UDK: 781:37"1945/..." Michael Malkiewicz Stattliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim / Universität Mozarteum Salzburg Visoka šola za glasbo in upodabljajočo umetnost v Manheimu / Univerza Mozarteum Salzburg Personalentscheidungen an Musikwissenschaftlichen Lehrstühlen nach 1945: Zur Bewertung von Publikationen am Beispiel von Karl Blessinger und Werner Korte Kadrovske odločitve na muzikoloških katedrah po letu 1945: Ocenjevanje objav na primeru Karla Blessingerja in Wernerja Korteja Prejeto: 3. april 2013 Sprejeto: 6. maj 2013 Ključne besede: muzikologija, povojna Nemčija, Werner Korte, Karl Blessinger Izvleček Skoraj vsi nosilci muzikoloških nazivov na univerzah in visokih šolah v Nemčiji so se po letu 1945 lahko vrnili na svoja mesta. Razlogi, zakaj je nekdo lahko ostal na svojem mestu v muzikologiji, zakaj so nekateri lahko nadaljevali svoje delo potem, ko jih je vojaška vlada za kratek čas odstavila in zakaj so bili drugi za stalno odstavljeni, so zelo različni. Received: 3rd April 2013 Accepted: 6th May 2013 Keywords: musicology, post-war Germany, Werner Korte, Karl Blessinger Abstract Almost all holders of a musicology chair at the universities and academies in Germany could return to their positions after 1945. The reasons why someone could keep his chair in musicology, why some continued their work after a short dismissal by the military government, or why somone was permanently dismissed, are very different. „Es gab keine Stunde Null. Das ist eine Erfindung gewisser Historiker. Es ging alles so weiter wie bisher, nur mit mehr oder weniger ausgeprägter Tarnung."1 Die zahlreiche Forschung in Zusammenhang mit „Entnazifizierungsverfahren" an den Universitäten und Hochschulen hat inzwischen gezeigt, dass es an den Lehrstühlen in Deutschland nach 1945 kaum personelle Einschnitte gegeben hat. Dies trifft auch auf die musikwissenschaftlichen Lehrstühle zu. Die meisten Fachvertreter, auch wenn sie mit dem NS-Regime in irgendeiner Form sympathisierten, konnten nach 1945 an den Universitäten und Hochschulen weiterhin tätig sein, ohne dass sie sich von den Themen und Methoden abgewandt hätten. Weder inhaltlich noch personell lassen sich deutlich sichtbare Einschnitte in Forschung oder Lehre im Fach Musikwissenschaft nach 1945 feststellen.2 Sieht man sich nun aber die Gründe an, warum jemand auf seinem Lehrstuhl verbleiben konnte, nach kurzer Absetzung durch die Militärregierung von den Universitäten wieder eingesetzt bzw. (was selten der Fall war) dauerhaft abgesetzt wurde, kann man aufgrund der Unterschiedlichkeit der Fälle kaum eine allgemeine Tendenz herauslesen. Vielmehr sind die einzelnen Fälle sehr unterschiedlich gelagert. Eine mögliche politische Belastung konnte über persönliche Netzwerke, wenn etwa jemand gute Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten hatte und entsprechende „Persilscheine" vorweisen konnte, zu einer Entlastung führen. Zu dem bestens vernetzten Friedrich Blume sind fast 70 Entlastungsschreiben überliefert, für Hermann Zenck in Freiburg liegen über ein Duzend sogenannter Persilscheine vor. In Karl Blessingers Personalakte findet sich hingegen nur ein einziges, in diesem Fall sogar eher belastendes Dokument.3 Nach Mitteilung eines Zeitzeugen, der als 17jähriger freiwillig der Waffen-SS beigetreten war, konnten die Entscheidungen der Spruchkammern zu einer Person je nach positiver oder negativer Grundeinstellung der Kommission sehr unterschiedlich ausfallen.4 Da bei den Entnazifizierungsverfahren jeder Fall anders lag, musste jeweils individuell entschieden werden.5 Dies gilt natürlich auch für die Vertreter des Faches Musikwissenschaft, die bis Kriegsende an den Universitäten einen Lehrstuhl innehatten. Wie konnte es etwa sein, dass Richard Trunk in München gehen musste, der ebenso mit dem Nationalsozialismus sympathisierende Robert Heger aber dessen Nachfolge antreten konnte? Wie konnte es sein, dass Heinrich Besseler an der Universität Heidelberg nicht rehabilitiert wurde, während man Werner Korte mit Nachdruck an der Universität Münster halten wollte?6 In manchen Fällen konnten die Spruchkammern auch aus heu- 1 Fred K. Prieberg im Gespräch mit Tilman Jens für „Kulturzeit" in 3sat (9. 3. 2005). 2 Pamela Potter, Die deutscheste der Künste (Stuttgart: Klett-Cotta, 2000). 3 Zu Blume, vgl. Michael Custodis, „Friedrich Blumes Entnazifizierungsverfahren", Die Musikforschung 65, Nr. 1 (2012): 15; zu Zenck: Universitätsarchiv (in Folgendem UA), Freiburg B 34/35; zu Blessinger: Archiv der Hochschule für Musik und Theater (in Folgendem HSMT) München, Personalakte (in Folgendem PA) Blessinger (18. 12. 1947). 4 Persönliches Interview des Verfassers vom 20. Januar 2012 (Person dem Verfasser bekannt). 5 Vgl. Harald Schmid, „Eine Vergangenheit, drei Geschichten. Zur Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und in Österreich", in Lange Schatten: Bewältigung von Diktaturen, ed. von Angela Borgstedt et al. (Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, 2007), 143-162; Angela Borgstedt, „Der Fragebogen - Zur Wahrnehmung eines Symbols politischer Säuberung nach 1945", in Borgstedt, Lange Schatten..., 89-119. 6 Vgl. Thomas Schipperges, Die Akte Heinrich Besseler. Musikwissenschaft und Wissenschaftspolitik in Deutschland nach 1924 bis 1949 (München: Strube, 2005); Peter Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität in der NS-Zeit: Schriftliche Hausarbeit, vorgelegt im Rahmen der ersten Staatsprüfung für das Lehramt der Sekundarstufe II/I (Münster: [mschr.], 2004). tiger Sicht sogar eher harte Urteile fällen, wie etwa bei dem an der Universität Bamberg tätigen Hans Roessert, der 1933 zwar der NSDAP beitrat, der jedoch die Mitwirkung als Musiker bei Parteiveranstaltungen verweigert hatte, dadurch auch persönlichen Nachteil erlitten hatte und nach dem Krieg als Widerständler bezeichnet wurde.7 Allein schon aufgrund seiner Parteizugehörigkeit wurde er dennoch als „Mitläufer" kategorisiert und zu einer Geldstrafe von 5.000 RM verurteilt. Vieles deutet darauf hin, dass in all diesen Fällen weniger objektive Gründe aus einem standardisierten Verfahren, sondern vielmehr subjektive Umstände eine Rolle spielten. Aufgrund des Ablaufs von Sperrfristen sind nun verstärkt Archivdokumente (Personal- und Fakultätsakten, private und universitäre Korrespondenzen, Nachlässe etc.) zugänglich. Umfangreiche Studien liegen bislang nur zu wenigen Persönlichkeiten (Heinrich Besseler, Friedrich Blume, Egon Wellesz)8 bzw. Universitätsinstituten (Münster, Innsbruck)9 oder Hochschulen (Köln, München)10 vor. Musikwissenschaftler mit einer einschlägigen politischen Vergangenheit waren für eine Weiterverwendung an der Universität, sofern sie nicht „menschlich oder beruflich" jemandem geschadet haben,11 überwiegend tragbar. Wenn wir über Aufarbeitung im Fach Musikwissenschaft sprechen, geht es vor allem um die nachträgliche Bewertung schriftlicher Dokumente und daher um die Deutung von Stil und Inhalt, was im Nachhinein nicht immer leicht zu beurteilen ist. Heinrich Besseler wies bereits kurz nach Kriegsende auf seinen Rückzug vom Publizieren während der Kriegsjahre hin, um damit seine Abwendung von den politischen Machtverhältnissen nachträglich zu belegen. In einem Bittbrief an Jacques Handschin um einen Persilschein weist er eigens darauf hin, dass er ab 1938 nichts mehr publiziert hätte: „Daß ich seit 1938 (Seiffert-Festschrift)12 nichts mehr veröffentlicht habe, vermerkte man doch sicher auch in der Schweiz und hat es wohl mit Recht auf die politische Lage zurückgeführt!"13 Auch Thomas Schipperges führt an, dass Besselers Flucht in die Innere Emigration als Versuch einer nachträglichen Entschuldigung verstanden werden kann.14 Nicht alle zogen sich vom Schreiben zurück, auch wenn bei Besseler vielleicht eher pragmatische Gründe, wie etwa Arbeitsüberlastung als junger Leiter eines musikwissenschaftlichen Instituts, und weniger die politischen Umstände eine UA Bamberg: V A Nr. 166 (29. 5. 