Ei» Held der Sternallee. Roman aus der Gegenwart von Jakob Alesovc. Laibach 18««. Druck und Verlag von Igu. v. Kleiumayr L F. Bamberg. .«HiiinM lilija >tt 'I > ^3-rl ck»,6idV H / 'niominIÄ '> '>' gcs und neunzehnjährige Greise und solche, die es werden s Stu¬ denten, theils promcnireud und Schulangelegenheiten w; end¬ lich jene Spezies von Zweifüßlern, die Alles rm . sind, ob¬ wohl sie sich viel Anseben zu geben suchen, alles Mögliche zu ver¬ stehen vorgebeu, ohne etwas zu thun, mit Einem Worte, die nur theoretisch gebildet scheinen, ohne praktisch geschult zu sein. Eine Gruppe letztgenannter Lions fesselt vorzüglich unsere Aufmerksamkeit. Wir treten naher: französische Worte und Silben ssns sooent treffen unser Ohr, und eben wollen wir entsetzt vor diesen fremden Geschossen znrückprallen, als wir einen Bekannten gewahren, der einer Gruppe juuger Damen oder eigentlich dem Zentrum derselben, einer niedlichen Blondine von bezaubernder Erscheinung, nachsegelt. Der junge Mann oder vielmehr Jüngling — er zählt nicht ganz einundzwanzig Sommer — von schwärmeri¬ schem Aussehen, blauen Augen und jener Physiognomie, die, ohne gerade ein Genie vermuthen zu lassen, doch über das Niveau 3 des Alltäglichen ebenso hinausragt, wie seine Körpergröße über die von der Natur diesfalls minder begünstigten Spaziergän¬ ger, hatte während des verstossenen Winters ans einem Balle das Glück genossen, sein Ideal in seiner jetzigen Vorgängerin zu sehen. Seit dieser für ihn denkwürdigen Epoche hatte er sich jede nur denkbare Mühe gegeben und nichts versäumt , sich ihr zu nähern, allein vergeblich! Umsonst hatte er seine sehnsüchtigsten Blicke oft minutenlang auf der bezaubernden Gestalt haften lassen, umsonst war er ihr bei der Quadrille mehr als einmal auf das zarte Hüh¬ nerauge getreten, umsonst hatte er bei der Korsofahrt die größten Geschosse spielen lassen, umsonst sich endlich im Theater dicht vor ihre Parterre-Loge Postirt und ihr so die ganze Aussicht versperrt! Die Undaukbare ging bei diesem letzteren Anlasse sogar so weit, ihren Vater auf den „zudringlichen und ungezogenen Menschen" aufmerksam zu machen, was eine beinahe grobe Zurechtweisung und die Frage zur Folge hatte, „ob denn der Herr durch seine Im¬ pertinenz imponiren wolle?" Diese Prosaische Traufe jedoch, weit entfernt, seine poetische Begeisterung abzukühlen, war vielmehr Oel ins Feuer; eine Jn- trigue, meinte der romanbelesene Albert — so wollen wir ihn nennen — gehört zu einer Liebesgeschichte und macht sie interessant, und am Ende muß doch der Held siegen, oder — besiegt werden! Der letztere, nicht nur in Romanen und Dramen, sondern auch im wirklichen Leben verkommende Umstand war es, der un¬ fern Albert zur Einsicht gebracht hatte, daß er durch ganz andere Mittel das Herz seiner Auserwähltcn zu gewinnen trachten müsse; deshalb begnügte er sich vorläufig damit, ihr wie ein Schatten zu folgen, cs dem Zufalle überlassend, wann und ob sich eine pas¬ sende Gelegenheit darbieten würde, ihr gegenüber alle seine Vor¬ züge im glänzendsten Lichte strahlen zu lassen, denn er glaubte, deren eine bedeutende Anzahl zu besitzen. Die Musik ist verstummt, die Regimentskapclle verläßt den Pavillon. Nach und nach verlieren sich auch die meisten Spazier¬ gänger, nur der oben erwähnten Gruppe und Herrn Albert ist die Frühlingslnft nicht mehr zu scharf. Im lebhaften Gespräch, ost 4 laut anflachend, wie es muthwillige Kinder zu thun Pflegen, schei¬ nen sie die Umgebung gänzlich zu ignorireu. Wären wir neugierig und verböte es nicht die Etikette, so könnten wir nicht nur ein¬ zelne Worte hören, sondern den Inhalt des ganzen Gespräches errathen; allein dies thun w ir nicht, sonst wurden wir jenen Herrn oder jungen Mann nicht gewahren, der den Damen soeben ent¬ gegenkommt. Seine Tonrnüre ist untadelhaft, ebenso seine Frisur; er zieht höflich und doch etwas verwirrt scheinend den Hut, und — dürfen wir unfern Augen trauen? — die junge Dame, welche wir Amalie nennen wollen, erröthct und schlägt schüchtern den Blick zu Boden. Dies soll zwar unter jungen Leuten öfters Vor¬ kommen, wir wissen es von — der Schule her, aber äußerst sel¬ ten zeigen sich so verstörte Physiognomien, wie die des jungen Albert, der nahe genug war, diese momentane kaum bemerkbare Beräudcrung wahrzuuehmeu. Einen Moment stand er wie eingewurzelt da, dann stürzte er, einem Rasenden gleich, seinem vermeinten Feinde und, wie cs den Anschein hatte, glücklicheren Nebenbuhler nach. „Mein Herr, folgen Sie mir, wenn Sie ein Ehrenmann sind! Wir müssen uns sprechen." Der so Augefahrene wandte sich erstaunt um und blieb stehen, seinen Mann fixirend, als ob er an dessen Verstände zweifelte. „Was fordern Sie denn von mir?" sprach er dann gelassen. „Ich glaube, hier könnten Sic ebenfalls ohne Anstand reden." „Sie suchen Ausflüchte? Sie wollen mir nicht folgen? Nun denn, so erkläre ich Sie hier für einen Unverschämten, einen Heuchler, einen Schuft! Wollen Sie noch mehr, oder klingt Ihnen das beleidigend genug?" Nach diesen in sehr gereiztem Tone gesprochenen Worten stand der Fremde wie vom Donner gerührt eine Minute bewegungslos, nm dann achselzuckend zu erwidern: „Sie verkennen mich offenbar, oder Sie sind verrückt! Im ersteren wie im letzteren Falle habe ich nichts mit Ihnen zn schaffen." 5 Damit ging er seiner Wege. Wir verlassen Albert in seinem aufgeregten, keiner Erwägung und keines vernünftigen Gedankens fähigen Zustande und felgen den Damen, die von der Ferne Zeugen dieser Szene gewesen waren, ohne sie zn begreifen; da sie indeß in eine Gasse einbie- gc», durch die uns unser Weg nicht führt, so verlieren wir sie bald ans dein Gesichte. Ob ihnen Albert folgte? Wir wissen cs nicht und zweifeln daran; der Verlauf der Geschichte wird uns darüber anfklären. Zweites ZtaMet. Ais deiden Kenn-innen. Vielfach sind die prächtigen, mit Lupus ausgestatteten Gemä¬ cher sogenannter Heldinnen des Tages oder der Demimonde ge¬ priesen worden, ja manche Romane exzelliren eben durch diesen Glanz und suchen durch phantasiereiche, meistens übertriebene Schilderungen der Art das zu ersetzen, was ihnen an Gehalt oder Moral fehlt. Das Boudoir, worin wir unsere Heldin von gestern treffen, enthält nichts derartiges; nicht als ob Laibach zn unan¬ sehnlich wäre für diesen Pomp nnd in dieser Beziehung den Rang hinter andern Großstädten einnähme, o nein, sondern die jungen Damen, mögen es nun Frauen oder Fräulein sein, sind an und für sich interessant nnd schön genug und folglich selbst die größte Zierde ihrer Boudoirs. Was soll daun der übrige Plunder? Ein Piano, ein Arbeit«- und ein Toilettentisch, ein Fantenil und einige Spiegel sind die unentbehrlichsten Möbel; Journale werden gesucht, andere Bücher häufig geduldet, seltener gelesen, denn die Damen überlassen Gelehrsamkeit und Politik wohlweis¬ lich den Männern, 6 Will man einwenden, daß dies so ziemlich überall der Brauch sei, so will ich gar nicht indignirt sein, denn dadurch wird ja nur konstatirt, daß trotz des Satzes: „Andere Länder, andere Sitten," doch die Damen überall dieselben Eigenschaften besitzen, wenn auch in einem höheren oder niederen Grade. Wir nennen dieses Boudoir ein geheimes. Zur Beruhigung unserer geehrten Leser müssen wir jedoch ausdrücklich bemerken, daß wir darunter kein Boudoir meinen, wie es in den Schauer¬ romanen vorkommt, und daß dem Prädikate „geheim" nichts Schreckliches zu substituiren ist, sondern daß es nur deshalb so heißt, weil Familiengeheimnisse und Herzensangelegenheiten darin erledigt zu werden pflegten; Grund genug zu dieser Bezeichnung. Das schwärmerische Wesen von gestern liegt malerisch hinge¬ gossen auf einem elastischen Sopha, und tiefe Melancholie scheint sich desselben bemächtigt zu haben; die Finger spielen mit der prächtigen Stickerei, die halb vollendet an dem einfachen aber ge¬ schmackvollen Anzüge herabhäugt. Womit mag sich wohl ihr Geist in diesem Augenblicke beschäftigen? Junge Mädchen Pflegen ge¬ meiniglich nicht viel zu grübeln. Vor ihr auf dem niedlichen Tischchen liegt ein rosafarbiges Papier, dessen man sich mit Erfolg zu zärtlichen Zwecken zu be¬ dienen Pflegt. Aber das Fräulein ist jung, sehr jung, fast zu jung, nm mit Billets d'Amonr vertraut zu sein; wir wollen das zier¬ liche Billetchen vielmehr für den Brief irgend einer eben so schö¬ nen Freundin halten. Doch still! Amalie regt sich, sie scheint ans ihrer Melancholie zu erwachen, ihre zarte Hand langt mechanisch nach dem Briefchen. „Welche Wollust, diese von Liebe duftenden Zeilen zu lesen; welche Wonne, zu wissen, daß man selbst Gegenstand der nnbe- gränztesteu Verehrung ist! Wie schön, ach wie schön!" So haucht sie, das blitzende Angenpaar über die zierlichen Zeilen gleiten lassend, nm daun Plötzlich mit veränderter Stimme fortznfahren: „Wenn aber das alles nur Heuchelei wäre! Wenn er mich leichtgläubiges Kind bethören wollte! Ach, dann wäre ich nainen- 7 los unglücklich, ich würde die Enttäuschung nicht überleben! — Doch das kann nur die reinste Liebe eingeben, er schreibt so süß, so überwältigend, so hinreißend. Nein, nein, er kann nicht lügen!" Im Ucbermoßc der Freude ob dieser der Unerfahrenheit ihre« Herzens zufolge ganz richtigen Wahrnehmung erhebt sie sich und will, nachdem sie das Billet sorgfältig verborgen, zum Piano, offenbar nm ihren stürmischen Gefühlen auf diesem ihren Lieb- ingsinstrumcnte Ausdruck zu geben. Es ist dies ein probates AbleitnngSmittel der allzu großen Freude und des Schmerzes und trägt dazu bei, das Herz zu beruhigen, wenn inan ans seine eigene Gesellschaft angewiesen ist. Amalie ist, gleich vielen Laibacher Damen, wenn auch keine Virtuosin, doch eine gewandte Klavierspielerin. Anfangs gleiten die Finger leise und ziellos über die Tasten, ohne einen begonne¬ nen Gedanken festzuhalten; nach und nach deutet das Crescendo die unruhigen und wechselnden Empfindungen ihres Herzens an, die zuletzt in einem stürmischen Fortissimo den höchsten Grad der Aufregung erreichen. Aber der Sturm dauert nicht lange an, er legt sich allmälig, die Töne werden bestimmter, öfters verliert sich die Hand in das sanfte Moll, die Melodie erhält einen rührenden Ausdruck, sie gleicht der lsinreißendeu und doch so zum Herzen sprechenden Stimme der Nachtigall, bis sie endlich in einem sanf¬ ten Pianissimo dahinstirbt. In diesem Augenblicke verläßt ein zweifelhaft ansschendes In¬ dividuum , das bisher planlos ans dem Trottoir ans und ab ge¬ gangen, die Gasse und entfernt sich eiligst nach einem anderen Thcile der Stadt. Es gibt im menschlichen Leben Augenblicke, in denen die Stimmung über sehr Vieles entscheidet; dies besonders dann, wenn inan sich selbst überlassen ist und keine fremden Eindrücke aus uns ciuwirkcn. Ein derartiger Moment scheint auch für Ama¬ lien gekommen zu sein, denn sie starrt jetzt in Gedanken vertieft vor sich hin, und ohne Zweifel würde sie in dieser Apathie — man erlanbe uns einen für äußere Eindrücke unzugänglichen Zustand * 8 der inner», geistigen Thlitigkeit so zn nennen — noch länger ver¬ sunken gewesen sein, wenn nicht der Eintritt einer gleichfalls jun¬ ge» Dame von nicht minder einnehmendem Aenßern sic gestört hätte. Sofort erhob sich Amalie und ging der Eingetrctenen mit einer Miene entgegen, ans der sogar jeder Uneingeweihte auf ein intimes Frenndschaftsverhältniß schließen mußte. „Ah, schön, daß Du kommst, Fanny! Eben wollte ich zu Dir, denn ich sichle daK dringendste Beditrsniß nach Zerstreuung, und diesem Bedürfnisse verstehst Du am besten abznhelfen." Hierauf geleitete sie die Freundin zum Sopha und zog dieselbe zn sich nieder. Wahrlich! ein schöneres Paar hätte man vergeblich gesucht! Fanny war schön, ja mehr, sie war hinreißend; und doch war es nicht das Regelmäßige ihres Antlitzes, nicht das schöne Eben¬ maß und der tadellose Wuchs ihres Körpers, nicht die Fiille der Formen, noch auch die Rundung der Glieder, was ihr den höch¬ sten Grad von Liebenswürdigkeit verlieh, sondern es war über ihre ganze Erscheinung jener Zauber, jene Anmnth verbreitet, die unwiderstehlich fesselt und ein Herz ahnen läßt, nm dessen Besitz jedermann zu beneiden ist. „Verzeihe, liebe Amalie," begann Fanny, nachdem sie Platz genommen, „wenn ich allsogleich mit der Thüre in's Haus falle. Allein, ich bin z» aufgeregt, zu entrüstet, mich znrückhalten zn können." „Wie? Du entrüstet! Was kann Dir Veranlassung dazu ge¬ geben haben? Doch nicht Dein Mann?" „Weit entfernt! Der hat kaum die Zeit dazu; sein Berus fesselt ihn beinahe den ganzen Tag an sein Komptoir. Uebrigcns," fügte sie etwas bitter bei, „ist er, gelinde gesagt, beinahe zu gleich- giltig gegen mich, ein Quentchen mehr Wärme würde ihn Vor¬ theilhaft verändern." 'Bist Du also unzufrieden mit ihm?" „Das gerade nicht, aber zufriedener wäre ich jedenfalls, wenn er mir mehr Aufmerksamkeit widmen wollte. Doch lassen wir das; ich bin ohnehin zn aufgeregt und könnte ihm in meinem Unmnthe Unrecht thnn. Ich null Dir lieber die Ursache meiner Entrüstung 9 angeben. Als ich aus meinem Wohnung trat, bemerkte ich einen jungen Herrn von sonst hübschem Aussehen, welcher mich beinahe zudringlich ansah. Um ihm anszuwcichcn, bog ich in eine andere Gasse ein, allein er verfolgte mich hartnäckig nnd wußte cs so cinznrichten, daß er bei einer Wendung der Straße mir gegenüber stand. Dadurch bekam ich Gelegenheit, seine Züge zu unterscheiden und — rathe, wer cs war?" „Mein Gott, wie kann ich das, wcnn Du nicht cinmal einen leitenden Faden dazu gibst. Es laufen allzu viele junge Herren in der Stadt herum, als daß blos dieses Merkmal bezeichnend genug Ware." „Nnd doch mußt Du ihn kennen! Gestern bei der Promenade in der Allee grüßte er Dich!" Bei dieser direkten Anspielung übergoß Amaliens Wangen eine Pnrpnrröthc, waö Fanny nicht entging; doch schnell sich fassend erwiderte sie anscheinend unbefangen: „Mich? Es ist leicht möglich, daß mich jemand grüßte, denn mein Vater hat viele Bekannte, die in unser Hans Zutritt haben." „Aber es sind nur griesgrämige alte Herren, fast sämmlUch Gartons oder Witwer, wie er selbst, nnd vor diesen wirst Du kaum erreichen. Besinne Dich genaner! Eine elegant gekleidete Figur von mittlerer Größe, mit schwarzem Barte nnd dem Anscheine nach noblen Manieren. Nun?" So in die Enge getrieben, befand sich Amalie in eitler sehr kritischen Lage; sie mußte alle weiblichen Künste anwenden, nm sich nicht zu vcrrathcn, denn das wollte sic selbst ihrer vertraute¬ sten Freundin gegenüber nicht thun. Junge Mädchen wissen Ge¬ heimnisse zu bewahren, besonders wenn dieselben sic selbst betreffen. Sie entschloß sich daher zu dem einzigen Mittel, das unter so be- wandten Umständen sic aus dcr Affaire ziehen konnte, nämlich die Sache als einen nicht übel erdachten Scherz aufznfassen, um so den Scharfsinn dcr Freundin zu tänschcn nnd allmälig zu einem andern Thema zu übergehen. Andererseits war sie indcß etwas neugierig, was junge Mädchen und Frauen sonst nicht zu sein 10 pflegen, und das Abentheuer ihrer Freundin erregte vorläufig ihr ganzes Interesse. Deshalb entgegnete sie nach einer Weile: ,,Jch sehe, Du willst mich glanben machen, der Gruß jenes Mannes hätte mir gegolten. Doch verzichte ich zu Deinen Gunsten ans die Ehre, der Gegenstand jener Aufmerksamkeit gewesen zu sein. — Wenn's Dir beliebt, so fahre in der Erzählung Deines Abenteuers fort!" „Gut! Als ich ibn erkannte, trat ich unter einem Vorwande in ein Gewölbe, um ihm Zeit zu lassen, sich zu entfernen; allein statt dessen musterte er anscheinend sehr aufmerksam die Auslage und hatte sogar die Kühnheit, einzutretcn und sich allerlei Kleinig¬ keiten vorlegen zu lassen. Da mein Mittel mich nicht zum Ziele geführt hatte, so entfernte ich mich ebenso eilig. In der Hoffnung, er werde mich aus den Augen verlieren, machte ich Kreuz- und Qncrzligc durch viele Gassen und langte in eben dem Augenblicke vor Deiner Wohnung an, als er nm eine Ecke bog, nm mir wie¬ der entgegen zu kommen. Was soll ich aus einem solchen Benehmen für mich folgern?" In Amaliens Herz kämpften die widerstreitendsten Empfin¬ dungen. Einerseits lag der Zweck der Verfolgung Fanny's klar am Tage und konnte nicht mißdeutet werden; andererseits konnte sie an der Wahrheit des eben Gehörten kaum zweifeln, und schon war sie auf dem Punkte, den eben erhaltenen Brief — unsere Leser werden errathen haben, von wem er kam — vorzuzeigen, nm die ganze Niederträchtigkeit des Unverschämten aufzudecken, als ihr noch rechtzeitig beisiel, die Freundin könnte sich in der Person auch getäuscht haben, denn in dem Billete athmete jede Zeile die auf¬ richtigste Liebe; so konnte nur das reinste Gewissen spreche» , es war keine Spur von Verstellung oder erheucheltem Gefühle. Ans diese Art suchte das unerfahrene Herz denjenigen zu entschuldigen, dem es sich bereits hmzugeben begonnen. Trotzdem sich Amalie bemühte, ihre Aufregung zu verbergen, so gelang ihr dies doch nicht ganz. Fanny bemerkte es nnd fuhr fort: „Meine Vermnthnngcn scheinet also doch auf haltbaren Grün¬ den zu beruhen! Sollte er Dir näher stehen, als ich glaubte? n In diesem Falle ist sein heutiges Benehmen jedenfalls unerklärlich und geeignet, einen sonderbaren Schatten aus ihn zu Wersen. „Kennst Du ihn näher?" „Ich? Wie sollte ich dazu kommen! Ich sprach noch nie ein Wort mit ihm." „Dann ist er ein Abenteurer, der nichts Gutes im Schilde führt." „Vielleicht beruht die ganze Geschichte aus einer Verwechs¬ lung von seiner und auf einem Jrrlhnme von Deiner Seite. Eine zufällige Aehnlichkeit..." „O nein! Der durchbohrende Blick seines unheimlich leuchten¬ den Anges wird mir unvergeßlich bleiben. — Doch cs scheint, als ob meine Erzählung Dich nicht sonderlich erbaut hätte; Du bist Plötzlich auffallend wortkarg geworden. In einer solchen Stim¬ mung ist jede Gesellschaft unwillkommen, ich entferne mich deshalb, nm Dich Deinen eigenen Gedanken zu überlassen." Sie erhob sich und entfernte sich, ohne von Anialie zu¬ rückgebalten zu werden. Diese sank erschöpft in das Sopha zurück und überließ ihr Inneres den Kämpfen, die durch das eben Ge¬ hörte hervorgerufen worden waren. Als Fanny die Straße betrat, spähete sic ängstlich umher, ob sich ihr Verfolger wieder irgenwo blicken ließe. Außer einigen Arbeitern und geschäftigen Trägern war keine männliche Person sichtbar. Beruhigt setzte sie also ihren Weg sort, ohne zu bemerken, daß ein Unbekannter ihr von Ferne nachschlich. Als sic ihre Woh¬ nung erreichte, stand der Unbekannte Ml, wandte sich um und verlor sich nach einem mit unterdrückter Stimme ansgestoßenen „Gut" in eine enge Gasse. 