UDK 101.2:1 BlochE. Thaumazein Von der Unmoglichkeit eines Endes der Philosophic CVETKA TČTH, SLOWENIEN POVZETEK THAUMAZEIN-NEMOŽNOST KONCA FILOZOFIJE V pričujočem prispevku gre za krajšo študijo o Blochovih nazorih v zvezi Z njegovim pojmovanjem čudenja. Problemski okvir te študije je njegovo prepričanje v nemožnost konca filozofije, ki ga je vehementno utemeljeval ravno s čudenjem. Čudenje je tako podlaga zfl nastanek filozofije in hkrati njen trajni temelj, podlaga in izvor. Pri tem študija sledi opozorilu Karla Jaspersa, da je thaumdzein treba pojmovati kot izvor filozofije in manj kot začetek. Jaspers namreč s tem razlikovanjem želi pojasniti, kaj sploh omogoča, to pa je ravno izvor, zgodovinsko ugotovljiv začetek nastanka filozofije. Ernst Bloch je zelo odločno zavračal idejo o koncu filozofije, ki je pri mnogih sodobnih mislecih prešla skoraj že v nekakšno verovanje. Pri tem gre le za dobrodošel izgovor za lastno miselno nemoč in nesposobnost filozofa, ki se je izčrpal in se samo ponavlja, svari Bloch. Filozofija ostaja do zaklinjalcev konca filozofije ravnodušna. Zanimiv je vpogled v to, katere dele zgodovine filozofije in njene konkretne prispevke raziskuje Ernst Bloch, saj iz mnogih, navidez absurdnih naukov izhaja neverjeten ustvarjalni duh mišljenja, ki ohranja nemir in pdthos čudenja. Bloch opozorja na t. i. vmesne svetove v zgodovini filozofije, ki so bili krivično odrinjeni, nepriznani ali izpostavljeni prisilni pozabi. Tako kot so bila izpuščena obdobja v zgodovini filozofije, tako so bili izpuščeni deli filozofije pri tem ali onem filozofu. Pri Akvinskem, v Descartesovem nauku o vrnjenih idejah, pri I^eibnizu so še po Blochu vmesni svetovi. To velja tudi za Kantovo zgodovinsko pojmovanje svobode in celo za poznega Schelinga in dele njegove mitologije. Bloch s tem naštevanjem ponudi kar nekaj sugestivnih tem za nov in drugačen pristop razumevanja zgodovine filozofije, Tja pristop, ki je izziv in drzen poskus upreti se strašni moči navade. Vsekakor zelo pritegne Blochovo opozorilo o tem, kako ostaja čudenje dejavno v velikih filozofskih sistemih, tudi pri Heglu. Študija z Blochovo pomočjo preučuje, kako ostaja čudenje dejavno na poti od njegovih začetnih poskusov izgradnje sistema, pa vse do izoblikovane celote svoje filozofije, ki jo je naslovil z izrazom Enciklopedija. Pri tem je nujno upoštevati še Heglove nazore o thaumdzein iz Filozofije zgodovine, kjer razpravlja o grškem svetu in elementih grškega duha. Hegel namreč opozarja, da celo starogrški pogled na svet izhaja iz čudenja. Gre seveda m svet, ki še ne pozna abstraktnega sovraštva med čutnostjo in duhovnostjo. Vprašanje, ki si ga študija kritično zastavlja v svojem sklepnem delu je v tem, če ostaja čudenje, kot človekov pogled na svet, vse do danes samo prestiž starih Grkov? V imenu česa se je človeštvo odreklo thaumdzein in ali ga danes recimo lahko ponovno prikliče in obudi sodobna, ekološko ozaveščena misel? I. Ernst Bloch (1885-1977) sei cin Phanomen, denn cr konne so philosophieren, als ob die gesamte heutige Philosophic nicht existierte, d.h. auf eine Art, wie Aristoteles oder Hegel philosophierten. So wiirdigten ihn schon seine Mitarbeiter aus der Jugendzeit.1 "Ich bin cin Philosoph, der in seinem eigenen philosophischen Gebaude wohnt",2 sagte Bloch selbst iiber sich ein Jahr vor seinem Tod. Bloch starb am 4. 8. 1977 in Tubingen im Alter von 92 Jahren. Es war ein sehr langer Weg, dcn der Philosoph Emst Bloch aufrechten Ganges zuriickgelegt hatte. Dabei konnen wir fragen, woher dieser aufrcchte Gang kam. Unter dem, was er geschaffcn und uns hinterlassen hat, muB sein unbcugsamer Glaube an die Existenz der Philosophic hervorgehoben werden - auch an die gegenwartige Philosophic - und an die Kraft des Philosophierens, die alien Menschen zu alien Zeiten gegeben ist. Dies diirfte der keincsfalls unbcdeutende Grand fiir sein reiches philosophisches Erbe gewesen sein. In eincm posthum veroffcntlichten Werk aus dem Jahr 1982 mit dem Titel "Denken heiBt Uberschreiten", das von seiner Frau Karola Bloch und Adelbert Reif veroffentlicht wurde, ist ein von Reif mit Bloch gefuhrtes Gesprach zu finden, das darauf hindeutet.3 Als Ausgangspunkt zu diesem Gesprach wurde ein aktuelles Thema gewahlt, und zwar eine Reflexion iiber das "Ende der Philosophic". Es handelt sich um ein Thema, das vielen zeitgenossischen Philosophen zu denken gab, darunter: "1st die Philosophic am Ende?" (Karl Jaspers, 1961), "Das Ende der Philosophic und die Aufgabe des Denkens" (Martin Heidegger, 1969), "Wozu noch Philosophic?" (Jiirgen Haber-mas, 1971). Der Frage, ob die Philosophic heute tatsachlich am Ende sei, wie cinige ihrcr Vertreter glaubten, stimmte Bloch nicht zu. Im Gcgentcil, er widersctzte sich entschieden solch einem Standpunkt und protestierte heftig dagegen. In scincn Er-wagungen sind jedoch keine polcmischen Diskussionen mit einzelncn Standpunkten aus den oben angefiihrtcn Wcrken enthaltcn. Die Idee vom Ende der Philosophic ist bei einigen zeitgenossischen Denkern schon fast zu einem Glaubcn geworden, was jcdoch fiir Bloch minder wichtig ist. Bloch warnt vor dieser willkommencn Ausrede fiir die geistige Impotenz und Un-lahigkeit des Philosophen, der sich offensichtlich erschopft hatte und sich nur noch wiederhole. Nach Bloch verhalte sich die Philosophic gegeniiber diesen Beschworern eines Endes der Philosophic gleichmiitig. Alle Prophezeiungcn vom Ende der Philosophic in der zweiten Halfle des 19. Jahrhunderts - und es gab nicht wenige - habe die Philosophic (iberlebt. Nur das eigene Epigoncntum konne einen Philosophen zu die- 1 Gcorg LukScs: Gclebtcs Denken. Eine Autobiographic im Dialog, Frankfnrt 1981, S. 59. 2 Arno Miinstcr (Hrsg.): Tagtraume vom aufrechten Gang. Sechs Interviews mit Ernst Bloch, Frankfurt 1977, S. 101. 