treppe meines Gartens, und als ich der schö'ucn Maritza den Arm gab, um sie hinauf zu führen, konnte ich mich nicht enthalten, ihr ticfaufathmcud zuzuflüstern: ^1» lie; l»lac« n« ell.int^?, p1l>8 !a foil«, ^ ui tl«»p peur ä'«n llov«,nr sou. Mit fünfundzwanzig Jahren hätte sich mcine Furcht wahrscheinlich auchrealisirt. Mchemcb All's Ncicb, I. 22 AU de grace ne chantez plus la folle, j'ai trop peiu1 (Ten devenir sou. Mit fünfundzwanzig Jahren hätte sich mcine Furcht wahrscheinlich auchrealisirt. Ibrahim Pascha. Polytechnische Schule. Fabriken. Ibrahim Pascha. Polytechnische Schule. Fabriken. Ibrahim Pascha war cinigc Tage nach mir in Kahira angekommen, abcr krank an eiucr Fistel, die ihm zwar von Clot Bey sehr geschickt opcrirt wurde, ihn jedoch verhinderte, sein Bett zu verlassen und Besuche anzunehmen. Sobald er etwas besser war und sich auf dem Sopha eines Gartcnftavillons den Tag über aufhalten konnte, gestattete cr mir, ihm ohne Ceremonie dort einen vertraulichen Besuch zu machen. Man ist fast nicht weniger darauf gespannt, den Helden von Kom'ch, als seinen großen Vater selbst zu sehen, und auch Ibrahim fand ich anders, als ich mir,'hn nach den Beschreibungen Mehrerer vorgestellt. Indessen kommt Jeder darin überein, daß er sich durch den vielen Umgang mit Europäern ungemcin gegen sonst, und zum großen Vortheil seines einst zu wilden Charakters, geändert habe. 339 Er erschien noch etwas hinfällig von seiner eben überstandcncn langwierigen Krankheit, dennoch verrieth Alles an ihm den sorglosen, wenig Bedürfnisse kennenden einfachen Krieger. Er hat ein schönes charakteristisches Auge, etwas angenehm Heiteres in seinem Wesen, nnd nichts Rohes mehr im Aeu-ßcrn; doch besitzt er durchaus nichts von der Feinheit nnd dem königlichen Anstand seines Vaters, noch dessen ansgcsnchte, gewinnende Höflichkeit. Man sagt, er licbc die Europäer nicht, bewundere aber unter diesen die Engländer am meisten, wegen ihrer allerdings in vieler Hinsicht ausgezeichneten, soliden Eigenschaften, die seinem eignen, sehr praktischen Sinn mehr als blos angenehme Formen zusagen. Seine Thaten betreffend, schien er mir vollkommen die, einem berühmten Krieger wie er ganz angemessene Mittclstraße zwischen gerechtem Selbstgefühl ohne alle Eitelkeit und einer männlichen Bescheidenheit hinsichtlich seiner Thaten zu halten. Ills ich ihm sagte, daß von den neusten Kriegsbegebenheiten jetzt keine mehr Gegenstand zur Unterhaltung in Europa geliefert hätte, als seine letzte Campagne in Syrien — gegen die Heuschrecken, 22 " 34tt erzählte er mit vieler Laune den Verlauf derselben, die er in eigner Person damit begann, seinen Tarbusch mit den gefährlichen Thieren zu füllen und den Inhalt in's Meer zu werfen. Die ganze Armee folgte, mit Säcken bewaffnet, dem gegebneu Beispiel und auf dem ergriffnen Distrikt mehrere Tage lang bivouakirend warb der Zweck vollständig erreicht. In der That ist die Rettung einer ganzen Provinz, welche auf Jahre verheert worden wäre, diesem originellen Entschluß Ibrahims ganz allein zu danken. Die Maffe der vertilgten Heuschrecken betrug mehrere Schiffsladungen. Man sieht, Ibrahim weiß seine Soldaten im Frieden wie im Kriege zu benutzen, und hat seit Kurzem angeordnet, sie, ohngcachtet vielen anfänglichen Widerspruchs der türkischen Offiziere, auch zu Straßen-, Canal- und andern Bauten zu verwenden. Ich erwähnte schon, wie leidenschaftlich Ibrahim dem Ackerbau und allen Bodenkulturen ergeben ist, und rastlos darin überall fortschreitet, wo er eigne Besitzungen hat. Aber auch Andere unterstützt er oft sehr großmüthig dabei, obgleich er im Ganzen weit genauer als sein Vater ist, und ganz und gar das, 341 was man bei uns einen guten Wirth zu nennen pflegt. Oft hörte ich ihm in Europa wie in Ae-gyptcn vorwerfen, daß er dem Trunke übermäßig ergeben sep. Ist dies wirklich früher zum Theil begründet gewesen, so hater sich anch hierin geändert, denn ich weiß mit Bestimmtheit aus den zuvcrlä-ßigsten Quellen, daß er zwar guten Wein liebt, aber in keinem größeren Maaße, als es z. B. fast bei jedem wohlhabenden Engländer der Fall ist, und daß er Champagner zu seinem Lieblingsnektar erwählte, hat er ja sogar mit den Damen gemein. Jetzt war er nun gar anf Nilwasscr allein reducirt, was ich sehr bedauerte, da er vortreffliche Europäische Diners geben soll, und einen der ausgezeichnetsten Pariser Künstler zu diesem Behuf iu sciucu Dienst genommen hat. Ich selbst aber habe mich um seinen Keller etwas verdient gemacht, indem ich Herren Bonfort, seinem Factotnm, auf dessen Bitte aus meinem kleinen Adresscnschatz die besten Nachwei-suugcn für Nhcin- und Ungarwcm, Champagner und Vordcam mitgetheilt habe, eine Handlung, die nicht ganz frei von Egoismus war, da ich nächstes Jahr in Syrien selbst davon zu profitircn hoffe. 