12 Drittes ZDijiitet. Der Ä k e n t e n r r r. Laibach, die Stadt des Lichtes, hat nur wenige enge Gassen ausznwciscn und ist deshalb selbst gegen größere Städte bedeutend im Vorthcilc. Enge Gassen sind bekanntlich der Schauplatz nächt¬ lichen Lasters, sie sind Schmutzflecken der Städtcbildcr. Es flori- rcn darin jene dunklen Thaten und Skandale, die bei Tag die Sonne, zur Nachtzeit das Licht scheuen. Hier sammeln obscöne Romantiker und Dichter von Schanerdramen ihren Stoff, lheils weil da wirklich viel Mysteriöses geschieht, was selten ans Tages¬ licht kömmt, Ihcils weil die schauerlichsten Ausgeburten der Phan¬ tasie natürlicher erscheinen, wenn inan dem dunklen Bilde einen ebenso dnnlleu Rahmen oder einen finstern Hintergrund gibt, Laibach also exzcllirt durch derlei Gassen nicht, obschon selbst dem unbefangensten Spaziergänger ein paar solcher Kommnnika- tionswcgc anffallen; doch tragen selbst diese bei weitem nicht jenen unheimlichen Charakter der Straßen Londons u. s, w. an sich, der rechtschaffenen Menschenkindern Grauen cinflößt und sie vor¬ dem Betreten derselben abschreckt, sondern sic gewähren, wenn sie auch enge sind, dennoch einen mehr oder minder freundlichen Anblick. Durch eine dieser Gassen beliebe uns der Leser zu folgen. Wir führen ihn in eines der letzten Häuser drei Treppen hoch uud betreten ein Dachzimmer, welches allen au ein solches zu stellenden Anforderungen vollkommen entspricht. Es hat nur ein Fenster, dessen Licht dasselbe nothdürftig beleuchtet, ein Umstand, der den sporadisch vorkommcnden Möbelstücken zu Gute kommt. Ein Paar Stühle, ein hinfälliger Tisch und ein zweifelhaftes Sopha, das zugleich zur Bettstatt gedient zu haben schien, bilden die ganze Ausstattnng des Zimmers, das die Aussicht über die Giebel der Nachbarhäuser hinweg auf den Schloßbcrg hat. Dieser mehr als einfachen, alles Schmuckes und jeder Bequemlichkeit baren Ein- 13 richtnng nach zu folgern miißte es eine Rumpelkammer vorstellen und eher Mäusen nud anderen Thiercn des Dachbodens zur Woh¬ nung dienen, als einem menschlichen Wesen, lind doch sehen wir eine menschliche Gestalt ans das Sopha hingestrcckl, die sich zur Bequemlichkeit und wegen nicht zureichender Länge des Möbels einen invaliden Stuhl zur Unterlage der Füße beigczogen. Be¬ fremdet uns schon der Aufenthalt eines Menschen in dieser Kam¬ mer, so erstaunen wir noch mehr, in dem nachlässig Ansgestrccktcn nnsern eleganten Bekannten aus der Sternallee und den angebli¬ chen Verfolger Fannh'S zu erkennen. Wie kommt der elegante junge Mann in diese Umgebung? Still, er scheint sprechen zu »vollen; vielleicht gibt er selbst den Schlüssel des Rtithsels! „Ein verdammt miserables Logis für einen Chevalier meines Schlages!" so beginnt er, sich streckend, „ich muß iu Kürze ein besseres ausfindig machen, denn die Furcht, in dieser Stadt ans- gcforscht zu werden, schwindet von Tag zu Tag. Ja, seit einiger Zeit ist mir das Schicksal hart auf den Fersen. Wohin ich mich wende, was ich unternehme, alles mißlingt mir und das Glück entschlüpft gleich dem schlüpfrigen Aale, wenn ich es schon ge¬ packt habe und festhalten zu können glaube. Es gehört wahrlich eine stählerne Natur dazu, mnthig anszuharren. Nun habe ich meine letzte Angel ansgeworfen, bleibt an dieser kein Fisch hängen, dann Adieu! Dank der Mutter Natur, die mich mit so guten körper¬ lichen Vorzügen ansgcstattet, und meinen Goldvögelchen, die ich bei meinem Abznge mitgehcn ließ nud die mich wenigstens einst¬ weilen zu einem reichen Manne machen, reussirte ich bis jetzt we¬ nigstens bei den Damen, allein die goldene Quelle ist bereits dem Versiegen nahe und ich muß mich zu restauriren trachten. Wenn dieser Wurf gelingt, dann bin ich wenigstens bis auf weiteres geborgen." Der materielle, spcknlircnde Philosoph wurde in seinem eigen- thümlichen Gedaukeugange Plötzlich durch ein Pochen au der Thiirc unterbrochen, welches ihn bewog, seine bisherige Stellung zu än¬ dern. Die Thüre knarrte in den rostigen Angeln, und herein trat jenes Individuum, welches wir der jungen Frau von weitem fol- 14 gen gesehen. Derlei Gentlemen gibtS in jeder Stadt; sie zählen zn jener Klasse von Zweifüßlern, die nm Geld alles thnn, jeder¬ mann Treue schwören, der sic am besten bezahlt, und mitunter Dienste leisten, zn denen sich rechtschaffene Menschen nicht verwen¬ den lassen. Es sind dies Lente von zweifelhaftem Aussehen und noch zweifelhafterem Rufe, deren Zahl mit der Bevölkerung nnd Größe der Stadt in Proportion steht. Sie sind vorzüglich geschult zu geheimen Missionen und geben im Betretnngsfalle selten ihren Padronc an. Sie erholen sich von allen Niederlagen erstaunlich schnell, da sie als Stadtkinder eine Katzennatnr besitzen nnd sich nicht leicht ins Bockshorn jagen lassen. Unser Mann war gleichfalls ein Hidalgo dieser Sorte, eine Mißgeburt, wie die meisten dieses Schlages, denn nicht einmal das Gesicht war an ihm symmetrisch. Trotzdem vcrrieihen seine lebhaften Augen eine ungewöhnliche Beobachtungsgabe und einen bedeutenden Scharfblick, wie er allen Spitzbuben eigen. Nach seinem Eintritte blieb er stehen, einer Frage gewärtig. „Nun wie steht die Sache? Was hast Du in Erfahrung gebracht?" Der Rothe, der Farbe seines Haares wegen so benannt, machte ans die Frage ein Gesicht, als ob er eben etwas Unverdauliches verschluckt hätte, ohne zu antworten. „Hall Du denn keine Sprache, nm mir zu antworten?" „Verzeihen Sie," erwiderte der Rothe, sich so viel es seine verwachsene Gestalt erlaubte, in Positur stellend, „Unsereiner hat auch Ehre im Leibe, nnd es überkommt ihn ein gar so miserables Gefühl, wenn er gleich einem Hund schlechtweg mit „Du" ange¬ fahren wird. So viel ich mich übrigens zn erinnern glaube, sind wir noch keine Busenfreunde; wenn Sie mich bezahlen, so leiste ich Ihnen wichtige Dienste, nnd so sind wir quitt!" „Eine ganz richtige Argumentation," lachte der junge Mann, „eines solchen Ehrenmannes würdig." Doch deshalb wollen wir nicht streiten. Ist das Wort „Ihr" genügend?" „Meinetwegen, obschon das noble „Sie" passender wäre. „O, ich hatte," sprach er mit Aplomb, sich in die Brust werfend, 15 „die Ehre, ganz respektablen Kavalieren zu dienen und mich einer ganz vorzüglichen Behandlung zu erfreuen." „DaS alles glaube ich Euch, indes; ist es für mich nur Ne¬ bensache. Wollt Ihr nicht die Gefälligkeit haben, zur Hauptsache überzugehen?" Geschmeichelt durch diese höfliche Bitte, begann der Rothe: „Den anvertranten Brief wußte ich in die Hände des bewu߬ ten Fräuleins zn spielen." „Weiter! weiter!" „Gut Ding braucht Weile, sagt ein Sprichwort, ich wußte also den Brief in den Händen des Fräuleins und wartete dem Auftrage gemäß, uni etwas bemerken zu können." „Und was bemerktet Ihr denn?" „Nichts von Bedeutung! Lange war alles still und ruhig, dann hörte ich die Töne eines Klaviers." „Gut, gut! Weiter!" „Unter allen Geräuschen hasse ich die Musik am meisten, nud nur Ihres Auftrages halber harrte ich aus, bis das Instru¬ ment, nachdem es bald fürchterlich gerast, bald leise gesummt, end¬ lich gänzlich verstummte." „Brachen die Töne Plötzlich ab, oder verstummten sic nur nllmälig?" „Es kam mir vor, als ob sie sich in der Ferne verlören. Doch wozu alle diese eingehenden Fragen?" schloß der Rothe mißtrauisch und seinen Mann scharf fixirend. „Das geht Euch durchaus nichts an, ich habe zn fragen, nicht Ihr, deshalb bezahle ich Euch. Was ist'S mit dem zweiten Auf¬ trage? Habt Ihr die Wohnung jener Dame ansgcforscht?" „Jawohl, hier ist die Adresse!" Mit diesen Worten überreichte er dem jungen Manne einen Zettel, welchen dieser besah nud daun in seiner Brieftasche verwahrte. „Für heute ist's gut! Morgen sucht mich wieder ans, viel¬ leicht habe ich neue Aufträge. Ihr findet mich hier nm dieselbe Stunde; solltet Jhr'ö indeß noch früher nöthig haben mit mir zu reden, so gebt mir irgend einen Wink. Verlaßt mich jetzt!" 2 16 „Ich bin'S zufrieden! Habe ohnehin ein Privatgeschäftchen vor, denn Unsereiner liebt auch sein Amüsement." „Thnt, was Euch beliebt, nur verlaßt mich!" Der auf diese zarte Art Entlassene verschwand durch die Thür und der Schall seines eigenthümlich schleichenden Trittes verlor sich in der Tiefe der Treppen. Sobald er fort war, zog der Zurückgebliebene seine Brief¬ tasche hervor und besah den erhaltenen Zettel mit der Adresse der jungen Dame. „Der Kerl ist verwendbar, wenn auch etwas störrisch und auf seine Ehre Pochend. Falls es eine Bauditcnehre gibt, so hat er jedenfalls einen guten Anspruch daraus. Den Brief hat er abgege¬ ben ; bin auf den Erfolg sehr gespannt. Hat der Kerl übrigens richtig gehört und die Wahrheit berichtet, so bin ich meines Sie¬ ges gewiß. Neulich bei der Promenade erröthete sic und schlug den Blick zu Boden; ein untrügliches Zeichen, wenn auch die Phantasien auf dem Klavier nicht ein weiteres Augnrium wären. O Weiber, wie schlecht könnt ihr eure Geheimnisse verbergen!" Wieder ging er eine Weile nachdenkeud auf und ab, um dann fortzufahren: „Mein Emissär ist, glaube ich, verschwunden. Ich mnß mich bemühen, zu der heute gemachten Bekanntschaft Zutritt zu erlan¬ gen. Die Adresse weiß ich, im klebrigen verlasse ich mich ganz auf den Zufall. Zwei Verhältnisse auf einmal sind zwar immer¬ hin eine gewagte Sache, aber wenn eines nicht zum Zwecke führt, so bleibt doch das andere noch." Nach diesen im Grunde richtigen Expektorationen brachte er die in Folge seiner vorigen Situation etwas derangirte Toilette in Ordnung, verließ die Wohnung, und nachdem er sich überzeugt, daß sein Trabant nirgends zn scheu war, schlug er die Richtung nach dem Hauptplatzc ein. Scheinbar Planlos gelangte er vor das ans der Adresse be¬ zeichnete HanS. Das Erste, was ihm ins Auge fiel, mar ein Anschlagzettel des Inhaltes, daß im zweiten Stocke ein Zimmer für einen soliden, unverheirateten Mann zn vcrmicthen sei. 17 „Gan; erwünscht," jubelte er, „besser konnte cs sich nicht treffen. Mein bisheriges Logis hat ohnehin ein mehr als primi¬ tives Aussehen; cs ist nnr gnt, daß es zugleich in der aller- crbärinlichsten Gegend der Stadt gelegen ist. Trotzdem oder viel¬ mehr gerade deswegen behalte ich es bei und werde es als Em- pfangzimmcr benützen. Mein Spion und Botschafter soll hier niemals gesehen werden." Hierauf verfügte er sich ins Haus, nm das Nähere zu er¬ fahren. Der Hausherr, ein beleibter, gntmiithiger Mann, erwies sich sehr gesprächig und zuvorkommend; er gab bcreitwilligst Aus¬ kunft über alles, was sein Haus bewohnte, zeigte dem „Herrn" das fragliche Zimmer, eine Anstalt, halb so breit als lang, sonst gerade nicht merkwürdig; ferner erklärte er sich sogar bereit, ihn scimmtlichen Parteien vorznstcllen, was indeß der junge Mann aus guten Gründen ablchnte, indem er sich mit der Auskunft begnügte, daß im ersten Stocke ein junges, seit kurzer Zeit erst verheiratetes Ehepaar wohne, dessen männliche Hälfte nur selten ;n Hause sei. Hierauf entfernte er sich mit der Andeutung, noch heute das Zimmer beziehe» zu wollen, seine Effekten indeß erst in einigen Tagen nachkommen zu lassen. In der Abenddämmerung traf er nun wirklich ein, und zwar angeblich ohne Effekten; wer ihn jedoch genauer betrachtet hätte, als der Hausherr, dem hätte ein Zuwachs au seinem Körperum¬ fange auffallen müssen. Der Hausherr jedoch kümmerte sich um dergleichen Nebendinge nicht, sondern zeigte sich zufrieden, als der neue Ankömmling den Miethzins im Borans bezahlte und einen Namen ins Protokoll schrieb. In diesem Punkte steht unser Haus¬ herr nicht vereinzelt da. Diese Klasse von gewöhnlich reichen Menschenkindern hat nur in Geldangelegenheiten ein sehr zarte« Gewissen, mit dem klebrigen nimmt sie cs jedoch bei Weitem nicht so genau. Sobald sich der neu Eingezogene innerhalb des gemietheten Raumes befand, entledigte er sich eines Theiles seines Anzuges und suchte sich so wohnlich als möglich einzurichten. Die Bequem¬ lichkeit indeß schien der Zweck seiner Uebersiedelnng nicht zu sein, 18 denn er gab sich nicht einmal Mühe, die in leidlich gutem Zu¬ stande befindlichen Möbel einer näheren Betrachtung zu würdigen, sondern brannte sich eine feine Zigarre au und maß, in Gedanken vertieft, mit großen Schritten den viereckigen Raum, dann blieb er vor dem auf die Gasse zeigenden Fenster stehen und hob mit unterdrückter Stimme also an: „Der Mittheilnug des geschwätzigen Herrn nach ist also die Dame verheiratet. Dieser Umstand ändert den Plan des Feld¬ zuges. Der Mann ist selten zn Hause, ein Zeichen, daß die Honigwochen bereits vorüber sind und die zwei nicht an allzu großer Liebeskrankheit laboriren. Desto besser, die Eroberung wird dadurch bedeutend erleichtert. Dabei ist zwar nicht viel zn ge¬ winnen, aber es verschafft doch ein Amüsement zum Zeitvertreibe, bis mein Hanptplan gelingt. Das andere Dämchen ist ans reicher Familie und einzige Tochter eines behäbigen Rentiers, der nur für sie und für Kälbernes mit Salat schwärmt. Ich habe also ein aufgelegtes Spiel. Freilich ist damit eine ganz kleine Fata¬ lität verbündet:, ich müßte sie nämlich heiraten. Pah! die Zere¬ monie ist bald vorüber, und wenn ich die Mitgift habe, mache ich mich aus dem Staube. Meine Fran kann sich dann meinet¬ wegen in den Armen eines anderen trösten." So ungefähr raisonnirte der praktische Philosoph, der, wie aus seiner Rede zn schließen, trotz seiner Jugend viel sogenannte Welterfahrnng und wenig Herz besitzen mußte. Es war bereits tiefe Nacht, allein ein junger, unternehmen¬ der Mann liebt die frühzeitige Ruhe nicht, und in den Städten ersten und zweiten Ranges — zn den ersten zählt sich Laibach selbst, zu deu zweiten wird cS gezählt — beginnt das ordentliche Amüsement eines Lions oomo it sput erst bei dem Scheine des Gaslichtes, Grund genug, um den jungen Fremden zn einem nochmaligen Ansgehen zu vermögen. Zugleich lernte er auf diese Art die Gesellschaft, folglich die Stadt, genauer kennen und konnte vielleicht manches erfahren, was seinen Absichten zweckdienlich schien. Nachdem er also nochmals Toilette gemacht, sperrte er seine Wohnung ab und eilte mit einem riesigen Hausthorschlüssel 19 in der Tasche seines Pantalons das Trottoir hinab über die Schnsterbriicke der Strrnallee zu, wohin ihn die Töne einer rau¬ schenden Musik lockten. Man feierte gerade die Eröffnung des Kasinogarten?. Uebcrzeugt, hier einen großen Kranz liebenswür¬ diger Damen und eleganter Herren und vielleicht sogar seine Aus- erwählte zu treffen, besänftigte er den am Eingänge lauernden Cerberus durch eine Gnldcnnote und trat, ohne den tiefen Bück¬ ling des angenehm Uebcrraschten zu beachten, ein. Mit einem Blicke batte er die große Menge der Anwesenden durchmustert, mit einem zweiten seine Anserwählte an einem der letzten Tische entdeckt; der dritte Blick suchte nach einem leeren Platze in ihrer Nähe, allein alles schien besetzt. „Kellner!" rief er dem dienstfertig herbeitrippelnden Garton zu, „Kellner, verschaffen Sic mir einen Platz in der Nähe jenes Tisches dort!" Nm seinem Wunsche mehr Nachdruck zu geben, drückte er dem dienstbaren Geiste ein Geldstück in die Hand; diese gewichtige Unterstützung der Petition hatte den gewünschten Erfolg. Bald saß unser Mann an einem kleinen Seitentische, den der dienstfer¬ tige Kellner eigens für ihn hingcstellt. Wie voransznsehen, hatte dieses exklusive Manöver alsbald allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Man sprach allerlei: Einige hielten ihn für einen Vergnllgnngsreisenden, der ans seiner Durch¬ reise sich auch Laibach ansehcn wolle, andere meinten, er sei ein ungarischer Edelmann oder ein polnischer Graf, wieder andere, er sei eines reichen Kaufmannes, Großhändlers oder Banqniers Sohn, während ihn einige sogar für einen inkognito reisenden Fürstensohn erklärten. Alle aber stimmten darin überein, daß er reich sein müsse, weil dieses sich schon aus dem respektvollen Be¬ nehmen des Kellners schließen ließ. Bekanntlich gelten derlei Men¬ schenkinder als sehr verläßliche Thermometer in der Beurtheilung der Gäste. Deshalb fehlte es nicht an diesbezüglichen Fragen, welche indes; der dienstbare Geist achselzuckend beantwortete. Der junge Mann merkte alsbald, daß er der Gegenstand all¬ seitiger Aufmerksamkeit sei; obwohl das seinem Ehrgeize ungemein 20 schmeichelte, so galt sein ganze« Interesse mir jenem Tische, bei dem neben ihrem Vater und einigen alte» und jungen Herren die reizende Amalie mit ihrer unzertrennlichen Freundin plauderte. Heute war sie schöner als je. Der junge Fremde lief Gefahr, sich nun ernstlich zu verlieben, allein der stählerne Panzer weltlicher, egoistischer Grundsätze hatte sein Herz gegen derartige Eindrücke verschanzt. Er sah in ihr nur den Mammon, hingegen schien ihn deren Gefährtin zu bezaubern, obschon ihm der Umstand, daß die beiden Opfer seiner Pläne Freundinnen waren, nicht sehr gefiel. Wollte er seinen Zweck vollständig erreichen, so mußte alles ge¬ heim bleiben, allein zwischen Freunden, besonders wenn sie weib¬ lichen Geschlechte« sind, bleibt selten etwas geheim. „Ein recht unangenehmer Zufall," sprach er zu sich selbst. „Man kann Jemanden unr so lange irre führe», als er cs nicht gewahr wird. In meinem Falle indeß könnte die mittheilsamc Zunge der Freundin nur zn leicht alles verderben. Deshalb muß ich mich entfernen, ehe mich meine jetzige Nachbarin gewahrt. Es wird wohl keine Herkulesarbeit sein, die beiden zu entzweie» uud die Freundschaft in die bitterste Feindschaft zu verwandeln." Mit diesem Borsatze entfernte sich unser Held, von dem ser¬ vilen Kellner mit einem gelungenen Kratzfuß begleitet. Von dem Seitentische folgte ihm ein bedeutungsvoller Blick, zwar nur ver¬ stohlen, aber von ihm doch bemerkt, obwohl er sich den Anschein gab, als ob er ihn nicht beachtete. Gleich nach ihm verließ ein Herr von elegantem Aussehen den Garten und folgte jenem von Ferne durch die mit Gas be¬ leuchteten Gassen. 