Gerhard Ernst CDU 805.0-54:807.1 Regensburg LATINISMEN DES ITALIENISCHEN IN DELI UND LEI* "Non ecertamente esagerato dire che senza la componente lati na posteriore [ ... ] oggi non sarebbe possibile par/are le lingue romanze" (Tekavčic 1980, 1166) 1. Definitorisches 1.1. Als "JLatinismen" sollen im folgenden diejenigen Worter verstanden wer­den, deren Existenz, Form oder Bedeutung in einer der romanischen Sprachen auf Lehnbeziehungen wahrend der lateinischen Diglossie1 oder auf die weiterbestehen­den kulturellen Kontakte zum Lateinischen zuriickgehen. Die Spendersprache bzw. beeinflussende Sprache kann dabei das Latein der Vergangenheit sein -insbesondere der Zeit, in der von romanischen Sprachen noch keine Rede sein konnte -, aber auch dasjenige, das neben den romanischen Sprachen als Mittellatein, Humanisten­latein, Kirchenlatein, Gelehrtenlatein weiterexistierte. Trotz verschiedener Termino­logien ("gelehrte Worter", "Buchworter", "voci dotte", "mots savants", "cultis­mos") bestehen in der Abgrenzung dieses Teilbereichs des Lexikons der romani­schen Sprachen keine gravierenden Unterschiede in neuerer einschlagiger Literatur2 • Allerdings laBt sich zwischen solchen Latinismen unterscheiden, die als sprachliches Zeichen (mit Form und Bedeutung) aus dem Latein in die jeweilige romanische Sprache iibernommen wurden (mehr oder weniger an das jeweilige Sprachsystem adaptiert), und solchen, die -bei ununterbrochener Uberlieferung -nur eine B e e in fl u s s u n g durch ein entsprechendes lateinisches Wort erfuhren ("voci se­midotte", "rriots demi-sevants", "semicultismos"). "El latin, en este caso, no presta terminos, sino que ayuda -unicamente -a mantener fonemas y morfemas: siglo, virgen" (Alvar/Mariner 1967, 6). Alvar/Mariner (1967, 7) haben daneben auch eine weitere Untergruppe der "semicultismos": Latinismen, die phonetisch adaptiert wurden; wie respeto, afici6n. Diese beiden Typen von "semicultismos" verhalten * Fiir Anregungen und kritische Hinweise danke ich vor allem J. Felixberger, W. Schweickard und A. Stefenelli. · 1 Liidtke 1968, Bd. 2, 93ff. 2 DELI 1, IX: "Le parole Jatine possono esserci giunte per tradizione ininterrotta [ ... ] o possono essere state assunte nel lessico italiano per via dotta, lungo il corso dei secoli (talora anche in epoca recentissi­ma): in quest'ultimo caso la parola italiana epreceduta dall'indicazione 've. dotta"'; LEI, fasc. 1, In­troduzione: "La raccolta del materiale viene suddivisa in 1, II, III. l. comprende vocaboli che risulta­no aver avuto continuita ininterrotta nell 'uso volgare del quale rispecchiano l'evoluzione fonetica ere­ditaria. II. comprende vocaboli dotti e semidotti. [ ... ] III. contiene prestiti e calchi da altre lingue; possono essere dei neologismi scientifici derivati dal Jatino o dal greco o dei prestiti da altre lingue ( ... ] o anche prestiti semantici." Vgl. auch Tagliavini 5 1969, 61. sich ihrem Ursprung nach komplementar: a) Erbworter mit Beibehaltung lautlicher Elemente (evtl. auch der Bedeutung) durch den Kontakt mit dem Lateinischen3 ; b) Latinismen mit starker volkssprachlicher Adaptierung. Eine weitere Gruppe von Latinismen konstituieren schlieBlich auch die Falle spaterer Relatinisierung, die. von Stefenelli (1983, 888) etwa durch sp. mondo --> mundo bzw. frz. mont, estoire --> monde, histoire exemplifiziert werden. Auch wenn so innerhalb des Bereichs der Latinismen unterschiedliche Differen­zierungen denkbar sind (manchmal vielleicht nur terminologischer Art), so laBt sich doch iiber die begriffliche Abgrenzung dieses G e sam t bereichs von dem der Nicht­Latinismen vermutlich rasch Einigung erzielen. 1.2. GroBere Schwierigkeiten ergeben sich jedoch in a) Fragen der zeitlichen Abgrenzung: "Latein vs. Romanisch"; b) Fragen der Dokumentation: "Latein oder Romanisch"; c) Beurteilungskriterien bei der Identifikation konkreter Latinismen in den Einzel­ sprachen. 1.2.1. Ad a): Neuere Diskussion zur zeitlichen Abgrenzung "Latein vs. Roma­nisch" findet sich zusammengefaBt bei Pfister 1987. Pfister selbst zieht zwar (vor­wiegend aus praktischen Uberlegungen) fiir die Zwecke des Lessico Etimologico lta­liano (LEI) den Trennungsstrich zwischen Latein und Mittellatein/Friihromanisch um 600; die Unmoglichkeit einer exakten Trennungslinie zwischen Spatlatein und Friihromanisch (ob nun im Jahr 600 oder 800) ist ihm dabei wohl bewuBt. Dariiber hinaus verweist er auf die Tatsache, "daB der Ubergang vomSpatlatein zum Friihro­manischen nicht in allen Teilen der.Romania gleichfOrmig erfolgte: die Entwicklung verlief vermutlich unter den Merowingern explosiver als z.B. im Italien oder Spa­nien des 7. Jahrhunderts" (Pfister 1987, 330f.). 