3f3S2 DEUTSCHE EINFLÜSSE AUF DIE ANFÄNGE «ER SLAVISCHEN ROMANTIK. I. AUF DIE ANFÄNGE DER BÖHMISCHE^ ROMANTIK MIT EINEM ANHANG: KOLLAR IN JENA UND BEIM WARTBURGFEST. VON GRAZ. VERLAGS-BUCHHANDLUNG ,STYRIA1 Als erste Publication der von den Innsbrucker Univ.-Professoren Dr. J. Hirn und Dr. J. E. Wack ernell durch die Leo-Giesel 1-schaft herausgegebenen „Quellen und Forschungen zur Geschichte, Literatur und Sprache Österreichs“ ist 1895 in demselben Verlage erschienen: Di© dexitsclie Sprachinsel Gottschee. Geschichte und Mundart, Lehensverhältnisse, Sitten und Gebräuche, Sagen, Märchen und Lieder von Dr. Adolf Hauffen, Docenten an der deutschen Universität Prag. Mit vier Abbildungen und einer Sprachkarte. — 466 Seiten, 8°. Preis fl. 4-80 M. 8 —. Dieses für Germanisten, Ethnographen und Freunde der Volkspoesie großes Interesse bietende Werk gibt eingehend Bericht über die Lage und Beschaffenheit der Sprachinsel, über die Herkunft der Gottscheer, über deren Mundart, öffentliche Verhältnisse, Tracht und Hausbau, Sitten, Gebräuche und Volkspoesie. Es bringt ausführliche Abhandlungen über die Gottscheer Volkslieder mit Excursen und Untersuchungen über Stil und Stoffgeschichte der deutschen und südslavi-schen Volkspoesie überhaupt, ferner gegen 200 Lieder, 90 Melodien und 40 Sagen und Schwänke nach dem Volksmunde. Unter den zum erstenmale mitgetheilten Liedern sind viele von größtem literarischen Interesse und hohem Alter; da alle in der Mundart niedergeschrieben sind, so bieten sie auch dem Dialectforscher ein zuverlässiges Material dar. Das vorliegende Werk ist die erste zusammenfassende Arbeit über die Sprachinsel, das durch seinen reichen Inhalt dazu angethan ist, das Interesse weiterer Kreise zu wecken und zu befriedigen. .. ■ . t '• r > • • ;■ ■’ ■' DEUTSCHE EINFLÜSSE AUF DIE VON DR MATTHIAS MURKO. I. DIE BÖHMISCHE ROMANTIK. % ) „Illyrisches Blatt“, 1831, Nr. 35. gebildetsten Dialect mit den Schätzen der deutschen Cultur und Wissenschaft am schnellsten und zweckmäßigsten zu bereichern.“ Um das Bild zu vervollständigen, sei noch erwähnt, dass auch die zahlreichen an den Wiener Hof abgeschickten Gesuche um Bewilligung der Herausgabe einer slovenischen Zeitschrift1) erst im Jahre 1843 infolge der Fürsprache des Erzherzogs Johann einen Erfolg aufzuweisen hatten; sein Name ist also auch mit dem Erscheinen der ersten slovenischen Zeitung „Novice“ von J. Bleiweis, mit der in der kleinen Literatur eine sehr wichtige Periode begann, verknüpft* 2). Dass die von Wien aus verbreiteten romantischen nationalpatriotischen Tendenzen die Slaven sofort zur Nachahmung reizten, mögen einige Beispiele lehren. In Graz wurde schon im Jahre 1810 eine Societas slovenica von J. Primic gegründet, der namentlich die Grazer Theologen für ihre Muttersprache begeisterte, die „Slovenität“ heben und die „schönen slovenischen Volkslieder“ der Steiermark sammeln wollte; seine Thätigkeit gab auch den Anlass zur Gründung der bereits erwähnten ersten slovenischen Lehrkanzel3) (in dom Laibacher theologischen Seminar folgte eine solche im Jahre 1817; unter den Franzosen war allerdings das Slovenische in den Mittelschulen obligater Unterrichts-Gegenstand, in den Elementarschulen die Unterrichtssprache). In allen slovenischen Landes- ’) St. Vraz, Izabrane Pjesme, izd. Fr. Markovič, S. C. (Brief A. Smolo’s an Vraz aus dem Jahre 1840). 2) Allo diese Züge fehlen in A. Schlossers sonst erschöpfenden Monographien; ebenso die slovenischen Beiträge in dessen Sammlung „Erzherzog Johann im Lied“ (Graz 1882), Ein Lobgedieht von St. Vraz, das die slovenische Muse die Verdienste des Erzherzogs feiern lässt und der Freude über dessen Errettung vor dem Sturm auf der Orientreise im Jahre 1887 Ausdruck gibt (gedruckt in Agram 1839), ist jetzt am leichtesten in J. Skets Slovenska slovstvena čitanka (S. 239—240) zu finden. Ein Geburtstagsgedicht im Namen der dankbaren Slovenen steht im „Aufmerksamen“, 1839, Nr. 9. (Mittheilung des Dr. V. Oblak.) “) P. v. Radies, Kres, III, GOG-GIO. theilen, namentlich aber in Steiermurk zwischen der Mur und Drau, welches Gebiet damals noch zur Grazer Diöcese gehörte, entwickelte sich eine lebhafte nationale Bewegung; von ihr berichtet uns in classischer Weise Stanko Vraz,1) der noch die hervorragendsten Persönlichkeiten derselben kannte und mit ihnen auch viel verkehrte. Die ganze, für alles Edle begeisterte Jugend habe sich auf einmal ohne irgend eine Verabredung in ein Lager vereinigt, und sie blickte mit Verachtung auf die angeblich freisinnigen Slo-venen herab, die mit ihrem Kosmopolitismus prahlten und als Materialisten das Wohl ihres Volkes dem eigenen Vortheil unterordneten. Man sieht da den Kampf zwischen der älteren, aus den josephinischen Zeiten stammenden und an der deutschen Aufklärungsliteratur genährten Generation und der jüngeren, zu der namentlich die dem Volke ohnehin näher stehenden Priester gehörten, die aus Graz die Begeisterung für die Nationalität mitgebracht hatten und daher leicht „ohne Verabredung“ einen Kreis von Gesinnungsgenossen bilden konnten. In Agram erließ im Jahre 1818 der Bischof M. Verliovac an die Geistlichen von Kroatien und Slavonien ein sehr beachtenswertes Circular,“) in welchem er den Reichthum und die Schönheit der „Lingua illyrica“ preist, zuihrerHebung und Bereicherung beitragen will, um sie auf dieselbe Stufe der Erhabenheit und Schönheit zu bringen, der sich „aliae vernaculae“ erfreuen, und zur Sammlung und Einsendung kroatischer Wörter und Redensarten, der Sprichwörter, Volkslieder und alter Bücher auffordert. Der Passus über Volkslieder (vor Vuk Karadzic!) verdient hervorgehoben zu werden: „Omnes cuiusvis generis cantilenas croaticas, aut slavonicas, cum adnotatione, quantum constaret, quando, et a quo, ac qua occasione compositae? opportune colligat, et haec omnia ad me successive transmittat.“ Wir erfahren daraus auch, dass in Wien eine gelehrte Gesellschaft in * 2 ’) Dčla, II, Gusle i tambura, 134. 2) Abgedruckt im Kolo, IX, 43—4(1. tl Bildung begriffen war, „quae in Illyricae lingue dialectis eruderandis et excolendis laborat“. lieber diese kroatische Gesellschaft in Wien wissen wir nichts Näheres. Auch die Bemühungen des edlen Bischofs hatten keinen Erfolg, denn selbst die Geistlichkeit hatte noch kein rechtes Verständnis dafür. Die adelige kroatische Intelligenz stand noch sehr niedrig, so dass es nicht einmal der Regierung im Jahre 1810 gelingen konnte, eine kroatische Zeitung als Gegengewicht gegen das erste derartige Organ, den „Kraljski Dalmatin“ der französischen Regierung in Zara und gegen ihre Eavorisierung der slo-venischen Sprache in Laibach ins Leben zu rufen.1) Doch dachten schon im Jahre 1814 einige in Wien lebende Kroaten und Serben im Einvernehmen mit Kopitar an die Herausgabe einer Zeitung* * 3 4); eine serbische („OepöCKe Honiuie*') wurde von EruSević und Davidović schon im Jahre 1813 in Wien in der That begründet. Im Jahre 1815 erschien in Wien von A. Mihanović, der durch sein Lied „Liepa naša domovina“ (Unser schönes Vaterland) bis heute fortlebt, die erste kroatische Broschüre,3) welche die Nützlichkeit und die Notliwendigkeit einer Literatur in der heimatlichen Sprache betonte. Mihanovic spricht ganz im Sinne Er. Schlegels, wenn er als Haupthindernis der Erhaltung und Ausbildung der Nationalsprache die Führung der öffentlichen Geschäfte in einer fremden (der lateinischen) Sprache tadelt und auseinandersetzt, dass wenige eine fremde Sprache so erlernen, dass sie darin etwas Bleibendes schaffen könnten 1); da sie aber die heimatliche Sprache vernachlässigen und sich ihrer schämen, so verliert das Volk, welches das sieht, die Liebe für das ‘) T. Smičiklas, Hrvatska narodna ideja, Rad LXXX, 26—27. q P. Kulakovskij, ll.I.IIipiiaM'L, 19. 3) Red Domovini od hasnovitosti pisanja vu domorodnem jeziku. Die Inhaltsangabe bei Smičiklas, o. c. S. 27—30. 4) Dieser Gedanke wurde übrigens schon von Herder ausgesprochen; sieh Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, vierter Theil (Riga und Leipzig 1791), S. 226. Einheimische, und die nützlichsten Lehren bleiben ihni fremd, weil es fremde Sprachen nicht kennt. Bald darauf hören wir von der Bildung einer zweiten, meist aus jungen Ärzten bestehenden kroatischen Gesellschaft in Wien *) und derselbe Mihanović versuchte mit seinem Ereunde Šporer abermals die Gründung einer kroatischen Zeitung („Oglasnik ilirski“), doch hatte die im Jahre 1818 erschienene Pränumerations-Einladung keinen entsprechenden Erfolg2). Von der grollten Wichtigkeit für alle Slaven war die Thätigkeit Kopitars in Wien. Trotz seiner Nüchternheit und kritischen Schärfe war er ein echtes Kind der Romantik. Daraus sind vor allem jene Eigenschaften zu erklären, deren-wegen er soviel angefeindet wurde und noch wird: seine Vorliebe für Dialecte als Schriftsprachen, seine Anhänglichkeit an den Katholicismus und sein westslavischer Pa-■) triotismus. Kopitar stand im Verkehre mit den Brüdern Schlegel3 * *), J. Grimm und anderen Germanisten1), interessierte sich selbst für germanistische Fragen, namentlich für ein österreichisches Idiotikon, das ja schon sein Connationale S. Popovič in Angriff genommen hatte6), und arbeitete bei J allen Wiener Organen der Romantik mit, in denen er slavistische und slavische Interessen vertrat. Bereits aus den „Annalen“ wollte er einen Nachfolger des Dobrovs-ky’schen „Slavin“ machen0), und die „Jahrbücher“ wurden durch ihn in der That auch zu einem Organ der westlichen Slavisten. Besonders berühmt und weit bekannt waren seine ‘) M. Bogovič, Kolo, IX, IG. J) Smißiklas, o. c. 30. 3) In Miklosichs Nachlass befinden sich zwei Briefe Friedrichs an Kopitar, an den er sich bei Ausleihung der Bücher aus der Hofbibliothek zu wenden pflegte. '‘) A. Heinr. Hoffmann widmete B. J. Docen und unserem eifrigen Slaven seine „Althochdeutschen Glossen“ (Breslau 182G). r') Kopitar, Kleinere Schriften, 17G—177 (an Fr. Schlegel als Herausgeber des „Museums“, 1812). «) Jagić, lIiici.Ma ^oöpoBCKaro n Koiurrapa, 204. IB „Patriotischen Phantasien eines Slaven“, die im Jahre 1810 in den „Vaterländischen Blättern“ und erweitert in der „Wiener Allg. Literaturzeitung“ im Jahre 1813 erschienen sind *). Er gab darin ein ganzes Programm lür das Gebiet der slavischen Grammatik, Geschichte und Literatur - Geschichte, forderte für Wien eine Lehrkanzel „Linguae sla-vicae antiquissimae“, die für seinen Jünger Miklosich, den er sich in den letzten Lebensjahren als Peripatetiker herangebildet hatte, erst im Jahre 1849 gegründet wurde, und träumte in einer Zeit, als Österreich noch keine deutsche Akademie hatte, schon von der Errichtung einer slavischen Central-Akademie in Wien, der sich alle bestehenden und zukünftigen, auch die Petersburger, unterordnen sollten-). Ebenso trug er sich mit dem Plan einer slavischen Ency-klopädie3) und wollte noch im Jahre 1837 ein Centralorgan für alle Slaven von Moskau bis Cattaro schaffen.4) Die grölJten Verdienste erwarb sich Kopitar um die Veröffentlichung der serbischen Volkslieder und um den Cultus, der mit denselben in Deutschland und in der ganzen gebildeten Welt getrieben wurde6), wodurch er auch das Erscheinen weiterer slavischer Sammlungen anregte und förderte. Man kann ruhig sagen, dass Kopitar, der sich schon seit dem Jahre 1810 nach einem Sammler der Volkslieder ‘) Wieder abgedruckt in den Kleineren Schriften, S. (>1 70, und in Kopitarjeva Spomenica, S. 13‘2—141. a) Man plante damals eine österreichische Kunst-Akademie in Wien als Centralstelle für die Akademien von Wien, Mailand und Venedig, auf deren Directorstelle Metternich Fr. Schlegel große Hoffnungen machte. Die Kopitar’sche Idee scheint dennoch originell zu sein, denn des anderen Planes geschieht erst im Jahre 1810 Erwähnung (Walzel, Fr. Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, S. G26). Viel ist von einer slavischen Central-Akademie die Rode auch in det Correspondenz Kopitars mit Dobrovsky. (Sieh jagić, IlHCiiMa ^oöpoBCKaro n KömiTapa, G3, 91 u. ö. a) Jagić, o. c. 24, 30 u. ö. 4) IlHCJ.Ma kt> M. IforojuHy im> cjiaiuutCKiix’i, aeiejib, 449. s) Vgl. die Correspondenz der Frau Talvj mit Kopitar in Miklosichs Abhandlung „Ober Goethes Klagegesang von den edlen Frauen des Asan Aga“, Sitzungsberichte der kais. Akademie, Bd. CHI. der Kroaten und Serben sehnte,1) den ganzen Vuk Karad-žić, nicht bloß den Sammler und Herausgeber der serbischen Volkslieder, sondern auch den Grammatiker und Lexikographen, überhaupt den Schöpfer der neuserbischen Schriftsprache und Orthographie, allein geschaffen hat. II. Das Wiederaufleben der böhmischen Sprache und Literatur — Dobrovsky. Ein ungemein lehrreiches Beispiel für die Entwicklung der slavischen Romantik bilden die Böhmen2) (Cechen), deren „Wiedergeburt.“ zu Anfang unseres Jahrhunderts besonders groß dasteht und auf alle übrigen Slaven überaus befruchtend wirkte. Nach der Schlacht am Weißen Berge gerieth das nationale Leben und die Sprache selbst immer mehr in Verfall. Das war eine Folge des allgemeinen Niederganges des Wohlstandes und des geistigen Lebens nach dem Dreißigjährigen Kriege: eine Thatsache, die zu wenig gewürdigt wird. Die böhmische Sprache verblieb ja stark im amtlichen Gebrauch und eine zielbewusste Germanisation ergab sich erst aus den centralistischen Bestrebungen der Kaiserin Maria Theresia und Josef II. Da hatte es allerdings den Anschein, dass durch ihre Maßregeln der böhmischen Sprache und Nationalität der Todesstoß versetzt werden könnte, doch in Wirklichkeit musste gerade das Gegentheil erreicht werden. Ich messe keine besondere Bedeutung dem oppositionellen Geiste unter dem um seine Privilegien besorgten Adel bei, dessen einzelne Vertreter sogar bei Hofe ') Den ersten öffentlichen Aufruf ließ er im Jahre 1811 in den „Vaterländischen Blättern“ ertönen. Sieh Kleinere Schriften, I, 138 bis 140. 2) Ich bediene mich des historischen (Lingua bohomica, be-heimische, böhmische Sprache) Ausdruckes „böhmisch“, da derselbe in Österreich officiell ist. Vgl. meine Bemerkungen in den Mittheilungen der anthropologischen (resellschaft in Wien, 25. Bd., Seite 90. ostentativ böhmisch zu sprechen anfiengen, denn dieses Beispiel, das allerdings in Ungarn und Kroatien eine bedeutendere Rolle spielte, konnte keine allgemeine Nachahmung finden. Peter der Grolle, der noch im Jahre 169 < höchst erfreut war, dass er mit dem böhmischen Adel in seiner Muttersprache conversieren konnte, hätte nach hundert Jahren dieses Vergnügen nicht mehr erlebt') und noch weniger gab es eine hohe adelige Dame, welche in ihrem Testament für die Herausgabe böhmischer Bücher gesorgt hätte, wie das eine Gräfin Sternberg noch im Jahre 16722) that. Bedeutungsvoller wurde gerade Josef II. sonstige reformatorische Thätigkeit. Die Verbreitung der Aufklärung und die Befreiung der Bauern brachten neues Leben in jene Schichten, durch welche das böhmische Volk wiedergeboren werden sollte,8) und das Toleranz-Edict zog einen großen Theil der alten Literatur, namentlich die der Böhmischen Brüder wieder ans Licht, deren Sprache nun mit Recht als ein besonders hohes Muster gepriesen wurde. Man bedenke, dass noch unter Maria Theresia bei Palackys Vorfahren in Hodslavice in Mähren fromme Zusammenkünfte im Verborgenen stattfanden; Gesang und Gebet wechselten mit der Lectüre solcher Brüderbücher ab, die man im Dickicht des Waldes zu vergraben pflegte. Mit den literarischen Schätzen wurden aber nun auch die geistigen Kräfte der böhmischen lind slovakischen Protestanten frei, so dass sie dem böhmischen Volke seine verdienstvollsten Männer zu Anfang unseres Jahrhunderts, Palacky, Šafarik und Kollar, geben konnten. Überhaupt musste^ die Hebung des geistigen Lebens unter Josef II. auch den Böhmen zugute kommen, und so fielen auch bei ihnen alle literarischen Strömungen des deutschen Volkes seit Klopstock auf fruchtbaren Boden. ’) Palacky, Gedenkblätter, 34. -) Jungmann, Historie literatury Seske2, 251. s) So enthält viel Wahrheit die Behauptung der Herausgeber der Correspondenz Oelakovskys (Sehrand Listy, Vorr.), dass es ohne den Tischlermeister Plänek, dessen in dem Kreise der jungen Romantiker so häufig gedacht wird, vielleicht (Jelakovsky nicht gäbe. 4) Fr. Palacky, Ylastni zivotopis, 6. Doch hinkte diese Verpflanzung und Umbildung, obwohl gerade Böhmen direct am deutschen geistigen Leben mit-betheiligt war, allmählich und langsam nach; schuld daran war allerdings zum großen Theil nur das jeweilige Zurückbleiben der österreichischen Deutschen selbst. So wird das Auftreten der „patriotischen Schule“, das ist der böhmischen Romantik, allgemein erst um das Jahr 1820 angesetzt1). Das Interesse für die böhmische Sprache und Literatur begann allerdings schon viel früher. Schon in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts entfalteten mehrere nicht unbedeutende Gelehrte, meist josephinische Priester, eine eifrige Thätigkeit auf dem Gebiete der vaterländischen Geschichte und Literatur in lateinischer und namentlich in deutscher Sprache in der damals üblichen archäologisch-encyklopädisehen Richtung und im Geiste der Aufklärung. Natürlich musste da auch die ruhmvolle Vergangenheit der böhmischen Sprache ans Tageslicht treten, und bald begann man auch an eine Wiederbelebung derselben zu denken. Doch war diese ganze wissenschaftliche und literarische Thätigkeit nicht von dem späteren romantisch-patriotischen Geiste getragen. In den geschichtlichen Arbeiten findet man gesunde Kritik und etwas zu viel Voltaire’sche Skepsis und Ironie, die Literatur diente aber den gemeinnützigen Interessen und vor allem den Bedürfnissen des niederen Volkes, das man aufklären wollte. So verdanken wir die erste böhmische Zeitschrift „Učitel lidu“ (1786—1788) dem Pürsten zu Fürstenberg, der die Monatschrift „Der Volkslehrer“ durch Tomsa ins Böhmische übersetzen ließ* 2). Es ist bezeichnend, dass auch „Der böhmische AVandersmann“ von Professor J. G Meinert im Jahre 1801 als „öesky ‘) Masaryk (Öeskü otazka, 45) möchte Jungmanns Übersetzung des Verlorenen Paradieses (1811) als Grenzscheide ansetzen. Es ist richtig, dass die neue Richtung um diese Zeit hervorzutreten beginnt, aber ihre greifbaren Resultate sind doch erst seit 1818 bemerkbar. 2) Sieh Monatschrift der Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen, 1827, September, S. 14—29: Übersicht der in Böhmen bisher erschienenen Zeitschriften . . . von Professor Johann Helbling v. Hirzenfeld. Nr. 22. poutmk“ bei demselben Verleger erschien. Noch im Jahre 1810 konnte ein ähnlicher Versuch mit dem „Volksfreund“ („öesky Lidomil“) gemacht werden, dessen Übersetzer Hybl dann in den Jahren 1816—1822 nach Art der Seibt’schen „Blumenlesen“ seine „Rozmanitosti“ herausgab, in denen er den niederen Schichten eine belehrende und kurzweilige Lectüre bot und namentlich den Glauben an Gespenster bekämpfte1), als Öelakovsky dieselben schon poetisch verwertete. Von besonderem Interesse ist für uns auch die That-sache, dass „Der Schulfreund Böhmens“ (1816—1821) als „Pfitel mladeze“ (1823 — 1826) fortgesetzt wurde2). In ähnlicher Weise spielten schon in den Zwanzigerjahren in Böhmen herumreisende Theatergesellschafben abwechselnd in deutscher und böhmischer Sprache, und die Begründer der böhmischen Bühne und bedeutende Vertreter derselben spielten ursprünglich deutsch; sehr häufig wurde zu böhmischen Vorstellungen Zuflucht genommen, wenn die deutschen die Gassen nicht füllen wollten8). Auch die Gründung der ersten „Lehrkanzeln“ der böhmischen Sprache verfolgte nur praktische Ziele, wofür schon der Umstand bezeichnend ist, dass dieselben zuerst außerhalb Böhmens (in Wiener-Neustadt und Wien) errichtet wurden. J. Maly ') meint, dass sogar die Gründung einer böhmischen Lehrkanzel der Pastorallehre in Prag (1778), in Brünn (1779) und der böhmischen Sprache an der Prager Universität (1793, in Wien schon 1775) nur den Zweck hatte, den behördlichen Organen die Bevormundung des böhmischen Volkes zu erleichtern. In Wirklichkeit waren jedoch alle diese Lehrstellen, sogar die in der 'Wiener-Neustädter Militär-Akademie (seit 1752)6), von großer Be- 1) Bačkovsk^, Dejiny českćho pisemnictvi, 2B6—258. 2) Sieh Helbling 1. c. Nr. 28. 8) Ygl. Prispevky k dejinäm eeskćho divadla, uspofadal Jan Ladecky, S. 29—30, 35, 47, 48, 85 ft. 4) Naše znovuzrozeni, 5. 6) Sbornik Öecbü dolnorakouskycb, S. 68 — 78 (Aufsatz von R. Rössel). Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 2 deutung für die Wiederbelebung der böhmischen Sprache und Literatur. Bei den Slovaken, deren protestantischer Theil an dem sprachlich-literarischen Erbe des Hussitismus mit Zähigkeit festhielt, erschien in Pressburg mit ähnlichen Beiträgen das Wochenblatt „Tydennik“ (1812 — 1818), dem die jüngere Generation Mangel an Nationalgefühl vorwarf1). In der Sprache selbst hielt man sich ängstlich an die Formen und an den Geist des Budolphinischen sogenannten goldenen Zeitalters, Neologismen waren ebenso verpönt wie Entlehnungen aus den Mundarten oder anderen slavischen Sprachen; auch orthographischen Neuerungen waren diese Anhänger des „Classicismus“ abhold. Dieser Standpunkt wurde von J. Ne-jedly, der in den Jahren 1806—1808 in Prag die erste originelle böhmische Zeitschrift „Cesky Hlasatel“ herausgab, in dessen Vorrede doch schon nationalpatriotische und all-slavische Töne angeschlagen werden, noch am Ende der Zwanzigerjahre energisch festgehalten, so dass sogar die Censur und der Landeschef (Oberstburggraf) auf die erhitzten Gemüther besänftigend einwirken mussten* 2 3). Ebensowenig stand der Inhalt der erwähnten Zeitschrift auf der Höhe der Zeit, denn ein Drittel ihrer poetischen Beiträge bildeten Gessner’sche Idyllen8). Neben dem Schäferthum machte sich eine feierliche Odenpoesie breit, die nicht so sehr auf classische Muster als auf Klopstock zu-rückgieng. Der Begründer der ersten neu böhmischen Dichterschule, Ant. Jaroslav Puchmayer, der seine Almanache in den Jahren 1795, 1797, 1798, 1802 und noch 1814 herausgab, erinnert an Hagedorn, Gleim, Wieland, Uz, Götz, Kleist und Bürger4 *), und seine ganze Schule wird mit dem Göttinger Hain verglichen6). ') Palacky, Vlastni živstopis, 13. 2) F. L. Öelakovsküho Sebrane Listy, 122—123, 23B. 3) J. Jireček, O stavu češke literatury v letech 1815—1820, ČČM. (d. i. Časopis českeho Museum) 1878, 231. 4) Jaroslav Vlček, Čas 1895, 786. 6) Bity, Ottüv Slovnik Naučny, s. v. Češka literatura. Am besten können wir zur Zeit des Anfanges der Romantik den Unterschied zwischen der älteren und jüngeren Gleneration an Jos. Dobrovsky1) (1753 1829) beobachten. Als Patriarch der Slavistik, zu dem ihn Kopitar bereits im Jahre 1810 stempelte2), zog er zuerst die Geschichte und Sprache aller Slaven in den Bereich seiner gründlichen Studien, schrieb die erste altslavische Grammatik (Institu-tiones linguae slavicae veteris dialecti, 1822) und schickte die deutsch geschriebenen Sammelwerke „Slavin“ (1806) und „Slovanka“ (1814) als erste fröhliche „Botschaft aus Böhmen“ zu allen slavischen Völkern ’); als Vater der Bohemistik schrieb er die grundlegenden Werke über das Alterthum, die Literaturgeschichte und die Sprache seines Volkes. In allen seinen Werken sehen wir aber den aufgeklärten Encyklopädisten, der noch im Jahre 1820 elegisch der „tempora Josephi“4) gedenkt und für die um ihn herum sich geltend machenden romantischen Anschauungen und Bestrebungen kein Verständnis hat. In der Geschichtschreibung zeigt er sich überall als der aufgeklärte, rein verstandesmäßige Kritiker, der die Böhmen in der heidnischen Zeit „noch roh“ nennt6) und ihre Geschichte, sowie die der Slaven überhaupt, von allen Fabeln und patriotischen Fälschungen6) der Alten und von willkürlichen Oombinationen der Neueren reinigen möchte. Ei' schreibt zwar am Abend 1) Palacky, Josef Dobrovskys Leben und gelehrtes Wirken (aus den Abhandlungen der königl. böhmischen Gesellschaft dei Wissenschaften), Prag 1833. V. Brandt, Život J. Dobrovskeho. Eine kurze und treffliche Charakteristik und Würdigung Dobrovskys lieferte W. K eh ring in seiner Breslauer Rectorat srede, 1893. a) Jagić, llncmta ((oöpoßCKaro n Korarrapa, 159. a) Der Erfolg war ursprünglich nicht groß; über den felavin berichtet Kopitar (Kleinere Schriften, 19), dass nur die Krainer freudig seine Ankunft verkündeten. <) Jagić, Ilirci,Mil, 450. 5) Geschichte der böhmischen Sprache und Literatur (1792), 52. In der zweiten Ausgabe (1818) ist das Urtheil gemildert; vgl. S. 64. ») So erblickte er selbst in der glagolitischen Schrift einen späteren mönchischen Betrug. seines Lebens in einer Polemik1), dass re selbst ein Slave sei, „der väterlichen Abstammung nach ein Böhme, eifernd für den wahren Ruhm seiner Nation“, aber ein Jahr zuvor entschlüpfte ihm auch der Satz: „Mit Pertz’ Arbeit und Ausgabe müssen wir Deutschen nun wohl zufrieden seyn“2), und er spricht mit Verbitterung von den „böhmischen Enrage“, den „übereifrigen Patrioten“ und den „böhmischen Zeloten“, an deren Spitze Jungmann steht, als er in den letzten Lebensjahren in eine literarische Fehde wegen Libušas Gericht (Grünberger Handschrift) gerieth; letztere ist ihm „ein Bubenstück, womit man aus übertriebenem Patriotismus und Hass der Deutschen andere und sich täuschen wollte“3). Natürlich musste ihm nächst diesem „literarischen Betrug“ die ganze romantische Verherrlichung des slavischen Alterthums in den Werken Jungmanns und Rakowieckis missfallen. Die Gegner zahlten ihm das auch heim, indem sie ihn einen „slavisierenden Deutschen“4) und „Hyperkritiker“r’) hieben und ihm vorwarfen, dass er der „Ahnherren Ruhm kalt und herzlos“ bekrittele!0) Der böhmischen Sprache brachte Dobrovsky die Liebe eines Philologen entgegen. In einer Festsitzung der königl. Gesellschaft der Wissenschaften überreichte er zwar Leopold II. bei seiner Krönung zum König von Böhmen „einige poetische Versuche unserer einheimischen Musen über die Königsfeier“7) und hatte in dem Concept seiner Festrede („Die Ergebenheit und Anhänglichkeit der slavischen Völker an das Erzhaus Österreich“) die Bitte an den König, „die böhmische Nation auch bei ihrer Muttersprache, diesem kostbaren Erbe von ihren Vorvätern, gegen ungestümes Verfahren und unbescheidenen Zwang zu ’) Jahrbücher der Literatur, ‘27. Bd., S. lOiä. a) Jagić, HlICI.Ma, BG7. °) Ibid. G16, G‘20, GG1, G62. *) Brandl, 282. l) Palaeky, 62. a) Hormayrs „Archiv“ 1824, Nr. G4. ’) Geschichte der böhmischen Sprache und Literatur, 21G. schützen“'), welcher Schlusspassus dann ohne seinWissen gedruckt wurde2 3), zweifelte aber selbst daran, dass sich die böhmische Sprache zu jenem Grad von Vollkommenheit wieder emporschwingen könnte, den sie in ihrem goldenen Zeitalter unter Maximilian und Rudolf II. erreicht hatte 8), und schreibt über die böhmischen Sonntagsvorstellungen (seit 1786): „Ich gönne vom Herzen diese Unterhaltung derjenigen Classe von meinen Landsleuten, die das deutsche Theater nicht besuchen können, zweifle aber sehr, dass dadurch die böhmische Sprache im ganzen gewinnen werde, so herzlich auch die Freude ist, die der böhmische Reimer Wenzel Melezinek mit jedem Neujahrswunsch, und mit ihm mehrere eifrige Patrioten in Versen darüber äußern!“4 *) Kurz, er betrachtete die Sprache seines Volkes als eine „todte“ 6) und war noch im Jahre 1825 gegen die Herausgabe einer Museums-Zeitschrift in böhmischer Sprache (s. u. bei Palacky), während sogar Hormayr in Wien sofort der böhmischen eine Zukunft, der deutschen aber einen baldigen Untergang voraussagtee) und Recht behielt. Als Grammatiker wollte Dobrovsky ein „philosophischer Sprachforscher“7) sein, der allerdings über seine Muster, Adelung und Vater, hinausgieng und namentlich für die Geschichte der Sprache mehr Sinn hatte, was aber zum großen Theil bereits ein Verdienst Kopitars und der deutschen Romantik war. Seine Vorstellungen von der Verwandtschaft der slavischen Sprachen mit den indogermanischen sind jedoch wohl bis zum Ende seines Lebens dieselben geblieben, wie sie im Jahre 1810 waren, als ihm Kopitars Ausdruck über die „nahe“ Verwandtschaft des Griechischen, <) Palacky, 25. а) Brandl, 77. 3) Geschichte der böhmischen Sprache und Literatur, 216. 4) 0. c. 215. б) Graf Leo Thun, Über den gegenwärtigen Zustand der böhmischen Literatur, Prag 1842, S. 3. 6) Jagic, UlICBMa, 680. 7) Lehrgebäude der böhmischen Sprache, XIII. Deutschen und Slavischen nicht „der passendste“ erschien1). Charakteristisch ist aber namentlich sein Verhalten gegenüber den Dialecten. Man kann es vollständig begreifen und nur billigen, dass er sich gegen weitere literarische Spaltungen der Slaven und speciell gegen die Loslösung der Slovaken von den Böhmen erklärte* 2), aber ganz unromantisch und auch unrichtig ist es, wenn er von einer „gemeinen, oft sehr groben Sprechart“ verschiedener slovakischen Gegenden spricht3). Am auffälligsten ist jedoch Dobrovskys Verhalten gegenüber dem Volkslied. Er interessiert sich zwar für „erweislich alte Volkslieder“, für Fabeln, Sprichwörter und Räthsel4 *), aber offenbar nur aus historischen und sprachlichen Gründen, erwähnt in der zweiten Lieferung der „Slovanka“ (1815)6) die serbischen Volkslieder von Vuk Karadžić nur deswegen, weil darin auch das Lied von Asan Agas Frau steht, „was selbst Goethe für wert hielt, aus der italienischen umschreibenden Übersetzung bei Abbate Fortis ins Deutsche zu übersetzen,“ und ließ eine Anfrage J. Grimms aus dem Jahre 1824, ob er mit dem hohen poetischen Wert der serbischen Volkslieder einverstanden sei, unbeantwortet; das Höchste in der Verkennung derselben leistete er aber in einem Urtheil aus dem Jahre 1827, das uns durch öelakovsky “) überliefert worden ist, indem er sich äußerte: „Ich weiß nicht, was die Leute nur mit den serbischen Liedern haben wollen? Das hat alles Kopitar so ausgeschrien, dann haben sie dem Goethe was weiß gemacht, und jetzt machen sie soviel Lärm. Und es sind doch nur Gassenhauer! Etwas anderes sind die russischen, die haben doch noch in der dritten Person sing, das alte ti,!“ Die Bewahrung einer alten grammatischen Form in russischen Volksliedern war also für Dobrovsky wichtiger als die ganze poetische Schönheit der serbischen. >) Jagić, I liicr.jia, 151. a) Ibid. 527—528, 536. a) Lehrgebäude der böhmischen Sprache, XII. 4) Jagić, IIlIChMa, 28. *) S. 252. #) Sobrane Listy, 199. Dobrovskys Thätigkeit war dennoch ungemein frucht-und segenbringend für die Böhmen und die anderen Slaven. Er hatte viel und tüchtig gearbeitet; die romantische Färbung seiner Leistungen besorgten dann schon andere. Übrigens konnte sich auch er dem Geiste der Zeit nicht entziehen. Herders idyllische Schilderung der Slaven verbreitete auch er (im „Slavin“), Kopitar presste ihm in einemfort Beiträge für die Wiener romantischen Zeitschriften ab und brachte ihn dazu, dass er 1820 nach Wien übersiedelte und die altslavische Grammatik schrieb, die als Ausgangspunkt für die slavistischen Studien dienen sollte. Auch Dobrovsky glaubte an eine große Zukunft der Slaven, wobei er als Mann des Aufklärungszeitalters allerdings meinte, dass eine neue Erleuchtung der Welt vom slavischen „Um“ (Verstand) kommen werde *), half mit Rath und That bei der Gründung des böhmischen Museums mit und nahm nicht bloß die Königinhofer Handschrift, sondern auch andere, noch bedenklichere Falsifikate gläubig auf. Es liegt geradezu eine Ironie darin, dass der Handschriftenfalscher Hanka es liebte, sich als Schüler Dobrovskys auszuspielen und auch von ihm und Kopitar als solcher betrachtet wurde* 2 *); ja noch im Jahre 1841 wählte ihn die russische Akademie als „Dignissimum Illustr. Dobrovski! discipulum akpre aemii-lum socium“ zum correspondierenden Mitglieds). Besonders beachtenswert ist es, dass auch Dobrovsky von dem romantischen Interesse für Indien mitgerissen wurde, an eine große Verwandtschaft der indischen Mythologie mit der slavischen glaubte4) und direct jene Geister riefE), die ') Jagić, lliicbMa, 404. 2) Vgl. die zahlreichen Stellen über Hanka in ihrer Correspon-denz nach dem Index bei Jagic, 1 fllCLMa, 718. s) Libussa, 11. Jahrg. (1852), 349. *) Jagić, JllICl.Ma, (559 (D. meint hier, die Slaven hätten indische Götterlehren initgebracht); Monatschrit’t dos vaterländischen Museums in Böhmen, 1827: Bemerkungen eines Böhmen über die Verwandtschaft der slavischen und nordischen Mythologie. (j Slavin, 413: „Sonderbar genug, dass die slavischen Mythologen nicht darauf verfallen sind, ihre Götternamen in Indien zu suchen. in der Vergleichung alles Indischen mit dem Slavischen Großartiges leisteten. Für seine Beziehungen zur Romantik ist es auch bezeichnend, dass er A. W. Schlegel durch die Vermittlung Friedrichs seine „Institutiones“ schickte1). Überhaupt muss gleich hervorgehoben werden, dass für die Slaven die nationalpatriotischen Lehren der deutschen Romantik und ihre positiven Leistungen maßgebend wurden, dass sie sich aber um die philosophische Begründung derselben wenig kümmerten. So finden wir einen merkwürdigen Zwiespalt und einen sonderbaren Eklekticismus in der dichterischen Praxis und in den philosophischen, speciell in den ästhetischen Anschauungen gleich beim eigentlichen Begründer der rpatriotischen Schule“ unter den Böhmen. in. Jungmann. — Die Folgen der Befreiungski’iege. Josef Jungmann2) (1773 — 1847) war ein blinder Anhänger Voltaires und ein Verehrer "Wielands3 4), übersetzte aber zuerst „Atala“ des träumerisch-gläubigen Chateaubriand (1805), leistete dann seine für die böhmische Literatur groß dastehende poetische That durch eine gelungene Übersetzung von Miltons „Verlorenem Paradies“ (1811), später von Goethes Hermann und Dorothea (gedruckt erst 1841, doch lassen sich die ersten Spuren der Übersetzung bis auf das Jahr 1812 verfolgen); kleinere Gedichte übertrug1) er aus Klopstock (Lehrling der Griechen), Bürger (Lenore, 1806), Herder (Kfih z hory — Das Ross aus dem Berge. Eine böhmische Sage), Schiller (An die Freude, Das Lied von der Glocke, Der Handschuh) und Goethe (Mignon, ‘) O. Walzel, Fr. Schlegels Briefe, G37. 3) V. Zeleny, Život Josefa Jungmanna, v Praze 1873, 1874. 8) ZApisky, 10—11. 4) Sieh Sebrane spisy veršem i prosou, v Praze, 1841. ‘25 Gesang der Geister über den Wassern, Zauberlehrling); von den Engländern sind Goldsmith, Gray und Pope aus der älteren Periode vertreten, aber Byron und der neueren romantischen Dichtung überhaupt ist er gründlich abgeneigt: er klagt über den verdorbenen Geschmack, der die Yorur-theile vergangener Zeiten, den Glauben an Zaubereien, an Vampyre u. s. w. in die Lyrik, Epik und in die Romane einführt und für eine ungesunde Befriedigung der Phantasie Sorge trägt1). Obwohl er ein begeisterter Verehrer Herders* 2) war, finden wir bei ihm dennoch kein besonderes Interesse für das Volkslied und wenig Spuren desselben in seinen eigenen Dichtungen. In diesen überwiegen Klop-stock’sche Oden, classische, namentlich anakreontische und idyllische Elemente (er nationalisiert nicht einmal den Olymp, sondern behält Pomona, Flora, Amor u. s. w. bei) vereinigen sich mit bardischen 3 4), in seinen Balladen (Oldfich a Božena, Zuzanna) nimmt er sich den volksthümelnden Bürger1) zum Muster, dem auch sein Liebling Hnevkovsky5 6) nacheiferte, namentlich aber in seinen beiden Sonetten, mit ' denen er diese Strophenform zuerst (1798, 1799) in Böhmen einführte.0) ‘) Zeleny, 350. “) Sebrane spisy, 50. “) Vgl. namentlich Slavenka Slavinovi (Sebrane spisy, 50) und Krok (ib. 117), wo besonders folgende Stelle zu beachten ist (S. 119): Sem pevce s varytem zvuönym, tu chräm Svetoviduv svaty, pej ctnost a Öechuv slavu v libom pfirody rozmeru (im Lautmaße der Natur: Klopstock!). 4) Vgl. in Oldfich a Božena (Sebrane spisy, 95 ft.) die Bürger-schen Interjectionen: A hurra! honba v lesine . . . Ho, ho! — A hurra! . . . Ha! 6) Zeleny, 130. 6) Sebrane spisy, 125—123. „Težke vybräni“ schildert die schwere Wahl zwischen einer blonden Lila und einer schönen, lebhaften, schwarzäugigen Loli. Dass letztere Bürgers Molly nachgebildet ist, dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen; von dem Erlebten und der Leidenschaftlichkeit der Molly-Lieder gibt es in dem Sonette allerdings keine Spur. Romantisch ist bei J ungmann eigentlich nur die Nachahmung des nach den Befreiungskriegen namentlich von Fouque modernisierten Bardenthums, das er den alten Slaven auch theoretisch zuschrieb (s. u.), und das Interesse für indische Poesie, Metrik und Sprache, mit denen er und sein Bruder Anton die Böhmen in der Zeitschrift „Krok“ I (gegründet 1821) bekannt zu machen suchten1). Bei der Anregung und Förderung der Herausgabe philosophischer Schriften dachte er nur an eine Bereicherung der böhmischen Literatur, kümmerte sich aber wenig um Systeme, die ihm geradezu ein Greuel waren2). Auf der Höhe der Zeit steht Jungmann daher nur durch sein nationalpatriotisches Wirken, namentlich als Verfasser einer zeitgemäßen Anthologie (Slovesnost, 1820), einer mit großem Fleiße gearbeiteten Literaturgeschichte (1825 und 1849), die als Quellenwerk noch lange nicht überholt werden dürfte, und eines großen Wörterbuches (1834 — 1839), das ihm für immer seinen Ruhm sichert. Woher er die Anregung zu diesen Leistungen bekam, zeigt uns, wenn wir von dem Beispiel anderer Slaven, namentlich der Polen, abseheu, eine interessante Stelle in seiner epochemachenden Lob- und Vertheidigungsschrift „über die böhmische Sprache“ (geschrieben 1803, erschien 1806 im „Hlasatel“)3), welche in Šafarik, Palacky und überhaupt in der ganzen jüngeren Generation die nationale Begeisterung weckte. Hier klagt Daniel Adam Veleslavin, berühmt wegen seiner classischen Sprache in dem „goldenen Zeitalter“ der böhmischen Literatur, in der Unterwelt über den Verfall seiner Sprache und seines Vaterlandes und wird von einem — Deutschen getröstet, als er einen entnationalisierten Böhmen sieht. Dieser Deutsche erinnert ihn an die Schicksale seines eigenen Volkes, führt ihm zu Gemüth, dass noch nicht alles verloren sei, dass ein Volk lebt, dessen Sprache noch nicht ganz verschwunden ') Vgl. meine Abhandlung über die ersten Vergleiche des Sans-t- krit mit dem Slavischen im Rad jugoslavenske akademije, kn. 127. '•*) Zeleny, 348. a) Abgedruckt in Sebranc spisy, 133—157. ist, dass der entlaubte Baum von neuem grünen kann, wenn ihn nur ein sorgfältiger Gärtner in Pflege nimmt, und fährt also fort: „Es tritt, ich sage es dir, ein edleres böhmisches Geschlecht auf, wohlgerathene Söhne des Vaterlandes, welche die pflichtgemäße Liebe zu ihrer Mutter in ihrer Brust fühlen. Diese werden dort, wo ihr aufgehört habet, die böhmische Kunst wieder aufnehmen und ihr einst berühmtes Vaterland der sprichwörtlichen Verachtung der Nachbarvölker entreißen (seid einig!), wenn nur (und wer sollte daran zweifeln?) dieser unser guter Vater der Völker, unser gnädiger König, dem Wunsch der Millionen seiner Getreuen Gehör schenkt und seinen Slaven ganz ein Vater sein wird, was Karl (d. i. Karl IV.) und Rudolf (II.) nur zur Hälfte waren.“ Die zweite Unterredung wird zwischen einem „Slavo-philen und seinem Gegner“ (Slavomil a Protiva) geführt. Der letztere ist ein Kosmopolit (svetooböan), den Jungmann widerlegt. Er führt aus, dass eine wahre Vaterlandsliebe ohne Liebe zur Sprache der Nation undenkbar sei, zeigt, wie abhängig die Deutschen in Kunst und Wissenschaft von den Franzosen gewesen sind und wie sie sich von ihnen eman-cipiert haben, und fordert eine ähnliche Emancipation für die Böhmen, wobei er Gleim travestierend ruft: Nemci budouce, budem narod, ne vsak Češi vice!') Er achtet die Deutschen, denen jeder wahrheitsliebende Böhme bekennen wird, dass sie ihnen ebensoviel verdanken, wie sie selbst den Franzosen. Auch das Beispiel des nationalen Erwachens der Ungarn wird herangezogen und wegwerfend betont, dass die „Herrschaften“ französisch oder chaldäisch sprechen können (wer vernünftiger ist, liebt allerdings die Sprache seines Volkes).. Hier wird auch schon die Entlehnung einzelner Wörter aus anderen sla-vischen Sprachen befürwortet. Zuletzt bekämpft Jungmann die Npthwendigkeit einer Germanisation aus staatlichen Rück- ') Das heißt: Wenn wir Deutsche sind, werden wir eine Nation, jedoch nicht Böhmen sein! Ich konnte die entsprechende Stelle in J. W. L. Gleims sämmtlichen Werken, herausgegehen von Wilhelm Körte (Halberstadt 1811), nicht finden. sichten und gründet seine Wünsche und Hoffnungen wieder auf die Einsicht und Güte des Thrones Diese Hoffnungen auf die Hilfe von oben — Jung-mann blieb ein so eingefleischter Anhänger des aufgeklärten Despotismus, dass er sogar die Einführung einer allgemeinen slavischen Sprache von den Regenten erwartete1) — schienen in der That einer Erfüllung entgegenzugehen. Die Befreiung Deutschlands vom Joche Napoleons, für welche die slavischen Völker mitkämpften, musste gleichzeitig einen mächtigen Anstoß zu ihrer Emancipation von den Deutschen geben. Die allgemeine Einkehr des deutschen Volkes in das nationale Leben wirkte als ein anregendes und er h e b en d es B eisp ie 1. Unter den Deutschen selbst wurde in jenen trüben Tagen auch das Interesse und die Achtling für fremdes Volksthum wach, wovon namentlich Fr. Schlegels Wiener Vorlesungen ein glänzendes Zeugnis liefern. Überdies war man auf besondere Opferwilligkeit der slavischen Völker der österreichischen Monarchie und namentlich Böhmens, das von den Ereignissen so stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, angewiesen. Das alles mag wohl am meisten dazu beigetragen haben, dass man in den Jahren 1805—1816 in den Gymnasien Böhmens die Nationalsprache vorzutragen erlaubte, dass aus dem Lateinischen und Griechischen nach Belieben ins Deutsche oder Böhmische übersetzt wurde, und dass man von den Professoren und politischen Beamten in den böhmischen Ländern die Kenntnis der Volkssprache forderte. Die patriotische Begeisterung that auch ihre Schuldigkeit und es wurden nicht bloß Fr. H. v. Collins Wehrmannslieder „pro češke zeme obrance“ von J. N. Štepanek übersetzt (1809), sondern es erschienen auch solche Originaldichtungen wie „Pišne öeskych bojov-nikü“ von M. Silorad Patröka (1815)a). Im Jahre 1813 sang ‘) Zapisky, 16. •J) Jungmann, HistorieVI, 283, 286. Übrigens wurden patriotische Töne von einzelnen Versraachern schon um das Jahr 1800 angeschlagen (sieh Baükovsky, DSjiny, 96). selbst Jungmann für die böhmischen Landwehrmänner ein Lied, welches des Franzosenhasses so voll war, dass er es deshalb in seine Werke nicht aufnahm’-), verkehrte auf das freundschaftlichste mit den durch Leitmeritz durchziehenden „russischen Brüdern“, für die er den Vermittler mit den österreichischen Behörden abgab, freute sich, dass die Besiegung Napoleons die slavische Welt gehoben habe, und konnte nicht ohne Grund erwarten, dass nun die Musen im Norden ihren Sitz aufschlagen werden2). Der Hass der Deutschen gegen alles Französische musste natürlich bei den Slaven die Abneigung gegen alles ebenso aufgezwungene Deutsche hervorrufen und fördern. Jungmann gibt diesen Anschauungen schon im Jahre 1810 in einer patriotischen Rede, die er bei Eröffnung der von ihm freiwillig, meist für Theologen in Leitmeritz gehaltenen Vorträge über böhmische Sprache hielt, beredten Ausdruck, erblickt in der Sprache den größten Nationalschatz und beruft sich auf „ehrliche Deutsche, wie Herder, Jenisch, Schlözer, Vater u. a.“, welche die Schönheit der slavischen Sprache anerkannt und darauf hingewiesen hatten, dass die aus deutschem Munde gegen die slavische Sprache kommenden Schmähungen nur auf Unwissenheit beruhen8). In die Wiener „Prvotiny“ reihte er (1813) eine Übersetzung der Hymne seines Lieblings Herder auf die Slaven ein, dann eine Übersetzung der für alle Slaven sensationellen Abhandlung Kopitars *) über die slavischen Mundarten und ihre Pflege, und beruft sich in der Polemik (1813) gegen einen böhmenfeindlichen Artikel in der kurzlebigen Prager „Bohemia“ (1812) auf den Turnvater L. Jahn6), aus dessen Werk „Das teutsche Volksthum“ (1810), in dem die Quintessenz der damaligen Deutschthümelei zusammengetragen war, er in denselben „Prvotiny“ (1814) einen Auszug brachte0). ') Zeleny, 81. 2) Ib. 146. s) Ib. 36—40. 4) Legis Glückselig, Viiceslav Hanka, S. 10. s) Zeleny, 78. “) Sieh Sebrane spisy, 158—163. So bekamen die Böhmen fast gleichzeitig mit den Deutschen die Lehren über die Wertlosigkeit eines Staats-wesens ohne Nationalität, gegen das Bastardenthum und die willkürlichen Staatengrenzen, die ein zukünftiger heiliger Krieg niederreißen werde, und die Mahnung zu hören, dass jeder Mann, der sein Volk liebe, sich um seine Geschichte kümmern, wer sie kenne, sie schreiben müsse; in seiner Sprache ehre jedes Volk sich selbst, der Bildung neuer Wörter könne man nicht ausweichen, ungerathen sei der Sohn, der sich seiner Eltern schämt, und verflucht soll der Schriftsteller werden, der sein Volk vor den Fremden schmäht. Alle diese Lehren wurden von den böhmischen Patrioten bald in Kunst und Wissenschaft getreu befolgt. Was die Aufnahme neuer Wörter anbelangt, hatte Jungmann schon in der Vorrede zum „Ztraceny raj“ (1811) Entlehnungen aus anderen slavischen „Dialecten“ — das war die damals allgemein übliche Auffassung—empfohlen und von einer allgemeinen slavischen Sprache phantasiert, woran die Träumereien des polnischen Lexikographen Linde und noch mehr die Herrschaft einer einzigen Schriftsprache über alle deutschen Dialecte die Schuld trugen. Bei allen diesen Anschauungen verharrte er bis an sein Lebensende!J) Überhaupt blieb für Jungmann das Beispiel der Deutschen maßgebend. Noch in einem in dem Jahre 1827 gedruckten, von Palacky und der Censur an mehreren Stellen corrigierten Artikel2) „über die Classicität in der Literatur überhaupt und in der böhmischen insbesonders“ stützt er sich auf Pöllitz’ „Das Gesammtgebiet der deutschen Sprache“ (1825) und auf des „berühmten Heeren“ Schrift „Uiber die Mittel zur Erhaltung der Nationalität“ (1810)3), die er wohl axich schon von früher kannte, und stellt die Deutschen in Kunst und Wissenschaft höher als die Italiener, Franzosen und Engländer.4) ‘) Sieh Sebrano spisy, 163—170; Z&pisky, 16—17, 21. *) Sebrane spisy, 176 ff.; Zeleny, 401—403. 8) Eine ähnliche Abhandlung wurde aus Hormayrs „Archiv“ im „čechoslav“ (1824) von Slama übersetzt (Jungmann, Historie2, VI, 503, c.). *) Sebrane spisy, 179. Bl In Böhmen wird überhaupt seit 1810 eine grobe nationalpatriotische Begeisterung bei beiden Volksstämmeu namentlich in der Universität constatiert. Für einige Zeit wurden sogar solche „eigentlich exotischen Zeitschriften“') wie „Kronos“, der vom Januar bis Juni 1813 in Prag erschien; und dann in Jena fortgesetzt wurde, und „Deutsche Blätter“ von K. L. v. Weltmann, früher in Berlin herausgegeben, vom III. Band zwei Hefte in Prag (1813), nach Böhmen verpflanzt. Es ist daher ganz natürlich, dass sich Jungmanns Biograph über dessen Übersiedlung nach Prag (1816) fast mit eben denselben Worten äußert wie viel früher über die gleichzeitigen Slovenen St. Vraz: „er kam zur rechten Zeit, überall war seine führende Hand nothwendig. Die Jugend war entflammt von patriotischen Gefühlen, aber es gab keinen Führer dem sie sich auf dem schwierigen Wege anvertrauen könnte“ 2). Die Hoffnungen der jüngeren und älteren Patrioten wurden umsomehr gesteigert, als am 23. August 1816 ein Decret der Hof-Studiencommission erschien, von dem man geradezu eine neue goldene Periode der böhmischen Sprache und Literatur erwartete. Dasselbe verordnete, dass für die böhmischen oder sogenannten utraquistischen Gymnasien nur solche Präfecten und Professoren vorzuschlagen seien, welche der böhmischen Sprache mächtig sind, und dass sich die der böhmischen Sprache mächtigen Schüler im Übersetzen und Schreiben böhmischer Aufsätze üben sollten; am Anfang eines jeden Schuljahres soll in den philosophischen und juridischen Hörsälen verkündet werden, dass bei Besetzung der politischen Ämter in den böhmischen Ländern den Kennern der böhmischen Sprache unter sonst gleichen Umständen der Vorzug gegeben werden soll. Ähnliche Bestimmungen wurden dann durch ein Decret vom 20. December auch auf Theologen und Ärzte ausgedehnt. Es ist merk- ‘) J. Helbling v. Hirzenfeld, Monatschrift der Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen, 1827, September, S. 14—29, Nr. 27. a) Zeleny, 154-165. würdig, aber vollständig im Geiste der Zeit, dass diese Decrete nicht aus der Initiative des Oberstburggrafen von Böhmen, des Grafen Kolowrat, der seinem Volke eine freie Entwicklung wünschte, und des Unterrichts-Referenten Tvrdy, eines eifrigen böhmischen Patrioten, hervorgiengen, sondern aus der eines Deutschen, Milo Grün1), des damaligen Abtes des Strahover Klosters. Als Director der philosophischen Studien hatte er Gelegenheit zu beobachten, wie die böhmische Jugend ihre Muttersprache vernachlässigte, und da er durch den Verkehr mit den böhmischen Gelehrten und Schriftstellern auch ihre Wünsche und Bestrebungen kannte, so legte er im Jahre 1815 dem Gubernium ein gründliches Memorandum vor, in welchem die Nothwen-digkeit einer Ausbildung der .lugend in der böhmischen Sprache auseiuandergesetzt wurde. Allerdings fanden die Decrete in der Praxis auch heftige Gegner unter den Deutschen , hatten überhaupt mehr eine principielle als eine thatsächliche Bedeutung und wurden, als das Wartburgfest und namentlich die Ermordung Kotzebues auch auf Böhmen ihre Schatten warfen, durch ein „erläuterndes“ Hofdecret (vom 16. Februar 1821) eigentlich aufgehoben. Das „unzeitige Verfahren“ jener „zu eifrigen Patrioten“, welche sich durch das erste Decret verleiten ließen, die böhmischen Sprachstudien als einen ordentlichen Gegenstand des Gymnasial-Unterrichtes zu betrachten2), beseitigten die böhmische Sprache bis zum Jahre 1848 gänzlich aus allen Gymnasien. Als ein dauerndes Resultat der beiden der böhmischen Sprache günstigen Decrete blieben eigentlich nur Jungmanns „Slovesnost“ 3) (1820), eine stark romantisch gefärbte Stillehre und Anthologie, und die patriotische Begeisterung mehrerer Jünglinge übrig, die gleich nach 1820 mit ihren zum großen Theil aus der Studienzeit stammenden Gedichten auftraten. Im Zusammenhang mit dem Vorangehenden sei noch *) Zeleny, 169—160. 2) Wiener Jahrbücher der Literatur, 37. Bd, (1837), S. 30. s) Sieh Vorrede zur ersten Ausgabe, S. III—IV. erwähnt, dass im Jahre 1815 auch die mährischen Stände eine Lehrkanzel der böhmischen Sprache und Literatur in Olmütz begründeten, welche allerdings erst im Jahre 1831 besetzt wurde. IV. Die erste böhmische romantische Zeitschrift in Wien. — Hanka. — Die Königinhofer und Grünberger Handschrift. Die böhmischen Schriftsteller hatten unterdessen für einige Zeit ihren Sammelpunkt in — Wien gefunden. Hier gab der Inhaber der Lehrkanzel für böhmische Sprache und Literatur Hromadko eine Zeitung „Videnške Noviny“ (1812—1816) mit einer literarischen Beilage „Prvotiny peknych umeni“ (1813—1817), der zweiten originellen böhmischen Zeitschrift, heraus. Kopitar') und Hromadkos Landsleute hatten mit Recht keine besonders hohe Meinung von den Fähigkeiten des ungelehrten Enthusiasten, dem es auch stark um ein Geschäft zu thun war, aber er kam doch einem zeitgenössischen Bedürfnis entgegen und verstand es ausser Jungmann auch alle anderen älteren und jüngeren Kräfte zu gewinnen. Natürlich konnte er sich nicht dem Einfluss der ihn umgebenden deutschen romantischen Tendenzen entziehen, und so wurde seine Zeitschrift zur ersten Verkündigerin des romantischen Geistes für die Böhmen. Hier wurde zuerst (22. August 1814) mit Rücksicht auf die serbischen Volkslieder von Vuk Karadžić und die russischen von Praß (eine Sammlung, die nicht durchgehends wirkliche Volkslieder enthält!) auf die Nothwendigkeit hingewiesen, auch böhmische Volkslieder zu sammeln; als Beispiele wurden ein kleinrussisches und ein serbisches gebracht. Unterdessen verbreitete sich die Nachricht, dass in Ungarn P. (d. i. Palacky) und B. (Benedikti) slovakische Volkslieder sammeln, und offenbar auf eine Aufforderung in dem „Prvotiny“ (22. August 1815) hin veröffent- ') Jagić, IlHCBMa, 305, 812, 818, 365, 367, 369, 398, 400. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 3 lichte Šafafik durch den ganzen letzten Jahrgang (1817) Volkslieder seiner Heimat unter der Tatra1). Von den poetischen Beiträgen Šafatfiks und Palackys verdient des letzteren Übersetzung zweier Gesänge Ossians (1817) besonders hervorgehoben zu werden. Von großem Interesse ist es, dass sich in dem Schuljahre 1813,142) Hanka, der Herausgeber echter und unechter altböhmischer Gedichte, als Hörer der liechte in Wien befand. Der „von deutschen Dichtern begeisterte Musenjünger“ 3) war schon an der Prager Universität in den Jahren 1810—1813 der Mittelpunkt eines Kreises national gesinnter Jünglinge und wurde von Dobrovsky als sein Schüler an Kopitar empfohlen, der auch Gefallen an ihm fand, obwohl er von einem Jünger Dobrovskys „plus ety-mologiae“ erwartet hätte1). In Wien ließ er sich nun von Hromädko „über alle Gebür missbrauchen“ und gab „geradezu einen literarischen Taglöhner“ bei seinem Zeitungs-Unternehmen ab6). Doch verschaffte ihm diese Thätigkeit einen Namen, und er bekam auch von Jungmann ein ermunterndes Schreiben, er möge still und geräuschlos daran arbeiten, dass die böhmische Nationalität nicht zugrunde gehe. Hanka wurde in Wien nicht bloß mit den umfangreichen slavistischen Interessen Kopitars vertraut, sondern auch mit den Bestrebungen der deutschen Romantiker. Sogar sein Panegyriker bemerkt, dass er seine Sammlung altböhmischer Gedichte aus dem XIII. und XIV. Jahrhundert * *) ■) Sieh Josef Jireeek, ÖCM. 1878, 240; Polivka im Kollar—Sbor-nik, 1G2. а) Ich glaube, dass auf diese Weise die Angaben seines Biographen Dr. Legis Glückselig (VäceslavHanka, Prag 1852, S.8—10) mit den Daten aus der Correspondenz Dobrovskys und Kopitars in Einklang zu bringen sind (vgl. Jagić, JIlICbMa, LXXII —LXXIH). Hanka dürfte allerdings etwas spät, „im Herbst 1813“, nach Wien gekommen sein, und seine Leistungen daselbst fallen daher in das Jahr 1814, da er „ein volles Jahr“ in Wien gewesen sein soll (Glückselig, 8J. *) Glückselig, 6. *) Jagić, IliiCi.Ma, 379. б) Glückselig, 9. (Starobylii skladanie, die ersten drei Hefte erschienen 1817 bis 1818) „nach demVorbilde der Commentatoren des Nibelungenliedes und der deutschen Minnesänger“ mit dem möglichsten gelehrten Apparat ausstattete '). Hanka brachte aber auch ein besonderes Interesse für das Volkslied mit, und er ist derersteWest- undSüdslave* 2 *),derdieVolks-lieder seines und der übrigen slavischen Stämme in seinen eigenen Dichtungen mit Bewusstsein und Consequenz nachahmte (1815, 1816). Schon in diesen beiden Liedersammlungen gab er Übersetzungen polnischer, russischer und serbischer Originale; überdies verpflanzte er zuerst „die serbische Muse des einfachen Volkes“ nach Böhmen (Prostonärodni srbska Muza do öech prevedena, 1817), erzielte aber damit keinen besonderen Erfolg, übersetzte das altrussische Igorlied (1821) und gab später die polnischen Krakowiaki mit Übersetzungen heraus (1834, 1835). Dass er als Sammler zur Erweckung des Interesses für die slavischen Volkslieder in Böhmen beitrug 8), anerkannte Celakovsky damit, dass er ihm den ersten Band seiner „Slovanske närodni pisne“ (1822) widmete und das in der Vorrede ausdrücklich betonte. Das Verdienst, das er sich mit der ersten zielbewussten Nachahmung der böhmischen lyrischen Volkslieder erwarb, wird jedoch wenig oder gar nicht betont, und in neuester Zeit suchte man ihm sogar jedes dichterische Talent abzusprechen4 * * *), um zu beweisen, dass er unfähig war, die Königinhofer Handschrift ins Werk zu setzen. Das ist entschieden unrichtig. Hanka ahmt fast in allen seinen Liedern den Volkston glücklich nach0), und einige davon sind ihm ganz gelungen, so dass das Lob, das ihnen sein Biograph spendet, nicht ') Glückselig, 15. 2) Bezüglich der Bussen könnte das Gleiche nur mit gewissen Einschränkungen behauptet werden. 8) Celakovskeho Sebrane Listy, 15, 83. 4) Vgl. namentlich J. Jirežek, Hankovy püvodni bäsne, OÖM. 1879, 357 ff. Mir stand leider nur die Ausgabe von 1831 (Hankovy pisne) zur Verfügung. übertrieben ist; auch glauben wir ihm gern, dass keines Dichters Lieder so sehr unter das Volk gedrungen seien ’) (das gilt allerdings nur für jene älteren Zeiten), was sie gewiss nicht bloß den Melodien Tomascheks zu verdanken hatten. Überdies ist eine schlagende Parallele zwischen Hankas Gedicht „Na sebe“, einem serbischen und böhmischen Volkslied und dem von Goethe übersetzten „Sträußchen“ der Königinhofer Handschrift von Masaryk bereits nachgewiesen worden2). Wenn Hanka gleichzeitig die böhmische Literatur noch mit einer Übersetzung der Idyllen Gessners (1819) bereicherte und damit Celakovsky zuvorkam3), so brachte er der absterbenden Zeit noch einen Tribut dar; übrigens ist auch dem böhmischen Volkslied viel Idyllisches und Sentimentales eigen, und noch mehr ist von dieser Sentimentalität in der Königinhofer Handschrift vorhanden. Im Jahre 1817 (am 16. September) wurde die Königinhofer Handschrift von Hanka ans Licht gezogen und ein Jahr darauf LibuSas Gericht, seit 1859 nach dem angeblichen Aufbewahrungsort Grünberger Handschrift genannt, dem böhmischen Museum anonym durch die städtische Post zugeschickt. Diese gelungenen Falsificate übten im Laufe der Zeit einen bedeutenden Einfluss nicht bloß auf die böhmische Literatur und Wissenschaft, sondern auch auf die der anderen Slaven aus. Doch wurde ihre Wirkung in der Folgezeit auch überschätzt (selbst von J. Feifalik), denn zum mindesten gleich nach der „Entdeckung“ hatten die beiden Denkmäler keinen so großen Erfolg. Libusas Gericht erregte schon durch die mysteriöse Art der Einsendung und durch das beiliegende plumpe patriotische und deutschfeindliche Schreiben4), sowie durch das sonderbare paläographische Aussehen des angeblichen alten Bruch- * 8 ') Glückselig, 22. 8) Athenaeum, III (1886), 204. Die Parallele zwischen einem russischen Volkslied und der „Rose“ der Königinhofer Handschrift wurde schon von Öelakovsky (SS. II, 249) aufgedeckt. a) Öelakovskeko, Sebrane Listy, 15. *) Abgedruckt von Šafafik und Palackf, Die ältesten Denkmäler der böhmischen Sprache, S. 167. Stückes so große Bedenken, dass Dobrovskys Einwürfe die Freude der Patrioten über diesen „kostbaren Fund“ fast vernichtet hätten ’). Man getraute sich mit dem kleinen Fragment in Prag gar nicht recht heraus, und es wurde zuerst durcli zwei Polen, denen es für ihre Anschauungen über einen hohen Grad der heidnischen Cultur und über ein ausgebildetes autochthones Recht der alten Slaven ungemein erwünscht kam, zuerst in die Welt gesetzt. Jungmanns Bruder Anton, Med.-Doctor und Professor, der das Original gar nicht gesehen hatte, schickte eine Abschrift an Maj ewski (mit einem Schreiben vom 30. Juni 1819), und dieser gab sie Rakowiecki, der sie in seiner „Prawda ruska“ als die erste geschriebene slavische Rechtsquelle, als „ein heiliges Recht“ und als „das religiös-bürgerliche Rechtsbuch aller Slaven“ veröffentlichte2 3). Von dort gieng es in den zehnten Band der „Izvestija“ der russischen Akademie über, doch sei der Text in beiden Publicationen so entstellt worden, dass sich Ant. Jungmann zu einem neuen Abdruck8) entschloss und sein berühmter Bruder einen Commentar hinzufügte. Bald (1823) erschien auch eine deutsche Übersetzung in der Prager Zeitschrift „Kranz“, weshalb nun selbst „für Poesie empfängliche“ Deutsche, die bisher dem Streite fernstanden, auf die Seite der Gegner Dobrovskys traten4 *). Die Königinhofer Handschrift, die das Wohlgefallen Dobrovskys erregt hatte, wurde allerdings in Prag (1819) von Hanka ediert und mit einer metrischen deutschen Übersetzung von Swo-boda versehen, doch diese Ausgabe genügte ein ganzes Jahrzehnt, denn erst im Jahre 1829 wurde von ihnen eine zweite besorgt. Das Verdienst, die Unechtheit der beiden, die Wissenschaft so lange verwirrenden Falsificate, denen im Laufe der Zeit eine abgöttische Verehrung seitens des böhmischen •) Ibid. 170 3) O. c. 235—241. ») Krok, Dü prvni, IH (1822), 48-61. 4) Šafank und Pulacky, Die ältesten Denkmäler der böhmischen Sprache, 170. Volkes zutheil wurde, endgiltig und mit Erfolg nachge-wiesen zu haben, gebürt Gebauer und Masaryk und den von ihnen geführten jüngeren Gelehrten1). Die Entstehungsgeschichte der altböhmischen Denkmäler aus dem 19. Jahrhundert ist allerdings noch nicht aufgeklärt und wird wohl kaum ganz aufzuklären sein, wenn uns nicht neue Materialien xmverhofft in die Hände fallen sollten. Jedenfalls müssen sich aber weitere Studien in einer noch gröberen kritischen Sichtung des Inhalts bewegen, und zur Erklärung und damit auch zur Entschuldigung des Fälschers und seines Kreises — denn von einem solchen, wenn auch kleinen, darf man wohl sprechen — muss vor allem auf den damals in Deutschland herrschen —- den romantischen Geist hingewiesen werden. Belehrend sind in dieser Hinsicht vor allem die Ur-theile der Zeitgenossen. Jos. Jung mann, der dem Kreise unbedingt nahe stand, ist in seiner ersten brieflichen Äußerung (vom 29. December 1817) von der Königinhofer Handschrift entzückt, weil sie kein accentuierenrles Metrum und keine Reime habe und ganz im Geiste Ossians sei* 2 *); „siehe — ruft er aus — es ist doch etwas von unseren B ar d e n zu hören“. Und in seiner ersten ölfentlichen Äußerung im „Dobroslav“8) meint er, dass es keinen „echten Böhmen und Patrioten“ gebe, dem das Denkmal unbekannt wäre. „Der Geist des Vaterlandes“ habe den glücklichen Entdecker zur Auffindung dieses nationalen Kleinods geführt; „denn es ist in der That ein nationales Kleinod, unschätzbar, ein Rest des grauen böhmischen Alterthums (eine der üblichsten romantischen Phrasen!), das allein, wenn außer ihm gar nichts bis auf uns gekommen wäre, dem böhmischen ‘) Die wichtigsten Beiträge brachte der III. Jahrgang (1886) des Prager Athenaeum. In deutscher Sprache kann inan sich über die wichtigsten Argumente aus dem X. und XI. Jahrgang dos „Archivs für slavische Philologie“ unterrichten. Eine populäre Darstellung der Schlussresultate bietet J. Gebauer, Poučeni o padelanych rukopisich knilovcdvorskem a zelenohorskem. V Prazel888. 2) Zeleny, 234. 8) Ibid. 235-236. Volk den verdienten Ruhm einer alten Cultur bezeugen und in Ewigkeit sichern könnte“. Noch früher äußerte er sich öffentlich über Libušas Gericht ')• Der Anblick „dieser überaus theueren Fragmente der altböhmischen Poesie“, der Vergleich derselben mit den Gesängen der anderen Slaven, mit den alten Stichotvorenija (d. i. den russischen By-linen des Kirša Danilov), mit Igor und namentlich mit der volksthümlichen serbischen Muse, die Erinnerung an 0 s s i a n und die alten Barden, Druiden und Skalden legen ihm die Frage nahe, ob es wenigstens zwischen den Sängern des Alterthums nicht einen Zusammenhang gegeben habe, ob das in Europa die erste Epoche der werdenden Dichtkunst oder aber ein Echo der alten, aus Asien mitgebrachten Cultur, deren Spuren wir noch in Indien sehen, gewesen sei. Fünf Jahre darauf* 2 3) werden die slavischen Barden mit den schönen Namen Lumir und Zäboj schon mit dem thrakisohen Thamir, von dem Homer berichtet, und mit den im Sanskrit sogenannten Schülern der „Bharada“ (d. i. Bhäratl), der Göttin der Geschichte, verglichen! Und man bedenke noch: bei den Böhmen haben sich solche Bardengesänge gefunden, während die Ausschreibung eines Preises für die Auffindung der deutschen aus dem Zeitalter Karl d. Gr. erfolglos geblieben ist!s) Und als Jungmann von einer chemischen Untersuchung des Fragments „Libušas Gericht“ hörte, rief er aus: „Arme Handschrift, aber auch armer Ruhm der Böhmen, wenn sie solche Kritiker besichtigen werden, in einigen Jahren werden sie noch der Welt leugnen, dass jemals hier Slaven gewohnt haben!“4 *) Die Autochthonie der Slaven in Europa war in der That noch eine strittige Frage, und J. Grimm6) erwies ihnen einen großen Dienst, indem er sie gleichzeitig ‘) Slovesnost, 1820, S. XXVI. 2) Historie lit. českć (1825), 8—9. 3) A. W. Schlegel, Sämmtliche Werke, herausgegeben von E. Böcking, XII, 39. ■'j Zelen^, 241. l) Vorrede zu Vuk Stephanowitsch kleinen serbischen Gramatik (1824), S. I-II. mit den Deutschen nach dem Westen einwandern ließ und ihr früheres Zusammenwohnen mit den Germanen im Osten Europas als möglich hinstellte Den Eindruck vervollständigen die- Äußerungen P a-lackys aus einem von Kopitar für die Wiener Jahrbücher der Literatur bestellten, aber aus Censurrücksichten nicht aufgenommenen Aufsatz ’) (aus dem Jahre 1821), in dem der künftige Historiker den Stand der böhmischen Literatur „nach den damals herrschenden Ansichten“ schilderte. Auch er erinnert an die bereits genannten russischen und serbischen Muster und gibt zu verstehen, dass man unglücklich war, weil man nicht Ähnliches hatte, denn die gereimten Legenden, die übersetzten, meist moralischen Gedichte, die Homane dos 14. Jahrhunderts hatten keine „nationale Bedeutung“. Man sieht, warum die Böhmen ihre mittelalterliche Poesie, die doch ihren Ruhmestitel vor allen übrigen Slaven bildet, vernachlässigten ! Zum Glück wurde die Königinhofer Handschrift gefunden, von welcher er sagt"): „Durchaus waltet hier ein eigen thümlieher kräftiger Geist, der das gesammte Heldenleben der Altvordern in großen Zügen malt, ein verklärter Patriotismus, ein gezähmter Hass gegen die Unterdrücker und Verderber des Landes, sowie Töne der zartesten Sehnsucht und Liebe.“ Doch von Ossian wendete sich Palacky wegen seiner krankhaften Sentimentalität bald ab3), und so möchte er nur an Percys Relkpies und Scotts Minstrelsy of the scottish bards erinnern; die nächste Ähnlichkeit hätten aber die altböhmischen Gesänge mit den alten serbischen. Enthusiastische Aufnahme fanden beide Handschriften, namentlich aber die Königinhofer, trotz ihrem Deutschenhass, über den man sich einfach hinwegsetzte, weil er nicht „in die Gegenwart störend“ eingriff (Meinert), sofort auch bei den Deutschen, was wohl der beste Beweis ist, wie sehr * 8 ‘) Abgedruckt in den „Gedenkblättern“, S. 19 ff. *) Ibid. 24-25. 8) Badhost, I, 434. sie im Geiste der deutschen romantischen Strömungen fa-briciert waren. Schon im Jahre 1819 verkündeten den Ruhm der Königinhofer Handschrift Dambeck (im Hesperus) und namentlich Prof. Me inert'), der wohl den begeisterten Hymnus auf sie in Prosa niederschrieb. Er fand darin „kostbare Trümmer einer einheimischen, lebenswarmen Naturpoesie, die schon in der Übersetzung zur Bewunderung hinreißt . . . und den Cechen fortan überhebt, den Serben, seinen Bruder, um seine Rhapsodien, oder die Schotten um ihren Ossian zu beneiden“. Er ist von den lyrischen Gedichten, von denen manche „mit anakreontischer An-muth“ tändeln, entzückt, am wichtigsten sind ihm aber die Heldenlieder: „eine in ihrer Art einzige Erscheinung, weil sie mit aller wie angebornen Herrlichkeit dichterischer Darstellung und mit der reinsten Glut der Vaterlandsliebe den Vorzug verbinden, sich auf höchst wichtige Landesangelegenheiten und Heldenthaten zu gründen, die sich, wie meist ihr Schauplatz, von 1241 bis in das neunte Jahrhundert hinab und in die ersten Zeiten der nicht unblutigen Bekehrungen der Cechen ziemlich genau nachweisen lassen. Sie sind in dieser Hinsicht eine Fundgrube alter Meinungen, Sitten und Gebräuche und gewissermaßen Beurkundung des Wesens, Schlüssel der ganzen Geschichte der C e c h e n“. Nichts ist aber für die Königinhofer Handschrift so bezeichnend als der Umstand, dass sich mit einem begeisterten poetischen Festgruß an den Herausgeber und Verdeutscher derselben bald auch Friedrich Baron de la Motte Fouque einstellte2). Ihm mussten die „wack’ren Böhmen“ Hanka und Swoboda in der That eine besondere Freude bereitet haben, denn er hatte sich ja an denselben Mustern genährt wie die Verfasser der Königinhofer Handschrift und ihnen durch seine dichterische Thätigkeit ebenfalls ein gutes Bei- ‘) Hormayrs Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst, 1819, Jänner, S. 1—4, 7—8. 'J) Reise-Erinnerungen von Friedrich und Caroline de la Motto Fouquć, 1823, H, S. 123-124. spiel gegeben. Der „Barde Pellegrin“1) hatte ja auch eine besondere Neigung zum Heidenthum und zur nordischen Sage, war als Knabe von Klopstocks Liedern mit ihrem germanischen Götterhimmel und von Stolbergs Ritterromanzen besonders ergriffen, begeisterte sich an Friedrich Schlegels Aufsatz „Uber nordische Dichtkunst, Ossian, die Edda, Sigurd und Shakespeare“, den aus dem Wiener „Deutschem Museum“ (Februar 1812, sämmtliche Werke, 10, 65—120) auch die Slaven kannten, und sah ein herrliches Beispiel des vaterländischen Sinnes an der „großen That des Skalden“ Th. Körner. Die Noth jener Zeiten, als sogar Goethe dem Historiker Johannes v. Müller klagte (im Jahre 1807): „Was haben wir jetzt noch als unsere Sprache und Literatur?“ erklärt es auch, dass ihn ein durch seine Dichtungen angeregter unbekannter Geschichtsforscher auf forderte, durch Darstellungen aus der vaterländischen Geschichte „das neue Volk mit alter Kraft zu beseelen und es wieder heimisch zu machen in seiner eigensten heimatlichen Natur“. Nicht historische Romane, sondern „Dichtung nach der Geschichte“ sollte gegeben werden, um die Lust des Volkes an seiner ältesten Geschichte zu wecken, für Deutschheit zu wirken. Er gieng auf den Plan mit Begeisterung ein und führte ihn etwas spät in seinem „Altsächsischen Bildersaal“ aus (1817—1820). Trn Jahre 1814 sang er sogar drei Kosakenlieder. Von seinem Bewunderer, dem Literarhistoriker Franz Horn, wurde er als der größte deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts angesehen und als der einzige gepriesen, der das eigentliche Wesen des Ritterthums ganz erfasst habe. Fouque lebte nun gar nicht in seinem eingebildeten Ritterwesen, als er Hanka, der, „frisch nach Kunst und Lied und Thaten der Altvordern forschend“, einige Pergamentstreifen an Pfeilen im Königinhofer Kirchthurm gefunden haben soll, also sprechen lässt: „Ihr altguten Waffen, kommt hinaus mit! Kommt hinaus mit mir! Freilich, mit dem Fliegen Ist’s für euch vorbei. Aber manch ein Ritter äuge, * ') M. Koch, Deutsche Nationalliteratur, 146. Bd., 1,2,1—LXXXII. Manch ein Sänger an ge Soll euch schau’n bei andern alten Waffen, Die zur edlen Ruh’ fortangestellt sind — Soll an euch sich freuen.“ Wir finden in der That in der Königinhofer Handschrift sehr viel Ritterthum und Minnesang, was uns beim Herausgeber echter altböhmischer Ritterromane „nach dem Vorbilde der Commentatoren des Nibelungenliedes und der deutschen Minnesänger“1) gar nicht wundert, obgleich sonst die slavische Romantik, sogar die böhmische in der Folgezeit, ihren Hauptunterschied von der deutschen darauf gründete, dass die Slaven kein Ritterwesen hatten. In der Königinhofer Handschrift finden wir aber nicht bloß eine allerdings ziemlich verunglückte Schilderung eines böhmischen Turniers (o slavnem sedani)2), sondern auch ritterliche Zweikämpfe in anderen Heldengedichten (Zäboj und hudiek, Vlaslav und Ostmir, Jaroslav inid Kubla-jevic). Gar sonderbar ist es, dass sogar von den acht „Liedern“, welche die reinste Volkspoesie sein sollen, drei Ritter als Helden haben (Zbyhoii, Jahody, Jelen). Natürlich fehlen auch die Ritterfräulein nicht, auch solche, die von einem Vater (o vicestve nad Vlaslavem) oder von einem Raubritter (Zbyhon) gefangen gehalten werden. Und neben dem Heidenthum vom IX. bis zum XIII. (!) Jahrhundert finden wir auch mittelalterliche christliche Helden im Kampf gegen die Tataren und selbst den romantischen Marien-cultus, denn den Siegern von Olmütz flößte die Mutter Gottes Tapferkeit ein, und im entscheidenden Moment eilen sie vor ihren Thron, um ihren Schutz anzuflehen. Das in Rede stehende Gedicht geht übrigens in seinem Anfang direct auf die „Tatarinfürstin“ in „Des Knaben Wunderhorn“3) zurück, das seinerseits eine polnische Legende aufgenommen hatte. Der „altböhmische“ Minnesang wurde noch durch ein Minnelied König Wenzels bereichert, die Mythologie durch viele Glossen der „Mater Verborum“, die geschichtliche *) *) Glückselig, 15. a) Jos. Jireöok, Rukopisove zelenohorsky a kraloclvorsky, 40—50. s) Athonaeum, III, 269. Dichtung durch zwei böhmische und ein deutsches (!) Lied auf Vysehrad und zwei Prophezeiungen Libušas1). Wenn wir übrigens die Grünberger Handschrift, die nur 121 serbische Zehnsilbler enthält, und die Königinhofer Handschrift, deren Heldengesänge 981 und „Lieder“ nur 208 Verse (nach der Ausgabe Jos. Jirečeks) zählen, allein ins Auge fassen, so können wir uns nicht genug wundern, was alles in diesen „Fragmenten“ (von der Königinhofer Handschrift sollen nur einige Capitel des dritten Buches auf uns gekommen sein) enthalten ist: graues böhmisches und überhaupt slavisches Alterthum, namentlich ein ganzes System des altslavischen Rechtes, heidnische Opfergebräuche und Götter, alte Barden und Skalden, die nicht bloß die Saiten des „Varyto“ anschlagen, sondern auch muthig das Schwert führen können, christliches Ritterthum mit allem romantischen Zugehör, ruhmvolle Geschichte, glühende Vaterlandsliebe im Sinne des romantischen Nationalismus, eine herrliche Nationalcultur und vor allem neben dem Minnesang eine für die alten Zeiten unvergleichlich dastehende Volkspoesie, die der Ausdruck des reinsten Nationalgeistes sei, überdies moderner Natursinn und Sentimentälismus. Wahrlich, man könnte sagen, das Programm der Friedrich Schlegel’sehen „Universalpoesie“ war in den beiden Fragmenten erfüllt; zum mindesten Geschichte und Mythologie (nur von Philosophie findet man wenig darin) waren da mit der Poesie ganz vereinigt. Auch der Unterschied der Dichtungsgattungen war ganz aufgehoben, denn die Königinhofer Handschrift war für Hanka schon in der ersten Ausgabe (1819) eine „Sammlung lyrisch-epischer Nationalgesänge“, was alle Bewunderer derselben nicht genug hervorheben konnten. Was die Form anbelangt, so perhorres-cierte man nur den Reim, weil ihn Ossian, die serbischen und russischen Heldengesänge nicht kannten, aber sonst herrscht auch hier eine staunenswerte Manigfaltigkeit bezüglich des Rhythmus und der Versart. Man fand namentlich •) Jos. Truhläf, Athenaeum, 355—350; Archiv für slavische Philologie, X, 101-105. viel Verwandtschaft mit der serbischen, groß- und kleinrussischen Volkspoesie, aber auch mit der orientalischen (Romantik!), speciell mit der hebräischen (Herder!) Dichtung r) heraus. Mit feiner Beobachtung ist von Masaryk2) auch der übermäßige Gebrauch neugebildeter Wörter, namentlich verfehlter Diminntiva und zahlreicher Composita hervorgehoben worden. Solche Sprachschöpfungen gehörten ebenfalls zu den auch theoretisch vorgetragenen Rechten der romantischen Dichter. Bei solcher Überfülle, die unserem heutigen Kriticis-mus schon allein die beiden Fragmente verdächtig machen könnte, musste natürlich die Ausführung vielfach phantastisch, nebelhaft, oberflächlich und selbstverständlich unhistorisch und unvolksthümlich ausfallen, was einen modernen realistischen Kritiker wie T. Masaryk3) so entsetzt, dass er nur „Kytice“ (Sträußchen) bis zu einem gewissen Grade schön findet; doch jene romantische Zeit konnte an dem „literarhistorischen Uuicum“, wie es Jaroslav Vleek4) mit Recht nennt, nur ihre Freude haben, und selbst heute besitzen diese Erzeugnisse nicht bloß historischen Wert als Zeugen einer interessanten Culturepoche, sondern auch poetischen, natürlich mit der Einschränkung, dass man sie nicht mehr für alt und ganz originell ausgibt. Die Zeitgenossen machte für alle Schwächen vor allem der „vaterländische“ Sinn der beiden Falsificate, der allgemein herrschende Glaube an eine große Originalcultur der Völker vor ihrer Christianisierung und der Umstand blind, ‘) Šafafiks Vorrede zu Jos. M. Grafen v. Thun, Gedichte aus Böhmens Vorzeit, S. 30—34. a) Athenaeum, III, 278, 294—235. 8) PHspüvky k aesthetickemu rozboru RK a RZ (aus Athenaeum, IH, 275-298). 4) Athenaeum, III, 352. Das blieb bereits Šafafik nicht verborgen, denn er sagt ausdrücklich, dass die der Königinhofer Handschrift gleichzeitigen altböhmischen gereimten Fragmente, die Alexandreis u. s. w. von ihr „sich dennoch wie die Nacht vom Tage und wie die Erde vom Himmel unterscheiden“ (Thun, Gedichte aus Böhmens Vorzeit, S. 2fi). dass man darin eine wirkliche Volkspoesie, das Schoßkind der Zeit, zu haben meinte. Wo es sich um solche Äußerungen des Volksgenius handelte, konnten unter den Bewunderern auch Jac. Grimm und Goethe nicht fehlen, die ja am meisten zur begeisterten Aufnahme des serbischen Volksliedes in Deutschland und damit in Europa beigetragen, zu gleicher Zeit aber auch den Neid der böhmischen Patrioten aufgestachelt hatten. J. Grimm machte den ausge-storbenen Volksliedern Böhmens, wie sie die Königinhofer Handschrift bietet, schon im Jahre 1824 seine Verbeugung '), und nach der Abwehr der damaligen Angriffe durch Šafafik und Palacky schrieb er an den ersten 2) (10. October 1840) „Jetzt wird durch Jhr Verdienst hoffentlich alles niedergeschlagen, und mit ungetrübter Freude wollen wir nun Vortheile ziehen aus den gesicherten Denkmälern.“ Auch Goethe erwies dem Buhm der Königinhofer Handschrift einen großen Dienst nicht bloß durch die Übersetzung des „Sträußchens“s) (1822), sondern auch durch seine Aufsätze über die „Monatschrilt des Vaterländischen Museums in Böhmen“.4) Goethe charakterisiert vortrefflich das damalige Verhältnis der beiden Stämme des Landes und namentlich die böhmische Literatur mit Worten, die ich als Motto dieser Abhandlung hätte nehmen können: „Denn wenn die böhmischen Dichter, selbst indem sie alten Mustern folgen, nicht umhin können, durch Sinnesart, Ausdrucksweise und Gedieht- * 8 ') Yuk Stephanowitsch, Kleine serbische Gramatik, XVIII. a) Abgedruckt in einem Brief .Safaliks an Pogodin (llnci.Mil lia'l. Caan, aesiejn., 278). Jos. Jireček (Österr. Revue, 1865, 82) verlegt den Brief unrichtig in das Jahr 1842. 8) A. Kraus (Goethe a öechy, I, 137—139) bemerkt, dass das Sträußchen nicht am 28. Juni (G. 3, 209) übersetzt worden sein kann, da sich Goethe an diesem Tage schon in Eger befand; vielleicht sei 18. Juni zu lesen. Goethes Übersetzung ist in der That eine „Umsetzung“ der Übersetzung Swobodas, so dass alle daran geknüpften Erläuterungen R. M. Werners (Lyrik und Lyriker, 222) und Bratraneks entfallen. *) Goethes Werke, Hempel’sche Ausgabe, 29. Th., 147—173. formen doch auch in heutiger Bildung Deutsche zu sein, so sind hinwieder die deutschen Dichter in Böhmen durch entschiedene Neigung und stetes Zurück gehen zum Alt nationalen ihrerseits recht eigentlich böhmisch.“ Goethe erinnert dann an die altböhmischen Dichtungsstoffe, welche K. E. Ebert und Anton Müller zu seiner Zufriedenheit verwerteten, an die Übersetzung ihrer Dichtungen „über nationale Gegenstände“ ins Böhmische durch Swoboda und Hanka, und schliellt aus diesem Verhältnis, dass beide Dichtungszweige des Landes, der böhmische wie der deutsche, „ihren wahren Grund und Boden dennoch stets in dem Altböhmischen zu suchen haben, wo Leben, Sprache und Poesie der Nation noch die eigenste und selbständigste Gestalt tragen“. Böhmen sei reich an Denkmälern dieser Blütenzeit, und als „die kostbaren Überbleibsel seiner alten Literatur“ nennt er die Königinhofer Handschrift1). Solche Urtheile mussten natürlich das Ansehen der Königinhofer (und mit ihr auch der Grünberger) Handschrift ungemein steigern und befestigen, so dass sie in der That „die südslavische Volksmuse bald in Schatten stellte“ 2) und ganz oder wenigstens theilweise in die meisten Cultur-und in alle slavischen Spi'achen übersetzt wurde. Damit stieg auch der Ruhm Hankas, den selbst mehrere deutsche historische Gesellschaften zu ihrem Mitgliede 8) ernannten, was er allerdings auch seinen tüchtigen Leistungen als Bibliothekar des böhmischen Museums, als Numismatiker und Herausgeber altböhmischer Rechtsdenkmäler zu verdanken hatte. Doch für unsere Zwecke haben Goethes Worte deshalb eine besondere Wichtigkeit, weil sie doch nur dasjenige zusammenfassen, was auch in Böhmen nach dem Beispiele der jüngeren Romantik schon längere Zeit geübt ■) Ibid. 171. a) Glückselig, 14. °) Ibid., 67. wurde. Auch da ist Hankas Thätigkeit beachtenswert, der „Obrazy dejin ceskyoh“ ( „Böhmische Geschichtsbilder“, 1824) und „Böhmische historische Gesänge“ (1826, 1827) der neueren Dichter in böhmischer und deutscher Sprache herausgab, was sein Biograph „unstreitig eine der glücklichsten Ideen“ nennt. Zu einer „patriotischen“, d. i. romantischen Schule wäre es daher um das Jahr 1820 auch ohne die erwähnten Fälschungen gekommen, ebenso wie um jene Zeit auch bei den Polen (man beachte namentlich die ukrainische Schule) und Bussen endgiltig ein Bruch mit der literarischen Vergangenheit erfolgen musste. Noch mehr! Wenn die böhmische Romantik nur einen gewissen unvermeidlichen Tribut der „historischen Dichtung“ entrichtet und sich noch mehr in der von Cela-kovsky eingeschlagenen Richtung, in der Nachahmung des böhmischen und überhaupt slavischen Volksliedes, fortbewegt hätte, so wären nicht nur die den alten Chronisten entnommenen Stoffe besser behandelt worden, weil sprachliche und andere Schwierigkeiten weggefallen wären und man sich nicht mit einigen Fragmenten begnügt hätte, sondern auch ein gesunder Nationalismus hätte in der Poesie, Malerei und Musik der Böhmen viel früher die Oberhand gewonnen, wenn man sich gleich d e r G e g e n w a r t und dem wirklichen Volk ganz zugewendet hätte, was zum großen Theil bei den anderen Slaven geschah und so schöne Früchte zeitigte, namentlich bei den Russen. Leider waren die Böhmen zu sehr unter dem Einfluss der Deutschen und machten die bei diesen durch die Zeitereignisse begründete allzugroße Flucht in die graue Vergangenheit mit, die man sich bei dem herrschenden Sub-jectivismus nach Belieben ausmalen konnte. Allerdings kam für die Böhmen ein anderer Grund dazu: Die Wirklichkeit der Gegenwart war in nationaler Hinsicht in der That auch nicht erfreulich. Und da muss besonders hervorgehoben werden, dass Clemens Brentano in seinem historisch-mythischen Drama „Die Gründung Prags“ zuerst die gesammten Anschauungen jenes in mythisches Dunkel gehüllten Zeitalters darstellen wollte und in Ermanglung altböhmischer Überlieferung seine Kenntnisse von den sämmtlichen sla-vischen Stämmen zu Hilfe nahm, namentlich von den Russen und Südslaven1). Ähnlicher altheidnischer Dichtungen hatte die damalige deutsche Literatur eine Menge. Es ist daher kein Zufall, dass Lindas Roman „Zafe nad pohanstvem“ (Die Morgenröthe über dem Heidenthum, 1818) in den Ideen und Wörtern eigenthümlich mit der Grünberger Handschrift übereinstimmt3), denn der Verfasser, der unbedingt zum Fälscher kreise gehörte, brauchte nur solche Werke wie Zacharias Werners „Das Kreuz an der Ostsee“ nachzuahmen. Die Gegner der beiden Handschriften haben noch ein ungemein wichtiges Moment nicht beachtet. Nicht bloß die Indianer des Chateaubriand’schen „ Atala“ in Jungmanns Übersetzung waren das Modell zu dem curiosen Ceremoniell in LibuSas Gericht, sondern auch — die alten Inder, welche ebenfalls die deutsche Romantik modern gemacht hatte. Das geht klar aus dem bereits erwähnten Schreiben A. Jungmanns an Majewski hervor, mit dem er ihm „charas reli-quias vetustissimae literaturae Ceohicae“ übersandte und meinte: „Inveniesque simul, Slavos prisoos ex India, paterno solo, non tarn rüdes ferosve in Europam adve'nisso, prouti quidam scioli scriptores illos depingunt“. Die Slaven hätten entschieden ihre Schrift mitgebracht, welche die christlichen Geistlichen ausgerottet hätten, und die Böhmen besäßen aus Libuäas Zeiten: „iura scripta (desky pravodatne) divina illis, processus ') Jul. Schmidt, III5, 27. A. Kraus (Athenaeum, VI, 269—272) bemerkt, dass Brentano die deutsche Übersetzung der slavischen Mythologie Kayssarows (d. i. Versuch einer slavischen Mythologie in alphabetischer Ordnung, Göttingen 1804, von dem russischen Stabs-capitän seinem Lehrer Schlözer gewidmet) benützte, die dort gefundenen Gebräuche und Glaubensvorstollungen des Volkes mit eigenen Erfindungen und christlicher Dämonologie bereicherte; gefördert wurde er von Dobrovsky und Meinert und benützte selbst Musäus. ') Masaryk, Athenaeum, III, 420; Archiv für slavische Philologie, X, 90. Wurde zuerst von Šembera hervorgehoben. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 4 similis erat illis Hindorum: suditi po zakonu weko-ziznych bogow etc.“ l) Für Indien legten die böhmischen Romantiker überhaupt ein besonderes Interesse an den Tag, denn sie fanden dort eine verwandte oder mit der slavischen geradezu identische Mythologie, eine Sprache, welche die Vorzüge der sla-visöhen ins richtige Licht stellen half* 2 3), eine Literatur, in welcher man das Muster „einer lyrisch-epischen Dichtung“ hatte, eine nationale Metrik, wie man eine solche den Böhmen und sogar den anderen Slaven aufdrängen wollte8). Aber noch mehr! «Indien wurde direct für die Mutter der Slaven erklärt! Auch das verschuldeten die Deutschen, welche sich seit Fr. Schlegel4 *) einer besonderen Verwandtschaft mit den alten Persern rülimten. Jos. G-örres kränkte sogar Dobrovsky6), indem er in einer MythentafelG) die slavische Mythe mit der „alten Urmythe“ in einen ziemlich losen Zusammenhang brachte und sie vom „alten Gesetz im Norden“ (ungefähr in Tibet) ableitete. Noch mehr musste die slavischen Patrioten die Behauptung reizen, dass die slavischen Gottheiten auf „frülieren Verkehr mit persischen und indischen Mythen und die directe Verwandtschaft des Slavenstammes mit dem Hinterasiatischen“ schließen lassen7); sie suchten sich „edlere“ Verwandte — Fr. Schlegel8) hatte sie auch gekränkt, indem er die slavische Sprache nicht zu den „edleren“ zählte — ’) Rakowiecki, Prawda ruska, I, 229—230. 2) Wir verdanken diesem Umstande die erste (1821) tüchtige Abhandlung über die Verwandtschaft des Sanskrit mit dem Slavischen von dem Naturforscher Anton .Jungmann im Krok, Dil prvnf, I, G5—81. 3) Vgl meine Abhandlung im Rad jugoslav. akademije, kn. 127. 4) Über die Sprache und Weisheit der Indier, S.31. Das Höchste leistete in dieser Hinsicht Jos. Hammer durch ein umfangreiches vergleichendes Wörterbuch der deutschen und persischen Sprache in den Fundgruben des Orients, 1818, VI, 162 ff. ^ Slovanka, 1814, S. 175. “) Mythengeschichte der asiatischen Welt, Heidelberg 1810. Beilage zum ersten Band. ’) Mythengeschichte, I, 201—202. — 8) O. c. S. 3—4, 10. BI_____ und solche konnten in „Hinterasien“ nach allem natürlich nur die Jnder sein. Diese Lehre wurde allerdings zuerst durch den Polen M a j e w s k i, den ersten slavischen Sanskritisten, in Warschau in Vorträgen von 1813 —1815 und im Jahre 1816 im Druck l) verkündet, aber den größten Umlauf sicherten ihr Jungmann, der junge Šafarik (s. u.) und Kollar (s. u.). Jos. Jungmann lieferte auch Übersetzungen aus dem Indischen (meist nach A.W. Schlegel) und ahmte auch indische Metra nach, so dass er z. B. den Seher Krok die Zukunft Böhmens im Pathjä nach Hajeks Chronik prophezeien ließ.* 2 3) Und selbst hier fehlt Hanka nicht, denn auch er stellte sich mit einer Übersetzung aus dem Epos Bamayana ein8). Als Curiosum sei noch erwähnt, dass selbst der jüngste slavische Falsator St. Verković, der den Bulgaren einen „Veda der Slaven“ liefern wollte, die slavisierten Nachkommen eines finnischen Stammes direct aus Indien kommen lässt. Ebenso wie mit den mythologischen Tollheiten von Görres wurden die Slaven auch mit den übrigen Phantastereien der Romantik vertraut: auch sie verloren den Sinn für den Unterschied zwischen Poesie und Leben, zwischen Schein und Wirklichkeit, zwischen Wachen und Träumen. Die Prager Fälschungen sind daher nicht bloß als eine patriotische pia fraus, die in jenen Zeiten, als man sich mit heiliger Scheu in die Vorzeit der Völker vertiefte, schon an sich begreiflich ist, sondern auch von dem erwähnten Gesichtspunkt zu beurtheilen, ebenso wie z. B. die Ipsefacte in „Des Knaben Wunderhorn“ von Arnim und Brentano, „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ von Bettina von Arnim, Fr. Försters Urkundenfälschungen zur Geschichte des Jahres 1813 u. a.4 * *) In Russland tauchten auf gleiche Weise gefälschte kleinrussische historische Dumen in der Ausgabe von Sreznevskij auf. ‘) O Sfawianach i ich pobratymcach. 2) Krok, I, 3 — 6, Sebrane spisy, 117—11!). 3) Krok, Dü druhy, T, 9—29. 4) Lehrreich ist auch die Geschichte des „Wiener Schlummer- liedes“, das zu diesem Zwecke mit Recht von A. Kraus (Athenauem, III, 357—362) herangezogen wurde. 4* Y. Die Gründung des böhmischen Museums. — Die erste romantisch ■ nationale Streitschrift. Das erste unverfälschte, sichtbare und dauernde Resultat der „vaterländischen“ Gesinnung, die bereits alle Kreise ergriffen hatte, war die Gründung des „Vaterländischen Museums in Böhmen“1), welches auf die weitere Entwicklung des böhmischen Volkes einen so bedeutenden Einfluss ausübte, dass man mit Recht den Beginn der neuen Epoche mit dem Entstehen desselben ansetzt. Schon im Jahre 1817 hatte ein nationaler Kreis (Jungmann und die Naturhistoriker Graf Friedrich Berchtold und Presl) das Project der Gründung eines Nationalmuseums fertig, aber man überließ dann die Initiative dem Adel, unter dem infolge der Schöpfung des Erzherzogs Johann in Graz das patriotische Bestreben tiefe Wurzel gefasst hatte, ein ähnliches Institut für Böhmen zu gründen* 2). In den Kriegsjahren 1812 — 1813 konnte man eine Verwirklichung des Planes nicht gehen, doch schon im folgenden Jahre bekam der durch seine Beziehungen zu Goethe bekannte Graf Caspar Sternberg vom Oberstburggrafen Franz Kolowrat Libsteinsky den Auftrag, das Joanneum zu besuchen, einen Bericht zu erstatten und das Project einer ähnlichen Gründung auszuarbeiten. Mit großen Opfern, die namentlich der Adel und die Geistlichkeit brachten, entstand „das vaterländische Museum“, das eine Bibliothek, die sich auf Bo-hemica und exacte Wissenschaften zu beschränken hätte, eine Sammlung einheimischer Natur- und Kunstproducte, historischer und ethnographischer Objecte und ein vaterländisches Archiv umfassen sollte. Unter den Aufgaben, ') V. Nebesky, Dejiny Musea kralovstvl česktsho, v Praze 18G8. Im Aufruf war ein „Böhmisches Nationalmuseum“ in Aussicht genommen; 1847 wurde ihm der Name „Böhmisches Museum“ beigelegt, seit 1855 heißt es „Museum des Königreiches Böhmen“. 2) Nebesk^, S. 4. B3 die sich die Museumsgesellschaft gleich bei ihrer Consti-tuierung stellte, linden wir an erster Stelle die Besorgung einer vollständigen böhmischen Literaturgeschichte und eine Sammlung historischer Quellen (Monumenta bohemica). Im Geiste der Zeit wurde also alles gethan, was eine Auffrischung der Vergangenheit des böhmischen Volkes und seine nationale Wiedergeburt zur Folge haben musste. Ebenso wie Goethe fanden es auch andere Deutsche natürlich, dass man in Böhmen auf „Nationalgeist, Bildung und Sprache“ ’) der historischen Nation des Landes wirken müsse, wie man umgekehrt Böhmen als zu Deutschland gehörig betrachtete. Als daher in dem Aufruf des Grafen Kolowrat die Pflege der böhmischen Sprache nicht erwähnt war, begaben sich Jan Svatopluk Presl, Professor der Mineralogie und Zoologie, und der deutsche Cistercienser und Theologieprofessor Maximilian Millauer zu ihm, um ihm die Bitte vorzutragen, dass auch die Pflege der böhmischen Sprache und Literatur unter die Aufgaben des neuen Institutes eingereiht werden möge, was dieser freundlich entgegennahm und ausrief: „Wir sind ja noch immer eine Nation!“2) Charakteristisch ist für das Werden und den Geist des Museums auch die Persönlichkeit seines ersten und ungemein verdienstvollen Präsidenten. Graf Caspar S t e r n b e r g s), der seiner Heimat aus ganzer Seele zugethan war, machte seine Lehrjahre in Süddeutsehland durch, gab die Idee zu den Versammlungen deutscher Naturforscher und Arzte4), die Oken durchführte, trug zu dem Gedeihen und Glanz der Versammlungen ungemein viel bei und „bildete eines der Centren in der großen deutschen Gelohrtenrepublik“6). * 8 ’) Eigene Worte des bei den böhmischen Patrioten aus der Umgebung Jungmanns gar nicht beliebten Millauer in Hormayrs Archiv, 1818, 21. Aug. ■•*) Zeleni, 2L3. 8) Fr. Palacky, Die Grafen Caspar und Franz Stornberg und ihr Wirken für Wissenschaft und Kunst in Böhmen, Prag 1843 (aus den Abhandlungen der königlich böhmischen Gesellschaft derWissenschaften). *) O. c. 1!). 6) „Augsburger Allg. Ztg.“, 7. u. 8. Jänner 1839. Bei Palacky, S. 83. Neben der Geschichte und Sprache spielten daher im Museum die naturwissenschaftlichen Interessen in dem allumfassenden Sinn des Naturphilosophen Oken die größte Holle. Auch für die böhmische Sprache sehen wir neben Jungmann in erster Linie hervorragende Vertreter der Naturwissenschaften wirken. So begründete (1821) der bereits genannte Universitätsprofessor Presl die erste böhmische wissenschaftliche Zeitschrift „Krok“, die sich selbst als „universalwissenschaftlich“ (Verejny spis vseunaucny pro vzdelance narodu česko-slovanskeko, vgl. Okens encyklo-pädische „Isis“, zu der auch der Name Krok eine Parallele bildet) charakterisiert, und der berühmte Physiologe Purkyne arbeitete das Project eines beim Museum zu gründenden Instituts für die Pflege der böhmischen Sprache und Literatur aus, das allerdings erst 1831 durch die Gründung der „Matice češka“ verwirklicht wurde. In der schönen Literatur müssen wir zu Beginn der neuen Periode vor allem einen merkwürdigen Rückfall in den Classicismus constatieren, der sich aber nur als scheinbar herausstellt. Im Jahre 1818 gaben unter dem Beifall und wohl auch unter der Patronanz Jungmanns Pal acky und Šafarik eine viel Staub aufwirbelnde Schrift1) heraus, in welcher sie den Gebrauch der quantitierenden Prosodie statt der accentui er enden, welche Dobrovsky (1794) und Puchmayer eingeführt hatten, forderten. Doch diese Nachahmung der Griechen und Römer ist nur theil-weise durch die namentlich unter den ungarischen Slovaken erhaltene Tradition (sie berufen sich auf Nudozeryn, Dra-hovsky, Rosa, Komensky)3) und durch den Umstand zu erklären, dass Palacky und Šafarik als Zöglinge oberungarischer Schulen tief im Latinismus steckten, und dass Šafarik dazu noch ein tüchtiger Jenaer Latinist war. Verführerisch wirkte jedoch das Beispiel der metrischen Neuerungen des * 2 >) Počatkove českćho bäsnictvi obzvlašte prosodie. V Preäpurku a v Praze, 1818. 