Diachrone und synchrone Aspekte von Personal-, Possessiv- und Demonstrativpronomina in der Slawia Arno Wonisch Institut für Slawistik, Karl-Franzens-Universität Graz, Merangasse 70, A - 8010 Graz, arno.wonisch@uni-graz.at - SCNVII/1 [2014], 21-33 - Namen prispevkaje prikazati nekatere podobnosti in razlike v sistemu osebnih, svojilnih in kazalnih zaimkov v stari cerkveni slovanščini in v današnjih slovanskihjezikih. Po kratkem uvodu s splošnimi podatki o poimenovanju te besedne vrste v slovanskihjezikih sledi krajša analiza navedenih zaimenskih kategorij z diahronega in s sinhronega vidika. Na ravni zaimkovje opozorjeno tudi na nekatere posebnosti v odnosu med prvim slovanskim knjižnimjezikom in sodobnimijeziki slovanskejezikovne družine. The aim of this article is to identify relevant correspondence, similarities and differences in the system of personal, possessive and demonstrative pronouns in Old Church Slavic and the present Slavic languages. After the first part, which is devoted to some general aspects of the nomination of pronouns in the languages in question, it is continued with the analysis of the mentioned kinds of pronouns on the diachronic and synchronic level, which is proceeded with the description of some mentionable aspects in pronominal systems in the first Slavic literary language and in the present-day languages. Ključne besede: osebni, svojilni, kazalni zaimki, slovanski jeziki, stara cerkvena slovanščina Key words: personal pronouns, possessive pronouns, demonstrative pronouns, Slavic languages, Old Church Slavic In vorliegendem Beitrag werden ausgewählte Charakteristiken pronominaler Lautungen in den heutigen slawischen Sprachen betrachtet und in einen Kontext zu ihren Vorläuferinnen im Altkirchenslawischen gesetzt. Dabei werden nach einleitenden terminologischen Angaben die Darstellungen gemäß einer — 21 — Arno Wonisch funktionalen Einteilung dieser Wortart in Personal-, Possessiv- und Demonstrativpronomina vorgenommen, wobei ein Schwerpunkt der Ausführungen auf der südslawischen Pronominallandschaft liegt. Betrachtet man eingangs die terminologischen Bezeichnungen dieser Wortart in der Slawia, so lässt sich erkennen, dass eine (quantitativ ungleiche) Nomination vorliegt, indem die Mehrzahl der Sprachen bei der Benennung der hier behandelten Wortart eine direkte semantische Übernahme des lateinischen Begriffs Pronomen vornimmt. Hierbei wird mit dem Präfix za- der Möglichkeit des „Für-etwas-eintreten-Könnens" Ausdruck verliehen, wie es neben Bosnisch/Kroatisch/Montenegrinisch/Serbisch (zam/j/enica)1 auch im Mazedo-nischen (3aMeHKa), Polnischen (zaimek), Slowakischen (zämeno), Slowenischen (zaimek), Tschechischen (zäjmeno), Ukrainischen (saÜMeHHUK) und Weißrussischen (3aÜMeHHiK) der Fall ist. Mit diesen Bezeichnungen korreliert im Bulgarischen und Russischen MecmouMeHue sowie im Rusinischen MicmoHa3U6HUK, indem eine Fokussierung auf das „Ersetzen-Können" (Mecmo- bzw. Micmo- in der Bedeutung ,anstelle') zum Ausdruck gebracht wird. Die beiden sorbischen Sprachen bilden hierbei eine Ausnahme, indem das Obersorbische neben (dem wohl durch das Deutsche motivierte) pronomen auch das slawische namestnik (in der Bedeutung von Stellvertreter') kennt, mit dem auf niedersorbischer Seite einzig der Begriff pronomen korreliert. Im Allgemeinen kann für Pronomina festgehalten werden, dass sie sich durch scheinbar gegensätzliche Eigenschaften definieren lassen, indem