XI. der k. Staats - Oberrealschule in Veröffentlicht 1881. Marburg. von der Direktion am Schlüsse des Studien MARBURG. Verleg der k. k. Olierrealscbule — Dmrk von Kd Jinickiti. ,88». 1. Beaumarchais — Figaro. Eine kultur- und literarhistorische Skizze. (Zweite Hälfte.) Von Professor August N é m e č e k. 2. Schulnachrichten. Vom Direktor. » Beaumarchais- Figaro. Eine ls-u.lt-u.r- uad literarlxistoriselie Slsizze. (Fortsetzung und Schluss.) B. Der Barbier von Sevilla. Zur Zeit als der Prozess gegen Goezmann noch in der Scltwebe war, bekam der kühne Memoirenschreiber Beaumarchais unter den zahllosen Zuschriften auch einen Brief von Bernardin de St. Pierre, einem damals noch unbekannten jungen Autor. Der Brief datiert vom 12. Dezember 1773 — das Jahr vor der Aufführung des Barbiers von Sevilla — und handelt eigentlich über den uns bekannten Kritiker Marin, der, nach dem Geschriebenen zu schliessen, dem Anfänger Bernardin ebenfalls übel mitgespielt haben muste. Eine Stelle darin beweist aber recht deutlich, dass es schon damals in Frankreich Männer gab, die mit dem Scharfblick eines ächten Genies die Begabung unseres Autors für das Lustspiel bereits in den Memoiren entdeckten. Bernardin schreibt nämlich: „Sie können überzeugt sein, dass ich Ihnen die vollste Anerkennung zolle als einem Schriftsteller, der angethan ist, den Ruf eines Molière zu erreichen.“ Ich führe diesen Ausspruch an, weil er für die folgende zweite Hälfte meiner Arbeit den Text abgeben kann. Die erste Hälfte, die meinem Plane gemäss einen fast ausschliesslich kulturhistorischen Inhalt bot, erfüllte doch nur die sekundäre aber höchst wich fige Aufgabe, das Interesse an dem Autor und seinen Werken rege zu machen, den inneren Zusammenhang derselben mit ihrer Zeit herzustellen, sie in das richtige Licht zu bringen, ohne welches •Be Pointen keine Funken sprühen würden; kurz, sie sollte dem Leser der Beiden Lustspiele diejenige Brille aufsetzen, welche sein Auge befähigt, zwischen den Zeilen zu losen. Daraus ergiebt sich zugleich, dass diese zweite Hälfte keine rein literarische sein wird, weil sich bei der Eigenart und l’endenz des Barbiers von Sevilla ebenso wie der Hochzeit des Biga ro das kulturhistorische Element immer wieder in den Vordergrund drängt. Ich habe zwar in der Einleitung auf diesen Umstand hingewiesen, glaubte ihn aber hier ins Gedächtnis zurückrufen zu müssen, um einem möglichen Vorwurfe zu begegnen, der meine Behandlungsweise der Komödien treffen könnte. Bei der Lebensbeschreibung Beaumarchais’ ist bereits die Geschichte der Entstehung, der Wandlungen und des endlichen Erfolgs, den der Bar-Bier von Sevilla bei seiner zweiten Aufführung errungen hatte, eingehend 1* * erörtert worden, Ich kann somit dies Alles als bekannt voraussetzen und auf die Besprechung und Beurtheilung des Stückes selbst sofort eingehen. Da ich nicht an nehmen kann, dass alle meine Leser die W erke Beaumarchais’ bereits gelesen hät^n, so habe ich bei beiden für einen genauen, wenn auch äusserst gedrängten Inhalt gesorgt und zugleich alle diejenigen Stellen, die ich zum Verständnis des Autors für wichtig hielt, wörtlich mitgetheilt. Der Plan des Barbiers ist, wie Jedermann sofort sehen wird, weder neu, noch gross in seiner Anlage. „Im Hause drinnen, sagt darüber St. Beuve, ein naives, sauberes Mündel und ein alter verliebter, eifersüchtiger Vormund, draussen ein hübscher Liebhaber mit einem listigen, in allen Kniffen bewanderten Diener, der seinen Herrn ins Haus einführt — giebt es da noch etwas Allgemeineres in einem Theaterstück? Doch wie hebt und verjüngt sich das Alles unter der genialen Feder Beaumarchais’“. „Was mich anbelangt, sagt Beaumarchais in der Vorrede zum Barbier, so war es mir — da ich auf diesem Plane nur ein unterhaltendes und leichtes Stück aufbauen wollte, eine Art Imbroglio — genügend, dass der Ränkeschmied nicht eben ein finsterer Missethäter, sondern ein drolliger Kauz sei, ein Mensch ohne Sorgen, der ebenso (wie ich) über den Erfolg wie über das Mislingen seiner Unternehmungen lacht, damit das Werk ein recht heiteres Lustspiel werde.“ Wie weit ihm dies gelungen ist und wiefern St. Beuve Recht hat, mag der Leser aus dem Folgenden selber beurtheilen. I. Akt. Sehr früh am Morgen geht der Barbier Figaro in der Nähe seines Ladens spazieren. Die Strasse ist noch menschenleer und so kann er sich ungeniert seiner Liebhaberei, — dem Versemachon hingeben. Er schmiedet Reime zu einem Liede und die Guitarre auf seinem Rücken soll ihm behlllf-lich sein, dazu sofort die Melodie zu komponieren. Plötzlich bemerkt er einen Fremden, dem sein Erscheinen unbequem zu sein scheint. Beide kommen sich bekannt vor; endlich erkennt Figaro seinen ehemaligen Herrn, den Grafen Almaviva wieder. Diesen hat die Liebe zu einem jungen Mädchen, das er zufällig in Madrid gesehen, nach Sevilla gezogen, wohin der Vormund es gebracht hatte und das er, um die jungen Leute von ihm abzuhalten, für seine Frau ausgab. Der Graf ist verwundert, Figaro in Sevilla zu treffen, da er ihn * doch seinerzeit dem Minister empfohlen hatte. Figaro erzählt nun, dass diese Empfehlung ihm sofort die Stelle eines Apothekergehülfen in einem—Gestalt eingetragen und als solcher habe er gute Pl'erdemedizinon auch kranken Leuten verkauft ; aber seine Liebe zur Poesie, die sich nach dem Ausspruche des Ministers mit dem Geschäftsgeiste nicht vertrüge, habe ihn um die Stelle gebracht. Graf (beständig ein Fenster des gegenüberliegenden Hauses fixierend): Ja hast Du ihm denn nicht Vorstellungen gemacht? Figaro : Ich hielt mich für glücklich genug, von ihm vergessen zu werden, in der Ueberzeugung, dass uns ein hoher Herr genug Gutes erweist, wenn er uns kein Leid zufügt. Graf : . Du sagst wohl nicht Alles, Ich erinnere mich, dass Du in meinen Diensten ein Thunichtgut warst. Figaro : Ach, mein Gott! gnädiger Herr, man will eben immer, dass der Arme fehlerlos sei. Graf : Faul, unordentlich — Figaro : Da schon von den Tugenden die Rede ist, die man von einem Diener verlangt, — kennt Ew. Excellenz nicht viele Herren, die es wert wären, Diener zu sein? — Nach seiner Rückkehr nach Madrid schrieb Figaro für das Theater, wurde aber trotz der gut organisirten Claque ausgepfiffen. Figaro : Aber sollte es mir je gelingen, die Leute wieder hineinzubringen . . Graf: So wird Dich die Langeweile au ihnen rächen. Figaro : Ach, auf die rüst’ ich mich, morbleu ! Graf: Du fluchst? Weist Du nicht, dass man bei Gericht nur vierundzwanzig Stunden dazu hat, um seine Richter zu verwünschen? Figaro : Am Theater hat man dazu vierundzwanzig Jahre. Das ganze Leben ist zu kurz, um eine solche Rache zu erschöpfen. *) — Ein guter Engel gab ihm schliesslich den Gedanken ein, Madrid und die Dichtkunst summt all’ den lästigen Insekten, die sich an letztere heften, als da sind: Neider, Kritiker, Gensoren, Buchhändler, Gläubiger u. s. w. im Stiche zu lassen und als Barbier die Provinzen Spaniens zu durchwandern. Hier gut empfangen, dort ins Loch gesteckt, immer fühlt er sich den Ereignissen überlegen ; da gelobt, dort getadelt (bifune), der Dummköpfe spottend, den Bösewichtern Trotz bietend, über sein Elend lachend und Jedermann rasierend, im übrigen bereit seiner Excellenz zu Diensten zu stehen. Graf: Wer flösst Dir diese heitere Philosophie ein? Figaro : Die beständige Bekanntschaft mit dem Unglück. Ich zwinge mich über Alles zu lachen, aus Furcht, darüber weinen zu müssen. — Plötzlich öffnet sich die Jalousie eines Erkers ihnen gegenüber und Bartholo und Rosine zeigen sich am Fenster. Sie athmet mit Wonne die frische Morgenluft ein, während er über die neuen Erfindungen raisonniert. Plötzlich fällt ihr ein Notenstück, ein Couplet aus dem neuen Lustspiel „die eitle Vorsicht“ auf die Gasse und während Bartholo hinuntergeht, um es aufzuklauben, rafft es der Graf auf, findet ein Billet darin und entfernt sich schleunig mit Figaro. Bartholo sucht deshalb vergebens, bemerkt zu spät, dass ihn sein Mündel gefoppt hat und nimmt sich vor, in Zukunft auf seiner Hut zu sein. Das Briefchen enthält eine Bitte Rosinens an ihren unbekannten Anbeter, seinen Namen und seine Absichten singend kundzuthun und sich dabei der Noten des Couplets zu bedienen. Da inzwischen Bartholo das Haus ver- ') Diese Antwort und die vorhergehende Frage sowie das später vorkommende ’’ ort „blàtné“ finden sich nicht im ersten Manuskripte und wurden erst nachträglich ein -gesetzt. Man hört da unverkennbar den Verurthcilten im Prozess Goüzmann, der sich Lu.r,d*e ihm zuerkannte „blämo“ revanchiert. Uebrigons ist dies unstreitig eine von jenen stellen, die man unserem Autor mit Recht zum Vorwurf macht, da er die Gelegenheit, 0|nen Seitenhieb auszuführen, bei den Haaren herbeizieht. lässt, um Basii, seinen Vertrauten, aufzusuchen und dio Beschleunigung der Vorbereitungen zu seiner Heirat mit Rosinen zu betreiben, so beeilt sich der Graf, dem Wunsche seiner Angebeteten nachzukommen, und Rosinchen giebt ihm auf dieselbe Weise zu verstehen, dass sie seine Liebe erwiedcro. Der Graf ist ganz Feuer und Flamme und nimmt sich vor, Rosine zu heiraten. Aber wie thun, um die Hochzeit des Alton zu verhindern. Da schafft Figaro Rat. Er ist Bartholos Mieter und Leibbarbier, zugleich auch Chirurg in dessen Hause. Als solcher weiss es daselbst gut Bescheid und verpflichtet sich die Dienerschaft unschädlich zu machen, während sich der Graf als Soldat verkleidet mittelst eines Quartierzettels Eingang verschafft. Um die nötigen Vorbereitungen zu treffen, trennen sich die Beiden. II. Akt. Wir finden Figaro in vollster Thätigkeit. Er hat die Abwesenheit des Doktors benützt und das Gesinde auf chirurgischem Wege dienstuntauglich gemacht. Dem einen gab er einen Schlaftrunk, dem anderen ein Niess-mittel und der Haushälterin Marcellino lioss er am Fuss zur Ader. Rosine ist also unbewacht und schreibt einen Brief an ihren Lindor — dieses Pseudonym hat sich der Graf im Liede beigelegt. Figaro kommt ihr gerade recht, um das Briefchen abzuholen und sie in ihrer Liebe zu Lindor zu bestärken. Er hat kaum Zeit in ein Nebenzimmer zu springen und sich daselbst zu verbergen, denn plötzlich kehrt der Doktor zurück, ganz verdriesslich, Basii nicht gefunden zu haben und entdeckt sofort dio Unordnung im Hause. Als er seine beiden Diener zur Rode stellt, kann ihm der eine vor lauter Gähnen kaum antworten, der andere niesst ihm beständig ins Gesicht. Bartholo meint, dass sie mit Figaro unter einer Decke stecken. Das beleidigt den alten La Jeunesse und er ruft aus : „Ist das eine Gerechtigkeit?!“ x) Bartliolo : Was Gerechtigkeit, das wäre so was für Euch, erbärmliche Wichte. Gerechtigkeit!