110331 DIE LETZTE WACHT. DRAMATISCHE SZEINE. Nach der gleichnamigen Ballade von Anton Aškerc, von Richard Batka. o Musik von Friedrich Schirza. PRAG 1905. Vcrlag des Durerbundes flir Osterreich. 110331 PERSONEN: Der Bettler. Der Korporal. Tona, Soldat (aus Krain). Peter, Soldat, sein Landsmann. Die Mutter. Plarischa. Volk, Bauern, Gäste. Zeit: 18. Jahrhundert, zur Zeit Maria Theresias. Das Auftreten Peters im dritten Bilde wird dadurch ermöglicht, daß er im Dunkel des Schilderhäuschens durch einen Statisten abgelöst wird. (CjfH Kleiner Platz vor dem Palaste des Gouverneurs in einer schlesischen Stadt. Es ist Winter. Feiner Schneefall. Die hell erleuchteten Fenster des Palastes erhellen das nächtliche Dunkel. Vor dem Portal geht ein Wachtposten (To na) auf und ab. Im Palaste wird ein Fest abgehalten. Die Auffahrt der Gäste ist nahezu beendet. Noch fährt ab und zu ein Schlitten vor, oder eine vornehme Dame wird in einer Sänfte herbeigetragen. Gaffendes Volk im Vordergrunde links betrachtet die Vorgänge. Volk (teils in Gruppen, teils einzeln). Seht wie hell die Fenster glänzen, Wie sie sich drehn in Reigen und Tänzen! Hei, da droben geht's lustig her! Heut ist Ball beim Gouverneur! Seit einer Stunde In Schlitten und Wagen In Sänften, Kaleschen, Gefahren, getragen, Kommen die Gäste Aus Stadt und Land — Drei Meilen die Runde! Zum lustigen Feste Hat sie geladen Der Kommandant! Noch ein Schlitten fährt da vor! Das ist vom Folwerk der alte Major. Das war der letzte! Sie schließen das Tor! (Das Portal wird geschlossen.) Die haben's gut in Glanz und Pracht! Wir schauen zu, aus kalter Nacht. Wie sie dort schwelgen in lauter Freud! Wer denkt wohl an uns armen Leut! Erster Mann. Nun Freunde, bleibt nicht länger stehn. Zweiter Mann. Es ist ja weiter nichts zu sehn. Erster Mann. Huhu! Mich friert, daß Gott erbarm! Zweiter Mann. Nur schnell nach Hause, da ist's warm. Erste Frau. Ich muß zu meiner Wirtschaft hin. Zweite Frau. Ich plaudre noch mit der Nachbarin. Erste Frau. Ich muß noch scheuern Trepp und Diel! Zweiter Mann (zu drei andern). Wir machen noch ein Kartenspiel. 5 Erstes Mädchen. Ich stick an meinem Häubchen fein. Zweites Mädchen. Ich hab ein kleines Stelldichein. Erster Mann. Ich geh in's Wirtshaus. Gott soll mich strafen! Ein Junger. Zum Liebchen ich! Ein Alter. Und ich geh schlafen. (Sie zerstreuen sich langsam in die Häuser und Gassen. Die Szene ist leer. Nur der Wachtposten vor dem Palast' tor geht gleichmäßigen Schrittes auf und ab.) (Der Korporal kommt mit Peter aus der Seitengasse links. Peter marschiert neben Tona auf. Der Korporal steht gegenüber.) Korporal. Peter, du siehst so blaß aus und verstört. Sag, bist du krank? Peter (hastig). 0 nein! Ich bin wohlauf. Korporal (klopft ihm auf die Schulter). Na, umso besser! Bravo! Ausgehalten! Du warst ja stets ein tüchtiger Soldat, 's ist heut die letzte Wach'. Dein Zeit ist um. Du hast der Kais'rin brav und treu gedient, Und morgen gehst du in die Heimat wieder. 6 Peter. Ich halt schon aus! Kein' Sorge, Herr Kaprai! (Ablösung.) Korporal (auf dem Rückweg). Sahst du den Peter? Tona. Ja! Der ist ganz weg! Die Braut daheim hat lang nichts hören lassen. Und er — er weiß noch nicht einmal, Daß heut sie, grade heute Hochzeit hält. Korporal. I sackerlot! Der arme Kerl! — Hast Nachricht ? Tona. Ja, Vetter Zyrill brachte mir die Botschaft. (Ab.) Peter (geht auf und ab und bleibt mitunter sinnend stehen ; leise vor sich.) Heut ist die letzte Wacht — Und morgen geht es in die Heimat wieder! 0 Heimatland, wie hold erscheinst du mir, 0 Heimatland, wie sehn' ich mich nach dir! Marischa, du! Nach schweren Tagen, Soll neu mein Herz an deinem Herzen schlagen ! (Schüttelt sich.) Huhu! 