Original scientific paper Izvirni znanstveni članek DOI: 10.32022/PHI33.2024.130-131.13 UDC: 165.6/.8 Sprache und Nihilismus Eine Kritik an der Homogenisierung der Sprache Alfredo Rocha de la Torre Universidad Pedagógica y Tecnológica de Colombia, Avenida Central del Norte 39-115, 150003 Tunja, Boyacá, Colombia rochtorre@yahoo. com Language and Nihilism. A Critique of the Homogenization of Language Abstract If language is understood not only as a simple way of communicating, but also and fundamentally as an experience, in which man opens himself to the world, to other men and their works, and to things (Heidegger), then the loss of linguistic diversity can mean nothing less than the death of the multiplicity of worlds, in which the spiritual Phainomena 33 | 130-131 | 2024 diversity of cultures is expressed. It is therefore not unreasonable to think that this decline could consequently lead to an identity devoid of difference, and thus to the predominance of identity over diversity. This pre-eminence of identity would, in this sense, be the culmination (die Vollendung) of the emptiness inherent in the nihilistic phenomenon that characterizes the contemporary world—its tendency towards uniformity and identity without difference (die Gleichheit). This is the meeting point of language and nihilism, and the thesis of this paper. Sociological studies on glotophagy, hegemony, and linguistic imperialism help to concretize this Heideggerian reflection. Keywords: language, nihilism, linguistic imperialism, Heidegger. Jezik in nihilizem. Kritika homogenizacije jezika Povzetek Če jezika ne razumemo le kot preprostega načina sporazumevanja, temveč tudi in predvsem kot izkušnjo, v kateri se človek odpre svetu, drugim ljudem ter njihovim delom 288 in tudi stvarem (Heidegger), potem izguba jezikovne raznolikosti ne more pomeniti nič drugega kot smrt mnogoterosti svetov, v katerih se izraža duhovna raznolikost kultur. Zato ni nerazumno misliti, da bi ta propad lahko privedel do identitete brez razlik in s tem do prevlade identitete nad raznolikostjo. Takšna prevlada identitete bi bila v tem smislu dovršitev (die Vollendung) praznine, ki je lastna nihilističnemu fenomenu, značilnemu za sodobni svet - njegovi težnji po uniformnosti in identiteti brez razlik (die Gleichheit). To je stičišče jezika in nihilizma ter teza tega prispevka. Sociološke študije o glotofagiji, hegemoniji in jezikovnem imperializmu pripomorejo h konkretizaciji te Heideggrove osmislitve. Ključne besede: jezik, nihilizem, jezikovni imperializem, Heidegger. Alfredo Rocha de la Torre Einleitung In der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel wird beschrieben, wie die Nachkommen Noahs von Jahwe für das vermessene Ansinnen dieses Turmbaus bestraft werden.1 Die Legende aus der Genesis baut dabei auf vier mythische Stützpfeiler auf: 1) die merkwürdige Auffassung, sprachliche Vielfalt sei eine Strafe; 2) die Vorstellung, diese Vielfalt stelle ein Hindernis für eine reibungslose Kommunikation bzw. einfache Verständigung zwischen den Menschen dar; 3) die vorherrschende, ja nahezu ausschließliche Perspektive auf die Sprache als Mittel der Kommunikation (Heidegger 2000c, GA 16, 531 f.); und 4) das Aufkommen einer neuen Spracherfahrung - nämlich die Erfahrung, dass es verschiedene Sprachen gibt -, die hier als Ausdruck der Macht Gottes verstanden werden kann. Unabhängig davon, ob es sich bei dieser Erzählung um eine realhistorische oder eine fiktive Begebenheit handelt, fällt die Ähnlichkeit auf, die zwischen der mythischen Erzählung vom Turmbau zu Babel und der faktischen Gegebenheit der Sprache in unserer eigenen Gegenwart besteht. 289 So können wir in dem, was in der biblischen Erzählung beschrieben wird, mindestens drei Phänomene ausmachen, die bis heute in der westlichen Kultur weiterbestehen und zweifellos in hohem Maße mitbestimmend für ihr Ethos sind: a) die Auffassung der Sprache als bloßes Instrument der Kommunikation bzw. einfaches Werkzeug für die Verständigung zwischen Individuen und Menschengruppen; b) die implizite pejorative Auffassung von sprachlicher Vielfalt und damit der Differenz als solcher; c) die Tendenz zur 1 Diese Erwähnung der biblischen Legende ist kein willkürlicher Einstieg, sondern hat einen symbolischen Kern. Calvet (1974, 17 ff.) suggeriert, die Legende könne im 16. Jahrhundert die Legitimität einer sprachlichen Hegemonie gestützt haben, deren Folgen sich bis in die Gegenwart erstrecken. Vgl. auch Crystals Buch Language Death: „One reflects the ancient tradition, expressed in several mythologies but most famously in the Biblical story of Babel, that the proliferation of languages in the world was a penalty imposed on humanity, the reversal of which would restore some of its original perfectibility. In an ideal world, according to this view, there would be just one language, which would guarantee mutual understanding, enlightenment, and peace. Any circumstances which reduce the number of languages in the world, thereby enabling us to move closer to this goal, must therefore be welcomed." (Crystal 2003, 27.) Phainomena 33 | 130-131 | 2024 Homogenisierung der Welt durch eine Geste der Macht (Calvet 1974, 