— Ich bin Euer Herr, um immer Rocht zu behalten. La Jeunesse: Ahor, potz Blitz ! wenn etwas wahr ist — Bartholo : Wenn etwas wahr ist ! Wenn ich nicht will, dass es wahr sei, so behaupte ich, dass es nicht wahr ist. Man gestatte nur allen diesen Halunken, dass sie Recht behalten, dann wird man bald sehen, was aus der (öffentlichen) Autorität wird. — Inzwischen kommt Basii mit der Nachricht, dass der Graf Almaviva in der Stadt gesehen wurde ; er rät seinem Meister, den hohen Herrn, dem man mit Gewalt nicht beikommen könne, insgeheim durch Verleumdungen zu vernichten. “) Bartholo : Ein sonderbares Mittel das, sich eines Menschen zu entledigen. Basii : Die Verleumdung, mein Herr ! Sie wissen wol gar nicht, was Sie verschmähen ; ich habe gesehen, wie die anständigsten Leute ') Ursprünglich stami an dieser Stelle das Wort: raison; lt. strich es nachträglich aus und schrieb juetico, um wieder auf seine Richter anzuspielen. ') Die folgende Tirade befand sich anfangs nicht in dein ersten Manuskripte, sondern wurde vom Autor für die erste Aufführung des Stückes auf einen Papierstroifen geschrieben und dazu geklebt. Da sie zu den Glanzstellen des Barbiers gehört, so gebe ich sie in der Uebereetzung wieder. Der Luitspieldichter, der so viel von der Verleumdung seiner Gegner zu leiden hatte, empfand das Bedürfnis sich zu rächen. nahe daran waren, von ihr zermalmt zu werden! Glauben Sie mir, es giebt keine platte Bosheit, keine Abscheulichkeit, keine absurde Neuigkeit, die man den Müssiggängern einer grossen Stadt nicht auf binden könnte, wenn man es beim rechten Ende anpackt: und wir haben hier Leute von einer Geschicklichkeit! . . . Zuerst ein leises Gerede, das am Boden dahinstreift, wie die Schwalbe vor dem Sturm, pianissimo, das murmelt und schnurrt und streut unterwegs das vergiftete Wort aus. Da fängt es ein Mund aut und piano, piano lässt er es Euch geschickt ins Ohr gleiten. Das Uebel ist geschehen ; es keimt, es rankt sich in die Höhe und bricht sich Bahn, rinforzando, von Mund zu Mund braust der Satan dahin und plötzlich, man weiss gar nicht wie, bemerkt man, wie die Verleumdung sich streckt, zischt, sich aufdunst, zusehends wächst. Sie schwingt sich in die Höhe, iliegt hin und her, dreht sich im Wirbel, umgarnt, entreisst, schleppt hinter sich her, bricht los und donnert und wird — dem Himmel sei’s gedankt, ein unisono, ein offenkundiges crescendo, ein Universalchorus des Hasses und der Proskription. Welcher Teufel vermag da noch Widerstand zu leisten? — In Anbetracht der drohenden Gefahr will Bartholo seine Heirat beschleunigen, wird aber von Basii darauf aufmerksam gemacht, dass er selbst an der Verzögerung Schuld trage, weil er mit dem Gelde feilsche; in seiner Eigenschaft als Musiklehrer entnimmt Basii ebenso wie in der vorigen Tirade seinen Vergleich der Tonkunst: „Eine ungleiche Heirat, ein ungerechtes Urtheil, eine offenkundige Rechtsverdrehung bilden in der Harmonie der rechten Ordnung der Dinge Dissonanzen, auf die man mit dem vollendeten Einklang des Goldes vorbereiten muss, um sie durchzubringen.“ Bartholo giebt endlich das verlangte Geld und begleitet seinen Helfershelfer hinunter, um hinter ihm die Gassenthür zuzuriegeln. Figaro schlüpft nun aus dem Kabinet, in das ihn die unerwartete Heimkehr des Hausherrn verschlagen hatte, heraus. Er war unfreiwilliger Zeuge des soeben stattgehabten Gespräches. Vor Basii und seinem Anschlag fürchtet er sich nicht, denn der Mann ist viel zu dumm, um seinen Plan durchführen zu können, „Um mit der Verleumdung Aulseben zu erregen, meint er, muss man von Stand sein, Familie, Namen, Rang und Ausdauer besitzen." Während Bartholo zu Rosinen zurückkehrt und ihr sofort, nachdem er sich im Zimmer umgesehen, haarklein nachweist, dass sie einen Brief geschrieben habe, schleicht sich Figaro aus dem Hause und lässt für den Grafen die Thür offen. Dieser kommt nun scheinbar angeheitert und verlangt Quartier. Bartholo entfernt Rosinen aus dem Zimmer und macht dem vermeintlichen Soldaten begreiflich, dass er von der Einquartierung befreit sei. Da dieser aber aufbegehrt, so kommt Rosine, die ihren Anbeter erkannt hat, dem Vormund zu Hülfe. Der Graf steckt ihr heimlich ein Billet zu, aber der Argus hat die Manipulation bemerkt und nachdem er endlich den Grafen doch hinausgeschafft hat, verlangt er den Zettel zu sehen. Rosine behauptet, es sei der Brief, den sie jüngst von ihrem Cousin bekommen, weigert sich über, ihn zu zeigen. Während Bartholo die Thür zuriegelt, um ihr daun ungestört das Billet mit Gewalt zu nehmen, tauscht Rosine die Briefe aus, fällt in Ohnmacht und giebt dem eifersüchtigen Alten Gelegenheit, ihr vermeintlich unbemerkt den ausgetauschten Zettel aus der Tasche zu ziehen und sich zu überzeugen, dass er wirklich vom Cousin stammt. Nachdem Posino zu sich kommt, erfolgt eine rührende Versöhnungsszene, worauf Bartholo zu Marcellinen geht, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Posine liest den Brief des Grafen, der sie dringend bittet, mit ihrem Vormund zu schmollen, Und sie hat sich die schönste Gelegenheit dazu soeben entwischen lassen ! 111. Akt. Dieser Akt enthält eine Reihe hochkomischer Szenen, ohne die beständigen Seitenhiebe, die Figaro in den zwei ersten ausgetheilt hat. Da es mit dem Einquartierungszettel nicht gelungen ist, so kommt der Graf als Licenziat Alonzo, Schüler Basils und Organist eines Nonnenklosters, um an Stelle Basils, der plötzlich unwol geworden war, die Musikstunde mit dem Fräulein zu halten. Bartholo, den die plötzlich erwachte heftige Laune seines Mündels verdriesst, will Alonzo gar nicht hören, bis dieser von einem Briefe Rosinens spricht, den er aufgefangen hat; er giebt dem Doktor sogar den Rat, den Grafen mit diesem Briefe bei Rosine zu verleumden und bietet sich au zu bezeugen, dass ihn eine Schöne vom Grafen bekommen hat Da es sich ums Verleumden handelt, glaubt Bartholo endlich an Alonzos Sendung, bittet ihn sogar, die Musikstunde zu geben und bringt Rosine, die sich ihrer momentanen Rolle gemäss gegen Alles sträubt, was Bartholo von ihr verlangt, mit Gewalt in das Klavierzimmer hinein. Diese stösst einen Schrei aus, als sie ihres Lindor ansichtig wird, fasst sich aber und schützt eine Verstrauchung vor. Bartholo eilt ins Nebenzimmer um ein Fauteuil und will den Lehrer entfernen. Rosine besteht aber darauf die Lektion zu nehmen und singt eine Arie. ') Der Alte nickt dabei ein und die Liebenden finden Gelegenheit, einige Zärtlichkeiten auszutauschen ; das plötzliche Verstummen der Musik weckt ihn aber wieder auf. Er rai-sonniert über die modernen Arien und singt ihnen mit schnarrender Stimme ein altes Lied vor, das auf ihn und Rosine passt. Da kommt Figaro, um den Alten zu rasieren. Dieser will sich aber nicht rasieren lassen, hält ihm eine Standrede, die in einen bissigen Wortwechsel ausartet. Endlich muss er sich doch zum Rasieren bequemen. Zu dem Zwecke soll er aber, da seine Leute alle arbeitsunfähig sind, selbst die Utensilien herbeischaffen. Er verlässt das Zimmer, indem er Alonzo ermahnt, auf Figaro Acht zu geben, kehrt aber sofort wieder zurück und giebt Figaro den Auftrag, das Nötige zu holen. Dieser geht und lässt das ganze Geschirr auf der Treppe fallen; der Lärm treibt den Alten aus dem Zimmer. Schliesslich wird Bartholo rasiert, er beobachtet aber dabei unausgesetzt die jungen Leute, die dem Anscheine nach von Musik sprechend, eine Zusammenkunft um Mitternacht im Erker verabreden. Da erscheint plötzlich Basii und führt eine köstliche Szene herbei. Alle Anwesenden, Bartholo mit einbegriffen, bringen den alten Gauner so aus dem Kontext, dass er sich nicht mehr auskennt und schliesslich in sich hinein brummt: „Wen zum Teufel hält man denn hier zum Narren?“ Alle raten ihm nacheinander, zu Bette zu gehen und sich zu pflegen, bis er sich endlich doch zurückzieht, dem Gewichte der Börse nachgebend, die ihm der Graf unbemerkt in die Hand drückt. Figaro rasiert weiter und verstellt, so gut er kann, dem Doktor die Aussicht. Plötzlich schiebt ihn dieser beiseite und belauscht das Gespräch des Grafen, der soeben von seiner Verkleidung und dem Briefe erzählt. Da gehen dem Alton die Augen auf. Der Graf und Figaro verlieren sich, indem sie ihn einen Narren schelten. Er selbst eilt aus dem Ilause, um sich von Basii die Sache aufklären zu lassen. ') Bei Besprechung des Stückes in der Lebonsboschreibung ist erwähnt worden, dass Beaumarchais aus den ursprünglichen vier Akten fünf gemacht hat. Au obiger Stelle fragte der Oral, nachdem Rosine ilio Arie gesungen batte (ohne Klavierbegleitung), ob sie nicht auch das Recilativ, welches auf die Arie folgt, singen wolle. Diese meint, es müsse am Klavier begleitet worden, welches eich im Nebenzimmer befindet; die jungen Leute wollen den Alton überroden, von draussen zuzuhören, aber er lässt sich nicht abhalten und folgt ihnen ins Kabinet nach. Mit diesem mageren Zwischenfall sohliesst der dritte Akt. Im vierten kommen wieder alle aus dem Kabinet heraus. Bartholo lobt das Lied, beklagt sich aber über die Hitze in dem kleinen Raum und nimmt sich vor, das Klavier in das grosso Zimmer stellen zu lassen. Darauf spielt die obige Szene weiter. IV. Akt. Inzwischen ist es Nacht geworden und ein Gewitter ist losgebrochen, das zu Anfang des vierten Aktes weiterstürmt. Bartholo kommt mit Basii zurück. Dieser weiss nicht recht, ob Almaviva selbst ihm die Börse zugesteckt habe, aber nach dem Inhalte derselben zu scliliessen, dürfte er es gewesen sein. Er rät dem Doktor ab, sein Mündel zu heiraten, aber dieser geht über alle Bedenken hinweg und verlangt den Notar noch in derselben Nacht. Basii meint, dieser könne erst am nächsten Morgen kommen, da er mit der Heiratsangelegenheit von Figaros Nichte beschäftigt sei. Der Doktor wittert ein Komplot, denn er weiss, dass Figaro keine Nichte besitzt. Er giebt Basii den Ilauptsehlüssel und drängt ihn in die stürmische Nacht hinaus, um den Notar zu holen. Da schlägt es eben Mitternacht und Rosine kommt voll Angst und Erwartung ins Erkerzimmer. Bartholo überrascht sie daselbst, zeigt ihr den Brief, den sie an Binder geschrieben, redet ihr ein, dass sie der junge Musiklehrer einem hohen Herrn verkuppeln will. Rosine schenkt dem Geschwätz Glauben, weil sie den Stand ihres Geliebten nicht kennt, und um sich zu rächen, willigt sie ein, ihren Vormund zu heiraten. Zugleich theilt sie ihm mit, dass Figaro sich den Schlüssel zum Erkerfenster angeeignet hat und dass er um Mitternacht mit Binder kommen wird. Bartholo geht, um bewaffnete Macht zu Hülfe zu rufen, den Beiden aufzulauern und sie als Einbrecher einzufangen. Rosine entschliesst sich nach einigem Zögern doch noch, auf Binder zu warten, aber nur, um ihm das Schändliche seiner Handlungsweise vorzuhalten und ihre Verachtung zu bezeigen. Da kommt der Graf mit Figaro beim Fenster herein, klärt das Misverstäudnis auf und sie willigt ein, seine Frau zu werden. Plötzlich hört man die Hausthür aufgehen ; Rosine glaubt, ihr Vormund nahe mit den Wachen; vorläufig ist es aber nur Basii mit dem Notar. Der Heiratskontrakt wird gleich unterfertigt, Basii selbst muss als Trauzeuge dienen. Da kommt der Doktor mit den Polizeileuten gerade noch recht, um ebenfalls den Kontrakt zu unterzeichnen, nachdem der Graf auf das Vermögen Rosinens zu Bartholos Gunsten Verzicht geleistet hat, Hiemit endigt auf eine heitere, leicht vorauszusehende Weise das