UDK 78.083.3Mahler Beat A. Föllmi Université de Strasbourg Univerza v Strasbourgu Unheimlich bewegt Ein 'unheimlicher' Diskurs in Gustav Mahlers Humoresken aus 'Des Knaben Wunderhorn' »Grozljiv« diskurz v humoreskah Gustava Mahlerja iz »Dečkovega čudežnega roga« Prejeto: 14. april 2009 Sprejeto: 1. maj 2009 Ključne besede: Sigmund Freud, hermenevtika, E.T.A. Hoffmann, Gustav Mahler, pripovednost Izvleček S Freudovo psihoanalitično in estetsko kategorijo »grozljivega« avtor obdela prvih pet Mahlerjevih pesmi iz »Dečkovega čudežnega roga«, ki so označene kot »humoreske«. Prve tri pripovedujejo o travmatičnih seksualnih srečanjih, četrta o neugna-nem užitku in zadnja o glasbi sami, ko tisto, kar je domače in dobro znano, postane grozljivo. Received: l4th April 2009 Accepted: Ist May 2009 Keywords: Sigmund Freud, Hermeneutics, E.T.A. Hoffmann, Gustav Mahler, Narrativity Abstract Anhand Freuds psychoanalytischer und ästhetischer Kategorie des „Unheimlichen" werden die ersten fünf Gesänge aus Mahlers Des Knaben Wunderhorn, mit der Bezeichnung „Humoresken", untersucht. Die ersten drei erzählen von traumatischen sexuellen Begegnungen, der vierte vom hemmungslosen Genießen und der letzte von der Musik selber, wie das Heimische, Vertraute zum Unheimlichen wird. 1. Psychoanalyse als Diskurs Freuds Distanz gegenüber der Musik als Untersuchungsfeld ist allgemein bekannt. Dies mag einerseits mit der von ihm selber als ungenügend empfundenen eigenen musikalischen Kompetenz zusammenhängen, kann aber auch durch die stark von der Romantik geprägte ideologische Aufladung der Musik (etwa 'als dem Ort des Irrationalen'), die eine gewisse Scheu bei Nicht-Musikern erzeugt, erklärt werden.1 Nun besteht auch noch heute die grundsätzliche Schwierigkeit, dass Psychologen und Psychoanalytiker in der Regel musikwissenschaftliche Dilettanten sind und Musikwissenschaftler psychologische analytische Laien.2 Als Musikwissenschaftler möchte ich mich nur im Hinblick auf die eigene Zunft kritisch äußern. Deshalb beschränke ich mich auf die Erwähnung von musikwissenschaftlichen Analysen, die sich eines psychoanalytischen Instrumentariums bedienen wollen, ohne dabei über ein populärwissenschaftliches Niveau hinauszugelangen. Seitens der Psychoanalytiker wage ich allenfalls die mir befremdliche Bevorzugung gewisser Musikstile, beispielsweise desjenigen Mozarts in der 'Mozart-Therapie', zu kritisieren, was mir auf einen ungerechtfertigten und letztlich überheblichen Eurozentrismus hinausläuft.3 Als Musikwissenschaftler bin ich grundsätzlich weder daran interessiert noch dafür kompetent, Herkunft und Wirkung musikalischer Erfahrung wissenschaftlich zu erfassen. Forschungen über pränatale Musikerfahrung etwa oder Ergebnisse musiktherapeutischer Untersuchungen verfolge ich mit großem Interesse, glaube aber nicht, dass sie mir zur Erklärung eines musikalischen Kunstwerk - und diese erachte ich als eine der Hauptaufgabe des Musikwissenschaftlers - wesentlich hilfreich sein können. Dies soll keine Absage an die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Musikwissenschaft und Psychologie sein, sondern zu einer präzisen Standortbestimmung anregen. Für den Musikwissenschaftler ist die Psychoanalyse nicht bloß eine therapeutische Methode, sondern auch eine geistesgeschichtlich verortbare 'Weltanschauung', die ihm in vielen Kunstwerken am Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entgegentritt.4 Schönbergs Monodram Erwartung, Bergs Lulu oder Ene-scus Sdipe etwa nehmen am Diskurs, den Freuds Schriften damals in der Gesellschaft ausgelöst haben, teil - ja die Werke sind ohne Berücksichtigung dieses Diskurses kaum hinreichend zu deuten. Somit eröffnet das Beziehungsfeld Musik und Psychoanalyse, in geistesgeschichtlicher Hinsicht, vor allem das Feld der Diskursivität. Diese Diskursivität bezieht sich aber in erster Linie auf das Kunstwerk - und erst durch dieses indirekt (wenn überhaupt) auf seinen Autor. Hier besteht meiner Meinung nach eine große Gefahr vieler psychoanalytischer Deutungen musikalischer Kunstwerke, welche das Musikwerk als direkten 'Abdruck' der psychischen Erfahrungen seines Schöpfers - also fast im Sinne eines 'Psychogramms' - verstehen. Dies stellt einen merkwürdigen Rückfall in die von der Genieästhetik des neunzehnten Jahrhunderts geprägte Hermeneutik dar.5 In dieser Hinsicht lohnt sich, auf Freuds Beschäftigung mit einem 1 Siehe beispielsweise Kurt Eissler, „Psychopathology and creativity", in: American Imago 24 (1967), p. 35-81. 2 Doppelbegabungen wie Bernd Oberhoff sind dabei die sehr glückliche Ausnahme. 