Roland Bauer Salzburg CDU 81'27:804.0:8050 DIE HISTORISCHE ENTWICKLUNG DER MEHRSPRACHIGKEIT IM AOSTATAL AUS SPRACHSOZIOLOGISCHER SICHT: EINE DIACHRONE RÜCKSCHAU SAMT AUSBLICK INS 21. JAHRHUNDERT.1 1. Historische und sprachgeschichtliche Rahmenbedingungen: Die seit 1948 autonome Region Aostatal liegt bekanntlich am Fuße der höchsten Alpengipfel im Grenzgebiet zwischen Südostfrankreich, der Westschweiz und Nordwestitalien. In vorrömischer Zeit war das Tal von den Salassern besiedelt, die erst nach mehr als einem Jahrhundert kriegerischer Auseinandersetzungen im Jahr 25 v.C. von den Römern unterworfen werden konnten. Nach dem Untergang des weströmischen Reichs (476 n.C.) übernahmen, nach kurzen Interregnien der Burgunder, der Ostgoten und der Byzantiner, die Langobarden das Ruder in der Region. 575 wurde das Aostatal ins franko-burgundische Reich eingegliedert, womit auch die sprachliche Orientierung zur Galloromania erstmals definitiv gegeben war. Nach knapp drei Jahrhunderten Zugehörigkeit zum Frankenreich fiel das Gebiet an das Königreich Hochburgund, welches 1032 mit dem Deutschen Reich unter Konrad II. vereinigt wurde. Ab diesem Zeitpunkt übernahmen die Savoyer die alten burgundischen Besitztümer im Aostatal. Ihre Herrschaft über die Region, im Rahmen derer den Valdostanern erstmals 1191 Sonderprivilegien eingeräumt wurden, sollte schließlich bis ins 19. Jahrhundert, genauer gesagt bis zur Einigung Italiens reichen.2 In sprachgeschichtlichem Zusammenhang hatte sich nach dem Zerfall des weströmischen Reichs, also etwa ab dem Ende des 5. Jahrhunderts, als Sprechsprache ein Idiom herausgebildet, das gute 1.400 Jahre später vom bekannten Görzer Sprachwissenschaftler Graziadio Isaia Ascoli (1873) unter die Klasse des Frankoprovenzalischen subsummiert werden sollte. Daß diese Bezeichnung seither im wissenschaftlichen Diskurs auf Zustimmung wie auf Ablehnung stößt, liegt u.a. darin begründet, daß der wissenschaftliche Name Frankoprovenzalisch bzw. die damit bezeichnete Sprachlandschaft mit keiner politisch-historischen Entität in Einklang zu 1 Überarbeitete und erweiterte Version des gleichnamigen, beim XIII. Nachwuchskolloquium der Romanistik "Sprache und Mythos - Mythos der Sprache" (Innsbruck, 12.6.1997) gehaltenen Vortrags. 2 Vgl. dazu im Detail Bauer 1997: 11-119. 3 bringen und auch im Bewußtsein der Sprechergemeinschaft nicht verankert ist. Auf die wissenschaftsgeschichtlich hochinteressanten Auseinandersetzungen um die "questione francoprovenzale", die typophile und typophobe Haltungen über viele Jahrzehnte in Opposition sah, kann hier aus Platzgründen nicht weiter eingegangen werden.3 Auf der schriftsprachlichen Ebene war bis ins hohe Mittelalter das Lateinische vorherrschend. Erst der Begründer des neuen piemontesisch-savoyardischen Staates, Emmanuel-Philibert, setzte Mitte des 16. Jahrhunderts dezidiert sprachpolitische Akzente, indem er 1561, in Anlehnung an das von seinem Schwiegervater, Franz I. von Frankreich, verabschiedete Edikt von Villers-Cotterets (1539), im Aostatal das Lateinische offiziell durch das Französische ersetzen ließ. Schon sein Vater Karl hatte 1536 (also noch drei Jahre vor Villers-Cotterets) verordnet, daß das Französische (welches im Aostatal v.a. von Kaufleuten, Notaren, Beamten und Kirchenleuten verwendet wurde, während sich das gemeine Volk auf Frankoprovenzalisch verständigte) das Lateinische in allen Zivil- und Notariatsakten begleiten sollte. Die Verwendung des Französischen als Predigtsprache wird übrigens mit Anfang des 15. Jahrhunderts datiert.4 Der frühen Einrichtung eines gut organisierten und breit ausgebauten, autonomen Dorfschulsystems, der sog. Ecoles de hameau, deren erste bereits 1678 gegründet worden war, ist es zu verdanken, daß das Aostatal zu Beginn des 20. Jahrhunderts den höchsten Alphabetisierungsgrad ganz Italiens aufweisen konnte. Die valdostanische Analphabetenrate lag damals um die 10%, während der gesamtitalienische Schnitt noch rund 40% betrug. Im 18. Jahrhundert setzte Karl Emmanuel I., seit 1730 König von Sardinien, den valdostanischen Privilegien ein Ende, nachdem es schon Jahrzehnte lang Proteste seitens der Zentralbürokratie in Turin und Chambery gehagelt hatte. Alle innervaldostanischen Institutionen wurden durch die Einbeziehung des Aostatals in die Royales Constitutions (1770), einer einheitlichen Rechtssprechung für das gesamte Sardische Reich, zu zahnlosen Marionetten. Noch einige Bemerkungen zur Lage des Französischen im Aostatal des 18. Jahrhunderts. Im Gegensatz zum Piemont, wo sich vorwiegend junge Adelige mit Hilfe von Privatlehrern der französischen Sprache und Kultur zuwandten, erreichte der Französischunterricht im Aostatal verschiedene soziale Schichten bzw. breit gestreute Teile der Bevölkerung. Wir erinnern nochmals an die frühe Einrichtung der sog. Ecoles de hameau, die im Laufe des 18. Jahrhunderts bereits so gut wie in allen Gemeinden existierten. Von 110 Schulen im Jahr 1786 steigerte sich ihre Anzahl bis zum Jahr 1822 auf 261. Die Dorfschulen wurden von privater Seite unterstützt und meist von kirchlichen Lehrern geführt. Der Klerus wurde also gleichsam zum Wächter über bzw. zum Garanten für die Französischausbildung der jungen Valdostaner.5 3 Vgl. ibid.: 31-38. 4 Vgl. etwa Frutaz 1913: 32 und Durand 1937: 25; Duc (1915: 13-15) setzt den fallweisen Einsatz des Französischen als Gebets- und Predigtsprache sogar schon mit Ende des 13. Jahrhunderts an. 5 Vgl. dazu auch Marazzini 1991: 58-62. 