^,. Willu'lm Dlunm. Frankfurt ain ,^Naiu I. D. S auc vl ä n d cr'5 B c l I ^ ^. In demselben Verlage sind erschienen: Friedlich Niiltcrt's ^äiebes-Irühling. Dmcht-AuZgnbc in groZä «^unrtci. Mit 6 Farbendrnckblattcrn, gcmalt von Franzi^la Tchnlzc, uni> 70 Initialen nach Prof. Ad. Schrödtcr. Zweite Auflage. Ausssatu Nr. I. Carlmnr!..........Nthlr. 8. - ft, 14- — ,, Rr. II, In C.nnl'l ir iu,t> reicher G«lt>ucr!icr>in>< ,. 10. - ,, 1?. W. Nr. III. In Marmnml uul> reichNcr G«lauerzirrunfl „ 12. - „ Üt — Ueber dicfcö mit so außerordentlichem Benall ausgcno»n!,c»e Prachtwert sagte ci» bekannter Kritiker bei dcm Erschcinci: dcr crstcn Auflage: „Nüctert's „LiebcsfrNhüng" ist cme Zierde unserer lyrischen Literatur, eine Freude deS deutschen Volkes, ein Gvcmaelimbxch flir liebende Herzen; diese neue Prachtausgabe aber ist zugleich ein erfreulicher Vcwcis von dem großartigen Kunstlcbcn »nfcrcr Tage. Wir kennen keinc liter arische Weihnacht« gäbe von gediegenerer Schönheit — ein wahres Prachtalbnm ,'iir Herz und Auge." Dcr qlänzcnostc Beweis für dic ^iichti^fcit i>icftö Anisprnchs lie^t in dcm raschen Peikanf der ersten Anflaqe! Ter Inpoqmphischcn Ansstatlnnq ist auch bei dicscr nmen UM 25 »cue Initialen ucrmchrttN Ansia^c die größte Sorqfalt gewidmet worden. Hiiillcrl, Friedrich, Cn-dichtr. Aliswahl dcs Pcrfasscrs in cinem Band. :v!it zwci Stahlstiche,! »ach Profcssor Richter. Mitc Auflage. 1858. k Rthlv. 2. 18 Sgv. fl. 4. 30 kr. (Dasselbe ist anch in eleganter Octav-Ausgabc brolchirt init dein Portrait des Versasser? als zwölfte Anftage ü, Nthlr. 1. 22'/^> Sgr. st, 3. erschienen.) ^ — Licl»l5snil)linli. Mit einem Stahlstich nach Prof. Nichter. Dritte Auflag. 18l!0.' i'l Nthlr. 1. 15 Sgv. fl. 2. 42 kr. — — Ual und Damnj.niti. Eine indische Geschichte. Mit einem Stahlstich nach Prof. L. Nichtcr. Vierte Anflage. 18 Frankfurt am Main. I. D. S a u e r l ä >i d c r's Verlag. 1802. Druck von I. D. Eaueilänbei. Herrn Hofrath Zr. Heinrich Aünzel in Darmstadt liebevoll zngceigncl. /TÄA V a r w o r t. Die Bilder und Skizzen auS dem südöstlichen Europa, welche ich in diesem Buche aneinander gereiht habe, sind das Ergebniß zweier Reisen in dm Jahren 1858 und 1859, verbunden mit einem längeren Anfcnthalt in den neurusfischen Steppen. Wenngleich schon vor mir Mancherlei über die betreffenden Gebiete veröffentlicht wurden ist, so ist dieses thcilwrise ungenau, thcilweisc veraltet. In jenen bindern rollt das Nad der Zeit anscheinend schneller, wic anderswo; der ungeheure Umschwung, in welchem sie auf ihrem Nege zur Civilisation begriffen sind, läßt, was heute richtig geschildert war, morgen schon ganz anders erscheinen; cs ist Aufgabe des Beobachters, diejenigen Bilder des wechselnden Kaleidoskops fernhalten, welche er für die farbenreichsten oder in ihrer Zusammensetzung bedeutendsten halt. Gerade in der neucsteu Zeit haften die Angen der ganzen gebildeten Welt mit ängstlicher Spannung mehr als jemals an jenen bindern, ans deren Mitte meine Schilderungen geschöpft sind. Denn ohne Zweifel wird dort dcr fünfte Act der großen europäischen Tragödie gespielt werden, und Niemand vermag zu bcrcchucn, wic lange der vicrte noch die Gemüther in Aufregung erhalten wird. Ungarn, die Donaufnrstenthümcr, die nördlichen Provinzen des osmanischcn Reiches ringen nach VI Neugestaltung; das südliche Rußland, die Kornkammer eines großen Theiles uon Cnropa, dereinst die erste Etation der Völkerwanderung, gewinnt von Jahr ,zn Jahr an Bedeutung sowohl in strategischer, wie in handelspolitischer Hinsicht; auch hier wird mit Vollendung der Bauerucmaueipation cm ganz neuer Fustand der Dinge eintreten, an welchem vorzugsweise Deutschland Interesse haben wird, wie ich nachzuweisen gedenke. Und endlich wird ein Besuch im Hause des kranken Mannes, sei dasselbe anch schon uon Audcren beschrieben, immer einige neue Gesichtspunkte lind Beiträge zur Charakteristik einer fast fremden Welt im Erdlhcilc der Cultur zu bieten vermögen. Meine Schildcreien haben sich bemüht, treu nud genau zu sein, ohne den Farbeureichthum ihrer Objecte zu verwischen imd in trockener Aufzählung nnr grau in gmn zu malen. Die kleinen Abenteuer, welche dem Reisenden in uuwirthbareu Gegenden allfstoßcu, fröhliche Iagdfahrten und Ausflngc, kleine Geschichten aus dem täglichen Leben, verleihen der Darstellung von Land nnd Leuten ein Colorit, welches die Selbstanschanuug möglichst ersetzen soll. Wenn dasselbe anch manchmal bunt genug ausfallen mag, so entspricht es vielleicht gerade deßhalb um so ireucr der Wahrhrit. Diese überall streug festzuhalten ist stets der ^orwurf meiner Skizzen gewesen; was ich male oder crzählc, habe ich selbst gesehen, erlebt, erfahren. Mehrere diefcr Bilder sind früher in der „Gartenlaube" erschienen, uud cs hat mir zu nicht geringer Genugthuung gereicht, ihnen vou den verschiedensten Seiten Anerkennung gezollt ;u sehen. So ging der Redaction jenes geschätzten Blattes darüber ein Brief zu uon eiuem russischen Staatsrath v. Bergstraßer in Astrachan, welchen dieselbe so freundlich war, mir zu übergeben, und woraus ich mich nicht enthalten lann, Einiges hier mitnithcilen: „Die Schilderungen des „Rittes in die Niedcrnngswäldcr des Duiepr" sind sehr richtig nnd wahr. Ich kenne felbst diese Gegend sehr VII genau, in der ich in den Jahren 1828 bis 183(1 sehr oft war; das dort erwähnte Dorf Grnschewta ist dcr Sitz des Obcrvcr-Walters der Baron von Stieglitz'schen Güter, die hier in den dm angrenzenden und zusammenstoßenden Gouvernements Cherson, Ickatcrinoslaw und Tannen liegen, und einen herrlichen Besitz bildm, deren „Plawny" keinen unansehnlichm Theil desselben ausmacht. Ich habe dieselbe bei Hochwasser zu Boot durchfahren, zu Schlitten im Winter und zu Pferd im Herbst durchritten. Auch bin ich in einem solchen Kahne „Seelenverkäufer" gefahren und beinahe ertrunken mit meinem jetzt verstorbenen Freunde, dem früheren Oberverwaltcr der Güter, Herrn Sommer, einem „Berliner Kind," der den Freiheitskampf in Deutschland mitgemacht hatte unter Körner und bei Denuewitz, wenu ich nicht irre, verwundet wurde. Seine Hinterbliebene Familie ist die erwähnte liebenswürdige Familie, welche so herzlich und freundlich war, und seine liebenswürdigen Tochter waren es wohl, welche den „Nachtwächter" gespielt haben. „Diese Güter gehörten ehemals, laut Geschenk dcr Kaiserin Katharina, dem Fürsten Potemkin und stand bei Gruschewka, wo jetzt der Garten ist, noch ein temporäres Schloß, in dem die Kaiserin, auf ihrer bekannten Reise nach dcr Krim mit dem Fürsten Potcmtin nnd dem großen Gefolge, ausruhctc und einen Tag zubrachte. Noch jetzt stehen einige alte steinerne Wcrstpfähle in der Nähe von Gruschewta, welche damals aufgestellt wurden. Woron^owl'a, was auch da erwähnt ist, ist eine Besitzung, wie schon der Name sagt, des bekannten Grafen v. Norouzow, des ehemaligen Statthalters in, Kaukasus und früheren General-gouuerneurs von Odessa. „Der Kahn „Seelenverkäufer" ist im Russischen nicht richtig geschrieben, der Verfasser hat ihu nach „ttchniann's Aussprache" niedergeschrieben „Dii^dnkuM", es soll heißen Du^Iu^udkÄ. d.h. „äuHLka" „Seele" — xudit. todten, morden, umbringen, VIII ßudka ist das Substantiv-Diminutiv; aber „KuM^" ist gar nichts und nur cine verdrehte falsche Aussprache. Will der Herr Verfasser oder Herausgeber diese Notizen brauchen, so stehen sie ihm zu Diensten.") Staatsrath Vergsträßcr in Astrachan." Das statistische Material, welches ich über die Zustände der deutschen Colonistcn in Ncnrnßland gesammelt habe, stammt aus den authentischsten Quellen, welche nicht Jedermann zugänglich sind; ich glaube nicht, daß bis jetzt eine ähnliche Zusammenstellung vorhanden ist, wobei ich jedoch insbesondere Werth lege auf deu mitgetheilten Bericht des Schulzcnamtcs Liebenthal an das Präsidium der (lolonieen; dieser liefert cm genaueres Bild der betreffenden Verhältnisse, wie dies irgend eine andere Anffassung vermag. Leipzig, 1801. Nr. Wilhelm Hamm. *) Ohne dcv besseren Kenntniß des Herrn StaatZrachZ Vcrsisträ'sicv M nahe Ircleu zu wollen, erlaube ich nur doch zu beinerkeu, daß das 6udit — lödim, wohl cmch dmch Xupit — kaufc», substitnivt wcvdcn maq; ich de-halte demnach, der deutschen Analogie zu licb, die erstgclvahltt Ottho^ gvaphie bei. Der Vcif. Inhalt. Veite Vorwort..................V I. Von Pcst nach Galatz. Pest. DerDonanquai. Verkehr. Die Waitzcner Gasse. Das Sladtwäldchcn. Das Nationalmusenni. Das Theater. Die Zigeuner im Hopfengarten. Ofen, Die Kettenbrücke. Die Citadelle. Das Denkmal des Generals Henhi. Die sthristinastaot. Auf den Blocksberg. Wohlfeiler Wein. An Nord des Fran; Joseph. Mnrichtung dcs Dampfers. Abfahrt. Die Ncisegcsellsckaft. Missonvi Landschaft, Mohacz. Wettfahrt. Semlin lind Belgrad. Scinendria. Vaziasch. Der Felsen Badalay. Schloß Golubacz und die Kinder des Drachen. Romantisches Land, Drcnlowa. Die TmjaüZstraße. Alt-Orsowa. Plick in drei Lande, Nnmänische nnd serbische Dörfer. Das eiserne Thor. Sistov. Nnstschuk, Ginrgewo. Olle»iz;a. Silistria. Die Kosten der Neise. Tiirtisches Lrercitinm. Ibraiia. Landmia, ... 1 II. Galatz. Straßenzustand. Der erste Gaschof. Am Hafen. Nationalism. Die Almosphäre der Stadt. Magazine und Ratten. Handelsobjecle. Die obere Stadt. 'VcvIM-vimg. Das Handwerk. Prüqelscenc. Die Hänser. Die Fcnerwache. Ein Vicrgarten. Der Missionar. Die Inden. Im Hotel Enropa. Das gesellige Leben. Der hundertjährige Invalide. Frühstück mit Moldawancr Bauern. Dcnische Locanda. Der Wein, Trinken und Rauche». Donanl'ädcr. Znm grünen Vanm. Gang längs des Hafens. Die Börse. Kriegsdampfer. Getreideladungen. Die Schilfvorstadt. Gärten. Die Ruiue des russischen Hospitals, Mündung des X Pruth in den Liman. Hol^transport. Lebeil und Treiben in der Stadt, Öffentliche ^recntion. sstohheit und Selbstl'iilfe. Der Gescllschaftsgarlcn. Das dretternc Theater. Volfedelustignngen. Die Umgangssprache. DieGliechen. Unsicherheit in der Hafenstadt. Die Iuocnverfolguna,. Siinson, Greuelthatcn und Justiz. Aus-slug auf's Land. Wagenkarawanen. Sonnenbrand. Tulntzschcsti, Gerippe längs der Sttaßc. Formoschiha. Die Bettler. Foltcschti. Vancvubäüscr von ?Inl?en und Innen. Tie Fvancn. Trachten. Dcv ^irldaN'ancv Bancv. Nal)rnna,öwcisc. Nationaluntugcnd. Outer Kcrn iin Volle................14 IN. Tultscha und t>ic Kcutschcu ssaluniecn der Dobrubscha. Donau- fal'tt. Nfevlan^schaft. Tii,' G^'ir^c dev Todvildscha. Reni. Gc-scllschast an Bord. Oinev Pascha. Die Donancommissioü. Mol-dänische nnd tmlischc Offi^icre. Proviant u>,d Schnhwerk, Der Schott? ans Ismail. Pelikane. Isakischa. ^aus der Donau. Tnltscha. Die sechs Donamnünounsie». Landung, (5in deutsches Gaschans. Gang dnrch die Stadt. Vevo'lfening. Äaualt. Straf;cnvcvlehr. Der Hasen. Der Avcine und der dnlgarische Vcüler. Das tnrlische Quartier. Der Bcgiäbnißplatz. Die Porstadt bcr Bulgaren. Rundschau vom Vcrcze. Lebm m Tultscha. <3onsnln. Die Nationaliiäteu. Die dentschc Maliala, Inneres eines Hauses. Der Biedenuann Hansjovg Fischer. Deutsche Wolmungcu und Wittl'schaften. Atlschrl'ckende Begegnungen. Teutsche Gefälligkeit iin Ausland. Der lleine jüdische Nagen-lenkcr Leif-Chaue^Mordachai. In die dunklen Berge. K.'taloi. Die Ansicdlnngen der Coloiiisten. Die Schänle der Franzosen. Alle Pelannte. Die Mnrichtnng des Hauses. Hader mit dc» Deutschen. Der Arnaute dci'm Biev. Die Vand^lente. Der neue Pfarrer. Hcrlnust der (>olomstcn. Ackerl'anverhältüisse. Die Wohlulugen. Lage der Ansiedler. Heimkehr der Manner. Die Kolonie Atmadscha, Fiirsorge der ftvenßischeil Negierung. Die Najah's. Zukunft der Colonisteu..........34 l>, Sulinll. N.it dem 'Fürsten Mctternich. Reisegefährten. Die unlere Donau. Schisse. Der Oetreidcvcrkehr. Das schwarze Meer. Die Stadt Suliua. Laßt alle Hoffnung hinter Euch! Mcttn'iirdige Häuser. Allerlei Polk. Gelegenheit zn Verdienst, ^ialioualitalen, Gewiihl lind Getöse. Keine Krauen. Die Damen XI Sctte in Oefahr. Tev kcnchtlhurm, Pontns (^urinnZ. Die Wracks und die Barre. Rncktehr zum Echifs. Unischlag des Windes. Feftgelmnnl in der Sulina. Tcv Vootsuhrcv Siasio und seine Lebcns^eschichte. Län^s dein Strande. Ter Fricdhof in den Tünen und scine Tenkmale. Tcr zwcite Tac,. Tie ivaineude Flagge. Tie griechische Sloop. I^^dzns,. Ettandräuber. Tcr Thunfisch. Ä>ll,'vcnscl,iti>'!i. Tic Loccmdm. Tcr tiirfischc Han. Die Gaste. Tas Viiffet. E^yplische Mannesoldattn. Gnzla und Echerbet. Gasilichkcit. 