lebensfrische, launige, stellenweise sogar ausgelassen lustige Intriguenstück, iu dem Beaumarchais, um mich der Worte eines Biterarhistorikers zu bedienen, „einen Blick in die in sich befriedigte Unendlichkeit der menschlichen Natur eröffnet und dadurch auf den Zuschauer bezaubernd wirkt." Nach einer meisterhaften Exposition zu Anfang des ersten Aktes, in welcher man unmerklich mit den handelnden Personen und ihren Charakteren, vor allem über mit dem Haupthelden des Stückes „Figaro“ bekannt wird, entwickelt sich wie in einem Kaleidoskop ein Bild nach dem ändern, eines bunter, farbenfrischer, reizender als das andere. Man lese nur die Szene zu Ende des zweiten Aktes zwischen dem Soldaten (Almaviva), Bartholo und Rosine, in welcher zum Schluss das naive Kind dem alten Schurken ein Paroli bietet. Man lese weiter Bartholos Rasierszene, in welcher der Alte und sein würdiges Gegenstück Basii auf eine so kühne Weise gefoppt werden; diese Szene ist entschieden der Glanzpunkt des Barbiers und hat etwas ganz Neues geboten. Nicht neu ist die Weise, wie Bartholo sich die Enttäuschung und moralische Entrüstung seines Mündels zu Nutzen macht; um so drolliger ist aber die daraus hervorgehende Szene, wie Bartholo mit Sicherheitsleuten das Haus bewacht, während oben der Heiratsvertrag des Grafen mit Rosine unterzeichnet wird. So wird, wie das im Leben so oft geschieht, einem grundgescheiden und verschlagenen Menschen trotz allen seinen Vorsichts-massregelu, trotz seiner Dienerschaft im Hause und einem abgefeimten Spitzbuben von Helfershelfer Fässer dem Hause, auf die possierlichste Weise von einem noch pfiffigeren Kauz ein Schnippchen gedreht. Was sind denn alle Vorsichtsmassregelu für unseren Figaro! Er ist überall und nirgends, dabei aber immer im entscheidenden Augenblicke eingreifend. Seine Schlagfertigkeit verlässt ihn nie. Als ihn der Doktor in Anwesenheit seiner Diener über den Zustand derselben zur Rede stellt: „Was sagst Du zu diesem Unglücklichen, der gähnt und schläft, wo er steht? Was zum anderen, der seit drei Stunden niesst, dass ihm der Schädel platzen und das Gehirn herausspritzen muss? Nun, was sagst Du dazu?' — „Eh, parbleu, ich sage zu dem, der niesst: Ilelf’ Gott! und zu dem der gähnt: Leg’ dich nieder!“ Je grösser die Schwierigkeiten sind, die sich ihm entgegenstellen, desto grösser auch der Reiz, sie zu bewältigen. Wahrscheinlich ist er des Sprichwortes eingedenk: Dem Kühnen ist das Glück hold; es bewahrheitet sich aber auch thatsächlich bei ihm, denn gerade diejenigen Mittel, welche dem Alten den Erfolg zu sichern scheinen, z. B. damals, als der Doktor seinen Hauptschlüssel dem Basii giebt, damit ja Niemand als dieser und der Notar eintreten könnte, schlagen zu Figaros Gunsten aus und begründen die Lösung des Stückes. Mehr als Jemand wüste Beaumarchais die schönen Seiten seines Erstlingswerkes, dem man bei seinem Erscheinen so arg mitgespielt hat und das ihm dafür umsomehr ans Herz gewachsen war, herauszukehren; er tliat es in der ziemlich langen Vorrede zum Barbier, als derselbe ein Jahr nach der Aufführung in Druck erschien. Aber es ergeht dem Autor wie den meisten Vätern mit ihren Erstgeborenen; er ist so gut wie blind für die Ungezogenheiten und Ungereimtheiten, das heisst für die Schattenseiten desselben. Mit possierlicher Selbstgefälligkeit weist er auf alle Schwierigkeiten hin, die er dem Figaro, d. h. sich selbst auferlegt hat und über die er, so wie sonst im Leben, triumphierend hinwegsetzte. Wir erinnern uns, dass der Barbier ursprünglich ein harmloses vieraktiges Stück war, dessen Aufführung wiederholt verboten wurde; dass weiter der Autor, nachdem er sich die Erlaubnis dazu erfochten, um den schlimmen Ruf des Barbiers zu rechtfertigen, für die erste Aufführung eine Umarbeitung vornahm, die ihm nicht besonders gelungen ist. Nun behauptet er aber in der Vorrede, dass sein Stück — das gedruckte — dasselbe sei, welches bei der ersten Aufführung durchfiel, und setzt unter den Titel mit ziemlicher Dreistigkeit, die ihm der Erfolg hinterher eingeflösst hat, die Worte : „Piece rcpréscntéc et tornirne — ein Stück, das vorgestellt wurde und durchfiel“, und sagt diesbezüglich: „Der Barbier, den man am Freitag begraben, stand am Sonntag siegreich von den Todten auf.“ Er hat insoferne Recht, als Alles, was schön an seinem Stücke ist, auch in dem fünfaktigon bei der ersten Aufführung enthalten war ; nur wollten die Zuhörer damals den unnötigen Ballast, mit dem der Autor das ursprüngliche Stück überladen batte, nicht mit in den Kauf nehmen. Hören wir, wie Beaumarchais die Weglassung des eingeflickten vierten Aktes, den er übrigens selbst das fünfte Rad am Wagen nennt, motiviert. „Der Gott der Kabalen zürnt, sagte ich mit Macht zu den Schauspielern : Kinder, ein Opfer muss hier geschehen ! Alsdann richtete ich den Antheil des Teufels zurecht, zerriss mein Manuskript und rief aus : Gott Aller, die da zischen, sich schneuzen, sich räuspern, husten und Unruh’ stiften, du lechzest nach Blut ; stille deinen Durst mit meinem vierten Akt und möge deine Wut sich besänftigen.“ Die Gegner des Stückes, die um schlechte Witze nie verlegen waren, die wüsten ein anderes Motiv anzuführen ; sie sagten : der Autor habe sich viertheilen müssen, um sich auf der Bühne zu erhalten. Aber bei solchen guten oder schlechten Witzen blieb man nicht stehen, sondern zerlästerto den Barbier nach hergebrachter Manier, so dass kein gutes Haar an ihm blieb. Das Ungewohnte, den traditionellen Regeln, der Schablone Widersprechende an dem Stücke stach zu sehr, und am allermeisten den Lustspieldichtern selbst in die Augen, so dass sie über einigen Mängeln, von denen das Stück ebenfalls nicht frei ist, den eigentlichen Wert desselben übersahen. Es ist wahr, dass einige Szenen zu lebhaft sind und beinahe an das Possenhafte streifen, aber deshalb war es nicht recht, den Barbier von Sevilla eine Posse zu nennen, denn dazu fehlte ihm genau genommen Alles. Dann miiste Bartholo ein blöder Wicht sein, ein Einfaltspinsel, der sich sonder Mühe hinters Licht führen lässt. Dass er nichts weniger als das ist, sagt Figaro selbst, als er ihn im Stile Rabelais’ dem Grafen schildert : ,,Es ist ein hübscher, dicker, untersetzter, junger Greis, grau meliert, listig, glatt rasiert, blasiert, der herumspäht und herumschnüffelt und brummt und ächzt, alles miteinander.“ Dass das Stück auch einige Unwahrscheinlichkeiten birgt, lässt sich ebensowenig in Abrede stellen, nur hätten sich die gleichzeitigen und auch späteren Kritiker, darunter vor allem La Harpe, nicht gerade bei denselben so lange auf halten müssen. Welcher Zuschauer, welcher Leser, den die Lebendigkeit des Dialogs, die sprudelnde Eile der Handlung gewiss unwillkürlich mit sich fortreisst, wird auf den Autor deshalb einen Stein werfen ! Er huscht ja über dieselben mit einer Grazie hinweg, dass man ihrer kaum gewar wird. Und übrigens, war nicht der Barbier als Intrigucnsttick von vornherein zu einigen Un Wahrscheinlichkeiten prädestiniert, ja geradezu berechtigt? Beaumarchais, in mancher Beziehung ein Neuerer und mit einem durchdringenden, scharfen Geiste ausgestattet, ruft seinen ungerechten Beurtheilern ein Wort zu, das übrigens noch heutzutage nichts von seiner Wahrheit verloren hat: „Ich wollte vor allem, dass man unsere Brüder, dio Journalisten veranlassen möchte, auf den Hofmeister- und Amtston zu verzichten, mit dem sie die Solino Apollos zerlästorn und die Dummheit auf Kosten des Geistes zum Lachen bringen. Oeffnet nur ein Journal : dünkt es Euch nicht, einen rauhen Korrepetitor vor Euch zu sehen, der die Zuchtrutho schwingt über den Häuptern nachlässiger Schulbuben?!“ Mau wollte wissen, dass Beaumarchais den Plan zu seinem Lustspiel einer Oper von Scdaino entnommen hat, welche betitelt ist: „Es fällt Einem nie Alles ein.“ Es lässt sich nicht läugnen, dass beide Stücke einige Aehn-lichkeiten aufweisen ; man kann aber deshalb noch nicht behaupten, dass Beaumarchais ein blosser Nachahmer wäre. Als sich einmal Jemand nicht entblödete, unserm Autor diesen Vorwurf ins Gesicht zu schleudern, da antwortete er ganz ruhig : „Ich behaupte sogar, dass mein Stück das : ,Es fällt Einem nie Alles ein1 selbst ist.— Wie so? fragte sein Widersacher.— Weil bis jetzt Niemandem mein Stück eingefallen ist.“ Dem Dilettanten fiel, setzt Beaumarchais hinzu, das Wort in den Brunnen, und man lachte über ihn um so mehr, da er ein Mann war, dem nie etwas eingefallen ist. Weit eher könnte man dies von einem Stücke von Fatouville behaupten, das aus dem Jahre 1692 stammt, denselben Titel führt (La pré-caution inutile) und einen ähnlichen Stoff behandelt. Es ist möglich, dass Beaumarchais sich daraus etwas angeeignet hat, aber dann hat er wol nichts anderes gethan, als vor ihm andere angesehene Lustspieldichter von Molière bis auf Plautus und Terenz zurück. Molière sagt auch ganz frei und offen: Je prends mon bien où je le trouve — ich nehme, wo ich was finde, und Terenz, dem seine Feinde einen gleichen Vorwurf gemacht haben, sagt etwa zwei Tausend Jahre früher in dem Prologus zum Kastrat : „Wenn es verboten sein sollte, Charaktere, die bei Ändern schon Vorkommen, von Neuem auf die Bühne zu bringen, so miiste es auch verboten sein, Sklaven darauf herumlaufen zu lassen, edelmütige Damen, nichtswürdige Buhlschwestern, einen heisshungrigen Schmarotzer, einen Bramarbas von Offizier auftreten zu lassen (— durchwegs Figuren, aus denen die antike Komödie mehr oder weniger bestand) — es dürfte da nichts mehr von unterschobenen Kindern, von Sklaven, die ihre Herren anführen, von Liebe, Hass, Argwohn verkommen, — und kurz : es lässt sich nichts auf bringen, was nicht schon einmal dagewesen wäre. Hoffentlich werden Sie, meine Herren, sagt der Prologus, indem er sich an die Zuschauer wendet, dies beherzigen und es den jetzigen Dichtern nicht übelnchmcn, wenn sie mit den ehemaligen hie und da Zusammentreffen.“ Mutatis mutandis hätte auch Beaumarchais dieselben Worte seinen unbilligen Beurtheilern entgegenhalten können. Eifersüchtige Vormünder, nette Mündel und was sonst noch — gibt es überall, das brauchte Beaumarchais nicht erst bei anderen Lustspieldichtern zu suchen. Aber was er nirgends gefunden hätte, weil er es überhaupt nicht zu suchen brauchte, das ist sein alter ego, unser Freund Figaro, ein Typus seinem Ich entsprungen, ebenso wie Panurgo dom Rabelais, der Misanthrop e, der Malade imaginaire dem Molière, Faust dem Göthe. Was in solchen Fällen gewöhnlich zu geschehen pflegt, geschah auch damals. Das Publikum stellte sich ausgleichend und vermittelnd zwischen den Autor und die Kritik und liess sich durch die letztere den Genuss an der reizenden Schöpfung nicht verleiden. Wir wissen, dass der Barbier seit seiner rapiden Umarbeitung, beziehungsweise seit der zweiten Vorstellung bis zum Schluss der Theatersaison beinahe täglich gespielt wurde. Es ist bereits erwähnt worden, dass die Lustspiele Beaumarchais’ eine neue Gattung in Frankreich begründeten, dass sie politisch-soziale Sa-tyren sind. Die Satyre tritt jedoch im Barhier noch recht bescheiden auf, die Zeit des freien Wortes war noch nicht gekommen. Und dennoch erregte das Stück auch in dieser Beziehung allgemeines Aufsehen. Lassen wir Beaumarchais selbst darüber reden: „Indem ich mich meinem heiteren Temperamente üherliess, hatte ich es darauf abgesehen, die alte ungebundene Fröhlichkeit auf die Szene wieder zurückzuführen, indem ich sie mit dem leichten Ton unserer jetzigen Plaisanterie vermalte. Da aber diese Verbindung etwas ganz Neues hervorbrachte, so wurde mein Stück heftig verfolgt. Es seinen, als ob ich den Staat erschüttert hätte.