4 Aus dem Jahr 1845 existiert ein aus linguistischer Sicht interessanter Zeitungsbericht, schildert er doch die sprachliche Lage der Region unter Berücksichtigung der innervaldostanischen diatopischen Variation betreffend Sprachkompetenz und Sprachverwendung, so einerseits bezüglich des Stadt - Land -Gefälles bzw. andererseits bezüglich der Sondersituation des südöstlichen Talbereichs, der sog. Basse Vallée: "Il est vrai que dans la ville d'Aoste la plupart des employés connaissent l'italien parce qu 'ils viennent de l'Italie, ainsi qu'une bonne partie des négociants et des artisans qui y sont domiciliés, et que dans les bourgades qui sont traversées par la route provinciale, depuis Châtillon jusqu'aux confins d'Ivrée, ceux qui ont des relations commerciales avec le Piémont comprennent et parlent le piémontais; mais c'est la fraction la plus petite des communes dont le chef-lieu est sur la route provinciale [...] L'ignorance de la langue italienne est complète dans toutes nos communes rurales et montagneuses, de sorte qu'on voit avec étonnement que, lorsqu'on publie des actes du Gouvernement en italien, les assistants abandonnent incontinent le publicateur qui leur parle un langage inconnu et insaisissable. "6 Das monarchisch-repräsentative Statuto Albertino vom März 1848, die Basis der späteren italienischen Verfassung von 1861, eliminierte die letzten Reste valdostanischer Privilegien, mit Ausnahme des Rechtes auf Verwendung der französischen Sprache, das im Artikel 62 festgeschrieben war: "La lingua italiana è la lingua ufficiale della Camera. É pero facoltativo di servirsi della francese ai membri che appartengono ai paesi in cui questa è in uso, o in risposta ai medesimi. "1 Kurz vor der Einigung Italiens führte man in Savoyen eine Volksabstimmung durch, die eine überwältigende Mehrheit an Ja-Stimmen für den Anschluß an Frankreich (ca. 130.000 von insgesamt 135.449 Wahlbeteiligten) erbrachte. Das alte Herzogtum Savoyen wurde entlang der Hauptwasserscheide aufgeteilt, so daß Annecy und Chambéry auf französischem, das Aostatal jedoch auf künftig italienischem Staatsgebiet (Provinz Turin) zu liegen kamen. Dadurch waren die Valdostaner mit einem Mal zu einer sprachlichen Minderheit in einem im Entstehen begriffenen, zunehmend auch auf sprachliche Einheit bedachten italienischen Staat geworden. Im Mai 1860 beklagte die seit 1849 aufgelegte, im Abstand von zwei Wochen erscheinende katholische Zeitung L'Indépendant (Untertitel: "Journal de la Vallée d'Aoste politique et littéraire"): "Oui, notre vallée riche autrefois en franchises, est découronnée de ses précieux privilèges, notre Collège déchu de son antique réputation est menacé même de privation des classes de philosophie, notre langue nationale est absorbée par les piémontéismes [...]" 8 6 Aus: La Feuille d'Annonces d'Aoste, 31.8.1845; Autor: Laurent Pleoz (t 1877), Stadtsekretär von Aosta, in der Redaktion der Zeitung für sprachliche und ethnographische Fragen zuständig; Hervorhebungen RB. 7 Zitiert nach: Ghignone 1993: 62; Hervorhebungen RB. 8 Zitiert nach Zanotto 19802: 206. 5 2. Methodisch-terminologische Einbettung: Der folgende, anhand von fünf Graphiken illustrierte Überblick zur Umstrukturierung der valdostanischen Überdachungslage seit etwa 1860, bedient sich einer Terminologie, die 1952 vom deutschen Soziologen, Politologen und Soziolinguisten Heinz Kloss (*1904, jl987) in den sprachwissenschaftlichen Diskurs eingebracht Wurde.9 In den einzelnen graphischen Übersichten wird vorwiegend mit der nach dem Kloss'schen Modell gebildeten Metapher Dachsprache10 operiert, welche sich auf eine hauptsächlich schriftlich verwendete Sprache bezieht, die zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt eine Anzahl von Dialekten überdacht, somit schützt und zugleich deren emanzipatorische Entwicklung kontrolliert. Die Dachsprache wird mittels Schulunterricht von Generation zu Generation tradiert. Was die diastratisch unter den (Schrift-) Dächern positionierte Ebene des Gesprochenen betrifft, so muß zwischen einer nahe an der Schriftlichkeit liegenden Mündlichkeit ("Leseaussprache", frz. "oral lecturaire"11) einerseits und der Ebene der (je nach Situation überdachten oder dachlosen) Dialekte andererseits unterschieden werden. Unter einem dachlosen Dialekt versteht Kloss eine Mundart, "deren Sprecher die ihrem Dialekt linguistisch zugeordnete Hochsprache nicht beherrschen, so daß die Mundart gleichsam ohne das schützende Dach dieser Hochsprache bleibt und somit den Einwirkungen der Staatssprache stärker ausgesetzt ist als eine «überdachte» Mundart"}2 Dies kann dazu führen, daß die dachlosen (Außen-)mundarten "im Laufe der Zeit ein besonderes Gepräge annehmen, das von dem der zugehörigen Schriftsprache und der von ihr überdachten Mundarten abweicht",13 Überdachte Mundarten hingegen entwickeln sich unter ihrem (schützenden) Schriftdach, wodurch "eine krasse Auseinanderentwicklung von Mundart und Schriftsprache nicht möglich ist".14 Dazu ein konkretes Beispiel: "[...] il corso, un dialetto spettante alla «lingua per distanziazione» (ted. Abstandsprache) italiana, si trova da piü di due secoli in Francia e sarebbe un dialetto senza tetto (DST). Come tale si oppone ai dialetti italiani parlati in Italia, i cui parlanti hanno la possibilitä di imparare, nella scuola elementare, la «linguaper elaborazione» loro «proprio», ossia la LE italiana"}5 9 Vgl. dazu auch die neubearbeitete und erweiterte Zweitauflage seiner Monographie zur "Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen" aus 1978. 