10-11). Die kritische Analyse dieser drei Phänomene - ausgehend von der Frage nach der Sprache, wie Martin Heidegger sie entfaltet hat -, wird es mir erlauben, mit der These zu schließen, dass diese gängige Konzeption der Sprache und ihre heutige Form nichts anderes sind als ein Ausdruck der Ausweitung der Leere und Sinnlosigkeit des zeitgenössischen Nihilismus. Diese These geht davon aus, dass eine ausschließlich instrumentelle Konzeption der Sprache dazu führt, ihr sinnstiftendes Sich-Entfalten wie auch ihren strukturellen Zusammenhang mit den spezifischen Weisen, in denen sich der Mensch für die Welt, für die Anderen und für sich selbst öffnet, zu untergraben und zu entleeren. Das bedeutet nichts anderes als die Entleerung ihres hermeneutischen Charakters bzw. ihrer Fähigkeit, aus ihrem eigenen Horizont heraus für das Seiende offen zu sein. Eine detaillierte Annäherung an Heideggers Perspektive, die sich mit der traditionellen Konzeption der Sprache auseinandersetzt und zugleich eine ontologische Auffassung der Sprache entwickelt sowie die Frage nach dem 290 Wesen des Sprachphänomens aufwirft, soll es erlauben, die Hauptsäulen dieser These hervorzuheben und zu analysieren. Die traditionelle Auffassung der Sprache In seiner unter dem Titel Unterwegs zur Sprache (GA 12) veröffentlichten Sammlung von Schriften und Vorträgen, insbesondere zu Beginn des Vortrages „Die Sprache" von 1950, hebt Heidegger in doppelter kritischer Absicht die sprachliche Natur des Menschen und damit die spezifische Differenz hervor, die ihn vom Tier unterscheidet. Er beschreibt zunächst die traditionelle Annäherung an die Sprache als Äußerung von Geisteszuständen, als menschliche Tätigkeit und Mittel der Repräsentation (Heidegger 1985a, GA 12, 11 ff.). Trotz ihrer unterschiedlichen Schwerpunkte stimmen diese Charakterisierungen laut Heidegger darin überein, dass alle die Sprache als einfaches Instrument im Dienst des Menschen - und somit als menschlichen Besitz - verstehen (Heidegger 1985a, GA 12, 9). In diesem Zusammenhang könnte man über Heidegger hinaus fragen: Welche Folgen hat eine solche Auffassung der Sprache für eine Alfredo Rocha de la Torre philosophische Perspektive, der es um die Verbindung des Wortes mit dem Ethos der zeitgenössischen Kultur geht? Die erste implizite Auswirkung dieser Auffassung von Sprache ist das Phänomen der „Austauschbarkeit", d. h. die Vorstellung der verschiedenen Sprachen als austauschbaren Instrumente der menschlichen Kommunikation. Mit anderen Worten: So wie jedes Werkzeug, das im Laufe der Zeit durch ein moderneres, nützlicheres und somit besser geeignetes Instrument ersetzt werden kann, wird auch die Sprache als bloßes Kommunikationsmittel aus einer Perspektive betrachtet, die mit ihrer Nützlichkeit zusammenhängt. Eine solche Nützlichkeit kann beispielsweise darin bestehen, dass Leistungen in einem bestimmten Kontext gesteigert werden können, dass sich die eine Sprache für das Erreichen eines geplanten Zwecks als tauglicher erweist als eine andere oder schlicht, dass sie sich bequemer handhaben lässt als andere Sprachen. Dies ist einer der Gründe dafür, dass einige in ihrer grammatikalischen Struktur oder ihrer Aussprache schwierige Sprachen tendenziell durch andere, leichter zugängliche Sprachen ersetzt werden. Der vorgebrachte Grund dafür lautet: Es gibt eine Universalsprache, die den Zugang zu Kultur und Bildung 291 erleichtert.2 Daher müssen Länder mit einer anderen Muttersprache als dieser Weltsprache beispielsweise ihr akademisches Leben sukzessive an die Weltsprache anpassen, um mit der Welt in Austausch treten zu können. Dabei geht es weniger darum, dass sich Gaststudenten und Forscher die Sprache der von ihnen besuchten Länder aneignen, als vor allem darum, dass das Bildungssystem des Gastgeberlandes seine akademischen Veranstaltungen und Forschungen durchweg der herrschenden Weltsprache anpasst. Eine solche Entscheidung erleichtert aber nicht nur die Internationalisierung des Bildungssystems eines Landes, sondern verschafft ihren Apologeten auch ein gewisses Maß an intellektueller und bürokratischer Anerkennung durch Institutionen, die die Verwendung der Universalsprache fördern. Nur in ganz seltenen Fällen wird von den Philosophen über die kulturellen 2 Hinter dieser scheinbar pragmatischen Entscheidung steht im Grunde eine politische Strategie. Die USA zusammen mit dem Vereinigten Königreich haben bereits 1950 beschlossen, die englische Sprache als Weltsprache zu fördern (Phillipson 2013, 3798). Diese Entscheidung wurde nicht von Linguisten und Sprachwissenschaftlern getroffen, sondern von Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern. Phainomena 33 | 130-131 | 2024 und existenzialen Folgen einer solchen Entscheidung nachgedacht. Selbstverständlich gibt es auch kaum Diskussionen über den verstehend-ontologischen Wert des Gebrauchs der einen oder der anderen Sprache. Die Fragen, „für wen die Universalsprache leicht zu verwenden ist" und „warum eine bestimmte Sprache als Universalsprache favorisiert wird", werden auch in der Philosophie üblicherweise nur selten gestellt. Folglich scheinen in diesem Kontext Fragen wie diese so offensichtlich zu sein, dass