3lachat-Las>,!N. Tas Schilsm«»'. Sonderbare Wildsancn. Dcv bulgarische Hirt. Bad in der Brandn!^. Fcun; dic Ttat>t brennt. Tie Avdcitcn der Tonan-coininiision. (Kin Tanipftr der Mesia^erie inipcriale. ^in Harem an Pord. Tie Lpiclc der französischen ?^alr>,'sen. Tcr Wind hat sich geleqt. Noch einmal znr Stadt. A»f der Bi'andslä'tte. Voiicrrt an Bord. Hinanö ill's Mecr!........61 V. Odessa. G»te Fadrt. Anncht von Odessa In der Quarantäne. V>si!a>io» und offene Hand. (5in Echreibzen^. Tie Ricl,clim-sirastc. Hervrvra^ende Gebaiidc. Tcr Bonlcvard. Tor Hafm. Tas Moünmen! Nicheü^u. Tas Voinb.ndcmcnt durck 5ie Älüitten. Tie Fr>,!!rcppe, Bcaxnionde. G^msa>'. H^nslrbau. Kivchcn. vci'sctlwa^cn. Polizei. Russische Dioschlen Slraßcnpflasler. Juden-siraste. Veckeler. KaraNen. Eine Moriava Geschichlc. Handel und Wandel. Tenlsche, Ein>l'0hner;al)l. Lebe>li?mi!lcl. Nahnmas-weise dcs Volls. Avbcilslohüe. Uu^el'undenl'^it siidlichcn Lebens. Tie Pader. Tcr Fni!,.isen. Tcntschc Kolonie. Kliina, Geistiges Leben. Cll,ol,>n^Z!!ä!lei!. Thealcv. Umge^cnd. Tie (5houtor's. Paß'vesen. Anöläüder..............«8 V^. Die Steppe. ?ln der sthersouer Tamoschna, Moraenlandschaft. Prinz 'Al^n'ch,. vlicolai,sf. Geiviller. Gefährlicke Fadrt. Ein Landlians. Souper nud LazMNättc. Son»maill>»a.. Tie end: lo>> Steppe. Koterüicg. T>« Wirll'schasis^cl'^ide. Nitt in die S'cppe, Ter Tschernojc!,,. Vegetation. Ter Bnrian, Ter Knrai. Wandern des FeldeZ. Flora der Steppe. F^.na. Ia^znge' Die Tabnne. Tartaren. Pfcrdcfan^ mit dem Arkan. Nttlrennen. Ninderbeerden. Tie Pest. Abttglanben. Schafe. Friedrich Fein. Die FeMchwänze. Schasmcisler. Schneesliinne, Eteppmbräuoe. Tie al'georanntc Etappe. NeneZ Leoeu........Hß XII Scilc VIl. IassdfalirttN. Im Herrenhaus von Baratofka. Innge Wölfe. Fahrt durch die Felder. Trappen. Gin Paradies für Jäger. Pürschgang. Das Trappenvolk. Verrathen. Der Tabnntschtschik mit dem Wagen. Anschleichen. Glücklicher Schuß. Labung. Wachtelbcizc. Habichte. Zwergtrappen. Raubvögel. Ziesel. Dcv Schäfer Stepan. Der Wolf ist gesunden. Znriistnng. Die Pferde. Das Lager des Wolfs. Die Hetze. Das erschöpfte Wild. Wassilci, der Wolfsfänger. Die Wölfin und der Neufundländer. Wiutcrhatz. Wolfsjagd im Schlitten nnd mit dein Adler. Ein entsetzlicher Fall................13? VIII.Nltt in dic Plawlii dcs Tmcftr. Die Niederungswäldcr des Stromgebiets. Cavalcade. Die Amazone. Uvlxr die Steppe. Durch die Skarwna. Dic Fähre über bie Potpilua nnd der unheimliche Ferge. Der Wald. Dic Ueberschwmunungcn. Dnrch's Gestrüpp. Der HochU'ald. Ungeheure Vämne. Frühstück. Der Wein vergessen. Verwilderte Schweine. Wild. Der Schatzgräber ans Sachsen. Der Wigwam. Der Seelenverkäufer. Die LebenZ-gcschichte des Landsmauus. Der gehobene Schatz. Krebse und Quaß. Der Onkel. Die Liebcsgeschichte. Ein Freier fällt vom Vanm. Das kleinrussische Tauzliedchen. Soninka's Flucht. Nachtvitt. Nieder der Schatzgräber. Lurils in der Steppe. K-nner's Nachtwächter..............15« lX. Mitten in den Hculchrrckcn. Mschicd von Gvnscken'ka. Mit der Post. Vcveslaw. Die Dimprbrücke. Zigeunerlager, Schmiede. Dic Kurgane der Steppe. Statuen. Die Wolke am Horizont. Verwüstete Felder. Nachzügler. Schutzmahvegeln, Naubvögel. Der Inguleh. Bergab. Der Hcuschrcckenschwarin. Die Pferde scheuen. «5s wird Nacht. Das Wort dcs Propheten. Geflügel. Die Wandcrnngni der Heuschrecken. Ihre eleist!ingen. Pachtartikel und Einkünfte. Fremde Personen und Dienstdoten. Waisen nnd Vormundschaften. Sparkasse. Die ländliche Leihbanf. Glanbensbelenntnisse. Schnlen. Schnlver-mögen. Häuserbau. Vorfälle. Vrandkasse. Vorrathsmagazine, Vorrathsgctreidc und Vorrathskapilal. Aerzte. Heilanstalten nnd Pockenimpfung. Aussaat und Ernte. Kartoffel' und Gmmsebcm. Heu- und Stroherntc. Wohlstand. Vieh- und Schafzucht. Wald- und Gartenbau. Seidenbau. TadakZban. Streitfacbcn. Ueber Dienste. Geschäftsgang. Umlauf der Smnmen. Schlnhivorle 240 XIII. Acht TM in Etambltl, Der Schranbendampfer Alexander. Arinandinc Pintenr. Der Akadcnnker Kupfer. Abfahrt ans XIV Odessa. Die Schraube. Tie Ingenieure und das Spccisicum. Sturm mid Schiffornch. Cap Gnlgrad. Vnjukdcrc. Nnndschau in dcr Frnhe. Das User und das Wasser. Berauschende Fahrt. Asicn und Europa. Tic Minarets und Knppcln. Das goldene Horn. Die Dragomane. - Tic Douane. Lastlreigcr. Hotel d'Angletcrrc. Thue Geld in deinen Beutel! Nitt dnrch die Stadt. Dcr Vnlgalenjiinqling. Pcra. Verkehr in den Slrahen. Die große Vriicke dcs <^hrysoleras. Ucbcr den Alincidan. Die (Mcvne Constaulin'ö. Aalschisch. Condoscalt und PiamaNa. Das Schloß der sicbcn Thilrmc. Die Stadtmauer. Friedhofc und CvMcssm-wäldcv. Oin tnrkischcs KcisfochauZ, Wasscvpfrifcn und Kaffee. Das Indcm'M'tcl. Dcr Palast dos Bclisar. Klmie Abcntcuer. Das nnic Ecrail. Diner. i!ady Franslin. Ausstu^ nach Asien. Das Dampfdoot. Scxtari. Dcr Mcsansian, Kadifoci. In» Kais. Griechische Schiffer. Delphine. Topchanc, Oalata, Dcr Gc»u>,'se>'!l)!iN!i. Der Vächtcr. Die schönste Wohnung der ssrde. Gefliiziclzncht in der Lnft. Der Sanlonno. ^ll'^nde in (5on-stanlinopcl. Vorsicht. Haremgcschichten. l^asö chaiüant in Pcra. Die Hondc. Die si>l>'tt Wasser von' (5m'opa. TürNsche Garküche. Der düßeudc Derwisch. Dcr ssroßc Va,;ar. Waffenhandel. Gefiedel. Locknn^cn. Zl'lerqcschvei. Abend anf der Terrasse. Dcr Koinet. Mademoiselle Beand. Der Fcrmau, Das Serai, Hu-inaynm. Das Innere. (5»tlä>lschnn^, Der Tl'ronsaal. Der Gavlen der Odali^fe». Das (5ostmncal.'l,iet. Die Kiiche dn Kaiserill Irene. Archäologische Sammlnng. Kiaonr! Stieselausziehn. Die Aya Topl'ia. Der Ifonostas, Die Vioschee Achmet's. Orab des Sultans Mahonid. Theater in Galala. '.'lach dcr Moschee der Enltanin Validc. Nevne. Dcr kranke Manu. Pin-steller. 6i« lnrlijches uUad. Gesaniinleindrnck......273 XlV. An den süsien Wassern in Äsicn. Im Kaik. .Dcr Bosporus. Bei Arnanlloci. Lebhafligfei: der Wasserstraße, Die Knstenorte. DerKioök dcs Snltans. Die süßcn Wasser Llsiens. Einlebendig gcn'vrdencö Märchen. Die tnrfifcheu Frauen. Schönheiten. 'Antonio's Heldenthat. Der (iorso. Die Snllannmcu. Glnnichen. Ochsen Omnibns. Dcr alte Afrikaner. Tanz und Mnsil, Die geheime Mastikbnde. Dcr belrnnkene Derwisch. Mangcl an Pflege des Schönm. Nasche Heimfahrt..........314 XV XV. Eine Fahrt durch den ArchipcllMls. Abschied von der Zwei: wcltt'nstadt und dcm Dmgoiuan Anlonio. Letzter Alick auf Constan-tinopcl. Proponlis. Das Schiff »md seine Offiziere. Die Insel Marmara. Die Dardanellen. Das Acga'ische Meer. Iml>ros und Tencdos. Ipsara. Ehio. Ornppm des Zwischendecks. Vierfüßige Passa^icre. Das Itarische Meer. Die Eycladm. Andros. Tinos. Die Iusclgncchcn ein Seeinamwolk. Der Helikon. Die Sporadcn. Syra. Hcrnwpolis. Dcr Hafen. Unter dn seiden Flagge. Sonderbarer Verkehr. Ncnc Passagiere. Die Quarantäne. Bayrisches Vier. Die Mama. Cap Malayan. Die Inseln Kalzcra nnd Sapicnza. Die Mcsfmischc Küste. Navavino, Das Ionische Meer. Zantc. Der Parnaß. Kephalonia, Ithala, Vor Korfn. Die Hafcnducht. Land unb Lcntc. Die Esplanade. Die Cypriolm. Die Ionischen Inseln. Das Aoriatischc Meer. Die Dalmalinische Küste. Trieft und heimwärts................,226 I. Von Pest nach Galntz. frisch war der Morgen und früh ward es lebendig in der Königin von England, denn mn 7 Uhr wurde das Scbnellschifs von Wien erN'artel. ^'iach einem ärgerlichen Spießruthmlanfen dnrch die zahlreiche, sui' ?,i!m Abschied hcraildrängende Dienerschaft des Hotels und nüt etwas erleichterten Taschen, dann nach dem üblichen .^lampf nm den Eours und die Währung, lrat ich an Bord des prächtigen Eildampfers Franz Joseph. Es blieb immer noch eine Stunde Zeit bis zur Abfahrt und so war es vergönnt, noch einmal alk- Erinnerungen ans den Hwillingsstä'dtcn, die vereinigt die KapiWlc dcs M^gyavcnlandcü vildcn, in der Seele ;u sammeln. Zur Linken Pest. Mit Begeisterung preist der Ungar diese seine Lieblingsstadt; vielleicht ,mch man a^cr Ungar sein, um sic theilen zu tonnen, oder wirft ihr erst die Saison den glänzenden Mantel um. der ihr so vielen Reiz verleiht. Jetzt, im Sommer, erschien Pest bei aller Regsamkeit iu den wenigen Hauptstraße,, doch gar zu todt; in entfernteren Quartieren wuchs das Gras aus der Straße, keine auderen lebenden Wefen häusig darin zu er-blicken, wie vierfüßige. !odt war es am laugen Donauquai, Welche Hamm, Tlcpptn und Tläoic, 1 2 prächtige Avenue könnte derfelbe bilden — er bildet sie auch von ferne — aber in der Nähe sieht Alles so verwahrlost aus, daß man nicht weiß, was man davon denken soll. Die Hänser sind aufs Rachlässigste, gehalten, mit wenigen Ansuahmen; da der Bewurf heruntergefallen, dort die Fenster blind, die Balköne zerbrochen; die brcitc Straße davor ist übel gepflegt, der Schmutz anf ihr gehäuft wie in einer Cloakc, von Straßenpolizei scheint keine Rede zu sein, sonst dürfte man hier nicht verendete Katzen oder Hnnde finden; das Donauufcr ist überhaupt der Ablagerungsort für allen Auswurf der angrenzenden Stadttheile und die Miasmen, welche sie entwickeln, machen den Spaziergang keineswegs zu einem lieblichen. Dennoch verweilt man in dein fremdartigen Getriebe vor den Getreidcfchiffen, ein Vild des Südens rollt es vor uns auf; braune, nackte Lastträger, blos mit einem Schurz nm die Lenden, gleich Iudiaucrn, laufen über die Planke mit