3 Diese Kritik gilt natürlich explizit Alfred A. Tomatis' „Mozart-Effekt". 4 In dieser Richtung sein folgende Forschung erwähnt: Marin Marian-Balasa, „Geografii psihanalitice ale sentimentalismului §i idilismului enescian" (Psychoanalytical Geographies of Enescu's Sentimentalism and Idyllism), in: George Enescu in perspectivä contemporanä, International Symposium of Musicology „George Enescu", 2001 and 2003, Editura Institutului Cultural Roman, Bucharest 2005, p. 199-205, eine brillante Studie, der allenfalls ihre zu starke Fixierung auf das Biografische vorgeworfen werden könnte. 5 Hermann Kretzschmar, „Anregungen zur Förderung musikalischer Hermeneutik", in: Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 10 (1902), p. 45-66; „Neue Anregungen zur Förderung musikalischer Hermeneutik", in: Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 13 (1905), p. 25-85; auch veröffentlicht in : Hermann Kretzschmar, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern der Musikbibliothek Peters (=Gesammelte Aufsätze über Musik, Bd. II), Leipzig (C .F. Peters), 1911, p. 168-192 und p. 280-293. Ferner: Arnold Schering, Beethoven und die Dichtung, Berlin, 1936 'Text' hinzuschauen: Seine Analyse von E.T.A. Hoffmanns Sandmann bedient sich zwar psychoanalytischer Methodik, nie hingegen schließt Freud auf den Autor, Hoffmann, zurück.6 Sein Untersuchungsgegenstand bleibt stets der Text - salopp formuliert: nicht Mozart gehört auf die Couch, sondern seine Musik. Psychoanalytisch geprägte Ansätze, welche sich werkzentriert mit historisch eingegrenzten Werken und Repertoires beschäftigen, halte ich deshalb für sehr erfolgversprechend, so wie dies beispielsweise Sebastian Leikert für die frühe Oper im Zusammenhang des Orpheusmythos getan hat.7 Dabei wird nicht in Abrede gestellt, dass ein Zusammenhang zwischen dem Autor und seinem Werk besteht. Es soll lediglich mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass ein einmal geschaffenes Kunstwerk auch ohne seinen Schöpfer vollgültig existiert. In der Begegnung mit dem Kunstwerk tritt mir ja nicht in erster Linie und ausschließlich sein Schöpfer entgegen - das wäre eine unzulässige hermeneutische Reduktion, und im übrigen für den Rezipienten eine in den meisten Fällen sehr unbefriedigende Lektüre. Mich dem Kunstwerk (Literatur, Plastik, Musik) aussetzen, ist eine Begegnung vom mir selber im Fremden, wobei selbstverständlich verschiedene Horizonte diskursiv wirksam sind: Zeitgeschichte, Ästhetik und Religion genauso wie meine persönliche Erfahrung bzw. Befindlichkeit. Genau an dieser Stelle wird auch die Psychoanalyse wieder miteingeschlossen, und zwar in doppelter Hinsicht: als einen der möglichen historischen Diskurse und als diskursives Echo meiner persönlichen psychischen Erfahrung. Gerne nehme ich hier den von Bernd Oberhoff ins Spiel gebrachten Begriff der 'Göttlichen Stimme' auf,8 der sich idealerweise an den hermeneutischen Begriff 'voice' (beispielsweise im Anschluss an Lacan oder Michel Poizat) verwenden ließe. 2. Das Unheimliche Eine solche doppelte Diskursivität, historisch wie individuell, möchte ich folgenden am Beispiel von Freuds Kategorie des 'Unheimlichen' und Gustav Mahlers Wunderhorn-Lieder zeigen. Die Entstehungszeiten zeigen bereits, dass es sich hier nicht um eine direkte Abhängigkeit handeln kann. Mahlers fünfzehn Orchesterlieder aus Des Knaben Wunderhorn entstanden zwischen 1892-1901, während Freuds Aufsatz über den Sandmann erst 1919, also acht Jahre nach Mahlers Tod, veröffentlicht worden ist. Trotzdem ist durchaus legitim, gerade in dieser Komposition Mahlers ein musikalisches Echo auf jenes Phänomen zu sehen, das Freud zunächst an einem literarischen Beispiel festmachen wird. Für Freud ist das 'Unheimliche' der Gegensatz zum 'Heimlichen'. Er nähert sich dem Begriffspaar zunächst durch eine heuristische Sprachanalyse, wobei er nicht nur die deutsche, sondern ebenso die lateinische, griechische, englische, französische, Der Sandmann, erstmals veröffentlicht in Imago 5 (1919), p. 297-324; auch in: Gesammelte Schriften Bd. 10, p. 369-408; in: Gesammelte Werke Bd. 12, p. 229-268; sowie in: Studienausgabe, Psychologische Schriften Bd. 4, p. 241-274. Sebastian Leikert, „Der Ursprung des musikalischen Symbols - Der Orpheusmythos als Grundparadigma der Oper", in: Bernd Oberhoff (Hrsg.), Die seelischen Wurzeln der Musik. Psychoanalytische Erkundungen, Gießen (Psychosozial-Verlag), 2005, p. 65-85. Bernd Oberhoff, „Die fötalen Wurzeln der Musik. Musik als ,Das Große Bewegende' und ,Die Göttliche Stimme'". in: derselbe, Die seelischen Wurzeln der Musik, p. 41-63. spanische, italienische und portugiesische Sprache berücksichtigt. 