es überflüssig ist, sie eigens aufzuwerfen. Die Funktion bzw. das „Umzu" eines Werkzeugs (zum Beispiel eines Hammers) weisen es einem Verweisungszusammenhang zu, in dem es als ein Seiendes unter ähnlichen Objekten erscheint, die in Massenproduktion hergestellt werden können: Der Hammer ist offensichtlich nicht mehr als ein Gegenstand unter vielen anderen gleicher Art und kann somit, da er keine eigene Bedeutung hat, als leeres Instrument bezeichnet werden. Aus dieser Perspektive des Gebrauchs, d. h. des Wortes als eines bloßen Instruments der menschlichen Kommunikation, wird auch die Sprache im 292 Grunde als ein leeres Instrument betrachtet, denn nur etwas, was über keine eigene „Natur" bzw. keine eigene Bedeutung verfügt, die gerade dieses Etwas als etwas Einzigartiges und Unersetzbares herausstellt, kann in dieser Weise austauschbar sein. Die Sprache wird damit zu einer Aneinanderreihung formaler Termini, denen eine eigene Bedeutung - etwa eine, die ihnen durch die „Stimme der Kultur", also durch die geschichtliche Erfahrung, in der sich menschliche Verstehensstrukturen auf der Erde gestalten, verliehen wird (vgl. Rocha de la Torre 2021a) - fehlt. Als leeres, austauschbares Instrument werden auch die Sprache und ihre historischen Konkretisierungen als harmlose Werkzeuge vorgestellt, denn der Gebrauch der einen oder der anderen Sprache scheint keine Folgen nach sich zu ziehen, weder für die Konstitution eines bestimmten Verstehens der „Wirklichkeit" noch für die Art und Weise, wie man zu den Anderen und zur Welt in Beziehung tritt.3 Demnach können auch Wörter der einen Sprache 3 Diesbezüglich schreibt Heidegger: „Der Mensch spricht immer nur so, dass er aus der Sprache heraus spricht. Was dies heißt, haben wir bisher wenig durchdacht. Vielmehr zeig uns in der Hast und Gewöhnlichkeit des alltäglichen Redens und Schreibens die Sprache ganz anderes. Wir meinen auch, die Sprache sei nur wie alles Tägliche sonst, Alfredo Rocha de la Torre ohne Weiteres durch Wörter einer anderen Sprache - d. h. einer Fremdsprache - ersetzt werden. Aus einer mechanischen Perspektive der Übersetzung betrachtet reicht es daher aus, einfach Worte auszutauschen, um das Ziel des Übertragens von einer Sprache in eine andere zu erreichen. Dies mag natürlich da stimmen und machbar sein, wo es sich nicht um grundlegende Konzepte einer bestimmten Welterfahrung handelt. Es ist aber nicht klar, wo das eindeutig der Fall sein soll. Heidegger verwendet den Begriff des „Übersetzens", um die Erfahrung der Übersetzung als eine Welterfahrung herauszustellen: Das „Übersetzen" impliziert die Sinnerfahrung dessen, was aus den Worten spricht (Heidegger 2002a, GA 8, 236 f.). In diesem Zusammenhang ist folglich unter einer Übersetzung sehr viel mehr als nur die bloße Übertragung eines Wortes bzw. eines Satzes von einer Sprache in eine andere zu verstehen: Übersetzen bedeutet vielmehr, erfahrend von einer Welt in eine andere, von einem Bedeutungshorizont in einen anderen überzugehen. Eine solche Erfahrung der Übersetzung ist nur möglich dank des kulturellen und existenzialen Wesens der Sprache (vgl. Crystal 2003, 119-126; Rocha de la Torre 2005). 293 Jedem ausschließlich zum Gebrauch bestimmten sprachlichen Instrument fehlt jedoch nicht nur eine existenziale Verbindung zu seinem Benutzer, es wird auch unweigerlich in die Hände des Meistbietenden geraten und damit in die Hände der Macht, der es darum zu tun ist, mittels des Instruments Sprache ihre wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Ziele durchzusetzen. Es gibt kaum keine trostlosere Erfahrung als die, dabei zusehen zu müssen, wie eine bestimmte Sprache unter der sie überwältigenden Macht einer anderen Sprache kollabiert und abstirbt. Genau darum geht es jedoch im „Sprachimperialismus", auf den Experten immer wieder hinweisen (vgl. z. B. Phillipson 1992),4 der aber für die breite Masse, die das Wort lediglich als ein womit wir umgehen, ein Instrument, und zwar das Instrument der Verständigung und Mitteilung [...] Diese Vorstellung von der Sprache hat beinahe etwas Harmloses an sich." (2000c, GA 16, 531.) 4 Phillipson zufolge zeichnet sich der Sprachimperialismus insbesondere durch folgende Züge aus: „a) Linguistic imperialism interlocks with a structure of imperialism in culture, education, the media, communication, the economy, politics, and military activities; b) In essence it is about exploitation, injustice, inequality, and hierarchy that privileges those able to use the dominant language; c) It is structural: More material Phainomena 33 | 130-131 | 2024 schlichtes Instrument zur Kommunikation, Beschreibung oder Darstellung begreift, unsichtbar bleibt. Eine solche Verknüpfung von Sprache und Macht geht offensichtlich über die gedankenlose Vorstellung des Wortes als eines harmlosen, austauschbaren und leeren Instruments hinaus. Aus einer nicht pragmatisch-instrumentellen Perspektive der Sprache, die sich nicht auf die bloße Verbindung zwischen Mittel und Zweck beschränkt, eröffnet sich die Möglichkeit einer über die einfache Untersuchung des Gebrauchs der Sprache hinausgehenden Frage. Als Ausgangspunkt einer neuen Auffassung, die es uns ermöglicht, über die