“ Die Erschütterung, welche der Barbier hervorgebracht hat, war that-sächlich nicht so gross ; es war das ein blosses Plänklergefecht im Verhältnis zu der wahrhaften Schlacht, welche Figaro im „tollen Tag“ den gesellschaftlichen Satzungen geliefert hat, und von dem Napoleon I. selbst gesagt haben soll, „er sei die Revolution in Aktion gewesen.“ Frankreich muste um zehn Jahre älter und gebrechlicher werden, um die resolute Sprache des offenkundigen Revolutionärs Figaro zu vertragen, wie er sie im folgenden Stücke führt. C. Figaros Hochzeit oder: Der tolle Tag. Auch dieses Stück versetzt den Zuschauer nach Spanien, auf das Schloss des Grafen Almaviva in der Nähe von Sevilla. Der Autor behält aber die lokale Färbung nur so weit, als es der innere Zusammenhang mit dem Barbier verlangt; und als ob er sich fürchtete, dass diese ohnedies schwache Tünche die Zuschauer über das Wesen der vorgeführten Personen und über die eigentliche Tendenz des Stückes im Unklaren lassen könnte, so legt er ausdrücklich im Schlusscouplet dem stotternden Richter Brid’oison folgende Worte in den Mund: „Or, mesaieura, la co-omódie Quo Von juge en cè-et instant Sauf erreur, noua pein-eint la vie Du bon peuple qui 1’ entend. Qu’on l’opprime, il peate, il crie, 11 a’agite en cent fa-a^ona: . . . Tout finit par dea chanaona.“ Also das Leben des Volkes, welches dem Lustspiele beiwohnt, wird geschildert, des guten Volkes, das sich zwar gegen die Unterdrückungen mannigfach auflehnt, bei dem sich aber schliesslich doch der natürliche, joviale Charakter in ungebundener Fröhlichkeit geltend macht. Dass Diejenigen Recht haben, welche die Handlung als eine verwickelte bezeichnen, empfindet man wol am meisten, wenn man es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Inhalt bündig und klar wiederzugeben. Während Beaumarchais im Barbier den ersten und theilweise auch den zweiten Akt dazu benutzte, die Person des Figaro ins rechte Licht zu stellen, und dann erst in die eigentliche Komödie hineinlenkt, so setzt er in den ersten zwei Akten der Hochzeit die Komödie fort und lässt erst im Verlaufe der übrigen drei Akte den Revers der Medaille blicken. Wie ein geschickter Feuerwerker bereitet er durch verschiedene Raketen, die er wie von ungefähr steigen lässt, auf das grossartige Feuerwerk vor, das er im Monolog des fünften Aktes abhrennen will. Alles geschieht aber nur so nebenbei, kommt unvermutet und geht nur gleichsam aus dem Hebermut, von dem das ganze Stück erfüllt ist, wie von selbst hervor. Man lässt es sich ebenso gefallen, wie die Pistolenschüsse bei der lärmenden Feier einer ländlichen Hochzeit. Das Ensemble des Barbiers hat sich in der Hochzeit des Figaro um einige Persönlichkeiten vermehrt, die dazu ersehen sind, den tollen Tag noch toller zu gestalten; da ist vor allem Susanne, erste Kammerfrau der Gräfin, Figaros Braut und Cherub in, der Page des Grafen, auf dessen Prototyp in der Lebensbeschreibung bereits hingewiesen wurde. Daneben einige Nebenpersonen, mit denen wir im folgenden Inhalt des Stückes Bekanntschaft machen werden. I. Akt. Figaro ist eben damit beschäftigt, das Zimmer auszumessen, das der Graf selbst als zukünftige Wohnung der Neuvermählten ausgesucht hat ; er ist über dessen Schönheit und Zweckmässigkeit ganz entzückt, denn es liegt gerade in der Mitte zwischen den Appartements des Grafen und der Gräfin. Susanne, welche ihren Verlobten bei der Arbeit überrascht, theilt seine Meinung nicht; sie befürchtet das Schlimmste für ihr eheliches Glück, da ihr der Graf durch Basii jetzt schon entehrende Anträge machen lässt ; die Lage des Zimmers müsse seine schlimmen Absichten nur begünstigen. Nun wird erst dem guten Figaro klar, welcher Quelle die Mitgift entspringt, die der Graf seiner Braut am Hochzeitstage zu geben versprochen hat und warum er ihn auf seinen Gesandtschaftsposten nach London mitnehmen und zum Courier machen will. Es wäre ihm ein Leichtes, den Grafen von seiner Braut fernzuhalten, aber — die Mitgift 1 Den Grafen, moralisch wenigstens, zu züchtigen, dabei aber das Geld nicht zu riskieren, wird der Gegenstand seines Sinnens und Trachtens sein. Da dies auf geraden Wegen nicht geht, so muss er zu den gewundenen Pfaden der Intriguo seine Zuflucht nehmen. Susanne : Intriguo und Geld, da bist Du in Deiner Sphäre. Figaro : Ach die Schande hält mich davon nicht zurück. Susanne : Die Furcht? Figaro : Eine gefährliche Angelegenheit zu unternehmen, das will nicht viel bedeuten ; aber der Gefahr entgehen, indem man sie zum guten Ende leitet. Doch schon bei dem ersten Schritte auf dieser unebenen Bahn stösst er auf Schwierigkeiten. Marcelline, die Duena der Gräfin, dieselbe, welcher der Barbier seinerzeit am Fusse zur Ader gelassen, erscheint in Begleitung des Doktors Bartholo, um noch im letzten Augenblick die Heirat des Figaro zu vereiteln. Dieser hatte nämlich von ihr ehemals Geld ausgeborgt und sich in seiner Bedrängnis schriftlich verpflichtet, ihr die Summe zurückzuerstatten oder sie zu heiraten. Bartholo, auf den Marcelline noch von ihrer Jugend her Ansprüche erheben könnte und der auf Figaro nicht gut zu sprechen ist, steht ihr redlich zur Seite, um sie und die Erinnerung auf ein Kind, das ihnen einst von Zigeunern gestohlen wurde, loszuwerden. Obzwar sich Figaro den Anschein giebt, als ob ibn der Schritt der Alten nicht aufhalten könnte, so beschleicht ihn doch eine geheime Furcht vor den Schlichen des geriebenen Weibes. Und seine Ahnung täuscht ihn nicht; denn auch sie hat ihre Intrigue in Bereitschaft. Sie unternimmt es, Susanne mit dem Grafen zu necken, was ihr auch theilweise gelingt ; dadurch will sie bezwecken, dass sich Susanne gegen den Grafen abstossend benimmt und dieser dafür seine Einwilligung zur Heirat verweigert. Inzwischen ist Cherubin vom Grafen überrascht worden, als er mit Fanchette, der Tochter des Gärtners Antonio und Susannens Cousine, die Rolle der Unschuldigen für das heutige Hochzeitsfest einstudierte. Der Graf ist böse und will den Pagen zu den Eltern zurückschicken; er hat auch Grund dazu, denn Cherubin unterrichtet Fanchette schon seit einer Woche und sie weiss noch immer nichts. In seiner Verzweiflung fahndet der Page nach Susannen, damit sie für ihn ein gutes Wort bei der Gräfin einlege. Diese ist nämlich seine Pate, und obgleich der Junge kaum sechzehn Lenze hat blühen sehen, so schwärmt er doch unbändig für die schöne Frau. Er trifft Susanne gerade, wie sie mit dem Nachtkleid der Gräfin aus ihrem Appartement heraustritt, und klagt ihr seine Not. Als er das Haarband der Gräfin erblickt, will er es mit aller Gewalt haben, bietet ihr dafür eine Romanze an, die er auf seine Pate gedichtet, und entreisst es ihr endlich, da sie es gutwillig nicht geben will. Während sie ihn verfolgt, um ihm das Baud wegzunehmen, tritt der Graf ins Zimmer. Cherubin versteckt sich hinter ein Fauteuil, auf dem der Graf Platz nimmt, und muss es mit anhören, wie sein Gebieter die Zofe mit Liebesanträgen bedrängt. Plötzlich klopft es an der Thür, der Graf will ebenfalls nicht gesehen werden und löst den Pagen hinter dem Fauteuil ab, während sich dieser rasch auf demselben zusammenkauert und von Susannen mit dem Schlafrock der Gräfin bedeckt wird. Basii kommt herein, setzt seinerseits Susannen im Aufträge des Grafen hart zu und verschont dabei auch Cherubin nicht, weil er, wie dio Leute behaupten, die Gräfin bei Tische nie aus den Augen verliere. Diese Andeutung treibt den Grafen aus seinem Verstecke heraus und bestärkt in ihm den Vorsatz, den Pagen wegzujagen; er erzählt den Beiden den Vorfall bei Fanchette und um ihnen recht deutlich zu zeigen, wie er ihn dort entdeckt hat, hebt er langsam den Schlafrock und — entdeckt den Pagen zum zweiten Male. Während er sich noch den Kopf zerbricht, wie der Bursche in den Fauteuil hineinkommt, naht Figaro mit der Gräfin und den Landleuten, um den Grafen zu bitten, in Erinnerung auf die grossmütigo Abschaffung eines gewissen Herren rechtes bei der heutigen Hochzeit der Braut die Jungfernhaube als Zeichen der Reinheit seiner Absichten eigenhändig aufzusetzen. Da sich die Gräfin selbst ins Mittel legt, so muss sich der Lraf fügen, verschiebt aber die Coremouic auf später, um sie desto feierlicher zu begehen — thatsächlich aber, um Mnrcellinen Zeit zu geben, ihre Bechte auf Figaro geltend zu machen. Auch für Cherubin erwirkt die Gräfin »erzeihung; der Graf ernennt ihn zum Hauptmanu und besteht darauf, dass er sofort zum Regiment einrücke. Figaro gibt seinem jungen Freunde gute Lehren auf den Weg und kommandirt ihn im Vornherein : „Ah, die braven Soldaten! sonnverbrannt, schlecht gekleidet, mit einem recht schweren Gewehr. Rechts schwenkt, links schwenkt, vorwärts dem Ruhm entgegen. Und stolpro nicht unterwegs, ausser dass ein tüchtiger Schuss . . Die letzten Worte machen auf die Gräfin einen tiefen Eindruck, und als Cherubin von ihr Abschied nimmt, kann sie ihre Bewegung kaum bemeistern ; das bestärkt den Grafen um so mehr in seinem Argwohn. Als sich die Ändern entfernt hatten, rät Figaro dem Pagen, zum Schein fortzu-reiten, dann zu Fuss zurückzukommen und mit Panchette weiter zu studieren, da er ihn beim heutigen Feste brauche. II. Akt. Die Szene stellt das Schlafzimmer der Gräfin vor. Es ist das ein herliches Gemach mit einem Alkoven und einer Estrade ; rechter Hand im Vordergrund ein Fenster, tiefer unten der Haupteingang zum Zimmer ; im Hintergrund eine Thür zu den Kammerfrauen, links im Vordergrund die Thür zu einem Kabinet. Die Gräfin tritt mit Susannen durch den Haupteingang ein. Sie ist begierig Näheres über den Vorfall zwischen dem Grafen und Cherubin zu hören, und Susanne nimmt sich bei ihrer Erzählung gerade kein Blatt vor den Mund. Figaro hat inzwischen einen Plan entworfen und ist im besten Zuge, ihn in Szene zu setzen ; er kommt, um sich diesfalls mit der Gräfin und seiner Verlobten ins Einvernehmen zu setzen. Er hat nämlich dem Grafen, um ihn ebenfalls in Athem zu erhalten, ein Billet zustecken lassen, in welchem ihm geheimnisvoller Weise mitgethcilt wird, dass sich Jemand im Laufe des Tages bei der Gräfin einführen will ; er rechnet dabei auf die Eifersucht Almavivas : sie soll ihm in seiner Angelegenheit als Blitzableiter dienen. Die Sicherheit seines Auftretens flösst den Frauen Zuversicht ein. Susanne (zur Gräfin) : Man kann sich auf ihn verlassen, was Intrigue anbelangt. Figaro: Zwei, drei, vier auf