dcm schweren Sack voll Weizen oder Kukuruz; im Vordcigehm empfangen sie die Marken des Aufsehers und stecken sie in den Mund, der die Stelle der Tasche vertreten muß. Ungarische Vanern mit blitzenden Augen, mächtigen Schnurrbärtcn, gestickten Jacken und Beinkleidern, die so weit sind, daß sie aussehen wie ein Weiberrock, gehen und kommen, reiten und fahren; eine Gruppe Zigeuner kauert neben einem ausgespannten Wagen. Aocr es ist kein Gewühl, es sind nnr wenige Menschen in dein langen breiten Raum. So sieht es nicht aus in einer rechten Handelsstadt nnd doch liegen Schiffe genug da vor Anter, namentlich viele gewaltige Remorqueure, unter welchen die „Enropa" wieder als ein wahrer Koloß hervorragt. Die Hanptader des Pester Redens ist die Waitzcuergasse, aber sie kann mit den Hauptstraßen anderer großer Städte, mindestens im Sommer, nicht an Lebendigkeit wetteifern, wie sie ihnen anch an Pracht der Gcbändc, an Größe der Vcrkaussmagazinc, überhaupt an äußerem Glänze nachsteht. Der Fremde freut sich an der Schönheit nnd Toilettenpracht der Frauen, die ihm darin be- 3 regnen, aber er besitzt noch nicht das sichere Auge, nm die ächten Edelsteine von dm falschen zu unterscheiden, nnd der letzteren soll es recht viele geben in Pest. In den Gasthäusern nnd Restaurationen, wohin ihn die lange Wcilc treibt, findet er genug reellen Genuß, aber schwer wird es ihm werden, sich in die fremdartigen Ausdrücke der Speifenkartcn zu finden: Prököll, Tos-Lepeni und wie die vertrackten Gerichte alle noch heißen mögen. Nach dem Diner kämpft er mit Lebensgefahr um einen Platz im Stellwagen und fährt in gcmifchtester Gesellschaft Hinalls in das Stadtwäldchcn. Das ist ein hübscher Platz, reich au Wiesen nnd Buschwerk; was von Beaumonde in der Stadt zurückgeblieben ist, trägt hier seine Toilette zur Schau, Magyareukindcr mit großen brauucn Augen nnd meistens doch mit eiucm Stück vaterländischer Trackt springen und spielen auf d^m grünen Nasen; von der stolzen Schönheit der Ungarinnen sagt dev Nnf nicht zn viel, aber nicht minder fchön und stattlich sind auch die Männer. Wer seine Umschau vergrößern will, der wandert dann dnrch verschiedene, gewerbliche Etablissements, besucht Maschinenfabriken, Dampfmühlcn oder das großartige Werft der Donau-Dampsschifffahrts-Gesellschaft. Nicht blos für den Archäologen und dcu Historiker merkwürdig ist das Natio-«almusenm mit seiuen reichen, Schätzen. Mich zogen darunter am meistcu an die magyarischen Alterthümer, uralte Bilder, König Vcws Kroue, Kostbarkeiten der maunichfaltigsten Art, Rüstungen, zahllose Waffen, besonders türkische Vcnte, dann die vielen römischcu Alterthümer aus Paunonicn, darunter die seltensten, wohlerhaltencn Stücke; die naturhistorischc Sammlung ist noch unbedeutend, der mindesten Beachtung werth diejenige der Gemälde. Abends besucht mau das Theater, es ist nicht schön, aber hell und geräumig, ^'in dankbareres Publikum habe ich selten gesehen; wcun der Komiker — gerade spielte ein berühmter Wiener Gast und das Haus war zum Erdrücken voll — seine Burlesken vorbringt, bleibt es kühl und ernst, sobald er aber sentimentale Arien singt, kommt 1* 4 es anfter sick. Vesser kam» ma» den Tag nickt beschließen, als inl Hopfengarten, um die Higcuncrbande Szartöli's spielen zu hören. Die Wenigsten von der Kapelle scheinen altegyptischen Ursprungs; alle sind im scbwarzen Frack und weißer Halsbinde, sie sehen vollkommen ans, wie andere Menschen. Was sie spielen ist nicht Mnsif, nur Tongewirr, die Geigen und flöten sausen und rasen durcheinander ohne Idee, ohne Melodic; man bort die Sacke an, wie eine fremdartige Merkwürdigkeit, empfängt aber leinen anderen Eindruck davon, wie den der Ermüdung. Hinüber auf die, rechte Donauseite nach Ofen, der Schwesterstadt verbunden durcb den wundervollen Bau der Kettenbrücke. (5ß »st dock ein Gluck, dai) die Heldenthat des Oberst Allnoch, der sie sprengen wollte, nicbt gerathen ist; kaltblütig )varf er die brennende Cigarre i» die offene Pnlvertonnc, aber von dein un gcbeueren allfgehällsten ),Viaterial des ^erderbc»? flog nur das eine Faft in die ^'uft und er mit. Vor l5l> Ialnc» war Vnda eine Türkenstadt und vieles erinnert nock daran. Die neu restaurirtc und defestigte Vnrg bildet eine stattlicke Citadelle. Welches seltsame Stiick beschickte nnsevcr ^eit rnlt das Denkmal des wackeren General Hentzi und seiner getvencn Todesgenossen vor die Seele! Die Chriftiuastadt besteht aus lauter kleinen Häusern von Wein-gärtncrn. Die letzten davon stehen sckon mitten in den Neben, ein großes ChristuSbild segnet diese. An Stationen der Passion vorüber, durch reiche Tranbengelände, wo Pfirsichbäume und Mandeln ihre reicbbeladenen Kronen lider die niederen Stöcke erheben, führt ein in der Sonnenglntb nicbt undesä'lverliä'er Klinun-weg hinanf auf den Blocksberg, Hier erbebt sich drallend die nen angelegte Vestc, welcl,e die Doppelstadt beherrscht, Ein prachtvolles Panorama eröffnet sick dem Vlick, ^l! ^üßen der breite Strom, weitbin sichtbar im Flachland; das Hänsermecr zur Hälfte umwunden von einem Kranz grüner Weinberge, in der Ferne die blauen Züge der Karpathen; es lohnt sich schon der Mühe des 5 Steigens. Ist man wieder im Thalgrnnd und begehrt der Erfrischung, so tritt man ohne Umstände in's erste beste Häuslcin und läßt sich den Wein vom Fasse zapfen. Trefflicher Weißwein die ganze Flasche für 8 Kvcnzer; » du gesegnetes Land! llebcrhaupt ist das Leben hiev viel besser und billiger, wie in dem gerühmten Wien, wenigstens habe ich es so gefunden. Zum Beschluß, um den Umweg zu vermcideil, setzt man im Tschmakel über den Strom — in diesem Ungarnkahn habe ich nieine erste Donanfahrt gemacht. Und da stehe ich immer noch an Bord des Franz Joseph mit vollkommener Mnfte, meine Erinnerungen anzuspinnen. Zwei volle Stunden lag das Boot vor Airler, ehe seine gewaltigen Schaufeln sich in Bewegung setzten. Es konnte mittlerweile die wahrhast glänzende Einrichtung desselben gemächlich beschaut werden. Weder alls der Nordsee, noch in der Ostsee, weder im schwarzen, noch im mittelländischen Meer fahren Dampfer, welche sich in dieser Hinsicht, wie in der anderen nock wichtigeren der Beköstigung, mit den österreichischen Eildooten der Donau messen können. Die Kost ist im Passagcgeld einbegriffen: Morgens Kaffee oder Thee, nm 11 Uhr warmes Gabelfrühstück, um 4 Uhr Mittagmahl, bei beiden Wein nach Discretion, darnach Kaffee, Abends Thee. Der Franz Joseph hatte einen erqnisiten Koch an Bord und ich erinnere mich tanm besser gespeist zn haben wie hier; die Bedienung war sehr aufmerksam; Komfort und Reinlichkeit lasje>i nichts zu wünschen übrig. Befehlshaber, Offiziere und Beamte des Bootes sind durchgängig höchst gebildete und liebenswürdige Männer. Ich habe die ganze Tonaureisc zweimal gemacht; das erstemal mit dem Szccheny, dem zweiten Eilboot, taun, weiß ich, welchem ich den Vorzug geben soll, vielleicht ist es die Frische des Andenkens, welche die Wagschalc zn Gunsten des Franz Joseph sinken läßt. Auch Andere haben ihre Vorliebe fnr das treffliche Boot bekundet; Keiner thatsächlicher, wie der Engländer, der sich vor zwei Jahren darauf 6 emmiethetc und unverdrossen alle Fahrten eines ganzcil Jahres mitmachte, hin und zurück, ohne Langeweile. Die Maschine keuchte, stoßweise warf der Schlot den weißen Dampf aus, wie ein verwundeter Wal das Wasser und in großen Bogen sich in des Stromes Mitte schwenkend, nahm das Schiff Abschied vom ^ande. Weithin winkten noch die Thürme und Höhen der Zwillingsstadt; nach und nach lenkte sich die Aufmerksamkeit auf die Ufer rechts und links, nach Neuem begierig, Allein viel gab es da nicht zn sehen, weit und breit Flachland, Wiesen, Weiden und Heerden; die Einförmigkeit wurde nnr hier und da dnrch ein stromanswa'rts arbeitendes Schiff unterbrochen, das auf dem Leiupfadc dcZ rechten Ufers von langen Pferderechen fortgeschleppt ward. Ich zählte in einer solchen 32 Stück Pferde und die armen Thiere, mußten manchmal bis an den Hals in's Wasfer. Eine willkommene Abwechselung bot das Frühstück, hier war zugleich die Gelegenheit geboten, mit der Gesellschaft an Nord bekannt zu werden. Den Mittelpunkt derselben bildete eine Vojarenfannlic aus Bukarest mit allerliebsten Kindern und begleitet vou zwei noch viel lieblicheren Nichten, jungen Damen von vollendeter Erziehung, aber völlig südliche Gestalten nnd Charaktere. Eine Unmasfe von Dienern aller Art umringte sie fortwährend, für jedes Glied der Familie waren mindestens drei Leute zur Vedienung vorhanden, so daß das halbe Fahrzeug von ihnen cingcuommeu war. Ich schloß mich vorzüglich an einen früheren preußischen Offizier, der sich auf dem Wege uach Smyrna, wie es schieu, iu diplomatischen Angelegenheiten, befand. Die Landschaft draußen ward immer eintöuiger. Dürre Ochsen, deren kippen man trotz der Entfernung zählen konnte, standen melancholisch am Ufer, hier und da waren ein paar ^ente in der Heumahd beschäftigt, oder mit einer späten Schafwäsche im Strom; flaches, ebenes Land, soweit der Vlick reichte, oft unterbrochen von Wald, der seine Wnrzeln im Wasser spülte. Ohne 7 die außerordentlich zahlreichen Strommühlcn sähe dic Gegend so öd und verlassen ans, wie nur irgend eine am Missouri; es gehört wahrlich wenig Phantasie dazu, um sich ans die Ströme des fernen Westen verseht zu wähnen. Die Weißgranen Nindcrhecrden "sehen hinlänglich die Bisons und die kegelförmigen, spitzen Schilf-Hütten der Hirten sehen aeenrat so aus, wie Indianerwigwams. Der Bestand der Wälder sind Eichen- nnd Weidenbäume; sie sind frei von Unterholz, aber selten leer von Schweinchcerden. Ein paarmal fällt das Ufer hoch nnd steil gcnng ab, um eiucn hübschen Eindruck zn machen. Hnnderttansende von Schwalben haben ihre Erdnestcr in die abschüssige Wand gegraben nnd pfeifend widcr-tönt die Lnft von ihrem rastlosen Migelschlag. Um die Stnndc des Diners legten wir eine kurze Zeit vor der Stadt Mohacz an, sie präsentirt sich in einer Weise, welche nicht sehr nach näherer Bekanntschaft lüstern macht. Darauf hatten wir eine kleine Wettfahrt mit einem anderen Voote der Gesellschaft, dem Karl ^ndwig, das aber bald besiegt war. Die milde Pracht des Abends auf dem Verdeck zu genießen, tonnte man kanm fatt werden, aller Orten leuchteten die Hirtenfcncr ans dein Dunkeln und es klang "ns der ^'uft wie Mnstk, spät ward daher erst das Nachtlager gesncht. Am nächsten Morgen um 5 Uhr langten wir in Scmlin au, weit mehr interessirte nns aber das am anderen Ufer der Save liegende Belgrad, die Scrbcnstadt und Türkenfestung, ächtere s"h auf ihrem Vcrgrcgel stattlich und belebt genug aus, es war gerade Erereirübung und ohne den rothen Fes hätten die Compag-niecn auf dem Glacis eben so ausgesehen, wie Prenßcn. Vei der nächsten Wendung ward auch der türkische Theil der Stadt sichtbar, seltsam ragten