559 Pregledni znanstveni članek (1.02) BV 72 (2012) 4, 559—565 UDK: 27-9 Besedilo prejeto: 09/2012; sprejeto: 12/2012 AlesMaver Das Christentum auf dem Markt der Religionen im Römischen Reich Zusammenfassung: In der Abhandlung wird zunächst kurz die Welt der religiösen Überzeugungen und Kulte, in die das junge Christentum im 1. Jahrhundert n. Chr. und später eintrat, geschildert. Es werden seine gemeinsamen Punkte mit dieser Welt erörtert, insbesondere jedoch, warum es auf dem »römischen Religionenmarkt« schon vom Anfang an eine Besonderheit darstellte. In diesem Zusammenhang wird es vor allem mit Judentum verglichen, das wenigstens teilweise eine sehr unterschiedliche Behandlung erfuhr. Abschließend wird die Frage gestellt, wo Christen Kompromisse mit der mehrheitlichen Umwelt suchen konnten und wo diese Kompromisse nicht in Frage kamen. Schlüsselwörter: Frühchristentum, Religionen, Judentum, Kompromisse Povzetek: Krščanstvo na tržnici verstev v rimskem cesarstvu Razprava najprej na kratko oriše svet religioznih prepričanj in kultov, v katerega je v 1. stoletju pr. Kr. in pozneje vstopilo mlado krščanstvo. Razmišlja o njegovih skupnih točkah s tem svetom, predvsem pa o tem, zakaj je na rimski »tržnici kultov« od vsega začetka krščanstvo bodlo v oči. V zvezi s tem ga postavlja predvsem ob bok judovstvu, ki je bilo vsaj deloma deležno precej drugačne obravnave. Končno se v besedilu sprašujemo, na katerih točkah so kristjani (lahko) iskali kompromise z večinsko okolico in kje takšni kompromisi niso bili mogoči. Ključne besede: zgodnje krščanstvo, verovanja, judovstvo, kompromisi Abstract Christianity on the Market of Religions in the Roman Empire In the beginning, the paper shortly describes the world of religious convictions and cults, into which the early christianity came in the first century AD and later. Its common points with this world are discussed, but especially why from the very beginning it was considered something special on this Roman "market of religions". In this connection it is primarily compared to Judaism that was, at least in some respects, treated in a rather different manner. Finally, the paper deals with the issue in which points the Christians could seek compromise with the majority environment and where any compromise was impossible. Key words: early Christianity. religions, Judaism, compromise 560 Bogoslovni vestnik 72 (2012) • 4 Es stellt sich die berechtigte Frage, was ein erneutes Aufrollen des staubbedeckten und auf keinem Fall beunruhigenden Themas der Lage der Christen und ihrer Gemeinden in dem schon lange verschwundenen Römischen Reich im Kontext der Verhältnisse zwischen Religionen und Religionsgemeinschaften in der modernen Welt zu tun hat. Meine Antwort auf dieses wichtige Bedenken wird wohl keinen überzeugen können, doch ich werde sie trotzdem riskieren. Ich würde gern zwei Umstände unterstreichen. Erstens kann die Lage der frühen Christen auf dem in meinem Titel evozierten Markt der Religionen in der beständigsten Großmacht der Alten Welt in mehr als nur einem wichtigen Punkt leicht an das Schicksal vieler christlichen Kirchen in unserer Zeit und in unseren geographischen Breiten erinnern. Wenn ich mich auf nur ein Wort festlegen dürfte, mit dem ich das Verhältnis der mehrheitlich heidnischen Umgebung zu Anhängern Christi in ersten Jahrhundert beschreiben sollte, wurde ich unter vielen Möglichkeiten am liebsten den Begriff »Indifferenz« oder gar »Ignoranz« wählen. Frühe Christen und christliche Historiker nach ihnen haben zwar das Bild einer vom Blut überstrommten Kirche der Märtyrer geschaffen, das aber trotz den traumatischen Erfahrungen, die sich hinter ihm verbergen, leicht einen falschen Eindruck vermittelt, wonach