Cine Wallfahrt nach Jerusalem. Eine Wallfahrt nach Jerusalem. Bilder ohne Heiligenscheine von Moritz Dusch. Zweiter Wand. Leipzig, Verlag vun Fr. Will). Grunow. 1861. Diult «on C. M"olk kaun: gmug hat, seine Bloße zu bc-deckeu und seiuen Hunger zu stillen. Nicht, daß die hochwürdigen Herren gerade Untcrschleif trieben, sie stellen sich nur zn hoch über die Urbrigen nud berechnen sich darnach ihren Autheil. Alle Jahre gehen nach Europa nud Nordafrika von Jerusalem Sendboten, um Almoseu zu sammeln. Gewöhnlich siud dies junge Rabbiner, dcilrn man damit zu einigem Bermögcn verhelfen will. Sie erstehen ihre Beauftragnng uud Beglaubigung in einer Art Auction nud erhalten dafür und für chre Mühe bei der Rückkehr Uon der Almosmlese deu dritten Theil des Ergebnisses der Eollecte. Im Talmud heißt es! lieber sich mit Aasschiuden nähr«,, als von Almoscu leben — ein nobler Grundsatz, der abrr leider 11 von der großen Mehrzahl der jerusalcmer Verehrer dieses Buches verschmäht wird. Es gilt geradezu für vornehmer, sich von milden (Lilien zu erhalten. Die Statistik weist nach, daß kaum der zwanzigste Theil der israelitischen Bevölkerung wirklich arbeitet, und zicheu wir von der Gesammtzahl die Weiber, die Kinder nnd die durch Alter oder Krankheit Uufähigen ab, so kommt immer unr auf acht oder neun Bettler ein Arbeiter. Am meisten scheinen sich die Inden auch hier zum Handel hingezogen zu fühlen, doch nicht in dem Maß wie in Deutschland. Unter den Handwerken betreiben sie vorzüglich die Brauutweinbreuuerei nnd die Weinbereitnng. Demnächst sind die Schneider am stärksten vertreten, nach diesen die Schuster nud dir Tischler, daun die Bäcker, die ein schönes Weißbrot liefern, welches auch bei den Christen Gnade findet, dann gleich start die Posamentirer, Gotdarbeiter. Bnchbinder. Uhrmacher nnd Barbiere. Schmiede und Manrer, sowie andere Handwerker, deren Bcrnf einen bedeutenden Aufwand von Körperkraft erfordert, sind sehr selten unter ihnen. Die Trägen entschuldigen sich entweder mit dem Studium des Talmud, das im heiligen ^and allem Andern vorgehen müsse, oder mit dem heißen >tlima, welches teiue Arbeit gestatte. M ist aber ein anderer Gnind, dcr sn- nnfähig macht. Die jernsalemer Inden heirathen z>i früh. Unreife Mäunleiu von dreizehn, höchstens sechzehn Jahren werden Weiblein angetraut, die iu noch zartcrem Alter stehen, und die Folge ist cm kraftloses Geschlecht, das iu mauchen seiuer ^remplare zu viel Mühe hat, sich bei der Hitze auf den Beinen ;n erhalten, nm daran deutelt zn können, anch die Hände zu gebrauche«. Audcre hindert das Klima nicht an der Arbeit, nud es ist bei der hohcu ^age Jerusalems und bei dem im Sommer fast jeden Nachmittag webenden Westwiud überhaupt uicht viel heißer als in Mitteleuropa, da das Thermometer selten und unr bei Scirocco mehr als 28 Grad im Schatten zeigt. Trotz der Schwächlichkeit der jüdischen Kinder nud ibrer ___12 damit verbundenen großen Sterblichkeit ist das Volt Israel in Jerusalem ziemlich rasch gewachsen. Zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts zählte man nur etwa fünfhundert Juden in der Stadt, jetzt wähnen hier mehr als zehnmal so viele. Die Ursache davon ist in der Einwanderung zn suchen, die in manchen Jahren außerordentlich start war. Selten geschieht es, daß jüdische Pilger nach ihrer heiligen Stadt wallfahrten und sie wieder verlassen. Die meisten kommen, um hier zu sterben, und wie übel es ihnen auch ergehen mag, dennoch fühlen sie sich glücklich Seheu sie doch alltäglich deu heiligen Tempelhügel ,md die Stätte, wo die Burg Davids staud. Sind sie doch hier erst in ihrer wahren Heimath. Nnd daun wissen sie ja, daß dem Leibe, der hier begraben wird im Thal Iosaphat, kein Wnnn nahen darf, und daß die Strafengel, welche nach der Grablegnng sich einstellen, um den Todten für die auf Erden begangenen Sünden zn peinigen, hier tciuen Zutritt zu den Särgen haben. Eudlich erspareu sie sich, wie ihre Chachamim lehren, durch die bei Lebzeiten unternommeue Reise zum Ort der allgemeine« Auferstehung die mühselige unterirdische, die sie, wenn die Posaune des Gerichts schallt, antreten müßten. Alles, wie man sieht, mehr oder minder praktische Beweggründe, lind noch praktischer ist der folgende. Niemand weiß genau, wann Meschiach tommen wird. Nur das ist sicher, daß er hier erscheint, und wie, wenn mau daun zu spät aulangte? wenn die Schätze des dann nnfspriugenden Zionsberges, nnter dessen Rinde das Herz der Erde mit seinem Gold uud Silber, seinen Edelsteinen und seinem Balsam liegt, bei Ankunft des säumig gewesenen Erben schon vertheilt wären? Eine der Tugenden, welche die hebräische Naee auszeichnet, wird auch den hiesigen Juden vou Einigen nachgerühmte eheliche Treue und Familiensinn. Wie sichs damit reimt, daß sie ihre Ehen sehr häufig scheideu und daß unter andern eine von den protestantischen Missionären eine Zeitlaug erzogene, bei meiner Anwesenheit erst achtzehnjährige Jüdin bereits Strohwittwe des dritten Mannes war, ^ 13^ weiß ich nicht zu erklären. Ferner tonnucn uuter einem Theil der israelitischen Einwohner Jerusalems Doppelehen uur. Die Scpharcdini erkennen das im zwölften Jahrhundert unsrer Rechnung gegebene Gesetz Nabbi Gerschous, welches die Vielniciberei der ältern Periode abschaffte, nicht an, Es ist ihnen ssestattet, wenn die erste Frau kinderlos bleibt oder nur Mädchen gebiert, zu gleicher Zeit eine zweite zu uchmen. Da die erste aber dann verlangen kann, daß man der Nebenfrau einen besondern Haushalt einrichte, und dies mit beträchtlichst Kosten verknüpft ist, so wird die Erlaubnis; nicht oft benntzt, uud man zählt jetzt unter den jernsalemer Juden nur fünf, welche in Polygamie leben. Die Türken und Araber verachten die Juden aufs äußerste. Weun kein Schimpfwort einen Phlegmatiker in Harnisch bringt, auf den Namen „Iahudi" ist er sofort auf den Beinen, um sich mit Faustschlägcn uud Fußtritte« zu rächen. Anch die Griechen lassen keine Gelegenheit vorüber, dieses Bolt, „das den Heiland gekreuzigt", mit Spott und und oft tann man hier wie anderwärts im Orient das Märchen wieder auftischen hören, die linder Israel büken ihre Oster-mazzen mit dem Blut von Ehristcukindern. Wie die englische Mission auf dem Zion m das Gegentheil folcher Uugebühr verfiel, die Juden geradezu hätschelte, sie als das erkorene Bolt ansah, sich ihnen nach Möglichkeit anbequemte, soll später ausgeführt werden. Die Karaim, eine Art jüdischer Protestanten, msoferu sie nur die Thora sammt den Nebiim nnd Ketubim anerkennen, den Talmud venvcrsen, sind in Jerusalem jetzt nur durch ungefähr ein halb Tntzeud Köpfe vertreten. Ihre Synagoge vermochte ich, da niemand wissen wollte, wo sie sei, nicht zu finden. Sie heißen von ihren: Stifter Anau Ibu Dand, der in der Mitte des achten Jahrhunderts zu Bagdad lebte, anch Ananitcn, Der Haupsitz der Sekte ist jetzt in der Krim, und mau rühmt ihr das Gegentheil der gewöhnlichen jüdischen Charakter-mangel nach. 14 Ein Zwitterding zwischen Juden und Christen sind die sogenannten Amcnitcn, eine Sekte, die vor einigen Jahren in Dentsch-land — ich glaube im Würtem bergischen — entstand und im Herbst 1858, ihren Propheten, den getauften Juden Samuel Pick an der Spitze, in Jerusalem anlangte. ^) Sie lehren in der Hauptsache, daß man statt des Sonntags den Sabbath zu feieru habe. daß das ganze Gesetz gehalten werden müsse, verwerfen den Talmud, aber auch die paulinischeu Briefe uud meinen, daß die Wiederkunft Christi nahe sei. Pick ist einer der verhcißnen Zeugen, welche der Paruste vorangehen sollen. Die Sekte versuchte anfänglich die protestantische Gemeinde der Zionskirche von der Wahrheit dieses ncueu Evangeliums zn überzeugeu, und als das mißlaug, machte sie sich an die Rabbiner, mit denen ihr Führer, ein keineswegs talentloser und im Talmud sowie im Alten Testament wohlbewanderter Kopf, wiederholt disputirte. Indeß waren auch hier keine Proselytcn zu gewinnen, und so brach der Prophet nach dem Gebirge am Todten Meer auf, wie Einige behaupten, um mit dort sich aufhaltenden Engeln Rücksprache über sein weiteres Verhalten zu nehmen, nach andern Berichten, nm den Vcdmnen als dem „Bolt Moab" seine Lehre vorzutragen. Dort ist er verschwunden. Vermuthlich schlugen ihn die Räuber des Iordanthales todt, vielleicht ist er, von diesen ausgeplündert, ill einem Wüstenwadi verschmachtet. Seine Anhänger, aus ungefähr einem Dutzend dentschrn Kleinbürgern bestehend, hofften im Frühjahr 1859 uoch auf feine Wiederkehr. Doch schienen sich schon mehre überzeugt zu haben, daß ihr Vorhaben, hier ein Nenifrael zn gründen, als gescheitert anzusehen war, nnd einen sah ich bereits am protestantischen Gottesdienst theilnehmm. Von den christlichen Sekten spielen die Kopten und die Abyssinier eine ganz untergeordnete Rolle. Die ersteren, welche ') Eine ähnliche Scltt bestand 1852 und besteht vicllncht noch jctzt m Nordamerika unter dem Namen dil-ist-Israelite, 15 eine Gemeinde von ziemlich hundert Seelen bilden, habcn cm Kloster in der Straße Akbet El Chader. die letzteren, etwa zwanzig Köpfe stark, besitzen ein kleines ärmliches Kloster an der Ostseitc der Gwbcskirche. Beide sind Iakobschristen und Monophysiten. Ebenfalls nur schwach vertreten sind die Syrer, die gleichermaßen zu den Iakobiten zählen. Nach dem Untergang des Kreuzritterkönigthums waren sie lange Zeit hindurch die einzigen Träger der Ueberlieferungen von den heiligen Orten. Sie erfreuten sich im Mittelaltcr keines empfehlenden Nufcs, da sie als feig, doppelzüngig, tückisch, geizig und raubsüchtig galten. Gegenwärtig sagt man ihnen keine dieser Eigenschaften nach, aber ihr Christenthum dürfte noch tiefer stehen, als das der übrigen orientalischen Kirchen, und die Bildung, die ihre Priester besitzen, erstreckt sich nicht über das Lesenkönucn ihrer Meß- und Evan-gclienbüchcr hinaus. Die mächtigeren Sekten bedrücken und bcinträchtigen sie mit den Türken um die Wette, und vergeblich bittet ihr Matran oder Bischof alljährlich vor Weihnachten den Himmel nm Vesserwerden der Pilgerzuwanderung, von der er großcntheils lebt. Der preußische Consul hatte die Güte, mich zu riuem Besuch bei dem guten alten Herrn mitzunehmen, den ich als charakteristisch für die Art und Weife, in der diese orimtalifchen Christen denken uud leben, mittheilen will. Dm Kawasscn mit seinem Tamlwurmaiorstab voran, wanderten wir. der Consul, sein Dragoman. Maler Haak und ich, hinauf durch die Gassen au der Ostseite des Zion nach dem Kloster, in welchem der Bischof wohnt. Dasselbe ist wie die gewöhnlichen Häuser Jerusalems gebaut und mit einer kleiucn Kirche vcrbuudcu. Eiue Reise, die der Bischof vor einiger Zeit zu den Thomaschristen auf der Pfefferküste unternahm, nnd bei welcher er mehre Jahre wegblieb, hatte ihm fo reichliche Unterstützungen eingebracht, daß er die Ertragsfähigkeit der mit dem Kloster in Verbindung stehenden Pilgerhcrbcrgc durch verschiedene Neubauten zu erhöhen ucrmochte. Intriguen des Baschkiatib, 16___ darauf berechnet, ihn« das nnter den indischen Glaubensbrüdern absammelte Geld zu verkümmern, wußte Consul Rosen zu durchkreuzen. Daher die Bekanntschaft. Wir trafen den würdigen Scelenhirtcn in einem kleinen halbdunteln Gemach im ersten Stock, welches nur durch die Thür und ein winziges Fcnsterchen in der dicken Wand ^icht erhielt. Ein anderes Fenster ließ in die Kirche hinabschauen. Das ganze Hausgeräth im Zimmerchen bestand in einer .Kiste, einigen Decken nnd Teppichen, einer kleinen ^ampe, drei einfachen europäischen Strohstühlen und drei in der Ecke lehnenden Tschibbnkö, In einem Winkel lagen etliche brauneingebuudcne, sehr abgerissene Folianten und Quart-bäudc am Boden, ^on einem Tisch, einem Vorhang, einem Divan war nicht die siede. Der Bischof, ein schöner kräftiger Greis mit einem ungewöhnlich großen Gesicht, prächtigen orientalischen Augen nnd einem langen grauen Vart, saß in der Tracht des Landes, einem braunen Pelz, Jacke nnd Pumphosen von derselben Farbe, ein^r bunten Veibbinde und einem schwarzen Turban mit untergeschlagneu Beinen auf einem Hänfen von Teppichen, Nachdem wir ihm in der gebräuchlichen Weise die Hand geküßt, was cr mit dem gewöhnlichen morgenländifchen (sruß. durch Berührung von Brust, Mund und Stirn erwiderte, winkte er uns uicderzusitzen, und ein in einfache blaue Bmuw wolle gekleideter Diatou brachte uns erst dic Besnchspfeifen, dann aus eiuem schon sehr gebrauchten Thecbret einige Maser Mastirbranntwrin nnd eiueu Teller mit siißcm Gele, zuletzt Kaffee. Ter Tiakon ging barfuß umher. Für den Dragoman war kein Stnhl nnd keine Pfeife vorhanden. Alles trug den (Charakter auflandiger Aermlichkeit. Nachdem wir ein Weilchen still gesessen, began» der Bischof das Gespräch in türkischer Sprache, die er im weitcrn Bcrlmif mit der arabischen vertanschte. Der Consul stellte uns vor und hatte die Gefälligkeit, nns den Inhalt der Unterhaltung zn übersetzen. Der alte Herr im schwarzen Turban hatte st'hr intelligente Züge. In der That, ein Maler, der eines morgenländi- 17 fchm Weism bedarf, hätte unbedenklich sein Gesicht abconter-feien können. Die Gegenstände aber, über die er sich zunächst vernehmen ließ, und von denen ich vermuthen möchte, daß sie ihn am meisten intcressirtcn, waren sehr gewöhnlicher Art. Er sprach vom hohen Preis der Holzkohlen, von den Kosten des Bauholzes, don den Fortschritten seines Baues, der Zahl der HadschiS, die er jetzt unterbringen könne. Interessanter wurde er, als der Consul ihn auf seine indische Neisc brachte, welche er, von seinem Standpunkt mit Recht, für eine halbe Wunderthat zu halten schien, und über die er mit einer Naivetät wie etwa cm deutscher Handwcrtsbursche über einen Ausflug nach der Türkei oder ein mittelalterlicher Tourist über seine Fahrten im Morgenland berichtete. So hatte er von seinen Leuten in Travankore von Schlangen gehört „mit Köpfen so groß wie die Kiste dort im Gemach," So hatte er ferner Bäume gesehen, «so dick, um Kähne daraus zu machen, in die ein erwachsener Manu sich der Quer hätte legen können," andere, „die man durch kein Thor in El Kods hätte bringen können." Wunderbar klang, was er von der Menge der Tiger, der wilden und zahmen Elephanten und von den Zuständen und Sitten des Volkes in Indien erzählte. Doch sprach er offenbar als Gläubiger. Er hatte seine Neise in syrischer Sprache beschrieben — sicher ein Opus, welches eine Uebersetzung verdiente — ja, er hatte sie auch abmalen wollen, doch hatte ihm — Gott sei Dank! setzte er hinzu — ein Anderer die Mühe abgenommen. Ans einen Wink von ihm brachte der Diakon eine Nolle herbei, auf welcher der Paradezug des Bischofs vom Hafen nach der Kirche eines malabarischcn Christenstädtchens dargestellt war. Es war ein äußerst kindliches Gemälde, höchst genau in den Farben und der Zahl der bei der Procession bethätigt gewesenen Personen, hin und wieder mit einem Anflug von Porträtirung, aber ohne Ahnung von Perspective. Dann wurden uns indische Kirchenbücher auf Palmenblätter geschrieben, das Iustrumcnt, womit sie eingeritzt worden, ferner ein kleines hübsch geschnitztes Busch, Wallfahrt nach I«usawn. II, 2 ___ 18^ Elephantenbild, „woraus wir erkennen sollten, wie Elephanten aussähen," nnd zum Schluß ein außerordentlich fein geschriebenes syrisches Neues Testament gezeigt, das in seiner Silberkapsel auf den ersten Vlick mit einer kleinen Schnupftabaksdose verwechselt werden konnte. Ehe wir uns verabschiedeten, geleitete uns der Vischos in die Kirche, um uns den Ort zu zeigen, wo der heilige Iakobns, nach dem Tode des Heilands zmn Borsteher der Apostel erwählt, zum ersten Mal der Communion präsidirt hatte. „Petrus buk dabei das Vrot," bemerkte unser Führer. Die Kirche ist im Vergleich mit andern dürftig, ihre zahlreichen Bilder sind noch greller nnd plumper als die der Grabeskirche. Besondere Verehrung erweist man einem heiligen Georg mit einem grasgrünen Drachen. Nuch höheren Ansehens schien sich eine sehr dunkle Mutter Gottes zu ersrenen, die der Evangelist Lnkas gemalt hatte. Beide Heilige haben um den Kopf Glorien ans Silber in der Form von Halbmonden oder richtiger, da sie über die Fläche der Leinwand mehre Linien hoch heransschwellcn, von halleschen Martinshörnchcn. Das Gegentheil von dieser bescheidenen, nahezu ärmlichen Vischofswohnung sahen wir beim armenischen Patriarchen, zu dem wir uns von hier begaben. Derselbe wohnt 'in einem Palast, welcher mit dem Iakobuskloster verbuuden ist. Man führte uns über verschiedene Gänge nnd Treppen in eine schöne hochgcwölbte Halle, die recht wohl zum Audienzsaal eines tkiuen Fürsten hätte dienen können. Wände und Decken waren mit Stuckatur geschmückt, der Fußboden mit Marmor getäfelt, die Fenster mit europäischen Gardinen verhangen und außen mit jenem hübsch gemustertcu Eisengitterwerk verwahrt, in dessm Verfertigung die Armenier sich auszcichuen. In der Mitte des Saales standen Tische mit Blumen in Vasen. An einem Theil der Wand liefen Divane herum, und an der andern Seite hingen Lithographien rnssischcr Staatsmänner, vermuthlich früherer Gouverneure von Transkaukasien, wo in Etschmiadsin der 19 Papst der armenischen Kirche rcsidirt. Der Patriarch, wahrscheinlich beim Mittagsschläfchen, ließ uns geranme Zeit warten. Inzwischen unterhielt uns ein anderer höherer Kleriker, und ein dienender Mönch brachte uns kostbare Iasminpfeifen mit vergoldeten Untersetzern nnd auf einem großen silbernen Präsentir-bret „Glyko", d, h. Cedrat-Confiture und geschliffne Gläschen mit dein uuausbleiblichen Maschschnäpschen, welches der griechische Volkswitz ^c> /ü).« r«v ?ia?ice^w^ Pfafseunnlch nennt. Endlich kam auch der Patriarch, ein freundlicher wohlgenährter Herr mit klugen Augen und einem sehr sinnlichen Mnnde, Er trug einen lichtgrauen Pelz und darunter einen etwas dunkleren Kaftan, den ein röthlichbranner Gürtel zusammenhielt. An den Füßen hatte er dunkelblaue Sammetpantosfeln, den Kopf bedeckte eine sammtcne Bischofsmütze halb schwarz halb blau. Den kleinen Finger der rechten Hand schmückte ein Ning mit einem großen grünen Stein, der cm Smaragd zu sein schien. Er unterhielt sich mit dem Consul in türkischer Sprache über Stadtnmigteiten. die Pilger nnd besonders über Politik, über deren brennende Fragen er ziemlich gut unterrichtet zn sein schien, Bon Rußland sprach er mit Abneigung, dagegen erklärte er sich jedesmal zü freuen, wenn ihn ein Prenße besuche, was wir für aufrichtig gemeint und auf moralischen Gründen beruhend halten wollen. Das Erscheinen des Kaffees gab endlich das Zeichen, daß wir entlassen seien. Wir sahen uns nun das Kloster au, ein Labyrinth von Höfen, Terrassen, Freitreppen, Gangen und Kuppeln, in welchem gegen hundert Mönche wohnen und mehr als zweitanscnd Pilger Unterkunft finden, und ließen uns dann die Kirche ausschließen, die an Pracht mit dem Griechenchor in der Grabcökirche wetteifert. Die Wände des Schiffs sind von unten bis auf Mannshöhe mit blanglasirten gemusterten Ziegeln oder Kacheln belegt. Darüber lanfen Reihen von Bildern hin. welche Scenen aus den Zeiten der Christenverfolgungcn, geköpfte, zerhackte und mit Pfeilen erschossene Märtyrer u. f. w. darstellen. Zn beiden 20 Seiten des Chors, welches in armenischen Kirchen niemals wie das Heiligthum in griechischen durch eine Ikonoswsis abgeschlossen ist, stehen bunt und voll Goldschmuck die Gestalten der Patriarchen, welche der Kirche bis jetzt präsidirten: Iakobus, Simon, Justus u. s. f. mit langen Bärten, Schlangenstäben und zur Segnung aufgehobnen Händen. Der Altar flimmert von Gold-und Silberschmuck. Von der Decke hängen zahlreiche Lampen und Strausicncier herab, und auf mächtigen Kandelabern ragen dick wie Säulen bemalte Wachskerzen empor. Zwischen Schiff und Chor steht ein vergoldeter Thronsessel mit einem reichverzierten Baldachin, vor dem eine ewige ^ampe brennt. Auf ihm sitzt, unsichtbar allerdings, aber dem Glauben sicher, der heilige Iaeobus. Daneben steht cm nicht viel weniger prächtiger Stuhl für seinen hiesigen Stellvertreter, den Patriarchen, Auch hier fiuden sich schöne Arbeiten der armenischen Gitterschmiede, Noch bcwundcruswerther aber sind die eingelegten, mit elegantesten Mustern von Perlmutter- und Schildkrotmosait übertleideten Thüren, welche in das Grab des heiligen Iakobus sowie in die Schatzkammer des Klosters führen. Die Masse von golduen und silbernen Zierrathen, Bischofsstäben, Gewändern und kirchlichen Gefäßen, die hier aufbewahrt wird, um die Ostcrvrocession zu mehrer Erbauung der Pilger zu schmücken, soll emeu Werth von mehr als einer Million Piaster haben. Der Patriarch ist nicht das Oberhaupt seiner Kirche, sondern steht unter dem Katholikos von Siö, der seinerseits wieder nur der oberste Geistliche der im Neich der Pforte angesiedelten Armenier ist. Als höchste Stuft gilt die Würde des Katholikos von Etschmiadsin in Armenien, der allein das Necht hat, Bischöfe zu salben. Die Zahl der in Jerusalem ansässigen Armenier wurde mir auf circa sechshundert angegeben. Um die Osterzeit mögen in guten Jahren wohl fünfmal so viele hier versammelt sein. Sie nähren sich von Handwerken, Tagclohnerarbeit nnd Handel. Einige sind Bankiers, einige Dragomane bei den Consulate«. ___2^ Fast alle sind thätige, rührige Leute, viele gelten für ungewöhnlich schlau und gerieben. Früher waren die meisten sehr arm, aber schon seit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gelangte die Gemeinde zu Wohlstand, und jetzt sind mehre ihrer Glieder sogar reich zu nennen. Die Geistlichen sollen einen fast unbeschränkten Einfluß auf die Laien ausüben. Ihr Verhältniß zu den übrigen Rcligionsparteien ist im Allgemeinen ein friedliches, und namentlich stehen sie mit den Protestanten auf gutem Fuß. Die mächtigste, zahlreichste und wohlhabendste Partei sind in Jerusalem ohne Frage die Griechen. Sie sind schon seit Jahrhunderten hier stark vertreten, aber erst seit den dreißiger Jahren gesellte sich zu der großen Kopfzahl allmählig auch der Reichthum an Mitteln, mit denen sie heutzutage fortwähreud neues Terrain erwerben und die übrigen Kirchen mehr und mehr einengen. Allcnthall'm. wo sich Gelegenheit findet, machen sie Ankäufe von Grund und Boden, erweitern und verschönern sie ihre Klöster und Häuser, und wo man außerhalb der Thore eine neue Pflanzung von Ocl- und Maulbcerbäumcn sieht, erfährt man iu neun Fällen von zehn, daß sie von Angehörigen der orthodoxen Kirche angelegt worden ist. Beliebt scheinen sie in Jerusalem nirgends zu sein, und mag bei dieser Stimmung auch ein wenig Neid mit unterlaufen, der Hauptgrund der Abneigung gegen sie liegt jedenfalls in ihrem eignen Haß gegen Andersgläubige nnd in ihrem Bestreben, auf jede Weise die heiligen Orte ganz für sich zu erwerben, außerdem aber in ihrem Hochmuth, ihrem Geiz und ihrem verschmitzten treulosen Wesen. Sie sind zum Theil Handwerker, zum Theil Handelsleute. Wie in Polen und Rumänien der Schnapöschank in den Händen der Inden ist, so befindet er sich hier zu Lande sammt dem Weinverkanf in den Händen der Griechen. Der Nationalität nach sind die Orthodoxen theils arabische Eingeborene, theils Hellenen aus Griechenland und den türkischen Provinzen, theils Russen, von denen ich ausführlicher reden 22 muß. Die Wallfahrten nach Palästina sind eine im russischen Volksleben tief eingewurzelte Sitte. Trotz ihrcr nationalen Be-dcntung kümniertc sich die Regierung in Petersburg früher wenig um sie, und bis vor einigen Jahren konnte es geschehen, daß der hier ankommende mostowitische Pilger von den Türken wie ein Na^al) behandelt und sogar gegm die Perträge zur Entrichtung einer Wallfahrerabgabe genöthigt wurde. Czar Nikolaus mar kein berliner Nomantiker, er fah lncht ein, weshalb Jerusalem ein Consulat haben solle. Er war außerdem durch seine Gc-ncralconsuln in Beirut zu gut über die griechische Geistlichkeit im gelobten Lande unterrichtet, als daß er nicht hätte befürchten müssen, es werde zwischen einem Vertreter Rußlands daselbst und jenem Klerus über kurz oder lang zu Zerwürfnissen kommen. Die Behandlung der russischen Pilger in den griechischen Klöstern Palästinas war so himmelschreiender Art, daß ein Repräfeniant ihrer Nationalität sich unmöglich taub dagegen hätte verhalten können, ohne dem Ruf seiner Negierung oder seinem eignen zu schaden. Er hätte aber dann gegen das Patriarchat, das Haupt jener Master, energisch einschreiten müssen, und an einem solchen Borgern war der russischen Politik nichts gelegen. Die griechische Geistlichkeit hatte ein Aussaugungssystem der Pilger eingerichtet, welches unerhört, grcuelhaft, niederträchtig war. aber man dürfte es aus Gründen höherer Staatsraison nicht mit ihr verderben. Eine Probe der Methode, mit welcher der gedachte Klerus den Pilgern ihr Geld entlockt, nnd zugleich der Art, wie er die Religion auffaßt, erzählte Dr. Rosen. Er traf in Nablus einen griechischen Archünandriten. der ein Pferd suchte, das ihm dorthin entführt worden, und der, da man ihm Hoffnung gemacht, das gestohlene Thier bald wieder zu erlangen, ungewöhnlich gut gelaunt und mittheilsam war, „Wissen Sie wohl", fragte er Rosen, „wie ich zu dem Gaul gekommen? Der Erzbischof von Petra hatte mich während der Pilgerzeit zum Vorsteher des Klosters in Jerusalem ernannt, wo die Ankömmlinge am ersten Abend auf Kosten des Patriarchats ^3___ gespeist werden. Die milden Gaben, die nach dieser Speisung von den frommen Fremdlingen für die Kirche gesammelt werden, sind für unsre Geistlichkeit eine nicht geringe Einnahme. Diese hatte in den letzten Jahren der Erwartung nicht entsprochen, und es hieß, der frühere Präsident habe einen Theil der Gelder unterschlagen. Ich faßte die Sache verständiger an. Vor allen Dingen gab ich den Leuten besseres Essen, als sie vorher erhalten, dann aber ließ ich ihnen Branntwein einscheuten, dem sie natürlich wacker zusprachen. War ihr Herz darüber guter Dinge geworden, so ging der Collctteuteller herum, nnd siehe da, der Erfolg war erstaunlich. Da ich nun, wie sich von selbst versteht, in Ablieferung der Gelder sehr gewissenhaft verfnhr, so erfreute ich deu Erzbifchof dermaßen, daß er mir ein Präsent vou fünfzig Namen machte, aus deren Erlös ich die Stute kaufte." „Namen?" fragte Rosen, „Nuu ja. Namen!" sagte der Archimaudrit. „Es tonnen ^ch nicht alle Leute nach Jerusalem pilgern; oft steuern sogar mehre Familien zusammen, um nur eiueu Wallfahrer ci uns im Muster anzubringen; denn felig werden möchte i" jcdev gern. Das giebt dann cm Feilschen auf und ab, bis man Handels einig wird. Solcher Namen hatte ich mm fünfzig Stück bekommen, und ich habe sie nicht eben fchlecht verwerthet." Dieser Archimaudrit aber, der die mundeten Pilger betrunken macht, um ihnen Geld sür die Kirche zu eutlockm, uud den die Kirche in Gestalt eines Erzbischofs dafür mit der Befugniß belohnt, für weiteres Geld fünfzig Sünderscelen in die Listen der ewigen Seligkeit einzutragen, gouicßt, wie Roseu, ein gründlicher Kenner der Verhältnisse, bemerkte, in Jerusalem des besten Rufes. Er ist uuter sciucs Gleichen eiu besonders tugendhafter Charakter, sein Verfahren noch lauge nicht die schlimmste der Usanzcu. die das Verhalten der orthodoxen Heils- ^24 Verkäufer gegen die andächtigen Hadschis regeln, und mehr als einmal ist es geschehen, daß die Herzlosigkeit dieser Kaufleute in Priestertalar und Bischofsmütze, von der durch Branntwein gesteigerten Schwärmerei der rnssischm Mujiks Burtheil ziehend, denselben unter dem Versprechen paradiesischer Belohnung ihre sämmtlichen Reifemittel abgeschwindelt und dann die armen Schwachköpfc hülflos zur Thür hinausgestoßen hat. Daß die geistigen Bedürfnisse der russischen Hadschis bei der griechischen Geistlichkeit wenig oder gar nicht beachtet wurden, versteht sich von selbst. Jener Klerus verstand kein Russisch, der Mujik kein Griechisch. Er kam unr, um die Reliquien zu küssen, sich heiliges Feuer zu holeu und die Klöster zu bereichern. Die Petersburger Negierung ließ das seinen Gang gehen. Anders die Synode. Dieselbe sandte vor einigen Jahren in der Person des Archimandrite« Porphyrius eine Art geistlichen Consuls nach Jerusalem mit dem Auftrag, einerseits die Secl-forge der russischen Pilger zu übernehmen, andrerseits sich bei der Leitung der kirchlichen Angelegenheiten derart zu betheiligen, daß die schreiendsten Mißbrauche abgestellt würden. Mit dieser Mission brach der Kampf zwischen dem russischen nnd dem griechischen Theil der orthodoxen Kirche, den die Petersburger Regierimg so eifrig vermieden, sofort ans, zuerst als ein stilles Miniren, dann offen und lant. Porphyrius galt deu Griechen als Spion und Eindringling, man gestattete ihm fo gut wie gar keinen Einfluß, setzte ihn wo nur immer möglich zurück und verkehrte mit ihm nur so viel man mnßte. Er seinerseits bewirkte dnrch seine Berichte an die russische Synode, daß diese beim Patriarchat auf verschiedene Reformen drang und namentlich die Errichtung von Schnlen forderte, weniger wol wegen des Nutzeus solcher Anstalten für die heranwachsende Generation, als um den römischkatholischen und protestantischen Missionären nicht nachzustehen, die ans diesem Wege Propaganda machten. Durch die Synode zu Ausgaben veranlaßt zu sein, war für das Patriarchat, ____25^ das sich als einzig berechtigten Verwalter des Kirchengntes nnd der von den Rechtgläubigen nach dem-heiligen Lande fließenden Spenden betrachtete, sicherlich bitter, zu Ausgaben für Schulen aufgefordert zu sein, geradezu widerlich. Indeß die Synode drohte mit Zurückhaltung der russischen Collectcn, eiuer der wichtigsten Einnahmequellen des Patriarchats, und so mußte sich dieses wol fügen. Die Schulen waren nicht besonders, die meisten sogar schlecht. Aber die Synode hatte ihren Willen durchgesetzt und ging mm, dadurch ermuthigt, zu einer weiteren Forderung über. Da das Patriarchat trotz wiederholter Vorstellungen seine Prellerei der russischen Pilger fortsetzte, so verlangte die Synode, daß man ihr zwei ehemals georgische, jetzt im Vcsitz des Patriarchats befindliche Klöster zur Beherbergung ihrer Wallfahrer abtrete. Sie gründete ihren Anspruch erstens darauf, daß Nußland durch Eroberung Transkaukasieus Erbe uud Vertreter der Rechte Georgiens geworden, daun darauf, daß die Erweiterung des Grundbesitzes der orthodoreu Kirche in Palästina vorzüglich mit russischen Mitteln bewerkstelligt worden sei. Der griechische Klerus erklärte sich entschieden gegen dieses Verlangen, welches ihn sogar in dem Besitz des Kalvarienberges bedrohte, der gleichfalls zur georgischen Erbschaft gehört hatte. Nicht dem Patriarchat, so hieß es, sondern der gesammten rechtgläubigen Christenheit gehöre das jerusalemer Kirchengut. Dieser sei das hier beanspruchte Eigenthum der Georgier anheimgefallen, für diese, nicht ans russischen Mitteln, sondern aus dem Almoseuschatz Christi, der später hiuzugetummeue Besitz erworben wordeu. Der Patriarch könne folglich zu niemandes Gunsten von diesem Eigenthum etwas abtreten, er habe es nur im Namen der Christenheit zu Gunsten der heiligen Stätten zu verwalten. Dabei blieb man, und selbst die früher erfolgreiche Drohung, die Synode werde die russische Collecte zurückhalten, blieb diesmal ohne Wirkung. Nach laugen Verhandlungen brachten es die Russen nur zu einem Compromiß, in welchem sie ihre For- 26 derung aufgaben und dafür das Recht erwarben, auf griechischem Grund und Boden zn Jerusalem für dm Delegate:: ihrer Syu-ode einen Palast zu erbauen. Noch war dieser Bau nicht vollendet, als der orientalische Krieg ausbrach und alle im türki scheu Reich sich aufhaltenden Russen über die Grenze gewiesen wnrdeu. Daß auch Porphy-rius, ein in klösterlicher Abgeschiedenheit lebender, zur Politik nicht in Beziehung stehender Mauu, von dieser Maßregel betroffen wurde, verdankte er feinen gnechifchen Amtsbrüdcrn. Während des Kampfes zwischen dein Czar uud dem Sultan stand die hohe griechische Geistlichkeit in der Türkei ganz auf Seiten des letztereu, der ihr einmal beqnemer war, als jener; doch tonnte ihr an einer gründlichen Demüthigung der glau-bensverwaudten Macht, die ihre Interessen zwar von fern schwer bedrohte, sie aber doch auch oft geschützt hatte, nichts liegen, und fo war man ziemlich vergnügt, als der Friedeu Rußland nur erschüttert, nicht ohnmächtig geschlagen aus dem Conflict loste. Die günstige Stimmung für Rußland sollte indeß nicht lange währen. Es suchte allenthalben die verlorenen Positionen wieder zu gewinnen, und es warf feine Blicke mehr wie je vorher auf das Mittelmeer. An die Stelle der im Hafen Scbastopols versenkten Kriegsschiffe trat rafch eine Flotte großer Handelsdampfer, welche in den Häfen der Levante der westländischeu Rhederei Concurrcuz machte. Diese Schiffe führteu dem gelobten Laudc nie gesehene Massen von Pilgern aller Stande zu. Außerdem aber wurde der augefangm Palast des Telegaten der russi« scheu Synode vollendet, und man vernahm im griechischen Patriarchat mit nichts weniger als gelindem Schauder, daß es sich jetzt in Petersburg nicht mehr blos um eiuen eiuzelneu in der heiligen Stadt anzusiedelnden Prälaten, sondern um eine ganze geistliche Mission mit einem Bischof an der Spitze handele, daß man für die russischen Pilger russische Klosterhcrbergen und Spitäler und sogar eine Kirche zu erbauen gedenke, in der sie ____27___ ihre Seelen au dem gewohnten „Gospodi pomilni" erquicken könnten. Und es verhielt sich wirtlich so. Um den großartigen Plan durchzuführen wnrdc nnter den Auspiäen Großfürst Konstantins eine Collectc veranstaltet, die im Verlanf eines Jahres die gewaltige Summe von fast anderthalb Millionen Silberrubeln ergab. Man fand in dem Inspector der geistlichen Akademie zu Petersburg, einem jungen Mann, der sich bei angenehmem Aeu-ßern ebensowol durch kirchliche Gelehrsamkeit wie dnrch feine gesellschaftliche Formen auszeichnete, die geeignete Persönlichkeit für den neuen Bischofssitz, und noch vor Ostern 1858 erschien der Genannte mit einem Gefolge von Diakonen nnd Chorsängern und eskortirt von den russischen Consnlarchargeu Syriens in der heiligen Stadt. Der Eindruck, den er machte, war ein sehr günstiger, selbst die griechische Geistlichkeit, sonst nur für klingende Liebeuswürdigkeiteu empfäuglich, machte zu seinen gewinnenden Manieren eiu freundliches Gesicht. Gleichwol vermochte die Liebmswürdigkeit der Person des Mousignor Cyrillus das Unliebsame der voll ihm vertretenen Sache nicht aufzuheben. Die Russen brachten, wenn sie sich selbständig in Jerusalem einrichteten, eine Zweiheit in die Äcr-tretung der rechtgläubigen Kirche am heiligen Grabe. Das Patriarchat verlor, was ihm das Wichtigste, eimu großm Theil seiner Einnahmen, und zwar nicht blos die russischen (lollixtm und die Spenden der Pilgermujits in dm Mosten, souderu wahrscheinlich auch die Gaben aller übrigen slavischen Hadschis, von deuen »nan fast mit Gewißheit auuchmeu konnte, daß sie sich schon der jedenfalls wohlfeiler,, und reichlichern Beköstigung wttu'n den neu zu begrüudcuden Pilgerherbergen zuwenden und sich so gewöhnen würdm, das russische Bisthum als ihren geistlichen Mittelpunkt zu betrachten. Die Conmrrenz nöthigte ferner zu Anstrengungen, die über den hergebrachten Schlendrian hinllusgiugm, uud endlich konnten, falls die Russen sich hier ____28 ^ festsetzten, die Geistlichen derselben von der Bewerbung um kirchliche Würden, die bisher nnr an Griechen verliehen worden, nicht wohl mehr fern gehalten werden. Man tonnte ein russisches Episkopat ohne eignen Grund- und Häuserbcsitz in Jerusalem zur Noth dulden, nicht aber ein solches, welches eigne Anstalten zur Unterhaltung der Pilger besaß. Aus diesen Erwägungen gestaltete sich die Politik des Patriarchats dem Bischof Cyrillus gegenüber. Während dieser noch zögerte, sich in Betreff des Plans mit jenem zu benehmen, und während er es verschmähte, sich den guten Willen der türkischen Behörden mit dem üblichen goldnen Schlüssel zugänglich zu macheu, hatte man grie-chischerseits schon gehandelt, und Pascha Sureyah war bereits auf sein von den Griechen bezahltes Verlangen im Besitz eines Verhaltungsbefehls der Pforte, der ihn anwies, künftig jeden Ankanf von jerusalemer Häusern und Grundstückeu durch Christen als den Interessen des Islam schädlich zn verhindern. Dieser Befehl wäre bei der allgemeinen Corruption der türkischen Beamten kein unübersteigliches Hinderniß gcwefen, aber Bischof Cyrill verfiel, als er fand, daß seine eignen Glaubensgenossen dahinterstanden, in Niedergeschlagenheit uud wagte auch dann nicht energisch vorzugehen, als die Griechen bald nach Veröffentlichung jenes Befehls eine auffallende Ausnahme für sich durchsetzten. Mit der Gelassenheit des anständigen Mannes ertrug er es, daß ihm die Griechen die Thür aus seiner Wohnung in den Klostcrgarten vermauerten, aber für feinm Plan that er wenig, und anch dieses Wenige führte nicht nach dein Ziele, da seine Unerfahrcnheit ihn in die Hände eines italienischen Schwindlers fallen ließ, der ihm nur Geld kostete. Die Erfolglosigkeit seiner Bestrebungen ließen endlich in Petersburg den Entschluß reifen, dem Bischof weltlichen Sucmrs zu fendcn und in einem zu Jerusalem selbst residirenden russischen Consul eiu Gegengewicht gegen den bösen Willen des Patriarchats in die Wagschale zu legen. Bevor dies aber geschah, er- 29 schien aus den: Petersburger Marineministerinm der „Civilgeneral" Mausuroff als neue Person nnt neuen Plänen auf der Bühne dieses unerquicklichen Schauspiels. Das erwähnte großartige Unternehmen der Dampfschifffchrt ans dem Mittelmccr, ausgegangen von höchster einflußreichster Stelle in Petersburg, vom Staat unterstützt, mit den größten Erwartungen begonnen, von Mansuroff, dem klugen Günstling des Großfürsten nud Großadmirals, geleitet, wollte durchaus dir Dividenden nicht abwerfen, die man erhofft, ja es ergaben sich sogar bedeutende Verluste. Andrerseits hatte Bischof Cyrill in Jerusalem mit seiner bisherigen Amtsführung bewiesen, daß er sich auf zweckmäßige Anlage des für die ^andanl'äufe und Wanten in der heiligen Stadt gesammelten Capitals nicht verstehe. Das eine wie das andere Nuternehmen staud in engster Beziehuug zum Mariueministerium' das der Dampfschiffe wurde von demselben dircet verwaltet, das der Klosterbautcn hatte den N6I-VU3 reium, die dafüt eingegangnen anderthalb Millionen in den Kassen desselben liegen. Es war kein unpraktischer Gedanke, beide Unternehmungen mit einander zu verschmelzen oder doch in Wechselwirkung zu bringen, und um diesen Gedanken zu verwirklichen entwarf Mansuroff folgenden Plan: Das Mariueministcrium als oberste Verwaltungsbehörde der Dampfschisffahrtsgefellschaft nimmt die Ausführung auch der beabsichtigten religiösen Stiftungen für Palästina in die Hand. Eilt besonderer Agent der Gesellschaft geht nach Jerusalem, nm den Pascha günstig zu stimmen, Grund und Boden anzukaufen und die Bauten zu beginnen. In Jaffa nnd Namlch werden ebenfalls große Herbergen für ruffischc Pilger errichtet. Endlich wird die Küste mit der heiligen Stadt durch eine fahrbare Straße verbunden. Bis hierher konnte sich Bischof Cyrill dem Plane freudig anschließen. Aber Manfuroff ging weiter. Die mit den für das Bisthum gefannnclten Geldern von der Aktiengesellschaft gemachten Anlagen sollten nach der Meinung des Civilgenerals 30 letzterer als Eigenthum verbleiben. Ans den Schiffen der Gesellschaft follten die russischen Pilger nach Jaffa, auf ihren Wagen nach Jerusalem gebracht werden, in ihren Hospizen uud Hospitälern sollten sie verpflegt, von ihr auf dem Wege mit Speise und Trank versorgt werden, und für das alles beanspruchte die Gesellschaft nichts als die Almosen, welche jene den heiligen Orten zuweudcn wollten. Der Zweck der Wallfahrt d. h. der an besagten heiligen Orten für die besagten Almosen zu erlangende Ablaß sollte den Leuten darum nicht verloren gehen. Die Gesellschaft dachte sich deshalb mit den: Patriarchat über eine dem Werth des Sündenrrlasses angemessene, natürlich geringfügige Pauschalsumme zu verständigen und den Nest als ihren Gewinn einzustecken. Nachdem dies geordnet, sollte durchs ganze heilige Nnsfenrcich eifrig für die Wallfahrten nach Zion agitirt werden, und so stand zu hoffen, das? es bald gelingen werde, den Actionären der Gesellschaft aus den Uebcrschüssen der Almosen eine fette Dividende zu gewähren. Daß Bifchof Cyrillus auf einen solchen Plan, mit welchem das Marincministerium die Berwcrthnng der russischen Religiosität für ein Actienunternehmen betrieb, nicht eingehen würde, stand von vornherein fest. Deshalb beeilte man sich, seinem Widerspruch dadurch Schweigen aufzuerlegen, daß man dem nach Palästina zn sendenden Agenten der Dampfschifffahrtsgesellschaft zugleich den Posten eiues Cousnls zu verschaffen snchte. Das Ministerinn! des Answärtigen machte Schwierigkeiten, indeß stand hinter Mansnroff eine zu einflußreiche Persönlichkeit, als daß es nicht hätte gelingen müssen, dem Betreffenden wenigstens provisorisch zu dem Consulat zu verhelfen. Im October 1858 traf der neue Consulatsverwescr, ein Herr Torgobnjinoff in Jerusalem cm. Er wurde vou Cyrillus und ebenso von der griechischen Geistlichkeit mit größter Feierlichkeit empfangen. Als er aber daran ging, den gewünschten Grnnd-bcsitz zu erwerben, minirtc der um das Patriarchat geschaarte Klerus so geschickt, daß er trotz der großartigen Mittel, die ihm 31____ zu Gebot standen, nichts erreichte und sich endlich mit dem inzwischen gleichfalls angelangten Mansuroff entschließen mußte, außerhalb Jerusalems, wo der Boden zwar nicht heilig, aber doch käuflich war, Terrain für die beabsichtigten Klöster, Herbergen und Paläste des Bisthmns zu erwerben. Cyrillns, davon in Kenntniß gefetzt und jetzt vollkommen darüber aufgeklärt, daß es sich nicht mehr um eiue bischöfliche Stiftung, sondern einfach um eine für die Actiengefellschaft zn errichtende große Pilgerherberge handle, in der für deu Bischof eiuc Wohuuug eingerichtet werden solle, verständigte sich mit der jetzt zu erheb-licheu Concessionen geneigten griechischen Geistlichkeit, erhob beim Civilgencral Protest gegen den Plan und wendete sich zu gleicher Zeit an die Synode und die Regierung. Vergebens i Mansuruff berief sich auf de» Willen seines Großfürsten, die Synode gab dem Bischof zwar Recht, wagte aber nicht gegen jenen großfürstlichen Willen zn verfahren, und das Ministerinn: verhielt sich ebenso. Cyrill blieb gleichwol bei seinem Widerspruch, als Mansuroff abreiste, brach jener allen Berkehr mit dem Consul ab, und nun sank die ganze Angelegenheit in das Bereich des Skandals herab. Dorgobujinoff lockte die Untergeistlichcn des Bischofs an sich, dieser bediente sich unvorsichtig jenes italienischen Schwindlers zn Intrigncn gl'gon d«, Cmrfnl, Man bnhlte anf beiden Seiten um die Sympathie des fränkischen Publicmns, man erfand hüben wie drüben garstige Klatschgeschichten von dem Privatleben des Gegners (Bischof Cyrillus ist ein auffallend schöner junger Mann, nnd gewisse russische Fürstinnen, die als Pilgerinneu hierher kamen, sollten sich lediglich deshalb so lange in Jerusalem aufgehalten haben, um möglichst lange als Schäflem von einem fo amnnthigen Hirten geweidet zu werden) und von den indiscrete« Mitthcilnngen der beiden Parteien zehrte die schadenfrohe, anekdötchensüchtige Welt der diplomatischen Cirkel von El Koos noch zur Zeit meiner An-wescnbeit. Waren die Kräfte der Gcgncr'in diefem kleinen Krieg sich gleich. 32 und gab der Consul durch wirklich anstößiges Leben sogar bei weitem mehr Blößen, als sein Widerpart, fo hatte Dorgobujinoff den großen Vortheil, im Besitz der Fonds zu fein, und mit diesen gelaug es ihm denn auch sehr bald, ein Stück Feld vor dem Damaskusthor zu erwerben. Der Bischof seufzte laut über solche Vergeudung des heiligen Schatzes zum Ankauf unhciligen Landes. Das Patriarchat remonstrirte bei Pascha Sureyah auf Grnnd seiner frühern Zusagen, aber das Geschehene ließ sich nicht rückgängig machen, und der Pascha behauptete nur für das Innere der Stadt Verpflichtungen übernommen zu haben. Zwar erfreute sich dcr zn Gunsten dcr Actiengcfellfchaft entworfene Plan Mansuroffs in Petersburg nur sehr sporadische« Anklangs. Auch fragte sichs sehr. ob die Pforte, welche soeben die von der russischen Gesandtschaft begehrte Erlaubniß zum Bau der beabsichtigten Fahrstraße vou Jaffa nach Jerusalem rundweg abgeschlagen, die Errichtung von Gebäudeu aus jenem ganz innerhalb des Festnngsrayons der Stadt gelegnen Terrain gestatten würde. Aber Mansuroff und der Couful waren ihrer Sache sicher. Sie wußteu, daß sie auf Großfürst Konstantin zählen konnten, zwischen dem und der Shuodc der Streit eigentlich geführt wurde. Daß sie sich uicht verrechnet hatten, wird ein späteres Capitel zeigen. Hier kam es nur darauf an, die Zerrissenheit, Zankfucht und Selbstsucht der orthodoxen Kirche in das gebührende Licht zu stellen. Wenn diese Kirche trotzdem äußerliche Fortschritte macht, so erklärt sich das zwar zunächst daraus, daß die Zahl dcr von ihr zu schröpfenden Pilger stärker ist, als die, welche die andere Hauptconfcssion unterstützt, nnd daß überhaupt das Interesse des russischen und griechischen Volkes an dem heiligen Lande sich reger bethätigt, als das der westlichen Nationen. Es giebt aber auch noch eine andere Erklärung. Die Griechcu habcu es leicht, Eroberungeu zu machen, da auch ihre Haufttgegner, die Lateiner, in zwei große Lager getheilt, sich heftig und ausdauernd befehden. ___33 Die Lateiner, d. h, die sich zur römisch-katholische.