die Minarets über den graneu verworrenen Hänsergrnpvcn hervor. Eben kam uns cm Ncmoraumr entgegen mit !) Vooten im Schlepptau, daraus erschallte ohrzcrreißendes Gegrunz und Gequick, sie trngen den Reichthum der Donanländcr, den Stolz Serbiens, Schweine, für deren Transport sie eigens 8 und zweckmässig eingerichtet sind. Dann erschien Scmcndvia, eine weitläufige zerfallene Festung, dcrcu crenelirte Mauern mit den daran geklebten Pfefferbüchsen ibr ein ganz mittelalterlich-deutsches Ansehen verleihen, Anf dcn Zinnen sasien zwar einige Soldaten und rauchten gemüthlich ihre Tschibut's, allein es ist kaum anzunehmen, daß diese Ruinen noch eine Besatzung halten sollten. Höhcnzüge werden jetzt sichtbar; nicht lauge, so legt das Voot am linken Ufer bei der Station Vaziasch an, nm Kohlen cinzuuebmen, und zugleich die einmündende Eisenbahn zu erwarten. W ist hier ein kleiner Badeort, wenige Häuser bilden ihn. Die paar Stunden gezwungenen Aufenthalts können in dem einförmigen Nergkessel, wo allenthalben die Sonnenstrahlen widerprallen, recht langweilig werden. Von nun an beginnt der interessanteste Theil der Donanfahrt. Der Markstein ihres Anfangs ist der Felsen Vabakay, der seltsam mitten im Strome aufsteigt; die Sage erzählt, ein frommer Mönch habe darin eine böse Frau, die ihn verspottet, eingesperrt und sie müsse Icdem, der sie neckt, als Echo Antwort geben bis zum Ende der Welt. Gn Voller wird gelöst und zehnmal gebrochen rollt sein Laut von einer Vcvgwand zur andern, bis er in der Ferne erstirbt. Rechts erscheint dicht am Ufer Schloß Oolubacz und darüber der zerklüftete Kaltfclsen, iu welchem die Kinder des Dracl'cu wohnen. Hier soll nämlick St. Georg den Lindwurm gctödtet und seinen ungeheueren abgeschlagenen Kopf in eine Felsenhöhle geschleudert haben. Alls diesem entstehen nun dic berüch-tigteu Golubaczer (fälschlich Kolumbaczcr) Mücken, deren Schwärme für die Hccrdcn und selbst flir Menschen tödtlich sind. In früheren Zeiten hat man versucht, durch Zumallern der Felscnklüfte der Ausbreitung der verderbliche» Insecten vorzubeugen, aber begreiflicherweise kommen s<> nicht ans diesen, sondern entwickeln sich in den Sümpfen der Umgegend und werden erst der (5ultur späterer Zeiten weichen, wie sie a»ch jetzt schon seltener geworden sind, wie früher. 9 Wie prachtvoll rauscht der Strom dahin, eingeengt zwischen hohen, waldigen Verge», viel schöner nnd romantischer, wie der ^theln an seinen gefeiertsten Stellen, '.^nninchr aber wird anch b'e Fahrt gefährlick. Felsen liegen in ihrer Bahn, StrolnschncUen wl'lsscn überwunden )v>,'rden. Daher steigt bei Drenkowa ein ^ootse ^'t Vord und übernimmt die Führnng des Bootes. Immer enger nicken die Nscr zustnumen, immer höher wird ihr Gebirge, hoch über den zerrissenen Kallgipfcln leisen langsam schwarte Pnnkte '" der blancn Luit, es sind Königsadler, die hier zahlreich ans dc« unzugänglichen Höhen horsten. Ans dcv linken Uferseite, nicht hoch iU'cr dem Wasserspiegel, erscheint dcr Eingang der Vcterani-l)"hlc, ans der rechten werden die Neste der Trajansstraße sichtbar, es sind in den Felsen emgemeiselle Löcher, jedenfalls bestimmt zur , Äufuahme von eiserne» Bolzen für emen Vohlenpfad »ber dem Wasser, da wo das mächtige Gestein den Gang dicht am User verbietet. Hier sind wir an der schmalsten Stelle der Donau, mit unheimlicher Hast drängt sich der Strom zwischen den himmelhohen Fclscn hindurch; wie der Kapitän versichert, ist er an dieser Stelle unermeßlich tief und hat man bei 80 Klaftern mit dem Loth „och keinen Orund gefunden. Plötzlich treten wir wie durch cm Thor in's Freiere nnd legen auf der linkeil Seite an bei Alt-Orsova, der ungarischen Grenzstadt. Hier liegen mehrere Dampfer vor Auw, immcr in Bereitschaft für den Dienst der gefahrvollsten Stelle auf dcr ganzcn Donau- außerdem aber bemerken wir auch zwei stattliche kaiserliche Kriegsstromdampfer, welche dem lieben Serbien gegenüber zu Gefallen verweilen. Bei einem Spaziergang am Ufer verfolgten uns einige Meuncrknaben, deren gesammtc Bekleidung in einen, Hnt und einem ehemaligen Frack bestand, wofnr sie natürlich eine Belohnung empfingen, Die Papevisiou cvfordert hinreichenden Anscntbalt, um sich das Städtchen anzn-'ehcn, was sehr sclmell beende ist. und um »,'in Glas Bier zu trinken; aber der Mensch versuche die Götter nicht! Von hier 10 führt die Straße nach den nahen bernbmten Hcrkulesbädern von Mehadia, dem Nadeil-Vaden der unteren Dona», Endlich setzen wir uns wieder in Vewegung, ?luf einer Insel mittm im Strom erscheint die türkische Veste Neu-Orsova in kläglicher Zerfallenheit, Soldaten sitzen ans ihren Manern, bei v'elchen das Prescheschicßcn linnöthig geworden ist; gegenüber auf der rechten Stromseitc klemmt sich cin kleiues serbisches Fort romantisch an den Felsen. Ans der Linken zieht sich ein grünes Wiesenthal zwischen zwei Höhen tief in den Hintergrund. In der Mitte desselben steht einc ganz neue gothische Kapelle, ans dein Platz, N» die von Kossuth ver-grabene Königskrone der Ungarn wieder anfgefundcu worden ist. Hier sind auch die letzten Häuschen der Tschaikisten, der Flußmarinesoldaten der Orenzerregimenter, denn wir schauen nun in drei Lande, in das Vanat, die Walachei und Serbien. Die ersten rumänischen Dörfer, die uns aufstoßen, ganz von Holz zusammen-geschindelt, mache» gerade keinen besonderen Anspruch aus architektonische Schönheit, aber unendlich hoch stehen sie über den serbischen Häusern ienscits, die da aufsehen, wie große Heuhaufen mit einein Loch. In diesem Augenblick treten wir in das eiserne Thor, den langen gefährlichen Strudel, der fchon so viele i?.pfer gefordert hat. Tiefe Stille herrscht auf dem Deck, welches von Aussicht versperrenden Passagieren geklärt ist, der Lootse steht am Steuerrad, einige Damen zittern gelinde, vielleicht auch einige Herren. Aller-dingö wogt der Strom auf eine weite Strecke hin recht bedenklich, die gelbgrünen spitzen Wellen werfe,! hier lind dort weiße Schanm-flocken drohend empör, langsam mit verminderter Kraft folgt das Schiff der schmalen Straße zwischen den verrätherifchen Klippen. Aber indem man fragt: Wann kommt die Gefahr^ hat man sie schon hinter sich und lustig fliegt anf einmal das Boot wieder ungehindert vorwärts, in der Wette mit der walachischeu Post, die mit acht Pferden uud zwei Vorrciteru die Straße längs des Stromes dahin braust. Auf der rumänischen Seite stehen in gc- 11 messeucn Zwischenränmen die Wachhänschen der Dona,icn^ jedesmal tritt die Wache in's Gewehr und präscntirt, wie mich oer Offizier bedelitetc, aus Hochachtung vor einer Vlationalität, die fo unendlich erhaben über der ihrigen ist, Der Abend bricht herein, "Ut ihm die Nomantik des Verdecks, dcnil es kann nicht fehlen, daß bei dem engen ungezwungenen Zusammenleben sich Seelen gesucht und gefunden haben. Die Sonne des dritten Tags der Fahrt beleuchtet eine flache öde Gegend. Türkische Schiffe mit sonderbarem hohem Kastell und von Schmutz außen und innen starrend, ziehen hänfigcr an nns vorüber, auch ein paar griechische, die stromaufwärts gehen, Am "chlen Ufer erschciut Sistov, eine ganz türkische Stadt; tückisch ansschende Büffel stehen bis au die Brnst im seichten, einem See ähnlichen Wasser, verhüllte Frauen sitzen am Strand, auf einer Höhe cin alter Türke mit weißem Bart inmitten einer Hccrdc schwarzer Ziegen, Fischadler und Mövcn kreisen in der Luft, zwischen dem Schilf am Ufer baden stattliche Pelikane. Dann kommt Rustschnk, wieder eine kläglich zerfallene Veste, Kanonen liegen am Ufer m regellosen Haufen übereinander geworfen. Vor den Kaffeehäusern lange Reihen von Türken, an, Ufer ein Gewühl von Militär, der Sohn des Pafcha's kommt an Bord, Omar Vey, "n jnnger lebenslustiger Mann, der in Verliu studitt hat u»d leidlich deutsch spricht. Troh seiner Ingcnd bekleidet er den Grad cmes Majors. Immer bnnter werden die Trachten auf dem 'verdeck des Bootes. M,t dem Mittag gelangen wir nach Ginrgewo; hier verließ ein großer Theil der Passagiere das Schiff, nm nach Bukarest abzugehen. Nach ihrem Abschied überfällt die Zurückbkibeuden eiuiges Gefühl der Vereinsamung, sie haben nicht mehr Zeit mit den neuen Ankömmlingen näher bekannt zu werden. Unter diesen befand sich eine ganze Sammlung griechischer Priester mit allen "«glichen Bärten. Das Gewühl am Hafen war groß, eine 12 Menge von Fuhrwerten, alle mit aä^I Pfcvden bespannt, und die Räder bis an die Naben im walachischcn Schmutz, harrte auf die Weiterrcisenden. Der Regen rieselte in Strömen herab, trotzdem winde aus vielen Schissen Mais eingeladen. Während wir Kohlen einnahmen, tonnte rin rascher Gang durch die Stadt uilteriloinmcn werden, er war nicht der Mühe und des Kothcs werth. Spater passirtcn wir Qltenizza auf der linken Stromscitc, wo die Dampf-schifsfahrlsg^scUschaft ein Werft und Werkstätten errichtet hat, deren blendende Gebäude einen groben Abstand zu den gewöhnlichen Ansiedlnugen des Landes bilden. Sodann erschien am rechten User die berühmte Festung Silistria, welche der Oberst Orach im letzten Krieg so heldeumüthig gegen die Russen vcrlhcidigt hat. Ihre Citadelle liegt ans einer mäßigen Anhöhe nnd macht, wie die bis an den Strom herabsteigcnden Erdwerke, »licht im Entferntesten den Eindruck der Umwerwmdlicht'cit, ^ch entsinne nnch einer lebhaften Unterhaltung dieses Mcnds mit dem prensnschen Offizier. Er war durch längeren Aufenthalt im Orient, in Syrien und Persien, wie in d'onstantiuopel mit den türkischen Verhältnissen sehr genau bekannt und cntwars ein kcinc^wegs günstiges Bild derselben. Namentlich hob er die Nothwendigkeit des Schntzes der Ausländer durch die fremden Mächte und ihre Vertreter, aber auch leider das noch vielfach Ungenügende desselben hervor und belegte es durch viele interessante Beispiele. Dann kam die Rede auf die dosten der Reise; die Route der Donauiahrt nach Con-stantiuopcl ist ungleick kostspieliger, u'ic über Trieft, am billigsten aber dicjcnige über Marseille, trotz des großen Umwegs. Fnilich gewähren die französischen Dampfer mit ihrer sehr saloppen Einrichtung anch bci Weitem nicht den Eomsort, wie die prächtigen Boote der Tonan und des Llovd. Niemals ist wohl auf dem Verdeck des Franz Joseph so homerisch gelacht worden, wie an diesem Abend. Vor einem Douancnhäuschcn crcrcirte ein tnrtischer Korporal, ein ganz kleiner Kerl, drei baumlange Rekruten ein. 13 (5'iner ^p^ mußte seine Sachen gar ^u schlecht machen, denn plötzlich nel der hinter ihrer ^'inie prüfend einberschreitcnde Korporal ihm ivie ein Nciner Teufel in dcn :1iücten nnd versetzte ihm ci'len Fufttritt. daf^ er >iber und iiber follert^. Die beiden Anderen 'narschn-tcn, olnu' umzublicken, crnstbatt fovt, der ^rmc Bursche ^sste n'ch anf „nd suchte wieder ^übluu^ ,^> bclonnncn, aber der 5ornia,c Aramdassa mackte di^s nnmögliöi, denn er knlch'te nuver-drosse» atlf ihn los nnd ließ ihn wahrscheinlich das unbarmherzige Gelackter entgelten, womit vom Schiff ans diese Probe türkischer Krieaszuckt begnHt wurde, Noch aus weiter Ferne sahen wir den stets gehobenen und fallenden Arm des kleinen Wütherichs. In der Frühe des vierten Taqe^ lagen wir vor Vraila oder Ibraila, Diese Stadt gewinnt alljährlick an Bedeutung fnr den Handel und wird zweifelsohne der mäcktigste Platz desselben an der unteren Donau werden. Dafür zengte der Wald der Masten in ihrem Hafen, das Gewühl am ^andungsplah. die vielen nem„ Gebäude der Stadt, Zahllose Kähne lind Seeschiffe belebten den Strom, der Anblick war erfreulich, znr Neckten in der Ferne erhoben sich wieder lang entbehrte blaue Berge, sie traten immer näher uud näher heran, bis deutlich in ziemliche '-Itähe des Ufers, gegenüber der Stadt Galatz, dem ersten Ziele der Fahrt. 