L. Piškur: WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE ... 25 Lea Piškur UDK: 811.112.2'373.611:811.163.6'373.611 Filozofska fakulteta piskur.lea@gmail.com WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE SYNTAKTISCHE FÜGUNGEN ALS IHRE ENTSPRECHUNGEN Einleitung Der Gegenstand dieses Beitrages sind zwei linguistische Begriffe - Wortbildungskonstruktionen als synthetische Strukturen auf der einen Seite und freie syntaktische Fügungen als deren Entsprechungen auf der anderen Seite. Im theoretischen Teil werden die für diese Forschung wichtigsten Begriffe aus dem Bereich Linguistik erklärt. Anschließend werden sie genauer dargelegt, aufgegliedert und mit Beispielen ausgestattet. Im empirischen Teil befinden sich synthetische Strukturen und freie syntaktische Fügungen (im Slowenischen und im Deutschen), die ein geographisches Element enthalten. Die werden analysiert, miteinander verglichen und am Ende werden die Resultate dargestellt. Zum Schluss folgen noch die praktische Anwendung und Analyse an einem Beispieltext. THEORETISCHER TEIL 1 Zum Verhältnis von Syntax, Semantik und Wortbildung Um ganz von vorne anzufangen, werden zuerst einige wichtige Hauptbegriffe erklärt, beginnend mit dem Begriff Sprache. Sprache ist ein Hilfsmittel, das uns ermöglicht, mit anderen Menschen kommunizieren zu können bzw. sie ist ein System von Lauten, von Wörtern und von Regeln für die Bildung von Sätzen, das man benutzt, um sich mit anderen zu verständigen. Die Wissenschaft von der Sprache heißt Sprachwissenschaft bzw. Linguistik und besteht aus folgenden Kerngebieten1: • Phonologie (untersucht die Lautstruktur der Sprache) • Morphologie (Formenlehre) • Syntax (Satzlehre) • Semantik (Bedeutungslehre) 1 Vorlesungen zum Fach Einführung in die allgemeine Sprachwissenschaft von Gruntar-Jermol (2003/04). 26 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE • Pragmatik (Lehre vom sprachlichen Handeln) • Lexikologie (untersucht und beschreibt Wörter) • Wortbildung (untersucht die Bildung von den neuen Wörtern) • Idiomatik/Phraseologie (untersucht feste Wortverbindungen) • Etymologie (untersucht die Herkunft der Wörter) und noch einigen interdisziplinären Teilgebieten: • Computerlinguistik • Soziolinguistik • Psycholinguistik • Sprachphilosophie Die für diesen Beitrag wichtigsten Themen sind aber Syntax, Semantik und Wortbildung, die in den nächsten drei Kapiteln noch genauer beschrieben werden. 1.1 Syntax Syntax oder auch Satzlehre ist ,'die Lehre vom Bau des Satzes als Teilgebiet der Grammatik"2. Die Aufgabe der Syntax ist die systematische Beschreibung von Einheiten der sprachlichen Äußerungen (das sind Sätze, die eine Funktion haben). Der Gegenstand der Syntax ist der Satz bzw. sind die einzelnen Satzglieder (Subjekte, Objekte, Prädikate, Umstandsbestimmungen). Der Satz kann einfach oder zusammengesetzt sein - im letzteren Fall spricht man von Parataxen (Nebenordnung) und Hypotaxen (Unterordnung). Im Bereich der Syntax ist es in den letzten Jahren zu ganz vielen Änderungen gekommen. Heute steigt man in der Syntax ,'von oben her" und nicht mehr ,'von unten her aufwärts" (von Polenz, 1988: 49). Das bedeutet, dass man jetzt von der Ganzheit des Satzes spricht und erst dann ,'durch systematische Teilungen zu dessen Konstituenten/Bestandteilen gelangt" und nicht umgekehrt wie es früher war. 1.2 Semantik Bzw. Bedeutungslehre ist ,'das Teilgebiet der Linguistik, das sich mit den Bedeutungen sprachlicher Zeichen u. Zeichenfolgen befasst".3 Der Begriff ist aber eher jung und eng mit dem Bereich der Syntax verbunden. Nach Hörmann (1978: 12, zit. nach von Polenz 1988: 60) war ,'Semantik [...] dabei nur eine ,arme Verwandte', die die Syntax ,mit sich herumschleppt'.'' Von Polenz (1988: 49), sagt weiter dazu: ,'Unter Semantik verstand man in der Sprachwissenschaft bis vor kurzem nur die Lehre von den Bedeutungen der Wörter und ihren Beziehungen im Wortschatz (Lexikalsemantik/Wortsemantik). Die Bedeutung von Sätzen versuchte man in der traditionellen Grammatik von den Teilbedeutungen der Satzbauformen (Flexionsendungen, Funktionswörter, Wortfügungen) her zu erschließen." 2 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 3 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. L. Piškur: WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE ... 27 Diese so genannte Umkehrung bzw. Erweiterung von Syntax zur Satzsemantik geschah, so von Polenz (1988: 50), erst vor kurzem: ,'In der Syntax und Satzsemantik ist man also seit den 60er Jahren dabei, zwei wissenschaftsgeschichtlich folgerichtige Perspektiven-Umkehrungen nachzuholen: - in der Syntax: vom ganzen Satz zu dessen Bestandteilen - in der Satzsemantik: vom ganzen Satzinhalt zu dessen Bestandteilen und erst von da aus zu deren syntaktischen (und sonstigen) Ausdrucksformen." 1.3 Wortbildung Dieser Bereich der Linguistik beschäftigt sich aber mit der „Bildung und Strukturierung der komplexen Wörter" (Römer/Matzke 2005: 5). Die Wortbildungsverfahren im Deutschen sind die folgenden4: 1. Komposition oder Zusammensetzung - die Bildung eines Wortes, das aus mindestens 2 Wörtern besteht. Es lassen sich zwei Typen von Komposita unterscheiden: Determinativkomposita (Haustür), wobei es um Subordination geht und Kopulativkomposita (schwarzweiß), wo die beiden Elemente gleichrangig sind. 2. Explizite Derivation oder Ableitung, die durch Hinzufügung von Morphemsubstanz gekennzeichnet ist, so dass das Endprodukt ein umfangreicheres Formativ als die Derivationsbasis hat. Man unterscheidet unter Suffixderivaten (freundlich), Präfixderivaten (unfreundlich) und der kombinatorischen Derivation (befreundet). 