sich der römische Staatsapparat Tag und Nacht mit Dissidenten mit jüdischen Wurzeln beschäftigte. Aber in Wahrheit verblüfft uns gerade die Leichtsinnigkeit, mit der die »Mehrheit« meiste Zeit so tat, als ob überhaupt keine Christen existierten. Wenn sie schon bereit war, sie wahrzunehmen, war die Ausbeute aber gering - genug illustriert ist sie bereits mit der berühmten Formel Conqui-rendi non sunt, sed puniendi sunt. Selbst die formell untadeligen Christen unter den frühmittelalterlichen Geschichtsschreibern aus dem weiter lebenden Oströmischen Reich mussten gemäß den Konventionen ihres Genres so tun, als ob das Christentum ein ziemlich exotisches und nur wenig bekanntes Phänomen wäre (Beispiele bei Al. und Av. Cameron 1964, 316-328). Deshalb kann auch nicht verwundern, wenn die späteren Generationen eifrig nach jeder ihrer Vorfahren betreffenden Notiz bei antiken Schriftstellern suchten und daher den ganz durchschnittlichen Langweiler Plinius den Jüngeren fast zum Apostel machten, während sie seinen ganz und gar nicht untadeligen Chef Trajan sogar ins Paradies schickten. Aus solcher Erfahrung einer Gemeinschaft, die mit einer artifiziellen und künstlichen Ignoranz konfrontiert ist, entspringt dann ein zweites, noch bis heute lebendiges Erbe der frühen Jahrhunderte, das Verhältnis zur Gesellschaft rund um sie und zum »Staat« als dem privilegierten Gesprächspartner in ihr. Es ist klar sichtbar, dass das genannte Verhältnis andere Züge als bei der Mehrheit der anderen Weltreligionen aufweist, was auch etliche Beispiele, wo man versuchte, die diesbezüglichen Muster aus der christlichen Welt woandershin zu übertragen, z. B. das türkische, belegen. Im Christentum ist das Verhältnis zur Gesellschaft und in erster Reihe zum Staat von zwei entgegengesetzten Tendenzen geprägt. Einerseits versursacht die Tatsache, dass die heidnische Umwelt bei Christen meistens wegschaute, einen Abstand von ihr und einen Rückzug in die eigene Welt, wie schon der altehrwürdige Diognetbrief verkündet. Aber selbst wenn diese Ausrichtung als Ideal galt, sprach sie die Mehrheit der christlichen Gemeinden offen- Ales Maver - Das Christentum auf dem Markt der Religionen 561 sichtlich nicht richtig an. In ihnen dominierte eher der Wunsch, dass sie von der Gesellschaft und dem Staat trotz allem beachtet und geschätzt würden. Im Sinne dieses Strebens waren sie bereit, in ihrer Sicherung der Loyalität ziemlich weit zu gehen. Es scheint, als ob die nicht immer gesunde Dichotomie zwischen dem Ideal, das in realen frühen Verhältnissen verwurzelt war und wonach zwischen der Kirche und dem sie ignorierenden Staat (und Gesellschaft) ein fast unüberbrückbarer Gegensatz herrschte, und der Realität zweier christlichen Jahrtausenden, als christliche Kirchen in ihren Anstrengungen, bei der Staatsmacht und mit ihr zu sein, manchmal bis zur vernünftigen Grenze und sogar über sie gingen (Goodman 2007, 531 ss.), einen bedeutenden Teil des Nachlasses der Pioniere des Christentums darstellt, auch wenn an ihn man weniger gerne als an die anderen denkt. Deshalb ist es auch sinnvoll zu fragen, welche waren diejenige Feldlinien, die die beschriebene Entwicklung zu einer Notwendigkeit werden ließen. Zuerst lohnt es sich, einen schellen Blick auf die religiöse Landschaft des Römischen Reiches der ersten nachchristlichen Jahrhunderte zu werfen. In ihr existierte natürlich eine Menge von Kulte, Riten und Praxen, die nur wenige Gemeinsamkeiten aufwiesen, oder sogar nur die, dass sie mit der fast einzigen Ausnahme des Judentums in den gemeinsamen Topf mit einer ungewissen Überschrift »Heidentum« hineingetan werden können (Rüpke 2006, 11-18). Ganz bestimmt haben verschiedene Zweige dieses Heidentums