1947). Zu Besseler: Schipperges, Die Akte Heinrich Besseler...; zu Blume: Custodis, „Friedrich Blumes Entnazifizierungsverfahren"; zu dem in der NS-Zeit verfolgten Wellesz: Nina-Maria Wanek, Egon Wellesz in Selbstzeugnissen: Der Brief nachlaß in der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien: Verlage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2010). Zu Innsbruck: Kurt Drexel, „Vergessen? Verdrängt? Vom Nachleben der NS-Vergangenheit im Musikleben und in der Musikwissenschaft", in 1945-1995: Eine Fortsetzungsgeschichte?, ed. Hansjörg Walter (Innsbruck/Wien: Studien-Verlag, 1996), 167-179; zu Münster: Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar.... Zu Köln: Michael Custodis, „Entnazifizierung an der Kölner Musikhochschule am Beispiel von Walter Trienes und Hermann Unger", in Deutsche Leitkultur Musik: Geschichte und Musikgeschichte nach 1945, ed. Albrecht Riethmüller (Stuttgart: Steiner, 2006), 61-83; zu München: Stephan Schmitt, Geschichte der Hochschule für Musik und Theater München: Von den Anfängen bis 1945 (Tutzing: Schneider, 2005). Dieses Argument wurde zur Befürwortung der Pensionierung von Hermann Unger an der Musikhochschule Köln herangezogen (Custodis, „Entnazifizierung ...", 74). Vorzeitige Pensionierung war eine mögliche Kompromisslösung, so auch bei Richard Trunk in München. Heinrich Besseler, Musik und Bild: Festschrift Max Seiffert zum siebzigsten Geburtstag in Verbindung mit Fachgenossen, Freunden und Schülern (Kassel: Bärenreiter, 1938). Besseler hat tatsächlich ab 1938 (fast) nichts mehr veröffentlicht. Würzburg. Bruno Stäblein Archiv am Institut für Musikforschung. Briefwechsel Besseler/Handschin, Brief vom 5. 6.1948. Vgl. Schipperges, Die Akte Heinrich Besseler..., 219-221. Rolle gespielt haben mögen. Allerdings hat man nach Kriegsende in einigen Fällen die vorliegenden Publikationen zur Argumentation für oder wider die Weiterverwendung einer Person an der Universität herangezogen. Während die Schriften von Karl Blessinger als Begründung für seinen Ausschluss vom universitären Unterricht nach 1945 angeführt wurden, hat man Werner Kortes Schriften, die aufgrund antisemitischer Formulierungen ebenfalls eine nationalsozialistische Gesinnung erkennen lassen,15 nicht zu einer belastenden Argumentation herangezogen. Vielmehr bemühte man sich sogar aktiv, Korte nach kurzem Ausscheiden an die Universität Münster zurück zu gewinnen. Bei ihm führte sein Sohn Hermann Korte einen Wandel vom musikwissenschaftlichen zum belletristischen Genre als Argument für eine angebliche Distanzierung von der NS-Ideologie an.16 Einschlägiges musikwissenschaftliches Schrifttum, die Hinwendung zur Bellestristik bzw. der Rückzug vom Schreiben überhaupt sind nun unterschiedliche Argumentationsmuster, die zu einer Belastung oder Entlastung dienen sollten. Gerade die jüngste Publikation von Hermann Korte macht deutlich, dass diese Form des Argumentierens auch 2011 noch aktuell ist. Umso wichtiger scheint es, auf eine Einordnung und Bewertung des musikwissenschaftlichen Schrifttums hinzuweisen. Zäsur in München: Karl Michael Blessinger Karl Michael Blessinger, geboren 1888 in Ulm, wurde 1913 in München im Fach Musikwissenschaft mit „Studien zur Ulmer Musikgeschichte im 17. Jahrhundert insbesondere über Leben und Werke Sebastian Anton Scherers" promoviert.17 Ab 1920 lehrte Blessinger an der Akademie der Tonkunst - Hochschule für Musik München. 1935 wurde er zum a.o. Professor, im Oktober 1942 zum ordentlichen Professor für Musikgeschichte, Instrumentenkunde und Akustik berufen. Im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens ist Blessinger sofort nach Kriegsende vom Dienst enthoben worden. Trotz vielfacher Bemühungen ist ihm eine Fortsetzung seiner musikpädagogischen Tätigkeit weder an der Akademie der Tonkunst noch an einem anderen Ort gelungen. Ab 1951 lebte Blessinger im nachträglich erteilten Ruhestand in Pullach, wo er 1962 starb. Neben seiner wissenschaftlichen Karriere an der Akademie der Tonkunst in München gibt es eine ebensolche im Rahmen der politischen Strukturen der Nationalsozialistischen Herrschaft. 1932 trat er unter der Mitgliedsnummer 1.117.363 der NSDAP bei und wurde Kreisschulungsleiter.18 Seit 1936 war er Leiter des NS-Dozentenbundes an der Akademie der Tonkunst in München. In der Zeit des Nationalsozialismus veröffentlichte Blessinger mehrere antisemitische Pamphlete, in denen er jüdische Musiker bzw. Komponisten diffamierte. 1938 erschien sein damals positiv rezipiertes Buch Mendelssohn, Meyerbeer, Mahler.19 1944 erfolgte eine zweite, erweiterte Auflage unter Zu Werner Korte findet sich bei Fred K. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945 (Kiel: CD-Rom-Lexikon, 2004), keine Eintrag. Siehe dazu aber die entsprechenden Kapitel bei Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar.... Hermann Korte, David und Johannes Fabricius und der Roman meines Vaters: Eine biographische Erzählung (Münster: Aschendorff, 2011). Fred K. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker..., 492. Ernst Klee, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945 (Frankfurt/Main: Fischer, 2007), 57. Karl Blessinger, Mendelssohn, Meyerbeer, Mahler (Berlin: Hahnefeld, 1938). 15 16 18 dem neuen Titel Judentum und Musik. Ein Beitrag zur Kultur- und Rassenpolitik.20 Das Buch liest sich wie eine nationalsozialistische Programmschrift und sollte eine wissenschaftlich fundierte Rechtfertigung gegen alles Jüdische in der Musik liefern. Das handliche Taschenformat sowie die großen Stückzahlen der beiden Auflagen zeugen davon, dass das Buch von vornherein weite Verbreitung finden sollte. Die Erstauflage erschien mit 25.000 Exemplaren, von der erweiterten Auflage wurden immerhin 8000 Exemplare gedruckt.21 Neben Wolfgang Boetticher war auch Blessinger Mitarbeiter für das von Herbert Gerigk und Theophil Stengel 1940 herausgegebene Lexikon derJuden in der Musik, ein Nachschlagwerk, in dem die „im 19. Jahrhundert einsetzende Verjudung des deutschen Musiklebens" nachgezeichnet werden sollte. Blessingers Buch enthält für dieses Lexikon eine Werbeeinschaltung, die an Deutlichkeit nichts vermissen lässt, wenn es heißt: „Die bewußte Verseuchung des deutschen Musiklebens durch das Judentum wird eindringlich in geschlossen-lexikalischem Zusammenhang dokumentarisch-quellenkundlich belegt."22 Blessinger hatte ein ähnliches Ziel, indem er anhand einer vorverurteilenden Beschreibung der Musik dreier allgemein bekannter Komponisten versuchte, die angebliche „Verseuchung des deutschen Musiklebens durch das Judentum" darzulegen. Blessingers Verhalten während der NS-Herrschaft hat bereits von Stephan Schmitt zusammenfassend beschrieben. Während Schmitt sich für die Zeit vor 1945 auf Akten aus dem Bundesarchiv sowie aus dem Bayerischen Haupstaatsarchiv stützen konnte, liegen - da gegen Kriegsende sämtliche „Personalakten der Akademie der Tonkunst bei der totalen Vernichtung des Odeons zu Verlust gegangen sind"23 - in der Hochschule für Musik zu diesen Zeitraum keine Dokumente vor. Allerdings lässt sich aus der nach dem Krieg neu angelegten Akte die Zeit danach beleuchten. Blessingers Fall war aufgrund seiner Parteizugehörigkeit, den eindeutig antisemitischen Publikationen sowie auch aufgrund seiner Persönlichkeit im Münchner Umfeld rasch geklärt. Laut mündlichen Erzählungen war er der einzige Lehrer an der Hochschule, der in SA-Uniform zum Unterricht erschien. Gleich nach dem Krieg sah es zunächst noch nach einer positiven Fortsetzung seiner Karriere aus. Laut Mitteilung vom 10. Juli 1945 wurde Blessinger rückwirkend „vom 1.1.1942 an von der Landesbesoldungsgruppe A2b in die Reichsbesoldungsgruppe H1b" übergeleitet.24 Aufgrund der Angaben im Fragebogen wurde ihm jedoch am 10. Oktober 1945 vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus eine vorläufige Dienstenthebung unter sofortiger Einstellung sämtlicher Bezüge zugestellt: „Sie werden mit sofortiger Wirkung vorbehaltlich der endgültigen Verfügung der Militärregierung nach Überprüfung Ihres Fragebogens vom Dienste als Professor bei der Staatl. Hochschule für Musik in München enthoben, nachdem auf Grund der allgemeinen Richtlinien der Militärregierung eine Belassung in Ihrer Dienststelle nicht tragbar erscheint. / Sie haben sich jeder weiteren dienstlichen Tätigkeit 20 Karl Blessinger, Judentum und Musik: Ein Beitrag zur Kultur- und Rassenpolitik (Berlin: Hahnefeld, 1944). 