1.2.2. Mit der unter b) genannten Problematik befaBt sich Miiller 1987: Kann ein vereinzelt im 3. Jh. belegtes lateinisches Wort als ausreichende Basis fiir ein ro­manisches Wort aus dem 12./13. Jh. angesehen werden? MiiBte nicht vielmehr eine dichte, kontinuierliche, formal und semantisch akzeptable Belegkette vorhanden sein? (Miiller 1987, 316ff.). Und unter welchen Umstanden kann ein Beleg als latei­nisch oder romanisch angesehen werden? "Es mehren sich fiir den heutigen Etymo­logen die Fiille, wo das gesicherte oder supponierte Nacheinander Lateinisch­Romanisch sich einem Nebeneinander nahert und man nicht mehr ausschlieBen kann, daB ein in lateinischen Texten begegnendes formal lateinisches Lexem bloB mittellateinisch-schriftsprachliche Variante eines volkssprachlich-romanischen ist" (Miiller 1987, 320). Fraglich scheint mir, ob man -wie Liidtke 1968, Bd. 2, 93ff. -diese Gruppe auf die Fiille von Ent­lehnung hochsprachlicher Formen in die Spontansprache in der Periode der -noch lateinischen -Diglossie beschriiilken muB. 1.2.3. Ad c): Zur Identifizierung konkreter Latinismen in den Einzelsprachen tragt haufig deren formale Nahe zum entsprechenden lateinischen Ausgangswort bei: Ein Latinismus hat -mehr oder weniger gesetzmaBige -lautliche Verande­rungen nicht mitgemacht, die sich an entsprechenden Erbwortern ausgewirkt haben. Dieses Kriterium versagt allerdings in einer groBeren Zahl von Fiillen: Bei lautlichen Adaptierungen des Latinismus, die bei entsprechenden Wortern erfolgte Lautentwicklungen nachvollziehen (alle oder nur einige von ihnen): sp. afici6n, joven, fr. noble, it. aspetto, astratto. -Wenn die lautliche Struktur des lateinischen Etymons so beschaffen ist, daB auch bei erbwortlicher Uberlieferung keine lautlichen Veranderungen (abgese­hen von den zur Eingliederung ins morphologische System notwendigen) erfol­gen muBten: frz. salive4, it. astuto, attento, calvo, ira, saliva etc. Die Einfiihrung semantischer Kriterien zur Identifizierung von Latinismen diirfte problematisch und nur in Einzelfallen moglich sein: Wahrend Lautentwick­lung in einer bestimmten Periode und in einem bestimmten geographischen Raum bei vergleichbaren Wortern RegelmaBigkeiten folgt, deren Ausbleiben bei anderen Wortern festgestellt werden kann (mit der moglichen Konsequenz, daB diese als La­tinismen angesehen werden), treten derartige RegelmiiBigkeiten semantischer Ent­wicklung nicht auf. Semantische ldentitat eines romanichen. Wortes mit dem ent­sprechenden lateinischen Wort besagt nichts. Nur in den Fallen, wo sich das romani­sche Wort von der lateinischen Bedeutung entfernt hatte, diese aber zu einem spiite­ren Zeitpunkt wieder aufnimmt5 , kann man von einem (semantischen) Latinismus sprechen. Wo andere Kriterien nicht ausreichen oder nicht angewandt werden konnen, mogen Parallelen aus anderen Sprachen ein gewisses Indiz bilden; vgl. etwa LEI 164 zu assente als -moglicherweise -Latinismus aufgrund des Fehlens erbwortlicher Formen in anderen romanischen Sprachen. 2. Korpuserstellung Obwohl die Latinismen einen bedeutenden Teil des Lexikons der romanischen Sprachen ausmachen (vgl. das vorangestellte Motto aus Tekavčic), sind sie noch fiir keine Einzelsprache oder gar fiir die Gesamtheit der romanischen Sprachen voll­kommen erfaBt bzw. gesondert dargestellt worden6 • Auch mein Aufsatz kann sich -mit Bezug auf das Italienische -selbstverstandlich nicht dieses Ziel setzen. Mei­ne Absicht ist es vielmehr, aus dem Vergleich zweier etymologischer W orterbiicher 4 Vgl. Reinheimer-Ripeanu 1990, 78; FEW 11, IOOa. 5 Vgl. Taglivini 5 1969 zu it. cattivo. 6 Zu verschiedenen Aufsiitzen und Projekten vgl. Stefenelli 1983, 884f. und die dort angegebene Litera­ tur; ferner Sala (im Druck), der dort das Projekt eines Dicfionarulfmprumuturilor latine$fi din limbi­ le romanice vorstellt. Erkenntnisse iiber Kriterien zu gewinnen, die uns.bzw. die Etymologen dazu veran­lassen, ein italienisches Wort als Latinismus anzusehen. Der dabei eingenommene Standpunkt ist nicht derjenige eines Etymologen, dem es zustiinde, andere Losun­gen vorzuschlagen; gedacht ist an den romanistisch vorgebildeten Leser, der aus ety­mologischen Worterbiichern Information zur Geschichte einzelner Worter oder auch zur Struktur des Wortschatzes einer Sprache entnehmen will. 2.L Bis vor zwei Jahrzehnten war groBangelegte etymologische For:schung zum Italienischen eher ein Stiefkind der Romanistik. Auch ohne daB ich hier im einzel­nen auf Verdienste und Nachteile der einbandigen etymologischen Worterbiicher von Prati, Migliorini/Duro, Olivieri und Devoto sowie des fiinfbandigen DEi (Di­zionario etimologico italiano) von Battisti -Alessio eingehe7 , laBt sich ohne groBes Risiko feststellen, daB sich diese Situation bereits mit dem Erscheinen des fiinfban­digen DELI (Dizionario etimologico de/la lingua italiana) von Manlio Cortelazzo und Paolo Zolli (1979-1988) betrachtlich verbessert hat und daB mit Max Pfisters ziigig voranschreitendem LEI (Lessico etimologico italiano) ein Lexikon entsteht, das bei seiner Vollendung von keinem der heute existierenden etymologischen Wor­terbiicher anderer romanischer Sprachen in Vollstandigkeit und in der Differenziert­heit der beriicksichti~ten Gesichtspunkte iibertroffen werden kann. Die teilweise Oberschneidung der Publikation von DELI (Bd. 1, 1979 -Bd. 5, 1988) und LEI (Faszikel 1 (A -ABSTINENTIA) 1979; letztes mir zugangliches Faszikel 29 (ATTRAHERE -AUGURIUM) 1990) legt vergleichende Untersu­chungen nahe. Dabei zeigt bereits der unterschiedliche Umfang8 , daB beide Worter­biicher ganz verschiedenen Anspriichen geniigen wollen, sei es in der Makrostruktur (Art und Menge der aufgenommenen Eintrage), sei es in der Mikrostruktur (Art und Umfang der zu jedem Lemma gegebenen Informationen). Man wird Vergleiche na­tiirlich nur unter Beriicksichtigung der verschiedenen Charakteristika der beiden etymologischen Worterbiicher durchfiihren konnen. Unmoglich sind sie dadurch freilich nicht. 