3 Das Gesprach wurde veroffentlicht unter dem Titel "Das Zeitaltcr des Systems ist abgelaufen". Ein Gesprach mit Adelbert Reif. Siehe: ICarola Bloch, Adelbert Reif (Hreg.): "Denlccn heiBt (Jberschreiten". In memoriam Ernst Bloch (1885-1977), Frankfurt 1982, S. 17-26. sem SchluB fiihren, der freilich fiir die Philosophic und deren weitere Entwicklung unbedcutend sei. Woher aber diese souverane Uberzeugung von der Unmoglichkeit eines Endes der Philosophic? Als erstes sieht Bloch hier die unbestrittene Tatsache, daB die Fragen, die von der Philosophic gestellt werden, weiter bestehen bleiben, da sie nie endgiiltig gelost werden konnen. Der Gegenstand, mit dem sich die Philosophie und einzelne Philosophen beschaftigen, ist demnach dauerhaft. Als zweites gibt es bei Bloch etwas, was seine selbstandige philosophische Hal-tung wesenthch geformt hat und das sich iiberzeugend in folgender Aussage B lochs widerspiegelt: "Nach wie vor gibt es das groBe Staunen und Stutzen, das thaumazein als der Anfang der Philosophie, wie Aristoteles sagt, das immer weitergeht und es ist daher fast gleichgiiltig, daB die Unbegabten einer billigen Modetorheit zum Opfer fallen."4 Das bestandige Fundament der Philosophie und des Philosophierens bleibt nach Bloch erhalten im Staunen, Stutzen, in dem, was schon Platon einst mit dem Be-griff thaumdzein benannt hatte. Es ist dieses Staunen, diese Verwunderung,5 durch das Platon in "Theaitet" 155D die Beschreibung der Gemiitsverfassung des Philosophen bzw. der Wahrheit des men-schlichen Denkens als allumfassende geistige Leidenschaft (pdthos) ermoghcht wird, das der Philosophie sogar die vermittelnde Funktion zwischen Himmel und Erde zu-weist.6 Nach Platon "ist thaumdzein und nichts anderes die archč fiir die Philosophie". Auch Aristoteles brachte das in seiner "Metaphysik" 982b mit folgender Behauptung zum Ausdruck: "Denn die Verwunderung war den Menschen jetzt wie vormals der Anfang des Philosophierens". Darin liegt die archč fiir die Philosophie als ihr dau-erndes Fundament, als Grundlage und Ursprung. Daher sei, nach ausdriickhchem Hinweis von Karl Jaspers, thaumdzein als Ursprung der Philosophie und weniger als Anfang aufzufassen. Jaspers mochte mit dieser Unterscheidung klarstellen, was den geschichtlich feststellbaren Anfang der Philosophie ermoghcht.7 Der Ursprung des Bediirfnisses nach Philosophie und Philosophieren kann auf-grund der Tatsache des Bestehens der Wirklichkeit, der Welt und des Menschen ver-standen werden, der sich wundert, bewundert, staunt, der hingerissen davon ist, daB die Welt ist, daB es dies und jenes gibt, und nicht nichts. Gerade durch das Staunen, durch das Verwundern tiber die Welt und das, was ist und existiert, beginnt der men-schliche Gedanke auf der Suche nach Wahrheit und Sinn fortzuschreiten. Was ist seinem Wesen nach das, was ist? Diese Art des menschlichen Begreifens, Nach-denkens und Suchens nach der Wahrheit gilt noch heute. Und solange es den Menschen gibt, wird es diese seine ausgezeichnete Eigenschaft geben, daB er denken, sich wundern und staunen kann. Als Aristoteles davon sprach, woriiber sich die Menschen verwunderten, sagte er, das seien anfangs vollig einfache Dinge gewescn, die in ihrer unmittelbaren Umgebung erreichbar waren. Thaumdzein dringt freilich auch zu so entfemten und unerreichbarcn Dingen vor, wie es die Planeten, Sonne, Mond und Sterne sind, und 4 Ebd.,S. 18. 5 Die Ausdriicke, die Bloch fiir tiiauma/.cin verwendet, sind: Staunen, Verwunderung, Stutzen, staunendes Verwundern, fragendes Staunen. Schon in der ersten Ausgabc vom "Geist der Utopie" wird das Staunen auf folgende Weise formulirat: "Die Gestalt der uniconstruierbaren Frage", womit der Inhalt des Staunens und seine endgiiltige symbolische Intention auf cine typisch Blochsche Art wiedergegeben werden. Das aber ist eine sehr wichtige Voraussetzung fur die Konstrulction seines eigenen philosophischen Gebaudcs. 6 Auf der selbcn Stelle in Theaitet erklart Platon, aus welchem Mythos er das Symbol fiir die vermittelnde Funktion der Philosophie iiberaomraen hat, namlich aus der Oberlieferung, daB Iris - die gefliigelte Gottin, Gottesgesandte - Tochter des irdischen Vaters Thaumis gewesen ist. 7 Karl Jaspers: Was ist Philosophie? Ein Lesebuch, Miinchen 1986, S. 39. zum Verwundern gescllt sich noch der Zweifel dariiber hin/.u, ob wir das Geschehen auf diesen Dingen auch erkennen konnen. So weist Aristoteles darauf hin, daB, wer sich wundert, zweifelt, somit feststellt, daB er manches nicht wciB. Da seiner Uberzeugung nach "alle Menschen von Natur nach Wissen streben", was schon "Metaphysik" 980a besagt, ist fiir den menschlichen Wissensdrang und Fortschritt des Erkennens der Wahrheit der Zweifel schopferisch mitbcteiligt. Der Mensch iiberlegt, ob Dinge ihrem Wesen nach das sind, was sie nach aufien zeigcn, ob also ihr Sein und ihr Wesen Ubereinstimmen. Es tritt Zweifel dariiber auf, ob das, was ist, seinem Wesen nach gut ist, und ob es nicht besser sein konnte. Der Gedanke tiberschreitet das Gegebene, und in diesem Sinne formuliert Bloch seine Auffassung des Denkens mit den Worten "Denken heiBt Uberschreiten". Im Unterschied zu Platon und den meisten anderen Philosophen, die das Staunen nur an den Anfang setzen, definiert Bloch diese Katcgorie anders: "Platon nannte das Staunen den Anfang der Philosophic; indes es ist nicht nur ihr Anfang, sondem ebenso ihre Mitte und ihr offenes Ende, ja es kulminiert am Ende."8 So griinden seine vehe-mente Ablehnung der Idee vom Ende der Philosophic, die Gestalt der unkonstruier-baren Frage, und die Auffassung der Utopie und Hoffnung gerade auf der Verwun-derung. Fiir ein besseres Verstandnis der Blochschcn Philosophic, desscn, was in alien seinen