M/40, William Gifford Palgrave. William Gifford Palgrave's REISE IN ARABIEN Aus dem Englisolieii. Erster Band. jl/.y Jem Portrait des Verfassers, einer Karte von Arabien und drei Plänen. Leipzig, Dyk'sehe Buchhandlung. 1867. Vorrede. V Eine Reise durch das mittle und östliche Arabien, welche mehr in der Absicht unternommen wurde, Beobachtungen anzustellen, als dieselben zu veröffentlichen, verschaffte mir die Kenntniss mancher Besonderheiten dieser Theile der grossen Halbinsel, welche wohl der Aufzeichnung werth sind. Die Verhältnisse allerdings, unter denen meine • Reise stattfand, und die nöthige Verkleidung als Eingeborner legten mir manche Beschränkungen auf, durch welche antiquarische Erörterungen abgekürzt, botanische und geologische Untersuchungen gehindert und mir selbst der Gebrauch der zu einer genauen und wissenschaftlichen Beobachtung nöthigen Mittel unmöglich gemacht wurde, z. B. der gewöhnlichen Instrumente zur Bestimmung der Länge und Breite oder der Grade der Wärme und Kälte, der Feuchtigkeit und Trockenheit. Ja noch mehr, ich war zu Zeiten ausser Stande, nur eine einzige Bemerkung niederzuschreiben, nocli weniger durfte ich ein Skizzenbuch oder einen photographischen Apparat sehen lassen, wie schön auch die Landschaft und wie günstig die Beleuchtung sein mochte; meine Feder musste daher allein das Werk thun, ohne Hilfe des Bleistifts, und es muss der Phantasie des Lesers Uberlassen bleiben, das Uebrige hinzuzufügen. Dagegen aber habe ich lange Jahre, ja den besten Theil meines Lebens im Orient zugebracht, Vertrautheit mit der arabischen Sprache, die mir beinahe zur Muttersprache geworden, und genaue Kenntniss der Sitten und Gebräuche der „semitischen" Völker, um sie mit ihrem allgemeinen oder symbolischen Namen zu nennen, verschafften mir einigermassen ein GegengeAvicht gegen die oben aufgezählten Hindernisse. Ausserdem waren vi. mehr die Bewohner des Landes der Hauptgegenstand meiner Beobachtung und meines Studiums, als das Land selbst; meine Aufmerksamkeit war mehr auf die sittlichen, intellectuellen und politischen Lebensverhältnisse Arabiens gerichtet, als auf die physikalischen Erscheinungen des Bodens, die für mich wohl grosses, aber doch untergeordnetes Interesse hatten. Die Beobachtungen Uber Alterthum und Wissenschaft, Pflanzen und Steine, Geographie und Meteorologie, welche ich zu machen im Stande war, will ich zwar mittheilen, muss jedoch ihre unvermeidliche Unvollstän-digkeit bedauern. Bei dem schwierigen Versuche, die arabische Orthographie mit unseren Buchstaben wiederzugeben, folge ich hauptsächlich dem von Lane in seinen allerliebsten „Sitten und Gebräuchen der heutigen Egypter" angenommenen Systeme, doch habe ich nicht für nöthig gehalten, die Vocale zu accentuiren, und begnüge mich mit einfacher Angabe der Länge, wo eine genauere Bezeichnung der Aussprache nothwendig schien.*) *) Der arabische Buchstabe Dschim, welcher im englischen Original durch Dj und j wiedergegeben ist, wird in der Uebersetzung durch g ausgedrückt. Meine Leser möchten vielleicht gern wissen, welches der specielle Zweck meiner Reise war und was mich dazu bcwog. Die Hoffnung, irgend etwas zu der dauernden socialen Wohlfahrt dieser weiten Regionen thun zu können, der Wunsch, das stagnirendc Wasser des orientalischen vn. Lebens mit dem belebenden Strome des europäischen Fortschritts in Berührung zu bringen', vielleicht eine persönliche Neugier, noch Unbekanntes kennen zu lernen, und der unruhige, bei Engländern nicht seltene Unternehmungsgeist waren die hauptsächlichsten Beweggründe. Ich kann noch hinzufügen, dass ich zu der Zeit, als ich die Reise unternahm, mit dem Orden der Jesuiten in Verbindung stand, der in den Annalen philanthropischer Bestrebungen eine wichtige Stelle einnimmt; auch muss ich dankbar anerkennen, dass ich die zu der Reise unentbehrlichen Geldmittel der Freigebigkeit des gegenwärtigen Kaisers der Franzosen verdanke. Es ist eine Sache von höchster Wichtigkeit, dass wir uns von den Nationen eine richtige Vorstellung bilden, mit denen der Lauf der Geschichte uns immer mehr in Berührung bringen muss, deren künftige Geschicke, wie es scheint, die Vorsehung selbst in unsere Hände gelegt hat. Ueber unsere Mitmenschen im Osten herrschen im WTesten noch immer oft sehr irrige Vorstellungen, an denen zum Theil mangelhafte Beobachtimg, vielleicht auch Vorurtheile früherer Reisenden Schuld sind, die zu sehr mit ihren eigenen Gedanken und Einbildungen beschäftigt waren, um die Phasen des Geistes und der Sitten unter anderen Nationen als der eigenen richtig würdigen zu können, während zuweilen eine enthusiastische Einbildungskraft ein prismatisches Colorit auf den verwelkten Orient geworfen hat. Mein Hauptzweck und Bemühen in diesem Werke ist also darauf gerichtet, eine erträglich richtige Vorstellung von der arabischen Rasse zu geben, — von ihren intellectuellen und politischen, socialen und religiösen Verhältnissen; sollte ich so glück-vm. lieh gewesen sein, dieses zu erreichen, so bin ich vollständig zufrieden. Vieles darin wird nicht allein von den Nationen und Stämmen gelten, welche die arabische Halbinsel bewohnen, sondern auch nützliche Winke geben für das Verständniss anderer orientalischer Länder und Völker, für Aegypten, Syrien, Mesopotamien, selbst für Anatolien, Kurdistan und Persien, in welchen allen in hohem Grade und in vieler Beziehung arabischer Einfluss, zum Theil arabische Mischung und Colonisation wirksam gewesen sind. Eine deutliche Vorstellung von den Ursachen des Gedeihens und Verfalls in Arabien und innerhalb seiner unabhängigen Grenzen kann in nicht geringem Grade dazu beitragen, manche Verwickelung in den Phasen des angrenzenden ottomanischen Reichs und selbst anderer asiatischer Reiche zu lösen. Auch das praktische Wirken und die Resultate jener merkwürdigen Erscheinung des menschlichen Geistes, des Mohammedanismus oder, kürzer und richtiger, des Islam, wird eine specielle Erläuterung finden: ein Pimkt, den ich namentlich der Beachtung derjenigen meiner Leser im Osten und Westen empfehlen möchte, welche geneigt sind, dem Propheten und seinem Werke ihren Glauben oder ihre Bewunderung zu schenken. Was die Richtigkeit der Thatsachen oder Angaben betrifft, welche sich auf die Gegenwart oder die Vergangenheit Arabiens beziehen, die in diesem Werke gegeben sind, so wird man bemerken, dass ich überall sorgfältig zwischen dem unterscheide, was ich selbst gesehen oder dessen ich mich durch eigene Untersuchung versichert habe, und dem, was ich nur folgere oder vermuthe, endlich dem, was ich nur aus zweiter Hand von den Eingebornen des Landes habe. Indem ich so den Gegenstand rx. in drei Klassen theile, nehme ich für die erste den Grad der Sicherheit und Glaubwürdigkeit in Anspruch, den man auf das Wort eines Engländers „ich habe gesehen" oder „ich habe gehört" setzen kann, und nicht mehr. Den zweiten muss ich dem eigenen freien Urtheil meiner Leser überlassen und hoffe, dass vieljährige orientalische Studien, eigene Beobachtung und Verkehr mit den Eingebornen das Urtheil, wo es schwankend ist, zu meinen Gunsten wenden werden; auch wünsche ich nicht, meine Theorien und Schlüsse denen aufzudringen, welche Gründe haben, dieselben für irrig zu halten. Die Angaben nach Hörensagen endlich sind jedesmal durch eine Vorrede eingeleitet, welcjie sie als das ankündigt, was sie sind, und diesen mag mein Leser den Grad der Geltung geben, der ihm gutdünkt. Der einzige Punkt, auf welchen ich einiges Gewicht lege, wenn ich Gewährsmänner dieser Art anführe, ist der, ob es Eingeborne oder wenigstens Nachbarn des Landes sind, welches sie beschreiben, und Augenzeugen der Begebenheiten, welche sie erzählen, oder nicht; ihre Namen und Zunamen vollständig aufzuzählen, schien mir überflüssig, da eine Reihe von Mohammed, Hasan, 'Ali u. s. w. in Europa nicht mehr Gewähr für Wahrheit bieten kann, als etwa in Arabien die Namen Thomas, John oder William. Ich habe nicht für nöthig gehalten, in einem Werke wie das meinige unter jeder Seite die Namen der orientalischen Schriftsteller anzugeben, deren Worte ich anführe oder auf die ich hindeute. Gelehrten Orientalisten, welche zu wissen wünschen, welche Werke mir Zeit und Gelegenheit zu Rathe zu ziehen erlaubte, nenne ich als die wichtigsten die Hamasa des Abu-Temmäm, die bekannten Moallakät von 'Amru-l-Kais u. s. w., ferner Abu-l-Feda, Makrizi, Dimischki Schems-ed-Din, Ebn-Khallikän, Ebn-Khaldün, Hariri, Makari, die Sprüchwörter von Mejdani, x. die berühmte Alf-Lejl-w-Lejlah oder Tausend und Eine Nacht (ein Buch, das oft mehr enthält, als es ausdrückt), die Erzählungen von 'Antarah, Abu-Zeid, den Benu-Hiläl und dem tapfern Zir, die Gedichte oder Diwane von 'Omar-ebn-Abi-Rabi'ah, Gerir, Aichtal, Ferazdak, El-Moghrebt, Motenebbi, Ebn-Färid, Abu-l-'Ola, Nablusi, der Diwan von Hodhejl, ausserdem die Korancommentare von Bejdawi, Zamakhschari, Geläl-ett Diu u. a. nebst den asketischen Schriften von El-Ghazali, das Kibrit-el-Ahniar, das Anwär-el-Kadisijah, die Abhandlungen von Mohi-ed-Din und andere, von denen nur Bruchstücke auf uns gekommen sind; endlich mehrere anonyme Handschriften historischen und ethischen Inhalts, die mir durch meine Bekannten in Syrien und Aegypten in die Hände kamen, aber zum grössten Theil im Jahre 1860 bei Einäscherung Zahlehs durch die Drusen nebst meiner Wohnung in Asche verwandelt wurden. _ Von europäischen Werken Uber die Länder des Orients, Reisen in Arabien und den Nachbarländern habe ich nur wenige gelesen, nicht weil mir der gute Wille dazu fehlte, sondern aus Mangel an Zeit. Nie-buhrs nüchterner und unparteiischer Stil bewog mich, seine arabische Reise mit besonderer Aufmerksamkeit zu lesen, und ich habe allen Grund, die grosse Wahrheitsliebe und scharfe Beobachtung dieses ausserordent- liehen Reisenden zu bewundern. Nur in wenigen Punkten scheint er mir Einiges missverstanden zu haben oder falsch berichtet worden zu sein, XL und solche Fälle habe ich in meinem Werke mit aller schuldigen Achtung vor dem Ansehen des gelehrten Deutschen bemerkt und Uberlasse meinem Leser das Urtheil zwischen den einander widersprechenden Angaben. Bei meiner Rückkehr wurden mir Cap. Welsted's und Herrn Wal-lin's Aufzeichnungen von der königl. geographischen Gesellschaft freundlich zur Verfügung gestellt. So weit meine Erfahrung geht, bestätigt sie die Genauigkeit dieser beiden Reisenden. Da jedoch beide hauptsächlich die Topographie des Landes vor Augen hatten, so schenkten sie natürlich den Verhältnissen der Einwohner weniger Aufmerksamkeit, und diese Lücke in ihren Erzählungen ist gerade das, was ich auszufüllen beabsichtige. Mit den .Reisen Pococke's, Burckhardt's und Anderer bin ich nicht genug bekannt, um ein positives Urtheil darüber fällen zu können; doch scheint sich in Burckhardt's Werke einige Uebertreibung zu finden, die bei anderen Schriftstellern nicht selten ist, bei Schilderung der Beduinen und ihres Lebens; vielleicht auch Mangel an Klarheit und Genauigkeit in dem socialen Gemälde, selbst in der statistischen Aufzählung. In der That scheinen mir nur Wenige zu einer richtigen Schätzung der wandernden, noch weniger der angesessenen Bevölkerung Arabiens gekommen zu sein; Wenige haben den Einfluss der Eintheilung in Stämme in diesen beiden Elementen der Gesellschaft richtig verstanden, und worin die Kraft oder worin die Schwäche des Landes ihren Grund hat. Für Letzteres ist die collective Schätzung oft zu unbestimmt und einzelne Angaben parteiisch und ungenügend. Bedenkt man jedoch die Schwierigkeiten, welche sie auf ihrem Wege fanden, so müssen wir diese xii europäischen Forscher mehr für das, was sie geleistet haben, loben, als für das, was sie ausgelassen haben, tadeln. Wenn ich jedoch von den Blättern einer vergangenen Generation verhältnissmässig geringen Beistand erhalten habe, so bin ich von Seiten lebender Freunde, welche Gelehrsamkeit und Kenntniss des Orients in den Stand setzte, zu helfen, zu verbessern und zu ergänzen, nicht ohne Hilfe geblieben. Herrn Professor Rödiger in Berlin und Herrn Stanley Poole in London bin ich in dieser Beziehung zu grossem Danke verpflichtet und ich nenne ihre Namen mit Vergnügen, nicht um andere Freunde auszuschliessen, sondern um ein langes Verzeichniss abzukürzen, an dessen Spitze sie stehen. Bei der mühsamen Arbeit, welche die Herstellung der allgemeinen Karte erfordert, die diesem Bande beigegeben ist, lieh mir Prof. Kiepert in Berlin seine gelehrte und gewissenhafte Genauigkeit; die geographischen Gesellschaften in London und Berlin mit ihren Vorsitzenden, Sir Roderick Murchison und Professor Barth, haben mich gleicherweise mit freundlicher Unterstützung beehrt. Kurz nichts, was freundliches Zuvorkommen zu bieten im Stande war, ist mir in den Hauptstädten Englands und Norddeutschlands versagt geblieben und ich habe nur geringe Entschuldigung für die Fehler, die sich noch in dem Werke finden mögen. — Aber ich glaube, meine Leser werden jetzt bereit sein, den Weg mit mir anzutreten, und so wollen wir denn ohne weitere Vorrede aufbrechen. Inhalt des ersten Bandes. Seit« Kapitel I. Die Wüste und ihre Bewohner............ 1 Kapitel II. Das Gauf.................. 35 Kapitel HI. Die Nefud und Gebel Schomer........... 69 Kapitel IV. Leben in Hä'jel..........;..... 106 Kapitel V. Vorfälle am Hofe zu Hä'jel............ 142 Kapitel VI. Reise von Hä'jel nach Berejdah........... 164 Kapitel VII. Berejdah.................. 209 Kapitel VIII. Von Berejdah nach Riad............ 247 Kapitel IX. Riad.................... 297 Portrait des Verfassers. — Titelkupfer. Karte ton Arabien.................... 1 Plan von Hä'jel..................... 106 Plan von Riad..................... 297 Die Wüste und ihre Bewohner. Abreise von Ma'än — unsere beduinischen Gefährten — unsere Ausrüstung und Verkleidung — Grund derselben — Vorfall in Ma'dn — Sonnencultus der Beduinen — Bemerkungen über Religion und Sittlichkeit der Beduinen — Brunnen von Wokba — der Semüm — fünf Tage in der steinigen Wüste — Art zu reisen — erste Nachricht von feläl - ebn - Raschid — Brunnen — Annäherung an Wadi Sirhän — Scherarat-Lager — Beduinische Gastfreundschaft und Unterhaltung — ihr gesellschaftlicher Zustand — Samh und Mes-?aa' — Folgen der Herrschaft Teläl's über die Beduinen — Anekdote — Kriege der Beduinen — allgemeine Ansicht über die erste Bildung der arabischen Nationalität und Theilung in angesessene und nomadische Bevölkerung; Weg nach Wadi Sirhan — Sandhügel und Ghada — Bemerkungen über das Kamel — 'Azzäm Scherarat von Ma'gu'a — andere Führer — Weg nach dem Gauf — Straussen — Scorpione — Gebäl-el-gauf; das Dorf Gun — erstes Zusammentreffen mit Männern aus dem Gauf — Thalschluchten. Ein für allemal wollen wir versuchen, eine vollkommen genaue und verständliche Kenntniss der arabischen Halbinsel zu erlangen. Mit ihren Küsten sind wir bereits in reichem Masse bekannt; einige am Meere gelegene Provinzen sind, wenn auch nicht vollständig, doch genügend durchforscht. Jemen und Hegäz, Mekka und Medinah bergen schon längst keine Geheimnisse mehr für uns, noch immer aber fehlt uns alle Kenntniss der Gebiete von Hadramaut und 'Oman, Was 2 wissen wir bis jetzt von dem Innern dieser weiten Region, ihren Ebenen und Gebirgen, ihren Stämmen und Städten, ihrer Regierung und staatlichen Einrichtungen, ihren Bewohnern und deren Sitten, Gebräuchen und gesellschaftlichen Zuständen, wie weit sie in der Civilisation vorgeschritten oder in Barbarei versunken sind ? Es ist Zeit, diese Lücke in der Karte -Asiens auszufüllen, und dies wollen wir jetzt auf eigne Gefahr unternehmen; entweder wird das Land vor uns unser Grab, oder wir durchschreiten es in seiner ganzen Breite und lernen es kennen von einem Ufer zum andern. — Dies waren meine Gedanken, und ich glaube mehr oder weniger auch die meines Reisegefährten, als wir uns bei Einbruch der Nacht vor den östlichen Thoren der Stadt Ma'än befanden, während unsere arabischen Führer und Reisegefährten aus einer sprudelnden Quelle, dicht vor den Mauern, ihre Schläuche füllten und die Sättel und Ladungen ihrer Kamele in Ordnung brachten, als Vorbereitung zu der langen Reise, die sie und wir jetzt in Aussicht hatten. Es war am Abend des 16ten Juni 1862; die grossen Sterne leuchteten überall in der dunkelblauen Tiefo eines wolkenlosen Himmels, während der zu- nehmende Mond hoch im Westen, hell wie er nur an diesem Himmel scheint, uns für einige Stunden unserer nächtlichen Reise seinen Beistand versprach. Bald sassen wir auf unsern mageren langhalsigen Thieren, oder, wie «der arabische Dichter sagt:, „auf den Spitzen der Mäste", und wendeten uns nach Osten zu. Hinter uns lagen, wie eine Masse dunkler Schatten, die Mauern und Thürme von Ma'än, seine Häuser und Gärten, und weiter in der Ferne die hohe, dürre Kette der Sclieraa'- Gebirge, die sich mit dem Küstengebirge des He-gäz vereinigt. Vor uns und rings um uns herum lag die schwarze, mit unzähligen Basaltsteinen und Kieseln bedeckte Fläche, auf der nur einzelne kleine Flecke weissen Sandes, oder Strecken gilblichen verwitterten Grases, — das dürftige Erzeugniss befruchtender Winterregen, das aber jetzt vertrocknet war, in den Strahlen des Mondes erglänzten. Ueberau herrschte tiefes Schweigen, welches, wie es schien, selbst unsere arabischen Gefährten nicht zu brechen wagten; denn wenn sie sprachen, geschah es nur mit halbem Geflüster und wenigen Worten, während der geräuschlose Tritt unserer Kamele verstohlen, aber schnell, durch das Dunkel schlüpfte, ohne die Stille zu stören. 3 Einige Vorsicht war in der That nicht unnöthig, denn das Stadium der Reise, in welches wir jetzt traten, war nichts weniger als sicher. Wir befanden uns am Rande des Gauf, des nächsten unbewohnten Theiles Centraiarabiens, und eigentlich dessen äusserster Gränzmark. Der dazwischen liegende Landstrich drohte zum grössten Theil mit doppelter Gefahr, Räubereien umherschweifender Banden und Durst in brennender Sonnengluth. Die Entfernung selbst, welche wir zurücklegen mussten, betrug in gerader Linie etwa 200 englische Meilen, aber unvorhergesehene Umstände konnten sie leicht noch länger machen, denn die Brunnen, die Landmarken des Reisenden, nach denen er seinen Weg richten muss, liegen in der Regel nicht nach mathematisch genauen Linien geordnet, und die Nothwendigkeit, solche Gegenden zu vermeiden, die von feindlichen oder verdächtigen Stämmen besucht werden, nöthigt die Beduinen oft, irgend einen ungewohnten Umweg einzuschlagen. Die Gesellschaft, in der wir uns befanden, war keineswegs geeignet, besonderes Zutrauen einzuflössen, namentlich bei Antritt einer solchen Reise. Auf meinen Kameraden allerdings — einen Eingebornen des Dorfes Zahleh, in der Ebene Coelosyriens — konnte ich mich vollständig verlassen. Kühn, jung und unternehmend, gehörte er einer Oertlichkeit an, deren Einwohner an Gefahren gewöhnt sind, während die Verachtung, mit der sie auf die benachbarten Bevölkerungen herabsehen, sie gewöhnlich für die Eindrücke der Furcht in einem fremden Lande weniger empfänglich macht, als die meisten ihrer Landsleute. Eine desto seltsamere Sippschaft aber waren unsere beduinischen Reisegefährten; ihr Führer, Salim - el'Atneb, war von dem zahlreichen und kräftigen Stamme Howejtat, der das Gebirgsland von Kerak, am Ufer des todten Meeres, bis Ma'än bewohnt; er gehörte zu einer mächtigen Familie und war mit den Häuptlingen des Stammes selbst verwandt, hatte sich aber durch wiederholte Räubereien und gelegentliche Mord-thaten so ruchbar gemacht, dass er jetzt nicht viel besser war als vogelfrei. Mager von Körper und braun von Gesicht, liessen seine schmalen zusammengepressten Lippen auf feste Entschlossenheit und Kühnheit schliessen, während die Ruhe seines grauen Auges eine kalte Ueberlegung zeigte, hinter der möglicher Weise Venrath lauerte. Ich erlaube mir hier zu bemerken, dass die vortheilhafte Schilderung, welche manche Reisende von der unverbrüchlichen Treue der Beduinen machen, keineswegs der Wirklichkeit in dem Grade entspricht, wie zu wünschen wäre. Im Gegcntheil, Beispiele der kaltblütigsten 4 Treulosigkeit sind bei diesen Nomaden durchaus nicht ungewöhnlich, und Fremde, die ihrer Führung und ihrem Schutze vertrauen, ja, ihre eigenen Stammverwandten in der Wüste, sind nur zu oft Opfer ihrer Tücke. Reisende in der Wildniss irre zu führen, bis sie, von Durst und Müdigkeit erschöpft, hinsinken, und .sie dann auszuplündern und ihrem Schicksal zu überlassen, ist ein keineswegs seltenes Verfahren dieser Beduinen, und die Fälle, welche erzählt werden, sind zu häufig, als dass man sie für blosse Ausnahmen von einer besseren Regel halten könnte. So wurde z. B. vor wenigen Jahren eine zahlreiche Karawane, die hauptsächlich aus reichen Juden bestand, von ihren beduinischen Führern verrathen, und die Reisenden kamen alle um, während ihre treulosen Führer, nachdem sie sich so lange in einiger Entfernung gehalten hatten, bis sie sicher waren, dass Durst und die brennende Sonne ihr Werk gethan, auf den Schauplatz des Todes zurückkehrten und sich als einzige und universale Erben der beweglichen Güter, Kleider und Gerätschaften und sämmtlicher Habe ihrer nur allzu sicheren Gefährten einsetzten. Während meines Aufenthalts in der Stadt Hä'jel, in Centraiarabien, kam mir selbst ein hebräischer Folioband unter die Hände, der-einst Eigenthum eines dieser unglücklichen Israeliten gewesen war. Der Beduine, dem er als Antheil der Beute zugefallen war, hatte ihn so weit gebracht, in der Hoffnung, von seinem Verrathe noch besondern Vortheil zu ziehen, durch den Verkauf eines Werkes, welches nach orientalischen Begriffen einen desto grössern Werth hatte, da es gänzlich unverständlich war. Was Salim anbelangt, so gab derselbe doch, wie sehr auch sein Aeusseres und seine allbekannte Lebensgeschichte zu seinem Nachtheil sprachen, durch seinen gesunden Menschenverstand und männlichen Charakter manchen Grund zum Vertrauen auf seine gegenwärtige Treue, das man einem beherzten und vorsichtigen Manne, wenn er auch sonst ohne Grundsätze ist, bis zu einem gewissen Grade fast immer schenkt; weniger aber kann ich dasselbe von seinen beiden Gefährten. 'Ali und Gordi sagen, zwei■ Scherarat-Beduinen und vollständige Barbaren im Aeussern wie im Innern, wilde Und lockere Gesellen ohne geistige Fähigkeit und ohne Bildung. Salim selbst gab uns mehr als einmal-den Rath, alle Vertraulichkeit mit ihnen zu meiden, damit das Gefühl von Ehrfurcht, welches der Gebildete unwillkührlich dem Wilden einflösst, nicht abgeschwächt werde. Ein langes und sehr schmutziges Hemd, das beinahe bis auf die Knöchel reichte, ein schwarzes baumwollenes Tuch über den Kopf, mit einer Schnur von Kamelhaaren befestigt, ein zerfetzter, weiss und braun gestreifter Ueberwurf, ein lederner Gürtel, an dem ein verrostetes 5 Messer herabhing, eine !hu;;v, Flinte mit schwerem Schlosse und ein noch längerer spitziger Speer, eine l'uh < itasehe, zerrissen und grob mit Zwirn geflickt — das war der Aufzag dieser Wackeren, und dies ist in der That die gewöhnliche Tracht der Beduinen auf einer Reise. Salims Ausputz war ganz derselbe, nur dass die entsprechenden Stücke von etwas besserer Qualität waren. Ich selbst, und eben so mein Gefährte, trug die auf Reisen gewöhnliche Kleidung der Mittelklasse des innern Syrien, eine Ausstattung, in der wir bereits unsern Weg von Gaza an der Seeküste bis Ma'än zurückgelegt hatten, ohne Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen und uns unzeitigen Fragen auszusetzen. Das Land, welches wir bis dahin durchwandert hatten, ist von Pococke, Laborde und anderen Reisenden so oft unter dem etwas pedantischen Namen Arabia Petraea beschrieben worden, dass es überflüssig wäre, hier noch einmal darüber zu berichten. Unser Anzug bestand aus einer langen, festen Bluse von ägyptischer Hanfleinwand, unter dieser trugen wir die im Orient gewöhnlichen weiten baumwollenen Beinkleider; unsere sehr einfachen bunten Kopftücher wurden durch 'akkal oder Kopfbänder festgehalten, die einigen Anspruch auf Zierlichkeit machten, an den Füssen trugen wir die weiten landesüblichen Stiefel von rothem Leder. Aber die grossen Reisesäcke an den Seiten unserer Kamele bargen vollständige und bei weitem kostbarere Anzüge, die den Blicken der Beduinen vorsichtig entzogen wurden und erst in den besser bevölkerten und civilisirteren Gegenden zum Vorschein kommen sollten. Bunte Oberkleider, den Syrischen Combaz, Tücher mit seidenen Streifen, anstatt der gemeinen baumwollenen, und Leibbinden von kostbaren Stoffen und geschmackvoller Färbung; solche Kleider waren durchaus nothwendig, wenn wir der Rollej welche wir spielten, treu bleiben wollten. Ich war nemlich ein reisender Arzt, ein Quacksalber, wenn man will; ein einigermassen anständiger Anzug war daher unentbehrlich, um bei meiner Kundschaft Zutrauen zu erwecken. Mein Begleiter, der für meinen Schwager galt, trat bald als reisender Krämer auf, wie oft in diese Gegenden kommen, bald als Lehrling und Gehülfe bei meinem Gewerbe. Unsere Apotheke bestand aus wenigen, aber gut gewählten und wirksamen Droguen, sämmtlich in gut schliessenden zinnernen Büchsen 6 verwahrt, die jetzt in unseren weiten Reisesäcken versteckt waren; etwa fünfzig dieser kleinen Büchsen enthielten hinlänglich genug, um die Hälfte aller Kranken Arabiens zu heilen oder auch für immer von ihren Leiden zu befreien. Flüssige Arzneien waren möglichst vermieden, nicht allein wegen der Schwierigkeit des Transports, sondern auch wegen der schnellen Verdunstung, die in diesem trockenen und heissen Klima unvermeidlich ist. Zwei oder drei kleine Fläsch-chen, deren Inhalt mir durchaus nothwendig schien, waren auch wirklich,trotz der luftdichten Stöpsel und doppelten Umhüllung, sehr bald so'weit verdunstet, dass nur noch die Etiketten zeigten, was sie enthalten hatten. Ich erwähne diess nur, weil es vielleicht einem oder dem andern, der in ähnlicher Verkleidung auf gleiche Abenteuer ausgehen will, von Nutzen sein kann. Andere zu ärztlicher Praxis nothwendige Gegenstände, einige Bücher in europäischen Sprachen zu meinem Privatgebrauch, die vor der arabischen Neugierde sorgfältig geheim gehalten wurden, nebst einigen äscupalischen Abhandlungen in gutem Arabisch, zu handwerksmässigem Prunke bestimmt, vervollständigten diesen Theil unserer Ausstaffirung. Ausser diesen aber waren unsere Satteltaschen bis beinahe zum Bersten mit einem Vorrath von Zeugen, Tüchern, Halsbändern von Glasperlen, Pfeifenköpfen u. dgl. vollgestopft, zum Verkauf an solchen Orten, wo es an ärztlicher Praxis fehlte. Endlich führten wir noch zwei grosse Säcke mit Kaffee bei uns, die allein eine hinlängliche Ladung für ein starkes Kamel waren, aus denen wir bei unserem Handel besonderen Gewinn zu ziehen hofften. Ein so complicirter Verkleidungsapparat wird vielleicht manchen meiner Leser befremden und in mancher Beziehung selbst überflüssig erscheinen; allein wenn man in Central - Arabien irgend mit einiger Sicherheit reisen will, so sind alle diese, oder wenigstens ähnliche Massregeln, wenn nicht durchaus nothwendig, doch wenigstens sehr vortheilhaft; wie und warum werde ich im Verlauf meiner Erzählung öfters zu erklären Gelegenheit haben. Einstweilen mögen meine geneigten Leser mir auf mein Wort glauben, dass sie ohne diese Vorsorge von meiner Seite wohl nie, mit dem Buche in der Hand, am traulichen Kaminfeuer die Reise durch die Wüste machen könnten, mit ungleich geringeren Gefahren und Unbequemlichkeiten, als die waren, denen sich die Reisenden unterziehen mussten. Wäre uns freilich bei unserer Abreise die wirkliche Beschaffenheit der vor uns liegenden Gegenden genau bekannt gewesen, so hätten wir wahrscheinlich einen grossen Theil unserer Waaren, die hauptsächlich auf beduinische Käufer berechnet waren, zu Hause gelassen, und anstatt deren mehr und den Bedürfnissen der Städter und Dorfbewohner besser entsprechende Arzneien mitgenommen. Da wir aber i von der Voraussetzung ausgingen, wie die Meisten thun, dass Arabien ausschliesslich das Gebiet der Nomaden, und dass die festgesessene Bevölkerung verhältnissmässig gering und unbedeutend sei, so hielten wir jene Artikel wenigstens für eben so nützlich und vortheilhaft wie die letzteren; ein schlimmes Missverständniss, dessen wir sehr bald inne wurden. Denn als wir einmal das erste Stadium unserer Reise hinter uns hatten, führte unser Weg durch die inneren Provinzen, bis an die Küsten des persischen Meerbusens und des indischen Oceans, mit sehr wenigen Ausnahmen, durch Gegenden, wo Beduinen für wenig oder nichts zu zählen sind, wo im Gegentheil die angesiedelten Bewohner des Bodens, mit ihren Städten, Dörfern, Ackerbau und Verfassungen die ausschliessliche Bevölkerung bilden. Dies alles aber sollten wir erst noch lernen. Schon jetzt hatten wir von unserem Auftreten als halbe Kaufleute ernstliche Unbequemlichkeiten erfahren, und nur unserem Auftreten als Aerzte hatten wir zu danken, dass nicht unser ganzes Reiseprojekt scheiterte. Die Sache war folgende: Ma'än, von wo wir eben abgereist waren, ist eine kleine Stadt, oder vielmehr ein Dorf, welches zu beiden Seiten der grossen Pilgerstrasse liegt, die von Damaskus nach Mekka führt, etwa dreizehn Tagereisen von ersterem und doppelt so weit von letzterem entfernt. Der Ort selbst ist von Herrn Wallin, in dessen Reise im nördlichen Arabien, genügend beschrieben worden. Als wir nun jetzt, gerade in der Mitte der Pilgerzeit, aus den Wadi 'Akabah hiehor kamen, fanden wir die Stadt von einer kleinen türkischen Garnison besetzt, die während der Monate des Hagg, in denen bei der ganzen Bevölkerung eine aussergewöhnliche Aufregung Platz greift, für grössere Sicherheit des Weges zu sorgen hatte; lauter widerwärtige Umstände für uns, da uns daran lag, so unbemerkt wie möglich durchzuschlüpfen. Während wir hier zehn lange Tage auf Führer warten mussten, die im Stande waren, uns auf einer Reise landeinwärts zu geleiten, fiel es den Behörden des Platzes ein, nebst den türkischen Efendis und der Garnison, uns etwas genauer zu beobachten, da sie nicht begreifen konnten, wie Kaufieute, wie wir, die sichere Aussicht auf einen guten und vortheilhaften Handel an der Strasse nach Mekka, namentlich in dieser Jahreszeit, aufgeben und dem Phantome eines Tauschhandels in der östlichen Wüste nachjagen konnten. Mit dem besten Willen uns für unsere Geschäfte nützlich zu sein, vielleicht auch nicht ohne einigen Argwohn hinsichtlich unserer Person, gaben sie sich alle mögliche Mühe, uns zu überreden, den Weg nach Mekka einzuschlagen, und dass wir darauf nicht eingingen, musste ihnen sehr albern und unvernünftig vorkommen, um nicht mehr zu sagen. Andej*e hingegen, die unserer ärztlichen Kunst .und Geschicklichkeit grössere Aufmerksamkeit geschenkt hatten, stellten die glückliche Vermuthung auf, dass unser wirklicher Zweck, weshalb wir so eigensinnig darauf bestanden, nach dem Gauf zu gehen, der sein müsse, Schätze zu suchen, die, weiss der Himmel von wem, in der Tiefe Arabiens verborgen worden, und die zu erforschen, maghrebinische Abenteurer, von gleicher Berühmtheit als Heilkundige und in geheimen Wissenschaften erfahren, von Zeit zu Zeit diese Grenzen überschreiten. Dieser glückliche Gedanke bewog unsere Freunde, unser Vorhaben zu unterstützen, in der Hoffnung, ihren Antheil von dem erwarteten Profit zu erhalten, und sie machten sich nun ernstlich an's Werk Führer für uns aufzufinden, die wir allein und ohne ihren Beistand mit den sorgfältigsten Nachforschungen nicht so leicht hätten auftreiben können; so kamen wir glücklich über eine sehr ungelegene Schwierigkeit. — Doch nun wieder zu unserer Reise. Ein schneller Trab von mehreren Stunden hatte uns schon ziemlich weit von Ma'an gebracht und der Mond war bereits untergegangen, als unsere Führer an einem kleinen Flecke trockenen Grases, mitten in der schwarzen und steinigen Ebene Halt machten, und nachdem sie einige Worte gewechselt hatten, die Kamele niederknieeu Hessen, abluden und dann frei grasen Hessen, während einer von ihnen Wache hielt und die übrigen sieh in der Nähe des Gepäcks niederlegten, um einige Stunden zu schlafen; es war jedoch nur eine kurze Ruhe, denn sobald der Morgen grauete, wurden wir geweckt, die Thiere wurden wieder beladen und die Reise ging weiter. Als die Sonne, aufstieg, sah ich zum ersten Mal, was mir später ein tägliches Schauspiel wurde, den hauptsächlichsten Act der Gottes-verehrung der Beduinen in ihrem eigenen Lande : Kaum waren die ersten hellen Strahlen in gleicher Höhe mit dem Horizont, als unsere Gefährten, das Gesieht nach der aufgehenden Sonnenscheibe zugewendet, abwechselnd, aber ohne vorhergehende Abwaschung, ja, ohne selbst von ihren Kamelen zu steigen, gewisse Formeln der Anbetung und Anrufung herzusagen anfingen, mit denen sie nicht eher aufhörten, als bis die ganze Scheibe hell über dem Rande der Wüste stand. So sind sie noch bis heute Sonnenanbeter geblieben, wie sie vor der Zeit Mohammeds waren; und alles, was der Prophet des Hegäz sagen oder die Lehrer seines Gesetzes wiederholen mochten, von den Hör- 9 nern des Teufels, zwischen denen das grosse Gestirn des Tages aufgeht — wie jeder wahre Mohammedaner weiss oder wenigstens wissen soll — und dem folglich teuflischen Charakter einer Anbetung zu dieser Zeit und in einer Stellung, welche die Gebete und Niederwerfungen gerade dem Kopfputze des Satans zu richtet,' das wird von diesen hartnäckigen Anhängern der alten Sitten vollständig bei Seite geworfen; und es ist wirklich so, auf die grosse Masse der nomadischen Bevölkerung hat die Religion Mohammeds im Laufe von zwölf Jahrhunderten wenig oder gar keinen Eindruck gemacht, weder zum Guten noch zum Schlechten, und wie geringen Eindruck die neue Religion schon zur Zeit ihrer Gründung in diesen Gegenden machte, lernen wir aus dem Koran selbst und aus frühen authentischen Ueber-lieferungen. Nicht dass die Beduinen ihrerseits eine besondere Abneigung gegen ihren begeisterten Landsmann oder die göttliche Einheit empfänden, sondern einfach, weil sie damals, wie noch jetzt, unfähig waren, eine jener bedeutenden Einwirkungen und bestimmten Formen des Denkens und Handelns in sich aufzunehmen oder zu behalten, die damals den Bewohnern der Städte des Hegäz und anderer Provinzen einige stätige Form gaben; wie der Abdruck eines Siegels im Wasser verloren geht, während er im Wachse bleibt. „Leichtfertig wie Wasser sollst Du nicht der Oberste sein", ist ein Fluch, der, wenn er sich auch ursprünglich auf Rüben bezieht, in voller Kraft auf die Beduinen Arabiens gekommen ist. Zu gleicher Zeit umgeben und mehr oder weniger abhängig von aufrichtigen und selbst bigotten Anhängern des Islam, haben sie es gelegentlich für klug gehalten, den Namen und das äussere Benehmen der Bekenner Mohammeds anzunehmen und selbst Gebete und religiöse Aeusserlichkeiten mitzumachen, wenn sie es nemlich zu Stande bringen, welche zu lernen. Dies sind die eigentlichen Gründe, weshalb sie sich im Allgemeinen noch sorgfältiger hüten, nicht zu zeigen, dass bei ihnen ein Glaube und Gebräuche bestehen, die dem herrschenden Glauben des Landes gerade entgegengesetzt sind, mehr noch als die Zigeuner — ob wahr oder nicht, mag dahin gestellt sein — Jahrhunderte lang im christlichen Europa ge-than haben sollen. Daher kommt es, dass sie nur dann, wenn sie sich ganz zu Hause fühlen, und frei von Furcht und Einschränkung, es wagen, ihre wahren Farben aufzuziehen, und es ist selten, dass ein Fremder Gelegenheit hat, sie unter solchen Umständen zu sehen. Was die halben Beduinen in Syrien, Aegypten und der Grenze des Hegäz anbelangt, so hat ein beständiger Verkehr mit Städten und Bevölkerungen, wo der Islam Glaube und Gesetz ist, ihnen wirklich einen gewissen Anstrich davon gegeben, und daher die Aussage ver- 10 schiedener Reisenden, die mit solchen, aber nur mit solchen, in Berührung gekommen sind, dass die Beduinen im Allgemeinen Mohammedaner seien, nur weniger eifrig und streng in ihrem Glauben als die Uebrigen; eine Angabe, die nur unter den obigen Beschränkungen richtig ist. Aus der Ferne gesehen erscheinen die meisten Landschaften eben und in einer einfachen unbestimmten Färbung, näher betrachtet aber zeigen sie oft einen Hintergrund anstatt der Fläche und viele Farben, wo wir nur eine gesehen hatten. Herr Finlay, der gelehrte aber nicht unpartheiische Verfasser von „the Byzantine Empire" erklärt unbedingt, dass es keine grössere Täuschung gebe, als von einer Einheit der christlichen Kirche zu sprechen. Dem mag sein, wie da wolle, aber ich kann versichern, dass sein Ausspruch sich auf den Islam im Orient vollkommen anwenden lässt. In keinem Theile der Welt giebt es mehr geheime Spaltung, gegenseitige Abneigung, falschen Glauben (von Mohammedanischem Standpunkte aus betrachtet), und Unglauben, als gerade in den Ländern, welche nach oberflächlicher Ansicht vollständig mit dem einen gemeinschaftlichen Glauben an den Koran und dessen Verfasser identificirt erscheinen. Auf diesen Gegenstand aber werden wir weiterhin noch mehr als einmal zurückkommen; wir wollen uns daher hier mit den Scherarat begnügen, deren isolirte Lage in ihrer weiten, furchtbaren Wüste sie zu einem hübschen Probestücke der ächten, unverfälschten beduinischen Species macht. Was diese anbelangt, so fand ich, dass sie, einer wie alle, von den gewöhnlichen Förmlichkeiten der mohammedanischen Gottesverehrung, den Niederwerfungen und Hersagen von Gebeten, den Abwaschungen und Gebräuchen durchaus gar nichts wussten; die Wallfahrt kannten sie nur als gute Gelegenheit zur Plünderung der Pilger, und die Verpflichtungen und Verdienste des Fastens im Ramadhan schienen ihnen vollständig gleichgültig zu sein. Hingegen Opfer, bei denen Schafe und Kamele andächtig auf den Gräbern ihrer Verwandten geschlachtet werden, kommen häutig vor und ersetzen den Mangel der religiösen Obliegenheiten des Islam, vielleicht ohne grossen Nachtheil. Die ausserordentliche Freiheit beduinischer Sitten macht die Beschränkungen oder Nachlassungen des mohammedanischen Gesetzes bezüglich der Ehe unnütz und überflüssig. Frauengemeinschaft würde, fürchte ich, besser als Polygamie das Verhältniss ihres eheligen Lebens bezeichnen, und nirgends hat die Redensart „ein tüchtig Kind ist das, das seinen Vater kennt" eine weitere Anwendung. Ja, in Bezug hierauf wie auf manche damit in Beziehung stehende Punkte — die 11 Leser mögen entschuldigen, wenn ich nicht genauer darauf eingehe — haben sie einen gewöhnlichen Ausdruck, „Hunde sind besser als wir", den sie oft wiederholten, und ich kann ihnen das Zeugniss geben, dass sie nur die reine Wahrheit sagten. Nach dieser vorläufigen Skizze beduinischen Lebens und beduinischer Sitten, die weiterhin vervollständigt werden wird, kehren wir zu der Erzählung unserer Reise zurück. Es war etwa zwei Stunden vor Mittag und die Hitze war sehr drückend, als wir einige zerstreute und verkrüppelte Bäume vor uns sahen, ein Zeichen, dass wir nun dem Gewässer von Wokba näher kamen, auf welches zu unser Weg gerichtet war. Als wir noch in einiger Entfernung von der Stelle waren, trieb einer von unsern Beduinen sein Kamel zu einer Art von Galopp an und ritt in einem grossen Umwege hin, um sich zu versichern, dass nicht etwa Augehörige eines feindlichen Stammes in der Nähe der Brunnen auf der Lauer lagen. Aber niemand war da, weder Freund noch Feind, Alles war still; und die verfallenen Mauern eines verlassenen Dorfes, die an den kiesigen Abhängen und in dem trockenen Bette eines Winterbachs umhergestrent lagen, gaben, von der Mittagssonne beschienen, der Stelle erst recht das Ansehen der Verödung. Hier erblickten wir dicht neben den dornigen Bäumen eine Anzahl seichter Löcher, von denen einige halb mit Steinen verschüttet, andere mit einem dürftigen Vorrath schlammigen und ziemlich brackigen Wassers angefüllt waren. Aus diesen Brunnen füllten wir jetzt unsere Wasserschläuche, eine Operation, die um so sorgfaltiger und gründlicher vollzogen wurde, als wir von hier ab volle vier Tage reisen mussten, wenn wir auch noch so sehr eilten, ehe wir hoffen konnten, wieder einen Tropfen Wasser zu finden; — in den letzten Tagen des Juni ein ziemlich bedenklicher Umstand. Als wir fertig waren, stiegen wir wieder auf und lenkten die Hälse unserer Kamele nun gerade nach Osten, während ich mich umsah, die weite Landschaft ringsum zu überblicken. Die blaue Kette des Scheraa' war noch sichtbar, verschwand aber jetzt schnell in der Entfernung, vor uns und zu beiden Seiten dehnte sich die schwarze leblose Fläche aus, nur von Luftspiegelungen unterbrochen, die das Auge durch helle täuschende Umrisse von Wasserflächen neckten, in denen hie und da ein dunkler Basaltfelsen, der sich ein wenig über den Boden erhob, durch die Strahlenbrechung der erhitzten Atmosphäre vergrössert, wie eine phantastisch gestaltete Klippe oder wie ein hoch emporragender Berg erschien. Trauriges Land des Todes, wo in solcher Einöde selbst das Antlitz des Feindes beinahe ein Trost ist. Aber volle fünf Tage lang waren die kleinen vertrockneten Eidechsen der Ebene, die aussehen, als hätten sie nicht einen Tropfen Feuchtigkeit in ihrem hässlichen Körper, und die Jerboa', oder arabische Feldratte, die einzigen lebendigen Geschöpfe, die uns zu Gesicht kamen. Und nun begann ein Marsch, bei dem wir unser Unternehmen beinahe hätten bereuen mögen, wenn irgend dieses Gefühl noch möglich gewesen wäre oder hätte nützen können. Einen Tag wie den andern trieben wir fünfzehn bis sechzehn Stunden lang unsere Kamele zu grösster Eile an, unter einer beinahe senkrecht über dem Haupte stehenden Sonne, — welcher die Aethiopier Herodots wohl fluchen konnten, — wobei nichts, weder in der Landschaft, die uns umgab, noch an unsern Gefährten, dem Auge oder dem Geiste nur für einen Augenblick eine angenehme Abwechselung gewährte. Dann eine kurze, für Ruhe oder Schlaf ungenügende Rast von zwei bis drei Stunden, die bald wieder durch die oft wiederholte Mahnung unterbrochen wurde, die uns immer in die Ohren klang, „wenn wir hier länger zaudern, müssen wir alle vor Durst umkommen!" dann ging es wieder auf unsere abgetriebenen Thiere, durch die finstere Nacht, iii beständiger Gefahr vor herumschwärmenden Räubern. Dazu kam, dass ich au einem Wechselfieber litt, welches ich mir in Ma'än zugezogen hatte, und in einem Zustande von Müdigkeit und Muthlosigkeit mir ernstlich einzubilden anfing, dass für uns kein anderes Wasser mehr bleibe, als das Wasser des Todes für uns und der Vergessenheit für unsere Freunde. Die Tage vergingen wie ein Fiobertraum, in dem wir oft uns nicht bewusst waren, über welchen Boden wir reisten und wohin unsere Reise ging. Ein einziges Kraut erschien zu unsern Füssen, um einen Anschein von Abwechselung und Leben zu geben, die bittere und giftige Coloquinte der Wüste. Unsere Marschordnung war folgende: Lange vor dem Grauen des Morgens waren wir unterwegs und ritten, bis die Sonne etwa in der Mitte zwischen Horizont und Zenith stand; dies war die Zeit, wo wir abstiegen, um unsere Morgenmahlzcit zu halten. Unsere Beduinen sorgten immer dafür, dass es in einem Thale oder einer Vertiefung geschehen konnte, die uns ein Versteck gewährte; in jeder anderen Beziehung hatten wir vollständig freie Wahl, denn ein Fleck schwarzer Kiesel mit ein wenig Sand und verwelktem Grase dazwischen war genau wie der andere; an Schatten oder Schutz oder etwas dem ähnlichen war bei dieser „Nacktheit des Landes" kein Gedanke. Dann stiegen wir ab und mein Gefährte und ich schichteten das Gepäck zu einer Art von Wand auf, um uns einigen Schutz vor den brennenden 13 Strahlen der Sonne zu schaffen. Zunächst ging es nun an die Bereitung unseres Frühstückes, ganz in Uebereinstimmung mit unseren Vor-räthen, die, als bei echten arabischen Reisenden, höchst einfach waren, nemlich ein Sack grobes Mehl mit Salz gemengt und einige getrocknete Datteln; anderes stand nicht auf unserem Küchenzettel. Wir nahmen nun einige Handvoll Mehl, welches einer von den Beduinen mit seinen ungewaschenen Händen auf einem schmutzigen Stück Leder knetete, indem er ein wenig von dem schlammigen Wasser aus unsern Schläuchen dazu goss und dann diesen vorzüglichen Teig zu einem runden, etwa einen Zoll dicken Kuchen von fünf bis sechs Zoll im Durchmesser ausbreitete. Mittlerweile hatte ein anderer mit trockenem Grase, Coloquintenwurzeln und Kamelmist ein Feuer angezündet und ein Lager von glühender Asche vorbereitet; in diese wurde der Kuchen geworfen und sogleich mit heisser Asche bedeckt; nach einigen Minuten wurde er wieder herausgenommen, umgewendet und wieder zugedeckt, bis er endlich, halb geknetet, halb roh, halb gebacken und mehr als halb verbrannt herausgenommen, von der hungrigen Bande gebrochen und brühend heiss verzehrt wurde, ehe er auskühlte und sich in eine unbeschreiblich zähe Substanz verwandelte, die im Stande war, auch den begierigsten Appetit zurückzuschrecken. Ein Trunk schmutziges Wasser war die ganze Zukost. Sobald das Mahl beendigt war, setzten wir ohne Zeitverlust unsern Weg fort, von einer Luftspiegelung zur andern, bis wir etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang wieder von unseren Kamelen taumelten, um eine Abendmahlzeit zu bereiten, ganz von derselben Art wie unser Morgenimbiss, und öfter noch begnügten wir uns mit trockenen Datteln und einer halben Stunde Ruhe auf dem Sande, weil wir fürchteten, dass der aufsteigende Rauch uns nahen Räubern verrathen könnte. Endlich gingen unsere Datteln, gleich dem Brodsacke Aesops oder dessen arabischen Urbildes Beyhas, zu Ende; unsere Mahlzeit wurde nun noch frugaler, und kaum war sie verzehrt, so ging es ohne Rast weiter, bis wir uns gegen Mitternacht zu einem kurzen Schlafe niederlegten, der uns aber nur Qual und keine Stärkung brachte. Unsere Gefährten thaten ihr Möglichstes, uns bei frischem Muthe zu erhalten, und versicherten uns, diese hastige Art zu reisen sei hier in dem Lande der Dürre und Gefahr durchaus nothwendig, dagegen könnten wir auf leichtere Märsche und geringere Entbehrungen hoffen, sobald wir das Grenzgebiet Teläl-ebn-Raschid's, des Beherrschers von Gebel Schomer, erreichten, welches bei Wadi Sirhän oder dem Thale Sirhän anfange, dem wir nun immer näher kamen, dort sei kein Mangel an gutem Wasser und der mächtige Name Teläls halte weit und breit, bei Tag und Nacht, Feinde und umherschweifende Räuber in Furcht. Unsere Beduinen sprachen viel von Tcläl und lobten seine kräftige Regierung, Gerechtigkeit, thätige Wachsamkeit und kriegerische Tapferkeit, klagten aber zu gleicher Zeit über seine unverantwortliche Unterdrückung der beduinischen Freiheit, und die Schranken, welche er den angebornen Rechten der Nomaden anlege, nach ihrem Gutdünken zu plündern, zu rauben, zu morden — Klagen, welche ganz gegen ihre Absicht unsere Achtung vor diesem Herrscher, mochte er sein, wer er wollte, mehr erhöhten als schmälerten. Wir konnten jedoch bis jetzt nur wenig Genaues über die persönliche Geschichte oder die politische Stellung'dieses Fürsten erfahren, ob er oberste oder subalterne Macht, ob er Gründer seines Reichs oder Erbe, welche Ausdehnung sein Gebiet hätte tu s. w., aber weder Salim noch 'Ali und Gordi konnten uns über Dinge, die so hoch über ihrem Horizonte lagen, Auskunft geben. Für den Augenblick konnten wir mit Sicherheit nichts weiter erfahren, als dass dieser Häuptling in einer Stadt, Hä'jel residire, die in Gebel Schomer irgendwo in südöstlicher Richtung liege; dass er sehr mächtig sei; dass, in seinem Gebiete weder Raub noch andere Verletzung der öffentlichen Ordnung erlaubt sei; und dass im Süden und Osten von Wadi Sirhän sein Wort als Gesetz gelte. Wir wussten bereits, dass Centraiarabien, wenigstens zum Theil, der Wahhabi-Dynastie gehöre. Mit dem Namen „Wahhabi" und seiner allgemeinen Bedeutung sind meine. Leser ohne Zweifel zu gut bekannt, als dass ich hier nöthig hätte, eine Erklärung vorauszuschicken, um so mehr, da einige Kapitel dieses Werks sich fast ausschliesslich mit dem Lande und Volke beschäftigen werden, welche diesem Namen seine weite Berühmtheit gegeben haben. Auch von Telal-ebn-Raschid insbesondere, als einem Herrscher, der in gewisser Beziehung zu den Wahhabi stehe, hatte ich bereits, obwohl nur unbestimmte Gerüchte, in Syrien und Damaskus gehört, wo manche ihn von der Dynastie von Neged trennten, andere ihn mit derselben vermengten. Indem wir so dieses und jenes zusammenstellten, kamen wir auf die Vermu-thung, dass er eine Art Statthalter der Wahhabi sei; eine Vermuthuug, die, wie manche andere, sich später als weller ganz richtig, noch als ganz falsch erwies. i Es war am 22sten Juni; seit fünf Tagen hatten wir die Brunnen von Wokba verlassen. Das Wasser in unsern Schläuchen bot für unsern Durst nur noch wenig mehr als schlammigen Bodensatz, und noch immer erschien kein Zeichen, welches hoffen Hess, dass wir uu- sern Vorrath bald erneuern könnten. Endlich, gegen Mittag, kamen wir einigen Hügeln von lockerem Kies und Sandstein nahe; unsere Beduinen beriethen sich eine Zeit lang miteinander und schlugen dann den Weg rechts ein. „Haltet euch fest auf euren Kamelen, denn sie werden erschrecken und Sätze machen", sagte Salim zu uns. Wie die Kamele erschrecken sollten, konnte ich nicht begreifen; plötzlich aber, als wir die oben genannten Hügel überschritten, lagen fünf bis sechs schwarze Zelte von' dem allererbärmlichsten Aussehen vor uns, die nahe an einigen in der kiessigen Vertiefung unten ausgegrabenen Brunnen aufgeschlagen waren. Jetzt wurde es klar, welchen Grund Salims vorsichtiger Rath hatte, denn als unsere dummen Thiere die Zelte erblickten, erschraken sie, als hätten sie noch nie ein Zelt gesehen, und sprangen und hüpften hin und her, so dass wir vor Lachen uns kaum mehr im Sitze erhalten konnten. Ihr Durst gewann jedoch 16 bald die Oberhand über ihre Furcht, und sie näherten sich mit ruhigeren Schritten dem Rande des Brunnens. Wir stiegen ab. Sogleich kamen die Insassen der Zelte, einige Frauen und einer oder zwei alte Männer vom Stamme Scherarat, der über diese ganze Wüste verstreut ist, herbei, um uns mit ihrem „Mar-haba-Ja'hla", d. i. willkommen, geehrte Gäste, u. s. w. zu begrüssen, dem die gewöhnlichen Fragen über woher und wohin folgten. Ihre Neugier war auch nicht ohne Grund, denn der Weg, auf dem wir kamen, ist zu jeder Zeit wenig besucht, am wenigsten aber gerade in dieser Jahreszeit, dem eigentlichen Hochsommer, namentlich von Leuten aus Damaskus und dessen Umgegend, und dass wir von dort kamen, verrieth unsere Kleidung und unsere Sprache. Unsere Ermüdung war aber zu gross, als dass wir Lust hatten, viel zu sprechen und wir trugen . weit grösseres Verlangen nach Schatten, als nach Unterhaltung. WTir überiiessen es also unseren Beduinen, die wohl auch von Müdigkeit ziemlich erschöpft waren, die Kamele zu tränken, wobei unsere Hülfe nur hinderlich sein konnte, und krochen, nachdem wir schuldigst um Erlaubniss gebeten und diese erhalten hatten, in ein niedriges enges Zelt, dessen schwarze Bedeckung genau darauf berechnet schien, alle leuchtenden Strahlen der Mittagssonne auszuschliessen und alle Wärmestrahlen hereinzuleiten. Hier lagen wir auf dem Sande ansgestreckt und warteten, bis es unsern Gefährten gefallen würde, uns wieder aufzustören, was auch gar nicht lange währte; wir antworteten jedoch, da wir nun einen guten Vorrath von Wasser hätten und dem Grenzgebiete Ebn- Raschids wenigstens sehr nahe wären, so sei kein Grund mehr zu solch rastloser Eile. Salim, der selbst im höchsten Grade ermüdet war, fand diess sehr einleuchtend, und so blieben wir unter Dach, bis die Sonne sich neigte und die Hitze ein wenig nachgelassen thate. Einstweilen unterhielt uns die Herrin des Zeltes, eine hässliche, aber gutmüthig aussehende Hexe, wie die meisten beduinischen Damen, mit einer langen Auseinandersetzung über die Tyrannei Ebn-Raschids und den Zwang, den er über ihre Landsleute ausübe, woraus wir freilich nur schliessen konnten, dass er die Pflichten eines die Ordnung liebenden Herrschers erfülle. Als wir gegen Abend unsern Weg fortsetzten, fanden wir das allgemeine Ausehen der Wüste einigermassen verändert; auf der schwarzen Oberfläche zeigten sich grössere Flecken von Sand oder Gras, dieimmerzahlreicherund n grösser wurden, je weiter wir kamen. Am nächsten Tage, den23sten, wurden noch deutlichere Anzeichen sichtbar, dass wir dem Wadi Sirhän nahe kamen, und als wir uns ein wenig mehr gegen Norden wendeten, um in das Thal zu gelangen, erblickten wir in der äussersten Ferne eine blaue Bergkette, die sich von Westen nach Osten hinzieht und zu der syrischarabischen Wüste gehört, die aber, so viel ich weiss, auf europäischen Karten noch nicht angegeben ist, vielleicht weil sie noch Niemand entdeckt oder wenigstens nicht genauer durchforscht hat. Die Sandflecken wurden jetzt zu allen Seiten immer grösser und tiefer und unsere Beduinen hofften Wadi Sirhän noch vor Einbruch der Nacht erreichen zu können. Hier jedoch trat ein Umstand ein, der der Reise und den Reisenden selbst beinahe ein vorzeitiges Ende bereitet hätte. Meine Leser werden ohne Zweifel schon viel von dem Semüm oder dem tödtlichen Winde der Wüste gehört haben; bis jetzt aber hatte ich diesen noch nicht in seiner ganzen Stärke kennen gelernt, und seine modificirte Form, oder der Schiluk, der Sirocco der syrischen Wüste, obwohl unangenehm genug, kann kaum gefährlich genannt werden. Ich war daher beinahe geneigt, die Erzählungen von dieser merkwürdigen Naturerscheinung und den verderblichen Wirkungen dieses „giftigen Sturmes" in dieselbe Kategorie zu setzen, wie die wandelnden Sandsäulen, von denen in manchen Werken die Rede ist, die mehr Ansprüche auf historische Wahrheit macheu, als Thalaba. Ueber diese wandelnden Säulen und vom Sande erstickten Karawanen lachten die Beduinen, wenn ich sie darüber fragte, laut auf, und erklärten, dass ausser etwa einem Staubwinde, ähnlich denen, die. jeder erlebt hat, der etwa einmal einen Sommer in Scinde zugebracht, in Arabien nichts von dergleichen fabelhaften Dingen vorkomme. Wenn ich sie aber über den Semüm befragte, nahmen sie die Sache ungleich ernster, und mit welchem Rechte, sollten wir jetzt erfahren. Es war gegen Mittag, ein Mittag, wie nur unter dem unbewölkten Himmel Arabiens in der ansgedörrten Wüste und im höchsten Sommer möglich ist, als plötzliche und glühende Wiudstösse von Süden her begannen, während die Luft jeden Augenblick schwüler wurde, bis mein Gefährte und ich uns gegenseitig fragten, was das zu bedeuten habe und wo es hinaus wolle. Wir sahen uns nach Salim um, um diesen zu fragen, er hatte aber bereits sein Gesicht in seinen Mantel gehüllt und kauerte gebückt auf dem Halse seines Kamels, ohne ein Wort zu antworten. Seine Kameraden, die beiden Scherarat- 18 Beduinen, hatten eine ähnliche Stellung angenommen und sprachen ebenfalls kein Wort. Endlich, nach wiederholten Fragen, deutete Sa lim, anstatt direkt auf unsere Fragen zu antworten, auf ein kleines schwarzes Zelt, welches zum Glück nicht weit vor uns lag, und sagte: „versucht das zn erreichen, wenn wir noch bis dahin kommen, sind wir gerettet." Dann setzte er noch dazu: „nehmt euch in Acht, dass die Kamele nicht stehen bleiben und sich niederlegen"; dann gab eisernem Thiere einige tüchtige Hiebe und verfiel wieder in dumpfes Schweigen. Wir sahen ängstlich nach dem Zelte; es war noch etwa zwei- hundert Sehritte entfernt. Die Windstösse wurden immer heisser und heftiger, und nur mit wiederholter Anstrengung konnten wir unsere Thiere noch vorwärts treiben. Der Horizont nahm jetzt schnell eine dunkle violette Farbe an und schien sich zu allen Seiten wio mit einem Vorhange zu bedecken, während uns zu gleicher Zeit ein erstickender Hauch, wie aus einem ungeheuren Backofen entgegenströmte; unsere Kamele fingen nun an, sich im Kreise zu drehen und ihre Kniee zu beugen und wollten sich niederlegen. Der Semüm war da. Wir waren natürlich dem Beispiele unserer Araber gefolgt und hatten unser Gesicht verhüllt, und nur mit Schlägen und Stössen zwangen wir die wankenden Thiere vorwärts, dem einzigen Asyle zu. Die Luft war so finster und die Hitze so glühend, dass es schien, als ob die Hölle aus den Tiefen der Erde herauf gestiegen wäre. Wir kamen gerade noch zur rechten Zeit bei dem Zelte an, und in dem Augenblicke, als der heftigste Stoss des concentrirten Giftwindes kam, lagen wir bereits alle, mit verhüllten Köpfen, unter Dach auf den Boden ausgestreckt, allerdings dem Ersticken nahe, aber doch in Sicherheit; während unsere Kamele draussen wie todt ihre langen Hälse auf dem Sande ausstreckten und das Vorübergehen des Sturmes erwarteten. Bei unserer Ankunft war niemand in dem Zelte, als eine einzelne Beduinenfrau, deren Mann mit seinen Kamelen im Wadi Sirhän ab wesend war. Als sie sah, wie fünf kräftige Männer so plötzlich ohne, ein Wort des Grusses in ihre Wohnung stürzten, erhob sie ein gewaltiges Geschrei und schimpfte uns Räuber, Mörder und Gott weiss wie noch; Salim aber beeilte sich, sie zu beruhigen, indem er rief „Freunde" und ohne weiter ein Wort zu sagen, sich flach auf den Boden niederwarf. Alle, folgten schweigend seinem Beispiel. i:i WTir blieben so etwa zehn Minuten, während welcher wir eine ununterbrochene Hitze wie von einem langsam über uns hingezogenen rothglühenden Eisen fühlten. Dann fingen die Wände des Zelts wieder an, bei den zurückkehrenden Windstössen zu klatschen, woran wir erkannten, dass das Sehlimraste nun vorüber sei. Wir standen wieder auf, halb todt vor Erschöpfung, und nahmen die Hülle von unsern Gesichtern. Meine Gefährten sahen mehr Leichen als lebenden Menschen ähnlich, und wahrscheinlich ich eben so. Ich konnte jedoch, trotz der Warnung, nicht unterlassen, hinauszutreten und nach den Kamelen zu sehen; sie lagen noch immer wie todt am Boden. Die Luft war noch finster, es währte aber nicht lange, so war sie wieder so hell wie gewöhnlich. So lange der Semüm anhielt, war die Atmosphäre vollständig frei von Sand oder Staub, so dass ich mir die autfallende Dunkelheit durchaus nicht zu erklären weiss. Sobald unsere Wirthin sich von ihrem keineswegs unberechtigten Schrecken erholt hatte, war sie ebenfalls regungslos und wohl verhüllt in einer Ecke des Zelts liegen geblieben, bis das Schlimmste vorüber war, dann aber gab sie durch ihre Zungenfertigkeit den besten Beweis dafür, dass der Semüm keine Symptome der Stummheit hinterlässt nnd befriedigte ihre ganze bis dahin gebündigte Neugierde. Spät am Abend setzten wir unsern Weg fort und kamen am nächsten Morgen bei guter Zeit in das Wadi Sirhän. Ehe ich aber erzähle, was uns in dieser neuen Oertlichkeit begegnete, mögen einige Worte über die Lage, das Ansehen und das Verhältniss zu der es umgebenden Wüste hier vielleicht eine passende Stelle finden. Nicht etwa, dass Wadi Sirhän den Geographen und Reisenden unbekannt wäre, aber einige besondere Umstände, namentlich in Betreff seiner südlichen Verzweigung, können vielleicht den Leser interessiren und für wissenschaftliche Forschung nicht ganz ohne Nutzen sein. Südlich von der syrischen Wüste zieht sich, von der Nähe des todten Meeres quer durch das Euphratthal, ein breiter Wüstengürtel, der zum grössten Theile dem Theile der Wüste, welchen wir eben durchwandert, sehr ähnlich ist. Der Boden ist hart und steinig, mit nur wenigen bis an die Oberfläche steigenden Quellen, selbst im Winter, im Früh ling dünn mit Gras und Kräutern gesprenkelt, im Sommer und Herbst ganz ausgetrocknet, im ganzen Ansehen flach, einförmig und öde. Hier 20 und da unterbricht ein einzelner Felsen oder eine Gruppe von Hügeln die Einförmigkeit, seltener eine fortlaufende Reihe niedriger Anhöhen von kühnen Umrissen. Dies ist das nördliche Segment jenes grossen Wüstenringes, der das mittlere Arabien umschliesst und allen regelmässigen Verkehr desselben mit den ausserhalb liegenden Ländern, Syrien und Bagdad, so sehr erschwert, während er es zugleich von den Küstenprovinzen, wie Hegäz, Jemen und 'Oman abschneidet. Etwas weiter südlich nimmt dieser Wüstengürtel, obwohl er keine Unterbrechung erleidet, einen andern Typus an, den wir an geeigneter Stelle genauer beschreiben werden. Die nördliche Wüste, mit der wir es hier zu thun haben, hat jedoch bei aller ihrer Oede einige Stellen, wo das Wasser weniger dürftig und die Vegetation weniger karg ist; diese werden sowohl von den Beduinen, als Reisenden aller Art, welche Handel oder andere Zwecke in diese WildnUs führen, am, meisten aufgesucht. Solche Oasen, wenn sie wirklich diesen Namen verdienen, sind durch eine leichte Senkung der sie umgebenden Wüstenebene gebildet und haben bald die Gestalt eines langen Thaies, bald die eines länglichen Flecks, wo Felsen und Kies einen leichten, mehr oder weniger mit Sand gemischten Boden Raum geben, und bergen unter ihrer Oberfläche nicht allzutief im Boden einen leidlichen Vorrath von Feuchtigkeit. Hier wachsen Sträucher und Kräuter, und das Gras, wenn auch nicht das ganze Jahr über grün, hat hier wenigstens eine etwas längere Dauer als anderwärts; sogar einige fruchttragende Pflanzen, genügend die magere Existenz der Beduinen zu fristen, wachsen hier ohne Pflege, mit einem Worte, Menschen und Thiere finden hier zwar keine behagliche Bequemlichkeit, aber doch soviel, als zum Leben durchaus nöthig ist. Eine solche Stelle ist Wadi Sirhän, buchstäblich „Wolfsthal", wahrscheinlich so genannt nach irgend einer alten Tradition, in der dieses Thier eine besondere Rolle spielte, aber der eigentliche Ursprung des Namens verliert sich im Dunkel des arabischen Alterthums. Diese lange sich krumm hinziehende Niederung hat die Hauptrichtung von Nordwesten nach Südosten, wenigstens annähernd, und reicht bis halb in die nördliche Wüste hinein, wie eine lange Leiter, deren oberes Ende nahe bei Bosra im Hauran nicht weit von Damaskus steht, während das untere Ende im Gauf ruht, der Vorprovinz und Vorhalle Centraiarabiens. So ist es der gewöhnliche Handelsweg zwischen Syrien und dem Gauf. Dazu 21 kommt, dass der zahlreiche syrisch-arabische Beduinenstamm der Ru'a-lah oft das obere Ende besucht, während die Mitte und der südöstliche Theil fast ausschliesslich von Scheraratarabern bewohnt sind. In diesem ganzen Theile des Landes giebt es kein anderes Thal von gleicher Länge und, ich kann nicht sagen von gleicher Fruchtbarkeit, aber doch weniger vollständiger Kahlheit. Wasser findet man im Wadi Sirhän fast überall, in einer Tiefe von zehn bis zwanzig Fuss, und die Vegetation bietet einen gewissen Grad von Ueberfluss und Abwechselung. Hier beginnt, oder genauer, begann zur Zeit unserer Reise das Gebiet Teläl-ebn-Raschids, des Fürsten von Schomer, dessen Macht sich über die ganze östlich von Wadi Sirhän gelegene Wüste und über das ganze Thal selbst erstreckt, mit Ausnahme einiger streitigen Theile im Westen und Norden desselben; denn obgleich diese Wildniss allen Versuchen des Menschen, sich dieselbe anzueignen oder sie zu verändern, trotzt, so können und werden doch die Striche, welche an Mittelpunkte der Gewalt oder einer organisirten Herrschaft grenzen, in einem gewissen Grade der civilisirten Regierung verantwortlich, gerade wie ein Theil des Meeres an irgend einem mächtigen Küstenlande mit Recht der oder jener Flagge unterthänig genannt werden kann, deren Sym bol die Schiffe, welche hier fahren, achten müssen, wenn sie nicht stark genug sind, ihr die Macht streitig zu machen. In noch höherem Grade ist dasselbe der Fall in diesem Meere von Land, durch welches das „Schiff der Wüste" den Beduinen trägt, und so erzwingt Teläl, mit Hülfe des Gauf und dessen Statthalters, seinen Befehlen in der ganzen südlichen Hälfte des Wadi Sirhän und den angrenzenden Gebieten Gehorsam. Am 24sten Juni traten wir in dieses Thal ein, froh uns wenigstens auf der Heerstrasse — obgleich der Ausdruck kaum auf ein Land passt, wo es überhaupt gar keine Strassen giebt — nach dem Gauf zu finden, während unsere Beduinen, die eben so müde waren trockene Datteln und Aschkuchen zu kauen, wie wir selbst, uns im Voraus mit Beschreibungen der gastlichen Aufnahme unterhielten, die wir täglich in dem Wolfsthale erfahren würden. Wirklich waren wir noch nicht lange zwischen den niedrigen Sandhügeln dahingezogen, die sich hier aus der Niederung erheben, als wir fern und nahe zwischen den Gebüschen zahlreiche schwarze Zelte erblickten, die Hütten Kedars, ohne Zweifel denen sehr ähnlich, mit welchen Salomo seine dunkle ägyptische Braut verglich (ich weiss nicht, 22 ob letztere die Vergleichung als ein Kompliment aufnehmen konnte), aber von so erbärmlichem Aussehen, dass wir wenig Vertrauen auf eine Erfüllung der Hoffnungen hegten, welche die Beduinen in uns rege gemacht hatten. Die Wahrheit zu sagen, unter den erbärmlichen Nomadenstämmen, welche Arabien unsicher machen, sind die Scherarat die erbärmlichsten; sie besitzen nur sehr wenige Schafherden; ein Pferd ist bei dem Stamme eine Seltenheit; ihr ganzer Reichthum, wenn man es Reichthum nennen kann, besteht in ihren Kamelen, und an diesen ist allerdings kein Mangel; — ganz anders bei den nördlichen Beduinen, den Seba'a, Ru'alah, Fidha'an und ihren Brüdern, deren lange Heerden von Schafen und zahlreiche Pferde ihnen einen ge- wissen Reichthum und Mittel zum Handel verschaffen, der sie in Stand setzt, wenn auch nicht ganz so wie civilisirte Wesen zu leben, doch wenigstens frei von den Entbehrungen und dem Elend der Wildniss. Ueber den ganzen eben beschriebenen Wüstengürtel verbreitet, mit Wadi Sirhän als ihrem gewöhnlichen Sammelplatze, erkennen die Scherarat kein eigenes gemeinschaftliches Oberhaupt an. Sie sind in eine unzählige Menge grösserer und kleinerer Abtheilungen verzweigt, von denen jede ihren besonderen Häuptling hat, der in jeder Hinsicht seiner Untergebenen würdig ist. Fast alle jedoch, Häuptlinge und Stammesangehörige, sind seit einigen Jahren durch den eisernen Arm Teläls in eine Art Dienstbarkeit gebracht und entrichten ihm demge-mäss ihren Tribut, der in einer jährlich zu liefernden Anzahl von Kamelen und täglichem Murren besteht. Im Verkehr mit diesen Nomaden, der jetzt beginnt, werden wir Gelegenheit haben, ihr Wesen und die Verhältnisse, in denen sie leben, genauer kennen zu lernen. Bei einem Zelte nach dem andern, bei manchem zerlumpten Beduinen und grasenden Kamele zogen wir vorüber, bis uns Salim endlich eine Gruppe von Wohnungen zeigte, von denen zwei oder drei etwas grösser zu sein schienen als die übrigen, und uns sagte, dass wir dort unsere Abendmahlzeit halten würden, (denn die Sonne neigte sich schon dem Untergange zu). „Ajawid" (noble Leute), setzte er hinzu, um uns durch Aussicht auf eine gute Aufnahme zu ermuthigen. Wir konnten uns natürlich nur auf sein besseres Urtheil verlassen; und nach wenigen Minuten befanden wir uns an der Seite der schwarzen Decken von Ziegenhaar, wo unsere Wirthe hausten. Das Oberhaupt, oder der Häuptling, denn er war nichts Geringeres, kam heraus und wechselte mit Salim einige Worte; Letzterer kam dann zu uns (wir warteten in einiger Entfernung), führte unsere Kamele an eine nicht weit von den Zelten entfernte Stelle, Hess sie 23 niederknien, half uns abladen, und während wir uns auf einem sandigen Abhänge gegenüber den Wohnungen des Stammes einrichteten, empfahl er uns, ein scharfes Auge auf unser Gepäck zu haben, da leicht Diebe unter unsern Wirthen sein könnten, bei alledem dass sie „Ajawid" wären. Schlimme Aussichten; denn der Ausdruck „Ajawid" hat in einem arabischen Munde ziemlich dieselbe Bedeutung, wie das englische „Gentleman". Wenn nun die Gentlemen schon Diebe waren, was Hess sich da erst von den Andern erwarten? Wir machten zu bösem Spiele gute Miene, setzten uns mit ernster Würde auf den Sand und erwarteten die weiteren Resultate der Unterhandlungen unseres Führers. Eine Zeitlang blieben wir ungestört, obwohl nicht unbemerkt; eine Gruppe Araber hatte sich um unsere Gefährten an der Zeltthür gesammelt und suchte nun von diesen alle mögliche Kunde zu erhalten, namentlich in Betreff unserer und unseres Gepäcks, welches letztere ein Gegenstand grosser Neugier war, um nicht zu sagen Habgier. Dann kamen wir an die Reihe. Der Häuptling, seine Familie (mit Ausnahme der Frauen), seine nächste Umgebung und einige und zwanzig andere, Junge und Alte, Knaben und Männer, kamen herauf, und nach einem kurzen Grusse nach Beduinenart — denn die complimen-tirenden Einleitungen, welche türkische oder persische Förmlichkeit I- 2 anderwärts eingeführt hat, sind hier nicht in Mode — setzten sie sich vor uns in einem Halbkreise nieder. Jeder hielt einen kurzen Hakenstock in der Hand, mit dem die Kamele angetrieben werden, um damit beim Sprechen zu gesticuliren oder während der J?ausen der Unterhaltung damit zu spielen, während die Jüngeren, weniger redegewandt, uns angafften und zum Zeitvertreib getrocknete Kothkugeln aus dem Sande aufhoben und herumwarfen. Wie aber soll ich die Unterhaltung beschreiben, ihre Fragen und Antworten, ihre Manieren und Gebehrden? „Ein Vernünftiger ist in dieser Stadt, wie ein Mensch, der unter einer Heerde Maulesel in einem Stalle angebunden ist", hörte ich einmal einen achtbaren Fremden in der syrischen Stadt Horns, die wegen der Dummheit, ihrer Bewohner berüchtigt ist, äussern. Aber unter den Beduinen in der Wüste, wo noch der Vortheil eines Stalles fehlt, gleicht der Fremde mehr einem Menschen, der sich mitten im freien Felde zwischen ungebundenen Mauleseln befindet, die in allen Richtungen um ihn herum springen und ausschlagen. Hier kann man die menschliche Natur auf ihrer niedrigsten Stufe sehen, oder wenigstens dieser sehr nahe; Einer liegt der Länge lang auf den Boden gestreckt, ein Anderer zieht gedankenlos mit seinem Stocke Linien in den Sand, ein Dritter grinset, ein 24 Vierter thut nichtssagende oder impertinente Fragen oder macht Spässe, die für witzig gelten, in der That aber im höchsten Grade plump sind. Dazwischen drängen sich die Knaben vor und unterbrechen die Aelteren, ich kann kaum sagen die Besseren, ohne die geringste Achtung oder Ehrerbietung. Bei alledem aber kann man ihnen keine absichtliche Ungebührlichkeit zur Last legen: ganz im Gegentheil sind Alle von dem aufrichtigsten Wunsche beseelt, sich dem Ankömmling angenehm zu machen und Alles zu thun, womit sie ihm einen Dienst erweisen können, nur wissen sie nicht, wie sie dies anfangen und wie sie sich dabei benehmen sollen; wenn sie alle Gesetze des Anstands und der Höflichkeit verletzen, so geschieht es aus reiner Unwissenheit; dabei kommen zuweilen Züge von angebornem Takt und Schlauheit zum Vorschein, und durch den Leichtsinn an keine moralische oder physische Schranken gewöhnter Menschen blickt der Grundzug eines männlichen und edlen Charakters, den man bei Persern oder Türken nur selten, wenn überhaupt, antrifft. Ihre Fehler haften an ihren Verhältnissen, ihre guten Eigenschaften sind ihre eigenen. Was kann man in der That Besseres erwarten von Leuten, die ihr ganzes Leben als Kameltreiber in der freien Wüste hinbringen, ohne Gesetz, ohne Religion, ohne Unterricht, ohne Beispiel; die anstatt dessen allen nichts kennen als den drückendsten Mangel, beständige Entbehrung, häufige Gefahr und nirgends Sicherheit? Das ist die Erziehung des Wilden; und dass eine solche Schule solche Zöglinge ent-lässt, ist vollkommen naturgemäss. Ich wünsche, dass diejenigen, deren Einbildung sich in ideellen Bildern des Wüstenlebens gefällt und die die Beduinen und deren Zustände für bewunderungswürdig oder neidenswerth halten, nur drei Tage in einem Lager der Scherarat zubringen könnten und nicht durch das Medium romantischer, so zu sagen a priori geschriebener Erzählungen, sondern mit eigenen Augen sehen könnten, zu welcher Stufe der Entartung eine der edelsten Rassen, welche die Erde trägt, unter einem Jahrhunderte langen Einflüsse des Nomadenlebens sinken konnte. Ich sage eine der edelsten Rassen der Erde, denn dieses sind die Araber in bewohnten Ländern und unter organisirten Regierungen unbestreitbar. In der That, nachdem ich auf meinen Reisen sehr verschiedene Rassen kennen gelernt, afrikanische, asiatische und europäische, möchte ich kaum irgend einer den Vorrang über die echten 25 ungemischten Stämme des mittleren und östlichen Arabiens zugestehen. Nun sind diese zuletzt genannten Bevölkerungen in Blut und Sprache mit den Nomaden dieser Wüste identisch, und doch wie unendlich höher stehen sie! Der Unterschied zwischen einem rohen Bergschotten und einem englischen Vornehmen in „Rob Roy" oder „Waverley" ist beinahe noch geringer. Um meinen Leser noch besser einzuführen, erlaube ich mir hier eine Probe beduinischer Unterhaltung einzuschalten. „Was seid ihr? Was ist euer Geschäft?" ist die gewöhnliche Eröffnung des Gesprächs, ohne alle vorhergehende Umschweife. Wir antworten: „Aerzte aus Damaskus, und unser Geschäft ist Alles, was uns Gott in den Weg legt." Die nächste Frage bezieht sich auf das Gepäck; einer schlägt mit dem Stocke daran, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, und sagt: „Was ist das? Habt ihr eine Kleinigkeit, die ihr uns verkaufen könnt?" Wer mit den Feinheiten der arabischen Sprache vertraut ist, kann bei dem ersten Verkehr mit diesen Leuten bemerken, wie entartet auch ihre gesellschaftliche Lage sein mag, dass ihr Idiom, mit sehr geringen Ausnahmen, sich ganz unverdorben erhalten hat und im Allgemeinen den genauen Regeln und Anforderungen des zuweilen, obwohl nicht ganz richtig, sogenannten „grammatischen Dialektes" entspricht. Auf diesen Gegenstand werden wir jedoch später wieder einmal zurückkommen, wenn wir Gebel Schomer erreichen, wo die gewöhnliche Sprache die reinste und reizendste rednerische Form erhalten, oder besser gesagt, bewahrt hat. Wir lassen daher für jetzt noch die Philologie bei Seite und kehren zu unseren Beduinen zurück, die wir in einem Zustande grosser Unruhe wegen unseres Gepäcks verliessen. Vorsichtig lehnen wir es ab, etwas zu verkaufen: unsere Waaren und unsere Habe unter dem freien Himmel, auf dem Sande und vor einer sich drängenden Menge zu öffnen, deren Aussehen und Umstände nur sehr geringe Garantie für eine genaue Beobachtung des siebenten Gebotes bieten, würde kaum klug und der Mühe werth gewesen sein. Nach mehreren vergeblichen Versuchen stehen sie von ihrem Verlangen ab. Einer, der an irgend einem körperlichen Gebrechen leidet, fflr welches alle vereinigten Facultäten in London und Paris vergeblich etwas verschreiben würden, z. B. eine verdorrte Hand oder stockblindes Auge, verlangt eine Arznei, die nach seiner Erwartung, sobald sie angewendet wird, ihm seine vollkommene Gesundheit wiedergeben soll. Ich war aber schon im Voraus gewarnt und darauf aufmerksam gemacht worden, dass, selbst unter den günstigsten Umständen, einen Beduinen oder ein Kamel ärztlich zu behandeln ziemlich dasselbe ist 2« und dass man bei einem wie dem andern beinahe gleiche Aussicht auf Ei-fol«* oder Vortheil hat. Höflich lehne ich es ab. Er wird dringend ; ich° mache einen Scherz, um ihn los zu werden. 'ihr lacht uns aus, o ihr Bewohner der Städte. Wir sind Be-duinen, wir kennen eure Sitten nicht", antwortet er in einem weinerlichen Tone, während die Jungen über das Missgescliick eines Stammesgenossen in ein lautes Gelächter ausbrechen. „Ja woleid", oder „junger Mann" (denn so nennen sie Jeden ohne Unterschied, vom achten bis zum achtzigsten Jahre), willst du nicht meine Pfeife füllen?" sagt Einer, der bemerkt hat, dass die meinige nicht leer ist, und der, obwohl mit einem guten Vorrath trockenen Tabaks versehen, den er in einem Lappen um seinen fettigen Gürtel trägt, doch meint, dass jetzt der günstige Augenblick gekommen sei, etwas zu erbetteln, da weder Arznei noch Waaren feil sind. — Aber Salim, der mitten im Kreise sitzt, giebt mir einen Wink, ich*weiche also seinem Verlangen aus. Indessen er lässt nicht nach zu betteln, und zwei bis drei Andere folgen seinem Beispiel, die Alle vorwärts drängen, ihre Pfeife in der Hand haltend, die aus nichts Anderem besteht, als einem Stück von einem Markknochen, mit einem Loche an der Seite oder einem porösen Stein, der in der ganzen Wüste ziemlich häufig gefunden wird und plump zu einem Rauchapparate zugestutzt ist; — eine Art primitiver Meerschaum. Da sie immer zudringlicher werden, stelle ich mich endlich ärgerlich, um der Sache kurz ein Ende zu machen. „Wir sind eure Gäste, ihr Beduinen, schämt ihr euch nicht, uns anzubetteln?" „Nehmt es nicht übel, entschuldigt uns; es sind dumme Kerle, ungezogene Tölpel u. s. w.", sagt Einer, der neben dem Häuptling sitzt und dessen Bekleidung sich in einem etwas bessern Zustande befindet, als die der übrigen halb oder beinahe ganz nackten Individuen, welche die Versammlung bilden. „Wollt ihr nicht die Pfeife für euern kleinen Bruder bevölkern?" hebt jetzt der Häuptling selbst an, indem er mit sehr bescheidener Miene eine leere Pfeife hervorzieht. Die Sprache der Beduinen, wie die der meisten Orientalen, ist ausserordentlich reich an zierlichen bildlichen Ausdruckweisen, und „bevölkern" bedeutet hier nicht anders als „füllen". Salim giebt mir wieder einen Wink, und ich nehme eine Handvoll Tabak, die ich auf den langen Hemdsärmel des Bittenden schütte, den er mit höchst zufriedenem Gesichte zusammenschlägt. Jedenfalls sind diese Beduinen sehr leicht zufrieden gestellt. Unter solchen Gesprächen, alle ziemlich von gleichem Inhalt, vergeht die Zeit. Einige stehen auf und entfernen sich und Andere neh-2" men ihren Platz ein; Alle haben etwas zu bemerken oder zu fragen, und wir haben die beste Gelegenheit, ihren Charakter, Neigungen und Gebräuche zu studiren, und da wir kein Geheimniss um unsere Person machen, so geben auch sie sich vollständig wie sie sind. Der Häuptling aber, sobald er seinen Tabak in Empfang genommen, der eigentlich der Hauptzweck seines Besuchs war, hat sich in sein Zelt zurückgezogen, um für das bevorstehende Gastmahl Anordnungen zu treffen. Bald daraufsehen wir einen Haufen müssiger Leute im Hintergrunde auf einem Fleck beisammen, dies zeigt uns die Stelle, wo ein Schaf oder Kamel, je nach den Umständen, für das Gastmahl, welches am Abend stattfinden soll, geschlachtet wird. Bald darauf sehen wir das geschlachtete Thier an der Ecke des Zeltes ausgestreckt auf dem Boden liegen, um mitten unter dem Gedränge von Zuschauern, die grosses Interesse an dem Verfahren nehmen, zerlegt zu werden; denn das ganze Lager nimmt an dem für die Gäste bereiteten Gastmahle Theil. Wir bleiben nun einige "Zeit allein, denn das Kochen ist eine zu wichtige Sache, als dass einer der unbeschäftigten Nachbarn dabei fehlen dürfte. In Europa, sagt man, verderben viele Köche den Brei, hier aber ist die Sache zu einfach, um viel zu verderben. Unter einem unförmlichen, nie rein gescheuerten Kessel wird Feuer angezündet, und wenn das darin befindliche Wasser kocht, werden die Viertel des geschlachteten Thieres hinein geworfen, die man in ihrem eigenen Fette, das nicht abgeschöpft wird, kochen lässt, bis sie etwas mehr als halb gar sind; dies ist die ganze Kochkunst und das ne plus ultra eines beduinischen Gastmahls. Dies Alles jedoch erfordert Zeit; das Feuer brennt im Freien nicht so leicht wie in einem Ofen oder in der Küche, und grosse Massen Fleisch lassen sich nicht so schnell in einen irgend essbaren Zustand bringen. Die Sterne stehen daher schon am Himmel und der Nachtwind hat den Sand abgekühlt, ehe ein ungewöhnliches geschäftiges Treiben unter den Umstehenden, und die herumfliegenden Feuerfunken zeigen, dass der Kessel endlich von den Steinen herabgenommen wird, die ihm als Untersatz dienen. Das Wasser wird dann abgegossen, das Fleisch in einen grossen, sehr schmutzigen hölzernen Napf geschüttet und so ohne weitere Zuthat, Würze oder sonst dergleichen auf den Boden gesetzt, etwa in der Mitte zwischen uns und den Zelten. Der Häuptling, oder irgend ein junger Ohnehose von seiner Familie, kommt nun mit dem herkömmlichen „Tefaddalu" oder „erweist uns die Gunst", nämlich die Einladung anzunehmen. Wir treten zu 88 dem Napfe, aber ehe wir unsern Platz einnehmen können, wird von allen Seiten ein Sturm auf den gemeinsamen Mittelpunkt der Anziehung vorbereitet, und ein grosser Kreis erwartet schweigend das Zeichen zum Angriff. Dieses wird von dem Häuptling gegeben, der noch einmal die Formel der Bewillkommnung wiederholt, und Salim und mein Kamerad (denn ich muss gestehen, dass ich für meine Person bei solchen Gelegenheiten immer ziemlich langsam war, obwohl nicht etwa wegen Mangel au Hunger) fischen ein grosses Glied halbrohes Fleisch heraus, welches sie, indem sie von verschiedenen Seiten daran ziehen, in mehrere leichter zu handhabende Stücke theilen. Nun fallen Alle über die Schüssel her; mehr als dreissig ungewaschene Hände sind zu gleicher Zeit in dem Napfe beschäftigt und binnen fünf Minuten ist nichts mehr übrig als Knochen, die so rein abgenagt sind, dass den ringsherum auf die Ueberreste des Mahles lauernden Hunden kaum noch etwas übrig bleibt. „Warum isst du nicht? esst nur; lasst euch nicht nöthigen; hundertmal willkommen, werthe Gäste", wiederholt unser Wirth in kurzen Pausen wieder und immer wieder, indem er selbst mit gutem Beispiele vorangeht. Ich muss bemerken, dass der Sultan selbst an unserer Stelle nicht reichlicher und ausgesuchter bewirthet werden könnte, aus dem einfachen Grunde, weil die Scherarat nichts Besseres zu geben haben. Eine Art kleiner Eimer, der allerdings für die Schnauze eines Kalbes geeigneter wäre, mit Wasser gefüllt, das in Folge der übergrossen Nähe der Kamele zu den Brunnen einen ziemlichen Beigeschmack von'Ammoniak hat, wird nun in der Runde herumgereicht. Während wir von dem Inhalte desselben kosten, wird unser Nachbar, an den zunächst die Reihe kommt, nicht unterlassen, „Hena" d. i. „zur Gesundheit" zu sagen, — eine feine Andeutung, auch für ihn noch etwas in dem Gefässe zu lassen. Wir ziehen uns nun zu unserem Gepäck an dem Sandhügel zurück, denn in dem Zelte des Wirths zu schlafen ist in dem echten Beduinenleben nicht Sitte. Die Beschränktheit der Wohnung, wo die ganze Familie, Personen beider Geschlechter und von dem verschiedensten Alter, in einem ungeteilten Räume zusammengedrängt sind, erklärt und rechtfertigt diese Vorsicht vollkommen, der keineswegs ein Mangel an Gastlichkeit zu Grunde liegt. In diesen Wüsten ist die Nachtluft Leben und Gesundheit. Wir schlafen fest, der Gedanke, am nächsten Morgen in erster Frühe wieder zum Aufbruch getrieben zu werden, quält uns nicht mehr, und Leute wie Thiere bedürfen einen vollen Tag Ruhe. Sobald die Sonne aufgegangen ist, werden wir eingeladen, in das Zelt des Häuptlings zu treten und unser Gepäck unter Dach zu bringen. Ein Hauptgrund nnsers Wirthes, indem er uns diesen Vorschlag macht, ist der, von unserm Besuch auf irgend eine Weise für sich selbst Vortheil zu ziehen, sei es durch Geschenk oder durch Kauf. Alle Höflichkeit, die ihm zu Gebote steht, wird in Gang gebracht, und ein grosser Napf 29 frischer Kamelmilch, ein vorzügliches Getränk, erscheint nun auf der Bühne. Ich muss es der chemischen Analyse überlassen, zu erklären, wie es kommt, dass diese Milch keine Butter giebt, es ist aber wirklich so; ich kann jedoch versichern, dass die Milch äusserst nahrhaft und wohlschmeckend ist. Auf dringende Bitte des Häuptlings, seiner Frau, seiner Schwestern und Vettern, und ausschliesslich für ihre Betrachtung, Öffnen wir nun eine Ecke unserer Säcke und verkaufen endlich nach vielem Feilschen ein Stück Zeug, einen Kopfschmuck oder anderes dem Aehnliches. Das Schwierigste ist die Bezahlung, denn nicht einer von unsern Freunden ist nur im Geringsten im Stande, mit seinem Gelde zu rechnen und kennt den entsprechenden Werth eines Geldstücks in kleiner Münze. Es wird also ein Rath der weisesten Häupter des Stammes zusammenberufen, die über den Werth jedes einzelnen Stückes entscheiden und endlich die ganze Summe zusammenrechnen, für Beduinen eine mehr als herkulische Arbeit, und die Summe wird dann mehr als zehnmal wieder überzählt, ehe einer weiss, ob er zwanzig oder dreissig Piaster in seiner schmutzigen Hand hat. Von der in Arabien currenten Münze will ich unten sprechen, wenn wir nach Gebel Schomer oder Neged kommen, da hier eine zu weite Abschweifung von den Beduinen nöthig wäre, um aber diesen Gegenstand eine richtige Vorstellung zu erhalten. Der Tag rückt vor. Gegen Mittag setzt unser Wirth, natürlich genug, voraus dass wir hungrig sind, es wird also ein neues Gericht aufgetragen, das beinahe aussieht wie ein rother Teig, oder mit Ocher gemengte Kleien. Es ist Samh, eins der hauptsächlichsten Nahrungsmittel der Beduinen des nördlichen Arabien. In diesem Theile der Wüste wächst eine kleine krautartige büschelige Pflanze mit saftigen Stielen und einem kleinen gelblichen Blatte und hellgelber Blüthe mit vielen Staubfäden und Pistills. Wenn die Blüthe abfällt, bleibt an ihrer Stelle eine vierblätterige Kapsel, etwa von der Grösse einer gewöhnlichen Erbse, die, wenn sie reif ist, sich öffnet und eine Masse kleiner röthlicher Samenkörner zeigt, die sich wie Kleie anfühlen und aussehen, aber von mehliger Substanz sind. Die Frucht reift im Juli, und dann zieht Alt und Jung, Männer und Frauen, hinaus, um zu sammeln. Die Samenkörner werden dann von den Hülsen getrennt und dienen für das nächste Jahr als Mehlvorrath. Jedesmal wird so viel als man nöthig hat auf einer Haudmühle grob gemahlen und dann mit Wasser gemischt und zu der Substanz gekocht, die wir jetzt vor uns hatten. Salim bezeichnete den Geschmack und die Substanz sehr 30 treffend mit den Worten: „nicht so gut wie Weizen, doch viel besser als Gerstenmehl". Wir konnten nicht umhin, die Vorsehung zu bewundern, die so diesen Nomaden ein Nahrungsmittel giebt, ohne welches sie oft allen Schrecken einer vollständigen Hungersnoth ausgesetzt wären. Zu träge, den Boden zu bearbeiten, selbst wo hinlängliche Feuchtigkeit ihn zur Bebauung geeignet macht, würden sie ohne diese Pflanze ganz auf die Milch und das Fleisch ihrer Kamele angewiesen sein, die ohne andere Lebensmittel nur sehr ungenügend wären. Das Samh aber, welches überall ohne Arbeit wächst, ersetzt den Mangel und bildet ihr Hauptnahrungsmittel, das eigentliche tägliche Brod. Wenn es auch denen, welche an eine bessere Küche gewöhnt sind, selten munden mag, so genügt es doch denen hinlänglich, welche selten oder nie etwas Besseres oder Nahrhafteres gekostet haben. Ein anderes Geschenk der Natur ist die Mesä'a, eine Frucht, welche die Beduinen sehr wohl kennen, obwohl sie sonst überall vernachlässigt wird. Der Strauch wird etwa zwei bis drei Fuss hoch, ist holzig und knotig, mit kleinen, spitzigen, hellgrünen Blättern und einer kleineu rotken, sternförmigen Blüthe. Im Juni bildet sich eine Beere, die an Grösse, Farbe und Geschmack unserer Johannisbeere gleicht, obwohl weniger gewürzig als diese, weil sie zu wenig Säure hat. Die Beduinen sammeln und essen die Frucht in grosser Menge oder kochen sie mit etwas Wasser und bereiten so eine Art Eingekochtes, das bei ihnen, aber auch nur bei ihnen, sehr geschätzt ist. Dieses, nebst dem eben erwähnten Samh, Kamelmilch und zuweilen ein Gericht Fleisch, obwohl letzteres ein seltener Aufwand, bilden die ganze Liste ihrer Lebensmittel. Nicht einer im ganzen Stamme Scherarat kann sich rühmen, einen Kaffeetopf oder Kaffee zu besitzen. Solche Dinge sind allerdings bei den syrisch-arabischen Beduinen häufig, die reich sind durch Be- sitz von Schafen und Pferden und die Nachbarschaft der Städte, ungerechnet dessen, was sie durch Plünderung der Bauern und Reisenden gewinnen, Dank der Schwäche jenes Schattens des Schattens alles Glückes, der ottoraanischen Herrschaft. Aber hier, in dem eigentlichen Arabien, sind Schafe fast das ausschliessliche Besitzthum der Städter und Dorfbewohner, und diese sind stark genug, ihr Eigenthum zu be-31 haupten, da eine kräftige Regierung seit Jahren schon die Beduinen mit eiserner Ruthe bedrückt und auf die ihnen gebührende Stellung, als blosse Kameltreiber und nicht mehr, beschränkt hat. Wenn sie aber zuweilen unter diesem S3^stem im Nachtheil sind, so hat das Land davon desto grösseren Vortheil, und ich glaube, die meisten meiner Leser werden gern zugeben, dass Wohlhabenheit und Sicherheit der Ackerbauer und Kaufleute wohl die Vortheile überwiegen, welche ein freies Nomadenleben und die trotzige Gesetzlosigkeit der Stämme in der Syrischen Wüste gewähren — die nur deshalb Wüste ist, weil sie sich im Besitz der Beduinen befindet. Waren doch dieselben Ländereien — meine Leser verzeihen mir eine kleine Abschweifung von Arabien nach Syrien — die jetzt so wüste sind, in alter Zeit und unter einer bessern Herrschaft, weit und breit bebaut und reich bevölkert, wie die zahlreichen, über ihre Verödung verstreuten Ruinen noch bezeugen, während die Spuren vieler Brunnen, die jetzt mit Sand und Steinen verschüttet sind, zeigen, wo man leicht Wasser finden könnte und die Bearbeitung des Bodens reichlich lohnen würde. Zu dieser aber gehört Geschick und Beharrlichkeit, die den Beduinen, welche die türkische Missregierung zu Herren des Bodens gemacht hat, gänzlich abgehen; sie bedürfen und verlangen nichts weiter als offenes Weideland, und je weniger die Bebauung des Bodens in ihre Wüsten eindringt, desto lieber ist es ihnen. Daher vermeiden sie es nicht nur selbst, irgend einen Versuch zu machen, ihr Gebiet zu verbessern, oder dessen verborgene Hilfsquellen hervor-zusuchen, sondern sie widersetzen sich sogar jedem Versuche Anderer, als einen Eingriff in ihre Rechte, und sind folglich die erblichen Feinde der Regierungen, der Flecken und Bauern, nicht etwa aus blosser Raubsucht, sondern nach einem bestimmten System, wie der Hund an der Krippe, der, obwohl er selbst kein Stroh frisst, es doch braucht, um darauf zu liegen. Doch genug; kehren wir wieder nach Arabien und zu den Scherarat zurück. Die kriegerische Macht des Stammes, wie man aus dem, was ich bereits gesagt habe, entnehmen kann, ist gering; zu gemeinschaftlicher Action sind sie zu sehr vertheilt, und zu arm, um sich mit wirksamen Waffen zu versehen; ihre ganze Bewaffnung besteht aus plumpen Luntenflinten und verrosteten Speeren. Weiter im Innern Arabiens giebt es allerdings reichere, mächtige und besser organisirte Stämme, wie z. B. die Schomer, südlich vom Gauf, die Meteir und 'Oteibah in der Mitte des Landes, die Agraan und Benu-Khalid im Osten, von denen später die Rede sein wird. 32 Aber diese alle zusammengenommen sind gering an Zahl im Vergleich zu der angesessenen Bevölkerung, höchstens ein Sechstheil oder Siebentheil, wenn man nach den Musterrollen der verschiedenen arabischen Provinzen urtheilen kann, und erscheinen nur im Kriege als Hilfstruppen der einen oder der andern Partei unter den Städtebewohnern, nicht als unabhängige oder feindliche Truppen. Die Herrschaft der Wahhabi hat Schlag auf Sehlag „ihren Stachel gebrochen", um den bezeichnenden arabischen Ausdruck zu gebrauchen, und wenn auch nicht Alle gleich arm und roh in ihren Sitten sind wie die Sche-rarat, so sind sie doch eben so der herrschenden Macht unterworfen und wagen es nicht, sich gegen deren Befehle aufzulehnen. Alles, was ich hier gesagt habe, wird im Verlauf dieses Werks vollständig klar werden, ich hielt aber für rathsam, diese Nomadenstämme sogleich hier bei erster Gelegenheit zu schildern, wie sie im Allgemeinen sind, da wir bald auf wichtigere und interessantere Gegenstände kommen, und je näher wir den civilisirteren Gegenden rücken, desto mehr die Wüsten und ihre Beduinen gegen Städte und Städter vertauschen. Nachdem wir einen Tag gerastet, waren wir am nächsten Morgen wieder in der Verfassung, unsern Weg fortsetzen zu können, der zwischen Sträuchern und Sandhügeln in dem Thale abwärts führte, welches sich zwischen steinigen Ufern wie ein breiter seichter Fluss nach Süden zu windet. Wir trafen natürlich mit vielen Beduinen zusammen und kamen an mehreren grossen Lagern vorbei, an denen wir zuweilen Halt machten, um eine Mahlzeit einzunehmen, zuweilen auch nur, um irgend eine Kleinigkeit zu verkaufen, damit wir unseren Charakter als Handelsleute bewahrten. Besondere Abenteuer, die zu erzählen der Mühe lohnte, kamen hier nicht vor, obwohl es keineswegs an Gelegenheit zum Lachen fehlte, bald mit, bald über unsere Gefährten oder Wirthe. Diese unterhielten uns mit langen Erzählungen über ihr Wanderleben und Abenteuer, verirrte oder gestohlene Kamele, prahlerische Kriegshelden und Liebhaber, eben so abenteuerlich wie Romeo, nur weniger zart, und Ehescheidungen ohne Rechtsspruch, und Heirathen, bei welchen der Punkt, um den sich alles Andere drehte, eine Mahlzeit auf fremde Kosten zu sein schien, genau wie wir selber mehr als einmal erfahren, und über diesen Gegenstand, auf den sie oft zu sprechen kamen, verbreiteten sie sich mit mehr als nöthiger Beredtsamkeit, gewiss mit vollem Rechte, denn er ist das Paradies des Beduinen, der wenig weiss und sich wenig sorgt, ob es noch ein anderes giebt, in dieser oder in jener Welt. „Was werdet ihr thun, wenn ihr nach einem so gottlosen Leben einst vor Gott zum Gerichte treten müsst?" fragte ich einmal einen 33 kecken jungen Scherarat, dessen lange Schmachtlocken und etwas stutzerhaftes Wesen —■ denn auch die Wüste hat ihre Stutzer, bei all ihrer lumpigen Ausstaffirung — sehr wohl zu seinen keineswegs sehr erbaulichen Reden passte. — „Was wir thun werden?" antwortete er ohne Zaudern, „nun, wir gehen hin zu Gott und grüssen ihn, und wenn er sich gastfreundlich erweist (zu essen und Tabak giebt), so bleiben wir bei ihm, wenn nicht, so besteigen wir wieder unsere Pferde und reiten davon." Dies nur als Probe der Vorstellungen, welche sich die Beduinen von der künftigen Welt machen; ähnliche Anekdoten könnte ich mindestens fünfzig erzählen, wenn ich nicht fürchtete, mich selbst der Lästerung schuldig zu machen. Unter den echten Nomadenstämmen ist mir nie Jemand vorgekommen, der irgend eine geistigere Auffassung der Gottheit oder der menschlichen Seele oder überhaupt eines unkörperlichen Wesens hatte. Gott ist in ihren Augen ein Häuptling, der, wie es scheint, hauptsächlich in der Sonne wohnt, mit der sie ihn, wie schon oben bemerkt wurde, gewisser-massen identificiren, etwas mächtiger natürlich als ihre eigenen Oberhäupter, oder auch als Teläl selbst, in anderer Hinsicht aber ganz von derselben Art. Die Ghul, Gann, Maradah und wie sie alle heissen, von denen unzählige Geistergeschichten handeln, nach aller Beschreibung fürchterliche Wesen, ähnlich den Kobolden, Nixen und wilden Jägern, sind bei allen ihren teuflischen Neigungen doch sehr körperliche Wesen und können selbst mit den Menschen eheliche Verbindungen eingehen, obwohl die Kinder, welche solchen Verbindungen entspriessen, ausserordentlich boshaft sein sollen, was wohl kein Wunder ist. Die Seelen der Verstorbenen sind ebenfalls nicht viel besser; sie freuen sich über die Opfer auf ihren Gräbern, ja verlangen sogar dieselben, und nähren und sättigen sich von dem vergossenen Blute. Bei allem diesen rohen Materialismus wissen die Beduinen aber doch zwischen Tugend und Laster zu unterscheiden, wenigstens im Grossen und Ganzen; Alle geben zu, dass Mord, Verrath, Raub und Ehebruch „Schejn", d. i. Schande, sind, obwohl sich Alle dergleichen zu Schulden kommen lassen und namentlich die beiden letzteren ziemlich häufig sind. Doch muss man ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, sie sind keine blutdürstige Rasse und vermeiden den Mord, so weit diess bei ihrer gewöhnlichen Wegelagerung überhaupt nur immer möglich ist. Obwohl die Beduinen untereinander in beständiger Fehde leben, so wird doch wenig Blut vergossen; ihr Hauptzweck bei feindlichen 34 Einfällen ist Beute, nicht Mord; und der Beduine, obwohl ein gewaltiger Prahler, hat im Herzen wenig Lust, Andere todtzuschlagen oder sich selber todtschlagen zu lassen. Stundenlang können sie grausige Geschichten von ihren Kämpfen mit anderen Stämmen erzählen und Metzeleien schildern, die denen von Balaclava und Waterloo mindestens gleichkommen, zählt man aber die „Tausende", die sie erschlagen, genauer, so findet man, dass sie auf die bescheidene Anzahl von zwei oder drei zusammenschmelzen, und auch diese darf man nicht sogleich auf die Liste der Todten setzen, da sie höchst wahrscheinlich nur leicht verwundet sind, und bei dem nächsten Schlachtberichte wieder frisch und munter erscheinen. Ein Grund dieser grossen Schonung des Menschenlebens ist der, dass alle jene nationalen und religiösen Grundsätze fehlen, die in andern Ländern so oft, und in Asien noch mehr als in Europa, die Menschen zu Blutvergiessen treiben. Der Beduine kämpft nicht für sein Haus und Hof, er hat keines; nicht für sein Vaterland, es ist überall und nirgends; nicht für seine Ehre, er hat nie davon gehört; nicht für seine Religion, er hat keine und kümmert sich nicht darum; ihn treibt zum Kampfe kein anderer Zweck als die zeitweilige Besitznahme eines kleinen Stückes erbärmlichen Weidelandes, oder die Benutzung eines Brunnens mit brackigem Wasser; vielleicht der Wunsch, ein Pferd oder Kamel, das einem Andern gehört, in seine Hände zu bringen, — alles Dinge, die keine grosse Erbitterung erregen, und die, wenn sie nicht durch den Feldzug erreicht werden, leicht auf irgend eine andere Weise erlangt werden können und keineswegs die Wuth und Grausamkeit im Gefolge haben, die mit bürgerlichen oder religiösen Kämpfen verbunden ist. Allen, welche die frühere Geschichte der Halbinsel kennen, wird vollständig einleuchtend sein, dass in dieser Hinsicht die Beduinen seit zwei Jahrtausenden weder besser noch schlechter geworden sind. Doch mögen meine Leser nicht vergessen, dass diese Wanderstämme weder als Beispiel der eigentlichen arabischen Rasse zu nehmen sind, oder als deren ächter Typus; sie siud nur entartete Aeste dieses grossen Stammes, nicht dessen Wurzel oder Hauptstamm. Mit einem Worte, sie sind eine Hirtenbevölkerung aus der festen Station heraus und um diese herum gewachsen, welche letztere wir bald werden genauer kennen lernen, und durch ihre Lage und Umstände zu einem wilden Leben, mit dessen ganzem Gefolge von Unwissenheit und Laster ver-urtheilt, oder durch die Schwäche und Nachlässigkeit-derer, welche sie in den gehörigen Schranken hätten halten sollen, in Trotz und offener Gewalt erzogen. Um das hier Gesagte ganz zu verstehen, ist es wichtig, mit einigen Worten zu zeigen, welches die eigentliche Grundlage des ganzen Gebäudes der arabischen Gesellschaft und Nationalität ist; ich glaube, der geneigte Leser wird der Betrachtung dieses Gegenstandes gern einige Minuten schenken, da eine richtige Anschauung desselben nicht allein zum Verständuiss der hier folgenden Erzählung beitragen wird, sondern auch mancher anderer, die sich mehr oder weniger auf dieses Volk und Land beziehen. Ist dieser Gegenstand erst hinlänglich erläutert, so können wir unsern Weg mit weit geringeren Abschweifungen fortsetzen; in der That, alles was ich bis jetzt gesagt habe, ist mehr eine Art von Einleitung zu unserer Reise, als eine Beschreibung derselben, die eigentlich erst mit dem Gauf beginnt. Die arabische Nationalität — ähnlich der der historischen Juden und der schottischen Hochländer — ist und war seit den frühesten Zeiten immer auf Theilung der Familien und Stämme gegründet; nur dürfen wir bei dem Ausdruck Stamm nicht an Wildheit und ungeordnete Lebensverhältnisse denken, sondern müssen ihn in seinem ursprünglichen Sinne auffassen, als eine sich forterbende Verbindung. Diese Stämme theilten sich bald jeder in zwei Theile (eine Theilung, welche die Natur des Landes selbst begünstigte und bewirkte), die allerdings mit einander in Wechselbeziehung standen, aber an Grösse und Bedeutung einander sehr ungleich waren. Die grössere Abtheilung blieb als Städter und Ackerbauer in den für Cultur und dauernde Beschäftigung am besten geeigneten Gegenden, wo sie noch Vieles von ihren ursprünglichen Stammesnamen und Formen beibehielten, obwohl oft vermischt und zuweilen selbst verwischt durch die von bürgerlicher und socialer Organisation unzertrennliche Fusion. Der andere und geringere Theil wandte sich dem Hirtenleben zu, für welches die Wüste, d. i. etwa zwei Drittheile des Flächeninhalts der arabischen Halbinsel, einen weiten Spielraum bietet. Diese behielten ebenfalls ihre ursprüngliche Einteilung in Stämme bei, die aber bei ihnen weder durch die Civilisatiou gelockert, noch durch engere gesellschaftliche Schränken mit einander vermengt wurden, so dass in diesem Punkte, aber auch nur in diesem allein, sie die treuen Bewahrer der uralten arabischen Tradition geblieben sind und so eine Art Richtschnur für die ganze Nation bilden. Daher, wenn bei der festangesessenen Bevölkerung, den „Ziegelbewohnern", — um die Städter und Dörfler mit ihrem gemeinsamen arabischen Namen zu nennen — genealogische Zweifel und Fragen über Abkunft auftauchen, wie oft geschieht, so wendet man sich oft an die nächsten Beduinen, um von ihnen eine Entscheidung zu verlangen, welche die städtischen Archive versagen, und diese Heraldiker der Wüste werden leicht über Echtheit und Berechtigung 36 jedes Wappenschildes des arabischen Adels entscheiden. Aber in jeder andern Beziehung, Religion, Kunst, Wissenschaft, Civilisation, sind diese Söhne der Wüste, natürlich genug, mehr rückwärts als vorwärts geschritten. Und wie könnte es auch anders sein, wo die Wüste ihr einziger Lehrer und Kamele und Straussen ihre Schulgenossen sind? — Während daher die fest angesessene Bevölkerung ihrem frühern Vorrathe von Kenntnissen und Künsten manche neue Erwerbungen und Verbesserungen zufügte, welche das fortschreitende Gesetz des menschlichen Geistes unter günstigen Umständen immer den Menschen zuführt, sind die Beduinen bis zu der bei den Arabern überhaupt möglichen Grenze der Barbarei zurückgegangen und so geworden, wie wir sie sehen, dass sie zu ihren übrigen Landsleuten in derselben .Beziehung stehen, wie etwa ein wildes Reis unten an einem Baume zu den mit Früchten beladenen Aesten. Als Hirten von Gewerbe, ziehen die Beduinen ihren hauptsächlichsten Lebensunterhalt aus ihren Heerden. Ihre Handelsartikel sind Kamele und Schafe, wenn sie welche besitzen, und daneben betreiben sie, namentlich im Norden, etwas Rosshandel. Gegen Fleisch und Wolle erhalten sie die dürftigen Artikel von Kleidung, Nahrung und Ge-räthschaften, welche ihre Lebensweise erfordert; diese sind nicht . sehr mannigfaltig, und in der That kann man sich kaum eines bessern Beleg für den Ausspruch „nur wenig braucht der Mensch hienieden" denken. Nebenbei gewährt ihnen die Jagd auf Gazellen und Strausse einige Beschäftigung, während die Wüste selbst, ungepflügt von Menschenhand, ihrem herumschweifenden Müssiggange die oben beschriebene dürftige Ernte bietet. Noch eine Quelle ihres Einkommens ist die Plünderung der Reisenden und der Dorfbewohner, diese ist ihnen jedoch auf dem eigentlichen arabischen Gebiet ziemlich schwer gemacht, obwohl sie in den von Constantinopel abhängigen Gegenden oft genug vorkommt. Noch ein Wort, und ich bin mit unsern Freunden in der Wüste fertig. Ihre Gastlichkeit, von der wir oben eine Probe gesehen, ist . oft ein weit ausgesponnenes Thema geworden. Ich will sie in dieser Beziehung nicht ganz um ihren guten Ruf bringen, doch stehen sie 37 auch hierin, wie in anderer Beziehung, weit hinter ihren civilisirteren Landsleuten zurück. Ihre Freigebigkeit entspringt oft mehr aus dem kindischen Leichtsinn des Wilden, als aus wahrer und lobenswerter Grossmuth des Charakters. Wie ein Kind, das nach allem, was in sein Bereich kommt, gleichviel ob ein Goldstück oder eine Kirsche, seine Händchen ausstreckt und sein Mäulchen öifnet, un.d eben so leicht etwas Neues, das es erfasst hat, wieder fahren lässt, ist der Beduine zu gleicher Zeil raubgierig und verschwenderisch, nach allem verlangend, was er sieht, ohne Unterscheidung des Werthes, und leicht von dem mittheilend, was er sich angeeignet hat, aus reiner Unfähigkeit, den Werth desselben zu schätzen und zu würdigen. Geben, Betteln, Plündern sind für ihn correlative Acte, die der Hauptsache nach alle aus dem vollständigen Mangel eines Begriffes von Eigenthum hervorgehen, und er verdient daher kaum mehr Lob für das Eine, als strengen Tadel für das Andere; mit einem Worte: er weiss es nicht besser. Ausserdem hat er im Allgemeinen nur wenig zu bieten, und für dieses sehr Wenige verspricht er sich nicht selten eine grossartige Vergeltung, indem er den, welcher in der letzten Nacht sein Gast war, ausplündert, sobald er sich am Morgen eine Stunde Weges von seinem Zelte entfernt hat. Doch ein gewisses Wohlwollen gegen Fremde, welches auch in der arabischen Familienähnlichkeit einen hervorragenden Zug bildet, ist in der Brust dieser Halbwilden noch nicht ganz erloschen; und was er als Wirth bietet, ist mit herzlichem Willkomm und dem Bestreben, sich angenehm zu machen, verbunden, die sicherlich anzuerkennen sind und oft in beduinischen Ohren sehr wohlklingende Lobreden erhalten. Aber er ist im besten Falle ein schlecht erzogenes Kind, dessen gute Naturanlagen unentwickelt geblieben oder durch schlechte Behandlung und Verwahrlosung halb erstickt worden sind. Aus dem Allen können meine Leser zwei Folgerungen ziehen, die allerdings allgemein sind, aber sich selten als unrichtig erweisen werden: Erstens, dass die respektive Wohlfahrt und Bedeutung der Zeltbewohner und der festangesessenen Bevölkerung in genauem, aber umgekehrtem Verhältniss steht; zweitens, dass, wenn dieselben Beduinen durch weise Verordnungen und kräftige Regierung in den Schranken ihrer Sphäre gehalten würden, als einfache Schäfer und Hirten, und man ihnen nicht erlaubte, einen Grad von Macht und Einfluss zu erlangen, zu dem sie kein Recht haben und wovon sie sicher nur eiuen schlechten Gebrauch machen, es für alle Parteien besser wäre. Zu geringe Beachtung, vielleicht auch Unkenntniss dieser Punkte, 3zengnissen ihrer Gärten. Mein Gefährte handelt mit einer dieser ländlichen Nymphen und erhält endlich ein Dutzend Badingans und ein Paar Wassermelonen, grösser als ein Kopf, für etwa einen Groschen. Mit diesem Kaufe kehren wir nach Hause zurück. Hier schliessen wir das äussere Thor, schieben den Riegel vor, nehmen dann aus einem flachen Körbchen das von gestern noch übrige Brod, welches hier ziemliche Aehnlichkeit mit Oblaten hat, und verzehren dasselbe mit einer Melone eilig als Frühstück. Ich sage eilig, denn obwohl die Sonne erst seit einer halben Stunde aufgegangen ist, kündet uns doch das wiederholte Klopfen an unsere Thür die Ankunft von Patienten und Besuchern an, denn früh aufstehen ist hier Mode. Wir öffnen jedoch unsern Freunden nicht sogleich, woran sie auch gar keinen Anstoss nehmen, sondern ruhig warten und vor der Thür mit einander plaudern, bis wir sie hereinlassen; so wenig Werth hat hier die Zeit. Unser Getränk ist Wasser; wir wenden uns jetzt einem Schlauch von Ziegenhaut zu, den Fatimah, die Tochter unseres Wirthes Hasan-el-Misri, aus einem nahen Brunnen gefüllt und in einem schattigen Winkel des Hofes an der Wand aufgehängt hat. Wir binden die Mündung auf und lassen den Inhalt in ein sehr roh, aber festgearbeitetes messingenes Gefäss, wie in der Stadt selbst gemacht werden, und begnügen uns mit diesem Mässigkeitsvereinsge- 155 tränk. Ich weiss nicht weshalb wir in Hä'jel noch nicht angefangen hatten uns Kaffee zu kochen; im späteren Verlaufe unserer Reise lernten wir besser wirtschaften. Hierauf legen wir die Teppiche in Ordnung, ich ziehe mich auf meinen Doctorsitz zurück und trage Sorge, dass die Wage und ein arabisches Buch vor mir liegen, und Barakät-escH-Schämi öffnet die Thür. Ein junger Mann von gutem Ansehen tritt ein; er trägt den im mittleren Arabien allen höheren oder mittleren Ständen eigenthümlichen schwarzen Rock und hält in seiner Hand eine Gerte von Sidr oder Lotosholz. Der Säbel mit silbernem Griff und eine von Gold glänzende Kafi'jah zeigen, dass er ein Mann von einigem Ansehen ist, während seine laiigen schwarzen Locken, schönen Gesichtszüge und hell-olivenbraune Gesichtsfarbe , hoher Wuchs und leichter Gang uns erkennen lassen, dass wir einen in der Stadt wohnhaften Eingebornen von Gebel Schomer vor uns haben; es ist 'Ogejl, der älteste Sohn einer grossen Familie und Erbe eines comfortablen Hauses und Gartens, welches sein vor Kurzem verstorbener Vater in einem etwa zwanzig Minuten von uns entfernten Stadttheile besass. An der Hand führt er seinen Jüngern Bruder, einen hübschen schlankgewachsenen Knaben, der ein sehr bescheidenes Ansehen hat, aber beinahe blind und augenscheinlich krank ist. Nach den gewöhnlichen Förmlichkeiten lässt ihn Barakät eintreten ; er nähert sich meinem Sitze und begrüsst mich, noch vor der Thür, mit der grössten Ehrerbietung. Da ich ihn für eine schätzens-werthe Bekanntschaft halte, nehme ich ihn sehr höflich auf. Er bittet mich zu prüfen, wie es mit seinem Bruder steht, und beschreibt mir alle die verschiedenen Leiden des Knaben mit grosser Genauigkeit, obwohl mit einem ängstlichen Anstände in der Wahl der Worte, ein Punkt, worin die Araber in den Städten ein ausserordentliches Geschick besitzen, wenn sie nicht etwa absichtlich grob sein wollen. Ich untersuche den Knaben und finde, dass seine Krankheit die Grenzen meiner Kunst nicht übersteigt und wahrscheinlich nur eine sehr einfache Behandlung erfordern wird. Ich setze also meinen Preis für den Fall, dass er gesund wird, und 'Ogejl geht ohne vieles Handeln auf meinen Vorschlag ein. Die Araber sind allerdings in der Regel knickerig, wenn sie einen Handel abschliessen, und gerade das Gegentheil, wenn sie sogleich bezahlen; sie können einen halben Tag lang um einen Pfennig feilschen und den Werth von vielen Thalern an den Ersten Besten verschleudern. 