2.2. Das zu vergleichende Korpus von Latinismen habe ich in folgender Weise gewonnen: Ausgangspunkt sind diejenigen italienischen Worter in DELI, die den zuletzt erschienenen sechs Faszikeln des LEI (Fasz. 24, ARINCA, bis Fasz. 29, ein­schlieBlich AUGURAHJS) entsprechen, d.h. von it. arista -augure. Das mag we­nig erscheinen und mahnt zur Vorsicht bei Verallgemeinerungen, soll aber hier als Stichprobe geniigen. Aus naheliegenden Griinden lassen sich die beiden Teilkorpora nicht vollstan­dig zur Deckung bringen: 7 Vgl. dazu Pfister 1980, 157-176. 8 DELI: 1470 Seiten. Das LEI hat diesen Umfang bereits bei AUGURIUM mit iiber 2300 Spalten bzw. 1150 Seiten beinahe erreicht; daraus kann man auf einen Gesamtumfang von knapp 19 000 Seiten al­ lein fiir den ersten, allerdings gr613ten Teil (lat. Etyma, Etyma aus dem Substrat, Etyma onomatopoe­ tischen Ursprungs) schlieBen. DELI enthalt insgesamt nur die -ca. 60.000 -Worter der edizione minore des Vocabolario della lingua italiana von Zingarelli9 , LEI umfaBt "den gesamten pu­ blizierten Wortschatz der italienischen Schriftsprache und der Dialekte Italiens, Korsikas und der Siidschweiz"10 . Das aus diesem Grund im LEI zusatzliche Ma­ terial ist im zugrundegelegten Korpus nicht enthalten: aristarco, aristida, aristo­ janeo, aristojanico, aristotelia, armario (im DELI ohne weiteren Kommentar als Nebenform zu armadio aufgefiihrt), armeniaca, armenico, artritico, atavo, at­trito (adj .) etc.11 . Ebenso wurden Falle wie attico ausgeschieden, das nur mit e i ­ne r seiner Bedeutungen (Relationsadjektiv zu Attica) im LEI als Latinismus an­gefiihrt ist, einer Bedeutung, die im DELI -wohl in Entsprechung zu Zingarelli -fehlt. Vergleichbar ist attico nur mit der in beiden Worterbiichern verzeichne­ten Bedeutung "parte di un edificio sovrapposta al cornicione, con funzioni de­corative"; in dieser Bedeutung ist es aber kein Latinismus, sondern eine inner­halb des Italienischen erfolgte Bildung, -Dadurch, daB im DELI die italienischen Worter, im LEI aber die Etyma als Lemmata fungieren, erscheinen die entsprechenden Worter nicht immer an der­selben Stelle im Alphabet. In diesen Fallen bin ich so verfahren: Worteraus DE­LI, deren Etymon im LEI vor Fasz. 24 enthalten ist, wurden beriicksichtigt (z.B. assolvere, assoluto, assurdo, attore etc.); Worter aus DELI, die beim augen­blicklichen Stand des LEI dort noch nicht enthalten sind, konnten nicht beriick­sichtigt werden (z.B. arpa, arpia, aruspice etc.). Ebensowenig wurden hier Wor­ter aufgenommen, die zwar in den genannten Faszikeln des LEI besprochen wer­den, die aber im DELI auBerhalb des Rahmens arista -augure bleiben (z.B. au­mentare, < AUGMENTARE). Das dieser Untersuchung zugrundeliegende Korpus wird so aus denjenigen ita­Iienischen Wortern gebildet, die innerhalb des Rahmens arista -augure ins DELI aufgenommen wurden und entweder im DELI als "voce dotta" (aus dem Lateini­schen)12 bezeichnet werden oder im LEI in der Abteilung II. (gelehrte Entwicklung) oder -in seltenen Fallen -III. (Entlehnungen, u.a. Latinismen)13 erscheinen. Es umfaBt 175 lexikalische Einheiten 14 """ 23OJo der im untersuchten Rahmen von DE­LI aufgenommenen 755 Worter15 • 9 DELI, Bd. 1, VI. 10 Pfister 1980, 149. Dabei dient -nach Angaben der Introduzione zum 8. Faszikel des LEI ab diesem Faszikel -die Ausgabe des Zingarelli von 1983 als "Vocabolario di base della lingua italiana moder­na". 11 astronoma ist zwar im DELI weder Lemma noch Untereintrag; es wird jedoch im Abschnitt zur Ety­mologie beriicksichtigt, so daB es in mein Korpus aufgenommen wurde. 12 'voci dotte', fiir die in beiden Worterbiichern eine griechische Etymologie angegeben wird (z.B. ari­stocratico)bleiben drauBen. Gleiches gilt natiirlich fiir 'derivati culti' wie arvense, arvicola, die mit lateinischen Lexemen und.Wortbildungselementen, aber innerhalb des Italienischen gebildet wurden. 13 Vgl. Pfister 1980, 153. 14 ascia wurde nicht aufgenommen, da die entsprechende.Angabe "II.1." (LEI 1556) als offensichtlicher Druckfehler gewertet wurde. 15 Eine entsprechende Angabe zu LEI hiitte wegen der zahlreichen hier nicht beriicksichtigten Worter wenig Sinn. Es ist von vornherein zu erwarten, dal3 zwei ungefahr zeitgleich erscheinende etymologische Worterbiicher -unabhangig vom Umfang und von der unterschied­lichen Zielsetzung -in der Frage etymologischer Zuweisungen meist zu ahnlichen Ergegnissen kommen. Diese Erwartung wird bestatigt: In 133 (von 175) Fallen ent­spricht der Angabe "voca dotta" im DELI eine Behandlung der Etymologie in Ab­schnitt II. des LEI. 3. Lautliche Abgrenzungskriterien Zunachst soll anhand der 133 in beiden Worterbiichern als Latinismen angese­henen Worter nach dem Vorhandensein und den Auswirkungen lautlicher Kriterien gefragt werden, welche dieAnnahme eines Latinismus nahelegen16 • Derartige lautli­che Kriterien, wie sie von Tekavčic (1980, 48 und 321) und Tagliavini (5 1969, 327f.) aufgefiihrt werden, konnen im Franzosischen, das sich lautlich sehr weit vomLatei­nischen entfernt hat, haufig herangezogen werden. Fiir das ltalienische ist man je­doch in einer miBlichen Position, da hier die lautliche Entwicklung viel geringere Ausmal3e hatte17 • Der Fall, dal3 ein lateinisches Etymon in erbwortlicher Entwick­lung bei Entlehnung zum selben Resultat fiihren