10 Dt. Terminus nach Hans Goebl, vgl. Muljacic 1993: 105. 11 Zur terminologischen Klarstellung vgl. Goebl 1983: 216-218. 12 Kloss 1969: 151. 13 Kloss 19782: 60-61. 14 Ibid. 15 Muljacic 1984: 79; Hervorhebungen RB; zum Ausbau des Korsischen vgl. schon die Vorahnung von Kloss 1929: 111 sowie weiters Goebl 1984 und 1988. 6 Unter Sprachausbau versteht man alle von einer gegebenen Sprechergemeinschaft bzw. von deren Repräsentanten (metalinguistisch) bewußt gesetzten Handlungen, die zur Produktion von schriftlichen Dokumenten (Grammatiken, Wörterbücher, literarische Texte, ...) in der gegebenen Sprache und somit fallweise auch zur Eroberung neuer Domänen und höheren Prestiges für die gegebene Sprache führen. Die einzelnen Etappen des Sprachausbaus (language planning16) betreffen das sog. corpus planning (Kodifizierung der Sprache, Standardisierung und terminologischer Ausbau), das status planning (Management allfälliger Sprachkonflikte, Sprachgesetzgebung, Domänenerweiterung) und das prestige planning (betr. Auto-Identifikation der Sprecher mit dem eigenen Idiom).17 Der Sprachabstand betrifft wiederum hauptsächlich die metalinguistische Ebene, d.h. der Terminus bezieht sich nicht primär auf innerlinguistische Merkmalsunterschiede bzw. Ähnlichkeiten (wie sie etwa im Rahmen sprachgeographischer Forschungen herausgearbeitet und mittels dialektometrischer Verfahren gemessen werden können), sondern auf Abstände zwischen einzelnen Idiomen, die von den respektiven Sprechergemeinschaften auf sozialpsychologischer Ebene als solche empfunden werden. So können etwa die elsässischen Dialekte hier als Illustrationsbeispiel genannt werden, wobei der Abstand zwischen Elsässisch und Standarddeutsch (Hochdeutsch) von vielen Sprechern aus zwei Gründen als groß empfunden wird: Neben den innerlinguistischen Distanzen spielt hier die Tatsache, daß das Deutsche nicht im eigenen Land, sondern nur im Ausland (Deutschland, Österreich, Schweiz) als Staatssprache fungiert, eine große Rolle: "Cet argument est d'autant plus fallacieux qu'il permet de nier à l'allemand standard d'Alsace-Lorraine le statut (historique) d'autochtonie et de le qualifier comme importé d'Outre-Rhin. Il est né d'ailleurs comme résultat d'une stratégie glottopolitique pratiquée en l'occurrence par l'Etat français, visant à faire coïncider d'éventuelles ruptures dans le sentiment de distanciation linguistique avec la frontière de l'Etat. Il s'agit là d'un cas typique de glottotomie /..J"18 Muljacic, zu dessen Verdiensten es zählt, das vorwiegend in deutscher und englischer Sprache publizierte (und demnach zunächst auch nur in den entsprechenden Sprachräumen rezipierte) Kloss'sche Gedankengut auch in Kreise romanischsprachiger (Sozio-) Linguisten getragen zu haben,19 bezieht sich explizit auf das Aostatal, um eine regionale Überdachungslage anhand zweier (Schrift-) Dächer darzustellen. Seine Schilderung steht jedoch deutlich unter dem Eindruck der seit Mitte der 70-er Jahre 16 Zur Erstverwendung des engl. Terminus vgl. Haugen 1959. 17 Zum Terminus prestige planning vgl. Haarmann 1986; oben zitierte Strukturierung nach Goebl 1992a: 13. 18 Goebl 1989: 284; Hervorhebungen ibid.; zur näheren terminologischen Klärung des Begriffes Glottotomie ("Sprach(en)spaltung") vgl. idem 1979a. 19 Vgl. das Kapitel "La promotion des concepts et de la terminologie de Heinz Kloss entrepris par Žarko Muljacic", in: Goebl 1989: 279-280, welch letzterer gleichermaßen für eine Divulgation der Kloss'schen Modelle in der Romanistik verantwortlich zeichnet. 7 agierenden harpitanischen Bewegung,20 welche sowohl Italienisch als auch Französisch als dem Frankoprovenzalischen ("Harpitanischen") feindlich gegenüberstehende Idiome ablehnte. Heute hingegen scheint das Französische von Seiten der Sprechergemeinschaft metalinguistisch eher als verbündetes Dach empfunden und akzeptiert zu werden, was allerdings noch keine Urteile über den tatsächlichen Status und die jeweiligen Funktionen des Französischen im Aostatal zuläßt.21 Muljacic ordnet das Frankoprovenzalische den Ausbaudialekten (oder Ausbausprachen) zu und führt wie folgt aus: "Fra i dialetti in via di sviluppo possiede due «tetti», e Ii respinge come «imperialistici», l'arpitano, ossia una LE (= lingua per elaborazione) per cui combattono parlanti valdostani finora assai rari, che non vogliono identificarsi con il francese e ancora meno con l'italiano, insegnati nelle scuole di questa regione autónoma italiana".22 Mit Blick auf die doppelte Überdachung des Aostatals durch die italienische und die französische Schriftsprache, die zumindest seit Beginn des 20. Jahrhunderts als gegeben angesehen werden muß, können wir mit H. Goebl zwei Varianten des Kloss'schen Modells unterscheiden: "a) eine eher monozentrische (bzw. monokephale) Variante mit nur einer ausgeprägten Hochnorm hinsichtlich der Schrift oder b) eine plurizentrische (bzw. polykephale) Variante, mit mehreren konkurrierenden Dachsprachen und davon abgeleiteten Grapholekten und einer solcherart sehr variabel gestalteten Normengebung ",23 Dazu ein vergleichender Blick auf den aktuellen soziolinguistischen Befund der Dolomitenladinia: dort finden wir ein italienisches und ein deutsches Schriftdach samt Grapholekten, fünf unterschiedlich große Talschaftsvarietäten des Dolomiten-ladinischen, sowie eine sich neu herausbildende, alle Subvarietäten überdachende panladinische Schriftsprache, das ladin dolomitan, das in der Zukunft fallweise zur Entwicklung neuer Oralitäten führen könnte.24 Dieses Beispiel kann seiner Komplexheit wegen durchaus mit dem Aostatal verglichen werden kann (was nicht bedeutet, daß auch die Gewichtung der in Konkurrenz stehenden Idiome vergleichbar ist; man denke nur an die offizielle Funktion des Ladinischen auf schriftlicher Ebene). 