'Ogejl aber war eins der besten Beispiele des Charakters von Hä'jel und des Stammes Tä'i, der in aller Zeit wegen seiner Freigebigkeit und Ehrenhaftigkeit berühmt gewesen ist. Ich 156 reiche nun zunächst meinem Patienten einige Arzeneien, die sein Zustand erfordert; er nimmt dieselben mit dem Ansehen jenes vollständigen, halb religiösen Vertrauens, welches die gebildeten Araber ihren Aerzten gegenüber immer zeigen, die sie wie mit einer heiligen und übernatürlichen Kraft begabt betrachten, — ein Gefühl, beiläufig bemerkt, welches für den Patienten kaum weniger vortheilhaft ist, als für den Arzt und oft viel zum Erfolge der Behandlung beitragen kann. — Während meines ganzen übrigen Aufenthalts in Hä'jel blieb 'Ogejl einer meiner besten Freunde, beinahe hätte ich gesagt, Schüler; wir besuchten einander häufig und verlebten manche angenehme und trauliche Stunden zusammen. Die Genesung seines Bruders, die in etwa vierzehn Tagen erfolgte, befestigte seine Zuneigung und ich hatte keinen Grund , mich über Dürftigkeit seiner Vergeltung zu beklagen. Von ihm erhielt ich auch, was ich noch höher anschlug, viele und wichtige Aufschlüsse über den frühern und gegenwärtigen politischen und religiösen Zustand von Schomer, die ich im Laufe der Erzählung, wo sich Gelegenheit bieten wird, mittheilen werde. Mittlerweile ist der Hof von Besuchern voll geworden. Dicht an meiner Thür sehe ich das kluge und ehrbar lächelnde Gesicht 'Abd-el-Mahsins, der zwischen zwei hübschen und gut gekleideten Knaben sitzt, es sind die beiden ältesten Söhne Teläls, Bedr und Bander; ihr Schutzmann, ein Negersclave mit einem hübschen Rocke und einem Säbel, sitzt ein wenig weiter hinten. Weiter hin stehen zwei Leute aus der Stadt, der Eine bewaffnet, der Andere mit einer Gerte an der Seite, ein junger Mann mit einem gutmüthigen braunen Gesicht, dessen etwas beschmutzte Kleidung verräth, dass er dem Arbeiterstande angehört, spricht mit einem andern, dessen an Schnitt etwas verschiedene Kleidung von gröberm Stoffe ist, als man gewöhnlich in Hä'jel trägt; letzterer muss ein Bauer" aus einem Gebirgsdorfe sein. Zwei Beduinen, zerlumpt und schmutzig wie alle ihre Brüder, sind mit den Uebrigen hereingekommen, und ein hochgewachsener junger Mann mit dunklem Gesicht, goldnem Griffe an seinem Säbel und mehr Seide an sich, als ein Wahhabi billigen würde, hat 'Abd-el-Mahsin gegenüber Platz genommen und versucht mit diesem ein Gespräch anzuknüpfen. 'Abd-el-Mahsin aber hat Barakät gebeten, ihm eins von meinen arabischen Büchern zu leihen, um etwas zu lesen, und hat sich ganz darin vertieft. 'Ogejl entfernt sich und ich wende mich nun zunächst an 'Abd-el-Mahsin. Er sagt mir, dass Teläl seine beiden Söhne Bedr und 157 Bander schicke, um ihre Gesundheit untersuchen zu lassen. Dies ist eigentlich nur eine kleine Politik von Seiten Teläls, der eben so gut weiss wie ich, dass die Knaben vollkommen gesund sind. Er will uns aber einen Beweis seines Vertrauens geben und zugleich behilflich sein, uns in der Stadt einen guten Ruf als Aerzte zu begründen; denn obwohl selbst noch keineswegs überzeugt, dass wir wirklich nichts anderes sind als Aerzte, begreift er doch, dass es rathsam ist, den Schein vor dem Publicum zu wahren. Die Kinder werden also vorgenommen und mit allem dem Ernste untersucht, wie bei einem Herzübcl oder Gehirnfieber, während Barakät auf einen Wink von mir in der Küche ein Getränk von Zimmt-wasser und Zucker bereitet, welches, bei dieser Gelegenheit Medizin genannt, den jungen Erben des Reichs sehr wohl mundet und die Komödie spielen hilft, bei der 'Abd-el-Mahsin, wie der Chorus bei Euripides, gegen die Umstehenden sich weitläufig über die wunderbare Geschicklichkeit ausspricht, mit welcher ich sogleich die Krankheit der Kinder und das Mittel dagegen entdeckt habe; die kleinen Knaben werden wahrscheinlich, in der Meinung, dass das, was sie genossen haben, Medizin sei, ihr Möglichstes thun, um alle Tage krank zu sein. 'Abd-el-Mahsin übergiebt nun die Kinder dem Neger, bevor jedoch dieser sie nach dem Palaste zurückführt, hat er mir noch seine eigene Geschichte von irgend einem Uebel zu erzählen, wofür ich ihm etwas verschreibe, ohne eine Bezahlung zu stipuliren, denn er gehört zum Palaste und es ist immer gut, dort so viel Freunde wie möglich zu haben, selbst auf der Hintertreppe; 'Abd-el-Mahsin aber bleibt noch, liest, plaudert, recitirt Gedichte, erzählt Geschichten oder Neuigkeiten oder spricht Uber Physik, Religion, Medicin, wie es eben die Gelegenheit giebt. Wir wollen aber noch einige andere Patienten sehen. Der junge Mann, der einen Säbel mit goldenem Griff trägt, hat natürlich den ersten Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit. Es ist Roschejd, Teläls Oheim mütterlicher Seits. Sein Palast steht an der andern Seite des Weges, gerade unserem Hause gegenüber, und ich will hier nichts weiter über ihn sagen, da wir ihm bald einen besondern Besuch abstatten und mit der ganzen Familie genauere Bekanntschaft machen werden. Zunächst wollen wir von den beiden Leuten aus der Stadt Notiz nehmen, die sich mit einander unterhalten oder vielmehr einander necken. Obgleich beide in vollem Staate und an Statur und Gesicht einander sehr ähnlich sind, unterscheiden sie sich doch wesentlich von einander; dem einen sieht man den Civilisten, dem andern den Militär an. Der mit der Gerte ist kein Geringerer als Mohammed-el-Kädl, der oberste 158 Richter in Hä'jel, und daher in der Stadt eine sehr angesehene Person. Sein Aeusseres jedoch ist das eines ältlichen anspruchslosen kleinen Mannes, der, trotzdem dass das Sprichwort den Richtern ernste Würde beilegt, doch sehr gern einen Scherz macht und ausserdem ein ziemlich guter Repräsentant der Partei ist, die man hier die gemässigte nennen könnte, da er weder an dem Fanatismus der Wahhabi theilnimmt, noch, wie die meisten einheimischen Häuptlinge dem Mohammedanismus feindlich ist. Er hängt seinen Mantel nach dem Winde, der am Hofe weht und ist bei allen Factionen populär, weil er eigentlich keiner angehört. Er verlangt Medizin für sich selbst und für seinen Sohn, einen dicken Jungen mit einem geschwollenen Arme, der mit hergekommen ist. Das ist ebenfalls eine nützliche Bekanntschaft, da er allen Scan-dal und alle Klatschereien der Stadt kennt und dieselben nicht ungern mittheilt. Wir besuchten einander oft und sein Haus war gut versehen mit Büchern, theils Handschriften, theils in Aegypten gedruckten, hauptsächlich juristischen und religiösen Inhalts. Unter letzteren war z. B. eine Sammlung von Khotbas oder Freitagspredigten, für das ganze Jahr, und die Lebensbeschreibungen der Propheten, von Seth an, mit einer solchen historischen Genauigkeit und so kritischem Scharfsinn geschrieben, dass sie den Erzählungen eines Münchhausen würdig zur Seite stehen könnte. Mohammed erzählte sehr gern und machte über Alles seine Bemerkungen mit einem Freimuth, der bei andern Leuten seines Standes sonst nicht gewöhnlich ist; er wurde bald unsere tägliche Zeitung für Hofintriguen und Stadtgeklätsch, was man Öffentlich sprach und was man im Geheimen that, welchen Umgang Der oder Jener hatte u. s. w. Im Ganzen aber war das Bild von Hä'jel und dessen Bewohnern, vornehmen uud geringen, welches wir auf diese Weise durch ihn erhielten, ein günstiges, vielleicht günstiger, als das der meisten Hauptstädte. Dies ist vielleicht noch eine Folge von dem Charakter derjenigen Stämme, aus deren Verschmelzung, wie die arabischen Annalen erzählen, sich die gegenwärtige Bevölkerung bildete, nämlich Tä'i und Wä'il mit ihren verwandten Verzweigungen, die noch immer als die Blüthe des arabischen Edelmuthes gerühmt werden, als die Mildesten im Frieden, die Kühnsten im Kampf und die Ehrenhaftesten zu allen Zeiten unter den Bewohnern des Neged und Hocharabiens. In späterer Zeit hat die Civilisation des städtischen Lebens einen angenehmen Anstrich über ihre rauheren Eigenschaften gezogen, diese Civilisation selbst aber ist zu einfach, um sie zu verkünsteln oder zu verderben. Von dem Landvolke in den Dörfern der Umgegend, wie Mogah, 159 Delhemi'eh und den übrigen, sprach Mohammed-el-Kädi gewöhnlich mit einer Art halb verächtlichen Mitleidens, wie etwa der Pariser von dem Bretaguer; allerdings, der Unterschied zwischen diesen rohen und derben Bauern und den feineren Bewohnern der Hauptstadt ist im Verhältniss hier nicht weniger bemerkbar, als in Europa. Wir wollen jetzt Einen in seiner eignen Angelegenheit auftreten lassen, und meine Leser mögen selbst urtheilen. Es ist ein stämmiger Bursche aus Mogah, dürftig gekleidet in seinem Arbeitsanzuge, der in der letzten halben Stunde beschäftigt war mit einem dicken Aste von einem Pfirsichbaume allerlei Figuren auf den Sand zu zeichnen, um sich die Zeit zu vertreiben, bis an ihn die Reihe käme. Jetzt rückt er vorwärts, nimmt seinen Sitz gerade vor der Thür meines Cabinets und macht sich mir bemerkbar mit den Worten: „ich sage, Doctor". Ich gebe ihm zu verstehen, dass sein umfangreicher Körper nicht aus Glas oder einem andern durchsichtigen Material besteht, da er seine Stellung gerade so genommen hat, dass er das wenige Licht, dessen ich mich in meinem Winkel erfreue, vollständig auffängt. Er entschuldigt sich und rückt einen oder zwei Zoll bei Seite. Ich frage nun zunächst, was ihm fehlt, nicht ohne einige Neugier auf seine Antwort, da mir seine herkulische Gestalt gar nicht nach einer Krankheit aussieht. Do'ejmis, oder wie er sonst heisst, antwortet mir: „Ich sage, es thut mir überall weh." Diese, so wie verschiedene andere Angaben, scheinen mir etwas zu allgemein, um buchstäblich wahr zu sein. Ich frage also weiter: „Thut dir dein Kopf weh?" „Nein." (Dies hätte ich allerdings denken können, denn diese Kerle fühlen nie, was unsere Nachbarn „le mal des beaux esprits" nennen.) „Schmerzt dir der Rücken?" — „Nein." ■— „Die Arme?" — „Nein." — „Die Beine?" — „Nein," — „Der Leib?" — „Nein." _ „Aber wenn dir weder der Leib, noch die Beine, noch die Arme oder der Rücken schmerzen, wie kannst du denn dann überall Schmerzen haben?" — „Es thut mir überall weh, Doctor", antwortet er, und wir waren wieder auf dem ersten Punkte. Allerdings fehlt ihm wirklich etwas, er weiss aber sein Gefühl nicht zu localisiren. Ich forsche also weiter, bis endlich klar wird, dass unser Mann von Mogah an einem chronischen Rheumatismus leidet, und bei weiterer Untersuchung, bei der ich und Barakät alle unsere Geschicklichkeit aufbieten müssen, 160 stellt sich endlich heraus, dass er vor drei oder vier Monaten einen Anfall der Krankheit in acuter Form hatte, der vou einem heftigen Fieber begleitet war, und seit dieser Zeit sich beständig unwohl fühlt. Dies konnte für die Diagnosis genügen, ich selbst aber bin neugierig, wie er sich aus verwickeiteren Fragen herausfinden wird; dazu flüstern mir die dabei sitzenden Städter zu, die eben so wie ich ihren Spass daran finden: „Fragt nur weiter." Ich fahre also fort: „Was war die Ursache deiner ersten Krankheit?" — „Ich sage, Doctor, die Ursache war Gott", antwortet der Patient. — „Kein Zweifel", sage ich, „alle Dinge kommen von Gott; was aber war die besondere und unmittelbare Veranlassung?" — „Doctor, die Ursache war Gott, und dann, dass ich Kamelfleisch ass, als ich kalt war." — „Aber konnte es denn nicht auch etwas Anderes sein?" frage ich, mit der Erklärung nicht ganz zufrieden. — „Dann trank ich auch Kamelmilch; es war aber Alles von Gott, Doctor", antwortet er. Ich überlege mir nun die Sache, wie ich die Krankheit zu behandeln habe. Nun aber kommt die wichtige Frage, wie es mit der Bezahlung steht, über die wir uns vorher einigen müssen und die, wie die Leser bereits wissen, von dem Erfolge abhängt. Ich frage nun, was er geben will, wenn ich ihn wieder gesund mache. „Doctor", antwortet der Bauer, „ich will euch geben, hört ihr's? ich sage, ich gebe euch ein Kamel." Aber ich antworte, dass ich kein Kamel brauche. „Ich sage, gedenkt an Gott", (hier so viel, als „seid nicht unbillig") „ich gebe euch ein fettes Kamel, Jedermann kennt mein Kamel, wenn ihr wollt, bringe ich Zeugen, sage ich." Da ich auf sein Kamel nicht eingehen will, bietet er Butter, Mehl, Datteln und dergleichen. So vergehen zwei bis drei Stunden, in denen die übrigen Besucher alle nacheinander an die Reihe kommen und Andere eintreten und wieder gehen und die Sonne nun beinahe im Zenith steht. Endlich, um es kurz zu machen, komme ich auch zu dem Handwerker, der mit echt arabischer Geduld lange im Schatten gewartet hat und nun herantritt und mit gutmüthigem Grinsen in seinem breiten Gesicht mich bittet, ihn in seine Wohnung zu begleiten, wo sein Bruder am Fieber krank liege. Nach einer kurzen Unterredung mit ihm gebe ich 161 Barakät die Weisung, bis zu meiner Rückkehr zu Hause zu bleiben und gehe mit. Von kleinem Wüchse, dunkler Gesichtsfarbe, untersetzt und mit einem pfiffigen Ausdruck im Gesicht, der fast treffend dem von Mu-rillo's spanischen Bettelknaben gleicht, kann Dohejm (buchstäblich schwärzlich) als eine hübsche Probe einer grossen Klasse der Bevöl-kerung des mittleren Neged gelten. Theils der Wunsch mehr zu verdienen, theils Missfallen an dem wahhabitischen Puritanismus hatten seine Familie bewogen, vor noch nicht gar langer Zeit von Kasim weiter nördlich nach Hä'jel auszuwandern, wo sie sich niederliessen, aber noch viele unterscheidende Weisen und Gewohnheiten ihres Geburtslandes beibehalten haben. Solche Einwanderungen sind in neuerer Zeit sehr gewöhnlich geworden und haben viel dazu beigetragen, die numerische und kriegerische Macht des Gebel Schomer zu mehren, während sie zugleich viel zu dessen industrieller und commercieller Wohlfahrt beitrugen. Meine Leser werden vielleicht an Louis XIV. und die Aufhebung des Edikts von Nantes denken und eine neue Parallele zwischen Asien und Europa ziehen. Die Civilisation in Kasim ist alt und die Einwohner besitzen eine traditionelle Geschicklichkeit in allen Arten von Handwerken, die bei weitem höher steht, als Alles, was man bei den neu organisirten Stämmen im Norden Arabiens findet, während das Andenken an eine frühere Unabhängigkeit, lange Kriege und Siege, ihrem Charakter eine Festigkeit und Entschlossenheit in allen ihren Unternehmungen gegeben "hat, die der unhaltbaren, obwohl ungestümen Tapferkeit des Nordens sehr ungleich ist, welche sich in kurzen Raubzügen und Fehden der Beduinen gebildet hat. Die den Arabern überhaupt eigenthümliche gute Laune und Geselligkeit ist bei ihnen auch durch das Städtcleben Jahrhunderte lang genährt und stellenweise bis zur Lebhaftigkeit gesteigert worden, und verleiht ihnen eine entschiedenere Leichtigkeit und Urbanität in der Unterhaltung, als man sonst in Schomer und den dazu gehörigen Provinzen findet. Es ist natürlich, dass solche Leute leichten Zutritt in einem fremden Lande fanden und dort bald ihr Glück machen konnten, obwohl sie nach einem kurzen Aufenthalt bei erster Gelegenheit gern wieder in ihre Heimath zurückkehren, ein Land, das sowohl von der Natur, als von der Kunst, bei weitem mehr begünstigt ist, als^ das steinige Gebiet von Hä'jel und die rauhen Sierras Solma und 'Aga'. Dohejm nimmt seinen dünnen schwarzen Rock auf und wirft ihn um sich, in Falten, die ein Bildhauer bewundern könnte, und wir brechen auf. Als wir über den Suk gehen, nickt und lächelt er wohl an fünfzig Bekannten zu, oder bleibt einen Augenblick stehen, um 162 einige Worte mit seinen Landsleuten zu wechseln. Der Marktplatz ist jetzt von einem Ende bis zum andern gedrängt voll; Städter, Bauern, Beduinen, manche an den Thüren der Läden sitzend und mit den darin sitzenden Eigenthümern handelnd, andere in müssigen Gruppen die Neuigkeiten des Tages besprechend; denn die Zunge ist hier, was in Europa die Presse, und ich glaube kaum, dass ein Araber mehr Zeit verliert mit Hören und Besprechen der Tagesereignisse, als ein Engländer jeden Morgen bei seiner „Times". Gruppen von beladenen und unbeladenen Kamelen versperren den Weg; hier macht ein Kaufmann in seinem Laden emsig seine Rechnung, ein anderer, der gerade keine Kunden zu bedienen hat, liest zum Zeitvertreib in einem alten Gebetbuche, oder einer Naturgeschichte oder Geographie, — und was für Geographie! wo fast die ganze Welt, ausser Arabien, mit Menschenfressern und Leuten ange- füllt ist, denen der Kopf unter den Schultern hervorsteht. _ Mit dem Koran macht man sich hier, Gott sei Dank, wenig zu schaffen ; die Schija'is in Meschid 'Ali haben eine kleine Abhandlung 163 mit bunten Bildern über die vortrefflichen Eigenschaften 'Alis und Anderer aus seiner Familie, vielleicht auch eine sehr wenig schrift-gemässe Erzählung der Liebe Josephs und Zulejkha's, die nach der Tradition die Gemahlin Potiphars sein soll, ferner eine Geschichte der Schwachheitssünden Davids, dessen Fehler, wie Manche in ihrer Unschuld meinen, nicht darin bestand, dass der König seines Nächsten Weib nahm, sondern darin, dass er den neunundneunzig Frauen, die er ganz gesetzmässig schon-besass, wie man voraussetzt, noch eine hundertste zufügte, und andere erbauliche Historien mehr. Denn die Vergötterung 'Alis und seines Stammes und die gemeinste Sinnlichkeit sind das Endziel und der Punkt, um den sich in der Lehre und Praxis der Schija'is Alles dreht. Unter die Volksmenge gemischt gehen Bewaffnete und bunt gekleidete Neger, denn der Neger putzt sich immer gern, wenn er irgend kann, die meistens zum Palaste gehören, ihren Geschäften nach, und beanspruchen eine gewisse Rücksicht und Höflichkeit von Seiten der Uebrigen, obgleich wir hier nichts von dem Wesen eines Agha oder Pascha der hochmüthigen und despotischen Türken sehen. Auch denken diese Leute der Regierung nie daran, etwas ohne Kauf zu nehmen, oder Jemanden zu nöthigen, Dienste zu verrichten, ohne sie zu bezahlen, nach ottomanischer Weise, ein Verfahren, welches dem unabhängigen und edlen Sinne des ächten Arabers durchaus widerspricht. Der gut gekleidete Häuptling und Adelige drängt sich zwischen der plebejischen Menge hindurch, mit einer erstaunlichen Familiarität, stösst Arbeiter und Lastträger mit den Armen bei Seite und wird wieder gestossen ; während den Hofdienern mit dem Grade von Hochachtung begegnet wird, der mehr wie eine Herablassung von Seiten derer aussieht, welche sie erweisen, als das Bewusstsein einer geringem Stellung ausdrückt. Eine bunte und geschäftige Scene; die Morgenluft in den Strassen ist noch immer kühl genug, um die hellen Strahlen der Sonne erträglich zu machen, und Alles athmet Frieden, Sicherheit und Wohlfahrt, wie man nur im innern Arabien findet und die dem Reisenden in Syrien oder Anatolien nie oder nur höchst selten vorkommen. Wollte man auf die untereinander summenden Gespräche horchen, welche ringsherum geführt werden, so würde man nirgends einen Fluch, Schwur oder Streit hören, aber viel Geschäft, schnelle Antworten und Lachen. Langsam kommen wir durch die Menge, wo wir von allen Seiten gegrüsst werden, und erreichen endlich den offenen Platz des Palasthofes, wo der Suk in diesen mündet, dann gehen wir durch das hohe Thor und betreten nun die eigentliche Pulsader der Stadt. 164 Es ist eine breite und ebene Strasse; zur linken Seite sind die Mauern der Gärten des Palastes, über welche hie und da junge Dattelbäume hervorragen, denn diese Pflanzung ist noch ganz jung und erst von dem gegenwärtigen Regenten angelegt; zur Rechten ist eine Reihe von Häusern und Gärten mit älteren Bäumen und dichterer Vegetation, deren Bäume die Mauern überragen, und wir sind froh, in ihrem dichten Schatten wandeln zu können. Dohejm unterhält mich mit einer Be- Schreibung von Neged und Kasim und erhebt sein Heimathsland wo möglich bis an den Himmel; er hat den wahhabitischen Monarchen selbst gesehen, doch nicht in dessen Hauptstadt Riad. So schlendern wir eine Viertelstunde langsam weiter (es ist wohl nicht nöthig zu bemerken, dass man in diesen halbtropischen Gegenden, namentlich im Augustmonat, nicht gerade gern sehr schnell geht), bis wir einen Platz hinter dem offenen Palastgarten erreichen, wo wir an einer grossen und tiefen Aushöhlung den Maslakhah oder das Schlachthaus (buchstäblich Häutungs - Platz) der Stadtfleischer erkennen. In jeem andern Klima würde ein solches Etablissement eine unerträgliche Beschwerde für die ganze Nachbarschaft sein, wenn es so innerhalb der Grenzen der Stadt, so recht im Mittelpunkte der Gärten und Wohnungen läge. Hier aber ist die Luft so trocken, dass es keine üblen Folgen hat; der Fäulniss wird durch die Trockenheit der Luft so schnell vorgebeugt, dass nach drei bis vier Tagen ein Aas für die Nase so wenig anstössig ist wie ein Trommelfell, und man kann gemächlich bei einem vor Kurzem gefallenen Kamele vorbei gehen, das man beinahe für ein mit Arsenik und Spiritus für ein anatomisches Museuni bereitetes Exemplar halten könnte. An diesem Punkte führt die Strasse hinab in da* Innere der Hauptstadt. Der Theil, welchen wir bis jetzt durchschritTen, ist neuer Anbau und nicht älter, als die jetzt regierende Dynastie; jetzt aber treten wir in die eigentliche Stadt Hä'jel, wo Alles ein höheres, obwohl nicht allzu entferntes Alter ankündigt. Die beiden Haupttheile, welche die alte Stadt bilden, sind durch eine lange Strasse getrennt, die schmäler und weniger regelmässig ist, als die, durch welche wir bisher gekommen. Diese Deraarcationslinie diente eben so als Scheide der Wohnungen, wie der Bewohner, die früher immer durch bürgerliche und innere Streitigkeiten getrennt waren, denen erst die feste Hand Ebn-Raschids ein Ende machte. Rechts und links führen von der Hauptstrasse abzweigende Gassen nach den Seiten und in die kleinen Abtheilungen. Wir schlagen ein sehr enges und krummes Gässchen ltö zur Rechten ein, durch welches mich Dohejm führt, durch ein Labyrinth von Gärten, Brunnen und alten unregelmässigen Häusern, bis wir an eine Gruppe von Gebäuden kommen, und treten dann, nachdem wir eine bedeckte und finstere Gallerie durchschritten, auf eine breite, von der Sonne hell beschienene Strasse, mit Häusern zu beiden Seiten, die gewöhnlich durch eine niedrige Hofmauer mit einem Aussen-thore von der Strasse selbst getrennt sind. Der Bogen ist hier unbekannt, und die Portale sind alle von Balken und mit Ziegeln übermauert, und von eben so plumper, als fester Bauart. Mein Führer bleibt an einem solchen Thore stehen und klopft. „Sarnm'!" („herein!") hört man drinnen, und gleich darauf wird inwendig der Riegel zurückgeschoben. Wir treten in einen Hof, wo zwei oder drei kleine Schmiedeöfen, alte metallene Töpfe und Pfannen von verschiedener Grösse, manche von einem ausserordentlichem Umfange — denn die Araber suchen etwas darin, eben so wie ihre Vorfahren vor zweitausend Jahren, Kessel zu besitzen, in denen sie ein ganzes Schaf kochen können — Kupferplatten, Eisenstangen und ähnliche Gegenstände zeigen, dass wir uns in einer arabischen Schmiedewerkstätte befinden. Einige bräun- liehe, halbnackte junge Männer, mit Russ und Schmutz bedeckt, reichen uns ihre schwarzen Hände, während sie mit Dohejm scherzhafte, in ihrer Heimathim Neged übliche Reden wechseln. Dohejms älterer Bruder, So'ejd, das Haupt der Familie, dessen Ernst durch die Scherzhaftigkeit seiner jüngeren Verwandten ein wenig in Verwirrung geräth, weist die Jüngeren zur Ordnung und beeilt sich, sein Gesicht und Hände zu waschen, worauf er mich in das Haus führt, wo in einem dunkeln Zimmer noch ein dritter Bruder liegt, der Kranke, zu dem ich gerufen worden ; er liegt in starkem Fieber und ist kaum im Stande zu sprechen, obwohl zum Glück gerade keine unmittelbare Gefahr vorhanden ist. Ich setze mich neben den Patienten und richte einige vorläufige Fragen an die Dabeistehenden. Der Kranke giebt sich Mühe heiter auszusehen und giebt zu verstehen, dass er meinen Besuch erwartet hat und sich darüber freut. Die Zunge heraus zu strecken, auch ohne dass es verlangt wird, und die Hand hinzuhalten, damit der Doctor den Puls befühlen kann, ist hier gewöhnliches Verfahren; aber wenn man nicht für einen Ignoranten gelten will, muss man hintereinander beide Handgelenke befühlen, da beide Armmuskeln für ganz unabhängig von einander gehalten werden und jede eine besondere Geschichte zu erzählen hat, woraus meine Leser folgern können, dass die Theorie von der CirculatroTi des Bluts hier eben so unbekannt ist, wie der Name 160 Harvey's. Sobald ich fertig bin, nimmt mich der ältere Bruder bei Seite und fragt mich über die Diagnosis und Prognosis, oder wofür ich die Krankheit halte und wie sie enden wird. Auf meine zurückhaltende Antwort verspricht er Alles zu befolgen, was ich verordnen werde und ladet mich dann ein, Platz zu nehmen und Kaffee zu trinken, ehe ich weiter fortfahre. Ich gebe zu erkennen, dass es mir lieb sein würde, erst Alles, was den Kranken betrifft, zu beseitigen. Dieser selbst aber drückt mit leiser Stimme und durch Zeichen den Wunsch aus, dass ich erst ihrer Gastfreundschaft die Ehre geben möchte. Wenn er selbst wirklich im Sterben läge, zweifle ich, dass hier zu Lande die Dinge einen andern Lauf haben würden. Nun werden Datteln gebracht, die Pfeifen angezündet, Dohejm bereitet den Kaffee, und das Zimmer, in welchem (man denke!) der Kranke liegt, füllt sich mit Besuchern. Absonderung des Kranken gehört nicht zu der in Arabien üblichen Behandlung; im Gegentheil, man hält es für eine beinahe heilige Pflicht, den Leidenden durch möglichst zahlreiche und verschiedenartige Gesellschaft, die mau nur irgend zusammenbringen kann, Abwechselung und Unterhaltung zu verschaffen. Der Kranke selbst denkt nicht daran, allein zu bleiben, und verlangt nichts mehr als Gesellschaft; ja, dasselbe System wird auch befolgt, wenn in einer Familie ein Todesfall eintritt; die nächsten Verwandten, Sohn, Frau oder Gatte halten dann mehrere Tage hintereinander offenes Haus, um so viel wie möglich Tröstungsbesuche annehmen zu können. Meine Leser, die, wie ich nicht zweifle, mit dem alten und neuen Testament hinlänglich bekannt sind, können sich hier an manche Beispiele und Sprüche im Buche Hiob und anderwärts erinnern, die sich auf. denselben Gegenstand beziehen. In Dohejms Hause sind die Besucher hauptsächlich Eingebome von Kasim und Ober-Neged. An ihrem ganzen Wesen, dem Tone ihrer Unterhaltung, kann man leicht bemerken, dass die Bewohner der genannten Provinzen in Allem, was Civilisation und allgemeine Bildung betrifft, eben so hoch über den Einwohnern von GebelSchomer stehen, wie die Schomer über den Bewohnern des Gauf oder diese über den Beduinen. In der That, wenn meine Leser eine diagonale Linie durch die Karte von Arabien ziehen, in der Richtung meiner Reise durch das Land, und dann die verschiedenen Regionen der Halbinsel durch farbige Streifen unterscheiden wollen, die je nach den Graden eines höheren Standes der Künste, des Handels u. s. w. hellere Farben haben, nach dem Systeme Dupins, so wird der dunkelste Streifen der 167 sein, welcher am weitesten im Norden geht, oder durch Wadi Sirhän, während das Gauf, Gebel Schomer, Neged, Hasa und die davon abhängigen Gebiete immer heller und heller werden, bis endlich der 'Oman treffende Streifen die hellste Farbe von allen hat. In der That, dem Umstände, dass die nördlichen und westlichen Theile Arabiens bisher fast ausschliesslich von Reisenden besucht wurden, ist es hauptsächlich zuzuschreiben, dass die Vorstellung von arabischer Wildheit und Beduinenthum in Europa so allgemeine Annahme gefunden hat; hätte man nach der Mitte und dem östlichen Theile des Landes geur-theilt, welches zwischen dem rothen Meere und dem Golf von 'Oman liegt, so wäre das Urtheil ohne Zweifel ungleich günstiger ausgefallen. Doch ich greife vor: kehren wir jetzt zu unseren Wirthen und Freunden zurück. Wir sind jetzt in Hä'jel, aber mitten in der Politik und den Kämpfen in Neged, wo die Bigotterie und Tyrannei der .Wahhabiten auf manchen Widerstand und gründlichen Widerwillen stossen. Die Belagerung von 'Onejzah, die neuesten Nachrichten, Vermuthungen, und Befürchtungen über ihre Dauer und Erfolg sind die Hauptgegenstände der Unterhaltung. Wir hatten schon, als wir noch k.»um über die Grenzen des Gauf hinaus waren, von diesem wichtigen i>-eigniss gehört, aber hier war es die wichtigste Tagesfrage, um die sich Alles drehte, der Gegenstand ängstlicher Forschung und Specu-lation, die Ursache der häufigen, obwohl geheimen, Besuche der Häuptlinge von Kasim bei Teläl und deren endlose Zusammenkünfte in den Gemächern 'Abd-el-Mahsins. Zu besserem Verständniss und zugleich als Schlüssel zu Manchem, worauf ich später anspielen werde, will ich hier kurz erzählen, was damals in Kasim vorging. Ich muss jedoch eine Darstellung der Verhältnisse Arabiens vorausschicken, welche die merkwürdigen Ereignisse in den Jahren 1862 und 1863 zur Folge hatten, die man noch lange tief beklagen wird. Als Fejsal, der gegenwärtige Monarch der Wahhabitischen oder der Dynastie Ebn-Sa'ud, im Jahre 1843 oder 1844 (ich kann das Jahr nicht mit Sicherheit angeben) zum dritten Male nach seinem Geburtslande Neged zurückkehrte und seinen erblichen Thron in Besitz nahm, fand er in der reichen und bevölkerten Provinz Kasim seine besten Hilfstruppen, um seine Herrschaft wieder herzustellen und die letzten Reste der ägyptischen Occupation zu vertreiben. Die Bewohner dieses Distrikts nahmen die Gelegenheit wahr, sich selbst dem grossen Wah- ies habi-Reiche einzuverleiben; mehr jedoch aus Hass gegen die fremden ägyptischen Paschas, als aus besonderer Zuneigung zu den Eingebornen von Neged, gegen die sie in früherer Zeit öfter Kriege geführt hatten. Sie liessen sich jetzt willig finden, Fejsal einen jährlichen Tribut zu zahlen, ein Contingent an Truppen zu stellen, wenn es verlangt würde, aber unter der Bedingung, dass man ihnen ihre einheimischen Häuptlinge liess und sich nicht in ihre Municipalverwaltung mische. So gingen die Sachen sieben bis acht Jahre, bis Fejsal, nachdem er seine Oberhoheit über die Cehtralprovinzen, nemlich Sedejr, Wo-schem, 'Aared, Jemämah, Harik, Aflag und üowäsir vollständig gesichert und Hasa und Katif erobert hatte, ausser bedeutenden Erfolgen, die er in der Richtung nach Bahrejn und 'Oman errungen, endlich das Scepter in seiner Hand stark genug fühlte, um die noch übrigen Freiheiten von Kasim zu unterdrücken und dessen Häuptlinge und Volk auf den Grad von Knechtschaft herabzubringen, der nach wahhabitischen Begriffen ausser den „Moslemin" oder Mohammedanern — d. i. Allen, ausser ihnen selbst — einzig und allein zukommt. Der erste und wichtigste Schritt in dieser Richtung war der, die grossen Familien, welche seit undenklichen Zeiten in Kasim geherrscht hatten, zu vernichten oder wenigstens alles Ansehens und aller Macht zu entkleiden. Nun waren die beiden wichtigsten Städte in dieser Provinz Berejdah und 'Onejzah, deren Häuptlinge einen unbestrittenen Einfluss auf einen dritten Hauptstapelplatz des Handels ausübten, nemlich die Stadt Rass, und über fünfzig bis sechzig andere über das Land verstreute Dörfer und Städte. Der Adel von Berejdah, unter ihnen auch unser Freund 'Abd - el - Mahsin, gehörte zur Familie der 'Alejj'än, der von 'Onejzah zur Familie 'Ati'jah. Aber Berejdah stand ihrer Schwesterstadt an Wichtigkeit, Volkszahl, Macht und Reichthum etwas nach; an Alter, glaube ich, stehen sie gleich. 'Onejzah zählt etwa 32,000 Einwohner, Berejdah nur zwischen 20- bis 25,000. Gegen die letztere Stadt richtete Fejsal zuerst seinen Angriff, in der sichern Hoffnung, hier eine leichtere Beute zu finden. Er suchte Händel mit den Häuptlingen der 'Alejj'än und hielt sie eine Zeitlang durch beständige Einfälle, unter Anführung seines ältesten Sohnes, des talentvollen, aber grausamen und charakterlosen 'Abd-Allah, 169 in Athem. So verging eine lange Zeit mit Scheinangriffen und scheinbarer Waffenruhe, bis die Vornehmen in Berejdah, welche fanden, dass ihr Handel beinahe abgeschnitten und ihre Kraft dem Kampfe nicht gewachsen war, anfingen, Friede zu wünschen, und zwar um jeden Preis. Als Antwort auf ihre Gesandtschaften liess ihnen Fejsal sagen, aber nicht durch 'Abd-Allah, dessen Stellung als muthmasslicher Erbe des Reichs Allem, was in seinem Namen geschieht, einen offi-ciellen Charakter verleiht, sondern durch seinen dritten Sohn Mohammed, dass er ihren Aufstand verzeihe und sie nach Riad einlade, wo zwischen beiden Parteien die Friedensbedingungen besprochen werden sollten. Aber die Botschaft war nur mündlich und ohne hinreichende Garantie hinsichtlich der Person dessen, der sie brachte, und die 'Alejj'än zögerten, weil sie nicht ohne Grund irgendeine ihnen gelegte Falle fürchteten. Endlich aber wurde ihr Bedenken durch wiederholte Versicherungen sichern Geleits und ehrenvoller Behandlung beseitigt, die in einem Schriftstück ausgesprochen wurden, welches die Signatur des Thronerben 'Abd-Allah trug und in welchem der Name Gottes feierlich angerufen wurde, zum Zeugniss, dass weder List noch Verrath unter seiner und seines Vaters Einladung verborgen sei. In Folge dessen reiste zu einer unglücklichen Stunde 'Olej', der oberste Häuptling von Berejdah, mit seinen beiden Söhnfen und mehreren anderen Verwandten, von Mohammed begleitet, nach Riad ab. Von Berejdah bis zur Hauptstadt von Neged sind etwa zehn kurze Tagereisen. Die vornehmen 'Alejj'än wurden unterwegs überall mit den ihrem Range gebührenden Ehren empfangen und kamen endlich in Riad an; hier aber kam ihnen, zu ihrer grossen Verwunderung, Niemand entgegen, um sie ausserhalb der Mauern zu begrüssen, wie in Arabien Sitte ist. Mohammed bat um Entschuldigung und sagte, sein Bruder 'Abd-Allah sei ohne Zweifel damit beschäftigt, einen zu ihrer Aufnahme passenden Ort vorzubereiten, und er würde sie gewiss am Thore des Palastes erwarten. Jetzt schöpften sie allerdings Verdacht, allein es war zu spät, da sie weder einen Versuch zur Flucht wagen, noch über Bedingungen unterhandeln konnten. Von einer Schaar fanatischer Einwohner von Riad umringt, gelangten die 'Alejj'än endlich an das äussere Thor der Residenz 'Abd-Allahs. Vor demselben, auf der Strasse, war 'Abd-Allah zu Pferde und von einem bewaffneten Gefolge umgeben. Sobald er 'Olej' erblickte, wandte er rasch sein Pferd und ritt hinein, ohne den Gruss seiner Gäste zu erwarten. Diese folgten ihm; 'Abd-Allah aber hatte sich bereits in eins der inneren Gemächer zurückgezogen und an seiner Stelle fanden sie den Hof voll von Bewaffneten; die Thore wurden sogleich geschlossen no und das Gemetzel begann. 'Olej', dessen ältester Sohn und alle seine Verwandten und Begleiter wurden auf der Stelle in Stücke gehauen und ihr Blut über-fluthete die Schwelle ihres treulosen Wirthes. Nur allein der jüngere Sohn des unglücklichen Häuptlings blieb am Leben und wurde als Geisel für die noch in Kasim zurückgebliebenen Glieder der Familie am Leben erhalten. Ohne einen Augenblick zu verlieren, marschirte 'Abd - Allah mit seiner Mörderbande nach Kasim, wo er beinahe noch eher ankam, als die Nachricht von seiner Verrätherei. Er überfiel sogleich die Stadt Berejdah, wo in Folge des Schreckens die grösste Verwirrung herrschte, und liess alle 'Alejj'än, die in seine Hände fielen, ermorden. Nur Wenige, unter ihnen 'Abd - el - Mahsin, entkamen dem Schwerte und auf ihren Kopf wurde ein Preis gesetzt. Die Einwohner der Stadt, welche ihrer Führer beraubt waren, ergaben sich nach kurzem Kampfe, und ein Eingeborner von Riad, Namens Mohanna, wurde als Statthalter Fejsals, aber mit fast absoluter Gewalt, in Berejdah als Com-mandant eingesetzt. Als aller Widerstand gebrochen schien, liess 'Abd-Allah auch noch den jüngsten Sohn 'Olej's hinrichten, den er bis dahin gefangen gehalten, und versuchte nun, die in ganz Kasim verbreitete Bestürzung benutzend, einen letzten und entscheidenden Schlag gegen 'Onejzah zu führen. Diese grosse Stadt war seit Jahrhunderten die Hauptstadt der Provinz, oder vielmehr eines vollen Drittheils des ganzen Arabien, nämlich des Theiles, den wir das nordwestliche Centrum nennen können. I. 9 Ihr" Handel mit Mekka und Medinah auf einer Seite, und mit Neged, ja selbst mit Bagdad und Damaskus auf der andern, hatte in ihren Speichern Vorräthe zusammengehäuft, wie man im ganzen innern Arabien sonst nirgends sehen konnte, und die unternehmenden Kaufleute von 'Onejzah traf man an den Küsten des rothen Meeres und des persischen Meerbusens, zuweilen selbst an den fernen Ufern des Euphrat oder den Gewässern von Damaskus. Dabei liess der kriegerische Sinn und kräftige Charakter den Handelsgeist nicht das alleinige Uebergewicht erhalten, und die Krieger von 'Onejzah hatte man vor nicht gar langer Zeit zweimal unter den Mauern von Bahholah, im Herzen von 'Oman, gesehen, das bei der in Arabien gewöhnlichen Art zu mar-schiren, drei Monatsreisen von ihnen entfernt ist. 'Onejzah selbst hatte eine doppelte Festungsmauer, allerdings von 171 ungebrannten Ziegeln, aber durch ihre Höhe und Dicke für arabische Belagerer eben so furchtbar wie die Befestigungen von Antwerpen öder Badajoz für eine europäische Armee. Die äussere Mauer, mit ihren Gräben und Thürmen, schützte die Gärten, während die innere die compakte Häusermasse selbst umgab. Hier wurde ein junger und tapferer Häuptling, Namens Zämil, gewöhnlich Zowejmil - el-'Atijah genannt, von seinen Mitbürgern und Untergebenen wegen seiner Liebens-- Würdigkeit und Freigebigkeit im Frieden und seines Muthes im Kriege beinahe angebetet. Sein erster Offizier oder Lieutenant, ein Mulatte Namens El-Khej'jat, war wegen seiner Klugheit und Tapferkeit nicht weniger berühmt; und die streitbaren Männer von 'Onejzah und den dazu gehörigen Dörfern zählten an 5000 Musketen mit einer gleichen oder noch grössern Anzahl Miethstruppen, die hauptsächlich unter den Beduinen der umliegenden Distrikte zusammengebracht; waren, namentlich aus den tapfern Stämmen Harb und 'Otejbah, alle bereit der Einladung Zämils und seines Rathes zu folgen. 'Abd-Allah versuchte einen plötzlichen und heftigen Angriff, ward aber zurückgeschlagen. Er sandte seinem Vater Fejsal Nachricht, der in aller Eile die ganze Macht des obern Neged zusammenbrachte und mit dieser in eigener Person nach 'Onejzah marschirte, in der Hoffnung, durch diese Vereinigung seines eigenen und des Heeres seines Sohnes den Platz mit Sturm zu nehmen, ehe die Sympathie des ganzen Kasim, das bereits an der Sache der Hauptstadt Theil nahm, einen allgemeinen Aufstand zu deren Verteidigung zu Wege brächte. Zämil aber hatte bereits Nachricht über diese Ereignisse an 'Abd-el-Mottalib, den Scherif von Mekka, geschickt, und ihm die Gefahr vorgestellt, die der heiligen Stadt selbst von den Wahhabiten drohe, wenn 'Onejzah, die einzige noch übrige Schutzwehr zwischen Mekka und dem Neged, fiele. Der Scherif sah die Gefahr ein und erschien mit den wenigen Truppen, über die er verfügen konnte, auf dem Schauplatze. Hier traf er mit Fejsal und 'Abd-Allah zusammen und bot sich zwischen ihnen und Zämil als Vermittler an. Fejsal sah, dass eine Fortsetzung des Krieges nach Intervention des Scherif und diesem zum Trotz für ihn und sein Reich Folgen haben könnte, die eben so unheilvoll sein konnten, als die, welche einst dem Friedensbruche seines Grossvaters mit der ottomanischen Regierung folgten, welche letztere der Scherif repräsentirte. Ungern liess er seine Beute fahren, nahm die angebotenen Friedensbedingungen an, „auf der Hand" (ein arabischer Ausdruck) des Gouverneurs von Mekka, und zog sich mit 172 seiner Armee in die Gebirge von Neged zurück, während.'Abd-el-. Mottalib, nachdem er von den Wahhabiten das Versprechen verlangt und erhalten hatte, dass nichts gegen die Freiheit 'Onejzahs unternommen werden solle, nach dem Hegäz zurückkehrte. Sechs bis sieben Jahre vergingen, ohne dass der Wahhabi es wagte, den Vertrag zu verletzen; aber er hatte seinen Plan noch keineswegs aufgegeben, und traf während dieser Zeit mit einer Ausdauer, die nur im Neged gefunden wird, eine Reihe von Vorbereitungen, die darauf berechnet f waren, die Ausführung seines Planes zu erleichtern, sobald Zeit und Gelegenheit sich zu seinen Gunsten wendeten. Er griff nacheinander die Stämme 'Otejbah, Harb und andere an, die zu der Armee von 'Onejzah Contingent stellen konnten, und unterwarf sie. Mittlerweile befestigte Mohanna in der benachbarten Stadt Berejdah seine Macht immer mehr, bis ihm beinahe das ganze Kasim gehorchte, während 'Onejzah immer mehr isolirt und von den Hauptquellen seiner Macht und seines Handels abgeschnitten wurde. Endlich stand Fejsals Hoffnungen nichts mehr entgegen, als die Gefahr mit dem Scherif von Mekka und dadurch mit Aegypten und Constantinopel in Streit zu gerathen. Ereignisse, welche im Jahre 1861 ausserhalb der Grenzen Arabiens stattfanden, gestatteten ihm die Maske abzuwerfen und die Feindseligkeiten zu beginnen. Es verbreitete sich das Gerücht, dass der Wechsel der Politik in Constantinopel, in Folge des Ablebens des Sultans 'Abd-el-Megid und der Thronbesteigung seines Bruders 'Abd-el-Aziz, dem 'Abd-el-Mottalib von Mekka ungünstig sei, und dieser wahrscheinlich bald eirjem Andern Platz machen würde, der als ein Freund der Grundsätze und des Fortschrittes der Wahhabiten bekannt war. Dazu kam, dass Sa'id Pascha beständig krank war und immer kränker wurde, auch nach seiner Reise nach Europa; von ägyptischer Seite war daher keine Intervention zu Gunsten 'Onejzahs zu fürchten. Für Fejsal war der günstige Augenblick gekommen, noch aber zögerte er. Alt und schwach, mochte er sich vielleicht den Anstrengungen und Sorgen, die von einem solchen Unternehmen unzertrennlich sind, nicht mehr gewachsen fühlen, vielleicht auch hielt ihn sein Gewissen, das auch nach dreissigjähriger Regierung noch nicht ganz abgestumpft war, noch eine Zeitlang zurück, den unter den heiligsten Verpflichtungen mit Zämil und dessen Bürgern geschlossenen Vertrag zu brechen. Aber das weniger scrupolöse Concil der Muddej'jijah oder „Eiferer" (von denen unten mehr) drängte ihn zur Handlung und er gab endlich nach. 173 Man suchte einen Streit und bald fand sich eine Gelegenheit bei Entrichtung des jährlichen Tributs, welchen 'Onejzah an die Centrairegierung in Riad zu zahlen hatte. Fejsal behauptete, dass nicht die volle im Vertrage bestimmte Summe abgeliefert sei, und schickte eine Armee um eine grössere Summe zu erzwingen. Auch diese wurde gezahlt, aber der Wahhabi war noch nicht zufrieden. Er erhob Au- Sprüche auf Rückstände, die widerrechtlich zurückbehalten würden, und beschuldigte Zämil, den er aufforderte, sich in der Hauptstadt von Neged persönlich zu verantworten. Diesem Ansinnen fügte sich Zämil .natürlich nicht, und Fejsal erklärte den Krieg. Die 'Onejziten schickten eine Gesandtschaft über die andere, um um Frieden zu bitten und versprachen sich allen auferlegten Bedingungen zu unterwerfen, nur nicht der, ihren Häuptling auszuliefern. Aber Fejsal war unerbittlich, und der Kampf begann, Zu der Zeit, als ich in Hä'jel ankam, hatte der Krieg mit'Onejzah schon vier bis fünf Monate gewährt, ohne dass es auf einer oder der andern Seite zu einem entscheidenden Resultate oder nur einem bedeutenden Vortheil gekommen war. Fejsal suchte die Anhänger Zärails dadurch zu schwächen, dass er den Feldzug in die Länge zog, bis seine Gegner erschöpft wären, und wollte dann seine ganze Kraft zusammennehmen und einen letzten Streich führen, wenn er eines vollkommenen Erfolges sicher war. Dieser Plan schien sehr gut berechnet zu sein, den Gefahren bei einem Rückschläge beim ersten Angriff zu begegnen und den endlichen Sieg zu sichern. Und so erwies er sich in der That. Zu diesem Zwecke schickte Fejsal seinen jungem Sohn Mohammed mit einer kleinen Abtheilung der Truppen von Neged, die von Zeit zu Zeit frische Kräfte erhielten, um die Operationen Mohannas zu unterstützen, der von seiner centralen Stellung in Berejdah aus 'Onejzah in einer Art Blokade hielt, die grosse Aehnlichkeit mit der Belagerung von Troja hatte und allem Anschein nach auf eine eben so lange Dauer berechnet war. Zämil und seine Leute übten durch öftere Ausfälle auf die Angreifer und Einfälle in die Ländereien und Gärten, die zu Berejdah oder andern von Mohanna unterworfenen Städten gehörten, Vergeltung, und das Resultat dieser Operationen war bisher im Ganzen zu ihren Gunsten gewesen. Ganz Kasim, bis auf einen sehr kleinen Theil, sympathisirte mit den Kriegern von 'Onejzah und wünschte ihnen Erfolg; aber die Furcht 174 vor Mohanna und die beständige Ankunft frischer Truppen aus Neged hielt die Meisten von einer offenen Theilnahme am Kampfe fern. Zämil und El-Khej'jät schickten wiederholte Botschaften au den Gouverneur von Mekka und an Teläl nach Hä'jel und baten dringend um deren Beistand oder wenigstens Vermittelung; aber weder der Eine, noch der Andere konnten irgendwie wirksame Hilfe leisten. Teläl hatte keine Lust, die Wahhabiten geradezu zum Kriege herauszufordern, deren Heere den seinen an Zahl um das Dreifache überlegen waren, und alle Vorschläge zu Einstellung der Feindseligkeiten oder Verträgen, die er machte, wurden in Riad entweder verworfen oder umgangen. Aegypten, die letzte Hoffnung Zämils, erwies sich, nicht zum ersten Male in der Weltgeschichte, als ein schwankendes Rohr. Keinem hellsehenden Auge konnte es mehr entgehen, dass, wenn auch die ausserordentlichen Anstrengungen der Ati'jah und ihrer Anhänger noch von Zeit zu Zeit Vortheile erringen mochten, es zuletzt doch einer einzigen Stadt, wie gut vertheidigt und besetzt sie auch wäre, unmöglich sein würde, allein der ganzen Macht von Neged und den mannig- fachen Hilfsquellen des Wahhabi zu widerstehen. Die Partei von 'Onejzah schmeichelte sich jedoch noch immer mit der Hoffnung auf einen Erfolg, der nach dem natürlichen Gange der Ereignisse eben so unwahrscheinlich war, wie die Befreiung Polens, oder der Kampf des Sertorius gegen die Legionen des Pompejus. So standen die Sachen im August 1862. Die übrige Zeit meines Aufenthalts in Arabien fiel gerade mit der Entwickelung und der Katastrophe dieses blutigen Dramas zusammen, von dem ich selbst durch die Umstände ein sehr unfreiwilliger Zeuge wurde. Ich glaube daher, dass dieser Ueberblick über den Ursprung und die Entwickelung dieser Ereignisse nicht überflüssig und uninteressant ist, obwohl er nicht ohne eine etwas lange Abschweifung möglich war. Wir Hessen Dohejm und seine Freunde in einer ernsthaften Dis-cussion.über diesen Gegenstand. Ihr Gespräch beschränkte sieh jedoch keineswegs auf Krieg und Politik; auch Medizin und Chirurgie (denn die Araber machen darin keinen Unterschied, weder in der Theorie, noch in der Praxis, und in der That, ihr beliebtestes Universalmittel, das Brennen, gehört mehr der letztern, als der erstem an) wurden oft auf das Tapet gebracht, und ich freute mich zu finden, dass meine Freunde aus Kasim über diese Gegenstände so verständig sprachen, und selbst mit einer gewissen Erfahrung. Viele Pflanzen, die in hie-175 siger Gegend wachsen, besitzen manche Heilkräfte, wirken stärkend, beruhigend oder narkotisch und werden von den unterrichteteren Einwohnern gelegentlich angewendet. Auch die Anwendung von Bähungen und anderen äusserlichen Mitteln liegt nicht ganz ausserhalb des Bereichs ihrer Geschicklichkeit, und der Mangel an theoretischer Kenntniss wird oft durch schnelle natürliche Fassungskraft ersetzt. Manche Reisende haben die Araber im Innern des Landes als eine für wirklichen Fortschritt in praktischem und materiellem Wissen vollständig unfähige Rasse dargestellt und gemeint, dieser Zweig der Erkenntniss sei der ausschliessliche Antheil Japhets, um einmal die typische, obwohl unpassende Klassifikation anzuwenden, während Sem und seine Nachkommen, unter denen die Araber eine hervorragende Stelle einnehmen, daran keinen Theil erhalten haben. Meine eigene Erfahrung, wenn sie in der That den Namen Erfahrung verdient, möchte mich zu einem ganz entgegengesetzten Schlüsse führen, und ich bin bei weitem mehr geneigt, die Araber, für sich selbst und individuell genommen, mit einem merkwürdigen Geschick für eben diese Wissenschaft begabt zu halten, und kaum weniger geschickt zum Bau von Eisenbahnen oder Dampfschiffen oder irgend einer andern Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts oder für physikalische Untersuchungen, als die Eingebornen von Sheffield oder Birmingham selbst. Aber der Mangel an Verbindung mit andern Ländern und namentlich mit denen, welche in früheren Zeiten und noch jetzt die Hauptquellen specieller Thätigkeit sind, und dazu der Mohammedanismus, der Alles paralysirt, wenn nicht ganz tödtet, haben ihre intellectuellen Fortschritte gehemmt, so dass ihnen Andere zuvorgekommen sind, denen die Umstände günstiger waren, obwohl vielleicht nicht die Natur. Wenn einmal der Koran und Mekka aus Arabien verschwinden, dann, aber nur dann, können wir ernstlich hoffen zu sehen, dass die Araber die Stelle in den Reihen der Civilisation einnehmen, von welcher sie Mohammed und sein Buch, mehr als irgend eine andere individuelle Ursache, lange zurückgehalten haben. Ich weiss nicht genau, wie weit diese Bemerkungen ihre analoge Anwendung unter den Türken und Persern haben mögen. Die ersteren sind weder in ihrer heidnischen, noch in ihrer mohammedanischen Phase kaum je anders auf dem Weltschauplatze erschienen, als um zu zerstören, selten um aufzubauen; weder die Literatur, noch die Künste 176 verdanken den Türken etwas Anderes, als Sinken und Verfall. Was die Perser anbelangt, so scheinen sie mir, wenigstens in ihrem nationalen Charakter, wesentlich und unwiederbringlich verkommen, wie auch ihre Religion, Dynastie oder Organisation sein mag. Ihr Einfluss auf den Geist des Orients ist unleugbar gross gewesen; aber nur produktiv an Extravaganz in der Speculation, schlechtem Geschmack in der Literatur und Verkehrtheit in der Kunst. Wieder und immer wieder haben sie die um sie gehäuften Massen durchgegohren, aber mit einer Gährung, die ein Liebig selbst nicht von Fäulniss unterscheiden könnte. Einen sehr verschiedenen Anblick bieten die besseren Tage des arabischen Uebergewichts, und das Sinken und Verlöschen der frühem Hoffnungen, welche dieses erweckte, lässt sich nur erklären, theils durch fremde Einflüsse, nationale oder intellektuelle, von Ispahan und Teheran, und noch mehr durch das dem Mohammedanismus innewohnende Princip des Verfalls, welches sich zuerst im Hegäz entwickelte. Hier in Hä'jel und in andern Theilen des mittlem Arabiens, wo der Wahhabeismus in der Minderzahl ist, wird man bei weitem weniger mit dem ewigen „es ist kein Gott ausser Gott", oder „wenn Gott will", oder „es ist keine Kraft noch Macht ausser in Gott" und dem gauzen Verzeichniss von Phrasen gelangweilt, mit denen der Mohammedaner seine immer zunehmende Apathie beschönigt oder den Weg zu Forschung und Anstrengung versperrt. Dagegen hört man hier häufig solche, Sätze, wie „die Einwirkung secundärer Ursachen lässt sich nicht leugnen", oder „Alles hat seinen Grund", als Entgegnung auf die fatalistischen Ausrufungen mancher andächtigen Mohammedaner. Dies ist namentlich der Fall bei Solchen, die, wie die jetzt in Dohejms Hause versammelte Gesellschaft, in wirklicher Aufregung gegen die Wahhabiten und deren Handlungsweise sind. „Bela'ana Allah", buchstäblich „Gott hat uns verschlungen", habe ich von diesen Leuten oft gehört, mit einer Anspielung auf das oft sehr zur Unzeit angebrachte Allah Allah der wahhabitischen Fanatiker und Politiker. Und da der Mohammedanisraus im Allgemeinen ihnen nur durch das Medium von Neged bekannt ist, so wird die Reaktion gegen die Lehren Mohammeds, des Sohnes 'Abd-el-Wahhabs, bald auch das System des bei weitem berühmtem Mohammed, Sohnes des 'Abd-Allah, von Mekka ergreifen. Für weitere Erläuterung dieses und der vorhergehenden Bemerkungen muss ich meine Leser auf den weitem Verlauf unserer Reise verweisen. Eine Stunde vergeht in angenehmem und lebhaftem Gespräch. Einige andere Patienten werden meiner Behandlung anvertraut, es werden Besuche anberaumt, bis ich endlich, nach einigen Verordnungen für den Kranken aufstehe, um mich zu verabschieden. Dohejms ältester Bruder erbietet sich, mich nach einigen benachbarten Häusern zu begleiten, wo er hofft, dass den Kranken, wie dem Arzte gleiche Vor theile erstehen werden. Dieser Stadttheil besteht aus grossen Häusergruppen, man möchte sagen Inseln, die mit einer gewissen Regelmässigkeit zwischen den Gärten und Brunnen liegen; aber es giebt hier weder einen Marktplatz, noch eine Moschee; ebenfalls ein Beweis, dass vor dem Emporkommen der Dynastie Ebn-Raschids die Organisation sehr mangelhaft war. Die Strassen und Gassen sind reinlicher, als ich erwartet hatte, wenigstens um Vieles reinlicher, als in jedem türkischen oder kurdischen Dorfe; dies aber kommt hauptsächlich von der merkwürdigen Trockenheit des Klimas. Wir streifen hier und dort herum und kommen bald dem hohen Felsen nahe, welcher die östliche Stadtmauer überragt, bald winden wir uns durch die Gebüsche an der innern Linie der südlichen Befestigungen, bis Mittag vorüber ist und die Hitze m jedes Weitergehen unrathsam macht. So'ejd führt mich auf die Hauptstrasse zurück und verlässt mich dort, mit dem Versprechen, am Abend Dohejm zu mir zu schicken, um mir Nachricht über das Befinden meines Patienten zu bringen. Ich kehre nun allein nach meiner Wohnung zurück; die Strassen und der Markt sind beinahe verödet; die kleinen dunkeln Schatten haben sich dicht um die Stämme der Palmbäume oder an den Fuss der Wände zusammengezogen und Alles schläft in der Hitze des Mittags. Neugier, vielleicht auch das Behagen, welches ich empfinde, einmal allein zu sein, lassen mich noch einige hundert Schritte weiter hinaufgehen, dem westlichen Thore zu, von wo ich die Ebene zwischen Hä'jel und dem Gebirge überblicke. Die Ebene scheint jetzt in einen weiten See verwandelt, dessen Gewässer den felsigen Rand des Scho-mergebirges bespülen, während sie näher der Stadt scheinbar in Pfützen und Untiefen verschwinden; das ist das täglich wiederkehrende Truggebilde der Luftspiegelung. Sobald die Hitze des Mittags vorüber ist, schmilzt dieser zauberhafte See zu einem in der Ferne sichtbaren Teiche zusammen und verschwindet noch vor Abend ganz, um am nächsten Tage, eine Stunde vor Mittag, wieder zu erscheinen. Dieses scheinbare Wasser, „das Auge der Landschaft", wie die Araber dieses Element nicht unpassend nennen, giebt der Landschaft, die sonst sehr trocken und öde erscheinen würde, einen lieblichen Reiz. — Wäre es aber nur nicht blosser Schein! Nachdem ich meinen Blick an diesem schönen, obwohl mir jetzt nicht mehr fremden Anblicke gesättigt, erreiche ich unsere Wohnung wieder. Hier bereite ich mit Barakät unser Mittagsessen und wir sprechen über die Besuche und Geschäfte des Morgens. Wir haben jetzt etwa zwei Stunden vor uns, in denen wir ungestört sein können, denn in dieser Tageszeit, die hier kaum weniger eine Siesta ist, als in Spanien oder Italien, werden wir selten durch einen Besuch gestört. Endlich rückt der 'Asr heran, ein im Orient wohlbekannter Zeitabschnitt — die europäischen Sprachen besitzen keinen entsprechenden Namen dafür — der in dem Augenblicke beginnt, wo die Sonne die Mitte zwischen dem Meridian und dem westlichen Horizonte erreicht hat und bis etwa anderthalb Stunde vor Sonnenuntergang dauert. Jetzt verlasse ich mit Barakät das Haus; wir wenden unsere Schritte dem Palaste zu und durchschreiten eine Quergasse, die zwischen den Wohnungen einiger Hotbedienten und einer Ecke der grossen Moschee hinführt. In letzterer ist um diese Zeit gewöhnlich eine leidliche Anzahl Andächtiger zum Salät-el-'Asr, oder dem Nachmittagsgebet, versammelt, namentlich seitdem Teläl und Zämil gerade diese von den fünf gesetzlichen Gebetszeiten erwählt haben, um ihre öffentliche An- , dacht zu verrichten; sie sind jedoch, beiläufig gesagt, ziemlich unregel- 179 massige Besucher der Moschee. Diesen Gebeten folgt regelmässig die Vorlesung eines Kapitels oder grössern Abschnitts aus einer Traditionssammlung und dieser oft noch eine extemporirte Predigt oder eine Erläuterung des Gelesenen. Wir waren Allen als Christen bekannt, aber Niemand legte uns ein Hinderniss in den Weg, wenn wir zuhören wollten. Von dieser Toleranz, oder Indifferentismus, — mag es sein, was es will, beide Worte haben in der That oft sehr gleiche Bedeutung — machten wir denn auch ziemlich häufigen Gebrauch. Obwohl die Ceremonien und Gebete bei den Hambeliten und Male-kiten des mittlen Arabien sowohl einerseits von denen der Wahhabiten, als andrerseits von den Gebräuchen, die man in Syrien und der Türkei bei den Schäfi'iten und Hänifiten findet, in manchen Punkten abweichen, so will ich doch hier meinen Leser nicht damit aufhalten oder ihm mit den auf die geringsten Kleinigkeiten eingehenden Vorschriften der Sunneh und Fard, oder den Rek'a und Tedblr den Kopf verwirren. Diese kaum bemerkbaren Unterschiede haben in Hä'jel keine wirkliche Bedeutung. Wer sich eine richtige Vorstellung der gewöhnlichen Form des mohammedanischen Cultus verschaffen will, den verweise ich auf das dritte Capitel von Lane's „Sitten und Gebräuche der heutigen Aegypter", der alles, was hieher gehört, mit unvergleichlicher Genauigkeit beschrieben hat. Wenn wir in das obere Neged kommen, werde ich allerdings auf verschiedene Abweichungen in der Form und Weise des Gottesdienstes aufmerksam machen müssen, durch welche sich die Wahhabiten von allen anderen orthodoxen und heterodoxen Muslims unterscheiden. Denn in diesem Lande hat die Religion eine wirkliche Bedeutung, da sie mit allen Fäden des Lebens der Nation, ja fast jedes Individuums verwoben ist, weshalb solche Einzelheiten dort eine genauere Beachtung verdienen, weniger um ihrer selbst willen, als vielmehr zur Erläuterung des Ganzen ; in Hä'jel hingegen und Gebel Schomer sind die mohammedanischen Gebete und Gebräuche mehr blosse Höflichkeitsceremonien, die man aus Gefälligkeit gegen den Nachbar angenommen hat, nicht der wirkliche Ausdruck nationalen Glaubens und Denkens. Ihre Ausübung beschränkt sich daher fast ausschliesslich auf die grosse öffentliche Moschee der Hauptstadt und einige ähnliche Oertlichkeiten. Sie ist mehr ein Mittel zur Erreichung eines Zweckes, als Sache des Bekenntnisses, mehr ein Act der Klugheit, als der Ueberzeugung, und bietet daher wenig Bemer-kenswerthes, ausser ihrer Leerheit. Der wirkliche Geisteszustand in 180 Bezug auf Religion ist in dieser ganzen Gegend Arabiens Ungewissheit und Schwanken; ein Gemisch von einem grossen Theile Heidenthum, mit etwas Islam, und einem schwachen Schimmer von Christenthum, und Sehnsucht nach einem bestimmten Codex oder Dogma. Wenn die Gebetsformeln vorüber sind, steht fast die Hälfte der Versammlung auf und geht davon. Die, welche noch in der Moschee zurückbleiben, ziehen sich nach dem Mittelpunkte des grossen einfachen Gebäudes, wo sie sich im Kreise auf dem mit Kies bestreuten Boden niedersetzen; Manche lehnen sich mit dem Rücken an die rohen viereckigen Pfeiler, welche das Dach stützen, Andere spielen mit ihrem Stocke oder ihrer Reitgerte. In der Mitte der Versammlung sitzt Einer, der als Vorleser gewählt wird, der aber weder Imäm noch Khatib zu sein braucht, — von dem mau annimmt, dass er die Buchstaben besser kennt, als im Durchschnitt bei seinen Landsleuten der Fall ist, und der ausserdem mit einer guten und starken Stimme begabt ist — und hält ein grosses Manuscript auf seinen Knieen, das in Berlin oder Paris wahrscheinlich ein Gegenstand grosser Wissbegier sein würde; es ist eine Sammlung der Traditionen des Propheten, oder Lebensbeschreibungen seiner Gefährten, oder El-Bok-häri's Commentar oder sonst etwas Aehnliches. Aus diesem liest er mit heller, aber etwas eintöniger Stimme vor, indem er jedes Wort mit einer Verbeugung begleitet, und mit einer Accentuation, die eines Sibawijah oder Kosej' würdig wäre und schwerlich von. dem besten professionellen Grammatiker in Syrien oder Cairo erreicht wird. Der Grund ist sehr klar; denn hier ist Natur, dort Kunst. Diese Vorlesung dauert etwa zehn bis fünfzehn Minuten und wird mit anständigem Schweigen angehört, während Alle, welche irgend Ansprüche auf Frömmigkeit machen — uud diese bilden unter den bei diesen Gelegenheiten Anwesenden den bei weitem überwiegenden Theil — die Augen niederschlagen oder auf den Lesenden und sein Buch heften, Andere, die weniger ernst gestimmt sind, und die jüngeren Zuhörer, setzen sich nach ihrer Bequemlichkeit; noch Andere flüstern ihren Nachbarn skeptische Bemerkungen zu oder wechseln bei der Vorlesung irgend einer schauderhaften Heldenthat oder einer ganz unglaublichen Vision spöttische Blicke. Denn obwohl die Araber ein sehr leichtgläubiges Volk sind, so wird doch Vieles, was man in Mekka und Bagdad gierig verschlingt, hier für ungeniessbar gehalten. Leider muss ich sagen, dass Teläl selbst, wenn er diese Versammlungen mit seiner Gegenwart beehrte, ein sehr schlechtes Beispiel von Aufmerksamkeit gab, indem er sich Zeit nahm, die Gesichter der Versammelten zu studiren und durch den Ausdruck seines sich schnell bewegenden Auges zeigte, dass seine Gedanken bei weitem mehr mit weltlichen Dingen und mit Politik beschäftigt waren, als mit den Aussprüchen des Propheten oder den ruhmreichen Heldenthaten seiner Gefährten. Der Mann ist in der That gerade genug Mohammedaner für Staatsgeschäfte, aber nicht um ein Jota mehr. Wenn der Fürst in der Moschee war, gab er gewöhnlich, nachdem er etwa zehn Minuten geduldig zugehört, dem Leser durch einen Wink zu verstehen, dass er genug habe, worauf Letzterer sein Buch schloss und die Versammlung ohne weitere Ceremonien aufbrach; wenn er aber nicht zugegen war, nahm einer der Aelteren oder Angeseheneren, der zu der halb literarisch gebildeten, halb religiösen Klasse gehörte, die Stelle des Vorlesers ein, oder auch der Imäm oder Khätib selbst, und trug eine kurze Erklärung des vorgelesenen Kapitels, zuweilen auch eine extemporirte Predigt vor, die aber sitzend und in einer ge-wissermassen vertraulichen Weise gehalten wurde. Bei solchen Gelegenheiten habe ich zuweilen recht vernünftige und praktische Moral gehört, sowohl hier, als in Kasim. In den wahhabitischen Provinzen nimmt die Sache oft einen andern Verlauf; davon aber später. Nach beendigter Vorlesung oder Predigt bleiben Alle noch etwa eine Minute schweigend sitzen, theils um über das Gehörte nachzudenken, theils um den etwa anwesenden vornehmeren Personen Zeit zu lassen, sich zurückzuziehen, ehe sich Alle hinausdrängen. Teläl war natürlich immer der Erste, der aufstand und die Moschee verliess, und mit ihm Zämil und seine Brüder, oder 'Abd-el-Mahsin. Der Fürst nahm dann auf der steinernen Bank im Vorhofe Platz und crtheilte eine kurze Audienz. Bei dieser Gelegenheit wurden oft kleinere Streitigkeiten entschieden, oder was sonst etwa für die Morgenaudienz nicht wichtig genug zu sein schien, und Teläl selbst konnte zuweilen ein Lächeln nicht unterdrücken, wenn etwa ein Beduine mit seiner ungeschickten Klage kam, oder ein Paar Städter vor ihm erschienen, die einander geschimpft hatten. Ich war mehr als einmal Zeuge solcher Scenen. Teläl war bei solchen Fällen immer sehr kurz, und die Entscheidung lautete oft ziemlich sarkastisch, beiden Parteien ein Paar aufzuzählen, jedoch nicht allzu derb; der königliche Richter beachtete sehr wohl, dass einer Injurie in der Regel eine Provocation vorangeht, und dass, wo die 183 Schuld getheilt ist, auch die Strafe getheilt werden müsse. Diese aber war sehr gelinde. Wir mischen uns jetzt unter die Menge; zuweilen nimmt uns 'Abd-el-Mahsin bei Seite und fängt ein Gespräch über arabische Literatur oder Geschichte an, oder irgend ein Bekannter, öfters einer von den jungen Häuptlingen, die gewissermassen unsere Clienten und Gefährten geworden waren, ladet uns ein im Hause seines Vaters oder Oheims einige Pfirsichen und Datteln zu gemessen, oder eine Tasse Kaffee, wie ihn nur Arabien liefert, oder wir kehren gerades Wegs nach Hause zurück, wo uns bereits eine Menge Besucher erwarten, und während ich Vorschriften ertheile oder je nach den Umständen Arzenei verabreiche, bereitet Barakät unser Abendessen von Reiss und Kürbiss, zuweilen mit einem Stücke Fleisch, was ein besonderer Luxus ist. Von unserer Einladung in den Palast machten wir nur selten Gebrauch, auch andere Einladungen zum Abendessen lehnten wir in der Regel ab, weil wir unsere Zeit für uns behalten und allzugrosse Bekanntschaft vermeiden wollten, wo sie nicht nöthig oder augenscheinlich vorteilhaft war. Diese Zurückhaltung war der Achtung, welche wir in der Stadt genossen, sehr förderlich; hätten wir dieselbe nicht beobachtet, so würde man uns bald für Müssiggänger oder neugierige Leute gehalten haben, die sich in fremde Angelegenheiten mischen, was uns leicht gefährlich werden konnte, da wir bereits von wahhabitischen Spionen scharf beobachtet waren, die uns gern eine Falle gestellt hätten, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. Aber auch bei Teläl selbst hätte uns ein solcher Ruf schaden können, der, obwohl zu klug, um sich selbst zu compromittiren oder uns compromittiren zu lassen, doch keinen Augenblick Anstand genommen hätte, uns, wenn er mit uns unzufrieden war, „auf unsern Fersen zurückzuschicken", wie die Araber sagen, und so alle unsere Pläne für unsere weitere Reise zu durchkreuzen. Aber Offenheit und eine gewisse Vertraulichkeit, so weit es das Geschäft betraf, nebst der gehörigen Zurückhaltung bei anderer Gelegenheit, machte uns bei den Leuten beliebt und verscheuchte hie und da auftauchenden Verdacht. Wenn jedoch angesehene Leute uns einluden, wie etwa ein Glied der königlichen Familie oder ein reicher und vornehmer Bürger, wie der Richter Mohammed oder der höfliche 'Abd-el-Mahsin, oder der reiche Dohej', ein angesehener Kaufmann, in dessen Hause mein ärztlicher Beistand gute Dienste geleistet hatte, so machten wir eine Aus-iS3 nähme von unserer gewöhnlichen Lebensweise, und nahmen die ehrende Einladung an. Von diesen Dines oder Soupes, denn beide Namen passen für diese Abendmahlzeit, habe ich bereits ausführlich gesprochen, es ist daher nicht nöthig, hier die Scene nochmals vorzuführen. Ex uno disce omnes, wenigstens was das Essen anbelangt, im ganzen innern Arabien vom Gauf bis in die Nähe von Riad. Kaum hat eine Nation weniger eine Vorstellung von der Kochkunst, wie die Araber, denen in dieser Kunst Türken, Perser und Indier unendlich weit zuvorgekommen sind, denn sie wissen in der That gerade nur so viel davon, dass die Definition, nach welcher der Mensch „ein kochendes Thier" ist, auf sie angewendet werden kann. Reiss und gekochtes Schaffleisch, in einer grossen Schüssel zusammengehäuft, dazu ein Stück leidliches Brod, Datteln, vielleicht ein oder zwei hartgesottene Eier, nebst zerschnittenen Wassermelonen oder etwas Aehnliches als Aufputz, mehr hat der Monarch von ganz Schomer, nebst Gauf und Khejbar, nicht auf seiner Tafel. Wascht eure Hände, sagt Bismillah (wenn ihr nicht für einen Atheisten gelten wollt), greift zu und esst so schnell, als ob ihr fürchtetet, die Mahlzeit könnte davon laufen, und sagt dann „El-hamdu 1'Hlah" oder „Gott sei Dank" mit einer Verbeugung gegen den Wirth, wenn ihr recht höflich erscheinen wollt, wascht eure Hände wieder, mit Seife oder Potasche, denn man bringt bald das Eine, bald das Andere, und Alles, was zur Mahlzeit gehört, ist vorüber. Vor dem Essen habt ihr eine oder zwei Pfeifen geraucht und drei oder vier Schälchen Kaffee getrunken; nach Tische aber trinkt nur eine Tasse und raucht nur eine Pfeife, dies verlangt die Etiquette. Dann wünscht euren Freunden gute Nacht und entfernt euch. Roschejd, Teläls* Oheim und unser nächster Nachbar, wie schon oben gesagt, lud uns ziemlich oft ein. Er war ein ziemlich gewandter, unterhaltender, aber sehr oberflächlicher Mensch, der sich mit seiner Kenntniss fremder Länder brüstete, denn er war weiter gereist, als sonst irgend Jemand in Hä'jel, und selbst bis Kerkuk, sieben Tagereisen von Bagdad, gekommen, auch in Aegypten, dem oberen sowohl als dem niederen Theile, war er nicht unbekannt. Wie manche andere Reisende hatte er von vielen Dingen die Aussenseite gesehen, aber nichts von deren Innerem, und erzählte lange Geschichten von schauerlichen Abenteuern und ausländischen Seltsamkeiten, die einen 184 an die Art erinnern, in welcher so Manche von fremden Ländern erzählen, die sie besucht haben, ohne sich vorher um deren Sprache, Geschichte und Sitten zu kümmern. Er hielt sich selbst für ausserordentlich klug und scharfsinnig und bildete sich ein, dass er uns ausforsche, während er eigentlich nur sich selbst und seine Familie vor unsern Augen bloslegte. Aber sein Herz war besser, als sein Verstand, und wenn auch nicht ein Weiser, so war er wenigstens ein guter und beständiger Freund. Dohej's Einladungen waren mir besonders willkommen, sowohl wegen der Annehmlichkeit seiner Wohnung, als auch wegen der mannigfaltigen und interessanten Unterhaltung, die ich dort immer mit Sicherheit erwarten konnte. Dohej' war ein langer und stattlicher Mann in der Mitte der fünfziger Jahre, dessen schmales Gesicht eine mehr als gewöhnliche Klugheit ausdrückte. Er war durch und durch ein Hä'jelite von altem Schrot und Korn, der die Wahhabiten aus " Herzensgrunde hasste und überhaupt sehr wenig Sympathie für den Mohammedanismus hegte. Dahingegen liess er sich gern über Ursache und Wirkung der Dinge unterrichten und unterhielt sich gern über andere Länder und Regierungen; der Handel und das sociale Leben galten ihm für die Hauptstützen, wenn nicht für den höchsten Zweck der bürgerlichen und nationalen Organisation. Sein Oheim war ein Greis von beinahe achtzig Jahren, so weit man in einem Lande, wo es keine Geburtslisten giebt, nach dem Scheine urtheilen kann; er war bis nach Indien gereist und hatte in Bombay Handelsgeschäfte betrieben, weshalb er noch immer ein indisches Mützchen und einen Kaseh-mirshawl trug. Die übrige Familie war so, wie man nach dem Va ter und Grossvater erwarten konnte, und ich habe selten gehorsamere und besser erzogene Kinder gesehen. Meine Leser werden natürlich begreifen, dass ich hier nur die moralische, nicht die intellectuelle Phase der Erziehung im Sinne habe. Der älteste Sohn, selbst schon ein Mann in mittlen Jahren, hätte sich nicht unterstanden, vor seinen Vater zu treten, ohne vorher seinen Säbel abzulegen und im Vorzimmer zu lassen, oder sich im Diwan auf gleiche Höhe mit dem Vater oder neben diesen zu setzen. Der Diwan selbst war einer der hübschesten, die ich in diesem Theile Arabiens gesehen habe; ein geräumiges viereckiges Zimmer, mit der Aussicht auf einen grossen Garten, zu zwei Seiten mit Gitterfenstern, durch die ein angenehmes Licht hereinfiel, während die Wand an der dritten Seite absichtlich nur bis zur halben Höhe gebaut war; der offene Raum, der so bis an die Decke blieb, war mit Pfeilern ausgefüllt, zwischen denen ein fruchtbarer Weinstock so durchgezogen war, dass er den Raum mit einem hübschen Geflecht von grünen Blättern und Ranken füllte, durch welches die Strahlen der Sonne, wie durch buntes Glas gebrochen, in das Zimmer fielen. Dieser 185 durchbrochenen Wand gegenüber war die Diele etwa um zwei Fuss über den übrigen Theil des Fussbodens erhöht und mit bunten persischen Teppichen, seidenen Kissen und dem besten arabischen Haus-geräth bedeckt. In der untern Hälfte des K'häwah und der entferntesten Ecke befand sich der kleine Kaffeeheerd, in einer Entfernung, wo die Hitze dem Herrn und seinen Gästen nicht mehr lästig fallen konnte. Viele von den Vornehmen der Stadt kamen hieher und das Gespräch drehte sich meist um ernste Gegenstände, hauptsächlich wurden die öffentlichen Zustände Arabiens besprochen, wobei sich Dohej' eben so als vollkommenen arabischen Patrioten zeigte, wie als höflichen und nachsichtigen Beurtheiler der Fremden, Eigenschaften, die man selten in einem bemerkenswerthen Grade beisammen trifft und die deshalb einen desto angenehmem Eindruck machten. In diesem mehr einer Laube ähnlichen K'häwah brachte ich manche angenehme Stunde zu, unter freundlichen Gesichtern und mancherlei Gesprächen. Wie reiche Hilfsquellen hat doch dieses männlich kräftige Volk, wann aber wird die Zeit kommen, wo der jetzt unfruchtbare, weit vereinzelte Reichthum mit andern weiter vorgeschrittenen Nationen in befruchtende Berührung gebracht werden kann, zu gegenseitigem Nutzen für Alle! „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei", ist auch wahr in Bezug auf die Nationen. Die Zeit allein, vielleicht eine nicht gar zu ferne, kann dieses Problem lösen helfen. Zuweilen brachten wir die freie Zeit nach dem Abendessen in einem Garten zu zwischen Fruchtbäumen und Palmen, an der Seite eines Wassergrabens, dessen beständig fliessendes Wasser aus einem hinter dichtem Gebüsch verborgeneu Brunnen, nicht das Werk mühsamer Arbeit, sondern das der freien Natur zu sein schien. Hier in dem kühlen und labenden Schatten ausgestreckt, erörterten wir oft Stunden lang mit 'Abd - el - Mahsin und Anderen, die ähnliche Bestrebungen hatten, die Vorzüge arabischer Dichter und Schriftsteller, wie Omar-ebn-el-Färi(l oder 'Abu'l-'Ola, in Zusammenkünften, die etwas Attisches hatten, mit gerade genug arabischer Beimischung, um sie durch ihren semitischen Charakter, ernste Heiterkeit und fröhlichen Ernst nur desto angenehmer zu machen. Wenn die Sterne am Himmel erschienen, streifte ich mit Barakät wohl auch hinaus aus der heissen Luft des Marktes und der Strassen auf die offene Ebene, um eine Stunde allein zu sein, oder wir Hessen uns mit dem ersten Besten, der im Dunkeln zu uns stiess, in ein Gespräch ein, und hatten unsere Freude an seiner Einfachheit, wenn 186 es ein Beduine, oder an seiner Gewandtheit, wenn es ein Städter war. So war unser gewöhnliches Leben in Hä'jel. Es fehlte nicht an kleinen Zwischenfällen, die einige Abwechselung brachten. Zuweilen liess uns die Zahl der Patienten und die Dringlichkeit ihrer Behandlung wenig Zeit übrig, und manchmal vergingen ein oder zwei Tage, ohne dass wir eine ernste Beschäftigung hatten. Aber von solchen Vorfällen, obwohl sie zu der Zeit, wo sie sich ereigneten, wirkliches und lokales Interesse hatten, und mir selbst jetzt nach langer Zeit noch manche frohe Erinnerung verschaffen, will ich hier nicht mehr sagen; meine Leser werden an dem bisher Mitgeteilten schön hinlänglich genug haben. Vom 27sten Juli bis zum 8ten September curirten wir in der Hauptstadt oder deren unmittelbaren Umgebung. In diese Zeit aber fielen auch die Begebenheiten, welche als eine Episode erscheinen könnten, aber eigentlich die Entwickelung des Dramas waren, und die einen solchen Einfluss auf unser ganzes Loben hatten, dass unsere Rolle als Aerzte nun beinahe nicht mehr ausreichte, uns zu unseren Zwecken behilflich zu sein. Meine Leser werden leicht errathen, dass ich hier von unserm Verbältniss zu Teläl, seiner Familie und seiner Regierung spreche, denn mit diesen kamen wir jetzt unvermeidlich in häufige und bedeutungsvolle Berührung. Hier begann eine lange Reihe von Ereignissen, die sich durch meine ganze übrige Reise fortsetzten, zuweilen unsere Wünsche förderten, zuweilen diesen gerade entgegen waren — eine sehr bunte Reihe von Hä'jel bis an den persischen Golf und selbst noch weiter. Doch dies mag füglich in einem besondern Kapitel erzählt werden. Fünftes Kapitel. Vorfälle am Hofe zu Hä'jel. Teläl und sein Benehmen gegen uns — sein Bruder Meta'ab — dessen Palast, K'häwah und Unterhaltung — 'Abbas Pascha und seine Intriguen mit den Beduinen und Wahhabiten: wie beide erfolglos — Lascaris und Fath Allah — worin liegt die arabische Nationalität — Correspondenz zwischen Hä'jel und Aegypten — Teläls Politik bei Beschützung der persischen Pilgercarawane — Deputationen aus Kasim — unsere Stellung ivird misslich — Zämil, sein Charakter — unser Zutrauen zu ihm — sein Benehmen — zweite Zusammenkunft mit Teläl — Erfolg derselben — Spione aus dem Neged — 'Obejd — seine Geschichte und Charakter — wuhhabitische Partei in Schomer — 'Obejd ver-räth sich — er übernimmt den Befehl einer Expedition gegen den Stamm Harb — Sammlung der Truppen — 'Obejd's Brief in unserer Angelegenheit an Abd-Allah in Riad — dritte Zusammenkunft mit Teläl — deren Folgen — ein schomerscher Reisepass — Gründe unserer Abreise von Hä'jel — unsere Führer nach Kasim — Abschied von 'Abd-el-Mahsin, Zämil und Anderen — Abreise von Hä'jel. Wir haben gesehen, dass Teläl, obwohl er gleich bei unserer Ankunft so zu sagen Lunte roch, sich doch unsere Verkleidung als Aerzte gefallen liess, keineswegs aber den Gedanken aufgegeben hatte, dass unser Besuch in seinem Gebiete etwas mehr zu bedeuten habe, als man mit blossen Augen und Ohren sehen und hören könne. Er liess uns deshalb eine Zeitlang sorgfältig von 'Abd-el-Mahsin und anderen Dienern des Palastes beobachten, und die häufigen Besuche, mit denen wir von dieser Seite beehrt wurden, waren nicht weniger von der Neugierde des Fürsten eingegeben, der Alles wissen wollte, was wir trieben, als von der übergrossen Höflichkeit oder Wissbegierde von Seiten unserer Freunde selbst. Dies konnten wir erwarten; wir hielten deshalb streng an unserem Plane und Hessen uns nie ein Wort auch nur im Scherze 188 entschlupfen, das nicht genau zu unserer Rolle passte. Ehe noch viele Tage vergingen, erhielten wir eine zweite Einladung von Teläl, unsere Wohnung mit einer andern geräumigem und bequemern ganz in der Nähe des königlichen Palastes zu vertauschen. Er hoffte da uns unmittelbar unter seinen Augen und in seinen Händen zu haben. Aber eine höfliche Ablehnung, die wir mit angemessenen Entschuldigungen und triftigen Gründen möglichst zu mildern suchten, vereitelte seinen Wunsch; dennoch fühlte er sich ein wenig verletzt und erwiederte seitdem unsere Begrüssungen bei der öffentlichen Audienz, oder wenn wir ihm zufällig begegneten, mit etwas weniger Herzlichkeit, als zuvor. Um diese Zeit kehrte sein heiterer und lebhafter Bruder Meta'ab, der zweite der Familie, von dem Weidelande zurück, wo er die fürstliche Stuterei auf den Wiesen von Hafr Ma'ad, in einiger Entfernung von Hä'jel, besichtigt hatte. Seine langen pechschwarzen Locken, seine glänzende Kleidung und gewandtes Benehmen stachen sehr gegen die Einfachheit und das ernste Wesen seines altern Bruders und Souverains ab. Er war ein weitgereister Mann, war oft in Meschid 'Ali und dessen Umgegend gewesen und hatte selbst Bagdad mehr als einmal besucht, wo er mit Paschas und Consuln verkehrt hatte. Aber wenn sein leichtes Wesen ihn für die gewichtigeren Staatsgeschäfte untauglich machte, so Hessen ihn dagegen seine angenehmen Manieren und schnelle Auffassung einen ausserordentlichen Erfolg in solchen kleinen Intriguen erringen, die im Osten wie im Westen oft den grösseren und wichtigeren Geschäften den Weg bahnen; und für solche vorläufige Manöver war Meta'ab ein bekanntes und williges Werkzeug. Ein Mann von diesem Charakter musste natürlich sehr bald von unserer Ankunft und allem, was uns betraf, unterrichtet werden und bedurfte keiner weiteren Anregung, um genauere Bekanntschaft mit uns zu wünschen. Schon am zweiten Tage nach seiner Rückkehr vom Lande, d. i. den zehnten nach unserer Ankunft in Hä'jel, beehrte er uns mit einem Morgenbesuche, liess sich unsere Arzeneien, Bücher u. s. w. zeigen, warf Einiges über Aegypten und Syrien hin und nahm dann schnell wieder Abschied. An demselben Abend aber trat ein hübscher Neger von seinem Gefolge zu mir, als ich in der Nähe des Palastes vorbei ging, und sagte mir, dass der Emir Meta'ab mich einlade, in seiner Wohnung mit ihm Kaffee zu trinken. Sein Palais liegt dicht neben dem des Fürsten, mit dem es durch rsg eine lange bedeckte Callerie zusammenhängt, mit Fenstern in regelmässigen Zwischenräumen, die grosse Aehnlichkeit mit einem Kloster haben würde, wenn sie anstatt des flachen Daches mit einem Gewölbe bedeckt wäre. Nachdem ich mit dem Schwarzen diesen Gang in seiner ganzen Länge durchschritten, gelangte ich in eine Vorhalle, wo eine Menge von Schuhen und Säbeln bunt durcheinander lagen, an denen ich sab, dass schon mehrere Besucher in dem K'häwah seien. Dieses war ein hoher Saal, in welchem Meta'ab sass, mit einer persischen Pfeife oder Narghileh vor sich, der er fleissig die exotischen Dämpfe entströmen liess. Um ihn herum sassen mehrere Herren vom Hofe und aus der Stadt und zu beiden Seiten stieg eine dicke Dnmpfwolke auf, — jedoch kein Weihrauch. Ich wurde freundlich willkommen geheissen und Meta'ab stand auf und gab mir seine Hand in einer halb arabischen, halb englischen Weise. Während der Kaffee gereicht wurde und die übrigen Cere-monien vor sich gingen, begann unser Wirth ein sehr freies und leichtes Geplauder über Bagdad, den Pascha, die englischen und französischen Consuln, deren Pferde und Politik, was er gesehen und gehört hatte, um zu versuchen, was von diesem Allem etwa einen Eindruck auf mich machen würde. Da ich aber damals noch nicht in Bagdad gewesen war, so wurde es mir nicht schwer, sehr verwundert auszusehen und wenig Interesse an diesen Dingen zu zeigen; Meta'ab schlug nun einen andern Ton an und versuchte es mit Aegypten. Hier stand die Sache nun anders. Ich war in der That sehr begierig zu erfahren, welcher Verkehr zwischen Gebel Schomer und dem Nilthale stattfände, und liess ihn daher merken, dass ich in Cairo und dessen Nachbarschaft nicht ganz fremd sei. Der Emir, der sich freute, hier einen bessern Anhalt zu finden, erging sich nun in vielen und merkwürdigen Reden, obwohl er nie bei der Sache blieb, über Sa'id Pascha und dessen Reise nach Europa, 'Abbas Pascha und dessen Intriguen mit den arabischen Häuptlingen uud erklärte die tatsächliche Stellung seines Bruders zu dem regierenden Vicekönig. In diesen und den folgenden Zusammenkünften mit Meta'ab, der von Tag zu Tag vertraulicher wurde, erhielt ich ziemlich genaue Aufschlüsse über mancherlei, von dem ich schon früher Einiges, obwohl nichts Bestimmtes, gehört hatte, — ich meine die arabischen Intriguen des 'Abbas Pascha. Dieser Fürst hatte einen Plan ersonnen, nicht nur, sich von der ottomanischen Pforte unabhängig zu machen, sondern selbst in Person der einzige Souverain der arabischen Halbinsel zu werden, mittelst einer doppelten Allianz, nördlich mit den Beduinen und gegen Süden mit den Wahhabiten. Um die Sympathie der erstem zu 190 erwerben, schickte er seinen ältesten Sohn, damals noch ein Kind, zu dem bekannten Fejsal-ebn-Schaa'län, Oberhaupt des grossen Stammes Ru'ala, wo sein Erbe ganz wie ein Sohn des Stammes in allen Vollkommenheiten des wilden Lebens erzogen werden sollte. Zugleich sandte er reiche Geschenke an andere Stämme und wenn ein Beduine seinem Palaste nahe kam, so war er sicher, eine gute Aufnahme zu finden und seine verschwenderische Freigebigkeit kennen zu lernen, wenn man überhaupt noch Freigebigkeit nennen kann, was in der That eine reine Vergeudung war. Ja, der bethörte Vicekönig ging so weit, an seiner eigenen Person und in seinen Sitten den Beduinen zu affec-tiren, indem er die Tracht der Nomaden nachahmte, an ihrer Kost Geschmack fand, wenigstens sich so stellte, und mit ihnen auf einem Fusse scheinbarer Vertraulichkeit lebte, in der Einbildung, sie so geneigt zu machen, ihm zu dienen. Zur Entschuldigung dieser Extravaganzen des 'Abbas Pascha kann man sagen, dass Andere, die mit Recht grössere Ansprüche auf geistige Bildung machen, als er, sich hinsichtlich der vermeintlichen Bedeutung der Beduinenstämme und der Vortheile einer Allianz mit ihnen zuweilen in ähnlicher Weise getäuscht haben. Sein Irrthum aber war deshalb unverzeihlich, weil er gerade das Gegentheil von dem Verfahren war, welches sein Oheim Ibrahim Pascha den Beduinen gegenüber beobachtete. Die Missachtung erblicher Erfahrungen ist einem Herrscher am allerwenigsten zu verzeiheü. „Wer sich auf den Beistand der Beduinen verlässt, der ist wie Einer, der sein Haus am Rande des Wassers baut", sagte Meta'ab zu mir, als ich mit ihm über 'Abbas sprach. Eine lange Erfahrung hatte ihn in jeder Beziehung in Stand gesetzt, sich ein richtiges Urtheil über diesen Gegenstand zu bilden; die Gründe, mit denen er seine Behauptung stützte, verdienen daher wohl der Erwähnung. „Die Beduinen", fuhr der Emir fort, — ich gebe hier den Sinn seiner Worte, nicht den Wortlaut selbst — „abgesehen von dem geringen Gewicht, welches sie bei ernstlichem Kampfe in die Wagschale legen, da sie ungenügend bewaffnet sind und keine Disciplin kennen, abgesehen von ihrem vollständigem Ungeschick zu combinirter Action, weil sie durch kindische Fehden, die ihnen nie erlauben, sich nur für einen Monat zu einem wirklichen Zwecke zu vereinigen, in unzählige Factionen zerfallen , sind nichts als Geschöpfe des Augenblicks, denen die gegen- löi wärtige Stunde allein etwas ist, gestern und morgen aber so viel wie nichts. Ohne nationales oder religiöses Ziel oder Princip, ohne sociale Bande oder patriotische Gefühle, handelt Jeder isolirt nach seinen kleinlichen und persönlichen Interessen; Alle sind gegen »Adle, und Keiner weiss, was er will; wer nicht zu ihrem Stamme gehört, ist ihnen völlig gleichgültig, und selbst um ihre eigenen Stammesgenossen kümmern sie sich nur so weit, als sie davon einen unmittelbaren Vortheil hoffen können oder einen wirklichen Schaden fürchten müssen, — heute Freunde, morgen Feinde und übermorgen wieder Freunde. Nun, wenn sie schon mit ihrer eigenen „Haut" (d. i. Rasse) auf diesem Fusse stehen, so ist dies den Fremden gegenüber noch in weit höherem Grade der Fall. Sultan, Vicekönig, Türken, Aegypter, Engländer, Franzosen, Alles ist ihnen gleich, — sie haben weder für die Einen, noch für die Andern irgend Sympathie und sind eben so wenig geneigt, sich dem Einen anzuschliessen, wie dem Andern. Ihre einzige wirkliche Theilnahme ist für den, der das Meiste bietet; und so lange um mit ihrem eigenen Ausdrucke zu sprechen, „sein Fuss noch auf ihrem Bauche steht", thun sie möglicher Weise seine Arbeit, aber nur so weit als es für sie selbst vortheilhaft und nicht allzu gefährlich ist. In solchem Falle kann man darauf rechnen, dass sie Kamele liefern und Wasser bringen, selbst so viel Muth haben, ein benachbartes Dorf oder einen schwächern Stamm zu überfallen und zu plündern; aber diese Dienste leisten sie einfach in der Aussicht auf Bezahlung oder Beute, keineswegs aus Zuneigung oder Achtung gegen den, der sie gebraucht, noch weniger aus Patriotismus oder einem nationalen Gefühl oder etwas dem Aehnlichen. Sie werden jederzeit bereit sein abzufallen und ihren frühern Verbündeten und Freund zu plündern, sobald sie sehen, dass er ihnen keinen Vortheil verschaffen oder keinen Widerstand leisten kann. So weit Meta'ab; ich aber habe oft lachen müssen, wenn ich bedachte, wie Lascaris und Fath-Allah sieben Jahre lang das Geld ihres kaiserlichen Herrn umsonst verschwendeten, um mit den Beduinen eine I. 10 Allianz auf nationalen und philanthropischen Grundlagen zu Stande zu bringen, und ich bin überzeugt, dass man mir dies nicht verargen wird, da, wie ich mehr als einmal hörte, die, Ru'ala, Seba'a und Ha-sinah-Beduinen, denen jene übel angewendete Freigebigkeit galt, sich selbst recht gründlich darüber lustig machten. Nicht allein innerhalb der Grenzen der syrischen Wüste, sondern bis nach Hä'jel hinauf 192 hatte man diesen abenteuerlichen Plan noch in gutem Andenken, und Meta'ab hatte von den Ru'ala, welche oft nach Gebel Schomer kommen, genug davon gehört. Die an das Wunderbare grenzenden Kämpfe und Schlachten, mit deren Beschreibung Lamartine in seiner Ueber-setzung von Fath-Allahs Tagebuche den zweiten Band seines Werks über Syrien vollgestopft hat, entbehren allerdings aller historischen Grundlage, wenigstens so weit ich der Sache nachspüren konnte, und des siebentägigen Kampfes an den Ufern des Orontes, und der in das Herz von Persien und Beludschistan unternommenen Kriegszüge erinnert sich kein Mensch mehr; eben so wenig einer Gesandtschaft an den wahhabitischen Monarchen nach Derej'ijah. Dasselbe gilt auch von allen anderen Episoden, mit denen die lebhafte Phantasie des Verfassers die Erzählung ausgeschmückt hat; aber Geschenke, die geboten und angenommen worden, und die Verschwendung, mit der einige Stämme durch europäisches Gold bereichert wurden, sind in gutem Andenken geblieben. Kurz, von der ganzen Sache, und ebenso von 'Abbas und seinen Ränken, hatten die Beduinen den schönsten Vortheil. Letzterer namentlich wurde gehörig ausgebeutelt, Versprechungen wurden unterzeichnet und besiegelt und eine Treue, die nie existirt hatte, wurde feierlichst verpfändet. Dann aber verschwand Alles wieder, wie eine Welle auf dem Wasser. Kaum war die Kunde von dem Tode des Pascha nach Syrien gelangt, als Fejsal - ebn-Scha'alän sich des Sohnes seines Wohlthäters durch eine Dosis Gift entledigte, — wenn das Gerücht wahr ist, — und die ägyptisch-beduinische Allianz hatte ein Ende, ohne dass die, welche sie schlössen, grössern Vortheii davon hatten, als vorher Lascaris. Einen Erfolg nur hatte 'Abbas Pascha, nemlich den, dass ganz Arabien zu der Ueberzeugung kam, er sei ein Narr; ein sehr bündiges Resultat, zu welchem wahrscheinlich Jeder kommen wird, der in die Fusstapfen des ägyptischen Vicekönigs tritt. Mit seiner wahhabitischen Allianz hatte 'Abbas Pascha eben so wenig Glück, obwohl hier sein Irrthum eher zu entschuldigen ist; ja, er hätte eine sehr genaue Kenntniss der politischen Verhältnisse des innern Arabiens haben müssen, um nicht einen vortheilhaftern Ausgang dieser Massregel zu erwarten. Die Wahhabiten hatten eine organisirte Regierung und bildeten eine Macht, die nach fest bestimmten religiösen und nationalen Grundsätzen handelte, und man würde sehr Unrecht thun, wenn man die kräftigen und ernsten Bewohner des Neged mit 193 den wankelmüthigen und unabhängigen Beduinen vergleichen wollte, sowohl hinsichtlich ibres moralischen, als ihres kriegerischen Wertlies. Aber auch hier hatte 'Abbas sich in seinen Leuten getäuscht. Die Wahhabiten waren zu streng in ihren eigenthümlichen Dogmen, um den Aegypter nicht für einen Heiden und Ungläubigen zu halten, als Einen, dessen Freundschaft eine Feindschaft mit Gott ist; und sein Bekenntniss des orthodoxen Glaubens wurde in Neged ganz eben so angesehen, wie der Islam eines Kleber oder Bonaparte von den Aegyp-tern selbst. Niemand glaubte ihm, Keiner traute ihm und die Rechtgläubigen in Riad zeigten eine grössere Standhaftigkeit, sich von den verlockenden Anerbietungen der Aegypter zurückzuhalten, als die, welche Jeremia einst von den Bewohnern Jerusalems vergeblich wünschte, und aus ziemlich analogen Gründen. Dazu kam, dass die Wahhabiten noch nicht die ihnen von Mohammed 'Ali und Ibrahim Pascha beigebrachten Schläge verschmerzt und wenig Lust hatten, mit dem Enkel des Einen und Neffen des Andern ein Bündniss einzugehen. Indessen die Aussicht auf Vortheil hielt sie ab das angebotene Bündniss geradezu abzulehnen oder den reichen Strom der Botschaften, deren Hände von den Herrlichkeiten Aegyptens voll waren, mit rauher Hand zu unterbrechen; sie hielten daher die Hoffnung auf Willfährigkeit und Mitwirkung hin, wie Angeln, um die albernen Fische des Nils zu fangen, bis die Geschenke 'Abbas-Paschas die Koffer Fejsal-ebn-Sa'üds gefüllt hatten und die Töchter des Monarchen von Neged in Perlen und Goldstoffen aus Cairo glänzten, wie ich selbst gesehen, als ich einige Monate später eine kurze Zeit in Riad als Gast des Monarchen lebte. So steckten die Wahhabiten eben so wie die Beduinen, obwohl aus ganz verschiedenen Beweggründen, die Geschenke ein und lachten die Geber aus. Bei diesem Allem waltete noch ein tieferer und verderblicherer Irrthum ob. 'Abbas Pascha wusste nichts von der ungeheuren Reac-tion und konnte nichts davon wissen, welche auf der ganzen Halbinsel gegen die anmassende Tyrannei der Wahhabiten vor sich ging, und überschätzte daher die Macht und den Einfluss derselben bedeutend, während er die eigentliche Quelle der arabischen Kraft vernachlässigte und die Saite verfehlte, die, wenn sie geschickt angeschlagen wurde, von den Küsten des rothen Meeres bis an den indischen Ocean zu seinen Gunsten vibrirt hätte. Einige Worte werden dies erklären. Nimmt man die Wahhabiten, d. h. diejenigen, welche es wirklich sind, und die Beduinen zusammen, so bilden diese vereinigt nicht mehr, als etwa ein Viertheil der Bewohner Arabiens. Die übrigen drei Viertheile bestehen aus Städtern und Bauern, die über das ganze Land 194 verbreitet sind, enthusiastischen Anhängern ihrer localen Oberhäupter und Herren, denen die arabische Freiheit über Alles geht, — kurz, Patrioten, die aber den beduinischen Räubern eben so feindlich gesinnt sind, wie der wahhabitischen Gewaltherrschaft. Sie halten an einem nationalen Ruhm und patriotischen Erinnerungen von älterem Datum als die neuen Ehren Ebn-Sa'üds|, die hinsichtlich des Alterthums mit denen des Stammes Koreisch selbst wetteifern, ja diese noch übertreffen. Als Freunde der Ordnung und des Handels sind sie Feinde der nomadischen Anarchie und dabei ihren Gegnern an Zahl nicht weniger als an nationaler Bedeutung weit überlegen; ihnen allein, wenn irgend wem, gehören in der Zukunft die Geschicke Arabiens. Mohammed, ein weit sehender Geist, erkannte dies zu seiner Zeit, und dadurch, dass er diesen Theil des arabischen Volks und diese Gefühle für seine Sache gewann, sicherte er seinen Einfluss über die ganze Halbinsel. Der Koran und die gleichzeitige Tradition geben zu dieser klugen Handlungsweise und dem wunderbaren Erfolge, welcher dieselbe rechtfertigte, keinen andern Schlüssel. Hätte er sich damit begnügt, so wäre er der erste und grösste Wohlthäter seines Vaterlandes geworden. Aber der Prophet verdarb, was der Staatsmann begonnen hatte, und der ertödtende Fatalismus seines religiösen Systems, dieses Narcoticum des menschlichen Geistes, hemmte für immer den eigentlichen Fortschritt, zu dem er selbst durch momentane Fusion Arabiens zu einer gemeinschaftlichen Nation mit gemeinschaftlichem Ziele den Weg halb geöffnet hatte. Die jüdische Engherzigkeit und Mischung jüdischen Ceremoniells in sein Gesetz trieben den ungeduldigen und expansiven Geist seiner Landsleute bald zu jenem fast allgemeinen Aufstande, welcher zugleich mit der Kunde von seinem Tode sich über Arabien verbreitete. Der Aufstand wurde allerdings für den Augenblick unterdrückt, brach aber bald wieder aus und hörte erst mit der endlichen und dauernden Auflösung des arabischen Reichs in Arabien auf. Wenn nun der Islam schon sich für Arabien als zu straff angezogen erwies, so ist der Wahhabismus dies nothwendig in noch höherem Grade, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Männer, welche das Joch Mohammeds gebrochen, ihre Nacken lange unter das eines Ebn-Sa'üd und 'Abd-el-Wahhäb beugen sollten. Das war es, weshalb 'Abbas Pascha seinen Ausgangspunkt übel gewählt hatte, und seine Neigung zu Riad und dessen Herrscher führte nur dazu, die Nation im Grossen noch mehr von ihm zu entfernen. In Hä'jel hielten sich 'Abd-Allah-ebn-Raschid und dessen Familie weislich von den Manövern des ägyptischen Vicekönigs fern und er-195 warteten bessere Zeiten. Diese schienen zu kommen, als durch die Ermordung 'Abbas Paschas Sa'id Pascha auf den Thron gelangte. Die bekannte Zuneigung dieses Fürsten zu europäischen Allianzen war in den Augen Teläls kein ungünstiger Umstand, da er wusste, dass er von dieser Seite, was Industrie und Handel betraf, nur gewinnen könne, 1 während er Angriff und Krieg nur wenig zu fürchten hatte. Zu allen Seiten von einer breiten und fast unwegsamen Wüste umgeben, ohne Häfen oder eine Küstenlinie, die gegen die „Hunde der See", wie die Europäer und insbesondere die Engländer oft, obwohl nicht in unhöflichem Sinne, im Orient genannt werden, vertheidigt werden mussten, und zwischen ein Labyrinth von Gebirgen und Klippen eingeschlossen, wären die Provinzen von Hä'jel der letzte Platz in der Welt, der eine französische Invasion oder englische Occupation zu befürchten hätte, während sie dagegen aus einem Verkehr „auf Armslänge", um so zu sagen, bedeutenden Vortheil an materiellen, wie an geistigen Gütern ziehen könnten. In diesem Sinne wurden die Negotiationen zwischen Hä'jel und Kairo, die während der unheilvollen Regierung 'Abbas Paschas unterbrochen waren, nach dessen Tode wieder aufgenommen. Aber die Frivolität Sa'ids zeigte sich sehr bald, und während Teläl eine freundschaftliche Botschaft und Begrüssung nach der andern erhielt, schmeichelte er sich beständig mit der Hoffnung auf einen wirksamen Beistand von dieser Seite gegen die wahhabitischen Eingriffe und türkischen Feindseligkeiten. Noch in der gegenwärtigen Lage der Dinge kann Aegypten als sein bester Freund und Bundesgenosse im Falle dex* äussersten Noth angesehen werden, wie schon oben bemerkt wurde. Ich erwähnte oben auch beiläufig, dass Teläl die Correspondenz mit Persien sorgfältig aufrecht erhält. Es ist jetzt Zeit, seine besonderen Gründe dazu zu erklären, und was der arabische Fürst von dem altersschwachen Despotismus in Teheran erwarten kann. Die Lösung dieses Problems liegt in den geographischen Verhältnissen des Landes; ich muss daher meine Leser bitten, hier einen Blick auf die Karte zu werfen, wo sie sehen werden, dass Gebel Schomer eine Linie, die man von den mittlem und obern Provinzen Persiens nach dem Hegäz zieht, gerade durchschneidet und so gerade auf dem Wege liegt, welchen die persischen Pilger bei ihren jährlichen Besuchen der Ka'a-bah in Mekka, oder der Grabmäler in Medinah, sowohl Mohameds, als seiner Gefährten, als auch der weniger ächten Monumente schiiti-scher Andacht, naturgemäss einschlagen müssen. Aehnliche Gesellschaften von Reisenden bringen den Städten und Gegenden, durch welche sie ziehen, Vortheil, durch die Ausgaben, welche sie unterwegs ma-19« chen, nicht weniger, als durch das Beispiel ihrer Frömmigkeit — vielleicht noch mehr. Diesen jährlichen Strom des Pilgerreichthums in sein Gebiet zu lenken und ihn durch die Thore von Hä'jel selbst fliessen zu lassen, war Teläls grosser Wunsch; um so mehr, da eine solche Massregel ihn nicht allein die oben genannten vorübergehenden, obwohl oft wiederkehrenden Vortheile sicherte, sondern auch dazu dienen konnte, die Sek-tirer aus Meschid'Ali, Bagdad und jener ganzen Gegend in ihrem Handel mit Gebel Schomer zu ermuthigen, ein Handel, den Teläl geschaffen hat und der für das ganze Königreich, insbesondere aber die Hauptstadt, sehr vortheilhaft ist. Mehrere Umstände kamen zusammen, um dieses Projekt zu begünstigen. Der Weg von Teheran und Bagdad über Gebel Schomer, welcher den schmaleren Nacken des arabischen Continents durchschneidet und gerade den heiligen Städten zuführt, ist unleugbar bequemer und sicherer, zugleich auch weniger kostspielig, als der Umweg, welchen die persischen Karawanen oft einschlagen, durch Syrien oder südlich den persischen Meerbusen hinab an den Küsten von 'Oman, Hadramaut und Jemen nach Giddah. Allerdings war noch der Weg durch das Centrum Arabiens, durch Neged, eine verhältnissmässig kurze und leichte Strecke, dieser aber war den Anhängern 'Alis durch die bigotte Intoleranz der Wahhabiten verschlossen, die es für eine Befleckung ihres Landes halten, wenn es von so ungläubigen Schuften betreten wird. Bei Teläl aber gelten Sonniten und Schija't vollständig gleich, und es fällt ihm nicht ein, von einem Pilger besondern Zoll zu erheben oder besondere Sportein einzutreiben, weil dessen religiöse Meinungen zufällig diese oder jene Farbe haben. Er giebt sich vielmehr alle Mühe, es dahin zu bringen, dass die persisch-mekkanische Karawane dem Wege über Hä'jel allen übrigen Strassen den Vorzug giebt, und steht deshalb in ununterbrochener Correspondenz mit Bagdad und Meschid Ali. Hier fand er die persischen Behörden sehr geneigt, auf seine Ideen einzugehen, und der Schah selbst, als er von dem Projekte in Kenntniss gesetzt wurde, gab seine volle Zustimmung zu erkennen. Der vollständigen Durchführung des Planes standen aber bis jetzt noch Hindernisse entgegen, die wir erst erklären können, 197 wenn wir in Neged angekommen sind. Jedoch, trotz aller Opposition, erscheinen in Hä'jel zu jeder Pilgerzeit eine Anzahl konischer Mützen und mit Pelz gefütterter Röcke; ich selbst sah eine solche Karawane, und alle Perser, die dabei waren, drückten, zwar in sehr schlechtem Arabisch, ihren Dank aus für die gnädige Behandlung, die sie von Teläl und Meta'ab erfahren, und ihre vollkommene Zufriedenheit mit der Regierung von Schomer. Dieses und Aehnliches wurde in dem K'häwah von Meta'ab und seinen Freunden besprochen. Ich habe die Unterhaltung etwas ausführlicher mitgetheilt, weil ich hoffe, dass sie dazu beitragen kann, eine richtige Anschauung des Lebens in dem gegenwärtigen Arabien zu geben, welches in vielen Erzählungen ebenso lückenhaft dargestellt ist, wie auf manchen Karten die Oberfläche des Landes. Die Lage der Gebirge, den Lauf der Flüsse, die Gradationen des Klimas, den geologischen Charakter der Felsen zu bestimmen, und was sonst sich auf die physische und unbelebte Natur bezieht, ist sicher von hoher und ernster Wichtigkeit, und auch hierin habe ich versucht, mein Bestes zu thun, obgleich mit unvollkommenen Resultaten wegen Mangel an Vorbereitung und an Gelegenheit zu wissenschaftlicher Beobachtung, deren ich mir mit Bedauern bewusst bin. Aber, Tim ein vielgebrauchtes Wort anzuführen, „das Studium des Menschen ist der Mensch", — vielleicht leisten wir der Wissenschaft und Europa einen grösseren Dienst, wenn wir versuchen, den dichten Schleier zu lüften, der das menschliche Arabien verhüllt, seine Theile und Politik, seinen Geist und Bewegung, — und so kehre ich zu meiner Erzählung zurück. Zwanzig Tage etwa waren in Hä'jel vergangen, als wir anfingen, ernstlich zu überlegen, ob und wie weit wir Teläl mit dem eigentlichen Zwecke unserer Reise bekannt machen sollten. Wir hatten in dieser Zeit seine Stellung, seine Ansichten, sein System und seine Pläne genügend kennen gelernt, sein Verhältniss zu den Wahhabiten und den Türken, wie weit er als deren Verbündeter oder als deren Feind zu betrachten war. Die Gefühle und Neigungen der Regierung wie des Volks waren uns nicht mehr unbekannt, während die tägliche Ankunft von Gesandten aus Kasim und 'Onejzah uns immer mehr das eigentliche Wesen der Politik und Religion in Gebel Schomer erkennen Hessen. Diese Gesandten hatten oft Stunden lang in unserm Hofe beisammengesesseu und mit uns und vor uns die Mittel und Zwecke Teläls besprochen und welche Bande ihn auf einer Seite mit dem Häuptlinge von Kasim, auf der andern mit dem Monarchen von Neged verknüpften. Eine Kenntniss, welche ich auf diese Weise erhielt, 198 schien mir in gewisser Beziehuug zuverlässiger, als die, welche ich von gebornen Unterthanen und Vasallen Teläls erhielt. Auch schien es uns Unrecht, ihn, der uns so herzlich und gastlich aufgenommen, noch länger im Dunkeln zu lassen. Bisher hatten wir in der That seine Offenheit mit Rückhaltung erwiedert und seine Zuvorkommenheit mit einer gewissen Kühle aufgenommen. Es schien daher nicht mehr als recht und billig, ihm ein Geheimnisa mitzu-theilen, an dem ihm offenbar gelegen war, zumal keine Gefahr zu sein schien, dass er es missbrauchen würde. Ueberdies, obgleich Teläl im Ganzen von uns eine günstige Meinung zu haben schien, so musste er uns doch noch immer mit einem gewissen Misstrauen betrachten; und jeder unbestimmte Verdacht kann eine sehr schlimme Wendung nehmen. Nun war es uns ganz unmöglich, unsere Reise in das wahhabitische Gebiet fortzusetzen, ohne dass Teläl darum wusste und seine Zustimmung gab. Ein Reisepass mit dem königlichen Insiegel ist durchaus nothwendig für Jeden, der nach jener Richtung hin reisen will, noch nöthiger, um über die Grenze zu kommen; ohne ein solches Dokument in der Hand würde es Niemand wagen, uns zu geleiten; und die Reise allein zu unternehmen, wäre mehr als Tollkühnheit gewesen. Dass aber Teläl uns mit dem erforderlichen Passe versehen würde, so lange er noch irgend über unsere Zwecke im Unklaren blieb, war höchst unwahrscheinlich; setzten wir ihn hingegen ganz offen von dem wirklichen Zwecke unserer Wanderung in Kenntniss, so konnten wir hoffen, seine Zustimmung und Unterstützung zu erhalten. Dies war unsere Lage, und für welchen Schritt wir uns auch entscheiden mochten, er war mit unvermeidlichen Schwierigkeiten verknüpft; nach reiflicher Ueberlegung kamen wir endlich zu dem Entschlüsse, Teläl um eine Audienz unter vier Augen zu ersuchen und ihm dann Alles zu sagen. Um nicht etwa einen Verstoss gegen die Sitte bei Hofe zu machen, beschlossen wir, uns zunächst einer uns günstig gestimmten Mittelsperson zu versichern. Diese fanden wir bald, nämlich den Schatzmeister Zämil. Dieser Mann, der bei Teläl in so hoher Gunst stand, hatte sich immer als eben so klug, wie gegen uns wohlwollend erwiesen. Aerzt-liche Pflichten und freundschaftliche Einladungen hatten mir bereits freien Zutritt zu ihm und seiner Familie verschafft, und obwohl seine dringenden Geschäfte ihm fast keinen Augenblick Zeit Hessen, besuchte 199 er uns doch oft, wenn auch nur im Vorbeigehen, in unserer Wohnung. Er theilte die Ansichten Teläls und hatte an den meisten Verwaltungs-massregeln desselben einen grossen Antheil. Dazu kam, dass er von bei weitem offenerem Charakter war, als sein Herr, und weit leichter zugänglich, als dieser. Er war das seltene Beispiel eines Mannes, der von der niedrigsten Stufe der Gesellschaft zu den höchsten Ehren, Reichthum und Einfluss emporgestiegen war, ohne das anmassende und widerliche Wesen angenommen zu haben, welches man bei Emporkömmlingen so häufig findet. Dabei besass er einen hellen und leicht fassenden Verstand, arabische Klugheit, grosse Mässigung und Takt und viel Gutmüthigkeit. Der einzige Fehler, welchen ihm das öffentliche Gerücht beilegte und der in einem gewissen Grade durch die kostbare Eleganz seiner Kleidung und Alles um seine ganze schöne Person bestätigt wurde, war eine gewisse Ostentation und Liebe zum Vergnügen, die selbst über die Grenzen der in Arabien mustergültigen Moralität hinausging; ein Fehler, von welchem auch, beiläufig gesagt, sein königlicher Herr nicht ganz frei war. Aber dieser schwache Punkt in Zärails Charakter war bei dem Geschäfte, zu dem wir ihn brauchten, nicht hinderlich; wir vertrauten auf seine besseren Eigenschaften und seine einflussreiche Stellung und hatten keinen Grund unser Vertrauen zu bereuen. Wir nahmen also eine passende Gelegenheit wahr, ihm zu sagen, dass wir eine geheime Zusammenkunft mit Teläl wünschten, bei der es sich um sehr wichtige Dinge handle, und baten ihn, uns dazu behilflich zu sein. Nach und nach gingen wir weiter und erklärten unserm Vermittler die ganze Sache und was wir dem Monarchen vorzulegen wünschten. Zämil nahm sich Zeit, sich die Sache wohl zu überlegen, und machte dann, nachdem er unsere Zustimmung erbeten und erhalten, Teläl mit den Gründen unsers Gesuchs bekannt. Zwei Tage hintereinander kam er regelmässig zu uns, wozu er vorsichtig solche Stun den wählte, in denen am wenigsten eine Beobachtung zu befürchten war, und besprach mit uns jeden Punkt der projectirten Unterredung. Endlich sagte er uns, dass Teläl geneigt sei, an einem bestimmten Tage (den 21sten August) unsere Mittheilungen entgegenzunehmen. Ich muss hier bemerken, dass an arabischen nicht weniger, als an europäischen Höfen persönliche und Privataudienzen des Souverains „als eine hohe Gunst" angesehen werden, die weder leicht verlangt, 200 noch leicht gewährt wird. Dies mag zum Theil seinen Grund in der Etiquette haben, mehr noch durch Staatsklugheit geboten sein, oft aber auch liegt Furcht vor Verrath zu Grunde, denn die Annalen des Landes erzählen mehr als einen Fall,' wo ein Bittsteller, der zu einer Privataudienz zugelassen wurde, sich als einen Mörder erwies. Mit Öffentlichen und offiziellen Audienzen, bei denen „die Sonne der Majestät" durch ihre Pracht und zahlreiches Gefolge eben so sicher ist vor dem Dolche des Meuchelmörders, wie vor Berührung mit dem gemeinen Volke, ist Teläl freigebig genug, in der That bei weitem freigebiger, als die Monarchen von Neged und 'Oman. Am bestimmten Tage, kurz vor Sonnenaufgang, begab ich mich mit meinem Gefährten auf einem weiten Umwege durch Seitengäss-chen und Nebenwege nach Zämils Hause, wo wir in dem leeren K'häwah Platz nahmen, denn die Familie war in der frühen Stunde des Tages noch nicht zugänglich. Zämil selbst hatte sich bereits zu Teläl begeben, ohne Zweifel, um mit diesem über unsere Aufnahme zu be rathen. Wir hatten noch nicht lange gewartet, als ein Neger, der zu dem Palaste gehörte, in das K'häwah trat und uns winkte, ihm zu folgen. Durch eine Seitenthüre, die in der Regel verschlossen bleibt, traten wir in die königliche Residenz und stiegen, nachdem wir mehrere kleine Zimmer durchschritten, eine Treppe in dem mittlen ovalen Thurme hinan. Etwa in der Mitte der Höhe befand sich ein grosses und gut möblirtes Zimmer, welches den grössten Theil des Raumes einnahm; hier sass Teläl und ihm zur Seite Zämil. Schaven und bewaffnetes Gefolge warteten in einem anstossenden Gemache, aber in zu grosser Entfernung, um das Gespräch hören zu können. Nach den ersten Begrüssungen, in gewohnter Einfachheit, sagte der König: „Wovon wünscht ihr zu sprechen?" und da er bemerkte, dass ich einen Augenblick mit der Antwort zögerte, fügte er mit einem Blicke auf Zämil hinzu: „lasst euch seine Gegenwart nicht stören, ihr könnt ihm vertrauen, wie mir selbst." So ermuthigt, begann ich «und gab einen kurzen, aber klaren Bericht der Umstände und des Zweckes unserer Reise, woher und wohin, was wir wünschten und was wir erwarteten. Unsere Unterredung währte wenigstens eine Stunde, weil wir über Vieles, was Teläl fragte, eine Erklärung geben mussten. Seine Fragen trafen immer die Spitze, seine Bemerkungen waren kurz und treffend. Vieles, was ich sagte, fand SQhon auf halbem Wege seine Zustimmung, bei Manchem liess er merken, dass es schwierig sei, oder schlug Modifikationen vor. Besonders hütete er sich, uns bestimmte Zusicherungen zu geben, und wir vermieden natürlich ebenso sorgfältig jeden Schein, ihn weiter zu führen oder mehr von ihm zu verlangen, als er selbst freiwillig gewähren wollte. Vor Allem aber verlangte er die strengste Verschwiegenheit und meinte: „Wenn das, was jetzt zwischen uns verhandelt wird, bekannt würde, so könnte es euch und vielleicht mir selbst das Leben kosten." Im Laufe dieser Unterhaltung nahm ich Gelegenheit, gewisse zweideutige und uns ungünstige Gerüchte zu erwähnen, die, wie mir zu Ohren gekommen war, unter einigen Klassen des Volks über uns gingen. „Sagt man das in der Stadt?" rief Teläl in einem fast spöttischen Tone aus; und dann, die Hand auf seine Brust gelegt, setzte er hinzu, mit einer Haltung, um die ihn Louis XIV. hätte beneiden können: „Ich bin die Stadt! — fürchtet nichts; von Keinem meiner Unterthanen sollt ihr dergleichen wieder hören. Aber", fuhr er fort, „es giebt Andere, für die ich nicht so gut einstehen kann." Endlich, als Alles hinlänglich erörtert war, drückte Teläl den Wunsch aus, dass wir die Sache mit Zämil weiter erwägen möchten, versprach eine zweite Audienz, in welcher er uns eine bestimmtere Antwort geben wollte; „obwohl", sagte er, „das nicht so schnell gehen kann", und rief dann einen Sclaven, der mit dem Säbel in der Hand hinter der Thür wartete. Der Neger streckte seinen Kopf in das Zimmer und verschwand dann auf einen Augenblick, um mit dem bereits fertigen Kaffee zurückzukehren. Nachdem Alle getrunken hatteu, brachten zwei andere Diener einen grossen runden Teller herein, der mit vorzüglichen Pfirsichen beladen war, von denen Teläl mit uns zulangte, ein Zeichen gänzlichen Vertrauens und guten Willens. Als Alles zu Ende war, stand Zämil mit einem höchst zufriedenen Gesichte auf, geleitete uns die Treppe hinab und ging in seinen Palast. Obwohl wir in den nächsten Tagen oft mit" ihm zusammenkamen, schob er doch sein Ultimatum noch immer auf, und wir hielten es nicht für zweckmässig, ihn darum zu drängen. Unterdessen waren die „Anderen", auf welche unser königlicher Freund gedeutet hatte, nicht müssig; ja wir wussten schon längst, dass wir vor ihnen auf unserer Hut sein mussten. Mehr als einmal hatte ein Negedäer, in dem einfachen baumwollnen Kleide eines Me-taw'waa' oder Puritaners der Wahhabisecte sein pharisäisches Gesicht in unserm Hofe sehen lassen. Diese Leute waren Spione im Dienste der Regierung zu Riad, die aus keinem andern Grunde hergeschickt waren, als um zu sehen, was in Hä'jel vorging; sie waren oft in den Strassen und auf dem Markte zu treffen, Alles beobachtend, von Allen gemieden, aber von Allen mit vorsichtiger Hochachtung behandelt. Fremde und Christen, wie wir, konnten nicht erwarten, ihrer Aufmerksamkeit zu entgehen, ja wir hatten einen sehr grossen Antheil daran, und ihre Antipathie war uns, auch ohne dass sie dieselbe durch Worte ausdrückten, kein Geheimniss. „Herzen sehen einander", ist ein gewöhnliches und sehr richtiges arabisches Sprichwort; und einen Feind erkennt man sehr bald heraus, wie sehr er auch die Sprache und selbst das Gesicht verstellen mag. Auch sind die Araber nicht sehr geschickt darin, ihre Gefühle zu verbergen, vielmehr möchte ich gerade das Gegentheil sagen; ihre Regungen sind zum grössten Theil zu stürmisch, um sich nicht in Gebehrden und Ausdrücken zu ver-rathen; gewiss, im Ganzen genommen, stehen sie in der Kunst, sich zu verstellen, weit hinter den Türken und Indiern, ja selbst hinter einigen Zweigen der grossen europäischen Familie zurück. Die Ncge-däer jedoch, welche die ruhigsten sind, stehen auch in dem Rufe, die verstecktesten unter ihren Landslcuten zu sein. Wir sollten aber noch eine wichtigere Lehre erhalten. 