297 ■ Razprave Pregledni znanstveni članek (1.02) Bogoslovni vestnik 75 (2015) 2,297—311 UDK: 27-1-9"04/05" Besedilo prejeto: 12/2014; sprejeto: 2/2015 Wolfgang L. Gombocz Dionys vom Areopag1: eine trans-philosophische Gotteslehre Zusammenfassung. Zu Beginn des sechsten Jahrhunderts n.Chr. werden Existenz und Einfluss einer »transzendentalisierten«, dh. einer iterierten negativen Übertheologie in den Schriften des Dionys vom Areopag für Theologie- und Philosophiehistoriker bzw für Dogmengeschichtler greifbar. Sowohl der griechische Osten wie der lateinische Westen werden in ihren theologischen Bewegungen bzw Entwicklungen der negativen wie der symbolisch-mystischen Theologie durch Dionys richtungsweisend beeinflusst. Der Aufsatz analysiert indes nur den originellen Denker mit der hagionymen Selbstbezeichnung »vom Are-opag«, der eine überschaubare Textmenge hinterlassen hat. Dabei werden Übernahme und »christliche Adaptiona« theologischer Lehren des ihm zeitgenössischen Platonismus kritisch erhoben und unter Hinweis auf die zum Teil gewalttätigen« Eingriffe des Dionys bewertet und schließlich eingeordnet. Am überragenden Einfluss von Dionys kann kein Zweifel bestehen. Schlüsselwörter. Dionys vom Areopag, Dionysius Pseudo-Areopagita, negative Theologie, mystische Theologie, kataphatische Theologie, apophatische Theologie, göttliches Dunkel, überseiender (= transzendeter) Uranfang, Unio mystica, Epe-keina Floruit nach 476 A.D., aber vor 536. Wegen eindeutiger wörtlicher Textabhängigkeiten ist das Corpus Areopagiticum bezüglich seines Entstehens nach dem Athener Herzeige-Platoniker und Scholarchen Proklos/Proclus (412-485) zu datieren. Darüber hinaus kennt der hagionyme Verfasser Dionys das Credo in der Messe, womit seine Lebenszeit auf nach 476 anno Domini, dem Zeitpunkt der Einführung des Credos in die Messe durch Petrus Fullo, zu datieren ist. - So kann man annehmen, daß die Abfassungszeit im späten 5. oder frühen 6. Jahrhundert liegt. Als Terminus ante quem können die Jahre 510 oder 518/28 angesehen werden, in denen die Schriften des monophysitischen Patriarchen Severus von Antiochien verfaßt wurden, wo erstmals aus dem CD [= Corpus Dionysiacum, WG] zitiert wird. (Kobusch 1995, 85) Textkritische Ausgabe: Corpus Dionysiacum (1990/1991). - Übersetzungen: Luibheid (1987), Stiglmayr (1911), Mario Santiago de Carvalho (1996). - Hier und als deutsche Vorlage für meine immer verbessernden Übersetzungen findet Verwendung Endre von Ivankas Verdeutschung von »De mystica theo-logia« und von »De divinis nominibus« I-V, VII, XI, XIII (von Ivanka 1990). - Wichtige Sekundärliteratur zu den realienkundlichen Mitteilungen in CDI hinzu und neben dem erfrischenden Kommentar von Santiago de Carvalho sind Paul Rorem (1993), Inglis P. Sheldon-Williams (1967), Thomas von Aquin (Boiadjiev, Kapriev und Speer 1996), Bogoljub Sijakovic (1996) und Denys Turner (1995). — Seit Ilarion Kanakis (1881) haben wir im Prinzip nicht viel zu den »Lebensumständen« des (Plotin und vor allem Proclus »kennenden« hagionymen) Dionys dazugelernt, wenn auch Kanakis nirgendwo in den Literaturverzeichnissen oder Registern, auch bei Suchla [CDI, XVII-XXIV] und Ritter [CDII, 266-267] nicht, aufscheint. - Vgl. auch meinen Aufsatz Dionys vom Areopag als Theosoph (Gombocz 2000). 1 298 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 2 Povzetek. Dionizij Areopagit: transfilozofsko bogoslovje V začetku 6. stoletja po Kristusu zaznamo v spisih Dionizija Areopagita obstoj in vpliv »transcendentalizirane« oziroma iterativne (ponavljalne) negativne teologije. Tako grški Vzhod kakor latinski Zahod sta v razvoju svoje negativne oziroma simbolno-mistične teologije neposredno pod vplivom Dionizija. Članek analizira samo izvornega misleca Dionizija. Tako bomo kritično obravnavali njegovo posvajanje in »krščansko prilagoditev« njemu sodobne platonistične teološke misli in jo bomo z ozirom na njegove (včasih »nasilne«) posege pazljivo ovrednotili in uvrstili v krščansko bogoslovno izročilo. Brez dvoma je Dionizij Areopagit pomembno vplival na razvoj teologije. Ključne besede: Dionizij Psevdo-Areopagit, negativna teologija, mistična teologija, katafatična teologija, apofatična teologija, božja tema, transcendentno prapo-čelo, unio mystica, epekeina Abstract. Dionysius the (Pseudo-) Areopagite: A Transphilosophic God-Lore At the beginning of the sixth century A.D. we can detect the existence and influence of a "transcendentalized" or iterated negative theology in the writings of Dionysius the Areopagite. Dionysius has directly influenced the Greek East as well as the Latin West in their development of negative or symbolic-mystical theology. The article, however, analyses only the original thinker Dionysius. His adoption and "Christian adaptation" of the contemporary platonistic theology shall be critically assessed and, with reference to his (in parts "violent") interventions, evaluated with care and finally properly integrated into the tradition of Christian theology. There is no doubt about the significant influence of Dionysius the (Pseudo-)Areopagite. Key words: Dionysius the Pseudo-Areopagite, negative theology, mystical theology, cataphatic theology, apophatic theology, darkness of God, transcendent prime origin, Unio mystica, Epekeina 1. Vorbemerkung Wenn ein in München vom Verlag Beck publiziertes und von Münchner Professoren »ökumenisch« (katholisch und evangelisch) herausgegebenes zweibändiges Standardwerk Klassiker der Theologie fünfundvierzig Namen, beginnend mit Irenäus von Lyon (2. Jh. n.Chr.) und endend mit Dietrich Bonhoeffer (t 1945) und Romano Guardini (t 1968), aber nicht den des Dionysios Areopagites, anführt, dann - ja, was dann? Es herrschen einmal Überraschung und Ratlosigkeit bei der informierten lesenden Person, die - wie der Verfasser - eine ökumenisch-theologische wie eine säkularphilosophische Ausbildung (ein Jahr davon in Göttingen bei Carl Andresen, Carsten Colpe und Werner Strothmann bzw. bei Wolfgang Wieland, Olaf Welding, Erhard Scheibe und Rykle Borger) durchlaufen und auch abgeschlossen hat und den hagio-nymen