Filozofski vestnih Volume/Letnik XXVI • Number/Številka 2 • 2005 • 113-128 DIE AUFERSTEHUNG DES BEGRIFFS AUS DEM GEISTE DES NIHILISMUS ODER HEGELS SPEKULATIVER KARFREITAG Zdravko Kobe Ende des achtzehnten Jahrhunderts, im Jahre 1799, als Diskussionen über den ontologischen Status des Nichts zum Teil des Alltagslebens wurden, erhob Jacobi im Sendschreiben an Fichte einen Einspruch, den die Philosophie als Versuch der reflexiven Begründung des Wissens seitdem nicht endgültig zurückzuweisen vermag. Wenn sie in der Tat streng konsequent vorgeht, so gelangt sie, behauptet Jacobi, "im Ergründen des Mechanismus, sowohl der Natur des Ichs als des Nicht-Ichs, zu lauter An-sich-Nichtsihr Unternehmen erweise sich als "philosophisches Wissen des Nichts". Dem entgegen bekennt der Antiphilosoph Jacobi kräftig seine Angehörigkeit zur "Philosophie des Nicht-Wissens": Wahrlich, mein lieber Fichte, es soll mich nicht verdrießen, wenn Sie, oder wer es sey, Chimärismus nennen wollen, was ich dem Idealismus, den ich Nichilismus schelte, entgegensetze.1 Der Einwand war keineswegs neu. Fast alle im Brief an Fichte vorkommenden Hauptargumente waren schon vorher in zahlreichen Schriften von Jacobi selbst ausgedrückt worden. Er war auch nicht der erste, den Ausdruck Nihilismus zu verwenden: unmittelbar vor ihm hatten ihn in einem kaum abweichenden Zusammenhang mehrere Autoren gebraucht, z.B. Jenisch.2 1 F. H. Jacobi, Werke (hrg. von Jacobi), III, S. 44. - Chimäre ist, nebenbei bemerkt, ein beliebter Ausdruck von Fichte, der sich auf willkürliche Vorstellungen ohne jegliche Entsprechung in der Ordnung der Dinge bezieht und so vorzüglich gerade Jacobis "Sprung des Glaubens" trifft. Da so das Entgegensetzen von Chimärismus und Nihilismus eine Wahl zwischen zwei Nichts einschließt, geht es in der Nihilismus-Diskussion von Anfang an auch um das Problem der richtigen Bestimmung dessen, was eigentlich das Nichts sei. 2 Für eine gute Übersicht der Nihilismus-Debatte vgl. Otto Pöggeler, "Hegel und die Anfänge der Nihilismus-Diskussion", M^an and World, 3, S. 163-199, und Wolfgang MüllerLauter, "Nihilismus als Konsequenz des Idealismus", in: Alexander Schwan (Hrg.), Denken im Schatten des Nihilismus, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1975, S. 113-163. Uberhaupt war Jacobi eher Propagator und Katalysator als Innovator. Sein Verdienst liegt vor allem darin, dass es ihm gelungen war, im geeigneten Zeitpunkt eine treffend zugespitzte Wendung für ein Problem zu finden, das eine strukturelle Verlegenheit der Philosophie als solcher darstellt. Was sowohl der Spinozismus als auch der Kritizismus jeder in seiner Weise verkörpern, das soll jetzt im extremen Idealismus der Wissenschaftslehre zum reinen Ausdruck kommen. So würdigt Jacobi zuerst Fichte, dass die "Philosophie aus einem Stück" allein auf seine Weise möglich sei; er tut es aber nur, um die Philosophie überhaupt danach umso nachdruckvoller schlagen zu können. I Jacobis Verfahren kann man als Folge von drei Argumenten darstellen. Den allgemeinen Rahmen bildet die These, die einst Jacobi auf die philosophische Bühne katapultierte: Jede Philosophie, sofern sie konsequent ist, ist Spinozismus.3 Wenn nämlich Philosophie für das Unternehmen des Verstandeserkennens steht und ferner der Verstand allein nach dem Verhältnis der Notwendigkeit vorgehen kann, so kann die Welt, wie sie von dem Verstand erkannt wird, nur die mechanische Welt4 sein, worin keine Freiheit, keine Liebe, keine Schönheit zu finden ist. Nicht alle Philosophen haben freilich ein solches System verteidigt. Doch Jacobi zufolge kann man darin gerade den Beweis ihrer Inkonsequenz sehen, einen Beleg dafür, dass sie in einem gewissen Punkt und zwar im u^nmittelbar^en G^g^ensatz zum Prinzip des V^standes etwa die Möglichkeit der Freiheit behaupteten. Der exemplarische Verdienst von Spinoza, gewissermaßen sogar sein Heroismus, liegt dagegen gerade darin, alle von dem Grundsatz des Verstandes auferlegte Konsequenzen ohne sich zu weigern ausgeführt zu haben. Spinoza war einfach durch und durch Philosoph und dafür muss man ihm alle unsere Anerkennung zollen. Das Problem ist, dass sich auf diesem Weg alles, was die Größe des Menschen ausmacht, in eine blinde Folge von wirkenden Ursachen verwandelt: Liebe wird zum Strömen von Körpersäften und Shakespeares Tragödie zum Nacheinander von Buchstaben. "Wer nun dieses annehmen kann", stellt Jacobi fest, "dessen Meynung weiß ich nicht zu widerlegen. Wer es aber nicht annehmen kann, der muss der Antipode von Spinoza werden."5 3 Vgl. z.B. F. H. Jacobi, Werke, IV.1, S. 55f. 4 Vgl. z.B. F. H. Jacobi, Werke, IV.2, S. 149: "Wir begreifen eine Sache, wenn wir sie aus ihren nächsten Ursachen herleiten können, oder ihre unmittelbaren Bedingungen der Reihe nach einsehen: was wir auf diese Weise einsehen, oder herleiten können, stellt uns einen mechanischen Zusammenhang dar." 5 F. H. Jacobi, W^erk^e, IV.1, S. 60-61. Spinozas Standpunkt ist für Jacobi offenbar unhaltbar, aber trotz seiner Wertblindheit noch nicht nihilistisch, da Spinoza doch eindeutig das Dasein der Materie behauptete.6 Diese Anschuldigung kommt erst in einem zweiten Schritt hinzu, wenn Jacobi bestimmter gegen Fichtes Idealismus als "Materialismus ohne Materie" antritt. Zu diesem Behuf gibt er einfach eine summarische Beschreibung des Erkennens an, wie es sich vom Standpunkt des erkennenden