'Obejd-ei-De'eb oder „der Wolf", um ihn mit seinem volkstümlichen Namen zu nennen, den ich schon oben als Bruder des verstorbenen Fürsten 'Abd-Allah und Oheim Teläls nannte, war während der drei ersten Wochen unsers Aufenthalts in Hä'jel von der Stadt abwesend. Er kehrte jetzt zurück und beschäftigte sich sogleich mit den beiden Fremden, welche den Weg in die Hauptstadt seines Neffen gefunden hatten. Dass in einem durch wahhabitischen Einfluss gegründeten, durcli wabhabitische Eifersucht ängstlich bewachten und dem Namen nach Neged selbst zinsbaren Reiche eine wahhabitische Partei existirte, dass diese Partei Männer von höchster Geburt und grösstem Einfluss, selbst dem Throne nahestehende und Glieder der königlichen Familie in ihren Reihen zählte, kann nicht Wunder nehmen, vielmehr müsste man sich wundern, wenn dem nicht so wäre. Diese Partei ist allerdings gegenwärtig sehr gering an Zahl, aber furchtbar durch ihre Einigkeit in Verfolgung ihres Zweckes und die mächtig Stütze, welche sie von der südlichen oder wahhabitischen Grenze her erhält. Die meisten und vornehmsten ihrer Mitglieder sind in Hä'jel selbst beisammen, aber eine nicht geringe Anzahl derselben sind über die ganze Provinz verstreut. Ihr Haupt- und Stützpunkt ist 'Obejd. 203 Wir haben bereits seinen altern Bruder 'Abd - Allah als Freiwilligen in dem Heere Turki's kennen gelernt, der ihm grosses Vertrauen schenkte, und wissen, welchen bedeutenden Antheil er an dem glücklichen Wechsel der Geschicke der Dynastie von Neged hatte, zu einer Zeit, als diese am höchsten gefährdet war. Aber 'Abd-Allah, obgleich als Soldat wie als Fürst eng mit der wahhabitischen Regierung verbunden, neigte sich doch persönlich wenig oder gar nicht den Dogmen dieser Sekte zu; er war ein politischer Verbündeter, aber keineswegs ein Schüler. Nicht so sein stolzer und heissköpfiger Bruder 'Obejd, dessen Geist in dem Fanatismus von Neged ein verwandtes Element fand, in welches er Herz und Gehirn versenkte, so dass man zweifeln möchte, dass in Riad selbst noch ein so durch Dick und Dünn gehender Wahhabite zu finden sei, wie 'Obejd-ebn-Raschid in Hä'jel. Ein ausgezeichneter Krieger von unbestrittener Geschicklichkeit und Tapferkeit, gewandt in allen Hilfsmitteln des Truges und der Gewalt, des Blutvergiessens und des Meineides, war er ausserordentlich befähigt, ein Apostel seiner Secte in Schomer und dessen Provinzen zu werden. Mit eigener Hand, wenn das Gerücht wahr ist, hatte er nicht weniger, als achthundert „Ungläubige" (d. i. Feinde) erschlagen, ungezählt die Tausende, welche seine Anhänger niedermetzelten, und viele Bäume, denen das Volk einst Verehrung zollte, hatte er niedergeschlagen; viele Grabmäler, seit Jahrhunderten von andächtigen Besuchern und durch Opfer geehrt, hatte er dem Boden gleichgemacht, um dem lakonischen Ausspruche der Wahhabiten gerecht zu werden. „Khejr el Kebür ed-dowäris", „die besten Gräber sind die, welche aufgehört haben zu sein." Meine Leser werden sich wahrscheinlich erinnern, wie diese Sectirer mit dem Grabe ihres eigenen Propheten Mohammed in Medinah umgingen, und können sich daher vorstellen, wie wenig Gnade Denkmäler von zweideutigerer Rechtgläubigkeit in den Augen 'Obejds und seines Gleichen finden mussten. Während der'Regierung 'Abd-Allahs war der grössere Theil der auswärtigen Verwaltung, die sich beinahe ganz in der successiven Unterjochung von Dörfern, Städten und Provinzen summirt, dem „Wolfe" überlassen, der sicher sein Bestes that, diesen Namen zu verdienen; dreissig Friedensjahre haben nicht hingereicht, manche der von ihm verheerten Gegenden wieder zu bevölkern. Sein fürstlicher Bruder zog von den auf diese Weise erworbenen Gebietserweiterungen Nutzen und begnügte sich mit dem ruhigeren, aber humaneren Werke der Organisation in Hä'jel. Aber als 'Abd-Allah starb, strebte der Ehrgeiz Obejds, der nicht mehr durch die blutgefärbten Lorbeeren seines Feldzuges befriedigt wurde, nach der königlichen Krone, und das knaben- 204 hafte Alter Teläls, der damals noch in seinem einundzwanzigsten Jahre stand, schien ihm offenes Feld zu lassen. Aber Teläl, obgleich jung an Jahren, war doch alt an Rath und hatte den Adel der Stadt und die übrigen localen Häuptlinge, die wenig Geschmack an der Wiederbelebung des Koran hatten, so wirksam an seine eigenen Interessen zu fesseln gewusst, dass 'Obejd bald mit seinen Ansprüchen zurücktreten musste. Teläl benutzte nun seinen Onkel so wie etwa ein grämlicher Bullenbeisser auf dem Hofe eines reichen Gutsbesitzers gebraucht wird, wenn es nöthig ist, zu knurren oder zu beissen und zeitweise um die Besitzung herumzustreifen und unbefugte Eindringlinge zu zerfleischen. Der junge Monarch übertrug ihm ferne Kriegszüge, wo es mehr auf Niedermetzelung der Feinde ankam, als eine dauernde Eroberung zu machen, und mit allen Unternehmungen gegen die Beduinenstämme oder in die rauheren Gebirgsdistrikte, — vielleicht nicht ohne die geheime Hoffnung, dass sein Onkel bei einer dieser Gelegenheiten einmal seine irdischen Ehren mit dem unverwelklichen Ruhme des Märtyrerthums vertauschen werde. Aber das Sprichwort „der Teufel stirbt nicht so leicht", welches in Arabien eben so gebräuchlich ist, wie bei uns, hat sich an der Person dieses ränkevollen und bluttriefenden Mannes wieder einmal als wahr bewährt. Aehnlichkeit des Charakters und der religiösen Ansichten hatte zu einer dauernden und engen Verbindung zwischen'Obejd und'Abd-Allah, dem Sohne Fejsals, in Riad geführt. Zwischen Beiden bestand ein lebhafter Briefwechsel im Interesse der wahhabitischen Partei, und über Teläl, den 'Obejd als einen Freigeist darstellte, der nicht viel besser sei, als ein verkleideter Ungläubiger, der in niedriger Gesinnung das sichtbare und materielle Wohl seines Reichs und seiner Un-terthanen der Einheit und dem wahren Glauben und dem Triumphe des wahhabitischen Monotheismus vorzöge. 'Obejd's Palast war der tägliche Sammelplatz negedäischer Zeloten und Puritaner. Hier trafen sich Alle, welche das Verlangen nach Plünderung und die Liebe zum Despotismus zum Kampfe gegen die herrschende Lauigkeit vereinigte und gegen solche Gräuel, wie Handel, Tabak und Vielgötterei. Bei den öffentlichen Gebeten in der Moschee fehlte 'Obejd nie, hier war er die vornehmste Person und übernahm oft das Amt eines Imam und Predigers, welches sein Neffe ihm gern überliess und das er mit einem Eifer verwaltete, der mehr Nachahmung verdiente, als er wirklich fand. , Endlich, um zu beweisen, dass er in keinem Punkte sich von der correctesten Orthodoxie entferne, baute er sich in einem ländlichen Palaste ausserhalb der Stadt einen geräumigen Harem, und hier bewies die Anzahl seiner Frauen und Concubinen, dass er ein ächter Schüler dessen sei (um Mohammeds eigene Worte in Bezug auf sich selbst zu gebrauchen), „dessen Ergötzen, nach dem Befehle Gottes, an den Frauen sein soll." In der That, im Alter von mehr als siebenzig Jahren, und während unseres Aufenthalts in Hä'jel fügte er der langen Liste von Frauen, die schon in seiner Hand waren, noch eine neue zu. So war 'Obejd, der jetzt, bei Rückkehr in die Hauptstadt von einem Feldzuge, in welchem er die ganze Kraft und Wildheit der Jugend gezeigt hatte, christliche Aerzte innerhalb der Mauern etablirt vorfand. Wäre er hier absoluter Herr gewesen, so würde unser Aufenthalt wohl nicht mehr lange gewährt haben. Da er aber sah, welche Gunst wir bei Hofe und in der Stadt genossen, so bezwang er sich, und wo das Wolfsfell nicht lang genug war, setzte er den Fuchsbalg an, nach dem klugen Rathe Philipps von Macedonien. Am zweiten Tage nach seiner Rückkehr, gegen Mittag, kam er an unsere Thür geritten, von einem Dutzend seines Gefolges begleitet. Seine Begrüssung war anscheinend ausserordentlich herzlich*, er schüttelte uns die Hand und drückte seine Zufriedenheit aus, uns als Gäste seines Neffen und folglich auch als die seinigen hier zu finden. Von seinem wahren Charakter waren wir bisher noch nicht vollständig unterrichtet. Die Araber, selbst wenn sie im Gespräch sehr mittheilsam sind, vergessen nie die Gesetze der Klugheit, wenn eine dritte Person erwähnt wird, und sprechen nicht leicht von einem Ab-, wesenden, namentlich wenn dessen Anwesenheit bald erwartet wird. Wir hatten daher bis jetzt über 'Obejd nur allgemeine Ausdrücke und einige Anekdoten gehört. Seine hohe Statur, von den Jahren noch gar nicht gebeugt, seine markirten Gesichtszüge, sein leichter militärischer Anstand sprachen beim ersten Anblicke sehr zu seinen Gunsten. Ich werde aber nicht leicht den Eindruck vergessen, den der kalte Blick seines grossen grauen Auges auf mich machte; es schien zu einem ganz andern Gesichte zu gehören, in solchem Widerspruche stand es mit seiner ganzen übrigen Gesichtsbildung. Nichts konnte offener und heiterer sein, als der Ton seiner Unterhaltung, und er zeigte ein grosses Verlangen, mit Allem, was uns betraf, vollständig bekannt zu werden, um uns, so viel in seinen Kräften stände, behilflich sein zu können. Fast täglich besuchte er uns in unserer Wohnung und bat uns, so oft zu ihm zu kommen, als wir nur immer konnten. Sein Palast in der Stadt lag dem des Königs beinahe gerade gegenüber, und hier besass 'Obejd einen grossen Garten, der neu und sehr hübsch angelegt war, denn bei Allem, was er unternahm, entwickelte er grosse Thätigkeit und zeigte nicht weniger Kraft, wenn es galt, einen Brunnen zu graben oder einen Graben zu leiten, als ein Dorf niederzubrennen und Ungläubige in Stücke zu hauen. In diesem Garten liess er gewöhnlich des Abends in der Nähe der Wände des Palastes Teppiche auf dem Boden ausbreiten, und hier pflegte er mit Freunden und Gleichgesinnten die ersten Stunden der Nacht zu verbringen. Zu diesen Soireen Hess er uns oft einladen und sprach dann in der Freiheit des Dunkels über Religion und Politik in einer Weise, welche am besten geeignet war, aus unsern Antworten unsere Ansichten und Meinungen kennen zu lernen. So gelangte er endlich, theils durch direkte Fragen, theils durch scharfe Beobachtung zu einer annähernd ziemlich richtigen Ansicht darüber, wer wir waren und was uns nach Hä'jel geführt hatte. Dies Alles fand um die Zeit unserer vertraulichen Zusammenkünfte mit ^Sämil und Teläl statt. Ein zur Schau tragen von Freundschaft, die weiter ging, als die Umstände zu fordern schienen, hatte uns schon einigermassen auf der Hut sein lassen, und gelegentliche Andeutungen von Seiten derer, die es redlich meinten, erweckte unser Misstrauen noch mehr; dies geschah aber erst kurz vor dem, als wir eine vollständigere Kenntniss von unserm gefährlichen Freunde erhielten. 'Abd-el-Mahsin war nicht mit in das Geheimniss gezogen worden, wir hatten uns wenigstens vorgenommen, ihm keine besonderen Mittheilungen über diesen Punkt zu machen. Vielleicht aber hatte er von Teläl etwas darüber gehört, oder sein natürlicher Scharfsinn und alte Erfahrung hatten ihn zu Vermuthungen geführt, die nicht weit von der Wahrheit entfernt waren. Wie dem aber auch sein mochte, so war er zu höflich, um uns merken zu lassen, dass er ein Incognito durchschaue, welches wir nicht für passend gehalten hatten, vor ihm zu entschleiern. Als er aber der Aufmerksamkeit inne wurde, welche 'Obejd uns schenkte, und unsere häufigen Zusammenkünfte mit diesem, bewog ihn Freundschaft oder Klugheit, uns zu warnen. Er machte uns deshalb mit der ganzen frühern Geschichte und der gegenwärtigen Stellung des Häuptlings bekannt und schloss damit, ihn als den eigentlichen Repräsentanten der der Regierung feindlichen oder Oppositionspartei in Schomer darzustellen. Was 'Abd-el-Mahsin sagte, be- stätigte 'Obejd selbst bald darauf in einer eigentbümlichen Weise, als er, wie die Meisten, welche blind dem Interesse einer Partei folgen, einmal für einen Augenblick seine Maske vergass und uns einen Blick in sein wahres Gesicht thun liess, — einen Augenblick, aber mehr als genügend. Eines Morgens hatte er mich zu einem Kranken in seinem Hause rufen lassen. Ich kam mit Barakät, der mich als Gehilfe begleitete. Hier im Palaste 'Obejds kamen wir mit ihm auf die Vorgänge in den benachbarten Paschaliks Syrien und Bagdad zu sprechen, auf christlichen Einfluss und mohammedanische Reaction. 'Obejd hielt eine Weile den unparteiischen Stil inne, den er gewöhnlich vor uns affectirte, und schien mit Vergnügen die Aussicht auf Fortschritt und Verbesserungen zu sehen, die sich für den Orient öffne. Plötzlich, wie mit einem elektrischen Schlage, gewannen seine wirklichen Gefühle über das angenommene Wesen die Oberhand; sein versöhnlichor Ton und seine süssen Phrasen verwandelten sich in die Sprache des Hasses und offener Herausforderung, und er brach in die heftigsten Verwünschungen gegen die Neuerer, Christen und Alle aus, die nicht fest an der alten Reinheit und Exclusivität des Islam hielten, bis er endlich mit einem schrecklichen Ausdrucke concentrirter Wuth sagte: „Ihr aber, wer ihr auch sein mögt, wisset, sollte mein Neffe und sein Volk und ganz Arabien abtrünnig werden, und auf der ganzen Welt nur noch ein einziger Muslim bleiben, so werde ich dieser Einzige sein." Dann auf einmal, da er wohl fühlte, dass er zu weit gegangen war, brach er ab, und ohne Uebergang oder Abstufung, wie die Veränderungen einer Scene auf dem Theater, nahm er wieder seine lächelnde Miene an und kehrte zu freundschaftlichem Plaudern zurück, als ob er nie einen Verdacht oder Unwillen gekannt hätte. Wir aber hatten genug gesehen und von dieser Stunde an waren*unsere Besuche und Verkehr mit ihm zu Ende. Bald darauf theilte uns Zämil mit, dass 'Obejd eine lange und geheime Unterredung mit Teläl gehabt und diesen über uns ausgeforscht habe, der ihm lange ausgewichen. Dadurch erklärte sich, weshalb der Fürst so lange zögerte, uns eine Antwort zu geben, und unsere zweite Audienz von Tag zu Tag aufschob. Ein an Geburt und Macht ihm Gleicher stand ihm im Wege, ein naher Verwandter und noch näherer Feind, der jedes Wort und jeden Schritt dem wahhabitischen Despoten hinterbringen konnte und hinterbrachte, und ihm ernste Schwierigkeiten bereiten konnte. In der That, seine Stellung war keineswegs angenehm, aber Teläl war nicht so leicht in Verlegenheit zu bringen; er nahm sich Zeit und ergriff seine Massregeln. 208 Die Pilgerstrasse in der Nähe von Medinah wurde durch herumschweifende Banden der Harb und Benu 'Atijah unsicher gemacht und Teläl hatte versprochen, diese zu züchtigen. Er beredete jetzt 'Obejd, der zu Kriegsarbeit immer bereit war, die Anführung einer Expedition gegen diese Räuber zu übernehmen, und meinte so ihn einige Tage von Hä'jel entfernen zu können. Es wurde Befehl gegeben, eine genügende Anzahl von Truppen zu sammeln. Hä'jel selbst stellte etwa einhundert Mann, ein gleiches Contingent stellte Kefär, und die umliegenden Dörfer wurden in Contribution gesetzt, bis etwa vierhundert Bewaffnete bereit waren, ins Feld zu rücken. Der allgemeine Sammelplatz war in der Nähe der Hauptstadt, vor dem nördlichen Thore, denn es ist Sitte, einige Meilen in der der wirklich beabsichtigten Richtung, welche hier nach Südwest war, entgegengesetzten Seite aufzubrechen. Auf diese Weise wird oft das Gerücht irre geführt und der Feind getäuscht. Aus demselben Grunde wird das eigentliche Ziel eines Zuges auch gewöhnlich vor den Soldaten selbst geheim gehalten, welche nur ganz im Allgemeinen wissen, dass sie marschiren und sich schlagen sollen. Als der Tag des Aufbruchs kam (es war der 4te September), liess 'Obejd sein Zelt auf der Ebene ausserhalb der nördlichen Mauern aufschlagen und hielt hier Musterung über seine Truppen. Etwa ein Drittheil war zu Pferde, die Uebrigen ritten leichte und schnelle Kamele ; Alle hatten Speere und Flinten, die Vornehmen auch noch Säbel, und wenn sie so über den Paradeplatz ritten und manövrirten, war der Anblick sehr malerisch und leidlich kriegerisch. 'Obejd entfaltete nun seine eigene, ihm eigenthümliche Standarte, in welcher die den Islam unterscheidende grüne Farbe streifenweise auf dem weissen Grunde des alten Banners von Neged angebracht war, der vor vierzehn Jahrhunderten schon von 'Omar-ebn-Kelthum, dem Dichter von Taghieb und vielen Andern erwähnt wird. Barakät und ich mischten uns unter die Menge der Zuschauer. 'Obejd sah uns; wir waren jetzt schon seit mehreren Tagen nicht mit ihm zusammengekommen. Ohne zu zaudern, ritt er in leichtem Galopp an uns heran, reichte uns die Hand zum Abschied und sagte: „Ich habe gehört, dass ihr nach Riad zu gehen beabsichtigt; dort werdet ihr 'Abd-Allah, den ältesten Sohn Fejsals, treffen; er isfmein besonderer Freund, ich würde mich sehr freuen, euch in hoher Gunst bei ihm zu sehen und habe deshalb in euerer Angelegenheit einen Brief an ihn geschrieben, den ihr ihm selbst überbringen mögt; ihr werdet ihn in meinem Hause finden, wo ich ihn einem meiner Diener für euch über- 209 geben habe." Dann versicherte er uns, wenn er uns bei seiner Rückkehr noch in Hä'jel fände, würde er fortfahren, uns in jeder Weise seine Freundschaft zu beweisen; wenn wir aber nach Neged weiter reisten, würden wir an 'Abd-Allah einen aufrichtigen Freund finden, besonders wenn wir ihm den Brief überbrächten. Er nahm dann Abschied mit einer scheinbaren Herzlichkeit, über welche die Umstehenden erstaunten. So blieb er bis zuletzt der niedrigsten Verstellung treu, der er nur für einen Augenblick zuwidergehandelt hatte. Der Brief wurde uns noch an demselben Nachmittage von seinem Diener überbracht, dem er während seiner Abwesenheit die Aufsicht über Haus und Garten anvertraut hatte. Meine Leser werden ohne Zweifel begierig sein, zu erfahren, welcher Art die Empfehlung war, die uns 'Obejd zukommen liess. Sie war auf ein kleines Stück dickes Papier geschrieben, etwa vier Zoll lang und eben so breit, sorgfältig zusammengebrochen und mit drei Siegeln versehen. Wir hielten es jedoch der Vorsicht angemessen, erst Vti dem Inhalte des Schreibens Kunde zu nehmen, ehe wir es an den Ort seiner Bestimmung brächten; wir lösten daher die Siegel vorsichtig ab, so dass wir sie, wenn nöthig, wieder in der gehörigen Form anbringen konnten, und lasen nun die fürstliche Schurkerei. Ich gebe hier eine wörtliche Uebersetzung: „Im Namen Gottes des Erbarmenden des Erbarmers; Wir 'Obejd-ebn-Raschid grüssen Euch, o 'Abd-Allah, Sohn des Fejsal-ebn-Sa'üd, und Friede sei auf Euch und die Gnade Gottes und sein Segen." (Dies ist ohne Ausnahme der Anfang aller wahhabitischen Briefe, bei welchen alle bei andern Orientalen üblichen Höflichkeitsformeln durchgängig wegbleiben.) „Hierauf", so fuhr das Do-cument fort, „benachrichtigen wir Dich, dass die Ueberbringer dieses Schreibens Selim-el-'Ejs und sein Kamerad Barakät-esh-Schämi, welche vorgeben, dass sie einige Kenntniss besitzen in der Kunst der —" (hier folgt ein Wort, welches eben so wohl Arzneikunde, als Zauberei bedeuten kann, in Neged aber gewöhnlich im Sinne des letztern gebraucht wird, welche in Riad für ein Hauptverbrechen gilt.) „Nun möge Gott verhüten, dass wir jemals hören, es habe Euch ein Unglück betroffen. Wir grüssen auch Euren Vater Fejsal und Eure Brüder und Eure ganze Familie, und erwarten sehnlichst von Euch Nachricht als Antwort. Friede sei mit Euch!" Hier folgt Unterschrift und Siegel. Eine hübsche Empfehlung, namentlich unter den gegenwärtigen Umständen. Indessen, noch nicht zufrieden damit, fand 'Obejd auch 210 Mittel, noch andere Nachrichten über uns, und alle in demselben Tone, nach Riad gelangen zu lassen, wie wir später entdeckten. Dass sein Brief nicht aus unsern Händen kam, habe ich kaum nöthig zu sagen, und ich besitze ihn noch, als ein interessantes Autograph, eben so einen, welchen ich von 'Abd-Allah erhielt. Hätten wir den Brief abgegeben, so würden wir höchst wahrscheinlich im günstigsten Falle noch jetzt in irgend einem Gefängnisse in Neged schmachten; jetzt nutzte er uns wenigstens in so fern, als wir daraus sahen, wessen wir uns an dem wahhabitischen Hofe zu versehen und wie wir uns zu benehmen hatten. Ohne den Brief selbst Zämil zu zeigen, Hessen wir ihn gelegentlich wissen, dass 'Obejd uns ein Empfehlungsschreiben an Fejsals Sohn gegeben hätte. Zämil, welcher fürchtete, dass wir 'Obejds Absichten weniger durchschaut hätten, als in der That der Fall war, bat uns inständigst, den Brief nicht zu überbringen, dessen Inhalt er sehr wohl errieth. Wir versprachen ihm, vorsichtig zu sein, sagten ihm aber nicht mehr, zufrieden mit diesem neuen Beweise seiner Aufrichtigkeit. 'Obejd war nun fort und Teläl fühlte sich nun frei, in unsrer Sache vorwärts zu gehen. Am 6ten September endlich erhielten wir eine Einladung zu einer geheimen Zusammenkunft in Zämils K'häwah, eine Stunde nach Mittag. Als wir dort ankamen, wurde ein Sclave an der äussern Thüre aufgestellt, um jede Unterbrechung durch ungelegenen Besuch zu verhüten. Wir hatten noch keine zehn Minuten gewartet, als Teläl kam, von zwei Bewaffneten begleitet, die vor der Thür blieben. Er war einfach gekleidet, sein Blick war ernst, selbst ernster als gewöhnlich; er setzte sich, und nach einem Schweigen, welches wir nicht zu unterbrechen wagten, erhob er sein Auge, sah mir fest ins Gesicht und sagte: „Ihr werdet nicht so unklug sein, eine formelle und offizielle Antwort auf Eure Mittheilungen von 'mir ' zu verlangen, die ich, wie die Sachen jetzt stehen, nicht geben kann. So viel aber sage ich, Teläl, meines guten Willens und meiner Unter- Stützung könnt Ihr für immer versichert sein. Jetzt müsst Ihr Eure Reise fortsetzen; Ihr mögt aber zurückkehren, wie und wann Ihr wollt, und ich hoffe, es soll bald geschehen, so soll Euer Wort hier als Gesetz gelten, und was Ihr wünschen werdet, das soll geschehen, so weit meine Macht reicht. — Ist dies genug?" setzte er noch hinzu. Ich entgegnete, dies sei mehr, als ich verlangen könnte, und wir gaben einander die Hand. Er erklärte hierauf, dass er nichts dagegen einzuwenden habe, wenn 211 wir die Hauptstadt der Wahhabiten besuchen wollten, er empfehle uns aber klug und vorsichtig zu sein, wir würden in Riad unter den Hochgestellten wie unter den Niedern nicht leicht Jemand finden, dem wir trauen dürften. Dann setzte er noch hinzu, 'Obejd werde bald zurückkehren, es würde daher gut sein, wenn wir keine Zeit mehr verlören, er habe bereits einigen Reisenden aus Kasim, die nach Berejdah gingen, Befehl gegeben, uns mitzunehmen, sie seien bereit und erwarteten nur unsere Befehle. Er war offenbar in einiger Besorgniss um das Resultat unserer Expedition, sowohl für sich selbst als für uns, und schien unsere Weiterreise für gewagter zu halten, als wir damals noch selbst. Seine Furcht war auch keineswegs unbegründet, wie sich zeigte, als wir uns ei-st auf dem Gebiete von Neged befanden. Ich fragte ihn, eigentlich mehr nur um ihn auf die Probe zu stellen, ob er uns nicht ein Empfehlungsschreiben an den wahhabitischen Monarchen geben wolle. „Dies würde Euch wenig nützen", sagte er, „eine Empfehlung von meiner Seite würde ihn kaum zu Euren Gunsten stimmen." Anstatt dessen aber diktirte er Zämil, denn Teläl selbst ist kein fertiger Schreiber, einen Geleitsbrief, der hinreichte, uns wenigstens innerhalb seines Gebietes und auch noch über die Grenzen desselben hinaus gute Aufnahme zu sichern. Ich theile denselben hier in der Uebersetzung mit: „Im Namen Gottes des Erbarmers: Wir Teläl-ebn-Raschid, allen unsern Unterthanen in Schomer; Friede sei mit Euch und das Erbarmen Gottes. Wir thun Euch hiermit kund, dass die Träger dieses Schreibens, Selim-el-'Ejs-Abu-Mahraud und sein Gehilfe Barakät, Aerzte sind, die ihren Lebensunterhalt in Ausübung ihrer Kunst suchen, mit der Hilfe Gottes und unter unserm Schutze reisen-, es soll ihnen daher Niemand hinderlich oder zugegen sein. Friede sei mit Euch." Als dies geschrieben war, heftete Teläl sein Siegel an und stand auf, um uns mit Zämil allein zu lassen, schüttelte uns noch einmal die Hand und wünschte uns glückliche Reise und baldige Rückkehr. Wir hatten damals auch wirklich die Absicht, über Hä'jel zurückzukehren , später eintretende Umstände aber bewogen uns, einen andern und lehrreichern, obwohl längeren Weg einzuscnlagen. Jetzt hatten wir nur noch die Anstalten zur Abreise zu treffen; wir hatten Scho- 212 mer und dessen Hauptstadt und ihre Bewohner hinlänglich kennen gelernt, während der grössere Theil unserer Reise noch vor uns lag und der Herbst heranrückte. Ein längerer Aufenthalt in Hä'jel konnte übrigens für uns, wie für Teläl selbst gefährlich werden; denn wir waren von Spionen 'Obejds und Fejsals beobachtet, und ebenso der Monarch selbst. Die Kaufleute aus Bagdad, welche in der Stadt I. 11 eine Körperschaft bilden, die nicht ohne Einfluss ist, sahen uns mit scheelen Augen an, weil sie uns wirklich für Damascener hielten, gegen welche die Schij'ais eine erbliche Feindschaft hegen, die zwölf Jahrhunderte eher geschärft, als geschwächt haben. Obwohl sie daher in vielen Stücken eine von den wahhabitischen Sektirern sehr verschiedene Ansicht hegen, stimmten sie doch mit diesen in dem einen Punkte überein, dass sie uns ungern sahen und uns alles mögliche Schlimme nachsagten, wenn sie es irgend mit Seicherheit' thun konnten, nemlich unter sich und hinter unserm Rücken. Dazu kam noch, dass mein Vorrath an Arzeneien nicht sehr gross war und ich fürchten musste, wenn ich an einem Orte zu viel davon absetzte, mir dann für die übrige lange Reise zu wenig für unsere Praxis übrigbliebe. Endlich versteht sich fast von selbst, dass Teläls guter Rath, uns aufzumachen, in unserer Lage vollständig einem Befehle gleichkam. Bei alledem that es mir doch leid, die hübsche Stadt zu verlassen, wo wir sicher manche aufrichtige Freunde hatten, die uns von Herzen Gutes wünschten, um in Gegenden zu gehen, in denen wir keineswegs eine gleichgünstige Aufnahme, ja nicht einmal Sicherheit für unsere Person erwarten konnten. In der That, Alles, was wir von dem wahhabitischen Neged hörten, war so ominös, die Landschaft vor uns so schwarz, je näher wir kamen, dass ich meinen Entschluss fast bereuete und beinahe gesagt hätte : „Bis hieher und nicht weiter." Aber wir waren bereits so weit gegangen, dass es ein unverzeihlicher Mangel an Muth gewesen wäre, wenn ich jetzt hätte umkehren wollen. Kaum hatte Teläl das K'häwah verlassen, als wir Zämil fragten, wo wir unsere Reisegefährten finden könnten. Er antwortete, sie hätten Befehl, sobald wir es verlangten, zu uns zu kommen, und würden 213 unfehlbar sich uns noch an diesem Tage in unserm Hause vorstellen. Noch vor Abend klopften drei Männer an unsere Thür; es waren unsere künftigen Führer. Der älteste, Namens Mubärek, war aus der Gegend von Berejdah, alle drei waren ächte Söhne von Kasim, dunkler und von kleinerem Wüchse als die Bewohner Hä'jels, machten aber keinen üblen Eindruck. Mubärek sagte uns, ihre Abreise von Hä'jel sei anfänglich für Morgen, den 7ten, bestimmt gewesen, wegen einiger Verzögerung ihrer Gefährten aber, denn es war eine ziemlich grosse Gesellschaft, mussten sie noch bis zum 8ten oder 9ten warten. Solche Verzögerungen sind im Orient etwas sehr Gewöhnliches und bei der Art zu reisen unvermeidlich; man muss immer darauf gefasst sein und sie nehmen wie sie eben kommen, wenn man sich nicht durch Ungeduld lächerlich machen will. Wir handelten nun mit Mubärek um die Miethe für zwei Kamele für uns und unsere Habe; der Preis war wirklich lächerlich gering, selbst wenn man den verhältnissmässig hohen Werth des Geldes in diesen Gegenden in Anschlag bringt, und wir waren froh, zu sehen, dass die Höflichkeit und Gesprächigkeit unserer neuen Führer uns eine angenehme Reise versprachen. Wir hatten bald alle nöthigen Anordnungen für unsere Reise getroffen, einige kleine Schulden eingetrieben, unsere Apotheke eingepackt uud es blieb nun nichts mehr übrig, als der Abschied von unseren Freunden. Von Meta'ab hatten wir uns schon vor einigen Tagen verabschiedet, als er Hä'jel verliess, um wieder nach dem Weidelande zu gehen; auch von Teläl hatten wir Abschied genommen, noch nicht aber von seinem Jüngern Bruder Mohammed, der uns herzlich alles Gute wünschte. Die meisten meiner alten Bekannten oder Patienten, der Kaufmann Dohej', der Richter Mohammed, Dohejm und seine Familie, unsern ersten Freund, den Kammerherrn Sejf, nicht zu vergessen, der Reiteroffizier Sa'id und andere Hofbeamtete, Freie und Sclaven, Weisse und Schwarze (denn die Neger folgen leicht der Richtung, welche ihnen ihre Herren angeben, und sind nicht undankbar, wenn man sie freundlich und mit Rücksicht auf ihre Stellung behandelt) und viele Andere kamen, uns ihr Bedauern über unsere Abreise und die Hoffnung auf baldiges Wiedersehen auszudrücken. Auch 'Abd-el-Mahsin, von Bedr, dem ältesten Sohne Teläls, begleitet, kam kurz vor Abend, um uns noch einmal zu sehen und glückliche Reise zu wünschen. Er war die ganze Zeit über unser täglicher und immer willkommener Gesellschafter gewesen, und sein gebildeter Geist nnd leichte Beredt-samkeit hatten viel dazu beigetragen, unsern Aufenthalt angenehm zu machen, und das Gefühl von Alleinsein, welches Einen in einem fremden Lande, selbst im Gedränge von Menschen, fast immer überkommt, zu mildern. Der kleine Bedr war ganz so wie sein Vater in diesem Alter gewesen sein musste; wir hatten ihn bei einem leichten Fieberanfalle, wie in diesem Alter nicht selten ist, gepflegt, und unser kleiner Patient zeigte eine Dankbarkeit und Anhänglichkeit, mehr als vielleicht unter Kindern, wenigstens vornehmen, gewöhnlich ist, während seine bescheidenen und höflichen Sitten der Erziehung an einem europäischen Hofe Ehre gemacht hätten. 'Abd-el-Mahsin versicherte uns, im Namen Teläls und in seinem eigenen, dass uns die besten Wünsche des ganzen Hofes begleiteten. Als die Nacht einbrach, unsere letzte Nacht in Hä'jel, hatten wir noch einen wichtigen Besuch anzunehmen. Als es dunkel wurde, kam Zämil, und nachdem er seinen Neger Suejlim an dem Thore aufgestellt, damit kein Unberufener hereinkäme, blieb er noch lange in traulichem Gespräche bei uns, versprach seine Unterstützung und Mitwirkung für Alles, was die Zeit bringen würde, empfahl uns nochmals die grösste Vorsicht unter den Wahhabiten, machte uns auf mögliche Gefahren aufmerksam und wie wir dieselben vermeiden oder wenigstens verringern könnten und nahm uns endlich das Versprechen ab, ihm von Riad aus einige Zeilen zu senden, in denen wir ihn und seinen Herrn, unter Phrasen und Worten, die scheinbar eine medizinische Bedeutung hätten, sowohl über unser Befinden und persönliche Sicherheit, als auch über den Erfolg unserer Geschäfte in der Hauptstadt zu benachrichtigen. Wir baten ihn, Teläl ebenfalls zu versichern, dass wir volles Vertrauen in ihn, sein Wort und seine Ehre setzten und dass er sich auf unsere Discretion und Vorsicht in Wort und That verlassen könne. Früh am nächsten Morgen, vor Tagesanbruch, war Mubärek mit einem seiner Landsleute, Nameus Dahesch, mit den Kamelen vor unserer Thür. Auch einige unserer Freunde aus der Stadt waren gekommen, selbst zu dieser frühen Stunde, um uns bis weit vor das Thor der Stadt zu begleiten. Wir bestiegen unsere Thiere, und als die ersten Strahlen der Morgensonne die Ebene erleuchteten, schritten wir durch das südwestliche Portal des Marktplatzes, am 8ten September 1862, und verliessen die Stadt Hä'jel. 216 Sechstes Kapitel. Reise von Hä'jel nach Berejdah. Ein neues Stadium ttnserer Heise — unsere Reisegefährten — Pferdehandel zwischen Schomer und Kowejt — Grenzen des Gebel 'Aga' — 'Ejn Theggägah — Thal zwischen 'Aga und Solma — Abenteuer mit Beduinen vom Stamme Harb — Grab des Hatim et - Tai — dessen Geschichte — Anekdote — Fejd — der Statthalter und sein Gerichtshof — Beschreibung des Städtchens — Lager der Solibah — das obere Kasim — Beschreibung des Landes — arabische Dich ter — Neged — Vegetation — Quellen — Wasserscheide des nördlichen Arabiens — Thierwelt j— Kefa — Kosejbah — Kowärah — Grenzendes Wahhabitenreichs — das niedere Kasim — ein Blick auf Arabien im Allgemeinen — Spaltungen und Vereinigungen vor, unter undnaeh Mohammed — Zeit der Khalifen — Eifersucht zwischen Neged und Hegäz — theilweise Unabhängigkeit von Schomer und Centraiarabien — Verlegung des Khalifats nach Bagdad — Folgen — Karmathen — Lossagung Arabiens von den Khalifen — Ebn-Därim — neues Heidenthum in Kasim — Charakter des arabischen Heidenthums — die Steine bei 'Ejün — Topographie — Bebauung des Bodens, Palmen, Baumwolle, narkotische Pflanzen im niedern Kasim — Charakter der Einwohner — Verkehr mit dem Hegäz — dessen Folgen — Derwische aus Kabul — über die Verkleidung mancher Reisenden als Derwische — deren Unzweckmässigkeit — tragischer Zwischenfall -- Gesinnung der Araber gegen Christen im Allgemeinen und gegen Europäer insbesondere — 'Ejün — Abendmahlzeit bei Folejh — Weg nach Berejdah — Ghät — blinder Lärm — Ansicht von Berejdah in der Ferne — Dowejr — Mubäreks Hütte — Familienleben. Drei Stationen unseres Weges, von Gaza nach Ma'än, von Ma'än nach dem Gauf, vom Gauf nach Hä'jel, waren nun zurückgelegt; allerdings nicht ohne Mühe und Beschwerden, aber doch mit verhältniss-mässig geringer Gefahr für unsere Person. Eine Reise freilich, mitten im Hochsommer durch die steinige Wüste der nördlichen Grenzländer 217 oder die sandigen Nefud, wo in der wasserlosen Einöde der Durst allein hinreicht, den Reisenden, ja selbst manchen Beduinen, eben so sicher für immer verschwinden zu lassen, wie ein Lanzenstoss, oder eine Kugel aus einer Flinte, kann nicht ganz gefahrlos genannt werden. Wenn aber auch die Natur unfreundlich war, so hatten wir uns doch bis jetzt über die Menschen noch wenig zu beklagen. Die Beduinen auf unserem Wege, obgleich roh und ungeschlacht in ihrem Wesen, hatten sich, mit einer einzigen Ausnahme, gut gegen uns benommen und die Städter hatten sich im Allgemeinen über un- sere Erwartung freundlich und höflich erwiesen. Einmal im Gebiete Ebn Raschids hatten auch wir Antheil an der allgemeinen Sicherheit des Lebens und Eigenthums, deren sich hier Reisende wie Einwohner erfreuen, und fühlten uns frei von jener beständigen Angst, deren sich der Reisende in Syrien, selbst auf der grossen Strasse zwischen Damaskus und Aleppo, nie ganz entwehren kann. Bis hieher war, mit Gottes Hilfe, der Erfolg unserer Reise glücklich gewesen. „Beurtheile den Tag nach seiner Dämmerung", sagen die Araber; und obgleich dieses Sprichwort, wie alle Sprichwörter, sich nicht immer als vollständig wahr erweist, was Sonnenschein und Wolken anbelangt, so hat es doch zu Zeiten seinen Werth. Und so, wie Schlimmes uns auch unsere Freunde hinsichtlich des innern Neged und seiner Bewohner voraussagen oder andeuten mochten, wir hatten die Zuversicht, dass eine so glückliche Vergangenheit auch für die Zukunft nur Gutes hoffen lasse. Physische und materielle Schwierigkeiten wie die, mit denen wir früher zu kämpfen hatten, waren jetzt weniger zu fürchten. Die heissen Tage des Sommers waren vorüber und die kühlere Jahreszeit trat nun ein; ausserdem führte unser Weg nun durch das hohe Plateau von Centraiarabien, dessen nördlichen Rand wir bereits bei unserem Eintritt in Gebel Schomer überschritten hatten. Auch war zwischen Hä'jel und Riad kein unbebauter oder sandiger Landstrich wie die Nefud; im Gegentheil, wir konnten Weideland und bebauten Boden erwarten, mit Dörfern und Wohnungen, frischer Bergluft und Wasser zur Genüge, wenn auch nicht im Ueberflnss. Unsere Reisegefährten waren nicht mehr blosse Beduinen und Wilde, sondern an das Leben in Städten und Dörfern gewöhnte Leute, Glieder einer organisirten 2is Gesellschaft. Dies Alles war nicht allein errauthigend, sondern übte sogar einen gewissen Reiz auf uns, und im Uebrigen vertrauten wir, dass die Vorsehung, die uns so weit glücklich geführt hatte, uns auch durch die Schwierigkeiten, welche uns durch die Engherzigkeit der wahhabitischen Regierung entstehen konnten, glücklich bis ans Ende leiten werde. Zunächst wussten wir, dass unser Weg noch fünf bis sechs Tage innerhalb der Grenzen Teläls lag, uud so weit waren wir auf jeden Fall vor allen Gefahren sicher. So traten wir denn unsere Reise mit dem besten Muthe an. Als wir von unseren Freunden in Hä'jel zum letzten Mal Abschied genommen und einander noch in der Ferne lange zugewinkt hatten, setzten wir unsern Weg durch die Ebene fort, welche ich schon oben beschrieben und in der wir oft unsere Morgenspaziergänge gehalten hatten; aber anstatt dem südwestlichen Wege nach Kefär zu folgen, dessen Haine und Dächer in einer wirren Masse vor uns lagen, wendeten wir uns nach Osten und umgingen, zwar in einiger Entfernung, die äussere Mauer von Hä'jel, beinahe eine halbe Stunde lang, bis wir endlich die südöstliche Richtung einschlugen, über steinigen Boden, wo einzelne Brunnen, jeder mit einer Gruppe von Gärten und Häusern umgeben, dem Auge Abwechselung gewährten. Endlich erreichten wir einen engen Pass, der sich zwischen den Klippen des Gebel 'Aga' hinwindet, welches Hä'jel von allen Seiten umschliesst, und hier wen- deten wir uns noch einmal nach dem Orte um, wo wir uns mehrere Wochen lang fast wie zu Hause gefühlt hätten. Bis jetzt waren unsere Gefährten nur Mubärek und Dahcsch, die Uebrigen, deren Gepäck und Equipirung nicht so schnell geordnet war, als die unsrige, waren zurückgeblieben. Dies konnte jedoch nicht so fortgehen, und nachdem wir uns einige Stunden durch die Gebirgsschluchten hingewunden, machten wir gegen Mittag in einer kleinen, mit Sträuchern bewachsenen Ebene Halt, wo unsere Kamele Weide und wir Schatten fanden, um hier unsere säumigen Reisegefährten zu erwarten. Es währte nicht lange, als sie kamen; eine sehr bunte Schaar, etwa zehn von ihnen aus Kasim, Einige aus Berejdah selbst, die Uebrigen aus den benachbarten Städten 'Ejün, Rass und Schebejbijah; 219 zwei von der Gesellschaft gaben sich — mit feierlicher Bethcurung der Wahrheit — für Eingeborne von Mekka aus; drei waren Beduinen, von denen zwei vom Stamme Schomer, der dritte ein 'Anezah aus dem Norden; ferner ein Neger mit vier Pferden, die er nach Kowejt am persischen Meerbusen brachte, um sie dort nach Indien zum Verkauf einzuschiffen; ferner zwei Kaufleute, Einer aus Zalphah in der Provinz Sedejr, der Andere aus Zobejr bei Basrah; endlich zwei Frauen, die, ich weiss nicht genau, wem von der Karawane angehörten, mit einigen kleinen Kindern: diese Alle zusammen, uns mit eingeschlossen, bildeten eine Bande von siebenundzwanzig oder achtundzwanzig Personen, die Meisten auf Kamelen, Einige zu Pferde, von einigen nebenbei geführten Lastthieren begleitet. „Je mehr, desto lustiger", sagt das Sprichwort; und so war es bei den Meisten von unserer Gesellschaft, mit Ausnahme der Beiden, die sich für Mekkaner ausgaben, Mohammed und Ibrahim, zwei grämliche Kerle, die in einem fort klagten, zankten und tadelten. Sie sagten, dass sie einen Handel mit Getreide betrieben, durch die letzte Ueberschwemmung aber, welche im Sommer 1861 beinahe ein Drittheil der heiligen Stadt wegriss oder beschädigte, Alles verloren hätten und seitdem beständig auf Reisen seien, von Ort zu Ort, von Häuptling zu Häuptling, um durch die Freigebigkeit oder Gläubigkeit ihrer Landsleute so viel zu erhalten, dass sie bei der Rückkehr in ihre Vaterstadt ihre Schulden bezahlen könnten. Ihre Angaben aber litten sehr an innerlichen Unwahrscheinlichkeiten, und wenn dergleichen aufgestochen wurde, wie öfters geschah, so hatten sie gleich eine andere Geschichte bei der Hand, von Mord und Todtschlag u. s. w., die wahrscheinlich eben so erlogen war. Kurz, sie waren nichts Anderes, als Bettler und Betrüger, und so viel wir aus einigen Umständen schliessen konnten, die keine genauere Erwähnung verdienen, war Mohammed ein Koch aus Kairo und Ibrahim ein bankruttirter Kaufmann aus der Gegend von Gaza. Sie waren jedoch mit Mekka ziemlich bekannt und wussten viel über diesen Ort zu sagen und konnten mir daher mancherlei Interessantes über die Wallfahrt und was mit dieser zusammenhängt, mittheilen. Diese beiden Ehrenmänner schenkten uns das zweideutige Vergnügen ihrer Gesellschaft, nicht nur auf dem ganzen Wege bis Berejdah, sondern sogar bis nach Riad, wo sich Ibrahim — meine Leser werden veheu, wenn c rehizi dem Reihenlaufe der Ereignisse einen Augenblick vorgreife, noch dadurch besonders auszeichnete, dass er uns zum Abschiede einen unserer Sattelsäcke stahl. Einstweilen beanspruchten sie von allen Seiten grosse Hochachtung, wegen ihres angeblichen Ursprungs aus der mohammedanischen Hauptstadt; da sie aber im ganzen Neged nicht fanden, was sie erwarteten, wo Mekka und die Mekkaner in keinem besondern Ansehen stehen, machten sie hrer üblen Laune durch bittere Klagen Luft, die freilich sehr wenig wirkten. Der 'Anezah - Beduine, Ghäschi, war ganz das Gegentheil von ihnen und ein sehr unterhaltender Bursche. Obwohl noch jung, hatte er doch das ganze Land zwischen Anatolien und Jemen durchstreift, viele Städte besucht und unzählige Häuptlinge und Stämme kennen gelernt, unter denen auch Einige, wie ich bald zu meiner nicht geringen Bestürzung fand, mit denen ich selbst während meines Aufenthalts in Syrien genau bekannt geworden war. Es war allerdings ein merkwürdig glücklicher Zufall, dass Ghäschi und ich nicht unter den Zelten des Färis-ebnHodejb oder Ha'il-ebn-Gandal unter den Sebaa' oder den Soä'limah zusammengetroffen waren, sonst hätte eiue Erkennungsscene stattfinden können, die für uns schlimmere Folgen haben musste, als die mit unserm damascenischen Bekannten in Hä'jel. Der Kaufmann aus Zobejr und sein Begleiter waren höfliche und verständige Leute und ziemlich gesprächig; sie erzählten uns Vieles, was der Mühe lohnte, anzuhören, und theilten uns Ansichten und That-sachen mit, die bei passender Gelegenheit in das bunte Gewebe dieser Erzählung verflochten sind. Unter den Eingebornen von Kasim selbst galt der Eine, Namens Folejh, aus dem grossen Dorfe 'Ejün, der eine reiche Kleidung trug und ein schönes Pferd ritt, bei Allen als der Vornehmste in der ganzen Karawane. Er gehörte einer der alten und adeligen Familien seiner Provinz an und war ein Grundeigenthümer von mehr als gewöhnlichem Reichthum. Wenn wir 'Ejün erreichen, werden wir bei einer Abendmahlzeit seine Gäste sein. Die übrigen Mitreisenden zeichneten sich durch nichts Besonderes aus, es waren ruhige Leute, die mit ihren kleinen Geschäften zu thun hatten, Leute, wie man alle Tage sieht und wieder vergisst. Eine Ausnahme nur bildete der Neger Ghorra, ein ganzer, halb verrückter Afrikaner, der seinem Herrn in Medinah davongelaufen war und in Hä'jel bei Teläl eine Art Schutz gesucht und gefunden hatte und jetzt, mit Recht oder nicht, im Besitz seiner Freiheit war. Ein reicher Handwerker in Schomer hatte ihm vier schöne Pferde anvertraut und Ghorra, im Genüsse seiner neu erlangten Würde als freier Mann und Pferdeknecht, tanzte, grinste, sang und erlustigte sich auf alle andere Art durch mancherlei Streiche und Erzählung von so ausserordentlichen und unbegreiflichen Lügen, dass die ernsteren Araber sich oft über ihn ärgerten. In Berejdah trennte er sich von uns, wir fanden ihn aber in Riad wieder, wo er einige Tage vor uns angekommen war, in der kurzen Zeit aber sich bereits den Ruf erworben hatte, der grösste Lügner zu sein, den die Hauptstadt von Neged jemals gesehen. Meine Leser möchten vielleicht gern etwas über den Pferdehandel zwischen Arabien und Indien erfahren. Ich werde später, wenn wir die östliche Küste erreichen, eine bessere Gelegenheit haben, diesem Wunsche zu willfahren, hier will ich nur vorläufig bemerken, dass mehr als die Hälfte der von Arabien nach Bombay ausgeführten Pferde in dem Hafenorte Kowejt eingeschifft werden, namentlich seitdem der Verkehr dieser kleinen lebhaften Stadt seit einigen Jahren in beständigem Wachsthume begriffen ist. Die Thiere selbst sind in der Regel aus dem nördlichen Arabien oder der syrischen Wüste, und von acht arabischer Rasse, obwohl nicht aus dem Neged. Worin der Unterschied zwischen den gewöhnlichen arabischen Pferden und denen aus dem Neged besteht, inwiefern letztere den Vorzug verdienen, wo sie gefunden werden und wohin sie kommen, werde ich unten genauer erörtern, wenn wir diese edlen Geschöpfe im Herzen von Neged selbst treffen werden. Aber auch die Pferde von Schomer oder die 'Anezah-Rasse sind in jeder Beziehung edle Thiere, und solche waren die, welche Ghorra jetzt nach Kowejt führte. So zusammengeschaart zogen wir miteinander, bald zwischen Granitfelsen dahin und bald durch grasige Thäler, bis wir gegen Sonnenuntergang unter einem hohen Abhänge am äussersten südlichen Rande des Gebel 'Aga' oder, nach dem neuern Sprachgebrauch, Gebel Schomer, Halt machten. Das Gebirge streckt sich hier nach beiden Seiten hin weit hinaus, aber vor uns lag eine weite offene Ebene, die volle zwanzig (engl.) Meilen im Durchmesser hat, südwärts von der langen blauen Kette des Gebel Solma begrenzt, deren Linie parallel mit den Höhen läuft, die wir jetzt eben verliessen und die zu derselben Formation und Felsenmasse gehört, welche man gewöhnlich schlechthin die Gebirge von Tä'i oder Schomer nennt. Solma ist jedoch an Höhe und Ausdehnung dem 'Aga' nicht gleich, denn während die letztere Gebirgskette beinahe zwei Drittheile, der ganzen Halbinsel in einer fortlaufenden Linie durchschneidet und an manchen Punkten eine Höhe von 1400 Fuss über die Ebene erreicht, scheint Solma nur einen Kamm von etwa höchstens sieben- bis achthundert Fuss zu haben und bricht 222 überdies in der Mitte seines Laufes ab, so dass unser Weg,, der ziemlich genau als Durchmesser oder mittlere Section des Distriktes Schomer angesehen werden kann, die Höhen von Solma gerade da durchschneidet, wo sie zur linken Seite aufhören, und so, an dem öst-. liehen Rande hin, in das niedere Land hinabführt, dahingegen wir Gebel 'Aga' in der Mitte seines Laufes durchschnitten hatten. Hier — wo wir jetzt Halt machten, um unsere Abendmahlzeit einzunehmen, am Fusse des 'Ä£a' — war eine Quelle mit klarem Wasser, die nicht unverdienterweise von den Leuten des Landes 'Ejn-eth - Theggägeh,, zuweilen auch Nebbägeh, oder „die im Ueberfluss sprudelnde Quelle" genannt wird. Der Vollmond stieg im Osten über der grossen, dem offenen Meere gleichen Ebene auf; wir zündeten unsere Feuer an und bereiteten unser Mahl. Dieses war ziemlich einfach — ungesäuertes Brod und Kaffee, als einzige Zukost einige Datteln, mit denen wir uns in Hä'jel versorgt hatten; keine andere Art von Provision kann die Hitze der Tagesreise in diesem Klima ertragen. Es war allerdings im September, aber der September in Arabien ist nicht wie in England oder Deutschland, wenn auch in diesem Hochlande die Temperatur kühler war1, als der südliche Breitegrad an und für sich uns erwarten liess. Die Mahlzeit war kaum zu Ende und eine Pfeife geraucht, als wir wieder unsere Kamele bestiegen und gemächlich in dem glänzenden Mondenlicht weiter ritten, bis dieses allmälig* mit der Morgendämmerung zusammenfloss. Unsere Marschlinie durchschnitt die Ebene im rechten Winkel mit ihrer Länge, und während wir im täuschenden Glänze der Strahlen des Mondes weiter ritten, verloren wir bald jede deutliche Ansicht der Gebirge vor uns und hinter uns und schienen uns in der Mitte eines grossen weissen Sees zu befinden, wo Flecken von dunklem Grün, die durch eine Art Ginster oder einen ähnlichen Strauch gebildet wurden, wie Inseln ringsherum im Wasser lagen. Der Boden ist hier ein leichtes, mit Sand gemischtes Erdreich und bleibt so bis in das obere Kasim; er ist nicht unfruchtbar, hat aber wenig Wasser und bietet zwar leidliches Weideland für Heerden, aber zu wenig Bewässerung für den Bedarf eines Dorfs. Endlich sanken wir, ziemlich müde und schlaftrunken, um den arabischen Ausdruck wörtlich wiederzugeben, von unsern Kamelen auf den Boden herab und überliessen uns in den kurzen kühlen Stunden der späten Nacht und des frühen Morgens dem Schlafe. Den ganzen nächsten Tag, bis gegen vier Uhr Nachmittags, ritten wir immer in der grossen Ebene. Hier geriethen wir in eine 223 Gefahr, die mir und meinem Gefährten ganz unerwartet kam, gegen welche aber die erfahreneren Leute aus Kasim schon längst auf der Hut waren; ja, es war gerade die Furcht vor einem solchen Begeg-nisse, was sie zu dem forcirten Nachtmarsche und dem schnellern Ritte am folgenden Tage antrieb. Dieses Thal, welches die Bergketten Solma und 'Aga' trennt, ist bei weitem länger als breit, und erstreckt sich nach Westen zu bis in die Nähe von Medinah, wo es nicht weit oberhalb der Stadt, wo Mohammed begraben liegt, in die Pässe von Hegäz und die grosse Pilgerstrasse ausläuft. Der Theil der Pilgerstrasse, welcher mit dieser Oeffnung des Thals zusammenhängt, ist und war von jeher, mehr als irgend ein" anderer, von räuberischen Beduinen unsicher gemacht, namentlich vom Stamme Harb, die hier oft, trotz der türkischen Bedeckung, ganze Pilgerkarawanen angefallen haben und die zu unterdrücken den türkischen Behörden nie hat gelingen wollen. Der Rückhalt, den die Räuber in den Engpässen des Hegäz finden, macht sie zugleich sicher gegen wirksame Massregeln von Seiten der Regierungen Centraiarabiens, von denen die Beduinen aus guten Gründen weit mehr zu fürchten haben, als von allen Bajonetten Constantinopels. Diese Räuber nun, nicht zufrieden mit der Beute, welche sie im Hegäz machen, unternehmen oft Streifzüge in das Thal, welches wir soeben durchschnitten, und es bedarf der ganzen Wachsamkeit und Energie Teläls, um zu verhindern, dass ihre Einfälle nicht ganz zur Gewohnheit werden und so den regelmässigen Verkehr zwischen seinem Gebiet und dem Neged unterbrechen. Unsere Gesellschaft, welche eine sehr zu billigende Scheu vor einem Zusammentreffen mit einer solchen herumstreifenden Räuber- bände hatte, beeilte hier ihre Schritte, und der Erfolg rechtfertigte ihre Vorsicht. Denn etwa gegen drei Uhr Nachmittags sahen wir in einiger Entfernung einen Trupp dieser Beduinen in der Richtung von Medinah herkommen. So lange sie noch in der Ferne und durch Sträucher und die verkümmerten Akazias in der Ebene verdeckt waren, konnten wir ihre Anzahl nicht genau erkennen; offenbar aber waren sie uns an Zahl überlegen. Wir unserer Seits hatten etwa fünfzehn Flinten nebst einigen Spiessen und Säbeln zur Verfügung. 224 Die Beduinen hatten uns- bereits bemerkt und kamen immer näher, jedoch auf Umwegen, um uns zu täuschen, wie gewöhnlich, wenn sie über die Stärke ihres Gegners nicht ganz im Reinen sind. Vierzehn bewaffnete Städter könnten wohl gegen die doppelte Anzahl Beduinen Stand halten, und in jedem Falle konnten wir nichts Besseres thun, als der Gefahr kühn ins Auge zu schauen. Der 'Ejün-Häuptling, Folejh, mit seinen beiden Landsleuten und Ghäschi, luden vorsichtig ihre Gewehre und ritten dann in vollem Galopp dem Feinde entgegen, ihre Waffen über dem Kopfe schwingend und ausserordentlich wild blickend. Unter Deckung dieses Manövers begann unsere übrige Gesellschaft ihre Waffen in Bereitschaft zu setzen, und nun folgte eine lustige Scene. Der Eine hatte seinen Flintenstein verloren und suchte ihn in allen Taschen, einem Andern war bei dem eiligen Laden die Kugel mitten im Laufe sitzen geblieben und er konnte sie weder vorwärts, noch rückwärts bringen, ein Dritter hatte ein verrostetes Schloss, das seine Schuldigkeit nicht thun wollte; die Frauen fingen an klägUch zu weinen; die beiden Mekkaner, die der Erspar -niss wegen Beide zusammen auf einem Kamele ritten, worüber sie von den Anderen manche Neckerei erdulden mussten, versuchten davon zu galoppiren und die Uebrigen ihrem Schicksal zu überlassen, das Thier aber war muthiger als seine Reiter und bestand darauf, bei seinen Genossen zu bleiben und deren Schicksal zu theilen; — kurz, Alles war ganz Arabisch, viel Lärmens und wenig That. Hätte der drohende Scheinangriff der Vier, welche unser Hintertreffen deckten, sich als ungenügend erwiesen, so konnten wir Alle in eine sehr schlimme Lage kommen. Die Vorsehung aber wollte nicht unsern Untergang und die Harb, durch die kühne Haltung Folejhs und seiner Gefährten eingeschüchtert, wendeten um und jagten in wilder Flucht davon, bei der von beiden Seiten noch einige harmlose Schüsse gewechselt wurden, der Form wegen, bis die Angreifer schnell in dem entfernten Thale verschwanden. Unsere tapferen Kämpfer kehrten nun von der Verfolgung zurück, stolz auf den Erfolg, den sie errungen, und wir zogen weiter, an dem letzten felsigen Ausläufer des Solmagebirges hin, nahe an der Stelle vorbei, wo Ilatim Tä'i, das bekannte, halb mythische, halb historische Vorbild arabischer Gastlichkeit und übertriebener Freigebigkeit, begraben sein soll. Meinen Lesern sind wahrscheinlich die meisten Anekdoten, welche von diesem berühmten Häuptlinge erzählt werden, 225 hinlänglich bekannt, ich will daher nur eine mittheilen. Hatim lebte etwa hundert Jahre vor Anfang der mohammedanischen Zeitrechnung, und die Verse, welche ihm zugeschrieben werden, zeigen, wenn sie acht sind, dass er neben seinen anderen Vollkommenheiten auch die Gabe der Dichtkunst besass. Ob er zu dem christlichen Zweige des grossen Stammes gehörte, dessen Namen er führt, ist nicht sicher, obwohl die Erzählungen von seinem freundschaftlichen Verkehr mit den griechischen oder gräcisirten Statthaltern Syriens auf eine Aehn-licbkeit der Religion schliessen lassen. Die mohammedanischen Geschichtsschreiber — die allein uns die Geschichte Hatims erzählen — bezeichnen mit dem Ausdruck „Gohhäl" oder „Unwissende" oft alle Bewohner der arabischen Halbinsel, welche vor der Verkündigung der Lehre Mohammeds lebten, welches auch ihr Glaube gewesen sein mag; zuweilen aber unterscheiden sie zwischen Christen und Heiden, jedoch in der Regel nur, wenn eine besondere Ursache dazu vorhanden ist. Ich möchte hinzufügen, dass das Christenthum in Arabien zu jener Zeit wahrscheinlich in seinen äusseren und symbolischen Formen bei weitem weniger Unterscheidendes hatte, als das in Griechenland oder Rom; die Neigung der Araber, Alles, was Ceremonien betrifft, ziemlich leicht zu nehmen oder sich ganz davon zu dispen-siren, tritt nicht weniger auffallend hervor, als die entgegengesetzte Neigung der westlichen Rassen, die Minutien der Formen zu vervielfachen und ihnen eine fast übertriebene Wichtigkeit beizulegen. So sind keine Mohammedaner nachlässiger in der präcisen Genauigkeit, welche die Erfüllung religiöser Pflichten erfordert, als die Wahhabiten selbst, bei allem islamitischen Eifer in anderer Beziehung; und Aehn-liches habe ich selbst auch bei den Christen von acht arabischer Abkunft beobachtet, welche die östlich von Damaskus und dem Jordan gelegenen Landstriche bewohnen, obwohl allerdings bei Letzteren auch der Umstand nicht ohne Einfluss sein mag, dass sie wie alle übrigen verfolgten Secten im Orient — Ansari, Jezidi, Isma'ili u. A. — ihre Lebensart im Aeussern gern dem herrschenden Islam möglichst anzubequemen suchen, wenigstens so weit als nöthig ist, um keine specielle Aufmerksamkeit und gefährliche Beobachtung auf sich zu ziehen. Ein flüchtiger und oberflächlicher Blick kann sie daher oft nicht von der umwohnenden mohammedanischen Bevölkerung unterscheiden, und bei dem jetzigen Stande d$s Landes darf ihnen diese Vorsicht auch keineswegs zur Unehre angerechnet werden. Aber es ist genug für uns, 226 einen Gegenstand von grosser Tragweite berührt zu haben, dessen vollständige Durchforschung nicht einen Paragraphen oder ein Capitel, sondern einen ganzen Band erfordern würde. Kehren wir auf unsern Weg am Gebel Schomer und zu dem Grabe Hatims zurück. Ich hätte hier gern selbst dasselbe Experiment gemacht, wie vor langer Zeit einmal der Jemanische Häuptling 'Akrimah. Dieser Fürst, wenn die arabischen Chroniken wahr berichten, was sie zuweilen thun, zuweilen aber auch nicht, kam auf demselben Wege, wie wir, einmal in diese Gegend, nur von der entgegengesetzten Richtung her, auf der Reise von Jemen nach dem Norden, nur wenige Jahre nach dem Tode desTä'iji. Als er an den Steinhaufen kam, der damals noch das Grab bezeichnete (denn jetzt ist nichts mehr davon übrig), sagte 'Akrimah scherzend zu seinen Gefährten: „Die Leute sagen, dass Hatim, so lange er lebte, nie einen Gast mit leeren Händen gehen liess; wohlan, wir sind hier an seinem Grabe, unsere Vorräthe sind erschöpft und kein Dorf ist in der Nähe; wir wollen sehen, ob er nach seinem Tode noch etwas für uns thun will." Er machte Halt und rief in■ spöttischem Tone: „0 Hatim, wir stehen hier an deiner Thür, ich, 'Akrimah von Jemen und meine Begleiter, wir Alle sind hungrig und müde, sieh zu, was du thun kannst." Dann zu seinen Leuten gewandt, sagte er: „Ich fürchte, Hatim ist in der andern Welt geizig geworden, wir müssen für uns selber sorgen." Hierauf stiegen Alle dicht an dem Steinhaufen ab und blieben hier über Nacht, ohne Abendmahlzeit. Gegen Mitternacht aber sprang 'Akrimah plötzlich erschrocken auf und rief dem ihm zur Seite liegenden Gefährten zu: „Nimm dein Schwert und folge mir, hier geht ein Wunder vor. Dreimal ist mir Hatim im Traume erschienen, mit einem blutigen Schwert in seiner Hand, und hat zu mir gesagt: „„'Akrimah von Jemen, du und deine Leute' sollt wahrlich heute N acht meine Gäste sein; eile und sieh nach deinem Kamele, denn ich habe ihm eine tödtliche Wunde beigebracht" ", und mit diesen Worten ist er verschwunden. Komm mit mir und lass uns sehen, was es giebt." Sie gingen im Dunkeln an die Stelle, wo die Kamele lagen, da sahen sie das schönste, welches 'Akrimah selbst zu reiten pflegte, im Todeskampfe liegen. 'Akrimah stiess ihm sein Schwert in die Kehle und erlöste es so von seiner Qual. Hierauf, obwohl nicht gerade in der Weise, wie er wünschte, mit hinlänglichem Vorrath an Fleisch versehen, weckte er seine übrigen Gefährten. Nun wurde ein Feuer angezündet und nach arabischer Weise ein herrliches Mahl gehalten. „Eine traurige Geschichte; wir hätten besser gethan, Hatim in Ruhe zu lassen. Kann aus Neged etwas Anderes kommen, als Schlimmes?" sagte 'Akrimah am nächsten Morgen, als er ein andres Kamel besteigen musste, das Einem aus dem Gefolge gehörte, den er hinten aufsitzen liess, und die Reisenden zogen langsam weiter nach Norden. Siehe, da kommt quer durch das Thal ein kleiner Trupp schnell auf sie zu, unter diesem Einer, der, nach der Kleidung zu schliessen, der Häuptling zu sein scheint, auf einem schönen Pferde und ein sehr schönes Kamel an der Hand führend. Als beide Theile zusammentreffen, sagt der junge Reiter nach dem gewöhnlichen Grnsse: „Wisse, ich bin der Sohn und Erbe des Hatim Tä'i, an dessen Grabe du gestern Halt gemacht. In der letzten Nacht erschien mir mein Vater im Traume und sagte: „Mein Sohn, 'Akrimah von Jemen ist mit seinen Gefährten an meiner Wohnung angekommen und hat meine Gastfreundschaft angerufen, ich aber habe nichts von eurer weltlichen Nahrung, was ich ihm vorsetzen könnte. Ich habe daher 'Akrimah veranlasst, sein eigenes Kamel zu tödten und eine Mahlzeit davon zu bereiten, wie ich selbst gethan hätte, wäre es mir möglich gewesen. Nimm jetzt sogleich dein bestes Kamel und besteige dein Ross, das einst mein war und ziehe den Leuten aus Jemen entgegen, gieb 'Akrimah das Kamel als Ersatz für das geschlachtete, damit er seine Mahlzeit nicht auf seine, sondern auf meine Kosten gehalten hat, und gieb ihm noch obendrein das Pferd dazu, welches du reitest, damit er nicht sagen kann, dass Hatim im Tode weniger freigebig sei, als er im Leben war." Nachdem Hatims Sohn dieses erzählt, erfüllte er den Auftrag seines Vaters, liess 'Akrimah das Pferd besteigen und ging vor ihm her, den Zügel haltend, bis sie Gebel Schomer erreichten, wo Alle noch einige Tage als Gäste in seines Vaters Hause bleiben mussten. Wir wären vielleicht weniger glücklich gewesen, als 'Akrimah, und obgleich uns Allen diese oft erzählte Geschichte bekannt war, so dachte doch Keiner daran, Hatims Freigebigkeit auf die Probe zu stellen. Ohne uns weiter aufzuhalten, überschritten wir die niedrigen Hügel, welche hier eine Art Ausläufer des Solmagebirges bilden, und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten die Palmen von Fejd, welches nicht mehr weit von dieser Stelle in einer sandigen Vertiefung vor uns lag. Dieses alte Dorf oder Städtchen, welches schon der berühmte 22s Hariri im 6ten Jahrhundert des Islam — dem zwölften nach unserer Zeitrechnung — erwähnt, liegt an einer der Strassen, welche diagonal von Kufa oder Meschid 'Ali nach Medinah führen, und gehört jetzt zu dem Gebiete Teläls. Der Ortshäuptling oder Vorsteher wird von den Einwohnern aus ihrer Mitte gewählt, wie Teläl überhaupt nur selten und wenn besondere Gründe vorliegen, nach einem entfernten Orte einen Vorgesetzten aus der Hauptstadt oder aus dem Centraigebiete sendet. In dieser Beziehung befolgt er ein System, welches von dem des wahhabitischen Fürsten ganz verschieden ist, über dessen centra-lisirende Tendenzen, die sich hauptsächlich in der Ernennung seiner Unterbeamteten und Repräsentanten zeigen, wir schon Einiges in der Geschichte von Kasim gesehen haben und bald noch mehr sehen werden. Teläl sucht vielmehr den Provinzialismus selbst auf Kosten der Centralisation zu heben, wo es nur irgend ohne Gefahr geschehen kann; und diese Methode ist vielleicht die beste für beide Parteien, Regierende wie Regierte, obgleich viele Regierungen im Orient gerade nach entgegengesetzten Principien verfahren, die wohl auch zu manchen Zeiten in Europa Nachahmer gefunden haben. Jedoch keine Regel ist ohne Ausnahme, und unmittelbarer Recurs an die Centraibehörde ist zu Zeiten unumgänglich nothwendig. Ausserordentliche Commissäre sind daher selbst in Arabien nicht unbekannt, und wir kamen jetzt gerade mit einem solchen zusammen. Unter den Einwohnern von Fejd waren Streitigkeiten entstanden und der Localstatthalter war nicht im Stande gewesen, Friede und Ordnung wieder herzustellen, es musste daher ein königlicher Beamteter aus Hä'jel hiehergeschickt werden, um von der Sache Kenntniss zu nehmen. Eben als wir in den Ort einritten, bald nach Sonnenuntergang, war auf einem freien Platze nahe den Stadtmauern ,eine Anzahl der Einwohner um den Regierungscommissar versammelt, 4er hier zu Gericht sass. ' In einem Lande, wo Jeder sein eigener Advocat ist und wo die Jury weit einfacher und bei weitem weniger zahlreich ist, als an englischen Gerichtshöfen, werden Criminalsachen verhältnissmässig schnell entschieden. Der Vorsteher des Ortes, der Kadi, eine Persönlichkeit, die auch in der kleinsten arabischen Gemeinde nicht fehlen darf, und zwei oder drei der angesehensten Einwohner, vertreten in der Regel die Stelle der Geschwornen, obwohl deren Verdikt im Ganzen mehr moralisches, als juristisches Gewicht hat. Das Amt des Staatsanwalts verschmilzt mit dem des Richters und das des Rechtsbeistandes mit 229 der angeklagten Partei selbst. Zuweilen jedoch wird die Anklage von dem Kläger selbst geführt, wenn dieser von der obersten Behörde verschieden ist, wie z. B. wenn Jemand den Mörder eines seiner Angehörigen vor Gericht bringt u. dgl. Ich muss bemerken, dass in Arabien der „Kadi" keineswegs unserm „Richter" entspricht, sondern mehr eine berathende als entscheidende Stellung einnimmt, obwohl in anderen Gegenden des Orients das Gegentheil der Fall ist. Wir kamen gerade dazu, als über einen Verbrecher das Urtheil gesprochen wurde und konnten die Ausführung desselben, welche unmittelbar folgte, mit ansehen; die Sache ging ganz eben so vor sich, wie auf unsrer con-servativen Insel an manchen Schulknaben von einem beleidigten Lehrer Recht geübt wird; und auch hier weinte und schrie der Delinquent bei weitem mehr, als nöthig war. Es ist nur billig zu sagen, dass in Fällen, bei denen es sich um Tod und Leben handelt, und in der That bei allen wichtigeren Fällen, die arabische Rechtspflege keineswegs ebenso roh und schnell ist. Dann werden Zeugen vernommen und beeidigt, die Untersuchung dauert mehrere Tage, Appellation von einem niedern zu einem höhern Gerichtshofe bis zu dem Monarchen selbst wird gestattet, wenn sie verlangt wird, und nach Verkündigung des Urtheils wird die Execution noch wenigstens um vierundzwanzig Stunden, zuweilen selbst mehrere Wochen und Monate aufgeschoben, und oft erfolgt dann noch Freisprechung oder Milderung der gesetzlichen Strafe. Selbst die absolutesten Herrscher in Arabien können nicht ungestraft die Schranken überschreiten, welche ein Gefühl von Verantwortlichkeit und Humanität einem zu schnellen Verlaufe solcher gerichtlichen Untersuchungen gesetzt hat, oder dürfen es wagen, im Frieden einen Unterthänen auf ihre eigene Autorität oder ohne Beobachtung des gesetzlichen Verfahrens zum Tode zu verurtheilen. Hier wieder können wir eine sehr wichtige Aehnlichkeit zwischen dem reinen Araber und dem Europäer bemerken. Wir hatten dicht am Thore des Städtchens Halt gemacht, Mubärek aber meinte, und wahrscheinlich mit gutem Grunde, dass unter Leuten, deren ganze Gedanken durch Streitigkeiten und Gerichtsverhöre in Anspruch genommen seien, unsre Abendmahlzeit wahrscheinlich sehr kärglich ausfallen würde, wenn wir sie in den Hütten von Fejd selbst suchen wollten. Zufällig lagerten einige Solibah-Beduinen in einer Entfernung von wenigen Minuten vom Städtchen; zu ihren Zelten lenkten wir unsere Kamele, stiegen ab und nach kurzer Einleitung hatten wir das Vergnügen, hinter den Zelten eine schwache Rauchsäule aufsteigen zu sehen, — in einem Lande wie dieses ein sicheres Zeichen, dass man mit der Küche beschäftigt ist. 230 Fejd kann als leidliches Beispiel eines Dorfes gelten, wie mau im ganzen nördlichen oder obern Kasim findet, denn die Dörfer Laben hier beinahe alle dasselbe Ansehen, wenn sie auch an Grösse verschieden sind. Man denke sich einen kleinen sandigen Hügel, etwa sechzig bis siebzig Fuss hoch, mitten in einem weiten staubigen Thale; ein Theil der Anhöhe selbst und des anliegenden Bodens ist mit niedrigen, von Erde gebauten Häusern bedeckt, und zwischen diesen Gebüsche des federartigen Ithel. Die Grundstücke in der Nähe sind durch Ziegelmauern in grüne Gärten abgetheilt, wo Kürbisse und Melonen, Gemüsepflanzen und Mais an den von einem in der Mitte befindlichen Brunnen abgeleiteten Bewässerungsgräben wachsen: Palmen in Fülle, jetzt schwer beladen mit rothbraunen Früchten, dazu einige Pfirsichen- oder Aprikosenbäume; so ist ein Garten wie der andere. Die äusseren Mauern sind niedrig und dienen mehr zum Schutz der Gärten, als der Wohnungen; es giebt weder Thürme, noch Gräben, noch selbst, wenigstens an vielen Orten, in der Mitte ein Castell oder sonst ein mehr in die Augen fallendes Gebäude als Residenz des Häuptlings, dessen Wohnung ebenso ein einstöckiges Haus ist, wie das seiner Nachbarn, nur etwas grösser. Viele dieser Städtchen sind noch ganz neu und datiren erst aus der schomerschen Annexion, welche diesem Theile der Provinz einen unter ihren früheren wahhabitischen Herrschern unbekannten Grad von Ruhe und Sicherheit brachte. Unsre Abendmahlzeit war nicht übermässig lecker, denn die So-libah sind arm, aber reichlich und in so fern für Reisende, wie wir, nach einem langen Marsche von zwei Tagen und einer Nacht, mit kaum einiger Ruhe und Rast, ganz angemessen. Ich hätte gern die Gelegenheit benutzt, etwas über die eigentlichen Grundsätze und Gebräuche unserer Wirthe zu erfahren, sie waren aber zu vorsichtig, um andere, als negative Zeichen ihrer Denkweise und ihrer Gebräuche zu geben und ich selbst zu müde und schläfrig, um lange Nachforschungen anzustellen. Am nächsten Morgen, den lOten September, waren wir Alle beim Mondenlicht, zwei Stunden vor der Morgendämmerung, wieder auf dem Wege nach Süden zu. Das ganze Land, welches wir in den nächsten vier Tagen zu durchschreiten hatten, war von einem so einförmigen Charakter, dass eine kurze Beschreibung desselben hier zugleich für die ganze Landschaft dieses Stadiums unserer Reise genügen kann. Ober-Kasim ist ein hohes Plateau oder eine Steppe, und bildet einen Theil des langen Hochlandgürtels, der die nördliche Hälfte der 231 Halbinsel diagonal durchschneidet, und dessen eines Ende bis in die Nähe von Zobejr und den Schatt-el'-'Arab reicht, während das andere sich bis in die Nähe von Medinah erstreckt. Die Oberfläche dieser Hochebene ist im Allgemeinen im Frühling und Sommer mit Gras bedeckt, und zu aller Zeit mit Strauchwerk und niedrigem Gestrüpp, und bietet so eine prächtige Weide für Schafe und Kamele. Hier weht der frische Ostwind, von den arabischen Dichtern unter dem Namen „Seba Negdin" oder „Zephyr von Neged" gefeiert — nur dass er gerade von der entgegengesetzten Seite kommt, wie der Zephyr der Griechen und Römer — und beständig augerufen von sentimentalen Barden, um ihnen Nachricht zu bringen von irgend einer erdichteten Geliebten, oder andere angenehme Erinnerungen zu erwecken. Kein Wunder, denn die meisten dieser Versemacher sind Eingeborne des dürren Hegäz oder des glühend heissen Tehämah, vielleicht auch Bewohner Aegyptens und Syriens, die von Arabien wenig mehr wissen, als was sie auf der fürchterlichen Pilgerstrassc nach Mekka gesehen haben, wo sie natürlich sehnsüchtig nach jeder noch so kleinen Veränderung schauen, die ihnen aus dem kühlem und fruchtbarem Hochlande des Innern kommen kann, das sie schlechthin Neged, in der allgemeinen Bedeutung des Wortes, nennen, und dessen frische und kräftigende Luft, gesittete Männer und muntere Mädchen sie flüchtig kennen gelernt. Wenn aber, und das ist nicht selten, der süsse Duft von Rend, Khozämah, Themäm und anderen aromatischen Gewächsen, die hier in üppiger Menge vorhanden sind, sich mit dem sanften Morgenwinde mischt, dann in der That lässt sich das Entzücken eines arabischen Ovid oder Theocritus entschuldigen oder — ich wenigstens that es oft — die Sehnsucht nach dem Neged und das ganze Lob, welches sie dessen Andenken spenden, würdigen. „Dann sprach ich zu meinem Gefährten, indess die Kamele eilten, Uns den Pass zwischen Manifah und Demar*) hinabzutragen: • „Geniesse, so lange du kannst, die Annehmlichkeiten der Wiesen von Neged: Du wirst nach dieser Nacht keine solche Wiesen mehr finden. Ah! Segen des Himmels auf die duftenden Lüfte von Neged, Seine Rasen und Haine, die im Frühlingsregen glänzen, Und deine lieben Freunde, wenn dein Schicksal dich eine Zeit lang nach Neged führte — Wenig hast du dich zu beklagen über das, was die Tage dir brachten; Monate fliehen, sie vergehen, ohne dass wir es bemerken, Weder wenn ihre Monde neu sind, noch wenn sie abnehmen", So klagt ein Dichter, als er gezwungen ist, abzureisen. 232 Ein Anderer, jetzt fern vom Lande seiner wirklichen oder erdichteten Geliebten, drückt sein Sehnen in folgenden Worten aus: ' 0 Luft vom Hochland, wie vom Hochland du ziehst ins Feld, Hast du mit Kummer über Kummer mein Herz geschwellt. Ha, dass auf frischem Lorbeerzweige im Morgenglanz Die Turteltaube dort als Herold der Liebe gellt; Drob weinst du wie ein Kind, und bist nicht der Starke mehr, Und stellst zu Schau, was du sonst nimmer zur Schau gestellt! Man sagt, wenn nah bleibt ein Verliebter, so wird er satt, Und die Entfernung heilt den Kummer, der schwer ihm fällt. Versucht mit beiden hab' ich's, keines von beiden half; Nur besser ist des Hauses Näh', als die fene Welt; Nur dass dir auch des Hauses Nähe nicht Nutzen bringt, Wenn dir das Liebchen, das du liebest, sein Wort nicht hält. Aber genug, ich hoffe bei dem mitfühlenden Leser einige von den Gefühlen zu erwecken, die ich selbst empfand, als ich, nebst zwei oder drei Gefährten von zarteren geistigen Fibern, als die Uebrigen, einige arabische Gedichte recitirte, während der Morgenwind von Neged in dem Hochlande von Neged über uns blies. Jetzt aber kehren wir zurück zu der prosaischen Beschreibung des Landes. *) Zwei Berge an der Grenze von Kasim nach Medinah zu. Die Ebene senkt sich zuweilen mehrere Meilen zu einer flachen unregelmässigen Vertiefung, wo in der Regenzeit Bäche zusammen-fliessen und Lachen bilden, die selbst im Herbst noch nicht gänzlich vertrocknet sind. Der alluviale Boden trägt hier kräftigere Sträucher, zwischen denen auch einige Bäume wachsen, in der Regel Talh und Nebaa', hie und da auch Sidr. -Ersterer ist ein grosser Baum mit rundlichen und dürftigen Blättern und einer kleinen trocknen Beere als Frucht, seine Aeste breiten sich weit aus und sind hie und da mit Dornen besetzt; der zweite ist an Wachsthum mehr einem Strauche ähnlich, ohwohl seine beisammenstehenden Stämme oft eine bedeutende Höhe erreichen; er hat sehr kleine, ovale und hellgrüne Blätter; der letzte endlich ist eine kleine, aber zierliche Akazia. Dieselben Bäume findet man auch, aber seltener, an höher gelegenen Stellen, namentlich den Talh. Aber der Ithel, eine Art Lärchenbaum, in ganz Arabien häufig, obwohl er sonst, wie ich glaube, nirgends wächst, und die Ghada Euphorbia sind in den sandigen Abhängen und in den Vertiefungen vorherrschend. Auf diesem ganzen Plateau laufen in einiger Entfernung von einander lange und breite Thäler mit leichtem Boden, halb Kalk und halb Sand, welche dasselbe in einem spitzen Winkel durchschneiden. In diesen natürlichen Gräben ist immer Wasser vorräthig, allerdings 233 nicht an der Oberfläche, aber überall, wo man Brunnen gräbt, in der Regel in der Nähe eines kleinen konischen Hügels, der hier nur hingesetzt zu sein scheint, um anzuzeigen, wo man nach der Quelle der Fruchtbarkeit graben soll. Dieses Nebeneinander kleiner runder Hügel und Quellen kommt zu häufig vor, um blos zufällig zu sein, doch kann ich den Grund davon nicht recht verstehen. Die Hügel, von denen ich spreche, sind zu klein, um als Behälter der Feuchtigkeit für die dicht dabei befindlichen Quellen zu dienen, und viel zu niedrig, um wie Berge die Wolken und Nebel anzuziehen. Es sind allem Anschein nach Wasser-Marken und nichts Anderes, gewiss aber nicht das Werk menschlicher Hände; und obgleich man hie und da, jedoch selten, einen Brunnen finden kann, ohne einen solchen Hügel zur Seite, so erinnere ich mich doch nie, an einen dieser isolirten Erdhaufen gekommen zu sein, an dessen Fusse sich nicht eine Quelle gefunden hätte. Diese Laune der Natur beschränkt sich auch nicht auf Centraiarabien; etwas ganz Aehnliches finden wir auch in der coelosyrischen Ebene zwischen dem Libanon und dem Antilibanon, und noch mehr in der Wüste oder dem verödeten Lande nördlich von Damaskus, deren topographischer Charakter überhaupt schon eine nicht zu verkennende Aehnlichkeit mit dem eigentlichen Arabien hat. Geologen können vielleicht eine Erklärung dieses Umstandes geben, oder wenigstens eine Theorie. Dicht bei den Brunnen erheben sich im obern Kasim die Dörfer; es sind deren, wenn ich recht unterrichtet wurde, etwa vierzig an Zahl; ihre entsprechende Anzahl von Einwohnern scheint zwischen fünfhundert und dreitausend zu wechseln; die ganze Bevölkerung kann man auf etwa fünfundzwanzig bis dreissigtausend Seelen anschlagen; bei der Ausdehnung der Provinz eine sehr geringe Anzahl. Wir I. 12 kamen auf unserm Wege durch acht Dürfer und machten in vieren derselben Halt; eines war Kcfa, welches das grösste im ganzen Distrikt sein soll. Jedes Dörfchen ist in einem verhältnissmässigen Umkreise von Palmenhainen, Gärten und Feldern umgeben, die nicht selten sich weit in dem Thale hinziehen, wie ein langer grüner Streifen auf einem gelben Teppich, an einer Reihe von Brunnen entlang, welche die Richtung einer unterirdischen Wasserader angeben. Man erzählte mir, wenn am östlichen Ende ein neuer Brunnen gegraben würde, so verlöre die westliche Quelle öfters an Reichhaltigkeit, ein Umstand, welcher darauf deutet, dass die Senkung des Bodens im Ganzen nach dieser Seite hin gerichtet ist. 4 Nach meinen eigenen Beobachtungen glaube ich, dass die Wasserscheide oder die höchste Linie des ganzen Landgürtcls zwischen dem Gauf nördlich und der Steppe, die wir jetzt der Breite nach durchschritten, etwa sechzig engl. Meilen gerade östlich von Hä'jel, zu suchen ist und so hinsichtlich der Längegrade dem höchsten Theile des „Gebel Towejk" oder „dem krummen Gebirge" entspricht, dessen Steppen das grosse Centralplateau des eigentlichen Neged nach Süden zu bilden. Wenn das wirklich der Fall ist, wie ich kaum zweifle, aus Gründen, die ich weiter unten angeben werde, so muss das Rückgrat oder der Ilauptrücken Arabiens von N. N. W. nach S. S. 0. gehen, zwischen 45° und 46° o. B. von Green wich, und 29° bis 24° n. B., die höchste Erhebung ist hinter Gelägil in der Provinz Sedejr, wo das Gebirge sich allmälig senkt, bis es sich in der sandigen Wüsto des Südens verliert. Zu beiden Seiten dieses Rückens und nach Süden zu senkt sich Arabien nach den Küsten des persischen Meerbusens, des rothen Meeres und des indischen Oceans zu, obgleich mit einigen Unterbrechungen durch die seitwärts her laufenden Bergketten des 'Aga', Solma, Towejk und Dowäsir, ungerechnet die gelegentlichen Anomalien an der Küste und deren schroffen Bergkette, die im nördlichen Hegäz, Gebel 'Aaser, einigen Punkten in Jemen und Hadramaut und noch mehr in 'Oman eine bedeutende Höhe erreicht. Das ganze Gebiet des Gebel Towejk und einen grossen Theil des Schomcrgebirges habe ich persönlich besucht, und Alles, was ich dort sah , bestätigt diese Ansicht über die allgemeine Gestaltung der arabischen Halbinsel. Zwei Drittheile der Seeküste sind mir ebenfalls bekannt, und ich darf insofern wohl mit einiger Sicherheit sprechen. Da ich aber keine Gelegenheit hatte, die nordöstliche Ecke Arabiens zu durchreisen, nämlich das Dreieck, welches Östlich von dem Gauf und Gebel Schomer liegt und nördlich von Sedejr nach dem obern Theile des persischen Meerbusens und dem Schaft zu, so muss ich mich auf die Treue der Berichte verlassen, welche ich bei Eingebornen sammelte, Kaufleuten oder Reisenden und Leuten, deren praktische Kenntniss des Bodens, über den sie reisen, unterstützt durch solche Umstände, wie die erwähnten, hinsichtlich des Laufes der Gewässer, ihren Aussagen in diesem Punkte einen gewissen Grad von Ansehen giebt. Die beiden Kaufleute aus Zobejr und Basrah, unsere jetzigen Reisegefährten, machten mir solche Angaben über den Nord- osten, welche alle auf denselben Sinn hinausliefen. So sagten sie, dass die Wege von Kasim nach Basrah zum grössten Theil aufwärts 235 gehen, dass das Land immer kahler werde, bis etwa drei oder vier Tagereisen vom Schaft wieder Weideland und endlich wieder bebauter Boden zum Vorschein käme; dass in einiger Entfernung gegen Norden das Was:er sehr selten sei, — ein r.nfehlbares Anzeichen davon, dass in diesen Theilen das Land höher liegt, — dieses bleibe so, bis etwa achtzig engl. Meilen vom Schatt; dr.ss die Luft kühler sei und dergleichen mehr. Ich selbst konnte sowohl in der Nähe von Hä'jel, wie hier, wenn ich nach Osten zu sah, mit blossem Auge eine bemerkbare Steigung und einen erhabenen Rr nd am Horizonte bemerken, während die Aussicht nach Westen, ausser wo die Felsenspitzen des Schomer-gebirges dazwischentraten, ganz eben war, bis zu einer kürzern abwärts gesenkten Curve. Endlich, die höchsten Spitzen des Gebel Schomer liegen, und dies kann man leicht sehen, wenn man Hä'jel nahe kommt, ein wenig Östlich von dieser Stadt und fast nördlich vom Towejk, an dessen entferntesten Wurzeln; nun ist bekannt, dass die Erhebung einer Gebirgskette in einem allgemeinen Verhältniss zu der anliegenden Ebene steht, und wir können daher annehmen , dass diese hier ihre grösste Höhe erreicht. Ich hoffe ernstlich, dass künftige und besser ausgerüstete Reisende den Grundriss, welchen ich so zu zeichnen versucht habe, weiter ausfüllen werden, was ich selbst nicht im Stande war. Ich bitte aber zu entschuldigen, wenn ich mit einer gewissen Anmassung beanspruche, über diesen schwierigen Gegenstand gehört zu werden, ein Gegenstand, der noch dazu in mancher Beziehung ausserhalb des gewöhnlichen Bereichs meiner Beobachtung liegt; jedoch jahrelange Reisen, und diese sind mein Loos gewesen, stärken das Auge, und in der That alle Sinne, um Hohe und Entfernung, Richtung und Gesichtslinie mit ziemlicher Genauigkeit beurtheilen zu können, selbst ohne solche Instrumente, welche die neuere Wissenschaft gewährt, um unsere Berechnungen zu unterstützen und zu berichtigen. Diese Instrumente sind allerdings durchaus nothwendig, wo Anspruch auf Präcision und mathematische Genauigkeit gemacht wird; auf diese aber mache ich keinen Anspruch, und meine Leser kennen bereits die Umstände, welche mir nothwendig machten, mein Gepäck so weit zu vereinfachen, dass ich selbst manche sehr nützliche Dinge weglassen musste, die sich mit meiner Rolle nicht vereinigen Hessen. Ich bin aber überzeugt, dass meine Angaben, so weit sie gehen, richtig sind, uud sicher als Grundlage und erste Stufe zur Berichtigung und Reform der Karte Arabiens dienen können, namentlich was das Innere der Halbinsel betrifft. Jeden Tag machten wir einen Marsch von zwölf bis vierzehn Stunden, etwa fünf engl. Meilen, auch etwas mehr, in der Stunde, — dies ist der gewöhnliche Schritt der Kamele. Von Beduinen hatten 236 wir nichts mehr zu fürchten, und die wenigen, denen wir noch hie und da begegneten, gehörten zu den Teläl unterworfenen Stämmen. Ich will hier noch bemerken, dass gegen Ende dieses Jahres, 1862, Teläl selbst einen erfolgreichen Feldzug gegen die Räuber vom Stamme Harb anführte, dieselben, mit denen wir im Thale des Solma zusammen- getroffen waren, und sie so weit zur Unterwerfung brachte, als nöthig war, um sein Gebiet gegen fernere Raubzüge zu sichern. Es fehlten nur noch wenige Nächte bis zum Eintritt des Vollmonds, und wir hatten daher den Vortheil, wenn wir früh aufbrachen, im Mondenlichte reisen zu können. So machten wir unsern Weg bald quer über hochgelegenes Weideland, bald durch sandige, Flüssen ähnliche Thäler, bis der Tag anbrach und die Sonne aufging, die wir bis gegen Mittag zu unsrer Linken hatten, während wir zu beiden Seiten der unregelmässigen Streifen, die den Weg bezeichneten, dahin ritten, bald zerstreut oder in Gruppen zu Zweien oder zu Dreien oder Alle zusammen, wobei die Leute aus Kasim scherzten und lachten, die Kaufleute sich miteinander unterhielten, die Mekkaner zankten, die Beduinen, welche wenig mit den Städtern sympathisiren, auch nicht besonders unter einander, ritten in der Regel einzeln und in einiger Entfernung von einander; der Neger lief hinter seinen Pferden her, die er frei grasen liess, und kam uns oft ganz aus dem Gesicht, und die Frauen, von Kopf zu Fuss in ihre grossen indigoblauen Gewänder gehüllt, sahen ganz aus wie leblose Bündel, die irgend wohin zu Markte gebracht wurden ; Niemand sprach mit ihnen und sie redeten natürlich ebensowenig Jemand an. Jeden Morgen machten wir Halt, um Kaffee zu kochen; Brennholz war in Menge da und wir hatten keine besondere Eile oder Furcht, Zeit zu verlieren. Wir hatten aber nicht nöthig, eine grössere Kocherei vorzunehmen, da wir Nachmittags und bei Nacht immer in Dörfern Halt machten, wo wir fast immer gastlich aufgenommen würzen; wo dieses nicht geschah, konnten wir jedenfalls kaufen, was wir du unserer Abendmahlzeit nöthig hatten. Die Aussicht war weit ausgebreitet, aber ziemlich einförmig. Keine hohen Berge, keine Flüsse, keine Seen, keine Ströme, aber eine beständige Wiederholung der oben beschriebenen Landschafts-scene. Nur zuweilen konnten wir im fernen Osten einige bläuliche Spitzen erkennen, die letzten Ausläufer des Gebel Towejk, dem wir jetzt allraälig näher rückten. Gegen Norden, Westen und Süden war Alles offene Ebene. Aber der Wind blies frisch und die Sonne schien 837 hell, Vögel zwitscherten im Gebüsch und Eidechsen und Gerbu'as liefen leise zirpend zu allen Seiten herum, oder ein Volk Rebhühner (es war im September) flog auf, wenn wir nahe kamen, und eine lange Reihe Gazellen jagte vor uns her, blieb dann eine Minute stehen, um uns anzugaffen und rannte dann wieder weiter. Die Kamele waren gut im Stande und die meisten Reiter in der besten Laune. Unsere erste Nachtrast, nach Fejd, war bei Kefa. Dieses ist ein grosses Dorf, dessen Häuser in einer sandigen Vertiefung umhergestreut liegen, wo es nicht an Wasser mangelt. Wie manche andere Dörfer dieser Provinz ist es im Wachsthum begriffen; die Einwohner waren emsig beschäftigt, einen grossen neuen Brunnen zu graben und mit Steinen einzufassen; sie waren bei zwölf Fuss Tiefe soeben auf die ersten Anzeichen von Feuchtigkeit im Boden gestossen. Der Stein ist hier kalkartig, wie in der Regel weiter nach der Mitte der Halbinsel zu; das Gebel Towejk selbst hat zum grössten Theile dieselbe Formation, dahingegen Gebel Schomer aus schwarzen Felsen und rüthlichem Granit besteht. Ich erinnere mich nicht, hier irgendwelche organische Ueberreste gesehen zu haben, von denen man in Gips und Kalkstein häufig Abdrücke findet, vielleicht jedoch waren meine Nacb-suchungen zu flüchtig. In Kefa blieben wir einen ganzen Tag. Ein ziemlich grosses Lager Schomer-Beduinen, die zu dem Stamme 'Ejd gehörten, der an Adel den Ga'afar nachsteht, war dicht neben dem Dorfe aufgeschlagen; zwischen den Zelten der 'Ejd waren auch einige von dem Stamme Täinir, der sich gewöhnlich südlich von Solma aufhält, während die Nomaden von Schomer sich mehr östlich und nördlich halten. Wir statteten diesen schmutzigen Wohnungen, die so schwarz sind, wie die Zelte Salomo's, einen Besuch ab, und wurden dort höflich und gastfreundlich aufgenommen; auch die Bewohner von Kefa waren sehr zuvorkommend, obgleich natürlich weniger fein in ihren Sitten und weniger elegant in ihrer Kleidung, als man in Hä'jel zu sehen gewohnt ist. Hier ist ein eingeborner Statthalter, desgleichen ein Kadi; die Zahl der Einwohner kann nicht viel unter dreitausend betragen. Unser nächster Kastort war Kosejbah, ein kleines Dörfchen, aber ausserordentlich reich an Gärten und Früchten. Der kleine Hügel, an dessen östlicher Seite die Häuser gebaut sind, ist an den übrigen Seiten dicht mit Ithel und Palmen bewachsen und nimmt sich wirklich malerisch aus. Brunnen sind viele da, und ich zweifle nicht, dass, wenn Teläls Herrschaft über diese Gegenden lange ungestört bleibt, Kosejbah einmal ein sehr bedeutender Ort wird. Den dritten Abend brachten wir bei Kowärah zu. Dieses grosse Dorf, welches man beinahe eine Stadt nennen könnte, liegt in einer 238 bewaldeten und gut bewässerten Vertiefung, wo seine Haine einen hübschen Hintergrund zu dem durchbrochenen und mit Dickicht bewachsenen Vordergrunde bilden. Ringsherum erheben sich aus der Ebene steile Abhänge von zwanzig bis zu sechzig Fuss Höhe, von Gewässern durchfurcht oder mit dickem Gesträuch und langem üppigen Grase bewachsen. Hier ist die letzte südliche Station von Teläls Gebiet; auch hier, wie meistens anderwärts, ist der Häuptling ein Eingeborner, und die Centrairegierung ist nur an der Ordnung und Sicherheit zu bemerken, welche hier herrscht. Ich meine nämlich Ordnung und Sicherheit unter und vor den Zweifüsslern; denn die Hunde, deren es in dem Dorfe eine unzählige Menge gab, waren ohne Zweifel die unverschämtesten und lästigsten, mit denen mich jemals mein Unstern zusammenführte. Sie streiften die ganze Nacht umher und man konnte keinen Schritt thun, ohne dass Einem mindestens ein Dutzend dieser wolfsähnlichen Geschöpfe um die Beine knurrte und bellte, am schlimmsten aber spielten sie unseren Vorräthen mit. Von meinen erfahrenem Reisegefährten gewarnt, legte ich einen grossen ledernen Sack mit prächtigen Datteln aus Hä'jel, unser bester Trost bei den Strapazen des Wegs, der noch zur Hälfte voll war, unter meinen Kopf, anstatt Kopfkissen, in der Hoffnung, ihn so yor diesen gefrässigen Bestien zu retten. Wer konnte übrigens denken, dass Hunde einen besondern Geschmack an Datteln und altem Leder1 finden sollten? Vergebliche Vorsicht! getäuschte Hoffnung! Gegen Mitternacht wurde ich durch ein lautes Knurren, dicht an meinem Ohre, aufgeweckt und fand, dass mein Kopf auf dem Sande ruhte, während der Sack nebst Inhalt weggezogen war und jetzt mitten in einem Kreise von Hunden lag, welche den Beweis gaben, dass ihre Species nicht weniger Geschmack an Vegetabilien finden kann, wie Binder und Pferde. Am 14ten September, als wir Kowärah hinter uns hatten, kamen wir gegen Mittag, nachdem wir einige niedrige Hügel überschritten, an einen Abhang, wo das ganze südliche Kasim vor unseren Blicken ausgebreitet lag. 239 Jetzt zum ersten Male konnten wir einigermassen die Macht des Wahhabiten beurtheilen, der über ein solches Land herrscht. Vor uns erstreckte sich bis zum äussersten Horizont eine unermessliche Ebene, voll von Städten und Dörfern, Thürmen und Ilainen, die Alle in der Mittagssonne glänzten, überall Leben, Wohlstand und Thätigkeit verkündend. Die durchschnittliche Breite dieses volkreichen Distrikts beträgt etwa sechzig engl. Meilen, die Länge mehr als das Doppelte; sie liegt volle zweihundert, Fuss unter dem Niveau des Hochlandes, welches hier abbricht wie eine Mauer, von deren Fusse ab sich das niedere Land ohne Unterbrechung bis an die quer vorliegende Kette des Towejk erstreckt, welche sie im Süden begrenzt und von der hohen Strasse trennt, die von Neged nach Mekka führt; denn die Hauptöffnung des Thaies Kasim selbst ist nördlich von dieser Kette und nach Medinah zu. Mehr als fünfzig ziemlich grosse Dörfer und vier bis fünf grosse Städte bilden die Hauptcentren für den Handel und Ackerbau der Provinz, und die Oberfläche ist ausserdem dicht besät mit kleineren Dörfern, einzelnen Brunnen und Gärten und mit einem Netze von Strassen durchzogen. Hier beginnt die Reihe hoher Wachtthürme, die sich bis an Gebel Towejk erstreckt und den Einwohnern ein Mittel giebt, welches ihnen sonst ihre ebene Fläche versagt, die Annäherung eines Raubsrges oder eines feindlichen Einfalls von fern zu gewahren und sich zum Widerstande zu rüsten. Denn obgleich kein Theil Centraiarabiens ältere und begründetere Ansprüche auf Civilisation und Wohlstand hat, so ist doch auch keiner so der Ausgangspunkt und Schauplatz so vieler Kriege gewesen oder hat so zahlreiche Heere sich sammeln gesehen. Hier zeigten unsere Gefährten die Stelle, wo die mehr als berühmten Jagdgründe des Kolejb Wä'il waren, sein neuer Wald, der zu dem verderblichen Kriege von Basus Anlass gab, der vierzig Jahre lang die Stämme Tagleb und Bikr de-cimirte. Hier herrschte später der mächtige und grausame Därim, den die Sage zu einem Riesen und Zauberer gemacht hat, der aber nichts Anderes war, als ein mächtiger und übermüthiger Häuptling, der bei dem Verfall des Khalifats in Bagdad die letzten schwachen Fesseln des Islam und der Abbasiden abschüttelte und die alte Unabhängigkeit von Kasim wiederherstellte. Aber einzelne Ereignisse können kaum verstanden werden, wenn wir nicht eine richtige Vorstellung von dem Zustande haben, in welchem sich Arabien während der ganzen Zeit von dem Emporkommen 240 des Islam bis zu der wahhabitischen Empörung befand, eine Zeit von elf Jahrhunderten, in welcher dieses Land grosse Veränderungen erlitt; doch kann ich mich nicht erinnern, in irgend einer orientalischen Geschichte, von europäischen Verfassern, eine genaue Darstellung oder Erklärung dieser Revolutionen gefunden zu haben. Wir besitzen in der That viele und vollständige Chroniken der grossen Zweige des sogenannten arabischen Reichs in Aegypten, Syrien, Afrika, Spanien, Bagdad und Sicilien, aber von Arabien selbst und seinen Bewohnern, der Hauptquelle des mächtigen Stromes, dessen Arme einen grossen Theil der Erdkugel überflutheten, wissen wir wenig oder nichts. Meine Leser werden daher gewiss verzeihen, wenn ich hier eine kleine Pause in meiner Erzählung mache und diese historische Lücke, so viel in meinen Kräften steht, auszufüllen versuche. Wobei- ich meine Angaben nehme, auf welchen Gewährsmännern sie beruhen, habe ich in der Vorrede zu diesem Bande auseinandergesetzt, wo meine Leser ein Verzeichniss der arabischen Schriftsteller finden, bei denen ich mir über diesen und ähnliche Gegenstände Raths zu erholen Müsse und Gelegenheit hatte. Als Mohammed und seine Gefährten zuerst den Plan.. entwarfen, die ganze Halbinsel zu erobern und unter Einem Gesetze, Einer Religion und Einer Herrschaft zu vereinigen, war Arabien in vier Reiche getheilt, deren Macht und politische Verbindungen sehr verschieden waren. Gegen Nordwesten hatte das byzantinische Reich mit Hilfe der Ghassaniden und deren Verbündeten seine Herrschaft über einen grossen Theil des Landes ausgedehnt und die kaiserlichen Heere waren bis in die Nähe von Medinah vorgeschoben. Gegen Nordosten herrschten die Könige von Hira', von den Ufern des untern Eupbrat und dem grossen Schaft an der ganzen Küste des persischen Meerbusens und landeinwärts bis an die Grenze des eigentlichen Neged. Im Süden besass die Dynastie von Jemen, die von Seif Jezen wiederhergestellt, aber ebenso wie die von Hira' dem Perserkönig zinsbar war, ein grosses und wichtiges Gebiet, zu dem 'Oman selbst als Statthalterschaft gehörte. In der Mitte schaarten sich die unruhigen Stämme des Neged um Mosejlemah, den Lügner (wie Mohammed ihn nannte). Zu diesem mächtigen Bunde gehörte auch Kasim. Ausser diesen vier Hauptgruppen waren verschiedene kleine, aber kräftige jüdische Gemeinden über die ganze Halbinsel zerstreut, namentlich gegen Westen, die sich im Besitze unabhängiger fester Plätze und Burgen befanden, unter denen die Burgen Khejbar und Ablak in Tejma dauernde Berühmtheit erlangt haben. Durch die grosse Umwälzung, welche 241 hundert Jahre vorher das nördliche und mittle Arabien von derjema-nitischen Herischaft losriss, hatten die Beduinenstämme in Folge der ringsum herrschenden Anarchie ebenfalls überall grosse Bedeutung erlangt, und ihre Wildheit und Raubsucht trugen nicht wenig dazu bei, die Verwirrung zu vermehren. Wie die Griechen besiegt und ihr Einfluss für immer aus Arabien verbannt wurde; wie die Bewohner von Jemen sich fast ohne Schwertstreich dem Reiche von Hegäz unterwarfen; wie die Könige von Hira' und ihre Macht wie Schnee vor dem glühenden Fanatismus der ersten Mohammedaner zerschmolzen; wie die Juden eine Festung nach der andern verloren, bis ihre ganze Nationalität, mit wenigen Ausnahmen, vertilgt oder über die Grenzen getrieben wurde, ist von Geschichtsschreibern und Biographen oft erzählt worden, obwohl etwas verworren und ohne genügende Rücksichtnahme auf Ursachen und Wirkungen. Aber in Centraiarabien ging das Werk der Eroberung langsam und blutig vor sich, und die Einverleibung der Besiegten war nur zeitweilig und unvollkommen. Kasim, das Nachbarland des Hegäz und mit diesem durch Handelsinteressen verbunden, war die erste Provinz, welche sich von der gemeinschaftlichen Sache mit Neged lossagte; seine Heere vereinigten sich mit denen Khälids, des Schwertes des Glaubens und Mohammeds, als dieser kräftige Krieger die ganze Macht des Islam zu dem entscheidenden Kampfe mit Mosejlemah concentrirte. Nach dem furchtbaren Blutbade, an welches noch viele Denkmäler im Thale Hanifah erinnern, als der unglückliche Prophet gefallen, seine Anhänger zerstreut, alle Höhen und Thäler des Towejk unterworfen waren, schien die ganze Halbinsel, von den Küsten des indischen Oceans und des persischen Meerbusens bis an die Ufer des rothen Meeres, zu einem Reiche und zu einem Glauben vereinigt zu sein. Aber ein scharfes Auge hätte schon damals die kurze Dauer und endliche Auflösung dieser scheinbaren Einheit voraussehen können. Zwischen den Bewohnern des Neged und denen des Hegäz bestand seit undenklichen Zeiten eine gegenseitige Abneigung, deren Grund in der ausserordentlichen Verschiedenheit des Charakters der beiden Rassen zu suchen ist, die kaum grösser gedacht werden kann. Der 242 Bewohner des Neged ist geduldig, kalt, bedächtig im Handeln und hängt mit ausserordentlicher Zähigkeit an den von seinen Vätern ererbten Gebräuchen. Von einer im Orient seltenen Vaterlandsliebe beseelt, ist ihm jede fremde Herrschaft verhasst. Dabei ist er in seiner Lebensweise nüchtern, bis zur Strenge, dem Luxus und der Prachtliebe anderer Völker, ja, was noch auffallender, auch deren Lastern abgeneigt; er sympathisirt daher wenig mit dem flüchtigen und leichtsinnigen Hegäzer, der kräftig anfängt, aber bald ermüdet und wieder ablässt, Putz und Pracht liebt, gern die Sitten und Laster seiner Nachbarn • annimmt und ebenso prahlerisch, als geschwätzig und unüberlegt ist. In der That, der Unterschied des Charakters ist so gross, dass er zwischen Deutschen und Franzosen nicht grösser sein kann. Dieser Gegensatz zwischen dem Neged und Hegäz spricht sich in unzähligen Gedichten aus und wird von arabischen Geschichtsschreibern bestätigt; aber meine eigene Beobachtung, auch ohne Hilfe von Bü-cbern, würde genügen, um dieses Portrait zu zeichnen, welches ein einheimischer Dichter in dem bekannten Verse zusammenfasst: „Neged ist das Land der grossen Seelen; die Uebrigen sind Zwerge daneben; aber die Leute von Hegäz sind Alle kurz gemessen." Politische Ereignisse, zugleich Wirkung und Ursache des nationalen Charakters, hatten noch überdies dazu beigetragen, die Demar-cationslinie tiefer zu ziehen und die gegenseitige Abneigung zu dem bittersten Hasse zu steigern. In dem grossen Kriege (500 bis 520 n. Chr.) hatte sich Neged unter Kolejb Wä'il als Gebieterin von Arabien gesehen und die Oberhoheit, welche es damals erlangte und länger als ein Jahrhundert behauptete, war ihm jetzt durch seinen alten Nebenbuhler Hegäz entwunden, in einem Kampfe, der seine Thäler mit Blut überströmt und seine Berge mit Leichen bedeckt hatte. Eine grosse Schuld der Rache war so zu dem frühern Hasse hinzugekommen, und die Negedäer erwarteten nur einen Augenblick der Schwäche der Macht, welche sie überwältigt hatte, um das Joch wieder von ihrem Nacken abzuschütteln. Dazu kam, dass auch 'Oman und die am persischen Meerbusen liegenden Provinzen wenig geneigt waren, in einem Staats- und Religionsverbande mit Mekka und deren Kindern zu bleiben.' Der Kah-tanitische Araber hat — wie, werden wir später genauer erörtern — ausser der Sprache kaum noch irgend etwas mit dem ismaelitischen Zweige der grossen Familie gemein; sein Charakter und seine Institutionen sind durchaus verschieden, und überdies hatte der sabäische Cultus, mit einem ziemlichen Anstrich an Parsismus, in diesen öst- 243 liehen Gegenden zu tiefe Wurzeln geschlagen, die nicht so leicht mit einem einfachen „la Illäh illa Allah" und einer vorübergehenden, mehr durch Klugheit gebotenen, als aus Ueberzeugung von der sehr fraglichen Mission des mekkanischen Propheten hervorgegangenen Zustimmung ausgerottet werden konnten. Also auch hier war Alles zur * Trennung und endlich vollständigen Lossagung bereit, obwohl die Beweggründe und die Linie des Handelns von den in Neged vorherrschenden einigermassen verschieden waren. So standen die Sachen in der Mitte und im Osten des Landes;* das übrige Arabien hatte, mit wenigen und unbedeutenden Ausnahmen, bereits gelernt, den Islam als nationale Religion und Mekka als politischen und als Mittelpunkt des Handels zu betrachten. Dieses gilt jedoch nicht auch von den Beduinen, aus denen Mohammed selbst, nach seinem eignen Geständniss im Koran, beinahe gar nichts machen konnte, und die vor, während und nach der mohammedanischen Eroberung immer dieselben geblieben sind: unbeständig wie Wasser, und eben wegen dieser Unbeständigkeit unfähig, einen dauernden Eindruck aufzunehmen. Während der Regierung Abu Bekrs und 'Omars hielt die erste Kraft des neuen Reichs diese Keime des Missvergnügens und der Trennung nieder, und der Ruhm der Eroberung verbarg dieselben. Aber die Schwäche 'Osmans und die blutigen Zusammenstösse, welche das Khalifat 'Alfs erschütterten, gaben ihnen bald Gelegenheit, sich zu entfalten. Sobald die Herrscher des Islam ihr Schwert gegeneinander zogen, machte sich 'Oman und die benachbarten Provinzen unabhängig, um nie wieder unter die Herrschaft der Khalifen zurückzukehren. Neged griff zu den Waffen und trat auf die Seite Kufa's und der Anhänger 'Ali's, und nahm Rache an seinen alten Feinden im Hegäz, an deren Spitze jetzt Mo'awijah und dessen Anhänger standen. Aber die Periode der Anarchie, obwohl heftig, war kurz, und bald erfolgte der Triumph des Beim 'Ommej'jah und die Errichtung des Khalifats in Damaskus. Die ersten Jahre desselben charakterisiren sich durch grosse Kraft, und die enge Verbindung, welche noch zwischen Syrien und Arabien stattfand, nöthigte das Neged, nebst dem übrigen Centrum, Westen und Norden, noch einmal die Oberherrschaft der Beherrscher der Gläubigen anzuerkennen. Aber auch damals, kaum zwanzig Jahre nach dem Tode Mo'awijahs, brach Gebel Schomer und die mit ihm verbündeten Stämme in offene Empörung aus, und der gefürchtete Hegäg, der sonst überall siegreich war, wagte nicht, seine Heere zum Angriffe dieser dicht bevölkerten Gebirge zu führen, wo die Truppen 244 seines Stellvertreters 'Ornej'jah, eines Enkels 'Othmäns, erst kurz vorher die Bergschluchten mit ihren Leichen besät hatten. Indessen, die Bewohner von Schomer, zufrieden mit ihrem ersten Siege und nicht willens, einen Krieg hervorzurufen, der mit einer Ausrottung endigen konnte, boten freiwillige, obwohl nur nominelle Unterwerfung unter 'Abd-el-Melek an, damals Khalif von Damaskus, und Arabien wurde noch einmal zu zwei Drittheilen* seiner Ausdehnung paeificirt und vereinigt, so schien es 1 wenigstens. Aber 'Oman und der Südosten waren vollständig abgelöst und nahmen keinen Antheil an der neuen Consolidirung. So blieben die Dinge, ohne grosse Veränderung, ziemlich während eines halben Jahrhunderts, bis der Verfall der damascenischen Dynastie und die Verlegung des Khalifats, zuerst an die Ufer des Euphrat, i. J. 750, und dann an die des Tigris, nach Bagdad, i. J. 770, die gänzliche und dauernde Trennung Arabiens von den Hauptmittelpunkten der mohammedanischen Regierung anbahnte. In einem Lande, wo Fahrstrassen und Eisenbahnen gleichmässig unbekannt sind, muss örtliche Entfernung immer einen zertheilendeu Einfluss üben. Dazu aber kamen bald noch andere und nicht weniger wichtige moralische Ursachen. Allerdings, während des ersten Jahrhunderts der Herrschaft der Abbasiden fesselte die arabische Abstammung der Khalifen, ihre Uebereinstimmung mit arabischen Gebräuchen und Lebensweise, ihre Freigebigkeit und leichte Zugänglichkeit, noch immer die grosse Masse ihrer Landsleute an ihr Sccpter. Die Regierung eines 'Abd-Allah-es-Seffah, Ga'afar, Mahdi und der übrigen, bis auf Harun-er-Raschid und seine Nachfolger herab, war durchaus arabisch, und deshalb erwähnen weder Geschichte noch Tradition, dass während ihrer Herrschaft unter den zahlreichen Statthalterschaften Arabiens eine Empörung von einiger Bedeutung ausgebrochen sei. Aber mit Harün-er-Raschld begann eine Veränderung, welche den ganzen Charakter des Khalifats von Bagdad progressiv modificirte und verschlechterte und endlich für immer seinen arabischen Unterthanen entfremdete. Persische Sitten und Gebräuche fanden Eingang bei Hofe und übten ihren schädlichen Einfluss auf alle Zweige der Verwaltung. Die Liberalität und freie Zugänglichkeit der früheren Khalifen verwandelte sich in die cereraonielle Abgeschlossenheit, hochmüthige Un-245 zugänglichkeit und nachlässige Indolenz eines Achämenidischen Palastes, und die Araber, welche nach Bagdad kamen, fühlten sich nun hier nicht weniger fremd, gröblich verachtet und mit Füssen getreten, als sie jemals vorher in Schiraz oder Ispahan gewesen waren, und die fremden Strömungen in Religion und Lehre, welche Bagdad und seine Khalifen in entgegengesetzte und extravagante Richtungen rissen, lösten endlich die letzten Bande, welche die arabische Nation noch an die Familie Haschern und den Islam knüpften. Die grosse Trennung fing an und war von nun an nicht mehr aufzuhalten. Der erste Ausbruch, der das Signal für alle übrigen war, wurde durch das Oberhaupt der Karmathen, Abu Tähir, geleitet, dessen Festung und prächtigen Palast ich selbst bei Katif am persischen Meerbusen besucht habe. Die Geschichte der Karmathen, ihre Grundsätze , ihre Erhebung und Wachsthum sind von Anderen beschrieben worden, ich werde daher nur Einiges hinzufügen, wenn wir das Land ihrer Geburtsstätte erreichen. Hier will ich nur bemerken, dass lange bevor Tähir als ihr Führer anerkannt wurde, diese gefährlichen Parteigänger sich von der östlichen Küste Arabiens her weit in das Innere verbreitet und selbst bis in die Thäler von Jemen vorgedrungen waren, während Hasa, 'Oman und die ganzen benachbarten Gebiete vollständig in ihren Händen waren. An Tähir fanden sie einen eben so kühnen, als glücklichen Führer. Von der Küste von Hasa bis an das rothe Meer überflutheten seine Heere die ganze Halbinsel, mordend und Alles vernichtend, und als nach dreissig Jahren blutigen Kampfes die erste Wuth der Karmathen nachliess und die wilde Fluth in ihre ursprünglichen Grenzen zurückströmte, liess sie kaum noch eine Ruine zurück, welche anzeigen konnte, wo das Reich der Khalifen im nördlichen und mittlen Arabien gewesen war. Die Provinzen am persischen Meerbusen, das ganze Neged und dessen Nebenländer Schomer, Kasim, Tejma, das Gauf und das umliegende Land waren abgerissen und kehrten nie wieder unter die entkräfteten Herrscher des Nordens zurück. Der Anarchie überlassen, schaarten sich die einzelnen Distrikte um ihre eigenen Häuptlinge und Edlen und führten von nun an Jahrhunderte lang ein Leben von Fehden und Kämpfen, in aller Freiheit einer Missregierung, unterbrochen von einzelnen Zeiten der Kraft und glänzender, aber schnell vorübergehender Wohlfahrt. Wie es namentlich mit Gauf und Schomer ging, haben wir bereits erzählt und die folgenden Seiten werden einiges Licht auf die dunkle Geschichte von Neged und Kasim werfen. Die landeinwärts gelegenen Provinzen von Jemen, Negrän und Khaulän, nebst 'Aasir, hatten mit den Karmathen gemeinschaftliche Sache gemacht und an ihren Erfolgen Theil genommen. Sie wurden jetzt die Zufluchtsstätte für Tausende dieser Sektirer, und Festen, welche Jahrhunderte lang allen fremden Angriffen trotzten. Die Seeküste von Jemen, nebst Sana'a, erhielt ihre nationale Unabhängigkeit wieder, aber der verhältnissmässig friedliche Charakter ihrer Einwohner bewog sie, eine Zeitlang bald mit dem Khalifen von Aegypten, bald mit dem in Bagdad, ein nominelles Bündniss aufrecht zu erhalten, um so mehr, da sie aufrichtig und durch und durch Mohammedaner waren und die Trennung von den grossen politisch-religiösen Mittelpunkten des Islam für ein Unglück und eine Sünde hielten. 