Werken anwesend ist, sind laut seinem Hinweis9 aus dem Jahre 1976 folgende zwei Satze zu beachten. Der erste aus den "Spuren", den er, wie er sagt, in seinem lctzten Werk "Experimentum Mundi" wicderholt. Es handelt sich um folgcnden Satz: "Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst."10 Thematisch auf der gleichen Ebene ist die Frage aus dem "Prinzip Hoffnung": "Wer sind wir? Wo kom-mcn wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns?"11 Mit diesen Fragen ist nach Bloch der Gegenstand seiner philosophischen Untcrsuchungen angedeutet, die immer wieder die Bedeutung der Kategorie thaumdzein aktualisieren. Die Blochsche Einstellung ist durch das Fragen gepragt. Er sagt: "Frage ist ja der Grundtenor meines Philosophierens."12 Doch solite man dieses Fragen nicht als eine "Frage, die wir stellen", verstehen, "sondern als Frage, die der Gegenstand selber stellt, die der Gegenstand selber ist, die mit dem Experiment etwas zu tun hat".13 Es geht um eine Frage also, die auf das uns Nachstc gerichtet ist, auf das unmittelbar Er-lebte, noch in Dunkel Gchiillte. Bloch hat dicse grundlegende philosophische Haltung schr treffend schon im "Geist der Utopic" ausgedriickt als "die unkonstruicrbare Frage". Nach Bloch ist "die Welt selber eine Frage" und der Affekt, den sie auslost, der der Staunens. "Das Staunen ist die Mutter des Fragens iiberhaupt."14 Die grundlegende philosophische Frage, deren Ursprung er im kindlichen Staunen sicht, ist de facto "ein Staunen als absolute Frage". Unkonstruierbar ist sie zunachst nur deshalb, weil die Ex-istenz der Welt, des Seins, des Menschen keine Konstruktion, sondern ein Faktum ist. Dieses Staunen bliiht weitcr und setzt sich fort, nicht nur in der Philosophic, sondern sogar in der wissenschaftlichen Naturforschung. Es ist wie ein Mittel, mit dessen Hilfe 8 Ernst Bloch: Philosophische Aufsatze zur objektiven Phantasie, GA 10, S. 149. (Die meisten Werke Blochs werden zitiert aus: Ernst Bloch: Gesamtausgabe in 16 Banden, Frankfurt 1977.) 9 Arno Miinstcr (Hrsg.): Tagtraume vom aufrechtcn Gang. Sechs Interviews mit Ernst Bloch, S. 127. 10 Ebd. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Ebd., S. 129. wir den Gegenstand "umarmen", so, daB der Gegenstand zum "SichbewuBtwerden" gelangt. Erst durch das Staunen wird es moglich, die Prozessualitat in der Welt zu er-fassen, aber auch den Sinn der Welt und ihre Entwicklungstendcnzen. Auf die Frage, was die Philosophic sei, weist er in einer kurzen Schrift mit dem Titel "Was ist Philosophic, als suchend und versucherisch" darauf hin, daB fast so viele Definitionen von Philosophic vorlagen, wie es bedeutende Philosophen gegeben habe. Das sei freilich weniger wichtig; wichtiger sei zu begreifen, wodurch die Philosophic ermoglicht und erhalten werde. Die Philosophic beginnt mit der Reflexion, und der reine Materialismus (in dcm Sinne, daB der Mensch zuerst iiberlebt und sich erhalt) stimuliere zum Denken. Aus diesem Bediirfnis gehe das Staunen hervor, das fragende Staunen mit seinem Stachel, ein Stutzen, das fragt: "Warum ist iiberhaupt etwas und nicht nichts?"15 "Ein erstes rein philosophisches Licht"16 crscheint schon bei Thales und anderen griechischen Denkern als das, was Verwundern durchdringt. Die ersten griechischen Philosophen haben nie das Verwundern vergessen und vernachlassigt und "wandeln sein gesellschaftlich immer neu gehemmtes oder eroffnetes Fragen methodisch wie inhaltlich ab".17 In ihrem Suchen und Fragen bleibt "der erste stachelnde Antrieb" anwesend. Das Bewahren des BcwuBtseins vom Verwundern, durch das einst das Denken zum Begriff vordrang, ist die dauernde Quelle und Moglichkeit des Philosophierens. Im "Prinzip Hoffnung", geschrieben in den Jahren 1938-1948, herausgege-ben im Jahre 1959, nennt und verstcht Bloch das Staunen aufgrund desscn fragenden Wesens sogar als "die absolute Frage",18 d.h., als die Frage aller Fragen. Ernst Bloch wiederholt immer wieder, daB Staunen als etwas Beharrliches und Bestandiges, als "das bohrende Staunen" darin liegt, daB es "nicht nur anfangend" bleibt, "sondern es geht als ungelostes, ungeloschtes Fragen iiberall mit".19 Die Identitat des Seienden ist nach Bloch keineswegs dadurch endgiiltig bes-timmt und ausgeschopft, daB sie ist, was sie schon ist, bzw. durch die Kategorie der Wirklichkeit (enirgeia), sondern gerade durch das Noch-Nicht-Sein, also durch die Kategorie der Moglichkeit (dynamis). Das bereits Vorhandene, Ausgemachte, in Form dieser oder jener Antwort geniigt nicht. In dem schon erwahnten Gesprach mit Adelbert Reif versucht er zu beweisen, daB es keinerlei Grundlagen fiir die Idee eines Endes der Philosophic gibt: "Die ganze Philosophic lebt doch von diesem Fortbeste-hen des Verwandtseins, des Staunens, auch davon, daB die Antworten nicht geniigen, nicht reif sind."20 Deshalb ist es wichtig, daB bei alien bereits gegebenen Antworten die Kraft des Fragens nicht nachlaBt, betont er im "Experimentum Mundi". Die neue Identifikation der Welt, die aus dieser Voraussetzung als einer Suche nach etwas Humanerem hervorgcht, faBt die Welt als ein Experiment auf. So geht es Bloch wortwortlich um ein experimentum mundi. Nur durch die Kraft des Fragens kann der Stachel des Staunens aktiviert werden an etwas Neuem, Noch-Nicht-Ent-decktem, dem Anschcin nach Unwichtigem, Marginalem und Unbekanntem. Bei alien groBen Philosophen habe sich das thaumdzein an etwas entziindet, was bis dahin noch nicht Bestandteil der Philosophic gewesen sei und was nicht mit bekannten Inhaltcn gestillt werden konnte. Obwohl bei jedem dieser Stachel verschie- 15 J'.nisi Bloch: Philosophische Aufsatze zur objektiven Phantasie, S. 395. 16 Ebd., S. 396. 17 Ebd. 18 Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, GA 5, S. 336. 