'Heimlich' heißt 'heimisch' oder 'heimelig', also vertraut und meint, was uns bekannt ist. Heimlich ist das, was zum Heim oder Haus gehört (die 'Heimlichen' oder 'Einheimischen'). Daraus abgeleitet ergibt sich eine zweite Bedeutung, die im Sprachgebrauch des heutigen Deutsch die vorherrschende ist: heimlich meint das dem allgemeinen Blick Entzogene (weil es im Haus ist), also das Versteckte, Verborgene, Geheime. Das Unheimliche wäre also das Gegenteil davon, das Nicht-Heimliche: entweder das Nicht-zum-Heim-Gehörende oder das Nicht-Verborgene (Nicht-Geheime). Bereits diese kurze Übersicht über die Bedeutung des Begriffspaares zeigt, dass hier eine merkwürdige Ambivalenz zutage tritt. Da 'heimlich' auch verborgen, verschlossen, undurchdringlich, geheim, mystisch meint, trifft sich die Bedeutung mit der Sphäre des 'Unheimlichen' und fällt mit ihr zusammen: Das Heimliche ist zum Unheimlichen geworden. Freud vermutete hinter diesem Wechsel nicht bloß eine Laune der Sprache, sondern sah darin das Resultat eines seelischen Vorgangs. Das 'Unheimliche' sei sehr oft dann gegeben, wenn ein etwas Bekanntes sich plötzlich als Unbekanntes entpuppe. Ein solches Beispiel sei die Figur des Doppelgängers (auch Spiegel- oder Schattenbild). Niemand ist uns vertrauter ('heimlicher'), als wir uns selbst sind, doch sobald wir unserem Doppelgänger gegenüberstehen, verwandelt sich das Vertraute ins Grauenerregende ('Unheimliche'). Ähnlich verhält es sich mit Puppen oder Automaten, wo die Kategorien des Beseelten und Unbeseelten durcheinandergeraten können (siehe dazu das Beispiel der automatischen Puppe Olimpia in Hoffmanns Sandmann). Ferner zitiert Freud generelle Erfahrungen des Alltags, wo Heimliches plötzlich in Unheimliches umschlagen kann, so beispielsweise wenn eine an sich harmlose und bedeutungslose Zahl in kurzer Folge mehrere Male auftaucht und so den Anschein einer verborgenen Absicht oder einer geheimen Bedeutung evoziert. Freud deutet den Ursprung dieser Gefühlsregung, den Wechsel vom Heimlichen zum Unheimlichen, als verdrängte Komplexe. Das 'Unheimliche ist wirklich nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist.'9 Hier stellte sich Freud die naheliegende Frage nach dem Status der Kategorie des 'Unheimlichen'. Handelt es sich tatsächlich um eine ästhetische Kategorie und in welcher Hinsicht ist sie ästhetisch? Wo liegt der Zusammenhang und die Abgrenzung gegenüber den psychoanalytischen Phänomen? Dabei unterscheidet Freud streng zwischen dem Gefühl des Unheimlichen im Erleben einer Person und dem Unheimlichen in einem Kunstwerk (bei ihm in der Dichtung). Seiner Meinung nach ist es wichtig, 'einen Unterschied zu machen zwischen dem Unheimlichen, das man erlebt, und dem Unheimlichen, das man sich bloß vorstellt oder von dem man liest.'10 Dieser vermeintlich einleuchtende Unterschied ist allerdings weniger schroff, vergegenwärtigt man sich die Erkenntnis, das ein Text ja erst durch die aktive Teilhabe des Lesers konstruiert wird. Das Unheimliche ist demnach nicht bloß auf das Werk begrenzt und wird vom Leser als ein von ihm abgegrenztes Objekt wahrgenommen, sondern das Unheimliche eines Textes 9 SA IV, S. 264. 10 Freud, Das Unheimliche, p. 269. wird erst durch den Leser erweckt - nicht im Text also (oder gar im Erleben des Autors) ist das Unheimliche, sondern im Leser. Dies gilt ganz besonders für das musikalische Kunstwerk, das ja keine 'fiktive Persönlichkeit' unmittelbar zu konstruieren vermag, so wie die Literatur es kann. Trotz unsere Implikation als Rezipient muss es möglich sein, die Kategorie des Unheimlichen gewissermaßen aus 'intellektueller Distanz' zu betrachten. So hat die Beschäftigung mit Mahlers Musik nicht zum Ziel, dass uns dabei unheimlich wird, sondern unsere Analyse soll die Bedingungen, unter denen das Unheimliche in der Musik auftaucht, beschreiben. So wie man sehr ernsthaft darüber reden kann, wie ein Witz funktioniert, ohne dabei dauernd in Lachen ausbrechen zu müssen. 