mehreren nach Ganzheitlichkeit strebenden Benennungsversuchen eine kleine und kompakte bzw. unveränderliche Gruppe von Wörtern gegenübersteht. Diese Abgeschlossenheit nach außen geht mit einer ausgeprägten morphologischen und semantischen Heterogenität und Differenzierung im Inneren einher.2 1 In terminologischer Hinsicht trifft man im Rahmen des Bosnischen, Kroatischen, Serbischen (und auch Montenegrinischen; im Folgenden werden diese vier Sprachen auf neustokavischer Basis auch als B/K/M/S bezeichnet) in der bosnischen Grammatik von Jahic/Halilovic/Palic 2000 (245) neben zamjemice auch auf den Begriff upucenice, der im Besonderen die verweisende Funktion von Pronomina {uputiti = ,/ver-, hin-/weisen, zeigen'; auch: ,senden') herausstreichen soll. 2 Bezüglich der Abgeschlossenheit der Wortart der Pronomina vgl. Schulz/Griesbach (1978), wo für die deutsche Sprache davon gesprochen wird, dass der „Bestand an Pronomen" [sie] fest und „nicht mehr erweiterungsfähig /.../" sei. Gleichzeitig wird auch analog zu den Grammatiken anderer Sprachen auf den „verhältnismäßig reichen Bestand an Flexionsformen" verwiesen (Schulz/Griesbach 1978: 150). In Babic et al. (1991) ist in Bezug auf die Anzahl die Rede von rund 100 unterschiedlichen Pronomina im Kroatischen, deren Bestand unverändert bleibe und sich nicht vergrößere (Babic et al. 1991: 646). - 22 --Silvia Centralis 1/2014 - Diachrone und synchrone Aspekte von Personal-, Possessiv- ... - Personalpronomina Im Vergleich zu den slawischen Gegenwartssprachen weist die älteste slawische Schriftsprache, das Altkirchenslawische, bei den Personalpronomina zwei wesentliche differenzierende Aspekte auf, die sich im Vorhandensein des Duals und im Fehlen von „klassischen" pronominalen Formen für die 3. Person äußern, an deren Stelle die anaphorischen Pronomina distalen (d. h. auf größere Distanz verweisenden) Typs (oNß, ©na, oho bzw. *h, *k3) mit (ebenfalls) suppletivem Stammwechsel4 standen. Ein augenscheinlicher Unterschied zwischen der Sprache Kyrills und Methods und der Mehrzahl der slawischen Sprachen liegt in der Gestalt des Pronomens in der 1. Person Singular vor (a3ß) und betrifft zum einen die Opposition zwischen konsonantischem und vokalischem Auslaut und zum anderen die Existenz bzw. das Fehlen der i-Prothese. Bei einer Gegenüberstellung nach dem Auslaut wird eine innere territoriale Gliederung offenbar, im Rahmen derer sich in Abhängigkeit von konsonantischer Archaizität und vokalischer Innovation zwei Gruppen differenzieren lassen: Während die Ost- und Westslawia durchgehend vokalische Endungen auf -a5 aufweisen, stellt sich die Lage innerhalb der Südslawia komplexer dar, weil hier eine areale Opposition zwischen nördlicher und südlicher Peripherie einer- und dem von B/K/M/S gebildeten südslawischen Zentralraum andererseits vorliegt. So zeichnen sich bezüglich der standardologischen Lösungen das Bulgarische und Mazedonische als ostsüdslawische Sprachen und das Slowenische als nördlichste Sprache dieses Areals durch Bewahrung der konsonantischen Endung aus (Bulgarisch: a3, Mazedonisch:y'ac, Slowenisch:jaz).6 „Unterhalb" der Ebene des Standards lässt sich jedoch auch innerhalb des B/K/M/S-Sprachraumes ein (marginales und unter dem Einfluss des Stokavischen möglicherweise in Zukunft schwindendes) Bewahren konsonantischer Endungen feststellen, wie es etwa in den kajkavischen Dialekten von Bednja (im kroatischen Zagorje), Varazdin (jeweils