mul3te, ist hier besonders haufig. Dazu kommt die Tatsache, dal3 auch Latinismen im Augenblick der Obernahme ge­wisse Adaptierungen erfahren: solche morphologischer Art (z.B. Ausgange der No­mina auf -o, -e, Integration in das Verbparadigma)18 , aber auchlautliche Adaptie­rungen, die etwa dem ltalienischen vollkommen fremde Konsonantenverbindungen und Phonemdistributionen vermeiden. Ferner ist iu beriicksichtigen, dal3 ein Lati­nismus vom Augenblick der Obernahme an moglicherweise an spateren (lautlichen) Entwicklungen des Italienischen oder auch seiner Dialekte teilnimmt. Dennoch: fiir einen gewissen Teil der von DELI und LEI gemeinsam als Lati­nismen angesehenen Worter konnen die von Tekavčic und Tagliavini genannten lautlichen Kriterien als zutreffend und mit ausschlaggebend angesehen werden. Dies soll zunachst im folgenden an Beispielen (nicht vollstandig!) gezeigt werden. lat. i ---> i: arista19 , assiduo, asterisco. U ---> u: assurdo, assurdita, assurgere. 16 Bei der Angabe der lat. Etyma halte ich mich an die Vorgehensweise des LEI: Verwendung von Ma­ juskeln, Angabe des Nominativs bei Nomina, des Infinitivs bei Verben. 17 Vgl. Wartburg 1940, 31-46; zur Konservativitiit des Italienischen vgl. auch Christmann 1979, 124ff. 18 Hierin unterscheidet sich das Italienische selbstverstiindlich nicht von anderen romanischen Spra­ chen. • 19 LEI 1174 geht fiir schriftitalienisches arista 'barba della spiga' offenbar von ARISTA aus; fiir die dialektalen, vor allem siidital. Formen mit i wird allerdings ARIST A zugrundegelegt. E[ ---> t;, O[ ---> Q20: astrologa21, astronomo22 , ateneo, attonito. AU ---> au: audacia, audace, audizione, augure, augurare. E/ > t?, O ' > Q, vor allem in freier Silbe: asceta, ascesi, arteria, asfodelo23 • 0 24 Bewahrung von e, im Vorton25 : artemisia, asseverare, asterisco, ateneo, atrofia. Bewahrung von intervokalischem -b-: attribuire, attributo, attribuzione. Bewahrung ungewohnlicher -sonst assimilierter -Konsonantenverbindun­gen (pt, ks, kt etc): Tekavčič, 321, fiihrt hier etwa cleptomane, xilofono, adepto, arctazione an. In unserem Korpus findet sich hier allenfalls aritmetico als iiberzeu­gendes Beispiel. Die erhaltene Verbindung rs (arsi, asperso) kann hier nicht zahlen, da in erbwortlicher Entwicklung sowohl Assimilierung (dosso) als auch Bewahrung (orso) vorkommen. Die Verbindung sf in asfa/to, asfode/o ist auch kaum beweis­kraftig. Zu diesem Punkt bietet unser Material weitaus mehr Gegenbeispiele: bs: ascesso, assente, -enza, assurdo, astemio, astrarre, astratto, astrazione kt: artico, astratto, astrazione, attivo, attore, attua/e, attuare pt/kt: attitudine. Offenbar wurden hier Konsonantengruppen vermieden, die als besonders un­italienisch empfunden wurden. Ahnlich wie bei der morphologischen Integration hat hier eine Integration in das System konsonantischer Distributionen stattgefun­den; sie kann nicht als Beleg fiir erbwortliche Entwicklung herangezogen werden: "lnfatti, l'assimilazione in italiano ecosi forte da coinvolgere anche i latinismi" (Te­kavčič 1980, 246). Ich will vorerst offenlassen, ob die Hille unterbliebener Assimila­ 20 Allerdings ist fraglich, ob die -hier nicht anzutreffenden -Diphthonge in der Toskana autochthon sind; zur Diskussion vgl. Tekavčic 1980, 32-36. 2 1 LEI 1965 verzeichnet fiir die erbwčirtliche Uberlieferung altital., altven. struolego, altpadov. struoli­go; die unter der gelehrten Entwicklung angefiihrte ne!lpol. Form astruoleghe, pl. (LEI 1977) ist wohl durch Umlaut verursacht, der sich offenbar auch auf spiiter eingefiihrte Latinismen auswirkt. 22 Zusiitzlich zur UngewiBheit iiber den autochthonen Charakter der Diphthongierung wiire bei astrolo­go und astronoma auch mit der Reduzierung eines -potentiell vorhandenen -Diphthongs nach Konsonant + r zu rechnen; vgl. Tekavčic 1980, 35. 23 Die geschlossene Variante findet sich freilich in zahlreichen Suffixableitungen: artificioso, ascensore, attore, audizione; auch in atroce. 24 Letzteres "meno frequente" (vgl. Tekavčic 1980, 97), d.h. auch schwiicheres Kriterium fiir Latinis­men. 25 Fiille wie aspersione, atrocitii, wo e bzw. o durch ein verbales bzw. ein Wortbildungsparadigma ge­stiitzt werden, sind hier auszuschlieBen. tion (z.B. abside) auf unterschiedlichen Zeitpunkt der Aufnahme oder auf andere Faktoren zuriickgehen26 • Bewahrung der Gruppen Konsonant + /: asclepiadeo, atlante, -ico, atleta. Ausbleiben der fiir die Gruppen Konsonant + i zu erwartenden Entwicklun­gen: ti: -zione27 (artico/azione, aspirazione etc.), astuzia pj: asclepiadeo mj: astemio kj: aristo/ochia (!), artificio (mit Ableitungen), associare rt: arteria, aspersorio s[: artemisia, asiatico. Bewahrung von i, e als Vollvokal im Hiat vor Vokal: atea28 • Keine Uingung eines Konsonanten vor y + Vokal: attiguo, attribuire29 • Nach bereits bestehender langer Konsonanz ware evtl. Schwund von 1:f zu erwarten gewesen30 ; dies ist nicht der Fali in assuef are, attuare. Wir haben damit das vorhandene Material anhand der bei Tekavčič (1980, 321) gegebenen Liste von "caratteristiche fonetiche dei latinismi" iiberpriift. AuBerhalb dieser Liste finden sich in unserem Material wenig lautliche Ent­wicklungen, deren Ausbleiben eindeutig auf einen Latinismus hinweist. Mit Sicher­heit ware hierzu nur ns in ascensione zu rechnen. Das Ausbleiben der