Dionys erst dann draußen lassen würde/dürfte, wenn sie die Anzahl von Wolfgang L. Gombocz - Dionys vom Areopag 299 (abend- und morgenländischen) Klassikern auf unter (zweimal) zehn drücken müsste. Ein zweiter Blick der ungläubig-skeptischen Person im Leser fällt auf das »Münchner« Loch von etwa 600 Jahren zwischen Cyrill von Alexandrien (t 444) und Anselm von Canterbury (11. Jh.) und das lesende Auge des Geistes vermisst nun auch Boethius, Johannes Philoponus, Johannes Eriugena, Photius, Petrus Damianus, Michael Psellus und vielleicht auch andere, insbesondere dann, wenn eine Theologen-Ökumene »Altorientalen«, Syrer, Griechen, Armenier, »Byzantiner«, Bulgaren, Ukrainer, Russen, Serben usw einschließen wollte, was sie sollte. Ein dritter Blick entdeckt weitere kleinere Lücken, allerdings aber auch Gregorios Palamas und Sergej Bulgakov als zwei der fünfundvierzig christlichen Theologen-Klassiker in den zwei Bänden. Also fand schließlich ein vierter, jetzt mehr denkender Blick alles wieder in Ordnung! Oder doch nicht? Und wenn nicht, warum nicht? Die Aufnahme unseres Dionysius Pseudo-Areopagita2 in den 1995 ebenfalls bei Beck in München veröffentlichten Band »Klassiker der Religionsphilosophie«, der bereits mit Kierkegaard (1813-1855) endet, als eines von - nun auch nichtchristlichen - achtzehn Klassikern weist in die Richtung einer brauchbareren Historiographie, welche dem Verfasser des Dionysius-Beitrags, Theo Kobusch (1995), zu danken ist. Die Richtung stimmt. Wie die Großen Kappadokier im ausgehenden vierten Jahrhundert erweist sich auch Dionys nicht als Neuerer, sondern als Bewahrer und Übermittler bereits reicher Traditionsströme, welchen Umstand er jedoch mittels der hagionymen Rückdatierung seiner selbst um mehr als vierhundert Jahre mit großer Anstrengung zu verdecken trachtet. Dies kann aber auch deswegen nur schwer gelingen, weil die unbarmherzige Hereinnahme spätneuplatonischer Philosophie und religiös-theurgischer Praxis die christlichen Lehren von Gottheit, Seele und Menschheit zu sprengen droht. Dionys gibt sein Lehrgebäude als rein christlich, ja als apostolisch und biblisch aus. Und obgleich er nur die Bibel (beider Testamente) und einige obskure christliche Autoren wie einen Heiligen Justus (loüstos; CDI 218.8) und einen »Apostelschüler« Hierotheus (diesen als Vertreter heidnischphilosophischer Ideen; CDI 139.18; 143.8) anführt, sind Lehre und auch Stil zum Einen mit Sicherheit von den Großen Kappadokiern, insbesondere von Gregor von Nyssa (c335-394), beeinflusst3. Zum Anderen erwächst der Gesamtentwurf seiner - innerhalb der christlichen Tradition - signifikant neuartigen »hierarchisch-the-urgischen Weltanschauung« als eines Aufstieges aus den Tiefen des Diesseits in die Höhen und mystischen Überhöhen des Jenseits aus der bereitwilligen Adoption, das ist der monistisch-monotheistisch orientierten Rück- und Umerziehung und der durchaus eiligen Taufe, des heidnisch-platonischen Findlings. Bedauerlich ist, dass die auf Beate Regina Suchla zurückgehende Namensansetzung von CDI-II »PseudoDionysius Areopagita« lautet und nicht »Dionysius Pseudo-Areopagita«, da ja ausschließlich die Hagi-onymie als der Paulinische Areopagita ausgeschlossen werden muss bzw. kann, ohne dass es irgendeinen Anhaltspunkt gibt, es könne sich hier nicht doch um einen Dionysios genannten Weltweisen des 5. oder des beginnenden 6. Jahrhunderts handeln. Vgl. dazu Richard Heinzmann (1992, 206): »Die Originalität von Dionysius hält sich in Grenzen. Der Rahmen, in dem sich seine Gedanken entfalten, ist der Neuplatonismus. Neben Plotin sind es Philon und Origenes, denen er verpflichtet ist. Den stärksten Einfluß hat jedoch nachweislich Proklos auf ihn ausgeübt, an dem er sich auf weite Strecken unmittelbar orientierte.« 2 3 300 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 2 Einen Teil heidnisch-philosophischen und also ursprünglich außerchristlichen Gedankenguts entnahm Dionys bereits den christlichen Quellen4 (hauptsächlich des vierten Jahrhunderts), während die starke Abhängigkeit vom Denken und von der quasi-religiösen Praxis des Schulplatonismus des fünften Jahrhunderts eine große Nähe zur 529 »geschlossenen« Athener Akademie aufweist (Proclus ist Schulhaupt ab etwa 438 bis zu seinem Tode im Jahre 485), möglicherweise jedoch auch aus besagtem, sonst aber unbekanntem Hierotheus entspringt, dessen behauptete Lehrtätigkeit und Existenz nicht unbedingt von Dionys erfunden zu sein braucht und der also direkter Proclus-, wenn schon natürlich nicht Paulus-Schüler, gewesen sein könnte. Augenfällig ist die Übernahme der Theurgie durch Dionys in die dem schulphilosophischen Teilbereich der Praxis entsprechenden Lehren vom Leben des Menschen auf Erden unter dominantem eschatologisch-anagogischem Gesichtspunkt. Seit Jamblich (c240/245-c325/326; vgl. CDII 246) richtete sich die Theurgie zunächst und hauptsächlich auf den (Seelen reinigenden bzw. rettenden) Gebrauch verschiedener Sinnendinge, da es die auf Grund der innerkosmischen und das All zusammenhaltenden Sympatheia allem »Irdischen« innewohnenden Kräfte zu nützen galt. Dies führte bei Dionys zur Ausbildung einer christlichen Theurgie neben und zu den kirchlichen Sakramenten hinzu, welche das spätneuplatonisch-anagogische Gedan-kengut5 en gros einbezog und unter Anderem als das Wirksamwerden ritueller Handlungen und feierlicher Zeremonien zuerst »kirchlicher Hierarchien«, dann aber auch »der himmlischen«, angesehen wurde. Hierbei kam es im Basisbereich der vernunftgeleiteten Erörterung der Praxis des irdischen, im Jenseits fortzusetzenden Lebens naturgemäß zu einer Verschmelzung mit der Sakramenten- und Eschatalehre einerseits, zu einer Verstärkung epistemischer, also »gnostischer« Gesichtspunkte entlang des weiteren Aufstiegswegs andrerseits: Die durch den Menschen qua Seele aufgenommene Wanderung durch die »kirchliche Hierarchie« hindurch bzw. mittels dieser bringt dem Menschen selbst neben Ordnung, Reinigung und Aufstieg auch Gno-sis ein, welche innerhalb der unmittelbar anschließenden Fortsetzung der Rückwanderung durch die »himmlische Hierarchie« zu