's ist kalt! Hei, wie die Flocken treiben. Sie drehen sich und wirbeln an die Scheiben! 0 stiebt nur zu! Die Heimat ist mir nah! (Von der Mauer auf der andern Seite löst sich eine im Dunkel kauernde Gestalt los und nähert sich Peter. Der Bettler kommt heran.) 7 Peter (das Gewehr »fertig« nehmend). Halt, wer da? Bettler (bleibt stehen). 0 Herr Soldat, mich hungert gar so sehr! Kaum schlepp ich mich. Ich kann nicht weiter mehr! Laßt mich ins Schloß hinein, Daß Labung ich erbitf. Ihr seid doch nicht von Stein . . . (Will zum Tor gelangen.) Peter. Zurück! Nicht einen Schritt! Für Bettelleute gilt ein streng Verbot. Bettler (bleibt stehen). 0 Gnade, Herr Soldat, sonst bin ich tot. Peter (für sich). Nein, nein, es geht nicht an! Beim allerbesten Willen. (Zum Bettier.) Doch Alter, halt! Da nimm mein Brot, Den ärgsten Hunger zu stillen. (Steckt ihm ein Stück Brot zu.) Bettler (mit verändertem Tone.i. Hab Dank! Es soll dich nicht gereu'n, Daß du die Labung mir gönntest. Es ist so schrecklich, hier — ferne der Heimat, In Eis und Schnee — zu sterben . . . Vermagst du dem Tod ins Auge schau'n? s Peter (nickt mit dem Kopfe, plötzlich verwirrt). O Gott! Bettler. Was gibt's? Peter (krampfhaft). Fort von hier! Bettler (einen Schritt vortretend). Warum ? Peter (legt das Gewehr an, die Arme versagen ihm jedoch). Geh! geh! Bettler. Nun, wenn du willst ... für jetzt ade. (Ab.) Peter (nach einer Pause). Was war das nur... was mich durchdrang? Eiskalt die Glieder! Wie ward mir bang? Nun atm' ich wieder . . . Pah! Dummes Zeug! (Er setzt seinen Gang fort. Tanzmusik aus dem Schlosse, zuerst ganz leise, dann stärker.) Peter (hört der Tanzmusik zu). Da tanzen sie droben, die vornehmen Leut Und schwelgen im goldenen Glänze. Bei uns daheim, da ist Kirchweih heut, Da schwingen sie sich im Tanze! 9 Daheim in der Linde, im großen Saal -Da tanzt ich mit ihr zum letzten Mal Beim lustigen Erntekranze! (Hier variiert das Tanzmotiv in eine nationale Weise. Gedämpfte Klänge. Zugleich hebt sich der Hintergrund und man erblickt durch einen Schleier das erste Bild, das Peter erscheint.) Mir ist, als sah ich die frohe Menge, Das rege Getriebe, das bunte Gedränge, Als hört ich der Heimatweisen Laut, Als sah ich sie stehen, die süße Braut, Und der lange Martin, dem nie ich getraut, Er kommt zu ihr, er faßt ihre Hand - Jetzt hat sie sich ihm zugewandt Und schwebt durch den Saal an seiner Brust! Marischa! (Er erwacht mit dem Aufschrei aus seiner Entrückung und besinnt sich. Zugleich ist das Bild wie mit einem Schlage verschwunden.) Ah! . . . Gottlob! Ein Traum! Und doch so klar ... Ich faß es kaum ... (Patrouilliert weiter. Wie er an das Ende seines Rayons kommt, steht der Bettler wieder vor ihm.) Bettler (väterlich). Du hast geschlafen, mein Sohn! Sei außer Sorge — bei solchem Wehn Traut sich Keiner aus dem Haus In des Schneesturms eisigen Graus. Nur der Tod ist stets auf der Lauer. Peter (zuckt zusammen und wendet sich ab). Du? — O weh! .. . Welch kalter Schauer! (Peter patrouilliert im Schneesturm auf und ab, wobei er, um sich munter zu erhalten, ein Soldatenliedchen trällert.) lü Peter. Die Trommel ruft zum Streite, Ade, mein Kind, ade! Das Schwert an meiner Seite, So zieh ich in d-'e Weite, In lauter Eis und Schnee! (Die Worte des Liedchens lassen wieder die Heimat vor seinem Blick erstehen. Zweites Bild: eine Anhöhe mit einem blühenden Fliederstrauch, darunter eine rohe Bank. Weiter Ausblick ins Land. Im Tale das Heimatdorf. Auf der Bank Peter und Marischa.) Peter. An jenem Tag, der zur Fahne mich rief, Da nahmen wir Abschied unterm Hollunder. Sie küßte mich heiß, sie seufzte