2) O. c. 109. „von Gott begeisterten“ Klopstock1), dem auch das Motto am Titelblatt (Gesänge des höheren Flugs In dem Lautmaß der Natur) und bei einigen Capitelüberschriften entnommen ist. Am meisten maßgebend war aber das Bestreben, den von Dobrovsky „in die Fesseln des Teutonismus gelegten Genius der Slavia“ zu befreien, eine nationale, auf dem Zeitmaß beruhende Metrik zu begründen, wozu die böhmische Sprache, die selbst in unbetonten Silben ausgeprägte Längen hat und dieselben sogar regelmäßig bezeichnet (durch Accentzeichen), in der That geeignet zu sein schien. Dass dann auch die indische Metrik als Muster hingestellt wurde, ist bereits erwähnt worden. Diese Bestrebungen fanden theoretisch viel Beifall, bewährten sich aber in der Praxis selbst bei den principiellen Anhängern der Reform nicht. Dagegen schlugen die laut verkündeten nationalpatriotischen Tendenzen des Werkes stark durch. Mit Ärger wird darin betont, dass „Cedi a Germanoman“ identische Begriffe seien und gefordert, dass die Böhmen, wenn man ihnen nicht „Hanba“ zurufen soll, das Deutschthümoln aufgeben (neger-manujme) und den slavischen Nationalgenius, slavisches Volksthum, Cultur und slavischen Ruhm befestigen müssen8). Wir haben da also nicht bloß Klopstock’scho, sondern auch schon romantische Schlagworte vor uns. In einem Klopstock nachgebildeten Wettstreit der Sprachen erscheint neben der Polin auch schon „eine anmuthsvolle Seibin , welche die ganze Versammlung in Bewunderung und Aufregung versetzt, und die Böhmin beruft sich aut zwei lieblich klingende Volkslieders). Nicht umsonst wird daher der Anbruch einer Morgenröthe am böhmischen Parnass verkündet. Hier finde ich auch zuerst das nach „Deutschheit“ richtig gebildete „slovanstvi“4), dessen sich ein Slave nicht schämen soll. Einen etwas verschiedenen Sinn hat der erste Beleg, den Jungmann6) aus Krok I. anführt, aber ') O. c. 11. — 2) 0. c. 23, 108. — 8) O. c. 93—100. — 4) O. c. 118. e) Slovnlk s. v. die daselbst gegebene Deutung „81aventhum, slavische Sprache“ istfalsch, höchstens wäre „Slavismus“ entsprechend. Ein Kritiker Hankas gebraucht schon im Jahre 1816 das der „Deutschheit“ ganz analog gebildete „slovanost“1). Jungmann citiert für „Slavheit“ nur „slovanskost“ erst aus Šafariks „Starožitnosti“, verzeichnet aber dessen „Slavomil“ nicht, der schon aus dem Jahre 1814 stammt2) und den noch früher Jungmann selbst gebrauchte 3). Für „Volksthum“, „Nationalität“ belegt Jungmann „narodnost“ zuerst aus Palkovičs Tydennik XI, aber wahrscheinlich hat er selbst zuerst das Wort gebildet, als er einen Auszug aus L. Jahns „Das deutsche Volksthum“ (1810), von dem doch das Wort stammt, brachte (s. o.). Allerdings schwankte er zwischen „narodnost“ und dem von ihm von den Polen entlehnten „närodovost“ 4). Der später viel gebrauchte Ausdruck „sva-tyne narodnosti“ (Heiligthum der Nationalität) wird zuerst aus Kollars „Pisne“ (1823) angeführt. Wie „närodovost“ erhielt sich auch nicht „närodovec“ (Preši, Krok, I), sondern für „Patriot“ blieb auch im neuen Sinne des Wortes das zuerst aus Dobrovsky in der Bedeutung „Landsmann und Patriot“ belegte „vlastenec“ (vlast = Vaterland, Land). Das Auftreten und die Verbreitung dieser Worte sollte studiert werden, denn sie sind wichtige Zeugnisse der neuen Periode. VI. Die „patriotische“, das ist romantische Schule. — Die neue Poesie. — Celakovsky und sein Freundeskreis. Die bei Jung und Alt angesammelten nationalpatriotischen Gefühle kamen vor allem in einer Flut poetischer Ergüsse zum Ausdruck. Gedichte zu machen war für die Ito- ') Jos. Jireček, ČČM., 1878, 233. 3) Tatranskä Müza, 16: Zdani Slavomilovo. 8) Sieh oben, S. 27. 4) Dass auch p. narodowosä eine Neubildung ist, beweist das Pehlen irgend eines Beleges bei Linde. mantiker überall eine heilige Pflicht, namentlich aber bei den slavischen Stämmen und insbesondere bei denjenigen, welche ihr geistiges Leben von neuem begannen oder wenigstens auf ganz neuen Grundlagen auf bauten: bei ihnen wurden überhaupt die Worte Patriot und Schriftsteller Synonima Bei den Böhmen und Slovaken wimmelte es von Dichtern (u näs se všecko samymi bäsniky jen roji)2), von denen die meisten ganz jung waren und fast gleichzeitig mit den Erstlingen ihrer Musen selbständig auftraten: Jan Kollar und Fr. Trnka (1'821), Fr. L. öelakovsky, J. V. K a-maryt, J. Herzog (1822), J. Chmelensky, Jan J. Marek (1823) u. s w. Auüer den Prager Zeitschriften und Zeitungen erschienen in Königgrätz Almanache: Krasorecnik von MachäS ek, Malißkosti von Sy ehr a (1823), Almanach aneb Novoroßenka von Klicpera und Chmela (1823), von G hm e 1 a (1824), Dennice von Chmela und Celakovs ky (1825). In Prag wurden einigemale Almanache geplant, einer selbst von öelakovsky 3); charakteristisch ist es, dass man die Frage erörterte, ob der Almanach einen mythologischen, griechischen oder böhmischen Namen erhalten soll 4). Für das Jahr 1825 beabsichtigte Klicpera sogar einen „historischen Almanach“ herauszugeben, dessen Erzählungen über die Premyslidenzeit nicht hinausgegangen wärenli). Der als Übersetzer und deutscher Dichter bekannte Svoboda dachte sogar an die Herausgabe eines böhmischen und eines deutschen Almanaches, damit die Kosten leichter zu decken wären8). Auch ältere Dichter, wie Seb. Hnevkovsky und T. Kubelka, stimmten ihre Leier ein wenig auf neue Töne; Stopnička suchte sogar die Königinhofer Handschrift durch Heldengedichte zu ergänzen. Das merkwürdigste Beispiel bietet aber der Justiziarius Karl Sudemir Schneider oder Snaidr, ein „ehrwürdiger, alter Mann“ (ctihodny *) Jos. Chmelensky, Vybrane spisy, 318. s) Fr. L. Öe 1 ak o v sk ek o S o b r an e L i s ty, 10!). (Ich bediene mich im Folgenden der Abkürzung SL.) 8) SL., 101, 123, 138. - *) Ibid. 105. — <■) Ibid. 135. - 6) Ibid. 80. stafeček), dor niclit bloß seinen früheren deutschen Dichtungsversuchen entsagte, mit denen er sich neben seinen Freunden Seibt und Meisner einen ziemlichen Namen in -Böhmen gemacht hatte, sondern wie in der Liebe — er heiratete zum zweitenmal ein achtzehnjähriges Mädchen — so auch in der Poesie seine Freunde mit Johannistrieben überraschte, indem er den Volkston in seinem „Okus v basneni češkem“ (1823, 1830) ziemlich glücklich traf, so dass selbst öelakovsky und Kamaryt, in dieser Hinsicht die competentesten Richter, mit ihm ihre herzliche Freude hatten1). Infolge seines Ansehens, dessen er sich als Beamter und Berather hervorragender Adeliger erfreute, wirkte überhaupt das Beispiel seiner Rückkehr zum eigenen Volk sehr anregend auf viele Männer der älteren Generation. Gleichzeitig erschienen „die slavischen Volkslieder“ (Slovanske narodni pisne) von Öelakovsky (I, 1822, II, 1825, III, 1827), von denen die böhmischen und slovakischen in mustergiltiger Weise ausgewählt und wiedergegeben waren, und die der anderen slavischen Völker sich im Original und in vortrefflichen Übersetzungen repräsentierten. In Ungarn traten mit den „weltlichen Liedern des slovakischenVolkes“ (Pisne svetske lidu slovens-keko v Uhrich, I, 1823, II, 1827) Šafarik, Benedikti u. a. auf, eigentlich nur Šafarik und namentlich Kollar, der aber wegen des Zelotismus seiner evangelischen (!) Amtsbrüder seinen Namen damals unterdrückte; erst später gab er die vermehrte Sammlung (Närodnie Zpevanky, 1834, 1835) selbst heraus. Eine Sammlung 300 böhmischer und 50 deutscher Volkslieder mit Melodien und 50 Volkstänzen gab hauptsächlich auf Grund des amtlich gesammelten Materials P. Ritter v. Rittersberg heraus (Ceske narodni pisne, Prag 1825). Diese Sammlung verdiente den Tadel Celakovskys3), der die Hälfte oder wenigstens ein Drittel * 2 ') Öelakovsky, SL., 110. 2) SL., 159, 176, 258. der böhmischen Volkslieder darin bei einer zweiten Auflage streichen wollte, und anderer Kenner, aber sie war schon deshalb verdienstvoll, weil sie auch Melodien brachte, die Celakovsky trotz seines guten Willens nicht bieten konnte1). Die geistlichen Volkslieder sammelte und gab heraus Kamaryt (češke narodni duchovni pisne, 1831, 1832). Mit der ersten Sammlung von Sprichwörtern der mährischen und ungarischen Slovaken trat der bereits erwähnte Dichter Trnka auf (Porekadla Slovakov moravsko-uherskych, 1831). Als Sammler der ganzen traditionellen Literatur zeichnete sich in der Folgezeit namentlich K. J. Erben aus, der beide Eigenschaften der ersten Sammler, den Dichter und den Gelehrten, in sich vereinigte. Zu einer großen und dauernden Bedeutung brachten es unter den Dichtern, die gleich nach dem Jahre 1820 auftraten, Kollar und Celakovsky: sie waren und blieben auf Jahrzehnte die Sterne, in deren Bahnen sich die ganze neuere böhmische Poesie bewegte. Vom Liebes- und Vaterlandsdichter Kollar können wir hier absehen, da er sich seine Begeisterung direct aus Jena holte und sich abseits von der literarischen Bewegung Böhmens und Deutschlands bei seinem schweren Amt und seiner Vereinsamung in Budapest in einer archäologisch - historischen Richtung verlor; durch diesen Rückschritt wurde er zu dem eigentlichen Vertreter und Stammvater der phantastischen Richtung in der böhmisch-slavischen (čechisch-slovakischen) Romantik. Celakovsky und seine Genossen weihten ihren Gesang, all ihr Fühlen und Denken auch der Liebe und dem Vaterland, hielten sich aber überwiegend an die Gegenwart ihres Volkes und schlossen sich eng an das Volkslied an. Da gab es in der That starke Ansätze zu einem slavischen Realismus auf nationaler Grundlage, aber leider wurde diese ') Nur einige Lieder sind auch bei ihm mit Noten versehen. Sieh den zweiten Band der Originalausgabe der „Slovanske narodni pisne“. TiicliUuig von Kollar« Phantastik und dem lingierten Alter-Üium der Königinhofer und Grünberger Handschrift überwuchert und verfiel zu sehr in patriotische Plattheit und Reimerei, in Tändelei und Sentimentalität; sie wurde auch durch den Byronismus wenig geändert und erst durch einen eklektischen ästhetischen Kosmopolitismus, der meist bei den romanischen Völkern seine Muster holte, abgelöst. Mit großer Zähigkeit erhielt sich aber daneben, wie auch anderswo, z B. in Dänemark, so mancher patriotische Wahn sehr lange, darunter auch literarhistorischen Irrlehren, die vor allem widerlegt werden sollen. So ist schon der Name „patriotische Schule“ nicht entsprechend. Leute, welche die goldenen alten Zeiten lobten, gab es wohl immer in Böhmen, aber seit dem Aussterben des Heidenthums keine solchen, die ihre heidnischen Vorfahren in dem rosigsten Licht darstellen und die Christianisierung ihres Volkes mehr oder minder bedauern würden. Auch gab es immer in Böhmen Patrioten nach den jeweiligen Begriffen, aber selbst den erleuchtetsten und volkstümlichsten Männern ist es nie eingefallen, das ganze geistige Leben auf die Traditionen ihres Volkes in seinen untersten Schichten aufzubauen, aus allen seinen Erzeugnissen, auch aus solchen, in denen viel Aberglaube vorkommt, einen Canon für die Kunst zu machen. Diese Verehrung der alten Götter, die man sich- zum großen Theil erst schaffen musste, und die heilige Scheu vor dem gesummten Volksthum lernte man von der deutschen Romantik, welche schon das Wort „Volk“ mit frommem Schauer aussprach, und von ihrem Vorläufer Herder. Man kann ruhig sagen, dass die Keime, von denen diese befruchtet wurden, in geringem Maße direct nach Böhmen verpflanzt wurden, denn von den literarischen Triebkräften übten unmittelbar nur Ossian und Rousseaus Evangelium der Rückkehr zur Natur ihren Einfluss aus. Wie alle geistigen Strömungen Europas nach Böhmen drangen, wenn auch nicht immer mit gleicher Intensität, und es häufig zu einer bedeutenden Weiterbildung brachten so musste es auch zu einer böhmischen Romantik kommen. Die junge Generation, welche die neuen Lehren mit Eifer vertrat, war sich dessen genau ' v bewusst, sie wollte romantisch sein. Oelakovsky schreibt seinem Freunde, er möge ihm für einen geplanten Prager Almanach hauptsächlich Romantik (ale nejvice vhod bilde romantika) senden, woran man ihn übrigens nicht zu erinnern brauche1), macht sich an die Übersetzung des serbischen und russischen Volksliedes, um „bei vielen die Lust zur nationalen und romantischen Poesie zu erwecken“ und die Afterdichtung zu verdrängen2); als er Walter Scott kennen lernte, ruft er jubelnd aus: „Was ist das für ein Romantiker! ein echter Ossian unserer Zeiten!“ Er sieht zwar, dass man Scott werde schwer nachahmen können, „aber dafür könne etwas Neues und Originelles in der Romantik“ bei den Böhmen entstehen8). In Prag bildete sich ein großer Kreis von Schriftstellern, mit Jungmanns Sohn an der Spitze, die es sich zur Aufgabe machten, die Liebe zur böhmischen Sprache in allen Kreisen durch die Schaffung „irgend eines entsprechenden romantischen Stils“ zu verbreiten; die von ihnen begründete „Bibliothek unterhaltender Erzählungen“ begann 1826 zu erscheinen1). Auch Chmelensky* 4 * 6) wünschte (1834) seinem Vaterlande einen „romantischen Dichter“ wie W. Scott, der aus dem Buch der vaterländischen Geschichte lebendige Wahrheiten schöpfen würde. Ganz unhistorisch und überhaupt ganz unrichtig ist die zum Gemeinplatz ge wordene Behauptung0), dass um diese Zeit das inhaltslose Geklingel (cinkani, klinkänf) nach deutschen Mustern aufgehört habe. Die Emancipation von den Deutschen ist nur bis zu einem gewissen Grade eingetreten, denn in Wirklichkeit schloss sich „patriotische Schule“ an Goethe und an die ‘) SL., 105. - ») Ibid. 132. - ») Ibid. 131, 13G, 211. 4) A. Rybioka, Sebrane a duchovm bäsne J. V. Kamaryta, 39, 71. b) Vybrand spisy, 286. 6) Z. B. Rybioka 1. c., J. Maly, Našo znovuzrozeni, 19. deutsche jüngere Romantik an. Die große That der böhmischen Romantik, das Interesse für das Volkslied und die Nachahmung desselben in Inhalt und Form ist aber mehr als irgend etwas auf das deutsche Muster zurückzu führen, und die neuere böhmische Literatur — denn von einer solchen im wahren Sinne des Wortes kann man erst von der Romantik an sprechen — setzte eigentlich nur dort ein, wo die deutscheLyrik des 19. Jahrhunderts über Schiller und Goethe hinausgegangen ist. Geradezu curios ist die allerdings schon im Jahre 1855 in der Biographie Celakovskys von Hanns') vorgetragene Lehre, dass zur Zeit der Auffindung der Königinhofer Handschrift, die „eine uralte und ungeahnte böhmische Cultur“ verkündete, nicht bloß die Slaven, sondern auch schon die Deutschen, überhaupt alle civilisierten Völker Europas erkannt hätten, dass ein Fortschritt ihrer Literaturen nur möglich sei, wenn man die Riesen der alten Literatur aus dem Grabe emporhebt. Airs dem ganzen Zusammenhang ergibt sich aber auch, dass nicht minder falsch die Anschauung ist, dieneueLyrikundEpikseibereitsganz der Wirkung der Königinhofer Handschrift zu verdanken, da diese selbst nur aus dem gleichen Zeitgeist hervorgegangen ist. Übrigens können wir das direct beweisen. In Celakovskys „SmiSene bäsne“ (1822) steht nämlich kein einziges Gedicht unter dem besonderen Einfluss der Königinhofer Handschrift, nur in „Troji stesk“ wird der daraus bekannte Sänger Lumir in eine Reihe mit Homer und Ossians Fingal gestellt2 3). Von Libušas Gericht, das er am 25. März 1821 seinem Freunde Kamaryt übersandte, war er gar nicht besonders begeistert, ja. Dobrovskys Einwendungen machten offenbar einen Eindruck auf ihn 8); erst ') J. Hanuš, Život a püsobem Fr. L. (Jelakovskeho, 8. 3) O. o. fi2. - ») SL., 50. allmählich muss sich im Verkehr mit Jungmann sein Glaube gefestigt haben1) Kamaryt wurde allerdings im Jahre 1819 zur Ballade Milodin a Velena und wohl auch zu dem Zwiegespräch zwischen Lutobor und Vlastena2) von Hankas Fund angeregt, aber er lieferte die patriotischesten Gedichte schon in den Jahren 1816 —1817 (Pisen Oecha, Pisen nevlasteneckä, Satyra), ahmte schon damals das Volkslied glücklich nach und gibt uns noch dazu in zwei Episteln3) aus dem Jahre 1816 sein poetisches Programm, welches zeigt, wie er sich der von ihm und von seinen Freunden eingeschlagenen Richtung bewusst war. Namentlich interessant sind vor dem Auftauchen der Königinhofer Handschrift folgende Verse4): Tu k stud&nce Mile krovi m zastinene zajdem I v tom libozpüvy zvuei do tance Kouzlici. A tu ao zfidka najdem Pisni, najdem libć, ježto hudbafove ted’ Slovanšti nam milou hudbou hraji: Kozkoš v skalimlch tež jevi oblasove. Hled V.še tu smutky uteše se vzdaji, Nepochybuji tež, sem že bohynö Ydst m ne chtela, to žejsou ty pisne Jemnd, tu že ona vlasti svatynö, Kdežto na vše zapomenu tisne, ') Vgl. SL., 270-271. 3) Sebrand bäsne (v Fraze, 1867), 164—171, 171—173. •') Ibid. 146—1B2. 4) In wörtlicher Übersetzung: Da kommen wir zu einer lieblich von Sträuchern beschatteten Quelle — und hier ertönen an-muthige Gesänge, die zum Tanz einladen, und obwohl wir hier selten angenehme Lieder finden, wie sie uns jetzt sla-vische Spieler lieblich Vorspielen: so gibt die Wollust doch auch in diesen Felsen ihr Echo. Sieh, jode Trauer findet da Trost. Ich zweifle auch nicht, dass mich die Göttin hieher führen wollte, dass hier die zarten Lieder sind, hiei jenes Heiligthum des Vaterlandes, wo man jeden Kummer vergisst, denn mit solchen Gesängen besänftigte micli die Mutter in der Wiege, solche süße Gesänge bezauberten mich im Schlummer. Takymif mne üpevy mat§ koji a Na kolebce, take v zdrimnuti mne Öarovaly sladke'). Zum Beweis, dass das Interesse für das Volkslied durch deutschen Einfluss geweckt wurde, braucht mir auf den Umstand hingewiesen zu werden, dass man auch in Böhmen Volkslieder von amtswegen „schon lange“ (Kamaryt schreibt das 1819) durch die „Cantoren“ sammelte2). So erklärt es sich auch, dass gleichzeitig mit Hanka, Gelakovsky und Kamaryt auch Schneider, StepniCka (der „Classiker“ !) und Stepänek grötiere Sammlungen von Volksliedern zusammenbrachten 3) und sogar aufeinander eifersüchtig waren, wer sie zuerst herausgeben werde4 * *). Kamaryt interessiert sich auch für die „österreichischen Volkslieder“0) und öfters begegnen wir in ihrer Correspondenz Bruchstücken des deutschen Volksgesanges. Bei den übrigen Slaven fand Gelakovsky — für die anderen Sammler kommen slavische Muster gar nicht in Betracht — Sammlungen nur bei den Serben (der dritte Band seiner Sammlung ist daher Vuk Karadžić gewidmet, den er 1823 auch persönlich kennen gelernt hatte) °) und bei den Bussen vor; slovenische schrieb sich er selbst zuerst aus dem Munde zweier Studiengenossen in Linz auf7) und forderte in der Vorrede zum ersten Band der „Slovanske narodni pisne“ 8) die Brüder an der Save und Brave auf, sie sollen ihre Schätze heben; bei den Polen verbreitete erst um dieselbe Zeit das Interesse für das Volkslied der Slaven im Sinne Herders der Warschauer Professor der Ästhetik K. Brodziiiski, der Vorläufer der polnischen Romantik9), weshalb ihm Gelakovsky den zweiten Band seiner Sammlung widmete. ') O. c. 161. ») SL., 3, 95; SS. ( Fr. Lad. Oelakovskeho Sebrane Spisy, v Fraze. J. L. Kober, 1871), IF, 173. a) SL., 16, 83, 85, 9G. - <) Ibid. 96. - ‘) Ibid. 34. - ») Ibid. 116. 7) Der „vindieky“ wird öfters gedaclit: SL., 11, 25, 27, 33, 34, 76. “) SS„ II, 174-175. *) Vgl. meine Anzeige der Monographie Arabažins im Arcli. f. slav. Phil., XV, 411—417. Dass jedoch die Würdigung des Volksliedes in Böhmen noch viel zu wünschen übrig lieh, zeigt das Verhalten des Prager Censors, zu dessen Entschuldigung allerdings angeführt worden muss, dass er selbst die Eitelkeit hatte, als Schriftsteller glänzen zu wollen; er fand in dem von (Jela-kovsky überreichten ersten Bändchen „unästhetische Sachen“, auf der Gasse aufgelesene „pisnicky o Kači, Mari, Andulce, Jankovi“ 'j. Was ihn bewog, das angedrohte „Non inprimatur“ nicht zur That werden zu lassen, ist ebenso wenig bekannt wie die Thatsache aufgeklärt, dass das gestrichene Adjec-tivum „slawische“2) zuletzt auf dem Titel doch zugelassen worden ist. Gar arg ergieng es aber Kamaryt mit seinen geistlichen Volksliedern, der sie seinem Bischof in Bud-weis widmen wollte und „für seine gute Meinung“ einen entschieden abschlägigen Bescheid und dazu noch folgende Belehrung durch einen Canonicus erhielt (im April 1829!): „Es ist auffallend, wie Pater Kamaryt als katholischer Priester mehrere Lieder, die nicht nur keinen moralischen Wert haben, sondern überdies mit dem Geist des Christenthums u. s. w. im Widerspruch stehen, die unrichtige, fabelhafte etc. Gegenstände enthalten, in diese Sammlung aut-nehmen konnte. P. Kamaryt soll den Gedanken, diese Lieder drucken zu lassen, aufgeben, indem er von mir die gesetzliche erforderliche Bewilligung nie erhalten wird und selbe wohl gleich von der Censur verworfen werden (??) — —“a). Der gewissenhafte Priester wusste jedoch, dass er in diesem Falle die Bewilligung des Bischofs nicht braucht, und ließ sich durch diesen Unfall in seinem Vorhaben nicht weiter beirren. Übrigens wurden Öelakovsky und sein Freund nicht bloß von dem zeitgenössischen romantischen Interesse für das Volkslied geleitet. Kamaryt kennt auch Leasings Lob der litauischen Volkslieder und sendet (1819) Cclakovsky ! H eine „böhmische Daina“ 4). Von H er d er s Volksliedern ist in ihrer Correspondenz öfters die Rede, öelakovsky tröstet ') SL., 86. - *) Ibid. 160. - ») Ibid. 240. — *) Ibid. 4. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 5 sich damit, dass er doch mehr Volkslieder zusammengebracht habe als Herder1) und will seine Sammlung nach J. v. Müllers Titel der Herder’schen („Stimmen der Völker in Liedern“ statt des ursprünglichen „Volkslieder“ der Herder’schen Originalausgabe) „Hlasove (oder Hlasy) slovans-kych n&rodü v pisnich“ 3) nennen. Wie er dann zu dem einfacheren Titel „Slovanske narodni pisne“ kam, kann ich nicht ergründen, aber abgesehen von zeitgenössischen Beispielen ist selbst da Herders Einfluss nicht ausgeschlossen, da ihm der ursprüngliche Herder’sche Titel auch nicht unbekannt geblieben sein dürfte. In Ermanglung lausitz serbischer Volkslieder im Original nahm er die altwendische „lustige Hochzeit“ direct aus Herder (nach Eccardus, Hist, stud. etym. ling. germ. Hannov. 1711)3). Doch blieben die Schwächen der Herder’schen „Volkslieder“ den Freunden nicht verborgen. Kamaryt, dem sie Oelakovsky zugeschickt hatte (1823)4), fand in allen das reine Volksthum nicht (pouhe narodnosti ve všech jeho pisnich nepozorovav)B). Oelakovsky wollte Musäus’ „Volksmärchen“ und ihre Nachahmungen in Böhmen (Griesel, Wollmann) wie die von LibuSa und Horymirs Sprung nicht anerkennen“) und war entsetzt, als er in „Des Knaben Horn“ (!) solche Lieder fand (1822) wie: Andreas, heil’ger Schutzpatron, Ich bin g’fahren ums Heu u. s. w.7). Ihm ist es auch um den ästhetischen Wort der Volkslieder zu thun, und das Lob, das er den slavischen spendet, gilt nur den „gelungeneren, rein volksthümlichen Liedern“, nicht aber irgend einem „Krämerlied“ 8). Oelakovsky liebt von ganzem Herzen die Volkspoesie und wird nicht müde den Ruf zu wiederholen: „Es gibt nichts über ein gelungenes Volkslied!“ Nur in jener sehen wir in lebendiger poetischer Gestalt den menschlichen Geist; nur in diesen sei der Charakter des Volksthums offenkundig ausgeprägt. Als einen untrennbaren Bestandtheil des Volksliedes betrachtet er ■) SL., 83. - ») Ibid. 85, 146. - “) SS., II, 428. - <) SL., 113. — ‘) Ibid. 124. - «) Ibid. 101. - ’) Ibid. 80. - 8) SS., II, 174. auch d i e M e 1 o d i e und dieSprache desselben, weshalb er eben mit den böhmischen Übersetzungen immer auch das Original brachte; auch die dialectischen Eigen-thümlichkeiten sind ihm heilig; in den Idiotismen liege geradezu ein grober Theil der poetischen Schönheit, welche selbst die fähigste Feder nicht wiedergeben könne; wenn wir einen vollständigen Codex der Volkspoesie hätten und ausnützten, so würden wir einen großen Schritt dorthin thun, wovon uns Jahrhunderte entfernten, zum Volksthum, das uns einst so veredelte und das manche Völker noch heute adelt; gewiss würden dann viele unpoetisehe Alltäglichkeiten aufhören, und die Muse würde uns wieder in ihrer ungeschminkten Schönheit erscheinen'). Kamaryt singt aber das Lob der Volkspoesie in der Vorrede zu seinen geistlichen Liedern in folgender Weise2): „Den Geist und das wahre innere Leben einer Nation kann kein beobachtender Keisender, kein Statistiker beschreiben. .. Dieser eigentliche Nationalgeist oder das Volksthum (narodnost) offenbart sich aber im Wort, jedoch keineswegs im AVorte aus fremdem Munde, das uns leider diesen Geist gewöhnlich als ein unschönes Gespenst darstellt, vielmehr muss er sich im eigenen Wort offenbaren, und da sehen wir an Stelle eines Gespenstes einen Engel. Die Cultur-nationen wollen schon nicht mehr bloß nach ihrem äußeren Aussehen wie Thiere beschrieben werden und sammeln sorgfältig die Sagen, Märchen, Sprichwörter und Volkslieder unter ihrem Volk als dem größten und noch nicht entfremdeten Theil der Nation, um dadurch umso treuer ihren Charakter wie in dem tref-fendsten Bilde, ja in dem Ursprung der Welt3) darzustellen. Die Sagen malen treu das häusliche Leben, die Phantasie ') L. c. 173-175. 2) Sehr. Bäsne, 31-32. ■'') Im Original: Aby tim co nejverntsji svüj Charakter jako v nejtrefnejšim obraze, ano v püvodu sveta predstavili. Ein unklarer Ausdruck für die romantische Anschauung vom mythischen Ursprung der Poesie. und andere Seelenkräi'te; die Märchen sind Beweise des Witzes (vtip); die Sprichwörter stellen den Grad und die Art des Urtheiles, der Philosophie und der Moral des einfachen Volkes dar; die Lieder aber, die stellenweise auch die genannten Eigenschaften nicht ausschließen, zeigen die vorzüglichste Seite des Nationalcharakters: die Gefühle, Leidenschaften, das Herz des Volkes.“ Auch in der Correspondenz der beiden Freunde finden wir rührende Beweise der Liebe zur Volkspoesie. Kamaryt vergoss, wenn er durch ein Feld schritt und die Schnitter singen hörte, Thränen der Rührung und Freude, dass sich wenigstens unter diesem „guten Volk“ noch das „einfache Volksthum“ erhalten hat1). Celakovsky wiederum weinte, als er beim heil. Johannes auf der Karlsbrücke Bettlerlieder hörte (zpev poutnickü, der angegebene Inhalt gestattet nicht, an Wallfahrer zu denken)2); mit seinen Volksliedern hatte er größere Freude als mit seinen eigenen Gedichten 8), las und sang sie immer wieder, denn er fand darin „etwas so sehr Herzliches, Reizendes und Unschuldiges“, dass seine Freude bei jeder Lectüre größer wurde; bis zum Tode werde er von diesen Anschauungen nicht ablassen und wünscht nur, dass alle Slaven ihre Schätze beisammen hätten, weil da der herzliche Volkscharakter überall hervortreten würde, denn es gebe keinen schöneren und treueren Spiegel als den Volksgesang4). Celakovsky erkundigt sich bei seinem Freunde überhaupt über alle „Merkmale des Volksthums“ 5), über Sitten und Gebräuche“), speciell über Bauernhochzeiten7), über die Volkstrachten im vergangenen Jahrhundert und in der Gegenwart8). Namentlich interessierten ihn die slavischen Sprichwörter, von denen er schon im Frühjahr 1828 eine größere Sammlung beisammen hattes); eine Auswahl daraus ließ er schon im Jahre 1837 erscheinen, in seinem Todesjahr erschien aber ein großes Werk (8°, 644 S.), „Die Philosophie der >) SL., 43. - ») Ibid. 120. — s) Ibid. 85. - i) Ibid. 181. -<•) Ibid. 183. — “) Ibid. 101. — 4) Ibid. 94. — 8) Ibid. 183 — ») Ibid. 221. sklavischen Nation in Sprichwörtern“ (Mudroslovi naroda slovanskoho v piislovich). Aus den Urtheilen über die Volkslieder Herders und über „Des Knaben Wunderhorn“ von Arnim und Brentano wie auch aus der Würdigung und Behandlung des Volksliedes durch beide Freunde sieht man, dass sie über ihre genannten Muster weit hinaus giengen; sie stehen bereits auf dom geläuterten Standpunkt .T. Diimms, dem sie auch in ihrer innigen Hingabe an alle Erzeugnisse des Volkes, in ihrer Vertiefung in die Volksseele nahe kommen. Die Leistungen der Brüder Grimm kannten sie gewiss direct, ihren Anschauungen huldigten die Wiener romantischen Organe, die sie schon als Studenten lasen'), und specioll vor Kopitar hatte Oelakovsky große Achtung und meinte einmal (1826), dass in Österreich die slavistischen Studien am besten in Wien vertreten seien3). J. Grimms und Kopitars Interesse für die serbische Volkspoesie blieb ihnen am allerwenigsten verborgen. Anfangs April (am 4.) 1823 lernte öelakovsky auch Vuk Karadzic persönlich kennen, sah ihn im März des folgenden Jahres wieder, als dieser nach Hallo reiste, und hörte von ihm das vollkommen gerechtfertigte Lob, dass er das gleiche Interesse für das slavische Volksthum wie in Böhmen, in Russland und Polen nicht gefunden hat (1819)8). Die serbischen und russischen Volkslieder, die so eigenartig waren, mussten natürlich die Freunde in ihren romantischen Anschauungen vom „Volksthum , vom „Nationalgeist“, vom echten „böhmischen Geist“, von denen in ihrer Correspondenz so häufig die Rede ist, noch mehr bestärken. Es ist daher umso begreiflicher, dass sie auch die Fehler J. Grimms und der Romantik überhaupt bezüglich dos Originalcharakters des Volksliedes und des ganzen Volksthums theilten. Charakteristisch für die böhmische Romantik ist es aber auch, dass noch Kamaryt einen füni- ') SL., 9, empfiehlt (1819) Kamaryt seinem Freunde, er möge ja fleißig die Wiener Jahrbücher der Literatur lesen. 2) SL., 191. - a) Ibid. 116, 152. zehnjährigen Burschen, der ihm Volkslieder sang, mit Barden verglich und nicht genug Begeisterung für „die Barden im Dorfe“ an den Tag legen konnte ‘j. Als echter Herderianer und Romantiker verpflanzte aber öelakovsky nicht bloß slavische Volkslieder, sondern in der That Stimmen der Völker aus allen Weltgegenden auf heimatlichen Boden2). Natürlich interessiert er sich auch für die neugriechischen Volkslieder und meldet seinem Freunde das Erscheinen der Fauriel’schen Ausgabe derselben mit französischer und deutscher Übersetzung3); ein lettisches Volkslied schickt er dem Freunde sogar im Original (27. April 1822) und übersetzt es ihm auch4). Besondere Aufmerksamkeit schenkte er aber den litauischen Volksliedern; die durch Lessing und Herder berühmt gewordenen brachte er schon im zweiten Bändchen seiner slavischen Sammlung, zwei Jahre darauf (1827) gab er aber eine besondere Sammlung heraus, die 78 aus dem Original nach Rhesas Ausgabe übersetzte litauische Volkslieder umfasste B). Celakovsky ließ sich jedoch durch falsche Vorstellungen von dem Verhältnis der litauischen Sprache zu den indogermanischen und speciell zu den slavischen durchaus nicht verleiten und bemerkt ganz richtig, dass sie im engsten Zusammenhang mit der lettischen und ausgestorbenen altpreußischen steht, der slavischen jedoch näher verwandt ist als irgend einer anderen* 6). Überhaupt interessiert er sich frühzeitig auch für sprachvergleichende Studien und beschäftigte sich schon im Jahre 1826 mit Ulfilas, um mit seiner Evangelien-Übersetzung die slavische zu vergleichen7). Im Geiste der Zeit (vgl. Graffs Althochdeutscher Sprachschatz) ordnete er auch sein verloren gegangenes Wörterbuch der polabischen Sprache, das schon zu Beginn des Jahres 1828 ziemlich fertig war8) und von der Petersburger Akademie herausgegeben werden sollte, nach der Etymologie >) SL., 205. — a) SS., I, 443—4(>7. — 0) SL., 185. - *) Ibid. 92. - ‘) SS., II, 432—502. - «) Ibid. 502. 7) SL., 198. Nicht 1825, wie Hanuš (S. 20) angibt. — K) Ibid. 209. und den Suffixen der Wörter und begann in gleicher Weise Jungmanns Wörterbuch sofort bei seinem Erscheinen umzuarbeiten Der romantische Dichter, bei dem es in seinen Gymnasial- und philosophischen Studien immer haperte, brachte es daher durch seine Begeisterung für das slavische Volksthum doch dahin, dass er schon in seinem 24. Lebensjahre in Prag als eine Autorität in der slavischen Philologie angesehen wurde3), nebst Hanka und Safafik nach Petersburg berufen worden sollte (1830), noch vor der Abreise in Prag eine panslavische Chrestomatie von 60—<0 Bogen herausgoben wollte 3) und sein bewegtes Leben als Professor der slavischen Philologie in Breslau (1841—1849) und in Prag (1849—1852) abschloss. Schon aus dem Umstand, dass die Begeisterung für das Volksthum hauptsächlich auf deutschen Einfluss zurückgeht, könnte geschlossen werden, dass auch die dadurch bedingte Nachahmung des Volksliedes deutschen Beispielen und Ideen zu verdanken ist. Hier ist sogar jeder slavische Einfluss ursprünglich ausge-schlosse n. öelakovsky, der nebst Hanka allein von den jüngeren Dichtern einen Überblick über die slavischen Literaturen hatte, klagte noch im Jahre 1822, dass selbst die russischen Dichter zu wenig auf ihr Volkslied achten4 * * *) und französischen Mustern folgen, und will „von den neueren, namentlich gereimten russischen Liedern, die meist aus der Fremde geholt und aus Plattheiten zusammengetragen werden“, schweigen8). Noch im Jahre 1830 schreibt Kamaryt, den Celakovsky mit einem Moskauer „Zpövnik“ erfreut hatte, dass ihm darin eigentlich doch nur die Volkslieder gefallen, und fahrt also fort: „wenn mir ein Kusse mit der französischen oder deutschen Art kommt, so wende ich mich mit *) SL„ 335. — a) Hanu.š, 20. - 3) SL., 268. 4) Slovanske n&rodiü pisne, I, S. VII; SS., H, 174. Vgl. jedoch ein Kriegerlied vom Major Mich. Šulopnikov aus dom Jahre 1810, das „ganz im Nationalgeist“ war und deshalb von öelakovsky in seinem „Nachhall russischer Lieder“ übersetzt wurde. SS., II, 196—199. s) SS., II, 187. Unwillen von ilim ab; wenn er aber sein Volkslied unverfälscht singt, so möchte ich ihm für jedes Wort einen Kuss geben“ * l). Nur in Böhmen lagen schon Anfänge solcher Nachahmungen vor. (Jelakovsky konnte bereits im ersten Band der slavischen Volkslieder auch Lieder im Volkston von Hanka, Kamaryt, M. Z. Polak und Frau M. D. Rettig bringen und in der Vorrede (vom 6. Juli 1822) darauf verweisen, dass einige Lieder von Hanka und eines von Polak schon ganz ins Volk gedrungen sind3). Fr selbst würde eine viel gröbere Belohnung darin sehen, wenn er eines seiner Lieder auf dem Lande hörte, als wenn es ein städtisches Fräulein täglich zehnmal durchsingen würde. In der That finden wir schon in der ersten Sammlung der Gedichte Celakovskys ganz volksthümlicho Lieder, wie: Levee, ja ti udeläm (Mädchen, ich werde es dir anthun), Belička, Pisen pfi dräni (Lied beim Federnrupfon)3). Auch sonst bemerken wir den Volkston, namentlich in den „böhmischen Balladen“ 4): Svatba (Hochzeit), Tri svetylka (drei Irrlichter), Ples čarodej nie (Hexentanz), wobei nicht vergessen werden darf, dass das vorletzte auch Hanušr>) schon zu denjenigen Gedichten zählt, in denen sich Celakovsky als den Herrn über die Welt der romantischen Erzählungen erwies. Noch mehr Volksthümlichkeit finden wir in den Jugendgedichten Kamaryts; man vergleiche namentlich: Odlouöenä, Prstynek, V strani nejblažeji, Medulka, Tešeni, Nämluvy, Peni sirotka v noči. Bei einem Lied (Potecha) aus dem Jahre 1819 ist schon die Volksmelodie angegeben, nach der es zu singen wäre. Die poetische Sprache schließt sich aber schon in allen Jugendgedichten der beiden Freunde andasVolkslied an. Noch mehr directe Nachahmung des Volksliedes finden wir dann in ihrer Correspondenz, denn schon im Jahre 1822 beginnen >) SL., 267. — 3) SS., II, 172. °) S. Simšonć basnö oder SS., I u. II. 4) Vgl. SL., 43. l) O. c. 13. Celakovskys eigene Freude an den meisten dieser Schöpfungen kann man in den SL. (S. 38, 40—41) lesen. sie sich ihre angeblichen Volkslieder zuzusenden1). Namentlich Kamaryt sucht unermüdlich seinen Freund zu täuschen, doch dieser geht nie in die Falle2) und wird des Spiels zuletzt sogar überdrüssig:i). Auch öelakovsky fand bei seinem Freund keinen Glauben und wollte ihm einmal mit seinem Manuscript beweisen, dass ein Lied von ihm sei4); ebenso konnte er mit Recht behaupten, in den Geist des Volksliedes so eingedrungen zu sein, dass man ihn nicht täuschen könne. Es ist daher interessant, auch seine theoretische Definition eines guten Gedichtes im Volkston zu hören6). „Abgesehen von der Leichtigkeit, die eine unumgängliche Eigenschaft des Volksliedes ist, verlangt man noch, dass sein Verlauf nicht allzu natürlich geordnet sei; eine gewisse Ordnung muss darin sein, aber verborgen. Außerdem muss die Sprache etwas von den populären Idiotismen haben; schließlich Naivetät, die aber nicht unumgänglich nothwendig ist; ebenso ist jedes naive Gedicht auch nicht volksthümlich.“ Seinem Freund empfiehlt er — wieder als echter Herderianer und Romantiker — namentlich auf Idiotismen mehr zu achten, und unter seinen Anmerkungen, die er den „Smišene basneu boigegeben hat, finden wir auch solche Wörter, wobei er eines (prešlo) ausdrücklich der Gegend von Budweis zuschreibt. Celakovsky wurde dann allerdings mit Brodzihskis Idylle „Wieslaw“ bekannt (März 1824)6), die uns das Bauernvolk aus der Umgebung von Krakau vor führt und auch gelungene Nachahmungen einiger Krakowiak! bietet7). Kurz zuvor bekam er aus Lemberg auch die Erstlingsgedichte (Ballady i romanse) Mickiewiczs, „des neuesten und besten polnischen Dichters“ 8), der ihn fünf Jahre später, >) SL., 91. a) Vgl. namentlich SL., 119, 146, 159, 163, 189. a) SL., 193. - *) Ibid. 143. - 6) SL., 120. - «) Ibid. 154. <) Celakovsky hob das im dritten Bund seiner „Slovanske narodni pisno“ (III, 224) hervor; vgl.,jetzt SS., II, 271—273, wo auch die Klagen über die Unzugänglichkeit polnischer Volkslieder und Brod-ziiiskis Erörterungen über deren Untergang wiederabgedruckt sind. 8) SL., 148. als er die Pariser Ausgabe der Werke erhielt, um den Schlaf brachte (er las ihn von 10 Uhr abends bis 4 Uhr früh) >); jetzt sah er in ihm schon „einen der seltenen und ersten slavischen Dichter“. Kamaryt konnte nicht mehr aus ihm Nutzen ziehen2), dafür aber sein zweiter Busenfreund Chme-Icnsky, welcher der erste Übersetzer Miekiowiczs in der böhmischen Literatur sein dürfte (acht Sonette im Časopis Ceskeho Museum 18'28, Switezianka 1832)3). Doch auch in Mickiewiczs Balladen und Romanzen fand Colakovsky nicht mehr, als er selbst in die böhmische Literatur einzuführen suchte, die übrigen Werke kommen aber gar nicht mehr in Betracht, denn seine grolle Leistung „Ohlas pisni rus-kych“ (1829) war schon fertig, als er dieselben in die Hand bekam. Dieser „Nachhall russischer Lieder“ hat überhaupt nicht seinesgleichen weder in der damaligen noch in der späteren slavischen Literatur. Celakovsky vertiefte sich so sehr in den Geist der russischen Volkspoesie, dass er die alterthümlichen Heldenlieder (Bylinen) ebenso wie die zartesten Liebeslieder in unvergleichlicher Weise nachahmte. Sein Streben war ausdrücklich darauf gerichtet, alle Formen der russischen Poesie zu erfassen, epische, lyrische, satyrische und scherzhafte Gedichte zu bringen4). Allerdings beschränkte sich diese Nachdichtung nur auf „den Gebrauch des Metrums, einiger sogenannter feststehender poetischer Formen, die in vielen Liedern zerstreut sind und sich beständig wiederholen, ebenso auf den Gebrauch einiger grammatischer Eigenthümlichkeiten und einiger anderer Kleinigkeiten, was alles zur besseren Hervorhebung des volksthüm-lichon Charakters beitragen musste“ r’). Natürlich waren auch die Stoffe dem russischen Leben entnommen. l ■) SL., 228. ■,) Ibid. 214. Dass or durch Vermittlung Hankas eine Ausgabe um 4 H. 30 kr. kaufte, beweist ein Brief an Celakovsky vom 11. Oc-tobor 1829 (SL., 248). 8) SL., 22G, 324. - *) Ibid. 244. l) Vorrede, geschrieben am 26. April 1829. SS., I, 58. Und nun wiederholt sieh eine merkwürdige Erscheinung, die wir schon bei der Königinhofer Handschrift bemerkten, ja es geschieht noch mehr. Der Nachhall russischer Lieder machte trotz aller ßussophilie, die dank den Befreiungskriegen und der Gesinnung Dobrovskys, Jungmanns und seines Freundes A. Marek, Hankas, öelakovskys und seiner Freunde in Böhmen in hohem Grade verbreitet war, doch nach Celakovskys eigenem. Geständnis1) auf deutscher Seite mehr Aufsehen als bei den Stammesgenossen, denn ein begeistertes Lob desselben verkündeten zuerst der Professor der Ästhetik und angesehene Schriftsteller und Kritiker Anton Müller und der Übersetzer Josef Wenzig, der sie sofort zur Zufriedenheit öelakovskys zu verdeutschen begann3). A. Müller würdigte in richtiger Weise schon öelakovskys slavische Volkslieder3). Er war zwar von dem gegenwärtigen böhmischen Volkslied nicht besonders entzückt4), umsomehr als er an dasselbe den falschen Maßstab der Königinhofer Handschrift anlegte, und stellte sogar die böhmischen erotischen Lieder hinter die russischen und serbischen, da er in ihnen namentlich zu viel Auakreontik fand. Indessen hatten auch die meisten böhmischen Lieder, noch mehr die mährischen und slovakischen, für ihn einen unleugbaren Wert, einen charakteristischen Gehalt und eine nicht seltene classische Form; ihr wesentlicher Unterschied und Vorzug im Vergleich zu den übrigen slavischen Volksliedern bestehe aber darin, dass sie mehr als alle anderen musikalisch sind. Müller schloss daher mit der Aufforderung an die dichterischen Talente, die in böhmischer Sprache wirken und 4) SL., 245. a) Öffentlich schon im Jahre 1830 in den Jahrbüchern des vaterländischen Museums in Böhmen und dann in den „Blüten neu-böhmischer Poesie“ (1833), S. 71—80; Übersetzungen aus dom „Nachhall“, S. 81—104, 8) Monatschrift des vaterländischen Museums in Böhmen, 1827, August, S. 72—80; Einige Worte über das böhmische Volkslied. 4) (Jelakovsky fürchtete sogar im voraus die angekündigte Bo-urthoilung der böhmischen Volkslieder. SL. 203. unter Böhmen auf'wachsen, sie sollten sieh des bereits verwahrlosten Kindes böhmischer Volkspoesie m i t L i e b e a n n e h m e n. Er nennt die uns bereits bekannten Lieder Hankas, Kamaryts, der Frau Rettig, die schon im Munde des Volkes leben, und Polaks Nachahmung eines bekannten Volksliedes, und fragt dann: „Warum folgen die übrigen böhmischen Dichter und Dichterjünger, e i n K1 i c p e r a, C h m e 1 a, Š i r, Mach&öeku. a. nicht dem so löblichen Beispiel?“1) Wohlgemerkt, das waren schon durchaus Männer der jüngeren, romantischen Generation, deren Namen in den Königgrätzer Almanachen neben denen Celakovskys und Kamaryts standen, und ihnen musste ein Deutscher noch im .Jahre 1827 predigen, sie sollten sich als Volksdichter Verdienste um ihre Muttersprache erwerben. Er verweist darauf, dass Liebe und Geschick zum Gesang dem Böhmen angeboren sind, und fährt fort: „Die Empfänglichkeit ist da, und man glaube ja nicht, dass der gemeine Mann zum Schlechten greift, wenn er das Bessere verstehen kann. Möchten doch diese Worte auf die poetischen Gemüther meiner jungen Landsleute wirken ! “ Das Staunen wird aber noch größer, wenn man sich überzeugt, welche Muster für „Spinnerund Schnitterlieder“ Müller selbst empfiehlt: die „der edlen Deutschen“ — Bürger und Hülty, dann den Volksdichtor Terpander. Bei solchen Voraussetzungen kann man sich die Freude Müllers vorstellen, als ihm Celakovskys „Ohlas pisni ruskyeh“ zukam. Dieser veranlasste ihn zu einem besonderen Aufsatz: Ein Wort über Volksschriftstellerei2). Wir können hier von seinen Rathschlägen und Winken absehen und constatieren nur, dass er Celakovsky nachrühmt, dass viele seiner Gedichte selbst dem gemeinsten Mann bis in seine tiefste Seele ansprechen dürften, ohne dass sie ihm von einem dritten erläutert werden müssten, trotzdem er sich in einer fremden >) L. c. S. 79. ■) Monatschrift des vaterländischen Museums in Böhmen, 1829, S. 43—50, 109-125. volksthümlichen Form bewegt, derentwegen er sich einiger Anmerkungen nicht üborheben konnte 'j. Der Kern seines begeisterten Lobes steckt aber in folgenden Sätzen: „ I c h glaube, wenn es einem Deutschen gelungen wäre, so ganz im Geiste des russichen Volksliedes zu dichten, dass man versucht werde, seine Lieder für gelungene Übersetzungen aus dem Russischen zu halten: so würde sein Talent bereits in mehreren Blättern öffentlich anerkannt worden sein. In Böhmen ist aber nicht einmal seine treffliche Sammlung slavischer Volklieder, viel weniger die erste Lieferung eines Nachhalles derselben bekannt genug. Herr Celakovsky will nämlich auch einen Nachhall serbischer und böhmischer Volkslieder folgen lassen, wozu wir ihm nach dem, was er in der ersten Lieferung geleistet hat, im voraus Glück wünschen.“ Zu solcher Begeisterung konnte sich im folgenden Jahre nicht einmal Palacky* 2 *) emporschwingen, obwohl er den „Nachhall russischer Lieder“ richtig wüirdigte, indem er ihn Kollars „Slävy Doera“ ebenbürtig an die Seite stellte und in beiden Werken die bedeutendsten Erscheinungen der neueren böhmischen Literatur erblickte. Müller pries deshalb Celakovsky auch in seinen Vorlesungen als einen glänzenden Stern auf dem Gebiete der böhmischen Literatur und erweckte dadurch in vielen Böhmen das nationale Bewusstsein 8). Natürlich fand Celakovsky vollen Beifall auch bei seinem Freunde4 *), der ihn zur Ausführung seines Vorhabens, einen „Nachhall böhmischer Lieder“ bald folgen zu lassen,i), ermunterte. Schon in der zweiten Hälfte des Octobers 1821) bekam er vier solche Lieder zugeschickt, die ihn zur Wiederholung seines Urtheils, dass die böhmischen lyrischen Volks- ') L. c. HO. a) ČČM., 1830; ßadhosfc I, 31-35. a) J. Maly, Naše znovuzrozem, I, 23. 4) SL., 240. f) Celakovsky spricht davon schon am 15. Juni 1829. SL., 242. lieder doch den serbischen und russischen überlegen seien, veranlassten und Celakovsky nebst dem Lob und der Versicherung, dass die Fortsetzung den Böhmen gefallen werde, wenn sie nur einen Funken von Volksthum und Gehör besitzen, auch die Mahnung eintragen, dass er der böhmischen Lieder nun mehr bringen müsse als der russischen, da er sich doch schon eingesungen habe und ihm unstreitig der Kranz gebüre 1). Er veröffentlichte in der That Proben daraus in den nächsten Jahren (1880, 1831, 1833 im časopis Ceskeho Museum), aber der ganze „Ohlas pisni ceskych“ erschien erst im Jahre 1839 und war dem Andenken seiner beiden Freunde Kamaryt und Chmelensky gewidmet. Die Vorrede2) charakterisiert recht hübsch das böhmische Volkslied, namentlich sein Verhältnis zum russischen. Die gröüte Schwierigkeit für jeden Nachahmer bestand nach seiner richtigen Bemerkung darin, dem böhmischen Lied den Geist wahrer Naivetät einzuhauchen. Natürlich suchte er auch hier alle Arten und Formen des Volksliedes nachzuahmen und macht seinem einzigen Vorgänger Fr. J. Kame-nicky, der sich durch den „Nachhall russischer Lieder“ zum Dichten von „Liedern im böhmischen Nationalgeist“ (Pisne v narodnim duchu češkem, v Praze 1833) bewegen ließ3), den gerechtfertigten Vorwurf, dass ihnen die dem böhmischen Volkslied eigene Mannigfaltigkeit fehle: sie seien Kinder einer Familie, aber nicht eines Volkes4). Das zeigt, wie schwer es war, in der Kunstpoesie gelungene Nachahmungen des Volksliedes zu schaffen. Auch Celakovsky fand diesmal nicht so viel Beifall wie mit seinen russischen Liedern. Charakteristisch ist es, dass der Dichter Jaroslav Langer, dessen Gessner’sche Idyllen (Selanky) im nationalen Geist Celakovsky ziemlich gut erschienen5), von Kamaryt aber geradezu als die beste literarische Gabe des Jahres 1830 erklärt wurden °), zwar den „Nachhall russischer Lieder“ als einen Schatz und die nationalste Frucht der bisherigen böhmischen Poesie, ja als ihren größten Stolz * *) ■) SL„ 250. - ») SS., 1,119-124. - ») Vgl. sein Loh in SL , 246. - *) SS., I, 124. - 9 'L, 200; SS., IV, 347 11. - «) SL., 203. erklärte'), aber in der Hälfte der nachgedichteten bühmi-schen Lieder nur Parodien, fand, die er auch nicht als vollkommen bezeichnen konnte 2). Man sieht also, dass nicht einmal Celakovsky alle gefährlichen Klippen der Nachahmung des Volksliedes umschiffen konnte, und wird es begreifen, dass sich auch das Publicum mit der Nachahmung seiner Volkslieder in Inhalt und Form nicht zufrieden gab ; es wollte auch andere Formen, noch mehr aber einen über den Gesichtskreis des Volksliedes hinausgehenden Inhalt, so dass z. 13. ein Dichter, der sich in fremden Formen recht nationalpatriotisch gebordete, viel mehr Erfolg hatte, als wenn er noch so gut den wahren Volkston traf. Das erklärt zum Theil auch den großen Erfolg der „Hüže stoli st äu (Hundertblättrige Hose, 1841), des zweiten dichterischen Hauptwerkes öelakovskys, das in seinen Anfängen auch in das Jahr 1830 zurückreicht (Pomenky Vatavske) und in glücklicher Weise die Liebe zur Geliebten, zum Vaterlande und zu den Freunden mit der Lebensweisheit des Dichters vereinigt. Unserer jüngeren Generation fiel es übrigens gar nicht leicht, die neuen romantischen Bahnen zu betreten. Was Celakovsky dom 21jährigen J. Marek beim Erscheinen seiner Gedichte vorwarf, dass viel deutsche Poesie in seinem Kopfe stecke 3), gilt begreiflicherweise von ihnen allen. Der Vorwurf ist eigentlich nur gegen die älteren deutschen Muster gerichtet, in deren Gefolge auch die böhmische Literatur ihren Vergil, Tyrtäus, Alkäus, Anakreon, Horaz, Gessner u. s. w. erhielt "'j. In der That finden wir in seinen „Bäsne“ viel Hölty und Matthisson, dessen Adelaide er auch übersetzte, Romanzen und Balladen, Legenden und Sonette im älteren ') Jaroslav Langer, Spisy, II, 12—15. 2) Ibid. 14—15. 8) SL., 116. 4) Jos. Jireček, ČČM. 1878, 233. Kamaryt an Celakovsky (SL., 263): „denn bei uns wurde alles nach den Deutschen gemessen“. Bezeichnend ist auch ein Epigramm Chmolenskys aus dem Jahre 1823 (Vybranö spisy, I, 93): Ty se diviš, V—n ač Öech po nemecku že bäsni: By£ by i öesky psal, pfedc by jsi Nemce slysel. Geschmack. Doch die Schüler von Budweis und Prag (Cela-kovsky studierte überdies in Pisek und Linz, wo ihn besonders der Historiker Weiß begeisterte) *) konnten anfangs auch nicht anders gerathen. Vor allem fußte die ganze bisherige böhmische Literatur, von der sie ausgehen konnten, vollständig auf der deutschen Anakreontik, auf Klopstock und dem Bardenthum des vorigen Jahrhunderts. Von der deutschen Literatur lernten sie in den Schulen wohl auch nicht viel mehr besonders gut kennen, von den neueren Werken konnten sich aber die armen Studenten nicht viel ankaufen oder gar so viel abschreiben, mochten sie sich noch sosehr rühmen, dass sie in ihren Koffern mehr Bücher als Wäsche besäßen. Von öelakovsky und Kamaryt wissen wir, dass auch sie als Studenten auf dem deutschen Parnass herumirrten2), und Kamaryt erzählt uns selbst3) in seiner „Satyra“ (1817), wen der ungerathene böhmische Jüngling in Wodans Hain zu treffen hoffte: neben Schiller Klopstock, Gessner, den Barden Sined von der Donau, Matthisson. öelakovsky möchte bei einem Gastmahl in Linz Anakreon leben lassen und sehnt sich vergebens nach einer Biographie Mat-thissons 4 *), Kamaryt schwärmt aber für Klopstock, den er mit Goethe und Hus in einem Athem nennt6). Auch der von ihnen vergötterte Prager Philosoph und Theologieprofessor Bolzano, den sie nach seiner Absetzung (1820) mit Hus verglichen 0), konnte nur von Finsterlingen und Demagogenriechern beschuldigt werden, dass er nach Schellinga Katechismus vortrage7), denn in Wirklichkeit fußte er auf Leibniz und schloß sich in der Theologie der moralistisch-nationalen Richtung Sailers, Reinholds u. a. an. Dem entsprechend gedenkt auch Kamaryt in seinen Jugendgedichten der Schäferspiele8) und dichtet selbst eine ') SL„ 41. 3) Hanuš, C—7, Rybifika, Sehr. Bäsnö J. V. Kamaryta, 5, 7. a) Sebr. Bäsnö, 242. 4) SL., 29-30. - ‘) Ibid. 31. - ») Ibid. 22, 31. 7) Wurzbacb, Biogr. Lex. s. v. 8) Sebr. Bäsne, 148, 244. solche Idylle (Janecek a Libanka), übefsehzt Anakreohs Lieder und Hagedorns „Das Kind“ ') (DcernSka das Töeh-terlein) und besingt in ähnlicher Weise seine gar jugendlichen und unschuldigen, wahrscheinlich meist auch nur eingebildeten Liebeleien2), die ihm den Eintritt in die Theologie nicht schwer machten s), da er „lebendige Rosen und Lilien“ weiter lieben zu dürfen hoffte. Klopstock’sches gibt es aber bei Kamaryt doch nicht viel (sieh die Ode „Kräsa“), obwohl er sogar Cidly und Fanny in einem Sonett nennt4). Zu seiner besonderen Befriedigung hatte Karnenicky, ein Freund beider, Klopstocks „Künftige Geliebte“ übersetzt und arbeitete an einer Übersetzung der Ode „an Fanny“ rj. Auffallend wenig Idyllisches (vgl. Hrdlicka, Jinoch a divka, Nenadani) finden wir nach solchen Antecedentien in öela-kovskys Jugendgedichten c), doch ist er ganz anakreontisch in seinem Trinklied (Pri vinč), wo er seines Vaterlandes und seiner Nation noch gar nicht gedenkt, und bietet uns noch viele Klopstock’sche Oden (V lednu, Vdeky, M. Z. Polakovi, Na x x x, Na zahrade, Na ström, Na smelost). Seine Liebesgedichte erinnern mehr an Matthisson (Posledni Ma-rinöina zädost, Na Julii, Slza, Vzpominäni, U Juliina hrobu). In das 18. Jahrhundert gehört auch des Dichters Abendgang (Večerni patreni). Und doch bleiben neben Kollars Basne (1821) Čela-kovskys Smisene basne (1822) die erste bedeutende Erscheinung der neueren böhmischen Poesie. Wenn J. Vrchlicky von Polaks „Vznesenost prirody“ (Erhabenheit der Natur, 1819) die neue Periode datieren möchte, so ist das nicht haltbar, denn von dem „böhmischen Thomson“ konnte sich die neue dichterische Generation nur die poetische Sprache aneignen, aber keine neue Richtung, nicht einmal in der Form (meist Hexameter!). Wenn wir nun fragen, was führte doch Celakovsky * III, ') Friedr. v. Hagedorn, Siimmtlichc poetische Werke, Wien 1780, III, 72. — *) Sehr. Basne, 81-89, 94, 9G-98. s) SL., 81. - “) Sehr. Basne, 141. - ») SL., 240. “) S. Smi.šenć bdsne oder SS., I, Kniha ötvrtd und II, Oddü III. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse otc. G lind seine Freunde auf neue Bahnen, so ertheilt uns einen Thoil der Antwort Celakovsky selbst in der Vorrede zu den slavischen Volksliedern *): „Es ist keine geringe Gabe (ich sage es noch einmal), im Nationalgeist zu dichten — Herder und Goethe! — und wen liebten im deutschen Tempel die Grazien und Musen mehr? Wie sehr Herder die Kunst des Volkes hoch hielt, davon hinterließ er uns das schönste Andenken; und Goethe — dieser Phönix — athmet so ganz in vielen seinen Werken nur den Geist seines Volkes.“ Nachdichtungen, wie sie Celakovsky liebte, lieferte schon Herder im Geiste des Morgenlandes in den „Blättern der Vorzeit“ (Dichtungen aus der morgenländischen Sage); es ist daher kein Zufall, dass Celakovsky dieselben in formvollendeter Weise übersetzte (1823)2) und sie noch volks-thümlicher zu machen suchte3). Aus Herders „Morgenländischen Dichtungen“ holte sich auch Kamaryt das Motto zu seinen Gedichten: Dichtung und Freundschaft sind ihm die auf dem vergifteten Baum der Welt blühenden zwei Blüten. Nach Herder war ihnen der nächste im „Nationalgeist“ wirkende Dichter Bürger, aus dem Kamaryt „den wilden Jäger“ (Divoky lovec)4) und „die Entführung“ (Unos)r') übersetzte; Celakovsky empfahl ihm, in dieser Arbeit fortzufahren *!) und namentlich noch „An die Hoffnung“ und „Des Pfarrers Tochter von Taubenhain“ zu bringen7). Celakovsky selbst ahmt in seinen Gegengedichten Bürger in der Ballade „Svatba“ nach; etwas enttäuscht wurde er, als er die englische Quelle zu Bürgers Lenore kennen lernte (1823), denn bis dahin glaubte er, dass das Gedicht ganz Bürgers Eigenthum sei und dass dieser vielleicht nur die Idee aus einer englischen Volksballade genommen habe8). ') SS., II, 172. - 2) Ibid. III, 423-477. °) Vgl. z. B.: V zAvisti stalo svštlo drulri (S. 428) Neidend stand L u n a das andere Licht. 4) Wenn diese Übersetzung in der That aus dom Jahre 1813 stammt (sieli Sobr. BAsne, 193), so durfte sie die erste erhaltene poetische Leistung des damals sechzehnjährigen Kamaryt sein. r') Diese Überschrift (statt „Odvod“) stammt von Celakovsky. SL., 72. — «) SL., 131. - ’) Ibid. 147. — s) Ibid. 117. Schon ganz als Romantiker zeigen sich Celakovsky und Kamaryt durch ihre unbegrenzte Verehrung Goethes. Bereits als Gymnasiasten führten sie oft den „bald lächerlichen, bald auch ernsten Streit“, wem der schönere Kranz gebäre, Schiller oder Goethe *), und auch als „Philosophen“ oder nach unseren heutigen Einrichtungen genauer als Schüler des letzten Jahrganges des Gymnasiums (im Winter 1819—1820) schrieben sie einander ganze Aufsätze über dieses Thema. Celakovsky findet zwar noch, dass Schiller die Menschen unter die Götter, Goethe aber die Götter in die menschliche Gesellschaft führt, aber er liebt nicht den sentimentalen, sondern den naiven Dichter und stellt den letzteren auch deshalb höher, vrnil er mehr Gewicht auf die Form als auf den Inhalt legt2). Kamaryt bewundert und achtet auch den „großen, erhabenen“ Schiller, hängt aber mit ganzem Herzen „an dem reinen, mehr naiven Dichter“, an dem „anmuthigeren und lieblicheren“ Goethe, von dem Unterschied des Genies gar nicht zu reden, denn Goethe sei offenbar ein größerer Genius; ja, der angehende katholische Theolog weiß es aus Erfahrung, dass die Liebhaber Schillers und Schmäher Goethes immer, „sozusagen durch Spieß und Kramer verdorben waren“, denn sie liebten das Geklirr und den Sturm, nicht Schillers wahren Wert, sondern seine blühende, glänzende Rhetorik s). In diesem Sinne gehaltener Äußerungen und Ausdrücke (so wird Goethe fast nie ohne das Epitheton m ily der liebe, liebliche erwähnt) gibt es noch mehrere aus der Zeit, bevor die Jugendgedichte der beiden Freunde erschienen sind. Auch die meisten Citate in ihrer Correspondenz stammen aus Goethe. Goethe und Shakespeare sind für Celakovsky schon jetzt die Gipfel der Dichtkunst4); er sucht offenbar .auch alles über Goethe zu lesen, wird aber einmal entsetzlich enttäuscht, als ihm die „Grundzüge zu einer deutschen, theoretisch-praktischen Poetik, aus Goethes Werken entwickelt von Zauper“, mit dem doch Goethe seine Freude ') SL., 12. — *) Ibid. 13-14. - ») Ibid. 19-20. — «) Ibid. 28. 0* hatte und verkehrte '), in die Hand fielen. Bemerkenswert ist es auch; welche Werke Goethes ihr besonderes Wohlgefallen erregten. Der idyllische Kamaryt hebt aus allen Werken „Hermann und Dorothea“ hervor2), Celakovsky kann sich aber nicht genug an „Wahrheit und Dichtung“ ergötzen3); alles gefiel ihm aus Goethes Leben, namentlich „sein Lieben und romantisches Genießen des Wanderlebens“, am meisten entzückt war er aber von der Sesenheimer Idylle. Welcher Unterschied zwischen ihm und dem Urtheil Kollars (s. u.), der doch das Glück hatte, mit Goethe zu verkehren! Auch in der Verherrlichung des romantischen Lebens äußert sich der echte Celakovsky, der kein Studium beendete, viel in Böhmen herumwanderte, zu wiederholtenmalen in Russland ein Glück suchen möchte, zuerst unter den Böhmen den Versuch machte, von der Schriftstellerei allein zu leben und nach verschiedenen Wechselfällen und schweren Schicksalsschlägen erst in alten Tagen als Professor der slavischen Philologie zur Ruhe kam. Doch lässt er sich beim Aufgeben des ersten russischen Reiseprojectes auch von Goethe Zurufen1): „Im Vaterlande schreibe, was Dir gefallt, Da sind Diebesbande, Da ist Deine Welt! ! !“ Diese Verehrung Goethes musste schon in ihren Jugend-gedichton bedeutende Spuren hinterlassen, die wir vor allem in den bereits aufgezählten Gedichten, welche die neue Zeit verkünden, constatieren können. Beide nehmen sich ein Muster an Goethes Lied. Nicht bloß die Natürlichkeit und Objectivität desselben fesselt sie, sondern auch seine musikalischen Vorzüge. Kamaryt rühmt an Goethes Liedern, dass sie für musikalische Begleitung besonders geeignet sind, „was unser ausgezeichnete Tomašek vortrefflich erkannte“ 4). Celakovsky verlangt aber bei Beurtheilung der Gedichte seines zweiten Freundes Chmelensky mit Goethe: „immer singen, nur nicht lesen“6); als er selbst noch einmal den * *) ') A. V. Kraus, Gootho a Öechy (v Praze 1890, eigentlich 189:i), 83—8G. a) SL., 19. - ») Ibid. 30. - <) Ibid. 24, 29. *) Ibid. 19. - 6) Ibid. 121. deutschen Parnass bestieg, um ein deutsches Fräulein auf Schloss Arnsdorf bei Arnau zu feiern, lieferte er eine Nachbildung des Mignonliedes, wozu ihn allerdings die Schöne durch ihren Gesang desselben besonders anregte1). Natürlich kannten beide Freunde das Interesse Goethes für das Vo 1k s-lied schon aus Herder und aus „Dichtung und Wahrheit“ und fühlten und wussten auch, Wiis ihr Liebling demselben zu verdanken hat. Kamaryt hatte, wie wir schon wissen, mit Herders Volksliedern keine besondere Freude, aber er war entzückt, als er daraus erfuhr, dass Goethes „Heidenröslein“ aus mündlicher Tradition stammt2). Celakovsky schickte ihm (21. Juni 1822) Goethes „Schweizerlied“ (Uf’m Bergli)3). Auch das erste slavische Volkslied, das öelakovsky übersetzt, ist die durch Goethe berühmt gewordene Asan aganice4). Ebenso stehen „die böhmischen Romanzen und Balladen“, die Celakovsky in seinem Jugendwerk bringen wollte, deutlich unter Goethes Einfluss. Dass „Označeni smrti“ ein Echo des „Erlkönigs“ ist, wurde schon von HanuS6) bemerkt; ebenso ist „Vodnik“ (Wassermann) ein Echo des „Fischers“, „Tri svetylka“ erinnern ebenfalls an Goethes Balladen, namentlich an den „Erlkönig“, zum „Pies carodejnic“ (Hexentanz) gab neben Shakespeares „Macbeth“ (I, 1, 3) auch die Hexenküche im „Faust“ die Anregung. Ganz von Goethe beeinflusst sind auch Chmelenskys Romanzen „Rybäk“ (der Fischer) und „Lovec“ (der Jäger), >) Ibid. 69. Als Beispiel, wie slavischen Dichtern deutsche Verse gelangen, möge hier die dritte und letzte Strophe Platz finden: Kennst du das Thal, so dieses Schloss umzieht, Im Garten ländlich schön die Blume blüht; Hier grün die Au, dort frohe Hüttenroih’n, Wo Treue wohnt, statt Myrt’ — und Rosenhain: Kennst du es wohl? Nur hier, nur hier Wollt’ ich mit dir Des Lebens mich erfreuen. -) SL., 124. - s) ibid. 96-97. 4) Smišene bitsne, 87—91. Vgl. SL., 79. s) 0. c. 13. welche Celakovskys besonderes Wohlgefallen erregten1). Von den Epigrammen (Napisove), die auch in den Jugendgedichten schon einen grollen Raum einnehmen, ist ein Drittel „nach Goethe“ 2). Wie ausgeprägte Groetheaner Oelakovsky und seine Freunde waren, mögen noch einige Stellen aus ihrer Cor-respondenz nach dem Erscheinen ihrer Jugendwerke (1822) beweisen, öelakovsky berichtet Kamaryt (Pfingsten 1822), wie sich in Prag „die sehr jungen Musensöhne“ freuen, dass Goethe Prag und das Museum besuchen wolle. Cela-kovsky tanzte geradezu vor Freude wie einst Hölty, als er von Klopstocks Ankunft hörte3). Ebenso groß ist aber auch die Bestürzung, als die Zeitungen von der schweren Erkrankung Goethes berichten (1823). Als der ländliche Kaplan Kamaryt (bei Tabor) meldet, dass er auf Leute stieß, die als sittenstrenge Richter Goethe tadelten und über seine Lieder und Romanzen scherzten, weil sie nicht wissen, was wahre Kunst sei1), antwortet öelakovsky, dass solche Leute überhaupt keine Antwort verdienen, und vergleicht die Tugendapostel in Versen und überhaupt die ganze didaktische Poesie mit dem Kalender, der kein mathematisches Buch sei, obwohl darin Mathematik vorkommt6). Wer Goethe nicht lesen wolle, soll ihn ruhig lassen und nöthigenfalls ein „Andächtiges Rosen-Gärtelein in gereimbten versiculis“ in die Hand nehmen. Die innigsten und zärtlichsten Ausdrücke der böhmischen Sprache (naš staroušek mily, Nemec Goethe) gebraucht Kamaryt, als er von der Ausgabe der Werke Goethes hört (October 1827), die er auch abonnieren will6). Nur mit Goethes Artikel über die böhmische Literatur war öelakovsky nicht besonders zufrieden, denn er fand darin ttovtix irspi rcavvöv vermengt7). Sehr bezeichnend ist auch, was öelakovsky noch im Jahre 1838 an Chmelensky berichtet: nach vier Jahren gieng er wieder ins deutsche Theater, denn es lockte ihn dahin Goethes „Faust“ oder richtiger Scenen aus demselben, da La Roche ') SKi 121. - s) Smišenć b&snö, 103-104. - ») SL., 93. -<) Ibid. 110. — 6) Ibid. 123. — «) Ibid. 206. - ’) Ibid. 272. den Mephistopheles darstellte. „Eine schöne Schar Goethe-aner war beisammen und darunter Böhmen“ '). Übersetzt hat Oelakovsky aus Goethe nur noch „Die Geschwister“ (erschienen 1827); zuerst suchte er Kamaryt zu bestimmen (1824), er möge die Übersetzung als Beitrag für den Königgrätzer Almanach liefern und das Stück nach dein Muster der Franzosen „Marianua“ betiteln2); als er dann selbst die Arbeit übernahm, gieng er in der Nationalisierung noch weiter und nannte es „Marinka“. Von den Gedichten wollte er in einem Wettkampf mit Kamaryt „den neuen Pausias“ der böhmischen Literatur schenken8). Eine bemerkenswerte Erscheinung wäre unter den Übersetzern des „Faust“ der katholische Priester Kamaryt gewesen, der in seiner Jugend ernstlich daran gedacht haben muss, da er lange im itufe eines Faustübersetzers stand *). Dass er nicht mehr Blüten Goethe’scher Poesie auf seinen heimatlichen Boden verpflanzte, hat seinen Grund darin, dass Übersetzungen aus dem Deutschen bei der damaligen allgemeinen Kenntnis dieser Sprache und der leichten Zugänglichkeit der deutschen Bücher gar nicht als Bedürfnis empfunden wurden, was zum Thoil noch bis heute Geltung hat6). Der wohlthätige Einfluss der Werke Goethes auf den „Nachhall“ russischer und böhmischer Lieder und namentlich auf den Liedercyclus „Bliže stolistä“ unterliegt keinem Zweifel11). Es blieb Celakovsky aus Goethes Briefwechsel mit Schiller nicht verborgen, dass sich auch sein Meister mit dem Gedanken solcher Echos der Lieder verschiedener Völker trug, und er bedauerte sehr, dass dieser Plan nicht zur Ausführung kam7). Wie sehr aber „Piiže stolistä“ unter >) SL., 371. — 2) Ibid. 148. - 3) Ibid. 129. - 4) Ibid. 64, 138. '’) Über die nicht zahlreichen böhmischen Übersetzungen der Werke Goethes handelt A. Kraus (Goethe a Oeohy, 152—197) und gibt eine Übersicht derselben (S. 197—204). 6) Ich kann mir das nähere Eingehen auf diesen Gegenstand, der für sich eine Abhandlung erfordern würde, umsomehr ersparen, als Professor A. Kraus im zweiten Theil seiner Schrift Goethes Einfluss auf die böhmische Literatur zu behandeln versprochen hat. 7) SL., 257. dem Einfluss Goethes, speciell des „Westöstlichen Divans“ und der durch ihn hervorgerufenen orientalischen Dichtung in Deutschland steht, zeigt schon der Nebentitel „Basen a pravda“ (Dichtung und Wahrheit). Wie alle slavischen Dichter, die durch die genannten Muster angeregt wurden, logt allerdings auch Oelakovsky kein orientalisches Costiirn an, sondern feiert ohne Turban und auf heimatlichem Boden die Geliebte und verkündet seine mit nationalem Patriotismus verknüpfte Lebensweisheit ohne Flucht in den Orient, obwohl zuletzt auch er ruft: „Ex Oriente lux!“ (Sieh XCVIII und XOIX.) Etwas schwierig gestaltet sieh der Nachweis des Zusammenhanges mit der deutschen Romantik schon vor dem Erscheinen der Jugendgedichte Celakovskys und Ka-maryts aus ihren eigenen Geständnissen. Hier kommen vor allem die Wiener und Prager romantischen Organe in Betracht, die sie eifrig lasen'). Auch eines Leipziger Blattes wird gedacht3). Von besonderer Wichtigkeit ist auch die bereits charakterisierte böhmische Zeitschrift „Krok“ ; speciell gedenkt Oelakovsky der indischen Studien Jungmanns s). Wie sehr sogar die Deutschthümelei auch in den nationalböhmischen Köpfen Eingang fand, zeigt Kainaryts Verwunderung, dass Oelakovky französisch lernt'1), wobei er ausruft: „0 jo, da wirst Du Dir keinen Charakter aneignen; Englisch, das ist etwas Beständiges, Festes, Finsteres.“ Fouques Durchreise durch Prag wird in einer Weise erwähnt, dass man auf eine besondere Bekanntschaft mit seinen Werken nicht schließen kann *). Bedeutungsvoller ist im Munde Celakovskys das Citat aus Jean Paul0), dass ein wahrer Dichter alles sein könne, nur nicht glücklich, denn er zeigte bald darauf durch seine „Literatura krkonošskA“ (1824) und später namentlich durch „Patrni dopisove nepatrnych osob“ (Bedeutende Correspondenz unbedeutender Menschen, 1830), dass er von dem deutschen Humoristen sehr viel gelernt hat* 7). Wichtig ist auch Celakovskys Klage über die Censur, dass ‘) Vergl. SL., 36, 39, 57, 123, 132, 186, 143 u. s. w. 7) SL., 64. - °) Ibid. 47, 64. - *) Ibid. 62. — '•) Ibid. 98. — ») Ibid. 53. - ’) SS., n, 95-167. sie Müllners „Schuld“, die Prof. Sir, der auch dem jungen romantischen Kreise angehörte, übersetzt hat, nicht zu drucken erlaubte und sich Stoibergs „beliebtes Büchlein über die Liebe“, die der Landpfarrer Kares übersetzt hatte, nicht zu censurieren getraute, sondern es lieber nach Wien sandte1). Beide Freunde lasen das Werk im Original; Celakovsky wählte sich dasselbe zum Gebetbuch und wünschte sich „so fromm, so heilig“ zu sterben wie Stolberg3). Interessant ist es auch, dass Celakovsky sogar in Kosegartens Poesien viele ausgewählte Stücke der Volkspoesie gefunden zu haben meint3). Ein unbestreitbares Verdienst hat die Komantik daran, v dass Petrarca Celakovskys Lieblingsdichter wurde 4). So kommt es, dass gleichzeitig mit Kollar auch Celakovsky von einer unglücklichen Liebe in Sonetten singt. Die Mehrzahl derselben gehört in das Jahr 18206), und Celakovsky konnte sie daher ganz gut mit einigen von Kollar gedichteten, welche die Censur gestrichen hatte, an seinen Freund Kamaryt schicken, dom er auch einige von den seinigen als Kollar gehörig ausgibtu). Bei genauer Erwägung aller Thatsachen kann von einem besonderen Ein- ') SL., 94. Zu diesen Curiositäten sei noch erwähnt, dass sich Celakovsky boiin Druck von Machačeks Declamationsbüchleiu am meisten freute, dass damals (1823) Schillers „Lied von der Glocke“ in der böhmischen Übersetzung ganz durchgelassen wurde. (SL., 48.). Der Druck der „Maria Stuart“ in der Übersetzung Safdfiks wurde jedoch verboten (1821). Das gleiche Schicksal traf Trnkas Volkssagen (vsenarodni povidky). *) Ibid. 90. - ») Ibid. 38. - 0 Ibid. 48, 105, 112. f) In SS., I, 250—2G0, worden acht Sonette in das Jahr 1820 verlegt und nur zwei in das Jahr 1821 (SS., II, 37 — 38). In den „Sinišeno bäsne“ wurden jedoch Nr. 2, 5 und 6 nicht abgedruckt. Erst gegen Ende des Jahres 1820 bekam Öelakovsky einige Sonette Kollars von Jungmann zu hören (SL., 489). 6) SL., 58. Das zweite davon (Vy, jenž trudne iiädra otvirate) druckte Öelakovsky selbst ein Jahr darauf in den „Smišenć bäsne“ (Nr. 3 der Znelky, S. 45) ab, während das zweite, an Kollar und liückerts geharnischte Sonette erinnernde noch heute in denWerken fehlt. Öelakovsky hatte übrigens seine guten Gründe, dasselbe nicht aufzunehmen, denn es sieht einer Parodie auf die genannten Muster sehr ähnlich. Hass der Sonette Kollars auf die Öelakovskys keine Rede sein; auch für Kamaryt, der in demselben Jahre (1821) zur Sonetten - Überschwemmung in der böhmischen Literatur ebenfalls das Seinige beitrug, hat mehr das Beispiel Cela-kovskys als Kollars anregend gewirkt ■). Es ist aber beachtenswert, dass sich Celakovsky nur noch durch die junge deutsche Opernsängerin Comet, als sie als Emeline in der „Schweizerfamilie“ böhmisch sang, zu zwei Sonetten hinreißen ließ (am 29. December 1823)2), denn offenbar konnte er diese künstliche Form für seine nationale Nachdichtung nicht gebrauchen. Dagegen bediente sich sein innigster Freund Chmelensky der Form des Sonettes vom Erscheinen seiner Gedichte (1823) bis zum Tode in besonders ausgiebiger Weise3). Im Jahre 1822 half jedoch auch Celakovsky durch seine „Smišene basne“ stark zur Verbreitung dieser romantischen Form (von 83 Seiten der Originalgedichte fallen acht auf die Sonette) und des romantischen Fühlens und Denkens in Böhmen. Unser Dichter möchte noch in den Zeiten leben, als die Phantasie (mam a ne klam) die Welt regierte, wie ein freier Provensale mit der Harfe von einer Burg zur andern wandern, um den Rittern ihre Feste zu versüßen, einsam um die Burgen herumirren, um bei Mondlicht ein Lied zu singen, dem sein Edelfräulein am Balkon lauschte. Selbst die romantische Ironie fehlt nicht zum Schluss: die Jungfrau gibt ihm einen einladenden Wink, er beeilt sich die Thüre zu öffnen, will sie — doch wozu weiter träumen?4) Traumbilder spielen überhaupt auch bei unserem Romantiker eine große Rolle, und zwar gleich in den beiden folgenden Sonetten. Er hat verschiedene schwere Träume, die sein Inneres verbrennen; einmal sieht er über seinem Grabe einen Olbaum aufblühen, doch das war seine Geliebte im wallenden Gewände, die Trauerblumen auf dem >) Vgl. SL., 68-69. - •) SS., II, 27; SL., 137. ») Vgl. Vybranö spisy, 07-71, 105—110, 118—122, 126-127, 211, 231; sogar die zwölf Monate besingt er in Sonetten (210—219). 4) Smišenć bdsne, 43; SS., I, 258. Grabe pflanzte und es mit ihren Thränen begoss. Während aber der Dichter hier in seiner Aufregung erwacht, lässt er gleich darauf, als er den alten Fabeln der Vernünftler zum Trotz die Liebe über das Grab hinaus besingt, unsere Phantasiebilder irr die himmlischen Sphären Einzug halten, denn das Herz, das diesen herrlichen Tempel niedorreillt, kann sie auch in tausendfacher Pracht wiederherstellen. Die Geliebte ist dom Dichter eine Heilige *), und als solche findet er sie auch im Anschluss an Petrarca in der Kirche, als das Sacrament vom heiligen Grabe getragen wird (Son. 1). Zu diesem Gottvertrauen und zu dieser Mystik sammt Verherrlichung des katholischen Gottesdienstes tritt aber noch die Sehnsucht nach dem Ideal und der Schönheit hinzu (Ideal a Krasa! naše heslo). Wie sehr dieser Kunstidealismus (sieh auch: Na zahrade) der Romantik abgelauscht war, deutete Celakovsky später selbst an, indem er Ideal mit — Slavien ersetzte 2), was zum Inhalt des ganzen Sonetts gar nicht passt. Auch Kamaryt singt das hohe Lied des Schönheitsideals 3), das bei ihm noch mehr in die himmlischen Sphären gerückt wird; seine Geliebte kann natürlich nur eine Genossin der Seraphims sein l); auch er schwelgt in Träumenr’) und eifert besonders gegen die kalten Verstandesmenschen in echt romantischer Weiseu): „Necht se mudräk snüm a snAfi zasmojo, Sen s jinochem ples a ružemi, Rajo nebes kouzli na zemi, Procitno — a bolna krev jej proleje. Sen mu perl! u drähu kvetnou naseje, Ocarnymi jasa slnoini.“ Bei Kamaryt tritt sogar ein weiteres Motiv hinzu: die •) Sm. b., 48; SS , I, 257. - *) SS., I, 259. 3) Sehr. Bilsne, 134,136,138,139. - fl Ibid. 140. - '■) Ibid. 134,136. 6) Ibid. 136. In wörtlicher Übersetzung: „Möge derjenige, der sich weise dünkt, über Träume und den Träumer lachen, der Traum mit dem Jüngling in Gestalt von Rosen tanzend zaubert ein himmlisches Paradies auf Erden hervor; erwacht er, so durchdringt ihn kaltes Blut. Der Traum streut ihm Perlen auf den Blütenwog . . .“ romantische Verehrung der Ruinen und Burgen bei Mondschein '), welcher die Freunde in Budweis auch in Wirklichkeit gehuldigt hatten 2). Unter den übrigen Gedichten ist recht romantisch „Main“ (aus dem Jahre 1819), namentlich der Anfang und Schluss3), die, etwas ins Düstere umgesetzt, auch bei Mickiewicz Vorkommen könnten: „Jake klamy, jake mamy! Kräsno üervänkove mamy! Rožmarina opadala, A na holem pahorečku V noci plamenek se rozžal. Modry tarn plamenek sviti, Jako klamy, jake mamy!“ Zum Verständnis der neuen Schule müssen wir aber den Entwicklungsgang Celakovskys und seiner Freunde noch weiter verfolgen, wobei wir allerdings mit dem Tode Ka-maryts (1833) so ziemlich abschließen können, denn um diese Zeit war der literarische Charakter Celakovskys schon vollendet, da ja der „Nachhall böhmischer Lieder“ und selbst „Riiže stolistä“ schon um diese Zeit concipiert und auch ziemlich ausgeführt waren. Vor allem müssen wir diejenigen deutschen romantischen Schriftsteller nennen, deren Lectüre wir direct con-statieren können. So ist in der Correspondenz von einer „Rüze“ die Rede, was natürlich nur „Die bezauberte Rose“ von E. Schulze sein kann. Celakovsky interessierte sie sehr, namentlich der dritte Gesang; der Inhalt des Gedichtes sei zwar sehr einfach, aber die cultivierte und poetische Sprache, die Bilder etc. seien unvergleichlich4). Dass das ') Ibid. 135, 137. - a) SL., 113. a) Sehr. Basne, 142—143. In wörtlicher Übersetzung: „Welcher Trug, welcher Schein (im Original Plurale)! Schöner rother Schein! . . . Rosmarin fiel herab, und auf dem nackten Hügel entzündete sich in der Nacht eine kleine Flamme; ein blaues Flämmchen leuchtet dort, welcher Trug, welcher Schein!“ ■*) SL., 188. „Die bezauberte Rose“ wurde dann auch ins Böhmische übersetzt (Jos. Kačer, Arnošta Sulce Okouzlona ruže, ve Vra-tislavi 1840, vyd. Purkyno) und erfreute sich lange einer ähnlichen beliebte "Werk auch an öelakovskys „Rfiže stolistä“ seinen Antheil hat, ist schon ans dem Namen klar. Auch unser Dichter findet eine Rose, die ihm aus einem zaubervollen Strauch entgegenlächelt und sein Herz zur Frage drängt: „Ist das eine Knospe oder eine entwickelte Rose? Halb schlummert sie in ihrer Schönheit, halb schimmert das Leben durch.“ Doch auch da offenbart sich der zum Realismus hinneigende Slave, der zwar viel „in Rosen wacht und träumt“ (V ružich bdim i snim), aber nicht in die goldene Märchenwelt flüchtet, sondern gleich zu seiner irdischen „Muse und Grazie“ l), die dann seine Lebensgefährtin wurde, übergeht. Fouques „Undine“ scheint nun auch zuerst von Ka-maryt entdeckt worden zu sein (1828), der seinem Freunde darüber schreibt: „Das ist eine allerliebste Erzählung; nur ihretwegen könnte ich diesen Deutschen lieben! Ich hätte mir nie gedacht, dass mir diese Dichtungsart so gefallen wird, ich war bei der Lectüre der „Undine“ ganz im Blütenalter — in der Kindheit; wie schön ließe sich auch im Böhmischen in diesem Kleide dichten, und wie würde das unser Publicum interessieren. In dieses Zauberkleid könnten viel besser als in jedes andere allerlei Wahrheiten, für die es sonst nicht rathsam ist, ohne eine Verhüllung ans Licht zu treten, eingehüllt werden “ Bruncvik (der ins Böhmische umgesetzte Herzog von Braunschweig!), der nach der Meinung vieler den Georg von Podiebrad bedeuten soll, Li-buSa u. a. könnten in ähnlicher Weise bearbeitet werden. Besonders wichtig ist aber ein Zeugnis, welches beweist, dass Gelakovsky, bei dem wir die Grabesmystik schon in seinen Sonetten fanden und sie später in auffallender Weise noch in seinem Leben kennen lernen werden, auch die ältere Romantik und speciell Novalis kannte. Als er eine Allegorie Kamaryts nicht verstanden hatte und sich darüber Beliebtheit wie anderswo, so dass ein moderner Realist wie Machar in seiner „Magdalena“ dieselbe mit Recht als Typus für die romantische Lectüre der kleinstädtischen Spießbürgerinnen vorführt. *) SS., I, 3-6. — 2) SL., 218. ärgerte, fielen ihm Novalis Worte ein (im Jahre 1825): „Man versteht das Künstliche gewöhnlich besser, als das Natürliche. Es gehört mehr Geist zum Einfachen, als zum Complicierten, aber weniger Talent“ (Ließe sich das nicht auch an die Volkslieder an wenden? fragt Celakovsky); „an anderer Stelle“ fand er bei ihm: „Um das Gemeine mit der Kraft und mit der Leichtigkeit zu behalten, aus der die Anmuth entspringt, muss man nichts sonderbar finden, als das Gemeine und Sinn fürs Sonderbare haben, viel darin suchen und ahnden“ 1). Als Kamaryt seinen Besitz an dramatischen Werken vermehren will, erfahren wir, dass er die in Prag mit sensationellem Erfolge2) gespielte „Schuld“ von Müllner und „Das Bild“ von Hon wald besaß3). Neben den Sc h i cks al s d r am a-tikern interessierte Kamaryt auch Stoiberg, von dessen Schriften er Colakovsky gegenüber schwärmt und sie ihm zur Lectüre empfiehlt, obwohl seine Kirchengeschichte eine strenge Kritik nicht aushalte; was jedoch die Anmuth seiner Lectüre und die Erweckung frommer Gefühle anbelangt, so sei er sein Liebling4). Celakovsky theilt in der That seine Begeisterung und bittet sich jetzt von ihm den ganzen Stolberg aus6). Hebels Allemannische Gedichte liest dagegen zuerst Colakovsky und empfiehlt sie seinem geistlichen Freunde auf dem Lande zur Nachahmung mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass auch dieser Dichter ein Seelenhirt war und durch seine populären Schriften einen großen Ruhm erntete °). Wichtig ist auch ein negatives Zeugnis: Celakovsky räth seinem Freunde entschieden ab, Tiedges „Urania“ zu übersetzen, da ein Lehrgedicht im Böhmischen verlieren würde und er überhaupt entschieden gegen solche Halbwerke eingenommen ist, die weder Gedichte noch Philosophie sind; der Mühe einer Übersetzung sei etwas „Anmuthigeres und Nützlicheres“ wert, wobei er seine Aufmerksamkeit noch einmal auf Bürger lenkt7). * III, ') SL., 172. — 2) O. Teuber, Geschichte des Prager Theaters, III, 49. — ») SL., 244. - i) Ihid. 222, 224. — "l Tbid. 229. — «) Ibid. 295. — ’) Ihid. 199. Der romantische Geschmack war auch im Prager Theater vorherrschend, das sich um diese Zeit eines bedeutenden Rufes erfreute, so dass die Beherrscher des Repertoires, Houwald, Tieck, Töpfer u. s. w. Prag stets einen gewissen Vorrang vor vielen der ersten Bühnen Deutschlands einräumten'). Die ganze Richtung charakterisieren genügend die beiden ersten Namen, ebenso Grillparzers sofort schlecht ins Böhmische übersetzte „Ahnfrau“a) und „Das Leben ein Traum“. Namentlich in der Oper „wimmelte es von Verwandlungen der Scenen und Personen, von Gnomen, Elfen, Kobolden, Bären, Ungeheuern, Waldmännchen, Bauern, Rittern, Knappen, Mönchen, Gespenstern und steinernen, schlafenden, geraubten, entflohenen, verkleideten und verzauberten Jungfrauen. Einen Decorationsmaler, der sich mit den ersten seiner Zeit messen konnte, besaß das Prager Theater damals an Antonio Sacchetti 3)u. Unter den aufgeführten Opern verdient besondere Erwähnung „Libussa“ von Conradin Kreutzer (1823)4), der diesen Stoff also schon lange vor Smetana aufgegriffen hatte. Nach ITol-beins Rücktritt (1824) schlug das Schauspieler-Triumvirat l'olawsky, Kainz, Stepanek keine neuen Wege ein; es kamen nur noch böhmisch-patriotische Stücke, wie H. E. Ebert s historisches Schauspiel „Bretislaw und Jutta“ und W. A. Gerles Trauerspiel „Jaromir und Udalrich“ mit dem Vorspiel „Der Wrssowecen (d. i. Vršovecen) Rache“, die ‘) 0. Teuber, Geschichte des Prager Theaters, III, 49. *) Öelakovsky berichtet das erstemal (21. August 1824), dass Grillparzers „Jungfrau“ (!) im Herbst auch böhmisch gespielt werden soll (SL., 1(14) und meldet bald darauf das Erscheinen einer schlechten Übersetzung der „Ahnfrau“ (SL., Iß7). Grillparzer verdarb es sich aber begreiflicherweise, als sein „Ottokar“ erschien, auch mit Oela-kovsky. Er nennt ihn einen „schändlichen Dichterling“, der schändlich vom böhmischen Volk spricht; in Prag werde viel davon gesprochen, ja selbst die Stände fühlen sich beleidigt (SL., 175). In einem Aufsatz über Kollars „Sh'ivy Dcera“ sollte er constatieren, dass ein Sonett auf Grillparzer beruht, aber er nennt nicht den „Dichter, dessen Namen auszusprechon einem böhmischen Munde schwer fällt und eine Schmach ist“ (SS., IV, 379). 3) O. Teuber, o. c., III, 00. — 4) Ibid. 119. das außerhalb Prag wohnende Publicum nicht bloß aus den Recensionen sondern in Bruchstücken auch aus der „Monatschrift des vaterländischen Museums“ (1828, S. 379 ff., 1827, Aug.) kannte, dann Raimunds Zaubermärchen und Melodramen hinzu. In diese Periode fällt nun auch die eigentliche Geburtsstunde des modernen böhmischen Theaters, speciell der Oper. Die bis dahin nur von Dilettanten gegebenen Sonntags-vorstellungen, die im ständischen Theater seit 1804 zeitweise nur geduldet oder ganz eingestellt wurdenl), waren in der That doch nur den niedrigsten Kreisen angepasst, mit deren Geschmack und Bedürfnissen sie auch rechnen mussten. Jetzt war aber eine der wichtigsten Neuerungen des genannten Triumvirats die Durchführung der schon vom Brünner Director Schmidt, mit dem sich die Verhandlungen zerschlagen hatten, gestellten Forderung, dass regelmäßige Sonntagsvorstellungen in böhmischer Sprache gegeben werden sollten. Einer der Triumvirn der Theaterleitung, Stepänek, der in seiner Eigenschaft als Theatercassior und Secretär mit den Künstlerkreisen ganz Deutschlands Beziehungen unterhielt, hatte sich schon früher durch seine Wirksamkeit für die Dilettantentheater ausgezeichnet und entfaltete eine unglaubliche Thätigkeit als Übersetzer und Autor. Doch bemerkt man in seiner Thätigkeit vor allem den Praktiker, der alles Mögliche bietet, und namentlich, wie Teuber richtig sagt, an Kotzebue einer- und an Raupach anderseits haftet. Eine ganz romantische Richtung ist jedoch in Lin das Trauer-spiel „Jaroslav“, das dem Grafen Caspar Sternberg gewidmet wara), und in den Werken Kli cp er as undTyls, dieser Stützen des jungen böhmischen Theaters, vertreten. Besonders Tyls Leistungen müssten im Zusammenhang mit dem Romantismus beurtheilt werden. Oelakovsky interessierte sich namentlich für die Oper, ') Die Begrenzung dieser Zeitabschnitte bei O. Teuber (Geschichte des Prager Theaters, III) und K. Kadlec (J. Ladockf, PK-spevky k d&jfnäm českeho divadla, 8—9) stimmt nicht überein. 'Ü Oelakovsky, SL., 121. in der sich die junge böhmische Romantik gleich an die höchsten Leistungen heranwagte. Es lobte noch Dobrovsky, der die böhmischen Possen und Lustspiele nur denjenigen seiner Landslento gönnen wollte, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, und konnte jetzt von den Vorstellungen der berühmtesten Opern (Don Juan, Zauberflöte, Barbier von Sevilla, Othello, Zauberschütz)1) in böhmischer Sprache hören, zu denen sich auch die Deutschen, wirkliche und scheinbare, herandrängten. Der Beifall, mit dem sie auch den böhmischen Gesang ihrer Lieblinge begleiteten, war doch nicht bloß von einem „wohlwollenden Lächeln“ begleitet, wie Teubor meint, sondern wie viele Sänger auf einmal über ihre Durchschnittsleistungen hinauswuchsen, weil sie in ihrer Muttersprache auch vom Herzen sangen 2), so regten sich auch bei vielen Zuschauern, die als Deutsche galten oder sich sogar als solche fühlten, die in den Tiefen ihrer Seele ruhenden Gefühle, als sie die ihnen vertrauten Laute ihrer eigenen Muttersprache oder der ihrer Vorfahren singen hörten. Der bei den Sängern und Zuschauern geweckte Enthusiasmus mag auch viel dazu beigetragen haben, dass wirklich sogar Leute, die nicht böhmisch verstanden, die böhmischen Opernvorstellungen besuchten und meinten, diese seien sogar besser als die deutschen3). Manche Oper soll in böhmischer Sprache so gut gegeben worden sein, wie sie die Deutschen in ihrer Sprache nie gehört hatten (z. B. „Der Wasserträger“ und „Josef“)4). Wie überhaupt das Interesse und die Unbefangenheit für die Schönheit einer anderen Sprache auch im Geiste der damaligen wirklichen Deutschen war, zeigt nicht bloß das begeisterte Lob der böhmischen Opernvorstellungen in Bäuerles „Theaterzeitung“ (1826), sondern namentlich das Verhalten berühmter deutscher Künstler, die sich mit großer Mühe eine gute Aussprache des Böhmischen anzueignen * 9 ') Öelakovsy, SL., 121, 127, 174, 177 u. s. w.; Chmelensky, Vy-brane spisy, 275, 800—303. 9) O. Teuber, O. c., III, 18G. — "l čelakovsk^, SL., 184. Palacky-, ČUM. 1870, 382. — 4) Chmelensky-, Vybranö spisy, 271. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 7 suchten und von dein Jubel, der ihnen dafür entgegenschallte, besonders beglückt waren. Der erste Tenorist. Binder, ein gebürtiger Wiener, sang den Roderigo in Rossinis „Othello“ nach dem Zeugnis Celakovskys ’) so gut, dass man nur hie und da und schwer bemerken konnte, dass er ein Deutscher war. Binder war früher ein „großer Verächter und Gegner“ der Böhmen, konnte sich aber jetzt über die böhmische Sprache und ihre Anmuth im Gesänge nicht genug wundern. Aus einem Saulus wurde er Paulus und verkündete in allen Kaffeehäusern und Versammlungen, wie ausgezeichnet sich die böhmische Sprache singen lasse, so dass er sie mit der italienischen in eine Reihe stellte. Machacek, der die Übersetzung der ersten in böhmischer Sprache (am 28. December 1823) aufgeführten Oper2), der „Schweizorfamilie“ (nationalisiert als „Tatranskä rodina“) von Weigl, und des „Freischütz“, der „neuen Oper aus der Wiener Fabrik“, von Weber horsteilte und überhaupt nicht genug Opern übersetzen konntes), war sein begeisterter Lehrer. Celakovsky selbst aber gab Lectionen einem Liebling des Theaterpublicums, der jungen Sängerin Kati Oomet, die er enthusiastisch verehrte; als Emeline in der „Schweizerfamilie“ riss sie ihn so zu Thränen hin, dass sein Logennachbar ernstlich um ihn besorgt war und ihn fragte, was ihm geschehen sei. Noch zu Hause machte er seinen Gefühlen in den beiden bereits genannten Sonetten Luft *). Ein besonderer Gönner und Förderer des böhmischen Theaters war auch Celakovskys Freund Chmolensky, der sich als trefflicher Kritikerr’) auszoichnete und auch den Text zur ersten, noch heute zur Darstellung gelangenden Original-Oper „Dratenik“ (aufgeführt 1825) schrieb. Das Interesse für böhmische Opernvorstollungen war plötzlich so gestiegen, dass es neben der Gesellschaft Stepäneks, die sich meist * 4 ') SL., 184. — a) Chmolensky, Vybrano spisy, 300. Öelakovsky, SL., 121,127. Don „Freischütz“ soll nach Toubor (139) auch iStöpänek übersetzt haben. 4) SL., 140—141, 137. — f') Sieh Vybrane spisy, 209—330. — ,;) Öelakovsky, SL., 184. aus den Mitgliedern des ständischen Theaters recrutierte noch eine zweite, aus Dilettanten bestehende gab (1824), deren Dichter Machdček war '). Dass sich Celakovsky und Kamaryt für die Prager deutschen Dichter interessierten, welche nationale böhmische Stoffe in romantischer Weise in epischen Dichtungen bearbeiteten, beweist die gelegentliche Anfrage Kamaryts, ob Eberts „Mädchenkrieg“ des Ankaufes wert sei“), und Gela-kovskys große Freude an der gelungenen Romanze „Der Rosmarin“ in „altböhmischer“ (d. i. der Königinhofer Handschrift) Manier3), die er seinem Freunde aus der Zeitschrift „Kranz“ zum großen Thoil sogar abschrieb. Natürlich wurden sie auch mit K. E. Eberts „böhmisch-nationalem Heldengedicht Wlasta“ und mit seinen übrigen epischen Beiträgen in der „Monatschrift des vaterländischen Museums“ 4), sowie mit denen von Anton Müller6), J. A. Zimmer-m a n n (i) und W. A. S w o b o d a 7), der als Originaldichter den Deutschen angehört, bekannt. Das Verhältnis. Öela-kovskys zu Müller und zu Josef Wonzig, der in demselben Organ sofort mit Übersetzungen aus Oelakovskys Volksliedern und aus seinen und Kollars Dichtungen auftrat, gestaltete sich so innig, dass selbst Kamaryt an dieser Freundschaft theilnimmt, beide grüßt und Wonzig wegen seiner gelungenen Übersetzungen schon ganz zu den „Uns-rigen“ rechnet8). ') Čolakovskf, SL., 156. — 3) Ibid. 244. s) Ibid. 143 Daraus zu schließen, dass K. E. Ebert der erste zu sein scheint, der an der Echtheit der Königinhofer Handschrift zweifelte (Kraus, Goethe a Uechy, 148), ist nach meiner Ansicht verfehlt. *) Bruchstücke der „Wlasta“ eröffnen die poetischen Beiträge des ersten Jahrganges. Vision am Wyssehrad (1827, Juli), Veste Karlstein (1828, Jänner). Eine ausführliche Besprechung der „Wlasta“ steht im Jahrgang 1821), S. 256, ff. s) Horimir und sein Ross Šemik (1827, Jänner), Kassa (d. i. Kaša) und Biwoi (Octoher), Noklan und Wlaslaw (1828, Mai). Wichtig ist auch Müllers Besprechung der „Dichtungen“ Eberts (1828). “) Der heil. Lidmila Marienbild (1828). ’) König Wenzel im Fürstenrath zu Regensburg (1827, September) u. ö. — 8) SL., 263. 7* * Die Ausbeute an documentarisohen Belegen aus der sonst so reichlich fließenden Oorrespondenz Öelakovskys und Kamaryts ist übrigens für unsere Zwecke nicht besonders groß. Man möchte doch mehr Beweise für directe Einflüsse der romantischen Kreise aus dem nahen Dresden und Berlin erwarten. Für das Schweigen bezüglich Uhlands und der schwäbischen Schule, die namentlich den kleineren slavischen Literaturen so recht zum Herzen sprechen musste, kann uns doch das Zeugnis Öelakovskys über Hebels „Alemannische Gedichte“ entschädigen, denn man kann nicht annehmen, dass aus Schwaben bloß von ihnen die Kunde nach Böhmen gekommen sei. Auch die nicht besonders häufige Erwähnung der Wiener Journale und Almanache finde ich nicht so auffällig, denn Oelakovsky konnte sie immer in Prag sehen, Kamaryt verkehrte aber auch mit den deutschen Kreisen in rmd um Tabor, die sogar ihren Leseverein hatten. Dass sich namentlich Oelakovsky für die Wiener Journale nicht bloß dann interessierte, wenn Dobrovsky eine gepfefferte Kritik gegen Jungmann und Hanka ') dahinschickte, ist selbstverständlich. Beachtenswert ist das kritische Maß, das Oelakovsky auch an das Lob der Böhmen in deutschen Organen anlegte. So war er geradezu entrüstet über seinen Landsmann Sedläöek, weil er im Wiener „Neuen Archiv“ (1830, Jänner) einen überschwänglichen Artikel über die böhmische Literatur dos Jahres 1829 brachte2). Besondere Frende bereitete ihm aber Hormayrs Almanach für das Jahr 1830, in dem er einen kühnen Artikel gegen die Unterdrückung der böhmischen Nationalität und Sprache fand 3); die Abschrift einer Stelle desselben sollte auch Kamaryt bekommen. Nichtsdestoweniger spricht das ganze Wesen der neuen Schule für ihren innigen Zusammenhang mit der deutschen Romantik. Yor allem zeigt das ihre Weltanschauung. Oelakovsky ruft: „Was ist der menschliche Verstand — das Herz überwindet ihn mit einem Hauch, ja bläst ihn weg!