Epistemai, zu einem (sc. höherstufigen bzw. meta-epistemischen) Wissen im Plural, also zu Wissenschaften führt, welche gegebenenfalls in eine Agnösia6 bezüglich der transzendenten Gottheit, also in eine überunwissbare Epignösis1 münden. Philosophisch beklagenswert ist der Umstand, dass die christlich-nachdionysische Auffassung der Praxis als geschäftiger Theurgie schließlich eine philosophische Ethik und Tugendlehre zum Verlöschen brachte, was Vgl. dazu W.L. Gombocz (1997, 264-275 [Die Kappadokier] und 318-331 [Dionysius vom Areopag]. - Die Register in CDII (besonders 256-265) weisen neben Gregor von Nyssa Basilius, Clemens von Alexandrien, Gregor von Nazianz und Origenes als die wichtigeren »christlichen Autoren« aus. Vgl. Werner Beierwaltes (1994, 211-2): »Today it is undisputed that the philosophical structure of Dionysius's thought has its origin in Neoplatonism. This is evident from the ontological orientation of his hierarchical thought, from his stress on the immanent self-realization of the triadic principle, and from the drive towards abstraction which is decisive for his theologia mystica and which plays such a great role in Neoplatonic thought about the One, as well as in the form of life which is bound up with this thought.« = Unwissenheit, Unkenntnis, Unbekanntheit, Nichtwissen, Wissenslosigkeit. = Wiedererkennen, Wissen um / Einsicht in / eigene Unwissenheit und damit Neu-Wissen = Erkenntnis auf einer Metaebene. 4 5 6 4 Wolfgang L. Gombocz - Dionys vom Areopag 301 übrigens auch innerhalb des heidnisch bleibenden Athener Platonismus (bis zu seiner kaiserlich-amtswegigen Außerkraftsetzung im Jahre 529) zu beobachten war, und dass die pseudo-areopagitische Seelenlehre (in nachaugustinischer Zeit) verstärkt dualistische Züge erkennen lässt, wenn sie z.B. keine erste »Unio« der rückkehrwilligen Seele mit dem darüber liegenden Nus, sondern nur jene letzte einzige mit dem Ersten Einen kennt. Die neue Gotteslehre, welche zunächst die Reste der schulphilosophischen Theoria verschlungen hatte, sollte sich über die christliche Form von Seelenrettungslehre und allzu praktischer Theurgie auch noch die (philosophische Disziplin) Praxis einverleiben. Das Endergebnis war ein ziemlich unifiziertes theurgisches Amalgam, das Dionys und »seine Schule« Symbolische Theologie nennen sollten. Triadische und zugleich monadisch gedeutete Strukturen in sämtlichen Bereichen, auf allen Ebenen und bei jeder Einzelheit des dionysisch-theosophischen Universums sind die typisch platonisch-proclischen Elemente dieses »neuen« Denkens. Ihrer Herkunft nach gehen diese (die Systematik nun vertikal wie horizontal strukturierenden) Dreiergruppen mindestens bis auf Plotin (c204-270; vgl. CDII 249-250) und dessen Schüler Porphyr (c234-c305; vgl. CDII 250) zurück, haben als solche schon die Trinitätsspekulationen der Kappadokier stimuliert und über die Vermittlung von Ambrosius von Mailand (c339-397) zu Augustinus von Hippo Regius (354-430) schließlich lateinisches wie griechisches Denken in ähnlicher Weise beeinflusst, ohne es aber in der Um- und Neugestaltung zu vergewaltigen. Hier bei Dionys wie auch bei den Athener Schulplatonikern der letzten beiden Generationen wird das monadisch-triadische Strukturelement zum herrschenden Prinzip des gesamten Denkgebäudes; es findet sich im kleinsten Detail des »Mikrobereichs«, untergliedert und segmentiert auch den »Makrokosmos« und baut das Systemganze unter Einschluss der darüber erhabenen, überseienden Gottheit auf. Außerdem sind auch Methode und theoretische Rede selbst zu einem Großteil triadisch verfasst. Jede dionysische Themenstellung, sei es die überseiend-transzendente Gottheit, das ideale Reich der Formen, der Kosmos als Ganzes oder eine einzelne transmundane Idee, betrachtet ihren Gegenstand unter drei Aspekten, welche im Gegenstand zwar untrennbar gegeben sind, aber abgetrennt und unabhängig voneinander erörtert werden können. Jedes der genannten Subjekte zeigt sich (1.) einmal als das, was es an und für sich selbst ist, was es unveränderlich bleibt, und es zeigt sich zugleich als ein solches Wesen, welches selber nirgendworin durch Metoche teilnimmt und worin selbst nichts anderes teilhat. Weiters (2.) offenbart sich jedes dieser Subjekte als causa efficiens, als welche sie von der Art ist, dass die aus ihr hervorgehenden Dinge in bzw. an ihr teilhaben, weswegen die Causa selbst als »teilgehabt« rubriziert wird. Schließlich (3.) erweist sich jeder Gegenstand in seiner Funktion als causa finalis als Ziel und Auslöser der Rückhinwendung der aus ihm hervorgegangenen »Produkte« oder »Effekte«, welche durch Teilhabe an der »Finalursache« in Angriff genommen wird. Dieser Dreiteilung entspricht die Klassifikation der genannten (wie überhaupt aller) Wesenheiten als amethektos8, CDII 271 gibt 12 Stellen zu amethektos und eine zu amethexia an. 302 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 2 als methektos9 und als metechön10 (als »unteilgehabt«, »teilgehabt« und »teilhabend«). In der Redeweise der platonisch-plotinischen Hypostasenontogenese handelt es sich um mone, prohodos und epistrophe der sogenannten Hypostasen, wohinzu das von Porphyr »aristotelisch« zur Triade ousia, dynamis und energeia erweiterte Potenz-Akt-Paar tritt. In analoger Weise entsteht auch eine dreigeteilte Rede von Gott, welche sich nach Dionys in den drei Disziplinen der kataphatischen, symbolischen und mystischen Theologie widerspiegelt, welche drei ihrerseits jeweils drei »Gegenstandsbereiche« haben, die selbst wiederum triadische Gliederungen aufweisen. Die kataphatische Theologie entfaltet sich als Rede und Wissenschaft von Gott als der Causa efficiens oder als Prohodos der ewigseienden Ideen und im weiteren z.B. als Rede von Gott als dem Guten und als der Allursache. Die symbolische Theologie entwickelt ihre Rede und Wissenschaft von Gott aus der Tatsache der Epistrophe, wobei der Rückaufstieg zur Causa finalis durch raum-zeitlich wahrnehmbare und durch überempirisch-geistige »Symbole« vermittelt wird, die ihrerseits z.B. kirchlichen oder himmlischen entstammen. Der