21 Mettes Napiltt. Der Poet. Wir verließen den liebekranken Albert in einem sehr aufge¬ regten , ja verzweifelten Zustande. Mancher Jüngling Hütte sich in einem derartigen Falle energisch geholfen, er hätte das Nebel mit der Wnrzel ausgerissen, kurz, er hätte seine Angebetete einfach vergessen und sich nach einer andern nmgefchant; inein Gott! es gibt ja in dieser schönen Welt gar io viele schöne Mädchen! Nicht so unser Albert! Die verächtliche, seiner Meinung nach empörende Behandlung von Seite seines Gegners hatte ihn anfangs ans der Fassung gebracht und ihn zu jeder Erwägung unfähig gemacht. Eine Weile stand er gcdanken- und rathlos da, dann sammelte er sich, doch irrte er noch immer zwecklos in der Allee umher. Ihm war es gar so entsetzlich jämmerlich zu Mnthe. Ans allen seinen Himmeln hcrabgcfallcn, hielt er sich für das unglückseligste Geschöpf auf Gottes Erdboden und überließ sich seinem Schmerze. Unglückliche, Dichter und Verbrecher suchen so gerne die Einsamkeit auf, um ungestört zu sein, deshalb fühlte Albert trotz der späten Stunde nicht das mindeste Verlangen nach Ruhe. ES wchete ein eisiger Wind, er spürte es nicht; cö begann zu tröpfeln, er beachtete cs nicht, bis ihn ein heftiger Regen und die beinahe schon durchnäßten Kleider an die Wirklichkeit mahnten. Er sah ans, es goß fürchterlich. In diesem Wetter konnte er den ziemlich weiten Weg bis zu seiner Wohnung nicht zurück- legen, viel weniger sich noch mehr durchnässen lassen. Als einzige Abhilfe erwies sich das „Cast! Nationale," woher man wirren Lärm vernahm. Die Gesellschaft war für Albert in seinem jetzigen Zu¬ stande höchst widerwärtig, allein das Wetter sogar unausstehlich; deshalb betrat er das hell beleuchtete Lokale und ließ sich in einer der dunkelsten Ecken nieder. Das Cafö war nur sehr schwach besucht; die wenigen Gäste bestanden ans Flüchtlingen vor dein schlechten Wetter nnd amüsirteu 22 sich je nach ihrem Geschmacke. Einige blätterten in den Jour¬ nalen und gaben sich den Anschein des eifrigsten Lesens, andere plauderten, wieder andere boten sich auf dem Billard ein Paroli, während noch einige sich mit dem Zusehen begnügten. Unter den letzteren verdiente die meiste Aufmerksamkeit eiue kleine, stark untersetzte Figur von mittelmäßig gutem Aussehen, mit einem breiten, fast russischen Gesichte, einem schlecht gepflegten Bart und Augengläsern. Man mußte aunehmeu, daß ihm die letzteren ein Bedürfnis; waren, zur Zierde gereichten sie ihm gerade nicht und aus Stolz konnte er sie unmöglich angenommen haben, weil dieselben sehr Primitiver Natur waren. Ferner muß erwähnt werden, daß besagter „Chevalier" noch jung war und wegen der Angegriffenheit seiner Augen viel stndirt oder wenigstens bei Licht gelesen haben mnßte. Man sah ihn selten ohne Mantel, nie ohne seinen grauen Hut aus der vorletzten Modesaison; auch sein Temperament schien mit seiner Tonrniire zn harmoničen , cs blieb sich immer gleich; er war oft hungrig, aber stets fidel, stets witzig und fast eben so oft müssig, lieber seine freilich noch kurze Ver¬ gangenheit erzählte man sich viel, wußte aber in der That nichts Bestimmtes, alles klang gleich komisch, gleich romantisch. Seine jetzige Force war der Müssiggang, jener geniale Müssiggang, der als ein Attribut großer Städte die Basis moderner Feuilletons und in Folge dessen eine, freilich spärliche, Erwerbsquelle bildet; neben diesem allerdings mehr unterhaltenden als Unterhalt ver¬ schaffenden Amte fnngirte er auch als exquisiter Briefsteller und Autor manches Billct-donx, und gar manches liebeskranke Herz hatte sich bei ihm Raths erholt. Er verfaßte aber auch thalsäch¬ lich rührende Briefe, Briefe, die ein steinhartes Herz windelweich machen mußten, vorausgesetzt, daß ein Halbwegs annehmbares Honorar in Aussicht stand. Auch Ber^e wußte er zu „schmieden," er brachte aus diversen Worten und Silben ein Werk zu Stande, bei dessen näherer Betrachtung man staunen mnßte, wie alle diese verschiedenen Materiale zu einem Ganzen verbunden werden konnten. Wegen dieser letzteren Eigenschaft wurde er auch insgeheim — ob aus Ironie oder nicht, bleibt dahingestellt -- der Poet genannt, 23 welche Bezeichnung wir, da sie nichts Beleidigendes enthält, auch beibchalten wollen. Trotz der Vielseitigkeit seines Berufes war er in diesen, Augen¬ blicke gerade müssig im eigentlichsten Sinne des Wortes, denn er fand nicht einmal ein Snjct für seine Beobachtungen. Daher war ihm Albert gerade willkommen, und da dieser durch sein trübes Wesen und sein auffallend verstörtes Gesicht sofort seine Aufmerk¬ samkeit erregte und er ihn von früher her als einen stets gut gc- lauuteu Meuscheu kannte, so nahm er, um deu wahren Grund die¬ ser Melancholie wo möglich zu erfahren, keinen Anstand, sich ihn, zu nähern, nm so mehr, da er hier vielleicht als rin llous ex maelüna vollkommen ans seinem Platze war. Heute erwies sich der stets gesprächige Albert jedoch sehr wort¬ karg, denn er erwiderte den Gruß nur kurz und schien damit an- deuteu zu wollen, daß er ungestört zu sein wünsche. Allein unser Chevalier war keiner von den Leuten, die sich durch deu ersten Mißerfolg vollständig aus der Fassung bringen lassen. Zwar ver¬ stand er die nicht sehr zarte Andeutung, sich seiner Wege zu schee- reu, aber er kannte seinen Mann und wußte ihm beiznkommeu. „Ei, Herr Albert," begann er, neben ihm Platz nehmend, „zwischen Ihnen und dem Himmel scheint offenbar eine sympa¬ thische Beziehung obzuwalten, denn heute zeigt Ihr beide ein ver¬ zweifelt trübes Gesicht!" „Lassen Sie mich," ries der Angeredete verstimmt, „meine Grillen taugen für keine heitere Gesellschaft, mit mir würdet. Sie sich heute schlecht amüsircn!" Damit kehrte er ihm den Rücken und schlürfte seinen Kaffee. „Sie müssen Unglück gehabt haben! Ja, das Spiel, das Wetter, die Liebe" — Beim letzten Worte drehte sich Albert, wie von einer Natter gestochen, hastig nm und fixirte den kühnen Sprecher mit durch¬ dringenden Blicken. Dieser hielt die scharfe Probe ninthig ans und konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. „Hab ichs getroffen?" rief er dann und fuhr fort: „Sehen Sie mich nicht so bestürzt an, es ist kein Verbrechen, verliebt zu 24 sein; vielmehr soll das unter jungen und sogar unter alten Leuten öfters vorkommen. Hiebei stößt man auf drei der gewöhnlichsten Hindernisse. Das erste ist ein strenger moralischer Vater oder eine zärtliche Mutter, die mit ihrem Töchterchen Gott weiß es wohin hinaus will, das zweite das Mädchen selbst, der mau nicht recht zu Gesichte steht, und das dritte —" „Das dritte? —" „Nun, dieses dritte," fuhr der redselige Sprecher in der Ueber- zcngung, die wunde Stelle berührt zu haben, fort: „dieses dritte ist ein Individuum, das unserer Flamme besser gefällt, als wir, und das die Vnlgärsprache als Nebenbuhler bezeichnet, die dramatische Poesie schlechtweg Jntriguanteu nennt, ein Individuum, das au und für sich uud der Dame gegenüber vielleicht liebenswürdig ist und alle möglichen guten Eigenschaften besitzt, uns aber als der ärgste Teufel erscheint, so daß wir es zur Hölle wünschen. Jst's nicht so?" Der Angcredete hatte dem Sprecher die größte Aufmerksamkeit geschenkt und drückte ihm nun stumm die Hand, woraus der letztere auf die Richtigkeit seiner Kombinationen schloß. Daher begann er nach einer Weile, als der andere nichts erwiderte: „Sie befinden sich in der letzteren Lage. Verzweifeln Sic nicht! Ist Ihr Nebenbuhler begünstigt?" „Leider habe ich guten Grund zu dieser Vermuthung!" „Dann gestaltet sich Ihr Fall thatsächlich zn einem der be¬ denklichsten, in denen häufig nichts anderes übrig bleibt, als die Segel zu streichen, zn warten und die Dinge ruhig ihren Gang gehen zu lassen. Vielleicht findet sich unterdessen ein neues Ideal, bei dem man keinen Nebenbuhler im Wege hat." Dieser prosaisch-vernünftige Rath schien indcß. Albert durch¬ aus nicht zn behagen, denn sichtlich mißmnthig erwiderte er: „Sie verstehen mich nicht, Sie können unmöglich je geliebt haben. Man kann dieses Gefühl nicht gewaltsam ans der Brust reißen. Für mich wäre ihr Verlust schmerzlicher als der Tod." „Wer denkt denn da gleich an den Tod! Leben Sie, handeln Sie, zeigen Sie Ihrer Anserwählten, daß Sie ihrer würdig 25 sind, schlagen Sie Ihren Nebenbuhler aus dein Felde! Besitzen Sie Mnth?" „Was diesen Punkt anbelangt, so rathc ich niemanden, daran zu zweifeln. O ich werde den Menschen, den Niederträchtigen erreichen und ihn zermalmen. —" „Nm dann von der Auserwählten verachtet, verabscheut zu werden! Dieser Weg, mein lieber Freund, ist nicht der richtige, ans dem kommen Sie nicht znm Ziele. Durch List erreicht man oft mehr, als durch gewaltsame Mittel. Darum mäßigen Sic sich, übereilen Sie sich in keinem Falle. .Geduld bringt Rosen,' sagt ein altes sehr wahres Sprichwort, und es sollte mich wun¬ dern, wenn Sic nicht rcussiren, vorausgesetzt, daß der Gegen¬ stand Ihrer Liebe seine Gesinnung ändert. Dazu will ich Ihnen aus alter Freundschaft behilflich sein. Um jedoch das sein zu können, belieben Sic mir den Sachverhalt getreulich mitzutheilen, wenn Sie mir nämlich trauen." „Das muß ich ja, denn der Sinkende klammert sich auch an einen Strohhalm an." „So weit wird cs hoffentlich nicht sein! Kennen Sie Ihren Nebenbuhler? „Ja und nein ! Soeben sah ich ihn, erinnere mich indeß nicht, ihn je schon bemerkt zu haben, obwohl ich in Laibach seit vielen Jahren fast Jedermann kenne." „Also ist's ein Fremder! Der Knoten wird lockerer. Doch fahren Sie fort!" Beide druckten sich noch mehr in die Ecke und Albert begann sein heutiges Abenteuer in der Sternallec zu erzählen. Der Hi¬ dalgo hörte gespannt zu, ohne ihn zu unterbrechen. Bei der Schil¬ derung des Recontres mit dem Fremden konnte er sich eines Lä¬ chelns nicht erwehren, den der groteske Anfall erschien ihm gera¬ dezu possierlich. „Was bezweckten Sie denn mit der groben Beleidigung?" „Ich wollte ihn zu einer Herausforderung zwingen." „Rauflustiger, muthiger RilterSmann! Bedenken Sie indeß, daß die idyllischen Zeiten des Faustrechtes vorüber sind und daß 26 man derlei Heldemhalm sogar gesetzlich bestraft; und Sie haben dann nicht einmal im Interesse Ihrer Sache gehandelt. Uebrigens verrätst Ihre Wahl viel Geschmack. Amalie ist ein liebenswürdiges und, was die Hauptsache ist, ein reiches Fräulein und Sie würden mit ihr keine schlechte Acquisition machen. Leider dürfte der alte Vater, der behäbige Rentier, gegen Ihre Persönlichkeit vielleicht nichts, wohl aber gegen Ihr keineswegs riesiges Vermögen mehr cinzuwenden haben, denn Sie sind, ohne daß ich Sie beleidigen wollte, eben kein Krösus. Den allen Bären will ich in die Kur nehmen, ich darf mir nämlich schmeicheln, einer seiner ersten Freunde »ud Explikatorcn der neuesten Fakta ans dem politischen Felde zu sein, und kann ihm alles weiß machen, denn er besitzt neben am dcrn schätzenswertsten Eigenschaften auch eine bedeutende Dosis — Leichtgläubigkeit." „Ihr Wille ist lobcuswcrth, obschon er, wie ich zu fürchten Grund habe, nie zur That wird. Die Lorurtheile der Väter wur¬ zeln tief und sind nicht so leicht zu besiegen. Für mich ist, ich ahne cs, der Lebcnsstcrn bereits uutergcgangen." „Doch nur, um schöner als je aufzngehcu. So ist der Welt¬ lauf! — Hal doch in der Fabel ein winziges Mäuschen einen Löwen befreit, es wird auch gerade keine Herkulesarbeit sein, den alten Rentier umzustimmen. Unterdessen läßt sich vielleicht über des Fremden Charakter und Absichten Näheres erforschen. Hier meine Hand! Ich will mich Ihrer Sache so warm annehmen, als es die Umstände und meine Ueberredungsgabe gestatten." Albert drückte dankbar die Hand seines bereitwilligen und dienstfertigen Freundes und versprach, ihn ans einem bestimmten Platze aufsuchcn zu wollen. „Sie treffen mich täglich," sprach dieser, „beinahe zu jeder Stuude entweder hier oder in der Sternallcc. Bis nächstens hoffe ich Ihnen gntc Nachrichten zu bringen." „Morgen also um die neunte Stunde in der Sternallcc!" Nach diesen Worten verließ Albert das Cafö in etwas besserer Stimmung, als er es betreten. Der Regen hatte unterdessen auf- gehört; schon blickten einzelne Sterne durch das zerrissene Gewölk 27 auf das Kothmeer, durch welches sich Albert mit Hilfe der Gas¬ lichter eineu Weg bahnte. Auf unfern Chevalier gar oxosilonoo hatte das eben Gehörte zwar keinen so großen Eindruck gemacht, als es Albert vermuthete. Dergleichen kommt im Leben häufig vor, wenn auch das Betragen Alberts drastisch genug war, um vielleicht eher vereinzelt zu er¬ scheinen; indes; brachte die Asfairc doch einige Abwechselung in das müssige Leben des Poeten und gewann durch einen Fremden noch mehr Interesse. Er beschloß also, sich der Sache anzunehmen, besonders weil er Albert als einen strebsamen jungen Manu kannte, der in Lie- bcsintrigucn noch ein Neuling und dem cs mit seiner Liebe ernst war. Zudem stand er ans dem Punkte, eine bedeutende Anstellung zu erlangen, welche ihn immerhin zu einer wenigstens annehm¬ baren Partie machte. Amalien gönnte der Poet das Glück voll¬ kommen, das sie seiner Uebcrzcngung nach an Alberts Seite viel eher finden mußte, als an der Seite eines Fremden, den hier ja niemand kannte. Zuerst beschloß er, Amaliens Vater anfzusnchen, um einer¬ seits in Erfahrung zu bringen, ob und inwiefernc derselbe mit dem Verhältnisse seiner Tochter zu dem Fremden vertraut sei uud ob er dasselbe billige; andererseits wollte er bezüglich seines Freun¬ des leise ans den Busch klopfen, um den alten Herrn wo möglich umzustimmcu. Zuni leichteren Verständnisse des Folgenden sei hier bemerkt, daß der Poet trotz seiner unscheinbaren Figur dennoch weit ausgebreitete Conaissancen mit Jung und Alt aus allen Stän¬ den hatte, wie denn dergleichen Genies fast in jeden Zirkel Zu¬ tritt haben, nm darin entweder Spaß zu treiben oder Gegenstand des Spaßes zu sein. Der gemüthliche Rentier saß, wie allabendlich, im Kreise einiger Gesinnnngsgcnossen, „halbirte" und „seiteltc," politisirte und verspeiste der leichteren Verdauung des Gehörten wegen sein Kälbernes mit gutem Appetit und zu besserem Gedeihen seines wertsten Jchs, als der Poet cintrat. Sofort erhob sich des Rentiers 28 respektable Gestalt und ries, dem Eingetrelenen seine fleischige Hand enigegenstreckend: „Heda, Cicerone! Wo stecken Sic den ganzen langen Abend - Ich und meine werthen Freunde hier mühen uns bereits einige Stunden mit der Enträthselnng der neuesten politischen Leitartikel ab, denn es wimmelt darin förmlich von französischen »nd chinesischen Ausdrücken, die selbst nnserm Mentor, dem Wirth, unverständlich erscheinen. Doch vorher eine Stärkung für den Leib, bevor der Geist thätig wird; dieser Ansicht bin ich immer treu geblieben von Jugend an, und Sie sehen, daß Sie sich durchaus nicht schlecht bewährt hat. Nani, mein hübsches Kind, dem Herrn eine Halbe und was Ausgiebiges zum Essen!" „Auf Ehre," lachte der Poet, sich au der Seite seines Mä¬ zens niederlasscnd, „Sie treffen es nicht schlecht, Sic wissen den wundcn Fleck zn finden." „Ho, ho! Es ist dies mein Stolz gerade nicht, denn Ihr jungen und alten Literaten habt ja fast immer zwar sehr viel im Gehirn, aber wenig im Magen. Bei uns ist dies umgekehrt der Fall und trotzdem befinden wir uns dabei recht wohl." Die zuletzt ausgesprochene Behauptung ließ sich thalsächlich nicht anfechten; der Poet sah das auch ein und war zu klug, einen Widerspruch zu wagen. Nachdem er sich das von der flinken Kellnerin Gebrachte zu großer Freude seines Mäzens recht gut hatte schmecken lassen, mußte er all' seinen Scharfsinn anfbieten, die Wißbcgierde sämmtlichcr Bürger zn befriedigen, da die letzte¬ ren sowohl über den Stand der Dinge am Politischen Horizont, als auch über sonstige Tagesereignisse aufgeklärt sein wollten. Zum größten Aergcr sämmtlichcr Genossen der Tafelrunde gebrauchte er indeß heute eine lakonische Kürze; seine Antworten klangen öfters höchst orakelhaft, was die genannten Genossen ans die Bermnthung brachte, es sei ihm etwas Unangenehmes Passirt, da er sonst so gesprächig gewesen. Deshalb leerte nach und nach jeder sein Glas und entfernte sich, so daß nach einer Weile nur noch der alte Herr, seinen Knaster rauchend, da saß. 29 Diesen Zeitpunkt hatte der Poet abgewartet. Er wußte ein Mittel, seinen Mann festznhalten, nm über das bewußte Thema mit ihm sprechen zu können. Sich eine Zigarre anbreuncnd be¬ gann er: „Die ehrsamen Bürger wollen ihre guten Frauen nicht krän¬ ken und suchen daher frühzeitig den Heimweg. Fast wäre inan versucht, ihr Beispiel nachznahmen." „Wer? was? Mögen die Siebenschläfer mir gehen; ich habe nichts zu versäumen und werde auch von keiner Frau mehr kom- mandirt, seit meine Selige ruhig entschlafen." „Sehr wahr! Jndeß, wenn man ein so liebenswürdiges Fräulein zur Tochter hat -" „So! Also finden Sie meine Tochter liebenswürdig! Doch," fügte er lachend bei, „das nützt Ihnen wenig, lieber Freund, denn obschon ich Sie vielen andern vorziehe und auch gegen Ihre Person durchaus nichts einzuwenden habe, so machen Sie sich trotzdem keine Hoffnung, je mein Schwiegersohn zu werden!" „Gott bewahre!" lachte der Poet, „von mir ist auch nicht die Rede, ich bin zu bescheiden, nm so vermessen zu sein. Auch werden Sie für Ihr Töchterchen wohl schon eine Passende Partie ausgesucht haben." „Damit hats gute Wege! Das Mädel ist jung und kann warten. Oder wollen Sie mir vielleicht einen Schwiegersohn oktroyiren?" „Hoho! Ich wüßte zwar mehrere, bin jedoch weit entfernt, des Fräuleins Geschmack bestimmen zu wollen, das vielleicht schon gewählt hat." „Würde es ihr nicht anrathcn! Und wüßte ich, daß sie hin¬ ter meinem Rücken irgend ein Verhältniß angeknüpft hätte, augen¬ blicklich müßte sie es lösen, oder ich zöge mit ihr von dannen." „Das letztere werden Sic wohl nicht thnn, ohne mich in die größte Verzweiflung zu bringen, denn wo sänke ich einen so bie¬ dern Charakter, wie Sic cs find?" „Junger Mann," lächelte der Alte geschmeichelt und mit dem Finger drohend, „Sie zeigen alle Anlagen zu einem Diplomaten, 30 Sie lügen einem gleich ins Gesicht. Fürchten Sie nicht, es wird nicht so weit kommen, mein Töchterchen kennt meinen Willen nnd jeder Ungehorsam liegt ihrem kindlichen Gemüthc ferne." Der Poet war überzeugt, daß der Alte von dem jüngsten Verhältnisse seiner Tochter, wenn ein solches wirklich bestand, nicht ein Jota wußte. So weit war alles gut. Nun galt es, das Wasser ans die Mühle seines Freundes zu leiten. Die alte Festung ließ sich nicht im Stnrme nehmen, sondern er mußte durch Schein¬ angriffe die Aufmerksamkeit des Feindes von dem eigentlichen An¬ griffspunkte ablenkcu, um seinen Feldzngsplan nicht zu Verratheu. „Apropos!" begann er und that einen langen Zug ans dem von neuem gefüllten Glase. „Haben Sie von der bevorstehenden Beförderung einiger Beamten vernommen? Dadurch entstehen natürlich Lücken nach Unten, welche mit Anfängern anSgefttllt werden müssen. Zn dieser Anstellung gelangt unter andern jun¬ gen Leuten auch Albert, ein sehr brauchbarer Kopf, der eine große Zukunft vor sich hat." „Vorausgesetzt, daß er lange genug lebt. Rach seinen jetzigen Verhältnissen hat er jedoch verzweifelt wenig Aussicht dazu." „Er ist geschickt und hat seine Studien mit vorzüglichem Erfolge beendet." „Und was ist das Ende vom Lied?" „Das ist noch nicht voranszusehen; er steht erst an der Schwelle seines Lebensberufes. Dem Fleißigen steht die Welt offen." „Junger Mann, Sie befindest sich in einem großen Jrrthnmc! Die heutige Welt liebt daö Materielle; Geld ist alles, Geld kann alles. Merken Sie sich das, junger Mann, und wenn Sie noch ferner mein Freund sein wollen, erwähnen Sie ja nicht mehr des langen Lassen, der, ich weiß es gut, ans meine Tochter spekulirt. Dergleichen Gedanken soll er fahren lassen, er bekommt Sie nicht, so lange er nichts Reelleres hat, als eine Anstellung von ein Paar hundert Gnldcn. Dabei bleibt?, Pnnkinm! Kellnerin, zablen I" Der Alte war offenbar mürrisch geworden, es ließ sich mit ihm nicht mehr rede»; wallte der Poet dessen Freundschaft nicht 31 einbüßen, so durfte er keine Gegenrede wagen, die außerdem noch fruchtlos geblieben wäre. Er hatte sich seine Aufgabe nicht so schwer vorgestellt, er war auf fast unüberwindliche Hindernisse gestoßen. Der Rentier hatte unterdessen nach Stock nnd Hut gegriffen nnd schritt der Thiire zu; der Poet folgte ihm auf die Gasse und schritt seiner Wohnung zu mit dem wenig tröstlichen Bewußtsein, für seinen Freund nicht viel gethan zu haben. Er konnte ihm nur die nicht unerfreuliche Nachricht bringet!, daß der Rentier das Verhältnis; seiner Tochter zu dem Fremden nicht billigen würde. Für einen Verzweifelnden wie Albert war dies indeß ein bedeu¬ tender Rettungsanker. In Nachdenken versunken erreichte er seine Wohnung, als eben der Laternenmann die meisten Gaslampen auslöschte. Somit bedeckte den größten Theil der Stadt dichte Finsternis;. Mnstes RaMet. Eine Entdeckung. Es gibt im Leben Augenblicke, wo der Mensch nicht die min¬ deste Idee hat, was er mit sich selbst anfangen sollte, Augenblicke, wo die Stunden trotz der kurzen Zeit, die dem Leben bestimmt ist, langsam nnd träge ihren Schneckcngang nehmen. Derlei Augen¬ blicke sind nicht blos ein Produkt der durch die Einsamkeit her- vorgernfcnen Langeweile — denn diese ist auch in Gesellschaften, Soireen, Theatern n. s. w. anzntrcffen — sondern sie sind gewöhn¬ lich auch bedingt durch den Charakter solcher Menschen, denen wegen Geistesarmnth die Gabe fehlt, sich durch Nachdenken und Beobachten, kurz durch Gcistesthätigkeit dieses lästige, bleiche Ge¬ spenst vom Leibe zu halten. Wird man mir deshalb Kühnheit vor- wcrfen, wenn ich die Behauptung anfstelle, daß Langeweile aus wenig Geist schließen iäßt'? 