19 Ernst Bloch: Experimentum Mundi, GA 15, S. 240. 20 Karola Bloch, Adelbert Rcig (Hrsg.): "Denken heiBt Oberschrciten". In memoriam Ernst Bloch (1886-1977), S. 21. den sei und durch Verschicdenes, Neues und bisher Unentdecktcs wirksam wird, fiihre er friiher oder spater zu grundlegcnden Fragen. So sei es auch bci Descartes gewesen, wenn ihn ein voriibergehender Mensch fragen machte, ob das nicht vielmehr eine automatische Puppc sei, und ihn weiter hielt, ob nicht alle Dinge Tauschungen seien. So auch bci Leibniz, wenn ihm an abgepfliickten Blattern aufgefallen sei, daB kcines ihrer einem anderen gleich sei und sich die Frage gestellt habe, ob nicht ein ausnahmsloses principium individuationis in der Welt herrsche. Damit erklart Bloch das heuristische Prinzip in der Philosophie in der Form des Staunens. Wenn Bloch das Ende der Philosophie bei einem konkreten Philosophen zulaBt (weil dieser in seinem Denkcn zulieB, daB in ihm das Verwundern erloschen ist), so widcrsetzt er sich entschieden der Mtiglichkeit cines Endes der Philosophie, bedingt durch die Tatsache, daB der Mensch existiert und denkt. Wie er zu Adelbert Reif sagte, dauere die Philosophic so lange, wie ihre Probleme dauerten, die nicht nur ihre Probleme seien, sondern Probleme der Welt, des Weltseins, das die Philosophie re-flektiert und behandelt. Auch wenn die Menschen sagen, es giibc keinc Philosophie mchr oder sie sei nicht moglich, existiert die Welt und blcibt "philosophisch ratsel-haft". Schon der Augenblick, in dem wir sprcchen, ist fiir Bloch philosophisch be-deutsam und ratselhaft, er bringt Philosophie hervor. DaB es sich hier um einen grundsatzlichen philosophischen Ausgangspunkt handelt, ist anhand der Werke zu beweisen, die er vierzig Jahre friiher zu diesem Thema geschrieben hat, im "Geist der Utopie" in der ersten (1918) und zweiten (1923) Fassung. Es ist keinesfalls Zufall, daB er in spateren Arbeiten immer wieder zu diesem Text zuriickkehrte, was auch fiir "Spuren" gilt, wo er in Form einer biographischen Selbstreflexion zu erklaren ver-suchte, was der Topos seines eigenen "Uberbaus" ist. Auf die Tatsache, daB scit Kant und Hegel keine cigenstandigcn, in sich geschlossenen Denksysteme entstanden sind, erwidert Bloch im Gcspriich mit Adelbert Reif selbstbcwuBt, daB es auch vor Kant und Hegel solche Systeme in der Geschichte der Philosophie nicht gegeben habe. AufschluBrcich ist seine Feststellung, die fast wie eine Warnung klingt, daB wir nach den zwar philosophisch iiberzeugenden Beitragen Kants und Hegels einen Kult mit dem System zu treiben pflegten. Nach Bloch ist es in der zeitgenossischcn Philosophie moglich, vom Paradox des offenen Systems zu reden. Heidegger aber sei manchmal sogar so weit, kein System zu brauchen. Schr interessant ist Blochs kritische Beurteilung der bekannten und popularen Prophezeiung von Engels vom Ende der Philosophie, die Adelbert Reif im Gespriich mit Bloch nicht umgehen konnte. Dieser marxistischen Voraussage gemiiB solite von der Philosophie und ihrem "Reich des reinen Gedankens" nur die Logik und Dialektik iibrigbleiben. Dialektik ist nach Bloch keinesfalls nur das Prestige des Marxismus; im Gegentcil, es sei die Dialektik, die den Marxismus doch erst moglich machte. Bloch betont ausdriicklich, daB "dialcktischc Philosophie aber noch nicht dasselbe ist wie marxistische";21 das Wisscn von der Dialektik hat schon Ilcraklit iibermittelt. Dieses Wissen durchdringt das philosophische BcwuBtsein vom Staunen und der Verwunderung dariiber, daB Widerspruch und Gegcnsatz zum Wcsen der Sachc selbst ge-horen. Daher soil das Konstaticren des Endes der Philosophie im marxistischen Kon-text als banal und vulgar angeschen werden. Bloch sieht die Unmoglichkcit eines Endes der Philosophie in "der Sache selbst", d.h. im Gegenstand, mit dem sich die Philosophie befasst, und in der Existenz des 21 Ebd.,S. 20. Weltseins und des Menschen. Von dieser Voraussetzung her solite man den Werde-gang und die Entwicklung der Blochschen Philosophic verfolgen. Im Jahre 1930 erschien sein Werk "Spuren". Als Einleitungsmotto des Absch-nitts "Das Staunen"22 wahlte Bloch eine Szene aus dem Werk "Pan" des norwegischen Schriftstellers Knut Hamsun (1859-1952), in dem beschrieben wird, wie ein kleines Madchen den Augenblick erlebt, in dem es zu regnen beginnt. Der erste Regentropfen lost eine Verwunderung aus, das Denken wird tatig, spornt an, es folgen Fragen. Wie schon gesagt, fiir Bloch ist das Staunen die Mutter alles Fragens iiberhaupt. Es ist be-merkenswert, daB Bloch in fast alien seinen Werken immer wieder zur Analyse dieser Beschreibung des Augenblicks zuriickkehrt, wo das Madchcn sagt: "Ja, denken Sie nur, es regnet!"23 Nach Bloch geht es hier offensichtlich um eine iiberzeugende Beschreibung des Erlebnisses, wie "unheimlich, wie iibermachtig seltsam ist es, zu 'sein"' und "nicht weniger ratselvoll" zu denken, "daB nichts ware",24 denn alles was ist, konnte auch anders sein. Die Spur, die zur Entdeckung von etwas fuhrt, was noch nicht ist, beginnt mit dem Staunen, mit der Verwunderung, und gerade diese Spur ist etwas Wirkliches, sie existiert, sie ist. In B lochs "Spuren" begegnet man dem wichtigen Hinweis, daB die Philosophen, wenn sie das BewuBtsein von dem pflegten, was Platon als den Anfang der Philosophic verstanden hat, wahrscheinlich nicht iiber das Ende der Philosophic zu disku-tieren brauchten. Bloch stellt sich kritisch die Frage, wieviele Philosophen tatsachlich das thaumdzein, diese arehč der Philosophic bewahrt haben als "Wegweisung des An-fangs". Er stellt fest, daB keiner von ihnen "das fragende Staunen" langer bewahrt habe als bis zur ersten Antwort; niemand messe mehr die Probleme am Staunen. Es ist nicht einfach, vom Staunen zum Fragen zu kommen, noch