3. Wortkreuzung oder Amalgamierung, die eigentlich eine Art Komposition ist und von der echten Zusammensetzung abweicht, indem die beiden Komponenten einander überlagern (Osram = Osmium + Wolfram). 4. Reduplikation oder Verdoppelung teilt man in zwei Untergruppen: Reindoppelung (Schickimicki) und Ablautdoppelungen bzw. Wechsel des Vokals (Bimbam). 5. Konversion - eine Art Ableitung, die aber ohne Affixe erfolgt. Hier geht es eigentlich um Transformation aus einer Wortart in die andere (verwandt - Verwandte). 6. Implizite Derivation - in diesem Fall kommt es zum Wechsel des Stammvokals; das sind meistens Substantive, die aus unregelmäßigen Verben entstanden sind (werfen - der Wurf). 7. Rückbildung - aus längeren Formen entstehen kürzere (Notlandung - notlanden). 8. Kurzwortbildung unterscheidet sich von den anderen Wortbildungsverfahren, weil in diesem Fall kein neues Wort entsteht, sondern es sich um Wortvarianten handelt. Die Untergruppen der Kurzwortbildung sind: Kopfwörter, wo der erste Teil übrig geblieben ist (Uni), Schwanzwörter, wo der zweite Teil übrig geblieben ist (Bus), Initialwörter mit Buchstabenaussprache (EU), Initialwörter mit Silbenaus- 4 Vorlesungen zum Lehrfach Wortbildung von Čuden (2005/06). 28 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE spräche (UNESCO), eine Art Zusammensetzung von Silbenteilen (Kripo - Kriminalpolizei) und Konstruktion Initiale + Vollwort (U-Bahn). Für diese Arbeit ist vor allem Komposition bzw. Zusammensetzung von Bedeutung, da alle Beispiele aus dem praktischen Teil der Formel BätiffiJmußgsfgrm (von der die Determination ausgeht) + Grundform (die zu determinieren ist), so Weinrich (1993: 22), entsprechen: Bermudadreieck, CßnOß4&nn& Danaergeschenk, Bengaltiger, Islandmoos, Islandpony, Welschriesling, Russischbrot, Polarbär, Tatarensoße. 2 Wortbildungskonstruktionen als synthetische Strukturen und freie syntaktische Fügungen Da diese im Folgenden näher beschriebenen linguistischen Begriffe den Kern dieser Forschung repräsentieren, werden sie hier genauer vorgestellt. 2.1 Wortbildungskonstruktionen als synthetische Strukturen Nach Fleischer/Barz (1995: 21) ermöglicht Wortbildung „einerseits die Produktion von Zeichenkombinationen in Wortstruktur; hierin liegt eine gewisse Parallelität zur Konstruktion von syntaktischen Wortverbindungen (Wortgruppen) und Sätzen", andererseits aber, wird „ein großer Teil solcher ,komplexen Wörter' zur festen Wortschatzeinheit, wird im Wortschatz gespeichert' (was für syntaktische Fügungen nicht in gleicher Weise gilt)". Fleischer/Barz (Ibid.) sagen weiter dazu, dass die Wortbildungskonstruktion „nach ihrer morphosyntaktischen Struktur grundsätzlich als Wort bestimmt werden muss, unabhängig vom Grad ihrer Komplexität" [...] „und auch unabhängig davon, ob sie zum Wortschatz gehört oder erst ad hoc im Text gebildet wird wie z.B. Finalteilnehmer, Waldbadmitarbeiter". Wortbildungskonstruktionen sind demnach synthetische Strukturen. Synthetisch' heißt zusammensetzend' und ist das (logische) Gegenteil von ,analy-tisch' oder ,zergliedernd, zerlegend'. Synthetische Sprachen, zum Beispiel, sind „Sprachen, die die Beziehung der Wörter im Satz durch Endungen u. nicht durch freie Morpheme ausdrücken (z. B. lat. amavi gegenüber dt. ich habe geliebt)".5 Synthetische Strukturen bzw. in diesem Fall Kompositionen oder Zusammensetzungen sind also feste Strukturen, die mit nur einem (zusammengesetzten) Wort etwas erläutern, oder nach Eichinger (2000: 15): „Bei der Komposition werden zwei Einheiten mit lexematischer Bedeutung zu einem neuen Text- oder Lexikonwort zusammengefügt. Die dazu benutzten Elemente sind häufig selbst, gegebenenfalls um entsprechende Flexive ergänzt, als selbstständige Wörter verwendbar". Die Relation synthetisch-analytisch wird von Fleischer/Helbig/Lerchner (2001: 526) folgenderweise erklärt: „Synthetisch werden morphologische Strukturen genannt, in denen die jeweiligen funktionsbezeichnenden Elemente (Formative) dem Grundmorphem (in der his- 10 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. L. Piškur: WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE ... 29 torischen Grammatik spricht man vom ,Stamm') angefügt werden; analytisch gebildet ist demgegenüber ein grammatischer Ausdruck, der zur Bezeichnung einer Funktion zwei oder mehr selbstständige Formative (Lexeme) gebraucht..." Ein Beispiel dafür wäre die Zusammensetzung Bengaltiger, „die nach dem Sibirischen Tiger die größte Unterart des Tigers. Er ist die auf dem Indischen Subkontinent verbreitete Tiger-Unterart und wird auch Königstiger oder Indischer Tiger genannt".6 Man sieht also, dass das Wort Bengaltiger eigentlich ein Kompositum aus zwei Wörtern ist, bengalisch bzw. Bengalen und Tiger und somit eine synthetische Struktur repräsentiert - Bengaltiger. Den Ausdruck kann man aber auch mit anderen Worten erklären, was im obigen Satz auch gemacht wird, „... nach dem Sibirischen Tiger die größte Unterart des Tigers...", was aber schon der Gegenstand des nächsten Kapitels ist. Wortbildungsprodukte repräsentieren demnach eine eher verstümmelte Art und Weise, auf die etwas benannt werden kann; man kann sagen, das die Beschreibung bzw. Benennung in diesem Fall sehr komprimiert ist - und damit auf einen ähnlichen und mit diesem Thema eng verbundenen linguistischen Begriff stößt - Komprimierung. Komprimierung bzw. „etwas komprimieren" bedeutet nach