« Kirche bekennenden Christen der Terra Santa, bestehen theils ans arabischen Eingebornen, die meist durch Bekehrung) gewonnen worden sind, theils ans eingewanderten Italienern, Franzosen, Spaniern nud Deutschen. Sie sind zum größcrn Theil arm und zählen, während die Griechen gegen zweitausend Köpfe stark sein sollen, nur uugefähr ueunhuudert Seelen. Ihr Centrum, gewissermaßen ihre Burg, ist seit alten Zeiten das Frauciscaner-kloster St. Salvator, welches, von den Arabern Dejr El Frandsch genannt, nicht fern vom Iaffathor im Nordwesten der Stadt liegt. Es ist ein ausgedehnter solider Bau, dessen Terrassen eine gute Aussicht über ganz Jerusalem bieten, und in dem jetzt durchschnittlich scchszig Mönche wohnen. Der Vorstand derselben führt den Titel Guardian uud Cnstos des heiligen Landes. Mit dem Kloster ist eine Kirche, eine Schule uud in der sogenannten Casa Nuova eiue Pilgerherberge verbunden. Außerdem enthält es eine Druckerei, deren Borstand 1850 eiu deutscher Jesuit, Pater Heribert war, uud mehre Werkstätten, in welchen Laienbrüder Schmiede-, Tischler-, Schuster- und Schnciderarbeiten verfertige«. Obwol der Brüderschaft wiederholt bedeutende Schenknugcn zuflössen und aus Oestreich alljährlich der Ertrag einer Collate hierher gelaugt, ist das Kloster, da feine Ans-gaben fast immer bedeutender waren, als die Eümahmen, tief verschuldet. Die Mönche, die von dm Cine» als unwissmde Tröpfe, Verbanute Banditen u. s. w.. von den Audern als halbe Engel und treue Hüter und Bcrknndcr der untrüglichen Ueberlieferungen geschildert werden") betrachten sich, nud zwar nicht mit Unrecht, da ihre Congregation der Grundstock der lateiuifchen Gemeinden in Palästina ist, als Eigenthümer des Antheils, deu die katho- ") Nicht vom Islam, smidcru von andern christlichen Selten und vom Iudcnthnm. ") Ich habe bei ihncn mir Gutherzigkeit, Gefälligkeit und Gastfreundschaft bei großer geistiger Beschränktheit gefunden. Vusch, Wallfnhrt imch Icrusnlcm. N. g 34 tische Kirche an den heiligen Stätten hat. und sie schalteten nnd walteten früher fast uneingeschränkt und nur dem Papst verantwortlich über die Mittel, die ihneu gespendet wurden, und die Institute, die mit ihrem Kloster und den übrigen Framiseanerhäusern der Terra Santa verbunden sind. Seit eiuigru Jahren aber ist ihnen in der Person des Monsignore Giuseppe Valerga, eines Piemontesen, welcher, nachdem er eine Zeit lang Missionär in Mossnl gewesen, zum Patriarchen von Jerusalem ernannt wnrde, ein Vorgesetzter gegeben worden, welcher, indem er den Ansprüchen des Guardians uud Custos auf Autonomie schroff gegennbertrat, den armen altvaterisch behaglich hinvegctireuden Fratern zu einem wahren Pfahl im Fleisch wnrde. Der Kampf, der sich hieranö entspann, nnd der noch im Sommer 1859 mit allerlüi Ränken, Skandalen uud Kniffen fortgeführt wurde, ist zu belehrend, als daß ich über seiue Taktik, seiue Erfolge uud Niederlagen nicht einiges Ausführliche mittheilen sollte. Die folgenden Bilder werden von allen hier gebrachten am wenigsten Heiligenschein haben, und Pater Heribert wird unter sie kaum in majarem vei ßloriam schreiben wollen, aber man wird daraus einige nützliche Schlüsse auf das Leben der katholischen Kirche ini Orient ziehen können. Die Beweggründe, welche den Patriarchen Valcrga bei seinen Angriffen auf die Fraucismuer leiteten, scheinen zunächst in seiner Herrschsucht uud sodanu iu seiuer Hinneigung zu Frankreich gelegen zu haben, Bi^leicht kamen dazu noch peeu-niäre Absichten. Sein eigentlicher Wirkungskreis ist der Libanon mit seinen seit etlichen Jahrzehnten unter die geistliche Gewalt des Papstes getretenen Maroniten. Die Klöster der Terra Santa standen, wie augedeutet, bisher unter der unmittelbaren Oberaufsicht des römischen Stuhles. Balerga snchte dieses Verhältniß dahin zu änderu, daß- ihm als Bischof die Entscheidung aller wichtigern Fragen in Bezug nnf die lateinischen Ordenshäuser Palästinas zugchören sollte, und es gelang ihm, in Nom seineu Wnusch weuigstens theilweise durchzusetzen, wie es scheint, indem Frankreich ihm Unterstützung gewährte. Dafür wird er sich zu Gegendiensten anheischig gemacht haben, die ihm als Piemontesen um so leichter fallen konnten, als er damit dem östreichischen Interesse entgegentrat. Die Franeiscaner waren stets anf östreichischer Seite, einmal weil sie in Wien den sichersten Hort des Katholicismus erblickten, dann aber weil ihnen von dorther das meiste Geld zufloß. Als sie den Patriarchen mit dem französischen Consul verbündet sahen, wuchs diese Stimmung zu offner Parteinahme. In der Frage der heiligen Stätten war Oestreich mit Frankreich gemeinsam gegen Nußland vorgegangen. Als dieselbe nicht mehr auf der Tagesordnuug war, entzweiten sich die beiden katholischen Mächte, oder es begann wenigstens eine Art stiller Miumkneg. mit dem man sich den Einfluß auf die Glaubensgenossen ün Orient streitig zu machen suchte. Derselbe datitt von der Er-Achtung des östreichischen Consulats in Jerusalem, Der Zweck dleser Schöpfung war zwar zuuächst der, daß damit für die östreichische Unterthanen in der heiligen Stadt und für die Pilger aus den kaiserlichen Landen eine Stelle des Rechtsschutzes geschaffen werdeu sollte. Damit aber verband sich die Absicht, den Bestrebungen Frankreichs, das hier wie überall im Osten, Süden und Norden dcs Mittelun^s Fuß zu fassen, sein Protectorat über die katholischen Christen des Morgeulcmdes deutlicher hervortreten zu lassen und das Proteetorat über die Klöster wo möglich in Eigenthum zu verwandeln suchte, Widerstand entgegenzusetzen. Jene Bestrebungen waren bisher mit Erfolg gekrönt worden. Obwol die katholischen Institute im heiligen Lande für die ganze katholische Welt bestimmt sind und obwol sie keineswegs vorzugsweise aus französischen Mitteln erhalten und erweitert werdeu ^ Frankreich zahlte als Staat von der ersten Nevolutiou an bis auf Ludwig Philipp gar nichts und giebt auch jetzt nur jährlich ein NeujahrSgeschcuk voll zweitausend Franken, wahreud Oestreich bisher stets mehr als das Zwanzigfache dieser Summe sendete — so war es doch bis 1849 bei 36 der Unaufmerksamkeit und dem Ungeschick der Vertreter der wiener Regierung in Syrien Gebrauch, wenn eine neue katholische Anstalt errichtet wurde, dieselbe als von Frankreich gegründet zu betrachten. Man betete bei allen großen kirchlichen Functionen. beim Pontificate u. s. w, nur für den Beherrscher Frankreichs als Protector des heiligen Grabes, obschon nach den Verträgen ein solches Separatprotrctorat der französischen Uronc nicht besteht, die Auffassung der Stellung dieser Macht zu den heiligen Orten als der einer Schutzmacht vielmehr nur auf dem Usus beruht. Oestreich verlangte nun Gleichstellung aller katholischen Mächte, der Patriarch weigerte sich dessen. Die wiener Regierung suchte beim Papst die Erfüllung ihrer Wünsche durch-zubriugen, und man will hier Zusagen auf Abstellung des Mißbrauchs erwirkt haben, auf deren Verwirklichung man aber wol noch fo lange zu warten haben wird, als Frankreich dem Papst mehr impouirt wie Oestreich, Als das Eonsulat innc wurde, daß es auf einen rafchen Erfolg in dieser Sache verzichten müsse, begann es in Wien den Gedanken anzuregen, von den bisher au die Eustooie des heiligen Landes gezahlten Collcctongeldcrn nur noch so viel zu schicken, als nothwendig sei, um sagen zu können, man trage überhaupt noch zur Erhaltung der hiesigen katholischen Institute bei. Die Hauptmasse sollte von jetzt ab auf Gründung von Anstalten verwendet werden, welche den Namen Oestreichs führen und ganz unzweifelhaft Srparatbesitz dieser Macht, wenn auch für alle Katholiken bestimmt sein sollten. Es war nicht die Meinnng, damit das Protectorat Frankreichs in Frage zu stellen; nnr die Anmaßung der Franzosen, allein für Schutz und Förderung der katholischen Interessen in Palästina zu sorgen, allein hier Besitz zu haben, sollte in die gebührenden Schranken zurückgewiesen werden. So begann man vor drei Jahren mit Errichtung eines östreichischen Pilgerhanses, welches jetzt vollendet und das schönste weltliche Gebände Jerusalems ist. So sollte ferner die Druckerei im Salvatortloster, die, wie bemerkt, 1859 bereits nnter 37 ^ der Direction eincs wiener Geistlichen stand, sobald als möglich ganz von östreichischem Gelde erhalten und damit in ein specifisch östreichisches Institut verwandelt werden. Der Patriarch tonnte dagegen nichts Erfolgreiches thun, indeß machte er feinem Verdruß dadurch Luft, daß er einerseits die Mönche, andrerseits den Consul nach Kräften ärgerte. Als der Grundstein znm Pilgerhaus gelegt werden sollte, weigerte sich Valerga, die übliche Weihe der Kapelle vorzunehmen, und als der Guardian Revcrcndissimus der Franciscaner für ihn eintrat, zog er ihn darüber znr Rechenschaft, weil er nicht Bischof sei, woraus jener schwach genug war, die durch ihn erfolgte Einsegnung abzuleugnen. Dann richtete der Monsignore seine Angriffe direct gegen die Person des Consuls, indem er ihn — ich weiß nicht, ob beim Papst oder in Wien — anklagte, er habe sich monatelang Lebensrnittel von den Francis-wnern liefern lassen, habe einen ganzen Sommer im Kloster zu Bethlehem gewohnt, seine Schwester während einer Reise durt untergebracht, ohne eine einzige dieser Leistungen zu vergüten. Der Angeschuldigte vertheidigte sich, indem er die betreffenden Quittungen vorwies, Balerga machte dagegen geltend, die Mouche, die dem Herrn Consul jene Gefälligkeiten erwiesen, würden ihm, nm seine Protection zu behalten, auch die Bescheinigung seiner Uneigennützigkcit nicht verweigert haben. Trutz dieser und ähnlicher Beleidigungen stattete von Pizzamano als kaltblütiger Charakter dem Patriarchen gelegentliche Staatsvisitm ab, und dies gab Gelegenheit zu neuen Insulten. Als er sich einmal melden ließ, wnrde er zwar bis ins Vorzimmer gelassen und der Diener riß die Thür zum Sprechsaal weit auf. Wie der Consul aber eintreten wollte, hörte er Monsignorc, der auf dem Tifch saß, sagen. „Melden Sie dem Herrn, ich hätte jetzt keine Zeit für ihn". Mit tiefer sittlicher Entrüstung wendet sich der Mann von Gefühl vmi einer solchen Behandlung eines Funetiunärs ab, der als Mitglied der Diplomatie die Gesetze der Etiquette doppel 38 hoch halten, ihre Verletzung doppelt schwer empfinden mnßte. Aber vergeuden wir unser Mitleid nicht vor der Zeit: es sollte noch ärger kommen. Bald nach jenem Vorfall langte der Herzog von Vrabant in Jerusalem an und stieg im Hanse von Pizzamanos ab. Als er das Bedürfniß fühlte, in der heiligen Stadt das Abendmahl zu nehmen, begleiteten ihn der östreichifche und der französische Consul (damals Botta) nach der Kirche, Der Patriarch benutzte hier ein Versehen von Pizzamanos, um den: Gehaßten einen neuen Schlag beizubringen. Beiden Konsuln waren die sogenannten consularischen Ehren zugesagt, die darin besteheu, daß für jeden Vertreter der fremden Regierungen in der Kirche ein besonderer Sessel nebst Tcppich bereit gehalten, ihnen an der Thür von einem Priester das Weihwasser gereicht und dann vor andern Laien und selbst vor den anwesenden Priestern die Hostie dargeboten wird. Nun aber war von Pizzamano, da der Herzog nicht in Uniform ging, in Ciuilkleidcru erschienen, und dieser Umstand war genug, ihm jene Gebühr vorzuenthalten. Er fand zwar seinen besondern Sessel vor, als er jedoch mit dem französischen Consul an den Altar trat, um das Abendmahl zu empfangen, wnrde er zurückgewiesen, und der Franzose erhielt die Hostie allein. Dann erst winkte man ihn wieder heran, aber er lehnte jetzt ab, nud mit ihm verließ die ganze östreichische Pilgerkaravane die Kirche, ohne die Communion genommen zu haben. Diese Kränkung war zn schwer, als daß sie nicht von Wien eine Entschädigung erfordert hätte, und so wurde dem Opfer des patriarchalische« Hasses der Generalwusulstitel verliehen, dem, wenn ich nicht irre, Belgien eiuen Orden hinzufügte. Der nunmehrige Generalkonsul tonnte sich übrigens über die damals erfahrene Unbill auch damit trösten, daß es dem Nachfolger des französischen Würdenträgers, der ihm bei jener Gelegenheit vorgezogen worden, kurz vor meiner Ankunft nicht besser erging. Nachdem der jetzige Consul Frankreichs lange 39^ Zeit, sicher nicht aus Neiguug zu der Persönlichkeit des Mon-signore, sondern weil dieser im Sinne der pariser Prätensionen wirkte, die Partei des Patriarchen vertreten, hatte er sich endlich, worüber, ist gleichgültig, mit ihm überwerfen. Die Straft folgte dem auf dem Fuße. Am Feste Maria Empfängnis) begab sich der Consul zur Kirche, ohne den Patriarchen, wie dieser erwartet, abzuholen. Die Folge war, daß dem Unglücklichen, als er in die Kirche trat, ken: Weihwasser gereicht wurde und die Geistlichen Valergas sich so stellten, das; er nicht zu seinem Tabouret gelaugcu kounte. Er verlangte nun durch einen Parlamentär das ihm gebührende Wasser, aber ein Priester machte ihm über den Köpfen der Menge das bekannte Zeichen mit den Fingern, wodurch der Italicner emvhatlsch ausdrückt! „Es giebt durchaus nichts. Sigiwr!" und der Verhöhnte mußte unbeweihwassert abziehen. Nn Zeugniß für die kläglich kleinstädtische Art. iu der man hier Politik treibt, ist der Umstaud, daß der Herr Consul sich sofort zu einem Besuch bei der Gegenpartei, dem Ncvereudis-simus der Franciseaner begab. Inzwischen setzte der Patriarch seinen Kampf mit den widerborstigen Mönchen rüstig fort, ohne jedoch große Erfolge davonzutragen. Er beanspruchte für sich uud die von ihm gegründeten Anstalten ein Drittel der Einnahmen dos Klosters. Dieses weigerte sich und appcllirte an den Papst, dessen Räthe nach langwierigen Verhandlungen das Abkommen trafen, daß der Patriarch jährlich 1U.000 spanische Thaler von jenen Emuahmen haben sollte. Daß man ihm diese ausgezahlt, kouute er sich noch im Jahr 1650 nicht rühmen, und so war er auf das beschränkt, was ihm die Propaganda de Lyon sendete. Er wünschte ferner die Framismuer ganz wegzuschaffen und an ihre Stelle französische Lazaristeu einziehen zu lassen. Auch dieses ist völlig mißlungen. Verschiedene Wege wurden versucht, die Mönche zu Fall zu briugen. aber keiner führte zum Ziel. Das folgende Beispiel für die Methode, mit welcher der Mousiguore und das ihn unterstützende französische Consulat dabei verfuhr, 40 ist charakteristisch sowol in Bezug auf den hochwürdigen geistlichen, Herrn und seine weltlichen Bundesgenossen, als iu Bezug auf seine Gegner. Ein Spanier C, schreibt au die Väter Franciscaner, ob ein reicher alter Herr wie er in Jerusalem angenehm leben könne, wozu er den Genuß von Theater, Abenduntcrhaltungcn. Spazierfahrten u. d. m. rechne- er gedenke in diesen: Fall seinen Lebensabend hier zu beschließen. Es wird ihn:, vermnthlich in der Hoffnung anf ein ansehnliches Legat, bejahend geantwortet. Er kommt an, und obwul er es anders finden mußte, zeigte er sich über den Unterschied zwischen Brief uud Wirklichkeit durchaus nicht verwundert. Er hatte eine junge hübsche Dame mitgebracht, die er für seine Nichte ausgab, und dereu Betrageu ihren Namen — sie hieß Donna Innocenza — vollständig zu rechtfertigen schien. Nnn begab sichs, daß Onkel E. einige Wochen nach seiner Aukunft in Geschäften nach Jaffa ucrrnsen mußte. Er ließ die Nichte in Jerusalem zurück. Diese fühlte sich, als er länger ausblieb, unbehaglich uud einsam, eine Empfindung, welche, als eiuer der höher gestellten Patres von St. Salvatur ebenfalls nach Jaffa reisen mußte, fo start wurde, daß sic bat, sich dein geistlichen Herrn anschließen zu dürfen. Nach einigen Schwierigkeiten erlanbte man dies. So ritten sie zusammen nach Namleh, wohin ihnen der Kanzler des französischen Consulats auf den: Fnße folgte. In Ramleh erhielten sie, wie billig, weitanseiuandcrgelegene Zimmer uud wareu eben im Begriff, schlafe:: zu gehen, als das Fräulein Furcht vor deu Blicken des Kanzlers äußerte, deu sie erst jetzt bemerkt haben wollte, und dem sie unchristüche Absichten auf ihre jungfräuliche Unschnld zuzutrauen angab. So bat sie den Pater, sie die Nacht in einem Gemach neben dem seinen zubringen zu lassen, von dem sie wußte, daß seine Thür nicht zu verriegeln war. Der würdige Priester gestattete es, nichts Arges ahnend, und es ist nicht ganz undenkbar, daß anch nichts Arges vorging. Am nächsten Morgen kamen sie nach Jaffa, und hier hatte 41 die Donna nichts Eiligeres zu thun, als zu ihrem Oheim zu stürz«,, sich ihm, der — zufällig — große Gesellschaft bei sich hatte, zu Füßen zu werfen und ihm unter Thränenströmen zu gestehen, daß — daß der böse Pater A. in jener Nacht zu Ramleh in ihre Kammer gedrungen und — und ihr die Ehre geraubt. Der Oheim verzieh ihr mit dem milden lächeln wehmüthiger Großmuth, setzte sich aber sofort, nachdem die erschrockene Gesellschaft aufgebrochen, an seinen Tisch mid schrieb an den Neuercndissnuns zu Jerusalem einen Brief, in dem er die Unthat erzählte, Genugthuung forderte und die Sache öffeut-uch zu machen drohte, wofern man ihm nicht — den Pater exemplarisch bestrafte? Nein, Don C. war auch gegen dm Uebelthäter der großmüthige Spanier. Er versprach zu schweigen, wenn ihm das Kloster ohne Verzug die Summe von 80.000 spanischen Thalern auszahle. Die Mönche ließen sich durch diese Großmnth nicht verpuffen, und so kam es zur Untersnchnng. Der französische Kanzle- trat als Zeuge auf. Der Pater leugnete. Monsignore . -«alerga nahm sich der Angelegenheit gegen die Franciseanrr au, und so gelangte der Proceß zuletzt Uor das Forum des Papstes. Hier wurde er zu Gunsten der Mönche entschieden, und zwar einfnch deshalb, writ dir aufstellten Recherchen über die Vergaugeuheit der tlageuden Partei ergaben, daß Fräulein Uuschnld bereits in Algier ein Kiud gehabt und zwar von niemand anders als dein großmnthreichm Oheim. Das Ganze war eine Intrigue des Patriarchen im Berein mit dem französischen Consnlat gewesen. Der spanische Biceconsul iu Jaffa, von jenen: mit einem Darlehn von etlichen tausend Piastern gewonnen, gegen die Franciscaner zu handeln, enthüllte, von letzteren — natürlich wieder mit dem silbernen Sümmhmu-mer — umgestimmt, die ganze widerliche Intrigue, und der Vertreter Spaniens in Jerusalem, eine energische Natur, würde die betreffende Dame trotz der Gegenmaßregelu der türkifcheu Behörde, die mit im Complott war, verhaftet und als Ver- ___42___ läumderin eines Priesters in ein spanisches Zuchthaus abgeliefert haben, wenn die Partei, der sie zu dienen versucht, sie nicht in Mannskleidern ans der Stadt und dem Lande spedirt hätte. Der ganze Proceß ist in Rom gedruckt worden und ein Exemplar davon in die Hände der Franciseaner von St. Sal-vator gelangt, bei denen mein Gewährsmann es gelesen hatte. Monsignore Valcrga ließ es, als ihm davon Kunde geworden, auf Grund der kirchlichen Obedienz abfordern, Bezeichnend ist noch, daß der Patriarch den erwähnten Spanier, während der Proceß schon ini Gange war, zum Ritter des heiligen Grabes ernannte. Achnliche erbauliche Anekdoten werden mehre erzählt. Es mag aber hier mit der einen genug sein. Mögen sie in allem Detail oder nur in den Hauptpuntteu wahr sciu, zwei Thatsachen dürften nach meinen Erkundigungen feststehen, einmal, daß mau sich auf beideu Seiteu, vorzüglich aber auf der des Patriarchen, unwürdiger, bisweilen felbst schmutziger Mittel bedient, um den Gegner aus dem Sattel zu heben, und sodann, daß die moralischen Zustände unter den lateinischen Familien Jerusalems sich seit der Ankunft Monsignore Valergas und seiner Neltgeistlichcn sehr zum Argen verändert haben. Eine Protestantische Gemeinde besteht in Jerusalem erst seit etwa zwauzig Jahren. Doch waren schon einige Deren-nien früher einzelne Evangelische hier ansässig. Die ersten Ansiedler wareu Agenten der englischen Indenmission, die im Jahr 1829 ihre Arbeit in Palästina begann. 1834 erschienen Amerikaner, welche sich an die Vekehruug der Griecheu machten, damit aber keine Erfolge erzielten und bald wieder abzogen. Das Jahr darauf fetzten sich die englischen Missiouäre fester, uud man dachte an Erbauung einer Kirche. 1838 wnrdc der Bauplatz dazu crworbeu, 1842 der Grundstein gelegt, 1848 war sie vollendet. Sie steht auf dem Ziou, vielleicht an der Stelle, die einst der Palast des Herodes einnahm und nimmt sich recht gut aus. Der Styl ist der gothische. Ein Thurm fehlt, und so hat man 43^ die Glocke am Eingang aufgehangen. Das Innere erinnert dnrch die über dem Altar angebrachte schwarze Marmortafel, auf der man in hebräischen Goldbuchstaben das Vaterunser und die zehn Gebote liest, an die ursprüngliche Gestalt der Gemeinde, in welcher sie zu drei Vierteln ihrer Glieder aus getauften Juden bestand. Auch ihr erster Bischof — er hieß Alexander Wolfs und traf 1841 hier eiu — war vou Geburt Israelit. Im Jahr 1846 kam zu diesem Gruudstamm der Protestanten ein anderes Element, Deutsche Handwerker erzählten einen: Herrn Spittler in Basel von dein Elend und dem Bettel der jerusalemer Bevölkerung, uud derselbe fand sich dadurch bewogen, hier eiu „Brüderhaus" zu gründen. Er schickte eiuige Handwerker hierher, nm das Volk nützliche Dinge zu tehreu und nebenbei ein wenig als Laienmissionäre zu wirkeu. Die Austalt wollte iudrß nicht recht gedeihen, da sie nicht auf genaue Kcnnt-"H der Verhältnisse basirt nud die „Brüder" zum Theil übel gewählt wareu. Die intelligenteren fanden die ihnen auferlegte Verpflichtung, ehrlos zu bleiben, zu hart uud traten zu den Engländern über, die ihueu bereitwillig die Heirath gestatteten und auch wol besser zahlten. Jetzt ist das „Vrüderhaus" in der Hauptsache nu kaufmännisches Geschäft, riu großer Kramladen, der namentlich durch die Rührigkeit cmes Herrn Löwenthal zu verhältuißmämg bedeutender Ausdehnung nnd Bliithe gelaugte. 184K bekam die Gemeinde in Samuel Gobat, einem Berner, der früher Missionär in Habesch, danu Direewr einer Missionsanstalt anf Malta gewesen, einen neneu Bischof. Fünf Jahre später begründete der bekannte Pastor Flieduer. unterstützt vom König von Preußen, in Jerusalem ein Diatonissenhans, welches die Vestimmnng hatte, Kranke zn pflegen nnd die Jugend zu unterrichte«. 1852 kam iu rinem der ans Schleswig vertriebenen Geistlichen ein Prediger für den immer stärker werdenden deutschen Theil der protestantischen Gemeinde an. Im nächsten Jahr trat zu der Iudeumission eiue andere, welche ihr Augenmerk uorzüglich auf die arabischen Ehriston lateinischen 44 und griechischen Bekenntnisses richtete. Die Zahl der Protestanten Jerusalems betrug im Jahre 1848 nicht mehr als etwa siebzig, jetzt dürste sie nngefähr dreimal so groß sein. Ansaugs fast nur aus Proselyten bestehend, hat die Gemeinde gegenwärtig, eine weniger jüdische Physiognomie. Zuerst vorwiegend englisch in der Znsammensetzung ihres fränkischen Theils, begreift sie nun mehr Deutsche als Engländer in sich. Bon letzteren rechue ich 35 bis 40, von ersteren 45 bis 50 zusammen, wobei aber die Kinder mitgezählt sind. Die Zahl der Proselyten soll sich auf etwas mehr als hundert belanfen, und zwar sind davon ungefähr achtzig Procent betehrte Juden, und der Nest besteht alts Griechen, Lateinern uud Armeniern, die zum Protestantismus übergetreten sind. Nur halb zn zählen sind die sogenannten „Enquirer", Juden, die sich zur Annahme des Christenthums gemeldet haben und die Kirche besuchen, aber noch uicht getauft sind. Wie viele deren siud, läßt sich nicht wohl angeben, da dieser Anhang der Gemeinde unsicher und schwankend ist. Mit dem Bisthum und der Mission stehen ein wohleingerichtetes Hospital und verschiedene Schulen in Verbindung, von denen die Vischofsschule außerhalb der Stadt über dem Gihou-thal die am zahlreichsten besuchte ist. Unter deren Zöglingen befinden sich auch einige mohammedanische Knaben, die Mehrzahl gehört Familien arabischer Protestanten an. Es ist hier uicht der Ort, sich über den Nutzen von Missionen überhaupt zu verbreiten. Wenn aber gewisse Reisende auf der hiesigen einen befondcrn Segen Gottes ruhen lassen, so ist dem zu widersprechen. Es ist wahr, man hat einige Kinder unterrichtet, Handwerker gebildet und Kranke gepflegt nnd geheilt, und wenn ich mich auch der Meinung nicht erwehren kann, daß die darauf verwandten sehr bedeutenden Snmmcn besser daheim, wollen sagen in Posen und unter den schlesischm Webern oder in Irland und in den britischen Fabrikdistricten, angebracht worden wären, so bin ich doch der Letzte, der diesen Leistungeu oic gebührende Anerkennung verweigern, ihren Ein- 45 flnß auf die Ausbreitung von Cultur und Civilisation leugnen möchte. Für die Hauptsache aber, oder für das, was der Mission Hauptsache ist. für das Christenthum ist wenig gewonnen worden. Man hat die Satisfaction, eine Alizahl Juden uud andersgläubige Christen zum Hochtircheuthmu betehrt zu haben, aber man hat andrerseits, indem mau sich jenen Inden nicht nnr mehr als erlaubt, anbequemte^), sonderu sie sogar bevorzugte, sie als Kinder des auserwählten Bolks fast wie eine Art Adel behandelte, einmal diese Proselyten geburtsstolz gemacht, und dann selbst ein gewisses halbjüdifches Wesen angenommen, welches ohnehin schon im Geiste der englischen Kirche liegt. Und sehen wir uns diese getauften Ifraeliten an, so numnt sich der Gewinn noch weniger tröstlich aus. Die meisten stud — wenn anders meine Quelle nicht übertreibt — nicht suwol dnrch ^Überzeugung als durch ein Berfahren gewonnen worden, welches sich, mit gefnndem Menschenverstand betrachtet, nur wenig von einem Kauf nnterfchcidet. Tie Missiou ist cine Speculation auf die Armuth der jerusalemer Iudeuschaft. Man beschäftigt jüdische Tagelohucr uuter der Bedingung, daß sie einige Tage in der Woche eine Missionspredigt hören. Mau bezahlt jüdische Eltern dafür, daß sie ihre Kinder in die protestantische Schnle senden. Man streckt bedürftigen Juden Darlehne uor und laßt sie ihnen, wenn sie „sich gut aufführeu" (duliavs propsi-^). d. h. sich zur Taufe bequemeu. Man berichtigt Miethen, schickt Kranken Arzneien, Wöchnerinnen Speise — alles in der Absicht, sie zu fesseln. Die Folgen dieser Bekehrungsmethode liegen am Tage. Biele der Profelyten melden sich nur, um sich aus der Noth helfeu zu lasseu, und einige sind sogar anrüchige Subjeete, uach *) Mau hat bä dem hrbraischcu Gottesdienst in der Zionskirche Gebetbücher mit dm gcwöhnlichm jüdischen Synagogcugcbctm in Gebrauch, wclchc letzteren nur wmia. abgeändert, nur mit einigen Anspielungen auf christliche Glaubenssätze vermehrt siud. 46 derm Vergangenheit mau nicht fragen darf, da es die Herren von der Mission in Verlegenheit bringen würde. Man weiß, daß eine Anzahl speenlativer Hebräer eigens zu dem Zweck nach Jerusalem gekommen sind, um sich hier taufen zu lassen, wo der Uebertritt einträglicher als anderwärts ist, und es soll Beispiele geben, wo solche in Ncligionswechsel machende Voyagenrs sich auf dem Herwege an verschiedeneu Orten das heilige Wasser appliciren ließen, mn die Neisesvesen zu decken. Eine ziemliche Anzahl uou Proselyten sind auch, als der pemniäre (Erfolg ihren Erwartungen nicht entsprach, wieder zum alten Glauben zurückgekehrt, und wenn bei meiner Anwesenheit in Smyrna cm dortiger Jude, dem der Missionär für den Uebertritt eine Anstellung als Bibelcolportcur mit vier Pfund Sterling monatlich verspro chen, ungenügsamerweise wieder zn Moses umwandte, als die Missionsgcsellschaft nur zwei Pfund bewilligen wollte, su werden sich dem Borfall aus dem Wirkungskreis der geistlicheu Herreu auf dem Ziou mehre ganz ähnliche Metamorphosen an die Seite stellen lassen. Ich bin weit entfernt, der hin uud wieder gehörten Ansicht beizupflichten, die Herren von der Mission wünschten auf diese Weise nur dahin zu gelangen, für die reichen Mittel, die ihnen von London zufließen, in der Zahl der Proselyten entsprechende Ergebnisse aufweisen, gegenüber so und so viel Pfuudeu so uud so viel getaufte Juden buchen zu können. Sie sind, so viel mir bekannt, redliche Seelen, nnd der Grund ihres Aerfahreus, das beiläufig wol iu den meisten Mifsionen dasselbe ist, liegt wol vielmehr darin, daß sie dein Taufwasser magische Kraft bci-messen, ein Glaube, von desseu Grundlosigkeit sie freilich schon längst die Erfahrung überzeugt haben sollte. Der Geist, der die jernsalcmer Protestanten mit wenigen Ausnahmen erfüllt, ist eine Mirtur ans englischem Hochkirchen-thum, jüdischen! Weseu uud deutschem Pietismus, wozu sich in neuester Zeit noch ein bedenklicher Chiliasmns gesellt hat, der in der Apokalypse das Hauptbuch des neuen Testaments zu sehen ,47 und die Träumereien Elliots als tiefe Wahrheiten zu betrachten scheint. Man hat nicht genug an dein reichlich bemessenen Gottesdienst in der Kirche und hält darnm jede Woche noch Betstunden in einem Privathanse, wobei außer den Geistlichen auch Laien sich fleißig mit Veteu und Ermahnungen vornehmen lassen. Als Ursache dieser Einrichtung gab mau mir folgcudcs au: Wie in einem frühern Kapitel angedeutet worden, brach im Jahr 1858 in Amerika wieder einmal eins jener „Revivals" aus, welche die Gemüther der ^aulees vmi Zeit zu Zeit epidemisch erschüttern. Geistliche wie Laieu wurden von dem religiösen Enthusiasmus wie wu einer elektrischen Strömung erfaßt, und von Grafschaft zu Grafschaft, von Staat zu Staat pflanzte sich der wilde Taumel fort. Advocate«, Eommis, Weiber or-gamsirten sich zu großen Betcrgesellschaften, schrien nnter Zuckun-gen und Aerrentuugeu Gott um Erbarmeu mit ihrer Süud-haftigkeit an, weiffagteu vou der Nähe des jüugsten Gerichts und lieben allerlei andern gottcsfürchtigeu Nufug. Iu Schottland cutwickelte sich aus der Kuude Hiervolt eine ähnliche Epidemie, und selbst iu Englaud prickelte und zuckte es. In Jerusalem sah man iu diesem betlageuswerthen Wahnwitz einen besonder« himmlischen Segen, eine Art Ausgießung des heiligen Geistes, ein letztes großes Pfingsten der gläubigen Menschheit. Dazn kam die Meümng, daß die Welt in den letzten Jahrzehnten auffallend gottloser geworden, dazu wieder die Gestaltung der politischeu und socialen Verhältnisse in Europa, der Aufgang des napoleouischen Sterns, der orientalische Krieg und zuletzt die drohenden Aspceten in Italien, Alle diese Phänomene wnrdcn mit der Offenbarung Iuhannis in Berbinduug gebracht. Mau erblickte, wie es schien, in dem Kaiser Napoleon den Antichrist, mindestens dessen Vorläufer, man sprach ausdrücklich davon, daß die Ausgießuug der letzteu apotalyptischeu Zoruschalc nahe bevorstehe, die Parusie Christi vor der Thür fei. So bereitete mau sich denn in jenen Convention, an welchen ich den Vi-jchof mit allen übrigen Geistlichen der Gemeinde theilurhmcn - 48 sah, auf das Ereigniß vor, ahmte bis auf Weiteres so gut es die cisatlantische Natur hergab, das Treiben der Amerikaner nach uud erwartete, daß demnächst auch hier die rechte Erweckung beginnen werde. Indeß schien mir mehr ein verirrtcr Verstand, als ein heißes schwärmerisches Herz die Sache eingeleitet zu haben. Es war etwas Gemachtes in diesen Conventikeln. Die alten Pietisten beteten ganz anders als hier die Geistlichen, nnd was die Uebrigen betrifft, so war ihr Schreien sicher lant genug, der Inhalt ihres Petens aber kam mir wie eine Uebersetzung der schönen politischen Rede» unsrer Handwerksgesellen von 1848 ins Religiöse vor. Es waren lange Ketten kirchlicher Phrasen ohne wirkliche tiefe Empfindung als die des Wohlgefallens, daß man sich fo wohlgesetzt nnd fließend mit feinem Herrgott über das Thema des Tages uuterhalteu könne. Wie fönst vollkommen verständige, sonst durchaus chrenwerthe Männer gleich diesen Geistlichen in ein solches Treiben hineingerathen konnten, scheint mir nnr daraus erklärlich, daß man hier von den großen Kreisen der deutschen Bildung entfernt und dem Schauplatz der jüdischen Messiashoffnungen um fo näher ist. In der That, ich dachte während der Gebete jenes Conventikels lebhaft an die oben beschriebene Scene auf dem Klageplatz der Talmndjnden, Ich dachte aber auch noch an etwas Anderes. Nicht weit vom Palast des armenischen Patriarchen wohnte 1859 seit Jahren schon unter einein Feigenbaum ein englischer Sonderling Jones (nach Andern Dickson), der sich, in allen übrigen Dingen ziemlich vernünftig, für den Johannes Baptista des wiederkehrenden Christus hielt. Er stieß jeden Morgen und jeden Abend in die Posanne, um der heiligen Stadt die Nahe des tausendjährigen Reichs zn melden, mit dessen Eugeln er gelegentlich Zwiesprache pflog, ssrüher sah man ihn viel mit einem Lamme, das er an einem Bande führte, spazieren gehen, und da er sich auf die Malerei verstand, so porträtirte er das Thier, und zwar der Abwechslung halber bald weiß, bald blau, bald in andern Farben. Zwei der hiesigen Geistlichen besuchten ihn einmal, um 49 ihn von seiner Monomanie zu heilen. Er hörte sie geduldig an, als sie aber weggingen, fanden sie, daß ihre Einwürfe und Vorstellungen ihn nur in dem Glauben an seine Mission bestärkt hatten. Der Besuch der „Schriftgelehrten" war ihm lediglich ein Zeichen gewesen, daß er der rechte Johannes sei. Was ich mit dem einen der Geistlichen über die hier aufgekommene Auffassung der Zeit und ihre Beziehung znr Apokalypse sprach, wird eine ähnliche Wirkuug gehabt habeu. Aber vielleicht sind dem Beklagenswerthen schon die Augen aufgegangen, und er hat die betrübende Wahrheit erkannt, daß Mr. Dickson-Ioues nur die Karrikatur der übrigen jerusalemcr Chiliasten war""), denen blos der Feigenbaum, die Posauue und das blaue Lamm maugelten. Wo nicht, so möge ihm bald Licht darüber werden, daß unsre Zeit, wenn auch nicht die Normalzeit, doch eine nicht blos tlngerc, souderu auch sittlich bessere Zeit als die frühere uud jedenfalls keine solche ist, die das Weltgericht herausfordert. Bis dahin mag er mir, der ihn in andern Beziehungen hochschätzt, ein geneigtes Andenken bewahren. Daß der Strcitteufel, der in der Luft Jerusalems schwebt, anch unter den Protestauteu Unheil ausästen würde, war schou deshalb zu erwarten, woil er m der Verschiedenheit der Nationen, welche die Gemeinde vereinigt, und in der stcnr«l, stolzen Ercllisioität der englischen Hvchkirchc ein passendes Feld für feme Saat faud. Ebenso verstaud sich von selbst, daß eö dabei zu keinen solchm Nohheiten und Unwürdigkeitm kommen könnte, wie sie die Streitigkeiten der Latciucr uud Griechen bezeichnen. *j Der arme Mensch hat den Weltuntergang nicht al'f,cwcirtet. Im Herbst 185!) verstummte seine Auferstehung^- und GcrichtGosmme. Die Nachbarn wunderten sich ein paar Tagc. dm wohlbelauutcn Ton nicht mehr zu hörm, mcwteu indeß, das gehe sie nichts weiter an, bis endlich ein immer pikanter werdender Verwchuigsgcrnch sie nachsehen hieß, was geschehen, und nian den unglücklichen ProdroinuS des wiederkehren« dcn Christus anf den Steinen vor seinem Feigenbaum in einem Znstand fand, der jenen unbequemen Dnft rechtfertigte. Busch, Wallfahrt nach Jerusalem, II. 4 50___ Es war indes; immerhin schlimmer als es hätte sein sollen. Lange Zeit bemühte sich der König von Prcnßen vergeblich, der durch seine romantische Liebhaberei für das heilige Land nach Jerusalem verpflanzten preußischen Kirche eine ebenbürtige Stellung mit der englischen zu erwirken. Die britischen Bischöfe schlugen das Verlangen, dem hier wie in England den Gottesdienst regelnden Commonprayerbook die (hier natürlich besonders kräftige und werthvolle) Fürbitte für den deutschell Fürsten einzuverleiben, rund ab. Sie wollten dein deutschen Geistlichen die Erlaubniß, in der gemeinschaftlichen Kirche zu predigeu nnd andere Amtshandlungen zn verrichten, nicht eher ertheilen, als bis er sich der englischen Ordination unterworfen habe, die bekanntlich nach dein Glauben der Hochkirche ganz ebenso wie nach demjenigen der römischen und griechischen allein den rechten heiligen Geist fortpflanzt. Sie gestatteten zwar, daß die deutsche Sprache iu der Kirche gebraucht werde, aber die Deutscheu sollten nur Nachmittags eine Predigt in ihrer Zunge hören und sich nur der englischen Liturgie bedienen dürfen. Das gab natürlich böses Blut und rief wiederholt Einspruch gegen diesen Hochmuth hervor, der um so weniger Necht hatte, als Preußen beträchtliche Summen zu den kirchlichen Instituten auf dem Zion beitrug und namentlich den Gehalt des Bischofs zum großen Theil bestritt. Endlich kam es zn einem Compromiß, welches dem deutschell Pfarrer die Kanzel in der Zionskirchc ausschloß, ihm den Gebrauch eiues preußischen Kirchenbuchs bei der Liturgie zugestand und die Fürbitte für deu Kouig von Preußen geschehen ließ. Auch auf die Ncordination der deutschm Geistlichen wurde Verzicht geleistet. Allein die Stellung des deutschen Theils der Gemeinde ist noch immer eine untergeordnete; denn ihr Pastor darf nur einen Sonntag um den andern und dann nnr des Nachmittags in der Kirche den Gottesdienst halten, und wenn der Bischof in deutscher Sprache predigt, wird noch immer die Uebersetzung der englischen Liturgie gebraucht. Ich wohnte einem dieser Nachmittagsgottesdimste (selbstver- 51 stäudlich auch allen Vormittags- und, Wochcntagsandachten) bei, und ich ka^m nicht behaupten, daß er mich sehr angesprochen hätte. Die Predigt des Bischofs über geistige Auferstehung hatte ihre Verdienste; doch störte den Norddeutschen der Schweizer-dialekt mit Worten wie Finschterniß, Mbscht, bischt u, a,, nnd die halbenglische Weise, freizusprechen und gleichwol gelegentlich aufs Blatt zn sehen, wollte anch nicht gefallen. Evangeliun: nnd Epistel wnrden von einem andern Geistlichen mit stark englischem Accent verlesen, die Melodie: „Jesus, meine Zuversicht" nach einer weniger schonen Melodie als bei nns gesungen. Das Commonprayerbook mag sich englisch recht gut ausnehmen. In deutscher Version, in deutschen Gemeinden angewendet, macht es mit seiuen genau formulirten Anweisungen, Gott „proper" zu dienen, den Eindruck eines Eticmettenbuchs, welches die Cour am hrrrgöttlichen Hofe ordnet; mit seinem fünfmaligen Vaterunser aber nnd seinem abwechselnden Sprechen der Psalmenverse durch Geistlichen nnd Gemeinde erinnert es bald an die klappernde Patcrnostermühle katholischer Noscukranznndachten, bald an das gedankenlose und übclklingende Hermurmeln der Gebetsordnung in Indcnschulen. War auf die angegebene Weise wenigstens ein leidliches Verhältniß zwischen den beiden Theilen der Gemeinde hergestellt, und schienen die Geistlichen derselben sich jetzt gut mit einander zu vertragen, so fand Asmodi oder wie der Säemann des Aergernisses in Jerusalem sonst heißt, in neuester Zeit doch wieder Gelegenheit, Unkraut mtter den Weizen zu säen, und es entbrannte eiu großer Zank zwischen dem Bischof und dem englischen Consul, der die Gemeinde noch 1860 in zwei Hälften trennte. Was die eigentliche Ursache und der Gegenstand des Zerwürfnisses war. habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Die bischöfliche Partei drückte sich darüber sehr unbestimmt aus, so daß ich glauben möchte, auch sie sei nicht ohne alle Schnld. Mit den Gegnern aber meinte ich mich nicht einlassen zn dürfen, da ich in diesem Fall den mir näher stehenden Deutsche«, welche 4* ___52____ mit der großen Mehrzahl der englischen Glieder der Gemeinde eifrig bischöflich sind, verdächtig geworden wäre. Vielleicht, daß uns Fräulein Friedcrike Bremer, der es möglich war, sich in den Soireen beider Parteien zu bewegen, Genaueres erzählt. Indeß ist bei der Methode, Herbheiten zu vermeiden und sein Urtheil durch Dankbarkeit bestimmen zu lassen, kanni viel Brauchbares über gesellschaftliche Zustäudc zu sagen. Nach dem, was ich erfuhr, war der Zank im Wesentlichen ein Etiqnettenstreit wie die große Mehrzahl der kleinen Zerwürfnisse unter den Franken von El Kods, uud seine Haupt-ursache der Ehrgeiz einer Frau. Die Frau Consuliu, Tuchter eines Reverend Mac Caul, der eine gelehrte Widerlegung des Talmud geschrieben, selbst eine Gelehrte, wollte eine Rolle in der Gemeinde spielen, die Erste in derselben fein, in die Geschäfte des Bischofs hineinreden, die alte Vergötterung der Juden fortgesetzt seheu, das auöerwähltc Volk andern Proselyton vorgezogen habeu u. s. w. Bischof Gobat giug darauf nicht eiu, und seine Gemahlin, deutsch ehrlich, ein klein wenig derb und geradezu, verhielt nicht immer ganz, was die Etiquette zu verhalten gebot. Der Consul, ein Engländer, wie man sie sich bei uns alle vorzustellen pflegt, sonderlich und wuuderlich. steif und starr, im Ucbrigen vom Willen seiner „Missis" abhängig, stellte sich in Vullenbeißerpositiun, umgab sich mit eiuigeu anrüchigen Individuen auö der von der Frau Consulin protegirten getauften Iudenheit, intriguirte in Zeitungen gegen „tbö pru8-8wn disliop" und gerieth, als die Gegner nicht nachgaben und seinem groben Geschütz gegenüber ebenfalls Batterien auffuhren, in solchen maßlosen Aerger, daß er den Bischof durch Ankündigung vun Stadtarrest zu seinem Willen zu nöthigen suchte. Nach langem unerquicklichen Hin- und Herschreiben bekam er in London wie in Berlin Unrecht, und daß er wirtlich im vollen Unrecht war, geht für mich mit Evidenz daraus hervor, daß der preußische Consul auf Seiten des Bischofs steht. Ich erzählte im vorigen Capitel, wie sich ein Spanier erkundigt, 53 ob man in Jerusalem angenehm leben könne, und will nun ausführlich darauf antworten, soweit die Antwort nicht schon im Bisherigen liegt. Von selbst versteht sich, daß es hier kein anderes Theater giebt, als das auf dem Golgatha, daß ein Ball iu der dreimalheiligcu Stadt den Frommen als mindestens ebenso verdammeuswerthe Enthciligung Zions erscheinen würde, wie die Prügeleien iu der Grabeskirche, daß die Crinoline« sich der engen Straßen wegen auf sehr bescheidene Maße beschränken müssen. lEiue Ausnahme, die sich auf dein Bezetha bisweilen zeigte, war eine doppelte Kühnheit, da sie, allerdings gigantisch, nicht nur gegen die Mauern der Gassen, sondern auch gegen die —vielleicht zu prüden— Schicklichkcitsbcgriffe des weiblichen Zion anstieß). Indeß schließt der Maugel dieser Dinge eine behagliche Existenz nicht aus. Leider fehlen aber auch noch mauche andere, vielleicht wesentlichere Erfordernisse zu dein, was wir nils Comfort zu nennen gewöhnt haben. Zunächst ist für Musik nur dürftig gesorgt. Fortepianos giebts in Jerusalem, fo viel mir bckanut, füuf. gute nur zwei, Perfonen, die mehr als zu klimpern verstehen, gleichfalls nicht mehr als zwei. Die Engländerinnen iutercssirt nur Kirchenmusik und Walzer. Von den deutschen Dameu spielt, wie ich glaube, Frau von Pizza« mcmo, wenigstrns stand in ihrem Saluu ein Pianino, und sodann dic Gemahlin dos preußischen Consnls, lchtrre als Tochter von Moschcles natürlicherweise mit Virtuosität. Mit dem Gesang verhält stchs nicht viel besser. Deutsche haben ein Singkräuzchm gegründet, welches beim Iahresfest der Diakonissinnen in recht braver Weise mitwirkte. Die eine Tochter des Bischofs besitzt eine schone Summe, die aber leider keine Schule hat. Außerdem hört man in Jerusalem nur Orgeln, arabische Pauken und Schalmeien, arabische Lieder durch die Nase gesungen nnd das unaufhörliche klagcude Geheul der türkischen Hörner auf Kasernenhof und Excrcicrplatz. Spaziergänge verbietet am Tage die Sonne, am Abend der Thorschluß uud die Unsicherheit der Gegend. Eine englische Dame, die einige Monate vor meiner Ankunft den Verhältnissen 54 Trotz geboten und nach Sonnenuntergang einen Vesnch außerhalb der Stadt gewagt, war am andern Morgen ermordet gefunden, ein Deutscher, der in einem Garten vor dem Iafsa-thor wohnte, schon zweimal von Räuberbanden heimgesucht und das eine Mal ausgeplündert worden. Der gewöhnliche Spazicr-gang ist ein steiniger, bäum- nud schattenloser Platz uor dem eben genannten Thor, der nur das Gute hat, daß man hier den Westwind frisch, wie er von: Meer kommt, und ohne Eau de Jerusalem in die Lungen ziehen kann. Zuweilen arraugirt man ein Mittagsmahl unter einem der Bämne im Gihouthal oder unter der großen Tcrebiuthc zwifcheu dem Jaffa- uud dem Damaskusthor. Der Platz muß aber dann vorher sorgfältig uutersucht werden, da die Araberinnen, die hier ebenfalls ihre Picknicks halten, auf solchen Orten lebendige Andenken zurückzulassen pflegen, die man nicht gern mit nach Hause uimmt, Clubs, wo man des Abends seineu Robber Whist spielen könnte, giebt es nicht, Leihbibliotheken ebensowenig. Die Zeitungen kommen so spät an, daß man hier in politischeu Dingen stets um zwölf bis vierzehn Tage jünger ist, als das vom Telegraphen geuährte, von den Eisenbahnen verproviantirte westeuropäische Pnblicum. Von deutschen Blättern sah ich uur die Trirster uud die Neue Preußische Zeitung. Die Nachricht vun dem Ultimatum Oestreichs au Sardinien erfuhr ich nicht vor dem 8, Mai, dagegen spukte die Schlacht bei Solfcrino gewissermaßen vor, da sich schon am 15, Mai unter deu hiesigen Griechen und Italienern das Gerücht verbreitete, Oestreich habe eine große Niederlage erlitten und bei derselben nicht mehr und nicht weniger als dreißigtausend Manu au Todten eiugcbüßt. Von Hauslehrern, Musikunterricht für Kinder u. dgl. muß abgesehen werden, da mau sich die Gelegenheit von Europa verschaffen müßte und dies mit zn großen Kosten verknüpft fein würde. Gute Dienstboten sind selten uud theuer. Köchiunen hat man sich ebenfalls aus der Heimath mitznbringen, da mit Araberinnen in der Küche absolut nichts anzufangen ist. ___55____ Geschickte Handwerker gehören gleichermaßen zu den Seltenheiten, indeß kann man jetzt wenigstens einen leidlich guten Stiefel und einen erträglichen Rock gemacht bekommen. Alles, was zum LnM gehört, nmß von auswärts verschrieben werden und ist in Folge dessen in der Regel noch einmal so theuer als in Deutschland. Indeß dürfte das mit der Zeit sich anders ge-> stalten, da das Bestreben des obengedachten Kaufmanns Löwenthal, die Ierusalemcr mit den Bedürfnissen der Kultur zu Verseheu, sich allmählig auf andere Branchen als die nothwendigsten ausdehnen und andrerseits nicht ohne Concurrenz bleiben wird. Daß Jerusalem ein gesunder Aufenthaltsort sei, wird man schon aus seiner hohen Lage schließen. Die Hitze ist im Sommer ziemlich stark, aber wegen der reinen Luft nicht eben drückend. Bemittelte, denen es iu der Stadt zu heiß wird, halten uuter Zelten in Thälern, welche dein Winde offen sind, cine Art Sommerfrische. Landhäuser anzulegen, ist der Beduinen wegen nicht gerathen. Von Kraukheiteu kommen vorzüglich Nechsclsieber, die Folge der Cisterueu, welche sich uuter jedem Hofe befiudcu, Augeuentzünoungeu, Dysfenterien, Masern und eine Halskrantheit vor, welche in Anschwellung der Mandeln besteht und bisweilen tödtlich wird. Acrztliche Hülfe ist zur Genüge vorhanden. Die Herren sind zwar mit Ausnahme des Iudcndoctors Engländer, und diese geben der Apotheke oft mehr zn verdienen, als die neue deutsche Schule gutheißen würde, aber man hat Ursache, dem Himmel zu danken, daß man sie hat und nicht au Italicner verwiesen ist, die im Wesentlichen mit Blutegeln uud der Lanzette curiren. Wohnungeu sind sehr theuer, und ebenso sind in den letzten zehn Jahren die Preise der Lebensmittel gestiegen. Ein geheizter Ofen, im Winter auch hier eine Wohlthat und darum jetzt nicht selten unter den Franken, ist gleichfalls eilt Gegenstand, der nicht unbeträchtliche Ausgaben erfordert. Man brennt Knickholz nnd Gestrüpp, welches ans der Gegend von Hebron kommt und bündelweise verkauft wird. 56 Die Auswahl von Speisen ist sehr beschränkt, und so hat das Genie der Hausfrauen, aus Einerlei Mancherlei zu machen, weiten Spielrnnm, Rindfleisch ist selten und niemals gut zu haben, Kalbfleisch gar nicht. Das Schaf liefert wie in der ganzen Levante auch hier das Hauptgericht für die Tafel. Außerdem kommen bei Wohlhabenden Hühner, Kalekutten, Rebhühner und wilde Tauben, im Wiuter Fische, bisweilen auch Hasen und Gazellen auf den Tisch. Amerika schickt Schinken, die Lombardei Salami. Knhmilch ist schwer zu bekommen, man hat sich daher mit Ziegenmilch zu begnügen. Mit der Butter muß in den letzten Jahren eine erfreuliche Veränderung vorgegangen sein; während andere Reisende darüber klagen, habe ich im Hospiz stets nur sehr wohlschmeckende gefunden. Trockne Gemüse werden eingeführt, namentlich Neis, der in der Form Von Pillaw auch von den Franken häufig genossen wird. Die achtbare Familie der grünen Gemüse ist nur durch die Gurke und ihren Vetter, den Kürbiß, ferner durch die Bohne und ihre Stiefschwestern Erbse und Linse, durch Kopfsalat. Spinat und Nüben, sowie durch Artischocken vertreten. Die Kartoffel ist so aus der Art geschlagen, daß ihre Verwandten in Deutschland sie nicht als verwandt, kanm als verschwägert anerkennen würden. Die palästinensischen Feigen verhalten sich zu denen von Smyrna, wie die Orangen von Jaffa zu denen, die nns Sieilien spendet. Dagegen sollen die Melonen sehr schön sein, uud ebenso werden die Trauben von Hebron hoch gerühmt. Für Getränk ist zunächst durch die Cisternen gesorgt, deren Wasser in der Zeit, wo ich in Jerusalem war, wie das beste Quellwasser schmeckte. Es soll dnrch Ablagern noch besser werden und niemals die garstige Blume und Farbe annehmen, die man bei längern Seereisen an dein mitgenommenen Wasser zu verwünschen hat. Der gebildete Verehrer der Gaben Gottes lebt aber nicht von Wasser allein, und so genießt er hier auch Kaffee, den ich an den meisten Orten schlecht, und Thee, den ich überall gut bekam. Desgleichen stärkt und erfreut er sein ____57____ Herz mit Wein- wenn er vermögend ist. mit Bordeaux Nummer cms (Nummer zwci scheint ein Absud von Blanholz, Heidelbeeren nnd Alaun zn sein), Marsala, Sherry und Champagner-, wenn er hochkirchlicher Geistlicher ist, mit dem würdevollen Port, dem Magentrost nnd Sorgenbccher der Männer Wenglands. Der hiesige Landwein ist, ant behandelt, ein nicht zu verachtendes Naß. Er hat dann einen Geschmack wie Neßmüller und dasselbe Fencr. Ich sah nnr weißen. Der beste wird von zwci Deutschen, dem Hospizwärter Tiehl und einem gewissen Schäfer in Bethlehem bereitet. Ob er sich hält und dnrch Alter gewinnt, ist noch nicht versncht worden, da man hier