Theologia mystica gerät die Rede von Gott zur Redelosigkeit, theologisches Wissen zum Unwissen, da sie sich um die »Wissenschaft« von Gott als der den Sinnen und dem Denken unzugänglichen Mone kümmert. Die mystische Theologie geht mittels mehrstufiger apophatischer Rede (wie überhaupt mit streng apophatischer Methode und MetaMethode) vor, indem sie alle kataphatischen Aussagen über Gott, als z.B. den Guten oder als die Allursache, als für die Gottheit in ihrer Überseiendheit irrelevant erklärt und dadurch eine vollständige und explizite Ablehnung aller »null- und niedrigstufigen« traditionellen Prädikationen nach sich zieht. Implizit wiederholt sich diese methodologisch-apophatische Negation auch angesichts der (metatheoretischen) Aussagen der symbolischen Theologie sowie insbesondere jener der mysti-sch-apophatischen selbst. Dieses Terrain iterierter Denkbewegung(en) auf mehrstufigen Prädikationsebenen lässt sich beschreiben als ein grundsätzlich apophatisches Voranschreiten auf sich soteriologisch-anagogisch vereinheitlichenden Wegen: Von der Verneinung aller niedrigstufigen theologischen Prädikate über die Totalverweigerung jedweder Rede von Gott hin zur erkannten und also bewussten Redelosi-gkeit und zur Agnösia, zu einer Wissenslosigkeit (als reflektiertem Über-Unwissen) bezüglich des Unausdenkbaren (als eines Über-Unwissbaren), und durch diese Agnösia und Denklosigkeit hindurch zur Henösis, zu jener überunausdenkbaren und dem Verstand unzugänglichen Vereinigung mit Gott, zur Unio mystica. 2. Die - kataphatische - Weisheitsrede von Gott Gott als Causa efficiens klassifiziert Dionys als to noeton, dh. als einen (sc. den höchsten) Gegenstand des Wissens bzw. als eigentlichen Gegenstand des Geistes, 9 CDII 288 gibt zwar nur 1 Stelle zu methektös an, man vgl. aber die nächstfolgende Anmerkung. 10 CDII 289 gibt eine Unzahl von Stellen zu metechö, metoche (zu methexis CDII 288), metochikos und metochos an. Wolfgang L. Gombocz - Dionys vom Areopag 303 des Nus. Das Wissbare an bzw. von Gott ist benennbar, Gottes Wesen allerdings ist unerkennbar und daher unbenennbar. Kataphatische Rede von Gott verlangt daher besondere Aufmerksamkeit und große Vorsicht auf Seiten des Philo- bzw. Theosophen. Dieser untersucht die (für einen Christen unhintergehbare) Selbstoffenbarung Gottes in der Schöpfung wie in der Heiligen Schrift, er übersetzt und deutet die biblischen Namen innerhalb seines philosophischen Rahmens. Er konzentriert sich auf »unter-wesentliche« Benennungen und verwendet zu den bereits oben erwähnten Dreiergruppen hinzu Triaden11 wie z.B. arche-synoche-peras (etwa Urgrund-Zusammenhalt-Endziel), Weisheit-Leben-Sein oder WeisheitMacht-Friede, wobei als exegetisch-dominante Parallele die allgemein-platonische Dreiheit mone-prohodos-epistrophe fungiert. Gott ist z.B. Weisheit (sophia) als unvergänglicher, »bleibender Ort« der ewigen Ideen, Macht oder Quelle (dyna-mis) als All[ein]-Ursache der Hervorgänge und ihrer Existenzerhaltung, und Friede (eirene) als Wiederhersteller von Einheit und Harmonie bei/nach Konflikten und als dasjenige, das als Ziel der Rückhinwendung die Vielheit wieder zur Einheit führt. Die Idee, die Dialektik von via positiva und via negativa durch eine via emi-nentiae zu überhöhen, scheint Dionys fremd zu sein. Es stellt sich daher die Frage, ob Dionys neben seinem Verdienst der programmatisch grundsätzlichen Durchsetzung völliger theosophischer Apophase wenigstens auch ein Beitrag zur Erhaltung12 der altehrwürdigen Via positiva zuzuschreiben ist. Einer der Gedankenstränge, der die nach Umfang und Inhalt gut überschaubaren Schriften zusammenbindet, ist die (allerdings sehr komplexe!) Antwort auf die Frage, ob und, falls ja, wie die völlige Transzendenz oder Über- und Außerseiend-heit Gottes mit dem Lehrstück seiner Selbstmitteilung, dh. mit seinen Theopha-nien, einerseits, und mit der biblisch begründeten Tatsache, dass er Schöpfer und Grund des Seins für alle seienden Dinge ist, andrerseits, verträglich ist. Die Frage an Dionys lautet demnach: In welchem Sinne bzw. in welchem Ausmaße ist Gott, ist dieser Gott direkt oder zumindest indirekt erkennbar? Ist es möglich, die bzw. 11 Vgl. Christopher Stead (1994, 75): »...their [sc. Neoplatonists'] divine hierarchies tend to become more complicated, and so to diverge more completely from Christian conceptions of the divine Trinity. The correspondence had never been very close, since although the Platonic triads often contained fair approximations to God the Father and the divine Logos, their third member - Soul, or the cosmic soul, or the ensouled cosmos - have never looked very like the Holy Spirit. But secondly, the Christians themselves began to move away from any appearance of an alliance as a result of the movement which led to the Councils of Nicaea and Constantinople. Origen, Eusebius and the Arian party, whatever their differences, had all believed in a serial or subordinationist Trinity with three Persons ranked in descending order of dignity. Nicaea pronounced the Father and the Logos coequal and led to a distinct conception of a Trinity as one God distinguishable into three Persons, rather than one God made into a Trinity by the addition of other persons. It is the more remarkable that the complex divine hierarchy taught by Proclus in the fifth century was adapted and Christianized in the very influential work of the writer we know as Dionysius 'the Areopagite' about AD 500.« 12 Vgl. Endre von Ivanka (1964, 282-3): »Die klare Negation beider Motive bei Dionysius - der wesenhaften Göttlichkeit der Seele, als Erklärungsgrund ihrer Gotteserkenntnis und ihrer Gotteinigung, und des stufenweisen Aufstiegs zu Gott, als der Form und Weise dieses 'einswerdenden Erkennens' - und ihre Ersetzung durch die Idee einer übervernünftigen Erkenntnis Gottes, aus der Liebe zu ihm, die nicht durch ein stufenweises geistiges Emporsteigen, sondern kraft ihrer »ekstatischen« Wirkung die Seele unmittelbar mit Gott vereinigt, indem sie sie aus ihrer eigenen Wesenheit heraushebt und in die Gemeinschaft mit Gott versetzt - das bedeutet eine Abwendung vom neuplatonischen Denken in seinem wesentlichsten Punkte.