342 Ibrahim war sehr begierig, über die Organisation der Preußischen Landwehr nnterrichtct zu werden, die man im Auslande immer so ganz fälschlich im Licht einer Nationalgardc betrachtet, während doch dic Landwehr unsre wahre Armee ausmacht, für welche die Linie so zu sagen nur als Schule dient, denn dort befinden sich die permanenten Lehrer und zugleich die immer wechselnden Rekruten, bis endlich die ganze Nation, durch diese heilsame Schule gegangen, jeder Zoll ein Soldat wird. Meine vielleicht sehr mangelhaft gegebnen Erklärungen schienen ihm dennoch ganz gut einzuleuchten, und das System auch zu gefallen, obgleich er wohl einsah, daß es für orientalische Regicnmgöformcn nicht passe, und die Nachahmung selbst in mehreren Europäischen Staaten ein gewagtes Unternehmen seyn möchte. Er wuudertc sich etwas, daß trotz dieser Einrichtung dennoch die Kosten der Armee bei uns beinahe die Hälfte der ganzen Staats-Nevenüen erreichten, als ich ihm aber sagte, daß Wir dadurch iu den Stand gesetzt würden, nu Fall eines Krieges in wenigen Wochen mit 3 —ä00,000 Mann in's Feld zu rücken, und eine stehende Armee 342 von diesem Belange mehr kosten würde, als das ganze Land aufzubringen im Staude sey, so fand cr das Resultat nicht zu theuer erkauft, denn, wie es scheint, gehört Ibrahim nicht zu denen, die auf einen ewigen Frieden rechnen. Seine Beschreibung der Belagerung von Acre war voll Fcner und Interesse, besonders aber frav-pirtc mich eine seiner desfallsigcn Aeußerungen. Obgleich sechs oder sieben seiner türkischen Generale und Obcrofsiziere gegenwärtig waren, ergoß er sich ausschließlich im Lobe des arabischen Soldaten, und sagte: »Tapferer und mit mehr Ausdauer sich schlagen, können leine Truppen in der Welt, obgleich viele geschickter nnd kriegserfahrener als die meinigcn seyn mögen, nnd wenn in der Armee ein Beispiel von Unentschloffenheit oder Feigheit vorsiel, so war es immer nur von Seiten der türkischen Offiziere, ich kenne kein solches Beispiel von einem Ambcr." Diese Worte sind merkwürdig, denn sie bekunden, was ich schon früher hörte, daß Ibrahim sich ganz auf die Seite jener Politik wendet, welche Mehcmcd Ali's Ncich nnd Dynastie als eine Arabische, als cinc Erneuerung des alten Kalifats, 344 und keineswegs als einen Zweig türkischer Herrschaft angesehen wissen will, und nur dadurch von ihr Dauer und Größe erwartet. Meine individuelle Ansicht ist ganz die nämliche, denn die Araber scheinen ein mit ewiger Jugend begabtes Volk, immer eben so fähig zu dem höchsten Aufschwung, als nachher wieder auf Jahrtausende in den Naturzustand zurückzukehren, während dic Türken mit Vollem Recht eine abgestorbne Nation genannt werden können, deren Rotte in der Weltgeschichte ausgespielt ist. In diesem Sinne hat auch Ibrahim angefangen, Araber in der Armee zu Snbaltern-ofsizicren zu avaneiren, doch wagte er bis jetzt noch nicht, weiter zn gehen, ohne Zweifel aber würde es im Fall eines neuen Krieges sogleich geschehen. Ich sehe diese Tendenz Ibrahims als ein sehr glückliches Zeichen für die künftige Prosperität seiner Dynastic an, die sich, meiner festesten Ueberzeugung nach, nicht genug mit dem arabischen Volke idcntisicircn kann, um ihrer Macht eine unerschütterlich solide Basis zu geben. Die türkischen Mamluken, ans vcrschicdncn Ländern hcrstammcnd, werden indessen, schon aus Gewalt 345 der Gewohnheit und auch als die durch ihr eignes Interesse am sichersten gefesselten Diener des Herrschers, noch lange unentbehrlich seyn, doch ist es genug, wenn den Eingebornen nur die Concurrenz eröffnet wird. Nach einer Stunde des belebtesten Gesprächs empfahl ich mich dem präsumtiven Erben des Reichs, der mich in der besten Laune auf Europäisch begrüßte, indem cr die flache Hand an seinen Tarbusch legte. Demohngeachtct hatte es im Anfang der Audienz einen Moment gegeben, der unsrer Unterhaltung ein schnelles und weniger angenehmes Ende drohte. Man brachte nämlich, sobald ich mich neben dem Prinzen auf die Ottomane gesetzt hatte, den Kaffee und ihn: eine Pfeife, mir aber nicht. Im Feuer des Gesprächs hatte ich es anfänglich nicht bemerkt, wie es mir aber plötzlich auffiel, nahm ich auch sogleich meine Partie. Das Gefühl der Beleidigung in meiner Miene so deutlich als möglich ausdrückend, verstummte ich, und erwiederte