“4) Kamaryt ist seines Herzens noch im Jahre 1830 ') Vgl. SL., 166, 163, 170. — 3) Ibid. 264. - “) Ibid 258. — 4) Ibid. 278. nicht sicher, weint oft in der Einsamkeit deshalb, weil ihn Gott mit so zarten Gefühlen ausgestattet habe, aber er preist ihn deswegen doch immer wieder und ist ihm dafür dankbar. „Ja, der Verstand! Uber den Menschen kommen manchmal Momente und Situationen, dass ein zehnfacher Verstand (deset rozumü) einem einzigen kleinen Herzlein nicht widerstehen kann“ ')• Eine besondere Herzenswärme und Gefühls-schwärmerei äußerte sich nicht nur in dem ganzen Verkehr zwischen den drei Freunden Oelakovsky, Kamaryt und Chmelensky, sondern die beiden ersten liebten auch mit wahrer Glut eine beliebte, schriftstellernde* 2) Nonne, die Elisabethinerin Maria Antonia3) (1780—-1831, also eine hohe Vierzigerin), Oelakovsky in der Nähe, Kamaryt aus der Ferne (küsst sie sogar!)4), und werden von ihr ebenso innig und zärtlich geliebt; sie ist allerdings besorgt, dass sie zwischen die beiden Freunde einen Misston bringen könnte, aber diese sind über solche Eifersucht schon erhaben. Ihre Liebe und besondere Verehrung gehörte aber eigentlich doch nur Oelakovsky ; als er ihr seine Berufung nach Kussland mittheilte, musste er ihr infolge ihrer großen Bestürzung sofort versprechen, nie wieder davon zu reden, bis er nicht Abschied nehmen kommt5). Nach ihrem Tode möchte der bereits im 33. Lebensjahre stehende Oelakovsky, obwohl er in ganz unsicheren und schlechten Verhältnissen lebte, doch auch schon deshalb im Vaterlande bleiben, damit er „an der Seite der theueren Antonia sein Leben verbringen könnte“ “). Man sieht, dass er nicht umsonst Novalis’ Sophienlieder gelesen hatte. Es ist daher auch falsch, wenn Fr. Bily in seiner Biographie Oelakovskys meint, dieser habe es Kamaryt allein überlassen, Maria Antonia zu lieben 7), und überhaupt eine seichte Auffassung dieses wahren Seelenbundes mit mystischem Hintergründe verräth. ') SL„ 271). - ») Ibid. 243, 520. a) Ygl. namentlich SL., 249-250, 253, 202, 276, 278-279, 285, 291-^292. Ihre Briefe an Oelakovsky sind ebendaselbst (521—537) veröffentlicht. 4) SL., 278, 282. — ») Ibid 204. - «) Ibid. 300,- ’) SS., 4, 535. Der Laie Celakovsky ist auch entsetzt über den Unglauben und die Freigeisterei gewisser Beamtenkreise ') und sclireibt schon in seinem 23. Lebensjahre nach der Lectüre von L. Volneys „Les Ruines, ou Meditations sur les revo-lutions dos empires“ 3): „Ich gestehe, dass ich, wenn ich das Buch vor einigen Jahren gelesen hätte, auch so gedacht haben würde, aber jetzt nicht, und niemals; dabei muss ich hervorheben, dass dieses Buch viel zur französischen Revolution beigetragen hat . . . Da gefällt mir ein anderer Franzose (ich meine Rousseau), mit dem ich mir jetzt die Abende verkürze, viel mehr, wenigstens finde ich nichts gegen die Religion (obgleich genug gegen das Papstthum), und icli bewundere sehr seinen Gleist, auch seine Lebensanschauung ist etwas Wunderbares.“ Die Secte der böhmischen Adamiten missfiel ihm ganz und gar, weil er in ihrem Glauben bloßen Deismus •,)) fand. Am Allerseelentag des Jahres 1828 machte der katholische Gottesdienst auf ihn einen solchen Eindruck, dass seiner betäubten Extase nicht einmal die Thränen eine Erleichterung brachten und er sich nur den Tod wünschte 4). Celakovsky hol es daher gewiss nicht schwer, für einige Zeit als Subredacteur und Corrector des Organes der katholischen Geistlichkeit zu wirken und dos heil. Augustinus umfangreiches Werk „De civitate Dei“ zur Freude derselben zu übersetzen. Kamaryt konnte ihm daher auch im Ernst den Rath eines Pfarrers wiederholen, zwei Jahre Theologie zu studieren und Abbe zu werden wie Dobrovskyr’). Ebenso stand seine in die Mannesjahre fällende Freundschaft mit dem erzbischöflichen Ceremouiarius und Geheimsecretär K. A. Vinaficky (1803—1869), der ihm den früh verstorbenen Kamaryt auch als Correspondent,!) ersetzte, mit seinem ganzem Wesen im vollen Einklänge. Selbstverständlich fand * 6 ') SL., 118. - 3) Ibid. 102-103. — 0) Ibid. 130. - <) Ibid. 197. 6) Ibid. 2B1. °) Sioli die Briefe aus den Jahren 1831—1850 in SL., 378—518. Vinaficky war seit 1833 Pfarrer in Kovan nächst Jungbunzlau, seit 1849 Dechant in Teyn an der Moldau und machte sich namentlich als pädagogischer Schriftsteller bemerkbar, so dass er 1863 in den Unterrichtsrath nach Wien berufen wurde. lOB aber der Verehrer Goethes auch die bittersten Worte gegen jeden pf'äffischen Zelotismus ^ und war speciell den Jesuiten abgeneigta). Natürlich musste bei den Jugendfreunden namentlich Josef II. sehr schlecht davonkominen. Als Kamaryt mit der beabsichtigten Widmung seiner geistlichen Volkslieder beim Budweiser Bischof die bereits erwähnten, allerdings unglaublich scheinenden Erfahrungen gemacht hatte, glaubte Cela-kovsky zuerst, sein Freund habe sich durch die Mittheilung derselben mit ihm einen Scherz erlaubt, aber zuletzt traut er „dem Mann aus den verfluchten Zeiten Josefs“ alles zu. Groß ist auch die Freude Kamaryts, als der Engländer Bo wring, der bekannte Herausgeber der „Oheskian anthology“ (1832), auch über Josef II. Germanisationsbe-strebungeu streng aburtheilte, und er erinnert sich gleich, wie auch Herder in den Humanitätsbriefen sich in ähnlicher Weise geäußert hat. „Wie schreibt dieser Deutsche über die Slaven!“ ruft auch er aus3 4). Derselben Freude an Bowrings Ausfallen gegen Josef II. Germanisationsbestre-bungen gibt auch Celakovsky Ausdruck *). Welcher Unterschied besteht also zwischen dem Freundeskreis Celakovskys und Dobrovsky, der mit dem slavi-schen „Um“ (Verstand) die Welt erleuchten wollte und in jeder Hinsicht ein ausgesprochener Josefiner blieb! Nicht gering ist aber auch der Abstand von Jungmann, obwohl die jüngere Generation zu ihm als „Väterchen“ (russ. ba-fuska) emporblickte. Dieser betet noch in seinen alten Tagen Voltaire nach: „Ich glaube nicht an den Teufel, aber ich bin froh, dass mein Schneider an ihn glaubt, wenigstens bestiehlt er mich nicht. Mundus vult decipi . . .“6). Wer gegen Voltaire ankämpft, bekämpfe die gesunde Philosophie, den gesunden Geschmack und den menschlichen Verstand. Diesem unvergleichlichen Schriftsteller komme bei den Deutschen an Esprit nur Wieland nahe. Seiner Gegnerschaft gegen die romantische Poesie, namentlich gegen ihre Ver- ') Vgl. SL., 212. - 3) ibid. 177 u. ö. — a) Ibid. 219-220. - 4) Ibid. 216, — 6) J. Jungmonn, Zilbisky, 10—11. Wertung des Gespensterglaubens, ist schon ausführlich gedacht worden. Wie verträgt sich damit üelakovskys religiöse Gläubigkeit, sein Kampf für die Rechte des Herzens und der Natur, seine Verehrung Rousseaus, seine Begeisterung für den „Zauberer“ Shakespeare und für die Romantik, wo immer er sie fand, seine Einführung der Hexen und Gespenster in die böhmische Kunstpoesie! Und damit auch der Gegensatz gegen Wieland ja nicht fehle, können wir direct darauf hinweisen, dass Gelakovsky mit Bedauern von einem durch Prag durchreisenden Russen die Kunde erhält (1828), Puškin habe etwa eine Richtung ä la Wieland eingeschlagen'). Mit den Rechten des Herzens stehen für Gelakovsky und seine Freunde natürlich auch die der Phantasie in einer Reihe. Von den von Chmelensky übersetzten Sonetten Mickiewiczs ist Gelakovsky namentlich deshalb entzückt, weil sie in Bezug auf Phantasie und Farbenpracht die Kollars übertreffen 2). Spanische Gedichte, die ihm Kamaryt in einer offenbar deutschen Übersetzung zusendet (Jänner 1825), gefallen ihm namentlich deshalb über alle Maßen, weil darin lauter Lilien- und Veilchengoruch herrsche, und das Gefühl, das sie im Herzen hervorrufen, demjenigen ähnlich sei, das uns beim Anblick einer schön gemalten Madonna so wohl thut8). Überhaupt steht damit im innigsten Zusammenhänge die von der deutschen Romantik vermittelte, ausgesprochene Vorliebe für die Spanier, von denen sich die Freunde namentlich für Calderon, „den spanischen Shakespeare“ und für Cervantes, bei dom sie bedauern, dass er nicht mehr geschrieben habe, begeistern4). Nicht minder bildet die orientalische Dichtung den Gegenstand ihres Wohl-gefallens. Gelakovsky ist allerdings bis zum Jahre 1826 zu seinem Bedauern davon wenig in die Hand gekommen, außer den Nachdichtungen Herders nur noch einige Gaselen Hafis’ in polnischer Übersetzung und Goethes „Westöstlicher Divan“ ; Kamaryt besaß noch einen „Araber“, den er sich von ') SL., 228. - *) Ibid. 22G. - ») Ibid. 1G9. - *) Ibid. 184, 261. ihm erbat1), während dieser die Sakontala zu haben wünschte2). Später übersetzte Celakovsky einige spanische Erzählungen 3), türkische Sprichwörter4) und Krasinskis Agaj-Chan5). AVie weit diese Begeisterung für den Orient auch unter den Böhmen gierig, zeigt die Erwähnung Votypkas, der fleißig Arabisch und Türkisch lernte, um aus diesen Sprachen übersetzen zu können6). Ilire größten Lieblinge sind aber Shakespeare und Walter Scott. Zuerst lasen sie dieselben auch in deutschen Übersetzungen. Celakovsky abonniert noch irn Jahre 1825 die Wiener Ausgabe der Werke Scotts7), aber er lernt bald die englische Sprache, um den „unvergleichlichen“ Shakespeare im Original lesen zu können, obwohl sie ihm ziemlich ungehobelt (neohrabany dosti) vorkommt8), und findet auch bei seinem Freunde Nachahmung“). Auch eine bedeutende Übersetzung lieferte Celakovsky, indem er der böhmischen Literatur „Panua jezerni“10) (Lady of the Lake) einfügte (1828), und er träumte davon, wie sich Walter Scott’sche Romane bei den Polen, Russen und Serben aus den letzten zwei Jahrhunderten schreiben ließen11); im Zusammenhang damit stehen auch einige seiner Anfragen über das böhmische Volksthum im vorigen Jahrhundert, was wohl den Beweis liefert, dass er selber an einen solchen böhmischen Roman dachte. Kamaryt versichert uns aber trotz allen kleinen Fehlern und Sticheleien Scotts gegen die Geistlichkeit, dass derjenige nie sein Freund sein könnte, der über Scott schimpfte12); er ist ihm lieber als alle deutschen und französischen Romanschriftsteller zusammen. Aus der ganzen Haltung der Freunde ist ebenfalls im Anschluss an die deutsche Romantik auch eine directe Ablehnung der Franzosen zu erklären, zu der sich Celakovsky13) und Kamaryt14) offen bekennen. Kamaryt ist aber im Verein mit vielen seiner Landsleute ebenso „derdeut- ■) SL., 187, 188. - Ibid. 243. - ») SS., IV, 1G8-1S7. -4) Ibid. 286—264. - s) Ibid. IH, 3-14B. - *>) SL., 177. - ’) Ibid. 181. -s) Ibid. 20!), 211. - ») Ibid. 207. - 10) SS., IV, 1-139. - ») SL., 182. -’■-') Ibid. 232. - •») Ibid. 184. - ») Ibid 232, sehen. Formen und Geräusche“, welche die Böhmen solange in ihrer Entwicklung aufgehalten haben, satt, wie „schon längst die Deutschen der französischen Lieder und Witzeleien überdrüssig geworden sind“, und verlangt eine vom Nationalgeist getragene Epik, Lyrik und Dramatik. Öelakovsky geht in der Gegnerschaft gegen das Deutsche noch weiter. Er freut sich, als die Deutschen in Prag ihr „Kränzlein“ (d. i. die Zeitschrift „Kranz“) verloren, ist lange auf Palacky, mit dem er später sehr harmonierte, und auf Dobrovsky trotz aller Achtung für ihn schlecht zu sprechen, weil sie deutsch schrieben *), erklärt sich überhaupt gegen die Herausgabe der deutschen Mu-seums-Zeitschrift2) und findet namentlich die beabsichtigte Programmänderung derselben lächerlich, welcher zufolge das böhmische Museum für Schriften zu sorgen hätte, die auf die ganze österreichische Monarchie wirken würdena). Wie die deutsche Museums-Zeitschrift zugrunde gegangen ist, so soll es überhaupt allem Germanisieren (neuiecteni) ergehen4); ja in Prag dachten viele schon nach den ersten Erfolgen der böhmischen Oper sogar daran, im Laufe der Zeit die deutsche ganz entbehrlich zu machen* 6). Kamaryt erzählt in seinem letzten Schreiben (2'2. Oetobor 1832) auch schon, dass die damalige Jugend bereits die deutschen Professoren schwer ertrage, „worauf wir noch wenig achteten“ 6). Es ist daher nicht richtig, wenn auch 0. Teuber7) der stark verbreiteten Meinung folgt, dass die „Patrioten“, obwohl sie wussten, was sie wollten, „auch nicht ahnten und zu hoffen wagten“, dass aus ihren „Spielereien“ etwas Großes, eine selbständige nationale Entwicklung hervorgehen werde. Im Gegenthoil gieng auch die jüngere romantische Generation wie schon Jungmann ausdrücklich darauf aus, ihr Volk von den Deutschen ebenso zu emancipieren, wie diese ') SL., 180, 191. - 2) Ibid. 204. — «) Ibid. 221. - 4) Ibid. 251. — *) Ibid. 156. - ») Ibid. 315. 7) Geschichte des Prager Theaters, III, 189. sich von den Franzosen befreit hatten. Das ist der Kern der ganzen „Wiedergeburt“ der westslavischen Völker in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, das ist der wahre Sinn der späteren Nationalitätenkämpfe. Das glänzendste Muster dazu gaben aber hauptsächlich diejenigen, deren Sprache eben zurückgedrängt werden sollte. Übrigens regte sich auch bei den Deutschen frühzeitig die Opposition gegen die nationalen böhmischen Bestrebungen, denn nach Celakovskys Bericht (2. September 1823) bildeten die jungen deutschen Studenten schon damals eine Vereinigung in Prag, welche den böhmischen Schriftstellern Trotz bieten sollte; den gleichen Zweck verfolgte auch die Herausgabe der Prager Zeitschrift „Gesellschafter“, doch erblickte Celakovsky darin nur eine „unermessliche Dummheit und Narretei“ '). Wie sehr jedoch die geforderte Unabhängigkeit von deutschen Mustern und Strömungen bis zu einem gewissen Grade nur eine Selbsttäuschung war, ist aus dem Ganzen klar, denn das Neue und Gute wurde gerade durch sie hervorgerufen und gefördert. Durch Specialuntersuchungen wird sich noch so mancher Zusammenhang aufdecken lassen. Ich verweise z. B. noch auf die üppig in die Halme schießende Nachahmung der deutschen patriotischen Lyrik. Ebenso wie der deutsche Patriotismus so häutig mit einer Frage beginnt, fragt auch schon J. Marek (1821)2): Mä kde vlast? (Wo ist mein Vaterland?) Ähnliche Fragen charakterisieren patriotische Gedichte von Josef Chme-lensky, Jar. Picek und Josef Kamenickys). Selbst die etwas sentimentale böhmische Nationalhymne „Kde domov müj“, die fast zu allen slavischen Völkern übergegangen ist, gehört hieher und erinnert auffallend an das speciell romantische ') SL., 132. - ») Kasne (1823), S. 13. 3) Josef Jungmann, Slovesnost3, 443, 44(5, 417. In Clmieleuskys „Otßina“ undPiceks „öeskä zemö“ beginnen alle Strophen mit solchen Fragen, in Kamenickys „Pisen čecha“ nur die erste: Kde müj je kraj? Kdo maje vlast? Sie sind alle Chmelenskys Kytka entnommen (na rok 183(5, S. 54; narok 1837, S. 65, 82). Selbst „das Lied eines Renegaten“ (Piseii odrodileo) von Kamenicky fängt ebenso an : Kde m&, se plaš, je vlast? (Kytka nar. 1837, S. 79). Heimatsgefiihl, denn sie fragt nicht nach dem Vaterland (vlast), sondern nach der Heimat (domov), was bei den Böhmen, die eine ruhmreiche Vergangenheit ihres Vaterlandes für sich hatten, geradezu überrascht. Wie sehr jedoch auch das Bewusstsein dieser selbständigen historischen Individualität ausgeprägt war, zeigt der Umstand, dass Cela-kovsky und Kamaryt in ihrer Correspondenz bei Erwähnung ihres Monarchen fast immer vom „König“') sprechen und dass der ganz unpolitische Kamaryt den Kronprinzen Erzherzog Ferdinand am 2G. Juni 1824 in Budweis in der „Sprache des Vaterlandes“2) begrüßte, in welcher schon die Väter ihren Kindern „Tugend, Gehorsam und Liebe zum großen K ö n i g“ predigten. Kamenicky brachte auch „das Lied eines Mährers“ 3), das die Blutsverwandtschaft der beiden Länder und ihre geschichtliche Zusammengehörigkeit feierte, denn „wo immer der böhmische Löwe für den Glauben, das Vaterland und den König kämpfte, flatterte auch die mährische Fahne, wir waren immer mit euch; wir haben einen König und ein Vaterland, gleiche Leiden und Freuden!“ Chmelensky durchwanderte als Justizbeamter Mähren und Schlesien und sprach auf Grund seiner Erfahrungen eine ziemlich richtige Prophezeiung aus (im Jahre 1837), dass die beiden Länder kaum in einem halben Jahrhundert aus ihrer nationalen Lethargie erwachen werden1); er feierte in seinen Beiseliedern alle böhmischen Länder8), vergaß aber auch der Stammesbrüder an der Gran und Waag“) nicht, die zu seinem Ärger als echte Romantiker bereits um diese Zeit einem kosmopolitischen Panslavismus hul- ') Öelukovsk^ macht sicli einmal darüber lustig, wie sie in ihrer Jugend darüber stritten, ob zu singen sei: „Dem Kaiser und König“ oder „Dem König und dem Kaiser“, als ob nicht beides gleich gewesen wäre. SL., 18(>. '■') Sehr, bilsnö, 219: Vezmi pozdraven! naše, Jazykom Vlasti. a) Kytka, Svil Josef Chmelensky, III. (na rok 1838) S., 17—19. ■') čelakovskćho SL., 329. ■') Kytka, na rok 1838, 91-99, 102—111. — «) Ibid. 95. digten, da sie kein solches Vaterland hatten wie die Brüder an der Moldau (s, u. Kollar). Anderseit hiengen sie aber so sehr an ihrer Heimat unter der Tatra, dass sie ihren Dia-lect, den sie auch im Sinne der Romantik für wolklingender hielten, zur Schriftsprache emporzuschrauben begannen und bald die mehrhundertjährige literarische Gemeinschaft mit den Böhmen in der That lösten; denn ein ausgeprägter historisch-politischer Individualismus konnte diese Versuche nicht so unschädlich machen, wie das in Mähren der Fall war. Die slovakischen Bestrebungen wurden schon damals auch von Oelakovsky missbilligt, dem die „Drahtbindersprache“ gar nicht gefiel1). Man könnte auch von der böhmischen patriotischen Lyrik nicht behaupten, dass sie besonders poetisch sei, aber sie trug doch auch das ihrige dazu bei, dass die ganze Poesie national wurde und sich ausschließlich auf heimatlichem Boden bewegte. Um nur ein charakteristisches Beispiel zu geben, erwähne ich das Verhalten gegenüber der Idylle. Auch Kamaryt und Oelakovsky konnten das Schäferthum nicht los werden. Gessners Idealwelt wollen sie zwar in der böhmischen Literatur nicht haben, aber ein genialer Dichter könnte ein Gessner der slavischen Vorzeit werden8). Als noch im Jahre 1829 der „Classiker“ Jan Nejedly Hankas Übersetzung der Gessner’schen Idyllen eine neue, sehr unclassische folgen ließ, um damit den letzten Schlag gegen die Romantiker, speciell gegen ihre orthographischen und sprachlichen Neuerungen zu führen, äußerte ein Kritiker der Museums - Zeitschrift den Wunsch, dass so viel Fleiß und Mühe auf etwas Besseres verwendet werden sollte als auf „diese Producte einer schlaffen und lebons-losen Phantasie“. Kamaryt erblickte in diesem Urtheil eine Schmach für die böhmische Literatur8). Oelakovsky tadelte Nejedlys Übersetzung nur als unnütz, da eine bessere bereits vorlag4), und forderte in einer Recension der „Selanky“ Jaroslav Langers nur, dass die Personen der Idylle sich «) SL„ 230. — 2) Ibid. 149. — ») Ibid. 247. — ■<) SS., IV, 355—305. auf slavischem Boden bewegen sollen ’), wofür er selbst schon zuvor Beispiele geliefert hatte2). Überhaupt war Celakovsky der consequenteste und wirklich nationale Bomantiker, obwohl es gerade bei ihm gar keine nationale Phraseologie gibt und selbst wenig Gedichte, die man „patriotisch“ in dem üblichen, nicht besonders geschätzten Sinne nennen könnte. Er drang, wie wir bereits wissen, nicht nur in den Geist des böhmischen Volksliedes vollständig ein, sondern eignete sich auch ganz und gar die Form desselben an. In dom „Nachhall böhmischer Lieder“ wendet er unter anderem statt der Reime auch Assonanzen an, weil sie, wie er ausdrücklich betont2), auch in den böhmischen Volksliedern Vorkommen. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, so würde er ihnen wohl ebenso ausgewichen sein, wie er dem Sonett Lebewohl gesagt hat. Auch bei den mythologischen Wesen ist er immer genau darum besorgt, dass dieselben wirklich den Vorstellungen des böhmischen Volkes entsprechen, und will von Anleihen bei anderen slavischen Völkern und noch weniger bei den Indern wie Jungmann, von dessen indischen Studien er nach eigenem Geständnis in seinen jungen Jahren gar nichts verstand4), und Kollar, der die indische Mythologie einfach mit der slavischen identificierte, etwas wissen0). Sein Freund Ka-maryt bekommt einmal sogar einen kleinen Verweis, weil er sich in einem Gedichte etwas zuschulden kommen ließ, was folgender Mahnung* 11) widersprach: „. . . beachte in unseren böhmischen Liedern, dass in allen die Geister, wenn es irgendwo welche gibt, um in einem Gleichnis zu sprechen, sozusagen am hollen Tage handeln, nicht in der Dämmerung, nicht in der Nacht, weshalb selbst eine kleine Mysti-fication darin verletzt. Ihr Gang, ihr Sinn liegt so sehr auf der Oberfläche, dass ihn jedermann, wenn er es auch nicht wollte, verstehen muss, obgleich das mehr oder weniger in ■) SS., IV, 348. - ») Ibid. II, 71-94. Vgl. SL., 107-108 (aus dem Jahre 1823). — ») SS., I, 124. — 4) SL., 47. «) Vgl. SS., I, 125; II, 188-189. - °) SL., 251-262. allen Volksliedern, besonders aber in den böhmischen vor- » kommt.“ Diese Zurückhaltung Celakovskys, der Böhme blieb oder sich ganz in ein anderes Volk hineindachte, aber nie das Wesen verschiedener slavischer Völker vermengte, ist ungemein hoch anzuschlagen und umso beachtenswerter, weil gerade er wie kein zweiter slavischer Dichter die Volks- und Kunstpoesie aller slavischen Völker kannte. Er erfasste eben tief das Wesen der jüngeren Romantik und übte seinen Geschmack und sein Urtheil im Geiste der älteren und jüngeren an der Literatur aller Völker. So verdanken wir ihm kleine literarhistorische Studien und vortreffliche Recensionen und Berichte auf dem Gebiete der böhmischen und der anderen slavischen Literaturen ’). Er war es auch, um nur ein charakteristisches Beispiel anzuführen, der die Slovenen aufmerksam machte2), welch einen bedeutenden Dichter sie in Prešeren haben. Im Zusammenhang damit verdient auch hervorgehoben zu werden, dass Celakovsky kein Verständnis für äußerlichen Nationalismus hatte und z. B. der Einführung eines Nationalcostümes abgeneigt war. Nur eine patriotische Mode machte auch er gleich in seiner Jugend mit. Im Gefolge der deutschen Barden legten sich schon vorromantische böhmische Schriftsteller wie J. L. Ziegler slavische Namen bei. Diesem Beispiel folgten schon als Studenten auch Celakovsky, Kamaryt und Chmelensky, die zu ihren Taufnamen noch einen patriotischen und nationalen hinzufügten (Ladislav, Vlastimil, Krasoslav)s). Solche Umtaufung und Slavisierung von Namen gehörte dann zu dem romantischnationalen Repertoir bei den meisten Slaven. Eine Forderung Goethes und der Romantik an das Lied musste bei einem so musikalischen Volk, wie cs die Böhmen sind, auf besonders fruchtbaren Boden fallen. Um dem für Componisten fühlbaren Bedürfnis musikalischer Lieder abzuhelfen, gab Chmelensky einen „Kranz patriotischer Gesänge“ (Venec zpevü vlastenskych) und vereinigte ” SS., IV, 2G7 -488. — a) Ibid. 428 ff. “) Itybicka, B&snu J. V. Kamar^ta, 7—8. ältere und jüngere Dichter in dem Almanach „Kytka“ (1836—1838), der ausdrücklich als eine „Gabe der Muse des Gesanges“ bezeichnet wurde und als eine Mustersammlung der damaligen Lyrik gelten kann. Es sind meist „kleine Lieder“, die man nach einem Fr. Schlegel entlehnten Motto immer wieder liebe. Einen hervorragenden Platz nahmen darin die patriotischen Lieder ein, die das Vaterland, beziehungsweise die Heimat, die Schönheit und Vorzüge derselben, den Abschied von ihr und die Gefühle eines Nationalpatrioten in der Fremde besangen, die böhmische Sprache, das böhmische Herz und den böhmischen Gesang priesen. Dass viele davon mit einer Frage nach Art der deutschen beginnen, ist bereits erwähnt worden. Die zahlreichen Lieder zum Lob der Frauen und Mädchen feiern ebenfalls den Nationalpatriotismus derselben oder fordern ihn. Der romantische Minnedienst ist daher ganz in die Gegenwart und häufig in das Dorf verlegt. Solche Romanzen wie „Des Ritters Rückkehr“ von Chmelensky1) und „Rückkehr aus Palästina“ von Jind. Marek2 *) stehen ganz vereinzelt da. Der letztere behandelt den auch von Chamisso aufgegriffenen Stoff vom Herzog Udalrich und Božena ganz so, als ob er es mit der Heirat eines Fürsten und eines Bauernmädchens in unserer Zeit zu thun hättes). Auffällig ist es, dass selbst solche dem Frauenlob gewidmete Lieder mit den bereits bekannten deutschen Fragen beginnen: Kde deva mä? (Wo ist mein Mädchen?)4) Bei den Müller- und Jägerliedern, die im Verhältnis zu der großen Beliebtheit und dem häufigen Vorkommen dieser Berufe in Böhmen gar selten sind, könnte man allerdings fordern, dass die Anregung durch deutsche Muster speciell nachgewiesen werden soll, ebenso bei den vielen Gesellschaftsliedern, aber sicher kann das sofort von den vielen Reiseliedern behauptet werden, von denen Chmelensky ganze >) Kytka im r. 1836, S. 57. — a) Ibid. 1838, S. 54. — a) Ibid. 1837, S. 23-25. 4) Ibid. 69, von V. Pioek. Vgl. auch das mit ähnlichen Fragen beginnende Gedicht desselben „Obličoj coskyeh dlvol“ (Ibid. 33). Cyklen brachte1); bezeichnend ist es auch, dass er beidemal das Motto aus Goethe nahm. In einem Sonett (gedruckt 1834) verräth die Geliebte ihre Gefühle beim Vortrag eines Goethe’schen Liedes am Clavier* 2). Zur Charakteristik Celakovskys und seiner Freunde muss noch eines sehr wichtigen Zuges gedacht werden, das ist ihrer politischen Gesinnung. Ihren prägnantesten Ausdruck fand dieselbe in dem Verhalten gegenüber dem Entscheidungskampf zwischen Polen und Hussen. Celakovsky, der schon als Jüngling einigemale in Russland sein Glück versuchen wollte und gerade im Jahre 1830 auf die Regelung seiner Berufung nach Petersburg wartete, stellte sich doch mit Kamaryt entschieden auf die Seite der Polen. Er wünschte die Wiederherstellung Polens und würde sich freuen, wenn es wenigstens noch einen slavischen Hof in Europa mehr gäbe, wobei die Russen nicht viel verlieren würden3 *); ja er denkt gleich daran, in Polen eine Professur oder einen sonstigen Dienst anzustreben. Kamaryt ruft: „Gott gib Glück dem weißen Adler!“ und freut sich der polnischen Siege *); er wünscht nur, dass die Polen die gottlosen Franzosen nicht nachahmen möchten r’), worauf ihn Celakovsky beruhigt, dass es mit diesen gar nicht so arg sei, vielmehr könne man hoffen, „dass durch die von ihnen erhobene Fackel die Finsternis jeder Scla-verei werde vertrieben werden. Die Welt bekommt eine ganz andere Gestalt, die Völker haben ihr Gehirn eröffnet, das sie sich durch keine Kette mehr einschließen lassen, und sollte die gerechte Sache der Völker zehnmal fallen, sie werde sich wieder erheben, darüber braucht man sich keine Sorgen zu machen — die Zeit derAu stau sch ung der Völker an Häuser wird aufhören“ °). Die letzten Worte zeigen es namentlich klar, wie sehr der Groll der nach den Befreiungskriegen enttäuschten Deutschen gegen ihre Fürsten sammt allen Freiheitsbe- ') Kytka na r. 1837, 87—116, na r. 1838, 87—113. 2) J. Chmelenskeho Vybrane spisy, 126. a) SL„ 287. — *) Ibid.' 289. — 6) Ibid. 296. - «) Ibid. 297. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 8 Strebungen, die namentlich in der Begeisterung für die Griechen und Polen ihren Ausdruck fanden, auch auf öelakovsky übergegangen ist. Auch darin zeigt sich der Sohn seiner Zeit zum Unterschied von Dobrovsky und Jungmann( die ausgesprochene Anhänger des aufgeklärten Despotismus waren und blieben. Neben dem deutschen Polenjubel war für öelakovsky allerdings auch seine -bessere Kenntnis des wirklichen Slaventhums, über die z. B. Jungmann und Kollar nicht verfügten, maßgebend. Man hat diese Haltung öelakovskys in der Polenfrage öfters zu beschönigen versucht, als ob das nothwendig wäre, und schon Hanus') behauptet, derselbe habe während des Aufstandes nie die Polen verthei-digt. Die obigen Citate beweisen klar, dass daran ebensowenig zu deuteln ist wie an der Thatsache, dass der Sänger des „Nachhalls russischer Lieder“, der der Verherrlichung des Brandes von Moskau, Alexander I. und der russischen Heldenthaten an der Donau (18‘29) die ergreifendsten Worte geliehen hatte2), am Anfang des Jahres 1835 auf Einschreiten des russischen Botschafters in Wien seiner Stellung als Redacteur der „Pražske Noviny“ und ihrer literarischen Beilage „Vöela ceskä“ sofort enthoben und mit seiner kaum gegründeten Familie in die größte Nothlage gestürzt wurde. Mögen auch die incriminierten Worte, die jedoch von der Censur durchgelassen worden waren, obwohl sie sich in einem officiösen Organ sonderbar ausnahmen, nicht auf die Rechnung öelakovskys zu setzen sein1’), so entsprach es doch vollständig seiner Gesinnungsweise, wenn die sonderbare Antwort des Kaisers Nikolaus an die Warschauer Deputation (1834) also commentiert wurde: „Die * 3 ') O. c. 28. a) SS., I, G5-G9. Das Gedicht „Veliki panichida“ (Das große Requiem) besagt: Als bei Moskau so viele tapfere Krieger fielen, dass man nicht für jeden beim Requiem eine Kerze anzünden konnte, stellte man allen in Gottes Tempel ein einziges Licht auf, das Mütterehen Moskau. 3) Vgl. HanuS, 89; Pr. Bily in SS., IV, 542-548. Zeitungen bringen lange Erklärungen dieser Bede; wir glauben jedoch, dass man sie ohne Erklärung verstehen kann, da sie zu jener Literatur gehört, in welcher die Reden erhalten sind, die vor vierhundert Jahren von den tatarischen Chanen an die russischen Fürsten gerichtet wurden.“ VII. Fr. Palacky, der vaterländische Historiker, Organisator der nationalen Arbeit und Politiker. Die Sprache und Literatur war durch Gelehrte und Dichter gehoben worden, und nun musste auch ein Historiker kommen, der das tief gefühlte Bedürfnis l) einer böhmischen Geschichte im Geiste der Zeit befriedigte. Dieser Mann war Franz Palacky (1798—1876), der sich überdies als Redacteur der Museums-Zeitschriften und durch seine Beziehungen zum Adel sofort zu einem einflussreichen und zielbewussten Organisator aller culturellen Bestrebungen seines Volkes emporschwang, seit 1848 auch auf die politischen Schicksale desselben den größten Einfluss ausübte und überhaupt zum „Vater der Nation“ wurde. Es empfiehlt sich daher, auch seine Anfänge kennen zu lernen. Palacky2) entstammte einer Familie der Böhmischen Brüder aus Hodslavice in Mähren, welche sich wie alle übrigen 1781 der Augsburger Confession angeschlossen hatte, um der Wohlthaten des Toleranz-Edictes theilhaft zu werden. Der um den Protestantismus des Knaben besorgte Vater, ein Lehrer, der die ganze Bibel auswendig kannte, schickte ihn nach Trenßin in Ober-Ungarn (1809), wo er, da er von der Schule durchaus nicht befriedigt war, sehr viel las, hauptsächlich polemische Schriften, so dass er für einige Zeit ein protestantischer Fanatiker wurde, und dann auf ') Vgl. Öelakovsky, SL., 224; Chmelonsky, Vybrane spisy, 28C. a) Die folgenden Angaben sind, wenn nicht eine andere Quelle citiert wird, seiner Autobiographie (V lastni živo topiš, v Praze 1885) entnommen. das Lyceum in Pressburg (1812). Obwohl Palacky schon im fünften Jahre das ehrwürdige Erbe der Böhmischen Brüder, die musterhafte Kralicer Bibelübersetzung, ganz gelesen hatte, kümmerte er sich doch um seine Muttersprache gar nicht, jegliches Nationalgefühl war ihm fremd und erwachte in ihm zuerst durch einen Zufall. Auf einer Reise nach Pressburg wurde er 1813 durch eine Überschwemmung in Trenoin festgehalten, wo ihm sein Gastgeber, ein ehrsamer Kleinbürger, die damaligen literarischen Producte in böhmischer Sprache vorlegte, weil er sie an vielen Stellen nicht verstand. Der Mährer Palacky verstand aber noch weniger als sein Slovake, weshalb er sich mehr aus Scham sofort eifrig auf die Lectüre der böhmischen Schriften warf und dadurch namentlich Jungmanns Leistungen kennen lernte. Mit den bedeutendsten Erscheinungen der Weltliteratur wurde er allerdings bekannt, doch in der Kenntnis der deutschen blieb er sehr zurück: er las nur Klopstock') „und andere, weniger berühmte deutsche Dichter“, übersetzte Kleists „Frühling“ und dichtete Elegiena). Von seinen serbischen Schülern, die er in der deutschen Sprache unterrichtete, lernte er Russisch, Serbisch und Altslavisch, was speciell bei dem damaligen Stand dieser Sprachen wohl sehr dürftig ausgefallen sein muss, und bekam durch den Verkehr mit dem Schriftsteller Vidakovič auch Vuks serbische Volkslieder in die Hand. So gelangte er zu neuen Ideen, die ihm überdies durch Hrormidkos Wiener Zeitung und ihre literarische Beilage zugeführt wurden, denen er selbst folgendes Zeugnis ausstellt: „Dieses Wiener Institut ist bisher das einzige seiner Art, von dem man mit Recht sagen kann, dass es aus dem Koth der Alltäglichkeit herausgekommen ist“ a). Die Wiener romantischen Organe blieben '). Ganz Klopstockisch ist die einzige Ode (Na horu Radliošf), die Palacky aus den „Počdtkove ßeskeho biisnictvi“ (127—128) in den Radliost (I, 3-4) aufgenoinmon hat. a) Vgl. Backovsky, Basne P. J. Šafai-ika a Fr. Palackeho (Novo-eesky Archiv literarni, II), “) Bačkovsky, o c. 21. M ihm gewiss auch niehi fremd, viele neue Ideen kamen ihm aber direct aus Deutschland durch die von dort zurückkehrenden Slovaken zu, so durch Fabry, eineyt Göttinger f ^ Nationalisten, durch Simko, einen Jenaer Naturphilosophen, namentlich aber durch Safafik, mit dem er während seiner ^ Jenaer Studienzeit (1815—1817) brieflich, dann aber persönlich in Pressburg viel verkehrte. Namentlich die zehn Tage, die er mit Safafik sofort nach seiner Rückkehr aus f 'ć) Jena zusammen verbrachte, wirkten auf ihn äußerst wohl-thätig und corrigierten sein Urtheil über viele Dinge, namentlich über die Literatur1); auch Jean Pauls Schriften las er unter seiner Leitung. Bemerkenswert ist es, dass sie bereits damals auf ihren Spaziergängen um Pressburg herum an die Herausgabe einer Zeitschrift „Museum narodni“ (Nationales Museum) dachten und sich dabei offenbar an Schlegels „Deutschem Museum“ ein Muster nehmen wollten. Diese Vorbedingungen erklären es zur Genüge, wie Palacky dazu kam, während seiner Ferien in der Heimat Volkslieder zu sammeln und nach altböhmischen Büchern zu fahnden. Ebenso ist uns die in Gemeinschaft mit Safafik herausgegebene Schrift über die böhmische Px-osodie, die schon den neuen Geist verkündete, bereits bekannt und ihr Zusammenhang mit der Zeit klar. Trotz dem großen Erfolge dieser Streitschrift, die eine neue Poesie verlangte, fühlte Palacky doch bald, dass er zum Dichter nicht geboren sei, und beschloss, sich ganz der Wissenschaft zu widmen, was umsomehr Bewunderung verdient, als er bis zu seiner Übersiedlung nach Prag in keinem Centrmn mit wissenschaftlichen und überhaupt bedeutenden geistigen Interessen auf längere Zeit gelebt und nie eine Universität besucht hatte. Als Hofmeister in aristokratischen Häusern (seit 1818) studierte er eifrig Ästhetik, Logik und Metaphysik nach Kants System und hielt Vorträge über Schillers ästhetische Abhandlungen. Da ihm der Schlendrian in den ungarischen Schulen missfiel, siedelte er mit seinen Zöglingen 1820 nach Wien über, wo er unter anderem mit ‘) Vlastni životopis, 14. Dobrovsky und Kopitar verkehrte. Als er nach Ungarn zurückgekehrt war (1821), schrieb er eine „Übersicht der Geschichte der Ästhetik und ihrer Literatur“ *), worin er große Vertrautheit mit seinem Gegenstände an den Tag legte. Die Kritik der Urtheilskraft befriedigte ihn in Bezug auf das Schöne und die Kunst nicht, denn er vermisste darin die gehörige Wahrnehmung und Berücksichtigung der subjectiven Thätigkeit des Geistes, der doch Kants kategorischem Imperativ entstammte3). Man sieht, dass er nicht umsonst mit den Jenaer Studenten verkehrt hatte und das Bedürfnis fühlte, im Sinne der von ihnen mitgebrachten Lehren über Kant hinauszugehen. Doch fand er den Weg zu Schölling nicht, sondern auf dem Umweg über Bacon, auf den er durch Hugh Blair aufmerksam gemacht worden war, kam er bloß zu Schellings Vorläufer, Herder, bei dessen „allumfassenden Geist“ er in einer umfangreichen Würdigung der deutschen Ästhetik mit besonderem Wohlgefallen verweilt, .7 denn „der Geist der reinen Humanität schien auf ihm wie auf seinem heiligen Priester zu ruhen und auch in der Ästhetik aus ihm zu sprechen“ 3). Man fühlt schon aus diesem Urtheil das Lob des großen deutschen Slaven-freundes heraus, dessen Humanitätsidee auch in Palacky immer einen ausgesprochenen Anhänger hatte. Doch auch dieser Wissenschaft, in welcher „uns die Deutschen, wie sie die Franzosen, bisher führten und nur allzuhäufig, vielleicht durch unsere Schuld, irreführten“ 4), sollte er untreu werden. Als er im Jahre 1828 einiges Geld beisammen und Zeit hatte, besuchte er Prag, um Denkmäler und Quellen aus der Hussitenzoit zu studieren, denn er hegte denWunsch, seinem Volk auch mit einer hist o r is c h e n S c hr i ft einenDienst zu erweisen6). Man sieht, dass Jungmann nicht umsonst aus L. Jahns „Deutschem Volksthum“ auch die Lehre übersetzt hatte, dass jeder Patriot auch Geschichte schreiben solle. Zuerst ') Abgedruckt im Radhost, I, 285 ff. — ’) Gedenkblätter, 3. —• ») Radhost, T, 285, - *) Ibid. J, 326. — Xbid. III, 259, (1823) arbeitete er an einer böhmischen Literaturgeschichte für den Polen Linde, der eine Geschichte der slavischen Literaturen plante und die russische von GreS bereits übersetzt und herausgegeben hatte l). Palacky war durch seine aus dem Jahre 1821 stammenden Gedanken über die damalige böhmische Literatur2) in der That dafür vorbereitet. Aus denselben verdient noch die Bemerkung hervorgehoben zu werden, dass der neuböhmischen Literatur noch das nationale Colorit abgehe, welches ihr erst einen eigenen Charakter, eine individuelle Haltung verschaffen sollte, denn der Böhme hatte sich zwar immer „als Mensch, häufig als Gelehrter und Patriot, aber selten als Böhme geltend gemacht“ 3). Höchst charakteristisch ist auch die Begründung, mit welcher er den Vorwurf, dass ein „Völkchen“ seine Sprache auch zu einem wissenschaftlichen Organ ausbilden wolle, ablehnt. Für ihn unterliegt es keinem Zweifel, dass auch diese Sprache an sich für einen hohen Grad wissenschaftlicher Cultur empfänglich sei. Dazu komme aber noch der wichtige Umstand, dass der gesammte Slavenstamm, obgleich von jeher durch Verfassung, Kirche und locale Gebräuche verschieden getrennt, doch ein Völkerstamm, seine gesammten Mundarten doch nur ein Sprachstamm seien; der Slavenstamm erkennt seine Einheit seit tausend Jahren und streitet nicht erst wie, z. B, seine Nachbarn, ob er sich germanisch oder go-thisch nennen soll4). Man sieht, welche Wirkung der Pangermanismus auch auf den in allslavischen Fragen sehr nüchternen Palacky ausübte, und kann nicht leugnen, dass sein Argument gut gewählt war. Von Prag war Palacky wegen des Daniederliegens der böhmischen Nationalität nicht besonders erbaut, wurde aber durch Dobrovsky und seine aristokratischen Freunde zurückgehalten, um dann durch ihre Mitwirkung der Historiograph Böhmens zu werden. Den eigentlichen Anlass dazu gab Hormayr mit seinem „Taschenbuch für vaterländische <) ČCM., 1873, 146, 147. - 2) Sieh oben S. 40. - a) Gedenkblätter, 36. — 4) Ibid. 37. Geschichte“, für das die Grafen Öternherg auch ihre Genealogie liefern sollten. Dobrovsky schlug ihnen vor, die Arbeit Palacky anzuvertrauen, der sich seiner Aufgabe zu ihrer größten Zufriedenheit entledigte und dadurch mit diesen hochgebildeten Aristokraten in den innigsten Verkehr trat. Beim Grafen Franz Sternberg geriethen in einer denkwürdigen Nacht (20. December 1825) die Gegensätze der Ansichten der älteren und jüngeren Patrioten über Nationalität, Wissenschaft und Fortschritt hart aneinander1). Der Präsident des Museums, Graf Caspar Sternberg, klagte über Gleichgiltigkeit des Publicums. Palacky wies unter anderem darauf hin, dass die Erwartungen der nationalen Kreise enttäuscht worden seien, und griff auch den anwesenden Dobrovsky an, weil er außer einer Vorrede nichts böhmisch geschrieben habe. Auf Dobrovskys Einwand, dass man über wissenschaftliche Sachen böhmisch nicht schreiben soll, erwiderte er feurig, die böhmische Nationalität müsste bald zugrunde gehen, wenn alle so handelten, und sprach weiter: „Ich aber, wenn ich sogar aus dem Geschlecht der Zigeuner stammte und sein letzter Sprössling wäre, würde es noch für meine Pflicht erachten, alles zu thun, damit ihnen wenigstens ein ehrenvolles Andenken in der Geschichte der Menschheit zurückbleibe.“ Franz Sternberg, der von Anfang an auf Seite des jugendlichen Enthusiasten stand, wurde hingerissen, und Caspar Sternberg verlangte beim Abschied Vorschläge über die zu gründenden Museums-Zeitschrifteu, da Palacky selbst mit [Rücksicht auf das Ausland, die Deutschböhmen und die deutsch lesenden Volksgenossen auch die Herausgabe einer deutschen Monatsschrift des Museums befürwortete. Aus den beiden, in deutscher Sprache abgefassten Gutachten2) (vom 27. December 1826) spricht im Geiste der Romantik eine feuerige Heimatsliebe und jugendfrischer Nationalpatriotismus. Die Museums - Gesellschaft soll eine Trägerin der Nationalcultur sein, das Museum verlangt ') Gedenkblätter, 47; Vlastin životopis, 20. — '■) Abgedruckt in den Gedenkblättern, S. 47 ff. nationale Tendenz, und die Geschichte, die natürlich zur Hebung des vaterländischen Sinns besonders zu pflegen wäre, soll für den Böhmen „ein Spiegel der echten böhmischen Nationalität“ werden. Die böhmische Vierteljahrschrift (sie erhielt dann den Namen: Časopis spolecnosti vlasteneckeho Museum v Cechach), welche auch der schönen Literatur, der Philologie, Belletristik und der populären Philosophie dienen sollte, hatte noch eine specielle Aufgabe: „die Erhaltung und Fortpflanzung der böhmischen Sprache selbst. Die Nationalspracho ist ja doch unstreitig das Wichtigste und Kostbarste, was die Vorzeit Böhmens ihren nachkommenden Generationen hinterlassen hat“ '). Im Nachwort zum ersten Jahrgang des „Časopis“ (1827, IV, 145—152)a) lesen wir ähnliche Ausführungen. Namentlich fesselt unsere Aufmerksamkeit ein Satz, der seinen Landsleuten in den Mund gelegt wird, die ihn auch in der That bereits von Fr. Schlegel haben konnten: „Dass die Geschichte, Sprache und Literatur die theuersten Schätze sind, die wir von unseren Ahnen geerbt haben, durch deren Bewahrung und Ausbildung unser Volksthum (Nationalität) am besten gehütet und culti-viert wird, daran zweifelt schon kein Patriot mehr.“ AlsRedacteur der Museums-Zeitschriften. (sie erschienen seit 1827) gerieth Palacky auf einmal in den Mittelpunkt des ganzen literarischen Lebens in Böhmen, auch des deutschen. Die deutsche Monatschrift fand viel Beifall, aber nur zu Hause, während nach Deutschland, wo alles, was unter der österreichischen Censur erschien, von vornherein geringgeschätzt wurde, nur sechs Exemplare giengen, darunter zwei an daselbst lebende Böhmen; sie wurde deshalb in „Jahrbücher“ umgewandelt (1830), aber auch diesen half selbst Goethes Artikel in den Berliner Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik (1830, März, Nr. 58—60)* 3), der Aufsehen ‘) Godenkblilttor, 61. — '■l) Abgeclruckt im Kadhost, I, 5 ü'. 3) Goethes Werke, Hemporscho Ausg., 29. Th. Vgl. o. S. 4G—47. Als „Goethes Stimme über die böhmische Literatur“ wurde der Artikel auch in den „Jahrbüchern des böhmischen Museums“, 1830, IV, 498—502, abgodruckt. erregte, nichts, weshalb das deutsche Organ des Museums (1831) aufgelassen wurde. Großen Erfolg hatte dagegen das böhmische. Palacky war bemüht, der aufstrebenden Literatur den Charakter des Dilettantismus zu benehmen, kleinliche literarische Streitigkeiten hintanzuhalten und die allzueifrigen Neologisten, von denen die durch die gefälschten Handschriften compromittierten Persönlichkeiten, Hanka, Svoboda und Linda1), am weitesten giengen, zu zähmen; selbst Männer wie Jungmann und Kollar mussten sich ihm fügen. Als ihn Kollar einen unechten Redacteur und Todschläger der Partei nannte, antwortete er ihm kurz (2. Februar 1827)2), dass er dem ganzen Yaterlande und der Nation dienen wolle; selbst über den Hyperkriticismus Do-brovskys konnte er nicht klagen, wohl aber über die Kritiklosigkeit der Seinigen. Welche hohen Aufgaben er der jungen böhmischen Literatur hx jeder Hinsicht stellte, beweist der bereits im Jahre 1829 vollständig axxsgearbeitete Entwurf über die Herausgabe eines großen encyklopädi-schen Wörterbuches (Slovnik Naucny)8), das zuerst durch eine „kleine Encyklopädie“ abgethan wurde und in einer allerdings noch größeren Gestalt erst in den Jahren 1860 bis 1874 erschienen ist. Palacky concentrierte jedoch bald seine Aufmei'ksam-keit ganz auf die Geschichte Böhmens, wobei ihm die patriotische Begeisterung der Stände zugute kam. Der erste Landtagsbeschluss (1829), Palacky zum Landes-Historio-graphen zxx ernennen, fand zwar nicht die Bestätigung, aber factisch bekleidete er dieses Amt seit 1831 (bestätigt wurde er erst 1839). Als ständischer Historiograph musste er die Geschichte Böhmens zuei’st deutsch schreiben (der I. Band erschien 1836). Erst 1848 gieng Palackys Wunsch in Erfüllung, dass das Werk, welches ein treues Bild der Vergangenheit seines Volkes bieten sollte, auch in der Nationalsprache zu erscheinen begann; er wäre ja, wie er selbst sagt, vielleicht überhaupt niemals -Historiker geworden, i) ČČM., 1879, 394. - 2) Ibid. 389. - 3) Abgedruckt im Kad-liost, III, 231 ff. 123 wenn er sich nicht von Anfang an dem Dienste der vernachlässigten böhmischen Literatur gewidmet hätte'). Der romantische Nationalgeist konnte natürlich in den älteren Partien des Werkes nicht fehlen. Wir finden darin die Verherrlichung der altslavischen Anarchie als einer Demokratie mit den Grundsätzen der französischen Revolution, eine begeisterte Schilderung der patriarchalischen Sitten und Gebräuche der alten Slaven und einen stark bevölkerten slavischen, dem indischen nahe verwandten Olymp, den der kritische Palacky allerdings ziemlich skeptisch hinnahm3). Dass das Werk nicht über 1526 hinausgeführt wurde, erklärt Palacky nicht bloli mit seinem Alter, sondern maßgebend waren ihm „schon der Charakter desselben und der Nutzen der Nation“ (alo i sama povaha a prospech narodni)8): er wäre namentlich mit der neuen Zeit nicht fertig geworden, während ihm für die ältere viel neues Material vorlag, das neu bearbeitet werden musste. Wir gehen jedoch nicht irre, wenn wir behaupten, dass sich ihm für die ältere Zeit, d. h. für die Geschichte des selbständigen böhmischen Staates, gerade deshalb so viel Material von neuem angesammelt hatte, weil er und seine Zeitgenossen, die ihm in der Sammlung und Bearbeitung von Materialien behilflich waren, für sie eine besondere Vorliebe hatten und als Romantiker haben mussten. Wir finden auch bei den Böhmen wie bei den Polen und Südslaven, speciell bei den Kroaten, noch bis in die jüngste Zeit jene romantische Flucht in das graue Alterthum und in die Zeiten einer selbständigen nationalen Geschichte, dafür aber eine auffallende Vernachlässigung der neueren, obwohl diese gerade für die nationalen und politischen Zwecke, die man dabei im Auge hatte, manchmal viel wichtiger gewesen wäre. Um zu beweisen, wie richtig diese Auffassung ist, will ich nur Kamaryt nennen, der uns als Dichter natürlich in lebhafteren Farben jene Gefühle schildert, die bei einem Überblick der böhmischen Geschichte auch bei Palacky * V, >) Dejirry' češko, I, 1, V. — 2) Ibid. S. 12, 80 — 81. — a) Ibid. V, 2, V. rege werden mussten. Kamaryt wurde sich erst in seiner ländlichen Einsamkeit der Wichtigkeit der Geschichte für das nationale Leben so recht bewusst, las alle Historiker von Hajek angofangen und ergänzte sie in seiner Phantasie (dokud stači domySlem me). Dann fährt er in einem Schreiben (aus dem Jahre 1828) an Celakovsky1) also fort: „Als uns Jungmann zu sagen [»Hegte: leset die böhmische Geschichte, daher rührt am meisten und einzig der Mangel vaterländischen Sinnes (nevlastenectvi), weil wir selbst zu Hause Fremdlinge bleiben! Der Böhme weil) selbst nicht, was er zu Hause ist und was er sein könnte — damals verstand ich das noch nicht so gut wie jetzt, wo ich seine Mahnung thatsächlich befolge. Am meisten möchte mich allerdings das Geschlecht Pfemysls interessieren, und als ich zu Wenzel dem letzten dieses Geschlechtes kam, schien es mir, als ob mich das To des röcheln meines Vaters überfiele, und als ich dann zu Ferdinand I. und weiter zumJahre 1620 kam, waresmir, als ob ich schon das letzte Schluchzen hörte, ja als ob ihm ein Mörder eine Todwunde beigebracht hätte.—Weiter las ich nicht mehr — und aus Bitterkeit will ich an die späteren Ereignisse nicht denken —, tröste einen Waisenknaben wie du willst, beschreibe ihm eine glücklichere Gegenwart, versprich ihm eine Zukunft als Ersatz — es ist vergebens — vergebens — sein Herz ziehtes zum Grabe d es V a ter s zur ück, d or t ist sein Trost.“ Zur Charakteristik Palackys muss jedoch hervorgehoben werden, dass er bemüht war, ein objectiver Historiker zu sein. Als ihn Kollar einen Schüler Dobrovskys nannte, lehnte er das zwar entschieden ab (24. November 1830)a), aber er erklärte das „übermäßige Slavisieren“ in der Geschichte für ebenso falsch und schädlich wie das „Germanisieren“ und „Frankisieren“; die Geschichte dulde keine Nebengedanken, und er widme sich ihr nicht deshalb, ') SL., 224-225. - 2) ÖÖM., 1879, 472. „um sie den deutschen Krallen zu entreißen“. Obwohl er kein Philologe war, erkannte er doch sofort die Unhaltbarkeit der Kollär’schen Etymologien ’) und war namentlich für Kollars Lieblingsidee, den Namen der Slaven von slava (Ruhm) abzuleiten, nicht zu gewinnen; nach seiner Ansicht bedarf es nicht solcher Hilfsmittel, um den Ruhm der Slaven nicht bloß in der Vergangenheit, sondern auch in der Zukunft zu sichern. Zu den Glanzpartien der böhmischen Geschichte Pa-lackys musste natürlich die Darstellung jener Zeit gehören, zu deren Studium er nach Prag gekommen war: der Nachkomme der Böhmischen Brüder hat .den Geist ihrer Vorgänger wiederbelebt. Die übliche romantische Verherrlichung des Mittelalters widersprach der Geschichte Böhmens, und gerade Palaeky war ihrer als Protestant und als Nationalpatriot nicht fähig, denn der Hussitismus war nicht bloß eine dem übrigen Mitteleuropa um ein Jahrhundert vorangehende religiöse, sondern auch eine nationale Bewegung. Auch der von der Romantik vertretenen christlichen Philosophie mussten die Protestanten Palaeky, Šafarik und Kollar eine andere Richtung geben: ihr Ideal wurden die Böhmischen Brüder. Zu den besonderen Verdiensten Palackys als des Organisators der nationalen Arbeit gehört auch das Pesthalten Oelakovskys, Hankas und Öaläriks, als man dieselben nach Russland zu ziehen suchtea). Hiezu trugen allerdings auch andere Umstände bei, aber ihm allein gebürt der Ruhm, dass Šafarik für Prag gewonnen wurde (1833). Als die Stellung desselben in Neusatz in geistiger und physischer Hinsicht ganz unerträglich geworden war3), gelang es Palaeky ihm durch Sammlungen unter anonym geblie- ') ČČM., 1879, 469. ,J) V lastni životopis, 32. Für Palackys Scharfblick spricht auch in diesem Falle der Umstand, dass er namentlich Öelakovskf als „unseren besten Schriftsteller“ nicht ziehen lassen wollte, während er für Hankas Ersatz nicht besorgt war (ČČM., 1879, 468). a) Vgl. Konst. Jireček, P. S. Šafan k mezi Jihoslovany, 117 ff. benen Förderern (meist Aristokraten und Schriftstellern) zuerst ein Jahreseinkommen von 350 nnd dann von 480 Griilden auf fünf Jahre zu sichern, bis er eine entsprechende Stellung linde, damit er sich ausschließlich der böhmischen Literatur widme und nur böhmisch schreibe; denn es schmerzte die Patrioten, dass er bis dahin seine Werke in deutscher Sprache schrieb. Wie einen Messias ’) erwartete er ihn in Prag. So entstand Öafariks monumentales Werk „Slavische Alterthümer“, so wurde Prag auf längere Zeit zu einem bedeutenden Centrum der Slavistik, und Palacky konnte sich mit Recht rühmen, dass er den wissenschaftlichen Bestrebungen der Böhmen einen Vorrang vor den anderen slavischen Völkern verschafft habe. VIII. P. J. Safaflk, der romantische Alterthumsforscher, Philo- -loge und Linguist, der bedeutendste Vertreter des wissenschaftlichen Panslavismus. Alle bisher genannten Gelehrten und Dichter, die in der Geschichte der Widerbelebung der böhmischen Sprache und Literatur eine so große Rolle spielen, waren aus den österreichischen lateinisch-deutschen Schulen hervorgegangen und nahmen an dem gesammten geistigen Leben des deutschen Volkes Antheil, soweit dasselbe nach Österreich gedrungen war, was gerade in den Zeiten der Romantik in hervorragendem Maße geschah. In literarischer Hinsicht wurden für die Slaven besonders wichtig die Wiener romantischen Organe und die zahlreichen Wiener Nachdrucke der älteren und zeitgenössischen deutschen Schriftsteller. Doch der böhmischen Literatur gehören auch zwei Männer an, die sich direct aus — Jena jene Begeisterung und jenes Wissen geholt hatten, die sie dazu befähigten, dass sie einen ungeheueren Einfluss auf die gesaminte ') Brief an Kollar vom C. Februar 18513, ČČM., 187K, 479 127 Slavenwelt ausübfcen und noch ausüben. Das Privilegium der evangelischen Theologen aus Ungarn, dass sie allein die deutschen Universitäten besuchen durften, gereichte noch im letzten Moment (seit 1817 wurde noch für diese die Erlaubnis eingeschränkt, von 1820—1837 ganz aufgehoben) allen Slaven zum Segen, denn Safafik und Kollar sammelten sich in der hervorragendsten deutschen Geistesstätte, in dem Hauptsitze der idealistischen Philosophie und dem Mittelpunkte der freiheitlichen und patriotischen Bewegung der deutschen Jugend nicht bloß reichliche Kenntnisse, sondern eigneten sich daselbst auch einen für die bestehenden Verhältnisse in der That gefährlichen Geist an : aus Jena stammt des ersteren eigen- und großartige wissenschaftliche Umfassung des ganzen Slaventhums, der poetische Panslavismus und die Theorie der literarischen Wechselseitigkeit (literarischer Panslavismus) des letzteren. Paul Josef Šafafik*) (1795 — 1861) stammte aus dem hochgelegenen, ärmlichen Dorf Kobelärovo (magy. Fekete-patak, d. Schwarzbach) im Gömörer Comitat in Ober-Ungarn. Bei den protestantischen Slovaken wurde das literarische Erbe der Böhmischen Brüder treu gehütet, und so war der Pastorssohn und Nachkomme der böhmischen Exulanten frühzeitig in der Kralicer Bibel ungemein belesen, wovon sich in allen seinen späteren Schriften Spuren finden. Nichts- ') Vgl. folgende Darstellungen seines Lebens und Wirkens: Bruchstücke einer Autobiographie im Almanach der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien, 18(12, S. 124—132; Vojtech ŠafaHk (Sohn) im Slovnik Naueny, IX. Bd.; Josef Jireöek (Schwiegersohn) in der österreichischen Revue, 1865, VIII, Bd.; Konstantin Jireöek (Enkel), P. J. Šafafik mezi Jihoslovany (Abdruck aus der Revue Osvöta, 1895, Nr. 5—12); derselbe im Feuilleton der „Politik“, 1895, Nr. 130; V. Bran dl, Život Pavla Jos. Šafafika (v Brne 1887); Jos. Hanuš, P. .1. Safafik v živote i spisich (v Praze 1895, Matice lidu r. XXIX, Č. 6, populär); Öesky Časopis Hi-storicky, r. I. seä 8 , venovau pamätce P. J. Šafafika (auch separat: Na pamätku stoletych narozenin P. J. S); Listy filologickć a paod agogicke XXII (1895); Jaroslav Vleok in Naše Doha, 1895, Nr. 8—12; Närodnio Noviny, 1895, Nr. 66. Die Briefe an Kollar (bis 1828) in CČM., 1873 1875, aus den späteren Auszügen bei Konst. destoweniger kannte auch er als Schüler oberungarischer Gymnasien (Rosenau, Dobschau) und des berühmten evangelischen Lyceums in Kesmark (1810—1814), die in geistiger und pädagogischer Hinsicht in keinem angenehmen Andenken bei ihm fortlobten, bis zu seinem sechzehnten Jahre keine Liebe für sein Volk und seine Muttersprache. Durch die Schriften Jungmanns, den er seinen zweiten Vater, bezüglich der Sprache und des Nationalbewusstseins den ersten nennt'), namentlich durch dessen Abhandlung über die böhmische Sprache, aufgerüttelt, wurde er gleichzeitig zum Dichter2) und gab als neunzehnjähriger Jüngling eine Sammlung Gedichte 3) heraus. Dann versorgte er noch drei Jahre die Wiener „Prvotiny“ mit poetischen Beiträgen 4). In Jena übersetzte er allerdings noch Schillers „Maria Stuart“, die aber in Prag im Jahre 1821 von der Censur nicht durchgelassen wurde und erst 1831 erscheinen konnte, und die „Wolken“ des Aristophanes, die gar nicht erscheinen konnten, kam aber schon im Jahre 1816 in Jena zur Überzeugungr’), dass es nicht seine Aufgabe ist, vom Vaterlande zu träumen und die Zahl der böhmischen Dichterlinge, deren Zahl bereits Legion sei, zu vermehren, sondern Jireöek, ebenso aus den Briefen anPalack^; an Pogodin hcraus-gegeben von N. Popov (IIllCbMa K'b IlorojpiHy n:n, C.iaitiiHcKiixi. aemejlb), an Bodjanskij und Grigoroviö herausgegeben von P. Lavrov und M. Speranskij (IllICI.Ma II. I. lIIiU()apiIKfl KT> 0. M. bo.pniCKOay, Mocicna 1895). Eine Menge Irrthümer bietet die Biographie in Wurzbachs Biograph. Lexikon, XXVIII, 53 ft. Danach wäre sogar der zweite Theil der „Alterthümer“ nach dom Tode SafaHks erschienen! ') Konst. .Tireček, o. c. 10. '-’) Vgl. Tatranskä Miiza, 12: Zamlč tdž, 2e jemu bylo malo vic než šostnact let, když ho s tebou nebo svilo. 8) Tatranskä Muza s lyrou slovanskou. V Levoči 1814. *) Gesammelt von Fr. Backovsky: Bäsne P. J. Šafarika a Fr. Palackeho (Novocesky Archiv, ß. II, Prag 1889). 6) Sieh einen Brief an Hromädko aus den „Prvotiny“ von 1817 bei Brandl, S. 89-90, Hanuš, 26-27. andere nach Abhilfe schreienden Lücken der böhmischen Literatur auszufüllen. Šafafik wollte später von diesen seinen Jugendversuchen nichts wissen, obwohl ihnen ein so competenter Richter wie der Dichter Jaroslav Yrchlicky :) entschieden poetischen Wert zuschreibt. Der Gedanken- und Gefühlsweise des späteren Šafafik entsprechen sie allerdings nicht. Er tändelt zwar an einigen Stellen mit slavischem Pathos (am meisten in Slaveni slovanskych pacholkü, worin er ideale slovakische Räuber verherrlicht), aber selbst in solchen Gedichten wie „Der Traum des Slavomil“ und „Rückblick auf das Vaterland“ suchen wir vergebens Spuren des romantischen Nationalgeistes. Als treuer Schüler Klop-stocks, dem er namentlich in den Oden folgt, stempelt er zwar seine Muse zur Slavin und gibt ihr eine slavisohe Harfe in die Hand2), aber sein ganzer Slavismus besteht darin, dass er die Namen der griechisch-römischen Götterwelt — ein slavischer Olymp stand ihm noch nicht zur Verfügung — im Gefolge anderer oder selbständig slavisiert (z. B. Müek, Umka, Umena, Roönena, Sevor, Lesoii) oder halbslavisiert (z. B Flofina), aber selbst das geschieht nicht immer; ebenso brachte er es noch nicht zu einer Nachahmung der germanischen Eiche Klopstocks, sondern besingt die Linde3) nur als Schmuck des Waldes, aber noch nicht als den Slavenbaum (Kollars „slavostrom“). In den Balladen ahmt Šafafik Bürger nach, namentlich seinen volksthümelnden Ton und seine zahlreichen Interjectionen4); in den Sonetten und sonstigen erotischen Gedichten sind ihm Bürger und der junge Schiller Muster. Die wenigen Übersetzungen sind ebenfalls Bürger und Schiller entnommen (außerdem Bouterwek und Gries). Selbst mit einer Schäferidylle (Jitro, das Liebespaar heißt Daphnis und Melina) hinkt Šafafik noch nach. Spuren Gleims und Mat- ') Hlas Naroda, 188C, IG. October. — a) Tatranskä Müza, 18. — 3) Ibid. 63. — 4) Vgl. Oldrich a Božena (Baokovsky, 99): „A slyS! a slys! V tom ke dvoru trap trap trap! jezdci leti.“ Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 9 thissons') sind in der That auch nachweisbar, aber entschieden muss ich einen Einfluss der Volkspoesie2) in Safa-riks Dichtungen leugnen. Im Jahre 1815 kam Safafik nach Jena, wo er nur drei Semester verblieb, denn im Mai 1817 folgte er dem Befehl der durch die burschenschaftliche Bewegung beunruhigten österreichischen Regierung, welche die daselbst weilenden Ungarn zurückberufen hatte, und langte nach einem einmonatlichen Aufenthalte in Prag, wo er mit allen bereits national fühlenden Größen Verkehr pflog, im Juni in Pressburg an. Wir wissen bereits, welchen Eindruck er damals auf den drei Jahre jüngeren Palacky machte, mit dem er schon in Jena durch die Vermittlung Blahoslav-Benediktis in brieflichen Verkehr getreten war. In der That konnte es auch nicht anders sein, denn selbst der kurze Aufenthalt in Jena genügte zu einer vollständigen Wiedergeburt Šafariks. Nach dem Zeugnisse seiner nächsten Angehörigen3) eröflhete sich ihm in Jena eine neue Welt, von der er noch am Vorabend seines Lebens am liebsten sprach; von innerer Lust erglänzten seine milden Augen, so oft er auf die angenehmsten Erinnerungen seines Lebens, auf die Jenaer Zeit, zurückkam; er segnete das Schicksal, welches ihm vergönnt hatte, dass er sich in dem damaligen Hauptsitz der Wissenschaft die methodische Grundlage der Philologie und Geschichte holen konnte, kurz Jena war ihm: exilium corporis, paradisus animae. Wir sind leider über Šafariks unmittelbare Jenaer Eindrücke nicht so genau unterrichtet wie bei Kollar, der sie uns selbst ausführlich schildert (s. u.), können aber im allgemeinen behaupten, dass die beiden Slovaken, die aus den scholastischen ungarischen Schulen auf einmal in den Brennpunkt des deutschen geistigen Lebens geriethen, in gleicher Weise angenehm berührt wurden und sich mehr oder weniger für dieselben Professoren begeisterten. Auch *) J. M&chal, Oesky časopis historick^, I, (1805), 185. 2) Jaroslav Vlöek, Naše Doba 1895, 077; Hanuš, Lumir, 1895, 812. a) V. ŠafaMk, 1. o. 3; Jos. Jireček, 1. e. 6—8. Šafafik hörte die Theologen Gabler, Danz und Schott, den Philosophen Pries, den Naturphilosophen Oken und den Mathematiker Münchow, den Historiker Luden und den classischen Philologen Eichstädt. Nach den Aufzeichnungen seines Sohnes Vojtech, die aber nur in einem ganz kurzen Auszug bekannt sind *), soll Safaiik damals Pries, „einen gelehrten und höflichen Mann der "Wissenschaft, der schnell zu reden und gehen pflegte“, nicht verstanden haben, aber ohne Einfluss auf ihn blieb der deutsche Nachkomme der Böhmischen Brüder auch damals nicht, denn er bewies bald darauf Bekanntschaft mit dessen „Neuer Kritik der Vernunft“2 3) und ist schon in seinem ersten Hauptwerk, in der „Geschichte der slavischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten“ (182G) ganz von den religiös-philosophischen Anschauungen seines über Kant und dessen gefühlvollen Verbesserer Jacobi hauptsächlich im Geiste der Böhmischen Brüder hinausgehenden Lehrers durchdrungen. Es ist daher nicht glaubwürdig, dass Safafik erst nach 30 Jahren die Werke des Lieblings der deutschen Jugend habe zu studieren angefangen, wie Vojtech Safafik behauptets); es wäre auch unerklärlich, wie Fries zum Philosophen Safafiks werden konnte, denn er besaß alle seine Werke und las sie immer wieder, so oft es ihm seine Muße gestattete 4). Pries wurde überhaupt auch zum Liebling aller Slovaken5 6), die ihn sogar für sich reclamieren wollten “), da er der Kirche der Böhmisch-mährischen Brüder angehörte und seine Mutter eine Mährerin war. Diese Annexionsversuche billigte Šafafik (1834) allerdings nicht, ') Konst. Jireček, 18—19. 3) J. M&chal, (Jesky časopis historicky, I, 186. 3) Konst. JiroCek, 18. “) Jos. Jireßek, 1. o. 6. '•) In wie lebhafter Erinnerung er bei ihnen stand, zeigt ein Aufsatz in der Zeitschrift Hronka (1836), I, 2, B5—60. Am meisten lebt er jedoch durch die „Pameti“ J. Kollars (Spisy, IV, 244—246) in dom Andenken der Böhmen und Slovaken fort. 6) Šuhajda in einem Artikel, den er Šafafik als Redacteur des Svetozor im Jahre 1834 einschickte. Konst. Jireßek, o. c. 12. 9* denn „Fries ist ein Deutscher, fühlt, denkt und schreibt deutsch, die Deutschen erkennen ihn als den ihrigen an, mag er von was immer für einer Mutter abstammen, wenn von einer Slavin, umso schlimmer für uns; es ist besser zu schweigen, als mit seinen Fesseln zu klirren und sich ihrer zu rühmen“. Vaterländischer Sinn nnd nationale Opferwilligkeit wurde von Fries natürlich auch Safafik gepredigt, noch mehr aber von H. Luden, den er sehr hochschätzte Nach den Aufzeichnungen Vojtech Safariks2) habe Luden scharf und deutlich gesprochen, wie die Fürsten nach den Franzosenkriegen die Völker betrogen haben, denn sie machten Versprechungen, solange es schlimm stand, geben aber jetzt nach den vielen Opfern nichts. Auch aus diesen Erinnerungen erfahren wrir, dass der Andrang zu Ludens Vorlesungen so groß war, dass Hörer auf Leitern bei den geöffneten Fenstern den Worten des vaterländischen Geschichtsschreibers lauschten. Ludens Auffassung der nationalen Geschichte als des Mittels zu Erweckung werkthä-tiger Liebe zum Vaterlande und zur Nation eignete sich auch Šafafik an und blieb ebenfalls nur in der ältesten Geschichte stecken. Aus einem Brief an Palacky (30. December 1831) wissen wir direct, dass Luden auch für fremde Völker seine nationalen Anschauungen gelten ließ und solche wie die slavischen „von oben herab verbrutete Völker“ nannte, als er von Böhmen nach dem Jahre 1620 sprach 3). Safafik hörte in Jena acht bis neun Stunden täglich Vorlesungen, so dass es ihm „im Kopfe summte“. In der übrigen Zeit arbeitete er fleißig in der Bibliothek. Wie sehr er sich für das geistige Leben ganz Deutschlands interessierte, beweisen in seinem Nachlasse im böhmischen Museum aufbewahrte Auszüge aus der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ (Halle) und aus den Katalogen der Leipziger Ostermesse des Jahres 1817, dann Verzeichnisse der Professoren und Vorträge auf den Universitäten von Königsberg, Halle, Leipzig, Breslau, Würzburg, Gießen, meist für das Sommer- ’) Konst. Jireßek, o. c. 12. — a) Ibid. 18—19. — 8) Ibid. 12. semestei- 1817, und Anmerkungen über die Universität Dorpat und die Werke ihrer Professoren. Aus diesen Aufzeichnungen, noch mehr aber aus dem Charakter der zahlreichen Lehrer, unter denen vor allem Okens nicht vergessen werden darf, wird auch Safariks Universalismus begreiflich. Wie die meisten Germanistori war er ein tüchtiger classischer Philologe, der die Methode und Kritik der classischen Philologie in die slavische als Literaturhistoriker, Erforscher und Herausgeber altslove-nischer, altserbischer und altböhmischer Denkmäler übertrug. Seine historischen und ethnographischen Werke haben viele Vorzüge dem Umstande zu verdanken, dass sich Sa-fafik schon in Jena für die historischen Hilfswissenschaften interessierte dann in Neusatz fleißig die historische und gegenwärtige Geographie der Balkanhalbinsel studierte und sich genaue Ortsrepertorien und Karten anlegte2). Man muss in der That bedauern, dass diese Materialien liegen geblieben sind, aber ohne diese gründliche Vorbereitung wären die „slavischen Alterthümer“ und der populäre „Slovansky Narodopis“ sammt seiner Mappe der Slavenwelt, die einen so mächtigen Eindruck auf alle Slaven machte, nicht möglich gewesen. Von Naturwissenschaften trieb Safafik lange Zeit und gründlich Astronomie; kostspielige Instrumente kaufte oder — machte er sich selbsts). Das Interesse für Ästhetik und für die Volkslieder in den jungen Jahren und die späteren linguistischen Studien vervollständigen diese Charakteristik des allumfassenden Geistes Safariks. Selbstverständlich verfehlten auch die alldeutsche und pangermanische Begeisterung und die freiheitliche Gesinnung der Jenaer Professoren und Jugend ihre Wirkung auf Safafik nicht. In Jena wurde sein epochemachendes Jugendwerk „Geschichte der slavischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten“, in der alle Slaven zuerst in systematischer Weise als Ganzes betrachtet wurden, concipiert, schon dort sammelte er sich zahlreiche „slavische Miseellen“ ■) Konst. Jireoek, o. c. 13. - 2) Ibid. 99-106. - ») Ibid. IG, 35. und Auszüge Am meisten beweisend für die Behauptung, dass Šafafiks Nationalbewusstsein und Panslavismus in Jena geweckt wurden, sind jedoch zwei seiner Äußerungen aus dieser Periode. In der Vorrede zu einigen slovakischen Volksliedern in der „Wiener Prvotiny“ von 1817 spricht er mit Begeisterung von dem Erwachen der ganzen Slaven-welt aus geistiger Trägheit, denn von dem mächtigen Bussen bis zu dem schwachen Slovaken entflamme alle ein Funke. Der Glaube an die Zukunft des Slaventhums spricht aber namentlich aus dem ersten bekannt gewordenen Brief an Palacky (22. April 1817)2), in dem es heißt: „Halt, halt! Es ist noch nicht verloren. Es gibt einen Gott, es gibt einen Himmel, der früher oder später die Bestrebungen seiner Treuen mit dem Erfolge krönt. Und mag das alles nur ein Traum, nur eine Idee sein, was liegt daran? Wenn auch wir wie unsere Väter sterben, ohne etwas zu leisten, so werden wir für Ideen sterben, und der Mensch ist deshalb Mensch, dass er für Ideen sterben kann . . . Die Nachwelt wird die Vorfahren segnen, welche ihr Leben in die Schanze schlugen, um den Buhm der Ahnen wiederzuerwecken: wenn aber die Nachkommenschaft das nicht thun sollte, weil es keine geben könnte, so wird es derjenige thun, bei dem die Thaten eines jeden Menschen von Volk zu Volk aufgeschrieben sind. Überflüssig ist aber unsere Furcht; erwacht sind die Slavenvölker, soweit ihre Sitze reichen. Mit einer neuen Generation erblüht überall neue Kraft; alles, was todt war, regt sich. Der Schlaf ist gewichen ; es muss ein Leben folgen; aber was für eines, wer kann das errathen?“ In ähnlicher Weise schreibt er einige Jahre später, als schon seine Jugendträume stark von der Wirklichkeit erschüttert waren, an Kollar (14. Februar 1821) s): „. . . ich denke und fühle in besseren Momenten noch heute ganz so, wie ich vor fünf Jahren fühlte und dachte . . . Ja, ich bin noch heute bereit, alles für mein geliebtes Volk hinzu- ') Konst. Jireček, o. c. 13. — a) Osvžta, 189B, 118—119. ») ČČM., 1873, 121. geben, selbst das Leben; denn es ist jedenfalls besser, sein Volk durch den Tod zu verherrlichen, als durch das Leben zu verun ehren .. . Verloren ist nur derjenige, der sich selbst aufgegeben hat. Deshalb halten wir uns, und kämpfen wir einen heldenmüthigen Kampf, so dass wir entweder siegen oder zusammen fallen, mit einem Kranze unsere Stirn oder unser Grab schmücken.“ Aus diesen Worten, die bei Völkern, die nicht direct für ihre Individualität gegen Napoleon gekämpft hatten, eigentlich sonderbar klangen, hört man wohl genug Fries und Luden heraus. Nicht ganz umsonst betrachtete die ungarische Statthalterschaft den protestantischen Director des Neusatzer orientalisch - nichtunierten Gymnasiums mit Misstrauen als einen Menschen, der in Deutschland studiert hatte und deshalb „unzweifelhaft“ gefährliche Lehren mitgebracht habel). Wie sehr die Anschauungen des Jenaer Liberalismus bei Safafik in Fleisch und Blut übergiengen, zeigt sein Verhalten gegenüber den Russen und Polen in den Jahren 1830—1831. Der Neusatzer Gymnasialprofessor, der schon damals ein „Cabinetsgelehrter“ 2) in vollem Sinne des Wortes war, interessierte sich lebhaft für den groben Bruderkampf und stand trotz aller Sympathien für das russische Volk, trotz der damals schwebenden Verhandlungen, die eine Berufung nach Petersburg zum Gegenstand hatten, und im Widerspruche mit seinem Freunde Kollar mit aller Entschiedenheit auf Seite der Polen3). Der militärische Despotismus des Kaisers Nikolaus war ihm verhasst. Besonders charakteristisch sind folgende Worte (an Kollar 18. Jänner 1831): „Ohne politisches Leben sind die Völker Nullen; im Norden ist das Volk nichts, gar nichts oder vielleicht noch weniger als nichts. Unter dem 60. Grade wird nie ein slavisches Athen entstehen; denn ohne Freiheit gibt es kein Athen.“ Nach der Unterdrückung des polnischen Aufstandes gibt er seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Niederlage der Polen bald ganz Europa fühlen >) An Koliiir 24. März 1825. ČČM., 1873, 395. 2) Konst. Jireček, o. c. 3. — 3) Vgl. ibid. 121—122. werde, auch diejenigen, die sie verrathen hatten; „den abgehärteten (otrlym) und egoistischen Deutschen legt man schon Fesseln auf denVerstand und die Zunge an; in drei Jahren wird sie zweifellos ganz Europa tragen“ (18. December 1831 an Kollar). Nach seiner Rückkehr in die Heimat, wo er in Pressburg als Erzieher in dem Hause des Liptauer Vicegespans Caspar von Kubinyi wirkte (1817—1819) und mit den dortigen Professoren, meist Deutschen, vor allem aber mit dem unter den Pseudonym Christian Oeser bekannten liberalen Schriftsteller und Professor der deutschen Literatur Tobias Gottfried Schröer *) viel verkehrte, widmete Safafik im Verein mit Palacky, mit denen er viel über Poesie und Belletristik sprach, zuerst die Hauptaufmerksamkeit der Ästhetik. Dem ästhetischen Zeitalter brachte auch er seinen Tribut in der uns bereits bekannten Streitschrift „Pocätkove öeskeho bäsnictvi“, in der auch ein schon ganz vom slavischen Nationalpatriotismus getragenes Gedicht Safafiks (Me zpevy) vorkommt, und in zwei Aufsätzen dar, die im „Krok“ (erst 1821 und 1822) veröffentlicht wurden. Man kann jedoch nicht behaupten, dass Safafik als Ästhetiker auf der Höhe der Zeit gestanden und mit der romantischen Kritik besonders bekannt gewesen wäre. Im Grunde genommen stützt er sich hauptsächlich auf Fries, Fr. Bouterwek (Ästhetik, 1807), K. H. L. Pölitz (Die Ästhetik für gebildete Leser, 1807), Clodius (Entwurf einer systematischen Poetik, 1804), Aug. Apel (Metrik, 1814) und verräth durch seine Citate auch die Bekanntschaft mit Hermann, Voss, Boeckh, Grotefendt Ahlwardt und Wagner3). Safafik arbeitet also meist mit classicistischen oder neutralen Compendien, deren Lehren er in seine bereits von den romantischen Anschauungen im Sinne eines Nationalgeistes und einer Nationalcultur getragenen Schriften hineinzwängt. Neben der Forderung einer nationalen Prosodie und des Nationalgeistes in der Literatur über- >) Wurzbach, Biogr. Lex., XXI, 18-23. 2) Jan Machal, Öesky časopis historicky, I, 183—189. haupt verräth Šafariks moderne romantische Gesinnung namentlich seine Verehrung der Volkspoesie. Den ersten AnstoJJ zum Sammeln slovakischer Volkslieder gab ihm schon vor der Reise nach Jena ein Aufruf in den Wiener „Prvotiny“ ‘) und Vuk Karadžićs serbische Sammlung. Dies geht aus einem von Safafik* 2j herrührendon „Prom-luveni k Sloväküm“ in den „Prvotiny“ (1817) hervor, wo er sich bei der Verherrlichung der Volkslieder speciell auf die serbischen und das ihnen vom „Wiener Recensenten“ (1816, März) gespendete Lob beruft; wie für Celakovsky sind auch ihm Herder und Goethe die competenten Autoritäten ; er gedenkt auch der neugriechischen, walachischen und Zigeuner-Volkslieder und rühmt den Wert der Volkssprache und der Dialecte, wobei er auch schon seinen slo-vakischen zu Ehren zu bringen sucht. Seine Sammlungen trat Safafik jedoch Celakovsky und Kollar ab. Die erste Ausgabe der slovakischen Volkslieder (Pisne svetske lidu slovenskeho v Uhfich, Pest, I, 1823; II, 1827) trägt zwar an erster Stelle seinen Namen, den Kollars aber gar nicht (s. u.), doch in Wirklichkeit stand er Kollar nur mit Rath und That zur Seite und billigte auch dessen Vorrede. Mit der Arbeit Kollars war er jedoch unzufrieden, denn er näherte sich frühzeitig dem Standpunkt Jakob Grimms, während Kollar so ziemlich auf dem Herder’sohen zurückblieb. Schon in den Jahren 1822 und 1823 fällt er harte Urtheile über seine eigene Sammlung, dass sie viel Unkraut und viel Spreu, aber wenig Korn enthalte3), und erklärt Kollar nach dem Erscheinen des zweiten Bändchens direct, dass er dessen Volkslieder für „einen heiligen Codex des Slaventhums“ (Slovanstva) nicht halten könne, „sunt bona mixta malis“4). Er wollte dann, als Kollar an eine neue, vermehrte Ausgabe herangieng, ein Drittel der Volkslieder ‘) S. o. S. 83. Safafik schreibt an Kolliiv (ČČM, 1875, 135), dass er zuerst mit Blahoslav-Benedikti slovakische Volkslieder gesammelt zu haben glaubt, 2) Backovsky, o. c. 16—18. 8) ÖÖM., 1873, 1823-124, 128. - ■“) ČČM., 1875, 185. des ei’sten streichen, und zwar alle, die nicht vom Volk, sondern „von halbgelehrten Rectoren, Handwerkern, Bürgern u. s. w.“ herrühren; auch wünschte er eine möglichst reine Bewahrung des Dialectes in denselbenl), obwohl er ursprünglich fürchtete, dadurch separatistischen Literaturbestrebungen bei den Slovaken Vorschub zu leisten3). Bei Safarik gelangten wie in seiner ganzen wissenschaftlichen Thätigkeit auch bezüglich dieses Gebietes immer mehr die Anschauungen von reinem „Volksthum“ zum Durchbruch. Vor allem muss die Frage aufgeworfen werden: wie kam Safafik dazu, in Neusatz, wo er von 1819—1833 als Director des serbischen Gymnasiums (bis 1825, wo er infolge einer Regierungsverordnung als Protestant diese Stelle aufgeben musste) und als Professor der obersten (sechsten) Classe wirkte, mit der deutschen wissenschaftlichen Bewegung in der zweiten Handelsstadt Ungarns, die ein buntes Völkergemisch aufwies und vor dem Thore des eigentlichen Orients lag, gleichen Schritt zu halten, während sein Freund Kollar in Budapest, mit dem er sich noch im Jahre 1828 in der Schreibung der slavischen Alterthümer theilen wollte, nicht bloii keine Fortschritte machte, sondern eher zurück-gieng? Safarik war doch trotz seiner glühenden Phantasie ein Mann der Wissenschaft, besatl eine streng methodische philologische Schulung, bekleidete auch ein der wissenschaftlichen Thätigkeit viel günstigeres Amt und hatte in der nächsten Nähe reiche Schätze des altserbischen Sehrift-thums, was alles beim Dichter Kollar nicht zutrifft. Außerdem verfolgte er in gleicher Weise wie in Jena die Weiterentwicklung des deutschen wissenschaftlichen Lebens, blieb über Pest und Wien in Fühlung mit demselben, bekam rechtzeitig Niebuhrs, Jak. Grimms, Bopps und W. v. Humboldts Werke in die Hand und studierte sie auch gründlich, während sich Kollar mit den Phantastereien von Jos. Görres, Kanne u. s. w. begnügte, und wurde, als er sich bereits einen Namen *) Briefe an Kollar vom 8. März 1832 und 28. Februar 1833; Konst. Jireček, 70. 2) Č0M., 1873, 124. gemacht hatte, von slavischen und deutschen Gelehrten, spe-ciell von Kopitar, Palacky und dem Polen Maeiejowski') in seinen Bestrebungen durch brieflichen Verkehr gefördert. Namentlich den Polen Linde, Majewski, Potočki, Surowiecki, Rakowiecki, Chodakowski und seinem Peunde Maeiejowski hatte er vielfache Anregung und Befestigung in seinen Anschauungen zu verdanken3), denn diese machten sich besonders auf dem Gebiete der Geschichte, Literaturgeschichte und der Erforschung dos slavischen Rechtes im Sinne der historischen Schule die Leistungen der Deutschen •'1) zugute, so dass auch von einem indirecten Einfluss der Deutschen aufSafafik durch die Polen gesprochen werden muss. Zu Šafafiks erstem selbständigen Werke „Geschichte der slavischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten“ (Ofen 1826) wurde der Grundstein schon in Jena gelegt. Von Slaven war ihm daselbst Dobrov-sky namentlich mit seinem „Slavin“ und seiner „Slovanka“ ein Führer, von den Deutschen Adelung und Vater4); später kam der von Herders Ideen erfüllte Literar- und Culturhistoriker J. F. L. Wachler (Oberbibliothekar in Breslau) hinzu, von dem er in einem Brief an den Physiologen Purkyne (14. Juni 1830) schreibt: „Ich hatte nicht das Glück, ihn persönlich zum Lehrer zu haben, aber durch seine Schriften wurde er mir mehr als ein Lehrer, ein wahrer •) Die deutsch geschriebenen Briefe an ihn brachte in böhmischer Übersetzung E. Jelinek in seinem Slovansky Sbornik, III (1884). 2) Vg], meine Ausführungen im Archiv f. slav. Phil., XVI, 258, 266—267. Konst. Jireček, o. c. 93—96. “) Vgl. meine Ausführungen im Arch. f. slav. Phil., XVI, 263 bis 264, 267, Rad jugoslavenske akademije, B. 127, o. S. 49, 52. Der genaue Nachweis für diese Behauptung bleibt natürlich einer spociellen Abhandlung über die Polen Vorbehalten. Ich bemerke nur, dass in der Geschichte des polnischen Romantismus allzusehr nur die Poesie in Betracht gezogen wird, welcher doch die wissenschaftlichen Bestrebungen vorangien-gen und auch später als starke Stütze zur Seite standen. 4) ČČM., 1873, 383. geistiger Vater1).“ Umgekehrt nannte Wachler3) Šafafiks Werk „classisch“ und spielte nebst dem Rechtshistoriker Gaupp den Vermittler, als in den Jahren 1830 bis 1832 die Berufung Šafarlks nach Breslau auf der Tagesordnung stand s). Die Geschichte der ersten Berufung Šafafiks auf eine Lehrkanzel in Preußen4) ist so charakteristisch für die damaligen Beziehungen zwischen Deutschen und Slaven, dass sie hier erwähnt zu werden verdient, obwohl die Quellen lückenhaft sind und es zum Theil immer bleiben werden, da die Briefe an Šafafik zum größten Theil verloren gegangen sind6). Die erste Nachricht von der beabsichtigten Berufung brachte der damals in Breslau wirkende böhmische Physiologe Purkyne nach Wien an Kopitar, der davon Šafafik die Mittheilung machte und überhaupt seine Hand im Spiele gehabt zu haben scheint6). Am ausführlichsten schreibt darüber Šafafik selbst an Kollar (5. November 1832): „Die Breslauer Professoren Gaupp, Wachler u. a. bemühen sich auf jede Weise, das Berliner Ministerium zur Gründung einer Lehrkanzel für slavische Literatur in Breslau und zur Berufung meiner Person zu bewegen, damit dadurch auch das arme Slaventhum in Preußen ein wenig getröstet und wiedererweckt werde, und damit die slavische und deutsche Literatur allmählich in ein gewisses wechselseitiges Verhältnis gebracht werden könnten. Verhandelt und geschrieben wurde darüber sehr viel, allzuviel. Der Präsident des Herzogthums Posen und das Berliner Ministerium selbst lockten mich mit einer eitlen Hoffnung, ja sie hören auch jetzt noch nicht >) Hanuä, o. c. 71. ®) Handbuch der Geschichte der Literatur3, Leipzig 1833. s) Konst. Jireßek, 118. 4) Konst. Jireßek, o. c. 118, 129. b) Šafafik hielt seine Correspondenz nicht in Ordnung (Konst. Jireßek) und verbrannte einen grotten Theil der aufbewahrten in einem Anfall von Verfolgungswahn, wobei auch die Briefe von Gaupp und Jak. Grimm zugrunde gegangen sind (Jos, Jireßek, 72). 6) Šafafik spricht in einem Schreiben an Palacky (10. September 1832) vom „Breslauer von Kopitar angezündeten Irrlicht“. auf, mich zu locken. Aber ich sehe schon klar, dass daraus nichts werden wird.“ Die Verhandlungen geriethen ins Stocken, weil man nach dem polnischen Aufstand die Regelung der Polenfrage auch in Preußen abwarten wollte. Gau pp schrieb damals an Šafafik: „Mögen Sie also wissen, dass Ihre Berufung, wenn sie zu stände kommt, nicht bloß ein wissenschaftliches, sondern auch ein politisches Ereignis sein wird“. Von neuem gerieth die Frage im Jahre 1840 nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. unter dem Ministerium Eichhorn in Fluss, als die Gründung slavischer Lehrkanzeln in Berlin und Breslau beschlossen wurde. Sa-fafik folgte damals dem an ihn ergangenen Rufe nur insofern, dass er nach Berlin reiste und für Eichhorn ein Memorandum (Gedanken über die Einrichtung des slavischen Sprachstudiums auf preußischen Universitäten) entwarf und am 2. Mai 1841 überreichte *), wollte sich aber von Prag, seinem Volk und von Österreich nicht mehr trennen. Safarik erstes und panslavisch.es Jugendwerka), zu dem ihm speciell Wächters „Handbuch der literarischen Cultur“ als Muster vor Augen schwebte3), macht den Eindruck eines biographisch-bibliographischen Leitfadens, ver-räth aber doch nicht bloß in der Vorrede, sondern auch durch den Inhalt den überzeugungsvollen Anhänger der Ideen Herders und der Romantik, vor allem den romantischen Nationalpatrioten. Ihm bandelt es sich nicht bloß um den Wert und Einfluß der Literaturgeschichte im allgemeinen, sondern um den nicht minder mächtigen „Einfluss der Sprach- und Literaturgeschichte seines eigenen Volkes auf Erregung einer verständigen Nationalliebe, Belebung der literarischen Betriebsandreit, Veredlung des Gemüths und hiemit auf den Fortgang der Nationalliteratur“, weshalb es die Pflicht eines jeden Literaturfreundes sei, „seine Muttersprache ') Abgedruckt als Beilage zu Popovs UllCMta KT> Horo^IIliy It'i'f. CJianilHCKIIXT. aeiuejll. (Moskauer 'Irciliir, 1879, Kit. 4), S. 494 bis 442. >) Vgl. J. HanuS, /lata Praha, 1895, Nr. 29 ff. ») Č0M., 1873, 144 (au Kollar 28. Juni 1823). und ihre Schicksale vor allem anderen genau kennen zu lernen“. Trotzdem es sich auch bei den Slaven schon rege, besitzen einige Stämme noch immer keine angemessenen Sprachbiicher über ihre Mundart, mehrere keine Geschichte ihrer Literatur, das Studium beider sei leider von den höheren Lehranstalten ausgeschlossen. „ Wie viel würde für die Vervollkommnung der slavischen Gesa mm t-sprache gewonnen werden“, wenn diesen Übeln abgeholfen würde. Er denkt dabei vor allem an die Jugend und findet einen beachtenswerten Zug in dem Nationalcharakter der Slaven, dass sie, wenn sie zu höherer Bildung gelangen, „an dem erkannten Kleinod der angestammten Sprache und Volksthümlichkeit“ nur umsomehr festhalten. Durch unzählige Thatsachen wurde die Wahrheit erhärtet, „dass seit einem Menschenalter und darüber alle slavischen Mundarten, selbst diejenigen, die fern vom Glanz des Hofes und der Großen nur noch im Hause Gottes und in der Hütte des Landmannes fortleben, ohne andere Begünstigung, infolge jener inneren belebenden Kraft, in stillem, aber daselbst sichererem Fortschreiten begriffen sind“ ’). In der Darstellung erfreuen sich natürlich seiner besonderen Sympathien diejenigen Perioden der Geschichte und Literatur, in denen das „Volksthum“ zur Geltung kam und die Literatur wirklich eine Nationalliteratur war. Den alten Slaven schreibt er eine hohe vorchristliche Nationalcultur zu, wobei er sich namentlich auf Rakowieckis „Prawda ruska“ stützt, was ihm den Tadel Dobrowskys eintrug, verwertet natürlich in diesem Sinne die Grünberger und Königinhofer Handschrift, spricht mit Bedauern von dem frühzeitigen Eindringen deutschen Wesens in Böhmen, wobei die Böhmen geradezu zu „Affen“ wurden, stellt der angeblichen (auf die Königinhofer Handschrift gestützten) „Blütezeit der böhmischen lyrisch-epischen Dichtkunst“, die auf Volksliedern beruhe und mit der herrschenden Periode der Minnesänger Zusammenfalle, die auffallend leeren, matten und geistesarmen *) 0. c. Vorrede, UI—V. „spätem Legenden, Fabeln und didaktischen Gedichte“ entgegen, datiert von der Errichtung der Prager Universität das Ende der Nationaldichtkunst, verschweigt auch nicht, dass nur wenige Werke des „goldenen Zeitalters“ der böhmischen Literatur „die strengere Kritik eines geläuterten Geschmacks aushalten“, rühmt aber die hohen Verdienste der Hussiten und speciell der Böhmisch-mährischen Brüder für die Hebung der nationalen Sprache und Oultur, wie er umgekehrt das Zerstörungswerk der .Jesuiten verdammt. Wir sehen also auch hier, wie die böhmische Romantik der deutschen in der Verehrung des Mittelalters aus zwingenden Gründen nicht folgen konnte, und am allerwenigsten war das von einem Nachkommen der böhmischen Exulanten zu erwarten. Des letzteren Standpunkt kommt aber namentlich in auffälliger Weise beim Lob des „milden, umsichtigen und durchgreifenden Waltens“ des Kaisers Josefll. zur Geltung, wodurch er sich mit dem von ihm oft citierten Herder und mit den damaligen (vgl. Celakovsky, Kamaryt) und späteren böhmischen Patrioten in Widerspruch setzte. In ähnlicher Weise beurtheilt er die Perioden der russischen und polnischen Literatur, wobei selbstverständlich der „Gallicismus“ besonders schlecht davon kommt. Einen ganz romantischen Satz lesen wir bei den Polen, bei denen er klagt, dass „nur das höhere vaterländische Epos und Drama, der Gipfel jeder vollendet sein sollenden Nationalpoesie“, noch immer keine clas-sischen Muster aufzuweisen haben 'j. Charakteristisch ist aber auch die Warnung, die Nachahmung der Franzosen nicht allzusehr mit der der Deutschen zu vertauschen: „In einen entgegengesetzten Fehler verfielen, vorzüglich seit der Theilung des Reiches, die zahlreichen Übersetzer aus dem Deutschen, indem sie die metaphysisch-subtile, verwickelte und dunkle Schreibart einiger deutscher Schriftsteller in die polnische Sprache verpflanzen wollten“ 2). Ebenso erklärt er sich gegenüber Kollar (1. März 1826) gegen die „hypermeta- >) O. c. 455. >) O. c. 453—454. 144 physischen“ grammatischen und orthographischen Spielereien Herkels und andex-er Slovaken und meint, dass die Zeit neuer Sprachen und Religionen vorüber sei1). Diese Ablehnung der romantischen Metaphysik und Mystik ist umso bemerkenswerter, als auch Safalik in dem Zeitalter des Subjectivismus nicht umhin kann, den Slaven durchgängig „das Princip der größeren Empfänglichkeit oder Subjectivität“ physisch und psychisch zuzuschreiben, was sich schon äußerlich in dem Zurücktreten aller Begrenzungslinien, vorzüglich jener des Gesichts, kundthue, „die ungleich runder, sanfter und weicher sind, als bei den mit mehr nach außen strebender Kraft begabten Deutschen“ 2). Man sieht, dass Safafik dabei hauptsächlich seine Slovaken und ihre Stammesbrüder in Böhmen und Mähren im Auge hatte. Im Zusammenhang damit steht das Lob der Charaktereigenschaften der Slaven, namentlich ihrer großen Liebe zu Gesang und Tanz. Es braucht nicht weiter betont zu werden, dass Sa-farik mit besonderer Liebe an der Volkspoesie hängt und Sammlungen von Volksliedern, Volkssagen und Sprichwörtern empfiehlt, die „zur Aufhellung des altern und Charakterisierung des neuern Slaventhums“ von einem ungemein großen Nutzen sind, wobei er in echt romantischer Weise folgende Begründung vorbringt: „In den Volksliedern, vorzüglich den ältern, an welchen die slavischen Stämme vielleicht reicher sind, als irgend ein Volk in Europa, findet man nicht nur Spuren des Alterthums, die Namen der slavischen Götter und historischer Personen, das Andenken von Ereignissen und Thatsachen, wenngleich mit Sagen und Märchen untermischt, weshalb sie für den Geschichtschreiber von geringerem Belang sind, sondern man findet in ihnen vorzüglich das, was den Dichter, Psychologen und den Volksfreund am meisten interessiert, den reinsten Ausdruck aller nationalen Sitten, Gebräuche und Gefühle sowohl der Vorzeit als der Gegenwart. Den Philologen gehen sie noch näher *) ČČM., 1874, 64-68. 2) Geschichte der slavischen Sprache und Literatur 49. an, denn sie sind die wahren, echten Idiotica der respec-tiven Mundarten“ 1). Zu den Problemen, denen im Geiste der Zeit eine besondere Beachtung geschenkt werden musste, gehörte die Frage vom slavischen Nationalcharakter. Diese wurde von allen slavischen Patrioten einfach in dem Sinne gelöst, dass sie sich das ganze Capitel über die Slaven in Herders Ideen zur Geschichte der Philosophie der Menschheit (IV. Tlieil, 4. Cap.) zueigen machten und es weiter ausführten. Am meisten trugen aber zur Verbreitung der Ideen Herders in der Wissenschaft und Poesie Šafarik und Kollar bei. Da die ganze in Frage stehende Stelle des Humanitätsphilosophen bei derWürdigung der „Slavy Dcera“ Kollars zum Abdruck kommen muss, so genügt es hier darauf hinzuweisen, dass Herder die friedliche Culturthätig-keit der Slaven, namentlich ihren Ackerbau und Handel, ihre fröhliche musikalische Lebensweise, ihre grenzenlose Gastfreundschaft und ihren friedfertigen Charakter rühmt, dafür aber die Nachbarvölker, speciell die Deutschen, beschuldigt, dass sie sich an den unkriegerischen Slaven, die nie die Herrschaft über die Welt anstrebten und die stille Arbeit dem Kriegshandwerk vorzogen, hart versündigten. Der russische Kechtshistoriker J. M. Sobestianskij2), der zuerst die durch Jahrzehnte festgehaltene Lehre vom passiven Nationalcharakter der Slaven auf ihren Ursprung hin prüfte, meint, dass Herder, der die Humanität über alles stellte, für sein philosophisches System der mittelalterlichen Geschichte der Völker Europas wenigstens ein zahlreiches unkriegerisches Volk als Vertreter des humanen, friedlichen, aufbauenden Princips brauchte. Seine Charakteristik der alten Slaven hätte daher ihre Quelle in seinen philosophischen Anschauungen, in seinen persönlichen, dem Krieg und dem preußischen Militarismus abgeneigten Gefühlen, in >) O. c. 140. 2) JAeiibi o HagioHaäBHHX't. ocoöeiiuocTaxB xapaKrepa u icpn-/pmecKaro 6i,rra /ipcimnx'i, CjiaBjnrr.. Sieh meine Anzeige im Arch. f. slav. Phil., XVI, 254-268. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 10 146 seinem russischen Patriotismus und in seiner Sympathie für die russischen Slaven. Die Anschauungen Herders mussten natürlich allen slavischen Patrioten besonders wohl thun, denn sie entschädigten sie für die zahlreichen absprechenden und wegwerfenden Urtheile anderer Deutschen über die Slaven, idealisierten die Vergangenheit, rechtfertigten die traurige Gegenwart und schlossen doch mit einem prophetischen Ausblick in die große Zukunft der slavischen Völker. Ganz besonderes mussten aber Herders Theorien einem Nachkommen und geistigen Sohne der Böhmischen Brüder, einem Schüler von Fries und dem von romantischer Heimatsliebe erfüllten Angehörigen des armen, gutmüthigen und arbeits-samen slovakiseheu Volkes gefallen, das weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart eine besondere Rolle spielte. Safafik citiert') daher auch die ganze Stelle aus Herder und beruft sich überhaupt öfters auf ihn, doch das Merkwürdigste ist, dass in seinem Werk die Herder’sche Charakteristik sogar doppelt vorkommt. Es ist ein unbestreitbares Verdienst Sobestianskijs2) nachgewiesen zu haben, dass der größte Theil3) des §5 der über „Charaker und Cultur der Slaven im allgemeinen“ handelt, aus zwei — Predigten Kollars4), die ihrerseits auch auf Herders Charakteristik beruhen und sich auch auf sie berufen, meist wörtlich ausgeschrieben ist. Bei den innigen freundschaftlichen Beziehungen zwischen Safafik und Kollar und bei dem Umstande, dass beide auf derselben Quelle fußen, ist es müßig darüber zu streiten5), ob Safafik ein Plagiat begangen habe oder nicht, umsomehr als er selbst den Wiederabdruck ') O. c. 16—17, 57. 2) y'roiiiji o Hanionajii.nuxT. ocoÖeiniocTaxTi, 225—255. 8) O. c. 49-57. 4) Dobro vlasnosti narodu slovanskćho, v Pesti, 1822. ‘l Vgl. Masaryk, Češka oläzka CO; L. Nieđerle, Česky časopis historicky, I, 164. Safafik schrieb selbst an Kollar (ČČM., 1878, 129): „Ihre beiden Predigten sind eine Gabe und ein Schatz, für den ich Ihnen nicht genug danken kann. Alles das ist mir aus dom Herzen und der Seele geschrieben.