3 32 In einer dem eben beschriebenen Zustande ähnlichen Situation treffen wir an einem der darauf folgenden Tage unfern neuen Mieths- mann. lieber einige Sessel hingestreckt sieht er den zum Plafond hinaufwirbelnden Rauchwolken einer bedeutend kurz gewordenen Cuba nach, die ihm vor geraumer Zeit der Gar?on des Cafe National dienstfertig und kunstgerecht in Brand gesteckt, silr welche Bravour er ein angemessenes Douceur in der unergründlichen Tiefe der Tasche seines PautalonS halte verschwinden lassen. Doch in den Rauchwolken einer Cigarre liegt nicht fitr Jedermann Poesie; unser junge Mann schien dies zu fühlen, er stand verdrießlich auf und maß mit großen Schritten sein Appartement. Plötzlich blieb er stehen und schlug sich mit der Faust vor die Stirne. „Ich Dummkopf! Ich langweile mich da, und unter mir wohnt eine junge Frau, zu dieser Stunde gewiß allein. Sie ist allerliebst, und junge Frauen sind nicht immer so spröde, als junge Mädchen. Ein Scheinangriff, um die schwächste Seite zu erfahren, dann eine kühne Attaque, und der Sieg ist gewiß. Darum vorwärts, ehe der Mann heimkommt!" Der junge Manu wußte wohl, daß die Frauen sehr viel auf das Aeußere halten und eine Nachlässigkeit in dieser Hinsicht nicht gerne verzeihen. Er machte daher sorgfältig Toilette und stieg die Treppe zum ersten Stocke hinab. Die Thüre war versperrt, ein Glockenzng zeigte den Weg. Er läutete. Ein langes, hageres Gesicht zeigte sich in der Thüre, und der junge Mann konnte ein passendes Piedestal zu diesem Ge¬ sichte sehen. „Was wünscht der Herr?" fragte die Person, halb mißtrauisch, halb freundlich. „Kann ich mit der Herrschaft sprechen?" „Nein, der Herr ist abwesend!" „Und die Fran?" „Die gnädige Frau ist zu Hause!" rief die Magd iu etwas gereiztem Tone, das Wort „gnädige" sehr betonend. „Dann ist es noch besser! Das, was ich zn sagen habe, kann ich ihr ohnehin nur unter vier Augen sagen." 33 Hiemit wollte er ohne weitstes der Zimmerthtire zuschreiten, die Magd vertrat ihm indest den Weg. „Nicht so, Herr! Ich muß Sie doch vorher anmclden!" „Nicht nöthig! da ist meine Legitimation!" Bei diesen Wor¬ ten drückte er dem weiblichen Cerberus ein Silberstück in die Hand Die Dienerin besah es; es funkelte so schön, einem solchen Zauber kann nicht leicht ein Domestikenhcrz widerstehen. Zudem konnte ein Herr, der solche Geldstücke besaß, unmöglich Böses im Schilde führen. Sie trat also mit einem tiefen Knix bei Seite, dem Be¬ suche den Eingang offen lassend. Dieser pochte. „Herein!" rief eine melodiöse Stimme." Als der Fremde eintrat, legte Fanny ein Buch aus der Hand, in dem sie bisher eifrig gelesen, dann erhob sie sich von ihrem Sitze. Sie war einfach, aber geschmackvoll gekleidet; diese Tracht hob ihre natürlichen Reize noch mehr hervor. Sobald sic den jungen Mann erblickte, schreckte sie leicht zusammen, denn sic erkannte ihren Verfolger von der Straße. Dieser jedoch that, als ob er nichts merke, und begann mit ehrfurchtsvoller Stimme: „Entschuldige» Sic, verehrungswürdige Dame, meine Kühn¬ heit, so ohne alle Umstände zu Ihnen zu dringen. Allein es ist dies der einzige Weg, mich meiner liebenswürdigen Nachbarin vorzustellcn, denn ich bin hier gänzlich fremd und es würde mich unendlich glücklich machen, einiger Beachtung von Seite einer so liebenswürdigen Dame gewürdigt zu werden, deren Nachbar ich seit kurzer Zeit zu sein die Ehre habe." Fanny war jung und unerfahren und ließ sich deshalb leicht durch das Acnßere und die Form bestechen. Dieser junge Mann, der so ehrerbietig, beinahe schüchtern sprach, konnte unmöglich böse Absichten haben. Doch nahm sie sich vor, vorsichtig zu sein. „In der Thal, mein Herr," begann sic mit etwas unsicherer Stimme, „Sie haben einen unpassenden Moment gewählt. Mein Genial ist nicht zu Hause und — Sic verstehen." „Ach ja, der Anstand! der leidige Anstand! Welche Opfer erfordert oft dieses von den Menschen selbst eingesührte, durch 34 nichts gerechtfertigte Gesetz der noblen Welt! Jndeß auch ich muß mich diesem Gesetze fügen, so schwer cö mir ankommt. Ent¬ schuldigen Sie nochmals die Ihnen verursachte Störung, denn ich hatte keine Kenntnis; von der Abwesenheit des Herrn Gemals." Damit wollte er den Rückweg antrcten. Die junge Frau befand sich in einer peinlichen Lage. Er sprach so anstandsvoll, sein Benehmen zeigte den größten Respect, und die Bereitwilligkeit, mit der er, obgleich sichtlich ungern, sich entfernen wollte, ver¬ scheuchte vollends allen Bcrdacht. Zudem war der Zweck seines Besuches offenbar der, ihr seine Verehrung zu bezeigen, nnd welche Fran will nicht bewundert werden? Deshalb rief sie: „Mein Mann wird sich gewiß freuen, Ihre Bekanntschaft zn machen, zumal da Sic Ihrer Mittheilnng nach in diesem Hause logiren." „Ich darf also hoffen? O dann bin ich der Glücklichste der Sterblichen, wenn die Perle ihres Geschlechtes mir die Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches in Aussicht stellt." „Mein Herr!" sprach Fanny etwas verwirrt, „Sie scheinen zn vergessen, daß ich eine Fran und dazu ganz allein bin, nnd Sie entfernen sich noch nicht!" „Vergönnen Sie mir, den schönsten der Augenblicke etwas zn verliingern. Ein Dichter schwärmt gar so gerne für alles wahrhaft Gute nnd Schöne und verherrlicht es. Und wer würde sich das verbieten wollen, verbieten können?!" „Ein Dichter sind Sic?" nahm Fanny eilig das Wort. „Ein erhabener Berns! Wie herrlich muß eö sein, in Sonetten besun¬ gen, durch unsterbliche Werke verewigt zn werden!" Der Fremde, der sich Mühe gegeben, Fanny's schwache Seite kennen zn lernen, jubelte im Stillen über seinen guten Einfall. Fanny hatte niit vielen jungen Frauen und Mädchen den kleinen Fehler, ruhmsüchtig zn sein nnd bewundert werden zu wollen. Der kühne Eindringling hielt also den Sieg für gewiß, nnd damit sein Benehmen nicht allzu früh Verdacht errege, schien es ihm am klügsten, den Rückzug anzntreten. Sich mit größtem Anstande verbeugend sprach er: 3S „Vergebung Madame, wenn ich Ihre Geduld allzusehr iu Anspruch uahm. Vergönuen Sie mir also, iu Anwesenheit ihres Herrn GeinalS meinen hcntigen unpassenden Besuch zu geeigneterer Zeit wiederholen zu dürfen, so werde ich dies uni so mehr zn würdigen wissen, als ich hier gänzlich fremd und noch in keinen händlichen Kreis ciugcsührt bin." Die junge Fran wußte darauf nichts z» erwidern als: „Mein Mann kommt Abends um 6 Uhr heim!" Dies genügte dein Fremden; er entfernte sich nach einer nochmaligen Entschuldigung mit einem Complimente und lächelte selbstzufrieden, als er die Treppe zu seiner Wohnung hinaufstieg. Dort augelaugt, schrieb er mit großem Gedankenanfwande eine» Aussatz, dcu er dann sehr sorgfältig ans eiu zierliches Papier copirtc. Den Inhalt dieses Billets werden die geehrten Leser wohl errathen; es war eiu Ultimatum eines anscheinend verzweifelnde» Liebenden, der nicht mehr leben kann und will, wenn nicht sein sehnlichstes Verlangen nach einem Rcndezvons erfüllt wird. Nach¬ dem er dasselbe sorgfältig durchgelesen und versiegelt hatte, steckte er es mit triumphirender Miene zu sich. „Ich hätte mir, auf Ehre, nicht so viel Fähigkeit zur Heu¬ chelei zugetraut! Wenn das Mädchen dieses Geseufze liest, so muß sie gerührt werden, wenn sie nur ein Fünkchen jenes zarten Ge¬ fühls besitzt, das andern Frauen eigen. Trügen übrigens die bisherigen Anzeichen nicht, so habe ich bereits einen bedeutenden Stein ini Brette." Nach diesem salbnngsrcichen Monologe verließ er seine Woh¬ nung und begab sich nach seinem „Comptoir" m der engen Gasse, nm dnrch sein Factotmn das Billet bestellen zn lassen. Während des etwa viertelstündigen Ganges gab er sich die größte Mühe, unbefangen zu scheiucu, ja schäkerte sogar mit einer hübschen Ci- garrcnmainscll, ohne zu bemerken, daß soeben zwei jnngc Leute, in denen wir Albert und unser Genie von gestern erkennen, au ihm vorübcrgiugen. Zufällig kehrte sich der erstere um, und cs fehlte nicht wenig, daß er kant anfschrie. Semem Begleiter war die Bewegung nicht entgangen. 36 „Was haben Sie denn?" rief er dem Stehengebliebenen zu. „Sehen Sie ihn nicht? Es ist mein Nebenbuhler!" erwiderte Albert mit gepreßter Stimme, dem davon Eilenden nachsehcnd. „Jener Herr dort? Adieu, Freund, wir sehen uns heute noch." Mit diesen Worten eilte er jenem nach, während Albert crstannt ihm nachblickte, bis er ihn sammt seinem Feinde aus dem Gesichte verlor. Es schien, als hätte der Fremde eine Ahnung davon, daß er verfolgt werde, denn er beschleunigte seine Schritte, halblaut vor sich hinmurmelnd: „Ich weiß eigentlich nicht recht, was jener lange Lasse von mir wollte! Er scheint verrückt oder eifersüchtig zu sein. In keinem Falle kann er mir gefährlich sein, sollte er auch von meinem Ver¬ hältnisse eine Kcnntniß haben. Dies ist jedoch kaum anznnehmen, wenn nicht etwa mein Mcrcurius geplaudert hat. Ueber den letz¬ teren Fall werde ich baldigst im Klaren lein." Bor dem Hause in der engen Gasse angelangt, recognoscirte er die Gegend, da ihn iudeß niemand zu beachten schien, so stieg er die enge Treppe hinauf und war nicht wenig erstaunt, den Sendboten seiner bereits harrend anzutrcffen. Dieser lächelte ver¬ schmitzt. „Wie cs scheint, gnädiger Herr, haben Sie die Wohnung verändert, um einer gewissen Person näher zu sein. Nun ist cs zwar meine Sache nicht, mich nm Ihre Passionen zu kümmern, allein cs wäre mir doch recht erwünscht, Ihre Wohnung zu wissen, damit ich Sie in dringenden Fällen zu jeder Stunde aufsnchen kann." „Glaubt Ihr denn wirklich," sprach der andere, nachdem beide eingetreten waren, „daß ich mit diesem elenden Loche vorlieb neh¬ men werde? Behielt ich Euch die Kcnntniß meines Logis vor, so geschah dies ans triftigen Gründen, die Ihr aber nicht zu wissen braucht. Seid Ihr mein Botschafter, so seid Ihr noch lange nicht mein Vertrauter in jeder Beziehung." „Möglich! In der Voraussetzung, daß Sie diese Wohnung nicht mehr benützen werden, habe ich selbe soeben anderweitig ver- miethet und werde so frei sein, um deu Schlüssel zu ersuchen." 37 „Wie? bezahle ich Euch nicht glänzend?" „Nicht so sehr, als Sie vielleicht zn glauben geneigt sind, Ich besitze Scharfsinn genug, nm die Wichtigkeit der geleisteten Dienste vollkommen einzuschen. Bedenken Sie, das Fräulein ist sehr reich !" Bei diesen Worten steckte der Rothe beide Hände in die Tasche seiner stark abgeschossenen Beinkleider und sah feinen Mann Pfiffig grinsend an. Dieser erkannte, daß der Rothe seine Pläne so ziem¬ lich durchschaue. Diese Wahrnehmung war ihm äußerst unange¬ nehm , er beschloß sich seiner aus eine gute Art zu entledigen, denn geradezu fortjagen konnte er ihn nicht, ohne zu riskiren, daß durch dessen Verrath sein Plan gerade vor der Ausführung scheitere. Vorläufig mußte er sich also auf alle noch so übertriebenen For¬ derungen seines Pagen gefaßt machen, wobei ihm nur die stets mehr schwindende Casse einen fatalen Streich spielen konnte. „Nun gut!" sprach er dann möglichst glcichgiltig. „Verfüget mit diesem Luftloche hier nach Belieben, ich bedarf dessen nicht mehr. Doch besorgt diesen Brief heute noch; hier eine Kleinigkeit für den Botengang. Bringt Ihr eine gute Antwort, so wird's Euer Schade nicht sein." Mit diesen Worten überreichte er ihm sammt dem Billete ein Silberstück, welches der Rothe besah und ruhig in die Tasche schob. „Gut! Wo treffe ich Sie?" „Heute Abends in der Sternallee in dem dunkelsten Baum- gange. Gehet, ich folge Euch in Kürze." Der Rothe ging. Beim Austreten ans der Gasse besah er nochmals die Adresse des zierlichen Billets und steckte es dann in die Brusttasche seines schmntzigen Rockes, ohne den Poeten zu be¬ achten, der ihn seinerseits aufmerksam beobachtete. Durch eine eigen- thümliche Combination war dieser nämlich auf den Verdacht ge- rathen, daß zwischen dem zweifelhaften Individuum und dem Frem¬ den irgend eine Beziehung obwalte. Bestätigte sich der Verdacht, so war cs zugleich erwiesen, daß der fragliche Fremde nichts Gutes im Schilde führe, weil der Rothe als ein berüchtigtes Subject bekannt war, das sich nur zu schlechten Streichen verwenden ließ. 38 Hatte der Poet bisher nur seinem Freunde durch Entdeckung der Pliine seines Nebenbuhlers dienen wollen, so fühlte er sich jetzt doppelt verpflichtet, in das Dunkel Licht zu bringen, weil er ja möglicher Weise eine böse That vereiteln konnte. Er folgte also deni Rothen, der seine Richtung gegen Amaliens Wohnung nahm und, wie der erstere vermuthet hatte, im Hanölhore verschwand. Nun war er seiner gewiß; um jedoch ganz sicher zu gehen, war¬ tete er die Rückkehr des Rothen ab, der sich in der That sehen ließ und zufrieden lächelnd seiner Wege ging. Diesem Umstand, nach zu urtheilcn konnte derselbe nicht Ordre haben, seinen Pro- tcgö jetzt schon aufzusnchen, weshalb der Poet sich ruhig ent¬ fernte, um womöglich seinen Frennd aufzusuchen und ihm seine gemachte Entdeckung mitzutheilen und die geeignetsten Maßregeln zu berathen. 8ech8les Zlapiles. Folgen eines verlorenen Äillets. Es ist Nacht. Die Gasflammen erhellen die Sternallee, welche noch von einzelnen Promenirenden belebt ist, während ans der nördlichen Seite ein Schwarm Studenten leichteren Calibers am Geländer lehnend einen spatzenartigen Lärm verursacht. Dieses lustige Völkchen ist trotz mancher ernsten Situation fröhlich und gibt seiner jetzt entfesselten Laune im Bewußtsein der Sicherheit durch lautes Geplauder und fast ausgelassenes Lachen Luft und raucht dazu die traditionelle lange Pfeife „feinsten Knasters," oder wenn die Finanzverhältnisse einen Luxus gestatten, die beliebte Virginier. Warum auch nicht? Bei Tage ist das Rauchen durch die Gesetze streng verpönt, und bei der Nacht — nun, da wird man nicht gesehen. Das Eentrnm des harmlosen Hansens scheint der Poet des Eafö's zu bilden, denn seine Causerieu erregen viel Heiterkeit. 39 Plötzlich ist cr still geworden, er spähet unverwandt nach der ent¬ gegengesetzten Seite und rennt eiligen Schrittes ohne Gruß davon. Sofort stiebt auch der Studcntenclnbb auseinander und es tritt tiefe Stille ein. Gedeckt durch den Schatten lehnt an dem Stamme einer Akazie eine Gestalt, welche jetzt hervortretcud einem Vorübergehenden ein Billet überreicht. Das bewaffnete Auge des Poeten erkennt in den beiden Nachtwandlern den Fremden und seinen Pagen. Der erstere nähert sich dem Lichte einer Gaslampc und liest das erhaltene Billet; der Späher läßt ihn nicht aus den Augen. Nach einer Weile steckt der Fremde sichtlich zufrieden das Billet in sein Portemonnaie und entfernt sich, gefolgt von dem Poeten; er geht durch viele Gaffen; endlich betritt er ein Cafö. Unschlüssig bleibt der Poet stehen, doch entschließt er sich, einzutreten, denn der Fremde kennt ihn ja nicht. Der Fragliche stand bei einem der hintersten Tische, um wel¬ chen eine ansehnliche Menge Besucher grnppirt war. Bei der An¬ näherung erkannte cr, daß ein Hazardspiel solche Theilnahme er¬ regte. Ein junger Mann schien besonders aufgeregt, ein Zeichen, daß er unglücklich spielte. Der Fremde hatte sich zu ihm gesetzt, ohne anfangs an dem Spiele Theil zu nehmen; als jedoch sein Nachbar fortwährend verlor und zuletzt vergeblich nach einer Bank¬ note in seinem Portemonnaie suchte, munterte ihn der Fremde auf, weiter zu spielen, und steckte ihm heimlich eine Banknote zu, welche der andere zögernd annahm. Bei diesem Manöver entfiel dem ersteren ein Papier, welches der Poet als das eben kurz vorher erhaltene Billet agnoScirtc. Blitzschnell trat er mit einem Fuße darauf und hob cs in einem unbeachteten Momente auf. Die Aufmerksamkeit siimmtlicher Spieler war auf den jungen Mann gerichtet, dem sich nun das Glück ebenso hold zeigte, als cs ihm vorher feindlich gewesen war. Deshalb kümmerte sich auch um den Poeten niemand weiter, und so.konnte er seine Wißbegierde bezüglich des Inhaltes des Briefes ungestört befriedigen. In jedem andern Falle würde er ein derartiges Schriftstück unbedingt, ohne sich nm den Inhalt zu kümmern, zurückgestellt haben; hier jedoch 40 trug er kein Bedenken, dasselbe zu behalten, weil er dem Betrnge — ein solcher war ja seiner kleberzeugung nach vorhanden — auf die Spur kommen konnte. Er zog sich also in eine Seitenabthcilung, die mit Ausnahme zweier eifrig lesender Herren von niemandem besetzt war, zurück. Da er unbeachtet zu sein entnehmen mußte, so entfaltete er den Brief und las. Wir wollen den Wortlaut desselben nicht wicder- geben; es genügt, zu erfahren, daß Amalie durch die süßen Worte des au sie gerichteten Billcts geblendet, zwar sehr viel von der Furcht vor der Strenge ihres Vaters sprach, endlich sich aber doch entschlossen zeigte, dem Adonis die so sehnlich begehrte Zusammen¬ kunft in der Laube ihres HanSgartcns, jedoch im Beisein ihrer in das Geheimnis; eingcweihtcn Kammerfrau zu gewähren. Zu diesem Zwecke möge er am kommende» Tage nach Sonnenunter¬ gang vor der Thitrc des Gartens erscheinen, allwo ihn die be¬ wußte Zofe einlassen würde. Das alles war für den Poeten genug. Damit der Fremde den Verlust des Billets nicht gewahr werde uud Verdacht schöpfen könnte, beschloß er, dasselbe an jene Stelle zn werfen, wo er es gefunden. Da keine Adresse darauf stand, so konnte er zu seinem größten Leidwesen den Namen des Verlnstträgcrs nicht erfahren. In einem Augenblicke also, wo die Aufmerksamkeit der Spieler durch eine Wendung des Spieles sehr gefesselt war, ließ er das Billet unter den Tisch gleiten und schob es zn dem Fremden hin; hierauf klopfte er demselben auf die Schulter: „Mein Herr, geben Sie Acht, es fallen Ihnen Banknoten zu Boden. Der Angcredete bückte sich und hob das Papier ans. „Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit! Es ist zwar nur ein Papier, hat aber für mich doch einigen Werth." Mit diesen Worten steckte er das Billet in die Brieftasche, nicht ohne einen forschenden Seitenblick ans das Gesicht unseres Poeten zu werfen. Dieses blieb unverändert, gab sich vielmehr Mühe, durch das Spiel gefesselt zu scheinen, so daß der Fremde beruhigt den bereits aufkeimcnden Verdacht unterdrückte. 