kein Wort mehr auf oie mir gestellten Fragen. Die ungchcucheltc Ve-fremdung Ibrahims bewies mir, daß er selbst nicht, sondern nur seine Diener Schuld an der mir wider- 346 fahrenen Vcrnachlä'ßignng waren, demohngcachtet blieb ich stumm, und war im Begriff, aufzustehen und ohne Abschied den Kiosk zu verlassen, als er, bemerkend, woran es fehle, laut nach einer Pfeift für mich rief. Von diesen: Moment fnhr ich, als sey nichts geschehen, gleich Schillers Armenier, in meiner Conversation grade da fort, wo ich sie vorher unterbrochen hatte. Man lege mir dies nicht für Arroganz oder lächerliche Eitelkeit ans. Ich für meine Person vrätendire wenig, aber was Mchemcd Ali mir gewährt hatte, durfte ich von jedem seiner Unterthanen als ein Necht verlangen, wenn es auch der Thronerbe war. Uebrigens gibt es keine Nation, bei der mehr als bei den Türken Göthe's Worte eintreffen, die er dem sehr wcltklugcn Mevhistophc-lcs in den Mund legt: „Mein Freund, das wird sich Alles geben; „Sobald du dir vertraust, weißt du zu lcdeu," für was man sich gibt nnd selbst hält, das wird man auch leicht in Andrer Augen, am meisten aber in denen der Türken. Es war 11 Uhr. früh, als ich Ibrahim verließ, und ich hatte daher Zeit genug übrig, während des 347 347 Tagesrestes mehrere Fabriken und die polytechnische Schu-le zu besuchen. Diese, deren Namen als Nachahmung der Pariser Anstalt nicht glücklich gewählt ist, weil er zu anmaßend klingt, und, was an sich zweckmäßig und lobcuswerth ist, doch als Copie eines solchen Originals einen leichten Austria) des Lächerlichen erhält — wird von einem jungen Manne dirigirt, der in England erzogen worden ist, und Sprache wie Wesen der Insulaner in solchem Grade sich zu eigen gemacht hat, daß ich ihn anfänglich für einen Engländer hielt. Dirse große Leichtigkeit, fremde Bildung anzunehmen, fremde Sprachen zu erlernen, und in bisher ihnen ganz nnbetaunten Wissenschaften schnelle Fortschritte zu machen, ist in der That eine charakteristische Eigenschaft der Aegpfttier, nur siud sie zn warnen, sich nicht zu früh als ausgelernt zu betrachtcu. Der ehemalige schöne Pallast dw unglücklichen Ismail Pascha ist der polytechnischen Schule eingeräumt worden, und auch hier gilt für die äußere Einrichtung und Instandhaltung des Ganzen, was bei allen Etablissements dieser Art in Acgpptcn so ruhmvoll beobachtet wird. Hinsichtlich der Studien sehe ich mich weder als competcnten Nich- 348 ter an, um darüber zu urtheilen, noch hatte ich hinlängliche Gelegenheit dazu, ich sah indeß vortreffliche Zeichnungen, besonders im Fach der Mechanik; weniger befriedigte mich, was in das Departement der Kunst einschlägt. Unter den Fabriken sind einige wahrhaft kolossal zn nennen, und nichts ist bei ihrer Anlage gespart worden. Kaum sah ich in England schönere Eisengießereien, und eine der Indienncfabriken glich für sich allein einer klciucn Stadt, mit der wohlthätigsten Rücksicht ouf die Bequemlichkeit nnd Gc-suudheit der Arbeiter, worum man sich in England so wenig bekümmert. Alle neusten Erfindungen sieht man hier in Anwendung gebracht, als: das Färben durch Dampf, Anfertigung der Stahlmuster in der Fabrik selbst u. s. w. Die Vottrefflichkeit der Modelle in Messing und Holz, welche in dieser Fabrik, der ein Italiener vorsteht, durch Eingcbornc ohne alle fremde Hülfe ausgeführt werden, setzten mich in Erstaunen, noch mehr aber die Unverschämtheit, mit der früher Europäer den Vicckönig mit dergleichen betrogen haben, so daß viele Modelle, die jetzt für einige spanische Thaler geliefert wer- 349 den, früher mit so viel Hunderten bezahlt werden mußten. Als eins der ergötzlichsten Beispiele dieser Art zeigte mir der Director drei in Maroqnin prächtig gcbnndnc Foliobände, die nichts weiter enthielten, als eine Menge darin aufgeklebter Zcuch-proben uielartiger Muster, die man sich in Europa mit leichter Mühe für gar nichts als ein gutes Wort, oder wenigstens mit der geringsten Geldausgabc verschaffen kaun. Demohngeachtct hatte sich ein Handlungshaus nicht entblödet, dem Vicekönig für diese L«l»imtiIIm,8, als etwas höchst Kostbares, und eine schwer zu erlangende Sammlung, 24,009 Franken! anzurechnen. Ist es ein Wuudcr, wenn nach solchen Erfahrungen christlich-europäischer Ehrlichkeit Mchemed Ali einigen Widerwillen gegen den Verkehr mit Europäern gefaßt hat? Daß er sich aber an5) hier im Anfang durch nichts abschrecken, ja sich hundertmal ruhig betrügen ließ, nur um schneller zum Zwecke zu kommen, da ihm die gewonnene Zeit viel kostbarer als das Verlorne Geld schien, war groß und zugleich das einzige Mittel, einen Reformplan wie den seinigcn noch während seines Lebens zu rcalisircn. 