21 Anzahl der Exemplare geht aus dem Vorsatzblatt von Judentum und Musik hervor. 22 Blessinger, Judentum und Musik ..., [158]. 23 HSMT München, PA Blessinger (24. 9. 1963). 24 Beschluss vom 5. April 1945 mit Wirkung vom 1. Januar 1942; Archiv der HSMT München, PA Blessinger (5. 4. 1945). an der Staatl. Hochschule für Musik in München zu enthalten. / Die für Sie als Besoldungszahlstelle zuständige Bayer. Landeshauptkasse erhält Abschrift dieses Schreibens mit dem Auftrag, die Auszahlung Ihrer Bezüge einzustellen."25 Die Direktion der Staatlichen Hochschule für Musik - Akademie der Tonkunst bittet Blessinger, den Empfang der Dienstenthebung zu bestätigen. Der auffallend höfliche Tonfall ist wohl dem Rahmen eines offiziellen Schreibens der Universität geschuldet und verrät nicht die persönliche Meinung des Schreibers: „Jm Auftrage des Herrn Bayer. Staatsministers für Unterricht und Kultus bin ich verpflichtet, Ihnen sehr geehrter Herr Kollege die beiliegende Min. Entschl. mit der Bitte zu übersenden, den Empfang derselben auf der gleichfalls beiliegenden Bescheinigung zu bestätigen und letztere umgehend wieder anher zurückzusenden."26 Die vorläufige Dienstenthebung wurde am 20. Dezember 1945 von der Militärregierung bestätigt.27 Ob sich Blessinger selbst intensiv um entsprechende „Persilscheine" bemühte, geht aus den Akten nicht hervor. In seinem Personalakt liegt allerdings nur ein einziges Schreiben vor, welches außerdem nicht unbedingt zu einer Entlastung beiträgt (vgl. Anhang: Dokument 1). Es stammt von Heinrich Knappe, der ab 1926 als Dozent an Akademie für Tonkunst in München wirkte. Knappe war kein Parteimitglied und hat auch nach Aussage eines Zeitzeugen „gegen alle Lehrer, die nach [der Inhaftierung des früheren Direktors] Hausegger [durch die SA] berufen wurden und damit mit wenigen Ausnahmen Parteimitglieder waren, Front gemacht."28 Knappe spricht im vermeintlichen Entlastungsschreiben einen Vorfall an, bei dem die Spruchkammer zu untersuchen hatte, „ob Blessinger seinerzeit schuld daran war, daß der damalige Direktor der Akademie v. Hausegger aus dem vollbesetzen Konzertsaal heraus von der SA abgeführt und verhaftet wurde."29 Hier sind es zunächst die allgemeinen Richtlinien der Militärregierung sowie der Spruchkammer, die Blessingers Dienstenthebung verursacht haben. Vier Jahre nach Kriegsende musste Blessinger aufgrund erfolgloser Bemühungen schließlich zur Kenntnis nehmen, dass für ihn eine Wiedereinstellung an der Münchener Hochschule für Musik nicht mehr in Frage kam. Da er „vom 15.9.1920 bis 10.10.1945 ununterbrochen als Lehrkraft für die musikwissenschaftlichen Fächer beschäftigt"30 war, suchte er am 2. August 1949 um Pensionierung oder Weiterbeschäftigung an. Bereits am 10. August kam die Antwort vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, dass keine Möglichkeit besteht, „den ehemaligen Professor der Staatl. Akademie der Tonkunst in München als Lehrkraft an der Staatl. Hochschule für Musik wieder zu verwenden oder ihn in den Ruhestand zu versetzen."31 25 Archiv der HSMT München, PA Blessinger (10. 10. 1945). 26 Archiv der HSMT München, PA Blessinger (15. 10. 1945). 27 Archiv der HSMT München, PA Blessinger (26. 1. 1946). 28 Schmitt, Geschichte der Hochschule..., 364. 29 Schmitt, Geschichte der Hochschule..., 359. 30 Direktion der Staatlichen Hochschule für Musik an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus München. Archiv der HSMT München, PA Blessinger (2. 8. 1949). 31 Direktion der Staatlichen Hochschule für Musik an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus München. Archiv der HSMT München, PA Blessinger (10. 8. 1949). 1950 wurde Robert Heger (1886-1978) Erster Staatskapellmeister am Nationaltheater München sowie Präsident der Staatlichen Akademie der Tonkunst - Hochschule für Musik in München. Er war 1937 in die NSDAP eingetreten und verhielt sich auch sonst während des Krieges regimekonform. Noch im August 1944 wurde er in Adolf Hitlers Gottbegnadeten-Liste unter die wichtigsten Dirigenten aufgenommen.32 Dennoch konnte er seine Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg unbeschadet fortsetzen. Hegers Werdegang dürfte Blessinger zumindest in den Grundzügen bekannt gewesen sein. Vielleicht hoffte er, hier einen Verbündeten zu finden. Denn noch vor dessen Amtsantritt am 1. Juni 1950 liegt bereits ein Schreiben Blessingers vom 25. März 1950 vor, in welchem er Heger um eine Unterredung bittet und ihn zumindest indirekt als ehemaligen Parteigenossen anspricht: „Vielleicht ist es ihnen bekannt, dass ich von 1920-1945 an der Akademie die musikwissenschaftlichen und theoretischen Fächer vertreten habe und 1945 als Mitglied der NSDAP aus meiner Stellung entlassen worden bin. / Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn es Ihnen möglich wäre meine Bitte zu erfüllen."33 Blessingers Anschreiben wurde, wahrscheinlich von Robert Heger selbst, auf der Verso-Seite mit folgendem Worten handschriftlich kommentiert: „Versorgungsbezüge / 1. Karl Blessinger / Mendelssohn Meyerbeer Mahler / drei Kapitel Judentum in der Musik als Schlüssel zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts / Bernhard Hahnefeld Verlag / Berlin 1939 / Neuerdings hat Karl Blessinger in seiner überaus verdienstlichen Studie darauf hingewiesen, dass auch Mendelssohn als Typus des sogenannten Assimilationsjuden in die langen Reihe der Vertreter dieser Rasse gehört, die zielbewusst // die Umdeutung des übernommenen Kulturgutes in jüdischem Sinne und damit dessen Verfälschung betrieben haben / Lexikon der Juden in der Musik Stengel / Gerigk / Berlin 1941"34 Dieser handschriftliche Vermerk zeigt, dass dem Schreiber Blessingers antisemitische Einstellung durch dessen Schriften ausreichend belegt erschien. In der Tat weichen Blessingers Schriften vom überwiegenden Teil der zumeist „weltanschaulich neutral[en]"35 wissenschaftlichen Publikationen ab. Dies gilt auch für die Musikwissenschaft. Bei vielen Autoren beschränkt sich NS-Konformität auf das Vorwort, während der Haupttext selbst wissenschaftlich korrekt und auch inhaltlich sowie in der Diktion - von ausgesuchten Zeilen abgesehen - vertretbar ist.36 Dagegen genügen einige Zeilen aus Blessingers Buch Das Judentum in der Musik, das fast in jedem einzelnen Satz ebenso wissenschaftlich unhaltbar wie auch ideologisch verwerflich ist. Im folgenden Textausschnitt zu Felix Mendelssohn Bartholdy spricht er die „mechanische Art" seiner von „formelhaften Wiederholungen" durchsetzen Musik an: Oliver Rathkolb, Führertreu und gottbegnadet: Künstlereliten im Dritten Reich (Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1991). Archiv der HSMT München, PA Blessinger (25. 3. 1950). Archiv der HSMT München, PA Blessinger (25. 3. 