41 Das Spiel dauerte iudeß fort, und der Nachbar des Frem¬ den gewann bedeutend. Der letztere trinmphirle; sein Nebenmann war ihm nicht unbe¬ kannt, er hatte ihn bereits im Casino-Garten und heute Abends beim AuSgehen gesehen, kurz, es war der Manu Fanny's. Dadurch, daß er ihm unter die Arme gegriffen, hatte er sich dessen Erkennt¬ lichkeit erworben. Die Folge davon war, daß er seinen Retter ftir den folgenden Tag znm Diner einlnd, eine Einladung, die derselbe aus uns bekannten Gründen auch aunahm und dabei betonte, daß sie ja Wohnungsnachbarn seien. Der Poet hatte genug erfahre», um mit seiner heutigen Ex¬ pedition mehr als zufrieden sein zu können. Ein längeres Berwei- len war zwecklos, deshalb entfernte er sich und schritt dem Lass Nationale zu. Dort saß Albert, wie allabendlich; seine» Bekannten entging die Veränderung keineswegs, die seit einigen Tagen mit ihm vor¬ gegangen ; er, der immer gut gelaunt gewesen, der jeden Jux mit¬ gemacht, stets seinen Platz am Billard auSgcftillt hatte, saß nun brütend in einer finstern Ecke, und weder Zurufe, noch Neckereien, an denen es nicht fehlte, vermochten ihn aus seiner Apathie zu wecken. Er war sehr wortkarg, sprach überhaupt nur das Noth- wendigste: nur mit dem Poeten verkehrte er seit dieser Zeit viel. Dieses Benehmen ries natürlich allerlei Bermuthungcn wach. Mau rieth hin und her: Einige meinten, er habe im Spiele verloren, andere vernintheten, er sei verliebt, während einige Excentrische sogar annahmeu, daß er ein fürchterliches Geheimnis; entdeckt haben müsse oder mit Selbstmordgedanken umgehe. Heute schien er mit großer Ungeduld seines Freundes zu harren; schon verzweifelte er daran, ihn heute noch zu sehen, und wollte sich entfernen, als Plötzlich die Thüre aufging, und der längst Erwartete eintrat. Der fröhlichen Miene nach zu urtheilen, brachte er gute Neuigkei¬ ten und Albert ging ihm mit Pochendem Herzen entgegen. „Endlich sind Sie da!" sprach er, nachdem sich beide in der beliebten dunkeln Ecke niedergelassen. „Was für Neuigkeiten brin¬ gen Sie? Ich fürchte, keine guten! 42 „Ja und nein!" antwortete der Angeredctc. „Ich bin auf einer Spur; der Fremde scheint nicht rechtliche Absichten zu haben." Hier wurde der Sprecher vom dienstbeflissenen Marqneur unterbrochen, welcher eine Gasflamme anzünden wollte. Albert wies ihn barsch ab und der dienende Geist zog sich verblüfft zurück. „Das Schwierigste bei der ganzen Affaire," fuhr der Poet fort, „ist indefi der äußerst unglückselige Zufall, daß der Heuchler — für einen solchen muß man ihn ja nehmen — Glauben ge¬ funden , denn das Mädchen nimmt seine Versicherungen für bare Münze." „O, dann darf ich keine Hoffnung mehr hegen", sprach Al¬ bert cntmuthigt und äußerst niedergeschlagen. „Verlieren Sic den Muth nicht! Die Frauen haben ein sehr unbeständiges Gcmüth; Sie müssen als Retter der Dame erscheinen. Um das thun zn können, brauchen wir Beweise, bloßen Worten glaubt das Mädchen ohnehin nicht. Morgen nm die Abendstunde will ich Sic an einen Ort führen, wo Sie sich von der Wahr¬ heit des eben Gehörten mit eigenen Augen überzeugen sollen. Sic sprachen noch mancherlei, doch verrietst der Poet von dem Billete nichts, um den Freund nicht noch mehr in Aufregung zn bringen. Der letztere empfahl sich mit dem Versprechen, kommen¬ den Tages in der Abenddämmerung zn erscheinen. Der Poet indes; fühlte noch keinen Drang in sich, den Heimweg anzntreten, son¬ dern setzte sich an einen andern Tisch, nm Journale zn lesen. Bald jedoch wurde seine Aufmerksamkeit von der Lectüre abge¬ lenkt und einem zwischen zwei Herren mit halblauter Stimme ge¬ führten Gespräche zngewandt. Um die beiden in dem Wahne zn er¬ hallen , als ob sie niemand höre, gab er sich den Anschein des eifrigsten Lesens, nur neigte er sich seitwärts, um kein Wort des interessanten Dialoges zu verlieren. „Wie gesagt," fuhr einer der Sprecher, in dem wir jenen elegant gekleideten Herrn erkennen, der aus dem Casinogartcn dem Fremden gefolgt war, in seiner Erzählung fort, „ich glaube, mit Sicherheit annehmen zu können, daß das fragliche Individuum mit dem ans Bremen durchgcgangenen Casscndiebe identisch sei." 43 „Wie aber/' erwiderte der andere, dessen Gesicht von dem Poeten abgekehrt war, „erklären Sie sich seine Anwesenheit in dieser Stadt? Es hieß ja allgemein, daß er nach Amerika ent¬ flohen sei." „Dieses Gerücht hat er selbst absichtlich ansgcstrent, nm die Berfolger auf eine falsche Fährte zn leiten. Ich ließ mich indeß dadurch nicht irre führen, sondern forschte nach allen Richtungen der Windrose. Und was ich vermuthct hatte, war wirklich der Fall." „Sie fanden also seine Spnr?" „Ja, obwohl sorgfältig verwischt. Er mußte wissen, daß die Eisenbahnen zwar die schnellsten, aber für Leute seines Schla¬ ges zugleich auch die unsichersten Communicationswcge seien, nud kanfte sich bei einem jüdischen Pferdehändler ein Pferd. Auf welche Art er sich Pässe verschaffte, ist mir nicht bekannt, jedenfalls aber müssen dieselben falsch sein, denn seinen Namen habe ich ver¬ öffentlicht." „Wie konnten Sie denn fortwährend ans seiner Spnr bleiben?" „Da ich eine ins Detail gehende Beschreibung seiner Person bei mir führte und mich überall nach ihm erkundigte, so war es nicht sehr schwer. In Lin; scheint er sein Pferd veräußert zu haben, denn von da fehlte die Spur. Durch sorgfältige Nach¬ fragen brachte ich indeß in Erfahrung, daß er von da bis Laibach die Eisenbahn benützt habe. Ich setzte ihm also nach und glaube, am Ziele zu sein. Als ich nämlich vor einigen Tagen in einem hiesigen Bergnügnugsgarten der Mnsikprodnction beiwohnte, kam ein ihm frappant ähnlich sehender, elegant gekleideter Herr au mir vorüber. Ich folgte ihm nud erfuhr ans diese Art seine Wohnung." „Nud wo logirt er?" „Er benützt eigentlich zwei Wohnungen, die eine in einem ansehnlichen Hause auf dem Hauptplatze, die andere, wahrscheinlich interimistische, in einer engen Gasse." Der Poet war ganz Ohr. „Sind Sie auch Ihrer Sache gewiß? Auf die bloße Aehn- lichkeit hin kann man ihn nicht festnehmen!" 44 „Das bedachte ich auch, und deshalb suche ich nach Beweisen. Seine Papiere sind in der besten Ordnung. So lange er sich keine Blößen gibt, kann man ihm nichts anhaben, und wenn er nur den leisesten Anschein von Gefahr wittert, so wird er um so leichter verschwinden, als ich leider nicht mit den nothwendigcn Vollmachten gehörig ausgerüstet bin und den meisten Erfolg von einer Plötzlichen Ueberrnmpelung erwarte. Was mich daher am meisten beunruhiget, ist der Umstand, daß unterdessen all' das entwendete Geld schwinden könnte, denn er scheint mit demselben sehr verschwenderisch nmzngehen." „So weit meine Hilfe nöthig sein wird, können Sic aus mich zählen. Es sollte mich wundern, wenn er uns entwischte, da er doch von Späheraugen unausgesetzt beobachtet wird." „Der Mensch scheint trotz seines Scharfsinnes davon nicht das geringste zu merken; vielmehr hat er bereits ein Liebesver- hältniß angcknüpft, angeblich mit der schönen »nd reichen Tochter eines Rentiers. Der Kerl hat horrendes Glück bei den Damen, doch glaube ich, daß er viel mehr auf das Geld des Reutiers, als auf den Besitz der Tochter specnlirt. Oder sollte er sich hier niederlassen und tugendhaft werden wollen?" „Oho! Man legt seine Gewohnheiten nicht so leicht ab. Meiner Meinung nach wird er verschwinden, sobald er das Geld des Rentier hat. Die Katze läßt das Mausen nicht. Das Hei¬ raten ist bei ihm eine Ccrcmonie, auf die er nicht viel hält. Ist sie nothwendig nnd kann er sie nicht umgehen, so wird er nach derselben unsichtbar werden." „Vorausgesetzt, daß wir ihm Zeit dazu lassen. Da dies aber nicht in nnscrm Plane liegt, so dürfte er schwerlich dazu kommen." Hierauf ging das Gespräch auf gleichgiltige Dinge über. Dem Poeten war kein Wort entgangen. Wegen des Zusammentreffens so vieler Umstände zweifelte er keinen Augenblick daran, daß der Fremde und das Individuum, von dem soeben die Rede gewe¬ sen, eine und dieselbe Person sei. Den glücklichen Znsall preisend, der ihm eine neue Waffe in die Hand gegeben, legte er die Zei- 45 tung weg und suchte jetzt erst, mit dem vollendeten Tagewerke höchst zufrieden, den Heimweg. Als er über die Schusterbrticke schritt, schlugen die Thurnmhren die MitternachtSstnnde, eine nach der andern; dazwischen ertönten die monotonen Rufe der ablösen¬ den Wachen vom Schloßberge herab. Nachdem auch diese verhallt waren, störte die nächtliche Stille nur noch das dumpfe, unheim¬ liche Rauschen des dunklen Laibachstusses. Siebentes RnMes. Der Lauscher. Es ist ein Markttag. Dichte, brausende Menschenmassen wo¬ gen hin und her, ein unbestimmtes Summen tönt von den Markt¬ plätzen herüber. Man sieht allerlei Volk ans der Stadt und Um¬ gegend. Laibach hat einen bunten Anstrich, gleich den vor den Ge¬ wölben hängenden Stoffen aus Paris, Manchester, China n. s. w. Alles ist geschäftig, alles rennt, alles unterhält, langweilt sich. Mitten durch das Gewühl drängen sich zwei uns bekannte Personen: es ist der Fremde mit seinem neu acgnirirtcn Freunde, dem Manne Fanny's. Sie waren sehr schnell Freunde geworden, denn der letztere war ungemein lebenslustig und cs war nicht schwer, seine Freundschaft zu gewinnen, selbst unter minder gün¬ stigen Umständen, als sie hier obwalteten. Zudem schien der Mann Fanny's — wir nennen ihn Josef, theils, weil solche Namen in Laibach häufig sind, theils weil wir den wahren nicht ver¬ lachen wollen — für seine junge, reizende Fran nicht besonders zu schwärmen; der Thermometer seiner Liebe war trotz des kurzen Bestandes seiner Ehe beinahe auf den Nullpunkt gesunken. Er fand am früheren Jnnggesellenlebcn noch sehr viel Geschmack und be¬ suchte deshalb alle Vcrgnügnngsortc und geselligen Zusammen¬ künfte, theils allein, theils, jedoch selten, mit seiner jungen Frau, deren Unterhaltung er bei solchen Anlässen gewöhnlich anderen über- 46 ließ. Dieses fiel in der Gesellschaft nicht zu sehr auf, da man gerne annahm, daß die beiden zn Hanse glücklich seien, bei öffent¬ lichen Vergnügen sich indeß durch eifersüchtige Beobachtung keinen Zwang anthnn wollten. Da kein häuslicher Zwist verfiel, so konnten die Basen und Muhmen die junge Ehe nicht in den Bereich ihrer Plaudereien ziehen; man sagte nur, daß beide sehr vernünftig seien. In diesen kleinen Familienkreis also sollte der Fremde heute cingeführt werden. Es schlug soeben zwölf Uhr nnd die Glocken sämmtlicher Kirchen kündigten in mehr oder minder gefälliger Harmonie die Mittagsstunde an. Unsere zwei Marktbesncher traten den Heimweg an. In der Wohnung angelangt, stellte Josef den Fremden als seinen erst gestern gewonnenen vortrefflichen Freund und Bewohner des zweiten Stockwerkes vor. Fanny war von dem Besuche bereits unterrichtet worden und kannte denselben schon, wie sich unsere Leser erinnern werden. Nach einigen der üblichsten Redensarten setzte man sich zur Tafel, die einfach, aber geschmackvoll hergerichtet war. Der Fremde be¬ nützte diesen Umstand als Anlaß, der reizenden Ordnerin ein schmeichelhaftes Compliment zu machen, worauf diese verlegen er- röthend erwiderte: „Sie sind ein Dichter, nnd Dichter sind sehr nachsichtig nnd finden überall Stoff zur Bewunderung, wenn auch das Ange eines nüchternen Beobachters nichts dergleichen bemerkt oder zu bemerken geneigt ist." Wie die Leser aus dieser Aeußernng ersehen, hatte Fanny ihren anfangs 'gefaßten Groll gänzlich überwunden nnd alle Vor- urlheile fallen lassen. Das Gcmüth der Frauen ist wandelbar. Diese schnelle Veränderung deutete der Fremde zn seinen Gunsten nnd glaubte das Schwerste bereits überwunden zn haben, In die¬ sem Glauben bestärkte ihn noch der Umstand, daß die junge Frau seinen Erzählungen aus Nah und Fern mit großer Aufmerksam¬ keit folgte, während sich der Genial mit großem Eifer der an¬ genehmen Beschäftigung des Essens hingab. Auch nach dem Diner überließ er dem Gaste die Unterhaltung seiner Fran, welche au dem gebildeten nnd galanten Erzähler sichtlich viel Gefallen fand. 47 Wer hätte ihr das auch übel nehmen wollen?! Sie, die fast im¬ mer auf ihre und ihrer Freundin Gesellschaft angewiesen war und ihres lebhaften Temperaments wegen diese Entsagung nur mit schwerem Herzen ertrug, sehnte sich nach Abwechslung. Daß der angenehme Gast andere Absichten auf sie habe, daran dachte die Unerfahrene nicht, obivohl sie sich, gleich andern jungen Frauen, ihrer Schönheit wohl bewußt war. So verging Stunde nm Stunde, keiner von beiden schien cs zu bemerken, bis endlich der Genial, der bisher in seinem Schreibzimmer beschäftiget gewesen und nur auf Minuten herein- gekommen war, cintrat und seinen Freund fragte, ob es ihm nicht angenehm wäre, mit ihm einen Spaziergang zu machen. Diese Aufforderung war gewissermaßen ein Wink mit dem Zaunpfahl, weshalb der Fremde sich höflich empfahl und mit einem trium- Phirenden Lächeln ans den Lippen seinem Freunde voranschritt. Die Abendsonne war dem Sinken nahe, die Schatten der Bäunie waren unendlich lang geworden; die Promenaden der Sternallce belebten sich mit den Schönheiten Laibachs, begleitet von sorgsamen Müttern oder besorgten Vätern und zärtlichen Brüdern, verfolgt von Anbetern mit überschwenglichen Gefühlen und großen und kleinen Herzen. Unser Poet nur schien zu dieser Art von Leuten mit menschlichen Gefühlen nicht zu zählen, denn er ließ, an einen Baum gelehnt, ohne einen sichtbaren Eindruck, alles Revue passiren, er grüßte nur manchmal einen Vorüber¬ gehenden bald ehrfurchtsvoll, bald vertraulich. Endlich sah er seinen Freund Albert melancholisch und doch mit ungeduldiger Hast her¬ ankommen und eilte ihm entgegen. „Nun, da bin ich, gewärtig der Dinge, die da kommen sol¬ len !" So sprach Albert, dem Freunde die Hand reichend. „Vor allem," erwiderte dieser, „wappnen Sie sich, denn die heutige Probe erfordert einen großen Grad von Selbstbeherr¬ schung. Wären Sie im Stande, ohne ein Wort zu reden, ohne die geringste Anstalt zur Abwehr der List oder Gewalt zu treffen, 4 48 ruhig zuzusehen, wenn Ihnen Ihr Liebstes vor den Augen weg¬ genommen würde? Mnthen Sie sich also einen solchen Grad von Selbstbeherrschung zu, dann und nur dann kann ich Sie an einen Ort führen, wo elwaS Aehnlichcs vor sich gehen soll. Es gilt nämlich, Ihres Nebenbuhlers Pläne zu durchschauen, um dann ge¬ eignete Maßregeln zur Vereitelung derselben zu treffen." Albert ahnte, um was es sich handelte. Diese Alternative war allerdings eine harte Nuß, doch er mußte hineinbeißen, wollte er selbst seinen Zwecken nicht entgegenhandcln. Nach kurzem Be¬ sinnen sprach er: „Hier meine Hand! Die Zähne will ich znsammenpressen, daß sie bis auf's Blut in die Lippen dringen, aber rühren will ich mich nicht, kein Laut soll über meine Lippen kommen, und sollte ich vor Zorn und Schmerz wahnsinnig werden." „So kommen Sie, es wird Zeit sein!" Die beiden nahmen ihren Weg gegen Amaliens Wohnung. Als sie das angrenzende Haus erreicht hatten, sprach der Poet: „Glücklicher Weise wohnt hier einer meiner früheren Colle¬ ge» ; durch seine Vermittelung ist mir für den heutigen Tag der Garten zur Verfügung gestellt worden. Von hier aus kann man durch einige Oeffnnngen in der Bretterwand nicht nur den ganzen nachbarlichen Garten übersehen, sondern auch alles hören, was in der Laubhütte gesprochen wird. Noch einmal muß ich Ihnen einschärfen, sich möglichst still zu verhalten, mag kommen, was will, denn es handelt sich um Ihr Glück." Albert versprach alles Denkbare, und so betraten beide den Garten und wählten ihre Beobachtnngspliitze dicht bei einander, knapp an der Wand. Kaum fünf Schritte von da stand in der Ecke des NachbarögartenS, nur durch die besprochene Wand ge¬ trennt, eine schattige Laubhütte, ein trauliches Plätzchen für ein liebend Paar. Unterdessen halten sich die dunklen Fittige der Nacht über die Stadt herabgescnkt, sämmtliche Gegenstände erschienen in jenem Halbdunkel, das weder Tag, noch Nacht genannt werden kann und füglich ein Interregnum zwischen der Herrschaft der Sonne 49 und des Mondes ausfüllt. Schon zeigte sich auch in mittelmäßi¬ ger Höhe die noch nicht volle Scheibe des letzteren, welche nach und nach bestimmter hervortrat und ihr blaßgelbes Licht über sämmtliche Gegenstände anSzngießen begann, wodurch die Blumen des Gartens ihre Farbe cinbüßtcn. Die spähenden Augen der beiden Horcher konnten lange nichts wahruehmcn; Albert harrte mit pochendem Herzen der Dinge, die da kommen sollten, und wurde immer ungeduldiger, so daß der Freund alle Mähe hatte, ihn zu beschwichtigen. Das feine Ohr des Poeten hatte nämlich außerhalb der Mauer Schritte eine« Auf- nud Abgehenden vernommen In diesem Augenblicke deutete auch das Knarren der Gartculhiirc die Ankunft menschlicher Wesen an. Durch einen leichten Shawl gegen die noch immer ziemlich scharfe Lnft geschäht, erschien Amalie, gefolgt von einer ältlichen Person von keineswegs abschreckendem Wesen; auf dem Gesichte der alten Frau war vielmehr ein hoher Grad von Gntmäthigkcit zu lesen. „Oeffne die Thllre, Marianna!" ließ sich Amaliens befangene Stimme vernehmen, „und daun bleibe in der Nähe!" Albert pochte das Herz hörbar, als er seine Angebetete kaum sätts Schritte von ihm sich nicdcrlassen sah. Die Dienerin gehorchte. Kaum war die Thär aufgegangen, so erschien der verhaßte Fremde, sah sich spähend um, und als er Amaliens ansichtig wurde, eilte er auf sie zu. „Holdes Wesen," begann er, sich auf ein Knie »iederlasseud, „Inbegriff aller meiner Seligkeit, wie danke ich Ihnen für diese Stunde ungestörten Beisammenseins!" „Stehen Sie auf, junger Herr!" sprach Amalie in holder Verwirrung. „Bedenken Sie, wir sind nicht allein!" „Nicht allein'?" ries der Galan, sich nmschend; „ach richtig, Ihre Zofe ist da." lieber die letztere Wahrnehmung schien er eben so sehr ver¬ stimmt, als durch Amaliens Gegenwart entzückt. Ihre Hand fassend, fuhr er fort: 50 Sie trauen mir also nicht ganz? Dieses Mißtrauen kränkt mich empfindlich. Durch die theilweisc Gewährung meiner Bitte haben Sie mich schon überglücklich gemacht, vervollständigen Sie dieses unbeschreibliche Glück durch die sofortige Entfernung dieses weiblichen Wächters!" Sie sind kühn, Sie fordern viel, sehr viel, mehr sogar, als ich gewähren kann und darf. Die treue Dienerin ist ohnehin in mein Gehetmniß eingeweiht und verschwiegen, wie das Grab." „Der Schuft, der Verführer!" dachte der Poet und gab sich die größte Mühe, seinen Freund znrückzuhalten, der vor Wuth alle Farben spielte und jeden Augenblick über die Bretterwand springe» wollte, nm den Gegner aus dem Felde zu schlagen. Nach und nach wurde das Gespräch jenseits leiser; der Fremde hatte neben Amalien Platz genommen und sprach immer eindring¬ licher. Amalie schien den süßen Worten der Liebe begierig zu horchen, denn es waren die ersten, die sie je vernommen. So plauderten sie eine geraume Weile. Keine Feder ist im Staude, Alberts Zustand zu schildern! Er litt Höllenqualen, denn er mußte ruhig zuscheu, wie ein anderer vielleicht in böser Absicht mit dem Gegenstände seiner heiligsten Gefühle sein Spiel trieb. Oesters ballte er die Fäuste und nur die fortwährenden Er¬ mahnungen seines Freundes konnten seine Wulh am Ausbruche hindern. Der Poet seinerseits dachte: „Der Fremde ist entweder ein Virtuos im Heucheln, oder seine Liebe ist aufrichtig. In beiden Fällen ist das Mädchen zu bedauern." Die alte Dienerin hatte durch ein leises Hüsteln bereits öfter daran gemahnt, daß cs Zeit wäre, das Rendezvous zu beendigen; als jedoch alle diese Winke von dem Liebespaare unbeachtet blie. ben, trat sic geräuschvoll heran und erinnerte an die bereits sehr vorgeriickle Abendstunde und an die scharfe Luft, welche der zarten Gesundheit Amaliens schaden konnte. „Darf ich auf die Wiederholung einer gleich glücklichen Stunde hoffenSo sprach der Fremde ausstehend und Amaliens Hand küssend. 