14 II. G a l a tz. (Hott ist gros^ und Galatz ist eine Stadt. Und zwar eine grosie Stadt, eine mächtige Stadt, eine schöne Stadt, sagt Derjenige, welcher in ihr gute Geschäfte gemacht hat und nie mehr zurück^nkehren gedenkt. Wer sie einmal gesehen hat, vergißt sie so leicht nicht wicdcr, wer Wochen lang in ihr zugekracht hat, wie ich, der darf dem zukünftigen ^!eben viel frendigcr entgegensehen, wie ein Anderer, denn dies muß^ihm angerechnet werden, wenn es Gerechtigkeit gibt! Dnrch das Gewühl Hände ausstreckender, ölig duftender, lumpenbehangener ^acchini im Hafen hinaus ans der 5?.uaraiu taine ailf die Straße. Straße? Sagen wir lieber Sumpf, in jedem Fall knietiefer Schlamm. Es hatte gestern geregnet, genug, um hellte schon Galatz in seiner ganzen Liebenswürdigkeit zu zeigen. Die Menschen waren bespritzt bis oben hinauf, was allerdings der Mehrzahl nnr znm Vortheil gereichen konnte, indem es ihre Kleidung einigermaßen verbarg; die Wagen, wandelnden Erdanhäufungm vergleichbar, ganz inernstirt mit dem schwammigen, blasigen Anhängsel aus der Straßenticfe. Da Jedermann die Sache betrachtet, als müsse sie so sein. so wagt man sich endlich ebenfalls ohne Weiteres hindurch. Ich folgte einem Kellner, welchem man die lxqneme Nähe fließenden Wassers allerdings nicht sonderlich 15 ansah, in das Hotel de Paris, den ersten Gasthof der großen Stadt, dicht am Hafen gelegen. Dieses berühmte Gasthaus sah von außen einen, einstöckigen, etwas vernachlässigten Gartenpavillon ähnlich; in; Innern hingegen hätte es schlechter sein tonnen, es wurde» einige Neinlichteits-Nücksichtcn genommen und der französische Koch verstand seine Kunst. Was man bekam, war nicht schlecht, "bcr ganz entsetzlich theuer. Der Quai längs des Hafens bildet eine untere Stadt für sich und zwar eine merkwürdige, wesentlich von allen bisher Gesehenen verschiedene. Das Gewimmel der Nationalitäten durcheinander ist s» gvoß, daß es das bunteste Schauspiel gewährt nnd M das Auge ermüdet. Moldavancr, Griechen, Türken, Albanescn, Vulgären, Dalmatiner nnd Söhne der schwarzen Verge, Corfioten, Aegypter, Perser, Armenier, Nüssen, Italiener, Ungarn, Deutsche und vor Allen Juden aus der ganzen Welt treiben sich hier nuauf-hörlich durcheinander, scheinbar oft ohne Zweck, nichtsdestoweniger aber stets thätig, prüfend oder speeulirend. Der dritte Mann der V'incm begegnet, ist ein Jude oder sieht diesem wenigstens ähnlich. Hast alle Verkaufsmagazine sind in den Händen dieses betriebsameil Volkes Gottes. Eine ganz merkwürdige Atmosphäre brütet über der Stadt, sie besteht aus einem Gemisch der Gerüche von Iohanniöbrod und gedörrtem Fisch, überall macht sie sich einem fremden Organ gleichmäßig bemerkbar. Und dieses Aroin scheint "chew fch anzukleben; denn mehre« Jahre hintereinander habe ul) es immer unverändert wiedergefunden. Führe mich der Geist C'blis mit veronndenen Augen über die Länder nnd stelle mich in irgend eine Stadt, so will ich ihm sofort sagen, ob es Galatz ist oder nicht, wenn meine Nase noch ihre Funetioneu verrichtet. Die Magazine nntcn am Hafen, theilwcise anch in der Stadt selbst, sehen fremdartig genug ans, die Hälfte ihrer Artikel ist auf der Straße ausgestellt, von einer ordentlichen Ladeneinrichtung n. dergl. selten die Nede. Doch gidt es in der großen Straße des obe«n 16 Theils auch mehrere ziemlich elegante Gewölbe nack eivilisirtem Zuschnitt. Was man mit dem vielen Iohannisdrod macht, das in Fässern. Säcken und Haufen hier aufgeschichtet isl, weiß ich nicht, denn mau sagte mir, daß es selbst die Ratten verachten, so lange sie etwas anderes finden. Beiläufig scheinen diese liebend würdigen Thiere bei ihrer Auswanderung aus Persic« hier die erste Colouie angelegt zu haben, die sich einer seltenen Blüthe und Bevölkerung erfreut, Der zweite Handclsgcgenstand, der in die Augen fällt, sind silberweiße gedörrte Fischchen, die ebenfalls in unzähligen Mengen vor den Magazinen aufgehäuft stcbcu, es sind dies die sogenannten Douanhäringe, das gemeinste Nahrungsmittel und zwar in seder Bedeutung; wer ihren verdächtigen Geruch überwindet, der wird finden, daß zwischen ihrem Genuß llnd dem Kanen eines in Salzwasser gelegenen Endchens Strick kein großer Unterschied ist. Da diese beiden Stosse die gan;e Stadt durcl^ dünsten, so dürfen sie auf deu Errang Anspruch n,„d Ctlidtc. 2 18 lässig gebaut, nachlässig gcbalten, sie haben den Character des Flüchtige«, als seien sie nnr für ein vorübergehendes Unterkommen errichtet. In der That habe ich später von keinen, der Ansäßigcu anf die Frage, ob er in Galatz sein ^!eben z» beschließen gedenke, eine andere AnNrort gehört, als: „Nein, o nein, um keinen Preis, hier macht mau sich blos das Geld, mn es anderwärts zn genießen." Inmitten der Stadt erhebt sich cm hohes, thurmähnliches Gerüste mit einem kleinen Häuschen oben darauf, es ist dies die Feuerwache, das einzige hiesige Institut, welches man unbedingt loben muß. Es ist ganz vortrefflich eingerichtet; nnaufhörlich ist eine genügende Mannschaft, eine Anzahl mit Pferden bespannter Wasserkarren nnd Spritzen in Bereitschaft zur Hülfe, es ist dies aber auch eine Nothwendigkeit, dcnu kaum eine Woche vergeht, wo nicht da und dort eine Baracke emporflammt gleich einer Thcertonne; überall trifft man auf Brandstellen. Endlich gegen Abend fand ich nach unglaublicher Noth die Freunde, an die ich gewiesen wav. Gleich nach dem Willkommen brach der vaterländische Sinn hervor: „Fort zum Vier." Wirklich fand ich ein ganz trinkbares Wiener Vier und noch dazn in einer Gartenwn'thscbaft mitten in der Stadt. Aber welcher Garten! Es war ein mit Vrcteru umzäuutcr Winkel, worin zwei kümmerliche Akazieubämne mehr Staub und Unrath spendeten, wie Schatten. Anck hatte man sich recht in Acht zu nehmen, um nicht mit den vielen Kötern iu Collision zu gerathen, die sich für die berechtigteren Gäste hielten. Spät Abends im Hotel ward ich von einem englischen Missionär aus Bukarest in Beschlag genommen, der frübcr in Syrien und Polen, ictzt in den Donaufürstenthnmcrn als Iudenbekchver thätig war. Es kam mir fast so vor, als vermuthe er in mir einen Proselyten zn gewinnen, er rühmte mir ganz außerordentlich seine Erfolge, aber trotz seiner Begeisterung erlaubte ich mir doch im Stillen bescheidene Zweifel zu hegen, denn die Juden sind bekanntlich die allcrhartnäckigsten Verächter der Missionen. In Galatz hat er dem Reich Gottes 19 noch keine neuen Kinder erworben; ich darf es bei dieser Gelegenheit cnlch gestchen, daß die Galatzer Juden, welche ich tcnncn gelernt habe, — und der größte Theil meines Umgangs war auf sie beschränkt — mk der Vckehruug minder bedürftig schienen, Wie viele Christen daselbst. Ich habe unter ihnen viele vortreffliche, liebenswürdige Leute gefunden, die ich iu dankbarer Erinnerung behalten werde. Das Hundeconcevt, welches die ganze Nacht hindurch unmittelbar Vor meinem Fenster aufgeführt wurde, machte mir am nächsten Morgen den Abschied aus der Stadt Paris sehr leicht; ebenso leicht wurde auch mein Geldbeutel durch die Note der Madame. Ich zog in die obere Stadt in das Hotel Europa zu Vogdan, um daselbst für mehrere Wochen mein Standcmarticr aufzuschlagen. Das war auch ein Hotel, aber es näherte sich schon ziemlich dem orientalischen Karawanserai. Mein Znmnerchcn mit vier kalkweißen nackten Wänden hatte Sonnenseite und unter 30" siel die Temperatur selten, eine Matratze mit Decke, von der man natürlich keinen Gebrauch machte, ein Stuhl und ein Tisch, darin bestand seine ganze Ausstattung. Der Weg zu ihm führte über eine lange hölzerne Galerie längs des Hofs, in welchem die Kutscher neben ihren Pferden im Miste lagen; ihre Ausdünstungen machten die Nachbarschaft nicht annehmlickcr; öffnete man das Fenster einen Augenblick, so hatte mau sofort eine Milliou Fliegen zu Gaste, von allerlei kleinen Feinden, die schon nrsprünglich eiugebürgert waren, gar nicht zu reden, daran muß man sich im Süden gewöhnen. Die Bedienung erstreckte sich auf die morgenlichc Erscheinung emes Individuums ohne Fußbekleidung und Jacke, welches stets einen merkwürdigen Geruch nach Zwiebeln uni sich verbreitete' wollte man des Tages über einmal die Stiefeln geputzt haben, so konnte man sich eine gesunde Uebung mit dveivicrtclstüudigcm Klingelziehcn verschaffen nnd es dann selber thun. Speise und Trank mußle man auswärts suchen, doch befindet sich im Hans 2* 20 einCafö. Ich richtete mich ein, so gut es gehen wollte und fand mich allmälig in »lein Schicksal, Bei meinen fottgesctztcu Wanderungen und Besuchen in der Stadt lernte ich den preußischen Con-snlar-Agenten Blücher kennen, einen Mann, der in die Handelsverhältnisse des Platzes und der Moldau überhaupt tiefer eingeweiht ist, wie viele Andere, und dessen Geradheit und Gefälligkeit der höchsten Anerkennung würdig find. Beide Eigenschafteil will man den griechischen Handelsherren, welche hier, wie überall, wo sie sich festgesetzt haben, das Hauptgeschäft an sich ziehen, nicht immer nachrühmen', doch gibt es, wie ich bestätigen kaun, auch nntcr ihnen fehr schätzenswcrthe Männer. Sie bilden neben den Con-suln nnd einigen Würdenträgern die Spitze der Gesellschaft in der Stadt, Von geselligem Leben ist übrigens hier, wo das Geschäft Alles abforbirt, wenig die Ncde; alle Cirkel umgeben sich mit einer Mauer, deren Pförtchcu sich nur fchwer nnd ungern öffnet. Auf die Familie ist hier Iedermauu angcwiefen', wer keine hat, der führt ein trostloses Dasein. Eine merkwürdige Bekanntschaft machte ich ill der Bierschenke, es war die eiues mehr als hundertjährigen Italieners, der unter Napoleon mit an den Pyramiden gefochten hatte. Er fah aus und trug sich ganz wie ein Türke, ein langer weißer Bart und ein mächtiger bunter Turban standen dem verwitterten, gelben Gesicht sehr gnt. Dankbav nahm er einen Krng Bier an und vergalt deufelben durch lange Erzählungen feiner Heldenthaten, von welchen ich leider das Wenigste verstand, Er war eine Art lebendes Wahrzeichen der