1950, verso-Seite) sowie ein undatiertes Zusatzblatt. Brigitta Maria Schmid, „Musikwissenschaft im ,Dritten Reich'", in Die dunkle Last: Musik und Nationalsozialismus, ed. Brunhilde Sonntag et al. (Köln: Bela, 1999), 92-110, hier 95. So etwa bei Ernst Fritz Schmid, Joseph Haydn: Ein Buch von Vorfahren und Heimat des Meisters (Kassel: Bärenreiter, 1934) und Erich Valentin, Mozarteumsbüchlein (Regensburg: Bosse, 1941). „Da sehen wir nun freilich, wie Mendelssohn bereits in der unmittelbaren Fortsetzung des Grundmotivs regelmäßig zu versagen pflegt, d. h. er kommt sehr bald in eine rein mechanische Art der Fortsetzung, und aus Mangel an wirklicher Schöpferkraft redet er weiter, ohne wirklich etwas zu sagen. [...] Wir sehen, auch bei Mendelssohn bricht die typisch jüdische Neigung zu rein formelhafter Wiederholung immer wieder durch. [...] Zwischen organischer Formgestaltung deutscher Art und jüdischer Formkonstruktion besteht ein unüberbrückbarer Gegensatz"37 Bei Giacamo Meyerbeer versucht er unter anderem vor einer jüdischen Weltherrschaft' zu warnen. Dabei muss er Wagners positive Wertschätzung diesem Komponisten gegenüber aus zeitpolitischen Gründen rechtfertigen: „Hier aber zeigt sich ein neues Stadium auf dem Wege des Judentums zur Macht. Mendelssohns Tätigkeit bedeutet das persönliche Eindringen eines Juden in die deutsche Musik. [...] Im Falle Meyerbeer trat dagegen das Weltjudentum weit offener auf den Plan. [...] Wenn Richard Wagner Mendelssohn eine größere Teilnahme schenkt als anderen jüdischen Musikern, so ist dies sachlich gewiß nicht berechtigt. Als Kind des 19. Jahrhunderts konnte Wagner noch nicht wissen, daß jeder Jude ohne Ausnahme an der Erreichung der jüdischen Weltherrschaftsziele arbeitet und daß die Judenschaft einen ihrer Angehörigen, der etwa den Versuch machen sollte, anders zu wirken, niemals hochkommen ließe, daß somit jede Anerkennung einer Ausnahmeerscheinung unter den Juden im Endergebnis eine Stützung des Gesamtjudentums bedeutet."38 Die schärfsten Worte wendet Blessinger bei Gustav Mahler an, wo er versucht, in der Musik selbst auf von ihm als solche bezeichnete jüdische Wesenszüge hinzuweisen, die sämtlich natürlich negativ beschrieben werden. Die sprachliche Pointierung einer weit weg von musikwissenschaftlicher Redlichkeit gewählten Wortwahl weist hier schon karikaturhafte Züge auf: „Immer wieder weist Mahlers Musik Züge auf, die wir an anderer Stelle als zutiefst jüdisch kennen gelernt haben. Man denke z. B. an den Anfang seiner 2. Symphonie, wo eine rhythmische Formel bis zum Überdruß wiederholt wird. Der jüdische Zynismus ist bei ihm vielleicht nicht auf den ersten Blick zu erkennen [...]. Trotzdem ist es nicht schwer, vielerorts in Mahlers Musik fratzenhafte Züge zu erkennen [...]. Auch Mahler bringt in typisch jüdischer Art unvereinbare Dinge zwangsweise unter einen Nenner [.,.]."39 Blessingers Rundumschlag beschränkt sich nicht nur auf die drei ausgewählten Komponisten. Er zielt auch gegen alle nichtjüdischen Komponisten ab, die Stil oder Kompositionstechnik ihrer jüdischen Lehrer übernehmen würden: „(Worin liegt z. B. der wesentliche Unterschied zwischen den Virtuosenstücken des Juden Herz und des Nichtjuden Hünten, zwischen atonalen Experimenten des Juden 37 Blessinger, Das Judentum in der Musik..., 68-70. 38 Ebd.., 80-81. 39 Ebd., 115. Schönberg und seiner nichtjüdischen Schüler?) Aus diesem Grunde sind im folgenden offenkundige Judengenossen den Juden gleichgesetzt, denn wir bekämpfen ja den jüdischen Geist, wo er sich auch zeigen möge, und am schärfsten da, wo er als Giftstoff in unser eigenes Volk eingedrungen ist."40 Blessinger verfasste hier einen durchwegs antisemitisch geprägten Text, bei dem er nicht nur gegen drei in der Musikgeschichte bislang anerkannte Komponisten anschrieb, sondern auch Schüler jüdischer Kompositionslehrer („Judengenossen") vorweg verunglimpfte. Er betrieb mit seiner Schrift eine politisch motivierte Kulturverfälschung, die auch aus dem übrigen Schrifttum seiner Zeit herausragt.41 Zurück zu Blessinger und seiner Karriere nach Kriegsende. Obwohl Blessinger von Heger zunächst keine Antwort erhielt, rechnete er noch im Juli 1950 mit einer Wiedereinstellung an der Akademie der Tonkunst in München: „[...] Nachdem inzwischen in der Frage der Rechtsstellung der seinerzeit entfernten Beamten immerhin eine gewisse Klärung erfolgt und doch wohl die endgültige Regelung in absehbarer Zeit zu erwarten ist, nachdem mir vor allem bekannt geworden ist, dass der Stellvertreter des Hohen Kommissars für die Amerikanische Zone, General Hayes, den Rechtsanspruch der entnazifizierten Beamten auf Wiederanstellung oder Pensionierung anerkannt hat, glaube ich annehmen zu müssen, dass der Septembertermin etwas zu spät sein würde, wenn meine Wiedereinstellung für den Beginn des neuen Studienjahres in Frage kommen sollte. Ich gestatte mir darauf hinzuweisen, dass vom rein sachlichen Standpunkt aus die Tatsache nicht übersehen werden kann, dass meine Stelle an der Akademie nur provisorisch besetzt ist, insofern Herr Universitätsprofessor Dr. Fellerer nur zeitweise nach München kommt, um den Unterricht in den von mir seinerzeit vertretenen wissenschaftlichen Fächern zu erteilen. Ich wäre Ihnen nun ausserordentlich verbunden, wenn Sie, verehrter Herr Präsident, mir vorher Gelegenheit geben könnten, meine Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen. [...]"42 Dass nun ausgerechnet Karl Gustav Fellerer an Blessingers Stelle in München unterrichtete, ist durchaus bezeichnend. Fellerers unrühmliche Rolle während der nationalsozialistischen Herrschaft ist inzwischen belegt.43 Nach dem Krieg war Fellerer allerdings in Kategorie V (entlastet) eingestuft worden.44 Heger vertröstete Blessinger auf Mitte September, da eine Unterredung erst dann Sinn machen würde „wenn ich über die Akten und Vorgänge genau informiert bin."45 Da Blessinger auch im Wintersemester 1950/51 nicht eingestellt wurde, suchte er im Februar 1951 nun aufgrund von Dienstunfähigkeit und seiner langjährigen Tätigkeit an der Akademie um Pensionierung Ebd., 9. Vgl. dazu auch Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker..., 536-541. Archiv der HSMT München, PA Blessinger (9. 7. 1950). Vgl. Willem de Vries, Sonderstab Musik: Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940-45 (Köln: Dittrich, 1998); Dieter Gutknecht, „Universitäre Musikwissenschaft in nationalsozialistischer Zeit", in Musikforschung; Faschismus; Nationalsozialismus: Referate der Tagung Schloß Engers (8. bis 11. März 2000), Isolde von Foerster et al. (Mainz: Are, 2001), 211-221, insb. 219ff. Dieter Gutknecht, „Fellerer, Karl Gustav", in MGG2, Personenteil 6 (2001): 933. Archiv der HSMT München, PA Blessinger (19. 7. 1950). 40 41 42 43 44 an.46 Ein Schreiben der Direktion dar Staatlichen Hochschule für Musik vom 4. Mai 1951 an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus zeigt, wie man an der Hochschule für Musik München die Wiedereinstellung rehabilitierter Professoren und Lehrender nach dem Krieg grundsätzlich handhabte (Dok. 2).47 Diese Erklärung wurde trotz der allgemeinen Formulierung wohl nur bzgl. Blessinger ausformuliert und angewandt. In diesem Schreiben wird nun eindrücklich auf dessen veröffentlichte Schriften hingewiesen. Unabhängig von gesetzlichen Entscheidungen erschien er schon aus rein pädagogischer Sicht für den Unterricht nicht mehr tragbar: „Gegen eine Wiederverwendung Dr. Blessingers glaubt die Hochschuldirektion berechtigte Bedenken zu haben, da Dr. Blessinger sich in seinen Schriften und Buchveröffentlichungen zu einseitig ausgesprochen hat und seine Ansichten künstlerisch nicht haltbar sind."48 Der Hochschule blieb es also vorbehalten, Blessinger auszuschließen, auch wenn rein politische Gründe vom Gesetz her nicht ausgereicht hätten. Wie wir wissen, kam es zu keiner neuerlichen Anstellung von Blessinger im öffentlichen Dienst, weder in München, noch an einer anderen Hochschule oder Universität. Blessingers Verfahren und Korrespondenz mit der Münchener Hochschule zog sich auch danach noch länger hin. Erst am 24. August 1954 (!) erhielt er die Bestätigung, dass ihm aufgrund eines amtsärztlichen Zeugnisses vom 24. Februar 1951 mit Wirkung vom 30. September 1952 eine Pension bewilligt worden sei.49 Bis heute erfährt Blessinger Ablehnung und Ausgrenzung von der Fachkollegenschaft. Laut Ludwig Finscher entwickelte er sich von einem soliden Lokalhistoriker zum „agressivsten antisemitischen Musikschriftsteller des Nationalsozialismus."50 In dem eher kurzen MGG2-Artikel zu Blessinger weist Finscher darauf hin, dass Blessingers Schrift über Das Judentum in der Musik viel zitiert und von einflussreichen Musikwissenschaftlern positiv rezensiert wurde, ohne hier allerdings Namen zu nennen.51 Blessinger bezeichnet er als „Musikschriftsteller", die einflussreichen Kollegen hingegen als „Musikwissenschaftler". Politisch manipulierende Tendenzen wären laut Finscher in Blessingers Publikationen äußerst plakativ. Blessinger ist in seinen Schriften auch aus damaliger Sicht eindeutig zu weit gegangen. Er hat unhaltbare Behauptungen aufgestellt, weshalb er nach der Wende auch nicht mehr unterrichten durfte. Seine Schriften sind auch aus heutiger Sicht nicht zu rechtfertigen, auch nicht dadurch, dass er eine bereits aus dem 19. Jahrhundert resultierende antisemitische Rezeption der Werke Mendelssohns, Meyerbeers und Mahlers fortsetzte. Archiv der HSMT München, PA Blessinger (26. 