Konzeption des Wortes als Kommunikationsinstrument hinauszugehen und damit auch über die Relation von Sprache und Macht nachzudenken, gilt es, über die Zweckmäßigkeit der Verwendung einer spezifischen Sprache hinaus nach dem Modus - wie die Sprache west - zu fragen (Heidegger 1985b, GA 12,147-204, und 1985c, GA 12, 227-157). Heidegger: die Frage nach dem Wesen der Sprache 294 In seinem 1950gehaltenen Vortrag „Die Sprache" (Heidegger 1985a, GA 12, 9-30) grenzt sich Heidegger zunächst von den bisherigen Forschungen in verschiedenen Fachgebieten wie Biologie, philosophische Anthropologie, Soziologie, Psychopathologie, Theologie und Poetik (Heidegger 1985a, GA 12, 12-13) ab, ganz so, wie er es auch in „Das Wesen der Sprache" in Bezug auf Sprachwissenschaft, Linguistik, Philologie, Psychologie und Sprachphilosophie (Heidegger 1985a, GA 12, 150) sowie im „Brief über den ,Humanismus'" (Heidegger 1985a, GA 9, 318) im Blick auf die Sprachphilosophie tut. Er kommt zu dem Schluss, alle diese resources and infrastructure are accorded to the dominant language than to others; d) It is ideological: Beliefs, attitudes, and imagery glorify the dominant language, stigmatize others, and rationalize the linguistic hierarchy; e) The dominance is hegemonic: It is internalized and naturalized as being ,normal'; f) This entails unequal rights for speakers of different languages; g) Language use is often subtractive, proficiency in the imperial language and in learning it in education involving its consolidation at the expense of other languages; h) It is a form of linguicism, a favoring of one language over others in ways that parallel societal structuring through racism, sexism, and class: Linguicism serves to privilege users of the standard forms of the dominant language, which represent convertible linguistic capital." (2013a, 3794.) Siehe auch Phillipson 2013b, 861-865, insbes. 863, sowie Hammill und Figueiredo 2013, 3225-3227. Alfredo Rocha de la Torre Disziplinen und Wissenschaften würden lediglich unterschiedliche Vorstellungen und Erkenntnisse über die Sprache anbieten, und zwar so, als handelte es sich bei der Sprache schlicht um einen weiteren Forschungsgegenstand. Heidegger distanziert sich folglich von diesen verschiedenen traditionellen Auffassungen der Sprache und wirft die Frage nach dem Wesen der Sprache als die grundlegende Frage auf. Damit stellt er die traditionelle wissenschaftliche Frage nach den verschiedenen Erscheinungsformen der Sprache zur Seite, um unmittelbar nach der Art und Weise zu fragen, wie die Sprache sich entfaltet und was für sie konstitutiv bzw. ihr eigen ist. Heideggers Frage liegt also in einem anderen Bereich und zeigt in eine andere Richtung als die gängige Frage nach dem Gebrauch der Sprache. Sowohl der Bereich als auch die Richtung der Heidegger'schen Frage nach der Sprache führen von der Charakterisierung des Wortes als eines bloßen Kommunikationsmittels weg. Damit wird der Versuch gewagt, die Sprache von ihrer scheinbaren Harmlosigkeit, Austauschbarkeit und Leere - die implizit zur instrumentell-pragmatischen Auffassung des kommunikativen Aktes gehören - zu befreien. Eine solche Befreiung soll dazu führen, den vollen 295 ontologischen Sinn der Sprache im Zusammenhang der Verwurzelung des Wortes in „einer Welt" zu postulieren und damit in einer Erfahrung sui generis des Verstehens von allem, was ist (vgl. z. B. Heidegger 2002e, GA 13, 155-180). Aus einem ontologischen Standpunkt - wenngleich im Unterschied zu derselben Frage nach dem Wesen, wie sie in der griechischen Philosophie gestellt wurde - fragt Heidegger nach dem Wesen der Sprache. Auf den ersten Blick scheint seine Antwort eine bloße Tautologie, ein sinnloser Teufelskreis zu sein: „Die Sprache selbst ist: die Sprache [...] wie west die Sprache als Sprache? Wir antworten: Die Sprache spricht." (Heidegger 1985a, GA 12, 10.) Eine an der abendländischen Grammatik orientierte Sichtweise, zu deren Überwindung Heidegger auffordert (1996d, GA 9, 314 f.), wird in dieser Antwort nur eine Aussage sehen, in der das Prädikat auf eine vom Subjekt durchgeführte Handlung verweist. Heidegger zufolge ist diese Aussage jedoch weit mehr als ein plumper Zirkel und eine unbeholfene Zuweisung einer Handlung an ein Instrument namens Sprache. Was dieser voreilig als Teufelskreis bezeichnete Ausdruck impliziert, gehe vielmehr weit über die Erklärungen der Logik und abendländischen Grammatik hinaus. Phainomena 33 | 130-131 | 2024 Heidegger zufolge bricht die Aussage „Die Sprache spricht" mit der traditionellen Satzstruktur, die ein Subjekt mit einem Prädikat durch eine Kopula verbindet. Es geht also nicht darum, dass ein „Sprache" genanntes Subjekt eine Handlung ausführt, die dann als „Sprechen" bezeichnet wird. Es geht um die Entfaltung der Sprache in dem, was sie selbst ist. Heidegger bestimmt die Entfaltung des der Sprache Eigenen als ein Zeigen. Dieses Zeigen soll aber nicht „etwas schon Vorhandenes signalisieren"; es ist vielmehr als ein Erscheinenlassen (1985b, GA 12, 188 ff.) zu verstehen, welches seinerseits nicht auf ein menschliches „Tun" verweist, sondern auf ein „Lassen", welches das Geschehen des Seienden in dem, was es