einmal, recht verwickelt, wenn sie sich auch kreuzen. Ich war wol zum Edelmann geboren. Susanne : Man sagt, dass das ein schweres Geschäft sei. Figaro : Empfangen, nehmen und verlangen, das ist das ganze Geheimnis in drei Worten. — Da der Graf auf die Jagd ausgeritten ist, so schickt Figaro den Cherubin zu den beiden Frauen, damit sie ihn als Mädchen verkleiden. Der Page erscheint ganz niedergeschlagen und verschämt; er muss aber, bevor er verkleidet wird, seiner Pate die Romanze Vorsingen, die er auf sie gedichtet. Susanne begleitet ihn auf der Guitarre. ') Er zeigt der Gräfin ') Diese Romanze, im Stile des XVI. Jabrliundertos gehalten, gehört entschieden zu den gelungensten kleineren Poesien unseres Autors, weshalb ich sie hier mittheile : Mon eoursior hors d’lialeino, (Que mon coour, mon coour a de peine !) J'errais de pinine en pilline Au gré du deetrier. sein Patent und diese bemerkt, dass das Siegel daran fehle. Dann verriegelt die Zofe die Thür, nimmt ihm den Mantel ab, frisiert ihn, streift ihm den Aermel auf und zeigt der Gräfin seinen weissen Arm. Dabei bemerkt diese ihr Band; es zeigt Blutflecke von einer Schramme, die ihm sein Pferd beigebracht hat. Die Gräfin lässt ihm sofort ein Seidenpflaster auflegen und mit einem anderen Bande verbinden, das befleckte behält sie für sich. — Während Susanne für ihn die nötigen Kleider holt und der junge Mann nabe daran ist, seiner Pate eine Liebeserklärung zu machen, klopft der Graf an die Thür; das Billet hat seine Wirkung nicht verfehlt, denn er liess sogar die Jagd im Stiche. In der Verwirrung rettet sich der Page in das Kabinet und die Gräfin zieht davon den Schlüssel ab *) ; hierauf lässt sie den Grafen eintreten. Dieser verlangt zu wissen, mit wem sie soeben gesprochen ; sie antwortet ausweichend. Da wirft Cherubin drinnen einen Stuhl Au grò du destrier Sans varlst, n’ocuyer. Là près d’une fontaine, (Que moii coeur, mon coeur a de peine I) Songeant à ma marraine Seutais mes pleura couler. Sentais mes pleura couler, Prèt à me désoler, Je gravala sur un sréne, (Que mon coeur, mon coeur a de peine I) Sa lettre sana la mi enne ; Le roi vint à passer. Le roi vint à passer, Ses barons, son clergier. Beau page, dit la reine (Que mon coeur, mon coeur a de peine I) Qui vous met à la gène? Qui vous fait tant plorer? Qui vous fait tant plorer? Nous faut le déclarer. Madame et souveraine, (Que mon coeur, mon coeur a do peine 1) J’ avais uno marraine Que toujours adorai. Que toujours adorai Je sena que j’en mourrai. Beau page, dit la reine, (Que mon coeur, mon coeur a do peine !) N’est-il qu’une marmine? Je vous en servirai. Je vous on servirai ; Mon page vous forai; Puis à ma jeuno Hélène, (Que mon coeur, mon coeur a de peine!) Kille d'un capitarne Un jour vous marirai. IJn jour vous marirai. Nonni, n’en faut parler ! Je veux, trninnnt ma cimine (Quo mon coeur, mon coeur a de peine !) Mourir de cotte peine Mais non ni'en consoler. ') Die Kahinclathòr bat nach der Vorstellung des Autors offenbar ein Schloss, man von 'u,ien ohne Schlüssel aufmachen kann; dies kommt noch heutzutage hie und da vor, mochte aber damals nichts Seltenes sein. um und der Graf will unbedingt den Urheber des Geräusches sehen. In ihrer Angst behauptet die Gräfin, Susanne kleide sich drinnen um, weigert sich aber aufzumachen Die Zofe, die soeben unbemerkt mit den Kleidern für Cherubin eingetreten ist, hört die letzten Worte, schlüpft in den Alkoven und verbirgt sich daselbst. Da die Gräfin den Schlüssel zum Kabinet nicht ausliefern will und der Graf die angebliche Susanne umsonst auffordert, das Kabinet zu verlassen, so kommt er auf den Gedanken, das Schloss mit einem Meissei zu sprengen. Um Eclat zu vermeiden, muss er das Instrument selbst holen, nimmt aber zur Sicherheit die Gräfin mit sich. Kaum haben die Beiden das Zimmer verlassen, so huscht Susanne aus ihrem Versteck hervor und macht Cherubin aufmerksam, dass die Luft rein sei ; dieser verlässt nun das Kabinet, umarmt stürmisch seine Cousine, stürzt sich aus dem Fenster hinaus in den Garten, und Susanne tritt an seiner Statt in das Kabinet. Die Gräfin, die keinen Ausweg mehr sieht, gesteht, als sie mit ihrem Gatten ins Zimmer zurückkehrt, Alles ein und bittet ihn, dem Pagen nichts zu Leide zu thuu. Der Graf hört aber nicht auf sie und voller Wut will er in das Kabinet eindringeu. Welches Erstaunen beiderseits, als Susanne leibhaftig heraustritt. Er glaubt, dass seine Frau mit ihm Komödie gespielt habe, sie kehrt geschickt die Waffe gegen ihn, lässt sich inständig um Verzeihung bitten und verrät ihm sogar, dass Figaro ihn mit dem Billet zum Besten gehalten habe. Die fatale Angelegenheit scheint wirklich zur allgemeinen Zufriedenheit beigelegt. Figaro hat unten bereits den Hoch-zeitszug zusammengestellt, und als er heraufkommt und die günstige Stimmung des Grafen sieht, will er aus derselben sofort Kapital schlagen ; dieser sucht nach Ausflüchten, um Zeit zu gewinnen ; weil sich aber die Gräfin für die Brautleute verwendet, so ist er schon beinahe gefangen Da wackelt plötzlich unsicheren Schrittes der Gärtner Antonio herein, einen zertrümmerten Nelkenstock in der Iland und bittet mit etwas schwerer Zunge, der Graf möge die Fenster vergittern lassen oder keine Leute hinauswerfen, da sonst seine Blumenpfhmzungen unterhalb zerstört werden. Figaro, um den neuerlichen Sturm abzuvvehren, behauptet, er selbst sei hinausgesprungen, und Antonio überreicht ihm also das Schriftstück, das er beim Sprung aus der Tasche verloren hat, obgleich es ihm vorkommt, als wär’s nicht der Kammerdiener, sondern der Page gewesen. Der Graf kommt aber Figaro zuvor, entreisst es dem Gärtner und will nun wissen, was es sei; die Frauen soufflieren und Figaro gibt die gewünschten Auskünfte. Aufgebracht über die Schlagfertigkeit des Ränkeschmieds und auf Rache sinnend will der Graf das Zimmer verlassen, als Marcellino mit Bartholo, Basii und einem Men-scheuschwarm daherbraust und von ihm Gerechtigkeit und Aufschub der Hochzeit verlangt. Er verspricht beides bereitwilligst und schickt sofort nach dem Richter und Gerichtsschreiber. So hat sich Figaros Intrigue durch unvorhergesehene Zwischenfälle gegen ihn selbst gewendet. Die Gräfin, mit Susanne allein geblieben, lässt im Geiste die Ereignisse der verflossenen Stunde nochmals vorübergehen. „Ich war nicht im Stande", sagt sie unter anderm, „zwei Gedanken auf einmal zu fassen." „Im Gegentheil, Madame“, antwortet Susanne, „da habe ich erst recht gesehen, wie es der Verkehr in den hohen Kreisen den Dani eti leicht macht zu lügen, ohne dass es den geringsten Anschein hat.“ Um die Heirat endlich doch zu ermöglichen und sich zugleich an ihrem Manne für seine Flatterhaftigkeit zu rächen, besehlicsst die Gräfin, in Susannens Kleidern zu dem Stelldichein zu gehen, das er von ihrer Zofe verlangt. Die schlaue Cameriera soll ihn insgeheim dazu emladeu, ohne ihrem Bräutigam mitzutheilen, dass sie am selben Abend die Gräfin vorstellen werde. III. Akt. Den Grafen plagt noch immer der Gedanke an den Pagen. Er schickt deshalb den Piqueur Pedrillo in sein Hotel nach Sevilla, um zu erfahren, oh Cherubin dort angekommen sei. Zugleich bestellt er Figaro zu sich, um durch ihn Gewissheit zu erlangen, ob Susanne geplaudert hat. Dieser merkt aber sofort, dass ihn der Graf ausholen wolle, pariert alle Ausfälle desselben mit Geschick und versetzt ihm seinerseits Hiebe. Graf : Was hat Dir die Gräfin für Deine Beihülfe gezahlt? Figaro : Wie viel bezahlten Sie mir denn für ihre Befreiung aus den Händen des Doktors? Aber, gnädiger Herr, erniedrigen wir doch nicht den Menschen, der uns redlich dient, da wir ja fürchten müssen, aus ihm einen schlechten Diener zu machen! Graf: Warum zeigen aber auch Deiue Handlungen immer ein doppeltes Gesicht. Figaro : Man sieht wol überall Unrecht, wo man es haben will. Graf : Ein abscheulicher Ruf das. Figaro : Wenn ich aber besser bin, als er? Giebt es wol viele grosse Herren, die dasselbe von sich sagen können? Graf: Hundertmal fand ich Dich auf dem Wege zum Vermögen, doch der war nie ein gerader. Figaro : Wie sollt’ ich anders. Es giebt immer eine Monge Menschen da ; jeder will vorwärts, man drängt sich, stosst sich, der Ellbogen thut das Seinige, man wirft sich um, komme an, wer’s vermag, die Uebrigen liegen zerschmettert da ... . Graf: Mit etwas Charakter und Geist könntest Du es in der Verwaltungs-hranche vorwärts bringen. Figaro : Geist, um vorwärts zu kommen? Der gnädige Herr spottet wol über den meinigen. M i ttelmässi gkeit und Kriecherei, die erreichen Alles. Graf: Du brauchtest nur unter meiner Leitung etwas Politik zu studieren, Figaro : Die kenne ich, . . . wenn ich überhaupt Grund hätte, mich damit zu prahlen. Nun — sich stellen, als ob man nicht wüste, was man weiss ; Alles zu wissen, was man nicht weiss; das zu verstehen, was man nicht lasst; nicht zu hören, was man vernimmt; vor allem Alles vermögen, was unsere Kräfte übersteigt; äusserst geheim thun, damit Niemand merke, dass ™au nichts geheim zu halten habe; sich einschliessen, um Federn zu spitzen; sich den Anschein eines tiefen Denkers gehen, wenn man blos, wie man zu sagen pflegt, ein leerer Topf ist; recht oder schlecht eine vornehme Persönlichkeit vorstellen; Spione ausschickeu und Verräter mit Gnadengehalten bedenken; Briefe auffangen, Siegel erbrechen, die Erbärmlichkeit der Mittel durch die Wichtigkeit des Gegenstandes zu beschönigen wissen: das ist die ganze Politik oder ich will Gift darauf nehmen. — Das Gespräch wird dem Grafen unerquicklich und er giebt ihm eine Wendung; er kommt auf die Heirat zu sprechen und auf den möglichen Ausgang des Prozesses gegen Marcelline. Figaro: Würden Sie es mir als ein Verbrechen anrechnen, wenn ich der alten Jungfer einen Korb gebe, da Ew. Excellenz sich erlauben, uns alle jungen wegzuschnappen? Graf (höhnisch) : Bei Gericht vergisst der Richter auf sich und beachtet nichts als die Verordnung . . . Figaro : Die nachsichtig ist gegen die Grossen und hart gegen den gemeinen Mann. Ein Diener meldet das Gerichtspersonale an. Graf : Ich befahl Dir, diesen Saal für eine öffentliche Sitzung herzurichten. Figaro : Nun, und was fehlt denn? Der grosse Lehnstuhl für Sie, feste Sessel für dieBeisitzer, dasTaburet für denSchreiber, zwei Bänke für die Advokaten, ein Podium für das schöne Geschlecht und hinterdrein die Canaille . . . Der Graf gewinnt die Heberzeugung, dass ihn Susanne verraten bat und ist mehr als je entschlossen, die Heirat zu hintertreiben. Susanne, die mit den Ändern in den Saal kommt und dem Grafen in doppelsinniger Weise verspricht, sich zum Stelldichein einzufinden, frohlockt also zu früh, denn der Graf hat bemerkt, dass sie mit Figaro im Einvernehmen ist. Marcelline naht mit dem Richter Guzman J) Brid’oison, der etwas stottert und stark auf den Kopf gefallen ist; wenigstens versteht er Alles verkehrt, so dass Marcelline schliesslich in die Worte ausbricht: „Sie werden über uns das Urtheil sprechen?" Brid'oison : Wozu hätt’ ich sonst mein Amt