Langenscheidt „etwas in wenigen Worten auf das Wichtigste zusammenfassen (Ideen, Gedanken, einen Text)"7 und wird in manchen Fällen auch Kompression oder „syntaktische Verdichtung"8 genannt. In der Grammatik von Duden (2009, 647) werden Wortbildungen als komprimierende Ausdrücke folgenderweise erklärt, „Wortbildungen, und zwar v.a. Komposita und Derivate, stellen typische komprimierende (verdichtende, kondensierende) Ausdruckseinheiten auf lexikalischer Ebene dar." Von Polenz (1988, 24) verwendet das Wort kompakt und sagt, dass Kompaktformen Sparformen sind, „Der Vorteil der Raumersparnis ist bei kompakter Struktur mit dem Nachteil verbunden, dass die Teile so komprimiert angeordnet sind, dass sie unüberschaubar und schwer zugänglich sind". Komprimierung gibt es in verschiedenen Graden, Sätze können zu längeren oder kürzeren Phrasen oder sogar zu einzigen Worten komprimiert werden, wobei die Wortbildungskonstruktionen, die in diesem Beitrag thematisiert werden, den Extrempunkt der Komprimierung darstellen. Man könnte also sagen, dass sie die meist reduzierten Gegenstände dieses Begriffs sind. In der Regel ist es so, dass wenn es nur einen kurzen Ausdruck bzw. eine kurze Benennung für etwas gibt, gibt es damit auch mehrere Möglichkeiten, sie zu interpretieren. Wenn man, zum Beispiel, sagt, „das ist ein zu lesendes Buch", hat man zwei Möglichkeiten9, Wenn die Phrase in einer Lehrer-Schüler-Situation verwendet wird, bedeutet das aller Wahrscheinlichkeit nach, dass es obligatorisch ist, das Buch zu lesen; das Buch, in diesem Fall, muss gelesen werden. Wenn aber 6 http,//de. wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigstiger. 7 Langenscheidt (2003), Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 8 http,//www.sal.ch/Semikolon+2005/_215.html. 9 Vorlesungen zum Lehrfach Pragmalinguistik und Stilistik von Bracic (2006/07). 30 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE diese zwei Worte von, sagen wir, einem Freund gesagt werden, bedeutet das, dass es empfehlenswert ist, das Buch zu lesen; das Buch kann gelesen werden. Nach de Beaugrande/Dressler (1981: 64) benötigt die Alltagssprache aber nur selten diesen Grad von Genauigkeit: „Viel öfter werden kohäsive Mittel gebraucht, die den Oberflächentext verkürzen oder vereinfachen, obwohl dabei ein bestimmter Verlust an Determiniertheit zu verzeichnen ist". Dabei erwähnen de Beaugrande/Dressler den Gebrauch von Pro-Formen (Ibid.): „ökonomische, kürze Wörter ohne besonderen Inhalt, die für determinierte, inhaltsaktivierende Ausdrücke an der Oberfläche des Textes einstehen können" und bezeichnen die Pronomina als die bekanntesten Vertreter dieser Gruppe. Beispiel: „Ted sah gestern Harry. Er erzählte ihm vom Treffen", wobei er für Ted steht und ihm für Harry. Weiter sprechen de Beaugrande/Dressler (1981: 69-70) von der sogenannten Gewinn-VerlustRelation: „An einem gewissen Punkt entsteht allerdings eine GEWINN-VERLUST-RELATON (engl. ,trade-off) zwischen Gedrängtheit und Klarheit. Eine Pro-Form verkleinert die Verarbeitungsmühe, da sie kürzer ist als der Ausdruck, den sie ersetzt. Wenn jedoch dieser ersetzte Ausdruck schwer zu finden oder zu rekonstruieren ist, geht dieser Gewinn wieder durch Such- und Abbildungsoperationen verloren". Komprimierung bietet demnach mehrere Interpretationsmöglichkeiten (kann aber gleichzeitig auch doppeldeutig sein, an Präzision verlieren oder sogar das Verständnis erschweren), während die längeren, beschreibenden Konstruktionen gerade das Gegenteil darstellen. Fleischer/Barz (1995: 1) sprechen hierbei vom „Doppelcharakter" der Wortbildung: „Schaffung von Benennungseinheiten und Bildung syntaktischer Parallelkonstruktionen". Die Beschreibung „ein vorwiegend im Himalaja heimisches Raubtier mit schwarzweißem Pelz und einem dicken, kurzen, katzenartigen Kopf, das sich mit Bambus ernährt",10 zum Beispiel, ist nur diejenige vom Panda. Die Definition bzw. die Eigenschaften dieses Tieres sind so spezifisch, dass sie kein anderes als dieses Tier betreffen. Wenn die Beschreibung zum Beispiel nur folgenderweise lautete: „ein schwarz-weißes Tier", könnte es sowohl um ein Zebra oder einen Iltis gehen. Die nicht-komprimierten, langen Erklärungen bieten also eindeutige und präzise Beschreibungen im Gegensatz zu den komprimierten Strukturen, wo das nicht der Fall ist. Von Polenz (1988: 25) behauptet dazu, dass die komplexen Inhalte in der heutigen Sprachkultur verkürzt und ungenau ausgedrückt werden „um Zeit und Raum zu sparen oder um die Hörer/Leser nicht zu langweilen oder sie zu provozieren oder um etwas zu verschleiern" und dass es solchen sprachökonomischen bzw. sprachmanipulativen Ausdruck in mindestens drei Arten gibt: - elliptisch/auslassend/lückenhaft (Uni für Universität, Dr. für Doktor) - komprimiert/kompakt/kondensiert/verdichtet (Satzsemantik - die Lehre bzw. das System, in der/dem man beschreibt und erklärt, wie sich der Inhalt von Sätzen bzw. seine Teile zum Satzausdruck bzw. seinen Teilen verhalten) 10 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. L. Piškur: WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE ... 