ist, sich frei entfalten lässt. Es handelt sich also um ein Geschehenlassen, welches das Seiende aus sich selbst hervorgehen lässt, und damit um „das Sich-an-ihm-selbst-zeigende [...]" (Heidegger 1985b, GA 12, 38). In diesem Sinne ist die Sprache kein bloßes Werkzeug, welches es dem Menschen als Produkt seines Tuns ermöglicht, alles, was ist, zum Vorschein zu bringen. Die Sprache lässt das Seiende vielmehr frei begegnen - wenn auch gerade nicht im aktiven Sinne des Begriffs, wonach das 296 Seiende so zum Vorschein kommt, wie man dies bislang analog zur Auffassung des Menschen als eines allem zugrundeliegenden Subjekts (subjectum) verstanden hat. Die Sprache ist somit nicht nur ein Mittel zum Ausdruck von Gefühlen (Heidegger 1985a, GA 12, 12), zur intersubjektiven Kommunikation oder zur bloßen Beschreibung einer der sprachlichen Bezeichnung vorausgehenden Welt. Sprache ist ihrem Wesen nach ein Erscheinenlassen des Seienden, d. h. ein Hervorbringen von vormals Verborgenem. Heideggers Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Sprache entspricht seiner eigenen Charakterisierung des Wesens im Sinne von „wesend": Wesend ist die Art und Weise, wie sich die Sprache zu dem entfaltet, was sie ist; wie die Sprache zu dem wird, was sie ist: Eben das bedeutet, das Seiende als Phänomen erscheinen zu lassen. Die Konsequenzen dieser Heidegger'schen Auffassung von Sprache, die im Mittelpunkt des vorliegenden Aufsatzes stehen, sind unter anderem die folgenden: 1) Die instrumentelle Perspektive der Sprache wird also durch einen ontologischen Ansatz überwunden und damit durch eine Konzeption der Sprache, die untrennbar mit dem Erscheinen des Seienden verbunden ist: Alfredo Rocha de la Torre Sprache ist im Grunde ein anderes Wort für die Erfahrung der Wahrheit als aletheia, als Unverborgenheit.5 Als Belege für verschiedene Ausdrucksformen dieser Erfahrung des Erscheinens in der Sprache können genannt werden: a) Heideggers Bezugnahme auf Stefan Georges Gedicht „Das Wort", dessen letzte Strophe lautet: „Kein Ding sei wo das wort gebricht" (1985b, GA 12, 153 ff.); b) die letzte Zeile von Hölderlins Gedicht „Andenken", welche behauptet: „Was bleibet aber, stiften die Dichter" (1996a, GA 4, 41); und c) Heideggers mittlerweile kanonische und oft missverstandene Formel: „Die Sprache ist das Haus des Seins" (1996d, GA 9, 313). 2) Heideggers Ansatz führt dazu, die Sprache als Ausdruck der Art und Weise zu postulieren, in der sich der Mensch für die Welt öffnet und die Welt ihm erscheint. Es geht also nicht mehr darum, ein bloßes Instrument vorzustellen, sondern darum, ein Geschehen voller Bedeutung zu denken; es geht um eine „Blickrichtung", die in einem geschichtlich-existentiellen Horizont verwurzelt ist und das Verstehen so in eine situierte Offenheit umwandelt. Heidegger betont einen solchen situierten, d. h. verwurzelten Charakter sowohl der menschlichen Existenz als auch der Sprache, indem er 297 sich mehrfach auf Johann Peter Hebels berühmtes Mundartgedicht bezieht: „Wir sind Pflanzen, die - wir mögen's uns gerne gestehen oder nicht - mit den Wurzeln aus der Erde steigen müssen, um im Äther blühen und Früchte tragen zu können." (2000b, GA 16, 529-530.) Hier wird also schließlich der strukturelle und konstitutive Charakter der Geworfenheit des Menschen in die Welt - seine Horizontgebundenheit bzw. das situierte Wesen des stimmungsgemäßen Verstehens - hervorgehoben, wie sie Heidegger in Sein und Zeit postuliert (1977, GA 2, §§ 31 und 68).6 5 Heidegger befasst sich mit dem Wahrheitsbegriff von seiner logozentrischen Auffassung als Aussage bis zu seiner Bestimmung als dX^Gsia und Lichtung ausführlich vor allem in: Logik. Die Frage nach der Wahrheit (GA 21, §§ 10-14), Sein und Zeit (GA 2, § 44), Die Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24, § 18), Einleitung in die Philosophie (GA 27, §§ 12-14, 21-22, 28), Holzwege (GA 7, 1-74), Wegmarken (1996b, GA 9, 177-202, 203-238). 6 Siehe diesbezüglich z. B.: „Die Befindlichkeit ist eine der existenzialen Strukturen, in denen sich das Sein des ,Da' hält. Gleichursprünglich mit ihr konstituiert dieses Sein das Verstehen. Befindlichkeit hat je ihr Verständnis, wenn auch nur so, daß sie Phainomena 33 | 130-131 | 2024 3) Eine solche Zugehörigkeit sowohl des Verstehens zu einem Horizont als auch der Sprache zu einer im Eigenen verwurzelten, bodenständigen Offenheit - was Heidegger als Heimat bezeichnet (vgl. Rocha de la Torre 2012; 2021b) - bekundet sich spontan in der Sprache des eigenen Landes, also in der Muttersprache. Da in der Muttersprache das eigene und besondere Weltverstehen des Menschen in seinem Horizont liegt, ist die Sprache weder ein Tauschgegenstand noch ein leeres Seiendes, d. h. ein rein formal Seiendes ohne kulturelle bzw. existenziale Bestimmung. Das Absterben bzw. Implodieren der Muttersprache ist daher kein harmloses Ereignis. Jede Sprache ist die Sprache einer Welt, also das Aufgehen einer existenzial-geschichtlichen Erfahrung, sich für das Erscheinen des Seienden zu öffnen. Heidegger macht dies insbesondere in der letzten Phase seines philosophischen Denkweges deutlich, wenn er nach dem Wesen der Mundart bzw. der Muttersprache fragt: Was birgt der Geist einer Sprache? Er verwahrt in sich die unscheinbaren, aber tragenden Beziehungen zu Gott, zur Welt, zu den 29Q Menschen und ihren Werken und zu den Dingen. Was der Sprachgeist in sich birgt, ist jenes Hohe, alles Durchwaltende, woraus jeglich Ding seine Herkunft hat, so, dass es gilt und fruchtet. (Heidegger 2000a, GA 16, 495; vgl. auch: 2002b, GA 13, 117; 2002c, GA 13, 124; 2002d, GA 13, 135.) Heideggers Zeilen lässt sich entnehmen, dass die Sprache in ihrem Wesen keineswegs als bloßes Instrument menschlicher Tätigkeit und folglich nicht als bloßes Mittel ohne jedes ontologische und existenziale Gewicht zu verstehen ist. Im Gegenteil: Die Sprache ist die Weise, wie sich der Mensch für das Seiende öffnet: die Sprache der Mutter - die Muttersprache - prägt den Blick des Menschen, die spezifische Welt als Horizont seines Verstehens.7 Das ist der es niederhält. Verstehen ist immer gestimmtes." (Heidegger 1977, GA 2, § 31, 190.) Auch: „Jedes Verstehen hat seine Stimmung. Jede Befindlichkeit ist verstehend." (GA 2, § 68, 444.) Und: „Die Befindlichkeit gründet daher in der Geworfenheit. Stimmung repräsentiert die Weise, in der ich je das geworfene Seiende primär bin." (GA 2, § 68, 450.) 7 Vgl. dazu Heidegger: „Wann immer und wie immer der Mensch spricht, er spricht nur, indem er zuvor schon auf die Sprache hört. Der Mensch spricht immer nur so, daß er aus einer Sprache heraus spricht - aus jener Sprache, in die er hineingeboren Alfredo Rocha de la Torre Grund, warum eine Sprache nicht austauschbar sein kann, ohne den Verlust einer Welt hervorzurufen (vgl. Crystal 2003, 36 ff., 54; Mithun 1998, 189). Es ist auch der Grund dafür, dass der Gebrauch oder Nichtgebrauch einer Sprache nicht als harmlose Begebenheit aufgefasst werden darf, denn eine bestimmte Sprache als Muttersprache „haben", bedeutet nicht weniger als die Art und Weise, wie der Mensch die Welt verstehend erlebt. Eine „sinnvolle" Sprache, d. h. eine Sprache, die keine „welt-fremde" Sprache ist, eine Sprache, die somit einzigartig ist und daher nicht durch eine andere Sprache einfach ausgetauscht werden kann, ist mehr als eine „harmlose" Form der menschlichen Kommunikation und mehr als ein bloßes Werkzeug zur Bezeichnung von Gegenständen: Sie ist vielmehr eine konstitutive Erfahrung jedes möglichen Umgangs mit dem Seienden. Das Wesen einer Sprache als situiertes Erscheinenlassen ist also nichts anderes als eine bestimmte Weise, in der sich das Verstehen des Menschen aus einem einzigartigen Horizont heraus entfaltet, aus dem der Mensch seine eigene Welt gestaltet und bildet. Über Heidegger hinaus führt seine Frage nach dem Wesen der Sprache somit zu der Frage nach dem Modus, wie sich eine 299 Welt in der Entfaltung einer Sprache bildet, wie also eine solche Welt durch das Wort verstanden werden kann: Seine ontologische Besinnung in Bezug auf die Sprache ermöglicht uns eine Reflexion über die politischen Folgen einer situierten Konzeption des Wortes. Sprache, Macht und Nihilismus Wenn Sprache als erscheinende Welt geschieht und wenn eine spezifische Sprache bedeutet, die Welt aus einer Welt zu verstehen: Wie können wir dann jenseits einer rein linguistischen Annäherung die Beziehungen zwischen den verschiedenen Sprachen verstehen? Was inmitten des Alltags unbemerkt bleibt und daher am gesunden Menschenverstand vorbeigeht, lässt sich tiefer besehen ist. Man nennt sie die Muttersprache." (2000c, GA 16, 531.) Eine Überlegung zur wesentlichen Relation zwischen Sprache und Welt, wenn auch aus einem anderen philosophischen Kontext, kann man in dem Aufsatz „Sustancia versus relación. Sobre los antecedentes lingüístico-teóricos de las filosofías occidental y andina" von J. Estermann finden (2022, 53-72). Phainomena 33 | 130-131 | 2024 als ein Grundphänomen bezeichnen, das die Zukunft des Menschen auf der Erde prägt: Das heißt, die Beziehung zwischen Sprache(n) und erscheinender Welt bzw. erscheinenden Welten ist mit tiefgreifenden philosophischen Konnotationen und unabsehbaren politischen Folgen verbunden. Der Verfall und das Aussterben einer Sprache bzw. unzähliger unterschiedlicher Muttersprachen (vgl. Rocha de la Torre 2021a), sowie die Vorherrschaft einer einzigen Sprache über alle anderen - als das Ergebnis einer Machtäußerung, die unter dem Deckmantel der Nützlichkeit und Notwendigkeit einer schnellen und einfachen globalen Kommunikation ausgeübt wird -,8 sind nichts anderes als der Ausdruck dreier Machtphänomene, die von der Soziolinguistik und der angewandten Linguistik analysiert werden: a) sprachliche Hegemonie (Bochmann 2017, 4 ff.), b) Glottophagie (Calvet 1974) und c) Sprachimperialismus (Phillipson 1992; Canagarajah 1999). Diese drei sprachlichen Phänomene lassen sich als eine greifbare Äußerung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht einer Kultur über eine andere auffassen. Sie führen also nicht nur dazu, dass eine Sprache 300 überschattet und ausgehöhlt wird. Sie führen auch zu ihrer Schwächung und ihrem Aussterben und damit zum Niedergang einer Kultur und einer bestimmten Weise, wie sich der Mensch für das Seiende öffnet. Durch die gewaltsame Homogenisierung der sprachlichen, kulturellen und