unterschiedlich starken Einfluss auf das frühe Christentum ausgeübt, aber für die oben angesetzten Überlegungen war seine Interaktion mit den Kulten und Riten, die aus der altrömischen Religion entsprangen, maßgebend. Über sie könnte man zwar schon im 2. Jahrhundert n. Chr. kaum behaupten, sie sei in ihren wesentlichen Aspekten Religion der Bevölkerungsmehrheit im Weltreich (Demandt 2007, 494), aber sie gab zweifellos den Ton an. Was uns wieder an die modernen Gesellschaften erinnert, wo die privilegierte Religion keine Mehrheitsreligion ist (oder war).4 Als Grundmerkmal dieser Strömung war vielmals ein ausgesprochener kultischer Formalismus genannt (Muth 1997, 218 s. und weitere Stellen). Wegen einer ebenso vielmals versuchten Banalisierung desselben mit der berühmten Phrase »do, ut des« haben wurden gleichzeitig auch Einsprüche gegen solche Interpretationen erhoben (Rüpke 2006, passim), aber Stutzen dafür gab es auf jedem Fall. Die Römer missen der richtigen Ausführung der Riten, die dem, was schon die Vorfahren getan hatten, entsprachen, einfach eine große Bedeutung zu. Cicero druckt das in seiner Schrift De natura deorum genug explizit aus, als er einen Gesprächspartner in seinem Dialog sagen ließ: »A te enim philosopho rationem acci-pere debeo religionis; maioribus autem nostris etiam nulla ratione reddita crede-re.« (Cicero, De natura deorum 3, 6) 4 Verschiedene Teile des Vereinigten Königreiches sind dafür wahrscheinlich das beste Beispiel. 562 Bogoslovni vestnik 72 (2012) • 4 Ohne entsprechende Bewertung der Rolle der Vorfahren und ihres berühmten mos maiorum kann auch die Marginalisierung des Christentums in der römischen Gesellschaft nicht richtig bewertet werden. Natürlich könnte man sehr schnell fragen, warum die Christen nicht von einer anderen Ritze Gebrauch machten, die ihnen wahrscheinlich tatsächlich den Eintritt auf den römischen »kultischen Markt« ermöglicht hätte. Die Römer waren nämlich nicht nur darauf stolz, dass sie Kulte am besten und am meisten gemäß den Richtlinien der Alten ausführten, sondern rühmten sie sich auch der integrativen Natur ihres Pantheons, wie es zum Beispiel aus Aussagen des Heiden Caecilius in der christlichen apologetischen Schrift Octavius aus dem Ende des 2. Jahrhunderts hervorgeht: »Inde adeo per universa imperia, provincias, oppida videmus singulos sacro-rum ritus gentiles habere et deos colere municipes, ut Eleusinios Cererem, Phrygas Matrem, Epidaurios Aesculapium, Chaldaeos Belum, Astarten Syros, Dianam Tauros, Gallos Mercurium, universa Romanos. Sic eorum potestas et auctoritas totius orbis ambitus occupavit, sic imperium suum ultra solis vias et ipsius oceani limites propagavit, dum exercent in armis virtutem religiosam, dum urbem muniunt sacrorum religionibus, castis virginibus, multis honoribus ac nominibus sacerdotum, dum obsessi et citra solum Capitolium capti colunt deos, quos alius iam sprevisset iratos, et per Gallorum acies mirantium super-stitionis audaciam pergunt telis inermes, sed cultu religionis armati, dum cap-tis in hostilibus moenibus adhuc ferociente victoria numina victa venerantur, dum undique hospites deos quaerunt et suos faciunt, dum aras extruunt etiam ignotis numinibus et manibus.