31 - implikativ/einbegreifend/mitenthaltend/mitmeinend (Bist du damit mit dem Gesagten einverstanden? oder Einverstanden?), wobei für diesen Beitrag vor allem diejenigen aus dem zweiten Absatz von Bedeutung sind. Nach Hans Eggers (1983: 137, zit. nach von Polenz 1988: 44) behauptet man, dass „unsere heutige Sprache durch rasche Wortbildung und die Bildung umfangreicher nominaler Blöcke vieler Kleinwörter erspare; das liege im Sinne der Sprachökonomie. Man sollte aber andererseits die Mängel nicht verkennen, die in solcher Kürze liegen. Die Mitteilung wird dadurch auf das sachlich Notwendigste eingeschränkt. Oft werden dabei syntaktische Bezüge im unklaren gelassen; man muss sie ,zwi-schen den Zeilen lesen'". Eggers (1983: 138, zit. nach von Polenz 1988: 44) sagt weiter, dass man die Konzentration von möglichst vielem Inhalt auf möglichst wenige Wörter als „Verdichtung" bezeichnet „und dass dies ein auffallendes Merkmal des heutigen Zeitstils ist". 2.2 Freie syntaktische Fügungen Im vorigen Kapitel wurde also festgestellt, dass der Ausdruck Bengaltiger auch mit anderen Wörtern erklärt werden kann. Diese sind aber keine Zusammensetzungen bzw. keine synthetischen Strukturen, sondern einfache, logische Beschreibungen, oder nach von Polenz (1988: 24) „explizite Sprache, explizit Ausgedrücktes", was gerade das Gegenteil repräsentiert: sie sind freie syntaktische Fügungen bzw. analytische Strukturen, die in diesem Fall auch Paraphrasen oder Umformulierungen (von Polenz, 1988: 33) genannt werden können. Paraphrase ist nach de Baugrande und Dressler (1981: 62) „die Rekurrenz von Inhalt mit einer Änderung des Ausdrucks" bzw. es geht bei der Paraphrase darum, dass das Gleiche wiederholt wird, aber mit einem neuen Ausdruck. Die Paraphrase kann so einfach wie zum Beispiel die Erklärung aus einem Wörterbuch sein: „Katze: ein (Haus)tier mit scharfen Zähnen und Krallen, das Mäuse fängt".11 Man kennt verschiedene Arten von Paraphrasen12: 1. Paraphrase auf der Wortebene/lexikalische Paraphrase Sie erscheint am häufigsten als die Bedeutungserklärung von Wörtern in Wörterbüchern (s. das obige Beispiel mit „Katze"). 2. Paraphrase auf der Satzebene Diese Art der Paraphrase teilt sich auf drei Unterarten: - die strukturelle (syntaktische) Paraphrase (Sie erhalten dieses Papier kostenlos. vs. Kostenlos erhalten sie dieses Wertpapier.) - die deiktische Paraphrase (Hier wohnen meine Eltern. vs. In dieser Stadt wohnen meine Eltern.) - die pragmatische Paraphrase (Schließe doch bitte die Tür. vs. Es zieht.) 11 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 12 Vgl. Skerlavaj, Tanja: Die Paraphrase in der deutschen Gegenwartssprache - theoretische und angewandte Aspekte unter besonderer Berücksichtigung des Fremdsprachenunterrichts. Unveröffentlichte Abschlussarbeit. 32 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE 3. Paraphrase auf der Textebene Ein Text kann paraphrasiert werden, indem er zum Beispiel: - übersetzt wird - vereinfacht wird - in einem anderen Stil geschrieben wird - reduziert wird. Was die Funktionen der Paraphrase angeht, kann sie in vielen verschiedenen Situationen bzw. Fällen gebraucht werden: man kann sie in der Alltagskommunikation verwenden um die Mehrdeutigkeit der Aussagen zu vermeiden; sie wird weiter auch in der Literatur, in fachsprachlichen Texten, in der Didaktik usw. gebraucht. Die Paraphrase in diesem Beitrag dient also als ein Hilfsmittel, um einen bestimmten Ausdruck mit mehreren (zusätzlichen) Worten erklären zu können. Diese Erklärungen sind in allen Fällen länger und meistens auch deutlicher. Beispiel: Canossagang: eine schwer fallende, aber von der Situation geforderte Selbsterniedrigung. Ein weiteres Beispiel dafür wäre der Ausdruck Islandmoos: „Die Straße steigt auf mehr als 800 Meter an. Die Eiszeiten, Wind und Regenerosion haben den 600 Millionen Jahre alten Bergen ihre freundlich runden Formen verpasst. Baumlos, nur mit Islandmoos und Flechten überzogen, grüßen Sie den wolkenverhangenen Himmel".13 Die Worterklärung für Islandmoos ist also: „bes. an feuchten, schattigen Stellen den Boden, Baumstämme o. ä. überziehendes Polster aus kleinen, immergrünen Pflanzen"14 und ist das Beispiel einer semantischen Umschreibung oder (im Gegensatz zur synthetischen) einer analytischen Struktur. EMPIRISCHER TEIL 1 Analyse aufgrund von zehn Beispielen Die bekannteste und für diese Forschung wichtigste Wortbildungsart ist die Komposition oder Zusammensetzung. Die findet man bei fast allen Wortarten: Adjektiv (blutjung, dunkelrot), Verb (totschießen, notlanden), Adverb (hierher, mitunter) und Substantiv (Bengaltiger, Islandmoos), von denen für diesen Beitrag vor allem die Letzteren (die substantivischen Zusammensetzungen) von Bedeutung sind. In deutscher Sprache gibt es eine Menge synthetischer Strukturen, die ein geographisches Element enthalten. Die Analyse wird aufgrund von folgenden zehn (zufällig ausgewählten) Beispielen gemacht und besteht jeweils aus vier Schritten: an der ersten Stelle befindet sich die entsprechende freie syntaktische 13 http://www.sketchengine.co.uk/. 14 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. L. Piškur: WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE ... 33 Fügung, an der zweiten die slowenische Übersetzung des Kompositums und an den letzten zwei Stellen - um die Bedeutung des Kompositums klar und eindeutig zu machen - noch die semantischen Umschreibungen in beiden Sprachen. Die potentiellen nicht-äquivalenten bzw. falschen Beschreibungen der Zusammensetzungen werden mit * gekennzeichnet. 