schwerer ist es eine Sprachc zu linden, die Antworten liefert im Einklang mit bzw. unter gleichzeitigem Fortgang des Staunens, also mit dem, was Bloch "das mittonende 'Selberstaunen'"25 nennt. Dieses mangelhafte Bewahren des BewuBtseins vom Staunen ist seiner Meinung nach der Grand dafiir, daB die Philosophic nicht mehr imstande ist, ihre Probleme mit-tels dieser Kategorie zu entwickeln. Gleichzeitig aber weist er darauf hin, daB das thaumdzein bei den groBen Philosophen doch bewahrt wird. Das Staunen ist sogar in den groBen Systemen anwesend, es macht eine schon ausgeformte Philosophic un-ruhig und unsicher. In den "Spuren" fxndet sich ein Abschnitt, wo Bloch darauf ver-weist, daB groBe Metaphysiker das thaumdzein gepflegt haben. Mit Blochs suggestiver Sprachc ausgcdriickt, kann ein Philosoph, dem das gelungen ist, noch im hohen Alter die Spur zu etwas Frischcm, Jugendlichem bewahren. Das thaumdzein beraht im Bewahren der Spur zwischen der "Weisheit des Alters in der friihen, unbetriiglichen Frische siebzehnjiihrigen Urstaunens".26 Bloch hat mit diesem Vergleich das heuristische Prinzip in der Philosophic tref-fend erlautert. Es ist wie eine parallele Bohrung, eine Quelle, die nicht versiegen darf bei allem angehiiuften Wissen des spaten Alters. Im Blochschen Stil gesagt, handelt es sich um eine Unruhe, die uns als Utopie weitertreibt und uns mit sich reiBt. Bloch rat uns sogar, dies zeitweilig als eine Art morgendlicher Meditation zu pflegen, was den Instinkt fiir das Vcrstandnis der vielen sonst zugedecktcn Geheimnisse dieser Welt vertiefte. Wie sollen wir diesen Instinkt fur das Verstiindnis von noch etwas Unent- 22 Ernst Bloch: Spuren, GA 1,S. 216. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Ebd., S. 217. 26 Ebd. decktem und nicht Ubermitteltem verstehen? Hier dient als Stiitze Adornos Wiirdigung der "Spuren", die deshalb interessant ist, da sie sich besonders ausfiihrUch mit der Analyse der Blochschen Sprache unter dem Aspekt einer bestimmten Philosophie der Sprache befaBt. Adorno hat das Verfahren der Blochschcn Denkweise als "erzahlend wie das apokryphe Modeli" bezeichnet, das an eine "Abenteuergeschichte von der Reise zum utopischen Ende"27 erinnert. Der Untcrton dieser "Erzahlung" macht emphatisch auf etwas aufmerksam, "das anders ware als das Immergleiche". Bloch "bietet das Paradoxon einer naiven Philosophie; Kindheit, unverwiisthch durch alle Reflexionen hindurch, verwandelt noch das Vermittelteste in Unmittelbares, das berichtet wird".29 In einer nicht geringen Anzahl seiner Wcrke bemerkt Bloch fast schalkhaft, daB Philosophen Menschen seien, denen das Denkcn schwerer falle als andcren, und daB sie einen starker cntwickelten Sinn fiirs Staunen hatten; siehe die "Zwischenwelten in der Philosophiegeschichte" (1977) und "Erkennbarkeit der Welt" (1980). Staunen, Verwundern und Stutzen iiber das, was ist, weckte Fragen, wie man in einer fiir den Menschen so unwirtlichen und unbequemen Welt iiberhaupt Uberleben konne. Erkennbarkeit der Welt heiBt auch Veranderbarkeit der Welt aufgrund der Erkenntnis. Die Welt sei unendlich groB, konstatiert Bloch in "Zwischenwelten in der Philosophiegeschichte", und in ihr sei alles vorhanden. Das Denken werde durch das Bediirfnis, darin zu iibcrlcben, in Gang gesetzt, wobei das Wissen zugleich BewuBtwerden eigener Bediirfnisse ist; das erste heiBt leben und uberleben, wobei das Denken lediglich als Mittel gebraucht wird, um sich in dieser unendlich groBen Welt eine Heimstatt einzurichten. Diese Tatsache war cher da als die Frage waruml, und alles zusaminen ist Voraussetzung fiir die "Menschwerdung".30 Bloch versteht in der Zeit seines Aufcnthaltes in der DDR "auch das extrem Menschliche des Verwunderns, des thaumdzein", das den "Anfang der Philosophie ausmacht", als "die Geburtsstatte jeder Problemstellung",31 die immer griindlichcr ihre wichtigsten Bediirfnisse crkcnnt. Das ist bei Bloch der am starksten materiahstisch ausgepragte Akzent - jedoch nicht dogmatisch -, wenn man den Ursprung und das Entstehen der Katcgorie thaumdzein in Betracht zieht. In der Einleitung zu diesem Werk, das auch unter dem Titel "Aus Leipziger Vor-lesungen" bckannt ist, betont Bloch, daB das Denken aus der Arbeit hervorgegangen ist, doch wird schon im nachsten Satz gesagt, daB dieser Ursprung bereits verdrangt war bcim Einsetzen der griechischen Philosophie. Eine Antwort auf die Frage, warum Bloch so ausdriicklich auf der Aktuahsierung des thaumdzein als dem reinstcn Ur-sprungs des Denkens und der Philosophie insistierte, beruhrt darin, daB er sich Dogmatismen aller Art widersctzte, also alien "endgiiltigen" Antworten. Alle Menschen seien als Philosophen geboren, doch nur wenige sind fahig, diese auBerordentliche Qualitat zu bchalten, wenn sie der Kindheit entwachsen, meint Bloch. Der philosophische Grundaffekt zeigt sich schon darin, daB man mit offenem Mund vor etwas steht und fragt: Warum regnet es denn? Warum ist das Brot auf einer Seite dunkel und auf der anderen hell? Warum dies und warum das? Das Sich-Wun-dem bei einem Kind dauert meistens nur so langc, bis es die Antwort bekommt. Den Philosophen aber gelingt es, den Sinn fiir das Staunen zu behalten und ihn zu pflegen, 27 Theodor W. Adorno: Blochs Spuren. Zur neuen erweitertcn Ausgabe 1959. Zitat aus Noten zur Literatur, Gesammelte Schriften 11, Frankfurt 1974, S. 235. 28 Ebd. 29 Ebd. 30 Ernst Bloch: Zwischenwelten in der Philosophiegeschichtc, GA 12, S. 12. 