Stadt und ich bin fast täglich mit ihm zusammengetroffen. Einmal fah er mit mehreren Moldavancr Bauern zusammen, die ihn zum frühstück eingeladen hatten, er winkle mir heran zur Theilnahme und der Merkwürdigkeit wegen schlug ich es nicht ans. Es bestand in einem ungeheueren Haufen roher halbreifer Sanbohnen, welche ausgckerut und mit Salz ohne Weiteres verspeist werden; man muß an die Kost gewohnt sein. um ihr 21 Geschmack abgewinnen zu können. Ueberhaupt ist die Genügsamkeit der untere» Volksklasscn hier zu Land wahrhaft bewundernswürdig; sie leben von Stoffen, die anderswo kaum als Nahrungsmittel gelten würden. Im Anfcmg suchte ich in einer griechischen Locanda zu speisen, allein es ging denn doch nicht lange. Alles starrte vor Schnnch und das Fleisch war so erbärmlich, daß man ein Grieche odcv Moldavancr fein mußte, um es hinunterbringen zu können. Es ist merkwürdig, daß hier, wie überall im Süden, wo das Schlachtvieh in ungeheueren Mengen vorhanden, manchmal sogar fast wcrthlos ist, so überaus schlechtes Fleisch auf deu Tiscb kommt, ^ch wandte mich daher iu die deutsche Locanda von Körner, wo die meisten Deutschen zusammenkommen, hier war es besser, obgleich man sich in der niedrigsten Restauration einer großen deutschen Stadt nickt das gefallen lassen würde, was Einem hier geboten wird. Rohhcitcn aller Art, zu welchen die etwas zweideutige, weibliche Vcdiennng jeder Zeit gern die Hand bot, mußte man mit in Kanf nehmen und konnte nur bedauern, baß es gerade Teutsche waren, die sie auftifchten. Der Molda-vaner Wein ist lekbt und billig; er wird fo nachlässig zubereitet, daß er sich gewöhnlich nicht über eiu Jahr lang hält und deßhalb immer jung weggetrunken werden muß. Selten hat er feine Gah-rung vollendet und moussirt daher im Glase; er hat wenig Farbe nnd ist manchmal so klar und hell wie Vrunnenwasfcr. Seine freie Zeit in diefer Stadt zu verbringen, ist eine fchwierige Sache, wenn mail sie nicht im Kaffeehause beim Spiel verlungcrn will. Spazicrgänge gibt es nirgends, die Stadt selbst hat man bald ausgekostet. Schönes ist darin nichts zu sehen, es ist bcinahc, als vermeide man geflissentlich, irgend etwas für die Schönheit zu thun: nirgends Gärten, nirgends ein Baum, nirgends Schatten, die Sommersomie brennt hier doppelt heiß, man kann ihr gar nicht entgehen nnd die nothwendige Siesta im Gasthof-zimmerchen hat die Wirkung eines russischen Dampfbades. Das 22 Trinkwasser kommt aus der Donau; um den schlechten Geschmack desselben zn mildern, genießt man unmittelbar vor dem Trunk Dolcczzi, Zuckerconscrvcu von Früchten. Der Kaffee wird in türkischer Weise bereitet und scrvirt, wenn man einmal das Mitschlürfen des feinen Satzes gelernt nnd überwunden hat, so findet man ihn sehr gut. Einen großen Theil der Lebenszeit verbringt der hiesige Bewohner mit der Anfertigung der Papicrcigarren, welche Jedermann raucht, auch Frauen. Vor vierzig Jahren sollen die ersten, aber in ganz verschiedener Gestalt, dnrch spanische Matrosen nach Galatz gekommen sein; sie habeil allmälig beinahe jede andere Methode des Rauchens verdrängt. Man mag besuchen, wen man will, so wird dem Gast sofort die Cigarette angeboten; will man besonders verbindlich sein, so fertigt man sie vor seinen Augen an und überreicht sie ihm so, daß er blos das Papier zu befeuchten hat, damit cs fest anschließt. Eine große Erholung in der schwülen Jahreszeit gewähren die ncuerrichtcten Donaubädcr; sie bestehen freilich aus weiter nichts, wie aus Vretern und Kasten ans schwimmenden Stämmen, sind aber doch eine Wohlthat, die nicht gcnng gewürdigt werden kann. Piele Abende verbrachte ich in dein sogenannten Gasthaus zum grünen Vaum in der äußeren Stadt, einer Schenke, die ein deutscher Schuster hält, mit obligater Kegelbahn in einem baumlosen Garten. Sie wird nur von Deutschen besucht und cs ist wohlgethan, sich bei Zeiten zu entfernen, wenn man nicht etwa die Absicht hat, das deutsche Element in seinen kräftigsten Auswüchsen zu stndiren. Am meisten Unterhaltung gewährt der Gang längs des Hafens. Hier in der unteren Stadt befindet sich die Vörsc, das stattlichste Gebäude von Galatz, mit einem Lesezimmer, in welchem ich aber außer der Wiener keine andere deutsche Zeitung gefunden habe. Täglich versammeln sich hier, oder vielmehr in dem Kaffeehaus der Nörse, alle größercu Geschäftsleute der Stadt, um Nachrichten einzuziehen, Course zu notircn, Verträge abzuschließen. Längs den 23 Häusern sitzen die jüdischen Geldwechsler vor ihren kleinen Tischen, worauf Kästen, der Sicherheit wegen mit Draht nberflochten, eine Sammlung der fremdartigsten Münzen in Silber und Gold znr Schau stellen. Hier ist unaufhörlich vom Morgen bis zum Abend das regste Treiben. Dicht daneben ist cin Stationsplatz der Vir-schec's, Korbwagen, welche Droschkcndienste versehen; ill langen Reihen gchcn und kommen die Karren, die das Wasser ans der Donau in die obere Stadt bringen, zuweilen sind sie mit Büffeln bespannt. Einen freien Blick anf den Strom hat man nur hier und da wegen der Gebäude der Douane. Jenseits steigt in ziemlicher Nähe das blaue Gcbn'g der Dobrudscha empor, ein Mastenwald vcrbant theilweise die Aussicht; hat man einen freien Pnnkt am Ufer gewonnen, fo sieht man bis in weiteste Feruc gehende und kommende Segel; Gigs und Jollen schießen wie Mo'ven zwischen den großen Fahrzengen hin und her, beinahe stündlich landen oder segeln Dampfer; dazu das Geschrei der Matrosen und Lastträger, das Rollen der Fässer, das Acchzen der Krahnen — hier ist es, wo man trotz allem Schmutz, trotz aller sichtbaren Vernachläfsignng, den besten Begriff von Galatz bekommt. Es lagen gerade zwei kleine englische Kricgsdampfcr, zum Dienst der Tonancommission bestimmt, dicht am Ufer der Börse, die „Weser" mit 4 Bomben und S Kanonen und der „Borer" mit 1 Vombe und 2 SechZ-pfnndcrn. Sie sahen ans, als gehörten sie ill cine Putzstube, so uen, so glänzend, so geordnet, als seien sie in diesem Augenblick erst fertig geworden; es sind doch wackere Seeleute, diese Engländer, keine andere Nation kaun sich auf dem Meere mit ihnen messen, vom Größten bis aufs Kleinste. Nicht weit davon lud ein gewaltiger Dampfer Mais ein; es war ein ehemaliges Schiff der deutschen Flotte, die „Hansa," wenn ich nicht irre? Jetzt fuhr es trotz seines englischen Nhcdcrs unter griechischer Flagge. Ostwärts dem Donauufer cutlang hat man lange zu wandeln, bis die Geschäftigkeit des Hafens im Nucken liegt. Auf dem Quai 24 lagert das Getreide in bohcn Haufen, ehe es in dic Schiffe geladen Wird, hat es noch ein».' Reinigung zu bestehe», diese gefchieht mittelst ledernen Sieben, welche zwischen drei hohen Stangen schaukeln, auf eine sehr primitive Weise. Dann erscheint zur Linke» die Dampfmühle, das einzige größere industrielle Etablissement in Galatz, sie macht, wie sich denken läßt, sehr gute Geschäfte. Zur Seite liegt hier eine Art Vorstadt aus vielen Hunderten von Schilfhüttcn, bewohnt von Fischern, Lastträgern, Gärtnern. Es kann kaum einen sonderbareren Anblick geben, wie den dieser halb-durchsichtigen Gebäude. Wie gefährlich ihr Baumaterial ist, beweisen die vielen Brandstätten in ihren regellosen Reihen. Hinter ihnen beginnen Gärten, aber Bäume sucht man in denselben vergebens. Sie können nur durch Bewässerung in Cultur erhalten werden; in tiefen Gräben wird von« Strom ans das Wasser hin-zngelcitct und aus denselben mittelst eines hölzernen höchst uran-sanglichen Schöpfwerks, das ein Göpel mit zwei Ochsen in Bewegung seht, in die kleinen Canäle vertheilt. Nur die gewöhnlichsten Küchengewächse werden gebaut, am meisten Kohl, Gurken nnd Zwiebeln; doch sieht man auch hier und da Artischockenpflan-znngcn. Die Gärtner sind fast alle Bulgaren. Wieder zum Strand gewendet, trifft man auf ein sehr weitläufiges, aus Stein erbautes, aber vollkommen leeres und zerfallenes Gebändc, in dcsfen melancholischen Höfen das Unkraut mächtig wnchert, ein Hospital der Nnsscn ans dem Jahr 1828. Nicht weit davon ist die Mündung des Pruth in die Donau oder vielmehr eine der Mündungen aus dem Limau, den er bildet; eine scharfe, schmale Landzunge läuft hiuaus in das träge schleichende Gewässer. Der Fluß ist jedoch von Wichtigkeit für Galatz, weil anf ihm große Holzvor-rathe herabgeflößt werden; im Innern ist das Holz theilweise noch beispiellos billig, hier hat es schon hohen Preiö. Wenn die Devastation in demselben Maße wie bisher fortgesetzt wird, wird aber die Moldau nicht lauge mehr eiucn Ueberfluß an Holz zu 25 beklagen haben, Große Magazine davon befindm sich unterhalb 5es Hafens. Nach dem Inneren, dem Liman zn, ist ein weites Acid ganz mit Ziegeleien bedeckt, die alle uur in, Kleinen arbeiten und ans einem schleckten Material die schlechtesten Ziegel anfertigen, d" es gewiß in der ganzen Welt gibt. Mit dem Leben, das in Galatz geführt wird, kann sich ein solider, ehrlicher Deutscher nicht leicht befreunden, er mag es anpacken von welcher Seite er will. Tritt man früh Morgens um 6 Uhr in's Kaffeehaus, um sein Schälchcn zu sich zu nehmen, so findet man schon alle Spieltische besetzt und die Dncaten rollen; ob die Leute von gestern Abend noch sitzen, oder des Morgens so früh auf-Itehcn, um desto mehr Zeit zum Spiel zu gewinnen, h^bc ich nicht untersucht. Dann hinaus auf die Straße, es ist Sonntag, aber das Leben und Trcibcn unverändert dasscllx, die jüdischen Magazine sind alle geöffnet und die Schenken nicht minder. Trommelschlag ertönt, neugierig dränge ich mich durch den Hänfen, da steht ein Bote des Gesetzes nnd liest eine Geschichte ab, von der ich nichts verstehe, auch schien er sie selber nicht zu lesen, sondern herzusagen, was mau vom Vlatt spielen nennt, darauf erschien plötzlich eine Baut nnd anf dieser ein Mensch mit nacktem Nucken nach oben. Es wurde hier eine öffentliche Execution vollzogen und Niemand ging von dem interessanten Schauspiel weg, bis der füufuudzwanzigst»,' und letzte Hieb gefallen war, und der arme Teufel, der sich gar seltsam dehnte nnd Grimassen schnitt, die Bank, worauf er gelegen, auf dem zerfleischten Nucken von dannen schleppte. Welchen heilsamen Eindruck alls das Volk eine solche öffentliche Pflege der Gerechtigkeit macht, davon tonnte ich gleich in der nächsteil Gasse ein prägnantes Vcispiel wahrnehmen. Auch hier war cin Auflauf, cin Polizcidiener war im Begriff, eiuen Vau.'r, der eiu Handbeil nn Arme trug, zu arretircu; dieser wehrte sich sehr energisch, der Polizcier aber nahm seine Aufgabe als Ehrensache; plötzlich zog der Bauer sein Beil und schlug das- 26 selbe mit aller Gewalt dem Widersacher zwischen die Augen, daß er blutend zu Vodcu stürzte, jedenfalls lebensgefährlich verwundet. Der Uebclthätcr lief fort und entkam, denn Jedermann begünstigte sein Entweichen. Wieder hundert Schritt weiter hatte sich ein großer Krcis mitten in der Straße gebildet