Subjekts darbietet und wie es zuletzt auch vom transzendentalen Idealismus selbst angenommen wird. Denn beim Erkennen kann es unmöglich darum gehen, sich der unabhängig von uns seienden Sache zu bemächtigen; im Gegenteil, um sie erkennen zu können, muss man sie erst in etwas Vorstellungsartiges umsetzen: man muss die Sache selbst vernichten und an deren Stelle ihre Vorstellung setzen. Der Mensch erkennt nur indem er begreift; und er begreift nur indem er - Sache in blose Gestalt verwandelnd - Gestalt zur Sache, Sache zu Nichts m^acht.'7 Die Annihilation schließt aber keineswegs bloß eine Versetzung in ideelle Seinsweise ein, womit angeblich nichts Inhaltliches verloren gehen soll. Denn "wir begreifen eine Sache nur in sofern wir sie construiren, in Gedanken vor uns entstehen, wer^de^n lassen können".8 Statt ein adäquater Ersatz der verlorenen Sache zu sein, bringt eine solche Erkenntnis vielmehr die faktisch gegebenen Schranken unseres Erkenntnisvermögens zum Ausdruck. Was auf diese Weise erkannt wird, ist bloße K^onstr^^ktion des er^kennenden Subjekts, ein Gespenst, dessen Wert im Vergleich zur Sache selbst nichtig ist. "Das Philosophiren der reinen Vernunft muß also ein chemischer Proceß seyn, wodurch alles außer ihr in Nichts verwandelt wird."9 Seine Wahrheit ist, die Welt, wie sie ist, zu vernichten und stattdessen sozusagen aus Nichts eine Welt zu erschaffen, die nichts gilt, da sie vom Subjekt selbst gesetzt ist und bloß für dieses, als Bestimmung seines Daseins existiert. 6 Das Nichtsein droht bei Spinoza eher aus einer anderen Richtung her. In seinem Gespräch mit Lessing soll Jacobi als Geist des Spinozismus "das Uralte: aus nihilo nihil fit" erklären; ernst genommen, geht daraus von selbst hervor, dass eigentlich nichts entsteht und vergeht und dass alle angebliche endliche Dinge bloß Bestimmungen des Einen sind, das allein wahrhaft ist. "Die einzelnen Dinge also, in so fern sie nur auf eine gewisse bestimmte Weise da sind, sind die non-entia." (Werke, IV.l, S. 182-183.) ' F. H. Jacobi, Werke, III, S. 20. 8 Ibid. 9 Ibid. - Vgl. auch op. cit., S. 21: "Wenn daher ein Wesen ein von uns vollständig begriffener Gegenstand werden soll, so müssen wir es objectiv - a^ls für sich bestehend - in Gedanken aufheben, vernichten, um es durchaus subjectiv, unser eigenes Geschöpf - ein bloses Schema - werden zu lassen." Als ob es noch nicht genug wäre, kommt nun der entscheidende Schlag. Jacobi, der die philosophische Entwicklung der letzten Jahre offenbar aufmerksam verfolgt hat, wendet hier ein im Grunde von Kant stammendes Argument gegen den transzendentalen Idealismus selbst. Für die Erkenntnis vom Ich gelten nämlich, wie Kant mit Nachdruck zu wiederholen pflegt, dieselben allgemeinen Bedingungen, denen sonst die Erkenntnis als solche unterliegt. Es ist uns aber inzwischen klar geworden, dass Erkennen die Sache selbst zu vernichten und sie aus Nichts wieder zu schöpfen bedeutet: das Ich kann sich der Welt bemächtigen, nur indem es zugleich als ihr Schöpfer auftritt. Aber auch sein eigener Schöpfer kann er nur unter der angegebenen allgemeinen Bedingung seyn; er muß sich dem Wesen nach vernichten, um allein im Begriffe zu entstehen, sich zu haben: in dem Begriffe eines reinen absoluten Ausgehens und Eingehens, ursprünglich - aus Nichts, zu Nichts, für Nichts, in Nichts.10 Da sich auch das Subjekt ebenfalls durch Vorstellen gegeben ist, muss ihm unausbleiblich dasselbe widerfahren: wie alles, erweist auch es sich als etwas Nichtiges, als Blendwerk seiner selbst, Form einer Form,11 das Nichts, das sich einem Nichts dartut, kurz, als ein Grundloses, das sich im hochmütigen Versuch, sich allein auf sich selbst begründen zu wollen, im Abgrunde seines eigenen Nichts auflösen muss. In diesem endlich bis zur höchsten Spitze getriebenen Nihilismus sieht Jacobi keinen Ausweg, wenn man nicht das Dasein von etwas uns Übersteigendem annehmen will, das uns allein das Sein, nicht zuletzt unser eigenes, verschaffen kann. Eine solche Wahl aber hat der Mensch; diese Einzige: das Nichts oder einen Gott. ^ Ich wiederhole: Gott ist, außer mir, ein lebendiges, für sich bestehendes Wesen, oder Ich bin Gott. Es giebt kein drittes.12 Wer die Philosophie wählt, den führt eine konsequente Anwendung der Verstandeslogik zum Idealismus von Fichtes Wissenschaftslehre, worin das Ich gleichsam das Absolute seiner Welt ausmacht. Wie wir nun aber schon wissen, ist seine Allmacht flüchtig und bloß scheinbar. Denn wenn eine 10 F. H. Jacobi, Werke, III, S. 21-22. 11 Vgl. F. H. Jacobi, Werke, II, S. 217: "Ich bin alles, und außer mir ist im eig^entlichen Verstande Nichts. Und Ich, mein Alles, bin denn am Ende doch auch nur ein leeres Blendwerk von Etwas; die Form ei^ner Form; gerade so ein Gespenst, wie die andern Erscheinungen die ich Dinge nenne, wie die ganze Natur, ihre Ordnung und ihre Gesetze." 12 F. H. Jacobi, Werkte, III, S. 49. Philosophie wirklich konsequent ist, und sie ist Philosophie nur insoweit, als sie konsequent ist, wenn sie also hier nicht inne hält, sondern weiter denkt, so entlarvt sich das absolute Ich unvermeidlich als absolute Leere, woraus es sich nur durch die Annahme eines Überseienden retten kann. Das ist die absolute Wahl, vor die die Philosophie gestellt ist, es gibt kein Drittes. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass mit dem Untergang von Fichtes absolutem Ich, das ohne Gottes Fürsorge in den Abgrund des Nichts stürzte, auch Fichtes empirisches Ich den Vorwürfen von Gottlosigkeit unterlag. II Die Anschuldigung des Nihilismus fand schnell großen Widerhall. Nicht nur gelang es Jacobi, noch einmal den Rahmen der philosophischen Diskussion zu bestimmen, die Nihilismus-Frage gewann rasch Eingang in das allgemeine Bewusstsein des gelehrten Publikums. Als ungemein empfänglich zeichneten sich vor allem Literaten aus, deren besondere Aufmerksamkeit in der Zeit der Frühromantik ohnehin den abgründigen Tiefen der (eigenen) Subjektivität galt und denen die Wahl zwischen Alles und Nichts eine Spannweite bot, die gerade noch breit genug war für ihre Person. In der Faszination durch Nichts entwickelte sich in diesem Kreise ein wahrhaft nihilistischer Diskurs, worin Ausdrücke wie Nichts und Nacht, Abg^^nd, Le^e, Gespenst usw. die Hauptrolle übernahmen; er wurde zu solchen Ausmaßen ausgeweitet, dass die Erwähnung von dergleichen Wörtern oft nichts anderes als ein Merkmal des Zeitgeists zu betrachten ist. Als ein zufällig gewählter Beleg dafür mag angeführt werden, dass etwa Jean Paul seine Vor^schule d^ Ästhetik mit der Kategorie von "poetischen Nihilisten" eröffnete.13 Freilich hinterließ Jacobis Verfahren der Vereinfachung zu erzwungenen Alternativen bei den Philosophen tiefste Spuren. Wenn Hegel in der Vor^les^ng^en über d^^e Ge^schichte derPhil^o^^oph^e etwa sagt: 'Spinoza ist Hauptpunkt 13 Vgl. auch Jean Paul, Vorsch^ule der Ästhetik, Felix Meiner, Hamburg 1990, S. 32: "Der Verächter des All achtet nichts weiter als sich und fürchtet sich in der Nacht vor nichts weiter als vor seinen Geschöpfen." - Für eine gute Darstellung der Jenaer literarischästhetischen Parallelen zum Nihilismus vgl. die einleitende Studie des Herausgebers in: Dieter Arendt (Hrg.), Nihilism^us. Die Anfänge von Jacobi bis Nietzsche, Verlag Jakob Hegner, Köln 1970, bes. S. 9-38. Es wäre interessant zu erforschen, welchen Einfluss damals die literarische Dimension auf die philosophische Nihilismus-Diskussion ausüben konnte; siehe z. B. bildreiche Darstellungen der reinen Subjektivität als Gewühls von Vorstellungen bei Jacobi (etwa in David Hume, s. o., Anm. 11), Fichte (etwa in Bestimmung des Menschen, Werke [hrg. von I. Fichte], II, S. 245) oder He^el (etwa in Jenaer Realphilosophie, wo das reine Selbst als die "Nacht der Welt" bezeichnet wird). der modernen Philosophie: entweder Spinoza oder keine Philosophie",14 so bekennt er damit die Richtigkeit des Jacobischen Ansatzes. Sogar die berühmte Erklärung, das Wahre sei nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen, darf man mit vollem Recht als Niederschrift der Aufgabe betrachten, wie man durch Spinoza (Substanz) hindurch doch die Freiheit (Subjekt) erhalten kann, wie man an der Philosophie festhalten und doch alle Konsequenzen vermeiden kann, die nach Jacobi untrennbar an ihr haften. Auch zur Nihilismus-Diskussion nahm Hegel mehr oder weniger dieselbe Haltung ein. Seine einleitende Geste war, Jacobis Einschätzung beizustimmen und so anzuerkennen, dass sich die Philosophie auf Fichtes Weise notwendig als leerer Formalismus ergibt. Er konnte aber keineswegs dem Jacobischen Ausweg beipflichten: der "Sprung des Glaubens" ist nach ihm mit dem Verzicht auf Philosophie gleichbedeutend, wodurch das eigentliche Problem nur vermieden, ja, als ungelöst verfestigt wird. Während sich Jacobi in der Alternative entweder Nichts oder Gott, ein Drittes gebe es nicht, verschanzte, setzte Hegel hinzu: Es gibt ein Drittes, sagt dagegen die Philosophie, und es ist dadurch Philosophie, daß ein Drittes ist.15 Das Weiterbestehen der Philosophie hängt nach Hegel davon ab, inwiefern es ihr gelingen wird, die Nihilismus-Falle auszuräumen, und dies kann ihr nur insofern gelingen, als sie - die ausschließende Logik der Reflexion durchbrechend - das Nichts selbst zu ihrem Gegenstand nimmt und dadurch doch etwas Positives hervorbringt. Dabei konnte sich Hegel in seinen ersten Jenaer Jahren stark an Schellings Ausführungen anlehnen. Schelling hatte schon vorher Ansätze für eine Philosophie des absoluten Nichts entwickelt, worin d^a^s Nichts positiv bewerl^et wurde, und zwar vor allem in Beziehung auf die intellektuelle Anschauung als denjenigen Erkenntnismodus, der nicht an die gewöhnlichen Schranken der Reflexion gebunden ist. "Denn wenn Nichts das heißt, was schlechterdings kein Objekt ist, so muß das Nichts gewiß da eintreten, wo ein Nicht-Objekt doch objektiv angeschaut werden soll."16 Dasjenige, worauf die ganze Totalität von endlich, nur bedingterweise Seiendem beruht, 14 G. F. W. Hegel, TWA (= Werke, hrg. von Moldenhauer und Michel bei Suhrkamp), 20, S. 163-164. 15 G. F. W. Hegel, TWA, 2, S. 411. 