31 Ebd. da das Staunen die Voraussetzung fiir das fragende Denken ist, ohne welches das Denken keine Fortschritte machen kann. Es ist interessant, daB Bloch die bekannte Frage, warum iiberhaupt etwas sei und nicht nichts, als eine "echte Kinderfrage" auffaBt, die auch von Erwachsenen nicht beantwortet werden konne. Auch wenn eine Antwort moglich ware, laBt sich echtes Fragen damit nicht beruhigen und befriedigen, weil das fragende Denken endgiiltige Antworten ablehnt. Diese Ilaltung konne nach Bloch sogar als das Wachhalten des Antimythischen im Denken verstanden werden. Dabei handelt es sich nicht um eine Kritik des Mythos in der prometheischen Uberlieferung, auch nicht um eine Reaktual-isierung des Mythos im Platonismus oder beim spatem Schelling, sondern um eine Kritik jener Denkweise, die endgiiltige, unveranderbare Antworten Uefert. Darin sieht Bloch die GroBe des Grundsatzes der Kantschen Aufklarung, nach welchem die Un-miindigkeit des Denkens nur darin besteht, daB es sich von etwas anderem fiihren laBt und nicht von sich selbst. Gerade diese substantielle Beziehung des Denkens -Substan-tialitat im Sinne einer Selbstdefinition, nicht durch einen anderen, oder mit Kant gesprochen, in Form des Imperativs sapere audc - ist es, die Bloch in "Zwischenwelten in der Philosophiegeschichte" fiir das Wichtigste und Entscheidenste in der Geschichte der Philosophic halt. DaB thaumdzein einen wesentlichen Platz im aufkliirerischen Denkgrundsatz einnimmt - Aufklarung als Entschlossenheit und Mut, sich der eigenen Vemunft zu bedienen -, laBt sich auch mit Kant selbst und seiner Art des Philosophierens be-griinden. Kant sagt am Ende der "Kritik der praktischen Vemunft" folgendes: "Zwei Dinge erfiillen das Gemiit mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehr-furcht, je ofter und anhaltendcr sich das Nachdenken damit beschaftigt: Der bestirnte Himmel iiber mir und das moralische Gesetz in mir."32 Dies sei nicht auBer uns zu erwarten und zu suchen, sondern sei "unmittelbar mit dem BewuBtsein meiner Exis-tenz"33 verbunden. In der "Kritik der Urteilskraft" (§ 29, § 62) betont er das Dauer-hafite am Staunen im ProzeB des philosophischen Nachdenkens. Verwunderung als Af-fekt, der durch die Vorstellung von etwas Neuem hervorgerufen wird, ist wie die Bewunderung, die nicht aufhort; sie ist etwas Dauemdes (§ 29), bedeutet "eine immer wiederkommende Verwunderung" (§ 62).34 Sie lost zwar einen ProzeB des Unter-suchens aus, was ihr jedoch durchaus nicht Gentige leistet. Um das wahre Wissen zu formieren, braucht das Staunen eine strenge wissenschaftliche Methode, und es ist Kants Anhegen, jene Weisheit zu begreifen, die das beherrscht. Beschiitzer dieser Weisheit abcr muB jeden Moment die Philosophic bleiben, betont er in seiner "Kritik der praktischen Vemunft". II. Es ist wichtig sich anzusehen, welche Abschnitte der Geschichte der Philosophic und ihre konkreten Beitrage Ernst Bloch untersucht, denn aus viclen, scheinbar absurden Lehren geht ein unglaublicher schopferischer Geist des Denkens hervor, der die Unruhe und das Pathos der Verwunderung bewahrt. Bloch weist auf die sogenann-ten "Zwischenwelten" in der Geschichte der Philosophic hin. Die Zwischenwelt ist nicht als intermundan im epikureischen Sinne zu verstehen. In der Einleitung zu "Zwischenwelten in der Philosophiegeschichte" werden eingangs einige verworfene 32 Immanuel Kant; Kritik der praktischcn Vemunft, Werkausgabe, Band VII, Hrsg. von W. Weischcdel, Frankfurt 1978, S. 300. 33 Ebd. 34 Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, Werkausgabe, Band X, S. 311. und vergessene Teile der Geschichte der Philosophie behandelt, die Bewunderung und Staunen erregen aufgrund des schopferischen Denkens. In der Geschichte der Philosophie gibt es nicht wenige Beitrage, die zu Unrecht verdrangt, nicht anerkannt und dcm aufgezwungenen Vergessen ausgesetzt waren. Bloch fiihrt verschiedene Epochen an: die mittelalterliche Scholastik, die Philosophie der Renaissance als eigenstandige Philosophie, die Naturlehre des Scotus Eriugena, der Nominalismus Roscellinis, die christhche Mystik u.a. Alles dies seien "Zwischenwelten". So wie verschiedene Epochen in der Geschichte der Philosophie ausgelassen wurden, wurden auch verschiedene Teile der Philosophie bei diesem oder jenem Philosophen ausgelassen. Nach Bloch gabe es solche Zwischenwelten zum Beispiel bei Thomas von Aquino, in Descartes' Lehre von den ideae innatae und bei Leibniz. Das gleiche gilt fiir den geschichtsphilosophischen Freiheitsbegriff bei Kant und sogar fiir den spaten Schelling und Teile seiner Mythologie. Mit diesem Aufzahlen eroffnet er einige Themen fiir ein neues und andersartiges Verstandnis der Geschichte der Philosophie, fiir einen neuen Zugang, der eine Herausforderung darstellt. Man muB zuge-ben, daB er erfolgreich ist, vornehmlich dort, wo man die Giiltigkeit und das Hei-matrecht in der Philosophie fiir die ideologischen Imperative - und es gibt viele davon - mit Ililfe der Blochschen Art zu denken bestreiten kann, weil das Ideologische kein Fachkriterium ist. Die Feststellung, daB das Staunen auch in groBen philosophischen Systemen aktiv bleibt, finden wir nicht nur in "Spuren", sondern auch im Gesprach mit Adelbert Reif wieder. Wie ist das erkennbar? Wo zum Beispiel bei Hegel bleibt das Staunen tatig auf dem Weg von seinen anfanglichen Versuchen, ein System aufzustellen, bis hin zur endgultigen Gestalt seiner Philosophic, die er Enzyklopadie nennt? Und noch wichtiger: Gibt es am Ende des Systems trotzdem etwas, das die Unruhc des Staunens im Sinne eines moglichen Fortschreitens, Suchens und Weitcr-Fragens aufrecht erhalt? Wie und womit ist das bci Hegel ausgedriickt? Sehr aufschluBreich ist dies-beziiglich das abschlicBcnde Kapitel in "Zwischenwelten in der Philoso-phiegeschichte", wo Bloch in zwei kurzen Texten iibcr Hegel spricht ("Zu Hegels Gestaltlehre", "Kalkiilwesen und Prinzip". Wie wir wissen, war Hegel schon in seiner Jugendzeit bestrebt ein System aufzubauen, was er auch selbst in einem seiner Briefe an Schelling (2. 