und Zctcr schrie es daraus hervor. Ein griechischer Schcnkwirth prügelte einen armen Juden, riß ihu am Bart zur großen Kurzweil der umstehenden Zuschauer, die den gepeinigten Märtyrer nicht fortlichen, sondern ihn mit Fußtritten wieder seinem handfesten Tyrannen zuschlcuderten. Solchen Scenen begegnet man alle Augenblicke und sie tragen Wahrlich nicht dazu bei, den Spazicrgang durch die Straßen angenehmer zn machen. Nach dem Mittagsmahl, das znr Hälfte alls Fliegen besteht, wiükt eine großartige Herstreuung: ein Gcscllschafts-garten hat sich nen etablirt nnd alle Sonntage findet darin Concert statt. Dieser vai>to giaräjuo neben dem Theater erscheint nun allerdings sehr vasw uud sehr wenig Fiaräino, es ist ein halb ansgercutcter Nebcnackcr von ziemlichem Umfang, aber ohne Schatten und Bequemlichkeiten, von Vlumen, Nasen oder wirklichen Gartenanlagen keine Spur. Die Militärmusik spielt lustig darauf los, natürlich ohne Noten nnd ohne sich um den Taktstab ihres Kapellmeisters zn bekümmern; die ganze schöne Welt von Galatz wandelt m den staubigen Wegeil umher, läßt sich von der Sonne versengen und glaubt sich zu amüsircn. Die Löwen der Gesellschaft scheinen einige türkische Offiziere zu sein, die icdoch entschieden keine ächten Osmanli sind. Dicht neben dem Garten befindet sich der zweite «nd letzte Vergnügnngsort von Galatz, das Theater; dasselbe ist von Vrctcrn zusammengeschlagen und sieht von außen durchweg einer verbitterten Mcßbude ähnlich. Von Zeit zu Zeit ist dariu Italicnische, Oper und Schauspiel, aber die Directorcn machen immer nur schlechte Geschäfte. Auch für die Belustigungen der nntcren Volksklasscn ist gesorgt, denn vor der Stadt anf dcm Platz der Jahrmärkte befinden sich die ungeheueren Schaukelgerüste, 27 Welche dem LieblingZvergnügen des Volks gewidmet sind, gerade wie in Nußland. Die allgemeine Umgangssprache ist nntcr den Kaufleuten die italienische, anßcrdem aber spricht nnd versteht man hier alle Sprachen der Welt, was sich ans das Drolligste kundgibt in den an den Häusern angebrachten Prmcn, die zuweilen die tollsten uud lächerlichsten Wort-Zusammenstellungen enthalten. Wic schon erwähnt, ist es den griechischen Händlern, wic fast überall längs des schwarzen Meeres, geglückt, sich ein bedeutendes Uebergewicht zu erwerben, Jedermann schimpft auf die Griechen, schwört, er wolle uichts mit ihnen zu thun haben, allein das ficht sie gar nicht an, sie kommen dennoch voran, auf welchen Wegen, ist ihnen ganz einerlei. Daher werden sie von dem übrigen Theil der Bevölkerung nicht blos gehaßt, sondern gefürchtet. Blos dem griechischen Gesiudcl ist es zuzuschreiben, daß man mit dein Eintritt der Dunkelheit sich nicht gern mehr ohne gute Vegleinmg in den unteren Theil der Stadt an den Hafen wagt, Naubanfälle kommen häufig vor und Morde nicht fcltcn. Die Gnccbcn sind es auch gewesen, welche die Judenverfolgung (1859) inGalah begannen nnd organisirtcn. Der gewöhnliche Grund war wieder hervorgesucht worden, das Märchen von der gestohlenen Hostie uud dem geschlachteten Christenkiud, um die Gemüther des Pöbels aufzustacheln. Es fcheiut bewiesen zu seilt, daß die Anrcizung von reichen griechischen Kaufleuten ansging, welchen die jährlich steigende Handclsthätigkeit der Hebräer in Galatz ein Dorn im Nnge war. Was von diesem scheußliche» Ereigniss durch die Zeitungen zur Kenntniß des Publikums gclanqt ist, hat bei Weitem nicht den ganzen Umfang der Verfolgung dargestellt. Ich habe bald darauf die Synagoge gefeheu, das Beispiel einer muthwilligeren, gründlicheren Zerstörung und Scliändung gibt es nicht; noch jetzt, viele Monate nach den Schrcckcnstagen, stand sie leer oder ward vielmehr von den, Gesindel dev Stadt zu Zwecken benutzt, die man nicht 28 einmal andeuten kann. Viele Menschen jeden Alteis und Geschlechts verloren ihr Leben; das ist Thatsache, die mau freilich möglichst zn verheimlichen gesucht hat, noch mehr ihre ganze Habe, oder selbst andere Güter, welchc niemals erseht werden können. Hätten die Inden zusammengehalten, wäre ein einziger Maecabäer nnter ihnen gewesen, so hätte sich die Sache vielleicht anders gestaltet, denn sie bildeten die Mehrzahl, allein sie suchten dnrch Güte und Nachgiebigkeit ihre Gegner zur Menschlichkeit zu stimmen, und das war ein großer Fehler. Wo einige tapfere Indcn die Gewalt mit Gewalt adzntreilx'n versuchten, da wandte sich gegen sie nicht allein der ganze Zorn der fanatischen Notte, sondern sogar derjenige der Unbctheiligten. Es schien fast, als verweigere mau den Unglücklichen auch noch das Necht, sich zu wehren. Ich hatte früher einen jüdischen Bedienten als Auslanfer, einen Mann von so herkulischer Kraft, daß ich ihm den Namen Simson gegeben hatte, den er, wie ich erfuhr, behalten hat. Diesen frug ich: „Warum hast Du nicht Deine Kameraden, die Lastträger, zusammen gerufcu uud Dich mit ihucn auf die feigen Malteser gestürzt?" (Malteser neuut mau im Orient die schlechtesten von den schlechten griechischen Gesellen.) „Ja Herr/' cntgcgnete Simson, „das habe ich auch im Aufaug geihau und es ging anch, Ginige von den Schuftcu werdcu ihr Lebcu laug an mich zu denken haben, einem Paar davon ist wohl auch das Denken ganz und gar vergangen, aber was foll man machen, wenn man allein ist? Die Herren hatten sich in die Consulate geflüchtet, wer es irgend noch gut meiute, schrie: „Rettet Euch, fort, ehe es zu fpätwird!" Da fiel Einem uach dem Andern das Herz in die Schuhe, und znlc^! war ich allein. Ich ging in das Comptoir meiner Herren, riegelte Alles gut zu und setzte mich auf die Kasse, meiue Brechstange zwischen den Knieen. So saß ich die ganze Nacht hindurch- bis znr Mitte des folgenden Tags. Ein paarmal hatten sie tüchtig an dem Thor gerüttelt, aber ich verhielt mich still und sie zogen 29 wieder ab. An, Nachmittag kam d^r kleine Vciliainin und flüsterte mir die Nachricht zu, daß man sich heraus wagen tonne. Beim ersten Schritt auf die Straße wäre ich fast nmgesunken vor Schrecken; da lag der alte Simon mitten in der Gasse starr und steif nnd stin weißer Vart war schwarz geworden vom Vlut." — „Aber/' fragte ich schaudernd, „wo war denn die Polizei, das Militär." „No war sie?" antwortete Simson verächtlich, „sie war wo die Anderen waren nnd kam erst am Ende. Die paar Soldaten, welche hier lagen, hätten nichts vermocht, auch wcnn sie gewollt hätten; vielleickt ist es ein Glüä, daß ihrer nicht mehr anwesend waren, denn am liebsten hätten sie gewiß gegen uns mitgethan." Ich erkundigte mich an verschiedenen Orten, ob eine Untersuchung eingeleitet nnd Hoffnung sei, wenigstens eine geringe Genngthnnng durch Vestrafnng der Rädelsführer zu erlangen. Die Haupturheber, so lautete die Antwort, fahren stolz durch die Straßen und we» man von dem Gesinde! ergriffen hat, den wird man aucb wohl wieder laufen lassen; von Ersatz oder Genugthuung ist keine Rede, wir sind so gut wie vogelfrci. — In früheren Heiteil hieß es auf die Frage; Was geschieht dem Verbrecher? Das hängt ganz davon ab, was er besitzt, hat er Geld, so ist er unschuldig, hat er kcins, so wird er bestraft. Von mehreren Ausflügen anf das Land will ich nur einen einzigen beschreiben. Ich hatte cin.n Verschar anf mehrere Tage gemiethet und fuhr mit demfclben nach Norden. An der Grenze linie der Stadt wurden wir angehalten, denn man bedarf zu jeder Ueberschreitnng derselben eines Pafsirscheins, da ich aber keinen hatte, so ließ man mich, zumal bei dem Wortwechsel dnrch-aus kein Verständniß zn erzielen war, auch ohne denselben ziehen. Die breite Strafte lä'nft auf der Höhe hin durch eine öde, einförmige Steppengegend, zur Rechten schimmert aus dem Thal der Lima» des Pruth, der den Reisenden lange begleitet. Große Karawanen von Ochsenwagen, mit Getreide beladen oder leer, 30 kämm und gingen und erregten furchtbare Staubwolken. Wcnn zuweilen ein Gespann nicht recht aufweichen wollte, so erhob sich mein Kutscher mit furchtbaren Flüchen und peitschte aus Leibeskräften nicht blos auf die Ochsen, sondern auch auf ihren Führer, der gar keine Micnc machte, sich gegen den kleinen Kerl zur Wehr zu setzen. Besonders auffallend sind die Kohlenwagen mi! ihren thurmähulichen Geflechten, die von fern aussehen, wie wandelnde Gebäude. Es war ein heißer, dürrer Sommer, das Getreide und der Mais standen so tmumcrlich, daß es ein Jammer war; an die spärlichen Brunnen drängten sich Menschen und Thiere im Streit um das blaue schlammige Wasser. In TulutzsclMi wurde einmal Halt gemacht, wahrscheinlich blos, weil der Bcrschar seine Papyros anzünden wollte; vor der Schenke lag cine merk-würdige Gruppe vou Männern und Weibern durcheinander in einem Znstand, der mich die Wahrheit des Sprichworts: der ächte Orientale wird von einem Stück Brod betrunken, - bezweifeln lies;; es waren bulgarische ''Arbeiter. Selten fuhr man ein paar hundert Schritte, ohne dem Gerippe oder dem (5adavcr cincs Pferdes zu begegnen, die da lagen, wo sie gefallen waren, übel aussehende Hunde hielten dabei Wache und stritten sich mit Geiern und Krähen um das Mahl, Hier könnten die Engländer Knochen sammeln, so viel sie wollten uud die Errichtung einer Knochen-mehlfabrik in Galav wäre gewiß keine vou den schlechtesten Spccu-lationen. Spodium wird übrigens schon ausgeführt. In Formo-schitza steht eine prächtige Bojarenvilla am Wege, die erste, die ich gesehcn, bei der auch für Schönheit und Gartenkunst etwas gethan war. In dcr Iudcnscheukc am Ende des Dorfs ward eine Erfrischung beliebt, aber nnr vom Vcrschar, denn ich tonnle dcs gräulichen Schmutzes halber mich nicht entschließen, irgend etwas zu verlangen, Hier und da standen längs dcr Straße niedrige Schilfhütten, die Wohnungen von Bettlern, die den Reisenden zehnten, indem sie mit ohrzerrcißendem Geschrei trupp- 31 weise seinem Nassen nachrennen, bis sie durch einige Para's befriedigt werden. Foltcschti, das Ziel dieses Ausflugs, ist ein ziemlich großes Dorf, nicht weit vom Pruth entfernt. Die mol-davaner Bauernhäuser werden fast sämmtlich aus Lehmsteincn aufgeführt nnd sind mit Kalt' geweißt, dessen Anstrich mehrere Mal jährlich erneuert wird, eine Arbeit, welche Sache der Frauen ist. Sie sind alle nur mit Stroh und Schilf gedeckt und ihre nächste Umgebung sieht höchst verwahrlost und schmutzig ans. Die wenig-steu sind mit Essen Verseheu, der Nanch sucht sich seine,: Weg durch das Dach. Das Innere besteht aus drei Räumen, der mittlere ist eine Art Vorplatz zum Sommcraufenthalt, Küche nnd Stube sind eins, dcuu der große Ofen, das Hanptstück des Hauses, dient iu jeder Jahreszeit zur ersteren. Angenehm überrascht wird man nach allem bisher Gesehenen durch die Reinlichkeit und den Aufputz der Zimmer; Wände uud Ösen werden alle paar Woche» frisch geweißt; der Lehmschlagboden jeden Morgen frisch geglättet, die Heiligenbilder in der Ecke sind mit Blumen und Zweigen