16 F. W. J. Schelling, ^t^rke (hrg. von K. F. A. Schelling), I/1, S. 326. kann wohl nicht ein Ding der Reflexion sein. Für Re^exion stellt dieser Punkt - mag er als reines Ich, das Sein selbst oder auch als das Absolute näher bestimmt werden - vielmehr das reine Nichts dar. Der Grund dafür liegt aber keineswegs in der angeblichen Nichtigkeit dieses Ichs oder Seins, sondern in der Gebundenheit der Reflexion an das Endliche und Beschränkte, in ihrem Unvermögen, das Unbedingte selbst zu fassen. Denn die Reflexion, die sich mit dem Grundsatze omnis d^t^minatio neg^atio est (der nachmals als spinozis-tisch galt) identifiziert, arbeitet im Modus des Entgegensetzens, sie setzt ihre Bestimmungen durch Verneinung des Gegensatzes und ist daher wesentlich in die Sphäre der Entzweiung eingebunden. Wenn also die Philosophie für Jacobi in dem Nichts endet, erklärt nun Hegel, so geschieht es nur darum, weil Jacobi (zusammen mit Fichte) selbst die Reflexion in ihrer Endlichkeit absolutisiert und sie als die einzig mögliche Erkenntnisweise betrachtet. Der Nihilismus sein^ Philosophie ist ein selbstver^schul^d^el^er Nihilismus-; er ergibt sich als notwendig^e Folgte e^n^er willkür^lichen Beschr^änk^ng der Philosophie auf die Logik der Reflexion, dessen also, dass sie vor dem Nichts inne h^äl^t. Umgekehrt kann der Nihilismus erst durch jene Philosophie überwunden werden, die dieses Nichts wirklich in Anspruch zu nehmen wagt: vollständig^e Philosophie ^ällt mit dem Denken des Nichts zu^sammen. Das Erste der Philosophie aber ist, das absolute Nichts zu erkennen, wozu es Fichtesche Philosophie so wenig bringt, so sehr die Jacobische sie darum verabscheut.17 Um das absolute Nichts zu erkennen, muss man offenbar über die Logik des Entgegensetzens hinausgehen, aber ebenso offenbar nicht in der Weise, sie einfach zu verwerfen, wie es Jacobi tat, da er dadurch jenes ausschließende Entweder-Oder nur verfestigte und so noch einmal und noch tiefer in den Schranken der Reflexion stecken blieb. Nach Hegel besteht die einzige Möglichkeit der Uberwindung der Reflexion darin, dass sie als e^^n i^ne^-re^s Moment der Selbstentwicklung des Absoluten anerkannt wird. Schließlich kann auch die in der modernen Welt herrschende Entzweiung nicht durch ein Streben, die verlorene Einheit wieder herzustellen, aufgehoben werden: Entzweiung ist eine unwiderrufbare Tatsache, sie ist selbst "ein Faktor des Lebens", so dass sich jede mögliche Einheit nur vor ihrem Hintergrund hervorbringen kann. In ähnlicher Weise ist Hegel der Meinung, die Schranken der Reflexion sind nur zu überwinden, wenn sie in ihr^er vollen Kr^aft bejaht und ihr^e eige^n^e Neg^ativität für ihr^e Selbstüb^wind^ng in Anspruch genommen wird. 17 G. F. W. Hegel, TWA, 2, S. 410. Wie es sich Hegel näher vorgestellt haben könnte, ist in groben Umrissen der Differ^e^nz^schriji zu entnehmen. Hegel betrachtete darin die Reflexion von zwei Gesichtspunkten, als schlechte formelle und wahre absolute Reflexion bzw. als Verstand und Vernunft: beides sei dem Wesen nach identisch, der Unterschied bestehe eigentlich nur darin, dass dem Verstand das Bewusstsein von seiner Identität mit der Vernunft fehle. Verstand soll einfach Vernunft sein, die an einem gewissen Punkte inne gehalten habe, sich dort verfestigt und diesen partiellen Punkt als absolut zu betrachten angefangen habe. Deswegen sei, fährt etwa Hegel fort, für das Erheben des Verstandes auf den Standpunkt der Vernunft nichts weiter nötig, als bloß bis zu Ende auf der Reflexion in ihrer ganzen Neg^ativität zu beharren und sie "verführerisch" nach ihren eigenen Gesetzen bis zu ihrem äußersten Rande zu bringen. Sobald das erreicht wird, so Hegels Überzeugung, gehen der Verstand und seine objektive Welt unter. Da nämlich die Reflexion entgegensetzend vorangeht, kann sie sich als diese endliche Re^exion nur dann erhalten, wenn sie diesen ihren inneren Zwiespalt an den Rand auswirft, also wenn ihr Bestimmtes "ein Unbestimmtes vor sich und hinter sich" hat und so irgendwo "zwischen zwei Nächten" liegen bleibt; wenn sich aber die Logik der Reflexion zur vollkommenen Totalität entwickelt, bricht ihre negative Seite unausweichlich als zerstörender Widerspruch hervor. Wie sie auf dem Nichts beruht ("denn das Unbestimmte ist Nichts für den Verstand"), so endet sie dann im Nichts: sie geht als diese formelle Reflexion zugrunde und verwandelt sich in die absolute Reflexion oder Vernunft. Insofern die Reflexion sich selbst zu ihrem Gegenstand macht, ist ihr höchstes Gesetz, das ihr von der Vernunft gegeben und wodurch sie zur Vernunft wird, ihre Vernichtung; sie besteht, wie alles, nur im Absoluten, aber als Reflexion ist sie ihm entgegensetzt; um also zu bestehen, muß sie sich das Gesetz des Selbstzerstörung geben.18 III Wie schon erinnert, ist dieses Denkmodell weitgehend dem Schelling-schen Entwurf eines Selbstmanifestierens des Absoluten verpflichtet. Das Endliche ist streng genommen nicht: seine Nichtigkeit manifestiert sich, indem es - kraft seiner immanenten Notwendigkeit - als Endliches zugrunde geht und so sein wesentliches Einsseins mit dem Absoluten wiederherstellt. Die Aufgabe der Philosophie und des Wissens im Allgemeinen soll folglich darin liegen, ' G. F. W. Hegel, TWA, 2, S. 28. diese absolute Identität zu erkennen; da es aber für die formelle, verständige, endliche Reflexion gleichsam den Tod bedeutet, kann sie es gewissermaßen nur negativ erreichen, indem sie bei einer gegebenen endlichen Bestimmung ebenso sehr ihren Gegenteil behauptet, derart beide in ihrer Endlichkeit vernichtet und auf das Absolute bezieht. Dieses Nichts des Endlichen soll ein Zeichen des Unendlichen inmitten des Endlichen selbst darstellen und so das höchste Erkenntnis sein, dessen die Reflexion imstande ist. Na, und?! Welches ist da^s positive Resu^ltat der angegebenen Vernichtung der Reflexion? Ist es nicht so, dass sich daraus nicht das absolute Nichts ergibt, sondern genau jenes immer einerlei bleibende leere Nichts, jene Abstraktion von Leerheit, die wir durch das absolute