350 In den Tuchfabriken werden grobe Tücher dauerhafter und wohlfeiler producirt, und ächter gefärbt, als in den unsrigen, die feineren hingegen stehen den unsern noch sehr nach; entsprechen auch weniger dem Zweck dieser Fabriken, und werden daher nur in kleiner Quantität gefertigt, um zu zeigen, daß auch dieß, wenn verlangt, möglich sey. Die Papiermühle liefert eine einzige gute Sorte starkes geglättetes Papier, worauf die Türken alles schreiben, und das folglich für ihren Landesbcdarf hinlänglich ist. In den zahlreichen Baumwollspin-ncreien sind nirgends mehr Europäer angestellt, und selbst die ingenieusesttn dazu erforderlichen Maschinen wcrdeu hier theils ausgebessert, theils ganz neu angefertigt, ein fast unglaublicher Fortschritt in einem vcrhältnißmäßig so kurzen Zeitraum. Da ich kein Kaufmann bin, so sey dies vorläufig genug über die Fabriken. Abu-Zabel. Abu-Zabel. Ich wende mich jetzt zu einer andern Anstalt, die vielleicht von allen, die dem Vicckvm'g ihr Daseyn verdanken, die außerordentlichste ist. Doch vorher muß ich des merkwürdigen Mannes ausführlich gedenken, ohne den sie nie so ins Leben hätte treten können. Der würdige Veteran, Sir Sidney Smith, und unser genialer Arzt und berühmter Operateur Ticfcnbach hatten mir beide Empfehlungsbriefe an ihren gemeinschaftlichen Freund Clot Bey mitgegeben, ein günstiger Umstand, dem ich ohne Zweifel den größten Theil des ansgezcichnct gütigen Empfangs zu danken habe, der mir von dem Chef aller Me-dicinalanstaltcn, dem jetzigen General Clot Bey, in Aegyptcn zu Theil ward. Schon früher hatte sich Clot Vey gütig erboten, 352 nur seine Schöpfung zu Abu-Zabel selbst im Detail zu zeigen, die tägliche Sorgfalt jedoch, welche er dem kranken Ibrahim Pascha gewähren mußte, hatte es bisher immer verhindert. Endlich ward der zehnte Februar dazu festgesetzt. Nur von meinem gefälligen Cicerone, Herren Lubbcrt, und dem Generalstabsarzt der Flotte, Herren Doktor Koch, begleitet, begab ich mich bei guter Zeit nach der Stadt, in des Generals freundliche Behausung. Er führte uns in seine Bibliothek, die auch allerlei natnrhistorischc Gegenstände, z. B. ein schönes Ibiscrcmplar enthält, dessen Identität mit dem Ibis der Alten durch mehrere aufgefundne, sehr spezielle hicroglpphische Zeichnungen jetzt wohl anßer Zweifel gesetzt ist. Im Hofe des Hauses, der an einen großen Garten stößt, ist zugleich eine sehr artige kleine Menagerie mit wunderhübschen Gazellen, wie mehreren andern seltnen Thieren und Vögeln eingerichtet, zu deren Anschaffung sich hier so vielfache Gelegenheit findet. Wir Verplauderten angenehm eine halbe Stunde während der Besichtigung dieser Dinge, und als Clot Bey im Verlauf der wechselnden Unterhaltung zu seiner Verwunderung erfuhr, daß ich bisher nie 353 eine Reiseapotheke wit mir geführt, so schenkte er nur mit großer Artigkeit eine solche, wohl fouruirt mit allem in Aegypten Nothwendigen, die ich auch als ein sehr wcrthvollcs Andenken seitdem stets bei mir gefülirt, glücklicherweise aber noch nicht viel gebraucht habe. lim 11 Uhr machten wir uns auf den Weg, Herr Lubbcrt und ich in einer vierspännigen Kutsche des Vicctö'nigs, Doktor Koch zu Pferde nnd Clot Bey, sich selbst in einem schr gnt in Ka-hira von einem deutschen Sattler gebauten kleinen Gig fahrend, mn uns den Weg zu zeigeu. Bald bcfandeu wir uns in der Wüste und fuhren ohne Weg und Steg rasch über den festen Sand dahin. Rechts nahm eiu Theil des Mokkatamm die Form eines Königl. Sarkophages an, links*zogen sich die grünen Pflanzungen hin, wclcheHerr Vonfort der Wüste abzugewinnen gewußt hat. Schon in weiter Ferne dämmerten hinter uns die Minarets der stolzen Hauptstadt, im Blau des reinsten Himmels verschwimmcnd, vor uns aber lag nichts als ein Meer von Sand, vom Winde zu weißen, ihre Formen stets wechselnden Hügeln zusammen geweht. Eine Stunde nachher erreichten wir ein Kcissee-Mts, von einem alten Araber gehalten, der znr Mchcmed All's Ncick, I. 23 354 Zeit der Schlacht von Heliopolis, die uufern von hier begann, das edle Räubcrhandwerk trieb und in dieser Qualität auch seinen Theil am Gefechte nahm. Das heißt, er hielt mit seiner Schaar am Mokkatamm, um nach Umständen Freund oder Feind zu plündern. Nichts geht über die poetischen Ausdrücke dieser Araber. „Unser Anführer, Hassan Abassah," sagte er, >,war der Löwe der Wüste. Schon vor dem ersten Strahl der Sonne trug ihn jeden Tag sein edles Roß zu