2. 1951). Archiv der HSMT München, PA Blessinger (4. 5. 1951). Siehe auch das vollständige Dokument 2 im Anhang. Archiv der HSMT München, PA Blessinger (4. 5. 1951). Archiv der HSMT München, PA Blessinger (24. 8. 1954). Ludwig Finscher, „Blessinger, Karl", in MGG2, Personenteil 3 (2000): 76. Laut Prieberg (Handbuch Deutsche Musiker..., 541) war dies in einem Rundspruch des Rassenpolitischen Amts der NSDAP vom 4. November 1944 befohlen worden: „Die Presse wird gebeten, folgendes gut zu beachten (...) das Buch von Karl Blessinger >Judentum und Musik<, Hahnefeld-Verlag, Berlin." Quelle bei Prieberg: BA ZSg. 102/64 fol. 1/Sammlung Sänger. 46 47 48 49 30 Kontinuität in Münster: Werner Korte Völlig anders als bei Blessinger stellt sich die Situation bei Werner Korte (1906-1982) dar. Im Gegensatz zu Blessinger konnte Korte trotz einiger im Sinne der NS-Ideologie einschlägiger Schriften seine berufliche Stellung unbeschadet beibehalten. Einen unvollendet gebliebenen und bislang unpublizierten Roman aus Kortes Feder nahm jüngst Werner Kortes Sohn Hermann Korte zum Anlass, seinem Vater im späten Rückblick von einer NS-Ideologie zwar nicht völlig freizusprechen, aber doch zu distanzieren. Dazu weist Hermann Korte darauf hin, dass sich sein Vater während des Krieges vom wissenschaftlichen Publizieren zurückgezogen, dagegen einen Roman über die beiden Astronomen David und Johannes Fabricius sowie zahlreiche Gedichte geschrieben hätte. Tatsächlich weisen die Jahre zwischen 1939 und 1945 nur wenige musikwissenschaftliche Schriften auf.52 Werner Korte studierte von 1924 bis 1926 Mathematik, Naturwissenschaften und Musikwissenschaft an den Universitäten Freiburg/Br. und Münster sowie von 1926 bis 1928 Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Berlin. Obwohl er sich in seinen Studien zunächst für die Geisteswissenschaften entschieden hatte, blieb Korte seinem Interesse an den Naturwissenschaften treu und arbeitete während des Krieges an dem erwähnten Roman. 1928 wurde Werner Korte bei Johannes Wolf in Berlin mit einer Arbeit über „Die Harmonik des frühen 15. Jahrhunderts in ihrem Zusammenhang mit der Formtechnik" promoviert. Anschließend war er unter Heinrich Besseler planmäßiger Assistent an der Universität Heidelberg. 1932 habilitierte er sich an der Universität Münster mit einer Studie zur italienischen Musik des 15. Jahrhunderts. Noch im selben Jahr folgte er Karl Gustav Fellerer - der als Dozent nach Fribourg in die Schweiz wechselte - als Leiter der Musikwissenschaftlichen Abteilung an der Universität Münster nach. Neben der rein universitären Karriere gab es parallel dazu auch politische Betätigungsfelder. 1933 wurde er Mitglied des NSLB.53 Im Mai 1935 wurde er in den künstlerischen Beirat des Amtes für Kunstpflege in der Reichsleitung der NSDAP berufen. Im selben Jahr engagierte sich Jost Trier als Dekan um die Errichtung eines beamteten Extraordinariats an der Universität Münster für Werner Korte. Laut Trier würde Korte den zu schaffenden Lehrstuhl sowohl in wissenschaftlicher, wie auch politischer und charakterlicher Beziehung „mit Ehren"54 versehen. Aus einem Tätigkeitsbericht von Trier an das Reichserziehungsministerium gehen weitere politische Engagements von Korte in dieser Zeit hervor. Demnach war er Mitarbeiter der Kunstschriftleitung der Nationalzeitung in Essen und hat in dieser Funktion zahlreiche Aufsätze, Leitartikel und Kritiken veröffentlicht. 1936 schrieb Korte eine positive Stellungnahme zur kulminierten Habilitationsschrift von Herbert Gerigk.55 Mit 30. Januar 1937 wurde Korte zum nichtbe- 53 Werner Korte, „Krise und Sendung, ein Kapitel von Geschichte und Amt der deutschen Musik", Die Musik 31 (1938/39): 395-398; „Hans Pfitzner", Allgemeine Musikzeitung 66 (1939): 290-292; Musik und Weltbild (Leipzig: Seemann, 1940); „Über ,Musik und Volk'", Deutsche Musikkultur 7 (1943): 143-144. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker..., 4187-4189. 54 Zitiert nach Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 65. 55 UA Münster Bestand 64 Nr. 30 (2. 6. 1936). amteten außerplanmäßiger Professor für Musikwissenschaft ernannt.56 Am 1. Mai 1937 trat er der NSDAP bei.57 Im Juni 1937 wurde Korte vom Reichserziehungsministerium für die nach Ernst Fritz Schmid frei gewordenen Stelle des Universitätsmusikdirektors an der Universität Tübingen vorgeschlagen, die mit einer außerordentlichen Professur für Musikwissenschaft verbunden war.58 Dort zog man jedoch den vor Ort bereits bekannten Musikpraktiker Carl Leonhardt dem Musikforscher Werner Korte vor.59 In einem Schreiben der Philosophischen Fakultät an den Rektor der Universität Tübingen heißt es: „So sehr Korte für die Betreuung eines musikwissenschaftlichen Ordinariats geeignet erscheint, so wenig ist er nach den Erkundungen, die wir anstellten, bisher in der Leitung großer Oratorien- und Symphoniekonzerte ausgewiesen."60 Dagegen steht, dass bei seiner endgültigen Berufung an die Universität Münster im Jahre 1946 besonders seine Verdienste als Musikpraktiker hervorgehoben wurden. Bei den fortgesetzten Bemühungen um die Errichtung eines beamteten Extraordinariats für Musikwissenschaft setzte sich im März 1938 nun Gerigk selbst beim Rektor der Universität Münster für Korte ein.61 Trotz einer grundsätzlichen Zustimmung durch das Reichserziehungsministeriums für ein planmäßiges Extraordinariat war zunächst kein Lehrstuhl vorhanden. Dem Vorschlag, einen Lehrstuhl innerhalb der Universität umzuwidmen, wurde nicht Folge geleistet. Auch gab es keine budgetären Mittel, einen neuen Lehrstuhl einzurichten. Dies könnte nach Peter Lohaus auf eine Unstimmigkeit zwischen dem Korte gewogenen Dekan Adolf Kratzer und dem Rektor der Universität Münster Walter Mevius zurückzuführen sein, bei dem sich Kortes Beziehungen zum Amt Rosenberg negativ ausgewirkt hätten.62 Lohaus vermutet nun, dass sich Korte an seine Parteigenossen im Amt Rosenberg gewandt hätte, ihn zu unterstützen. Vom 24. Februar 1939 ist nämlich eine Mitteilung Gerigks an Alfred Baeumler63 überliefert, dass Korte einer der wenigen Vertreter seines Faches sei, der „kompromisslos den Kurs [der] Dienststelle"64 einhielte. Vieles deutet darauf hin, dass Korte von kulturpolitischer Seite her Unterstützung erhielt. Auf einen nochmaligen Antrag durch den Dekan auf ein planmäßiges Extraordinariat im Juli 1939 erfolgte dann die sofortige Zustimmung durch den Rektor: „Gesehen und dringend befürwortet weitergereicht."65 Ein plan- Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 65. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker..., 4187-4189. Ernst Fritz Schmid musste nach früher Karriere seine Stelle aus privaten Gründen zurücklegen. Er war dann während des Krieges als Privatgelehrter tätig. Vgl. Mitteilung von Schmid an den Rektor der Universität Tübingen vom 2. April 1937 (UA Tübingen, PA Schmid, Sig. 126a / 433, Quadrangel 21). Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 69. UA Tübingen 131/121 (16. 7. 1937). Schreiben der Philosophischen Fakultät an den Rektor der Universität Tübingen. Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 66. Allerdings erfuhr Korte anlässlich einer Bewerbung an der Universität Gießen im Jahre 1943 durchaus Unterstützung vom Rektor, indem er dem Dekan mitteilte, dass Korte jahrelang mit den in Frage kommenden Parteien auf das engste zusammengearbeitet hätte und daher in weltanschaulicher Sicht ebenso absolut zuverlässig sei. Vgl. Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 68. Alfred Baeumler (1887-1968) übernahm 1934 das „Amt Wissenschaft des Beauftragten des Führers für die Überwachung der geistigen Schulung und Erziehung der NSDAP" und wirkte als dessen Leiter vor allem als Verbindungsmann für Alfred Rosenberg zu den Universitäten. Vertrauliches Schreiben von Herbert Gerigk an Alfred Baeumler (BA NS 15/158a) vom 24. 2. 1939. Zitiert nach Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar. UA Münster Bst. 4 A I Nr. 10 spec. (7. 7. 1939). Schreiben von Dekan Adolf Kratzer an das Reichserziehungsministerium. 56 5/ 58 3$ 5C 51 62 53 54 mäßiges Extraordinariat kam trotzdem nicht zustande. Mit 15. September 1939 wurde Korte allerdings zum Beamten auf Widerruf mit dem Titel eines „außerplanmäßigen Professors" ernannt.66 Durch die Berufung von Rudolf Gerber nach Göttingen im Jahr 1943 war dessen Stelle in Gießen vakant. Korte hatte sich zwar nicht beworben, stand aber vor Willi Kahl und Heinrich Husmann auf Platz 1 der Vorschlagsliste. In diesem Fall sind die Parteigremien aber nicht dem Wunsch der Fakultät, sondern dem Vorschlag des Rektors der Universität Gießen gefolgt. Dieser gab trotz wissenschaftlicher Gleichwertigkeit von Korte und Kahl letzterem den Vorzug, da dieser „im Weltkrieg und auch jetzt wieder jahrelang an der Front gestanden"67 hat. Somit blieb Korte bis Kriegsende außerplanmäßiger Professor an der Universität Münster. Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sich weder in der Personalakte im Universitätsarchiv Münster noch im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf entsprechende Dokumente, wie etwa Fragebogen, Entlastungsschreiben oder anderes zu Kortes Entnazifizie-rungsverfahren.68 Im Artikel zu Werner Korte in MGG2 heißt es dennoch: „1937 wurde er zum ao. Prof., 1946 trotz der negativen Beurteilung bei dem Entnazifizierungs-Verfahren zum o.Prof ernannt, nachdem er in Göttingen und in Marburg vertreten hatte".69 Korte wurde allerdings bereits am 11. Dezember 1945 von der Militärregierung bestätigt, wobei die Kategorie aus diesem Dokument nicht hervorgeht: „Seine Bestätigung ist durch Verfügung der Militärregierung vom 11.12.1945 307/Edn/1552/57 mitgeteilt durch Erlass vom 20.12.1945 E 2-23-1, erfolgt."70 Obwohl Korte nach 1945 schließlich in Münster verblieben war, stand er während des Krieges sowie in der Übergangszeit auch für andere Orte zu Diskussion. Der nachdrückliche Wunsch, Korte in Münster zu halten, argumentiert mit der Möglichkeit, dass er ebenso leicht auch an anderen Universitäten eine Stelle bekommen könnte. Nach dem Rudolf Gerber 1943 nach Göttingen berufen wurde, dieser aufgrund von Militärdienst aber nicht durchgehend anwesend sein konnte, wurde Korte - der nie zum Militärdienst eingezogen wurde - für das Wintersemester 1944/45 aus dem nahen Münster zur Vertretung nach Göttingen geschickt. Bereits im November 1944 wurde er vom Reichsministerium zusätzlich mit der Vertretung des neu errichteten Extraordinariats für Musikwissenschaft in Marburg beauftragt. Nachdem im Herbst 1944 in Münster der Lehrbetrieb vollständig eingestellt war, zog Korte nach Marburg und übernahm von dort aus die musikwissenschaftlichen Vorlesungen in Göttingen. Rückwirkend zum 1. Oktober 1943 wurde in Marburg ein Extraordinariat für Musikwissenschaft eingerichtet. Wiederum stand Korte auf Platz 1 der vom Dekan an das Reichsminis- 66 Siehe Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 68. Hermann Korte irrt in seiner Erinnerung, wenn er schreibt: „Es lässt sich aber, schon wegen des Jahres 1939 vermuten, daß er sich auf sich selbst zurückzog, nachdem er erst Professor und dann Lebenszeitbeamter geworden war." Vgl. H. Korte, David undJohannes Fabricius..., 11. 67 UA Gießen PrA Phil Nr. 9 (11. 6. 1943). Schreiben vom Rektor der Universität Gießen an das Reichserziehungsministerium; zitiert nach Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 71. 68 Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 95-96. 69 Siehe den von der Schriftleitung verfassten Artikel „Korte, Werner", in: MGG2, Personenteil 10 (2003): 544. In dem von Hans Heinrich Eggebrecht und Pamela Potter verfassten Eintrag in The New Grove Dictionary of Music andMusicians (1980) heißt es: „despite a negative judgment in the denazification proceedings, was promoted to professor in 1946". Potter bezieht sich hier vielleicht auf einen negatives Gutachten von Wilibald Gurlitt, wonach Korte „politisch belastet" gewesen sei. Vgl. dazu Potter, Die deutscheste der Künste..., 311. 70 UA Münster Bst. 8 Nr. 8878 (8. 5. 1946). Der Universitätskurator an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen. terium weitergereichten Vorschlagsliste. Nach ihm standen noch Walter Gerstenberg und Walter Serauky auf der Liste. Während Joseph Müller-Blattau in seinem Gutachten einen älteren und bewährten Kollegen vorgezogen hätte, schrieb Heinrich Besseler ein positives Gutachten, in dem Korte „auch an der nationalsozialistischen Erneuerung des Musiklebens tätig interessiert sei".71 Im Gegensatz zu Tübingen, wo der Praktiker Leonhardt dem Theoretiker Korte vorgezogen wurde, wies Heinrich Besseler eigens auf dessen besondere Verdienste mit dem Collegium musicum hin, weshalb er ihn an erster Stelle empfehlen würde. Auch für den Archäologen Friedrich Matz, der bereits 1941 von Münster nach Marburg gewechselt hatte, war insbesondere Kortes musikpraktische Tätigkeit ein Argument für ein positives Gutachten. Da allerdings bis Kriegsende keine Entscheidung getroffen wurde, wandte sich Korte im Juli 1945 an den Marburger Dekan, ihn in die planmäßige außerordentliche Professur einzusetzen, andernfalls sähe er sich gegen seinen Willen gezwungen, auf Marburg zu verzichten. Vielmehr wäre eine Rückkehr nach Münster notwendig, um die ihm bislang innegehaltene Planstelle durch seine Anwesenheit zu erhalten. Tatsächlich gab es Bemühungen seitens der Universität Marburg, Korte zumindest ein Extraordinariat zu geben, da er ansonsten die Vertretung nicht mehr machen würde. In einem Schreiben von der Philosophischen Fakultät an den Kurator wird er sogar als „Gegner des Systems" beschrieben.72 An der Universität Münster war man sich durchaus bewusst, dass Korte auch an anderen Orten gerne gesehen wäre. In einem Brief des Universitätskurators an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen heißt es am 8. Mai 1946: „Da Professor Korte eine Berufung zur Universität Marburg erhalten hat und jetzt das Semester beginnt, bitte ich dem Antrag schnell stattzugeben.73 In diesem Falle würde er bei der Universität Münster bleiben. Auf sein Verbleiben wird von Seiten der Fakultät der größte Wert gelegt. Professor Korte [...] hat sich in der Lehrtätigkeit wie auch im Konzertwesen der Universität größte Verdienste erworben. Als Schriftsteller und Forscher auf dem Gebiet der Musikwissenschaft ist er weithin bekannt geworden. Auch die Stadt Münster legt grossen Wert auf die weitere Tätigkeit des Professors Korte."74 Noch im selben Jahr wurde er zum ordentlichen Professor für Musikwissenschaft an die Universität Münster berufen. Von einer Kritik an seinen Schriften, wie sie Peter Lohaus herausgearbeitet hat,75 ist hier im Gegensatz zum Verfahren bei Blessinger nicht einmal andeutungsweise die Rede. Aufgrund der dringenden Bitte der Universität Münster und der ebenso rasch erfolgten Zusage Kortes kam es nicht einmal zu Berufungsverhandlungen. Dies gab später Anlass auf Antrag zur Erhöhung seiner Dienstbezüge. In einem Schreiben des Universitätskurators an die Kultusministerin des Landes NordrheinWestfalen werden Kortes Qualitäten als Musikwissenschaftler, Redner, Pädagoge und Leiter des Collegium musicum eindrücklich beschrieben: 71 Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 77. UA Marburg, Bst. 307d Nr. 2835 Musikwissenschaft u. Musikgeschichte 1935-1954 (25. 7. 1945). Mitteilung von der Philosophischen Fakultät an den Kurator. Der kursive Satzteil ist im Original handschriftlich eingefügt. UAMS Bst. 8 Nr. 8878 (8. 