3. Unheimlich, ironisch, schrecklich Mahler selber nannte die ersten fünf, im Jahre 1892 komponierten WunderhornLieder 'Humoresken'. Diese Art von Humor bei Mahler wird zumeist unter dem Stichwort der Ironie abgehandelt. Deshalb muss zunächst die Frage der Abgrenzung des Unheimlichen von den verschiedenen verwandten Kategorien, wie eben Humor, Ironie oder das Schreckliche (oder Erschreckende), gestellt werden. Das Schreckliche und Erschreckende ist in der Kunst ein beliebter Topos. Es bezieht einen großen Teil des Vergnügens, das es dem Leser, Betrachter oder Hörer bereitet, aus dem spannungsvollen Verhältnis zwischen dem ästhetischen Anspruch der Kunst und dem ästhetischen Mittel. Bereits in der Barockoper war das Erschreckende ein fester Bestandteil, so in den Höllenszenen mit Geistern und Teufeln. Zur Darstellung der Sphäre des Unheimlichen hat sich zudem eine eigene Tonsprache mit verhältnismäßig klar abgegrenzten Mitteln herausgebildet: das tiefe Register, dunkle Klangfarben, bestimmte Instrumente (das Regal, die Posaunen etc.). Insbesondere aber wird dem Schrecklichen die Übertretung des Erlaubten zugeordnet ('licentia' in der barocken Rhetorik): verbotene Akkorde oder Intervalle, unerlaubte Stimmführung. In der heutigen Tonsprache wird das Schreckliche oft unverhüllt mit dem ästhetisch Hässlichen bzw. dem, was nach allgemeinem Empfinden dafür gehalten wird, gleichgesetzt. Man denke dabei an Filmmusik oder Musik in der Werbung: Atonalität und starke Dissonanzen markieren immer das Schreckliche oder Angsteinflößende. Arnold Schönberg hat sich diese Typologie in seiner Begleitmusik zu einer Lichtspielscen, op. 34, (komponiert 1929-1930) zunutze gemacht. Die Untertitel der drei Sätze heißen: 'Drohende Gefahr', 'Angst' und 'Katastrophe'. Zurecht werden diese drei 'psychographischen' oder auch 'psychophotographischen' Studien in die Nähe des 1909 entstandenen Monodrams Erwartung, op. 17, gerückt. Das Angstmachende steht hier wie dort im Vordergrund, sei es als objektivierte 'Drohende Gefahr', als subjektive 'Angst' oder als Erfahrung einer 'Katastrophe'. Im Gegensatz zum 'Unheimlichen' fehlt die Doppelbödigkeit, fehlen die beiden Ebenen Vordergrund und Hintergrund, aus denen das Unheimliche erst seine Wirkung bezieht. Die Ironie hingegen zeichnet sich gerade durch das Doppelbödige, durch verschiedene Ebenen aus. Sie entsteht dadurch, dass vorgegeben wird, dass da etwas sei, was nicht ist. Die Ironie unterscheidet sich vom Witz nur graduell, nämlich wie offen- sichtlich die beiden Ebenen - was sein will und was wirklich ist - auseinander treten. Bei der Ironie müssen die Signale deutlich genug sein. Ist der Zweifel, ob eine andere Ebene als die offen ausgesprochene gemeint sein könnte, zu groß, kann die Ironie nicht wirksam werden. Ein musikalisches Beispiel für Ironie wäre Stravinskijs Scherzo la russe, das er zu Beginn der 1940er Jahre als Musik zu einem (uns nicht bekannten) Film für die Jazzband von Paul Whiteman schrieb und einige Jahre später für großes Orchester orchestrierte. Beim ersten Anhören mag man an Petrouchka erinnert sein, nur dass hier, im Gegensatz zum berühmten Ballet, eben die Ironie dominiert. Das behäbige volksliedhafte Thema setzt abrupt, geradezu plump ein. Es präsentiert sich derb, scheint zu hinken - so wie das darauffolgende, von Streichern, Klavier und Harfe vorgetragene Liedchen 'Elle avait une jambe de bois' nahelegt. Hier wird eine farbenprächtige und groteske 'Jahrmarktsszene' vorgeführt. Das behäbige Bläserthemas lässt die Szenerie nicht ins Unheimliche kippen, sondern belässt sie just da, wo sie immer war: im Bereich des Komischen, Heiteren. Die Jahrmarktszene bleibt immer Jahrmarktszene. Die opulente Orchestrierung, die gelegentlichen 'ernsthaften' oder 'tragischen' Stellen unterstreichen nur die komische Wirkung: hier ist Ironie, nichts Unheimliches - ganz im Gegensatz etwa zu Petrouchka, wo die Banalität des stetig repetierten russischen Volksliedes (Bild I, 'Danse russe') in all seiner 'anheimelnden' Vertrautheit nur allzu leicht ins Unheimliche umzuschlagen droht, zumal es im Ballett ja um eine Puppe geht, die zum Leben erweckt wird (man erinnere sich an Olimpia in Hoffmanns Sandmann). 4. Die 'unheimlichen' Wunderhorn-Lieder In Wunderhorn-Lieder von Gustav Mahler zeigt sich das „Unheimliche" in besonderer Weise: Unter der Oberfläche des doch so vertrauten Volkstümlichen, Bekannten, Heimischen drängt überall das Verdrängte hervor, in jedem Moment droht behaglich Heiteres in unheimlich Abgründiges umzuschlagen. Dabei sind es gerade die beiden existentiellen Themen Sexualität und Tod, welche dominieren. Im folgenden werden wir uns auf die ersten fünf Lieder des Zyklus beschränken, die alle den Untertitel 'Humoreske' tragen. Mahler selbst hat sich zu dieser Bezeichnung kurz nach Abschluss derer Komposition geäußert, sie seien 'noch viel eigenartiger [...] als meine früheren - ganz und gar Humor im höchsten Sinn (ein Ding, für welches nur der ungewöhnlichste Teil der Menschheit geschaffen ist).'11 Die angesprochene Eigenartigkeit der Humoresken bezieht sich nicht nur auf Mahlers Befürchtung, die Kompositionen seinen deswegen für 'seine Schubladen' komponiert, sondern eben auch auf die Eigenartigkeit des Humoristischen selbst. Der Komponist war sich offensichtlich bewusst, es mit einer Art 'Humor' zu tun zu haben, auf den dieser Begriff nicht recht zutrifft. In der Tat kann man Freuds kurze Zeit später entwickelten Begriff des 'Unheimlichen' hier fast exemplarisch vorgezeichnet finden. 