Erkennen gerade vermeiden wollten? Sind wir also nicht durch solche Bemühungen, die Jacobische Alternative zu überwinden, in ein und dasselbe Nichts geraten, dem vorher schon Jacobi verfiel? Der Verdacht einer strukturellen Ähnlichkeit zwischen dem Schelling-schen absoluten Erkennen und dem Jacobischen Glauben wird durch eine ungewöhnliche Verwandtschaft in der subjektiven Haltung beider Philosophen weiter bekräftigt. Im Glau^ben u^nd Wissen wirft Hegel der "Reflexionsphilosophie der Subjektivität" nicht nur die Absolutisierung des Endlichen und der formellen Reflexion vor, er tadelt bei Jacobi noch besonders das, was er gleichsam als sein pragmatisches Paradox ansieht. Hegel gibt zu, dass es bei einem tatsächlich unmittelbaren, unbefangenen Glauben im Grunde gestattet sei, ein unmittelbares Wissen des Absoluten zuzulassen, das die gewöhnlichen Schranken der Reflexionserkenntnis überwinden würde. Er besteht aber fest darauf, dass ein solcher Glauben, indem er als philosophische Einstellung auftritt, "jene reine Unbefangenheit" völlig einbüsst, die eben seine Tugend ausmachen soll, da er durch Versetzung in das Verhältnis zur Reflexion auch als Glaube "affiziert" und "verunreinigt" wird. Dazu ist er philosophisch ohnehin belanglos. Die ganze Sphäre der Endlichkeit, des selbst etwas Seins, der Sinnlichkeit versinkt im wahrhaften Glauben vor dem Denken und Schauen des Ewigen, was hier eins wird; alle Mücken der Subjektivität verbrennen in diesem verzehrenden Feuer, und selbst das Bewußtsein dieses Hingebens und Vernichtens ist vernichtet.19 Das Subjekt eines solchen wahrhaften Glaubens wird aller seiner Besonderheit beraubt und ist so zugleich unvermögend, sich mitzutei- ' G. F. W. Hegel, TWA, 2, S. 382. len. Das einzige, was es von sich abgeben kann, ist nur der Stempel des Misserfolgs. Wenn es nämlich seinen Erfolg deklariert, beweist es damit sein Scheitern. Jedenfalls verfügen wir bei solchem Glauben über kein äußerliches Kriterium, so dass uns allein das Verhalten des Subjekts die objektive Wahrheit seines Wissens vermitteln kann. Indem nun aber die Subjektivität des Jacobischen Glaubens nach Hegels Feststellung "in ihrer Vernichtung selbst gerettet" wird, erweist sich damit auch positiv seine Falschheit - welche bei Jacobi umso verdrießlicher wirkt, weil sein Glauben zugleich l^i^st^i^g ist, listig in dem Sinne, dass er "diese Verunreinigung des Glaubens" gerade durch das deklarierte Beharren auf seiner Reinheit und "diese Heiligung der Subjektivität" eben durch weitgehendes Reden über das Bedürfnis von ihrer Tilgung vornimmt. Vermöge seiner Listigkeit ist er gewissermaßen unzugänglich und kann anscheinend mühelos alle Einsprüche wegen angeblicher Unreinheit und "Selbstvergötterung" zurückweisen.20 Es scheint wohl schon die bloße Verbindlichkeit von Wörtern unmöglich zu machen, einem, der die Desubjektivierung heftig fordert, entgegenzuhalten, dass sein Verfahren gerade das faktische Bestehen auf der partikulären Subjektivität und deren Mücken zur Folge und Wahrheit habe. Der Streit läuft bestenfalls in trockenes Versichern hinaus, das eigentlich ein Zusammenfallen des gemeinschaftlichen diskursiven Raumes bedeutet. Eben darum muss man aber, um es noch einmal zu betonen, in der Situation, wo sich eine Beurteilung nach inhaltlichen Kriterien verbietet, d^^e Wahrh^t auch in der su^bjektiv^n Einstellung suchen. Was dies für die Jacobische Glaubens- oder Gefühlsphilosophie besagt, liegt auf der Hand: es genügt, sich die Gestalten von Allwill oder Woldemar anzusehen.21 Allein, auch die Schellingsche Theorie des absoluten Erkennens erweist sich nach diesem Maßstab als ebenso unwahr! Objektiv gesehen ist ihr Ergebnis das immer selbe V^sicher^n des leer^en Nichts, das der Nacht, in der alle Kühe schwarz sind, gleicht; subjektiv genommen ist die höchsl^e Weisheit 20 Vgl. op. cit., S. 383: "Und weil in ihm beides, vernichtete und gerettete Subjektivität ist, so ist diese gerechtfertigt, denn sie beruft sich auf ihr Vernichtetsein." 21 Vgl. op. cit., S. 386-387: "Der Grundton aber dieser Gestalten ist dieser bewußte Mangel an Objektivität, diese an sich selbst festhängende Subjektivität, ^ ein Betrachten seiner selbst, welches mit schöner Individualität eben die Verwandlung vornimmt, die mit dem Glauben vorging, nämlich durch dies Bewußtsein individueller Schönheit sich das Bewußtsein der aufgehobenen Subjektivität und des vernichteten Egoismus zu geben, aber durch dies Bewußtsein gerade die höchste Subjektivität und inneren Götzendienst gesetzt und sie zugleich gerechtfertigt zu haben." - Für eine interessante Deutung, die teilweise von der unseren abweicht, aber keineswegs damit unvereinbar ist, vgl. Kazimir Drilo, "Aneignung des Absoluten in Jacobis 'Woldemar' und Hegels Kritik in 'Glauben und Wissen'", Heg^el-J^hrbu^ch 2005, S. 215-220. mü^helos err^eicht, durch gleichsam mechanische Anwendung des geforderten Behauptens des Gegenteils. Statt das absolute Nichts in seiner Bestimmtheit zu denken, gibt sich diese Theorie mit dem Nichts der Unbestimmtheit zufrieden, das dazu noch von einem ebenso unbestimmten Vermögen der transzendentalen Anschauung zusammengehalten wird. Da sie nur durch das subjektive Versichern beglaubigt wird, besteht auch ihre Wahrheit in der Affirmation der Subjektivität. Kurz, in diesem Lichte gesehen unterscheidet sich Schellings absolutes Erkennen kaum von