« (Minucius Felix, Octavius 6, 2 ss.) Es fehle nicht ganz an Angeboten, Christus sollte sich diesem Pantheon anschließen, besonders gegen Ende der heidnischen Domination. Es ist anderseits ganz klar, dass während des Früh- und teilweise auch während des Hochmittelalters tatsächlich zu solchen Symbiosen gekommen ist, und zwar sowohl im germanischen Nordwesten als auch im slawischen Osten (viele Beispiele bei von Padberg 2006). Auch während der Antike findet man diese oder jene dem Synkretismus zugetane christliche Persönlichkeit, wie zum Beispiel der rätselhafte Julius Africa-nus. Trotz des späten Ursprungs solcher Angaben gibt es zugleich keinen Anlass für Zweifel über eine Christusstatue unter Gottheiten in der »Hauskapelle« seines Zeitgenossen Alexanders Severus. Aber im allgemeinen zeigten Christen diesbezüglich kaum Kompromissbereitschaft. So musste der Prokonsul Paternus sich selbst sehr großzugig vorkommen, als er dem Bischof von Kartago Cyprian folgenden Vorschlag machte: »Sacratissimi imperatores Valerianus et Gallienus literas ad me dare dignati sunt quibus prae-ceperunt eos, qui Romanam religionem non colunt, debere Romanas caerimoni-as recognoscere. Exquisivi ergo de nomine tuo: quid mihi respondes? (Acta Pro-consularia S. Cypriani 1) Obwohl man hier einen wichtigen Schritt weg von der Praxis Trajans und seines Staathalters Plinius beobachten könnte, da diese von Christen noch eine aktive Verleugnung Christi forderten, war Cyprian explizit: »Christianus sum et episcopus. Nullos alios deos novi nisi unum et verum deum qui fecit caelum et terram et mare et quae sunt in eis omnia.« (ebenda) Ales Maver - Das Christentum auf dem Markt der Religionen 563 Das für eine Annäherung an kultische Forderungen der Umgebung und der heidnischen Mehrheit fast keinen Spielraum gab, bezeugt - fast per negationem - auch eine nicht ganz unironisch gemeinte Notiz eines weiteren Afrikaners, nämlich Tertullians, aus dem Anfang des 3. Nachchristlichen Jahrhunderts: »Colimus ergo et imperatorem sic quomodo et nobis licet et ipsi expedit, ut hominem a Deo secundum; et cuicquid est a Deo consecutum est, solo tamen Deo minorem. Hoc et ipse volet. Sic enim omnibus maior est, dum solo Deo minor est. Sic et ipsis diis maior est, dum et ipsi in potestate eius sunt. Itaque et sacrificamus pro salute imperatoris, sed Deo nostro et ipsius, sed quomodo praecepit Deus, pura prece.« (Tertullian, AdScapulam 2, 7 s.) Natürlich stellte gerade solche kategorische Ablehnung der etablierten Formen des Kaiserkultes, der immer mehr zu einem Bindegewebe des Reiches wurde (Koep 1971, v. a. 317), eine der größten Schwierigkeiten für christliche Gemeinden da, da sie fast zu Staatsfeinden machte, was Tertullian an einer anderen Stelle apostrophiert und zugleich den prinzipiellen Monarchismus der Christen als einen eklatanten Gegensatz zu republikanischen Träumen vieler heidnischen Römer betont. (Tertullian, Apologeticum 35, 9 s.) Natürlich bleibt eine nicht ganz beantwortete Frage, warum das Christentum mit beschriebenen Ansichten auf dem römischen Markt der Religionen niemals bis Galerius (oder teilweise für einige Zeit schon unter Gallienus und seinen Nachfolgern) eine Position, die deren der Juden ähnlich wäre, zu erlangen vermochte. Berechtigt wurde dabei auf zwei Umstände hingewiesen. Wenn das kategorische »Nein« zum Kaiserkult im Kontext des strengen Monotheismus vielleicht noch auf ein begrenztes Verständnis stoßen könnte, wirkte es im Zusammenhang mit der Verehrung eines grausam hingerichteten Handwerkers wahrscheinlich als reine Provokation und machte Suche nach einem sicheren, wenn auch geringen Platz in der römischen Kultenökumene sehr schwierig (Koep 1971, v. a. 315 ss.). Zweitens spielte vielleicht auch die ausdrückliche missionarische Ausrichtung der Christen, obwohl das angebliche Bekehrungsverbot des Kaiser Septimius Severus aus dem Jahre 202/3 darauf schließen lässt, dass diesbezüglich auch Juden als eine Drohung empfunden wurden. Hiermit gelangen wir schon zum dritten, wahrscheinlich auch entscheidenden Punkt, den man aus heutiger Sicht am wenigsten nachvollziehen kann. Denn im religiösen Imaginarium der heidnischen Antike legte man einen großen Wert auf Altertümlichkeit