'Oman hingegen mit einem grossen Theile von Hadramaut südlich, und Katar und Bahrejn nördlich, nahmen mit Freuden die Gelegenheit des karmathischen Bündnisses wahr, um sich gegen die Verwüstungen des Krieges zu schützen und als eine neue Gewähr dauernder Unabhängigkeit. Nur die jährliche Wallfahrt und die Gelegenheit, welche sich zuweilen bot zwischen den Häuptern von Jemen oder Khejbar, wenn diese, einmal für nöthig hielten, ihre Streitigkeiten einer fremden Entscheidung anheimzustellen, bewahrte den Khalifen noch einen Schatten der Macht, welche sie über das Hegäz und das Gebiet von Mekka beanspruchten. Jahre und Jahrhunderte gingen dahin; die Rosse Hulagus traten den letzten Khalifen von Bagdad unter ihre Hufe; Türken und Turk-manen, Kurden und Mamluken gründeten ephemere Reiche, mit Dynastien, welche sich pomphafte Titel beilegten, die Alle aus Blut entsprungen, mit Blut genährt, bald wieder in Blut untergingen; Kreuzfahrer von Westen und Tartaren von Osten mordeten an der Küste Syriens und den Ufern des Nil und Euphrat, oder wurden gemordet; an diesem Allen aber hatte Arabien keinen Theil; nicht eine Welle dieser Gegenströmungen schlug über den Damm, der den Eingang zu seinen Wüsten verschloss. Endlich drangen die ottomanischen Heere an seine Grenzen, und Syrien und Aegypten wurden Paschaliks von Constantinopel. Doch auf dem arabischen Boden war die Pilgerstrasse von Ma'än nach Mekka und einige unbedeutende Aussenposten und Häfen Alles, was die Türken ererbten oder für sich in Besitz nahmen, von den Tagen Selims im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts bis auf 'Abd-el-'Aziz in unseren Tagen herab. Die Nähe Aegyptens, das nur durch einen schmalen Meerbusen von der arabischen Küste getrennt ist, hat in der That mehr als einmal zu fremdem Einfluss oder Invasionen Gelegenheit gegeben, die aber meist sehr oberflächlich und von kurzer Dauer waren. Mehr als einmal haben die Mameluken durch ihre Einmischung die Streitigkeiten der westlichen Häuptlinge mehr angeschürt als geschlichtet, und in neuerer Zeit haben wir sie selbst als Herren von Neged und ägyptische Statthalter in den Küstenstädten des persischen Meerbusens gesehen. Dieser Einfluss dauerte aber nur kurze Zeit, die Strömung verlief sich zu schnell wieder und der Felsen steht noch, wo er stand, bevor die Fluth eintrat, und zeigt keine Spur der Wassermarke. Arabien aber, so sich selbst überlassen und in eine wirre Masse kleiner Herrschaften und localer Interessen zerfallend, bewahrte noch immer in seinem Innern dieselben grossen Abgrenzungen, die es vor dem Emporkommen des Islam hatte, und selbst ohne wesentliche Veränderung. In der Verschiedenheit der Rasse begründet und durch Unähnlichkeit der socialen Entwickelung gepflegt, sind solche Abgrenzungen nicht allein ihrem Wesen nach unzerstörbar, sondern werden auch wahrscheinlich dann am deutlichsten hervortreten, wenn sie durch Entfernung äussern Druckes ihrer eigenen ungestörten Action überlassen bleiben. Die Grenzlinien zwischen den Reichen 'Oman, Neged, Jemen, Schomer und Hegäz, welche auf unserer Karte angegeben sind, sind kaum mehr politische, als ethnographische Grenzen, und als solche müssen sie immer bleiben. Gewisse Anomalien mögen in der That vorkommen; so sind Hasa und Kasim, das eine der Rasse nach näher mit 'Oman, das andere näher mit Schomer verwandt, als mit Neged, doch seit einigen Jahren dem letztern einverleibt, in Folge der grössern Macht und der Kriegsereignisse. Die gegenwärtige vollständige Trennung Jemens und 'Omans, trotz der verwandten Abstammung ihrer Bevölkerung ist.ganz andrer Art. Ich glaube aber nicht, dass man diesen drei Ausnahmen, welche die Umstände leicht erklären, auf der ganzen Halbinsel noch eine vierte hinzufügen könnte. Indessen Leben und Bewegung, die sichere Begleitung, wenn nicht das Wesen des Lebens, gingen' vorwärts und arabische Thatkraft, obwohl auf ihrem Laufe gehemmt, war nicht weniger kräftig, wo sie nur irgend einen Ausgang fand. Internationaler Handel und Alles, was der Handel im Gefolge hat, — Kunst, Geschmack, Reichthum — stieg in manchen Theilen des Landes zu bedeutender Höhe, namentlich in der Mitte und im Osten, während zu einzelnen Zeiten sich 248 jene merkwürdigen Männer erhoben, welche die benachbarten Staaten nöthigten, ihre Meinung anzunehmen und sich ihrer Herrschaft zu unterwerfen, bis der Distrikt, in dem sie erstanden, zu einer Provinz und die Provinz zu einem Reiche heranschwoll. Die Geschichte eines solchen Mannes, nämlich Teläl-ebn-Raschids, haben wir bereits erzählt; über Mohammed-ebn-'Abd-el-Wahhäb, den Gründer der Wahhabi-Sekte, und seinen kriegerischen Mitarbeiter S'aüd-ebn-S'aüd, werden wir unten genauer berichten; auch Andere werden Jeder an seinem Platze Berücksichtigung finden. Der aber, welcher uns in dieser Periode unserer Reise zunächst angeht, ist Därim, der Held des mittelalterlichen Kasim. Därim scheint — denn bei der Unsicherheit der arabischen Zeitrechnung darf man sich kaum bestimmter ausdrücken — um das vierte oder fünfte Jahrhundert des Islam, also etwa im elften Jahrhundert unserer Zeitrechnung, gelebt zu haben. Geboren zu Rass, aus einer alten und edlen Familie, die aber jetzt ganz verloschen ist, entsprungen, wurde er, noch jung, unbeschränkter Herr seiner Vaterstadt und fügte bald auch das übrige Kasim dem beschränktem Erbe seiner Vorfahren zu. Seine Herrschaft war natürlich willkürlich, aber doch volksthümlich, und die Befestigungen von 'Onejzah, welche ihm zugeschrieben werden, beweisen, dass der Wunsch, seine Vaterstadt zu kräftigen, ihn nicht hinderte, seine Aufmerksamkeit der Wohlfahrt und Sicherheit der ganzen Provinz zuzuwenden, die zu seiner Zeit die hohe Blüthe des Handels erreicht haben soll, welche sie lange behielt. Aber Kasim war zu eng für Därims Ehrgeiz; er griff das Neged an, unterwarf den grössern Theil desselben, führte dann seine Heere gegen Jemen, besiegte dessen Häupter in dem Thale Negrän und bestimmte endlich die südliche Grenze seines Reichs bei Wadi Selejjel und Kela'at Bischa'. Dieses Reich, denn ein solches war es,, hinterliess er seinen Söhnen, und seine Nachkommen behaupteten die Herrschaft, so weit ich nach Zusammenstellung der Data annähernd berechnen kann, ziemlich drei Jahrhunderte hindurch, so lange wenigstens hatte Kasim die Oberherrschaft über Centraiarabien, und ich kann nicht entdecken, dass sie von irgend Anderen, als den Beni Därim gehandhabt wurde, bei denen sie von Vater auf Sohn vererbte, ebenso wie in neuerer Zeit die Herrschaft Ebn-Raschids und Ebn-Sa'üds. Endlich verdrängte die wachsende Macht der Häuptlinge von 'Aared und Jemämah die Herren von Kasim aus den Grenzen von Gebel Towejk und ihr Ansehen schwand allmälig zu einem provincialen und endlich zu einem blos localen Vorrange, bis der wabhabitische Strom sie endlich ganz und für immer wegspülte. In Wechselbeziehung zu der Herrschaft Därims kamen Vlie alten Formen des arabischen Aberglaubens, namentlich der Dienst der Planeten, in Kasim wieder zum Vorschein, und der Mohammedanismus wurde erst von den Wahhabiten wieder hergestellt. Ich sage die alten Formen arabischen Aberglaubens, denn eigentlichen Götzendienst gab es in Arabien nie, wenigstens nicht in grosser Ausdehnung, und selbst da, wo er existirte, nahm er bei weitem nicht jene groben Formen an, die bei den Griechen und Römern nur zu gewöhnlich waren und die man auch jetzt noch bei den Nationen Hindostans sehen kann. Der arabische Götzendienst niederem Charakters und einfach genug in seinen Sinnbildern, war fast ausschliesslich auf die westlichen Provinzen beschränkt; im Innern und über die Grenzen von Hegäz und Jemen hinaus war er beinahe unbekannt; während die religiösen Gebräuche des innern Landes sich gerade dadurch auszeichneten, dass alle Symbole und Bilder fehlten. Negative Thatsachen werden am sichersten durch negative Beweise festgestellt, und einen solchen, und in dieser Beziehung sehr wichtigen, haben wir im Koran selbst. Dieses Buch, in welchem jede Art des volkstümlichen Aberglaubens oder Unglaubens, die dem Verfasser bekannt war, nicht allein ausdrücklich erwähnt ist, sondern selbst mit aller Bitterkeit polemischer Beredtsamkeit übertrieben wird, enthält durchaus keine Erwähnung von Götzen oder Götzendienern in dem wahren Sinne des Wortes, ausser in Erzählungen, die sich auf vergangene Zeiten und mythische Rassen beziehen. Seinen Zeitgenossen giebt Mohammed allerdings Schuld, dass sie dem höchsten Herrscher untergeordnete Mächte „associiren"; aber selbst diese „Association" hat in dem Sinne des Schreibens eine Bedeutung, die bei weitem zu comprehensiv ist, um auf Heidenthum oder Götzendienst in unserm Sinne des Wortes ausgedehnt zu werden; selbst Lät, 'Oz-zah und Minah, die Halbgötter des Stammes Koreisch, und die Steine, welche ihre Namen führten, waren sehr verschieden, sowohl an sich selbst, als hinsichtlich der Verehrung, welche ihnen gezollt wurde, von der Pallas im Parthenon oder der Minakschi von Madura. Noch viel weniger waren die „Ansab" und „Azlam", die der Prophet so energisch verwirft, Götzenbilder, — vielmehr blosse Symbole und Werkzeuge eines abergläubischen Princips, ähnlich wie der Krummstab der Auguren oder der Dreifuss zu Delphi. Wirklicher Bilderdienst, wenn er wirklich bestanden hätte, konnte in den heftigen Declamationen des arabischen Knox, der gegen weit weniger Anstössiges mit solcher Wuth eiferte, kaum unbemerkt übergangen werden. Ein allgemeiner Glaube an ein höchstes Wesen, Urheber und Herrn des Weltalls, hat seit undenklichen Zeiten in ganz Arabien o vorgeherrscht. Manche Gelehrte haben die Meinung aufgestellt, dass die Araber dieses Dogma aus fremden Quellen, jüdischen und anderen, geschöpft haben; dies ist aber nach meiner Ansicht ein Irrthum, und die Beweise, welche sie dafür anführen, haben eine zu beschränkte Anwendung, um eine ähnliche Theorie für wenigstens drei Viertheile der Halbinsel zu rechtfertigen. Schriftliche Nachrichten, die in der Hauptsache unbezweifelt echt sind, und jedenfalls die einzigen Nachrichten, welche wir besitzen, stellen den Monotheismus als die Religion dar, zu welcher sich die Araber seit den ältesten Zeiten bekannten, und er überdauerte alle von der Seite kommenden verderblichen Einflüsse. Aber das Hauptdogma war durch zwei verschiedene Kräfte einigermassen verdunkelt und selbst zuweilen in den Hintergrund gedrängt worden, nämlich durch den Glauben an den Einfluss der Gestirne und Planeten, einen sehr alten und im Orient weit verbreiteten Aberglauben, und einen grobem Fetischismus, der zum grössteu Theil unter den niederen und weniger gebildeten Klassen herrschte. Dass ersterer in sehr früher Zeit in Arabien verbreitet war, beweist der Name 'Abd-esch-Schems, „Diener der Sonne", des vierten Königs von Jemen, die Verehrung, welche der Zahra', oder dem Morgensterne, erwiesen wurde, und das Zeugniss des Koran selbst; dass aber auch der letztere Aberglaube sehr häufig war, geht daraus hervor, dass sich noch bis heute auf der ganzen Halbinsel, im Geheimen selbst auf dem wahhabitischen Gebiet, Gebräuche erhalten haben, welche mit dem alten Fetischismus zusammenhängen, der schriftlichen Nachrichten über diesen Gegenstand und uralter lokaler Traditionen gar nicht zu gedenken. Beide Ausartungen des altern und reinem Glaubens bestanden in Kasim, die förmliche Wiederherstellung des Planetendienstes oder des sabäischen Cultus aber wird Därim zugeschrieben. Dies ist auch nicht unwahrscheinlich, wenn man in Betracht zieht, dass seine Regierung mit der gänzlichen Emancipation dieser Gegend von der islamitischen Herrschaft zusammenfällt. Wir hatten jetzt bei diesem Punkte unserer Reise das Glück, ein eigenthümliches und altes Denkmal dieser Form religiösen Gefühls od"er Vcrirrung mit eigenen Augen zu sehen. Am Rande des Hochlands hatten wir einen Augenblick Halt gemacht, um die prächtige Aussicht zu bewundem. Zu unseren Füssen lag die weite Ebene; in der Entfernung von einigen Meilen sahen wir die dichten Palmenhaine des Dorfes 'Ejun und was von seinen Thür-men und seiner Citadelle das dicke Laub noch zu sehen erlaubte. Weit zu unserer Rechten, d. i. gegen Westen, bezeichnete ein dunkler Fleck das gepflügte Land und die Anpflanzungen, welche die Stadt Rass umgeben; und eine Menge anderer Dörfer und Weiler waren über die ganze Ebene hingestreut. Auf der Länge des ganzen Bergrückens, wo wir standen, erhoben sich die hohen runden Wach-thürme von Kasim in verschiedenen Entfernungen noch weit in die Ebene hinaus. Aber unmittelbar vor uns stand ein bei weitem merkwürdigeres Denkmal, welches selbst die Aufmerksamkeit und Verwunderung unserer arabischen Begleiter auf sich zog.- Denn kaum waren wir den schmalen Pfad hinabgestiegen, der sich von Rand zu Rand nach dem Fusse des Gebirges hinabwindet, so erblickten wir mehrere ungeheure Steine vor uns, grosse senkrecht aufgestellte Rollsteine, die auf einigen ähnlichen, quer übergelegten Massen ruhten. Sie waren in einer Curve geordnet, die, wie es schien, einen Theil eines grossen Kreises gebildet hatte, und viele andere ähnliche Bruchstücke lagen in geringer Entfernung auf dem Boden; die Anzahl der noch aufrechtstehenden war, soviel ich mich erinnere, acht oder neun. Zwei, die etwa zehn bis zwölf Fuss von einander standen und grossen Thürpfosten glichen,* trugen noch ihre horizontale Oberschwelle, einen langen Block, der querüber gelegt war; einige wenige hatten keinen obern Querstein mehr, die übrigen trugen jeder sein Kopfstück, trotz der Zeit und der noch destructiveren Anstrengungen der Menschen. Einer dieser Querbalken schien so hübsch im Gleichgewichte zu liegen, dass , ich, in der Hoffnung, er könnte sich als Wagstein erweisen, mein Kamel gerade darunter lenkte und dann meinen Reitstock ausstreckte, so weit der Arm reichte, um ihn anzustossen, er bewegte sich aber nicht. Nach der Höhe des Kamels und der Länge des Stocks zu ur-theilen, musste der Stein in einer Höhe von vollen fünfzehn Fuss über dem Boden liegen. Diese Steinblöcke scheinen, ihrer Qualität nach, aus dem nahen Kalksteinabhange gebrochen und roh zugehauen zu sein, tragen aber weiter keine Spur von Kunst, noch eine Fuge oder Höhlung, die auf Opfer deuten könnte, noch weniger etwas, das einer Figur oder Verzierung ähnlich wäre. Die Bewohner des Landes sagen, Därim habe die Steine mit eigner Hand aufgestellt; — er war ja ein Riese, — vielleicht auch durch irgend eine magische Ceremonie, da er auch ein Zauberer war. Auf Rass deutend, sagten unsere Gefährten, dass dort ein ähnlicher Steinzirkel, ebenfalls von gigantischen Dimensionen, exi-stlre, und erzählten auch noch von einem dritten, der sich in südlicher Richtung finde', d. i. nach Henäkijah, an der Grenze des Hegäz zu. Dass der Zweck dieser merkwürdigen Bauwerke in irgend einer 252 Weise religiös war, scheint mir kaum zweifelhaft; und wenn die gelehrten Vermuthungen, welche in Stonehenge und Carnac die Symbole eines Planetendienstes entdecken wollen, irgend Grund haben, so kann dieses arabische Monument in einer Gegend, wo man weiss, dass die Himmelskörper von den Einwohnern verehrt wurden, einen gleichen Grund haben; in der That, es ist kein grosser Unterschied zwischen dem Steinwunder in Kasim und dem in Somersetshire, nur dass das eine sich in Arabien, das andere, obwohl vollkommener, sich in England findet. Es war jetzt hoher Mittag. Unsere Gesellschaft machte im Schatten dieser Ungeheuern Steinpfeiler Halt, um von der Ermüdung eines langen Marsches auszuruhen und mythische Fabeln von Därim und seinen Thaten zu erzählen, während Folejh die ganze Gesellschaft, Gross und Klein, höflichst einlud, in seiner Wohnung in dem benachbarten Städtchen 'Ejun eine Abendmahlzeit einzunehmen. Es ist nicht nöthig zu sagen, dass die Einladung mit Freuden angenommen wurde, und unser künftiger Wirth, nebst seinen beiden Begleitern, brach sogleich nach dem noch etwa zwei Stunden entfernten Städtchen auf, um die Vorbereitungen zur Bewirthung seiner Gäste zu treffen, indess wir ein wenig später aufbrachen und unterwegs noch einmal im Schatten eines mit Früchten beladenen Palmenhains ausruhten, in der Nähe eines Brunnens, wo wir frisches Wasser trinken und so lange bleiben konnten, bis die grösste Hitze vorüber war, ehe wir unsern Weg nach 'Ejun fortsetzten. Während wir hier ruhen und mit Erlaubniss des Eigenthümers die am Rande des Wassers liegenden reifen Datteln auflesen, mögen einige Worte über die Naturgeschichte und den allgemeinen Charakter des Landes dieser Gegend nicht überflüssig sein; sie können in ein Land einführen, das vielleicht meinen Lesern ebenso neu ist, als es für mich selbst war. Das arabische Wort Kasim bedeutet einen sandigen, aber fruchtbaren Boden. Dies ist in der That die Provinz vorherrschend. Der Boden, roth oder gelb, scheint auf den ersten Anblick wenig zu versprechen; er ist jedoch besser, als er scheint, und hat sogar, wo die Bewässerung hinreicht, eine reiche und mannigfaltige Vegetation. Zum Glück findet man hier Wasser überall und in sehr geringer Tiefe unter der Oberfläche: sechs Fuss ab und zu war das Höchste, was ich in einem Brunnen in Kasim, vom Randsteine bis auf den Wasserspiegel mass, oft viel weniger. Ich machte meine Erfahrung im Herbste, wo die Feuchtigkeit in diesem Klima ihr Minimum erreicht, im Winter aber, wurde mir erzählt, sollen die Brunnen überlaufen, so 253 dass sich kleine Seen bilden, von denen manche, obwohl natürlich in ihren Dimensionen sehr zusammengeschrumpft, den Sommer überdauern, und selbst auf Landkarten angegeben worden sind, obwohl sie diese Ehre sehr wenig verdienen. Das Land ist im Ganzen eben, doch sind Sandhügel und Abhänge von fünfzig bis sechzig Fuss Höhe nicht selten. Diese Abhänge sind zum grössten Theil mit kleinem Ithel-' und Ghadagesträuch bedeckt, während die breitblättrige Khurta, eine Pflanze, die hier häufig zum Gerben gebraucht wird, der dornige Katäd, den die Kamele sehr gern fressen, eine Species des Tej'un, — ein hohes Kraut mit vielen Stämmen und einem lanzenförmigen Blatte, das an Gestalt und Geruch einige Aehnlichkeit mit unserm Eisenkraut hat — in den Niederungen vorherrschen. Hier, wie in den meisten Theilen Arabiens, ist die Dattelpalme der Hauptartikel des Anbaus. Von diesem Baume giebt es jedoch viele sehr von einander verschiedene Species, und Kasim kann sich rühmen, die besten irgend bekannten zu besitzen, mit einziger Ausnahme der Khalas von Hasa, von welcher unten mehr. Die Datteln werden in der letzten Hälfte des August oder Anfang September reif, und wir hatten so die schönste Gelegenheit, sie zu kosten. Wer, wie die meisten Europäer zu Hause, die Datteln nur im getrockneten Zustande kennt, kann sich keine Vorstellung machen von dem köstlichen Geschmack, den die frischen Früchte in Centraiarabien haben. Auch ist sie frisch gepflückt nicht erhitzend, ein Fehler, der der getrockneten Frucht immer anhaftet; noch auch kann man sie sich, obgleich sie sehr nahrhaft ist, zum Ueberdruss essen ; kurz, sie ist ein ebenso angenehmes wie gesundes Nahrungsmittel, und dazu in ihrer Heimath zum Erstaunen wohlfeil. Die besten Datteln aus den Gärten von Berejdah, so viel, dass man ein grosses arabisches Tuch von etwa dreiviertel Elle ins Gevierte fast bis zum Bersten anfüllen kann, bezahlten wir mit nicht mehr als etwa drei Farthing. Wir hingen sie an den Deckbalken unseres Zimmers auf, um die übersüsse Frucht vor den Ameisen zu schützen. Drei Tage lang, ehe wir mit dem Inhalte fertig wurden, obwohl wir bei jeder Mittagsmahlzeit und Abendmahlzeit davon assen, tropfte in einem fort eine flüssige Süssigkeit davon herab, so dass sich auf dem Fussboden förmlich eine zuckerhaltige Pfütze bildete. I. 13 Die Dattelbäume sind aber auch die Quelle des Wohlstandes der ländlichen Bevölkerung Arabiens, und einige Palmen reichen oft hin, einen armen Städter oder Dorfbewohner mit seiner ganzen Familie zu erhalten. Die Frucht dient zur Nahrung und nimmt beinahe dieselbe Stelle ein, wie in Frankreich oder Deutschland das Brod ; das Uebrige, 254 oft in ziemlich grossen Quantitäten, wird nach Jemen und Hegäz ausgeführt, die in dieser Beziehung von der Natur weniger begünstigt sind. Das Niederhauen der Palmen des Feindes ist in Kriegszeiten eine wichtige Sache, die Bepflanzung eines neuen Stückes Feld ist das erste Zeichen des wachsenden Wohlstandes. Die Mohammedaner versichern und glauben fest, dass dieser Baum nur in den Ländern gefunden wird, die sich zum Islam bekennen, kurz, dass er ein Segen ist, der dem „Gläubigen" niemals fehlt, aber auch ihm allein vorbehalten ist. Wäre dies wirklich der Fall, so müsste manche schöne Anpflanzung in Hasa und 'Oman verwelken, manche Distrikte in Schomer gar nicht gerechnet. Aber Er, der seine Sonne scheinen lässt über Gerechte und Ungerechte, scheint den Dattelbaum nicht einer so exceptionellen Wohlthat vorbehalten zu haben, auch kann man nicht bemerken, dass seit der Islam durch Mohammed II. in Constantinopel Fuss gefasst hat, dort in besonderer Menge Palmenhaine entstanden seien. Fruchtbäume von verchiedenen Arten, im Allgemeinen denen in Schomer ähnlich, aber fruchtbarer, findet man hier ebenfalls. Kornfelder, Mais, Hirse, Wicken u. s. w. umgeben die Dörfer und tragen eine reiche Ernte, neben Melonen und Küchengewächsen. Aber die Ausdehnung der Bodenbebauung ist durch die Notwendigkeit einer künstlichen Bewässerung beschränkt. Ein anderes Produkt von Kasim — und es war mir nach einer jahrelangen Abwesenheit von Indien -wie ein alter Freund — ist die Baumwolle, dieselbe Species, welche in Guzerat und Cutsch gebaut wird. Die Einwohner kennen den Gebrauch sehr wohl, aber die Quantität, welche hier erbaut wird, ist zu gering für die Ausfuhr. Unter günstigeren Verhältnissen könnte sie viel zu dem Wohlstande des Landes beitragen, denn Klima und Boden vereinigen sich, um der Pflanze genügende Stärke zu geben, und der Ertrag ist hier ebenso reich, wie in Indien, auch die Qualität scheint mir durchaus nicht geringer. Hier fand ich auch zum ersten Male eine weiter südlich sehr , gewöhnliche narkotische Pflanze, die mit merkwürdigen Eigenschaften begabt ist. Ihre Samenkörner, in denen 'die schädliche Kraft hauptsächlich zu wohnen scheint, bringen, gestossen und in kleinen Dosen gereicht, eine Wirkung hervor, die grosse Aehnlichkeit mit derjenigen 255 hat, welche Sir Humphry Davy's Lachgas haben soll; der Patient tanzt, singt und begeht allerlei Tollheiten, bis er nach etwa einer Stunde in Schlaf verfällt und wenn er erwacht, alle Erinnerung an das, was er im Kausche gethan oder gesprochen, verloren hat. Eine Messerspitze voll von 'diesem Pulver Einem in den Kaffee zu thun, der keine Ahnung davon hat, ist ein nicht ungewöhnlicher Scherz, und ich hörte nie, dass er ernste Folgen hatte, obwohl eine übermässig grosse Quantität vielleicht gefährlich sein kann. Ich selbst versuchte es an zwei Individuen, aber in Proportionen, die, wenn nicht absolut homöopathisch, doch so gering waren, dass sie nicht gefährlich sein konnten, und sah die Wirkung mit an, die allerdings ziemlich lächerlich, aber höchst harmlos war. Die Pflanze erreicht in Kasim noch kaum die Höhe von sechs Zoll über dem Boden, in 'Oman aber sieht man Sträucher von vier bis fünf Fuss Höhe, die sich oft weit ausbreiten. Der Stamm ist holzig und hat unter der Schale eine gilbliche Farbe; das Laub ist dunkelgrün und gezackt, mit etwa zwanzig Blättchen zu beiden Seiten; die Stengel sind glatt und glänzend; die Blüthen sind gelb und wachsen in Büscheln mit vielen Staubbeuteln; die Frucht ist eine Samenkapsel, mit einer grünlichen Füllung, in welcher zwei oder drei schwarze Körner eingebettet sind, die etwa die Grösse und Gestalt einer kleinen weissen Bohne haben. Der Geschmack derselben ist süsslich, aber mit einem eigenthümlichen Beigeschmack von Opiat; der Geruch ist stark und beinahe widerlich. Während meines Aufenthalts in Sohar und 'Oman, wo diese Pflanze in grosser Menge wächst, sammelte ich einige Proben, um sie zu Hause einer botanischen Untersuchung zu unterwerfen, sie gingen aber, wie noch vieles Andere, bei meinem Schiffbruch verloren und später fand ich auf meiner ganzen Reise diese merkwürdige Pflanze nicht wieder. Stramonium Datura, oder Stechapfel, ist nicht selten, und seine Eigenschaften sind bekannt genug, nicht als Arzenei, sondern als Gift. Vergeblich aber sah ich mich nach dem indischen Hanf oder der Haschischpflanze um, auch schien Niemand den Gebrauch derselben zu kennen, worüber ich mich sehr wunderte. Kaffee wächst hier nicht, sondern wird aus Jemen eingeführt, zuweilen auf dem geraden Wege über Wadi Negrän, gewöhnlicher über Mekka. Aegyptische und europäische Manufakturwaaren werden ebenfalls von Mekka und Giddah hieher gebracht; und Pollaks phosphorirte Zunderbüchschen aus. Wien findet man, nachdem sie die heiligen Städte Arabiens passirt haben, 256 in den Läden zu Berejdah und 'Onejzah. Ein bedeutender Handel wurde einst mit Damaskus betrieben, dieser aber hat in der neuern Zeit und unter der wahhabitischen Herrschaft aufgehört. Der Weg nördlich, von Kasim nach Syrien, geht nicht über Gebel Schomer, sondern folgt einer geradern und leichtern Linie durch Khejbar und von da die gewöhnliche Pilgerstrasse. Aus dem, was ich bisher gesagt habe, wird man Manches über den Charakter der Einwohner entnehmen können; diese stehen an physischer Begabung und der Statur nach etwas niedriger, als die Leute in Schomer und in mancher Hinsicht auch niedriger, als die Einwohner des obern Neged, aber sie übertreffen beide an commer-ziellen und industriellen Talenten; sie haben viel von der heitern und liebenswürdigen Munterkeit der Ersteren, nebst einem guten Theile der Ausdauer und des festen Zusammenhaltens der Letzteren. Aber zu diesen Eigenschaften kommt bei den Einwohnern von Kasim noch etwas von der Schlauheit und Unruhe ihrer Nachbarn im Hegäz, mit denen sie eine gewisse äusserliche Aehnlichkeit haben; auch sind sie nicht ganz frei von einem gewissen Eigennutze, der die Bewohner von Mekka und Medinah kennzeichnet, wenn er auch bei ihnen nicht auf den ersten Anblick hervortritt. Aber trotz dieser ungünstigen Punkte herrscht der Typus von Schomer entschieden in Kasim vor und die Bevölkerung im Allgemeinen bietet gute Elemente, die einer bessern Entwickelung fähig sind, als man unter der gegenwärtigen Verwaltung hoffen kann. In Beziehung auf Religion hat ihnen ihr langer Verkehr mit Mekka einen Anstrich des modernen Islamismus gegeben, den man in anderen Provinzen Centraiarabiens vergeblich sucht. Der Assimilations-process hat vor der wahhabitischen Aera begonnen und datirt wahrscheinlich von dem Sinken des Hauses Därims und der Trennung Kasims von Neged, vor etwa zweihundert Jahren. Zu dieser Zeit scheint Mekka und sein Gebiet etwas von seinem alten Vorrange wiedererhalten und die Schätze aufgehäuft zu haben, welche hundert Jahre später Ebn-Sa'üd als Beute davonführen konnte. Daher kommt es, dass wir in Kasim, aber nur in Kasim, Moscheen von früherm Datum, als dem Ende des letzten und Anfang dieses Jahrhunderts sehen, die sogar mit Minarets geschmückt sind, gegen den wahhabitischen Gebrauch, während unter den gelehrteren und ernsteren Klassen ein erblicher Vorrath koranischer oder traditioneller Kenntnisse bemerkt werden kann, der der Conversation und den Manieren einen sehr eigen-thümlichen und unverkennbaren Anstrich giebt, abgesehen von den 237 öffentlichen Predigten und Ermahnungen. Bei den genauen territorialen und commerziellen Verbindungen Kasims mit den grossen Mittelpunkten der mohammedanischen religiösen Action lässt sich dies erwarten. Derselben örtlichen oder einflussreichen Nachbarschaft können wir sicher auch den ausserordentlich niedrigen Standpunkt der Sittlichkeit in der ganzen Provinz beimessen, die bei weitem niedriger steht, als in dem übrigen Centraiarabien, da grobe Laster hier häufiger vorkommen, als in Schomer, und offener zu Tage treten, als in Sedejr lind 'Aared. Die abscheuliche Sittenlosigkeit der Mekkaner, Vornehmer wie Geringer (ich spreche nach sicherer Kenntniss), ist in der That hinreichend, um Nachbarn mit festeren Grundsätzen zu verderben, als die Leute in Kasim, und mancher Besucher der Kaaba kan n mit vollem Rechte die Worte auf sich beziehen, welche der arabische Dichter 'Omar-ebn-Abi-Rabiah auf seiner Rückkehr von Mekka sprach : Ich zog hin in der Hoffnung, die Last meiner Sünden zu erleichtern, und kehrte zurück mit einer neuen Last von Uebertretungen. Dies aber ist ein Gegenstand, der verdient, mit Müsse untersucht zu werden, und ich verspare daher eine vollständigere Erörterung für unsern viermonatlichen Aufenthalt in der Hauptstadt der Wahhabiten. Die Sonne neigte sich dem Untergänge zu, als wir unsern Palmen-liain verliessen und den Weg nach 'Ejun einschlugen, wo Folejh einstweilen seine Lämmer geschlachtet und den Reis zu unserer Bewirthung gekocht hatte; da er nahe an dreissig hungerige Gäste zu versorgen hatte, so war nicht mehr als billig, dass wir ihm gehörige Zeit für seine Vorbereitung Hessen. Unsere Reisegesellschaft war übrigens noch durch vier Wesen von einer besondern Ordnung vermehrt worden. Dies waren reisende Derwische, zwei von ihnen aus Kabul, einer aus Bokhara und der vierte ein Beludsche, die bei ihrer Rückkehr von Mekka nach ihren östlichen Heimathländern den Weg durch Centraiarabien genommen hatten, der hier eine Strecke mit dem unserigen zusammenfiel. Der Beludsche war ein ältlicher Mann, zwischen Fünfzig und Sechzig, nach seinem weissen Haar und den Runzeln im Gesicht zu urtheilen, mager, lang, und verstand kaum ein Wort arabisch; die drei Anderen waren jünger und kräftiger; Alle jedoch trugen deutliche Zeichen der langen Beschwerden und der grossen Ermüdung von ihrer langen Reise, die sie ganz zu Fuss zurückgelegt hatten, in einem solchen Klima und auf solchen Wegen. Die aus Kabul und Bokhara sagten, dass, ehe sie hoffen könnten, ihren heimathlichen Heerd wieder zu erreichen, ihre Wanderung ziemlich zwei Jahre gedauert haben 258 würde, und bei ihrer Art zu reisen, konnte es auch nicht weniger sein. Alle trugen die ihrem Stande und ihrem Lande eigenthtimliche Kleidung, ■— die hohe wollene Mütze, weites Oberkleid, weite Beinkleider und ein über die Schultern geworfenes Umschlagetuch. Ihrem Bekenntniss nach, und ich glaube auch wirklich, dass sie die Wahrheit sagten, waren sie Sonniten, obwohl man in diesem Punkte sich nicht immer auf die Aussage verlassen kann, da auch viele Schi-ja'i aus diesen Ländern das Ansehen und die Kennzeichen der Sonniten annehmen, um sich bei ihrer Reise durch Länder, in denen diese Form des Mohammedanismus vorherrscht, und namentlich auch in Mekka selbst, bessere Aufnahme zu sichern. Ihre Sekte, wahr oder angeblich, war die des Ebn-Hanifah, dessen Lehre in Kabul, Balkh, Bokhara und Beludschistan am meisten verbreitet ist. Diese Derwische lebten von Almosen, die sie unterwegs erbettelten, und sahen sehr arm und andächtig aus. Die Ankunft dieser Leute war jedoch nur Wenigen von unserer Gesellschaft angenehm. Der Derwisch ist im innern Arabien in jeder Hinsicht ein Fisch ausser dem Wasser. Von den Wahhabis sind sie in der Regel verabscheut und von der übrigen arabischen Bevölkerung werden sie nicht viel besser angesehen, weil sie in ihrer Lebensweise die Verkörperung eines religiösen Systems sind, welches gewöhnlich mit Gleichgültigkeit, oft sogar mit Widerwillen angesehen wird. Die neuen Ankömmlinge wurden daher von unseren Gefährten mit manchen sarkastischen Bemerkungen begrüsst, bis endlich die arabische Gutmüthigkeit die Oberhand gewann und die Derwische zur Theil-nahme an solchen Vortheilen und Hilfsleistungen gelangten, die sich Reisende unterwegs gegenseitig leisten oder von einander annehmen. Manche Europäer haben sich auf ihren Forschungsreisen im Orient für wandernde Derwische ausgegeben; dies ist jedoch aus verschiedenen Gründen sehr unzweckmässig. Es ist überflüssig, über die moralische Seite dieses Verfahrens eip Weiteres zu sagen, das unsophistischen Gemüthern immer anstössig sein wird. Eine Religion zu erheucheln, die man selbst nicht glaubt, mit peinlichster Genauigkeit, als von höchster und heiligster Wichtigkeit Gebräuche zu vollziehen, die man im Innern verlacht und die man bei der Rückkehr Anderen gegenüber ins Lächerliche zu ziehen beabsichtigt, wochen- und monatelang die heiligste und ehrwürdigste Stellung des Menschen gegen seinen Schöpfer zu einer überlegten und unwahren Mummerei zu ma-259 chen, Anderes und noch Schlimmeres gar nicht zu erwähnen, — dies Alles scheint sich kaum mit dem Charakter eines anständigen Menschen zu vertragen, noch weniger mit dem eines Christen. Indem ich dieses sage, muss ich jedoch durchaus jeden Gedanken an eine Anspielung auf irgend einen bestimmten Fall depreciren, mit dessen besonderen Umständen ich unbekannt bin ; aber ganz abgesehen von der moralischen Seite, so ist auch eine solche Verkleidung als Derwisch keineswegs geeignet, den Zweck, weshalb man sie annimmt, zu erleichtern, sondern vielmehr demselben geradezu hinderlich. „C'est pis qu'un crime, c'est une betise." — Dies bedarf einer kurzen Erklärung. Die Derwische im Orient sind keineswegs isolirte Individuen; sie gehören zu weit verbreiteten und fest geschlossenen Körperschaften, welche jede und alle unter das Haupt einer grössern und authentischen Schule der Lehre und der Gebräuche classificirt sind, — die Refaa'jl, Käderi, Bekri, Schädel! u. s. w., die man im Allgemeinen nach den Namen ihrer Stifter nennt. Welches die Grundsätze, welches die Unterschiede dieser verschiedenen Schulen sind, das zu prüfen, kann ich mich hier nicht aufhalten. Orientalisten und Geschichtschreiber haben diesen Gegenstand zum Theil schon ausführlich behandelt, obwohl man dem, was sie darüber gesagt haben, noch Vieles beifügen kann. Genug, dass jede Schule, jede Brüderschaft ihre eigene Lehre und technischen Ausdrücke, ihre'eigentümlichen Gebräuche und Observanzen, ihre Heiligen und Lehrer, grossen Männer und Gründer hat. Die Orden der Franziskaner oder Karthäuser, Dominikaner oder Benediktiner sind nicht mehr im Kleinsten von einander verschieden, als die Schüler jedes Heiligen und Stifters dieser religiösen Körperschaften, einer orientalischen Re-production der christlichen Askese. Stellen wir uns nun vor, dass ein protestantischer Reisender aus Edinburgh oder Stockholm aus irgend einem Grunde Spanien oder Italien unerkannt zu durchreisen wünschte und deshalb die Verkleidung eines Benediktiners oder Franziskaners annähme, um in den katholischen Ländern sein Incognito besser bewahren zu können. Es ist klar, das Resultat würde kein anderes sein, als dass er sich in überflüssige Schwierigkeiten verwickelt sähe und die Gefahr einer Entdeckung verdoppelte oder verdreifachte. Sollte auch wirklich die grosse Menge, durch sein Kleid und Tonsur 260 getäuscht, ihn hie und da für Das nehmen, was er zu sein vorgiebt, in welche Lage würde er gerathen, wenn er mit einem wirklichen Mitgliede des Ordens zusammenträfe ? Und sollte nun gar irgend ein schlauer Mönch, was sicher nicht ausbleiben würde, die Autheuticität des fremden Bruders für verdächtig halten und ihn mit einigen jener familiären Fragen und anspielenden Redensarten versuchen, die, so zu sagen, die Freimaurerei jeder geschlossenen Körperschaft bilden! Weit besser würde unser Nordländer seinen Weg gegangen sein ohne Kutte und ohne Gürtel; und ohne unter der grossen Menge aufzufallen. Ich glaube in der That nicht, dass irgend Jemand, von dem das Gerücht geht, er habe in mohammedanischen Ländern diesen Plan verfolgt, wirklich uuentdeckt durchgekommen ist. Manche Fälle von Entdeckung, und die sehr unglückliche Folgen hatten, sind bekannt. Einzelne, die glücklicher waren, sind zurückgekehrt, um sich zu rühmen, die orientalische Religion ungestraft zum Spott gemacht zu haben und ihren eingebildeten Erfolg zu veröffentlichen. Ich habe aber guten Grund zu glauben, dass in keinem Falle der Erfolg genau so gewesen ist, wie sie sich einbilden. Von einem oder zwei solcher Pseudoderwische habe ich die Eingebornen des Landes selbst, welches sie zum Schauplatz ihres eingebildeten Incognito machten, erzählen gehört, und bin überzeugt, dass sie überall erkannt, oft betrogen, und von Schlimmerem nur durch die kluge Höflichkeit Derer gerettet wurden, mit denen sie ihr gutes Glück zusammengeführt hatte. Diese aber waren Leute von ungewöhnlicher Geschicklichkeit und lange mit dem Orient bekannt; ich kann mir daher kaum einbilden, dass Andere, die mit weniger Geschicklichkeit begabt sind und nur oberflächliche Kenntniss des Orients haben, in ihrer Verkleidung glücklicher gewesen sein sollen. Meine Leser werden es vielleicht auffallend finden, dass eine solche Entdeckung stattfinden kann, ohne dass sogleich vollständige Blosstellung, wo nicht Schlimmeres, folgt. Dies ist jedoch oft der Fall und hängt mit einem merkwürdigen Zuge des orientalischen Charakters und des Geistes des Islam zusammen. Der asiatische Mohammedaner, selbst wo er den besten Grund hat zu zweifeln, ist vorsätzlich ohne Verdacht in Beziehung auf Jeden, der sich äusserlich zu demselben Glauben bekennt, und zwar in Uebereinstimmung mit einer ihm im Koran mit den strengsten Worten auferlegten Verpflichtung. „Sage nicht zu Einem, der dir begegnet und dich grüsst: „„du bist kein wahrer Glaubiger"", und „0 ihr wahren Gläubigen, vermeidet den Verdacht, denn der Verdacht ist oft ein Verbrechen", sind Worte, welche Alle kennen und die Alle befolgen. Der Ausspruch, welchen die Tradition dem Propheten beilegt: „Wer auf einen Gläubigen den 261 Flecken des Unglaubens wirft, ist selbst ein Ungläubiger", hat denselben Zweck. Es ist daher bei allen, oder doch wenigstens den meisten Mohammedanern ein fester Grundsatz, dass Jeder, der beschnitten ist und sagt: „es ist kein Gott ausser Gott", ein gesetzlicher und ächter Muslim ist und das volle Recht hat, als ein solcher betrachtet und demgemäss mit Nachsicht und Hochachtung behandelt zu werden. Sein innerer Glaube oder Unglaube ändert an der Sache nichts; von seinen Gedanken hat Niemand das Recht, Kenntniss zu nehmen. „El batin Tllläh" — „das Innere gehört Gott allein" — ist ein von Allen anerkannter Grundsatz. Und in Folge dessen können getaufte Mohammedaner und fingirte Derwische, selbst wenn sie ihre Rolle ziemlich schlecht spielen, den Vortheil äusserlicher Conformität geniessen und werden nur für Heuchler und Betrüger gehalten, aber nicht als Verbrecher bestraft. Diese letzten Bemerkungen beziehen sich insbesondere auf Mekka, die Pilgerstrasse oder andere Oertlichkeiten an der Seeküste und deren Nähe. Im innern Arabien aber kann die Sache leicht eine schlimmere Wendung nehmen. Denn die Nachsicht, welche man Betrügern zu Theil werden lässt, erstreckt sich nicht auf Spione, und als solcher würde im letztgenannten Lande Jeder angesehen und dem-gemäss behandelt werden, der eine solche Rolle als Derwisch spielen wollte. Davon ist erst unlängst ein trauriges Beispiel vorgekommen, und die Gebeine eines unglücklichen europäischen Reisenden, die seit sieben Jahren in der Nähe von Derej'ijah in der Sonne und im Regen bleichen, legen davon Zeugniss ab. - Dieser Unglückliche, von dessen Schicksal ich vielleicht seinen Freunden in Europa die erste traurige Kunde bringe, hatte sich vorgenommen, bis nach Neged vorzudringen und auf dem Wege, der von der östlichen Küste in das Innere führt, die wahhabitischen Provinzen zu erreichen und zu durchwandern. Bis dahin war Alles gut, und wir werden im letzten Theile dieses Werks, wo dieselbe Reiselinie befolgt wird, nur von der entgegengesetzten Seite her, sehen, dass sie in der That die leichteste und nächste ist. In einer unglücklichen Stunde aber fiel es ihm ein, die Kleidung eines Derwisches anzulegen. In dieser Verkleidung schiffte er, so wurde mir erzählt, von der Insel Bahrejn an die nahe Küste von Hasa und ging nach Hofhüf, wo damals Mohammed-es-Sedejri, im Namen des wahhabitischen Monarchen 262 Fejsal, Statthalter war. Während unser Reisender in Hofhüf war, zog sein den Fremden verrathendes WTesen und namentlich ein mit seinem Charakter als Bettler unverträglicher Aufwand zuerst Aufmerksamkeit und dann Verdacht auf Sich. Ehe viele Tage vergingen, wurde von dem Statthalter ein Courier nach Riad abgefertigt, der Fejsal von der Ankunft eines Wolfs in Schafskleidung (oder vielmehr eines Schafs in Wolfskleidung) innerhalb der Grenzen des wahhabitischen Schafstalles in Kenntniss setzte. Mit acht arabischer Vorsicht schickte Fejsal den Befehl, den sogenannten Derwisch nicht zu belästigen oder zu hindern und sorgfältig Alles zu vermeiden, woraus er Verdacht schöpfen könnte, dass er entdeckt sei, vor Allem aber ihm zuzureden, seine Reise in das Innere und nach der Hauptstadt fortzusetzen. Nach drei oder vier Wochen verliess der Reisende, der nicht ahnte, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren, Hofhüf, ging durch Wadi Faruk und die Dahnä an den Rand des Gebel Towejk, von da in das Wadi Solej' und kam endlich in trügerischer Sicherheit in Riad an, wo er sich, halb als Gast, halb als Bettler, am Thore des Palastes Fejsals vorstellte. Der Kämmerer, 'Abd-el-'Azlz, empfing ihn, wie es Sitte, und fragte nach Namen und Geschäft des Neu-Angekommenen. Letzterer gab an, er sei ein wandernder Derwisch, der auf dem Wege nach Mekka begriffen sei. Er wurde höflich zu Kaffee eingeladen und mit anderen Zeichen orientalischer Gastlichkeit getäuscht, während 'Abd-el-Aziz hinging und die alte Spinne im Palaste benachrichtigte, dass die Fliege nun recht in der Mitte des Gewebes festsitze. Der unglückliche Reisende hielt eben seine Mittagsruhe, in der sichern Ueberzeugung, dass er einige Tage unbelästigt und selbst geehrt in der Hauptstadt von Neged zubringen könne, als ihm vom König die Weisung kam: „Wir Wahhabiten brauchen keine Derwische in unserm Gebiete; der Fremde soll sich daher morgen früh nach Mekka auf den Weg machen, wo er sicher bessere Aufnahme finden wird, als wir ihm hier geben können." Zugleich wurde ihm eine kleine Summe Geldes eingehändigt, etwa neun Schilling (engl.),.das gewöhnliche Almosen, welches bei solchen Gelegenheiten an den königlichen Thoren verabreicht wird, dazu ein Kamel zum Reiten und das Versprechen, dass er bis zum nächsten Ruheplatze Führer erhalten solle. An Widerstand war nicht zu denken und ebenso wenig an Aufschub. Zur bestimmten Stunde brachen zwei Diener des Palastes mit ihrem Opfer auf und schlugen den Weg nach Westen ein. Sie hatten Befehl, ihn auf den Weg zu bringen, der durch die Ruinen von Derej'ijah führt, wo noch jetzt die wildesten Fanatiker der wahhabiti- 263 sehen Sekte hausen. Als der Reisende mit seinen Führern aus Riad in der Nähe dieses Ortes ankam, machten Letztere den Einwohnern die Mittheilung, dass unter der Verkleidung eines Derwisches ein europäischer Spion versteckt sei. Einige Minuten später lag der Reiseride von mehreren Flintenkugeln durchbohrt, todt unter den Palmen bei Derej'ijah. Diese Einzelnheiten erfuhr ich an Ort und Stelle, und ich fürchte, dass die Erzählung in der Hauptsache nur allzuwahr ist, da seit sieben Jahren, wie mir bei meiner Rückkehr erzählt wurde, keine Nachricht und kein Brief von dem unglücklichen Forscher nach Europa gelangt ist. Von einer andern Art, die zum Glück nicht ungewöhnlich ist, mit welcher in den wahhabitischen Provinzen Diejenigen behandelt werden, welche einen Verdacht auf sich gezogen haben — „Et quo-rum pars magna fui", — werde ich unten zu sprechen Gelegenheit haben. Aber obige Erzählung enthüllt eine dritte und sehr ernste Inconvenienz, die sich in diesen Ländern an den Derwisch - „Hund" knüpft, auch wenn er unentdeckt bleibt. Es ist wahr, dass in den gewöhnlichen mohammedanischen Ländern einem ächten Derwisch oder den man für einen solchen hält, fast immer mit einem gewissen Grade von Achtung, zuweilen Verehrung, begegnet wird, selbst wenn sein eigenthümlicher Anzug oder sein ganzes Auftreten ihn zuweilen etwas lächerlich machen; seine Stellung hat in einer Art Aehnlichkeit mit der eines Bettelmönchs in katholischen Ländern, den man ehrt, trotzdem dass man zuweilen über ihn lacht oder sich ein Spässchen mit ihm erlaubt. Unter den Wahhabiten aber ist seine Stellung durchaus verschieden: hier ist ein Derwisch, gleichviel ob Sonni oder Schija'i, ein Gegenstand positiven Abscheus und gilt nicht nur für einen Ketzer, sondern für die eigentliche Quintessenz von Ketzerei und Gräuel. Er ist der Bettelmönch mit Kutte und Rosenkranz unter einem wilden Haufen städtischen Janhagels. „Das Huhn ging zum Teiche, um seine Füsse zu waschen und beschmutzte sie mit Schlamm", sagt ein tamulisches Sprichwort, welches kaum eine bessere Anwendung finden kann. — In einer Abhandlung über die Ruinen von Nekeb-el-Hegär, welche Capitain Welsted vor beinahe dreissig Jahren der Londoner geographischen Gesellschaft mittheilte, schlug dieser ehrenhafte und furchtlose Offizier eine bessere und sicherere Art zu reisen vor. Die Profession eines Kaufmanns oder Arztes ist, wie er richtig bemerkt, die, welche am wahrscheinlichsten den Reisenden vor Verdacht schützen wird, und 264 die ihm zugleich einen plausiblen und respectablen Vorwand für wissenschaftliche Forschungen giebt, indem sie ihn so in Stand setzt, einen ehrenvollen Zweck zu erreichen, ohne Mittel anzuwenden, die ich für sehr zweifelhaft halten muss. Als ich meine Reise antrat, hatte ich die Abhandlung des tapfern Capitäns noch nicht gesehen. Aber mehrere Monate nach meiner Rückkehr kam sie mir zu Händen, und ich freute mich zu finden, dass derselbe Plan, den mich sowohl Erfahrung als Bildung anzunehmen bewogen hatten, von einer so hohen Autorität gebilligt und bestätigt wurde. Ehe ich aber zu der oft unterbrochenen Erzählung meiner Reise zurückkehre, muss ich diese Winke, die für europäische Reisende im Orient, wie ich hoffe, nicht ganz unbrauchbar sein werden, vervollständigen, indem ich noch einen allerdings merkwürdigen, aber vollkommen wahren Umstand erwähne. Mau hat oft gemeint, dass die Araber einen ausserordentlichen Widerwillen gegen die Christen, als solche, haben, und dass daraus dem Reisenden die hauptsächlichsten Gefahren und Schwierigkeiten entstehen. Dies scheint mir ein Irrthum. Als Christ bekannt zu sein, bringt in Arabien (mit Ausnahme von Mekka und dessen Zubehör, in einem gewissen Grade und unter gewissen Umständen) keine Gefahr und selbst kaum Unbequemlichkeiten. Wo ist nun aber die Quelle der Gefahr? Denn Gefahr ist bei einer Reise in Arabien allerdings. Sie besteht hauptsächlich in dem Falle, dass man als Europäer oder Agenten für Europäer erkannt wird, und dies kann sehr schlimme Folgen haben; im besten Falle würde man allen Forschungen des Reisenden dadurch ein Ende machen, dass man ihn ohne Weiteres unter scharfer Aufsicht wieder über die Grenze zurückbrächte. Obwohl nun die Eigenschaften eines Christen und eines Europäers in der Person eines Reisenden vereinigt sein können, so sind sie es durchaus nicht auch nothwendig nach den Begriffen eines Arabers, und die Gefahr knüpft sich nur an den Europäer, nicht an den Christen. Wenn daher der Reisende für einen asiatischen Christen gelten kann, wird ihm sein Christenthum als solches durchaus keine Ungelegenheit bringen. Er wird natürlich, namentlich in den fanatischen Distrikten, z. B. in einigen Theilen des wahhabitischen Reichs, weder seine Religion vor Leuten zur Schau tragen, bei denen er unvermeidlich Anstoss damit erregt, noch dem Publikum Gebräuche oder Meinungen aufdringen, die allerdings lobenswerth, aber hier nicht an der Zeit sind. Mag er seine Religion für sich behalten, ohne die Anderer zu heucheln, und ruhig seines Weges gehen, sicher wird dann Niemand so unhöflich sein, ihn nach seinem Glauben und seiner Sekte zu fragen. „Ed-diu l'Hlah" — „die Religion geht Gott allein 265 an".— ist ein Ausspruch und Grundsatz, der bei allen Arabern gilt, die irgend Anspruch auf Selbstachtung und gute Erziehung machen. Einem ungezogenen Burschen, der grob genug ist, Einen darüber zu fragen, gebe man ruhig die Antwort: „Kullon lahu medheb" — „Jeder bat seine Weise" — und man wird finden, wie ich mehr als einmal erfuhr, dass die Anwesenden ihm einstimmig Beifall zollen und den Frager zur Ruhe verweisen. Niemand ist verbunden, sein Herz auf der Zunge zu tragen, und ebenso wenig, seine Glaubensansichten Jedermann aufzutischen. Aller- dings giebt es Gelegenheiten, wo offenes und positives Bekenntniss des Glaubens eine Pflicht sein kann, und zur Zeit des Krieges wird kein Soldat seine Uniform verstecken; aber solche Fälle haben mit dem gewöhnlichen alltäglichen Leben nichts gemein, und werden einem Kaufmann oder Arzte, der unter Leuten reist, denen sein Glaube vollständig gleichgültig ist, wenn nur seine Waaren gut und seine Arze-neien wirksam sind, selten vorkommen. Ferner, Niemand ist verbunden, Die, welche ihn umgeben, mit Reden oder Handlungen," von denen er weiss, dass sie ihnen anstössig sind, willkürlich zu verletzen, um so mehr, wenn er voraussehen kann, dass dies zu nichts Gutem führt. Es ist wahr, in dem Hause des Rimmon sich niederzuwerfen, war eine ausnahmsweise gegebene Erlaubniss, die unter sehr kitzeligen Umständen gegeben wurde, und vielleicht nicht um allgemein nachgeahmt zu werden. Aber noch seltener kann es anständig oder vorteilhaft sein, Rimmon in seinem eigenen Hause zu fluchen und zu lästern, wo mau offenbar Gefahr läuft, seine Anbeter in eine sehr gefährliche Aufregung zu versetzen. Und obwohl ein Wahhabite nicht glaubt, dass er nöthig hat, einen Fremden nur deshalb zu schlagen oder zu tödten, weil er ein Christ ist, so wird er doch höchst wahrscheinlich, wenn nicht sicher, das Eine wie das Andere thun, sobald er sich einbildet, dass der Fremde ein Proselitenmacher ist, und auf diesen Gedanken kommt er sicher, sobald der Ankömmling sich gegen den Glauben des Landes in offenen Antagonismus setzt oder seinen eigenen auf eine auffallende Weise zur Schau trägt. Kurz, man kann als guter Christ durch ganz Arabien und selbst das Neged reisen, ohne jemals nöthig zu haben, seine Religion oder Ehre blosszustellen, dazu aber ist volle Kenntniss orientalischer Sitten und wenigstens einer orientalischen Sprache unumgänglich nöthig, nebst grosser Vorsicht und Behutsamkeit in Reden und Handeln. Ernster Wille, fester Muth, ein gutes Gewissen uud der Schutz dessen, in dessen Händen die Enden der Erde sind, werden das Uebrige thun. Ich sage nicht, dass dessenungeachtet noch immer nicht Ge- 266 fahren und Hindernisse vorkommen können. Der heiterste Himmel kann sich plötzlich verfinstern; zieht man aber Alles in Betracht, so nehme ich keinen Anstand zu versichern, dass der angedeutete Plan, derselbe, dem ich folgte, der beste, vielleicht der einzige ist, und wenigstens bei weitem mehr Aussicht auf Erfolg bietet, als jeder andere. Zum Schluss noch eine Bemerkung über diesen Gegenstand. Ich sagte, dass die Religion eines Fremden in diesen Gegenden an und für sich weder seine persönliche Sicherheit gefährden, noch dem Zwecke seiner Reise hinderlich sein wird. In Centraiarabien wissen nur Wenige, was Christen sind: Manche halten sie blos für eine eigenthüm-Iiche Sekte der Mohammedaner, Andere für Ungläubige; Manche nennen sie Brüder, Andere schimpfen sie Ketzer. Im Allgemeinen aber ist man den Christen nicht ungünstig gesinnt, ausser unter der streng wahhabitischen Bevölkerung, und selbst hier sind sie noch besser angesehen, als die Juden, die durch ganz Arabien in einem sehr schlechten Rufe stehen. Auch kann man nicht selten unter den Wahhabiten gelehrte und 1 gebildete Leute finden, so weit nemlich Bildung und Gelehrsamkeit hier gehen, die in glücklicher Unkenntniss der Aussenwelt ganz ernstlich glauben, dass die ganze Welt, mit allen Menschen und Genien, die sie enthält, seit langer Zeit den Islam angenommen, und die daher gegen das Christenthum eine rein historische Abneigung haben, wie etwa ein Professor der Theologie gegen die assyrische oder griechische Mythologie, und die nicht im geringsten daran denken, dass die Christen noch jetzt ein Gegenstand des Hasses sein können. Bei diesem Düster in ethnologischer und religiöser Statistik werden meine Leser begreiflich finden, wenn wir selbst nicht selten für Mohammedaner gehalten wurden, wenn auch nicht eben für die eifrigsten , da wir in Gebeten und Abwaschungen sehr nachlässig waren; oft auch hielt man uns für Türken, Kurden, Albanesen, die durch ihre Nachlässigkeit in solchen Dingen eine sehr unerwünschte Berühmtheit erlangt haben, bis in das eigentliche Herz Arabiens hinein. Meine Freunde in Neged gingen noch einen Schritt weiter und meinten, weil ich blaue Augen und hellbraunes Haar habe, müsse ich ein desertirter türkischer Offizier sein, der sich irgend eines schweren Disciplinar-vergehens schuldig gemacht und auf arabisches Gebiet geflohen sei, 267 um einer militärischen Strafe zu entgehen. Andere, die von den medizinischen Schulen in Aegypten gehört hatten, Hessen mich aus Aegypten kommen, noch Andere suchten meine Heimath noch weiter westlich in Marokko, und da alle Marokkaner Zauberer sind, so musste auch ich einer sein, ich mochte wollen oder nicht; bei allen diesen Vermuthungen aber war ich Mohammedaner. Auf solche Fragen, welche die arabische Höf! chkeit an einen Fremden zu richten erlaubt, wie: „woher kommt ihr?" — „wohin geht ihr?" — „welches Geschäft betreibt ihr?" antworteten wir natürlich: „Wir kommen aus Syrien und wollen weiter nach Osten." Manche, wie schon bemerkt, meinen, dass Syrien, ebenso wie die ganze übrige Welt, nur von Mohammedanern bewohnt sei, und hielten uns natürlich für solche, Andere fielen in das andere Extrem und waren derMeinung, da alle Mohammedaner in Syrien kürzlich von den Christen niedergemetzelt seien (eine Verdrehung des Blutbades von 1860, die wir in Neged häufig fanden), so mussten wir Christen sein. Dazu kam noch, dass nach der arabischen Tradition die Arzeneikunst ein ausschliessliches Erbtheil der christlichen Nationen sei, auf die sie von den Griechen übergegangen sei, eine Meinung, welche ich schon oben andeutete. Aus diesem Grunde wurden wir den Anhängern des Sohnes Maria's zugezählt. Endlich die bei weitem grössere Mehrzahl, selbst in den wahhabitischen Provinzen, kümmerte sich gar nicht um unsern Glauben, sondern begnügte sich mit unserer Stellung in der sichtbaren Welt, in der Ueberzeugung, dass der uns in der unsichtbaren Welt bestimmte Platz sie nichts angehe. Ein einziges Mal war unsere Religion Ursache zu einer Anklage und konnte uns wirklich Gefahr bringen. Wie die Vorsehung uns aus der Noth rettete, werden wir in der Folge sehen; auch manche Umstände auf unseren weiteren Reisen in Neged, Hasa und 'Oman werden auf diesen dunkeln und verwickelten Gegenstand noch einiges Lieht werfen. Wir wollen aber die Abendmahlzeit, zu der Folejh uns einge- laden, nicht noch länger aufschieben; er erwartet seine Gäste, die durch die vier Derwische vermehrt wurden, welche die unschuldige Veranlassung zu dieser endlosen Abschweifung waren, bereits an der Thüre. Wir waren jetzt unter den äusseren Mauern von 'Ejün; dieses ist ein ziemlich bedeutendes Städtchen, dessen Einwohnerzahl ich min- 268 destens auf zehntausend schätze. Seine centrale Lage, gerade da, wo die grossen nördlichen und westlichen Verkehrslinien zusammenstossen, macht es wichtig, und es ist daher, wenigstens für dieses Land, gut befestigt und besitzt ausser einer massiven und geräumigen Citadelle eine Menge von Wartthürmen, die an Gestalt und Grösse den Dampfessen unserer Fabriken sehr ähnlich sind. Ein ähnliches Ansehen haben auch die meisten anderen Städte und Dörfer dieser Provinz. Wir hielten dicht vor dem nördlichen Thore, legten unser Gepäck ab, bei welchem zwei von der Gesellschaft als Wache zurückblieben, und begleiteten Folejh nach seiner Wohnung. Ziemlich in der Mitte der Stadt kamen wir bei einem grossen Teiche stehenden Wassers vorbei, der mehr als zur Hälfte voll war, gingen dann einige Minuten dicht an den Mauern der Citadelle hin, die sehr alt zu sein scheint. Endlich gelangten wir zu einem seitwärts an der Strasse befindlichen Thore und durch dieses in einen grossen und gut bepflanzten Garten, der voll der höchsten Palmenbäume war, die ich je gesehen. Hier war im Schatten der Palmen eine viereckige Laube errichtet, gross genug für vierzig Personen und für diese Gelegenheit gut mit Teppichen und Matten ausgelegt, auf denen die Gäste je nach Rang und Stellung Platz nahmen. Folejh, der bereits seine staubigen Reisekleider abgelegt hatte, stand im reinen Hemd (man trägt hier drei Stück dieses wichtigen Kleidungsstückes übereinander) und einem prächtigen Oberkleide von scharlachrothem Tuch am Eingange, um die Gäste einzuführen und die feierliche Kaffeever-theilung, welche die Jüngsten seiner Familie besorgten, zu überwachen. Zu gehöriger Zeit wurde die Abendmahlzeit aufgetragen, zwei ungeheure Haufen von Reis mit Schaffleisch, einigen kleingeschnittenen Gemüsen, Gewürzen u. s. w. und Datteln. Nie sind vielleicht Schüsseln schneller ihres Inhalts entledigt und dem Koche und seinem Herrn grösseres Lob von allen Anwesenden gespendet worden. Die Sonne war untergegangen, und da wir noch in der Nacht weiter wollten, durften wir uns nicht länger in der Stadt aufhalten, weil die Thore während der Nacht streng geschlossen bleiben. Wir überhäuften also Folejh mit Dank und guten Wünschen und kehrten dann zu unserm Gepäcke zurück, während die, welche als Wache hier zurückgeblieben waren, nach dem Schauplatze der Gastfreundschaft eilten, um von dem 269 Gastmahle noch den Theil zu erhalten, den ihnen ihre Vorgänger übrig gelassen hatten. Das mag freilich eine sehr kärgliche Portion gewesen sein. Zwischen den Stadtmauern und den nahen Sandhügeln war eine geschützte Stelle, wo wir etwa vier Stunden schliefen, bis der Mond aufging, der im letzten Viertel stand. Dann war auf einmal wieder Alles in Bewegung und machte sich zum Aufbruche nach Berejdah bereit. Aber diese Stadt war noch weit, und als endlich der Tag anbrach, hatten wir noch ein gutes Stück des Wegs zurückzulegen. Dieser führte jetzt zwischen Hügeln durch Thäler, die dicht mit der schon beschriebenen Vegetation bedeckt waren; und bald nach Sonnenaufgang zogen wir eine volle Stunde lang zwischen den Gärten und Feldern des weitläufig gebauten Dorfes Ghät hin, wo ein Dutzend Brunnen das Thal mit einer reichen Bewässerung versorgen. Auf den anliegenden Hügeln — ich will sie nicht Höhen nennen — setzte sich die Reihe von Wachtthürmeu fort, die mit anderen entfernteren Thür-men correspondirte, die zu Dörfern gehörten, welche in der Ferne bald da, bald dort zum Vorschein kamen, deren Namen mir genannt wurden, die ich aber bald wieder vergass. Es war mir sehr unangenehm, dass ich diese und ähnliche Angaben nicht niederschreiben konnte; aber es wäre hier durchaus nicht die Stelle gewesen, einen Bleistift und Notizbuch sehen zu lassen; ich musste mich daher ganz auf mein Gedächtniss verlassen, welches mir bei dieser wie bei mancher andern Gelegenheit manchen schlechten Streich spielte. Meine Bemerkungen übrigens, die ich, wo es die Umstände erlaubten, niederschrieb, gingen zum grossen Theil bei einem Schiffbruch vor Barka verloren, andere, auf einzelnen Blättern, verschwanden, ich weiss nicht wie, als ich bei Abu-Shahr und Basrah an einem typhösen Fieber im Delirium lag. Meine Leser mögen daher die Lückenhaftigkeit meiner Liste gütig entschuldigen. Wir kamen jetzt dem Schauplatze des grossen Kampfes immer näher, welcher zuletzt das Geschick von 'Onejzah und Kasim entscheiden sollte; und unsere Gesellschaft war nicht ohne Sorge, mit Streifpartien zusammenzutreffen. Von Beduinen haben allerdings die Reisenden hier und weiterhin nichts zu fürchten; diese sind gering an Zahl und schwach an Kraft; wohl aber konnte eine Abtheilung von einer oder der andern der beiden feindlichen Armeen unserm Gepäcke und selbst unserer Person leicht gefährlich werden. Wir hatten eben die letzten Anpflanzungen von Ghät im Rücken, und alle Gedanken und Zungen waren voll von Furcht und Hoffnung, als Ghorra-, der Neger, nach-270 dem er sich einige Minuten entfernt, plötzlich mit einem erschrockenen Blicke heransprengte und sagte, er habe soeben einen grossen Trupp Reiter mit Lanzen und Flinten gerade vor uns auf dem Wege gesehen. Einige Minuten lang freute sich der schwarze Lügner an der Verwirrung, Bestürzung, den Vorbereitungen und dem Lärm, den seine Nachricht hervorbrachte. Die Mekkaner fielen beinahe in Ohnmacht und die Frauen schrieen jämmerlich. Endlich aber kehrten einige Beherztere, die es gewagt hatten, nach der Seite, wo der Feind sein sollte, eine Recognoscirung zu unternehmen, mit der tröstlichen Nachricht zurück, dass Alles eine Lüge sei. Jetzt trat Zorn an die Stelle der Feigheit, und Ghorra entging nur mit Mühe einer derben Züchtigung für seinen albernen Spass. Ein Marsch von zwölf Stunden hatte uns ermüdet, die Luft war drückend heiss, was in Kasim nicht ungewöhnlich ist, wo in den sandigen Niederungen und unter einer südlichen Breite das Klima bei weitem schwüler ist, als in Gebel Schomer oder den Gebirgen von Towejk. Wir waren daher sehr froh, als wir auf eine kleine Anhöhe kamen" und die lang ersehnte Stadt Berejdah erblickten, deren Befestigungen sich in einem länglichen Kreise auf einer offenen und bebauten Fläche erheben. Ein ungeheurer Wachtthurm, beinahe hundert Fuss hoch, ein nicht viel kleineres Minaret, eine Masse von Mauern mit Bastionen, wie uns bis jetzt in Arabien noch nicht vorgekommen, grüne Gebüsche ringsherum und dichtes Gesträuch von Ithel, Alles von der hellen Mittagssonne beschienen, gewährte einen überraschenden Anblick, der weit über meine Erwartung ging und eine grosse Bevölkerung und Reichthum ankündigte. Wir sehnten uns, durch diese Thore einzuziehen und auf diesen Strassen zu wandeln; aber wir mussten uns noch eine Weile gedulden. Etwa eine Stunde vor der Stadt lenkte unser Führer Mubärek von der Hauptstrasse rechts ab, über mehrere Sandhügel und heisse Abhänge, bis wir endlich gegen zwei Uhr Nachmittags, halb gebraten von der Sonne und müde wie nie, das Thor seines Gartens erreichten. Hier in einem wohnlichen Landhause, welches an Grösse und Bauart manchen ländlichen Wohnungen im südlichen Italien sehr ähnlich war, wohnte Mubärek mit seiner Familie, Brüdern und anderen Anverwandten. Ringsherum war ein hübscher Garten mit einem Teiche in der Mitte, voll von kühlem klaren Wasser aus dem nahen Brunnen und von Baumwollpflanzen, Mais und blühenden Sträuchern umgeben, zwischen denen hohe Dattelbäume emporragten. Nahe bei dem Teiche stand eine Laube von offenem Gitterwerk, aber von Weinlaub be- 271 schattet, ganz ein Ort, wo bestaubte und von der Hitze ermüdete Reisende sich ausruhen und die Kühlung, welche das nahe Wasser bewirkte, gemessen konnten. Hier brachte unser Wirth, ohne die schlechte Angewohnheit der Drusen des Libanon nachzuahmen (welche ihre Gäste erst lange fragen, was sie wünschen, anstatt ihrer Bescheidenheit zuvorzukommen), sogleich Matten und Kissen, wie hier zu Lande üblich, und setzte, als wir einen Augenblick halb liegend im Schatten geruht, eine Schüssel schmackhafter frischer Datteln, die in seinem Garten gewachsen waren, vor uns hin. Bald kam die ganze Familie, Alt und Jung, eins nach dem andern zum Vorschein, Alle, die gerade zu Hause waren, um uns willkommen zu heissen, mit Ausnahme der Frauen, bei denen eine solche Dreistigkeit eine Verletzung des Anstandes wäre. Denn obgleich die absolute Abgeschlossenheit, welche, wie bekannt, das schöne Geschlecht in den orthodoxen mohammedanischen Ländern physisch und moralisch einkerkert, in Arabien selten oder nie beobachtet wird, wo die Frauen im Gegentheil ein sehr thätiges Leben führen, den Haushalt besorgen, Läden halten, verkaufen und einkaufen und selbst zuweilen in den Krieg ziehen, so findet doch auch hier nicht die leichte und ungehinderte Mischung der Gesellschaft statt, wie in Europa, und der weibliche Theil des Haushalts, obwohl nicht vollständig im Dunkeln, ist noch unter einer Art von Schatten. So sitzen Frauen, junge wie alte (ich meine natürlich solche in mittlen Jahren), niemals mit den Männern der Familie bei Tische, nehmen selten an deren geselligen Zusammenkünften Theil, vor Allem aber würden sie es nicht für anständig halten, Gäste oder Fremde zu begrüssen oder sich mit diesen zu unterhalten. Wenn man jedoch bei längerer Bekanntschaft gewissermassen Mitglied der Familie wird, so gewinnen auch die Frauen grösseres Zutrauen und nehmen zuweilen an vertraulichen Gesprächen Theil. In den Wohnungen der Armen leben natürlich Männer und Frauen alle beisammen und die Trennung der Geschlechter ist weniger streng; in den Häusern der reicheren Familien und Häuptlinge hingegen müssen die Frauen in bestimmten Gemächern bleiben, aus denen sie jedoch Neugierde oder Geschäfte oft in die Gemächer des andern Geschlechts hinüberziehen. Auch der verhüllende Schleier, obwohl sie ihn gewöhnlich tragen, ist nicht so streng vorgeschrieben, wie in Syrien oder Aegypten. Es ist eine Sache der Sitte und der persönlichen Glaubensmeinung, und man kann sich, wenn es die Gelegenheit giebt, leicht davon dispensiren. In manchen Theilen Arabiens, wie z. B. in 'Oman und dessen Pro- 272 vinzen ist er sogar beinahe ganz ausser Gebrauch gekommen. Auch die Beduinenfrauen sind nicht geneigt, ihre schmutzigen und vertrockneten Gesichter mit einer Hülle zu bedecken, die ihnen im Ganzen nur zum Vortheil gereichen könnte. Nur bei den strengen Wahhabiten wird dem Schleier und dem Harem eine gewisse Sorgfalt gewidmet, und hier legt sich die arabische Freiheit selbst etwas von der Knechtschaft des Islam auf. Den Nachmittag und Abend verlebten wir sehr angenehm bei Mubärek; dann übernachteten wir in der Laube, denn das Klima ist so warm, dass mau in dieser Zeit des Jahres den Schutz eines Daches noch nicht bedarf, und am nächsten Morgen setzten wir gestärkt unsern Weg nach Berejdah fort. Die Vorstadt „Dowejrah", „Häuserhäufchen", wo wir uns jetzt befanden, liegt etwa eine oder anderthalb Stunden von der Stadt; von letzterer aber konnten wir von hier aus nichts sehen, so dicht wuchs der Ithel auf den vor uns liegenden Sandhügeln. In Berej- * dah wollten wir uns nur sehr kurze Zeit aufhalten und ohne Verzug weiter eilen, um das Innere und die Hauptstadt von Neged zu erreichen, wo ein längerer Aufenthalt ohne Zweifel wünschenswerth war. Aber der Mensch denkt und Gott lenkt, und wir mussten die Erfahrung machen, dass nach allen erdenklichen Vorkehrungen und Kunstgriffen der Eingang in die wahhabitische Feste keine so leichte Sache war und nicht Jedem, der da kam, gestattet wurde. Siebentes Kapitel Berej dah. Eine Ueberraschung — indisch - persische Pilger — Fejsals Verfahren gegen die Pilger — Abu-Botejn, dessen Erpressungen und Flucht — die Karawane bei Berejdah — Mohanna — sein Charakter — sein Verrath einer persischen Karawane — seine Erpressungen — unsere Wohnung — Schwierigkeiten, weiter zu kommen — Besuch bei Mohanna — seine Burg — deren Bauart — K'häwah — Neged und Wahhabiten — unsere Verlegenheit — Bekanntschaft mit Abu 'Ejsa — dessen Familie, frühere Geschichte und Abenteuer — seine Stellung zu der Regierung in Riad — ein Tag in Berejdah — Besuch im persischen Lager — Perser und Türken — Marktplatz — grosser Platz in der Mitte — Moschee — keine Inschriften — Salz — Charakter der Stadt und Bevölkerung — die Häuser — Unterhaltung in Berejdah — ein Gang in die Gärten — arabische hydraulische Maschine — Kriegsoperationen — das negedäische Lager — ein Scharmützel mit den Leuten von 'Onejzah — Antheil der Berejder — Abend — arabische und persische Stimmen — arabisches Lesen — Sprache in Kasim — Ursprung der arabischen Grammatik — Nacht und Morgen — Ortschaften in der Nähe — Einfluss der wahhabitischen Regierung auf Handel, Ackerbau und Viehzucht — allgemeine Reaction — Veränderungen, welche die Dynastie Sa'üd in Centraiarabien hervorgebracht — Ver-gleichung der Wahhabiten mit den Osmanli — Besuch der Umgebung von 'Onejzah — Mohammed ' Ali-esch-Schiräzi — sein Briefwechsel mit Fejsal — seine Beweggründe zu einer Reise nach Riad — Verständigung mit Abu 'Ejsa — seine Geschichte und Charakter — Habbäsch und der Kaffeemörser — wir verlassen Berejdah. Der Morgen war hell aber kühl, als wir aus den Irrgängen von Ithel und Sandabhängen heraus und in die Gässcben kamen, welche die im Kreise um die Stadt herumliegenden Gärten durchschneiden. Aber hier bei Berejdah sollten wir noch eine unerwartete Ueberraschung haben, die zwar weniger beunruhigend war, als die bei unserer Ankunft in Hä'jel, uns aber dennoch wenig erwünscht kam.: Wir waren eben bei einem Brunnen an der Ecke einer Gartenmauer vorbeigeritten, als wir einen Mann erblickten, dessen Kleidung und ganzes Ansehen einen Maulthiertreiber aus dem Norden verrieth, der seine Thiere in der Pfütze am Brunnen trinken liess. Barakät und ich traueten kaum unseren Augen, denn seit wir die 'Aschga'jijah bei Gaza verlassen und die südöstliche Wüste betreten, hatten wir nirgends weder diese Tracht, noch diese Thiere angetroffen; wie kamen sie jetzt hieher? Wir täuschten uns aber nicht, weder in dem Manne noch in dem Thiere, und als Jener seinen Kopf erhob, um die Vorüberziehenden anzusehen, schien er über unsern Anblick nicht weniger erstaunt, da wir ihm offenbar ebenso unerwartet kamen. Das Räthsel löste sich aber bald. Einige Schritte weiter hin führte unser Weg auf den grossen freien Platz, der an der nördlichen Seite der Stadt unmittelbar unter den Stadtmauern liegt und jetzt ganz mit Zelten bedeckt war, zwischen denen sich Männer in fremdartiger Kleidung, Araber aus der Stadt und der Wüste, Weiber und Kinder, schwatzend und zankend, kaufend und verkaufend, gehend und kommend untereinander drängten; überall sah man Körbe mit Datteln und Gemüsen, Schüsseln mit Eiern und Butter, Gefässe mit Milch und Molken, Stangen mit Fleisch, Haufen von Brennholz u. s. w. u. s. w., Alles in Reihen aufgestellt. Zwischen den um die Feuer sitzenden oder auf ihrem Gepäck liegenden Gruppen bewegten sich Reiter auf Pferden und Kamelen hin und her, und mitten in diesem Gemenge stand ein grosses weisses Zelt, von einer Bauart, die ich seit meiner Abreise aus Indien, vor elf Jahren, nicht wieder gesehen, mit einer grossen vergoldeten Kugel auf der Spitze, und um dieses herum eine Menge kleinerer Zelte, von gestreiftem Zeuge und einer in Arabien durchaus nicht üblichen Form; eine lebhafte Scene, namentlich bei einem hellen Morgen, die aber, wegen ihres ausländischen und nichtarabischen Charakters, eine Erklärung nöthig macht. Diese Zelte gehörten zu der grossen Karawane persischer Pilger, die von Medinah auf dem Wege durch Kasim nach Meschid 'Ali zurückkehrten; daher dieses ganze ungewöhnliche Treiben. Täg-Gehän, die Wittwe 'Asaf-Daulahs, ein Name, der meinen englisch-bengalischen Lesern nicht unbekannt sein wird, war die Hauptperson und ihr gehörte das Zelt mit der goldnen Spitze. Mehrere Indier aus Lucknow und Delhi, Verwandte und Gefolge, waren in ihrer Begleitung, und zu ihrer Sänfte gehörten die Maulthiere und der Treiber, dessen Anblick uns so überrascht hatte. Die übrige Karawane bestand theils aus eigentlichen Persern aus Schiräz, Ispahan und anderen iranischen Städten, theils aus einer noch grössern Anzahl von jener Miscblings-rasse, aus der die schiitische Bevölkerung in Meschid 'Ali, Kerbela 275 und Bagdad besteht. Alle, von wie verschiedener Nationalität sie auch sein mögen, gehören natürlich dieser Sekte an. Zu der ersten oder acht persischen Kategorie im Lager gehörte eine Persönlichkeit, die der Begun selbst an Ansehen kaum nachstand, nämlich Mohammed-'Ali-esch-Schiräzi, aus Schiräz gebürtig, wie sein Beiname andeutet, der Bevollmächtigte der persischen Regierung in Meschid 'Ali, jetzt auf Befehl aus Teheran mit der Führung und Leitung dieser schwierigen und keineswegs sehr sichern Wallfahrt beauftragt. Mit ihm und seinem Gefolge werden wir bald sehr genaue Bekanntschaft machen. Die ganze Karawane zählte etwa zweihundert Köpfe oder etwas mehr. Die Pilger hatten sich bei Riad in Neged versammelt; dorthin waren sie theils von dem nördlichen Sammelplatze zu Meschid 'Ali gekommen, theils von Abu-Schahr (auf den Karten oft Buschire genannt), von wo aus sie über den persischen Golf nach 'Ogejr übergeschifft und von da über Hofhüf nach Riad gegangen waren. Hier hatte ihnen Fejsal, nachdem er die ungeheure Summe von ihnen erhoben hatte, welche die wahhabitische Orthodoxie von den Schijä'i für die Erlaubniss, die heilige Stadt und das Grab des Propheten be- suchen zu dürfen, beansprucht, einen gewissen 'Abd-el-'Aziz-Abu-Botejn, einen Negedäer unter den Negedäern, als Führer und Leiter gegeben, um sie auf dem ganzen Wege nach Mekka und wieder zurück im Namen Gottes und des wahren Glaubens noch gehörig auszuplündern. Ich erwähnte schon oben die Verhandlungen, welche zwischen der persischen Regierung und Teläl im Gange waren, der den Durchzug dieser jährlichen Karawane durch sein Gebiet wünschte. Allein der Weg mitten durch Neged ist gerader und wird deshalb von den Persern vorgezogen, wenn sie dort nur irgend vor Gefahr und Plünderung sicher sind. Um daher die Kosten und Beschwerlichkeiten eines langen Umwegs zu sparen, obwohl dieser nicht mehr als etwa sechs bis acht Tagereisen beträgt, waren die Perser darauf eingegangen, dem wahhabitischen Autokraten einen bestimmten Durchgangszoll zu bezahlen und für sichere Durchreise der Karawane und nöthigen Beistand seiner Ehre zu vertrauen. Fejsal, höchst erfreut, diesen neuen Silberstrom auf seine Mühle 276 leiten zu können, gab die Beweggründe der Bigotterie und des Na-tionalhasses auf, welche seine Vorgänger mehr als einmal bewogen hatten, das vortheilhafte Anerbieten, wenn es von Ketzern kam, zurückzuweisen; gegen angemessene Zahlung würde er wahrscheinlich dem Teufel selbst sicher Geleit durch sein Land nebst Kamelen und Führern gegeben haben. Allein in seinem Gewissen fühlte er sich doch verpflichtet, die Ungläubigen für die negative Gnade, die er ihnen zu erweisen sich herbeiliess, auch tüchtig bezahlen zu lassen; und demgemäss traf er seine Massregeln. Vierzig Goldtomän wurden bestimmt, als Anspruch des wahhabitischen Schatzes auf jeden persischen Pilger für seine Durchreise durch Riad, und vierzig andere für sicheres Geleit durch das übrige Reich. Dagegen verpflichtete sich Fejsal, einen Führer zu stellen, der in Allem, was die specielle Anordnung des Marsches anbelangte, absolute Macht besitzen sollte; und wir können, ohne der Nächstenliebe zu nahe zu treten, wohl annehmen, dass der Diener des Königs nicht gut anders konnte, als das gute Beispiel seines Herrn nachzuahmen und die Ketzer, so viel in seinen Kräften stand, zu rupfen. Jeder Localgouverneur unterwegs musste natürlich den Wink verstehen und sich bestreben, die „Feinde Gottes" (mit diesem Titel beehren die Wahhabiten Alle ausser sich selbst) nicht gehen zu lassen, ohne sie mehr oder weniger auszuplündern, so dass, Alles zusammengerechnet, die gesetzliche und notwendige Abgabe, welche jeder persische Schijäi bei seiner Durchreise durch Centraiarabien unter wahhabitischer Führung und Schutz, zu zahlen hatte, nach meiner Berechnung etwa hundert und fünfzig Goldtomän, d. i. ziemlich sechzig Pfund Sterling, betrug; für einen Perser keine leichte Ausgabe und für einen Araber ein nicht zu verachtender Gewinn. Ausserdem aber können noch scheinbare Zufälligkeiten vorkommen, welche dazu beitragen, die Wolle noch kürzer zu seheereu und zuweilen die Haut selbst mit abzureissen. In diesem Falle befanden sich gerade diese unglücklichen Perser. Ihr Führer Abu-Botejn hatte Alles, wozu er nach dem Gebrauche irgend berechtigt warj sich im Voraus bezahlen lassen und die trostlose Täg-Gehän mehr im Ver- hältniss des bei ihr vermutheten Reichthums, als nach einer festen Richtschnur belastet. Aber er hatte noch mehr gethan, und durch Drohungen und Plackereien, die über alle Beschreibung gehen, selbst Schläge, die der persische Commissar Mohammed 'Ali selbst und in seinem eigenen Zelte bekam, noch unzählige Extra's von den seiner Führung Anvertrauten erhoben, bis er seine Sattelsäcke mit Tomäns 277 gefüllt und seine Kamele mit Raub beladen hatte. Aber bei der Rückkehr mit seinen gemisshandelten Schützlingen von Medinah, wohin er sie geführt, um ihre Andacht und seinen Profit vollständig zu machen, fing er an zu fürchten, dass sie in Berejdah, welches auf ihrem Wege lag, Klage gegen ihn erheben könnten, um so mehr, da Mohammed, Fejsals dritter Sohn, in eigner Person hier war, und dass er endlich gezwungen werden könnte, seinen übelerworbenen Reichthum zurückzuerstatten, — allerdings nicht den schiitischen Eigenthümern, denn dazu war bei einem wahhabitischen Schiedsgerichte wenig Gefahr, sondern an den Schatz in Riad, — während man ihn selbst, wegen eigenmächtiger Beeinträchtigung und Veruntreuung dessen, was in Fejsals Augen zum allgemeinen Besten der Gläubigen war, zur Verantwortung ziehen konnte. Seine Furcht mochte wohl nicht ganz unbegründet sein; aber im schlimmsten Falle hätten einige rechtzeitige Geschenke an Mohanna, den Statthalter in Berejdah, und Mohammed und dessen königlichen Vater sicher Alles wieder gut gemacht. Zu diesem Opfer aber konnte sich Abu-Botejns Geiz nicht entschliessen, und er wählte das Schlimmste, was er in seinem Falle thun konnte, nämlich die Flucht, um einer Untersuchung zu entgehen. Als die Pilger in 'Ejiln ankamen, demselben Städtchen, wo wir vorgestern bei Folejh zu Abend gegessen, verschwand 'Abu-Botejn mit Geld und Allem und floh nach der im Aufstande begriffenen Stadt 'Onejzah, indem er es Täg-Gehän, Mohammed 'Ali und den Uebrigen überliess, ihren Weg, so gut sie konnten, allein aus Arabien herauszufinden. Gegen gute Zahlung führten die guten Leute in 'Ejün die bestürzten Pilger nach Berejdah. Aber ein Unglück kommt nie allein, und die Perser kamen aus dem Regen in die Traufe. Mohanna war derselbe, den 'Abd-Allah, der Sohn Fejsals, vor einigen Jahren, nach der Niedermetzelung der Familie 'Alej'jän, über Berejdah und Kasim als Statthalter gesetzt hatte. Mohanna hatte in jeder Beziehung den Wünschen seines Herrn entsprochen und war in dessen Fusstapfen getreten. Alle erdenklichen Mittel wurden von diesem schlauen und schlechten Manne angewendet, um den Muth von Kasim zu brechen, dessen Hilfsmittel zu erschöpfen und den letzten Schein von Freiheit zu erdrücken. Mit grösster Strenge sah man auf die Befolgung aller wahhabitischen Verordnungen gegen Seide, Tabak, 278 Schmuck u. s. w., was den Ruin des Handels herbeiführte, und die reichsten Kaufleute und fleissigsten Handwerker wurden aus ihren Läden und Werkstätten fortgeführt, — wovon wir bald in Hasa ein noch auffallenderes Beispiel sehen werden, — um einen Säbel umzugürten und eine Flinte auf die Schulter zu nehmen, deren Gebrauch sie beinahe vergessen hatten, und an den immerwiederkehrenden Kriegszügen der Wahhabiten gegen die Feinde Gottes und des Glau- bens, meist gegen ihre eigenen noch unabhängigen Landsleute, theil-zunehmen. Dabei fällte Mohanna seine Taschen durch Geldstrafen, Steuern und Contributionen, die er unter jedem Vorwande und bei jeder Gelegenheit erhob, und häufte so, in dem Vertrauen, dass einige kleine Unterschlagungen bei einem so werthvollen Diener der Regierung wohl Entschuldigung finden würden, mehr Reichthümer auf, als Kasim jemals in den Händen eines Einzigen gesehen hatte, selbstfceines absoluten Herrschers. Aber mit Vorsicht darauf bedacht, das allgemeine Beste nicht in die Gefahr zu bringen, seine persönlichen Verdienste zu verlieren, nahm er selbst nie an den Expeditionen Theil, bei welchen er nur das unwichtige Leben der Kasiraschen „Polythejsten" — denn so werden sie von ihren Eroberern noch genannt — aufs Spiel setzte, und blieb zu Hause, um über seinen Geldsäcken zu brüten, während Andere für ihn auf dem Schauplatze der Gefahr das Geld zusammenbrachten. Der Discretion dieses Menschen fanden sich jetzt die schiitischen Pilger anheimgegeben. Man kann sich leicht denken, welche Guust sie aus den Händen eines so wahren Gläubigen erwarten konnten, und im Fall sie darüber ungewiss waren, konnten sie aus einem Vorfall, der sich vor etwa sechs Jahren ereignet hatte, lernen, wessen sie sich von Mohanna zu versehen hatten. Die Sache scheint unglaublich, ist aber vollständig wahr. Im Jahre 1856 kam eine grosse persische Karawane, die selbst, nachdem sie in Riad schon gehörig ausgeplündert war, noch immer grossen Reichthum besass, auf dem Wege nach Mekka hieher und machte in Berejdah Halt. Bei dem Anblicke der Menge von Gepäck erwachte die Habgier Mohanna's, der vermuthete, dass sie auch noch eine entsprechende Summe Geldes in ihren Beuteln bei sich führten. Er lud also die Pilger ein, einige Tage als seine Gäste von der Ermüdung des Weges auszuruhen, und begann nun damit, ihnen ein schreckliches Gemälde von den Gefahren zu entwerfen, die ihnen unterwegs von Räubern und Beduinen drohten, wenn sie ihren ganzen Reichthum mit in das Hegäz nehmen wollten. Um sie dieser Gefahr zu überheben, 279 erbot er sich, Alles, was sie an werthvollen Gegenständen besässen, in seine Obhut zu nehmen, und versprach, Alles unberührt bis zu ihrer Rückkehr zu verwahren, während sein eigner Sohn sie nach Mekka begleiten sollte, als ein Pfand für die Redlichkeit und ehrlichen Absichten seines Vaters. Die Perser Hessen sich täuschen und gingen auf den Vorschlag ein. Alles Gepäck, das nicht durchaus nöthig für die Reise war, blieb in den Lagerhäusern Mohanna's, und Alles, was sie an Geld entbehren konnten, wurde in seinen festen Kisten niedergelegt. Unter Leitung des ältesten Sohnes Mohanna's, dessen Namen ich oft gehört, aber vergessen habe, zogen die Perser weiter. Der Sohn war ein würdiger Sprössling des Vaters; anstatt die Karawane den sichern und gewöhnlichen Weg zu führen, brachte er ßie in die sandige Einöde und wasserlose Wüste der Nefüd, welche nördlich von der Strasse liegt, dicht unter dem westlichen Ausläufer des Gebel Towejk. Forcirte Märsche, brennende Sonne und Mangel an Wasser und ailen Bedürf- nissen des Lebens rieben ihre Kräfte bald auf, und während sie ermüdet und entmuthigt mitten in dem Sandlabyrinthe lagerten, ritt der Sohn Mohanna's nebst allen Arabern, die er bei sich hatte, bei Nacht auf ihm allein bekannten Wegen davon und überliess die Pilger ohne Führer, ohne Lebensmittel und ohne Wasser dem Verderben. Fast Alle kamen um. Nur eine kleine Anzahl fand nach unsäglichen Mühen und Duldungen ihren Weg aus der Wüste heraus und kehrte zurijpk, um ihre traurige Geschichte in Berejdah zu erzählen. Hier aber wollte Mohanna sie nicht kennen und leugnete, irgend etwas von ihrem oder ihrer umgekommenen Gefährten Eigenthum in Händen zu haben; so mussten sie ohne Hilfe sich nach Meschid 'Ali durchbetteln. Zwei Jahre lang nach diesem Vorfall wagte sich kein Perser nach Centraiarabien. Endlich aber vermochten die Entschuldigungen und Versprechungen Fejsals die leicht zu täuschenden Behörden in Teheran und Kufa, ihre Pilger wieder durch das Neged zu schicken. Aber an eine Untersuchung des von seinem Untergebenen begangenen Verbrechens von Seiten des wahhabitischen Monarchen war nicht zu denken, und Mohanna genoss ungestört die Früchte seines im Grossen verübten Verraths. In der Macht dieses Mannes war jetzt Täg-Gehän mit ihren Begleitern. Sie lagerten, als wir ankamen, bereits länger als vierzehn 280 Tage unter den Mauern von Berejdah; Mohanna hatte bereits alles Mögliche gethan, sie auszuplündern und erwartete von Fejsal noch weitere Winke, wie er sich gegen diese Feinde Gottes zu benehmen habe. Manches, was hierauf Bezug hatte, erfuhren wir später, wir fühlten aber gleich von Anfang an das Verlangen, mit den Pilgern Bekanntschaft zu machen, während wir von der andern Seite nicht ohne Besorgniss waren, dort auf irgend eine Weise erkannt zu werden, da sich in dem Lager leicht ein neugieriger Landsmann aus dem Norden finden konnte, der vielleicht mehr von uns wusste, als uns lieb war. Die ungeheure Unwissenheit der eingebornen arabischen Bevölkerung über Alles, was ausserhalb der Grenzen ihres Gebiets liegt, kannten wir schon hinlänglich, um von ihrer Beobachtungsgabe, wie scharf diese auch innerhalb ihres Kreises sein mochte, eine Entdeckung zu befürchten, aber ein Bewohner von Bagdad oder Damaskus, ein Türke oder Arnaute, konnte uns leicht auf die Spur kommen. Indessen die Zeit der Erfüllung für unsere Wünsche oder Befürchtungen war noch nicht da; wir Hessen das Lager mit seinem Gedränge bei Seite liegen und wendeten uns dem Stadtthore zu. Hier, und dies ist in der Regel der Fall in den grösseren Städten Arabiens von altem Datum, liegen nur die Häuser innerhalb der Befestigungen, die Gärten hingegen liegen sämmtlich ausserhalb, zuweilen geschützt — wie z. B. bei 'Onejzah — durch einen äussern Gürtel von Mauern und Thürmen, zuweilen aber, wie bei Berejdah, ohne allen Schutz. Die Stadt selbst besteht ausschliesslich aus Strassen, Häusern und Marktplätzen und hat daher ein weit regelmässigeres Ansehen, als die neueren und dorfähnlichen Anlagen, wie das Gauf und selbst Hä'jel. Wir kamen durch einige ziemlich breite, aber krumme Strassen und Hessen dann unsere Kamele auf einem kleinen Öffentlichen Platze niederknien, wo ich bei dem Gepäck sitzen blieb, mit einer Gerte in der Hand, wie ein gewöhnlicher arabischer Reisender, während Barakät und Mubärek sich nach einer Wohnung umsahen. Die halbe Stunde, während welcher ich hier Wache halten musste, bis meine Gefährten wieder zurückkamen, wurde mir entsetzlich lang; die Strassen waren voll von Leuten und ein sehr unangenehmes Gedränge der niedrigsten Sorte sammelte sich um mich und meine Kamele, mit der ganzen neugierigen Zudringlichkeit des müssigen Volks, die überall dieselbe ist. Für mich war es keineswegs leicht, einen solchen Gleichmuth zu bewahren, wie ein ächter Araber bei solcher Gelegenheit. Endlich kamen meine Gefährten zurück und sagten, dass sie gefunden hätten, was sie suchten. Mit einem oder zwei Stössen waren unsere Kamele wieder auf den Beinen und wir bewegten uns unserer neuen Wohnung zu. Das Haus lag nur etwa fünf Minuten von dem nördlichen Thore und etwa in gleicher Entfernung von dem grossen Marktplatze; die Lage war also gut. Es enthielt zwei grosse Zimmer im Erdgeschoss und drei kleinere, ausserdem einen geräumigen, von hohen Mauern umgebenen Hof. Eine Wendeltreppe mit unregelmässigen Stufen und schlecht erleuchtet, wie alle Treppen im Neged, führte zu einem ziemlich breiten flachen Dache hinauf, das mit einer sechs Fuss hohen Brüstung umgeben und durch eine Querwand in zwei Abtheilungen getheilt war. Hier hatten wir in den Morgen- und Abendstunden, wenn die Seiten wände genug Schatten warfen, um die daran Sitzenden vor den Strahlen der Sonne zu bewahren, ein hübsches Plätzchen für unsere Beschäftigungen und ausserdem einen bequemen Ort zum Schlafen für die Nacht. Das ganze Gebäude war alt, vielleicht älter als zweihundert Jahre, fest und mit einigen Ansprüchen auf Symmetrie in seinen Theilen; die Thüren waren von massivem und geschnitztem Ithelholz und eine Feuerstätte in dem einen der unteren Gemächer zeigte, dass es eine Küche war. Ein anderes, ziemlich geräumiges Gemach von länglicher Gestalt war ein K'häwah oder Sprechzimmer; in den kleinen Zimmern hatten die Frauen gewohnt, welche jetzt, nebst der übrigen Familie, ihren Aufenthalt in dem Nebenhause nahmen. Der Besitzer kam nun mit den Schlüsseln in der Hand, um uns zu begrüssen. Ahmed, so war sein Name, war ein gefälliger Mann, aber schlau, und sehr geneigt, die Fremden möglichst zu tibervor-theilen. Meine beiden Verbündeten jedoch, Beide ebenso schlau wie er selbst, brachten ihn bald zur Vernunft, und ich glaube, den Mieth-preis von achtzehn Pence (engl.) monatlich wird Niemand leicht übermässig hoch finden, namentlich bei einer so bequemen Einrichtung, wie oben beschrieben. Alle ausserordentlichen Kosten für Einrichtungen, wenn nöthig, trug übrigens der Eigenthümer, der uns auch mit Wasser zu versorgen hatte, wenn wir auch in der Folge, aus freier Generosität, die von der Sonne verbrannte Nymphe, welche uns dasselbe täglich vom Brunnen herbrachte, für ihre Mühe besonders entschädigten. In dieser Wohnung richteten wir uns nun mit unserer Habe ein und nach einer gemeinschaftlichen Morgen- und Freundschaftsmahlzeit mit dem Eigentümer des Hauses nahm Mubärek Abschied und kehrte nach Hause nach Dowejrah zurück. 282 Ich habe bereits gesagt, dass wir nicht die Absicht hatten, uns lange in Berejdah aufzuhalten. "Wir beschlossen daher, uns nicht viel mit Patienten und ärztlicher Praxis abzugeben, sondern unsere Arze-neien gar nicht auszupacken und Diejenigen, welche sich etwa in ärztlichen Angelegenheiten an uns wendeten, mit der Antwort abzufertigen, dass wir uns nicht lange genug in der Stadt aufhalten könnten, um Geschäfte zu machen. Dies war jedoch falsch, denn bei der langen Weile, die wir in den nächsten Wochen hier haben sollten, hätte uns einige Beschäftigung sehr wohlgethan und uns Gelegenheit zu mancher nützlichen Bekanntschaft geben können. Mubärek hatte uns beim Abschiede versprochen, für Kamele zu sorgen und uns nach Riad zu bringen. Dies war jedoch keineswegs seine wirkliche Absicht, sondern eine höfliche Art, unser Verlangen abzulehnen, weil er nicht geradezu sagen wollte ,5ich will nicht" oder „ich kann nicht". Die Araber vermeiden gern den Schein ungefällig zu sein, was zu manchen unschuldigen Lügen Anlass giebt, wie etwa unser „etwas unwohl" oder „nicht zu Hause", wenn man dergleichen Ausreden wirklich Lügen nennen kann. Wer mit Orientalen zu thun hat, muss auf dergleichen vorbereitet sein und es eben von der besten Seite nehmen. Wir waren keine Neulinge mehr im Lande und er-riethen sogleich, dass Mubärek sein Wort wahrscheinlich ebenso wenig halten, als wir ihn dazu zwingen würden. Wir versuchten es daher mit Anderen und waren kaum in unseren Räumen eingerichtet, als wir auch schon auf Mittel dachten, dieselben wieder zu verlassen. Aber Niemand kam, um sich oder seine Kamele anzubieten, und wir konnten nicht begreifen, woher dieses Widerstreben kam. Endlich beschlossen wir, uns an Mohanna selbst zu wenden, dessen Charakter wir bis jetzt erst sehr oberflächlich kannten, denn,unsere vorsichtigen Nachbarn und Reisegefährten hatten unseren noch ungeprüften Ohren noch nicht alle Einzelheiten anvertraut, mit denen der Leser bereits bekannt ist und die wir erst im Verlauf der Zeit und von verschiedenen Seiten her erfuhren. In dieser Absicht erkundigten wir uns, welches die beste Zeit wäre, um dem Gouverneur einen Besuch zu machen, und erfuhren, dass seine Empfangsstunden vor dem Frühstück seien, nämlich um Sonnenaufgang, aber nicht später. Am dritten Morgen nach unserer Ankunft begaben wir uns also in den Palast, in der Absicht, ihn um den Freundschaftsdienet zu bitten, Führer und Gefährten für uns zur Reise in das 'Aared aufzufinden. 2S3 Mohanna wohnte in der alten Burg, die im nordöstlichen Stadtviertel zum Theil innerhalb der Stadtmauern liegt; sie nimmt einen bedeutenden Raum ein, dem ihre Höhe nicht vollständig entspricht, und sieht in der That- nicht wie ein Palast, sondern mehr wie ein grosser Haufen von Nebengebäuden aus, die mit sehr wenig Symmetrie und Ordnung nebeneinander gebaut sind. Einige Theile sind sehr alt, d. h. etwa vier- bis fünfhundert Jahre, nach einer ungefähren Schätzung, denn die arabische Architektur lässt nicht, wie die normanische oder gothische, die Fortschritte der Jahrhunderte in Linie oder^Curve zeitgemass bestimmen. Massiv, ungeschlacht, nur durch Grösse im-ponirend, fehlen die Hauptelemente der Schönheit und Entwickelung, Bogen , Kapital, Fries, Giebel u. s. w., entweder ganz oder sind nur in der primitivsten embryonischen Gestalt vorhanden, aus welcher sie sich noch nicht fortschreitend zu Grazie und Vollendung erhoben haben. Das Alter eines Gebäudes lässt sich fast nur aus dem Baumaterial bestimmen; in einer frühen Periode Steine, behauen oder roh; später Steine, gemischt mit Erde, wie hier, im wahhabitischen Cyclus Erde allein, das sind die Hauptmerkmale, welche das Jahrhundert andeuten, in welchem das Gebäude aufgeführt wurde. In die erste dieser drei Perioden gehören die Burg im Gauf und der Thurm Marid, in die zweite viele Gebäude in Kasim, z. B. in Berejdah und 'Ejün; in die dritte Derej'jfah und Riad. Die erste Periode kann man von den ältesten Zeiten bis zur Hegra rechnen, die zweite von der Hegaz bis etwa vor zweihundert Jahren. Aber östlich und südlich vom Neged treten neue architektonische Elemente, neue Stile und Fortschritte hervor, die an ihrer Stelle eine besondere Erörterung nöthig machen. Von Mohanna's Burg gehört ein Theil in die neuere Zeit, das Ganze aber ist mehr durch Zufall, als nach einem Plane zusammengehäuft; einige Wände von Stein, andere von Erde, ein Theil beworfen, ein Theil unbeworfen. Das Mittelgebäude ist fest und im Stande, eine arabische Belagerung auszuhalten, aber nicht über fünfunddreissig Fuss hoch und ohne Thurm; der grosse, einer Esse ähnliche Wachthurm steht von der Burg getrennt und in einiger Entfernung von dieser dicht an der Stadtmauer. Ein hohes Thor führt in den ersten Zwinger, einen viereckigen Hof mit Kaufläden und Wohnungen für Kameltreiber und Diener des Palastes; ein kleines und festgebautes Thor führt in die Abtheilung, wo der Gouverneur selbst wohnt. Als wir ankamen, war Mohanna nicht zu Hause: er war mit An- 284 bruch des Tages in das persische Lager hinausgegangen, um von Täg-Gehän noch eine Summe von ungefähr sechshundert Pfund Sterling zu erpressen, nachdem er ihr und ihren Begleitern schon mehr als eintausend Pfund abgenommen hatte. 'Dieses Geschäft nahm alle seine Gedanken und fast seine ganze Zeit in Anspruch; denn den Krieg überliess er fast ganz Fejsals jüngstem Sohne Mohammed, dessen Lager wir noch besuchen werden. Nachdem wir jedoch nebst mehreren anderen erwartungsvollen Besuchern eine Zeitlang am Thore gewartet hatten, sahen wir den würdigen Negedäer herankommen, der in eifrigem Gespräch mit seinen Satelliten begriffen war. Mit leichter Erwiederung der Begrüssungen von Seiten der Dastehenden trat er in das K'häwah, wohin wir ihm mit den Uebrigen folgten. Nach einer kurzen Frage und Antwort nahm Mohanna weiter keine Notiz von uns. Er hatte andere Dinge zu denken, und die Einfachheit unseres Anzuges liess nicht erwarten, dass wir so reich und angesehen wären, dass unsere Freundschaft oder unsere Beraubung der Mühe lohne. Wie gewöhnlich wurde Kaffee herumgereicht, und gleich darauf erhob sich der Gouverneur, um nach der Hauptsache zu sehen, und liess uns mit den übrigen Gästen sitzen, mit denen wir uns über seine Geschäfte und die Tagesneuigkeiten unterhalten konnten. Einen Augenblick war es uns allerdings sehr unangenehm, dass Der, von dem wir Hilfe erwarteten, so wenig Notiz von uns nahm, eigentlich aber war dies zu unserm Glücke. Denn hätte Mohanna seine List und Raubsucht gegen uns gewendet, was unter gewöhnlichen Umständen sicher geschehen wäre, so war wenig Aussicht für uns, Riad zu erreichen. Einstweilen blieb uns nichts weiter übrig, als in unsere Wohnung zurückzukehren, wohin uns einige angesehene Bürger begleiteten, und aus dem Tone ihrer Unterhaltung ersahen wir sehr bald, dass Mohanna uns dadurch, dass er uns nicht beachtete, die grösste Gunst erwiesen. Die grösste Schwierigkeit war jedoch noch nicht gehoben, denn alle unsere Nachforschungen, um Reisegefährten in der Richtung nach dem Neged zu finden, blieben durchaus erfolglos. Drei Tage lang fragten wir hin und her und suchten oben und unten, auf den Strassen und an den Thoren, bei Städtern und Beduinen, aber Alles vergebens. Endlich fingen wir an, zu begreifen, wie die Sache stand und woher die Hindernisse kamen, die uns im Wege standen. Die Centraiprovinzen des Neged, das ächte Wahhabitenland, sind für das übrige Arabien wie die Höhle eines Löwen, in die sich nur 285 Wenige wagen und aus der noch Wenigere wieder herauskommen. „Häda Neged, men dakhelaha fmä kkarag" — „das ist Neged, wer da hineingeht, kommt nicht wieder heraus", sagte ein alter Mann in Berejdah, an den wir uns um Nachweis gewendet hatten; und das ist • in der That sehr oft der Fall. Seine Gebirge, früher Festungen für Räuber und Mörder, sind jetzt ebenso furchtbar als Festungen für Fanatiker, die Jeden, der nicht zu ihnen gehört, für einen Ungläubigen und Ketzer halten, und einen Ungläubigen oder Ketzer zu tödten für eine Pflicht, wenigstens für eine verdienstliche Handlung halten. Wenn so dieses allein einen schlechten Empfang in Neged erwarten lässt, so haben die beständigen Kriege, wiederholte Angriffe und die Bedrückungen von Seiten der Wahhabiten die ursprüngliche Antipathie der umliegenden Bevölkerung noch gesteigert, so dass das Neged für Alle, ausser für seine eigenen eingebornen Söhne, für gefährlich angesehen wird und doppelt verhasst ist. Daher, von Fremden gar nicht zu sprechen, sind die Araber selbst, gleichviel von welcher Rasse oder Ueberzeugung, Mohammedaner oder Andere, Einwohner von Schomer oder Städter aus Mekka, aus dem Gauf oder aus Jemen, wenig geneigt, sich auf die Plateaus des Towejk oder in das AVadi Hantfah zu wagen, wenn nicht gewichtige Gründe oder besonders günstige und wirklich drängende Umstände obwalten. Jetzt aber kamen noch einige andere Umstände hinzu, die unseren Nachforschungen im Wege standen. Der Krieg war in vollem Gange, die Belagerung und die dieselbe begleitenden Raubzüge, obgleich dem Namen nach allein gegen 'Onejzah gerichtet, galten eigentlich der ganzen Provinz, die im Ganzen, offen ausgesprochen oder wenigstens im Herzen, auf Seiten der mit Unrecht angegriffenen Stadt stand. Berejdah selbst, trotz der Anwesenheit Mohanna's und seiner zahlreichen Satelliten, trotz des wahhabitischen Heeres, das unter seinen Mauern lagerte, konnte kaum von einem Aufstande zurückgehalten werden. Aller Herzen und Zungen waren gegen Fejsal und für Zämil, freuten sich über jeden seiner Erfolge und nahmen Theil an seinem Unglück. Das Alles war natürlich dem negedäiscbcn Statthalter und seinen Genossen kein Geheiraniss, und die Deputationen, welche nicht von Zämil und der Besatzung von 'Onejzah allein, sondern selbst von den Einwohnern von Rass, Henäkijah und sogar aus Berejdah bald nach Mekka, bald wieder nach Gebel Schomer gesandt wurden, um Beistand zu verlangen, waren ihnen nicht unbekannt. Daher kam es, dass die Einwohner von Kasim, die bei den negedäischen Wahhabiten nie in einem besondern Gerüche der Heiligkeit standen, jetzt „unter den Kindern des Landes stanken" — um den biblischen Ausdruck zu 286 gebrauchen, — als die schlimmsten Ungläubigen, und Anhetzer der Ungläubigen, und sie ihrerseits trugen weniger als je ein Verlangen, die östliche Grenze ihrer Provinz zu überschreiten. In unserem Falle kam noch dazu, dass, wir mochten thun, was wir wollten, wir doch immer Fremde blieben, die aus einem Lande kamen , welches bei den Wahhabiten als der Sitz alles Unglaubens und Götzendienstes gilt und von einer feindlichen und ungläubigen Regierung beherrscht wird. Für Spione der Ottomanen gehalten zu werden, was fast ebenso schlimm, als wenn man uns für Spione einer christlichen oder europäischen Macht hielt; und obgleich wir hoffen konnten, letzterm Verdachte zu entgehen, so waren wir doch vor dem erstem keineswegs sicher. Dem Geschmacke so wenig zusagende Individuen in das Land der Heiligen einzuführen, war aber für unsere Führer fast nicht weniger gefährlich, als für uns selbst; wie der Pfau, der nach der mohammedanischen Tradition das Pförtchen des Paradieses öffnete, um den Teufel einzulassen, einen nicht unbedeutenden Antheil an der Strafe des Teufels erhielt. Kurz, wir waren vollständig festgefahren und sahen kein Mittel, wieder flott zu werden. Von allen Seiten beengt, wussten wir jetzt nicht, wohin wir uns wenden sollten. Fünf Tage lang hatten wir in der Stadt und im Lager vergeblich nach einem Führer gesucht und waren nun überzeugt, dass unsere Mühe, nach dem arabischen Sprichworte, ein Suchen nach dem Ei des ,,'Anka" oder des orientalischen Phönix sei. Wir waren aber nicht weniger entschlossen, unsere Sache durchzuführen, und es war uns eine grosse Erleichterung, dass nach allem unserem Umherlaufen noch Niemand den leisesten Verdacht oder Abneigung gegen uns zu haben schien, oder uns jene besondere Aufmerksamkeit zuwendete, die wir bisher, mehr als uns bequem war, überall wo wir unsern Aufenthalt genommen, auf uns gezogen hatten. Der Krieg nahm alle Gemüther in Anspruch, und wir hatten durch unsere gewohnte Schaulegung unserer ärztlichen Kunst nicht viele Blicke auf uns gezogen. In der That, der King des Gyges würde in Berejdah besser zu unseren Zwecken getaugt haben, als alle Arzenei-flaschen des Hippokrates, und wir wünschten ihn uns oft. Endlich öffnete uns die Vorsehung ein Thor, und, was nicht selten der Fall, gerade wo wir es am wenigsten erwarteten, und verschaffte uns so die Mittel, nicht nur das Neged zu besuchen, sondern auch die noch weiter östlich gelegeneu Gegenden. Dies war in der That 287 der Wendepunkt unserer ganzen Reise, und ein scheinbar zufälliges Zusammentreffen erleichterte unsere Reise von Berejdah nach Neged, und machte es uns möglich, dieselbe von dort noch bis 'Oman auszudehnen und von dort zurück nach Bagdad. Es war am sechsten Tage nach unserer Ankunft, am 22sten September, als ich gegen Mittag allein und ziemlich missmuthig in unserem K'häwah sass und zum Zeitvertreib im Diwan des Ebn-el-Farid las, der auf der ganzen Reise mein treuer Gefährte war. Barakät, war auf mein Verlangen vor das Thor gegangen; ich hatte wenig Hoffnung, dass er etwas erreichen würde, aber siehe da! nach zwei Stunden kam er zurück, und sein fröhliches Gesicht zeigte, dass er gute Nachricht bringe. Nachdem er eine Zeitlang in den Gassen und auf den Märkten umhergestreift, war ihm der Gedanke gekommen, in das persische Lager zu gehen. Als er dort zwischen den Zelten stand, „wie der Hund eines Wäschers", würde ein Hindu sagen, bemerkte er in einiger Entfernung von dem Gedränge ein kleines Häuflein Pilger bei ihrem Gepäck auf dem Sande um ein Feuer sitzen. Wie civilisirt Barakät auch war, so war er doch mit Herz und Seele ein Araber, und Kaffee kochen zu sehen, ohne eine Tasse davon zu erhalten, wäre für einen Araber ein Act unerhörter Selbstüberwindung; er näherte sich also der Gruppe und wurde natürlich eingeladen, Platz zu nehmen und mitzutrinken* Diese freie und leichte Art, sich einzuführen und Bekanntschaft zu machen, mag vielleicht den Anforderungen der europäischen Gesellschaft wenig entsprechen, auch würde es in London nicht gerade klug sein, wollte man Jeden, der einen Blick in das Sprechzimmer wirft, sogleich zum Frühstück oder Mittagsessen einladen. Alle Extreme sind falsch, aber das „lasst ihn von der Polizei festnehmen" oder „TJebertreter nach dem Gesetze verfolgt" und dergleichen, mit einer Art von „wessen Hund seid ihr?" erscheinen vielleicht in den Augen eines Fremden ebenso wenig weise und gewiss weniger human und 288 genial, als die Leichtigkeit, mit der der Araber Jeden, der ihm nahe kommt, einladet und mit Jedem sich unterhält, der ihm vor die Augen kommt. Doch wir sind jetzt in Arabien; die Gesellschaft, bei welcher Barakät Platz nahm, bestand aus zwei reichen Persern, die von drei oder vier Leuten von jener Menschenklasse begleitet waren, die, halb Diener, halb -Gefährten, Reisenden aus Bagdad oder dessen Nähe oft anhängen; bei ihnen war noch ein Mulatte von neger-arabischem Ursprünge, und sein Herr, Letzterer der Führer der Bande, der jetzt das aromatische Getränk zum Besten gab. Barakäts ganze Aufmerksamkeit richtete sich sogleich auf Letztern. Ein auffallend hübsches Gesicht, von einem Typus, der offenbar nicht der arabischen Halbinsel angehörte, langes Haar, das in Locken auf die Schultern herabfiel, ein Oberkleid von feiner gesponnener Seide, von der Reise ein wenig beschmutzt, ein buntes Tuch von syrischer Manufactur um den Kopf, Haltung und Blick, die eine bessere Erziehung andeuteten, als sonst bei dieser Klasse und dem Gewerbe eines Kameltreibers gewöhnlich sind, waren Eigenthümlichkeiten, welche genügten, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und Anlass zu Vermuthungen zu geben. Als diese aber mit einem Willkommen und einem Grusse in den Formen und dem Tone von Damaskus oder Aleppo und mit einem Flusse jener überreichlichen und überschwäng-lichen Höflichkeitsformeln Hand in Hand gingen, durch welche die syrischen Unterthanen des türkischen Reichs berühmt sind, konnte Barakät nicht länger zweifeln, dass er einen Landsmann, und zwar von einiger Bedeutung, vor sich habe. Dies war in der That der Fall: Abu 'Ejsa, um ihn mit dem Namen zu nennen, unter dem er in dieser Gegend des Landes bekannt war, obgleich er zu Hause einen andern Namen führt, war aus Aleppo gebürtig und der Sohn eines in dieser schönen Stadt ziemlich angesehenen Mannes. Seine Erziehung und Lebensumstände in seiner frühesten Jugend hatten ihn an den Umgang mit Städtern und Hirten, mit Bürgern und Beduinen, mit Arabern und Europäern gewöhnt. Seiner Abkunft nach war er selbst ein Beduine, da sein Grossvater zu den Megädimah gehörte, die ein Zweig der Benu-Khälid sind. Letzterer Stamm, in Hasa und der Westküste des persischen Meerbusens zu Hause, wo wir ihn im Laufe unserer Reise besuchen werden, entsendete in einer sehr frühen Zeit, wie es scheint im vierten oder fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung, eine grosse Auswanderung nach Syrien. Hier behielten manche Familten dieser Nomaden den Namen ihres Mutterstammes bei und sind Allen, die mit der 289 Wüste nördlich von Horns und Hamah verkehren, als Benu-Khälid bekannt; Andere, wie die Megädimah, änderten ihren Namen. Aber Abu 'Ejsa, obwohl von beduinischer Abkunft, war hinsichtlich seiner Kleidung, seiner Gedanken und Gewohnheiten ein ächter Sohn Aleppo's, wo er den grössten Theil seiner Kindheit und Jugend zugebracht hatte. Im Alter von etwa fünfundzwanzig Jahren war er, schuldig oder nicht, in die grosse Verschwörung gegen die türkische Regierung verwickelt, welche im Jahre 1852 in den Aufstand zu Aleppo ausbrach. Wie viele Andere musste er den Folgen desselben durch eine schnelle Flucht und einen langen Aufenthalt fern von den weissen Mauern seiner Vaterstadt vorzubeugen suchen. Nachdem er länger als ein Jahr umhergestreift und manches Abenteuer erlebt, wagte Abu 'Ejsa wieder unter seinen Mitbürgern zu erscheinen, aber seine Güter und Besitz, wie die seiner Familie, waren geplündert oder eingezogen, und er war nun ein ruinirter Mann. Sein Vater war bald nach dem Aufstande gestorben. Der Handel bot ihm Mittel seinen Verlust wieder zu ersetzen, uud die Freigebigkeit eines reichen israelitischen Freundes kam ihm zu Hilfe. Er begann seine merkantilische Laufbahn als reisender Commissionär zwischen Aleppo und Bagdad, machte dabei einige Geschäfte auf eigene Rechnung und dehnte seine Reisen und Geschäfte einige Male bis Basrah aus. Als er endlich wieder Herr einer bedeutenden Summe geworden, beschloss er, sein Glück mit dem indischen Pferdehandel am persischen Meerbusen zu versuchen. Dieser Gedanke war nicht blos das Resultat der Hoffnung auf Gewinn, er hatte seinen Ursprung zum Theil in dem Wunsche, bei einem Megädimah nicht unnatürlich, die Wiege seines Stammes in Hasa zu besuchen, theils auch in einer besondern Liebhaberei für Pferde, die oft durch das ganze Leben bleibt, wenn man in der Kindheit im Sattel gesessen. Mit diesem Plane scbiffte sich Abu 'Ejsa, mit seinem Kapital in der Hand, in Basrah ein, segelte nach Kowejt und ging von da zu Lande durch die Provinz Hasa. Hier brachte er eine gehörige Anzahl Pferde für den indischen Markt zusammen, mit denen er sich, auf einem Schiffe, das nach Bombay gehen sollte, nach Bahrejn einschiffte. Aber seine Hoffnung auf Reichthum litt durch eine Reihe von Unglücksfällen, die bei solchen Speculationen nicht selten ist, Schiff-290 bruch. Seine Pferde starben zum grössten Theil an einer epidemischen Krankheit an Bord des Schiffes, noch ehe er an Apollo- (eigentlich Pulwar) Bender landete. Die noch übrigen wurden in einem kläglichen Zustande im Fort untergebracht; dazu war das Futter theuer und der Preis stand schlecht, kurz, Abu 'Ejsa kehrte ohne Pferde und beinahe auch ohne Geld nach Bahrejn zurück, und da er sich schämte, so wieder nach Bagdad und Aleppo zu gehen, hielt er es für das Beste, in Hasa zu bleiben. In Hasa fand er herzliches Willkommen und hilfreiche Freunde. Bei seinen persönlichen guten Eigenschaften, feinem Takt, angenehmer Unterhaltung, gutem Kopf (ausser was Geldangelegenheiten betraf) und warmem Herzen, — ich habe selten ein wärmeres gekannt — kann man sich darüber nicht wundern. Ehe viele Monate in Hofhüf vergingen, hatte er wieder soviel, dass er einen bedeutenden Einkauf an feinen Mänteln oder 'Abi machen konnte, die in hohem Werthe stehen und einen Hauptartikel des Handels dieser Stadt bilden, und mit diesem Kapital versuchte er noch einmal sein Glück im Handel. Aber auch jetzt erwartete ihn wieder Enttäuschung. Einer seiner Vettern hatte ihn mit nach Hasa gezogen, und diesem vertraute Abu 'Ejsa seine Waaren an, um sie in Basrah zu verkaufen. Als aber der treulose Agent sich im Besitz einer grossen Summe sah, die er aus Abu 'Ejsa's Waaren gelöst hatte, fasste er den Entschluss, auf eigene Rechnung Geschäfte zu mächen, segelte mit dem Gelde davon, um sein mit Unrecht gewonnenes Gut in Karradschi und Bombay zu verzehren, von wo er nicht wieder zurückkehrte. Unser unglücklicher Held war zum dritten Mal arm und blieb lange in grosser Bedrängniss. Endlich gelang es ihm, eine kleine Summe zusammenzubringen, für die er einen Säbel und einige persische Teppiche kaufte, mit denen er nach Riad ging. Hier brachte er er seine Einkäufe, in Form von Geschenken, Mahbub, dem ersten Minister Fejsals, und Fejsal selbst. Nachdem er diese Einleitung getroffen, erbat er von dem König ein Patent, das ihn befähigte, den untergeordneten Posten eines Führers bei dem jährlichen Transport persischer Pilger durch das Neged zu bekleiden. Seine Bitte wurde gewährt und er begann nun eine neue und ihm besser zusagende Lebensweise. 