keiue geeigneten Keller besitzt. Wie ich hörte, verschickt man ihn seit einiger Zeit an Spittlcr in Basel, und wer von den Lesern seinen Geschmack probiron will, kann ihn von da ziemlich wohlfeil beziehen. Der Wein der Juden ist ein süßlicher rothgefärbtor Mischmasch, den Vater Noah, wie ich mir ihn vorstelle, gewiß nicht gemocht hätte. Schnäpse aller Art findet man in den griechischen Schenken, englische Biere bei Löwenthal nud im Mediterranean-Hotel auf der Christengasse. Daß auch deutscher Gerstensaft in Jerusalem quillt, werde ich mit gebührendem Patriotismus im nächsten Kapitel au einem Beispiel erläutern. Der Ton. der durch die fränkische Gesellschaft geht, ist, wie dies von einer kleinen Colouie nicht anders zn erwarten, ziemlich kleinstädtisch, nnd da er von Diplomaten angegeben wird, hält man einerseits viel ans Förmlichkeiten, andererseits anf einen gntcn Vorrath von Standalgeschichtchen. Ausnahmen davon scheinen selten zu sein. Es ist, als ob die Häuser trotz ihrer dicken Mauern durchsichtig wären, so gut ist jeder über die Verhältnisse seines Nachbars unterrichtet. Der Klatsch ist in allen Nuancen ausgebildet, ebenso das Übelnehmische Wesen, welches sich an kleine Verletzungen der Etiquette stößt. Wird man jemand in Gesellschaft vorgestellt, so erwartet er einen Besuch, namentlich wenn er sich zu deu Honoratioren rechnen darf. ___58___ Kommt man nicht, macht man eher bei andern als bei ihm Visite, hält man sich bei andern länger anf, so ist er verletzt, nnd es kann einem begegnen, daß cr beim nächsten Zusammentreffen vergessen hat, daß man eristirt. Sehr verdient um die Geselligkeit unter den Franken machte sich der protestantische Bischof dnrch die Soireen, die er während meiner Anwesenheit jede Woche veranstaltete, nnd zu denen außer den Consnln und andern Einheimischen von Distinction auch Fremde, die ihn: vorgestellt warm, Einladungen erhielten. Ich sah hier den preußischen, den russischen und den französischen Consul, den russischen Bischof, die verschiedenen Prediger der protestantischen Gemeinde, den englischen Arzt, russische und amerikanische Touristen nnd einen Kranz von Damen. Man unterhielt sich über Tagesfragen, besah sich die anf den Tischen des Salons ansliegcnden neuesten Bücher über den Orient, musicirte ein wenig, ließ sich Thee und später Wein mit Confect präsentirm, alles ziemlich nugezwnngen. Wenn zum Schluß die ganze Ge< fellfchaft aufrauschte, nur ein paar Capitel aus der Bibel vorlesen zu hören und dann, das Gesicht nach der Stuhllehne gekehrt, anf die Knie fiel, zn beten, so mag das dem Deutschen eigen vorkommen. Bei einem Bischof der englischen Kirche ist es Gewohnheit und als solche zweite Natur. Zum Schluß ein Wort über die Hanptpersöulichkeitcn der fränkischen Gesellschaft in Jerusalem, soweit sie nicht schon erwähnt sind. Hier kommen zunächst die Consul«, die Mitregenten der Stadt iu Betracht, Sie sind, da ein Haudel mit Europa kaum eristirt, lediglich Nichter und politische Agenten. Ihre Wirksamkeit ist von verhältnißmäßig neuem Datum; denn Syrien war bis zn seiner Eroberuug durch Mehemed Ali ein wenig beachtetes und in politischer Hinsicht kaum in Betracht kommendes Land, Ueber Gebühr aber trat es in den Bordergrund, als nach Vertreibung der Aegyptcr nnd Wiedereinsetzung des Sultaus in seine Rechte die bei dem dreißigjährigen Weltfrieden vor Langeweile vergehende Diplomatie als einzige Quelle ____59___ von Auszeichnungen, Orden und ähnlichen Vortheilen die Liba-noufrage erfand, in deren Gefolge zuuächst die Generalconsulate von Beirut und dann die Consulate von Jerusalem ins Leben traten. Besagte Frage verrückte in gewissem Maß die Partci-stellung der Großmächte. Rußland z«gte siart'eu Widerwillen gegen allgemeine Verhandlungen über die Verbesserung der Lage der syrischen Christen. Das damals eng mit ihm verbündete Preußen dagegeu wurde durch das Interesse seiues Königs für die Christenfachc England genähert und zog allmählig auch Oestreich mit sich fort. Das erste Consulat in Jerusalem war das britische, es wurde schon 1839 geschaffen. Dem englischen Consul folgten 1843 ein preußischer, ein französischer und ein sardinischer. Ctwaö später traf ein spanischer, dann ein amerikanischer ein, hierauf, im März 1849 ei» östreichischer, endlich, zehn Jahre nachher, ein russischer. Bis zum Jahr 1855 duldctcu die Türken nicht, daß die Consulate ihre Flaggcu entfalteten. Die Feier des Falls von Scbastopol gab Veranlassung, dies zum ersten Mal zu thuu, und jetzt wcheu die Farben der verschiedenen Nationen, von Kronen überragt, auf ihren hohen Masten jeden Souutag uud bei alten sonstigen Feierlichkeiten. Jeder Consul hat seinen Dragoman, der meist ein lateinischer Araber ist, seine Kawassen, welche ihm als Boten. Anfwärter und Polizeileute dieueu und gewöhnlich Türken oder Araber sind, und deren er nach Belieben und Vermögen zw« oder drei hält, endlich in der Regel auch seiuen Kauzler. Die Dragomaue sind nicht blos Dolmetscher, sondern betreiben zugleich Geld-und Mäklergeschäfte. Keiner von ihnen spricht deutsch -. denn die Gcschäftssprache ist italienisch. Jedes Consulat hat in den kleinern Städten Palästinas Consularagrnten, meist wohlhabende Araber, die bisweilen für ihre Bestalluug, welche ihnen einen Titel, das Necht Kawassen zu lmlten, eine Flagge auszustecken und andere Vortheile gewährt, ohne dafür besonders mühevolle Leistungen zu verlangen, recht erkenntlich sein sollen. Auf der 60 Straße zeigt sich ein Consul nie anders als mit feinem Kawassen, der, wenn sein Herr daheim ist, an der Thür als Portier Wache steht. Von den consularischen Ehren in der katholischen Kirche ist im Vorigen die Ncde gewesen; die protestantische weiß davon nichts. Das Ansehen dieser Diplomaten wechselt mit dem Ansehen der betreffenden Gesandten in Konstantmopel. Der beliebteste schien Mr der preußische zn sein, der mächtigste war bis vor Kurzem der französische, aber weniger durch die geschickte Politik, die er übte, als durch den Drnck, mit dem Herr von Thouvenel in Konstantinopel mit den 25,060 Franzosen, die damals bei Skutari lagerten, seine Forderungen unterstützte, nnd dnrch die Angst vor Absetzung, in der Kiamil Pascha dem Repräsentanten Frankreichs allenthalben willfahrte, bis es der Pforte zn stark wurde, nnd sie den nachgiebigen Verwalter ihrer hiesigen Interessen durch den jetzigen Pascha ersetzte. Die letzte wichtige Eroberung der Franzosen in Jerusalem war die Abtretung der Annenkirche an sie. Da diese seit Jahr-hnuderten im Besitz einer mohammedanischen Gemeinde war nnd an Christen nicht einmal gern Privathänser, geschweige denn Moscheen überlassen werden, so hielt es schwer, dies durchzuführen, und als es erreicht war, erregte es nicht blos den Zorn der Moslemin, sondern auch den Neid der christlichen Sekten. Die Franzosen hatten Kiamil Pascha versprochen, ihm, falls er behilflich, das Muschirat zu verfchaffcn. Dann hielt man in Stambul um die Kirche an. Die Pforte erkundigte sich bei Kiamil, was an derselben sei, und dieser antworteten ein Steinhaufen, der einmal eine Kirche gewesen sein folle. Daranf folgte — es war um die Zeit, als Abdul Medfchid mit Thränen in den Augen dein Andringen Thouveuels folgte, seinen Ball zn besuchen — die Bewilligung des Gesuchs. Als die Türken erfuhren, daß der Steinhaufen in Wahrheit ein noch wohlerhaltenes Gebäude sei und Thouvenel nicht mehr drücken konnte, wurde der ungetreue Beamte zuerst auf einen untergeordneten 61___ Posten in Amasia geschickt und bald, darauf ans dem StMs-dienst entlassen. Sein Nachfolger aber hat sich daran ein Beispiel genommen. Er halt zäher an den Rechten seiner Negiernng fest, und der jetzige Bertretcr Frankreichs, ein Herr Barere, wird keine derartigen Vortheile durchsetzen. Letzterer ist ein kleiner Herr mit großem Part, einem etwas verlebten Gesicht nnd einem sehr zu Verbeugungen geneigten Nacken. Als ich ihn in der einen Soiree beim Bischof Gobat traf, sah er sich unaufhörlich um, wie wenn er befürchtete, jemand vergessen zu haben, dem er verbindliches zu sagen hätte, uud mall mußte sich von Stuhl zu Stuhl retten, wenn man nicht unter seiu Füllhorn von Höflichkeiten gerathen wollte. Das schließt aber nicht aus, daß er eine hohe Meinung von seinen Verdiensten um Jerusalem und die Civilisation hat. Daß lii V'ranco an der Spitze der neuen Culturbewegung steht, ist ihm Axiom, daß er diese Missiou hier zu vertreten hat uud sie mit Geschick und Erfolg vertritt, seine fixe Idee, die er ohue irgendwelche überflüssige Bescheidenheit jedem, der ihm still hält, mit Beispielen aus seiner Wirksamkeit vorzutragen pflegt. Dürfte mau ihm glaubeu, so hätte der Gute Jerusalem schon zn wiederholten Maieu vom Untergang gerettet. Es ist aber nur das .ttickeriki deö yiMschon Hahns un ininilUurs. Kurz vor meiner Ankunft stießen betruutcne Lateiner des Nachts auf türkische Soldateu uud bekamen Händel. Die Türteu zoaen, als jeue ihre Knüppel gebrauchten, vom Leder uud verwuudeten einen so schwer, daß er starb. Der französische Consul, zuerst vou dem Länu benachrichtigt, begab sich, statt sofort au Ort und Stelle zu erschciueu und die Kämpfendcn zn trennen, nach der Kaserne, weckte den Pascha und forderte ihn auf Ruhe zu stiften. Dies gefchah ohne besondere Anstrcngnng. Consul Barere aber schickte noch in der Nacht zn dein Patriarchen uud audern vornehmen Leuten und ließ ihnen melden, die Stadt hätte in der äußersten Gefahr geschwebt, eine Revolution der Türken gegen die Christen sei ausgebrocheu gewesen, sie könnten 62 indeß getrost weiter schlafen, Jerusalem sei gerettet, die Gefahr von ihm beschworen, Aehnlich verfuhr der rührige kleine Herr bei dem oben geschilderten Skandal in der Grabeskirchc. Als das türkische Militär anrückte, mn die Ordnung herzustellen, soll Herr Barere ,,6n n,vant,!" gernfen haben, für seine Person aber blieb er weit davon, da das bekanntlich gnt für den Schnß ist. Später wollte er (ich hörte es ihn selbst erzählen) die geschlagenen rachedürstendcn Armenier, als sie sich Verstärkung geholt und sich zu einem Sturm auf die Türken vor der Kirche angeschickt, durch beredte Vorstellungen von ihrem Vorhaben zurückgebracht und so abermals die Christen vor Niedermetzelnua, dnrch die Mohammedaner bewahrt haben. Die Wahrheit ist. daß ein solches Unglück gar nicht oder nur in der Phantasie des kleinen ängstlichen Consuls drohte, und daß, wenn wirklich Jerusalem gerettet wurde, dirs durch die armenischen Geistlichen geschah, welche ihre Leute vom Kampfplatz abriefen. Nicht besser als dieser Anspruch anf die Dankbarkeit der Ierusalcmer ist die Mcinnng begründet, daß Frankreich im Orient eine ciuilisatorischc Mission verfolge. Im Gegentheil- waren die Türken numer zu Erpressungen geneigt, immer leicht zu bestechen, so ist es damit seit dem letzten Erscheinen der französischen Heere in der Levante ganz besonders arg geworden. Nicht oft ist in nenester Zeit eine Nation fo geldgierig, so unverschämt habsüchtig aufgetreten, als die Franzosen in Konstan-tiuopel. Um nur ein Beispiel anzuführen, ließ die Frau St, Arnands sich von der türkischen Negiernug ein Kaik mit zwölf Ruderern liefern, dann erklärte sie, sich mit einem geringeren behelfen zu wollen, doch bäte sie sich die Differenz in klingender Münze aus. Als dies gewährt wordeu, mußte ihr die Pforte ein Hotel ansmöblirm, und kaum war dieses eingerichtet, so veranstaltete die Frau Marschallin eiue Auction, versteigerte Hotcl, Müblement uud Kaik und zog sich mit dem Erlös nach Paris zurück. Aehnliche Schröpfnngcn des kranken Mannes erzählt man sich in den diplomatischen Kreisen Stambuls noch 63 viele. Die Türken aber merkten sich das nnd ahmten die Dreistigkeit der Fremden nach. Der vor dem Kriege den Ton der türtischen Bcamtenwelt bestimmende Liberalismus eines Rc-schid, eines Aali und eines Nnschdi Pascha hatte unter andern guten Eigenschaften auch die, daß er ans deu Nus der Ehrlichkeit großes Gewicht legte. Es mit dieser Tugend »weit über den Schein hinausznbringen, wurde kanm beabsichtigt, indeß verwandelte sich derselbe doch nicht selten in Wirklichkeit. Anders nach dem Kriege. Mit dein Vertrauen ans die politische Sittlichkeit der Europäer war auch das auf ihre persönliche Ehrenhaftigkeit geschwunden; die Fälle, wo die Tugend an der ersten Aussicht auf Straflosigkeit bei ungesetzlicher Bereicherung scheiterte, waren auf Seiten der französischen Bundesgenossen des Padischah gar zu häufig gewesen, und nie haben die Tribnnale sich käuflicher gezeigt, nie wurden die nothwendigsten Berwaltungsmaß-regeln leichter durch Vestechung rückgängig gemacht, nie war die Vergebung einträglicher Posten so sehr an Geldgeschenke gekuüpft, als seit dem Besuch jeucr Weltcwilisatoreu m der Levante. Der englische Consnl. ein Mr. Finn, ist bereits charaktensirt. Doch ist nuch zu erwähnen, daß er feiner rechthaberischen Grillenhaftigkeit weg«: nicht blos mit dem Bischof, sondern auch nnt sinncn diplomatisch«! CoUcgcll auf gespanntem Fnße lebt. Er soll übrigens fast ebenfo gelehrt wie feine bessere Hälfte sein. Wie viel an der von ihm gestifteten Gesellschaft zur Erforschung der Alterthümer des Landes ist, habe ich nicht erfahren können. Zahlreich ist sie auf keinen Fall, nnd epochemachende Entdeckungen sind von ihr auch nicht bekannt. Indeß verdient das Unternehmen infofern Lob. als damit eine nicht unansehnliche Bibliothek verbunden ist, nus der anch an Nichtmitglieder Bücher entliehen werden. Der Umgebung des Consulats wird viel Ungebühr nachgesagt, namentlich seinem Factotum, den: Juden Meschullam und dessen Sohne. Auch über den damaligen Vertreter Oestreichs (Herr von Pizzamano ist feitdcm gestorben) wnrde das Wesentlichste bereits 64 bemerkt. Er wohnte in cincm schonen Hause auf dem Bczctha, nicht weit uom Damasknsthor und war recht vornehm eingerichtet, wozu die Dankbarkeit reicher europäischer Inden für die von ihm ihren Glaubensgenossen in Iernsalem geleisteten Dienste beigetragen hatte. In den drei letzten Jahren vor meiner An-knnft in Palästina war seine Thätigkeit vorzüglich von dem Pilgerhaus in Anspruch genommen worden, welches nicht fern von seiner Wohnnng steht. Bon dein Architekten Endlicher in Wien entworfen und begonnen, wurde es von einem Präger Maurerpolirer vollendet. Es ist ein stattliches Gebäude in einein der Stadt sehr wohl angepaßten Styl, doch sollte es hoher stehen, auch sieht man dem Ganzen eben nicht an, daß es dreimalhundcrttausend Gulden getostet hat. Man sagt, der Grnnd habe viele Schwierigkeiten gemacht, es seien große Massen von Schntt nnd Erde wegzuschaffen gewesen. Man deutet al>er auch noch eine andere Erklärung des Mißverhältnisses zwischen Äosten nnd Leistungen an. Der armenische Tragoman des Gene-ralconsnlats hat, ohne der Bank, die er besitzt, Geld zu entziehen, in der letzten Zeit mehre Häuser gekauft. Der arabische Tischler, welcher Thüren, Fenster und anderes Holzwrrk lieferte, ist ans einem armen Schlnckcr ein wohlhabender Manu geworden. Der böhmische Polirer sollte sich, obwol er nichts weniger als ärmlich lebte, sich ein Pferd, hielt, bisweilen Vergnügungsreisen machte, eine nicht nnbedentende Summe zurückgelegt haben. Ich lasse die Schlüsse, die ich darans ziehen hörte, dahingestellt. Sehr möglich, daß der Argwohn zu weit geht. Wunder geschehen heutzutage in der heiligen Stadt freilich nicht mehr, aber die Betreffenden können beim Gruudgraben ja einen Schatz gehoben haben. Daß der Ban auch höher hinauf eine Steigerung des Wohlbefindens bewirkt habe, möchte ich nicht glauben. Ueber das sardinische Cousulat weiß ich uichts zu berichten, über das spauifche nnr, daß fein damaliger Chef ein Araber aus Jaffa war. H>om preußischen sei zunächst erwähnt, daß ich unter feiner Flagge die angenehmsten Stunden in Jerusalem 65 verlebte. Immer werden mir die Abende im Salon desselben, wo die Musikvorträge der Hausfrau Genüsse der Heimath wiederholten, eine werthe Erinnerung bleiben. Deutlich stehen mir alle Einzelheiten des Hofes mit seinem riesigen Rebstock, seinem Dach von blühenden Schlingpflanzen, der rothen sarazenischen Gartenhalle und des Gartens selbst mit seinen Blumenbeeten, seinen Granatbüschen, Cyvressen und Orangenbäumen vor der Seele. In frischen Farben erscheint Kadurah, der braune schnurrbärtige Htawaß mit der Glasurne des Nargileh, aus dessen Schlangenrohr wir den duftigen Nanch persischen Tabaks trinken^) mit Findjan und Sarf, darin der braune Trank Arabiens, lebhafter aber als alles bewahre ich das Bild des Herrn dieser unmuthigen Häuslichkeit nnd der Stnn-den, m denen es mir gegönnt war, uon ihm Belehrung zu Holm oder mit ihm Gedanken über Gegenwart nnd Znkunft auszutauschen. Es that ungemein wohl, gerade Preußen, die norddeutsche, die protestantische Grofnnacht, nnsrc Hoffnung, hier !" wohl vertreten zn finden, nnd wenn ich des Sonntags über unsrer Terrasse die schwarz-weißen Farben flattern sah, erschienen sie mir nicht blos deshalb schöner nnd edler als alle andere, Weil sie Preußen bedeuteten, sondern auch, weil der Mann, der nnter ihnen wohnt, sie durch feine Bildung, gründliches Wissen nnd edle Thätigkeit ehrt. Consul Rosen war früher preussischer Dragoman iu Kon-stantinopel. Er spricht türkisch mit allen Feinheiten des Idioms und zugleich arabisch. Eine Uebertragung des türkischen Märchenbuchs „Tutti Nameh", von ihm vor zwei Jahren heransgegeben, zengte von Geschmack ie Nacht 80___ hereinbrach, und die Beduinen sich anschickten, uns eine Fantasia vorzutragen. Neben dem schwarzen Baumschlag dämmerten die drei grauen Zelte, aus dereu Thüren und durch deren Leinenwände das röthliche Licht von Kerzen schimmerte. Ein großes Feuer von Dornen, von den Arabern in der Mitte des Lagers angezündet, warf seinen Schein auf die Büsche uud ließ, wo Lücken am Ufer waren, seine rothflammeudm Reflexe auf 'dem Wasser züngeln. Im Hintergrund gingen im matten Licht des mondlosen Nachthimmels die Silhouetten unsrer Pferde und Maulthiere. Vor dem in raschem Wechsel bald hoch auflodernden, bald zusammenschwindcnden Feuer hatten sich in breiter Ncihe dicht an einander gedrängt, die Araber aufgestellt, Ihuen gegenüber stand der Schech, die Nenle in der Haud. Ein Zeichen unt dieser Waffe, lind sie begannen taktmäßig zwei Schritte auf ihn zuzuschreiteu und dann wieder rückwärts gehend auf den Ausgangspunkt zurückzukehren^ wobei sie die Arme vom Ellbogen an ihm entgegenstreckten. Ein ranhes Hec, einen: Gekläff ähnlicher als einem Gesaug, begleitete uud regelte deu einförmigen Tanz, Der Schech stand still nnd berührte nnr gelegentlich die ^teule schwingend die Schulter des ciueu oder des audcru. Allmählig wurdeu ihre Bewegungen lebhafter. Der Schech sprang ein Lied näselnd in mancherley Wendungen auf feme Leute zu, die jetzt unter fortgesetztem He'e bald nach rechts, bald nach links die stopfe auf die Schulter legten, dabei aber immer wie vorher in dicht geschlossener Neihe zwei Schritt vor und zwei zurückschwaukteu, bio das Schauspiel damit endigte, daß sie einer nach dem andern ihre Pistolen abfeuerten. Was ihre Pantomime bedeute, war uicht zu erratheu. Ihre wilde« Gestalten aber, ihre rotlnmgestrahlten Gesichter mit deu duukeln Bärteu uud den blitzeudeu schwarzen Augen, die weißen Zähne, mit denen sie uus augriusteu, stehen mir uuch jetzt lebhaft vor der Seele. Nach dem Tanze wurde von nns Europäern ein Bad im Bache genommen, welches bei der selbst ill der Nacht fast 81 ungeschwächt' fortdauernden Hitze trotz der geringen Kühle des Wassers ungemein erfrischte. Dann wurden die Schlafteppiche über die Sättel gebreitet, die als Kopfkissen dienen sollten, und wir versuchten zu schlummern. Allein bei aller Ermüduug brachte es keiner der Bewohner unsres Zeltes zu wirklichem Schlaf. Zu der Schwüle, die unter dem Leinwanddach weit drückender war, als draußen, kam bald ein Kribbeln und Stechen, cm Jucken und Brennen, welches unerträglich war. Nm unser Nachtlicht schwirrten große, seltsam gestaltete Mücken und Fliegen. An den Zeltwänden kletterten lichtfreundliche Käfer von der Größe unsrer Schrötcr. Neben uns wälzten hastig dahineilende Scarabäen geschäftig die Düngcrkngeln, in die sie ihre Eier legen, und als ich aufstand, um nach der Ursache des Kribbelns und Juckens zu leuchten, fand ich, daß der beim Schlaftrunk verbrauchte Zucker uus eiu Volk bissiger Ameisen auf den Leib gelockt hatte. Die ganze Bettdecke war von den kleinen schwarzen Quälgeistern überlaufen. Ich daukte dem Himmel, daß sich nicht auch Skorpionen und Vicrzigfüße eingefunden hatten, cine Brut, die hier unten im tropischen Gluththal sehr häufig und besonders giftig sein soll, und zog es vor, die übrigen Stunden der Nacht außer den: Zelt zuzubringen. Hier hörte ich im halben Traum dem Quarren der Frösche zn, in welches gelegentlich, bald fern, bald nah, ein Schakal fein Geheul mischte, und ließ mich von jenem an das eintönig gedankenlose Singen der Mönche in Jerusalem, von diesem all das kläffende Geschrei der Bedumenfantasia erinnern, als ich plötzlich durch einen Ton wach wurde, der mir wie der Schlag einer Nachtigall klang. War sie es wirklich oder nicht, die Ko'uigin des deutschell Waldsängerthums? Ja, sie war es, die Holde: „Io, iho, iho, iho! Trioto, triow, totobnx" flötete sie, wie in den hellenischen Myrthenhaincn, wo Aristophanes ihre Sprache lernte, wie in den Buchengebüschcn, in denen ich daheim zuerst ihren Liedern gelauscht. Habe Dank noch jetzt, süßer Vogel, für dein trost- Busch, Wallfnhit nach NiusMm, U. 6 '82 volles Singen in schwüler Wüstennacht! Mögest du auch andern deutschen Pilgern die Freude der Hcimath zurückrufen unter den plärrenden Fröschen, den München dieser Einode, unter den nach Beute bellenden Schakalen, ihren virrfüßigen Beduinen! Unser Plan gebot uns, am nächsten Tage den Jordan nnd dann das Todte Meer zu besucheu und die Nacht im Kloster Mar Saba zu schlafen, ein nicht unbedeutendes Stück Arbeit in der sengenden Sonne, die uns erwartete. Bon Jericho bis zur Vadestelle am Jordan find es nicht ganz zwei, von dort bis zum Nordende des Todten Meeres anderthalb, von hier bis zum Kloster reichlich sechs Stunden, und auf der letzten Strecke führt der Weg über ziemlich mühsau: zu ersteigendes bruunenloscs Wüstengebirge. Su mußten wir zeitig im Sattel fein, uud demgemäß wurden bereits vor drei Uhr die Zelte abgebrochen, die Pferde gezäumt und die Maulthiere beladeu, uud schon halb vier Uhr bewegte sich unsere Karavane durch das dämmernde Gefilde an Jericho vorüber und weiter hinab in das Thal. Die Gegend wurde zuerst wieder öder, uud wir trafen hier und da eine düune Kruste Sälpeter, die den Boden etwa wie Reif bedeckte. Weiter nach Osten zu finden sich wieder Nabk-bäume und Aschersträucher, das Gebüsch am Wcge wird dichter uud höher, einzelne Tamarisken erscheinen, und endlich hat man emen schönen grünen Laubwald mit prächtigen Stämmen und vollen breiten Wipfeln vor sich, durch den sich unter steilen Schlannnnfcrn ein rafchströmcnoer Fluß drängt. „Schuf, esch scheriat", siehe, die Träntstelle, sagte unser Schech, mit dem Ende seiner Lanze hinabzeigend. „Neoa il ^ui--äano" erläuterte der Dragoman des Spaniers, ein arabischer Christ, indem er sich ein großes Kreuz über Brust uud Leib schlug. Es war der Jordan, Wir badeten, und mein Begleiter füllte als guter Kaufmauu niit der heiligen Fluth die gestern Abend geleerte Bierflasche, die nach Bafel verkauft werden sollte, und mit deren Inhalt jetzt vielleicht schon cm vornehmes Kind 83 getauft worden ist. Dann wurden Streifzüge durch das Dickicht gemacht, in dem wilde Schweine und Panther hausen sollen, endlich das inzwischen zubereitete Frühstück eingenommen. Das Wasser ist trüb, so reißend, daß anch gute Schwimmer wohl thun, sich nicht zn weit vom Nande zn entfernen, und an dieser Stelle — cö ist die, wo die Legende Jesum von Johannes getauft werden läßt — etwa achtzig Fnß breit. Die Tiefe des Flusses soll in der Mitte zehn bis zwölf Fuß betragen. Für Leser, welche nicht Muße hatteu, Dctailstndicn in der palästinensischen Geographie zn machen, sei noch bemerkt, daß der Jordan im Drnscnlande zwischen Rascheiah und Chas-beiah entspringt, durch den See von Tiberias wie der Rhein durch den Bodensce hindurchgeht und. nachdem er von Ost nnd West verschiedelie Bäche aufgenommen hat, im Todten Meer verschwindet. Er hat ferner viele Krümmungen, gefahrvolle Stromschuellen, tleiue Wasserfalle und eine Anzahl von Inseln. Von einer Schiffahrt auf ihm ist gegenwärtig so wenig die Rede, als von Benutzung des reichlichen Wassers zur Bewässerung seiues Thales. Die Beduinen des Ostufcrs machen alles das unmöglich. Im Walde am Ufer fnud ich wilde Lorbeerbäume, Sylomorcn, Eichen, Tamarisken, Akazien, Weiden und andere, mir unbekannte Bäume und Sträucher. Am Gestade wuchs Gras uud Klee, in Palästina Seltenheiten. In den Wipfeln ließen wilde Tauben ihr melancholisches Girren hören. Ueber dem Wasser schwebten einige Störche und ein Entonschwarm. Das Bild der Taufstcllc macht mit dem blauen Himmel darüber, aus dem die heilige Taube kam, einen durchaus angenehmen Eindruck, und wenn die Legende irgendwo ihren Ort gut gewählt hat, so ist es hier. Vom Iordau bis au das Nordendc des Todten Meeres reitet man über fast von aller Vegetation entblößten, mit Salpeter geschwängerten Boden. Das Meer oder vielmehr der See macht, da man im Süden kein Ufer sieht, den Eiudrnck eines Meerbusens. Zu pietistischen Ueberschwenglichkeitcn him 6' ___84___ neigende Reisende haben die Schrecken dieser Gegend sehr übertrieben. Das Wasser soll „wie eine weit hingegossene Bleimasse" aussehen, die Sonne sich „todtenbleich" darin spiegeln; die Berge Moabs sollen sich als „dunkle Kegel" darüber erheben. Was man nicht alles sieht, wenn man die Pastorenbrille aufsetzt! Das Bachr El 3ut hat die Farbe des Himmels, der sich über ihm wölbt, genau so wie jeder andere See Palästinas, es ist also in der Negel, o. h. wenn nicht Wolken darüber stehen, vom schönsten Dunkelblau. Die Sonue spiegelt sich in ihm nicht todtenblcich, schon weil sie nicht erschrecken kann, wie der, welcher sie erblaßt gesehen habm will. Die Moabiterbcrge aber sind nur bei Nacht dunkel, nnd das geht allen Bergen so. Am Tage haben sie gerade so wie ihre nördlichen Nachbarn, die ans der Ostseite des Jordan hinstreichmden Berge Ammons, eine röth-lichgelbe, in den Schluchten und Fernen eine bläuliche Farbe. Gewisse Seen des Schwarzwalds, manche Strecken der bayrischen Moose, die jütischen und schottischen Haiden haben ein bei weitem düstreres Colorit als der See von Sodom und seine Umgebung. Früher glaubte mau gar den Mönchen, der Asphaltsee hauche einen übelriechenden giftigen Odem aus, er dulde kein lebendes Weseu iu seinen Flnthen und ersticke selbst die Vögel, die über ihn zu fliegen versuchten. Hiervon ist wahr, daß das start mit Salz und Asphalt geschwängerte Wasser weder Pflanzen, noch Fische, noch Würmer oder Muscheln in sich birgt, dasi es einen scharfen bittersalzigen Geschmack hat und daß es Badenden an wunden Stellen des Leibes ein heftiges Brennen verursacht. Was darüber hinaus behauptet wird. ist Aberglaube, Der See hat keinen Geruch. Eine amerikanische Expedition, die ihn vor einigen Jahren vermaß, hielt sich ohue Schaden drei volle Wochen hier auf. Wir badeten in dem, beiläufig krystallhellen Nasser fast eine halbe Stunde und fanden nichts Erstaunliches, als daß wir beim Hinüberschwimmcn nach der kleinen, dem Nordende gegenüber gelegenen Insel wie Korke gehoben wurden und Mühe hatten, bei horizontaler Lage die Beine unter Wasser zu ^ 85 behalten, und daß uns bcim Herauskommen eine Salzkruste dcn Bart und die naßgewurdencn Theile des Kopfes überzog. Wir sahen ferner mehre Raubvögel, Möuen und Schwalben über den See fliegen, und wir hatten es endlich durchaus nicht zu bereuen, als wir anf den Einfall gericthen, das alte Bachr El 3ut als Kühlkessel für die beiden Bierflaschen zn benutzen, die nnser Mittagsbrod befeuchten sollten. Das vaterländische Gebräu schineckte darauf nur sehr kühl, aber nicht im mindesten nach dem Fluche Sodoms und Gomorrhas. Wenn das Todte Meer einen gewissen schauerlichen Eindruck macht, so geht das nicht ans dem Eolorit des Bildes, sondern darans hervor, daß es eben wirtlich ein todtes ist, daß die Verge, die sich in ihm spiegeln, kahl wie Gerippe sind, der sandige Strand im Norden ebenfalls ohne Baum, Strauch, Gras oder Moos ist, die erwähnte Insel gleichermaßen blos dem Steinreich angehört. Dazu kommen Erinnerungen an das, was die Sage in den See versenkt sein läßt, dazu der Gedanke, daß der schöne, waldumgrünte, von raschem, rüstigem Leben erfüllte Jordan so trübselig in den bittern trägen Gewässern verkommen muß, dazu ferner der Anblick der Bänme, die vom Fluß in den See hinabgeflößt und von diesem, nachdem er ihnen mit seiner Lange die Rinde abgefressen, sie zu Skeletten gebeizt und gebleicht hat, wieder an dcn Strand geworfen worden sind. Dazu kommt vor allem die großartige Einsamkeit der Gegend, die dem Wauderer nirgend den Nauch eines Herdes, nirgend ein Dorf oder Zeltlager, ciuen weidenden Hirten, einen rudernden Schiffer erblicken, nirgend Zeichen der Nähe von Menschen hören läßt. Die Länge des Todten Meeres beträgt zehn, feine durchschnittliche Breite ungefähr anderthalb deutsche Meilen. Als größte Tieft hat man 1170 Fuß gefunden. Am Südende, wohin sehr selten ein Reisender gelangte, soll man dcn See durchwaten können. Bekannt ist, daß die Oberfläche desselben zwischen 1200 und 1300 Fuß unter dem Spiegel des Mittelmeercs und nicht ____86 weniger als circa 4000 Fuß unter der Höhe von Jerusalem liegt und daß dieses in seiner Art einzige Wasserbecken höchst wahrscheinlich durch einen Erdsturz, den vulkanische Kräfte vorbereiteten, entstanden ist. Die Steinarten am Ufer und im See selbst bestehen aus gewöhnlichem grangclbcm Kalk- und Sandstein, bituminösem Mergelschiefer (auch Stinkschiefcr genannt) nnd Quarz. An der Ostküste fanden die Amerikaner vulkanische Bildungen und Lava, und im Süden stießen sie auf einen Berg, der vom Fuß bis zum Gipfel mit Schlacken und Lava bedeckt war, Oestlich von der Halbinsel Usoum (Sodom) entdeckten sie über einer Schlucht und sechzig Fuß über dem Wasser eine Säule von Steinsalz, die eine Höhe von ungefähr vierzig Fuß hatte. Sie wird für die Säule gehalten, in welche Lots Weib verwandelt wurde, und wenn die Nabbiucn Recht haben, welche annehmen, daß die Menschen in älter Zeit größer als jetzt geriethen, Adam ein Niese von zweihundert Schuh war, Abraham etwa fünfzehn Ellen maß, so läßt sich gegen die Sache wenig mehr einwenden. Wo die untergegangenen Städte (außer Sodom und Go-morrha werden von der Genesis noch Aoama und Zeboim genannt) gestanden haben, ist unbekannt, die Entdeckung der Stelle durch den pariser Ormitalistm de Saulcl) ein Humbug, an den man unter Gelehrten des neunzehnten Jahrhunderts nicht mehr glauben sollte. Schließlich ist zn bemerken, daß die Umgebung des Sees nur da dürr und ohne Vegetation ist, wo es an süßem Wasser mangelt. Der Jordan behält bis an seine Mündung, an der noch in den Zeiten des Iosephus drei Städte: Adida, Limas und Vethsemoth standen, Ufcrsäume von Bäumen und Sträuchern, und m der Schlucht Cndschiddi (vielleicht das Engeddi. wo David sich einst vor Saul verbarg, und mit dessen Traube die Sulamith des Hohenlieds ihren Geliebten vergleicht) wachsen neben der süßen Quelle, die den Ort bewässert, außer Schilf, Tamarisken und Gnrrabäumen auch Pal-mw. Flüssiges Erdharz wird in der Nachbarschaft des Sees ___8?^ nirgend gefunden, wol aber der sogmannte Moses- oder Asphaltstein. Als wir uns zum Frühstück setzten, bemerkten wir verwundert, daß unser Diener, der Webergefell, uns abhanden gekommen war, und als wir uns nach ihm umschauten, sahen wir ihn schon in weiter Ferne mit dem Mukkari, den Maulthieren und zwei Beduinen, welche gleich ihm zu Fuß waren, die Verge hinaufsteigen, welche wir zu überschreiten hatten, um nach Mar Saba zu gelangen. Er hatte, wie er sich später äußerte, nicht nlit uns essen wollen, weil es sich seiner Erfahrung nach mit vollem Magen schlecht marschire. Wenn das richtig ist, so gewann er dazu bald die andere Erfahrung, daß es sich in der Wüste noch schlechter marschirt, wonn man vorher nicht genug getrunken hat und kein Wasser mit sich führt. Auch der Spanier war mit seinem Dragoman verschwunden. Er hatte nicht im See gebadet, vielleicht aus Fnrcht vor seinein Gifte, vielleicht um den Segen, den ihm das Bad im Jordan gebracht, in dem verfluchten Wasser nicht abzuspülen. Wir folgten den vorausgegangenen mit unsern beiden berittenen Beduinen, erreichten nach einer halben Stnnde die mit Schilf und Tamarisken umgebene Quelle Am Ed Dschahir, deren schwachsalziges Wasser sich mit etwas Orangcnfaft trinken ließ, und begannen am Südende des Wadi Dabcr, einer tiefen Bodensenkung, welche sich mit steilen, zum Theil felsigen Wänden wie ein ungeheurer Festungsgrabcn zwischen dem Gebirg und der Iordauebme hinzieht, ebenfalls die Hohe zu ersteigen. Unter uns gähnte das Wadi Abu Dis, dann stiegen wir in das Wadi Knnctcreh hinab. In der Ferne zeigte sich der Nebln Musa, eine Höhe. auf deren Spitze die Ruine einer kleinen Moschee den Mohammedanern das Grab Mosis bezeichnet. Es lag nach der Bibel früher allerdings jenseit des Jordan im Gebirge Moab, aber cm Derwisch wünschte es auf Befehl Mohammeds vor einigen Jahrhunderten in diefe Gegend, und das Grab konnte nicht umhin, zu gehorchen. 88 Die Hitze war wieder taum zum Aushalten. Die Steigbügel brannten durch die Stiefrlsohlen, und die Luft zitterte ill der Ferne wie über einem Backofen. Noch entsetzlicher wurde der Sonnenbrand in den Schluchten, in die wir nun hineinritten. Es war zwischen elf und zwölf Uhr, die Zeit, wo es hier keinen Schatten giebt und die Gluth des Himmels nicht blos von oben hcrabbrennt, sondern auch von der erhitzte« Sohle und den Wänden der Thäler zurückgegeben wird. Wir hatten keinen Thermometer bei uns, aber nach dem Geschmack der Luft, die ich emathmete, und den Blasen, die ich an ungeschützten Stellen des Halses und auf der Hand bekam, welche den Zügel hielt, fürchte ich nicht zu übertreiben, wenn ich annehme, daß die Wärme am Abhang des Gebirges 38 bis 40, in den engen Thälern, wo die Sonnenstrahlen sich wie in Vrennspiegeln con-crntrirten, wenigstens 45 Grad erreichte. Es zeigte sich denn auch bald, daß imscr Webergescll seinen vielgewanderten Füßen zu viel zugetraut hatte. Schon Tags vorher hatten wir beide ihn abwechselnd ein Stück reiten lassen, da er zurückzubleiben ansing. Jetzt wurde es schlimmer. Wir hatten etwa zwei Stunden vom Todten Meer zurückgelegt, als der eine der beiden Beduinen uns wieder entgegen kam und die Nachricht brachte, der Hadschi, welcher zu Fuß reise, liege unter der Straße in einer Kluft und sei krank; wir möchten ihm zu trinken schicken. Wir stiegen ab und kletterten zu ihm hinab. Er lag auf den Steinen, klagte über Kopfweh und bat kläglich um Wasser. Wir hatten ihm keines zu geben, da der Mukkari mit den Maulthieren, welche das Iurdanwasser trugen, unbekümmert um ihn und uns vorausgezogen war. Alles übrige Naß war mit Ausnahme eiuer Flasche Marsala, die sich aber ebenfalls in der Gewalt des Maulthiertreibers befand, am Todten Meer vertilgt worden. Wir besaßeu absolut nichts als jeder eine Orange Bon diesen gaben wir eine dem Kranken, die andere theilten wir zwischen uns beiden und den Beduinen. Wohlweislich bewahrte ich mir von meinem Stück die Schale auf. ^ 89 Wir ließen mm den Brandenburger auf Löwenthals Pferd steigen und setzten die Reise noch eine halbe Stunde weit fort. Aber die Glnth war zu furchtbar, nnd so beschlossen wir, uor einer kleinen Höhle angelangt, eine Weile zu ruhen. Die Beduinen drängten indeß bald wieder zum Aufbruch, da Mar Salm noch fünf Stunden entfernt fei und wir nach Sonnenuntergang keinen Einlaß ins Kloster fiudcn würden. So trat ich dem Webergefcllen mein Pferd anf eine halbe Stunde ab und ging so rasch ichs vermochte voraus, um die Andern noch ausruhen zn lassen uud nach Verlauf der genannten Frist auf sie, die mich bald einholen konnten, zu warten. Sie kamen, aber der Haudwerksbursch hatte sich noch nicht genng erholt, und su ließ ich ihm meiuen Gaul noch eine Halde Stunde. Er ritt mit Löwenthal weiter, ich folgte mit dem Schech langsam nach. Es wahrte nicht lange, so verschwanden jene beiden hinter Wüstenhügeln, nnd wer mich nicht erwartete, als ich mit glühenden Sohlen, erfchöpft nnd sonnedurchglüht die verabredete halbe Stuudc zurückgelegt hatte, war der dankbare Webergcsell aus dem Brandenburgischen. Ich weiß nicht, wie ich den Wackern verwünschte, uur das ist mir erinnerlich, daß ich, wie das mit allen Verwünschungen zu sein pflegt, die Sache dadurch nicht änderte, und so mußte ich mich wenn ichs nicht darauf aukommeu lassen wollte, in der Wüste liegen zu bleiben, mich mit dem Schech wegen Abtretung semes Pferdes in Bernehmen setzen. Die Noth macht beredt, uud es gelaug mit einigen arabischen Brocken und eiuem deutlichern Oeberdeuspiel dem brauueu Gentleman meinen Wnnsch verständlich zu machen. Nicht eher aber räumte er mir seinen Sattel ein, als bis ich ihm auf wiederholtes „Vackfchich kebir", (viel Trinkgeld) wiederholt und mit überzeugender Emphase ein „Ewah" (ja) geantwortet, und nicht sobald war er abgestiegen, als er, ohne Rücksicht daranf zu nehmen, ob ich den Weg nach dem Kloster wisse, sich seitwärts in die Berge schlug. Ich war, nachdem ich ihn aus den Augen verloren, ganz 90 allein in der Wüste, und als ich so hinritt, bald über eine Hochfläche, bald einen der Hügel hinauf, bald in einen Kessel oder in eine Thalmulde hinab, dachte ich mir zu verschiedenen Malen die Situation, in die ich gerathen würde, wenn ich an einen Kreuzweg kä'me und den falschen Pfad einschlüge. Räuberische Beduinen, Gespenster des Durstes, des Hungers, ein Nachtlager auf Steinen mit Skorpionen als Vettgenossen spukten mir durch den Kopf. Allmählig jedoch machten diese trübseligen Bilder verständiger Ueberlegung Platz. Links im Osten glänzte durch die Bcrgschluchten, etwa zwei Stunden entfernt, der Spiegel des Todten Meeres, rechts hinter dem Gewirr von Gipfeln und Kreuz- und Querthälern, mußte Jerusalem sein. Im Süden vor mir lag wahrscheinlich das Kloster. Ich hatte mich also hauptsächlich bor solchen Wegen zu hüten, welche nach links abzweigten. Außerdem besann ich mich, daß das Beduincnpferd klüger sein würde, als ich, da es ohne Zweifel schon oft die Tour vom See nach Mar Saba gemacht hatte, und so ließ ich es an zweifelhaften Stellen sich selbst die Straße wählen. Die Hitze wurde hier oben durch den Nachmittagswind erheblich gemildert, gegen den Durst leistete die aufbewahrte Orangenschale und, als diese verbraucht war, eine Hand voll Tabak gute Dienste, der Weg war auf dem dürren, steinichten Boden oft kaum zu erkennen, aber nur an einigen steilen Stellen beschwerlich, und so peinigte nur noch die Einsamkeit; denn in den drei Stunden, die ich auf diese Weise zurücklegte, sah ich von lebenden Wesen nur spannenlange schwarze Eidechsen, welche in Palästina anch die Wüsten bevölkern und mit ihren graziösen Bewegungen und ihrem stets gehobenen Schwänzchen immer Stoff zu heitern Betrachtungen geben. Ich hatte manches Wadi durchzogen, manchen Berg erstiegen, als ich endlich in ein Thal hinabritt, in dem ich eine Cisterne fand. Es währte nicht lange, so trafen hier auch die Gefährten ein, die. da sie zu weit nach Rechts gerathen, trotz ihres raschen Reitens hinter mir zurückgeblieben waren. Nebeu den: Mund des Brunnens lag ein zerbrochener Topf mit einen: Strick als Schöpfeimer, wir zogen uns von der kühlen Fluth herauf, so viel wir und die Pferde bedurften. Das Wasser war vortrefflich, und wenn es darin von zolllaugcn rothen Würmern wimmelte, so ließen diese sich dadurch vom Muude abhalten, daß wir beim Trinken den weißen Musselin unsrer Turbane uor die Lippen hielten. Erfrischt traten wir unter Führung der inzwischen ebenfalls eingctroffenen Beduinen die Weiterreise an und stiegeu über cmeiMhoheu kahlen Bergrücken in einen Kessel hiuab, in dem mehre Schluchten zusanuueutreffcn, vou denen die eine das berühmte Wadi En Nähr, zu deutsch Feuerthal ist. Dieses, die Fortsetzung des Kidronthales bis zu feinem Ausfluß biu, ist ciue der wildesten, schauerlichsten Felsklüfte, die ich kenne. Zu beiden Seiten erheben sich fünf bis sechshundert Fuß hohe schroffe Wände eiues braunen Gesteins, durch das sich bandartige horizontal laufende Streifen vou dunklerer Farbe ziehen, und welches, vom Negeu vielfach zerwühlt und gezackt, zahlreiche kleine nnd große Höhleu uud Grotten zeigt. Die Thalsohle wird durchschnittlich nicht breiter als fünfzehn Schritt feiu, die obere Weite wenig mehr betragen, nnd so ist der Grund den größten Theil des Tages beschattet. Väume, Sträucher mangeln gänzlich. Die Schlucht ist fast so dürr und trostlos, wie ich mir die Thäler im Moudc deute. Eiuc gute Straße, iu den dreißiger Iahreu vou den Griechen angelegt, führt etwa zwanzig Minuten lang im Zickzack an der einen Seite hinauf uach dem Kloster, welches mit seinen starken Thürmen und hoben Mauern, seinen Zinnen, Vorsprüngen und Terrassen weit mehr Aehnlich-tcit mit ciuer Ritterburg als mit einem Wohnsitz frommer Mönche hat. Dies gilt indeß von allen einsam liegenden Klöstern des heiligen Bandes nud hier iu der unmittelbaren Nachbarschaft der Beduiuen des Todteu Meeres hatte man ganz besondere Ursache, sich zu vermauern und zu verschanzeu. Nur ein Empfehlungsbrief vom griechischen Patriarchen öffnet das 92 kleine, dick mit Eisen beschlagne, mit einem gewaltigen Riegel verwahrte Pförtchen, welches den alleinigen Eingang in die Mönchsftstung bildet. Das Hinabsteigen in den zweiten, innern Hof, den die Kirche, die Wohnungen der Klosterleute und die Pilgerherberge umgeben, ist nur Christen gestattet. Unsre Beduinen mußten nnt den Pferden und Maulthicren im ersten zurückbleiben, wo ihnen in einem Stall Unterkunft angewiesen wurde. Das Kloster Mar Sab a hängt im eigentlichen Sinne am Rande des Abgrundes. Die Kirche ist mit gewRtigcn Strebepfeilern vor dem Hinabrutschen bewahrt. Trepp ab, Trepp ans wird man geführt, wenn der dolmetschende Kaluger dem Reisenden die Merkwürdigkeiten des Orts zeigt. Auf der untersten Terrasse haben die Mönche einen kleinen Gemüsegarten angelegt, in dem drei oder vier Granatbämne stehen. Nicht weit davon umklettert eine Nebe die Thür einer Höhle in der Felswand. Neben der Kirche ragt eine Palme empor. Alles andere ist Stein nnd abermals Stein. In der Pilger-Herberge bot man uns zum Willkommen Mastixbranntwein, Wasser und Feigen. Später gab es ein Abendessen von Wassersuppe, Eierkuchen in Oel, gesalzneu Oliven, schwarzem Brot und Käse. Wein fehlte, aber wir hatten noch eine Flasche Marsala, nnd so war uns geholfen. Bon den Wundern des Klosters ist nicht viel zn berichten. Man zeigte nus verschiedene halbdunkle Kirchen nnd Kapellen mit den wohlbekannten in Silber und Farbenglanz eingerahmten, mnmienbraunen, nach der Schablone gemalten Heiligmgesichtern, in einer Nische einen Haufen Schädel, angeblich von dem Blutbad herrührend, welches die Sarazenen im Jahre 612 unter den Mönchen angerichtet, einen Sarkophag mit den Gebeinen des Kirchenvaters Johannes Damascenus und die Höhle, wo der heilige Saba, der Stern der Wüste, lange Jahre mit einem Löwen gelebt. Man erzählte uns, daß in den Klüften und Grotten der Nachbarschaft in früheren Jahren mehr als zehn- ___93____ tausend Anachoreten gewohnt, und wollte von der Palme wissen, sie sei über tausend Jahre alt, obwol sie dem Anschein nach schwerlich mehr als fünfzig zählt. Die Mönche sind großen-theils Griechen, eimge sind ans Nnßland gekommen, dessen Kaiser das Kloster wiederholt reich beschenkten, Sie tragen sich wie in Griechenland i dunkelblaue Gewänder nnd schwarze Popenmützen. Die meisten sahen blaß nnd mager aus, eine Folge des unaufhörlichen Fastens, und alle hatten den garstigen Kno-blauchsgrruch an sich, dessen Dunstkreis ihnen den auf Erden noch Mangelnden Heiligenschein ersetzen zn sollen scheint. Machten ihre Gespräche den Eindruck bigotter Einfalt und Beschränktheit, so that es der Spanier, den wir hier wieder begrüßten, ihnen darin vollkommen gleich. Andächtig küßte er, sich bekren-zend, nach ihrem Borgang die Thürpfoste der Höhle Sabas, die Schädel der erschlagenen Mönche nnd andere Heiligthümer, nnd mit großem Eifer vertheidigte er später, mit meinem Begleiter disputirend, die nilbefleckte Empfängniß Mariens und ähnliche wundersame Dogmen der römischen Kirche. Müdigkeit nnd gute Lebensart, welche jedermann nach seiner Fac,on selig werdeu läßt, hießen mich dazu schweigen. Als er aber mit der Behauptung herausrückte, daß es eigentlich Maria sei, die nns erlöst, da sie ihren Sohn beredet habe, sich für uns kreuzigen zu lassen, hatte ich doch Mühe, den Lachtenfel, der mich in der Kehle titzelte, von einer Demoustration abzuhalten. Das muß uicht gauz gelungen sein. Der Hidalgo warf dem Ketzer einen Blick zu, in dem etwas von dem Fener flammte, welches einst in seiner Heimath die Autodafes anzündete, und die Disputation hatte cm Ende. Als ich am Morgen auf meiuem Schlaftcppich erwachte, war nnser Spanier bereits aufgebrochen, um über Bethlehem nach Hebron zu gehen, wo er wieder reichliche Gelegenheit gefunden haben wird, sich au Reliquien zu erbauen. Wir aber kehrten nach Jerusalem zurück. Vorher gab es den gewöhnlichen Zank mit den München über Zeche und Vackschisch, dann den ebenso unausbleiblichen mit den Beduinen, 94 die das ihnen gebührende Gcleitgcld sammt einer Neihe von Items für die Fantasia, für das mir abgetretene Pferd und der Himmel weiß was fönst noch vor der Rückkunft nach Jerusalem in Anspruch nahmen und, als Vorstellungen nichts halfen, zu Drohungen schritten. Auch damit war bei uns nichts auszurichten, und als der Schech in seinem Grimm die Keule fortwarf, ließen wir ihn sie suchen und ritten davon, es ihm anheimstellend, sich seine Gebühr in Löwmthals Haus abzuholen. Durch ein viclgewundenes Thal, in welchem wir an verschiedenen Stellen Spuren von Vcduinenlagern, Reihen* von Kochfcueru uud zusammengelegten Steinen begegneten, kamen wir nach einer Stunde wieder zu weidendem Vieh, dann zu einzelnen Gerstenfeldern, dann über einen steilen weißschimmernden Paß zu Gärten mit Feigen- und Manlbeerbämuen nnd endlich in die Stadt, die bereits auf der Höhe des Passes sichtbar geworden war. Einige Tage später wurde Bethlehem besucht, und zwar allein und zn Fuß, Der nächste Weg führt aus dem Iasfa-thor in das Gihonthal hinab nnd dann an Montefiores neuer Windmühle vorbei nach einer Ebne hinauf, an deren Ende die weißen Gebäude des Eliasklosters sich zeigen. Die Ebne ist gut bebaut, nnd anf den: Wege begegnete ich zahlreichen Landleuten, Männern uud Frauen, die mit Gemüse nud Hühnern zn Markte zogen. Kurz vor dem Kloster trifft man einen Brunnen, an welchem die Tradition die Weisen ans dem Mor-genlandc dm Stern wieder erblicken läßt, der sie znm Jesuskinde leitete. Das Kloster ist von griechischen Mönchen bewohnt und sehr fest gebaut, seine Kirche groß, aber nicht so reich ausgestattet, wie andere in dieser Gegend. Umfassend ist die Aussicht, die man vom Dache genießt. Auf der einen Seite sieht man die Zinnen und Kuppeln Jerusalems, anf der andern, im Süden, liegt auf einem sattelförmigen Hügel iu einem weiten 95 vorwiegend grauen, vielgegliederten Thalkessel das weißliche Bethlehem und ein Stück davon das burgartige Krippenkloster. Südwestlich schimmert zwischen Olivenbn'umm ein weißgetünchter Würfel, aus dem eine kleine Kuppel hervortritt — das Grab Nahels. sagt die Legende. Eine Strecke davon erscheint der große Flecken Bet Dschalah am Berghang. Einzelne Striche sind mit Olivcnbäumeu, Reben, Feigen- und Granatbäumen bepflanzt, hin und wieder erblickt nian Getreidefelder. Den östlichen und südlichen Horizont bilden die Kuppen und Schluchten von Wüstenhügcln. Beim Hinabsteigen in das Thal gesellte sich ein arabischer Knabe zn mir, der auf einem Esel ritt und mir erst italienisch, dann in gebrochnem Französisch verschiedene Perlmutterarbeiten anbot. Als ich den Kauf ablehnte, benutzte er die Gelegenheit zu profitiren insofern, daß er sich von mir in aller Eile eine Lection im Engüschsvrechen ertheilen ließ. Ich mußte ihm sagen, was Geld, kaufen, theuer, wohlfeil und andere beim Handel vorkommende Ausdrücke auf englisch hießen, ihm die Zahlen lehren u. s. w. Es war augenscheinlich ein aufgeweckter Bursch, der mit den Regeln kaufmännischen Berkehrs, wie sie im Orient gelten, recht wohl bekannt war und sogar Grundsätze hatte. Bethlehem hat gegen 3000 Einwohner, die fast alle Christen sind, wie man schon daraus inne wird, daß die Frauen — welche beiläufig hier eiue eigne Tracht tragen, die in einer über das gewöhnliche blane arabische Hemd geworfenen rothen Tunica besteht — sich das Gesicht nicht verschleiern. Sie beschäftigen sich mit Garten- und Feldbau und außer andern Handwerken mit Anfertigung von Andenken für die Pilger-Rosenkränzen, Crmifiren, Dosen mit dem Bilde des heiligen Abendmahls, Christusbildchen, Trinkschalen u. a,, wozu sie Dattelkerne, Feigen- und Olivenholz, vorzüglich aber Perlmutter, Frauenweiß und den Stinkschicfer vom Todten Meer verwenden. Weß Geistes Kinder sie sind, welche Sitten unter ihnen herrschen (freilich nicht unter ihnen allein, sondern in ganz Palästina) 96 mag man daraus abnehmen, daß es in dm Stadtvierteln Taradiimeh und Sauahireh einen anonymen Mordvcrsicheruugs-Berein giebt, welcher dem Mitglied gegen eine festgesetzte Prämie Sicherheit vor dcr Blutrache, also Straflosigkeit für begangne Mordthat gewährt, indem er in solchem Fall das Blutgeld zahlt. Ich bemerke hierzu bloß. daß dic Theiluehmer der lateinischen Kirche angehören, die in Jerusalem und dessen Nmgebung über zweihundert Geistliche zählt. Das Innere des Städtchens ist schmutzig. Auf der Marktgasse, durch die man geht, wenn man nach den Klösteru will, sah ich fast nur Zwiebeln nnd Knoblauch feil halten. Die Klöster — es sind dreii ein lateinisches, ein griechisches nnd ein armenisches — bilden einen Stadttheil für sich. Sie siud allesammt von einer hohen, mit Strebepfeilern gestützten Mauer umgeben und schließen drei verschiedene Kirchen ein. Durch ein ziemlich enges Hauptthor gelaugt man auf einen gepflasterten, von Arkaden eingefaßten Vorhof, aus dem ein kleines Pförtchen in die Kirche führt, welche die Geburtshöhle einschließt. Diese Kirche ist eine der ältesten und schönsten in Palästina. In ihr wurde am We'chnachtstag des Jahres 1101 der Krenzrittcrkönig Bal-duin gekrönt. Ihre Grundform zeigt den ältesten Vasilitenstil, ihre jetzige Ausschmückung stammt von den Griechen her, die sie im Jahre 1842 ansbessertcn und thcilweise umbauten. 