« 304 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 2 gewisse Inhalte einer solchen Erkenntnis, welche ja gemäß der Einsicht in unsere eigentliche Wissenslosigkeit, soweit es Gottes Wesen angeht, beschrieben werden müssen, verständlich auszudrücken bzw. mitzuteilen? Was hier - programmatisch - gesucht wird, ist eine dem Denken kohärente und in der Sprache der theosophischen Wissenschaft ausformulierbare, also logisch mögliche Klammer von Gottes gänzlich »über- und außerseiender« Transzendenz und seiner innerkosmischen seinsbestands- und wesensbegründenden Zuständigkeit. Es ist die Frage, ob nach der Entdeckung und allgemeinen Etablierung der apophatischen Theo-Logie (als einer Gott-Rede[losigkeit]) in irgendeinem richtungweisenden Sinne noch Platz für die »objekttheologische« Via positiva13 geblieben ist. Die Suche nach einer brauchbaren Antwort erweist sich für Dionys deswegen als so schwierig, weil man - durch die ersten sechs Kapitel von »De divinis nominibus« hindurch - zu der dem Spätneuplatoniker und dem Christen gemeinsamen Einsicht gelangt ist, Gott, der »überseiende und überwesentliche« Gott, sei weder etwas Sinnlich-Wahrnehmbares, noch etwas durch menschlichen Vernunftgebrauch Erkennbares, noch überhaupt eines von den seienden Dingen, er sei in den Worten von »De mystica theologia« (I 3 [CDII 143.17; PG 1000C; Santiago 14.4]; cf. »De divinis nominibus« I 1 [CDI 107-110]) »ho panton epekeina«, »der Allem-Jenseits«, di. »der Jenseits-von-Allem/n«, der Allem-Jenseitige14. Er ist - was sich mit der (bei Dionys wie auch beim Verfasser des vorliegenden Aufsatzes) an ihre Grenzen stoßenden Sprache nur noch schwer ausdrücken lässt - der durch reines Absprechen, der durch ausschließliche Apophasis, also durch eine allerletzte Erhebung in ein Jenseits (epekeina) über alle Arten des Wirklichen, vernünftig und sprachlich noch irgendwie bezeichenbare, alle Positivität vorheriger und alle Negativität darauf folgender Stufen schließlich ein allerletztes Mal negierende, »über-transzendente« Urgrund von allem. Daher auch ist die bereits weit über das an dieser Stelle zu Erwartende hinausgehende Antwort des Dionys (Kap. VII der »Göttlichen Namen«; CDI 193-200; Zitatbeginn CDI 197.18) sehr passend mit einem an die Spitze gestellten Fragezeichen eingeleitet: »Ist es nicht richtig zu sagen [mepote oun alethes eipein, hoti theon ginoskomen], dass wir Gott überhaupt nicht aus seiner eigenen Natur erkennen, denn die ist unerkennbar ..., sondern dass wir nur von der Ordnung des Alls aus, welche aus ihm hervorgeht und die Abbilder ... der göttlichen Urbilder in sich enthält, nach bestem Vermögen schrittweise zu dem emporsteigen, was jenseits von allem ist, dadurch, dass wir der Ursache alles Seienden alles absprechen und uns über alles erheben? So wird der Gott [ho theos; 198.2] in allem und doch abgetrennt [choris; 198.3] von allem erkannt. So wird der Gott [ho theos; 198.4] durch Gnosis [198.4] und 13 Vgl. Kobusch 1995, 91: »Deswegen ist nach Ps.-Dionysius Gott nicht nur jenseits aller Erkennbarkeit und in diesem Sinne unerkennbar, sondern auch der 'Überunerkennbare' ... oder Überunaussagbare. In diesem Sinne endet auch die Schrift Mystische Theologie mit einer Aufzählung der Verneinung verschiedener Gegensätze: Gott ist weder Gleichheit noch Ungleichheit ... er ist weder etwas vom Seienden noch vom Nichtseienden ... Gott ist allen Setzungen und Abstraktionen unseres Bewußtseins entzogen.« 14 De mystica theologia I.3 verwendet »ho panton epekeina« zweimal (CDII 144.12-13, PG 1001A; Santiago 14.20-21=15.27 im Genetiv). Wolfgang L. Gombocz - Dionys vom Areopag 305 durch Agnosia [198.4] erkannt, und so gibt es noesis [ein Verstehen; 198.5], logos [eine Definition bzw. ein Reden/Urteilen], episteme [ein Wahrheitswissen], epa-phe [eine 'begreifende/haptische' Wahrnehmung], aisthesis [eine nichthaptische Sinneswahrnehmung], doxa [ein Fürwahrhalten; 198.5], phantasia [eine Vorstellung; 198.6] und onoma [einen Namen; 198.6] von ihm, und sonst alles dergleichen, und doch wird er weder erkannt, noch definiert, noch benannt und ist keines der seienden Dinge, und wird in keinem der seienden Dinge erkannt, ist alles in allem, und nichts in keinem, und wird aus allen Dingen einem jeden erkennbar, und niemandem aus keinem Ding. Denn alles das wird mit Recht über Gott ausgesagt, und aus allen diesen einzelnen seienden Dingen heraus entsteht Lob und Preis in verhältnismäßiger Entsprechung zu allen Dingen, deren Urheber er ist. Und doch ist die göttlichste Gottes(er)kenntnis [theiotate theou gnosis; CDI 198.12] die, die durch Unwissenheit auf Grund der über den Nus [hinausgehenden] Einung erkennt, wenn der Geist, von allem Seienden sich abwendend und sodann sich selbst verlassend, geeint wird mit den überhellen Strahlen von dorther - und dort selbst erleuchtet wird von der unerforschlichen Tiefe der Weisheit [CDI 198.15] ...« 3. Die - mystische - Weisheitsrede von Gott Trotz der - die gesamte aufstiegstheologische Höhenwanderung bis hin zur »übervernünftigen« aber »göttlichsten« Erkenntnis, ja bis hin zu einer Schau in und durch »Überwindung« der Wissenslosigkeit der (zum Nus gekommenen) Seele - und trotz der - die nun folgende und den Weg abschließende übergeistige, dh. sogar den Geist überfordernde Einigung mit »den überhellen Strahlen ... der unerforschlichen Tiefen der Weisheit« preisgebenden - Antwort ist anzumerken, dass verschiedene Stufen dieses hier so raschen und steilen Aufstiegs bedeutsame, legitime und für die Folgezeit autoritative Philosophumena des Pseudo-Are-opagiten und seiner Gefolgschaft bleiben. Unter Berufung auf die »Logia« Gottes [sc. in den Hl. Schriften], in welchen der grundsätzlich verborgene Gott einiges über sich selbst geoffenbart habe, hält Dionys zum Beispiel eine kataphatische »biblische Fundamentaltheologie«, eine - so könnte man sagen: elementar-alltägliche - Theosophie, für recht und würdig. Sie hat die Aufgabe, die Gottesnamen der »Logia« sowie die in der paganen Philosophie gewonnenen Gottbenennungen