“ seines Jagendwerkes, dessen Schwächen er kannte, nie gestatten 1) und eine Übersetzung ins Russische nicht einmal Pogodin, dem er soviel verpflichtet war, erlauben wollte2). Wichtig bleibt nur die Thatsache, dass die direct und indirect auf Herder beruhende Charakteristik der alten Slaven, die zuerst in serbischer Sprache erschienen ist8), durch Šafafiks Jugendwerk, das sich eines großen Anklanges erfreute und allgemeine Verbreitung finden konnte, weil es in deutscher Sprache geschrieben war, zum Gemeingut aller gebildeten Slaven wurde und überdies auch in die „Slavischen Alter-thümer“ übergieng, so dass sie für alle folgenden slavischen Geschichtschreiber mit geringen Ausnahmen bis in die jüngste Zeit fast einen Canon bildete. Ebenso ist es unbestreitbar, dass auch Safafiks Auffassung von der Rolle, die das Slaventhum in der Gegenwart und Zukunft zu spielen habe, von Herders Humanitätsideal getragen war. In seiner Freude über die „neueste Epoche in der Nationalcultur der Slaven“ meinte er, dass das slavische Volk, in dessen ganzem Leben so viele Anklänge des jugendlich-poetischen Griechenthums wiedertönen, und das nur noch der Stufe der ästhetischen und wissenschaftlichen Cultur ermangelt, auf der einst die Griechen standen, berufen sei, diesen „in der Realisierung der Idee eines reinen Menschenthums nahe zu kommen“4). Bemerkenswert ist auch Safafiks Begründung, warum er sein Werk deutsch schrieb. Die erste Ursache war „ein bloßer Zufall“, der es mit sich brachte, dass die Schriften, aus denen er sich die meisten Materialien sammelte, beinahe alle deutsch waren. Zweitens wollte er sein Werk allen Studierenden und Literaturfreunden der österreichischen Monarchie gleich lesbar machen, weil er aus Erfahrung wusste, dass die Verschiedenheit der Mundarten, Buchstaben und Orthographien, die damals viel größer und häufig so- ') Sieh die Vorrede Vojtech Šafafiks zum zweiten Abdruck, S. IX. *) Popov, Iliici.Ma ki IIoroguHy, 177. a) CepöcKe JPtToiiHcir, l, l, 64—99. 4) 0. c. 68—64. 10* gar innerhalb eines und desselben Stammes bedeutend war, eine Scheidewand bildet, die selbst unter hunderten von Gelehrten kaum einer durchzubrechen Muth oder Lust genug hat1). Einen Grand gestand Safarik öffentlich allerdings nicht ein; vertraulich schreibt er jedoch an Kollar (21. Jänner 1824), dass er auch an „die verstockten Ausländer — die Deutschen“ dachte, welche das Werk einsehen und sich überzeugen könnten, dass in der Slavenwelt das Tageslicht schon angebrochen ist, nicht anbricht (již svitlo, ne svita)3). Als er dann die Werke der Polen Rakowiecki und Potočki und des Russen Greč kennen gelernt hatte, bedauerte er allerdings diese „Eitelkeit“, doch mit Unrecht. Wie alle größeren Werke Safariks war auch dieses in der That eine Apologie desSlaventhums fürPreund und Feind: es predigte den nationalen „Patriotismus, der die Nationaltugenden weckt“, aber die Rechte anderer achtet8), und wehrte die zahlreichen, meist deutschen Angriffe und Schmähungen1) der Slaven ab. Die deutschen Einflüsse waren daher nicht bloß positiver, sondern auch negativer Natur. Safariks „Geschichte der slavischen Sprache und Literatur“ leistete in der That ihren Dienst auch den Ausländem und erschien sogar in zwei amerikanisch - englischen Bearbeitungen, die beide ins Deutsche zurückübersetzt wurden5). ') O. c. VH—vm. ĆČM., 1S73, 383. - ČČM., 1. c. “) 0. c. 47. Beachte noch die Worte: Nur der Menschen Schwachheit und der Menschen Eigendünkel und Übermuth verwischt mit frevelnder Hand die Züge der Natur, die einem Volke angehören, und prägt in der krankhaften Phantasie das Urbild in ein Unbild um. Lasst uns gerecht sein und unsere Nation lieben, ohne die übrigen zu hassen! Welches Volk ist nicht stolz auf sich? ■*) Eine Blütenlese bieten die Anmerkungen auf S. 44—47. 5) Th. v. Jacobs (Talvy), die gefeierte Übersetzerin der serbischen Volkslieder, gab 1834 in Andover heraus: Historical view of the Slavic language in its various dialects. Dass das nur ein Auszug aus Safariks Werk ist, constatierten Palucky und Šafafik. (Almanaoh der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, 1802, S. 127). Das Buch erschien in deutscher Sprache: Geschichtliche Übersicht der slavischen Sprache in ihren verschiedenen Mundarten für das deutsche Mit großer Begeisterung wurde das Werk bei den Slaven aufgenommen, denn sie erblickten sich darin „wie in einem .großen Spiegel, mit Entzücken, Verwunderung und klarem Bewusstsein zum erstenmal in systematischer Ordnung und öffentlich vor ganz Europa als eine Nation“. So schrieb der berufene Interpret der Ideen Safafiks J. Kollar1) nach eilf Jahren. Das größte Echo fand Safafiks Geschichte bei den Polen; polnische Studierende in Wien schickten ihm ein Dankschreiben* * 3), die Krakauer und Warschauer gelehrte Gesellschaft wählten ihn zuerst zu ihrem corre-spondierenden Mitgliede3). Bei den Serben und Kroaten, die damals nicht bloß durch die Schrift und Religion, sondern auch nach den einzelnen Landschaften, Dialecten und verschiedenen Orthographien getrennt waren, übte Safafiks Darstellung ihrer Sprache und Literatur einen großen Einfluss auf die weitere literarische Entwicklung aus, speciell in Agram 4 *), wo man seit 1830 unter dem Namen des Illyris-mus alle Südslaven literarisch einigen wollte. Zu dieser Gesammtdarstellung der Literatur aller sla-vischen Völker drängten Safarik der ihm von Jena her eigenthümliche, immer auf das Ganze gerichtete Sinn6), das Bewusstsein, dass für die Erforschung des slavischen Alterthums, der Sprache und des ganzen Volksthums, die ihn um diese Zeit schon stark beschäftigten, ebenso wie bei den Deutschen und Germanen überhaupt die Berück- Publicum bearbeitet von E. v. 0., Leipzig 1837. Frau Talvy arbeitete ihre Schrift noch einmal um und gab sie 1850 in New-York heraus; die deutsche Übersetzung derselben erschien 1852 in Leipzig. ’) Über die literarische Wechselseitigkeit zwischen den verschiedenen Stämmen und Mundarten der slavischen Nation (Pest 1837), 8. 24. *) ČČM., 1874, 76. Konst. .lireček, o. c. 95. 4) M. Bogovič, Kolo, IX, 47. Übertrieben sind jedoch die parteiischen Äutlerungen Kopitars in Briefen an Kristianovič, sieh Arkiv za povjestnicu jugoslavensku, XII, 98—99, 101—102. 9 Ygl. eine briefliche Äußerung an Palaeky aus dem Jahre 1820 bei V. Safafik, Slovnik. Naucny, IX, 7. sichtigung aller Stämme und „Mundarten“ l) nothwendig ist, dann das Beispiel Dobrovskys, Kopitars und der Polen, bei denen die Romantik in der Wissenschaft, die sich dazu noch der Nationalsprache bediente, die ersten Triumphe unter den Slaven feierte, und der im Geiste der Zeit liegende nationale Patriotismus, für den bei den Slaven und namentlich bei Safarik die Deutschen mustergiltig waren. Er wünscht daher bald nach dem Erscheinen seines Werkes, dass sich alle slavischen Stämme gegenseitig kennen lernen und in literarischer Hinsicht fördern sollen, und eifert gegen kurzsichtigen Particularismus und kleinliche orthographische und grammatische Streitigkeiten3). Am besten charakterisiert aber Šafariks Panslavismus die Einleitung zu einer Übersicht der neueren Literaturen der Südslaven (aus dem Jahre 1833)3), wo es (nach Kollars Übersetzung) heißt: „So wie die natürliche Liebe edle Verwandte, Mitglieder einer Familie, auch wenn sie in weiter Entfernung leben, dennoch bald öffentlich und thätig, bald wenigstens in der stillen Sehnsucht des Herzens, eng zusammen verbindet und dazu autreibt, dass sie bei der Erfahrung jeglicher Verhängnisse des Lebens sich freundschaftliche Gefühle gegenseitig mittheilen: so ist auch die Neigung, welche gewöhnlich verwandte Völker, Zweige eines Urstammes, zur gegenseitigen Liebe und Achtung führt, ein theueres Geschenk der Natur und ziert die Menschheit. In beiden Fällen offenbart sich die unerforschliche Weisheit der wohlthuenden göttlichen Vorsehung, indem sie an diesen festen Grund, an diese süße, innige Sympathie die stärksten Bande knüpfte, welche die Bedingung sowohl des häuslichen als auch des gesellschaftlichen oder bürgerlichen Lebens und dadurch 1) Eine gesammtslavische Grammatik wünscht er sich bereits am 1. März 1826 (Brief an Kollar, ččM., 1874, 67) und schreibt am 25. October 1830 an denselben Freund: „Ein wahrer slavischer Philo-log muss alle slavischen Dialecte als Eines, als ein Ganzes betrachten, den kleinsten ebenso hochschätzen wie den größten“ (Konst. Jireßek, 88). 2) Die Beweisstellen aus Briefen bei Konst. Jireßek, o. c. 88, 96. 8) ČČM., 1833, I, 3-4, jetzt SS., HI, 261. KoMr, Über die literarische Wechselseitigkeit, 1837, S. 25. auch der Bildung und der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechtes sind. — Die slavischen Stämme und Zweige, zwar Söhne einer Urmutter, aber zerstreut durch Stürme der Zeiten, fühlen Trost und Freude auch bei dem bloßen Andenken an den gemeinschaftlichen Ursprung; und den edleren Seelen unter ihnen ist gewiss die gegenseitige Freude über den glücklichen Fortgang und das Wachsthum ihrer Sprache, Literatur, Gesittung, Bildung, Aufklärung und ihres Wohlstandes, sowie hingegen die Betrübnis über Missgeschick und Unfälle ihrer Brüder nicht fremd und ungewöhnlich.“ Hiebei war aber Safafiks Herzen „der arme Bussniake (Buthene) ebensoviel wert, wie der mächtige Busse“, er schätzte „den aussterbenden Lausitzer und Bulgaren (dieser zählte Šafafik 1826, obwohl er ihnen so nahe wohnte, nur 600.000) ebenso hoch wie den mächtigen Bussen“ und verfolgte mit Bedauern die Bussomanie einiger Slovaken und Böhmen (z. B. Hankas), die zu nichts Gutem führen könne1). Safaixk dachte nach dem Erfolg seines ersten Werkes ernstlich an eine Umarbeitung und neue Ausgabe desselben, vollendete aber bis zum Jahre 1832 nur die serbische, kroatische und slovenische Literatur, und selbst diese voi’treff-liche und reichhaltige Neubearbeitung erschien erst nach seinem Tode als „Geschichte der südslavischen Literatur“ (Prag 1864—1865, drei Bände), herausgegeben von Josef Jireček. Unter den verschiedenen Gründen, die ihn von diesen literarhistorischen Arbeiten abdrängten, war der wichtigste die Umkehr zur Geschichte, zur altslavischeh und altböhmischen Philologie, dann zur Linguistik. Auch als Historiker verräth Safarik sofort den deutschen Bomantiker, der in das graue Alterthum flüchtet und Geschichte aus Patriotismus schreibt. Sein erstes historisches Werk „Über die Abkunft der Slaven nach Lorenz Surowiecki“ (Ofen 1828) war ursprünglich als eine ausführliche Anzeige der gleichnamigen Schrift (Sledzenie poezatku narod6w slowiaüskich, v Warszawie 1824) des von Herder und der Born antik beeinflussten Polen Surowiecki für die ’) Aus Briefen an Kollar, Konst. Jireček o. c. 96—97, 134—135. „Wiener Jahrbücher“ bestimmt, für die ihn Kopitar, der mit seinem ersten Werk besonders zufrieden war, als fleißigen Mitarbeiter zu gewinnen suchte. Doch Šafafiks Kritik und Ergänzung Surowieckis fiel so umfangreich aus, dass er sich zur Ausgabe eines selbständigen Werkes entschloss. Die Haupttendenz beider gieng darauf hinaus, die dunkle Urgeschichte der Slaven aufzuklären und speciell ihre oft bestrittene Autochthonie in Europa zu beweisen. Von welcher Gesinnung dabei beide geleitet waren, beweist vor allem die Charakteristik Surowieckis, über den Šafa.fik schreibt1): „Auch er suchte, wie es tausende vor ihm und mit ihm gethän haben und tausende nach ihm thun werden, in den trüben Tagen vaterländischer Trauer bei der Muse der Geschichte Trost und Rettung vor unmuthsvoller Verzweiflung, wohl wissend, dass das Leben nicht drücken und ermüden kann, wenn man die Welt, für welche jeder in seinem Kreise und nach den Forderungen seiner Zeit thätig sein soll, aus der Vergangenheit verstehen lernt.“ In seiner Einleitung ist Šafafik zwar einer allzusehr auf Flügeln der Phantasie durch die ungemessenen Räume der historischen Nacht hinauf zu den Quellen des Lichtes eilenden Geschichtschreibung abgeneigt, aber er tadelt auch den Historiker, der „aps religiös-ängstlicher Achtung für reine, durch unbestreitbare Thatsachen und Zeugnisse sichergestellte Wahrheit oder auch aus vornehm bequemer Arbeitsscheu das Tagewerk des eigenen hohen Berufes erst da anfangen zu müssen glaubt, wo die Sohne der Geschichte über das Volk bereits aufgegangen und der helle Tag seines Lebens irnd Wirkens angebrochen“; der zur höheren Bildung emporstrebende Mensch soll die Geschichte seines Volkes in ihrer Gesammtheit kennen lernen. Hiebei sei aber wie anderswo „der absolute Maßstab für des forschenden Historikers Verdienst nicht der Erfolg seiner Untersuchungen allein, sondern zugleich auch die Lauterkeit und Treue der Gesinnung, die ihn «) O. c. 14. dabei leitete, und die Hoheit des Endzweckes, auf welchen er hinarbeitete“1). Beachtenswert ist der Fortschritt Safanks in kurzer Zeit auf einem Gebiete, auf dem die Romantiker besonders zu Irrthümern geneigt waren. Noch in der „Geschichte der slavischen Sprache und Literatur“ folgt er gläubig Friedrich Schlegel, Hammer* 3), Th. P. Adelung und namentlich Görres, welche die Germanen aus Persien herleiteten, dann Majewski, Rakowiecki und Jungmann, welche dem entsprechend d.ie Slaven aus Indien stammen ließen3), aber schon nach zwei Jahren will er mit Surowiecki von einer allzugroßen Verwandtschaft der Religion der Slaven und Inder, von welcher er, Görres folgend, fest überzeugt war4 *), nicht viel wissen und noch weniger daraus Schlüsse für die Herkunft der Slaven ziehen6). Nur in der Etymologie gieng er auch jetzt noch nicht über Görres und seinesgleichen hinaus, denn auch er leistete darin Großartiges“), um die thrakischen und illyrischen Stämme zu Slaven zu stempeln. Z. B. statuiert er eine Wurzel c — m—n für slav. kameni, (davon Acumincum!), r’s als onomatopoetischen Ausdruck für das Fließen und Rauschen des Wassers, woraus eine unübersehbare Menge slaviseher Fluss- und Ortsnamen stammen soll, wie Ras, Rasa, Rase-nica, Raška, Räsa, Resa, Resata, Risna, Ras, Rusa, Rjazanj, Rešow, Oršava, Orša u. s w. (und davon Arzos, Artiskos, heute Raška), einen „Urling tr. str ragen“, von dem ostrov Insel und davon Istria herstammen soll; seine Vorstellung von Wurzeln charakterisiert sehr gut auch die Theiluug a-lb-us, das er einem slav. .u.ö't (! weiß) gleichsetzt, welches >) O. c. 6—7. 3) Mit-ihm stand ŠafaMk in lebhaftem Verkehr und hatte ihm die Sendung vieler Hilfsmittel nach Neusatz zu danken. Vgl. ČČM., 1874, 294, 295, 414, 415, 422, 428. “) Gesohiohte der slavischen Sprache und Literatur, 2. *) Ibid. 11-12. s) Über die Abkunft der Slaven, 44. Bereits am 31. December 1827 schrieb er an Kollar (ČČM., 1874, 425): „Bei dieser Wanderung nach Indien wird für die Slaven auch nichts herauskommen.“ o) Ibid. 158-180. 154 er sich aus dem Namen des Schwanes (er citiert die Formen lebud, labud) mit Rücksicht auf die Farbe des letzteren construierte; überhaupt verführt ihn der Gleichklang zu den gewagtesten Etymologien, so dass er sogar Ravenna von slav. ra veni, und rovem,, St ei er, Stiriatis, Stiriatae von slav. štir, štira, Timavus von ti,Main,, ti.mi.ht, ableitet; an die Möglichkeit, dass lateinische und andere anderssprachige Namen des heutigen slavischen Südens slavisiert sind, denkt er gar nicht und kann daher leicht Arba und Arrabo (heute Rab), Salona (Solin), Scardona (Skradin), Sontius (Soča) u. s. w. als slavisch erklären. Doch auch von diesem Etymologisieren sagte sich Sa-farik noch im Laufe eines Jahres ganz los. In einem Schreiben an Kollar (22. Octobor 1829) möchte er schon mindestens die Hälfte der etymologischen Irrthümer aus seinem Werke „zu seiner Ehre und zum allgemeinen Wohl“ hinausgeworfen haben1). Niebuhrs Abhandlung über die Scythen und Sarmaten, die ihm Palacky geschickt hatte, die Sanskrit-Grammatik B o p p s, die er eifrig studierte, und dessen Glossarium sanscritum, namentlich aber J. Grimms „Deutsche Grammatik“ brachten diese Wirkung hervor2). Uber letztere schreibt er an Kollar (15. Jänner 1829): „Grimm ist ein ausgezeichneter deutscher Etymolog. Die Lectüre seiner Grammatik brachte mich in unserer alten Etymologie und Sprache erst auf den rechten Weg! . . . Werden unsere Slaven je eine solche haben?“ So schuf sich SafaTik, der seine früher genannten Etymologien noch im Jahre 1828 im Manuscript zur Beurtheilung an Kollar eingeschickt hatte, die wissenschaftliche Grundlage für sein weiteres Wirken auf diesem Gebiete, mahnte aber noch am ') Konst. Jireček, 106. 2) Die Belegstellen aus der Correspondenz mit Kollar (die Briefe an ihn nach dem Jahre 1828 sind überhaupt noch nicht veröffentlicht) und Palacky sind jetzt am bequemsten zu finden bei K. Jireček, S. 47, 49, 97, 107 — 108. Das erstemal gedenkt er der Grammatik Grimms in einem Briefe vom 6. August 1826 (ÖÖM., 1874, 81), als er Kolldr von einer Übersetzung des Terminus Grammatik abrüth. Schlüsse des Jahres 1829 seinen Freund umsonst zu jener Vorsicht im Etymologisieren, die Dobrovsky und Grimm auszeichnet, denn Kollars Rozpravy o jmenach (1830) brachten bald darauf ihm und noch mehr Palacky eine bittere Enttäuschung. Safarik war mit seiner Schrift „Über die Abkunft der Slaven“ überhaupt bald nach ihrem Erscheinen unzufrieden obwohl sie in Deutschland Aufmerksamkeit erregte, so dass ihn Heeren und Ukert aufforderten (1829 und 1830), eine „allgemeine Geschichte der slavischen Völker“ für ihre „Geschichte der europäischen Staaten“ auszuarbeiten1). Er lehnte ab, bedauerte aber, keinen geborenen Slaven dafür Vorschlägen zu können, denn er theilte bereits die Überzeugung des Polen Rakowiecki, der die „denkwürdige Wahrheit“ ausgesprochen hat, „dass in der slavischen Geschichte nur ein Slave arbeiten soll“2). Den Grund der Schwäche seines Werkes charakterisiert er selbst mit denWorten : „Wir waren geistige Sklaven der Deutschen, die uns wie Bären an der Nase herumführten“ 8). Es beseelte ihn daher der sehnlichste Wunsch, die slavische Urgeschichte besser zu beleuchten und sie nicht bloß vom slavischen Standpunkt, sondern auch in einer slavischen Sprache zu schreiben. Schon im Jahre 1824 klagte er seinem Freunde Kollar4), dass er auf den allgemeinenWegen des Allslaventhums ohne Heimat und Vaterland herumirren oder gastliche Anfnahme auf jenen brüderlichen Gefielden suchen müsse, über denen eine glücklichere Sonne leuchtet. Was er bei seinen Slovaken nicht finden konnte, winkte ihm von der Moldau entgegen, und er hegte bezüglich seiner eigenen Person wohl denselben Wunsch, wie bezüglich seines Freundes Palacky, dem er schrieb (11. October 1830)'): „Gott erhalte Sie treu der böhmischen Geschichte, und zwar in böhmischer Sprache!“ Er verhehlte zwar sich und seinen Freunden nicht, dass ') Konst. Jirooek, 108—109. a) An Kollilr (9. Jänner 1826), ČČM., 1874, 64. 8) An Palacky (28. December 1828), Konst. Jireček, 107. *) ČČM., 1873, 388. — 6 *) Konst. Jireček, 66. ihm die slavische Schriftstellerei nichts anderes ehitrage als Mühe und Sorgen, während ihm jedes Geschmiere in deutscher Sprache gut gezahlt wurde, doch kamen gleichartige Wünsche seiner jüngeren und älteren Stammesgenossen in Prag seinen Bestrebungen zur rechten Zeit entgegen. Als Šafariks Stellung in Neusatz wegen des ungesunden Klimas und wegen der geistigen Einöde unter den „Barbaren“ und „Halbtürken“, den unwissenden serbischen Mönchen und Kaufleuten, unhaltbar geworden war und sich die an eine Berufung nach Petersburg oder Breslau gesetzten Hoffnungen als trügerisch erwiesen hatten, an die oberungarischen Lyceen aber er selbst nicht gehen wollte, bekam er (1832) aus Prag eine Adresse mit Unterschriften zahlreicher Studenten, die ihn bes'chwören, er möge in Zukunft nicht deutsch, sondern nur böhmisch schreiben, dehn; dies erfordere der Ruhm der ruhmvollen Nation1). Diese studentische Aneiferung hätte Šafarik allerdings wenig genützt, aber er bekam gleichzeitig dieselbe Tendenz verfolgende Briefe Palaokys, dessen Bemühungen, Šafarik ein Einkommen aus Privatbeiträgen zu sichern, bis er eilte entsprechende Stellung in Prag finde, von Erfolg begleitet waren, so dass er sich im Frühjahr 1833 mit dem festen Vorsätze dahin begeben konnte, sich im Verein mit seinen Freunden solchen literarischen Arbeiten zu widmen, die „der Förderung einer wahren Nationalcultur und der Verherrlichung des böhmischen Namens dienen könnten“ 2). Der von Palacky wie ein Messias sehnsuchtsvoll erwartete und von Jungmanns) als neuer Stern in der böhmischen Literatur begrüßte Slovake erfüllte auch die in ihn gesetzten Hoffnungen, denn er fand in Prag einen viel günstigeren Boden als vor 14 Jahren in Neusatz, wohin er ebenfalls mit der Hoffnung gezogen war, bei den Serben für eine Nationalcultur wirken zu können, die sich aber als eitel herausstellte 4). ’) Konst. Jireček, 128. s) An Palacky, 6. November 1832. Konst. Jireček, 129. :l) Slovnik Nauony, IX, 5. — *) Slovansky Sbornik, III, 189. Šafafik gieng in Prag sofort daran, Aufsätze für die böhmische Museums-Zeitschrift zu schreiben, die mit der slavisehen Urgeschichte in Zusammenhang standen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen seine „Gedanken über die Autochthonie der Slaven in Europa“ (1834), denn wir finden darin eine Zusammenfassung und Verbesserung seiner Schrift „Über die Abkunft der Slaven“. So schrieb er über diesen Gegenstand, der ihn soviel beschäftigte, nun auch in böhmischer Sprache, woran er schon im Jahre 1827 gedacht hatte ’). Die in Rede stehenden Aufsätze dienten als Vorbereitung zu SafaTiks berühmtesten Werke „Slovanske s tar ož itn osti“ („Sl a vi s che Alterthümer“)2), das in den Jahren 1886 —1837 erschien und die älteste Geschichte aller Slaven in zwei Perioden behandelte: die erste reicht von den Zeiten Herodots bis zum Falle des hunnischen Reiches, die zweite bis zum Ende des zehnten Jahr-hundertes n. Chr. Es ist merkwürdig, dass Šafafik in der Vorrede des Werkes, das ihm für immer einen Namen in der Geschichtswissenschaft und in der Entwicklungsgeschichte der slavi-schen Völker sichert, betont3): „Meine natürliche Neigung geht auf andere Gegenstände und Wissenschaften, von denen ich mich nur ungern, von der Nothwendigkeit überzeugt, zu dieser ab wandte. Ich maße mir keineswegs den Namen eines Historikers an, dies wäre eitle Selbsttäuschung; ich halte diese Schrift für eine Vorschule, in welcher ein slavischer Historiker einige Zeit sich aufhält, um sodann, zur weiteren Wanderung gerüstet, wie ich hoffe, leichter und mit größerem Erfolge seinem erhabenen Be- ■) An Kolliir, ČČM., 1874, 420. •i) Slovansko starožitnosti. Oddü dejepisny. Pomoči Ceskoho Museum. V Praze 1837. St S. 1004. Ich eitlere nach der zweiten, von Jos. Jireeok besorgten Ausgabe (Band I und II der Sebrane Spisy. V Praze 1802). Die deutsche Übersetzung (P. J. Schafariks Slavische Alterthümer, Leipzig 1843) wurde von Mosig von Aehrenfeld besorgt und von Heinrich Wuttke herausgegeben. Vgl. L. Niederle, Česk^ časopis historicky', I, 143 -166. °) Slav. Alterthümer, I, 2. rufe zu genügen“. Zur Abfassung dieses "Werkes bewogen ihn jedoch nicht bloß die böhmischen Patrioten, deren Enthusiasmus auch seinen Geist stärkte, und namentlich Palacky, von dem der Hauptgedanke und gleichsam die Idee des Werkes herstammte'), sondern es entsprach doch auch einem inneren Bedürfnis Šafafiks. Überdies sollte er die Einleitung zur einer neuen allgemeinen slavischen Literaturgeschichte in böhmischer Sprache bilden, die Ša-farik bald als ein groß angelegtes Werk, wie es der ehrwürdige Torso der „Geschichte der südslavischen Literatur“ repräsentiert, bald als ein kürzeres Compendium vor Augen schwebte, dessen er in seiner Correspondenz öfters gedenkt. Den Beweis, dass Safarik seine „Alterthümer“ aus ganzer Seele schrieb, finden wir vor allem in dem Werke selbst, das bei aller Gründlichkeit und wissenschaftlichen Akribie den nationalpatriotischen Romantiker nicht verleugnet. Bei der Abfassung derselben leiteten ihn „die angeborene Liebe zu unserer theueren Nationalität, die Neigung zur heimischen Geschichtschreibung und zur Sprachwissenschaft überhaupt, das brennende Verlangen, durch allseitige Vertiefung und vernünftige Auslegung unserer Alterthümer die Herkunft und das Wachsthum unserer Nation der unwürdigen Vernachlässigung zu entreißen und die älteste Periode ihres Lebens und ihrer Geschichte nach Möglichkeit aufzuklären“; denn jeder der Roheit entwachsene, seinem Volke noch nicht entfremdete Mensch fühle in seinem Herzen „unauslöschliche Sehnsucht nach einem glaubwürdigen Bericht über seine lieben Vorfahren“ ; das Werk soll nicht bloß den Gelehrten, sondern auch den Liebhabern der Sprache ihres Volkes, den böhmischen Patrioten zur Aufklärung und Aufmunterung dienen2). Bei der Charakterisierung der Quellen und Hilfsmittel warnt Safarik vor Fremden, namentlich vor den „deutschen Grüblern“, welche „den Charakter, die Sitten und Gebräuche, die Sprache und die heimische Ge- ') Slov. starožitnosti, I, VII. 2) Slov. starožitnosti, I, 5. In der deutschen Übersetzung (I, G) sind die Stellen abgekürzt und abgeschwächt. 1B9 schichte unserer Nation durchwegs nicht kennen und nicht lieben“* 1), er klagt zu wiederholtenmalen über solche Slaven-feinde wie Gebhardi und ist noch mehr darüber betrübt, dass ihnen auch einzelne Slaven, wie Dobrovsky, Karamzin u. a. folgen2), wobei ihm sein heiliger Zorn gegen solche Schmäher ihres eigenen Volkes einmal sogar die Citierung eines Sonetts Kollars 8) entlockt. Namentlich sind es die Russen, die ihm soviel Schmerz bereiteten. Auiior dem Reichshistoriographen Karamzin, der in seinem Memorandum an Alexander I. gewiss genug vaterländischen Sinn an den Tag gelegt hat, ohne dafür einer romantischen Verherrlichung des slavischen Alterthums zu bedürfen, nennt uns Šafaiik4) noch ausdrücklich Arcybasev, Moroškin (Verfasser einer russischen Recbtsgeschichte), Murayjev (Alterthümer von Novgorod, 1828) und Senkovskij (Skandinavische Sagen). Es handelt sich dabei immer um den Charakter der alten Slaven, welche diese Schriftsteller anderen alten und neuen Völkern, die sich auf einer niedrigen Culturstufe befinden, gleichstellten. Šafafik klagt, dass diese Lehre zum Gemeingut der neueren russischen Schriftsteller geworden ist, und fährt also fort6): „Auf ihr, als der Grundlage ihres Glaubens, wollen sie. bei ihrem Volk die Liebe zum slavischen Alterthum, zu ihrer Sprache und Literatur entzünden, mit ihr wollen sie ihm den Geist des Selbstvertrauens einflößen und sein Selbständigkeitsgefühl stärken, auf ihr — denn im Reich der Wissenschaften steht alles in innigem Zusammenhang — eine Nationalcultur und einen Nationalruhm auf bauen!“ Diese Äußerungen kann man noch durch einige Stellen aus Šafariks Briefen vervollständigen. So schreibt er an Kollar (11. September 1828)°): „Der größte Theil unserer ') Slov. starožitnosti, I, 12. Vgl. Slav. Alterth., I, 8. ») Ibid. I, 583; I, 53G. — 3) Ibid. II, 159; II, 151. — <) Ibid. II, 81-82, 158—159; II, 74-7«, 150. l) Slov. starož., I, 588. In der deutschen Übersetzung (I, 586) ist die ganze Stelle in dem Satz zusammengefasst: „Und dadurch wollen sie bei ihrem Volke Liebe zum eigenen Volksthum erwecken?“ «) ČČM., 1875, 146. Schriftsteller glaubt nur daran, was uns die Deutschen lehren, z. B. Naruszewicz, Karamzin etc. etc. etc.“ Und bald darauf sagt uns Safarlk ausdrücklich, was ihn zum Historiker machte: „Mag es wie immer sein, ich bin bereit, auf den Kampfplatz zu treten und mit diesen deutschen ,Kecken1 einen Strauß auszufeehten. Ich will keinen Schritt von meiner Meinung über das slavische Alterthum (er hat hier vor allem die Autochthonie im Auge) zurückweichen. Alles, alles bestätigt mir sie, und jeder Tag bringt mir neue Beweise. Nur wenn wir diese deutsche Hydra besiegen, wird auch unter uns in dieser Hinsicht ein schöneres Leben erblühen. Es werden auch die Unserigen aufhören den Deutschen nachzubeten. Man soll wissen, wem etwas gehört. Wir müssen einmal anfangen, obwohl wir dem auszuweichen suchen. Ich wenigstens rüste mich und werde — wenn es nothwendig sein sollte — mich mit einer fürchterlichen und unerwarteten Polemik herumschlagen.“ Safank nahm es sogar Dobrovsky sehr übel, dass er Hormayr, einem „wüthenden Deutschen“, bei der Recension Koch-Sternfelds in den Jahrbüchern der Literatur „Knechtschaftsdienste“ leistete. Der Patriarch der Slavistih ist für Safafik Engel und Teufel in einer Person; alles, was er dort über die slavischen Alterthümer schreibt, sei so trivial, so gotteslästerisch etc., dass es Ekel errege1). Noch schärfer sind die brieflichen Äußerungen gegen die genannten Küssen. So nennt er den Verfasser der Now-gorodischen Alterthümer, Muravjev, einen Narren und Unwissenden und schreibt weiter an Pogodin (24. Octob. 1836)2): „Ich habe, Freund, ein paar böse Stunden gehabt, nachdem ich dieses Schandbuch gelesen. Was ist mit diesen Menschen zu machen ? Gott möge es ihnen verzeihen: sie wissen ja selbst nicht, wie und was sie sündigen. Griechen und Römer waren freilich unsere Altvordern nicht, sie besuchten keine Theater in Athen und hörten keinen Platon; aber solche wilde Barbaren und Kannibalen, wie ') An Kollar 4. December 1828. CUM., 1875, 151. 2) Popov, Uiici.Ma kt. M. l[oro;i,iiny i[:it. aiaiMHCKUXT. aeju'.n,. 177. sie uns einige neurussische Schriftsteller schildern, waren sie auch nicht. 0 Freund ! ein Leben voll nationeller Eigenthümlichkeit, Fülle und Kraft ist im Sturme von Jahrhunderten untergegangen an den Ufern der Weichsel, der Berezina, der Dwina, der Lowat, des Dnjeprs etc., dessen Lichtseite nur noch in einigen matten Strahlen, dem reinen, keuschen, züchtigen Auge sichtbar, zu uns undank baren Nach kommen durch-brieht: dessen falsch aufgefasste Kehrseite einige entartete Söhne sich zum Vorwände nehmen, um unsere Voreltern zu schmähen, schimpfen, zu lästern! Murawjew, ein geborener Nowgorod er, schreibt eine Satyre voll Spott und Lüge auf seine Mutterstadt, das alte, thatenreiche Nowgorod! Was kann uns Ärgeres widerfahren? An Ihnen, Freund, als dem Professor der russischen Geschichte, ist es nun, solchem Unfug kräftig entgegen zu arbeiten.“ In der russischen Übersetzimg seiner „Alterthümer“ wünschte Safarik allerdings eine Milderung seiner Äußerungen gegen die russischen Historiker und gab seinem Freunde zu verstehen, dass er ganz im Sinne L. Jahns und Ludens bei der Abfassung seines Werkes hauptsächlich an die Stärkung der vaterländischen Gesinnung und des Nationalgeistes unter seinen eigenen Landsleuten dachte, denn er schreibt (7./19. December 1836)„Ich muss hier meinen Mann stellen und meine Schuldigkeit thun, damit unsere nordischen Brüder, die unsere ehrlichen Altvordern fort und fort Barbaren und Wilde schelten, uns hier die gute Sache nicht verderben. Ein Volk, welches seine Geschichte selbst dem Hohne und Spotte preisgibt, ist verloren. Mich leiten höhere Rücksichten, von denen leider in der Seele unserer nordischen Brüder keine Ahnung zu sein scheint. Sie indes sollen nur das thun und sagen, was in Moskau gethan und gesagt werden darf, ohne ein Heer von Kosaken auf mein ■) O. c. 183—184. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 11 armes Haupt zu schicken und zu laden. Denn das Hei’z ist bei mir stets besser als das Wort.“ Aus dem Ganzen erkennt man klar, welche Motive Šafarik dazu bewogen, dass er für einige Zeit Geschichtschreiber wurde, und welche Tendenzen sein Hauptwerk abgesehen von der Feststellung der geschichtlichen Wahrheit, die immer Safariks höchster Grundsatz war, noch verfolgte. Es gelang ihm in der That, mit allen Mitteln der damaligen Forschung den unumstößlichen Beweis zu führen, „dass der schon in uralter Zeit volkreiche Slavenstamm nicht erst zur Zeit der letzten Wanderung der uralisch-tschudischen und türkischen Völker, d. h. der Hunnen, A varen, Sahiren, Kosaren u. s. w. aus Asien nach Europa eingedrungen sein konnte, sondern dass er schon von jeher zwischen den verwandten Völkern der Thraker, Kelten, Germanen undLithauer seinen Ursitz gehabt haben müsse1).“ Überhaupt stehen die Hauptresultate der Untersuchungen (Safariks über die älteste Geschichte der Slaven noch heute fest, obwohl viele Details widerlegt oder erschüttert worden sind2). Unhaltbar ist aber natürlich auch die romantische Tendenz der Verherrlichung des slavischen Alterthums. Dazu wurde jedoch Safarik nicht bloß durch den Wunsch geführt, mit dem vielen ungereimten Zeug, das über die Slaven geschrieben wurde, aufzuräumen, sondern auch durch die ganze damalige Auffassung der Geschichte bei den Deutschen und er konnte sich selbst bezüglich der Slaven direct auf Deutsche8) berufen. ‘) Slav. Alterth, I, (>5. '-O Am richtigsten würdigte Safarik selbst sein Werk (20. Juli 1845 an Bodjanskij, IfllCI.Ma, 70—71): „Meine ,Alterthümer“ können, so wie sie sind, demjenigen nützlich sein, der sie benützen will. Ihr Wert liegtim Ganzen und in der Methode der Forschung: keineswegs in einzelnen Sätzen und Behauptungen, die gemäß der Natur des menschlichen Wissens manchmal irrthümlich sein können.“ a) Auch die Autochthonie der Slaven wurde vor Safafik von vielen Deutschen anerkannt, so von Schlözer, Gebbardi, Männert, Buhle, Voigt, Anton, Gercken, Murray u. a. (L. Niederle, 1. c. 155). Vgl. auch Jak. Grimms Äußerung, o. S. 90. In dieser Hinsicht muss vor allem darauf hingewiesen werden, dass auch in den „Alterthümern“ Herders Charakteristik der Slaven immer wiederkehrt. Die „stillen, friedliebenden, ackerbautreibenden und eben darum von allen Seiten unterdrückten Slaven“ werden den „mächtigen, kühnen, ihre Herrschaft weit und breit erweiternden Deutschen“ entgegenstellt'). Der Mangel an Nachrichten über die slavische Geschichte habe seinen Grund in dem eigentlichen Charakter und in der Lage der Slaven3): „Sie waren, wenn wir ihre Geschichte recht begreifen, sanft und still, liebten Ackerbau, Handel und Gewerbe, zogen ein ungestörtes und friedfertiges Leben Eroberungszügen vor“, weshalb sie von den griechischen und römischen Geschichtschreibern weit weniger genannt werden als ihre Nachbarn ; denn es sei ein steter Fehler der Geschichte gewesen, dass sie lieber äußeren, lärmenden und blutigen Thaten Aufmerksamkeit schenkte, „als gottgefälligen, Kundgebungen des inneren Lebens der Völker“ 8), Zu den späteren Kämpfen mit den Byzantinern an der Donau und mit den Deutschen an der Elbe wurden sie „durch die von ihren unerträglichen Nachbarn erlittene Unbill aufgereizt“. Auch in der Begründung dos Zwiespalts zwischen dem friedfertigen Charakter der Slaven und den geschichtlichen Ereignissen4) folgt Ša-farik Herder: „Die Slaven verstanden da, wo es unumgänglich nothwendig war, die Waffen so tapfer zu führen als ihre geübteren Widersacher: der Unterschied zwischen ihnen und ihren Feinden bestand nur darin, dass ihnen der Krieg nicht als Handwerk, als Mittel zum Lebenserwerb, wie den Sarmaten, Gothen, Vandalen u. a., galt, sondern dass er ihnen lediglich Vertheidigung abzweckte.“ Herder, Fries und der Nachkomme und geistige Erbe der Böhmisch, en ‘) Slav. Alterth., T, 42. *) Slov. staro?,,, I, 577—578; Slav. Alterth., I, 533—634. “) Diese Stolle ist in der deutschen Übersetzung nicht sinngetreu geändert: „Dass sie lieber von blutigen Kämpfen, gewaltigen Erobern und Unterdrückern als vom stillen, häuslichen Leben der Völker, von den Freunden und Verbreitern der Cultur berichtet.“ 4) Vgl. Sobestianskij, 'ICHin, 47—57. Brüder kommen noch in folgendem Satz1) besonders znm Wort: „Die Höhe und der Glanz der Stelle, die dieses oder jenes Volk in der Geschichte der Menschheit einnimmt, gründet sich nicht bloß auf eine große Zahl siegreicher und blutiger Kämjrfe; vor dem Stuhl eines höheren Richters, als es unser wankelmüthiger Verstand ist, haben auch die stillen häuslichen Tugenden ihren Wert.“ Auch in der Schilderung der Sitten und Bildung der alten Slaven2) finden wir den Standpunkt Herders und seines slavischen Interpreten Kollar, noch mehr aber Wilhelm v. Humboldts und Jakob Grimms, auf die sich Safafik ausdrücklich beruft. Er wendet auch auf die Slaven „die Worte des scharfsinnigen Kenners der Geheimnisse der Natur und der Geschichte“, W. Humboldts, an, die dieser „obwohl in anderer Beziehung von den Iberern und Kelten ausgesprochen“ hatte: „Hüten wir uns, Völker, welche die Alten Barbaren nennen, mit den Wilden zu vergleichen, wie wir sie in unseren Tagen in Amerika und im Süd-Ocean finden.“ Mehr als alles kennzeichnen aber Safafiks Standpunkt „die goldenen Worte Jakob Grimms, die er in Bezug auf die heidnischen Germanen ausspricht“ (Deutsche Mythologie, IV —V): „Aus Vergleichung der alten und unverschmähten jüngeren Quellen habe ich in anderen Büchern darzuthun gestrebt, dass unsere Voreltern, bis in das Heidenthum hinauf, keine wilde, rauhe, regellose, sondern eine feine, geschmeidige, wohlgefügige Sprache redeten, die sich schon in frühester Zeit zur Poesie hergegeben hatte; dass sie nicht in verworrener, ungebändigter Horde lebten, vielmehr eines althergebrachten sinnvollen Rechts in freiem Bunde kräftig blühender Sitte pflogen. Mit denselben und keinen anderen Mitteln wollte ich jetzt auch zeigen, dass ihre Herzen des Glaubens an Gott und Götter voll waren, dass heitere und großartige, wenngleich unvollkommene Vorstellungen von höheren Wesen, Siegesfreude und Todesverachtung ihr Leben beseeligten und auf- *) Slov. starožitnosti, I, 581. In der deutschen Übersetzung unterdrückt. — 2) Ibid. I, 582 ff; I, 58(1—548. richteten, dass ihrer Natur und Anlage fern stand jenes dumpfbrütende Niederfallen vor Götzen oder Klötzen, das man in ungereimtem Ausdruck Fetischismus genannt hat. Diese Beweisführung fühlt durch meine vorhergegangenen Arbeiten sich erleichtert und gestärkt, das dritte folgt hier innerlich nothwendig aus dem ersten und zweiten: ein Volk, zur Zeit, wo seine Sprache, sein Recht gesund dastehen und unversiegten Zusammenhang mit einem höheren Alter-thuine ankündigen, kann nicht ohne Religion gewesen sein, und wir werden zum voraus ihr dieselben Tugenden und Mängel beilegen dürfen, welche jene auszeichnen. Unserer Mythologie gebricht es indessen auch nicht an eigenthüm-lichen, ihrerseits auf Sprache und Recht zurückweisenden Bestätigungen, an welchen sowohl dem Historiker gelegen sein muss, wenn er die öden, verlassenen Anfänge deutscher Geschichte beleben will, als dem Theologen, um der Einwirkung des Christenthums auf das Heidenthum, wie der Spuren dieses in jenem sicher zu werden. Es macht aber überhaupt Freude, das leere Haus wieder voller zu stellen.“ Und da fügt Hafarik wehmüthig hinzu: „Dürfte der Tag wohl bald an brechen, an welchem irgend ein gelehrter Russe in dieser Weise von seinen Arbeiten zur Erhaltung desheidnischenUrslaven-t h u m s sprechen wird ?“ Solche Russen kamen in der That bald in Menge, aber zuerst mussten sie sich diese Idealisierung des slavi-schen Alterthums von Šafalik und den Polen aneignen und durch sie auf die Leistungen Grimms und der deutschen historischen Schule in der Jurisprudenz geführt werden, insofern sie dieselben nicht direct kennen gelernt hatten. Aus dem Ganzen geht aber auch klar hervor, dass Safafiks „sentimental-poetische“ Anschauungen über den slavischen Nationalcharakter nicht auf „politischen“ Motiven beruhen, wie zwei moderne Russen1) behaupten, denn für wirkliche ’) Sobestianskij (o. c.)und sein häufig ungerechter Kritiker Bagalej (Krf, IfCTOpin 0 ölJT’k rtpewniX't euaismiT., aus der „Kievskaja Starina“, 1892). Ygl. meine Bemerkungen im Archiv f. slav. Phil., XVI, 264—268. Politik hatte Šafafik doch wenig Sinn und irrte nicht anders als sein unzweifelhaftes Muster — Jakob Grimm, dessen gesammte Thätigkeit er genau verfolgte und bezüglich der Slaven nachzuahmen suchte, wobei er infolge der Ungunst der Verhältnisse allerdings nicht zu so abschlieilenden Leistungen gelangen konnte wie sein Vorbild. Dass Safafik durch J. Grimm und die ebenfalls aus der Romantik hervorgegangenen Spraehvergleicher auf neue Bahnen in der Grammatik und Sprachwissenschaft überhaupt gelenkt wurde, ist uns bereits bekannt. Auch den „Slavi,sehen Alterthümern“ kam der Umstand ungemein zugute, dass er unbedenklich dem Wege folgte, „welchen die größten Sprachforscher der Gegenwart, W. Humboldt, Abel Remusat, E. Rask, J. Klaproth, F. Bopp, F. Pott u. a. vorgezeichnet hatten“1), denn er fand vor allem in der „nahen Verwandtschaft der slavischen Sprache mit den Sprachen der von jeher in Europa angesessenen europäischen Stämme, namentlich der Griechen, Lateiner, Deutschen undLithauer“, sowie in den Entlehnungen slavischer Wörter aus dem Sprachschatz der benachbarten Sprächet; und umgekehrt einen der Hauptbeweise für die alte Sesshaftigkeit der Slaven in Europa3). Auf diese Weise konnten aber auch alle Theorien, die den Slaven eine mongolische Herkunft zuschrieben oder sie zu einem Mischvolke stempeln wollten, widerlegt werden, denn „die slavische Sprache trägt in Stoff und Form ein so sichtbares Gepräge von Originalität an sich, dass sie zugleich den unwiderleglichsten Beweis für die Ursprünglichkeit des Volkes selbst bildet“. Es ‘) Slav. Alterth., I, 20—27. In einer Anmerkung (S. 41) heißt es, dass „Männer wie es Rask, W. Humboldt, Klaproth waren und Grimm, Bopp, Pott noch sind“, über die slavische Sprache urtheilen könnten, „niemals aber unreife Wortgrübler wie Parrot, Liebusch, Halling u. a., die irn Kreise der Sprachforschung alles vermögen und alles, was ihnen einfällt, ohne Schwierigkeit beweisen“. In der Vorarbeit zu dieser Stelle (Sebraue spisy, 111, 7) werden dieselben Männer noch ohne W. Humboldt genannt. '■*) Vgl. Slav. Alterth., 46—49. konnte sich allerdings ein alter Stamm eine andere neue oder fremde Sprache aneiguen, „aber eine so originelle, reine, grammatisch vollkommene, reiche und in so viele Dialecte geschiedene Sprache, wie die slavische, konnte sich ohne ein ursprüngliches, selbständiges uraltes Volk schlechterdings nicht bilden“ *). Safai'ik glaubte also im Sinne der Romantiker an die Originalität der Sprachen und Ursprünglichkeit der Völker, an einen die Sprache, die Mythologie, die Poesie und das Recht in grauer Vorzeit aus sich selbst sehaffenden National g e i s t und bewundert eine originelle Nationalcultur nicht bloJJ in der Vergangenheit, sondern fordert sie auch für die Gegenwart. Von diesem Gesichtspunkt zieht er schon in den „Alter-thümern“ neben der Sprache auch die Sagen, Lieder und Sprichwörter als historische Quellen heran2). Auch „Libušas Gericht“ zählt er zu den Volksliedern, und diese sind natürlich „selbständig im Schoße des singend-dichtenden Volkes“ (samorostle v lüne zpevneho bäsniekeho narodu) entstanden3). Besondere Wertschätzung und Sympathie bringt er begreiflicherweise auch allen in den Nationalsprachen geschriebenen geschichtlichen und Rechtsdenkmälern entgegen. Den Ursprung der S p r a c h e hüllt auch Šafafik in ein mythisches Dunkel; sie ist ihm „der Geist selbst in seiner höchsten Verkörperung, in seiner reinsten Offenbarung. Der Geist schafft nicht die Sprache, sondern wird in der Sprache und mit der Sprache geschaffen; beide sind wie Leib und Seele in den letzten und tiefsten Grundlagen ihrer Vereinigung unergründlich, man kann vor ihnen als dem größten aller Wunder nur schaudern“ ‘). Lino wahrhaft Grimm’sche ') Vgl. Slav. Alterth., 40—41. s) Slov. Starožitnosti, I, ‘2G—27; Slav. Alterth., 18. :l) Slov. starož., II, 73G. Am 27. Februar 1831 schrieb er in gleichem Sinne an J. Mikloušić (Arkiv za povjestnicu jugoslavensku, XII, 68): Sunt ne cantica nationalia croatica (eigentliche Volkslieder), quae a plebejis cantantur, et quarum auctores ignoti (i. o. ipsa plebs) a quopiam collecti? — 4) ČČM., 1848, II, 181. Bewunderung hegte Safarik für die alte Kraft und Schun-heit der Dialecte: „Es war das ein Zeitalter der ungehindert wirkenden Naturkraft. Der Reichthum der Sprache wuchs damals gleich den Riesen des Waldes. Im weiteren Verlauf werden die Mundarten umgewandelt, aber nie wieder neu geschaffen“ l). Die Mythologie bildete für Safarik natürlich auch einen Hauptbestandtheil des slavischen Alterthumsa), aber was bis dahin (1833) darüber von Ausländern und Slaven geschrieben worden war, konnte ihn nicht befriedigen. Nur die Russen Strojev und Russov und der böhmische „ehrwürdige Patriot“ Anton Jungmann bereiten ihm Freude, alle übrigen Slaven aber, darunter auch Lomonosov, Linhart, Naruszewicz, Potočki, Culkov, Glinka, Kajsarov, Karamzin, wandelten nur auf Irrwegen. Echt romantisch geräth er in seiner Abhandlung über die Rusalien in einen heiligen Zorn gegen Kajsarov, welcher bemerkt hatte, dass es solcher Dummköpfe, die noch an die Rusalien glauben würden, in Russland schon wenige gebe, und ruft: „Das ist also alles! Kann man von demjenigen, der von einem solchen Standpunkt auf die Reste unserer Alterthümer blickt und sie beurtheilt, eine treue und gefällige Darstellung unserer alten nationalen Mythologie erwarten?“8) Auch hier müsse man ganz neue Wege betreten, alle Fabeln der Fremden fallen lassen und nur dasjenige in Betracht ziehen, „was in den einheimischen Quellen, in alten Chroniken, Volksliedern und Erzählungen, in zugrunde gegangenen oder noch frischen Sitten und Gebräuchen, in den Volkssprichwörtern und in der lebenden Ursprache selbst“ zu finden ist1). Es verdient auch hervorgehoben zu werden, dass Šafafik auf diesem Gebiete in slavicis sogar Jakob Grimm nicht traute und speciell von der Echtheit der obotrischen Runendenkmäler, die J. Grimm nach einigem Schwanken als echt erklärt ■) Aus einer brieflichen Äußerung aus dem Jahre 1HS32, sieh Jos. Jireeek, 17. Ähnlich schreibt er an Maciejowski am 11. Februar 1887 (vgl. Slovansky Sbornik, III, 482). ») SS., III, 81. - 3) Ibid. 95. - <) Ibid. 83. hatte, nicht zu überzeugen war1). Trotz dieser Vorsicht ließ er sich von Kollar zum Glauben an den Bambergor Pseudo-Oernobog verleiten und schrieb über ihn eine Abhandlung (ÖÖM., 1887; SS., IL1, 96—109), die ihm weitere mythologische Arbeiten für immer verleidete2). Der Volkspoesie, als dem wahren Spiegel der Nationalität, bewahrte Safarik seine alte Liebe. Die Volkslieder waren ihm jedoch nicht bloß für die wissenschaftliche Erforschung des slavischen Volksthums wertvoll, sondern er stellte eine bibliographische Übersicht der slavischen Volksliedersammlungen (CCM., 1838) auch zu dem Zweck zusammen, um denjenigen ein Hilfsmittel zu bieten, die sich in denselben orientieren wollten, „um ihre Phantasie, ja all ihr Denken, wenn es frisch, aufnahmsfähig, nicht vom fremden Wesen befangen ist, durch das Entzücken an der natürlichen Schönheit dieser slavischen Blumengärten zu entzünden und zum höheren, künstlicheren Flug zu lenken, wenn es aber durch Übersättigung mit dem modischen .Romantismus entkräftet ist, um es durch Labung aus diesen fließenden Quellen wieder zu heilen und zur früheren Gesundheit zurückzuführen“3). Dieser Arbeit wollte er eine Übersicht der ganzen slavischen ethnoglßp hi sehen Literatur (narodoslovna literatura), d. i. der Sammlungen der Sprichwörter, Märchen und Sagen, der Beschreibungen der Sitten und Gebräuche u. s. w. folgen lassen. Über die Sitten und Gebräuche der Polen und Ruthenen (speciell in den Karpathen) hatte er schon zuvor mehrere Artikel4) geliefert. Vom Standpunkt der romantischen Überschätzung der Volkspoesie ist natürlich auch Safafiks Vertheidigung der gefälschten altböhmischen Denkmäler zu beurtheilen, speciell der Königinhofer Handschrift, welche ihm das Beste war, *) *) An Maciejowski, 11. Februar 1837. Slovansky Sbornik, [11,483. a) V. Safarik, Slovnik Nauony, IX, 7. ») SS., III, 397. 4) Sie fehlen in den SS., die über den III. Band nicht hinausgekommen sind. was aus dem poetischen Lebenskreis nicht nur der alten Böhmen, sondern der alten Slaven überhaupt den Fluten der Zeit entgangen sei1). Sein Ausfall gegen den „modischen Romantismus“ ist aber natürlich gegen die phantastische Romantik und namentlich gegen den Byronismus gerichtet. Darin berührt er sich in der That mit Kollar, dessen übrigens dem Polen Brodzihski entnommene scharfe Äußerungen gegen die Dichtung, die „der Drachen, Eidechsen, Ritter, Zauberer und anderer romantischer Ungeheuer“ voll sei2), oft ihm falsch zugeschrieben wurden; er war aber auch mit den dichterischen Phantastereien Kollars ebensowenig einverstanden wie mit seinen wissenschaftlichen und billigte vollständig Celakovskys Kritik der „Slävy Dcera“; auch er verurtheilte ganz und gar die beiden letzten Gesänge und bemerkte über die zur Tochter der Slavengöttin verklärte deutsche Geliebte des Dichters: „Kollar hielt sie für eine Slavin nach dem Urgroßvater, ich auch, zum mindesten nach Adam“8). Sa fari ks Ideal war eine im reinen Volksthum wurzelnde Literatur, eine wirkliche Nationalliteratur (n ä r o d n i literatura). Deshalb schätzte er Celakovskys poetische Leist ungen und förderte auch seine wissenschaftlichen Bestrebungen, klagte aber häufig über die Inhaltslosigkeit und den Dilettantismus der böhmischen und anderer kleinerer slavischen Literaturen; ebenso erkannte er frühzeitig die wissenschaftliche Ignoranz Hankas4). Wie sehr Safafik auch in der Erforschung des slavischen Rechtes Jak. Grimm und der deutschen historischen Schule folgte, ließe sich schon aus dem Verhältnis ') In der Vorrede zu J. M. Grafen von Thun, Gedichte aus Böhmens Vorzeit, 6. Vgl. dagegen sein richtiges Urtheil über das altrussische Igorliod, in dem er keinen reinen Ausfluss eines alten, poetischen Nationalgeistes, sondern eine mühevolle Compilation erblickt. An Maciejowski, Slov. Sbornik, III, 483. -') Pisnö svetske lidu slovenskeho v UhMch, I, XXVIII. Allerdings wurde diese Vorrede auch von Safafik vollständig gebilligt. (24. April 1823, Č0M., 1873, 380). Nicht 1824, s. Polivka, Kollär-Sbor-nik, 103. — s) An Palacky (20. Juni 1831), Konst. Jireček, 49. ■1) Vgl. Konst. Jireček, 134. Graupps zu ihm schließen, wenn wir neben gelegentlichen Andeutungen in den „Slavišeben Alterthümern“ auch keine besonderen Abhandlungen1) auf diesem Gebiete von ihm hätten. Er verhehlte sich zwar nicht, dass die Slaven an originellen Rechtsdenkmälern nicht besonders reich sind, aber sie seien auch nicht so arm, „dass eine historische Rechtsschule (historicke prävnictvi), wenn sie bei uns vorhanden wäre, nicht ausgiebigen StolF auf heimatlichem Boden fände“. Natürlich müsste aber auch hier das Hauptaugenmerk hauptsächlich „aufreinslavische Rechtsdenkmäler, die auf slavisohem Boden entstanden und in der angeborenen slavischen Sprache auf uns gekommen sind“, gerichtet werden, „mit Ausschluss aller Bestimmungen und Gesetze, die, sei es ursprünglich in lateinischer Sprache unter den Slaven niedergeschrieben, sei es aus fremden Sprachen, aus der griechischen, lateinischen und deutschen, in die slavische übertragen worden sind“ 3). Im Zusammenhang mit diesen Kundgebungen des slavischen Nationalgeistes muss auch einer „Übersicht der nationalen Na m e n in der slavischen Sprache“ 3) gedacht werden, wofür ihm ebenfalls das Beispiel Jakob Grimms vorlag. Aus dem Ganzen geht aber auch zu Genüge hervor, wie richtig ein ihm so nahe stehender Mann wie Josef Jireeek seine gesammte Thätigkeit erfasst hat, indem er sie also charakterisiert4): „Sein Trachten gieng ausschließlich dahin, jene Bildungselemente, welche das Sla-venthum in sich selbst, in seiner Sprache, seiner Tradition, seiner Literatur und seiner Geschichte besitzt, zu heben, durch zuforschen und auf das Volk wieder fruchtbar einwirken zu lassen. Die geistigen Errungenschaften der Slaven sollten SafaMks Absicht nach selbst der Gegenstand einer Wissenschaft werden, welche die gegenwärtigen und die kommenden Generationen zu bilden, zugleich aber dem slavischen Stamme bei den *) SS., HI, 119-160. - ■>) Ibid. 186. - ») Ibid. 415-415. -4) österr. Revue, 1865, VHI. Bd., 68. Nachbarn die gebürende Achtung und seinen geistigen Interessen in der Gelehrtenwelt eine ebenbürtige Berücksichtigung zu sichern berufen wären.“ Mit einem Worte : Safarik schwebte eine von der deutschen Romantik geschaffene Philologie vor Augen, wie sie W. v. Humboldt als die Wissenschaft der Nationalität definierte. Leider ist es Safarik nicht mehr gelungen, ein größeres, systematisches Werk, das irgend ein Gesammtgebiet der slavisohen Philologie in diesem Sinne behandelt hätte, zu vollenden. Er hatte auch in Prag lange und viel unter der Ungunst der ihn drückenden Verhältnisse zu leiden, die Vorarbeiten und selbst Materalien auf einem so großen Gebiet, wie es die Philologie des gesummten Slaventhums ist, das ihm immer als Ganzes vorschwebte, waren gering, dazu war ihm der ausgesprochene Hang eigen, bis zum fünfzigsten Jahve Materialien zu sammeln und sie dann erst zu verarbeiten, als schon seine physische und geistige Kraft gebrochen war; sodann machte sich doch in ihm der Jenaer classische Philologe geltend, der in ähnlicher Weise gewisse Arbeiten und Fragen auf dem Gebiete der altslavischen und altböIonischen Philologie bevorzugte; anderseits gieng er auf dem Gebiete der Grammatik in seinen späteren Jahren doch über sein Vorbild Jak. Grimm hinaus und eiferte nicht bloß Bopp und Pott, sondern auch Wilhelm v. Humboldt nach'). Seine linguistischen Abhandlungen tragen deutlich das Gepräge aller dieser Männer; speciell den Einfluss W. v. Humboldts finden wir darin, dass sich Safarik nicht auf die indogermanischen Sprachen beschränkt, sondern die aller Rassen heranzieht2). Neben Grimm be- ') Allo diese Arbeiten (über die Bildung der Wörter durch Reduplication der Wurzel, über Erweiterung der verbalen Wurzeln und Stämme durch Einschaltung und Anfügung von Consonanten, über die Verwandlung der Gutturalen, Erklärung einiger grammatischer Fennen der slavisohen Sprache, sprachwissenschaftliche Analyse dos Zahlwortes) wurden in den Jahren 1846—1848 im časopis ßeskeho Museum gedruckt. S. Scbranö spisy, III, 42B—651. 2) Vgl. namentlich SS., III, 450. zeichnete er selbst auch Bopp und Humboldt als seine Führer1), und Männer wie Pott und A. Schleicher hatten große Achtung von seinen Leistungen2). Diese Studien lenkten ihn auch von historischen Arbeiten ab, wie er selbst in einem Schreiben an Pogodin8) (28. Sept. 1854) betont, da er der „grammatischen Muse ewige, unverbrüchliche Treue geschworen“ habe. So kam Safafik nicht dazu, den zweiten, nicht minder wichtigen culturhistorischen Theil seiner „Slavischen Alterthümer“ und noch weniger eine umfassende sla-vische Literaturgeschichte in böhmischer Sprache4) zu schreiben, wie er sich vorgenommen hatte. Auch ein Lehrgebäude der slavischen Etymologie und ein slavisches Wurzelwörterbuch, die ihn schon in Neusatz8) beschäftigten, wurden über eine reichliche Materialienversammlung ^) nicht hinausgeführt. Auf dem Gebiete der historischen Grammatik leistete Safafik allerdings eine für jene Zeit, als man das Kirchenslavische wie das Sanskrit überschätzte und darin die Mutter der lebenden slavischen Sprachen sah, bedeutende That, indem er das Yorhanden-soin des serbischen Dialectes „in der an das Jahrhundert des Cyrillus und Methodius zunächst grenzenden Periode aus authentischen Quellen und durch bündige Schlüsse“ nachwies und weiter daraus folgerte, dass „der über ausgedehnte Länderräume ausgebreitete slavische Volksstamm, wo nicht schon in der Urzeit, doch in der Periode seines *) Jos. Jiroček, 70. 2) Pott, forderte Safafik auf, seine Aufsätze auch deutsch herauszugeben, A. Schleicher schrieb aber an Safafiks Sohn (im Jahre 1869), dass er, so oft er die Arbeiten seines Vaters in die Hand nehme, aufs neue wahre Verehrung und Bewunderung für den Mann fühle, der in der That Großes und Unvergängliches geleistet hat Slovnik Naucny, IX, 8. “) IhicMia kt. M. Iloro.niiny, 392. h Konst. Jirecek, 140. Vgl. Polivka, Ceaky časopis historicky, I, 178-181. D) Jos. Jireček, 33. An Kollar schreibt er am 10. Juli 1833 (Konst Jireček, 136): „Ich will mich ganz einem etymologischen vergleichenden allslavischen Wörterbuch widmen.“ — 6) Jos. Jireček, 56. bestimmteren Auftretens auf dem Schauplatz der europäischen Geschichte, also im V, Jahrhundert, nothwendig mehrere Mundarten gesprochen haben müsse“ '). Seinen Plan, ähnliche Aufsätze über denrussinischen (kleinrussischen, ruthenischen) und über den kirchenslavischen und neubulgarischen Dialoct folgen zu lassenl 2), hat Safaflk jedoch nicht ausgeführt, dagegen steuerte er die von Schleicher hochgeschätzten „Anfangsgründe einer altböhmischen Grammatik“ zu einer altböhmischen Chrestomathie bei (1845), die denselben Anschauungen Ausdruck geben3). Von diesem sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkt ist auch Safai'iks Stellung zu den modernen Dialecten und Schriftsprachen zu beurtheilen. Bei den Serben stellte er sich entschieden auf die Seite der Vuk’schen Reformpartei, welche die reine Volkssprache anstatt eines kirchenslavisch-rüssisch-serbisehen Kauderwälschs4 5) einzuführen suchte, obgleich er ihre Kampfweise namentlich in den ersten Jahren seines Neusatzer Aufenthaltes nicht billigte6). Auch bei seinen Slovaken wünschte er eine größere Berücksichtigung der Bedürfnisse des niederen Volkes“) und eine Auffrischung un d B e r ei ch e r u n g d er S oh r if t s p r a c h e durch die Dialecte (im Sinne Herders und der Romantik), doch weder dieser demokratische Zug, der die sla-vische Romantik überall charakterisiert, noch die Heimatsliebe, noch das Interesse für die Kraft der Dialekte und den Wohlklang der Sprache — alle diese Eigenschaften hatten auch bei Safaflk eine romantische Färbung — konnten ihn bewegen, in dem dialectischen Individualismus, dem er l) Serbische Lesekörner, Pest, 183b, S. 4. — !) Ibid. 4—5. 3) Počatkove staročeske mluvnice, 5. Deutsch von Jordan, Leipzig 1848. *) In köstlicher Weise persifliert Safaflk dasselbe (SS., III, 301), indem er ein solches makaronisches serbisches Gedieht einem quasi-böhmischen, in welchem polnische, lausitz-serbische und slovakische Brocken Vorkommen, gegenüberstellt. 5) 10. März 1822 an Kolkir (UÖM., 1873, 124) und an Palacky (Konst. Jireeek, 40); am 26. Sept. 1826 an Kollar (ČČM., 1874, 85). ä) Konst. Jireeek, 66—68. auch bei den Südslaven durch die Förderung des lllyrismus ') entgegenarbeitete, zu weit zu gehen. Wenn seinen harten Urtheilen über die Loslösung der Slovaken von der böhmischen Literatur3) entgegengehalten wird, dass er doch in seinem ganzen Fühlen und Denken ein echter Slovake war3), so ist das richtig, aber ebenso zu beurtheilen wie bei Jak. Grimm: wie dieser das gesummte Deutschthum und Germanenthum in sein Herz schloß, dabei aber die glühendste Liebe für seine hessische Heimat in jeder Hinsicht (auch für ihren kleinen Fürsten) bewahrte, so blieb auch Safarik ein echter Sohn der Tatra, obgleich er das gesummte Slaventhum innigst liebte und an einer historischen höheren nationalen und geistigen Einheit festhielt; diese seine geistige Heimat und sein Volk, unter dem er lange in gedrückten Verhältnissen lebte, wollte er aber nie verlassen, obwohl ihn Pogodin zu wiederholtenmalen nach Moskau zu ziehen suchte und ihm im Jahre 1841 ein ehrenvoller Ruf auch von der preußischen Regierung zugekommen ist4). ‘) Vgl. Pfehled litevatury i 1 lyrskyeli Slovan&v po 1. 18315; SS., III, 201-316. - 2) Ibid. 386-394. ")' Vgl. eine zusammoafassendo Darstellung des Sachverhalts in dar. Vlßoks Aufsatz im Časopis Matice Moravske, 1895, 293—306. 4) Seine Ablehnung begründete er am 21. Februar 1836 (II l!(‘I>M;l K'f> IkmWfiiy, 152) also: „Endlich, was das Wichtigste ist, ich bin an Prag, Böhmen und den österreichischen Kaiserstaat durch so viele Bande des Dankes und der Liebe gebunden, dass ich dieselben freiwillig und solange ich meinen Landsleuten hier nützen kann, nie verlassen werde. Ich kenne die Vorth eile, die mir dort geboten werden, und weiß, dass ich liier nichts als Armut und Noth zu erwarten habe, allein dies schreckt mich nicht. Ich habe zu viel stoischen Math, Entschlossenheit, Ausdauer, Resignation, um der irdischen, vergänglichen Zwecke willen die geistigen, d. i. zunächst das geistig-literarische Interesse meiner hiesigen Landsleute, zu vergossen und diese jenen aufzuopfern. Es ist meine Pflicht, zuerst und zunächst meinen Landsleuten zu nützen: sind meine literarischen Bemühungen von der Art, dass auch andere davon Vortheil ziehen können, desto besser.“ Audi bei der Ablehnung der Berufung nach Berlin ist ihm der wichtigste Grund, dass er sich von seinen „nächsten Stammesgenossen, den Böhmen, nicht trennen kann“ (18. April 1841 an Pogodin, I llKT.üia 288). Safarik wünschte sich schon in Neusatz eine „übereinstimmende (sühlasnii, grammatica symphona1) allslavische Grammatik, d. h. Grammatiken aller zehn slavischen Dia-lecte nach einem System“ 2), und bald schwebte ihm als Muster für eine historisch-vergleichende Grammatik nur Jak. Grimms Deutsche Grammatik vor Augen. Er selbst brachte es allerdings auf diesem Gebiete nicht über Vorarbeiten hinaus, war aber in hervorragender Weise an dem Zustandekommen der vergleichenden Grammatik von Miklosich betheiligt und bekam dabei unerwartet die Gelegenheit, in der neu gegründeten Wiener Akademie der Wissenschaften eine glänzende Vertheidignngsrede für — Jak. Grimm zu halten. In der Wiener Akademie hatten nämlich in der Sitzung vom 12. Jänner 1848 Wolf und Endlicher für die, Ausschreibung der ersten philologischen Preisaufgabe eine theil-weise Bearbeitung einer historisch-vergleichenden Grammatik der slavischen Sprachen nach Jakob Grimm und Friedrich Diez beantragt. Diesem Anträge oponnierte der Präsident, Baron von Hammer-Purgstall, der die Ausarbeitung „einer tabellarischen Grammatik der deutschen Hauptsprachen und Mundarten“ wünschte. In der Sitzung vom 28. Jänner secundierte ihm Regierungsrath Auer in einem Vorträge8), der hauptsächlich die Bedeutung des Werkes Jak. Grimms herabsetzte; dasselbe befriedige nicht das Bedürfnis einer tabellarisch vergleichenden Grammatik der deutschen Haupt- und Tochtersprachen, sei mehr die Schöpfung eines Materialienschatzos, werde in den einzelnen Auflagen völlig umgeschaffen und bilde kein grammatisches Gesetzbuch; in dieser Hinsicht sollte daher zuerst für das deutsche Volk gesorgt werden; unbegreiflich sei es auch, wie Grimms Werk als Muster einer slavischen vergleichenden Grammatik bestimmt werden könne, da seit acht Jahren der unvollendeten Lautlehre (3. Auflage, 1840) noch keine ’) Geschichte der slav. Sprache und Literatur, 03 Anm. a) An Kolliir (1. März 1820), ČČM., 1874, 07. n) Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, I. Bd., 35—38. Fortsetzung folgte, die zweite Auflage aber mit Rücksicht auf die völlige Umarbeitung des genannten ersten Theils unmöglich als Vorbild dienen könne. Das Stillschweigen, mit welchem Auers Rede aufgenommen wurde, brach zur nicht geringen Überraschung der deutschen Akademiker der Slave Šafafik1) mit einem schwungvollen Lob der Verdienste Jakob Grimms2), welchen er als den größten deutschen Sprachforscher hochverehre. Dieser habe seine Aufgabe vollkommen gelöst; an solchen aber mangle es wahrlich nicht, welche ihn popularisiert und epitomiert hätten, und es gebe ja schon Grammatiken von wenigen Bogen, welche die Resultate seiner Forschungen bereits zum Gemeingut der Nation machten. Durch die in den verschiedenen Auflagen seiner Grammatik vorgenommenen bedeutenden Umarbeitungen habe Grimm, weit entfernt, die Resultate seiner Forschungen zu verdächtigen oder auch nur seine Methode und seinen Weg im ganzen zweifelhaft zu machen, vielmehr bewiesen, dass er auf einer ingeniös eingeschlagenen und als sicher bewährten Bahn fortgeschritten. Ein historischer Sprachforscher, ja überhaupt jeder tüchtige Gelehrte, wird ja nach zwanzig Jahren nicht noch auf demselben Flecke stehen bleiben, von dem er ausgegangen, da in der Wissenschaft Stillstand Rückschritt ist. Grimms Änderungen aber betreffen oft nur die Form und insbesondere in Beziehung auf die Lautlehre nur die Anordnung, die natürlich mit jeder neuen Auflage lichtvoller und durchsichtiger geworden sind, so dass, wer nur überhaupt zu sehen verstehe, sich nun wohl in dessen Grammatik werde orientieren können. Nachdem Šafafik es überhaupt als einer Wissenschaft liehen Körperschaft unwürdig erklärt hatte, Gelehrte aufzufordern, Grimms Werke zu epitomieren, begegnete er dem Vorwurf, dass seine Grammatik unvollendet sei, mit der Bemerkung, dass man die historisch-vergleichend Methode der Sprachforschung; als deren Schöpfer doch unbezweifelt Grimm gelte, und die hier allein gemeint sein kann, um ') Jos. Jireček, 36. — s) Sitzungsberichte, 1. c. 38—39. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 12 als Muster zu dienen, aus jeder Auflage, aus jedem Bande seines Meisterwerkes hinlänglich kennen lernen könne; übrigens sei ja auch auf Friedrich Diez’ vollendete und doch gewiss klare und übersichtliche Grammatik der romanischen Sprachen in Wolfs Programme hingewiesen worden, die nach derselben Methode gearbeitet und ein Beweis mehr sei, dass Grimms Vorgang nicht nur mustergiltig, sondern auch für den mit den gehörigen Vorkenntnissen Ausgerüsteten ein ebenso sicherer als vollkommen verständlicher Wegweiser ist. Es ist nicht bekannt1), wie weit diese Rede die Abstimmung für Wolfs Antrag beeinflusste, der mit acht gegen vier Stimmen2) angenommen wurde, aber die überzeugungsvollen Worte Safafiks verfehlten gewiss ihren Eindruck nicht. Die Lösung der Aufgabe erwartete er, da er als Akademiker selbst nicht mit concurrieren konnte, von Miklosich und öelakovsky3), aber es stellte sich nur der erste mit seiner Lautlehre der slavischen Sprachen ein, der Šafafik in der Sitzung vom 26. Mai 1851 volles Lob spendete und dabei betonte, dass sich der Verfasser vorzüglich Grimm zum Führer und Muster erkoren zu haben scheine und demselben nicht ohne Glück nachgeeifert habe1). Von Safariks echt wissenschaftlichem Geist zeugen darin folgende Worte, mit denen er kleinere Mängel und Gebrechen, die er gar nicht aufzählen wollte, also entschuldigte: „Unendlich lang und unvollendbar ist der Weg der Forschung, des Suohens der Wahrheit, und glücklich ist derjenige, welcher sich dabei von Stufe zu Stufe erhebt und nicht zurücksinkt“r’). Noch am Abend seines Lebens ist er mehr bemüht, sich ’) Ygl. Jos. Jireoek, 37. •*) Für die Ausschreibung eines Preises für eine vergleichende slavische Grammatik stimmten Jäger, Weber, Palacky, Chmel,» Baron von Hügel, Šafafik und Grillparzer; dagegen Auer, Arneth, Labus und der Präsident Baron von Hammer-Purgatall. Sitzungsberichte I. c. 41. ») HitcbAia kt. M. I loro.utüy, 357. *) Sitzungsberichte der phil.-hist. CI., VI. Bd., 512 ‘J Ibid. 543. und seinen Geist „noch vor der Heimreise möglichst zu beleben und zu bilden, als andere zu belehren. Die Jetztwelt hat an ihrer Weisheit genug: wir sind für sie (selbst ein Jakob Grimm!) ein „alter Zopf“, ein „überwundener Standpunkt“ (17. September 1854 an Pogodin)'). Aus ganz wissenschaftlichen Bedürfnissen und Vorarbeiten ist Safafiks populärstes Werk Slovan s k y N a r o-d o j) i s horvorgegangen. Für seine historischen und sprachlichen Studien legte er sich umfangreiche slavische Orts-repertorien aus alter und neuer Zeit an und zeichnete Karten. In den „Slavisohen Alterthümern“ versprach er eine historische Karte, auf der die Sitze der alten Slaven dargestellt würden, und arbeitete in der That eifrig daran, so dass er sie im Manuscript schon fertig hatte (1842). Er überzeugte sich jedoch, dass die Vergangenheit besser zu verstehen sein wird, wenn er von der Gegenwart ausgeht, weshalb es ihm nothwendiger erschien, zuerst eine Mappe anzufertigen, welche die gegenwärtigen Sitze und Sprachen der Slaven zur Anschauung brächtea). So kam eine grobe ethnographische Karte der ganzen Slavenwelt zustande, zu welcher die in Rede stehende „Slavische Ethnographie“ nur die Erklärung bildete. Mit großer Kürze und Präoision schilderte Safafik darin die Sitze der einzelnen slavisohen Stämme, charakterisierte ihre Sprachen und Dia-leete und warf überall einen raschen Rückblick auch auf ihre Literatur. Auch die Nachbarvölker wurden kurz in Betracht gezogen; in den Beilagen brachte er eine Übersicht der statistischen Daten, Proben slavischer Dialecte und die Bezeichnungen der wichtigsten slavisohen Ortsnamen in fremden Sprachen. Safafik verwahrte sich öffentlich8) und gegenüber seinen Freunden4), dass man seine „populäre Schrift“6) als eine vergleichende Grammatik oder als eine Systema- ■) llncbsia K7, M. lIoroAimy, 391, ») O. c. S. III - 3) O. o. s! VII. ‘) P. Lavrov und M. Speranskij, IllICbMa II, I. llhllJiapIIKa K'I. 0. M. BogJJlICKOMy, 31. — 3) Ibid. 30. tische Literaturgeschichte auffasse. Das war das „goldene Büchlein“, wie es Jungmann nannte, allerdings nicht, aber gerade das bildete seinen Vorzug, dass ein echter Gelehrter, der über das umfangreichste und tiefste Wissen auf diesen beiden Gebieten verfügte, ein populäres Werk schrieb, das ein treues Bild der ganzen Slavenwelt lieferte und selbst einen so spröden Stoff wie die Unterschiede der einzelnen slavischon Sprachen und Dialecto in übersichtlicher und leicht fasslicher Form behandelte. Musste schon das Büchlein selbst alle slavischen Patrioten dadurch fesseln, dass es ihnen alles Wissenswerte über ihr eigenes Volk und seine Stammesbrüder bot, so machte noch mehr Eindruck die beiliegende ethnographische Karte '), in der sich die Slaven noch mehr und viel anschaulicher als ein Ganzes erblickten als vor 26 Jahren in der „Geschichte der slavischen Sprache und Literatur“. Man bedenke nur, wie wenig oder gar nicht damals einzelne slavische Stämme, wie z. B. die Slaven der Türkei bekannt waren, und wie viele provinzielle und Stammesnamen die vorhandenen ethnischen Einheilen verdunkelten. Die Rieseuflächen, welche die Slaven bewohnen, mussten umsomehr imponieren, als Safafik nur in Russland und in der Türkei die Anwesenheit der Deutschen und Türken verzeichnete, in den österreichischen Königreichen und Ländern aber die Verzeichnung der mächtigen deutschen und italienischen Sprachinseln unterließ; er wollte die Karte nicht zu bunt gestalten, da die Deutlichkeit darunter leiden würde, und, was noch wichtiger ist, weil er als Romantiker die entnationalisierten Städte nicht beachtete, ’) So schrieb aus Agram der Dichter des Illyrismus Stanko Vraz an K. J. Erben (5. August 1842), dass seit Kollars Schrift über die literarische Wechselseitigkeit der Slaven kein Buch einen solchen Eindruck gemacht habe, als Šafafiks Mappe d'er Slavenwelt. „Als ich ein Exemplar mitbrachte, hätten es die hiesigen Patrioten und Nichtpatrioten fast zerrissen. Alles schaudert und kann sich nicht genug wundern über die riesige Ausdehnung der slavischen Nation. Die Mappe wird bei uns mehr Patrioten machen, als ihrer die ganze Literatur hätte schaffen können.“ Kouble, St. Vraz, 84. Ähnliches berichtet J. Kollar, Käzne a reči, II, 615—616. sondern sich nur an die Sprache des Landvolkes als „des gewöhnlich ursprünglicheren und ständigeren Elementes“ hielt1). Natürlich Hell aber Safafik diesen Standpunkt auch bezüglich der Slaven gelten und wies seinen Freund Ma-ciejowski entschieden zurecht, als ihm dieser mittheilte, dass der litauische Norden des Gouvernements Grodno polnisch sei, denn er nehme den Bauer, nicht den Adel zur Grundlage Safafiks ethnographische Karte bot daher nicht ein ganz getreues Bild der Slaven weit im .Jahre 1842, wenn man die Sprache der gebildeten Stände zum Maßstab nimmt. Doch das Programm, das Fr. Schlegel und andere deutsche Romantiker bezüglich der Volkssprachen und der höheren Geistesbildung in denselben aufgestellt hatten, sollte auch von den slavischen Völkern verwirklicht werden. Diesem Ziel war auch Safafiks gesammtes Wirken gewidmet. Pogodili schrieb sich den Kern der Roden, die er 1835 aus seinem Munde hörte, ganz richtig in folgender Weise nieder: „Die Sprache i m Mit nd e des V o 1 k es e r h al t e n, das ist unsere Bestimmung, und nichts mehr. Es geschehe, was Gott gefällt . . . Die Erkenntnis der guten Eigenschaften seines Volkes, heiße Liebe zu demselben, die Überzeugung von seiner großen Bestimmung, eine gewisse heilige Geduld, die kein Klagen, kein Murren erlaubt, ein flammender Glaube an Gott — davon war jedes seiner Worte erfüllt“11). Auch im „Närodopis“ spricht er von der Sprache als der geheimnisvollsten Gabe Gottes und fahrt also fort4): „Aus der Stufe der Bildung der Sprache, die in der Nationalliteratur ihren Ausdruck findet, erkennt man am sichersten die Culturstufe eines Volkes, und aus der Stufe der Liebe zu ihr und der Sorgfalt um ihre Erhaltung und Vervollkommnung die Stufe seines geistigen und moralischen Niveaus. Ein Volk, das sich der Wichtigkeit der >) O. c. S. VI. 2) 28. Februar 1830. Slovansk^ Sborm'k, III, 415. 3) Barsukov, /Kirmi, n Tpvjii.r M. 11. Iloro/piiia", IV, 314. ■*) O. c. 4. angeborenen Sprache für sein höheres geistiges Leben bewusst ist, sie aber selbst verwirft oder ihr entsagt, begeht einen Selbstmord und wird Gott darüber Rechenschaft geben, dessen ewige Gesetze es damit verletzt. Seine Sprache mehr als sein Leben lieben und vertheidigen, eine fremde achten und nicht unterdrücken, ist hier heilige Pflicht eines jeden, sowohl der Individuen als der Nationen, die zum moralischen Bewusstsein ihrer selbst und ihrer Bestimmung gelangt sind. Wer bezüglich der Sprachen von Weltbürgerthum, sei es aus List oder aus Betrug, faselt und spricht, ist ein Narr oder etwas noch Ärgeres, mag er wer immer sein.“ Die romantischen Lehren über die Sprache haben, wie man sieht, bei Šafafik noch durch Herders Humanitätsideal und das Evangelium der Liebe der Böhmisch-mährischen Brüder, deren Werke er wegen ihres Inhaltes und wegen ihrer Sprache besonders gerne studierte, eine besondere Weihe erhalten. Von denselben Anschauungen geht Šafarik auch in seiner für den ersten österreichischen Unterrichtsrath, in welchem ihm „die Vertretung der slavischen Studien-und Literatur-Interessen“ zugedacht war'), im Frühjahr 1818 ausgearbeiteten „Denkschrift über die Durchführung der Gleichberechtigung der böhmischen und deutschen Sprache in den Schulen Böhmens“3) aus. Šafarik suchte darin — schon mit Berufung auf die Verfassungsurkunde vom 25. April 1848 und die Allerhöchste Resolution auf die Prager Petition vom 8. April 1848 — einfachFichtesProblemeinerNational-Erziehung (närodni vychoväni a rizeni ve statu mnoho-jazycnem)3) zu lösen, das in einem mehrsprachigen Staat besonders schwierig war. Neben der vollständigen sprachlichen Gleichberechtigung in allen Ämtern, derentwegen alle Beamten beider Landessprachen mächtig sein müssten, forderte er eine derartige Einrichtung des Unterrichtswesens, dass weder der Böhme noch der Deutsche ihrer Nationalität entfremdet würden; dabei sollten jedoch die Angehörigen beider Volksstämme des Landes die Möglichkeit erhalten, ‘) Jos. Jireček, 42. ■>) Abgedruckt im Č0M, 1848, II, 171-197. — ») Ibid. 179. auch die zweite Landessprache für ihren künftigen Beruf zu erlernen. Safafik verlangt eine vollständige National-Erziehung, denn nur in der Verkörperung des Nationalgeistes lebe der Geist der Menschheit. „Das rein Menschliche lässt sich nur durch das Nationale erzielen. Durch die Nachahmung und Einimpfung fremden Nationalgeistes tödten wir den Nationalgeist unseres Volkes und machen es zum Sklaven eines anderen. In diesem Sinne sind die Muttersprache und Nationalität als solche zwar nicht der Zweck unseres höheren Lebens: aber sie sind das natürliche und unausweichliche Mittel zur Erreichung der höchsten und heiligsten Lebenszwecke, der geistigen und moralischen Vervollkommnung“1). Die Geschichte aller Völker beweise, dass die Unterdrückung der Volkssprache immer eine Verschlechterung des Nationalcharakters, eine Erlahmung des Geistes und Verderbtheit der Sitten zur Folge gehabt habe. Die entnationalisierten Städter oder die in fremden Sprachen und Sitten erzogenen Adeligen seien der beste Beweis dafür. Bei seinem Bestreben, den gesammten Unterricht auf Grund der Muttersprache aufzubauen, bekämpft Safafik namentlich die Methode, die Grammatik der eigenen Sprache auf Grund des grammatischen Unterrichts in fremden, spe-ciell in den classischen Sprachen, zu lehren. Allen Autoritäten zum Trotz sei das doch der verkehrteste Vorgang; statt aller anderen Beweise genüge der Hinweis auf die Schöpfer der vollendetsten grammatischen Systeme ihrer Nationalsprache, auf die Griechen und Inder 2). Es entbehrt nicht des Interesses, auch kurz zu erwähnen, worauf Šafafiks praktische Anträge hinausliefen. Sein Gutachten forderte den ausschlieillichen Unterricht in der Muttersprache in den Volks- und Mittelschulen, wobei die zweite Landessprache von der vierten Elementarschul-classe angefangen zu lehren sei. Auf der Universität sollte auch bezüglich der Vortragssprache vollständige Lehrfreiheit herrschen, doch müsste der praktischen Bedürfnisse *) ČČM., 1848, II, 182. - 2) Ibid. 184. wegen für den obligatorischen Voi'trag einzelner Fächer in böhmischer Sprache an der theologischen, medicinischen und juridischen Facultät Sorge getragen werden. Da der österreichische Völkerfrühling bald zu Ende war, so hatten SafaHks Vorschläge damals keinen besonderen Erfolg. Immerhin sind unter seiner Mitwirkung die Bestimmungen über den slavischen Sprachunterricht in dem Organisationsentwurf für österreichische Gymnasien entstanden, und er war die Seele der beiden Commissionen, die eine „Juridisch-politische Terminologie der slavischen Sprachen Österreichs“ (Wien 1850) und eine wissenschaftliche Terminologie für die böhmischen Gymnasien und Realschulen (Nemecko - cesky Slovnik vedeckeho näzvoslovi, v Praze, 1858) zu schaffen hatten; auch die Vorrede in den beiden deutsch-böhmischen Glossaren rührt von ihm her. Das Jahr 1848 riss überhaupt auch (Safarik auf kurze Zeit aus seiner stillen Gelehrtenthätigkeit heraus, um ihn schon nach den traurigen Erfahrungen mit dem Prager Slavencongress (s. u.) zu einem noch abgesagteren Feind der Politik zu machen, als er es schon war. Bereits im Jahre 1842 lässt er den jugendlichen Enthusiasten Bod-janskij durch Pogodin1) vor „Extravaganzen und modischen Schwärmereien und Phantasien“ warnen und schreibt: „Sie wissen, dass ich ein schlichter, trockener Grammatiker, Antiquar und Philolog bin, und fast von nichts weiß und nicht wissen will.“ Und im Jahre 1846 (19. Juli) erklärte er Bodjanskij direct und in energischer Weise, dass ihn die slavistischen Disciplitien nur als solche, die Wissenschaft nur als Wissenschaft beschäftige, weshalb der Oorrespondent unbedingt nur bei der Literatur verbleiben müsse, wenn er mit ihm weiter verkehren wolle2). Auf dem Slavencongress fiel jedoch bei dem großen Ansehen, dessen er sich bei allen slavischen Völkern erfreute, und bei seinen theoretischen und praktischen Sprachkenntnissen naturgemäß ihm die führende Rolle zu, aber er lehnte die Wahl zum Präsi- ') N. Popov, lliicbJia kt. M. TTorojumy, 318. Lavrov i Speranskij, IblCi.Jia JJIatjtapjfKa KT. Bo/piHCKOMy, 81. đenten ab und lieb sieh mir zur Annahme des Präsidiums in der böhmischen Section bewogen. Die Wähler von Beroun, die ihm ein Reichstagsmandat übertrugen, und der politische Verein „Slovanska Lipau, der ihn zu seinem Präsidenten wählte, hatten jedoch mit ihren Bemühungen keinen Erfolg. Dafür brachte aber das Jahr 1848 Safarik eine Lehrkanzel für s 1 a v i s c h e Ph i 1 o 1 o g i e auch in Österreich. Allerdings war auch dieser Erfolg nur ein moralischer, denn er kam nicht dazu, dieselbe zu versehen, da sie ihm doch schon zu spät zufiel (er war bereits 53 Jahre alt) und ihm als pflichteifrigen Mann das Amt eines Universitäts-Bibliothekars, das ihm gleichfalls das Jahr 1848 eingetragen hatte, genügend zu thun gab. Dass Safarik seinen sehnlichsten Wunsch solange nicht erfüllt sah, sich mit lästigen Redactions- und Censnrsgeschäften abgeben musste und erst infolge der Berufung nach Preußen eine überzählige Oustosstelle an der Prager Bibliothek erhielt (1841), wobei er aber das Amt eines Censors noch immer nicht aufgeben konnte, wird manchmal nicht ganz richtig beurtheilt. Das wissenschaftliche Leben, speciell die Gteisteswissen-schaften lagen damals in Österreich überhaupt darnieder; natürlich konnte es dort auch keine staatlich anerkannte und geförderte Slavistik geben, wo noch keine Germanistik vorhanden war, die als Wissenschaft bereits ganz anders dastand. Am bezeichnendsten ist doch die Thatsache, dass Šafafik in der jungen Wiener Akademie der Wissenschaften Jakob Grimm vertheidigen musste. Umso höher ist daher sein Verdienst anzuschlagen, dass es ihm doch gelang, auch für die österreichische Slavistik bahnbrechend zu wirken. Šafafik legte zuerst dem Erzherzog Stephan, seit 1845 Gouverneur von Böhmen, der sich für seine Wünsche interessierte, ein Memorandum vor. Als dasselbe keinen Erfolg hatte, überreichte er im Februar 1847 ein Majestätsgesuch um Verleihung „einer außerordentlichen Lehrkanzel der höheren slavischen Philologie“ an der Prager Universität. Seine Bitte motivierte er vor allem mit praktischen Rücksichten auf die Candidaten des Lehrfaches der einzelnen slavischen Sprachen und auf diejenigen Männer des öffentlichen Dienstes, deren Amt eine gründliche Kenntnis des Slavischen erfordert. Dann kamen aber auch höhere Rücksichten : die Lehrkanzel würde nicht verfehlen, auf den Gang derjenigen positiven Wissenschaften, die mit dem Leben und der Geschichte der zahlreichen slavischen Völker in Österreich näher zusammenhiengen, wohlthätig und fördernd zu wirken und die Ehre der Hegemonie der in Österreich durch die Bemühungen von Durich, Dobrovsky und Kopitar zuerst entstandenen höheren slavischen Sprachwissenschaft dem österreichischen Staate bleibend zu sichern. Auch der in Europa neu aufblühenden, in Deutschland, Frankreich und England mächtig geförderten allgemeinen oder vergleichenden Sprachwissenschaft würde eine solche Lehrkanzel als eine wesentliche Ergänzung zugute kommen, da in keinem anderen europäischen Staate soviele und so verschiedene slavische Mundarten gesprochen würden, als im österreichischen ’). Das Gesuch hätte, obgleich es sich allseitig der wohlwollendsten Unterstützung erfreute, fast keinen Erfolg gehabt, weil Safarik gleichzeitig um die Enthebung vom Cen-soramt und um Belassung des damit verknüpften Gehaltes bat und der Andeutung, er möge sich bloß mit dem Honorar der Hörer begnügen, keine Folge leistete. Da brachte der Verkehr mit dem Hofkanzler Freih. v. Piliersdorf, dem sich Safarik bei seinem ersten akademischen Besuch in Wien vorstellte, die erwünschte Wendung. Er verstand es, den Staatsmann zu überzeugen, wie sehr die Förderung der Slavistih durch das eigene Interesse der österreichischen Regierung geboten sei. „Die Bemühungen der einzelnen Völker, ihre Sprache und Literatur auszubilden, thäten dem Zwecke, die einzelnen Theile des Reichs zu einem Ganzen zu verbinden, durchaus nicht Eintrag, vielmehr dienten sie dazu, mit der Liebe zum Geburtslande die Hingebung für das gemeinsame Vaterland zu befestigen, Gemeinsinn, Achtung und Anhänglichkeit für eine Regierung zu wecken, ^>) Jos. Jireček, 88-39. welche die Nationalgefühle ehre und ihnen durch die Pflege der vaterländischen Geschichte Anerkennung und Geltung einräume. Die Pflege der Sprache in Hinsicht auf deren Abstammung und Vergleichung führe nicht zur Trennung der Völker, sondern vielmehr zur wissenschaftlichen Vereinigung“1). Diese Ideen fanden die Zustimmung des Hofkanzlers, umsomehr als sich Safarik auch durch sein Auftreten in der Akademie Sympathie und Beifall erworben hatte. So wurde sein Gesuch durch eine kaiserliche Entschließung vom 11. März 1848 günstig erledigt und ihm für seine Vorlesungen an der Prager Universität eine Remuneration von jährlich 600 fl. bewilligt. Wegen der hereinbrechenden Stürme des Jahres 1848 kam Safarik jedoch nicht dazu, seine Vorlesungen aufzunehmen und resignierte am 4. Februar 1849 auf seine Professur. Zu den bereits hervorgehobenen Gründen kam noch die Absicht dazu, öelakovsky die Rückberufung aus Breslau zu erleichtern; denn der zum Philologen gewordene Dichter hegte den sehnlichsten Wunsch, an die Hochschule seiner Heimat zu gelangen2). Dadurch wurde aber der Boden auch für eine Lehrkanzel der slavischen Philologie in Wien vorbereitet, welche am 80. April 1849 dem ganz überraschten Miklosich, den Graf Stadion auf dem Reichstag in Kremsier kennen gelernt hatte3), verliehen wurde. Der Abgang öelakovskys aus Breslau hatte die weitere Folge, dass Miklosich dahin berufen und deshalb schon im Jahre 1850 zum ordentlichen Professor in Wien befördert wurde. Miklosichs Bedeutung erkannte Safarik sofort (schon am 8. December 1847 nennt er ihn „zuamenity naš slo-vansky filolog“)1), erwarb sich große Verdienste für das Zustandekommen seiner vergleichenden Grammatik und ge-rieth mit ihm in einen sehr regen Verkehr6), was bei dem Gegensatz, der sich zwischen Kopitar und Wien überhaupt ') Jos. Jireček, 39 — 40. — a) Ibid. 69. 8) A. Trstenjak, Letopis Matice Slovenske za 1. 1883, 12. «) Lavrov i Speranskij, llaChJia Hla^apilKa K'i. BojJlHCKOHy, 93. 6) In Miklosichs Nachlass befinden sich 41 Briefe Šafafiks an ihn. und den Pragern ausgebildet hatte, besonders hervorgeboben zu werden verdient. Obgleich es also Safafik nicht vergönnt war, sein Lehramt an einer Universität zu versehen, so übte er dennoch den größten Einfluss auf den Gang der slavistischen Studien weit und breit aus. Schüler im Geiste, Freunde und Verehrer zählte er unter den Südslaven, Polen und .Hussen in Menge, über die Einführung des slavischeu Sprachstudiums in den preußischen und österreichischen Universitäten schrieb er Memoranden, und den ersten russischen Slavisten war er in Wort und Schrift ein begeisterter Lehrer, zu dem sie mit Bewunderung und Verehrung emporblickten. In dem Banne seines Wissens und seiner Persönlichkeit standen der Historiker Pogodin, die ersten Katheders!avisten Bodjanskij, Preis, Sreznevskij, Grigorovič, die längere Zeit bei ihm in Prag geweilt hatten, und viele andere Gelehrte, wie Koppen, Nadeždin, P. Kirejevskij, Ivani še v, Kastorskij, Maksimovič, Granovskij, Solovjev u. a., die ihn zum mindesten auf der Durchreise in Prag sahen oder ihn nur aus schriftlichem Verkehr kannten. Die Urtheile des jugendlichen Enthusiasten Bodjanskij aus dem Jahre 1888 kommen, obgleich sie übertrieben zu sein scheinen, der Wahrheit doch nahe: Safafik war in der That für ihn und für andere Bussen eine ganze Akademie, eine ganze Bibliothek, eine lebendige Encyklopädie alles Wissenswerten über die Slaven. Diese seine Verdienste wurden auch von der russischen Akademie nach dem Erscheinen der n Altertliümer“ und der slavischeu Ethnographie, von dem Minister für Volksaufklärung Grafen Uvarov, von Pogodin und seinem Freundeskreis durch moralische und materielle Unterstützung anerkannt'). Man kann sogar behaupten, dass ohne die Bücherund Geldsendungen Pogodins die „Slavischeu Alterthümer“ zum mindesten in der vorliegenden Form damals nicht hätten erscheinen können. ') Vgl. P. Kulakovskij, /Kvjiiia n, MnnncTepcTna Hapo/piaro lipocistinenhi. 1895, Mail, 431—44G. P. A. Lavrov i M. N. Speranskij, llucLMii llhu|ripmca in, BogaiiCKOiny, I—LVII1. Von Šafaliks Rathsohlägon, mit denen er auf die Arbeiten seiner Freunde einzuwirken suchte, verdienen einige besonders hervorgehoben zu werden. So forderte er in einem-fort von den jungen Professoren der Slavistih Preis, Bod-janskij, Sreznevskij, Celakovsky gute slavistische Lehrbücher1): vergleichende Grammatiken, Chrestomathien, sla-vische Geschichte, Literaturgeschichte, eine Anthologie der slavischen Volkslieder u. s. w. Leider giengen seine Wünsche wenig in Erfüllung, und man ackerte in der That ohne Pflug3). Die altslavischen Studien suchte er auch weiteren Kreisen annehmbar zu machen und verlangte daher schon aus diesem guten Grunde schöne altkirchenslavische Typen. Wie J. Grimm für die „deutsche“ Schrift keinen Sinn hatte, so war auch Safafik den ebenfalls auf die Gothik zurückgehenden eckigen und verschnörkelten Moskauer Lettern gründlich abgeneigt und sehnte sich nach einer cyrillischen Antiqua, für die er und Kopitar schon 18‘29 die richtigen Muster in den Drucken von Venedig und Cetinje gefunden hatten3). „Die neue Schrift müsste — so schreibt er an Bodjanskij4) — in ästhetischer Hinsicht vollkommen, schön sein, so dass das Herz vor Freude springen würde, wenn das Auge auf ein damit gedrucktes Buch fallt.“ Diesen Bestrebungen verdanken wir auch die nach Safafik benannten gefälligen cyrillischen und glagolitischen Lettern, die in Prag bei Haase hergestellt wurden. Ebenso wehrte sich Safafik gegen Abbreviaturen bei der Herausgabe altslavischer Texte und forderte eine logische Interpunction sowie Thei-lung der Texte in Bücher und Capitel6). Er wusste, dass seine Neuerungen starken Widerspruch finden werden, tröstete sich aber damit, dass die „barbarisch - abgeschmackten“ kirchenslavischen Typen im Gebrauch der Kirche bleiben können, und verweist darauf, wie alle Gelehrten Europas ') Vgl. Lavrov i Speranskij, o. c. 37, 49, (18. ’) Popov, Jlitci.jia K'i. Ilorogimy, 331. a) Konst. Jireček, 113. 4) Lavrov i Speranskij, 85, 118—119. 9 Ibid. 8G-87, 92, 119. schrien, als Wettstein circa 1680 ohne Compendien griechisch zu drucken anfieng, was heute doch kein Mensch mehr timt. „Die bisherigen Drucke — schlieüt er sein Sendschreiben an Pogodinl) — sind gelehrte Spielerei und Pedanterie, todte Geburten von Todten für die Todten. Wir haben Kleinodien (altslav.), die, schön und menschlich gedruckt, Damen lesen würden!“ Am meisten Einfluss übte aber Safarik auf alle sla-vischeu Völker durch seine Werke aus, von denen nicht bloü die deutsch, sondern auch die böhmisch geschriebenen viel mehr verbreitet und gelesen wurden, als wir heute anzunehmen gewohnt sind; denn in jenen an slavischen literarischen Erzeugnissen ohnehin nicht reichen Zeiten war jede Schrift Safafiks ein Ereignis, aus dem sich die ebenfalls nicht zahlreichen slaviscben Patrioten Belehrung und Begeisterung für das Slaventhum holten. Übrigens wurden die meisten Aufsätze Safafiks auch in die einzelnen slavischen Sprachen übersetzt, namentlich in das Russische, oder zum mindesten in Auszügen gebracht, ja selbst Abschnitte über die westslavischen Literaturen aus seinen Briefen wurden in Moskauer Blättern und im Petersburger „Journal des Ministeriums für Volksaufklärung“ abgedruckt. Vor allem waren aber seine beiden bedeutendsten Leistungen die ersten Werke der neueren böhmischen Literatur, denen die Ehre einer Übersetzung in mehrere fremde Sprachen zutheil wurde. Die „Slavischen Alterthümer“ wurden nicht bloLi ins Deutsche übersetzt (von Mosig von Aehrenfeld, 1846), sondern auch ins Russische (von Bodjanskij, Moskau 1838) und Polnische (von Boiikowski, Posen 1842 — 1844); eine Übersetzung ins Serbische war 1843 in Vorbereitung2). Die „Slavische Ethnographie“, deren erste Auflage in Prag in zwei bis drei Tagen ausverkauft war, wurde nach der zweiten von Bodjanskij sofort ins Russische übersetzt (CjiamiiicKoe Rapogoiuicaiiie, Mccicaa 1843); eine polnische Übersetzung von Dahlmann erschien noch 1842 (in Breslau bei Schietter 1843) ohne Mappe, und ') Lavrov i Sporanskij, Iliici.iia llbujmpiiKa K’i. UojpiHCKOMy, 119 *) Ibid. 43. ] 91 Mosig von Aehrenfelđ beutete dieselbe zu Safafiks Verdruss in dem unter großem Lärm herausgegebenem Fabrieat „Slaven, Russen und Germanen“ (Leipzig 1843) aus1). Angesichts einer so allgemeinen Verbreitung der Schriften Šafariks ist es auch leicht erklärlich, dass wir den Spuren seiner Werke und seinen Ideen bei allen slavisehen Völkern begegnen. Auch auf Dichter, die ihn öfters feierten, übte er einen großen Einfluss aus. Von den bedeutenderen sangen am meisten in seinem Geiste der Kroate P. Prera-dović und der geniale Kleinrusse T. Ševčenko, der aus dem noch in der Leibeigenschaft schmachtenden Bauernstand hervorgegangen ist. Am charakteristischesten ist seine „Epistel an den berühmten P. J. Safarik“, mit der er ihm sein Gedicht „Ivan Hus“ oder „Der Häretiker“ zusendete (22. November 1845)2). Safarik wird gerühmt, weil er den lange unter der Asche glimmenden Funken der Brüderlichkeit mit kühnem Adlerauge hervorholte, die Fackel der Wahrheit und Freiheit erhob; die große Familie der Slaven durchmusterte er in der Finsternis und Sklaverei. „Und, o Wunder! die Leichname standen auf und öffneten ihre Augen! Und ein Bruder umarmte den andern, und sie sprachen sich Worte der stillen Liebe für Ewigkeiten zu! Und die slavisehen Flüsse ergossen sich in ein Meer!“ Dafür gebüre ihm Ehre und Dank, dass er die Slaven in dem deutschen Strudel nicht untergehen ließ. Die kleine Gabe, das Gedicht „auf den heiligen Böhmen, den großen Märtyrer“ Hus wird ihm mit folgenden Schlussworten dargebracht: „Empfange es, o Vater! Ich werde aber gesenkten Hauptes zu Gott beten, auf dass alle Slaven gute Brüder werden, Söhne der Sonne der Wahrheit und solche Häretiker, wie es der große Häretiker von Constanz war!... Friede und Ruhm werden sie der Welt in Ewigkeit schenken!“ So gab der gedrückte Kleinrusse seinen Gefühlen am besten im Sinne Safafiks Ausdruck und wurde auch bald für sie mit der Verbannung in die Orenburger Steppe und mit der Vernichtung seines *) Lavrov i Speranskij, 37, 43; IIllCl.Ma K'i. iloro.'piiiy, 322 — 323. J) T. Ševčenko, Koöaapi», y Hpassn 1870, S. 178—180. 