vor allem ontologischen Ebene begünstigen diese drei Phänomene eine Struktur des Verstehens, die eine leere Gleichheit ohne Differenzen erzeugt. Die als die Hegemonie einer Sprache auf lokalem, regionalem bzw. nationalem Gebiet verstandene „ sprachliche Suprematie", die durch direkte oder versteckte Interferenzen der etablierten Macht zum Niedergang der anderen Sprache(n) führt, kann als erster Schritt der kulturellen Einförmigmachung eines Zeitalters gefasst werden. Die häufigsten Mittel zur Herabsetzung einer Sprache sind u. a. kultureller (abwertende Stereotypen), wirtschaftlicher (erschwerter Zugang zum Arbeitsmarkt), sozialer (Diskreditierung und 8 Die Behauptung der unbestreitbaren Notwendigkeit einer Universalsprache ist letztlich ein ideologischer Ausdruck der herrschenden Macht, die kreisförmig die Wirklichkeit durch Ideen gestaltet, um anschließend diese Wirklichkeit wiederum aus den zur Wahrheit gewordenen Ideen zu rekonstruieren. Vgl. dazu Calderón 2022, 41-71. Alfredo Rocha de la Torre soziale Immobilität) und politischer Art (Einführung einer Amtssprache und Verbot anderer Sprachen) - also nicht unbedingt sprachlicher Natur, wie man vorschnell annehmen könnte (vgl. Crystal 2003, 76-88; Kamal Khan, Pervaiz und Perveen 2019, 2 ff.). Das sukzessive Aussterben einer Sprache setzt sich in der sogenannten Glottophagie fort, also durch den Prozess, bei dem eine Sprache eine andere „auffrisst", so dass es irgendwann niemanden mehr gibt, der sie spricht (Crystal 2003, 1 ff.). Die Ursachen dafür sind die gleichen wie im Fall der „sprachlichen Hegemonie", die Folgen jedoch noch weitreichender: Der Linguizid geht Hand in Hand mit dem Untergang der Kultur, in der diese Sprache gesprochen wurde. Die unmittelbare Folge dieses Linguizides ist der Ethnozid, d. h. die Aufgabe des Eigenen zugunsten einer Übernahme des Fremden.9 Jenseits der naiven Auffassung der Sprache als eines bloßen Instruments der Kommunikation ist die „Glottophagie" vor allem eine „hermeneutische" Herausforderung, denn sie schafft durch die Einförmigkeit der Sprache eine homogenisierende Struktur der menschlichen Erfahrung auf der Erde. Das ist es letztlich auch, was mit dem „sprachlichen Imperialismus" bezeichnet wird, 301 auf den Robert Phillipson seit 1992 aufmerksam macht (vgl. auch Kamal Khan, Pervaiz und Perveen 2019).10 Der britische Sprachwissenschaftler weist auf den 9 „When one culture assimilates to another, the sequence of events affecting the endangered language seem to be the same everywhere. There are three broad stages. The first is immense pressure on the people to speak the dominant language - pressure that can come from political, social, or economic sources. It might be ,top down', in the form of incentives, recommendations, or laws introduced by a government or national body; or it might be ,bottom up', in the form of fashionable trends or peer group pressures from within the society of which they form a part; or again, it might have no clear direction, emerging as the result of an interaction between sociopolitical and socioeconomic factors that are only partly recognized and understood. But wherever the pressure has come from, the result - stage two - is a period of emerging bilingualism, as people become increasingly efficient in their new language while still retaining competence in their old. Then, often quite quickly, this bilingualism starts to decline, with the old language giving way to the new. This leads to the third stage, in which the younger generation becomes increasingly proficient in the new language, identifying more with it, and finding their first language less relevant to their new needs." (Crystal 2003, 78-79.) 10 „Linguistic imperialism takes its shape when in a multilingual setting one language acquires a powerful position, gets the higher status, and is given preference over other Phainomena 33 | 130-131 | 2024 Zusammenhang zwischen sprachlicher und kultureller Vorherrschaft hin, die sich aus der globalen Vormachtstellung einer Sprache über eine andere ergibt. Eine solche Vorherrschaft kommt in der Regel dadurch zustande, dass eine Nation durch militärische und/oder wirtschaftliche Macht anderen Nationen ihre Muttersprache aufzwingt. Eine solche kritische Annäherung an die sprachlich-kulturelle Homogenisierung, die durch den Sprachimperialismus statthat, findet in Heideggers philosophischer Frage nach dem Wesen der Sprache eine ontologische Stütze. Es liegt also auf der Hand, dass der Niedergang bzw. das Verschwinden einer Sprache nicht länger einfach als harmloses Geschehnis des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs eines Werkzeugs betrachtet werden sollte (vgl. Crystal 2003, viii). Der Niedergang und das Aussterben einer Sprache werden ganz im Gegenteil zu einem Weckruf bezüglich des Verlusts unzähliger Möglichkeiten, in denen wir uns von unserem Lebenshorizont aus für die Natur, für den anderen und für uns selbst öffnen. Die im Sprachimperialismus verschärfte sprachliche Vorherrschaft -302 die Tendenz zur globalen sprachlichen Vereinheitlichung - kann aus der Heidegger'schen Perspektive auf die Sprache als „Erscheinenlassen" nichts anderes sein als eine