51 „Morgen Abends um dieselbe Zeit!" flüsterte Amalie, wie eine Gazelle davonhüpfend. „Auf Wiedersehen, Du holder Himmelsengel!" Nach diesen Worten verschwand er durch die Thüre, welche die Dienerin hinter ihm schloß. „Nun, wie sind Sie von dem Schauspiele erbaut worden?" fragte der Poet seineu Freund, als beide aus dem Garteu hin- ansschritteu. Dieser gab keine Antwort, es war ihm zu Mathe, als ob in dieser Staude ali' sein Glück zu Grabe getragen worden wäre. Stumm folgte er dem Poeten, der nichts unversucht ließ, ihn bes¬ ser zu stimmen. Als jedoch alle seine Mühe ohne Erfolg war, be¬ schloß er, ihn seinen eigenen Gedanken zu überlassen, wünschte ihm, vor dessen Wohnung angelangt, eine gute Nacht und ging seiner Wege. Albert sah ans, und da sein Begleiter nicht mehr bei ihm war und er auch sein Logis erkannte, so schritt er mechanisch die Treppen zu seinem Zimmer hinauf, wo er sich gänzlich abgespannt, angekleidet aus's Lager warf. Mtes AliMes. Der Spion. Wir überspringen einen Zeitraum von zwei Wochen, um unsere geehrten Leser durch Schilderung gleichartiger Begebenhei¬ ten nicht allzu sehr zu ermüden. Es genüge die Bemerkung, daß der Fremde unterdessen nicht nur die Liebe Amaliens, sondern auch ein ungewöhnliches Interesse Seitens ihrer Frcnndin Fanny sich zu erwerben gewußt hatte. Bei der letzteren machte er häufige Besuche, doch nur, wenn deren Manu, dessen ganze« Zutrauen er besaß, anwesend war. Ihr Freuudschaftsband mit Amalie war unterdessen lockerer geworden, sie sahen sich seltener und selbst dann sprachen sie nie mehr über 52 dm fraglichen Fremden, da eine jede von beiden cs sorgfältig ver¬ mied, dieses Thema zu berühren. Der Mann Fanny's amüsirte sich mitlerweilc mit dem Frem¬ den in allerlei Gesellschaften, welche mitunter nicht immer die aus¬ gesuchtesten waren. Da diese Lebensweise natürlich sehr kostspielig war und Josef im „Aufhauen" nicht hinter dem Fremden Zurück¬ bleiben wollte, obschon seine Geldverhältnisse nicht die glänzend¬ sten waren, so grrieth er nach und nach in Schulden, welche im Verhältnis; zu der kurzen Zeit eine für ihn bedeutende Höhe er¬ reichten. Um seine Gläubiger zu befriedigen, mußte er zu allerlei Mitteln greifen, die er sonst verworfen hätte. Von alledem wußte Fanny natürlich nichts, sic vermied es auch, nach dem Zwecke und Ziele der häufigen Exkursionen ihres Mannes zu fragen Die Stimmung AibcrtS war im wesentlichen dieselbe, wenn er sich auch nachgerade in sein Schicksal zu sägen begann. Die Tröstungen und die stets frohe Laune des Poeten, der unterdessen die Zusammenkünfte Amaliens mit dem Fremden häufig belauschte, um über dcu Fortschritt des Verhältnisses stets im Klaren zu sein, übten auf ihu einen vortheilhaften Eindruck, so daß er an der Erfüllung seiner heißesten Wünsche nicht gänzlich verzweifelte. Trotz der eifrigsten Beobachtungen gelang es dem Poeten nicht, weitere Beweise wider den Fremden zu erlangen, obschon er sich mit den beiden Herren, welche ihm auf der Spur waren, in Verbindung gesetzt hatte. Es ließ sich nichts Verdächtiges bemerken. Der Gegen¬ stand der Beobachtung lebte nach wie vor, seine Papiere waren in der besten Ordnung und die beiden genannten Herren, vcrmnthlich Polizeiorganc ans Bremen, waren bereits nahe daran, ihre Nach¬ forschungen als erfolglos auszugcben. Der Poet fühlte, daß cs die höchste Zeit sei, zu handeln. Eines Tages hatte der Fremde, wie öfters, bei seinem Freunde sonpirt und saß jetzt neben der liebenswürdigen Hausfrau. Der Mann hatte sich entfernt. Es war das erste Mal, daß er seine Fran mit dem Fremden allein ließ; er glanbte dies thnn zu dürfen, denn derselbe war ja ein vortrefflicher und intelligenter Hausfreund. Auch sprach dieser nie von Liebe, höchstens drückte er der jungen 53 Frau seine Verehrung und Bewunderung in sehr gewählten Wor¬ ten aus, was diese fiir einen Tribut hinnahm, den ja alle Männer den Damen zollen. Heute jedoch lenkte er das Gespräch ans dieses Thema; er verlor sich immer mehr hinein. Fanny hatte anfangs den säßen Worten halb willenlos ge¬ lauscht, als er aber ihr entdeckte, welche Gefähle ihre unwiderstehliche Liebenswürdigkeit in ihm erweckt habe, da gewahrte die junge Frau Plötzlich den Abgrund, an dessen Rande sie bereits zu schwe¬ ben glaubte. Immer glühender wurde die Sprache des Gastes, die Betheucrungcu seiner Liebe, deren Glut ihn zu verzehren drohe. „Sie vergessen, mein Herr, daß ich die Frau eines Anderen bin und solche Worte nicht hören darf! Es märe dies ein Ver¬ brechen!" So sprach Fanny ausstehend, mit einer der beleidigten Frauenwürde eigenthümlichcn Hoheit. „Die Liebe kennt kein Verbrechen!" antwortete der Fremde, sich auf die Knie niederlassend und ihre Hand leidenschaftlich fassend. „Erhören Sie mich, Fanny, oder ich gehe zn Grunde! Ein Blick nur, Fanny, ein Händedruck —" Draußen ließen sich Schritte vernehmen. Fanny war in Verzweiflung und suchte vergeblich ihm ihre Hand zu entwinden. „Mein Gott, was beginnen Sie?! Wenn man uns in die¬ ser Situation sieht! Stehen Sie doch auf, mein Herr!" „Nicht eher, als bis Sie mein Flehen erhören ! Was kümmert mich die Welt, wenn Sie mich verstoßen, Sie, die Sonne meines Lebens !" Fanny's Lage war unbeschreiblich peinlich ; die Schritte kamen immer näher, schon waren sie an der Thüre hörbar, und wenn man den jungen Mann in dieser Stellung bei ihr antraf, so war ihre Ehre, ihr Ruf dahin. In der größten Verzweiflung flehete sic: „Erbarmen, niein Herr, schonen Sie meinen Ruf!" „Ein Wort, Fanny, ein einziges! —" Man pochte an der Thüre. Noch eine Secunde, und sie war verloren. „Was verlangen Sie denn von mir Unglücklichen?" 54 „Sagen Sie nur ein einziges Wort der Gewährung! Darf ich Hoffnung hegen? Sagen Sic: Ja!" „Nun, ja!" stieß Fanny, ihrer nicht wehr mächtig, hervor. Blitzschnell erhob sich der Kniende. Es war die höchste Zeit, denn gleich unmittelbar darauf ging die Thiire auf. Eine alte, hagere Gestalt in altmodischer Kleidung, mit stren¬ ger Miene und gerader Haltung trat herein. Die junge Fran hatte ihre Aufregung so viel als möglich bewältig!, um ganz un¬ befangen zu scheinen. „Grüß' Sie der Himmel, Herr Onkel! Welchem glücklichen Zufalle verdanke ich das Glück Ihres Besuches?" Hicmit ergriff sie die Hand des alten Herrn nnd führte ihn zu einem Sessel. „Hm! Ob Du den Grund meines Besuches für ein Glück ansehen wirst, ist noch eine bedeutende Frage. Doch" — fuhr der Onkel, ans den Gast zeigend, fort — „wer ist der Herr?" „Verzeihen Sie, Onkel, ich vergaß, beide Herren einander vorznstellen." Damit holte sie das Versäumte nach. Bei dieser Ceremonie entging dem Fremden nicht, daß ihn der andere niit mißtrauischen Blicken maß. Da er jetzt eine sehr überflüssige Person zn sein glaubte, so empfahl er sich, eitlen vertraulichen Blick auf Fanny werfend. Diese wich demselben ans und athmete erleichtert auf, als die Schritte des Abgehenden draußen verhallten. „Nm ans den Grund meines unerwarteten Besuches znrück- zukommen," begann der Herr, der als Onkel eingeführt worden war, „muß ich Deines liederlichen Mannes erwähnen. Seit einiger Zeit treibt er sich nämlich mit einem nen gewonnenen Freunde allerorts herum nnd wirft das Geld gleichsam mit vollen Hän¬ den weg. Dadurch >st er in bedeutende Schulden gerathen; er mag selber zusehen, wie er sich wieder flott macht, denn ich gebe ihm, so wahr ich lebe, nicht einen Heller mehr. Wo steckt denn der Schlingel? Ist er wieder nicht zu Hanse?" „Mein Gott, Onkel, was erzählen Sic?" sprach die junge Fran bestürzt. „Das alles kann nicht wahr sein, böse Zungen haben 55 ihn verleumdet! Er ist ja s» aufrichtig, er hat mir noch nie etwas verheimlicht." „So thnt er das jetzt zum ersten Male. Vermnthlich ist der saubere Herr Freimd der Urheber dieses Treibens." Die junge Frau erwiderte nichts, thcils weil sic von diesem Schlage zu sehr betäubt war, nm geeignete Worte finden zu können, thcils weil sie die Tragweite der Schuld ihres Mannes nicht kannte. Da keine Antwort erfolgte, so fuhr der Onkel fort: „Mit diesem Freunde soll's noch dazu eine eigene Bewand- niß haben; man munkelt allerlei und die Zeit dürfte nicht in allzu weiter Ferme liegen, wo sich der Falter cntpnppen wird. — Doch genug davon! Dein Mann ist nicht da, nur um ihn zu treffen, kam ich hicher. Du kannst ihm unterdessen, wenn er heimkommt, eine tüchtige, wohlverdiente Gardinenpredigt halten, worauf sich ja alle Frauen sehr gut verstehen. Dies wollte ich Dir gesagt haben, und somit Gott befohlen!" Als der Onkel verschwunden war, sank Fanny in Folge der ans sie in so kurzer Zeit cingcstttrmten Ereignisse erschöpft und halb bewustlos auf das Sopha. So fand sie ihr nach geraumer Zeit znrückkehrender Gatte. Zn welchen Erörterungen es dann kam, können sich die geehrten Leser denken; wir wollen dieselben nicht weiter ermüden und kehren zu dem Poeten zurück. Dieser war beinahe den ganzen Tag müssig hernmgestrichen und saß gegen Abend, wie gewöhnlich, an den Barrieren der Stcrnallce in einer lustigen Schaar von Studenten, als er den bewußten Fremden in ungewöhnlicher Hast vorübercilen sah. Einen außerordentlichen Vorfall vermuthend, sprang er ihm in müßiger Entfernung nach, so daß er ihn fortwährend im Auge behalten konnte. Es war ihm ohnehin in dem Benehmen des Fremden eine cigcnthümliche Unruhe ausgefallen, die jener vergebens zu be- mcistern suchte. Daher glaubte der Poet am Vorabende unge¬ wöhnlicher Ereignisse zn stehen. War dem Fremden vielleicht plötz¬ lich seine Dnlcinca untren geworden? Oder hatte der Vater der letzteren das Verhältnis; erfahren und wollte es gewaltsam lösen? 86 Oder hatte endlich der Fremde dK Nachstellungen bemerkt nnd die zwei Herren, welche ihm auf der Spur waren, erkannt? Alle dieseFrageu drängten sich in dem Poeten zusammen, während er jenem durch die Gassen folgte. Bald war Amaliens Wohnung erreicht nnd am Fenster zeigte sich daS blähende Gesicht der letz¬ teren. Sie warf dem Vorübergehenden einen kaum bemerklichen Blick des Einverständnisses zu, der jedem andern entgangen wäre, nur nicht den scharfen Augen des Poeten. Es war dies offenbar eine Aufforderung zu einem Rendezvous, welchem auch der Poet bcizuwvhncn beschloß. In dieser Absicht verfügte er sich in den Nachbargarlcn nnd faßte an seinem gewöhnlichen Platze Posto. Nicht lange darauf erschien Amalie, diesmal zum ersten Male allein; zu gleicher Zeit wurde auch die Gartenpforte geöffnet nnd der Fremde zeigte sich. Sobald er Amalie gewahrte, eilte er auf sie zu und wollte sie umarmen. Sie drängte ihn jedoch zurück nnd sprach mit melancholischer Stimme: „Heute sehen wir uns zum letzten Male, mein thcuerstcr Freund, dann müssen wir scheiden." „Scheiden?" erwiderte dieser bestürzt. „Nein, nimmermehr! O Amalie, Sie begreifen nicht, daß Scheiden bei mir gleichbe¬ deutend ist mit Sterben! Sie lieben mich nicht, Sie können mich unmöglich je geliebt haben, wenn Sie vom Scheiden in so gleich- giltigcm Tone sprechen!" „O Heinrich! (unter diesem Namen hatte er sich bei ihr cingcführt) Gott vergebe Ihnen diese Kränkung! Habe ich je einen derartigen Verdacht verdient? Für mich ist daö Scheiden nicht minder bitter, als für Sic, allein das unbezwingbare Geschick will es so. Mein Vater billigt meine Liebe nicht und läßt sich durchaus nicht umstimnicn. Er gebot mir mit kurzen Worten, da? Vcrhältniß zu lösen nnd ist entschlossen, mit nur fortzuziehen, falls ich ihm nicht gehorchen würde; ja noch mehr, er will mich nngcrathcnes Kind verstoßen." „Unvorsichtige! Wie konnten Sie Ihren Vater von unserer Liebe in Kennlniß setzen? Waren wir nicht glücklich genug? llud nun soll unser Glück ein so plötzliches Ende nehmen!" 57 „Es muß sein, Heinrich, ich muß mich dem Gebote meine? Vaters fugen, will ich nicht seinen Fluch auf mich laden." „Ich Thor, der ich auf die Liebe des weiblichen Herzens goldene Berge baute! Ja, so lange keine Hindernisse sich cnt- gegeuthltrmen, sind sie standhaft, dann aber stoßeu sie dm Armen, der so unglücklich war, sich in ihre Netze zu verstricken, unbarm¬ herzig von sich und überlassen ihn der Verzweiflung. Was küm¬ mert es sie auch, ob ein Mäunerhcrz bricht? Sie finden ja reich¬ lichen Ersatz in den Annen eines andern!" Diese Worte, im Tone der bittersten Ironie gesprochen, ver¬ fehlten ans Amaliens Herz die beabsichtigte Wirknng nicht. Sie brach in Thränen ans. „O Heinrich, wodurch habe ich diesen Vorwurf verdient? Ist es kein hinlänglicher Beweis meines Vertrauens zu Ihnen, wenn ich mich ganz in Ihre Gewalt gebe? Kann, darf man deitn mehr thnn?" „Welche naive Frage ! Sie kennen das Wesen der Liebe nicht! Die Liebe vermag alles, selbst dem Willen eines Vaters zu trotzen. Das ist die wahre Liebe, jenes Gefühl, das uns alle? Irdische vergessen läßt und uns zu Wesen edlerer Art gestaltet. Beseelte Sie eilt derartiges Gefühl, so würden Sie keinen Augenblick zau¬ dern, demjenigen zu folget,, der Ihnen alles zu opfern bereit ist." Es herrschte durch eine Minute lautlose Stille. Amalie be¬ stand einen harten Kampf der Liebe gegen da? Gefühl der kindlichen Pflicht. Endlich schien die erstere, wie in den meisten derartigen Fällen, die Oberhand zu gewinnen. „Nun wohlan, nin Ihnen allen Zweifel an der Größe und Aufrichtigkeit meiner Liebe zu benehmen, bin ich zu allem bereit, was immer Sie verlangen können. Was begehren Sie?" Diese Worte hatte Amalie mit äußerster Anstrengung hcr- vorgestoßeu, dann sank sie erschöpft auf die Batik in der Laube. Der Fremde hielt nun sein Spiel für gewonnen, denn sein Opfer war zn jedem Widerstande unfähig; um dasselbe nicht länger durch bittere Reden zn quälen, beschloß er einen mildern Ton anzu- schlageu. 58 „Verzeihen Sie, thenerste Amalie," begann er, „ich that Ihnen Unrecht. Können Sie mir verzeihen?" „Sie stellen mich wirklich ans eine sehr harte Probe, Hein¬ rich," hauchte sie. „Ich opfere Ihrer Liebe das Beste, das Thenerste, was ich habe, meinen Vater. Mögen Sie es nie bereuen, mich dazu getrieben zu haben!" „Amalie, Du Perle aller Mädchen, wärest Du bereit, Deinen Vater zu verlassen und mir zu folgen?" Amalie schreckte vor der Größe des Opfers zurück, das von ihr gefordert wurde. Wäre sie sich selbst überlassen gewesen, so hätte sic vielleicht noch einmal alle Pflichten bedacht, welche sie ihrem Vater gegenüber hatte. Das Drängen des Fremden indeß machte sie zn jeder Erwägung unfähig, und so erwiderte sie: „Wenn es sein muß, so bin ich dazu bereit, da mir kein anderer Ausweg übrig bleibt." „Dank Dir, herrliches Mädchen! Morgen nm diese Stunde sei bereit zur Flucht. Wir wollen nach den reizenden Gefilden Ita¬ liens eilen, bis des Vaters Zorn verraucht ist, was hoffentlich nicht lange währen wird. Dann kommen wir zurück als Mann und Frau, um nngetrruut die Lcbeustage auf blumigen Pfaden dahin¬ zuwandeln." „Ach mein armer, armer Vater! Ich fürchte, dieser Schlag wird sein Tod sein." „Eitler Wahn! Man grollt eine Weile, ist entrüstet, flucht vielleicht dem entarteten Kinde, aber zuletzt, wenn dieses Programm erschöpft ist, geht man zur Tagesordnung über, d. h. man wird vernünftiger, läßt sich erbitten und schließlich macht ein Fußfall und eine renmüthigc Bitte alles wieder gut. Darum entschließe Dich kurz: Willst Du mir folgen? willst Du mir angehörcn ?" Wieder kämpfte Amalie einen kurzen Kampf, daun sank sie dem Geliebten in die Arme mit dem Ausrufe: „Dein ans ewig!" „Morgen, nach dem Einbruch der Nacht, will ich mit einem Wagen hier sein. Rüste Dich zur geheimen Abreise, nimm alles mit, was Du Dein nennst, und gebrauche die größte Vorsicht, da- 59 mit durch cine vorzeitige Entdeckung unser Glück nicht vereitelt wird!" Nun folgte eine innige Umarmung, dann trennten sich die Liebenden, indem der Galan durch die Thür in der Mauer ver¬ schwand , Amalie aber halb bewußtlos langsam dem Hause zn- waukte. „Bis jetzt hast Du agirt, und wahrlich nicht schlecht! Nun beginnt der zweite Theil des Drama'«, worin ich die Hauptrolle übernehmen will/' So ries unser Poet, dem von der ganzen Scene nicht das Geringste entgangen war, und fuhr dann im Abgehen fort: „Also morgen schon will er seinem Werke die Krone anssctzen! Nnu, Poet, rüste Dich und sei ans Deinem Posten. Der Termin ist verdammt knrz, laß den Feind nicht eine Minute aus den Augen." Während dieses Mouologes hatte er seinen Posten verlassen nud stand gleich darauf auf der Gasse; hier sah er im Lichte der Gasstammen seinen Manu eiligen Schrittes davongehcu; eine Minute darauf war er ihm hart ans der Ferse. Der Fremde be¬ trat ein Kaffeehaus, ließ sich Papier und Dinte geben und schrieb einen ziemlich langen Brief. Der Poet beobachtete ihn scharf. Augenscheinlich enthielt der Brief Dinge von großer Wichtigkeit, den» er las ihn mehrmal durch, ehe er den Marquenr herbeiricf, um sich zu erkundigen, ob der Brief heute noch expedirt werden könnte. „Sie müßten denselben am Bahnhöfe abgcben!" antivortete dieser verbindlichst. „Dann besorgen Sie mir einen verläßlichen Boten ! Es wird sein Schade nicht sein!" „Gleich!" erwiderte der dienstbare Geist mit der unbewegli¬ chen Miene, die Lente seine« Schlages charakterisirt, und ver¬ schwand in einen Seitcnappartcmcnt. Unmittelbar darauf kam ans demselben ein kleiner Bursche von recht gewinnendem Aeußeru und stellte sich schweigend vor den Herrn, der eben den Brief siegelte. 