zu interpretieren. Eine solche bejahende Theosophie (»nullter« Stufe) erreicht aber Gott nie als den überseienden Nichtseienden, nie als den überguten Nichtguten, nie als den überunausdenkbaren Unerkennbar-Nichterkannten, alle menschliche Denkanstrengung also, so der Schluss, weiß oder sagt a fortiori nie, wie Gott an sich, was er in sich, wer er für sich ist. Daraus ergibt sich für Dionys mit Denknotwendigkeit der - nächste, aber prinzipiell immer auch schon letzte -Schritt in die Apophasie, hier einmal und zunächst in das Absprechen aller null-und niedrigstufigen Prädikate der traditionellen Ausdrucksweise der Theologie, schließlich in ein allumfassendes Absprechen und »Ab-Denken«, ja in ein »Über- 306 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 2 Abdenken« hinein, welches zur Schau »überheller, von ihm ausgehender Strahlen« (also ganz eigentlich zum Nicht- bzw. zum Nichts-Schauen) führt und schließlich zur Unio mit ihm wird. Fazit: Gott ist und bleibt allem unmittelbaren menschlichen Begreifen entzogen, er ist eine dem denkenden Menschen verborgene Gottheit, er ist unwissbar und auch überunwissbar. Nach Gott fragen bzw. epistemisch nach Gott suchen, heißt, das göttliche Dunkel zu erforschen. Dieses göttliche Dunkel ist zugleich auch ein menschliches; das wesenhafte Dunkel göttlicher Überunerkennbarkeit entspricht einem menschlichen Dunkel der Wahrnehmungs-, Vorstellungs-, Wissens-, Denk-und Einsichtslosigkeit (De mystica theologia I.3; CDII 143.10-144.15; PG 1000C-1001A; Santiago 12.23-14.23): »... dass von der guten Ursache des Alls viel auszusagen ist und zugleich wenig, ja dass sie unsagbar [alogos] ist, weil keine Rede [logos] und kein Denkbegriff [noesis] ihr entsprechen, da sie überseiend [hyper-ousios; CDII 143.12] über allem steht und nur denen sich unverhüllt und wahrhaft zeigt, die durch alles Unreine und auch durch alles Reine hindurch und über alle Stufen aller heiligen Höhen hinweg emporsteigen und alle göttlichen Lichter, Klänge und Worte vom Himmel her abseits liegen lassen und in das Dunkel [eis ton gnophon; 143.16] eindringen, wo nach den Worten der Schrift der Allem-Jensei-tige wirklich wohnt [ontos estin; 143.17]. ... Und dann macht er sich los von [all] jenem, was gesehen werden kann und was sieht, und sinkt hinein in das wahrhaft mystische Dunkel des Unerkennens [144.10-11: eis ton gnophon tes agnosias eisdynei ton ontos mystikon], in dem er sein inneres Auge aller erkennenden Auffassung verschließt, und gelangt in das ganz und gar Unfassbare und in das ganz und gar Unschaubare, vollständig [Teil] dessen werdend, der jenseits von allem ist, und niemandem mehr angehörend, weder sich selbst noch einem anderen, dem gänzlich Unerkennbaren im Stillstand aller Erkenntnis im Ausmaß größtmöglicher Vollkommenheit einverleibt [kata to kreitton15 henoumenos; 144.14] und über den Nus hinaus erkennend dadurch, dass er nichts erkennt.« - Und weiter unten (III; CDII 147.7-10; PG 1033B-C, Santiago 20.5-8) wird in die Richtung des Aufstiegskontinuums weiterdenkend angefügt: »Denn je mehr wir in die Höhe emporstreben, um so mehr verengt sich in dem Maße, wie sich die Umschau im Geistigen erweitert, der Bereich der Worte, wie wir auch jetzt, wenn wir uns in das Dunkel jenseits des Nus versenken, nicht (bloße) Wortarmut, sondern völlige Redelosigkeit und Denklosigkeit [anoesian; 147.10] vorfinden werden.« - Es ist indes immer noch ein Weg der Erkenntnis, es ist eine kontinuierliche, epistemisch bleibende, wenn auch steile »Höhenroute«, welche ein prinzipiell wissenshungrig seiendes Subjekt bis ans Endziel gelangen lassen kann: Um diese Via Dionysiaca tatsächlich zu Ende zu gehen, um an ihren Ziel- und Schlusspunkt, an bzw. »in« das Peras zu gelangen, muss der Mensch aus seinem gesamten Denken in der Ekstase heraustreten (De mystica theologia I.1; CDII 142.5-10; PG 997B-1000A; Santiago 11.14-13.4): »... wenn Du Dich um die mystische Schau strebend bemühst, lass die sinnliche Wahrnehmung und die Denktätigkeit zurück, alle Sin- 15 Santiago 15.28 trifft, obschon sehr frei wiedergegeben, den Kern der komplexen Rede: »...unindo-se da forma mais perfeita ...«. Vgl. Rorem 1993, 191: »... one is supremely united ...« Wolfgang L. Gombocz - Dionys vom Areopag 307 nendinge und Denkinhalte, alles Nicht-Seiende und alles Seiende, und strebe -soweit dies möglich ist - erkenntnislos auf das Geeintwerden mit dem über allem Sein und Erkennen Liegenden hin. Denn durch das von allem Gehaltenwerden freie [panton ascheto ... ekstasei; 142.9-10] und rein von allem gelöste Heraustreten (durch Ekstase) aus Dir selbst wirst Du, alles abstreifend und aus allem erlöst, zum überseienden Strahl des göttlichen Dunkels emporgehoben werden.« 4. Zusammenfassung und Ausblick Innerhalb der Symbolischen Theologie sucht der strebende und denkende Mensch für sich einen mehr oder minder »theurgisch gepflasterten« Aufstiegspfad aus dem Bereich der Sinnendinge in das Reich des Geistigen. Dieser Weg setzt sich dann vermittels der apophatischen Theologie fort, indem er vom Wissbar-Geistigen zum Unwissbar-Übernoetischen weiter führt, um in einer überepistemischen und außernoetischen Vereinigung mit dem transzendenten Ersten Einen, in der Unio mystica, zu gipfeln. Das philosophische Grundvokabular dieser dionysischen Ausführungen - »Sinnending«, »Geistiges« bzw. »Wissbares«, »Unwissbares«, »Vereinigung« - hat neben seiner objektiven Bedeutung auch einen subjektiven, einen subjektbezogenen Sinn. Die Terme beziehen sich auf bzw. benennen entweder eine Eigenschaft des (epistemisch auf sein Objekt gerichteten) »tätigen« Subjekts, der Seele qua Mensch, oder sie bezeichnen z.B. im Falle der Sinneswahrnehmung eine Qualität des Sinnendinges, welche jenen epistemischen Zustand im Wahrnehmenden erst hervorruft. Die Sinnenwelt ist, objektiv gesehen, jener Teil des Universums, der zwar den Sinnen des Menschen, aber dem Menschen eben auch nur über und durch die Sinne zugänglich ist. Durch logische Transposition müsste folgen, dass ein bloßes Sinnenwesen Mensch auf den Bereich des »empirischen Inputs« beschränkt bliebe, da