Kampf und Gefahr. Bark, vom reinsten Blute der Nedschdi, führte seinen Namen mit der That. (Bark beißt Blitz). Wie er abritt, sah man kein Pferd mehr, man sah nur Sand, einen Augenblik — und man sah nichts!" — Ist das nicht ganz im Styl Lord Byrons? Er erinnerte sich Murats an der Spitze der »französischen Mamluken," sprach mit Ehrfurcht von Desair »dem Gerechten," mit Bewunderung von Kleber, dem er noch heut die Beute dankte, welche cr an jenem Tage gemacht; den Gipfel aber erreichte sein Enthusiasmus, wenn er von „Abu-Na-partu« erzählte. »Sultan Kcbir" (Bezeichnung Buonapartes in Aegyftten), rief cr, „liebte die Mu- 355 selmä'nncr, und mit der Spitze einer Stecknadel hätte er alle Moscheen umstoßen können. Man hat uns gesagt, daß er todt sey, gestorben mitten im Meere, und daß die Paschas, die ihn umgaben, gesehen, wie seine Seele, gleich einem Feuerfunken, auf der Schneide seines Säbels dahin fuhr.« Ich übergehe den Rest der energischen Erzählung dieses poetischen Kaffccwirths, da Jedermann den Verlauf der Schlacht von Heliovolis kennt, in welcher Kleber mit sechstausend Franzosen siebenzig-tauscnd Türken schlug. Jedenfalls hatte sie uns des alten Räubers schlechten Kaffee viel annehmlicher gemacht, und wir begaben uns, nun hinlänglich erfrischt, zu Fuß uach einem uur wenige tausend Schritte entfernten und am Rande der Wüste gelegenen Dorfe, hinter welchem sich ein Hain von Citronenbäumen ausdehnt. Er wird mit Recht ein heiliger genannt, denn in seiner Mitte befinden sich neben einer erfrischenden Quelle die Reste eines uralten Sycomorc, unter dem, der Sage nach, die Jungfrau mit dem Jesuskinde auf ihrer Flucht in Aegppten ruhte. Der Vanm ist theils vor Alter abgestorben, theils von dem Jahrhunderte lang an-, 23" 356 dauernden Raube der Frommen zerstört. Auch wir sammelten hier Reliquien, und schnitzten uns außerdem elegante Spazierstöckc aus den jungen Citroncn-bäumchen, die den ehrwürdigen greisen Stamm in dichtester Nähe umgaben. Dann wanderten wir zur noch älteren Stadt Helioftolis. Hier steht innerhalb der sehr deutlich zu tracirenden Wälle, welche den weitläuftigcn Sonncntcmpel umgaben, inmitten eines grünen Gcrstcnfcldcs ein schöner Obelisk mit wohl erhaltenen Hieroglyphen und den Ringen des Orzo-tascn, der 2000 Jahr vor Christo regierte, das einzige Ueberbleibscl eines weltberühmten Hciligthums. Ein sehr anspruchsloser Pachthof des Munsters Bogos Bey liegt daneben, und der Anblick der Gegend , deren Einförmigkeit nur wenige Palmen unterbrechen, ist öde und traurig. Wir hatten die Wagen hierher bestellt, fanden sie aber nicht, und mußten sie auf sehr ermüdende Weise lange im Sande der Wüste aufsuche«. Während dieser Zeit sammelten Wir viele schön gezeichnete Kiesel, welche einst eine große Fluth in außerordentlicher Menge Her-geschwemmt haben muß, und trafen dort auf das Lager einer tunesischen Karavane, die nach Mekka 357 wallfahrtcte. Es freute mich, die reiche Tracht der Mogrcbiner, wie mau sie hier nennt, wieder zu sehen, nnd der Zufall wollte sogar, daß ich einen Mauren meiner Bekanntschaft unter ihnen fand, denn wie das Sprüchwort sagt: Berge und Thäler bleiben stehen, aber Menschen begegnen sich, und solche Begegnung im fernen Land führt immer eine Art Freude mit sich, war uns der Gegenstand sonst auch noch so gleichgültig. Das lange Suchen unserer Leute hatte uns verspätet, und es war schou Abcud geworden, mit cincm wolkigen europäischen Sonnnemmtcrgang, als wir in Abn-Zabcl anlangten. Für heute konnte man daher nur noch an Erfrischung und Ruhe denken, dic uns Clot Bep mit Profusion bereitet hatte, alles Uc-brige ward auf den nächsten Tag verschoben. Nachdem mir am Morgen der General die Lehrer der Anstalt, von denen ein großer Theil schon der Schule selbst entnommen wurden, vorgestellt hatte, und die Eleven der nahcn Musikschule zu Kauka mir eine sebr ammtthige Morgcnmusik gebracht, begann ich meine Tournee. Man kann nichts Grandioseres und Zweckmäßigeres sehen, als diese Anstalt, von dcr 358 es nur zu bedauern ist, daß sic, besonders als Heilanstalt, so weit von der Hauptstadt entfernt liegt. Dies War indeß im Anfang nöthig, da das ganze Unternehmen, vorzüglich aber die damit verbundenen Sektionen der Leichen, die öffentliche Behandlung der Gcburts-Mfe n. s. w., den religiösen Vorurthcilen der Muselmänner so schnurstracks entgegentrat, daß man ihnen ein solches Schauspiel nicht zn nahe unter die Augen bringen durfte, und es auch dann noch vielleicht nur dem eisernen Willen Mehcmed Alis, wie der unermüdlichen rastlosen