11 Gustav Mahler, Brief an seine Schwester Justine (o. Datum, nach 26. April 1892), Sammlung Alfred Rosé, London, Ontario; auch abgedruckt in: Gustav Mahler, .Sämtliche Werke, Kritische Gesamtausgabe, Band XIV, Teilband 2, Universal Edition, Wien [2001], p. XV. Die fünf Humoresken bilden die erste Gruppe von insgesamt vierzehn Orchestergesängen unter dem Titel Des Knaben Wunderhorn. Die heute gültige Reihenfolge entspricht weder dem Kompositionsvorgang noch der Anordnung in den zu Mahlers Lebzeiten erfolgten Aufführungen, sehr wohl aber der Nummerierung in den unter Aufsicht des Komponisten erfolgten Veröffentlichungen. Es handelt sich um: 1. Der Schildwache Nachtlied 2. Verlorne Müh'! 3. Trost im Unglück 4. Das himmlische Leben 5. Wer hat das Liedel erdacht? Eine durchgehende 'Handlung' lässt sich innerhalb dieser fünf Nummern nicht konstruieren (und schon gar nicht innerhalb des ganzen Zyklus), wohl aber bestehen zahlreiche Verbindungslinien, Interferenzen und intertextuelle Bezüge, welche die fünf Humoresken eng zusammenschließen. Bei den ersten drei Humoresken handelt es sich je um einen Dialog zwischen einem ER und einer SIE (in Nr. 2 sind die Rollenbezeichnungen sogar in die Partitur eingetragen), wobei in Form des Dialogs das Thema der verdrängten Sexualität expliziert wird. Die beiden folgenden Humoresken weichen formal von diesem Muster ab, führen jedoch das zentrale Thema der Sexualität unter dem Stichwort der 'Musik' weiter aus. In der abschließenden fünften Humoreske geht es dann zusätzlich um die Transformation von Sprache in Musik. Wir wollen das im folgenden detailliert ausführen. Nr. 1: Der Schildwache Nachtlied Die erste Humoreske handelt vordergründig von einen Soldaten, der nachts Wache halten muss und dabei auf eine Frau trifft, die ihn verführen will. Er bleibt standhaft seinem Auftrag treu, und die liebliche Gestalt löst sich auf. Der Mann ist hier zunächst als aktives, willensstarkes Individuum gezeichnet, das 'will', 'kann' und 'muss' bzw. 'nicht will'. Zur musikalischen Charakterisierung wird gleich zu Beginn ein aufsteigendes Motiv verwendet, das einerseits an eine Fanfare erinnert (und somit die Isotopie 'Krieg' evoziert), aber auch als phallisches Ikon fungiert. Die Eingangsphrase der Schildwache exponiert das Grundthema: 'Ich kann und mag nicht fröhlich sein! Wenn alle Leute schlafen, so muss ich wachen! Ja, wachen! Muss traurig sein!' - spricht also, mit schlafen und wachen, die Sphäre des Bewussten bzw. Unbewussten an. Gleichzeitig wird die Gegensätzlichkeit zwischen 'wollen' und 'können' thematisiert sowie die Unmöglichkeit der Erfüllung. Alle demonstrativ exponierte Männlichkeit - die Musik bringt mit Trommeln und Becken einen Marschrhythmus in Gang, die Trompete bläst Fanfarenmotive - kann die Fragilität des Individuums nicht überdecken. Denn unter der Oberfläche des Wachzustandes regt sich immer wieder eine Stimme, die das kriegerische Selbstverständnis in Frage stellt. Die Musik dieser 'weiblichen' Dialogteile ist 'etwas langsamer', später 'zögernd', der Rhythmus wechselt vom vorherigen akzentuierten 4/4-Takt auf einen 6/4-Takt, die melodische Struktur zerfließt in feine Girlanden der Holzbläser und der Harfe. Die erste Aufforderung der Stimme, ihr in den Rosengarten im grünen Klee zu folgen, weist die Schildwache mit Hinweis auf die kriegerische Pflicht zurück: den 'Waffengarten, voll Helleparten', wobei die Waffenspieße offensichtlich das phallische Motiv wiederaufnehmen. Auch die zweite Einflüsterung, welche eine Art religiöse Sublimation vorschlägt ('An Gottes Segen ist alles gelegen!'), deutet der Soldat im Sinne männlicher Aktivität um: Der Glaube befähige zum Führertum. Auf dem Höhepunkt dieser Vision schlägt alles jäh um, die Angst bemächtigt sich der Schildwache: 'Bleib' mir vom Leib!' Zum dritten Mal erscheint die weibliche Stimme und entlarvt die kriegerische Rhetorik des Soldaten als männliches Fantasma. Die Musik verlangsamt sich (molto rit.) und soll 'bis zur gänzlichen Unhörbarkeit abnehmen'. Nr. 2: Verlorne Müh'! In der zweiten Humoreske läuft wiederum ein Dialog ab, in dem dieses Mal der weibliche Part dominiert. Dreimal bedrängt die Frau den jungen Mann mit ihren (erotischen) Avancen: 'Büble, wir wollen...', dreimal weist er sie zurück, jeweils mit einer stereotypen