1. Bermudadreieck • syntaktische Fügung: Dreieck in Bermuda* • slowenische Übersetzung: bermudski trikotnik • semantische Umschreibung im Deutschen: "das Seegebiet südwestlich der Bermudainseln, in dem sich auf oft nur unbefriedigend geklärte Weise Schiffsund Flugzeugunglücke häufen"15 • semantische Umschreibung im Slowenischen: skrivnostno področje Atlantskega oceana med Bermudi, Portorikom in Florido 2. Canossagang • syntaktische Fügung: Gang nach Canossa* • slowenische Übersetzung: pot v Canosso • semantische Umschreibung im Deutschen: "eine schwer fallende, aber von der Situation geforderte Selbsterniedrigung"16 • semantische Umschreibung im Slowenischen: „priznati podrejenost, ponižati 3. Danaergeschenk syntaktische Fügung: Geschenk von Danaern* slowenische Übersetzung: danajski dar semantische Umschreibung im Deutschen: „etw. was sich für den, der es als Geschenk o. Ä. bekommt, als unheilvoll, Schaden stiftend erweist; Unheil bringende Gabe"18 semantische Umschreibung im Slowenischen: „nekaj kar ni dano iz prijaznosti, ampak z zahrbtnim namenom"19 4. Bengaltiger syntaktische Fügung: Tiger aus Bengalen slowenische Übersetzung: bengalski tiger semantische Umschreibung im Deutschen: „nach dem Sibirischen Tiger die größte Unterart des Tigers. Er ist die auf dem Indischen Subkontinent verbreitete Tiger-Unterart und wird auch Königstiger oder Indischer Tiger genannt"20 semantische Umschreibung im Slowenischen: podvrsta tigra, ki živi v Indiji 15 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 16 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 17 SSKJ (1970, 1975, 1979, 1985, 1991): Slovar slovenskega knjižnega jezika I-V. Ljubljana: Državna založba Slovenije. 18 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 19 SSKJ. 1970, 1975, 1979, 1985, 1991. Slovar slovenskega knjižnega jezika I-V. Ljubljana: Državna založba Slovenije. 20 http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigstiger. se"17 34 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE 5. Islandmoos • syntaktische Fügung: Moos aus Island* • slowenische Übersetzung: islandski lišaj • semantische Umschreibung im Deutschen: eine heilkräftige olivgrüne Flechte • semantische Umschreibung im Slowenischen: „zdravilni grmičast lišaj olivno zelene barve"21 6. Islandpony • syntaktische Fügung: Pony aus Island* • slowenische Übersetzung: islandski poni • semantische Umschreibung im Deutschen: kleines, normalerweise braunes Pferd • semantische Umschreibung im Slowenischen: majhen, ponavadi rjav konj 7. Welschriesling • syntaktische Fügung: Riesling aus Welsch* • slowenische Übersetzung: laški rizling • semantische Umschreibung im Deutschen: „aus den Trauben des Rieslings hergestellter feiner, fruchtiger Weißwein mit zartem Bukett, leichter Säure und mäßigem Alkoholgehalt"22 • semantische Umschreibung im Slowenischen: ,'kakovostno belo kiselkasto vino"23 8. Russischbrot • syntaktische Fügung: Brot aus Russland* • slowenische Übersetzung: ruski kruh • semantische Umschreibung im Deutschen: ein „haltbares, härteres, hellbraunes, glänzendes Feingebäck in Form von Buchstaben"24 • semantische Umschreibung im Slowenischen: trdo rjavo pecivo v obliki črk, ponavadi pakirano v vrečki 9. Polarbär • syntaktische Fügung: Bär aus dem Nordpol • slowenische Übersetzung: polarni medved • semantische Umschreibung im Deutschen: „arktischer Bär mit kräftigem Körperbau und weißem bis gelblich weißem Fell"25 • semantische Umschreibung im Slowenischen: velik bel medved, ki živi na severnem polu 21 SSKJ. 1970, 1975, 1979, 1985, 1991. Slovar slovenskega knjižnega jezika I-V. Ljubljana: Državna založba Slovenije. 22 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 23 SSKJ. 1970, 1975, 1979, 1985, 1991. Slovar slovenskega knjižnega jezika I-V. Ljubljana: Državna založba Slovenije. 24 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 25 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. L. Piškur: WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE ... 35 10. Tatarensoße • syntaktische Fügung: Soße aus der Tatarei* • slowenische Übersetzung: tatarska omaka • semantische Umschreibung im Deutschen: „eine kalte Soße aus mit Öl verrührtem Eigelb, Gurkenstückchen und Gewürzen"26 • semantische Umschreibung im Slowenischen: „majonezna omaka s kislimi kumaricami, kaprami, peteršiljem in čebulo"27 Nach dieser vierteiligen Klassifikation ist Folgendes festgestellt worden: Alle zehn deutschen Beispiele haben existierende Entsprechungen bzw. Übersetzungen im Slowenischen und die beiden Varianten (slowenische und deutsche) sind gleicher Bedeutung. Man kann also sagen, dass die semantischen Umschreibungen in beiden Sprachen übereinstimmen. Jedoch kann dasselbe für die Relation syntaktische Fügung-semantische Umschreibung nicht gesagt werden, da es eigentlich nur zwei Beispiele gibt (Bengaltiger - Tiger aus Bengalen und Polarbär - Bär aus dem Nordpol), die mit ihrer semantischen Umschreibung übereinstimmen. Die restlichen acht (mit * gekennzeichnet) sind nicht-äquivalente bzw. sogar falsche Beschreibungen des Kompositums, weil sie mit ihrer semantischen Umschreibung nicht übereinstimmen (Canossagang ist kein tatsächlicher Gang nach Canossa, sondern „eine schwer fallende, aber von der Situation geforderte Selbsterniedrigung"28, Russischbrot ist kein Brot aus Russland, sondern „ein haltbares, härteres, hellbraunes, glänzendes Feingebäck in Form von Buchstaben"29 usw. Obwohl die Benennungen wie Danaergeschenk oder Tatarensoße ihre Wurzeln höchstwahrscheinlich in Griechenland und in der Tatarei haben, sind aber diese Verbindungen bis heute verloren gegangen, deswegen steht Danaergeschenk heute für „eine Unheil bringende Gabe"30 und Tatarensoße für „eine kalte Soße aus mit Öl verrührtem Eigelb, Gurkenstückchen und Gewürzen".31 In der neuesten Auflage der Grammatik von Duden spricht man über Motivierung und Demotivierung: „Diese scheinbar einfache Festlegung kann man allerdings nicht so leicht umsetzen, denn zwischen den Polen motiviert und demotiviert gilt es eine breite Übergangszone mit vielen Abstufungen zu beachten." Wortbildungsprodukte können demnach verschieden motiviert werden -man spricht über verschiedene Arten der Motivation32: phonetisch-phonologische (Kuckuck), figurative (Ich lese gern Prešeren) und morphosemantische Motivation (Mädchenschule - die Schule für Mädchen). Eine Menge von Wortbildungsprodukten ist aber demotiviert, z.B.: Sumpfvogel - ein Vogel, der im Sumpf lebt - motiviert, aber: 26 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 27 SSKJ. 1970, 1975, 1979, 1985, 1991. Slovar slovenskega knjižnega jezika I-V. Ljubljana: Državna založba Slovenije. 