Sorge Clot Beps möglich war, nach und nach die Bevölkerung an das ihr Wi-derstrcbcndstc zu gewöhnen. Bald, glaubt man indeß, wird die Zeit reif seyn, um noch dccidirtcr auftreten zu können, und dann ist zu vermuthen, daß zwischen Abu-Zabcl und Kasserleng ein Tausch stattfinden wird, eine Maaßregel, die für beide Etablissements, deren respektive Lokale dieneuc Einrichtung auch sehr thunlich machen, in der Zukunft nur wohlthätig seyn kann, weil die medicinischc Akademie mit dcm Hospital natürlich schicklicher und erfolgreicher in der Hauptstadt placirt sind, und der Schule dagegen die ländliche Einsamkeit und Entfernung von den Zcrstreuun- 359 gen Kahiras wcit besser zusagt. Dennoch werden Jahre vergehen müssen, ehe das Lokal von Kasscrlcng die erschöpfende Vollendung zu den medizinischen Zwecken erreicht, welche jetzt das Etablissement von AbU'Zabel bereits so glänzend auszeichnet. Abu-Zabcl steht auf demselben Platz, wo während der Schlacht von Heliopolis des Großwcsir's Hauptquartier war, und wo sie nachher entschieden ward. Dic Menge der reinlichen und netten Gebäude umschließt mehrere mit Bäumen bepflanzte schattige Höfe, die eigentlichen Umversitätslokalc aber bilden ein großes Quarrte, das reich an sprudelnden Wassern zu einem prächtigen botanischen Garten benutzt ist. In dessen Mitte stehtganz isolirt —die Küche. Ob dies nun den Zweck hat, den unangenehmen Spcisegeruch aus den Wohnungen, Lchrsälcn, Krankenstuben u. s. w.zu entfernen, oder ob es das Animalische auf eine desto eindringlicher zu den Augen sprechende Weise vom Geistigen abzusondern bestimmt ist, oder vielleicht gar in dem Sinne angeordnet wurde, der jenen französischen Arzt vermochte, in jedem großen Hause, wohin man ihn zum erstenmal rief, vor allen dem Koch, als seinem besten Krankcnliefcrautcn, ein 3«tt reiches Geschenk zu machen — ist mir nicht genau bekannt geworden. Wenn ich aber über die Küche zum Theil im Dunkel blieb, so muß ich desto mehr die herrlich eingerichtete Apotheke rühmen, die eleganteste und angenehm duftendste, in die ich je eingetreten bin, mü einem großen Laboratorium daneben, und voll Sammlungen, die selbst einem Laien höchst interessant vorkommen mußten, z. V. in schön geschliffenen Crpstallbüchscn aufgestellte Sammlungen aller bekannten Arten von Kaffee und Thee, uebst einer Menge andrer, so appetissantcr Ertrallc und kostbarer Essenzen, daß ein Conditorladcn nicht anziehender seyn könnte. Nur die vortrefflichste Qualität in allen Dingen wird hier geduldet, die strengste Ordnung herrscht ebenso, wie in den Sälen des Hospitals, dessen allgemeine Zweckmäßigkeit und Reinlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Wärter, die das Geringste vcrnach-läßigcn, werden sogleich bestraft, und bei d>'r Necidivc an Ketten geschlossen, was Got Vey, viel menschlicher und erfolgreicher, dem sonst hiev üblichen Kurbatsch, oder den Hieben auf die Fußsohlen substituirt hat. Eine schöne Sammlung anatomischer Präparate, bis in das kleinste Detail die wunderbare Maschine 361 des menschlichen Körpers treu darstellend, und ein erst begonnenes naturhistorisches Kabinct dienen der Anstalt zur Zierde; die Magazine für Vorrächc aller Art sind auf das Reichlichste versehen, und auch in manchem Einzelnen fand ich Neues und Empfehlungswerthes. So sind in verschiedenen Lehrsälcn die Wände sorgfältig gemalt, aber statt eitler Zierden enthalten sie unser Planetensystem, andere Theile des Himmels, viele mathematische Figuren, eine kolossale Weltkarte u. s. w., gewiß eine sehr gute Einrichtung, um fortwährend durch die Augen zu den Schülern zu sprechen. Unsern Augen begegnete indeß in demselben Saal ein weniger anziehendes Schauspiel, nämlich die Sccirung eines bereits sehr übel riechenden Leichnams, dem man überdcm die letzte Ehre des Waschens versagt hatte. Kein Muselmann kann sich mit mehr Abscheu von diesem nützlichen Gegenstände abgewendet haben, als meine sehr aufgeklärte Wenigkeit. Der Anblick verfolgte mich die ganze Treppe hinauf, bis in die Schlafsä'le, wo Clot Bcp statt der Tische und Repositories an den Betten, wie sie in Kasscrleng stattfinden, sehr praktisch Wandnischen und Wandschränke hat einrichten lassen, die weniger Platz 362 raubend, gesicherter und dauerhafter sind. Dic Betten waren regelmäßig, cm Saal mit dem andern abwechselnd, mit grauen nnd weißen Wolldecken belegt. Auf meine Frage, ob dies irgend eine Bedeutung habe, erwiederte Clot-Vcp lachend: „Nichts als meine Ordnungsliebe. Man hatte mir diese Decken in doppelter Farbe geliefert, nnd