48 gelbliche Marmorsäulen mit koriuthischen Kapitalen tragen die Decke, dic aus Cedcrnholz vom Libanon gefertigt fein soll. Große Fenster erhellen das Schiff, welches ein Kreuz vorstellt. An den Wänden erblickt man griechische Inschriften, Spuren musivischer Darstellungen uud eiuige nachgcduntcltc Gemälde auf Holztafeln. Der Chor. vom Schiff durch eine Quermauer geschieden und drei Stufen höher als dieses, enthält einen den drei Weisen aus dem Morgculand geweihten Altar, vor dem ein Marmorstcrn am Boden die Stelle bezeichnet, über welcher der Wegweiserstern des Jahres Eins stillstand „oben über, da das Kindlein war." Rechts nnd links von dem Altar führen ___97___ Stufen in die unter ihm befindliche Felsenhöhle hinab, wo die Legende Jesum geboren sein läßt. Während die Kirche ziemlich schmucklos ist, kommt die Kapelle, in die man die Höhle verwandelt hat, an Pracht der Grabcskirche in Jerusalem gleich. Wände und Boden des Ranmes, der eine Lange von etwa achtzehn und eine Breite von sechs Schritten hat und ungefähr zehn Fuß hoch ist, sind mit weißen Marmorplatten belegt. Mehr als dreißig Hängelampen werfen im Verein mit mehreu Leuchtern ein helles Licht auf die verschiedenen heiligen Gegenstände in der Grotte. Die besonders verehrten Stellen sind mit seidncn Stössen behängen. Hinten im Osten der Höhle ist die Stelle, wo Maria entbunden wurde. Sie wird durch einen Altar bezeichnet, unter dem sich m einer Nische eine Tafel von weißem Marmor befindet, anf welcher man, umgebeu von den Strahlen einer Sonne von Silber und Jaspis, die Worte liest- ,,llio äü virg'ius Naria ^O8U8 Odristus nlUu« L8t,." Etwa fünf Schritte südlich von hier steigt man ans sechs Stufen iu die kleine Grotte hinab, wo die Krippe stand, die dem Jesuskind als Wiege diente. Ein ausgehöhlter Maruwrblock stellt jetzt die .strippe vor; die drei großcu Silbcrleuchter davor sollen die Hirten, die hier anbeteten, nach anderer Deutung dic römische, die griechische und die armenische Kirche repräfeutircn, welche sie hierher gestiftet haben. Der Krippe gegenüber sieht man den Altar der drei Köuige aus dein Morgenland, der an dcm Orte stehen soll, wo jene ältesten Hadschis dem göttlichen Kinde Gold, Weihrauch uud Myrrhen opferten. Die Lampen der Krippen-grotte tragen das östreichische Wappen, Die Gemälde, welche die Kapelle schmücken, sind meist Copien nach Nafael, auch ist ein Originnlbild von Giaeouw Palma darunter. Endlich besitzt dieses nuterirdische Heiligthnm anch eiue kleine Orgel. Der Framiscanermönch, der nur dies alles erklärte, war ein recht frenudlicher Malm. Sein Gesicht und seine Rede entsprachen der Physiognomie des Ortes, die sich so wesentlich von der des heiligen Grabes nnterschcidet, wie die helle heitere Vu^ch. Wallfahrt nach I«uslilmi. N. 7 98 Weihnacht von der düstern schwermüthigen Pracht des katholischen Charfrcitags. Aber auch hier steht im Hintergrund der allgemeine Haß nnd Zank, Vis anf den Zoll weiß man, wie weit die Grotte den Katholiken, den Griechen oder Armeniern gehört. Die Silbcrsunnc der Gebnrtsstelle wurde wegen ihrer lateinischen Inschrift von den Griechen, als sie in den vierziger Jahren die Oberhand gewonnen, weggenommen, und nun stritt man sich fo lange darüber, bis der von den Diplomaten geängstigte Sultan den gordischen Knoten damit durchhieb, daß er anf seine Kosten die Sonne wieder machen ließ. Auch in Bethlehem hat die Mo'uchsvhantasie der Hauptsache eine große Menge von Nebendingen angeklebt. Um die Gcbnrts-grotte hermn liegen vier kleinere Höhlen-, eine, in welcher die Gebeine der heiligen Panla rnhen, die von Rom hierher pilgerte, um ihre Tage als Siedlerin neben der Wiege Christi zn beschließen, eine zweite, in die man St. Ensebins von Cremona begrub, eine dritte, in welcher der Kirchenvater Hieronymus das alte Testament übertrug, endlich eine vierte, in welche die Legende die ganze Schaar der unschuldigen Kindlein beisetzte, die König Hcrodcs ermorden ließ. Grausamer als der böse Idu-mäer hat die kirchliche Sage einem der armen heiligen Nürmchen die Hand und sogar die Zunge abgeschnitten, um sie ihren Gläubigen zum Beweis der Echtheit des Kindergrabes aufzubewahren. Ueber der zuletzt geuauntcn Höhle befindet sich eine St. Katharine« geweihte, ebenfalls recht freundliche Kirche, welche im Besitz der lateinischen Mönche ist. Wie ein Stein ins Wasser geworfen auf der Oberfläche einen weiten Ring bildet, so hat ferner die Geburtskirche von Bethlehem sich im Lauf der Zeit mit eitlem immer weiter werdenden Kreise vun heiligm Statten nmgebeu. Mau weiß die Grotte, in der sich Maria mit ihrem Neugebornen während des bethlehcmitischen Kindermordes verborgen hielt, und wer daran zweifelt, dem zeigt der Begleiter in der Kutte nicht weit vom Altar der Grotte die weißen Tropfen am Boden, welche die ___99 Gottesmutter beim Säugen verlor, und man thut wohl, sich von der mergelartigen Masse ein Kügelchen mitzunehmen. Tie Mönche lassen es gegen ein Billiges ab, nnd es ist gut für Fraueu, die nicht stilleu kounen. Man weiß ferner im Osten der Stadt das Feld, wo die Hirten von den Eugelu mit dem „Ehre sei Gott in der Höhe" überrascht wurdeu. Das Dorf der Hirten ist ebenfalls wohlbekannt-, es heißt jetzt Bet Sahur En Nassara und liegt etwa eine halbe Stnnde östlich uon der Stadt. Ändere Legendenorte endlich sind das sogenannte Erbsenfeld, wo kleine runde Steine den Fluch bezeugen, mit dem Maria die Erbsen, welche hartherzige Bauern ihr zur Stillung ihres Hungers verweigerten, ungenießbar machte, die Tenne, wo das Idyll von Ruth und Boas spielte, nicht fern vom Grabe Nahels, und die Stelle, wo dem heiligen Pflegevater Joseph der Tranm-cngel die Flucht nach Aegypten gebot. Nachdem ich im Kloster noch die Schule besucht, in welcher etwa sechzig junge Vethleheniilen sich von eimm Schnlmeister in Turban nnd Kaftan in die Geheimnisse des griechischen Abe-bnchö einweihen lassen, und in dem Ochsenziemer, den der weiter der Anstalt schwang, cinen Verwandten des grimmen Bakels begrüßt, der nur einst znm Studium der Fibel gewinkt, snchte ich den am Eingang der Stadt wohnenden Deutschen anf, der hier seit einiger Zeit als Weinbereiter lebt. Es ist ein Herr Schäfer, welcher früher mit dem Spittlerfchcu Vrüderhaus in Verbindung stand. Ich fand ihn sammt seiner Frau im Keller, wo er mit Abziehen beschäftigt war. Sein Wein war der beste, den ich in Palästina trank. Er bezieht feine Trauben ans der Gegend von Hebron nnd airs Strichen anderthalb Stnnden westlich uud südwestlich von Jerusalem, namentlich von dem Dorfe St. Philipp, wo die besten Sorten wachfen. Der Wein wird von Herrn Schäfer ganz in der Weise, wie ihn dre deutschen Winzer behandeln, gemacht, indeß läßt er den ausgekelterten Saft einige Tage — in der Negcl drei — auf den Trabern stehen, wodurch der Wein eine schönere dunkle Farbe bekommt. Ich trank 7^ 100___ aus zwei verschiedenen Fässern, zehn- und sechzehngrädigen, und fand namentlich den letztern vortrefflich. Könnte man zn besseren Kufen und Kellern gelangen, so hätte dieser Wein vielleicht eine Zukunft. Von Bethlehem aus pflegt man den Dschebel Fnrcidis, die Teiche Salonws und die vier westlich und südwestlich von Jerusalem gelegenen Klöster zu besuchen. Ich sah nur die Teiche und das eine der Klöster, welches sich nach dem Apostel Philip-pus nennt. Der Dschebel Fureidis, auch Frankenberg genannt, erhebt sich südöstlich von Bethlehem. Man hat in den Ruinen des terrassenförmigen Castells auf seinem Gipfel Neste einer von Iosephus erwähnten Festung des Herodes erblickt, und die Sage behauptet, daß sich hier die aus Jerusalem verdrängten Franken noch mehre Jahrzehnte behauptet hätten. Sicherer ist die Tradition, die an die Teiche den Namen Salomos knüpft. Gewiß ist wenigstens, daß sie aus sehr alter, wahrscheinlich, daß sie aus vorchristlicher Zeit stammen. Ich folgte von Bethlehem aus einem Wege, der an einer Wasserleitung hinlaufend nach dem Abhang führt, unter dem in einer tiefen Schlucht das Dörfchen Artas mit seinen hübschen Aprikosen- und Feigen-Pflanzungen liegt. Einige hundert Schritt von hier besiuden sich am Thalhange drei gewaltige Wasserbecken, die tlieils in den Felsen gehauen, theils von Quadern aufgemauert siud, Sie liegen stufenförmig übereinander und nehmen von oben nach unten an Lange zu. Der oberste mag vierhnndert. drr in der Mitte vierhnndertlmdfunfzig, der unterste etwa sechshundert Fuß lang sein, und ihre Breite beträgt durchschnittlich zweihundert Fuß. Sie werden von den Regengüssen des Winters gefüllt, im Sommer wird die Bcrdunstuug des Wassers durch eine über ihnen entspringende Quelle theilweise ausgeglichen, in der die Sage den „verschlossnen Born" erblickt, niit welchem der Sänger des Hohenliedes seine Schwester und Braut vergleicht. Wäre dies ricktig, so dürfte mau sich hierher auch deu ?nstgarteu von Granatäpfeln mit edlen Früchten, „Cypcrn mit Narden, 101 mit Safran, Calmus und Cynamon, mit allerlei Bänmeu des Weihrauchs, Myrrhen und Aloe und allen besten Würzen" denken, der dem verliebten Dichter zu weiteren Vergleichen Gelegenheit bot. Von diesen Teichen ging ich durch ein mit Neben nnd Feigenbäumen bepflanztes Thalgelande, wo das Moster des heiligen Georg steht, uud dann über zwei kahle Hügel und durch eine dazwischenliegende Senkung nach dem großen Orte Bet D schal ah, wo nach der Holkssage kein Moslem länger als zwei Jahre leben bleibt, weshalb die Türken und Araber sich ganz von hier zurückgezogen haben, und in dessen Nähe die Mönche das Feld zeigen, wo das Heer Sanlieribs von dem Würgengel, der auf das Gebet Histias und Iefajas erschienen, gefällt wurde. Auf ziemlich rauhen: Wege gelaugte ich von hier in einer starken Stunde nach dem Philippsklostcr, bei dem ein wasserreicher Quell aus deu Felsen hervorbricht, in welchem nach der Legende der Apostel Philippuö den Kämmerer der Königin Caudaec von Mohrculaud getauft hat. Die Lage des Klosters ist sehr aumnthig, Bon den benachbarten Bergen blickt man in die Thalgrüude hinab, in welchen Johannes der Tänfer gewohnt haben soll, während im Westen anf einer Hohe sich Trümmer zeigen, die von Einigen für die Ruinen der Mak-kabäerburg Modin gchalteu werden. Weiter nördlich winkte uoch eine Anzahl anderer Erinnerungen an die Zeit der Stiftung des Christenthums, das Grab Elisabeths, der Mutter des Täufers, die Stelle, wo das Haus seiues Vaters Zacharias staud, das Kloster Am Karim, dessen Kirche über der Stätte erbaut ist, wo Johannes geboren wurde, und das sogenannte Krenztloster, von Georgiern an der Stelle errichtet, wo der Olivenbaum sich erhobeu, aus dessen Holz das Kreuz Christi gezimmert worden. Ich hatte indeß genug an deu bisher gescheuen Reliquien und beeilte mich, vom Philipps-brunncn auf dem nächsten Wege nach Jerusalem zu kommen. Am folgeuden Tage machte ich mich in aller Frühe nach 102 dem zwei kleine Stunden nordwestlich von Jerusalem gelegnen Dorfe Nebbi Samwil auf, welches auf dem höchsten unter den Hügeln in der Nachbarschaft der heiligen Stadt liegt, und wurde durch eine schöne Aussicht belohnt, die bis an das Meer reichte, Robinson neigt sich zu der Meiuung hin, daß hier das alte Mizpa zu suchen sei, wo Judas Makkabäus die Heldenschaar sammelte, mit der er den Gorgiaö schlug. Andere sehen in der Stelle mit der Legende, die hier das Grab Samuels verehrt, die Trümmer von Namah, der Provheteustadt. Auch der Islam ist dieser Ansicht und zeigt in einer verfallneu Moschee westlich vom Dorfe eine Gruft, in welcher ein weißübertünchtcr Sarkophag steht, über den eine wollue Decke gebreitet ist, mid an dessen vier Ecken kupferne Verzierungeu, Blumen darstellend, angebracht sind. Als Laie auf dem Gebiet der Archäologie durfte ich wählen zwischen den beiden Erinnerungen, und die Leser werden errathen, daß ich mich von dem Berge lieber an den heroischen Nebelleu, als an den herrschsüchügen Priester, den Mörder des gefangnen Agag, den ränkesüchtigen Verschwörer gegen Saul, Israels besten König, erinnern ließ. X. Der GinM des Großfürsten Konstantin. — Im Haram Esch Schcrif. Achon in Jaffa hatte ich gehört, daß der heiligeu Stadt für die nächsten Tage ein Besuch des Großfürsten Konstantin von Nußland zugedacht sei. In Jerusalem wiederholte sich das Gerücht, ohne daß es bei den Consuln entschieden Glauben gefunden hätte. Am 8. Mai hieß es, der Prinz sei wirklich in Jaffa gelandet. Es war nur ein Adjutant desselben; indeß traf mit ihn: die Nachricht ein, daß sein Gebieter bereits auf dem Wege von Athen nach Palästina sei, und Mittwoch den 11. Mai erfuhr man, der Großfürst werde am nächsten Vormittag vor Jerusalem ankommen. Es war von nichts Anderem mehr die Nede, uud die verschiedensten Gerüchte kreuzten sich. Nach dem emeu kam er in Begleituug des Königs von Griechen-laud. Andere wußteu, er habe so reiche Geschenke mitgebracht, daß man in Jaffa dreihundert Kameelc habe miethen müssen, um sie fortzuschaffen. Wieder audere hattcu gehört, er werde eine große Demonstratiou gegen die Türken oder die Lateiner machen, und die griechische und russische Eiuwohuer- und Pilgerschaft werde dabei den zukünftigen Pautokrator der Levante kräftigst unterstützen. Bon diesen Erwartuugcu erfüllte sich keine. Der Großfürst 104 kam allerdings nicht in fo einfachem Aufzug wie dor Prinz Alfred von England, der drei Wochen vorher die heiligen Stätten besucht hatte, nnd nicht als Privatmann wie der Herzog von Vrabant und der Erzherzog Ferdinand Maximilian, die vor diesem erschienen waren. Aber eigentliche Demonstrationen unterblieben, und auch die Türken bereiteten ihm keinen glän-zendern Empfang als jenen fürstlichen Personen -, im Gegentheil, es war von Stambul die Weisung eingetroffen, genau dasselbe Ceremonie! einzuhalten wie beim Einzug des englischen Prinzen. Der Großfürst hatte die Nacht iu Zelten nicht weit von Abu Gösch zugebracht und sollte gegen zehn Uhr vor dem Iaffathor erscheinen. Ich ging cinc Stunde früher hitlaus und fand zunächst in der Nähe des Castells alle Mauern und Dächer mit langen Reihen weißuerhüllter, dicht aneinander gekauerter Frauen besetzt, von denen viele sich mit rotheu oder blauen Regenschirmen gegen die Sonne schützten, nnd die mit ihrem Drängen, Aufstehen und Wiederniederhocken und ihren lauten grellen Stimmen den Eindruck machten, als ob sich einer der ungeheuren Tauben- oder Ibisschwärme, welche über dem Nil schweben, auf die Stadt niedergelassen hätte. Auch vor dein Thor war das schone Geschlecht zahlreich vertreten. Ucberall standen oder saßen ans der steinbcsäeten Ebne Trupps weißer Frauen, bald Mohammedanerinnen, am Schleier kenntlich, bald Jüdinnen, durch den dicken turbanartigen Kopfbund des Chalebl bezeichnet, bald arabifche und griechische Christinnen. Zwischen den weißen Tauben schritten wie Krähen schwarz gekleidete Russinnen hin. Hier und da hatten sich, Vögeln mit rothen Köpfen und Füßen vergleichbar, Türken und Araber in Tar-buschen und Babuschen aufgestellt. Dazwischen tummelten sich mit dem Schritt radschlagender Pfauen heute doppelt stolz ein-hcrwandelnde Griechen, mit Sperlingshast hin uud her fahrende Juden in Zobelmütze uud Seidenkaftau, fräukische Trachteu und die braun« und weißgestreiften Abajcn von Baschibosuks. Gele- 105 gentlich flog wie em Flamingo ein feuerruther Cousulatskawaß durch das übrige Gefieder hin. Ein Stück weiter hiuaus lagerte eine Abtheilung reguläres türkisches Militär hinter ihren in Pyramiden aufgestellten Flinten, Sie sahen sehr wenig parademäßig ans. Einige trngen grüne, andere dunkelblaue Jacken vom gröbsten Tuch, der eine gran-tuchnc, der andere lichtblaue baumwollne Hosen, einige breite rothe Streifen, andere schmale, noch andere gar keine daran. Manche hatten schwarzes, manche wieder weißes 5'cdcrzeug, manche Strümpfe in den zerlaufenen Schnhen, manche bloße Füße darin. Einer uud der andere hatte sogar die Schuhe zu Pautuffeln umgetreten. Dabei waren sie indeß meist recht gut gelaunt, und an der einen Stelle sah ich sie selbst tanzen. Etwa tausend Schritt vom Thore kam ich zu eiuem kleinen viereckigen Zelt, welches die Iudenschaft, die sich auch hier nicht nehmen ließ, eine Rolle zn spielen, ans golddurchwirkten, etwas vcrblichnen Decken, dem Anschein nach Syuagogcuvorhängen, errichtet hatte, und iu dem ein langbartigcr Hebräer eiu weißgedecktes Tischchen hütete, auf welchem, von einer Serviette verhüllt, eine Torte stand. Ob die guten Leute hofften, der Großfürst werde sich an den Tisch fetzen und die Torte verspeisen, oder ob sie die Absicht hatteu. sie ihm für die Frau Gemahlin und den kleinen Großfürsten mit nach Iernsalem zn geben, weiß ich nicht. Jedenfalls sollte dein Prinzen damit eine Ehre angethan werden, und der Hüter wies sie deu vorübergehenden Glaubensgenossen mit nicht geringem Behagen. Etwas weiter westlich hatte der Pascha liuks vom Wege nach Jaffa ein großes grünes Zelt anffchlagen lassen, welches, halb offen nach der Straße, einige Divane mit gelbfeideuem Ucberzug sehen ließ, ans denen ein halbes Dntzend vornehme Moslemin, die Spitzen der hiesigen Regierungsbehörden, saßen. Vor dem Zelte lagerte ein zweites Dctachcmeut türkischer Infanterie und eine Abtheilung Artillerie mit zwei kleinen Kanonen. Daneben stand ein anderes Zelt. wo man Erfrischungen bereit hielt, und 106^ noch eiuige hundert Schritt weiter uou der Stadt befand sich ein drittes, wo der griechische Patriarch den Großfürsten erwartete, Hicr sah es noch bnnter aus, als in der unmittelbaren Nachbarschaft des Thores. Türkische Soldaten hielten Pferde mit golddurchwirtten Schabracken, russische und griechische Geistliche mit hohen Popnmnihm ritten auf Manlthiorcn hin und her, Oberoffiziere mit dicken Epauletten nud breiten Tressen an den Hoseunätheu kamen uud gingell. Unter deu Olivenbämucn zur Seite faßen Gruppen von allen Farben. Bon der Stadt her, über welcher sämmtliche Consulatsflaga.cn flatterten, fluthete ein Strom von Reitern nud Fußgängern, Allmählich stellten sich auch die Consulu mit ihrer Kawasscnbegleitung ein^ zuerst der spanische, ein großer brauner Herr nut eincm ungeheuren dreieckigen Hut, der, wie mir später verrathen wurde, erst Tags vorher aus zwei alten Velpclcylindern von dem Schneider des Besitzers kunstreich erbaut worden war; dann der englische, dann Herr von Pizzaomno mit seinem Dragoman, beide in ihreu grünen Waffeuröcken mit rothem Aufschlag uud Kragcu und ihren weiß uud rothen ssederlmschen scyr stattliche Erscheinungen, dann der franzosische, mehr Bart als Mann. zuletzt v. Rofen mit dem protestantischen Bischof. Nach und nach kündigten Neiter, welche dem Fürsten entgegengeeilt waren, die Auuäheruug der Karavane an, das türkische Militär am Wege stellte sich in Ordnung, die Artilleristen traten hinter ihre Böller, nnd uebeu ihncu faßte ein Trupp Baschibosuks in Beduincntracht Posto. Auch die zum Empfaug beim Helte versammelten Würdenträger orducten sich, wobei es zwischeu den Vertretern Oestreichs und Frankreichs zum Streit über den Vortritt kam, der durch den inzwischen eingetroffnen Kammerherrn des Großfürsten zu Guusteu des ersteren geschlichtet wurde. Bald nachdem sich auch der Pascha eingestellt, erschienen die Spitze,: des russischeu Zugs auf der Höhe über dem Zelte. Es warm Reiter in Civil und Uniform, Sänften von Maulthieren 107 getragen, und gegen vicrthalbhnndert Matrosen. Sie hielten zunächst bei dem Zelt des Patriarchen, wo die Reiter abstiegen und die Damen ihre Sänften verließen.' Dann kam der ganze Zug zu Fuß nach dem großen grünen Zelt des Pascha herunter. Die Böller knallten, Trommelwirbel ertönte, die türkischen Signalhörner stießen ein überaus gräßliches ssrendcngehenl aus, die Baschibosuks schwenkten brüllend ihre Lauzen, Vou der Procession des Großfürsteu, die ihren Weg seltsamerweise mitten über ein eben erst umgepflügtes Äckerfeld nahm, und neben welcher zn beiden Seiten dichte Müssen von Neugierigen sich wälzten, stieg eine dicke gelbe Staubwolke auf. Borau schritteu in grünen, cmcr über die Prnst und den Schoß mit breiten Gold-litzrn bcnäheten Hofnniformeu zwei Kammerherrn als Bahnbrecher, zur Seite marschirten in weißen Jacken mit umgelegten blauen Halskragen, weißen Hosen nnd Mützen, die Miniebüchse ans der Schulter, Matrosen als Cotorte. Hinter den Kannmr-herrn kam der Großfürst, seine Gemahlin am Arme, zuletzt eine Kammerdame mit dem einen Sohn des Prinzen, dann ein Gefolge von andern Herrn nnd Damen vom Hose, Bischöfen nnd niedereil Geistlichen. Der Großfürst trug die grüne rnssische Generalsnniform mit einem breiten blanen Ordensband, eine weiße Mütze nnd einen wrißm arabischen Burnus; seine Gemahlin war ebenfalls weiß gekleidet. Beide sahen angegriffen aus. Der Großfürst ist ein Mann von Mittelgröße, ür scheint mcht gut zn sehen, da ich ihn immer mit einem eingeklemmten Augenglas traf. Sein mageres blasses Gesicht, nm-geben von einem dünnen hellblonden Schnurr- nnd Backenbart, und seme Haltnng erinnern nnr wenig an den Bater, Mehr ist dies mit dem granblanen Ange der Fall. welches recht gebieterisch blicken kann. jetzt aber mehr den müden, kränklichen Pilger, als den Fürsten ümdgab. Die Großfürstin ist eine fchlanke Blondine, wie mir schien, etwas größer als ihr Gemahl und augmscheiulich früher fehr schön gewesen. Während die Uanonen fortdonnerten, die Hörner nnd Trom- 108 meln weiter lärmten, die Soldaten das Gewehr präsentirten, wurde das fürstliche Paar in das Zelt sseführt, welches sich jetzt mit den davor versammelten Consulsnniformen, dem Pascha in seinem von oben bis unten mit Zweigen von Goldstickerei besetzten Generalsrock, den arabisch gekleideten Beisitzern des Gerichtshofs von Jerusalem nnd dem Halbkreis von etwa zwanzig schimmernden uno funkelnden Kawassrn, der den Hintergrund bildete, in der That prachtig ausnahm. Der Pascha stellte die Versammelten vor, dann wnrde den Herrschaften Limonade gereicht. Äc'ach einer Viertelstunde stiegen alle wieder zu Pferde. Der Großfürst soll die Absicht gehabt haben, die Kreuzfahrerfeldherrn nachahmend zu Fuß in die Stadt einzuziehen. Wahrscheinlich brachten ihn die Hitze und seine Ermüdung auf andere Gedanken. Vielleicht fand er auch zuletzt, daß wir jetzt nicht mehr im Mittelalter leben. Genug, er setzte sich wieder in den Sattel und ebenso bestieg seine Gemahlin ihre Sänfte wieder. So bewegte sich die jetzt zu mehr als hundert Ncitern angewachsene Procession auf das Iaffathor zu. Voran ritten die Kawasseu, dann die Kammcrherrn, hieranf folgte mit blitzenden Bajonnetten eine Abtheilung türkisches Militär. Dann tmn der Pascha und hinter diesem der Großfürst sammt Gemahlin und Hofstaat. Endlich schloß der Zug mit den Consuln, So oft derselbe eins von den mn Wege anfgestellten Infanteriedetache-ments passirte. wurde er mit ohrenzerreißendem Hörnerlänn und Trommelsserassel empfangen. Die Juden erhoben, als der Großfürst ihr Tcppichzelt erreichte, ein Geschrei, welches sich wie ein mißlnngner Gefang anhörte. Das Schicksal der Torte blieb mir uubekaunt, doch sah ich nicht, daß der Prinz sich bei dem Zelt aufgehalten hätte. Als die Procession das Iaffathor erreichte, erschienen russische ssraueu, welche dem Brnder ihres Czaren Rosen streuten, während die weißen Vögel auf den Mauern und Dächern sich mit flatterndem Schleier- uud Mau-telgesieder erhöbe» und mit weithin schallendem Gekreisch das Fürstenpaar willkommen hießen. ___109 ^ Der Großfürst nahm seine Wohnung in einem der griechischen Klöster, von wo aus er die verschiedenen heiligen Orte der Stadt und ihrer Umgebung besuchte, die Himmelfahrtsfußtapfe auf dem Oelbcrg nnd was sonst von Pilgern zu küssen ist, küßte, seine Gemahlin dergleichen thun ließ und überhaupt alle Pslich-teu, die einem Hadschi der orthodoxen morgenländischen Kirche in Jerusalem obliegen, pünktlich erfüllte. Dabei wurden, wie man mir sagte, die Negeln der Artigkeit nicht versanmt nnd anch Andersgläubigen in ihren Kirchen die Ehre ernmsm, zeigen zn dürfen, was sehenswerth war. Im Allgemeinen hat das grußfürstliche Paar in Jerusalem sicher emeu vortheilhaften Ein-druck hinterlassen. Die Griechen tänschten sich allerdings in der Erwartung der dreihundert mit Geschenken lieladenen .^amcele, aber wer von ihnen eine gute Bildnng, anspruchsloses Wesen nnd männlichen Charakter zn schätzen gewußt hätte, würde dnrch den Besuch unzweifelhaft gewonnen worden sein. Die Bcgleituug des Priuzcn schien ihm aufrichtig zugethan zu sein, nud wenu ihr zu glanbeu wäre, so gehörte der Großfürst Konstantin nicht nur zu den begabtesteu, thätigsten und nnterrichtetsten Fürsten unsrer Zeit, sondern er wäre auch im hohen Grade liberalen Meinungen und Plänen geneigt, ja liberaler als sein kaiserlicher Bruder. Auch jene Begleitung machte, so weit sie mit den hier wohnenden Dmtschen in Berührnng kam, einen angenehmen Eindruck, nnd zwar nicht blos dnrch Hufmauieren, sondern zugleich durch Kenntniß und charaktervolles Auftreten. Daß die Herren Oestreich nicht liebten, ihm eine starte Demüthigung gönnten, schien mir verzeihlich, wenigstens begreiflich. Als selbstverständlich mußte unter so bewandten Umständen erscheinen, daß der Ezarenbruder nicht von den Bedürfnissen hierher geführt worden, die den Mujik und gelegentlich die eine uud die andere empfiudsame Fürstin des Petersburger Adels zur Wallfahrt treiben. Allerdiugs wies er bei seinem Umzug entschieden, fast schroff die schüchternen Aeußerungen der in seinem Gefolge befindlichen allernnterthänigsten deutschen Kritik ab, und gewisseu- 110 haft ließ er jeder einzelnen Reliquie durch Kuicbrngnng und andere Zeichen andächtiger Huldignng die ihr gebührende Reverenz zukommen. Aber das war sicher nicht viel mehr als Nachgiebigkeit gegen die kirchliche Etikette nnd gewohnte Rücksichtnahme anf Glauben und Vranch seiner ^andsleute niederer Classe. Das Herz des Großfürsten hatte damit wenig zu schaffen, die Reise war vielmehr ein politischer Act. Es galt im Allgemeinen, die Borpusten, die Rußlaud hier hat, zu inspicircn, den Gegnern zn imponiren, die znm Widerstand Geneigten durch Freundlichkeit und Gaben zn gewinnen nnd den verbündeten zu zeigen, daß der Mot'kmuiterkaiser trotz des pariser Friedens noch mächtig nnd noch nahe sei. Es galt aber anch noch einem andern nähern Ziele. In einem frühern Capitel ist gezeigt, wie die Russen mit den Griechen und zngleich unter sich in Zwiespalt gerathen waren, wie die Partei des Consuls, die wir nun offen als die großfürstliche bezeichnen können, trotz der Opposition der bischöflichen, hinter der die Synode stand, ihr Ziel weiter verfolgte, nnd wie Manfuroff, der Hauptagent des Marincdepartcments und der Dampffchifffahrtsgescllfchaft, mit seinem Plan, die für Zwecke der Kirche gesammelten Gelder für ein von letzterer unabhängiges Pilgerhaus zu verwenden, dem Widerstand des Bischofs Cyrillns, der mit ihm verbündeten griechischen Klerisei und der ebenfalls auf dieser Seite stehenden türkischen Regierung gegenüber anf Schwierigkeiten gestoßen war. und diese Schwierigkeiten waren es, welche der Großfürst zu ebnen kam. Daß die Reise vorzüglich den religiösen Stiftungen Rußlands in Jerusalem galt, erfuhr mau in den diplomatischen Cir-keln der heiligen Stadt sehr bald, und die Pforte war davon noch eher unterrichtet. Mit Recht besorgt, der Diensteifer ihrer «ach Imperialcn lüsternen Provinzialbeamtcn und die Neigung der niedern griechischen Geistlichkeit zn Rußland könnten Unheil anrichten, sandten die Minister des Sultans eiligst das Oberhaupt der letztern und den nächsten Alliirten der ersteren, den Ill ebm in Stambnl befindlichen Patriarchen, auf einer Negicrungs-fregatte nach Palästina, angeblich, um d,ie hohen Reisenden zu bewillkonnnnen, in Wirklichkeit aber, nm die Ergebnisse der Neise auf ein niöglichst geringes Maß einzuschränken. Man fürchtete namentlich, der Großfürst könne die alte, früher durch den Ar-chimandriten Porphyrius geltend gemachte Forderung wegen Nück-gäbe der georgischen Klöster erneuern wollen. Davon war jedoch keine Rede. Die Hauptfrage, die verhandelt wurde, war die, ob Monfiguorc Cyritlus uud die Kirche oder Mansuroff uud die in Jerusalem ein Pilgerhauö bauen und den Nnhen davon ziehen sollten. Dem Patriarchen wurde nur ein paar Mal Gelegenheit gegeben, feme Eigenschaft als Unterthan des Padischah dem Bruder des Beschützers der orthodoxe» Christenheit gegenüber herauszukehren. Als endlich nach zehntägigem Aufenthalt in der heiligen Stadt nud Anhörung endloser Mcsseu, der Hanptbewirthnng, welche die griechische Geistlichkeit ihren Gästen bot, die Abreise des Großfürsten erfolgte, wußte niemand, zu welchem Ergebniß die Transaetionen gediehen waren. Man fühlte deutlich heraus, daß die Griechen gegen dic russische Rcgieruug verstimmter als ie waren. Der Streit zwischen Bischof Cyrill uud Consul Dorgodniiuoff war nicht geschlichtet. Die Gnadenbezeugungen, mit denen ^euer überhäuft worden, schloffen kein Versprechen ein, daß seinen Wünschen willfahrt werden sollte. Nur die Anlegung der Pilger-stiftnng anf dem vor dem Thor erworbenen Terrain war gutgeheißen worden. Aber ein wirklicher Erfolg ließ nicht lange anf sich warten. Bon der syrischen Küste begab sich der Großfürst uach Konstantinopel. Es war dies ein zweiter Vesnch - fchon vor anderthalb Decenuien hatte der Sultau den unternehmenden Prinzen einmal bei sich empfangen. Bietes war seitdem anders geworden. Der Angriff dcs kaiserlichen Baters anf den kranken Mann hatte den officiellen Freundschaftsbethenerungeu, von denen damals beide Kabinette überflössen, ein Ende gemacht; die begeisterten 112 Huldigungen aber, mit denen die Griechen Stambuls bei jenem Besuch dem Erben des Namens Konstantins des Großen ihre Sympathie bezeugt, waren in gntem Gedächtniß. Die Pforte war aus dem orientalischen Kriege zwar scheinbar siegreich, aber in Wahrheit elender als je hervorgegangen. Sollte man dieß dem Gaste fühlen lassen? In der Politik darf der Schwache dem Starken nichts nachtragen, und so konnten auch die Minister des Sultans ihrem Gebieter nnr völliges Bergessen des er-littnen Unrechts nnd oemüthiges Gewähren der etwaigen Wünsche seines Gastes anrathen. Ein so geringfügiges Begehren wie die Erlanlmiß zn Bauten im Vereich der Festungswerke von Jerusalem war in Folge dessen kaum geäußert, als die Be-wiUignng erfolgte. Ja uoch mehr- der Sultan ließ sich den Plan des von Rußland angekauften Terrains vorlegen, und als er fand, daß es an den Erercirvlatz seiner Soldaten stieß, schenkte er freigebig — wozu auch das viele Erereiren! — die Hälfte diefes Platzes hinzu, damit die Besitzung sich besser abrunde. Damit war der heimlichen Gegenwirkung des griechischen Patriarchats ein Ziel gesteckt, und auch die Synode wagte jetzt nichts mehr gegen die Verlegung der Pilgerstiftimg in eine un-heilige Borstadt einzuwenden. Noch hoffte Bischof Cyrillus wenigstens den Plan einer Ausnutzung der Stiftung für die vom Großfürsten patronisirte Aktiengesellschaft zn beseitigen, und dat deshalb um Gewährung eines Urlaubs zu einer Reife nach Petersburg. Aber die Bitte wurde in höflicher Form und unter Berleihung eines hohen Ordens abgeschlagen, und die Collec-tcngeldcr verblieben nach wie vor in den Händen des Agenten jener Gesellschaft. Im Herbst 1859 kam Mansnroff zum dritten Mal nach Palästina, wo nnnmchr auf dem durch die Schenkung des Sultans und weitere Altkäufe beträchtlich vergrößerten Terrain die Arbeiten begannen. Am 13. Januar des folgenden Jahres, dem Neujahrstag der morgcnländifchen Kirche, wurde zum Bau 113 der Kapelle feierlichst der Grund gelegt, und drei Monate später war das Werk, welches große Herbergen, ein Spital und die bischöfliche Residenz umfassen und mit diesen Anstalten ein Sammelplatz nicht blos für die russischen, sondern für alle slavischen Pilger sein wird, schon bedeutend fortgeschritten. Civilgeneral Mausnroff aber wohnte dem Fortgang der Arbeiteil nicht bei. Weilige Tage nach der Bodeumeihe verließ er nebst seinen Adjutanten, zwei vermögenslosen russischen Fürsten, Jerusalem, wie man behanptete, in Ungnade gefallen, auf Nim-merwiedertehr, nnd bald nachher hatte Monsignore Cyrillus die Genugthuung, in der Persou des Consuls auch seinen andern (Gegner abreisen zu sehen. Ob die Herren, wie man wissen wollte, der uuzulässigen Grundsätze halber entfernt wurden, nach denen der reiche CoÜectensäckel von ihnen verwaltet worden, wage ich nicht zu entscheiden. Ich kehre jetzt zu der Zeit der Anwesenheit des Großfürsten in der heiligen Stadt zurück. Unter den Soldaten, welche derselbe mitgebracht hatte, sah ich mehre von gigantischem Körperbau, Sie waren aber wol ausgesuchte ^'rute, mitgenommen, nm zu imponireu. Die Matrosen, großeutheils Finnen und Esthen, die meist nur die Sprache ihrer Heimath und nicht einmal russisch verstanden, hatten durchschnittlich ein weniger vortheilhaftes Aenßerr. Man begegnete ihnen in großen Schwärmen auf dem Platz vor der Grabeskirche, wo die Händler mit Andenken von ihrer Kauflust eiue gute Nachlese des diesjährigen Ostermarltes erzielten. Die heiligen Orte und die Thäler und Berge um die Stadt wimmelten von ihnen. Auf allen Wegen vor den Thoren sah man sie der den Seeleuten aller Nationen eignen Neigung zum Reiten fröhnen, uuo wo einem der Beutel uicht erlaubt hatte, sich einen Gaul allein zu mictheu, hatte er sich mit einem Kameraden assoeiirt nnd gewährte so den Iernsalcmern das ucue Schauspiel, anf jeder Seite des Sattels zwei Beine herabbamnelu zu sehen. Das Iuchtenparfum. das sie verbreiteten, war auf dreißig Schritt wusch, WMülM «ach Nrusalcm, II, 8 114 hinter ihnen noch zn merken. Hatten sic ihre Gänge durch die Stadt und deren Nachbarschaft vollendet, so ließen sie sich von den Geistlichen ihrer Confession Zeugnisse ausstellen, daß sie wirklich in Jerusalem gewesen, und da viele von ihnen lutherisch waren, so hatte Pastor Valentiner, der deutsche Pfarrer au dcr Zionskirchc, bisweilen das ganze Haus voll von solchen Bittstellern. Mit welcher Andacht mag die alte Mutter des eiuen oder des andern dieser Matrosen am fernen esthnischen Gestade, mit welcher frohen Ueberrafchung die Schwester an der eisigen finnischen Föhrde das tleiue Perlmuttertreuz in Empfang genommen haben, das ihr der Weitgereiste aus der Stadt mitbrachte, wo ihr Heiland gewandelt! Wir im preußischen Hospiz hatten der Ankunft des Großfürsten mit Sehnsucht entgegengesehen, nicht sowol der Feierlichkeit des Einzugs wegen, als vielmehr, »veil uns dadurch die Aussicht näher gerückt war, iu das Geheimniß des Haramvlatzes eindringen zu können. In Acgyptcn so wie in Konstantiuopel hat es keine besondern Schwierigkeiten, in Moscheen zu gelangen. In Jerusalem nimmt mau es genauer, und das Innere der Sakhra, des zweitgrößten Hciligthums der mohammedauischen Welt, zu sehen, war in den letzten beiden Jahren einem nicht gefürsteten Kasir geradezu unmöglich. Unter Kiamil Pascha öffnete sich der hochverehrte Raum gegen ein gutes Trinkgeld auch gewöhnlichen Sterblichen. Der jetzige Vertreter des Sultans dagegen nahm mehr Rücksicht auf das Borurtheil der Moslemin, nach dem christliche Fußsohlen den Ort beflecken, und man hätte nur in morgenläudischcr Tracht dahin gelangen können, ein Waguiß, welches dem, der nicht arabisch oder türkisch sprach, sehr übel bekommen konnte. Die Fürsten, welche früher hier geweseu waren, hatten den Platz, wo der alte Tempel Iehouas gestanden, besucht, aber uur wenigen Einheimischen uud Reisenden gestattet, sie zu begleiten. Der englische Prinz hatte sogar nur sein Gefolge mitgenommen. Wir hofften, der Großfürst werde den Ort 115 sich gleichfalls ansehen und liberaler sein, und diese Hoffnung erfüllte sich. Den 17, Mai früh erschien Professor Tischendorf aus Leipzig, der Zutritt zum Großfürsten hatte und dessen Bekanntschaft ich Tags vorher gemacht, im Hospiz mit der Meldung, der Prinz werde Nachmittags vier Uhr sich nach dem Haram begeben, und es sei jedem Christen erlaubt, sich seinem Zug anzuschließen. Die Nachricht hiervon verbreitete sich bald dnrch die ganze Stadt, uud als wir uns zur angegebueu Stuude vor dem griechischen Kloster einfanden, trafen wir dort nicht blos alle gerade in Jerusalem anwesenden Fremden, sondern auch eine große Anzahl hier wohnender Griechen versammelt. Um Unordnung zu verhüten uud etwaige Widersetzlichkeiten fauatischer Mohammedaner zu brechen, war auf dem Wege an mehren Stellen türkisches Militär aufgestellt. Dennoch war das Gedräug, als der Großfürst mit seiner Gemahlin erschien uud der Zug sich nach dem Tyroväou hinab in Bewegung fetzte, schon in den breiteren Straßen fehr stark. Noch furchtbarer wurde es, als die Procession in die enge Gasse einlenkte, welche den Abhang des Moriah hinaufführt, uud ein russischer Pope, der neben mir strauchelte und hinfiel, war in der größten Gefahr zertreten zu werden. Ueber alle Begriffe schrecklich aber gestaltete sich das Kämpfen nnd Würgen, als wir in den schmalen dnnklen Gang kamen, der an der Nordwestecke des Moriahplatcaus sich öffnet. Mehre Personen wurden hier ohnmächtig. Wiederholt stockte der Menscheustrom wie ein Eisgang. Das Stöhnen der Gepreßteu war eutsetzlich. Ich selbst wurde erst zusammengedrückt, daß ich ernstlich einen Risipenbruch fürchtete, und daun wie eine aufgestaute Scholle cmvorgcschoben und in diefcr Lage, mit den Füßen über dem Boden, wol zehn Schritt weit fortgetragen. Endlich war der Ausgang erreicht, und tief aufathmend sah man sich im Freien und im Angesicht der heiligen Sakhra. Die arabische Dichtung nennt in ihrem Schwung den Bau cm irdisches Paradies, von dem der Himmel 8' 116___ nur achtzehn Meilen entfernt sei, und wenn nur das jetzt zu stark aufgetragen scheint, fo gestehe ich, daß mir damals, uach dem hollischen Gedränge und dem Angstschweiß in den: finstern Gange, der blaue Himmel und die freie Luft allerdings himmlisch genug vorkamen. Weshalb man nicht einen der vielen andern Eingänge gewählt, uon denen mehre beträchtlich weiter sind, war nicht abzusehen. Nullte man auf diese Art zu starken Zudrang nach dem Heiligthnm verhüten, so verfehlte man sein Hirl, Es tummelten sich binnen einer Viertelstunde mindestens tausend Menschen, der großen Mehrzahl nach Christen, auf dem Platze — ein Besuch, der, seit Iahrhuuderteu uicht erlebt, sich manches Jahr im Gedächtniß der Moslemin von El Äods als betrübendes, unheilverkündendes Ereiguiß erhalten wird. Die Hochebene des Moriah, auf der ich mich nun befaud, ist eiu längliches Biereck, welches von Süden nach Norden etwa 1500 nnd uon Westen uach Osten gegen 10l)() Fnß mißt. Im Westen und Norden wird es von hohen altsarazenischen Gebäuden sehr unregelmäßiger Gestalt überragt, in denen sich die Amtswohnung des Pascha, mehre Schulen, Wohnungen für Moschcediener nnd Herbergen für Pilger befinden. Im Osten und Südeu umfaßt den Ncmm die Stadtmauer, über der dort der Oelbcrg, hier der Berg des Aergernisses erscheint. Ungefähr in der Mitte dieses Plateaus erhebt sich eiue circa 500 Fuß lange uud 4t)0 Fuß breite, mit Marmorplatteu belegte Plattform, zu welcher acht Treppeu voll je vierzehu Stufen emporführen, und welche die Sathra-Moschee fo wie eine Art Süulenpauillon trägt. Hinter der Plattform im Süden steht eine zweite Moschee, die Alsa, Der übrige Raum des Haram wird von Grasplätzen, sehr großen Cypressen, Olivrnbäumen, Brunnen, Grabmälern, einzelnen Bädern und andern kleiueu Gebäuden im sarazenischen Stil eingenommen. Im Osten befindet sich das vermauerte goldne Thor. Au mehren Stellen im Süden giebt der Erdboden bei starkem Auftreten riuen ^117 ^ dnmpfen 5ilang. als ob sich unter ihm Höhlen odor Gewölbe befänden, Che der Großfürst die Stufen der Plattform erstieg, vertauschte er, von dem Imam der Aksa, der ihm als Führer diente, gemahnt, die Stiefel mit reinen türkischen Ledrrstrümpfen, Auch wir thaten dies, nud es nahm sich eigen aus, die ganze Masse der Neugierigen, die Stiefel uud Schuhe in der Hand nach der Moschee hinwandern zu scheu. Oben vor der Pforte derselben angekommen, begann die Menge sich von neuem zu drängen, und das türkische Militär, welches den östlichen Eingang bewachte, wußte sich der stürmischen Hast, mit welcher jeder der erste nach dem Prinzen iu der Moschee sein wollte, nicht anders zu erwehren, als daß es niit dem Kolben zuschlug. Mehre Griechen stürzte» an der Schwelle blutend nieder, und ein junger englischer Lord. der sich in Borerstellung zur Wehr stellte, wurde von einem Soldateu ohne weiteres beim Kragen gefaßt uud wie ein Straßcubube zur Seite geschlendert. Ich war etwa eine Viertelstunde im Innern, dann verließ ich die Moschee dnrch die südliche Pforte. Die Moschee heißt nach dem heiligen Felsblock, den sie einschließt, die Sakhra, nach der Sage, die sie vom dritten Chalifen erbant seilt läßt, auch die Omarijeh. Nach der Geschichte hat 5>nar nur den heiligen Stein entdeckt und den Düngerhaufen entfernt, mit dem ihn die Christen, nm die Inden zn tränken, überschüttet hatten. Der Erbauer der Moschee war der Chalif Abd El Melik, der ein halbes Jahrhundert später lebte, uud als Jahr per Vollendung wird 686 n. Chr, angegeben. Es ist ein achteckiges Gebäude, aus dessen Dach in der Mitte ein laternennrtiger Rundbau mit einer Kuppel emporstrebt. Die Seiten des Achtecks, jede uugefähr sechzig Fuß breit, sind unten mit Marmor, weiter oben mit roth, grün, schwarz und weißen glaeirten Ziegeln belegt und in der obern Hälfte von sechsuud-funfzig Spitzbogcnfenstern mit vielfarbigen Glasscheiben durchbrochen. Die Kuppel ist mit Nleiplatten gedeckt. Ueber ihr 118 funkelt ein vergoldeter Halbmond, dessen Hörner sich als dünner Draht fortsetzen, bis sie sich berühren. An den Wänden des Oberbaues laufen bunte Koransprüche hin. Im Innern wird die Decke des achteckigen Unterbanes von viernndzwanzig korinthischen Säulen getragen, während in der Mitte zwölf solche Säulen uud vier dicke Pfeiler, nach der mit Goldarabesken geschmückten Kuppel aufstrebend, eiue Art Kapelle für sich bilden, in welcher, vün einem schön gemnstertcn vergoldeten Gitter nmgeben und mit einer Decke von schwerem roth und grünem Seidcndamast behängen, der etwa fünfzehn Fuß über den Fußboden emporragende und dreißig Fuß lange heilige Felsen sich befindet. Die Decke war, als wir eintraten, halb abgenommen, und ich sah bei dein Dämmerlicht, welches durch die Blumen- uud Arabcskcnmalcrci der Fenster in den sonst ganz dunklen Mittelraum fiel, daß es ein unregelmäßiger, natürlicher grauer Kalkblock war. Dieser Stein ist nächst dem Hadschar El Aswrd, dem schwarzen Stein in der Kaaba zu Mekka, und dem Grabe Mohammeds in Medina das größte Heiligthnm des Isjmn. An ihm gesprochen ist jedes Gebet doppelt wirksam, und so heißt er im Volksmund „die Stätte der Erhörung". Die Sagen, die sich an ihn knüpfen, sind zum Theil sehr wunderlich. Er full der Felsen sein, ans dem Abraham seinen Sohn Isaal schlachten wollte, und man zeigt an ihm noch die Spuren der — selbstverständlich riesenhaften — Finger des Patriarchen. Nach einer andern mohammedanischen Legende fiel der Stein vom Himmel, als zu Jerusalem die Prophezeihung begann, und auf ihm haben alle Propheten seit Adam gebetet. Als bei der Zerstörung von Jerusalem die Vekenner des einigen Gottes flohen, wollte der fromme Kalkblock mit ihnen fort, aber der Engel Gabriel hielt ihn anf, bis Mohammed kam und ihn für immer befestigte. Wieder eine andere Sage erzählt, Mohammed sei von dem Steine aus geu Himmel entrückt worden. Da habe derselbe ihn» «achgewollt uud sei wirtlich bis in die Nähe des 119 Paradieses mit emporgestiegen. Hier aber habe er das arabische Iudclgeschrei „Lu lu lu!" ausgestoßeu, und darauf habe der Prophet ihm geboten zu schweigen und wieder an seinen alten Platz zurückzukehren. Der Stein habe gehorcht, aber nicht ganz. Er sei etwa zwei Ellen über seinem frühern Nnheplatz in der Luft schweben geblieben. So sei er bis auf Sultan Selim zu sehen gewesen, der ihn auf die Klage, daß schwangere Frauen sich an dem Wunder versehen, durch einen Unterbau vou Balken gestützt habe. Noch ein anderer Aberglaube der Mohammedaner sieht in dem Felsen, der nichts Anderes als eine hervorragende Klippe des salonwnischeu Tempelbodens ist, eiuen der Hügel des Paradieses und meint, daß unter ihm alle Gewässer der Erde entspringen. Der Talmnd erblickt in demselben den Eben Schctiah, den Stein, auf welchen der Hohepriester bei seiner Fuuctiou die Räucherpfanne gestellt und alls dem die Welt geschaffen worden.' Andern Juden zufolge ist es die Tenne Arafuas, des Icbusiters, auf welcher der Engel Post» faßte, der zur Strafe für die vou Melech Davids Hochmuth befohlue Volkszählung Israel mit der Pcstruthe schlug. Die Christen des Mittelaltcrs dagegen glaubten, es fei der Stein, auf dein Jakob den Traum vou der Himmelsleiter hatte. Unter dem heiligen Frlsrn befindet sich eine Höhle, nach welcher auf der Südostseite einige Stufen hinabführen. Dieselbe heißt „die edle Höhle der Moslemin" und ist ziemlich geräumig. In der einen Wand derselben sieht man zwei kleine Nischen, in denen David nnd Salomo gebetet haben sollen. Anf dem Boden aber foil eine metallne Fallthiir eine brmmen-artige Vertiefung bedecken"), die von den Arabern „Virreh Ruah", Brunnen der Seelen, genannt wird, und welche in die Unterwelt hinabgeht. Hier konnte man in frühern Zeiten sich mit den Todten unterhalten. Da indeß bei diesem Verkehr wiederholt Unglücksfälle sich ereigneten, so wurde die Ocffmmg verschlossen. Irgendwo in diesem unterirdischen Raum ist nach ') Ich habe davon, vicllcicht in der Eile, nichts gesehen. 