religiöser Riten und Traditionen (Fiedrowicz 2000, v. a. 209 s.). Derjenige, der diesbezüglich Neuerungen vornehmen mochte oder tatsächlich vorgenommen hat, brachte nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern gewissermaßen auch die gesamte Gemeinschaft. Hier waren auch Christen selbst bewusst, dass ihre Karten denkbar schlecht waren, denn man musste zugeben, dass es Christentum im eigentlichen Sinne noch vor wenig hundert Jahren gar nicht gab. Die meisten Apologeten der jungen Religion versuchten daher, an ehrwürdige und vor aller mit einer reichen 564 Bogoslovni vestnik 72 (2012) • 4 Vorgeschichte geladene jüdischen Vorfahren anzuknüpfen, was schon im Barnabasbrief sichtbar ist und vielerorts zu bis heute spürbaren paradoxen Folgen für das jüdisch-christliche Verhältnis führte. Andere, die, wie zum Beispiel Arnobius der Ältere, mit dem Judentum wenig oder gar nicht vertraut waren, wählten einen anderen Weg. Sie versuchten zu zeigen, erstens, dass die Welt nach dem Erscheinen des Christentums gar nicht schlechter geworden ist, was sich als ein bleibendes Argument in der antiheidnischen Polemik etablierte, und zweitens, dass religiöse Neuerungen auch in der Welt des römischen Heidentums keine Seltenheit darstellte. Wie dem auch sei, es bleibt Tatsache, dass in der Vorstellungswelt des griechisch-römischen Heidentums Christen leicht als »Verräter« angesehen wurden, und zwar sogar im zweifachen Sinne. Da die ehemaligen Heiden wahrscheinlich schon relativ bald die Mehrheit der Kirchenmitglieder stellten, konnte ihnen natürlich Abfall von Kulten und Riten der Ahnen vorgeworfen werden, da das Christentum aber aus dem Judentum hervorging, konnte schon Kelsos zugleich ihre Treue zu jüdischen Riten in Zweifel ziehen (Fiedrowicz 2000, 209). Und ihr »Verrat« an Heidentum hatte eine ganz andere Dimension als nur merkwürdige, aber sonst »seit je« bestehende Religion der Juden. Wie gesagt, konnten Christen in diesem Bereich den Erwartungen der Umgebung so gut wie nirgendwo entgegenkommen (Cancik 2009, v. a. 374-376). Daher entdeckten sie aber schon bald eine willkommene Nische, wo sie sich weitaus aufgeschlossener zeigten. Es handelte sich um das Verhältnis zum römischen Staat und vor allem zum seinen höchsten und für Christen auch sichtbarsten Repräsentanten, dem Kaiser . Hier mehrten sich seit dem 2. Jahrhundert verschiedene Loyalitätsbekundungen, die heute sogar ein wenig überraschend wirken könnten. Aber dabei blieben Christen durchaus in der Bahn der neutestamentli-chen Grundlagen. Denn ihre Aussagen fußten auf einigen bedeutenden Pfeiler. Wenn der kryptische Spruch Jesu zu dem Steuergeld, den schon einige Apologeten entscheidend zu Gunsten des Kaisers auslegten (Beispiele dazu bei Guyot und Klein 1997), auch ironisch verstanden sein konnte, war bei den Stellen aus dem Ersten Petrusbrief sowie aus dem Ersten Brief an Timothäus und dem Brief an Titus das ehrwürdige Verhältnis zum Reich und Kaiser klar. Ganz besonders aber konnte man wahrscheinlich die erste explizite Stellungnahme eines Christen zu Fragen der Macht einbeziehen, die schon um 58 n. Cht. entstandenen Aussagen aus dem 13. Kapitel des Römerbriefes, die der gottgewollten Macht keine Bedingungen stellten. Und obwohl solche Klarheit von einigen zeitbedingten Faktoren abhing (dazu Rode 1981, 244 ss.), klammerte so mancher christlicher Schriftsteller in nächsten Jahrhunderten diesen Rahmen fast vollständig aus und nahm die Behauptungen des Apostels wörtlich. Das ist in erster Reihe bei Irenäus von Lyon am Ende des 2. Jahrhunderts sichtbar, wenn er schreibt: »Quidam enim illorum [nämlich Machthaber, Anm. A. M.] ad correptionem et utilitatem subiectorum dantur et conservationem