Jacobis Glaubensphilosophie! Wir sind der Auffassung, dass darin einer der Gründe liegt, die Hegel schon in der Schrift über C^lau^b^n u^nd Wissen dazu gebracht haben, sich vom Schellingschen Standpunkt allmählich zu entfernen. Seinen vermutlichen Programmansatz könnte man, glauben wir, ungefähr in zwei Thesen zusammenfassen: die Aufgabe der Philosophie ist das absolute Nichts tatsächlich z^u denken, es in den Begriff zu fassen, was unter anderem bedeutet, dass das Ergebnis der Selbstvernichtung der Reflexion ebenso sehr reflexionsartig, positiv oder bestimmt begriffen werden muss; und dann, d^a^s D^nk^n ist wesentlich anstr^eng^end, es schließt das Daransetzen der eigenen Subjektivität ein. Beide Thesen sind in den beschließenden Bemerkungen zu finden, denen wir darum eine besondere Geltung verleihen müssen. Der reine Begriff aber oder die Unendlichkeit als der Abgrund des Nichts, worin alles Sein versinkt, muß den unendlichen Schmerz, der vorher nur in der Bildung geschichtlich und als das Gefühl war, worauf die Religion der neuen Zeit beruht - das Gefühl: Gott selbst ist tot ^ -, rein als Moment, aber auch nicht als mehr denn als Moment der höchsten Idee bezeichnen und so dem, was etwa ^ der Begriff formeller Abstraktion war, eine philosophische Existenz geben und also der Philosophie die Idee der absoluten Freiheit und damit das absolute Leiden oder den spekulativen Karfreitag, der sonst historisch war, und ihn selbst in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit wiederherstellen, aus welcher Härte allein ^ die höchste Totalität ^ auferstehen kann und muß.22 Der Begriff selbst muss sich dem unendlichen Schmerz aussetzen, das reine Denken - und "die Aufgabe des Nihilismus liegt allerdings in dem reinen Denken" - muss bis auf den Punkt des Zusammenbruchs getrieben werden, wo ihm alles Feste ins Wanken gerät und alles Bestimmte durch seine eigene Negativität endgültig zugrunde geht. In dieser Versenkung in Nichts darf 22 G. F. W. Hegel, TWA, 2, S. 432. der reine Begriff aber eben nicht verzweifeln und entweder zum Glauben Zuflucht nehmen (Jacobi) oder ein solches leeren Nichts voreilig als sein Alles behaupten (Schelling). Er muss vielmehr den unendlichen Schmerz auf sich nehmen, er muss die äußerste Verlassenheit erfahren und trotz der vollkommenen Hoffnungslosigkeit - we^iter d^e^nk^e^n. Denn wenn das Gefühl der grenzlosen Abgründigkeit des Nichts wohl ein Moment der absoluten Idee ausmacht, macht Hegel geltend, dass es n^cht d^a^s I^etzl^e sein soll, es muss vielmehr in der Tät nur e^n M^om^nt sein. Das Denken muss folglich nicht nur als "negative Seite des Absoluten - welche die reine Vernichtung des Gegensatzes oder Endlichkeit" ist - auftreten, sondern zugleich als "der Quell der ewigen Bewegung oder der Endlichkeit, die unendlich ist, d.h. die sich ewig vernichtet, aus welchem Nichts und reinen Nacht der Unendlichkeit die Wahrheit ^ sich emporhebt".23 Die Aufgabe der wahren Philosophie, die eben damit mit dem konsequent durchgeführten Nihilismus zusammenfällt, besteht also darin, am Ende des Kreuzwegs der Reflexion durch Beharren in ihrem Nichts die inhaltsvolle Wahrheit entstehen zu lassen. Der historische Karfreitag wird nicht von ungefähr erwähnt. Er weist nicht nur auf die Vernichtung alles unmittelbar Seienden hin, sondern will zugleich betonen, dass - wie im Religiösen das Leiden zugleich das Leiden des Menschen in seiner Gottverlassenheit ist - auch in der Philosophie das Moment der subjektiven Bewährung eine Rolle bei der Widerauferstehung des Begriffs spielt. Hegel scheint zu behaupten, die absolute Negativität muss sich entsprechend auf der subjektiven Ebene niederschlagen. Diese Manifestation pflegte er zunächst in der Anlehnung an den Tod - als die Erscheinung des "negativ Absoluten, der reinen Freiheit"24 - zu denken, später aber erweiterte er sie zu einer Sammlung von Begriffen wie etwa Fur^cht, Härte, Ernst, Arbeit, Anstrengung, deren gemeinschaftlicher Zug darin besteht, dass sie alle das subjektive Erlebnis jener Negativität ausdrücken, die die Freiheit, das Denken und zuletzt das Absolute vorantreibt. Sie sind die Art, wie sich das negative Wesen des Absoluten in das Sein des Subjekts selbst einverleibt. Das soll freilich nicht heißen, dass das bloße Leiden ein hinreichender Beleg der Wahrheit eines Wissens wäre. Aber insofern die Verselbstständigung der formellen Reflexion und folglich das Steckenbleiben im Nichts eben aus der vorzeitigen Unterlassung der Aufgabe des Denkens, gleichsam aus einer konzeptuellen Faulheit folgt, in dem Maße bleibt die subjektive Verpflichtung zum Gebot des Denkens eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der 23 Op. ct^., S. 431. 