Antwort wie: 'Dinterle [Dummerchen], ich mag es halt nit!" Der erste Vorschlag, nach draußen zu gehen und „unsere Lämmer besehe', ist zunächst eine Aufforderung, sich von der Wachsamkeit allfälliger Zuschauer abzusetzen, bedeutet aber auch ein Weggehen von der heimischen Sicherheit ins 'Unheimliche'. Gleichzeitig evoziert die weiche Wolle der Lämmer die weibliche Scham. Die zweite Aufforderung wird bereits deutlicher, wenn nämlich davon die Rede ist, zu naschen und in die 'Tasch' zu greifen - der mehrmals repetierte Ruf „Hol'! Hol'!" lässt nicht viel Spielraum für Ambiguität. In der dritten Aufforderung bietet die Frau ihr „Herz" und schließt überaus eindringlich, ja geradezu flehentlich mit 'Nimm's, ich bitt!'. Handelt es sich beim Büble wirklich noch um ein Kind? Dann muss es sich in der Szene um die Darstellung eines Übergriffs handeln - vieles spricht dafür. Gerade die volkstümliche Sprache, insbesondere der schwäbische Dialekt mit den vielen niedlichen Verkleinerungsformen, verdeckt nur mit Mühe die gewaltvolle Realität der Szene. In der musikalischen Umsetzung jedenfalls wird die Zurückweisung des Büble von Mal zu Mal verzweifelter: Beim ersten Mal (T. 30-33) klingt sie noch in schlichter Diatonik, beim zweiten Mal (T. 65-71) mischt sich Chromatik hinein und das Wort 'nit!' wird mit langen, hohen Noten wiederholt, beim dritten Mal (T. 102-108) steigert sich die Antwort zur richtigen Verzweiflung und endet mit einem eigentlichen Schrei auf dem hohen Gis. Das vermeintliche Spiel versteckt in Wahrheit ein erlittenes Trauma. Nr. 3: Trost im Unglück Die dritte Humoreske ist ein Streitgespräch zwischen Mann und Frau. In der Erstausgabe der Fassung mit Klavier wurden die Passagen dem 'Husar' (T. 12-45) und seinem 'Mädchen' (T. 53-77) bzw. am Schluss den beiden (T. 85-97) zugeteilt. In der Partitur fehlt diese Angabe - und fast scheint es, als ob der Schluss vielleicht doch dem Mann alleine zuzuteilen wäre, immerhin ist es 'seine' Musik, welche den Gesang abschließt. Der Husar legt von Anfang an ein machistisches Gehabe zutage. Die Kampf- und Reitersprache ist nichts anderes als sexistisches Imponiergehabe: Das Pferd muss 'gesattelt' und 'geritten' sein, denn 'die Zeit ist gekommen' - unverhüllt sexuelle Anspielungen. Allerdings ist das Imponiergehabe von einer tiefen Unsicherheit bedroht: Der Mann weist seine Geliebte überheblich zurück und schwört ihr gleichzeitig 'ewig treu zu sein' (T. 43-45). Die Unsicherheit der angeblichen männlichen Überlegenheit manifestiert sich in der Musik dadurch, dass die beiden Sphären - männlich und weiblich - nicht mehr klar voneinander geschieden sind: binärer und ternärer Rhythmus sind von Anfang an ineinander verschränkt. Das verleiht der sonst so stürmisch nach vorne drängenden Musik eine eigentümliche Unsicherheit. Die Antwort der Frau bestätigt die Befürchtungen des Mannes. Sie verspottet ihn nicht nur, indem sie seine angebliche Einzigartigkeit in Frage stellt, sie trifft ihn am aller stärksten darin, dass sie ihm als 'Rivalen' die väterliche Autorität entgegenhält: 'In meines Vaters Garten wächst eine Blume drin! So lang' will ich noch warten, bis die noch größer ist!' (T. 6lff). Sie kontert seine überhebliche, aber verkrampfte Sicherheit (Dreiklangsbrechungen und Diatonik) mittels einer destabilisierenden Chromatik in kleinschrittigen Intervallen. In der Schlussstrophe versucht der Mann (oder allenfalls beide, je nach Lesart) angesichts der massiven Kränkung sein Gesicht zu wahren und der Zurückweisung mit Spott zu begegnen. Die drei ersten Humoresken zeigen also drei Möglichkeiten traumatisch erlebter Sexualität (das in der ersten Humoreske festgestellte aufsteigende 'phallische' Dreiklangsmotiv ist in allen dreien präsent): den vergebliche Versuch der Sublimierung angesichts einer Verführung in der ersten, den gewaltsame Übergriff in der zweiten und die kränkende Zurückweisung in der dritten. Nr. 4: Das himmlische Leben Die nun folgende vierte Humoreske ist ganz anderer Art und scheint auf den ersten Blick nichts mit den vorangegangenen zu tun zu haben. Zum ersten Mal fehlt die Dialogform, der Sänger bedient sich der Wir-Form. Der Sänger erzählt in scheinbarer Naivität das sorglose Genießen der himmlischen Bewohner. Alles in dieser Komposition ist betont heiter und sorgenfrei - 'Heiter behaglich' lautet die Überschrift. Der Text spricht von Freuden, vom Genießen, von Ruhe. Die 'englische' Musik ergießt sich in hellen, lichten Klangfarben: Harfe, Triangel, Becken, dazu viel Holzbläser. Zudem wird ein auffällig stabiles harmonisches Gerüst vorgegeben. So verharrt die Musik