gekauft? Marcelline : ’S ist ein grösser Misbraucb, dieselben zu verkaufen. Figaro ermangelt nicht, sich über den Richter und die Gerichtspraxis lustig zu machen, und Brid’oison verspricht ihm dafür, sich seiner Sache anzunehmen. Figaro : Mein Herr, ich appelliere an Ihren Gerechtigkeitssinn, obgleich Sie zu unserem Richterstand gehören. Der Graf wundert sich, dass Brid’oison die Amtstracht angelegt hat. Brid’oison : Ja ich gehe nie anders, denn die Fo-Form, sehen Sie, die Fo-F or m. Mancher spottet über einen Richter im kurzen Rock, während er beim ') Schon im Barbier von Sevilla wollte Beaumarchais den Namen seines Gegners in dem Prozesse La Bloche: tiotizman statt Basii setzen, aber er strich ihn im Manuskripte wieder aus; damals hotte dies zu sehr den Charakter der Gehässigkeit an sich getragen, da die Affaire noch frisch war im Gedächtnisse Aller. Als aber der Autor zehn Jahre später für seinen lächerlichen Richter einen Namen suchte, da konnte er der \ erlockung nicht widerstehen, zumal da er ihm auf eine einfache Weise einen ganz spanischen Anstrich geben konnte. Anblicke des Anwaltes in Amtstracht zittert. Die Fo - Form, ja die Fo-Form. Auf Geheiss des Grafen erscheinen die Advokaten und die Zuhörer. Double-main (Doppelhand), der Schreiber, der sich verspätet hat, weil er, wie Brid’oison Sagt, zwei Aemter versieht (mange à deux ràteliers), fragt unter ändern Figaro nach seinem Stand. Figaro : Edelmann. Graf: Du bist vom Adel? Figaro : Wenn es der Himmel gewollt hätte, so wäre ich der Sohn eines Fürsten. Double-main referiert, dass sich Figaro gegen den ausdrücklichen Brauch selbst verteidigen wolle. Figaro : Ein Brauch ist oft ein Misbrauch, Meister Double-main. Der Klient, wenn er halbwegs unterrichtet ist, kennt seine Angelegenheit immer besser, als gewisse Advokaten, die Blut schwitzen, wie Zahnbrecher schreien und Alles kennen, nur nicht das Faktum, und darüber nicht verlegen werden, wenn sie den Klienten ruinieren, die Zuhörer langweilen und die Herren vom Gericht einschläfern, sich hinterher aber aufblasen, als ob sie die oratio pro Murena verfasst hätten. — Das Schriftstück, das Figaro Marcelliuen ausgestellt hat, wird untersucht, man streitet lange über ein und und oder; schliesslich droht die Sitzung turbulent zu werden, weil Marcellino behauptet, dass man den Oberrichter (d. h. den Grafen) und dieser wieder die ändern Richter bestochen habe, und dass sie deshalb ihren Prozess verlieren müsse. Der Graf macht dem Auftritt ein rasches Ende, indem er Figaro verurtheilt, seine Schuld zu zahlen oder die Alte zu heiraten, und hierauf die Sitzung aufhebt. Figaro weigert sich aber, ohne die Einwilligung seiner hochgeborenen Eltern zu heiraten ; denn damals, als ihn Zigeuner gestohlen hatten, fanden sie bei ihm Sachen, die auf eine hoho Geburt hindeuteten. Seine Worte erregen Marcellinens Aufmerksamkeit. An einem Muttermal, das er am Arme hat, erkennt sie in ihm ihren und Bartholos Sohn. Während Mutter und Sohn sich gerührt in den Armen liegen, kommt Susanne mit ihrem ersparten Golde, um es Marcellinen auszuliefern, erschrickt bei dem Anblicke, wird aber sofort aufgeklärt. Obgleich sogar Brid’oison bei der Szene zu Thräneu gerührt wird, weigert sich der alte Bösewicht Bartholo hartnäckig, im Bunde der Glücklichen der Vierte zu sein. Erst als Antonio erklärt, dass er seine Nichte einem Namenlosen nie zur Frau geben werde, kommt er zur Vernunft und folgt gutwillig den Ändern, die sich auf den Weg machen, um den Grafen aufzusuchen. IV. Akt. Figaro und Susanne sind ganz entzückt Uber die unerwartete glückliche Wendung ihrer Angelegenheit. Sie geloben sich ewige Liebe und Treue. „Halte Dein Wort, sagt zu ihr Figaro, und Du wirst eine schöne Ausnahme zu der allgemeinen Regel machen.“ Die Gräfin stört das zärtliche tète-à-tète, indem sie Figaro entfernt. Susanne hat soeben ihrem Bräutigam das Versprechen gegeben, an das unglückselige Rendezvous mit dem Grafen gar nicht zu denken, und nun stellt ihre Herrin an sie das Verlangen, ihn sogar schriftlich nach der Kastanienallee zu bestellen. Das Siegel des Billets — eine Stecknadel — soll der Graf als Zeichen des Einverständnisses zurückschicken. Nur mit Widerstreben schreibt Susanne die mysteriösen Worte nieder, die ihr die Gräfin diktiert. Die Mädchen aus dem Marktflecken, in ihrer Mitte Cherubin als Mädchen verkleidet, bringen der Gräfin die übliche Blumenspende dar. Diese nimmt von Cherubin, ohne ihn zu erkennen, das Bouquet und küsst ihn dafür auf die Stirn. Da kommt Antonio, der mit dem Grafen dem Pagen nachspürt, erkennt ihn sofort und setzt ihm den Offiziershut auf. Der Graf verspottet den Jungen, wird aber durch Fanchettcns und Antonios Naivität so in die Enge getrieben, dass er sich, als der Hochzeitszug angemeldet wird, nicht mehr weigert, die von Figaro verlangte Ceremonie vorzunehmen. (Beaumarchais gibt im Stücke eine umständliche Beschreibung dos Aufzuges.) Während nun Almaviva Susannen den Jungfernkranz und Schleier auflegt, steckt ihm diese das erwähnte Billet zu. Figaro bemerkt, wie der Gtaf bei Seite tritt, um das Briefchen zu lesen, sich in den Finger sticht, etwas wegwirft, um es sofort wieder aufzuheben. Gerade als der Graf die frühere Ceremonie mit Marcellinen, der Braut des Bartholo vornimmt, entfernt sich die Gräfin unbemerkt mit der Zofe, um die Kleider mit ihr zu tauschen. Da taucht plötzlich Basii auf und macht seine Rechte auf Figaros Mutter geltend. Den heftigen Wortwechsel, der sich darauf zwischen Basii und Figaro entspinnt, bricht Susannens Bräutigam ab, indem er dem ehemaligen Musiklehrer, der sich beklagt, das letzte Wort nicht haben zu können, zuruft: „Bist Du denn ein Fürst, dass man dich fuchsschwänzeln soll? Dulde die Wahrheit, Halunke, wenn du nicht so viel hast, um einen Lügner schadlos zu halten.“ Als Basii erfährt, dass er Figaro adoptieren müste, zieht er erschreckt seine Ansprüche zurück. Der Graf unterzeichnet die Kontrakte, ordnet an, dass das Feuerwerk nicht in der Kastanienallee, sondern auf der Terrasse vor den Appartements der Gräfin abgehrannt werde; darauf zieht er sich zurück unter dem Vorwando, eine Stunde lang der Ruhe zu pflegen. Während Figaro sich mit Marcellinen über seine Zukünftige bespricht, kommt Panchette ganz geheimnisvoll, verrät aber bei dem ersten Worte, dass sie ihrer Cousine eine Stecknadel übergeben und ihr sagen solle, diese sei das Siegel der giessen Kastanienallee. Figaro findet jetzt den Schlüssel zu dem rätselhaften Gebaren seines Herrn während der Ceremonie. Der Gedanke an die Untreue seiner Susanne macht ihn rasend und er will sofort Alles rückgängig machen. Die Mutter stellt ihm vor, dass er sich überzeugen müsse, bevor er verdamme ; sie selbst macht es sich zur Aufgabe, über die Braut ihres Sohnes zu wachen. V. Akt. Es ist finstere Nacht. Das Theater stellt die Kastanienallee vor, links und rechts sieht man ein Gartenhaus. Figaro, in einen Mantel gehüllt, naht vorsichtig heran und verscheucht Panchette, die hier nach ihrem Freund Cherubin fahndet und sich im ersten Schreck in den Pavillon zur Linken flüchtet. Bald nach Figaro kommen alle seine Bekannten. Er ersucht sie, in der Nähe zu bleiben und auf ein gegebenes Zeichen zu erscheinen, als Zeugen der Szene, die er ihnen zum Besten geben werde. Bartholo ermahnt ihn, sich mit dem Grafen in keine Händel einzulassen : „Die grossen Herren, fügt er hinzu, sind uns gegenüber immer im Vortheil, schon vermöge ihrer Geburt.“ Figaro : Aber ohne ihr Zuthun, nicht zu vergessen. Aber geben Sie Acht, ein Mensch, der als Hasenfuss bekannt ist, muss sich vor jedem Schurken ducken. Nachdem sich die Ändern zurückgezogen hatten, vertieft sich Figaro in dio ihn quälenden Gedanken. (Der berühmte Monolog.) Der Schein der Untreue, der auf seiner Geliebten lastet, bringt ihn ausser sich, so dass er gleichsam unwillkürlich ausruft : „Nein, Herr Graf, Sie sollen sie nicht haben, .... Sie nicht ! Weil Sie ein grösser Herr sind, so halten Sie sich für ein Genie! Adel, Vermögen, Rang, Ehren stellen, das Alles macht Sie so übermütig. Was haben Sie denn gethan für so viel Güter! Sie haben sich die Mühe gegeben, auf die Welt zu kommen! Im Uebrigen ein ganz gewöhnlicher Mensch, während ich, morbleu! Unter der niederen Menge verloren, muste ich, um nur meinen Lebensunterhalt zu erringen, mehr Wissen und mehr Berechnung entfalten, als mau seit hundert Jahren gebraucht hat, um ganz Spanien zu regieren. Und Sie wollen es mit mir aufnehmen? .... Giebt’s doch was Drastischeres als mein Geschick? Der Sohn Jemandes, den ich nicht kenne, werde ich von Zigeunern geraubt, in ihren Sitten erzogen; die Sache widert mich an, ich will eine anständigere Laufbahn betreten: man stosst mich überall zurück. Ich studiere Chemie, Pharmacie, Chirurgie und der ganze Einfluss eines giessen Herrn ist kaum im Stande mir die Stelle eines Thierarztes zu verschaffen. Ich bin es milde, die kranken Thiere zu quälen und stürze mich, des Gegensatzes wegen, über Hals und Kopf auf die Bühne. Hätte ich mir gleich lieber einen Stein auf den Hals gehängt. Ich fetze ein Lustspiel hin und verlege die Szene in ein Serail. Als spanischer Schriftsteller glaube ich ohne Gewissensbisse den Muhammed auf’s Korn nehmen zu können: sofort beklagt sich ein Gesandter . . . ich weiss nicht woher, dass ich in meinen Versen die hohe Pforte, Persien, einen Theil der indischen Halbinsel, ganz Egypten, die Königreiche Barka, Tripolis, Tunis, Algier und Marokko beleidigt habe, und mein Stück wird den Flammen übergeben, um den muhammedanischen Fürsten zu gefallen, von denen, glaube ich, keiner lesen kann, und die uns den Rücken durchbläuen und uns Christenhunde heissen. Da man den Geist nicht herabwürdigen kann, so maltraitirt man ihn aus Rache. Die Wangen fallen mir ein, der Zins ist fällig, ich sehe schon den schrecklichen Exekutor herannahen, die Feder in der Perrllcke: zitternd spanne ich meine Kräfte an. Man ventiliert die Frage über die Natur des Reichtums, und da man die Sachen, über die man sprechen soll, nicht gerade besitzen muss, so schreibe ich ohne einen Heller in der Tasche über den Wert des Geldes und dessen Reinerträgnis: sofort sehe ich vom Hintersitze eines geschlossenen Wagens aus, wie sich meinetwegen die Zugbrücke eines festen Schlosses ') senkt, an dessen Schwelle ich der Hoffnung und Freiheit Valet sagen muss. 0, könnte ich einmal einen jener viertägigen Machthaber, die es mit dem Uobel, das sie anordnen, so leicht nehmen, in die Hände bekommen ! wenn eine tüchtige Ungnade ihm den Kamm gestutzt hat, da würde ich ihm sagen . . . dass gedruckte Albernheiten nur dort au Wichtigkeit zunehmen, wo man ihnen Hindernisse in den Weg legt, dass es, ohne die Freiheit zu tadeln, keine schmeichelhafte Lobrede giebt, und dass sich nur kleine Menschen vor klei- ') Beaumarchais spielt da offenbar auf die Bastille an. Der darauf folgende Stoesieufzer gieng früher in Erfüllung, als es Beaumarchais selbst wahrscheinlich dachte. n en Schriften fürchten. — Müde, einen unbekannten