192 poetischen Talentes bestraft. Auch die Moskauer Slavopliilen standen unter dem mächtigen Einfluss Šafariks, umsomehr als seine Freunde daselbst wirkten und seine Werke meist dort in Übersetzungen oder Auszügen erschienen. Doch ihre Ideale entfernten sich immer mehr von den Ideen Safariks, um allmählich in einem Panrussismus aufzugehen. Treuer gehütet wurden sie naturgemäß bei den anderen slavischen Völkern. IX. Jan Kollär, der Dichter und philosophische Begründer des literarischen Panslavismus. Von dem bedeutendsten Vertreter des wissenschaftlichen Panslavismus, der an dem gleichen Pangermanismus sein leuchtendes Beispiel hatte, kommen wir zum Schöpfer und bedeutendsten Vertreter des poetischen. Jan Kollär') (1793—1852), der Sohn eines evangelischen Bürgers aus dem Städtchen Mosovce im oberungarischen Thuroczer Comitat, wurde im Elternhaus infolge der strengen Zucht seines bibelfesten Vaters ebenfalls frühzeitig mit den Gesangs- und Gebetbüchern, mit der heiligen Schrift und anderen Werken der älteren böhmischen Literatur vertraut, doch wir suchen auch in seiner Jugend vergebens die romantische Heimatsliebe und jenes Nationalgefühl, das er selbst ') Wo nicht die Originalausgaben seiner Werke herangezogen werden, citiere ich: Spisy Jana Kollara. V Praze. NAkladem knih-kupectvi: J. L. Kober, 1863, vier Bände. „SlAvy Dcera“ wird nach der Ausgabe von Frant. Bačkovsk^ (Sbirka nejdiiležitejSich plodu basnickych, ß. I u. II, v Praze 1885) citiert. Eine würdige, kritische (lesammtausgabe der Werke Kollars sowie anderer älterer Dichter wäre schon sehr an der Zeit. Seine Jugend- und Lehrjahre hat Kollar selbst ausführlich beschrieben: Pameti z mladšich lot života, Spisy, IV, 85—285. Viel Material bietet die Jubiläumsschrift: Jan Kollär. Sbornik stati o živote, püsobeni a literarni ßinnosti pevce „Slävy Dcery“. Na oslavu jeho stolefrfch narozenin rodakci FrantiSka Pastrnka vydaly česk^ akademick^ spolek ve Vidni a slovenski akadomick^ spolok „Tatran“ vo Viedni. Ve Vidni, 1893. in seinen „Denkwürdigkeiten“ (Pameti) allerdings auch schon in diese Zeit verlegen möchte. Das „Vaterland“ war für ihn damals Ungarn, „die Frucht der Nationalität“ hatte er nach seinem eigenen Geständnis und nach dem Zeugnisse Palackys (s. u.) selbst in der philosophisch-theologischen Lehranstalt in Pressburg (1812—1815) noch nicht gekostet1). Schon damals und noch mehr später war er von dem Scholasticismus der oberungarischen Gymnasien und Lyceen ebenso wenig erbaut wie Safalik. Er suchte zwar aus Privatfleiß seine allgemeine Bildung zu erweitern und modern zu gestalten, wobei er frühzeitig ästhetische Neigungen verrieth (Vorliebe für Malerei, Musik und Tanz, dem er ausdrücklich deshalb huldigte, um sich schöne Formen für die Predigt anzueignen), wurde jedoch durch einen freigeistigen Land-Edelmann nur mit der deistischen und ency-klopädisohen Literatur bekannt und hatte bis zum vierundzwanzigsten Lebensjahre keinen bedeutenden neueren Lyriker oder Epiker gelesen; denn Klopstocks „Messias“ warf er ebenso bei Seite wie Voltaires „Henriade“. Von der deutschen Literatur kam ihm nur die modische Lectüre der kleinbürgerlichen Kreise in den oberungarischen Städten zu, aber selbst diese verspätet; charakteristisch ist es, dass er doch schon Ifflands Dramen und Kotzebues Lustspiele las, aber nichts von einer Lectüre Schillers und Goethes oder der Romantiker erzählt. Bemerkenswert ist aus seiner Jugendzeit nur der Umstand, dass er in Neusohl einen vom Ideal christlicher Humanität erfüllten Lehrer, Magda, hatte, dessen er mit großer Dankbarkeit gedenkt, und dass er in Pressburg als Leiter eines Waisenhauses dem Basedow’schen und Salzmann’schen Philanthropismus huldigte. Wie sehr sich auch ihm in Jena (1817—1819) eine neue Welt eröflhete, mögen seine eigenen Worte, mit denen er die Schilderung seiner Jenaer Periode abschließt, bezeugen: „Welcher Unterschied war das, als ich zum erstenmal (auf der Hinreise, 1817) und jetzt wieder Prag sah! ‘) Sieh meine Studie im Letopis Matice Slovenske, 1894, S. 11, 17—20. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 1-J Damals war ich noch unschuldig wie Adam im Paradies, jetzt hatte ich aber schon vom Baume der Nationalität die bittere und dem Geiste schmerzbringende Frucht genossen ; es schien mir, als ob Prag die versteinerte Geschichte des böhmischen Volkes wäre. Am Vysehrad zeigt man die Ruinen eines heidnischen Heiligthums: von demselben nahm ich einige in Papier eingewickelte Bruchstücke mit und bewahre sie bis auf den heutigen Tag.“ Wie betäubt kehrte er über Wien in seine Heimat zurück und warf sich in Pressburg weinend Palacky in die Arme, der seinen Freund „lange nicht erkennen und verstehen konnte“1). Kollar selbst hat uns in den erwähnten „Denkwürdigkeiten aus den jüngeren Lebensjahren“, die er gegen das Ende seines Lebens2) nach dem Muster von Goethes „Wahrheit und Dichtung“ schrieb und gerade mit der Jenaer Periode abschloss, eine lebhafte Schilderung des studentischen Lebens, des Wartburgfestes, der Professoren, seines Verkehrs mit der literarischen Welt, speciell mit Goethe, und der Umgebung von Weimar und .Tena hinterlassen. Auch in der „Slävy Dcera“ gibt es so viele Erinnerungen an die beiden Städte, dass wenig deutsche dichterische Werke dem Evangelium des Panslavismus in dieser Hinsicht gleichkommen. Außerdem können wir Kollars Studien- und Entwicklungsgang in Jena aus seinem meist deutsch geführten „Tagebuch“, in dem er alles, was er las, zusammentrug, genau verfolgen, seitdem uns J. Jakubec über diese Schätze des Museums des Königreiches Böhmen ausführlich Bericht erstattet hat3). ') Pameti, IV, S. 281. 2) In seinem aus dem Jahre 1849 stammenden Curriculum vitae (Jan Kollar, Sbornik, S. 281) wurden unter den Manuscripten „Pametiny zo života Jana Kollara“ bereits erwähnt. Auch mehrere auf Jona bezügliche Sonette in der „Slävy Dcera“, die erst in der Ausgabe von 1852 Vorkommen, beweisen, dass Kollär seine Autobiographie gegen das Ende seines Aufenthaltes in Pest schrieb. s) J. Jakubec: J. Kollar v Jene, Osveta 1893; o Kollärove erudiei bäsnieke, Časopis ßeskeho Museum 1895, S. 83—110. Ich stellte Am 8. October 1817 kam Kollar nach Jena, also gerade zu einer Zeit, als die im Banne E. M. Arndts und des Turnvaters L. Jahn stehende studentische Bewegung ihren Höhepunkt erreichte. Die allgemeine Verbrüderung der Studentenschaft, früher „nie gehörte Lieder“, wie „In dieser feierlichen Stunde“ und „Was ist des Deutschen Vaterland“, machten auf ihn einen erhebenden Eindruck, und als protestantischer Theologe nimmt er mit Begeisterung am Wartburgfeste theil, dessen politische und nationale Bedeutung ihm aber nicht sofort klar geworden ist. In einer damaligen Beschreibung desselben (im Pressburger „Tydennik“) berichtet er wenig von den alldeutschen Reden, wohl aber später in den „Pameti“, wo er aus Okens „Isis“ dessen Rede (er schreibt sie irrthümlich einem Studenten zu)'), mit welcher die Studenten aufgefordert wurden, die provin-ciellen und dialectischen Unterschiede aufzugeben und sich auf die Höhe der ganzen Nation zu erheben, zum groben Theil aufnahm. Ganz so wie es Oken als eine Schmach hinstellte, sich blob als Sachsen, Hessen, Franken, Schwaben, Preußen u. s. w. zu fühlen, wollte später auch Kollar alle Slaven zu einem Körper, zu einer Nation machen. Auch den „Jugendbundesstaat“ werden wir bei ihm wiederfindon. Überhaupt wurde Kollar allmählich mit demPangermanismus, mit der Überfülle der thüringenschen Journalistik, mit ihrem Liberalismus und Radicalismus sehr vertraut. Auch bei ihm finden die Ideen der französischen Revolution (Rousseaus Werke, die er in Ungarn im Original gelesen haben will, excerpiert er sich aus deutschen Übersetzungen) und des wieder auflebenden „Sturmes und Dranges“ Anklang: Gedichte wie dir. Schubarts „Die Fürstengruft“ und Bürgers „Die Tode“ schreibt er sich ganz aus. Kollars Wissensdurst wurde auch in reichlichem Maße befriedigt. Die Pressburger Studien lagen ihm wie Mumien mir in meiner Darstellung (Letopis Matice Slovenske 1894, S. 21 bis 59) die Aufgabe, die Entwicklung Kollars noch mehr in Zusammenhang mit der damaligen geistigen Bewegung Deutschlands zu bringen. ') Pameti, 261. Vgl. Jakubec, Osveta 1898, S. 593. 196 in der Erinnerung, hier erst begann für ihn alles zu leben, sich zu bewegen und zu athmen. Zuerst wollte er alles sehen und hören, beschränkte sich aber doch nach dem ersten Semester auf Theologie, Philosophie, Naturgeschichte und Philologie. Da er Prediger werden wollte, bereitete er sich ernst auf seinen Beruf vor. Von den theologischen Professoren habe Gabler, der „Begründer der biblischen Theologie“, auf ihn den grollten Einfluss ausgeübt, aber gleichzeitig interessierte er sich ungemein für den Kieler orthodoxen Prediger Harms, so dass ich denjenigen nicht zustimmen kann, die Kollar zu einem reinen Rationalisten machen wollen1). Kollar war in der Theologie und Philosophie ein Ekletiker, kümmerte sich überhaupt wenig um Systeme und wählte von den auf ihn eindringenden Lehren und Meinungen diejenigen aus, die seinen ästhetischen Neigungen und seinem slavischen, speciell slovakischen, hoch entwickelten Subjectivisrnus besonders zusagten Wie der orthodoxe Harms die theologischen, brachte ihm Fries seine philosophischen Anschauungen „ins Gleichgewicht“2). Dieser „ästhetische Rationalist“3), dessen Hauptbestreben es war, „Glaube, Moral und die schönen Künste in einer Idee, in der Idee der schönen Seele zu vereinigen“4), musste daher auch der Liebling unseres gefühlvollen Slovaken werden, wenn er ohnehin nicht schon der Abgott der Jenaer Studentenschaft gewesen wäre. Noch mehr als die übrige Studentenschaft fesselten aber auch Kollar wie schon Ša-fafik die gemeinsamen Beziehungen zu den Böhmischmährischen Brüdern. Ganz in Fries’ Sinne schuf auch Kollär später allen Slaven ein ideales Vaterland „der Sitten, Sprache und einträchtigen Gedanken, das wir nur im Herzen tragen“6). Besonderen Eindruck machte trotz seines schlechten Vortrages und seiner, einem Diogenes im Fass ähnlichen Haltung *) Jakubec, Os vrta 1898, 717; T. Masaryk, Naše Doba I (1894), 592—B98; vgl. dagegen S. 6G8; J. Janoška, Sbornfk, 277. Vgl. meine Ausfilbrungen, Letopis Matice Slovenske 1894, 28—38. a) Pameti 247. “) Fr. Uoberweg, Grundriss der Geschichte der Philosophie, III, 290. — '') Pameti, 246. — 5) Slavy Dcera, III, Sonett 124. auf dem Katheder — das musste dem ästhetischen Kollar eine besondere Qual sein — auf ihn auch L. Oken, „einer der größten Naturforscher und einer der größten Männer unseres Jahrhunderts“1). Er fand zwar in seinen naturphilosophischen Elucubrationen „viel Poesie und Phantasie“, aber gerade das gefiel ihm, „dass er es verstand, in ihrem Spiegel so erhabene Dinge so schön und anschaulich zu erklären“. Diese Strahlen der Scholling’schen Philosophie, der er später abhold war2) — es gieng ihm wie seinem späteren Hauptlehrer Herder, der doch den Anstoß zur Naturphilosophie gegeben hatte und die Identitätslehre leidenschaftlich hasste3) —, und überhaupt der ganze deutsche Idealismus tragen auch an seinen späteren weitgehenden Abstractionen und Generalisationen die Schuld. Es ist beachtenswert, dass ihm sogar Mesmers „Thiermagnetismus“ imponierte4). Neben Pries und Oken verdankte Kollar nach seinem eigenen Ausspruch am meisten die Entwicklung seines Geistes noch Luden6), von dem er berichtet, dass nicht bloß der größte Hörsaal, der ihm zur Verfügung stand, vollgefüllt war, sondern dass die Studenten auch vom Hofe aus seinen Vorträgen lauschten und sich von den Pedellen für Bezahlung Leitern zu den Fenstern stellen ließen. Durch Dudens Vorträge musste Kollar natürlich das Interesse für eine idealisierende und zum werkthätigen Patriotismus anregende Geschichte seines Volkes und im Geiste der IIo-mantik eine specielle Vorliebe für das slavische Alterthum6) ') Pameti, 244. 2) Über die literarische Wechselseitigkeit, S. 71. 8) Ji. Haym, Herder G75. 4) Bäsnö (1821), Sonett 77; Slävy Dcera, III, 86. Vgl. dazu Vyklad, S. 277. - ‘) Pameti, 243-244. 6) Sein Freund Clemens aus Lemgo schreibt ihm nach ihrer Trennung: Ich helfe, Du setzest Dein Alterthums-Studium mit demselben Eifer fort. Es ist und bleibt der Grund aller Bildung und Cultur und soll bei jedem anderen Studium als schützender Dämon gegen die pavauai;, den Handwerksgeist, den Feind des Genius und alles geistigen Lebens (dienen). Spisy II, 146. eingeflößt werden. In.sbosondere warf sich Kollar auf die Mythologie. Die Romantik widmete ja diesem Wissenszweig deshalb so große Aufmerksamkeit, weil sie auf Grund der bisherigen Mythologien eine neue aufbauen wollte, die das künstlichste aller Kunstwerke werden sollte Kollar mühte sich auch redlich ab, in seinen poetischen und in seinen verunglückten wissenschaftlichen Leistungen einen altslavi-schen Olymp, und einen neuslavischen Himmel aufzubauen. In Jena wurde er durch Luden zu mythologischen Studien geradezu gereizt, denn dieser warf in seinen Vorträgen germanische und slavische Gottheiten zusammen und benützte als Quelle zur deutschen Mythologie auch alle jene Chroniken, die ausdrücklich von Slaven berichten. Das gab Kollar keine Ruhe, und er gieng nach einer Vorlesung zu Luden, um ihm dagegen Vorstellungen zu machen. Durch seine mitgebrachten Excerpte brachte er Luden in ziemliche Verlegenheit, aber dieser gestand seine Unkenntnis des Slavischen und versprach, in Zukunft diesem Gegenstand mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Kolhir will sich zwar nicht das Verdienst zuschreiben, dass Luden in seiner gedruckten Geschichte des deutschen Volkes2) die slavischen Götzen und Chronisten fallen gelassen hat, obwohl Luden ihn bei einem Besuche 1835 seinen „slavischen Lehrer“ nannte, aber jedenfalls hatte er einen gewissen Erfolg und konnte vor die mythologischen Lieder seiner „Zpevanky“ als Motto die Worte Ludens steifen: „Die Slaven hatten eine ausgebildete Götterwelt, welche groß genug war und reich genug für ihre Leiden und Freuden, und von welcher sie umfangen wurden mit einem vielverschlungenen Aberglauben.“ Die Söhne des Hofrathes L ü d e r (bei dem er deshalb auch Staatswissenschaften hörte) im Lateinischen unterrichtend, blieb er seinen aus Ungarn her vielgeliebten Clas-sikern treu, besuchte die Vorlesungen von Eichstädt und Hand und trat auch in ihr Seminar ein, wo er gegen ') Haym, Die romantische Schule, 692. 2) D. i. Geschichte des Teutschen Volkes, Gotha 1825—1838; Geschichte der Teutschen, Jena 1842—1843. Eichstädt die erste Horazische Ode mit so großem Erfolg vertheidigte, dass die Abhandlung auch gedruckt wurde. Gerne glauben wir ihm, dass Hand zu jenen Lehrern gehörte, die auf seinen poetischen Charakter am meisten Einfluss hatten '), denn bei allem Komantismus finden wir bei keinem der slavischen Romantiker soviel classische Elemente wie bei Kollar. Großen Eindruck machten auf Kollar die Stätten der classischen deutschen Literatur. Sein erster Besuch galt Goethe, der ihn freundlich aufnahm und einlud öfters zu kommen. Goethe ließ sich von seinem begeisterten Verehrer einige slovakische Volkslieder übersetzen, aber es ist unrichtig, dass er dieselben „in seiner Zeitschrift“ (d. i. „Kunst und Alterthum“) gebracht habe2). Überhaupt hat sich, wie A. Kraus gezeigt hat, zwischen beiden kein besonderes Verhältnis ausgebildet, obgleich Goethe in der bekannten Weise „beim zweiten und den nachfolgenden Besuchen schon ganz den Minister und Hofmann ablegte und mehr ein Patriarch und Vater zu sein schien“ 8). Kollar verkehrte auch in „der Gesellschaft für Erholung“ (spoleßnost pro okfäni4), welche die Jenaer Professoren, Geistlichen und andere Vertreter der Intelligenz gegründet hatten. Unter den Gästen derselben habe sich auch Goethe befunden. Hier sah er auch die Dichterin L. Brachmann, die ihn ungemein >) PamSti, 283. a) Eino kritische Würdigung dieses Berichtes bietet A. Kraus, Goethe a Öechy, 57—60, 171. Dass Kollar jedoch Goethe slovakische Volkslieder übersetzte, unterliegt keinem Zweifel, denn auch im „Cestopis“ (Spisy, III, 267) erzählt er, er könne als „Augenzeuge, Nachbar und zum Theil Mitarbeiter Goethes“ bezeugen, dass Goethe zur Beseitigung der Vorurtheile über die Slaven beigetragen hat; denn er sprach oft darüber mit ihm persönlich und übersetzte ihm auf sein Verlangen auch einige slavischo Volkslieder. a) Pameti, 248. 4) Pamöti, 255. Herr Dr. J. Wahle konnte in den Acten des Staatsarchives nur eruieren, dass im Jahre 1817 die „Harmonie-Gesellschaft“ gegründet worden ist, die 1824 schon wieder auseinander giong. Ob in dieser Gesellschaft Goethe viel oder überhaupt verkehrt hat, weiß man — wie er mir gütigst mittheilt — nicht. ‘200 interessierte. Mit Wielands Solin Ludwig war er gut bekannt und lieferte ihm Beiträge für seinen „Patrioten“ über ungarische Angelegenheiten und Kecensionen über slavische Schriften, mit denen er auch Okens „Isis“, Ludens „Nemesis“, die Jenaische und Hallesche Literaturzeitung versorgte1). Wenn in Weimar ein classisches Stück gegeben wurde, wunderte er jedesmal dahin mit seinem Freunde Benedikti, der auch seine Bekanntschaft mit Safafik vermittelte, und besuchte alle Stätten, die an Schiller, Wieland und Herder erinnerten. Wenn wir Kollars Lectüre in Jena verfolgen, so bemerken wir vor allem auch bei ihm die Verehrung der Romantik für Goethe. Speciell „Wilhelm Meister“ ist ihm sosehr der Roman der Romane, dass er aus ihm nicht bloß das Ideal der romantischen Dichtkunst abstrahiert, wie Friedrich Schlegel, sondern auch seine Lebensanschauungen schöpft und sogar die gesellschaftlichen Umgangsformen studiert2). Zu den gleichen Zwecken machte er sich auch Excerpte aus „Wahrheit und Dichtung“. Charakteristisch ist es aber für den jungen, gefühlvollen Slaven, dass er das gleiche Interesse auch „Werthers Leiden“ entgegenbringt. Die deutsche Emphndsamkeit und Thränenseligkeit wurde unter die Slo-vaken erst zu Ende des zweiten Decenniums unseres Jahrhunderts gebracht. Kollar weinte schon in den Gärten und Thälern bei Neusohl (1815 — 1817) mit seinem Freunde Roznay, der zuvor voll des deutschen Idealismus aus Jena gekommen war, und er selbst stürzte sich nach seiner Rückkehr trähnenselig Palacky in die Arme. Wenn dabei nicht von ihrem unglücklichen Volk die Rede gewesen wäre, so könnte man glauben, dass folgende Worte geradezu aus Werther oder Siegwart geschöpft seien: „Bei diesen Worten waren wir beide voll Thränen, wir hielten uns wie Kinder umschlungen und aulier dem Monde, der über unseren Häuptern leuchtete, hatten wir keinen anderen Zeugen“s). Ich glaube, dass ihn im Werther auch des jungen Goethe *) Sbornik, 27‘J. Vgl. dagegen Jakubec, Osveta 1893, 1064, welcher derartige Aufsätze nicht gefunden hat. — J) Ibid. 779—780, 782. — ») Pameti, 220, 228. begeisterter Hymnus auf Ossian, diesen Barden, den er im großliherzoglichen Garten beim Lutherbrunnen las1), „zum liebsten der Söhne Apollos“ machte3). Ebenso wird unser verliebter Jüngling, der früher den „Messias“ nicht lesen wollte, zu Klopstocks Liebes- und Freundschaftsoden geführt worden sein3). Beim Bewunderer Werthers finden wir es auch ganz begreiflich, dass er gleichzeitig besonders eifrig auch Rousseau« „Neue Heloise“ (übersetzt von Le Pique) und die Abhandlung „vom Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen“ in ähnlicher Richtung wie Goethes Werke excerpiorte. Aus der deutschen Literatur beschäftigten Kollar in Jena noch die Minnesänger, die Anakreontiker, die Dichter des Hains und die romantische Schule4). Im Gefolge der letzteren las er auch Petrarca, Tasso3) und vielleicht auch Dante, dem er später so viel verdankte. Überwiegend romantisch waren auch die ästhetischen Schriften, die Kollar eifrig studierte11). Aus Bouterwecks Ästhetik holte er sich zwar die Systematik und die Definitionen, aber sonst sehen wir, dass er meist Dudens „Grundzügen“ und Jean Pauls „Vorschule“ folgte. Im Geiste der Romantik interessierte er sich zwar für alle möglichen poetischen Formen, trägt aber namentlich alles Lob, das dem Sonett seit Herder gespendet worden war, zusammen7). Speciell von Luden hatte er den Hinweis, dass sich das Sonett am meisten für „lyrisch-epische“ Gedichte eigne. So leitete Kollar durch seine „Slävy Dcera“, die in der letzten Ausgabe 645 Sonette zählt, und durch die große Zahl seiner Nachahmer8) die Sonettenflut auch nach Böhmen und thoilweise sogar zu den übrigen Slaven. Aus Dudens Ästhetik lernte Kollar auch das Volkslied, das mit der Lyrik Goethes auf gleiche Stufe gestellt wurde, besonders schätzen, und deshalb notierte er sich alles, was er über das ‘) Pameti, 268. — 2) BasnS, Son. 21, Sldvy Dcera, I, 66. 8) Dem „Messias“ wirft er aber noch 1841 „kalt lassende Erhabenheit und langweilige Schönheit“ vor. Spisy, III, 269. 4) S. Jakubec, ČČM. 1895, 91. — 6) Spisy, II, 144. — «) S. Ja-kubec, ČČM. 1895, 94—108. — 7) Vgl. Vyklad ku Slilvy Deere, 11—14. 8) Fr. Bi ly, Sbornik, 101. # 20‘2 slavische Volkslied in einer Zeitschrift und speciell über die Gesangsliebe der Russen bei Kotzebne fand. Mittelbar und unmittelbar eignete er sich auch Fr. Schlegels und W. v. Humboldts ästhetische Lehren an, namentlich die Schlegel’sche Charakteristik der Perioden der Weltliteratur. Durch Vermittlung der Deutschen lernte er ferner der Frau v. Stael Schrift über Italien (aus der „Isis“) und Chateaubrianda „Genie du Christianisme“ (in einer Übersetzung) kennen. So begeisterte sich der protestantische Theologe auch für die Poesie des christlichen Cultus und schöpfte auch aus anderen romantischen Quellen das specielle Lob des Katholicismus ’). Aus Kollars „Tagebuch“ kann man auch constatieren, dass er sich schon in Jena eine Menge Ideen holte, die er später glücklich und unglücklich verwirklichte2). So notierte er sich aus Ludens „Nemesis“ die schon von Herder verbreitete Meinung, dass die Schriftsprache poetischen Flug und neue Lebenskraft aus den Dialecten schöpfen müsse. Es interessierte ihn das wechselseitige Verhältnis der griechischen Dialecte, dem entsprechend er später das Verhältnis der slavischen Sprachen zueinander aufgefasst wissen wollte. Das Studium der Namen fesselte seine Aufmerksamkeit (1830 gab er Rozpravy o jmenäoh heraus), die Fremdwörter duldete er noch, weil sie der Sprache ein phantastisches Element liefern, aber es spricht auch schon der spätere Purist aus ihm, der sie bekämpft, weil sie fremde Ideen bringen. Die Dichter als Blüte der Nation haben das Recht zu neuen Wortbildungen, die Composita sind aber nicht einmal neue Wörter: von beiden Lehren machte Kollar später grollen Gebrauch. Sehr viel beschäftigte ihn die Frage der Euphonie der Sprache. J. Pauls Vorwurf gegen die deutsche Sprache, sie sei eine „Eeeee-Sprache“5), und dessen Forderung, sie solle für einen feier- *) 8. Jakubec, OsvSta, 1893, 721. — >) Ibid. 777—779. 8) Ähnlich spricht er vom „iikäni“ der neuböhmischen Schriftsprache, die in einer Periode hundert unschön klingende i i y y und kaum 5—10 andere Vocale habe. Spisy, III, 244—245. \ liehen Ton tiefe Vocale gebrauchen, trugen gewiss viel dazu bei, dass er später die böhmische Literatursprache slovakisieren wollte, da sein Dialect noch die alten, vollen Vocale bewahrt hatte. Überhaupt begeisterte sich auch er für die Forderung der Romantik, dass sich eine wohlklingende Sprache womöglich der Musik nähern sollte, und so wurde er zu einem Dichter, der nach dem Urtheil J. Vrchlickys *) mehr Musiker als Maler oder Bildhauer war. Kollar war von Jugend auf ein großer Naturfreund und wurde es in Jena unter dem Einfluss der Schelling-Oken’schen Naturphilosophie noch mehr. Ein gewisser poetischer Pantheismus wurde bei ihm also auch durch die Umgebung von Weimar und Jena, deren Schönheiten er an mehreren Orten in lebhaften Farben schildert, gefördert; er hatte daselbst viele Lieblingspunkte, wo er las und dichtete, der Nachtigall lauschte und sich an den Blumen ergötzte, für die er eine besondere Leidenschaft — er nennt sie geradezu Narretei — fasste, weshalb er auch Botanik bei Voigt hörte. Noch in seiner Schrift über die literarische Wechselseitigkeit zwischen den Slaven fallen die zahlreichen Vergleiche aus dem Pflanzenreiche auf. Die Umgebung von Jena hatte aber für Kollar auch eine schmerzliche Seite, die seiner Poesie einen ungemein charakteristischen, leider nicht vortheilhaften Charakter aufdrückte und auch für seine ganze wissenschaftliche Thätig-keit verhängnisvoll wurde. Doch hören wir ihn selbst2): „Kaum hatte ich mich in Jena niedergelassen und mich an der Saale ein wenig umgesehen, so regten sich tief in meinem Innern bisher unbekannte Gefühle und unverhoffte Schmerzen, die uns auf Friedhöfen erfassen, nur in einer erhabeneren und größeren Form. Das waren Gefühle über den Tod der slavisohen Nation in diesen Gegenden, über die Gräber der theueren Vorfahren und Stämme, über die unterdrückten und hier vernichteten Serben. Jede Stadt, jedes Dorf, jeder Fluss und Berg, die einen slavischen ‘) Almanach češke akadomie, IV, 82—83. 2) Paraöti, 27G. Namen hatten, erschienen mir wie ein Grab oder als ein Grabdenkmal auf diesem riesigen Friedhof.“ Man sieht, er wandert herum, wie in Goethes Werthor (unter 12. Oetober) Ossian auf den Gräbern seiner Väter, und besucht nahe und entfernte Gegenden mit slavischen Namen in der Hoffnung, „irgendwelche Spuren und Ileste der altslavischen Nationalität, der Mythologie, der Bauten, Spiele, Sitten u. s. w.“ zu linden. Da sieht man ganz und gar den Zögling der deutschen Romantik! Leider konnte Kollar auch bei der Abreise aus Jena seine Wanderlust, wie er sie an den Deutschen rühmt, nicht befriedigen, um Polen und Russland zu sehen. Da es ihm an Geld fehlte, so durcheilte er wieder ganz oder halb germanisierte slavische Gebiete. Daher stammen also seine sentimentalen Klagen über die slavischen Friedhöfe, sein sentimentaler Hass gegen das — alte Germanien, denn mit den lebenden Deutschen kam er gut aus; erst in Budapest gerietli er in Streit mit seinen Pfarrkindern, die seinen armen Slovaken keine Rechte in der Kirche und Schule gönnen wollten, und noch später eiferte er gegen die journalistischen Erfinder und Bekämpfer des panslavistischen Gespenstes. Daher stammt auch seine spätere Manie, überall Slaven zu suchen, selbst in Italien und in der Schweiz, hier sind auch die Anfänge seines archäologischen und abstracten Slaventhums festzustellen. Von wirklichen Slaven hatte er in Jena nur zwei „Jungrussen“ mit ihrem Mentor um sich, über die er klagt, dass sie „für Nationalität und Slaven-thum“ keinen Sinn hatten („Altrussen“ hätten noch weniger den romantischen Nationalismus gekannt!), und einige Slovaken, die es aber bei den von ihm und seinem Freunde Benedikti-Blahoslav veranstalteten Übungen in der Muttersprache auch nicht lange aushielten; schon ganz allein lasen sie polnische und russische Bücher und sahen sich auch den russischen Gottesdienst in Weimar an. So kannte Kollar eigentlich nur seine Slovaken und Böhmen, als er in seiner kühnen poetischen Conception das ganze Slaven-thum umfasste, denn mit den anderen Slaven ist er auch in Budapest erst als schon berühmter Dichter der „Slävy Dcera“ in Verkehr getreten. Zur romantischen Idealisierung des Slaventhums trug bei Kollar sehr viel auch seine erste und einzige Liebe bei, die ihn auch zum Dichter machte. Über diesen echten deutschen Pfarrhausroman sind wir ebenfalls vom Helden desselben ziemlich gut unterrichtetl). Im April 1818 kam aus dem anderthalb Stunden entfernten Lobeda die Frau des Pastors Georg Friedrich Schmidt zu Kollar, der ihr wahrscheinlich von dem berühmten Jenaer Prediger Marezoll empfohlen worden war, mit der Bitte, er möge am nächsten Sonntag ihren kranken Mann vertreten. Kollar kann nicht absagen und besucht schon während der Woche die Pfarre. Hier sieht er die älteste Tochter Friederike2) wieder, die er kurz zuvor beim Kirchweihfest in Winzerla, wohin er gegangen war, um Marezolls Festpredigt zu hören, bewundert hatte, ohne zu wissen, wer sie sei. Er kommt schon am Samstag wieder und spricht bis Mitternacht mit dem Pastor über verschiedene Dinge, „namentlich über Vaterland und Heimat, über Nation und Sprache“. Die Vorfahren des Pastors sollen Wenden aus der Lausitz gewesen sein und es werden ihm auch verschiedene Chroniken und Bücher, welche über die Wenden handeln, gezeigt. Als der Pastor hörte, dass Kollar von der mährischen Grenze stamme, begrüiite er ihn als Landsmann (!) der Schlossherren von Lobeda, Berlepsch, die vor siebenhundert Jahren aus Mähren eingewandert seien. Er hört viele Volkssagen über sie. Namentlich ist ihm in Erinnerung geblieben, dass einer derselben jener maskierte Ritter gewesen sei, der Luther ‘) Pameti, 271—279. 2) So unterschrieb sie sich selbst als Gemahlin Kollars. Bei der Taufe hatte sie die Namen Johanna, Auguste, Priederike erhalten, aber KolhVr ersetzte im Taufschein Johanna mit Wilhelmine (Jakubec, Sbornik 92), welchen Namen er ihr auch in den „Pameti“ beilegt, wahrscheinlich um ihren dichterischen Namen „Mina“, unter dem sie berühmt geworden war, zu begründen. In der ersten Ausgabe der Slävy Dcera 1824 (auf S. 150 2) wurde dieser Name als Abkürzung von m i 1 e n a, m i 1 e n k a (Geliebte) erklärt. auf die Wartburg brachte. Die Gräfin Maria Gertrude, welche sich als Ehrendame bei der Frau Karls II. in Spanien ein grofies Vermögen gesammelt hatte, kehrte nach Prag zurück und gründete daselbst das Institut der englischen adeligen Fräulein und wurde von Kaiser Josef zur Abtissin und deutschen Reichsfürstin erhoben (1706). Kollar kann sich nicht genug wundern über diese Erinnerungen, die ihm „theuerer waren als Gold und Silber“, so dass er deshalb die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Nachdem er am Sonntag den Gottesdienst verrichtet hatte, mussten ihm die Lehrer sofort die Familiengruft der Berlepsch zeigen. Kollar nahm alles genau in Augenschein, fühlte sich „wie zu Hause“ und unter seinen „Landsleuten“ (!) und war an diesen Boden „mit goldenen Fesseln der Poesie und Geschichte“ gebunden. Der Pastor starb bald, und so kamen zwei hervorragende Bürger zu ihm, die ihn wieder aufforderten, bei ihnen den Gottesdienst zu halten. Seine Predigt über die Sonntagsheiligung — er wurde zu derselben durch seine Beobachtungen in der Gegend angeregt — machte einen solchen Eindruck, dass gleich nach derselben die ältesten Kirchenmitglieder mit der Bitte zu ihm kamen, er möge der Nachfolger ihres Pastors werden. Kollars Roman hätte also den natürlichen Abschluss finden können, aber er lehnte entschieden ab, denn die Deutschen hätten genug ausge-zeichnete Männer und Prediger, er wolle aber seine schwachen Kräfte und sein Leben seinem vernachlässigten und noch ungebildeten Volke weihen. Doch die Pastorsfamüie fesselte ihn noch einige Zeit an Lobeda. Kollar giong häufig dahin, um die jüngeren Töchter zur Confirmation vorzubereiten und um ihre Schwester zu sehen, denn dieser war nun sein ganzes Fühlen und Denken, Lesen und Dichten gewidmet.. Seine schönsten erotischen Sonette entstanden in und um Jena. Die Witwe siedelte dann nach Jena über, aber Kollars Glück war nur von kurzer Dauer, denn für sie waren Ungarn und Sibirien identische Begriffe, und sie wollte ihre Tochter nie dahin ziehen lassen. Da auch Kollar nicht geneigt war sich in Jena ein Amt zu suchen, so blieb nur die Trennung. Übrigens hatte er damals keine besondere Gegenliebe gefunden. Während der Dichter in Pest, wohin er schon im Herbst 1819 nach kurzem Aufenthalt in seiner Heimat als Diacon an die deutsch-slavische evangelische Gemeinde gekommen war, um nach langen Kämpfen der Schöpfer einer selbständigen slovakischen Gemeinde zu werden, in sentimentalen Sonetten um das verlorene Liebesglück klagte und seine „Mina“ zur „Tochter der Släva“ verklärte, liebte diese einen fröhlichen Arzt und war sogar einige Zeit mit ihm verlobt So ist es begreiflich, dass die Correspondenz immer seltener wurde. KollAr, der selbst einigemale am Rande des Grabes stand, bekam einmal die Nachricht, Minna sei dem Tode nahe. Da die ungarischen Theologen die deutschen Universitäten nicht mehr besuchen durften, die Correspondenz aber durchge-sehen wurde, so trugen auch diese Umstände dazu bei, dass Minna und Kollar für einander gestorben waren. So konnte sie ihm als Tochter der Slava vom Himmel Briefe schreiben, bis sie im Jahre 1834 von einem evangelischen Geistlichen, dem Kollar auftrug, dass er ihm auf seiner Brautfahrt Blumen vom Grab seiner Geliebten bringen soll, auf Erden in Weimar wiedergefunden und ein Jahr darauf nach befriedigenden Aufklärungen Dudens heimgeführt wurde, um eine zärtlich geliebte und liebende Gattin zu werden2). Betrachten wir noch kurz die Reflexe des in Jena Erlernten und Erlebten in Kollars Hauptwerken. Eine Sammlung Gedichte (Bäsne, 1821), die zum größten Theil gewiss schon in Jena entstanden sind, enthält meist Sonette (86), welche uns Kollar als Liebes- und Yaterlandsdichter zeigen, wie es die jüngeren Romantiker und Rückert waren. Die Mehrzahl seiner Sonette ist jedoch erotischer Natur. Der Dichter kann weder die ruhmvolle *) *) Jakubeo, Sbornfk, 93. '•“l Ihre einzige Tochter Ludmilla heiratete nach Weimar zurück (den geheimen Rath Prof. Dr. E. Schellenberg) und ruht sammt ihrer Mutter auf dem dortigen Friedhof. Vergangenheit Böhmens noch die Schönheit seiner Heimat unter der Tatra besingen, denn nur der Name seiner „Mina“ hallt ihm von allen Seiten wieder (jetzt „Slavy Dcera“, Son. III, 12); doch gegen den Schluss theilt er sein Herz schon in zwei Hälften (I, 120), als er um die Mitternachtsstunde von den Genien des Vaterlandes und der Liebe zur Entscheidung aufgefordert wurde. Bald treten jedoch die Herzenstöne mehr in den Hintergrund, nach der Lada (= Venus) erscheint ihm die Släva (III, 99, zum erstenmal gedruckt 1827), und schon in der ersten Ausgabe der „Slavy Dcera“ (1824 in Ofen, wo die Censur nicht so streng war wie in Prag) steht die Slavengöttin im Mittelpunkte, die Geliebte ist zu ihrer Tochter1) geworden, durch sie wird alles Unrecht, das den Elbeslaven zugefugt worden ist, gesühnt (I, 1, 1(“>, 90). Jede Slavin (Polin, Serbin, Slovakin, Russin, Böhmin) wurde von der Stammesgöttin mit besonderen Reizen geschmückt, aber in ihrer Tochter werden von Milek ( Amor)2), einem Sohn der Lada und Neffen der Slava (II, 9), alle zu einem harmonischen Ganzen vereinigt. Der Dichter genießt nun sein Liebesglück an der Saale (I. Gesang). Die Geliebte wird von den serbischen Fürsten als Erbin der ihnen weggenommenen Gebiete erklärt (II, 29) und bringt ihm sogar die ganze Slavenwelt als Mitgift (I, 52); er schwelgt in Erinnerungen an die slavischen Vorfahren, freut sich mit der Geliebten der alten nationalen Feste, Sitten und Gebräuche, die er sich in der Umgebung von Jena vorspiegelt. Ja die angebliche Nach-kommin der Serben erscheint selbst als Slavin, die dem Dichter die lausitz-wendische Mundart beibringt, von ihm aber die anderen slavischen Dialecte, speciell den böhmisch- l) „SlAvy Dcera“ wurde häufig mit „Tochter des Ruhms“ übersetzt, was dem klaren Sinn widerspricht. Auch ist Sb'iva nicht eine besondere Allegorie, sondern eine wirkliche, von Kollar aus dem — Indischen geholte Göttin, über die er später ein ganzes Buch schrieb: Slava bohyne a püvod jmćna Slavüv čili Slavjanüv. V Pesti, 1839. Neben dieser bei Kollar regelmäßig vorkommenden Slavi-sierung Amors finden wir auch die ältere Idontificierung mit Lei (II, 118). slavisclien lernt1), sich als Wendin kleidet und zuletzt von Milek (Amor) zu einer Allslavin (Všeslava) umgefirmt wird (II, 31). Man sieht da den ganzen Apparat des romantischen Nationalismus, doch war dieser in der That nur eingebildete Slavismus noch weniger berechtigt als der damalige Teutonismus. Doch die Trennung kommt, und da steigen ihm auch die traurigen Geister aus der Vergangenheit der germanisierten Länder auf. In Milek — Amors Begleitung, der öfters den Boten zwischen den Getrennten spielt, wandert der Dichter über Böhmen und von der Elbe (nach ihr ist der zweite Gesang benannt) zur Tatra und zur Donau (III. Gesang). Er kommt so zu allen Slaven, schildert uns seine erfreulichen und traurigen Eindrücke aus der Gegenwart, noch mehr flüchtet er aber in die Vergangenheit. Doch tritt in diesen drei Gesängen mit je 50 Sonetten das archäologische Element noch nicht zu viel hervor, auch spröde Stoffe sind noch poetisch behandelt. Allmählich schwillt aber die Zahl der Sonette, die zum Theil in Zeitschriften gleich nach ihrer Entstehung veröffentlicht wurden, immer mehr an. Kollar ist unterdessen ganz Archäologe geworden und verliert sich in sentimentalen Klagen über die traurige slavische Vergangenheit, die sich für ihn noch trüber gestaltet, weil er überall Slaven sucht. Von der Saale wandert er nun zuerst durch den Norden Deutschlands, durch das „Qualenheim“ (Slavo-trapsko, II, 94) und „Beinhaus“ (kostnice, II, 101) der Slaven und dann zur Elbe zurück. Außerdem brachte die nächste Ausgabe (1832) zwei neue Gesänge (im ganzen 615a) Sonette), einen slavischen Himmel und eine slavische Hölle, in denen manches Sonett geradezu zu einem Namensverzeichnis herabsank. Natürlich wurden da nach dem Bei- ') In Wirklichkeit brachte sie es erst später auch im „Kuchel-böhmisch“ (Karäsek, Sbornik, 7(i) nicht weit. *) In der Ausgabe von 1845 (Dila bäsnickä Jana Kollära, v BudinS) kamen sieben weitere Sonette, 1852 (ve Vidni) aber noch 28 (aus den Jahren 1845—1851) hinzu, so dass „Sldvy Dcera“ jetzt 645 Sonette zählt. Vgl. Fr. Bily, Sbornik, 105. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. ‘210 spiel der deutschen Barden des achtzehnten Jahrhunderts Commentare nothwendig; Kollar trug in der That in den gleichzeitig erschienenen „Erläuterungen“ (Vyklad) zur „Slävy Dcera“ ') eine Fülle älterer und neuerer Nachrichten über die Slaven zusammen, so dass auch dieses mit nationalpatriotischer Tendenz gesammelte Material bei dem damaligen Stand der slavischen allgemeinen Literatur-, Cultur-und Sprachgeschichte, der Mythologie, Ethnographie und Geographie einen bedeutenden Eindruck machen musste. Doch auch das poetische Werk hat nicht bloil an Umfang gewonnen, sondern wurde auch in den ersten drei Gesängen durch eine Reihe ergreifender patriotischer Sonette bereichert, vor allem bekam es aber einen organischen Abschluss. Die zur Allslavin gewordene Geliebte war für I den Dichter unterdessen gestorben. Slävas Tochter wurde also aus dem irdischen Reich der Mutter in das himmlische versetzt (III, 104 aus dem Jahre 18‘28), wo sie als Fürsprecherin für Slavien (die Slavenwelt) wie eine Heilige im Kreis von Cherubims thront (III, 105, schon im Jahre 1827 veröffentlicht); von dort schickt sie allen Slaven ein Begrüßungsschreiben, in dem sie ihnen das Geheimnis offenbart, wie sie zu nationaler Größe gelangen sollen: Stolz, Egoismus und Misstrauen sollen verschwinden, Liebe und .. Eintracht (eigentlich „Wechselseitigkeit“, die hier zum erstenmal erwähnt wird) sollen alle vereinigen (III, 108, aus dem Jahre 1828). Dann kommt sie selbst auf die Erde ’) Vyklad čili pfimutky a -vysvetlivky ku Sl&vy Doefe. V Pošti, 1832. Spisy, II. Kollar selbst sagt in der Vorrede, dass er von Freunden und anderen Lesern aufgefordert wurde, solche Erläuterungen zu schreiben. Er hielt zwar ein Gedicht, das eines Com-mentars bedarf, für unvollkommen, aber sein slavischer Leserkreis machte ihn doch nothwendig, denn „bei unserer Erziehung, sowohl zu Hause wie in der Schule, lernen wir weder slavische Geschichte und Alterthumskunde, noch slavische Mythologie, noch slavische Geographie, noch slavische Grammatik und Literatur, so dass es kein Wunder ist, wenn unsere Nation sich selbst fremd und bezüglich der Nationalcultur sich selbst und dom Zufall überlassen bleibt“. (Ibrigens erklärte er auch die zahlreichen mythologischen und Personennamen des classischen Alterthums. und weiht den Dichter, der mit einem Fuß auf der Tatra, mit dem anderen auf dem Ural steht, zum Oberpriester des Slaventhums (109); er richtet nun auch in die Zukunft seine Blicke und beantwortet sich die Frage, was wird aus den Slaven in hundert Jahren werden, prophetisch also: slavisches Leben wird sich überall wie eine Überschwemmung ausbreiten, die Sprache, welche die Deutschen eine knechtische heißen, wird in den Palästen und selbst aus dem Munde ihrer Gegner wiederhallen, die Wissenschaften werden durch ein slavisches Rinnsal fließen, die Tracht, die Sitten und die Gesänge unseres Volkes werden an der Seine und Elbe Mode werden! (III, 110, aus dem Jahre 1832). Schon aus der kurzen Inhaltsangabe kann man die literarischen deutschen Strömungen erkennen, die auf ihn einwirkten. Diese Einflüsse waren verschiedenartig, wie wir das schon bei seinem Studiengang in Jena constatierten. Kollar versuchte in seinem poetischen Hauptwerk eine Synthese der Antike und Romantik praktisch zu bethätigen, wie er sie später in seiner Schrift über die literarische Wechselseitigkeit theoretisch ausführlich begründete und forderte. Das äußert sich schon in der Form. Der Menge seiner Sonette schickt er schon im Jahre 1824 eine großartige Elegie als „Vorgesang“ (Predzpov) voraus, in dem er wie in. einer Ouvertüre alle seine nationalen Schmerzen und Hoffnungen zusammenfasstv). Er wollte damit auch in dem Streit zwischen den accentuierenden und quantitieren-den Metrikern 2) vermitteln und lässt diese im Himmel ausdrücklich als romantische und antike Partei mit dem Kranze der Versöhnung krönen (IV, 27). Doch Kollars Festhalten an der Antike war sehr oberflächlich, und gerade darin äußern sich am meisten die deutschen Einflüsse. Die Slavi-sierung der classischen Mythologie 8) kennen wir schon als ') Vgl. J. Jakubec, Predzpov ke „Slävy Dcefi“. Programm vyššf divČf Skoly v Prazo na r. 1891/2, 1892/3. 2) Im Vy klad (S. 10) lehrt er ausdrücklich, dass sich die quan-titierende Metrik für die Nachahmung der classischen, die accen-tuierende für die der romantischen Formen empfehle. 0) Vgl. noch Perun-Zeus (V^klad, S. 26 zu I, 37), Daphne 14* \ Klopstock-bardisches Erbo. Die Göttin Slava ist unbedingt dem deutschen ripo); ctwvujao; Teuto (I, 73; II, 15) oder Tuisko (II, 98) nachgebildet >), obgleich sie dann im romantischen Geist mit der indischen Mythologie in Zusammenhang gebracht wird (vgl. speciell IY, 117, z Jndie, te stare Slävü matky), ebenso wie die in bardischer Manier schon vor Kollar zur Lada gewordene Venus nun mit der Siva identi-ficiert wird (II, 85). Selbst der slavische Himmel ist eigentlich nur ein Gegenstück der Walhalla (IV, 183; V, 17). Noch mehr romantisch ist aber die Verklärung der Släva und selbst ihrer Tochter zur Madonna, was zwar Jungmann ungemein gefiel, der Prager Censur aber ebensowenig wie die panslavistischen Träumereien2). Überhaupt gibt es an dem Bilde der Geliebten sehr wenig reale Züge: nicht bloß ihr Slaventhum ist eine Fiction, sondern auch ihre goldenen Haare und Wauen Augen existierten nur in der an der Romantik genährten Phantasie des Dichters s). Ganz romantisch ist die namentlich bei einem evangelischen Priester auffallend große Vorliebe für das slavische Heidenthum, seine Götter, Priester und Opfergebräuche (vgl. II, 16, 57—61, 65—66, 68). Das allgemeine Lob der „goldenen alten Zeiten“ (II, 41) ist bei dem uns schon bekannten Schüler Jenas selbstverständlich. Als ein weiteres Beispiel der Nachahmung des romantischen, übrigens auf dem Bardenthum basierenden Teutonismus sei noch erwähnt, dass Kollar die Linde zum „Slavenbaum“ (III, 121; 1,5; IV, 7) stempelte und die Deutschen und Slaven mit der Eiche und Linde verglich (V, 112). Das entprach den seit slavska (80), Mudfena-Minerva (264), Kvetena-Flora (276), Hladolet-Saturnus (278), Sudioe-Parze (278), Mlada-Hebe (282) u. a. ') Vgl. namentlich Vyklad, S. 176. 2) Sieh Jungmanns Schreiben an Kollar vom 15. Februar 1821 (ČCM., 1880, 41). Das damals gestrichene Sonett ist offenbar I, 102, • das schon im Jahre 1824 in Ofen gedruckt werden konnte: Zde, by rnzn^ch polouöily stränek, Lada v jednom tSle s Madonou Svorny sobe udelaly st/mek. °) Jakubec, Sbornik, 92—93. Herder üblichen Anschauungen über den Charakter der beiden Völker; sonst war die große Beliebtheit des Baumes, die aber bekanntlich bei den Deutschen auch nicht gering ist, maßgebend1). Zum Glück wurde durch den Einfluss der Romantik doch auch der sentimentale, immer klagende Nachahmer Ossians ziemlich paralysiert. Kollar vergisst doch nicht, dass der Himmel der Tochter der Slava alles verliehen hat, eine ruhmvolle Nation und Sprache (I, 95: slavny närod i I'eö), er denkt häufig an „Vaterland und Nation“, fordert werk-thätige und zu Opfern bereite Liebe zu denselben, nennt sogar „Freiheit, Vaterland und Nationalität“ (I, 69) in einer Reihe; öfters warnt er die Slaven, dass sie sich von abfälligen Urtheilen gegen sie und namentlich gegen ihre Vorfahren nicht irreführen lassen sollen, denn auch sie haben berühmte Männer (II, 54) und alles, was sie unter große, reife Völker stellt (II, 140). Am offenkundigsten spiegeln sich aber bei Kollar die Einheitsbestrebungen der deutschen Jugend wieder. Er hat nicht bloß der „Germanie“ und „Teutonie“ (Pz. 19, II, 74) eine „Slävie“ nachgebildet, sondern nach dem „Alldeutschland“ auch ein „Allslavien“ geschaffen (II, 139), über das die Brüder überall jubeln sollen, wo nur immer die slawische Sprache gehört werde. Man wird an seine Schilderung des Wartburgfestes erinnert, bei dem sich alle Studenten zum* Gesang des Liedes „Wo ist des Deutschen Vaterland“ verbrüderten und küssten2), wenn man in den schönen Sonetten (H, 138 und 139) liest8): Sliivio, o Sliivie! ty jraeno Sladkydi zvukü, hork^ch pamiitek, Stokrät rozervanii na zmatek, Aby vzdycky vice bylo cteno. *) S. Vyklad, 14-18, 281-282. - *) Pameti, 237-288, 254. 8) In wörtlicher Übersetzung: „Slavien, o Slavien! Du Namen Süßer Klänge, bitterer Erinnerungen, Hundertemal bis zur Vernichtung zerstückelt, Damit er immer mehr geehrt werde. Kdo so koli mluva slyäi slavska: Zaplesejte, bratrl, i vy i j a, Liboj me se pi-i tom vespolek, To, hle, vlas£ je naše: Všeslavia! Kollar hat dabei allerdings ganz ideale Volksgüter im Auge, wenn er die zerstreuten Slaven hundertmal auffordert und schon zu ihnen „schreit“, sie sollen ein Ganzes und keine Stücke sein (III, 62). Es handelt sich ihm eigentlich um eine gemeinslavische Philologie (vgl. II, 132 über Do-brovsky), was er dann in seiner Schrift über die Wechselseitigkeit näher ausführte, also um das Lernen der slavischen Sprachen (IV, 123), um Liebe zum Volksthum, speciell zu den Volksliedern, Sitten und Gebräuchen (IV, 114, 116), um Vereinfachung der unzähligen slavischen Orthographien und um Annäherung der Alphabete (Vyklad zu II, 141), ja er gibt schon eine allslavische Bibliothek (IV, 77) und Reisen in den slavischen Ländern (IV, 112) als Mittel der Wechselseitigkeit an. Noch bezeichnender ist für sein „Allslavien“ der Umstand, dass der Herder’sche Vaterlandsbegriff ganz der seinige ist (s. u.). Immerhin führten aber die unklaren Bestrebungen der deutschen Jugend auch bei ihm zu momentanen Ausbrüchen eines himmelstürmenden liadicalismus. So schreibt er dem Satan die Zerstückelung der Slaven unter einen Pürsten, Garen, König und Pascha zu (III, 61), er möchte auf den Trümmern der Slava eine neue, unzerstörbare Gemeinde mit einem Namen gründen (II, 56) und würde aus den slavischen Stämmen, wenn sie Gold und Silber wären, eine Riesenstatuo bilden : Russland wäre der Kopf, die Polen der Rumpf, Arme und Hände die Böhmen, Serbien die Fülle; die kleineren Zweige, die Winden (Slovenen),. die beiden Lausitzen, die Kroaten, Schlesier1) (!) und Slovaken würde er in die Tracht und Wo immer die slavische Sprache gehört wird: Frohlockt, o Brüder, ihr und ich, Küssen wir uns dabei insgesammt, Seht, da ist unser Vaterland: Allslavien!“ *) Hier veranlasste ihn die Unkenntnis der Nationalität der Schlesier doch zum Festhalten an dem bis dahin üblichen Vator-landsbegriff. ‘215 Waffen umgießen; vor diesem Götzen müsste ganz Europa niederknien (III, 7). Durch die Romantik wurde Kollar auch auf die Troubadours (I, 102) geführt, speciell auf Petrarca, mit dem er auch verglichen wurde (III, 82 ist die Antwort an eine Dame aus Pilsen, die „dem böhmischen Petrarca“ ein Geschenk übersendet hatte), und dann auf Dante, der allerdings in nicht glücklicher Weise in den beiden letzten Gesängen der „Slävy Dcera“ nachgeahmt worden ist1). Das für seine „Mina“ Laura und Beatrice das Muster waren, unterliegt keinem Zweifel. Ebenso richtig ist es aber auch, dass die Geliebte immer mehr im Slaventhum aufgieng. Bezüglich der zeitgenössischen deutschen Dichter sagt Kollar selbst (Vyklad zu III, 69), dass ein Sonett (III, 70) Goethe, den „die Tochter der Släva“ am meisten liebte, nachgedichtet ist, eines (III, 121) habe seine Quelle in E. Sehulzes „Bezauberter Rose“, die sich auch bei allen Slaven eines ungemein großen Beifalls erfreute, und ein anderes (II, 121) in Grillparzers „Sappho“. Celakovsky2) hat die Nachahmung (I, 4) Joh. Christ. Hangs angemerkt (ÖÖM., 1831). Kollar selbst gibt auch die Möglichkeit anderer Reminiscenzen zu. So ist Sonett III, 89 eine offenkundige Nachahmung des Goethe’schen Mignonliedes. Es ist sehr beachtenswert, dass alle genannten Sonette, das auf Grillparzer beruhende, aber auch schon 1824 gedruckte ausgenommen, bereits in der Gedichtsammlung von 1821 stehen. Kollar stand eben nur in Jena ganz unter dem Eindrücke der deutschen Poesie; später verlor er offenbar den Zusammenhang mit ihr, speciell mit der zeitgenössischen, und seine eigene Muse verließ ihn auch sehr bald. Mit dem zweijährigen Liebesglück in Jena war nach seinem eigenen Geständnis auch sein irdisches Leben zu Ende (III, 115). •) •) Vgl. über die Übereinstimmungen mit Petrarca und Dante den Aufsatz von Dr. KovAf, Listy filologieko a paedagogickć, XII (1884), 89—47, einen Vergleich des IV. Gesanges mit Dantes „Paradies“ von Ryba, Rozhledy literarni. I, 284. *) SS., IV, 379. Die meisten Reminiscenzen finden sich in der „Slävy Dcera“ aus — Herder1). Haben schon die meisten Ideen und Bestrebungen der deutschen Romantik in Herder ihren Ursprung, so ist das noch mehr bei der slavischen der Fall. Diese “Wirkung hatte der „Priester der Humanität“2) seiner Stelle über die Slaven in den „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (IV. Theil, 4. Cap.) zu verdanken. Ihretwegen war er der erklärte Liebling aller uns schon bekannten Männer, aber durch keinen Slaven lebt er so fort ‘) Wann Kollar Herder besonders studierte, was unbedingt vorausgesetzt werden muss, ist bisher nicht bekannt. Jakuboc konnte aus dem Jenaer „Tagebuch“ nur das Bekanntwerden mit einzelnen Herder’schen Ideen constatieren. Ich denke mir, dass Kollar in Pest, wo ihm die neueren Erscheinungen der deutschen Literatur nicht mehr besonders zugänglich waren, auf ältere Werke zurückgriff. Zum mindesten muss er die „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“, die „Briefe zur Beförderung der Humanität“ und wohl auch „Adrastea“, kurz alles, was mit Herders Humanitätsidee im Zusammenhang stand, gelesen haben. Im Vyklad (1882) werden bereits citiert: Herder, VII. Band zur schönen Literatur und Kunst (11), III. (124), Ideen (Karlsruhe 1792, S. OB), „Briefe zur Beförderung der Humanität“ (124, 274); einmal wird im Gefolge Kopitars des Urtheils Herders über die Slaven gedacht (225). Herderisch ist schon die Vorrede zur ersten Ausgabe der slovakischen Volkslieder (1823), in der zweiten (1834) beruft er sich aber ausdrücklich auf das Beispiel Herders und citiert den Müller’schen Titel „Stimmen der Völker“ (s. u.). Die Umdichtung der Herder’schen Stelle über die Slaven ist in ihrem vollen Umfang erst in der Ausgabe von 1832 zu finden. 2) So nennt ihn Kollar selbst in dem 1852 erschienen Sonett I, 64. Dasselbe bringt überhaupt eine Charakteristik der deutschen Geistesheroen mit Bezug auf die Slaven: „Kant und Wieland haben keine Nationalität, Klopstock ist stumm, Schiller kalt gegen uns, nicht aber du, Priester der Humanität (KnBže človBčnosti); du warst der Gewohnheit zum Trotz der erste Vertheidigor und erhabene Lobsprecher der Slaven, empfange deshalb von ihnen Ehre und Dank!“ Kolhir blieben jedoch die Angriffe des jungen Deutschland auf Herder wegen seines „bekannten gerechten und herrlichen Urtheils über . die Slaven“ nicht verborgen, und er führt auf sie die ihn schmerzende Thatsache zurück, dass er in Schwanthalers Werkstätto kein Modell für „einen der größten deutschen Geister, ja für einen der hervorragendsten Männer der Menschheit“ fand (1841, Spisy, III, 288). wie durch Kollar. Die von ihm zuerst (1822) in zwei Predigten J) verwendete Schilderung der Slaven ist nicht bloß in Šafariks Jugendwerke übergegangen, sondern auch in das poetische und später auch in das prosaische Evangelium des Kollär’schen Panslavismus. Wegen der Tragweite meiner Behauptung2) und wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes, da doch „Slavy Dcera“ am meisten zur Popularisierung der Herder’schen Ideen über die Slaven beigetragen hat, setze ich die ganze Stelle mit den wichtigsten Keminiscenzen aus Kollar her. „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (IV. Theil, Kiga und Leipzig 1791, 4. Cap., S. 32—36): Die slavischen Völker nehmen auf der Erde einen größeren Kaum ein als in der Geschichte3) unter anderen Ursachen auch deswegen, weil sie entfernter von den Römern lebten. Wir kennen sie zuerst am Don, späterhin an der Donau, dort unter Gothen, hier unter Hunnen und Bulgaren, mit denen sie oft das römische Reich sehr beunruhigten, meistens nur als mitgezogene, helfende oder dienende Völker. Trotz ihrer Thaten hie und da waren sie nie ein unternehmendes Kriegs- und Abenteuervolk wie die Deutschen; vielmehr rückten sie diesen stille nach und ') Jetzt zu finden in Käzne a f eoi Jana Kollüra, v Pešti 1881, S. 407—B24. Im Text wird nur das Urtheil „eines berühmten Schriftstellers“ über die Slaven erwähnt (503), doch in den Anmerkungen finden wir Citate aus Herder (519); außerdem auf S. 195, 519, im II. Theil (erschienen 1844), S. 509. a) Ich äußerte dieselbe schon im Sbornik, 210. 8) Kolhlrs „Slavy Dcera“: Vgl. III, 61: Kolikräto myslim o tom našem Ndrodu a jeho velkosti, Vezdy duchem plnym žalosti Vohun takto za Isaiiišem: „Rozmnožil jsi nilrod tento, Pane, Ale nezvelißil’ s veseli!“ A v tom slza z oka mßho kane; Nebo všeho sv§ta zlofečenstvi Na velky ae narod schumeli, Nepomkneli dale človSčenstvi. besetzten ihre leergelassenen Plätze und Länder, bis sie endlich den ungeheuren Strich inne hatten, der vom Don zur Elbe, von der Ostsee bis zum Adriatischen Meer reichet. Von Lüneburg aus über Mecklenburg, Pommern, Brandenburg, Sachsen, die Lausitz, Böhmen, Mähren, Schlesien, Polen, Russland erstrecken sich ihre Wohnungen diesseits der karpathischen Gebirge; und jenseits derselben, wo sie frühe schon in der Wallachei und Moldau saßen, breiteten sie sich, durch mancherlei Zufälle unterstützt, immer weiter und weiter aus, bis sie der Kaiser Heraclius auch in Dalmatien aufnahm und nach und nach die Königreiche Sla-vonien, Bosnien, Serbien, Dalmatien von ihnen gegründet wurden. In Pannonien wurden sie ebenso zahlreich, von Eriaul aus bezogen sie auch die südöstliche Ecke Deutschlands, also dass ihr Gebiet sich mit Steiermark, Kärnten, Krain festschloss; der ungeheuerste Erdstrich, den in Europa eine Nation größtentheils noch jetzt bewohnt. Allenthalben ließen sie sich nieder, um das von andern Völkern verlassene Land zu besitzen, es als Colo-nisten, als Hirten oder Ackerleute zu bauen und zu nutzen; mithin war nach allen vorhergegangenen Verheerungen, Durch- und Auszügen ihre geräuschlose, fleißige Gegenwart den Ländern ersprießlich1). Sie liebten die Landwirtschaft2), einen Vorrath von Heerden und Getreide, auch mancherlei häusliche Künste und eröffneten allenthalben mit den Erzeugnissen ihres Landes und Fleißes ') II, 43: I kam prišla ruka jejich rolnd, Zaujala jenom pravotne Mista priizdnii, opuštena, volnä. Pz. 33-40: Kde jsou narodove ti, jejich kde knižata, mosta, Jenž prvy v severu zkfisili tomto život? a) Pz. 45-46: Tam ti neurodne rolniku ukazali radiem, By klas neslo zlaty, brazditi luno zeme. H, 40: ... v rolnietvi Sl,■iv byl vezdy pro Evröpu mistrem. einen nützlichen Handel. Längs der Ostsee von Lübeck an hatten sie Seestädte1) erbauet, unter welchen Vineta auf der Insel Rügen das slavische Amsterdam war; so pflogen sie auch mit den Preußen, Kuren und Letten2) Gremeinschaft, wie die Sprache dieser Völker zeiget. Am Dnepr hatten sie Kiew, am Wolchow Nowgorod gebauet, welche bald bl ü h e n d e Handelsstädte3) wurden, indem sie das Schwarze Meer mit der Ostsee vereingten und die Producte der Morgenwelt dem nördlichen undwestlichenE uropa4) zuführten. In Deutschland trieben sie den Bergbau6), verstanden das Schmelzen und Gießen der Metalle, bereiteten das Salz, verfertigten Leinwand °), braueten Meth, pflanzten F r u o h tb ä um e7) und führten nach ihrer Art ein fröhliches, musikalisches Leben8). Sie waren mildthätig, bis zur Verschwen- ‘) Pz. 49: Muž syny mesta učil staveti, v nich vesti kupectvi. II, 78: Vzdelani tim, do evropejskeho Kolebky jsme vešli kupectvi, Kterä byla tu hned v sousedstvi, Totiž v lünu domu mešfanskeho. Slula Hansa, ale vendickeho, Počitku die jistych svSdectvi, Zde pak sidlo sve a knižectvi Mola i sklad zboži rozličneho. II, 76: Do Lubeky tiše jen a sprostne Putujeme . . . Vineta und Rügen werden oft erwähnt; sieh namentlich I, 17; II, 42; IV, 111. *) Vgl. IV, 107, wo sich im Himmel der Sliva als ihre Stiefsöhne auch die Litauer, Letten, Kuren und Finnen aufhalten. “) Vgl. Pz. 39-40, 49; H, 76, 78. 4) Pz. 41—42: Jedni učice chudou Evropu plachty i vesla Chystati a k bohatym pfes mofe vesti bfehüm, s) Pz. 43: Kov tu jini ze hlubin stkvouci vykopavali rudnych. c) Pz. BO: A mlad svou uöily tkavati pldtno zeny. ’) Vgl. Pz. 47—48: Lipy tito, sveceny Slave ström, vedle pokojnfch Cest sadili, chladek by stlaly vukol i öich. 8) I, 21: ... duch veselosti, smich a zpövy . . . düng gastfrei, Liebhaber der ländlichen Freiheit, aber unterwürfig und gehorsam, des üau-bens und Plünderns Feinde1). Alles das half ihnen nicht gegen die Unterdrückung; ja es trug zu derselben bei3). Denn da sie sich nie um die Oberherrschaft der Welt bewarben, keine kriegssüchtige erbliche Fürsten unter sich hatten3) und lieber steuerpflichtig wurden, wenn sie ihr Land nur mit Ruhe bewohnen konnten: so haben sich mehrere A kdo nežna to, že tyto cnosti V iid.šem narodu jsou obyeoj Panujici ode jakživosti? ') 11,41: O! tech zlatfcli, staroslavsk^ck času Neznäma jim byla lest i krädez, *) Žebrač, pflsaba a zločinstvi, Rodiče a starce ctila nibidež. YSudy zpov a vlidne obličeje, Stoly vezdy plne hostinstvx, A ted, ouve! vše se opak dčje! I, 4B: Pohostinstvi prejte slavenskeho . . . II, 37: (Antwort an den Chan der Avaren): „My jsme Slavovo Ode krajin more Baltiokeho; Yojnu sotvy podle j mćna zn&me, Darmo zadaš od näs pomoči, My jen hru a zpevy doma mame.“ Hrali pred nlm, brali pfelibeznS, Tyran na odmčnu: „Otroci, Vlecte do zajeti tyto vezne!“ *) Pz. 51—B(i: Narode mistrovsky, jakove pak maš za to dlky? Rozsklubany hnusnč zpotvofenosti venec. Jak vöely med zavonlc kradne se do lile cizlho Hrnou stadne a pak matku i ditky bijl: Tak tu domu vlastnl podroben pan, chytfe mu vlezly Sousod ovil težk^ smutne o hrdlo fetez. 8) Vgl. außer II, 37 noch: II, 20: Kdo pak viru mno a Milku pflčl At säm spatfl tyto svalenč Hrüzy na n&š nčrod holubiči. (Ebenso III, 62). II, 21 sagt Kollär von sich: Mne Mars . , . nellbal. Nationen, am meisten aber die vom deutschen Stamme, an ihnen hart versündigt. Schon unter Karl dem Grollen gierigen jene Unterdrückungskriege an, die offenbar Handels vortheile zur Ursache hatten, ob sie gleich die christliche Religion zum Vorwand1) gebrauchten: denn den helden- ') Pz. 17-22: A kdo se loupeže te, volajici vzhüru, dopustil? Kdo zhanobil v jednom närodu lidstvo cele? Zardi se, ziivistna Teutonie, sousedo Slävy, Tve vin techto počet spachaly nekdy ruky. Neb krve nikde tolik nevylil černidlaže zudny Nepfitel, co vylil k ziihube Slavy Nemec. II, 7 spricht die Elbe: Ne, ja vinu skryvam v sobe smutnou, Zaätne Slavy synü roztfiste, Ach, snad vice, než me fečiSte Pisku nosi, vraždou preukrutnou Brehy oba, k usti od studnice, Veky ode času. pohanskfch Lkaji, na mne svetu žaluj ice. II, 80: K omluve svych hfichü namitali I to Nemci jsou a mnichove, Že pry klestanskemu Vendove Niiboženstvu zde se opirali. Verini! neb jim skutkem zhyzdovali Dar ten bozsky sami darcovć Ant jim všecko, i sam dar ten, brali. II, 58 Gebet an Svantovit: (dej) Nemcum srdce lidske, rozum zdravv, Aby pode pl/ištem naboženstva Nepachali v našem narodu Porobu, lest, kfivdy, ukrutenstva! 11,59: Ach, kraj, chramy, krev nam hltaji, Pod križem mim hlavy stinaji, Berou tözkd desiitky a dane . . . 11,82: Jen bych zadal v Nemcu dejindch Vymazati jedno ötyrstoleti: Totiž čas ten smutny človekovi, V nčmž se dalo Vendü ničeni, Od Karla až ku Jindfichu Lvovi; Ten tam začal, tento dilo skonal . . . mäßigen Franken musste es freilich bequem sein, eine fleißige, den Landbau und Handeltreibende Nation als Knechte zu behandeln1), statt selbst diese Künste zu lernen und zu treiben. Was die Franken angefangen hatten, vollführten die Sachsen; in ganzen Provinzen wurden die Slaven ausgerottet oder zu Leibeigenen gemacht und ihre Ländereien unter Bischöfe und Edelleute vertheilet2). Ihren Handel auf der Ostsee zerstörten 11,81: Präzdnof jest to nade polianskfmi Vendy lani Nemce rühaöe; Nebo zdali potom jinaüe Nakladal i s Vendy kfesten^mi? Zda los jejich zlepSil, nesnesnymi Danemi jo vice netlače, či jim v reč a narod neskače Nohami i potom nelidsk^mi? Pred i za tim rovne byly činy, Neb, hle, Eatibora kr e.s tari a Zavraždil Dan s osmi jeho syny . . . ‘) II, 75: Hrad ten cely tak jsme zficeli, Pfimusem, proti lidstvi pravil m, Slavove jej stavet museli, Na slayjanske püde, proti Sldvum? Pz. 51—53 (s. o.). ») Pz. 13-16: Od Labe znidneho k rovinam až Visly neverne, Od Dunaje k hltav^m Baltu coleho penam Krasnohlasy zmuzilych Slovanu kde se nekdy ozyval, Aj, onemeli už, byv k ürazu zäSti, jazyk. II, 11: ... teJ se zpätky N e vrati m, až všecky projdeme Poslavske ty krajiny a statky. II, 21: Pül Slavska mim jest odejmuto. II, 101: Když jsme z onć Sliivü kostnice, Germani e, vyšli . . . I, 95: Ni Sas ni Prank zavity II, 62: ... pomsta Sasurn! Danil m! (s. u.) II, 63: Mezi dvema ohni palicimi Stali tuto naši pfedkove, S jedne strany vedli D dno v 5, S drulid Nemci boje s uboh^mi; nordische Germanen; ihr Vineta nahm durch die Dänen ein trauriges Ende1), und ihre Reste in Deutschland sind dem ähnlich, was die Spanier aus den Peruanern2) machten. Ist es ein Wunder, dass nach Jahrhunderten der Unterjochung und der tiefsten Erbitterung dieser NationgegenihrechristlichenHerren undRäu-b e rs) ihr weicher Charakter zur arglistigen, grausamen Oba tiskli danemi je sv^mi Jako pleme penez hladovö, Herkul padne v pdtce takove, Kde se mus! prati se mnohymi. Pres mofe si ruky podiivali Oba kmenove ti germansti, Jakby narod nam a feč tu vzali. •) Vgl. Pz. 57—66. II, 44: Dobr^ Bilk nam Slaviim sice dal tu Cestu všechnech sil a obchodii Na Venetskem svetospojnem Baltu; Ale Teut, ač s4m mel mofe dosti, Zrušiv onen zilkon mirodu, Vzal tim posud klic nam vzdölanosti. II, 78: Shivovć ji (Hansu) prvi založili, Alo nededil syn za otcem, Zisk a čes£ si Nemci pfivlastnili. II, 42: Vineta: Mesto! jehož nekdy cest a lode Kryly celou zemskou planetu, Stoleti jsi vzdorovalo D dnu m. 2) Pz. 80-82; Tak porušil zistny Evropčan dva svety Indü*) Za vzdelanos£ vzav jim cnosf, zemi, barvu i feč. Narod i čes£ zmizeli, z jazykem bobovo zde zanikli. a) II, 67: Mnoho lide, zvlašte nevlastenci, O tech ukrutnostecb troubili, Jež pry na kfes£anech tropih Vendi v Retfe, v Branibofe, v Lenci; Možno! než v tom byli učitele Nej lepši a mistfi prikladni Sami Nemci jim, jich tlačitelč. *) D. h. die Inder und die Indianer. Vgl. KAznü a roči, II, 285. Knechtsträgheit1) herabgesmiken wäre? Und dennoch ist allenthalben, zumal in Ländern, wo sie einiger Freiheit genießen, ihr altes Gepräge noch kennbar2). Unglücklich ist das Volk dadurch worden, dass es bei seiner Liebe zur Ruhe und zum häuslichen Fleiß sich keine dauernde Kriegsverfassung geben konnte, ob es ihm wohl an Tapferkeit in einem hitzigen Widerstande nicht gefehlt hat. Unglücklich, dass seine Lage unter den Erdvölkern es auf einer Seite den Deutschen so nahe brachte und auf der andern seinen Rücken allen Anfällen östlicher Tataren frei ließ, unter welchen, sogar unter den Mongolen3), es viel gelitten, viel geduldet. Das Rad der ändernden >) Pz. 75-7G: Odrodili synove však svć sami matce začasto, Bič macechy lifišno oblizujice, laji. II, 143: A sy», shivy otcü neznaje Ješte svojim otroctvim se chvastd! III, * V, III, 60: Nej vic pak to rozborčuje žele, Že lid naš v tom manstvi ubohem Kfizuje sam i sve spasitele; V zoufiini jen to zve k vife nove, Kdo da počet z toho pfed Bohem, My či naši zotročitelove ? a) I, 95: Nejen že je kmene slavenskčho Kvitek opravdivy, spanity, Jemuž ni Sas ni Frank zavily Nevzal ješte razu narodnoho; Ach, tu mnoh^ štesti citif. sveho Neznd Slavie syn zbloudily, Hanbou za žeč a rod zmužilv Dlouže tresty Boha hneviveho; Srdce čisto jako perla rosy Skryl v div tento rozum andelsky, V tv&f a v oči nestihleho cosi. . . ") I, 91 schildert die Greueltbaten der Deutschen und Mongolen. III, 28, 34 werden die Türken als Unglück der Slaven erwähnt. V, 16 nennt zusammen die Deutschen, Mongolen, Tataren, Türken. Zeit drehet sicli in d e s unaufhaltsam'); und da diese Nationen gröJitentheils den schönsten Erdstrich Europas bewohnen, wenn er ganz bebauet und der Handel daraus eröffnet würde; da es auch wohl nicht anders zu denken ist, als dass in Europa die Gesetzgebung und Politik statt des kriegerischen Geistes immer mehr den stillen Fleiß und den ruhigen Verkehr der Völker untereinander befördern müssen und befördern werden2): so werdet auch ihr so tief versunkene, einst fleißige und glückliche Völker endlich einmal von euerem langen, trägen Schlaf ermuntert, von euren Sklavenketten befreiet3), eure schönen Gegenden vom adriatischen Meer bis zum karpathischen Gebirge, vom Don bis zur Mul da4) als Eigenthum nutzen und eure alten Feste des ruhigen Fleißes und Handels auf ihnen feiern dürfen. Da wir aus mehreren Gegenden schöne und nutzbare Beiträge zur Geschichte dieses Volkes haben6): so ist zu wünschen, dass auch aus anderen ihre Lücken ergänzt, die immer mehr verschwindenden Reste ihrer Gebräuche, >) Pz. 111-112: Gas vSe mein, i easy, k vitezstvi on vede pravdu, Co sto veku bludnyeh hodlalo, zvrtno doba. а) III, 23: Zakon božl narodüm všein zAžo Mir a spravedlivost zvestoval . . . Pz. 109: Cesta kriva lidi jen, olovSčenstvo svesti nemuže. ») Pz. 103—104: AvSak umlkni, tichä, na budoucnost patri, žalosti, Oslunen^m rozptyl mracky myslonek okein. Pz. 107: Ne z mutneho oka, z ruky pilne mideje kvitne. II, Bö: Vstaiite vzhüru, 6 vy, sedmispäöi Desetistoletni, slavjanšti, Ktorych pripravili germanšti O narodni život lidožniči . . . 4) II, 23: Ihned, kde most Muldy, obstoupilo Množstvi Švabu nas co SpohAfe . . . б) Frisch, Popowitsch, Müller, Jordan, Stritter, Gerken, Möhsen, Anton, Dobner, Tauhe, Fortis, Sulzer, Rossignoli, üobrowski, Voigt, Pelzel u. ff. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. Lieder und Sagen') gesammelt und endlicli eine Geschichte dieses Völkerstammes im ganzen gegeben würde, wie sie das Gemälde der Menschheit fordert. Man kann ruhig behaupten, dass eigentlich das ganze Capitel Herders2) über die Slaven nebst anderen hieher ge- ') IV, 114 schildert die Feste der „slavischen Himmelsbewohner“ : Tu jsou väecky naše milovane Zpevy, obyöeje, üstavy Pfi nich pejf zpevdci a Umky Srbske pjesme, vaše zpevanky, Krakoviaky polske, ruske dumky. Übereinstimmende Äußerungen Herders fand Kolb'ir auch an anderen Stellen der „Ideen“: z. B. gegen die Bekehrung der heidnischen Völker durch Feuer und Schwort (S. 129), starke Ausfälle gegen den deutschen Ritterorden in den Ostseeprovinzen und in Preußen (809), gegen die lateinische Mönchsprache (226) und die Behauptung, dass nur die Cultur der vaterländischen Sprache ein Volk aus der Barbarei heben kann u. ä. Kollär selbst citiert noch aus den „Ideen“ (Vyklad, 471): „Der Geschichtschreiber hüte sich, dass er einen Volksstamm zu seinem Lieblinge wähle und dadurch Stämme verkleinere, denen die Lage ihrer Umstände, Glück und Ruhm versagte.“ Aus den Werken zur schönen Literatur (Vyklad, 124): „Kein größerer Schade kann einer Nation zugefügt werden, als wenn man ihr den Nationalcharakter, die Eigenheiten ihres Geistes und ihre Sprache raubt.“ Aus den Briefen zur Beförderung der Humanität, Band H: „Hat wohl ein Volk, zumal ein uncultiviertes Volk, etwas lieberes als die Sprache seiner Väter? In ihr wohnet sein ganzer Reichthum an Gedanken, Tradition, Geschichte, Religion und Grundsätze des Lebens, alle sein Herz und Seele! Einem solchen Volke seine Sprache nehmen oder herahwürdigen, heißt ihm sein einziges, unster« bliches Eigenthum nehmen, das von Eltern auf Kinder fortgeht. Wer mir meine Sprache verdrängt, will mir auch meine Vernunft und Lebensweise, die Ehre und Rechte meines Volkes rauben!“ Aus den Briefen zur Beförderung der Humanität 9 (Kiizne a foči, II, 509): „Das Christenthum, sobald es als Staatsmaschine auf fremde Völker wirkte, drückte sie schrecklich; bei einigen verstümmelte es dergestalt ihren eigenthümlichen Charakter, dass keine anderthalbtausend Jahre ihn haben zurechtbringen mögen. Wünschten wir nicht, dass z. B. der Geist der nordischen Völker — der Slaven u. f. — ungestört und rein aus sich selber hätte hervorgehen mögen ? — Die alten Preußen sind vertilgt; Liven, Esthen und Letten im ärmsten Zustande fluchen im Herzen noch jetzt ihren Unterjochern, den Deutschen.“ hörigen Stellen aus seinen Werken von Kollar umgedichtet worden ist. Ich habe am Anfang und Ende keine Parallelen hinzugesetzt, weil die Aufzählung der slavischen Länder und die poetischen Ausblicke in die Zukunft im Grunde genommen von selbst gegeben waren. Doch selbst darin lassen sich directe Einflüsse nachweisen. Der Dichter hält sich zwar nicht ganz an das von Herder vorgezeichnete Itinerar, aber die Erwähnung der Mul da zeigt, dass ihm dasselbe in der That vorschwebte: denn welcher Slave weiß etwas von einem Flüsschen, das sich bei Dessau in das linke Ufer der Elbe ergießt? Auch wurde Kollar in der damals ziemlich allgemeinen Auffassung der Slaven als „einer Nation“ von Herder bestärkt. Am wichtigsten wurde jedoch für ihn die von Herder selbst durch den Druck hervorgehobene Forderung nach einer „Geschichte dieses Volksstammes im ganzen“. Diese suchte uns der Dichter, mit dem sich selbst Safafik bei der Schreibung der „Slavischen Alterthümer“ in der Arbeit theilen wollte in der That in der „Slavy Dcera“ und in den Erläuterungen zu derselben zu geben und setzte dann seine Arbeiten auf dem Gebiete der slavischen Archäologie fort, was ihm zuletzt infolge seiner Kaisertreue bei der Belagerung Pests noch eine außerordentliche Professur dieses Gegenstandes in Wien (1849—1852) eintrug. Hier handelt es sich bloß um sein poetisches Werk. Herder gab nicht bloß die Anregung zu den vielen historisch-archäologischen Sonetten, sondern wir finden darin auch seine Ideen. Vor allem ist auch Kollar schon in der „Slavy Dcera“ ein Hoherpriester der Humanität. Im Namen derselben protestiert er immer gegen alles Unrecht, das an den Slaven verübt wurde und verübt wird2), ruft aber auch den Slaven •) Brief vom 11. Sept. 1828; ÖÖM., 1875, S. 146. a) Vgl. namentlich H, 20: Jen ty krivdy pero moje liči, Kad kter^mi samo zarđšnd Kebe Ika a olovečenstvi kriči. D. h.: Nur dasjenige Unrecht schildert meine Feder, über das selbst der erröthende Himmel klagt und die Menschlichkeit schreit. 15* zu, dass sie ihre traurige Geschichte nicht zur Rache anspornen, sondern nur ein Mittel sein soll, mit welchem Gott die Völker zu neuem Leben erweckt (II, 84). Friede und Gerechtigkeit hat Gott allen Völkern verkünden lassen (III, 23), eine stille Hirtenhütte könne für das Vaterland mehr thun als das Kriegslager Žiška’s (II, 123). Namentlich predigt Kollar wie Herder das Johannes-Evangelium der Liebe. Er ist froh, dass die Zeiten vorüber sind, in denen sich seine Vorfahren der Confession wegen mordeten (II, 126) und über alle confessionellen Unterschiede unter den Slaven setzt er sich mit dem pathetischen Ruf hinweg: „Unser sind Hus, Nepomuk und Cyrill!“ (II, 99). Im Herder’schen Sinne singt er auch ein Loblied Russlands wegen seiner religiösen und nationalen Toleranz gegenüber den Deutschen (II, 54). Der gewaltige Kampf zwischen den Polen und Russen hält ihn nicht ab gleichzeitig, die Theorie von der slavischen Wechselseitigkeit zu schaffen, und das derselben am meisten entgegenstehende Hindernis des folgenschweren Gegensatzes der beiden größten slavischen Nationen thut er einfach mit einer kindlich naiven Mahnung ab (IV, 40): „Hört, liebe Russen, die Polen sind unsere Brüder, es ist nicht billig, gegen sie Feindschaft zu haben!“ Die Eintracht, über deren Mangel unter den Slaven er so oft klagt, würde dadurch erreicht werden, wenn das „Taubenvolk“ (narod holubiöi) ’) der Slaven die Tauben auch darin nachahmte, dass es scharenweise beisammen sein wollte (miluji hejno spolkove, III, 62). An einer anderen Stelle (II, 141) fordert er die Russen, Serben, Böhmen und Polen — die Theorie von den vier slavischen Hauptstämmen stand bei ihm schon 1830 fest — auf einträchtig, wie eine liebe Herde (städce) zu leben. Im slavischen Himmel gibt es nicht einmal Titulaturen, alles spricht sich nach dem Beispiel der Böhmischen Brüder als Bruder und Schwester an (IV, 125). Die Ideen Herders mussten sich natürlich mit ') Der von ihm zur Geltung gebrachte Ausdruck stammt übrigens schon von Komensky; sieh Vyklad zu II, 20, denen der Brüder berühren. Auch ist von Masaryk') mit Recht hervorgehoben worden, dass Kollar und seine Gesinnungsgenossen in Böhmen, namentlich Palacky, von den Deutschen nur dasjenige Zurücknahmen, was diesen die böhmische Beformation gegeben hatte, aber es ist ebenso richtig, dass Kollar eine besondere Wertschätzung der Brüder nicht bloß von Fries, sondern auch von Herder hatte2). Ganz herderisch ist bei Kollar auch der Begriff des Patriotismus. Noch mehr als bei seinem Lehrer ist bei ihm die Vaterlandsliebe nur in einer nahen Verwandtschaft zwischen den Volksgenossen begründet3). Patriot ist derjenige, welcher die ganze Nation im Herzen trägt (II, 122); er verändert damit wie Herder auch die Bedeutung des böhmischen Ausdruckes „via sten ec“ (eigentlich: Landsmann) und ruft: „Den heiligen Namen des Vaterlandes sollen wir nicht dem Lande geben, in dem wir wohnen!“ (II, 124.) Als Jüngling dichtete er in Neusohl noch eine lateinische Elegie auf Ungarn4), wehrt sich aber jetzt gegen das werdende Magyarien mit der Frage (HI, 23): „Was hat ein Geschöpf mehr zu lieben, ein kleines, todtes, seelenloses Vaterland oder eine große, lebendige und mit Vernunft begabte Nation6)?“ Das erinnert schon ganz an Herders „Phantom von Vaterland“ °). Kollar musste aber wie Herder bei den Patrioten der Befreiungskriege mit seinen Anschauungen auch bei den Böhmen anstoßen. Die Stammesbrüder an der Moldau hatten zwar auch ihre Freude an den allslavischen Phantastereien, aber sie fassten die von Kollar gepredigte Liebe zum Vaterland und zur Nation (vlast a narod) ganz anders >) Naše Doba, I (1894), 727. ’) Auf Herders Lob der Böhmischen Brüder, dass sie der Welt Komensky gegeben haben (Briefe zur Beförderung der Humanität, 5. Sammlung), beruft sich Kollar: Vyklad, 274; Kazni* a Ječi, I, 195; H, 769. Ja er klagt, dass sogar der „gute Herder“ den Slaven Comenius nehmen wollte. Spisy, HI, 258—259. ») Haym, Herder, II, 10. 4) Sbornik, S. 25—26: Deploratio praosentis status Hungariae. 5) Ähnlich spricht er in KAzne a reči, II, 491. °) Haym, Herder) I, 448. auf als die armen Tatrasöhne, deren Heimat nicht einmal eine österreichische „historisch - politische . Individualität“ bildete: ganz im Sinne der Romantik hielt man sich sogleich und fest an Böhmens glorreiche Vergangenheit und seine selbständige Geschichte und ließ in Wirklichkeit „Slavien“ doch nur einen „Namen süßer Klänge“ (II, 138) sein. Noch bedenklicher war aber Kollars allslavischer Patriotismus bezüglich der Sprache und Nation. Er ist allerdings wie Herder der Meinung, dass man nur in der Muttersprache dichten könne'), weshalb er alle lateinischen Werke des Humanisten Lobkovic für ein einziges böhmisches Gedicht hingeben möchte (IV, 74) und die Dichter Karl Schneider und Svoboda, die gleichzeitig deutsch und böhmisch reimten, im Himmel in einen besonderen Winkel stellt (IV, 29). Er fordert auch im Sinne Herders und noch mehr der Romantik den Nationalgeist in der Literatur, aber sein „duch všeslavosti“2) (Geist des Allslaventhums, II, 140) führte unter den Slovaken zu einem ohnehin durch ihre centrale Lage sich von selbst aufdrängenden kosmopolitischen Panslavismus, welcher in Böhmen einen starken Widerspruch hervorrief, dem auch öffentlich in beredten Worten von Chmelensky8) Ausdruck gegeben wurde. Dieser „all-slavischo Geist“ verführte ihn im Verein mit der Forderung der Romantik, dass die Sprache musikalisch sein soll, und mit der Herderisch-romantischen Vorliebe für Dialecte auch dazu, dass er die böhmische Schriftsprache slovakisieren4) wollte, um sie den übrigen Slaven verständlicher und wohlklingender zu machen (in der Praxis und auch theoretisch in der Ausgabe von 1832, vgl. IV, 123). Das missfiel sogar seinen besten Freunden in Böhmen und trug viel zu der von Kollar später so sehr beklagten Loslösung der Slovaken von der literarischen Gemeinschaft mit den Böhmen bei. Sehr stark wurde Koll&r von Herder auch in seiner ') Haym, Herder, I, 158. 2) Vgl. Herders „Allgen) eingeist Deutschlands“. Haym, II, 9. 3) ČČM., 1836, S. 214-215. 4) Vgl. J. V. Noväk, Kollar — Sborm'k, 154—160. Haltung zum Volkslied beeinflusst. Er wurde unbedingt von dem zeitgenössischen Interesse und am meisten von Herder zum Sammeln der Volkslieder angeregt1) und vertheidigte sich angesichts der ptaffischen Angriffe gegen die Volkslieder gerade von Seite seiner evangelischen Berufsgenossen mit der Berufung auf „die Stimmen der Völker“ und auf die hohe geistliche Würde Herders2). Kollar getraute sich, wie wir bereits wissen, auf die erste Ausgabe der slovaki-schen Volkslieder3) nicht einmal seinen Namen zu setzen und schrieb in der zweiten eine besondere „Vertheidigung“ derselben „gegen einige Vorurtheile und Missverständnisse“4). Viele evangelische Priester hielten nämlich die Volkslieder für ein gefährliches Gift, für unmoralisch und irreligiös, andere sahen darin nur Spreu und lächerliches Zeug. Durch die Seniorate verschickte gedruckte Einladungen Kollars, die zum Sammeln der Volkslieder aufforderten, wurden von vielen seiner Amtsgenossen unterdrückt, während ihm die katholische Geistlichkeit verständnisvoll und bereitwillig entgegenkamr’). Unter solchen Umständen wurde ihm natürlich des „berühmten Herder“ Beispiel besonders wertvoll, denn dieser war „nicht bloß Priester, sondern auch Superintendent und ein wirklich frommer Christ“, dem die Gegner der slovakischen Volkslieder nicht einmal die Riemen zu lösen würdig wären. Herder hören wir auch aus der Vorrede zur ersten Ausgabe heraus, wenn Kollar eine „gemeinsame“ slavische Literatur fordert, die mit der Erweiterung ihres Gebietes einen einseitigen Charakter abstreifen und dafür einen großen, ') Dass dabei die russischen Sammlungen eine besondere Rolle gespielt hätten, wie J. Polivka anzunehmen scheint (Kollar — Sbomik, 162), würde ich bezüglich Kollars entschieden leugnen. Es ist bezeichnend, dass er noch 1835 nur „Rossiskaia Erota“ citiert (Nä-rodnie Zpievanky, II, 51). Sein Bericht (ibid. 502), dass er schon in seiner Jugend Volkslieder gesammelt habe, ist ebenso zu beurtheilen, wie die Verlegung der Nationalgefühle in die Zeit vor dem Aufenthalt in Jena. — a) Närodnie Zpievanky, II, (1835), 492. — 8) Pisne svetske lidu slovenskeho v Uhfich, 1828, 1827. Vgl. o. S. 58. — 4) Nii-rodnie Zpievanky, II, 490 ff. — 6) Ibid. 491, 494. erhabenen, rein menschlichen annehmen würde1). Als Schüler Herders zeigt sich Kollar auch, wenn er in der gleich darauf folgenden Periode zweimal von einem „Originalvolk“ spricht, in dem sich eine neue Seite des Antlitzes der Menschheit offenbare, und dann jede Literatur glücklich preist, der viele Dialecte zur Verfügung stehen, denn aus jedem könne sie etwas Gutes schöpfen 2). Obwohl er das slavische Volkslied von dem modischen Romantismus freispricht3) und von seinen slovakischen Liedern ausdrücklich sagt, dass sie keine „Kampfplätze, Turniere, Burgen, Throne und andere einem selbständigen Volke theuere Plätze“ kennen, weshalb es in ihnen auch keinen Heroismus und Patriotismus geben könne1), so finden wir doch namentlich in der zweiten Ausgabe eine Menge „bistorischer Lieder“, die sich seines besonderen Wohlwollens erfreuen6), und die viel gerühmten naiven Erzeugnisse des einfachen Volkes haben überdies starke Concurrenten in patriotischen Gedichten, die aus Bürger- und Rectorenkreisen stammenc), in Studenten-, Rectoren-, Bürger- und Herrenliedern und in vermischten Gesängen der gebildeteren Stände gefunden, so dass, abgesehen von den historischen Liedern des ersten Bandes und den dazu gehörigen Nachträgen des zweiten, diese unvolksthümlichen Producte mehr als die Hälfte des zweiten Bandes7) ausmachen. Trotz der Ermahnungen Šafafiks8) machte also Kollar nicht nur keinen Fortschritt, sondern eher einen Rückschritt, denn er notierte sich zwar zeitgenössische Hymnen auf <) Pisne svetske, I, XV. - 2) Ibid. XXIII. - s) Ibid. XXVIII bis XXIX. - *) Ibid. XXXII. 6) Vgl. die Nachträge (Narodnie Zpievanky, II, 401—458) und die darauffolgenden Anmerkungen. Beachtenswert ist der Titel der Sammlung des Matthias Holko (aus dem Jahre 1756): Cantiones historicae, de patria nostra Hungaria. 6) Darunter befinden sich auch Reimereien, die den Namen Sloväk vom Wörtchen Sl&va ableiten (142), Lobsprüche auf die böh-misch-slavische Sprache und auf die böhmischen Schriftsteller, Lieder gegen die Franzosen und Bonaparte und gegen die Magyaromanie. ’) Ibid. 139—374. - «) S. o. 137-138. das Volkslied, blieb aber auf einem veralteten Standpunkt in der Behandlung desselben stehen. Wie bei Herder flössen auch bei ihm die Begriffe Volkslied und Nationallied, in dem sich das Denken und Empfinden einer bestimmten Nation auf eine eigenthümliche Weise kundgibt, zusammen1). Auch darin ist Koll&r Herder ähnlich, dass die Volkspoesie auf seine Dichtung wenig Einfluss hatte. Ich könnte nur in einigen seiner Naturschilderungen und namentlich in den Naturoingängen Spuren des Volksliedes finden. Das ist auch begreiflich. Als er seine wirklich poetischen Sonette dichtete, wusste er ja noch wenig von der Volkslyrik seiner Slovaken und der übrigen slavischen Völker, später war aber seine poetische Ader versiegt. Übrigens scheint er sich gar nicht bewusst geworden zu sein, wie wichtig die Nachahmung des Volksliedes für die Kunstpoesie werden kann, denn in der zweiten Ausgabe sind die charakteristischen Ausfälle der ersten gegen den Ro-mantismus unterdrückt, und wir finden an ihrer Stelle nur die Bemerkung3), dass auch die Liebhaber der Kunstpoesie und ästhetischer Genüsse in den Volksliedern häufig eine gesundere Nahrung linden können als in den parnassischen Vuleanen seiner Zeit. Von seinem alten Lob der slavischen Volkslieder wiederholt er nur die Behauptung: „Hier ist alles rein, klar, natürlich, einfach, ursprünglich und leicht; hier werden die Lieder nicht gemacht, sondern sie wachsen“ (wie die Blumen auf den Wiesen)3). Außer den historischen und patriotischen Gesängen erfreuen sich seiner besonderen Aufmerksamkeit die mythologischen, aus deren Resten er das System einer slova-kischen Mythologie4) auf baut. Nur hier gieng er weiter, aber ebenfalls im Widerspruch mit Safafik, Während er in der ersten Ausgabe nur sagt, dass einige Volkslieder, ') C. Redlich im 25. Band der sämmtlichen Werke Herders, herausgegeben von B. Suphan, S. 8. 2) Närodnie Zpievanky, H, 489. 3) Pisne svetske, I, XXX. Die eingeklammerten Worte nur hier. *) Narodnie Zpievanky, 1, 434— 436. Vgl. II, 875, 487. die aus vorchristlicher Zeit stammen, an die asiatische Heimat der Slaven erinnern *), führt er uns hier direct nach Indien, wobei er sich auf Dobrovsky, J. Görres, Anton und Josef Jungmann beruft2). Noch charnkteristischer ist es aber, dass er die „selbstgefällige Leerheit“ des unromantischen Russen Kaysarow ablehnt, dafür aber in Fragen der slavischen Mythologie — Clemens Brentanos „Gründung Prags“ als entsprechende Quelle heranziehta). Kollar machte daher über Herder hinaus einen Fortschritt, aber einen sehr bedenklichen, im Geiste der phantastischen Romantik. Herder verkündete den Slaven eine bessere Zukunft nicht bloß in der angeführten Stelle, sondern erblickte in ihnen, speciell in den Russen, ein „Originalvolk“ der Zukunft, das in seiner jugendlichen Frische dem „alternden Europa“ neues Leben bringen werde4), und hielt bereits die Ukraine, deren „kosakische Dummi“ er feiert6), für ein neues Griechenland. In diesem Sinne singt auch Kollar, dass die Wissenschaften durch ein slavisches Rinnsal fließen, dass die Sitten und Gesänge seines Volkes an der Seine und Elbe Mode werden sollen (III, HO), und ruft stolz: „. . . Wir sind aber ein jüngeres Volk; wir kennen, was die anderen gezeigt haben, ihnen ist es jedoch verborgen, was wir im Buch der Menschheit werden sollen“ (II, 142). Natürlich musste der gefühlvolle Slovake *) mit Herder auch in der Verurtheilung des Krebsschadens „der sogenannten Cultur“ übereinstimmen und an dem romantischen Subjec-tivismus seine besondere Freude haben, was am besten folgender Jammerruf (III, 57) beweist: Duch ma zävraf, srdce uvadlo, Ba, — <5, nove sveta divadlo! — Sam už sebe rozum nenävid! ’). ') Pisne svetske, II (1827), XIV. a) Narodnie Zpievanky, I, 896, 405—406; II, 484. Vgl. o. S. 23 bis 24, 49-51. - ») Ibid. 404, 408. <) Haym, I, 337; II, 786. - «) Ibid. I, 161. #) Vgl. III: Tfebas Biih mne stvofil Sloväkem Schopn^m žive svet i radost čiti. ’) In wörtlicher Übersetzung; Der Geist hat Schwindel, das Kindliche Einfalt geht ihm über alles (I, 35), und er fühlt sich nur dort wohl, wo die Liebe waltet und das Herz mehr regiert als der Kopf (II, 1). Es muss noch erwähnt werden, dass sich Kollar in seinen „Erläuterungen“ nicht bloß auf Herder, sondern auch auf viele andere deutsche Schriftsteller berufen konnte, welche gute Eigenschaften der Slaven hervorhoben imd rühmten; einige von ihnen wurden für ihre Verdienste für die Slaven sogar in den slavischen Himmel aufgenommen (IV, 100), und zwar: Helmold, Ditmar, Jornandes, Ungnad, Henning (Verfasser eines wendischen Wörterbuches), Jakob Grimm, Vater, Herder, Kohl, Adelung, Schlözer, Goethe, Gerhard und Talvj *). Auch Weimar als das deutsche Athen (I, 63), der Basedow’sche Philanthrop Salzmann (I, 65), Gail und Lavater (I, 68), Kollars Professoren Oken, Pries, Hand, Eichstädt (I, 115) und noch einmal Goethe, „der große Heide“, als Übersetzer aus dem Böhmischen (I, 112) haben in dem ersten poetischen Evangelium des Panslavismus ihr Denkmal erhalten. Dasselbe war daher im Grunde genommen durchaus nicht so deutschfeindlich, wie man aus dem Vorgesang, aus den vielen, übrigens über Herder nicht hinausgehenden Stellen über die Unterdrückung der Slaven durch die Deutschen im Laufe der Geschichte und aus der Wir- Herz ist verdorrt, ja — o, neues Schauspiel der Welt — der Verstand hasst schon sich selbst. ‘) Außerdem citiert er Äußerungen neuerer Schriftsteller, welche gute Eigenschaften der Slaven loben und die Deutschen tadelten, weil sie sich an ihnen versündigten, namentlich von: Anton (Versuch über die alten Slaven), Büsching (Erdk.), Gerle (Böhmen), Nik Haas (Geschichte des Slavenlandes an der Aisch), Jenisch (Vergleichung von 14 Sprachen Europas), Luden (Allg. Geschichte), Lützow (Geschichte von Mecklenburg), Okens „Isis“, J. C. Pfister (Geschichte der Teutschen), Bohrer (Versuch über die slav. Bewohner des österreichischen Kaiserstaates), Thun mann (Geschichte des Nordens), Woltmann (Geschichte der Teutschen) u. s. w. Selbst der vielgeschmähte Gebhardi (Geschichte der Wenden) eignete sich manchmal sehr gut zum Citieren. Im Cestopis I, (Spisy, III, 267) schreibt er besondere Verdienste für die Beseitigung antislavischer Vorurtheile Goethe, Herder, Grimm und Adelung zu. 2B6 knng des Werkes schließen könnte. Die Grundidee der „Slävy Dcera“ war doch die Herder’sche Humanität, unter deren Einfluss sich der Jenaer Radicalismus bei ihm schnell verflüchtigt hatte (vgl. I, 69), denn „die Bilder von Freiheit, Vaterland, Nationalität sind ihm bald (schon 1832) im unangenehmen Staub der Wirklichkeit verschwunden“. Der Liebling des serbischen Volksliedes Miloš Obilić, der den Sultan Amurat „aus falschem Patriotismus“ ermordete, stört als Schattengestalt die Gemeinde der slavischen Helden im Himmel (IV, 19 aus dem Jahre 1830); „Släva will keine listigen Mörder haben, wie Charlotte Corday, Scävola, Sand, liavaillac; unser Volk soll nur durch Tugend feststehen, es ist besser nicht zu sein, als Leben und Ehre mit unedlen Wallen zu suchen.“ Die Nennung K. L. Sands zeigt, dass Kollar von dem damaligen deutschen Subjec-tivismus *) durchaus nicht ganz durchdrungen war; er sah den Höhepunkt der deutschen studentischen Bewegung, aber unmittelbar vor seiner Abreise aus Jena (Ende März 1819) wurde auch er durch die Ermordung Kotzebues aufgerüttelt und ernüchtert. Diese wahnsinnige That musste auf ihn einen umso größeren Eindruck machen, weil er Sand, der im großherzoglichen Convict nicht weit vom ungarischen Tisch saß und daselbst für Ordnung sorgte2), sehr gut kannte. Auch der Glaube an die politische Unfehlbarkeit Ludens musste wegen seiner moralischen Mitschuld schon damals sehr erschüttert worden sein. Die Wandlung zum altösterreichischen Conservativen vollzog sich daher bei Kollar bald und auf natürliche Weise, umsomehr als die den Slaven feindliche Entwicklung der Dinge in Ungarn diese Gesinnungsrichtung förderte. Auch Kollars starke Abneigung gegen den Byronismus (s. u.), sogar gegen Puškin und Mickiewicz, wird uns gar nicht wundern. Er nahm weder sie noch Lermontov in den slavischen Himmel auf, ') Vgl. namentlich den Brief des Berliner Theologieprofessors De Wette an Sands Mutter boi J. Schmidt, „Geschichte der deutschen Literatur“, III6, 97. 3) Pameti, 266. wolil aber Chomjakov, den unbedeutenden Dichter der slavo-philen Schule. Aus dem Glanzen ergibt es sich von selbst, dass jeder Vergleich der „Slävy Dcera“ mit Byrons „Childe Harold“ haltlos ist, und dass man solche Behauptungen Palacky nicht mehr nachsprechen sollte. Die „Slävy Dcera“ kam durch ihren nationalpatriotischen Ton so sehr den Gefühlen den Zeitgenossen entgegen, dass sie eine enthusiastische Aufnahme fand, die ihr namentlich in Böhmen und Mähren auf Jahrzehnte erhalten blieb. Sie gelangte aber auch zu den übrigen Slaven viel mehr, als wir heute glauben. Einzelne Slovenen 1)1' namentlich aber die Kroaten2), deren um das Jahr 1830 beginnende illyrische Bewegung ungemein unter dem Einfluss Kollars stand, und die Serben8), zu denen er die meisten directen Beziehungen hatte, lasen sie sogleich im Original und übersetzten sie theilweise. Dass dieselbe auch im Kreise der jungen südslavischen Romantiker in Graz schon vor dem Erscheinen der deutschen Schrift über die Wechselseitigkeit bekannt war, beweisen in dem literarischen Nachlass St. Vrazs aus dieser Zeit Brouillons (noch nicht veröffentlicht) zu zwei Sonetten auf Kollar. Zu diesem Kreise gehörte auch der junge Fr. Miklosich, von dom St. Vraz4) erwartete (1834), dass er als „Sohn der Släva“ ihren Ruhm mehren werde. Ebenso gelangte das Werk zu den Bolen, namentlich zu den galizischen, direct und durch Übersetzungen8), und zu den Russen durch die ersten Slavisten; ‘) Der wegen seiner Beziehungen zu den Carbonari in Mürau (na Mirove, hei Olmütz) gefangen gehaltene Martin Kuralt, ein Freund Kopitars, bekam vor seinem Tode (1845) „Slävy Dcera“ in die Hand; er weinte darüber wie ein Kind und sprach: „Nun sterbe ich gern, denn das slavisehe Allvaterland ist durch seinen grollen Propheten gerettet.“ Sojka, Naši mužove, S. 189—140. — a) M. Srepel im Sbornik, 254. “) In Pest verkehrte Kollar mit Jovan Pačić und anderen Literaten schon seit 1828. Vgl. Djordjević im Sbornik, 264. 4) Dela St. Vraza. Drugi dio. Prvo lištje, S. 9. Sieh auch „Dju-labije“ (Prvi dio), I, Strophe 77 und 78. 6) Ich stütze mich auf mündliche Mittheilungen des Dr. Zeno Przesmycki, dessen Artikel über den Einfluss Kollars auf die Polen leider für den Sbornik ungeschrieben geblieben ist. V C/f’ V,Hr<4; ,fK*»'** - ‘288 speciell Sreznevskijs Vorlesungen in Oharkov waren gespickt mit Citaten1) aus der „Slävy Dcera“, was auch die starke Verbreitung der Kollar’schen Ideen unter den Kleinrussen2) erklärt. So erstreckten sieb schon durch das poetische Hauptwerk Kollars die deutschen Einflüsse auf alle Slaven. ^ j Einen geradezu großartigen Erfolg hatte aber in der ganzen Slavenwelt Kollars in deutscher Sprache geschriebenes und daher allgemein zugängliches Büchlein „Über die literarische Wechselseitigkeit zwischen den verschiedenen Stämmen und Mundarten der slavi-schen Nation“8). Das Werk entstand aus einem Sendschreiben, das im Jahre 1836 in böhmischer Sprache in den Zeitschriften „Hronka“ (in Neusohl) und „Kvety“ (Prag) erschien und sofort ins Serbische (in Pest) und „Illyrische“ (in Agram) übersetzt und auch dem russischen Gelehrten Koeppen und einem Polen in Abschriften übersendet wurde. Doch einschlagend war erst die Wirkung der deutschen Schrift, die eine Weltberühmtheit erlangt hat und zweimal ins Russische (1838, 1840) und ins Serbische (1845, 1878) und auch ins Böhmische (1853) übersetzt worden ist. Die literarische Wechselseitigkeit (vzäjemnosf)4) oder Gegenseitigkeit „ist die gemeinschaftliche Theil- ‘) Petrov, O'iepKii iicropiii ynpaiiiicKoil jinrepaTypH XIX. CTOJI'Ima, S. 240. In Moskau befindet sich im ßumjancov’schen Museum, wie mir vom Gustos S. O. Dolgov mitgetheilt wurde, eine vollständige Analyse der „Slävy Dcera“ in einer Handschrift von Sre-znevskij. 