beispielsweise, trotz äußerer, rhythmischer Bewegtheit, während der ganzen ersten vier Takte in der Tonika (G-Dur), vom Bass noch zusätzlich durch den stereotypen Viertelrhythmus d-g (etwa in der Art eines volkstümlichen 'Zigeunerbasses') unterstützt - eben 'Heiter behaglich'. Der Text bedient sich einer Reihe vertrauter Bilder aus der Himmelswelt. Das ganze biblische und hagiografische Personal ist vereint, um alles in ein Maximum an Genuss zu verwandeln: elftausend himmlischen Jungfrauen, der übervolle Paradiesgarten mit seinen Köstlichkeiten, die Engelsmusik unter Cäcilias Leitung. Alles ist so schön, so vertraut 'heimisch', dass es plötzlich kippen muss. Im Mittelteil (ab T. 40) wird zur Genussbefriedigung alles, was in die Quere kommt, geschlachtet und verspeist: Sogar ein 'geduldig's, unschuldig's, geduldig's, ein liebliches Lämmlein' wird zu Tod gebracht, wobei der Kindermörder von Bethlehem, König Herodes, als Metzger fungiert - und dieser Tod dient nicht, wie das Lamm Gottes, für die Sünde der Welt, sondern zu unser puren hedonistischen Befriedigung. Ebenso skrupellos verfährt der Evangelist Lukas, der sein 'Wappentier', den Ochsen, ohne Bedenken schlachtet. Und später laufen Rehbock und Hasen uns direkt entgegen, wann immer uns danach gelüstet. Und sollte wegen der Fastenzeit der Fleischgenuss verboten sein, würden die Fische aus der biblischen Wundergeschichte (Lk 5,4-7 bzw. Joh 21,1-14) gleich 'mit Freuden' ins Netz springen. An diesem Punkt verwandelt sich die Behaglichkeit der 'himmlischen Freuden' in eine orgastische Musik, die sich, erst 'unmerklich' beschleunigt (T. 89), dann mit der direkten Aufforderung, 'Vorwärts!' (T. 99) immer lebhafter wird (T. 114). Die Holzbläser verzieren die raschen 16tel-Noten mit kurzen Vorschlägen, in den Streichern treten Pizzicato und Glissandi dazu. Vor allem sorgen die mal offenen, mal gestopften Hörner sowie die stetigen, rollenden Paukenwirbel für eine latente Störung der so manifesten Fröhlichkeit. Die auf raschen, fast gehämmerten Achteln basierende Musik erinnert in ihrer Klanglichkeit an die Türkenmusik des 18. Jahrhundert (Janitscharenmusik). Auf dem Höhepunkt dieser opulenten, aber bereits „unheimlichen" Klangentfaltung wird das Thema der himmlischen Musik vorgegeben: 'Kein' Musik ist ja nicht auf Erden, die unsrer verglichen kann werden' (T. 141ff). Das enthemmte, egoistische Genießen, das im Symbol der 'Musik' zusammengefasst wird, führt nun zur Entsprachlichung: Worte werden wiederholt, Silben gedehnt und in Melismen aufgelöst - bereits beim ersten Auftreten der Singstimme (T. 13f) und vor allem am Schluss (T. 141ff). Die vierte Humoreske stellt also, nach den drei vorangehenden traumatischen Varianten, eine idealisierte Fantasie eines hemmungslosen Genussauslebens dar, die allerdings in ihrer übergroßen Behaglichkeit bedroht ist und ins 'Unheimliche' zu kippen drohen. Nr. 5: Wer hat dies Liedel erdacht? Genau das Thema der 'Musik', des sprachlosen Wohlgefallens, wird in der fünften Humoreske mit dem Titel Wer hat dies Liedel erdacht? thematisiert. Dass hier tatsächlich die Musik selber (das 'Liedel') im Zentrum steht, zeigt sich unter anderem auch darin, dass Mahler in den Manuskripten bzw. in einigen Drucken abweichende Titel verwendet hat, nämlich kurz: Liedel (oder Liedlein). Interessanterweise hat er bei dieser fünften Humoreske sehr stark in die Textvorlage eingegriffen, um sie seinen Vorstellungen anzupassen. Aus dem ursprünglich aus drei je fünfzeiligen Strophen bestehenden Gedicht hat er die mittlere Strophe weggebrochen und durch einige stark veränderte Zeilen aus einem anderen Wunderhorn-Lied (Wer's Lieben erdacht) ersetzt.12 Selbst die belassenen zwei Strophen sind stark bearbeitet worden, durch Wort- und Zeilenwiederholung einerseits, durch eigentliche Textänderungen andererseits - so beispielsweise wird aus dem 'wacker Mädel' in der Vorlage bei Mahler ein 'fein's, lieb's Mädel'. 