Synkope ist im Italienischen ein weitaus weniger sicheres Indiz fiir Latinismen als etwa im Franzosischen. Im Gegensatz zur Galloromania "il romeno e l'italiano centromeridionale (dunque anche il toscano e la lingua lettera­ria) sono piuttosto conservatori" (Tekavčič 1980, 110). So haben wir etwa arsenico, attonito, obwohl die Konsonantenverbindungen nk, nt im Italienischen ohne weite­res moglich waren; auch fiir Worter wie artico/o, astraga/o, augure ware bei konti­nuierlicher Entwicklung Synkope nicht unmoglich -aber eben auch nicht zwin­gend ! -gewesen. So war etwa auch das Ausbleiben der -prinzipiell leicht mogli­ 26 Die unterlassene Assimilierung veranlaf3t LEI 484ff. zu einer sonst nicht gemachten Unterscheidung: unter dem Etymon ACTIVUS erscheinen in II.!. als 'voci dotte' attivo etc., unter II.2. als 'latinismi' activu und ein Adverb attive. Unter dem Etymon ABSTINERE werden unter l. astenersi etc. ver­zeichnet, unter II. Formen mit der "grafia latineggiante" abs-(LEI l 93ff.). Wie sich gezeigt hat, kann eine derartige Assimilaion aber gerade nicht als Indiz fiir erbwiirtliche Entwicklung gewertet werden. 27 Hier ist jedenfalls das Suffix ein Latinismus; dies sagt noch nichts iiber den Status der damit gebilde­ ten Wiirter aus, die auch innerhalb des Italienischen gebildet sein kiinnten. 28 Nur im DELI. 29 Dieser Fali ist allerdings vielschichtig, da verschiedene Faktoren zusammenkommen: Konjugations­ wechsel ATTRIBUERE ~ attribuire, halb-oder vollvokalische Aussprache des u in attribuire, analo­gischer Ausgleich im Verbparadigma. 30 Vgl. Rohlfs 293. chen -Synkope bei ASPARAGUS weder fiir DELI noch fiir LEI ein Grund, hier gelehrte Entwicklung anzunehmen bzw. asparago als Latinismus anzusehen. 4. Lexikographische Praxis (DELI/LE/) Wie man sieht, ist die Reihe der lautlichen Kriterien, die einen Latinismus im Italienischen identifizieren helfen, nicht sehr lang. Diese Tatsache mag dazu beitra­gen, daB in der Zuweisung italienischer W orter zur Kategorie der "voci dotte" bzw. "Latinismen" nicht unbetrachtliche Differenzen zwischen DELI und LEI bestehen. In 42 von 175 Fallen (24%) machen die beiden W orterbiicher hierzu verschiedene Angaben. 4.1. Latinismus (Aufnahme in Abschnitt II.) im LEI, jedoch nicht "voce dotta" (aus dem Lateinischen) im DELI. 4.1.1. aristocrazia gilt zwar auch fiir das DELI als "voce dotta", wird do rt aber direkt aus gr. apt.Ol:OMpm:-ta abgeleitet, wahrend es im LEI unter Verweis auf einen Beleg bei Hegesippus (4. Jh.) als Latinismus angesehen wird31 • 4.1.2. In einer Reihe von Fallen ist die Interpretation insbesondere fiir den Be­nutzer des DELI -aufgrund starker Komprimierung und daraus resultierender Un­klarheiten -problematisch. So erscheinen im Artikel arma im Abschnitt "Der[ivati]" u.a. armamentario, armamento, armatore, armigero, die im LEI unter den Etyma ARMAMENTARIUM, ARMAMENTUM, ARMATOR, ARMIGER jeweils als Latinismen klassifiziert werden. Im etymologischen Kommentar des DE­LI wird jedoch (ohne einen Zusatz "ve. dotta") auf die lateinischen Ableitungen ARMAMENTARIUM, ARMAMENTUM, ARMATOR (spatlat.), ARMIGER verwiesen. Damit werden zwei verschiedene etymologische Erklarungen angeboten, die sich so darstellen lassen: DELI 1. ARMA ---> arma DELI 2. ARMA ---> arma i i (armare) (ARMARE) i i armatore ARMATOR---> armatore Der Einreihung unter II. in LEI wiirde jedoch folgende Darstellung entsprechen: LEI: ARMA i (ARMARE) i ARMATOR / / armatore 3 1 Fiir aristocratico verweist auch LEI (wie DELI) auf gr. &p LOl:OHpai; LH6(; Der Wortlaut des DELI la.Bt die Entscheidung zwischen inneritalienischer Ab­leitung oder erbwortlicher Entwicklung offen, das LEI entscheidet sich fiir die Klas­sifizierung als Latinismus. Dieselbe Problematik ergibt sich unter dem Lemma arte des DELI fiir artefice und arteficioso. Bei den im etymologischen Kommentar verzeichneten lat. Ableitun­gen ARTIFICIALIS, ARTIFICIUM findet sich allerdings die Eintragung "ve. dot­ta"; sollten damit artificiale, artificio als Latinismen charakterisiert werden, so be­steht hier Obereinstimmung mit dem LEP2 • Unter asseverare finden wir im DELI die Der[ivati] asseverativo, asseverazione; der etymologische Kommentar bezeichnet sie als "voci dotte" und verweist auf lat. ADSEVERARE mit der Ableitung ADSEVERATIO. Hier la.Bt der Wortlaut des DELI ebenfalls zwei Moglichkeiten offen: inneritalienische Ableitungen zu asseve­rare oder Latinismen, wobei allerdings fiir asseverativo kein lat. Ausgangswort ge­nannt wird. Fiir astrale und attivita sind die Entscheidungen jeweils eindeutig: Latinismus nach ASTRALIS (belegt im 4. Jh. bei Avienus und Augustinus) und ACTIVITAS im LEI, inneritalienische Ableitungen von astro und attivo im DELI. 4.1.3. Die Ableitungsproblematik spielt keine Rolle mehr bei armadio, arride­re, assedio, attimo, die vom DELI als erbwortlich, im LEI als Latinismen betrachtet werden. armadio: LEI verzeichnet fiir das Etymon ARMARIUM eine groBe Anzahl erbwortlicher Weiterfiihrungen in verschiedenen Gegenden Italiens (etwa armaio, armaro, armer), sowie als Latinismen die Typen armario, armadio, asmario. Hatte die dissimilierte Form mit r-r > r-d schon im Lateinischen bestanden, so ware die Klassifizierung als Latinismus (*ARMADIUM hatte *armaggio ergeben) unprobile­matisch. Fiir die Annahme eines La:tinismus spricht aber dennoch der Kontrast zu den parallel existierenden erbwortlichen Formen. Die Dissimilation r-r > r-d ging offenbar von der Toskana aus (LEI 1270); der volkstiimliche Typ hat hier aber nur e in r (armaio). AnlaB fiir die Dissimilation konnte es hier also nur bei einem Lati­nismus geben. assedio hat im LEI erbwortlich entwickelte Formen von regionaler Giiltigkeit (asseggio, asseiu) neben sich. Zwar ist das angenommene Etymon *ASSEDIUM als Variante eines regionalen Latein zu OBSIDIUM (LEI 1822) nicht belegt; die Beibe­haltung von dL rechtfertigt aber ohne Zweifel die Annahme eines Latinismus. 