2) Vgl. auch den einschlägigen Artikel von J. Franko im Sbor-nik, 208 ff. “) Post 1837. 8°, 132 -\ - 2 S. Eine zweite Auflage erschien 1844 in Leipzig. Über dieses Thema vergleiche meine Abhandlung im Sbornik, S. 201—232. In zweifelhaften Fällen sind die Belege dort einzusehen. *) Das Wort gebraucht Kollar zum erstenmal in einem Sonette aus dom Jahre 1828 („Slävy Dcera“, III, 108). In den Rozpravy o jmenäch (1830) wird die Wechselseitigkeit zuerst definiert, aber er spricht von narodni vzäjemnosf. Das Wort hat er höchst wahrscheinlich aus dem polnischen Wörterbuch von Linde entnommen. Sieh meine Bemerkungen im Kollär-Sborm'k, 202, 214—215. nähme aller Volkszweige an den geistigen Erzeugnissen ihrer Nation; ist wechselseitiges Kaufen, Lesen der in allen slavischen Dialecten herausgegebenen Schriften oder Bücher. Jede Mundart soll neue Lebenskraft aus der andern schöpfen um sich zu verjüngen, zu bereichern und zu bilden, und nichts destoweniger die andern nicht antasten und sich auch nicht antasten lassen.. .u>) Mit gegenseitig vereintem Wirken und Wetteifern soll die Blüte der gemeinschaftlichen Nationalliteratur befördert werden. Die Wechselseitigkeit bestelle nicht in einer politischen Vereinigung aller Slaven, habe mit demagogischen oder revolutionären Umtrieben nichts zu thun. Mit einem Wort: „sie ist ein stilles, unschuldiges Schäflein, das zwar zu einer groben Herde gehört, aber auf einer besonderen Wiese weidet“2). Auch besteht die Wechselseitigkeit nicht „in einer Universalisierung oder gewaltsamen Vermischung aller slavischen Dialecte zu einer Hauptsprache und einer schriftstellerischen Hauptmundart, wie einige Slavisten davon zu träumen aniiengen“3). Wenn man bedenkt, dass sich unter diesen Slavisten auch der berühmte polnische Lexikograph S. Linde befand, so machte diese Einsicht einem Bewunderer des Naturphilosophen Oken alle Ehre. Dagegen verlangt Kollar von jedem „auf der ersten Stufe der Entwicklung stehenden Slaven“, dass er die „vier jetzt lebenden gebildeteren Dialecte“ kennen soll, nämlich den russischen, illyrischen 4) (in Agram hatte der von Kollar durch persönlichen Verkehr in Pest stark beeinflusste Lj. Graj soeben begonnen, die Südslaven unter dem Namen des Illyrismus zu einigen), polnischen und böhmisch-slavischen (— ceohisch-slovukischen). Die gelehrteren und gebildeteren Slaven aller Mundarten sollen schon alle Mundarten und Untermundarten kennen; der Slave dritter Classe oder ein Gelehrter von Fach soll aber nicht nur einen Slavisten im <) O. c. 6-7. - *) O. c. 8. - s) 0. c. 10. *) In der „Sldvy Dcera“ und in den „Kozpravy o jraenäch“ ist noch das Serbische Repräsentant der südslavischen Dialecte. weitesten Sinn abgeben, also alle alten Sprachfragmente und Literatur-Überreste der verschiedenen slavischen Mundarten kennen, sondern auch mit der Sprache der näher oder entfernter verwandten Völker, z. B. der Letten, Litthauer, Kuren, Walachen, Albanesen, Neugriechen u. s. w. vertraut sein. Alle Slaven sollen sich, wie das kurz zuvor Safafik gefordert hatte (1833 im CCM.), als Brüder einer großen Familie betrachten') und eine wechselseitige allshivische Literatur schaffen. Noch besser charakterisieren das Wesen der Sache die Mittel der Wechselseitigkeit2): Sla-vische Buchhandlungen in allen Hauptstädten der verschiedenen Stämme (auch in Wien und Pest), Tausch der Bücher zwischen den Schriftstellern, Lehrstühle und Schulkatheder der slavischen Mundarten s) (auch ein slavischer Plutarch), allgemeine, allmundartliche slavische Literaturzeitung, in der jedes neue slavische Werk in der Mundart angezeigt und recensiert werden soll, in welcher es geschrieben ward, öffentliche und Privatbibliotheken, in denen namentlich alle Wörterbücher und Grammatiken vorhanden sein müssten, vergleichende Sprachlehren und Wörterbücher aller Mundarten, Sammlungen und Herausgaben der Volkslieder und Sprichwörter, die allmähliche Beseitigung fremdnationaler Wörter und Formen, endlich eine „einförmige, philosophische, auf dem Geiste der slavischen Sprache gegründete Orthographie“, an der alle Slaven Übereinkommen sollten, wenigstens diejenigen, die sich gleicher Lettern, der lateinischen und cyrillischen, bedienen. In der „Hronka“ und „Slävy Dcera“ (IV, 112) empfiehlt er als Mittel der Annäherung auch Reisen in die slavischen Länder und einen Aufenthalt bei den Bruderstämmen4). Sogar Slavistencongresse schlug er schon in der „Hronka“ (1836!) nach dem Muster der deutschen Natur- ') O. c. 24-25. Vgl. o. S. 150-151. - ”) O. c. 120-128. - 8) Don „wiederholten Wünschen und Bitten der Slaven“, die „gütige österreichische Regierung“ möge slavistische Lehrkanzel gründen, gibt er auch im „Cestopis“ I. Ausdruck. Spisy, III, 282. 4) Auch in Kiiznö a leči, II, G27. forscher- und Ärztetage vor, zu denen es bis heute noch nicht gekommen ist! Man sieht aus dem Ganzen, dass Kollar vor allem ein sehr weitgehendes Ideal eines Slavisten schuf, dem damals nicht einmal Kopitar und Safafik ganz entsprachen und dem eigentlich auch später nur Miklosich ziemlich gerecht wurde. Das Ideal macht jedoch Kollar, der ein stümperhafter Philologe und Archäologe, namentlich aber einer der unglückseligsten Etymologen war, alle Ehre; es war treffend vor allem aus der Thätigkeit Dobrovskys und Ko-pitars und seines Freundes Safafik abstrahiert‘j. Natürlich erfuhr auch Kollar einiges von der deutschen vergleichenden Sprachwissenschaft2) und hatte namentlich an dem wissenschaftlichen Pangermanismus ein gutes Beispiel. Für ihn gehörten nach den damaligen Anschauungen zur deutschen Nation nicht bloß die 38 deutschen Staaten und die sonstigen Gebiete (Lothringen, Eisass, Burgund, Schweiz, Siebenbürgen und die Zips), sondern auch Dänemark, Norwegen, Schweden, Holland und Belgien!8) Wie einfach waren da die Verhältnisse für die Slaven: sie stehen ja nur unter vier oder fünf Regierungen, nämlich Russland, Österreich, Preußen, Sachsen und der Pforte! Wie leicht können daher die Slaven gute Staatsbürger sein! Dazu brauchte man für die slavischen Völker gar nicht noch einen Namen zu suchen*), wie es die Germanisten mit ihrem Streit, ob Germanen, ob Gothen, •) Vgl. o. c. S. 25-26. *) In der Släva bohyne (S. 207—224) brachte er ein Wörterbuch „gleicher indischer, zigeunerischer und slavischer Wörter“ und berief sich auf Bopp, Klaproth und andere Sprachforscher. s) O. c. 9. Schon 1823 schrieb er (Pisne svetske, XV), dass unter der Eiche der deutschen Literatur die literarischen Gestrilucher der Holländer, Dänen und Schweden nicht gedeihen können. ■*) Allerdings bezog sich das auf den gemeinsamen Namen nur in der deutschen und lateinischen Sprache, denn mit seinen slavischen Formen hatte man schon seine Noth, namentlich wenn man ihn vom Nomen slava (Ruhm) oder gar von der „Sldva“ (Ruhmesgöttin) ableiten wollte, wie es Kollar that (erinnert natürlich auch an den Streit: deutsch oder teutsch). Die richtige Lautform (aus asl. SloveninT.) gebrauchen auch heute nur die Böhmen (Slovan) und Polen (Slowianin), Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. jß thaten1). Und wenn man dem Zeitgeiste folgend das Studium der slavisclien Alterthümer und namentlich der Mythologie treiben wollte, so würde man von selbst auf die Nothwendig-keit des Studiums aller slavischen Völker geführt. Neben dieser Popularisierung des slavistischen Programms spielt die wichtigste Polle die Erforschung und Bewahrung der reinen Slavici tat, zu welcher in der „Deutschheit“ dasMuster vorlag, und die Schöpfung einer wahren National literatur. Wir begegnen daher ineinem-fort der romantischen Vergötterung der Nationalität, den Ausdrücken „Volksthum“, „Volksgenius“ und „Nationalgeist“. In diesem Sinne müsse sich daher die Literatur und Poesie auch bei den Slaven eigenthümlich gestalten und rein slavisch ausbilden, denn jede fremdhergeholte und erborgte Cultur reiße das Volk von seiner Vergangenheit los, sei oberflächlich und könne eine großartige, dauernde Zukunft nicht begründen2). Hier wurde jedoch der damals herrschende und noch heute oft wiederholte Grundirrthum, dem zufolge die Slaven nicht bloß den Germanen, sondern auch den Deutschen gleichgestellt wurden — in Wh’klichkeit sind beide Vergleiche unrichtig, denn die slavischen Völker stehen in der Mitte —, verhängnisvoll. So wollte Kollar im Namen des slavischen Nationalcharakters sogar den Polen und Russen, deren Sprache keine langen Vocale kennt, die quantitative Metrik aufoctroyieren und übersah, dass z. B. Mickiewicz und Puškin aus sprachlichen Schwierigkeiten und aus cul-turellen, historischen und politischen Gründen nicht die Nationaldichter aller Slaven werden konnten, wie es Schiller und Goethe für die in der ganzen Welt zerstreuten Deutwährend bei den Russen das mönchisch-weißrussischpolnische Unge-thürn Slavjanin (s. Šafafik, Slov. starožitnosti, § 25, 8) die Alleinherrschaft behauptet; dasselbe leihen sich die Slovaken, Bulgaren und auch einzelne Personen bei den anderen Stämmen aus, die Kroaten und Serben bewahren das psoudogolehrte „Slaven“, die Slovonen entlehnten die böhmische Form. *) Das betont ausdrücklich Palacky, Gedenkblätter, 87. >) O. c. 52-53. sehen sind. Den besten Beweis lieferte er selbst dafür, denn er bekam wenig Kenntnis von den beiden größten slavischen Dichtern oder verstand sie gar nicht, da sie ihm nicht genug slavisch waren!J) Kollar hat eben in der Poesie den Weg zu seinem lebenden Volk wie die beiden Dichterheroen nicht gefunden, und so war und blieb durch seinen Einfluss gerade die böhmische und slovakische Romantik am meisten und längsten phantastisch, wodurch sie auch für die übrigen kleineren slavischen Völker verderblich wurde. Übrigens musste diese phantastische Richtung auch dem böhmischen Volk wegen seiner damaligen Lage und wegen seines Charakters behagen: es hatte zwar eine stark ausgeprägte historische und nationale Individualität, aber bei den beginnenden Kämpfen um diese Güter war der Gedanke an eine große slavische Welt tröstlich; in der Literatur gefiel aber dem arbeitsamen, nüchternen und sparsamen Volk eine sentimentale und die Wirklichkeit fliehende Richtung ebenso wie kriegerischen Nationen der Hang zum Zarten und Sanften eigen ist3). Die damals allgemein herrschende Vorstellung von den Slaven als einer Nation und der Aufbau eines ideellen Vaterlandes aller Slaven8) im Herder’schen Sinn führten jedoch Kollar nicht allein dazu, dass er aus allen Slaven Slavisten machen wollte, sondern es schwebte ihm auch der durch das Interesse der Romantik für alle Literaturen der Welt von Goethe geschaffene Begriff einer Weltliteratur vor Augen; er meint sogar, dass jeder gebildete Engländer (!) französisch, italienisch, spanisch und portugiesisch spreche4). Um wie viel leichter müsste es daher den Slaven sein, nach dem Beispiel der Griechen, das ihn schon in Jena anzog und das auch Kopitar predigte, eine gemeinschaftliche Nationalliteratur zu haben! Auch verband er mit ihr große Zwecke. Sehr gesund war der Gedanke, dass durch die Wechselseitigkeit die slavischen Literaturen, na- ') O. c. 20. — ») Fr. Schlegel, Sämmtlicho Werke, II, 88. 8) Audi hier ruft er (S. 37): „Alle Slaven haben nur ein Vaterland.“ — 4) O. c. 14—15. Iß* mentlich die der kleineren Völker, vor Einseitigkeit und Verkümmerung geschützt werden sollen. Aber noch mehr: Alle Slaven sollten sich deshalb vereinigen, um ihre große, ihnen von der Vorsehung bestimmte Aufgabe im Dienste der Menschheit zu erfüllen, um eine neue C ult ur periode zu begründen. Auch hier operiert Kollar mit Herder’schen und romantischen Begriffen. Er charakterisiert den bisherigen Entwicklungsgang der Literatur im Fr. Schlegel’schen Sinn und meint') „Bei den Slaven, wie ihre bisherigen Volkslieder und Kunstdichtungen beweisen, scheint die Poesie ein Product zu sein, an dem, unter der Fahne der Phantasie, alle die übrigen Seelenkräfto gleichen Antheil nehmen. Bei den andern Völkern sind Kopf und Herz oft so getrennt, dass dem Leser die Fittige ermüden, wenn er von einem zum andern fliegen muss: der Slave denkt und fühlt zugleich2), im Tempel der Slava küssten sich diese zwei Genien der Menschheit, und aus ihrer Ehe wird hoffentlich für die ganze geistige Zukunft ein neues, vollkommeneres Leben geboren, in welchem sich das Ideal der Menschheit in möglichster Vollständigkeit darstellen und verwirklichen wird.“ Die Slaven sollen also die Fortsetzung des geistigen Lebens der Menschheit3) übernehmen, die Vermittler zwischen der alten und neuen "Welt, zwischen Osten und Süden >) O. c. 75. 2) In ähnlicher Weise begründet Kollar schon 1823 die Ablehnung des Komantismus, wie er sich ihn vorstellte (Pisne svStske, I, XXVIII-—XXIX). Die slovakischon Volkslieder soll derjenige gar nicht in die Hand nehmen, dessen Kopf von Gedichten der Drachen, Eidechsen, Kitter, Zauberer und anderer romantischen Ungeheuer voreingenommen ist. Dieser Charakter sei der ganzen slavischen Poesie fremd, umsomehr der volksthümlichen . . . Der Slave fühle denkend und denke fühlend . . . Ein monströses, finsteres, ungeheuerliches, wahnsinniges, überspanntes, mit einem Wort einseitiges Gedicht sei in der slavischen Literatur bisher unerhört. “) In einem Epigramm (Okolek literatury Kreislauf der Literatur) sagt Kolh'ir: „Der Slave hat Morgen, die Deutschen Tag, England Mittag, der Franzose Jausenzeit, Abend der Italiener und Nacht, der Spanier. (J^ ^ ^ ^ ! IAJ sein1). Das war ganz im Sinne der damaligen deutschen Theorien und Synthesen, und es gab sogar Deutsche, die nicht in ihrem Volke, sondern in den Slaven den Messias der Menschheit sahen; Kollar beruft sich hier speciell auf J. P. Fallmerayer („Geschichte von Morea“, S. 5). Und nun zeigt sich wieder der echte Kollar! Vor allem weicht er dem durch Dichtes Charakterisierung der Epochen des Christenthums so wichtig gewordenen religiösen Problem aus. In einer Anmerkung nimmt er allerdings von Schillers Charakteristik (in der Geschichte des Abfalls der Niederlande) der katholischen und protestantischen Kirche Notiz und bemerkt einfach: „Die griechische Kirche dürfte zwischen beiden schweben“2). Also noch keine Spur von dem katholischen Messianismus der Polen, von der Stempelung der russischen Orthodoxie zur Kirche des Apostels Johannes, was dann den Kern der Lehren der russischen Slavophilen ausmachte. Der Dichter der „Slävy Dcera“, dessen religiöse Toleranz wir bereits kennen, sieht gerade darin einen Vorzug der Slaven, dass bei ihnen nicht eine Kirche die ganze Nation beherrscht und ihr keine einseitige Kichtung gibt3). Sonderbar berührt uns das Verhältnis Kollars zur Romantik, in der er doch so tief steckte. Er ist mit dem neuesten romantischen Geiste ganz und gar nicht zufrieden, und namentlich Byron, der die anderen slaviscbon Dichter >) O. c. 82. a) 0. c. 77. In einer Predigt (Käzno a reci, II, 251) vergleicht er die christlichen Kirchen unter den Slaven einer Familie: „Die römische Kirche repräsentiert einen strengen, bejahrten Vater, die griechisch-russische eine stille, sanfte Mutter, die Protestanten beider Confessionen, der Augsburger und helvetischen, sind Kinder beider, jung und frisch, voll des hurtigen, üppigen Lebens. Und lassen wir sie daher in einem Nationalhaus ruhig nebeneinander stehen, wirken und wirtschaften zum allgemeinen Wohl.“ An einer anderen Stelle (ibid. 699) bedauerte er jedoch, dass die Reformation zu den Slaven der orthodoxen Kirche nicht vorgedrungen ist, wodurch ihr Zurückbleiben in der Cultur zu erklären sei, und erwartete, dass auch aus ihrem Schoße ein Hus, Luther und Zwingli hervorgehen werden. 8) 0. c. 70—77. Diesem Gegenstände widmete er eine hübsche Predigt. Käzno a reči, II, 242—259. 24G begeisterte und begeistern musste, ist ihm ein Vertreter des consequent durchgeführten „modernen krankhaften Prin-cipsUl). Jetzt ist ihm selbst Goethes „Werther“, den er in Jena mit Begeisterung las, sammt Schillers „Räubern“ romantisch, die Schelling’sche Philosophie, deren Strahlen in Jena auch ihn erwärmten, ein Greuel, die allerneueste Literatur und Poesie der europäischen Völker sei vollends in der Sünd-fluth der Politik ertrunken. Kollar war allmählich zu einem Conservativen erstarrt, er verlor den Zusammenhang mit der geistigen Bewegung Deutschlands, aber nicht mit der Reaction; seine geistige Vereinsamung und namentlich sein schweres Amt, da seine Gemeinde in ganz Ofen-Pest zerstreut war und meist nur arme Mitglieder zählte, brachten ihn in eine ähnliche Situation wie den alten Herder, dem er auch ausschließlich folgt. Noch mehr als in der „Slävy Dcera“ verwertet er hier die Herder’sche Charakteristik der Slaven2) und stellt ihnen die Aufgabe, sie sollen „die alterndenCultur-Elemente verjüngen und zur Humanität potenzieren“3). Der Dichter des Nationalismus findet nun, dass die anderen Völker zu viel in ihre Nationalität vertieft seien, und lehrt, dass die Zeit eine universale, rein menschliche Tendenz verlange. Diese große Aufgabe könne auch nur „eine große, bildungsjunge, in alten Formen nicht erstarrte Nation lösen“4). Diese Eigenschaften habe der Slave, und gerade die Wechselseitigkeit könne ihn noch mehr zum rein Menschlichen erheben: „Er kann sich dazu nach und nach üben an den einzelnen Stämmen, sein Humanitätsgefühl kann er immer höher steigern, seine Liebe immer weiter ausbreiten, von der Person zum Stamm, vom Stamm zu den Stämmen, von den Stämmen zur Nation, von der Nation zu der Menschheit“6). Man kann sich vorstellen, wie jetzt die Vaterlandsliebe bei dem Schüler >) 0. c. Gü-7a — >) Sieli namentlich S. 85—88. — 8) O. c. 82. — 4) O. c. 06. *) O. c. 80. Vgl. ein Epigramm Kollars (HorliiS, Spisy, 1, 477): „Die Nation betrachte einzig als ein Gefäß der Monscheit, und immer, wenn du rufst: ,Slave!“ soll dir ,Mensch!1 wiedorhallen.“ ‘247 Herders gar schlecht davonkommt. Er bekämpft sie in einem besonderen Capitol (§ 9) als einen blinden Naturtrieb und als einseitigen Patriotismus der alten Völker. Es ist eigentlich schon viel, wenn er das Problem so fasst, dass „die enge Vaterlandsliebe leichter eine Sünde an der Menschheit, als der weite Bürgersinn an der des Vaterlandes“1) sei. Das Endziel der Kollär’schen Wechselseitigkeit oder des „literarischen Panslavismus“, wie sie mit Recht später genannt wurde, war daher ein sehr hohes. Praktisch stellte er sich aber eigentlich nur „einen literarischen Freistaat“ aller Slaven vor, in welchem man keinen Tyrannen duldet2). Er zieht zwar die nordamerikanischen Staaten zum Vergleich heran, aber eigentlich schwebte ihm die literarische Republik vor, wie sie Deutschland zu Anfang des Jahrhunderts bot3), als in den Tagen des Napoleon’schen Imperiums sogar Goethe einen Congress deutscher Männer befürwortete, um die Bande deutscher Cultur und Literatur, durch die allein die Deutschen noch als Nation existierten, zusammenzuziehen4). Derartige Beziehungen bildeten sich dann in der That auch unter den slavischen Gelehrten und vielen Schriftstellern aus. Übrigens muss auch da an Herder erinnert werden, der in den „Briefen, die Fortschritte der Humanität betreffend“ eine deutsche Akademie der Akademien, einen Vereinigungspunkt der provincieilen Akademien zur allgemeinen praktischen Geistes- und Sittencultur befürwortete, eine Art Parlament, das ein „Jahrbuch des deutschen Nationalgeistes“ herausgeben sollte6). Auch war Kollar direct ein Schüler jener deutschen Professoren, die sich rühmten, die deutsche Einheit auf den Kathedern zu repräsentieren, ein Studiengenosse jener Jugend, die ihr „imaginäres Deutschland, das weder vernünftig noch recht historisch war“6), in ihrem „Jugendbundesstaat“, in der Burschenschaft, verwirklicht sah. Es ist daher umso bo- ’) O. c. 36. — 2) O. c. 49. — ") Julian Schmidt, Gosch, d. deutschen Literatur, II5, 868. — 4) Goethe-Jahrbuch, VI, 166. — 5) Haym, Herder, II, 488. °) J. Frh. v. Eichendorff, Deutsche Nationallitorat., 146, II, 2, S.29. greif'liclier, dass der von Jugend auf ohnehin immer ästhetischen Neigungen folgende Kollar in dem Zeitalter der romantischen Philosophie, welche die Kunst als die höchste Blüte der Cultur hinstellte und die Universalität der Bildung als den einzigen liiickwog zur Natur predigte, alle Slaven durch die Literatur und nur durch die Literatur einigen wollte. Nicht umsonst hatte sich auch er an Goethes „Wilhelm Meister“ gebildet, aus dem sich die Komantik ihre ästhetische Weltanschauung holte. Wenn er sich dabei über alle sprachlichen, historischen, religiösen und politischen Unterschiede hinwegsetzte und kein Verständnis für politische Gonsequenzen seiner Theorien hatte, so blieb er auch darin hinter den unpolitischen Köpfen der Deutschen nicht zurück. Für die hyperidealistische Poetisierung der Welt und des Lebens fand er auch in dieser Hinsicht würdige Muster an seinen deutschen Lehrern im allgemeinen und an seinen Jenaer Professoren insbesonders, die alle unter der kläglichen Misere der deutschen Zustände litten und kein politisches Vaterland hatten. Namentlich müssen wir seines von der Jugend vergötterten vaterländischen Philosophen Fries gedenken, dem Hegel1) nicht mit Unrecht vorwarf, dass er den Staat, einen der compliciertesten und höchsten Organismen, in den Brei des „Herzens, der Freundschaft und Begeisterung“ zusammenflieilen lieh. Übrigens äußerte sich gerade darin der mächtige Einfluss der Böhmischen Brüder auf ihren deutschen Nachkommen und Verehrer, was noch nicht beachtet worden ist. Umgekehrt ist es aber umso begreiflicher, dass derartige Gefühlspolitik gerade auf Kollar einen bedeutenden Eindruck machen musste. Die Deutschen hatten daher keinen besonderen Grund, ihrem gelehrigen Schüler so böse zu sein, wie es in der That der Fall war. Das panslavistische Gespenst, das namentlich in den Vierzigerjahren soviel in Europa herumspuckte, ist hauptsächlich aus Kollars „Slavy Dcera“ und aus seiner Schrift über die Wechselseitigkeit entstanden. In der sla- ‘) Grundlinien der Philosophie des Hechtes. G. W. Fr. Hegels Werke, VIII. Band, S. 11. vischen Hölle kämpft allerdings mit den Windmühlen des Panslavismus in erster Linie der britisch-schottische Magyaro-phile Paget, der eine Ungarin geheiratet hatte, ihm zur Seite steht „die verkörperte Bosheit“ Miss Pardoe, aber beiden folgt auf mageren Eselinnen ein ganzes Regiment von Sancho Pansas, an deren Spitze einer aus Augsburg zu sein schien1). Damit ist natürlich die deutsche Journalistik mit der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ gemeint. Kollar hatte sich in der That auf seinen Reisen in den Jahren 1841 und 1844 überall, wo er mit Deutschen zusammentraf, gegen den Vorwurf der Deutschenfeindlichkeit und des Panslavismus zu vertheidigen2). In diesen Reiseberichten finden wir überhaupt sehr charakteristische Geständnisse. In allen Ländern, in denen er aus den Namen und aus anderen Anzeichen auf germanisierte (z. B. auch in Tirol, Baiern, Schweiz) und romanisierte slavische Urbewohner schloss, empfindet er dieselben Schmerzen3), wie wir sie aus seinen Wanderungen im Norden Deutschlands kennen, und wünscht sich eine Geschichte der Entnationalisierung der Slaven in Europa, vor allem aber eine Geschichte ihrer Germanisierung. Dabei müsste aber der moralische Wert dieser in der Weltgeschichte einzig dastehenden That „mit unparteiischer Feder und Herder’-scher Humanität“ zur Anschauung gebracht werden. Natürlich sollten vor allem die stillen, häuslichen Tugenden der Slaven im Gegensatz zu dem kriegerischen Wesen und dem modernen Nationalstolz der Deutschen, der sich des Sieges der deutschen Energie und Kraft, des edleren deutschen Geistes rühmte, gehörig zur Geltung kommen4). Seine Polemik richtet sich also nicht bloli gegen das Unrecht, das die alten Deutschen an den Slaven verübt hatten, sondern auch gegen die zeitgenössische Slavenfeindlichkeit und den deut- >) „Sh'ivy Dcera“, V, 111 (aus dem Jahre 1845). Vgl. Spisy, 1H, 296, 298. s) Vgl. Spisy, III, 181, 267, 274, 282 (bei Schmeller gegen seine liebenswürdige Tochter Emma), 297—300, IV, 13. ») Vgl. Spisy, IH, 261, 279. - 4) Spisy, III, 257—258. selion Hoohmuth, wie er sieh in der Presse oder vor allem in Kohmers Buch „Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft“ äutierte, wo Deutschland als das Centrum der Menschheit und Cultur und als der berufene constitutioneile Herrscher über Europa hingestellt wurde '). Gegen die den Slaven drohenden Gefahren sei daher die Wechselseitigkeit unter ihnen das einzige Mittel2). Doch auch da vergisst Kollar nicht der höheren Ziele. In Innsbruck schreibt er in ein Exemplar seines Werkes über die Wechselseitigkeit, in dem er seine Panacee verdächtigende Verse irgend eines österreichischen Dichtei’s —nigg8) fand, folgende Antwort (in böhmischenVersen): „Sie rührt die Throne und Scepter nicht an, verwandelt Europa nicht in Kussland: sie windet nur einen Kranz aus den Perlen der Wissenschaft und Künste der Mutter Slavia, damit ihre Nation, welche die Hälfte der Welt bewohnt, zu Ehren der Menschheit ein neues Leben beginne.“ Am interessantesten gestalteten sich jedoch seine Auseinandersetzungen mit Eduard Wie de mann, dem Herausgeber der Zeitschrift „Ausland“. Er kam (1841) zu diesem mit einer Empfehlung Gustav Kolbs, des Kedacteurs der „Allgemeinen Zeitung“ in Augsburg, bei dem er sich noch zurückgehalten hatte, um nicht die Gastfreundschaft zu verletzen. Wiedemann4) forderte ihn jedoch dazu direct heraus, da er die Empfehlungskarte flüchtig las und nach einigen Auseinandersetzungen über die slavische Literatur, speciell über die russische und böhmische, gegen „eines gewissen Kollar“ Schrift über die Wechselseitigkeit, gegen die er schon einen Aufsatz in die „Vierteljahrschrift“ geschrieben hatte6), hef- ‘) Spisy, III, 2G0. — J) Jbid. 200, 315. — •’) Levitschnigg? 4) Spisy, III, 297—300. Wiedemann überraschte ihn durch sein Aussehen. Er trug den Bart wie ein Pole, eine russische Mütze und Sporen wie ein Ungar. Er verstand gut russisch, polnisch ein wenig. Kollars Schrift las er in russischer Übersetzung im „Syn oteöestva“. s) Darunter ist wohl „Vierteljahrschrift aus und für Ungarn“, 1843, I, 1, 122—130 zu verstehen, wo der Aufsatz anonym mit zwei redactionellen Bemerkungen von P. (Pulszky) erschienen ist. Die Anregung dazu scheint doch Pulszky gegeben zu haben, der ihn zuvor tig zu polemisieren begann, denn von der literarischen Wechselseitigkeit sei doch nur ein Schritt zur politischen Einheit. Kollar bedauerte sehr, solche Anschauungen von einem so aufgeklärten Schriftsteller hören zu müssen und fuhr also fort: „Unsere deutschen Brüder und Nachbarn haben uns doch immer gezürnt und an der bisherigen literarischen Unthätigkeit der Slaven, die sie ihnen tausendmal vorwarfen, Ärgernis genommen, weil sie zur allgemeinen Cultur Europas und der Menschheit nichts beigetragen hätten: und jetzt, da die Slaven erst aus dem Schlaf zu erwachen beginnen, schreien gegen sie wieder die Deutschen, die aus Furcht vor ihrer geistigen Thätigkeit ihre unschuldigsten Thaten anschwärzen, überall politische Rücksichten und Verschwörungen wittern und sie damit vor ganz Europa zu verdächtigen suchen. Die literarische Wechselseitigkeit der Slaven und Gefahr für Europa: wo ist da der Zusammenhang! Am meisten verdächtig sind diejenigen, welche andere verdächtigen ... Wer von den Slaven schrieb oder sprach gegen euere Burschenschaften, Turner, Walhalla, Zollvereine, Kölner Dombauvereine oder gegen eueren Deutschen Bund, Junges Deutschland, Linke Rheinuferfrage, Hermanns-Denkmal und gegen andere, die Vereinigung Deutschlands zum Ziel habende Erscheinungen? Es ist wahr, ich bekenne es aufrichtig, dass wir uns ebenso wie ihr auf der Fahrt nach Kolchis befinden, um uns das goldene Vliefi der nationalen Wechselseitigkeit und Einheit zu holen, aber ihr seid schon weiter als wir; es ist wahr, dass wir nicht für die Ewigkeit zur literarischen und künstlerischen Kleinkrämerei verurtheilt sein wollen, dass die jetzige junge slawische Welt eine universale, geistige und moralische, künstlerische und bürgerliche Entwicklung besucht und über die Gefahren des Slavismus und Panslavismus viel gefaselt hatte (Spisy, III, 299), aber der genannte Aufsatz stammt wohl nicht von ihm her, wie man annimmt (auch ich that es im Sbornik, 204), weil eine Bemerkung der „Vierteljahrschrift“ (II, 2, 59) dafür spricht. Kollar anticipiert allerdings das Erscheinen des Aufsatzes, denn er konnte ihn erst dann kennen, als er seinen „Cesto-pis“ schrieb. ihrer Nation verlangt, sucht und fördert; es ist wahr, dass sie sich nicht nur anzunähern, sondern auch zu vereinigen sucht: jedoch ohne demagogische Umtriebe, ohne Stürme, Kämpfe und Umstürze, sondern nur auf dem Wege der Cultur und G-erechtigkeit. Ist das eine Sünde? Auch die Völker haben nicht bloß Pflichten, sondern auch Rechte, und zwar je größer jene, desto größer sind auch diese. Und warum tretet ihr mit so pharaonischen, vom Standpunkt der Möglichkeit und Furcht gemessenen Gründen gegen uns auf? Bei der geistigen und literarischen Thätigkeit ist es unbillig, die Folgen zu erwägen, weil diese im Fortschritt der Zeit nur gute sein können; denn sie führt zum Licht und das Licht zur Erkenntnis der Wahrheit. Herrscht ja doch auch bei den Deutschen schon seit Luthers Zeiten eine solche Wechselseitigkeit der Dialecte und Einheit in der Literatur. Die Herren Grimm verstehen und studieren alle deutschen Dialecte1), und wie viele Schriften haben die Deutschen aus dem schwedischen, dänischen, holländischen Dialect übersetzt und umgekehrt? Was also ihnen erlaubt ist, warum sollte es auch uns nicht sein?“ Kollar identificiert also auch hier germanisch und deutsch und vergleicht incommensurable Größen, denn im Grunde genommen handelt es sich ihm doch nur um eine Nachahmung der deutschen Einheitsbestrebungen, die er jedoch auf alle Slaven übertragen möchte. Er zieht im Folgoiidemnoch die pangermanischen, richtiger alldeutschen Reden des Königs von Preußen bei der Grundsteinlegung zum Ausbau des Kölner Domes und des Königs von Bayern bei der Eröffnung der Walhalla als Beispiele heran und fragt, was die englischen, deutschen und ungarischen Journalisten sagen würden, wenn ein Slave ähnliche Reden hielte, in denen „deutsch“ mit „slavisch“ ersetzt würde. Ebenso zog Kollsir zu weitgehende Consequenzen aus der ihn besonders ärgenden Thatsache, dass die Deutschen hervorragende Slaven wie Copernicus undDiebitsch Zabalkanskij ') D. h. alle germanischen Sprachen. in ihre Walhalla aufnahmen1), denn er möchte ebenso alle Deutschen mit slavisclien Namen wie Luthers Gemahlin (von Bora), den Verfasser des „Sachsenspiegels“ Repkow, Leibnitz u. s. w. für die Slaven reclamieren2). Auf seiner zweiten Reise (1844) erlebte Kollar eine andere Überraschung. Er fand nämlich in Zürich seinen Lehrer Oken wieder, mit dem er viel über „Sprache und Nationalität, namentlich über Panslavismus und Russismus“ sprach und von dem er folgende Worte zu hören bekam: „Amerika und Slavien sind zwei Länder eines tiefen Grabes, in dem die übrigen gealterten Nationen früher oder später unzweifelhaft begraben werden müssen. Deshalb kämpfet auch weiter mannhaft für euere Nation und Sprache und kümmert euch nicht um das Geschwätz der sklavischen ,Augsburger Zeitung1. Ich bin ein Deutscher mit Leib und Seele, schäme mich aber dessen, wenn ich in der Weltgeschichte von dem rücksichtslosen Vorgehen der Germanen gegen die Wenden lese“ s). Die Wechselseitigkeit trug trotz der ihr anhaftenden Mängel auch reichliche Früchte, obwohl Kollar4) selbst mit ihrem Fortgang gar nicht zufrieden war und Safafik6) die Schrift über die Wechselseitigkeit geradezu eine Satyre auf die wirklichen Zustände nannte. Nur sie ermöglichte den großen Fortschritt der slavistischen Studien auf allen Gebieten und kam auch den schönen slavischen Literaturen, namentlich den kleineren, sehr zugute. Das Evangelium der brüderlichen Eintracht und die Verhältnisse selbst führten auch zur Ausbildung eines starken Solidaritätsgefühls unter den ‘) In der „Sliivy Dcora“ ärgert er siel) auch über Pölitz, der selbst Hus zu den Deutschen zählte, denn er schrieb in seiner Geschichte: „Freue dich, deutscher Jüngling, dass die großen Namen Hus . . . unserem Volke angehören.“ Vyklad, 270. 2) Spisy, III, 301. Vgl. auch die Beilage zu Käzne a reči, II. ») Spisy, IV, 13. 4) Vgl. Č0M., 1893, 184, 189—190. Er bleibt sich consequent, wenn er das Haupthindernis doch darin findet, dass die Slaven einen schlechten oder gar keinen Buchhandel haben. s) IlHCLJta K'Jj liogHHCKOMy, 90. österreichischen Slaven, zum sogenannten Austroslavismus, der nach außen im Prager Slavencongress (1848) zuerst zum Ausdruck kam. Die religiösen Consequenzen im Sinne einer Vereinigung aller Slaven in der orthodoxen Kirche und die politischen im Sinne des Panrussismus wurden erst von den Moskauer Slavophilen gezogen, welche als Hegelianer die Lehren Kollars weiter ausbildeten. Mehr treu blieben dem Geiste Kollars und Safariks die Kleinrussen, welche von der Wiederherstellung ihrer Ukraina innerhalb einer slavischen Föderation träumten. Die von Kostomarov gegründete Kiewer Cyrill- und Method-Gesellschaft, welcher nebst anderen Männern auch der Dichter Taras Ševčenko sein Martyrium verdankte, rief einen Erlass (vom 27. Mai 1847) des Ministers Uvarov an den Curator des Moskauer Lehrbezirkes, den Grafen Stroganov, hervor, in welchem das nationale russische Programm einem „nur in der Phantasie bestehenden Slaventhum“, als dessen Heimat ausdrücklich Böhmen bezeichnet wird, entgegengestellt wurde1). Die Ideen der „Slävy Dcera“ und der Schrift über die literarische Wechselseitigkeit finden wir auch in Kollars Predigten. Es ist ein Verdienst Masaryks2), dieselben in den Kreis der Untersuchungen über Kollar gezogen zu haben, denn ohne sie ist das Bild seines Fühlens, Denkens und Trachtens in der That nicht vollständig. Die zwei stattlichen Bände8), aus denen wir Kollar als Priester kennen lernen, bilden das dritte Werk, das auf seine Zeit einen großen und glücklichen Einfluss übte. Šafafik1) spricht beim Erscheinen des zweiten Bandes einfach von Kollars „Predigten über die Nationalität“6) und berichtet, dass sie außerordentlich gefielen0). i) PyccKÜi Apxius’i., 1892, Nr. 7. s) Naše Doba, r. I (1894), seS. 7-12. N&delnl, svateßne i pnležitostnč Kazne a fteöi od Jana Kollära. V Pešti 1831. gr. 8, G35 S. Dü druhy. V Budine 1844. 83G + 4L S. 4) ÜHCBMa IlhuJmpjiKa kt> llojaiiCKOMy, 54. ■r') Das betonte auch schon der Zusatz auf dem Titelblatto des zweiten Bandes: „k napomožem pobožnč n dr o dn osti.“ n) Kolldr schmerzte es jedoch, dass die „Matice öeskd“ ihm als Protestanten dafür keinen Preis ertheilen konnte. Er erblickte Mehr als irgendwo war auch auf diesem Gebiete Kollars Muster Herder. Pis ist kein Zufall, dass die Definition eines guten Predigers in der zweiten Ausgabe der slavischen Volkslieder1) unmittelbar auf das Lob des Herausgebers der „Stimmen der Völker“ folgt. Ein Priester müsse für sein Volk leben, es bilden und erziehen, die Seele und Stütze seiner Nationalität, ein Förderer seiner Sprache und seiner Nationalliteratur sein. Ein Prediger, der diesen Namen wahrhaft verdienen will, müsse „aus dem Na ti o nalgei s t, im Nationalgeist, zum Nationalgeist“ sprechen. Das Predigen bestehe nicht im Declamieren allgemeiner Wahrheiten auf allgemeine Weise, sondern müsse sich den Eigenschaften und Bedürfnissen des Volkes anbequemen. Wie für Safafik die Nationalität nur ein Gefäfi für die höheren geistigen und moralischen Güter war, so sieht auch Kollar im Stand, in der Sprache und Nation nur die Formen, in welchen die Menschheit enthalten sei. Deshalb sei es die Aufgabe eines jeden Priesters, der kein Taglöhner sein will, das Volk in seinen unteren Schichten (Kollar gebraucht ausdrücklich das Wort „lid“) gut kennen zu lernen. Auch in diesem Sinne sind ihm die Volkslieder, Sagen, Sprichwörter, Spiele, Gebräuche und überhaupt alles, was aus dem Volke stammt, die wichtigsten Hilfsmittel und die sicherste Grundlage für eine universelle Nationalen 11 u r. Zur Bestätigung solcher Grundsätze fand Kollar in Buda-Pest sofort beim Antritt seines Amtes reichliche Gelegenheit. Die evangelische Gemeinde war eine gemischte, deutsch-slavische, und ihre 1000 Slovaken standen nicht bloü auf einer sehr niedrigen Culturstufe,' sondern waren auch ungemein zurückgesetzt. Eine Vorstellung von ihren Zuständen gibt wohl die Thatsache, dass von fünfzehn darin einen Beweis, dass ein Volk, welches die Confession als Maßstab der Schriftstellerei nimmt, nicht wert sei, „Nationalität und Literatur“ zu besitzen. ÖÖM., 1893, 189. ’) Närodnie Zpievanky, II, 492—498. Knaben, die Kollar zuerst zur Confirmation vorzubereiten hatte, nur einer in seiner Muttersprache lesen konnte1). Um diesem Übelstande abzuhelfen, gelang es ihm schon 1820/21 eine eigene Volksschule für die Slovaken zu gründen, welcher er immer eine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Nach vielen und schweren Kämpfen wurde er specieller Prediger für die Slovaken (1824) und setzte zuletzt auch die Gründung einer besonderen slovakischen Gemeinde durch (1833). In seinen Predigten suchte Kollar das Allgemeine und Besondere zu vereinigen, aber er gab die allgemeinen nicht heraus, sondern nur die besonderen, die auf den Geist der Zeit und die Bedürfnisse des Volkes Rücksicht nahmen, denn er wollte nur eine fühlbare Lücke in der homiletischen Literatur ausfüllen2). Es ist daher nicht bloß seinem Lehrer Gabler und dem Rationalismus überhaupt zuzuschreiben, dass in seinen Predigten das Oentrum der christlichen Theologie, Glaubens- und Sittenlehre, Christus und der Glaube an ihn als den Sohn Gottes und den Erlöser der Menschheit, keine selbstängige Stelle findet und die speciellen evangelischen Dogmen nicht prägnant zum Ausdruck kommen3). Kollar selbst hatte ein Gefühl für den theil-weise unkirchlichen Charakter der vorliegenden Predigten, aber ihm galt eine Religion ohne Liebe und Förderung der theuersten Angelegenheiten der Menschheit als Frömmelei, eine Kirchenberedsamkeit, welche die Wahrheit scheute, als Heuchelei4). Auch hatte er die Beobachtung gemacht, dass seine meist armen, ungebildeten Slovaken, die keine Liebe zu ihrer Muttersprache kannten und von Nation und Nationalität keine Vorstellung hatten, diese beiden Seiten ungemein anzogen“). Religiosität und Nationalität waren ihm zwei Schwestern, die den gleichen Ursprung haben, sich gegenseitig unterstützen, viele schöne Tugenden zeugen und dasselbe Ziel, die moralische Voll- ') P. Blalio im KollAr-Sbornik, 30. 2) Kiiznü a feči, I, S. V; II, S. III—IV. s) J. Janoška, Kollar-Sbornik, 177. * 4) Kaznö a teči, I, S. V. — 6) Ibid. II. S. V. kommenheit dos Menschen, verfolgen1). Wer sich seinem Volke entfremdet und seine Sprache nicht liebt, liebe weder Gott, der sie ihm gegeben, noch Vater und Mutter, noch seine Vorfahren und Nachkommen, da er ihr treuestes Kleinod und Erbe nicht achte2). Besonders charakteristisch ist eine Predigt, in welcher er Jesus als Liebhaber seines Volkes hinstellt3). Er beweist das mit den Zeugnissen der heiligen Schrift und mit den eigenen Aussprüchen Christi und zeigt, wie der Heiland seine nationale jüdische Sprache liebte, die nationalen Sitten und Gebräuche beobachtete, die Verirrungen gegen das Volksthum seiner Nation gut machte, den Namen seiner Nation ehrte, sich seiner nicht schämte und ihn verherrlichte, diejenigen Fremden, die sein Volk liebten, besonders achtete, liebte und ihnen Gutes that, und wie er Mitleid und große Trauer über das Unglück und den schließlichen Fall seines Volkes empfand. Von den Aposteln erfreut sich seiner besonderen Vorliebe der heilige Paulus4) nicht bloß deshalb, weil er das Licht des Evangeliums zu den angeblich slavischen Illyriern gebracht hatte, sondern es wird ihm auch nachgerühmt, wie er sich offen zu seiner jüdischen Abstammung bekannte und erklärte, er wollte vor der Gemeinde und in der Kirche lieber fünf Worte verständlich sprechen als zehntausend Worte in einer fremden Sprache. Auch seine Mahnung: verbietet nicht Sprachen zu sprechen, wird als beherzigenswertes Beispiel angeführt. Natürlich versteht Kollar auch in seinen Predigten unter Patriotismus die Liebe zu den Volksgenossen und unterscheidet diese ausdrücklich von der Liebe zum Vaterlande6). Letztere ist ihm natürlich auch nicht fremd, aber sie soll nicht blind, sinnlos und aberwitzig sein. Zu ihren Haupterfordernissen gehört die Toleranz gegenüber den Völkern, Sprachen, Religionen und Parteien eines Landes0). Als ein glänzendes Muster eines solchen wahren Patrioten nennt er öfters den heil. Stephan, den ersten König von ‘) K&znö a feči, II, 15—84, 264. — 2) I, 188. — s) II, 1G7—183. — ‘) Ibid. 419-431. - 4) Ibid. 156-157. - “) Ibid. 162. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse otc. ‘258 Ungarn, den er von diesem Gesichtspunkte auch eine besondere Predigt widmetel). Namentlich beruft er sich auf das Vermächtnis desselben an seinen Sohn, dem er ans Herz legte, alle seine Unterthanen ohne Unterschied der Sprache und Nation in gleicher Weise zu lieben, denn ein Reich mit nur einer Sprache und Nation sei gebrechlich und schwach. Die Liebe zur eigenen Nation und Sprache predigt Kollar mit den bereits bekannten Mitteln. Er schildert öfters die Größe der slavischen Nation, worunter er immer alle Slaven versteht, so dass auch hier sein poetisches Vaterland „Slavia, Vseslavia“2) nicht fehlt; doch unterdrückt er auch hier nicht das Herder’sche Bedauern, dass die Slaven einen größeren Raum auf der Erde als in der Geschichte einnehmend). Ebenso bleiben ihm die Zerrissenheit der Slaven, ihre Stammes- und provinciellen Unterschiede und namentlich die religiösen Spaltungen kein Geheimnis, aber er weiß selbst an diesen Ubelständen etwas Gutes zu entdecken oder Trost für sie zu finden4). Dass er neben der großen Ausbreitung der slavischen Sprache auch ihre Schönheit preist, braucht nicht weiter betont zu werden, wohl aber verdient die Thatsache Erwähnung, dass er sich auch dafür auf das Zeugnis Schlözers, Herders u. a. beruft6). Die guten Eigenschaften der Slaven in alter und neuer Zeit feiert er nicht bloß in den zwei bereits bekannten Predigten, sondern auch sonst öfters, wobei er immer wieder Bruchstücke der berühmten Herdcr’schen Charakteristik der Slaven citiert, ebenfalls ohne ihn direct zu nennen"). Der Gastfreundschaft und der Liebe zum Landbau widmet er sogar besondere Predigten. Die Friedfertigkeit des „Taubenvolkes“7) wird auch hier gerühmt und nicht minder über >) Kazni; a reči, II, 480-498. — ») Ibid. G20. — ») Ibid. 623, 628. -') Ygl. namentlich S. 242-259. — 6) Ibid. 287. ") So heißt er einmal (II, 464) „ein fremder, aufgeklärter Beobachter, ein unparteiischer Richter, Priester der Humanität und Prediger des Evangeliums“, ein anderesmal (II, 684) bekommen wir aber bloß „das Urtheil der gerechteren Deutschen selbst“ zu hören. ’) Ibid. 689. das viele Unrecht, das die Slaven von den alten Deutschen und von den Germanen überhaupt zu leiden hatten, geklagt. Hier beruft sich Kollar ausdrücklich auf Herders Urtheil über den Missbrauch des Christenthums als Staatsmaschine’) und schildert als das Muster eines slavischen Apostels den heiligen Adalbert2). Im innigsten Zusammenhang damit steht das Lob des großen Verdienstes der Reformation, dass sie die Muttersprache in den Gottesdienst einführte8). Damit allein that sie mehr zu ihrer Verbreitung und zur Ausbildung des Christenthums als alle übrigen Schriftsteller mit ihren gelehrtesten Werken in fremden Sprachen, mehr als alle Kaiser und Fürsten mit allen ihren Heeren und langjährigen Kriegen. Die Gedenktage der Reformation geben ihm aber auch Gelegenheit, die Verdienste der Männer zu würdigen, welche den slavischen Kirchengesang ausbildeten4). Doch er geht auch zurück und schildert Hus als den Vorläufer Luthers und rühmt den großen Antheil, den die Slaven und speciell die Böhmen an der Herbeiführung der Reformation und namentlich an ihrer Verbreitung in Ungarn hatten6). Dabei kommen natürlich die Böhmischen Brüder besonders zur Geltung, deren Lob von Luther und Melanch-ton“) augefangen bis auf Herder, Fries7), die „Allg. Kirchon-zeitung“ u. s. w. er zusammenträgt. Eine der schönsten Predigten konnte er begreiflicherweise Komenskys Verdiensten für die Schule und Erziehung, für Kirche und Religion, für Sprache und Nationalität widmen8), wobei natürlich auch das Urtheil „eines Apostels der Humanität“ (Herder)9) nicht fehlen durfte. Ungemein charakteristisch für Kollar und namentlich für sein Verhältnis zu den Deutschen ist eine Predigt, die er nach seiner Brautfahrt (1835) hielt'0). In diesem „frommen Rückblick auf das Land, welches die Mutter unseres evangelischen Glaubens ist“, schildert er, was er in den sächsischen Ländern und in Weimar, die er Griechenland und •) Kazne a feči, II, 509, 777. - a) Ibid. 499 — 510. — ») Ibid. 712-726. — Ibid. 727-738. — 5) Ibid. 629-699. - «) Ibid. 656 - 657. — 7) Ibid. 690. - «) Ibid. 755-771. - °) Ibid. 769. -- ■«) Ibid. 581-590. 17* Athen gleichstellt, gefunden hatte: eine hohe und ausgebreitete Bildung und Cultur, Toleranz und Gerechtigkeit miter den einzelnen christlichen Parteien, Wahrung der Menschenrechte und Aufhebung der „Sklaverei“ (eigentlich der Hörigkeit), eine blühende Industrie, für welche er bei aller Rücksichtnahme auf die Katholiken besondere Verdienste dem Protestantismus zuschreibt, und „traurige Ruinen und entstellte Reste unserer Nation“. Obgleich Jahrhunderte seit der gewaltsamen Christianisierung dieser Gegenden verschwunden sind, so konnten doch die nationalen Merkmale und Eigenschaften seiner „slavischen Brüder“ nicht vernichtet werden. Ihre Sprache ist zwar verschwunden, aber ihr Antlitz, ihre Gestalt, Kleidung und Sitte seien speciell in den Lausitzen, in Altenburg und im Bambergischen so unverändert geblieben, dass er oft in die Versuchung kam, die Leute, die ihm begegneten, in seiner Muttersprache zu grüßen und anzusprechen. Solche entnationalisierte Menschen gehören eigentlich keinem Volke an. Ein gewisses Misstrauen und Trotz sitzen auf ihrer Stirn, ein gewisses geheimes Leid und Schmerz über das verlorene natürliche Erbe trüben ihr Auge: allen Unterdrückern und Verbildnern fremder Völker können sie als ein warnendes Beispiel dienen. Aus allem Gesehenen folgerte Kollar, dass seine Volksgenossen dem Mutterlande ihres Glaubens zu Dank verpflichtet sind und das Gute, das dort vorhanden ist, nachahmen müssen. Wie Christen anderer Confessionen zu heiligen Stätten, Wunderorten und Heilquellen pilgern, so sollen junge Slovaken und künftige Kirchenlehrer zu jenen heiligen Stätten, zu den dortigen Hochschulen als den Quellen des evangelischen Glaubens wandern. Den Slaven und anderen Völkern sollten aber die germanisierten Gebiete auch als warnendes Beispiel dienen, wozu jede Entnationalisierung führen könne. Man sieht, dass die deutschen Culturstätten auf Kollar auch in seinen reifen Mannesjahren einen mächtigen Eindruck machten, und dass sogar in einer Predigt die Klänge ‘261 des Jenaer Liberalismus aus seiner Studentenzeit noch stark nachklangen. Die alten Jenaer Eindrücke finden wir aber auch darin wieder, das er nicht müde wird, den Slaven die Liebe zu ihrer Sprache und die Hochhaltung ihres Volksthums zu predigen, eine „National-Erziehung“ zu verlangen1), seine Stammesgenossen zur gleichen Achtung aller Stände aufzufordern, die slavischen Völker zur Eintracht zu mahnen und sogar das Programm der Wechselseitigkeit vorzutragen2). Auf seinen Hauptlehrer Herder geht aber Kollar auch hier zurück, indem er so häufig die Humanität betont und in ihrem Sinne vor allem die Toleranz zwischen den einzelnen christlichen Confessionen und namentlich innerhalb der slavischen Völkerfamilie fordert. Der Umstand, dass der größere Theil seiner engsten Volksgenossen der katholischen lioligion angehört, brachte es schon mit sich, dass er häufig die Noth-wendigkeit der Eintracht zwischen Katholiken und Evangelischen betonte. Er verdammte aber auch zu wiederholten-malen jede Feindschaft gegen andere Völker und nahm die Evangeliumsstelle vom barmherzigen Samaritaner zum Ausgangspunkt einer besonderen Predigt gegen den Nationalhass 3). Es ist begreiflich, dass der Angehörige eines goring-geachteten und gedrückten Volkes gegen nationalen Hoch-muth und Unverstand besonders eiferte und auch bezüglich der Kirche hervorhebt, dass die heilige Schrift nicht Einsprachigkeit, sondern Einmüthigkeit4) verlangt. Wie ernst es ihm aber darum zu thun war, dass die Slaven anderen Völkern nicht das thun, was sie selbst nicht erfahren wollen, beweist die damals wirklich noch nicht zeitgemäße Mahnung: „Unterdrücken und verachten wir nicht die fremdnationalen Sträucher und Reisige, die unter der zum Himmel ragenden Linde unserer Nation wachsen“0). In einen Gegensatz gegen diese Anschauungen brachte er aber sich selbst durch seine Herder’schen Klagen über die Germanisierung der Slaven im Norden Deutschlands, die ein unveräußerliches Eigenthum der slavischen Nation seien und bleiben“). Den <) Käzne a feüi, II, 279, 743. — 2) I, B08. — ») II, 524-638. -*) I, 545. - ') II, 626. - •') II, 619. Einwand, dass sie Deutsche sind und nicht einmal eine slavische Sprache verstehen, widerlegt er mit dem Hinweis, dass eine Mutter auf die ihr entrissenen Kinder immer ihr Recht behalte1). Aus dem Ganzen ist ersichtlich, dass Kollar in seinen Predigten nicht bloß mit Herder’schen Ideen und Citaten arbeitete, sondern sich überhaupt seinen Liebling zum Muster nahm. Wie Herder verlangte auch er eine den Bedürfnissen und dem Verständnis des Volkes angemessene Predigt, die zum Herzen gehen und daher nicht dogmatisch und gelehrt sein soll2). Auch Kollar nahm sich ausdrücklich vor, hauptsächlich aus der Bibel zu schöpfen8), und war der Metaphysik abgeneigt. Auch die Vervollkommnung und Erziehung des Menschengeschlechtes finden wir in den Predigten ebenfalls wieder, denn Kollar sagt*): „Gott verfolgt mit der Menschheit auf Erden das Ziel, sie hier zu erziehen und auf die Ewigkeit vorzubereiten: die Menschheit besteht aber aus Völkern, und Gott erzieht sie daher durch die Völker und ihre Schicksale.“ Es verdient hervorgehoben zu werden, dass Kollar auch durch seine Predigten nicht bloß auf sein Volk, sondern auch auf die anderen Slaven wirkte; denn einzelne wurden ins Serbische (vom Neusatzer Professor P. Theo-dorović), ins Polnische (vom Grafen J. Rosciszewski) und ins Russische (von Bodjanskij) übersetzt. Einigen wiederfuhr auch die Ehre einer Übersetzung ins Ungarische und Deutsche'‘X Manche Px-edigten in deutscher Sprache ließ Kollar selbst drucken0). Ein schönes Beispiel der Erfüllung seiner Berufspflichten gab er während der Cholera-Epidemie (1831), als er seinen ängstlichen deutschen Collegen ohne jedes Bedenken vertrat7). Kollar legte, wie wir bereits wissen, schon in Jena großes Interesse für das slavische Alterthums Studium an den Tag und widmete sich ihm dann in seinen freien ') KäznS a reči, II, 083. — 2) Vgl. R. Haym, Herder, II, 340 ff. — ») Kazne a reči, II, 495; vgl. 707-708. — *) Ibid. 408. — E) Ibid.V-VI. — «) Sboriük, 279 - ’) Spisy, III, 277. 2G3 Stunden ausschließlich, nachdem ihn seine Trösterin, die Poesie, frühzeitig verlassen hatte. Die wissenschaftliche Thätigkeit Kollars fand schon bei seinen slavi-schen Zeitgenossen wenig Anklang, und heute gedenkt man ihrer nur ungern. Ihrem Wesen nach war sie jedoch nicht so außergewöhnlich, wie es uns heute dünkt; curios war nur das Festhalten an den mythologischen Tollheiten von Creutzer, Görres und Kanne noch zu Anfang der Fünfzigerjahre. Es ist jedoch durchaus nicht nothwendig, den Mantel christlicher Nächstenliebe über die gelehrten Phantastereien des Dichters auszubreiten und sie fast zu verschweigen, wie man das thut; vielmehr müssen wir auch diese von unserem Standpunkt total verfehlte Thätigkeit aus seinem Charakter, noch mehr aber im Zusammenhang mit ähnlichen Erscheinungen beurtheilen und auch da seinen Lehrern nachgehen. Kollar hat uns vor allem selbst Geständnisse hinterlassen, welche zeigen, dass er für einen Mann der Wissenschaft nicht geschaffen war. Obgleich er naturwissenschaftliche Vorlesungen hörte und wegen seiner Blumenliebhaberei speciell die Botanik eifrig betrieb, war er doch über „die gelehrte und wissenschaftliche Leidenschaft“ nicht wenig erstaunt, als er im Frühjahr 1818 Professor Vogt und einige seiner Hörer beim Suchen von Insecten, Würmern und liep-tilien antraf1). Was seinen ästhetischen Neigungen nicht entsprach oder nicht im Sinne der Oken’schen Abstractionen und Generalisationen war, hatte für ihn kein Interesse. Deshalb hat er auch auf seiner Rückreise aus Jena die ganz oder halb germanisierten Länder mehr durchflogen als bereist, da er unfähig war „zu lernen und die Dinge streng zu untersuchen, ja sogar freundschaftlich zu conversieren und länger auf einem Orte zu verweilen“2). Es ist daher begreiflich, dass für eine solche dichterische Natur die Lehren der Naturphilosophie besonders verhängnisvoll werden mussten. Die Speculationen der deutschen Philosophie gefielen ihm zwar nicht, aber nur deshalb, weil ein System <) Vgl. Pameti, 267-268, 277. — a) Ibid. 280. das andere vom Throne stürzte *). Er wollte also auch hier nicht tiefer in das Wesen der philosophischen Lehren ein-dringen, machte aber als Eklektiker den reichlichsten Gebrauch von der Speculation, wo sie am allerwenigsten am Platze war, nämlich auf dem Gebiete der Etymologie und Mythologie. In seiner Abhandlung über die Namen der Slaven und der einzelnen Stämme2) spielen für ihn eine wichtige Rolle die ästhetischen Anforderungen, die unter anderen auch Goethe3) an die Namen stellte. Doch wichtiger ist die Ablehnung der Etymologien Adelungs und Grimms, denn jede Sprache müsse aus ihrem eigenen Geist erklärt werden und die etymologischen Regeln der deutschen Sprache seien für die slavische nicht maßgebend 4). Kollar geht auch hier auf — Herders und Süümilchs Gedanken über den Ursprung der SpracheB) zurück und stellt eine „höhere philosophische Etymologie“ höher als die „grammatische“. Um den Namen der Slaven von „släva“ (Ruhm) und gar von einer Göttin Slava abzuleiten, trägt er alle möglichen Zeugnisse aus alten Chroniken und Geschichtschreibern zusammen, wobei er meist über Werke der Siebziger- und Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts nicht hinausgeht0). Auf gleicher Stufe mit ihnen standen auch die etwas jüngeren slavischen Arbeiten, wenn sie schon nicht im Banne der naturphilosophischen Symboliken standen. Das gilt von den Etymologien des jungen Safafik, der ihn selbst umsonst vor ihnen gewarnt hatte; denn Kollar beruft sich auf ihn bei der Etymologie des Namens Serbe, welchen auch er mit Hilfe des ^ Arabischen, Persischen und Türkischen erklärt7). Noch charakteristischer ist für Kollar sein Werk über „die Göttin Släva“8). Da auch Safafik ebensowenig wie ‘) Spisy, III, 50. a) R o z p r a v y o j m o n ä c h, počdtkach i starožitnostech närodu slavskeho a jeho kmenü. V Budine. 1830. “) Ibid. 4. Auch Jean Paul Richters „Vorschule der Ästhetik“ wird citiert (S 48). — 4) Ibid. 15—16. — 6) Ibid. 20. — 8) Vgl. namentlich S. 45, — ’) Ibid. 184. — 8) Släva bohyne a püvod jmona Sla-vüv čili Slavjanüv. V Pesti 1839. 26B Palacky an Kollars Lieblingsidee, dass der Name der Slaven von einer solchen Göttin abzuleiten sei, glauben wollte1), so schrieb Kollar über sie ein ganzes Buch, in dem überdies die Identificierung alles Indischen mit dem Slavischen den Höhepunkt erreichte. In Form von Briefen an Šafafik bekämpft er dessen Abschnitt über den Namen der Slaven in den „Alterthümern“ vom Standpunkt seiner eigenartigen Etymologie, Grammatik und Geschichte. Wichtiger ist ihm jedoch ein neuer Gesichtspunkt, der der Mythologie und Nationalpoesie. Der Mythologie der abend- und morgenländischen Völker haben nämlich, wie er selbst betont, Herder, Heine, 0 r e u t z e r, Böttiger, W a g n e r, Görres, Legis, Oolebrooke, Wilson2), bei den Slaven Cho-dakowski, Lelewel und Golijbiowski eine ganz neue Richtung gegeben. In der That wirkte Herder auch hier bahnbrechend8), und an ihn knüpften die romantischen Symbol i k e r an, von denen uns Kollär Kanne, Görres und Wagner noch einmal zusammen nennt4). Und wie es Kollar liebt, seine späteren Anschauungen schon in seine Jugend zu verlegen, so behauptet er auch hier, er habe bereits als Kind beim Hören und Lesen des Namens der Slaven, „namentlich in der lateinischen und deutschen Sprache (Slavus, Slavi, die Slawen) eine unaussprechbare Ahnung gefühlt, dass darin etwas Geheimnisvolles, Göttliches stecke und verborgen liege“6). An der Hand der genannten Führer und ihrer zahlreichen Nachahmer, speciell Mones0), die bis zum Erscheinen ‘) Auch im ÖÖM., 1887, I, 53 wurde Kollars „Veleslavsko slav-skych Slavü slavstvi“ lächerlich gemacht, was ihn nicht minder herausforderte. Sliiva bohynS, 4. — 2) Släva bohyne, 8. “) Vgl. R. Haym, Herder, I, 565, 627. 4) Släva bohyne, 226. Es kommen vor allem in Betracht: Görres, Mythengeschichte der asiatischen Welt (1810), Creutzer, Symbolik und Mythologie (1810—1812), Kanne, Pantheum der alte- -sten Naturphilosophie. Vgl. Elard Hugo Meyer, Germanische Mythologie, 3; H. Paul, Grundriss der germanischen Philologie, I, 64 bis 65, 988. — s) Ibid. 9. 6) Kollär citiert in seinen Werken außer Mones „Geschichte -des Heidenthums im nördlichen Europa“ (1822, 1823 als V. u. VI. Theil der deutschen Mythologie Jakob Grimms (1835) ihr Unwesen treiben konnten, fiel es nun Kollar gar nicht schwer, eine Göttin „Släva“ aus dem gleichlautenden Refrain russischer Volkslieder zu erweisen, sie im Beinamen der Gemahlin des Agni, „Suaha oder Swaha“1), wieder zu finden und ihr die Saga der Skandinavier, "Owa, und K^swo der Griechen, Honos und Gloria der Römer gleichzustellen. Dazu noch die Parallele des Namens der Buddhisten von Buddha und gar der Deutschen von dem Stammgott Teuto, der Skandinavier von Skandal Am wichtigsten war für Kollar natürlich der von den „Teutsehen“ so viel eitel genannte Teuto, und er versäumt es ja nicht, sich auf die verschiedenen alten und neuen dialectischen Formen und zahlreichen Schreibarten des Namens „deutsch“ zu berufen, um so auch die Varianten von „Slav“, das aber im Grunde genommen nur aus der fremden, lateinischen und deutschen Namensform erschlossen war, zu erklären. Von den damaligen Orientalisten war für Kollar ein besonders schlechtes Beispiel ein so angesehener Mann wie Jos. Hammer, der die Ableitung alles Germanischen aus dem Persischen auf die Spitze trieb3). Hammer leistete - Etymologien wie „Samanen, Sermanen oder Germanen“ und brachte sogar die Identificierung Buddhas mit Wodan, dem gallischen Teutates, mit dem deutschen Tuisto, mit dem phönizischen Tot, mit dem ägyptischen Taut und mit Hermes zustande 3). von Creutzers Symbolik und Mythologie) namentlich häufig Anton Tkany, Mythologie der Teutsehen und Slaven (Znaim 1827), W. Vollmer, Mythologie aller Nationen (Stuttgart 1836), Loop. Ziegelhausen, Götterlehre (Wien 1837), F. A. Wiese, Indien u. a. ') Es blieb ihm nicht verborgen, dass dieser Beiname aus einem Opferruf horvorgegangen sein kann, und selbst Bopp schrieb ihm (21. December 1837): „Ein Zusammenhang des Namens der Göttin Svaha mit dem Indecl. Svaha dürfte wohl einzuräumen sein.“ Skiva bohynS, 28. ~‘) Vgl. namentlich dessen umfangreiches Wörterbuch, mit dem er die besonders nahe Verwandtschaft der deutschen und persischen Sprache erweisen wollte, in den „Fundgruben des Orients“, 1818, VI, 162 ff. - a) Vgl. Släva bohynö, 19, 55, 61-62, 272-273. Einem Bewunderer des Mesmer’selien Thiermagnefcis-xnus wie Kollar fiel es unter solchen Umständen gar nicht schwer, die Geheimnisse der slavischen Mythologie im Orient und speciell in Indien zu suchen, da in dieser Hinsicht selbst Görres sogar dem kritischen Dobrovsky nicht genug des Guten gethan hatte1). Von der Mythologie war aber nur ein Schritt zum Auffinden von „Berührungen und Parellelen im indischen und slavischen Leben“. Kollar stellt einfach aus Herders Ideen die Charakteristik der Slaven und Inder an die Spitze seiner Abhandlung2) und sucht sich dann aus der ihm vorliegenden Literatur die entsprechenden Parallelen bei den Indern und Slaven zusammen. Wer einmal so bedenkliche Wege wandelte, brachte natürlich wie seine Muster auch im Etymologisieren alles zustande. Kollar, der zuerst ein Wörterbuch von stamm-und bedeutungsverwandten Wörtern und Ausdrücken des Sanskrit, der Sprache der Zigeuner und dos Slavischen3) zusammenstellte, musste meist irre gehen, wenn er auch Bopps Grammatik und Glossar kannte, denn strenges Studium war auch da nicht seine Sache. Der Schüler Okens gieng immer auf das Universale hinaus und belehrte Safa-fik, dass in seinen Augen eine Etymologie ohne Mythologie, Archäologie, Volkspoesie, Ethnographie, Geschichte, Architektur, Numismatik u. s. w. gar keinen Wert habe4). Mit solchen Anschauungen gerieth Kollar durch einen Zufall nach Italien, als er 1841 zu einer Hochzeit nach Steiermark gereist war. Bis dahin hielt er, wie schon manche Gelehrte vor ihm, nur die alten Veneter für Slaven, aber jetzt überzeugte er sich bald-, dass die Volsker (von vol — Ochs!), die Etrusker (von tur == Auerochs!) und überhaupt alle altitalischen Völker Slaven waren. 1844 reiste er deshalb wieder in die Schweiz und nach Italien, um seine Entdeckungen und Forschungen fortzusetzen. Die zweite Reisebeschreibung endete schon mit dem „Lied eines jungen Italieners über die slavische Nation“, der darin seine sla- ■) Sliiva bohynö, 23—24. Vgl. o. 50. — 8) Ibid. 155—206. — ») Ibid 206-224. - 4) Ibid. 7. visohen Vorfahren preist1). Hier sind schon alle jene Phantasien niedergelegt, die Kollar sodann in einem großangelegten, mit vielem gelehrten Apparat versehenen und auf Kosten der Wiener Akademie der Wissenschaften reich ausgestatteten Werk „Staroitalia slavjanska“ (Slavisches Alt-italion, 1853) wissenschaftlich zu begründen suchte. Das Itesultat dieses sonderbaren Werkes, in dem ganz Italien als ein slavisches Herculanum und Pompeji hingestellt wurde2), gipfelte in dem Satz: Das Latein ist ursprünglich einer von den altslavischen Dialecten, nur durch den Einfluss des Griechischen ein wenig verändert; sein ganzer Bau und Fluss ist slavisch: dieselbe Grammatik, derselbe Mangel des Artikels, dieselbe Declination, Conjugation, Syntax, derselbe Numerus oratorius, dieselbe Prosodie8). Unter solchen Umständen fiel es ihm natürlich auch nicht schwer die umbrischen Inschriften, insbesondere die iguvinischen Tafeln aus dem Slavischen zu erklären. Wenn man bedenkt, welche ßäthsel altitalische Sprachdenkmäler für die Philologen waren und noch sind, so wird man allerdings auch zu einer milderen Beurtheilung der Phantasien Kollars geneigt sein. Die uns heute unglaublich vorkommende staatliche Unterstützung eines derartigen Werkes war einer der kurz dauernden und mehr als problematischen Erfolge, die den Slaven ihre Haltung in den Jahren 1848—1849 eingetragen hatte. Im Frühjahr 1849 wurde nämlich Kollar, den die ungarischen Revolutionäre zuletzt in den Kerker geworfen hatten, nach der Befreiung Ofens als Vertrauensmann in ungarisch-slavischen Angelegenheiten ins Ministerium berufen1). Als man ihm dann seine gute Stellung, die er in Pest gehabt hatte, ersetzen wollte, fand man nichts Passenderes für ihn als eine außerordentliche Professur der sla- ‘) „Cestopis druliy“, der jedoch erst nach dem Tode veröffentlicht wurde. Spisy, IV, 80—84. a) Staroitalia slavjanskä, VII. — s) Ibid. XIII. 4) Vgl. die interessanten Briefe an seine Frau aus dieser Periode im ÖOM., 1898, 194—204, überdies Sbornik, 62—81. vischen Archäologie an der Wiener Universität. Zum Glück wurde Miklosich schon vor ihm zum Professor für slavische Philologie ernannt, denn sonst wäre ein noch ärgerer Missgriff nicht ausgeschlossen gewesen, weil Kollar mehr Recht darauf zu haben glaubte1). So bekam Kollar die Gelegenheit, seine auf Creutzer, Görres und Kanne zurückgehende mythologische und sonstige Weisheit auch auf einer Lehrkanzel vorzutragen. Dass er die Lehren dieser Männer einfach auf die Slaven ausdehnte, zeigt schon der Titel einer seiner Wiener Vorlesungen (Wintersemester 1851—1852)2): „Über den zweiten mytho-"7 logisch-astronomischen Theil der Rhetraischen Alter-thümer oder über den Zodiacus der alten Slaven, verglichen mit dem indisch-egyptisehen Thierkreis, und über die Echtheit der zu Rhetra - Prilwitz ausgegrabenen Alterthümer“3). Auch in seinem Werk „Die Götter von Rhetra oder mythologische Alterthümer der Slaven und zum Theil der Germanen im nördlichen Europa“, dessen Druck auf Kosten der russischen Großfürstin Helene und des Großherzogs von Mecklenburg nur dank der misstrauischen und knauserigen Witwe Kollars nicht zustande kam, brachte er als Hauptbeweis für die Echtheit der Götzenbilder ihren bewunderungswürdigen Zusammenhang mit der ganzen Mythologie und dem Cultus der alten Welt, mit Indien, Persien, Egypten, Etrurien und den nordischen Völkern4). Das erinnert ja sofort an die Entdeckungen der Naturphilosophie, dass die Götter und Helden Griechenlands nichts anderes seien als Gleichnisse astronomischer und physikalischer Wahrheiten, welche die Griechen aus Egypten und Indien entlehnt hätten5). ') ÖÖM., 1893, 198. “) J. Karasek, Sbornik, S. G8. a) Die bekannten Falsificate im Mecklenburger Museum, an deren Echtheit auch J. und W. Grimm glaubten. Sieh darüber jetzt Jagićs Aufsatz „Zur slavischen Runenfrage“, Arch. f. slav. Philol., V, 193-215. *) V. Vondrük, Sbornik, 244. <•) J. Schmidt, IP, 601—502, 648, 623—G32. Auch „die beispielslosen Etymologien“ dieser Männer1), namentlich Kannes, haben auf Kollar ansteckend gewirkt. Leider fand er in der kleinen Gemeinde der slavischen und speciell der böhmischen Gelehrten nicht den Mann, der ihm rechtzeitig und auch öffentlich seine Meinung so energisch gesagt hätte, wie das A. W. Schlegel in seiner Kritik des Aufsatzes J. Grimms über die Irmensäule that. Im Gegentheil, selbst Palaoky und Safafik, die mit Kollars Phantastereien durchaus nicht einverstanden waren, zwangen die Wiener Akademie zur Herausgabe der „Staroitalia slav-janskä“3). Kollar fand für seine archäologischen Vorträge zwar nicht viel Hörer und klagte, dass die Zeit noch nicht gekommen war, wo die Jugend die Reste des alten Ruhmes und der Größe der nationalen Cultur der Väter bewundern würde3); auch die älteren Zeitgenossen blickten auf den berühmten Dichter als einen Sonderling herab, wenn er immer wieder auf die alten Slaven, wie sie in seiner Phantasie existierten, zu sprechen kam. Er selbst blieb jedoch der slavischen Alterthumskunde, für die er sich schon in Jena begeistert hatte, „namentlich ihrem wichtigsten mythologisch-astronomischen Theil“ treu und beschul-digte jene des Materialismus, die keinen Sinn dafür hatten4). Leider fand er auch auf diesem Gebiete zu viel Nachahmer, namentlich unter den kleineren slavischen Völkern, wo für wissenschaftliche Bedürfnisse meist Dilettanten sorgen mussten“). Gelehrte Spielereien und Phantastereien sind zwar zu allen Zeiten üblich gewesen, aber es ist klar, dass Kollar eine ausgesprochene Richtung verfolgte, die er der Flucht der Romantik in den Orient verdankte. Nur ist er auch ') R. v. Raumer, Geschichte der germanischen Philologie, 8ß2 bis 871. a) Karasek, Sbornik, 70. — a) Ibid. 08. 4) Pastrnek, Sbornik, 238. t) Noch im Jubiläums - Sbornik musste aus Opportunitätsrücksichten ein Aufsatz über die Herkunft der Slaven — aus Indien aufgenommen werden. liier bei ihren Anfängen stehen geblieben und lernte ihre reiferen Früchte nicht kennen oder wollte von ihnen nichts wissen. Auch auf dem Gebiete der vergleichenden Mythologie und Sprachwissenschaft ergieng es ihm wie auf dem des Volksliedes. In seinen Ideen kam Kollar über die Jenaer Studienjahre eben nicht hinaus, wohl aber gieng er zurück. Allerdings gereichte ihm dieser Rückschritt nicht immer zum Nachtheil. Er lernte doch vor allem den Teutonismus der deutschen Jugend kennen. Wie sehr ihm dieser in allen Gliedern steckte, zeigt seine Abneigung gegen das „wälsche Wesen“, der er noch auf seiner Schweizefreise im Jahre 1844 Ausdruck gibt. Der Dichter des Panslavismus holte sich nämlich folgende Eindrücke aus Zürich: „Schon in Constanz und Schaffhausen ärgerte uns das beständige deutsche Französieren in allen Gasthäusern, in Zürich aber noch mehr; denn von Tag zu Tag wuchs diese Abscheulichkeit und diese deutsche Krankheit. Alles plapperte um uns herum französisch; der Wirt, die Diener, Kutscher u. s. w., die Rechnungen und Speisezettel wurden uns fast in ganz Helvetien in dieser Sprache überreicht“1). In Bern machte sich ihm das Franzosenthum schon mächtig breit, die ganze Schweiz bot ihm mit ihrem Cantonwesen das traurige Bei-sjnel einer in sich zerrissenen Nation2). Durch seine Vertiefung in Herders Schriften wurde Kollar jedoch dazu geführt, dass er seinem Slavismus schon in der „ Slavy Dcera“, noch mehr aber in seiner Schrift über die slavische Wechselseitigkeit einen edleren Inhalt gab: der Nationalismus und Panslavismus erhielten eine höhere Weihe durch die Humanität. Für Kollar war die Gefahr, dass er sich in einer blinden Nachahmung des Teutonismus verliere, sehr groß, und ganz ist er ihr ohnehin nicht entgangen. Abgesehen davon, dass er sich in einer archäologischen und erträumten Slavenwelt verlor, müssen wir auch betonen, dass er sich namentlich in seinen Jugondgodichton in gar sonderbaren Äußerlichkeiten, die das Volksthum ausmachen sollen, ge- >) Spisy, IV, 11. — =>) Ibid. 24, 80. fiel. In seinem Eifer gegen den slavischen Particularismus gieng er nämlich so weit, dass er sogar erwartete, die Enkel seiner Zeitgenossen werden nur slavisch schreiben, lesen, spielen, trinken (!), nicht aber polnisch, russisch, böhmisch, serbischx). In einem Triolett lässt er eine Slavin ihren Brüdern und Schwestern predigen, sie mögen fremde Sprachen, Gebräuche und Waren aufgeben2). In einer Ode, die er seinem Freunde Šafarik bei der Übersiedlung nach Prag widmete, konnte er nicht umhin, auch der „bitteren Wahrheit“ Ausdruck zu geben, dass Šafarik bis dahin deutsch schrieb, und erwartete von ihm, er werde reuevoll der Linde das ersetzen, was er der Eiche gegeben hatte3). Obgleich sich aber Kollar zuletzt ganz die Ideen Herders angeeignet hatte, so darf doch nicht vergessen werden, dass er auch später in den Anschauungen seiner Lehrer in Jena wurzelt, und dass selbst ihre Worte und Schriften auf ihn keinen so tief eingehenden Einfluss geübt hätten, wenn er neben ihrem praktischen Beispiel nicht auch das der deutschthümelnden Jugend gehabt hätte. Jene Halbheit in principiellen Fragen, jenen Eklekticismus, den wir bei ihm öfter zu constatieren Gelegenheit hatten, finden wir auch in der Jenaer studentischen Bewegung. Während sich die Jugend für die Ideen Fichtes begeisterte, die ihrem nationalen Fühlen und Denken entsprachen, vergötterte sie ihren Liebling Professor Fries, der als Rationalist doch ein Antipode des Redners an die deutsche Nation war. Charakteristisch sind in dieser Hinsicht auch Kollars politische und sociale Anschauungen1). Es bleibt sein Verdienst, dass er derartige Probleme zuerst in der böhmischen Poesie behandelt hat; denn ungemein radicale Gedichte und Epigramme fallen schon in das Jahr 1820, wobei allerdings in Erwägung gezogen werden muss, dass ’) Drobnć biisne, vyd. Fr. Backovsky (Sbirka nejduležit&j-šich česk^ch plodu bitsnick^ch, č. 4 a B), 104. 2) Spisy, I, 402-403. - ») Ibid. 382. 4) Vgl. J. Jakubec, Politicke a socialni n4zory v Kolbirovo poesii. Rozhledy, redaktor a vydavatel Jos. Pelci, III (1894), 818 ff. vielo damals nicht gedruckt werden konnten, im Freundeskreis aber immerhin bekannt waren. Der Jenaer Liberale begeistert sich für die Freiheit und für Vaterland srettor wie Wilhelm Teil, will für die Nation und das Vaterland sterben, hasst die Tyrannen, wobei auch der „Prahlhans“ Napoleon seinen Theil bekommt, und fordert energisch „Vaterland und Gemeinde“ (vlast a obec), wobei er fragt, ob das Volk den Fürsten oder die Fürsten dem Volke gegeben seien. Er ist entrüstet, weil die Welt noch immer nicht die Wahrheit anerkennt, dass der Mensch kein todter Kaufgegenstand sei. Nachdem der Dichter das Volk verflucht hatte, das seine Wunden kennt, sie aber nicht heilt, stellt er Moskau als leuchtendes Beispiel hin und klärt uns dann auf, wie er sich eine slavische „Gemeinde“, imter der man dem Wortlaut nach sogar eine Republik verstehen könnte, denkt: er wünscht, dass sich der Slave, natürlich der abstracto, wie immer bei Kollar, sein eigenes Scepter und Schwert schmiede1). Dieses Bewusstsein von der Erniedrigung und dem Druck der Slaven und die Anläufe zu einem unklaren politischen Pauslavismus fanden wir auch noch in der „Slävy Dcera“, aber mit dem Überhandnehmen der Humanitätsidee überwog auch schon daselbst die Gesinnung eines ausgesprochenen Conservativen. Die slavische Wechselseitigkeit war ihm schon ein ganz „unschuldiges Schäflein“. Mit voller Überzeugung konnte er rufen: „Darum Liebe unserer Nation und Sprache, aber Treue und Gehorsam den Regenten, sie mögen auch von einer anderen Nation sein“ 2). Ja, die Wechselseitigkeit könnte sogar einen bedeutenden Nutzen den Regierungen bringen 3): „Es werden Aufstände und Empörungen der Slaven gegen Herrscher, die zu anderen Völkern gehören und unter deren Sceptern sie stehen, aufhören, denn bei der Gegenseitigkeit wird auch die Sehnsucht nach der Vereinigung mit anderen Slaven aufhören oder wenigstens sehr geschwächt >) Alle diese Anschauungen sind zusammengefasst in der Elegie „Vlastonoc“ (der Patriot). Spisy, I, 375—377. a) Über die literarische "Wechselseitigkeit, 8. — 8) Ibid. 93—99. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. lg werden.“ Ganz besonders steht aber schon in der „Slavy Dcera“ der Jenaer Bewunderer Rousseaus, der in einem Epigramm1) noch dem Adel zugerufen hatte, dass er sich um die Nation (mirod) gar nichts kümmere, dafür aber umsomehr um das Geschlecht (rod), im Widerspruch mit seinen damaligen Anschauungen; denn obgleich er auch jetzt noch theoretisch für demokratische Gleichheit und republikanische Ordnung eintritt, so ist sein slavischer Himmel dennoch, wie Jakubec2) richtig bemerkt hat, ein treues Abbild mittelalterlicher Hierarchie. Der Dichter wird dabei sogar seiner Herder’schen Geschichtsauffassung untreu und vergisst den von ihm zum Dogma erhobenen unkriegerischen Charakter der Slaven, denn in seinem Himmel gibt es sehr viele ruhmgekrönte Helden, Fürsten und Soldaten. Wenn man auf solche frühzeitige Inconsequenzen Nachdruck legt und Kollars Situation in Pest in Betracht zieht, so wird man es sehr begreiflich finden, dass er wie die meisten Romantiker endete: im Dienste der Reaction. Wer soviel in der grauen Vorzeit und in einer erträumten Welt lebte wie der Dichter der „Slavy Dcera“, musste sich den Thatsachen der Gegenwart gegenüber schwach erweisen und konnte sicli von Männern wie Bach, mit dem er viel verkehrte3), in neue Illusionen einwiegen lassen. X. Schlussbemerkungen. — Die socialen und politischen Folgen der böhmischen Romantik. — Der Prager Slaven- congress. Wenn wir einen Rückblick auf die geschilderten literarischen Strömungen, die bis in den Anfang der Fünfzigerjahre reichen, und auf die Leistungen ihrer bedeutendsten Vertreter werden, so sehen wir, dass der Kernpunkt aller ihrer Bemühungen die Wiederbelebung der böhmischen ') Drobne b&sne, 105. — 'J) Rozhledy, 891. — ") Jakubec, Uoz-liledy, 508. 275 Sprache und Literatur bildete. Diese „Renaissance“, „Wiedergeburt“ (znovuzrozeni) oder „Wiedererweckung“ (probuzeni) geht in ihren Anfängen zwar auf das Aufklärungszeitalter des achtzehnten Jahrhunderts zurück; doch war diese Bewegung „nicht sofort bewusst national“, denn „die Sprache und Nationalität“ wurden ursprünglich nur als ein Organ und Mittel der Aufklärung aufgefasst Sodann übten das Interesse für das Volkslied, das durch Percys Sammlung (1765) von England aus angeregt wurde, Ossian, Rousseaus Evangelium der Rückkehr zur Natur und die demokratischen Ideen der französischen Revolution direct und indirect ihren Einfluss auch auf Böhmen aus. Dass jedoch das Hauptverdienst an der Wiedergeburt des böhmischen Volkes deutschen Einflüssen, speciell aber der Romantik und ihrem Vorläufer Herder zu verdanken ist, geht aus meiner ganzen Darstellung genügend hervor. Wenn schon die deutsche Romantik keine einheitliche Erscheinung ist, so ist es die böhmische bis zu einem gewissen Grade noch weniger. Wir sehen, wie Jungmann und seine ganze Schule (hiebei wäre namentlich sein Freund A. Marek zu nennen, der die Kant’sche Philosophie in der Bearbeitung von Kiesewetter und Krug den Böhmen mundgerecht zu machen suchte)2) noch in den Ideen des achtzehnten Jahrhunderts stecken, dabei aber die positive Thä-tigkoit der deutschen Romantik auf das getreueste nachahmen. Der romantische Geist Deutschlands, der in einer Opposition gegen den übertriebenen Cultus der Vernunft und der Aufklärung und gegen die alles nivellierenden Tendenzen der Napoleonischen Weltmonarchie gipfelte, wurde ursprünglich dem böhmischen Volke mehr äußerlich aufgepfropft. Auch machte man nicht den ganzen Verlauf dieser geistigen Bewegung Deutschlands mit und kümmerte sich nicht viel um die ihr zugrunde liegenden Theorien, noch weniger aber um ihre philosophische Begründung. Auf die Böhmen und die slavischen Völker überhaupt beginnt die Romantik eigentlich erst dann zu wirken, als schon ihre Ein- ') Masaryk, Öeskii otiizka, 12—13. — 2) Masaryk, o. c. 50. 18* kehr in das deutsche Leben vollzogen war. Diesem Umstande, den factischen Verhältnissen und wohl auch den Charakter-Eigenschaften der Slaven ist es zuzuschreiben, dass bei den sl avis chen Völkern die Grundsätze der Romantik auf das innigste mit den Eigen-thümlichkeiten des nationalen Lebens verknüpft wurden. Wie die Romantik der nordischen Völker (vgl. besonders Oehlenschläger) wurde daher auch die sla-vische Romantik ausgesprochen Volksthümlich und patriotisch im Sinne des Nationalismus. In dieser Hinsicht sind ihre Leistungen in der That großartig. Die böhmische Sprache wurde aus den Bauernhütten und den alten Schriftstellern wieder hervorgeholt und zum modernen Gebrauch theilweise mit Hilfe des Polnischen und Russischen ausgebildet. Die Volkslieder, Sagen, Märchen und Sprichwörter wurden gesammelt und waren nicht nur eine feste Stütze für die wiederaufstrebende Literatur, sondern direct ein wichtiger Bestandtheil dieser Literatur selbst. Die böhmische Volkspoesie bildete zwar nicht die ganze moderne Literatur, wie das bei den Serben oder Pinnen der Pall war, doch Kollar *) dachte gewiss hauptsächlich an seine Böhmen und Slovaken, als er das Epigramm niederschrieb: „Dass unser Volk keine Cultur habe, sprechet ihr Fremden; wie? ihr müsst dem Volke singen, uns singt aber das Volk.“ Doch kamen die romantischen Bestrebungen vor allem diesem Volke zugute. Von Freund und Feind wird gewöhnlich viel zu wenig die Thatsache gewürdigt, dass eine Cultur, die keine oberflächliche und sich überdies auch nur auf wenige Menschen erstreckende Politur sein sollte, dem Volke nur in seiner Muttersprache vermittelt werden konnte. Die slavische Romantik leistetete daher ein großes Werk, indem sie ungemein viel zum Sieg der wahren demokratischen Ideen beitrug. Eine aufrichtige Liebe zum Volke bildete den Leitstern der bedeutendsten Gelehrten; selbst ein Mann wie der Physiologe Purkyne arbeitete Projecte zur ') Spisy, I, 417. 277 Popularisierung der Wissenschaft in seiner Muttersprache aus der Natur hi s torikor Sv. Presl bemühte sich aber, durch zahlreiche Schriften die Gewerbetreibenden mit den Fortschritten der Chemie, Physik und Mechanik bekannt zu machen. Die böhmischen Gelehrten und Schriftsteller stützten sich bei ihrer auf die Wiederbelebung ihres Volkes gerichteten Thätigkeit nicht bloß auf das gesammte gegenwärtige „Volksthum“, wie es die niederen Schichten bewahrt hatten, sondern riefen der ganzen Nation auch ihre ruhmvolle Geschichte in romantischer Beleuchtung ins Gedächtnis. Daraus erklärt sich die Flucht in das graue Alterthum und in die Zeiten eines selbständigen böhmischen Staates. Die christliche Philosophie, eine weitere Forderung der Koman-tik, erhielt aber bei dem Volk, das einen Hus hervorgebracht hatte, einen besonderen Inhalt. Selbst die katholische Geistlichkeit, die einen ruhmvollen Antheil an der Wiedererweckung des böhmischen Volkes nahm, weil sie ihm am nächsten stand und. ihm aus der ganzen Intelligenz am wenigsten entfremdet war, begeisterte sich für den Märtyrer von Constanz. Dazu wollte es das Schicksal, dass die bedeutendsten Vertreter der böhmischen Wiedergeburt, Kollar, Šafarik und Palacky, Protestanten waren und die beiden ersten sogar aus Exulantenfamilien stammten; sie wurden daher naturgemäß dazu geführt, den Geist der Böhmischen Brüder, deren Lob ihnen auch aus deutschem Munde im hohen Grade entgegenklang, wieder zu beleben. In ihrem Sinne wurde auch das Humanitätsideal ausgebildet, auf das sie hauptsächlich von Herder geführt wurden; es darf dabei jedoch nicht vergessen werden, dass die Humanität das höchste Palladium der ganzen dichterischen Tafelrunde Weimars bis auf Jean Paul1) war. Ein sehr hohes Ziel wurde daher dem nicht bloß wiedererweckten, sondern auch wiedervereinigten böhmischen Volke gestellt. Im Laufe der Zeit hatte nämlich der Provincialismus auch unter den slavischen Bewohnern von Böhmen, Mähren und ‘) Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur des 19. Jahrhunderts, I4, 55, 182. Schlesien tiefe Wurzeln geschlagen, aber infolge der romantischen Begriffe vom Volksthum fühlten sich nun alle Theile des Volkes wieder als ein einheitliches Ganzes. Weder die Spielereien einzelner Dialectliebhaber in Mähren in den Dreißiger-, noch die Bach’schen Bestrebungen in den Fünfzigerjahren, eine eigene mährische Nationalität zu schaffen, konnten irgend einen Erfolg aufweisen. Wie sehr aber dieselben Ideen auch zu verschiedenen Resultaten führen können, zeigt gerade die Lostrennung der Slovaken von der nationalen und culturellen Gemeinschaft mit den Böhmen. Die Bewohner der nordwestlichen Comitate Ungarns bildeten mit ihren Stammesbrüdern kein historisch-politisches Ganzes, und so konnte die romantische Begeisterung für Dialecte und das Volksthum der Heimat unter der Tatra ein für beide Theile beklagenswertes Zerstörungswerk vollbringen, da ihr noch andere Umstände (Abneigung der katholischen Geistlichkeit gegen die „hussitische“ Schriftsprache, Förderung von Seite der russischen Slavophilen, welche bald die Gefahr der Ausbildung stärkerer slavischer Individualitäten für ihre Pläne erkannten, ungarische Einflüsse) zuhilfe kamen. Dieser Atomisierung steht aber anderseits ein p anslavistischer Kosmopolitismus zu Seite, der namentlich unter den engeren Volksgenossen Kollars sehr viel Unheil gestiftet hat. Die böhmische Romantik und die aller kleineren sla-vischen Völker hat aber mit der nordischen (vgl. namentlich den Grundtvigianismus in Dänemark) auch die Ähnlichkeit, dass sich neben ihren wohlthätigen Folgen auch die nachtheiligen eines allzulangen Daseins erfreuen. Die Bewunderung alles Volksthümlichen nahm auch naive und selbstgefällige Formen an und wirkte stagnierend, namentlich deshalb, weil die Volksthümlichkeit durch panslavistische Theorien, die sich auf eine große Unkenntnis der wirklichen slavischen Welt gründeten, häufig ins Nebelhafte gerückt wurde. So wurde auf dem Gebiete der Musik ein solches Genie wie Friedrich Smetana, der ganz und gar in seinem Volke wurzelt, im Namen eines phantastischen allslavischen Geistes lange auch von seinen Landsleuten verkannt. Überhaupt erforderte die consequente Durchführung jener Grundsätze, die in der Poesie Celakovsky, in der Wissenschaft aber Öafafik am glänzendsten vertraten, sehr viel Zeit. So bewegte sich die Malerei ursprünglich in den Bahnen der deutschen Romantik. Erst in den Pünfziger-jahren beginnt Josef Manes den Grundsatz zu vertreten, dass der Künstler auch auf diesem Gebiete vom Volke, namentlich aUs seinen Ornamenten und Motiven, lernen müsse. Sehr viel trugen zur Verkümmerung der gesunden romantischen Ideen die schweren Kämpfe um das höchste Gut des Volksthums, um die Sprache, bei: man vergab nämlich allzusehr, dass die Sprache zwar das wichtigste, aber nicht das einzige Merkmal der Nationalität ist. Erst in den letzten Jahrzehnten schenkte man auch den übrigen Merkmalen eine besondere Aufmerksamkeit. Ihren Höhepunkt erreichte diese Thätigkeit in der Prager ethnographischen Ausstellung im Jahre 1895, der ersten in ihrer Art; allerdings stand diese schon stark auch unter dem Einfluss der modernen folkloristischen Ideen1). Es wäre aber natürlich verfehlt, wenn man die Dauer der böhmischen Romantik zu weit ausdelmen wollte, etwa gar bis zum Auftauchen des „Realismus“, der seit der Zwei-theilung der Prager Universität an der Bekämpfung des bisherigen „Historismus“ (gemeint ist damit eigentlich die schon von Goethe an der deutschen Romantik getadelte Altei’thümelei und Vaterländerei) und an einer Vertiefung des nationalen Programmes arbeitet2). Allerdings ist es wegen der Zähigkeit, mit welcher sich viele romantische Anschauungen in der böhmischen ') Vgl. meinen Vortrag: Zur Geschichte und Charakteristik der Prager ethnographischen Ausstellung im Jahre 1895. Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, XXV. Bd., 90—98. 2) Der bedeutendste Vorkämpfer dieser Richtung ist Professor T. G. Masaryk, dessen Anschauungen zusammenhängend in folgenden Schriften niedergelegt sind: Češka, otdzka, Naše nynejSi krise, Jan Hus, K. Havh'čok. Literatur und im öffentlichen Loben nicht zum Vortheil des böhmischen Volkes erhalten, nicht leicht, die böhmische Romantik zu begrenzen, ganz abgesehen davon, dass strenge Scheidungen von Perioden überhaupt eine Seltenheit sind. Der Byronismus, der bereits 1836 einen bedeutenden Vertreter in K. H. Mächa fand, konnte schon deshalb keinen besonderen Abschnitt bilden, weil er doch nur eine besondere Abart der Romantik war. Da jedoch das böhmische Volk schon wegen seiner Lage in seiner geistigen Entwicklung immer von den Nachbarvölkern abhängig war, so brachten auch hier eigentlich die politischen Ereignisse in den Jahren 1830 und 1848 eine Wendung mit sich, mag dieselbe auch nicht besonders stark zum Durchbruch gelangt sein. Obgleich aber gerade die Reaction in den Fünfzigerjahren den Rückfall in die alte phantastische Romantik förderte, traten doch bald Männer wie V. Hälek (dessen Programmartikel „über die böhmische Poesie im Verhältnis zur Poesie überhaupt“ erschien 1859) und Neruda auf, die sich offenbar vor allem am jungen Deutschland ein Muster nahmen. Die böhmische Literatur bewegte sich also auch da in den Bahnen der nächsten Nachbarn, von denen man dann allerdings mit Bewusstsein zu den romanischen Völkern übergieng, obgleich auch diese Schwenkung eine nicht so vollständige sein konnte, wie sie beabsichtigt war. Die ganze geistige Bewegung, die wir kennen gelernt hatten, musste natürlich auch sehr wichtige sociale und politische Folgen nach sich ziehen. Da das böhmische „Volksthum“ in den niederen Ständen gesucht werden musste, so stieg schon dadurch das Ansehen der Bauern, Handwerker, Arbeiter und Kleinstädter. Überdies arbeitete die Intelligenz, welche national zu fühlen und denken begann, direct auf die geistige und moralische Hebung der Volksmassen hin, zu denen sie durch die Liebe zur Muttersprache und Nationalität hingezogen wurde. Solche Männer gab es ursprünglich zwar nicht viel, so dass man die „Patrioten“ in den einzelnen Gegenden aufzählen konnte, aber nach und nach traten sie doch überall auf und brachten der Bevölkerung das nationale Bewusstsein bei. Besonders rührige Verbreiter fanden die neuen Ideen in der studierenden Jugend. Dilettantentheater und gesellige Vereinigungen, in denen sich alle Stände, von der Aristokratie natürlich abgesehen, zusammenfanden, waren die üblichen Stätten dieser Propaganda. Da wurden patriotische Gedichte decla-miert, besonders der Vorgesang aus Kollars „Slävy Dcera“, mit dem wohl jeder Student paradieren konnte, nationale Lieder gesungen, Vorträge gehalten imd geradezu Conver-sations-Übungen in der Muttersprache vorgenommen, denn namentlich das zarte Geschlecht blieb lange im Gebrauch derselben für höhere Gespräche sehr schwach. Wie in L. Jahns Zeiten wurden auch da Fremdwörter mit Strafen gesühnt und andere nationalpatriotische Übertreibungen in Scene gesetzt. Die ersten russischen Slavisten berichten nicht ohne ironische Bemerkungen von den Prager slavischen Bällen zu Anfang der Vierzigerjahre. Die Nationalisierung der böhmischen Gesellschaft fiel nicht so leicht wie die Germanisierung der deutschen Fürsten und höheren Stände, und abgeschlossen ist dieser Process der Slavisierung sla-vischer Länder noch heute nicht, sondern wandert den Weg der modernen Cultur von Westen nach Osten, so dass z. B. Chmelenskys Beobachtungen über Mähren, das doch eine ganz andere slavische Majorität aufzuweisen hat als Böhmen, erst in der jüngsten Zeit hinfällig zu werden beginnen. In Böhmen wurde jedoch schon in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts so viel geleistet, dass speciell Prag im Jahre 1848 als das erscheinen konnte, was es war, und sogar zu einer Metropole für alle österreichischen Slaven wurde. Natürlich musste die ganze romantische Bewegung, welche überall die organische Entwicklung an Stelle der zweckmähigen Construction setzen wollte, bei der ersten Gelegenheit auch ihre politischen Früchte zeitigen. Als daher die Februar-Bevolution ganz Europa in Aufregung versetzte, traten bei den österreichischen Slaven naturgemäß vor allem die nationalen Forderungen in den Vorder- grund, denn dieselben schlossen die politische Freiheit und den socialen Fortschritt in sich. Der Kampf gegen den Centralismus und die Germanisation ergab sich aus der romantischen Auffassung der Geschichte und des Volksthums, das föderalistische Programm war durch die Verhältnisse unter den österreichischen Slaven selbst bedingt. Im Grunde genommen war dasselbe nichts anderes als eine Übertragung der Kollar’schen "Wechselseitigkeit auf das Gebiet der Politik, was dieser übrigens selbst schon im Jahre 1837 hervorhob, indem er offenbar hauptsächlich mit Itücksicht auf Österreich folgende Behauptung aufstellte: „. . . unter fremden, nicht slavischen Herrschern, wenn diese tolerant sind, finden die schwächeren slavischen Stämme mehr Bürgschaft und Sicherheit für die specielle Selbständigkeit und Fortdauer ihrer Mundart, die sonst unter dem Herrscher einer anderen, mächtigeren slavischen Mundart, nach den Gesetzen der Anziehungskraft, von dieser ganz verschlungen werden oder wenigstens mit ihr verschmelzen und endlich verschwinden könnte“ l). Überhaupt bewegte sich die ganze politische Thätig-keit der österreichischen Slaven in den Jahren 1848—49 und auch nach der Begründung der constitutioneilen Ara (1861) im Ideenkreise Kollars und Safariks, während Palacky die active Führerrolle übernahm. Den ersten Ausdruck fanden die Bestrebungen der österreichischen Slaven im Prager Slaveucongress. Derselbe war ein ausgesprochenes Gegenstück zum Frankfurter Parlament (und zum ungarischen Reichstag), so dass auch hier ein directer deutscher Einfluss vorliegt, ganz abgesehen davon, dass sich die vorangehenden geistigen Strömungen in deutschen Bahnen bewegten. Gegen diese Thatsache verhält man sich meist auf beiden Seiten blind. Während die Böhmen ihre ersten Patrioten gewöhnlich nur naiv bewundern, ohne sich zu fragen, wie dieselben dazu gekommen sind, ganz neue Bahnen einzuschlagen, meint selbst ein so aufgeklärter und mit den ') J. Kollar, Über die literarische Wechselseitigkeit, S. 99. Verhältnissen vertrauter Mann wie Alfred von Skene1), der sich wohl auch infolge seiner fremden Herkunft einen freieren Blick bewahrt hat, als er bei den österreichischen Deutschen üblich ist, dass die ganze nationale Bewegung in Böhmen im Grunde genommen doch nur auf den mit der Regierung unzufriedenen Adel und seine Hofmeister zurückzuführen sei. Übrigens standen alle österreichischen Slaven im Jahre 1848 unter böhmischem Einfluss. Speciell aus den Reden und Proclamationen des Banus Jellaöic, in dem sie den helden-müthigen Verfechter ihrer Bestrebungen gefunden hatten, klingen immer die Ideen Kollars und Šafariks heraus, was auch ganz begreiflich ist, da die beiden Schüler Jenas auf den Gang des Agramer Illyrismus den größten Einfluss ausübten. Der entschieden ablehnenden Haltung der österreichischen Slaven gegen den „innigen Anschluss an Deutschland“, der das Losungswort der deutschen Politiker bildete, gab der Böhme Palacky in seinem Schreiben (11. April 1848) an den Fünfziger-Ausschuss beredten Ausdruck *). Der Landeshistorio-graph von Böhmen wollte dem Rufe, er möge sich an den Vorarbeiten „zur Berufung eines deutschen Parlamentes“ betheiligen, keine Folge leisten, da er sich nicht als Deutscher fühlte und sich ganz und für immer dem Dienste seines böhmischen Volkes gewidmet hatte. Vom historischen Standpunkte hatte er einzuwenden, dass „die ganze Verbindung Böhmens, zuerst mit dem heiligen römischen Reiche, dann mit dem deutschen Bunde, von jeher ein reines Regale war, von welchem das böhmische Volk, die böhmischen Stände, kaum jemals Kenntnis zu nehmen pflegten“. Auch konnte er nicht an Berathungen theilnehmen, die darauf ausgehen mussten, „Österreich als selbständigen Kaiserstaat unheilbar zu schwächen, ja ihn unmöglich zu machen, einen Staat, dessen Erhaltung, Integrität und Kräftigung eine hohe und wichtige Angelegenheit nicht meines Volkes ') Entstehen und Entwicklung der slavisck-nationalen Bewegung in Böhmen und Mähren ira 19. Jahrhundert (Wien 1893), S. V, 40, 56, 59. a) Gedenkblätter, 148—155. allein, sondern ganz Europas, ja der Humanität und Civili-sation selbst ist und sein muss“. Mehr als nothwendig espenst einer russischen Universal- liche Hindernis sein müsse. Deshalb drängte sich ihm die Überzeugung auf, dass der österreichische Kaiserstaat, wenn er schon nicht längst existierte, im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst schleunigst geschallen werden müsste. Diese geflügelten Worte wurden zum Gemeingut der österreichischen Slaven, und Jellaüic schrieb sie auf seine Fahnen'). Die §§ 2 und 3 der deutschen Verfassung, die der Souveränität des Kaisers von Österreich widersprachen, wurden in der That schon ein halbes Jahr früher abgelehnt, als man in Frankfurt daran gieng, sie zu formulieren3). So wirkte die nationale Idee in Österreich wirklich conservierend, da sie den Interessen der kleineren slavischen Völker entsprach. Schon in diesem Schreiben ywurde auch „die Idee des österreichischen Staates“, die Palacky später (1865) in einer Reihe von Artikeln erörterte, formuliert, denn unselige Verblendung habe die eigentliche rechtliche und sittliche Grundlage seiner Existenz so lange verkannt und verleugnet: den Grundsatz der vollständigen Gleichberechtigung und Gleichboachtung aller unter seinem Scepter vereinigten Nationalitäten und Gonfessionen. Diese Gleichberechtigung der Nationalitäten bildete auch den wichtigsten Grundsatz, den der Prager Slaven-congress proclamierte; ja, er war nach der Überzeugung Pa-lackys8) die erste öffentliche Versammlung gebildeter Männer, die über denselben verhandelte. Die Humanitätsidee, welche die besten slavischen Geister verkündet hatten, beherrschte so sehr die Anschauungen aller Slaven, dass der Prager politische Verein „Slovanskä Lipa“, der bis zu einem gewissen Grade die Fortsetzung des Slavencongresses war, den richtigen Ausdruck für sie fand, als er an die Polen schrieb *) Palacky, Radhost, HI, 179. a) Helfert, Geschichte Österreichs vom Ausgange des Wiener Octobor-Aufstandes, II, 246. — 8) Radhost, III, 171. mächtiges Donaureich das natür- (am 18. November 1848): „Der Slave, der Auservvählte der neuen Zeit, früher Märtyrer, jetzt Apostel, wird zum Beschirmer der wahren Freiheit des Menschengeschlechts“1). "Wie die Humanität finden wir aber auch alle übrigen uns bisher bekannten Ideen in den Acten des Slaven-congresses2), der vom 2. bis 12. Juni 1848 in Prag tagte. Einen Beweis für die allgemeine Verbreitung derselben bildete schon die Thatsache, dass die Idee des Congresses gleichzeitig bei allen slavischen Volksstämmen Österreichs; aufgetaucht ist3). Nur das erste Wort im Druck wurde in Agram von Kukeljević in die Welt gesetzt, und Šafarik und Jellačić besprachen die Idee des Congresses schon anfangs April in Wien4). In der Einladung zu demselben (datiert vom 1. Mai) wird auf die traurige slavische Vergangenheit und auf den Umstand hingewiesen, wie sich die Völker Europas verständigen und vereinigen. Allerdings stellten sich den Theorien von einer großen slavischen Nation sofort die factischen Hindernisse entgegen. Mit .Rücksicht auf Österreich und die Nachbarstaaten wurden außerösterreichische Slaven nur als „Gäste“ zugelassen, was sich gleichfalls nicht bewährte, da die polnische Emigration, welche in dem Posener Polen Libelt einen geschickten Wortführer fand, und der russische Allerweltsrevolutionär Bakunin auf den Gang der Verhandlungen einen bestimmenden Einfluss zu gewinnen suchten und ihn theilweise auch ausübten. Auch „die nichtslavischen Landsleute“ Österreichs suchte man durch eine „Erklärung“ (Prag, am 6. Mai) zu beruhigen, in der alle Verdächtigungen über „Separatismus, Pansla-vismus, Russismus, und wie alle derlei Schlagwörter noch sonst lauten mögen“, zurückgewiesen wurden Man erklärte feierlich, dass es nie die Absicht der Slaven gewesen ist ') Helfert, Geschichte Österreichs, II, 425. 