120 der Meinung der Inden noch heute die Vundesladc verwahrt. Andere Geräthe des Ullerheiligsten, namentlich der sirbeuarnngc Leuchter und der goldne Tisch, auf dem die Schaubrote lagen, schmückten bekanntlich den Triumphzng des Titus in Roin. Der ganze Van der Moschee hat innen wie außen sehr vom Zahn der Zeit gelitten, nimmt sich aber mit seinem anmuthig vertheilten Farbenreichthnm und seinen schöngeformteu Fenstern und Säulen selbst in diesem Berfall noch sehr gut aus. Neben ihm, nicht fern vom Ostportal, steht Davids Nichterstuhl. ein kleiner Kuppeltcmpel mit buntfarbigen Marmorsäulen. Von hier begaben wir uns die Südtreppe des Plateans hinab uud an einem jetzt wasfcrlosm Springbrunnen mit weitem Becken, neben dem sich alte Cypressen erbeben, vorüber nach der zweiten Moschee, die von den Mohammedauern Atsa, von den -Juden Midrasch Schelomo genannt wird. Dieses sehr große Gebäude bedeckt eine Fläche von ungefähr fünftausend Qnadrat-fuß und ist eigentlich eine Vereinignng von fünf Heiligthümern, deren Haupttörpcr eine vou Justinian erbaute uud der Gottes-gebäreriu geweihte Vasiüka ist. Zur Moschee wurde es von jenem Abo El Melit unigcstaltet, der, durch eiucn Nebenbuhler von Mekka abgesperrt. das Haupthciligthum des Islam hierher zu verlegen beabsichtigte, aber damit am Niderstnuo der Juden scheiterte. Das Innere besteht in einem etwa hnn-dert und fünfzig Schritt langeu Mittelschiff und je drei ebenso langen Nebenschiffen auf beiden Seiteu. Die 45 Säuleu und Pfeiler, welche diese Abtheilungen bilden, sind theils römischen, theils sarazenischen Ursprungs, nieist dick und plump und gleich den Wänden einfach weiß getüncht, auch wo sie aus Marmor bestehen. Ihre Kapitaler tragen gewaltige Architrave, von denen aus sich bis zur flachen Holzdecke hinauf Rundbogen spannen. Auf der Seite links vom Eingang laufen zwischen den Säulen des ersten und zweiten Nebmschiffs mannshohe Zwischenschranleu hin. Im Südru stößt an das Schiff eine Ärt Chor, über dem sich eine Kuppel wölbt, durch welche zwei Reihen mit Glas- 121 Malereien geschmückter ^n,ster farbig»,' Lichtstrahlen in das unter ihr herrschende Halbdunkcl sallen lasselt, , Nachdem wir vor der Moschee die Stiefel wieder angezogen, folgten wir dem Großfürsten und seinem Führer, dem Schech, nach einem nicht fern von der Ostwand der Moschee in den Erdboden hinabgehenden, znm Theil mit Unkraut verwachsenen i^och, in welchem man viereckige Pfeiler und Htuinen von Schwibbogen sah. Ich hörte, wie der Dolmetscher dem Prinzen übersetzte, der Schech meine, dies seien die Pferdeställe Salomos. Nachdem die andere Gesellschaft sich entfernt, kletterte ich hinab und fand, daß es ein unterirdisches (Gewölbe war, welches sich bis unter den Boden der Moschee zu erstrecken schiru, Mangel an Licht und die Befürchtung, durch zu langeS Verbleiben auf dem heiligeu Platze den Moslemin, die ohnedies, fo viel sichs thun ließ, zur Eile drängten, Anstoß und Gelegenheit zu Beleidigungen zu geben, ließen mich von einer weitern Untersuchung des interessanten Ortes absehen, vermuthlich siud die „Pferdeställe Salomos" nur eine Reihe von Wölbungen, mit dcueu man eine kleine Senkung des Terrains ausfüllte uud so die große Fläche des Tcmpelplatzes herstellte. Etwa hundert Schritt von hier stand der Führer mit dem großfürstlichen Paar wieder still, und drr Schech zeigte auf die Trümmer eiucs viereckigen Gemachs im südöstlichen Winkel des Haramquadrats, Ich erkundigte mich, was das sein solle, und erfuhr, daß iu der Nische, die sich in der einen Wand besand, die Wiege Jesu gestanden habe. Nachdem ich noch einen Blick in das Innere des goldneu Thores gethan nud eiuige Zweige und Blumen zum Andenken gepflückt, kehrte ich durch den hohen Spitzlwgengang, der unter den Gebäuden der Westseite aus dem Härmn hinansfübrt. in die Stadt und anf meine Stube znrück, wo ich Mnße fand, das Bild des weltgeschichtlichen Platzes in der Erinnerung zu fixiren und mir den Wechsel seiner Gestalten in der Vergangenheit zu vergegenwärtigen. Die Nebel der Urzeit verhüllten das hentige Jerusalem, und 122 ich sah auf dcm einsamen Wüstenfelsen des Moriah das düstre Bild Schech Abrahams mit dem zum Menschenopfer gezückten Messer. Es zerfloß, und an seine Stelle trat der grausenvolle Pestengel mit der tödtlichcn Nuthe, die von Dan bis gen Ber-scba schlug, ohne den wirtlich Schuldigen, den König, zu treffen. Salomos Tempel tauchte auf in Umrissen, unbestimmt wie seine Beschreibung in der Bibel, nicht sehr großartig in seinen Maßen, halb ägyptisch, halb phönizisch in Architektur und Bild-hauerarbcit: der H5orhof mit dem ehernen Meer, der Brand-opfrraltar mit semer Rauchwolke, die geheimnißvollen Säulen Iachin uud Boas mit ihren Knäufen von Lilien, ihren Ketten von Granatäpfeln und ihren vier Finger tiefen Cannelüren, das Heilige dann mit den Fenstern von Gitterarbeit und den: mit Goldblech übertleiortcn Zederngctäfel an Decke uud Wänden, das dunkle, ganz vergoldete Allcrheiligste endlich, in dem hinter Borhängen von Gclbwerk, Scharlakcu und Nosinroth die sicben-armige Leuchte die Vnndeslade und die Cherubimstolosse bestrahlte, die mit den Fittichen der geflügelten Löwen von Niuiveh und mit den großeu Augen und den zu hoch gestellten Ohren der Smlpturen von Karnak und Medinet Habu als Wächter der Gch-tztafcln in barbarischer Starrheit daneben standen. Salomo der Prächtige wurde auf seinem Löwenthron herbeigetragen. Weihrauchswolkm wallten auf. Triumfthpsalmcn ertönten, die Lieder für Icduthnu, die Hymnen der Kinder K'orah, der Gesang vom goldnen Rusenspahn, und ringsum troff der Tempclplatz vom Blut der zur Einwcihuugsfeicr geschlachteten Rinder, vom Fett der geopferten Schafe. Ein nächtlicher Schatten legte sich vom Mittag her über den heiligen Berg und seinen Schimmer. Pharao Sisaks Hand entkleidete den Tempel seines Goldschmucks und führte den Sohn Salomos gefangen nach Aegyptenland. Wieder ging die Sonne auf über dcm Hügel Iehovas, wieder glänzte das Heiligthum von edlem Metall, flammte der Opferaltar, wurdcu die Harfen der Leviten uud die Posaunen 123 der Priester vernommen, und es erscholl das stolze Prophetenwort: „Es wird eine Bahn sein von Aegypten in Assyrien, daß die Assyrer in Aegypten und die Aegypter in Assyrien kommen, und die Acgypter sammt den Assyrern Gott dienen. Und es wird Israel sclbdritt sein mit den Aegyptcrn und Assyrern durch den Segen, so auf Erden sein wird. Denn der Herr Zcbaoth wird sie segnen und sprechen: Gesegnet bist du, Aegypten, mein Volk, nnd du, Assur, meiner Hände Werk, und dn, Israel, mein Erbe!" Die Prophezeihnng war nnr ein Traum. Die Geschichte läs;t sich nicht mit frommen Wünschen aufhalten. Die nächste Gestalt, in der sie den heiligen Berg sehen ließ, war wieder in Schatten gehüllt. Die Assyrer kamen, ader nicht, um Gott zu dienen, sondern mn ihn zu berauben. Konig Hiskias mußte ihren Abzug mit den Schätzen des Hauses Iehovas erkaufen, und mm blieb der Moriah nnd sein Tempel mit Dämmerung umdüstert, bis das Wetter vou Vabylou tam und den Prachtban Salomos in einen Trümmerberg verwandelte. Schweigen nnd Verödung lagerten sich über die Stätte des Opferjubels und der goldnen Herrlichkeit. Des Augenlichts berandt wurde der letzte König Indas als Gefangner in die Fremde geführt. Statt des Hallclnja, das einst den Vorhof dnrchranscht, klagte im Winde von Norden her der Jammer des verbannten Volkes: „An den Wassern von Babylon saßen wir nnd weiueten, wenn wir an Zwn gedachten," Von neuem begauu der heilige Hügel zn leuchten, aber die Sonne der Propheten war untergegangen anf Nnumerwieder-kehr. Das Licht, das den nencn Tempel nmgab, war dürftiges Mondlicht, das Volk, das in ihm betete, ein gebrochncs. Anch der heldemnüthige Nebcllengeist der Makkabäer weiß, wie sein Name andeutet, nur zn schlagen, nicht zu banen. Wo die Propheten sich mit Adlrrsschwuug zu dem Gcdauten der Weltherrschaft des Hebräervolks erhoben, grübeln Rabbincn über kleinlichen Spitzfindigkeiten, henchelt und frömmelt der Pharisäer, lächelt 124 spöttisch über die Grundgedanken der alten Religion ein blasir-tcs Sadducäerthmn, bereitet sich langsam der völlige Nntergaug der Nation vor. Noch einmal strahlt der Tempel von königlicher Pracht. Der Bau Herudes des Großen ist großartiger als der salonionische. Doppelte und dreifache Säulenhallen schließen ihn ein. Es fehlt nicht an Gold- und Silberschmuck und köstlichen Steinarten. Aber der Erbauer ist ein fremder Fürst, die Säulen und Hallen sind der Ausdruck fremden Geistes, das Allerheiligste ist leer, wie das Herz des Volkes, das in ihm sein Palladium erblickt, Jerusalem tödtet die Propheten und steinigt, die zu ihm gesandt siud — es todtrt auch den, der niit dem Bewußtsein, der von den Propheten verheißene Netter zu sein, zu seiner Erneuernug im Glaubcu und Handeln anftritt. Es bleibt nichts übrig als starrer Trotz, ohnmächtiger Ingrimm gegen das siegreiche Heidenthum, Der Abend neigt sich zur Nacht. Schwüle liegt nm den heiligen Berg, über dem ganzen heiligen 3and. Falsche Propheten ziehen mit der Fackel der Empörung umher. Rottou bilden sich und aus den Rotten Heere. Die Revolution walzt sich nach der Hauptstadt, nach dem Tcmpetberg, um hier nach grausigen Vcrzweifluugskrämpfcn in einem Meer von Mord und Brand zu ersticken. Das Volk ist bluteud verstummt. Von seinem Tempel ist das Nort erfüllt' Es wird kein Stein auf dem andern bleiben. Auf deu Trümmcrhanfen des Monahgipfels baut ein römischer Imperator ein Haus für Jupiter, den Heidengott, aus den Ruinen Iernschalajims, der Heiligen, erhebt sich die weltliche Aelia Capitolina. Fluch und Blut ist fortan die Losung für Jahrhunderte. Wolke auf Wolke, Strom auf Strom wälzen sich, nachdem das Volk Iehovas uutergegangeu, die Gojim über den heiligen Berg. Bekehrte Heidenfürsten richten anf der Stätte des Iupitertempels das Kreuz ihres Heilandes auf. Perser erobern die christliche Stadt, morden ihre Bewohner und verbreuncn ihre Kirchen, um bald nachher die Trümmer wieder an die Vekenner des Kreuzes abtreten zu müssen. 125 Der Islam kommt, der zweite Sohn des verbannten Iudenthnms, um in Jerusalem das Erbe femes Paters in Ausprnch zu nehmen und, indem er sein'Zeichen, den Halbmond aufpflanzt, wo das Symbol des erstgebornen gestanden, die alte Herrlichkeit wieder aufleben zu lassen. Der Besiegte ermannt sich im fernen Norden, Germanische und romanische Bölker stürmen heran, au ihrer Spitze Tanereo, der Achilles, und Gottfried von Bouillon, der Agamemnon dieser Ilias des Mittelalters. Wieder fällt die Stadt und der Tempclberg in ihre Hand, wieder wird, wie damals, »uo Titns Mauerbrecher sie berauuteu, knöcheltief iu Menschenblut gewatet^). Drei Tage uoch uach der Einnahme werden Tausende von Sarazenen, Männer, Frauen nnd Kinder, die dort in die Atsa sich geflüchtet, gegen das versprechen der Schonung erbarmungslos zusammeugehaucn. Fast hundert Jahre blinkt mm ans Aksa nnd Sakhra das Zeichen, in welchem die Franken gesiegt, oft erschüttert, mehr als einmal wankend, bis Saladin, der letzte Heros des arabischen Islam, es hcrnuterstürzt und die Heiligthümcr durch Kamccl-ladnngen uon Rosenwasser von dem Greuel reinigen läßt, den die christlichen itafirs hineingetragen. Noch einmal gewinnt das (ühristcuthnm iu der Person des großen Sohnes Friedrichs des Rothbarts die heilige Stadt. Doch nur auf kurze Zeit, schon nach anderthalb Jahrzehnten geht sie wieder an die Sarazenen verloren, um ihnen bis ans den heutigen Tag zu verbleiben. Es ist jetzt still auf dem Moriah, sehr still. Nnr der Mueddin, der Morgens und Abends vom Minaret der Alsa zum Gebet rnft, und Kinder, die auf deu Rasenplätzen nnter der Sakhra spielen, nnterbrcchen die feierliche Rnhe, die über den Nanm gebreitet ist. Das Weinen der Juden anf dem Klagcplatz, an der Wcstmauer *) — „ULM6 l»,ä ßonua, elmoruin" sagt Daimbert, Crzbischof von Pisa in semcm Vcricht au Paftst Urban II. 126 drunten, dringt nicht heranf. Die Cypressen, die zwischen den Moscheen sich erhörn, mögen an die Hunderttausmdc von Kämpfern mahnen, die hier das Schwert fraß. Tie vielen duntclrothen Mohnblumen, die im Grase leuchten, können Sprößlinge der Blutstropfen sein, die wieder nnd immer wieder diesen Boden benetzten. Sie selbst, jene Kämpfer, sind hinabgestiegen in den Brunnen der Seelen, und die eiserne Fallthür, welche die Mündung schließt, verhütet ihr Wiederkommen. Man hört nichts von einem Todtcntanz, wie er er über andern Schlachtfeldern der Weltgeschichte in den Nächten vernommen nnd ge-schant wird, welche den Geistern gehören. Wol aber ruht auf Jerusalem noch immer der alte Fluch, eine Quelle des Streits für die Völker zu sein. Der Kampf zwischen Abendland und Morgenland grollt fort. An dic Stelle des todtkranken Sarazmenthums nnd der Welt der Kreuzritter sind das Moskowitcrthum nnd das neue Frankmreich, der östliche und der westliche Katholicismus getreten. Der letzte orientalische Krieg nahm seinen Anfang am heiligen Grabe, er hat die Streitenden hier fo wenig wie anderwärts zu einem dauernden Frieden geführt, und noch lange Jahre wird es währen, ehe Jerusalem, die Friedcnsstadt unsrer frommen Ueberschweng-lichcn, in Wahrheit ausrufen kann: „Siehe wie fein und lieblich ists, daß Brüder einträchtig beieinander wohnen". XI. Von Jerusalem nach Rabins. — Türkisches Regiment. — Die Samariter. AUt dem Haramvlatz und seinen Nioscheen war die 9leihe der Dinge, die fiir mich in Jerusalem Sehenswürdigkeiten waren, erschöpft, in dem oben erwähnten Uhlanenlieutenant aus Schlesien ein passender Gefährte znr Reise von der heiligen Stadt nach Beirut gefunden. Wachtmeistercheu ließ sich bereden, der dritte im Bunde zu sein. Der Wirth in» Hospiz schaffte uns in dem christlichen Araber Johann Auad einen Führer nnd Dolmetscher, der die nöthigen Pferde und Maulthiere, Lebensmittel und sonstigen Bedarf besorgte. Consul Rosens Gefälligkeit half einen Plan entwerfen, bei dem wir, ohne zu viel Zeit zu verlieren, wenigstens die wichtigsten Pnnkte Nordpalästinas besuchen konnten, das geistliche Jerusalem versah uns in der leider nicht eingetroffnen Erwartung, daß uus unterwegs im Schatten der Mittagsrast oder des Abends beim Kochfeuer das Bedürfniß nach gereimter Erbauung anwandeln möchte, mit einem hübschen kleinen Reisepsalter, und so stand unserm Abzug nichts mehr im Wege. Mittwoch, der 18. Mai wurde zum Aufbruch bestimmt. Gegen Mittag erschienen die Mukkarin mit den Neit- und Packthieren vor der Treppe znm Hospiz. Die Abschicdsflasche wurde geleert. Die Freunde fpcudetcn ihre Segenswünsche, die am 128 Platze zu sein schienen, da unsre Fahrt über das Gebirge und die große Vedmuenebue nicht ohlle Befchlvcrden uud Gefahreu sein sollte. Ein Pferdevcrmiether, dessen Gaule wir als zu theuer verschmäht, gab uiw eine gute Tracht Flüche mit a»f deu Weg, die sich indeß als unverdient leicht abschütteln ließen. Um ein Uhr saßen wir in den Satteln, eine Viertelstunde später bewegte sich nnsere Karauane zum Iaffathor hinaus uud ans die weithin sichtbare steinbesäete Straße zu, die au den Gräber» der Könige vorüber nach Samaria uud Galiläa sührt, 9iach dem Vorhergehenden wird mau nicht annchmeu, daß ich mich mit besonders schwerem Herzen von der Atmosphäre Jerusalems trennte. Es war eben weniger ein Gennß, als eine Arbeit, die hinter mir lag. Der Leutnant uud der Dragoman ritten M'anlthiere, der Wachtmeister und ich waren zu Pferde. Zwei andere Maulthiere, begleitet von ihren Treibern, einen: jnugcn Maroniteu und einem alten katholischen Araber, trngen nnsre Koffer und die Betten nud Küchcngcräthe Auaos, Unsre Sättel waren breite türkische, die den, der nach europäischer Weise reitet, aufs äußerste ermüden, die Zäume einsache wollene Stricke. Die Pferde versprachen weuig. sie wan'u von der habsüchtigen Un-barmhcrzigteit des Berleihers währelld der Pilge^zeit augenscheinlich bis zur Erschöpfung in Anspruch genommen worden und arbeiteten mit den letzten straften. Ein Zelt hatten wir nicht bedungen, da es uns überflüssig schien und ein weiteres Manlthier erfordert hatte. Dagegen waren wir diesmal mit Waffen hinreichend versehen, um einen Angriff von rmem halben Dutzcud Beduinen mit Erfolg abschlagen zu touum - der Wachtmeister mit einem Paar Taschmpistolrn nud einem maltesischen Tolch, ich mit emem SpitzliMlrevolver von großer Tragweite, der Leutnant mit der gleichen Wehr nud seinem besten Säbel. Gegen die Sonne hatten nur den Kopf mit weißen um den Hut gewnndenen Turbanen geschützt, gegen die Kälte nud den Than der Nacht sollten unfrc hinter den Sattel gefchnallten Mäntel dienen. 129 Die Gegend, die wir in dm ersten Stunden durchzogen, ist ohne Interesse. Man sieht dürre steinichte Felder, hm und wieder ein graues ärmliches Dorf, ein Stück Gersteufeld, einige Olivenbäume, rechts und links und uor sich in der Ferne kahle Hügel, an denen hier und da Ruinen liegen. Geraume Zeit noch blickt dem Reisenden der svitze Kegelberg mit dem Grabe Nebbi Samwils nach. Nach einein Ritt von drei starken Stunden, während dessen wir zuletzt mehrmals rechts und links vom Wege Felsengräber bemerkt, erreichten wir Birreh, ein großes Dorf mit den Trümmern einer Kirche, durch welche die Kaiserin Helena den Ort bezeichnet, wo der Knabe Jesus von seinen aus Jerusalem nach Nazareth heimkehrenden Eltern vermißt wurde. Unser Maronit kaufte hier Gerste für die Pferde ein, während wir an dem alterthümlichen Brunnen vor dem Orte unsre Thiere tränkten, was nicht ohne heftigen Wortwechsel mit der Schaar kleiner schmutziger Fellahweiber abgiug, die in den Trögen des Brunnengebäudes ihre Hemden wuschen und, wie es schien, vorzüglich darüber erbittert waren, das; wir sie uuverschleiert überrascht hatten. Die häßlichste war, wie billig, am freigebigsten mit Schimpfworten, und wenn die andern den Dragoman blos mit Granaten wie: „ya Medschnmi!" du Verrückter — „ya Moarras!" du Kuppler, und „jen' al abuk", Gott verdamme deinen Vater, bcwarfen, so schleuderte diese weit schwerere Geschosse, z. V. Bomben wie: „du Christ!" — „du Jude!" Ja als wir schon eine Strecke weiter geritten, schrie fie uns noch nach, und als ich fragte, was sie gesagt, lautete die Antwort: die Hälse wolle sie rms abreißen, uns Gottesleugnern, wenu sie uns kriegte! „Smd das Drachen!" seufzte Wachtmeisterchen.— ,,^,'auocs-art!" erwiderte der Leutnant. — „Schon die alten Juden waren ein cholerisches Volk", fügte ich als Vertreter historischer Gelehrsamkeit hinzu. Ueber Birreh hinaus fanden wir die Oegend besser angelaut. Nusch, Wallfahrt nach I^rusawn, n. 9 130 Jedes Fleckchen fruchtbaren Erdreichs zwischen dein Gestein war benutzt, und selbst an den Abhängen der Berge zogen sich Getreidefelder hin. Durch eine Schlucht mit schroffen Wänden ritten wir bei beginnender Dämmerung in ein Thal hinab, dessen Seiten weitausgedehnte Gärten mit Feigen- und blühenden Granatbäumen sowie einzelne Nebenpflanznugeu bedeckten, und über dem auf eiuem breithmgeschichteten Hügel ein stattliches Dorf lag, zu welchem, vom Schimmer der sinkenden Sonne vergoldet, Heerden von Schafen und Ziegen hinaufzogen — ein Bild ländlicher Wohlhabenheit, welches ich hier im Gebirg nicht erwartet hatte. Auch weiterhin war das ^nud, so viel sich bei der Dunkelheit erkennen ließ, fast allenthalben fleißig bebant, und ich gewann allmählig den auf dem Nitt vom östlichen Ende der Ebne Saron nach Jerusalem verloren gegaugnen Glauben wieder, daß Palästina in alter Zeit die Mühe der Eroberung verlohnt habe. Indeß hatte man wenig Neigung, solchen Betrachtungen nachzuhängen. Die Wege waren entsetzlich, die Pferde müde und unsicher auf den Beinen. Wiederholt wand sich der fchmale mit Steinbrocken besäete Pfad am Nande von schroffen Senkungen hin, die in der mondlosen Nacht wie tiefe Abgründe erschienen. In einer düstern, vou steilen Wänden überragten Felskluft blinkte eine Quelle, die der Dragoman als Ain El Haramyeh, d. h. den Nänberborn bezeichnete, ein Name, der nicht besonders geeignet war, uufre unbehagliche Stimmnug zu bessern. Nicht weit von hier legte sich das eine Maulthier ohne Erlaubniß mitten im Weiterziehen hin nnd konnte nur mit Mühe zum Wiederaufstehen bewogen werden. Der Dragoman that bald darauf desgleichen. Ohuehiu cm mürrifcher. wortkarger Vurfch, war er immer einsylbiger geworden. Endlich schlief er ein, rntschte aus dem Sattel uud taumelte nach einem Fclsblock hin, auf den er sich hinlagerte, als ob er zu Haufe wäre. Mit Worten geweckt, wie sie für solche unzeitige Schlaftrunkenheit passend schienen, rieb er sich gähnend die Angen, sah sich um und fand. daß wir eine falsche Straße eingeschlagen hatten. 131 ^ Wir kehrten nach links um und ritten eine steile Höhe hinan, auf der sich nach einiger Zeit die Umrisse eines Dorfes zeigten. Hundegebell scholl nns entgegen. Ans dem Gipfel des Berges angelangt, hielten wir vor einen: Hause und erfuhren, daß wir in S ind schcl seien und daß hier gerastet werden solle. Die Einladung der Bewohner des Haufes, bei ihnen Nachtquartier zu nehmen, wurde nach einer Inspection des Höhlen-artigen Raumes, in dem wir mit ihnen schlafen follten, dankbar abgelehnt. Anad breitete nns die mitgenommenen Betten auf einen Stopvelacker vor dem Gehöft. In dem Raum zwischen denselben legte er das Tischtuch zum Abendessen auf. Als Leuchter mnßte die rothe Papierlaternc des Leutnants dienen, die wir am Gefäß seines in die Erde gesteckten Säbels aufhingen. Tafelmusik besorgten einige Schakale. Der Comman-deriawein des Dragomans ließ wenig zu wünfchcn übrig, obwol er aus Vlechbechern getrunken werden mußte, und so stellte sich unsre gute Laune bald wieder her. Als die Laterne erlöschen wollte, kam der Mond hinter dcm Gebirge herauf, sie zu ersetzen. Wir rauchten noch eine Pfeife Dfchebeli. Dann hüllten wir uns in unsre Mäntel, steckten unser Schießzoug unter den Kopf und streckten uns anf die Matratzen, Bald schliefen wir ebenso fest als Auad und die Mlitkariu, deren Schnauben und Schnarchen schon seit einer Weile den Baß zum Concert der Schakale gr« macht hatte. Früh nach dem Erwachen entschleierte sich uns ans dem Nebel der Morgendämmerung eiue uugcmein anmuthige Gegend. Thäler und Berge wareil voll Fruchtbäumc uud Getreidefelder. Aus dcm Dorfe, welches eines der größte» Palästinas sein und gcgen zweitausend Einwohner haben soll, lief brüllend und lustig mit den Schweifen wedelnd, eine starke Ninderhccrde, hier zu Lande eine Seltenheit, anf die Weide in der Tiefe hinab. In der Ferne erfchieuen zwifcheu Olivcnwäldchen andere Ortschaften. Weiterhin erhöhten kahle röthlichgraue Bergrücken, darunter der Garizim und dcr Ebal, die Wirkung der grünen 132 Senkungen in der unmittelbaren Umgebung. Weniger erfreute der Anblick, welchen die Weiber von Sindschel gewährten, wenn sie auf ihrem Wege zum Brunnen vor unserm Lager stehen blieben und den Schleier fallen ließen. Sie waren mit einer einzigen Ausnahme zum Erschrecken häßlich, ungebührlich mager und außerordentlich schmutzig, und die Landessitte, über der Stirn und den Schläfen diademartig geordnete Nullen von alten Sil-bermünzen, Thalern und Zwanzigern zu tragen und sich die Nasenwurzel und das Kinn mit blauen Blumen zu tättowircn, machte sie eben nicht schöner. Als wir weiter zogen, begegneten uns in einem Hohlweg zwei berittne Baschibosuks, die einen Neger eskortirten, welchem die Hände auf den Nucken gebunden waren. „Neeo im laäro!" sagte unser Dragoman, nachdem er die Kriegsleute über den Burschen befragt. Es war ein Näuber, der fchon seit geraumer Zeit die Straße von Jerusalem nach Nablus unsicher gemacht hatte, vorige Nacht aber beim Ueberfall eines Hauses gefangen genommen worden war und jetzt nach El Kods geschafft werden sollte. Da er nicht aussah, als ob er sich loskaufen könnte, so wird er der landesüblichen Gerechtigkeit haben Genüge leisten müssen. Die Todesstrafe wurde unter Abdulmedschid selten mehr verhängt, aber man ließ in Palästina die Verbrecher in den Gefängnissen verkommen, und das sollte bei der Einrichtung dieser Anstalten ziemlich rasch von Statten gehen. Der Weg von hier nach Nablus hatte Aehnlichteit mit dcm am vorhergehenden Tage zurückgelegten. Bald erkletterten wir einen Bergrücken, bald stiegen wir in eine mehr oder minder weite Thalmulde hinab, bisweilen zogen wir durch öde, häufiger durch fruchtbare und wohlangcbante Striche. Mehrmals erblickten wir seitwärts von der Straße stattliche Dörfer. Gelegentlich begegnete uns ein beladenes Kamcel oder eine kleine Karauane von Maulthieren, Bisweilen sahen wir Leute auf dem Felde mit der Sesamerntc beschäftigt. Die Hitze war in den Thälern sehr lästig, und immer mehr lernten wir den Werth erkennen. 133 dm das Morgenland auf einen schattigen Baum, einen Brunnen, ein kühlendes Lüftchen legt. Die Vegetation auf den Verg-kämmcn besteht hier hauptsächlich aus Ginster, wildem Salbei, und Thymian, Mohn, blaublühcndcr Wegwart nnd Asphodelos-blumen. Da und dort kommt niedriges Gesträuch von Stachel-eichen und Dorngcstrüpp hinzu. Mitunter überrascht eine hochstämmige Malucnstaude mit prächtigen rosenfarbenen Blüthen. An zwei oder drei Stellen hing Jelängerjelieber aus den Felsen-spalten. An einer Quelle, in der wir außer zahlreichen Fröschen auch kleine Schildkröten von der Größe eines Silbergroschens fanden, wuchs blaßrothes Vergißmeinnicht. Die Felder der Thalsohlen waren mit Gerste, Weizen, hin und wieder mit Tabak bestellt. Wo eine Quelle einen Bach entsandte, zeigten sich selbst Ansätze zu einer Wiese. Nachdem wir etwa vier Stunden zurückgelegt, erreichten wir eine Höhe, vor der sich in der Tiefe das große grüne Thal Machnch, eines der ausgedehntesten nnd fruchtbarsten von Samaria, hinstreckte. Die Ebne flimmerte vor Hitze, und über ihr war ein rothlicher Dunst gebreitet, in dem die ferneren Gipfel der sie begrenzenden Bergketten fast verschwamme«. Vor uns im Osten zeigte sich das Dorf Auarta. Links, im Nordwcsten, erhob sich, gekrönt mit dem weißen Grabmal Schech Ghanims. der mächtige kahle Knppclgipfel des Garizim. Ein rauher Klettcrpfad, auf dem wir den Sattel verlassen und die Pferde am Zügel hinter uns herführen mußten, brachte uns auf die Thalebue hinab. Es währte noch zwei Stunden, ehe wir an den Fuß des Garizim gelangten, der hier mit schroffen Wänden abfällt. Eine Viertelmeile etwa von dem letzten Dorf, welches man hier pas-sirt, finden sich an der Landstraße weit nmhergestreut die Trümmer einer Kirche und ein ausgemauerter Brunnen, der jetzt aber mit Schutt gefüllt ist. Die Legende bezeichnet ihn als den Iakobs-brnuncu, an dem Jesus mit dem samaritanischcn Weibe das schöne Gespräch von dem Wasser anknüpfte, das ins ewige Leben quillt, und ich mochte in Betracht der Lage des Brunnens ^34 am Rande der Ebne. wo damals das Getreioe „weis; ward zur Ernte", und unter dem Berge, auf den die Sninariterin wies, als sie an das alte Heiligthnm ihres Volkes ans dem Garizim erinnerte, an dieser Tradition nicht zweifeln. Einige hnndcrt Schritte nordöstlich von hier liegt in der grünen Ebne, nicht fern von dem kleinen Dorfe Askar. in dessen Nähe man Salem, den Wohnsitz des Priesterkonigs Melchisedek verlogt, die sogenannte Grabstätte Josephs, des Sohnes Jakobs — wie man ans der in der südlichen Wand angebrachten Gebetsnische schlichen sollte, wahrscheinlich eine alte mohammedanische Kapelle. Vom Iakobsbrnnnen gelangten wir znnächst nach dem aus etlichen elenden Hütten bestehenden Dorschen Balata, welches auf der Stelle liegen soll, wo Erzvater Jakob einst ein Stück Feld besaß. Ein sehr wasserreicher Quell bildet hier einen Bach, der sich weiter ostlich über einen großen Theil der Ebne ausbreitet und ziemlich ausgedehnte Beete mit Zwiebeln, Gurken und Liebesäpfeln bewässert. Hier lenkt man in das große sich von Osten nach Westen öffnende Defile zwischen Ebal und Garizim ein und kommt in ungefähr einer Viertelstnnde vor das Thor von Nablus, wohin der Weg durch einen Wald von Olivenbäumcn führt, der die ganze Breite des Passes einnimmt und sich sogar eine Strecke an den Abhängen des Garizim hinaufzieht. An ihn schließen sich Gärten mit der üppigsten Vegetation, in deren Schatten es allenthalben von Quellen und Bächen rauscht. Wir ritten durch die Stadt hindurch, fchlugcn an einem schattigen Ort neben einem Bach im Nordwesten unser Lager ans, kehrten dann auf einige Stnndm in das Innere zurück, nahmen gn Augenschein, was dem flüchtig Reisenden hier sehenswerth cheint, und setzten daranf nnscre Reise nach Norden fort. Das Thal, in welchem Nablus liegt, ist reich an historischen Erinnerungen. Auf dem Ebal erbaute Iosua nach dem Uebersang über den Jordan einen Altar für den Gott Israels. Hier 135 stand Sichem, wo die Hanptactc des blutigen Dramas spielten, welches der Brudermörder Abimelech aufführte, und wo Ncha-beams übelberathcner Tyrannensiun Israel von Iuda schied. Auf dem Garizim erhob sich später der große Tempel der Samariter. Die Lage der Stadt ist ungemein schön. Sie ist mit der reichen Pracht ihrer Gärten der vollkommene Gegensatz gegen Jerusalem und seine öde Umgebung. Die Hänser ziehen sich größteutheils auf dem terrassenförmig abgestuften Aarak, einem Ausläufer des Garizim hin. Was in der Tiefe liegt, versteckt sich zum Theil hinter den Wipfeln der Bäume, welche die Thalsohle beschatten und in ihrer reizenden Unordnung, ihrer Wechsel-vollen Färbnng uud Gestalt nud ihrem außerordentlich kräftigen Wachsthum ein Gesmumtbild geben, das an die Borstellnugen vom Paradiese grenzt. In lieblichster Mischung vertheilt sich in diesem Wald von Fruchtbäumen, in dem allerorten Brunnen lebendigen Wassers sprudeln, Quellen mnrmelu uud Bäche sich winden, das zierliche graue ^aub der Olive zwischen dem anmuthigen Grün der Iujuben, dem dunklern Blätterschmuck der Feigcu- uud Maulbeerbäume uud den fast schwarzen Laubkroncn der ulmenartigen Calsis. Zu einer soust in Palästina nirgends gesehenett Stattlichkeit erwachsen Mandelstrauch und Apritosen-baum. Einzelne Palmen ragen mit ihren Federkronen über die fröhlich gedeihenden Verwandten empor. Neben dem fetten Caetus erfreut das Auge die zarte Farbe von Rosen, neben den Dolden des Sumachstrauchs öffnen Grauatenbüsche ihre brcunendrothen Blüthen, prangen Citronenbäume mit der Fülle ihrer goldneu Früchte. Bis weit hinauf an den Bcrghängen hat, nnterstützt von lebenspendenden Qnellen, die Cultur ihre Herrschaft ausgebreitet, uud wo sie ihre Grenze fand, setzte die Natur durch Kapernstränche, Clematis und Steineichengcstrüpp, Farren-kraut und Vcnushaar die Ausschmückuug der Felsen fort — in der That, ein bezaubernder Beweis für Pindars Lob des Wassers nnd ein Landschaftsgemälde, dein sich, wie man sagt, in ganz 136 Syrien nichts alt die Seite stellen läßt als Damaskus, das „paradiesduftige". Auch die Stadt selbst mit ihrcn hohen gelbgrauen Steinhäusern, ihren Kuppeln und Minarets, ihren Erkern und Arkaden ist nicht ohne malerische Wirkung. Doch muß man nicht au das Innere denken, wcnu der Reiz, den sie von ciucr der Höhen gesehen ausübt, uicht beeinträchtigt werden soll. Dieses Innere gleicht im Wesentlichen dem von Jerusalem, doch nieine ich, daß die Gassen etwas weniger winkelig nnd die Häuser im Durchschnitt stattlicher sind. Auch fand ich in den Theilen, die ich fah, nicht so viel Ruinen und wüste Plätze. Auf der Basar-straßc bemerkte ich seltener europäische Waaren als in den Suks von Jerusalem, dagegen mancherlei Erzeugnisse morgenländischcn Handwerkergeschmacks, die man dort nicht ausgestellt findet: Seidenstoffe vou Damaskus uud Aleppo, schöugemustertc, mit Gold und Seide durchwirkte Zäume, gestickte Pferdedecken, hübfchc Arbeiteu in Saffian, durch dic sich die Lederarbeiter der Stadt eiucn weitverbreiteten Ruf erworben haben. Von interessanten Werken der Architektur hat Nablns wenig aufzuweisen. Großartigkeit kann nur der Chan El Tndfchar beanspruchen, die imposanteste Kaufhalle ganz Palästinas. Die Moscheen waren für den, der die in Kairo uud die auf dem Haramplatz Jerusalems gesehen, ohne Bedeutung, doch mag erwähnt werden, daß die Spitzbogenpforte, die auf den Borhof der größten, der Dschami Kebir führt, offenbar einen: Vau der Krcuzfahrerzeit angehört hat. Einwohner soll Nablns 18,U0tt haben. Die große Mehrzahl besteht aus Moslemin, die in frühern Zeiten sehr fanatisch waren, jeden schwarzen Christenturban verhöhnten, jcdeu fränkischen Hut zum Ziel von Stein- und Kothwürfen machten, jetzt aber sich auf stummes llebelwollen beschränken und sich bisweilen fogar herbeilassen, besagtem Hute auf seiue Fragen AnSkunft zu ertheilen, wenn auch vermuthlich mit dem Borbehalt: könnten wir, wie wollten wir! Die Anhänger der griechischen Kirche, nur emige hundert Seelen, stehen nach allem, was ich hörte, 137 moralisch so tief wic überall anderwärts im heiligen Lande. Eine kleine Gemeinde arabischer Protestanten, die damals in Nablus bestand, hat sich seitdem aufgelöst — sie war nur im Hinblick auf Glaubcnsstipendien entstanden und nur dnrch die Erwartung solcher zusammengehalten worden. Ob andere christliche Rcli-gionsparteien hier vertreten sind, blieb mir unbekannt. Ueber die Sekte der Samariter wcrdc ich später Einiges mittheilen. Hier möge zur Vervollständignug des Bildes, welches die vorhergehenden Capitel von der Negierungsmethode in den entlegener« Provinzen des Pfortenreichs gaben, ein Auszug aus dem Bericht eingeschaltet fein, den Consul Nosen zur Charakteristik hiesiger Zustände erstattetes. Vorher aber einen zum Verständniß nothwendigen Blick auf den palästiuensischcn Landadel nnd dessen Entstehung. Wie der Islam kein Pricsterthmn kennt, so ist er auch dem Aufkommen einer weltlichen Aristokratie nicht günstig. Wenn sich eine solche dennoch herausgebildet hat, so ist die Ursache davon in dem südlichen Theil des Pfortcnreichs vorzüglich iu der Sitte der Blutrache zu suchen, die unter den zu Bauern gewordenen Arabern ganz in derselben Ausdehnung herrscht wie unter den als Nomaden umherziehenden. Nehmen wir an, der Fellah Ibrahim habe einen Sohn oder Bruder dos Fellahs Hassan erschlagen, so hat nicht blos letzterer, sondern zugleich dessen gauze Verwandtschaft die Pflicht, das vergossene Blut zu rächen, und so wird man es zwar zunächst au dem Mörder, ist dieser aber nicht zu erlangen, ohne Bedenken und von Rechtswegen au dem ersten besten von dessen Familie rächen. Die Nachkommen eines Vaters bis zum dritten oder vierten Grade bilden die Blutsverwandtschaft, deren Glieder sich wechselseitig ihre Person verbürgen und blutsverantwortlich sind, oder mit anderen Worten: dieser Familienkreis hat nach der Anschauuug des Voltes Ein Blut oder Ein Leben uud somit in einem seiner Glieder verletzt ') Grcnzbotcn, Jahrgang 18«0 zwcitcs Quartal. S. 141 ff. 138 gemeinsam die Rache zu nehmen, durch eines seiner Glieder verletzend gemeinsam die Bergrltung zn erwarten. Leicht erhellt, daß bei solchen Rechtsbegriffen der Schuldloseste unversehens durch Mörderhand fallen, der Friedlichste plötzlich zum Murden gezwungen sein kann. Andrerseits aber wird der Stärkste nicht vor dem Rächer gesichert und der Schwache selten im Stunde fein, der Rächerpflicht gegen den Stärkeren zu genügen. Das Schreckliche dieses Zustandes, gegen welchen die Regierung keine Hülfe bot, mnßte zu Verbindungen mehrer Familien und ganzer kreise führen. Diese Genossenschaften bedurften eines Hauptes, ein angesehener Mann stellte sich an die Spitze, wehrte als Schech, Emir oder Vej dem Un-recht nach innen und übernahm nach außen die Ahndung der an den Seinen begangenen Frevel. So genoß der Einzelne unter ihm einen höhern Grad von Sicherheit, als er sich blos innerhalb seines Familienverbandes erfreuen konnte. Allmählig aber entwickelte sich anch die weniger behagliche Seite dieser Lage der Dinge. Es entstand ein Hörigteitsverhältniß. Der Schech wurde der Anwalt seiner Untergebnen gegenüber andern Ber-bänden und der Einnehmer der Staatsabgaben in seiner Gemeinde. In jener Eigenschaft behielt er nicht selten, ja in der Regel, dav von einem Mörder zur Abkaufnng der Rache gezahlte Blutgeld ganz oder zum größern Theil für sich; in dieser schützte er zwar den Baner gegen die znr Erpressung geneigte Willtür der Beamten, aber derselbe mußte ihm dafür Frohudienste leisten und ihn mit seinem Blute vertheidigen, wenn er es für passend gehalten, die als Staatssteuern erhübnen Summen uicht abzuführen, sondern zum eignen Nutzen zu verwenden. Solcher Druck mochte oft unerträglich sein, aber der ^auer brachte jene Opfer an Arbeit, Geld und Blut, wci! er sie bringen mußte; denn bei der Regierung hatte er nur die Auflegung gleicher Lasten, aber nicht einmal den geringen Vortheil zu erwarten, welchen ihm sein Schech odcrVcj gewährte, der anf die geschilderte Weise aus dein Führer der Gemeinde zum Herin derselben geworden war. Ich komme jetzt auf die Mittheilungen Consul Noseus. Derselbe hatte während ciucs längeren Aufenthaltes in Nablus Gelegenheit, die Bekanntschaft der dortigen Ulema zu machen und zwar unter Umständen, welche die Herren einmal von dem Austansch bloßer gleichgültiger Redensarten absehen ließen. Der Krieg von 1859 intercsstrte auch das entfernte Samaria, und da man ihn in Beziehung znr allgemeinen Weltlage brachte, so war man auch über die Zustäude im Reich des Snltans mittheilsamer als sonst. Das allgemeine Urtheil aber lamete dahin: „Effendina snnscr Gebieter, ?) ist mir vollkommen unerklärlich, da ich ihn in diesem Falle beim Nitt von Dschcnin nach Nazareth hatte passircn müssen, anf diesem Wege sich aber nicht das kleinste Äächlein zeigte. 172 Nach langem Suchen wurde eine Furt gefunden, und wir ritten nun auf den Fuß des Karmcl zu, der mit seinen dunkeln Schluchten und seinen waldbewachsenen Gipfeln düstern Blicks auf die hellgrüne Ebne und den blumeugefchmückten Fluß herniederschaut. Wie man beim Kischon nicht leicht an seinen alten Namen Megiddo, d. i. der Würger, Mörder, denkt, so erinnert auch der Karmel beim ersten Anblick nicht daran, daß sein Name Guttesgarten bedeutet. Er ist ein wilder, vielzerklüfteter Gebirgs-stock mit einer Anzahl fast gleich hoher, die Höhe von etwa tausend Fuß über der See erreichender Gipfel, von denen einer südlich von Chaifa schroff und trotzig ins Meer hinaustritt. In feinen Eichen- und Piuieuwaldern haust der wilde Eber, lauert der Pauther und der kleine Leopard, den das arabische Landvolk der Nachbarschaft mit dem Nameu Nimr bezeichnet. Dorfer finden sich nur an seinem Fuß. Weiter drinnen in den Bergen ist es so einsam wie in der Nrzeit. Nur das Raufchen der Wipfel und der Wildbäche, die den Waldgrüuden entstürzen, wird hier gehört, nnd nur der schweifende Jäger oder der kräutersuchendc Möuch betritt diese Wildniß. Die Gestalt und die Lage des Karmcl über der weiten blaueu See weckt die Borstellung des Erhabnm in ungewöhnlichem Grade, und so war er schon in grauen Zeiten ein heiliger Berg der Götter und Propheten. Hier stand ein Tempel des phömzischen Melkarth und ein Altar Molochs, des feurigen Sonnenkönigs, der später dem griechischen Zeus Naum geben mußte. Hier soll Pythagoras die Einsamkeit gesucht haben, und hier hauste unter AHabs Herrschaft der Prophet Elias als Ber-bannter. Der Karmel war der Berg, wo der Nationalgott Israels auf des Propheten Gebet durch Blitzschlag den Beweis führte, daß er stärker als der fremde Eindringling Baal sei, und an feinem Fuß schlachtete Elias triumphirend die Priester des besiegten Götzen. Noch unter Vespasian befand sich auf einem der Gipfel des Karmel ein Heiligthmn; denn es wird berichtet, daß dem Feldherrn hier bei eiucm Opfer seine Erhe- bung zum Imperator verkündet wurde. Später erbaute die heilige Helena auf dem weithin schauenden Punkt eine Kirche, neben welcher in den letzten Jahren der Kreuzrittertönige von Barfüßermönchen eine Klostergcmeinde gegründet wurde, die Sanct Elias zum Schutzpatron erwählte. Die Mouche lebten zuerst nach der Negel des Basilius und wohnten m Felsenhöhlen. Später aber vertauschten sie das griechische Ritual mit dem römischen, und um den Anfang des vorigen Jahrhunderts erbauten sie sich ein eignes Kloster. Als Napoleon 1799 das benachbarte St. Jean d'Acre belagerte, öffneten die Väter Car-meliter ihre Nämne den Verwundeten des französischen Heeres, und dies führte den Uutergang des Klosters herbei. Als die Armee der Franken abzog, erschienen die Türken auf dem Verge, ermordeten die kranken Soldaten, vertrieben die Mönche und verwandelten die Wohnung derselben in einen Trümmerhaufen. Dreißig Jahre später wurde das Kloster größer und stattlicher wieder aufgebaut uud zwar durch den ausdauernden Eifer des Mönchs Giovanni Vattista. der daraus die Aufgabe feines Lebens machte. Derselbe verschaffte sich in Konstantinopel Erlaubniß zur Wiederherstellung des Ordenshanses und später theils durch Betrieb von Mühlen am Kischon. thcilö durch Sammlung von Beiträgen in Europa die Mittet zur Verwirklichung seines Planes. Er bedürfte dazu mehr als eiue halbe Million Franken. Aber er brachte sie zusammen. Elfmal durchzog der alte Mann die abendländische Welt, und jedesmal kehrte er reich unterstützt von dem damals, in der Nestaurationszeit, herrschenden Geiste zu seineilt Bau zurück, bis endlich das Werk dieser eisernen Beharrlichkeit, an dein sich nnsre leicht ermüdete», bald verzweifelnden Politiker eiu Beispiel nehmen mögen, vollendet war. Wir ritten von der Furt des Kischon in drei Stunden nach EHaifa, Bei dem Dorfe Schech Said, wo sich der klare Ge> birgsbach Nähr Saadeh aus einer Schlncht hervordrängt, beobachtete ich znm ersten Mal die später in phömcischen Dörfern oft bemerkte Sittc des Landvolks, sich auf deu Dächeru seiucr 174___ Steinhäuser Sommerlauben von Zweigen zu bauen. Mehre dieser grünen Wohuungen waren sorgfältig beschnitten und mit regelmäßigen Thüröffnungen und Fenstern versehen. Man bringt in ihnen die heißen Monate zu, da sie den kühlenden Winden mehr Zutritt gestatten als die massiven Häuser. Der Gebrauch ist uralt; denn sehr wahrscheinlich war es eine solche Zweiglaube, in welcher Ehud den Moabiterkönig Eglon erstach. Allmählig wurden mm die Gärten von Chaifa mit ihren Palmen- und Orangenhaiuen sichtbar, und auf dem Meer dahinter waren die Masten und Segel von Schiffen zu erkennen. Endlich ließen sich auch die gelbgraneu Häuser des Städtchens, sein Minaret uud seine Kirche unterscheiden. Als wir vor das Thor kamen, ergoß sich aus demselben ein buuter Reiterzug. (5s waren siebzig bis achtzig Beduinen! Männer, Greise und Knaben, alle bewaffnet, zum Theil niit Lanzen, zum Theil mit Säbeln und Karabinern, die misten mit langen dünnen silber-beschlageucu Flinte», an denen kurze breite Vayonettc von der Form steckten, die vor huudertfünfzig Jahren in Europa gebräuchlich war. Boran ritt ein prächtig gekleideter Schech, der einen grünen Tnrban und eine mit Gold benähte rothe Sammt-jacke trug. Die Ncbrigen nahmen sich weniger stattlich aus, alle aber tummelten ihre Pferde mit großem Geschick, und selbst die Knaben logten mit ihren Neitertünsteu, die sic beim Vorübcr-fprengen zeigten, bei dem Leutnant und dein Wachtmeister Ehre ein. Chaifa selbst bietet nichts Erwähnenswerthes. Es ist ein Ort, der, wie man an den vielen neuen Häusern sieht, erst in den letzten Jahren zu eiuiger Bedeutmig gelangt ist. Außer Arabern und Türken wuhueu hier auch Griecheu und Arme-uirr. feruer einige Italieucr. die als Biceeousnln fnngiren. endlich deutsche und englische Missionäre. Wir stiegen in der Loeanda eines Griechen ab, deren Wirth eine Art Tabledhote eingerichtet hatte, die man als Versuch willkommen hieß. wenn sie auch mehr. als augenehm war, verrieth, daß solche Pflanzen w diesem Boden nicht gedeihen. 