Kostgänger zu ernähren, setzt man mich eines schönen Tages auf die Luft; und da man essen muss, auch wenn man nicht mehr im Gefängnis sitzt, so spitze ich wieder meine Feder und frage Jedermann nach der brennenden Tagesfrage: man sagt mir, dass in Madrid während meiner ökonomischen Zurückgezogenheit rücksichtlich des Produktenverkaufs ein freiheitliches System begründet würde, das sich auch auf die Produkte der Presse erstreckt; und, dass ich unter der Oberaufsicht zweier oder dreier Censoren Alles drucken kann, vorausgesetzt, dass ich in meinen Schriften weder von der Obrigkeit, noch vom Kultus, noch von der Politik, noch von der Moral, von hochgestellten Personen, von einflussreichen Körperschaften, von derOper oder von den andern Theatern, noch von irgendjemand spreche, der damit zusammen hängt. Um von dieser köstlichen Freiheit Nutzen zu ziehen, annonciere ich ein periodisches Blatt unter dem Titel: Unnützes Journal, im guten Glauben, damit auf Niemandes Hühneraugen herumzutreten. Puh! Tausend arme Teufel, die von der Feder leben, erheben sich gegen mich, man unterdrückt mich und ich bin wieder ohne Beschäftigung. — Da fasst mich beinahe die Verzweiflung; man dachte an mich wegen einer Stelle, aber zu meinem Unglück war ich dazu tauglich: man brauchte für dieselbe einen Rechner — ein Tänzer hat sie erhalten. Da blieb mir nichts übrig als zu stehlen; ich eröffne also eine Pharaobank: Ah, die guten Leute ! — man ladet mich zum Essen, die exquisite Gesellschaft verschafft mir höflichst Zutritt in ihre Iläuser und streicht dafür drei Viertel meines Gewinnstes ein. Ich hätte mir auf die Beine helfen können; ich fieng an zu begreifen, dass dioAnstolligkeit eher zum Vermögen führt, als das Wissen. Da aber Alles um mich herum auf Raub ausgiong und von mir verlangte, dass ich redlich sei, so musto ich wieder zu Grunde gehen . . . .“ Figaro verfällt auf seine momentanen Verhältnisse und vertieft sich in eine philosophische Betrachtung des Lebens und seines eigenen Ichs. Es ist Figaro-Beaumarchais, der sein Wesen darin nach der Natur zeichnet: „Was ist dieses Ich, mit dem ich mich befasse? — Ein junger Mensch, der nach Vergnügungen lechzt, dem cs nicht an Geschmack gebricht, sie zu gemessen, und der in jedes Handwerk hineinpfuscht, um zu leben. Herr da, dort Diener, wie ihm das Loos eben fällt; ehrgeizig aus Eitelkeit, arbeitsam aus Not, aber faul . . . mit Wonne! Redner, wenn ihm Gefahr droht, Dichter, wenn er Erholung sucht, Musiker, wenn sich Gelegenheit bietet; bei meinen tollen Liebesabenteuern habe ich Alles gesehen, gethan, verkostet, dann verflog die Illusion, ich wurde enttäuscht, zu sehr enttäuscht . . . enttäuscht.“ — Figaro hört Schritte und zieht sich in den Hintergrund zurück. —■ Auf den tollen Tag folgt eine noch tollere Nacht. Die Gräfin und Susanne haben ihre Kleider vertauscht und kommen in die Kastanienallee, Durch ihre Reden führen sie Figaro, der sie belauscht, absichtlich irre; Marcellino, die mit ihnen kommt, hat ihnen nämlich verraten, dass er irgendwo aufpasso. Um den beiden jungen Frauen in ihrem Vorhaben nicht hinderlich zu sein und dabei doch als Garde de dames \ü der Nähe zu bleiben, zieht sich die Alte in denselben Pavillon zurück, >'» welchem Panchette auf Cherubin wartet. Der Page flattert auch alsbald herbei, entdeckt im Dunkeln die Umrisse von Susannens Kopfputz und geht unbewust die Gräfin keck an. Er will ihr einen Kuss rauben, küsst aber den Grafen, der gleich nach ihm gekommen war und sich zwischen beide geschoben hat. Tastend erkennt der Page den Grafen an den Kleidern um flüchtet sich iii denselben Pavillon; dafür nähert sich Figaro, dein das Küssen verdächtig wurde, und zieht mit einer wuchtigen Ohrfeige, die für den Pagen bestimmt war, wieder ab. Der Graf, mit der vermeintlichen Susanne allein gehlieben, überschüttet dieselbe mit Liebkosungen, zieht Vergleiche zwischen ihr und seiner Frau, erklärt ihr, was ihm an derselben mi sfalle, nötigt ihr das versprochene Geld auf und steckt ihr einen Diamantring an den Finger. Da sich Lichter nähern, so will er sie in den Pavillon zur Rechten führen ; das geht aber dem Figaro über den Spass, er tritt vor, verscheucht den Grafen und die Gräfin schlüpft allein in den Pavillon hinein. Figaro will ihr nach, aber Susanne in den Kleidern der Gräfin vertritt ihm den Weg und stellt seine Treue auf eine harte Probe. Figaro geht ihr auf den Leim und um sich an seiner Zukünftigen zu rächen, ist er im besten Zuge, der vermeintlichen Gräfin eine Liebeserklärung zu machen, als ihn diese durch eine Tracht Ohrfeigen zum Bcwustsein seiner Schuld bringt. An der Haud und an der Stimme erkennt er endlich seine Braut, und seiner Natur getreu, ist er weit entfernt, sich über die Ohrfeigen zu ärgern, sondern lacht und weint vor Freude und bittet kniefällig um Verzeihung. Da kommt der Graf zurück, glaubt in der Dunkelheit einen Mann zu Füssen der Gräfin zu sehen und stürzt zornentbrannt hervor. Sie entwischt ihm aber und flüchtet sich ebenfalls in den Pavillon zur Linken. Auf des Grafen Geschrei hin kommt Pedrillo, der eben aus Sevilla angelangt ist, und die Freunde Figaros mit Lichtern herbei. Pedrillo muss die Thür des Pavillons zur Linken bewachen, von den Ändern verlangt der Graf, sie sollen Figaro fassen und mit ihrem Leben für ihn haften. Dieser setzt der Wut des Grafen einen eisigen Hohn entgegen. Graf : Wenn etwas meinen Zorn vermehren könnte, so wäre es die ruhige Miene, die er heuchelt. Figaro : Sind wir denn Soldaten, die tödten und sich tödten lassen, ohne zu wissen, warum? Ich will wissen, warum ich mich ärgere? — Der Graf frägt, wer das weibliche Wesen war, Figaro antwortet ausweichend und doppelsinnig. Das treibt den Zorn Almavivas dazu, die Rache an seiner Frau öffentlich zu üben. Blind vor Erregung stürzt er in den Pavillon hinein und zieht heraus — den Cherubini Allgemeines Gelächter ! Um sich nicht zum zweiten Male bloszustellen, schickt er Antonio hinein ; dieser tappt im Finstern herum und zieht hinter sich heraus — seine Tochter Panchette. Basii lacht, Antonio ärgert sich, weil er glaubt, der Graf habe ihn anlaufen lassen. Da ontschliesst sich Bartholo als der Vernünftigste von Allen, sein Glück zu versuchen und führt heraus — Marcellino. Der Graf rast, Basii lacht. Nun tritt plötzlich Susanne heraus, den Fächer vor dem Gesicht und stürzt sich auf die Knioe ; die Ändern, die sich ebenfalls durch dio Kleider irreführen lassen, lcnieen mit ihr nieder, um den Grafen zur Milde zu stimmen, aber dieser wütet erst recht drauf los. Jetzt kommt endlich seine Frau in Susannens Kleidern aus dem ändern Pavillon heraus — der Graf hat sich in sein eigenes Netz gefangen und bittet um Gnade, die ihm und allen Anderen gewährt wird. Die Geschichte mit dem Billet klärt sich auf, Susanne bekommt den für sie bestimmten Diamantring und Figaro die Börse. Die jungen Landleute verlangen das Strumpfband der Neuvermählten ; die Gräfin wirft ihnen das Band hin, das sie dem Pagen am selben Morgen abgenommen, doch dieser macht sich darüber, bevor es die Anderen gesehen haben. Der Graf frägt ihn, wie ihm die Ohrfeige geschmeckt habe; der junge Kapitän greift entrüstet nach seinem Degen, doch Figaro kommt seiner Antwort zuvor : „Auf meine Backe hat er sie bekommen; so üben die grossen Herren Gerechtigkeit.“ Der tolle Tag hat sein Ende erreicht und wodurch konnte er würdiger abschliessen, als durch eine Reihe bissiger Couplete, in denen der Autor das singen liess, was er im Kleide der nüchternen Prosa nicht zu sagen wagte, treu seinem Ausspruche: „Was man heutzutage nicht sagen kann, das singt man.“ Ueber den fabelhaften Erfolg, den Beaumarchais ebensogut seinem Stücke, wie den Umständen, welche die erste Aufführung begleiteten, zu verdanken hatte, habe ich anderwärts Erwähnung gethan. „Machen Sie uns doch solche Stücke, soll ihm damals Jedermann gesagt haben, da Sie allein es wagen, offen ins Gesicht zu lachen.“ Und es ist auch die Hochzeit des Figaro entschieden die lustigste Komödie, welche im XVIII. Jahrhunderte über die Bretter gegangen ist, ein Stück, das seines Gleichen nicht hatte und in einem gewissen Sinne bis heute nicht hat. Der Autör war im Recht, über Diejenigen böse zu sein, welche behaupteten, dass er das Stück geschrieben habe, ohne die Menschen zu studieren, dass sein Lustspiel nicht das Bild der damaligen Gesellschaft sei, dass die verdorbenen Sitten, die er schildert, keinen Anspruch auf Wahrheit machen können. ') Dies bewies nur, dass die Tadler für die Zustände, unter denen sie selbst lebten, kein so feines Auge be-sassen wie Beaumarchais. Und in der That, wer hätte auch mehr Gelegenheit gehabt mit der Gesellschaft bekannt zu werden, als er! Aus einer kleinen bürgerlichen Familie stammend, war er von Jugend auf mit allen Schichten der Bevölkerung in beständiger Berührung. Alle Salons, von dem eines Steuerpächters, bis zu dem der Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt standen ihm ') So der Akademiker Suard, von dem schon anderwärts Erwähnung gemacht wurde und der sich in seinem blinden Eifer hinreissen liess, das ganze Stück zu verdammen, zumal in der Rede, die er in Anwesenheit dos schwedischen Kronprinzen in der Akademie gehalten hat. Die Gründe, die er anführte, waren nicht besonders stichhältig und Beaumarchais, dem doch einmal die Gallo überlief, griff dafür den Verfasser in einer Weise an, die dem gestrengen Herrn nicht viel Vergnügen bereitet haben mag, da sie sein Raisonnemont in drastischer Weise ad absurdum führte. „Und das las man letzthin in einer schönen gedruckten Rede, von einem Ehrenmann verfasst, der nur etwas wenig Geist braucht, um ein mittelmässigor Schriftsteller zu sein. Jedoch mittelmässig oder nicht, — wiewohl ich nie die verdächtige schiefe Wendung eines Sbirren zu machen pflege, der sich stellt als ob er Euch nicht ansehen würde, während er Euch einen Dolchstoss in die Seite versetzt, — ich bin auch derselben Meinung (wie Suard). Ich gestehe ein, dass zwar die frühere Generation sehr stark meinem Stücke ähnlich sah, dass die zukünftige ihm ebenfalls ähnlich sehen wird, dass jedoch die gegenwärtig6 ihm ganz und gar nicht ähnlich sieht; dass ich nie einen treulosen Mann, einen leichtfertigen grossen Herrn, einen gierigen Höfling, einen unwissenden und voreingenommenen Richter, einen ehrabschneidenden Advokaten, noch mittelmässige Leute in hohen Stellungen gesehen habe.