24 G. F. W. Hegel, TWA, 2, S. 479. spekulativen Auferstehung. Zum Glück macht sie aber nicht den einzigen Maßstab aus. Wie man den Baum nach seinen Früchten erkennt, so ist in Hegels Sicht für die erfolgreiche Überwindung des Nihilismus vor allem die Frage entscheidend, inwiefern es der Selbstvernichtung der Reflexion wirklich gelingt, ein neues, vorher nicht bestehendes Gebiet zu erschließen oder eine neue, positiv bestimmte Erkenntnis hervorzubringen. Erst dann kann die frohe Kunde verbreitet werden, dass auch die Philosophie durch den reinen Begriff aus dem Abgrund des absoluten Nichts auferstanden sei.25 25 Die vorgeschlagene Deutung von Hegels impliziter Schelling-Kritik deckt sich weitgehend mit den Ausführungen, die Robert Pfaller in hervorragendem Aufsatz ("Negation and Its Realibilies: An Empty Subject for Ideology?", Sic 2, S. 225-246) über Žižeks Modell einer "Transgression durch explizite Immanenz" vorgelegt hat. Etwas vereinfacht gesagt, scheint Žižek davon auszugehen, dass man von der Ideologie fliehend desto mehr ihrer Macht unterworfen bleibt, da die angebliche ideologiefreie Wahrheit eben eine typische Konstruktion der Ideologie selbst darstellt; das einzige Mittel ihrer Negation soll also darin liegen, sich jedes Jenseits zu verbieten und durch eine inhaltslose Geste der Verneinung seinen Standpunkt ausdrücklich als ideologisch zu bekennen. Dem entgegen weißt Pfaller zunächst darauf hin, dass solche "listige Verneinung" der Ideologie eigentlich ein weit verbreiteter Bestandteil mancher (post)modernen Ideologien ist, die, mögen sie in ihren Überwindungsversuchen noch so listig sein, allenfalls ihre eindeutige Materialität besitzen. Vor allem aber betont er, "wenn wir einen Raum überschreiten wollen, so müssen wir zu einem anderen Raum gelangen", ferner dass dieser Raum dazu "eine positive Natur haben" muss und dass endlich aus ihm andere positive Wirkungen folgen müssen. Da aber die beschriebene Transgressionsart in der "bloßen Geste" der Negation bestehen und keine spezifische Bedingungen und Wirkungen haben soll, fällt Pfallers Urteil unerbittlich aus: "Der dialektische Begriff von der Transgression durch explizite Immanenz ist ein Begriff der ideologischen Integration." (Op. cit., S. 236.) Pfaller knüpft daran weitere Überlegungen über dem ontologischen und topo-logischen Status von Negativität an und sieht darin auch einen Beleg für die behauptete Überlegenheit von Spinoza (und Althusser) im Vergleich mit Hegel (und Lacan). Pfallers Argumentation ist freilich nur beizustimmen. Allein, wenn unsere Deutung richtig ist, ist es offensichtlich, dass sie keineswegs geg^en Hegel, sondern g^egen Schelling gerichtet werden soll, da sie eigentlich den Gedankengang von Hegels Schelling-Kritik nachvollzieht. Denn obwohl Hegel zusammen mit Schelling den Nihilismus mit der Negativität selbst überwinden wollte, beharrte er darauf, dass diese Überwindung nur durch das begreifende Durcharbeiten des Nichts, also unter spezifischen Bedingungen geschehen kann, und dass sie ein bestimmtes, also positives Resultat haben muss. In diesem Sinne schreibt er in der Phänomenologie des Geistes, wenn der Vorhang der Erscheinung fällt und es offenbar wird, dass hinter ihm nichts zu sehen ist: "Aber es ergibt sich zugleich, daß nicht ohne alle Umstände geradezu dahintergegangen werden könne." (TWA, 3, S. 136.) Und als er ganz in der verkürzter Weise einer Transgression durch explizite Immanenz zu erklären scheint: "Das Übersinnliche ist also die Erscheinu^ng als Erschei^nung", zögert er nicht hinzusetzen: "Wenn dabei gedacht wird, das Übersinnliche sei also die sinnliche Welt so ist dies ein verkehrtes Verstehen; denn die Erscheinung ist vielmehr nicht die Welt des sinnlichen Wissens und Wahrnehmens als seiende, sondern sie als aufgehobene ^ gesetzt." (TWA, 3, S. 118-119.) Wenn uns also Hegel verbietet, das Übersinnliche jenseits des Sinnlichen IV Zum Zeitpunkt, da es geschrieben wurde, musste das Programm des spekulativen Karfreitags weitgehend Programm bleiben. Hegel stand damals kaum ein konzeptuelles Mittel zur Verfügung, um in positiver Weise jenes Nichts zu denken, das durch die Selbstvernichtung des Endlichen entsteht. Das ist ihm erst gelungen, nachdem er den Begriff des Anderen seiner selbst entwickelte und die Negativität noch tiefer in das Absolute selbst, nicht bloß in seine Erscheinung hineintrug, - mit Einem, als er das Absolute als Geist aufzufassen anfing. Der Nihilismus-Diskurs verlor danach allmählich seinen Stellenwert und verschwand fast von der Bildfläche. Trotzdem kann behauptet werden, der Hegelsche Standpunkt des spekulativen Idealismus habe sich gerade in der Auseinandersetzung mit dem Nihilismus gebildet. Und während der Ausdruck in den Hintergrund trat, ist die Problematik von Negativität, Nichts und Nihilismus ein fester Bestandteil des endgültigen Systems geblieben.26 In der Phänomenologie des Geistes kann man z. B. fast greifbar spüren, wie sich die frühere Nihilismusdebatte zur Skeptizismusfrage verwandelt hat. Das Fortgehen des Bewusstseins wird als Weg des Zweifels und der Verzweiflung,27 als "sich vollbringender Skeptizismus" beschrieben. Dieser Skeptizismus muss aber, fährt Hegel fort, von jenem gewöhnlichen Skeptizismus der Philosophie unterschieden werden, "der im Resultate nur immer das r^eine Nichts sieht" und "mit der Abstraktion des Nichts oder der Leerheit endigt". Damit er nicht bloß als eine negative Bewegung erscheint, muss man nur zum Begriff der "bestimmten Negation" gelangen, deren Nichts eigentlich das Nichts dessen ist, woraus es entsteht, und so selbst bestimmt ist. Und für diese "an sich ganz einfache Betrachtung" sind keine inhaltlich bestimmten Eingriffe oder anderswo beigebrachten Zusätze nötig, sondern man muss "nur nicht abstrahieren" und vom Negativen wegsehen. Hegel festigt so das Wissen ge- oder darüber zu suchen, so bedeutet es weder, dass das Ubersinnliche einfach identisch mit dem Sinnlichen ist, noch, dass es kein Übersinnliches gibt; im Gegenteil, was er sagen will, ist, dass man das Übersinnliche nirgendwo anders als in dem Sinnlichen selbst suchen und es gerade da erkennend hervorhri^ngen muss. Gegen Pfallers spinozie-rende These von dem Vorrang der Positivität würde so, kann man vermuten, Hegel die Auffassung vertreten, dass während jener jenseitiger Raum allerdings positiv und produktiv sein muss, braucht er trotzdem nicht unmittelbar von außen den alten Raum zu begrenzen, da er ohne die Arbeit der Negativität eben noch nicht vorhanden ist und bis dahin, wenn überhaupt, nur in den Spalten und Rissen des alten Raums existiert. 