ich fand das daraus entstehende O.nodlibct unangenehm, daher die jetzige Anordnung; aber", setzte er hinzu, „ich hatte viel Mühe, sie dcm arabischen Inspector begreiflich zu machen. Warum, wiederholte dieser fortwährend, sich die unnütze Mühe machen — werden die jungen Lcnte deshalb wärmer zngcdcckt seyn?" Ich finde diese Antwort sehr nationell. Breite und platte Te rassend ach er, die oben rund «m das ganze Quarrte führen, bilden eine höchst anmu-thigc Promenade im Kühlen, nach innen vom mannich-fachsten Laub des botanischen Gartens, nach außen von den übrigen bebuschtcn Höfen und darüber von den mobilen, weißen Sandhügcln der Wüste begrenzt. Oft werden anf diesen Terrassen auch die Collegien gelesen. Wir begaben uns nun in das nette Amphitheater, welches dem von Montpellier nichts nachgicbt, um 363 dem Unterricht in der Erperimcntalphpsik beizuwohnen. Alle Gradins waren vollständig von Arabischen Schülern in Uniform besetzt, breite weiße Riemen, mit großen Metallplatten als Schloß, um den Leib tragend. Ich glanbe, es muß diesen Platten, wie der Feuchtigkeit der Atmosphäre am heutigen Tage zugeschrieben werden, daß von den Elcctrieitäts-Erperi-mcntcn nicht ein einziges vollständig gelingen wollte. Der Unterricht ward auf eine recht ingcnicusc Weise folgendermaßen ertheilt. Ein französischer Professor lehrte, und ein neben ihm sitzender arabischer, der seine Studien in Paris gemacht, übersetzte jeden Satz den Schülern in ihre Muttersprache; ein allerdings schwieriges Geschäft bei rein wissenschaftlichen Gegenständen, welches, da so viele Kunstausdrücke in cincr weit weniger ausgebildeten Sprache treu wieder zu gcbcu waren, dem jungen Manne auch manchen Schweißtropfen zu kosten schien. Einst rühmten sich die Araber der größten Aerzte in der bekannten Welt; Clot Vcp werden sie es zu verdanken haben, wenn sie eine zweite Epoche gleichen Ruhmes zu erreichen bestimmt sind. Er selbst geht mit dem besten Beispiele voran, und hat namentlich 364 hier Operationen gemacht, wie sic Niemandem vor ihm gelungen sind. Seinem Edclmuthe macht es dabei Ehre, daß Clot Bcv, weit entfernt, einen pekuniären Vortheil von den meisten dieser merkwürdigen Operationen zu ziehen, mehreren der mittellosen Patienten noch Geld dafür zahlt. Einer, dem er ciue ungeheure H... .gc-schwulst von 120 Pfund abgenommen, leitete sogar einen Prozeß gegen ihn ein. Der Mensch war nämlich eine Art Bonffon, der seine monströse Verunstaltung dazu bcnntztc, von den in den Kaffeehäusern ihr Leben zubringenden Nichtsthuern, reichliche Almosen zu erbetteln. Jetzt warf er Clot Bey vor, ihm diesen Erwcrbszwcig entzogen zuhaben, nud verlangte als Entschädigung eine Pension, die der großmüthige Arzt ihm auch nicht hat verweigern wollen. Dicht neben Abu-Zabel, und mit ihm verbunden, wiederholt sich fast die gleiche Disposition verschiedener Gebäude, znm Vchuf einer Vetermär-Schnle. Ich hatte das Unglück, hier wieder auf die Sektiou eines alten verfaulten Schimmels zu stoßen, der noch weit schrecklicher stauk, als sein menschlicher Kamerad. Statt daher die Toilette des in tln-^rlinti überraschten Directors — der sich schnell in 365 das Wasser einer Fontaine geworfen hatte, um fähig zu sepn, mir die Honneurs der Anstalt zu machen — abzuwarten, rettete ich mich eiligst zu den Gcbärknnstlcrinncn in einer andern Abtheilung des Etablissements. Diesem Institut arabischer Hebammen (unter denen cs übrigens einige äußerst hübsche Mädchen gab), steht eine Pariser Demoiscllc als Professorin vor, und cs hatte für mich unwürdigen Laien allerdings seine burleske Seite, diese Jungfrau mit so viel Präcision und Sicherheit erklären zu hören, wie ein Kind zur Welt komme, fand aber nachher, bei der Prüfung der arabischen Baucrmädchen, bei diesen vollkommen eben so viel Gelehrsamkeit m jnllxüo puncti. mehr in der That, als ich mir je selbst anzueignen fähig gewesen war. Eine derselben, welche kaum l-H Jahre zählte, stellte sich auf ciu Tabouret vor ein großes Gerippe hin, uud erklärte erst jeden Knochen desselben, dann den Kreislauf des Blutes, endlich alle Gradationen durch dic menschliches »emen geht, und dies mit einer Geläufigkeit wie eine ihres Glcicheu in Europa kaum einen Wäschezettel ablesen würde. Auch war Clot Bey so entzückt von der Erudition des hübschcu Kindes, daß er es mit einem Goldstück beschenkte. Nach viel- 366 fach fortgesetzten Eraminirungen in der Theorie, ward zum Schluß auch praktisch an einem ledernen Unter-leibe opcrirt, in dem ein scheußlicher kleiner m.izot aus demselben Stoffe