32 Die Annahme, dal3 die Etyma selbst als 'voci dotte' gekennzeichnet werden sollen, wiire wohl unsin­nig. attimo: Zwar hat LEI als Etymon lat. ATOMUM, im etymologischen Kom­mentar wird aber wie im DELI auf IN ATOMO (Tertullian) RIDERE (LEI 1386; eine entsprechende Entwicklung des Kompositums ist anzunehmen) kann natiirlich nicht dagegen angefiihrt werden. LEI gibt als einzigen Parallelbeleg aus romanischen Sprachen afz. und mfz. arire (Chre­tien und spater), das in FEW 10, 399b ebenfalls als Latinismus angesehen wird. Die geringe Verbreitung, das Fehlen in den Dialekten, der stark literarische Gebrauch mogen hier bei der Klassifizierung als Latinismus zusammengewirkt haben. 4.2. "voce dotta" im DELI, jedoch nicht Latinismus im LEI. 4.2.1. asindeto und ateo sind in DELI als "voci dotte" aus dem Lateinischen bzw. dem Spatlatein verzeichnet; die ents_prechenden Etyma fehlen in den bis jetzt vorliegenden Faszikeln des LEI. Zu vermuten ist, daB das LEI hier in spateren Ban­den das griechische Etymon angeben wird34 • 4.2.2. In folgenden Fallen nimmt DELI jeweils eine "voce dotta"35 , das LEI ei­ne inneritalienische Ableitung an: a) inneritalienische Ableitung von Latinismen: arterioso, ascendenza, aspirazione "ardente desiderio", attualita. b) inneritalienische Ableitung von (nach LEI) Erbwortern: assoluto, assolutore, (sentenza) assolutoria, assorto. Vor allem fiir die Falle nach a) sehe ich angesichts der starken Parallelitat latei­nischer und italienischer Ableitungsmechanismen kaum Entscheidungskriterien auf­grund formaler und/oder semantischer Eigenschaften des betreffenden Wortes selbst. Wird zu it. arteria ein Relationsadjektiv benotigt, so stehen im Italienischen die Suffixe -ale oder -oso (evtl. auch -ico, -ano) zur Verfiigung; die Tatsache, daB zwar lat. ARTERIOSUS im Lateinischen bei einem Arzt aus Afrika Mitte des 5. Jh. (Cassius Felix, nach ThLL, s.v.) belegt ist, jedoch *ARTERIALIS nicht, muB des­wegen it. arterioso (Erstbeleg nach LEI: 1611) nicht notwendig als Latinismus neben 33 Vgl. Tekavčic 317, Rohlfs 227. 34 Vgl. jedoch im ThLL den Beleg infausti et athei nuncupamur aus Arnobius (um 300). 35 Dabei ist anzunehmen, daB das DELI mit der Angabe z.B. "Ve. dotte, lat. aspirare [ ... ]col der. aspi­ ratione(m)" it. aspirazione tatsiichlich als voce dotta charakterisieren will, obwohl es ein paar Zeilen weiter oben unter den Der[ivati] von it. aspirare erscheint. einer inneritalienischen Ableitung arteriale (Erstbeleg nach LEI: 1601) klassifizie­ren. Auch das Suffix -orio steht trotz seiner latinisierenden Form als Wortbildungs­element innerhalb des Italienischen zur Verfiigung; es kann deswegen (auch wenn Untersuchungen zur Periode seiner Produktivitat fehlen) kaum als Argument fiir die Charakterisierung von assolutorio als Latinismus gebraucht werden36 • 4.2.3. Folgende Worter tragen im DELI die Charakterisierung "voce dotta", vom LEI werden sie als erbwortlich iiberliefert (Aufnahme in Abschnitt l.) angese­hen: armento, arra, ascendere37 , asma, aspetto37 , assegnare, assolvere, assorbire, assorto, astenere, astinenza, attendere3 8 , attento. 4.2.3.1. In einigen dieser Falle muBten sowohl eine erbwortliche Entwicklung als auch eine Entlehnung zu einem -abgesehen von morphologischen Adaptierun­gen -mit dem lateinischen Etymon identischen Resultat fiihren: armento, arra, at­tendere, attento. Bei armento mogen fiir das LEI die landlich-bauerliche Bedeutungssphare und die zahlreichen dialektalen Belege den Auschlag gegeben haben39 • Fiir arra (und pa­rallele Formen im Engad., Frz., Okzit. und den iberoromanischen Sprachen) stellt Kramer in LEI 1360 ausdriicklich fest: "Mancano criteri per determinare se si tratti dunque di parole ereditarie". Ohne jegliche Beweiskraft ist natiirlich die vom Latei­nischen abweichende Aussprache [/] statt [sk] in ascendere; sie kann ebensogut als Resultat der iiblichen Entwicklung wie als iibliche italienische Aussprache beim Le­sen lateinischer Texte bewertet werden. 4.2.3.2. In anderen Fallen haben sich lautliche Veranderungen ergeben, die je­doch DELI nicht an der Charakterisierung als Latinismus hindern40 • Es handelt sich vor allem um die Reduzierung von im Italienischen ungewohnlichen Konsonanten­ 36 Vgl. etwa mail. scaldatori, sciirtatori (RohlfS 1117). Komplementiir zu dieser Uberlegung ist Borks Argumentation, daB ein Suffix wie -evole nicht von vornherein den erbwortlichen Charakter eines da­mit gebildeten Wortes (abominevole) beweist (Bork 1980, 453). 