20 Vgl. Bauer 1997: 215-216. 21 Vgl. ibid.: 320-321. 22 Muljacic 1984: 82; Anmerkung RB; vgl. dazu auch Muljacic 1993: 87-88, wo der Autor immer noch mit dem Terminus "Harpitan" operiert, wobei er selbiges unter die zweifach überdachten "Idioms undergoing standardization" klassifiziert, wie übrigens auch das Aranesische und das Valenzianische (jeweils spanisches und katalanisches Dach), das Dolomitenladinische (deutsches und italienisches Dach) oder aber das Monegassische, welch letzteres ebenfalls durch Französisch und Italienisch überdacht wird. 23 Goebl im Druck; Hervorhebungen ibid.; vgl. dazu auch idem 1979b: 355-357. 24 Vgl. idem 1992a: 24-26. 8 3. Die Überdachungssituation der YDA seit 1860/61: 3.1 Die Überdachungssituation der VDA um 1860: Zur Zeit der Einigung Italiens war das die Region Aostatal in sprachlicher Hinsicht schützende französische Dach noch die bei weitem dominierende Schriftsprache (siehe blaue Dachkonturen auf Abb. 1). Im literarischen und journalistischen Bereich wurde Französisch genauso verwendet wie im Unterricht. Auch Gesetze und Dekrete wurden gemeinhin noch auf Französisch verfaßt. Auf der grapholektalen Ebene (siehe blaue Hauskonturen auf Abb. 1) war Französisch neben Italienisch seit 1848 (Statuto Albertino) als kooffizielle Sprache in den Kammern zugelassen. An der Universität Chambéry, die von vielen valdostanisehen Studierenden frequentiert wurde, vermittelte man Lehrinhalte auf Französisch und hielt auch die Prüfungen in dieser Sprache ab. Französisch war zudem die "Sprache der Kanzel", stellte doch der ekklesiastische Bereich einen besonders gut ausgebaute Sprachdomäne dar.25 Rund 80% der aostanischen Stadtbevölkerung sollen um 1861 Französisch gesprochen haben, wobei auch bereits von ersten Piemontesismen (siehe orange Konturen auf Abb. 1) berichtet wurde. Weitere Quellen sprechen auch von einem fallweise korrumpierten Französisch (francese corrotto) der Landbevölkerung.26 Piemontesische Einflüsse waren erstmals auch im lokalen Frankoprovenzalischen, welches v.a. von der Landbevölkerung im alltäglichen mündlichen Diskurs verwendet wurde, verstärkt in jenem der Basse Vallée (Handelsbeziehungen Châtillon - Ivrea) und von Courmayeur27 aufgefallen (siehe Abb. 1, in grüne Hauskonturen ragender oranger Pfeil). Die Bedeutung des Italienischen war um 1860 noch relativ gering (siehe rote Konturen auf Abb. 1). Als exonormatives Schriftdach konnte es v.a. im offiziellen Bereich (Gesetze, Dekrete, Notariatsakte) leicht vordringen.28 Als an der Schriftnorm orientierter Grapholekt wurde Italienisch vorwiegend in der Stadt Aosta eingesetzt, hier wiederum verstärkt von Immigranten, Kaufleuten und Handwerkern. 18% der Stadtbevölkerung werden um 1861 mündliche Italienischkompetenzen nachgesagt.29 Zusammenfassend kann unsere Graphik (Abb. 1 ) wie folgt kommentiert werden: Unter einem dominanten französischen Schriftdach halten bzw. entwickeln sich sowohl die französische als auch die frankoprovenzalische Oralität gut, wobei auf der 25 Vgl. etwa die entsprechenden Klagen in der frankophoben Schrift von Vegezzi-Ruscalla 1861. 26 Vgl. konkret Zuccagni-Orlandini 1864 und allgemein dazu Muljacic 1984: 84. 27 Zur soziolinguistischen Lage von Courmayeur vgl. im Detail Perotti-Canestrini 1970/71: 126-169 und 1973: passim. 28 Grundlage dafür war das (noch) piemontesisch-savoyardische Gesetz Nr. 1731 aus 1854, das explizit die Redigierung einer italienisch- und einer französischsprachigen Serie aller Regierungsakten sowie deren öffentlichen Aushang in den Gemeindestuben des Aostatals gestattete (vgl. Durand 1959: 26). 29 Vgl. dazu schon die Bemerkungen von Pleoz aus 1845 (unsere Fußnote 5), wiedergegeben in RAI 1993: 19. 9 mündlichen Ebene erste piemontesische Einflüsse bemerkbar sind. Italienisch beginnt mit der Einigung Italiens auch in das Aostatal einzudringen, wobei es sich zunächst nur in der Stadt Aosta eine gewisse Bedeutung erobern kann. 3.2 Die Überdachungssituation der VDA um 1900: Rund 40 Jahre nach vollzogener Einigung Italiens stehen wir einer veränderten Überdachungslage des Aostatals gegenüber. Um die Jahrhundertwende hatte das Italienische das französische Schriftdach schon weitgehend zurückgedrängt und war seinerseits zur dominierenden Dachsprache geworden (siehe Abb. 2, rote Dachkonturen). Schon seit den 80-er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde es bei Gericht eingesetzt und ersetzte auch in der Schule das Französische zunehmends. Die Verwaltung bediente sich des Italienischen, öffentliche Aufschriften wurden italienisch getextet und erste lokale Presseorgane erschienen in der Nationalsprache. Im ersten Dezennium des 20. Jahrhunderts