12 Zu den Einzelheiten, siehe den Kritischen Bericht, in: Gustav Mahler, Sämtliche Werke, Kritische Gesamtausgabe, Band XIV, Teilband 2, Universal Edition, Wien [2001], p. 315. Der Text scheint zunächst in volkstümlicher Weise komisch zu sein: Ein hübsches Mädchen, das Wirtstöchterlein, hat einem Burschen das Herz gebrochen. Dessen Klage ist das vorgetragene 'Liedel', das - wegen seines allzu alltäglichen Inhalts - jedermann bekannt sein sollte. Wer es noch nicht kennen sollte, dem pfeifen es die Gänse. Die Musik nimmt den Volkston vordergründig auf: ein munterer 3/4-Takt mit parallel konstruierten, einfachen und eingängigen Phrasen, mit Terzen- und Sextenseligkeit, dazu die bildhafte Ausdeutung einzelner Worte (wie das 'hohe' Haus durch hohe Noten). Irritierend sind die ständigen Wortwiederholungen. Bereits in der ersten Phrase verdoppelt der Sänger die Worte 'in dem hohen Haus', es folgt eine instrumentale Repetition in Moll abgedunkelt. Die dritte Zeile ('Es ist nicht daheime!') wird sogar zweimal hintereinander völlig identisch gesungen. Zusätzlich suggerierte die nächste Zeile sogar noch eine weitere Wiederholung, da sie mit identischen Worten beginnt ('Es ist...'). In der zweiten Strophe erhalten die Text- (und Melodie-) Repetitionen eine abgründige Bedeutung. Die Aufzählung der Wirkungsmächtigkeit der Liebe wird zu einem 'unheimlichen' crescendo. In fünf Anläufen, jede stereotyp mit demselben Wort 'macht' beginnend, steigert sich die Singstimme in eine verzweifelte Beschwörung hinein. Aufgezählt werden jene Eigenschaften, die seit altersher der Musik nachgesagt werden: Herzen gesund zu machen, Jugend verständig, Tote lebendig13, Kranke gesund.14 Durch die Repetitionen, die ausufernde Chromatik, die kühne Enharmonik wird diese Stelle zum Drehpunkt, an dem die Musik ins 'Unheimliche' kippt. Das anfängliche Liebesleid wirkt nicht mehr 'drollig', es stellt sich vielmehr ein 'unheimlicher' Untergrund ein: Wer die 'Musik' nicht selber singen kann, dem pfeifen sie die Gänse. Die uneingeschränkte Erfüllung von Liebe und Sexualität - wie sie die vorangehende Humoreske Das himmlische Leben entfaltet - verwandelt sich hier zum Trauma angesichts des Nicht-Könnens. An diesem Punkt entgleitet die Sprache immer stärker und löst sich in Musik auf, in ein 'objet-voix', wie Michel Poizat es nennt.15 Zweimal treten ungewöhnliche lange Melismen auf, wie man sie sonst bei Mahler nicht findet: zu Beginn auf das Wort 'Haide' (T. 35-45, insgesamt 62 Noten) und auf dem letzten Wort des Gesangs überhaupt: 'Ja!' (T. 87-96, insgesamt 56 Noten). Mahler selber nennt einmal die Musik seiner Wunderhorn-Lieder 'unheimlich', und zwar im Hinblick auf den Gesang Das irdische Leben, einen Dialog zwischen einem Kind, das hungrig nach Brot schreit, und der Mutter, die stets auf das Morgen vertröstet, solange bis das Kind verhungert ist. Er schreibt kurz nach Abschluss der Komposition über die existentielle Dimension dieser Musik: 'Und ich glaube, daß das [immerzu Vertrösten auf später] in den unheimlichen, wie im Sturm dahinsausenden Tönen der Begleitung [...] charakteristisch und furchtbar zum Ausdruck kommt.'16 Es scheint wie ein 'unheimlicher' Zufall, dass dieser Gesang mit der Tempoangabe Unheimlich bewegt überschrieben ist. Hier verwendet Mahler sogar das Mittel der „Augenmusik", indem beim Wort „Tote" Kreuze und Doppelkreuze auftreten. Sehr schön zusammengefasst hat dies Johannes Tinctoris im Complexus effectum musices (um 1473/74), hrsg. von E. de Cous-semaker, Scriptorum de Musica Medii Aevi, Nova Series, Bd. 4, Paris 1876; Reprint: Hildesheim 1963, p. 195-200. Michel Poizat, L'Opéra ou le cri de l'ange. Essai sur la jouissance de l'amateur d'opéra, Paris 1986. Notiz von Juli/August 1893 aus Steinbach am Attersee; ausschnittweise auch abgedruckt in: Gustav Mahler, Sämtliche Werke, Kritische Gesamtausgabe, Band XIV, Teilband 2, Universal Edition, Wien [2001], p. 318. 13 14 Li lé Povzetek Izhajajoč iz Freudove kategorije »grozljivega«, ki jo je kot psihoanalitično in estetsko kategorijo razvil na podlagi E.T.A. Hoffmannove novele Škrat (ki otrokom meče pesek v oči, da zaspijo), poizkuša prispevek analizirati prvih pet pesmi Mahlerje-vega ciklusa Iz dečkovega čudežnega roga, ki so označene kot humoreske. Pokaže se, da kategorija humorističnega, ki in kakor jo predlaga skladatelj, le deloma ustreza. Vseh pet »humoresk« bolj kaže na potlačeno »ospodje«, v katero se lahko vsak trenutek sesuje prijetno in veselo površje. Tako prve tri pesmi - v preobleki naivnih dialogov -pripovedujejo o različnih travmatičnih seksualnih srečanjih. V prvi pesmi (Stražarjeva nočna pesem) gre za zapeljevanje in strah pred nezmožnostjo upiranja, v drugi (Izgubljeni trud) se komaj zastrto pripoveduje o samovolji, medtem ko tretja pesem (Tolažba v nesreči) govori o boleči zavrnitvi nekega meča. Četrta nam prikaža idealizirano fantazmo o »nebeškem življenju«, v katerem je neugnani užitek povezan z izrazom »glasba«. Peta humoreska (Kdo si je izmislil to pesmico?) pa ima za temo glasbo samo: navidez folklorno sceno, polno blažečih terc in sekst, moteče izstopajoče ponovitve na svoj način peljejo v prepad. V smislu Freuda postane tisto, kar je domače in dobro znano, grozljivo, in to v tistem trenutku, ko se jezik pesmi razkroji v čisti »objekt-voix«.