so tief, Und um uns her das Frühlingswunder! Es lachte und strahlte die ganze Welt, Blau war der Himmel, golden die Sonne Nur wir, wir saßen, dem Jammer gesellt, Voll Schmerz in all der blühenden Wonne. Noch ein Kuß auf den bebenden Mund, Noch ein Umarmen, ein stürmisches Pressen, Dann riß ich mich fort — o diese Stund'! Nie und nimmer werd' ich's vergessen . . . Wehe! (Das Bild verschwindet, Peter taumelt, das Gewehr entsinkt ihm. Ein Windstoß bläst die Laterne aus.) Ha!. . . Was war das wieder. . . Nur nicht schlafen... Mir starren die Glieder Gott... erbarme Sich ... (er will zusammensinken). Hier bläst'S weniger... (tritt in das Schilderhaus). 11 Bettler (für sich). Ruh dich dort aus. Und träume: (Neue Erscheinung.) Peter. Ah! Meiner Mutter Haus ... (Hier entschleiert sich das dritte Bild völlig: Eine ländliche, schlichte, aber reinliche Stube.) Bettler. Sieh doch die gute alte Frau, Wie schafft sie Ordnung so genau! Wie rückt sie die Blumen am Fensterbrett, Wie streicht sie weich das Daunenbett! Und ihr zur Seit' im blonden Haar Ein Mädchen hold und wunderbar. Sie spähen hinaus! Welch ein Gelauf! Sie eilen zur Tür! Die Tür fliegt auf.. . Und du selber stürzest selig herein Und sinkst zu Füßen dem Mütterlein ... Und ihr kniet vor ihr und sie segnet das Paar Wie du's geträumt seit manchem Jahr ... (In dem Bilde haben sich bis jetzt alle Vorgänge abgespielt, wie der Bettler sie schildert. Nun beginnt, erst wie von fern, dann immer näher kommend und deutlicher der Gesang im Bilde.) Die Mutter. Ich segne euch, meine lieben Kinder! Mög' euch der Himmel für ewig vereinen, Mögen des Glückes Sterne euch scheinen, in Freuden und Leiden Nichts soll euch scheiden, Mög' es euch frommen und wohlergeh'n. Vater da droben, erhöre mein Fleh'n! iie sinkt betend in die Knie, während Marischa und Peter sich erheben und umarmen.) Marischa. Peter! Peter. Marischa! Beide. Mein für's Leben! O, wie die Herzen voll Freude erbeben. Marischa. Endlich zurück! Peter. O )ubel, o Glück! Marischa. Könnt ich dir's nennen Was mich durchschauen! Peter. Nichts soll uns trennen! Nicht mehr getrauert! Beide. Ob auch die Stürme Sausen und brausen — Im warmen Neste Wollen wir hausen. 13 Marischa. Aneinandergeschmiegt — Peter. in Wonne gewiegt! Marischa. In deinen Armen Selig Erwarmen! Peter. An deinem Herzen Fliehen die Schmerzen ... Beide. Vorbei das Sehnen, O herrliche Zeit, So geht es hinüber Zur Seligkeit! Sieh doch, der Himmel streut uns so sacht Schlohweißer Blüten schwebende Pracht! (Blumenregen, der allmählich in Schnee übergeht. Auf dem Höhenpunkt des Duetts hört man im Schilderhaus einen dumpfen Fall. Das Bild verschwindet. Ausklang. Der Sturm zerreißt das Gewölk. Der Mond tritt hervor. Alles verschneit. Vom Innern des Palastes kommen Gäste, die einen Gassenhauer trällern.) Eine Stimme. Schäumen Pokale Im festlichen Saale, Sind dort auch Frauen Lieblich zu schauen. 1 4 Chor. Mag auch der Winter dröhn, Uns winkt der schönste Lohn, Trallala juche! (Während der nächsten Worte wird das Tor des Palastes geöffnet und ein Trupp Gäste begibt sich hinaus.) Erster Gast (heraustretend). So! Das erfrischt doch! Zweiter Gast (zwischen der Tür). Friert's? Erster Gast. Und sehr Dritter Gast (nach rückwärts rufend). Zieht euch die Mützen über die Ohren ... Erster Gast. Hopla! Zweiter Gast. Was gibt's? Erster Gast. Da liegt ja wer' Zweiter Gast. Ein Mensch. 15 Erster Gast. Die Schildvvache! Zweiter Gast. Parbleu ! Erfroren! (\Vahrend die Giiste den starrcn Korpcr bctrachten. fiillt der Vorhang langsam.) E n d e. NflRODHR IN UNIUERZITETNfl KHJI2NICA 00000380004 A00000380004A K. u. k. Hofbuchdruckerei A. Haase, Prag.