175 Vor dem, Essen wurde ein Ausflug nach dcm Karmcl-kloster gemacht, welches eine halbe Stunde südlich von der Stadt auf der Höhe liegt. Der Weg ging zuerst über die Ackerfelder der Strandebne, dann durch Olivenpflanzungen aufwärts. An mehren Stellen bemerkte ich in der Felsrnwand links neben dem Pfade Höhlen und Grotten, welche Spuren des Meißels zeigten. Endlich kamen wir vor dcm Klostcrthor an. Im Hofe empfingen uns drei mächtige Doggen, auf deren Gebell ein Mönch erfchien, der uns in das Innere des Hauptgebäudes uud fpäter auf das platte Dach führte. Als er hörte, daß wir Deutsche seien, verließ er uns auf einen Augenblick, und ein Weilchen darauf erschien ein anderer Frater, der uns zu unsrer nicht geringen Verwunderung in gutem Oestreichisch anredete. Wir fragten nach seinem Namen und erfuhren, daß er hier nur Fra Giovanni genannt werde, aber früher — „in der Welt", sagte er — Johann Zwittliuger geheißen habe. Er war aus einem deutschböhmischen Laudstädtchen gebürtig und, wenn ich mich recht entsinne, seines Zeichens Tischler. Schon sechs Jahre lebte er hier auf dem Verg des Elias, und nur selten hatte er in dieser Zeit seine Muttersprache gehört, auch hatte er keine Hoffnung, die Hcimath wiederzusehen, da es in Deutschland keine Karmeliter giebt. Indeß sollte er wenigstens nach Europa zurückkehren, da sein Prior ihn im nächsten Jahr nach Nom zu schicken beabsichtigte. Er führte uns, nachdem wir die herrliche Aussicht von der Plattform des Klosters zur Gcuügc genossen, zunächst über lange sanber gehaltene Corridore, danu Treppe auf Treppe hinab in die Kirche. Dieselbe ist mit einer Kuppel überdacht, durch die sie ihr Acht erhält, an den Wänden herrscht ein grelles Gelb uud Blau vor. der Fußboden besteht aus Marmortafeln. Mau fragte uns, ob wir das Altarbild zu seheu wüuschtm. uud als wir dies bejahton, zündete ein audrer Mönch die Kerzen auf dem Altar an uud zog au einer Schnur den Vorhang auf. welcher das Bild verhüllte. Ich hatte ein Gemälde 176 erwartet und war deshalb ein wenig betroffen, als ich nur eine große Holzpuppe mit einem nichtssagenden Modejournalgesicht und einem weißen goldgestickten Seideutleid vor mir sah, die eine ebenso angeputzte kleine Puppe auf dem Arme hatte. Es war die gebenedeite Mutter Gottes mit dem Kinde. Heide Puppen trugen große plumpe, von Edelsteinen schimmernde Kronen. Unter dem Altar zeigte man uns die Grotte, in welcher Elias gewohnt haben und von Iehovas Raben mit Speise versorgt worden sein soll. Unser Deutschböhme berichtete, daß es tiefer unten am Berge noch eine zweite Höhle des Ellas gebe, nach welcher auch Moslemin zu gewissen Zeiten wallfahrten, indem sie glauben, daß ein Gebet in derselben heilsame Wirkung - habe. Interessant war noch der Besuch in der Apotheke des Klosters, mit dem wir unsre Wauderuug durch das Gebäude beschlossen. Der Frater, der dieselbe verwaltete, erwies sich als lustiger Patron, der die spashaften Streiche, die er als Offizier der römischen Schwcizcrgarde getrieben, nicht vergessen hatte, uns die Hände voll wohlriechenden Karmelitergeist goß und uns dann eine Art frommen Grogs bereitete, bei dem wir ihm von europäischer Politik, Oestreichcrn, Franzosen und Sardimern erzählen mußten. Nachdem wir im Garten des Klosters noch die kleine Pyramide in Augenschein genommen, welche sich über der Asche der 1799 hier ermordeten französischen Militärs erhebt, uahmen wir Abschied von unsrem freundlichen Fra Giovanni und gingen hinaus vor das Thor, um noch einmal dic Aussicht zu genießen, welche das Vorgebirge gewährt. Man steht hier ungefähr siebenhundert ssuß über der See und etwa fünfhundert unter dem höchsten Gipfel des Karmel. Auf dem Meer bemcrktm wir nur die Segel einiger Küstenschiffe. Im Süden fesselten den Blick die Ruinen der Burg Athlit. des alten Castellum Peregrmorum, auf dessen Zinnen noch geraume Zeit nach dem Fall von Ptolemais, der letzten größern Zufluchtsstätte des Christenthums in Palästina, das 177^ Panier der Kreuzritter flatterte. Im Norden schimmerte über der schöngeschweiften Bucht von Chaifa die Stadt St. Jean d'Acre mit ihren weißen Minarets vom rothen Schein des Abends angestrahlt. Dahinter dämmerte bläulich weiß über einer zweiten Einbiegung des Meers das Vorgebirge der Tyrischen Leiter, jetzt prosaischer Capo Bianco genannt. Im Nordosten Endlich thürmten sich Gipfel an Gipfel, graublau, zum Theil noch mit Schnee bedeckt, die gewaltigen Massen des Libanon cmpor. Mit diesen: Vlick nahmen wir Abschied vom heiligen Lande. Am nächsten Morgen betraten wir, aus dem Boote des Fährmanns steigend, der eiuc Viertelstunde nördlich von der Stadt die Reisenden über den Kischon setzt, den Boden PHönicicns. Die Legende, die uns bis hierher begleitet, blieb am jenseitigen Ufer zurück. Wir waren wieder auf dem Gebiet der Profangeschichte. Immer hart am Meeresufer hinreitend, dessen Brandung die ganze phönieische Küste mit einem breiten Bande gelben Sandes bcsänmt hat. gelangten wir nach drei Stunden an den Belns, einen klaren seichten Fluß, an dessen Mündnng die Sage des Alterthums die Erfindung des Glases verlegt. Der Weg war mtt Massen von kleinen Muscheln und vielen ans Land geschleuderten Fischen, namentlich Rochen, bedeckt. Mehrmals sahen wir Gerippe von gestrandeten Schiffen, halb im Schlamm begraben, Zeugen der uugcmein gefährlichen Brandung. die an diesen Gestaden tobt. Acca oder St. Jean d'Acre mit seinen Festungswerken und seinen vier weißglänzcnden Minarets blieb nnbesucht. Es liegt auf einer sandigen Landzunge eine halbe Stunde nordwestlich vom Ausfluß des Belus und hat nichts Merkwürdiges als eine große malerisch mit Gesträuch bewachsene Wasserleitung, unter deren Bogen die Straße nach Sur hin-durchführt. Die breite Ebne zwischen der Stadt und dem Vusch, Wallfahrt nach Inus^m. 1l, 12 178 östlich von derselben hinstreichenden Höhenzuge, der den Namen Dschebel Tarschi führt, ist, wo der Sand aufhört, wohl angebaut und mit schönen Gärten bedeckt, in denen sich prächtig, angelegte, aber meist ziemlich verfallne Landhäuser zeigen. Nach dreistündigem Ritt über die Fläche hatten wir auf beschwerlichem Kletterpfad das Vorgebirge Na'urah zu übersteigen, jenseits dessen sich wieder eine breite Ebne öffnet. Die letztere ist nur gegen das Gebirge hin angebaut und hat nicht ein einziges Dorf aufzu-weisen. Dagegen ziehen sich an den Verghäligen häufig große Dürfer hin, die großentheils von Motuwalis, fanatischen Schiiten, bewohnt sind, und etwa eine halbe Stunde von dem genannten Kap finden sich an einer Stelle, welche unser Maronit mit dem Namen Om El Amuo d, i, Mutter der Sä'nleu bezeichuct'c, die Trümmer einer Stadt, die eine beträchtliche Ausdehnung gehabt haben muß i zwei hohe Säulen jouischer Ordnung, Säulentrom-mcln, Architravstücke, Mauerquadcrn, Grabhöhleu u, s, w. Eine Stunde von hier wurde in dem Oertcheu Skanderun, wo ein schöner Quell ausgedehnte Gärten bewässert, Nast gehalten. Wir trafen hier die französische Pilgerkaravane gelagert, die, aus etwa vierzig Herren mit zahlreicher Dienerschaft bestehend, ihren Rückweg nach Europa über Beirut zu nehmen gedachte. Es waren meist junge Alck aus legitimistischen Familien. Der Führer trug die schwarze Soutane der Geistlichen, die übrigen hatten sich mit französischer Liebhaberei an theatralischem Putz durch weiße Bcduinenmäntcl, buutbttroddelte Kopftücher und farbige Schärpen in halbe Orientalen umgewandelt. Als wir weiter ritten, begegnete uns Europa noch in einer andern Gestalt. Wir hatten gerade ein Wäldcheu von Granat-und Maulbeerbäumen hinter uns gelassen, als wir zwei Fußwandrer cileuden Schrittes auf uns zukommen sahen. Sollten das nicht deutsche Handwerksburschcn sein? Der Nanzen, der gewundene Knotenstock des einen, der Staubkittel des andern — und jetzt blieben sie stehen und zogen die Hüte 179 — sicher, um zu fechten. Und so verhielt sichs in der That. Nachdem ihr Gesuch erfüllt worden, erfuhren wir, daß der eine ein Prüder Schwabe, der andere ein Bruder Schlesinger sei, daß sir von Beirut kamen und nach Jerusalem wollten, „um sich den Tempel Salmuouis anzusehen". Wunderliche Käuze! Der eine hatte sich den Fuß wund gelaufen, dic Sonne brannte wie Fener vom Himmel hernieder, aber als sie vernommen, daß ein Stück weiter eine zahlreichere Gesellschaft von Europäern zu finden sei, hinkten sie munter vorwärts, und ihre gute Laune machte sich, gehoben durch die Aussicht auf eine reiche Ernte voll Piastern, in einem lustigen Liedchen Luft. Kurz nach dieser Begegnung überschritten wir auf einer vielgewundenen Kunststraßc ein zweites Borgebirg. das obengcnannte Capo Bianco, arabisch Nas El Abiad, d. i. Wcißhaupt genannt von den Kreideklippen, die sich hier gegen dreihundert Fuß über dem Meere erheben. Die Partie ist von wilder Schönheit. Die Felsen sind von der Braudung, die in den seltsamsten Tönen unten braust und grollt, zu den barockstell Formen zernagt worden. Au deu Klippen hangt langbärtiges Moos. Masseu von Tang treiben, mit Gisch und Schaum gemischt, vor den Grotten ;n der Tiefe umher. Im Süden sieht man noch einmal den blauen Kännel, im Norden breitet sich die Ebene von Sur uuter den Schncegipfeln des Libanon aus. Das Gesträuch an den Verghnngcn folgt mit dem Wachsthum seiner Stämme und Zweige der au dieser Küste vorherrschenden Windrichtung, die es so niedergebeugt hält. daß jeder eiuzelue Busch eiue förmliche kleine Laube bildet. ,Wir hofften Sur, wo sich eine Lomnda befindet, noch Uor Thorschluß zu erreichen, aber die Stadt, die bei der klaren Luft dieses Himmelsstrichs von der Höhe des Cnvs nicht viel über eine Meile entfernt schien, liegt in Wirklichkeit fast zwei Meilen vou da. Der Abend überraschte unö auf halbem Wege, und der Dragoman gestand jetzt, daß die hier hauseuden Motuwalis berüchtigte Räuber seien. Wir ritten so rasch als -^s^ Pferde 12' 180 laufen wollten, durch die Nacht, die allmählig so dunkel geworden war, daß wir nicht zwanzig Schritt weit sehen konnten. Endlich wurde das Terrain vor uns buschig und hinter den Büschen rauschte es wie ein Wasserfall. Es war der Khan von Nas El Ain, und der Wasserfall die daneben befindlicbe Mühle. Lange suchten wir in der Finsterniß vergebens nach einer Furt, der wir hätten trauen mögen. Znletzt gelangten wir durch eine Vaumpflanznug und unter einem mit Schlingpflanzen überwucherten Gewölbe hindurch vor die Mühle, an welcher drei mehlige Turbanträger um ein Feuer ans Strauchwerk saßen, und dann vor den Khan, dessen Wirth geraume Zeit warten ließ, ehe er auf nnser Nnfen öffnete. Seine Frau oder Magd, eine ungewöhnlich häßliche Schwarze, kochte Kaffee und Eier. Dann legten wir uns unter dem Bordach des Haufes zum Schlafen uiedcr. Früh von Fröschen geweckt, welche in Schaaren auf dem Platze vor dem Khan umherhüpftcn, zogen wir einem klaren Bach folgend, der eine Anzahl von Gärten bewässert, weiter, zuerst auf ein alterthümlichcs Kupvel-gebä'udc zu, welches auf einer Höhe liegt und das Grab eines Heiligen einschließt, dann links über tiefen Sand hinüber nach Sur Sur bedeckt die Stelle, wo Tyrus staud, das London der altscnntischen Welt. Als tauseud Jahre vor unsrer Zeitrechnung König Hiram hier gebot, war die Glanzperiode der Stadt. Der Handel derselben hatte sich über die ganze Westhälfte des Mittelmeeres ausgedehnt, und vom Haftn Ezwngeber befuhren die Schiffe des phouicischen Herrschers das Rothe und wahrscheinlich auch das indische Meer. Bon Spanien kamen Silberflotteu so reich beladen wie die, welche später von Peru nach Spanien gingen, von Ophir Geschwader mit Gold nach der großen Kaufmannsstadt unterm Libanon. Ueber die Oase von Thadmor gingen die Karavaneu des tyrischen Landhandcls bis Karchemisch am Enphrat. andere Straßen des mercantile« Berkehrs verzweigten sich bis hinab in das glückliche Arabien, w» die 181 Königin vou Saba ein reiches Volk beherrschte. Allenthalben an den Küsten Europas und Afrikas hatte der phöumsche Handel Colonien, Factoreien, Comvtoire und Magazine. Schr bedeutend waren die Fabriken von Tyrus, seine Glasmannfacturen, seine Silberschmicden, seine Purpurfärbercien, weithin berühmt und gesucht seine Bauleute. Die Stadt zerfiel in eine ältere Hälfte, die auf einer vorspringenden Landzunge des Festlands sich ausbreitete, und in eine Neustadt, die auf zwei durch einen Damm verbundenen Inseln vor jener lag. Die Altstadt zog sich fast eine Meile am Ufer hm, die Neustadt, welche schr eng gebaut war. hohe Häuser hatte und gegen das Land hm durch Mauern von 150 Fuß Höhe geschützt wurde, hatte einen Umfang vou einer halben Mcil>. Hier befanden sich zwei Häfen, einer ini Norden und einer im Süden, bei dem sich die Schisfswcrfte erhob, der Königs-palast uud die Tempel des Melkarth und der Astartc. strahlend von Gold uud köstlichen Steinen, bewohnt von zahlreichen Priestern und Hierodulen. In dieser Gestalt erhielt sich die Handelsmetropole Vorderasiens Jahrhunderte hindurch. „Wie Wolken," sagt der Prophet, „wie Tauben zu ihren Häuscru fliegen die Schiffe von Tarschisch, die Schiffe vou dm Iuselu daher. Die Menge der Kameele uud Dromedare kommt aus Midian uud Epha, und aus Saba bringen sie Gold nnd Weihrauch." Und an einer andern Stelle heißt es! „Du wurdest sehr mächtig. Tyrus, inmitten der Meere. Lyder und Lybier dieuen in dir als Kriegöleute. Schilde und Helme hängeu sie an deine Mauern. Deine Heeresmacht steht rings ans den Wällen, und Gewaltige sind auf allen deinen Thiirmcu. Tarschifch verkehrt mit dir, mit Silber, Eisen, Zinn uud Blei erfüllt es deine Märkte. Iavan (Ionien), Tubal und Mesech (Länder am Schwarzen Meer) sind deine Haudelsfrcundc. mit Meuschenserlen und Erzgeräth treiben sie Tausch mit dir. Die aus dem Hause Thogarmas (Armenien) bringen Rosse und Maulesel auf deine 182 Messen. Die Söhne Dedans (Araber am persischen Golf) sind deine Handelsfreunde, sie biingeu dir als Gaben Elfenbein und Ebenholz. Syrien steht im Verkehr mit dir wegen der Menge der Waaren, die du erzeugst, es kauft auf deinen Markten Smaragden und Purpnrgcwäudcr, Stickereien, feine Leinwand, Korallen und Agate. Iuda und das Land Israels sind deine Abkäufer, sie bringen dir Weizen und Backwerk, Honig und Oel und Balsam. Damaskus führt dir Wem von Helbon und weiße Wolle zu. Glänzendes Eisen, Cassia und Kalmus kommen auf deine Märkte, Arabien nnd die Fürsten von Kedar besuchen sie mit Heerden von Schafen und Widdern und Ziegen. Haran und Kanneh und Eden Mesopotamien), die Kaufleute von Scheba, Assur und Chilmad treiben mit dir Handel in allerlei Dingen, kostbaren Gewändern, blauen und gestickten, Kisten voll Vrocat, mit Stricken gebunden und von Cedern gemacht, Die Schiffer von Tarfchisch fangen von dir auf feinem Markte, und so wnrdest du gepriesen inmitten der See." Und wieder an einer andern Stelle lefen wir von der Gestalt der Stadt: „Deine Baumeister haben Dich zur vollendeten Schönheit gemacht." Und von der Pracht der Schiffe heißt es! „Ihre Vurde sind von Cypressen und ihre Masten von Cedcrn des Libanon. Aus den Eichen von Vasan machen sie ihre Ruder, aus Elfenbein ihre Bänke. Feines Leinen mit Stickerei aus Aegypten hissen sie als Segel auf, blauen und rothen Purpur aus Elischa (Elis) breiten sie als Dach darüber". Inmitten aber der „kronenspendenden Stadt, deren Kauf» leute Fürsten und deren Händler die Geehrten der Erde waren", thronte „wie ein Gott auf einem Göttcrstuhl, wie in Eden, dem Gottesgartcn, der König mitten im Meer. Edelsteine waren sein Baldachin, Karneol. Topas und Diamant, Karfunkel und Gold, und an sich trug er die Kunstwerke seiner Geschmeidelasten. Seine Kleider dufteteu von Myrrhen und Aloe und Kassia, in Elfmbempalä'sten erfreute ihn das Harfenfpiel. 183 Königstöchter waren seine Kammerdamen, zu seiner Rechten stand die Königin in Gold von Ophir, In golddurchwobnem Gewände, auf schön gewirkten Teppichen wurde sie ihm zugeführt, Jungfrauen, ihre Gespielinnen, in ihren: Gefolge." An diesen Preis der tyrifchen Königsstadt knüpften die Propheten Ahnungen von Unheil nnd Weissagungen gänzlichen Unterganges. Allein es hat lange gewährt, ehe sie sich erfüllten. Nebukadnezar belagerte Tyrus, gewann aber nach dreizehnjähriger Belagerung nur die schwächere Altstadt. Alexander nahm auch die Inselstadt ein und ließ zweitausend der Besiegten kreuzigen und den Nest in die Sklaverei verkaufen. Aber schon nach wenigen Jahrzehnten hatte das zähe Volk sich wieder erholt, und wenn auch der Handel sich allmählig von hier nach Karthago zog, war Tyrus doch noch zu Strabos Zeit eine große und reiche Stadt, die namentlich durch ihre Purpurfärbereien Ve-deutung hatte. Jetzt ist Tyrus eiu stilles Städtchen von etwa viertausend Einwohnern, die grdßtmtheils Motnwalis sind. Von der Altstadt ist nur eine Anzahl von halbzerstörten Grabmälern übrig. Sie wurde von Alexander niedergerissen und mit ihrem Schutt ein Damm nach der Inselstadt hinüber gebaut. Die Südhälfte der letzteren ist theils Schafweide, theils nackter Fels, theils Vegräbnißplatz der heutigen Stadt. Der nördliche Hafen ist zusammengeschrunwft und versandet, der südliche ganz verschwunden. Wo einst Hunderte von Schiffen ankerten, sieht man jetzt nur einen oder zwei kleine Küstenfahrer, die Libanontabak und Holzkohlen laden. Die Stätte der Tempel, des Königs-palastes ist schwerlich mit dem Grabscheit, geschweige denn mit dem Auge zu finden. An die Purpurfabriken «innern nur noch die Purpurschnecken, welche die Brandung gelegentlich an öas Gestade wirft. Nur das Mittelalter hat in den Ruinen einer gothischen Kirche ein Zeugniß zurückgelassen, daß Tyrus noch in dieser Epoche wohlhabend und strebsam war. Beim Weiterritt passirten wir eine Stunde nordöstlich von 184 der Stadt au dem im Gebirge gelegenen Dorfe Hanajch vorüber, in dessen Nähe sich die Nekropole von Alttyrus befindet. Während der Dragoman in Sur zurückgeblieben war, um Proviant zu kaufen, versuchte ich mit den: Marouiten das sogenannte Grab Hirams und die ägyptische Gedenktafel aufzufinden, die hier zwischen den Felsen zu fehen fein soll. Ich entdeckte zuerst nur einige Felscnkammern, welche Leichen enthalten haben mögen, dann aber auf einer Anhöhe, von Gestrüpp umgeben, ein längliches Viereck von Quadern, etwa 15 Fuß hoch und 24 Fuß lang, unten von einem breiten Nande oder einer Stufe umgeben und oben nach Osten hin abgeschrägt. Von Skulpturschmuck war nichts zu entdecken, ebensowenig von Inschriften. Ob das Bauwerk das genannte Grabmal ist, weiß ich nicht zu sagen. Länger zn suchen schien nicht gerathen, da nicin Begleiter Zeichen von Aengstlichkeit gab und alle diese Gegenden wirklich stark im Geruch stehen, von einsamen Reisenden gewaltsam Tribut zu erheben. Wieder in die Ebne hinabgestiegen, gelangten wir nach einer halben Stunde an ein breites buschreichcs Thal, aus dem ein großer klarer Fluß, der Litany oder wie er in seinem nntern Lauf genannt wird, der Aschmijeh hervorstrümt. Es war der größte Fluß, deu ich bisher seit dem Jordan in Syrien gesehen, und jetzt mit einer Fülle blühender Oleandersträucher geschmückt. Wir überschritten ihn auf einer hochgewölbten Bogenbrücke, nicht fern von der sich die Trümmer eines mittelalterlichen .Kastells zeigten. Nachdem wir einen Bcrgvorsvrung überklettert, der den Fluß auf der rechten Seite bis nahe ans Meer begleitet, kamen wir in eine wüstliegende Strandebnc, auf der wir liuks vom Wege mehre Pfeiler bemerkten, die der Nest eines alten Bauwerks zn sein schienen. Weiterhin passirte nnsere Karavane besser angebante, von mehren schönen Gebirgsbächcn durchrauschte Gegenden, in denen die Törfer bis in die Ebne herabfliegen, und etwa fünf Stunden nachdem wir den Aschmijeh überschritten, langten wir vor den Thoren des hochgebantcn, von dichten 185 grünen Vaumgärtm eingefaßten Said a an, welches nach Veirnt unzweifelhaft die volkreichste nnd anmuthigst gelegene Stadt dieser Küste ist, wenn es auch wol, keinen Vergleich mit dem alten Sidon anshalten würde, dessen Stätte es einnimmt. Letzteres fiel im Alterthum dnrch Artarerxes den Dritten. Als die Bürger sich den Stürmenden gegenüber verloren geben mußten, verbrannten sie sich selbst nach alt semitischer Sitte mit Weib und Kind. Im Mittelalter kam die Stadt, die sich ans dem Schutt der alten erhoben, in die Gewalt der Kreuzfahrer, die hier verschiedene Festungswerke anlegten und eine vor dem Hafen befindliche Klippe mit einem Kastell krönten, in welchem jetzt ei» Theil der türkischen Garnison liegt. Im siebzehnten Jahrhundert hielt hier der prachtliebende nnd kunstsinnige Dru-scuemir Fachr Eddin Hof. Wir blieben die Nacht in dem, lateinischen Kloster, einen: großen massiven Gebäude, desfeu vierseitiger Hof mit Artaden eingefaßt ist, welche offne Gänge tragen, Gastfreundschaft wie in den palästinensischen Klöstern war hier nicht zu finden, auch nicht für Bezahlung. Man wies uns in ein duukles Gemach im zweiten Stock, über welchem eine Art Firma mit dem vielverheißenden Wort „Hotel" hing. Das Zimmerchcu hatte au Geräth nur einen wackeligen Tisch und zwei Pritschen und schien seiner Zeit als Gefängniß gedient zu haben. Bon Speise nnd Trank war keine Rede. Indeß »lachte Auad eine Küche ausfindig, verschaffte sich Brot und einige Eier sowie eine Flasche Cyper, nnd fo war wenigstens dem Nothwendigsten abgeholfen. Aus etlichen Brettern wurde eine dritte Bettstelle zu Stande gebracht, und da man nach neunstündigein Ritt unter syrischer Sonne in Betreff des Schlafens mit dem Wo und Wie nicht wählerisch ist, so war alle Unbequemlichkeit dieses Unter, lommcus bald in den Annen des Schlummers vergessen. Am nächsten Tage nahmen uusre Strapatzeu ciu rasches Ende. Zuerst am Strande hin, dann weiter landeinwärts nnd höher über der See ritten wir in etwa drei Stunden bis an 186 den Nähr El Auwaleh, den größten Strom dieser Gegenden, der sich, von dichtem Gebüsch eingefaßt, aus einem breiten Thale hervordrängt und in mehre Arme getheilt dem Meer zufließt. Das Gebirge zeigt hier zahlreiche große Dörfer, die meist von Drusen bewohnt sind, und sich inmitten der Terrnssencultur, die sie mit ihren Feigen- und Olivcnpflanzungen, ihren Weingärten uud Maulbeeranlagen umgiebt, ungemein behaglich und freundlich ausnehmen. Diese Cultur begleitet den Reifenden bis nach Beirut, welches wir vier Stunden nach unserm Aufbruch vom Nähr El Auwaleh erreichten, und wo wir in dem wohleingerichteten Hotel Bellevue außer der schönen Aussicht, welche die Firma verhieß, auch weniger ideale, aber für uns mit schönen Aussichten reichlich gesättigte Pilger erwünschtere Genüsse, z.B. eine wohlbediente Table d'hote mit angenehmer deutscher Gesellschaft, ein gutes Vad und ein comfortables Bett vorfanden und mit dein Eifer, den lange Eutbchruug erzeugt, benutzten. Der nächste Nachmittag brachte mich und den Leuteuant, nachdem wir von dem getreuen Wachtmeister herzlichsten Abschied genommen, auf den russischen Dampfer Wladimir, mit dem wir nach Smyrna weitergingen, während unser Freund sich, zu welchem Zweck blieb Geheimniß, nach Aegyvten zu begeben gedachte. Möge dem Guten die Neise leichter geworden sein, als die Tonr von Thüringen nach Jerusalem. XIII. Jerusalem in der Zeit Jesu. ^Mlie wir uns das alte Jerusalem, in welchem Jesus auftrat, vorzustellen haben? — Ich antworte- zunächst nnd vor allem ähnlich wie das heutige nicht mit einem Heiligenschein, sondern einfach mit der Atmosphäre umgeben, die andere morgenländische Städte alter und neuer Zeit einfaßt. Im übrigen werden wir uns das Bild der Stadt, in welcher sich die An« fange des Christenthums concentrirten, die Vorstellungen von ihrer Gestalt, ihrem äußern und innern Leben, ihrer Gesellschaft und ihrer Sitte mnsivisch aus den echt scheinenden größer« oder kleinern Trümmersteinen zusammensetzen müssen, die wir in den heiligen sowie in den profanen Schriften jener Zeit verstreut finden. Etwaige Lücken wird uns der heutige Orient ausfüllen, da wir wissen, daß er in vielen sehr wesentlichen Dingen noch der damalige ist. und verweise ich, soweit im Folgenden das von dieser Seite gebotene Material zur Vervollständigung des Gemäldes unbenutzt blieb, auf die vorausgesandte Schilderung von Kairo. Das alte Jerusalem lag im wesentlichen an derselben Stelle wie das gegenwärtige, nur wird man annehmen müssen, daß es, da das Areal des letzteren, selbst sehr dicht und mit sehr viel-stöckigen Häusern bebaut, kaum mehr als fünfzigtauscnd Einwohner 188 fassen tonnte, in jenem aber fchon in gewöhnlichen Zeiten mehr als hunderttausend, nnd in den Wochen der grüßen Feste sowie bei Belagerungen sicher mehr als doppelt so viele Menschen lebten*) einen bedeutend größeren Naum einnahm, und daß, da im Osten, Süden und Südwcsten die Natur einer starken Hinaus-rückung der Mauern Hindernisse entgegensetzt, die einstige Stadt sich vorzüglich nach Nordwcstcn und Norden weiter ausdehnte als die jetzige. Sodann war jene unzweifelhaft stattlicher, reicher und prächtiger, da mehre fürstliche Paläste, mächtige Thürme und Burgen, ein Theater und verschiedene andere große öffentliche Gebände erwähnt werden, mit deren Beschreibung das, was sich ietzt von derartigen Bauten der Stadt sagen läßt, leinen Vergleich aushält. Endlich darf man sich wol auch die Umgebung des alten Jerusalem weniger öd mid baumlos vorstellen, als die des heutigen, obwol es auch damals an Nasser gefehlt haben wird, nm ausgedehnte Gärten anlegen und unterhalten zu können. Die Stadt zerfiel in vier Hanpttheile'. Zion, die Oberstadt, Akra, die Unterstadt, Moriah, die Tempelstadt und Bezctha, die Neustadt, wozu noch die Vorstädte Bezctha und Ophel kamen. Ziou umfaßte den ganzen Südwesten, das heutige Armenier- und Iudenquartier, und war, auf dem höchsten von den Hügeln des Stadtareals gelegen, rings von Thälern, im Westen und Süden von dem des Gihon, auf den beiden andern Seiten von dem weniger tiefen, im Norden jetzt nicht mehr aufzufindenden Tyropäon umgeben. Akra nahm, auf und an einer halbmondförmigen Bodenanschwellung erbaut, den Nordwesten, etwa die Stelle des jetzigen Christcnviertels und die westliche Hälfte des Türkenquartiers ein. Moriah begriff das Plateau und die Abhänge des östlich von der Unterstadt sich erhebenden Tempelhügels in sich, Bezetha lag im äußersten *) Die betreffenden Znhlen bei Ioscphus sind jedenfalls Ueber» tnibuugm. 189 Norden außerhalb der hcutigelt Stadtmauer und erstreckte sich mit der südöstlich sich anschließenden Vorstadt wahrscheinlich im Norden bis an die sogenannten Gräber der Könige, im Südosten bis an eine Linie, die mau sich etwa vom jetzigen Stephansthor nach dem östreichischen Pilgcrhaus gezogen denken kann. Die Vorstadt Ophel endlich befand sich im Süd often nutcr dem Tcmpelbcrge und über der Bereinigung der drei Thäler T>)ro-Päon, Gihon oder Hinnom und iiidron oder Iosaphat. Das Ganze war, mit Ausnahme der Neustadt, von einer Mauer umschlossen, die mit ihren Zinnen und Brustwehren 25 Ellen'") hoch, an manchen Stellen bedeutend höher, durchschnittlich 10 Ellen dick und knnstreich in vorspringenden und zurücktretenden Winkeln angelegt war, so das? der angreifende Feind stets in den Flanken gefaßt werden konnte. Aehnlich gestaltete Mauern trennten die einzelnen Stadttheile von einander: eine schied, am nördlichen Schenkel des Tyropäon hinlaufend, Zion von Atra und Ophel, eine andere umgab den Tempelberg im Norden. Westen und Süden. Alle dicfe Maueru waren von gewaltigen Werkstücken erbaut, die mau mit Blei verkittet uud mit eisernen klammern an einander befestigt hatte. Ihre vorspringenden Winkel trugen mächtige Streitthürme oder Bastionen, welche die Mauer nm 20 Ellen überragten, und deren man im Ganzen 74 zählte. Einige derselben zeichneten sich durch besondere Größe und Schönheit aus. Dahin gehörte zunächst der nach eillein Freunde Herodes des Ersten benannte Hippito s, der am westlichen Eingang des Tyropäon stand, und von dem man wahrscheinlich in der hentigen Citadelle einen Nest vor sick hat. Derselbe war viereckig, jede Seite 25 Ellen breit, die Höhe 30 Ellen. Die Basis des Thurms war volles Mauenucrk, welches über ein Kellergewolbe gelegt war und nur von einer Wendeltreppe und *) Die Elle dcö IoseplM hatte 20, nach Audcrn dlos 18 Holl unsers Maßes. ^90___ Röhren zur Ableitung des von der Plattform aufgefangenen Regenwassers durchbrochen wurde. Auf diesem Sockel erhoben sich zwei Stockwerke, welche mehre reichverzierte Gemächer enthielten. In dem Gewölbe befand sich eine 20 Ellen tiefe Ci-sterne. Oestlich von da und gleichfalls unmittelbar über dem Tyrosiäon stieg der Thurm des Phasael empor, der, ebenfalls von Herodes erbaut und nach dessen Bruder benannt, einer der höchsten Thürme damaliger Zeit war. Auf einem Würfel von 40 Ellen Länge, Breite und Hohe erhob sich, mit Brustwehren umgeben, ein anderer von 10 Ellen Höhe, der einen dritten trug. Die obern Stockwerke enthielten Prachtgemächer, Bäder und anderes Zubehör eines Königspalastes. Das Ganze war 90 Ellen hoch und uach dem Muster des Pharos von Alcrandrien, eines der sieben Wnnder der Welt, erbaut, übertraf denselben aber an Höhe. Nicht weit von hier stand ein dritter Prachtthurm, nach Mariamne, der Gemahlin des Herodes getauft, 55 Ellen hoch, auf jeder Seite 20 Ellen breit und noch reicher mit Ornamenten und Prunkgemächern ansge-stattet, als jene andern. Diese Thürme müssen, da die Mauer, auf der sie standen, 30 Ellen hoch war und außerdem über einen Hügel hinlief, von ferne betrachtet noch weit imposanter ausgesehen haben, als sie waren. Aber auch in der Nähe erweckten sie jedenfalls die höchste Bewunderung. Der Kern derselben war mit einem Mantel von weißen Marmorquadcrn umgeben, die von außerordentlicher Größe und so fest und ohne sichtbare Fuge mit einander verbunden waren, daß jeder Thurm wie ein einziger Stein aussah. Ihre Bestimmung war. als Vorwerke fiir den Palast des Herodes zu dienen, der sich südlich an sie anlehnte, zugleich aber wnrden sie als Wohnungen für den Hof des Königs benutzt, wenn dieser in Jerusalem residirte. Thore scheint das damalige Jerusalem zwölf gehabt zu haben, uud zwar wird ein Thor der Hcerdcn, ein Thal-, ein Fisch-, ein Brunnen-, ein Mist-, ein Pferdethor, ein Thor von Ephraim, ein Thor des Gefängnisses, ein Gerichtsthor, ein öst- ^191 liches und ein altes, ein Thor Gcnnath sowie ein Thor der Essäer erwähnt. Das letztere wird in der Nähe des jetzigen Zionsthors gestandcn, das Thor Gennath sich in der Mauer, welche die Oberstadt von dcr Akra trennte, zwischen dem Hippi-tos und dem Phasaelsthurm befunden haben, das Mistthor im Süden gewesen sein. Wo die andern sich öffneten, ist nicht mehr zu bestimmen. Von besonderer Wichtigkeit unter den Festungswerken der Stadt war die Bnrg Anton ia, ein starkes Fort, das, auf einem jähen 20 Ellen hohen Fclshügcl nordwestlich vom Tempelbcrg am östlichen Ende der Akra, alfo etwa hundert Schritt südlich von da lag, wo jetzt das östreichische Pilgerhaus steht. Der Felsgrund war abgeböscht und mit glatten Steinen belegt, die obere Fläche von einer 3 Ellen hohen Mauer umgeben, in deren Mitte ein dicker vierseitiger Thurm emporstrebte. Letzterer hatte in jeder Ecke einen kleineren Thurm, in der südöstlichcu einen von 70. in jeder der andern Ecken einen von 50 Ellen Höhe. Die Bestimmung dieser Citadelle, die außerdem Wohnhäuser, Bäder. Sä'ulmgänge u. d. m. einschloß, war die einer Warte und Zwingburg vorzüglich für den Tempelberg, der zu Festzeiten auf seinem Plateau Massen von stets zu Aufruhr geneigtem Volke versammelte. In den Tagen Jesu lagen hier die Soldaten der römischen Garnison. Sehr bedeutend scheinen die unterirdischen Bauten der Stadt gewesen zu sein, und vermuthlich waren besonders die ältern Quartiere von zahlreiche« Wasserleitungen, Eisterncn, heimlichen Gängen und einem Netz von Schleußen durchbrochen. An größere öffentliche Plätze und breite Straßen wird nicht zu denken fein. Die Gassen Altjerusalems waren gepflastert, jedenfalls ebenso eng, krumm uud dunkel wie die des gegenwärtigen und liefen, da die Senkungen zwischen den einzelnen Stadt-Hügeln tiefcr waren als jetzt, wo sie vom Schutt der Zerstörung durch Titus zum Theil ausgefüllt sind, sicher noch steiler bergauf und bergab als die heutigen. Straßenbeleuchtung maugelte 192 völlig. Mit der Reinlichkeit der Gassen und den Gerüchen in denselben wird es ebenso übel bestellt gewesen fein als jetzt. Die Privathäuscr hatten großentheils mehre Stockwerke, waren in der Hauptsache aus Stein oder Lehmziegeln, in den obern Geschossen aber, da wiederholt von großen Bränden berichtet wird, wol auch von Holz gebaut, bisweilen getüncht und bildeten in der Regel ein Viereck. Die der Wohlhabenden umschlossen einen Hof. der, mit Galerien nmgeben, gepflastert und mit Brunnen und Väumen geschmückt, als Gesellschaftszimmer diente. Die Dächer waren flach, mit Ziegeln oder Estrich belegt und mit einer niedrigen Brustwehr eingefaßt. Man stieg zu ihnen außen am Hause auf Freitreppen empor. Die Fcuster gingen ebenso oft auf die Straße wie auf den Hof und waren wie jetzt mit Holzgittern verwahrt. Es gab besondere Zimmer für die Frauen, die sich stets im hintern Theil des Hauses befanden. Vornehme hatten eigne Gemächer für den Winter, die man durch einen tragbareu Ofen oder großen Kohlentopf erwärmte. Der Fußboden der Zimmer bestand aus Gypöguß oder gebrannten Steinen. An Hausgcräth befanden sich in denselben Tische, Sessel, Sophas, die der Lurus geschmackvoll zu verzieren wußte, und die man mit Teppichen uud Ruhekissen belegte. Leuchter, Trinkgefäße und vermuthlich auch Metallspicgcl. D:e ältern Stadttheile waren die vornehmsten. In der Ältra lag ein Schloß des Herodes. ein Palast der Fürsten aus dem Geschlecht der Hasmonäer, das Theater, ein Gebäude, in welchem mau öffentliche Urkunden aufbewahrte, mid vielleicht auch eine Anzahl Wohnungen, in welchen die Patrizierfamilicn wohnten, aus denen die Hohenpriester genommen wurden. Ferner war hier zwischen der Terrasse des Hasnwnäerschlosses (Xystos) und dem Westporticus des Tcmpcluorhofs, also im Südostcn dieses Stadttheils, das Gebäude, in welchem sich das Sanhedrin oder der Hoherath versammelte, wenn er verhindert war, seine Sitzungen in den Galerien des innersten Tcmprlhofes zu halten. Später hatten hier auch die adiabenischen Fürsten ein Schloß. Diese Paläste pflegten ein Rechteck von Gebäuden zu bilden, welches bisweilen in seinen Winkeln Thürme hatte und in der Regel einen Hof mit Arkaden nnd Säuleugängcn einschloß. Anf dein Zion befand sich ein Haus, in dem man Privatcontratte aller Art niederlegte*), und der neue Palast des Herodes, der uon Iosevhus als ein Wunder von Größe und Pracht gepriesen wird. Derselbe war mit einer 30 Ellen hohen Ringmauer umgeben, die von Thürmen vertheidigt wurde. Die einzelnen Gebäude zeigten schöne Dachstühle und Schwibbogen, die von Säulen getragen waren. Im Innern sah man zahlreiche Gemächer mit kostbarem Gold- nnd Silbrrgeräth, Getäfel von seltnen Mannorartcn und andenn Schmuck alter Ko'uigsburgcu. Einige dieser Zimmer waren so geräumig, daß in ihnen gegen hundert jener Polsterkissen Platz hatten, welche die Alten bei ihren Mahlzeiten um die Tische legten. Außen befanden sich Lustgärten mit mannichfaltigen Bäumen und Büschen, Vrun-ncn, deren Wasser aus Broncebildfänlm hervorströmte, und kleine Thürmchen mit zahmen Tauben, die um die Bassins hin und Herstogen. Bezetha scheint in der Zeit Iesn und später noch vorwiegend von Handwerkern und Kaufleuten bewohnt gewesen zn fein, und zwar hatten hier besonders die Woll- und Kleiderhändlcr, sowie die Arbeiter in Eisen und Erz ihre Werkstätten und Läden. Auch andere Verufszweige mögen in besonderen Gassen oder Basaren vereinigt ihre Waaren feilgehalten haben; wenigstens ist von einem Fleischmarkt und einem Käsemacherthal die Rede. Die eigentlichen Märkte aber befanden sich an den Thoren. Wie zu Jesu Zeit jede größere Stadt Palästinas mehre Synagogen hatte, jede kleine wenigstens eiue besaß, so hatte die Metropole des Iudenthmns deren eine außerordentlich große Zahl. Nach dem Talmnd befanden sich deren in Iernfalem nicht weniger als 460, und das ist nicht unglanblich, da zugleich berichtet wird, daß jede Laudsmanuschaft uud jedes Gewerbe *) Ioscphus. Iüd. Kncg II. 17. 6, Au 5 ch, Wallfahrt nach Icmsalcm. II. 13 194 hier sein Bcthaus hatte, und da der Wille von zehn Familien-Häuptern genügte, um ein solches Convcntikel zu eröffnen. Errichtung nud Unterhaltung der Synagogen lag der Gemeinde ob, doch ging beides znwcilen auch von Privatpersonen, selbst von Heiden, aus. Man versammelte sich hier an den Sabbathen und Festtagen, um sitzend nnd vermuthlich nach den Geschlechtern getrennt das gemeinschaftliche Gebet zu verrichten und die Burlesung von Abschnitten aus dem Gesetz und den Propheten anzuhören, die einer ans der Versammlung erbaulich auslegte, worauf die Gemeinde von einem Priester, der jeder Zusammenkunft beiwohnen mnßte, mit dem Segen entlassen wurde. Die Ausstattung der Synagogen, die man Mn auf hochgelegnen Stellen erbaute, war sehr eiufach und bestand nnr in Sitzen, einer Lehrkanzel und einem Bücherschrank. Einen eignen Nab-biucr hatten sie nicht, dagegen einen Archon, der über die Ordnung wachte, Aelteste, einen Porbeter, der zugleich als Sekretär und Bote diente, einen Anfwärter, der den Saal zn öffnen, zu schließen nnd rein zn halten hatte, nnd dem wol anch die Pflicht oblag, die Geißelung zu vollziehen, welche in den Synagogen an ketzerischen Juden vorgenommcu wurde. Opfer konnten in den damaligen Synagogen so wenig wie in den jetzigen, fondern nur im Tempel gebracht werden, dessen Nnrichtnng wir jetzt betrachten wollen. Der Tempel lag auf dem dnrch gewaltige Substructions-bauten gebildeten Plateau des MoriahHügels. Die größere Nordhälfte dieses Plateaus war durch hohe Mauern eingeschlossen, die an jeder der vier Seiten ein Stadium lang waren, nnd an denen sich innen Säulmgä'nge hinzogen. Die vier Seiten entsprachen genau den vier Himmelsgegenden. Von den Gängen oder Galerien hatten die im Westen und Norden, sowie der im Osten, welcher die Halle Salomos hieß, drei Reihen Säulen, wogegen die Südgalerie, welche den Namen der königlichen führte, deren vier mit zusammen 162 Sänlcn besaß. Der Fußboden dieser Colonnade« war ebenso wie der ganze große ^195___ Platz, den sie einfaßten, mit farbigen Stemm gepflastert. Die Säulen, von Marmor und wol korinthischen Styls, waren 25 Ellen hoch und von verschiedenem Durchmesser, manche so dick. daß sie kaum von drei Männern unispannt werden konnten. Die Dächer, welche sie trugen, bestanden aus Cedernholz. In dieser äußern Mauer der Tempelstadt befanden sich, wie es scheint, acht Thore, über denen sich Thürme erhoben. Im Westen öffneten sich vier Thore, von denen eins der beiden nordlich gelegenen (vielleicht das, welches im Talmud Kiponos heißt) nach der Brücke führte, die sich hier über das Tyropäon nach dem Xystus vor dem Hasnwnäerpalast hiniiberspaunte. Im Norden war cin Thor Tcri, welches indeß verschlossen gehalten wurde, im Süden cm großes Doppclportal, das den Namen Chnlda führte. Das Hauptthor öffnete sich im Osten. Es hieß Susan und hatte bei sich deu Tempelmarkt, auf welchem Opferthierc, Ochsen, Schafe, Tanben, ferner Oel, Mehl nnd Salz uud wol auch Opfergefäßc verkauft wurdeu, und wo sich die Tische der Wechsler befanden, welche mit dem zur Eutrich-tung der Tempclstcuer erforderlichen Geld handelten. Nach den Thoren im Osten und Süden müssen, da das Plateau des Moriah sich hier sehr bedeutend über seine Nmgebung erhob, Rampen emporMführt habeu, und vielleicht ist der Ansatz zu einem Bogen oder Gewölbe, den man ans der Ostseite der heutigen Mauer, nicht weit von der sogcuaunteu Säule Mohammeds bemerkt, der Nest eines solchen Anbaus. Das große Rechteck, welches die Säuleugalerien einschlössen, war das Forum von Jerusalem und als solches auch den Nicht-judeu zngänglich, weshalb es als Borhof der Heiden bezeichnet wurde. Inuerhalb desselben, aber nicht in der Mitte, fondern mehr nach der Nordwestecke des Quadrats hin, erhob sich in Gestalt eines länglichen Vierecks, 500 Fuß lang und nicht gauz halb so breit, die Terrasse, welche das eigentliche Tempel geb äude trug. Dieselbe war unten ans der Fläche mit einein Steingitter eingefaßt, iiber das in gewissen Zwischen- 13* " 196___ räumen Säulen emporragten, an denen griechische und lateinische Inschriften den Heiden das weitere Vordringen in das Heilig-thmu — nach Iosephus bei Todesstrafe — untersagten. Das Tempelparallelogramm streckte sich von Osten nach Westen. Der Hauptemgang befand sich anf der östlichen Seite. Hier führte eine Treppe von 14 Stufen zunächst nach einem Frciplatz oder Perron von 10 Ellen Breite. Von diesem stieg man weitere 5 Stufen zu einem Prachtportal empor, welches das schöue ge-naunt wurde und in einen ersten Vorhof führte, der, als Durchgang für die Weiber dienend, die sich nach den für sie bestimmten Galerien über dem innern Höft begaben, der Hof der Frauen hieß. Jenes Portal, ueben dem sich im Süden uud Norden noch andere Thüren öffneten, war mit zwei Säulen von 12 Ellen Umfang geschmückt und von einem Thnrm mit (Gemächern überragt. Die Thür desselben hatte zwei Flügel nnd war gleich denen der andern Pforten reich mit Gold und Silber beschlagen. Die Höhe dieser Thüren betrug Z0. ihre Breite 15 Ellen. Der Weibervorhof war ringsum mit einfachen Säulenreihen eingefaßt, hatte in jeder Ecke einen vierseitigen Saal und bildete ein Rechteck, dessen Seiten jede 135 Ellen lang waren. Im Westen desselben stieg man anf 15 halbkreisförmigen Stufen nach einem zweiten Hauptportal empor, welches das Nikanorthor hieß und bei einer Höhe von 50 eine Breite von 40 Ellen hatte, und dessen Flügel aus korinthischem Erz gegossen waren. Durch die Pforte trat man in einen zweiten Hof, der dieselbe Breite wie der Weibcrhof hatte, aber fast um die Hälfte länger als dieser war. Derselbe zerfiel in einen kleineren Vorplatz von nur 11 Ellen Tiefe, welcher für die dem Gottesdienst beiwohnenden Männer nichtpriesterlichen Geschlechts bestimmt war und der Vor Hof Israels genannt wurde, und in den Hof der Priester, der, von Mein durch ein niedriges Gitter getrennt, in seinem Hintergrund den Tempel hatte, welchen er auf allen Seiten umgab. Die genannten beiden Höfe wurden gleich dem der Weiber von Säulenhallen eingefaßt, in welche verschiedene 197 Gemächer, ciue Salz-, eine Holz-, cine Qnellkammer, ein Zimmer, wo die nmsilalischen Iustruinente der Tempeltapclle aufbewahrt wurden, die Bäckerei, wu man die Schaubrote bereitete, ein Statt für Opferthiere u. a. eingebaut waren. Im Süden lag der Saal, wo das Sanhedrin gelegentlich seine Sitzungen hielt. Hinter dem Vorhof der Priester, der gleichfalls 11 Ellen Tiefe hatte, erhub sich zunächst der große 15 Ellen hohe und unten 50 Ellen ins Gevierte messende Opfer altar, eine aus unbehauenen Steiuen errichtete Pyramide. Znr Rechten desselben standen Wasserbecken znr Reinigung der Opferstücken, ein großer Opfertisch von Cedernholz mit Marmorfüßcn und mehre kleinere von Marmor, sowie einer von Silber. Bon hier führte eine Treppe von 12 Stnfen nach einer Terrasse, aus welcher der Tempel selbst lag. Das Material desselben war weißer Marmor mit reichster Vergoldung. Das Gebäude bestand aus einer Vorhalle, dem Heiligeu. dem Nllerhciligstcn und einem kleinen Anbau im äußersten Westen, nnd hatte eine ^äuge von 100 und an der Burhalle eine Breite vou ebenfalls 100, weiterhin von 60 Ellen. Das Dach erhub sich giebelsurmig bis zur Höhe von 100 Ellen über dem Buden, uud ans demselben waren eine Anzahl von vergoldeten Eisenstäben angebracht, welche verhüten sollten, daß die Bügel, namentlich die für nnrein geltenden Naben, sich hier niederließen und Nester bauten. Ringsherum lief eine Balustrade von Mannshöhe. In die Borhallc gelangte mau durch ein im Osten be-fiudliches Hauptthor von 70 Ellen Hohe uud 25 Ellen Weite, das keine Thür hatte. Diese Halle zeigte iuncn eine Breite von 50. eine Tiefe von 20 und eine Höhe von 90 Ellen und schimmerte allenthalben an den Wänden von vergoldetem Eedcrn-getäfel. Ein zweites kleineres Portal mit guldbeschlagnen Flügelthüren, welches stets offen stand, aber mit einem reichdurchwirkten babylonischen Byssusteppich verhaugeu war, uud über dem eine uugeyeure goldue Weinrebe mit Traubeu uou Meuschengroße, das Wappenbild und Wahrzeichen der Stadt Jerusalem und __ 198 das Symbol des gesammtcu Volks Israel, hing, führte von hier in das Heilige, welches eine Breite von 20, eine Tiefe von 40 nnd eine Höhe von 60 Ellen hatte, mid in dem sich ein goldner Leuchter mit sieben Annen, ein Altar zum Berbrennen von Weihrauch und ein goldncr Tisch für die sogenannten Schau-brote befauden. Von hier endlich trat man durch ein drittes Portal, welches ebenfalls mit einem kunstreich gewirkten, mit Blumen und Säulenbildern geschmückten Teppich Verhaugen war, in das dunkle Allerh eiligste, einen Saal, der 20 Ellen ins Gevierte maß nnd dieselbe Hohe wie das Heilige gehabt haben soll. Jener Vorhang zeigte wie der erste die altheiligen Farben: Dunkelblau, Purpurroth, Orangcgelb und Weiß. die nach den damaligen Schriftgelehrtcn die vier Elemente - Luft, Wasser, Feuer und Erde bedeuten sollten; der von ihm verhüllte Naum des Allerheiligsten enthielt nach Ioscphus nichts nnd durfte nur vom Hohenpriester und auch vou diesem jährlich nur einmal, am Vcrsöhuungsfest, betreten werden. An den Seitenwänden des Tomvelgebäudes erhoben sich bis znr Höhe von 60 Ellen dreistöckige Anbauten, über dem Heiligen nnd Allerh eiligsten befand sich ein oberes Geschoß, welches, jene Anbauten beträchtlich überragend, in verschiedene Gemächer mit unbekannter Bestimmung zerfiel. Der Tempel enthielt einen sehr bedeutenden Schatz, der theils in dcm Ertrag der von allen Israelite« zn entrichtenden Tempcl-steuer, theils in Weihgeschenken bestand, die von reichen Juden und Proselyten und bisweilen selbst von heidnischen Fürsten gewidmet wurden. Eine Tempelbibliothck hat es sicher nie gegeben, doch scheinen schungeschriebue Eremplare der heiligen Schriften hier aufbewahrt worden zu sein. Vielleicht ließen auch siegreiche Krieger hier ihre Waffen aufhängen, uud von Herodes Agrippa wird berichtet, daß er die golduc Kette, die ihm der Kaiser Cajus geschenkt, uud die so schwer war, als die unter Tiberius von ihm als Gefangnem getragne, in den Tempel gestiftet habe. Zur Bewachung eines fo ausgedehnten Gebäudes wie der 199 Herodianische Tempel mit seinen Vorhöfen war, bedürfte es zahlreicher Mannschaft. Diese Tenipelwächter wnrden theils aus den Priestern, welche drei Posten auf der obern Terrasse besetzt hielten, theils aus den Leviten, welche in den untern Vorhöfen an einundzwanzig Stellen den Dienst «ersahen, genommen und standen nuter einem Stratcgos oder Polizeidirertor, dessen Würde die nächste nach dem Hohenpriester war nnd dein ein Sekretär zur Seite stand. Die Tempelpolizci hatte namentlich die Oeff-nung uud Schließung der ungeheuren Thore, welche jedesmal zwanzig Männer in Anspruch nahmen, zu besorgen nnd zu verhüten, daß der Tempelberg von jemand mit einem Stocke, mit einem Geldgürtel, mit Schuhen oder mit bestaubten Füßen, die obern Höfe von Nnrcincn oder Heiden, der Hof der Männer von Frauen und der innerste Hof von Laien betreten wurde. Auch war es untersagt, zur Abkürzung eiues Weges deu Durchgang durch die Räume des heiligen Berges zu nehmeu. Vermuthlich sollte der Tempel mit der Vertheilung seiner Höfe nud Gebäude ein Symbol des Weltalls sein, woraus sich wol schou zu Jesu Zeit unter den erkuchtetern Indeu die Idee entwickelt hatte, daß der eigentliche Tempel oder das Haus Gottes das Weltall sei. Doch hielt man allgemein auch dieses engere Haus Iahves sehr hoch uud verwcudetc große Summen auf dessen Ausschmückung und den Glanz der hier nach dem Gesetz abzuhaltenden Feste, von denen die größeren die gauze Nation, so weit sie Palästina bewohnte, weuigstens alle Männer derselben, in Jerusalem vereinigen sollten. Hauptfcste hatte man in jener Zeit sieben: das Pascha-, das Versöhuungs-, das Psingst- und das Laubhütteufest, ferner das Purim-, das Tcmpelweih- uud das Holztragefest, außerdem wurden die Sabbathe nnd Neumonde gefeiert. Die Ceremonien jener Tage bestanden vorzüglich in Aufzügcu, Opfern und Opfermahlzeitcn. Das Pascha, hebräisch Pesach. galt dcr Erinnerung an die 200 Befreiung der Nation aus der ägyptischen Knechtschaft, Es siel in die Zeit kurz vor der Gerstenernte nnd soll zu (d. h, wohl in und bei) Jerusalem in den Tagen des Iosephus über eine Million Menschen versammelt haben. Jeder Familienvater hatte an demselben im Vorhof des Heiligthums auf Moriah ein jähriges fehlerloses Lamm zu schlachten, welches ganz gebraten und dann zu Hanse mit der Familie verzehrt werden mußte. Als Zukost aß man bittere Kräuter und ungesäuertes Brot. Die Theilnehmer der Mahlzeit trugen das Kostüm von Reisenden. Gesäuertes Brot während der sieben Tage, die das Fest währte, im Haufe zu haben, war bei Todesstrafe nutersagt. Die ganze Woche hindurch brachten die Priester im innern Tempel für das Volk Opfer von Thieren, uud am zweiten Tage wurde durch das Opfer einer Erstlingsgarbe und eines Lammes die Ernte im ganzen Lande für eröffnet erklärt. Sieben Wochen nach diesem Feste folgte Pfingsten, Hag Habbikkurim, das Dankfest für die Weizcncrntc, an welchen: die religiöse Feier vorzüglich in der Darbringung zweier Brote ans neuem Weizenmehl, welche den Priestern zufielen, einem Dank-opfcr von zwei Lämmern und einem großen Brand- und Sünd-opfcr bestand, woran sich fröhliche Gelage schloffen. Das Bersöhnuuasfcst, Iom Hakkippurim. auch Sabbath der Sabbathe genannt, galt der Neiuignng der gesammtcn Nation von der während des Jahres begangnen Sünde und war. wie die christlichen Bußtage in älterer Zeit, ein allgemeiner Traner- und Fasttag. Es wurde nach Beendigung der Getreideernte begangen. Der Opferdienst wurde an diesem höchsten aller Feste vorzugsweise vom Hohenpriester versehen. Derselbe ging, nachdem er sich gebadet und ein Gewand von weißem Byssus angelegt, mü einem Stier, der auf seine Kosten, und zwei Böcken, die aus öffentlichen Mitteln angeschafft waren, in das Heilig-thum. wo er zuerst den Stier opferte und dann aus einer Urne die Loose zog, welche die Perwendung der Böcke bestimmten. Eins derselben trug die Aufschrift i „dem Iahve", 201___ das andere die Worte, „dem Asasel". Der durch das erstere getroffue Bock wurde „für die Sünden des Volks" geschlachtet uud mit seinem Blut die Decke und der Boden des Allcrh eiligsten sowie der große Altar in: Priestcrhof besprengt, worauf man ihn vor der Stadt verbrannte. Der andere wnrde, nachdem der