begann das Italienische auch in eine der bisherigen Bastionen des Französischen, nämlich in den kirchlichen Bereich einzudringen, wo sich, parallel zur schriftlichen Verwendung, auch eine valdostanische Italo-Oralität entwickelte. Das Piemontesische stand indirekt ebenfalls unter dem Schutz des italienischen Daches, drang v.a. über die Basse Vallée immer weiter vor und begann, hier das Französische, dort das Frankoprovenzalische in der alltäglichen zwischenmenschlichen Kommunikation zu konkurrieren.30 Schon der sprachpflegerisch engagierte Priester Frutaz hatte Ende des 19. Jahrhunderts vor einer möglichen Prädominaz des Piemontesischen gewarnt.31 Der valdostanische Félibre, Jean-Baptiste Cerlogne wiederum, dem wir u.a. das erste valdostanisch-frankoprovenzalische Wörterbuch verdanken, hatte zehn Jahre später (in seiner Grammatik von 1907) auf die Gefahr der sprachlichen Überfremdung des Frankoprovenzali sehen durch das Piemontesische hingewiesen. Der Priester Petigat schließlich berichtete 1911 davon, daß seine Ministranten zwar mit ihm selbst noch Französisch, in der Schule Italienisch und zu Hause Frankopro venzali sch sprächen, daß sie sich aber untereinander fallweise auf Piemontesisch unterhielten.32 So war das Französische um 1900 aus verschiedensten Domänen bereits so gut wie verschwunden. Bei Gericht durfte es seit mehr als 10 Jahren nicht mehr verwendet werden und auch in den Schulen war es als Unterrichtssprache großteils verboten, und zwar sowohl auf der Ebene der Dorfschulen als auch am Collège und in der Lehrerausbildung, wenngleich die Presse noch 1883 berichtete, daß das Französische die einzige den valdostanischen Schülern geläufige Unterrichtssprache war.33 Mit dem 30 Vgl. Omezzoli 1995a: 50-52. 31 Vgl. idem 1995b: 60. 32 Vgl. Le Duché d'Aoste, 26.4.1911. 33 Vgl. dazu De Rolland 1883 und Bétemps 1978: 10. 10 Niedergang des geregelten französischsprachigen Unterrichts zog sich das Französische weiter in die dörflichen, landwirtschaftlichen und kirchlichen Domänen zurück. In der Stadt Aosta blieb es nur den höheren Schichten und dem Klerus erhalten. Der frankoprovenzalische Patois war um 1900 vielleicht das von allen sprachpolitischen Maßnahmen am wenigsten beeinflußte Idiom. Durch die Ausbauaktivitäten von (in erster Linie) Abbé Cerlogne (Wörterbuch, Grammatik, "schöne" Literatur usw., dargestellt durch ein kleines, grünes Dach in Abb. 2) konnte er zwar etwas Prestigegewinn für sich verbuchen, mußte aber bezüglich der Frequenz Federn lassen. Der Patois war in den 80-er Jahren des 19. Jahrhunderts von der Turiner Schulbehörde sogar als Unterrichtssprache zum Einsatz in den Dorfschulen empfohlen worden,34 wobei als hinter diesem Vorschlag stehende Hauptmotivation freilich die Verdrängung des Französischen gesehen werden muß. In Synthese bietet unsere Graphik (Abb. 2) also folgendes Bild: das italienische Haus (= Dach plus Fundament gestützt auf Staat, Stadt und Industrie) überragt sein französisches Gegenüber (= Volk, Familie und Kirche) bereits im schriftlichen und im mündlichen Bereich. Piemontesisch kann gleichsam den historischen Höchststand seines Einflusses im Aostatal vermelden. Frankoprovenzalisch mußte weniger Verluste verkraften als das Französische. Diese Einbußen konnten zudem durch Corpusausbau teils wieder kompensiert werden. 3.3 Die Überdachungssituation der VDA um 1945: Was sich nach der Jahrhundertwende tendenziell bereits abgezeichnet hatte, war nach Ende des 2.Weltkriegs zur harten Realität geworden. Unsere Graphik (Abb. 3) zeigt plakativ, wie sehr die funktionale Wertigkeit der im Aostatal prinzipiell verfügbaren Idiome verändert war. Vergleicht man das Schema mit jenem aus 1860 (Abb. 1), so sticht der innerhalb nicht einmal eines Jahrhunderts politisch erzwungene "Rollentausch" zwischen Französisch und Italienisch besonders ins Auge. Ein breites italienisches Schriftdach samt entsprechend ausgebauter Oralität überspannt die Region und läßt dem französischen Häuschen kaum Platz übrig. Die öffentliche Toponomastik (v.a. Ortsnamen und Straßennamen) war von den Faschisten völlig italianisiert worden, zur (vielleicht vorbereiteten, jedenfalls aber nicht dokumentarisch belegten) Abänderung der Familiennamen hatte die Zeit nicht mehr gereicht. Neben den schon mehrfach erwähnten Domänen konnte das Italienische nun auch in der Kirche Platz greifen, so daß Hirtenbriefe, Pfarrblätter, Kirchenregister oder Predigten auf Französisch zur absoluten Ausnahme und somit zur (überdies illegalen) Mangelware geworden waren. Französisch war, nachdem es als Unterrichtssprache schon seit langem nicht mehr eingesetzt werden durfte, von den faschistischen Machthabern und deren schulpolitischen Handlangern auch als Unterrichtsfach auf Eis gelegt worden, so daß 34 Vgl. Cuaz 1988: 70. 