291 Als wir ihn trafen, hatte er dieses Leben seit drei Jahren geführt. Seine Höflichkeit, gefälligen Sitten, strenge Rechtlichkeit gewannen ihm bald einen guten Ruf unter den Pilgern, die bisher nur die gierige Raubsucht und das grobe Wesen der Wahhabiten kannten. Aber Abu 'Ejsa besass auch noch eine andere Eigenschaft, die seine schiitischen Gefährten besonders hoch anschlugen. Alle Religionsparteien, Sekten und Meinungen achtete er gleich hoch, während er selber keiner besondern Schule oder Lehre anzugehören und ganz frei von irgend festen oder unterscheidenden Gebräuchen zu sein schien. Als junger Mensch in Aleppo hatte er mit Juden und Christen mehr Umgang gepflogen, als mit Mohammedanern, und er war sehr geneigt, Beiden einen entschiedenen Vorzug vor den Bekennern des Islam einzuräumen. Unter den Mohammedanern selbst kümmerte er sich durchaus nicht um Sonnt oder Schijä'I, — „Alle hatten Recht uud Alle hatten Unrecht." Diese Gesinnung ist jedoch bei den Arabern nicht ungewöhnlich. Abu 'Ejsa trieb seine Toleranz bis zu einer zweiten Consequenz, die man seltener findet, und machte zwischen den Nationen ebenso wenig einen Unterschied, wie zwischen den Religionen. Perser und Araber, Orientale und Europäer waren ihm Alle gleich willkommen; Allen ohne Unterschied gestand er gute Eigenschaften zu; während daher ein Schijä'I, den er begleitete, vor jedem unzeitigen Streite über die Nachfolge des Khalifats und die respectiven Verdienste 'Othmäns und 'Ali's sicher war, konnte vor ihm der Perser auch, ohne auf Widerspruch zu stossen, die Herrlichkeiten Teherans und Ispahans rühmen und den Ruhm seiner Herrscher erheben. So zu seinem Amte befähigt, wurde. Abu 'Ejsa sehr bald von vielen Pilgern aufgesucht und war bald reicher, als bei seiner ersten Ankunft in Hofhüf. Auf seinen beständigen Reisen hin und her durch das eigentliche Herz Arabiens wurde er mit vielen Häuptlingen bekannt, sowohl Städtern als Beduinen, bei denen ihn seine ausserordentliche Freigebigkeit besonders beliebt machte. Sein Kaffee stand stets über dem Feuer, sein Tabaksbeutel war immer offen, sein Tisch für Jeden gedeckt. Er schien in der That — ich kann aus eigener Erfahrung sprechen — wirklich Eile zu haben, Alles, was er erwarb, und dies war nicht wenig, für seine Freunde zu opfern. Sein gewöhnlicher Wohnort, wenn er nicht gerade auf der Reise 292 war oder Pilger führte, war Hofhüf, die Hauptstadt von Hasa; hier war er in gehöriger Entfernung von seinen wahhabitischen Dienstherren, deren puritanische Engherzigkeit ihm ebenso widerlich als lächerlich war, während diese wieder an seinem Tabakrauchen, seidenen Kleidern u. 8. w. Anstoss nahmen, wenn sie ihn oft zu sehen bekamen. Ja die eifrigeren Führer der orthodoxen Partei in Riad hatten Fejsal öfters vorgestellt, wie unpassend es sei, Einen, der nur wenig besser sei, als ein Ungläubiger, als Diener der Regierung anzuerkennen und ihm königlichen Schutz angedeihen zu lassen. Abu 'Ejsa wusste dies und vermied es, unnöthiger Weise Anstoss zu geben; er zeigte sich daher nur selten in der Hauptstadt von Neged und auch dann nie, ohne ein passendes Geschenk mitzubringen. Auf diese Weise war ihm gelungen, trotz vieler gegen ihn gesponnenen Intriguen, seine einträgliche Stellung nun schon drei Jahre lang zu behaupten. Auf der Reise jedoch, von welcher er jetzt eben zurückkehrte, hatte ihn seine gewöhnliche Arglosigkeit in ziemliche Verlegenheit gebracht. Die Karawane wurde, wie ich schon oben sagte, von Abu Botejn angeführt, der ein ächter Wabhabit und keineswegs ein Freund unsera Helden war. Abu 'Ejsa stand mit seiner Reisegesellschaft, die er von dem persischen Meerbusen bis nach Mekka geleitet hatte, auf gutem Fusse und trat an der Kaaba, mit Dienern und aufwartenden Sclaven, sehr glänzend auf. Als er aber die heilige Stadt verlassen hatte, um seine Perser nach Medinah zu geleiten, wurde er krank und Abu-Botejn glaubte jetzt eine gute Gelegenheit zu haben, seinem Rivalen einen schlechten Streich zu spielen; die Treulosigkeit eines Dieners Abu 'Ejsas verschaffte ihm Mittel, die Wohnung des halbbe-wusstlosen Kranken auszuplündern, und ehe Letzterer noch im Stande war, sein Lager zu verlassen, war Abu Botejn schon mit den meisten Pilgern abgereist und hatte fast Alles, was Abu 'Ejsa besass, mitgenommen. Mit sechs Kamelen und einer kleinen Summe Geldes blieb Abu 'Ejsa in Medinah zurück; mit ihm zugleich waren auch zwei Perser 293 durch Krankheit zurückgehalten worden, — bei den Besuchern der ungesunden Niederung des Hegäz im Sommer ein sehr gewöhnlicher Fall. Abu 'Ejsa verkaufte nun zwei seiner Kamele und behielt nur noch vier, eins für sich, eins für seinen Diener und zwei für die Perser; mit diesen kam er nach Berejdah, wo jetzt die ganze Karawane versammelt war. Hier mussten sie sich trennen, denn die Perser schlugen den Weg nordöstlich nach Meschid 'Ali ein, Abu 'Ejsa hingegen ging nach Hofhüf, wo seine Frau, eine Abessynierin, und sein Sohn ihn zu Hause erwarteten. Er musste also südlich, gerade durch das Neged, auf demselben Wege, auf welchem wir das Land zu durchschneiden wünschten; dies konnte ihn um so eher bewegen, unser Führer zu werden, wenn wir ihm den Vorschlag machten. Dazu kamen noch andere Umstände, welche ihn bewogen, uns in seine Gesellschaft zu nehmen. Kaum hatte er Barakät erblickt, als sich Beide als Landsleute erkannten, und Abu 'Ejsa, der seit langer Zeit mit allen Klassen der Syrer zwischen Gaza und Aleppo vertraut war, erkannte leicht, dass sein neuer Bekannter etwas mehr und Besseres sei, als wofür er sich ausgab. Er nahm ihn also mit besonders aufmerksamer Höflichkeit auf und erkundigte sich sorgfältig, woher wir kämen und wohin wir wollten. Barakät, erfreut, endlich einen Ausweg aus den Schwierigkeiten zu finden, die allem unserm Weitervordringen im Wege zu stehen schienen, zauderte gar nicht lange, ihn zu fragen, ob er unsere Führung nach Riad übernehmen wolle. Abu 'Ejsa antwortete, dass er eben auf dem Punkte sei, sich von seinen persischen Freunden zu trennen, dass er dann Kamele genug zur Verfügung habe, dass also dem Vorschlage nichts im Wege stehe. Bezüglich der Wahhabiten und deren Widerstreben, Fremde in ihre Grenzen einzulassen, sagte er, dass er ihnen wohl bekannt sei, und dass wir in seiner Gesellschaft nichts von ihrem Verdachte zu befürchten hätten. Barakät fragte nun, wie viel Miethe er für seine Thiere verlange, und Abu 'Ejsa machte eine äusserst geringe Forderung, —-gerade nur halb so viel, als wir von Hä'jel nach Kasim bezahlt hatten, obgleich die Entfernung vor uns um ein Drittheil grösser war. Es war klar, dass er nach unserer Gesellschaft nicht weniger verlangte, als wir nach der seinigen. Er setzte noch hinzn, dass er spätestens in zwei oder drei Tagen zur Abreise bereit sei. Eine bessere Nachricht konnte Barakät nicht leicht bringen, und er eilte, mir dieselbe mitzutheilen; ehe er aber seinen neuen Bekannten verliess, lud er ihn auf eigene Verantwortung ein, noch an demselben Abend bei uns zu essen. Wir trafen nun unsere Vorbereitungen zur Bewirtbung unseres Gastes, kauften, bei uns ein seltener Fall, ein gutes Stück Fleisch, welches Barakät mehr auf syrische, als auf arabische Weise kochte; Datteln und Butter auf einer herrlichen Schüssel fehlten nicht, und da die Frauen in Berejdah von den Persern gelernt baben, gesäuertes Brod zu backen, schmückte auch dieser Luxus unsere Tafel. Kurz, wir bereiteten ein für Kasim ausgezeichnetes Mahl. Die beiden Perser, Abu 'Ejsas Gefährten, waren natürlich ebenfalls eingeladen, denn Einen allein einzuladen, wo Mehrere zusammen reisen, ohne die Uebri-gen, würde für schäbigen Geiz gelten; unser Wirth Ahmed war gern bereit, uns Kochgeräthe und Schüsseln zu leihen, und wurde dafür natürlich ebenfalls eingeladen. Endlich wurden noch zwei anständige Bürger, die uns oft mit ihrem Besuche beehrt hatten, aufgefordert, an der Gesellschaft Theil zu nehmen. Unser K'häwah war gross genug für Alle und wir waren in einer freigebigen Laune. Gegen Abend kam Abu 'Ejsa. Er trat mit dem leichten und ruhigen Anstände eines Weltmannes ein und nahm sogleich ohne die geringste Verlegenheit an dem Gespräche Theil. Ich wusste eigentlich nicht, wofür ich ihn halten sollte. Seine Manieren waren weder die eines Städters, noch eines Beduinen, weder eines Christen, noch eines Mohammedaners; er hatte von Allem etwas, aber war keins ganz; ein männliches Gesicht, aber mit jener halb weiblichen Zartheit des Ausdrucks, die man z. B. an dem Portrait Nelsons , Rodneys und einiger anderer ausgezeichneter Männer des achtzehnten Jahrhunderts bemerkt; eine verständige Sprache, die aber eine bedeutende Unwissenheit in manchen Dingen des Schulunterrichts verrieth; nachlässig in Kleidung und Haltung; ein Dialekt, der mich in einem Augenblicke an Syrien, im nächsten an Neged und zuweilen wieder an die Wüste erinnerte. Dabei aber führte er durchaus keine von den stereotypen Phrasen im Munde, die selbst bei den am wenigsten religiösen Mohammedanern die Pausen im Gespräch ausfüllen — dies Alles trug dazu bei, mich hinsichtlich des Ursprungs und Charakters unseres künftigen Führers im Unklaren zu lassen. Meine Leser, welche das, was wir erst später nach und nach erfuhren, bereits wissen, werden in der Wechsel vollen Lebensgeschichte Abu 'Ejsa's leicht die Erklärung dieses 295 eigenthümlichen Gemisches finden. Vieles an dem Manne war individuell und nicht minder Naturanlage, als eine Folge seiner Lebensumstände. Ein herumtreibendes Leben ist sicher keine gute Schule weder für Ehrlichkeit im Handel und Wandel, noch für zarte Sittlichkeit im Privatleben, Abu 'Ejsa jedoch besass diese beiden Eigenschaften in einem Grade, der ihm bei Manchen Bewunderung, bei Manchen Spott zuzog und von Allen bemerkt wurde. Niemand hat je aus seinem Munde einen jener groben Scherze und Zweideutigkeiten gehört, die selbst unter den besseren Arabern so gewöhnlich sind, und sein Leben war von einer nicht weniger exemplarischen Correctheit, als seine Sprache, Zu Hause wie auf seinen Reisen war er immer ein treuer Gatte, und obwohl reich, hatte er doch nur Eine Frau. In Geldgeschäften war er wegen seiner Pünktlichkeit und tadellosen Ehreuhaf-I. 15 tigkeit bekannt, und seine Geschäftsfreunde gaben ihm einstimmig das Zeugniss der gewissenhaftesten Treue. Seine Ehrlichkeit bewog ihn nicht selten, auch Anderen zu trauen, mit denen er zu thun hatte, und obwohl er schon schlimme Erfahrungen gemacht hatte, so hielt ihn doch der Verrath eines alten Freundes nicht ab, einem neuen gleiches Zutrauen zu schenken, der dasselbe ebenso wenig verdiente. Eine genaue Bekanntschaft, die sich durch viele und an Ereignissen reiche Monate fortsetzte, gab uns hinlänglich Gelegenheit, diese Eigenthümlichkeit in Abu 'Ejsa's Lebensweise und Charakter kennen zu lernen. Einstweilen hoffe ich, dass meine Leser diese genaue Beschreibung des äussern und innern Menschen, dessen Antheil an unserer Reise von nun an so bedeutend war, entschuldigen wollen. Barakät und ich selbst kamen zuerst zu dem Schlüsse, dass dieser seltsame Mann aus Horns oder Hamah stammen und wenigstens christlich erzogen sein müsse, obwohl wir uns nicht recht erklären konnten, durch welche Umstände und Ereignisse er in diese Gegend verschlagen sein konnte. So kamen wir im Innern zu der Ueberzeu-gung, dass er aus Aleppo sein müsse, und darin hatten wir nicht Unrecht, obwohl in andrer Beziehung unsere Vermuthungen ziemlich weit vom Ziele abgingen. Abu 'Ejsa stellte ebenfalls seine Beobachtungen an. Bei seiner 296 frühern Lebensweise in Aleppo war er mit dem Thun und Treiben der Europäer ziemlich bekannt geworden und diese Kenntniss, die zu unserem Glücke in Arabien selten ist, öffnete ihm manchen Blick in die vor Anderen verhüllte Wahrheit; mit einem Worte, er hatte sogleich erkannt, dass ich ein verkleideter Europäer war, obwohl er nicht bestimmen konnte, welcher Nation ich angehörte. Er fing nun an, weiter zu forschen, und nachdem er mancherlei über Syrien und Aegypten gesprochen, warf er Einiges über Paris und London hin, über nordische Politik und westlichen Einfluss. Ueber diese Dinge aber waren wir sehr kurz in unseren Antworten und gleichgültig in unserm Tone. Dann kam er wieder auf Medizin, Bücher und Arzenei-mittel zurück und fand, dass wir in allen diesen ausserordentlich bewandert und gelehrt waren. Mit Teläl war uns dasselbe Manöver nur theilweise gelungen; Abu 'Ejsa aber war bei weitem argloser, als der Fürst von Schomer, und gab ohne Misstrauen oder Zögern seine erste und richtigere Idee auf und war nun fest überzeugt, dass wir gelehrte Aerzte und Schüler, wo nicht gar Rivale, des Hippokrates seien. — Unter diesem Eindrucke fasste er einen Plan, den er sogleich ins Werk zu setzen begann und wir hatten keinen Grund, ihn vorschnell zu durchkreuzen. Er wollte uns dazu bewegen, uns in Hofhüf, wo er wohnte, niederzulassen, wo wir, wie er meinte, grosse und vortheilhafte Geschäfte machen könnten; er wollte dann sein Geschäft als Pilgerführer aufgeben und mit uns in Compagnie treten. Dies war ein Grund, weshalb ihm besonders darum zu thun war, uns zu Reisegefährten zu haben und unsere Freundschaft und Vertrauen zu erwerben. Mit charakteristischer Offenheit machte er uns mit seinen Absichten bekannt und wir drückten unsere volle Zufriedenheit damit aus. Alle vorläufigen Verabredungen zwischen ihm und Barakät wur- den nochmals bestätigt und die Abreise auf einen der nächsten Tage festgesetzt. So sassen wir bei einem sehr heitern Abendessen beisammen und die Unterhaltung kam nie ins Stocken. Vor Dunkelwerden nahmen Abu 'Ejsa und die Perser Abschied, um zu ihren Kamelen und Gepäck zurückzukehren, und die Leute aus Berejdah wünschten uns Glück, dass wir einen so guten Führer und Begleiter gewonnen hatten; Alle kannten ihn und bezeugten seine Rechtschaffenheit, obwohl sie Alle zugaben, dass sie über seine wirkliche Herkunft 297 oder wie er vor seirter Erscheinung in Arabien gelebt habe und was er betrieben, im Dunkeln seien. So hinsichtlich der wichtigsten Frage unserer Reise beruhigt, hatte ich mit Barakät noch Müsse, die Stadt zu besichtigen und was innerhalb und ausserhalb der Mauern lag, in Augenschein zu nehmen. Meine Leser werden mich vielleicht nicht ungern auf einem unserer Spaziergänge begleiten. .Obgleich das Klima in Kasim warm ist, so waren doch die Morgenstunden, wenigstens in dieser Jahreszeit (Ende September) sehr schön. An einem reinen nebellosen Himmel steigt die Sonne über die uner-messliche Wüste hinauf, während die Morgenluft noch kühl und erfrischend ist, ein Vorzug, dessen sich Arabien fast ohne Unterschied erfreut, der aber westlich in Aegypten und östlich in Indien fehlt. Um diese frühe Zeit wandelten wir oft durch die Strassen, in die wir bei unserm Einzüge in die Stadt zuerst gekommen waren, und gingen zuweilen in das persische Lager hinaus, wo dann schon Alles in vollem Leben und Thätigkeit war. Hier stehen auf dem Sande Körbe voll Eier und Datteln in einer Reihe, daneben Haufen von Brod und kleinen runden Wecken weisser Butter, Brennholz in Bündeln aufgeschichtet, ganze Eimer voll Ziegen- oder Kamelmilch, und mitten unter diesem Allen sitzen Reihen von Frauen aus den umliegenden^ Dörfern, die mit langen Persewi oder den braunen Dienern Tag - Gehäns feilschen, welche in gebrochenem Arabisch etwas von dem Preise abzuhandeln versuchen und endlich in der Regel doppelt so viel bezahlen, als sie sollten. Bramarbasirende Kameltreiber aus Bagdad, mit ihren breiten Gesichtern, und hässliclie schmutzige Jungen aus Meschid 'Ali, jeder Mutter Sohn ein Hosejn oder ein 'Ali, denn so beschränkt ist die schulische Nomenclatur, stehen überall müssig umher, schwatzen ohne Scheu von ihren liederlichen Streichen, beleidigen Jeden, bei dem sie es wagen können, und kriechen vor den Vornehmen, wie die Sclaven. Persische Herren, mit grossen Habichtsnasen, hohen Mützen und zierlich zugeschnittenen Kleidern mit bunten Mustern, schlendern umher und klagen einander ihre Noth oder zanken sich zum Zeitvertreib. Denn ganz dem Araber entgegengesetzt, zeigt der Perser sogleich, wenn er übler Laune ist, und scheut sich nicht, vor Jedem, der zugegen, dieselbe zum Ausbruch kommen zu lassen; auch betrachtet er die Geduld nicht, wie der Araber, als einen wesentlichen Punkt der Höflichkeit und Würde. Auch an Städtern aus Berejdah fehlt es hier nicht, die scherzen oder handeln, Beduinen mit ihrer Gerte in der Hand sind ebenfalls da. Fragt man einen der Letzteren, was ihn 29s hieber gebracht, so wird sicher in seiner Antwort ein Wort vorkommen, welches „Kamel" bedeutet, denn die Beduinen führen wenigstens fünfundzwanzig verschiedene Namen für dieses Thier im Munde, die auf Alter, Geschlecht und andere Umstände Bezug haben, nicht zu gedenken der unzähligen, aber weniger gebräuchlichen Quadrilittera, von denen man bei Golius und Freytag schon auf wenigen Seiten eine ziemliche Anzahl finden kann. Auf und ab im Lager gehen Ausrufer, welche verschiedene persische Kleidungsstücke, Kochgeräthe und allerlei Schmucksachen herumtragen oder davon tragen, um sie in der Stadt für den doppelten Preis wieder abzusetzen, denn durch die Erpressungen Mohanna's und die täglich steigenden Ausgaben bei einem so langen Aufenthalte vor Berejdah waren die Börsen der Perser ziemlich erschöpft, und sie verkauften Alles, was sie nicht durchaus nöthig hatten, um nur eine Schüssel Milch oder ein Bündel Brennholz bezahlen zu können. Ihr äusseres Ansehen bot daher ein spasshaftes Gemisch von Bunt und Zerlumpt, von Uebermuth des Reichthums und der furchtsamen Kriecherei der Armuth; kurz, es waren Herren in sehr heruntergekommenen Umständen. Wie unterhaltend diese Scene auch war, so hielten wir uns doch hier nicht lange auf, aus einer sehr vernünftigen Furcht vor indiscre-ten Fragen und ungelegenen Bekanntschaften. Die Bewohner von Kufa und Bagdad, ja die Schijä'i überhaupt, sind bei weitem neugieriger und leichtern Blutes, um den landesüblichen Ausdruck zu gebrauchen, als die Araber, und beobachten nicht die höfliche Zurückhaltung in ihren Fragen, gegenüber dem Fremden. Mehr als einmal trafen wir hier auf sehr zudringliche Burschen, die nach Allem fragten, und mehr zu wissen vorgaben, als sie wirklich wussten, und die man nicht so leicht wieder los werden konnte. Das Beste war daher, ihnen aus dem Wege zu gehen. Dazu war in der Karawane auch ein schlauer Türke, der .uns sehr scharf ansah und, obwohl sehr höflich, allerlei Fragen an uns richtete, die leichter gestellt, als beantwortet 299 waren. Ja, ich bin sicher, dass der schlaue Kerl uns wenigstens zu zwei Drittheilen durchschaute, und wäre er an einem andern Orte und in anderer Lage gewesen, so hätten wir vielleicht sehr schwer mit ihm fertig werden können. Der Osmanli ist in der Regel sehr schlau in seinen Conjecturen und sieht um eine Ecke weiter, als ein Anderer geradeaus; in Arabien aber ist und fühlt er sich sehr klein, und unser Türke hatte genug mit sich selbst zu thun, um sich viel um uns bekümmern zu können. Ich habe mich oft gewundert über die merkwürdige Vereinigung von scharfem Verstände und fehlerhafter Handlungsweise, die man bei den Türken findet. Wenn man mit ihnen spricht, so scheint Niemand besser zu begreifen, was um ihn her vorgeht und Niemand geeigneter zum Herrschen; sieht man sie aber handeln, so zeigen sie sich als durchaus ungeeignet zur Herrschaft; Alles bei ihnen ist gesunken, entartet und im Verfall. Ein Türke in Action (wenigstens so weit meine Erfahrung reicht) hat selten Kopf und Sinn für etwas Anderes, als Befriedigung seiner Raubgier und Sinnlichkeit; derselbe ist in der Theorie ein Staatsmann wie Metternich, und wohlwollend wie ein Wilberforce. Video meliora proboque; deteriora sequor, müsste die Devise ihres Banners sein; es ist die Totalsumme ihrer ganzen Geschichte. Diese eigentümliche, aber immer wiederkehrende Vereinigung eines guten Kopfes mit einem schlechten Herzen, eines klaren Verstandes mit verderbten Sitten kann es theilweise erklären, wie es kommt, dass der Türke Denen so leicht imponirt, welche ihm nur durch das Medium einer diplomatischen Atmosphäre nahe kommen, zwischen dem conversationellen Verkehr einer gut gekleideten Gesellschaft, in den Bureaus und Salons in Constantinopel oder, noch besser, wenn er den glatten und civilisirten Pariser oder Londoner Herrn noch zu überbieten sucht. Wer an der Wirthstafel bei einer Flasche Ciaret sich mit einem eleganten Türken unterhalten oder in einem mit Teppichen belegten Kiosk am Ufer des Bosporus angenehme Gespräche geführt, der wird schwer begreifen können, wie die brennenden Häuser und geschändeten Frauen in Damaskus, die verödeten Dörfer und niedergemetzelten Bauern im Singar und der Ansejrijah das Werk einer Regierung' seift können, an deren Spitze so intelligente, freundliche und vor Allem so höfliche Leute stehen. Aber während die diplomatischen Türken ihr ausserordentliches Talent 300 zur Verstellung sehr wohl kennen, haben sie eine noch schlauere Einsicht in die Schwächen Derer, mit denen sie zu thun haben, und wissen, wo und wann sie Schmeichelei oder Interesse, Versprechungen oder schöne Redensarten anzuwenden haben, wo sie den Engländer mit Handel ködern, den Oestreicher mit Politik, den Franzosen mit Bombast, die zum hundertsten Male ebenso leicht fangen, wie das erste Mal, so geschickt werden sie angewendet und so empfänglich dafür sind Die, gegen die sie angewendet werden. Die Opiate des kranken Mannes sind für seine Aerzte nicht weniger, als für ihn selbst. Aber wir sind jetzt in Arabien, und über den Sand und Wüstenring hört man nur schwach und in weiter Ferne die schönen Worte der Türken und von ihrer schlechten Regierung. Kehren wir zurück nach Berejdah ; auch hier giebt es schlechte Regierung genug, obwohl von einer andern Art. Wir haben unsere Einkäufe, was wir für unsern Haushalt brauchen, gemacht, und da die Sonne schon seit einer oder zwei Stunden über dem Horizonte steht, wollen wir uns nach dem Marktplatze der Stadt begeben, der früher wohl kaum geöffnet ist. Wir gehen also wieder zum Stadtthore hinein, legen im Vorbeigehen unser Bündel mit Ess-waaren in unserm Hause ab und kommen dann wieder in die Hauptstrasse von Berejdah. Bald gelangen wir an einen hohen Bogen, der quer über die Strasse geht; dieses Thor scheidet den Markt von dem übrigen Quartiere. Wir treten ein: zuerst fällt uns zu beiden Seiten eine lange Reihe von Fleischerläden in die Augen, dick behangen mit Fleisch von Kamelen und Schafen, und sehr unreinlich gehalten. Wäre die Luft nicht rein und das Klima gesund, so müsste die Pest hier endemisch sein; in Arabien aber hat dies wenig auf sich. Wir eilen hier durch und gelangen zunächst an eine Reihe von Läden mit Tuch-und Linnenwaaren, zum Theil mit einheimischen Artikeln versehen, häufiger aber sind importirte, wie Röcke und Kopftücher aus Bagdad, syrische Shawls und ägyptische Pantoffeln. Hier herrscht das auf orientalischen Märkten gewöhnliche System, dass alle Läden und Speicher einer und derselben Art an einer Stelle beisammen stehen, ein System, dessen Vortheile, wenigstens in kleinen Städten, wie hier, die Unbequemlichkeit, welche es haben kann, vollkommen ausgleichen. In den grossen Hauptstädten Europa's freilich macht die grössere Ausdehnung eine andere Methode der Anordnung nöthig, was ist aber Berejdah uud selbst Damaskus, ich will nicht sagen gegen London oder Berlin, son-301 dem nur gegen Marseille oder Manchester? An Gedränge jedoch steht es weder dem einen noch dem andern nach: die Strassen sind um diese Zeit des Tages gestopft voll, und um die Sache noch schlimmer zu machen, kommt alle Augenblicke ein grosses krummbeiniges Kamel, das wie ein ungeschickt gerudertes Boot von Seite zu Seite springt, mit einem langen Balken auf dem Rücken, der alle Köpfe, die ihm im Wege sind, bedroht, oder mit zwei ungeheuren Ladungen von Brennholz, die ebenso gross sind, wie das Thier selbst, vor dem Männer, Frauen und Kinder sich eiligst aus dem Staube machen, während der auf dem hohen Höcker thronend* Führer des Thiers mit grösster Gleichgültigkeit auf das Gedränge zu seinen Füssen herabsieht. Zuweilen kommt eine ganze Reihe solcher Thiere, die Eines wie das Andere mit dem Kopfriemen an den Schwanzriemen des vorangehenden gebunden sind und dem Vorübergehenden besonders ungelegen kommen, wenn sie ihm an einer Ecke begegnen. Durch allerlei solche Hindernisse haben wir glücklich unsern Weg gefunden und gelangen nun zu den Leder- und Schusterläden, dann zu den Kupfer- und Eisenschmieden, deren vereinigtes Hämmern einen Todten erwecken und einen Lebendigen tödten könnte, und treten endlich auf dem grossen Platze in der Mitte der Stadt wieder aus dem Gedränge heraus. Der Platz ist für Kasim recht hübsch und nicht eben unregelmässig. An der einen Seite desselben ist eine grosse Moschee, die beinahe die halbe Länge einnimmt, und wenn man nach dem Baustile urfheilen darf, etwa zweihundert Jahre alt sein mag; man findet aber nirgends weder eine Jahreszahl, noch eine Inschrift daran. Dies ist, nach meiner Erfahrung, bei den Bauwerken im mittlem und Östlichen Arabien eine allgemeine Regel. Nirgends sieht man ein Gesims oder eine Säule mit einer Inschrift, weder kufisch noch himjaritisch. Ein Mangel, durch den ich mich sehr enttäuscht fand und der mir im Vergleich mit dem Ueberfluss von Inschriften in Hauran, Safa, Palmyra und Babylon desto mehr auffiel. Bunte Inschriften an den Wänden und über den Thüren angemalt sind allerdings gewöhnlich, solche Inschriften aber können sich natürlich nur wenige Jahre halten. Der Mangel an Inschriften hat auch keineswegs seinen Grund an einem Mangel an Geschicklichkeit, denn man findet in Neged genug andere in Stein gehauene architektonische Verzierungen, wenn dieselben auch zuweilen etwas roh sind, und in 'Oman wird diese, und andere bildende Künste, mit nicht gering zu schätzendem Erfolg betrieben. Das Minaret dieser Moschee ist sehr hoch — ein Beweis, neben anderen, dass sie vor der ersten Herrschaft der Wahhabiten erbaut sein muss, denn die negedäische Sekte missbilligt hohe Minarets, aus dem sehr triftigen Grunde, weil zur Zeit Mobammeds noch keine sol-302 che existirten (ächte Conservative!), und man begnügt sich deshalb mit einem kleinen Eckthurme, der nur wenig über das Dach hervor- ragt. Ein Riss an der einen Seite des Thurmes rührt von einem Erdbeben her, welches vor etwa dreissig Jahren hier stattgefunden hat, wahrscheinlich dasselbe, von dem wir auch in Hasa Spuren finden werden. Ich verschiebe die Erörterung dieser und anderer Symptome einer unterirdischen vulkanischen Kraft bis zu unserer Ankunft in dem oben genannten Distrikte, wo sie sehr häufig sind. Der Rogen, und folglich auch das Gewölbe, sind hier unbekannt; die Pfeiler, welche das Dach der Moschee tragen, stehen deshalb hier sehr nahe nebeneinander und sind sehr zahlreich. Sie sind von Stein. An der andern Seite des Platzes läuft eine offene Gallerie, die mich an die zu Bologna erinnerte. Im Schatten derselben sitzen die Bürger und unterhalten sich über Neuigkeiten und Geschäfte. Der mittle Raum wird von Kamelen in Anspruch genommen; hier liegen Ballen mit verschiedeneu Waaren, unter denen namentlich Kaffee aus Jemen, Henna und Saffian, Zur Zeit unserer Ankunft jedoch ging der Handel ausserordentlich flau, in Folge des Krieges, der einen grossen Theil der Bevölkerung in Anspruch nahm und zugleich die Strassen für Kaufleute und Reisende unsicher machte. Dies Alles gab den Einwohnern guten Grund, die Wahhabiten zu verwünschen und über ihre eigene Thorheit zu klagen, die ihnen zuerst die Thore geöffnet hatte. Von diesem Platze gehen in verschiedenen Richtungen Strassen aus, deren jede einen Markt für diese oder jene Waare enthält und mit einem Portale endigt, welches sie von den gewöhnlichen Wohnungen scheidet. Der Gemüse- und Frachtmarkt ist sehr gross und wird fast ausschliesslich von Frauen gehalten; ebenso die Läden mit Materialwaaren und Gewürzen. Auch scheint das schöne Geschlecht in Berejdah der stärkern Hälfte an Geschäftskenntniss und Betriebsamkeit nicht um ein Haar nachzustehen. „Geiz ziert das Weib nicht weniger, als Edelmuth den Mann", sagt ein arabischer Dichter, der ohne sein Wissen mit Lance's von Verona Aufzählung der Eigenschaften seiner künftigen Braut übereinstimmt. Steinsalz von ausserordentlicher Reinheit und Weisse aus dem westlichen Kasim ist ein gewöhnlicher Handelsartikel, und gewaltige Stücke, oft schön crystallisirt, liegen an den Thülen der Läden aufgehäuft. Zuweilen stand ein Perser dabei, der s^ine Geschicklichkeit in Kauf und Einkauf hier versuchte, aber diese Pilger scheuten sich 303 in der Regel, die Stadt zu betreten, wo sie allerdings nicht im besten Ansehen standen. Beduinen sind hier in bei weitem geringerer Anzahl zu linden, als in den Strassen zu Hä'jel; noch weiterhin trifft man sie immer seltener und, so zu sagen, nur ausnahmsweise. Dafür aber sieht man desto mehr gut gekleidete, aber ernsthaft blickende Städter, mit gelben Ruthen von Sidr oder Lotusholz in den Händen, die Tücher locker um den Kopf gewunden, ohne das den Norden unterscheidende Band von schwarzem oder weissem Kamelhaar. Dieses Akkal oder Kopfband wird immer seltener, je weiter man nach der Mitte der Halbinsel kommt, bis es endlich im Osten ganz verschwindet. Die ganze Stadt hat das Ansehen eines alten, aber sinkenden Wohlstandes. Es giebt wenig neue Häuser, aber viele, die dem Ein- stürz nahe sind. Die Meisten, welche uns begegneten, blickten ernst und Alle sprachen nur leise. Seidene Kleidung ist durch die herrschende Faction verboten, Tabak wird nur hinter verschlossenen Tbü-ren geraucht. Jeden Augenblick kommen zelotische wabhabitische Missionäre von Riad, um unwilligen Zuhörern zu predigen, und jeder Verstoss gegen die Sitten der negedäischen Sekte wird bemerkt und oft sehr streng bestraft. Wir folgen der Einladung eines Bürgers und treten in seine Wohnung. Die innere Einrichtung der Häuser unterscheidet sich einiger-massen von der in Gebel Schomer gewöhnlichen. Die Städte in Kasim sind eng gebaut und der Raum innerhalb der Mauern der Stadt ist im Verhältuiss ziemlich kostbar; die Höfe sind daher kleiner und die Zimmer eng; auch ein zweites Stockwerk ist hier gewöhnlich, während dieses in Hä'jel eine seltene Ausnahme ist. Der Ueberfluss an Holz in dieser Provinz macht die Kohle überflüssig, und anstatt der kleinen Oefen im Gauf und Schomer sieht man hier in den Boden eingesenkte Feuerstätten, mit erhabenem Rande uud Feuerböcken, genau so wie bei uns zu Hause, bevor Kohlen und Kohlenrauch die Kamine und den ganzen modernen Putz von Heerd und Oefen nöthig machte. Ghada- und Markh-Holz ist auf den Böcken aufgehäuft und der Kaffee — hier super-excellent, denn der beste aus Jemen kommt nach Kasim — wird über der flackernden Flamme bereitet. Das Gespräch bewegt sich natürlich um den Krieg und dessen Wechselfälle. Jetzt erst lernten wir das System der Wahhabiten in 304 den ihrem Reiche unterworfenen Provinzen und die starke überall dagegen eingetretene Reaction wirklich kenneu. lieber diese Punkte ist schon Einiges gesagt worden, und wir werden das Gemälde bald neu auffrischen und vervollständigen können. Genug von der Stadt; die Strassen sind eng, heiss und staubig; die Sonne steigt immer höher; die Gärten aber sind noch kühl. Wir stürzen uns also auf gutes Glück in ein Labyrinth von Kreuz- und Querwegen und kommen endlich auf eine breite Strasse, die wie ein Boulevard unmittelbar an der Stadtmauer hinführt, aber innerhalb der Mauern. Hier ist an der^Seite ein Thor, aber halb verfallen, mit grossen Thorflügeln, aber Niemand ist da, der sie öffnet. Die Mauer an einem der Seitenthürme ist durchbrochen und wir hoffen, hier einen Weg in den Garten ausserhalb des Thores zu finden. Wir klettern hinein, steigen über einen Haufen Schutt, einst den Fuss einer Wendeltreppe, und haben ein Fenster vor uns, von wo wir den Garten gerade überschauen können; zum Glück sind wir nicht die Ersten, die hier den kürzern Weg suchen, denn die müssigen Knaben der Stadt haben die Oeffnung schon gehörig erweitert und draussen auf dem Boden Steine aufgehäuft, so dass die Passage ziemlich leicht ist; wir folgen der Andeutung und stehen, noch ehe eine Minute vergeht, ausserhalb der Mauern im Freien. Hier weht eine angenehme kühle Luft, die bis Mittag anhält. Vor uns sind hohe Palmbäume und dunkle Schatten; der Boden ist ein sammtnes Grün mit der Herbsternte von Mais und Wicken, von einem Labyrinth von Wasserbächen durch- schnitten, manche ausgetrocknet, andere fliessend, denn die Brunnen sind in Thätigkeit. Diese Brunnen sind fast in ganz Arabien überall dieselben und nur an Grösse uud Tiefe verschieden, ihre hydraulische Maschinerie dagegen ist überall gleich. Ueber der Mündung des Brunnens ist ein Querbalken befestigt, der hoch in der Luft zu beiden Seiten auf Pfeilern von Holz oder Stein ruht; an diesem Balken sind drei bis sechs kleine Bäder, über welche die Seile von ebenso viel grossen ledernen Eimern gehen. Diese werden in die Tiefe hinabgelassen und dann wieder durch Kamele oder Esel heraufgezogen, welche auf einer schiefen Fläche, die von dem Bande des Brunnens zu einem Graben führt, laugsam auf- und abschreiten. Wenn die Eimer bis an den Rand heraufkommen, schlagen sie über und ergiessen ihren Inhalt durch eine breite Rinne in einen dicht daneben befindlichen Wasserbehälter, von wo aus die Gräben laufen, durch welche der Garten bewässert wird. Der so erlangte Wasservorrath ist nicht immer gleich-massig und bei weitem geringer, als der, welchen man mit grösserer 305 Geschicklichkeit im Mechanismus in Syrien und Aegypten erzielt; dabei sind die uuzweckmässig geformten Eimer oft in einem ziemlich mangelhaften Zustande, so dass die Hälfte des Wassers wieder in den Brunnen zurückfliegst, noch ehe sie den Rand erreichen. Das Knarren und Quietschen der Räder, das Rauschen des Wassers, wenn die Eimer hinaufkommen uud sich entleeren, oder das Wasser wieder in den Brunnen zurückfällt, macht in diesen stillen und trockenen Gegenden einen sehr angenehmen Eindruck und kann bis weit zwischen den Sandhügeln gehört werden; für den von der Sonne gebratenen Reisenden eine erste Andeutung, dass er einem kühlem Rastorte näher kommt. Wir streifen im Schatten umher, verbergen uns in dem hohen Mais, um ruhig und von keinem spähenden negedäischen Auge beobachtet, eine Pfeife zu rauchen, und gehen dann weiter, bis wir in einiger Entfernung unter einen hohen, mit Ithel bewachsenen Sandhügel kommen, der in dieser Richtung hin für die Bewässerung und den Garten die Grenze bildet. Die Neugier lässt uns denselben erklimmen. Vom Gipfel desselben sehen wir südwestlich nach 'Onejzah zu in der ganzen Ebene kleine bebaute Flecken, wie Inseln, mitten im Sande, und weithin zeigen lauge Streifen eines dichtem Schattens, wo 'Onejzah selbst liegt. Bauern mit Eseln und Kamelen, Reiter mit ihren langen Speeren auf den Schultern, Reisende in kleinen, sich langsam vorwärts bewegenden Truppen kommen überall zum Vorschein , und wenn sie bei uns vorbeigehen , halten sie einige Augenblicke an, um ein paar Worte mit uns zu wechseln, vielleicht auch, um eine Pfeife Tabak zu rauchen. Aber der Mittag rückt heran, die Hitze nimmt immer zu; wir können in der Mittagsgluth nicht länger hier bleiben, lenken also unsere Schritte nach den Stadtmauern zurück und gehen auf gutes Glück am Stadtgraben hin, bis au ein Thor, durch welches wir unsern Weg wieder nach Hause finden. Mohammed und Ibrahim, unsere beiden angeblichen Mekkaner, wohnten mit uns in einer und derselben Strasse und nicht weit von uns. Sie besuchten uns oft, und wir mussten von ihnen manche langweilige und leere Schmeichelei anhören, wenn sie uns anbetteln wollten, hinter unserm Rücken aber nannten sie uns Ungläubige und Leute von einem sehr gefährlichen und verdächtigen Charakter, was jedoch keine üblen Folgen hatte. Denn wenn die guten Leute in Kasim uns den gegenwärtigen Verhältnissen wirklich feindlich gesinnt hielten, so konnte uns dies nur vorteilhaft sein. Unsere Verabredungen wegen der Reise mit Abu 'Ejsa, die bald 306 Allen bekannt waren, brachte uns auch manche Besuche aus dem persischen Lager. Es war höchst unterhallend zu hören, wie diese Fremden über das Land der Araber spotteten und dagegen das ihrige erhoben, das sie immer im schönsten Lichte erscheinen Hessen. Manche dieser Herren, denn Herren waren sie auf der Stufenleiter der orientalischen Gesellschaft wirklich, verstanden ziemlich gut Arabisch, Dank ihres häufigen Aufenthalts in Bagdad .und dessen Umgegend, und fanden Vergnügen an Litteratur und Geschichte. Die Kriegsoperationen gegen 'Onejzah, wenn man sie mit diesem Namen beehren darf, waren für mich, als ehemaligen indischen Offizier, besonders interessant. Um diese Vorgänge genauer kennen zu lernen, besuchte ich öfters das Lager der Negedäer, welches südlich der Stadtmauer, an der Strasse nach 'Onejzah, aufgeschlagen war. Iiier stand ein unregelmässiger Haufen kleiner schwarzer Zelte, oft blosse Fetzen und Lappen, die über zwei oder drei Pfähle gespannt waren, um etwas Schatten zu geben, ganz wie Zigeunerhütten; aber der Raum dazwischen und ringsherum strotzte von Speeren und wimmelte von gebräunten Negedäern ; die Flinten standen in Pyramiden aufgepflanzt vor und zwischen den Reihen. Jeder Stamm, jede Provinz lagerte besonders, und unsere eigene Beobachtung lehrte uns bald zwischen den Quartieren der Leute von Afläg, Sedejr und Woschem unterscheiden ; bei letzteren herrschten die Flinten vor, bei ersteren Säbel und Dolche, während die Krieger von Sedejr öfter mit Specren bewaffnet waren, als beide Klassen ihrer Waffenbrüder. In diesem Lager war bereits ein ziemlicher Theil der Macht des mittlen Neged beisammen, aber der grössere Theil war noch zurück, und die ganze Macht des Südens und Ostens war noch nicht herangekommen, ausser den auserwählten Truppen von 'Aared und der Artillerie, denn Fejsal schob noch immer einen entscheidenden Schlag hinaus und suchte für den Augenblick seine Feinde mehr durch Zaudern zu ermüden. Kein Einwohner von Berejdah wagte sich nach Dunkelwerden in die Nähe dieser Zelte, und selbst bei Tage hielten sich die Eingebornen von Kasim gern fern, aus nationaler und religiöser Antipathie gegen die Negedäer, die nicht weniger gegen den Tabak Krieg führten, als gegen 'Onejzah, und die gegen Jeden, der einen seidenen Rock trug, ebenso feindlich gesinnt waren, wie gegen Zämil selbst oder seinen Adjutanten Khej'jät. Wenn wir an den Reihen vorbeigingen, war der 307 Gruss der Soldaten kurz und mürrisch und von keiner freundlichen Einladung begleitet; wir waren keine Negedäer, folglich waren wir Ungläubige. Die üble Laune der armen Kerle wurde übrigens noch durch den Hunger gesteigert und zum Theil entschuldigt, denn sie hatten nur geringe Vorräthe mitgebracht und noch weniger Geld, um Lebensmittel zu kaufen, und die Einwohner von Berejdah waren durchaus nicht geneigt, sie besonders gut zu verpflegen. Die Negedäer hatten darauf gerechnet, geradeswegs nach 'Onejzah zu marschiren, um sich dort an Datteln zu mästen und durch Plünderung zu bereichern, aber sie hatten die Rechnung ohne Wirth gemacht, denn Zämils Truppen waren im offenen Felde im Vortheil, und das Verhältniss der Belagerer zu den Belagerten stand in diesem Augenblicke gerade um gekehrt. Eines Nachmittags hörten wir den Alarmruf von dem hohen Wachtthurme der Stadt, der weithin in der Ebene von anderen Aussen-posten her wiederklang; ein Trupp Reiter von 'Onejzah hatte sich bis in die Nähe der Stadt gewagt und plünderte die Umgegend. Mohanna kam aus seiner Zahlstube heraus, um das Volk zum Kampfe zu rufen, wo der Ruhm ihnen winkte, aber sieh da! im Augenblick sind Markt und Strassen leer und Alles läuft und rennt, nicht auf das Feld der Ehre, sondern um sich in den Häusern zu verbergen und die Thüren zu verriegeln, denn Alle ziehen ein „Alibi", dem unangenehmen Dilemma vor, entweder dem Rufe zu den Waffen ungehorsam zu sein, oder gegen Diejenigen kämpfen zu müssen, auf deren Sieg alle Hoffnung steht. Indessen Mohanna schickt seine Satelliten umher, die etwa vierzig dieser widerstrebenden Helden zusammenbringen, die, einmal gefangen, möglichst gute Miene zum bösen Spiele machen, ihre Speere und Flinten ergreifen und mit dem heroischen Entschlüsse ausrücken, nicht gegen den Feind zu kämpfen. Sie stiessen zu einer grössern Abtheilung Negedäer, die von ihren verschiedenen Häuptlingen geführt, mit ganz anderen Gesinnungen aus dem Lager hervorstürzten; von diesen trugen Manche, ausser den bereits genannten Waffen, den kurzen jemämischeu Dolch am Gürtel, und Säbel, wenn nicht scharf, doch schwer und in entschlossenen Händen. Barakät und ich erstiegen einen Hügel ausserhalb der Festungswerke, von wo wir die Ebene und das Gefecht gut übersehen konnten. Die Leute von 'Onejzah, an Zahl nur etwa halb so stark wie 308 ihre Feinde, waren Alle beritten und hatten sich überall zwischen den Häusern und Gärten in den Umgebungen der Stadt zerstreut, wo sie, ohne den Bewohnern der Dörfer etwas zu Leide zu thun, nur nahmen, was sie leicht davon tragen konnten. Bei Annäherung ihrer Angreifer sammelten sie sich vor den Pflanzungen und schickten etwa zwanzig der Ihrigen hervor, um den Kampf einzuleiten. Die Negedäer ihrerseits machten Halt und stellten sich in Schlachtordnung. Die Taktik einer arabischen Schlacht ist einfach, aber nicht ganz ohne Geschick. Die Reiterei hat das Vordertreffen und beginnt den Kampf, während die Kamele, die das Haupttreffen bilden, als Reserve hinten bleiben. Wenn der Kampf ernster wird, was in der Regel der Fall ist, sobald auf einer oder der andern Seite Blut fliesst, lässt man die Kamele niederknicen, die so jedes eine Schutzwehr für zwei Musketiere bilden, die Reiterei bricht vor und das Feuer beginnt nun ernstlich, bis ein Angriff in der Flanke oder ein übermässiges Selbstvertrauen auf einer Seite einen allgemeinen Kampf zu Wege bringen; Einige fechten zu Fuss, Andere zu Pferde, und das Handgemenge dauert so lange, bis eine der beiden Parteien den Kampfplatz verlässt. Die Negedäer unterscheiden sich von ihren übrigen arabischen Landsleuten dadurch, dass sie das Niedermetzeln dem Beutemachen vorziehen; sie nehmen und geben keinen Pardon, und so lange es noch Männer giebt, die sie niederhauen können, denken sie nicht an Plünderung. Wenn daher Negedäer gegenüberstehen, kann man auf heisse Arbeit rechnen, und wenn auch sechs- bis siebenhundert Gefallene gegen die Tausende bei Bala-clava oder die Zehntausende bei Solferino für Europäer eine Kleinigkeit erscheinen mag, so ist doch eine solche Zahl für Arabien sehr bedeutend und kommt allerdings nur im Kriege mit Negedäern vor. Sonst überall ist zwei Todte und drei Verwundete der gewöhnliche Ausgang, ähnlich wie bei den Kämpfen der italienischen Städte im Mittelalter, und nicht ganz unähnlich einigen der Kämpfe zwischen König und Volk in den ersten Jahren des grossen Bürgerkrieges im siebenzehnten Jahrhundert in England. Der Fortschritt unserer Zeit zeigt sich unter andern auch in der Kunst zu morden, und wir sehen mit Recht verächtlich auf die kleinlichen Verhältnisse unserer Vorfahren herab. Aber die Araber setzen in ihrer zurückgebliebenen Einfachheit das Menschenblut im Preise höher, als es in Europa zu stehen scheint. Ich kehre zu dem Kampfe vor uns zurück. 309 Auf die Herausforderung des Feindes galoppiren die Reiter von Berejdah vorwärts, Einer dahin, der Andre dorthin, Keiner aber dem Feinde gerade entgegen, während die Negedäer, welche zum grössten Theil auf Kamelen reiten, genöthigt sind, den Erfolg des Angriffs abzuwarten. Doch sind drei oder vier von ihnen zu Pferde, und diese übernehmen natürlich die Führung. Nun folgt ein sehr hübsches Schauspiel von Reiterkunst, mit einigen Flintenschüssen; aber die Leute von Kasim, sowohl 'Onejzah als Berejdah, verstehen einander und haben sich von vornherein vorgenommen, dass weder Kugeln noch Speere einen ihrer Landsleute treffen sollen. Wie die Schwalben über einem Teiche, fliegen sie im Kreise herum, bis endlich die Negedäer die Geduld verlieren und mit der ganzen Schlachtordnung vorrücken. Sobald die Leute von 'Onejzah sehen, dass die Sache eine ernstere Wendling nimmt und sie nun wahrscheinlich in der Minderzahl sind, verschwindet Einer nach dem Andern in den Palmcnhainen, ehe noch eine Kugel sie erreichen kann. Der Kampf ist zu Ende, denn es ist kein Feind mehr da, und die Helden von Berejdah ziehen vergnügt über das Scheingefecht und mit lautem Schreien und Rufen wieder in die Stadt zurück, ans der sie vor vier Stunden ausgerückt waren. Mit ihnen zugleich kommen auch die Uebrigen wieder aus ihrem Versteck hervor, und im Augenblick sind die Strassen wieder so voll wie gewöhnlich. Unsere Abende vergingen meist sehr angenehm. Nach der Abendmahlzeit, welche hier wie anderwärts in Arabien um Sonnenuntergang gehalten wird, stiegen wir auf das flache Dach des Hauses, rauchten und unterhielten uns einige Stunden mit Abu 'Ejsa und anderen Bekannten aus dem Lager oder der Stadt, oder horchten dem Rufe zum Abendgebet, der im Vergleich zu den rauhen Stimmen der Araber hell und wohltönend aus dem persischen Lager herüberklang. Ich weiss nicht, ob irgend einer meiner Leser in der angenehmen Täuschung befangen ist, dass Arabien ein Land des Gesanges sei; aber es giebt vielleicht kein Land auf der ganzen Erde, das sich weniger der Harmonie der Töne rühmen kann, als Arabien, es müsste denn China sein; — ich habe jedoch nie das Glück gehabt, einen chinesischen Tonkünstler zu hören. Türken, Perser, Indier von allen Arten und Neger habe ich singen gehört, der Syrer, Armenier, Griechen und Anderer gar nicht zu gedenken, und kann Allen das Zeugniss geben, das s sie in diesen Leistungen, sowohl für Stimme als Ohr, Instrumen- 310 tal- und Vocalmusik, weit über den Söhnen Kahtän's oder Ismaels stehen. Meine arabischen Freunde sind darin freilich andrer Meinung; sie halten sich für ächte Söhne des Orpheus und betäuben den zu höflichen Zuhörer oft mit Geschrei, das sie für Gesang halten, und quälen ihn mit Nasenlauten, die harmonisch sein sollen. Die schlimmsten von Allen sind die Beduinen, und der Enthusiasmus selbst eines französischen philo-orientalischen Reisenden würde eine harte Probe bestehen, wenn ihm ein Nomade sein „Abu Zejd", den Lieblingsgesang der Beduinen, an einem heissen Tage in die Ohren heulte. Die Städter sind ein wenig besser, auf jeden Fall aber kann Einem ein arabischer Sänger keinen grössern Gefallen thun, als — schweigen. Die Perser haben gewöhnlich gute Stimmen und wirklich ein Gefühl für Harmonie. Ihre Musik, wenn sie auch der europäischen nicht gleich, ist wenigstens angenehm, obwohl etwas melancholisch, wie die meisten asiatischen Melodien. Ihre Nachbarn in Bagdad, ja die Bewohner des ganzen Tigristhaies von Basra bis Diar-Bekr sind ebenfalls nicht ganz ohne musikalische Begabung, und bagdadische Sänger machen zuweilen in entfernten Städten ihr Glück. Auch in Syrien findet man einigen musikalischen Sinn, namentlich bei den Einwohnern von Damaskus, und nächst diesen bei den Bewohnern der Seeküste bei Sejda, 'Akka und weiter. Die. Türken sind leidliche Sänger, ihre Melodien sind aber in der Regel lebhafter und nähern sich mehr den europäischen. Einen Ersatz für den Gesang aber hat die arabische Stimme darin, dass sie wunderbar geeignet ist für alle Arten des öffentlichen Vortrags, Sprechen, lautes Lesen und überhaupt Beredtsamkeit. Hell und stark, ist sie ein mächtiges, obwohl nicht süsstönendcs Instrument, und die es besitzen, wissen es sehr wohl zu gebrauchen. Ausserdem hat sie einen merkwürdigen Vorzug, den man sonst nicht leicht findet, nemlich dass sie mit der vollsten und vollständigsten Aussprache einer Sprache verbunden ist, die eine der wortreichsten, wenn nicht die reichste in der ganzen Welt ist. In Hegäz und Jemen, noch mehr in Aegypten und Syrien, am meisten in Bagdad uud Mosul, ist allerdings die Sprache, was Endungen und Accent, Elocutiou und Phraseologie betrifft, sehr incorrect, mangelhaft und verdorben, nicht ein Dialekt, sondern eine vollständige Entartung, sowohl phonisch als grammatisch, und selbst Diejenigen, welche Studium und Bildung in Stand gesetzt 311 haben, niedrige Provinzialismen und Ungenauigkeiten zu vermeiden, lassen in ihrer öffentlichen Sprache und im Gespräch viel von jener Dürftigkeit und Gezwungenheit zum Vorschein kommen, die alles Künstliche begleiten, und es macht daher wenig Vergnügen, ihnen zuzuhören. Aber in Gebel Schomer und im ganzen Ober- und Mittel-Neged findet das Gegentheil statt, und hier lallt das kleinste und zerlump- teste Kind, das anf den Strassen umherläuft, in dem correctesten Buch-Arabisch (den ungenauen Ausdruck zu gebrauchen), das jemals De Sacy studirt oder Sibawi'jah gelehrt haben. Man hat zuweilen die Frage aufgestellt: „ist das Arabisch des Koran und des goldnen Zeitalters der arabischen Litteratur im Allgemeinen noch eine Sprache, die gesprochen wird, oder war es überhaupt jemals eine solche?" Die Antwort ist: es war allerdings eine Sprache, welche gesprochen wurde, denn sie wird in den genannten Distrikten noch jetzt gesprochen und ist sogar dort die allgemeine Umgangssprache. Die vorzüglichste Entfaltung der arabischen Beredtsamkeit aber ist der öffentliche Vortrag des Koran, und darin gebührt den Wahhabiten der erste Preis. Religiöser Enthusiasmus und eine Genauigkeit, die eines jüdischen Rabbi bei seiner Sonnabend-Vorlesung des Pentateuchs würdig wäre, giebt jedem Consonanten Nachdruck, jedem Vocale Tiefe und jedem Accent und Biegung Präcision, so dass der Zuhörer, selbst wenn er im Herzen ein Ungläubiger ist, sich nicht mehr über den Einfluss wundem kann, welchen diese eigentümlichen Vorträge auf die arabischen Gläubigen ausüben. Denn alles Verdienst, auf welches der Koran Anspruch machen kann, liegt ganz und allein in seiner merkwürdigen Beredtsamkeit und ausserordentlichen Reinheit der Diction; vernünftiger Sinn ist wenig darin, und eine Entwickelung der Begriffe würde man vergeblich suchen. Eine Uebersetzung ist daher, wenn auch noch so geschickt gemacht, schlechthin unerträglich, und gewiss nur Wenige werden sich durch Sale's Uebersetzung von Anfang bis zu Ende durchgearbeitet haben. Aber selbst die Wiederholungen, monotonen Formeln und abrupten Uebergänge, die einen europäischen Leser zur Verzweiflung bringen können, tragen in dem arabischen Original dazu bei, die Kraft und rhythmische Emphase des Textes zu erhöhen, und werden demgemäss von orientalischen Zuhörern empfunden. Die Länder, in denen das Arabische gegenwärtig gerade so gesprochen wird, wie zur Zeit Mohammeds, oder selbst noch früher, mit Allem, was Grammatik und Aussprache ersetzen können, um seiner Genauigkeit Frische und Vollkommenheit zu geben, sind Gebel Schomer, Kasim, Sedejr, Woschem und die nördliche Hälfte von 'Aared. Weiter nach Süden gewinnt allmälig eine andere und verschiedene 313 Form, nämlich die Kahtänitische Mundart der Sprache, in regelmässigen Abstufungen immermehr die Oberhand über den classischen oder is-maelitischen Dialekt des Centrums, die endlich in 'Oman ganz an dessen Stelle tritt, wo wir eine Modification der arabischen Sprache finden, welche in den vorislamitischen Gedichten des Südens repräsentirt ist, und welche jetzt, wie. wahrscheinlich von jeher, die Sprache des jemenischen Zweiges der Araber ist, obwohl dieser jetzt aus Jemen, oder wenigstens von dessen Küste, verdrängt ist. In mancher Gegend Jemens, z. B. Wadi Negrän, vielleicht auch in Hadramaut, scheinen sich noch Spuren dieses Dialekts zu finden, aber vermischt mit dem Idiom von Hegäz und der Seeküste. Wie dies Alles herbeigeführt wurde, will ich in dem Folgenden zu erklären suchen. Ich kann jedoch nicht zu meiner Erzählung zurückkehren, ohne des merkwürdigen Missverständnisses einiger gelehrten Orientalisten zu gedenken, welche sich eingebildet haben, dass die Feinheiten der arabischen Grammatik eine Erfindung verhältuissmässig späterer Sprachgelehrten seien und folglich wenige oder keine Begründung in der Sprache selbst haben. Zunächst möchte ich ganz im Allgemeinen bemerken, dass Regeln keine Thatsachen schaffen, sondern dieselben erklären und methodisch ordnen, und dass Systeme nicht die Ursachen, sondern die Commentare des Bestehenden sind. Jedoch neben diesem allgemeinen Argumente lassen zwei specielle Gründe keinen Zweifel, dass das „Tenwin" lange vor Ebn-Khälid und das „Nasb" vor Zamaksckari in Gebrauch waren. Der erste Grund ist folgender: das ganze Metrum und der Reim unzähliger Gedichte der ursprünglichen Litteratur Arabiens, die bis zu den frühesten historischen und selbst mythischen Zeiten hinaufreicht, hängen durchaus von der correcten Anwendung dieser Regeln ab, die dann allerdings nicht Regeln, sondern Gebrauch sind. Wer es versuchen wollte, die Dichtungen eines Schanfara oder 'Amru'l Kajs ohne Beobachtung des „Refaa'" und Gesm, Wasl und Hamza laut zu lesen, dem möchte es schwer fallen, ein Metrum und einen Rhythmus zu finden. Nun wissen wir aber durch viele Zeugen, dass die alten Araber ebenso sprachen, wie sie dichteten, und dass bei ihnen die poetische und die currente Sprache eine und dieselbe waren; kurz, dass der Unterschied zwischen reimen und sprechen nur in der Anordnung der Worte lag, nicht in den Worten selbst. Diese Regeln,- oder vielmehr die Thatsachen, welche sie anzeigen, sind daher von einem Alter, welches den Strophen, in denen sie zur Erscheinung kommen, wenigstens gleichkommt, ■—■ d. i. viel älter, als die Grammatiker von Kufa und Basrah. Ein anderer und ebenso folgerechter Beweis der Anteriorität der gesprochenen Grammatik vor der geschriebenen ist deren wirkliche und lebendige Existenz bei Hoch und Niedrig, bei Gebildeten und Ungebildeten, durch weit verbreitete Bevölkerungen und in entfernteren Gegenden, wo selbst die Namen der philologischen Puristen des Nordens nie gehört wurden, und wo Bauern und Kameltreiber nur deshalb so sprechen können, weil ihre Väter so gesprochen haben, und diese, weil sie es wieder von ihren Vätern so lernten, und so fort bis zu dem Ursprünge der Nation und ihrer Sprache. Die Isolirung dieser Localitäten hat sie vor fremden Corruptionen der Phrasen und Wörter bewahrt; aber sie schneidet auch alle Voraussetzung einer spätem Belehrung oder von Aussen eingeführten Bücherlehre ab. Im Gcgentheil, wenn dieselbe Sprache, bei ihrer Verbreitung über nördliche, östliche und westliche Länder, wo vorher koptisch oder syrisch, persisch oder kurdisch, türkisch oder berberisch gesprochen wurde, in unpassendem Munde ihre ursprüngliche Präcisiou und Vollkommenheit verlor und bald mit dem iranischen Sprachschatze verbunden, bald durch aramäische Analogien verdreht wurde, dann, aber nicht bis dahin, trat die Notwendigkeit des Studiums und der Regeln, der Schulen und Lehrer ein, um die Regeln festzustellen und den ursprünglichen Typus vor gänzlicher Verwischung zu retten. So wurde das, was zuerst Natur war, Kunst, und die fliessende Sprache in Bücher und Grammatiken cristallisirt. Hier in Berejdah und anderwärts besprachen wir oft ähnliche Gegenstände mit den Gefährten unserer Reisetage, und dergleichen Gegenstände waren durchaus nicht über das Verständniss unserer städtischen Freunde oder ausserhalb des Interesses derselben. Sollte dieses Buch neue Ideen oder Ansichten bringen, die mehr Schein von Harmonie und Wahrscheinlichkeit haben, als das, was bisher über Arabien gesagt worden ist, so ist es nur billig von mir, zu sagen, dass die meisten dieser glücklichen Treffer, wenn es in der That solche sind, aus Schomer, Neged, Hasa und 'Oman stammen, wo ich sie fand und hörte, und sehr oft nur „erzähl' ich die Mähr' rein so, wie ich sie hörte". Aber unsere Abende in Berejdah waren nicht ausschliesslich grammatisch, auch manche andere Gegenstände von allgemeinerem Interesse wurden in unserem ruhigen Kreise verhandelt, wenn wir unter dem „Himmel über Himmel" einer arabischen Nacht sassen und dem geräuschvollen Treiben unten in der Stadt horchten oder dem fernen und harmonischeren Rufe des persischen Mu'eddin. Regierung und Religion, Arzeneikunde und Handel kamen an die Reihe und manche 314 Pläne wurden entworfen, von denen manche wirklich zur Ausführung gelangt sind, bis die späte Stunde unsere Freunde in ihre Häuser trieb, während wir zurückblieben, um die Nacht auf der kühlem Terrasse des Daches zuzubringen. Das Zodiakallicht, welches an diesem durchsichtigen Himmel immer sichtbar ist, jetzt aber in seiner vollen äquinoctionalen Pracht stand, schimmerte, oben spitz zulaufend, nach Sonneruntergang noch drei volle Stunden am westlichen Himmel, vollkommen unterschieden an Farbe, Gestalt und Richtung von dem letzten horizontalen Schimmer des Tageslichtes, während sein Wiedererscheinen im Osten, lange vor Morgen, nur bei Mangel an Erfahrung mit dem frühen Morgengrauen verwechselt werden konnte. Sternschnuppen glitten an dem Himmelsgewölbe hin, jedoch nicht zahlreicher, glaube ich, als in Europa, wenn die Wolken und Nebel unseres nördlichen Klimas sie ebenso sichtbar werden Hessen, wie hier. Während der ganzen Nacht riefen die Wächter auf den Thürmcn in einzelnen Pansen einander bald ihr „Allahn Akbar" zu, bald das Losungswort ihrer Provinz, und die Stadt lag in tiefem Schlafe unten mit ihren schweigenden Hainen und Sande ringsum ; Erinnerungen an Indien und Syrien, Europa und die Heimath schienen jetzt einem andern Planeten oder den unbestimmten Gebilden eines Traumes anzugehören, während Arabien und Kasim in bestimmten Umrissen vor dem Geiste standen. Jetzt ist dies gerade umgekehrt; damals aber, wenn ich an die Wüsten dachte, die mich von der Heimath trennten, an die Meere, die ich noch durchschneiden sollte, glaubte ich kaum, dass es einmal wieder so sein würde. In memoriam! Am frühen Morgen erweckte uns der Klang der Mörser in den benachbarten Wohnungen, wo jeder Hausherr sich seinen Morgentrank selbst bereitet, und Abu 'Ejsa ist bereits aufgestanden und stösst unsern Kaffee unten im Hofe, wo der flackernde Schein des Holzfeuers sich mit dem grauen Zwielicht der Morgendämmerung mischt. Kein Araber dünkt sich zu vornehm, um seinen Kaffee selbst zu bereiten, es gilt vielmehr für viel anständiger, dieses Geschäft selbst zu übernehmen, als es einem Untergebenen oder Sclaven zu überlassen. Da sich unser Aufenthalt in Berejdah noch in die Länge zog, verliessen wir die Stadt gelegentlich einmal auf einen Tag, um die benachbarten Dörfer 'Askha, Mudneb und andere zu besuchen, um das ländliche Leben in Kasim genauer beobachten zu können. Ein Landhaus in Dowejr, wo Mubärek uns in einer Laube gastlich bewirthete, habe ich bereits beschrieben und halte daher nicht für nöthig, noch mehr über die Häuser der Bauern zu sagen, die alle einander ähnlich und nach demselben Muster gebaut und nur hinsichtlich der Grösse verschieden sind. Die Dörfer selbst sind reinlich und freundlich und denen in Jafnapatam und Ceylon nicht unähnlich und, wo Schatten und Wasser vorhanden, für die südlichen Breitengrade noch kühl genug. Die Einwohner scheinen im Allgemeinen in der Lage, welche der Weise des Alterthums für sich selbst wünschte, als er sagte: „Gieb mir weder Armuth noch Reichthum"; Wenige nur haben Ueber-fluss, aber Niemand leidet Mangel. Der Boden gehört hier in vollem Rechte Denen, die ihn bebauen, nicht der Regierung, wie in der Türkei; auch ist er nicht oft in den Händen grosser Grundbesitzer, wie die Zemindars in Indien und die reichen Farmer in England. Von der andern Seite aber sind die übermässigen Auflagen der Wahhabiten dem Gedeihen des Ackerbaues hinderlich und entmuthigen denselben wenigstens. Das Zehntheil des Bodenertrags an Datteln, Korn, Mais und dergl. wird von der Regierung als regelmässige Steuer genommen, während wiederholt noch ausserordentliche Abgaben erhoben werden, die zuweilen bis zu einem Drittheil der ganzen Ernte steigen, hauptsächlich bei Gelegenheit eines „Gihäd" oder heiligen Krieges, d. i. jedes Krieges, denn die Wahhabiten sind ein heiliges Volk, die ächte, wahre „kleine Heerde, gegen die Jedermann redet", des Islam, die wirklichen wahren Gläubigen, bei denen kein Irrthum; ihre Kriege sind daher alle heilig, so dass nur Ketzer oder Ungläubige, oder solche, die dafür gehalten und als solche behandelt sein wollen, eine Beisteuer zu ihren frommen Feldzügen verweigern könnten. Vieh, d. i. Kamele und Schafe, wird hier ziemlich viel gehalten, doch weniger als in Schomer, weil hier mehr bebautes Land ist, als Wüste, doch bildet die Viehzucht einen bedeutenden Theil des Wohlstandes der Provinz, nicht allein für das Haus, sondern auch für den Handel nach Aussen, obwohl die Schafe von fremden Käufern weniger geschätzt werden, als die aus dem Gebirge 'Towejk. Auch Pferde werden ausgeführt, nach Osten und Norden; diese gleichen in jeder Hinsicht denen in Gebel Schomer und gelten noch nicht für ächte „Negdf". Kühe und Ochsen giebt es wenige oder keine, und Büffel noch weniger; die Hirten wohnen theils in den Dörfern, theils sind es Beduinen; erstere jedoch haben hier an Zahl und Geltung das Uebergewicht. Die Steuer, welche von der Regierung für das Vieh erhoben wird, beträgt den zwanzigsten Theil des Werthes, und insofern sind die Hirten in Kasim noch weniger bedrückt, als die Ackerbauer und Gärtner. Aber eine besondere städtische Abgabe auf Fleisch bringt die Einkünfte, welche der Staat von dem Viehe bezieht, fast zu der-I. 16 selben Höhe, wie die, welche von den Vegetabilien eingetrieben werden. Auch Geld wird besteuert, Eins von Vierzig; und da es dem Steuereinnehmer schwer fallen möchte, eine Einsicht in die Beutel selbst zu erhalten, so wird das Einkommen jedes Kaufmanns und Ge-werbtreibenden im Durchschnitt abgeschätzt und darnach die Steuer erhoben. Ueberdies müssen Alle, die zum Handelsstande gehören, gleichviel ob Unterthanen oder Fremde, an der Grenze eine Eingangssteuer für ihre Waaren bezahlen, in der Höhe von etwa vier Schilling für eine Ladung, eine bedeutende Summe, weil sie von Gütern erhoben wird, die im Allgemeinen mehr Umfang und Masse haben, als grossen Werth. Der Handel ist daher nicht besser daran, als Ackerbau und Viehzucht. Dazu kommen noch gelegentliche Geschenke, Bestechungen, locale Erpressungen und nicht selten ganz ungerechte Bedrückungen, um dieses Aussaugungssystem zu vollenden; ich überlasse meinem Leser das Urtheil, ob die Vortheile der höchsten Reinheit des Dogmas den Preis werth sind, der in greiflicheren Gütern dieser Welt dafür bezahlt wird. Die nichtwahhabitischen Araber werden diese Frage, fürchte ich, wahrscheinlich negativ beantworten. Endlich die häufigen Kriege und die Verpflichtung, nicht allein zu den Kosten beizusteuern, sondern persönlich daran Theil zu nehmen, führt schnell den Verfall der Provinz herbei. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass man diese Uebel, oder die meisten derselben, ertragen würde, wenn sie von eingebornen Häuptlingen und einer einheimischen Regierung kämen, aber als Fremde, die nach einem vollständigen und dauernden Systeme handeln, um alle Aemter zu besetzen, alles Ansehen, allen Einfluss und endlich allen Reichthum und Besitz für sich zu nehmen, sind die Wahhabiten in dieser wie in den anderen unterworfenen Gegenden gründlich verhasst. Dazu kommt noch die Einschärfung eines despotischen Glaubens und knechtischer Beobachtung ceremoniellen Zwanges, von dem die Araber mit dem heiligen Johannes von Jerusalem sagen möchten „weder wir, noch unsere Väter haben ihn ertragen können", machen die Bedrückung durch beständige und zwecklose Einmischung noch 317 schwerer. Die Metow'waa' und Meddej'jljah, Prediger und Eiferer, mästen sich hier von den unfreiwilligen Contributionen eines Volks, das sie verabscheut, und die an und für sich verhassten Steuern werden noch verhasster, wenn sie im Namen Gottes und der Religion erhoben werden. Bei alledem dürfen meine Leser nicht meinen, dass die wabhabitische Regierung durchaus schlecht sei und gar nichts Gutes besitze, was den mannigfachen Uebelständen das Gegengewicht halte. Schlecht ist sie allerdings, aber die vorhergehenden Zustände waren, wenigstens an manchen Stellen, noch schlechter, durch die grösste Anarchie, die Fehden localer Häuptlinge, Bürgerkriege in den Städten und die ungezügelte Anmassung der Beduinen. Der Monarch von Neged ist allerdings ein Räuber, er ist aber wenigstens der einzige und duldet nicht, dass irgend ein Anderer, Nomade oder Städter, auf eigene Rechnung das gleiche Geschäft neben ihm betreibt. Die Agmän, 'Otejbah, Metejr, Benu-Khälid und andere Beduinenstämme waren b;s in das letzte Jahrhundert hier nicht weniger gefürchtet, als ihre Brüder, die Anezeh, es noch jetzt in Syrien und der nördlichen Wüste sind, und machten die Reise durch Neged ebenso unsicher, wie letztere jetzt eine Reise zwischen Horns und Tadmor oder Sakhneh. Unter der wahhabitischen Herrschaft aber wird der Reisende, der durch Kasim, Sedejr, Woschem und die übrigen acht Provinzen des mittlen Reichs kommt, nur wenige Beduinen treffen, von denen er etwas zu fürchten hat; Kaufleute und Bauern, Städter und Fremde sind vor räuberischen Einfällen und Strassenraub sicher und Handel und Ackerbau werden durch keine Räuber mehr gestört. Kein localer Häuptling, es müsste denn einer von den negedäischen Proconsuln sein, kann die Rechte der Unterthanen mit Füssen treten, kein Dorf kann die Gärten des benachbarten plündern oder dessen Fruchtbäume niederschlagen. Das Privilegium der Bedrückung, im Ganzen und im Einzelnen, ist der Regierung vorbehalten, und nur dieser allein, es ist ein heiliges Monopol, ein neuer Wald, in dem Niemand ungestraft Wilddieberei trei- 318 ben darf. Als daher die Einwohner von Riad in meiner Gegenwart den persischen Nä'ib, Mohammed-'Ali, zu seiner glücklichen Ankunft in der Hauptstadt Glück wünschten und die früheren Gefahren einer Reise in Neged mit der gegenwärtigen Sicherheit verglichen, warf milder alte schiräzische Fuchs einen schlauen Blick zu und flüsterte mir auf Hindustanisch zu: „Früher waren füufzig Räuber hier, jetzt ist nur Einer, dieser Eine aber ist so viel wie fünfzig"; eine Bemerkung, die mich an das „ubi solitudinem faciunt, pacem appellant", des römischen Annalisten erinnerte. Indessen der Vergleich zwischen der wahhabitischen und der türkischen Verwaltung (und ich glaube auch der persischen, was auch Mohammed-'Ali-esch-Schiräzi dagegen sagen mag) fällt entschieden zu Gunsten der ersteren aus; insofern eine Regierung, die, wie verderblich sie auch zuletzt für die Unterthanen sein mag, doch keinem Andern gestattet, diese zu ruiniren, noch immer besser ist, als eine, die, indem sie selbst das Volk aussaugt und das Land verwüstet, auch noch jedem Andern, der dabei helfen will, Erlaubniss dazu giebt und selbst dazu einladet und ermuntert. Aufrichtigkeit macht Anspruch auf Achtung; und wenn Fanatismus schlecht ist als Herrscher, so ist er vielleicht noch schlechter, wo er als Werkzeug gebraucht wird: nun aber ist bei den Wahhabiten das Erstere, bei den Türken das Letztere der Fall. In Zusammenstellung mit dem Ottomanen hat der Negedäer nicht nöthig, weiss getüncht zu werden, er wird allein durch den Contrast schon wirklich schön. Hieraus Hessen sich manche Folgerungen ziehen, die ich aber der Einsicht meiner Leser überlasse. — Auf einem unserer Ausflüge in die Umgegend schlugen wir die Richtung nach 'Onejzah ein, es war aber unmöglich, hineinzukommen, und wir mussten uns mit einer Ansicht dieser grossen und volkreichen Stadt aus der Ferne begnügen. Die Anzahl der Häuser und deren Grösse, nach den hervorragenden Spitzen zu urtheilen, welche die Wohnungen Zämil's und seiner Familie bezeichneten, war bei weitem grösser, als in Berejdah. Die äusseren Festungswerke sind ungeheuer breit, und der Gürtel von Palmbäumen zwischen diesen und der Stadt gewährt der letzteren noch einen besondern Schutz. Nach Allem, was ich sehen konnte, ist wenig steinerne Mauer da, vielmehr erscheint Alles aus ungebrannten Ziegeln erbaut, aber auch so sind sie in Arabien schon ein nicht zu unterschätzendes Bollwerk. Das ganze Land ringsum und Alles, was nordöstlich gegen Berejdah zu lag, war mehr oder weniger durch den Krieg verheert; und unsere Freunde fanden 319 es sehr unvorsichtig, dass wir uns so weit gewagt hatten. Es war auch in der That ein glücklicher Zufall, dass wir nicht mit Schar-mützlern oder Plünderern zusammentrafen, und in diesem Falle würde die militärische Disciplin von Kasim kaum für die Sicherheit einer dritten und unbewaffneten Partei gebürgt haben. Zwei volle Wochen waren so vergangen, die dritte begann, aber Abu-'Ejsa war noch nicht zur Abreise bereit, und die Gründe, welche er anfänglich für seinen Aufschub angab, waren durchaus nicht vollkommen zufriedenstellend. Endlich kam die wahre Ursache seines Zauderns an den Tag, und sie war der Art, dass sie ohne Tadel oder Nothwendigkeit als Entschuldigung angenommen werden musste. Mohammed-'Ali-esch-Schiräzi, der persische Bevollmächtigte in Meschid 'Ali, jetzt mit der Führung der nationalen Pilgerwallfahrt betraut, hatte „arabisch und persisch" nach Riad geschrieben und dort die Flucht Abu-Botejn's und das Benehmen Mohanna's geschildert und hierauf den Vorschlag gemacht, in eigener Person der Hauptstadt einen Besuch abzustatten, um mündlich noch andere Beschwerden vorzutragen, die zu ernster Natur waren, um sie der Feder und Tinte anzuvertrauen. Fejsal wäre gern dieser Zusammenkunft ausgewichen, aber er fürchtete, dass der Perser eine Weigerung von seiner Seite leicht zu einem gänzlichen Bruche benutzen könnte, in Folge dessen dann Neged der jährlichen Sportein verlustig gehen konnte, die ihm von dem Durchzuge der Pilger zufielen. Er liess daher an Mohanna den Befehl ergehen, Mohammed 'Ali mit einer Escorte für seine Reise nach Riad zu versorgen und dafür zu sorgen, dass die übrigen Perser sicher in ihre Heimath gelangen könnten. In der Zeit, welche zwischen den beiden Briefen lag, hatte der Statthalter von Berejdah von seinen schiitischen Gästen eine Summe erpresst, die nach der massigsten Berechnung mehr als 1600 Pfund Sterling betrug, und konnte jetzt kaum hoffen, noch mehr aus ihnen herauszuquetschen. Er hatte daher kein grosses Interesse, sie noch länger aufzuhalten; während, wenn er ihnen einen Führer stellte, er wieder ein neues Mittel in die Hand bekam, um noch etwas von ihnen zu gewinnen, da er natürlich einen solchen Dienst nicht umsonst leisten konnte. Aber er hatte keine besondere Lust, dem Nä'ib (dies war der amtliche Titel Mohammed 'Ali's, mit dem ich ihn von nun an der Kürze wegen nennen will) mit Führern und Lastthieren zu versorgen, die er ihm der Ehre halber nicht wohl anders, als unent-320 geltlich stellen konnte. Er beobachtete also über diesen Punkt seiner Instructionen ein kluges Stillschweigen, so dass dem persischen Granden nichts weiter übrig blieb, als selbst für sich zu sorgen. Der Nä'ib befand sich jetzt ziemlich in derselben Lage, wie wir, indem er Gefährten suchte und keine finden konnte, denn selbst die Bürgschaft einer königlichen Einladung war ungenügend, alle Zweifel hinsichtlich der Aufnahme zu entfernen, die er in RiatJ zu gewärtigen hatte, auch waren die Leute in Kasim nicht eben sehr begierig, einen Besuch in der Hauptstadt zu machen. Endlich wendete er sich um Rath und Hilfe an Abu 'Ejsa, mit dem er schon während der ganzen vorhergehenden Reise auf gutem Fusse gestanden hatte. Dieser war nicht abgeneigt, das Amt eines Reisehofmeisters zu übernehmen, aber er hatte nicht genug Lastthiere. Der Nä'ib besass allerdings sein eigenes Dromedar, aber er war von zwei Dienern begleitet, 'Ali und Hasan, beide aus Meschid, ausser diesen noch Hagg Hosejn, eine Art Obermaulthiertreiber aus der Nähe von Bagdad. Diese waren sämmt-lich ohne Thiere und brauchten Kamele oder Dromedare. Abu 'Ejsa hatte deren aber nur vier, von denen er zwei bereits uns zugesagt hatte, und er war nicht der Mann, der ein gegebenes Versprechen zurücknahm. Doch wollte er sich auch die Gelegenheit, seine Reisegesellschaft zu vermehren, nicht gern entgehen lassen; er sann daher auf Mittel, sich noch einige Thiere zu verschaffen; seine Kasse aber war erschöpft, er musste daher borgen und dieses Geschäft nahm mehrere Tage in Anspruch. Wie natürlich, machte der Nä'ib während dieser Zeit unsere Bekanntschaft. Er war durch und durch ein Perser, sechzig und einige Jahre alt, körperlich noch vollkommen kräftig, und wäre er nicht dem Genüsse des Opiums ergeben gewesen, auch geistig; sein Bart und Schnurrbart war sorgfältig mit Henna und schwarz gefärbt, so dass man ihn in einiger Entfernung beinahe für einen Vierziger halten konnte. Er sprach Arabisch schlecht, Türkisch etwas besser und Hin-dustanisch sehr gut, deun er hatte mehrere Jahre lang als Agent der persischen Regierung in Hyderabad im Dekan gelebt; dabei war er sehr witzig und machte gern einen Scherz; obwohl durch lange Uebung in Geschäften geübt, war er doch, wie die meisten Perser, welche ich kennen lernte, leicht zu betrügen; gesprächig und heiter, aber zu Zeiten heftig, liess er sich leicht zu groben Ausbrüchen des Zornes hinreissen; dabei war er ein frommer Schijä'f und Verehrer 'Ali's und des Mahdi; ich selbst sah, wie er sich bei Nennung dieser beiden Namen in voller Länge auf den Boden hinwarf; mit einem Worte, er war ein „Charakter" und die Umstände der Reise zeigten ihn in jedem 321 Lichte und von jedem Gesichtspunkte. Seine Begleiter zeichneten sich durch nichts weiter aus, als durch ihre Rohheit, schiitischen Fanatismus und massloses Schimpfen über Araber und Wahhabiten, alles in dem verdorbenen Dialekt von Bagdad und Meschid, der merkwürdig gegen die vollkommene Reinheit und Correctheit der Sprache des Landes abstach. Wir wurden nun mit diesen Leuten, unseren künftigen Reisegefährten nach Riad und hier unseren nächsten Nachbarn, vollständig bekannt, und ihre Besuche halfen uns die Zeit hinbringen, welche unter beständigem Hoffen und Harren ziemlich langsam verging. Der September war beinahe, zu Ende, und nun endlich bestellte Mohanna einen Führer, der Täg-Gehän und ihre Begleiter an die Ufer des Euphrat bringen sollte. Die Perser bezahlten noch einen hohen Preis für ihre Erlösung und zogen auf dem Wege nach Nordosten weiter; sie hatten noch fünf Tagereisen vor sich und waren schlecht mit Lebensmitteln versorgt. Während meines Aufenthalts in Bagdad, im nächsten Frühjahr, freute ich mich zu hören, dass sie endlich Alle glücklich dort angekommen waren. Auch Abu 'Ejsa fand endlich, nach mancherlei Verzögerungen, die beim Borgen unvermeidlich sind, die gesuchten Kamele und wir bereiteten uns nun zur Abreise. Ehe wir aber aufbrachen, ereignete sich noch ein unangenehmer Zufall, der uns die schwache Seite unseres nur allzu arglosen Führers zeigen konnte. Eines Abends, als Abu 'Ejsa mit seinen persischen Freunden bei uns zum Abendessen war, benutzte Habbäsch, ein Mulatte, den er bei seiner Abreise aus Medinah mehr aus Mitleid, als weil er ihu brauchte, in Dienst genommen hatte, die Abwesenheit seines Herrn, um aus dem Lager zu entweichen, und nahm Abu 'Ejsa's besten Rock, einiges Geld und, was das Schlimmste, den grossen messingnen Mörser zum Stossen des Kaffees mit. Nun war dieser Mörser ganz besonders schön, von ausgezeichnetem Metall und gab beim Stossen einen sehr hellen und reinen Klang. Abu 'Ejsa hielt ihn deshalb besonders hoch. Es war nicht leicht, vielleicht gar nicht möglich, in Berejdah einen andern gleichen zu finden, und, was die Sache noch schlimmer machte, der Verlust trat gerade ein, als wir eine Reise von zehn Tagen vor uns hatten, wo wir mehr als je der aromatischen Stärkung gebrauchten. Der Nä'ib hatte kein ähnliches Geräth bei seinem Gepäck, da er, wie die meisten Perser, gewöhnlich Thee trank. Der Verlust des Mörsers 322 war daher das Schlimmste bei der ganzen Sache and Abu 'Ejsa schwor, er müsse ihn um jeden Preis wiederhaben. Er schickte zwei oder drei Freunde aus, dem flüchtigen Habbäsch und seiner Beute nachzusetzen, und machte sich selbst auf die Jagd. Aber nach zwei Tagen vergeblichen Suchens kam die Nachricht, dass der Dieb auf dem Wege nach Medinah gegen Henakijah zu gesehen worden sei, und zwar schon in solcher Entfernung, dass keine Hoffnung war, ihn oder den Mörser wiederzuerlangen. Zum Glück hatte ich einen kleinen messingnen Mörser bei mir, dessen ich mich ausschliesslich für Gifte bediente, die ich für meine Arzeneien brauchte. Dieser wurde sorgfältig gereinigt und musste unterwegs so lange einem geselligem Gebrauche dienen, bis endlich Abu 'Ejsa in der Hauptstadt seinen Verlust wieder ersetzen konnte. Am dritten October endlich konnten wir abreisen. Weder ich noch Barakät hatten Mohanna wiedergesehen, ausser etwa von ferne in den Strassen oder auf dem Markte, und wir hielten nicht für nöthig, ihm noch einen besondern Abschiedsbesuch zu machen. In der That, nachdem wir erfahren, wer und was er war, hielten wir es für das Beste, seine Aufmerksamkeit nicht weiter auf uns zu ziehen, und entgingen dadurch wahrscheinlich manchen Belästigungen. Am Abend, als die Sterne erschienen, sagten wir unserm Wirth Ahmed noch einmal Lebewohl und verliessen unter Abu 'Ejsa's Führung die Stadt. Achtes Kapitel. 883 Von Berejdah nach Riad. Die beiden Strassen von Berejdah nach Riad — Kamele und Dromedare — Nachtreise — Rowejdah — Gastlichkeit — Hochland — Weg durch die Nefud — — Wusit — dessen Einwohner — das Thal Zalphah — Nacht in Zalphah — Gazellen — ein Solibah-Mädchen und der Nä'ib — Gebel Towejk — des sen Ausdehnung, Charakter, Lauf der Gewässer, Klima — Ghät — arabische Etymologie — Sedejr — die Akabah — Plateau des Towejk — ein Sturm — Megmaa' — Geschichte der Sedejri — 'Abd-el-Mahsin und seine Burg — — Tabak — Weg auf dem Plateau — Gelätfil undRaudah — Beduinen von Metejr und Kahtän — Towejm — die Stadt, ihr Charakter und Einwohner — Insekten und Reptilien in Mittelarabien — Hafr — Thomejr — ein Abenteuer — ein jutiger Solibah — ein Garten — Weg durch Themjat- Atälah — Sadik — bewaldete Gegend — Hares — Hulah — Vorzüge der wahhabischen Herrschaft — Horejmelah — die Burg — Ibrahim Pascha — Mohammed-ebn-'Abd-el-Wahhab, seine Geschichte und System — in wie weit dasselbe mit dem Koran in Einklang steht — sein Leben in Damaskus und 'Ejänah — sein erstes Auftreten als Prediger — Ebn-Mußik mischt sich ein — Flucht nach Derej'ijah — Ebn Sa'üd und Wahhabi — erste Kriege und Erfolg — Fall von 'Ejänah — Eroberung von Jemämah — Niederlage von 'Arär — persönliche Geschichte Wahhabis — seine Familie — von Horejmelah nach Sedüs — Grenze von 'Aared — Hochland — Wadi Hanifah — Ruinen von 'Ejänah — Raudah — Mosejlemah und Scliegah, ihre Geschichte — Schlacht von Raudah — Mosejlemah's Tod — Uebergabe von Riad — Schetfah's Handlungsweise — Wadi Hanifah fortgesetzt — Malka — Ruinen von Derej'ijah — Garten ' Abd-er-RaJimäns — Weg nach Riad. Unsere Reisegesellschaft versammelte sich dicht unter den Mauein am östlichen Thore, ein kleines Stück nördlich von dem Wach-thurme und nicht weit von den Zelten Mohammeds, des Sohnes Fejsals. Bald kam auch der Nä'ib mit seinen drei Gefährten, ferner Hosejn-el - Basri, ein lustiger junger Kaufmann aus Basrah, und die beiden Mekkaner, die, des Ungemachs in Berejdah müde, sich entschlossen 324 hatten, die zweifelhafte Freigebigkeit Fejsals zu versuchen, so dass wir im Ganzen eine Gesellschaft von zehn Personen bildeten. Ausserdem hatte Mohanna, da die ersten Stationen unseres Marsches uns möglicherweise der Gefahr aussetzen konnten, mit herumstreifenden Banden aus 'Onejzah zusammenzutreffen, dem Nä'ib, nach vielen Bedenklichkeiten, noch eine Bedeckung von vier Mann gegeben, die mit Flinten bewaffnet waren und uns bis an die Grenze von Kasim geleiten sollten. Wir hatten die Wahl zwischen zwei Strassen. Die kürzere, und deshalb ungleich besuchtere, führte südost-östlich durch Woschem und dessen Hauptstadt Schakra, und von da im Wadi Hanifah hinauf nach Riad. Aber diese Strasse führt durch eine Gegend, die gegenwärtig oft von Truppen von 'Onejzah und deren Verbündeten heimgesucht wurde und unsere nicht eben übermässig tapferen Gefährten fürchteten sich, diesen Weg einzuschlagen. Ein anderer etwas weiterer Weg, der aber weiter von dem Schauplätze kriegerischer Operationen ablag, führte nordöstlich nach Zalphah und von da durch die Provinz Sedejr, die er in südöstlicher oder südlicher Richtung durchschneidet und dann das 'Aared erreicht. Wir hielten Rath und entschlossen uns für letztern; wir hatten nicht Ursache, den Umweg zu bereuen, da er uns die Ansicht von Manchem verschaffte, was wir sonst kaum würden zu sehen bekommen haben. Barakät und ich hatten zwei vortreffliche Dromedare, die Abu 'Ejsa gehörten, der Nä'ib ritt eine hübsche graue Kamelstute, mit schönem dunkelroth mit Gold verziertem Sattel. Die Mekkancr hatten zusammen ein schwarzes Thier mit langem Rücken; die Uebrigen ritten ebenfalls auf Kamelen oder Dromedaren, da der Weg, welchen wir vor uns hatten, nicht für Pferde gangbar ist, wenigstens nicht in dieser Jahreszeit. Es wird nicht überflüssig sein, hier ein für allemal zu bemerken, dass der Unterschied, welchen man gewöhnlich zwischen Kamel und Dromedar macht, dass nemlich dieses zwei, jenes nur einen Höcker habe, oder umgekehrt (denn ich habe vergessen, welches von den beiden Thieren in Bilderbüchern mit einem Doppelhöcker dargestellt wird), ein blosses Missverständniss ist. Kamel und Dromedar sind in Arabien ganz ein und dasselbe Genus und Thier, nur dass das Kamel von guter, das Dromedar von schlechter Zucht ist; der Unterschied ist genau derselbe, wie zwischen einem Rennpferde und einem Mieth-gaul; beide sind Pferde, das eine aber von edlem Blut, das andre 383 nicht. Das Dromedar ist das Rennpferd seiner Species, mager, zierlich (wenigstens im Vergleich mit dem andern), mit dünnem Haar, leichtem Schritt und erträgt bei weitem mehr Durst, als das wollige, dicke, schwerfüssige, ungeschickte und stossende Kamel. Aber beide haben nur einen Höcker, unmittelbar hinter den Schultern, wo er für den Sattel oder die Ladung als Stützpunkt dient. Wegen dieser Gleichartigkeit nennt man oft fälschlich das eine „Baa'rir" oder männliches, das andre „Nök" oder weibliches Kamel, gewöhnlich aber wird das Dromedar mit seinem eigentlichen Namen „Hegin" oder Dolül genannt. Das zweihöckerige Thier existirt allerdings, ist aber weder ein arabisches Dromedar noch Kamel, sondern gehört zu der persischen Art, die von den Arabern „Bakhti" oder die Baktrische genannt wird, und ist ein plumpes, grobhaariges Thier, das man nicht mit dem arabischen Dromedare verwechseln darf. Wer ein wirkliches lebendiges Dromedar sehen will, muss nach Arabien gehen, denn dieses Thier sieht man nicht leicht anderswo, nicht einmal in Syrien, und wer diese Species in seiner ganzen Schönheit betrachten will, muss seine Reise bis nach 'Oman, dem entferntesten Winkel der Halbinsel, ausdehnen, die für die Dromedare dasselbe ist, was Neged für die Pferde, Kaschmir für Schafe, und Thibet, glaube ich, für Bullenbeisser. Es war bereits Nacht, aber der Mond, jetzt im zweiten Viertel, schien hell und versprach uns noch für sieben bis acht Stunden sein Licht. Der Canopus glänzte in voller Pracht am südlichen Himmel und der Orion erschien eben am Horizonte. Wir brachen auf, und fort ging es mit tüchtigem Schritte, über die Sandhügel, welche Be-rejdah umgeben, auf und ab, und dann im Mondenseheine zwischen Gebüschen und Gras, über Berg und Thal, wo uns von Zeit zu Zeit eine Masse dunklen Laubes den Ort anzeigte, wo ein Dorf lag, aber nirgends machten wir Halt. Die Nachtluft wurde bald ziemlich kühl, unsere Gesellschaft war aber im Anfang nicht sehr heiter. Der Nä'ib hatte sich von Mohanna in einer üblen Laune getrennt, der er jetzt in einer Weise freien Lauf liess, wie nur bei einem Opium essenden Perser möglich ist; seine Diener waren verdricsslich, die beiden Mekkaner konnten sich nicht einigen, welcher von ihnen ihr Thier reiten und welcher zu Fusse gehen sollte, und Abu 'Ejsa machte vergebliche Versuche, Leben in die Gesellschaft zu bringen, obwohl er selbst sich 328 noch keineswegs von dem Verdrusse über das Verschwinden seines Dieners und seines Kaffeemörsers erholt hatte. Die Negedäer hielten sich fern, da sie uns insgesammt für ruchloses Pack hielten und uns weit lieber ausgeplündert, als beschützt hätten. Barakät und ich selbst endlich waren nicht ohne Sorge über das, was in Riad unserer wartete, denn in Kasim hatte man uns die wabhabitische Hauptstadt, ihre Herrscher und Volk nur mit den düstersten Farben geschildert; auch waren wir durchaus nicht erfreut, die verleumderischen Mekkaner in unserer Gesellschaft zu haben. Aber, guter oder schlechter Laune, wir waren nun einmal unterwegs und fort ging es schnell und schweigend. Endlich sank der Mond dunkelroth am westlichen Horizonte nieder, und wir hofTten, uns nun bald der Ruhe und dem Schlafe überlassen zu können, der uns Allen sehr Noth that. Abu 'Ejsa aber, der es vorzog, in der Nähe von Ortschaften zu lagern, war nicht dazu zu bewegen, eine Rast zu machen und trieb uns, ohne Rücksicht auf unsere Müdigkeit zu nehmen, immer weiter, bis wir uns etwa eine Stunde vor Tagesanbruch und gerade um die Zeit, wo es am finstersten ist, plötzlich am Rande tiefer Wassergräben und hoher Maisfelder befanden, hinter denen wir in der Dunkelheit die Umrisse hoher Mauern erkannten. Es war Rowejdah, ein kleines Dorf, das aber gut mit Bewässerung versorgt ist, und die Gärten vor uns waren das Eigenthum Mohanna's, der sie während seiner Verwaltung dieser Provinz angelegt hatte. Im Finstern und schlaftrunken bald rechts, bald links taumelnd, fanden wir uns endlich, nach vielem Rufen und Schreien und von Oben bis Unten bespritzt, aus dem Labyrinth von Gräben heraus und erreichten das hohe Thor des Dorfes. Auf einem freien Platze warfen wir uns, ohne weiter zu fragen, auf den Boden nieder, um zu schlafen, und ich hoffe, dass Abu 'Ejsa auf das Gepäck Acht gab, dehn wir thaten es sicher nicht. Zwei Stunden Morgenschlaf nach einer langen Nachtreise sind so gut, wie sechs Stunden zu anderer Zeit. Die Sonne weckte uns und wir fingen nun an, uns die Augen zu reiben, und sahen, wo wir waren. Wir hatten neben einem kleinen Teiche geschlafen; dicht dabei waren niedrige Häuser und Hofmauern; an der andern Seite 327 die Burg, in welcher der Häuptling oder vielmehr der erste Bauer des Ortes wohnte, die aber geräumig und hoch genug für einen Baron der alten Ritterzeit war. Wir wuschen Hände, Gesicht und Füssc (es ist nicht nöthig, zu bemerken, dass wir weder Strümpfe, noch Schuhe trugen) und gingen gerade nach dem K'häwah dieser herrschaftlichen Wohnung, sicher, dort unsern Morgenkaffee zu finden. Der Nä'ib setzte sich standesgemäss neben dem Hausherrn nieder, während wir, durch die Grossartigkeit des persischen Gesandten auf dem Wege zu Fejsal ganz in Schatten gestellt, bescheiden weiter unten Platz nahmen. Aus dem Dorfe kamen Viele, um die Fremden anzugaffen und eine Tasse Kaffee zu erhalten. Die Gesellschaft endigte mit einer Einladung zum Frühstück in Mohanna's Garten, denn der Häuptling war zugleich oberster Verwalter des Statthalters von Berejdah. Der Garten war sehr hübsch — Feigen- und Orangenbäume, Pfirsiche und Granaten, mit Stein eingefasste Wassergräben und Teiche, und Gänge im Gesträuch, mit mehr Geschmack und Symmetrie angelegt, als die Araber sonst gewöhnlich in ihren Gartenanlagen entwickeln. Im Schatten einiger Palmen wurden Teppiche ausgebreitet, und während der Vorbereitung zu dem solidem Gastmahl wurden Melonen von allerlei Gestalt und Grösse vor uns aufgehäuft, um den Appetit zu reizen. Der Nä'ib brachte eine Thee-Urne hervor, mit allem Zubehör, wie man in einem englischen Gesellschaftszimmer nicht vollständiger finden kann, ferner eine schöne persische Pfeife oder Narghileh, mit Silber beschlagen und schön verziert. Er hatte jetzt seine gute Laune wieder, und seine Satelliten mit ihm. Man darf jedoch nicht glauben, dass diese Leute immer den Schwanz ihres Herrn trugen, denn sie waren von Natur vollständige Bären und oft mürrisch und übel gelaunt, ganz auf eigene Rechnung, jedoch noch öfter lärmend und tobend: es kam daher oft zwischen ihnen und dem Nä'ib selbst zu heftigen Auftritten und zu Scenen, die dem Zuschauer nicht geringe Belustigung gewährten und Abwechselung in die Einförmigkeit der Reise brachten. Jetzt aber übte die Aussicht auf ein gutes Frühstück einen bewundernswerthen Einfluss auf ihr Gemüth und sie machten sich so angenehm, als sie nur irgend im Stande waren. Abu 'Ejsa war an dergleichen Charaktere und die verschiedenen Vorfälle auf Reisen hinlänglich gewöhnt, um dadurch sehr berührt zu werden, und behielt immer sein gleichmassig ruhiges Ansehen, obwohl er zuweilen unter vier Augen sich sehr sarkastische Bemerkungen über die geringe Lebensart der Perser erlaubte. 328 Er hatte aber noch ein besonderes Geschäft mit dem Nä'ib, worüber sie zuweilen lange Unterhaltungen pflogen. Wir haben bereits gesehen, dass Abu Botejn, Fejsals früherer Pilgerführer^ mit Abu 'Ejsa nicht auf dem besten Fusse stand und ihm selbst positiven Schaden • zugefügt hatte. Durch seine Entweichung nach 'Onejzah war sein Amt erledigt; dieses war ziemlich einträglich und für unsern Freund, der mit den Schijä'I seit langer Zeit vertraut war, sehr passend. Die Schijä'i kannten seine Toleranz und Rechtschaffenheit und er stand daher bei ihnen in hoher Achtung. Der Nä'ib seinerseits hoffte in Riad volle Genugtuung für die vergangenen Unbilden zu erhalten und eine Gewähr dafür, dass in Zukunft die Sachen besser gehen würden. Aber er war vollständig fremd am wahhabitischen Hofe. Es wurde daher zwischen ihm und Abu 'Ejsa ein Uebereinkommen getroffen; Letzterer sollte ihm Eingang verschaffen, um seinen Zutritt bei Abu Fejsal zu erleichtern (keine leichte Sache) und die Minister und Andere zu seinen Gunsten zu stimmen; während der Nä'ib von dem wahhabitischen Monarchen, als eine Bedingung sine qua non des guten Einvernehmens in Zukunft verlangen sollte, dass Abu 'Ejsa hinfort der einzige bevollmächtigte Führer der persischen Pilger durch Neged sein sollte. Dies war der Plan, über den viel verhandelt wurde und über den sie sich zuletzt vollständig einigten und alle weiteren Schritte zu,seiner Ausführung genau berechneten und bestimmten. Wir werden das Resultat davon sehen, ehe wir Riad verlassen. Der Vormittag war schon ziemlich weit vorgerückt, ehe das Schaf, das Opfer unseres Gelages, geschlachtet, enthäutet, gekocht und mit Reis, Eiern und anderen Delikatessen, welche die Jahreszeit bot, aufgetragen werden konnte. Ein fröhliches Mahl folgte, und nach einer kurzen Ruhe machten wir unser Gepäck wieder zurecht, dankten unserm Wirthe und zogen weiter nach Nordosten. Noch immer waren wir in Kasim, noch einmal kamen wir auf das Hochland, auf dem wir bis gegen Sonnenuntergang reisten. Die Aussicht war sehr schön, weit und abwechselnd nach oben und nach unten, auf breite, mit Gras bedeckte Berge; kleine Baumgruppen standen in einzelnen Flecken ringsherum, und wäre ein Fluss zu sehen gewesen, der leider bei arabischen Landschaften immer fehlt, so hätte man sich einbilden können, in irgend einem Theile der niedern Rheingegend zu sein. Meine Vergleichung betrifft natürlich nur die Aus- 329 sieht im Allgemeinen, denn meine Leser werden ganz richtig voraussetzen, dass die Gegend hier keineswegs so grün ist, wie in Europa. Der nächste Fluss ist der Schatt, und dieser ist einige hundert Meilen von Kasim entfernt; aber unsere Augen waren zu lange an die täuschenden Seen der Luftspiegelung gewöhnt, um mit diesen selbst nur eine vorübergehende Vorstellung von irgend etwas Anderm, als Trockenheit und Hitze verbinden zu können. Wir reisten, bis es dunkel wurde, und kamen dann an einige Hügel, die sich von dem harten Boden, den wir bisher unter unseren Füssen hatten, bedeutend unterschieden. Hier beginnen die Nefüd, die von Südwest nach Nordost und dann nach Norden zu laufend Kasim von Woschem und Sedejr trennen. Ich habe bereits Einiges über diese Sandbuchten gesagt, als wir vor drei Monaten dieselben das erste Mal zwischen dem Gauf und Schomer durchschnitten. Die Nefüd, welche jetzt vor uns lag, war zum Glück weniger breit, als die, welche wir schon kannten, im Uebrigen aber ebenso schlimm, wo nicht schlimmer. Jedoch October ist nicht Juli, selbst in Arabien, und wir hatten jetzt einen bessern Führer in unserer Gesellschaft, als der Beduine Gedej' war. Dieser eigentümliche Sandstrom beginnt an dem grossen westlichen Arme der südlichen Wüste oder Dahnä, der sich hinter Jemen und Wadi Negrän hinaufzieht, das Ende des langen Wadi Dowäsir oberhalb Kela'at Bischa' durchschneidet und sich dann nach Norden hinaufzieht, zur Linken Gebel 'Aastr, das Gebiet von Mekka und Hegäz, zur Rechten Neged. Von diesem gehen, fast im rechten Winkel, mehrere Zweige aus, unter denen der, welchen wir jetzt vor uns haben, der längste ist, obwohl nicht der breiteste. Dieser zieht sich an der ganzen südwestlichen Kette des Gebel Towejk hin, von dem er durch die Pilgerstrasse von Neged getrennt ist, und bildet die südliche Grenze von Kasim, bis er am letzten Ende dieser Provinz nach Woschem kommt, eine Ecke desselben durchschneidet und dann sich nach Norden wendet und das übrige Woschem von Sedejr trennt, wie ein Blick auf die Karte leicht erklären wird. Seine letzten wellenförmigen Erhöhungen verlieren sich in der grossen steinigen Ebene, welche die nordöstliche Ecke der Halbinsel bildet und diese mit den Ländereien von Zobejr, Basrah und dem Schaft verbindet. Am Rande dieses Wüstenstreifens machten wir jetzt einen kurzen Halt, um in der Eile eine kleine Mahlzeit zu verzehren und zu trinken, die Araber Kaffee, die Perser Thee. Aber die Reise in diesem Sande in der Hitze des Tages ist für die Thiere ebenso aufreibend, wie für die Menschen, und Abu 'Ejsa bestimmte daher, dass wir den grössern Theil des Wegs in den kühleren Stunden der Nacht zurücklegen sollten. Wir waren daher, noch ehe die schief aufsteigende 330 Pyramide des Zodiakallichts im Westen verblichen war, schon wieder unterwegs. Die ganze Nacht, eine lange ermüdende Nacht, wateten wir auf und ab durch Wellen von Sand, in denen die Kamele oft bis an die Kniee versanken und die Reiter absteigen mussten, um ihnen wieder aufzuhelfen. Von einem Wege war keine Spur zu sehen, keine Landmarke, nach der wir unsern Lauf richten konnten; die Sterne allein waren unser Compass und Führer; aber Abu 'Ejsa war nicht zum ersten Mal in dieser Wüste und kannte die Marschlinie genau. Als der erste blasse Streifen des Morgenlichts zu unserer Rechten erschien, befanden wir uns nahe dem Gipfel eines sandigen Berges und die Luft zog schärfer, als ich je in Arabien gefühlt hatte. Wir machten Halt, rafften einige Haufen Ghada und andere Wüstensträucher zusammen, um Feuer anzuzünden, an denen wir uns niedersetzten oder uns hinlegten und schliefen, bis die aufgehende Sonne die gelben Gipfel der umliegenden Höhen erleuchtete und wir unsern Weg wieder fortsetzten. Jetzt beim hellen Tageslichte trat der wahre Charakter der Region hervor, die wir zu durchschreiten hatten; ihr Anblick glich der Nefüd nördlich von Gebel Schomer, die Undulationen aber waren hier höher und tiefer und der Sand lockerer. An den meisten Stellen konnte weder ein Strauch, noch selbst Gras Wurzeln fassen: an anderen Stellen war eine dürftige Vegetation, aber nirgends eine Spur von Menschen. Die Kamele arbeiteten sich langsam vorwärts; die Perser, an solche Scenen nicht gewöhnt, waren niedergeschlagen und schweigend. Endlich, kurz vor Mittag, eben als die Sonnenstrahlen am unerträglichsten waren, erreichten wir den Rand einer grossen, kraterähnlichen Vertiefung, die wenigstens drei bis vier englische Meilen im Umfange hatte, wo die Sandwogen zu allen Seiten zurückwichen und in der Mitte eine sieben- bis achthundert Fuss tiefe Grube Hessen, in deren Grunde wir einen weissen Schimmer von Kalkstein unterscheiden konnten; hier, in dem eigentlichen Herzen der Einöde, lag eine kleine Gruppe von Häusern, Bäumen und Gärten. Dies war das kleine Dorf und Oase Wäsit oder „das dazwischenliegende", so genannt, weil es ein Centralpuukt zwischen den drei Provinzen Kasim, Sedejr und Woschem ist, jedoch zu keiner derselben gehört. Auch wird es von Wanderern nur selten besucht, wie uns die Einwohner sagten, einfache und halbwilde Leute, die nur wenig Verkehr mit der Aussenwelt haben und welchen selbst die gewöhnlichen islamitischen Gebetsformen unbekannt waren, obwohl sie mitten im wahhabitischen Gebiet wohnen. Sie fragten uns über die neuesten 331 Vorfälle in 'Onejzah und was es sonst etwa Neues gebe, etwa in der Art, wie ein Bauer in Lincolnshire sich nach dem Kriege in Mexiko oder der Expedition nach Cochinchina erkundigen würde, — wie nach Dingen, die in weiter Ferne vorgehen und von denen nur unbestimmte Gerüchte zu ihnen gedrungen sind. Abu 'Ejsa sagte, dass er auf seinen Wanderungen noch andere solcher einzelnen Inseln von Vegetation und menschlichem Leben gefunden, die, noch mehr von socialem Verkehr abgeschnitten, von der Welt ebenso wenig wussten, wie die Welt von ihnen. Es giebt sogar Oasen, namentlich in der südlichen Wüste, die nur von Vögeln und Gazellen bewohnt sind. Ein langer Weg führt in vielen Windungen auf den Grund des Thaies hinab. Als wir hier ankamen, sammelten sich Männer und Knaben um uns, um die Perser anzugaffen. Die Leute waren jedoch nicht so dumm, als es den Anschein hatte, denn sie verstanden sehr wohl, von den Persern den doppelten Preis für Früchte und Kamelmilch zu verlangen. Uns hielten sie für Araber, und wir erhielten daher ihre — freilich sehr beschränkte — Gastfreundschaft gratis, worüber der Nä'ib eifersüchtig wurde und weidlich über die Araber schimpfte, als „Ungläubige", die einen Pilger wie ihn, der vom „Hause Gottes" zurückkehrte, nicht mit der gehörigen Freigebigkeit bewirtheten. Dies war in der That auf dem ganzen Wege sein Lieblingsthema, und er schien zu meinen, dass der Titel Hagg oder „Pilger" allein hinreichen müsse, um ihm überall Aufmerksamkeit „auf Kopf und Auge" zu sichern; Milch, Eier und alles Uebrige umsonst, und Ehren überall. So, versicherte er uns, würde den Pilgern in Persien begegnet; dies ist auch allerdings nicht unmöglich, denn die Ehrfurcht vor heiligen Orten und denen, welche dieselben besuchen, wächst in der Regel mit der Entfernung. Die Bemerkungen, welche unser persischer Herr über indische und persische Mohammedaner von der einen Seite und die Araber, insbesondere die Negedäer von der andern Seite machte, waren sehr mannigfach und ebenso vortheilhaft für erstere, wie erbitternd für letztere, wenn sie sie verstanden hätten. Er sprach aber hindustanisch. Nach einer Weile beehrte uns der Vorsteher von Wäsit mit einer Einladung in seinen Garten, und dort ruhten wir einige Stunden im Schatten dichter Feigenbäume, bis die Mittagshitze etwas nachgelassen hatte. Die Früchte, welche hier gebaut wurden, Melonen, Datteln u. s. w., standen, wie sich voraussetzen lässt, denen in Kasim bedeu- 332 tend nach, sowohl an Grösse als an Qualität. Aus dieser Grube wieder heraufzukommen, war keine leichte Sache; facilis descensus etc., dachte ich; kein Pfad war zu sehen der aufwärts führte, und Jeder versuchte sein sträubendes Thier hinanzutreiben, wo der Saud irgend fest genug schien, um Fuss fassen zu können. Kamele und Menschen stürzten und rollten den Abhang wieder hinab, so dass Einige von der Gesellschaft vor Aerger zu weinen anfingen, während Andere, die das Ziel glücklich erreicht hatten, über die. Noth ihrer Gefährten lachten. Abu 'Ejsa lief herum, von Einem zum Andern, und versuchte zu helfen und Alle zusammen zu halten, bis wir endlich mit Gottes Hilfe den oberen nördlichen Rand erreichten. ■ Was jetzt vor uns lag, erschien in dem rothen Lichte des Nachmittags wie ein vom Sturm erregtes Feuermeer, durch welches sich unser Weg hinwand, bis wir etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang in eine Art Spur oder Furche kamen. Hier |lag ein langer Abhang vor uns, an dessen unterstem Ende wir die nicht unbedeutende Handelsstadt Zalphah erblickten. Hinter dieser erhoben sich wie Mauern die steilen Abhänge des Gebel Towejk, von dem wir so oft gehört und das wir jetzt dicht vor uns sahen. Es ist nicht nöthig zu sagen, mit welcher Freude wir den ersten Anblick dieses eigenthümlichen Gebirges begrüssten, welches das Herz und den mittelsten Gebirgs-knoten Arabiens bildet; was hinter diesem lag, konnte beinahe schon wie eine Rückreise gerechnet werden. Wir hatten nun in der That die Nefüd hinter uns und zu unseren Füssen lag das grosse Thal, welches die Hauptlinie des Verkehrs zwischen Neged und dem Norden bildet und sich bis an den Tigris und Bagdad erstreckt. Die Sonne ging unter, als wir die letzten Strömungen des Sandmeeres erreichten, und seine ungeheuren Wellen, Rücken auf Rücken gethürmt, hinter uns Hessen. Barakät und ich, Dank der prächtigen Muskeln unserer Dromedare, waren den Uebrigen weit voran und wir gestatteten den Thieren gern, sich seitwärts zu wenden und von dem üppigen Themäm zu fressen, einem im Neged häufigen, knotigen und süss duftenden Grase, das von den Dichtern oft erwähnt wird, während wir bald nach der rothen Bergreihe hinter uns schauten, bald auf das lange Thal, das sich rechts und links nach Norden und Süden hinstreckte, mit den gebrochenen Umrissen der Mauern von Zalphah, in der Entfernung von etwa einer Meile vor uns, und bald auf den steilen, obwohl niedrigen Höhenrand des Towejk, der den Horizont begrenzte. 