60 „Da, Kleiner, trage diesen Brief aus den Bahnhof und bringe mir das Recepisse. Beeile Dich, ich will hier warten. Je schneller Du kommst, desto größer wird Dein Loh» sein!" Der Junge setzte seine kleinen Beine in eine hnrtige Bewe¬ gung ; unbemerkt hatte sich auch der Poet darauf entfernt und lies dem Boten nach. Bald hatte er ihn eingcholt. „Warte einen Augenblick, Kleiner! Der Herr, mein Freund, der Dir den Brief übergeben, halte etwas Wichtiges vergessen. Gib mir also den Brief und warte hier, Du sollst ihn gleich wieder haben!" Ohne Argwohn willfahrte der Jnnge. Der Poet eilte nun so schnell als er konnte in ein anderes Cafe, verlangte Papier und Tinte, versiegelte einen leeren Bogen, schrieb die Adresse des anderen Brieses darauf und eilte so schnell als möglich dem Jungen nach, der noch an derselben Stelle seiner harrte. Der Poet über¬ gab ihm nebst einem kleinen Trinkgelde den ansgetauschten Brief, der Junge eilte, ohne den Austausch zu bemerken, davon und brachte dem Fremden nach einer Weile das Recepisse, dieser besah es dann und steckte cs zufrieden in sein Portemonnaie. Der kleine Bote erhielt einen glänzenden Botenlohn, mit dem er vergnügt davonsprang. Der Fremde verließ später mit einem stereotypen Lächeln das Caso und verschwand sofort in den Windungen der Gassen. Aeunles Unjnles. Eine lmangntt'hmt Ilrberraschmus. Hastig, als brennte ihm der Boden nnttr den Füßen, eilte der Poet über das damals noch holprige Pflaster der Bahnhof¬ gasse hinab und machte nicht früher Halt, bis er das ,Casö Na¬ tionale' erreicht hatte. Hier verfügte er sich in die zweite, klei- 61 nere Abteilung, wo er, von niemand beobachtet, das llnepus ckcüoti in der Gestalt des geschmuggelten Biltets hervorzog. „Capitän Bk. van Hoven, Kanffahrteischiff ,Schwalbe/ der¬ zeit ini Hafen voll Triest," lautete die Adresse. Hastig öffnete er de» Brief, nnd wahrend er las, hätte ein aufmerksamer Beobachter den Ausdruck sich stets steigernder Ent- rnstnng aus seinem Gesichte wahrnehmcn können. „Elender Betrüger, Schurke, Dieb!" rief er nach dem Dnrch- lesen, den Brief sorgfältig verbergend, „diesmal ist Dein GlückS- schifs auf eine Sandbank gerathen. Du selbst hast uns Waffen in die Hand gegeben. Nun heißt das Losungswort: Handeln! Vor allem muß ich die zwei Verfolger des Schurken avisiren. Wenn ich sie nur zu treffen wüßte! Doch mein und des bedrohten Mädchens Schntzgeist wird mich nicht im Stiche lassen, ich ver¬ traue mich ganz seiner Leitung an." Eben wollte er das Cafö verlassen, als jene zwei Herren, die er aufsnchen wollte, cintratcn, wie sie cs seit einiger Zeit allabendlich zn thnn pflegten. Der Poet trat auf sic zn mit der Bitte, ihm in das kleinere Zimmer folgen zn wollen. Sie willfahrten seinem Wunsche, und nachdem der dienstfertige Marqneur das verlangte Getränk und Cigarren gebracht und sich entfernt hatte, wies unser Poct den Brief vor. Mit leicht erklärlicher Neugierde betrachteten die beiden die Adresse nnd riefet. Plötzlich einstimmig aus: „Wie kommen Sie zn dem Briefe? Das ist ja seine Schrift." Der Inhalt mußte sehr aufregender Natur sein, denn die Augen des einen funkelten förmlich vor Zorn, während über die Züge des andern ein trinmphirendes Lächeln zog. Unser Poet geberdetc sich gleich einem römischen Dictator, der mit Triumph sein Siegeswerk betrachtet. „Woher haben Sie den Brief?" fragte der cine der Herren, denselben znsammenfaltcnd. „Ich gelangte zwar auf keine redliche Art in den Besitz des¬ selben, allein ich glaubte meine That hinlänglich rechtfertigen zu 62 können durch den Spruch ,Der Zweck heiliget das Mittel.' Nnu inlissm wir eiuschreiten!" „Das isl jetzt unsere Sache, wackerer junger Mann. Wir bedurften nnr eines handgreiflichen Beweises gegen ihn; dieser ist da, wir schreiten gleich zur Verhaftung." „Halt, nicht so!" rief der Poet. „Gewähren Sie wir nun auch eine Bitte!" Und er erzählte ihnen die ganze Angelegenheit Alberts nud wie es sein Plan gewesen, ihn als Netter der Dame erscheinen zn lassen, damit er durch diesen Dienst zuerst deren Dankbarkeit und Freundschaft und in der Folge auch mehr gewinne. „Ein vortrefflicher Gedanke!" riefen die Herren „wenn er nnr ausführbar wäre." „Erlauben Sic mir, mich darüber näher zn erklären!" Hier¬ auf weihte er sie in seinen Plan ein und die Herren gaben ihm Beifall. Unterdessen war es bereits spät geworden, ohne daß sich Albert blicken ließ. Es blieb daher dem Poeten nichts übrig, als sich zur Ruhe zu begeben, nachdem man sich über die Verhal¬ tungsmaßregeln des folgenden Tages vollkommen geciniget hatte. Die ausgehende Sonne des folgenden Tages traf unfern Poeten ausnahmsweise schon ans den Beinen. Sobald er auueh- men konnte, daß sein Freund anfgestanden sei, beschloß er ihn anfzusuchen. Trotz der frühen Morgenstunde traf er denselben nicht mehr an; auf Befragen crluhr er, daß derselbe sich wahr¬ scheinlich nach dem reizenden Rosenbach begeben habe, was er seit einiger Zeit alltäglich zu thnn Pflegte. Auch dem Poeten gefiel die Tour ausnehmend, nicht nnr wegen des vortrefflichen Mokka, der am Ziele winkte, sondern mehr noch wegen des äußerst angenehmen und erfrischenden Spazierganges, der am Morgen Geist und Körper stärkt Ju der .Veranda' in Nosenbach saß eine gewählte Stamm- gesrllschaft ans behäbigen »nd gemächlichen Bürgern und plauderte über Einst nud Jetzt, über Geldnoth nud Gcschästskrisis. Vor¬ züglich war cs ein beleibter Herr mit rundem Gesicht und jungem 63 Vollbart, dessen Späße und wahre oder erfundene Anecdoten viel Gelächter erregten. Ueberhanpt schwamm alles in der animirtesten Stimmung, nur nicht Albert, der an einem Seitentische, den Kopf auf die hohle Hand gestützt, langsam und bedächtig seinen Kaffee schlürfte. So traf ihn der Poet, der sich nach einem Gruße an die lärmende Gesellschaft mit ihm in ein Gespräch einließ und nach kurzer Einleitung sogleich zum eigentlichen Thema überging. „Heute ist der Tag," begann er, „von dem es abhängt, ob Sie in der Liebe rcussircn, oder für immer auf den Gegenstand derselben verzichten müssen. Darum wappnen Sie sich, zeigen Sie Energie und vor allem stellen Sie sich so, als ob das Ganze Ihr Werk wäre. Mit dem Beweise des Vcrrathes in der Hand, den Sie Abends bekommen sollen, wird es Ihnen ohnehin nicht schwer sein, die Rolle des Retters zu spielen." „Nun gab er ihm Verhaltuugsregeln für den Abend. Ob¬ wohl dieselben Albert etwas dunkel vorkamen, so mußte er sich znsriedengeben, denn eine weitere Auskunft verweigerte der Poet. „Begnügen Sie sich." sprach er, „vorläufig damit. Morgen um diese Zeit wird Ihnen ohnehin alles klar sein." „Und Sie, lieber Freund, welche Rolle haben Sie sich zn- gedacht ?" „Ich? Run, ich habe eine zwar kleine, aber nichts desto- weniger sehr wichtige Aufgabe, nämlich den alten Rentier mög¬ lichst lange im Gasthause aufzuhalten. Zu diesem Zwecke will ich heute alle nur erreichbaren Zeitungen lesen, mehrere auch mit¬ nehmen, um sie dort der wißbegierigen Biirgerschaar zu expliciren. „Obwohl mir Ihre Anordnungen dunkel Vorkommen, so will ich mich dennoch ganz genau darnach richten und zu rechterZeit an Ort und Stelle erscheinen. Jedenfalls soll der heutige Tag über vieles entscheiden." Unterdessen hatte sich die Gesellschaft verloren, der Beruf rief einen jeglichen an seinen Posten; auch der Poet und sein Freund traten den Weg zur Stadt an. Unterwegs wurde noch manches über die bevorstehenden Ereignisse des Abends gesprochen. Albert 64 war guter Dinge, denn obwohl ihm sein Freund nicht alles ver- rathen, so ahnte er doch, um was es sich handelte. Dann trennten sie sich und jeder ging seinen Geschäften nach. Dem unruhigen, aufgeregten Albert nahmen die Stunden des Tages einen trügen Schneckengang. Auch der Fremde traf Anstalten zn Abreise, oder vielmehr zur Flucht. Heute in aller Friihc nämlich hatte ihn sein Emissär, der Rothe, ausgesucht und ihm den Dienst gekündigt, weil er ge¬ stern von der Polizei über dessen Thun und Treiben ansgeholt worden war. Da wittere er einen verdächtigen Wind, er wolle um keinen andern seine Haut zn Markte tragen n. s. w. Mit einem verächtlichen Lächeln entließ ihn der Fremde, ohne ihn eines Blickes zn würdigen. Als er hierauf bei Fanny vorsprechen wollte, wurde er nicht eingelassen, da ihm die alte Dienerin die Thüre vor der Nase zuschlug. Lauter Anzeichen, woraus er schließen mußte, daß die Luft nicht ganz rein sei. „ES ist an der Zeit," dachte er, „mich aus dem Staube zn machen, weil auch in meiner Casse der Boden immer mehr sichtbar wird. Das Täubchen ist im Käfig, ohne es im geringsten zu ahnen. Desto größer wird die Enttäuschung sein, wenn ich mich dem einfältigen Dinge gegenüber entlarve. Nun, Glückauf zn meinem neuen Meisterstreiche! Der Poet hatte den Tag über vollauf zn thun. Der Abschied von den zwei Herren war zwar nicht sehr herzlich, allein sie dank¬ ten ihm recht verbindlich für seine ausgiebige Hilfe, die dem Ge¬ lingen ihres Werkes so sehr förderlich war. Sobald der Abend hereingebrochen, suchte er das Gasthaus auf, wo er den Rentier zu treffen pflegte. Bei seinem Eintritte war der Gesuchte noch nicht anwesend, erschien indeß bald darauf. Nach nud nach ergänzte sich die Zahl der Gäste und alles horchte den Erzählungen deS Poeten mit größter Aufmerksamkeit, da er heute zum Plaudern besonders aufgelegt schien. Sehen wir uns nach Amalien um. Dem bcdauernswertheu Opfer einer allzu leichtgläubigen Hingebung waren die Stunden des Tages im Kampfe zwischen der Liebe und der kindlichen Pflicht 65 verflossen. Noch immer war sie unentschieden, sie schwankte fort¬ während, traf aber dessenungeachtet Anstalten zur Flucht, indem sie alle ihre Kostbarkeiten in ein Blinde! znsammenpackte und auch eine ihr gehörige Summe Geldes zu sich steckte. So war der Abend Hereingebrocken, die Sonne sank bereits und vergoldete die Spitzen der höchsten Berge. Sobald es völlig Dunkel wurde, legte sie einen Abschiedsbrief in ihres Vaters Secretär, nahm weinend Ab¬ schied von allen ihr theuren Gegenständen und verfügte sich in den Garten, nachdem sie die alte Dienerin mit einem Auftrage fort¬ geschickt und ihr bedeutet hatte, heute nicht mehr gestört werden zu wollen, denn sie fühle sich krank, eine Ausrede, der ihr blasses Aussehen in den Augen der Dienerin sehr viel Wahrscheinlichkeit verlieh. Nicht lange brauchte sie zu warten ; bald öffnete sich die Gar- tenthüre und mit dem Ausrufe: „Komm, Geliebte, der Wagen harret unser !" schloß sie der Eingetretene in seine Arme und führte die Bebende in die geräumige Kutsche. Der Schlag schloß sich und der Wagen setzte sich in Bewegung. Amalie zitterte vor Angst und Aufregung noch immer so heftig, daß sie unvermögend war, auf die zärtlichen Reden und Versicherungen ihres Begleiters zu antworten, obwohl sich dieser alle Mühe gab, sie zu ermuthigeu. Man mochte etwa ein Viertelstunde in scharfem Trab ge¬ fahren sein, als der Wagen Plötzlich stille hielt. Unwillig über die Störung und uni zugleich den Grund derselben zu erfahren, öffnete Amaliens Begleiter den Wageuschlag und bog sich hinaus, prallte indeft entsetzt zurück. „Belieben Sie, Gustav Roden, ganz ruhig ausznsteigeu, damit wir nicht in die unangenehme Nothwcndigkeit versetzt wer¬ den, Sie dazu zu zwingen." Um dieser Aufforderung noch mehr Gewicht zu verschaffen, ließ der Fremde, in dem wir einen der beiden Herren aus Bre¬ men erkennen, den glänzenden Lauf einer Pistole sehen. Beim Klange dieser Stimme fuhr Amaliens Begleiter zusammen. Doch gab er sich noch nicht verloren, sondern öffnete den zweiten 66 Wagenschlag und wollte entspringen, allein hier erwartete ihn der¬ selbe Empfang. „Was soll denn das ganze Arrangement?" rief er, in der Hoffnung, die beiden Herren irre zu führen. „Der Angriff beruhet offenbar auf einem Mißverständnisse, denn die Person, deren Namen Sie zu nennen beliebten, befindet sich nicht hier. Kutscher, fahre zu!" „Wer sind denn dann Sie?" hieß es zurück. „Keine Aus¬ flüchte, halten Sie uns nicht länger auf, damit die Dame, die das Opfer Ihrer Ränke hätte werden können, noch ber Zeiten heimlehrt. Künftighin seien Sie vorsichtiger bei der Ausführung Ihrer übrigens schlau angelegten Pläne, und vertrauen Sie Ihre Geheimnisse niemandem an, nicht einmal dem Papiere und der Post." „Der Brief war also mein Verräther! Adieu Zukunft, Adieu Freiheit!" Hiemit stieg er aus, wurde von den zwei Herren in die Mitte genommen und einen andern bereitstehenden Wagen zn besteigen genöthiget. „Sie thuu gut daran," schloß der eine der Begleiter, „das Aufsehen zu vermeiden. Auf diese Weise verschwinden Sie unbe¬ merkt vom Schauplatze Ihrer neuesten Thaten und retten wenig¬ stens den Schein, da Sie hier glücklicherweise keine verbrecherische Spur zurücklaffeu. Für den Fall einer Gegenwehr von Ihrer Seite war mau sehr gut vorbereitet und ein Entrinnen war gar nicht möglich." Dann rollte der Wagen in der Richtung gegen den Bahnhof fort. Von den drei Insassen sah inan keinen wieder. Der gegen Mitternacht heimkehrcndc Kutscher erzählte, die drei Herren hätten sämmtlich Billete in der Richtung nach Wien genommen. Einige Spielgesellschaften vermißten den jungen „reichen" Fremden; da man indeß nichts Genaueres über ihn wußte, so blieb er ver¬ schollen. Kehren wir zu Amalien zurück. Bei der unvermuthet schnellen Beendigung der Reise und bei der Entlarvung Ihres Geliebten war das unglückliche Geschöpf in Ohnmacht gesunken. In diesem Zustande traf sie Albert an, der der Verabredung gemäß am 67 Platze erschienen nnd Zeuge der Borfälle gewesen war Er begriff schnell den Zusammenhang und schauderte bei dem Gedanken au die Gefahr, welcher seine Auserwählte preisgegebcn war, denn er zweifelte keinen Augenblick daran, daß die Dame im Wagen sie sein miisse. Wie bang Pochte ihm das Herz, als er sich das Glück vorstelltc, mit ihr ganz allein in einem Wagen zu sein! Ein nie empfundener leiser Schauer durchrieselte seine Glieder, als er den Schlag öffnete, um der Auserwählten das Räthsel — ein solches war ja für sie die eben vorgesallene Scene — zu lösen und ihr zugleich ihre Rettung anzukündigcn. Die Worte der Entschuldigung blieben ihm jedoch in der Kehle stecken, als er sie ohnmächtig, fast leblos dasitzen sah. „Kutscher," ries er, „fahre zu, was die Gäule laufen können; es wartet Deiner ein doppeltes, dreifaches Trinkgeld. Zurück nach dem Orte, woher Dn die Dame gebracht." Der Angerufeue hatte mit offenem Munde sprachlos dm Vor¬ gang mitangesehen, ohne sich das Vorgesallene erklären zu können. Er war für eine längere Fahrt gemiethet worden und schien jetzt sehr zufrieden, als ihm der bereits bezahlte Betrag nicht nur nicht zurnckgesordert, sondern noch ein bedeutendes Trinkgeld in Aus¬ sicht gestellt wurde. Daher hieb er auf seine Rappen ein, daß sie mit Aeolus um die Wette rannten. Die durch das schnelle Fahren bewirkte Erschütterung brachte Amalie erst zur Besinnung. , „Wo bin ich?" rief sie, verwirrt um sich blickend. „Seien Sie ohne Furcht, verehrtes Fräulein," erwiderte Albert beruhigend; „Sie schwebten in einer großen Gefahr, der Sic durch Gottes Fügung glücklich entronnen sind." „Und wie kommen Sie hicher?" „Entschuldigen Sie, Fräulein, meine Kühnheit, allein da außer mir niemand da war, um Sie iu ihre Wohnung zurückzu¬ bringen, so unterzog ich mich dieser für mich eben so angenehmen, als ehrenden Aufgabe." „Das Vorgesallene," sprach Amalie indignirt, „war also eine abgekartete Sache! O, ich weiß, daß Sie mich mit Liebesanträgen 68 verfolge», doch, mein Herr, Sie irre» sich gewaltig, wenn Sie ans diese Art Ihren Zweck zu erreichen glauben. Bisher habe ich Sie nur bedauert, jetzt verachte ich Sie!" „Gönnen Sie mir nur ein Wort der Rechtfertigung und verdammen Sic mich nicht ungehört. Ihr vielleicht gegründeter Verdacht verwundet meine empfindlichste Seite. Ihr bitteres, nn- gercchtcs llrthcil würde sich ändern, wenn Sie nur die leiseste Ahnung gehabt hätten von der über Ihrem und Ihres Vaters Haupte schwebenden Gefahr. Hier der Beweis meiner Behauptung. Geruhen Sie diesen Brief zn lesen, sobald Sie in Ihrer Wohnung angelangt sein werden." „Mein Gott, was sagen Sie"? Soll ich Ihnen glauben? Sollte dieser Mensch wirklich ein Betrüger gewesen sein ? Ach, mein Vater! er wird mich bereits vermißt haben. Sein Zorn wird fürchterlich sein. Und dann Er!" — Sie sank in die Kissen zurück und brach in Thronen ans. Für Albert war die Situation unerträglich. Sollte er sie trösten? Der Augenblick war ohne Zweifel dazu der unpassendste. Deshalb hielt er es für das Klügste, sie ihren eigenen Gefühlen zu überlassen. Indessen war man, Dank dem in Aussicht gestellten Trink gelde, vor Amaliens Wohnung angelangt. Der Kutscher hatte der Weisung gemäß den Weg nach der Gartenseite genommen und hielt vor der Thüre, welche der Fremde zu schließen vergessen hatte. „Wir sind am Kiele, verehrtes Fräulein," sprach Albert, sich erhebend und den Kutschenschlag öffnend, „belieben Sie auSzu- steigen und sich in Ihr Gemach zu verfügen." Mechanisch und willenlos folgte Amalie der Aufforderung und verschwand im Garten, nachdem sie die Thüre hinter sich verschlossen. Albert sah ihr traurig nach und folgte der abfah¬ renden Chaise nur langsam, denn das Wagengerassel war ihm höchst widerwärtig; er wählte deshalb zn seinem Wege die stillsten und dunkelsten Gassen. Es begann in seinem Innern die goldene Morgenröthe froher Hoffnungen anzubrechen; nun hatte er keinen Nebenbuhler, wenigstens keinen begünstigten, zn fürchten und hoffte wegen der anderen günstigen Chancen für seine Liebe das beste. 