3) Sieh den „Historischen Bericht“ im ČČM., 1848, II, 1—66. J. P. Jordan, ActenmäUiger Bericht über die Verhandlungen dos ersten Slavencongresses in Prag. J. Jireček, Österreichische Revue, 1865, VIII. Band, 40—54 (hauptsächlich mit Rücksicht auf Saf'ank). Palack^s Beiträge im „Radhost“, III, und in den „Gedenkblättorn“. 3) ÖÖM., 1848, 2. — ■‘l Jos. Jireüek, 1. c. 44. noch sein wird, irgend eine nichtslavische Nationalität zu beeinträchtigen oder zu bedrücken. Nur gemäß dem Grund- j satz der vollen Gleichberechtigung im österreichischen Kaiserstaat nahmen auch die Slaven die ihrer Nationalität im Volks- und Staatsleben gebärenden Rechte in ihrem vollen Umfange in Anspruch. In dem detaillierten Programm des Congresses wurde betont, dass die Slaven ihre Wege nicht erst infolge der jüngsten Ereignisse in der Fremde betreten haben; denn das Streben nach constitutioneller Freiheit sei bei ihnen wie bei vielen anderen Völkern „historisch und autochthon“, obgleich nicht zu leugnen sei, dass die Ereignisse in Italien, Frankreich und Deutschland einen mächtigen Einfluss auf die Slaven ausgeübt und ihre Schritte beschleunigt haben. Österreichs Heil liege in der Begründung eines Bundesstaates gleichberechtigter Nationalitäten. Bezüglich der außerösterreichischen Slaven wurde dem Wunsch nach einer Beilegung der russisch-polnischen Streitfrage, nach der Freiheit des russischen Volkes und der Befreiung der türkischen Slaven, die sodann „das brüderliche Band eines slavischen Bundesstaates“ umfassen soll, sowie nach einer gerechten Behandlung der Slaven in Sachsen und Preußen Ausdruck gegeben. Ganz Kollärisch sind dieWünsche, die sich auf „die von allen slavischen Gelehrten hochgeschätzte slavische Wechselseitigkeit“ bezogen. Das Studium der slavischen „Dialecte“ soll auf allen Hochschulen zu den ordentlichen Gegenständen gehören, die slavischen Gelehrten sollen sich alljährlich nach dem Beispiel der italienischen und deutschen versammeln, die Institute für Wissenschaft und Kunst in allen slavischen Ländern sollen sich ihrer slavischen Aufgaben bewusst sein und eine freie Concurrenz aller Slaven fördern, ohne jede Rücksicht auf die Gonfession. Das Verhältnis zu den europäischen nichtslavischen Völkern wurde in dem Sinne unter die Berathungsgegenstände aufgenommen, dass die Slaven die Souveränität Österreichs in keinem Falle untergraben lassen und gegen alle Schritte zur Beschickung des Frankfurter Parlamentes protestieren. Die Geschäftsordnung schuf einen sehr complicierten Apparat, um der Gleichberechtigung aller Völker Ausdruck zu geben, und ihre Vertreter wurden in drei Sectionen getheilt: in die polnische und ruthenische, die südslavische und böhmisch-mährisch-schlesisch-slovakische Nation. Dieselben sollten getrennt tagen, aber der Pole Libelt setzte zuletzt durchgehends gemeinsame Sitzungen durch, um den Plänen der auswärtigen Gäste leichter zum Siege zu verhelfen. Gesprochen wurde in allen slavischen Sprachen, was nicht bezweifelt zu werden braucht, denn das Verstehen von Reden, in denen das Herz mehr sprach als der Verstand, war an und für sich nicht schwierig. Speciell die benachbarten slavischen Völker, die ja gleichfalls nach ihrer Lage einander verwandt sind, können sich ja recht gut verständigen. Überdies war das Studium der slavischen Sprachen bei den damaligen Patrioten sehr verbreitet, so dass sie allgemeine Vorstellungen von den vier slavischen Hauptsprachen hatten ; aller-dings gieng es dabei vielen Slaven bei ihrer eigenen Muttersprache sehr schlecht, die sie unvollkommen beherrschten und mit Brocken aus verschiedenen Sprachen verunzierten. Übrigens wurden die Beschlüsse auch in den einzelnen Sprachen verlesen und der Inhalt mancher Reden von Ša-fafik wiedergegeben. Auch die religiöse Verbrüderung ließ nichts zu wünschen übrig, denn in den Prager Kirchen und auf dem Wenzelsplatz wurden Gottesdienste nach römischem, uniertem und nichtuniertem Ritus abgehalten. Schwieriger gieng es mit den Berathungsgegenständen, denn da kreuzten sich doch die verschiedenartigsten nationalen und politischen Interessen, umsomehr als es Libelt und den Gästen überhaupt gelang, einen ziemlichen Einfluss auf den Gang der Verhandlungen zu gewinnen. Übrigens stand der Slavencongress, den man eigentlich dem Frankfurter Vorparlament vergleichen kann, diesem und dem Vollparlament in der Unklarheit der Ziele und noch mehr in der Einmüthigkeit zum mindesten nicht nach, obgleich sich in Prag weniger bedeutende und erfahrene Männer versammelt hatten. Wenn man z. B. bedenkt, dass die ehrwürdigsten Männer, die in ihrer Jugend soviel von „Kaiser und Reich“ geträumt, gesungen und gesprochen hatten, sich lange nicht einmal über die Frage, ob Erb- oder Wahlkaiserthum, geschweige denn über andere Cardinalfragen einigen konnten, so wird man den Prager Congressmitgliedern eine gewisse Achtung nicht versagen können, denn sie verständigten sich wenigstens theoretisch über alle brennenden Fragen und leisteten in nicht ganz vierzehn Tagen ein tüchtiges Stück Arbeit. Zum Präsidenten des Congresses wurde Palacky gewählt, da Šafarlk, dessen Name in der slavischen Welt am meisten bekannt und geachtet war, diese Würde ableimte und sich nur zur Übernahme der Yorstandschaft in der böhmisch-slovakischen Section bewegen ließ. Auch die Begrüßungsreden schloss der schlichte Šafafik mit einer Ansprache, welche von der sichtlich ergriffenen Versammlung mit unbeschreiblichem Enthusiasmus aufgenommen wurde. Es soll die feierlichste Stunde seines Lebens gewesen sein, als er in seiner einfachen Rede folgenden Gedanken Ausdruck gab *): „Die Völker treten zusammen und rathschlagen über sich und über uns Slaven, über ihre und über unsere Zukunft. Nun, was ist ihr Ausspruch über uns? Verhehlen wir uns nicht, so herb es auch sei. Sie sagen, dass wir unfähig sind zur Freiheit, zu höherem politischen Loben, und zwar darum und einzig darum, weil wir Slaven sind. Wenn wir uns nach ihrem Sinne nicht bilden, das heißt wenn wir uns nicht germanisieren, magyarisieren, italiani-sieren wollen, nennen sie uns Barbaren. Wollen wir uns wirklich bilden, d. h. von Grund aus Slaven sein und Slaven bleiben, heißen sie uns Vaterlandsverräther und Freiheitsfeinde. Das kann nun nimmermehr fortdauem. Auch für uns ist die Entscheidungsstunde gekommen. Schuldlosigkeit vor Gott und dem Gewissen gilt nicht mehr vor dem Richterstuhle der Welt. Entweder reinigen wir uns durch die That und beweisen, dass wir zur Freiheit berufen sind, oder verwandeln wir uns eilends in Deutsche, Magyaren und Italiener, um den Völkern nicht mehr zur Last und zum Ärgernisse ') Jos. Jireöek, 1. c. 45—46. zu dienen. Entweder bringen wir es dahin, dass wir mit Stolz sagen können: ,Ich bin ein Slave!1 oder hören wir auf, Slaven zu sein!“ Bemerkenswert ist es, dass Šafafik in der böhmischen Section die Beseitigung des historischen Bestandes und eine Reconstruction Österreichs auf Grundlage der reinen Nationalitätsidee perhorrescierte. Sein Antrag gieng dahin, dass die Slaven nur bestrebt sein sollen, sich gleiche politische und nationale Rechte in Amt und Schule zu sichern und auf Grund der constitutionellen Freiheiten einen Verein aller Slaven im österreichischen Staate, mit Einschluss Ungarns, das von Österreich nimmer getrennt werden könne, zum Schutze ihrer Nationalität zu gründen. Aus den übrigen Begrüßungs-Ansprachen sei erwähnt, dass der Pole Fürst Lubomirski die Freiheit und Gleichheit aller Nationen als den neuen Standpunkt feierte, den das Slaventhum nach Europa bringe. Der Slovake Hodža erörterte aber das Verhältnis der Slaven zu ihren Vorgängern, den Romanen und Germanen. Ebenso slavisch-romantische Ideen findet man in der Rede, welche Palacky bei der Annahme der Präsidentschaft hielt1). Die Slaven seien nach Prag geströmt, um sich zu ihrer großen Familie zu bekennen und sich die Hände zum ewigen Bunde der Liebe und Brüderlichkeit zu reichen. Die Freiheit, der Wunsch aller, sei bei den Slaven keine fremde Pflanze, sondern ein altes Erbe. Die alten Slaven seien vor dem Gesetz alle einander gleich gewesen, und da sie niemals die Herrschaft über andere Völker anstrebten, so verstehen sie dieses Erbe besser als ihre Nachbarn, die sich die Freiheit ohne Herrschaft noch heute nicht denken können. „Lernet nun“, rief Palacky, „von uns, wie man die Gleichberechtigung der Völker verstehen und achten soll. Das ist das Hauptziel unseres Con-gresses, um die in Aufruhr versetzte Welt an die ganz einfache, aber ewige Wahrheit zu erinnern: ,Was du dir nicht wünschst, thue auch einem andern nicht1 — diese göttliche Quelle alles Rechtes und aller Gerechtigkeit.“ Aus den Arbeiten des Congresses sind zwei Schrift->) Radhost, TU, 31-33. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. iq stücke hervorgegangen: ein Manifest an die Völker Europas und der Entwurf einer Adresse an den Kaiser und König Ferdinand. Das Manifest war ein Werk Palackys, aber nicht ganz 1). Palacky führte darin die Gedanken seiner Antrittsrede weiter aus. Die romanischen und germanischen Völkerstämme waren demgemäß die Träger des Feudalismus, ihre Staatskunst stützte sich auf das Recht des Stärkeren und erkannte den Volksmassen (lid) nur bloße Pflichten zu. Die Slaven seien dagegen durch ihre Liebe zur Freiheit in Sklaverei verfallen. Wie in seinem Geschichtswerk betont auch hier Palacky^ dass die altslavische Demokratie von den Ideen der französischen Revolution durchdrungen war; denn die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller Staatsangehörigen sei wie vor einem Jahrtausend auch heute ihre Losung. Nicht von ihm rührt der Passus her, in welchem die Deutschen, die sich rühmen, mehr als andere Völker fähig und geneigt zu sein, die Eigenthümlichkeiten aller fremden Nationalitäten unbefangen aufzufassen und zu würdigen, beim Wort genommen werden; ebenso der Schluss, welcher die Beschickung eines allgemeinen europäischen Völkercongresses zur Ausgleichung aller internationalen Fragen beantragte, denn freie Völker könnten sich leichter verstehen als bezahlte Diplomaten. Wie der im Manifest von Palacky gemachte Vorschlag, „den Kaiserstaat in einen Bund gleichberechtigter Nationen umzugestalten, welcher den abweichenden Bedürfnissen der letztem sowie der Einheit der Monarchie Rechnung tragen soll,“ aufzufassen sei, ersieht man aus der Adresse an den Kaiser, welche das wiedergeborene Österreich zu einem Förderativstaat machen wollte. Aus der taxativen Aufzählung der Forderungen der Vertreter der einzelnen Länder überzeugt man sich, dass es sich dabei doch nicht um eine ») Vgl. Radhost, III, 84-37. Im „historischen Bericht“ (ČČM., 1848, II) rührt der Passus über den Austausch der Völker (S. 40) und der ganze Schluss (41—42) nicht von ihm her (bei Jordan 37—89 mit Ausschluss des Passus „Von dem Grundsätze ausgehend — ent-gegenströmt“). solche Durchführung des ethnographischen Principes handelte, aus dem Palackys Kremsierer Verfassungs-Entwurf hervorgegangen ist. In der Adresse entsprach demselben eigentlich ganz nur die Forderung der Slovenen, aus allen von ihnen bewohnten Landestheilen ein Königreich Slovenien zu bilden. Beachtenswert ist ein auf Grund der Adresswünsche zu Stande gekommener „Vertrag“ zwischen den Polen und Ruthenen Galiziens, die unter deutscher Bevormundung der Noth gehorchend Grundsätze formulierten *), die bezüglich der Ruthenon noch heute der Verwirklichung harren. Ein Bundestr actat der österreichischen Slaven hätte das dritte Document des Congresses sein sollen; es konnte jedoch nicht mehr zum Beschluss erhoben werden und gieng in dem Sturm der Prager Ereignisse zugrunde. Bemerkenswert ist es, dass die Grundzüge einer beschränkten Verbindung der österreichischen Slaven untereinander auf Basis der constitutionellen Freiheiten zur wechselseitigen Wahrung und Hebung ihrer Nationalitäten von einem Polen, dem Fürsten Lubomirski, ausgearbeitet worden sind. AuISer einem politischen Centralorgan wurden auch echt Kollär’sche Mittel der Wechselseitigkeit in Aussicht genommen, wie die Errichtung einer allgemein slavischen Bibliothek, einer slavischen Akademie der Wissenschaften. Dem ersten Slavencongress bereiteten die Prager Unruhen, die von auswärtigen Emissären und einheimischen Radicalen ins Werk gesetzt wurden, ein jähes Ende. Die von ihm aufgestellten Grandsätze wurden noch in einer Vertagungs-Erklärung proclamiert, worin man auch darauf Nachdruck legte, dass durch die Prager Ereignisse weder der große Beruf des Slaventhums in der Menschheit überhaupt vereitelt, noch das große Gewicht desselben in Österreich erleichtert worden ist. Die letztere Behauptung wurde allerdings gleich durch den österreichischen Reichstag und durch die übrigen Ereignisse bestätigt. Im slavischen Reichstags-Club, dem jedoch die Polen mit ihrer stärker entwickelten Individualität nicht angehörten, spielten die >) Sieh hei Jordan, 44—4ß. Böhmen die führende Rolle, so dass die Durchführung der Grundsätze des Slavencongresses auch demjenigen Volke anvertraut war, das sie vor anderen ins Leben gerufen hatte. Zur Charakteristik der Partei Palackys, welcher die Fühi’ung der officiellen Politik des böhmischen Volkes in den Jahren 1848—1849 anvertraut war, muss erwähnt werden, dass sich Palacky einen entschiedenen Liberalen nannte, jedoch nicht dem Rottek-Welker’schen Liberalismus huldigte1). In seinem Sinne war die officielle liberale böhmische Partei von den Grundsätzen durchdrungen, welche die böhmische Romantik ausgebildet hatte, und wurde daher bei Beginn der neuen constitutionellen Ara naturgemäß conservativ. Das hindert nicht, dass sich Palacky zur Begründung der nationalen ^Rechte immer auf das „Naturrecht“2) beruft, denn im Grunde genommen dachte man dabei an die „natürlichen Rechte“, die der romantische Begriff vom „Volksthum“ in sich schloss. Allerdings sind auch andere Schwankungen im Programm dieser mehr im Banne der deutschen Romantik wandelnden Partei zu verzeichnen. Aber auch die Radicalen, die sich am deutschen und französischen Radicalismus ein Muster nahmen und theils nationale, theils sociale Stürmer waren, machten sich vieler principieller Inconsequenzen schuldig3). Wenn man jedoch hauptsächlich den letzteren „romantischen Utopismus“ vorwirft, so muss man dabei auf das Wort Utopismus Gewicht legen, der überall möglich ist, oder höchstens an die französische Romantik denken. Für mich unterliegt es nämlich keinem Zweifel, dass auch K. Havliöek, der glänzende journalistische Verfechter der Ideen Palackys, noch ein Romantiker ist, was seine Hinneigung zum russischen Slavophilenthum und dem polnischen Messianismus, diesen Ausläufern der Romantik, am besten beweist. Nur ist Havliöek einer der sympathischesten Vertreter der slavi-schen Romantik und spielte in der Politik dieselbe Rolle wie Celakovsky in der Poesie. ■) Hadhost, III, 188. — 2) Ibid. Ki8. s) Sehr gut wurden die Schwächen beider Parteien von T. G. Ma-saryk in seinem Work über K. Havliček auseinandorgosetzt. ^Vnhang-. Kollar in Jena und beim Wartburgfest. Bruchstück aus dessen Autobiographie: Pameti z mladšich let života. -(Denkwürdigkeiten aus den jüngeren Lebensjahren)1). Capitel VIH. Leben auf den deutschen Hochschulen. § 1. Reise nach Jena. Nun komme ich zu einer solchen Periode meines Lebens, welche meinen Freunden und Lesern mehr oder weniger aus andern meiner Schriften bekannt sein wird, weshalb ich mich hier nur auf diejenigen Dinge und Ereignisse beschränke, welche dort entweder gar nicht berührt oder nicht genügend aufgeklärt worden sind. *) Spisy Jana KoMra, IV, 230—282. Geschrieben wurde diese Autobiographie in den letzten Jahren seines Aufenthaltes in Pest (bis 1849). Vgl. o. S. 194. Einen weiteren Beweis bietet im § 12 (1. c. 254) die Erwähnung des Todes seines Freundes Benedikti (19. November 1847). — Ich betrachtete es als meine Aufgabe, eine treue Übersetzung der Worte Kollars zu bieten. Seine Schilderungen sind stellenweise sehr breit und bringen auch Bekanntes. Ich konnte mich jedoch zu Kürzungen und Auslassungen nicht entschließen, da bei einer solchen Arbeit schwor die richtigen Grenzen zu ziehen wären. Boi dem großen Umfang dieser Erinnerungsblätter konnte ich umsoweniger auf eine ausgiebige Commentierung und Prüfung derselben eingehen. Ich setzte nur aus anderen Werken Kollars die wichtigsten Ergänzungen hieher und schränkte meine kritischen Bemerkungen auf das möglichste ein. Damit sich jedoch in meine Übersetzung keine Fehler einschloichen und offenkundige Irrthümer Kollars berichtigt werden, hatte Herr Dr. J. Wahle in Weimar die Güte, das Manuscript durchzulesen und mit seinen Bemerkungen zu versehen. Die hier abgedruckten sind mit J. W. gekennzeichnet. Viele Irrthümer hat Dr. J. Jakubec (Osveta 1893, Nr. 7—12) berichtigt. Weil der Termin meines mir von der königlichen Statthalterschaft nach Deutschland ausgestellten Reisepasses fast abgelaufen war, musste ich um die Erneuerung des Passes und um die Verlängerung des Termines einkommen und so über Ofen nach Pressburg reisen. Hieher kam an demselben Tage auch einer meiner gewesenen Pressburger Mitschüler, Mažaril), gebürtig aus Assod, ein Slovake, aber schon mit einem starken ungarischen (magyarischen) Accent. Da wir keine Zeit verlieren wollten, reisten wir gleich am nachfolgenden Tage nach Wien ab, wo zwischen mir und Mažari für einige Zeit kleine Differenzen entstanden, weil ich auch jetzt mindestens einige Gallerien besuchte, wozu er absolut keine Lust hatte. Von hier fuhren wir nach Prag mit gewöhnlichem Omnibus. In Oaslau suchten wir in der Decanatskirche das Grab und die Gebeine Zižkas; aber irgend eine barbarische Hand hatte sie schon hinausgeworfen und verbrannt. In Prag galt mein erster Besuch dem Hause Jungmanns, und beim ersten Anblick gehörten wir schon für immer einander an . . . Nachdem wir durch die Güte unseres Mentors Jungmann die Merkwürdigkeiten Prags besichtigt und unsere Sachen mit der Post nach Dresden vorausgeschickt hatten, reisten wir absichtlich von Prag bis Teplitz zu Fuß, um Böhmen besser kennen zu lernen. Ich trug auf dieser Reise den soeben von Kinsky aus dem Französischen übersetzten und herausgegebenen „Papousek“ (Papagei) in meiner Rocktasche mit und las ihn, wo immer es möglich war. Von Teplitz bis Dresden begleitete uns an manchen Orten Nasskälte und Schneegestöber. In Dresden gelang es mir, Mažari doch dafür zu gewinnen, dass er wenigstens drei Tage meinen ästhetischen Neigungen und Freuden opferte. Die heilige Nacht von Coreggio, die Madonna von Raphael und der Amor von Mengs prägten sich so in mein Gedächtnis ein, dass es mir auch jetzt noch vorkommt, als ob ich sie erst gestern gesehen hätte; wie gewisse charakteristische Personen und Gesichter, ') Von A. L. Haan (Jena Ixungarica, 149) wird als Studiengo-nosse Kollars Sam. Marsäry genannt. 295 so bleiben auch gewisse Bilder nach dem ersten Anblick in Ewigkeit unser, als ob sie immer vor unseru Augen stünden. Die Sammlung griechischer Antiken und die in Herculanum ausgegrabenen Alterthümer machten einen außerordentlichen Eindruck auf meine Sinne. Als wir den ersten Tag früh ausgiengen, um die Stadt zu besichtigen, frühstückten wir nicht zu Hause; deshalb fragten wir, wo das Kaffeehaus sei. Zwei der Befragten giengen an uns vorüber. Der dritte sagte: „Meine Herren, Sie sind gewiss Fremde. Das Kaffeehaus ist hier eine verdächtige Stätte, von der sich anständige Leute fernhalten.“ In Dresden besuchten wir auch den berühmten Theologen und Hofprediger Herrn Christoph Friedrich Ammon, den böh-misohen Prediger, den bekannten Stephan, und die Kirche der böhmischen Exulanten. Herr Ammon, ein ehrwürdiger, Goethe ziemlich ähnlicher Mann, sprach mit uns lange und mit einer besonderen Liebe zu den ungarischen Protestanten. Aber Zorn und Betrübnis bemächtigten sich meiner Seele beim Besuche des Herrn Stephan, welcher von der Nationalität und Sprache gar nichts hören wollte: er war eine unbedeutende Persönlichkeit, hatte rothe Haare, sprach wenig, in seiner Wohnung herrschte eine gewisse Unordnung, um nicht zu sagen Unreinlichkeit. Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, dass die böhmische Kirche in Dresden verfiel und noch immer verfällt1). Von Dresden i) In einer Predigt (Kužne a Ječi, II (1844), 739—740) erzählt Kollar, dass er mit der größten Neugierde die böhmische Kirche aufsuchte und über alle Maßen glücklich war, als er in dieser fremden Stadt die Kirchengesängo, Gebete und die Predigt in der Nationalsprache zu hören bekam. Nach dem Gottesdienst besuchte er den Prediger, Lehrer und einige der hervorragendsten Mitglieder der Gemeinde. Diese erklärten ihm auf seine Fragen, dass die Kirche und Schule vor zweihundert Jahren von den Exulanten aus Böhmen, von Ackerbauern, Gewerbetreibenden, Handwerkern und Kaufleuten, gegründet worden sind. Die Prediger und Lehrer waren häufig Slo-vaken, weil diese an den benachbarten deutschen Hochschulen studierten. Dass die Muttersprache erhalten blieb, sei vor allem ein Verdienst der Schule. In einer Anmerkung dazu (S. 41) bemerkt Kollar, dass sich der „berüchtigte“ Martin Stephan, die Nation und nach Leipzig fuhren wir über Meißen, Wurzen u. s. w. fast dreizehn Meilen wieder mit der Postkutsche in Begleitung dreier Russen, Wir übernachteten einige Stunden in einem elenden Dorfe, wo es aber ein bequemes Gasthaus gab. Herr Maždri, der sein Geld in einem ledernen Gürtel trug, legte diesen in der Nacht unter seinen Polster. Am Morgen standen wir früh auf und reisten bald ruhig weiter. Vor Leipzig wurde mein Mažari plötzlich blass und ergriff mich bei der Hand mit den Worten: „Es ist schrecklich, es ist schrecklich!“ Nach einiger Zeit sprach er stotternd, fast als ob seine Zunge vom Schlage gerührt wäre: „Mein Geld, mein Geld habe ich dort vergessen, wo wir übernachteten.“ Als ich meinen Reisegefährten ganz geistesabwesend sah, nahm ich im nächsten Dorfe einen leichten Wagen auf, opferte die ganze Nacht und kehrte in jenes Gasthaus zurück. Ich war noch nicht im Hofe, als der wackere Wirt mir mit dem Gürtel in der Hand entgegenlief und rief: „Da ist der Gürtel und das Geld.“ Er wollte nicht einmal eine Belohnung annehmen, die ich ihm anbot. Am andern Tage fand ich Herrn Mažari halb lebend, halb todt in Leipzig wieder. Beim Nachtmahle gab es in unserm Gasthause viele Kaufleute aus allen Städten und Gegenden Deutschlands, denn es war gerade die Zeit der Michaelis-Messe in Leipzig. Diese erzählten uns, dass Goethe in diesen Tagen an demselben Tisch dem Tübinger Buchhändler Cotta irgend ein neuestes Manuscript für einige Sprache vernachlässigend, dem religiösen Aberwitz hingab, zu dessen Verbreitung er lieber und häufiger prahlerische deutsche Predigten hielt und drucken ließ und die böhmische Kirche auf diese Weise fast zugrunde richtete, bis er sich nach Amerika aufmachte und nach vielen Schicksalsschlägen und manchem Ärgernis wieder zurückkehrte. Ein Correspondent aus Böhmen vom 4. Jänner 1844 theilte Kolldr mit, dass er noch 35 Familien in der Gemeinde fand. Einige sprachen noch halbwegs böhmisch, wie der Lehrer Marks und Friedrich Strumpfwirker, Letzterer besaß einige böhmische Bücher, wie Veleslavins „Rostlinäf“ (Herbarium), und viele Lieder in Abschriften. Die übrigen vergaßen allmählich die böhmische Sprache und werden sie gewiss ganz aufgehen. Einen Geistlichen wollten sie wieder haben. Die Zusendung böhmischer Bücher lohnten sie ab. tausend Thaler zum Drucke verkauft habe. Von Leipzig bis Jena schickten wir wieder unsere Sachen voraus nach Weimar und machten unsere Reise bald zu Fuß, bald in einem kleinen Wagen, um auf diese Weise freier die Umgebung und die Schlachtfelder von Leipzig besichtigen zu können, wo im Jahre 1631 unter Gustav Adolf, dessen Blutstropfen inWeißenfels gezeigt werden, und 1813 zwischen Napoleon und den Alliierten die großen Schlachten geschlagen wurden, bis wir am 8. October morgens um zehn Uhr in Jena glücklich ankamen. Einer von meinen gewesenen Mitschülern, von Geburt ein Zipser, der hier an der Universität studierte, führte uns in der Stadt herum und zeigte uns ihre Merkwürdigkeiten. Das Institut der Lausitzer Serben sahen und besuchten wir nur oberflächlich, denn es waren noch akademische Ferien. Als wir an der berühmten hiesigen Promenade unter den Linden spazieren giengen, begegneten uns zwei schön gekleidete und schon bejahi’te Fräulein, von denen eine ein dickes Bündel irgend welcher Handschriften in der Hand trug. Auf die Frage, wer sie seien, antwortete unser Führer: „Die eine ist die Tochter des hiesigen Buchdruckers Brockhaus und Hauptredacteurin des bekannten Conversations-Lexikons, die andere ist ihre Freundin Louise Brachmann, die bekannte Dichterin, welche ihre Gedichte hier drucken lässt.“ Hier in facie loci, theils unter den Linden, theils am Ufer des Flusses Pleiße, entstand der Embryo und der Anfang jener meiner bekannten Ballade: „Der Ursprung Leipzigs“1), welche jedoch erst später vollendet und in der Ofener „Zora“ gedruckt wurde. §2. Die beiden Russen Karasev und ihr Führer. Bevor wir etwas über Jena und das Jenaer Leben berichten, müssen wir unsere Freunde auf die Dresden-Leipziger Straße zurückführen, wo mir eines der über- >) Sieh Spisy, I, 390—392. Der Name Leipzig soll von einer den Slaven heiligen Linde (lipa), welche sie muthig und mit Erfolg gegen die Deutschen vertheidigten, herrühren. raschendsten Ereignisse meines Lebens begegnete. In Dresden setzten sieb nämlich in den Postwagen zugleich mit uns noch drei Ausländer, die immer in italienischer Sprache plauderten, obwohl man aus ihrer Aussprache erkennen konnte, dass sie keine Italiener waren. Zwei von ihnen waren Jünglinge zwischen 16 und 20 Jahren, offenbar Söhne aus höherem Stande und von reichen Eltern. Ihr Familienname war Karasev (lies Karasov) Der dritte, ihr Führer und Reisegefährte, war ein bejahrter Mann, trug einen starken Vollbart und war bedeckt mit Kriegsnarben und Schrammen. Kaum hatten wir uns in den Wagen gesetzt, bemerkte ich sofort, dass sie keine Italiener sind. Unterdessen gieng dennoch fast ein halber Tag in Ungewissheit und unter stummem Schweigen vorüber. Zuletzt durchbrach ich doch die uns trennende Scheidewand und sprach: „Meine Herren, verzeihen Sie, dass ich mir die Freiheit nehme, aber aus Ihrem Accent im Italienischen und Deutschen und nach allen Ihren Lauten urthoile ich, dass Sie unsere Brüder und Slavensöhne, und zwar Russen sind.“ Darauf schlug jener Alte die Augen auf und sagte: „Schön, schön, wir sind Slaven und russische Brüder“2). Aus unserm län-gern Gespräche gieng nun hervor, dass der Führer der jungen Russen persönlich jenen Kosakenhetman Ivan Danilov kannte, welcher in meiner Jugend nach dem ersten französischen Kriege, ich glaube unter Suvorov, über Thu-rocz nach Hause zog und einige Tage bei uns einquartiert war, mir in der Nacht soviel von Kosaken und Russen erzählte, mich als kleinen Knaben aufs Pferd nahm und mit mir hinter das Dorf zu reiten pflegte u. s. w. Als sich Josef und Jakob nach langjähriger Trennung in Ägypten wiedersahen, ergriff“ sie keine gröbere Rührung als mich beim Anblick dieses Bekannten und Freundes meines unvergess- ‘) Richtig: Karasev, 1. Karasev. “) Im Original: CharoSo, charošo, my Slayjanö (!) jsme (!) a brati (!) Rossjani (!). Also fast jedes Wort fehlerhaft, wenn wir auch von dem phonetisch geschriebenen „chorošo“ absehon. liehen Ivan Danilov1). Eine Menge von Fragen und Antworten beiderseits verkürzte uns den Weg und vereinigte uns auch während des akademischen Lebens mit einem unzertrennlichen Bande. Dieser ehrwürdige Graukopf, der schon mehr im Greisen- als im Mannesalter stand, wurde von dem reichen russischen Adeligen Karasev nicht sosehr zum Lehrer, denn Gelehrsamkeit besaß er nicht viel, sondern zum Führer, Wärter und Rathgeber seiner beiden Söhne bestellt, die er auf Reisen durch Europa ausgeschickt hat. Zuerst hielten sich die jungen Karasev ungefähr ein Jahr in Italien auf, weshalb sie noch immer ineinemfort nicht bloß untereinander italienisch sprachen, sondern auch so mit ihrem Vater correspondierten. Aus Italien siedelte man nach Jena über, wo man sich ungefähr zwei Jahre aufhalten und studieren sollte, von wo man aber früher abzog, weil der ältere Karasev ein tragisches Ende gefunden hatte. Wir verabredeten uns schon auf dem Wege, dass wir uns in Jena in einem Hause einquartieren wollten; da aber dies im ersten Viertel des Jahres unmöglich war, so wohnten wir in der nächsten Nachbarschaft, sie bei der Frau Witwe Cenner, ich aber im Kopsch’schen Hause; hernach gieng aber unser Wunsch thatsächlich in Erfüllung, denn ich bekam in demselben Hause neben ihnen eine Wohnung. Der Mentor der Karasev war auch mein erster Lehrer im russischen Dialect. Es wurde Vaters Grammatik und Chresto-matie gekauft, wir übersetzten die Oden von Lomonosov und die Doržavins an Gott und lasen die „Alten russischen Gedichte“i) 2), welche er mir als Andenken schenkte. Er be- i) Im Original könnte man infolge schlechter Interpunction in Danilov den neuen Bekannten Kollars sehen. Doch dieser „Djadka11 der beiden jungen Küssen muss ein so unbedeutender Mensch gewesen sein, dass er seinen Namen nicht einmal nennt. Im § 22 heißt er allerdings Danjelov, aber ich erblicke darin nur eine Verquickung mit dem Namen Danilovs, ein misslungenes Possessiv-Adjectivum, das den Bekannten des Kosakenhetmans bezeichnen soll. 3) Drevnija Russkija Stichotvorenija, d. i. die erste noch wenig beachtete Ausgabe der russischen Bylinen von Kirša Danilov (Moskau 1804). Vgl. Rozpravy o jmenach, 75, Släva bohynö, 261. BOO suchte mit mir zugleich auch Vorlesungen an der Universität, namentlich die Vorträge von Luden, Fries und Oken, obgleich ihm die deutsche Sprache nicht besonders geläufig war. Einigemale waren wir zusammen auch beim altslavi-schen Gottesdienste in Weimar, wo die Großherzogin Maria Pavlovna, eine russische Prinzessin, Schwester des Kaisers Alexander, als Gemahlin des Großherzogs Friedrich1) eine Kapelle, einen Priester und Sängerchor hatte. Aber in seinen Zöglingen, diesen Jung-Russen, konnten wir leider keinen Funken der Nationalität und des Slaventhums anfachen, ihre Seelen mussten schon in der Jugend entfremdet und von ihrer Nation abgelenkt worden sein, denn vom Italienischen, Französischen und Deutschen abgesehen, wollten sie von nichts etwas hören. Hier seufzte ich tief über die unnationale Erziehung des russischen und slavischen Adels überhaupt. Einer von diesen jungen Herren, nämlich der ältere, war von hohem Wuchs, schlanker Statur, rundem, schönem Antlitz, dabei von heftigem, leidenschaftlichem Temperament. Der jüngere war von niederer Statur und kaltblütig. Eines abends im Sommer hörte man auf einmal unter der Jenaer Studentenschaft das Flüstern: „Karasev ist verwundet, Karasev ist gefährlich verwundet!“ In kurzer Zeit wurde der ältere Karasev von deutschen Burschen mit blutbespritztem Arme nach Hause geführt oder eigentlich gebracht. Dieser feurige Russe ließ sich in einen Zweikampf mit dem Sohne des Professors der Rechte und Hofraths Aspherus 3) in Jena ein. Das Duell fand im sogenannten Rauhthal statt, mit dem Degen wurde ihm der linke Arm durchbohrt und die Blutader so durchschnitten, dass Karasev am nächsten Tage seinen Geist aufgab. Sein Leichnam wurde nachts bei Fackelbeleuchtung auf den Friedhof getragen und feierlich von der ganzen Studentenschaft begleitet. Der jüngere Karasev und sein Begleiter verließen bald darauf Jena und kehrten in ihr Vaterland zurück. >) Karl Friedrich. (J. W.) - 2) Asverus. (J. W.) § 3. Die Umgebung von Jena. Um einen Menschen vollkommen kennen zu lernen, müssen wir seine Freunde, Nachbarn und andere äußere Umstände, in denen er sich befindet, kennen. Um eine Stadt kennen zu lernen, ist die Kenntnis ihrer Umgebung und Nachbarschaft nothwendig, in Jena aber umsomehr, als alle Orte der Jenaer Umgebung weit und breit mit dem studentischen Leben innig verknüpft sind. Einen neuen, bis dahin nie gefühlten Eindruck machte Jena mit seiner Umgebung und schon die ganze Reise durch Sachsen auf mich. Überall fand ich slavische Namen, aber keine slavischen Einwohner. Als ich diese Namen hörte, wollte ich meinen eigenen Ohren nicht trauen, weshalb ich, wann und wo ich es konnte, die Reise in solche Gegenden persönlich unternahm. Der Name Jena selbst oder, wie das einfache Volk noch jetzt spricht, Jana1) und der durch Jena fließende Fluss Lutora, später Lutra2), sind slavisch3). Dieser letztere stammt zweifellos von ljuty, d. h. reißend, schnell. Die nahen Dörfer und Städte: Gospoda4), Kunitz, Priesnitz, Wölnitz, Lobeda, Remda, Kloswitz, Zelnitz, Radegast (ungefähr eine Meile von Jena), Drisnitz (vielleicht tryznice oder treznice), Geschwitz, Podlwitz6), Weimar und unzählige andere sind noch jetzt vorhandene Reste der Slavo-serben, die einst hier gewohnt hatten, aber in ihren Häusern und Gassen hört man nicht mehr die süßen slavischen Laute, höchstens aus dem Munde der hier sehr verbreiteten und beliebten Lausitzer und Lausitzerinnen, die sich zum größten Theil in irgend einem Dienste befinden. Zu den *) Jana sagt das Volk nicht und hat es auch nie gesagt; sondern Jänä mit einem offenen, breiten ä. (J. W.) — 2) Jetzt Leutre. 3) Kollars Etymologien verdienen keinen Glauben. Ich unterlasse es jedoch, dieselben zu prüfen und richtig zu stellen, weil dai--über eine ganze Studie nothwendig wäre und vor allem die früheren Namonsformen in Betracht gezogen werden müssten. Dass die meisten der im Folgenden genannten Namen in der That slavisch sind, ist aber ohnehin für jedermann einleuchtend. *) Cospeda. (J. W.) 3) 1). i. Zölnitz, Rodigast, Trießnitz, Göschwitz, Podelwitz. (J.W.) Spaziergängen von Jena gehört in der Nähe: der Graben um die Stadt selbst; das Paradies zwischen der Stadt und der Saale und der Philosophengang bei der Stadt; etwas entfernt Mühlthal, Ölmühle, Wiesenmühle, Schneidemühle und die nahen Dörfer Wenigen jena1), Kamsdorf, Ziegenhain, Borstendorf2). Im letzten Dorf war noch zu unserer Zeit in einem Baume der Name „Crudy“3) eingeschnitten. Die berühmten Gärten in Jena und seiner Umgebung sind: der Prinzgarten4), der einst Griesbach gehörte, der botanische Garten am Graben, der Harrasgarten, wo sich herrliche Myrthen und andere orientalische Pflanzen befinden, der Schillergarten und andere. Bezüglich Weimars überzeugte ich mich nicht nur aus alten Urkunden, sondern auch aus eigener Anschauung, dass diese Stadt ursprünglich Yinar, Yinary von den Weingärten und Weinbauern genannt wurde, die dort Wein producierton und verkauften. Dieser Stadt-theil wird noch jetzt gezeigt und heißt „Weinberg“. Diese Wahrheit bestätigt auch der lateinische Name „Yinariensis“3). Die an Jena vorbeifließende Saale verleiht der ganzen Stadt Leben. Im Winter friert sie so zu, dass Hunderte von Studenten und Bürgern, die Schlittschuhe0) an den Füßen angebunden haben, auf ihr schleifen. Im Sommer sind hier namentlich abends Kahnfahrten mit Gesang oder Baden und Schwimmen üblich. Einmal ertrank bei solchem Baden der junge, hoffnungsvolle Professor Stark, den ein Gliederkrampf befallen hatte, und obwohl er nur sehr kurze Zeit im Wasser war, konnten wir dennoch den aus dem ‘) Nach der Restitution des Textes von J. W. Im Original: Wenig, Jena! — 2) Porstendorf. (J. W.) “) Daniel Crudi (1735—1815), Superintendent in Pressburg, studierte in Jena 1756—1759. 4) D. i. Prinzessinengarten, heilJt auch Fürstengarten. (J.W.) Den letzteren Namen muss Kollar besonders in Erinnerung gehabt haben, da er ihn mit „Knizeci zahrada“ übersetzt. ''j Die ältesten Schreibungen sind Welmare, Wehmare, Welie-mare, Wimari, Wimeri, Wymar, Weynmar und die Bedeutung soll sein: geweihtes Wasser, geweihter See. (J. W. 6) Im Original: Holzschuhe (trepky). Wasser Gezogenen auf keine Weise mehr zum Leben erwecken. In den Ferien machte ich Ausflüge in alle für die slavische Geschichte oder Mythologie denkwürdigen Orte der Umgebung. Radegast ist ein ziemlich elendes Dorf mit slavischen Gesichtern. Die meisten Sonette des ersten Gesanges der „Slavy Doera“ entstanden bei diesen meinen Ausflügen und Spaziergängen, in diesen Hainen, auf diesen Wiesen und in den Gärten der Umgebung von Jena. § 4. Das akademische oder Burschenleben in Jena. Als wir nach Jena gekommen waren, quartierten wir uns im Gasthause „Zum wilden Bären“ J) ein, wo sich einst Luther und Melanchton2) auf hielten, aber schon am folgenden Tage zogen wir in der Früh aus. Ganz Jena war voll von Studenten, deren sich damals einige tausend (!) angesammelt hatten. Am zweiten oder dritten Tage führte uns eine ganze Menge nach Kunitz, wo der erste Gommers abgehalten werden sollte. Das ist ein Dorf an der Saale unter Jena ungefähr eine Stunde Weges und seit alten Zeiten berühmt durch die Kunitzer Eierkuchen. Schon auf dem Wege über die Wiesen wurden für mich neue und nie gehörte akademische Lieder gesungen, z. B. „Ich lobe mir das Burschenleben“ u. s. w. In Kunitz waren das Gasthaus und der Garten mit Studenten angefüllt. Auf einmal entstand eine große Stille, und es wurde mit ernster, würdiger und majestätischer Stimme das Lied „In dieser feierlichen Stunde“ gesungen. Dann nahm man mit Bier gefüllte Pokale in die Hand, und nach einem Moment küssten und umarmten sich alle durcheinander wie Brüder, und von dieser Zeit an duzten sich alle hier Anwesenden. Man sang und spielte wieder, bis wir spät abends nach Hause zurückkehrten. Derartige Commerse wurden auch nachher in Jena im Gasthause „Zur Rose“ mit so lautem Gesang abgehalten, dass abends die ganze Stadt davon wiederhallte. •) Heute „Zum schwarzen Bären“. (J. W.) 3) Von Melanchton nicht bekannt. (J. W.) Der Platz von Jena, wo es immer von Stndentenliaufen wimmelt, ist viereckig. Manchmal bilden die Studenten bei Tag imd namentlich abends eine Kette, indem sie sich bei den Händen nehmen und von einem Ende zum andern auf-und abziehen und dabei die Nationallieder, namentlich jenes „Was ist des Deutschen Vaterland?“ anstimmen. Fast ein jeder Bursche hat ein Rapier, und häufig fechten sie auf dem Marktplatz. Um Jena gibt es nahe Dörfer und fast in jedem eine Tanzstätte in einem Hain oder Garten. Hier ist an Fest- und Sonntagen alles voll, Studenten, die Dorfbewohner und Dorfbewohnerinnen mengen sich gewöhnlich einträchtig und friedlich durcheinander. Anders steht es mit den Städtern, welche hier in der Burschensprache Philister heißen. Ich hatte jedoch in Jena Zutritt auch in solche Häuser. Der Tischler Starke in MoSovce stammte aus Jena und schrieb seinen Eltern durch mich Briefe. Der Bürger von Jena ist in der That ein armes, vor dem Burschen sich erniedrigendes und von ihm abhängiges Geschöpf, weshalb es in Jena eigentlich kein Bürgerleben gibt, denn es wird vom akademischen Leben verschlungen. Wenn aber dennoch hie und da Raufereien zwischen Burschen und Bürgern oder Gesellen und Handwerkern entstehen, so ertönt sofort das schreckliche „Bursche heraus!“ durch ganz Jena, und in dem Augenblicke zittert die ganze Stadt, denn die Studentenschaft zieht bewaffnet dahin und siegt gewiss. Beim Ausbruch eines Feuers z. B. oder bei der Ausschließung eines Burschen hat ein jeder Bursch den sogenannten „Ziegenhainer“, d. h. einen knorrigen, aus hartem Holz, das im Dorfe Ziegenhain (Orig.: —heim) wächst, gebrannten Stock bei sich. Mit diesem Prügel schlägt er auf das Pflaster, was einen schrecklichen unterirdischen (!) Lärm und einen durch die ganze Stadt sich verbreitenden Wiederhall hervorruft. Die Burschen versammeln sich am Marktplatz und ziehen, wohin die Noth ruft. Ihren beliebten und verehrten Professoren bringen sie namentlich an Namens- und Geburtstagen oder auch bei andern Gelegenheiten Ständchen mit Musik, bei welcher Gelegenheit Reden gehalten werden. Wen sie noch mehr auszeichnen und feiern wollen, dem zu Ehren pflanzen sie vor seinem Hause, an einem kleinen Platze oder anderswo an geeigneter Stätte einen jungen Baum, besonders eine Eiche, die zur Erinnerung mit dem Namen dieses Mannes getauft Avird, und zwar unter großen Vorbereitungen und Oeremonien. Damit wurden zu meiner Zeit Oken und Pries geehrt, weil sie auf der Wartburg waren. Jeder Bursch heißt das erste Jahr mit einer gewissen Verachtung Fuchs. Die Burschenkleidung bestand aus einer schwarzen Sammtkappe, die vorne einen silbernen Eichenzweig oder Avenigstens ein Blatt angenäht trug. Der Rock Avar meist ebenfalls aus sclrwarzem Tuch verfertigt und reichte bis zum Knie (deutscher Rock), beinahe ganz wie ein Attila, die langen Kopfhaare waren durch einen Scheitel in zwei Theile getheilt, ungeschnitten, der Bart wuchs frei; im Sommer gieng selten einer von den Burschen mit bedecktem Haupte durch die Stadt. Die Nahrung war ziemlich einfach, sie bestand größtentheils aus Kalbfleisch mit einigem Grünzeug, welches uns anfangs nicht immer schmecken wollte, da z. B. Meerrettig, Petersilie als Zuspeise gekocht und gegessen werden. Abends denkt selten jemand ans Essen, weil anstatt dessen Kaffee, Thee und Brot mit Butter genossen werden. Infolgedessen befiel uns Slovaken einmal die Sehnsucht nach den slovakischen Mehlspeisen, für die wir das Geld zusammensteuerten. Kaum hatte sich die Nachricht davon verbreitet, als sich schon eine Menge von deutschen Burschen und Freunden uns anschloss. Beim Herrn Rumann1) wurden Vorbereitungen dazu getroffen. Als Avir ein Dienstmädchen um Mohn geschickt hatten, brachte sie uns aus der Apotheke oder aus einem Laden so wenig in Papier gehüllten Mohn, dass wir davon Abstand nehmen und statt dessen Topfenkäse (Quarkkäse) wählen mussten. Herr Georg Orszäg, der gewesene Ökonom des Pressburger Alumneum, war Koch, aber leider verstand es keine von der Jenaer Köchinnen oder Dienstmädchen, den Teig zu kneten und zuzubereiten, weil dort ähnliche Mehl- ') Im Original au dieser Stelle: Human. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 20 speisen unbekannt sind. Und so war unser Herr Koch ge-nöthigt, die Hände rein zu waschen und die ganze Arbeit auf sich zu nehmen. Unsere dabei anwesenden Hausfrauen konnten sich darüber nicht genug wundern; anfangs fragten die Deutschen, ob es denn möglich sei, etwas derartiges zu essen und zu verdauen, aber allmählich machten sich auch sie daran, und das schmeckte ihnen so sehr, dass sie uns öfters baten, derartige Gastmähler zu wiederholen. Das Reisen solcher Akademiker, ja auch der Professoren und anderer Männer der Intelligenz in Deutschland ist sehr leicht, billig und bequem. Wenn jemand in Ungarn in das zweite oder dritte Dorf reist, so muss er schon Pferde, einen Wagen, Kutscher, Truhen, Koffer und Gott weiß was für ein Gepäck haben. Der deutsche Reisende nimmt seinen bequemen Ranzen, in dem er die nothwen-digsten Dinge mit sich trägt, auf den Rücken, wandert von Osten nach Westen, mit einer ziemlich einfachen Nahrung zufrieden. Daher kommt es, dass in Deutschland namentlich in der Jugend alles in die Schweiz, nach Italien, zum baltischen Meere u. s. w. reist. §5. Die Professoren und dieWissenschaften in Jena. Gabler. Die körperliche und die geistige Freiheit des Universitätslebens in Jena brachte meinen Geist in den Zustand einer gewissen Unsicherheit, Unbeständigkeit und Oberflächlichkeit. Ich wollte alles hören, alle Wissenschaften kennen lernen und erschöpfen, der Hörer aller Professoren sein. Deswegen besuchte ich im ersten Semester auch Anatomie, und zwar sowohl die des Menschen als auch die der Thiere. Später fühlte ich jedoch, dass solche Flatterhaftigkeit und Zerstreutheit nicht zum Ziele führt, zog die Segel meines Unterrichtsschiffes ein und beschränkte mich auf Theologie, Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaften und Philologie. In der Theologie waren meine Professoren die Herren Johann Philipp Gabler, Schott'), Danz, Stark ') Im Original fehlerhaft Schol. Vgl. jedoch Pameti, S. 282. B07 junior; in der Philosophie Fries, Oken, Bachmann; in der Geschichte Luden; in der Philologie Eichstädt, Hand und Heisig; in der Physik Voigt senior; in der Botanik Voigt junior; in der Mineralogie Lenz; in den Staatswissenschaften Lüder. Das Pressburger Studium, das wie eine Mumie in meinem Gedächtnisse lag, erhielt erst hier Leben, begann sich zu bewegen und zu athmen. Gabler wirkte zuvor in Altendorf als Prediger. Er war ein biblischer Rationalist, freisinnig, aber die Religions- und Glaubenssätze trug er mit der gröLiten Ehrfurcht und Zartheit vor und erörterte sie auch dort, wo er sie als veraltet oder unrichtig aufgefasst ansah. Er war der Schöpfer *) einer neuen Wissenschaft, nämlich der biblischen Theologie, welche er von der kirchlichen Theologie strenge zu unterscheiden pflegte. Die biblische Theologie schöpfte er allein aus den Quellen der heiligen Schrift, wie sie nach der Bildungsstufe unserer Zeit und nach der gesunden Kritik erklärt werden müsse. Die kirchliche Theologie war ihm die von den Kirchenvätern und gelehrten Männern in vergangenen Jahrhunderten niedergeschriebene Wissenschaft. Jene nahm den Sinn aus der heiligen Schrift heraus, diese trug ihn hinein, jene setzte das vor, was Christus und seine Apostel unmittelbar lehrten und sprachen, diese umfasste die menschlichen Auslegungen der Lehre Christi und der Apostel. Herr Gabler gab auch eine theologische Zeitschrift heraus, welche jedoch bis zu einer solchen Zahl von Bänden angewachsen war, dass ich nur einige auswählte und las. Was der wahre Protestantismus sei, das lernte ich erst von diesem Manne, welcher es immer vorzüglich verstand, sich an eine gewisse glückliche, goldene Straße zu halten. §6. Harms. Der Kampf der Theologen. Diesen Mann kannte ich zwar nicht persönlich, aber weil er zu meiner Zeit einen großen Einfluss auf die theologische Welt hatte, also auch auf mich, darf ich ihm hier ■) Kollar urtheilto ziemlich richtig. Vgl. G. Frank, Die .Tenaische Theologie, Leipzig 1858. S. 111 ff. 20* einen Platz nicht versagen. Er war Prediger der evangelischen Kirche in der Stadt Kiel. In der Jugend lernte er als Sohn armer Eltern das Gewerbe und kam erst später, wie unser Doležal, der Verfasser einer böhmisch-slavischen Grammatik, in die Schule. Von seiner eigen-thümlichen Art des Predigens hörte ich viel von seinen Landsleuten, von Augenzeugen. Er stand als der mächtigste Kämpfer gegen den damals herrschenden Vernunftglauben oder Kationalismus auf. Anlässlich des dritten Jubiläums der Reformation veröffentlichte er nach Luthers Beispiel 95 Thesen, die voll waren von Salz, Lauge, hie und da auch Koth, mit welchem er unbarmherzig die berühmtesten Protestanten und Rationalisten bewarf. Wir fünf oder sechs Ungarn: Eerjenöik, Rumann, Benedikti, ich, und ich weiß nicht wer noch, kamen zusammen und lasen diese Thesen mit größter Aufmerksamkeit und Theilnahme. Und in der That deckten sie uns viele Gebrechen der Kirche und der Religion jener Zeit auf und stellten sie uns lebhaft und unvergesslich vor die Augen. Sie bewirkten es, dass die protestantische Kirche fast von neuem aus dem Schlafe erwachte und von den rationalistischen Hirngespinsten und Schwindeleien auf eine goldene Mittelstraße zurückkehrte. Weil dieses Schriftchen von Harms selten ist, so setze ich einige Artikel aus demselben hieher, die mir so sehr gefielen, dass ich sie in mein Tagebuch einschrieb 1). These 21. Die Vergebung der Sünden kostete doch Geld im sechzehnten Jahrhunderte2), aber im neunzehnten hat man sie ganz umsonst, denn man bedient sich selbst damit. These 27. Nach dem alten Glauben hat Gott den Menschen erschaffen: nach dem neuen Glauben erschafft der Mensch Gott. These 32. Die sogenannte Vernunftreligion ist entweder von Vernunft oder von Religion oder von beiden entblößt. ') Ich entnehme den Wortlaut der gegen Harms gerichteten Broschüre: „Die höchst merkwürdigen 05 Th es es oder Streitsätze Šr. Hoch würden Herrn Claus Harms.“ Altona, im Januar 1818. a) Bei Kolldr: kostetote . . . viel Geld. These 52. Eine Übersetzung aber (der Bibel) in eine lebende Sprache muss alle hundert Jahre revidiert werden, damit im Leben sie bleibe'). These 71. Die Vernunft geht rasen in der lutherischen Kirche: reißt Christum vom Altar, schmeißt Gottes Wort von der Kanzel, wirft Koth ins Taufwasser2). These 75. Als eine arme Magd möchte man die lutherische Kirche jetzt durch eine Copulation reich machen (durch Vereinigung mit den Reformierten). Vollziehet den Act ja nicht über Luthers Gebein, er wird lebendig davon, und dann — wehe euch! These 92 8). Die evangelisch-katholische Kirche ist eine herrliche Kirche; sie hält und bildet sich vorzugsweise am Sacrament. Sie ist dem Menschen für das leibliche Dasein die geeignetste. These 93. Die evangelisch-reformierte Kirche ist eine herrliche Kirche. Sie hält und bildet sich vorzugsweise am Worte Gottes: (sie ist dem Menschen als vernünftigem Wesen angemessen)4). These 94. Herrlicher als beide ist die evangelischlutherische Kirche. Sie hält und bildet sich am Sacrament und am Worte Gottes. § 7. Die deutschen Pietisten. Das erste Vierteljahr nach meiner Ankunft in Jena wohnte ich mit Mažiri bei einem gewissen Kopsch, einem Bürger und Schuster, der in der Nähe der Universitätskirche sein eigenes Haus hatte. Er wohnte mit seiner Familie im Parterre, uns wurde aber der obere Stock gegeben, ‘) Diese Wortstellung in meiner Quelle. 8) Im Original folgt noch: „Mischt allerlei Leute beim Gevattor-stand, wischt die Anschrift des Beichtstuhles weg, zischt die Priester hinaus und alles Volk ihnen nach, und hat das schon lange gethan. Noch bindet man sie nicht? Das soll vielmehr echt lutherisch und nicht carstadisch sein!“ s) Diese und die beiden folgenden Thesen sind bei Kollar als These 93 zusammengefasst. *) Fehlt in meiner Quelle, wo ein geräumiges Wohnzimmer und eine Schlafkammer vorhanden waren. Herr Kopsch gab uns dieses Zimmer etwas billiger unter der Bedingung, dass wir es jeden Samstag abends auf eine oder zwei Stunden abtreten; denn um diese Zeit sollen sich bei ihm wackere Leute und Christen versammeln. Einige Wochen beachtete ich diese Zusammenkünfte nicht, da ich aus dem Hause gieng. Einmal verführte mich aber die Neugierde, und ich wollte erfahren, was diese Menschen dort machen, weshalb ich absichtlich zu Hause blieb. Zuerst wurden die Fenster mit Vorhängen verdeckt, dann eine Menge Kerzen angezündet, der Tisch wie zu einem Altar hergerichtet. Um sieben Uhr kamen ungefähr zwanzig, manchmal auch dreißig verschiedene Personen beiderlei Geschlechtes zusammen; ich fragte den Hausherrn, ob es mir erlaubt sei, anwesend zu sein. „0 ja, wir werden es uns zur Ehre anrechnen!“ Einer von den ältesten Bürgern begann mit stiller, aber ernster Stimme ein Lied zu singen, wonach die ganze Versammlung sang. Dann standen alle auf und beteten mit solcher Innigkeit, dass das wie ein Wunder auf mich wirkte. Darauf folgte aber leider die Lectüre der abgeschmacktesten deutschen Andachtsbücher, wo nur von der Erbsünde, vom Teufel und der Hölle, von den Wundern und dem Blute Christi und von ähnlichen Dingen die Rede war. Hernach folgte eine freie Besprechung, eine Art Conversation über religiöse Fragen, bis sie endlich mit dem Segen und dem christlichen Kuss auseinander giengen. Ich war bei allem dem absichtlich nur ein stiller Theilnehmer. Aus allem war die Sehnsucht nach einer innigem Religiosität zu erkennen, als es jene kalte, nur denVerstand beschäftigende war, wie sie um jene Zeit in allen deutschen Gotteshäusern herrschte. Ich hatte jedoch gleich das erstemal des Besuches dieser Gesellschaft für immer genug und nahm nur die Bitte und den Wunsch von dort mit, möge so etwas in unserer Nation nie zum Vorschein kommen, dass zwischen der Geistlichkeit und dem Volke, zwischen der Kirche und dem Hause ein derartiger Zwiespalt ausbrechen würde. §8. Heinrich Luden. Drei Professoren in Jena übten auf meinen (reist den größten Einfluss aus: Oken, Luden und Pries. Luden hatte unter allen Professoren den geräumigsten Hörsaal und die größte Zahl der Hörer. Im Sommer gab es ein solches Gedränge, dass wir kaum athmen konnten und uns der Schweiß von der Stirne rann. Die Fenster waren voll von Köpfen der von außen dem Hörsaale zugekehrten Hörer, welche im Hofe auf Leitern, die an die Wand gelehnt waren, standen. Eine solche Leiter musste man entweder, wenn man es wollte, selbst bringen oder dafür dem Pedell besonders zahlen. Boi Luden hörte ich im Vereine mit Benedikti nicht nur die ganze allgemeine Geschichte, sondern auch speciell die Geschichte des deutschen Volkes. Schon in jener ersten beobachtete ich hie und da bei Luden eine gewisse Son-derlichkeit, aber in der Geschichte des deutschen Volkes verwandelte sich diese Sonderlichkeit in eine Verwirrung der germanischen und slavischen Elemente, namentlich der Mythologie beider Völker. Luden war nämlich imzufrieden mit den seltenen und trockenen Quellen, aus denen die Deutschen die Nachrichten über die heidnische Koligion ihrer Vorfahren schöpfen, das ist mit Tacitus und Cäsar, bei denen wir kurze Nachrichten über die germanischen Gottheiten antreffen; er wollte dieses Gebiet zum Vortheile seines Volkes erweitern, weshalb er zu Adam von Bremen, Saxo Grammaticus, Helmold, Thietmar und zu andern Zuflucht nahm und das, was diese von den Slaven erzählen, wenigstens zum größten Theil auch auf die Deutschen bezog. Er verwahrte sich aber ungefähr auf folgende Art: Diese Gebiete seien früher deutsch gewesen, die Wenden konnten diese Götzen und Ceremonien von Deutschen erben oder entlehnen, niemand sei im Stande, strenge Grenzen zwischen so vermischten Völkern zu ziehen u. s. w. Ich konnte mich nach Beendigung der Vorlesung nicht länger enthalten, gieng auf eine freundschaftliche Privat-Unterredung zu Luden und trug ihm in höflicher Weise meine slavische Anschauung in dieser Hinsicht und geradezu meinen Pro- 31‘2 test vor. Das war vielleicht die erste lebendige Stimme, die von einem Slaven von Angesicht zu Angesicht gegen die Ungerechtigkeiten der Deutschen erhoben wurde. Ich hatte hier auch Auszüge und zum Theil die Werke dieser Schriftsteller, welche die slavische Mythologie beschreiben, selbst mit, weshalb ich nicht aufs Gerathewohl sprach und sagte: „Hier steht ja überall ausdrücklich Slaven, Wenden, Obotriten, Pommeraner, Polaben u. s. w., ja sogar die Namen dieser Götter: Svatovit, Eadegast, Svatobor, Henil, Hmil u. s. w., können nur aus der slavischen, niemals aus der deutschen Sprache erklärt werden.“ Herr Luden war längere Zeit in Verlegenheit und hatte allerlei Ausreden, aber schlieii-lich gab er zu, dass er mit der slavischen Sprache nicht so vertraut sei, und dass er künftig diesem Capitel seiner Geschichte eine sorgfältigere Aufmerksamkeit und Kritik widmen werde. Und in der That geschah es, dass Herr Luden in seinem Werke: „Geschichte des Teutschen Volkes“, Gotha 1829, Band I, Seite 5B5, wo er von der alten germanischen Mythologie schreibt, der slavischen Götzen und der Schriftsteller über die slavische Mythologie nicht einmal Erwähnung thut. Ob das eine Folge dieser meiner Unterredung oder anderer Umstände war, lasse ich unentschieden. Es genügt, dass er, als ich ihn zum zweitenmale aus Pest im Jahre 1835 besuchte und ihm einige Bouteillen Tokayer zum Geschenke machte, mir mit Lächeln dafür dankte und mich „mein slavischer Lehrer“ nannte. §9. Lorenz1) Oken. Der zweite mir in Jena denkwürdige Mann war Oken, obgleich katholischer Religion, dennoch einer der freisinnigsten Weisen. Bei ihm hörte ich Naturphilosophie und Naturgeschichte. Lange konnte ich mich in seine Art des Redens und Denkens nicht hineinfinden; er war mir eine wahre Sphinx, voll von Räthseln, aber allmählich klärte sich der Horizont meines Denkens und meiner Augen auf, und ich erblickte in der That einen der tiefsten Erforscher ‘) Kollar nennt ihn falsch Ludwig. der Natur und einen der größten Männer unseres Jahrhunderts. Luden war ein Mann von Welt, von feinen Manieren, höflichen Verbeugungen, von correcter und wohlklingender Sprache: Oken war ein Mann der Schule, von vernachlässigten Manieren, ungehobelter Sprache, mit häufig vernachlässigter Kleidung. Sein Katheder schien ein Fass des Diogenes zu sein, aber dennoch herrschte vielleicht nirgends eine größere Stille und Aufmerksamkeit als in seinem Hörsaal. Nur schade, überaus schade, dass es so wenig Ungarn unter seinen Hörern gab, weil sich der größte Th eil nur auf sogenannte Brotstudien beschränkte. Zwei Stunden blieben mir aber bei Oken namentlich unvergesslich. Eine, in welcher er uns die Schöpfung der Welt und namentlich die Entstehung unseres Sonnensystems mit seinen Planeten und Monden erklärte und die Entstehung des Menschen aus dem Wasser am Meeresufer. Es schien mir, als ob ich der Augenzeuge des Schöpfers in dem Momente wäre, als er diese Dinge schuf. Allerdings gab es dabei viel Poesie und Phantasie, aber mir gefiel gerade dies, dass er im Spiegel derselben so erhabene Dinge so schön und deutlich zu erklären verstand. Die zweite Stunde bei Oken war bei einer botanischen Excursion unter freiem Himmel. „Meine Herren,“ sagte er, „ich will Sie nicht mit botanischen Systemen der gelehrten Schulen und Bücher belästigen, kommen Sie her und schauen Sie diesen vor uns stehenden Baum an, da haben Sie auch das vollkommenste und genaueste Pflanzensystem. Dieser Baum besteht aus vier Haupttheilen, nämlich aus Wurzel, Stamm, Zweigen und Blättern; deshalb müssen auch nur vier Hauptclassen im Pflanzenreiche Vorkommen, denn der Baum ist nichts anderes als ein Com-plex und Spiegel aller Pflanzen, denn die Pflanzen sind nichts anderes als ein zergliederter und auf die Erde gelegter Baum. Die erste, niedrigste Classe der Pflanzen muss also wurzelähnlich sein, wohin die Schwämme, Pilze und ähnliche gehören; die zweite Classe der Pflanzen muss stammähnlich sein, wohin verschiedene Hölzer und Bäume gehören; die dritte Classe der Pflanzen muss zweigähnlich sein, wohin die Stauden, Sträucher und Gebüsche gehören; die vierte Glasse der Pflanzen muss blattähnlich sein, wohin die Gräser und verschiedene Kräuter gehören. In diese vier Classen wurden hernach von selbst alle uns bekannten Pflanzen hineingeworfen. “ § 10. Jakob Friedrich Fries. Kleine Ursache, große Wirkungen. Im ersten Semester meines akademischen Studiums kannte ich diesen Mann nur aus einigen seiner Schriften, aber seine Vorlesungen hörte ich noch nicht; ein glücklicher Zufall brachte mich jedoch in ein näheres Verhältnis zu ihm. Fries hatte ein eigenes Haus mit einem kleinen Garten, aus dem eine Thür auf den Graben führte. Ich sah einst beim Spaziergang auf dem Graben diesen tiefen Denker mit seinem fünf- oder sechsjährigen Söhnlein vor der Thür jenes Gärtchens stehen. Zwischen dem Gärtchen und dem Graben gab es nämlich noch Wasser und Koth aus dem geschmolzenen Schnee; der gute Vater machte sich also daran, sein Söhnlein auf die Hände zu nehmen und es über das Wasser und den Koth zu tragen. Ich sprang hinzu und sagte: „Herr Hofrath, erlauben Sie mir, dass ich das mache, ich bin jünger“, nahm den Knaben und trug ihn auf die Grabenpromenade. Fries dankte für diese Aufmerksamkeit, schloss sich mir auf der Promenade an und fragte mich nach meinem Vaterlande und dem Namen. -— „Ich bin Kollar, aus Ungarn gebürtig“, antwortete ich. — „Ich hatte und habe die Ungarn immer besonders gern, denn sie benehmen sich auf unserer Universität gewöhnlich lobenswert.“ — „Entschuldigen Sie, Herr, dass ich Sie auf einen in Deutschland häufig herrschenden Irrthum aufmerksam machen muss; dieses Lob gebürt nicht sosehr den Magyaren als den Slovaken, denn fast alle diese Ungarn, die auf der hiesigen als auch auf andern Universitäten Theologie studieren, sind Slovaken. Auch ich bin kein Magyare, sondern ein Slovake, der Nation und Sprache nach den Böhmen und Mährern verwandt.“ — «Nun, so sind Sie mein Landsmann,“ sagte Fries, „und das in zweierlei Hinsicht, in geistiger und in körperlicher. In geistiger deshalb, weil ich und mein Vater der in Böhmen entstandenen Brüderkirche angehören, in körperlicher aber deshalb, weil meine Mutter Christiane Sophie Jäschke1) aus Böhmen oder eigentlich aus Mähren stammt. Ich wurde nämlich in Barby (Borivoj) im Jahre 1773 geboren; meine Mutter wanderte aber in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts mit den Böhmisch-mährischen Brüdern und Exulanten zuerst nach der Oberlausitz ein und von dort in das gegenwärtige Preußisch-Sachsen.“ ln der That war Herr Fries ein eifriges Mitglied dieser Kirche der Böhmischen Brüder. Er lobte sie öffentlich in seinen Vorträgen und Büchern als ein Muster kirchlicher Frömmigkeit; er nannte die Böhmischmährischen Brüder seine Väter, z. B. in der Schrift: „Von deutscher Philosophie, Art und Kunst“, Seite 9G. Nachdem wir den Spaziergang beendet und über verschiedene Fragen gesprochen hatten, lud mich Herr Fries zum Besuche seines Hauses ein. Von dieser Zeit an gehörte ich ihm und er mir. Ich hörte seine philosophischen Vorlesungen und die Ästhetik, was meinem Geist hernach sehr zustatten kam, denn was mir Harms in der Theologie, das war mir Fries in der Philosophie. Gabler selbst riss in der Theologie für-wahr mehr nieder, als er aufbaute. Wie mir Harms meine theologischen Principien und Kämpfe zwischen dem Supernaturalismus und Nationalismus ins Gleichgewicht bringen half: so jebnete und söhnte Fries meine philosophischen Anschauungen aus, welche lange zwischen dem Oken’schen Materialismus, Schelling’sehen und Fichte’schen Idealismus und dem Kant’schen trockenen Materialismus (?)2) herumschwankten. Sein Hauptziel und Bestreben, das ihm auch ausgezeichnet gelang, war: die Beligion, Moral und Ästhetik in eine Idee zu vereinigen, nämlich in die Idee der ') Diese Namensform finde ich bei E. L. Th. Henke, Jakob Eriedrieli Fries, Leipzig 1867, S. 4. Nach dem Original (Ježkova) könnte der Name Ježek lauten, was auch wahrscheinlich ist. '2) Rationalismus? Moralismus? schönen Seele. Seine Schriften, namentlich sein Wissen, Glauben und Meinen wirken still, aber tief und wohlthätig auf jede reine Seele. Sein Hörsaal war überfüllt. Beim Erklären der vorgesprochenen Artikel sprach er so hoch, künstlerisch, correct, in langen und dennoch abgerundeten Perioden, dass das sofort gedruckt werden konnte, wie es aus seinem Munde kam. Er war auch der Liebling und Freund der deutschen Burschenschaft. Wegen seiner Theil-nahme an der Jubiläumsfeier auf der Wartburg musste er viele Unannehmlichkeiten ertragen, bis ihm endlich auch die öffentliche Lehrthätigkeit verboten wurde, obgleich er den vollen Gehalt von der Weimarer Regierung bis zum Tode ausbezahlt erhielt. § 11. Wolfgang Goethe1). Kaum hatte ich mich in Jena niedergelassen und umgesehen, so war es meine erste Aufgabe, nicht nur die Professoren, sondern auch andere berühmte dort lebende Männer oder wenigstens ihre Denkmäler und Häuser, in denen sie wohnten und arbeiteten, zu sehen und kennen zu lernen. Der Zufall wollte aber, dass Herr Wolfgang Goethe nicht weit von uns wohnte; ihm galt daher mein erster Besuch. Ich war zuerst mit Mažari2) dort und später öfters allein. Zuerst lieh er uns im Vorzimmer ein wenig warten, bis er sich angeblich angezogen und hergerichtet habe. Und es trat dieser deutsche Jupiter mit erhabener Höflichkeit und mit gemessenen Schritten und Worten vor uns. Auch Herr Goethe war der Meinung, dass in Ungarn nur Magyaren ‘) Das Capitel über Goethe ist wohl das schwächste in Kollars Erinnerungen. Sehr scharf geht mit ihm A. V. Kraus (Goethe a Öechy, v Prazo, 1896, S. 57—60) zu Gericht, theilwoise mit Unrecht (vgl. o. S. 109). Kollar beweist durch seinen Bericht, dass er Goethe noch sehr wenig kannte, ihn bloß „durch Zufall“ zuerst aufsuchto und auch später in kein richtiges Verhältnis zu ihm trat. Was Kollar von Goethe erzählt, gründet sich offenbar meist auf studentisches Gerede und auf die Vorwürfe der „Teutschon“. 2) Kraus fand zuletzt (S. 171) einen documentarischen Belog für diesen Besuch in Goethes Tagebüchern unter dem 7. November 1817: „Zwey Ungarn“. wohnen, weshalb er auch uns für Magyaren hielt. Als ich aber dagegen protestierte und sprach: „Herr, ich bin ein Slovake oder, wenn Sie wollen, ein Slave, dieser mein College ist aber ein Halbmagyare, ein Halbdeutscher“, so lachte Herr Goethe laut über diese meine Aufrichtigkeit auf, wandte sich dann zu mir und bat mich vertraulich, ich möge ihm einige slovakische Volkslieder besorgen und übersetzen, weil er von ihrer großen Zahl und Schönheit viel gehört habe. Um die magyarischen habe er schon viel gebeten und viel geschrieben, aber bisher habe er keine erhalten können. „Ich höre, die Magyaren sollen ebenso sanglos sein wie unser deutsches Volk“ So giengen wir auseinander. Ungefähr nach einem Monate begegnete ich Herrn Goethe im Fürstengarten2) auf einem Spaziergang, und er richtete gleich seine Schritte auf mich zu und sprach vorwurfsvoll: „Was machen die slovakischen Gesäuge?“ Ich entschuldigte mich mit dem Mangel an Zeit im Anfang des Universitätsjahres, erfüllte aber dasVersprechen, sobald die ersten Arbeiten, die sich angesammelt hatten, geringer wurden. Einige von jenen erschienen in metrischer Bearbeitung in der von Goethe herausgegebenen Zeitschrift3). Beim zweiten und bei folgenden Besuchen legte Goethe den Minister und Hofmann schon ganz ab und schien mehr ein Patriarch und Vater zu sein. Goethe hatte die Gewohnheit, fast jeden Tag in einer Kutsche, vor die zwei Schimmel gespannt waren, um Jena herumzu-fahren und dabei mit seinem Kutscher wie mit seinem vertraulichsten Freund laut zu sprechen oder zu streiten. Unser Freund Herr Sam. Ferjenöik4), ein vorzüglicher Sänger und *) *) Diese Worte bringt Kollar im deutschen Original. ») S. o. 302. — ») Vgl. o. S. 199, Anm. 2. 4) Im Vyklad ku Shivy Dcefe (S. 351—352) berichtet Kollar noch, dass ihm Ferjenöik so manche Stunde in Jena durch Gesang und Spiel versüßte. Mit Goethe, der gerade slovakische Volkslieder suchte und übersetzte, machte ihn Kollar bekannt. Vgl. den Artikel Schröers „Goethe und ein Candidat der Theologie aus Ungarn“ in der „Chronik des Wiener Goethevereins“, IV, 7. Kraus (Goethe a öeohy, 69) bemerkt, dass Schröer engherzig die slovakische Nationalität Ferjenciks verschwiegen habe. Durch vier Predigten, die er Guitarrespieler, pflegte einen noch häufigeren und häuslicheren Verkehr mit Goethe, weil er seine Balladen und Romanzen: Der Erlkönig, Der Sänger, Fischer u. s. w., vor-trofilich zu singen verstand. In Deutschland ist es Sitte, dass zu Weihnachten am sogenannten Weihnachtsabend die Eltern den Kindern einen kleinen, mit Bändern, Kerzen, Obst u. s. w. geschmückten Baum zu Geschenke machen. Einst wurde auch Goethe am Weihnachtsabende zu einem solchen häuslichen Freudenfest zum Professor Lossbach1) geladen, der nur eine einzige, schon erwachsene Tochter hatte, welcher er im Nebenzimmer einen solchen schönen Weihnachtsbaum mit Äpfeln und anderen Gaben herrichtete. In einem anderen Zimmer musicierte man unterdessen, sang, spielte Karten und conversierte mit Goethe. Aber gleichzeitig stahlen sich bei einer andern Thüre zwei schelmische Kumpane und Spassvögel in jenes geschlossene Zimmer hinein, beraubten den ganzen Baum der Früchte, Äpfel und Nüsse und kehrten wieder in die Gesellschaft zurück, als ob nichts vorgefallen wäre. Schlag sieben Uhr kam der Hausvater mit der Tochter an der Seite in die Gesellschaft, öffnete die Thür und lud die Gesellschaft in jenes Zimmer zum Weihnachtsbaum ein. Wie groß war die Verwunderung und der Schrecken aller, als der Baum leer und nackt in der Mitte des Zimmers stand. Goethe stand vor dem Baume mit über die Brust geschlagenen Händen, schwieg und dachte. Und es entstand in der ganzen Gesellschaft große Stille in Erwartung dessen, was daraus werden, was Goethe dazu sagen werde. Dieser öffnete den Mund und sprach scherzhaft mit ernster Stimme: „Eva, verziehen sei Dir, es haben ja Söhne der Weisheit rein geplündert den Baum, welchen der Vater gepflanzt.“ Freudiges Händeklatschen, in den Jahren 1833—1839 in Pest veröffentlichte, gehört er der böhmischen Literatur an. Die erste dieser Predigten hielt er bei einer Installation des Dichters der „slavischen Hymne“ (d. i. Hej Slovane), Samo TomAšik. Koll&r berichtet (1. c. 35‘2), dass er noch andere Manu-scripte besaß. ') Lorsbach? (J. W.) Gelächter und Scherzen ertönte bei diesen witzigen Versen von allen Seiten und versüiite in erfreulicher Weise diesen ganzen Abend bis in die späte Nacht hinein. Als die berühmte italienische Sängerin Madame Catalani auf ihrer Reise durch Europa nach Karlsbad kam und dort ein Concert gab, war auch Goethe dabei anwesend. Beim italienischen Gesänge der Catalani war Goethe so kalt und unaufmerksam, dass er dieser Sängerin fast keine Aufmerksamkeit schenkte und mit andern über verschiedenartige Sachen sprach. Als die Catalani ihren italienischen Gesang beendete, fieng auf Verlangen der Gesellschaft die Gemahlin des österreichischen Gesandten in Dresden an zu singen. Bei den ersten Klängen erhob sich Goethe von seiner Stelle und rief mit erhöhter Stimme: „Diesen Tönen sind wir näher verwandt, es ist das deutsche Herz, das uns entgegenklingt“, wodurch sich Frau Catalani so beleidigt fühlte, dass sie in kurzer Zeit von dannen zog1). Eine schöne Eigenschaft Goethes müssen wir auch hier verherrlichen, nämlich die, dass er überall, wo er wohnte oder wo er hin kam, alles, woran er hieng, alle Gegenden und Lebensbande zu verschönern und ihnen ein gewisses höheres, edleres Aussehen und eine Bedeutung zu geben suchte. Der herrliche Park in Weimar ist größtentheils sein Werk. Bei Jena hinter der Saale, wo man linker Hand nach Wölnitz geht, war am Abhange des Hügels ein unbedeutendes Loch, das er in eine herrliche, geheimnisvolle Grotte, als ob Calypso in ihr wohnte, verwandelte, so dass der Weimarer Hof darin öfters seine Namens- und Geburtstage und ähnliche Freudenfeste feierte. Mag unterdessen die Goethe in Gesellschaften erwiesene Achtung noch so groll gewesen sein, so war sie dennoch mehr erzwungen und kühl als *) *) Vgl. A. Kraus, o. c. 69. Diese Goethe zugemuthete Unhöflichkeit, die Kollar wegen ihres deutschpatriotisehen Charakters so gefiel, roduciert sich in Wirklichkeit auf ein Lob der Gräfin Bom-belles, welche heim Fürsten Schwarzenberg in Anwesenheit der Catalani sang. Die angeführten Worte Goethes gelangten aus einem Briefe von Gentz in die Bayreuther Zeitung und so auch nach Jona. freiwillig und herzlich. Es erzwang sie sein Grenius, sein Leben kühlte sie aber bei denjenigen ab, die es in Einzeln-heiten kannten. Goethe lebte ehelos oder richtiger in außerordentlicher Ehe, die erst später und gleichsam aus Zwang zu einer ordentlichen wurde; der Sohn Goethes war ein Säufer und Excessmacher. Ich würde alles diesem Manne verzeihen, aber dass er in Sesenheim eine unschuldige Seele, Friederike Brion, eine Pastorstochter, zuerst unglücklich machte und sie dann sitzen ließ und in Verzweiflung stürzte, das lag mir immer schwer am Herzen. Bei großen Männern vermissen wir ungern die höchste Größe, nämlich die Sittlichkeit, Gebrechen und Leichtsinnigkeiten, mit denen sie vielleicht nur sich schadeten, verzeihen wir ihnen, unsittliche Handlungen aber dürfen wir, wenn wir es auch wollten, nicht übersehen und geringachten. Schiller ist in Weimar begraben; er wohnte und schrieb „Maria Stuart“ in Jena in einem ziemlich kleinen Garten. Wieland hat ein Denkmal in Tiefurt, einige Stunden von Jena. Seinen Sohn Ludwig, den Herausgeber der politischen Zeitschrift „Patriot“, kannte ich sehr gut und lieferte ihm auf sein Verlangen einige Artikel über Ungarn, welche dort ohne Namen gedruckt worden sind'). § 12. Jan Benedikti. Vorbereitung zum Zweikampf. Nicht ohne Scham komme ich zu diesem Capitel und Ereignisse meines akademischen Lebens ; ich kann es jedoch weder verschweigen, weil es allen meinen akademischen Collegen ohnehin bekannt ist, noch will ich es, weil es zur Vollständigkeit der Biographie und zur Aufrichtigkeit meiner Seele gehört. Wie ein Maler nicht bloß erhabene Züge, angenehme Bewegungen und schöne Farben, sondern auch Fehler und Verirrungen der Natur, Warzen, Narben und Gesichtsflecken darstellen und malen muss, wenn sein Bild das Lob der Treue verdienen will, so muss auch der Bio- ■) Jakuboc (Osveta, 1893, S. 1004) hat größere Aufsätze über Ungarn darin nicht gefunden. Ich möchte jedoch nicht annehmen dass Kollars Angaben ganz unrichtig seien (vgl. S. 200). graph beide Seiten seines Lebens, die helle und die dunkle, Licht und Schatten, Tugenden und Verirrungen gewissenhaft schildern. Vor allem muss ich aber bekennen, dass ich zuvor und nachher den Zweikampf als Thorheit verworfen habe und verwerfe, aber ich erfuhr es dennoch, dass Momente und Verhältnisse im Menschenleben verkommen, wo das Faustrecht das einzige Recht und die eigene Genugthuung die einzig mögliche Genugthuung ist. Überdies hasste ich von Kindheit an jede Erniedrigung und jedes Kriechen vor andern. Es gibt Verhältnisse und Gesellschaften, in denen Feigheit die größte Schmach ist,, wo wir unsere Ehre und Sicherheit nicht anders wahren können, als durch persönliche Kühnheit und Unerschrockenheit, durch welche wir auch in der That bereit sind zu beweisen, dass uns Ehre und Menschenwürde theuerer sind als das leibliche Leben selbst. In solchen Verhältnissen befindet sich oder befand sich zu meiner Zeit jeder Jüngling an der Jenenser Akademie. Schon zuvor in Ungarn prätendierten einige Söhnlein von Geistlichen und reichen Eltern hochmüthig auf irgend welche Bevorzugung vor andern Theologen und blickten mit einer gewissen Verachtung auf die ärmeren, namentlich auf die sogenannten Alumnisten herab, weil sie nicht wie sie Geld auf alles verschwenden oder sich ihnen gleich kleiden konnten. Solche Glückskinder, welchen alles sozusagen vom Himmel herunterfiel, wussten nicht, was es bedeutet, auf sich selbst in der Welt angewiesen zu sein, auf eigene Kosten zu leben und auf eigenes Risico die Studien zu beginnen und zu vollenden. Herrn Jan Benedikti kannte ich schon in Neusohl, aber nur von weitem, da er dort in der Syntax bei Koch, ich aber in der Rhetorik und in der Prima bei Magda1) war. Zu meiner Zeit studierten in Jena dreißig Candidaten aus Ungarn. Da im ersten Semester das Convictorium2) von zwölf anderen Ungarn l) Magda war ein von christlicher Humanität erfüllter, vorzüglicher Lehrer, dem Kollar das dankbarste Andenken bewahrte. Vgl. Pameti (Spisy, TV), S. 172-173. a) Der zwölite Tisch desselben für Studierende aus Ungarn und Dr. Murko. Deutsche Einflüsse etc. 21 besetzt war, so speisten wir übrigen in einem Privathaus, wo auch viele deutsche Akademiker ihren Tisch hatten. Das Zimmer war lang, aber so eng, dass das Weggehen zwischen den Stühlen und der Wand beschwerlich fiel. Als ich einmal an der Spitze des Tisches saß und eine besonders dringende Arbeit zu Hause hatte, stand ich nach dem Essen gleich auf und wollte neben der Wand zur Thür gehen. Ungefähr auf dom dritten oder vierten Sessel von mir saß Jan Benedikti, der etwas später zum Essen gekommen war. Als ich zu seinem Stuhle kam, sprach ich: „Lass mich, ich muss nach Hause.“ Er wandte sein Gesicht zur Hälfte um und sprach etwas spöttisch und halblaut: „Wenn ich Kollar wäre!“1) und wollte nicht aufstehen. Ich war von diesem unerwarteten Ausdruck und Accent überrascht und fragte sofort: „V/as willst du denn darunter verstehen?“ Er antwortete mit zweideutiger Stimme: „Verstehe darunter, was du willst.“ Bei diesen Worten lenkten alle anwesenden Gäste ihre Augen auf uns. Ich kehrte zurück und gieng auf der anderen Seite hinaus. Zu Hause wartete ich mit beleidigtem Gefühl einen ganzen halben Tag und suchte das erregte Herz zu beruhigen. Am Abende kam wie gewöhnlich in mein Zimmer Freund Giemen, ein Deutscher aus Lippe-Detmold, eine herrliche Seele (sieh über ihn in den Erläuterungen zu „Shivy Dcera“)2), und ich erzählte ihm, was vorgefallen ist. „Das darfst du nicht so lassen“, sagte er. „Das ist eine Missachtung nicht nur für dich und deine Person, sondern eine der ganzen Burschenschaft angethane Beleidigung, da das oberste Gesetz lautet: ,Einer für alle und alle für einen.1“ Darauf ich: „Was geht mich Euere Burschenschaft an, ich selbst lasse das wegen meiner persönlichen Ehre und Sicherheit nicht auf Siebenbürgen wurde erst 1815 gestiftet. Rieh. u. Rob. Keil, Geschichte des Jenaischen Studentenlebens, 415. A. L. Haan (Jona hungarica, 7) spricht wohl irrthümlich von zehn Plätzen. ') Diese Worte überliefert Kollar in deutscher Sprache. 5) Vyklad ku Slavy Deere, 150—159, wo ein Brief Clemens (vom 20 August 1819) nach ihrer Trennung abgedruckt ist. sich beruhen und kann es nicht, lassen, weshalb ich dich bitte, morgen früh zu Herrn Benedikti zu gehen und ihm meine Botschaft zu überbringen, dass ich will und verlange, er möge sich deutlicher erklären, was er mit jenem beleidigenden Ausdruck meinte.“ deinen richtete am nächsten Tage in der Früh aus, was ihm aufgetragen worden war, brachte mir aber dieselbe Antwort, ich möge mir das erklären und auslegen, wie ich wolle. Ich schickte ihn sofort zurück, damit sich Herr Benedikti wähle, mich entweder öffentlich in Anwesenheit aller derjenigen, die dort dabei waren, um Verzeihung zu bitten, oder mir die übliche akademische Genug-thuung nach zwei Wochen zu geben. Herr Benedikti soll darauf gar nichts geantwortet haben. Ich war daher auf alles gefasst, da ich meinte, er habe das letztere gewählt. Zwei oder drei Tage brachte ich schon mit der Übung im Fechten zu. Auf einmal kamen am Sonntag zwei Landsleute zu mir, die Herren Rumann und Orszag, als Abgesandte aller im Gasthause des Herrn Jack versammelten Ungarn, mit dem Aufträge, dass ich keinen Anstand nehmen solle, ebenfalls in ihrer Gesellschaft zu erscheinen. Sie erlauben es etwa nicht, dass die Sache so weit käme, sondern seien umsomehr bereit, eine Aussöhnung zu vermitteln, als Herr Benedikti versprochen habe, mir Abbitte zu leisten. Ich gieng nun sofort mit ihnen hin und fand beim Offnen der Thüre das ganze Zimmer voll. Ein gewisser Herr Turcany '), jetzt Professor in Raab, nahm das Wort, worauf Herr Benedikti erklärte, dass er mich um Verzeihung bitte, wenn er mich beleidigt habe. Wir mussten uns zum Zeichen der Versöhnung die Hände reichen, und so endete dieser Streit. Es ist sonderbar, dass wir später mit Herrn Benedikti wirklich gute Freunde wurden, namentlich deshalb, weil wir zwei allein unter allen Ungarn in Jena wirkliche Liebhaber und Pfleger der böhmisch-slavischen Literatur wai'en. Er und ich gründeten in seiner Wohnung sogenannte böhmisch-slavische Besedas (Unterhaltungen), lasen die seohstheilige Bibel in Octav, die er besati, brachten allerhand Arbeiten •) TurcsAnyi Joh. Vgl. A. L. Haan, Jena hungarica, 142. und übten uns überhaupt in der Muttersprache, soweit es angieng Aber leider dauerte dieser Eifer bei den übrigen Slo-vaken nicht lange, wir blieben zuletzt fast allein und lasen auch polnische und russische Bücher. Mit Herrn Benedikti hörte ich auch Luden. Als er einmal von Safafik in Pressburg Abschriften und Bruchstücke der soeben vom Herrn Hanka entdeckten Königinhofer Handschrift erhalten hatte, übergab er sie mir in einem Umschläge versiegelt während der Vorlesung. Auf dem Umschläge befand sich aber eine Bemer-kung des Herrn Benedikti, in welcher er mir zuerst etwas von diesen entdeckten Schätzen erzählte, zuletzt mich aber zur Treue und Ausdauer in der Liebe zur Nation ermahnte und endlich sein Schreiben mit einem anzüglichen Verse schloss, in welchem er gleichsam an meinem Nationalitätsgefühl zweifelte. Ich nahm sofort die Feder in die Hand, dankte ihm für die Mittheilung dieser Schätze und versprach, dass ich ihm dieselben nach kurzer Zeit, wenn ich sie ganz durchgelesen habe, zurückgeben werde. Das Schreiben beendete ich mit folgendem Schlüsse: „Was soll aber, Freund, dieser kleine Viperschwanz am Schlüsse bedeuten: Bleibe nur du treu der Nation, — ich werde es immer sein!“2) Das hinderte uns jedoch nicht in unserer Freundschaft, denn es vereinigte uns die gleiche Neigung zu unserm Volke. Ich wanderte mit Benedikti nach Weimar in das dortige Theater, so oft irgend ein classisches Stück aufgeführt wurde, und wir kehrten von dort noch in der Nacht zurück, manchmal bis zur Haut durchnässt, um nur unsere Stunden und den Unterricht nicht zu versäumen; ja selbst nach Lobeda pflegte mich Herr Benedikti zu begleiten, wo ') Vgl. Tydonm'k, 1818, Seite 79, wo er berichtet (26. Jänner 1818), dass sie eine „Slovenskä beseda“ gründeten und sich an Sonntagen auf eine oder zwei Stunden versammelten und wenig Zeit und Bücher hatten. s) Im Original ein Distichon. Es ist interessant, dass KollAr die ersten Nachrichten über die Königinhofer Handschrift, wie sein Tagebuch beweist, skeptisch aufgenommen hat (Jakubec, Osveta 1893, S. 983—984). wir viele selige Stunden zusammen verbrachten. Diese Freundschaft dauerte noch in den ersten Jahren meines Aufenthaltes in Pest, als Herr Benedikti noch ein eifriger und thätiger Slave war, mit mir, Šafafik und Palacky an dem Plane einer Sammlung und Herausgabe der Volkslieder und anderer Werke mitwirkte. Auch in Kesmark war er noch auf dem Gebiete unserer Nationalität und Literatur thätig und erwarb sich das grolle Verdienst, dass er der erste war, der eine ordentliche slovakische Gesellschaft in Kesmark gründete und den Jünglingen den Geist der Nationalität ein-flöllte, von wo dann dieser Geist auch in die übrigen Anstalten übergieng und ähnliche Gesellschaften schuf. Leider blieb Herr Benedikti inmitten des so löblich begonnenen Weges stehen. Was hätte so ein Mann für unser Volk namentlich in diesen unseren traurigen Zeiten wirken können! Dieser Mann starb im Jahre 1847, ungefähr am 19. November, an der damals grassierenden Typhuskrankheit. Uber seinen Tod schrieb Freund Ferjenčik am 18. December des Jahres 1847 Folgendes: „Unser Mitschüler J. Benedikti gieng zu den Vätern. Als er einige Tage vor seiner Erkrankung abends beim Tische saß, empfieng er einen schrecklichen Besuch. Eine Eule (der Vogel Minervas) durchschlug das Fenster, flog gerade auf ihn los und setzte sich ihm auf die Brust, wo sie so ihre Krallen hineindrückte, dass es erst dann möglich war, sie von ihm wegzureißen, als man sie erschlagen hatte. Schon das allein hätte genügt, um einen Menschen auf das Todtenbett zu werfen.“ §13. Lichtenhain. Eine Bacchusiade. Dass bei einem so freien Leben und unter so vielen Studenten auch Excesse und Scandale Vorkommen, das liegt in .der Natur der Dinge. In Jena gab es unter den Burschen eine besondere Säufergemeinde, welche vom Fürsten an-gefangen bis zu den niedrigsten Ständen alle Ämter, Titel und Würden umfasste. Das Dorf Lichtenhain ist berühmt durch sein vorzügliches Bier, dessen Güte mau dem dortigen aus einer Quelle reichlich fließenden Wasser zuschreibt. 3‘2ö Eines Tages feierte dort diese Säufergemeinde ihr Jahresfest und die Erneuerung der Ämter. Die Neugierde führte auch mich mit einigen Freunden dahin. Das war ein Schauspiel, das man mit der Feder nicht beschreiben vermag! Der ganze große Garten und alle Bäume waren voll von Trinkern und Trägern des Getränkes, ganze Fässer lagen im Garten, jeder Trinker hatte einen Krug bei sich auf dem Tische, bei jedem Baume stand ein Wächter mit schwarzer Tafel und Kreide, auf der er verzeichnete, wie viel Krüge Bier jemand schon ausgesoffen hat. Diese Helden brachen wieder von den höchsten Bäumen in kurzer Zeit das herunter1), was sie in sich gegossen hatten, andere wälzten sich, andere lagen schnarchend da, mit einem Worte, es war ein wahres Reich des Sybaritismus. Wer die größte Zahl Krüge vertilgt hatte, wurde zuletzt zum Fürsten und Könige procla-miert, gekrönt, mit Scepter und Apfel geschmückt und mit einem Herrschercostüme bekleidet. Diejenigen, welche ihm in der Zahl der Krüge am nächsten kamen, waren seine Hofleute und ßathgeber. Dann folgten militärische Würdenträger und Hauptleute, Corporäle und das gemeine Heer. Abends fand ein feierlicher Einzug nach Jena mit Musik und Gesang statt, und dieses Reich der Süfflinge dauerte dann das ganze Jahr bis zur neuen Restauration. Wer zuvor vor Trunkenheit keinen Abscheu gehabt hatte, musste sie hier bei diesem Anblick menschlicher Yerthierung zu verabscheuen anfangen. § 14. Erholungsgesollschaft. Louise Brachmann. Professoren, Geistliche und andere Männer der Intelligenz gründeten in Jena eine Gesellschaft für Ruhe und Erholung nach der Arbeit, für Lectüre der Zeitungen und Bücher, für Musik, Tanz und andere unschuldige Unterhaltungen2). Dieser Verein hat sein eigenes Haus in der Stadt, hinter dem ein schöner Garten auf den Graben hinausläuft. Im Winter pflegen die Versammlungen in den Localitäten, ‘) So im Original: z ncjvyäsich stromüv davili . . . a) Vgl. S. 199. im Sommer im Garten zu sein. Jedes Mitglied zahlt jährlich einen gewissen Beitrag, wofür es das Recht hat, Zeitungen und Zeitschriften zu lesen. Die ordentlichen Mitglieder können auch einige Bekannte und Freunde dort einführen. Herr Professor Hand war damals einer der Vorstände dieses Vereines. Als er mich einst auf einem Spaziergang auf dem Graben traf, nahm er mich mit sich, weil man heute dort einen berühmten Gast, und zwar eine Dichterin erwarte. Die Versammlung fand zuerst in den Zimmern und-dann im Garten statt. Unter den zahlreichen Gästen war auch Goethe anwesend. Und es trat eine schon ziemlich bejahrte Frauensperson ein, welche sofort alle mit Verbeugungen begrüßten. Ich urtheilte sofort nach der Statur und dem Gesichte, dass ich diese Person schon irgendwo gesehen habe. Und es war das Louise Brachmann, welche ich in Leipzig auf der Promenade unter den Linden mit dem Fräulein Brockhaus bemerkt und kennen gelernt hatte. Nach einigen Gesprächen, Gesängen und Musikproductionen zog sie aus ihrer Tasche irgend eine Broschüre mit den Worten: „Hier bringe ich eine literarische Neuigkeit aus Leipzig.“ Es war das eine Schrift des Professors Krug: „Gespräch unter vier Augen mit der Frau von Krüdener“, Leipzig 1818, welche an Ort und Stelle sofort öffentlich gelesen wurde. Diese Baronin Juliane Krüdener wanderte damals fast durch ganz Europa, wie sie zu sagen pflegte: durch die Wüsten deP Cultur, bald als Prophetin, bald als Frömmlerin (Pietistin), bald alsWunder-thäterin, bald als Wohlthäterin der Armen. Wohin immer sie kam, umgaben und begleiteten sie tausende aus dem Volke, so dass sie durch die Polizei von einer Stadt in die andere begleitet werden musste. Selbst Kaiser Alexander besuchte sie und war von ihrem mystischen Handeln bezaubert. Mich interessierte mehr Louise Brachmann, weil ich schon zuvor einige vorzügliche Gedichte von ihr gelesen hatte. Schiller verehrte sie besonders, ja auch Goethe erwies ihr jede mögliche Aufmerksamkeit. Diese bedauernswerte Person wurde in Rochlitz bei Leipzig im Jahre 1777 geboren, stürzte sich schon 1810 in der Stadt Weißenfels von der liolitsn Gallerie ihres Yatorhauses wegen unglücklicher Liebe hinunter, wurde aber wieder zum Bewusstsein gebracht, blieb gesund und dichtete weiter. Doch im Jahre 1822 machte sie am 17. September ebenfalls aus unglücklicher Liebe ihrem Leben in den Wellen der Saale bei Halle ein Ende, wie einst die griechische Sappho. §15. Wartburg. Das dritte Jubiläum der Deformation. Kaum hatte ich mich in Jena niedergelassen und umgesehen, als schon überall Vorbereitungen zur Feier des dreihundertjährigen Jubiläums der Deformation der Kirche getrofien wurden, welches auf den 18. October des Jahres 1817 fiel. Die deutschen Universitäten hatten sich schon zuvor verständigt, dass sie dasselbe durch Abgesandte in facie loci feiern werden, nämlich auf der Wartburg, wohin im Jahre 1521 Jan Berneviöko *), ein mährischer Slovake, den in Lebensgefahr schwebenden Luther als vermummter Deiter gebracht hatte. Dass bei einer solchen seltenen Gelegenheit auch ich auf jeden Fall anwesend sein musste, lag schon im Wesen meiner Natur. Von uns giengen sechs Ungarn dahin, nämlich Herr Ferjenčik, Herr Dumann, Herr Hoznek, ein gewisser Michaely vonjenseits der Donau und ich. In der Stadt Eisenach waren noch viele Spuren des grässlichen Unglückes zu sehen, welches sie, wenn ich nicht irre, im Jahre 1809 traf, als daselbst französische Pulverwägen durch Zufall in Brand geriethen und einen grollen Theil der Stadt in Trümmer verwandelten. Jener Bürger, bei dem ich einquartiert war, zeigte mir das Haus, in welchem während der Pulverexplosion zwei Neuvermählte, die auf einem Canapee salien, aus ihrem Zimmer sammt dem Canapee in die Luit auf die Gasse geworfen wurden und ohne Beschädigung niederfielen, was als ein Wunder betrachtet wurde. Weil ich nach der Dückkehr von dort als Augenzeuge Herrn Palkoviß für seinen „Tydennik“ einen ausführlichen Bericht über diese Feier in der Muttersprache ge- ') D. i. Johann Berlepsch, s. u. § 21. schickt hatte, welcher dort am 18. Februar in der Nummer 6 des Jahres 1818 auf den Seiten 50 *) bis 79 gedruckt worden war3), so glaube ich, am besten zu thun, wenn ich jenen Bericht wenigstens im Auszuge3) hier wiedergebe. Er lautet also: Die Feier des Jubiläums der Erinnerung an die Beformation der Kirche durch Dr. M. Luther oder das dreihundertjährige Jubiläum, welches am 18. October des Jahres 1817 auf der Wartburg gefeiert wurde, hat nicht bloß in Deutschland die Federn ungemein in Bewegung gesetzt, namentlich die der Journalisten, sondern gab auch zu öffentlichen europäischen Streitigkeiten, zu richtigen und unrichtigen Urtheilen Anlass, so dass sie dadurch auch die Aufmerksamkeit der Regierenden auf sich lenkte. Ich glaube daher, dass es unseren Landsleuten (H. H. Slaven) nicht unlieb sein wird, wenn wir ihnen diesen kurzen, aber aus der Quelle selbst geschöpften Bericht mittheilen, den wir frei von jeder Parteilichkeit und Falschheit als die reine Wahrheit ohne jeden Zusatz vorlegen, damit sich ein jeder Leser nach eigenem Belieben sein Urtheil darüber bilden könne. Wie erwähnt, wurde diese Feier auf der Wartburg, ungefähr eine halbe4) (eine Viertel-)Stunde von Eisenach, zwei Tage nacheinander, und zwar schon am 18. und 19. October aus dem Grunde gefeiert, um mit ihr zugleich die ') Falsche Paginierung des „Tydonnik“ anstatt 72. In den „Pameti“ steht überdies 5 statt 50. 