3 Die Nacht kam schnell heran, als wir durch die zerstreuten Anpflanzungen von Zalphah ritten. Die Bauern kehrten soeben von ihrem Tagewerke heim und bellende Hunde widersetzten sich unserm Eindringen in so später Stunde. In der Stadt selbst waren wir überrascht, eine bei weitem grössere Anzahl von Frauen, als von Männern zu finden. Dies kam daher, weil ein grosser Theil der männlichen Bevölkerung an dem Kriege gegen 'Onejzah Theil nahm. Zalphah gehört allerdings nicht im strengen Sinne zu einer der drei anstossen-den Provinzen: es steht allein in dem Gouvernementsregister und stellt etwa sechshundert streitbare Männer zu den Kriegen oder „Ghazowät". Aber seine Sympathien sind wahhabitisch und seine Einwohner durch Blut nicht weniger, als durch ihre Gefühle bei weitem näher mit den negedäischen Bergbewohnern von Sedejr verwandt, als mit den Bewohnern der Ebene von Kasim oder den Getreidehändlern in Woschem. Das Contingcnt war erst vor zwei Tagen ausgerückt, aber die Krieger von Zalphah hatten einen Umweg durch das Thal genommen, um ihren Pferden den kürzern, aber beschwerliehen Weg quer durch die Nefüd zu ersparen, auf dem wir gekommen waren; ein Glück für uns, dass wir ihnen nicht begegnet waren. Mit Mühe fanden wir den Weg zu dem Palaste des Statthalters, eines gebornen Negedäers, der während seiner Amtsführung hier grosse Keichthümer zusammengehäuft haben soll, denn die Stadt ist nicht allein kriegerisch gesinnt, sondern auch tapfer; sie ist der Stapelplatz des nach Norden gehenden Handels von Sedejr, 'Aared, Woschem und der angrenzenden Gegenden, und die Einwohner selbst sind nicht unbedeutende Kaufleute und sehr unternehmende Reisende, die man oft in Zobejr, Kowejt und Basrah sehen kann. Ihre Stadt ist über-diess von dieser Seite der Schlüssel zu Neged und eine wichtige militärische Position, die den Eingang zu dem Thale sperrt und direkt mit Wadi Hanifah in Verbindung steht, durch welches es zu der Hauptstadt selbst führt. Auf diesem Wege führte vor etwa sechzig Jahren 'Abd-Allah-ebn-Sa'üd, der tapferste und geschichtlich am meisten bekannte unter den wahhabitischen Monarchen, seine Truppen zur Belagerung von Meschid 'Ali und zur Plünderung von Kerbela. Als wir am Thore des Palastes ankamen, wurden wir dem Statthalter pflichtschuldig gemeldet, seine Hoheit aber war an diesem Abend nicht in gastlicher Stimmung und wollte uns nicht einmal den Schutz seines Hofraumes gestatten, wir mussten daher im Freien lagern, am 334 Fusse der äussern Mauer des Palastes, nahe dem Thore. Eine Bande Solibah hatte hier etwas weiter unten ihre Zelte aufgeschlagen; sie kamen eben von einem Jagdzuge zurück, um ihre Jagdbeute in Zalphah zu verkaufen. Einstweilen hatte der Statthalter seine Unhöflichkeit halb und halb bereut und sich entschlossen, uns wenigstens zu beköstigen. Er schickte deshalb einige seiner Leute zu den Solibahs, um ein hübsches Stück Wild zu kaufen, welches den Dienern des Nä'ib eingehändigt wurde, die sich daran machton, das Abendessen zu bereiten. Die Solibahs sagten, es gehöre zu einer besondern Species, die niemals Wasser trinke und deren Fleisch daher ausserordentlich wohlschmek-keud sei. So viel ist sicher, dass das Stück, welches wir vor uns hatten, vortrefflich schmeckte und ausserdem noch mit der besten aller Würze, dem Hunger, gewürzt war; ob es aber wirklich zur Zeit seines Lebens einem so strengen „Mässigkeitsvereine" angehörte, kann ich nicht bestimmen; die Araber sagen allerdings, dass dies bei ganzen Heerden des Gazellenstammes in hiesiger Gegend der Fall sei. Die Wüstenkräuter scheinen jedoch kaum saftig genug zu sein, um den Mangel einer reinen Flüssigkeit zu ersetzen, auch kann die durch die Haut bewerkstelligte Aufsaugung nicht viel Feuchtigkeit aus der trocknen Luft an sich ziehen; kurz, ich möchte die Richtigkeit der Angabe sehr in Zweifel ziehen. Den Straussen sagt man auch eine solche Enthaltsamkeit nach, und so viel ist gewiss, dass mau sie selten an anderen, als an so ausserordentlich trocknen Orten trifft, die alle Möglichkeit von Wasser auszuschliessen scheinen. Am nächsten Morgen war der Nä'ib zu ermüdet, um früh aufzubrechen, wir blieben daher noch bis eine Stunde nach Sonnenaufgang, wo wir waren. Ich wanderte mit Barakät zwischen den Zelten der Solibah umher, wo die vollen Formen und verhältuissmässig lebhafte Gesichtsfarbe der Inhaber, ihre grossen, den schmalen Augen der Beduinen ganz unähnliche Augen und ein eigenthümlicher Zug ihrer Gesichter mich immermehr in der Meinung bestärkten, dass die Erzählung von dem nördlichen, wahrscheinlich syrischen Ursprünge dieser Wanderer richtig sei. Sie schäkerten und lachten mit uns und über uns, über ihre Verhältnisse aber konnten wir nicht viel von ihnen erfahren, da sie über alle Gegenstände ernsterer Art eine gewisse Zurückhaltung beobachten, die unter Mohammedanern und Wahhabiten auch nicht zu missbilligen ist. Die Frauen waren unverschleiert und ebenso keck, wie die Männer, wenn nicht noch mehr. Ein sehr hübsches Mädchen von diesem Stamme spielte uns diesen Morgen einen Streich, der charakteristisch genug ist, um ihn hier zu erzählen. Das Opfer desselben war der alte Nä'ib, der nun aufgestanden war und seinen Thee trank. Das junge Fräulein, von zwei ihrer Verwandten begleitet, machte sich das Vergnügen, vor der Gruppe der Perser so lange auf- und abzugehen, bis ihre Blicke das Herz Mohammed 'Ali's verwundet hatten. Er liess sich mit ihr in ein langes und sehr angelegentliches Gespräch ein, welches damit endigte, dass er ihr den Vorschlag machte, ihn zu heirathen. Die Familie gab mit wohl affectirter Freude ihre Zustimmung, und als wir endlich auf unsere Dromedare kletterten, um die Reise fortzusetzen, sahen wir die schwarzäugige Nymphe nebst einem ältlichen Solibah von ihrer Verwandtschaft, vielleicht ihr Vater, auf mageren Kamelen zur Seite des Nä'ib, der mit Blicken von unaussprechlicher Zärtlichkeit seiner künftigen Braut die schönsten Anerbietungen machte, die sie mit Verschämtheit annahm. Eine halbe Stunde lang schäkerte sie mit ihrem verliebten Strephon nach Herzenslust, bis wir am äussersten Rande der zur Stadt gehörigen Gärten Halt machten, um unser Frühstück einzunehmen. Hier gab sie vor, sich zu besinnen, dass sie, ich weiss nicht was für einen kostbaren Gegenstand im Lager der Solibah zurückgelassen, und ritt mit ihrem Verwandten zurück, um das Vergessene zu holen, nachdem sie versprochen hatte, schnell wiederzukommen. Der getäuschte Schäfer harrte in Hoffnung und wir mit Ungeduld beinahe zwei Stunden, aber weder die Braut, noch der Brautführer kam wieder zum Vorschein. Wir hatten jetzt die Stadt in ihrer ganzen Länge passirt; mehrere Strassen waren im letzten Winter durch Sturzbäche weggerissen worden, die sich von Zeit zu Zeit in kurzer, aber heftiger Wuth durch dieses Thal ergiessen. Vor uns gegen Südost zu erstreckte sich der lange Thalweg; zu unserer Rechten lag die Nefüd, zur Linken Gebel Towejk und die Provinz Sedejr. Die Bergluft wehte kühl und die Reise an diesem Tage war ungleich angenehmer, als an dem vorhergehenden. Wir setzten unsern Marsch im Thale abwärts fort. Am Nachmittag sahen wir ein merkwürdiges Vorgebirge vor uns, Khoschejm oder „Naschen" genannt, hier der allgemeine Name für alle Vorsprünge, die plötzlich aus dem Gebirge in die Schlucht unten 336 hervorragen, welche sich hier trennt und südsüdöstlich nach Schakra, der Hauptstadt von Woschem, südwestlich in die Nefud nach Kasim zu führt. Auf diesem Wege war vor drei Tagen das Contingent von Zalphah nach 'Onejzah zu gezogen. Wir folgten weder der einen, noch der andern Verzweigung des Thaies, sondern wendeten uns seitwärts in eine enge Bergschlucht, die sich in spitzem Winkel gegen Nordost wendet, und kamen so zwischen die Höhen des eigentlichen Gebel Towejk. Dieses Gebirge bildet den wesentlichsten Bestandtheil des Neged. ■ Es ist eine weit ausgedehnte und ziemlich flache Bergkette, oder vielmehr ein Plateau, dessen Gestalt im Ganzen der eines grossen Halbmondes gleicht; das mittelste und breiteste Stück gehört zu der Provinz 'Aared; das nordöstliche Horn zur Provinz Sedejr, und in dem ersten Theile der südlichen Krümmung liegt Woschem; weiterhin zieht sich das Gebirge in südwestlicher Richtung zwischen der Pilgerstrasse von Neged und Wadi Dowäsir hin. Vor diesem Theile des Halbmondes und von diesem beinahe umschlossen, liegt Kasim mit seinen Niederungen, während Hasa gegen Osten, Jemämah und Aflag gegen Süden und das unendliche Thal Dowäsir gegen Westen den Hintergrund bilden. Wenn ich hier meine Vermuthung über die Höhe des Hauptplateaus aussprechen darf, eine Vermuthung, die sich theils auf die Vegetation, Klima und andere locale Erscheinungen gründet, theils auf ungefähre Schätzung der Steigung selbst, und der darauf folgenden Senkung an der andern oder der Seeseite, so möchte ich sagen, dass es zwischen ein- bis zweitausend Fuss Höhe über dem umliegenden Niveau der Halbinsel wechselt und also etwa dreitausend Fuss höchstens über der Meeresfläche haben mag. Die höchsten Ränder kommen in der Provinz Sedejr vor, die wir bald überschreiten werden; das Centrum und der südwestliche Theil ist sicher niedriger. Gebel Towejk ist der mittelste Gebirgsknoten Arabiens, so zu sagen dessen Kaukasus, und ist noch, wie es in früheren Zeiten oft gewesen, die Scheide der ganzen Halbinsel, oder wenigstens des grössten Theiles derselben in politischer und nationaler Hinsicht. Auf dieses Gebirge allein passt der Ausdruck Neged wirklich und topographisch, obwohl diese Benennung zuweilen, ja sogar sehr häufig, von den Arabern selbst dem ganzen Binnenlande beigelegt wird, welches jetzt unter der Herrschaft der Wahhabiten steht; und daher haben Jemämah, Harik, Aflag, Dowäsir und Kasim den Namen „Neged" erhalten, obwohl mehr in einem politischen, als geographischen Sinne. Fremde, nicht Euro- 337 päer, sondern Eingeborne von Syrien, Bagdad und Aegypten, dehnen diese Benennung auf das ganze Land aus, welches innerhalb des Wüstengürtels liegt, diesen selbst mit eingeschlossen, der das eigentliche Arabien von den Grenzländern scheidet, und so werden Gebel Schomer, und selbst das Gauf, Kowejt und Hasa mit zu dem Neged oder dem „Hochlande" gezählt, ein Irrthum, der innerhalb der Halbinsel selbst durchaus in Abrede gestellt wird, und der auf unseren Landkarten berichtigt werden müsste. I. 17 Noch will ich hier bemerken, dass Europäer, welche den Orient besuchen oder beschreiben, auf der Hut sein mögen, die unbestimmten Redensarten, welche die meisten Araber gebrauchen, am meisten aber die Aegypter und Syrer, wenn sie von fremden Ländern und Völkern sprechen, nicht in strengem und buchstäblichem Sinne zu nehmen; die häufige Anwendung von Synonymen und Homonymen ist für fremde Forscher ebenfalls eine Quelle häufigen Missverständnisses. Nur dadurch, dass man verschiedene Leute fragt und zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, und dann die Aussagen sorgsam und mit Müsse vergleicht, kann man etwas der Genauigkeit Aehnliches in den Hauptsachen erlangen, aber auch dann ist es immer das Beste, eigene Ohren und Augen mitzubringen, um, wo möglich, die Sache an Ort und Stelle selbst zu untersuchen. Die arabische Unbestimmtheit der Begriffe ist oft, wie ich eben andeutete, nur die Folge oder der Ausdruck einer entsprechenden Unbestimmtheit der Sprache, nicht der Absicht zu täuschen; zuweilen aber findet dieser letzte Beweggrund allerdings statt. Kein Negedäer, vornehm oder gering, wird sich besondere Mühe geben, einem Europäer zu einer genauen Kenntniss seines Vaterlandes zu verhelfen, ebenso wenig wie er ihn gern hineinlassen wird, wenn er es hindern kann; und dasselbe kann man von allen Arabern sagen. Der Name „Towejk" ist eine Diminutivform des Wortes „Towk" und bedeutet „kleines Halsband" oder „kleines Geflecht". Meine Leser werden bemerken, dass diese arabischen Diminutivformen, die in der ersten Silbe den Vocal „o", in der zweiten den Diphtong „ej" haben, hier sehr häufig vorkommen, wie „Kolejb", Hündchen, von „Kelb", Hund; „Rogejl", Männchen, von „Ragel", Mann, „Do'wej'", Lichtchen oder Feuerchen, von „Dow'", Feuer oder Licht, u. s. w. Die Negedäer gebrauchen diese Form bei jeder Gelegenheit, mit oder ohne 338 Grund, und wenige Substantive entgehen diesem Processe. Vertraulichkeit, Liebe, Geringschätzung, Hochachtung, Kleinheit, ja sogar Grösse, sind Alles Gründe, die Nomina in dieser Weise umzubilden, und sie thun es oft „aus blossem Scherz", ohne irgend einen andern Grund. Towejk namentlich verdankt seine unpassende diminutive Benennung (denn es ist ein sehr grosses Gebirge) der „Liebe der Nation", so sagten meine Freunde. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, „Geflecht", passt sehr wohl auf das Gebirge, denn ein merkwürdigeres und complicirteres Labyrinth von Thälern, Buchten, Ein- und Ausbiegungen, Schluchten, senkrechten Abgründen u. s. w. lässt sich kaum denken, abgesehen von der bemerkenswerthen Biegung der ganzen Bergkette und der bereits beschriebenen Halbmond-Gestalt. Die grosse Masse des Hochlandes, welches so „Towejk" oder „Neged" genannt wird, hat zum grössten Theil eine kalkhaltige Formation, doch kommen gegen Osten und Süden zuweilen Spitzen von Granit, theils zwischen dem Kalkstein, theils getrennt vor. Basalt erscheint, so viel ich weiss, nirgends, und in dieser Beziehung bietet das Towejk einen merkwürdigen Gegensatz zu dem Schomergebirge. Dort war die vorherrschende Formation röthlicher Granit und Basalt, die sich in phantastischen Spitzen und Sierras erheben; hier ist ein weisses Tafelland und lange parallele Reihen, wie Treppen. Der äusserste Rand fällt fast immer steil ab und steigt von der anstossen- den Ebene kühn auf, in kalkigen Klippen von fünf- bis sechshundert Fuss Höhe. Dann folgt ein Tafelland von verschiedener Ausdehnung und beinahe ganz eben; dann eine andre Stufe von vier- bis sechshundert Fuss und über dieser ein zweites, höheres Tafelland; zuweilen noch ein drittes und höheres; oben aber ist das Gebirge durchaus flach, mit Ausnahme der wenigen Granit-Kämme an der Seite von Sedejr und gegen Jemämah hin. Diese hohen Gegenden sind zum grössten Theil mit schöner und genügender Weide bekleidet, welche das ganze Jahr hindurch dauert; je grösser aber die Höhe, desto geringer ist die Fruchtbarkeit und desto trockener der Boden. Bäume, einzeln und in kleinen Gruppen, sind hier häufig; der bekannte Ithel der Ebene findet sich hier allerdings nicht, aber der Sidr (oder, nach dem negedäischen Dialekt, Sedejr, woher der Name einer grossen Provinz), oder der Markh, mit seinen weit ausgebreiteten, der Eiche ähnlichen Blättern, und der dornige Talh, mit ineinander verwachsenen Zweigen. Wasser findet man wenig, namentlich im Herbst, obwohl ich einige Stellen sah, die im Frühling Teiche gewesen zu sein schienen; wir trafen eine, aber allerdings nur eine einzige, das ganze Jahr hindurch fliessende Quelle, welche ich unten beschreiben werde. Das ganze Plateau ist von einem Labyrinth von Thälern durch- 339 zogen, manche breit, andere eng, manche lang und gewunden, andere kurz, aber fast alle mit steilen und zuweilen schroff abhängenden Wänden, die aussehen, als ob sie künstlich in dem Kalkgebirge ausgehauen wären. In diesen zahllosen Schluchten ist die Fruchtbarkeit und die Bevölkerung des Neged zusammengedrängt; Gärten und Häuser, Felder und Dörfer, die man in den Tiefen unten — ich möchte sagen Höhlen, denn sie erinnerten mich oft an die bei Yarmouth — gar nicht sehen kann, wenn man über die trockenen Flächen oben reist, bis man plötzlich eine smaragdgrüne Masse zu den Füssen erblickt. Man möchte denken, dass zwei verschiedene Länder und Klimas in Eins verwoben, aber doch ungemischt geblieben seien. Der Boden dieser Thäler ist leicht und mit Mergel und Sand gemengt, oder mit kleinen Kieseln, die von den Höhen herabgespült sind, denn überall sind die jähen Ränder von den Betten der Gewässer durchfurcht, die sich im Winter oben sammeln und herabstürzen und oft den grössten Theil der Schlucht unten für zwei bis drei Tage in einen reissenden Strom verwandeln, bis der augenblickliche Vorrath erschöpft ist, und die während der Frühlingsmonate Pfützen und Lachen zurücklassen, während der grösste Theil des Wassers im Boden versickert, wo er einen unerschöpflichen Vorrath für die Brunnen im Sommer bildet, oder, wie in den Niederungen von Hasa und Kauf, nach der Seeküste zu und ausserhalb der Grenzen des Gebel Towejk, selbst in lebenden Quellen hervorkommt. Jedoch nicht einer dieser Winterbäche findet seinen Weg bis in das Meer; manche versickern noch innerhalb der Grenzen dieses Gebirgslabyrinthes, dessen Wasserscheide, wie ich hinzufügen muss, an der östlichen, nicht an der westlichen Seite liegt; während einige, wie mir die Einwohner des Landes erzählten, durch das Towejk in die Nefüd westlich, oder in die Pahna östlich und südlich fliessen und sich schnell in dem tiefen Sande verlieren, wo ein Rhein oder Euphrat selbst kaum einem ähnlichen Schick- sale entgehen würden. Daher, ich schalte dies hier nur ein, sind die Geographen, welche Arabien, namentlich an der östlichen Seite, so freigebig mit Flüssen versorgen, .die von Derej'ijah oder sonst woher bis an das Meer gehen, bei weitem freigebiger für das Land gewesen, als die Natur selbst, mit auch nicht Einer Ausnahme. Denn Wadi Aftan, das auf unseren Karten oft als ein Strom angegeben wird, werden wir bald in seiner ganzen Länge durchwandern und dann besser sehen, was es wirklich ist. 340 Obgleich jedoch nur wenige Gewässer über dem Boden fliessen und auch diese nur zu gewissen Zeiten, so birgt dieser doch einen beständigen und reichen Vorrath an Wasser, und daher die grosse Fruchtbarkeit dieser Thäler. Das Wasser ist auch nicht schwer zu erreichen, denn die Tiefe der Brunnen im ganzen Neged beträgt selten mehr als zwölf bis fünfzehn Fuss vom obersten Rande bis auf den Wasserspiegel, oft noch weniger, namentlich im Süden, in 'Aared und Jemämah. In meiner topographischen Beschreibung von Kasim habe ich vergessen zu sagen, dass das Wasser in dieser Provinz gewöhnlich einen salzigen Geschmack hat, scharf genug, um ihn zu bemerken, aber nicht unangenehm. Hier im Neged aber ist das Wasser vielleicht niemals salzig, dagegen aber ziemlich eisenhaltig. Diese Erscheinungen finden ihre Erklärung leicht in der Beschaffenheit des Bodens. In Kasim findet sich das reinste Steinsalz sehr häufig, und in der ganzen Provinz hat der Erdboden einen salzigen Geschmack, wenn man ihn an die Zunge bringt. In Neged dagegen, namentlich nach den östlichen Abstufungen des Plateaus zu, kommt Eisen in solchen Massen vor, dass es selbst die Aufmerksamkeit der Araber auf sich gezogen hat. Bei Solej' sah ich selbst eine ganze Kette entschieden eisenhaltiger Berge, und man erzählte mir von noch mehreren. Daher die Eisenhaltigkeit des Wassers in den meisten Brunnen um Horejmelah, Riad, im Wadi Hanifah und Solej' bis zu den Brunnen von Owejsit hinauf. Das Klima des nördlichen Theils von Gebel Towejk, der mit der Provinz Sedejr zusammenfällt, sowohl des Plateaus, als der Thäler, ist vielleicht eins der gesündesten in der ganzen Welt; eine Ausnahme könnte man nur noch zu Gunsten des Gebel Schomer machen. Diese beiden Distrikte sind einander hinsichtlich der Trockenheit der Atmosphäre sehr ähnlich, und die Einwohner von Sedejr, wie die von Schomer, haben eine auffallend rothe Gesichtsfarbe und kräftigen Wuchs. Kommt man aber dem Centrum des Gebirgs - Halbmondes nahe, wo das ganze Land niedriger und zugleich, wegen der südlichem Breite, den vorherrschenden Einflüssen der tropischen Zone näher liegt, so wird die Luft schwüler und erschlaffender, und das weniger gesunde Klima zeigt sich an den blasseren Gesichtern und dem schwächern Körperbau der Einwohner. Von Jemämah und den übrigen mittäglichen Gegenden, zwischen dem Towejk und der grossen Dahnä, 341 werde ich unten sprechen, wenn wir dorthin gelangen. Noch mehr im Allgemeinen über diesen Gegenstand zu sprechen, ist hier nicht nöthig, da wir die Bergkette bald von einer Seite zur andern überschreiten und im Einzelnen betrachten werden. Ich sagte oben, dass uns unser Führer gerade an der Stelle, wo das Thal sich spaltet und auf einer Seite nach Schakra und Wadi Hanffah, auf der andern nach dem westlichen Woschem führt, eine scharfe Biegung nach Nordosten zu machen liess, wo wir in eine Schlucht des Gebel Towejk kamen und uns innerhalb der Grenzen der Provinz Sedejr befanden. Wir waren noch nicht weit in dem engen Passe fortgegangen, als Bäume und Grün, die an der linken Seite immer häufiger wurden, uns anzeigten, dass wir menschlichen Wohnungen näher kamen. Links lag das einsame Dorf Ghät, ein Name, den viele Ortschaften in Centraiarabien führen und der oft in Ghowejt, Ghautah, Ghowejtah u. s. w. wechselt, welche Worte alle die Bedeutung „Höhlung" haben, mit der man eine Vorstellung von Fruchtbarkeit verbindet. Es war jetzt die Zeit des Nachmittags, welche die Araber 'Asr 342 nennen, als wir in den willkommenen Schatten eintraten und gerade nach dem Hause des Häuptlings zu giugen. Dieses lag, wie das ganze übrige Dorf, am Rande des Thaies, dicht an dem weissen Abhänge und so, dass die reissenden Gewässer, welche in der Regenzeit in der Mitte des Thaies hinstürzen, ihm wenig schaden konnten." Die Spuren des Wassers waren allerdings im ganzen Thale sichtbar, und manche an zu niedrigen Stellen erbaute Häuser waren zusammengestürzt. Die Brunnen waren so reich versehen, selbst in dieser trockensten Jahreszeit, dass das, was von ihnen überfloss, hinreichte , ein grosses Reservoir zu füllen, aus dem von allen Seiten kleine Bäche abflössen, die man fast für natürliche Bäche halten konnte, von Feigen und Granatbäumen beschattet, während die Palmbäume an Höhe mit denen in Kasim wetteiferten. Häuser und Gärten lagen in hübschen Reihen, eine über der andern, an dem Bergabhange. Vor der Wohnung des Häuptlings war ein freier Platz und dicht daneben eine acht wahhabitische Moschee, gross und ohne alle Verzierung, ein blosses Versammlungshaus, nicht entweiht durch die nachmohammedanischen Erfindungen von Minarets und Teppichen. Hier waren wir in Neged; und wenn ich auch die Gefühle Touchstone's bei seiner Ankunft in Arden nicht immer theile, so muss ich doch gestehen, dass seine Bemerkungen hie und da sehr richtig sind; aber Reisende müssen verstehen, sich zu begnügen. Die Einwohner von Neged im Ganzen und Grossen, insbesondere die von Sedejr, haben eine gute Eigenschaft, die für diejenigen, welche 3« ihre Heimath verlassen, um ihr Land zu besuchen, sehr tröstlich ist, — ich meine die Gastfreundschaft gegen ihre Gäste. Dafür sind sie in Arabien und ausser Arabien, in Prosa und Versen berühmt, und sie verdienen ihren guten Ruf auch wirklich. Der Häuptling von Ghät war ein Eingeborner der Provinz, jung, heiter und ausserordentlich höflich. Wir wurden Alle eingeladen einzutreten, unsere Kamele wurden besorgt und bald sassen wir in dem geräumigen K'häwah, wo die durch die Gitterfenster fallenden Sonnenstrahlen, die in dem obern und vornehmern Theile des Saales sitzende Gruppe beleuchteten. Hier sass, neben dem Wirth und seiner Familie, — die alle in reine Hemden und schwarze Röcke gekleidet waren, mit neuen bunten Kopfbedeckungen und silbernen Griffen an den Säbeln, — der Nä'ib, der sich in seiner persischen Kleidung und mit dem grossen Turban sehr gut ausnahm, während Abu 'Ejsa, der, um ihm Gesellschaft leisten zu können, seine beschmutzten Reisekleider gegen bessere vertauscht hatte, dicht neben dem Gesandten Platz nahm; das Gefolge des Nä'ib sass an einer Seite, Barakät und ich an der andern. An „Ja'hla" und „Marhaba'" („willkommen, geehrte Gäste") fehlte es nicht, wie an andern Allahgewürzten Redensarten, die in einem wahhabitischen Gespräche unerlässlich sind. Zu rauchen war natürlich nicht gestattet; selbst der Nä'ib konnte nicht wagen, seine Narghileh hervorzubringen. Abu 'Ejsa hatte vor dem Dorfe die letzten Züge aus seinem Pfeifchen gethan, wie zum Abschied, und mir gerathen, dasselbe zu thun, mit der Bemerkung, dass diese Hunde uns für Ungläubige halten würden, wenn wir es in ihrer Gegenwart thäten, und sah jetzt so unschuldig an Tabak aus, wie ein neugebornes Kind. Kaffee dagegen war reichlich vorhanden, und sehr gut. Das Gespräch drehte sich hier und überall bis nach Riad, in Städten und Dörfern, bei Hoch und Niedrig, um zwei unerschöpfliche Gegenstände; einmal die vortrefflichen Eigenschaften und Tugenden Fejsals und seinen sichern Triumph über die Ungläubigen zu 'Onejzah; sodann die Gottlosigkeit und Verderbtheit Zämils und seiner Partei und deren sichere Niederlage. Dann kamen „Allähu jensor el-Muslimin" — Gott gebe den Moslimen Sieg, — „Allähu jensor Fejsal" — Gott gebe Fejsal Sieg, — „W'elladi ju-sellimu Fejsal" — Dei dem der Fejsal beschützt — „Allähu jesallit el Muslimin 'alä'l 'Keffär" — Gott gebe den Moslimen Macht über die 344 Ungläubigen — u. s. w., bis wir mit Abu 'Ejsa anfingen, — „Kaffa-rüna b'il-Muslimln" — sie bringen Einen zur Verzweiflung mit ihren Muslimen, — und ihnen im Herzen eben solche Niederlage wünschten, wie sie ihrem Feinde. Von Fejsal unterstand sich Keiner anders zu sprechen, als in einem Tone von Ehrfurcht, wie von einem Halbgott im Augenblicke seiner Apotheose, dem zu gehorchen die sichere Beglaubigung der Prädestination, und dem sich zu widersetzen, die unverzeihlichste Gottlosigkeit ist. Dabei füllten die frommen Ausrufungen — „astaghfir Allah" — „La Iläh illa Allah" — „Tawwakkil 'ala' Allah" — und das ganze übrige Verzeichniss jede Lücke in der Unterhaltung aus, die eigentlich so mit dergleichen Redensarten angefüllt war, dass ein wirkliches Gespräch über einen Gegenstand gar nicht zu Stande kam. Von den eigenthümlichen Lehren und dem Gemüthszustande, denen eine so markirte Phraseologie und die hier herrschenden Gebräuche ihre Entstehung verdanken, will ich jetzt nicht sprechen; ich will nur bemerken, dass Abu 'Ejsa und wir selbst uns so benahmen, wie die Höflichkeit erforderte, und entweder gar nichts sagten, oder beistimmten, wo wir beistimmen konnten. Die Mekkaner und noch öfter die Perser waren weniger höflich und klug, und hätte nicht zum Theil die Rücksicht auf den Rang des Nä'ib und das Geschäft, mit dem er betraut war, zum Theil der natürliche Wunsch, sich bei den Fremden einen guten Namen zu machen, die Negedäer zurückgehalten, so hätte es leicht zu ernstem und gefährlichem Streite kommen können, ja Abu 'Ejsa bedurfte mehr als einmal seine ganze versöhnende Kunst, um üble Folgen der iranischen Unhöflichkeit zu verhüten. Oefter noch dachten sich vielleicht die Zuhörer schweigend das Beste, ohne etwas zu entgegnen, denn der Negedäer setzt eine Ehre darin, den Ausbrüchen der Leidenschaft Ruhe entgegenzusetzen, was sie für einen Beweis von Superiorität des Charakters und der guten Erziehung halten. Ich habe niemals Che-sterfields Grundsatz, nur das als Beleidigung anzuerkennen, was einem das Recht giebt, dem Beleidiger die Klinge durch den Leib zu rennen, besser durch Beispiel bewährt gefunden, als bei den Bewohnern des Neged, welche die wichtige Wahrheit vollkommen verstehen, dass Selbstbeherrschung die erste Tugend eines anständigen Menschen sei. Wie jede andre Regel hat auch diese ihre Ausnahmen, persönliche wie locale, aber der herrschende Ton der Gesellschaft, namentlich in Sedejr, ist der einer würdigen und selbst feinen Höflichkeit. Diese Leute halten in ihren Herzen Aegypten, Persien, Bagdad, 345 Damaskus und die ganze Welt ausserhalb Neged für wenig besser, als Räuberhöhlen und Stätten der Ketzerei und des Unglaubens, sobald sie jedoch nach den ersten gewöhnlichen einleitenden Fragen hören, dass ihr Gast aus einer dieser Oertlichkeiten kommt, so beginnen sie eine Lobrede auf dessen Vaterstadt, Land, Volk, als ob diese zeitlebens ein Gegenstand ihrer Bewunderung gewesen wären, und erheben die Gelehrsamkeit, die Frömmigkeit und den guten Ruf Derer, mit denen sie am wenigsten übereinstimmen und gegen die sie im Augenblicke bereit wären, das Schwert des Islam zu ziehen; und dies thun sie in so vollkommen ruhiger, leichter uud natürlicher Weise, dass es schwer ist, ihre Worte nicht für den Ausdruck ihrer innersten Gedanken zu halten. „Eddeif ma 'akäm melik" — „so lange der Gast bleibt, ist er Herr im Hause" — ist eine alltägliche Rede bei den Negedäern, welche die Achtung ausdrückt, mit der sie Jedem begegnen, den sie unter ihrem Dache aufnehmen, und wenn der Fremde durch die Strassen geht, wird Niemand ihn anstaunen, noch weniger stehen bleiben, um ihm nach zugaffen, noch werden die Kinder sich um ihn sammeln und lachen, oder wird er irgend eine leise Bemerkung hören, wenn er vorbeigeht. Es ist sehr die Frage, ob anderwärts die Fremden so wenig belästigt werden. Ich muss noch hinzufügen, dass unsere halbsyrische Kleidung in Neged kaum weniger fremdartig war, als der lange Rock eines litthauischen Juden oder der Pelz eines Kosacken in den Strassen von Norwich oder Derby. Die Perser erschienen fast noch ausländischer. Meine Leser dürfen jedoch nicht vergessen, dass Sedejr in dieser Hinsicht den übrigen Provinzen des Towejk vorangeht, und folglich einige Modificationen und Abzüge gemacht werden müssen, wenn das hier entworfene Bild auch auf 'Aared, Afläg und Jemämah passen soll. Ueberdies spreche ich nur von dem, was zwischen Wirthen und Gästen vorkommt, anderen Fremden gegenüber wird weniger Höflichkeit beobachtet, gelegentlich gar keine. Die Gastlichkeit in Sedejr ist fein und reichlich. Nach dem Kaffee und einem Gespräch im K'häwah stiegen wir in das obere Stockwerk hinauf, wo wir ein grosses Zimmer mit einer offenen Ve- 340 randah fanden, das zu unserer Aufnahme in Bereitschaft gesetzt war. Hier waren Früchte, Melonen und Pfirsichen auf grossen Tellern aufgehäuft, mit denen wir uns bis zum Abendessen die Zeit vertreiben konnten. Man setzte voraus, dass wir uns hier ganz wie zu Hause einrichten würden, und wir hätten selbst eine Pfeife anzünden können, die hier in den für unsern ausschliesslichen Gebrauch bestimmten Zimmern keinen Öffentlichen Scandal gegeben hätte. Unser Wirth und seine Verwandten gingen ab und zu, immer bereit zu Gespräch und Dienstleistung, und wir zogen aus ihrer Unterhaltung manche Belehrung über den gegenwärtigen Zustand und die Regierung von Neged. Hier verliessen uns Mohanna's Leute, um wieder nach Berejdah zurückzukehren, denn -für Reisende, die wie wir „fi wegh Fejsal", im Angesichte Feisals, reisten, war von nun an nichts mehr zu fürchten: überdies gaben uns von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt die Einwohner des Landes selbst das Geleit, allerdings nicht zur Sicherheit, sondern um uns eine Ehre zu erweisen. Ich habe kaum nöthig zu sagen, das8 die Ehre nur dem Nä'ib und Abu 'Ejsa galt; was uns betrifft, so zogen wir auf diesem ganzen Stadium unserer Reise ver-hältnissmässig wenig Aufmerksamkeit auf uns, und das war allerdings gerade, was wir wünschten, obgleich wir überall höflich und freundlich aufgenommen wurden. Am nächsten Morgen, als wir wieder unsere Kamele und Dromedare bestiegen, fanden wir den Häuptling mit einigen jungen Leuten seines Stammes bereits zu Pferde, um uns zu begleiten. Etwa eine halbe Stunde weit ging unser Weg in der Thalschlucht aufwärts im Schatten von Waldbäumen — unter anderen fand ich hier auch Platanen, zu meiner Ueberraschung — und Palmen, zwischen deren Laube die weissen Bergwände, vom Morgenlicht erleuchtet, hindurchglitzerten, bis wir in die 'Akabah oder die Steigung gelangten. Es mag der Mühe lohnen, zu bemerken, dass in diesen Gegenden steil aufwärts führende Wege ,,'Akabah" oder „Theni'jah" genannt werden, welches letztere, man durch „Windung" tibersetzen kann; eine sehr passende Bezeichnung, weil der Weg an den steilen Bergen, wo oft kaum eine Ziege Fuss fassen kann, häufig in Schraubenwindungen aufwärts läuft. Zuweilen wird ein solcher Pass noch genauer bezeichnet, indem man, um mögliche Verwechselungen zu vermeiden, den Namen des nächsten Ortes hinzufügt, so z. B. hier 'Akabat-el-Ghät", die Steigung von Ghät, u. s. w. 347 Wir waren jetzt am Ende des Thaies, vor uns lag ein schmaler Pfad, der sich wie ein abgewickeltes weissseidenes Band mehrere hundert Fuss hoch zwischen Felsen und Massen von Mergel und Sandstein nach dem oben gelegenen Tafellande hinaufwand. Ein Wässerchen, welches hier am Fusse des Felsens langsam dahin floss, zeigte die Richtung, welche die Strömung nach dem Regen nimmt. Hier entspann sich ein Wortwechsel von Höflichkeiten zwischen dem Häuptling, der darauf bestand, uns noch weiter zu geleiten, und Abu 'Ejsa (die Perser blieben stumm), der dies nicht annehmen wollte. Nach vielen schönen Redensarten von beiden Seiten wünschte uns unser gewesener Wirth, Allen im Allgemeinen und dann noch Jedem besonders, glückliche Reise und kehrte um, während einige seiner Verwandten noch weiter mitgingen. Wir erreichten bald das grosse Plateau, von dem ich schon oben eine Beschreibung gegeben habe. Hier zum ersten Male seit dem Ghaur, zwischen Gaza und Ma'än — eine Gegend, die schon hinlänglich geschildert ist — trafen wir einen bewölkten Himmel und eine trübe Atmosphäre. Aber meine Leser mögen sich erinnern, dass jetzt der 7te October war, und werden sich daher über ein Herbstwetter nicht wundern. Der Himmel, bisher vollkommen rein, verfinsterte sich plötzlich, ja im Augenblicke, ein wüthender Sturm brach los und Wolken verdunkelten die Luft, so dass wir kaum den Weg sehen konnten. Dann folgten einige Tropfen, der Wind war aber zu stark, um es zu einem wirklichen Regen kommen zu lassen, und nach einer halben Stunde war Alles vorüber; die Luft aber hatte sich sehr angenehm abgekühlt und war so erfrischend, wie in den Apenninen. Gegen Mittag machten wir auf einer mit Gesträuch bedeckten Ebene Halt, um Feuer anzuzünden und Kaffee zu kochen. Hierauf setzten wir unsern Weg in östlicher Richtung fort, noch immer etwas gegen Norden, und begegneten hie und da einigen Reisenden und Bauern; aber ein Europäer muss diese Strassen im Verhältniss mit denen in der Heimath ausserordentlich einsam finden. Desto mehr aber bewunderte ich die vollkommene Polizei, welche hier die Central- 348 regierung übt, so dass selbst ein gelegentlicher Raubanfall in diesen Provinzen sehr selten und an Wegelagerei gar nicht zu denken ist. Endlich, um dieselbe Zeit des Nachmittags, zu der wir gestern nach Ghät gekommen waren, erblickten wir Megma'a, die frühere Hauptstadt der Provinz, vor uns, die noch jetzt ein bedeutender Ort ist. Die Bevölkerung kann, nach dem Anschein und Hörensagen zu ur-theilen, zwischen zehn bis zwölf Tausend Köpfe betragen, und die Stadt liegt sehr vortheilhaft auf einer kleinen Anhöhe, mitten in einem breiten und flachen Thale, von üppigen Gärten und Bäumen umgeben, die Alles übertreffen, was ich sonst in Sedejr gesehen habe, selbst bei Gelägil, obwohl letzteres durch arabische Dichter Berühmtheit erlangt hat. Die äusseren Festungswerke der Stadt sind mit einem sehr tiefen, theilweise mit Wasser gefüllten Graben umgeben. Die Anpflanzungen liegen, wie überall im Neged, ausserhalb der Mauern. Hier herrschte bis in die jüngste Zeit die Familie Es-Sedejri, nach dem gewöhnlichen territorialen Namen, über die ganze Provinz. Die wahhabitischen Monarchen, deren unerschütterliche Anhänger sie immer gewesen, hatten sie in ihrer erblichen Würde bestätigt, und was ihnen an nomineller Unabhängigkeit abging, wurde durch einen Zuwachs an wirklicher Macht ausgeglichen. In der jetzigen Generation war das Haupt der Familie Ahmed, der bei dem Tode seines Vaters, noch jung, als Oberhaupt in Megma'a zurückblieb, nebst seinen jüngeren Brüdern Mohammed und 'Abd-el-Mahsin. Sedejr war in den letzten Jahrhunderten immer eng mit 'Aared verbunden gewesen, und zwischen diesen beiden Haupttheilen von Neged bestand kein alter Widerwille oder Eifersucht; der wabhabitische Monarch duldete daher hier eine Abweichung von seiner gewöhnlichen Politik und liess die locale Familie noch eine Zeitlang im Besitze ihrer alten Rechte, ohne zu versuchen, sie zu Gunsten seiner Creaturen oder Sclaven zu entsetzen. Als aber im Verlauf der Zeit Sedejr gänzlich mit 'Aared ver- einigt wurde und die durchgehende Infiltration wahhabitischer Lehren einen Widerstand unwahrscheinlich machte, beschloss Fejsal, im Vertrauen auf seine Popularität in Sedejr, diesem Ausnahmszustande durch Entsetzung der eingebornen Häuptlinge von Megma'a ein Ende zu machen. Dies fährte er ebenso vorsichtig, als wirksam durch. Zuerst ernannte er den Aeltesten, Ahmed, zum Führer einer Expedition gegen 'Oman, die ich nachher beschreiben werde, und als er ihn einmal dort hatte, hielt er ihn in dieser fernen Gegend in einer Art ehrenvoller Verbannung fest, indem er ihn zum Statthalter des wahhabitischen Aussenpostens Berejraah machte. Der zweite Sedejri, Mohammed, wurde nun zunächst auf einen andern entfernten Posten als Vicegou-verneur der Stadt Hofhüf in Hasa gebracht, wo ihn jedoch noch andere Schicksale erwarteten. Der Jüngste, Abd-el-Mahsin, blieb eine Zeitlang an der Stelle seines Bruders als Häuptling seiner heimath-lichen Provinz. Aber kurz vor der Zeit unseres Besuchs hatte Fejsal auch ihn endlich dieses Ansehens und Titels enthoben, und ihm die Stellung eines vornehmen Privatmannes in Megmaa' angewiesen, welches durch diesen Act aufgehört hatte, Hauptstadt von Sedejr zu sein. Dieser Vorrang wurde von nun an von der Regierung in Riad aiJf die Stadt Towejm übertragen, die eine Tagereise weiter südöstlich liegt, und dorthin ein Eingeborner aus 'Aared gesendet, um die Provinz im Namen des wahhabitischen Souverains zu verwalten. 'Abd-el-Mahsin und seine ganze Familie fühlten sich durch diese Massregeln tief gekränkt, wie nicht wol anders möglich; aber sie waren nicht stark genug, besonders in Ahmeds Abwesenheit, einen sehr zweifelhaften Widerstand und einen Krieg, wie 'Onejzah, zu versuchen, und trugen die Sache so gut, wie sie konnten, blieben zu Hause und beschäftigten sich mit Handel und warteten, ob das Rad der Zeit eine Aenderung bringen würde. 'Abd-el-Mahsin nahm uns glänzend auf. Sein Palast, einst der Mittelpunkt von Sedejr, ist gross und hoch, und er hatte uns eine Wohnung in einem obern Stockwerk eingerichtet, wo wir von dem Balkon eine herrliche Aussicht auf die Gebirgsterrassen nach Norden und Osten hatten, mit den Gärten und Hainen unten in grünen Massen zu unseren Füssen. Hier ruhten wir diesen Abend, ähnlich wie gestern, nur dass die Bewirthung noch bedeutend besser war und etwas weniger Lobsprüche auf Fejsal in das Gespräch gemischt wurden; dies war nach dem, was vorgegangeü, sehr natürlich. Abu 'Ejsa war ein alter Bekannter unseres Wirths und erhielt von diesem die neuesten Nachrichten über Riad und das Innere des Reichs, Einzelheiten, die er nachher mit uns unter vier Augen besprach. Mohammed 'Ali o schrieb sein Tagebuch beim Schein einer persischen Lampe; er pflegte alle Vorfälle des Tages genau aufzuzeichnen und hatte auf diese Weise ein sehr unterhaltendes Buch zur leichten Leetüre zusammengestellt, das, wenn es übersetzt und herausgegeben würde, das meinige, fürchte ich, vielleicht in den Schatten stellen würde. Es war persisch niedergeschrieben, aber der Nä'ib beehrte mich zuweilen mit einer Vorlesung, die er dann, wegen meiner Unkenntniss des Persischen, in schlechtem Arabisch oder gutem Hindustanisch hielt. Ich fand nicht für nöthig, ihn wissen zu lassen, dass ich ebenfalls ein Tagebuch führte, weil ich fürchtete, seinen Verdacht zu erwecken, der in der That schon einmal bei ihm aufgestiegen war, da er in Hyderabad oder Bombay viele Engländer gesehen hatte, und nur mein arabisches Aussehen oder die geschickten einschläfernden Mittel Abu 'Ejsa's, der überall die medizinische Geschicklichkeit und den authentisch syrischen Charakter seines künftigen Theilhabers der therapeutischen Firma in Hofhüf hervorhob, hatten seinen Verdacht wieder eingelullt. Der Tabaksvorrath des Nä'ib fing jetzt an, etwas knapp zu werden, und er wusste nicht, woher er frischen Bedarf erhalten sollte in einem Lande, wo diese Pflanze nur unter dem Namen „el-Makzhi" oder „die schändliche" bekannt ist, oder unter einem noch schlimmem, den man gar nicht übersetzen kann und welcher einschliesst, dass sie ein unmittelbares Erzeugniss des Teufels ist, aber in einer Weise, wie bei der feurigen Trockenheit seiner satanischen Complexion kaum glaublich erscheint. Wie dem aber auch sei, die Wahhabiten glauben es und behaupten fest, die ersten Tabakspflanzen seien durch diese eigenthümliche satanische Bewässerung entstanden, daher der Name, den man vor gebildeten Ohren nicht nennen kann. Wer konnte träumen, dass Jemand einen so abscheulichen Artikel, ich will nicht sagen, gebrauchen, aber damit handeln oder nur besitzen könne? Indessen in der ganzen Welt, folglich auch in Neged, giebt es kein Gesetz, das nicht übertreten und keine Zollverordnung, die nicht durch Schmuggelei umgangen würde. In dieser Hoffnung, die sich auf die Schwachheit der menschlichen Natur gründet, ging Hosejn, der Diener des Nä'ib, mit Geld in der Hand, mitten in den Kaufläden zu Megma'a auf Entdeckung aus, wo er durch seine Nachfragen nach dem „Schändlichen" eine gewaltige Entrüstung erregte, aber seine ersten Bemühungen blieben ohne Erfolg. Endlich wendete er sich an Abu 'Ejsa, der Land und Leute besser kannte. Unser Freund hatte sich oft in demselben Falle befunden, wie jetzt der Nä'ib, verstand aber besser zwischen Wahrheit und Schein zu unterscheiden und wusste, unter welchen Verhüllungen die Privatpraxis der öffentlichen Observanz zu- 351 widerhandeln könne. In der That, die Zahl der Raucher in Neged ist keineswegs klein und schliesst manchen Namen von hoher Geburt und strengem äusserem Bekenntniss ein. Mit der nöthigen Summe versehen, ging Abu 'Ejsa auf eine ruhigere, aber wirksamere Nachforschung aus und brachte bald einen Sack mit zwei reichlichen Pfunden des teuflischen Krautes zurück, welche er, nach Abzug wohlverdienter Sportein, die er mit uns theilte, dem Nä'ib einhändigte. Am nächsten Morgen waren wir früh auf, denn die Nachtluft war frisch und wenige Stunden Schlafs hatten genügt. Die ganze Vertiefung, in welcher Megmaa' liegt, ist fast in gleicher Höhe mit dem ersten Plateau, auf welches jetzt ein andres, höheres folgte, das einen Theil der Mittelrippe des Towejk bildet. Wir zogen den kürzern Weg über das höhere Terrain dem Wege in der untern Steppe vor und hatten hier zu beiden Seiten eine ausgedehnte Landschaft, während sich vorn, gegen Osten, in einiger Entfernung ein dritter und höherer Rand erhob, der die Aussicht nach dieser Seite zu kürzte. Nach Sonnenaufgang kamen wir zu einer Naturerscheinung, die, wie ich glaube, in Centralarabieu nicht ihres Gleichen hat, nämlich zu einer ziemlich reichlichen Quelle frischen Wassers, die in einem breiten und etwas vertieften Bette floss, dessen Ufer mit Gras bewachsen waren, wo die Frösche im Grünen quakten. Wir machten grosse Augen vor Erstaunen; es war das Erste dieser Art, was uns vorkam, seitdem wir das Gauf verlassen. Aber der Lauf dieses Bächleins währt nicht lange, nur vier oder fünf Stunden, bis Gelägil, wo es sich in den Pflanzungen in der Umgebung der Stadt verliert. Ich habe bereits gesagt, dass das nach Osten gelegene Gebirge höher ist, als der Boden, wo wir jetzt reisten, folglich kann weder dieser Strom, noch ein anderer aus dieser Gegend, wenn wirklich einer existirte, auch nur die Dahnä erreichen, noch viel weniger das Meer. Gegen Mittag kamen wir bei Gelägil vorbei, aber ohne dort Halt zu machen. Der Ort ist durch sein hohes Alter berühmt und wird schon von 'Amrui-kejs und 'Antarah in der vormohammedanischen Zeit erwähnt.v Gelägil ist noch jetzt eine ziemlich ansehnliche Stadt, mit vielen Palmenhainen und guter Bewässerung bis zu ziemlicher Entfernung ringsherum, welche der obengenannte Bach giebt. Aber 352 die Gebäude der Stadt und die Burg bieten nichts Bemerkenswerthes, ausser dass sie sehr hübsch zwischen den grünen Bäumen hervorsehen. Eine Stunde später hatten wir an unserer andern, d. i. der linken Seite, die Stadt Rowdak oder „Garten", ein beinahe allgemeiner Name; sie schien an Grösse und Fruchtbarkeit der Umgegend ganz das Seitenstück zu Gelägil zu sein. Ich darf nicht vergessen, zu bemerken, dass Gelägil in der Uebersetzung „Glocken" bedeutet, nemlich solche, die man den Maulthieren und Schafen, zuweilen auch den Kamelen, an den Hals hängt. Endlich kamen wir zwischen die Höhen des obersten Plateau's; sie erheben sich hie und da zu beiden Seiten wie Thürme mit flachen Dächern oder Plattformen, doch so, dass immer grosse Zwischenräume und weit ausgedehnte Weideplätze dazwischen liegen. Auf einem der letzteren trafen wir mit einer Schaar Beduinen vom Stamme Metejr zusammen, die früher das nordöstliche Neged beherrschten, jetzt aber wie die übrigen Nomaden demüthige Unterthanen der wahhabitischen Herrschaft und selbst zu einer Art zweifelhafter Orthodoxie zugestutzt sind, die sie jedoch, sobald sie sich in sicherer Entfernung von dem Centrum der Autorität befinden, zuweilen abwerfen und ausrufen „Ba-telna-l-Islam", „Batelna-s-salah", „wir sind fertig mit dem Islam, wir sind fertig mit dem Gebet", nemlich den fünf vorgeschriebenen täglichen Gebeten der Mohammedaner. Sie sind verhältnissmässig reich an Heerden und über ein ziemlich grosses Gebiet verbreitet; wir werden später sogar eine Colonie derselben an der andern Seite des persischen Meerbusens treffen. Dies war das einzige Mal auf dem ganzen Wege zwischen Hä'jel bis Riad, dass wir eine grössere Anzahl von Beduinen beisammen sahen, und im ganzen Neged, Hasa und 'Oman sind mir keine weiter vorgekommen. Ich will hier gleich unsere erste Begegnung mit einigen Nomaden der Benu-Kahtän erzählen, die allerdings erst am nächsten Tage stattfand. Dieser Stamm ist aus Jemen eingewandert und bildet einen Theil der südlichen oder kahtanidischen arabischen Familie, nicht der nördlichen oder ismaelitischen. Ich will mich nicht auf die Frage der Nomenclatur und deren historischen Begründung einlassen ; die That-sache der grossen Zweitheilung der arabischen Rasse ist gewiss und wird im Verlauf dieses Werkes noch weiter erläutert werden. Die Individuen, welche wir hier trafen, waren hinsichtlich des äussern Ansehens, Sitten und Dialekt den Beduinen von Schomer und Neged ganz unähnlich; sie waren klein von Wuchs und schwach und näherten sich in dieser Hinsicht beinahe dem indischen Typus, der Ton ihrer Stimme war weniger stark und ihr ganzes Benehmen sanfter, als das der nörd- 353 liehen- Nomaden, welche gern eine geräuschvolle Rohheit affectiren, die zu einem lärmenden Prahlen steigt, wogegen die südlichen einen gemessenen und fast unterwürfigen Ton annehmen. Auch ihr Dialekt war unverkennbar verschieden, nicht allein in der Aussprache einiger streitigen Buchstaben, wie Gim, Kaf und Kef, sondern in den Worten selbst. Meidani's Sprichwörter und einige Stücke in der Hamasa des Abu Temmam können dem des Arabischen kundigen Leser eine Vorstellung von diesem Idiom geben. Reicher, jedoch weniger zierlich, steht er zu dem Arabisch des Koran ungefähr in demselben Verhält-niss, wie das Griechische Homer's zu dem Isokrates' oder Xenophons. Wir unterhielten uns lange mit diesen Leuten; es waren ihrer drei, und, wie sie sagten, Reisende von Wadi Selejjel, d. i. dem Winkel zwischen Dowäsir und Wadi Negrän. Indem ich für den Augenblick unterlasse, mehr im Einzelnen über die Geographie dieses Winkels des wahhabitischen Reichs zu sagen, will ich hier nur hinzufügen, dass dieser besondere Stamm der Benu-Kahtan weit verbreitet und in viele Unterabtheilungen getheilt ist; einige derselben haben die südlich gelegenen Weideplätze von Neged jenseits des 'Aared inne, andere wohnen in Jemen. Sie werden für weniger kriegerisch gehalten, als die nördlicheren Stämme, wie z, B. die Metejr, Agmän und 'Otejbah, denen sie in physischer Beziehung, Körperbau und Kraft unbedingt nachstehen. Wir waren noch nicht weit von dem Lager der Metejr, als wir die Thürme von Towejm zu Gesicht bekamen; dieses ist eine grosse Stadt mit zwölf- bis fünfzehntausend Einwohnern, nach der hier üblichen Schätzung, der ich an Mangel einer bessern folge, liegt aber weniger vortheilhaft für die Bewässerung als Megma'a, und hat ein entschieden kälteres Klima, in Folge seiner höhern Lage, nicht auf dem ersten, sondern auf dem zweiten Plateau, zwischen unregelmässigen Steinmassen der dritten und höchsten Keiche, die es in einiger Entfernung umgeben. Der gegenwärtige Statthalter, der Nachfolger der Sedejris (ich habe seinen Namen vergessen) zeigte sich keineswegs sehr umgänglich. Abu 'Ejsa und ich ritten eine Zeitlang in den engen Gassen der Stadt auf und ab, um uns nach einem untern Beamteten umzusehen, der seiner Excellenz unsere Ankunft melden könnte, fanden aber keinen, und als endlich die Meldung gemacht war, währte es ziemlich lange, ehe die Gastlichkeit nachkam; das Thor blieb geschlossen und der Gouverneur hatte offenbar keine Lust, uns in seinen Palast einzulassen; ob er fürchtete, dass uns dessen Leerheit oder 351 dessen Ueberfiuss auffallen möchte, kann ich nicht sagen. Endlich liess er uns bei verschiedenen seiner Untergebenen Wohnung anweisen. Der Nä'ib mit seinem Gefolge war in einem dieser untergeordneten K'häwahs, wir in einem andern, die Mekkaner in dem dritten- Abu 'Ejsa ging in allen ab und zu. Unser Vicewirth war ein derber und gutmütbiger Kriegsmann, der uns gut verpflegte. Aber das Gässchen in dem sein Haus stand, war eng und schmal und die Luft drückend ■ als wir daher Kaffee getrunken und einige Datteln von der dem Neged eigenthümlichen langen gelben Art gegessen hatten, ging ich mit Barakät aus, um die Stadt zu besehen. Die Häuser stehen dicht aneinander und haben in der Regel zwei, zuweilen drei Stockwerke; die unteren Zimmer sind oft fünfzehn bis sechzehn Fuss hoch, die oberen zehn bis zwölf; während das Dach selbst oft mit einer blinden Mauer von sechs Fuss Höhe, und mehr, umgeben ist, so dass das Ganze eine Höhe hat, die manchen Häusern in London gleichkommt und wirklich einigermassen imponirt. Zu architektonischer Verzierung ist jedoch wenig oder gar kein Versuch gemacht, und zwischen den Häusern ist gar keine Symmetrie beobachtet, ausser wo der Zufall diese gab. Die Strassen sind eng und krumm — meistens blosse Gässchen, und eine Strassenventilation würde hier sehr wohl thun. Ich habe nicht nöthig zu sagen, dass in einem Klima, wo es niemals regnet, die Strassen selten gepflastert sind, was auch nicht nöthig ist, ausser in einigen beschränkten Fällen. Der Marktplatz in Towejm ist aussergewöhnlich gross, ein sehr ansehnliches Viereck, und, was selten vorkommt, nicht im Centrum der Stadt, sondern dicht an der innern Seite der Stadtmauer gelegen. Hier sind verschiedene Läden und Magazine und eine grosse Moschee; aber der Mangel an Minarets und Kuppeln bewirkt, dass die gottesdienstlichen Gebäude in Neged nie ein so vortheilhaftes äusseres Ansehen haben, wie anderwärts; das Mesgid (buchstäblich Niederwerfungsort) von Towejm hat grosse Aehnlichkeit mit einem Bahnhofgebäude, von dem es sich aber dadurch unterscheidet, dass es kein Erfrischungszimmer hat, wenn nicht das für die Abwaschung mit kaltem Wasser bestimmte Seitengebäude diesen Namen verdient. Die Stadtthore sind für das Land ziemlich fest, bei Tage bewacht und bei Nacht geschlossen; die Mauern befinden sich in leidlich gutem Zustande und sind von Aussen mit einem tiefen Graben umgeben, in dem aber kein Wasser war. Als die Sonne sich dem Untergange neigte, gingen wir hinaus vor die Stadt, um einen Blick auf Fluren und Haine zu werfen; der 355 Boden ist gut, aber es fehlt an Wasser; die Datteln jedoch sind vortrefflich. Während wir hier auf einer kleinen Erhöhung sassen, wo wir die Strasse übersehen konnten, hatten wir hinlänglich Gelegenheit, uns mit den zahlreichen Vorübergehenden in Gespräche einzulassen, denn zu allen Seiten liegen eine Menge Dörfer, eins neben dem andern, und die ganze Gegend ist überhaupt, nach arabischem Massstabe, sehr volkreich. WTir profitirten von der eingebornen Eloquenz und dem klassischen Dialekte der Einwohner, namentlich der Städter, und thaten unser Möglichstes, sie zu solchem Gespräch zu ziehen, aus dem wir ihre wirkliche Gesinnung kennen lernen konnten. Es waren ächte Wahhabiten und mit Herz und Seele Fejsal und seinem Haus ergeben. Vielleicht hat ein kleiner localer Groll gegen Megma'a und die Sedejr! dazu beigetragen, sie mit einer unmittelbareren Abhängigkeit von Riad zu versöhnen, und es ist sicher, dass in den letzten Jahren Bevölkerung und Wohlstand bedeutend zugenommen haben. Bei Einbruch der Nacht kehrten wir zurück zu unserm Abendessen, das uns aus dem Palaste des Statthalters geschickt wurde; es war weder sehr gut, noch sehr schlecht; das Brod war gesäuert, wie wir es von nun an bis an den persischen Meerbusen überall fanden, — ein grosser Fortschritt von den ungesäuerten Kuchen in Schomer und Kasim, obwohl man auch in Kasim allmälig eine neuere und bessere Sitte einzuführen sucht, was hauptsächlich den durchreisenden persischen Pilgern zu danken ist. Endlich rauchten wir noch auf dem Dache unter dem hellen Sternenhimmel ruhig eine Pfeife und begaben uns dann zur Ruhe, aber im Hause, denn es war zu kalt, um in der freien Luft zu schlafen. Es ist ein grosser Segen für Arabien, dass es hier weder Mücken, noch Moskiten, noch selbst Fliegen giebt. Schlangen sind in Neged nicht seltener, als in Irland oder Malta; in einem hübschen Romane, den Herr Lamartine unter dem Titel: „Tagebuch des Fath-Allah S'ej'jir'", herausgegeben hat, des Begleiters des unglücklichen Lascaris, ein Werk, welches ich schon oben nannte, wird von diesen Reptilien gesprochen, als ob sie in Centraiarabien sehr häufig wären; ja, schrecklich zu denken, Herrn Lamartines Held entdeckt ein Dickicht, das ganz voll ist von ihren Häuten, von allen Farben und Grössen, — ver-muthlich eine Art Kleiderziraraer für Schlangen. Glücklich die Reisenden , welche eine reiche und lebhafte Phantasie besitzen! einige Boa 35ö Constrictor würden, wenigstens in einer Erzählung, auch eine hübsche Abwechselung gewähren. Ich aber war nicht so glücklich, solche Visionen zu haben: „nol vedi, ne credo che sia". Früh am nächsten Morgen nahmen wir Abschied von unserm ungeselligen Wirthe, der uns jedoch die Ehre erwies, bis an das Thor seines Palastes herabzukommen und persönlich nach uns zu sehen. In nicht grosser Entfernung von Towejm kamen wir durch eine andere grosse Ortschaft mit Vertheidigungsmauern; an der andern Seite des Wegs lag eine viereckige Burg von sehr mittelalterlichem Ansehen; dies war Hafr. Unsere Begleiter aus Towejm sagten, dass dieser Ort einst mit dem ihrigen rivalisirt und Jahre lang zwischen beiden Ortschaften ein kleiner Krieg geführt worden sei, ohne Zweifel zum grossen Schaden beider Parteien. Aber unter der Herrschaft Ebn Sa'üds giebt es keinen andern Räuber mehr, als ihn selbst, und die Bewohner von Sedejr müssen untereinander Frieden halten, und insofern sicher zu ihrem gemeinschaftlichen Vortheile. Einige Stunden weiter erreichten wir Thomejr, ein Städtchen, das aus lauter einzeln stehenden Häusern besteht, mit mehr eingestürzten Wauden, als Häusern; dicht dabei war ein hoher Felsen, dessen Gipfel die malerischen Ruinen eines alten Aussenwerks oder Forts krönten. Hier machte unsere kleine Gesellschaft Halt, um im Schatten der Ruinen zu frühstücken. Barakät und ich entschlossen uns, unser Glück in dem Dorfe selbst zu versuchen. Wir gingen hinein, ohne dass uns an dem offenen Thore ein Wächter anrief, und streiften durch die schweigenden Gässchen und zwischen den Schutthaufen herum, aber vergeblich suchten w|r in dieser Stadt der Todten Milch und Datteln. Endlich trafen wir einen halbverhungerten Einwohner, den wir fragten, wo wir etwas zu essen haben könnten. Er entschuldigte sich, dass er selbst nichts habe, was er uns bieten könne, setzte aber hinzu: „in dem und dem Hause wird gewiss etwas Gutes sein",- und ging dann mit uns dorthin. Wir fanden in der That ein grosses Gebäude, aber die Thür war verschlossen; wir klopften vergebens; Niemand war zu Hause. Unser Mann ging uns nun mit einem kühnern Beispiele voran, wir krochen Alle durch ein Loch in der Lehmwand hinein und fanden uns zwischen leeren Zimmern in einem verödeten Hofe. „Alle sind draussen auf dem Felde, bis auf die Frauen", sagte unser Führer, und wir machten uns auf demselben Wege wieder hinaus. Da wir sahen, dass in dem Dorfe nichts zu finden war, erstiegen wir einen kleinen Thurm an den äusseren Mauern und sahen uns dort um. Dort erblickten wir in einiger Entfernung einen schönen Palmenhain, woraus wir 357 schlössen, dass es auch nicht an Datteln fehlen könne, und machten uns sogleich querfeldein dorthin auf den Weg. Als wir aber ankamen, fanden wir, dass das Paradies mit hohen Mauern umgeben und kein Thor zu entdecken war. Als wir rathlos hier standen, kam ein hübscher Junge vom Stamme Solibah, ganz zerlumpt und halb gehend, halb tanzend, den wir fragten, ob er uns sagen könne, wie wir in den Garten gelangen könnten. „Soll ich Euch ein Lied vorsingen?" war seine Antwort, „Wir brauchen Deine Lieder nicht, aber Datteln, wie können wir welche bekommen?" antworteten wir. „Oder soll ich Euch etwas vortanzen?" antwortete er grinsend und begann einen arabischen Tanz im Polkaschritte, laut über unsere Ungeduld lachend. Endlich liess er sich herbei, uns den Weg zu zeigen, der etwas weiter unten gerade über die Mauer ging. Er kletterte voran und wir folgten ihm und befanden uns bald zwischen den Bäumen im Schatten und am Wasser. Der Knabe stiess einen lauten Schrei aus, worauf ein Mann erschien. Wir waren nach einer so zweideutigen Art hereinzukommen, auf einen ziemlich schlechten Empfang vorbereitet, der Gärtner aber grüsste uns sehr höflich und bot uns seine guten Dienste an. Als er hörte, dass wir von Damaskus kämen, wurde er ausnehmend freundlich und führte uns in einen schattigen Gang zu einer kleinen Wachhütte, wo er uns einem seiner Vettern vorstellte, der auch in „Schäm" oder Damaskus gewesen war, wie er sagte. Aber Schäm hat in Neged eine ebenso unbestimmte Bedeutung, wie Neged in Schäm, und wir fanden sehr bald, dass unser neuer Bekannter nie über die Grenzen Arabiens hinaus gekommen war; er war nur ein Stück auf der nördlichen Pilgerstrasse hinaufgegangen, nach Tabuk und dessen Umgegend zu; dies genügte jedoch, ihn in seinem Dorfe zu einem Löwen zu machen, und er war über Damaskus eine grosse Autorität, obwohl er nicht weiter, als etwa vierzehn Tagereisen von seinen Thoren gewesen war. Wir wurden bald gute Freunde und ein leidliches extemporirtes Frühstück von Käse und Datteln, mit 358 reinem frischem Wasser, wie unser Herz verlangte, wurde uns vorgesetzt. Der junge Solibah war auf eigene Rechnung gegangen, Früchte zu suchen. Wir machten dann den Vorschlag, einen Vorrath von Datteln für unsere Weiterreise zu kaufen, worauf uns der Gärtner zu einem Nebengebäude führte, wo Haufen von drei oder vier Arten von Früchten aufgehäuft lagen, rothe und gelbe, runde und lange, und liess uns wählen. Auf seine Empfehlung füllten wir ein grosses Tuch, welches wir zu diesem Zwecke mitgebracht hatten, mit ausgezeichneten röthlichen Datteln, und gaben dafür ein kleines Geldstück, das hier, wie überall, gern angenommen wurde. Dann nahmen wir Abschied und entfernten uns, diesmal aber durph die Gartenthüre, und gingen durch das Stoppelfeld und bei den zerfallnen Mauern des Dorfs vorbei zu unsern Gefährten, die über unsere lange Abwesenheit besorgt geworden waren. Abu 'Ejsa hielt uns unter vier Augen eine lange' Vorlesung über Klugheit und Vorsicht im Wahhabitenlande, die gewiss sehr zweckmässig war, der wir aber, wie gewöhnlich der Fall, selten folgten, bis es zu spät war. Als wir Thomejr hinter uns hatten, erstiegen wir die höchste Stufe der centralen Towejk und überschritten dessen kahlen obern Rand oder Tafelland; die Aussicht rings herum war prachtvoll und zwang selbst den Nä'ib zur Bewunderung, der sonst wenig aufgelegt war in Neged etwas gut zu finden. Nur gegen Osten begrenzten hohe Bergreihen die Aussicht, gegen Süden, Westen und Norden lagen Plateau und Ebene unten in einer Landschaft von ungeheurer Ausdehnung in der Vogelperspective. Dieser Distrikt umfasst, so weit ich Beobachtung anstellen konnte, den höchsten Theil des innern Arabien, den ich etwa fünfzehn bis zwanzig Meilen südöstlich von Thomejr setze. Der Pass, durch welchen unser Weg führte, wird Thenijat-'Atalah, d. i. „der kahle", genannt, oder oft einfach „Eth-Thenijah" der Pass, schlechthin, weil er der höchste im Lande ist. Das östlich gelegene Gebirge ist das durch arabische Lieder berühmte Gebel 'Atälah. Hier lag Jabrun, einst eine Stadt, wie es scheint, von einiger Bedeutung, jetzt aber zu einem Dorfe herabgesunken, das mir von den Eingebornen als äusserste Grenze des Solej - Thaies, in dessen nördlicher Durchschneidung des Towejk, genannt wurde, und welches wegen eines Marktes, der alljährlich einmal hier gehalten wird, einige Berühmtheit hat. Unser Weg, der sehr steinig war, führte drei bis vier Stunden auf dem Bergrücken hin, und erst spät am Nachmittage fingen wir an einen sehr steilen und schlüpfrigen Weg abwärts zu steigen, über Mergel und Sandstein, bis wir Stufe um Stufe auf das niedere Plateau herabkamen, dasselbe, auf dem wir Tags zuvor gereist waren. Alle waren todtmüde; die Kamele konnten nach einem so langen 359 Marsche kaum mehr fort, und der Nä'ib machte seiner bösen Laune durch einen wüthenden Streit mit seinen Leuten Luft. Die Ursache dazu gab eine Granate, die er allein aufgegessen hatte, ohne ihnen etwas davon anzubieten: hinc irae et lacrymae. Ich erwähne diess nur als ein Beispiel mancher ähnlichen Stürme, welche die Ruhe der Schijä'i-Gesellschaft störten; aber es ist billig hinzuzusetzen, dass Mo-hammed-'Ali sich bald wieder beruhigte, und sich dann herzlich seiner Verletzung des Anstandes schämte. Wir mussten jedenfalls tüchtig zuschreiten, wenn wir noch zur rechten Zeit nach Sadik kommen wollten, wo wir die Nacht über bleiben sollten. Endlich sahen wir dieses unten im Thale liegen, eben als wir um einige kleine Hügel bogen, wo einige Gazellen vor uns aufsprangen; es war aber schon spät und wir erreichten den Ort erst I. 18 nach Einbruch der Nacht. Auf einem reinlichen sandigen Platze, dicht an einem Brunnen, der ringsum mit hohen Palmen umgeben war, machten wir Halt. Hier stiegen Alle ab, während Abu 'Ejsa allein in die Stadt ging, um den Gouverneur von unserer Ankunft zu benachrichtigen. Dieser lud uns, vornehm und gering, sehr höflich nach seiner Wohnung ein, ungeachtet der späten Stunde. Der Nä'ib aber, welcher todtmüde war, wollte nicht von seinen Teppichen aufstehen, wo er sich einmal niedergelegt hatte; der Sand war weich und die Nachtluft nicht übermässig kalt. Der Gouverneur schickte uns also Fleisch, Molken, Honig, Melonen und Brod, reichlich genug für eine gute Abendmahlzeit, der die Araber noch Kaffee, die Perser Thee hinzufügten. Etwa gegen Mitternacht hielten wir eine frohe Mahlzeit bei dem Schein unserer Feuer, an denen wir bivouakirten. Abu 'Ejsa wusste, obwohl er es nicht sagen wollte, dass die nächste Tagereise eben so lang war, wie die letzte. Trotz aller Einwendungen von Seiten der ermüdeten Beisenden, setzte er uns beim ersten Morgengrauen in Bewegung, und wir verliessen Sadik, ohne es innerhalb seiner Mauern gesehen zu haben. Diejenigen aus unserer Gesellschaft, welche schon früher hier gewesen waren, sagten, es sei ein bedeutendes Dorf, eigentlich eine kleine Stadt, und eben so gross wie Megmaa'. Wir waren noch nicht weit, als der eigene Bruder des Häuptlings, in einem rothen Kleide und von einigen Bewaffneten sei-390 nes Gefolges begleitet, uns zu Pferde nachkam und uns einlud wieder umzukehren und seiner Wohnung die Ehre zu erweisen, darin ein kleines Frühstück einzunehmen. Mangel an Zeit aber machte dies ganz unmöglich; wir dankten also für sein Anerbieten und er kehrte zurück, nachdem er vorher mit mir und Barakät in aller Eile eine Pfeife geraucht hatte. Der Weg wand sich jetzt durch Sträucher und Gebüsche in denen es Hasen und Rebhühner in Menge gab; der Nä'ib hatte an seinem Sattel eine gute doppelläufige englische Vogelflinte hängen, die er aus Indien mitgebracht hatte; obgleich er aber immer viel von seiner Flinte und seiner Jagdfertigkeit sprach, konnten wir ihn doch nie bereden, uns etwas davon zu zeigen, und ich glaube, meine Leser werden, ebenso wie wir, daraus den Schluss ziehen, dass er kein grosser Schütze war. Ein Hase, der uns jetzt über den Weg lief, gab Anlass zu einer heftigen Disputation zwischen den Schiiten und Sonniten in unserer Gesellschaft darüber, ob es gesetzlich erlaubt sei, das Fleisch des Hasen zu essen oder nicht. Die Sonniten, wenigstens die von der Secte Hanbali's, zu welcher alle Negdäer gehören, gleichviel, ob Wahhabiten oder nicht, halten nur das Schweinefleisch für verboten; die Schijä'i aber haben eine Liste von fast eben so vielen verbotenen Artikeln wie die Juden selbst, auf der auch Meister Lampe steht. Diese Sec-tirer halten es in der That für keine Schande, in dieser oder anderer Hinsicht die Kinder Israel zu copiren, gegen die sie sonst, eben so wie die Sonniten, die grösste Verachtung hegen; sie handeln hierin, wie sie sagen, in Uebereinstimmung mit gewissen Traditionen, die sie von ihren Halbgöttern 'Ali, Hosejn, Zejn-el-'Abidtn, Gaäfer und Andern überkommen, und die auf triviale Analogien oder mystische Ideenverwirrung gegründet sind. So führen sie für die Ungesetzlich- keit des Genusses von Hasenfleisch noch besondere Gründe an, die zu dumm und zu grob sind, um hier erwähnt zu werden. Ich wundere mich nicht, dass Pantheismus oder Materialismus, sei es unter dem Namen Babismus oder einem andern, bei den Schijäi, sowohl jetzt als in früherer Zeit, Eingang gefunden haben, denn ihr ganzes System ist Voll von praktischen und theoretischen Absurditäten, durch welche nur zuweilen ein Schimmer höherer Wahrheiten bricht, die aber alle verdreht und mit einer Rinde iranischer Narrheit überzogen sind. Gegen Mittag kamen wir aus dem arkadischen Labyrinthe von Felsen und Gesträuch auf eine offene Fläche heraus und hatten zu 361 unserer Rechten die Stadt Hülah, einen grossen und lebhaften Ort, dessen Grösse, äussere Umrisse und Mauern mit Thürmen mich an Conway Castle erinnerten, obwohl die Bauart verschieden ist, da die Mauern hier fast ganz aus ungebrannten Ziegeln aufgeführt sind, mit nur wenigen unbehauenen Steinen. Die Stadt, sagt man, ist eine der blühendsten in Sedejr, wozu vielleicht die Nähe von Schakra und der Strasse nach Woschem beiträgt. Die Einwohner sind nicht allein thätige Handelsleute, sondern auch fleissige Ackerbauer und der Boden ist ringsherum bis zu einer bedeutenden Entfernung bepflanzt und gepflügt. Hülah hat sich, wie verschiedene andere Ortschaften in hiesiger Gegend, unter der wahhabitischen Herrschaft entschieden gehoben, wozu besonders zwei Ursachen beitrugen, erstens das Aufhören localer Eifersüchteleien und Fehden an der Grenze, zweitens, die wachsende Bedeutung der centralen Distrikte im Allgemeinen, und daher eine entsprechende Zuströmung von Handel und Wohlstand. Diese Vortheile theilt es mit dem ganzen Gebiet des Gebel Towejk, welches die fünf eigentlichen negdäischen Provinzen umschliesst, nämlich Sedejr, Woschem, 'Aared, Jemämah und Aflag; auch Wadi Dowäsir ist nicht ganz davon ausgeschlossen. Neged war in der That vor einem Jahrhundert so arm, so unzweckmässig eingetheilt, so von aller Welt abgeschlossen, von räuberischen Nomaden überschwemmt oder von kleinen Häuptlingen tyrannisirt, dass jede Veränderung für das Land nur heilsam sein konnte, da es damals in jeder Beziehung den niedrigsten Punkt erreicht hatte. So ist natürlich eine centrale und nationale Regierung, die stark genug ist, nra Ordnung im Innern aufrecht zu erhalten und den Reichthum und Kraft der reicheren Länder ausserhalb an sich zu ziehen, für Neged ein grosser und positiver Gewinn gewesen. Man denke sich z. B. die Schweiz, mit ihren Gebirgscantonen, als Herrin und Mittelpunkt der Regierung für Italien im Süden und den ganzen deutschen Bund oder die Rheinländer im Norden. Deutschland und Italien würden allerdings von einer solchen Veränderung wahrscheinlich geringen Vortheil haben, die Schweizer-Provinzen aber würden sicher, wenigstens für eine Zeit, an Wohlstand und Bedeutung zunehmen. Auf dieselbe Weise habeu die reichen Länder Hasa, Kauf, Kasim u. a. von ihrer gewaltsamen Verbindung mit Neged wirklich Nachtheil, während Neged selbst allein den Vortheil davon trägt. Wir kamen noch bei vielen grossen und kleinen Dörfern vorbei, die bald näher bald in grösserer Entfernung lagen, und erreichten endlich nach einem Wege von mehreren Stunden über das wellenför- 362 mige Plateau gegen Sonnenuntergang die Stadt Horejmelah, wo wir übernachten wollten. Diese Stadt, die Vaterstadt des bekannten Mohammed ebn-'Abd-el-Wahhäb, des Stifters der nach ihm benannten Sekte, welche jetzt beinahe in der Hälfte Arabiens vorherrschend ist, bildet den nördlichen Eingang oder Schlüssel zu der centralen Feste von Neged, die in ähnlicher Weise gegen Westen von Schakra, gegen Süden von Khar-fah, und gegen Osten durch den Engpass von Wadi Solej' geschützt ist; vier Oertlichkeiten, welche die entsprechenden Eingänge in das berühmte Thal beherrschen, das früher Wadi Mosejlemah, jetzt Wadi Hanifah genannt wird, in dessen tiefem Labyrinth die Hauptstadt liegt, lind welches das eigentliche Herz von Neged ist. Horejmelah liegt beinahe auf der Grenzliuie zwischen 'Aared und Sedejr und gehört zu letzterem. Es schliesst das trichterähnliche Ende der Schlucht, durch die wir einen halben Tag lang gereist waren, und hat gerade nur so viel freies Feld um sich, als für die gewöhnliche Umgebung von Anpflanzungen bei einer negdäischen Stadt nothwendig ist; die äusseren Befestigungen sind, wie die Lage erheischt, sehr fest, und die Bevölkerung beträgt etwa zehntausend Köpfe. Was mich hier am meisten überraschte, war der Anblick einer grossen Burg, die auf einer Anhöhe in der Stadt selbst liegt und in ihrer symmetrischen Construction einen Grad von architektonischer und strategischer Kenntniss beurkundet, die in diesen Gegenden ungewöhnlich ist. Ich wunderte mich weniger darüber, als ich hörte, dass die Festung das Werk Ibrahim Paschas sei, der sie während der ägyptischen Occupation von Neged, nach dem Falle Derej'ijabs, errichtete. So jung Ibrahim damals war, so hatte doch sein fruchtbarer Geist bereits das System begriffen, welches in späteren Jahren Syrien und den Norden mit Denkmälern seiner ausserordentlichen Energie bedeckte, welche Zeugniss ablegen von seiner grossen Geschicklichkeit, für strategische Bauten überall genau die Punkte zu wählen, welche sich am besten zugleich für Sicherung der Unterwerfung, als für Abwehrung einer Invasion eignen. Aehnliche Spuren des grossen Pascha findet man in Horns, Baalbek, Antiochien, Nebk und an verschiedenen anderen Orten, jetzt freilich verfallen, um zu gleicher Zeit Zeugniss abzulegen von dem Talente des Aegypters, der sie errichtete und der Nachlässigkeit und apathischen Thorheit der Ottomanen, die sie dem Verfalle überlassen. Die Burg von Ho-363 rejmelah war die erste von Ibrahims festen Stellungen, die ich im Neged sah, wir trafen aber später noch andere: uud mir wurde gesagt, dass andere ähnliche Werke sich noch in Woschem und an den äusseren Rändern von Kasim fänden, meine Marschlinie aber erlaubte mir nicht, diese zu besuchen. Betah, ein Eingeborner der Stadt und eifriger Wahhabite, mit Herz und Seele den Interessen der Familie Sa'üd ergeben, war hier Gouverneur. Er war von guter Familie und nicht ohne eine Art von Bildung, die seinem Lande und seiner Sekte eigenthümlich ist; er nahm uns sehr höflich auf, und führte uns sogleich in seine geräumige Wohnung in der Burg. Aber der Abend war ziemlich schwül, und nach wenigen Minuten, die wir der Höflichkeit wegen im K'häwah ■ verweilten, stimmten Alle für die freie Luft. Es wurden also auf dem flachen Dache über dem zweiten Stockwerke Teppiche ausgebreitet und Kissen gelegt und wir stiegen eine steinerne, schlecht erleuchtete Treppe, wo man bei Nacht Hals und Beine brechen konnte, hinauf; an der einen Seite des Dachs erhob sich noch ein drittes Stockwerk und die Brustwehr, an die wir unsere müden Rücken lehnten, überragte den Marktplatz der Stadt. Unser Wirth war ein Anhänger und persönlicher Freund 'Abd-Allahs, des Sohnes Fejsals, und hatte diesen Fürsten, wenn wir seinem Worte glauben dürfen, auf nicht weniger als dreissig Feldzügen begleitet. Er erzählte viele Anekdoten, welche die Kühnheit des muthmass-lichen Thronerben zeigten, von denen ich einige bei der Geschichte der Familie Sa'üd im folgenden Kapitel mittheilen will. Meine Gedanken waren für den Augenblick mehr mit dem Andenken an den ausserordentlichen Mann beschäftigt, der in diesem Winkel der Erde geboren war und hier gelebt hatte und der einen Einfluss auf seine Landsleute ausübte, welcher dem seines Landsmannes Mosejlemah in alter Zeit, ja beinahe dem seines noch berühmtem Namensvetters Mohammed selbst, nicht nachstand. Mohammed-ebn-'Abd-el-Wahhäb, der Stifter der nach ihm benannten Sekte der Wahhabiten, war kurz vor der Mitte des letzten Jahrhunderts in Horejmelah geboren. Sein Stammbaum, eine Sache, welche die arabischen Biographen nie leicht nehmen oder vergessen, geht auf Mesalikh zurück, einem mächtigen Stamme, dessen Noraadenzweig noch die Umgegend von Zobejr und die nordwestlich vom persischen Meerbusen gelegenen Gegenden besucht. Wie viele Negdäer, welche den besseren Ständen angehören, lebte er anfänglich als reisender Kaufmann und besuchte die Gegend von Basrah und Bagdad. Dass er auch nach Persien, Indien und sogar Constantinopel gekommen sei, wie einige 364 Schriftsteller angeben, wird wenigstens durch die localc Tradition nicht bestätigt, der ich hier allein folge. Seine Handelsgeschäfte führten ihn zuletzt nach Damaskus, wo er mit einigen gelehrten und sehr bigotten Scheikhs der Stadt Bekanntschaft machte, Hanbaliten, wie er selbst, oder Schäfi'iten, aber heftige Gegner der herrschenden Lauheit der Nakschbandi und anderer nördlichen Freidenker, oder der abergläubischen Gebräuche der Derwische, Fakirs, Welts und anderer Missbräuche, welche fast überall im Orient von Persern und Türken ausgegangen sind. Der Sohn 'Abd-el-Wahhäbs war etwa dreissig Jahr alt, in voller Kraft des Körpers und mit mehr als gewöhnlichen Gaben des Geistes ausgestattet. Neben dem störrischen Eigensinn und dem ausdauernden Muthe seiner negdäischen Landsleute, besass er eine bei diesen seltene Gabe zu abstrahiren und die Dinge auf allgemeine Grundsätze zurückzuführen; er beobachtete scharf, hörte aufmerksam uud hatte schon viel gesehen und tief gedacht. Aber der Unterricht der damaskischen Scheikhs half ihm die Gedanken, welche er, wie es scheint, schon längst in einem flüssigen Zustande und ohne systematische Ordnung mit sich herumgetragen, combiniren und präcisiren. Er lernte jetzt klar unterscheiden zwischen den wesentlichen Elementen des Islam und dessen zufälligen und spätem Beimischungen und fand sich zuletzt im Besitz dessen, was zwölf Jahr- hunderte früher die anfängliche Ansicht und der Ausgangspunkt des Propheten im Hegäz und seiner ersten Anhänger gewesen war. Den innersten Gedanken und Zweck des ersten Stifters einer Sekte, nach mehr als tausend Jahren und durch die complicirten Schichten von Orthodoxie und Heterodoxie, welche Parteien und Commen-tatoren, Zeiten und Rassen darübergelegt haben, richtig zu beurtheilen und genau zu schätzen, ist kein leichtes Unternehmen, uud nicht jedes Auge ist eines so scharfen Blickes fähig, nicht jeder Geist hat so starke Fassungskraft. Es gehört dazu eine mehr als gewöhnliche Gabe der Analyse und Deduction und eine feine Anschauung, was nur Wenigen gegeben ist und welches die Grundlage dessen bildet, was man in jeder Wissenschaft oder Kunst den Genius nennt. Kraft des Willens, ja selbst Kühnheit, ist dazu nicht weniger nöthig als Kraft des Verstandes. Dies Alles besass Mohammed-ebn-'Abd el-Wahhäb in hohem Grade. Ihm gebührt der Ruhm, wenn es ein Ruhm ist, unter dt-n Ruinen des zusammengestürzten Islam den vernachlässigten Schlussstein desselben entdeckt zu haben, und noch mehr, es unternommen zu haben, einen Plan zu bilden, diesen Schlussstein wieder an seine 363 Stelle zu bringen und mit dessen Hilfe das zusammengestürzte Gebäude wieder aufzubauen. Dieser Schlussstein, dieser Hauptgedanke, diese Grundidee, von der alles Uebrige nur die nothwendige und unvermeidliche Folgerung ist, ist in der Formel enthalten, die weit öfter wiederholt als verstanden wird „Lä Bäh illa Allah", wörtlich: „es giebt keinen Gott ausser Gott", eine Uebersetzung, die aber zu eng ist für die arabischen Worte und bei Weitem den Sinn nicht in voller Kraft wiedergiebt, den sie im Munde und Geiste eines Arabers haben. „Es giebt keinen Gott ausser Gott" sind Worte, die einfach jede andere Gottheit ausser Gott selbst negieren, dies bedeuten sie ohne Zweifel auch im Arabischen, aber sie enthalten noch weit mehr. Ihr voller Sinn ist nicht allein eine absolute Negation jeder Pluralität der Natur oder der Person im höchsten Wesen, ohne jeden Vorbehalt, nicht allein ein positives Bekenntniss der Einheit des Nichterzeugen-den und Nichterzeugten in seiner ganzen einfachen und unmittheilbaren Einheit, sondern die Worte drücken im Arabischen und bei den Arabern auch noch ganz besonders aus, dass dieses Eine höchste Wesen auch die einzige wirkende Kraft, der einzige Act im ganzen Universum ist, und lassen allen anderen Wesen, gleichviel ob Materie oder Geist, Instinkt oder Intelligenz, physischen oder moralischen, nichts als reine unbedingte Passivität, die immer gleich ist in Bewegung oder in Ruhe. Die einzige Macht, das einzige Bewegende, Bewegung, Kraft und Handlung, ist Gott; das Uebrige ist geradezu Unthätigkeit und blosse Instrumentalität, von dem obersten Erzengel bis zu dem einfachsten Atom der Schöpfung herab. In dem einzigen Ausspruche, „La Iläh illa Allah" ist daher ein System zusammengefasst, welches ich mir, in Ermangelung eines bessern Namens, Pantheismus der Kraft oder der That nennen will, die ausschliesslich Gott beigelegt wird, der sie ganz absorbirt, ganz ausübt und dem allein sie zugeschrieben werden kann, sei es zur Erhaltung oder Zerstörung, zu relativ Bösem oder eben so relativ Gutem. Ich sage „relativ", weil es klar ist, dass in einer solchen Theologie kein Platz bleibt für absolut Gutes oder Böses, Vernunft oder Unvernunft; Alles ist zusammengezogen in dem autokraten Willen des einzigen grossen Agens: „sie volo, sie jubeo, stet pro ratione voluntas"; oder, noch bezeichnender im Arabischen „Kemä jescha'o " „wie er will", um den beständig wiederkehrenden Ausdruck des Koran anzuführen. So unendlich und ewig erhaben über alte Geschöpfe, und allen unähnlich, die vor ihm alle auf gleicher Höhe auf einer gemeinschaft- 366 liehen gleichen Fläche von Instrumentalität und willenloser Untätigkeit stehen, ist Gott der Alleinige in der Totalität der allmächtigen und allgegenwärtigen Handlung, der keine Regel, Richtschnur oder Schranke kennt, als seinen alleinigen und absoluten Willen. Er theilt Nichts seinen Geschöpfen mit, denn ihre scheinbare Macht und Handlung bleibt immer allein die seinige, dagegen aber auch empfängt er nichts von ihnen, denn was sie immer sein mögen, sie sind in ihm, durch ihn und von ihm allein. Und zweitens, keine Superiorität, keine Unterscheidung, kein Vorrang kann gesetzlich von einem Geschöpf über ein Nebengeschöpf beansprucht werden, in der äussersten Gleichstellung ihrer ausnahmslosen Dienstbarkeit und Erniedrigung; alle sind in gleicher Weise Spielzeuge der Einen, einzeln stehenden Kraft, welche sie gebraucht, um sie zu zermalmen oder zu beglücken, zur Wahrheit oder zum Irrthum, zur Ehre oder zur Schande, zu Glück oder Elend, ohne alle Rücksicht auf ihr individuelles Geschick, Verdienst oder Nutzen, einzig und allein, weil er es will, und wie er es will. Man sollte meinen, dass dieser furchtbare Autokrat, diese uncon-trolirte und mit nichts sympathisirende Macht weit über Alles erhaben sein müsse, was mit Leidenschaften, Wünschen oder Neigungen Aehn-lichkeit hat. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn Er hat hinsichtlich seiner Geschöpfe nur ein einziges Gefühl, nur eine einzige Quelle aller Handlung, nämlich, Eifersucht gegen dieselben, dass sie ja nicht sich etwas anmassen, was ihm allein zukommt, und so Eingriffe thun in seine Alles beanspruchende Herrschaft. Daher ist er immer mehr aufgelegt zu ahnden als zu belohnen, eine Strafe zu verhängen als ein Vergnügen zu gewähren, mehr einzureissen als aufzubauen. Es gewährt ihm eine besondere Befriedigung, die erschaffenen Wesen beständig fühlen zu lassen, dass sie nichts weiter sind als seine Sclaven, sein Spielzeug, und noch dazu verächtliches Spielzeug, damit sie so besser seine Superiorität anerkennen, und erkennen, dass seine Macht grösser ist als die ihrige, seine Geschicklichkeit grösser als die ihrige, sein Wille höher als der ihrige, sein Stolz höher als der ihrige; oder vielmehr, dass es keine Macht, keine Geschicklichkeit, keinen Willen, keinen Stolz giebt ausser allein den Seinigen. Er aber, steril in seiner unnahbaren Höhe, ohne Liebe, ohne Gefallen, ausser an sich selbst und seinem aus eigenen Massnahmen hervorgegangenen Beschluss, ohne Sohn, Genossen oder Berather, ist nicht weniger leer für sich selbst als für seine Creaturen, und seine eigene Leere und einsamer Egoismus in sich selbst ist die Ursache und Regel seines indifferenten und rücksichtslosen Despotismus ringsum. Die erste Note ist der Schlüssel des ganzen Tonstückes, und die ursprüngliche Idee von Gott durchdringt und modificirt das ganze System und Glaubensbekenntniss, das in ihm seinen Mittelpunkt hat. 17 ' Dass die hier von der Gottheit gegebene Vorstellung, wie monströs und gotteslästerlich sie erscheinen mag, genau und buchstäblich die ist, welche der Koran giebt oder geben will, nehme ich jetzt für ausgemacht an. Aber dass es in der That so ist, wird jeder zugeben, der den arabischen Text aufmerksam durchgelesen und überdacht hat (denn ein blosses flüchtiges Lesen, namentlich in einer Uebersetzung, kann nicht genügen). In der That, jede Phrase der vorstehenden Aussprüche, jeder Zug in diesem gehässigen Portrait, ist, so weit ich es zu erkennen im Stande war, Wort für Wort, oder wenigstens Sinn für Sinn, aus dem „Buche" genommen, welches der treueste Spiegel des Geistes und des Zieles dessen ist, der es schrieb. Und dass dies wirklich Mohammeds Meinung und Vorstellung war, wird durch das Zeugniss der gleichzeitigen Tradition vollkommen bestätigt. Davon haben wir viele authentische Beispiele: der Sahih, der Commentar Bejdäwis, das Mischkat-el-Mesabih und eine Menge anderer Werke geben hinlänglich Zeugniss davon. Aber zum Besten meiner Leser im Allgemeinen, die wohl nicht alle in gleicher Weise aus den Hauptquellen des islamischen Dogmas getrunken haben, will ich hier ein Pröbchen mittheilen, das vielleicht manchem Orientalisten bekannt, aber zu charakteristisch ist, als dass ich es hier übergehen könnte, und welches ich unzählige Male von den Wahhabiten in Neged erzählen und bewundern hörte. Als Gott, so sagt die Tradition, ich müsste eigentlich richtiger sagen, die Blasphemie, das Menschengeschlecht zu erschaffen beschloss, nahm er einen Erdklos in die Hand, denselben, aus dem das ganze Menschengeschlecht gebildet wurde und in dem es in irgend einer Weise schon vorher existirte, und nachdem er denselben in zwei gleiche Hälften getheilt, warf er die eine Hälfte in die Hölle und sprach: „dieses für das ewige Feuer, das Weitere geht mich nichts an"; die andere Hälfte warf er in den Himmel und sprach: „dieses für das Paradies, das Weitere geht mich nichts an." Ein Commentar würde hier überflüssig sein. Wir haben hier aber die vollständige Idee der Praedestination oder richtiger der Vorausverdammung, wie sie die Schule der Koran beibehalten hat und lehrt. Paradies und Hölle sind ebenso vollständig unabhängig von Liebe oder Hass seitens der Gottheit und von Verdiensten oder Nicht-verdiensten, von guter oder schlechter Handlungsweise seitens des Geschöpfes; dies entspricht auch vollkommen der Theorie, da die Handlungen selbst, welche wir gut oder böse, recht oder unrecht 368 nennen, ihrem Wesen nach ganz ein und dasselbe sind und dem-gemäss weder Lob noch Tadel, weder Strafe noch Belohnung verdienen, ausser einfach nach dem willkürlichen Werthe, welchen der Alles ordnende Wille des grossen Despoten ihnen zuzugestehen oder beizulegen belieben mag. Mit einem Worte, er brennt ein Individuum durch alle Ewigkeit mit glühenden Ketten und in Seeen von flüssigem Feuer und setzt ein anderes in den vollen Genuss eines ewigen Bordells zwischen vierzig himmlische Concubinen, wie es ihm eben beliebt und weil er es will. Die Menschen stehen so in physischer, socialer und moralischer Beziehung alle auf gleicher und gemeinschaftlicher Linie — als Scla-ven eines einzigen Herrn, Spielzeug eines universellen Agens. Aber der gleichmachende Process hält hier noch nicht iune: Thiere, Vögel, Fische, Insekten nehmen alle au derselben Ehre oder Erniedrigung Theil; alle sind, wie die Menschen, die Sclaven Gottes, die Spielzeuge und Automaten seines Willens; und daher ist Mohammed nur logisch und consequent, wenn er im Koran seine Anhänger belehrt, dass Vögel, Thiere u. s. w. „Nationen" sind, wie sie selbst, und dass zwischen ihnen und der menschlichen Species kein wesentlicher Unterschied besteht, ausser der zufälligen Unterscheidung, welche „der König, der Eine Stolze, der Mächtige, der Riese" u. s. w., wie er seinen Gott nennt, zu machen beliebt, wie er es eben will und so lange er es will. Sollte sich etwa Jemand durch eine solche Zusammenstellung gekränkt fühlen, so mag er sich mit dem Gedanken trösten, dass von der andern Seite Engel, Erzengel, Genien, Teufel und was sonst noch für Geister existiren mögen, nicht weniger auf derselben Linie stehen, und dass, wenn er selbst nicht besser ist als ein Kamel, er doch auch um nichts geringer ist als Gabriel oder ein anderer Seraph. Und dann über allen und auf allen „La Iläh illa Allah" — „es .ist kein Gott ausser Gott." Man tadelt die menschliche Natur zuweilen wegen ihrer Incon-sequeuz; aber ohne diese Inconsequenz würde sie oft noch mehr Tadel verdienen. Die besten Menschen sind inconsequent und die schlechtesten sind es nicht weniger, und das gerade ist es, was das Gute dauernd und das Böse erträglich macht. Niemand handelt immer seiner Theorie gemäss, und das ist gut; denn wie vortrefflich seine Theorie auch sein mag, so bleibt sie doch immer nur Theorie und muss je nach den Umständen modificirt werden; ja, noch mehr, Niemand war und wird je in seiner Theorie selbst vollkommen consequent sein, und diese Abweichungen sind 369 gerade das, was sie im Allgemeinen vor der Absurdität schützt. Dasselbe gilt von Irrthum und Uebel. Vollständiger Irrthum ist zum Glück ebenso unmöglich wie vollständige Schlechtigkeit und Verdorbenheit. Gesinnung und Moralität mögen sich weit verirrt haben, sie haben jedoch immer einige helle Punkte, einige Züge, die wieder zum Bessern führen. Meine Leser werden begreifen, dass ich in der oben gezeichneten Skizze der mohammedanischen Theorie, wie sie in dem Koran enthalten ist, nur beabsichtige, die leitende Idee zu geben, die Grundlinien zu zeichnen, die äussersten und wesentlichen Bestandteile zu analysiren, ohne die gesünderen, aber ungleichartigen Beimischungen und anomalen schöneren Züge in Rechnung zu ziehen. Solche existiren ohne Zweifel in dem Koran selbst und andere sind durch glaubhafte Tradition bestätigt; glückliche Inconsequenzcn, wo der Prophet aufwärts zum Menschen ausartete und der Koran einen Augenblick sich selbst vergass, um beinahe vernünftig und menschlich zu werden. Dieses sind aber nach Allem Ausnahmen von der Regel und können nur dann als Gegenbeweise für den grossen Plan des Werkes und seines Verfassers angeführt werden, wenn eine schwache Zeile beweisen kann, dass Shakespeare kein Dichter oder eine fromme Redensart, dass Voltaire ein guter Christ war. „Nemo mortalium omnibus horis" u. s. w., und damit genug. Vernachlässigung dieser Unterscheidung hat einige Apologisten zu Lobreden auf Mohammed geführt, welche Mohammed selbst zuerst verworfen haben würde, da sie „den Gesandten Gottes" zu einem Philanthropen und den Koran zu einem Evangelium gemacht haben. Zu diesem Zwecke sind zuweilen abgerissene Sätze als Kriterien des ganzen Werks herbeigezogen und seltene Anomalien als allgemeine und herrschende Regel des Lebens und der Schriften des Propheten angeführt worden. Ich wundere mich nicht darüber: „der Teufel kann die heilige Schrift für seine Zwecke citiren" und Engel den Koran für die ihrigen. Aber gewöhnliche Menschen thun wohl, die Sache so zu nehmen, wie sie wirklich ist, und Jedem das Seine zu geben nach dem, was er wirklich meinte, nicht nach dem, was sie wünschen, dass er meine. So viel mag hinreichen, auf halbem Wege einer gewissen Klasse von Einwürfen zu begegnen, die, wie ich meine, geschickter erhoben werden, als sie fest begründet sind. Kehren wir jetzt zu dem Gegenstande zurück. Welches System der Sittenlehre oder Regierung, welches sociale Gesetzbuch oder politische Institutionen, welches Leben und Sitten auf einem solchen Grund gebaut und von den Principien abgeleitet werden können, die im Koran niedergelegt sind, bedarf keiner Auseinandersetzung. „Der Anbetende richtet sich nach dem Gegenstande seiner Anbetung", ist ein arabisches Sprichwort, welches in der Re-370 ligion nicht weniger wahr ist als in der Liebe; die Geschichte bestätigt den Ausspruch, und fünfzig Tage in Riad, im folgenden Kapitel, stellen die Lage eines Landes ins Licht, wo diese Lehren ein Jahrhundert lang mit aller concentrirten Einheit der Gedanken und Vorsätze, die dem Negdäer eigen ist, vorgeherrscht haben und durch die isolirte Lage ihres Landes genährt wurden. Den Baum erkennt man am besten an seinen Früchten, und sollte irgend einer meiner Leser, obwohl ich bedauern würde, wenn ich es voraussetzen müsste, noch zwischen Verwerfung und Billigung der koranischen Theologie schwanken, so werden die praktischen Resultate in der wahhabitischen Hauptstadt dazu beitragen, ihn aufzuklären. Was uns jetzt allein angeht, ist, dass dieses die durchgehende Idee, die Mittelfigur, der Hauptgedanke, kurz der Schlussstein des Islam ist, wie Mohammed ihn fasste und die Wahhabiten ihn verstanden. Spätere Lehren und Schulen, welche bald Freiheit des Willens einführten, bald Verdienst, bald hierarchische Institutionen und gegenseitige Abhängigkeit der Menschen von einander, bald Vermittler ersannen, lebende oder todte, indem sie heilige Stätten erwählten, Heilige oder Gräber verehrten, asketische Brüderschaften und Asso ciationen von Derwischen bildeten, wurden von den Wahhabiten, von diesem Standpunkt aus, als Neuerungen, Corruptionen und Verdrehungen der grossen und einfachen Vision, des Einen Einzigen Autokraten über eine gleiche Masse nicht unterschiedener und nicht zu unterscheidender Sclaven, angesehen. Diese Schlussfolgerung war in hohem Grade logisch. Wie in der That kann der Absolute einen Raum für Vermittler oder der Unnahbare eine hierarchische Verkettung des Geschöpfes mit dem Schöpfer zulassen? Welcher freie Wille kann stattfinden in einem passiven Automaten? Welche Bedeutung kann asketischen Uebungen und guten Werken beigelegt werden, wenn der universelle Herr und Herrscher erklärt hat, dass er sich nicht darum kümmert, was seine Scla-ven thun oder wozu er sie bestimmt? Eine Heiligkeit oder Unterscheidung in einem Geschöpf anzunehmen, ist ein Eingriff in die Alles absorbirenden Rechte des Schöpfers, und weder Rang noch Stellung kann etwas nützen, wo das Thier und der Erzengel, Himmel und Hölle alle gleich sind vor und unter dem unbewegten und unzugänglichen Einem. Dass Mohammed so dachte und demgemäss handelte, wo irgend diese ketzerischen Abweichungen zu seiner Kenntniss kamen, erkannte der Sohn 'Abd-el-Wahhäb's sehr wohl und folgerte daraus sehr richtig, dass Mohammed analoge Corruptioneu und Zusätze späterer Zeiten mit gleichem Abscheu angesehen und mit nicht geringer 371 Strenge getadelt haben würde. Wenn aber der theoretische Schluss unvermeidlich war, so war die praktische Anwendung nicht weniger klar. Folglich, so schloss der wabhabitische Reformator, musste die Richtschnur nach dem Leben Mohammeds selbst gezogen werden und derer, welche wegen ihrer genauen und persönlichen Verbindung mit diesem wie als Eins mit dem Propheten angesehen werden müssen: die Epoche der Sahhäbah war der äusserste Rubicon alles dessen, was der Islam billigen und zulassen konnte; Alles, was über diese hinausgeht, ist ihm unvereinbar und feindlich. Mit dem Muthe, der einer grossen, wenn nicht einer guten Sache würdig war, beschloss Mohammed-ebn-'Abd-el-Wah-häb sein übriges Leben der Wiederherstellung dieses ursprünglichen Bildes des Islam zu widmen, des Islams Mohammeds, der Sahhäbah, und nun seines eigenen; überzeugt, dass dies allein der wahre, nicht irrende, vom Himmel offenbarte Pfad sei und Alles ausser diesem nur menschlicher Zusatz und, nach Lord Bacons berühmtem Ausdrucke, Götzen der Gruft. Falsch, unvermeidlich fälsch in seinem Ausgangspunkte, hatte er in allem Uebrigen recht und war eben so scharfsichtig in seinen Wahrnehmungen, richtig in seinen Folgerungen und ehrlich in seinen Absichten. Consequenz, obwohl nicht immer tugendhaft, ist wenigstens ehrenwerth; und zu welcher Religion sich immer ein Mensch bekennen mag, so ist es sicher lobenswerther an ihm, sie für das zu halten, was sie in der That ist, und demgemäss zu handeln, als sich mit einem verfälschten Dogma und unvollkommener Ausübung zu begnügen. Auch kann ein Mohammedaner, als solcher, nur gelobt werden, wenn er die authentische Religion Mohammeds im Auge hat und befolgt. Die Stellung, welche der Wahhabf im Mohammedanismus einnahm, und das eigentliche Wesen des Mohamraedanismus selbst werden meinen Lesern noch deutlicher werden, wenn sie mir erlauben wollen, obwohl auf die Gefahr, diese Abschweifung noch etwas zu verlängern, noch einer unrichtigen Vorstellung zu gedenken, welche durch einen eben so incorrecten Ausdruck erweckt wird, den man jedoch über diesen Gegenstand oft anwendet. Mehr als ein Schrift- steller hat bei Behandlung dieser Phase des Islam den Ausdruck „mohammedanischer Protestantismus" gebraucht und sie mit der religiösen Bewegung unseres sechzehnten Jahrhunderts verglichen, die wir als die Reformation kennen. Nur ist die Sache die, dass zwischen dem wechselseitigen Verhältnisse des Mohammedanismus und Wah-habäismus auf der einen Seite und des Christenthums im Allgemeinen 372 und dem Protestantismus (ich gebrauche die Worte so, der Verglei-chung wegen) auf der andern Seite, keine wirkliche Parallele besteht, und die sehr geringe Analogie, welche man ziehen kann, eingebildet und täuschend ist. Die Fälle sind ganz verschieden, auch ist die Erklärung nicht weit zu suchen. Der Wahhabi - Reformator bildete den Plan, den Stundenzeiger des Islam auf seinen Ausgangspunkt zurückzustellen, und in so fern that er wohl, denn dieser musste zuerst festgestellt werden. Der Islam ist in seinem ganzen Wesen stationär, und ward so gebildet, um so zu bleiben. Steril, wie sein Gott, leblos, wie sein erstes Prin-eip und höchstes Original in Allem, was wahres Leben ausmacht — denn Leben ist Liebe, Theilhabuug und Fortschritt, und von diesen hat die koranische Gottheit nichts — verwirft er folgerecht alle Veränderung, allen Fortschritt, alle Entwickelung. Um Lord Haughtons eindringliche Worte zu gebrauchen: „das geschriebene Buch" ist hier „die Hand des Todten", steif und regungslos; was nur irgend einen Beigeschmack von Leben hat, wird dadurch allein als Ketzerei und Abfall bewiesen. Aber das Christenthum mit seinem lebendigen liebenden Gotte, dem Erzeuger und Erzeugten, Geist und Bewegung, ja, noch mehr, einem Geschöpf gewordenen Schöpfer, dem Urheber und dem in dem Einen zur Existenz Gelangten, ein Gott, der sich mittheilt in ununterbrochener Stufenfolge, von der innerlichsten Vereinigung bis weit ab zu der schwächsten Ausstrahlung, durch Alles, was Er aus Liebe gemacht hat und in Liebe regiert; Einer, der seine Geschöpfe nicht Sclaven nennt, nicht Diener, sondern Freunde, ja Kinder, sogar Götter — mit einem Worte, eine Religion, in deren Siegel und Ge-heimniss „Gott in dem Menschen Eins ist mit dem Menschen in Gott", muss auch nothwendig eine Religion des Lebens, des Fortschreitens, des Vorwärtsbringens sein. Der Contrast zwischen ihr und dem Islam ist wie Bewegung gegen Stillstand, Theilhabung gegen Sterilität, Entwickelung gegen Kahlhcit, Leben gegen Versteinerung. Das erste Lebensprincip und der beseelende Geist ihrer Geburt muss in der That immer derselbe bleiben, aber die äussere Form muss wechseln mit der wechselnden Zeit und neue Schösslinge von frischem Saft und Grün müssen beständig austreiben als Zeugnisse der Innern Lebenskraft, sonst wäre der Weinstock verdorrt und die Reben abgestorben. Ich habe hier nicht die Absicht, was auch durchaus nicht an seinem Platze wäre, auf die Irrwege der Controverse einzugehen, oder zu erörtern, ob ein dogmatischer Versuch, die religiöse Phase eines frühern Zeitalters wieder herzustellen, Wahrscheinlichkeit des Erfolgs habe. Ich sage nur, dass das Leben Bewegung und Wachsthum voraussetzt, welche beide Veränderung in sich schliessen; 373 dass es absurd ist, ein lebendiges Ding wegen Wachsthums und Ver- änderung zu tadeln, und dass der Versuch, es daran zu hindern, indem man es auf einem geschriebenen Pergament festmacht oder in eine willkürliche Form zwängt, nichts Anderes ist, als es ganz tödten. Nun ist das Christenthura lebendig, und weil es lebendig ist, muss es wachsen, vorwärts schreiten, sich verändern und dies war von Anfang an seine Bestimmung; aufwärts und vorwärts ist eine Bedingung seiner Existenz selbst, uud ich kann nicht anders, als denken, dass Diejenigen, welche dies nicht anerkennen, zeigen, dass sie die wahre Natur und das Wesen des Christenthums nicht erkennen. Der Islam hingegen ist leblos, und weil er so ist, kann er nicht wachsen, nicht vorwärts schreiten, sich nicht verändern, und es war nie die Absicht, dass er dies thun solle; Stillstand ist sein Motto und seine wesentlichste Bedingung, und deshalb hatte der Sohn 'Abd-el-Wah-häbs, indem er sein Möglichstes that, ihn auf seine ursprüngliche Einfachheit zurückzuführen und den Ausgangspunkt desselben zu dem Endziele zu machen, in sofern ganz recht und zeigte, dass er mit der Natur und den ersten Principien seiner Religion wohl bekannt war. Diese Bemerkungen mögen auch, indem sie den Negdäischen Reformator und seine Reform vor falsch angewendeten Parallelismen schützen, dazu dienen, eine noch klarere Idee vom Islam und dessen wahbabitischer Wiederbelebung zu geben. Irrthum war diese allerdings, aber ihr Irrthum lag ausschliesslich und unvermeidlich in den angenommenen Prämissen, keineswegs in den Folgerungen. Mit einem Kopfe, der von seinem Project voll war, und einem Herzen, welches darnach strebte, dieses in Ausführung zu bringen, kehrte Mohammed der Wahhabi in sein Vaterland Neged zurück, nach einer Abwesenheit, wie es heisst, von • sechs Jahren, die er zum grössten Theil in Damaskus zugebracht hatte. Central-Arabien war um diese Zeit unter unzählige Häuptlinge getheilt, unter denen die mächtigsten Ebn-Ma'ammer zu 'Ejänah in Wadi Hanifah, und Da'äs an einer wichtigen Localität von Manfühah in Kharg. Aber diese, wie alle anderen standen in einer Art Unterthanenverhältniss zu Ebn-Muflik, dem Nachfolger der karmathischen Fürsten in Katif und Hasa. Fast jede Spur des Islam war längst aus dem Neged verschwunden, wo der Dienst der Gann unter grossen Bäumen oder in höhlenartigen Schluchten des Gebel Towejk nebst Anrufung der Todten und Opfern auf deren Gräbern mit den Ueberresten des alten Sabäischen Aberglaubens verschmolzen war, nicht ohne positive Spuren der Lehren Mosejlemah's und Kermuts. Der Koran wurde nicht gelesen, die fünf täglichen Gebete waren vergessen und Niemand kümmerte sich darum, wo Mekka lag, ob nach Osten oder nach Westen, Norden oder Süden; Zehnten, Abwaschungen und Wallfahrten waren Dinge, von 374 denen man nichts hörte. Dies war der politische und religiöse Stand des Landes, als der Wahhabi ankam, entschlossen, die Tage des Propheten und der Sahhäbah unter seinen abtrünnigen Landsleuten wieder herzustellen. Der Erfolg rechtfertigte seine Hoffnungen. „Greif den Fisch an seinem Kopfe" ist ein gewöhnliches, aber schlaues arabisches Sprichwort; diesem Rathe gemäss verliess Mohammed seinen Geburtsort Horejmelah und liess sich in dem bedeutenden Orte 'Ejänah nieder, unter dem unmittelbaren Schutze des dortigen Herrschers Ebn-Ma'ammer. lieber die vergangene Grösse von 'Ejänah und der Tyrannei seiner Häuptlinge gehen in Neged viele und übertriebene Erzählungen. 