26 Vgl. Wolfgang Bonsiepen, Der Begriff der Neg^ativität i^n den Jenaer Schriften Heg^els, Bouvier, Bonn 1977. 27 Am Schluss wird es sogar als "die Schädelstätte des absoluten Geistes" bezeichnet. gen skeptische Angriffe gerade durch die vollständige Durchführung des Skeptizismus, wie er zuvor das Mittel zur Überwindung des Nihilismus in dem vollständigen Nihilismus sah. Gewissermaßen ist aber schon in dem Begriff der - negierend affirmativen - Aufhebung das volle Erbe des vollständigen Nihilismus enthalten. In diesem Sinne ist es vielleicht nicht verfehlt, Hegels Philosophie als spekulative Vollendung der christlichen Grundlehre zu bezeichnen. Nur muss dabei berücksichtigt werden, dass die Religion in dem Gefühl, die Philosophie dagegen in dem reinen Begriff besteht. Mag also das Denken für immer schwer bleiben, da der Begriff wesentlich anstrengend ist, ist sofern das Pathetische ein Zeichen der unvollständigen Philosophie. Das Vorkommen von starken Bildern lässt eher an die Schwäche des Begriffs denken. Genauer, je unbestimmter ein Begriff ist, desto stärker ist die Anwesenheit des Subjekts im Denken; die Stärke des Begriffs erweist sich umgekehrt erst im Verschwinden des denkenden Subjekts. Das ist auch der Grund, warum die Aufgabe des Denkens für das Subjekt wesentlich anstrengend ist: sie verlangt seine Selbstver^leug^nung. Und das ist auch der Grund, warum das Subjekt durch die ErJ^ahr^u^ng des spekulativen Karfreitags hindurch muss: das absolute Leiden besteht eben im Auslöschen seiner Besonderheit, die sich hinter die Allgemeinheit des Denkens stellen muss. Zum Schluss möchten wir so in der Phänomenologie des Geistes auf jene Erfahrung des Bewusstseins verweisen, die nach Hegels Auffassung die unmittelbare Voraussetzung des Eintritts in die Ordnung des Denkens darstellt. Es handelt sich freilich um die Erfahrung des dienenden Bewusstseins, die keineswegs darin besteht, dass es um dieses oder jenes gefürchtet habe, mag es auch als Leben bezeichnet werden. Dem reinen Selbstbewusstsein ist es nicht schwer zu sterben, ihm fällt es vielmehr schwer, auf seine Selbstständigkeit zu verzichten. Man kann dieses Moment auch Ehre nennen und es so ausdrücken: Das Subjekt kann Allem und Jedem entsagen, seiner Ehre, seinem Namen jedoch nicht. Aber damit bestätigt es eben, dass es noch immer an etwas Partikuläres gebunden ist, dass in ihm ein Rest von Dinghaftem geblieben und dass es folglich nicht vollständig Selbstbewusstsein ist, das ja gerade in der Negation alles Festen besteht. Dagegen hat das knechtische Bewusstsein ins Antlitz des Todes schauend die absolute Furcht erfahren: "Es ist darin innerlich aufgelöst worden, hat durchaus in sich selbst erzittert, und alles Fixe hat in ihm gebebt."28 Nun aber stellt dieses "absolute Flüssigwerden alles Bestehens", setzt Hegel hinzu, eben diejenige "absolute Negativität" dar, die das Wesen des Selbstbewusstseins ausmacht. Das knechtische Bewusstsein ' G. W. F. Hegel, TWA, 3, S. 153. hat demnach in der alle Mücken der Subjektivität verbrennenden Furcht nicht nur sein eigenes Wesen erlebt, sondern ist vor allem zur Erkenntnis gekommen, dass es in ihm als reinem Selbstbewusstsein nichts gibt, was in der Weise des Seins seiend sein würde. Was als Feigheit erscheint, ist kein Zeichen der Schwäche, es ist vielmehr der Ausdruck der höchsten Kraft des Selbstbewusstseins, das dem, was seinen wertvollsten Schatz ausmacht, seiner Eigenheit zu entsagen imstande ist und auch ohne seine Ehre und ohne seinen Namen doch weiterzuleben vermag. Diese subjektive Departikularisierung ist eine notwendige Bedingung für das Erheben auf den Standpunkt des Allgemeinen oder des Denkens. Der Herr, der solche Erfahrung nicht auf sich nehmen wollte, wird für immer eine Sackgasse in der Entwicklung des Geistes darstellen, das Feld des Allgemeinen wird ihm verschlossen bleiben: Der Herr mag Einfälle, interessante Ideen haben, denken kann er nicht! Es ist also ein Knecht, der die Aufgabe des Begriffs - die bekanntlich Geduld, Anstrengung und Arbeit, Arbeit der Selbstverleugnung, verlangt - auf sich nehmen und eines Tages eine Wissenschaft d^ I^ogik verfassen wird. Was bis dahin in bunte Gestalten einer bodenlosen Abgründigkeit des Nichts verkleidet worden ist, das wird nunmehr in stillem Gang des Begriffs fortgehen. Und erst als diese negative Beziehung zu sich selbst, als absolute Reflexion, als diese Bewegung von Nichts zu Nichts, und so zu sich seihst zurück29 wird Philosophie ihr Nichts endlich überwinden. Jacobi hatte in gewissem Sinne recht, die Reflexion besteht wirklich im bloßen Ein- und Ausgehen von Nichts zu Nichts; aber, voreilig von dem Negativen wegsehend, bemerkte er nicht, wie es dadurch zu sich selbst kommt, eine Gleichheit mit sich erreicht und so in ein Sein umschlägt. ' G. W. F. Hegel, TWA, 6, S. 24.