dieser ja nichts über die Sinne Hinausgehendes liefere. Sehen, Hören usw., eben Wahrnehmen, wäre schon alles, es gäbe nichts zu denken und auch nichts über das Empirische Hinausgehendes zu suchen. Der Kreis von Sinnendingen und reinem Sinnenwesen bliebe objektiv geschlossen. Hier setzt die symbolische Theosophie an und hebt, so könnte man es ausdrücken, das geistbegabte Seelenwesen aus diesem Kreislauf des StofflichKörperlichen heraus. Da bzw. insofern der wahrnehmbare Kosmos (bei Dionys) als Folge der göttlichen Prohodos von Logoi erfüllt ist, ward er zu einer Welt auch voller Zeichen und Symbole. Der Seinsgrund eines solchen Zeichens liegt nicht in seiner raum-zeitlichempirischen Erstreckung als eines Stückes Materie, sondern besteht in seinem »symbolischen« Gehalt, di. im (anagogischen) Zeichencharakter von Gegenständen auch der stofflichen Dingwelt. Symbolische Theosophie ist durch ihr Auffinden dieser Zeichenhaftigkeit der Sinnenwelt und durch das Ausrufen und Ausdeuten der jeweiligen Symbole und ihrer (sakramentalen bzw. theurgischen) Wirkung Wissenschaft von der Überwindung der Materie, auch des Körpers, Wissenschaft vom Ablegen des Stoffes. Sie ist darin »Negation« und bildet insofern bereits eine 308 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 2 erste Stufe bzw. die Vorstufe apophatischer Theorie, die hier alles Materielle hinter sich lässt, die Zeichen aber bewahrt. (Apophatische Theosophie negiert indes auf ihrer letzten Stufe selbst die Symbole.) Durch die Methode des Absprechens und durch den gemeinsamen Ausgangspunkt im Grundsatz, alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden - Geistwesen, Menschen, Sinnendinge - entsprechend ihrer Wesensnatur als Symbole des Ersten Einen oder als Theophanien Gottes zu verstehen, entwickeln symbolische und mystisch-apophatische Theosophie ihre Lehren in einem aufsteigenden methodischen Kontinuum. Der Ziel- und Schlusspunkt ist zugleich Öffnung eines Tores, er ist neuerliche Fortsetzung des Kontinu-ums ins »Epekeina« hinein: Die jenseits der Sphäre des Erkenntnismäßigen sich vollziehende Schau Gottes, die Einigung mit Gott im mystischen Erlebnis ist jedoch nicht etwas dem Erkennen grundsätzlich Entgegengesetztes, sondern steht dergestalt über dem Erkennen, dass es zugleich eine Fortsetzung des angesprochenen rationalen Aufstiegsweges und eine Überhöhung des vernunftgeleiteten Erkennens bildet, die geradezu geradlinige Verwirklichung seines tiefsten epistemischen Strebens darstellt. Dieser Gedanke findet sich schon bei den Großen Kappadoki-ern, er ist unverkennbar spätneuplatonisch und durch die Autorität des Corpus Dionysiacum - ausgesprochen christlich und fehlt dennoch im ökumenischen Verständnis Klassischer Theologie (zumindest im München der achtziger Jahre)! Um so besser für uns: Dionys kehrt in den Kreis der Theosophen, also in den der Philosophen zurück! Der »spätneuplatonische Taufwerber« kann aber nicht jede seiner anthropologisch-soteriologischen, aber eben heidnischen Eigenschaften über sein Katechumenat in die neue Gemeinschaft mit herein bringen. Schon von Beginn weg muss Dionys - und müssen seine Glossatoren erst recht - diesen Täufling vorweg noch mehrfach beschneiden: Wie schon kurz erwähnt, wird z.B. die Hypostasenlehre durch Dionys (und Johannes von Skythopolis [floruit um 530]) in signifikantem Ausmaß dogmatisch-trinitarisch umtheologisiert und im Sinne der bereits etablierten Heilslehre adaptiert. Die Seele verliert ihre im Platonismus wesentliche Göttlichkeit und Präexistenz und der über ihr und unter der Gottheit stehende göttliche Nus wird dem dreieinig-dreifaltigen Ersten Einen einverleibt. Die spätneuplatonische, die zwei oberhalb des Seelischen liegenden Hypostasen durchlaufende Rückhinwendungs- und Aufstiegslehre wird auf die nun schon standardisierte soteriologische Gott-Mensch-Dualität reduziert. Dionys und seine Exe-geten der ersten Stunde negieren zu diesem Zwecke zwei der ererbten außerchristlichen Motive der anagogischen Psychologie: Die christlich notwendige Ableugnung der wesenhaften Göttlichkeit und Präexistenz der Seele nimmt dieser den platonischen Erklärungsgrund für die Möglichkeit ihrer Gotteserkenntnis und für die - gegebenenfalls endzeitliche - Realisierung ihrer Gotteinigung als Gottwer-dung. Die Einverleibung des Nus in das innertrinitarische »Leben« von Gott als dem Ersten Einen, welches auch noch den Logos und das Paradigma der Formen einbezieht, zerstört eine wesentliche Bedingung für das Modell des stufenweisen Aufstiegs des Menschen (qua Seele) zu Gott. Dadurch erfahren Zielnähe und Ende der Rückhinwendung, d.i. »einswerdendes Erkennen« und Unio eine »stufenlose« Wolfgang L. Gombocz - Dionys vom Areopag 309 Umdeutung. Der mehrstufige Vorgang der Gotteinigung wird ersetzt durch die dionysische Innovation einer übervernünftigen Erkenntnis Gottes, aus der Liebe zu ihm, die nicht durch ein stufenweises geistiges Emporsteigen, sondern kraft ihrer »ekstatischen« Wirkung die Seele unmittelbar mit Gott vereinigt, indem sie sie aus ihrem eigenen Wesen heraushebt und in die Gemeinschaft mit Gott versetzt. Das bedeutet eine Abwendung vom neuplatonischen Denken in einem der wesentlichen Punkte, Dionys wird schon durch diese einzelne »Umerziehung« zum Taufpaten des Plato Christianus. Derlei Innovation scheint Dionysios Pseudo-Areopagites, jedenfalls überall dort, wo er existierendes christliches Dogma als Richtschnur vor Augen hat, keine besonderen denkerischen Probleme aufzuerlegen. Überhaupt fällt auf, dass er bei manchen derartigen »Zusammenstößen« eine gewisse Leichtigkeit an den Tag legt, die er gelegentlich auch selbstbewusst als solche erkennt bzw. verkündet (De divinis nominibus XI.6; CDI 222.3-15; PG 953C-956A; meine Kursivierung): »Was aber meinen wir ... überhaupt mit dem 'Sein selbst' [to autoeinai; CDI 222.3], dem 'Leben selbst' [ten autozoen; CDI 222.3], oder wovon wir sonst noch sagen, dass es abgesondert und uranfänglich bestehe, und als erstes aus Gott hervorgebracht worden sei? Das ist nicht so verwickelt, sondern ganz einfach und leicht zu erklären. Denn wir sagen nicht, dass das Sein selbst, welches die Ursache davon ist, dass alles Seiende ist, irgendein göttliches oder engelhaftes Wesen ist, denn der alleinige Ursprung, der Seinsgrund und die Ursache dessen, dass alles Seiende ist und besteht, ist das überseiende Sein selbst. Noch sagen wir, dass es eine andere lebensspendende Gottheit gibt außer jenem übergöttlichen Leben, das die Ursache alles Lebenden und des Lebens selbst ist ... Sondern wenn wir vom Sein selbst, vom Leben selbst, von der Gottheit selbst [autoeinai kai autozoen kai auto-theoteta; CDI 222.13-14] sprechen, so meinen wir im ursprunghaften, göttlichen und ursächlichen Sinne den einen überursprünglichen und überseienden (= transzendenten) Uranfang und die Ursache von allem ...