37 LEI hat fiir ascendere und aspetto auch einen Abschnitt II. (Latinismen). Dennoch besteht hier keine Ubereinstimmung, denn in II. erscheinen nur im DELI nicht genannte Bedeutungen und Verwendun­gen: ascendere im religiosen Bereich und in transitiver Verwendung; aspetto 'posizione dei pianeti nello zodiaco'. · 38 Jm etymologischen Kommentar (LEI 2061) ist der Verweis auf einen -vorne nicht existierenden -Abschnitt IJ.l.a. wohl ein Druckfehler. Die Formulierung dieses Kommentars ("continua", "risale") geht von der Annahme erbwortlicher Entwicklung aus. 39 Das Fehlen von Fortsetzern in den galloromanischen Mundarten veranlaBt dagegen FEW 1, 142b und 25, 280b, frz. arment als Latinismus anzusehen. 40 Umgekehrt miissen sie natiirlich auch fiir das LEI nicht das Argument fiir die Annahme erbwortlicher Entwicklung gewesen sein; vgl. oben (unter 3.) die Liste der Worter, die trotz konsonantischer Assi­milierungen von LEI und DELI gemeinsam als Latinismen angesehen werden: assente, astratto, alli­vo, attitudine etc. kombinationen: STM > srn: asma4 1 ; CT > tt: aspetto; RPT > rt: assorto; BS > ssls: assolvere, assoluto, assorbire42 , assorto, astenere, astinenza43 • Die zu segno analoge Entwicklung i > ~ in assegnare44 miiBte ein Argument ge­gen die Annahme eines Latinismus sein; sie gehort kaum zu den bei Latinismen noti­gen oder wahrscheinlichen Anpassungen. Der Fall von assorbire zeigt, daB Konjugationswechsel die Annahme eines Lati­nismus (im DELI) nichtauschlieBt. LEI nimmt hier volkstiimliche Entwicklung an, unter Verweis auf die in FEW 24,55b gegebene afz. Parallele asorbir. Gerade diese Parallele scheint hier fiir LEI der ausschlaggebende Faktor zu sein; anderswo hin­dert niimlich der Konjugationswechsel LEI nicht daran, im Gegensatz zu DELI (ar­ridere, s.o.) oder gemeinsam mit diesem (asserire, attribuire) das jeweilige Verb als Latinismus anzusehen45 • 4.3. Abweichungen zwischen DELI und LEI ergeben sich ferner durch die im LEI stiirkere Beriicksichtigung der Rolle anderer Sprachen (in unserem Material handelt es sich jeweils um das Franzosische) bei gelehrter Ubernahme: ascissa, aster­gere, astersione, astruso tragen im DELI jeweils die kommentarlose Markierung "ve. dotta"; nur bei audizione wird dort fiir die musikalische Bedeutung (Erstbeleg bei D'Annunzio 1889) ebenso wie im LEI auf das frz. Vorbild audition verwiesen. Die in beiden Sprachen iibereinstimmenden semantischen Spezialisierungen bzw. Einengungen auf fachsprachliche Verwendungen (ascissa: mathematisch; astergere, astersione: medizinisch; astruso: nur iibertragen, nicht konkret; audizione "manife­stazione musicale odi lettura di poesia") machen voneinander unabhiingige Entleh­nungen aus dem Lateinischen ganz unwahrscheinlich. Die jeweiligen Erstbelegsda­ten sprechen fiir franzosischen EinfluB auf das Italienische; nur im Falle von frz. ab­sterger (seit 14. Jh.), it. astergere (1. Hiilfte des 14. Jh.) ist keine zeitliche Prioritiit des frz. Erstbelegs festzustellen. Das LEI -mit seinen gegeniiber dem DELI groBe­ren Differenzierungsmoglichkeiten -hat also wohl zu Recht die genannten W orter 41 "La caduta della consonante mediana -t-parla forse in favore di una evoluzione popolare" (LEI 1924). Etwas iiberraschend istim LEI freilich die unterschiedliche Behandlung von trsma (Erbwort) und asmatico ("cultismo dal lat. tardo ASTHMATICUS", LEI 1925). Die Ableitung mit -(at)ico konnte durchaus als italienisches Wortbildungsverfahren angesehen werden. 42 Bei der Angabe ADSORBERE als Etymon im DELI handelt es sich offenbar um einen Druckfehler. LEI gibt als Lemma korrekt ABSORBERE, hat aber in der etymologischen Diskussion versehentlich ABSORBERE (LEI 189). 43 Die Entwicklung des zwischentonigen lat. lin den beiden letztgenannten Fiillen kann kaum als Krite­rium herangezogen werden: fiir e in astenere ist an innerparadigmatische Analogie zu denken; i in astinenza kann ebensogut im Rahmen toskanisch-florentinischer Entwicklung wie als latinisierende Beibehaltung erklart werden. . 44 Zwar haben wir lat. SlGNUM, ADSlGNARE (LEI: ASSIGNARE); Walde-Hofmann und REW se­hen aber -wohl richtig -SIGNUM als notwendige Grundlage fiir die romanischen Formen an. Das FEW gibt merkwiirdigerweise zwar SioNUM (ebenso SION ARE) als Etymon, geht aber in der etymo­logischen Diskussion (11, 608b ff.) von lat. SIGNUM aus, vermutlich ein Druckfehler. 45 Der Konjugationswechsel ist iibrigens nach Ausweis des ThLL fiir ABSORBERE, ASSERERE, AT­TRIBUERE im Lateinischen nicht belegt. aus den Latinismen herausgenommen und in den Abschnitt III. ("prestiti e calchi da altre lingue") verwiesen. 4.4. Die Form der jeweils zugrundegelegten lateinischen Etyma stimmt, mit Ausnahme kleinerer oben genannter Versehen, im allgemeinen iiberein. Hinzuwei­sen ist allenfalls auf die Tatsache, daB das LEI fiir das Prafix AD + S-von der be­reits assimilierten Form ausgeht (dort, wo sie belegt ist), wo das DELI Ofters die nicht assimilierte Form angibt: DELI: ADSCRIBERE, ADSEVERARE, ADSURGERE, ADSTANS LEI: ASCRIBERE, ASSEVERARE, ASSURGERE, AST ANS :(mlat.). 