5. 1946). Der Universitätskurator an den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen. Lohaus, Das Musikwissenschaftliche Seminar..., 48-59. „[...] Professor Korte gilt als ungewöhnlich befähigter Musikwissenschaftler, dessen Kenntnisse und Interessen weit über sein Spezialgebiet hinausreichen. Es ist mir bekannt, daß mehrere seiner Arbeiten große Beachtung gefunden und seinen Namen weithin in Deutschland bekannt gemacht haben. Von der Wirksamkeit seiner erzieherischen Arbeit konnte auch der Außenstehende eine gewisse Vorstellung erhalten, als Herr Korte dieses Jahr im Rahmen der Bachveranstaltungen zweimal mit dem Collegium musicum vor die Öffentlichkeit trat. Die Leistungen der beiden Abende standen weit über allen anderen, obwohl bei diesen Berufsmusiker und auch Solisten mit weitbekanntem Namen mitwirkten. Auch früher schon haben die vom Collegium musicum unter Herrn Kortes Leitung veranstalteten Abende immer ein ganz besonderes Niveau gezeigt. Durch solche Darbietungen sowie durch praktische oder beratende Mitwirkung bei anderen Veranstaltungen in Münster und auswärts hat Herr Korte im allgemeinen Musikleben Bedeutung und Namen gewonnen, öffentliche Vorlesungen und Vorträge, die er abgehalten hat, hatten großen Zulauf und waren vielfach so überfüllt, daß die Hörer auch auf den Gängen und bis an die Türen hinan Kopf an Kopf sich drängten. Bevor Professor Korte das Ordinariat für Musikwissenschaft im Jahre 1946 erhielt, hatte er in Münster eine Diätendozentur inne. Das Ordinariat für Musikwissenschaft wurde 1946 geschaffen. Da Professor Korte damals eine Berufung an die Universität Marburg erhalten hatte, vollzog sich die Berufung in Münster sehr schnell, zumal diese noch von der seiner Zeit zuständigen Regierung für Westfalen in Münster erfolgte. Die Fakultät legte auf sein Verbleiben den größten Wert. [...]."76 Einige von Kortes Veröffentlichungen betreffen die Funktion der Musikwissenschaft sowie pädagogische und kulturellen Fragestellungen in der Musik. In seinen Kommentaren während der nationalsozialistischen Herrschaft über den Stand der Musikwissenschaft finden sich immer wieder Angriffe gegen jüdische bzw. aus anderen Gründen verfolgte Fachkollegen, um seinen Standpunkt zu vertreten. Obwohl man in seinen musikwissenschaftlichen Schriften genügend Material für eine Distanzierung von Korte hätte finden können, wurden seine Schriften inhaltlich nicht diskutiert. Korte gehört nicht zu denjenigen Musikwissenschaftlern, die unbedingt länger an der Universität verbleiben wollten, wie es etwa Rudolf Steglich in Erlangen bis zum letzten Moment ausgereizt hat,77 oder auch Joseph Müller-Blattau, der über einige Umwege erst 1958 wieder zu einem zu einem Ordinariat kam und 1963 emeritiert wurde. Korte versuchte hingegen bald emeritiert zu werden, um sich seiner Forschung, insbesondere der Strukturanalyse, widmen zu können. In seinen Studien über Anton Bruckner, Johannes Brahms und Johann Stamitz entwickelte er eine Methode zur Strukturanalyse, in der er systematisch versuchte, jede Komposition wissenschaftlich als einzigartiges phänomenologisches Dokument zu benennen. Auch wenn er in dem 1939 publizierten Aufsatz zur „Die Grundlagenkrisis der deutschen Musikwissenschaft"78 rein strukturanalytische Betrachtungen noch kategorisch abgelehnt hatte, war diese von jeglicher 76 UAMS Bestand 8 Nr. 8878 (8. 11. 1950). Der Universitätskurator an die Kultusministerin des Landes Nordrhein-Westfalen. 77 UA Erlangen A2/1 Nr. 130/I S (27. 3. 1952) und (13. 1. 1953). Der Dekan der Universität Erlangen an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 78 Werner Korte, „Die Grundlagenkrisis der deutschen Musikwissenschaft", Die Musik 30 (1938): 668-674. Semantik befreite Musikbetrachtung bereits vor dem Krieg von ihm entwickelt worden. Sie dürfte methodisch mit seinem naturwissenschaftlichen Interesse in Zusammenhang stehen. Dies steht in Gegensatz zu Kortes Aussage, dass eine Musikwissenschaft frei jeglicher Ideologie ihre Aufgabe verfehlt hätte, denn nach ihm wäre eine „weltanschauliche und methodische Überwindung der sog[enannten] Geisteswissenschaft in ihrer völkischwertmäßigen Unbezogenheit [...] die Aufgabe der Kunstwissenschaften und damit auch der Musikwissenschaft". Damit forderte er selbst dazu auf, das musikwissenschaftliche Schrifttum auf seine Geisteshaltung hin zu überprüfen. Genau dem ist Korte nach 1945 entkommen und hat es wohl aus guten Gründen auch nicht eingefordert. Seine Schriften aus der Zeit der NS-Herrschaft wurden nicht auf deren politische Aussage hin überprüft. Wie bereits erwähnt verfasste Werner Korte zwischen 1939 und 1943 einen unvollendet gebliebenen und nur in Auszügen publizierten Roman über die beiden Astronomen David und Johannes Fabricius.79 Wie aus einer Archivrecherche von Korte zur Person der beiden Astronomen hervorgeht, war er mindestens bis 1950, also mehrere Jahre nach Abschluss des Romanmanuskripts, mit diesem Thema beschäftigt.80 Erst 2012 wurden Teile daraus von seinem Sohn, dem Soziologen Hermann Korte, mit persönlichen Ergänzungen herausgegeben. Der Roman spielt in der „Zeit vor dem großen Krieg", womit der Dreißigjährige Krieg gemeint war. Eine Umdeutung auf die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges ist vordergründig nicht erkennbar. Sein Sohn Hermann bezeichnet seinen Vater als geübten Schreiber, da er „seit 1928 sechs Bücher und zahlreiche Aufsätze [...], allerdings keine Romane, sondern musikwissenschaftliche Abhandlungen" publiziert habe. Von den musikwissenschaftlichen Schriften sei zuletzt im Jahre 1940 sein Manuskript zu Musik und Weltbild in Auszügen im Verlag Seemann in Leipzig erschienen. „Von da ab bis zum Ende des Krieges schrieb er kaum noch über die so geliebte Musik und ihre Wissenschaft, stattdessen den schon erwähnten Roman, mehrere Novellen und mehr als einhundert Gedichte."81 Obwohl sich der Verlag Seeman zunächst an Kortes belletristischen Arbeiten interessiert zeigte, ist außer einigen Gedichten davon nichts in Druck erschienen. Kortes Sohn stellt sich nun die Frage, warum sein Vater mit der Musikwissenschaft während der Kriegsjahre so gut wie aufhörte und seine Energie in Prosa und Lyrik steckte. Hermann Korte meint, dass die Person seines Vaters in dem Roman, „der am Beginn seiner literarischen Arbeit stand"82 zwar Spuren hinterlassen habe, die im Roman erzählte Geschichte würde sich aber aufgrund der zeitlichen Versetzung nicht als Quelle einer verlässlichen Auskunft über die Motive, Ängste und existentiellen Sichtweisen des Autors Werner Korte eignen. Hermann Korte vermutet weiter, dass sich sein Vater „schon wegen des Jahres 1939" auf sich selbst zurückzog, nachdem er erst Professor und dann Lebenszeitbeamter geworden war: „Hierfür war er 1937 in die NSDAP eingetreten und wird sich auch sonst H. Korte, David und Johannes Fabricius .... David Fabricius (1564-1617) war Theologe und Pastor, nebenbei interessiert an Kartografie und astronomischer Forschung. Sein Sohn Johann Fabricius (1587-1616/17) publizierte 1611 eine wissenschaftliche Abhandlung über die Sonnenflecken. H. Korte, David und Johannes Fabricius..., 15. H. Korte, David und Johannes Fabricius..., 10. Die Gedichte liegen zusammen mit anderen Materialien aus seinem Nachlass seit 2012 im Universitätsarchiv Münster (Bestand 320) und wurden vom Verfasser des vorliegenden Aufsatzes gesichtet. H. Korte, David und Johannes Fabricius..., 11. r, in der einen oder anderen Weise mit dem Regime arrangiert haben. Hinzu kam, daß er wegen chronischer Migräneanfälle wehruntauglich war und es auch bleiben wollte. Er wird gewusst haben, ob er Grenzen überschritten hatte."83 Schließlich zitiert Hermann Korte aus dem Roman selbst, wo Werner Korte über den Protagonisten David Fabrici-us schreibt: „Er war jetzt 23 Jahre alt. Das Leben kam erst langsam, aber gefährlich auf einen zugeschlichen, man spürte plötzlich, dass man umstellt war; und irgendwo und irgendwann