2) In der Abtheilung: „Kirchliche und gelehrte Sachen“ unter dem Titel „Bericht über die Feier der Reformation der Kirche, welche die Protestanten im dritten Jahrhunderte am 18. October 1817 auf der Wartburg gefeiert haben. (Von einem Augenzeugen)“. In einer Anmerkung bemerkt der Herausgeber: „H. J. K .... r, unser Landsmann, welcher gegenwärtig in Jena studiert, hat ihn niedergeschrieben (slovakisch) und mir gesendet.“ Der Bericht war vom 26. Jänner 1818 datiert. s) Falsch, denn Kolldr reproducierto den ganzen Bericht und macht noch Zusätze. Ich stelle die Abweichungen im Originale in runde, die Zusätze in eckige Klammern. 4) Die Entfernung der Wartburg von Eisenach beträgt mehr als eine halbe Stunde. (J. W.) Erinnerung an jenen glänzenden Sieg bei Leipzig vereinigen und auch einer Unterbrechung der akademischen Vorlesungen, welche gleich nach dem 3. November beginnen sollten, zuvorkommen zu können. Es kamen ungefähr 700 *) Studenten aus allen deutschen Ländern und Hochschulen an, und zwar aus Berlin, Erlangen, Hieben, Göttingen, Halle, Heidelberg, Jena, Kiel, Leipzig, Marburg, Rostock, Tübingen und Würzburg; auch die Professoren erhöhten durch ihre Anwesenheit das Fest, und zwar Pries, Oken, Schweitzer und Kieser. Es war ein erhebender Anblick, als sich diese wackere Schar unter fröhlichem Jubel in Haufen über Berge und Thäler meist zu Fuß zu jener denkwürdigen Stätte drängte, auf den Schultern eine zierlich hergerichtete Tasche (Filz) tragend, in den Herzen aber von erhabenen und feurigen Gefühlen beseelt. Infolge einer freundlichen Anordnung S. k. H. des Großherzogs von Weimar boten die Bürger von Eisenach der ankommenden Studentenschaft mit besonderer Bereitwilligkeit und Höflichkeit ihre Wohnungen an; schon am Abende des 17. drängten sich auf dem Eisenacher Platze überall große Scharen dieser Ankömmlinge zusammen, die sich insgesammt mit herzlichen Küssen umarmten und einander die Hände reichten, sich wie Brüder eines Vaterlandes oe-willkommten und begrüßten, so dass das Herz vor Freude sprang. Eine auf den Tlwren der Stadt angeschlagene Ankündigung zeigte einem jeden die Gasse zum Gasthause „Zum Rautenkranz“, wo sich das Hauptquartier und das Einquartierungsamt befand. Hier war jedermann verpflichtet, seinen Namen und Beinamen, das Vaterland und die Hochschule, an der er studiert, einzutragen und etwas Geld zur Bestreitung der allgemeinen Kosten zu opfern. Einer Commission der Jenenser Studentenschaft war die Hauptleitung aller Angelegenheiten anvertraut. Einstimmig wurden zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Ruhe ein Burgvogt (im ') In Wirklichkeit ungefähr 500. Original: Führer), Burgmänner, Aufseher, Fahnenschützen, Fahnenträger und andere Beamte gewählt. Drei von ihnen machten sich in den nächsten Wald auf, um frische Zweige zu brechen, die sie dann unter die Menge warfen, bis alle mit Eichenlaub schon geschmückt dastanden. Früh um sechs und sieben Uhr verkündete das dumpfe Geläute aller Glocken den Anfang der erhabenen Feier. Hier auf dem Platze sonderte sich die ganze Menge in Gruppen, unter welche Lieder, Gedichte oder Verse und Beden verschiedenen Inhalts, die zuvor in Jena zu diesem Zwecke gedruckt worden waren, in der Reihenfolge vertheilt wurden. Um neun Uhr setzte sich der Zug im freien Schritt hinauf gegen den Berg in Bewegung, wo jene alterthümliche Ritterburg in einem Felsensitze hoch emporragt. Die durch den steilen Wog und die allzu grobe Hitze ermatteten Glieder erfrischten jedoch die schattigen Vorhänge des Dickichts und des Gebüsches, das über den Köpfen der ermüdeten Wanderer von beiden Seiten seine Zweige an-muthig vereinigte; dann die lieblichen Laute der Musik, welche auf den ausgebreiteten und benachbarten Abhängen mit schönem Echo wiederhallten; dann das zierliche Spiel der flatternden Fahnen, von denen namentlich eine glänzte, die, auf roth-schwarzem Felde mit Gold durch wirkt, Werk und Gabe der Jenenser Jungfrauen war. Jemehr man sieh jenem geheimnisvollen Sitze näherte, mit umso gröberer Sehnsucht verlangte das Herz nach etwas, so dass die ungeduldige Erwartung selbst die Ordnung durchbrach und sich keck auch über das rauheste Gestrüpp und über steile Stellen den Weg bahnte. Als sich alle in einem mit Herbstblumen, Bildern, Wappen, Säulen und Bogen schön geschmückten Saal ord-nungsmäbig versammelt hatten, wurde der Gottesdienst mit warmer Frömmigkeit abgehalten, wobei das bekannte erhabene Lied Luthers „Eine feste Burg ist unser Gott“ gesungen und einige ergreifende Reden von Studenten gehalten wurden, denen sich auch Herr Professor Fries mit einer zwar kurzen, aber kernigen anschloss. Nach dieser Feier wurden einigen neugierigen Zuschauern die denkwürdigen Alterthümer dieser Burg privat gezeigt, z. B. die Rüstkammer, in welcher sich infolge ihres hohen Alters verrostete Schwerter, Spielle, Dolche, Schilder, Panzer, Helme und andere Überbleibsel des Ritterthums befanden; dann Luthers Kirche und Kanzel; ein kleines Zimmer, in welchem er die Bibel übersetzte; der Gesindetisch seines Vaters und andere denkwürdige Reste; unterdessen erfreuten sich andere, bis das Festmahl bereitet wurde, auf hohen Mauern und Gerüsten der herrlichen Aussicht weit und breit oder spazierten in gröberen oder kleineren Gruppen im Hofe, standen, saßen, führten Gespräche, denn das Wetter selbst lud zu jederlei Unterhaltung lieblich ein. Um zwölf Uhr ertönte ein Trompetenstoß. Alles drängte sich schnell zu den zierlich hergerichteten Tafeln an den bestimmten Ort. Bei dem fröhlichen Gastmahl wechselten Lieder und Musik mit Hochrufen und Trinksprüchen auf diejenigen, derer zu gedenken der Ort und die Gelegenheit gebot. Ungefähr um drei Uhr begab sich der Zug eiligst in die Stadt zurück, wo eine ernste Büßpredigt des dortigen General-Superintendenten Neve (1. Newe) ’) bei allen Hörern die edelsten Vorsätze weckte. Eben um diese Zeit marschierte das dritte preußische Infanterie-Regiment durch die Stadt; sein Commandant (im Original: Hauptmann) befahl auf die Nachricht hin, dass ein Gottesdienst stattfinde, sofort den Trommeln und Pfeifen zu schweigen, ja er schickte, als er hörte, dass beim Kirchenthor Almosen für die Armen gesammelt wurden, mit Bereitwilligkeit ebenfalls eine Sammlung von fünfundsiebzig Gulden zu diesem Zwecke. Dann vereinigte sich die Studentenschaft in einem länglichen, großen Kreise mit dem Landsturm auf dem Markte. Von beiden Seiten ertönten wieder unter feierlichen, lauten „Vivat!“ Dank und Forderungen enthaltende Rufe ') Nebe nach Treitschke, Deutsche Geschichte, und Rieh, und Roh. Keil, Geschichte des Jenaischen Studentenlebens. an die Monarchen, das Vaterland und die hervorragendsten Patrioten, an die Sieger und die gefallenen Kämpfer von Leipzig; hernach wurden öffentlich weihevolle Dankgesänge und allerlei Nationallieder mit so würdevoller Harmonie gesungen, dass die ganze Stadt nur ein Gotteshaus zu sein schien. Der letztere (d. i. der Landsturm) trennte sich ab und zog mit einer türkischen Musik (im Original: Janißaren-musik) auf die benachbarte Anhöhe Wartenberg1), wo er Freudenfeuer anzündete, die Studentenschaft aber vertrieb sich die Zeit bis zur Dämmerung auf dem geräumigen Markte, übte sich im Fechten und führte Spiele, Ringkämpfe, Wettlaufen und Ähnliches auf. Abends um sieben Uhr schritt die Studentenschaft mit brennenden Fackeln, so dass die ganze Stadt im Lichte erstrahlte, ebenfalls auf den Wartenberg, wo schon grolle Funken und Feuergarben von Scheiterhaufen in die Luft flogen. Jede Anhöhe, jeder Hügel dieser ganzen Umgebung glich einem herrlichen Opferaltar. Der Mond und die Sterne flimmerten auf dem heiteren Himmel, als ob sich die ganze Natur mit den Festgästen mitfreuen würde. Buden, Zelte, Verkaufsläden und Lauben waren hier und dort aufgeschlagen und luden bald mit ihren Leckerbissen zum Besuche ein, bald boten sie eine verlockende Zuflucht gegen den scharfen Nordwind, welcher auf diesem nackten Gipfel in einemfort wehte und sehr fühlbar war. — Spiel, Tanz, Schießen, Feuerwerk, Gesänge und unzählige Unterhaltungen reihten sich auf diesem überaus hohen, mannigfaltigen Schauplatze nach rechts und links aneinander, so dass man nicht genug schauen und hören konnte. Unterdessen zog sich ein kleiner Theil der Jünglinge irgendwohin auf die Seite zurück, wo er Feuer machte und einige dem allgemeinen Wohle schädliche Schriften hineinwarf und verbrannte. Hier war jedoch kein Professor zu sehen, und es ist nicht wahr, was einige von einer solchen Anwesenheit ausposaunt haben, ja nicht einmal die Urheber •) Kollar gebraucht die literarische Form dos Namens, nicht die vulgäre: „Wadenberg“. dieser Verwegenheit waren, wie es sich herausstellte, Studierende. — Sosehr auch diese That ausgeschrien worden ist, so schien sie im ersten Moment doch kein Ärgernis zu geben und keine verdächtige Absicht zu verrathen; das Grlück des Vaterlandes, die Reinheit der Sitten und Ausrottung hässlichen Aberglaubens gaben, wie sie selbst vorschützten, dazu den Anlass; wie sie aber zum Stein des Anstoßes werden konnte, davon mögen andere schreiben: uns geht überhaupt alles das nichts an, denn diejenigen Ungarn, die dort waren, obgleich nicht viele, hatten bei solchen Umtrieben ihre Hände nicht im Spiele. [Es wurden aber folgende Sachen verbrannt: ein Zopf, ein Schnürleib und ein Corporalstock; dann Bücher und Schriften von Ancillon, Coelln1), Grome, Dabelow, Haller, Janke (Constitutions-Geschrei), Kotzebue (Geschichte des deutschen Reiches), L. T. Kosegarten, Kamptz (Codex der Gendarmerie), W. Reinhardt, Schmalz, S. Ascher (Germano-manie), Benzei-Sternau, Werner (Weihe der Kraft und Söhne des Thals), Wangenheim, Immermann, Wadzeck (gegen die Turnkunst) und einige Zeitschriften, z. B. „Alle-mania“ u. s. w.] Am nächsten Vormittag versammelte sich wieder die ganze Studentenschaft auf der Wartburg, wo über einige akademische Gebräuche verhandelt wurde, wie über die Aufhebung der Landsmannschaften, über die Einschränkung der Duelle und andere derartige Angelegenheiten. [Ein Student sagte in seiner Rede2) unter anderem auch folgendes: „Jeder Student soll nicht bloß ein Mensch und ein Gebildeter, sondern auch ein Deutscher sein, soll jeden Egoismus, Provincialismus, Dialectismus ablegen und sich auf die Höhe der ganzen Nation erheben. Es ist eine Schande ') Ich rectificiere die Schreibung der Namen nach der „Isis“, 1817, Nr. 195, S. 1557—1558, der die Liste offenbar entnommen ist. 2) Diese Rede hielt am Tage zuvor Oken im Burghof (vgl. Rieh, u. Roh. Keil, Geschichte des Jonaischen Studentenlebens, 393). Kollar nahm aus dom Bericht der „Isis“ die einleitenden Worte zur Rede Riomanns in die „Pameti“ herüber. 3B5 für einen gebildeten Studenten nichts anderes zu sein als ein Sachse, Hesse, Franke, Schwabe, Preuße, Österreicher, Baier, Hannoveraner, Schweizer u. s. w. Möge in Zukunft diese nationale Scheidung unter uns verschwinden und seien wir ein Körper, eine deutsche Nation.“] Nachmittags kamen fast alle im Gotteshause zusammen und nahmen zum Abschied das Abendmahl mit Ernst und Würde. Zuletzt wurde den Bürgern für ihr Wohlwollen und ihre Gastfreundschaft aufrichtig gedankt, und jedermann begab sich aus dem Schoße der scheidenden Freunde ruhig nach Hause. Für lange Zeit blieb alles in tiefer Kühe, so dass niemand an die künftigen Folgen dachte. Auf einmal beginnt man etwas heimlich zu flüstern; die Zeitungsschreiber verliehen sofort der Fama bereitwillig Flügel, ja diejenigen, denen genügende Beweise fehlten, nahmen keinen Anstand, allerlei Meinungen, schlechte Auslegungen u. s. w. hinzuzufügen. Mit einem Worte, es wurde so viel Lärm geschlagen, dass zuletzt sogar die Regierungen ihre Aufmerksamkeit darauf lenkten. Der österreichische Gesandte beim preußischen Hofe, Seine Excellenz Graf Zichy, kam in der That zur Untersuchung dieser Angelegenheit nach Weimar, dann nach Jena, fand aber seine Landsleute aus Ungarn unschuldig und empfahl sie mit besonderer Huld dem weiteren Schutze und Wohlwollen der Leiter und Lehrer dieser Hochschule. Das ist nun eine kurze und wahrhafte Beschreibung des Wesens und der Art jenes herrlichen Nationalfestes, wo sich so einträchtig die Religiosität mit dem Patriotismus (der Glaube mit der Überzeugung, der Biedersinn mit der Gastfreundschaft), die Jugend mit dem Alter vereinigten, wo in so erhabener Weise die Fretide mit Unschuld, die Natürlichkeit mit Talent, die Dankbarkeit für unsterbliche Verdienste mit der Wohlthätigkeit für die Annen fast jeden Augenblick zur Geltung kamen. [Dieses Fest auf der Wartburg versetzte wie bekannt ganz Europa in Aufregung. Auch uns nach Jena wurden aus unserem Vaterlande Ungarn von den Herren Kirchen-Inspectoren und Superintendenten Briefe und Fragen geschrieben, was, wie, weshalb und wozu das alles war, ob auch wir daran Antheil genommen haben? Ja, es wurde uns sogar zuerst verboten, aus Jena irgendwohin zu reisen, dann aber selbst die Universitäten von Jena und Göttingen zu besuchen. Deshalb versammelten wir uns einmal alle Ungarn zu einer Berathung, was hier zur Aufklärung und Beruhigung zu thun sei. Es wurde beschlossen, dass im Namen aller Ungarn in Jena Briefe an die vier Districts-Tnspectoren und Superintendenten mit der Bitte geschrieben werden, dieselben mögen in den Conventen zur Beruhigung unserer Landsleute verlesen werden. Mir wurde aufgetragen, dem Freiherrn von Jesznäk, als dem Inspector des Districtes diesseits der Donau und der Pressburger Schule, nach Pressburg zu schreiben. Eine Abschrift dieses Briefes ist auch unter meinen Jenaer Schriften erhalten]. §16. Schnepfenthal. Gotha. Erfurt. Weimar. Bei derBückkehr von derWartburg richteten wir unsere Schritte nach Schnepfenthal, wo wir das Salzmann’sche Erziehungs-Institut sehen wollten, welches mir in Pressburg im dortigen Waisenhause wenigstens in vielen Dingen als Muster diente und von dem ich soviel gelesen hatte1). Im zweiten und in der Hälfte seines dritten Schuljahres in der Pressburger theologisch-philosophischen Lehranstalt in den Jahren 1813—1815 war Kollar Leiter und Lehrer des dortigen Waisenhauses. Erberichtet (Pameti, § 3, S. 197—198): „Dieses Institut war zuvor ganz vernachlässigt und mechanisch geführt. Die Zöglinge waren blass und kränklich. Das Institut befand sich bis dahin in Händen von Leitern, deren Verstand nichts anderes kannte als den langjährigen Brauch. Mein erstes Werk war, dass ich vom Curator noch ein zweites Zimmer für die Zöglinge (8—10) erwirkte, denn bis dahin wohnten, schliefen und aßen alle zusammen wie gesalzene Fische in einem Fass; sodann lenkte ich die Aufmerksamkeit auf die Stärkung des Körpers und der Gesundheit, weshalb ich Turnen, Spaziergänge in frischer Luft und sogar kleine Ausflüge einführte. Es musste eine derartige Ordnung und Reinheit in den Betten, beim Schlafen und Aufstehen, in der Kleidung, Nahrung u. s. w. herrschen, dass Als Director wirkte jetzt der Sohn Salzmanns, der sich uns freundlich als Führer und Gastgeber anbot. Herr Gutsmann produeierte sich mit dem Turnen seiner Zöglinge, Lenz zeigte uns seine Versuche mit den Schlangen. In einer kleinen Kirche, in welcher die Zöglinge ihre Andacht zu veirichten hatten, hieng auf der Wand eine grobe, schwarze Tafel, auf der die Namen der faulen und unordentlichen Schüler geschrieben waren. Beim Essen waren die Zöglinge auf die Tische nach Sprachen, und zwar nach der französischen, englischen und deutschen, vertheilt, so dass bei jedem Tische anders gesprochen wurde. Zwischen den einzelnen Gängen wurden National- und Schullieder gesungen. Zuletzt besuchten wir das Grab Salzmanns, segneten die Gebeine dieses Komensky der Deutschen und verabschiedeten uns von diesem von der Welt entlegenen und im Scholle eines Berges ruhenden Institut. Die Stadt Gotha blieb mir durch nichts anderes in Erinnerung als durch einen Besuch des Superintendenten Brettschneider und des prachtvollen, fast aus lauter Spiegeln zusammengesetzten Fürstenpalastes. In Erfurt suchten wir jene Klosterzelle auf, in welcher Luther als Mönch wohnte, und im Hauptthurme zwei Glocken, von denen eine durch ihre Riesengröße, die andere, die silberne genannt, deshalb denkwürdig ist, weil ihre Glockenspeise viel Silber enthält. Am längsten hielten wir uns in Weimar auf, wo wir unter anderem auch den russischen Popen besuchten und kennen lernten. Als uns in der großherzoglichen Residenz ein Kämmerer herumführte, stand in einem Zimmer ein kleiner, kostbarer Tisch, auf dem ein silbernes Tintenfass und daneben ich deshalb anfangs mit der Wirtschafterin und mit dom Herrn Dabay, dem von der Kirche bestellten Curator des Institutes, starke Kämpfe und Streitigkeiten hatte. Neben den Schulgegenständen führte ich auch Musik, Gesang, Zeichnen und andere ästhetische Bildungsmittol ein. In den Sommerferien wurden Theaterstücke für Kinder von Weibe aufgeführt. Bei solcher Erziehung der Kinder erlangte ich in diesem Institute ein derartiges Ansehen und Vertrauen, dass auch die Fremden, namentlich die Officiere, Militärärzte und andere Eltern ihre Kinder hieher zur Erziehung übergaben“. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 22 3B8 ein Papier lag, auf welchem schon einige Zeilen geschrieben waren; die Großherzogin, welche soeben beim Essen war, hatte sie hier in der Überzeugung zurückgelassen, dass das in Weimar niemand verstehe, weil es mit russischen Buchstaben geschrieben war. Der Kämmerer nahm dieses Blatt und sprach: „Sehen Sie, meine Herren, wie schön kalligraphisch unsere Großherzogin schreibt.“ — „Nicht nur kalligraphisch,“ sagte ich, „sondern auch, soweit man aus den ersten Worten und Zeilen urtheilen kann, correct und orthographisch“ 1). Der Kämmerer erschrak darüber, legte das Papier auf den Tisch und sprach: „Es wird also auch in Ungarn russisch geschrieben und gesprochen?“ — „Allerdings,“ antwortete ich, „wir sind Slovaken und alle Slaven können einander leicht verstehen.“ § 17. Das dritte und letzte Semester in Jena. Die philologische Gesellschaft. Ein Preis. Ich hatte den Vorsatz, wenigstens zwei Jahre auf den deutschen Hochschulen zu bleiben, aber meine Mittel dazu waren ungenügend und die Theuerung in Jena damals groß, weil sich in dieser Zeit mehr als tausend Studenten dort befanden, eine Zahl, die weder zuvor noch nachher jemals erreicht wurde. Die Stipendien von Pressburg und Neusohl waren äußerst gering, weil sie unter dreißig damals in Jena studierende Ungarn vertheilt werden mussten. Mein an Jelšik2) ausgeliehenes Geld, das mir jetzt so gut zustatten gekommen wäre, kam nicht, obgleich ich oft um dasselbe schrieb. So geschah es, dass ich weder länger in Jena bleiben noch mich nach Hause begeben konnte. Voll von Sorgen und Angst musste ich daher an andere Mittel und Quellen denken, welche mir der gütige Himmel auch in der That eröffnete. ') Kolldr konnte das Geschriebene allerdings lesen, weil er in Jena russisch gelernt hatte (s. o. S. 299), und als Slave auch verstehen, aberin Fragen der Correctheit und Orthographie war ernicht competent. ■) An diesem jungen Geistlichen in Neusohl hatte Kollar die traurige Erfahrung gemacht, dass man einem Freund Geld leihen müsse, um ihn zu verlieren. Pameti, 227—229. Hofrath Lüder, Professor der Staatswissenschaften, hatte zwei fast reife Söhne, die aber im Latein und in den Classikern schwach waren. Er suchte nun für diese seine Söhne nicht sosehr einen Lehrer als einen Führer und Gehilfen bei ihren classischen Studien. Mein Freund Giemen war ein Verwandter der Familie Lüder und hatte mich schon zuvor in ihr Haus eingeführt. Herr Lüder, welcher wusste, dass den Ungarn das Latein besonders geläufig ist, bat mich, ihm diesen Dienst zu erweisen. Ich übernahm also diese Stunden, die mir selbst ungemein nützlich waren. Wir lasen und übersetzten hier die lateinischen und griechischen Classiker: Virgil, Horaz, Seneca, Thukydides, Herodot, Homer und andere. Ich hatte davon einen dreifachen Nutzen, vor allem eine Fortsetzung meiner eigenen classischen Bildung ; zweitens die Gelegenheit zum Hören der politischen und Staatswissenschaften bei Herrn Lüder, zu dessen Vorträgen ich freien Zutritt hatte; drittens eine bedeutende materielle Hilfe, welche es mir im Verein mit noch anderem ermöglichte, dass ich länger in Jena bleiben konnte. Die Professoren Eichstädt und Hand waren Lehrer der griechischlateinischen Philologie. Jenen hörte ich über den lateinischen Stil und über die Redner Cicero und Demosthenes, diesen über Euripides, Sophokles, Properz. Diese zwei Professoren lösten sich als Vorsteher der philologischen Gesellschaft ab, deren Mitglied auch ich wurde. Jedes Semester wurden freie Aufgaben gemacht, die dann von allen Mitgliedern der Gesellschaft gelesen, beurtheilt und mit einem Preis gekrönt wurden. Mit Begierde ergriff ich diese so erwünschte Gelegenheit. Über den Gegenstand meiner Arbeit dachte ich aber nicht wenig nach; zuletzt wählte ich einen der heikelsten. Ich stand nämlich als Zwerg gegen einen Riesen, den berühmten Eichstädt auf, der gerade im verflossenen Jahre 1817 in einem besonderen Programm, in welchem die Universitätsvorlesungen angekündigt waren, gegen die erste Horazische Ode, namentlich gegen ihren vorletzten Vers: „Quodsi me lyricis vatibus inseres“, auftrat, indem er ihn als einen späteren und der Horazischen Muse unwürdigen 22* B40 Einschub und als einen Makel dieser ganzen Ode erklärte. Dieses Programm trägt zwar an der Spitze den Namen des damaligen Prorectors der Universität, des berühmten Arztes Johann Christian Stark, und des ganzen Senates, doch aus gewissen guten Quellen war es bekannt, dass sein Urheber Professor Eichstädt war. Gegen dieses Programm schrieb ich schon damals eine Abhandlung oder Yertheidigung dieser Ode: „Vindiciae carminis Horatiani primi, tum integritatis totius, tum authentiae singulorum versuum, susceptae a Johanne Kollar“. Die Abhandlung hatte das Glück, dass sie jenen-philologischen Preis gewann und mir auf diese Weise nicht nur den längeren Aufenthalt in Jena, sondern nach Beendigung des akademischen Jahres auch eine Reise mit dem Freunde Clemen durch einige wendisch - deutsche Gegenden ermöglichte, worüber „Slävy Dcera“ und die Erläuterung zum Sonett 86 des II. Gesanges einzusehen sindl). *) Vyklad ku Slävy Deere, S. 156-159 (Spisy, II, 145-147). Kollar berichtet daselbst, dass Heinrich Clemen, gebürtig aus Lemgo, sein unvergesslicher Studienfreund, mit ihm zugleich Mitglied der philologischen Gesellschaft in Jena war. Sie wohnten in einem Hause und verbrachten die Abende gemeinsam mit der Lectüre der griechischen, zum Theil auch der italienischen und deutschen Classiker, namentlich des Homer, Sophokles, Euripides, Tasso, Schiller u. s. w. Clemen war ein ausgezeichneter, scharfsinniger Jüngling, der eine fröhliche Gesellschaft, gelehrte Gespräche und überhaupt Wissenschaft und Kunst leidenschaftlich liebte. Der Dichter verdankte ihm viele selige Stunden. Die Correspond enz der Freunde wurde später durch die Zeitumstände unterbrochen. Kollar theilt zur Charakteristik Clemens einen längern aus Jena vom 26. August 1819 datierten Brief mit, in welchem ihm Clemen den Empfang der Kollar geliehenen zehn Ducaten bescheinigt und unter anderm folgendes schreibt: „. . . Also bin ich erst seit einiger Zeit an den heiligen Gestaden der Saale wieder angekommen, wo ich Deinen Brief fand, Deinen Brief, der meine Bescheidenheit auf eine Probe setzte, wie sie noch keine bestanden. Was habe ich denn gethan? Doch nicht um die paar Pfennige? — Donner und Doria! Ein Schurke, der dem Freunde in der Noth nicht beisteht mit Gut und Blut. Hätte ich für Dich sterben müssen, dann würde ich Dir vielleicht erlauben, Dich dafür zu bedanken. Aber halt! Du meinst den guten WUlen, Du meinst mein Herz, das für Freundschaft empfänglich von unserer Mutter gebildet wurde. Gut, aber dem Instinct folgt auch das Thier; und es soll den Menschen nicht beschämen. Bruder, es §18. Kotzebue und Sand. Im ersten Jahre meines Aufenthaltes in Jena wohnte A. F. Kotzebue in seinem Vater- und Geburtshause in Weimar, wo er das von mir fleißig gelesene „Literarische Wochenblatt“ herausgab. Im Theater von Weimar und auf der Gasse in Jena sah ich ihn einigemal, aber ich fühlte nie ein Verlangen, ihn zu besuchen, obwohl mir seine Werke damals schon ziemlich bekannt waren. Im Jahre 1816 wurde er in Petersburg Staatsrath im Departement für auswärtige Angelegenheiten; 1817 siedelte er mit einem bedeutenden Gehalt des Kaisers von Russland zu dem Zwecke nach Deutschland über, um von dort Berichte über Literatur und Politik einzusenden. Einmal lag ein solcher Bericht [oder Bulletin] in französischer Sprache während seiner Abwesenheit auf dem Schreibtisch; zwei Jenaer Professoren, die ihn besucht hatten, erblickten, lasen und schrieben diesen Bericht geheim ab, der dann vom Professor Luden mit An- thut jetzt noth sich für Liebe und Freundschaft zu kräftigen, denn sie sind die Principe der Einigkeit, und in dieser liegt unser Heil. — Darum frisch, und zeigt dom erstarrten und frostigen Geschlecht das warme Herz, den verjüngten Geist und die kräftige Tkat, dass sie in ihrer Gemeinheit vernichtet dastehen, wie vom sengenden Strahle Kronions getroffen. — Also zunächst benachrichtige ich Dich hiemit, dass ich das Geld richtig empfangen, indem es schon vor meiner Ankunft hier war und auf mich wartete. Die zweite Nachricht ist Okens Absetzung und die abermalige Unterdrückung der ,Isis‘. Um unsererseits zu zeigen, wie wir über diesen geliebten Lehrer dächten, brachten wir ihm zuerst ein feierliches ,Lebehoch!“ Hierauf haben!wir ihn im Kupfer stechen lassen und ihm einen herrlichen silbernen Pokal zum Andenken geschenkt.“ — Zum Schluss berichtet er von seinen Studien, gibt der Hoffnung Ausdruck, dass auch Kollär das Alterthumsstudium mit Eifer fortsetzt (s. o. S. 197), und schließt also: „Daneben Poesie, Deine Freundin wie meine, die das Gemüth veredelt und den Geist erhellet. Der Dichter steht auf dem Punkte, wo ihm das Licht gegeben wird, dass er uns in schönen Gestalten die Erde zeige; der Philosoph steigt von der Erde hinauf und muss anbauen die Pfeiler zu einer göttlichen Aussicht. Also, Bruder, bleibe der Dichtkunst (sowie der unvergleichlichen Tochter Slaviens) getreu und versichere Dich der Führung des Genius, Du wirst schweben über Wasser und Erde göttergleich.“ — Giemen schrieb lateinische Lehrbücher. 34‘2 merkuugen versehen als den Deutschen gefährlich in der von Ludwig Wieland herausgegebenen Zeitung „Volksfreund“ gedruckt wurde und in ganz Deutschland, namentlich aber unter der Burschenschaft einen riesigen Lärm machte, ja sogar die Haupt- und letzte Ursache der Ermordung Kotzebues wurde. Es entbrannte nämlich vom nationalen Hass gegen diesen Mann Karl Ludwig Sand, Candidat der Theologie, ein stiller und sanfter, aber melancholischer, in sich verschlossener, wenig redender und in seinen Studien überaus fleißiger Jüngling. Im großherzoglichen Con-vict saß er im letzten Semester unmittelbar in der Nähe unseres ungarischen Tisches und hatte dort für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen; er verlautbarte im Namen des Senates oder der Studentenschaft allerlei Anordnungen, klebte Zetteln auf die Thüre, wenn jemand von den Studenten etwas verloren oder gefunden hatte u. s. w. Am Schlüsse der akademischen Vorlesungen folgte er, das Evangelium des heiligen Johannes und einen scharfen Dolch mit sich tragend, Kotzebue nach Mannheim, wo er diesen am 20. März 1819 um fünf Uhr nachmittags ermordete und sodann am 23. Mai 1820 selbst hingerichtet wurde. § 19. Botanik. Liebe zu den Blumen. Die Natur. Ein jeder Mensch besitzt eine ihm von der Natur eingeimpfte besondere Neigung zu gewissen Dingen, die man Vorliebe, Liebhaberei, Steckenpferd u. s. w. heißt. Doch auch diese Leidenschaft erleidet mit dem Alter des Menschen Veränderungen oder Steigerungen. Ich zitterte schon als Kind, wenn ich eine Blume sah, vor einer gewissen Freude. Als ich einmal am Osterfeste mit dem Vater aus der Kirche zurückkehrte und unerwartet hinter dem Hause unseren Birnbaum in seiner vollen Blüte sah, blieb ich zuerst in stiller Freude stehen und war so sehr in Bewunderung versenkt, dass ich beim Anblick dieser erhabenen Matrone in ihrem weißglänzenden Kleide geradezu Feuer fieng, dann aber auf der Gasse Jung und Alt sammelte, zu diesem Schauspiele führte und nicht begreifen konnte, wie sie dabei so gefühllos sein oder über meine Freude sogar lachen konnten. In dem Obstgarten meines Vaters hatte ich ein besonderes Grärtlein, in dem ich Blumen aufzog und pflegte. Diese kindliche Spielerei wurde in der Schule in Kremnitz und Neusohl erstickt, kam aber in Pressburg durch das Privatstudium der Botanik wieder zum Vorschein. Die blumenreichen Thäler der Pressburger Tatra ’) waren meine Gotteshäuser und Paläste, ihre Wiesen, Thalgehänge und Blumen meine täglichen Kameraden während des Sommers. Im letzten Jahre meines Pressburger Aufenthaltes kaufte ich mir Samen und Wurzeln der hervorragendsten Blumen und nahm sie nach Neusohl mit, wo ich im Kolbenhayer’-schen2) Garten einen der schönsten Blumengärten hatte. Holländische Tulpen und Nelken, der bunte große Parisermohn, Rosen u. s. w. standen darin. Die Nelken taufte ich mit nationalen, mir besonders theueren oder mit anderen Namen: die einen hießen Veleslavin, Komensky, andere Sokrates, Plato; andere Schiller, Wieland u. s. w. Aber alles das war bisher nur wie eine Unterhaltung. In Jena aber brach diese Neigung und Liebe zu den Blumen so mächtig aus, dass sie gerade zu einer Blumennarretei wurde. Sie hatte zur Folge, dass ich Botanik bei zwei Professoren hörte, bei Oken und dem jungen Voigt, welche Collegien besonders theuer waren und deshalb viel kosteten, weil wir für Pflanzen und andere Bedürfnisse beisteuern mussten. Alle Gärten, nicht nur in Jena, sondern auch in der Umgebung von Jena waren mir bekannt, und ich war in ihnen wie zu Hause. An freien Tagen und an Sonntagen flüchtete ich namentlich im Sommer in die blütenreichen Thäler und auf die Abhänge, in Gärten und Anlagen, deren es um Jona viele gibt. Der ganze Mai, in dem die Anlagen und Bäume blühten, war mir eine Zeit der süßesten Vergnügungen. Wenn ich eine ganze Anlage von blühenden, wie >) Diesen Namen legt Kollar den ganzen westlichen und mittleren Karpathen bei. a) In der bürgerlichen Familie Kolbonhayer, einer der reichsten und ältesten, war Kollar vor seiner Reise nach Deutschland Hauslehrer. mit Milch und Schnee bedeckten Bäumen erblickte, so war ich wie bezaubert, * ja sogar vor einem einzigen, alleinstehenden blühenden Baum stand ich, von seinem Wohlgeruch berauscht, ganze Stunden wie verzückt da. Nichts lehrte mich Glott sosehr bewundern und die Welt lieben, wie die Blumen. Im Prinzessinnengarten in Jena sollte nach vielen Jahren eine Aloe blühen. Ich lief nach Beendigung einer jeden Lection sofort dahin, wo ich gewöhnlich auch Gloethe beim Lesen oder Forschen fand. In den Weimarer Zeitungen stand die Nachricht, dass in Weimar im grofiherzogliclien Belvederegarten an diesem und diesem Tage die Blüte des Cactus grandiflorus aufbrechen und ausblühen soll, worauf uns auch Professor Voigt aufmerksam machte. Ich ließ alle andern Stunden beiseite und trat mit Herrn Voigt und einigen andern Studenten sofort die Reise dahin an. Wir schliefen die ganze Nacht nicht. Ungefähr um Mitternacht hörten wir in dem Glasgartenhaus, wo wir waren, vor uns einen Knall wie Kanonendonner, und wir wurden durch den plötzlichen, schnell sich verbreitenden Geruch geradezu betäubt. Dieses herrliche Wunder des Blumenreiches vermehrte noch mehr meine Liebe zu ihm. In solcher Blütenluft und Umgebung las ich beim Lutherbrunnen ’) auch Ossian. Manchmal verbarg ich mich abends hinter einem Rosen- oder Dornenstrauch und hörte bis in die späte Nacht den harmonischen Gesängen der Nachtigall zu, die mir manchmal so nahe war, dass ich sie auf dem Zweige mit der Hand hätte greifen können; anderseits, wenn ein Baum, namentlich ein Kirschen- oder Apfelbaum oder eine Linde dazu besonders geeignet war, kletterte ich empor und setzte mich in die blütenbeschneiten Äste und las oder dichtete in dieser olympischen Atmosphäre. Mit einem Worte, die Blumen waren meine Karten und Würfeln, mein Schach- und Kegelspiel, meine Concerte l l) Einen Lutherbrunnen gibt es weder im großherzoglichen Belvedere- noch im Prinzessinnengarten; dieser steht, wie mir Archiv-director Burkhardt, ein geborener Jenenser, versichert, auf dom Karl-Zoiss-Platz. (J. W.) und Bälle, meine Spiele und Unterhaltungen. Diese Liebe zur Natur, namentlich zur Flora, erleichterte mir meine vielen Schwierigkeiten, versüßte viele Bitterkeiten und Sorgen, mit denen ich nicht einmal zu kämpfen hatte, und bewirkte, dass ich unter Blumen, wie Archimedes bei seinen mathematischen Figuren im Sande, alles vergaß, was mir in der Welt hässlich oder unangenehm war.. Die Blumen und die Natur waren die Kette und das Band, welches mich immer mit der Welt vereinigte und aussöhnte, um ihr nicht feind zu werden. Als ich auf der Rückreise durch Prag von Jungmann gehört hatte, dass unser Presl1) an einem böhmisch-slavischen Pflanzenbuch arbeitete, besuchte ich sofort Herrn Presl. Von welcher Wonne flammte mein Herz, als ich aus dem Munde des Herrn Presl alle botanischen Benennungen so glücklich und schön übersetzt zu hören bekam, z. B. tajnosnubny (kryptogam), jevnosnubny (phanerogam) u. s. w. Sein Pflanzenbuch begleitete mich auf allen meinen späteren Frühjahrs- und Sommerreisen und Spaziergängen, namentlich aber auf den Sennen (Sa-laschen) und in Bädern, wo ich mich zur Wiederherstellung meiner Gesundheit aufhielt, pflegte es mein einziges Buch und meine einzige Unterhaltung zu sein. Da aber der Böhme Zalužansky der erste war, welcher das Geschlecht der Pflanzen und Blumen lange vor Linne entdeckt hatte, so hatte ich keine Ruhe, bis ich mir nicht sein Werk verschaffte, und es gelang mir zuletzt, es durch einen Antiquar allerdings um ziemlich theures Geld zu erwerben. Als ich in meinen ältern Jahren über diese Leidenschaft ruhiger nachdachte, schien es mir, als ob die Liebe zur Malerei, wobei ich mich hauptsächlich mit dem Malen der Blumen beschäftigte2), den Hauptantheil und Einfluss auf ') Jan Svatopluk Presl war Professor der Naturgeschichte an der medicinischen Facultät der Prager Universität. Der in Rede stehende „Rostlinäf“ erschien in Prag seit 1820. Über Presl als den Herausgeber der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift in böhmischer Sprache, „Krok“, vgl. o. S. 63—54. a) Von dieser seiner Beschäftigung in Kremnitz, Neusohl und Prossburg berichtet KoMr in den „Pameti“, S. 126—128. sie hatte. Dieser Fülle der blnmenfreundlichen Gefühle musste ich häufig nicht nur in Sonetten Luft machen, sondern auch in einem frommen Liede: Liebe zur Natur, unter der Nummer 693 im Zpevnik gedruckt, ja sogar in einer Predigt: Die Blumen im Spiegel der Religion1). Diesem Tempel der Natur, solchen irdischen Kleinparadiesen und gesegneten Augenblicken draußen unter freiem Himmel verdankt der größere Theil meiner Gedichte und Sonette sowohl in Jena als auch auf Reisen und in Pest seine Entstehung, so dass ich bei der Rückkehr nach Hause nichts anderes zu thun hatte, als sie mit der Feder aufs Papier niederzuschreiben. Meine Poesie war in der That eine Biene, welche nur im Felde, in den Hainen und auf Wiesen Nahrung suchte und mit beladenen Beinchen in ihren Stock flog. Sonst waren leider mein Stand, meine Arbeit und die Umstände poetischen Gedanken und Ergüssen nicht günstig. In Pest geschah es mir in meinem Amte häufig, dass ein Punkt und eine Periode beim Schreiben in einem Gedichte oder in einer Predigt fünf- und zehnmal durch das Anklopfen der verschiedenartigsten Ankömmlinge und durch die widerwärtigsten Scenen unterbrochen wurden; ja, es vergiengen nicht Tage, sondern ganze Wochen, wo ich wegen des Gedränges der Leute, der Menge der amtlichen Arbeit, des Jahrmarktlärms und Geschreies kaum die Feder in die Hand nehmen konnte. Mit verwundetem und blutendem Herzen gieng ich oft in Gottes Heiligthum der Natur: Galle und Thränon ergossen sich mir wegen der unwürdigen Convente, ungerechten Processe, rabulistischon Advocaten2), wegen der grausamen Verfolgung derSlovaken und der Pester Gemeinde, *) Kaznö a Ječi, II, 324—340. 2) Kollar hat die Magyarisierungsbestrebungen mit Hilfe der Kirche im Auge. Aus demselben Grunde stand auch die Frage der Union der Evangelischen mit den Reformierten auf der Tagesordnung. Vor seiner ersten Reise (1841) schloss Kolhir seine Unterredung mit dom Grafen Karl Zay, dem Oberinspector der evangelischen Kirchen in Ungarn, welcher ihn zur Theilnahme an den Sitzungen des Conventes, auf dem auch die Union zur Sprache kommen sollte, zu bewogen suchte, mit folgenden Worten: „Die der unverdienten Beleidigungen meiner Person, der anonymen Briefe und Drohungen, wegen des Einschlagens der Fenster und der nächtlichen Katzenmusiken bei der Herausgabe fast jedes böhmisch-slavischenWerkes; abernach einigen Stunden kehrte ich wieder mit leichtem Blut, mit fröhlichem Gesicht, mit beruhigtem Herzen und mit erneuerter Kraft zum Kampfe zurück: solche Wunder wirkte Gottes Natur in mir. Was manchmal zehn bis zwanzig Freunde und Tröster bei mir nicht zustande brachten, das leistete die stille Einsamkeit in der Natur in einigen Augenblicken. Aber Einsamkeit musste es sein; in Gesellschaft und Gesprächen mit andern, selbst mit Freunden, wirkte die Natur nie so wohl-thätig auf mich wie dort, wo ich mich allein fühlte, in mich gekehrt und abgeschlossen war, von niemand gesehen und gehört wurde als nur von Gott: da flog der Engel von Gethsemane zu mir und stärkte mich. Und wie in der Jugend blumenbestreute Hügel und Thäler, bekränzte Flüsse und Quellen, wohlriechende Bäume und Linden, meine Pamasse und Tempe, meine Pimple und Kastalien, überhaupt meine poetische, den Musen geweihte Welt zu sein pflegten, so heilten sie mich abermals mit ihren balsamischen Gerüchen und Arzneien oder halfen zugleich mit andern Mitteln am meisten mich zu heilen, einmal in Budisch im Thuroczer Gomitat und nachher theils in To-Almäs in dem herrlichen Pronayischen Park, theils im Ofener Auwinkel (Budinsky Palouk) und in Maria-Eichel (Mariansky Dub). § 20. J. G. M a r e z o 11. Dieser Mann war Kirchen - Superintendent in Jena, ein glücklicher Redner, und gehörte sozusagen zu den Kirche ist jetzt fast ganz unseren Händen entrissen und in die der Advocaton gelegt, in ärgere könnte sie aber niemals gerathen. Schwer lastete das Papstthum auf der Kirche, noch schwerer ist die Last dieses Säbelrasseins. (Der Säbel gehört zum ungarischen National-costüm.) Die evangelische Kirche und Geistlichkeit in Ungarn befindet sich in einem so traurigen Zustand, dass jeder aufrichtige Protestant darüber in seinem Herzen die tiefste Trauer empfinden muss.“ Spisy, III, VIII. Pfeilern des damaligen Rationalismus. Ich spreche hier nur soviel von ihm, als seine Person meine Existenz unmittelbar berührte und eine bedeutende Wirkung auf das Schicksal meines Lebens hatte. Mein erster Besuch bei ihm wurde durch ein Schreiben veranlasst, welches ich aus Dresden von Herrn Ammon mitgebracht hatte. Es gefiel mir nicht, dass er in einem und demselben Hause, aber entfernt von seiner Familie lebte. Er fragte mich lange über seine in Ungarn lebenden Freunde, Mitschüler und Bekannten aus, aber wir geriethen in kein tieferes Gespräch über Wissenschaften. Er hatte vier Töchter, die fast alle erwachsen und so hoch gebildet und gelehrt waren, dass namentlich die älteste von ihnen auch als Schriftstellerin hervortrat. Über seine Herkunft und seine Geburt waren die verschiedenartigsten Gerüchte im Umlauf. Die einen hielten ihn für ein bei einem Zollbeamten gefundenes Findelkind, zu dem sich später eine Mutter Marie bekannte, wonach ihm auch der Name Marezoll gegeben worden sei; auch seine Sittlichkeit und eheliche Treue wurden von der Öffentlichkeit in allerlei Weise erörtert, so dass verschiedenartige Erzählungen von einem Hause zum andern verbreitet wurden; und dennoch, wenn der Ruf ertönte: „Marozoll wird predigen“, so war überall alles überfüllt, niemand dachte an sein Privatleben und seine persönlichen Gebrechen, alles gieng aus der Kirche durchdrungen und erbaut, eine solche unüberwindliche Kraft hat die Beredsamkeit auf menschliche Herzen. Als die meisten Gerüchte über ihn in Jena im Umlauf waren, hielt er in der Hauptkirche eine Predigt „über den Leumund“, bei der den Weibchen und Jungfern Thränen in Strömen herunterflossen. §21. Winzerle. Lobeda. Wölnitz. Das Dorf Winzerle liegt ungefähr eine halbe Meile von Jena, fast eine halbe Stunde von Lobeda am linken Ufer der Saale und gehört als Filiale zur Kirche von Burgau, obwohl es sein eigenes, überaus altes Gotteshaus hat, in welchem der Pastor von Burgau jeden Sonntag den Gottesdienst verrichtet. Die Stadt Lobeda liegt von Jena ungefähr eine Stunde entfernt, auf einem hohen Hügel, auf dem die Ruinen der alten Burg Lobeda trauern. Diese Burg gehörte einst der Familie Bernevioko, deutsch Berlepsch genannt, die von der slovakisch-mährischen Grenze herstammte. Der Name Lobeda wird in alten Urkunden Lubeda geschrieben; sein Ursprung ist unzweifelhaft slavisch, sei es von der bekannten Pflanze Lobodal), sei es, was mir wahrscheinlicher zu sein scheint, von Ljubeta (vergl. luby, Lubetova) mit dem üblichen deutschen Wechsel der Buchstaben d und t. Hier gibt es eine bedeutende evangelische Kirche, zu der drei Filialen gehören: Wölnitz, Ruda und Sulza. Das dortige Pfarrhaus war einst in katholischen Zeiten eine Abtei, weswegen es groß und nach Art eines Klosters gebaut ist. In demselben sind bisher viele Überbleibsel, Einkünfte, Zehente und Benennungen aus katholischen Zeiten zurückgeblieben. Die unweit des Pfarrhauses gebaute Kirche ist ebenfalls alterthümlich, und sie birgt gegenüber der Kanzel die Gruft und das Denkmal der slovakisch-mährischen Familie Berlepsch. Das ungefähr in der Mitte zwischen Jena und Lobeda am linken Saale-Ufer gelegene Wölnitz ist bekannt durch das Brauen eines ausgezeichneten böhmischen Bieres, welches die Dorfbewohner selbst bereiten. Hier besitzt der Pastor von Lobeda eine kleine Wirtschaft, die aus Feld, Wiesen, einem kleinen Weingarten, einem Obstgarten und einem Gärtlein besteht; in der Nähe des Gartens steht eine schattige, viele Jahrlmnderte alte Linde. Nicht weit von hier liegt die sogenannte Goethegrotte2) in einem Sandhügel. In diese Umgebung pflegen gewöhnlich die Botaniker auf Blumen und Pflanzen auszugehen. Im Jahre 1818 verbreitete sich, ungefähr in der Mitte des Monats April3), die Nachricht, dass in dem Kirchspiel <) Atriplex, Melde. Daneben kommt auch die Form „lobeda“ im Böhmischen, Neuslovenischen und Russischen vor. a) Heutzutage unter diesem Namen nicht bekannt (Jakubec). *) Da der Ostersonntag 1818 auf den 22. März fiel, so müsste im Zusammenhang mit dem Folgenden dieses Ereignis noch in den Winzerle das Kirchweihfest oder richtiger das dreilmndert-jährige Jubiläum der dortigen Kirche bevorstehe, bei welcher Gelegenheit Herr Marezoll predigen soll. Ich nahm einige Freunde und Bekannten mit mir, darunter Mazäri, Rumann, Clemen und den altern Danjelov1), und wir kamen nach Winzerle gerade zum Festzuge, welchen eine große Menschenmenge im Dorfe und vor der Kirche mit Gesang, Musik, Blumen und anderm Schmuck ins Werk setzte. Vor der Kirche erhob sich auf der linken Seite ein Hügel2), an dessen Fuß sich der Zug bewegte. Auf dem Hügel standen und schauten zwei Mädchen in weißen Festkleidern zu. Eines von ihnen war die Tochter des Herrn Temelius, des Pastors in Gospoda; wer die andere sei, wusste unter uns niemand. Unterdessen verloren wir uns in dieser Menschenmenge ; ich aber, da ich die Predigt Marezolls hören wollte, eilte in die Kirche und besetzte einen der Plätze in der Nähe der Kanzel. Bald traten auch jene zwei Mädchen in die Kirche und setzten sich in der ersten Bank auf der Frauenseite. Marezoll predigte über die „hohe Würde der christlichen Gotteshäuser“; in der Einleitung erzählte er die Geschichte dieses Gotteshauses, wie sich sein Ursprung in grauen Jahrhunderten verlor, wie es im Dreißigjährigen Kriege einigemal zerstört und verbrannt wurde. Die Predigt zerfiel in zwei Theile3); im ersten zeigte er, worin die Würde der Gotteshäuser liege, nämlich darin, dass sie a) heilige Stätten des Gebetes, i) des Glaubens, c) der Tugend, d) der Wahrheit sind. Im zweiten Theile zeigte er, dass diese Würde der Gotteshäuser auch unsere Zeiten schützen und Monat März fallen. Es ist aber auch möglich, dass sich Kollar eine poetische Freiheit erlaubt hat, um die hübsche Scene des Wiedersehens der Unbekannten zustande zu bringen. Die Schilderung des Festzuges (Blumen, weiße Festkleider) spricht entschieden dafür. Leider konnte nicht eruiert werden, an welchem Sonntag das Kirchenjubiläum von Winzerle gefeiert wurde. 1) Soll wohl heißen den älteren Karasev. Vgl. o. 298—800. 2) Einen nennenswerten Hügel gibt es dort nicht. Jakubec, Kolldr-Sbornik, 90. !l) Aus Kollars Tagebuch herübergenommen (Jakubec). wahren müssen. Dazu verpflichten uns n) der herrschende, der Frömmigkeit sehr unfreundliche Zeitgeist, b) unglückliche Ereignisse, Kriege, Brände, andere Begebenheiten, welche auch unsere Gotteshäuser mit Gefahr bedrohen. Nach der Beendigung der Feier kehrte ich wieder ruhig nach Hause zurück. Im Monate März betrat nach Ostern') eine ehrwürdige bejahrte Matrone meine Wohnung. Nach ihrer Begrüßung fieng sie an zu reden: „Entschuldigen Sie, mein Herr, dass ich so kühn bin und Sie besuche. Zwei Ursachen führen mich dazu und geben mir ein gewisses Hecht. Erstens wohnte gerade in diesem Hause und in diesem Zimmer mein Sohn Wilhelm, ebenfalls Theologe und jetzt Prediger in Ilmenau, den ich hier häufig besuchen kam. Der zweite Umstand ist der, dass mich der hochwürdige Herr Superintendent Marezoll mit einer wichtigen Bitte ausdrücklich zu Ihnen sendet. Mein Gemahl, Adjunct (beinahe soviel wie in Ungarn Senior) und Pastor in Lobeda, Georg Friedrich Schmidt, erkrankte vor Ostern so, dass er bisher die Pflichten seines Amtes nicht erfüllen kann. Ich meldete das dem Herrn Superintendenten Marezoll, der Mitschüler meines Gemahls und bisher unser treuer Hausfreund war, und bat ihn, er möge bezüglich der Sonntagspredigt Ordnung schaßen. Und er gab mir den Rath, ich möge mich in dieser Angelegenheit an einige Ungarn und namentlich an Sie wenden, wenn es möglich ist, wollen Sie gefälligst am nächsten Sonntag die Predigt übernehmen.“ Ich war von diesem unerwarteten Besuche so betroffen, dass ich nicht ablehnen konnte, worauf diese ehrwürdige Frau mit Worten des Dankes fortgieng. Ich hielt es unterdessen für passend, an einem der Wochentage nach Lobeda zu gehen und mir an Ort und Stelle einige Kenntnis von der Kirche, vom Orte, der Art und Ordnung des Gottesdienstes zu erwerben. Und ich nahm Herrn Jan Benedikti dahin mit. Als wir mit dom *) Ostern fiel auf den 22. März. Da Kollar erst am zweiten Sonntag nach Ostern den Pastor vertrat, so können nur die letzten Tage des März gemeint sein. kranken, auf dem Canapee sitzenden Herrn Adjuncten und Pastor ein wenig conversierten, trat ein Mädchen in der vollsten Blüte des Jungfrauenalters in das Zimmer. Es war das jene unbekannte Theilnehmerin am Jubiläum des Kirchweihfestes und die Zuhörerin in der Kirche von Winzerle, die älteste Tochter des Hauses, Wilhelmine Friederike1). Wir wurden mit Kaffee und Kuchen bewirtet, worauf wir fortgiengen. Der Herr Adjunct bat mich sammt seiner Frau, ich möge, wenn nur möglich, schon Samstag abends kommen, weil früh morgens auch in der benachbarten Filiale von Ruda ordnungsmäßig ein kleiner Gottesdienst abgehalten werden soll. Als ich nun am Samstag auf die Nacht gekommen war, sprachen wir lange bis Mitternacht hinein über verschiedenartige Dinge, namentlich über Vaterland und Heimat (Geburtsstätte), über Nation und Sprache. Der Pastor erzählte: „Ich bin aus dem Dorfe Rozslavy (gewöhnlich Roslau, Rosla, vergleiche Bretislaburg, genannt), ungefähr drei Stunden von Jena gelegen, wo mein Vater Schullehrer war. Unsere Vorfahren sollen aus der Lausitz stammen und einen wendischen Namen gehabt haben. Ich selbst besitze noch in meiner Bibliothek zwei lausitz-wendische Grammatiken, die eine von Johann Hauptmann, die andere von Georg Matthaei, die ich Ihnen, mein lieber wendischer Freund und Nationalbruder, Herr Kollar, als Geschenk zum Andenken verehre, da ich sehe, dass Sie ein Liebhaber und Kenner der slavischen Dialecte sind.“ Zu dieser Gabe legte der ehrwürdige Alte noch ein Büchlein hinzu unter dem Titel: „Dissert. de Idolis Slavorum a Mich. Fraenzel, Budissa-Lusato Viteb. 1691.“ Ich sah in seiner Bibliothek auch andere vom Vater und den Vorfahren an ihn vererbte Bücher, die sich auf die slavische Nation und ihr Leben bezogen, z. B. Helmold, Thietmar von Merseburg, Wipo2), Samuel Großers „Lausitzer Merkwürdigkeiten“ u. s. w. Wir sprachen viel von volksthümlichen Sitten, Hochzeiten, Liedern des slavisch-wendischen Volkes, die sich trotz aller ‘) Vgl. o. S. 205. — a) Kollar schreibt Vippe, aber es kann nur der Schreiber der „Vita Chuonradi“ gemeint sein. Germanisation erhalten sollen; schließlich auch von der serbisch - lausitzer Predigergesellschaft in Leipzig, deren Theilnehmer auch sein Vater und er gewesen seien. Und hier brachte er aus seinem Pulte die eben in Leipzig iin Drucke erschienene Broschüre unter dem Titel: „Zur Peyer des hundertjährigen Stiftungstages der Lausitzer Predigergesellschaft in Leipzig in der Kumtner’schen Buchhandlung 1816.“ Mit einem gewissen hohen Stolze zeigte und las er mir, dass sich in der dort gedruckten Geschichte dieser G esellschaft drei Männer mit dem Namen Schmidt befinden, welche sich Verdienste um dieses Institut erworben haben, und zwar auf Seite 11 ^ D. Schmidt, Decan der theologischen Facultät in Leipzig; S. 18 Christian Gottlob Schmidt aus Hochkirch (v Bukovcech) in der Lausitz; S. ‘28 Johann Karl Schmidt aus Königswarthe (v Kakeci), Mitglied der Gesellschaft. Als er mehr von meinem Vaterlande gehört hatte, dass ich nämlich in der Nähe der mährisch-slovakischen Grenze geboren bin, begrüßte er mich gleich als Landsmann der Herren und Besitzer der Burg Lobeda, das ist der Bernevißko oder germanisiert Berlepsch, welche ungefähr vor sieben Jahrhunderten aus der mährischen Slovakei nach Sachsen kamen, deren Geschlecht lange Zeit diese Burg und unzweifelhaft auch die Stadt beherrschte, hier residierte und in der Kirche von Lobeda seine Gruft besitzt, wo die Särge und Wappen einiger hier begrabenen Personen bis heute zu sehen sind. Von dieser Familie und einigen ihrer Mitglieder sind bis jetzt bei der Bevölkerung der Umgebung von Lobeda tausenderlei Überlieferungen, Sagen und wunderbare Märchen im Umlauf, welche sich die Bewohner an Winterabenden zu erzählen pflegen. Von zwe Persönlichkeiten der Berlepsche erzählte er einiges sofort. Einer von ihnen, Johann, soll jener vermummte Kitter gewesen sein, welcher am 4. Mai des Jahres 1521 im Thüringer Walde den vom Papst und Kaiser in Bann gethanenen Luther aus dem Wagen riss und ihn auf die Wartburg brachte. Eine ■) Nach dem Original statt 10. Verdienste um die Gesellschaft erwarben sich nur die beiden ersten. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc. 23 zweite denkwürdige Person dieses Geschlechtes soll die verwitwete Gräfin Maria Gertrude gewesen sein, welche im 17. Jahrhundert als Obersthofmeisterin der polnischen Gräfin Radziwill, der Gemahlin Karl Philipps, des Kurfürsten und Markgrafen von der Pfalz, berühmt war. Nachdem sie sich in Spanien am Hofe als Donna d’ honnore (!) der Königin Maria Anna, der Gemahlin Karl II., wo sie durch zwölf Jahre in Gnaden lebte, ein großes Vermögen erworben hatte, kehrte sie nach Böhmen, und zwar nach Prag zurück, wo sie in der Neustadt in dem für adelige Fräulein gegründeten Institut der englischen Fräulein vom Kaiser Josef im Jahre 1706 zur Abtissin und Reichsfürstin erhoben wurde und diese Würde auch ihren Nachfolgerinnen zurückließ. Ihre beiden Söhne lebten am Hofe des Kaisers Josef, und zwar Peter Philipp als Reichshofrath, Sitich Herbald als Kämmerer. — Von allen diesen Persönlichkeiten und ihren Erlebnissen hatte dieser Mann eine so detaillierte und interessante Kenntnis, dass ich mich über sein Gedächtnis nicht genug wundern konnte. Das waren Umstände, die mich bezauberten, das war eine Gabe theuerer als Gold und Silber. In dieser Aufregung konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Den nächsten Morgen am Sonntag1), und zwar den zweiten nach Ostern, verrichtete ich den Gottesdienst, wobei ich zum erstenmal mit dem sogenannten Lutherrock bekleidet wurde. Meine Predigt nahm ich aus dem Texte des Johannes Evangel., Cap. II, Vers 11: „Welche sind diese Dinge, für die wir nach dem Beispiele Christi das Leben hingeben müssen?“ Nach Vollendung des Gottesdienstes wünschte ich die Gruft und die Gräber des Geschlechtes der Berlepsch zu sehen; und gleich führten mich die Herren Schullehrer Hafer und Stückl zum unteren Thore der Kirche, wo erst unlängst bei der Renovierung der Kirche auf dem Grund ein Sarg gefunden und ansgegraben wurde, in dem das Gerippe eines Fräuleins Berlepsch, noch mit Zopf, mit Goldbrocat- und Batistkleidern u. s. w. lag. Auf einigen Marmortafeln lasen ’) D. i. am 5. April. wir auch die Inschriften, allerdings schon verwitterte und verderbte. Hier fühlte ich mich wie halb zu Hause und unter meinen Landsleuten, ich stand an diesen Boden mit goldenen Ketten der Geschichte und Poesie gefesselt da. Nachmittags besuchte ich den Hügel und das Schloss Lobdaburg, von wo man einen herrlichen Ausblick auf die umliegenden Gegenden hat, und kehrte zu meinen täglichen Arbeiten zurück. Aber leider vollendete schon am 24. d. M. der hochwürdige Herr Adjunct und Pastor von Lobeda durch unerwarteten Tod seinen Lebenslauf. Unterdessen war der Monat Mai gekommen, und ich begann, sobald nur die Straßen und Wege trocken wurden, wieder meine gewöhnlichen Ausgänge und Ausflüge in die benachbarten Orte zu machen, wann immer es nur meine Tage und Stunden erlaubten. Denn kaum hatte ich mich in Jena niedergelassen und mich an der Saale ein wenig umgesehen, so regten sich tief in meinem Innern bisher unbekannte Gefühle und unverhoffte Schmerzen, die uns auf Friedhöfen erfassen, nur in einer erhabeneren und größeren Form. Das waren Gefühle über den Tod der sla-vischen Nation in diesen Gegenden, über die Gräber der theueren Vorfahren und Stämme, über die unterdrückten und hier vernichteten Serben. Jede Stadt, jedes Dorf, jeder Fluss und Berg, die einen slavischen Namen hatten, erschienen mir wie ein Grab oder als ein Denkmal auf diesem riesigen Friedhof. Ich hatte diesseits der Saale schon viele derartige Städte besucht, erforscht und kennen gelernt, z. B. Gospoda, Osmeritz, Weimar, Kunitz, Lubnitz, ja ich war mit einem meiner deutschen Collegen auch in Bresnitz, Badygast und in Gera (Gra, urbs Gerais). Ich wollte damals auch andere nähere und kleinere Dörfer, welche slavische Namen tragen, sehen und näher erforschen, ob nicht noch irgend welche Spuren und Reste des dortigen slavischen Volksthums, der Mythologie, Architektur, Spiele, Gebräuche u. s. w. zu finden wären. Es war ein herrliches Frühjahr, ein Herz erfreuender, blühender Mai. Und ich gieng abends hinter die Saale zum Dorfe Wölnitz spazieren, um zu botanisieren. 23* Voll von inneren traurigen nationalen Gefühlen und Gedanken, botanisierteich auf der Wiese zwischen der Goethe-Grotte und Wölnitz. Da meine Seele zwischen den Blumen und den mich hier umgebenden nationalen Ruinen, zwischen freudigem Lächeln und bittern Thränen getheilt war, bemerkte ich nicht, dass sich eine Wolke am Himmel zusammengezogen hatte. Die Sonne schien zwar und machte einen schönen Regenbogen im Osten, aber dabei fiel auch plötzlich ein dichter, kleiner Regen nieder. Da ich Hut und Kleider vor Nässe schützen wollte, eilte ich unter die schattige Linde in der Nähe. Kaum stürzte ich zum Baume hin, als ich dort ein Mädchen erblickte, welches wegen seiner Einsamkeit schamroth wurde und wie ein scheues Reh in das Dorf fliehen wollte. Sie trug einen breiten Sommerstrohhut, Blumen und ein Büchlein im Körbchen. Als ich sie in der Nähe erkannt hatte, sagte ich, sie möge sich nicht fürchten, da wir bekannt seien. Und sie begann ihre Einsamkeit auf alle Arten zu entschuldigen, dass sie hier die Wirtschaft, den Garten und die Wiesen besuchte und bezüglich dessen, was das Gesinde arbeiten solle, Ordnung zu schaffen hatte. In diesem Moment kam Herr Professor Voigt mit einigen Botanikern durch das Thal von den anliegenden Bergen, genannt Kegelberge, herunter. Sie alle waren mit naturwissenschaftlicher Beute, mit Pflanzen, Schmetterlingen, Käfern beladen. Zu ihnen gesellte ich mich auch. Hier erst erfuhr ich, was gelehrte und wissenschaftliche Leidenschaft ist. Alle diese Naturforscher und Herr Voigt selbst hatten besondere Stöcke in der einen und ein Mikroskop in der andern Hand, durchstöberten auf dem Wege jeden Koth-haufen, jede Pfütze stehenden, stinkenden Wassers, holten von dort kleine Würmer, Fliegen, Reptilien und andere Thierchen und legten sie lebendig in kleine Flaschen. Dass mir nun nach dem Anblick jener Erscheinung unter der Linde diese Sudelei nicht gefiel, das wird mir, wie ich glaube, jedermann verzeihen. Nach einigen Wochen kamen am Sonntag nachmittags zwei Bürger und hervorragende Mitglieder der Kirche von Lobeda in meine Wohnung und kündeten mir im Namen der Gemeinde den Tod ihres hochgeehrten geistlichen Hirten an und fragten mich, ob ich noch weiter dort predigen und den Gottesdienst verrichten wollte. Ich entschuldigte mich zwar mit meinen zahlreichen eigenen Arbeiten, aber mit Rücksicht theils auf die verwaiste Kirche und Familie, theils auf dieses besondere Vertrauen, mit dem sie mich beehrten, gab ich ihnen mein Versprechen. Da mir aber eine Sache auf meinen Reisen in deutschen Gegenden überall und immer zum großen Ärgernis war, nämlich die, dass ich häufig am Sonntag auf dem Felde arbeiten, pflügen, graben, ernten, Getreide führen u. s. w. sah, so wollte ich, soweit als möglich, auf diesen Unfug die Aufmerksamkeit lenken. Deshalb wählte ich mir als Gejrenstand meiner zweiten Pre-digt in Lobeda: „Eine höhere und ausgebreitetere Bildung gibt dem Christen kein Recht, den heiligen Sonntag zu schänden.“ Diese Predigt machte einen derartigen Eindruck auf die Zuhörer, dass nach dem Gottesdienste die älteren Mitglieder der Gemeinde ins Pfarrhaus kamen und mich fragten, ob ich nicht ihr Prediger und Nachfolger ihres verstorbenen Herrn Pastors sein wollte, denn die ganze Gemeinde würde mich wählen und dem Herrn Superintendenten zur Bestätigung vorschlagen. „Liebe Freunde,“ sagte ich, „niemals und auf keine Weise; ich bin kein Deutscher, ich bin ein Slovake, mir hat der Himmel ein anderes Feld bestimmt, Ihr habt hier zahlreiche, ausgezeichnete Männer und Prediger, ich aber will meine schwachen Kräfte und mein Leben meinem vernachlässigten und noch ungebildeten Volke opfern.“ Mit diesen unerwarteten Worten ließen sie sich endlich beruhigen. Die Frau Witwe des verstorbenen Herrn Adjuncten und Pastors blieb zwar in ziemlich guten Verhältnissen, was die Häuslichkeit und Wirtschaft anbelangt, zurück. Aber die Erziehung ihrer beiden jungen Töchter, Karoline und Amalie, wurde durch den unerwarteten Tod des geliebten Vaters unterbrochen. Dieser Vater, ein ausgezeichneter Mann, erzog und unterrichtete nämlich selbst alle seine Kinder, die Söhne und Töchter, zu Hause, obwohl er nicht bloß Untersuperintendent oder Adjunct und Pastor einer großen Kirche war, und schickte seine so ausgemusterten und vorbereiteten Söhne erst auf die Hochschule. Karoline und Amalie sollten gerade zur Con-firmation vorbereitet werden, und ich übernahm auf Bitten der Mutter die Fortsetzung und Beendigung dieses begonnenen Werkes, indem ich versprach, ihnen jeden Samstag nachmittags einige Stunden Beligionsuntorricht zu ertheilen. Das waren selige Stunden meines akademischen Lebens, denn meine witzigen, eifrigen und willfährigen Schülerinnen waren mir von einer Woche zur andern mit größerer Zuneigung und Liebe ergeben. Die Witwe hatte das Recht, mit der ganzen Familie ein halbes Jahr in Lobeda zu verweilen, von wo sie mit einer bedeutenden AVitwenpension nach Jena übersiedelte, wo sie ober der Saale nicht weit vom Quai wohnte. Minnas Mutter hatte von Ungarn die schrecklichsten Vorstellungen, wie sie von diesem Lande im vorigen Jahrhunderte vielleicht in ganz Europa, und nicht ohne Grund, herrschten. Ungarn und Sibirien war ihr einerlei, sie kannte und sah dort nichts als die ungarischen Fußten und Ochsen, deren man überall in Deutschland gedenkt. Das ungarische Volk stellte sie sich als roh und wild vor, weil sie von Augenzeugen gehört habe, dass die Bewohner verschmierte Pelze statt der Kleider tragen, die Haare mit Fett schmieren, Speck essen, in unterirdischen Löchern und Höhlen wohnen, häufig das Räuberhandwerk treiben u. s. w. Umsonst bemühte ich mich, diese Vorstellungen damit zu widerlegen, dass das einmal gewesen, aber nicht mehr sei. Die Beispiele einiger misslungenen Ehen, wobei Frauen aus Ungarn nach Sachsen zurückgekehrt waren, bestätigten ihr diese Anschauungen. Außerdem wollte sie als AVitwe, die Waisen zu erziehen hatte, Hilfe im Hause oder wenigstens in der Nähe haben. Sie rieth mir daher, ich sollte in Jena irgend ein Professor werden oder mich um eine andere Stelle und ein Amt bewerben, denn nach Ungarn würde sie ihr liebstes Töchterlein, solange sie lebe, nie ziehen lassen, zu mindestens ihre mütterliche Einwilligung und den Segen dazu niemals geben. Was daraus entstand, ist unsern Freunden und Lesern bekannt. Unsere Correspondenz, die anfangs häufig war, wurde dann, um die Mutter zu schonen, immer seltener und seltener. Nach einigen Jahren wurde mir geschrieben, dass Minna lebensgefährlich krank sein solle, und dass sie unzweifelhaft früher, als dieses Schreiben in meine Hände gelangt, in die Ewigkeit hinüber wandern werde. Ihre Mutter, eine sanfte, vortreffliche, aber unerschütterliche Frau, lebte bis zum 17. Juli 1831. Auch ich stand unterdessen in diesen Jahren einige-male am Rande des Grabes und machte einmal auf den Rath des Arztes Suchäny sogar mein Testament, nämlich am 15. November 1825. Da aber von der höchsten österreichischen Behörde den Ungarn der Besuch der deutschen Universitäten, namentlich aber der von Jena, verboten war, ja auch deshalb, weil sogar die Correspondenz durch die Post unter strenger Controle stand, bis sich der in jenen Universitäten herrschende Geist nicht bessere, nahm auch unsere Correspondenz ein Ende, einer hörte nichts vom andern, so dass wir uns gegenseitig für todt hielten. Plötzlich wurde das Reisen nach Deutschland, wenigstens das geheime, freier, und ich erhielt durch Herrn Blazy, welcher in Jena studierte und heiratete, im Jahre 1835 abermals ein Schreiben von der wieder aufgefundenen Minna. §22. Die Reise in die Heimat. Mit gebrochenem Herzen verließ ich damals Jena und machte mich Ende März wie aufs Gerathewohl auf eine Reise in die Welt. In der Lausitz führte ich einen langen und schweren Kampf mit mir, wohin ich mich wenden sollte, und fluchte namentlich jetzt allen Zweikämpfen. Ich hatte nämlich in Jena mit dem Herrn Danilov einen festen Plan zum Besuche Polens und Russlands ausgearbeitet; mein Herz brannte vor unsterblicher Sehnsucht nach diesen Ländern, um so das ganze Slaventhum zu sehen und kennen zu lernen. Dieses Verlangen erweckte und entflammte in mir die ßeisebesehreibung unseres Dobrovsky, in welcher er seine im Jahre 1792 durch Schweden und Russland gemachte Reise schilderte, welches Buch ich mit Herrn Lavess, Sprachprofessor in Jena, gelesen hatte. Da ich aber vereinsamt und verlassen war, ja nicht einmal genügende Mittel für eine so weite Reise hatte, so wollte ich etwas so Verwegenes nicht unternehmen. Der Plan meiner polnisch-russischen Reise scheiterte namentlich an der Klippe der Börse. Obgleich ich immer Vertrauen zu mir und zu Golt hatte, verführte mich dieses Vertrauen dennoch niemals zu den dummlächerlichon Ausschreitungen der Abenteuerer und Weltstreicher. 0, wenn wir Slaven je früher desto besser Mittel hätten, um unsere jüngeren Brüder auf ähnliche, der slavischen Wechselseitigkeit förderliche Reisen schicken zu können! Und ich beschloss damals wenigstens das zu thun, was in der kurzen Zeit und bei der Bescheidenheit meiner Mittel möglich war; ich wählte den Weg zum Besuche der Gegenden, die einst slavisch waren und jetzt zum größten Theil germanisiert sind oder germanisiert werden. Aber auch diese, um die Wahrheit zu bekennen, wurden von mir mehr durchflogen als bereist, da ich unfähig war zu lernen und die Sachen strenge zu erforschen, ja sogar freundschaftlich zu conversieren und lange auf einem Orte zu bleiben. Ich reiste theils allein, theils in den nördlichen Gegenden mit Herrn Streubel, einem jungen Arzte aus Rudolstadt, meinem Mitschüler, theils aber mit Herrn Heinrich Giemen, wie durch Culturwüsten, so dass ich mich in den volkreichsten Städten am meisten vereinsamt fühlte. Nur zwei Oasen zeigten sich und grünten vor meinen Augen auf dieser stürmischen Reise, wo ich eine gewisse Ruhe und Erholung fand und wenigstens für einen Moment zu einem ruhigen, klaren Bewusstsein kam. Eine derartige Oase war Lemgo beim Freund Giemen, wo ich drei Tage verweilte, die zweite war Prag, wo ich im Kreise meiner Freunde Jungmann, Dobrovsky, Hanka und Presl einige selige Wochen zubrachte. Wie ich aber noch hier zerstreut war, beweist folgendes Erlebnis, das demjenigen ähnlich ist, welches zwischen Dresden und Leipzig Mažari getroffen hatte. Tn den ersten Tagen quartierte ich mich in Prag im Grasthause „Zur Stadt Wien“ ein. Meine Freunde, namentlich Herr Hanka, fanden für mich eine Wohnung in einem Privathause, wohin ich thatsächlich übersiedelte. Am zweiten oder dritten Tage giengen wir mit Herrn Jungmann gegen Nusle spazieren. Erst hier bemerkte ich, dass mir mein Geldgürtel fehlt. Ich hatte ihn im Gasthause „Zur Stadt Wien“ unter dem Polster gelassen, eilte nun zum Wirte zurück und erhielt meine Schätze glücklich wieder. Ob sie unangetastet waren, konnte ich selbst nicht entscheiden. Genug an dem, dass ich auch hier die Erfahrung machte, dass nicht bloß in Deutschland, sondern auch in Böhmen wackere Menschen leben. Herr Dobrovsky wohnte auf der Kleinseite im Garten des Grafen Nostic. Er war damals ungemein gesund und fröhlich. Etymologie und Botanik waren unsere Unterhaltungen bei ihm. Seine große Gestalt und seine dünne Fistelstimme wirkten wunderbar auf mich, so dass ich mich nicht anders als mit einer gewissen frommen Scheu diesem Patriarchen Gottes nähern konnte, welcher vom Himmel zum Wiederbeleben unserer Nationalität geschickt wurde. In mein Stammbuch schrieb er mir folgendes Motto1): „Gott zu Hilfe, niemand nach!“, wodurch er sich selbst am besten als Schöpfer und als einen Mann charakterisierte, der andern nicht folgt. Was war das für ein Unterschied, als ich Pi’ag zuerst und nun zum zweitenmal sah! Damals war ich noch unschuldig wie Adam im Paradies, jetzt habe ich aber bereits vom Baume der Nationalität die bittere und dem Geiste Schmerz bereitende Frucht gekostet; es schien mir, als ob Prag die versteinerte Geschichte des böhmischen Volkes wäre. Am Vysehrad zeigte man mir die Trümmer eines heidnischen Tempels; ich brach mir von demselben einige Stücke ab, trug sie in Papier gehüllt bei mir und bewahre sie bis auf den heutigen Tag. Als ich Prag verließ, bemächtigte sich meiner abermals die frühere Betäubung, so ') In altslovenischer (kirchenslavischer) Sprache: „Boga v po-mošč, nikomu v sljed.“ dass ich in Wien kaum wusste, woher ich gekommen bin. Hier bestieg ich bald ein Kaufmannsschiff und gelangte nach Pressburg mit einer Wiener Frau, welche ein ungefähr achtjähriges Töchterlein mit sich hatte. Der Wind wehte den ganzen Tag, aber abends um neun oder zehn Uhr entstand ein solches Ungewitter und ein Sturmwind auf der Donau, dass das Schiff, welches auf einen Felsen gestoben war, ein Loch erhielt. Wir retteten sammt den Schiffern kaum unser Leben auf einem kleinen Kahne und schlugen uns ganz nass, wobei wir immer Wasser aus dem Kahne schöpfen mussten, ungefähr um Mitternacht bei Pressburg zum Ufer durch. Am nächsten Tage ragte vom Schiffe nur ein Ende aus dem Wasser hervor. In Pressburg waren die Studenten gerade mit Prüfungen beschäftigt. Herr Palacky besuchte mich spät abends. Wir giengen auf dem sogenannten Heuplatze spazieren. Dieser gute Freund konnte mich lange nicht erkennen und begreifen, als ich mich ihm mit den Worten in die Arme stürzte: „Freund, es steht schlimm mit uns, unsere Nation ist unglücklich, ich kenne erst jetzt ihren traurigen Stand und ihre große Noth.“ Bei diesen Worten weinten wir beide, hielten uns wie kleine Kinder umschlungen und hatten niemand andern als den Mond, der über unseren Häuptern leuchtete, zum Zeugen. Doch wir ermannten uns wieder und Freude und Lächeln erheiterten unser Antlitz, als wir an die Größe und Zukunft unserer Nation dachten. Als ich nach Turec (Thurocz) zurückgekehrt war, begami soeben die Erntezeit; hier besuchte ich meine Freunde und hielt mich bei meinem Cousin Jan in Slovenske Pravno als C and id at auf. Nachträge und Berichtigungen. S. B. Vgl. R. v. Muth, Lose Skizzen der deutschen Poesie in Österreich von den Ausklängen der Romantik bis zum Durchdringen des Realismus. Jahresbericht der noe. Landes-Oberrealschule in Wiener-Neustadt für das Jahr 1895/96. Zu betonen ist noch der Wiener Aufenthalt W. v. Humboldts und Jakob Grimms, überhaupt die Congresszeit. Besonders wichtig ist auch der Umstand, dass sich im Sommer 1813 das Hauptquartier der Verbündeten in Prag befand und dass sich außer Brentano (vgl. Reinhold Steig, Achim v. Arnim und Clemens Brentano, 310—339) daselbst noch Ti eck (R, Köpke, L. Tieck, I, 351 ff), Ludwig Robert, Bruder der Rahel (Köpke, 1,356), Friederike Varnhagon (Holtei, Briefe an Tieck, IV, 143) und andere Romantiker einfänden (vgl. L. Tieck, Schriften, XXIII, 156, Literarischer Nachlass der Frau Karoline von Wolzogen, I, 44, II, 14 ff). Clemens Brentano hielt sich überhaupt von 1810—1814 alljährlich auf dem Gut Bukowan und sonst in Böhmen auf. Varn-hagen von Ense besuchte Prag nachweislich im Jahre 1812 (Euphorien, Ergänzungsheft I, S. 46 ff.). Beachtenswert ist der damalige Glanz des Prager ständischen Theaters, das Tieck (Kritische Schriften, IV, 3) „vielleicht die vorzüglichste Bühne in Deutschland“ nennt; besondere Freude hatte er mit dem Director Liebich, dei^ er zu den vorzüglichsten Schauspielern zählte, die nur die deutsche Bühne betreten haben (ibid., dann Schriften, V, 473 ff). Wie sehr in Wien Fouqu6 in Mode war und gewaltig „grassierte“, berichtet Brentano (Steig, 336, Holtei, Briefe an Tieck, 1, 106). S. 11. Davidovićs Redaction in Wien, die unter der Patronanz Kopitars stand, wird in den Jahren 1820—1821 von Šafafik das Centrum der serbischen Literatur genannt, umsomehr als sich auch Vuk Karadžić meist daselbst aufhiolt. Konst. Jireček, P. J. Šafafik mezi Jihoslovany, 72. S. 18. Über die erste böhmische Dichterschule vgl. jetzt Jaroslav Vlček, Prvni novoceskä Skola bAsnickä, v Praze, 1896. Danach wandelten Puchmayer und seine Genossen noch ganz die Bahnen Gleims und waren überhaupt verspätete Nachahmer der französisch deutsch-polnischen „Petite poćsie“. S. 25. Hnevkovsky befand aich noch ganz in den Fesseln der Oleim’schen Auffassung der Ballade. J. Ylöok, o. c. 74 ff. S. 36. Die Parallele zwischen Hankas Gedicht „Na sehe“ und einem serbischen Volkslied ist nicht mehr haltbar (Dr. V. Flajšhans, ČČM., 1896, S. 276 -277). Dies muss dem jüngsten Vortheidiger der Königinhofer Handschrift, V. Flajšhans (Boj o rukopisy, ÖOM., 1896, S. 195—282, und separat), zugestanden werden. Im übrigen haben mich seine Ausführungen und die sofort erfolgte Antwort Gebauers (Listy fllol. XXIII, 1896, S. 275—379) nur in der Kichtigkeit meines Standpunktes bestärkt, dass der Inhalt der Falsificate mehr in Betracht gezogen werden muss. Beachtenswert ist es, dass die Echtheit der Grünberger Handschrift auch Flajšhans ausdrücklich ablehnt. S. 46, Anmerkung 2, ist „verlegt — 1842“ zu streichen. S. 51. Jungmanns indische Metrik war im Grunde genommen doch nicht indisch. Vgl. J. Kral, O prosodii češko, Listy fllol., 1894,178 ff S. 56. Das Wort „närodovost“ wird noch gebraucht, allerdings selten; ganz üblich ist aber unter dem Volke noch „närodovec“ (J. Jakubec). Beachte noch vlastenectvi = Vaterländerei. S. 58. Čelakovsk^ theilt seine Volkslieder in böhmische, mährische und slovakische ein. Eine vollständige Bibliographie aller böhmischen Volkslieder bietet jetzt Č. Zibrt, Bibliograflcky pfehled ceskych närodm'ch pisni. Vgl. noch O. H o s t i n s k y, Narodopisna vystava ceskoslovanskä, 231 ff S. 72. Öelakovskys „Dovče, jä ti udeläm“ wird noch jetzt vom Landvolk gesungen. (J. Jakubec.) S. 81. In Poläks „Vznesenost pfirody“ gibt es Hexameter nur in der Einleitung, sonst finden wir verschiedene Metra, die dem älteren Alexandriner und anderen modernen Mustern verwandt sind. S. 91, Anmerkung 6. Zu übersetzen; „mit dem Jüngling über die Rosen tanzend“. S. 96, Anmerkung 1. Kadlocs Angaben sind richtig. (J. Jakubec.) S. 102, Anmerkung 6. Vinaricky war auch ein vortrefflicher Übersetzer. S. 115, Zeile 9 von unten, „wie alle übrigen“ ist zu streichen, da sich die Mehrzahl der Nachkommen der Böhmischen Brüder unter Josef II. der helvetischen Confession angeschlossen hat. S. 126 ff Als Ergänzung vgh meinen Artikel „Die Literatur zum hundertjährigen Jubiläum P. J. Safafiks“ im Archiv für slav. Philologie, XVIII, 557-584. S. 127, Die Angaben über das-Verbot des Besuches der deutschen Hochschulen sind zweifelhaft. Specioll in Jena wurden in den Jahren 1819—1824 und 1825—1827 keine Ungarn inscribiert, im Jahre 1825 nur zwei. Vgl. A. L. Haan, Jena hungarica, S. 153. S. 201. Unter dom erwähnten Garten ist der ehemalige Gries- bach'sche Garten zu verstehen, der 1818 von Maria Pawlowna angekauft wurde und dann Prinzessinnengarton hieß. Vgl. S. 802, Anmerkung 4, über den Lutherhrunnen S. 344, Anmerkung 1. S. 258. Das angesichts der heutigen Theorien und Zustände sonderbar klingende Vermächtnis des heil. Stephan, des ersten Königs von Ungarn, an seinen Sohn lautet im Original: „Unius linguae uniusque moris regnum imbecille et fragile est.“ Decreta regum, lib. I, cap. 2. S. 307. Als seine Jenaer Lehrer nennt Kollar im Rückblick auf seine Studienzeit (Pameti, 282) noch den Theologen Kestner (so statt Kästner nach dem Verzeichnis der Vorlesungen in der „Isis“, 1817, 1818), den Botaniker Graumüllcr und den Mathematiker und Physiker Münchow (falsch: Münchhof). S. 31ß—318. Vgl. Goethes Gespräche, herausgegoben von Woldemar Freiherr von Biedermann, VIII. (Leipzig, 1890) Nr. 1518, 1522, 1523. S. 330. Das erwähnte Schreiben an den Pressburger Districts-Inspector wurde von J. Jakubec in dem Nachlass des Dichters nicht gefunden. Personen-Register. A. Adalbert, Heil. 259. Adam von Bremen 311. Adelung 21, 139, 153, 235, 264. Ahlwardt 136. Alexander I. 2, 114, 159, 300, 327. Alkäus 79. Ammon Christoph Friedr. 295,318. Anakreon 79—81. Ancillon 334. Anton 162*, 225*, 234, 235*. Apel Aug. 136. ArcybaSev 159. Aristophanes 128. Arndt 195. Arneth 178*. Arnim von, Achim 51, 69. — Bettina 51. Ascher S. 334. Aspherus 300. Attems, Graf von Ignaz 7. Auer 176, 177, 178*. ■t. Bach 274, 278. Bachmann 307. Bacon 118. Bagalej 165*. Bakunin 285. Basedow 193. Bäuerle 07 Benedikti j. (Blahoslav) 33, 58, 130, 137* 200, 204, 308, 311, 320-325, 351. Benzel-Sternau 334. Borchtold Friedrich Graf 52. Berlepsch 205, 349, 353—354; Johann 328, 353; Maria Gertrude 206, 354. Bernevičko s. Berlepsch. Bity Fr. 101, 209*. Blair Hugh 118. Blahoslav s. Benedikti. Blazy 359. Bleiweis J. 9. Bodjanskij 128*, 184,188-190,262. Boeckh 136. Böttiger 265. Bolzano 80. Bohkowski 190. Bopp 138, 154, 166, 172, 173, 241 *, 266*, 267. Bouterwek 129, 136, 201. Bowring 103. Brachmann L. 199, 297, 326, 327. Brandl V. 127*. Bratranok 46*. Brentano Clemens 5, 48, 49*, 51, 69, 234, 363. Brettschneider 337. Brion Friederike 320. Brockhaus 297, 327. Brodzinski K. 64, 73, 170. Buhle 162*. Burkhardt 344*. Bürger 18, 24, 25, 76, 82, 94, 129, 195. Büsching 235. Byron 25, 237, 245. V. Calderon 104. Catalani 319. Cervantes 104. Chamisso 112. Chateaubriand 24, 49, 202. Chmel 178*. Chmela 57, 76. Chmelensky J. 57, 61, 74, 78, 79*, 84—86, 90, 98, 101, 104, 107, 108, 111, 112, 230, 281. Chodakowski 139, 265. Chomjakov 237. Cicero 339. Clemen 197, 322, 323, 33.), 340 350, 360. Clodius 136. Coelln 334. Colobrooke ‘2(!5. Collin Fr. H. v. 28. Comenius s. Komensky. Copernicus 252. Coreggio 294. Cotta 296. Creutzer 263, 265, 269. Cromo 334 Crudi Daniel 302. Cyrill, Heil. 228. Öelakovsky Fr. L.VI.VJI, IX, 15*, 17, 22, 35, 36, 43, 56-59, 61, «2-115, 124, 125, 137,143, 170, 178, 187, 189, 215, 279, 292, 364. Čulkov 168. I». Dabay 337*. Dabelow 334. Dahlmann 190, Dambeck 41. Danilov Ivan 298, 299, 359. - Kirša 39, 299*. Danjelov (cf. Danilov) 350. Dante 201, 215. Danz 131, 306. Davidovid 11, 363. Demosthenes 339. Deržavin 299. De Wette 236. Diobitsch Zabalkanskij 252. Diez Friedrich 176, 178. Ditmar s. Thietmar. Dobner 225*. Dobrovsky Jos. IX, 12, 14, 19 bis 23, 34, 37, 49*, 50, 54—56, 62, 75. 97, 100, 102, 103, 106, 114, 118-120, 122, 124, 139, 142, 150, 155, 159, 100, 186, 214, 225*, 234, 241, 267, 360, 361. Docon B. J. 12*. Dolezal 308. Dolgov S. O. 238*. Drahovsky 54. Durich 186. ■<:. Ebert K. E 47, 95, 99. Eichendorff 5. Eichhorn Vil I, 141. Eichstädt 131, 198, 199, 235, 307, 339, 340 Endlicher 170. Erben K. J. VI, VII, 59. Euripides 339. F. Fabry 117. Fallmerayer 245. Fauriel 70. Feifalik J. 36. Ferdinand I. 124. Ferdinand, Erzherzog 108. Ferdinand, Kaiser u. König 290. Ferjenčik 308, 317, 325, 328. Fichte 182, 245, 315. Flajshans V. 363-364. Förster Fr. 6t. Fortis Abbate 22, 225*. Fouque 5, 26, 41, 42, 88, 93, 363. Franko J. 238*. Friedrich Wilhelm IV. 141. Fries 131, 132, 135, 136, 146, 163, 196, 197, 229, 235, 248, 259, 272, 300, 305, 307, 311, 314 bis 316, 330, 331. Frisch 225*. Frušević 11. Fürstenborg, Fürst zu 16. Gabler 131, 196, 256, 306, 307, 315. Gaj Lj. 239. Gail 235. Gaupp 140, 141, 171. Gebauer 88, 364 Gebhardi 159, 162*, 235*. Gentz 3, 319 *. Gercken 162*, 225*. Gerhard 235. Gerle W. A. 95, 235*. Gessuer 18, 36, 78-80, 109. Gleim 18, 27, 129, 363. Glinka 168. Glückselig Legis 34*. Goedeke VII. Görres Jos. 50, 51, 138, 153, 284, 263, 265, 267, 269. Goethe W. VIII, 22, 24, 36, 42, 46, 47, 52, 53, 61, 62. 80, 82 bis 88. 103, 104, 111, 113, 121, 137, 193, 194, 199—201, 204, 215, 235, 242, 243, 240-248, 204, 279, 295, 290, 316-319, 327, 344, 865. Gottschall H. VII. Götz 18. Goldsmith 25. Golebiowski '265. Grafe' 70. Granovskij 188. Graumüller, Botaniker 365. Gray 25. Greß 119, 148. Gries 129. Griesbach 302, 364 Griesel 66. Grigorovič 128*, 188. Grillparzer 95, 178*, 216. Grimm Jakob YI, VIII, 12, 22, 39, 46, 69, 137, 138, 140*, 154, 155, 164—rl68, 170—172,175 bis 179, 185, 189, 235, 252, 264, 266, 269*, 270, 363. Grimm Wilhelm 269*. Groller Samuel 352. Grotofendt 136. Grün Milo 32. Gustav Adolf 297. Gutsmann 337. ir. Haas Nik. 235. Haase, Prager Buchdrucker 189. Hafis 104. Hafer 354. Hagedorn 18, 81. Haym R. VII. Hajek 51, 124. Hä'lek V. 280. Haller 334 Halling 166*. Hammer-Purgstall Jos., Baron v. 50* 153, 176, 178*, 266. Hand 198, 199, 235, 307, 327, 339. Hanka W. VI, 23, 88-87, 41, 42, 44, 47, 48, 51, 66, 63, 64, 71, 72, 75, 76, 109, 109, 122, 125, 151, 170, 324, 360, 361, 363, Hanuš 62, 72, 85, 114. — Jos. 127*. Harms 196, 807—309, 315. Haug .loh. Christ. 215. Hauptmann Joh. 352. Havhcok K. 292. Hebel 94, 100. Heeren 166. Hegel 248. Heine 265. Helene, Großfürstin 269. Helmold 235, 311, 352. Henning 235. Heraclius 218. Herder VII, 2, 5*, 8, 11*, 23 bis 25, 29, 45, 60, 65, 66, 69, 70, 82, 85, 103, 104, 118, 137, 139, 141, 143, 145-147, 151, 163, 164, 174, 182, 197, 200-202, 213, 214, 216—236, 243, 244, 246, 247, 249, 255, 258, 259, 261r 262, '264* 266, 267, 271, 272, 274, 275, 277. Herkel 144X. Hermann 136. Hermannsthal Franz von 8. - Herodot 157, 339. Herzog J. 67. Hilscher J. E. 8. HnSvkovsky 25, 57, 363. Hölty 76, 79, 86. Hođža 289. Hoffmanu Heinr. A. 12*. Holbein 95. Holko Matthias 232*. Homer 39, 62, 839. Horaz 79, 199, 339. Hormayr 5, 21, 100, 119, 160. Horn Franz 42. Houwald 94, 95. Hoznek 328. Hromädko 33, 34, 116. Hügel von, Baron 178*. Hugo vom Schwarzthale 8. Humboldt Wilhelm von 5, 138, 164, 166, 172, 173, 202, 363. Hus 80, 191, 228, 245*, 253*, 259, 277. Hybl 17. I. I ffland 193. Igor 35, 39. Immermann 334. Ivanisev 188. J. Jack 323. Jagić 269*. Jäger 178*. Jäschke Christiane Sophie 315. Jahn L. 29, 56, 118, 161, 195, 281. Jakobi 131. Jakobs Th. v., s. Talvj. Jakubec J. IX, X, 194, 211 *,242*, 274, 293*, 320*, 364, 365, Janke 334. Jarnik U. 7—8. Jellačić 238-285. Jelšik 338. Jesznak Freiherr von 336, Jonisch 29, 235*. Jireček Josef 35* 127*, 151, 171. — Konstantin 127 *. Johann, Erzherzog 6—7, 9, 52. Jordan 225*. Jornandes 235. Josef II. 14—15, 19, 103, 143, 206, 345, 364. Jungmann Anton 26, 37, 50*, 168. — Josef IX, 20, 24, 26-84, 37 bis 39, 49, 51, 52, 54-56, 6], 63, 71, 75, 88, 100, 103, 106, 110, 114, 116, 118, 122, 124, 128, 153, 156, 180, 212, 234, 275, 294, 345, 360, 361, 364. K. Kačer Jos. 92*. Kadlec 364. Kainz 95. Kajsarov (Kayssarow) 49*, 168, 234. Kamarj't J.V. 57—59,62—69, 71 bis 74, 76, 78, 79*, 80-94, 99—106, 108—111, 113, 123, 124, 143. Kamenicky Fr. J. 78, 81, 107, 108. Kamptz 334. Kanne 138, 263, 265, 269, 270. Kant 117, 118, 131, 216*, 275, 315. Karadžić Vuk 10, 14, 22, 33, 64, 69, 116, 137, 174, 363. Karamzin 159, 160, 168. Karäsek 209*, 270*. Karasev 297—300. Kares 89. Karl der Grobe 39, 221. Karl IV. 27. Karl II. 206, 354. Karl Friedrich, Großherzog 300. Karl Philipp, Kurfürst von der Pfalz 354. Kastorskij 188. Kestner, Jenaer Theolog 365. Kieser 330. Kiesewetter 275. Kinsky 294. Kirßjevskij P. 188. Klaproth J. 166, 241*. Kleist Ewald v. 18, 116. Klicpera 57, 76, 96. Klopstock 16, 18, 24, 25, 42, 55, 80, 81, 86, 116, 129, 198, 200, 212, 216*. Dr. Murko, Deutsche Einflüsse etc, Koch 321. Koppen 188, 238. Körner Th. 42. Kolb Gustav 250. Kolbenhayer 343. Kohl 235. Kollar Jan VI, VIII, IX, X, 15, 51 56-60, 81, 84, 89, 90, 99, 104 109, 110, 114, 122, 124, 125 127, 129, 130, 134-138, 140 143, 145, 146, 148—150, 154 155, 159, 164, 169, 170, 180* 192-274, 276—278, 281—283 286, 291, 298-862, 365. — Ludmilla 207 *. Kolovrat, Graf 32, 52, 63. Komensky 54, 228 *, 229 *, 259,337. Kopitar B. 3, 11—14, 19, 21—23, 29, 33, 34, 40, 69, 118, 139, 140, 149*, 150, 152, 186, 187, 189, 237*, 241, 243. Kopsch 309, 310. Kosegarten 89, 334. Kostomarov 254. Kovar 215*. Kotzebue 32, 96, 193, 202, 236, 334, 341, 342. Kramer 83. Krasinski 105. Kraus A. 46* 51*, 87*, 99* 199, 316*, 317*. Kreutzer Conradin 95. Krüdener Juliane, Baronin 327. Krug 275, 827. Kubelka T. 57. Kubinyi Caspar von 136. Kukuljović 285. Kumpf 7. Kuralt Martin 237 *. Xi. Labus 178*. Langer Jaroslav 78, 109, La Boche 86. Laschan A. 8. Lavater 235. Lavess 360. Legis 265. Leibnitz 80, 253, Lelewel 265. Lenz 307, 837. Leopold II. 20. Le Pique 201. Lermontov 236. Lessing 65, 70, 24 Lovitschnigg 250*. Libelt 285, 287. Libuša 5, 86, 89, 44, 49, 62, 167. Liebich 363. Liebusoli 166*. Linda 49, 96, 122. Lindo S. 30, 119, 139, 239. Linhart 168. Linnć 345. Lobkovic 280. Loraonosov 168, 299. Lossbach 818. Labomirski 289, 291. Luden 8, 131, 132, 135, 160, 197, 198, 200-202, 207, 285*, 236, 800, 307, 311-313, 324, 341. Lüder 198, 307, 339. Lützow 235. Lurair 39, 62. Luther 205, 245*, 259, 308, 308, 809, 328, 329, 331, 332,'337; Luthers Gemahlin 253. M. Macha K. H. 280. Machaček 57, 76, 98, 99. Machar 93*. Maciejowski 139, 181. Magda 193, 321. Majewski 37, 49, 51, 139, 153. Maksimovič 188. Mal^ J. 17. Manes Josef 279. Männert 162*. Marek A. 75, 275. — J. Jan 57, 79, 107, 112. Marezoll 205, 347-348, 350, 351. Maria Anna, Gemahlin Karl II. 354. — Antonia, Öelakovskys Freundin 101. — Pavlovna 300, 864. — Theresia 14—15. Masaryk IX, 16, 36, 88, 45, 229, 254, 279*, 292*. Matthaei Georg 352. Matthisson 79—81, 129. Maximilian II. 21. Mazäri (Marsäry) 294, 296, 309, 316, 340, 861. Moiriert J. G. 17, 40, 41, 49*. Meisner 58. Melanchton 259, 303. Melezinek Wenzel 21. Mongs 294. Mesmer 197, 267. Michaely 328. Mickiewicz 73, 74, 92,104,236,242. Mihanović A. 11—12. Miklosich YI, 12*, 176, 178, 187, 237, 241, 269. Millauer Maximilian 53. Milton 24. Minor J. X. Möhsen 225*. Mone 265. Moroškin 159. Mosig von Aehrenfeld 157 *, 190, 191. Müller Adam 5. — Anton 47, 75—77, 99. — Johannes v. 6—6, 42, 66. — russ. Historiker 225*. Müllner 89, 94. Münohow 181, 865. Muravjev 159—161. Murray 162*. Musäus 5, 49*, 66. IV. Nadeždin 188. Napoleon 1, 2, 28, 29, 135, 247, 273, 275, 297. Naruszewicz 160, 168. Nehring W. 19*. Nejedbf J. 18, 109. Nepomuk Joh. v. 228. Neruda 280. Neve 332. Niebuhr 188, 154. Nikolaus, Kaiser 114, 135. Nostic, Graf 361. Novalis 93, 94, 101. Nudozer^n 54. O. Oeser Christian s. Schröer Tobias Gottfried. Oehienschläger 276. Oken 63, 54, 181, 133, 195, 197, 200, 203, 235, 239, 253, 263, 267, 300, 305, 307, 311, 312 bis 314, 315, 330, 384*, 341*, 343. Orsz&g Georg 805, 323. Ossian 34, 88, 39, 40, 41, 42, 44, 60, 61, 62, 201, 204, 213,275,344. 1». Pačič Jovan 237 *. Paget 249. Palacky Fr. 15, 21, 26, 30, 33, 34, 40, 46, 54, 77, 106, 115-12«, 128*, 130, 132, 134, 136, 13!), 148*, 164-156, 158, 178*, 193, 194, 200, 229, 237, 242*, 265, 270, 277, 282—284, 288—292, 325, 362. Palkovič J. 56, 328. Pardoe, Miss 249. Parrot 166*. Pastrnok Fr. 192*, 270*. Patrčka M. Silorad 28. Paul, Jean 88, 117, 201, 202, 264* 277. Pel/el 225*. Porcy 40, 275. Pertz 20. Peter der Große 15. Petrarca 89, 91, 201, 215. Pfister J. C. 235*. Picek Jar. 107. Piliersdorf, Freiherr von 186. Planck 15*. Plutarch 240. Pogodin 128*, 147, 160, 173, 175, 17!), 181, 188, 190. Polak M. Z. 72, 76, 81, 364. Polawsky 95. Polivka 'J. 231*. Pölitz (falsch Pöllitz) Iv. H. L. 30, 136, 253*. Pope 25. Popovič (Popowitsch) S. 12, 225 *. Potočki 139, 148, 168. Pott F. 166, 172, 173. Prač 33. Preis 188, 189. Pfemysl 124. Preradović P. 191. Presl Jan Svatopluk 62—54, 277, 845, 360. Przesmycki Zeno 237*. Prešeren 111. Primic J. 7, 9. Properz 339. Puchmayer Ant. Jaroslav 18, 54, 363. Puff R. 8. Pulszky 250—251*. Purkj'ne 54, 139, 140, 276. Puškin 104, 286, 242. Pypin VII. K. Radies P. v. 6*. Radičevič Branko V. Radziwill, Gräfin 354. Raimund 96. Rakowiecki 20, 37, 139, 142, 148, 153, 155. Raphael 294. Rask E. 166. Raupach 96. Redlich C. 233*. Reinhardt W. 334. Reinhold, Theolog 80. Reisig, Professor der Philologie 307. Remusat Abel 166. Repkow 253. Rettig M. D. 72, 76. Rhesa 70. Riemann 334*. Rittersberg P. Ritter v. 58. Robert Ludwig 363. Rohmer 250. Rohrer 235*. Rosa 54. Rošciszewski J., Graf 262. Rossignoli 225*. Rottek 292. Rousseau 60, 102, 104, 195, 201, 274, 275. Roznay 200. Rudolf II. 21, 27. Rückert 89*, 207. Rumann 305, 308, 323, 328, 350. Russov 168. Ryba 215*. Rzewuski Wenzeslaus 6. $4. Sachse von Rothenburg 8. Sailer, Theolog 80. Salzmann 193, 235, 336, 337. Sand K. L. 236, 341, 342. Sappho 328. Savigny VIII. Saxo Grammaticus 311. Schellenberg E. 207*. Schelling 80,118,197, 203,246, 315. Scherer W. VII. Schiller Friedr. 24, 62, 80, 83, 89*, 117, 128, 129, 193, 200, 216*, 242, 245, 246, 320, 327. Schlegel August Wilhelm 3, 24, 51, 270. — Brüder 12. - Friedrich 3-4, 11,12*, 13*, 24, 28, 42, 44, 50, 112, 117, 121, 153, 181, 200, 202, 244. Schleichor A. 173, 174. Schloezer 2, 29, 162*, 235, 258. Schlosser A. 6*, 9*. Schmalz 334. Schmeller 249*. Schmidt Christian Gottlob 353. — D. 353. — Erich V, X. — Friederike (Kollars Mina) 205 bis 207, 352. — Georg Friedrich 205, 351. — Job. Karl 353. — Julian VII. Schmigoz L. 7. Schneider (Snaidr) Karl Sudomir 57, 64, 230. Schott 131, 306. Schröer Tobias Gottfr. 136, 317 *. Schubart Chr. 195. Schulze E. 92, 215. Schweitzer 330. Scott Walter 61, 105. SedlAöek 100. Seiht 17, 68. Seidl J. G. 8. Seneca 339. Senkovskij 159. Shakespeare 42, 83, 85, 104, 105. Skene Alfred von 283. Smetana Friedrich 95, 278. Smole A. 9*. Sobestianskij J. M. 145, 146, 165*. Solovjev 188. Sophokles 339. Spasowicz VII. Spieß 83. Sreznevskij 51, 188, 189, 238. Stadion, Graf 187. Stael, Frau von 202. Stark 302, 306. — Joh. Christian 840. Starke 304. Stephan, Erzherzog 185. — Heil., König v. Ungarn 257, 364. — Martin 295, 296*. Stern A. VIII. Sternberg Caspar, Graf 52, 63, 96,, 120. — Franz, Graf 120. — Gräfin 15. Stöckl 354. Stolberg, Graf zu, Christian, 42. — Friedrich- Leopold 89, 94. Stroubel 360. Stritter 225*. Stroganov, Graf, Curator in Moskau 254. Strojev 168. Such&ny 359. Siißmilch 264. Sulzer 225*. Supan Jakob 8. Suppantschitsch J A. 8. Surowiecki 139, 151—153. Suvorov 298. Swoboda (Svoboda) W. A. 37, 41. 47, 57, 99, 122, 280. Sychra 57. SafaHk P. J. VI, VIII, IX, 15, 26, 34, 45*, 46, 51, 54, 56, 58, 71, 117, 125, 126—192, 196, 200, 217, 227, 232, 233, 240, 241, 253—255, 264, 265, 267, 270, 272, 277, 279, 282, 283, 285, 287—289, 324, 325, 363, 864, - VojtSch 127*, 181, 132. Ševčenko 191, 254. Simko 117. Sir 76, 89. Sporer 12. Stepali ek J. N. 28, 64, 95, 96, 98. Štepnička 67, 64. Šulepnikov Mich. 71*. T. Talvj (Th. v. Jacobs) 13*, 148 *,235. Tasso 201. Taube 225*. Temelius 350. Terpander 76. Teuber O. 97, 106. Thamir 39. Theodorović P. 262. Thietmar 235, 311, 352. Thukydides 339. Thunmann 235*. Tieck 5, 95, 363. Tiedge 94. Tkany Anton 266*. Töpfer 95. Tomaschek (Tomašek), Componist 36, 84. Tomäsik Samo 318*. Tomsa 16. Trnka Fr. 57, 59, 89*. Turöany 323. TvrdV 32. Tyl 96. Tyrtäus 79. u. Uhland 100. Ukert 155. Ulfilas 70. Ungnad 235. Uvarov, Graf 188, 254. Uz 18. V. Varnhagen von Ense 363. — Friederike 363. Vater 21, 23, 139, 235, 299. Veleslavin Daniel Adam 26. Vergil 79. Verhovac M., Bischof 6*, 10. Verkoviö St. 61. Vidakovič 116. Vidic Fr. X. Vinaficky K. A. 102, 364. Vlöek Jaroslav IX, X, 45,127 *,363. Vocel VII. Vogl J. N. 8. Voigt, Historiker 162*, 225*. — junior, Jenaer Botaniker 203, 263, 307, 343, 344, 356. — senior, Physiker 307. Vollmer W. 266*. Volney L. 102. -Voltaire 16, 24, 103, 193. Voss 136. Votypka 105. Vraz Stanko VI, 9*, 10, 31, 180* 237. Vrchlicky J. 81, 129, 203. Vuk Karadžić s. Karadzic. W. Wächter J. F. L. 139, 140, 141. Wadzeck .334. Wagner (Ästhetiker) 136, (Mytho-log) 265. Wahle J. X, 199*, 293*. Walzel O. X. Wangenheim 334. Weber Beda 178*. - K. M. 98. Weigl, Componist 98. Weiß, Professor der Geschichte in Linz 80. Welker 292. Wenzel, König 43. Wenzig Josef 75, 99. Werner Z. 5, 49, 334. - R. M. 46*. Wettstein, classischer Philolog 190. Wiedemann Eduard 250. Wieland 18, 24. 103, 104, 200, 216*, 320. - Ludwig 200, 320, 342. Wieso F. A. 266*. Wilson 265. Wipo 352. Wolf Ford. Jos. 176, 178. Wollmann 66. Woltmann K. L. v. 81, 235. Wolzogen Karoline von 363. Wuttke Heinrich 157*. X. ZAboj 39. Zaluzansky 345. Zauper 88. Zay Karl, Graf 346*. Zibrt Č. 364. Zichy, Graf 335. Ziegelhausen Loop. 266*. Ziegler J. L. 111. Zimmermann J. A. 99. Zwingli 245*. Žiska 228, 294. Druckfehler. . 18, Z. 6 v. o. lies: Tydennik. 18, Anm. 1 „ životopis. 18, „ 5 „ Bil?. 20, Z. 1 v. o. n er- 20, „ 17 „ „ „ 1835 anstatt: 1834. 36, Anm. 3 „ čelakovskeho Sebrane. 52, Z. 9 v. u. „ besuchen. 55, „ 10 v. o. „ Accutzoiclien anstatt: Accentzeichen. ri7 7 ° ' J » ' 17 „ samymi. 08, „ 8 „ n „ bdsneni. 53, „ 11 v. u. „ slovenskeho. 01) )) 2 „ „ „ sich die. 05, „ 4 v. o. „ werden. 05, „ 3 v. u. „ litauischen. 81, n 7 „ „ „ pfirody. 82, „ 0 „ „ „ Jugendgedichten anstatt: Gegengedichten 83, n 11 „ „ „ Äußerungen. 86, „ 5 „ „ „ TCCtVTWV. 96, „ 3 und 5 v. u. lies: Tyl’s anstatt: Tyls. 101, „ 4 v. u. lies: Bil?. 103, Anm. 5 „ Zäpisky. 106, Z. 18 v. o. „ nemečteni. 114, Anm. 3 „ Bil?. 117, Z. 3 v. o. „ einen. 123, Anm. 1 n Dejiny. 155, Z. 3 v. o. „ Bozpravy. 177, „ 3 v. u. „ historisch-vergleichende. 195, „ 10 „ „ „ thüringischen. 197, Anm. 6 „ Clemen. 198, Z. 10 v. u. „ Zpievanky. 215, „ 9 v. o. „ Dass. 225, Anm. 1 „ Čas. 263, Z. 14 v. u. „ Voigt. 306, „ 8 „ ,, ,, hörte anstatt: besuchte. 1 K. k. Universitäts ■ Buchdruckerei ,Styria“, Graz. •>V v> / i1' i'Ai Ir* j^f ^ T? " 4 »c. * . \ * r*yk. >* •,. m '4 * /r< 'VrfVii' -■ W'-Jr fH ’ S \ /.v : ;: > N:. * i ■--n: ! > VM /1..»1 : • ; '‘■fm r-Cg ' I . -i ■ ■ * ' r .-v