28 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 29 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 30 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 31 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 32 Vorlesungen zum Lehrfach Wortbildung von Čuden (2005/06). 36 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE Spaßvogel - kein Vogel, sondern eine Person, die andere Menschen „gern mit seinen Späßen erheitert",33 was aber demgemäß für den Großteil der Beispiele aus diesem Beitrag gilt: Bermudadreieck, Canossagang Danaergeschenk, Islandmoos, Islandpony, Welschriesling, Russischbrot, Tatarensoße. Ein ganz besonderes Beispiel dabei ist das Kompositum Welschriesling, das mit einer syntaktischen Fügung überhaupt nicht paraphrasiert werden kann - obwohl welsch selbst ein Adjektiv ist, kann aber daraus kein Substantiv gemacht werden - die Paraphrasierung Riesling aus Welsch* ist demnach völlig inkorrekt. Die komprimierten Strukturen schränken in den meisten Fällen die Information ein und bieten damit mehrere Interpretationsmöglichkeiten an. An der anderen Seite sind die nicht-komprimierten Beschreibungen viel präziser und viel deutlicher, was auch für diese Beispiele gilt: Polarbär ist „ein arktischer Bär mit kräftigem Körperbau und weißem bis gelblich weißem Fell"34, Bengaltiger ist „nach dem Sibirischen Tiger die größte Unterart des Tigers. Er ist die auf dem Indischen Subkontinent verbreitete Tiger-Unterart und wird auch Königstiger oder Indischer Tiger genannt".35 In der neuesten Auflage der Grammatik von Duden (2009: 648) schreibt Irmhild Barz über Wortbildungen als komprimierende Ausdrücke: „Sichtbar machen kann man die Komprimierung, indem man den Wortbildungen bedeutungsähnliche syntaktische Paraphrasen gegenüberstellt. Das Kompositum Ameisenprojekt lässt sich umschreiben mit ,Projekt zur Erforschung (des Verhaltens) von Ameisen'". Duden erklärt weiter: „Gegenüber ihrer Paraphrase stellt eine solche Wortbildung folglich eine sprachökonomische Ausdrucksvariante dar. Allerdings bedeutet Sprachökonomie nicht zwingend auch Informationsökonomie. Besonders die okkasionellen Wortbildungen bleiben oft ungenau und eröffnen relativ weite Interpretationsspielräume, sodass für ihre Erklärung umfangreiche Paraphrasen erforderlich sind." 2 Praktische Anwendung an einem Beispieltext Als Beispieltext wurde ein Artikel aus der deutschen Ausgabe eines weltweit be- kannten geographischen Magazins, National Geographic,36 ausgewählt. Da die zehn früher bearbeiteten Beispiele eine eher spezifische Gruppe der Komposita dar- stellen (mit einem geographischen Namen als erste UK, wobei nicht alle syntak- tischen Fügungen mit der semantischen Umschreibung bzw. mit dem Kompo- situm übereinstimmen), werden hier alle substantivischen Zusammensetzungen behandelt (abgesehen davon, ob sie ein geographisches Element enthalten oder nicht). Sie werden der Reihe nach herausgeschrieben und auf zwei Ebenen analy- Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigstiger. National Geographic Deutschland: Abenteuer im Hippo-Land. 33 34 35 36 L. Piškur: WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE ... 37 siert: an der ersten Stelle befindet sich die syntaktische Fügung und an der zweiten die semantische Umschreibung. Das Ziel dieser Analyse ist festzustellen, ob die erwähnten Entsprechungen übereinstimmen oder ob es irgendwelche Abweichungen zwischen den beiden gibt (so wie es bei den zehn früher bearbeiteten Beispielen zu sehen war). Im Fall von Abweichungen wird die syntaktische Fügung mit * gekennzeichnet. Abenteuer im Hippo-Land Als ich zum ersten Mal am Strand von Gabun stand, zog ich mich aus und überlegte, ob ich nach Hause schreiben sollte: „Mach dir keine Sorgen, Mama, es geht mir gut. Versuch nicht, mich zu holen. Du wirst mich nie wiedersehen." Nun, zehn Jahre später, am Weihnachtsmorgen, bin ich wieder am selben Strand, in einer Region, die heute Nationalpark Loango heißt. In der Brandung spielen Nilpferde, Kaffernbüffel nehmen ein Sonnenbad. Ich schaue auf den weiten Atlantik hinaus und denke: „Fay, du Halunke, wieso bist ausgerechnet du derjenige, der sich hier im Paradies herumtreiben darf?" Ein Jahr ist es jetzt her, dass ich die Leitung der Operation Loango übernommen habe. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt der Society for Conservation and Development - eines Veranstalters für Ökotourismus - und meines Arbeitgebers, der Wildlife Conservation Society (WCS). Wir wollen eine wirtschaftlich tragfähige Grundlage für den Nationalpark Loango schaffen und den Behörden bei der Verwaltung des Parks zur Seite stehen. Zu unseren wissenschaftlichen Projekten gehört es, Elefanten mit Satellitentechnik zu verfolgen. Als Naturschützer wollen wir Wilderei und illegale Fischerei unterbinden, Schildkröten überwachen, die Strände reinigen und - vereinfacht gesagt - den Park verwalten. Als ich mit Jane und Malia das Kanu zu Wasser lasse, steht ein Goliathreiher knietief in der Bucht. Wir fahren gerade vorüber, da öffnet er seine gewaltigen Schwingen und hebt ab wie ein Jumbojet, langsam und unaufhaltsam. Wir paddeln an der Landzunge entlang, die den Atlantik von der Lagune trennt, und tauchen dahinter in den dunklen Mangrovenwald ein, der den Fluss säumt. Das Wasser ist mal türkisblau, mal schwarz. Bei Flut drückt der Ozean in die Lagune, das schwarze Wasser aus den Sümpfen des Binnenlands flussaufwärts drängend. Wir paddeln mühsam flussaufwärts. Die Ufer rücken zusammen, Wurzeln und Buschwerk behindern das Vorankommen. Ich lasse den Blick über eine schlammige Sandbank gleiten. Plötzlich erhebt sie sich. Mein Puls steigt: Keine acht Meter vor dem Boot steht ein gewaltiger Nilpferdbulle. Er lässt sich ins Wasser fallen und kommt geradewegs auf uns zu. Wir haben ihn erschreckt, er fühlt sich angegriffen. Hektisch paddeln wir zu den Mangroven am gegenüberliegenden Ufer, das plötzlich kilometerweit entfernt zu sein scheint. „Los, los, los!", schreit Jane. „Er kommt. Er ist genau hinter dem Boot." Mir geht die Titelmusik aus dem Film Der weiße Hai durch den Kopf, und vor meinem geistigen Auge sehe ich schon, wie dieser Riese unser kleines Kunststoffkajak in der Mitte durchbeißt. Wir erreichen ein Gewirr von Mang-rovenwurzeln. Sie sind glitschig wie Spaghetti, festhalten kann man sich daran eigentlich nicht. 38 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE Ich werfe das Paddel beiseite und schiebe Malia nach oben auf den Baum. Jane und ich klettern hinterher: Wir krabbeln und schlittern über die Spaghettizweige, bis etwa drei Meter Dschungel zwischen uns und dem Rand des Wassers liegen. Als wir uns umdrehen, sehen wir nur noch einen Wasserschwall hinter dem wild tanzenden Kajak: Das Nilpferd ist abgetaucht. Im Text kommen die folgenden substantivischen Komposita vor (kommt ein und dasselbe Kompositum zwei- oder dreimal vor, wird es nur das erste Mal analysiert): 1. Hippo-Land • Land des Hippopotamus • ein Land, wo die großen Hippopotamus leben 2. Weihnachtsmorgen • der Morgen am Weihnachtstag • der Morgen am Weihnachtstag 3. Nationalpark • Park der Nation • staatlicher Naturpark 4. Nilpferde • Pferde aus dem Nil • große, massige Flusspferde 5. Kaffernbüffel • Büffel von Kaffern* • „(in Afrika heimischer) großer, schwarzer oder brauner Büffel mit nach der Seite geschwungenen Hörnern"37; nur Kaffer: „Angehöriger eines Bantustammes in Südafrika"38 6. Sonnenbad • Bad in der Sonne* • „das Einwirkenlassen des Sonnenlichts auf den [teilweise] "unbedeckten Körper"39 7. Gemeinschaftsprojekt • Projekt einer Gemeinschaft • gemeinschaftliche Arbeit an einer gemeinsamen Aufgabe 8. Ökotourismus • Tourismus, der ökologisch ist • sanfter, umweltverträglicher Tourismus 9. Arbeitgeber(s) • Geber von Arbeit • „Firma o. Ä., Person, die Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis beschäftigt"40 10. Grundlage • Lage auf dem Grund* • „etwas (bereits Vorhandenes), von dem man ausgehen kann"41 Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 37 38 39 40 41 L. Piskur: WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE ... 39 11. Satellitentechnik • Technik mit Satelliten • eine Technik, die mithilfe von Satelliten funktioniert 12. Naturschützer • Schützer der Natur • jemand, der für den Naturschutz eintritt42 13. Schildkröten • Kröten mit einem Schild* • „(bes. in den Tropen und Subtropen lebendes) sich schwerfällig bewegendes Tier mit einem Rücken und Bauch bedeckenden Panzer, in den es Kopf und Beine einziehen kann"43 14. Goliathreiher • Reiher von Goliath* • ein großer Reiher; Goliath - riesiger Mensch 15. Jumbojet • Jet, der jumbo ist* • Großraumflugzeug 16. Landzunge • Zunge des Landes • „schmaler, weit in das Wasser reichender Streifen Land"44 17. Mangrovenwald • Wald aus Mangroven • „immergrüner Laubwald in Meeresbuchten u. Flussmündungen"45 18. Binnenland(s) • Land im Inneren* • innerer Teil des Landes 19. Sandbank • Bank aus Sand • „(bis dicht an, auch über die Wasseroberfläche reichende) Anhäufung von Sand oder Schlamm in Flüssen und Meeren"46 20. Nilpferdbulle • Bulle des Nilpferdes • ein Nilpferd männlichen Geschlechts 21. Titelmusik • Musik zum Titel* • Melodie, die zu Beginn eines Films erklingt 22. Kunststoffkajak • Kajak aus Kunststoff • Kajak aus synthetisch hergestelltem Werkstoff 23. Mangrovenwurzeln • die Wurzeln von Mangroven Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Langenscheidt (2003): Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. 