11 eine mehrere Jahrzehnte überspannende Bildungs- bzw. Tradierungslücke entstand, an der noch viele unmittelbar postfaschistische Reparierungsbemühungen scheitern sollten. Außer vereinzeltem, klandestinem Einsatz als Gebets-, Katechismus- und Predigtsprache sowie der Verwendung im rein familiären und privaten Umfeld war nichts geblieben. Zudem entstand in den Köpfen der Sprecher das Gefühl, daß sich das im Aostatal gesprochene Französisch von der in Frankreich üblichen Oralität unterschied. Dieses metalinguistische Abstandsbewußtsein wird in unserer Abb. 3 dadurch dargestellt, daß die blaue (i.e. französische) Hauskontur innerhalb des Aostatals abreißt und somit vom restfranzösischen Haus getrennt ist. Das kleine, verbliebene Schriftdach überdeckt jedoch noch beide Oralitäten. Die prädominante Stellung des Italienischen ging indirekt auch zu Lasten des Piemontesischen, war doch dem Zeitgeist entsprechend für ganz Italien (und somit auch für Piemont und das Aostatal) nur eine einzige und italianissima Nationalsprache erstrebenswert. Piemontesisch zog sich also im Vergleich zu 1900 wieder zurück und verblieb als mündliches Kommunikationsmittel im Grenzbereich zur südlichen Nachbarregion erhalten. Die Tatsache, daß das Frankoprovenzalische von keinem eigenen Schriftdach geschützt war, sondern gleichsam unter der polykephalen Überdachung von Schriftfranzösisch und Schriftitalienisch stand, bedeutete auch, daß der Patois den Italianisierungsmaßnahmen eine Angriffsfläche weniger darbot. Zudem war sein Einsatz traditionellerweise auf eher informelle Domänen beschränkt, die seitens der faschistischen Sprachpolizei viel weniger überwacht werden konnten, als ehedem dem Französischen zugerechnete, formelle Domänen. Die antifaschistischen Kämpfer marschierten überdies nie mit frankoprovenzalisehen Fahnen, stand doch der (sprach-)politische Kampf der Valdostaner immer im Zeichen eines akrolektal französischen Banners. Somit konnte die frankoprovenzalische Oralität (in ihren Stammdomänen) den Verdrängungswettbewerb einigermaßen unbeschadet überstehen. 3.4 Die Überdachungssituation der VDA um 1990: Nach einem weiteren Zeitsprung von knapp 50 Jahren blicken wir auf die aktuelle Überdachungssituation des Aostatals ausgangs des 20. Jahrhunderts (Abb. 4). Im direkten Vergleich zur Lage um 1945 (Abb. 3) fallen nicht allzu viele Änderungen ins Auge. Dies ist insofern bedauerlich, als die mit massivem Ressourceneinsatz seitens der Regionalregierung betriebene Refranzösisierung des Aostatals offensichtlich nicht viel gefruchtet hat. Das italienische Haus steht "felsenfest" unter einem ebenso "wetterfesten" Dach, eine Tatsache, von der sich jeder Aostatal-Besucher durch teilnehmende Beobachtung jederzeit überzeugen kann. Der lapidare Hinweis, daß sogar laut (halb)amtlicher Auskunft nur weniger als 5% aller innerhalb der Regionskompetenz erstellten Schriftstücke auf Französisch übersetzt werden (von Urfassungen auf Französisch kann hier ohnedies nicht die Rede sein) und daß überdies niemals festgestellt wurde (oder 12 vielleicht niemals festgestellt werden sollte), ob jene maximal 5% bei parallelem Vorliegen einer italienischsprachigen Variante überhaupt rezipiert werden, dürfte die Massivität des rot gezeichneten italienischen Schriftdaches rechtfertigen. Auf der Ebene der Mündlichkeit könnte sich die Ausbildung eines typisch valdostanischen italiano regionale abzeichnen (siehe Abb. 4, rote Hauskonturen samt Fragezeichen). Das französischsprachige Haus haben wir aus der franko-nachbarschaftlichen, reihenhausartig konstruierten Klammerung herausgelöst und als einzelstehend abgebildet. Dies entspricht wiederum dem metalinguistischen Abstandsbewußtsein der Sprechergemeinschaft, die ihre Kompetenz und Performanz in deutlichem Unterschied zu in Frankreich beheimateten Sprechern sieht. Fallweise führt die Selbsteinschätzung valdostanischer Französischsprecher sogar dazu, daß sie aufgrund der völligen Unterschätzung ihrer Kompetenz (die mitunter bis hin zu ausgeprägten sprachlichen Minderwertigkeitskomplexen führt) gänzlich auf die Performanzebene verzichten und jeglichen Einsatz des Französischen schlichtweg verweigern. Ein selbstredendes Beispiel für dieses sprachliche Minderwertigkeitsgefühl finden wir im folgenden, im Jänner 1997 in einer valdostanischen Wochenzeitung abgedruckten Zitat: "Tout dernièrement je me suis trouvée en France avec quelques amis valdôtains. A un certain moment une dame qui était avec moi s'est exclamée: «Veuillez bien pardonner mon français valdôtain!». Moi, j'aurais bien aimé qu'elle dise: «Veuillez bien admirer mon français valdôtain!». Dépositaires d'un vieux savoir, nous nous sommes trop souvent laissé [sic!] taxer d'ignorance et nous nous comportons comme si nous avions honte de notre richesse. Nous permettons souvent que nos archaïsmes soient confondus avec des barbarismes ",35 Die zitierte Haltung valdostanischer Französischsprecher fügt sich gut in das Modell eines plurizentrischen Französisch ein, welches ein eigenes Interaktionszentrum innerhalb des Aostatals entwickelt und so zur Ausbildung einer als typisch valdostanisch empfundenen Varietät beigetragen hat. Charakteristisch für plurizentrische Sprachen ist es ja auch, daß sie einerseits die Sprecher "unify [...] through the use of the language", daß sie sie aber andererseits auch "separate [...] through the development of national norms and indices and linguistic variables with which the speakers identify",36 Wenn wir mit M. Clyne hier resümierend vier Faktoren nennen, die für die Unterscheidung zwischen voller £Wonormativität ("centres of gravitation") und voller ßconormativität ("peripheral areas") von Sprachen ausschlaggebend sind, so treffen eigentlich alle auf die oben beschriebenen Attitüden vieler Valdostaner gegenüber "ihrem" Französisch zu. Endonormativität und ßconormativität werden unterschieden durch: "1. [...] language use; 2. [...] 