80 hörte ich erzählen, wenn an einer Grenze ein Krieg war, rief Ebn-Ma'ammer die ganze waffenfähige Mannschaft seiner Hauptstadt zusammen und gab Anweisung, dass Jeder, der seines Handwerks ein Sehmied war und sich in der Armee befand, beim Ausmarsch der Truppen eine bleierne Kugel an das Stadtthor werfen sollte; die Kugeln wurden dann gesammelt und gezählt und es fand sich, dass in 'Ejänah allein über sechshundert Schmiede waren. Aber abgesehen von diesen und ähnlichen Ueber-treibungen, so ist doch sicher, dass 'Ejänah damals die erste Stadt in Neged war und wahrscheinlich an Grösse und Einwohnerzahl keiner der heutigen Städte nachstand; ihre Ruinen wenigstens, welche an Ausdehnung selbst die von Derej'ijah übertreffen, scheinen davon Zeugniss zu geben. Ganz nahe der Stadtmauer stand ein Denkmal, welches die Stelle bezeichnete, wo ein gewisser Sa'ad, ein mythischer Held aus alter Zeit, begraben sein sollte. Dieses Grabmal war der Gegenstand der höchsten Verehrung des Volks, das Palladium der negdäischen Hauptstadt; hier wurden Sa'ad Opfer gebracht und alle religiöse Verehrung erwiesen. Genug, um auch ein trägeres Gemüth als das des Wahhabitischen Apostels aufzuregen. Aber Mohammeds Eifer, obwohl glühend, war nicht unüberlegt und er verstand sehr wohl, die langsame Entwickelung grosser Zwecke mit Geduld und Klugheit zu ertragen. In dem Hause, wo er jetzt seine Wohnung nahm, an der Seite des Marktplatzes, führte er lange Zeit ein ruhiges und fast zurückgezogenes Leben und suchte sich 375 weder durch Dogmatismen, noch auf andere Weise von seiner Umgebung auszuzeichnen. Sein persönlicher Charakter und seine auf Reisen erworbene Erfahrung gewannen ihm bald den guten Ruf und die Achtung, welche Gelehrsamkeit und Ernst, in Verbindung mit einer beredten und dabei klugen Sprache, in Arabien fast immer zur Folge haben, namentlich wenn solche Eigenschaften noch ausserdem durch wirklichen Reichthum gestützt werden. Alle kannten und achteten ihn und Ebn-Ma'ammer selbst freute sich, ihm Ehre erweisen zu können. Endlich fühlte Mohammed, dass der Augenblick gekommen sei, wo er versuchen konnte, seinen grossen Plan ins Werk zu setzen, und die Gelegenheit bot sich. Eines Abends, als er auf dem Dache seines Hauses sass und auf den Marktplatz herabschaute, ging unten ein Mann vorbei, der sein Kamel verloren hatte und mit lauter Stimme den Schutzpatron der Stadt oder Halbgott Sa'ad anrief, ihm sein verlornes Thier wieder zu schaffen. „W' lemä la tedaa'ö bi rabb' is-Sa'ad?" „Warum rufst Du nicht lieber den Gott Sa'ads an?" rief der Wahhabi mit einer Stimme, die nicht nur der Mann unten hören konnte, sondern Alle, die auf dem Markte und in den Strassen hin und her gingen. Eine so ungewöhnliche Sprache — denn Aehnliches war seit Jahrhunderten in 'Ejänah nicht gehört worden — musste Aufsehen erregen und Untersuchung und Controverse und was sonst die gewöhnlichen Folgen sind, blieben nicht aus. Das Eis war gebrochen, das Schiff war vom Stapel gelassen und bald theilten sich die Einwohner von 'Ejänah in zwei Parteien, eine für Sa'ad, die andere für den Islam, während jeder Tag die Zahl und den Eifer der Schüler des neuen Lehrers mehrte. Ebn-Ma'ammer kümmerte sich nicht um diese Dinge und schien die religiöse Gährung, die um ihn herum vor sich ging, gar nicht zu bemerken. Einige Vornehme der Stadt aber, die an ihren alten Sitten und Gewohnheiten besonders fest hingen, sahen die Sache in einem richtigem und ernstern Lichte an. Nachdem sie mehrmals, aber vergeblich, versucht hatten, Ebn-Ma'ammer aus seiner Unthätigkeit zu erwecken, brachten sie bei Ebn-Muflik in Katif das schnelle Wachsthum der neuen Lehre und die strafwürdige Nachlässigkeit des localen Häuptlings zur Anzeige und zeigten auf die Gefahr einer Wiederbelebung des Islam hin, nicht nur in 'Ejänah, sondern im ganzen Neged. Ebn-Muflik hasste den Mohammedanisnius, wie ihn nur ein Karmathe hassen kann. Er liess sogleich an Ebn-Ma'ammer Befehl ergehen, der neuen Lehre Einhalt zu thun und den Verkünder derselben 376 zur Haft zu nehmen, und drohte ihm mit seinem schlimmsten Zorne, wenn er den Wahhabi noch weiter begünstige. Aber anstatt dem Befehle vollständig nachzukommen, wodurch die Flamme wahrscheinlich hätte im Entstehen erstickt werden können, griff Ma'ammer zu einer jener halben Massregeln, die jederzeit und überall das Feuer nur anfachen. Er liess Mohammed wissen, dass er ihn nicht länger beschützen könne, und rieth'ihm, um der Gefahr der Verhaftung und deren Folgen zu entgehen, zu rechter Zeit sein Gebiet zu verlassen. Diese scheinbare Niederlage war in der That der Wendepunkt zum Glücke des Wahhabi und er nahm die Gelegenheit wahr. Nur sechs Stunden von 'Ejänah entfernt, aber in einer andern Verzweigung des Wadi Hanifah lag die Festung Derej'ijah, der eine grosse Berühmtheit und ein schrecklicher Untergang bestimmt war. Hier lebte, von einer kleinen, aber kräftigen Bevölkerung umgeben, Sa'üd, Sohn des 'Abd-el-'Aziz, eines Sohnes des altern Sa'üd, des ersten Häuptlings des Distrikts, der von den 'Anezah abstammte — nicht den syrischen 'Anezah, sondern einem Zweige der grossen Familie Rabi'aä'l-Feres, nahen Verwandten von Wä'il und Taghieb. Der damalige Herrscher, Sa'üd-eth-Thäni, oder der zweite, war jung, beherzt und stark durch die Treue seiner Verwandten und Anhänger. Zwischen Ebn-Ma'ammer nördlich und Da'äs südöstlich, war er beiden ein Gegenstand der Eifersucht, und seine Herrschaft war von Seiten seiner mächtigen und ihm missgüustigen Nachbarn grossen Gefahren ausgesetzt. An Sa'üds Thore stieg Mohammed ab und rief dessen Schutz an, den ein arabischer Häuptling selten einem Flüchtigen und Bittenden versagt. Aber ihre gegenseitige Stellung war bald eine andere und Sa'üd sah den Flüchtling bald mit anderen Augen an, als der Wahhabi, im Vertrauen auf den Feuereifer und den umfassenden Geist seines jungen Beschützers, diesem einen für das Diesseits und das Jenseits folgereichen Plan vorlegte, dessen Natur und Hilfsquellen erklärte und mit den Worten schloss: „Gieb mir Dein Wort, dass Du die Sache Gottes zu der Deinen und das Schwert des Islam zu Deinem Schwerte machen willst, und ich gebe Dir mein Versprechen, dass Du vor Deinem Tode der einzige Monarch von Neged und der erste Machthaber in Arabien sein sollst." Wie abenteuerlich auch ein solches Versprechen Jedem erschei-377 nen mag, der den Orient und seine Bewohner nicht kennt, so erkannte doch Sa'üd die Möglichkeit der Erfüllung desselben und ging ohne Zaudern auf das Anerbieten ein. Er bekannte sich zum Islam in dessen ganzer Reinheit „unter der Hand" nach dem arabischen Ausdrucke, d. i. unter der Leitung des Wahhabi, den er von nun an zu seinem einzigen Rather und Führer nahm. Das Beispiel dos Häuptlings fand natürlich bei allen seinen Verwandten und Anhängern Nachahmung. Dies geschah um das Jahr 1760. Mit dem Enthusiasmus eines Proselyten und dem Ehrgeize eines Eroberers trat Sa'üd nun als Apostel der neuen Lehre und als Schwert des Islam auf. Im Namen Gottes und des Islam griff er einen seiner ungläubigen Nachbarn nach dem andern an oder schlug ihre Angriffe siegreich zurück und griff sie unmittelbar darauf selbst wieder an, Allen, die er überwand, eben so wie der Prophet von Mekka, nur die Wahl zwischen dem Koran und dem Schwerte lassend. Der Schwächere muss dem Starken gegenüber sich beugen oder brechen; Sa'üd fügte jedes Jahr dem Gebiete von Derej'ijah ein neues Stück und der wahhabitischen Faction eine neue Anzahl Mitglieder zu. Dabei kam seinem Fortschritt das Sinken und der Fall von 'Ejänah noch besonders zu statten; ein Ereigniss, das, soviel ich erfahren konnte, nicht durch Krieg oder feindliche Intrigue zu Wege gebracht wurde, sondern durch innere Ursachen, und den Verfall, der früher oder später immer die Folge schlechter Regierung und des Despotismus ist. Das Ereigniss selbst ist historisch, aber die negdäischen Geschichtsschreiber haben es mit einer volkstümlichen Legende in Verbindung gebracht, die ich hier mittheile, weil sie die arabische Denkweise zeigt, obwohl ich ihr sonst keinen weitern Werth beilege. Man erzählt: Eines Morgens, als Ebn-Ma'ammer auf die Jagd ritt, von einer Schaar Edler und Garden begleitet, begegnete ihm am Stadtthor ein armer Knabe, der einzige Sohn einer Witwe, der auf dem Rücken ein Bündel Holz trug, das er gesammelt hatte, um es auf dem Markte zu verkaufen. Ebn-Ma'ammer hatte ein neues, noch unversuchtes Schwert am Gürtel. Als er des Knaben ansichtig wurde, wandte er sich zu seinem Gefolge und fragte mit grausamem Scherz, ob er seine Wade an dem Bauer versuchen solle. Nicht eine einzige Stimme erhob sich gegen ein so grausames Beginnen; der Häuptling liess sein Pferd einen Sprung vorwärts thun, zog das Schwert und streckte den Unglücklichen mit einem Hiebe zu Boden. Die be-378 jährte Mutter des unglücklichen Opfers hatte die Grausamkeit aus einer geringen Entfernung angesehen. Sie kam herbei, stellte sich vor das Pferd des Tyrannen und rief mit emporgehobenen Händen die Rache des Himmels auf Ebn-Ma'ammer und sein ganzes Geschlecht herab. Von Stunde an, so sagt die Tradition, versiegten die Brunnen im ganzen Thale, die Gärten vertrockneten und noch vor Ablauf eines Jahres kam der Häuptling mit seiner ganzen Familie elendiglich um; die Bewohner von 'Ejänah zerstreuten sich über das Land und Hessen ihre in Ruinen gefallene Hauptstadt als ein dauerndes Denkmal des Verbrechens und der Bestrafung. Wir werden später eine ganz ähnliche, aber, wie ich nicht phne Grund annehme, glaubwürdigere Erzählung in der Geschichte der wahhabitischen Könige finden. Gegen Da'äs, den Despoten von Jemämah, führte Sa'üd einen langen und zweifelhaften Krieg. Endlich siegte der Islam und das südliche Neged war eine Zeitlang ganz unterworfen. Auch hier fehlt in der arabischen Erzählung der Ereignisse nicht der deus ex machina, und die endliche Niederlage und Unterwerfung des Feindes wird einem wunderbaren Erdbeben zugeschrieben und dem Schrecken, welchen dieses in dem Heere der Ungläubigen hervorbrachte. Da'äs floh nach Katif, wo er starb. Mittlerweile war auf Ebn-Muflik in der karmathischen Fürstenwürde dessen Sohn 'Arär gefolgt. Dem ewigen Hasse getreu, den seine Sekte gegen die Bekenner Mohammeds hegte, schickte er mehr als ein zahlreiches Heer, um den neuen Islam zu zermalmen, und kam, wenn die Erzählung richtig ist, einmal in eigner Person in das Neged, um Derej'ijah zu belagern. Ueber die näheren Umstände dieses entscheidenden Kampfes zwischen Sa'üd und 'Arär konnte ich nichts erfahren, was der Erwähnung Werth schien. Nach einer blutigen und vollständigen Niederlage soll 'Arär ganz allein durch die Wüste Dahnä entkommen sein, deren Sand Alles verschlang, was von seiner Armee dem Schwerte des Wahhabiten entgangen war; er verschanzte sich in seiner Festung Katif, wo er bald darauf vor Kummer starb. Seine Verwandten aber verteidigten die Stadt und führten die Herrschaft im Namen der Familie fort. Als Sa'üd die Centraiprovinzen unterworfen hatte, wendete er seine Waffen auch gegen entferntere und reichere Gegenden; Kasim und Hasa, Dowäsir und Selejjel wurden von ihm dem wahhabitischen Reiche zugefügt, obwohl Katif und dessen karmathische Besatzung während seiner Regierung noch Widerstand leisteten. Aber bis auf diese einzige Ausnahme war das ganze Land zwischen den Grenzen des Gebiets von Mekka und dem persischen Meerbusen dem Häuptlinge von Derej'ijah unterworfen, und als er nach fünfzig Jahren starb, war das Versprechen, welches ihm Mohammed-ebn-'Abd-el-Wah- 379 hab gegeben, vollständig erfüllt. Sa'üd hinterliess seinen Söhnen die unbestrittene Oberhoheit über das innere Arabien und einen in der ganzen Halbinsel geachteten, ja selbst gefürchteten Namen. Hier lassen wir einstweilen die Geschichte der Dynastie Sa'üds und kehren zu der eigentlichen Triebfeder dieser merkwürdigen Ereignisse, Mohammed Wahhabi, zurück. Dieser grosse Maun, denn diesen Namen verdient er, brachte die letzten Jahre seines Lebens in Derej'ijah zu und unterstützte durch Wort und Schrift das Schwert Sa'üds. Er schrieb mehrere Abhandlungen, von denen ich selbst einige gelesen habe, deren unveränderliches Thema die Auseinandersetzung und Beweisführung der seiner Secte charakteristischen Lehren ist, Abhandlungen, die ein Supralapsarier vielleicht mit Erbauung lesen und ein Antinomer beinahe für Acten der Synode von Dort halten konnte. Er nahm jedoch nie eine politische Stellung ein oder masste I. 19 sich das Recht an, wenigstens nicht direkt, sich in Staatsgeschäfte zu mischen, und starb, zufrieden mit der Stellung eines Herrn in Israel und der Achtung, die ihm von Allen bis zu seinem letzten Augenblicke erwiesen wurde, noch vor seinem Beschützer, in Derej'ijah Er hinterliess mehrere Söhne, deren Namen ich öfters gehört habe. Sein Enkel, 'Abd-er-Rahmän, lebt noch, obwohl altersschwach, in Riad wo ich ihn mehr als einmal gesehen und mit ihm gesprochen habe. 'Abd-el-Latif, der Sohn 'Abd-er-Rahmäns uud Urenkel des Stifters der Sekte, ist gegenwärtig Kadi in der Hauptstadt; er ist ein Mann in den Vierzigen und glücklich in einer zahlreichen Familie, mit der wir später, ebenso wie mit 'Abd-el-Latif, genauere Bekanntschaft machen werden. Der Vater 'Abd-er-Rahmäns, 'Abd-Allah, Sohn des Mohammed Wahhabi, soll bei der grossen Niedermetzelung der neg-däischen Lehrer auf Befehl Ibrahim Pascha's, im Jahre 1818, umgekommen sein. Die ganze Familie hat immer die höchsten richterlichen und kirchlichen Stellen im wahhabitischen Reiche inne gehabt und grosse Reichthümer aufgehäuft, wir wollen hoffen, nur durch ehrliche Mittel. Ihre Mitglieder, die es nicht für zweckmässig hielten, in dieser Beziehung die Bescheidenheit ihres grossen Vorfahren nachzuahmen, üben einen vorherrschenden Einfluss im Staate, und obwohl sie nie 380 Titel führen, welche rein bürgerlichen oder militärischen Behörden zukommen, so sind sie doch eigentlich die Beherrscher des Beherrschers des Landes, und die Fürsten von der Dynastie Sa'üds wagen es nicht, ihnen zu widersprechen, selbst in Sachen der Politik oder des Krieges. Wir müssen aber bald wieder auf diesen Gegenstand zurückkommen, jetzt ist es Zeit, denselben auf einige Zeit zu verlassen und die Erzählung unserer Reise wieder aufzunehmen, die in Horejmelah, der Vaterstadt Mahommed-ebn-'Abd-el-Wahhäbs, unterbrochen wurde. Unsere Gesellschaft blieb bis spät in die sternhelle Nacht beisammen; der persische Nä'ib und seine Satelliten begaben sich zur Ruhe, Abu 'Ejsa und wir aber blieben noch, um den Reden Be-tähs zuzuhören und ihn von einer Erzählung auf die andere zu bringen. Wie die meisten Negdäer verband er mit der angebornen Beredtsamkeit eine grammatische Reinheit der Sprache und Barakät musste hier, wie oft auf unserer Reise, zugestehen, dass weder der in Zahleh, noch der in Damaskus gesprochene Dialect, selbst unter den Gebildetsten und welche die meisten Ansprüche machen, im Vergleich mit der Sprache von Neged den Namen Arabisch verdiene. Am nächsten Morgen setzten wir unsere Reise fort, von Betähs Leuten begleitet, die uns bis an die Grenze der Provinz bringen sollten. Diese war nicht weit, und lange vor Mittag kamen wir auf eine von Mergel weisse Ebene, eine Ausweitung der Schlucht, durch die wir heraufgekommen waren, und sahen die kleine Stadt Sedüs vor uns, die nördliche Grenze des 'Aared und Schauplatz mehrerer Scharmützel während des ägyptischen Krieges. Hier verliessen wir das tiefer gelegene Land mit den breiten, aber in Umwegen führenden Strassen, um einem geraden Durchschnitte durch das Gebirge zu folgen, der so steil aufwärts führte, dass die Kamele grosse Mühe hat- ten hinaufzukommen, und erreichten ein TafelÄfd von bedeutender Höhe, wo jedoch noch viel Gras und Sträucher wuchsen. Der Horizont war gegen Osten noch durch das Towejkgebirge selbst begrenzt, gegen Süden und Westen aber ziemlich frei. Unsere Tagereise war lang und wir zogen munter, aber schweigend weiter, bis wir spät am Nachmittag an einem kleinen Gebüsch Halt machten, Feuer anzündeten und ein kleines Mahl bereiteten. Als wir wieder aufbrachen, war es beinahe Abend, aber noch vor Sonnenuntergang erreichten wir- den südlichen Rand der Höhen und wandten uns dann eine halbe Stunde lang auf einem schmalen Pfade hin, wo wir das Wadi Hanl-fah tief unter unseren Füssen hatten. Dann kam ein langer und schwieriger Weg abwärts in das Thal, wo an dem steilen Fusse des 3Si Berges ein überhängender Felsen einen grossen tiefen Teich mit klarem Wasser beschattete, an dem wir uns Alle erlabten, denn der Tag war heiss gewesen und seit wir Sedüs verlassen, hatten wir keinen Brunnen zu Gesicht bekommen. Nun wandten wir uns in südwestlicher Richtung durch das Thal. Die ersten Schatten der Nacht brachen herein, als wir uns in den Ruinen von 'Ejänah befanden. Ueber eine halbe Stunde weit war der Weg von verfallenen Mauern durchbrochen, den Ueberresten von Thürmen und Palästen. Verstümmelte Palmbäume und Reihen von Ithel waren noch von den ehemaligen Gärten übrig und dazwischen vertrocknete Brunnen und verschüttete Cisternen. Kein lebendiges Wesen begegnete uns, als wir zwischen diesen Reihen von Schutthaufen dahinzogen, den Ueberresten früherer Strassen, und an dem einsamen Marktthore vorbeikamen, das noch stand. Ich wundere mich nicht, dass die Araber eine solche Verwüstung dem Fluche einer Witwe zuschreiben, der fürchterlich gewesen sein muss. Gewiss, die Ruinen von Nineveh und Ktesiphon schienen mir kaum mehr durch die Nemesis der Tyrannei und des Verbrechens gekennzeichnet, als die Trümmer von 'Ejänah. Es ist merkwürdig, dass Ibrahim Pascha, in Betracht der vortheilhaften Lage der Stadt, und vielleicht, um dem Einflüsse Derej'ijahs durch Wiedelbelebung der alten Eifersucht ein dauerndes Gegengewicht zu setzen, es versuchte, den Ort wieder neu aufzubauen und zu bevölkern; er reinigte die alten Brunnen und grub neue und stellte Arbeiter und Mechaniker an, aber Alles vergebens; der Fluch war zu stark für ihn und er musste die jetzt wasserlose Stelle der bleibenden Verödung überlassen. Wadi Hanifah ist hier eine gute Stunde breit und reich mit Bäumen und Sträuchern bewachsen; an den steilen Seitenwänden finden sich zahllose Höhlen, in denen Wölfe und Hyänen hausen; auch Rothwild giebt es hier in Menge. Um die Windungen des Haupt-thales zu vermeiden, verliessen wir dasselbe und schlugen bald hinter 'Ejänah einen Seitenweg ein, nicht ohne einige Gefahr, uns im Dunkeln zu verirren, bis wir endlich Alle, des mühsamen Weges durch Sand und Felsen, Dornen und Ithel müde, darauf bestanden, Halt zu machen. Abu 'Ejsa, der unermüdlichste Führer, der nicht leicht geneigt war, Andern eine Müdigkeit zu erlauben, die er selbst fast nie zu fühlen schien, musste endlich unserem billigen Verlangen nach- 882 geben. Wir zündeten Feuer an, ein praktischer Wink für alle unsere Nachbarn mit Klaitf^ und Zähnen, uns nicht zu nahe zu kommen und legten uns zur Ruhe nieder. Der unbarmherzige Abu 'Ejsa benutzte eine erheuchelte Verwechselung des aufgehenden Mondes mit der Morgenröthe, um uns zwei bis drei Stunden vor Tage wieder zu wecken. Einmal munter ergaben wir uns darein, den Marsch fortzusetzen, und kamen bald wieder in der Nähe des kleinen Ortes Rowdah in das Wädi Hanifah. Hier war im ersten Jahrhundert des Islam der Schauplatz des grossen Kampfes zwischen Khälid-ebn-Walid, „dem Schwerte des Glaubens", und Mosejlemah, dem Propheten des Neged, und hier sicherte der Tod dieses Letztern den Triumph des Islam über Arabien. Die Geschichte Mosejlemah's ist bekannt. Etwa um dieselbe Zeit geboren wie Mohammed, masste er sich in Neged den Titel eines Propheten an, den sein Zeitgenosse bereits im Hegäz in Anspruch genommen hatte, und wurde von seinen östlichen Landsleuten als der authentische Gesandte Gottes anerkannt, nicht weniger als sein Nebenbuhler von der westlichen Küste. Mosejlemah suchte zuerst das Bündniss und die Mitwirkung des Hegäzers, fand aber verächtliche Zurückweisung von Seiten der selbstbewussten Superiorität. Von da wandte er alle Mittel der Beredtsamkeit und Satire an, um Mohammed und dessen Buch in den Augen der Negdäer verhasst und lächerlich zu machen, was ihm auch vollständig gelang. Jedesmal, wenn ein neues Kapitel oder Sure des Koran erschien, das Gabriel vom Himmel brachte, erwartete dasselbe eine burleske Nachahmung, das Werk des Mosejlemah. Ich habe während meines Aufenthalts in Neged manche solcher lächerlichen Stücke recitiren gehört, die sich noch durch die Tradition erhalten haben; aber, wie die meisten Parodien, verdienten sie wenig, dem Gedächtnisse eingeprägt zu werden, und waren zum Theil sehr plump. Die Lehren Mosejlemah's scheinen etwas von dem gehabt zu haben, was wir eine socialistische Tendenz nennen könnten, und, obwohl vielleicht der Civilisation und dem Fortschritte günstiger als die Lehre Mohammeds, mögen sie doch Denen, welche sie befolgten, weniger Anschein von Anstand und oberflächlicher Sittlichkeit geboten haben. Sie waren eine mildere Form der Schule, welche drei Jahrhunderte später die karmathische genannt wurde; sie verwarfen den Fatalismus, enthielten eine verworrene Idee der Incarnation und verliehen ihren Predigern und Lehrern halb und halb den Charakter 383 eines Vermittlers; aber die Geschichte, oder Verleumdung, schreibt ihnen und ihrem Verbreiter die Freiheit ungezügelter Sittenlosigkeit und positive Ermunterung zur Sinnlichkeit zu. Wenn Persönlichkeiten einer weit entrückten Zeit nur durch ihre Gegner bekannt sind, so ist es schwer, hinsichtlich ihrer Meinungen und ihrer Person die Wahrheit zu erkennen. So war Richard III. vielleicht in der That ein „wunderbar eigentümlicher Mann" und Cromwells Nase nicht so roth und unförmlich, wie einige Geschichtsschreiber beliebt haben, sie zu machen. Während die Sachen so standen, erschien im südwestlichen Arabien noch ein dritter Betrüger; dies war aber eine Frau, Namens Shegäh. Sie fand auch Glauben bei ihren Nachbarn und hatte in Jemen einen grossen Anhang. Da sie aber fühlte, dass es für eine Frau nicht gut sei, in einem bevorstehenden Streite, wo das Schwert nicht weniger entscheiden sollte, als der Glaube, allein zu stehen, so kam sie der Schwierigkeit zuvor, indem sie mit Mosejlemah in einen Briefwechsel trat; ein zärtlicheres Gefühl milderte bald die Härte der Controverse, und die Einigung des Glaubens wurde durch das Band der Ehe noch fester geschlossen. Die unmittelbare Folge dieses Ehebündnisses war ein bedeutender Machtzuwachs für Mosejlemah oder den Lügner, wie Mohammed ihn nannte, ein Name, der ihm geblieben ist; und der Lügner von Mekka hielt es nicht für klug, sich mit den vereinigten Lügnern von Riad und Jemen mit den Waffen zu messen. Acht bis zehn Jahre blieb Mosejlemah im ruhigen Besitz seines negdäischen Vorrangs. Als aber ausgedehnte Eroberungen die Krieger von Hegäz geschult und wiederholte Siege ihren Muth auf die höchste Spitze getrieben hatten, gab Abu-Bekr, damals Khaliph, Khälid und seinen Truppen den Befehl, Mosejlemah zu einer entscheidenden Wahl zwischen dem Koran oder dem Schwerte seines Nebenbuhlers zu zwingen. Der Krieg, von beiden Seiten durch religiösen Eifer und Nationalhass angefeuert, war hartnäckig und blutig. Khälid erkämpfte sich Schritt für Schritt seinen Weg im Wadi Hanifah aufwärts, bis nach Rowdah, wo Mosejlemah mit seinen besten Truppen eine feste Stellung genommen hatte und 'Ejänah, Derej'ijah, Riad und Jemämah deckte. Das Heer der Negdäer war so furchtbar, dass Khälid selbst einen ganzen Tag und Nacht gezaudert haben soll, ehe er einen Angriff wagte, von dem ihm sein Kriegsrath einstimmig abrieth. Am zweiten Morgen aber kehrte sein gewöhnlicher Muth zurück und er gab seinen Leuten Befehl zum Angriff. Das Treffen währte bis zum Sonnenuntergang. Mosejlemah selbst fiel im 384 Kampfe und mit ihm eine zahllose Schaar seiner Krieger; die Sieger verloren nicht weniger als vierhundert, wenn das Gerücht wahr ist, der mit dem Titel Sahhäbah oder persönliche Gefährten des Propheten geehrten, ausser einer weit grössern Anzahl anderer Krieger. Mit Mühe nur konnte der Leichnam Mosejlemah's unter den vielen Erschlagenen aufgefunden werden; sein Kopf wurde abgehauen und Khälid überbracht, der ihn auf einen Spiess pflanzen und öffentlich ausstellen liess, damit unter Feinden und Freunden kein Zweifel mehr bleibe über den Tod des unglücklichen Propheten. Hierauf marschirte er nach Riad, der Vaterstadt Mosejlemah's und damals, wie jetzt, Hauptstadt, entschlossen, die Einwohner alle über die Klinge springen zu lassen. Die Bürger aber, denen der Verlust, welchen ihre Angreifer erlitten hatten, eben so bekannt war, wie deren Grausamkeit, nahmen zu einer wohlberechneten Kriegslist Zuflucht, um günstigere Bedingungen der Uebergabe zu erlangen. Alle Schwerter und Lanzen, die sich noch irgend in dem Zeughause zu Riad vorfanden, wurden hervorgeholt und Frauen und Kindern, Alten und Kranken in die Hände gegeben und die schwache Menge, so kriegerisch ausgestattet, ringsum auf den Mauern und an den Thoren der befestigten Stadt aufgestellt. Khälid kam heran und erblickte die in den Strahlen der Morgensonne glänzenden Speere und Schwerter auf den Mauern und Thürmen der Stadt. Erstaunt, Widerstand zu finden, wo er nur eine schutzlose Beute erwartete, und wohl wissend, dass auch seine Schaar sehr zusammengeschmolzen war, begann er Unterhandlungen, welche die Negdäer mit wohlverstellter Gleichgültigkeit aufnahmen; was sie bis jetzt verloren, sagten sie, sei nur der geringste Theil ihrer Macht und sie mussten noch viel verlieren, ehe sie sich ergäben. Kurz, sie erhielten Sicherheit für ihr Leben und ihre Freiheit, unter der Bedingung, dass sie den Islam annähmen, und Khälid erfuhr nicht eher, welche leichte Beute er sich und seinem Heere hatte entgehen lassen, als bis der Eid, den sie geleistet, sie ausserhalb des Bereichs seiner Macht gebracht hatte. Jedoch die Secte als solche hatte eine todtliche Niederlage erlitten; der Islam war jetzt die offizielle Religion des Landes und die wenigen treuen Anhänger der gefallenen Sache wanderten aus und gingen nach Hasa und Basrah, wo sie, in Verbindung mit anderen Missvergnügten, den Grund zur karmathischen 385 Faction legten. Der Name Mosejlemah's wurde verflucht und das Thal, wo er geboren war, erhielt den nun passendem Namen Wadi Hanifah oder „Thal des wahren Glaubens". Aber nationale Sympathie mildert oft, selbst bei den Wahhabiten, den Sectenhass und der unglückliche Führer von Neged wird nicht selten von seinen Landsleuten mit einer gewissen Vorliebe genannt, die sich fast bis zum Bedauern steigert. „Mohammed und Mosejlemah waren Beide Propheten", sagte einst vor meinen Ohren ein orthodoxer Einwohner von Riad, „nur dass der Erstere einen glücklichern Stern hatte." Meine schönen Leserinnen werden vielleicht gern etwas über das Schicksal der Prophetin Shegäh, der Gemahlin Mosejlemah's und jetzt dessen trostloser Witwe, wissen wollen. Ich bin so glücklich, nach authentischen Ueberlieferungen ihnen mittheilen zu können, dass die Dame, wie manche andere, sich besser aus der Verlegenheit zu ziehen wusste, als mancher tapfere Mann. Sie trocknete ihre Thränen, verwünschte das Andenken ihres frühern Propheten und Herrn, wurde eine andächtige Muselmanin (oder Musel-Frau, wie Beppo schreibt) und heirathete einen Andern. Mit solchen Erzählungen unterhielten uns Abu 'Ejsa und die Negdäer, welche uns begleiteten, als wir beim frühen Morgengrauen dicht an den Pflanzungen von Rowdah hin im Thale, das, jetzt trocken und still, einst mit dem besten Blute Arabiens überfluthet war, abwärts und durch den engen, von beiden Seiten mit hohen Felsen eingeschlossenen Pass zogen, der den Eingang zu den grossen Festungen des Landes bildet. Die Sonne ging auf und erleuchtete die wilden Gründe mit den wirren Massen gebrochener Felsen und Sträucher unten zu beiden Seiten des Weges, während Schaaren von Rebhühnern zu unseren Füssen aufflogen und rechts und links Rehe aus den Schluchten hervorkamen oder eine Staubwolke uns die Annäherung einer Gruppe Bauern oder Reiter zeigte und Gärten oder Dörfer in den Seiten Öffnungen oder auf den Pässen des Wädi selbst zum Vorschein kamen, bis wir noch vor Mittag bei dem kleinen Dörfchen Malka oder „Die Verbindung" anlangten. Dieses Dorf hat den Namen von seiner Lage. Das Thal theilt sich in der Gestalt eines Y, indem ein Zweig südlich nach Derej'ijah, der andere südöstlich durch die Mitte der Provinz führt und mit der gegenwärtigen Hauptstadt Riad in Verbindung steht. An dem Punkte, 386 wo das Thal sieh theilt, steht ein offenes Haus zur Bequemlichkeit und Ruhe der Reisenden, wie man in Syrien Khan, in Indien Bungalow nennt; dicht bei diesem befindet sich ein grosser Brunneu und ein Garten, Eigenthum des Thronerben 'Abd-Allah. Das breite Laub der Feigen- und Citronenbäume überragt den Weg und la'det zur Ruhe ein. Wir ruheten während der Mittagsstunden theils in dem Hause, theils in dem Garten, während der Nä'ib die Zeit benutzte, um sich seineu Bart und Schnurrbart frisch mit Henna zu färben, da der weisse Nachwuchs die künstliche Jugend der Spitzen Lügen zu strafen drohte. Er schmeichelte sich, sehr schnell eine Audienz bei dem wahhabitischen Monarchen zu erhalten, und gedachte alle Vortheile seiner persönlichen Erscheinung zur Stütze seines diplomatischen .Auftrages zu Hilfe zu nehmen. Täuschende Hoffnung! eitle Mühe! — Aber lassen wir ihn seinen Bart schwärzen und seinen sechszig Jahren das Ansehen von fünfunddreissig geben; es verschönert ihn wenigstens. Abu 'Ejsa hatte die Absicht, uns noch an diesem Abende bis nach Riad zu bringen; aber von Malka bis zur Hauptstadt bleiben noch gute acht Stunden, und als der Nä'ib mit seinen kosmetischen Operationen fertig war, Hessen uns die sich nach Osten wendenden Schatten keine Hoffnung mehr, Riad noch vor Nacht zu erreichen. Wir traten jedoch unsern Marsch wieder an und schlugen den Arm des Thaies ein, der nach Derej'ijah führt; ehe wir dieses aber erreichten, verliessen wir noch einmal das Wädi und folgten einem kürzern Wege, der links über das Hochland führte. Unser Weg war zunächst durch eine lange Reihe von Thürmen durchschnitten, die Ibrahim Pascha als Aussenposten zur Vertheidigung dieser wichtigen Stellung erbaut hatte. Innerhalb ihrer Linie standen die einsamen Mauern einer grossen viereckigen Caserne; die Thürme waren niedrig, gross und rund, wie in England die sogenannten Martellothürme. Als wir an den Ruinen von Derej'ijah ankamen, welche die ganze Breite des Thals einnahmen, wurden dieselben eben von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet. Die Mauern des Palastes, von ungebrannten Ziegeln, wie alle übrigen, erhoben sich dicht unter dem linken oder nördlichen Rande, aber ohne Dach und ohne Bewohner; etwas weiter unten zeigte ein grosser, mit Ruinen bedeckter Raum, wo die ungeheuere Moschee gestanden hatte, und dicht neben dieser der Marktplatz; ein Thurm auf einer einzelnen Höhe war, wie ich vermuthe, der ursprüngliche Wohnort der Familie Sa'üd, als sie noch blosse locale Häuptlinge waren, ehe die wachsende Grösse sie in ihren kaiserlichen Palast hinüberführte. Die äusseren Festungswerke waren zum grössten Theil noch ganz unbeschädigt, mit Thürmen und 387 Bastionen, die im röthlichen Abendlicht schimmerten; an manchen Stellen hatte sie die ägyptische Artillerie oder die Zeit dem Boden gleich gemacht. In der Stadt standen noch viele Häuser, aber unbewohnt, und die Linien der Strassen von einem Thore zum andern waren so genau gezeichnet, wie auf einem Grundrisse. Nach der Grösse der Stadt, denn sie ist eine halbe englische Meile lang und ebenso breit, und den dicht neben einander stehenden Häusern zu schliessen, kann sie an vierzigtausend Einwohner gefasst haben. Die Gürten ausserhalb der Mauern stehen noch in ihrer vollen Schönheit und Pracht, ein dunkelgrüner King um die grauen Ruinen. Denn obwohl die Negdäer es für ein böses Omen hielten, die so unglücklieh gefallene Stadt wieder aufzubauen und zu bewohnen, und deshalb den Sitz der Regierung und mit dieser die grosse Masse der städtischen Bevölkerung nach Riad verlegten, so haben sie es doch nicht für nöthig gehalten, die reichen Pflanzungen und gut bewässerten Felder der alten Hauptstadt zu verlassen, und eine kleine Colonie von Gärtnern, die dicht unter den Mauern der Stadt in verstreuten Hütten und ländlichen Häusern wohnen, setzt die von einem Gifthauche getroffene Existenz Derej'ijahs fort. Während wir von der Höhe gedankenvoll auf diese Sccne hinab-schaueten, die so reich an Erinnerungen war, sank die Sonne nieder und die Finsterniss brach ein. Wir schlugen natürlich vor, Halt zu machen, aber Abu 'Ejsa blieb taub und versicherte uns, dass ein Garten, der 'Abd-er-Rahmän, dem bereits genannten Enkel des ersten Wahhabi, gehöre, nicht mehr fern sei, wo wir ein weit besseres Unterkommen finden würden, als in diesen Ruinen. Freilich lagen zwischen diesem Orte und den Ruinen von Derej'ijah noch drei tüchtige Stunden Weges, aber unser Führer hatte keine Lust, in einer Gesellschaft von Persern und Syrern, Schija'is und Christen in De-rej'ijah einzuziehen, wie er mir später selbst gestand. Denn, sei es nun einer jener merkwürdigen localen Einflüsse, welche selbst die Veränderung der Race überdauern und den nachfolgenden Bewohnern eines Ortes immer dieselbe Farbe geben, oder hat der beständige Anblick ihrer gefallenen Grösse und der Triumph ihrer Feinde es bewirkt, die dürftige Bevölkerung von Derej'ijah zählt die bittersten und bigottesten Fanatiker, die sich nur irgend im 'Aared finden. Meine Leser mögen sich hier an das Schicksal meines unglücklichen Vorgängers in Erforschung des Neged erinnern und die Ereignisse, 38$ welche eben diesen Sand mit seinem Blute färbten. Wir zogen also weiter, immer auf den Höhen fort und stiegen mit der Nacht in einen kleinen Hohlweg hinab, wo in einem weit ausgebreiteten Garten das Landhaus 'Abd-er-Rahmäns stand. Wir versuchten nicht, in das Haus zu gehen, denn um diese Stunde war Niemand munter, der uns empfangen konnte. Aber ein Schuppen im Garten war genug für Wanderer, die zu müde waren, um etwas Weiteres als Schlaf zu verlangen, und diesen fanden wir trotz Hunden und Schakals, an denen es hier und im ganzen Neged nicht fehlt. Von hier bis zur Hauptstadt waren nur noch etwa vier englische Meilen. Am nächsten Morgen theilte sich unsere Gesellschaft: der Nä'ib und seine Begleiter blieben zurück, während Barakät und ich mit Abu 'Ejsa in die Stadt ritten, wo unser Führer die Annäherung des persischen Würdenträgers im Palaste melden sollte, damit die schuldigen Ehrenbezeigungen auf der Mitte des Weges nicht ausblieben. Auf unser Verlangen blieben auch die Mekkaner zurück, denn wir wollten nicht mit dieser zweideutigen Gesellschaft unsern ersten Einzug in die Stadt halten. Etwa eine Stunde weit führte der Weg über kahlen und wellen- förmigen Boden, wo wir keine Aussicht in die Ferne hatten. Endlich kamen wir auf eine Anhöhe und hier lag auf einmal Riad vor uns, das Hauptziel unserer langen Reise, die Hauptstadt des Neged und des halben Arabiens, das eigentliche Herz im Herzen des Landes. Neuntes Kapitel. Riad. Ansicht von Riad und dessen Umgebung — eine Begegnung — Begräbnissplatz — 389 Einzug in die Stadt — Marktplätze — Halt am Palaste — 'Abd-el-'Aziz, seine Stellung und Charakter — das Innere des Palastes — dessen Architektur, Grösse, Einrichtung — das K'häwah — Mittagsmahl — Aufnahme des Nä'ib — dessen Aerger — unsere Wohnung im Palaste Geluwis — Eindruck unserer Ankunft auf Fejsal — seine Entfernung aus der Stadt — Spionsystem m Riad — 'Abd-el-Hamid ans Peschawer — seine Geschichte, Charakter und Lebensunterhalt — 'Abbud der Meddej'jl — Cholera in Neged — Institut der „Zeloten" — ihr System, ihre Macht und Erfolge in Riad, Neged und den Provinzen — gegenwärtige Stellung der Zeloten — Reaction — 'Abbüd — Anerbieten von Seiten 'Abd-el-'Aziz — Zusammenkunft Abu 'Ejsas mit Fejsal — Schwierigkeiten — Bestechlichkeit der Regierung — vertrauliches Abkommen mit Abu 'Ejsa — unsere neue Wohnung in der Nähe des Nä'ib — der Kaffee — dessen Eigenschaften — Kaffeehandel — Wein — Grund des Verbotes desselben — Wein bei Christen und Mohammedanern — analoge Verbote im Islam — wohin sie führen — Stellung des Islam rieben anderen Religionen — Charakter der Gebete und Einrichtungen — Concentration der Pläne Mohammeds — praktische Folgen — Ausnahmen und Reaction — unser Leben in Riad — ein Besuch des Marktplatzes — gemischte Bevölkerung — Skizzen — vier Abtheilungen der Stadt — grosser Platz und Dschämia' — Eigenthüm-livhkeiten des wahhabitischen Gottesdienstes — Anekdote von einem Scheikh aus Damaskus in Riad — die Khotbah — andere wahhabitische Eigentümlichkeiten — Stadtmauern — Gärten — Klima — Schafe, Rindvieh, Wild — Negerbevölkerung, warum hier zahlreich — Verwandtschaft zwischen den Afrikanern und südlichen Arabern — Ismael und Kalitän — Emancipation der Neger — die Khodejrijah — ihre gesellschaftliche Stellung — Bevölkerung von Neged — Benu Tamm — ihr eigenthümlicher Charakter — Sinken des Handels — Ackerbau — kriegerischer Sinn — Sprache des Neged — die beiden arabischen Hauptdialekte — ihr Ursprung und Unterschied — Bemerkungen. Vor uns lag ein wildes offenes Thal und im Vordergründe des- 390 selben, unmittelbar unter dem kiesigen Abhänge, auf dessen Gipfel wir standen, die Hauptstadt, ein grosses Viereck mit hohen Thürmen und festen Schutzmauern, eine Masse von Dächern und Terrassen, welche alle von der gewaltigen, aber unregelmässigen Häusermasse der Königsburg- Fejsals überragt wurden, an deren Seite, sich der kaum weniger in die Augen fallende Palast erhob, welchen sein ältester Sohn 'Abd-Allah erbaut hatte und bewohnte. Auch andere Uebäude von merkwürdigem Ansehen ragten hie und da aus dem Labyrinthe grauer Dächer hervor, deren Bestimmung und Bewohner wir später werden kennen lernen. Rings herum, bis zu einer Entfernung von drei Meilen in der die Stadt umgebenden Ebene, hauptsächlich aber gegen Westen und Süden, wogte ein Meer von Palmen über grünen Feldern und gut bewässerten Gärten, und das laute Knarren der Wasserräder erreichte selbst an der Stelle, wo wir standen, mehr als eine Viertelmeile von den nächsten Mauern der Stadt entfernt,* unser Ohr. An der entgegengesetzten Seite, gegen Süden, öffnete sich das Thal auf die grossen, noch fruchtbareren Ebenen von Jemämah mit ihren unzähligen Ilainen und Dörfern, unter denen wir die grosse Stadt Manfühah, die kaum Riad an Grösse nachsteht, deutlich unterscheiden konnten. Weiter im Hintergründe lagen die blauen Gebirge der rauhen Sierra von Jemämah, welche vor dreizehnhundert Jahren 'Amru-ebn-Kelthum, der Schomerite, mit den gezogenen Schwertern einer Schlachtreihe verglich, und hinter diesen die uneimessliche Wüste des Südens, oder die Dahnä. Gegen Westen verengt sich das Thal zu schmalen , nach Derej'ijah hinaufführenden Windungen, gegen Südwest ist es durch die niedrigen Hügel der Aflag von dem Wadi Dowäsir getrennt, gegen Osten aber hängt es durch wellenförmigen und gebrochenen Boden mit dem langen Thale Solej' oder Wädi Solej' zusammen, dessen nördlicher Zweig weit hinter der innern Bergkette des Towejk unter dem 'Atälah-Gebirge hinläuft, während das südliche Ende eine breite Sandstrecke durchschneidet, wo man nur einzelne Haine und Dörfer erblickt, die bei der Stadt Hutah endigt, welche einst lange Zeit Nebenbuhlerin von Riad, jetzt dessen unzufriedene Vasallin ist. Hier grenzt die Provinz Harik an die Wüste und greift nördlich 391 und östlich in diese ein, bis sie den äussersten Rändern von Katar und den Grenzen des Gebiets von 'Oman beinahe die Hand reicht. Gerade gegen Osten zeigt in der Ferne eine lange blaue Linie die fernsten Höhen des Towejk und verhüllt die Niederungen von Hasa und die Küsten des persischen Meerbusens. In allen Ländern,' die ich besuchte, und deren sind viele, habe ich selten eine Landschaft gesehen, die dieser an Schönheit und an historischem Interesse gleichkommt. Sollte einer meiner Leser einmal vom Antilibanon her nach Damaskus gekommen sein und die Ghütah von den Höhen oberhalb Mazzeh gesehen haben, so kann er sich eine annähernde Vorstellung von dem Thale von Riad machen, wenn man von Norden hieher kommt; nur ist dieses breiter und bunter und der Gesichtskreis um-fasst hier weitere Ebenen und kühnere Gebirge, und die Mischung tropischer Dürre mit üppigem Grün, einer dichten Bevölkerung mit wüsten Strecken ist nur in Arabien zu finden, gegen welches Syrien mild und Italien eintönig erscheinen. Ein leichter Morgennebel, der erste, den wir seit mehreren Tagen wieder sahen, hing über der Stadt,-ein Beweis von der reichen Feuchtigkeit ihrer Gärten. Aber die heisse Sonne zerstreute den dünnen, flüchtigen Schleier und die merklich zunehmende Hitze deutete auf eine Region, die nicht nur in südlicherer Breite liegt als die, welche wir bisher durchwandert hatten, sondern die auch mehr den glühenden Winden der nahen Wüste ausgesetzt ist, welche innerhalb des Innern Randes von Jemämah liegt, wie ein grosser Ofen, und die sich bis an die Küste des Indischen Oceans hinzieht. Barakät und ich hielten unsere Dromedare einige Minuten auf der Höhe an, um diese herrliche Aussicht zu geniessen und das Herzklopfen zu beschwichtigen, das einen jedesmal überfällt, wenn man der Höhle des Löwen nahe kommt. Auch Abu 'Ejsa, obwohl ihm die Scene nichts Neues mehr war, verweilte gern einen Augenblick, um uns die wichtigsten Punkte zu nennen und den Weg anzudeuten, der zu seiner Ileimath in Hasa führte. Dann ritten wir den Abhang hinunter und an den Mauern hin, welche die äussersten Anpflanzungen um die Stadt umgeben. Hier grüsste mehr als Einer, dem wir begegneten, unsern Führer mit dem freundlichen Tone eines alten Bekannten, vor Allen aber ein junger Bursche, den Abu 'Ejsa vor einigen Jahren als arme Waise aufgenommen und für dessen Erziehung und Lebensunterhalt er mit einer in Arabien weniger als anderwärts auffallenden Freigebigkeit gesorgt hatte, bis der Junge im Stande war, sein eignes Fortkommen in der Welt zu linden. Er war jetzt gerade damit beschäftigt, einen Schlauch aus einem am Wege befindlichen Brunnen zu füllen. Als er uns erblickte, lief er herbei, küsste Abu 'Ejsa die Hände und zeigte durch die offenbare Aufrichtigkeit, mit der er seine Freude zu erkennen gab, dass Dankbarkeit nicht weniger eine arabische Tugend ist, als eine •europäische, wie sehr auch Unwissenheit oder Vorurtheil mancher Reisenden das Gegentheil versichern. Mit einer kleinen Oesellschaft von Abu 'Ejsas Bekannten, die scherzend und was sie auf dem Herzen hatten erzählend zu unserer Seite gingen, zogen wir auf einem Seitenwege, der zwischen den königlichen Ställen und einem grossen Garten hinführte, welcher letztere dem Kadi der Stadt, Abd-el-Latif, gehörte, der Stadt zu. Bald kamen wir an den grossen Begräbnissplatz ausserhalb der nordöstlichen Mauer; niedrige Gräber ohne Steine oder Denkmäler. Hier ruht auch Turki, der Vater des gegenwärtigen Monarchen, und dicht an seiner Seite seine ermordeten Nebenbuhler Meschäri und Ebu-Thenej'jän und viele Andere, die zu ihrer Zeit eine hervorragende Stellung einnahmen, jetzt durch nichts von den geringsten und ärmsten ihrer Landsleute unterschieden. • Der Begräbnissplatz ist von mehreren Wegen durchschnitten, die zu verschiedenen Stadtthoren führen. Wir folgten einem Pfade, der am nordöstlichen Portale endigt, einem weiten und hohen Eingange, mit dicken viereckigen Thürmen zu beiden Seiten, wo einige mit Säbeln bewaffnete Wächter sassen, die uns anriefen. Abu 'Ejsa antwortete, worauf wir weiter ziehen durften. Hier kamen wir zuerst auf eine breite Strasse, die gerade nach dem Palaste führte. Zu beiden Seiten derselben standen grosse Häuser, meist zwei Stockwerk hoch, Brunnen zu religiöser Abwaschung, Moscheen von verschiedenen Dimensionen und einige Fruchtbäume, die hie und da in den Höfen gepflanzt waren. Etwa zweihundert Schritt von dem Eingang kamen wir an den Palast 'Abd-Allahs, der rechts am Wege steht, ein neues und ziemlicli symmetrisches Gebäude von viereckiger Form, mit gut geschnitzten Thoren und drei Reihen von Fenstern über einander. Gruppen von Negern und Dienern sassen an den Thören oder auf Bänken im kühlen Morgenschatten, Etwas weiterhin kamen wir links am Palaste Gelu'wis vorbei, des Bruders Fejsals, der jetzt in Geschäften in der Gegend von Kela'at Bischa' abwesend war. Endlich erreichten wir einen grossen freien Platz, dessen rechte Seite, die nördliche, ganz 393 aus Kaufläden und Speichern besteht, während die linke von der Ungeheuern Residenz des Negdäischen Königthums eingenommen ist; vor uns, also nach Westen zu, führte ein langer, bedeckter Gang hoch auf einer plumpen Säulenreihe quer über den Platz von dem Palaste zu der grossen Moschee, die er so mit dem Innern der Burg verbindet, auf welchem der alte Fejsal ungesehen von seinen Gemächern sich zu dem Freitagsgebet begeben kann, ohne sich der öffentlichen Neugier oder vielleicht den Gefahren des Verraths auszusetzen. Denn das Schicksal seines Vaters und seines Grossoheims, seiner Vorfahren auf dem Throne, die Beide während des öffentlichen Gottesdienstes durch den Dolch eines Meuchelmörders fielen, hat Fejsal sehr furchtsam gemacht, und zwar nicht allein für die Zeit des Gebets. Hinter diesem Säulengange schliessen andere Kaufläden und Speicher das Viereck oder vielmehr Parallelogramm, dessen ganze Länge etwa zweihundert Schritt beträgt, die Breite etwas weniger als die Hälfte. In der Mitte dieses Raumes und unter dem weitreichenden Schatten der Burgmauern sassen etwa fünfzig bis sechzig Frauen, jede mit einem Vorrath von Brot, Datteln, Milch, Gemüsen oder Brennholz zum Verkauf; rings herum Scharen von Müssigen, Kamele, Dromedare, Haufen von Säcken und Allem, was sonst zu einem arabischen Markte gehört. Wir hielten uns jetzt noch nicht auf, um zu gaffen, schenkten vielmehr diesem Allen sehr geringe Aufmerksamkeit, da unsere erste Vorstellung bei dem Monarchen und die kritische Lage, in die wir gerathen konnten, alle unsere Gedanken in Anspruch nahm. So ritten wir an der langen blinden Aussenmauer des Palastes hin, bis wir an ein niedriges und enges Thor kamen, den einzigen Eingang zu der Königsburg. Tief zwischen die Bastionen eingesenkt, mit massiven, mit Eisen beschlagenen Thorflügeln, die jedoch um diese Tageszeit offen standen und den Eintritt in einen dunkeln Gang gestatteten, hätte man es leicht für den Vorhof eines Gefängnisses halten können, und die Menge der Wächter, weisse und schwarze, alle mit Säbeln an der Seite, versperrte beinahe den Weg und schien nicht sehr einladend für die draussen Befindlichen, namentlich für Fremde. Lange Sitze von Erde zogen sich an den Mauern hin, auf denen man bequem ausruhen konnte; hier Hessen auch wir uns nieder, nicht weit von dem Palastthorc, während Abu 'Ejsa hinein ging, um unsere und die bevorstehende Ankunft des Nä'ib zu melden. 3^1 Es war noch ziemlich früh am Morgen, etwa 8 Uhr oder wenig später. Auf der Strasse war schon ziemliches Leben, denn der nahe Markt war geöffnet und Jedermann ging an sein Tagewerk; aber Niemand trat uns nahe oder richtete eine Frage an uns, obwohl uns Viele angafften. Dieser ungewöhnliche Mangel an Vertraulichkeit, deren Ursache wir uns noch nicht vollständig erklären konnten, befremdete uns einigermassen. Nachdem- wir aber eine halbe Stunde gewartet, war das Eis gebrochen. Der Erste, welcher näher trat und uns grüsste, war ein langer hagerer Mann mit bleicher Gesichtsfarbe und klugen, aber etwas ver-driesslichen und verschmitzten Gesichtszügen. Er war sehr gut gekleidet, obwohl er natürlich keinen Faden Seide an sich trug; seine Miene hatte einen gewissen Ausdruck selbstbewusster Wichtigkeit. Dies war 'Abd el-'Aziz, den ich, in Ermangelung eines besser entsprechenden Titels, den Minister des Aeussern nennen will; dies ist ungefähr die Uebersetzung seines ofticiellen Titels ,,'Wezlr-el-Khärigijah". Sein Amt erstreckt sich über Alles, was nicht unmittelbar auf die innere Verwaltung Bezug hat, Politik, Finanzen oder Kriegswesen. Bim liegt es ob, die Aufnahme der Gesandten von fremden Höfen oder Absendung solcher von Riad zu reguliren; in sein Departement gehört die Ausfertigung von Regierungsschreiben, Botschaften und allen kleineren Geschäften, die sich auf Verbündete oder Nachbarn beziehen, namentlich was die Beduinenstämme des Neged angeht; ferner die Musterrollen der Städte und Provinzen, und endlich übt er eine exe-cutive Oberaufsicht über die Eingangs - und Ausgangszölle, ein sehr einträgliches Amt, namentlich in den Händen eines Solchen, der sich nicht gerade durch übergrosse Gewissenhaftigkeit oder Geringschätzung irdischen Gewinnes auszeichnet. Seine persönlichen Eigenschaften sind dieselben, welche die meisten alten Familien in Riad besitzen und die in der That in ganz 'Aared die gewöhnlichen sind. Ein zurückhaltendes und gleichförmiges Aeusseres, eine glatte Sprache, höfliches, obwohl ernstes Wesen und neben diesem Hass, Neid, Raublust und Zügellosigkeit genug, um Vertraulichkeit mit ihm gefährlich, seine Feindschaft tödtlich und seine Freundschaft verdächtig zu machen. Dies ist der eigenthümliche Stempel der Race von 'Aared, des Markes und Herzens der wahhabitischen Herrschaft. Wir haben bereits ein Beispiel davon an Mohanna in Berejdah gesehen; hier aber ist eine ganze Provinz von Mohannas. Die Worte: „Seine Hand wider Jedermann und Jedermanns Hand wider ihn" kamen mir hier immer in den Sinn, und Saul oder Doeg, Joab oder Ahitophel können meinen 395 Lesern ein genaues Bild von diesen Leuten geben. Jedoch der eigentliche Grund ihres Charakters ist Neid und Hass; Raublust und Zügellosigkeit, obwohl sie selten ganz fehlen, sind nur ein gelegentlicher Ausputz; Stolz ist allgemein, Eitelkeit selten. Dazu kommt noch grosser persönlicher Muth, Ausdauer, Beharrlichkeit im Vorsatz, ein unbeugsamer Wille in Verbindung mit einer ausserordentlich fügsamen Schlauheit, Leidenschaften, die ihre Zeit erwarten können, und Kühnheit, die so lange zurückgedrängt wird, bis der Augenblick kommt, um einen Schlag zu führen, aber nur Einen; und man wird leicht einsehen, weshalb die Herrschaft dieser Leute, eben so weit verbreitet als gehasst, ertragen und verabscheut wird, da sie bald mit schwerem Drucke lastet, bald durch vernichtenden Schrecken und Ströme von ßlut gefärbt ist. Mit einem kleinen Gefolge von Leuten aus dem Palaste kam 'Abd-el-'Aziz prunkvoll heran und setzte sich neben uns nieder. Er begann mit den gewöhnlichen Fragen, woher wir kämen, was wir wollten u. s. w., die von einem höflichen Lächeln begleitet waren. Nachdem er unsere Antworten gehört, die natürlich dieselben waren wie die, welche wir anderwärts gaben, lud er uns ein, in den Palast zu treten und an Sr. Majestät Kaffee und Gastfreundschaft theilzu-nehmen; zugleich versprach er uns behilflich zu sein, dass wir im Laufe des Tages mit dem König selbst in unmittelbarere Berührung kommen könnten. Wir folgten ihm und kamen durch einen langen und dunkeln Durchgang in eine Art inneres Gässchen oder offenen Corridor, an dessen einer Seite sich die vom Könige selbst bewohnten Gemächer befanden, das Audienzzimmer, die Hauscapelle oder Musalla, „Gebetsstätte", und hinter diesen die Zimmer seines zahlreichen Harem und die seiner unverheiratheten Tochter, einer alten Jungfrau von mindestens fünfzig Jahren, die in wichtigen Fällen als Secretair ihres Vaters die Correspondenz führt, weshalb sich Fejsal nie hat entschlies-sen können, sie von sieh zu lassen, obwohl es ihr nicht an Bewerbern gefehlt hat. Dieses Quartier des Palastes ist geräumig und hoch, drei Stockwerk über einander und etwa fünfzig bis sechzig Fuss vom Boden bis an die Brustwehr des Daches. In diesen Zimmern wurde Meschäri von 'Abd-Allah, dem Vater unseres alten bekannten Teläl, ermordet. Vor dieser Häusermasse, aber an der innern Seite und rechts von dem eben genannten Durchgänge, ist ein viereckiger unbedeckter Hof, mit Sitzen an den Seiten, wo Fejsal zuweilen eine halb öffentliche Audienz ertheilt. Von diesem Hofe führt eine gut bewachte und eben so enge Thür, wie die erste, zu den eben beschriebenen Gemächern, welche, so zu sagen, einen besondern Palast innerhalb des Palastes bilden. Sie haben jedoch noch eine andere Verbindung mit dem übrigen Gebäude durch einen bedeckten Gang, der vom zweiten Stockwerk aus quer über den Durchgang führt, wo wir jetzt standen-, eine dritte Verbindung wird durch die lange Gallerie hergestellt, die oberhalb der Säulen zu der etwa hundert Schritt entfernten Moschee führt. Von allen andern Seiten ist jeder Verkehr sorgfältig abgeschlossen. Ich muss hier noch bemerken, dass alle Fenster dicht vergittert und die Thüren mit festen Schlössern und Riegeln versehen sind, während von aussen ein Glacis den untern Theil der Mauern umgiebt, wodurch das Ganze das Aussehen einer regelmässigen Festung erhält. Das Erdgeschoss hat an der Aussenseite keine Fenster, weder grosse, noch kleine. 7 An der andern Seite des Durchganges war die erste Thür, an welche wir kamen, die des K'häwah. Der Eingang zu diesem Gemach ist durch ein Vorzimmer, in welchem die Besucher ihre Schuhe oder Säbel ablegen, oder beides, wenn sie beides haben; das K'häwah selbst ist ziemlich gross, etwa vierzig Fuss lang und fast eben so breit, aber niedrig und ziemlich dunkel. Weiterhin ist eine andere Thür, die zu dem Gefängniss führt. Ich besuchte zwei Zellen desselben, grosse und luftige Zimmer, die nichts für die Bequemlichkeit ihrer Inwohner zu wünschen übrig Hessen. Das „Habs-ed-Dem", d. i. „Blutgefängniss", für Staatsverbrecher ersten Ranges ist unterirdisch und bietet wahrscheinlich weniger Bequemlichkeiten; ich hielt aber nicht für klug, den Eintritt zu erbitten. Gleich hinter diesem Gefängniss und gegenüber dem schon erwähnten Hofe an der andern Seite führt eine lange Freitreppe zu dem zweiten Stockwerk hinauf; hier ist ein Speisezimmer für Gäste, geräumig genug für vierzig Personen auf einmal und angenehm kühl. Unmittelbar hinter diesem soll sich in der dicken Mauer selbst ein kleines Gemach befinden, das mit dem verborgenen Gange, welcher zu dem Harem führt, in Verbindung steht; in diesem schlechten Mauerloche, sagt man, belausche Fejsal ungesehen die Aeusserungen seiner Gäste beim fröhlichen Mahle, um sie gelegentlich zu seinen eigenen Zwecken auszubeuten. Hinter diesem Speisezimmer sind die Zimmer für Diener und Gefolge. Weiterhin führt der Gang in den Haupttheil des Palastes unter dem zweiten Stockwerk durch und theilt sich dann plötzlich nach zwei Seiten; auf der rechten Seite führt er zu der grossen Küche und dann zu dem innern Musalla oder Oratorium für die Insassen des Palastes, mit Ausnahme Fejsals und seines Harems, und endigt hinten an einem zweiten und geräumigen Hofe, an dessen einen Seite sich das Arsenal und Pulvermagazin, an der andern verschiedene Werkstätten befinden, unter diesen auch die eines Uhrmachers, alle für den unmittelbaren Dienst des Königs. Dicht bei der Küche sind die Zimmer 'Abd-el-Hamids; dieser ist ein Mann von ziemlich zweideutigem Charakter, aus Balkh gebürtig, von dem man annimmt, dass er sich tiefen religiösen Studien widmet, der aber eigentlich ganz andere Geschäfte betreibt; wir werden bald mehr von ihm erfahren. An derselben Seite &.ß wohnt unser Bekannter 'Abd-el-'Aziz, der Minister des Aeussern, dessen Salon ich aber nie betreten habe. Die linke Abzweigung des Ganges führt zu den grossen und schönen Gemächern, welche Mahbüb, der erste Minister des Reichs, inne hat. Gerade gegenüber wohnt der Metow'waa' oder Caplan des Palastes und mit diesem Thür an Thür ein anderer gelehrter Negdäer, beide in Studien über vorherbestimmte Verdammung aller polytheistischen Sekten vertieft, von der allein die ihrige ausgeschlossen ist. Weiterhin sind die ausgedehnten Räumlichkeiten Gawhars, des Staatsschatzmeisters (sein Name, welcher Juwel bedeutet, ist wenigstens bezeichnend) und diesen gegenüber eine lange Reihe von Zimmern, wo ein Nasir lebt, eine Art Kammerherren, die aber auch zur Disposition Sa'üds, des zweiten Sohnes Fejsals, stehen, wenn er seinen Vater in Riad besucht. In dieser Abtheilung des Palastes wohnt auch Abu-Scherns, der Oberste der Artillerie des Heeres. Ausser diesen Würdenträgern wohnt innerhalb des Palastes noch eine Schaar von sechzig bis siebenzig Dienern, meist Neger, die alle, vom höchsten bis zum niedrigsten, jeder ihre besonderen Gemächer für die zahlreichen Frauen haben, mit denen sie die Orthodoxie segnet, und jeder einzelne Haushalt ist ganz von den übrigen getrennt; meine Leser können sich daher vorstellen, wie gross und schlecht geordnet diese Masse von Gebäuden seiu mag. Endlich ist hier an der linken Seite ein langer Hof oder freier Platz, der mit dem andern an der rechten Seite, von dem schon oben die Rede war, correspondirt; und hier ist auch das Bäb-es-Sirr oder geheime Pförtchen für besondere Fälle, wie Belagerung, Verrath u. dergl. Der ganze, einem Bienenstock ähnliche Haufen von Wohnungen ist mit hohen Mauern und runden Thürmen umgeben, zwei Drittheile des Umkreises noch ausserdem mit einem tiefen Graben, der aber kein Wasser hat. Wer von meinen Lesern das Palais der Tuilerien gesehen hat mag sich ungefähr eine Vorstellung von der Grösse des Palastes Fejsals machen, der ziemlich zwei Drittheile so gross ist, wie dieses, und nur um weniger niedriger, abgesehen von den hohen pyramidenförmigen Dächern des französischen Gebäudes, welches freilich hinsichtlich des architektonischen Schmuckes ungleich höher steht, auf welchen letztern das wabhabitische Louvre keinen Anspruch macht. Von aussen 390 wie im Innern ist hier überall nur auf Festigkeit und Sicherheit Rücksicht genommen und das Ganze macht von aussen beinahe denselben Eindruck wie Newgate; ich weiss nicht, wiefern das Innere des Londoner Spitzbubenkäfigs dem der negdäischen Diebeshöhle gleichen mag. Letztere ist aber jedenfalls gut, möblirt und ausgestattet, namentlich die Abtheilungen, welche für die königliche Familie selbst, für Mahbub und Gauhar bestimmt sind; die oberen Stockwerke haben gutes Licht, nicht so das Erdgeschoss, wo eine Gasbeleuchtung Noth thäte, wenn sie nur hier eingeführt werden könnte. Ich hätte sagen müssen, dass das für das Königthum, d. i. Fejsal und seine vielen Königinnen, ausschliesslich bestimmte Quartier ein eigenes viereckiges Gebäude mit einem innern Hofe ist, in dieses aber konnte ich keinen Eintritt erhalten; es sind Familienzimmer, die nie ein neugieriges Auge zu sehen bekommt. Der Divan für besondern Empfang, das einzige Zimmer dieser Abtheilung, in die ein Fremder Zutritt erhalten kann, ist "gross und bequem, etwa fünfzig Fuss lang, mehr als zwanzig Fuss breit und verhältnissmässig hoch. In dem ersten Hofe und in dem an der linken Seite, wo der tapfere Abu-Schems wohnt, sind einige verrostete Kanonen aufgepflanzt, die den arabischen Seelen grosse Ehrfurcht einflössen. Ich zählte mehr als zwanzig Feldstücke, von denen ein halbes Dutzend noch in brauchbarem Zustande sein konnte; man sagte mir, dass noch andere Kanonen vorhanden seien, ich habe aber keine weiter gesehen. In Hasa und Katif stehen auch noch etwa dreissig Stück, so dass Fejsals Artillerie sich im Ganzen auf sechzig Stück belaufen mag, von denen etwa der vierte Theil brauchbar ist. So ist der Palast, wie ich ihn später genauer kennen lernte; jetzt hielten wir uns zunächst nur kurze Zeit im K'häwah auf. Der oberste Kaffeekoch war ein gutmüthiger Kerl und merkwürdiger Weise kein Neger, nicht einmal ein Mann aus dem 'Aared, sondern aus dem Ha-rik; einige Gäste sassen im Kreise herum und es entspann sich eine Unterhaltung, aber alle waren sehr vorsichtig in ihren Reden. Allerdings, in der ganzen Stadt und natürlich noch mehr im Palaste, kann Niemand, der mit heiler Haut schlafen will, seiner Zunge freien Lauf lassen, und daher benehmen sich Alle wie Knaben, wenn der Schulmeister zu Hause ist. Der Kaffee jedoch war ausgezeichnet. In 400 diesem Punkte steht Riad und seine K'häwahs einzig da und wir labten uns eine Zeitlang an dem aromatischen Duft und Getränk, in Erwartung weiterer Befehle von 'Abd-el-Aziz oder irgend einem andern Hofbeamteten. Aber die Ankunft des Nä'ib und seines Gefolges war eine zu wichtige Sache, als dass man uns noch viele Aufmerksamkeit schenken konnte, und als die Mittagszeit herankam, sassen wir noch beinahe ganz unbeachtet im K'häwah, während unser Gepäck und unsere Kamele ruhig draussen in der Sonne warteten. Endlich erschien ein schwarzer Sklave, der uns im Namen des Königs zum Mittagsmahle in dem obern Gastzimmer einlud, wo wir unsern Reiss mit Schaffleisch und Datteln assen und beim Aufstehen von der Tafel von unserm schwarzen Ganymedes erinnert wurden, Gott um ein langes Leben für unsern Wirth Fejsal zu bitten. Abu 'Ejsa war mittlerweile mit denen, welche vom Palaste aus zum Empfange des Nä'ib geschickt wurden, diesem entgegen geritten, um ihn in die für seine Aufnahme in Stand gesetzten Gemächer einzuführen. Der Perser war sehr verwundert, unter denen, welche ihm entgegenkamen, Niemanden von der königlichen Familie zu finden, nicht einmal Einen, der ein hohes Amt bekleidete; noch grösser aber war sein Erstaunen, als er, anstatt sogleich von Fejsal empfangen und herzlich umarmt zu werden, in dasselbe Gastzimmer geführt wurde, wie wir, wo ihm ein Mittagsmahl vorgesetzt wurde, das nicht um ein Haar besser war als das unserige uud nach welchem ihm sehr ruhig gesagt wurde, er möge für Fejsal beten und sich in sein Quartier begeben; der König werde Tag und Stunde bestimmen, wo er geruhen wolle, ihn mit einer Audienz zu beehren. Ich habe nie Jemanden so über alle Beschreibung ärgerlich gesehen, als unsern Perser bei dieser Gelegenheit. In gebrochenem Arabisch und so laut, dass man es im halben Palaste hören konnte, machte er seinem Aerger über Araber, Beduinen, Wahhabiten, Neged, Stadt, Land und Alles Luft. Die Leute aus dem 'Aared, die ihn hörten und halb verstanden, machten sehr lange Gesichter, waren aber zu höflich, um etwas zu sagen. Vielleicht war Fejsal selbst zugegen und hörte ungesehen in seinem Winkel die Unterhaltung mit an. Abu 'Ejsa wusste sehr wohl, dass die Antipathie gegenseitig war und dass, wenn der Nä'ib die Wahhabiten und ihren König für nichts als Barbaren hielt, nicht werth, nach europäischem Ausdrucke, seine Schuhe zu putzen, diese dagegen ihn als einen verächtlichen Ausländer betrachteten, als einen Ungläubigen, der für das ewige Höllenfeuer bestimmt sei, uud dass so die Waage des gegenseitigen Widerwillens sehr gleich stand. Es war daher wohl natürlich, dass er sich bei 401 dieser Scene sehr unheimlich fühlte und versuchte, den entrüsteten Schiraz! mit Entschuldigungen und Erklärungen von der Art des „sc non vero, ben trovato" zu beruhigen; alles in unserer Gegenwart, denn die iranische Gesellschaft war gerade zum Schlüsse unserer Mahlzeit angekommen. Ich hatte Mühe, nicht über beide Theile laut aufzulachen, suchte aber, in Anbetracht der umstehenden Negdäer, so ernst als möglich zu sehen, und nahm mir Abu 'Ejsa zum Muster. Mittlerweile gaben wir diesem leise zu verstehen, dass für uns, wie für unsere Thiere ein Unterkommen unter Dach und Fach sehr erwünscht sei, und dass wir zwar selbst unsere Mahlzeit gehalten hätten, unsere Dromedare aber noch nicht. Unser Führer kannte alle Ein- und Ausgänge des Palastes und im Augenblick hatte er 'Abd-el-'Aziz ausfindig gemacht, mit dem er unsertwegen die Sachen ins Reine *• 20 brachte. Ja, der Minister des Aeussern liess sich herab, in eigener Person zu kommen, und meldete uns, süss lächelnd, dass unsere zeitweilige Wohnung bereit sei und Abu 'Ejsa uns sogleich dorthin bringen werde. Wir baten dann, uns wissen zu lassen, wenn es möglich ob der König erlauben wolle, dass wir uns in der Stadt aufhielten und Geschäfte betrieben, denn bei unserer ersten Vorstellung hatten .wir schon pflichtschuldigst in der correctesten wahhabitischen Phraseologie gesagt, dass wir nach Riad gekommen „im Verlangen nach der Gnade Gottes und sodann Fejsals, und dass wir Gott und sodann Fejsal um die Erlaubniss bäten, unsere ärztliche Kunst in der Stadt betreiben zu dürfen, unter dem Schutze Gottes und dann zunächst Fejsals." Denn bei Allem, was man wünscht, sagt, bittet, muss hier die Gottheit voran genannt werden; und nicht dies allein, auch die darauf folgende Nennung des Geschöpfes darf ja nicht mit der des Schöpfers durch die gewöhnliche Conjunction W', „und", verbunden werden, was eine Gleichheit zwischen Schöpfer und Geschöpf einscliliesseu würde, eine offenbare Gotteslästerung in Worten und Gedanken. Daher muss das disjunctive „thumma", d. i. „nächst darauf, in einiger Entfernung", anstatt „W'" gebraucht werden, bei Strafe der gesetzlichen Verfolgung. „Wehe dem, der das Neged besucht, ohne sich vorher gut um die Feinheiten der Grammatik gekümmert zu haben", sagte Barakät; „bei diesen Schulmeistern kann ein Fehler dem Schüler den Kopf kosten." Aber davon unten mehr, jetzt wollen wir zu unserm Gegenstande zurückkehren. Abd-el-'Aziz, ein ächter Staatsmann, beantwortete unsere zweite 408 Frage ausweichend, mit der Versicherung des besten Willens, uns .seinen Schutz zu gewähren. Während dessen brach der Nä'ib mit seinem Gefolge im höchsten Zorne nach seinem Quartier auf und Abu 'Ejsa gab unseren Dromedaren einen Stoss, um sie zum Aufstehen zu bringen, und trieb sie vor uns hin, unserer neuen Wohnung zu. Diese war in einer Abtheilung des Palastes Gelü'wi's, der jetzt leer stand, weil der Prinz auf einer Expedition abwesend war. Ein geräumiges K'häwah mit zwei anstossenden Zimmern und einer Kammer im ersten Stock war für unsern Gebrauch bestimmt. Wir brachten die Dromedare in den Hof und richteten uns im K'häwah ein. Wir müssen aber jetzt betrachten, was im Palaste selbst vorging und welchen Eindruck die Begebenheiten des Morgens auf Fejsal und seinen Hof machten. Wir erfuhren bald alle Einzelheiten, die eben so lächerlich als charakteristisch für das Land und seine Beherrscher waren und die eben so sehr ihre Schwäche blosslegten, als andere Umstände uns vorher ihre Stärke gezeigt hatten. Als Fejsal die Ankunft dieses Schwarmes von Fremden erfuhr, des persischen Charge d'affaires mit seinen Beschwerden, der Mekkaner mit ihrer unverschämten Bettelei und der Syrer, die sich für Aerzte ausgaben, kam er ganz aus aller Fassung und verlor beinahe den Verstand. Alt und blind, abergläubisch und furchtsam, bigott und tyrannisch, diente Alles, was nur irgend die kühnste Einbildung über diese bunte Bande, die so unangemeldet in der Hauptstadt, ja an den Thoren seines Palastes erschien, nur dazu, seine Unruhe, Verdacht und Aerger zu steigern. Der heilige Mittelpunkt negdäischer Orthodoxie war in einem und demselben Augenblicke durch den dreifachen Gräuel der Perser, Mekkaner und Syrer, Schija'is, Sonnis und Christen, Ketzer, Polytheisten und Ungläubige entweiht, Grund genug, um Feuer vom Himmel zu rufen oder ein Erdbeben herauf zu beschwören. Ein Ausbruch der Cholera war das Geringste, was zunächst zu erwarten stand. Die mekkanischen Bettler konnte man allerdings bald wieder los werden und mit einer kleinen Gabe die Hauptstadt wieder von der Verunreinigung durch ihre Gegenwart reinigen. Aber der Nä'ib, mit Teheran und dem Schah von Persien im Rücken, war eine ganz andere Sache, und Fejsal wusste nur zu wohl, dass die 408 Klagen, die ihm jetzt vorgelegt werden sollten, mehr als begründet waren, und dass für alle Quälereien von Seiten Abu-Botejns oder Mohannas er eigentlich uud zuletzt selbst verantwortlich war. Dazu kam, dass sein Vorgänger 'Abd-el-'Aziz-ebn-Sa'üd durch den Dolch eines Persers gefallen war, und wer konnte wissen, ob nicht der Nä'ib oder wenigstens einer seiner Begleiter, nicht eine ähnliche Waffe für das Haupt der Rechtgläubigen in Bereitschaft hatte. Mit den beiden Syrern war die Sache noch schlimmer. Diese mussten Christen sein, möglicher Weise Meuchelmörder, sicherlich Zauberer. Das Geringste, was man von ihnen fürchten musste, war ein Zauberspruch, böser Blick, vielleicht eine giftige Behexung. Kurz, einer und alle waren Spione; dies wenigstens unterlag keinem Zweifel. Ob Mahbüb, 'Abd-el-'AzIz, und überhaupt der Hof die Furcht Fejsals wirklich theilten, weiss ich nicht und glaube es auch nicht. Sie hielten es aber für klug, aus dem Tone ihres Herrn zu singen und erklärten Alle die Gefahr für ernst und nahe bevorstehend. Welche Massregeln können sie noch abhalten? wie soll man sich gegen so viele Feinde auf einmal stellen? Die einstimmige Entscheidung war, da Klugheit besser sei als Gewalt, so müsse seine geheiligte Majestät ohne Verzug sich aus der Hauptstadt und der Unglück weissagenden Nähe so vieler Ungläubigen und Zauberer, Spione und Mörder entfernen und seine königliche Person in einer sichern Zurückgezogenkeit verbergen, während seiner Abwesenheit mussten wirksame Massregeln ergriffen werden, um über die Absichten dieser höchst gefährlichen Fremden ins Reine zu kommen, sie zu überwachen und ihren verräterischen Planen zu begegnen. Kaum hatte sich also der Nä'ib in die für ihn bestimmte Wohnung zunickgezogen und wir uns in die unserige, während die Mekkaner in irgend einem andern Winkel untergebracht wurden, als Fejsal, von Mahbüb, 'Abd-el-'AzIz und einigen Anderen begleitet, in grösster Stille durch das Bab-ess-Sirr aus dem Schlosse ging, so geräuschlos wie möglich die Stadt verliess und sich in einen abgelegenen Garten zurückzog, der dem Wahhabi 'Abd - er - Rahmän gehörte. Um den Garten wurden Wachen gestellt, und so konnte man wieder hoffen, dass bei der Abgelegenheit des Ortes und in Folge der Segnungen der reinen Orthodoxie des Besitzers des Gartens, hinter dichtem Laube verborgen und von den Schwertern der Neger geschützt, Fejsal noch den Befleckungen durch Polytheismus und den drohenden Gefahren von Meuchelmord, Verzauberung und bösen Blicken glücklich entgehen könne. 404 Auf diese Weise konnte man wenigstens Zeit gewinnen, um das Ge-heimniss zu entdecken und von seinem Ziele abzuleiten. Es war jedoch keine Zeit zu verlieren, und die grosse Maschine des Wahhabitenstaates, ein Spionirsystem, wie Tiberius nicht besser hätte errichten können, wurde in Bewegung gesetzt. Einstweilen waren die nichts ahnenden Verschwörer und Zauberer harmlos damit beschäftigt, ihr Gepäck in Ordnung zu bringen und fröhnten den narkotischen Dämpfen, deren Genuss sie sich bis dahin schon aus Rücksicht der Höflichkeit hatten versagen müssen; aber erst nachdem sie Thü-ren und Fenster sorgfältig verschlossen, damit nicht der Geruch des „Schändlichen" sich mit den geheiligten Lüften der Strassen mische. Da lässt sich ein bescheidenes Klopfen an der Thüre hören. Schnell werden die Pfeifen bei Seite gelegt; Barakät geht auf den Vorsaal, um zu fragen, wer da sei und zögert eine Minute, bevor er aufmacht, damit der Tabaksdampf sich verziehen kann. Die Figur, welche jetzt hereinschlüpfte, hatten wir in Riad am allerwenigsten erwartet. Vor uns stand, in der in Afghanistan üblichen Tracht, mit einem eleganten weissen Turban und den unverkennbaren Zügen der Bewohner der nordwestlichen Grenzländer des Pendschab, 'Abd-el-Hamid, der angebliche Gelehrte des Palastes. Auf einen bessern Spion, oder einen, vor dem wir mehr auf unserer Hut gewesen wären, konnte man nicht treffen. Denn ausserdem, dass er eben so wie wir selbst ein Fremder war, und deshalb wohl berechnet, um unsere Sympathie auf sich zu ziehen und uns offenherzig zu machen, besass er alle Gewandtheit der Manieren und scheinbare Aufrichtigkeit, die seine Landsleute, wo es nöthig ist, so geschickt anzunehmen verstehen, wie vielleicht manche meiner Leser schon selbst im Orient erfahren haben. Meister in der Verstellungskunst, so dass er selbst die Wahhabiten getäuscht hatte, die ihn für etwas ganz anderes hielten, als er wirklich war, konnte er sich wohl zutrauen, auch mit uns fertig zu werden, trotz unserer Zaubersprüche und schwarzen Kunst. Dieser Mann war, nach seiner Erzählung, ein Sohn des Statthalters von Balkh und ein orthodoxer Sonni vom Ritus der Hanefiten. Er hatte die Wallfahrt nach Mekka machen wollen und war mit Reich-thümern und Gefolge und Gott weiss mit was sonst, wie ein Prinz der Tausend und Einen Nacht, aus seiner Heimath abgereist, hatte aber, so erzählte er, an irgend einem unbekannten Felsen im persischen Meerbusen Schiffbruch gelitten, und was er noch aus den Fluthen gerettet, das hatten ihm zuletzt noch Seeräuber abgenommen. Ohne 405 Diener, ohne Geld, ohne Gefährten, war er an der Grenze der Wahhabiten gelangt, wo der Ruf von Fejsals Edelmuth ihn nach Riad gezogen, in der Hoffnung, dort Unterstützung zu finden, um seine Pilgerfahrt vollenden und zu seinen besorgten Eltern zurückkehren zu können. Aber einmal in diesem irdischen Paradiese der Frömmigkeit und Gelehrsamkeit, hatte er seine Augen dem reinen Lichte und dem ächten Glauben der Wahhabi zugewendet und sich entschlossen, der Heimath und allen ihren Annehmlichkeiten zu entsagen und sein übriges Leben dem Studium und der Ausübung des echten Islam, unter gleichgesinnten Seelen, zu weihen, fern von Tabak, von Vermittlern mit dem Himmel und Vielgötterei. Durch Fejsals Freigebigkeit mit der gehörigen Ausstattung von Büchern und Weibern verseilen, erbaute er Palast und Stadt durch seine andächtigen Gebete und sein ernsthaftes Wesen; seine Zeit war zwischen Moschee und Harem getheilt; sein Mund war immer voll vom Lobe Gottes und Fejsals, seine Unterhaltung bewegte sich um nichts als um Frömmigkeit und Frauen. Ueber die Aufrichtigkeit seiner Bekehrung konnte kein Zweifel sein, und das Opfer, welches der inbrünstige Proselyt gebracht, indem er dem väterlichen Dache und der Herrschaft entsagte, wurde überall gepriesen und anerkannt. Es mag fast grausam erscheinen, solch reines Gold zu besudeln oder einen so wohlverdienten guten Ruf zu schmälern. Aber wir sind fern von Riad, und es kann 'Abdel-Hamid keinen Nachtheil bringen, wenn wir hier eine andere und richtigere Version seiner Lebensgeschichte mittheilen. Er war nicht aus Balkh, sondern aus Peschawer, nicht ein Sonnt, sondern ein Schijä'i, nicht der Sohn eines Statthalters, sondern von ganz gemeinem Herkommen und noch gemeineren moralischen Grundsätzen, und hatte bei einem Strassenauflauf einen Mann erschlagen und sich, um der Strafe zu entgehen, auf die Flucht begeben. Da ihm die Klugheit nicht erlaubte, vor Ablauf einiger Jahre zurückzukehren, so hatte er Riad zu seinem Aufenthalt erwählt, um hier zu warten, bis in seiner Heimath sich der Sturm gelegt hätte, und machte sich die negdäische Leichtgläubigkeit zu Nutze, indem er die Verkleidung annahm, welche er hier trug. Aber im Herzen ein wahrer Schijä'i, sprach er nie einen Segen über die Khalifen, die Sahhäbah und deren lebende Copien, die ihn umgaben, aus, ohne sie im Innern alle zu verfluchen, und hatte seinen Spass an der Leichtgläubigkeit der Leute, die er in seinem Herzen für Narren und Ungläubige hielt. WTohnung und Kost, gute Kleider und Frauen in Hülle und Fülle waren überdies ganz hübsche Sachen, und mit solchen Tröstungen verging die Zeit seiner Verbannung ziemlich angenehm, während er wartete, bis die Umstände ihm erlauben würden, sicher in sein Vaterland zurückzukehren. Wir erfuhren dies Alles nach und nach durch den Nä'ib, der selbst aus einem verwandten Lande war und in seinen jüngeren Jahren 406 oft das obere Thal des Indus bereist hatte; er war zu schlau, als dass unser Mann aus Peschawer ihn täuschen konnte und theilte mir seine Vermuthungen mit. Einmal auf der Fährte, spürte ich nun selbst der Sache weiter nach, und brachte aus 'Abd-el Hamid (obgleich dieser Name selbst nur angenommen war, seinen eigentlichen Namen habe ich vergessen) genug heraus, was mir die Erzählung des Schira-zers bestätigte. Diese Dinge, obwohl an und für sich unwichtig, verdienen deshalb Erwähnung, weil sie manche parallele Episoden orientalischer Geschichte erläutern. Unser Peschawer! oder Balkhi setzte sich und fing nach einigen gleichgültigen Bemerkungen damit an, mich um irgend ein äusserliches Mittel zu bitten. Dies war jedoch nicht der eigentliche Zweck seines Besuchs und er begann bald ein Kreuz- und Querfragen, um zu versuchen, ob er uns irgendwie fangen könnte. Auch die beiden Mekkaner wurden hereingezogen und wir mussten betreffs dieser ein gleiches Verhör bestehen, das aber bald abgebrochen wurde, da man bald erkannte, dass sie nichts weiter wollten als betteln. Dann wandte 'Abd- el-Hamid das Gespräch wieder auf unsere Person, versuchte mich mit Hindustanisch, Persisch und selbst einigen Worten gebrochenem Englisch aber Alles vergeblich, und hörte endlich auf, mit der innern Ucber-zeugung, dass die Sache noch keineswegs klar sei. Dann stand er plötzlich auf und verliess uns, um denen, welche ihn gesendet hatten Bericht zu erstatten. Dass dieser Bericht für uns sehr ungünstig gelautet hatte, erfuhren wir später. Nicht etwa, weil er sich ernstlich einbildete, dass unsere Ankunft in irgend welcher Beziehung für Fejsal gefährlich oder dass wir in der That Schwarzkünstler seien; aber er fürchtete Con-«07 currenten in der Gunst bei Hofe zu erhalten und fühlte sich wie ein Krämer, in dessen Nähe sich ein neuer Laden aufthut; or wünschte uns daher sobald wie möglich wieder weit fort und sparte zu diesem Zwecke weder Verdächtigung noch Verleumdung. Der Peschawer! hatte uns noch nicht lange verlassen, als ein anderer, von ihm sehr verschiedener, und selbst noch gefährlicherer Agent an unserer Thür erschien, mit wichtiger, durch gesuchte De-muth geglätteter Miene und gesenktem lauerndem Blicke. Es war ein „Meddej'ji" oder „Zelot", einer von dem geheimen Rathe der Regierung in Riad. Da aber meine Leser mit diesen Beamteten noch nicht genügend bekannt sein können, so wird hier der Ort sein, eine kleine Abschweifung zu machen, um den Ursprung, Charakter und Ausbildung des Instituts der „Meddej'ji" genauer kennen zu lernen. Dieses wird auf die Organisation der Wahhabi, von der die Meddej'ji in der That die Hauptfeder und obersten Leiter sind, mehr Licht werfen, als was sonst darüber gesagt ist. Ihr Institut, wenigstens in der gegenwärtigen Gestalt, ist keineswegs von altem Datum; es gehört unter die gegenwärtige Regierung und ist aus neueren Ereignissen hervorgegangen. Im Jahre 1854 oder 1855, denn genaue Zeitbestimmung wäre in diesen Gegenden ein hoffnungsloses Unternehmen, trat die Cholera auf ihrem Weltum-zuge, nachdem sie die dicht bevölkerten Länder und Reiche des Ostens heimgesucht, auch in Centraiarabien auf, welches von dieser Geissei bisher, wie es scheint, vergessen worden war. Durch die Wüste von Westen her brach sie über Neged herein, wie ein Blitz, und begann ihre gewöhnlichen Verheerungen mit einem Erfolge, dem, wie meine Leser denken können, durch keine Vorkehrungen entgegengearbeitet wurde. Der obere Gebirgsdistrikt von Sedejr allein entging; die niedrigeren Provinzen Jemämah, Harik, Woschem und Dowäsir litten fürchterlich und das 'AareiJ selbst wurde beinahe am schlimmsten heimgesucht. Die in einem feuchten Thale gelegene und eng gebaute Hauptstadt wurde entvölkert; ein Drittheil der Einwohner soll innerhalb weniger Wochen gestorben sein; unter den Opfern waren einige Glieder der königlichen Familie und viele andere Vornehme. Nun war seit einigen Jahren in religiösen und der Sekte eigen-408 thümlichen Angelegenheiten in Riad eine gewisse Schlaffheit eingeschlichen; Wohlstand und noch mehr die vorhergehende ägyptische Occupation, der ein häufiger Verkehr mit Leuten und der Regierung in Kairo folgte, der sich noch während der ganzen Regierungszeit 'Abbas Paschas erhielt und selbst unter Sa'id noch nicht ganz aufhörte, hatte zu diesem beklagenswerthen Abfalle mit beigetragen. Gewohnheiten, welche, nur durch das Medium polemischer Abhandlungen und der controversen Diatribe gesehen, gerechten Abscheu erweckten, schienen jetzt bei praktischer Bekanntschaft und näher betrachtet weniger abscheulich; so ansteckend ist böses Beispiel. In den K'häwahs der Hauptstadt dampfte das „schändliche Kraut" und man erblickte Köpfe, die durch den Greuel der Seide und Goldfäden profanirt waren. Kein vernünftiger Mensch konnte noch zweifeln, woher die Cholera kam; das Verbrechen war notorisch, die Strafe gerecht. Das beste, ja das einzige Mittel gegen die Epidemie war schnelle Reform und Rückkehr zu der Reinheit und Intoleranz besserer Tage. Fejsal berief nun eine Versammlung aller angesehenen Männer der Hauptstadt, denen er eine Rede hielt, mit der ich die Geduld meiner Leser nicht ermüden will, obwohl ich sie oft genug habe anhören müssen. Sie bestand hauptsächlich aus jenen willkürlichen und vorschnellen Auslegungen der Wege der Vorsehung, gegenüber den Menschen, die leider überall gewöhnlich und nirgends zu rechtfertigen sind. Der langen Rede kurzer Sinn war der, dass alle schlecht, sehr schlecht gehandelt hätten; dass grosses Aergerniss gegeben oder zugelassen worden war; dass das reine Gold unbedingt getrübt, das Silber mit Schlacken verunreinigt sei und dass die letzte Hoffnung auf der strengsten Prüfung ihrer Wege und angemessener Reue und Reform beruhe. Er für seine Person, setzte der Monarch hinzu, sei nun alt uud schwach und nicht mehr im Stande, allein und ohne Unterstützung die Massregeln durchzuführen, welche der Ernst der Sache erfordere; er lege ihnen daher die Verpflichtung auf und mache sie vor Gott und dem Islam für längere Dauer der Cholera, oder was sonst an deren Stelle kommen möge, verantwortlich, wenn diese rechtzeitige Warnung nicht beachtet würde. Die Aeltesten der Stadt entfernten sich, hielten eine lange Bera-thung und legten, als sie wieder kamen, folgenden Entwurf vor, der die königliche Genehmigung erhielt: Aus den musterhaftesten und eifrigsten der Einwohner sollten zweiundzwanzig Männer erwählt werden, — „Meddej'jijah", d. i. Männer des Eifers oder Zeloten genannt -— dieser Ausdruck wenigstens kommt dem Sinne des arabischen Wortes 409 noch am nächsten und ich werde ihn daher in der Folge gebrauchen, um die Wiederholung des arabischen Ausdrucks zu vermeiden. Die erforderliche Anzahl von Candidaten fand sich sehr bald. Diesen Zweiundzwanzig gab Fejsal volle Macht, Alles auszurotten, was gegen die wabhabitische Lehre und Praxis und die guten Sitten überhaupt Verstösse, zunächst in der Hauptstadt, dann aber auch im ganzen Reiche. Nie hat, selbst in den glücklichsten Tagen der Republik, ein römischer Censor unbeschränktere Macht besessen, als diese Zweiundzwanzig. Ihnen lag nicht allein ob, die Uebertreter anzuzeigen, sondern sie hatten auch das unbestreitbare Recht, nach eigenem Ermessen und ohne alle Beschränkung hinsichtlich der Höhe der Geldbusse oder der Anzahl der Schläge augenblicklich Strafe zu verhängen. Die Liste der Uebertretungen, welche der Ahndung dieser neuen Censoren anheimfielen, war sehr umfassend. Vernachlässigung des öffentlichen Gebets — von nun an war es strenge Verpflichtung, fünf Mal des Tages in den öffentlichen Moscheen zugegen zn sein —; Tabak rauchen schnupfen oder kauen (Letzteres war durch die Matrosen in Kowejt und anderen Häfen am persischen Meerbusen eingeführt); Tragen von Seide oder Gold; nach dem Abendgebet in seinem Hause noch zu sprechen oder ein Licht anzuzünden; Singen oder ein musikalisches Instrument zu spielen; ja selbst alle Spiele auf den Strassen von Kindern oder kindischen Personen: dies Alles stand auf der Liste der Verbrechen, welche mit tugendhafter Strenge geahndet wurden. Ausserdem Schwören bei einem andern Namen, als dem Namen Gottes; jeder Versuch einer Anrufung oder selbst Ausrufung, die an etwas Anderes gerichtet ist, als an Gott; kurz Alles, was in Wort oder That, Rede oder Handlungsweise von der strengen Orthodoxie des Buchstabens des Korans und des wahhabitischen Commentars abzuweichen scheint, musste denuncirt oder auf der Stelle bestraft werden. Endlich erstreckte sich ihr Censorenamt über Alles, was irgend einer unregelmässigen Handlungsweise verdächtig war, z. B. nach Dunkelwerden noch auf den Gassen herumstreifen, zu oft das Haus eines Nachbars zu betreten, namentlich in Stunden, wo man annehmen kann, dass die männlichen Bewohner desselben nicht zugegen seien, waren Vergehen, welche Kenntnissnahme und correctionelle Massregeln erforderten. Man kann sich leicht denken, was eine so weit reichende Macht in den Händen interessirter oder rachsüchtiger Menschen werden konnte. 410 Jedoch die Zahl der Zeloten selbst und die angeborne Zähigkeit und Widerstandskraft des arabischen Charakters minderten einigermassen die schlimmen Folgen, die man naturgemäss von dieser überabsoluten und fast unbeschränkten Macht erwarten konnte, obwohl manche und wirklich abscheuliche Beispiele ihrer Ausübung und des Missbrauchs derselben vor meinen Ohren erzählt wurden. Diese Zeloten müssen sehr einfach in ihrer Kleidung sein, sich alles Schmuckes und dergleichen enthalten; sie dürfen nicht einmal einen Säbel tragen, der als Zeichen einer weltlichen oder kriegerischen Würde gilt. Dafür aber trägt jeder in der Hand einen langen Stab, der ihm zugleich als Amtsstock und als Prügclstock dient, wenn er eine Züchtigung zu ertheilen hat; dieser Stock, ein zu Boden gesenkter Blick, schleichender Gang, leise Sprache, tief auf die Stirn herabgezogene Kopfbedeckung, ohne Kopfband, und ein beständiges ernstes Wesen genügen, um sie auf den ersten Anblick von der übrigen gewöhnlichen Menge zu unterscheiden. In ihrem Gespräch sind natürlich fromme Sprüche und Ausrufungen, bei denen der Zeigefinger wenigstens in jeder Minute zweimal emporgehoben wird, — passend oder unpassend — um die Einheit Gottes zu betheuern, noch häufiger, als bei der gewöhnlichen Schaar der Gläubigen. So gehen sie von Gasse zu Gasse, treten unerwartet in die Häuser, um zu sehen, ob irgend etwas Unrechtes darin vorgeht, und nehmen keinen Anstand, sogleich und ohne vorher ein Verhör anzustellen oder die Sache zu untersuchen, dem entdeckten Schuldigen, ohne Ansehen der Person, die verdiente Strafe aufzuzählen, und sollten ihre Stöcke sich als ungenügend er- weisen, so rufen sie geradeswegs die Umstehenden oder Sklaven zu Hilfe, die den Schuldigen zu Boden werfen und ihn dann in Gemeinschaft mit dem Zeloten nach Herzenslust bearbeiten. Ein ähnliches Verfahren wird gegen Diejenigen angewendet, die sich beim Besuche des öffentlichen Gebets nachlässig zeigen; der Eifermann des Quartiers, von einer frommen Schaar begleitet, die Alle mit derben Knütteln bewaffnet sind, geht zu der bezeichneten Wohnung und fordert Einlass, den Niemand verweigern darf. Hier wird der saumselige Besucher des Gebets ohne weitere Umstände durch den überzeugendsten aller Beweise a posteriori zu neuer Andacht bekehrt. Sollte er etwa im Augenblicke des Besuchs gerade nicht zu Hause sein, so wird, was zuweilen sogar auch noch nach der Züchtigung geschieht, ein Pfand für künftige gute Aufführung mitgenommen, wie etwa ein Rock, Säbel, Kopftuch u. dergl., das er nicht eher wieder erhält, als bis er durch pünktlichen Besuch der Moschee, mehrere Tage hinter 411 einander, das Aergerniss seiner vorhergehenden Nachlässigkeit wieder gut gemacht und die Aufrichtigkeit der Bekehrung durch seine Ausdauer bewiesen hat. Sollte aber ein Hitzkopf versuchen, der Gewalt Gewalt entgegenzusetzen, so hätte er die härteste Behandlung zu erwarten ; und erhöbe er gar seine Hand gegen die geheiligte Person des Z eloten, so wäre es sicher um seinen Kopf geschehen; hat er aber eine Strafe, wie Verstümmelung, oder das Leben verwirkt, wie z. B. wenn er der Ketzerei überführt oder des Unglaubens verdächtig ist, so kommt er vor das Tribunal Fejsals selbst, und dieser unter-lässt nicht, den Schuldigen mit der grössten Strenge zu bestrafen. Man kann sich leicht denken, wie diese Leute, mit der Regierung hinter sich, ihre Macht sehr bald missbrauchten. Weder Rang, noch hohe Geburt gewährten Schutz vor ihrer Willkür. Fejsals eigener Bruder, Gelü'wi, wurde am Thore des königlichen Palastes mit Ruthen geschlagen', weil er einige Züge Tabak geraucht, und sein königlicher Bruder konnte oder wollte nicht einschreiten. Sowejlim, der erste Minister und Vorgänger Mahbübs, wurde unter einem ähnlichen Vorwande, eigentlich aber (so sagt das Gerücht) auf Anhetzen eines Mitbewerbers um dieses Amt, auf dem Rückwege von der Königsburg ergriffen, niedergeworfen und so unbarmherzig geschlagen, dass er Tags darauf starb. Wenn die ersten Personen im Staate solchen Strafen ausgesetzt waren, was konnten dann erst die Geringeren erwarten ? Mancher wurde braun und blau, Mancher zum Krüppel geschlagen. Der Tabak verschwand, Seide wurde auf die Strasse geworfen oder verfaulte im Unrath; die Moscheen füllten sich und die Kaufläden blieben leer. Nach wenigen Wochen hatte die Hauptstadt ein so exemplarisch frommes Aussehen, dass der erste Wahhabi selbst sich darüber verwundert hätte. Aehnliche Massregeln wurden mit Gewalt im ganzen Neged durchgeführt. Inbrünstige Zeloten, mit Ruthen und Handschriften des Koran bewaffnet und überall bereit, jeden Abfall zu rächen, besuchten die verschiedenen Städte und Dörfer mit den besten Erfolgen, und ganz 'Aared, Sedejr, WToschem, Jemämah und die benachbarten Provinzen 412 wurden schnell nach dein Muster von Riad reformirt. Dem Eifer für die Wiederbelebung des Glaubens war dieses aber noch nicht genug. Die Ungläubigen von Kasim und Hasa und die Abtrünnigen von Harik sollten jetzt erfahren, dass Fejsal nicht länger Verbrechen unter ihnen dulden wollte, welche den ächten Gläubigen ein Gräuel waren, und dass auch sie, wenigstens in ihrem Aeussern sich dem anbequemen mussten, was die Orthodoxie für anständig hält mochten sie auch in ihrem Herzen gesinnt sein, wie sie wollten. Es wurden Missionen eingerichtet, an deren Spitze Zeloten standen, und ein vollständiger Kreuzzug gegen das Aergerniss der schuldigen Provinzen organisirt. Aber trotz der praktischen Argumente, welche das Wort begleitete, sollte die Orthodoxie hier doch nur einen halben Triumph feiern. Es zeigte sich eine starke Reaction, und an einigen Orten, z. 13. Berejdah in Kasim, Zekkärah in Hasa, wurden die Prügel mit Zinsen zurückgegeben; in einem Dorfe in Kasim wenigstens, so viel ich weiss, wurde der Feuereifer der Zeloten durch ein gesundes Bad in dem nahen Teiche gelöscht. Hier musste man einige Zugeständnisse machen und es wurde festgesetzt, dass Kleider, die nur zu einem Drittheil oder höchstens zur Hälfte aus Seide bestanden, erlaubt seien. Tabak galt zwar noch für unerlaubt, durfte aber doch wenigstens unter der Hand verkauft und innerhalb der vier Wände geraucht werden, nicht aber auf öffentlicher Strasse oder dem Markte. Auf das Erscheinen beim Gebet bestand man nur in seltenen Fällen, und der Namensaufruf, der in den Moscheen in Neged gewöhnlich ist, wurde kläglicher Weise überall unterlassen. Man hatte indessen so wenigstens Gleichmässigkeit im Aeussern erlangt und mit dieser waren Fejsal und sein Hof einstweilen zufrieden, in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Von der Mission der Zeloten nach Hä'jel und Gebel Schomer und deren Ausgange habe ich schon oben gesprochen; weitere Resultate der wahhabitischen Reformation werden wir unten, wenn wir auf unserer Reise in die östlichen Provinzen kommen, noch mehrere sehen. Aber selbst in Neged und Riad erschlaffte die über das Maass angespannte Saite endlich ein wenig und die Unpopularität der neuen Einrichtung konnte nicht ganz verborgen bleiben. Aber sie wurde aufrecht erhalten, obwohl die Cholera, ohne Zweifel durch den Aus-413 bruch der orthodoxen Strenge erschreckt, aus dem Lande geflohen war; auch trat in der Theorie der neuen Censorschaft keine Aenderung ein, nur die praktische Ausübung nahm eine mildere Form an, während die Sache selbst sorgfältig aufrecht erhalten wurde, als ein Bollwerk gegen spätere vom Himmel gesendete Plagen oder irdischen Abfall und als eine wirksame administrative Maschine oder Zuchtruthe für etwa eintretende Fälle. Die Besuche in den Häusern kamen allerdings jetzt seltener vor und Züchtigung erfolgte erst nach vorangegangener Ermahnung, aber die Zeloten sorgten dafür, dass sie immer vollzählig blieben, und sobald durch den Tod oder den Austritt eine3 Mitgliedes eine Vacanz eintrat, so wurde die erledigte Stelle jedesmal, mit Beistimmung Fejsals, von ihnen selbst wieder besetzt. Zweimal wöchentlich haben die Zeloten Recht zu einer Privataudienz beim König; die dazu bestimmten Tage sind Montag und Donnerstag, früh gegen Sonnenaufgang oder noch etwas früher. Keine kleine und unwichtige Gunst von einem Monarchen, der sonst höchstens einmal im Monate eine öffentliche Audienz ertheilt und der in seinem Privatleben beinahe für Jeden unzugänglich ist, ausser seinem ersten Minister, seinen Negersklaven und den Frauen seines Harems. Die Zeloten bilden in der That den eigentlichen Staatsrath und Alles, was Krieg oder Frieden, Bündniss oder Verträge betrifft, wird erst mit ihnen behandelt und von ihnen modificirt. Sie sind hier, was wir die hohe con-servative Partei nennen könnten, neben einer dem Fortschritt huldigenden Partei, dem sich selbst die Wahhabiten nicht ganz entziehen können. Davon aber unten mehr. Einstweilen möchte ich es beinahe meinen Lesern tiberlassen, zu beurtheilen, in welchem Lichte eine solche Körperschaft und die, welche dieselbe bilden, von der Masse der Bevölkerung angesehen werden. Von aller Ehrerbietung und dem ganzen Hasse umgeben, die ihr Amt und Charakter mit sich bringen, begegnen sie überall Zeichen äusserer Hochachtung und innern Misstrauens und Hasses. Ist ein Kreis von Freunden in traulichem Gespräch beisammen und ein Zelote tritt ein, so verstummen sie; wird das Gespräch dann wieder angeknüpft, so nimmt es eine Wendung, dass selbst die Engel, welche nach der Lehre des Islam alle Reden und Handlungen der Menschen aufzeichnen, nichts daran auszusetzen hätten. Gehen einige lustige Gesellen leichten Schrittes miteinander auf der Gasse und ein Zelote kommt ihnen in den Weg, so massigen sie sogleich ihre Schritte und senken bescheiden die Blicke zu Boden. Glimmt irgendwo ein Lämpchen noch zu ungewohnter Stunde, sobald sich verdächtige Schritte hören lassen, die befürchten lassen, dass ein Zelote herankommt, so 414 verlischt der Docht und Alles ist still und finster. Das Schlimmste aber, wenn aus der verbotenen Pfeife in irgend einem verborgenen Winkel der sündhafte Rauch aufsteigt. Bei dem ersten Klopfen an die Hausthür wird die heillose Pfeife schnell auf den Feuerherd ausgeschüttet und sorgfältig unter den Teppich versteckt, und Jeder eilt, Mund und Bart zu waschen und sich mit aromatischen Kräutern einen orthodoxem Geruch zu geben. Kurz, Schulknabeu, die von einem strengen Meister bei verbotenen Streichen, Betschwestern, die bei der Lecture eines französischen Romans, oder Mässigkeitsvereinler, die mit halbgeleerter Flasche vor sich ertappt werden, können nicht betroffener, verlegener und erschrockener aussehen, als Negdäer bei solchen Gelegenheiten, wenn ein Zelote kommt. Namentlich machte es mir oft besondern Spass (ich greife hier den Ereignissen der folgenden Tage ein wenig vor), zu betrachten, welche Figur Abu 'Ejsa bei solchen Gelegenheiten spielte. Er kannte die Zeloten, wie sie waren, und sie wussten, was sie von ihm zu halten hatten; aber hohe Protection bei Hofe, Reichthum und einflussreiche Stellung von der einen Seite und ein officieller Charakter, der nicht ungestraft beleidigt werden durfte, von der andern, brachten eine Art gegenseitigen Zuvorkommens zuwege, das eben so gezwungen als komisch war. So lange das erste Feuer anhielt, hatte sich Abu 'Ejsa klüglich fern gehalten, und wenn nothwendige Geschäfte ihn nach Riad riefen, hatte er vorgezogen, sein Zelt ausserhalb der Mauern aufzuschlagen, wo er mit seinen munteren Gefährten rauchen, essen, trinken und auf die Zeloten schimpfen konnte, und in der Stadt nur^ einen kurzen Besuch im Palaste zu machen. Als aber der erste Eifer wie gewöhnlich der Fall ist, ein wenig erkaltet war, wagte er wieder in der Stadt zu wohnen und hütete sich nur, dass man ihn des Freitags zur Gebetszeit nicht auf der Strasse sah. So lange er sich jedoch in der Hauptstadt aufhielt, legte er vorsichtig seinen seidenen Rock ab und sein schönes buntes Kopftuch wurde sorgfältig zusammengefaltet und durch einen alten baumwollenen Lappen ersetzt. Dabei vermied er sorgfältig einige besonders fromme Quartiere der Stadt und die Nachbarschaft der grossen wahhabitischen Familie. Lieber hätte er dem Teufel selbst als einem von ihnen einen Besuch gemacht. Wenn aber unvermeidliche Notwendigkeit oder der Zufall ihm einen Zeloten in den Weg führte, so gab er sich Mühe, so freundlich wie möglich auszusehen, und würzte seine Rede mit den erbaulichsten Redensarten. Jene hingegen drückten bei Schwachheiten, die schick-415 lieh, wenn auch unvollkommen verborgen wurden, gern ein Auge zu und thaten, als ob sie das, was nicht ganz versteckt werden konnte, nicht bemerkten. Waren sie aber fern von einander, so schonte er ihrer eben so wenig, wie sie seiner; Abu 'Ejsa nannte sie Hunde, Heuchler u. s. w., während ihnen die Finger zuckten, ihm das „Fell zu reinigen", im Neged der technische Ausdruck für die verdiente Strafe der Andersgläubigen und Uebelthäter. Es ist aber Zeit, dass wir zu unserm neuen Bekannten zurückkehren, der zu dieser langen Abschweifung Veranlassung gab. 'Abbild, dies war sein Name, den ich jedoch im eigentlichen Arabien bisher noch nie gehört hatte, wie häufig er auch in Syrien und am Libanon ist, schlug einen andern und wirksamem Weg der Spionage ein, als vor ihm 'Abd-el-Hamld. Er stellte sich, als ob er uns für Mohammedaner hielte, und zwar für gelehrte, und fing ein Gespräch Uber religiöse Gegenstände an, über den wahren Charakter des Islam, dessen Reinheit und Verderbniss, und erkundigte sich genau nach den gegenwärtigen Lehren und Gebräuchen in Damaskus und dem Norden, offenbar in der Absicht, uns mit unseren eigenen Worten zu fangen. Zum Glück aber fand er hier seinen Mann; denn auf jedes Citat aus dem Koran hatten wir deren zwei in Bereitschaft und zeigten, dass wir mit der „grössern" und „kleinern" Vielgötterei der fremden Nationen und heterodoxen Mohammedaner, so wie in dem Commentare Beidhawis und den Erzählungen des Hadis wohl bewandert waren, bis unser Freund volles Vertrauen gewann und mit vollen Segeln auf die piscussion einging, wodurch er für uns, denen nichts erwünschter sein konnte, als die Grundsätze der Sekte aus dem Munde eines ihrer eifrigsten Anhänger selbst, eines Eiferers in Person, kennen zu lernen, eben so lehrreich als interessant wurde. Irrthum, namentlich in solchen Dingen und unter solchen Umständen, erregt bei einem denkenden Geiste immer mehr Bedauern als Unwillen, und Mitleid, wenn nicht immer der Liebe verwandt, ist wenigstens der Toleranz nahe. Es wurde uns nicht schwer, manche Zeichen von Sympathie und selbst vorsichtiger Zustimmung zu geben, die unsern Lehrer ermuthigten, seine Lehre noch weiter zu entwickeln, nnd wir hofften, dass ein günstiger Bericht von seiner Seite seine Amtsbrüder uns weniger feindlich, vielleicht sogar günstig stimmen konnte. Als 'Abbud endigte, war er schon beinahe unser Freund, und sein Bedauern darüber, dass wir, wie andere Damascener, uns noch im äussersten Vorhofe der Finsterniss befänden, wurde durch die Hoffnung gemildert, die er nicht verhehlte, dass es ihm zuletzt.doch gelingen werde, die Finsterniss, in welcher wir noch tappten, wenigstens einigermassen zu erhellen. Andere Besucher kamen und gingen; auch Abu 'Ejsa kam, wie er für seine Schuldigkeit hielt, gegen Abend, um sich nach unserm Befinden zu erkundigen und zu sehen, wie wir wohnten. Die Wohnung gefiel uns nicht besonders, einmal, weil sie zu nahe dem königlichen Palaste war und eigentlich zu diesem gehörte, dann aber auch, weil die Zimmer übermässig gross waren und wir sie deshalb nicht ihrer Grösse entsprechend möbliren konnten. Wir baten ihn also, sich nach einer andern Wohnung umzusehen, die unseren bescheidenen Umständen und dem Charakter unseres Gewerbes besser entspreche. Wirklich hatten schon Manche unsern ärztlichen Rath und Beistand verlangt und keine andere Beschäftigung konnte uns in dieser Stadt vorteilhafter sein. Unser Freund versprach und hielt sein Wort. Als wir am nächsten Vormittag auf dem Marktplatze umherschlenderten, begegneten wir dem Minister 'Abd-el-'Aziz, der an diesem Morgen in die Hauptstadt zurückgekehrt war. Mit gnädigem Lächeln nahm er uns bei Seite und that uns kund, dass der König Riad nicht für ein geeignetes Feld unserer ärztlichen Geschicklichkeit ansehe; dass wir besser thun würden, unsere Reise sogleich weiter nach Hofhuf fortzusetzen, und dass der Monarch Jedem von uns ein Kamel, einen neuen Anzug und Geld geben wolle. Einem fliehenden Feinde goldene Brücken zu bauen, ist immer eine kluge Massregel (auch wenn die gebotene Summe klein ist), nicht weniger in Neged als in Macedonien, und Fejsal glaubte sich nicht besser vor unseren Zaubersprüchen sichern zu können, als wenn er sich uns zu Freunden machte, aber in einer gehörigen Entfernung. Wir kannten in unserer Unschuld jetzt noch nicht den Grund dieses Manövers und suchten ihn in anderen leichteren Beweggründen. Anstatt also uns dabei zu beruhigen, stellten wir 'Abd el-'Aziz vor, dass unser Aufenthalt in Riad in gleicher Weise für die Körper der Einwohner wie für unsere Beutel vorteilhaft sein würde, dahingegen eine übereilte Abreise einen Übeln Eindruck machen und unserm Erfolge selbst in Hofhuf nachtheilig sein könnte. Er versprach uns noch einmal, mit Fejsal über die Sache zu sprechen, gab uns aber zu verstehen, dass wenig Aussicht auf eine Aenderung des königlichen Ausspruchs sei. Natürlich, wenn wir darauf bestanden, länger in Riad zu bleiben, so konnte dies, keine andere Wirkung haben, als den furchtsamen Verdacht des alten Tyrannen zu bestärken; davon aber wussten wir nichts. Einstweilen war der geheime Rath, der bei dem Könige im Garten versammelt war, hinsichtlich der Perser zu einem ziemlich ähnlichen Entschlüsse gelangt, welche Fejsal so bald wie möglich abzufertigen entschlossen war, zwar mit schönen Worten und einigen unbedeutenden Geschenken, aber ohne persönliche Audienz und Abhilfe ihrer Beschwerden. Dazu hatte er verschiedene Gründe, hauptsächlich aber übte die Furcht vor Ermordung ihren Einfluss auf sein böses Gewissen. Die arabische Klugheit verbot ihm jedoch, die Sache allzusehr zu übereilen, und bald nach Mittag schickte er nach Abu 'Ejsa, der sich sogleich nach dem Garten begab, wo sich Seine Majestät versteckt hielt. Was bei dieser Gelegenheit vorging, erfuhren wir später genau von verschiedenen Seiten. Fejsal empfing Abu 'Ejsa mit einer sehr ernsten Miene und schalt ihn, weil er so schlechte Ladung an die Thore des Palastes gebracht. Unser Führer entschuldigte sich auf alle Weise und wurde von dem ersten Minister Mahbüb unterstützt, der ein Freund Abu 'Ejsas oder wenigstens seiner Geschenke war. Was die Perser anbelangt, so wurde bei besserer Ueberlegung beschlossen, ihnen eine Art von Genugthuung zu geben; aber Fejsal, der immer Verrath fürchtete, war nicht zu bereden, den Nä'ib persönlich zu empfangen, und dieser Theil des Geschäfts wurde daher Mahbüb übertragen, der den Schirazi anhören und dann dem Könige Bericht erstatten sollte. Dann kam unsere Sache zur Sprache; hier zeigte sich der Monarch ausserordentlich eigensinnig und Mahbüb theilte seinen Unwillen oder schien wenigstens so. In der That hatte Fejsal grosse Lust, uns fortzuschicken, aber nicht nach Hasa, sondern auf demselben Wege, den wir gekommen waren; endlich aber gab er so weit nach, dass er sagte, wir möchten nach Hasa gehen, und um unsere Reise zu beschleunigen, liess er uns das liberale Anerbieten durch 'Abd-el-Aziz machen; aber sowohl er als seine Rathgeber waren durchaus dagegen, uus längern Aufenthalt in Riad zu gestatten. Als der Nä'ib erfuhr, wie die Sache stand, hatte er einen neuen Zornesausbruch und liess sich manche sehr undiplomatische Aeusserung 418 über den König uud seine Minister zu Schulden kommen. Er konnte durchaus nicht begreifen, wie ein Beduine, denn so nannte er Fejsal, die Majestät des Schahs von Pcrsien, die durch seine Gesandten re-präsentirt wurde, so rücksichtslos behandeln konnte. Die Sache war aber nicht zu ändern und so machte er endlich gute Miene zum bösen Spiel, kauete etwas Opium, rauchte eine Narghilah und fing an, eine lange Liste von Beschwerden aufzusetzen, die er Mahbüb bei der bevorstehenden Zusammenkunft vorlegen wollte. WTir befanden uns in einer ziemlich misslichen Lage und wussten nicht, was wir thun sollten. Wir wollten Riad nicht eher verlassen, als bis wir unsere Neugier über Regierung, Volk und was sonst darin war, vollständig befriedigt hätten; wie aber konnten wir unsern Aufenthalt verlängern? Auf unserm Kopfe zu bestehen und zu bleiben, nachdem wir schon zweimal die Weisung erhalten hatten, abzureisen, wäre reine Tollheit gewesen und hätte unvermeidlich die schlimmsten Folgen nach sich gezogen. An Verbergen oder Verkleidung war vollends gar nicht zu denken. Abu-'Ejsa war über die Sache eben so ärgerlich wie wir selbst; unsere Freundschaft war seit unserer ersten Bekanntschaft in Berejdah durch den häufigen Verkehr dort und noch mehr auf der Reise von Kasim nach Riad immer enger und vertrauter geworden, und obgleich er nicht so recht begreifen konnte, welche Gründe wir haben konnten, länger in der Hauptstadt der Wahhabiten zu verweilen, so bedauerte er doch, dass unseren Wünschen solche Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Endlich, nach langer Ueber-legung und Berathung, schlug er vor, ein Mittel zu versuchen, mit dessen Wirksamkeit ihn lange Erfahrung hinlänglich bekannt gemacht hatte. Der König, obwohl eigensinnig und furchtsam, liess sich doch wahrscheinlich bei einer derartigen Angelegenheit durch den Rath der Minister leiten. Wenn Mahbüb und 'Abd-el-'Aziz auf unsere Seite gebracht wurden, so stand eine Revision des königlichen Edikts mit Zuversicht zu erwarten. Unbestechlichkeit war am Hofe von Neged eine sehr seltene Tugend, wie Abu 'Ejsa wohl schon früher erfahren hatte. Aber auch hier würde ein direktes Anerbieten baaren Geldes schlechten Eindruck machen. In dieser Verlegenheit konnten zwei Pfund wohlriechenden Holzes oder ,,'Ud", welches die Araber und namentlich die Negedäer ausserordentlich hoch schätzen, vielleicht von guter Wirkung sein und unsere bescheidene Bitte annehmbarer und wirksamer machen. Dieses erbot sich Abu 'Ejsa auf seine Kosten 4io herbeizuschaffen und geeigneten Orts anzubringen. Es war schon Abend, aber Abu 'Ejsa war nicht der Mann, der ein Geschäft aufschob, wenn die Zeit so kostbar war. Er ging sogleich, das Noth-wendige zu suchen, was ihm bei seiner Bekanntschaft in der Stadt sehr bald gelang. Nach kurzer Abwesenheit kehrte er zurück, um uns zu zeigen, was er gefunden hatte, und ging dann sogleich wieder fort, um es in unserm Namen Mahbüb und 'Abd - el - 'Azlz zu überbringen. Spät in der Nacht kehrte er zurück, um uns zu sagen, dass wir am nächsten Morgen eine günstigere Wendung erwarten könnten. Seine Hoffnung wurde nicht getäuscht. Noch vor Mittag wurde er wieder nach dem in der Vorstadt gelegenen Versteck des Königs beschieden, wo ihm eröffnet wurde, man habe nach reiflicher Ueber-legung gefunden, dass die Stadt Riad wirklich eines Aeskulaps bedürfe ; wir könnten also bleiben und unsere Kunst unter Fejsals Schutze ausüben, es würde uns kein Hinderniss in den Weg gelegt werden. So weit war Alles gut. Aber sowohl dieses, als manches Andere, was zwar weniger wichtig, aber eben so bezeichnend war, hatte uns die Augen geöffnet über die Schwierigkeiten, die uns umgaben. Ein argwöhnischer König, ein misstrauischer Hof, ein unfreundlicher Rath, ein Land, welches in ganz Arabien als gefährlich berüchtigt war — wir konnten uns nicht verbergen, dass, wenn eine schlimme Stunde glücklich überwunden war, andere und vielleicht noch schlimmere bevorstanden, und ^dass eine erkaufte Freundschaft bald entweder einen allzu hohen Preis für ihre Fortsetzung fordere, oder in offene und sehr schlimme Feindschaft umschlagen könnte. Mehr als je hatten wir Rath und Hilfe eines Mannes nöthig, der uns die Steine des An-stosses auf unserm Wege zeigen und uns helfen konnte, sie zu vermeiden. Dies war Abu 'Ejsa; aber wir hatten ihn bisher noch zu wenig mit unserm Charakter und unserm Zwecke bekannt gemacht, um seiner Mitwirkung unter allen Umständen sicher zu sein. Von der andern Seite wieder gaben wir uns ganz in seine Hände, wenn wir ihm Alles sagten, und er konnte dann leicht in Versuchung kom-raen, uns zu verrathen, um am Hofe zu hoher Gunst und Ansehen zu gelangen. Indessen Alles, was wir bis jetzt von ihm gesehen und gehört, berechtigte uns nicht, ihn einer solchen Niedrigkeit fähig zu halten; wir konnten vielmehr glauben, dass er in gewissem Grade auf unsere Pläne eingehen und zu deren Ausführung behilflich sein würde. 