Hohepriester die Hände auf ihn gelegt und für die Sünde des Volks Vergebung erfleht, über die Grenze gebracht und in die Wüste getrieben, vielleicht dcm Wüstendämon Asasel überantwortet. Den Schluß der Feierlichkeit bildete ein Vrand-opser, welches der Hohepriester, nachdem cr sich nochmals gebadet und seine gewöhnliche Amtstracht angelegt, für sich nnd das Volk darbrachte. Das Fest umfaßte gleich dcm vorigen nur einen Tag. Dagegen erstreckte sich das Hag Hassukkoth oder Laubhüttcn-fest. welches füuf Tage später fiel, wieder über eine volle Woche. Zum Audenkeu an das Wohnen der Israelite» in Hütten während der Fahrt durch die Wüste eingesetzt, zugleich aber Dautfest für die Obst- und Weinernte, war es das heiterste aller jüdischen Feste. Die gauze Stadt schmückte sich mit Grün. Auf den Dächern und in den Höfen der Häuser, auf Straßen nud Plätzen wurden Hütten ans Zweigen errichtet, die Fcst-besucher trugen in der linken Hand eine Citrone, in der rechten den Lulab, einen mit Weiden- und Myrthenlnnb umwundenen Palmenzweig, und allenthalben schallte der Jubel frühlicher Mahlzeiten. Die kirchliche Feier bestand in täglich sich wiederholenden Opferhandlungen und einer eigcuthümlichen Wntion, die am Morgen stattfand, und bei welcher ein Priester in einem Ooldkrng Waffer ans der Quelle Siloah holte und es mit Wein gemischt unter Mnsik und Lobgesängen in zwei an der Westseite des Altars angebrachte durchlöcherte Schalen goß. Endlich kam dazu am Abend des ersten Festtags im Vorhof der Weiber eiue Art Illumination, indem hier große Goldkandelaber augezündet wurden, zu deren Dochten mau nach dcm Talmud die abgetragnen Beinkleider der Priester verwendete, 202 und welche von fackeltragenden Männern unter Gesaug nnd Mnsik umtanzt wurden. Die Ausgelassenheit, die an diesem Feste herrschte,-bewogen Plntarch, dasselbe für eine Dionysosfeier zu erklären, und die beiden znletzt geschilderten Gebräuche scheinen in der That Nachklänge einer Zeit zu fein, wo das Iahvethum noch mit Heidenthmn gemischt war. Auch bei uns giebt es bekanntlich derartige aus dem Heidcnthnm stammende Branche, die von der Kirche geduldet, umgedeutet und in ihren Cultus aufgenommen worden sind. Die drei andern Feste waren neuern Ursprungs und von geringerer Bedentnng. Das Pnrim feierte die Errettung der Juden von den Mordanschlägen des persischen Großwessirs Haman und wurde damit begangen, daß man in den Synagogen das Buch Esther verlas, woranf heitere Gelage folgten. Das Fest der Tempelweihe bezog sich ans die Vollendung des zweiten oder Sernbabclscheu Tempels; an dein des Holztragens hatte jedermann eine Tracht Holz nach dem Moriah zu führen, von welcher Zufuhr das immcrbrenneude Feuer des großen Altars im innersten Tcmpelhof unterhalten wurde. Welche Ceremonien damit verbunden waren, wissen nur uicht, doch ist anzunehmen, daß dergleichen sich daran knüpften. Uebrigms verging im Tempel kein Tag, an dein uicht zahlreiche Opfer, namentlich Neinigungsopfer stattfanden, und wenn man die ungeheuren Massen dou Stieren, Widdern, Lämmern und Ziegen bedenkt, welche an den großen Festen hier verbluteten, wird mau sich der ^orstellnug uicht erwehren tonnen, daß dieser Gottesdienst blntiger als ein modernes Auge ertragen würde, und der innerste Hof des Tempels einem Schlachthaus uud einer Garküche ähnlicher gewesen fei, als irgend ein anderer uns bekannter. Von fern soll das große Nationalhciligthnm mit seinen Marmorwändm und seinen goldüberzo.gnen Cedernbalten im Sonnenschein eineu änßerst prachtvollen Anblick dargeboten haben. In der Nähe mochte wenigstens der Tempel selbst nicht völlig 203___ nut unsern Begriffen von architektonischer Schönheit übereingestimmt haben und in verschiedenen Beziehungen mehr ein Ansdruck dessen, was das ganze jüdische Volt damals war, d. h. ein Gemisch orientalischen Barbarenthums und klassischer Schönheit, und zwar prächtig, aber wenig symmetrisch gewesen sein. Nur die vier gewaltigen Säulengänge des Vorhofs der Heiden, bei welchen der Erbauer durch keine nationale Zuthat gestört worden, werden einen reinen, ebenso anmuthigen als großartigen Eindrnck gemacht haben. Wir begeben uns jetzt durch das bunte Gewimmel von Priestern und ^aien, Soldaten, Kaufleuten, disputireuden Gelehrten, Volksrednern, almofenhcifchendeu Bettlern, Weibern, Sklaven und Opferthiercn. das den aller Welt offnen untersten Hof erfüllt, hinab in die Stadt, nm znnächst das äußere ^'ebcn und Treiben und dann die innern Znstände, die politischen und religiösen Verhältnisse des alten Jerusalem näher kennen zu lernen. Das äußere Leben haben wir uns in fast allen wesentlichen Dingen wie das in einer hentigen arabischen Großstadt vorzustellen. Versetzen wir die Kaabah von Mekka nach Kairo und verwandeln wir die in der ägyptischen Hauptstadt wolüienden Franken in alte Nömer lind Griechen, die Nisamtruppeu in römische Soldaten, den Pascha in einen kaiserlichen Landpflegcr, so haben wir in jener Hinsicht das Jerusalem des Alterthums fast gauz wiedergewonnen. Wir hören dou dem Menschengewühl in den Hauptstraßen diesclbcu semitischen Gnrgcltöne, aus dem Summen der Menge dieselben schrillen Ausrufe, fehen dieselben bunten Trachten, dieselben Kameelkaravaneu, Eselreiter und Maulthicrzügc, dieselbe Pruukliebe wie denselben Schmutz uud Verfall, fast dieselbe Mischuug der Völtertypen. dieselben verschleierten Frauen wie in der Chalifenstadt am Nil, nnd wir glauben in dem einen und dem audcru Nasiräer, Straßcuprovhetm oder Wahnsiuuigeu, der uns entgegentritt, wol auch einem Verwandten der ägyptischen Derwische zu begegnen. Wir treffen 204___ auf Tänzerinnen mit lascivem Steißwurf, auf Musikanten, auf blinde Bettler, auf Nudel hungriger Hunde ohne Herren in derselben Zahl wie dort. Der Ruf zum Gebet, der dort von den Minarets erschallt, ist zwar hier so wenig zu vernehmen, wie der Klang der christlichen Glocke, aber wir finden einen Ersatz in den lanMzognea Pofaunenstößen der Priester, welche mit Sonnenuntergang den Beginn und das Ende des Sabbaths und der zahlreichen Feste verkünden. Hauptsprache der Stadt ist das Aramäische, das sich von dem nur noch in Schnlen, nnter Gelehrten und beim Gottesdienst gebrauchten Hebräischen etwa wie Holländisch von Hochdeutsch unterscheidet. Außerdem hört man häufig und vorzüglich von ägyptischen Juden und Fremden Griechisch reden, damals in den Ländern um das östliche Becken des Mittelmcers wie jetzt das Italicnische die Geschäftssprache. Seltner ist der Gebrauch des Lateinischen. Bisweilen unterhalten sich Araber alls der Wüste zwischen dem Jordan nnd dein Rothen Meer in heimischer Zunge, mitunter Soldaten des Kaisers aus dem Norden in den rauhen Tonen ihres thracischen, gallischen oder germanischen Geburtslandes. Die Tracht des Volts ist weit uud faltenreich. Männer und Francn unterscheiden sich in ihrer Kleidung beinahe nur dadurch, daß letztere kostbarere und buntere Stoffe uud einige eigenthümliche Pntzsachen tragen. Gesetzlich verboten ist, sich gemischter, ans Wolle und Flachs gewebter Zeuge zu bedienen. Der Wohlhabende trägt über einem Lcinenhemd das Kethoncth, eine Tunica, die durch einen Gürtel zusammengehalten wird, und darüber eium Mantel, der Silmah heißt. Den Kopf bedeckt ein Turban, die Füße sind mit Sandalen oder Pantoffeln bekleidet, Hosen nnr bei den Priestern in Gebrauch. Als Zierde des Mannes gilt Stab und Fingerring. Beliebt sind bunte und gestickte Gewänder, doch scheinen weiße für vornehmer gehalten zu werden. Reifende legen einen Burnuß mit einer Kaputze an, Trauernde Kleider von schwarzer oocr matter Farbe. ___205 Seidenstoffe, die man von Alcraudrieu, dem Tyrus oder London dieser Zeit, bezieht, sind zn theuer, um oft getragen zu werden. Statt ihrer schmückt sich der Reiche mit Gewändern von ägyptischem Byssus, die mit tyrischem Purpur duutelruth oder schwarzblau gefärbt sind. Der Bart wird voll, das Haar uach römischer Sitte kurz verschnitten getragen. Wo wir langem Haar begegnen, ist der Träger entweder durch «n Gelübde dazu verpflichtet, oder ein Stutzer, letztere (5lasse läßt es sich kräuseln, mit wohlriechendem Oel salben und durch Eiustreucn eines Puders von Goldstaub glänzender machen. Auch erscheint der Dandy geschminkt uud in parfümirten Gewändern. Frauen schmücken sich mit goldnen oder silbernen Spangen an den Armen und Fußknöcheln, mit Ketten und Ringen. Alle tragen langes, in Zöpfe geflochtues Haar, reiche Damen Diademe oder kleine Kronen, deren Form bisweilen die Gestalt Ierufalems nachahmt. Ihre Augenlider sind wie die der Araberinuen von hente mit Spieftglanz geschwärzt, wodurch das Auge voller uud schmach-teudcr erscheint, ihre Wangen geschminkt, in der Rechten blitzt ein kleiner Metallspiegel. Gelegentlich geht ein Leidtragender mit zerissnem Kleidcrsaum und nackten Füßen, den Kopf mit Asche bestreut, mitunter auch ein Vegnadignng suchender Verbrecher, nnbeschnht und barhäuptig, ein Schwert um den Hals, vorüber. Raschen Schrittes durchbricht die Massen eiu Eilbote, an dem Lurbeerzwcig kenntlich, den er an der Spitze seines Speers trägt. Ansrnfer schreien Lebensmittel, neueingctroffne Waaren, Gewürze und Balsam aus. Kameele mit Tüchern und Glaswaaren aus Phönicien beladen, drängen sich dumpf brüllend dnrch die Menge. Marktvolk auf Esclu, Vornehme auf reich geschirrten Maulthieren folgen. Seltner sieht man Reiter auf Pferden, nnd dann sind es meist Fremde, Romer von der Garnison oder Bewohner der syrifchcn Wüste, mitnnter auch Gefandte aus dem fernen Partherland, dessen Könige mit den Gegnern Roms insgeheim Bündnisse zu schließen streben. Gelegentlich giebt es einen Auflauf, indem 206 einer der Zeloten eingebracht wird, die iu den Gebirgen in Banden hausen und halb Patrioten, halb Ränbcr sind, oder die Straßcujngend im Verein mit andernt Pöbel einen Samariter verfolgt, der sich durch seinen Dialekt verrathen, und dem man nachsagt, er habe den Tempel verunreinigen wollen, Zuweilen auch erschreckt uns ein für wahnsinnig Gehaltener, der ein Gesicht gehabt hat und Wehe über Jerusalem rufend durch die Gasse läuft. Allenthalben hastiges Fragen, schnell zufahrendes Wesen, lebendigstes Spiel der Zungen, Mienen und Geberden. Plötzlich verstummt der Lärm, nnd die Massen machen Platz und verlieren sich in die Nebengassen. Bon fern erschallt der Ton der römischen Tuba, nnd in festgeschlossncr Ordnung rückt feldmästig gerüstet durch die Straße eine Abtheilung kaiserlicher Soldaten nach der Vurg, um die dortige Garnison abzulösen. Voran Leichtbewaffnete, namentlich Bogenschützen, als Avantgarde. Dann, von Reitern eskortirt, das Gepäck der Offiziere, dann die Feldzeichen, nnter denen wir aber den Legionsadlcr nnd die Bilder des Kaifers vermissen, da die Stadt sich dieselben als Abbildungen lebender Wesen, die nach der Auslegnng der Strenggläubigen vor dem jüdischen Gesetz ein Grenel sind, verbeten hat. Dann, die Tubabläscr vorauf, sechs Mann hoch gestellt, von seineu Centurionen geführt, das Hauptcorps, aus Schwerbewaffneten bestehend. Hierauf Troßkncchte, Krämer und Marketender. Zuletzt eiue Nachhut von Fußvolk und Reiterei. Die Hauptwaffen der Infanterie sind der Helm, der Brustpanzer und ein Schwert an jeder Seite, von denen das auf der linken länger als das auf der rechten ist. Die Elite-Infanterie trägt runde Schilde und lange Lanzen, die übrigen sind nnt länglichen Schilden und leichten Wurfspießen bewaffnet. Jeder Mann ist noch mit einer Säge, einem Beil, einer Hippe, einer Kette und Lebcnsmitteln für drei Tage versehen. Die Reiter haben das Schwert auf der rechten Seite. In der Hand halten sie die Lanze. Ihr Schild ist schräg an der Seite des Pferdes angebracht, in ihrem Köcher befinden sich mindestens drei an der Spitze sehr breite Pfeile, die so lang wie Wurfspieße sind. Ihre Helme und Harnische gleichen denen des Fnßvolkes. Schweigend ist die Truppe vorübcrmarschirt, nnr nm die Lippen des Führers, der zwischen den Feldzeichen nnd dem Gros ritt, spielte bei den Blicken des Hasses, die ihm in den seitwärts stehenden Volksmassen begegneten, ein Lächeln stolzer Verachtung vor den Barbaren, die ihm seine Dichter nnd Schriftsteller als die aberglänbigsten nnd widerlichsten von allen schildern, von denen man ihm sagt, daß sie bei ihrem Cultns Menschenfleisch verspeisen und einen Eselskopf anbeten, und welche er vergeblich gegen die Weltherrschaft knirschen sieht, als deren Mitträgcr er sich fühlt. Die Mcnschenflllth in der Straße ist wieder zusammengeschlagen. Wir unterscheiden Juden aus den Eolonim in Griechenland, in Italien, in Kleinasien, von Afrikas Sonne gebräunte Kyrenä'er, 5'ente aus dem fern am obern Tigris gelegnen Königreich Adiabenc, aus Gallien und Hispanicn, die alle erschienen sind, um entweder Ersparnisse im Schatz des Nationalheilig-thums niederzulegeu oder den Beitrag ihrer Gemeinden zur Unterhaltung des Tempels zu überbriugeu. Wir sehen Bekannte sich begrüßen. Der Gleichstehende tlmt es mit der Formel: „Iahve sei mit dir", woranf die Antwort folgt! „Der Herr segne dich". Der Geringere wirft sich vor dem Vornehmern zu Boden, Höfliche erkundigen sich uach der Begrüßung in langen wortreichen Formeln, ane das Befinden des Andern sei. Gelehrte werden mit dcm Ehrentitel Rabbi, etwa Herr Doctor, besonders angesehene mit Nabban. Herr Professor, begrüßt. Die Sonne will untergehen, im Tempel wird das Abend-opfer dargebracht nud die Frommen schicken sich an. der Pflicht des dritten Tagesgebels zu cutsprecheu. Wer nicht mehr nach dem Moriah hinanfkommeu kann, verrichtet es anf der Straße, das Gesicht nach dem Temvclberg gekehrt. Die meisten stehen dabei nud sprechen leise. Der Pharisäer dagegen, den wir schon an den vier auffallend großen blauen Troddeln, die an feinem 208 Oberkleid angebracht sind, an den Gebetsricmcn, die er um Hand, Hals und Stirn gewunden hat, und mi seinem geziert demüthigen Gange erkannten, betet in theatralischer Stellung, mit verdrehten Augen, auf die Brust geschlagenen Händen, mit gebeugten Knien und mit lautem, langathmigcm Pathos. Fröhliche Klänge lassen sich hören, Harfen, Pfeifen und Handtrmnmcln. Es ist ein Hochzeitözug, der zanchzend, nud Fackeln schlingend an uns vorübergeht. Voran der Bräutigam in feinen besten Feicrkleidrrn, einen Blnmenkranz auf dem Kopfe, hinter ihm seine Begleiter, dann ticfverschleiert und umgeben von ihren Gespielinnen, welche Lampen tragen, die Vraut. Sie ziehen vom Hause der letztern, wo das Paar mit einem Srgeus-sprnch zufammengegcben worden ist, nach dem des Bräutigams, wo die Hochzeit sieben Tage hindurch mit Schmausen, Musik und Tanz gefeiert werden wird. Die Vielweiberei war gestattet, doch wurde die Erlaubniß dazu, wie jetzt unter den Moslemin, nur selten voll Leuten aus dem Mittelstand und von dem niedern Volke der Stadt und des Landes fast nie benutzt. Vornehme dagegen hatten in dieser Zeit, wenn auch keinen großen Hären, wie die Könige uoreri-lischer Jahrhunderte, doch in der Negel mehre Frauen, wie denn z. B. Herodes der Erste nach dem Tode seiner ersten Gemahlin Mariamne »lit nicht weniger als acht Weibern ucrheirathet war. Bei Einzügen von Königen oder andern fürstlichen Personen breitete man Teppiche und Gewänder auf die Straße, schritt den Geehrten mit Palmenzwcigeu in den Händen voran, streute Blumen, musicirtc vor ihnen und rief ihnen Hosiannah zu. Wer dem Zuge zu Pferde begegnete, stieg aus dem Sattel und grüßte durch Niederwerfung auf den Erdboden. Besonders glänzend werden die Prozessionen gewesen sein, in denen der Hohepriester sich in voller Amtstracht auf den Tempelbcrg begab. Er trug dann ein ungmähtes purpurblaueö Obergewand von Vyssus, d. h. sehr feiner Baumwolle, das statt der Aermcl nur Armlöcher hatte, unten mit baumwollenen dreifarbigen 209 Granatäpfeln und goldneu Glöckchen wechselsweise besetzt, kürzer als das weiße Unterkleid nnd durch einen blauen mit Gold gestickten Gürtel zusammengefaßt war. Darüber hing das Efod, ein noch kürzerer ^eibrock. welcher, aus dunkelblauen, karmoisin« rothen, orangegelben und weißen Fäden gewebt, nur die Schultern, den Nucken und den untern Theil der Brust bekleidete und aus zwei Blättern, einem vordern uud einem hintern bestand, die durch eiuen breiten Gürtel von denselben Farben, an den Seiten durch Bäuder und auf den Schultern durch edelstein-geschmückte Spangen zusammengehalten wnrden. Die Edelsteine auf dm Spangen waren Onyxe, in welche die Namen der zwölf Stämme Israels gegraben waren. Jede Schulter trug sechs solcher Namen, die rechte die der ältesten Stämme. Ucbcr dem Bruststück jenes kürzesten der drei stocke befand sich, mit goldncn Ringen und Ketten befestigt, ciue viereckige Tasche von der Länge und Breite einer Spauuc, die hebräisch Choschen, im damaligen Dialekt u die 212 Römer vorbereitete, gingen aus dem Laienstand hervor. Auch Jesus war nichtpriestcrlichcn Geschlechts, Als Haupl der Priester, zn Jesu Zeit als Haupt des ganzen Volkes, so weit ihm von den Nömeru die Autonomie gelassen war, galt der Hohepriester, hebräisch Kohrn Haggadol, griechisch Archierens genannt. Wie bemerkt, sollte er einer besondern für höhcr angesehenen Familie des Priesterstandes angehören, auch sollte die Würde von Vater zu Sohn forterbeu und lebenslänglich sein. Aber schon vor dem Exil kommt eine Absetzung vor, später waren solche Ereignisse sehr häufig, und unter He-rodes dem Ersten wurde das Amt auch mit Priesteru besetzt, die nicht aus jenem hochadeligen Geschlecht waren. Geweiht wurde der Hohepriester auf ähnliche Weise wie die übrigen Diener im innern Hciligthum, uur dauerten die Ceremonien eine ganze Woche nnd waren mit reichlichern Opseru verbunden. Sein Hauptgeschäft war die große Expiation am Versöhnungstage und die Entscheidung durch das Loos der Urim und Thummim. Vci den Opferhaudluugcn scheint er nur an Sabbathen uud hohen Festen fungirt zn haben. Außerhalb des Tempels, über dessen Dienst uud Schatz er die Oberaufsicht führte, war er als Vorsitzender des obersten Gerichts sowie als Präsident des Sanhedrins thätig. Noch ängstlicher als die Priester hatte er sich uor jeder Verunreinigung zn hüten. Die Ehe war auch ihn: gestattet, doch durfte er nur eine Jungfrau zur Gemahlin wählen. Als religiöses Oberhaupt aller, auch der ausländischen Juden, genoß er hohes Ansehen, so daß Inhaber dieser Würde, mit der sich unter den Mattabaern die des politischen Haupts der Nation verbunden, selbst Töchter von Königen sich vermählen konnten und Könige ihrerseits Töchter von Hohenpriestern zur Ehe nahmen, was unter andcrm von Herodes geschah. Unter letzterem sank indeß dieses Ansehen beträchtlich, uud zu Jesu Zeit, wo die weltliche Macht sich wiederholt die Ein- und Absetznng dieser mediatisirten Priesterfürsten augemaßt, das Amt sogar mit Geld erkauft uud bis- 213 weilen von Unwürdigen erlangt worden und vielfache ärgerliche Streitigkeiten zwischen zu gleicher Zeit lebenden Hohenpriestern vorgekommen waren, werden wir nns das Verhältniß etwa wie das zwischen nnsern Päpsten und ihren geistlichen Unterthanen vorstellen dürfen, von denen jene in der Peripherie des von ihnen beherrschten Kreises am meisten, weniger in Italien, sehr wenig im Kirchenstaat und am wenigsten in Nom verehrt werden. Die Masse der Laien im alten Jerusalem zerfiel m Handelsleute, Handwerker. Gelehrte. Ackerbautreibende, Pöbel und Sklaven. Der Handel war. durch das mosaische Gesetz nicht begünstigt, niemals von Bedeutung und wurde, so weit er die besonders aus Luxusartikeln bestehende Einfuhr nnd die hauptsächlich Getreide. Oel und Vieh umfassende Ausfuhr betraf, wol auch iu Jesu Zeit, wo er lebhafter als früher war, meist von Fremden, namentlich Phöniciern betrieben. Beim Detailhandel wird sich schon damals der Schacher-gcist der Nation geltend gemacht haben. Die Hausirer mit kleinem Hausbedarf werden wir nns wie die in, heutigen Kairo, die Wechsler am Thor Susan wie die dortigen Sarafs vorstellen. Bei einem Kanf ans dem Markte werden cbeuscwiele Worte nud Umstände erforderlich gewesen sein, wie dort. Das Handwerk galt bei den Inden nicht wie bei den alten Griechen als freier Männer unwürdig. Im Gegentheil betrieben selbst Gelehrte oft ein Gewerbe, nnd es ging das Sprichwort: Wer seinen Sohn nicht zn einem Handwerk erzieht, ist, als ob er ihn znm Räuber erzöge. Es gab Juweliere, Erzgicßcr uud Schmiede, Steinmetzen, Töpfer und Zimmerleute, die zugleich Tischler wareu, ferner Weber, die vorzüglich bamu-wolleue Stoffe verfertigten, Zelttuchmacher, zu deren Zunft der Apostel Paulus gehörte, Gerber, Schneider, Schuhmacher, Sal-beubereiter, Färber, Walker, Korbmacher. Barbiere und Haar-kräusler. Eiuigc dieser Beschäftigungen galten indeß für nicht recht anständig-, denn die Weber, Walter, Salbennlacher. Vart-scheercr und Gerber schlössen vom Hohenpricsterthum ans, und die Angehörigen der beiden letzten Classen waren sogar verachtet. 214 Handwerke, welche sich der Kunst nähern, haben es unter den Inden nie zu einem hohen Grade der Ausbildung gebracht, nnd die eigentlichen Künste, wie Malerei uud Sculptur, fanden nnter ihnen fast gar keinen Boden. In frühern Zeiten hatten phö-nicische Erzgicßer nud Schnitzer die Paläste der Könige und selbst den Tempel mit ihren Werken geschmückt, nnd noch unter den Makkabäern zierten kolossale Thiergestalten ein Fürstenschloß. Jetzt aber duldete die düfteludc Orthodoxie der Pharisäer in ganz Iernsalem keine Abbildungen beseelter Wesen, und in Folge dessen wird die Stadt von den Städten Griechenlands und Italiens, wo alle Straßen nnd Plätze mit zahlreichen Bildsäulen ausgestattet wareu, weit mehr abgestochen haben, als eine heutige orientalische Stadt von einer heutigen südeuropäischen. Die Architektur folgte, wo es sich um öffentliche Gebäude haudelte, hellenischen Mustern, mit deren Formen sich indeß wahrscheinlich Erinnerungen an phonieischcn nnd ägyptischen Geschmack mischten. Der Musik wird vor Allem das gefehlt haben, was man jetzt Harmonie nennt. Sie wird sich auf den Vortrag gewisser einfacher und wenig geregelter Melodien beschränkt, nnd man wird, wie die Beschaffenheit der Instrumente (Harfen, Cithern, Cymbeln, Flöten, Trompeten nnd Haudpanken) zeigt, vorzüglich eine helle Musik geliebt haben. Jedenfalls war sie der des heutigen Orients sehr ähnlich. Ausgeübt wurde sie von deu Leviten, welche das Tcmpelorchester bildeten, nnd, wie schon an-gedentet, von herumzichrndcu Bajaderen, die mit ihrem Spiel und Gesaug Tänze verbanden. Auf dem Theater des Herodes werden wol nur Ausländer grfpielt haben, doch gab cs in diesem Jahrhundert auch jüdische Mimen in Nom. Was die Poesie in jener Zeit unter den Inden leistete, läßt sich mit Genauigkeit nicht sagen. Einen Anhalt für uufer Urtheil mögen die in der Periode der Makkabäer erschienenen Schriften Jesus des Sirachsohues. das Buch Judith, einige der jüugsteu Psalmen, das vermuthlich in Aegypten nud kurz vor oder knrz nach Iesn Auftreten verfaßte Buch der Weisheit fowie einiges aus dem » 215 Talmud bieten, ^s wären also didaktische Dichtnngen, Gnomen und Sittensprüche, Parabeln, Märchen nud Räthsel, allegorische Darstellnugen »uystischer Phllosopheme sowie Romane mit patriotischer Tendenz damals besondere in Aufnahme gewesen. Doch werden auch Dichtungen nach griechischen Mnstern erwähnt. Die Wissenschaften werden im Allgemeinen denselben Standpunkt eingenommen haben, wie jetzt im Morgenland. Welcher Art die Geschichtschreibung war, sehen wir vor allem aus Iosephns, der zu deu Gebildetsten seiuer Nation gehorte, dessen Werte aber anch sehr deutlich deu Einflnß heidnischer Schriftsteller, namentlich den des ^iuius, verrathen. Auf die Kenntniß der Natur wird das Ausland gleichfalls vielfach eingewirkt haben, und die Abhandlungen des Aristoteles nnd anderer griechlscher Naturforscher waren den Gelehrten Jerusalems gewiß nlcht nnbetannt. Die Medicin behandelte nicht blos äußere, sondern auch innere >trantl,eiten. ja selbst psychische Uebel; duch wird sie es, wenn wir die Disciplin der Anatomie auönehmen, welche aus den häusigen Opfern ^enunüß schöpfte, schwerlich sehr weil gebracht haben. Als Heilmittel verwendete man Balsam, Honig, Feigmpflaster uud Bäder in Ocl oder Mineralwasser, aber auch Amnlete, ^Zauberbänder, Beschwörungen uud dergleichen Aberglauben, was vorzüglich gegen Geisteskrankheiten und Epilepsie helfen sollte — Uebel, die man sich mit der Einwirkung von Dämonen erklärte. Bänder- und Völkerkunde können im Allgemeinen wenig geachtet gewesen sein. da man Palästina als das heilige Land zu hoch hielt, um für andere Länder großes Interesse übrig zu haben. Doch werden die über die ganze damalige Welt verbreiteten Juden der Diaspora durch ihre Festreiseu nach Jerusalem immerhin einige Kenntniß vermittelt haben. Bon wissenschaftlicher Bekanntschaft mit dem Sternhimmel und seinen Erscheinungen findet sich leine Spur in den Schriften damaliger Heit. Die griechischen Philosophenschulm, Plato, die Swlter uud die Epikuräer hatten zahlreiche Anhänger unter den Juden. Als 216 Hauptwisscnschaften ader galtcu ganz so wie heute in den Mittelpunkten mohammedanischer Gelehrsamkeit Kenntniß und Ausdeutung des Gesetzes nnd, da dieses Quelle nicht nur aller juridischen, sondern auch aller religiösen Begriffe war, Rechts- und Gottes-gelahrtheit. Die Gelehrten Ierfualems waren wie die Gelehrten Kairos von Esra an bis auf die Zeit der Abfassung des Talmud theologische Juristen oder juristische Theologen, wie das in einer Theokratie nicht anders sein konnte. Ihre Hauptarbeit war einerseits Exegese, andererseits eine die allgemeinen Borschriften der heili gen Bücher den einzelnen Verhältnissen nnd Vorkommnissen des Lebens anpassende Casuistik. Ein Theil dieser Soferim oder Grammateis wirkte wie jetzt die Nlrma in Kairo nnd Stnmbul als Beisitzer der oberen Gerichte und des Hohmraths, andere hielten gleich den griechischen Sophisten Akademien, in denen sich junge Leute zu Nabbinen ansbildeten. Berühmte Professoren dieser Art waren zu Jesu Zeit Schim'on Ven Hillel, dann Schamai (der zu jenem und seiner Schule etwa in dem Verhältniß gestanden haben wird, wie unter den orthodoxen Moslemin früherer Zeit der Schech Achmed Ihn Hambal zu Imam Schafei) endlich Gamaliel. bei dem Paulus studirt hatte. Der Unterricht in den Akademien dieser altjüdischen Scholastiker wurde wahrscheinlich nicht in der Form von Borträgen, sondern in der Weise ertheilt, daß die Schüler dem Lehrer Fragen vorlegten oder mit ihm disputirten. Die Auditorien befanden sich in den Vorhufen des Tempels, Lehrer nnd Schüler saßen, jene wahrscheinlich auf einer Art Estrade oder Lehrkanzel. Unter den Gelehrten herrfchte ein starker Korpsgeist, ihre Methode lief schon damals vielfach auf spitzfindiges, tleinmeisterliches Haar-spaltcn und allegorisches Interpretiren hinaus. Bei dem Volke genossen sie hohes Ansehen. Die Bildung der mittlern und niedern Classe stand ans sehr niedriger Stufe, uud der Aberglaube, der neben weitverbreiteter Skepsis in den höhern Schichten der Gesellschaft herrschte, war hier allenthalben die Regel. Man glaubte au Gespenster, 217 die theilweise Geschöpfe nationaler Einbildungskraft, theilweisc vom Ausland eingedrungmc Vorstellungen, persische nud griechische Dämonen, vielleicht auch, ähnlich den Schreckgestalten unsres Aberglaubens, verdunkelte Götter aus der Zeit, wo in Israel neben dem Monotheismus noch Heidenthum herrschte, gewesen sein werden. Es gab Morgen-., Mittags- nnd Nachtgespenster, bockähnliche Waldteufel und unheimliche Wüstengcister, die als die Seelen Verstorbener galten und sich bisweilen durch Hineinfahren in die Leiber Lebender Sprache uud ein Organ zu Uebel-thaten verschafften. Besonders gefährlich waren die Mittagsgespenster. Tiharin, welche umgingen, wenn sich die Menschen der Siesta hingaben. Unter den Nachtgespenstcrn spielte die Lilith die Hauptrolle, die, mit der griechischen Empnsa verwandt, als schönes Weib erschien und vorzüglich den bindern nachstellte, Ein origineller böser Geist war der Schibtha, welcher gleichfalls sein Augcumerk auf die Kinderwelt, vornehmlich aber aus solche richtete, die sich die Hände nicht reiu gewaschen hatten. Der Aberglaube kannte ferner glückliche uud unglückliche Tage, Natwitätensteller, Wahrsager und Traumdeuter. Ob die Juden schon damals den zweiteu und den fünften Tag der Woche für einen besonders glücklichen ansahen, ist ungewiß, dagegen sicher, daß sie einige Tage für besonders geeignet zu Hochzeiten hielten. Als Traunideuter waren namentlich herumziehende Ehaldäer beliebt, die aus der Auslegung von Trämueu förmlich eiu Geschäft machten nud auch aus den Sternen wahrsagten. Mau kannte Zauberbücher und Zaubersprüche, welche letztere, vorzüglich vou Ephesus in kräftiger Qualität geliefert, auf Pergament geschrieben an den Händcu oder um den Kopf getragen wurden. Gleichfalls bekaunt war der Zauber des ueidifcheu Auges. Ferner gab es Menschen, welche dic Gebeine von Todten zu magischeu Küusten verwendeten, und andere, welche sich durch den Aufenthalt in Gräbern von den hier hausenden Dämonen zur Wahrsagerei iuspirireu ließen. Endlich glaubte mau an den Einfluß der Kometen auf die Geschicke der Sterb- 218 lichen und hielt Hallnciuatiouen nnd Erscheinungen, die mit dem sogenannten zweiten Gesicht verwandt waren und, wie überall, in Zeiten besonderer Aufregung einzelner streife lz. V. der Urchristen nach Jesu Tode) oder des ganzen Ä>olks >eiligthum nm die fechste Stunde der Nacht von salbst auf, ol'wol es ganz von Erz und außerordentlich schwer war; denn wenn man es Abends schließen wollte, hatten zwanzig Mann damit zu schassen. Ucberdies aber war es mit starken Eifenschlössern imd langen einfallenden Riegeln versehen, die man immer in die aus Stein gehauenen Schwellen tief einsenken mnßte. Als die Tempelwachlcr dies ihrem Befehlshaber meldeten, ging er hinzu und tonute das Thor kaum wiroer schließen. Auch dies wurde von deu U»' verstänoigeu für ein glückverheißendes Zeicheu gehalteu, und sie sagte»: Gott habe ihucu damit die Thür zu allem Guten geöffnet. Die Klügern aher deuteten sichs dahin, daß des Tempels Sicherheit vergehen, die Pforte den Feinden aufgrthan werden und dir endliche Zerstörung erfolgen würde. Etliche Tage aber nach dem Osterfest erfchien abermals eiu unglaublich 219 Gesicht, welches man für eine Fabel hallen möchte, wofern nicht die, welche es mit Augen gesehen, noch lebten und sich folch Wuuderzeichen nicht in der Wirtlichkeit erfüllt hätte. Bor dem Untergang der Sonne nämlich wnrden in der ganzen Gegend in der Luft große Heereszüge nnd Haufen von Gewappneten geschaut, die durch die Wolken zogen nnd dann eme Belagerung vorstellten. Ferner hörten die Priester am hohen Fest der Pfingsten, als sie nach ihrer Gewohnheit znr Abhaltung des Gottesdienstes in den innern Tempel gingen, zuerst ein Geräusch und Getöse und dann plötzlich eine Stimme, die da rief: gaffet uns von hinnen ziehen!" »Zuletzt aber," schließt Iosevhus seinen wiinderreichen Bericht, „trug sich noch eine Geschichte zu mit dem Bauern Jesus, dem Sohue Anans, die ebenso bedenteuerregend war. Als derselbe vier Jahre vor dem jüdifcheu Kriege, als überall tiefer Friede uud au ^ebeusmittelu volle Genüge war, am Laiibhüttenfest in den Tempel kam, fiug er plötzlich an zu schreien: Eiue Stimme lder Wehklage) von Sonnenaufgang, ciue Stimme von den vier Winden, eine Stimme über Jerusalem und den Tempel, eine Stimme über die Ehemänner nnd die Ehefraueu, eine Stimme über alles Bolk! — Diesem Schreien setzte Jesus fort bei Tag und bei Nacht und über alle Gasseu der ganzen Stadt. Einige von den Bornehmen, welche die neue Zeitung ungern vernahmen, ließen den Mann einziehen und fcharf durchpeitschen. Er aber bat M'der heimlich noch vffeutlich um Erlaß der Strafe, sondern verblieb stets bei seinen frühern Worten, die er fortwährend wiederholte. Die Amtleute merkten (wie sichs in der That verhielt), daß dieser Menfch durch göttlichen Antrieb dazn bewegt wnrde, und führten ihn vor den rönnscheu Laudpfleger. Dieser ließ ihu geißeln, bis mau cm ihm die bloßen Knochen sah, aber demnngeachtet flehte er uicht um Guade und vergoß auch leine Thräneu, souderu schrie uur mit kläglicher Stimme zn iedem Streich: Wehe, wehe über dich, Jerusalem! Der ^auopflcgcr Albinus, der damals im Mischen 220___ Lande war, fragte ihn, wcr er wäre, woher er käme und warum er solches redete. Darauf gab er keine Antwort, sondern fuhr unablässig fort, das Elend der unseligen Stadt zu beklagen, bis ihn Albums als einen Verrückten wieder entließ. Jesus ging bis zu Anfang des Krieges zu keinem Bürger, redete auch mit niemand, sondern murmelte nur immer vor sich hin, wie wenn er betete, und schrie dazwischen hinein: Wehe, wehe über dich, Jerusalem! Wenn ihn jemand schlug, was alle Tage vorkam, wurde er nicht im mindesten zornig. Er dankte keinem, der ihm etwas zu essen gab, sondern seine Rede und Gegenrede gegen jedermann war lediglich die erwähnte Weissagung, vorzüglich schrie er auf diese Weise an den hohen Festtagen, und nachdem er dieses ganze sieben Jahre nnd fünf Monate getrieben, wurde er weder müde noch heiser davon. Er hörte auch während der Belagerung, wo diese Vorherverkün-digung sich erfüllte, nicht damit auf. Als er damals auf der Mauer herumging und wieoernm mit heller Stimme rief: Wehe über die Stadt, wehe über dcn Tempel, wehe über das Bolt! fügte er zuletzt hinzu: Wehe auch über mich! Darauf wurde er von einem Stein getroffen und gab seinen Geist auf, während er jene Worte nuch im Munde hatte." An Unterhaltungen uud Vergnügungen hat es m dem damaligen Jerusalem jedenfalls weniger gemangelt, als in dem heutigen. Dieselben bestanden zunächst in Gastmählern, die mit den öffentlichen Festen und Opfern sowie mit häuslichen Ereignissen, Hochzeiten. Geburtstagen, Entwöhnungen von Kindern und Begräbnissen ucrbnnden waren, uud bei denen die Gäste mit wohlriechenden Essenzen besprengt, mit Blumenkränzen geschmückt und reichlich mit verschiedenen Speisen und Weinen bewirthet wurden. Bei solchen Gelagen spielten ferner Tänzerinnen eine wefentliche Nolle, uud man unterhielt sich mit Musik-vortragen, Scherzen nnd Nathselaufgaben. Iüugere Leute versammelten sich gelegentlich zu Schmausereicn. die bisweilen damit endigten, daß die Thcilnchmer an denselben, vom Wein- 221___ geuuß erregt, das Hans verließen und jubelnd und die Vorübergehenden neckend die Straßen durchzogen. Sehr beliebt wird, wie noch jetzt im Orient, das abendliche Gespräch bis in die Nacht hinein gewesen sein, zu den: die platten Dächer und die Höfe einen passenden Platz boten. Wahrscheinlich kamen dazu auch Bret- und Würfelspiele, die in Ron: sowie in Aegyptcn wohlbekannt und bei allen (Klassen in Uebung waren. Ob im Theater des Herodcs Dramen aufgeführt worden sind, ist unsicher, wir wissen nur, daß der König in demselben prachtvolle Frstspicle zu Ehren des Kaisers, seines Gönners und Lehnsherrn, veranstaltete, bei denen Fechterkünste, Wagenrcnueu, Thierkämpfe, Tänze und Nachahmungen von Schlachten die Menge ergötzten. Daß ein Theil der Bewohner Jerusalems diesen Festlichkeiten beigewohnt hat, ist gewiß, nud sicher snchten auch Juden hier Unterhaltung. Die national lind fromm Gesinnten aber nahmen an solchen ausländischen und unheiligen Neuerungen Anstoß und hielten sich von der Theilnahme fern. „Sie fanden," wie Io-sephus sagt, „daß es eine große Gottlosigkeit sei, ihre Sitten mit fremden zu vertauschen und zum Vergnügen Menschen den wilden Thieren vorzuwerfen. Namentlich waren ihnen die (aus allerlei Waffenstückcn zur Gestalt von Menschen grnppirtenj Siegeszeichen ein Greuel, weil sie meinten, es seien wilder uon Menschen unter den Waffen verborgen; denn nach ihrem Gesetz durften sie durchaus keine Bilder haben." Die Entrüstung darüber war so groß, daß sich zehn Bürger verschwuren, den Urheber dieser Profanation ihrer heiligen Stadt zu ermordeu, ein Unternehmen, welches verrathen und grausam bestraft wurde Mit dein Bisherigen sind wir auf dem Punkt angelangt, wo es gilt, sich die innern politischen und religiösen Zustände des damaligen Jerusalem, die Mischuug der verschiedenen Bildungssphären in der Stadt nnd dem ganzen ^'audc, die denselben zu Grunde lirgeuden Mächte und die Parteien näher zu 222 betrachten, cms deren Widerstreit und Zusammenwirken die Anfänge des Christenthums hervorgingen. Eine Thatsache ist hier an die Spitze zn stellen- die Juden als Nation betrachtet befanden sich damals weder politisch noch religiös ans dein Hohenpnnkt ihrer Entwickelung. Den Gipfel politischer Bedeutung hatten sie unter David, den Gipfel religiöse» Aufschwungs in der Zeit ihrer großen Propheten erreicht. Die Zeit der Makkabner war in jener, die Zeit Esras und seiner Nachfolger in dieser Beziehung eine Nachbliithe. Jene vermochte trotz großer Erfolge nichts Danerndes zu gründen, dieser war die Schöpferkraft, welche das Gottesbewußtsein weiter fortbildet, vertieft lind verklärt, verloren gegangen, nud fie bc' schränkte sich auf Conservnen, Auödeutm und Zuspitzen des Ileberlicferten. Es ist daher eine unrichtige, wenigstens keine genane Bezeichnung des Verhältnisses, wenn mau das Christenthum als letzte Eutwickeluugsphase oder Frucht des Iudeuthums darstellt. Die übrige Wolt hat, und zwar schon vor dem Auftreten Jesu und der Apostel, mindestens in gleichen» Maße als jenes an dem Werke mitgearbeitet. Die Juden der Zeit Jesu waren nicht entfernt mehr die alten Kinder Israels, die sich ihrerseits wesentlich von den Hebräern der Urzeit unterschieden hatten; ja sie werden in mehr als einem ihrer Züge den heutigeu Juden ähnlicher gewesen sein als dem Volke vor dem Exil. Ans alle Fälle hatte die Nation während der Periode der Verbannung im Nordosten unter Völkern nichtscmitischen Stammes Weltluft geathmet, dann während der Herrfchaft der ägyptischen nnd syrischen Köuigc makedonischer Herkunft einerseits zahlreiche, mit dem Mutterland in steter Verbindung bleibende Colouien in die Fremde gesandt, andrerseits starke Ströme nichtjüdischer Einwanderung in sich aufgenommen, und endlich sogar in dem Volk von Edom einen ganzen fremden Stamm sich einverleibt, der ihm zuletzt eines seiner Geschlechter zu Herrschern gab. Die Iueorporiruug des Landes in das römische Weltreich vollendete diesen Pro-- 22Z ceß der Umgestaltung, so weit es der Charakter der Nation zuließ. Betrachten wir die Eutwickelnug der' Dinge, durch welche das Volk in den Strom der allgemeinen Geschichte gezogen wurde, etwas näher, so finden wir, daß schon geraume Zeit vor Jesus Palästina mit griechischem Wesen durchdrungen war, und daß diese Amalgamiruug. in der Peripherie des Kreises, dessen Mittelpunkt Jerusalem und seine nächste Umgebung war, begonnen, endlich auch in dem Kern, der Hauptstadt sich vollzog, Flüsse, Städte und ganze ^andschaften nahmen neben den hebräischen griechische Namen an, die später jene ganz verdrängten, und Städte und Dörfer mit heidnischer Einwohnerschaft erhoben sich auf den Ruinen früherer Orte oder neben denselben. Im Norden wich das alte Dan einem ganz heidnischen Paneas. das nach Pan benannt war und später iu Cacsarea Philippi umgetauft wurde. Weiter südlich cutstandru die hellenischen Städte Stythopolis nnd hippos. Im Osten jenseits des Jordan verriethen Pella und Dion schon durch ihren Namen den makedonischen Ursprung, wnrde Nabbath Ammon zu Philadelphia, Ar Moab zu Areopolis. Im Westeu, längs der Meeresküste hin wandelte sich Akko in Ptolemaiö um, wurde Stratouos Pyrgos gegründet, das später als Carsarca am Meer die politische Hauptstadt des Bandes war. blühte Gaza als Griechenstadt wieder auf, zeigteu Anthedon und Arethusa völlig griechische Art. Später kamen dazu zahlreiche andere Metamorphosen, von denen hier mir die Umtaufuug Kaphar Sabas ill Antipatris erwähut werden möge. Und iu demselben, ja in stärkerem Grade, »vie das Hellenen-thunl sich unter den Inden festsetzte, siedelte sich, theils gewaltsam hinweggeführt, theils dnrch die Lnst am Gewinn getrieben, das Iudenvolk in der hellenischen Welt an. Die maccdouischen Könige versetzten wiederholt Schaaren des Volkes als Krieger oder Gefangene nach fremden Ländern, nnd unablässig zogen freiwillige Auswanderer nach den verschiedensten Strichen der ^224___ Gebiete am Mittelmcer, während zu gleicher Zeit die von den ersten Wegführungen des Volkes in Mesopotamien zurückgebliebenen Kolonien sich nicht nur erhielten, sondern ihrerseits gleichfalls Züge von Emigranten, und zwar bis tief nach Arabien und bis nach Ostasien ausgehen ließen. In Aegypten wohnte zur Zeit Jesu fast eine Million Juden. In Alerandrien bildeten sie den dritten Theil der Einwohnerschaft. In Nordsyrien saßen sie besonders zahlreich in Antiochicn. Starke Massen von Juden hatten sich ferner in den Hauptstädten des westlichen Kleinasiens, in Ephesus, Milet, Laodicca und Hali-karnaß, in den Pontusländern, iu Thracien und Macedonien, auf den Inseln zwischen Asien und Europa, besonders auf Kreta und Cypern, Enboa, Delos uud Kos angesiedelt. Im eigentlichen Griechenland zogen sie vorzüglich gut gelegene Handelsstädte wie Korinth au. In Rom sammelten sie sich feit der Zeit des Pomvejus bis zur Zahl von 8000 Seelen an. Von dort aus gründeten sie Altsiedelungen in Gallien und Spanien, von Aegypten aus Niederlassungen in den Orten der Pentapolis. Das; diese Colonisten nicht im Lauf der Zeit in die Völker, unter denen sie wohnten, aufgingen, verhütete zunächst, gauz ähnlich wie bei den Griechen unter der Türkeuherrschaft, der Umstand, daß die Religion sie von jenen schied, dann das zähe, hartnäckige Wesen und der eigenthümliche Stolz, der sich als auserwähltes Volk wissenden Race, der von den Heiden mit brennendem Haß erwidert wurde, ferner der enge Zusammenhang mit dem Nationalheiligthmn in Jerusalem und durch dieses mit dem ganzen Mutterlande, endlich die vielfachen Gunstbc-zeugungen, dic ihuen von wohlwollenden Fürsten^ sowie von andern Mächtigen, Liebhabern von Dingen, die wir jetzt als romantische bezeichnen würden, zu Theil wurden. Daß der Aufenthalt unter Fremden sie gauz unberührt gelassen haben sollte, ist an sich schon unglaublich, wird aber auch durch zahlreiche Thatsachen widerlegt. Die ausländischen Juden verlernten, und zwar selbst in dem nahen Acgyptm, die Sprache der Heunath, 225 und dirs in dem Maße, daß für sie eine eigne Uebersetzung der heiligen Schriften inS Griechische, die Septuaginta, nöthig wurde. Sie bequemten sich vielfach, so weit es das mosaische Gesetz nicht verbot, in einzelnen Fällen anch gegen dieses, ausländischem Brauch an. Sie verwandelten endlich in ähnlicher Weise, wie wir dies jetzt deutsche Auswanderer in Amerika thun sehen, ihre Namen theils durch Anbequemnng an die Lante javhetischer Sprache, theils dnrch vollständige Uebersetznng in griechische und römische. Wie der deutsche Schneider dort zum Taylor, der Klein zum Kline oder Little wird, so wurde hier der Schamai znm Samäos, der Kajapha znm Petros, der Chanan zum Ananias, der Zadik zum Justus, ja sehr viele nannten — ich erinnere nur an Namen wie Kastor, Iasou. Dorkas, Lysimachos. Chares, Arisiobulos. Enpolemos, Glaphyra nnd Verenike — ihre Kinder gleich Anfangs nach berühmten Heiden. Die nichtpalästinensi-fchen Juden fanden sich endlich durch die Anmuth der hellenischen Literatur lebhaft angezogen, nnd sie tonnten dem Reiz, sich in die fremde Poesie und Wissenschaft zn versenken, um so weniger widerstehen, als das nationale Geistesleben jener Tage in dieser Hinsicht nichts von hervorragender Bedeutung schnf — eine Lage der Dinge, welche große Aehnlichkcit mit dem Verhältniß hat, in dem strebende Geister in Deutschland den Franzosen in der Zeit Vndwigs des Bierzehnten und seines Nachfolgers gegenübcrstaudeu. Was für diese Paris war, war für jeue Alerandrien. Jüdische Aegypter besangen nach griechischen Mustern den Auszug Israels aus Aegypteu, dcu Ruhm Jerusalems u. a. Audere suchteu mit der Methode der hellenischen Philofophenschulen, namentlich der platonischen, die Religion der Bäter zu rechtfertigen. Wieder andere fanden sogar eine enge Verwandtschaft der biblischen Wahrheiten mit den Gedanken altheidnischer Dichter und Weisen, wie Homer, Drphcus uud Hesiod heraus. Dieses verschmelzen des griechischen Wesens mit dem hebräischen würde sich im Lanfe der Zeit zu fast vollständigem Ver« Vusch, 'Wallfahrt nach Jerusalem, II. 15 226 -schwinden dcs letztern vollendet haben, und zwar selbst in Palästina, wo ein dichter Kern des alten Volkes hartnäckigern Widerstand leistete, nienn nicht die Gewaltsamkeit, mit welcher Antiochus Epiphanes die Juden zn vollen Griechen zu machen strebte, eine Reaction hervorgerufen hätte. Waren doch selbst Hohepriester der fremden Bildung nnd den fremden Sitten geneigt, bot doch einer derselben, Iascm, nngeschent die Haud zur Einführung heidnischer Bräuche, und bildete sich doch in den älteren Sadducäern eine Sekte heraus, die gegen die ängstliche und steife Orthodoxie der Schule Esras und feiner Nachfolger entschieden den Anschluß an die nicht nnter dem Gesetz stehende Welt vertheidigte und in dieser Richtung im Allgemeinen jenen Altgläubigen, die den Ehrennamen der Ehassidim, d. i. der Frommen annahmen, etwa so wie gegenwärtig die Reformjuden den am Talmnd festhaltenden gegenübertrat. Nnter Antiochus Epiphanes hatte die gricchenfrenndliche Partei in Iernsalem selbst so viel Einfluß und Ausbreitung gewouucn, daß sogar der Dienst im Tempel zu stocken begann, daß viele Priester sich der Beobachtung der alten Religionsvurschriften schämten und daß jener Iason, gegen eine Geldsumme vom König zum Hohenpriester ernannt, das Unerhörte wagen konnte, Zuschauer uud Thcilnehmer mit Weihgcschenken zu den iu Tyrus gefeierten Heraklesspielcn zu senden. Ein Aufstand gegen den hohenpriesterlichen Schützling des Königs gab letzterem Veranlassung, mehr zu verlangen und die gänzliche Vertilgung der alten Landesreligion zu versuchen. Jerusalem wurde von einem syrischen Heer erobert und nach der Flucht der dortigen Ehassidim in eine völlig heidnische Stadt verwandelt, die Veschneidung verboten, die Feier des Sabbaths nntersagt und der Opferaltar Iahves für den Vater der hellenischen Götter eingerichtet. Die patriotische Erhebung, welche durch dieses Ver-falren hervorgerufen wnrde, ist bekannt. Das Heldengrschlecht der Hasmonäcr, nach seinem glänzendsten Vertreter auch die Matkabner genannt, erkämpfte sich nach langem wechselvollen 22^ Streit mit der Uebermacht der Heiden unsterblichen Ruhm, dem Lande die Unabhängigkeit und der Partei der Natioualgesiunten und Gesetzeifrigcn den Vorrang. Man tonnte unter Johannes Hyrkauos, der sich zuerst uou der Herrschaft der Syrer ganz losriß und die eigne über die Grenzen des Landes hinaus erweiterte, die Tage Davids und Salmnos wiedergekommen glauben. Aber der Einfluß der Fremden war nicht mehr zu bannen. Indem man sich von den Griecheu losmachte, schloß mau em verhäugnißvolles Vündniß mit Nom, und als mit der gesicherteu Freiheit der Friede wiederkehrte, entzündete sich an dem Gegensatz der Orthodoxen und der Freidenker cm neuer Kampf, der unter Mitwirkung audcrcr Elemente zuletzt zum Sturz der Hasmouäer und zur Erhebuug der Herodianer führte. Die Matkabäer hatteu im Allgemeinen deu Sieg lind die Herrschaft der fromm-nationalen Partei vertreten. Die Herodianer reprä' scntiren schon dnrch ihren nichtjüdischen Ursprnug, dann aber dnrch ihr laues verhalten znr Landesreligion uud ihre Hinneigung zur Fremde eiucn uoch entschiedeneren Triumph der gcg-uerischeu 8ächtung. die freilich ohne Hülfe der Römer die Oberhand uicht behalteu hätte. Die siegreiche Partei der Frommen spaltete sich mtter den letzten Hasmonäern in zwei