5. Resumee Es ware verlockend, auf weitere Gesichtspunkte beim Vergleich von DELI und LEI einzugehen, so etwa auf Erstbelegsdaten, wo sich Unterschiede durch die feine­re semantische Differenzierung und die groBere Materialfiille des LEI ergeben. Ein derartiger Vergleich wiirde aber notwendigerweise iiber die Latinismen hinausfi.ih­ren und soli hier unterlassen werden. In diesem Beitrag ist es mir nur um die Frage des Oberlieferungsweges gegangen. Die anhand unseres Vergleichs gemachten Beobachtungen zeigen zunachst die groBe Rolle der Latinismen: Auch im DELI, das ja von einem reduzierten Vokabu­lar ("nur" ca. 60.000 Worter; seltenere Bedeutungen wurden beiseitegelassen) aus­geht, machen die untersuchten Latinismen im Priifbereich ein knappes Viertel aus; fiir das LEI wiirde dieser Prozentsatz betrachtlich ansteigen46 • Der Vergleich zeigt allerdings auch, daB Angaben wie "ve. dotta" oder die Unterteilung eines etymologi­schen Artikels in Abschnitte fiir erbwortliche Entwicklung und fiir Latinismen nur eine triigerische GewiBheit schaffen konnen: In etwa einem Viertel der in unserem Rahmen vergleichbaren Falle kommen Etymologen wie M. Pfister einerseits, M. Cortelazzo und P. Zolli andererseits, die ja durchaus keinen Eisernen Vorhang zwi­schen sich errichten, denen wissenschaftliche Kooperation nicht fremd ist (vgl. die Vorworte zum l. und zum 8. Faszikel des LEI), zu unterschiedlichen Bewertungen in der Frage des Oberlieferungsweges. Wahrend andere Unterschiede dieser etymo­logischen Worterbiicher durch den unterschiedlichen Umfang und die verschiedene Zielsetzung erklart werden konnen, gilt dies nicht in der Frage Latinismus vs. erb­wortliche Entwicklung. lch sehe hierfiir Griinde von zweierlei Art: Auf der Analy­seebene scheint nicht hinreichend geklart (oder klarbar), welche Kriterien fiir die Annahme eines Latinismus beweisend sind, zumal die Zahl der lautlichen Kriterien (etwa gegeniiber dem Franzosischen) reduziert ist. Auf der Objektebene ist es frag­lich, ob die beobachteten Elemente tatsachlich in zwei (oder drei) Klassen zerfallen, wie es Terminologie und Anordnung in den beiden etymologischen Worterbiichern 46 Bork 1980, 452, hat unter 91 Artikeln 66 geziihlt, in denen Latinismen bzw. vom Lateinischen beein­flul3te Formen und/oder Bedeutungen diskutiert werden. nahelegen. Wenn etwa im selben Werk desselben Autors (B. Giamboni, II Libro de' Vizi e delle Virtudi, datiert auf 1292) nebeneinander die Erstbelege fiir die "erbwort­liche" Form astinenza und fiir den "Latinismus" astinenzia (und wenige Jahrzehnte danach abstinenzia) vorkommen (LEI 192), wie iiberzeugend ist da die Vorstellung von den zwei getrennten Oberlieferungswegen? Meine Vorstellung hierzu ist eher die einer jahrhundertelangen Osmose zwi­schen Latein und Italienisch, deren Auswirkungen nur im Rahmen einer vielfach un­terteilten Skala zu messen sind, nicht durch Ja/Nein-Entscheidungen. Man wiirde freilich den Autoren von DELI und LEI Unrecht tun, wollte man ihnen eine derart simplifizierte Sicht der italienischen Wortgeschichte unterstellen: sie wissen es natiirlich besser4 7 • Als Autoren etymologischer Worterbiicher miissen sie allerdings im Rahmen eines relativ festen Schemas Zuschreibungen vornehmen, die der Leser leicht als definitive Klassifizierungen (miB)versteht. Die Sprachwirk­lichkeit ist aber differenzierter, als sie in noch so umfangreichen und differenzierten Worterbiichern beschrieben werden kann. LITERATURVERZEICHNIS Alvar, Manuel/Mariner, Sebastian (1967), "Latinismos", in: Enciclopedia lingufstica hispdnica, torno II, Madrid (Consejo superior de investigaciones cientificas). Bork, Hans Dieter (1980), Rez. zu LEI in: ASNSL 217, 447-460. Christmann, Hans Helmut (1979), "Wesensziige der italienischen Sprache in Ge­schichte und Gegenwart", in: ItSt 2, 119-135. Dahmen, Wolfgang et al. (Hgg.) (1987), Lateinisch und Romanisch. Romanisti­sches Kolloquium /, Tiibingen (Narr). DELI = Cortelazzo, Manlio/Zolli, Paolo (1979-1988), Dizionario etimologico della lingua italiana, Bologna (Zanichelli). FEW = Wartburg, Walter von (1922-), Franzosisches Etymologisches Wor­terbuch, Bonn/Leipzig/Paris/Basel. LEI = Pfister, Max (1979-), Lessico etimologico italiano, Wiesbaden (Dr. Ludwig Reichert Verlag). 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Skoraj sočasno sta se pojavila dva etimološka slovarja italijanskega jezika, in sicer DELI, Diziona­rio etimologico de/la lingua italiana, Bologna 1979-1988, avtorjev Manlia Cortelazza in Paola Zollija, in LEI, Lessico etimologico italiano, Wiesbaden, 1979-, avtorja Maxa Pfistera, kar spodbuja, celo izziva k primerjavi. Seveda je treba upoštevati različen obseg enega in drugega. Korpus tega prispevka predstavlja 755 besed, ki jih ima DELI med gesloma arista in augure; od teh imata oba slovarja za latinizme 133 besed. Na osnovi le-teh se ugotavlja veljavnost glasoslovnih kriteri­jev, kot jih najdemo v Zgodovinski slovnici italijanskega jezika Pavla Tekavčica iz leta 19802, par. 48 in 321, in pri Tagliaviniju, Izvor romanskih jezikov5 , 1969, str. 327 in sl. Tudi pri latinizmih ugotavljamo veliko primerov asimilacije soglasnikov (assurdo, attivo, attitudine, itd.); po drugi strani pa slovarja ni­mata za učeno besedo tisto, kjer bi pričakovali sinkopo, pa je nenaglašeni samoglasnik vendar ohranjen: asparago. V 42 primerih se slovarja ne skladata, eden od njiju ima besedo za latinizem, drugi jo uvršča v drugač­no kategorijo: izposojenka iz grščine, iz francoščine, notranja, italijanska izpeljava, rezultat nepretrgane kontinuitete, torej ljudsko dedovanje. Etimološki slovar ima za svojo nalogo, da za vsako besedo pove, ali gre za ljudsko besedo ali za uče­no, za latinizem. Ukvarjanje z besediščem pa nas prepričuje, da je veliko besedi, ki se strogi kategorizaci­ji izmikajo.