420 Ich überlegte die Sache mit Barakät am Abend sehr genau und endlich kamen wir zu dem Entschlüsse, Abu 'Ejsa dasselbe Zutrauen zu schenken, wie Teläl, und zwar unverzüglich, denn wie leicht konnte irgend ein unerwarteter Zwischenfall eintreten und die Sache noch mehr verwickeln. Ich wünschte, dass Barakät sich dieses ziemlich delikaten Geschäfts unterziehen möchte, bei dem ein geborner Araber offenbar weniger Gefahr lief, sich zu compromittiren, als ein Fremder und Europäer; er konnte sich jedoch nicht dazu entschliessen; es blieb mir also nichts Anderes übrig, als am nächsten Morgen die Sache selbst zu übernehmen. Nach dem Kaffee und anderen Präliminarien, die bei dieser Gelegenheit nothwendig schienen, nahm ich unsern Führer bei Seite und erklärte ihm, wer und was wir eigentlich waren, welchen Zweck und Ziel unsere lange Reise hatte, und sagte ihm Alles, was er wissen musste, wenn er bei dem, was jetzt zu thun bevorstand, wirksame Hilfe leisten sollte. Abu 'Ejsa hörte aufmerksam zu und unterbrach meine Auseinandersetzung nur durch einzelne Fragen oder einen freundschaftlichen Vorwurf, dass wir so lange gezögert, seiner Freundschaft, die er uns angeboten, das Vertrauen zu schenken|, welches sie verdiene. Die Unterredung dauerte bis gegen Mittag. Das Resultat unserer Unterredung war folgendes: erstens, wir wollten treu bei einander stehen, in Glück und Unglück, so lange die Vorsehung unsere Wege zusammenführen würde. Zweitens verpflichtete sich Abu 'Ejsa, meine Stellung als Arzt möglichst zu fördern und hervorzuheben und mir alle Wege und Mittel zu verschaffen, die zu einem ehrenwerthen Rufe führten. Drittens sollte Keiner von uns Riad verlassen ohne Zustimmung und Einwilligung des Andern; vielmehr wollten wir ruhig auf einander warten, bis Abu 'Ejsa seine Geschäfte in der Hauptstadt beendigt hätte und wir die unserigen, und dann uns zusammen auf den Weg machen. Viertens sollte Abu 'Ejsa Alles thun, was in seiner Macht stünde, um uns eine genaue Bekanntschaft mit Hasa und den östlichen Provinzen zu verschaffen. Fünftens endlich schlug mein Freund vor und empfahl mir ernstlich, die Inseln des persischen Meerbusens und vor allen das Königreich 'Oman zu besuchen. Zu dieser letztern Erweiterung unseres Planes fühlte ich damals wenig Neigung, weil ich glaubte, dass unsere Reise bereits lang genug sei, namentlich, da wir 421 uns in Hasa längere Zeit aufhalten mussten. Wir einigten uns also dabin, diesen Punkt der künftigen Erörterung offen zu lassen. Nachdem wir unsern Plan so weit vorgezeichnet, standen wir auf und gingen in das K'häwah zurück, wo Barakät das Resultat unserer Conferenz erwartete. Diesem, als einem jungen, noch unerfahrenen Manne, gab Abu 'Ejsa manchen guten Rath und ermahnte ihn, sich einer ernsten Haltung zu befleissigeu und seine Zunge wohl in Acht zu nehmen, namentlich so lange wir in Riad wären. Während diese Intriguen um uns herum gespielt wurden, ereignete sich noch manches Andere, das hier erwähnt werden muss, weil es für den Faden der Erzählung nothwendig ist, und was ich bis jetzt absichtlich verschwiegen habe, um die Hauptsache, von welcher Alles abhing, genauer verfolgen zu können. Meine Leser werden mir also erlauben, in meiner Erzählung wieder einen Schritt rückwärts zu thun. Ich sagte oben, dass Gelü'wi's Palast sehr bald sowohl mir als Barakät für unser ärztliches Geschäft nicht recht passend erschien und überdies für Fremde und „Ungläubige", wie wir, der Burg Fejsals zu nahe lag. Abu 'Ejsa hatte uns daher versprochen, sich nach einer passendem Wohnung für uns umzusehen. Am nächsten Morgen, ehe wir 'Abd-el-'Aziz begegneten, besuchte uns unser Führer und sagte uns, dass eine sehr bequeme Wohnung kostenfrei zu unserer Disposition stehe. Dies hatte Abu 'Ejsa durch einen seiner Freunde bei Hofe bewerkstelligt,. ohne Fejsal oder dessen Minister darum zu fragen. Wir machten uns sogleich auf, die vorgeschlagene Wohnung in Augenschein zu nehmen. Von dem Palaste Gelü'wi's gingen wir die grosse Strasse hinab, die nach dem Marktplatze führt, den wir zunächst diagonal durchschnitten , bis wir uns dem Burgthore gegenüber befanden; hierauf wanden wir uns durch ein Labyrinth von engen Nebengässchen und kamen, nachdem wir etwa acht Minuten gegangen, an einen hohen, bedeckten Durchgang; durch diesen gelangten wir in eine breite Sackgasse, an deren beiden Seiten sich mehrere kleine Wohnungen befanden; am andern Ende quervor stand ein grosses, zwei Stock hohes Haus. In diesem stattlichen Gebäude wohnte jetzt der Nä'ib Mohammed 'Ali mit seinem Gefolge. Der Besitzer, ein Mann von guter 422 Familie und, nach arabischen Begriffen, reich, war den Zeloten verfallen und hatte sich genöthigt gesehen, um einer tüchtigen Tracht Prügel oder vielleicht noch schlimmerer Strafe zu entgehen, sich zur rechten Zeit nach Hasa zurückzuziehen, wo wir ihn später fanden. Wie ihm, so erging es Hunderten. Sein Haus wurde confiscirt, zwar nicht vollständig, aber doch provisorisch, und die leeren Mauern bargen jetzt, auf Fejsals Anordnung, den Nä'ib und seine Gefährten. Ein Stück hinter dem „Platze" zur Rechten, führte ein Seitenthor zu einer bescheidenem Wohnung, die, wie viele andere Häuser in dieser Gegend der Stadt, zu dem Palaste gehörte und vermiethet wurde. Dieses Haus passte in jeder Beziehung zu unserer Lebensweise, und wenn die bisherigen Bewohner, welche es uns zu Gefallen räumten, einige Unbequemlichkeit davon hatten, so wurden sie dafür vollständig entschädigt durch ein grossartiges Geschenk von sechs Gedidahs (ein Ausdruck, den ich unten erklären werde) oder etwa zwei Schilling nach englischem Gelde, welches ihnen unsere Freigebigkeit aus freien Stücken zufliessen liess. Meine Leser können daraus entnehmen, dass der Werth des Geldes und dessen Verhältniss zur Hausmiethe in Riad ungefähr derselbe war, wie in London zur Zeit Edwards II. und auch noch später. Wir hatten hier nicht weniger als drei Zimmer, zuerst das Empfangszimmer oder K'häwah, nahe am Eingang, nebst Vorsaal und Feuerstätte. Es war lang und etwas dunkel, wie die meisten K'hä-wahs in Riad, weil mau hier in dem südlichen Klima und wegen der I- 21 grössern Hitze der Sonne möglichst wenig Zugang gestattet, noch weniger als in Hä'jel und selbst in Kasim und Sedejr. Hinter dem K'häwah war ein Hof; ein hübscher wohlriechender Strauch von der Species Verbena in der Mitte desselben zeigte uns, dass die Sitte in einer Stadtwohnung einige Pflanzen zu ziehen, um ihr dadurch ein einigermasGen ländliches Ansehen zu geben, sich nicht auf London und dessen Blumenbalkons beschränkt. In dem Hofe war auch eine Küche, die von dem übrigen Gebäude getrennt lag. An der andern Seite hatten wir ein ziemlich grosses Zimmer, welches ich zu meiner Droguerie und Consultationszimmer einrichtete. Das Dach desselben war flach, wie das des K'häwah, uud eben so wie dieses mit einer hohen Brustwehr umgeben; zu der einen Terrasse hinauf führte eine 123 hölzerne Treppe, zu der andern eine steinerne. Noch ein kleineres Zimmer diente den bisherigen Inhabern zu einer Art Möbel- und Vorrathskammer, zu welcher sie die Schlüssel behalten hatten. Wir waren hier nicht allzu entfernt vom Marktplatze, doch in gemessener Entfernung von dem Palaste und gerade in dem Quartiere, wo die wenigsten Zeloten und Niemand von der alten wahhabitischen Familie wohnte; ja, dieser Theil der Stadt stand in dem (guten oder schlechten) Rufe, der am wenigsten bigotte Stadttheil zu sein, und galt selbst als eine Art Zuflucht für die Fortschrittspartei, seit sogar Riad eine solche hat. Endlich wurden wir dadurch nächste Nachbarn des gesprächigen Nä'ib, dessen mit Schlauheit gepaarte Dummheit, stets zum Sprechen aufgelegte Zunge und gebrochenes Arabisch ihn immer zu einem unterhaltenden und zuweilen auch belehrenden Gesellschafter machten. Kurz, wir waren glücklich, eine solche Wohnung gefunden zu haben, und meinten nun, in Riad gute Geschäfte machen zu können. Ohne Verzug und guten Muths gingen wir daran, Alles in Ordnung zu bringen und unsern Haushalt nach unserer Weise einzurichten. Mehl, Reis, Fleisch und Kaffee wurden oder sollten wenigstens uns regelmässig aus dem Palaste geliefert werden, weil wir für Gäste des Königs galten. Da wir aber fanden, dass wir der königlichen Freigebigkeit nicht nothwendig bedurften, und dass es nicht schaden könnte, wenn wir einige Unabhängigkeit bewahrten, so forderten wir nur selten und überliessen oft das, was uns geliefert wurde, den Ueberbringern zu freier Verfügung. Das Einzige, worauf wir hielten, war der Kaffee, denn dieser war ausgezeichnet und wir konnten davon so viel bekommen, als wir wollten. Abu-'Ejsa, welcher zwei Drittheile seiner freien Zeit unter unserem Dache zubrachte, hatte uns Kaffeekannen und anderes Oerath verschafft; seine erste Sorge, als wir hier ankamen, war, einen neuen Mörser zu erwerben, dem ähnlich, welchen der treulose Hahbäsch in Berejdah entführt hatte. Unser Führer war ein leidenschaftlicher Kaffeetrinker und eben so mein Gefährte und ich selbst; übrigens machten wir uns zum Gesetz, dass Niemand unser Bereich betreten durfte, ohne unserem Kaffee Bescheid zu thun; so kam es denn, dass vom frühen Morgen bis spät Abends das Feuer nicht ausging und unsere Tässchen nicht Zeit zum Trocknen hatten. Ich muss hier meine Leser um die Erlaubniss zu einer kurzen Episode oder einer Abschweifung über das erwähnte Getränk bitten. In meiner Eigenschaft als Orientale, durch langjährigen Aufenthalt 424 im Orient, kann ich mich über die Unwissenheit ärgern, welche iu dem aufgeklärten Westen noch immer in Bezug auf diesen Gegenstand herrscht, und als Arzt (wenigstens in Arabien) kann ich nicht gleichgültig mit ansehen, wie meine Mitmenschen ihrem Nervensysteme so unbarmherzig mitspielen oder ihre Schleimhäute auf so unheilvolle Weise überschwemmen, wie nur zu oft westlich vom Bosporus geschieht. Man muss also wissen, dass der Kaffee, obwohl er nur einerlei Namen trägt, doch von sehr verschiedener Art ist; nicht jede Bohne kann auf die vortrefflichen Eigenschaften Ansprüche machen, welche man dem Kaffee im Ganzen beilegt. Der beste Kaffee, die Tadler mögen sagen, was sie wollen, wächst in Jemen und wird gewöhnlich Mokha genannt, nach dem Hafen, von wo aus er hauptsächlich ver-sahifft wird. Allein wenig, sehr wenig von dem ächten Mokha- oder Jemen-Kaffee findet seinen Weg westlich über Constantinopel hinaus. Arabien selbst, Syrien und Aegypten consumiren volle zwei Drittheile und das Uebrige wird fast ausschliesslich von türkischen uud armenischen Kehlen verschlungen. Aber auch diese bekommen nur einen sehr kleinen Theil des reinsten und besten. Bevor er die Häfen von Alexandria, Jaffa, Beirut u. s. w. erreicht, um weiter ausgeführt zu werden, sind die Ballen bereits mehr als einmal durchgesiebt und Bohne für Bohne gesichtet, und alle harten, runden, halb durchsichtigen, grünlich braunen Bohnen, die allein verdienen geröstet und ge-stossen zu werden, sind sorgfältig und von geübten Fingern ausgelesen worden und nur der geringere Rest von flachen, undurchsichtigen, weisslichen Bohnen übrig gelassen. Dieser Sichtungsprocess geht so regelmässig vor sich, dass man in der Qualität des Mokha, d. i. des Jemen - Kaffees, innerhalb der Grenzen Arabiens selbst eine Gradation beobachten kann, so regelmässig, wie die Grade auf einer Landkarte, je nachdem man sich dem Wadi Negrän und der Nachbarschaft von Mekka, den ersten Stufen des nach allen Seiten sich ausbreitenden Kaffeehandels, nähert oder sich davon entfernt. Ich selbst bin unzählige Male Augenzeuge dieses Aussiebens gewesen; die Operation wird mit der grössten Genauigkeit vorgenommen und erinnerte mich an die Sorgsamkeit der amerikanischen Diamantensucher 425 bei Durchstöberung des Sandes nach dem winzigen, aber kostbaren Schatze. Wie dieser Kaffee angepflanzt, eingesammelt und aufgespeichert wird, können meine Leser in Niebuhrs Werke über Arabien lesen, auf welches ich bereits mehr als einmal zu verweisen Gelegenheit hatte. Wahrheitsliebend wie ein Engländer, gewissenhaft genau als Deutscher, steht der Verfasser über allen neueren Reisenden in Arabien, sowohl was richtige Beobachtung, als auch was die Treue der Schilderung anbelangt. Ueberau, wo mein Weg mit dem dieses ausgezeichneten Forschers zusammentraf oder demselben nahe lag, fand ich immer die Oertlichkeiten und Rassen, die Sitten und Gebräuche vollkommen den Resultaten seiner Forschung entsprechend, weder mehr, noch weniger; das Buch bildet einen vortheilhaften Contrast zu den Rodomontaden mancher Reisenden und der leichtfertigen Un- genauigkeit anderer. Einige Concessionen muss man allerdings den Veränderungen einräumen, die während eines ganzen Jahrhunderts vor sich gegangen sind; auch muss man unterscheiden zwischen dem was Niebuhr nach eigener Anschauung giebt, und dem, was er nur nach den Erzählungen der Araber und Anderer wiedererzählt. Letztere sind oft ausserordentlich dürftig und unzuverlässig, und der Mangel einer vollständigen Vertrautheit mit der arabischen Sprache kann weder durch seine ausgebreitete Gelehrsamkeit in anderen Punkten, noch durch sein ausserordentlich kritisches Urtheil vollständig ausgeglichen werden. In dieser Beziehung ist der Engländer Lane offenbar im Vortheil gegen den unternehmenden Deutschen, und deshalb ist das Gemälde, welches Lane von der arabischen Rasse oder vielmehr ihrer Colonisten an den Ufern des Nil giebt, lebhafter und richtiger, als die Schilderung Niebuhrs. Jedoch zurück zu unserem Kaffee; ich muss noch einige Worte über die erste und beste Species desselben, den Kaffee von Jemen, sagen. Der Kaffee wird auf drei Hauptlinien von Jemen ausgeführt — über das rothe Meer, durch das innere Hegäz und durch Kasim. Die erste Linie führt nach Aegypten, die zweite nach Syrien, die dritte nach Neged und Schomer. Daher kommt es, dass von allen Ländern, ausserhalb der Grenzen Arabiens, Aegypten und Syrien noch am besten mit diesem speeifisch arabischen Produkte versorgt sind. Ueber Alexandrien und die syrischen Häfen erhalten Constantinopel und die nördlichen Länder ihren schon sehr verringerten Antheil. Aber dieses 526 letzte Stadium des Transports fördert selten ächte Waare weiter, es mussten denn besondere Massregeln getroffen und persönliche Freundschaft oder Interesse im Spiele sein. Wo der Handel allein dabei betheiligt ist, findet in den verschiedenen Waarenlagern an der Küste häufig eine Vertauschung mit geringerer Qualität oder eine Verfälschung statt, die nicht besser ist als Vertauschung, so dass das, was den Markt von Mokha zur Ausfuhr nach Europa und dem Westen verliess, mit der wirklichen Jemenischen Pflanze so wenig gemein hat, wie die Fabrikate der Londoner Weinschenken letzten Grades mit dem edlen Gewächs von Oporto. Die zweite Species Kaffee, welche Manche dem von Jemen sogar vorziehen, die aber nach meiner unmassgeblichen Meinung geringer ist, ist der abyssinische; die Bohne ist grösser, unterscheidet sich von dem jemenischen durch den Geschmack und ist weniger erhitzend, ist jedoch eine ausgezeichnete Species; und wenn je dem Menschen erlaubt sein wird, die Segnungen des reichen Landes, welches sie hervorbringt, zu geniessen, so wird sie wahrscheinlich bedeutend angebaut und ein wichtiger Handelsartikel werden. Hier aber ist, wenigstens nach orientalischer Anschauung und orientalischem Geschmack, die Liste des Kaffees zu Ende und beginnt die Liste der Bohnen. Unter diesen steht obenan das indische Produkt nebst dem Wenigen, welches die in jeder Hinsicht ähnlichen Anpflanzungen in 'Oman liefern. Diese Sorte liefert den Bedarf fast aller Kaffeetrinker von Dafar bis Basrah und von da weiter nach Bagdad und Mosul; Araber, Perser, Türken, Kurden und wie sie Alle heissen, haben keinen andern Kaffee. Wer nicht an den jemenischen Kaffee gewöhnt ist, mag die indische Art ganz erträglich und selbst wohlschmeckend finden; ich kann aber ohne Uebertreibung sagen, dass sie, wenn man direkt aus Neged oder Kasim kommt, kaum zu geniessen ist. Die unregelmässige Gestalt und schwärzliche Farbe der Bohne, namentlich der Mangel des halb durchsichtigen, dem Alabaster ähnlichen Ansehens, welches der guten jemenischen Varietät eigenthümlich ist, macht den Unterschied zwischen den beiden Arten dem blossen Auge bemerkbar, nicht blos dem Gaumen. Es ist möglich, dass mit der Zeit und bei sorgfältiger Pflege der indische Kaffee endlich beinahe ein Nebenbuhler des jemenischen, wenigstens des abyssinischen werden kann. Bis jetzt aber ist er es noch nicht. Welchen Ursachen dieses beizumessen, ob dem Boden, dem Klima oder der Art der Bebauung, lässt sich nicht sagen. Der amerikanische Kaffee nimmt nach dem Urtheile aller Orien- 427 talen die letzte Stelle ein und die Ausartung dieses Erzeugnisses der alten Welt in der neuen ist nicht weniger merkwürdig als die, welche man bei Reis, Thee u. s. w. bemerkt hat, und ist von einem analogen Charakter. Von dem batavischen Kaffee sage ich absichtlich nichts, da ich ihn, so viel ich weiss, nie selbst gekostet habe. Ich höre ihn zuweilen loben, aber von Europäern; von Orientalen habe ich ihn nie nennen gehört; vielleicht rechneten sie ihn mit zti( dem indischen. Ich habe oben, bei meinem Aufenthalte im Gauf, die Bereitung des Kaffees genau beschrieben; diese ist sowohl im Neged als dem übrigen Arabien überall dieselbe, nur dass im Neged eine Zuthat von Würze, wie Saffran, Gewürznelken und dergl. gewöhnlicher ist als anderwärts, was sich leicht daraus erklärt, weil man hier des Reizmittels entbehrt, welches in anderen Gegenden der Tabak gewährt. Eine weitere Folge des Nichtrauchens ist, dass im Neged der Kaffee weit stärker gekocht und häufiger und aus grösseren „Fingans" oder Tassen getrunken wird, als im übrigen Arabien. Man sieht, wie der Mensch immer, wenn ihm ein Vergnügen oder Genuss versagt wird, sich durch einen andern schadlos zu halten sucht. Bei dieser Gelegenheit will ich mir erlauben, einige Worte über das Verbot des Weins zu sagen, worüber schon Vieles gesprochen und geschrieben worden, ohne dass jedoch genügend erklärt ist, was den Propheten zu einer solchen Enthaltsamkeit in diesem Punkte bewegen konnte. Die orientalischen Christen haben eiue Geschichte erfunden, es ist aber reine Erfindung, nach welcher Mohammed oft betrunken gewesen und im Rausche seinen Lehrer, den nestorianischen Mönch Bohejrä, welchen die Kirchengeschichte unter seinem griechischen Namen Sergius kennt, getödtet haben soll; seine Reue über diese unglückliche Folge des Weinrausches soll ihn bewogen haben, den Wein ganz zu verbieten. Diese Fabel ist mit der geringsten Kenntniss der Thatsachen und Data leicht zu widerlegen, und ich würde sie gar nicht der Erwähnung werth halten, wenn nicht europäische Gelehrte ihr mehr Gewicht beigelegt hätten, als sie verdient. Andere wieder, ähnlich denen, welche meinen, dass Moses das Schweinefleisch deshalb verboten habe, weil es im Orient ungesund sei, ein Grund, der mit der langen Liste anderer Fleischsorten, die jetzt täglich und ohne zu schaden genossen werden und die den Israeliten ebenfalls verboten waren, schwer zu vereinigen ist, bildeten sich ein 428 dass Mohammed, in einem des Vaters Mathews würdigen Eifer, die durch übermässigen Genuss des Weins unter seinen Landslcuten verursachten Ausschweifungen, namentlich Streit, Schlägerei, Todtschlag und dergleichen, verhindern wollte, und deshalb beschloss, das weitverbreitete Uebel durch ein fulminantes und absolutes Veto seiner Ursache auszurotten. Ich will hier nur bemerken, dass die Araber in der Zeit vor dem Islam, obwohl sie, wie alle Menschen, auch gelegentliche Ausbrüche der Fröhlichkeit hatten, doch keine Irländer und die Leichenwachen in Neged nicht Sitte waren, daher schon der erste Grund der Parallele falsch ist. Allerdings schildern ältere arabische Dichter den Wein und seine erheiternden Wirkungen mit dem ganzen Enthusiasmus eines Horaz und Anakreon; aber Dichter, wie der Koran richtig bemerkt, „sagen, was sie nicht thun", und sind bei einer so ernsten Sache sehr ungenügende Zeugen. Allerdings haben manche neuere mohammedanische Schriftsteller dieselbe Ansicht über den Grund dieses Gesetzes vertheidigt, allein bei ihrer Unkenntniss der frühern Zeit und vollständigem Mangel an Kritik verdienen deren Auslegungen bei weitem weniger Beachtung, als man ihnen geschenkt hat. Trunkenheit war vor Mohammed eben so wenig ein Laster der Araber, wie jetzt unter der Bevölkerung, welche sein Verbot entweder nicht kennt oder nicht beachtet. Was ist nun der wirkliche oder wenigstens der hauptsächlichste Grund dieses auffallenden und, ich muss hinzufügen, unweisen Verbots? Unweise sicherlich, wenn es keine besseren Gründe hätte, als die, welche wir soeben als ungenügend oder fabelhaft zurückgewiesen haben. Nach Allem scheint das Wahrscheinlichste, dass dieses Verbot aus der Antipathie des Propheten gegen das Christenthum entsprang und dem Wunsche, die Kluft zwischen seinen Anhängern und den Christen möglichst zu erweitern. Der Stifter des Christenthums hat den Wein nicht allein geduldet, sondern sogar, wenn man so sagen darf, bevorzugt und zu hohen Ehren erhoben; ja, in dem Glauben von drei Viertheilen der christlichen Welt hat er vollständig übernatürliches Ansehen. Neben seinem religiösen und mystischen Gebrauche aber hat der Wein auch noch eine sociale Eigenschaft, und bei allen Nationen, die nach orientalischer Redeweise „das Evangelium als Buch haben", d. i. Christen sind, im weitesten Sinne des Worts, hat er immer in hoher Gunst 42» gestanden und überall steht er in Verbindung mit der Gesittung, der Freundschaft, heiteren und geselligen, häuslichen und selbst politischen Vereinigungen; und in dieser Beziehung ist er überall hoch geschätzt und in reichlichem Masse gebraucht worden. Mohammed erkannte dies und seine griechischen Nachbarn, deren Weisen und Sitten ihm keineswegs unbekannt waren, mögen ihm dafür ein belehrendes Beispiel gewesen sein. Sein prophetischer Scharfsinn liess ihn in den Christen bei weitem gefährlichere Gegner erkennen und von dieser Seite eine anhaltendere und gefährlichere Feindschaft fürchten, als er irgend von Juden und Persern zu erwarten hatte. Wenn aber die Macht und Anzahl der Christen eine beinahe achtungsvolle Toleranz von seiner Seite nöthig machte, so musste er auch auf Zeichen der Unterscheidung denken, welche seine Anhänger in einem beständigen Antagonismus mit denen erhalten sollten, die sie nicht so leicht verachten und mit Sicherheit verfolgen konnten. Wenn daher Mohammed das Getränk, welches den Christen heilig, ja beinahe ein Wahrzeichen des Christenthums ist, „unrein, einen Greuel und ein Werk des Teufels" nannte, so hatte er keinen andern Grund, als den, seinen Anhängern ein ebenso augenfälliges und unwiderrufliches entgegengesetztes Wahrzeichen zu geben, das durch alle Zeiten dauern sollte, das täglich gebraucht wurde und durch welches die Moschee in denselben Gegensatz zu dem Sanctuarium kam, wie der Harem zu dem christlichen Hauswesen. Und dieses kluge, obwohl im höchsten Grade nachtheilige Verbot hat seinen Zweck nicht verfehlt. Das System der muhammedanischen Staatsklugheit, wie es im Koran und der mit dem Verfasser gleichzeitigen Tradition erscheint, hat noch manches Andere in derselben Weise dem Christenthum entgegengesetzt. So z. B. der Hass gegen alle Darstellungen durch Bildhauerkunst oder Malerei, die dem orientalischen Christenthum so wesentlich sind, das Verbot des Glockengeläutes, dem sicher weniger die Furcht zum Grunde lag, dass die Engel dadurch aus dem Schlafe gestört werden könnten, wie Manche annehmen, als weil diese Art, zum Gebet zu rufen, bei der ganzen Christenheit eingeführt war, ferner der barbarische Abscheu Mohammeds gegen die Musik, welche er zu den schlimmsten Verführungskünsten zählt, durch welche der Teufel die Menschen berückt; auch das Verbot, in den ersten zwei oder drei Stunden nach Sonnenaufgang oder zwischen Sonnenaufgang und dem „Dhoha" und zwischen dem Nachmittag oder ,,'Asr" und Sonnenuntergang zu beten, soll weniger verhüten, dass der Teufel nicht das Gebet mit seinen Hörnern auffange, wie gewöhnlich angenommen wird, sondern wurde vielmehr deshalb gegeben, weil gerade dies die Stunden sind, in denen im Orient die Christen zu ihrem täglichen Gottesdienst zur Messe und Vesper zusammenkommen. Indirekt zeigt sich diese dem Christenthum entgegengesetzte Richtung auch in der Missbilligung des Handels, welche im Koran angedeutet und noch deutlicher in der Tradition ausgesprochen ist, namentlich das ausserordentliche Missfallen an Schifffahrt, welches sich in den authentischen Worten des Hegazischen Kameltreibers ausspricht: „men nezel' el bahra, morretejni f'kad kefer" — wer zwei Mal zur See geht, ist ein Ungläubiger. In der That, der Handel ist mit wenigen Ausnahmen nicht weniger beständig Hand in Hand mit dem Christenthum gegangen, als der Verfall desselben mit dem Islam, und die Religion, welche ihr erstes stellvertretendes Oberhaupt von einem Fischerboote nahm, hat viel gethan, das Meer mit zahllosen Schiften zu beleben, gegen die Mohammed einen instinktmässigen Widerwillen empfand. Mit einem Worte, Mohammed wollte vor Allem seine Religion und seine Anhänger in diametrale Opposition gegen das Christenthum setzen , und dieses gelang ihm vollständig, und ein Jahrtausend hat die beiden Religionsparteien, deren Wahrzeichen die vollkommene Antipathie ausdrücken einander nicht um ein Haar breit näher gerückt. Nächst dem Christenthum blieben in Arabien selbst noch zwei andere, ebenfalls dem Islam entgegengesetzte Principien, gegen deren Einfluss gewisse Vorsichtsmassregeln nöthig waren, obwohl in geringerem Grade, nämlich Judenthum und Heidentluim. Von Ersterein wurde eine hinlängliche Unterscheidung erzielt durch die nach der Ka'abeh gerichtete Stellung beim Gebet, durch den Genuss des Kamelfleisches, das in dem alten Gesetz verboten ist, durch die eigenthümlichen Modilicationen der islamitischen Polygamie und viele andere Puukte , die zu zahlreich sind, um sie hier alle aufzuzählen. Von den Heiden und den Sabäern Arabiens hatte Mohammed verhältnissmässig wenig für seine Religion zu 431 fürchten, weder direkte Opposition, noch Assimilation. Ein Compro-miss war an und für sich unmöglich, auch liess sich nicht annehmen, dass der Kampf mit diesen Gegnern langwierig und zweifelhaft sein werde. Dem Christenthume gegenüber hingegen war die Stellung eine ganz andere: ein Kampf, dessen Dauer nicht abzusehen war, bei dem die feindlichen Parteien von gleicher Stärke zu sein schienen und bei dem zugleich auf beiden Seiten noch manches Verwandte war, was die Gefahr eines Compromisses für das Wesen des Islam selbst verderblich machen konnte, wenn Verkehr und Zeit die durch langen Krieg und Controverse ermüdeten Gemüther wieder versöhnte. Specielle Unterscheidungen und eine dem ganzen täglichen Leben entgegengesetzte Strömung waren daher nothwendig, um eine Rivalität und Unähnlichkeit zu erhalten, die für die Existenz des Islam selbst wesentlich war. Die folgenden Jahrhunderte bestätigten sowohl, dass die Gefahr vorhanden, als auch, dass die dagegen getroffenen Massregeln die richtigen seien. Die Geschichte der asketischen Brüderschaften und geheimen Sekten des Orients, von den Dardanellen bis an den Indus, erläutert jeden Punkt und beweist, wie nahe der Islam mehr als einmal durch die indirekte Infiltration expansiver Ideen und christlicher Vorstellungen an den Band der Auflösung gebracht wurde. Wenn es Zeit und Umstände erlaubten, so verdiente dieser Gegenstand wohl eine weitere Erörterung, hier aber muss ich ihn leider verlassen, um wieder zu Mohammed zurückzukehren, den wir verliessen, wie er als geschickter Feldherr seine Schlachtreihen zu einem verzweifelten Kampfe ordnete. Seine Anhänger täglich und stündlich durch eine Reihe beständig wiederkehrender Riten und Pflichten — kurz genug, um nicht zu ermüden, aber so oft erneuert und wiederholt, dass ein Vergessen unmöglich ist — zu erinnern, welcher Organisation sie angehören, wobei jedes Gebet, jede Formel eine Recapitulation des Grunddogmas und die Quintessenz der unterscheidenden Lehre enthält, durch ihre Einförmigkeit selbst antreibend und bei aller Kürze reichhaltig, und die zu gleicher Zeit nicht weniger den Unterschied, Gegensatz und Unvereinbarkeit mit allen anderen Bekenntnissen fühlen lassen, war der Zweck, welchen der Prophet vor Augen hatte und den er zum grossen Theil erreichte. So aber konnte er wohl gegenüber einer Religion, die er eben so sehr fürchtete als hasste, manche halb versöhnende 432 Redensarten gebrauchen und Manches höflich verschweigen, während er im Kampfe gegen dieselbe eine gewisse Mässigung beobachten und auf ihre Macht und längeres Bestehen Rücksicht nehmen musste. Der Gegenstand ist wichtig und ich hoffe, meine Leser werden mir bei dieser langen Unterbrechung meiner Erzählung ihre Geduld nicht entziehen und mir erlauben, noch einmal auf das Verbot des Weines zurückzukommen, welches zu dieser Abschweifung Veranlassung gab. Mohammed hatte dabei gleichzeitig noch einen andern Zweck vor Augen, der ihm vielleicht selbst weniger klar, jedoch nicht weniger wirksam war. Die Einigung seiner Anhänger unter einander in Religion und Krieg zu fördern, diese beiden Zwecke zu einem einzigen zu identificiren und deshalb von jeder andern Vereinigung, welche sie zerstreuen und ihre Aufmerksamkeit ablenken und die ungetheilte Energie und Concentration vermindern konnte, abzurathen und abzuschrecken, war ein des mekkanischen Propheten würdiges Project, und die Mittel, welche er anwendete, dieses ins Werk zu setzen, waren eben so charakteristisch für das System, wie für den Mann. So war er zunächst bemüht, die häufige Versammlung seiner „Gläubigen" festzustellen, nicht ein Mal, sondern fünf Mal des Tages, zu gesetzlich verordneten, ich möchte fast sagen officiellen Gebeten, denen er eine beinahe militärische Form gab, die dem oberflächlichsten Beobachter in die Augen fällt. Wenn man eine Versammlung betender Mohammedaner sieht, gross oder klein, in der Moschee oder unter freiem Himmel, mit dem vorbetenden Imäm an der Spitze, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf, ob man ein Regiment mit dem Exercir-meister vor sich hat. Ferner, die ganze Staatsmaschine der Regierung, der bürgerlichen, gerichtlichen und militärischen Verwaltung wurde nicht, wie im christlichen Staate, neben der Religion und von dieser getrennt, obwohl mitwirkend, errichtet, sondern mit der Religion verflochten oder vielmehr mit derselben ein und dasselbe System und mit dem unterscheidenden Glauben selbst ein untrennbares Ganzes bildend, wie die beiden Seiten einer Münze oder die beiden Hände eines und desselben Körpers. Ferner verordnete eisernen Anhängern den jährlichen „Ghaza" oder Krieg gegen die Ungläubigen als einen wichtigen, ja sogar als den einzigen Zweck ihrer Vereinigung zu einer Gemeinde, als erste Pflicht, als wesentliche Bedingung. Dies war viel; aber noch mehr war erforderlich, um einem Plane Erfolg zu sichern, der je umfassender, desto schwieriger war. Den positiven Verordnungen und Observanzen mussten noch besondere Vorsichtsmassregeln beigefügt werden. Was nur irgend die Aufmerksamkeit der „Gläubigen" zerstreuen und ihre Energie schwächen oder ihre Gedanken nach anderen Kreisen ziehen konnte, das musste so 433 viel als möglich vermieden, verhindert, verboten werden. Handel und Verkehr wurden daher als dem wahren Muslim unziemlich dargestellt und selbst der Ackerbau fand wenig Gnade in den Augen des Sohnes 'Abd-Allahs. „Die Engel besuchen nicht ein Haus, an dem ein Pflug liegt", sind Worte des mekkanischen Propheten, welche seine Lieb-lingsconcubine 'Ejschah überliefert hat, und sie erfordern keinen Commentar. Aber noch war das gesellige Leben übrig — sowohl das mehr äusserliche, welches hauptsächlich darin besteht, was wir mit dem nicht ganz entsprechenden Ausdrucke „Unterhaltung" bezeichnen, aIs auch das mehr innerliche, das jedem Christen werth und theuer ist, das Familienleben, — das Haus. Beides wurde dem Moloch der militärischen und fanatischen Existenz geopfert. Mohammed wusste sehr wohl, dass man nicht leicht zu geselligen Vergnügungen zusammenkommt, ohne etwas zu haben, das als Handhabe der Unterhaltung dient und gewissermassen deren Symbol ist-er belegte daher Alles, was eine solche Handhabe oder Symbol werden konnte, mit seinem vernichtenden Anathema. Spiel, literarische oder poetische Vorträge, theatralische Vorstellungen, Musik, ja selbst Gespräche, bei denen sich nicht Alles um den Namen Gottes dreht, wurden getadelt, gebrandmarkt oder geradezu verboten. Dafür haben wir unleugbares Zeugniss seiner Zeitgenossen. Von Allem aber, was uns Gott gegeben oder was der menschliche Geist erfunden hat, ist nichts mehr geeignet, das Herz des Menschen zu erfreuen und Freundschaft und Heiterkeit zu erwecken, als der edle Traubensaft; dieser wurde daher mit einem besondern Anathema belegt und streng und entschieden verboten, und es ist wohl nicht übertrieben, wenn ich sage, dass Mohammed durch wenige seiner versengenden Verordnungen seine Anhänger mehr mit dem Fluche jener sterilen Unfähigkeit zu Fortschritt, Vereinigung, Toleranz und Verbesserung belegte, welche ihnen die Bewunderung eines verwandten Despotismus und den Hass der christlichen, ja selbst der heidnischen Welt zugezogen hat, als durch das Verbot des Weines, als eines Werkes des Teufels, und indem er den Gebrauch desselben unter den Nationen des Islam verbannte. i Wenn die Grenzen meines Werkes erlaubten, die Annalcn der arabischen Geschichte und die poetischen Denkmäler des vorislamischen Lebens anzuführen, so würden meine Leser noch besser im Stande sein, den Grad der Civilisation zu würdigen, welchen ein grosser Theil der arabischen Basse bereits erlangt hat, so wie den Antheil, welchen Gastlichkeit und Lustbarkeit an nationalem Fortschritt haben. Aber dieser Gegenstand erfordert eine besondere Abhandlung und uner-müdete Leser; die meinigen aber sind bereits quer durch die halbe Halbinsel geschleppt worden und die andere Hälfte liegt noch vor ihnen. Gern würde ich mir erlauben, einige Stellen aus jenen ana-kreontischen Gesängen mitzutheilen, sie mussten aber vollständig und mannigfaltig sein, um als Beweis oder selbst nur als Erläuterung dienen zu können, Bedingungen, die mit den Beschränkungen meines wirklichen Zieles unvereinbar sind. Ferner erklärte Mohammed die Frauen und Kinder für eine „gefährliche Versuchung". Die Folge konnte nicht anders als nachtheilig sein, und die ganze Blüthe des häuslichen Lebens und der Familienbande wurde durch Verordnungen, welche die Ehe zu nichts Anderm machten, als zu einem Concubinatc, im Keime erstickt; denn die natürliche Folge der Vielweiberei und leichten Ehescheidung war die, dass die Kinder von den Eltern getrennt und gegen einander aufgebracht wurden. Wer Geduld genug hat, sich durch die blutigen und unsauberen Scenen einer mohammedanischen Dynastie hindurch zu arbeiten, kann hier auf dem Schauplatze des Lebens der Könige und Sultane sehen, wie es in den Wohnungen der Bauern und Handwerker in den Ländern hergeht, die mit dem Koran gesegnet sind. Die ganze Kraft, die ganze Existenz seiner Nachfolger sollte sich so, nach der Vorstellung Mohammeds, in drei Dingen concentriren — Gebet, Krieg und Frauen. Die beiden ersten als Pflicht, die letzteren als Zeitvertreib. Dass ein Lebenszustand, in dem kein Vergnügen, keine Belustigung, keine Zerstreuung geduldet wurde, ausser der blossen und niedrigsten Sinnlichkeit, noch einen Schritt weiter gehen und zu namenlosen Lastern führen müsse, war eine nur zu natürliche Folge, als dass sie dem scharfen Blicke Mohammeds entgehen konnte, und er selbst sagte, nach einer Ueberlieferung: „Ich fürchte für meine Gläubigen die Sünden Sodoms und ihre Strafe". Und es bedarf auch keines Sehers, um zu erkennen, dass der, welchem erlaubte Vergnügungen verboten werden, unerlaubte aufsucht, und wo die Frauen zu J35 tief stehen, um geachtet zu werden, sie auch zu verachtet sind, um geliebt zu werden, da aber Mohammed dieses voraussah, so war er auch nachsichtig, und die geringe Strafe, welche in seinem Gesetz dieser Klasse von Uebertretern angedroht ist, kam der Häufigkeit des Uebels zuvor, indem sie der ungenügenden Strafe einen einfachen Tadel entgegensetzte. Beständige Arbeit ohne Erholung erschlafft und, könnte man hinzusetzen, verdirbt. Kämpfen und beten, beten und kämpfen mit keiner andern Unterbrechung, als gemeiner Sinnlichkeit, kann genügen, um die Kräfte der Krieger in der ersten Fluth der Eroberung und der Zeloten in der eisten Fluth des Fanatismus zu absorbiren. Aber wenn diese Reizungen, wie mächtig sie auch ohne Zweifel sind, nachlassen, wie sie endlich müssen, wohin wendet sich dann die Ermüdung und Sättigung des Geistes zurück? Nicht zur Liebe, denn diese ist zur Wollust erniedrigt; nicht zu der Familie, denn Scheidung und Polygamie haben sie untergraben; nicht zu Wein, Spiel und Fröhlichkeit, denn diese sind Erfindungen des Teufels; nicht zu Ackerbau, denn dadurch geht man des Besuchs der Engel verlustig; nicht zum Handel, denn er ist eine Abwendung von „dem Allmächtigen, dem Ernährer"; nicht zur Wissenschaft, denn „viel Forschen ist Ketzerei" — hat der Prophet erklärt. Kann man wohl ein Pferd, das so eng eingespannt ist, tadeln, wenn es über die Schnur springt, wenn es nicht gar sich niederlegt, um sich in Schmutz und Faulheit zu wälzen? Dass dies die natürliche, die einfach unvermeidliche Tendenz der mohammedanischen Institutionen ist, unter denen das Verbot des Weines hier als ein Beispiel stehen mag, obwohl es nicht das wichtigste ist, scheint mir, und ich glaube Jedem, der die menschliche Natur nur einigermassen kennt, vollkommen klar. Resultate zeugen am besten für das System; nur Engherzigkeit, furchtbare Sittcnverderbniss, grausame, verwüstende Kriege an den Grenzen, im Innern endloser Hader in allen Formen, Familienzwist, bürgerliche Unruhen, convulsiver Fanatismus, der mit lethargischer Erstarrung wechselt, vorübergehende Blüthe, der ein langer unaufhaltbarer Verfall folgt, das ist die allgemeine Geschichte der mohammedanischen Regierungen und Rassen. Und dass dies wirklich und sichtlich der Fall ist, hat sich bereits in der 430 Entwickelung und dem Laufe der Ereignisse in diesem Musterstaate des ächten Islams, dem Utopien des Koranismus, dem wahhabitischen Reiche gezeigt und wird im Verlaufe dieser Erzählung — in flcr ich nur wiedergebe, was ich mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Ohren gehört habe, nicht aus der Ferne, sondern an Ort und Stelle_ in seiner ganzen hässlichen Nacktheit zu Tage treten. Ich weiss sehr wohl, dass einzelne Individuen, ja selbst Nationen vorübergehende Ausnahmen von der allgemeinen Regel machen können. Unter den schlechtesten Systemen kanu zuweilen etwas Gutes aufgehen und sogar eine Zeitlang zu einer gewissen Blüthe gelangen, eben so wie das Böse zwischen dem Besten. Die menschliche Natur ist so constituirt, dass sie gegen ihren Ruin reagirt, und selbst der Koran kann die Keime der Familicnliebe, der ehelichen Zuneigung, edlen Thätigkeit, freundlichen Duldung und der Civilisation nicht ganz ersticken und nicht verhindern, dass sie nicht wenigstens zu einer halben Reife kommen. Dies gilt in allen Ländern und bei allen Völkern, insbesondere aber bei der arabischen Rasse, die mit den besten Gaben der Natur ausgestattet ist, namentlich mit einer elastischen, nicht zu erdrückenden Lebenskraft. Durch den Eindruck, welchen solche glückliche, obwohl seltene Ausnahmen machen, haben manche geistreiche Schriftsteller, die in anderen Dingen ein richtiges Urtheil haben, indem sie die Aufmerksamkeit auf solche glückliche Anomalien richteten, sich täuschen lassen oder zu täuschen gesucht, indem sie dem Koran zuschreiben, was eigentlich trotz des Korans gekommen ist, und den Islam erheben wegen der Erfolge der Reaction gegen den Islam — mit einem Worte, indem sie die Ausnahme für die Regel setzten und den Antagonismus für das Princip. Mit gleichem Rechte könnte man Karl I. die Abschaffung der Sternkammer oder dem politischen Gewissen seines Sohnes die Habeas-Corpus-Acte zuschreiben. Sociale, politische, nationale und religiöse Reaction ist in der That oft und in grosser Ausdehnung in den Gebieten des Mohammedanismus in Wirksamkeit gewesen und hat bald bewundernswerthe, bald abscheuliche Resultate zuwege gebracht. Dies ist das unvermeidliche Gesetz dieses Processes, wo er irgend, physisch oder moralisch, zur Existenz gerufen wird. Aber es ist nur Gerechtigkeit, in dem, was des Lobes würdig ist, die wahre Tendenz des reagirenden Geistes zu sehen, während wir in den abscheulichen Ausschreitungen, die nur zu häufig dem Bessern nahe verwandt sind, die verthierende Entartung sehen, welche durch ein lange getragenes, zuletzt abgewor-437 fenes und gebrochenes Joch herbeigeführt wird. Die Menschen sind keine gebornen Thiere, aber sie können beinahe dazu gemacht werden. Auch hier, um wieder auf das Land unserer Reise zurückzukommen, haben wir bereits etwas von derselben unausbleiblichen Reaction innerhalb der arabischen Halbinsel beobachtet; mehr und von noch tieferem Charakter wird noch kommen. Aber meine Leser werden nicht mit Unrecht meinen, dass wir lange genug bei diesem Gegenstande verweilt haben; ich will daher eilen, sie wieder nach unserm K'häwah zurückzuführen, wo uns die Kaffeebecher zu den Weinbechern führten und der Wein zu der ganzen Theorie des Islam. In der bereits beschriebenen Weise in unserer Wohnung eingerichtet und mit mehr als einem Monat ruhigen Aufenthalts vor uns, trafen wir unsere häuslichen Einrichtungen und kamen über eine Art Theilung der Arbeit überein. Abu 'Ejsa musste, so zu sagen, unsere auswärtigen Angelegenheiten leiten, Nachrichten vom Hofe bringen und unsern Ruf als Aerzte in der Stadt verbreiten. Barakät hatte den Haushalt zu besorgen, die täglichen Bedürfnisse einzukaufen, wenn es nöthig war, zu kochen — kurz Alles, mit Ausnahme des Kaffees, den sich Abu 'Ejsa vorbehielt. Ich für meinen Theil sollte der grosse und gelehrte Aeskulapius sein, Arzneien bereiten, Consultationen er-theilen, „weiser aussehen, als ein Mensch sein kann", und demgemäss sprechen. Wir hatten uns sicher nicht über zu wenig Beschäftigung zu beklagen. Ehe wir aber die bunte Menge einlassen, die unsere Thür belagert, oder den Faden merkwürdiger Intriguen entwirren, der sich durch diese Periode unseres Reiselebens hindurchzieht, wie die Zwischenhandlung eines Romans, und der wie ein Roman mit einer wilden Katastrophe endigt, wollen wir einen Morgenspaziergang durch die Stadt unternehmen, um eine allgemeine Kenntniss von Riad und dessen Einwohnern zu gewinnen. Es ist um die Zeit des Sonnenaufgangs; geringe Leute, wie wir, sind auf und munter, vornehme, wie der König und sein Hof, haben sich niedergelegt, um zu schlafen; denn da die wabhabitische Fröm-mi keit fordert, dass man bei Sternenlicht aufsteht, um schon vor dem Morgengebet sich durch Lesen im Koran zu erbauen, so ist nach den in die Länge gezogenen Ceremonien des Morgengottesdienstes, der von irgend einem grämlichen Zeloten oder Metow'waa' zu einer unerträglichen Länge ausgedehnt worden, ein Morgenschläfchen von zwei 438 Stunden nöthig, um zu den supererogativen Gebeten des Dhoha und den täglichen Geschäften Kräfte zu sammeln. Geringere und weniger fromme Leute freilich, wie wir selbst, sind bereits bei ihrer Arbeit und geniessen die kühle Morgenluft, denn die ersten Strahlen der Sonne sind während des Winterhalbjahrs in diesem Thale gewöhnlich durch einen dünnen Nebel gemässigt. Wir wollen Datteln, Zwiebeln und Butter kaufen — drei Dinge, ^ die in 'Aared in besonderer Güte zu haben sind. Datteln giebt es hier sehr verschiedene Arten; die besten sind die rothen, aber einige lange gelbe Arten, ohne Kerne, sind sehr wohlfeil und wohlschmeckend. Zwiebeln sah ich nirgends so gross und von so ausgezeichneter Qualität wie in 'Aared. Schade, dass die Engel des Islam in dieser Beziehung nicht mit meinem Geschmaeke übereinstimmen; gute Wahhabiten können daher Zwiebeln nur mit der Vorsicht essen, dass sie nachher den Mund gehörig ausspülen und die Hände waschen, namentlich wenn die Zeit des Gebets nahe ist, damit nicht der Geruch — der Zwiebeln, nicht der Heiligkeit — die Schutzgeister fernhalte und die Betenden dann ohne Beistand und die Andachtsübungen deshalb unvollständig bleiben. Zum Glück fehlt es nicht au Seife und Pottasche und ausserdem giebt es hier viele ziemlich laue Wahhabiten, zu denen auch wir gehören. Die Butter ist weisslich und wird in kleinen runden Wecken verkauft, wie in Kasim. Diese Delicatesse muss natürlich beständig unter Wasser gehalten werden, damit sie nicht zerfliesst. Wie ächte Araber binden wir unser Kopftuch um das Kinn, ziehen unsere schwarzen Röcke an, nehmen Jeder einen langen Stock in die Hand und schreiten so durch die engen Gassen, die zwischen unserm Hause und dem Marktplatze Hegern, einem BegTäbnißsplatze zu, nur leise mit einander sprechend. Die uns begegnen, grüssen uns oder wir grüssen sie; man muss wissen, dass die kleinere Anzahl immer die grössere Anzahl zuerst grüsst, der Reitende den, welcher geht, der Gehende den, welcher steht, der Stehende den, welcher sitzt, u. s. w.; niemals aber darf ein Mann eine Frau grüssen; auch die Verschiedenheit des Alters oder des Ranges «ändert bei den Männern nichts an diesen allgemeinen Regeln betreffs des Zuerstgrüssens. Von Solchen, die uns persönlich kennen oder die unsere Patienten sind, 130 wird unser Gruss, wie sich gehört, erwidert; orthodoxe Wahhabiten hingegen würdigen uns kaum eines Blickes. Endlich erreichen wir den Marktplatz; er ist mit Frauen und Bauern angefüllt, die ausser dem, was wir suchen, auch Fleisch, Brennholz, Milch u. s. w. feil halten. Die Käufer umstehen sie und gehen ab und zu. Wir suchen ein Körbchen Datteln aus und beginnen mit der nichts weniger als schönen Phyllis, welche neben ihrem ländlichen Vorrathe sitzt, um den Preis zu handeln, der uns zu hoch ist. „Bei ihm, der Fejsal schützt", antwortet sie, „ich setze bei diesem Preise zu". Wir bestehen auf unserm Gebote. „Bei ihm, der Fejsal ein langes Leben schenken mag, ich kann nicht", antwortet sie. Auf solche Betheuerungen haben wir nichts zu entgegnen und geben entweder nach oder gehen weiter. Die Hälfte der Läden, namentlich solche, in denen Materialwaaren und andere zum täglichen Haushalt nöthige Artikel verkauft werden, Schuhmacher- und Schraiedewerkstätten sind bereits geöffnet und hier herrscht ein geschäftiges Drängen, denn die Hauptstadt eines streng centralisirten Reiches ist immer voll von Fremden, welche verschiedenartige Geschäfte hierher führen. Das grösste Gedränge aber, von Menschen und Hunden, ist bei den Fleischern. Meinen Lesern wird ohne Zweifel bekannt sein, dass im ganzen Orient die. Hunde die einzigen privilegirten Gassenreiniger sind. Die Negdäer sind grosse Fleischesser, was bei.dem geringen Preise, welchen das Fleisch hier hat (ein fettes Schaf kostet etwa anderthalb Thalcr, oft noch weniger), und bei dem guten Appetite der Bergbewohner kein Wunder ist. Nur wünschte ich, dass die städtische Polizei ein wenig mehr auf Reinlichkeit sähe; denn um jeden Stand eines Fleischers ist der Boden wenigstens drei Schritt weit mit Abfall und Unrath bedeckt; aber die Hunde und die trockene Luft tragen viel dazu bei, diesen Ucbelstand weniger schädlich zu inachen, wie ich schon in Hä'jel und Berejdah bemerkte; dies gilt lür ganz Centraiarabien. Ehe wir aber unsern Weg fortsetzen, wollen wir die Leute ein wenig näher betrachten, welche jetzt auf dem Platze versammelt sind, den die düstern Mauern des Schlosses überragen und welcher von dem massiven Säulengange von Fejsals geheimer Gallerie und den Läden und Häusern begrenzt ist, die das unregelmässige Viereck bilden. Einige Städter von gutem Ansehen sind bereits zugegen; sie unterscheiden sich im Aeussern wenig von denen, welche wir in Schomer und Kasim gesehen, nur ist ihre Kleidung bedeutend einfacher, ihr Wuchs etwas kleiner und die Gesichtsfarbe dunkler. Am meisten vielleicht unterscheiden sie sich von jenen dadurch, dass sie keine langen Schmachtlocken tragen, die in den beiden genannten Distrikten allgemein üblich sind. Hier aber giebt es auch viele Fremde, von 440 denen manche vielleicht eben so fremd sind, wie wir selbst. Die schlanke schwarzbraune Gestalt mit safrangelber Jacke von engerm Schnitte, als das gewöhnliche weite Hemd der Negdäer, mit einem krummen Dolch im Gürtel und kurzem gelben Stock in der Hand ist ein Ein geborner aus der Gegend von 'Oman, mit welchem Lande die Wah-habiten jetzt in häufige und nicht immer freundliche Berührung kommen. Jener in dem bunten Oberkleide, mit einem grossen blauen und mit rothen und gelben Fransen geschmückten Turban, welcher ein den in Centraiarabien gewöhnlichen Zügen sehr unähnliches Gesicht beschattet, das sich etwas dem persischen oder indischen Typus nähert, ist ein Bewohner von Bahrejn, welchen Handelsgeschäfte oder Tributzahlung hierher geführt haben, sehr gegen seinen Willen; denn wie sein Bruder aus 'Oman, mit dem er auf sehr vertrautem Fusse zu stehen scheint, denkt er nur daran, seine Waaren loszuschlagen und dann schneller, als er hergekommen, wieder davonzugehen. Die Diener unseres Bekannten, des Nä'ib, erkennt man in der Menge leicht an dem in Bagdad, gewöhnlichen lüderlichen Ansehen, eben so leicht die runzeligen, verdriesslichen Gesichter der Mekkaner. Dort aber kommt eine Procession; es ist ein vornehmer Mann aus Medinah, der Alles, was ihn umgiebt, verabscheut und von Allen verabscheut wird, mit seinem zahlreichen reichgekleideten Gefolge in Seide und Goldstickerei, den sehr wichtige Geschäfte hieher nach Riad geführt haben; vielleicht soll er ein Wort für seine Freunde in 'Onejzah einlegen, freilich vergebens, vielleicht auch im wahhabitischen Interesse einen Plan zum Sturze des gegenwärtigen Scherif berathen. Was es aber auch sein mag, Alle sehen ihn fiuster an und er thut desgleichen. Ich weiss nicht, auf welcher Seite Hass und Verachtung grösser sind. Dicht daneben sehe ich eine hohe schlanke Figur von auffallender Schönheit in zwar nicht reicher, aber eleganter Kleidung. Es ist Räfia', ein Glied der Familie Sedejri, ein im Kriege wegen seines Muthes, im Frieden wegen seiner Klugheit geachteter Häuptling, der aber jetzt, wie alle seine Verwandten, in officieller Zurückgezogenheit lebt, weil er zu der nationalen Partei der Provinz gehört und im Verdacht steht, der Dynastie von 'Aared nicht ganz aufrichtig ergeben zu sein. Der Verdacht ist vielleicht nicht ganz ohne Grund, und wüsste man am Hofe, wie ich und Abu 'Ejsa, dass diese feinen Lippen nicht selten dem Genüsse des Tabaks fröhnen, so würde Räfia', fürchte ich, selbst noch schlechter angesehen werden, als schon geschieht. Den Vorwand zu seiner Anwesenheit in der Hauptstadt geben territoriale Streitigkeiten; der wirkliche, aber geheim gehaltene Zweck ist der, zu erforschen, welche Aussicht 'Abd-el-Mahsin es Sedejri hat, 441 wieder in die Stelle eingesetzt zu werden, welche seine Vorfahren inne hatten. Sollten meine Leser etwa die Ursachen der Feindschaft zwischen den Edlen von Sedejr vergessen haben, so muss ich sie hier auf unsern eintägigen Aufenthalt in Megmaa im vorhergehenden Kapitel verweisen. Jetzt drängt sicli ein Häuptling von 'Otejbah oder Agmän durch die Menge; mit beduinischer Sorglosigkeit schleppt er seinen Rock auf dem Boden, dessen Saum eine unregelmässige Franse von aufgedröseltem Zwirn bildet. Früher, während der Anarchie, die dem ägyptischen Kriege folgte, Herren, der eine des westlichen, der andere des Östlichen Neged, waren diese Stämme die ersten, welche das Schwert Fejsals fühlten, und nachdem sie die Krieger, welche sie in ihren Fehden erschlagen, zu Hunderten, die geplünderten Kamele zu Tausenden gezählt hatten, unterwarfen sie sich der Uebermacht nur mit dem grössten Widerstreben. Jetzt gezwungen, wie Pope's Geister, oft an den Stellen zu erscheinen, wo ihre Freiheit zu Grunde ging, statten sie der Hauptstadt traurige Besuche ab und treiben sich Monatelang müssig in den Strassen umher, einer Audienz bei ihrem „Oheim" Fejsal harrend, der ihnen den bittern Kelch der Verachtung und Unterwerfung in vollen Zügen zu trinken giebt. Vae victis in Arabien und in der ganzen Welt. Unsere beduinischen Freunde sind aber nicht zu bedauern, denn sie erhalten nur, was sie verdient haben, leider nur aus der Hand Solcher, die eben so grosse oder noch grössere Räuber und verheerende Tyrannen sind, wie sie selbst. In der Menge sind noch viele andere in Riad nicht heimische Elemente, die jedoch hier nie ganz fehlen. Kameltreiber aus Zalphah, die in ihrem häufigen Verkehr mit Zobejr und Basrah neben dem dreist-verwegenen Wesen dieser halb schiitischen, halb ungläubigen Bevölkerung wahhabitische Würde und negdäischen Anstand angenommen haben. Einige uugerathene Burschen, die ihrem Vater oder dem Metow'waa' in Riad davon gelaufen und ihr Glück unter den Schiffern in Kowejt oder Tärüt gesucht und mit Sitten und Manieren zurückgekehrt sind, die in Wapping oder Portsmouth am Platze wären, denn die Theerjacken sind überall gleich; eiu kleiner Hausirer aus Jemen, der durch Wädi Negrän und Dowäsir heraufgekommen und l'uhig durch die Strassen der Hauptstadt schlüpft und über Alles lacht, was er sieht; vielleicht ein Derwisch aus Beludschistan oder Kandahar, wie die, welche uns vor einem Monate nach Berejdah begleiteten und die 442 hier auf Gefährten warten zur Reise durch den östlichen Arm der Wüste, dem persischen Meerbusen zu; unter diese gemengt die Bettler von Dowäsir, fanatischer, böswilliger, engherziger als die Leute in 'Aared selbst, dazu faul, gemein und gierig; dicht daueben ein junger, magerer, schwindsüchtig aussehender Student, der in Riad, wohin er gekommen, um zu studiren, vom Koran und den dürftigen Almosen lebt, die ihm aus dem Palaste zufliessen; sein Kopf voll orthodoxer Gelehrsamkeit, sein Bauch leer oder beinahe leer, und andere weniger in die Augen fallende Gestalten, die alle ihren Geschäften und ihrer Laune nachgehen. Wir setzen unsern Weg durch die Stadt fort. Riad ist in vier Quartiere getheilt: das nordöstliche, wo die Paläste der königlichen Familie, die Häuser der Staatsbeamteten und der reicheren Privatleute stehen; hier sind die Wohnungen in der Regel hoch und die Strassen ziemlich gerade und nicht allzu eng; die Lage ist aber niedrig und es ist vielleicht die am wenigsten gesunde Gegend der Stadt. Das nordöstliche Viertel, in dem wir selbst wohnen, ist eine grosse un. regelmässige Masse von Häusern von verschiedener Grösse und Baulichkeit; hier wohnen hauptsächlich Fremde, oft von ziemlich zweideutigem Charakter, an denen es in grossen Städten niemals fehlt, jedoch unter strenger Aufsicht; auch Manche, von denen bekannt ist, dass sie anderen Grundsätzen huldigen, als denen Abd-el-Wahhabs, und die „in Kirche und Staat" an der alten arabischen Weise halten; hier finden Häuptlinge vom Lande, Beduinen, Eingeborne von Zalphah und den Grenzländern ihr Unterkommen; hier, wenn sonst nirgends, wird Tabak geraucht oder verkauft und der Koran verhältniss-* massig vernachlässigt. Meine Leser mögen jedoch nicht denken, dass wir lauter schlechte Nachbarschaft haben; auch hier giebt es tugendhafte Metow'waa's und heilige Eiferer und Zeloten, die wie helle Sterne in finsterer Nacht leuchten und als Vorbilder oder als Spione dienen, unter einer Bevölkerung, die, wie ich nicht zweifle, an der Tugend, welche nachzuahmen sie nicht den Muth hat, sehr erbaut ist. Aber wir sind froh, die Augen von einem so traurigen Orte abwenden zu können, um sie durch einen Blick auf das südwestliche Viertel, den erwählten Wohnsitz des Formalismus und der Orthodoxie, zu erquicken. In dieser Abtheilung von Riad wohnen die eifrigsten Metow'waa's, die energischsten Zeloten; hier sind die untadeligsten 4-J3 Besucher aller fünf täglichen Betstunden, die Blüthe wahhabitischer Reinheit zu finden. Namentlich aber wohnen hier die noch lebenden Glieder der Familie des grossen Stifters der Sekte, die Nachkommen 'Abd-el-Wahhabs, die dem Schwerte der Aegypter entrannen und sich freigehalten haben von jeder fremden Befleckung. Moscheen von primitiver Einfachheit und grosser Räumlichkeit, wo das grosse Dogma, welches jedoch nicht auf Riad beschränkt ist, „dass wir vollkommen recht haben und alle Andern im Unrecht sind", täglich Schaaren von Zuhörern eingeschärft wird, die selig sind, dass das Paradies nur für sie und sonst für Niemand erschaffen ist; kleinere Bethäuser oder Musalla s, Brunnen zur Abwaschung, nach der Ka'abeh gerichtete Nischen schmücken jede Ecke und füllen jede Lücke von Häusern oder Obstgärten. Die Strassen dieses Quartiers sind offen und die Luft ist gesund, so dass der unsichtbaren Segnung wahrnehmbare und sichtbare Privilegien der Vorsehung zu Hilfe kommen. Glaube nicht, geneigter Leser, dass dies eine wohlfeile und selbsterfundene Ironie ist; ich gebe nur wörtlich wieder, was die echten Wahhabiten sagen, wenn sie das Musterquartier ihrer Musterstadt beschreiben. Diese Abtheilung der Stadt ist geräumig und gut bevölkert und blüht, die Citadelle nationaler und religiöser Intoleranz, frommen Stolzes und des echten Islams, nicht ohne eine ziemliche Beimischung versteckter Un-sittlichkeit und ausschweifender Laster, die sich bei denen ganz wohl schickt, welche Orthodoxie für die einzige Tugend, Heterodoxie für das einzige Uebel oder Verbrechen halten. Das südöstliche Quartier endlich, das „Khazik" genannt, ist auch gross und noch dichter bevölkert als die anderen, aber ausschliesslich von den niederen Klassen bewohnt oder von Bauern und Anderen, die aus den umliegenden Ortschaften in die Stadt kommen. Dies ist natürlich der am schlechtesten gebauete und am schlechtesten gehaltene Stadttheil; dazu liegt er tief und die Luft ist ungesund. Die I. 22 Cholera soll in den Jahren 1854/55 hier furchtbare Verheerungen angerichtet haben und ich will es wohl glauben. Diese verschiedenen Quartiere sind nur durch breite Strassen von einander getrennt, Thore oder Mauern giebt es hier nicht. Jedes Quartier aber gilt für ein geschlossenes Ganzes oder einen städtischen Kreis, wie man es nach Pariser Weise nennen könnte, und jedes hat 444 einen besondern Namen; ich habe aber die Namen der drei ersten Quartiere vergessen. Das Wort Khazik, der Name des vierten, bedeutet „gedrängt" oder „erstickend". In dem zweiten und vierten Quartiere finden wir kaum einen zwischen den Häusern gelegenen Garten, wie einige in dem ersten und noch mehr in dem dritten Quartiere vorkommen; denn die allgemeine Regel im Neged, dass die Gärten zum grössten Theil ausserhalb der Stadt liegen, gilt auch für Riad. Der Verbindungspunkt oder Mittelpunkt, wo diese Abtheilungen zusammentreffen, ist der Marktplatz mit dem königlichen Palaste an der einen und der grossen Moschee oder Gamia' an der andern Seite. Das Wort Gämia' bedeutet eigentlich „Sammlung" oder „Vereinigung", weil hier die allgemeine Zusammenkunft der Andächtigen zu dem gewöhnlichen Freitagsgottesdienste stattfindet. Daher wird auch der Freitag selbst „Gema'" oder „Sammlung" genannt. Im Neged giebt es in keiner Stadt mehr als eine wirkliche Gämia'; die übrigen Bethäuser werden „Mesgid" oder, wenn sie klein sind, „Musalla" genannt. In diesem Punkte richten sich die Negdäer mehr als andere Mohammedaner nach den Vorschriften des Propheten, der die Menge von Gämia's, welche man in Syrien, Aegypten, der Türkei u. s. w. findet, gewiss nie gutgeheissen haben würde. Die Gämia' in Riad ist ein grosses Parallelogramm mit flachem Dache, welches auf viereckigen hölzernen Pfeilern ruht, die dick mit Erde überkleidet sind. Ich berechnete mit Barakät den Raum zwischen den langen Säulenreihen und fand, dass sie mehr als zwei Tausend Personen zu gleicher Zeit fassen kann, und eine gleiche Anzahl könnte ohne Schwierigkeit noch in dem offenen Hofe vor der Moschee Raum finden. Nun lassen aber die Mohammedaner beim Gebete einen bedeutenden Zwischenraum zwischen ihren Reihen, damit sie die Niederwerfungen bequem vornehmen können, ohne mit den Köpfen an die Fersen der vor ihnen Knieenden zu stossen; es könnte daher das Doppelte der angegebenen Zahl, nämlich noch zwei Tausend, leicht in der Gämia' Platz finden und eben so viele in dem mit Mauern eingeschlossenen Hofe, wenn sie sich begnügen wollten, zu sitzen oder zu stehen. Meine Leser können danach auf die Grösse dieses Ungeheuern, aber höchst unschönen Baues schliessen. Einen Thurm oder „Ma'dinah" (Minaret, wie wir gewöhnlich sagen) giebt es nicht, statt dessen aber eine kleine ein wenig über das Dach hervorstehende Plattform; über dem Mihrab 445 oder der Stelle, welche der Imäm beim Gebete inne hat, steht auf dem Dache ein kleiner Verschlag oder kleines Gemach, wohin sich der alte Fejsal Freitags durch den oben beschriebenen bedeckten Gang begiebt und ungesehen von der Versammlung unten als Imäm fungirt. Matten oder Teppiche giebt es nicht, — denn Mohammed und seine Gefährten, die Sahhäbah, hatten deren auch nicht; dafür aber ist der Boden mit kleinen Kieseln bestreut, die ohne Noth den Schienbeinen und Knieen der Andächtigen sehr unbequem sind. Diejenigen meiner Leser, welchen die Förmlichkeiten des mohammedanischen Gebets unbekannt sind, muss ich auf Lane's genaue Beschreibung verweisen; ich muss jedoch einige kleine Abweichungen bemerken, die aber in den Augen der „Gläubigen" von der grössten Wichtigkeit sind und dem wahhabitischen Gottesdienste ein besonderes Gepräge geben und specifische Wahrzeichen der Sekte sind, wie bei uns Knieen oder Sitzen, Chorhemd oder schwarzer Priesterrock und Aehnliches im siebenzehnten Jahrhundert und auch noch später. Zuerst halten unsere negdäischen Freunde die Abwaschung mit Wasser vor dem Gebete nicht für eine so unerlässliche Notwendigkeit, wie andere Mohammedaner; der geringste Vorwand, oft blosse Trägheit genügt, um anstatt dieser die kurze Ceremonie des „Tej'-jammum" vorzunehmen, welche Lane beschreibt. Nicht etwa, weil es an Wasser fehlt; Riad (anderer negdäischen Städte gar nicht zu gedenken, wo jedoch dieselbe Nachlässigkeit herrscht) hat eine Menge Brunnen und neben jeder Quelle ist ein kleiner Wasserbehälter für theilweise oder vollständige Abwaschung (Wedü oder Ghasel); in dieser Nachlässigkeit aber copiren die Wahhabiten allerdings den Propheten, welcher, wenn die Tradition recht berichtet, in diesem Punkte keineswegs übertrieben gewissenhaft war. Zweitens betreten sie oft die Gämia' oder Musalla, ohne ihre Schuhe oder vielmehr Sandalen abzulegen, die sie selbst während ihres Gebets an den Füssen behalten, was für einen gewöhnlichen Mohammedaner ein höchst anstössiger Anblick ist. Fragt man sie, ob dies durch das Gesetz erlaubt sei, so antworten sie als Erklärung oder als Entschuldigung „'Ardöna tähirah", unser Boden ist rein. Welchen besondern Anspruch ihr Boden auf eine so transcendente Reinheit hat, konnte ich nicht erfahren. Ich vermuthe, dass die Härte der Kieselsteine und die häufigen kleinen Dornen darin ein richtigerer Grund dafür sind, dass sie beschuht bleiben. Doch gleichviel , ein Schäfia' von Damaskus oder ein Mäleki aus Aegypten würde über dieses Schau- 445 spiel wenig erbaut sein. Jedoch das Vorgehen Mohammeds, der auch zuweilen seine Schuhe beim Gebet anbehalten haben soll, kommt ihnen hier wieder zu Hilfe. Drittens, ihr Adan oder Ruf zum Gebet ist nur halb so lang wie der in anderen mohammedanischen Ländern gewöhnliche. Was anderwärts viermal wiederholt wird, wiederholen die Wahhabiten nur zweimal; wa" Andere zweimal sagen, das sagen sie nur einmal. Auch hierin halten sie sich genau an die Tradition. Und alle zugesetzten Phrasen und Ausschmückungen, die anderwärts zuweilen zur Ehre des Propheten, der Sahhäbah u. s. w. zugefügt werden, werden hier sorgfältig vermieden. Viertens sind sie während des Gebets bei weitem weniger sorgsam als andere Mohammedaner, unregelmässige Bewegungen oder leichte Abweichungen von der vorgeschriebenen Stellung zu vermeiden. Hierin, wie in den bereits erwähnten Unterscheidungen, zweifle' ich nicht, dass die Wahhabiten dem Gebete, wie es zuerst in Medinah gesprochen wurde, näher stehen — wo Beläl Mu'eddin, Mohammed selbst Imäm und die Sahhäba die Gemeine waren — als ihre mohammedanischen Brüder in anderen Ländern. Denn der erste Gründer des Islam und seine Anhänger waren Araber und als solche gewiss nicht übermässig genau in Beobachtung geringfügiger Ceremonien, oder geneigt, sich selber beengende Fesseln anzulegen. Die ausserordentliche Präcision, welche heutzutage von den Schäfi'i, Mäleki und Hanefi in Damaskus, Cairo und Constantinopel beobachtet wird, schmeckt mehr nach Persern, Türken, Kurden, ja selbst Griechen, als nach Arabern, die weniger umständlich sind, als Jene, nicht allein mit den Menschen, sondern auch mit Gott selbst. Wir können daher wohl annehmen, dass auch in diesem Punkte die Wahhabiten genauer und richtiger unterscheiden, als die anderen Sekten des Islam. Die neueren Mohammedaner sind jedoch in der Regel einer andern Ansicht und vor einigen Jahren ereignete sich in Riad ein höchst lustiger Vorfall. Der Scheikh Mohammed-el-Bekri aus Damaskus, der in seiner Vaterstadt ein grosses Ansehen genoss und namentlich in Dingen der Religion und des Gesetzes als Autorität galt, kam im Herbst 1861 nach der negdäischen Hauptstadt. Welcher Wind ihn hieher verweht, konnte ich nicht genau erfahren; wahrscheinlich hatte er, wie viele Andere von ähnlichem Charakter, gefunden, dass Damaskus, Fn'ad Pascha und die Commissarien nach den Ereignissen im Juli des vorhergebenden Jahres für ihn ein wenig zu schwül seien, und hielt daher eine zeitweilige Abwesenheit von dem türkischen Gebiete 417 für nicht mehr als klug. Kurz, er kam von Mekka nach Riad, wohin ihm der Ruf eines gelehrten Lehrers und Meisters in Israel, wenigstens unter den Schäfi'i, vorangegangen war. Fejsal nahm ihn ehrenvoll auf und der Stadtrichter oder Kadi selbst, 'Abd-el-Latif, ein Urenkel des ersten Wahhabi, machte Anspruch auf die Ehre, ihn als seinen Gast zu bewirthen. In den ersten Tagen ging Alles ganz gut und die arabische Höflichkeit hielt die Antipathie der Sektenverschiedenheit und Aufregung der Controverse in gemessenen Schranken. Endlich kam der Freitag, und der Bekri, der es bisher vermieden hatte, den öffentlichen Gottesdienst der Wahhabiten zu besuchen, konnte schicklich an diesem die Einladung seines Wirthes nicht ablehnen, der bei dieser Gelegenheit selbst als Khatib oder Prediger fungirte. Er ging in die Moschee mit dem Vorsatze, als guter Moslem sich nur an das zu halten, was wirklich orthodox war, und stellte sich in die erste Reihe der Betenden. Da, ach! erlaubte sich der amtirende Imäm, ein Metow'waa' der Stadt, nach dem am Anfange des Gebets gesprochenen Tekbir-el-Ihram (s. Lane), womit der Gottesdienst im strikten Sinne anfängt, und während er die Fätihah recitirte, — es ist schrecklich zu erzählen — anstatt seine Hände schicklich und anständig auf der Brust zu falten, mit den Zipfeln seines Kopftuches zu tändeln und den Kragen seines Hemdes gerade zu rücken. Bei diesem Anblicke konnte der Bekri seinen Unwillen nicht länger zurückhalten. Das Gebet mit einem so unanständigen Imäm fortzusetzen, würde schlimmer gewesen sein, als gar nicht zu beten. „Allahomma, ena nowej-tu'l kharüg min-es-Salah", — „o Gott, ich will das Gebet verlassen", rief er mit lautester Stimme, wendete sich um und verliess die Moschee in einer fürchterlichen Aufregung. Die Gemeinde setzte natürlich ihren Gottesdienst bis zu Ende fort, wie gewöhnlich; — ein Erdbeben würde sie nicbt daran gehindert haben. Sobald aber mit dem letzten „Es salämu 'alejkum w'rah-met-Ullah" das Signal zum Aufbruch gegeben war, stürzten alt und jung, hoch und niedrig, gross und klein wüthend nach dem Hause 'Abd-el-Latifs, wo Mohammed-el-Bekri allein auf seiner Matte sass (noch im höchsten Zorne), um ihn wegen dieses scandalösen Benehmens zur Rechenschaft zu ziehen. Wäre er ein Negdäer gewesen, so hätte er eine kluge Entschuldigung vorgebracht, oder vielmehr, er würde sich gar nicht compromittirt haben. Aber er war ein Syrer 448 und noch dazu aus Damaskus, dessen Einwohner von allen Syrern die hitzigsten sind, und jetzt war sein Blut in der grössten Wallung. Er antwortete also mit einer Fluth von Scheltworten und gab auf gut Arabisch zu verstehen, dass sie, ihre Gebete, ihre Sekte, ihr Stifter sämmtlich gottlose, abscheuliche Schismatiker, Ketzer, Ungläubige und schlimmer als Ungläubige seien. Jetzt konnte auch die Gegenpartei sich nicht länger halten und von allen Seiten brach der Sturm los; ein Glück noch für den Bekri, dass er in Neged war, wo der erste Angriff, obwohl heftig, selten oder nie zu Ende geführt wird. Aber man gab ihm deutlich genug zu verstehen, was man von ihm und seiner Handlungsweise halte, und verliess ihn für den Augenblick. Der Bekri bildete sich ein, dass der Sturm vorüber sei. Aber noch vor Abend liess ihm Fejsal sagen, er würde am besten thun, sich noch in der Nacht aus dem Staube zu machen, denn er selbst, als König, könne ihm für den nächsten Morgen keine Sicherheit versprechen. Der negdäische Zorn ist allerdings kein Strohfeuer und lodert am zweiten Tage heller als am ersten und am dritten noch heller als am zweiten. Mohammed-el-Bekri liess sich rathen und noch ehe am Sonnabend der Tag anbrach, war er weit von Riad auf dem Wege nach Hasa. Die Khotbah oder Predigt, ein wesentlicher Theil des Freitagsgebets ist hier sehr eigenthümlich. Alle Erwähnung der Khalifen, Sahhäbah oder was sonst auf persönlichen oder erblichen Vorzug zu deuten scheinen könnte, wird ausgelassen. Mohammed allein findet Gnade, aber mit wenigen Worten und mit keiner der rhetorischen Erweiterungen, welche anderwärts seinen Namen schmücken. Der Name des Sultans in Constantinopel wird ebenfalls weggelassen und an dessen Statt „unser Sultan", d. i. Fejsal, genannt und „Heere der Moslim", d. i. der Wahhabiten, denn sie geben den Titel „Moslim" keinen Anderen, als sich; Türken, Aegypter u. s. w. sind ohne Ausnahme „Kuffar", „Ungläubige" oder „Muschrikin", „ Poly theisten ". Die. gehässige Reihe von Flüchen gegen die Ungläubigen, die man in Kairo und Damaskus oft hört, wird in Neged nicht ausgesprochen; „dallil-el-kuffär", „erniedrige oder demüthige die Ungläubigen", ist die einzige, aber hinlänglich umfassende Bitte, die man ihretwegen an den Himmel richtet. Von anderen Reden und was hier gelehrt wird, will 1CÜ unten sprechen, wenn ich die wabhabitische Lehre vollständiger entwickeln werde; diese Abschweifung betrifft nur das Geremoniell, nicht das Dograa. Ueber einige Eigentümlichkeiten der negdäischen Abwaschungen will ich lieber schweigen, um sie nicht auch in Europa lächerlich zu machen. Diese Sonderbarkeiten sind für die Araber in anderen Ländern und von anderer Ueberzeugung eine unerschöpfliche Quelle der Belustigung. Bemerkenswerth ist auch eine andere Abweichung, die zwar nur negativer Art ist. Es ist Sitte bei den Mohammedanern, nach den Morgen- und Abendgebeten einen langen Spruch, der das Lob Gottes enthält, gewöhnlich aus dem Koran, zehnmal zu wiederholen, wobei sie die Wiederholungen an den Kügelchen des im Orient gewöhnlichen Rosenkranzes abzählen, um sich nicht zu irren. Die Wahhabiten aber haben scharfsinnig bemerkt, dass der Prophet sich keines solchen Werkzeuges bedient zu haben scheint; sie verwerfen daher den Rosenkranz und bedienen sich zur Zählung ihrer Finger, die sie der Reihe nach einen nach dem andern zusammenlegen und wieder ausstrecken. Aber nicht allein bei dieser Gelegenheit, sondern überhaupt ist der Rosenkranz aus dem Neged verbannt, und ein Fremder, der ihn trägt, kann sich darauf gefasst machen, Bemerkungen über abergläubische Neuerungen zu hören. Wir wollen jetzt die Uebei-sicht der Stadt wieder aufnehmen und zu Ende führen. Die grosse Moschee haben wir bereits gesehen; ausser dieser giebt es noch dreissig kleinere, oder Mesgids, in den verschiedenen Quartieren, von denen einige sehr geräumig sind, wie namentlich die, in welcher der Kadi 'Abd-el-Latif gewöhnlich als imäm fungirt, und die, welche der wahrscheinliche Thronerbe 'Abd-Allah mit seinem täglichen Besuche beehrt. Letztere befindet sich in dem ersten Quartiere der Stadt, jene in dem dritten ; beide ziehen durch ihre Grösse und Sauberkeit die Aufmerksamkeit auf sich, sind aber, wie alle übrigen, ohne allen Schmuck. In allen werden die Namen Derer, welche als nahe wohnend verpflichtet sind, bei dem Gebete zugegen zu sein, jeden Morgen und Abend aufgerufen, um sich ihrer Anwesenheit zu versichern. )■ Die ganze Stadt ist mit Mauern umgeben, deren Höhe zwischen zwanzig und dreissig Fuss wechselt. Sie sind fest, gut in Stand gehalten und durch einen tiefen Graben und Damm geschützt. Ausserhalb derselben sind die Gärten, denen in Kasim sehr ähnlich, sowohl was die Einrichtung, als was die Produkte betrifft, trotz des Unterschiedes der geographischen Breite, der hier durch die höhere Lage ausgeglichen wird. Weiter südlich aber, in Jemämah, bemerkt das Auge sogleich die Veränderung der Vegetation, welche dort ein mehr tropisches Ansehen gewinnt. Auffallend ist auf dieser südlichen Abdachung des Central-Plateaus die grössere Wassermenge in Vergleich zu der nördlichem Terrasse des Sedejr. Diese verhältnissmässige Feuchtigkeit des Bodens und der Atmosphäre, letztere in der That eine Folge der erstem, bemerkt man zuerst bei Horejmelah, von wo sie nach und nach weiter südlich immer zunimmt, bis sie in Jemämah den höchsten Punkt erreicht; weiterhin, nach Harik und Dowäsir, nimmt sie wieder allmählich ab, theils, wie ich glaube, in Folge der immer grössern Entfernung von den Gebirgsdistrikten, theils auch wegen der Nähe der grossen Wüste und deren trockenen Hitze. Ich habe bereits bemerkt, dass auf dem Marktplatze viele Fleischbuden sind. Die negdäische Schafzucht ist bekannt und steht in hohen Ehren, auch ausserhalb der Grenzen Arabiens. Dies ist natürlich, denn gute und reiche Weide mit einem massigen Klima machen Neged zu einem für die Fortpflanzung und Vervollkommnung der Schafe besonders geeigneten Lande. Jedoch nach dem Urtheile Mancher, zu denen auch ich gehöre, stehen sie als Nahrungsmittel den Schafen von Diar-Bekr und der Grenze von Kurdistan nach. Auf dem Markte zu Damaskus, wohin sie zuweilen ihren Weg finden, haben sie einen hohen, obwohl nicht den höchsten Preis. Ihre Wolle ist ausserordentlich fein und kommt an Weichheit und Zartheit beinahe der von Kaschmir gleich. Ich habe kaum nöthig zu sagen, dass sie dicke Schwänze haben, wie alle arabischen Schafe mehr oder weniger. Wären in Arabien die Umstände dem Handel günstiger, so könnte das halbe türkische Reich von hier aus allein mit Wolle und Schaffleisch versorgt werden. Das Weideland ist der Ausdehnung nach dem zum Ackerbau fähigen und ganz wüsten Lande zusammengenommen ziemlich gleich. Aber die Schwierigkeit der Ausfuhr von dem Centrum an die Grenzen ist von Natur gross und durch schlechte Regierung, Sorglosigkeit und Trägheit noch vermehrt worden. An Kamelen ist kein Mangel, die Zucht ist der in Schomer ahn- 451 lieh, aber die Farbe, dort am häufigsten zwischen roth und gelb, ist in Neged in der Regel weiss oder grau; schwarz ist überall selten. Auch ist das negdäische Kamel etwas schmächtiger und kleiner als das nördliche und sein Haar ist feiner. Sie sind im Verhält-niss wohlfeiler als die Schafe; der durchschnittliche Preis etwa 25 bis 30 Schilling (engl.) gewiss nicht zu viel für ein so grosses Thier. Auch Dromedare findet man hier schon häufiger; doch davon unten. Rindvieh ist in Neged häufiger als in den nördlichen Provinzen. In Jemämah giebt es sehr viel und auch in Wädi Dowäsir soll es nicht selten sein. Die Thiere sind in der Regel klein, haben aber immer einen Höker, wie das indische Rindvieh, obgleich sie nicht so glücklich sind, wie dieses, ein Gegenstand der Anbetung zu sein. Die vorherrschende Farbe ist dunkelbraun. Büffel kennt man in Centraiarabien nicht. Wildpret, kleines und grosses, gefiedertes und vierfüssiges, giebt es in dem ganzen Distrikte in Fülle, es wird aber selten gejagt. Rebhühner, Wachteln, Kata (eine Varietät des Rebhuhns) und Tauben trifft man fast überall an; ich hörte auch vom Kalam, einer Art Trappe, die ich mit dem Hobära der Wörterbücher für identisch halte, welchen Namen aber die lebende arabische Sprache nicht kennt. Ich selbst habe diesen Vogel in der Nähe von Ragcot geschossen. Aber Vogelschrot ist in Neged nie eingeführt worden; und einen Vogel im Fluge zu treffen, geht über die Kunst der meisten arabischen Schützen, abgesehen dass Luntenflinten und Kugeln zum Schiessen der Rebhühner und Wachteln wenig geeignet sind. Strausse giebt es in dem Hochlande von Towejk nicht. Von den Gazellen, die liier zahlreicher sind als sonst irgendwo, habe ich bereits gesprochen; von anderen Abarten dieser Species habe ich aber weder gehört noch gesehen. Die Gazellen werden auch nur wenig gejagt, ausser etwa von den Solibah. Wilde Schweine sind im Gebirge häutig; es ist nicht nöthig zu bemerken, dass diese Thiere hier keineu besondern Nutzen bringen. Nur ihre Fangzähne werden zuweilen, aber ausserhalb der Grenzen des Wahhabitenlandes, zu Schnupftabaksdosen oder Pfeifen verarbeitet; ein zweifacher Greuel. Aber selbst ein Solibah würde das Fleisch des unreinen Thieres nicht anrühren, welches im Orient von den Christen fast eben so wenig genossen wird wie von den Mohammedanern selbst, ausser wenn Europäer eine kleine Anzahl gewöhnt haben, es als einen erlaubten Genuss zu betrachten. Meine Leser werden ohne Zweifel neugierig sein, etwas über die Pferde in Centraiarabien zu erfahren, um so mehr, da die negdäischen 152 Pferde zu denen des übrigen Arabien dieselbe Stellung einnehmen, wie die arabischen Pferde zu denen anderer Länder. Wir werden in den königlichen Marställen in Riad diese „creme de la creme" der Race in voller Müsse betrachten können. Jetzt wollen wir von dem edelsten Thiere noch einen Schritt höher, zu dem Menschen, steigen und die Bevölkerung von Riad und der umliegenden Gegenden in nähern Augenschein nehmen; denn schöne Gebäude und Gärten, Wild und Hausthiere, Thäler und Berge sind noch nicht das Land; „el beled bi ahlihi" das Land wird nach seinen Bewohnern geschätzt, sagt das arabische Sprichwort, und das edelste Wild für einen forschenden Geist, obwohl in einem andern Sinne als dem, in welchem es Nimrod auffasste, ist der Mensch. Bei diesem einzigen Gegenstande wollen wir einer angemessenen Stufenleiter folgen und beginnen sonach auf der untersten Stufe — mit dem Neger. In ganz Arabien trafen wir überall Neger — in Gauf, Schomer, Kasim und Sedejr; überall aber waren sie nur Sklaven und selten sahen wir sie in anderen, als in wohlhabenden Häusern, wo diese Afrikaner allerdings zufrieden und glücklich, wohlgenährt und glänzend lebten, aber immer im Stande der Knechtschaft und folglich ohne einen An-453 theil an dem staatlichen, oder nur dem bürgerlichen Leben. Aehnlich ist ihre Stellung im Neged, bis nach 'Aared hin. Hier aber tritt eine Veränderung ein; nicht allein sind die Negersklaven hier bei weitem häutiger als im Norden, sondern man findet hier auch eine freie Bevölkerung afrikanischen Ursprungs nebst den mit diesen immer verbundeneu Mulatten und Mischlingen, die endlich ein Viertheil, zuweilen ein Drittheil der gesammten Bevölkerung bilden. In Riad selbst giebt es sehr viele , noch mehr in Manfuhah und Selemi'jah, und Harik, Wädi Dowäsir und Umgegend sind ganz voll von ihnen. Dies ist eine Folge verschiedener Ursachen: zuerst die Nähe der grossen Skla-yenmärkte, sowohl an der östlichen als der westlichen Küste, wie Giddah im Hegäz, und der zahlreichen Hafenplätze von 'Oman an der andern Seite; ferner die Nähe der grossen Handels - und Verkehrsstrassen. Der erste Zug von Sklaven nach Centraiarabien, sowohl von Mekka aus, als von Hofhüf, geht direkt durch 'Aared, und viele finden hier schon einen Herrn. Neben dieser Ursache, und von derselben abhängig, kommt noch der verhältnissmässig niedrige Preis hinzu; ein Neger kostet hier nicht mehr als sieben bis zehn Pfund Sterling: in Hä'jel oder dem Gauf etwa dreizehn bis vierzehn. Auch, das Klima des südlichen Neged, welches eine gewisse Aehnlichkeit mit dem afrikanischen hat, ist den Gewohnheiten und der körperlichen Constitution der Neger günstiger als die Hochlande von Towejk oder Schomer und trägt so zu ihrer Vermehrung bei. Endlich hat die eingeborene Bevölkerung selbst eine gewisse Zuneigung zu der farbigen Kasse, die allerdings einen historischen und ethnologischen Grund hat und eine genauere Erörterung verdient. Meine Leser werden mir daher einige Worte über diesen Gegenstand gestatten. An diesem Punkte Arabiens, dem geographischen Centrum, beginnt eigentlich die Mischung der kahtanischen mit der ismaelitischen Familie; und je weiter wir nach Süden und Osten gehen, desto mehr finden wir erstere vorherrschend, bis sie die letztere endlich ganz verdrängt. Die kahtanische Rasse bildet nun das Mittelglied zwischen der arabischen und abyssinischen, welche den weissen oder schönen Familien zur Rechten und den farbigen oder schwarzen zur Linken die Hand reicht. Diese Gradationen, nämlich der nördlichen oder ismaelitischen Araber, der südlichen oder kahtanischen und der abyssinischen, sind 4M trotz individueller oder örtlicher Ausnahmen, oft das Resultat anomaler Umstände, deutlich gezeichnet durch entsprechende Schattirungen der Sitten, des Verslandes und des Zusammenlebens, nicht weniger als durch das physische Ansehen der Haut und der Muskeln. In dieser Reihe sind die kahtanischen Araber so zu sagen dem Neger näher verwandt, als die ismaelitischen Stämme, sie gehen daher leichter mit Afrikanern Verbindungen und Ehen ein, gestatten ihnen bürgerliche Rechte und lassen sie selbst zur Regierung zu — ein Umstand, der auch dem scharfen Blicke Niebuhrs nicht entgangen ist. Die Ausdrücke Kahtanisch und Ismaelitisch sind nach meiner Ansicht mehr symbolisch als wörtlich zu verstehen, ähnlich wie wir die Sprachen in semitische u. s. w. eintheilen, nach der dreifachen Nomeu-clatur der Familie Noahs. Wie viel historisches Gewicht aber diesen Ausdrücken beizulegen, ist eine Sache der Controverse; in diesem besondern Falle bin ich, mit aller schuldigen Achtung vor der Gelehrsamkeit und den Forschungen derer, welche einer entgegengesetzten Meinung huldigen, doch geneigt, die Realität der ursprünglichen Thatsache zuzugestehen, während ich zu gleicher Zeit nicht allen Deductionen und Einzelnheiten, welche viele orientalische uud manche europäische Schriftsteller daraus abgeleitet haben, gleichen Glauben schenken kann. Con-stante Tradition und eine in der Hauptsache plausible Chronologie, mit allen ihren gelegentlichen und offenbaren Mängeln, haben sicher grossen Werth und verdienen Achtung, selbst wo sie nicht absoluten Glauben fordern können; jedoch während wir die allgemeine Wahrheit des Ursprungs oder Stammbaums, welchen die nationale Tradition angiebt, zugestehen, müssen wir erwarten, in der Erzählung von Ereignissen, die durch den Nebel so vieler Jahrhunderte gesehen und unsern Blicken durch Instrumente von einem notorisch mangelhaften Charakter überliefert worden, auch viele Modificationen, Ausnahmen und selbst Verdrehungen zu finden. Während wir so, wie wir aller- dings nicht anders können, die Richtigkeit der mosaischen Genealogie so weit es geht, und der Begebenheiten und Stammbäume annehmen so müssen.wir doch Anstand nehmen, bei Anwendung derselben Data' sei sie von alten Chronisten oder von neueren Kritikern gemacht, und müssen anerkennen, dass der Unterbau viel zu eng ist für den grossen Oberbau, welchen manche Bibelausleger darüber aufgeführt haben, während er für das zerstörende Verfahren überkritischer Schriftsteller bei weitem zu fest ist. Diese sehen darin vielleicht zu wenig, jene zu viel. Indessen schadet es nicht Symbole zu gebrauchen, wie mangelhaft sie 455 auch sind, wenn nichts Besseres zur Hand ist, um eine Ansicht auszudrücken; ein wenig Vorsicht ist Alles, was erfordert wird, ihnen ihre richtige Geltung zu geben, und sie können Jedem, der nicht Enthusiast oder Skeptiker ist, mit Sicherheit anvertraut werden. Nur mit diesem Vorbehalt gebrauche ich die Ausdrücke Kahtanisch und Ismaelitisch. Kahtän, oder nach hebräischer Schreibweise Joktan, wird von allen Arabern als der erste Urheber und Gründer, ihrer Rasse und Nationalität angesehen und seine Residenz einstimmig nach Jemen verlegt. Eine Bestätigung dieser Vorstellung kann man in den Namen seiner zahlreichen Nachkommenschaft finden, welche die heilige Schrift aufzählt, Namen, die sich noch jetzt im südwestlichen Arabien unter der typischen Metamorphose von 'Loealitäten finden; manche mögen auch aus den Annalen der benachbarten Völker abgeleitet sein, namentlich der Abyssinier. Meine Leser werden sich, wie ich hoffe, mit einer blossen Notiz über einen Gegenstand begnügen, dessen vollständige Erforschung nicht in dieses Werk gehört, welches mehr beschreibend als historisch ist. Dieselben Bemerkungen und derselbe Grad von Beweis mögen auf das, was wir aus arabischen oder hebräischen Quellen über Ismael und seine Niederlassung im nördlichen Arabien schöpfen, ihre Anwendung finden. Aber hier folgt unmittelbar eine merkwürdige Abweichung der arabischen Erzählung von der hebräischen. Nach der Genesis war Ismael mit einer ägyptischen Frau verheirathet, und aus dieser Ehe stammt die ganze Rasse. Die arabischen Chronisten hingegen stimmen alle darin überein, dass er in die Familie des Gorhem, eines Abkömmlings Kahtäns, heirathete. Dieser gordische Knoten lässt sich vielleicht am leichtesten zerschneiden, wenn wir annehmen wollten, dass Ismael zwei Frauen hatte, was damals nichts Ungewöhnliches war; die Wahrheit aber liegt tiefer. Der gelehrte Fresnel, wenn ich nicht irre, hat die Lösung dieses Problems angedeutet. Die Schriftsteller, welche die Verbindung Ismaels mit den Gorhemiten angeben, sind sämmtlich Mohammedaner, und folglich verpflichtet, dem Stammbaume ihres Propheten den möglichsten Glanz zu verleihen. Nun war aber Mohammed unzweifelhaft ismaelitischen Ursprungs; der Stamm Kenänah, aus dem er entsprossen, war den Kejs nahe verwandt, und beide stammten von Nezär, dessen Name selbst das Kriegsgeschrci der nördlichen Araber in ihren Kämpfen mit den Heeren von Jemen war. Aber, von der andern Seite, höheres Alterthum und ungemischte Reinheit des Stammbaums hatten den Nachkommen Kahtäns einen Vorzug des Adels gegeben, 456 der auf der ganzen Halbinsel anerkannt wurde, so zwar, dass sie al- lein den Titel „Araber" führten; Mohammed war also genau genommen von weniger adeliger Geburt, als diejenigen, welche er unterwarf; der Prophet ein Plebejer, in Vergleich zu seinen aristokratischen Schülern. Um diese lnconvenienz zu vermeiden, die in orientalischen Augen sehr wichtig ist, wurde eine Heirath Ismaels in eine kahtanische Familie erfunden, und die Ehre, welche die Vaterschaft des Sohnes Abrahams nicht verleihen konnte, wurde durch die gorhemitische Mutter ersetzt. Dieselbe glückliehe Heirath adelte zugleich alle Stämme des Nordens und hob sie auf gleiche Höhe mit den stolzen Häuptlingen Jemens, während noch ein anderer Grund zu politischer und religiöser Einigung von der in so früher Zeit wurzelnden Verwandtschaft abgeleitet wurde. Das Zeugniss der Geschichte und Tradition vor der Hegrah ist jedoch durchaus gegen diese Verbindung Ismaels mit einer Kahtanidin, und eben so zeugt der Lauf der Ereignisse in den letzten Zeiten für die Verschiedenheit und nichts für die Gemeinschaft der beiden grossen Rassen. Wir wollen nun sehen, welches Licht persönliche Beobachtung wirklicher Eigenthümlichkeiten und des gegenwärtigen Lebens, der Sprache und Institutionen in Arabien auf diese Frage werfen können. Bestehende Thatsachen sind auch Quellen realer Kenntniss, und um so zuverlässiger, weil sie am wenigsten der Missdeutung und Fälschung unterworfen sind. Bisher sind wir unter den nördlichen Racen gereist, und befinden uns nun an der Grenze der südlichen; bis kie-her rühmen sich unsere Wirthe Kinder Nezärs und Ismaels zu sein; etwas weiterhin werden sie sich Nachkommen von Ja'areb und Kahtän nennen. Wir haben die Ersteren in Frieden und Krieg keimen gelernt, haben ihr Familienleben, ihre Beschäftigungen, ihre Regierungsform kennen gelernt; bald werden wir nun auch die letzteren kennen lernen. In wie weit diese verschiedenen Punkte ihre eigene Behauptung einer erblichen Trennung bestätigen, werde ich zuweilen selbst bemerken, und zuweilen dem Urtheil meiner Leser überlassen. Die persönliche Identification Ismaels oder Kahtäns ist eine andere Frage, die der Geschichte und Kritik überlassen bleiben muss und mit der Thatsache einer offenbaren und bestehenden Verschiedenheit des Bluts nichts zu thun hat, gleichviel ob wir den Ursprung dieser Verschiedenheit in den zwei oben genannten Personen setzen, oder sonst wo. Diese Vorrede mag genügen um vieles verständlich zu machen, was sonst in unserem Werke kaum zu verstehen oder richtig zu würdigen wäre; kehren wir jetzt einen Augenblick zu unseren afrikanischen Freunden zurück. Die Zahl der Negersklaven in diesen Provinzen ist die Ursache zu einem andern im Orient sehr gewöhnlichen Verhältniss der Sehwar- 457 zen, das jedoch von dem, welches wir im fernen Westen finden, sehr verschieden ist. Ich meine nicht allein die Emancipation, sondern auch die sociale Gleichheit mit denen , unter welchen sie leben — nicht durch eine Parlaments - oder Congressacte, sondern durch den freien Willen des Einzelnen und ein allgemein menschliches Gefühl. Nichts ist gewöhnlicher bei einem Mohammedaner, vor allen aber einem Araber, gleichviel ob Mohammedaner oder nicht, als dass er seinen Sklaven die Freiheit giebt, zuweilen noch bei Lebzeiten, wenn ihm etwa irgend ein Unternehmen gelingt, aus religiöser Verpflichtung, für eine besondere Dienstleistung, oft sogar aus blossem guten Willen, und zuweilen auf dem Todtenbette, um sich durch einen Act des Edelmuths (auf Kosten seines Erben) in dem Augenblicke, da er diese Welt ver-lässt, eine günstige Aufnahme in jener Welt zu sichern. Eine andere Ursache, welche dabei mitwirkt, kann man sich leicht denken in einem Lande, wo die moralischen Grundsätze locker und die gesetzlichen Beschränkungen in diesem Punkte noch lockerer sind — ich meine das allgemein gewöhnliche Concubinat des Herrn mit seiner Sklavin. Ist der Herr ein Mohammedaner, so sind die aus einer solchen Vereinigung entsprossenen Knaben frei, ich glaube auch die Mädchen, wenigstens nach dem Gesetze. Bei nicht mohammedanischen Arabern gelten die Kinder, männliche wie weibliche, als Sklaven, wenn sie nicht förmlich freigelassen werden; der Grund ist, weil solche Verbindungen bei letzteren für ungesetzlich gelten, dahingegen Mohammed in dieser Beziehung sehr nachsichtig gegen seine Anhänger war. Doch sagte man mir, dass auch unter nicht mohammedanischen Arabern, z. B. den Biadijah in 'Oman, nur selten ein Vater seinen Kindern nicht später die Freiheit gebe. Solche Freigelassene gehen natürlich wieder Ehen ein, und wenn auch ein Neger oder Mulatte nicht sogleich in die höheren aristokratischen Kreise aufgenommen wird und ein angesehener arabischer Häuptling nicht leicht seine Tochter einem Schwarzen zur Frau geben wird, so sind sie doch keineswegs so von allen anderen Kreisen der Gesellschaft ausgeschlossen, wie etwa in Massachu-sets und Oregon selbst noch jetzt, nach den legalisirendcn Massregeln des Congresses und der siegreichen Beredtsamkeit ihrer englischen und amerikanischen Patrone. Die Neger können daher ihre Kinder ohne Schwierigkeit mit Söhnen und Töchtern der mittleren und niederen Stände verheirathen, und so entsteht eine neue Generation einer-ge-458 mischten Race, welche hier „Khodejrijah" oder „Benu Khodejr" genannt werden, d. i. „Grüne" oder „Söhne der Grünen". Dieser Ausdruck ist natürlich nicht buchstäblich zu nehmen-, die Farben grün, schwarz und braun werden im arabischen Sprachgebrauche häufig verwechselt, obgleich der Unterschied zwischen ihnen vollkommen bekannt und in den Wörterbüchern angegeben ist, oder, wo Genauigkeit es fordert, beobachtet wird. Diese Grünen nun heirathen und mehren sich wieder und erhalten Schattirungen grasgrün, smaragdgrün, opal u. s. w., oder richtiger braun, kupferfarben, olivenfarben, was die Amerikaner, wenn ich nicht irre, gelb nennen. Auch diese finden noch nicht leicht Aufnahme in den Familien der Reichen und Vornehmen, die sie aber mit der Zeit doch erlangen können. Ich selbst babe in Arabien mehr als einen hübschen „Grünen" gekannt und die Ehre seines Umgangs genossen, der einen Säbel mit silbernem Griff an der Seite trug und eine reiche Kleidung auf seiner dunklen Haut, Scheikh oder Emir genannt wurde und welchem Araber vom reinsten ismaelitischen oder kahtanischen Blute ehrerbietig die Aufwartung machten. Riad ist voll von solchen Khodejrijah-Handwerkern, Kaufleuten und Regierungsbeamteten. Da sie, wie alle Emporkömmlinge, sich bemühen, den hohen Ton der herrschenden Mode nachzuahmen, so werden sie sehr bald die bigottesten und unangenehmsten Wahhabiten in der ganzen Stadt, wozu die erbliche Beschränktheit des Verstandes sie noch besonders befähigt. Manche freilich nehmen gerade die entgegengesetzte Richtung und ahmen die Indifferenz ihrer afrikanischen Grossväter und Grossmütter nach, die nicht selten zu geheimer Abneigung gegen Mohammedanismus und Wahhabäismus steigt. „Was für Unsinn sie doch über Prädestination und göttliche Beschlüsse schwatzen", sagte mir eines Tags, aber unter vier Augen, ein junger Khodejrf, der in der Moschee unter den devotesten Moslimen figurirte. „Wenn ich Lust habe, es mitzumachen, so thue ich es, wenn nicht, so lasse ich's bleiben, und damit gut." Eine Art zu denken, die vielleicht nicht ganz folgerichtig ist, die man aber Keinem Übelnehmen darf. So besitzt in dem mittlem Neged die Gesellschaft ein neues Element, welches sie von den höchsten bis zu den untersten Stufen durchdringt. Eine andere Eigenthümlichkeit, allerdings nicht physischer, sondern moralischer Art, zeigt sich in dem Charakter der eingebornen Bevölkerung, abgesehen von der Verschönerung oder Verdrehung desselben durch religiöse Grundsätze. Nicht allein als Wahhabit, sondern 459 eben so sehr als Negdäer, unterscheidet sich der Eingeborne von 'Aared, Afläg, Jemämah, Harik und Dowäsir, und zwar sehr, von dem Araber in Schomer und Kasim, ja selbst von dem in Woschem und Sedejr. Die Ursache dieses Unterschieds ist bei weitem älter, als die Epoche des grossen Wahhabi und ist zuvörderst und zumeist in der Abstammung selbst zu suchen. Die nördliche und centrale Bevölkerung, mit Ausschluss der eben genannten fünf Provinzen, rühmt sich — und man hat keinen Grund, ihr diesen Ruhm streitig zu machen — der Abkunft von den grossen Stämmen Tä'i, Wa'il, Mäzin, Harb, Kenänah, Sedus, Taghieb und anderen der in den arabischen Annalen berühmten Stämme; aber alle, mit Ausnahme von Tä'i, führen ihren Ursprung auf Kahtän, Rabi'a' und Modar zurück und bilden den Hauptstamm der grossen nationalen Conföderation, welche hundert und zwanzig Jahre vor Mohammed das Joch von Jemen brach und Neged frei machte. Mit diesen haben sich zu verschiedenen Zeiten aus Jemen eingewanderte Familien gemischt, welche Anspruch auf Verwandschaft mit Kahtän machten, z. B. Kodaa', Sali'h, Kelb und Modhej. Die 'Anezah der syrischen Wüste, mit den Bishr, Howejtat und den Schomer am Euphrat, gehören zu demselben Grundstamm. Aber von der nördlichen Grenze des 'Aared bis an die grosse Wüste oder Dahnä, treffen wir , anstatt des jetzt genannten Stammbaumes, einen neuen Namen, der diesen Ländern eigenthüralich, aber arabischen Ohren sehr vertraut ist, und der in Prosa und Versen oft genannt wird, nämlich Tamim. Der Stamm Tamim ist der zahlreichste und vielleicht tapferste Stamm der Nezär, und von ihm allein leiten sich die einheimischen Araber von 'Aared, Jemämah, Afläg und Harik nebst einem Theile von Dowäsir ab. Die Benu-Tamim sind zu allen Zeiten von allen anderen Arabern genau unterschieden worden und die Grundzüge ihres Charakters sind oft der Gegenstand übertriebenen Lobes oder heftiger Satyre einheimischer Dichter gewesen. Alle ihre Tugenden und Laster aber sind noch heute die ihrer wirklichen oder angeblichen Nachkommen. „Wundert ihr euch über die Leute von 'Aared ? " sagte ein Mann von Hasa, als ich ihm eine un- günstige Schilderung von Riad und dessen Einwohnern machte '• ,,ihr wisst doch, dass sie Benu-Tamim sind?" Bei weitem weniger lebhaft weniger bis zur Verschwendung freigebig, weniger zu gewagten Unternehmungen geneigt, weniger heiter uud offen als die meisten anderen v;n arabischen Stämme, waren sie bekannt als ausdauernder, mehr unter sich geeinigt, und klüger; wortkarg, nicht leicht so weit erregt, dass sie ihre Gefühle an den Tag legen, aber fest im Vorsatz, schrecklich in der Rache, tief und unversöhnlich im Hasse, zweifelhafte Freunde gegen alle ausser ihren nächsten Verwandten — der Ausdruck ihrer Gesichtszüge, ernst, oft linster, contrastirt auffallend mit dem freien und offenen Gesichte der nördlichen Stämme, während er zugleich auf grössere Fähigkeit zur Herrschaft und staatlicher Organisation, aber auch auf Härte schlicssen lässt. Bei weitem mehr als andere Araber nach einem Systeme handelnd, von einem engern, aber einem mehr concentrirten Verstände und Willenskraft, lässt ihre Einigung und Ausdauer einen sichern Triumph über ihre uneinigen und wankelmüthigen Nachbarn erwarten, und das Negdäische Reich muss nothwendig, vielleicht in nicht allzuferner Zeit, den grössern Theil der Halbinsel ab-sorbiren oder erdrücken. Derselbe Typus stempelt alle ihre Worte und Wege, selbst im häuslichen Leben und den Geschäften des Marktes. Wer mit ihnen spricht, wird gut thun, seine Ausdrücke und sogar seine Bewegungen ebenso abzumessen wie sie die ihrigen, wenn er nicht Gefahr laufen will, viel zu geben und wenig zu gewinnen — um mich dieses Ausdrucks zu bedienen. Er mag sein Herz und seinen Sinn nicht offen legen vor Leuten, die sich zwanzig- und dreissigmal besinnen, ehe sie ihm ihr Inneres öffnen, noch mag er in eine Rasse Vertrauen setzen, bei der Verrath fast eben so gewöhnlich ist wie Versprechen. Man wird allerdings nicht gerade oft auf eine direkte Lüge stossen, desto Öfter aber durch eine versteckte hintergangen werden; nichts zu sagen und doch zu lügen, ist eine Kunst, die man im 'Aared wohl versteht und ausübt. Neben dieser wenig liebenswürdigen Gemüthsart findet man durchgängig grössere Einfachheit in Kleidung und Hausschmnck und Vermeidung aller Ostentation im Gebrauche des Reichthums und der Güter. Dies Alles ist den Leuten in 'Aared und Jemämah angeboren und hat nichts mit dem wahhabitischen Puritanismus und der Strenge ihres Gesetzes zu thun. Aber selbst diese zweifache Strenge der Sitten, die angeborne und die durch das Gesetz vorgeschriebene, kann nicht immer verhindern, dass ihr ungemessener Stolz nicht einen Ausweg findet, um mit kostbarem Schmuckgeschirr und Gerätbschaften zu prunken, wenn das Bewusstsein einer absoluten und übermüthigen Kraft erlaubt, es ungestraft zu thun. Zum Glück ist die Zahl derer klein, welche 46i solcher ausnahmsweisen Privilegien geniessen, und daher eine der Sittenstrenge nahestehende Mässigung durchaus vorherrschend. Der Negdäer in diesen Provinzen ist hauptsächlich Ackerbauer oder Hirt. Woschem allerdings, welches an der grossen Strasse nach Hegäz, und der Norden von Sedejr, der den Grenzen von Kowejt und Basrah, verhältnissmässig nahe liegt, haben einen mehr commer-ciellen Charakter, womit bei dem Araber Liebe zu Reisen und die Neigung einen zeitweiligen Aufenthalt in fremden Landen zu nehmen, verbunden ist. Ehe die wahhabitiscbe Regierung, dadurch dass sie einen neuen und wichtigen Mittelpunkt im Neged selbst schuf, darauf hinausging, die früher nach Aussen gerichteten Kräfte nach Innen zu ziehen, scheint die Klasse der reisenden Kaufleute, die sich jetzt auf Schakra' oder Zalphah beschränkt, im niedern Sedejr und dem 'Aared selbst eben so zahlreich gewesen zu sein; ein Beispiel giebt die Lebensgeschichte Mohammed - ebn - 'Abd - el - Wahhäb's; andere Beispiele kann man bei den älteren arabischen Schriftstellern finden, wie Hariri und Ebn Khallikan, in dem Kitäb-el-Aghani, dem Raudat-el-Abrär, und selbst in späteren Compilationen, z. B. den Lebensbeschreibungen Makarris und dem merkwürdigen aber unsichern Mustadref. Gegenwärtig aber sieht man Leute aus Sedejr nur selten südlich von Towejm, 'Aared, Jemämah, Aflag und Dowäsir in Handelsgeschäften ausserhalb des engern Kreises ihrer Provinzen. Der Handel in Riad und den andern grossen Mittelpunkten der Bevölkerung ist den Fremden überlassen, Kaufleuten aus Hasa, Katif und 'Oman, Mekka, Wädi Negrän und Jemen. Der geborne Negdäer hält wohl ein Lager, sucht aber nicht seine Vorräthe in Stande zu erhalten. Eine Ausnahme machen die Eingebornen von Harik; von diesen aber werde ich unten sprechen. Dagegen werden Acker- und Gartenbau weit mehr betrieben. Jeder hat sein kleines Grundstück, mit dem er sich und seine Familie zum grössten Theil erhalten kann. Der Monarch selbst macht keine Ausnahme von dieser Regel, denn ein bedeutender Theil der königlichen Einkünfte kommt von Pflanzungen und Feldern. Die Negdäer sind aber auch tüchtige Landbauer; der reiche Ertrag ihrer Palmbäume und ihrer Getreide- und Maisfelder zeugt, wenn nicht für ihre theoretische, doch sicher für ihre praktische Geschicklichkeit. Es ist wahr, ihr Pflug hat eine sehr einfache Bauart, aber ein leichter Boden und 462 mildes Klima verlangen nicht den harten Druck und die tiefen Furchen, für die das complicirtere Instrument des Nordens eingerichtet ist; dagegen ist Bewässerung überall durchaus nothwendig und ich habe schon oben gesagt, dass etwas mehr Mechanik hier sehr am Platze wäre. Allein die Zahl und die Bedürfnisse der Bevölkerung sind ver-hältnissraässig geringer, als sie in den meisten Theilen Europa's auf gleichem Baume und unter gleichen Umständen sein würden, und der Negdäer ist, wenn nicht gerade sehr thätig, doch keineswegs ein Müs-siggänger. Aber Achtung vor prophetischer Tradition und strenge Orthodoxie haben die Bebauung des Bodens einigermassen beeinträchtigt, und Viele ziehen theologische Resignation der Arbeit menschlicher Hände vor. Hierin haben sie wenigstens das Verdienst der Consequenz, obwohl zu ihrem eigenen Schaden. Andere, in denen der Koran und primitives Beispiel den gesunden Menschenverstand noch nicht ganz verdrängt haben, bedauern den Verfall eines so ehrsamen Mittels des Unterhalts und fügen so den vielen Klagen gegen das Werk der Wahhabiten und dessen Erfolges noch eine neue zu. Jetzt aber hat sich der Thätigkeit eine neue Quelle geöffnet, oder ist wenigstens erweitert worden. Die Negdäer waren immer zu Kampf und Krieg geneigt; aber so lange sich ihre Fehden und Raubzüge auf das Towejk beschränkten, war von beiden Seiten wenig zu gewinnen oder zu verlieren. — Jetzt aber, unter der mächtigen Dynastie der Ebn-Sa'üd, ist die Sache ganz anders. Der Krieg wird jetzt methodisch und in Folge dessen erfolgreich geführt; und nicht mehr gegen die nächsten Nachbarn und eigenen negdäischen Stammverwandten, sondern gegen die reiche Küste von Hasa, die Kaufleute und Perlenfischer von 'Oman, oder um die in Mekka und Medinah, Meschid-Hosejn und Zobejr geraubte Beute nach Derej'ijah und die von diesem 463 zunächst abhängigen Städte zu bringen. Krieg ist ein Glückspiel, und Spiel hat immer mehr Anziehungskraft als Pflug und Spaten; aber ein Krieg unter solchen Umständen, mit solcher Aufregung des Fanatismus, der Neuheit, der Raubsucht musste nothwendig um so mehr alles öffentliche Interesse in Anspruch nehmen, je mehr er dem allgemeinen Bedürfniss entgegenkam. Seit den ersten Feldzügen des Sa'üd-ebn-Sa'üd bis jetzt betrachtet in 'Aared und dessen Schwesterprovinzen Jedermann das Schwert als das erste und wichtigste Mittel zur Unterhaltung seines Haushalts und seiner Subsistenz, nicht weniger als der öffentlichen Einkünfte und Staatserwerbungen; die ganze Strömung des wakhabitisehen Wesens hat daher eine dem Handel gerade entgegengesetzte und dem Ackerbau nicht eben günstige Richtung genommen. Die „Heere der Gläubigen", ihre Siege, Hoffnungen, Triumphe über die „Ungläubigen", ihre Nachbarn, beschäftigen alle ihre Gedanken, sind der Gegenstand aller Gespräche, so dass von friedlicheren Dingen nicht leicht die Rede ist. In dieser, wie in mancher andern Beziehung wirkt der Wahhabäismus nur nachtheilig auf den negedäischen Charakter ein. Die Landessprache ist eben so wie in Kasim noch der reine und unveränderte Dialekt des Korans, der hier noch als lebende Sprache Allen geläufig ist, wie im siebenten Jahrhundert; doch beginnen schon in 'Aared einige leichte Abänderungen, hauptsächlich durch den Einfluss der Sprache des Pöbels in Riad. Diese Verschlechterung besteht theils in einem gesuchten Gebrauche der Diminutiva, der dem Fremden beinahe lächerlich erscheint und der Correctheit der gebrauchten Ausdrücke grossen Abbruch thut. Wenn mein Werk sich mit sprachlichen Gegenständen beschäftigen sollte, so könnte ich manche hübsche Beispiele anführen, die ich in Riad sammelte; in einer Uebersetzung aber lässt sich der Witz, der in solchen Ausdrücken liegt, nie entsprechend wiedergeben. Ein anderer in Riad und dem ganzen südlichen Neged gewöhnlicher Fehler ist die Verkürzung der sogenannten „gesättigten Vocale" ä, e, und ü, welche den breitesten und vollsten Laut ausdrücken, zu gewöhnlichen a, e, u; auch die Vocale der Casusendungen werden hier nicht so genau beobachtet, wie in Kasim und Sedejr; man setzt 464 sogar oft eine Endung für die andere und lässt sie zuweilen ganz weg. Merkwürdig jedoch ist es, dass diese Verwechselung der Casusendungen nicht willkürlich ist, sondern einem bestimmten Gesetze folgt, das den Gelehrten nicht unbekannt ist, für welche ich hier einige Worte über diesen Gegenstand beifügen will. Jeder Orientalist weiss, dass die Nomina echt arabischer Bildung drei Casus haben, welche man Nominativ, Genitiv und Accusativ nennt, jedoch nicht ganz richtig, da der zweite auch unsern Ablativ und Dativ ausdrückt, und der erste und dritte auch den Vocativ. Diese drei Casus werden bekanntlich durch die Endlaute Fathah, Kesrah und Dammah unterschieden, welche man dem letzten Consonanten zusetzt, in welcher Abwandelung die von den Grammatikern sogenannte „Ta'arib" oder „ Arabisirung" besteht. Zweitens weiss Jedermann, dass bei den Wörtern, welche als Fremdwörter gelten und nicht als von reiner und ursprünglich arabischer Abkunft, die zweite Endung oder „Kesrah" ausfällt und durch „Fathah" ersetzt wird, so dass die gewöhnlichen drei Casus sich auf zwei reduciren. Dies ist der eigentliche Unterschied zwischen den im strengen Sinne arabischen und den nicht eigentlich arabischen Wörtern. Diese Regel lässt sich jedoch nur auf die Substantiva oder solche Wörter, die als Substantiva gebraucht werden, anwenden. Die Verba und Partikeln, die übrigen Elemente der arabischen Sprache, unterliegen diesem Kesrah-Schiboleth nicht, mit Ausnahme einiger seltenen und eigentümlichen Fälle, die man leicht bemerken und erklären kann. Eben so bekannt ist ferner, dass der Koran, als vom Himmel gesendet, infallibel und für die Grammatik nicht um ein Haar weniger als für alles Andere eine göttliche Autorität ist. Auch der koreiscki-tische oder ismaelitische Dialekt, als der einzige, in welchem die Gottheit spricht, und der noch jetzt, wie wir bereits gesehen haben, das bleibende Erbtheil Centraiarabiens ist, ist das Muster des echten Arabisch für alle muhammedanischen Philologen und der Probirstein für Echtheit und Correctheit. Indessen finden wir, dass dieselben Schriftsteller auch das Bestehen eines cöllateralen, aber verschiedenen Dialekts zulassen, der von der Grammatik nicht ganz verworfen, jedoch als fremd oder vielmehr nicht koranisch bei Seite gesetzt wird. Hinsichtlich dieses zweiten Dialekts haben wir nun drei sichere Thatsachen, nämlich, dass er von altem Ursprünge ist, wenigstens eben 460 so alt, wie der koreischitische, dessen sich der Prophet bediente; sodann, dass er wesentlich arabisch, und endlich, dass er einer Rasse angehört, die von der in Hegäz und Centraiarabien einheimischen verschieden ist. Es ist bemerkenswerth, dass hier, in der Nähe von Riad, gerade wo die Mischung mit dem kahtanischen Stamme bemerkbar wird, dieselbe Verschiedenheit, wie die Grammatiker anerkennen, auch gleichzeitig in der herrschenden Sprache zuerst hervortritt, die, wenn wir weiter nach Süden und Osten gehen, immer mehr zunimmt, bis endlich in 'Oman die koranische oder ismaelitische Form der Sprache ganz verschwindet. In dieser Verschiedenheit, die von solchen Umständen begleitet und einen so localen Charakter hat, lässt sich eine Andeutung jener Rassenverschiedenheit der Bewohner des südlichen und des nördlichen Arabien kaum verkennen, um so mehr, da Riad gerade an der Grenzlinie liegt. Sicher ist es, dass das finale Kesrah erst hier dem Fathah zu weichen beginnt und weiterhin fast ganz verschwindet. Andere Abweichungen zwischen den ismaelitischen und kahtanischen Dialekten werden wir unten bemerken, wenn wir 'Oman, den Hauptsitz des letztern, erreichen. Diese Beobachtungen mögen manchem meiner Leser neu und L 23 vielleicht sonderbar erscheinen; sie sind jedoch auf Erfahrung begründet und wurden mir von manchen denkenden Eingeborenen selbst bestätigt. Dass Niebuhr und andere Reisende in Jemen solche Eigen-thümlichkeiten nicht angeben, wenigstens nicht genau, und nicht ähnliche Folgerungen gezogen haben, darf nicht überraschen. Jemen, welches bald von den Aethiopiern, bald von den Türken oder Aegypten, erobert und besessen wurde, ein bunter Markt, wo Juden, Afrikaner und Asiaten aus Nord und Süd zusammenkommen, handeln und wohnen, muss schon längst mit der Reinheit des Blutes auch die Reinheit der Sprache verloren haben, während seine häufigen und engen religiösen Beziehungen und Handelsverbindungen mit Mekka und dem angrenzenden Hegäz nothwendig auch die dort herrschenden Formen der Sprache auch hier einführen und vorherrschend machen mussten. In Jemen, wenigstens nicht in dem Tehämah oder den Küstenprovinzen, können wir nicht erwarten, sehr deutliche Spuren des kahtanischen Dialekts zu finden. 466 Wir möchten jetzt auf einen diesem parallel laufenden, aber noch mehr bestrittenen Gegenstand übergehen, nämlich die Nabathäer und Himjariten, von denen, namentlich den ersteren, ich hier zum ersten Male in Arabien Spuren fand und ihren Namen hörte. Diese aber werden bald in Hasa, die Himjariten in 'Oman eine besondere Betrachtung nöthig machen, und dann wird Zeit sein, über die Spuren ihrer Existenz und ihres Einflusses in Centraiarabien zu sprechen. Ich habe aber ganz vergessen, dass wir noch immer in den Strassen und Gärten der Stadt herumstreifen; die Mittagssonne ist heiss und meine Begleiter sind wahrscheinlich müde und wünschen nach Hause zu gehen, um nach einem frugalen Mahle von Datteln und Zwiebeln einige Tässchen Kaffee mit uns zu trinken, wie man zwischen Paris und Stambul keinen finden kann. Wir wollen also eine Weile ruhen und nach kurzer Unterbrechung den Faden wieder aufnehmen, um unter mancherlei Zwischenfällen, die unsere Profession als Aerzte mit sich bringt, das Gemälde von Riad und seinen Bewohnern nach besten Kräften zu vollenden. Im Verlage der Dyk'sehen Buchhandlung in Leipzig sind erschienen: Lane, E. W., Sitten und Gebräuche der heutigen Egypter. Aus dem Englischen übersetzt von Dr. J. Th. Zenker. 2te mit Zusätzen vermehrte Ausgabe. 3 Bände mit 64 Kupfern. 16. geh. 2l/a Thlr. Maltzan, H. Freiherr von, Meine Wallfahrt nach Mekka. Reise in der Küstengegend und im Innern von Hedschas. 2 Bände. 8. geh. 2J/a Thlr. H. Neubflrger's Buchdruckerei In Dessau. &Süti#fyärfau Do/itjms//ans. tS.&drtm ti.eiii (bftt&lülldderaÜmdhutt. 9. (hy/ih- tfni/sc. & JbAffS //uux JMXmw Stadtaiertd: &WercckigerJtatz. fLßärtm. innerhalb der 20-S9.$tadt&ior&. d..U>d,/ Mi/iM/tsI/tiiis. Stadtmauern/. J&.PJua*1f5ft/uirta. JiM.Wierte/ dera/ten Aid/. ll.QtjejlsIlaus. J/JV/u/m/i,woimrdUas&jadüm kL-lälhittm. Plan von Fejsai.s Palast in Mai. H H / I£imtts7ti>/.' 2/e/sii/s /himit Diwan. J. de/itäe/ie/' des //irrem. 'i. innerer Amiic/t;; //o/.' J. ft "/ni/t>a/i ■ 0. Gefängnisse. }. j. J/n////it//s Oer/nic/tiT. S. Sauds Zi//////e/.- 2/C.//<>/'.//ti/ /deine/t (raiuic/nr/t. JJ.o\iu/ut/:f Batmer. /,'.'. (ie/niic/ier des Ofetojv maa 'AM er •-/ta/zmun. /.'/.l/a/iiie/ic/' er/tes anderen Mäont'nnd. t'/.dOd et" -I/iuitids Ummer. Ii. /iiic/ic. Jd.AM e/ Arf.rs der/nie/ie?: //. Jhnnt .ltbse/we. AS', ////'/ür Arbeiter. /'t/M 1lid/n///tgen d€'r Arbeiter. 2ß Arsenal. Ä Ummer /irrJhener, J'eger u.s.ra 2222Mu ßfamsk tfemdqker. 21 ücn/ö/ii/iie/ier /üngang. 2'/. />d/' t/sS/rr. oder ge//ei///erA//sgang. 2). Stixe für die o/}i/it//c//e dadzenx, 2d. Scklassgrdbi ■//. 2i'-./'e/se/i (eQva /'/ //r/s // ■ 1 II J /. Großes■1/ivviÄ und Marktplatz. f. Tejsals Mast J. Indeekler Säalehgtvtta. ',. Haschee*. X ffelams Palast. d..'Uulalla/ts IUla.it. a 7i /. Markt, Fletseherläderi. & Alnl -el /i'erimsHaas. 9. Stnpeflöne t/aas. XtJUtd-el laiifs Jfaus. Ii. Quartier der M-dde/f/ak i". Onartier £hdxih. /.<' Haas «resSaliente?i. 1? SS andere T/t o/r. U. //aus Mohammeds (Abd el lall/s Uruder). SS {huuiier des lähmten. ö.l'alast eines Vetters Fejsals. JO.Mder-/iahmans(iarte/t W. Zweites Stadtviertel'. M deynt/'/ii/s/dat... f7. Unsere Wehnana. .vkimiqlie/ierMuytall. IIS. Hauptt/ior. M St. Garten der/äwd/e Ha/dnibi. Ljui£ciiv.6veenwiih 32 Lith.AiiKi.v.iM-.Bach,Leip*ig.