Fractioueu ^ eine weltlich gesinnte, die, mehr die Früchte des Sieges inv Auge fassend, handeln nud herrschen wollte, uud eiue audere, lvelche, mehr au die Wurzel des Erfolgs denkend, sich mit stiller Arbeit zur Ergründuug der im Gesetz nieoer-gelegten religiösen Wahrheit begnügte. Die eine umfaßte diejenigen, welche spater als die Sekte der Pharisäer vou sich reden machte, die andere die sogenannten Essener, Neben ihueu aber tünchten sehr bald als einflußreich, wenn auch zunächst schüchterner als früher uud mehr dein Gesetz genähert, die Saddualer wieder anf. Die Sad dueä er waren im Allgemeinen der Neligion gegenüber bis zu einem gewisseu Grade Nationalisten, der Natmu gegenüber Kosmopoliteu. Der Grundgedanke iln^r '/ehre be- 15' 228 stand in der an dir Stoiker erinuerndeu Läugnnng deffen, was das alte Iudenthum uut seinem transcendentalen Gott als obersten Satz aufgestellt, d. h. eiurs alle incnschlichen Dinge im Voraus unabänderlich bestimmenden Geschicks, also in starker Betonung der menschlichen Willensfreiheit, die nach ihnen allein Gutes und Böses, menschliches Wohl oder Wehe bestimmte. Daran schloß sich Väugnuug der Unsterblichkeit und der ewigen Vergeltung, sonne des Daseins von Engeln. DaS Gesetz ließen sie gelten, doch behielten sie sich volle Freiheit der Deutung desselben vor und verwarfen deshalb alle die Satzungen, die seit Esra ano den mosaischen Vorschriften abgeleitet worden waren. In ihrem Urtheil über Dinge der Moral waren sie streng, indeß galt ihnen als wesentlich nur der sittliche Kern der Handlungen; auf die Adiaphora der Ethik wurde kein Werth gelegt, uud da sie sich iu Folge desseu vom Genuß des Lebens nicht fern hielten, so zogen sie sich von ihren Gegnern den Vorwurf zu, Epirnrärr zu sein. Anf den Beifall der Voltsmasse gaben sie wenig, dagegen neigten sie sich später den römischen Gewalthabern zu. Die Pharisäer bilden zu dieser Partei den strengsten Gegensatz. Sie fanden in dem Gesetz die Quelle aller Weisheit, beobachteten streng die aus demselben abgeleiteten Satzungen und waren auf deren weitere Vervollständigung bedacht, zum Theil im wirklichen Glauben, damit das Rechte zu thun, mehr aber noch, um vor dem Volke als strenge Fromme zu erscheinen uud damit Macht uud Einfluß zn gewinnen. Unzweifelhaft gab es unter den Mitgliedern der Sekte rechtschaffne Charaktere, und in späterer Zeit zeichneten sich mehre Pharisäer als Patrioten aus, Im Allgemeinen aber werden sie mit ihrer egoistischeu Scheiuheiligknt Vorgänger unsrer Jesuiten gewesen sein. Ihre Hauptdogmen waren: Jedem Menschen ist sein Schicksal vou Gott unausweichlich bestimmt, doch bewegt er sich iuuerhalb der Grenzen des göttlichen Weltplans handelnd mit dem Bewußtfein der Freiheit, und seine Gerechtigkeit ist 229 sein Perdienst. Ferner ^ die nienfchliche Seele ist unsterblich, und es giebt eine Vergeltung, indem die Seelen der Bösen auf ewig in der Unterwelt eingeschlossen bleiben, die der Frommen aber nach Gennß eines seligen Zwischenznstandes in andere reine Leiber nnd sonnt ins Leben zurückzukehren. Die Pharisäer machten sich dnrch eigne Abzeichen dem Volke kenntlich und empfahlen sich ihm dnrch geflissentlich in die Oeffcntlichkcit getragne milde Gaben, fleißiges Beten ans den Straßen, Halten ans alterthümliche Sitte nnd Mode, scheinbare Verachtung der Welt nnd ihrer Genüsse sonne durch Pflege der Relicmien aus der Vergangenheit der Nation. Diü Essener nehmen keine politische Bedeutung für sich in Anspruch. Sie zogen sich, abgestoßen von dein Gebahren der Pharisäer, mit denen sie, wie bemerkt, früher eine Partei gebildet, ans den, nationalen Leben völlig znrnck, um, gleich den spätern Mönchen, in Einöden zu Gesellschaften vereint, ein Leben besonderer Heiligkeit und Gerechtigkeit zn führen, sich nur dem Dienste Gottes, des Gesetzes und des Propheten Moses zu weihen, welcher letztere von ihnen fast göttlicher Verehrung würdig gehalten wurde, alle Leidenschaften zu fliehen uud alle sinnlichen Genüsse zu vermeiden. Die Essener lebten als Commu-nisten, kleideten sich möglichst gleichförmig, vertheilten ihre Arbeiten nach dem Grundsatz der Gleichheit und aßen gemeinschaftlich. Ini Streben nach höchster Reinheit verwarfen die meisten die Ehe, alle den Genuß von Wein. Fleisch und Oel. Ihre Nc-ligioiMlmngen bestanden in Ehorgesaug, Erbauung ans den heiligen Schriften, häufigen Waschuugcu und strengster Beobachtung des Sabbaths. Blutige Opfer wareu untersagt, Gaben anderer Art für den Tempel geboten. Jeder hatte dem Vorsteher, dessen Kloster oder Gemeinde er sich gewählt, stritten Gehorsam zu leisten, doch war der Einzelne frei, wo es Armen und Unglücklichen zu helfen galt, und so geschah es bisweilen, daß Mitglieder der Sekte die Wüste verließen, um als Aerzte dem Volke Hülfe zu leisten oder als Prediger zur Buße und 280 Besserung zu mahnen, Von Schriften lasen sie nur heilige, deren nichtHeilige Stellen sie sich dnrch allegorische Deutung verklärten. Die Welt zwischen Gott und dem Menschen bevölkerten sie mit zahlreichen Ordnungen von Engeln, über die sie vielleicht mit den spätern gnustischen Dogmen verwandte Geheimlehren hatten. Mehre ihrer Einrichtungen, ihre drei ans eiuandcrfolgeuven Grade, ihre mit dem Gelübde der Verschwiegenheit verbundeneu Schnleraufnahmm. ihr schwerer Eid beim Eintritt in den obersten Grad. womit sich die Forderung verknüpfte, von nun an jeden Eid zn unterlassen, erinnern an die Pythagoräer, doch konnten sich dergleichen Dinge anch uuabhäugig von jenen herausbilden. Als eine feinere, vornehmere Art von Essenern sind die Therapeutenbrüd erschauten aufzufassen, die aus den Juden Aegyptens hervorgingen. Anch sie lebten als Flüchtlinge aus der Welt in der Wüste nach commimistischen Grnndsätzen. Aber die Einrichtung ihrer Gemeinden war der Art, daß alle körperliche Arbeit wegfiel nnd ihr Leben ein steter Gottesdienst durch Fasten. Versenkung in die heiligen Schriften, beschauliche Ruhe und Ningen des Gemüths nach mystischer Annäherung an die Gottheit war. Ihre Organisation scheint denen unsrer Mönchsorden sehr ähnlich gewesen zu sciu - kleinere Gesellschaften gruppirten sich um ein kleineres Bethans, wo sie die Sabbathe feierten, am Tage aber nach sieben Sabbathen schlössen sich diese Bereine zu einer allgemeinen Uebung znsammen, die in Gebet, Gesang nnd Tanz (den wir uns dem der edleren Terwischorden ähnlich vorstellen dürfen) bestanden nnd vom Abend bis zum Morgen dauerten. Ihr Hauptsitz war die Gegend am See Mareotis südlich von Alezandrien, und in ihren Orden hatten auch gottselige Frauen Zntritt. Ihr Ringen nach innerem Ächt ließ sie anch das äußere in einem hohen Grade verehren- denn es wird berichtet, das; sie beim Morgengebet sich nicht wie andere Juden der Gegend von Jerusalem, sondern der aufgcheuden Sonne zukehrten. Ueberhaupt aber scheinen sich in ihrem kreise gewisse Vorstellungen zu göttlichen Wesen herausgebildet zu habeu, 231 die wie das Wort in, Iohanuesevangelinm und die Sophia im Buch der Weisheit neben dem alten Gott eine Steäuug eiu-nahmen. Hch erwähue sie und die Essener hier uur, weil ihr Wesen und,zl)re Richtung einen Theil der Gedanken ausdrucken können, welche, damals im Gemüth des jüdischen Bolkes zerstreut flutlieud, später vom Christenthum zusammengefaßt und allmählig zu fester Lehre ausgestaltet wurden. In politischer Beziehung kommen zunächst uur die Sekteu der Pharisäer uud Sadducaer in Betracht, von denen jene sich, wie bemerkt, mehr um die Gunst des niedern Bolkes bewarben, diese mehr die vornehme Klasse anzogen, beide aber dadurch sich von bloßen Schulen unterschieden, daß sie ihre Ansichten im ^ebeu des Großen und Gan-zeu durchzuführen versuchten. Die Ränke und Kämpfe, die sich darans ergaben, trugen nicht wenig zur Beschleunigung des Untergangs der Nation bei. Unter Iohanues Hyrtauoo hatten Anfangs die Pharisäer das Ohr des Fürsteu und Hohenpriesters und mit ihm die ^eituug der Staatögeschäfte. Aber eine uu-vorsichtige Aeußerung emes aus ihrer Mitte stürzte sie von der Höhe ihrer Macht und brachte die Saddncäer ans Nuder, womit eine vollstäuoige Umwälzung nicht nur in den obersten Gruuofätzen der Regierung, sondern, da die jetzt herrschende Partei alle uichtmosaischen Satzungeu verwarf, auch der Sitten und Branche des Volkslebens eintrat. Solche Umwälzungen folgteu unter den spätern Herrschern mehrere. Bald hatte die eine, bald die andere Partei die Oberhand, und so entstand eine Unsicherheit des Politischen, religiösen und gesellschaftlichen Bebens, die, durch die Einwirtuug des jetzt vielfach faul gewordenen Griechenthums verstärkt, zuletzt beiuahe ciuer sittlichen Auflösung gleichkam. Die Regierung der letzten Hasmoniier war eine Zeit voll Greuel, wie sie die jüdische Geschichte selten zu verzeichnen gehabt hatte, uud wie sie im Abendland uur unter deu römischen Kaisern uud dann etwa in den Tageu Vruuhildes uud Frede- 232 Zundes ein Seitenstück finden, Ter älteste Sohn Hyrkans, vom Bater in feinem letzten Willen nur zum Hohenpriester ernannt, während die weltliche Herrschaft der Mutter übertragen wurde, setzte, um die Königskrone zu erlangen, jene Mutter gefangen und ließ sie verhungern, gebot, von Hofintrigucn berückt, seinen Bruder zu ermorden und starb an Gewissensbissen. Sein Nachfolger, ein kriegerischer Tyrann, begann seine Herrschaft mit einem Brudermord, ließ, als das Volk an einem Laubhüttensest, von den Pharisäern gegen den die Saddncäer begünstigenden König aufgereizt, ihn im Tempcloorhof mit den zur Feier mitgebrachten Citronen bewarf, von feinen Söldnern sechstausend der Tumul-tuauten niederhauen und rief durch diesen Act der Grausamkeit, als er bald darauf in einem Feldzug gegen die Araber eine Niederlage erlitt, einen furchtbaren Aufstand der Pharifäer und ihres Anhangs hervor. Die Pharifäer vergalten ihm jetzt die Verfolgung, die sie von ihm erfahren, reichlich. Baterlandsver-räthenfcher Weise diugten sie gegen ihn fremde Soldner, riefen sie fogar den maccdonifchen König von Damaskus ins ^and, aber nachdem sie mit dessen Hülfe den König in einer Schlacht bei dem heutigeu Nablus geschlagen, ermaunte sich dieser wieder, und der Bürgerkrieg endete mit einem vollständigen Siege dessel-bcn, den er damit feierte, daß er achthundert gefangeue Pharifäer zu Jerusalem kreuzigen ließ, nachdem sie die Abschlachtung ihrer Frauen und Kinder hatten mit ansehen müssen. Später herrschte er glücklich und erweiterte durch unablässige Kriegszüge die Grenzen des Bandes beträchtlich. Seine Krone ging auf feine Wittwe über, die sich auf seiuen Rath den Pharisäern wieder zuwandte, welche jetzt nach Möglichkeit Rache an den Saddu-cüern nahinen. Ili dieser Weise spann sich die Geschichte Iudäas m Thronstreitigleiten, Parteitämpfen, Einmischung von Fremden, Verrath und Intriguen fort. wie das 5!ebcn eines Körpers, in dem mehre Krankheiten um die Herrfchaft riugen, bis endlich im Hahre 63 o. Chr. die Römer, von nicht weniger als drei 233 Parteien zugleich um ihren Beistand angegangen, von Damaskus her in das Land rückten, Jerusalem einnahmen und den Kronprätendenten, dem die Pharisäer anhingen, nntcr der Bedingung jährlicher Abgaben an Rom zum Fürsten obne Königstitel machten. Den meisten Gewinn ans diesen Vorgängen hatte «n Feldherr des mm zur Herrschaft gelangten Hasmo-närrprinzen, der Idnmäer Antipater gezogen, der es verstand, sich zunächst mit Pompejns, dann, als dessen Stern im Untergehen war, mit Cäsar und, indem er von diesem allerlei Vortheile für die im römischen Neich zerstreuten Inden zu erlangen wußte, auch mit dem Volke auf guten Fnß zu stellen. Er war, nachdem die letzten Anstrengungen des Kronprätendenten, der sich auf die Saddncäer stützte, vereitelt worden, der eigentliche Gebieter des Bandes. Nachdem er an Gift gestorben, vollendete sein Sohn das Wert, das er begonnen, durch lange wüste, mit äußerster Gransamkeit geführte Kriege, an denen die Parther für die Svrossen der Hasmonäer theilnahmcn, die Römer sich dem Erben Antipaters anschlössen. Das Königthum eines Halb-jnden bildete den Nebergaug zu der jetzt nahe gerückten Herrschaft der Nichtjuden. Nicht Iehova, nicht sein Stellvertreter, der Hohepriester, nicht ein Nachkomme des alten Fürstenhanscs, sondern Hero-des war der für dieses Geschlecht passende, der allein zeitgemäße König. In der Vorstellung des Voltes ist Hero des nichts als ein blutiger Gewaltherrscher, an dessen Namen sich der Kindermord von Bethlehem und bei vielen (dnrch Verwechslung mit spätern Fürsten seines Geschlechts und Namens) andere Grausamkeiten z. V. die Hinrichtung Johannes des Täufers knüpfen. Die Geschichte weiß auch Gutes von ihm zu berichten. Wenn sie nns ihn gleichwol von Blut uud Schreckensthateu umgeben zeigt, so haben wir dies als zmn Kolorit seiner Zeit gehörig, als ^andesart aufzufassen; denn auf keinen Fall war er schlimmer als sein Pulk und als seine letzten Borgänger auf dem Throne. Er war ehrgeizig, und so rottete er allmählig daö gejammte hasmouäische Geschlecht aus. Er war mißtrauisch, und 234 so lies; er ans?er zahlreichen Häuptern der Volksparteien selbst mehre seiner Sohne und seine Gemahlin Mariamne alö Verschwörer hinrichten. Er achtete Leben und Habe der Menschen nicht, und so opferte er dieselben in Hekatomben seinein Egoismus. Er hielt wenig oder nichts von der Religion, zu der er sich bekannte, und so entschädigte er sich für den Zwang, den sie ihm auflegte, so oft als möglich durch heidnisches Gebühren. Aber er war ein Mann im vollen Sinn des Wortes, und wenn dem Volke noch irgend zu helfen gewesen wäre, so hätte es durch seine kühne Kraft, feine nachhaltige Geistesstärkc, seine unerschöpfliche Gewandtheit und seinen seltenen Thätigteitstricb geschehen müssen. Er hat ferner viele Feinde, aber auch in feinem Minister, dem hochgebildeten, als Geschichtschreiber, penpathe-tischer Philosoph, Redner und Dichter weithin berühmten Da-masrener Nikolaos, dessen Bruder, dem Großsiegelbewahrer Ptolemäos und andern mit den höchsten Stellen betrauten Beamten sowie in vielen seiner Feldherrn bis über seinen Tod hinaus treue Frenndc gehabt. Er hat grausam gehaßt, aber anch geliebt wie wenige, nud wenn er,, bösem Rath sein Ohr leihend, in schwarzer Stunde über die mit aller Kraft der Seele geliebte Frau deu Tod verhängte, su hat er dafür eine sich bis zum höchsten tragischen Wahnsinn steigernde Buße gethan und tiefer brennende, länger dauernde Pein gelitten, wie irgend ein Unseliger, der Aehnliches verschuldet. Hcrodcs hat eudlich, nachdem er das Ziel feines Ehrgeizes erreicht, ein Regiment geführt, das unter damaligen Verhältnissen fast ein Segcn für das Land, mit geringen Uuterbrechungen friedlich und für den Wohlstand des Volkes ini hohen Grade förderlich war. Wenn er sein eigen Fleisch und Blut dem Henker übergab, so ist zn bedenken, dasi in der That in allen seinen Palästen die bösen Geister des Vcrraths nnd der Intrigue nm-gingen. nud daß mehre semer nächsten Verwandten ihm nach Krone und Leben trachteten und ihn mit der rnchlosesten Heuchelei, zu umgarnen bestrebt waren. Wenn er die Empörer mit fnrcht- 235 barer Strenge strafte, so bedürfte die zäbo, trotzige, unaufhörlich zu bewaffnete»! Widerstand aufgelegte Natur der damaligen in fast dreißigjährigen Parteikriegen aufgewachsene Generation ciuer eisernen Faust, wofern sie nicht jeden Tag den Bestaud des Staates in Frage stellen sollte. Wenn sein Verhältniß zur Religion kein inniges war, so begreift sich das, wenn mau sich erinnert, daß in den Gesellschaftskreisen, die dem König nahe standen, von religiösein Leben so gut wie nichts, höchstens das Gerippe, steife kleinliche Togmen und äußerer Pomp übrig war. Für das, was sich iu dem uiedern Bolke erhalten hatte und sich um die Erwartung eiues Messias gruppirte, uiaugelteu dem Herrscher Sinn uud Verständniß, und wo es hervortrat, begriff er nur die weltliche Seite davon und verfolgte es als Bedrohung semer, Stellung. Für das mystische Treiben der Essener mdlich war er so wenig geschaffen, wie etwa Friedrich der Große für die deutschen Pietisten, Die Sekten der Pharisäer und Eaddmäer, die sich jetzt in bloße gelehrte, fast nur noch in Wortgefechten sich tummelnde Schulen verwandelt hatten, ließ er unangetastet. Kümmerte cr sich in den letzten ruhigeu Jahren seiuer Regieruug überhaupt um sie, so wird er sich zu den Sadducäern hingeneigt haben. Er ließ ebeu jeden nach seiner Fac,on selig werden, auch seine zahlreichen heidnischen Unterthanen, dereu Heiligthümer er fast ebenso freigebig mit Geschenken bedachte als den Tempel Iehovas. Im Uebrigen war Herudes ein fleißiger Städtegrüuder und ein Förderer von Handel und Gewerbe. Als im Jahre 24 v. Chr. eine Reihe von Unglücksfällen das Land heimsuchte, die einen schwächern Geist als den seinen tief gebeugt hätten, anhaltende Dürre eine Hungcrsnoth und diese wieder Seuchen und allgemeine Verzweiflung hervorrief, entwickelte er die grösne Thätigkeit und Aufopferuug. schoutr, als seiuc Geldquellen versiegten, seine eignen Schmncksachen nicht, um Mittel zur !^in-dernng der Noth zu schaffen, vortheilte mit größter Bereitwilligkeit halb oder ganz umsoust an die Dürftigen Brot' nnd 236 Saatkorn, Kleidung für den nahen Winter und andere Nothdurft, und wandelte auf diese Weife einen großen Theil feiner Gegner in Anhänger um. Mit Augustus staud er auf dem besten Fuße, und der Glanz dieser Freundschaft kam auch den uuter den Heiden wohnenden Juden vielfach zu Gute. Als er nun einige Zeit nach jener großen Theuerung ein Drittel der Steuern erließ, als er in einer großen Versammlung sich seiuer Sorgfalt um das Wühl aller Juden auf Erden rühmen konnte, als er den Tempel zur Freude des Volkes prächtig ausgebaut hatte, schien er der glücklichste Fürst seiner Zeit. Aber die letzten Jahre seiner Regierung sollten die dunkelsten für ihn sein, und das Unheil, das ihn nmstrickte, kam gerade aus der Mitte seiner Familie. Sein ältester Sohn Antipater, einer der schwärzesten Charaktere dieser an dämonischen Seelen überreichen Zeit, verstand es, nach der ihm als Unedelgebornen nicht bestimmten Erbschaft der Krone lüstern, sich in das Ver-traneu des Baters emzufchleichen und die beiden jüngern Brüder, die als Söhne der hingerichteten Mariamne allerdings keine besonders heftige Neignng zu dem Mörder ihrer Mutter haben konnten, iu dem Maße zu verdächtigen, daß der König sie zuerst gegen Antipatcr zurücksetzte uud sie eudlich nach dem frevel-hafteu Schaufpiel eines aus dem König von Kappadocien und 150 Edlen des Landes zusammengesetzten Scheiugrrichts in Sa-maria als Verräther erdrosseln ließ Mit ihnen starben, auf Herodes Befehl vou niederm Volk gesteinigt, 800 des Einverständnisses mit ihnen Angeklagte. Die beiden Königsföhne waren unschuldig gewesen. Antipater hatte ihre Wegräumung nur veranlaßt, um sofort gegen den Vater Intriguen anzuspinnen, die in einem Vergiftnngsplan gipfelten. Das Geheimniß wurde indeß entdeckt, Antipater verhaftet, im Beisein des romischen Statthalters von Syrien, Quinctilius Varus verhört, trotz feiner Gewaudtheit in: Heucheln vollständig entlarvt und einige Zeit nachher hingerichtet. Dazu kam, daß sich die Partei der Froumicn, dir schon 237 früher in ihrem pharisäischen Zweige sechstausend stopfe stark plötzlich den Unterthaneneid verweigert hatte, auf Anreguug zweier berühmter Grsetzlehrcr wieder unruhiger und fanatischer zeigte. Dazu, daß Herodcs von schwerer Krankheit ergriffen wurde. Die Zeloten erregten wegen des römischen Adlers, den der König über der emeu Pforte des Tempelgebäudcs hatte anbringen lassen, einen großen Aufruhr uud zerstörten das verhaßte Bild. Sie wurden durch Hcrodes vom Krankenbette aus empfindlich gezüchtigt, der eine jener Gesetzlchrer, Matthia, Mar-galolhs Sohn sammt andern Schürern des Aufstands in Jericho lebendig verbrannt, der in die Sache verwickelte Hohepriester abgesetzt. Aber die Krankheit des Königs ließ sich nicht fo leicht bewältigen. Vergeblich brauchte er das ihm von den Aerzten verordnete heiße Oelbad. Wenige Tage nachher starb er nnter den furchtbarsten beiden. Mit welchen Vorstellungen über die Stimmung im Lande er verschied, welch ein wilder Charakter er bei allen oben geschilderten bessern Eigenschaften in: (»runde war, bewies der letzte Befehl, den er ertheilte und der darauf ging, daß die von ihm versammelten Landesvertreter, die er in der Reunbahn von Jericho eingeschlossen hielt, sämmtlich zu-fammengehauen werden sollten, sobald er ansgeathmet. Iosephus sagt. der König habe in dem Bewußtsein, daß sein Tod allgemeinen Jubel erregen werde, jenen Befehl damit mutivirt, daß er das Land nach seinem Tode in Trauer seheu wolle. Wahrscheinlicher ist, daß Herodes jene Voltsrevräseutanteu, die den vornehmern Geschlechtern angehörten, deshalb weggeräumt wissen wollte, weil sie ihm als Feinde seiner Dynastie erschienen uud er seinen Nachfolgern durch Entfernung der Häupter des fort-gährenoe» Vollsingrimms den Weg zu einem ruhigeu Regierungsantritt ebnen wollte. Das Mordcdiet, das übrigens nicht ausgeführt wurde, bleibt darum abschcuerregeud genug. Nur der blutige Witz fällt weg. der auf einem Sterbebette, felbst dem eines Tyrannen, nicht recht natürlich erscheint. Herooes war ein fast uuabhäugiger Vasall Roms geweseu. 238^ Unter feinen Söhnen sollte sich das Verhältniß anders gestalten. Nach dem Testament des Königs erhielt der eine derselben, Archelaos, die Königswürde und den südlichen Theil des Landes, ein andrer. Autipas, das städtereiche Galiläa und Peräa, ein dritter, Philippos, die nordöstlichen (Gebiete, die Schwester des Erblassers endlich, Salome, ein kleines Fürstenthum im Süd-wcsten. Allein der Kaiser Augustus, dem das Testament zur Vestätignng eingesandt werden mußte, trng, an der Tüchtigkeit des Archelaus, ein so unruhiges Bolt wie die Juden im Zaum zu halten, zweisclnd, Bedenken, seine Einwilligung in die Wahl dieses Prinzen zum König zu ertheilen. Uud in der That war die Lage der Dinge der Art, daß solche Zweifel gerechtfertigt schienen. Zunächst hatte Archealos sich gleich nach dem Tode seines Paters Gewaltthaten gegen das Volk erlaubt, und es herrschte darüber wie über das ganze Verhältniß der Königsfamilie zu Nom eine Gährung, die endlich zn Unruhen führte. Die Herodier waren nach Nom gereist, um ihre Sache persöulich zu betreiben, als gegen die während des Interregnunis in Ierip falem die Rechte des Kaisers wahrenden Römer ein 'Aufstand ansbrach. bei dem diese einen Theil der Tempelhallen uerbramtten uud den Schatz dc« Heiligthnms plünderten, zuletzt aber, nachdem die meisten Anführer des königlichen Heeres sich mit ihren Truppen den Aufständischen angeschlossen, sich auf Behauptung der Burgen der Stadt, namentlich des Phasaelsthnrms beschränkt sahen. Die Insurrection verbreitete sich rasch über das ganze Land, aber ohne Plan und sichere Ziele, Mehre Parteien entstanden, die sich gegenseitig bekämpften. Verschiedene Führer warfeu sich zu Köuigcu auf. Viele Haufen trieben unter dem Borwand, für die Freiheit und die nationale Wiedergeburt zu streiten, Räuberei und andere Gewaltthat, So gelang es den Römern, die uuter Varus, dem Statthalter in Syrien, zur Dämpfung der Rebellion heranrückten und durch Hülfstruppen benachbarter Fürsten und Städte unterstützt wurden, ohne große Anstrengung, der Empörung Herr zn werden. Das ^'and wurde 239 unterworfen, Jerusalem entsetzt, die am stärksten brthciligten Orte und Striche streng gezüchtigt, Müde solcher zn nichts führenden Erhcmmgen und den Herodiern abgeneigt, wählten die Freunde der Ruhe und Ordnung eine Gesandtschaft an den Kaiser, um von diesem die unmittelbare Unterstellung unter die römische Herrschaft zu erbitten. Inzwischen hatte Augustus dem Archelaos nud seinen Brüdern Hoffnung ans Erfüllung des letzteu Willens seines alten Freundes Herodes gemacht, und so wurde das Begehren jener Gesandtschaft abgeschlagen und das Testament mit der Einschränkung bestätigt, das; Archelaos den Königstitel oor der Hand nicht führen, ihn aber erhalten solle, wenn er sich gm verhalte und feinen Unterthanen nicht wieder Ursache zur Klage gebe. Diese Bedingung wurde von ihm nicht erfüllt, und so erfolgte endlich feine Absetzung und Bcrbannung nach Mmna in Gallien und die Einuerleibnng des von ihm beherrschten Haupttheiles von Palästina in das römische Reich. Die übrigen Glieder der Familie nnd ihre Nachkommen blieben, der eine Zweig länger, der andere kürzer, noch einige Zttt im Besitz ihrer Erbschaft, hatten aber fast nur noch die Bedeutung von mediatisirteu Fürsten, richteten ihre Länder ganz nach dem in Iudäa eingeführten römischen Muster ein und durften über nichts von Wichtigkeit verfügen, ohne vorher bei den Statthaltern Syriens oder in Nom selbst angefragt zu haben. Die weiteren Geschicke des Landes gingen nicht mehr von den Fürsten, sondern vom Ä>olkc nud zwar weniger von den höhern, als von den niedern Schichten desselben ans, in denen sich mehr wie in jenen Neste des Geistes, der die Propheten beseelt und die Matkabäer zu Heldenthaten getrieben, erhalten hatten, und aus denen auch das Ehristeuthum entsprang. Auch der Umstand, daß es nicht das vornehmere Iudäa, sondern das gering geachtete Galiläa war, wo diese Elemente sich am kräftigsten regten, ist wohl zu beachten, Indem die Römer Indäa der Provinz Syrien als ___240 Eparchie zutheilten, wurde in gewissem Grade das Verhältniß wiederhergestellt, in dem dasselbe kurz vor und zum Theil während der Makkabä'erzeit zur Herrschaft der syrischen Könige gestanden hatte. Iudäa erhielt seinen Procurator oder Statthalter, welcher fast alle Vollmacht eines Proconsnls hatte, aber doch in sämmtlicheu Kricgssachcn dein Proconsul oder Rector in Antiochien untergeordnet war und vou diesem in seinem Verhalten beaufsichtigt wurde. Der Statthalter hatte seine Residenz nicht in Jerusalem, sondern in der für die Verbindung Ntit Antiochien und Rom bequemer gelegenen Seestadt Caesarea, in welcher auch die größere Halste der sür Palästina bestimmten römischen Besatzung garnisonirte. Er besaß alle Befugnisse der bisherigen Landesfürsten, unter andern auch das Recht, den Hohenpriester ein- und abzusetzen. Dagegen bewegten sich die untern Gerichte nnd Behörden bis zum Sauhedr' hinauf wieder freier als unter Herodes, da die Römer sich mit der obersten Macht begnügten und sich in die besondern Bräuche, Rechtssatzungen und Ncligionsvorschriften des Voltes nicht mischten. Die Rechts- und Theologenschnlm Jerusalems blühten ungestört weiter. Das Sanhedrin entschied über alle die Religion betreffenden Fälle, nur durfte es kein Todesurtheil fällen. Die Gerichte sprachen, namentlich wo sie mit Sadducärru besetzt waren, in der Regel mit Unparteilichkeit Recht. Das Einzige, worüber die nicht grundsätzlich aller ausländischen Herrschaft Widerstrebenden klagen konnten, war die Höhe der Abgaben, die in Zölleu, Steuern von Häusern und Marttfriichten und vorzüglich in der Kopf- und Grundsteuer bestanden nnd in der That drückend waren. Um die zuletzt erwähutcu basten nach Gebühr vertheilen zu können, ließ der Kaiser von dem Proconsul P. Quirinns einen Census, d. h. eine Volkszählung und Vermögensabschätzung vornehmen. Die Majorität der höhern Gesellschaft im ^ande scheint darin nichis Anstößiges gefunden zu haben. Dem gemeinen Mann war sie, indem ihm in ihr die Besitzergreifung 24 l Palästinas durch Nom znm ersten Mal deutlich zum Bewußtfein gebracht wurde, im hohen Grade zuwider, und so verstärkte sich eine Partei, welche sich inzwischen aus den weder in die Pharisäer aufgegangnen, noch mit den Essenern aus dem öffentlichen Leben geschiedenen Chassidim gebildet hatte, dnrch die Maßregel bedeutend. Eine Volkszählung war schon in Davids Zeit als ein Gott verhaßtes Vornehmen betrachtet worden. Steuern aber sollten nach dem Gesetz nur dem Tempel und am wenigsten den Heiden entrichtet werden. An die Spitze der Partei, welche diese Satze dem anbefohlenen Census gegenüber geltend machte, nnd welche überhaupt'den letzten Kampf gegen die Nömer vorznbereiten begann, traten Judas aus Gamala am See Gcnczareth und der Pharisäer Sadduk. Dieselbe:: gingen mit ihrem Programm ganz auf die älteste politische Gestalt der Nation zurück nnd lehrten, Gott allein sei der König Israels, das Gesetz die einzige Richtschnur gerechten Lebens, einen Menschen als Herrscher anzuerkennen, Sünde, die römische Schätzung Zeichen der Sklaverei, das höchste mit Verachtung aller andern Vesitzthümer zu erringende Gnt die Freiheit. Die Partei wnroe allmählig zurHetäric. die den Grundsatz auf ihre Fahne schrieb' „zu eifern für das Gesetz und das Leben zu wagen für den Bund der Väter", und die davon den Namen der Heloten oder Eiferer erhielt. Sie waren vorzüglich stark in Galiläa verbreitet, machten aber schon zu Jesu Zeit auch in Jerusalem viel von sich reden nnd waren später die letzten Kämpfer ans den Trümmern der heiligen Stadt. Wer zu ihnen trat, verpflichtete sich zu jeglicher Aufopferung für den von der Sekte angestrebten Zweck. Wer demselben entgegenhandelte, verfiel der Vehme, deren Urtheile die Häupter der Verschwörung sprachen. In ihren Zielen den Pharisäern ähnlich, unterschieden sich die Eiferer von diesen durch größere Folgerichtigkeit und tieferen Ernst des Wollens, durch aufrichtige Verachtung der Welt und zähe Festigkeit in Leiden und Gefahren. Ihr Ber-halten dem Feind gegenüber war das der Sekte des Alten vom Busch, Wallfahrt nach Jerusalem, N. ^,(l 242 Verge, ihre Geringschätzung qualvollen Todes die des Indianers am Marterpfahl. Die Gluth ihns Strebens, die Starrheit und Hartnäckigkeit ihres Sinnes wird dnrch nichts in der Geschichte überboten. Welcher Selbstverleugnung sie fähig waren, zeigen zahlreiche Beispiele aus den letzten Kriegen- die Vertheidigung Iotapatas und die grauenvolle Seene in der Cisterne, in die sich Iosephus mit den letzten vierzig der Besatzung verborgen, die unter Schrecknissen, furchtbarer als sie die kühnste Phantasie erfinden könnte, fortgesetzte Behauptung der Tempel-nnd der Oberstadt Jerusalems und das grausige Nachspiel, welches nach der großen Katastrophe in der Festuug Viasada stattfand. Die dort Eingeschlosfnen wählten zehn aus ihrer Mitte, die alle übrigen uud zuletzt einander selbst tödteten. Die Zahl der Todten, Weiber und Kinder eingerechnet, betrug neunhundertundsechzig. Ein ferneres sehr charakteristisches Beispiel werden wir sogleich bei Betrachtung der Ereignisse unter dem Statthalter Pilatus sehen. Selbstverständlich beherrschten die Eiferer in der letzten Zeit alle Parteien, da keine so starken Geistes als sie war. Als Hanptfeinde mnßten ihnen dir Saddmäer mit ihrem Kosmo-politismuö erscheinen, aber anch mit dem Schemeifer der Pharisäer konnten sie nicht gemeinsame Sache machen, und in der That wurden sie bald deren bitterste Feinde. Sie haben den Untergang der Nation zu einem plötzlichen und gewaltsamen gemacht, aber sie haben bewirkt, daß er ein ehrenvoller war. Ohne sie wäre das Volk allmählig anch nach seiner Religion in die heidnische Welt aufgegangen. Ein uollkommen unverständiger Fanatismus, ein rein tollkühnes Ankämpfen gegen ein Unüberwindliches wäre ihr Unternehmen, dem römischen Koloß den Handschuh hinzuwerfen, nur dann gewesen, wenn sie völlig auf die eigne Kraft gebaut hätten. Aber sie konnten auf Hilfe von Aegypten und Adiabene rechnen, und im Osten war das mächtige Parthcr-reich, das schon einmal in die Geschicke des Landes gegen Roms Willen eingegriffen hatte. 243 Für die Zelt, wo Judas von Gamala auftrat, war die Partei der Eiferer noch zu schwach, und der Einfluß der Ge^ mäßigten noch zu stark, als daß die Unruhen, welche auf das Gerücht von einer römifchen Schätzung ausbrachen, hätteu weite Kreise ergreifen und einen allgemeinen Brand entzünden können. Der Hohepriester Ioazar mahnte zur Ruhe und Geduld, und nicht ohne Erfolg. Judas wagte mit seimm engern Anhang dennoch den Aufstand und ging dabei unter. Aber feine Lehre pflanzte sich fort, und die Söhne, auf die er seine Gesinnung vererbte, bethätigten dieselbe später als Führer der Partei. Inzwischen befestigte sich die römische Herrschaft nnd blieb währeud der letzten Negiernngsjahre des Augustus sowie unter der in den Provinzen ziemlich gerechten Herrschaft des Tiberius trotz einzelner Anstöße zn Bewegungen im Allgemeinen ungestört. Der Friede förderte Haudel und Wandel, und die Freunde der Ruhe genossen die Früchte ihrer Bemühnngen iu behaglichem Wohlstand. Nur die starke Abneigung, welche sich im gauzen Lande gegen die Stenerbeamten tuudgab und die Zöllner mit den Sündern zusammenstellte, erinnerte noch lant au den Ingrimm, den die Schätzung hervorgerufen nnd an die unausrottbare Abneigung der Mehrzahl des Volkes gegen die Herrschaft der Heiden überhaupt. Von dm Statthalter« oder Laudpflegern Indäas unter Kaiser Augnstus wisscu wir, da keine bedeutenden Ereignisse in ihre Verwaltungsperiode fielen, nur wenig. Sie scheinen im Ganzen mild und gerecht regiert und ans die Sitten und Meinungen der Juden nach Möglichkeit Rücksicht genommen zn haben. Der erste war Coponius. ihm folgte Marcus Ambivius diesem Anuius Nufus. Uuter Eopouins erlaubteu sich die Samariter eine häßliche Verunreinigung des Tempels in Jerusalem, indem sich einige vou ihnen m der Nacht vor dem Paschafest heimlich in das Heiligthum schlichen (dessen Wächter geschlafen zn haben scheinen) uud es durch Umherstreucn von Todteu- 10 ' 244^ gebeinen dermaßen entweihten, daß die Fcstfeicr in diesem Jahre ansgesetzt werden inußte — ein Streich, der die Stärke des Hasses erklärt, welcher zu Jesu Zeit diese Schiiten des Iuden-thums verfolgte. Der dritte Statthalter wurde im Jahre 14 oder 15 nach Christi Grlmrt abberufen. Ihm folgte Valerius Gratus, der, von dem neuen Kaiser Tiberius eingesetzt, elf Jahre die Verwaltung führte, und von dem nur berichtet wird, daß er sich des Rechts, die Hohenpriester von ihrem Amte zn entfernen, nicht weniger als viermal bediente, während seine drei Vorgänger dasselbe niemals ausgeübt hatten. Der letzte Archiercus, den er einsetzte, war der aus den Evangelien bekannte Kaiphas, dessen eigentlicher Name Joseph war'') uud der erst im Jahre 34 n. Chr. seiner Wurde entkleidet wurde. Er war Saddueäer und der Schwiegersohn des ebenfalls im Neuen Testament ermähnten Annas oder Chanan, der ebenfalls ziemlich lange die hohenpriesterliche Krone getragen, nnd der das seltene Glück hatte, daß alle seine fünf Söhne znr Tiara gelangten. Mit dein fünften Statthalter beginnt die Verschlechterung der römischen Administration. Pontius Pilatus, im Jahre 2t; n. Chr. Geb. zum Procurator ernannt, scheint vorzüglich darin gefehlt zu haben, daß er den Charakter und die eigenthümlichen Ansichten des ihm untergebenen Volkes nicht kannte und zn trag und hochfahrend war, sich mit ihnen bekaunt zu machen. Im übrigen trifft ihn der Vorwurf der Habsucht, der spater die meisten der römischen Proenratoren in Judäa in noch höherm Maße befleckte, Philos Schilderung von seinem Charakter läßt *) Kaivhas oder Kajavha war nur scin Ncbmname, der wohl, wie bei Petrus (der eigentlich Simeon oder Schim'on hieß» cinc Chavatter-eiWtthümlichkcit bezeichnete. Noch jcht sind unter Türken und Arab em solche im spätern ttbm crsolgmdc Nanumi^buuaM im Gebrauch, und dcr Name Surcyah, dcn dcr gcgcnwä'mgc Pascha ucm Jerusalem führt, ist ihm erst während seiner Thätigkeit in den Kanzleien Stambuls gegeben worden. 245 sich mit dem, was Iosevhns uon ihm erzählt, ziemlich vereinigen, wogegen er in der Passiousgrschichte der Evangelien in anderer Art auftritt. Nach Philo lväre er ein starrer nnd gransamer Landvogt gewesen; nach den Evangelien müssen wir ihn — die Stelle ausgenommen, wo es uon ihm heißt, er habe im Tempel Galiläer umbringen lassen nud (ein emphatischer Ausdruck) „deren Blut mit ihren Opfern gemischt" — als schwachen, unentschlos-senen Mann auffassen „Eines Tages," erzählt Philo, „machte man ihm Bürstellungen; aber da dieser Mensch ein heftiges nud hartnäckiges Temperament besaß, so wollte er nicht darauf hören. Da rief man ihm mit Nachdruck zu- Laß at>, zum Aufstaud uud zum Krieg zu reizen, höre auf, deu Frieden unmöglich zu machen. Tiberius will, daß nnfre Gesetze geachtet werden sollen, hast du aber einen neuen Verhaltsbefehl oder einen neuen Brief, so setze uns davon in Kenntniß und wir wollen ohne Verzug eine Gesandtschaft nach Nom schicken." Diese Einsprache gegen sein Verfahren reizte den Statthalter nur noch mehr; denn „er fürchtete, daß man, weun im Ernst eine Gesandtschaft abginge, sein ganzes Verhalten während seiner Amtsführung, die Käuflichkeit seiner Urtheile, seine Mißhandlungen, seine Naubsucht, seine Plackereien und Beleidigungen, die Hiuschlachtuug einer Menge uon Menschen ohne gerichtliche Verurtheünng enthüllen werde." Enthalten diese Worte Philos keine Uebertreibung, so wird sich diese dunkle Seite der Natur des Statthalters wol erst in der letzteu Zeit feiuer Verwaltung entwickelt haben. Anfangs scheint er sich nur der Nichtbeachtung gewisser Borurtheile der Juden, die bisher geschont worden waren, schuldig gemacht zu haben. Dahin gehört, daß er die Abueiguug der Eiferer, in Jerusalems Mauern Bilder lebender Weseu zu sehe«, oie bereits uuter Herodes Verschwörungen und Aufstände veranlaßt, nicht kannte oder nicht berücksichtigte. „Als der Statthalter Pilatus," fo berichtet Iosephns aus der Z^it kurz vor Jesu Auftreten, „fein Kriegsvolt vou Sa- 246 maria nach Jerusalem ins Winterlager führte, brachte er, der jüdischen Religion entgegen, die Feldzeichen, an denen sich die Brustbilder des Kaisers befanden, in die Stadt, da doch das Gesetz uns verbietet, Bilder zu haben, weshalb auch die frühern Statthalter andere Feldzeichen, die nicht mit dergleichen Bildern verziert waren, bei ihrem Einzug in die Stadt geführt hatten. Pilatus war der erste, der Bilder dieser Art ohne Wissen des Volks — denn der Einzug fand während der Nacht statt — nach Jerusalem bringen und daselbst aufrichten lieft. Als die Bürger dies gewahr wurden, liefen sie in hellen Haufen nach Caesarea (Pilatus war also nicht in Person bei jener Truppe) und baten ihn dort mehre Tage ganz uutcrthänig, die Bilder an einen andern Ort zu seuden. Pilatns aber war durchaus nicht geneigt, nachzugeben, da, wie er sagte, die Ehre des Kaifers darunter litte. Als die Juden aber nicht nachließen, gebot er am sechsten Tage seinen Nichterstnhl anf dem Nennplatz aufzustellen (setzte er sich in statthalterliche Positnr) ließ sich daranf nieder nud befahl zugleich seine Soldaten zu bewaffnen und m Hinterhalt zu legen. Da nun die Juden von neuein mit ihrem Anliegen kamen, gab er dem Kriegsvolke ein Zeichen, daß sie jene umstellten und sie umzubringen drohten, falls sie nicht ruhig heimkehrten. Allein dieselben warfen sich zu Boden, streckten ihre Hälse hin und erklärten, lieber den Tod erleiden, als etwas wider ihr Gesetz thun zn wollen. Da verwuuderte sich Pilatus über ihre Beständigkeit in Beobachtung des Gesetzes und ließ die Bilder vou Jerusalem uach Caesarea schaffen." Die Iudeu, welche hier eiue so hartnäckige Ausdauer uud eine so kühne Verachtung der Todcsfahr entwickelten, waren sicher vorzüglich Angehörige der Zelotensckte. Die Kaiserbilder und Adler aber genossen mtter den Soldaten allerdings schon damals abgöttische Verehrung, uud da das Herkommen solche Embleme voll der heiligen Stadt fern zu halten gebot, so waren die Bittsteller in der That zu ihrem Verlangen berechtigt. Ueblcr lief ein audcrer Versuch, dem Statthalter Opposition 24? zu machen, ab, der freilich weniger Berechtigung hatte und überdies von Tumult und Beleidigung des Procurators begleitet war, und den Iosevhus folgendermaßen erzählte „Darnach unterfing sich Pilaws von dein heiligen Geld (dein Tempelschatzj eine Wasserleitung zu bauen, um das Wasser zweihundert Stadien weit nach Jerusalem zu siihren. Das AM aber wollte dies durchaus nicht dulden und rottete sich häufig zusammen und rief ihm zu, vou seinem Vorhaben abzustehen, Einige tasteten ihn mit ehrenrührigen Worten an. wie es bei uugehaltucn Voltsmassen zu geschehen pflegt. Da ließ er viele seiner Soldaten jüdische Kleider anziehen. Knittel unter dieselben verbergen und sich an einen Ort begeben, von wo sie die Iudcu leicht umriugeu tonnten. Sobald dies bewerkstelligt war. gebot er den Juden sich zurückzuziehen. Da jedoch das Bolt vou ueuem zu schimvfeu und zu tnmultuiren begann, gab er sciuen Soldatm das verabredete Zeichen, worauf diese ärger, als ihuen befohlcu. zuschlugen nud ohuc Uuterschied die Aufrührer und die, welche sich rnhig verhalten, niedermachten. Dcm-ungcachtet fuhren jene hartnäckig fort zu lärmen, so daß ihrer viele als Unbcwaffnetc vou den Bewaffneten getödtet und die Uebrigen verwundet heimgetricben wurden. Darauf wurde der Aufruhr gcnillt. Die Wasserleitung war eiue uülMche Unternehmung, die, da sie auch dem viel Wasser brauchenden Tempel zu Gute kam, sehr wohl ans dem Tempelärar bcstritten werden konnte. Aber die Juden wollten null einmal kcin Hiueingreifen uuhciliger Hände in den heiligen Säckel. Daß die Eiferer wieder die Unruhestifter waren, wird eoruso sicher seiu, als daß sich an den« Tumult vorzüglich die Hefe des Voltes bethciligte, Ein Vergleich der Erzählung mit der vorigen zeigt letzteres deutlich. Die Scene der blutigen Schlägerei wird der Platz vor dem Prätonum gewesen sein, wo die Statthalter während ihrer Anwesenheit in Jerusalem rcsidirten, und welches sich bei oder in der Burg Antonia. also vor dem Nordlhor des Tempel- 248 Platzes befand. Wäre die bei Iosephus auf diese Mittheilung unmittelbar folgende Notiz von dem Auftreten und der Hinrichtung Jesu auch nur in der Beschränkung, die ihr Ewald anweist, echt lwas nicht zu erweifen ist), so hätte der Aufruhr kurz vor der Zeit, iu welcher Jesus sich von Oaliläa uach Jerusalem begab, stattgefunden, und vielleicht wären dann bei demselben, den man sich dann bis in die Vorhöfe des Tempels fortgesetzt zu denken hätte, auch jene Galiläcr umgekommen, „deren BInt Pilatns mit ihren Opfern mifchte." Noch schärfer verfuhr Pilatus bei einem spätern Borfall, und da er hier gegen die gutromisch gesinnten Samariter rücksichtslos verfuhr, so mochte man auuehmeu, daß sich seine Willkür mit der Zeit allerdings bis zur Unerträglichkeit gesteigert habe, eine Ausicht, die dadurch Bestätigung erhält, daß er auf die .Klagen des Volks hin abgefetzt und zur Verantwortung an den kaiserlichen Hof gefandt wnrde. Im Jahr 36 n. (5hr., also jedenfalls geranme Zeit nach dem Tode Jesu, wurde es in Samaria unruhig, indem hier ein Betrüger, der sich beim Volke einzuschmeicheln fnchtr, den Leuten vorspiegelte, er wisse den Ort auf dem Berge Garizim, wo Moses (der beiläufig uach der Bibel uie dorthin gekommen ist) einst die heiligen Geräthschaften vergraben habe, und es seien diese von ihm wiedergefunden worden. Die Samariter glaubteu ihm, uud da sie an diese Neliqnien die Hofs-nuug auf Niederaufrichtuug ihres Oottesdieustes kuüvfen mochten, so versammelten sich ihrer eine Menge in dem Flecken Thirataba am Fuß des Berges, verstärkte sich hier durch weitereu Zuzug und schickte sich an, die Wallfahrt nach dein Berge anzutreten. Aber Pilatus kam ihuen znvor besetzte den Weg mit Fußvolk und Reiterei und lieferte dein Haufen, der aller Wahrscheinlichkeit uach bewaffnet war und, wie aus dem Folgenden erhellt, anch andere Zwecke als religiöse verfolgte, eine förmliche Schlacht, in der viele erschlagen, die andern zerstreut wurden. Von den Gefangenen ließ der Statthalter die vornehmsten hinrichten. 249 „Nachdem dieser Auflauf gestillt war," fährt Ioscvhus fort, „schickte der samaritauische Aeltestenrath,Abgesandte an Vitellius, den Statthalter in Syrien lden nächsten Vorgesetzten des Procurators von Iudä'a) und lief; ihin sagen, daß man nicht deshalb zusammengekommen sei, weil mau sich gegen Rom aufzulehnen vorgehabt, sondern lediglich, um sich gegen die Gewaltthätigkeiten des Pilatus Sicherheit zn verschaffen. Darauf ordnete vitellius seinen Freund Marccllus zur Verwaltung des jüdischen Landes ab, Dem Pilatus aber gebot er, sich nach Rum zu vcrfügcu, und sich dort vor dem Kaiser wegen dieser Klagen zu verantworten. So mußte Pilatus auf den Befehl des Bi-tcllius das Laud Indä'a verlassen, nachdem er die Regierung desselben zehn Jahre hindurch geführt hatte," Ehe er in die Kaiscrstadt gelangte, starb Tiberius. Welcher Art die letzten Schicksale des abgesetzten Statthalters waren, wissen wir mit Sicherheit nicht. Doch ist es möglich, das; Eu-febius die Wahrheit berichtet, wenn er sagt, Cajus, der Nachfolger des Tiberius, habe ihu in die Verbannung nach Gallien geschickt, und dort sei er bald darauf durch Selbstmord gefallen. Wir haben im vorstehenden einen wesentlichen Theil der Pedingnngen nnd Verhältnisse betrachtet, unter dmm das Christenthum in die Welt trat. Es war eine Zeit zwischen zwei großen Kriegen, voll Ernmernngen und Nachweheu des ersteren, voll Gährung ans den zweiten ln'n, der den Juden als geschlossener Nation ein Side machte. Es war ferner eine Zeit der Mischung der Böller, des Herübenvirt'ens römischer und griechischer Vildung in den Orient nud des Hinüberwirkens morgenländischer Sitte, Lebensanschauung und Religion nach Rom und Hellas. Das jüdische Volk wehrte sich mit der ihm eigenen Zähigkeit gegen die Macht, die ihm ans Leben wollte. Viele verbissen sich, andere verzweifelten und flüchteten zn Gott in die Wüste, andere wieder klammerten sich an änßerliche Satzungen oder hofften auf das Wunder eines Messias. Ewige von denen, die in die Einöde gegangen waren, sahen dnrch die 250 eitle Scheinwelt, zu der ihnen das Vaterland geworden, ein Himmelreich sich nähern. Die vornehme Classe war großcntheils von Skepsis ergriffen. Die Hohenpriester hatten in weiten streifen alle Achtung verscherzt. Dagegen regte sichs noch lebendig in den nntern Classen. Die Armen und Niedrigen, sich ihres Werths dunkel bewußt, drängten empor nnd suchten nnr nach dein Führer. Der Stolz des Volkes war tief verletzt und bei vielen gedemüthigt. Es warcu Zustände, die sich in einigen Beziehungen mit den Zuständen Deutschlands nach dem dreißigjährigen Kriege, in andern mit denen Polens vor seinen Theilungen und nach denselben vergleichen lassen, nur geschärft durch morgenländisches Schwanken zwischen absoluter Erschlaffung nnd höchster Erregung, sowie durch den Druck des Egoismus Roms. Ueber Jesus selbst zu sprechen, ist hier nicht die Absicht. Es galt nur die Sphäre zu zeigen, in der er anfwuchs und wirkte. Anch über seine unmittelbare Umgebung, die Jünger nnd deren Wirksamkeit reden wir, so weit nicht im Vorhergehenden indirert von ihnen geredet ist, nicht. Nnr mag erwähnt werden, daß die hervorragendsten der Apostel bis zu einem gewissen Maß Typen der damaligen Parteirichtuugcu sind: Petrus iu manchen Zügen ein Bild des jüdischen Eiferers, Johannes ein Essener, Paulus ein Pharisäer. Die wunderbaren Erschei-nuugen, welche den Aufgang der nenen Botschaft vom Heil begleiteten, Bisioncn und Hallucinationen wic die Auferstehung und Himmelfahrt, Beredsamkeit Unmündiger. Reden in Zungen u. a. begleiten die Entstehung jeder Religion, ja fast jeder pietisti-schcn Sekte. Das Wunder, daß aus dem hochmüthigsten der Volker die demiithigste der Religionen hervorging, erklärt sich unter anderm daraus, daß die Protestanten aller Zeiten nur Er-trcm gegeil Ertreiu stellten. Das größte Wunder ist trotz der Ansbreitnng des Rebstocts Israels über die gauze Heidenwelt uud trotz der Sehnsucht dieser Welt nach ncnen Göttern die rasche Unterwerfung der herrschenden, dem Christenthum ihrem innersten Wesen nach völlig fremden Mächte.