unmerkliche Hinwendung zur Einförmigkeit der Welt unter der Macht einer einzigen Sprache, d. h. einer einzigen Weltoffenheit und einzigen Möglichkeit der Weltverständigung. Die Entfaltung der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht wird somit auf eine globale Identität (Gleichheit) ohne Differenzen ausgerichtet: eine globalisierte Welt, die durch das langsame Absterben von Sprachen und Kulturen Schritt für Schritt ins Leere läuft. Die Vollendung dieser von Unterschieden bereinigten Identität, die Heidegger als Gleichheit im Gegensatz zur Selbigkeit charakterisiert (Heidegger 2006, GA 11, 55), wird die Leere des Einförmigen, des Eindimensionalen, d. h. des eigenen Nichts im Ausbleiben der Verschiedenheit sein. Die sprachliche und kulturelle Homogenisierung, die sich hinter der Dominanz einer Sprache über eine andere verbirgt, ist languages for various functions in the society. In such a situation, the most powerful language dominates and marginalizes the less important languages." (Kamal Khan, Pervaiz und Perveen 2019, 1.) Alfredo Rocha de la Torre im Grunde genommen also das Auferlegen einer Struktur des Verstehens über alle anderen Weisen und Möglichkeiten, das Seiende zu begreifen. Und dies bedeutet nichts anderes als die Aushöhlung jeder echten Differenz und damit die Vergessenheit einer angemessenen Erfahrung, mit dem Anderen als eigentlicher Andersheit umzugehen. Die Homogenisierung der Sprache bedeutet folglich die Vorrangstellung des Nichts und damit verbunden das Aufkommen des Nihilismus in einem weiter entwickelten Stadium, insofern er verborgen und unthematisiert bleibt. Die Blindheit gegenüber der Tatsache, dass der Tod einer Sprache den Tod einer Welt bedeutet - den Tod der inhärenten Differenz der sprachlichen Verschiedenheit in der Welt und damit den Tod der verschiedenen Weisen, sich für selbst, für den Anderen und für die Natur zu öffnen -, ist der Ausdruck unseres Verfallens in die differenzlose Identität (Gleichheit). Sie ist Ausdruck des voll entfalteten Nihilismus des heutigen Menschen. In diesem Kontext betont Heidegger die Notwendigkeit, das Eigene zu bewahren, wenn er auf die gegenseitige Anerkennung des Eigenen und des Fremden verweist: 303 Nötig ist für die Einheimischen und für die Gäste gleichermaßen jenes gegenseitige Anerkennen und Geltenlassen des Eigenen [...]. Sonst verliert das Dorf eines Tages vollständig sein Gesicht, und seine Bewohner verlieren den angestammten Charakter. Ein sicheres Zeichen dieser Gefahr ist das Aussterben des Dialekts, der fehlende Mut zur Bewahrung der Muttersprache. (2000d, GA 16, 648.) Es geht also um den „Mut zur Bewahrung der Muttersprache" inmitten der Entfaltung der Macht der Vereinheitlichung, die uns allen ihre eigene Welterfahrung durch die Sprache auferlegt. Es gilt, sich die eigene verstehende Offenheit zu bewahren, als ein Weg unter vielen, sich für die Welt zu öffnen. Mit dem Tod einer Sprache stirbt also letztlich zugleich die „Differenz" bzw. die echte Verschiedenheit dahingehend (vgl. Rhydwen 1998; Crystal 2003, 32 ff.), dass sich eine Welt in ihrer eigenen Offenheit gegenüber den Menschen und ihren Werken, den Dingen und sich selbst als Welt verschließt. Entgegen der in der Bibel beschriebenen Erzählung vom Turmbau zu Babel bestünde die Bestrafung der Hybris des Baus heute wohl nicht in der Sprachenvielfalt, Phainomena 33 | 130-131 | 2024 sondern in der politischen Auferlegung unterschiedsloser Gleichheit - also des Nihilismus -, welche dazu tendiert, die verschiedenen kulturellen Weisen, sich für die Welt zu öffnen, unter einem einzigen Modus des Verstehens, d. h. in einer einzigen Sprache zu vereinen. Dies bedeutet schließlich, dass die Durchsetzung einer einzigen Sprache durch ihre Hegemonie und die damit verbundene Glottophagie nicht nur als sprachlicher Imperialismus, sondern zugleich als eine Manifestation der politischen und kulturellen Macht verstanden werden kann. Sie ist jedoch vor allem das Signal eines auf ontologischen Grundlagen begründeten Imperialismus, welcher in die Richtung einer Negation der Vielfalt der verschiedenen Welten, die den verschiedenen Sprachen innewohnen, strebt. Dieses Streben führt zum Nichts einer Gleichheit ohne jede Differenz. Es ist mit anderen Worten dieselbe ontologische Leere, die es uns erlaubt, den Nihilismus unserer Zeit als jenes Phänomen zu charakterisieren, in dem das der indifferenten Gleichheit eigene Nichts vorherrscht. 304 Bibliography | Bibliografija Bochmann, K. 2017. „Hexemonía lingüística e os donos da linguaxe." GRIAL. Revista Galega da Cultura 216: 12-19. Calderón González, J. 2022. „Ideología y realidad." Cuestiones de Filosofía 8 (30): 41-71. Calvet, L. J. 1974. Linguistique et colonialisme. Petit traité de glottophagie. Paris: Payot. Canagarajah, S. 1999. ResistingLinguistic Imperialism in English Teaching. Oxford: Oxford University Press. Crystal, D. 2003. Language Death. Cambridge: Cambridge University Press. Estermann, J. 2022. „Sustancia versus relación. Sobre los antecedentes lingüístico-teóricos de las filosofías occidental y andina." Cuestiones de Filosofía 8 (31): 53-72. Hammill, M. 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