11. 1800) beschreibt. Es gab nur wenige Denker, die sich diesbeziiglich so viel mit der Frage der Voraussetzung fiir einen Anfang der Philosophie beschaftigt hatten. Durchaus bere-chtigt kommentiert deshalb Bloch, daB in dieser Hinsicht die Philosophie Hegels durchaus eine "Anamnesis des Anfangs" bleibe, verwandt der platonischen Urerinnerung. Was jedoch die Ganzheit der Hegelschen Philosophie betrifft, so wird von Bloch die populare These, nach der die Hegelsche Philosophie in eine sogenannte progressive Methode und ein konservativcs System zerfallt, fiir absolut unannehmbar erklart. Wie aus der "Vorrcde" zum "System der Wissenschaft. Erster Theil. Die Phanomenologie des Geistes" aus dem Jahr 1807 ersichtlich ist, ist die Methode "nichts anderes als der Bau des Ganzen, in seiner reinen Wesenheit aufgestellt".35 Das Ganze aber wird erst zusammen mit seinem Werden zum wirklichen Ganzen, da "der Zweck fiir sich das unlebendige Allgemeine ist"; es ist "das nackte Resultat", das "die Tendenz hinter sich gelassen" hat.3" Hegel ist bestrebt, eine dialektische Methode zu finden, die als die einzig wahre Methode der philosophischen Wissenschaft imstande ist, den Gang der Sache selbst zu vermitteln. Die fundamental Voraussetzung der 35 G. W. F. Hegel: Phanomenologie des Geistes, Theorie-Wcrlcausgabe, Band 3, Frankfurt 1976, S. 47. 36 Ebd., S. 13. dialektischen Methode ist nach Hegel die Theorie des konkreten Begriffs, und schon in der "Phanomenologie" ist der Begriff "die Bewcgung des Wissens".37 Das ist ein uniibersehbarer Grand dafiir, daB Hegel das Ganze seiner Philosophic im Jahr 1817 unter dem Titel "Enzyklopadie der philosophischen Wissenschaften" herausgibt, denn, wie Bloch in seinem Werk "Subjekt-Objekt" bemerkt, handelt es sich dabei darum, daB Hegel "ein Denken, das nur um seiner selbst willen geschieht, jederzeit verspottet"38 hat. "Sein Begriff hatte Augen" und "war von vornherein en-zyklopadisch angelegt".39 Daher Enzyklopadie und kein System! Wenn wir Hegels "Enzyklopadie" naher betrachten - unter dcm EinfluB der Blochschen Interpretation konnten wir sie einfach mit dem Ausdruck "Augen des Begriffs" bezeichnen - und sie als das Ganze seiner Philosophic ansehen, dann laBt sich die Bezeichnung eines geschlossenen Systems nicht anwenden. Bloch vergleicht die Enzyklopadie sehr originell mit einem Gebaude, das gleichzeitig aus einer zentrifuga-len und zentripetalen Bcwegung besteht. Totalitat als Ganzheit in Form der Enzyklopadie bleibt jedoch noch immer die Substanz als Subjekt, als "utopisch-offene Totalitat", sagt Bloch in seinen "Leipzigcr Vorlesungen". Denn: "Das Verfahren dieser Totalitat ist nicht feste Deduktion, sondern Dialektik", die nicht der logischen Notwendigkeit entspringt, sondern dem materiellen "BewegungsprozeB in der Welt".40 Dieser ProzeB kann nicht abgeschlossen sein wie ein Buch iiber ein System. Folglich also Blochs BeschluB: "Das Neue an dieser Philosophic ist die Philosophic des moglich Neuen."41 Die Blochsche Analyse in "Experimentum Mundi" ist in jeder Hinsicht sehr aufschluBreich. Es handelt sich um einen relativ bescheidenen Beitrag, in dem Bloch Hegel behandelt, und die Frage zu kliiren versucht, wie der Anfang seiner "Phanomenologie des Geistes" zustande kam. Die Originalitat der ersten Seiten der "Phanomenologie" liegt gerade darin, daB Hegel mittels des Stachels des Staunens iiber die Frage nach dcm Anfang nachsann, als er iiber die Fragwiirdigkeit der Wahrheit der sinnlichen GewiBheit sprach. Das ist zugleich cin interessanter Vorsch-lag von Bloch, wie man Hegel auf eine neue, andere Weise lesen kann. Darauf beruht auch eine der wenigen konkreten Antworten auf die Frage, wie thaumdzein innerhalb der Hegelschen Kategorie der Vermittlung wirkt und damit innerhalb seiner Dialektik. Die dialektische Fliissigkeit seiner Begriffe liegt darin, daB das Fragen alien mogli-chen Antworten iiberlegen ist. Dadurch bleibt "das Problem eines Problems offen" 42 Es ist Bloch zweifellos gelungen, mit alien diesen Hinweisen zu zeigen, wie Hegel im ProzeB seines Denkens die reflexive Spannung der Vemunft bewahrte, d.h. die Unruhe des Denkens, das immer fortschreitet und in diesem Sinne in Anbetracht des Ganzen seiner Philosophic in sich die Fahigkeit des fragenden Staunens pflegt. Was die in der Philosophic produktivste Art zu denken und fortzuschreiten bet-rifft - da doch die Philosophic de facto vorhanden ist -, scheint Hegel in seiner "Geschichtc der Philosophic", im Kapitel iiber Sokrates, dcm Zweifel zugeneigt zu sein. Diese Vorliebe fiir den Zweifel - besondcrs, wenn man den Zweifel als die ein-zige Moglichkeit, in der Philosophic fortzuschreiten, auffaBt - haben viele mit Argu-menten Platons zu bekiimpfen versucht, denn jeder, der zweifelt, muB nachgedacht haben. Der Zweifel ist also ein Resultat des Denkens und nicht sein Anfang. Das trifft 37 Ebd., S. 137. 38 Erast Bloch: Subjekt-Objekt. Erlautcrungen zu Hegel, GA 8, Frankfurt 1988, S. 179. 39 Ebd. 40 Ernst Bloch: Zwischenwelten in der Philosophiegeschichte, S. 334. 41 Ebd., S. 335. 