42 43 44 45 46 40 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE • die Wurzeln von Mangroven 24. Spaghettizweige • Zweige aus Spaghetti* • lange, dünne spaghettiartige Zweige 25. Wasserschwall • ein Schwall von Wasser • ein Schwall von Wasser Von den insgesamt 25 Beispielen gibt es 9 solche, bei denen die syntaktische Fügung und semantische Umschreibung nicht übereinstimmen. Das sind: Kaffernbüffel - keine Büffel von Kaffern, sondern eine Tierart von Büffeln, Sonnenbad - kein tatsächliches Bad, sondern das Liegen in der Sonne^ Grundlage - keine wirkliche Lage, sondern etwas, auf dem sich etwas aufbauen lässt, Schildkröten - keine Kröten, sondern eine andere Tierart, Goliathreiher - als Goliath bezeichnet man einen riesigen Mensch Jumbojet - ist zwar die Bezeichnung für einen riesigen (im Englischen jumbo) Jet, kann aber auf diese Weise nicht verwendet werden - ein Jet, der jumbo ist*, Binnenland - Binnen als Substantiv ist nicht wortfähig, deswegen muss in diesem Fall ein anderes Substantiv verwendet werden - Innen, Titelmusik - kann nur eine Melodie am Beginn eines Films sein, Spaghettizweige - Zweige, die wie Spaghetti aussehen - die Form der Zweige ist der von Spaghetti gleich. Diese Analyse hat gezeigt, dass - trotz dieser 9 Ausnahmen - dieser Text mehr demotiverte als motivierte Komposita enthält. Im Vergleich zu den früher besprochenen 10 Beispielen, die ein geographisches Element enthalten, gibt es in diesem Fall eine geringere Zahl von Komposita, die demotiviert sind. Daraus lässt es sich vermuten, dass die Zusammensetzungen mit geographischem Element eine eher spezifische bzw. relativ beschränkte Gruppe darstellen, die auf alle Fälle gesondert und mit großer Beachtung behandelt werden muss. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS Internetquellen Königstiger - Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigstiger (Zugriff: 9.3.2009) SAL - Schule für angewandte Linguistik: http://www.sal.ch/Semikolon+2005/ 215. html (Zugriff: 3.4.2009) Sketch engine: http://www.sketchengine.co.uk/ (Zugriff: 7.3.2009) Zeitungsquellen NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND (2004) Abenteuer im Hippo-Land. Nr. 9, S. 57-61. Literatur BEAUGRANDE DE, Robert-Alain/Wolfgang Ulrich DRESSLER (1981) Einführung in die Textlinguistik. Tübingen: Max Niemeyer Verlag. L. Piškur: WORTBILDUNGSKONSTRUKTIONEN ALS SYNTHETISCHE STRUKTUREN UND FREIE ... 41 DEBENJAK, Doris (1997) Veliki slovensko-nemški slovar. Elektronska izdaja na disketah. Ljubljana: DZS. DUDEN (2009) Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. 8., überarbeitete Auflage, Band 4. Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag. EICHINGER, Ludwig M. (2000) Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen: Gunter Narr Verlag Tübingen. FLEISCHER, Wolfgang/Gerhard HELBIG/Gotthard LERCHNER (Hrsg.) (2001) Kleine Enzyklopädie Deutsche Sprache. Frankfurt am Main: Peter lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften. FLEISCHER, Wolfgang/Irmhild BARZ (1995) Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Unter Mitarbeit von M. Schröder. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage. Tübingen: Max Niemeyer Verlag. LANGENSCHEIDT (2003) Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Das einsprachige Wörterbuch für alle, die Deutsch lernen. Hrsg. von Götz, Dieter/Ha-ensch, Günther, Wellmann, Hans. Berlin [etc.]: Langenscheidt. 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ZUSAMMENFASSUNG Wortbildungskonstruktionen als synthetische Strukturen und freie syntaktische Fügungen als ihre Entsprechungen Der Gegenstand dieses Beitrages sind zwei linguistische Begriffe - Wortbildungskonstruktionen als synthetische Strukturen auf der einen Seite und freie syntaktische Fügungen als deren Entsprechungen auf der anderen Seite. Im theoretischen Teil werden die für diese Forschung wichtigsten Begriffe aus dem Bereich Linguistik erklärt. Anschließend werden sie genauer dargelegt, aufgegliedert und mit Beispielen ausgestattet. Im empirischen Teil befinden sich synthetische Strukturen und freie syntaktische Fügungen (im Slowenischen und im Deutschen), die ein geographisches Element enthalten. Die werden analysiert, miteinander verglichen und am Ende werden die Resultate dargestellt. Zum Schluss folgen noch die praktische Anwendung und Analyse an einem Beispieltext. Schlüsselwörter: Wortbildungskonstruktionen, synthetische Strukturen, freie syntaktische Fügungen, geographisches Element 42 VESTNIK ZA TUJE JEZIKE POVZETEK Besedotvorne konstrukcije kot sintetične strukture in proste sintaktične zveze kot njihove ustreznice Predmet raziskave tega prispevka sta dva jezikoslovna pojma - besedotvorne konstrukcije kot sintetične strukture na eni strani ter sintaktične zveze kot njihove ustrezni-ce na drugi. Teoretični del vsebuje najpomembnejše pojme s področja jezikoslovja, ki so ključni za celostno predstavitev prispevka. Vsak pojem je ustrezno razložen, razčlenjen in opremljen s primeri. Empirični del obravnava sintetične strukture in sintaktične zveze (v slovenskem in nemškem jeziku), ki vsebujejo geografski element. Primerom sledijo podrobnejša analiza, medsebojna primerjava in rezultati. Na koncu sledita še praktična uporaba in analiza izbranega besedila. Ključne besede: besedotvorne konstrukcije, sintetične strukture, proste sintetične zveze, geografski element ABSTRACT Word-formational constructions as synthetic structures and free syntactic phrases as their equivalents The subjects of this article are the constructions two linguistic notions - word-for-mational constructions as synthetic structures on the one hand and free syntactic phrases as their equivalents on the other. The introductory theoretical part includes the notions from the field of linguistics, important for this article. Each notion is properly explained and analysed and contains at least one example. Practical part discusses synthetic structures and syntactic phrases (in Slovenian and German languages) that contain geographical elements. The examples are followed by detailed analyses, mutual comparison and results. At the and there are examples of practical use and the analysis of a selected text. Keywords: word-formational constructions, synthetic structures, free syntactic phrases, geographical element