schnappte die Falle zu, die den meisten das Leben kostete und nur wenigen die Befreiung aus eigener Kraft erlaubte."84 Hermann Korte führt als Beleg für eine Distanzierung seines Vaters vom NS-Regime dessen Rückzug vom wissenschaftlichen Publizieren und eine Hinwendung zu Lyrik und Prosa an. Es ist eine sehr persönliche Sichtweise, die man dem Sohn zugestehen muss. Den Musikwissenschaftler Werner Korte wird man aber nicht am Rückzug vom musikwissenschaftlichen Schreiben und der Konzentration auf ein literarisches Werk während der Kriegsjahre messen. Die Bedeutung für das Fach kann man nur aus den musikwissenschaftlichen Schriften ableiten. Die Bewertung der Person muss einer umfangreicheren Betrachtung unterzogen werden. Eine Aufstellung der bislang überwiegend ungesichteten literarischen Schriften soll zu einer weiteren Beschäftigung mit dem schriftlichen Nachlass anregen und so zu einer vollständigeren Sichtweise der Person Werner Kortes führen. Liste zum Literarischen Werk von Hermann Korte im Universitätsarchiv Münster, Bestand 320 Roman Gerrit Holberg, Narr auf eigne Hand (Typoskript und diverse Manuskripte, 1944) Novellen Kleine Birke (Manuskript, 1940) Botschaft der Birke (Typoskript, undatiert [um 1943]) Kord Steveninck reitet (Manuskript 1943; Typoskript [um 1943]) Requiem (Manuskript und Notizen, 1945; Typoskript und Notizen, 1947) Willkommen und Abschied (Typoskript und Manuskript, 1944) Die alte Karte. Eine Erinnerung (Typoskript, o.D. [um 1945] Das Gesicht das starb (Manuskript und Typoskript 1948) Der Weg zurück (Manuskript und Notizen, o.D.) Requiem für Claudia (Unvollständiges Typoskript und Notizen, o.D.) Anderes Deutsche Messe. Eine Kantate (Typoskript, 1944) Christgeburtsspiel 1950 (Handschriftliche Skizze, 1949) Das westfälische Jahr (Gedichte, hand- und maschinenschriftlich 1941-1945) Rückblick. Sieben Sonette (Typoskript mit handschriftlichen Einfügungen, 1946) 83 Ebd. 84 H. Korte, David undJohannes Fabricius.. An Jahr und Tag. Vierzig Gedichte und eine Kantate (Typoskript, handschriftliche Gedichte, 1947) Gedichte An meine Frau, Regensonntag, Sommer bei Münster (1941) Abschied, Am Strande, An der Ems, Auf ein altes Bild, Die Dichter, Die große Liebende, Eberesche, Geheime Liebe, Herbstgarten, Herbsttag, Hünengrab, Meinem Vater, Neuer Frühling, Spätsommer, Sprache der Liebenden, Verschwiegene Liebe, Vor dem Gewitter (1942) Abendlied, Frühling (1943) Letzter Sommer, Selbstbildnis, Paradies auf Erden, Heimweh (1947) Entsagung, Herbstgefühl, Zweifelhaftes Glück (1949) Clemenswerth, Dies irae, Sylvester, Wolken im Herbst (ohne Datum) Gedichtentwürfe Abschied (1948) Auf einer Bank, Früher Herbst, Oktoberlied, Volkslied [1948] Durchwachte Nacht (1949) Erinnerung, Winternacht (1950) Herz ohne Gewähr [1950] ANHANG DOKUMENT 1 Archiv der Hochschule für Musik und Theater München, PA Blessinger (18.12.1947) Eidesstattliche Erklärung. Ich erkläre hiermit an Eidesstatt: Ich kenne Herrn Dr. Karl Blessinger seit 1920. Er war lange Jahre dem Nationalsozialismus ferne gestanden. Seinen Parteibeitritt glaube ich dahin erklären zu können, dass Blessinger sich beruflich zurückgesetzt gefühlt hat. Ich war bei der musikalischen Veranstaltung der Akademie am 21.3.1933 persönlich anwesend. Dr. Blessinger war damals im linken Seitengang des grossen Odeonssaales von einer grossen Anzahl SA-Leute umringt. Herr von Hausegger wurde damals von 2 SA-Lauten vom Podium heruntergeholt. Erst zu einem späteren Zeitpunkt erfuhr ich, dass die Störung schon früher geplant war. Gesprächsweise wurde mir erzählt, dass Herr v. Hausegger sich geweigert habe, das Horst Wessellied absingen zu lassen. Irgendwelche weiteren Beobachtungen anlässlich der Veranstaltung habe ich nicht gemacht. Ausdrücklich stelle ich fest, dass Dr. Blessinger in seiner Eigenschaft als Dozentenführer der Akademie der Tonkunst mich nie veranlasst hat der Partei, nicht einmal dem Dozentenbund beizutreten. Über kurze dienstliche Gespräche hinaus habe ich mit Dr. Blessinger nie mehr konferiert. München, den 18.Dezember 1947 [ms.] Dr. Heinrich Knappe Professor Dr. Heinrich Knappe. Ich selbst bin mit Dr. Blessinger weder verwandt noch verschwägert, war nie Pg. und bin vom Gesetz auf Grund des Spruchkammerbescheides München 5 vom 8.10.46 „nicht betroffen." DOKUMENT 2 Archiv der Hochschule für Musik und Theater München, PA Blessinger (04.05.1951) 4. Mai 1951 An das Bayer. Staatsministerium f. Unterricht und Kultus München 2 Tgb. Nr. 112 Betr.: Versorgung des ehemal. Prof. Dr. Karl Blessinger Bezug: VII 166674 v. 29.3.51 Zu o.a.ME nimmt die Direktion dar Staatlichen Hochschule für Musik wie folgt Stellung. Grundsätzlich hat die Hochschuldirektion nichts einzuwenden, wenn Lehrkräfte, die wegen Ihrer Zugehörigkeit zur NSDAP aus dem Lehrkörper der Musikhochschule ausscheiden mussten, nach ihrer Rehabilitierung wieder in den Verband dar Hochschule zurückkehren. Allein entscheidend soll allerdings die künstlerische Qualifikation sein, wenn nicht ein zu erwartendes Gesetz andere Bestimmungen aufstellt. Ein unbedingter Anspruch auf eine Wiederverwendung kann aber seitens der Hochschuldirektion in den Fällen, die nicht unter das Gesetz fallen, nicht anerkannt werden, namentlich, wenn das betreffende Unterrichtsfach durch eine bewährte Lehrkraft besetzt wurde und keine Veranlassung besteht, eine solche Lehrkraft zu entlassen. Wird eine Stelle im Lehrerkollegium frei, so sollen nach Ansicht der Hochschuldirektion diejenigen Lehrer, die früher im Lehrkörper der Hochschule tätig waren, das Vorrecht haben, d.h. sie sollen a priori als Bewerber akzeptiert werden. Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass diese Lehrkräfte auf der vom Präsidenten und Senat aufgestellten Kandidatenliste. die je nach Lehrfach 7 - 9 Namen enthalten soll, als vorberechtigte Bewerber eingesetzt werden und damit automatisch in eine engere Wahl kommen. Zum Fall des ehemaligen Professors der Akademie der Tonkunst - Hochschule für Musik - München, Dr. Karl B l e s s i n g e r teilt die Hochschuldirektion mit, dass aus den vorhandenen Aktennotizen der Personalakte Dr. Blessinger nicht hervorgeht, dass er ausschließlich wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP in seiner Stellung besondere Vorteile gegenüber anderen Lehrern der Hochschule gehabt hat und dass er lediglich aus diesem Grunde von der BesGr. H 2 zum Professor der BesGr. H 1 b befördert worden ist. Gegen eine Wiederverwendung Dr. Blessingers glaubt die Hochschuldirektion berechtigte Bedenken zu haben, da Dr. Blessinger sich in seinen Schriften und Buchveröffentlichungen zu einseitig ausgesprochen hat und seine Ansichten künstlerisch nicht haltbar sind. Was die Versorgungsansprüche Professor Dr. Blessingers betrifft, werden diese seitens der Direktion der Staatlichen Hochschule für Musik auf dar ganzen Linie weit-gehendst und wärmstens unterstützt. Die Direktion dar Staatlichen Hochschule für Musik [ms.] H 7/V. Präsident Povzetek Skoraj vsi nosilci muzikoloških nazivov na univerzah in visokih šolah v Nemčiji so se po letu 1945 lahko vrnili na svoja mesta. Razlogi, zakaj je nekdo lahko ostal na svojem mestu v muzikologiji, zakaj so nekateri lahko nadaljevali svoje delo potem, ko jih je vojaška vlada za kratek čas odstavila in zakaj so bili drugi za stalno odstavljeni, so zelo različni. V obdobju nacističnega režima sta muzikologa Karl Blessinger in Werner Korte v svojih esejih bolj ali manj polemično izrazila svojo naklonjenost omenjenemu političnemu sistemu. Medtem ko Blessinger zaradi svojega pisanja po letu 1945 ni bil več zaposlen na Visoki šoli za glasbo v Munch-nu, se je Univerza v Munstru močno zanimala za hitro rehabilitacijo Wernerja Korteja. Dejstvo, da je nekdo med vojno objavil le nekaj del, je bilo uporabljeno kot argument za njegovo nasprotovanje režimu. Heinrich Besseler je ta argument takoj po vojni uporabil zase. V primeru Wernerja Korterja ta argument za morebitno oddaljitev od vojnih dogodkov v svoji nedavni publikaciji daje njegov sin.