stak, und dieses Embryo dann in allen verschiedncn Lagen, die möglich sind, eine halbe Stunde lang immer von neuem zur Welt gebracht, wobei — ich muß es dem Institute zum Ruhme nachsagen — nur selten, und nur in den verzweifeltsten Momenten, die vollendete Erfahrung der Pariser Demoiselle selbst einzugreifen genöthigt war. Aber es wäre gewiß sehr ungerecht, wenn man über diese komischen Scenen, deren drastische Wirkung die leise eingestreuten donmot» des Herrn Lub-bert fast zum Lachkrampf steigerten — die hohe Nützlichkeit der Sache, und die wirtlich segensreiche Einwirkung Clot Bey's dabei verkennen wollte, dessen überlegnem Wissen selbst die Ulcma's alle ihre eingewurzelten Vorurthcilc beifällig opferten. »Il n'^ a äe Wut,« citirtc ich Herrn Lubbcrt aus Voltaire, und bat ihn um des Himmels willen, mich nicht zu compromittircn, da Clot Bey, der hitzig wie cm Pulverfaß ist, und seine Pariser Gebärmamsell, die ebenfalls wenig Spaß zu verstehen schien, unser 367 verbissenes Lachen bemerkend, ihre beiderseitigen Gesichter bereits in sehr ernste Falten zu legcn ansingen. Alles Leben endigt mit dem Tode, und jeder Tag mit einer Mahlzeit. Obgleich Clot Bey, der immer thätige, wenn er allein speist, nie länger als einige Minuten bei Tische sitzt, so weiß er doch ein überdies ebenso geduldig liebenswürdiger Wirth zu seyn, wenn er Gourmands vor sich hat, als sein vortreffliches Mahl durch die reichhaltigste Unterhaltung zu würzen. Ein ueucr, sehr interessanter Gast war eben angelangt, der hochwürdige Erzbischoff und Patriarch der katholischen Griechen im Orient, ans Damaskus, vou drei pricstcrlichcn Adjutanten begleitet, ein sehr rüstiger Greis vou schönem Acußcrn, in der Form eiucs eorpulcnteu Lebemannes, und mit dem geistreichen Ausdruck eines gutmüthig schlauen Italicners. Während er dem Champaguer so angelegentlich wie ich die gebührende Ehre widerfahren ließ, erklärte er mir, worin die griechischen Schismatiker eigentlich von der rechtgläubigen griechischen Kirche abweichcu. Es waren nur süuf Artikel, glaube ich, aber alle von gleicher Wichtigkeit. Z. B. das wohlthätige Fegefeuer, das die Schismatiker, wie der geehrte Patriarch sehr richtig bemerkte, nur in 368 Worten läugnen, und doch der That nach anerkennen , weil sie Messe lesen. Dann wollen sie keine Heiligen, weder männlichen noch weiblichen Geschlechts, vassircn lassen, was selbst ich sehr gottlos finde; nnd ziehen dagegen drittens dem gesäuerten Brode ungesäuertes vor, was jedenfalls sehr fade schmecken muß. Der zwei letzten Controversen. erinnre ich mich nicht mehr, aber man sieht schon aus den angeführten, wie unmöglich es ist, daß zwei sich in so wesentlichen Dingen diametral entgegen stehende Sekten je in Frieden neben einander leben können. Im Verlauf der Unterhaltung widerfuhr mir eine große Ehre. Ich nämlich war es, der dem Patriarchen und seiner Suite die erste Kunde von dem heiligen Baume der Jungfrau ertheilte, an dem jener Fürst der Kirche auf seinem weißen Zelter heute ganz unwissend vorbeigeritten war, sich jetzt aber, erstaunt über die aus so weltlichem Munde vernommene Kunde, ernstlich vornahm, das Versäumte mit verdoppelter Andacht morgen nachzuholen. Mit ähnlichen frommen Vorsätzen empfahlen auch wir uns unsrem freundlichen Wirth. Ende des cvsten Theils, Bei uns ist erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: Prokesch, Nitter von Osten, Denkwürdigkeiten und Grintterunsten aus dem Orient. Aus I. Schnellers Nachlaß herausgegeben V o n Grnst Münch. 3 Bande 8. br. 8 Thlr. 3 gi, ,,'dc, 13 fl, 3» kr. „Ein schönes Gegenstück zu Lamartine's Souvenir«," sagt die Vorrede des befreundeten Herausgebers, „wird in diesen Schilde-rungen der Alterthümer, so wie der neuesten Zustände des Orients dargeboten, und dcr Name des als Seeoffizier, Reisenden und Schriftsteller hinlänglich bekannten und durch seine gegenwärtige Stellung so bedeutsamen Verfassers gibt dem Publikum hinläng» liche Bürgschaft über das, was es in dieser Sammlung zu erwarten hat. In dem Augenblicke, wo die Augen der ganzen gebildeten Welt besonders nach den Ländern, die hiev beleuchtet werden, Aegypten, Syrien, Kl ein-Asien, der Levante :c, sich hinwenden und mit Mehemed Ali sich fo lebhaft beschäftigen, wird es von hohem Interesse seyn, die Mittheilungen und Aussprüche eines Mannes zu vernehmen, welcher vielfach in Berührung mit dem Vice-Könige, seinem Sohne Ibrahim, Chosrew Pascha und andern türkischen Großen gestanden und Missionen von Wichtigkeit erfüllt Hai, Stuttgart, HM'erger'sche Verlagshandlung.