42 Ernst Bloch: Experimentum Mundi, S. 244. auch fiir jene philosophischen Richtungen zu, die wir als Skeptizismus bczeichnen. Skeptizismen beginnen nicht mit Skeptizismus - ahnlich wie Agnostizismen -, sondern enden damit, als das abgeschlossene Wissen nach einem ProzeB des Nachdenkens. Es ist aber immerhin in den Ansichten von Hegel Uber das thaumdzein etwas, was die Aktualitat dieser Kategorie fiir immer bewahrt, sogar im vorphilosophischcn Sinne. In der "Philosophic der Geschichte. II. Teil", wo Hegel iiber die griechische Welt spricht, bezieht er unter die wesenthchsten Elemente des griechischen Geistes gerade das thaumdzein mit ein. "Wie Aristoteles sagt, daB die Philosophic von der Verwunderung ausgehe, so geht auch die griechische Naturanschauung von dieser Verwunderung aus."43 Die Verwunderung, deren Inhalt auch Hegel durch das Fragen bestimmt, ist nicht nur ein Merkmal der Philosophic. Die Auffassungsweise und die Weltanschauung der Griechen werden durch zwei Kategorien bestimmt: "Diese Verwunderung und dieses Ahnen sind hier die Grundkategorien."44 Hegel betont, daB dieser altgriechische geistige Anfang keine spatere aufgezwungene Interpretation der Griechen sei, sondern daB sie es selbst sind, ihre Art die Welt zu sehen, wodurch sie den Sinn und die Bedeutung alles Seienden begreifen und bestimmen. "Von Ahnung und Verwunderung geht der griechische Geist aus, und geht dann weiter zum Setzen der Bedeutung fort."45 Was die Griechen begreifen und annahmen, gcstalten sie zu etwas Geistigem. Auch die Art, wie sich die Menschen untereinandcr verbinden und in Gemeinschaften vereinigen, enthalt und erhalt etwas Geistiges, d.h. Gesetz und geistige Sittlichkeit, und nicht die Blutsverwandschaft. Was aus dem Leben, der Kultur und den Ansichten der Menschen verschwunden ist und beziiglich der Griechen das unerreichbare Vorbild bleibt, das konnte die Philosophic bewahren. Was zwang die Menschen, daB sie sich vom thaumdzein abge-wandt haben? Konnte es heute unser umweltbewuBter Geist wieder ins Leben rufen? Soil die Verwunderung als Weltanschauung bis in die heutigen Tage nur das Prestige der alten Griechen und ihrer Kultur bleiben? Das sind Fragen, die auch nach Hegels Analyse der Elemente des griechischen Denkens offen bleiben. In seinem bekanntcn Buch iiber Hegel "Subjekt-Objekt. Erlauterungcn zu Hegel" sagt Bloch folgendes: "Philosophic selber beginnt und bemiBt sich erst mit dem Niveau, auf dem die Probleme gcstcllt werden, und mit den Implikationen, die von diesem Niveau her aufgehen. Philosophic, die alte Wissenschaft des Staunens, ist so selber in ihrer Ausfiihrung nichts als die Wissenschaft von den Implikationen. Doch eben, cs ist allemal nur der machtig-einfachc Grundgedanke, der dieses Niveau in seiner Durchfiihrung setzt und diese Implikationen, als welterschlieBende, verfolgt, zusammenhalt."46 Einer der Grundgedanken in Bezug auf das Vcrschwinden der Kategorie thaumdzein aus unserer modernen Weltauffassung bleibt aber die Tatsache, daB die Welt der Griechen noch nicht den abstrakten Gegensatz zwischen Sinnlichkeit und Geist kennt. Das Heilige existiert in dieser Welt im Unterschied zu der fast total profanen Welt der Gegenwart. III. Wir miisscn Emst Bloch unsere Anerkennung aussprechen, daB er auf den Ursprung des Philosophicrens, auf das thaumdzein, und auf die Fahigkeit, es weiter zu pflegen, hingewiescn hat. Dieser Kontext ermoglicht cin erneutes Lesen und Aktual- 43 G. W. F. Hegel: Vorlesungen iiber die Philosophic der Geschichte, Theorie-Werkausgabe, Band 12, Frankfurt 1978, S. 288. 44 Ebd. 45 Ebd., S. 293. 46 Ernst Bloch: Subjekt-Objekt. Erlauterungcn zu Hegel, S. 34. MUCKE INIERKEimL E3E isieren dieses oder jenes Philosophen oder sogar einer ganzen Epoche aus der Geschichte der Philosophie. Bei ali dem aber ist der Versuch, die Frage zu beant-worten, wodurch die Philosophie und das Philosophieren erhalten bleiben, weitaus einfacher als es zu sein scheint. Der zeitgenossiche, aktuelle Kontext der Wiederaufnahme - oder sogar Neuent-deckung - der philosophischen Kategorie thaumdzein wiirde nach der Auffassung Blochs darin bestehen, daB wir versuchen zu beobachten, wie die groBen Philosophen verhindert haben, das Licht der Moglichkeit eines Verwunderns erloschen zu lassen. Und Bloch selbst ist zweifellos eines der besten Beispiele dafiir. Ahnlich wie schon Leibniz und Schelling, wiederholt auch Bloch immer wieder die Frage, warum iiberhaupt etwas und nicht nichts sei, ohne dabei auf die jiidisch-christhche Auffassung vom Ursprung der Welt zuriickzugreifen. Diese Frage wird nach Bloch dialektisch aufgehoben durch die Tatsache, daB ich bin, daB wir sind, daB die Welt ist; auch auf der Suche nach dem Sinn dessen, was noch nicht ist. Das Staunen intendiere in diesen und anderen Symbolintentionen "eine Antwort auf die zentralste Frage der Welt, niimlich auf die: was wir selbcr sind, was alle Dinge ohne Abstand von sich selber sind, in einriickender Umgebung".47 Das Staunen gebe zwar keine Antwort darauf, aber es stelle diese Fragen unabgelenkt und mache Selbst-bewegung. Und da der Inhalt dessen, was wir sind, sowohl im Dunkel des gerade ge-lcbten Augenblicks wie im real Moglichen verschlossen sei, so sei auch der Inhalt des Staunens allemal ein existenziell-utopischer. "Das Staunen als oberstes Organ fiir das noch Ungewordene, ist derart das Organ fiir das Real-Mogliche im gleichen Augen-blick, wo es sich anzeigt."48 Tiefer und weiter geht nach Bloch das unerloschte Staunen auch in der Ergriind-ung des Vergangencn. Das, was ergriindet wird, wird dadurch transparenter; transparent als eine Frage und als Fragen und nicht als eine Antwort; ebenso das Mittel, mit Hilfe dessen es ergriindet wird. "Solches Verwundern, gerichtet auf den Keim wie Kern alles Fragens, auf das dunkle Bin- und Ist-Sein, auf sein ungelostes In-der-Welt-Sein, halt sich die Treue zum diesseitigen Mysterium."49 Obwohl nach den ersten Antworten das Staunen viel zu schnell erhscht, ruft Bloch aufmuntemd mit der lateinischen Maxime "sursum corda!", wenn es darum geht, das BewuBtsein vom fragenden Staunen aufrechtzuerhalten, "aber nicht theologisch, sondem durchaus transzendierend, in die Immanenz transzendierend".50 47 Erast Bloch: Philosophischc Aufsatze zur objektiven Phantasic, S. 148. 48 Ebd., S. 147. 49 Erast Bloch: Experimentum Mundi, S. 245. 50 Karola Bloch, Adelbert Reif (Hreg.): "Denken heiBt Oberschreitcn". In memoriam Erast Bloch (1884-1917), S. 26.