iustitiae, quidam autem ad timorem et poenam et inc-repationem, quidam autem ad illusionem et contumeliam et superbiam, quemad-modum et digni sunt, Dei iusto iudicio, sicut praediximus, in omnibus aequaliter perveniente. (Irenaeus, Adversus haereses 5, 24, 3) Ales Maver - Das Christentum auf dem Markt der Religionen 565 In dieselbe Richtung entwickelte sich allmählich auch der sogenannte »Romgedanke« bei Christen, als dessen Begründer vielleicht schon Autor des Lukasevangeliums (kritisch darüber Klein 2000, 234), ganz bestimmt aber der Bischof Meli-to von Sardes (bei Eusebius von Caesarea, Historia Ecclesiastica 4, 26, 7), der seine Apologie an den Kaiser Marcus Aurelius um 170 n. Chr. verfasste und darin Parallelen zwischen Verbreitung des Christentums und Steigerung der Macht Roms betonte. Stutzen konnte er sich dabei auch auf die verbreitete Interpretation der berühmten Paulusstelle aus dem Zweiten Brief an die Thessalonicher, wonach gerade das Römische Reich ein Hindernis für den Antichrist sein sollte (Dibelius 1971, 57-60). Die fortschreitende Entwicklung des Romgedankes oder gar der Romtheologie gipfelte vor allem bei Laktanz und bei dem Historiker Orosius. So überließ die Frühkirche den späteren Christen ein gemischtes Erbe. Einerseits prägte sie fast vom Anfang an der Wunsch nach einer gewissen Nähe zum Staat, die aber im Römischen Reich lange unerhört blieb. Aber gerade diese Erfahrung, dass mit dem Staat eigentlich nicht zu rechnen ist, erzog die Alte Kirche zu einer Selbstständigkeit, die ihre »Konkurrenzfähigkeit« auf dem religiösen Markt deutlich steigerte. Denn als viele vom Staat und seinen Subventionen abhängigen altehrwürdigen Kulte in der Reichskrise der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts untergingen und nie wieder zu der einstigen Blüte erwachten, erfreuten sie die christlichen Gemeinden eines ungeminderten Wachstums (wie von Geffcken 1972 und anderen betont). Es kann kaum verwundern, dass Maximinus Daia und vielmehr noch Julian gerade in der christlichen Kirche, die sich auch »auf dem Markt« bewahrte, ein starkes Vorbild für ihre Erneuerungsversuche des Heidentums fanden. Referenzen Cameron, Alan in Averil. 1964. Christianity and Tradition in the Historiography of the Late Empire. Classical Quarterly N. S. 14:316-328. Cancik, Hubert. 2009. System und Entwicklung der römischen Reichsreligion. Augustus bis Theodosius I. In: Die Anfänge des Christentums, 373-396. Friedrich Wilhelm Graf und Klaus Wiegandt, Hg. Frankfurt/Main: S. Fischer. Dibelius, Martin. 1971. Rom und die Christen im ersten Jahrhunder. In: Das frühe Christentum im römischen Staat, 47-105. Richard Klein, Hg. Wege der Forschung 267. Darmstadt: WBG. Fiedrowicz, Michael. 2000. Apologie im frühen Christentum: Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten. Paderborn: F. Schöningh. Geffcken, Johannes. 1972 (1929). Der Ausgang des griechisch-römischen Heidentums. Darmstadt: WBG. Goodman, Martin. 2007. Rome and Jerusalem: The Clash of Ancient Civilizations. London: Penguin Books. Guyot, Peter in Klein, Richard. 1997. Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen: Eine Dokumentation. Darmstadt: WBG. Klein, Richard. 2000. Das Bild des Augustus in der frühchristlichen Literatur. In: Rom und das himmlische Jerusalem: Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung, 205-236. Raban von Haehling, Hg. Darmstadt: WBG. Koep, Leo. 1971. Antikes Kaisertum und Christusbekenntnis im Widerspruch. In: Das frühe Christentum im römischen Staat, 302-336. Richard Klein, Hg. Darmstadt: WBG. Muth, Robert. 1997. Einführung in die griechische und römische Religion. Darmstadt: WBG. Padberg, Lutz E. von. 2006. 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