joz - neben jo - mit geänderter Vokalqualität) und in der Region Gorski Kotar (est, wohl mit Anlehnung an die angrenzenden slowenischen Dialekte) der Fall ist (vgl. Wonisch 2000: 16-21). Auslautendes -z bzw. -s liegt daneben auch noch in Teilen des nördlichen cakavischen Dialektareals vor, wo 3 Bei diesen drei Formen handelt es sich um theoretische Konstruktionen durch Wegnahme des Suffixes - (Russisch), mhow (Ukrainisch) und mhoü, mhok> (Weißrussisch) durchgehend vokalischen Auslaut als Ergebnis der seinerzeitigen Endung auf -offi. Die B/K/M/S-Lautung auf -m stellt hingegen eine auf das 15. Jahrhundert zurückgehende Angleichung an das Paradigma der a-Deklination dar, die bedingt durch den Zusammenfall mit der o-Deklination (vgl. jezikom, zenom) zu einem Schwinden von ehemaligen mnoju oder manoju führten (vgl. Leskien 1914: 455-456). Ein Blick in die (im Vergleich zum Standard durchaus archaische) Dialektlandschaft von B/K/M/S kündet jedoch - erwartungsgemäß - in manchen kajkavischen und 9 Vgl. dazu die Lautungen in den baltischen Sprachen, wo für das Litauische zweisilbiges manqs (Genitiv) und mane (Akkusativ), für das Lettische manis und mani und für das (im östlichen Lettland beheimatete) Lettgälische mane, mani im Genitiv und mani im Akkusativ gilt. Alle diese drei Sprachen zeigen in den Kasus obliqui durchgehend den Wurzelvokal -a-. 10 Information nach Sydor 2002 (133), der in diesem Zusammenhang die Lexeme mhhco, mhrh u. a. nennt, die in dieser Form in der Slawia unikal sind. 11 Als unikal innerhalb der Slawia kann die zweisilbige Lautung im Slowenischen angesehen werden, die von einem Vokalismus mit zwei Qualitäten zeugt. Hierbei kann -e- in menoj wohl in Analogie zum übrigen Paradigma gesehen werden, das einen Ausgleich gemäß der Genitivlautung herstellte. Die in allen Werken sekundär genannte Form mano hingegen lässt sich am ehesten als nordsüdslawischen a-Vokalismus erklären, der auch in den nahe gelegenen kajkavischen und cakavischen Dialekten angetroffen wird, wo ebenfalls Formen mit -a- erhoben wurden (so etwa manu bei Jedvaj 1956: 306 und manon bei Kaisbeek 1998: 162 u. a.). Auf diese Weise liegt an der südslawischen Peripherie eine Isoglosse vor, die einen Wandel von ß > a auch in ehemals schwacher Position zeigt. — 25 — Arno Wonisch (nördlichen) cakavischen Idiomen noch von der Existenz von Formen des Typs mano, manu u. a.,12 die einen Beleg für die Existenz der älteren Gestalt im B/K/M/S liefern. Possessivpronomina Im Rahmen der Klasse der Possessivpronomina möge eingangs ein Verweis auf die altkirchenslawischen Lautungen moh, mora, moè und Nawh, nawa, Harne ergehen, die dem weichen Deklinationsmuster folgen. Das Entstehen dieser pronominalen Formen basiert auf einer Verschmelzung der possessiven Suffixe *ib, *ia, *ie mit dem Stamm der Kasus obliqui der Personalpronomina der 1. und 2. Person (Singular wie Plural), die zu Lautungen entsprechend der Stäm-me to-, t- (Singular) und n-, v- (Plural) führten.13 Für Sprechende südslawischer Sprachen mag es bemerkenswert erscheinen, dass das auf südslawischer Basis entstandene Altkirchenslawische kein Possessivpronomen für die 3. Person kannte. Diese Funktion wurde in der ältesten slawischen Schriftsprache von genitivischen Formen der entsprechenden Personalpronomina übernommen, die in meist postpositiver Position auf Besitzzugehörigkeiten verwiesen und zur Verstärkung vielfach auch um das anknüpfende Partikel -