« Die hier vorliegende innertrinitarische Deutung der Prohodos und die damit zusammenhängende innergöttliche »Reduktion« der systembildenden platonischen Noo- und Ideologie auf christliche Trinitariologie als Dreieinigkeitslehre sind ein weiteres Stück großzügigen Umganges mit Ererbtem, wobei wiederum der einverleibenden Taufe eine tatkräftige und tiefgehende Beschneidung vorausging. Wer Dionys liest, kann sich regelmäßig nicht des Gefühls erwähren, dass er »... should have done a little more rejecting and a little less incorporating ...«B. Inwiefern? Wie so oft, so gilt auch hier an der eben zitierten Stelle der »Göttlichen Namen«, dass die Art und Weise, wie Dionys das Eine Erste des athenischen Plato-nismus mit dem christlichen Gott in Beziehung, um nicht zu sagen, gleich setzt, viel zu viel vom christlich-dogmatischen Inhalt aufgibt und doch viel zu wenig vom Platonismus beibehält. An dem überragenden Einfluss, den Dionys ausübte, kann kein Zweifel bestehen. Dabei hält sich die Originalität des Pseudo-Areopagiten als eines selbständigen orthodoxen Denkers ebenso in Grenzen, wie auch seine »Platonisierung« des christlich-philosophischen Denkens - eine reziproke Formulierung wäre ebenfalls 310 Bogoslovni vestnik 75 (2015) • 2 zulässig - dem Abendland eine »ausreichend« breite, dabei sicherlich glänzende, und doch in den Tiefen des Fundamentes äußerst schwankende Ausweitung der Basis, ie. Quellen, Tradition, Autorität, Orthodoxie und Interpretationsmuster gleichermaßen bestimmend, innerhalb der bereits real existierenden augustinisch-boethianischen Vorgaben eingepflanzt hat: Postdionysische Hypostasen- und Emanationslehre lassen z.B. der »Genesis«-Kosmologie ebenso Raum wie sie die Tri-nitariologie am ehesten »christlich« verfestigen. Und obschon er die »Hierarchien« erfunden und begrifflich ausgeprägt hat, hält die postdionysische Tradition daran fest, dass alles Seiende von Gott unmittelbar, jedenfalls ohne Hierarchien und ohne Mittlerwesen, verursacht wird bzw. ist. - So wohl auch die Münchner »Klassiker« - und drauß' bist Du - Dionys! Referenzen Textkritische Ausgabe CDI - Corpus Dionysiacum. 1990. Bd. 1., De divinis nominibus. Patristische Texte und Studien 33. Beate Regina Suchla, Hrsg. Berlin: de Gruyter. CDII - Corpus Dionysiacum. 1991. Bd. 2., De coelesti hierarchia. Patristische Texte und Studien 36. Günter Heil, Hrsg. Berlin: de Gruyter. Übersetzungen Luibheid, Colm. 1987. Pseudo-Dionysius: The Complete Works. The Classics of Western spirituality. New York: Paulist Press. Santiago de Carvalho, Mario. 1996. Pseudo-Dioní-sio Areopagita: Teología mística. Versäo do grego e estudo complementar. Textos e Estudos 10. Porto: Medievalia. Stiglmayr, Josef. 1911. Des heiligen Dionysius Areopagita angebliche Schriften über die beiden Hierarchien. Kempten: Kösel. von Ivanka, Endre. 1990. Von den Namen zum Unnennbaren. [Verdeutschung von De mystica theologia und von De divinis nominibus l-V, VII, XI, XIII]. 3. Aufl. Einsiedeln: Johannes Verlag. Sekundärliteratur Beierwaltes, Werner. 1994. Unity and Trinity in East and West. In: Bernard McGinn und Wille-mien Otten, Hrsg. Eriugena: East and West; Papers of the Eighth International Colloquium of the Society for the Promotion of Eriugenian Studies, Chicago and Notre Dame, 18-20 October 1991, 209-231. Notre Dame: University of Notre Dame Press. Boiadjiev, Tzotcho, Georgi Kapriev und Andreas Speer. 1996. Gutheit, Schönheit, Licht: Der Kommentar des Thomas von Aquin zur Schrift De divinis nominibus des Pseudo-Dionysius (cap. IV, lect. 1-8). Archiv für mittelalterliche Philosophie und Kultur 3. Sofia: s.n. Gombocz, Wolfgang L. 1997. Die Philosophie der ausgehenden Antike und des frühen Mittelalters, 264-275 [Die Kappadokier]; 318-331 [Dionysius vom Areopag]. Geschichte der Philosophie, hrsg. v. Wolfgang Röd, Bd. 4 München: Beck. ---. 2000. Dionys vom Areopag als Theosoph: Eine philosophische Gotteslehre. Archiv für Mittelalterliche Philosophie und Kultur [Sofia], Heft 6:149-164. Heinzmann, Richard. 1992. Philosophie des Mittelalters. Grundkurs Philosophie 7. Stuttgart: Kohlhammer. Kanakis, Marion. 1881. Dionysius der Areopagite nach seinem Charakter als Philosoph dargestellt. Leipzig, Phil. Fak., Univ., Diss. Leipzig: Rossberg. Kobusch, Theo. 1995. Dionysius Areopagita (um 500). In: Friedrich Niewöhner, Hrsg. Klassiker Wolfgang L. Gombocz - Dionys vom Areopag 311 der Religionsphilosophie: Von Platon bis Kierkegaard, 84-98. München: Beck. Martin, Christopher. 1996. An Introduction to Medieval Philosophy. Edinburgh: Edinburgh University Press. Rorem, Paul. 1993. Pseudo-Dionysius: a commentary on the texts and an introduction to their influence. Oxford: Oxford University Press. Sheldon-Williams, Inglis P. 1967. The Pseudo-Dio-nysius. In: Armstrong, A. H., Hrsg. The Cambridge history of later Greek and early medieval philosophy, 457-472. London: Cambridge University Press. Stead, Christopher. 1994. Philosophy in Christian Antiquity. Cambridge: University Press. Sijakovic, Bogoljub. 1996. Die Paradoxie der mystischen Gotteserkenntnis. In: Amicus Hermes: Aufsätze zur Hermeneutik der griechischen Philosophie. Podgorica: Oktoih. Vorher erschienen in: Orthodoxes Forum 8, (1994): 189-199. Turner, Denys. 1995. The Darkness of God: Negativity in Christian Mysticism. 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