'particular'and 'ambiguous' attitudes to the standard language and Variation; 3. [...] linguistic security of the speakers; 4. in some cases, [...] political 35 Le Peuple Valdôtain 6/1997: 4. 36 Clyne 1992: 1. 13 considérations determining language structures and the relation between standard and other varieties" Neu in unserer Abb. 4 ist die Abtrennung des französischen Schriftdaches von jenem des sprachlichen Mutterlandes. Sie scheint uns insofern gerechtfertigt, als Französisch im Aostatal lediglich als L2 vermittelt wird, ohne als solche in Frankreich übliche Lj-Funktionen zu übernehmen bzw. bislang übernehmen zu können. Schriftliche Produktion in der ersten Fremdsprache der Valdostaner geschieht zumeist im schulischen Ambiente, der Rest verteilt sich auf Sprachpflegen sehe und kulturkämpferische, im Bereich der autonomistischen Parteien und Bewegungen angesiedelte Bereiche. Daß der Mangel an von potentiellen Sprechern in der Praxis erprobten Domänen dem Französischen keine rosige Zukunft einräumt, wird dadurch noch verstärkt, daß sich das bereits extrem zurückgedrängte bzw. aufgegebene Idiom starkem Erosionsdruck seitens der Konkurrenz ausgesetzt sieht (siehe Abb. 4, verschiedenfarbige, in das französische Haus ragende Pfeile). Auf der basilektalen Ebene sei das Piemontesische nur am Rande erwähnt, da sich sein Status innerhalb des Aostatals anno 1990 nur unwesentlich von dem bereits weiter oben beschriebenen unterscheidet (Einflußzone nach wie vor Basse Vallée). Das Frankoprovenzalische hingegen verdient größere Beachtung, gilt doch das Aostatal im Vergleich zu den umliegenden Regionen (Savoyen und Wallis) mittlerweile als jene Sprachlandschaft, in der das relativ vitalste Frankoprovenzalisch gesprochen wird. Wir sehen zudem, daß (in Abb. 4) die dialektale Oralität mehrfach leicht überdacht worden ist. Dadurch soll einerseits der steigende Ausbau des Frankoprovenzalischen zum Ausdruck kommen (Lexikographie, Linguistik, Literatur),38 andererseits wird durch das Vorhandensein mehrerer Minidächer auch das Fehlen eines standardisierten Schriftdaches für alle frankoprovenzalischen Talschaftsvarietäten symbolisiert.39 3.5 Eine mögliche Überdachungssituation der VDA um 2050 (???): Zum Abschluß unserer "Bildgeschichte" zur Entwicklung der Überdachungslage des Aostatals soll ein Ausblick ins 21. Jahrhundert gewagt werden. Unsere hypothetische Abb. 5 stützt sich dabei auf folgende Überlegungen: Das Französische wird wohl in seinen bisherigen Nischen, abgehoben von der sprachlichen Realität des valdostanischen Gesellschaftslebens, in Form sprachpflegerischer Aktivitäten erhalten bleiben. Als in den Schulen gelehrte Fremdsprache könnte seine derzeitige Rolle als L2 jedoch verloren gehen und zwar insofern, als das Auftreten konkurrierender Dachsprachen das Französische zu einer beliebigen Ln (L?) degradieren könnte. Wie sehr sich die Bemühungen, Französisch als Unterrichtssprache 37 Ibid.: 4; Hervorhebungen RB. 38 Vgl. etwa das 12-bändige, leider längst vergriffene Opus magnum von Chenal / Vautherin 1967-1982. 39 Zu Vorschlägen für die Vereinheitlichung der paioi'j-Graphie vgl. Schüle 19801, 19922. 14 in allen regionalen Schulstufen zu verankern, künftig auf den Status und mithin auf das Prestige des Französischen auswirken werden, kann derzeit nicht vorausgesagt werden. Allerdings scheint bereits klar erkennbar, daß die Schule als einzig und allein ausgebaute Domäne dem Französischen nicht zu breiter Akzeptanz und entsprechender Frequenz verhelfen wird können. Dazu noch ein aktueller Nachtrag: in einem im April 1997 mit Tullio Omezzoli, einem der profundesten Kenner der valdostanisehen Mehrsprachigkeit,40 in Aosta geführten Gespräch erwähnte dieser, daß sich, seinem Beobachterempfinden zufolge, in den letzten Jahren (1995-97) eine neue Mini-Plattform für das valdostanische Französisch ausgebildet habe, und zwar dergestalt, daß das Französische von einigen führenden Regionalpolitikern nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern v.a. in qualitativer Hinsicht zusehends besser vertreten werde. Es sei also, im Nischenbereich der (hohen) Regional- resp. Kulturpolitik, ein Ansteigen sowohl der Frequenz als auch der Güte der Französischperformanz zu vermerken, was freilich nicht darüber hinweg täuschen kann, daß die den führenden Etagen untergeordneten Personalkader in ihrem beruflichen Alltag weiterhin nahezu ohne Französisch auskommen. Eines der oben angesprochenen Konkurrenzidiome des Französischen wird, evidenterweise nach bzw. neben dem Italienischen, zweifellos das Anglo-Amerikanische oder Englische sein, welches sich schon jetzt impertinent via Cyberspace als die globale Verkehrssprache der Zukunft und somit der neuen Kommunikationstechnologien aufdrängt. Welche Auswirkungen die "Amerikanisierung" unserer europäischen Sprachlandschaften auf der schriftlichen wie auf der mündlichen Ebene hat, sehen wir indirekt an den in immer kürzeren Abständen zur Veröffentlichung gelangenden Wörterbüchern und Glossaren zu Neologismen im allgemeinen und zu Xenismen bzw. Anglizismen im besonderen. Vermutlich wird das anglo-amerikanische Element, das etwa innerhalb der Jugendsprache bereits heute massiv vertreten ist, binnen weniger Jahrzehnte auch im allgemeinen valdostanischen Grapholekt deutlicher hörbar werden, sei es nun in der für das Jahr 2050 ohnedies mit Fragezeichen zu versehenden französischen Variante (die zumindest in diesem Zusammenhang durch die anglophobe Sprachpolitik Frankreichs indirekt Flankenschutz erhalten könnte41), sei es in Form des Regionalitalienischen, welches dem "Amerikanischen" auch heute schon viel aufnahmebereiter gegenübersteht. In unserer Abb. 5 kommt dieses Zukunftsszenario durch die Überlappung der verschiedenfarbigen Schriftdächer zum Ausdruck, wobei der starke Druck, dem das hypothetische rest-französische Dach (gleich einer Schneelast) ausgesetzt sein wird, durch die überragenden Dächer Italienisch (rote Konturen) und Englisch (schwarze Konturen) angedeutet werden soll. Zu guter Letzt ein Blick auf die potentielle Situation des Frankoprovenzalischen zur Mitte des nächsten Jahrhunderts. Vermutlich wird sich das im Aostatal gesprochene 40 Vgl. dazu auch Omezzoli 1996. 41 Vgl. dazu Bauer 1990: 175-176. 15 Frankoprovenzalische noch stärker von den Schwesternvarietäten Savoyens und des Wallis absetzen, die ja bekanntlich anders gelagerten Einflüssen seitens großer Nationalsprachen ausgesetzt sind (siehe Abb. 5, getrennte grapholektale Fundamente des grün signierten Frankoprovenzalisch). Auf der anderen Seite könnte die schriftliche Ebene ähnlich normalisiert und standardisiert werden, wie dies seit den 80-er Jahren für das Rätoromanische vorexerziert wird (in Form des Rumänisch Grischun für die bündnerromanischen Varietäten, in Form des Ladin Dolomitan für die dolomitenladinischen oder zentralrätoromanischen Talschaftsidiome).42 Der Ausbau eines gemeinsamen frankoprovenzalischen Schriftdaches (siehe Abb. 5, grüne Dachkonturen samt Fragezeichen) ist auch insofern nicht unwahrscheinlich, als diese Maßnahme früher oder später wenn schon nicht als einzig zielführend, so doch als unerläßlich für die Erhaltung einer frankoprovenzalischen Schriftkultur im gesamten Sprachgebiet erkannt werden dürfte. Freilich gibt es dafür heute noch keine konkreten Anzeichen, doch könnte das gute Fortschreiten etwa der bündnerromanischen Ausbauaktivitäten vielleicht auch den valdostanischen Verantwortlichen43 die einheitliche Überdachung ihrer Idiome als mögliches sprachpolitisches Vorbild zur Stärkung, wenn nicht sogar zur Rettung gefährdeter Minderheitensprachen schmackhaft machen.44 4. Bibliographie: ASCOLI, Graziadio Isaia (1873): Schizzi franco-provenzali. In: Archivio Glottologico Italiano 3 (1878), 61-120. BAUER, Roland (1990): Parlons a bit du bit. Les acronymes dans le français de l'informatique. In: Terminologie et Traduction 2, 171-193. BAUER, Roland (1995): Plurilinguismus und Autonomie im Aostatal: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. In: Dieter Kattenbusch (Hg.), Minderheiten in derRo-mania, Wilhelmsfeld (Egert), (= pro lingua 22), 255-284. BAUER, Roland (1997): Sprachsoziologische Studien zu Geschichte und Gegenwart der Mehrsprachigkeit im Aostatal. 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' ' 1 dialetto piemontese dialecte francoprovençal savoyard,... Diatopik -> écrit / scritto: Schreib-, Schrift-, Dachsprache parlé /parlato 1: Grapholekt, Leseaussprache (oral lecturaire) parlé /parlato 2: Dialekt(e) Abb. 5: Die Überdachungssituation des Aostatals um 2050 (???) 23 français régionaux 4 parlés français parlé (vald. ?) Diatopik écrit / scritto: Schreib-, Schrift-, Dachsprache I | parlé /parlato 1: Grapholekt, Leseaussprache {oral lecturairé) parlé / parlato 2: Dialekt(e) 24 Abb. 5: Die Überdachungssituation des Aostatals um 2050 (???) Povzetek RAZVOJ VEČJEZIČNOSTIV AOSTIS SOCIOLINGVISTIČNEGA VIDIKA: POGLED NAZAJ, VIZIJA STANJA V 21. STOLETJU Študija izhaja iz modela jezikovnega krova, kot ga je kot prvi leta 1952 predstavil nemški sociolingvist Heinz Kloss ravno s pomočjo metaforične rabe izrazov hiša in krov. z njim je mogoče naše videnje o medsebojnem sožitju jezikov v dolini Aoste bistveno dopolniti. Dandanes uživa dolina Aoste v Republiki Italiji status avtonomne dežele. Od druge polovice 19. stoletja dalje, natančneje, od politične združitve Italije, je imela in še zmeraj ima italijanščina kot uradni jezik vse večjo težo in pogojuje jezikovno asimilacijo; tako prihaja do konfliktnih situacij, ki bi utegnile imeti za posledico, da se dosedanja pisana paleta romanskih jezikov te dežele poenostavi in torej jezikovne razlike zabrišejo. Gre predvsem za usodo frankoprovansalščine, govoijenega jezika avtohtonega prebivalstva, ki ima ob sebi močnejši romanski varianti, francoščino in italijanščino. Ta, govorjena frankoprovansalščina pravega krovnega jezika nima. Zanjo je tudi francoščina, ki je s statutom avtonomne dežele za javno rabo (uprava, sodišče, šola) uradno izenačena z italijanščino, tuji jezik. Barvni grafikoni skušajo plastično predstaviti štiri jezikovne situacije iz preteklih dni (1860, 1900, 1945, 1990). Ob koncu pa se skuša predstaviti vizijo jezikovnega stanja sredi prihodnjega stoletja, Tak hipotetičen scenarij predvideva omejevanje francoščine in frankoprovansalščine na rabo v nekaterih situacijah, te zadnje edinole na domače okolje. Izgubljala bo tudi francoščina in edini resni tekmec italijanščini bi utegnila biti v prihodnjih desetletjih anglo-amerikanščina, in sicer zaradi mogočnega vpliva javnih občil in pa široke rabe anglizmov in amerikanizmov v nekaterih tehnoloških smereh. Začetni, samo pismeni jezikovni krov bi utegnil pogojevati ustvarjanje (in vrivanje) vzorcev tudi v govorjeni jezik prebivalstva. 25