“ offen. Gibt es da für einen Dichter, der so viel natürliche Anlage für das Lustspiel hat, eine bessere Schule? War es vielleicht bei Molière anders? Und dieser T olle Tag — welcher Kulturhistoriker wäre je im Stande, alle die tollen Tage zusammenzurechnen, die sich, sagen wir nur in Versailles und Trianon, von den ändern Schichten der Gesellschaft ganz abgesehen, jahrelang hindurch in Paris beinahe allabendlich abgespielt haben, bevor sich Jemand gefunden hat, der im Staude war, einen solchen tollen Tag mit all den Verkleidungen und Verwechslungen, Kostümen und Dekorationen, Gesang und Tanz, auf die Bühne zu bringen. Figaros Hochzeit ist aber nicht dargestellt in jener rhapsodischen Manier der Salons, nicht als eine Anhäufung von Situationen ohne Zusammenhang, ohne Plan und Ziel, wie sie die spanischen Intriguenstücke in zu derber Nachahmung des wirklichen Lebens und mit Ausserachtlassung jeglicher Wahrscheinlichkeit beobachteten. Ganz das Gegentheil. Da ist Leben drinnen, bunt, toll, schwindelerregend; Handlung eher zu viel, als zu wenig, und von einer rapiden Eile ; Intrigue, oder vielmehr ein Netz von Intriguen, die sich kreuzen, sich gegenseitig aufheben, sich knüpfen und wieder auflosen, und im Zuschauer bis zum letzten Augenblicke das lebhafteste Interesse anregen. „Und über dem Ganzen schwebt“, wie Hcttnor sagt, „eine sinnenheitere, liebeglühende Lust, welche den dichterischen Reiz und die unbefangene, heitere Stimmung erhöht.“ „Die reifende, saftige Frucht von dem Baume der Erkenntnis hängt verlockend am Aste, fällt nicht herab, scheint aber jeden Augenblick herunterzufallen. Aller Hände strecken sich darnach, ohne sie zu brechen.“ (Taine.) Fürwahr, man muste ein Mann von der heiteren Lebensphilosophie eines Beaumarchais - Figaro sein, um ein so sprühendes Lebensbild zu konzipieren. Werfen wir einen Blick in die geistige Werkstatt unseres Dichters. „Wenn mich mein Gegenstand reizt“, sagt er, „so rufe ich meine Personen zusammen und bringe sie auf ihre Posten. — Hüte dich, Figaro, dein Herr will dich ausliolen. — Lauf geschwind, Cherubin, du berührst ja den Grafen. — Ah! Gräfin, welche Unbesonnenheit bei einem so heftigen Genial! — Was sie darauf antworten, das weiss ich nicht; mich beschäftigt nur das, was sie dann beginnen. Dann, wenn sie schon recht in Feuer geraten, schreib ich ihren raschen Wortwechsel nach, und bin sicher, dass sie mich nicht täuschen. Ich erkenne Basii, er besitzt nicht den edlen Ton des Grafen, nicht die Gefühlsfülle der Gräfin, nicht die Eulenspiegelei des Pagen und vor allem nicht den erhabenen Ernst des Brid’oison. Jeder spricht da seine eigene Sprache. Und der Gott der Natürlichkeit bewahre sie, eine andere zu sprechen.“ Und der Gott der Natürlichkeit hat sie auch davor bewahrt, denn die einzelnen Persönlichkeiten fallen nie aus ihren Rollen. Der Graf ist derselbe geblieben, wie wir ihn im Barbier von Sevilla kennen gelernt haben, der elegante, lebensfrohe Kavalier, leicht entzündbar für ein hübsches Gesicht, zu A venture n geneigt; so hat er Rosine heimgeführt, so möchte er sich Susanne geneigt machen. Aber Basii ist seit der Heirat des Grafen nicht viel geriebener geworden und eignet sich auch jetzt weniger gut zur Intrigue und zum Helfershelfer, als seinerzeit Figaro. Die Gräfin hat entschieden gewonnen. Aus dem naiven Naturkinde hat sie sich zu einer hohen Dame emporgethan und giebt sich als solche mit edlem Anstand. Wol hat der Ernst des Lebens und manche bittere Erfahrung sie gesetzter gemacht, auch ist sie nicht mehr frei von manchen Schwächen der hohen Gesellschaft, aber ihre natürliche Herzensgüte tilgt in uns wieder den dadurch hervorgerufenen unangenehmen Eindruck. Bartholo ist der alte Brummbär, anfangs noch bissiger als früher; der seinerzeit erlittene Verlust seines schönen, jungen Mündels hat ihn schadenfroh und neidisch gemacht, im Grunde hat er aber doch, ebenso wie Marcolliue, einen biederen Charakter in einer rauhen Hülle, die sich endlich unter der kosenden Hand der zukünftigen Schwiegertochter löst. Und diese selbst, ein Kammerkätzchen seltenster Art, bildet ein wundervolles Pendant zu ihrem Verlobten; sie ist eine Art weiblicher Figaro, mit all den Annehmlichkeiten ihres Geschlechts: „das reizende Mädchen, immer lachend, immer rosiger Laune“, wie Figaro selbst sie schildert. Und Cherubin, dieses Kabinetstück von einem Pagen, das getreue Ebenbild des jungen Beaumarchais, ein Verwandter des jungen Don Juan, den Lord Byron mit so glühenden Farben geschildert. „In ihm hat Beaumarchais“, sagt St. Beuve, „ein Alter personifiziert, einen und zwar den ersten Augenblick aus dem Leben jedes Einzelnen, mit der üppigen Frische, in der auf keimenden flüchtigen, unverbesserlichen Aufwallung; nie war er mehr Dichter als an jenem Tage.“ Auch ein weiblicher Cherubin tritt uns in der Gestalt Fanchettens entgegen, mehr Kind noch als Jungfrau, aber ganz Natur, reizend und duftig wie die Blumen, die unter der rauhen Hand ihres trunksüchtigen Vaters stehen. Und Brid’oison und sein Schreiber Double-main, welche Repräsentanten jenes richterlichen Proletariats, das, über ganz Frankreich verbreitet und von der Regierung selbst grossgezogen, das gesammte Gerichtsgebaren diskreditierte. Beaumarchais hatte gut, dem Schauspieler, dem die Rolle des Brid’oison zufiel, einzuschärfen, sie nicht ins Possenhafte zu ziehen; possenhaft oder ernst dargestellt muste diese Persönlichkeit auf die Zuschauer im Parterre denselben Effekt hervorbringen. Der Einzige, der nicht so ganz geblieben ist, wie er war, das ist der Held des Stückes, in seiner Art ebenso das Muster eines vollendeten Roturier, wie Almaviva das eines vollendeten Edelmannes. Der Leser wird wol wissen, wen ich meine: es ist unser Freund Figaro. Wir kennen ihn schon ziemlich genau aus den beiden Stücken, zumal aus seiner Selbstbiographie im Baibier und aus dom Monologe der Hochzeit. Ehemals ein eifriger Iutrigueuschmied im Dienste des Grafen, so lange dieser um Rosine freite, hat er jetzt die Waffen seines Geistes gegen den eigenen Herrn gewendet, da ihm dieser, seiner sonstigen Eroberungen überdrüssig, die Braut streitig machen will. Druck erzeugt Gegendruck und Figaro ist ganz der Mann, aus der Rollo des Angegriffenen in die des Angreifers überzugehen. Seiner Abkunft nach dazu bestimmt, den Ambos abzugeben für den Hammer der Willkür eines hohen Herrn, weiss er durch seinen Mut, seine Geschicklichkeit, durch die gute Laune und geistige Ueber-legenheit, seine Rolle mit derjenigen des Herrn zu vertauschen. Aber er ist ein Schmied in Glacehandschuhen: die Schläge, die er führt, verlieren zwar dadurch nichts an ihrer Wucht, lassen aber bei dem Zuschauer den Gedanken an den bittern Ernst des grausamen Spieles nicht aufkommen. Er ist noch nicht der wütende Bastillenstürmer, der rotbemützte Umsturzmann, sondern der lachende Hans-Narr, dessen heiterer Lebensmut die Bitterkeit, die in ihm aufsteigt, im Keime erstickt, auch wenn er für den Augenblick noch so aufgebracht ist. „Auf seiner kleinen Barke steuert er sicher vorwärts, entrinnt dem Zusammenstoss mit den grossen Schiffen, kommt sogar dem seines Herrn zuvor und überschüttet ihn bei jedem Ruderschlage mit einem Sprühregen von Witzen.“ (faine.) Kein Wunder also, dass das Stück als solches die Menge anzog und bezauberte. War es ja doch einer der Ihrigen, welcher gegen alle hergebrachten Regeln der Komödie nicht den Gefoppten, sondern den Foppenden darstellt, ein „citoyen“, der in berechtigtem Unmut gegen die Privilegien des Rangs und des Adels donnert, der die lang geknechtete und misachtete Menschenwürde wieder zu Ehren bringt. Um den Erfolg zu sichern und zu erhöhen, muss das Stück von der Regierung und dem Könige selbst als zur Aufführung unzulässig erklärt werden, muss es durch die Hände von fünf Censoren gehen, die Runde durch beinahe alle fashionablen Pariser Salons machen, muss sich fast der ganze Adel ins Mittel legen, um den Widerstand des Königs zu brechen, muss schliesslich Figaros Hochzeit mit Einwilligung desselben Königs vor dem Hofe gespielt werden, bevor sie auf die Bretter des Théàtre-Frangais gelangt. Welcher Hochgenuss für dio Menge, die alte Regierung vor den Augen derselben verhöhnt zu sehen. Die in der Stille und im Geheimen sich kundgebenden Reklamationen werden Fleisch und Blut in der Person des Proletariers Figaro. „Dieser fasst die ganze Polemik der Philosophen gegen die Staatsgefängnisse zusammen, donnert gegen die Censur der Schriften, gegen die Verkäuflichkeit der Stellen, gegen die Privilegien der Geburt, gegen die Willkür der Minister, gegen die Unfähigkeit der hohen Beamten; er schreibt unter jeden Misbrauch das passende Wort, das einer Petarde gleich alle Eigenschaften besitzt, den Misbrauch und was drum und dran ist, in die Luft zu sprengen.“ (faine.) Das Alles geschieht aber nicht zufällig, sondern bewust, und hier sieht man Beaumarchais auf der Spur seines grossen Meisters Molière wandeln, nur noch kühner und unverhohlener. „Was sollte man am Theater angreifen“, ruft er in der Vorrede zu Figaros Hochzeit aus, „die Verkehrtheiten und die Lächerlichkeiten? Das lohnte sich der Mühe zu schreiben 1 ^ie sind bei uns, wie die Moden, man bekehrt sich nicht von ihnen, man wechselt sie nur. Die Laster, die Misbräu che, die wechseln nicht, sondern verbergen sich unter tausend Gestalten, unter der Maske berschender nten: ihnen diese Maske herunterzureissen, sie unverhüllt zu zeigen, das lst die edle Aufgabe eines Menschen, der sich dem Theater weiht.“ Man muss gestehen, dass Beaumarchais das Zeug hatte, der Molière seines Jahrhunderts zu werden, hätte er nur nicht tausend andere Dinge gleichzeitig neben der Komödie betrieben. Es besitzt auch der Tolle Tag alle Eigenschaften, die den Geist seiner Zeit anmuteten. Und gerade das, was strenge Kritiker unserem Autor zum Vorwurfe machten — die allzugrosse Fülle von Geist, mit der er alle seine Personen ausgestattet hat — war ein Empfehlungsbrief mehr an die Zeitgenossen. Der Geist ist in Frankreich jederzeit die gröste Macht gewesen und ist es noch; ihm konnten die Franzosen nicht widerstehen. Ihm verdankt Beaumarchais den ungetheilten Erfolg bei allen Schichten der Pariser Bevölkerung. Nachdem der Autor im Verlauf des Stückes alle Misbräuche an den Pranger gestellt, nachdem er mit unerhörter Kühnheit den Adel hat Uber die Klinge springen lassen, greift er in einem der Schlusscouplets das Königtum selbst an : „Durch das Schickaal der Geburt Wird der Eine König, der Andere Hirt; Der Zufall hat diesen Abstand bewirkt. Der Geist allein kann Alles ändern, Von zwanzig Königen, denen man Weihrauch streut, Bricht der Tod den Altar; Und Voltaire ist unsterblich.“ ') Und was thun die Adeligen in ihren Logen, sie, die sich jederzeit für die Stütze des Thrones ausgehen und als solche angesehen werden? sie, auf deren Unkosten die Canaille, die Proletarier im Parterre belustigt werden? Sie sind die Ersten, die das Zeichen geben zu den stürmischesten Beifallsbezeugungen, von denen jemals das Théàtre-Franncher Adolf. Wuió Peter. 10. VI. Klasse. Abt Johann. *Franz Anton. Güthu Karl. Gütz Moriz. Klinger Anton. Kraus Karl. *Nowak Anton. Pototschnig Heinrich. Rupnik Miroslav. *Tschinclitsch Hugo. 10. VII. Klasse. Eberl Karl. Faulnnd Leopold, (falsch Friedrich Ilaibürtli Franz. Jagodič Franz. Kadlik Eugen. Krall Franz. Lorber Johann. *lYrko Viktor. *Prodnigg Heinrich. Rattey Johann. Redl Alexander. *Schwarz Anton. Steinbrenner Vinzenz. Wall-ner Theodor. Wrentsohur Franz. Zaunschirm Johann. 17. * Die mit einem * bezeichneton Schüler haben die Vor^ugsklasse erhalten.