69 Amalic schritt in unbeschreiblicher Geisteszerrüttung durch den Garten. Ein Chaos der widerstreiteudsten Empfindungen stürmte ans sie ein. Vor allem fürchtete sie die Strenge ihres Vaters, über dessen Haupt sie Schmach und Schande zu bringen im Be¬ griffe gewesen. Im Bewußtsein ihrer Schuld beschloß sie, alles geduldig zu ertragen, da sie die Strafe doch verdient hatte. Sie vermuthete, das ganze Haus in Unordnung zu finden, denn der Vater mußte ihrer Vcrmnthung nach ans der Abendgesellschaft bereits zurück sein. Zn ihrem nicht geringen Erstaunen herrschte völlige Ruhe, und an der Treppe harrte ihrer die alte Dienerin mit dem Lichte in der Hand. „Heute sind Sie, Fräulein," rief sie ihr entgegen, „unge¬ wöhnlich lange im Garten geblieben. Sie müssen sich sehr hüten, die Nachtlnst könnte Ihrer Gesundheit nachtheilig werden!" Beruhigt durch diesen freundlichen Rath, der eine völlige Unkenntniß des Geschehenen verrieth, betrat Amalie die Gemächer, worin alles noch in der vorigen Ordnung war. Ihr Vater war also noch nicht nach Hanse gekommen. Sofort nahm sie den im Secretair liegenden Brief wieder an sich, warf sich erschöpft ans ein Sopha und überließ sich trüben Betrachtungen. Plötzlich er¬ innerte sie sich des von Albert empfangenen Papieres; sie zog dasselbe aus der Tasche und warf einen Blick auf die Adresse. „S eine Schriftzüge!" rief sie verwundert und öffnete das Bittet. Wir wollen unseren Lesern den Inhalt desselben nicht länger vorenthalten. Es lautete, wie folgt: „Sauberer Kumpan und getreuer Bundesgenosse Durch die Zeitungen erfahre ich, daß Du im Hafen von Triest vor Anker gegangen. Du wirst vielleicht nicht die entfern¬ teste Ahnung davon haben, daß ich in Deiner unmittelbaren Nähe mich aufhalte. So sind die Wege des Schicksals! Als Du mit der halben Beute an Bord in die See stachest, vergaßest Du eine ganz winzige Kleinigkeit, nämlich mich mitzunehmen. In Folge Deines vergeßlichen Charakters hatte ich einen sehr harten Stand. Man entdeckte meine Abwesenheit und das Deficit erstaunlich schnell und ich wurde scharf verfolgt. Zum Glücke glaubte man mich auf dem 70 Wege nach Amerika, und so gelang es mir, Dank den Goldfischen unseres gemeinschaftlichen Patrons, landeinwärts zu entfliehen. Nach verschiedenen Kreuz- nnd Querzügen erreichte ich Lai¬ bach, wo ich, weil meine Geldmittel bereits auf die Neige gingen, meine Netze nach einem neuen Fange answarf. Nach einigen frucht¬ losen Versuchen zappelte ein Goldfischlein, die Tochter eines reichen, dickbäuchigen Rentiers, darin, und ich hatte die schönste Aussicht, ein reicher Familienvater zu werden, als Plötzlich zwei Ereignisse einen Strich durch meine Rechnung zogen. Das Eine ist die Ab¬ neigung des Balers meines Fischleins gegen eine Verbindung mit einem unbekannten, wenn auch reichen und adeligen Banqniers- sohn — beide Titel batte ich mir beigelegt — das andere die fatale Entdeckung, daß mein Aufenthalt hier, wo ich mich für ganz sicher hielt, bereits ausspionirt worden ist. Hätte mich anch der erstere Umstand nicht im Geringsten abgeschreckt, so nöthiget mich doch der zweite, energische Maßregeln zu treffen. In Folge meiner UeberrednngSknnst und durch eine nachdrückliche Appellation an die Liebe meiner einfältigen Zierpuppe brachte ich es so weit, daß sie sich zu einer Flucht mit mir entschlossen hat. War ich vorher entschlossen, sie dringenden Falls zu heirathen und nach einer Weile mit ihrem Vermögen in der Tasche zu verschwinden, so änderte ich jetzt meinen Plan, zu dessen Ausführung ich aber Deiner Hilfe bedarf. In der Ueberzeugung, daß Du mir, natür¬ lich gegen die üblichen Procente , selbe nicht versagen wirst, theile ich Dir meinen Plan mit. Morgen Abends nach Einbruch der Nacht fahre ich in einer gemietheten Equipage mit meinem Täubchen bis Adelsberg nnd will mich von dort erst mittelst der Eisenbahn nach Triest beför¬ dern lassen, mn so jede Verfolgung wenigstens vorläufig zu ver¬ eiteln. In Triest angekommen, besteige ich Dein Schiff und richte von dort ohne Angabe des Ortes einen Brief an den Rentier, des Inhaltes, er könne seine Tochter gegen eine bedeutende Summe, die er an einem näher bezeichneten Orte dcponircn wolle, ans- lüsen. Der zärtliche Vater wird sich natürlich beeilen, meinem Wunsche zu entsprechen, denn seine Tochter ist sein Augapfel. Hab- ich das Geld in Händen, so bleibt es mir natürlich freigestellt, das hübsche Ding zn meiner Unterhaltung zu behalten, oder zu- rttckzuschicken; auf Deinem Schiffe wird man sie wohl zuletzt suchen. Und zudem stechen wir nach Empfang des Geldes möglichst bald in die See, und jede Verfolgung ist unmöglich. Wie Du aus diesem kurzen Programms ersehen kannst, verspricht der Handel einträglich zu werden und ist nebenbei mit keiner Gefahr verbun¬ den. In der zuversichtlichen Erwartung, daß Du meinem Wunsche in allen Punkten nachkommen wirst, verbleibe ich bis auf Weiteres Dein alter und erprobter Freund Gustav Roden. Amalie mußte alle ihr zu Gebote stehenden Kräfte anf- bieteu, diesen schändlichen Brief zu Ende zn lesen. Dann sank sie bewußtlos in das Sopha zurück, der Brief entfiel ihrer kraft¬ losen Hand und glitt an dem Reiseklcid hinab zn Boden. In diesem Zustande fand sie ihr um Mitternacht aus dem Kreise seiner Freunde in ziemlich weinseliger Laune heimkehrender Vater, der durch den Poeten heute ganz besonders unterhalten wor¬ den war. Nicht gering war sein Schreck über den Zustand seines einzigen Kindes: zuerst fiel sein Blick ans das am Boden liegende Papier; er hob cs auf, und der Inhalt klärte ihn über das wah¬ rend seiner Abwesenheit Vorgefallene auf. Ein Räthsel blieb ihm nur noch der Umstand, daß seine Tochter sich noch hier befand. Diese schien in jenen Zustand verfallen zn sein, der zwischen Wachen und Träumen die Mitte hält. Allem Anscheine nach zogen düstere Bilder an ihrem Geiste vorüber, denn das arme Kind stöhnte und ächzte, wie in Todeszucknugen. Um sie dieser qualvollen Lage zu entreißen, suchte sie der alte Herr aufzuwecken. Es gelang ihm. Sobald Amalie zum Bewußt¬ sein kam und ihren Vater erblickte, senkte sie die Augen zn Boden und schluchzte laut. Dein gutmüthigeu Rentier, dessen Weinlanne Plötzlich ver¬ schwunden war, traten gleichfalls Thränen in die Augen. War 72 er auch ein vortrefflicher und strenger Vater, ein hartes Herz be¬ saß er nicht. „Was ist Dir begegnet, mein Kind? begann er, ihre zit¬ ternde Hand fassend. Du hast Dich doch nicht so weit vergessen, das Haupt Deines alten Vaters mit Schmach nnd Schande zu bedecken? Sollte das der Fall sein, dann wehe Dir! Mein Fluch —" „Halt ein, Vater!" rief Amalie schluchzend, „sprich das Wort nicht aus, noch habe ich es nicht verdient. Ich habe mich zwar schwer gegen Dich versündigt, doch dafür bin ich ja gestraft genug. Vor Gott stehe ich noch rein da!" „Dann komm an mein Herz, mein armes Kind! Ich wußte ja, daß mein einziges Kind nicht so ehrvergessen sein kann, nm seinem Vater im Alter Schmach nnd Schande zn bereiten. Du mußt heute viel gelitten haben," fuhr er, sie betrachtend, fort. „Wo ist der Elende, daß ich ihn zermalme und ihm für künf¬ tighin die Lust benehme, dergleichen verruchte Pläne zn schmieden?" „Ich weiß es nicht, doch entsinne ich mich, daß er, durch zwei Männer gezwungen, den Wagen verließ. Was weiter vorfiel, weiß ich nicht, denn ich fiel in Ohnmacht." „Erzähle, erzähle alles, mein thenerstes Kind!" drängte der Alte. „Als mein Bewußtsein znrückkehrte, saß neben mir im Wagen jener junge Mann, dem Dn bei einer Gelegenheit seine Zudring¬ lichkeit mit scharfen Ausdrücken verwiesen. Albert heißt er. Sofort entschuldigte er sich nnd übergab mir diesen Brief, der mir über alles Aufklärung geben sollte. Und wahrlich, eine fürchterliche Aufklärung!" „Danken wir Gott, daß er die Pläne dieses Schurken nicht gelingen ließ." So sprach der Rentier, der gleich vielen seines Gleichen den guten Glauben hatte, daß Gottes Hand öfters in das Getriebe der menschlichen Werke fördernd oder hindernd ein¬ greift. Dann fuhr er fort: „Allem Anscheine nach hat jener jnnge Mann einen nicht unbedeutenden Antheil an dem Rettnngswerke. Wir müssen ihm dankbar sein nnd diese Dankbarkeit nicht mit 73 bloßen Worten beweisen. Doch Du bist erschöpft, mein Kind, begib Dich zur Ruhe, die Dir so nothweudig ist." Amalie befolgte den gutgemeinten Rath ihres liebevollen Vaters. Was diesen selbst anbelangt, so äußerte er sich am folgenden Tage, noch nie eine Nacht so laug gefunden zu haben, wie die vergangene. Am folgenden Tage war es seine erste Sorge, sich von dem Befinden seiner Tochter zu überzeugen: beim Eintritte in das Schlafgemach erschrak er nicht wenig über ihr blasses Aussehen und ihr äußerst abgespanntes Wesen. Der schleunigst Herbergern- fene Arzt erklärte, daß ein Nervrnfieber im Anzuge sei und das Fräulein vor allein sorgfältiger Pflege und Schonung bedürfe, wenn sie aufkommen solle. In der That ließ es der besorgte Vater an keiner von beiden fehlen, er wich nie von ihrem Bette, außer am ersten Tage, wo er Albert anssuchte, um ihn persönlich wegen seines früheren barschen Benehmens nm Vergebung zu bitten und ihm für die Rettung seines einzigen Kindes zu danken. An der abendlichen Tafelrunde erschien er auch nicht mehr, was von den andern Stammgästen um so schmerzlicher empfunden wurde, als sie ihn gekränkt zu haben glaubten. Wir suchen wieder Albert und seinen Freund, den Poeten, aus. Wir treffen beide am Abende des folgenden Tages an dem gewöhnlichen Platze in der Sternallcc. Das Gesicht des ersteren trägt einen heiteren Ausdruck, während der letztere sich gleichge¬ blieben ist. „Also der Rentier," fährt der Poet im Gespräche fort, „hat Sie mit einem Besuche überrascht. Mein Freund, Ihre Actieu steigen, wenn man auch darauf nicht viel bauen soll; sie können nämlich Mieder fallen. Doch fassen Sie Muth, das Feld ist rein, nur geschickt den Angriff begonnen!" „Leider ist das jetzt gar nicht möglich. Amalie ist durch die über sie hcrcingebrochenen Ereignisse so sehr erschüttert, daß sie von einer Krankheit befallen ist." „Wird nicht von Bedeutung sein. Die Frauen, haben schwä¬ chere Nerven, als wir Männer. Deshalb werden sie auch eher 74 angegriffen, erholen sich jedoch eben so schnell. Uebrigens wären Ihre Werbungen jetzt gar nicht am Platze, ja Sie könnten sich dadurch alles verderben. Zuerst mujj die blutende Wunde des Herzens heilen, dann wird dieses für andere Eindrücke wieder empfänglich werden. Apropos! Bergessen sie des Briefes nicht!" „Richtig, da ist er! Wozu bedürfen Sie desselben? Wollen Sie ihn zuin Andenken aufbewahren?" „Nein, Freund! Derselbe muß nach Bremen geschickt werden, nm als Beweis gegen den schurkischen Fremden zu dienen." „Unschätzbarer Freund. Sie sind der Urheber meines Glückes, nur Ihrem Scharfsinne nnd Ihrer Aufopferung habe ich es zu danken, daß ich meinem Ziele näher gerückt bin. Und doch treten Sie Ihren ganzen Anthcil an dem Rettungswcrke zu meinen Gunsten ab!" „Mein ganzes Verdienst ist nicht der Rede Werth! Und, unter uns gesagt, meine Handlungsweise und die Art, wie ich die Beweise erlangte und dem beabsichtigten Betrüge ans die Spur kam, ist mindestens verwerflich, so daß ich mich deren schämen sollte. Ich spielte die niederträchtige Rolle eines Jntriguanten, ja eines feigen Spions, denn ich traf meinen Feind rücklings, offen trat ich ihm nie unter die Augen, und noch zu dieser Stunde kennt er seinen eigentlichen Feind nicht. Ein derartiger Sieg ist ein schmählicher, die Mittel dazu mindestens verächtlich, nnd nur der Gedanke, Ihnen gedient und den Verbrecher dem Arme des Gesetzes überliefert zu haben, kann mich einigermaßen erhe¬ ben. Deshalb, junger Freund, habe ich für Sie mehr gethan, als Sie glauben, denn ich habe mich Ihretwegen in meinen eigenen Augen sehr tief herabgesetzt. Und, glauben Sie mir, nie¬ mand ist elender, als derjenige, der sich selbst verachten muß!" Albert sah die Wahrheit des Gesagten nnd die Größe des Opfers ein nnd drückte seinem Freunde stumm die Hand, dann fuhr er mit sehr bewegter Stimme fort: „Nie, so lange ich lebe, werde ich Ihrer vergessen. Kann ich Ihnen je nützlich sein, so zählen Sie unter allen Umständen 75 auf mich. Das schwöre ich Ihnen beim Andenken an den gestri¬ gen Tag." „Schwören Sie nicht, Freund!" sprach dieser lächelnd. „Des Menschen Gemiith ist wandelbar, vergeßlich sein Sinn. Uebrigens wünsche ich Ihnen den besten Erfolg. Was mich anbelangt, so ziehe ich Morgen nach Oberkrain , um ein paar Monate in den Ge¬ birgen herumzuklettern und die Schönheiten unseres Vaterlandes zu bewnuderu. Treffe ich Sie bei meiner Rückkehr noch hier, so will ich Sie anfsucheu, wenn nicht, nun dann — leben Sie wohl!" lind sort war er. Albert sah ihm mit wehmüthigen Empfin¬ dungen nach, sein Herz war zum Zerspringen voll, er sah seinen besten Freund scheiden. Bald vermißte mau den Poeten in der Stcrnallee und in den Cafes, wo er als ein stets „flotter" Geist und „vortrefflicher Brotsitzer" seinen Platz so gut ausgesüllt hatte. Allein die Ein¬ drücke sind sehr seicht und nach wenigen Wochen war seine Abwe¬ senheit kaum mehr bemerkbar, nur seine intimsten Freunde und gewesenen Stndiengenoffen sprachen noch dann und wann von ihm, als einem „Helden der Stcrnallee." Schluß. Sett den zuletzt geschilderten Ereignissen sind über sechs Monate verflossen. In den Badeorten waren bereits alle Anstalten zur Aufnahme und Bequemlichkeit der Curgiiste getroffen, von denen trotz der noch nicht sehr heißen Temperatur bereits eine be¬ deutende Anzahl erschienen war. Der kleine, aber nichts desto weniger von allen guten und schlechten Poelcn nach jeder Seite hin sattsam besnngene Ort Veldes erfreute sich ebenfalls einer, wenn auch nicht großen, so doch sehr gemischten Anzahl von Gästen aus allen Schichten Ver¬ menschlichen Gesellschaft. Hier plauderte eine Gruppe junger und alter Herren und Damen, dort amüsirte sich ein spleensllchtiges 76 Englänberpaar mit dem Fange kleiner Fische, dort wieder betrachtete eine andere Gruppe durch Perspective, Stecher, Operngucker u, s w, das imposante Panorama der im Hintergründe ansgethürmteu Gebirge, während eine vierte Gruppe es vorzog, über den ruhigen Wasserspiegel des blauen See's der Insel zuzusegeln. Unter der letzter» finden wir bekannte Persönlichkeiten. Jener beleibte Herr am Bordertheilc der breiten, fast unförmigen Barke, der fortwährend in Gefahr schwebt, das Gleichgewicht zu verlie reu, und deshalb die goldene Mitte zu behaupten strebt, ist der gemitthliche Rentier, dessen Bekanntschaft wir an der Tafelrunde gemacht. Jenes zarte Wesen von schwärmerischem Aussehen, wenn auch noch etwas blassem Teint, welches an der einen Seite des Tischchens auf der schmalen, schwankenden Bank Platz genommen, ist des ersteren Tochter, die anmnthige, liebreizende Amalie, und der dritte ihr gegenüber befindliche, von Glück strahlende junge Mann ist, so unglaublich es auch scheinen mag , ihr Bcrlobler Monsieur Albert. Halt, halt! Ich lasse mich nicht dnpiren! Gott bewahre! Es ist die reine Wahrheit. Hören Sie: Amalie war in Folge der Ereignisse jener Nacht heftig er¬ krankt. Trotz der zärtlichen Pflege von Seite der treuen Dienerin hielt die Krankheit hartnäckig an, weil sich, wie der Arzt ganz richtig vermnthcte, zu dem leiblichen Uebcl noch ein geistiges Lei¬ den gesellt hatte. Auch fürchtete sie, zum Gegenstände des Stadt- gespräches zu werden, und alle Versicherungen, daß ihr Abenteuer in der Stadt durchaus unbekannt sei, weil die Vorkehrungen allzu gut getroffen worden waren, konnten sie nicht ganz beruhigen. Eines Tages erkundigte sich die Kranke, die bereits der Besserung entgegenging, ganz unvermuthet, ob der junge Mann, der sie gerettet, noch in Laibach wohne. Der Alte, der alle ihre Winke zu crrathen sich bcniühete, sah darin eine Andeutung, Albert zu einem Besuche eiuznladen, ein Wunsch, den der letztere nach einigen schüchternen Einwendungen zu erfüllen sich beeilte. Bei seinem Eintritte ruhcte Amalie auf ihrem Fantenil. Ihr Antlitz trug deutliche Spuren der ausgestandenen Leiden, der Teint zeigte 77 eine beinahe durchsichtige Blässe. Gerade diese säst überirdische Erscheinung an ihr fesselte Albert und bezauberte ihn so sehr, daß er ganz verwirrt, wie ein Schnlknabe, vor ihr dastand , ohne auch nur ein Wort hervorbringen zu können. Der Rentier, der unterdessen seine Ansichten zu Gunsten Alberts geändert hatte, zwar nur insoferne, als es Amalie, sein liebes, armes Kind, auch gethan hatte, klopfte ihm ans die Schulter und zog ihn mit seinem gewöhnlichen derben Wesen in ein Ge¬ spräch. Albert blieb lange, kam dann öfter, je mehr sich Amaliens Zustand besserte, und ward endlich der vertrauteste Hausfreund. Die Eisrinde, die des Mädchens Herz seit jenem Ereignisse umgab, thaute allmählig auf, sie selbst begann wieder zu leben was den Alten derart entzückte, daß er einmal plötzlich Al¬ bert in seine Arme schloß und ihn zum zweiten Male den Retter seines geliebten Kindes nannte. Dieser gab sich indeß alle nur er¬ denkliche Mühe, das Andenken an seinen einstigen Nebenbuhler ans dem Sinne Amaliens zu verdrängen. Es gelang ihm nur allmälig, denn der Eindruck der ersten wahren Liebe ist schwer vertilgbar. Hier war indeß das Gefühl des Hasses gegen den Be¬ trüger stärker, als das der Liebe, und so fanden Alberts Worte und sein schätzenswcrther Charakter bei dem Mädchen volle Wür¬ digung. Dazu gesellte sich auch das Gefühl der Dankbarkeit. Beide wurden Freunde und von der Freundschaft bis zur Liebe ist be¬ kanntlich nur Ein Schritt. Deni Rentier war dieses keineswegs entgangen, doch hütete er sich, ein Wort des Mißfallens zu äußern, thcils, um sein Kind nicht noch einmal dem Tode nahe zu brin¬ gen, lheils weil er jetzt Alberts vielseitige Kenntnisse kennen ge¬ lernt hatte. Sollte er daher seinem Kinde gefallen, so sollte sie ihn seinetwegen haben. Unterdessen war die Bade-Saison herangekommen, und da der Arzt eine Luftveränderung angerathen hatte, so beschloß der Ren¬ tier, den Sommer und einen Theil des Herbstes in Bädern znzn- bringen. Da fand sein Kind Gelegenheit, sich zn zerstreuen, was sitr ihren Zustand sehr nothwendig erschien. 78 Die Trenuuugsstunde nahete heran. Die beiden jungen Leute sahen ihr mit Bangen entgegen. Es galt vielleicht Scheiden für immer, denn der Rentier wollte keinesfalls nach Laibach zurück¬ kommen , sondern ein Landstädtchen oder eine größere Stadt in Steiermark zu seinem Aufenthalte wählen. Bisher hatten sich die jungen Lente ihre gegenseitige Nei¬ gung noch nicht gestanden; solche Momente, wie der besprochene, sind indeß gewöhnlich die entscheidenden, denn die bisher sorg¬ fältig verheimlichten Gefühle brechen sich da gewaltsam Bahn. Dieses pasfirte auch unfern Liebenden. Beim Abschiede konnte keiner ein Wort hervorbringen; Plötzlich sprang Amalie auf Albert zu, umarmte ihn und begann beinahe zu schluchzen. „Nun, nun, mein Mädchen!" ließ sich Plötzlich die Stimme des Rentiers ans einem Nebenzimmer vernehmen, wo er ungesehen die Scene beobachtet hatte. „Mach kein so saures Gesicht! Wollt Ihr bei einander bleiben, nnn — so bleibt meinetwegen, voraus¬ gesetzt, daß der junge Freund Zeit dazu hat, um mit uns nach Veldes zu ziehen. Wir wollen schon dafür sorgen, daß er Urlaub auf unbestimmte Zeit erhält. Jst's so recht, Kinder?" Keines von beiden konnte vor Rührung ein Wort sprechen; Amalie fiel ihrem Vater um den Hals, während das Gesicht Al¬ berts vor Freude strahlte. Des andern Tages wurde die Reise angetreten, und so ge¬ langten alle glücklich nach Veldes, wo sie eine beliebig lange Zeit zu verweilen gedachten. Daß den beiden Liebenden hier die Zeit immer zu kurz war, brauchen wir kaum zu erwähnen, eben so wenig ist es zu bezweifeln, daß dem alten Herrn seine Lieblings¬ gerichte auch hier eben ganz vorzüglich schmeckten. Und jetzt?! Jetzt lebt das junge Paar vereint und glücklich in einem Städtchen Steicrmarks. Der Rentier ist zum gemächlichen Schwieger¬ vatergeworden und läßt sich dieZeitnngsartikel von seinem Schwieger¬ sohn expliciren, der darin bereits eine erstaunliche Uebung erlangt hat, schmaucht gelassen seinen Knaster ans dem beliebten Meer¬ schaumkopfe und läßt seine Augen mit besonderem Wohlgefallen ans den kleinen runden Händen seiner Tochter ruhen, welche eifrig beschäftiget sind, einem halbvollendeten Kinderhäubchen eine aller¬ liebste Form zn geben. Aus Laibach erhält die glückliche Familie häufig Briefe von Fanny, die jetzt nicht mehr Grund hat, über den Mangel an Liebe von Seite Ihres Mannes zu klagen, denn derselbe hat sich zur größten Freude des Onkels vollständig ge¬ bessert, als er das Schicksal seines gewesenen Freundes erfahren hatte. SSSSS43229S