umsteclt. Der ganze Hansrath besteht aus einem Tisch und rings-umherlaufenden Bänken, die mit Wollenteppichcn belegt sind, wie der erstere. In einer Gcke steht ein buntbemalter Kasten, welcher Kleider und andere Schätze verschließt. In dem Ofcnwiukel häugt das Bettzeug auf eiuer ausgespannten Schuur; Bettstellen kennt man nicht, sondern schläft auf dem Ofen oder dem Boden und deckt sich mit dem Schafpelz zu. Ist eine mannbare Tochter im Haus, so ist deren Ausstattung stets zur Schau ausgelegt. Man , findet unter den Frauen sehr schöne Gestalten, schlank, schwarzäugig, mit mattbrünettcm Teint und reichem, schwarzem Haar. Ihre Sountagstracht ist allerliebst. Das Hauptstück derselben ist das Hemd, welches mit bunter Seide, Gold und Silber künstlich gestickt ist; in dieser Arbeit stnd die Moldavancrmädchcn äußerst geschickt. Darüber tragen sie eine mit goldenen Litzen besetzte Tuchjacke, um den Hals reiche Korallcuschnüre, ein rother Rock 32 und ein silberner Gürtel vollenden die Tracht. Die Männer sind ein prächtiger Schlag Leute, stark und groß, mit prägnanten Zügen. Ihre Kleidung ist sehr einfach, gewöhnlich besteht sie aus Hemd, Ledcrbeinkleidcru, hohen Stiefeln, einer runden Mutze von Krimmer und dem Schafpelz. Bei der Arbeit sind die Weiber leichter gekleidet; statt des Rocks schlagen sie nnr einen wollenen Teppich um die Hüften und binden die Haare in ein weißes Tuch, Mädchen in ein buntes. Wie schou erwähnt, lebt der Moldavancr Bauer äußerst einfach, Mais in allen möglichen Zubereitungen bildet seiu vorzüglichstes )lahrnngsmittel, das Hauptgericht aber, welches Tag für Tag anf den Tisch kommt, ist die Mamaliga, ein Vrei aus Maismehl und Wasser; bei Reichen und au Festtagen mit Fett und ssievn verbessert. Kohlsuppe, Gurken, Sauerkohl, Zwiebeln, Wassermelonen, Roggeubrod und Schafkäse vollenden den Cyklus der moldaoaner Speisen, Branntwein wird viel getrunken, aber auch Wein, welcher meisteus billiger ist. Der Vaner keuut fast keinen andern Genuß, als den, sich zu bctrinkcn und diesem ergibt er sich mit bewundernswürdiger Consequenz. Deßhalb kommt er auch uiemals vorwärts uud bleibt ein doppelter Sclave. Dazu tritt ein unverbesserlicher Hang zum Nichtsthun und znm Verschieben jeder nothwendigen Verrichtung; Ausnahmen von diesen Nationaluntugendcn finden sich wahrhaft betrübend selten. Und doch ist ein guter und gesunder Kern in diesem Volke. Es ist gastfrei u»d zuvorkommend, gutmüthig nud nachsichtig, immer unterwürfig und gehorsam, wenn auch nur mit dem Munde, von großer Frömmigkeit sund noch größeren, Abcrglanbcn!^) Aber alle guten Eigenschaften werden vollständig begraben von Trägheit und Indolenz. Es ist Schade um die naturwüchsige physische Kraft dieses Stammes, lange wird es uoch dauern bis dieselbe einmal jn die richtige Bahn gelenkt werden wird. — Eine liebenswürdige Eigenschaft der Landbewohner ist die unumschränkte Gastfreiheit, welche sie üben. Auch mir ist nc in reichem Maße zu Theil 33 geworden. Gerne gcdcnk ich der wilden Nitte durch die verbrannten Felder hillab in die morastige Niederung des Pruth, wo zahlloses Wasscrgcvögel eine höchst dankbare Jagd gewährte, bei der man freilich, wie Freund Gerstäcker sagt, Wasserstiefel bis an den Hals hätte tragen müssen. Gern erinnere ich mich auch der stillen Abcndsche untcr der Verandah des Hcrrnhanscs, wenn der melancholische Gesang der moldavaner Mädchen aus dem Dorf hcrüber-drang. Mit Unlnst kehrte Ich zurück in die dunstige, häßliche Stadt der Galatcr, die, aus dem Pontus vertrieben, hier eine Nnsiedlung gegründet haben sollen. Niemals ist mir die .^cit so lang, der Abschied so leicht geworden, wie in Kalatz. Hätte ich noch länger dableiben müssen, so wäre ich ganz gewiß krank geworden — cin unüberwindlicher Ekel gegen Alles war vielleicht ei» Vorbote, der verschwand, sobald ich diese liebliche Stadt im Nucken hatte. Und es ist nicht blos der erste Eindruck, den ich hier beschriebe» habe, denn ich war mehr als einmal und zu verschiedenen Zeiten hier und bleibe dabei: Es gibt kein,' unangenehmere Stad< wie Galatz. H»1»M, Steppen und Hlädle. 8 34 III. Tultschll und die deutschen Colonicen der Dobrndscha. Am 21. Juni des Jahres 1858 verließ ich mit dem Dampfer Zrinyi die große Handelsstadt Galah, um nach T.ullscha zu fahren und von da einen Ausflug in die Dobrudscha zu machen. Das Voot war ziemlich beseht, das Gewühl auf stillem Verdeck ebeuso buut, wic das am Laud, welches ich cbcn verlassen hatte; alle Nationalitäten Europa's waren vertreten, und es fehlten auch nicht Repräsentanten der beide» übrigen altcu Welttheile, hochbcmützte Perser, pfiffige Tartarcn und schmutzige Acthiopcn. Mich zog vorerst die Ufergegcnd des Stromes au. Zur Vinlen dehute sich stach und sandig das Gestade, über weite Schilfmoore konnte der Vlick tief hiueiuschweifeu in die trostlos öden Flächen, mit ihren Brackwasser-^imatMl, die der Pruth durchschleicht, dcsscu Einnuiu-dung in die Donau kaum bemerkbar wird. Ein langgestrecktes Gebäude, das verlasscue russische Hospital, mit seinen weißen Mauern und gelichteten Dächern, bildete das einige hervorragende Monnmmt auf der Landzunge, die sich östlich von Galatz hindehut, dahinter lag das ganz ans Schilf erbaute luftige Dorf der Schiffer uud Lastträger, das gewissermaßen eine Vorstadt des Hafenplatzes bildet. Zur Rechten aber bot die Uferlandschaft einen angenehmeren Anblick; hier steigen, vielleicht eine Stunde vom Gestade entfernt, die steilen, zerklüfteten Wände eines ansehw 35 lichen Gebirges empor, dessen tiefe Schluchten und stattlich anf-'ragende Gipfel um so mehr imponirten, als man sich gewöhnlich die ganze Dobrndscha, den nordöstlichen Theil Bulgariens zwischen der Donau und dem schwarzen Meere, als ein flaches, ja sogar sümpfcvolles Gelände denkt, was durchaus ein Irrthum ist. Schon vorher hatte mau mich auf diese Berge mit dem Bemerken aufmerksam gemacht, daß sie bis jetzt so gut wie gar nicht durchforscht seieu; in der That habe ich sie späterhin auf mcbren orographischen Karten nicht einmal angcdcntet gefunden; mit Verlangen haftete daher meiu Blick an ihren blauen Wänden, die zu erklettern ich in einigeil Tagen hoffen durfte. Sonst war die Aussicht vou dem Strom aus nach beiden Seiten höchst einförmig; auf der Linken schuf erst die Stadt Neni, bei welcher wir anlandeten, einige Abwechselung der Oede; ihre Festungswerke sehen aus der Ferne sehr dürftig und zerfallen aus; viele lustige Windmühlen von sonderbarer Valiart, mit acht im Kreis gespannten klügeln brachten Bewegung in die Sceneric. Mehr Ausbeute gewährte dafür die Betrachtung und das Studium der Gesellschaft an Bord. Sie hatte ibren Mittelpunkt in einem hohen Würdenträger der Pforte, Seiner Grcellenz Omer Pascha — nicht der berühmte, wie jedermann sogleich zum Verständniß — und sicherlich verletzend für den Mann — hinzufügte, sondern ,,ein anderer", gegenwärtig Präsident der vielbesprochenen Douaneommission in Galatz. Ich habe späterhin das Vergnügen gehabt, nüt ihm näher bekannt zu werden, und gestehe, daß ^ente seinesgleichen wohlgeeignet sind, das Vorurthcil gegen die Türken herabzustnumcn. Er ist ein kleiner, feiner Mann mit scharfen Gesichtszügen lind blitzenden Augen; in Wien erzogen, spricht er fertig deutsck und hat alle Ansichten der christlichen Civilisation in sich aufgenommen — bis auf eiue, die das Merheiligste des Türken angeht, den Harem. In seiner Begleitung war/ein etwas beleibter, graublonder Herr, welchem jedermann, trotz der türkischen 3* 36 Uniform nnd dcm nach hinten gerückten Fes. auf der Stelle ansehen mußte, daß gutes, deutsches Blut in seinen Adern floß; es war der Oberst Maliuowsky, cin Magdeburger, welcher als preußischer Instructem- nach der Türkei gekommen war, sich nach und nach zn seinem jekigen Nana, emporschwang und gegenwärtig als Commissar der Pforte bei der Donaurcgulirung fungirt. Auch Albion war vertreten in einem seiner besten und schönsten Söhne, dcm Kapitän Hartley, ans der bekannten britischen Ingcnieurfamilic, Stationscommaudant in Snlina. Die Donaucommission hat in diesc Gegenden cin ganz neues Lcben gebracht; es hat sich ein anderer gesellschaftlicher Ton, eine Concentration der bessern socialen Elemente durch den Zusammenfluß einer Menge von Männern der Elite der Civilisation gebildet, deren Siege sich mehr und mehr vergrößern, nnd dic gewiß von bleibendem Einfluß auf den Landstrich und feine Bewohucr sein wird. Es ist um so mehr vorauszusehen, daß eine derartige Einwirkung dauerude Folgen zu begründen vermag, je weniger es vorauszusehen ist, wann das Donaueini-gungs- nnd Neinigungswerk zu Stande kommt. In fünfundzwanzig Jahren werden wir erst wissen, was eigentlich zu thnn ist, hat mir einer der Eingeweihten gesagt; und die Gemüthlichkeit, mit welcher die meisten davon hier ihren Fuß in den Boden Pflanzen zum Fcstwachscn, spricht allerdings ebenso sehr für diese Ansicht, wie die erschreckend dürftigen, wenigen Anstalten und Bauten, welche die Turt'ei bis heute für ihre dreuualhuuderttausend Ducaten zum Besten der Donau hat entstehen sehen. Es befremdete mich, d^ß mehre moldauische Offiziere an Bord von dem Pascha, einem General, dem Stabs-Ehcf der Armee ihres Oberhcrrn, nicht die geringste Notiz nahmen, ihn weder grüßten, noch sich ihm näherten, obgleich er in Uniform, wie sie, nnd ihnen gewiß bekannt gewesen ist. Sie waren fast alle junge, hübsche Leute und gut geschnürt, aber von nicht fondcrlicher militärischer Haltung, trotz dem ganz und gar franzo'strtcn Coftüm, 37 welches sich den Waffcnröcken der Türken gegenüber nicht zu seinem Vortheil auszeichnete. Allein der Nock macbt nicht den Krieger; davon bekamen wir den augenscheinlichen Beweis, als später zu Isaktscha mehre türkische Offiziere niederer Grade anf das Schiff kamen. Confiscirterc Strolche sind mir noch nie begegnet. Der eine davon, ein hagerer, habichtsnasiger Gesell, trug ein roth und gelb gemustertes, baumwollenes Halstuch als Cravate, den krummen Säbel, ein sehr altes Waffcnstück, verkehrt anf der Schulter, und daran einen starken Vnndel mit Wäsche, in der Hand einen mächtigen HcntVlkorb mit Kirschen, AIs er die Anwesenheit dcs Pascha gewahr wurde, setzte er seine Habscliglvitcn ruhig bei Seite, steckte den Säbel an nnd bezeigte dem Vorgesetzten seine Ehrfurcht mit tiefer Verncigung nnd Haudlegnng anf die Brust; dann wandle er sich hurtig um. holte seine Kirschen, warf im Gehen die bedeckenden Weinblätter hinweg, und präscutirte dem Pascha gutmüthig schmunzelnd die Früchte; dieser nahm etwas widerstrebend einige davon, aber das war nicht genng, der galante Kriegsheld griff mit verdächtig aussehenden Finger» tief in den Korb nnd fuchtc dem Oberen eine reichliche Gabe anfzunöthigen, die er denn anch nicht verweigern mochte; dann aber kannte die Großmuth des Geschmeichelten keine Grenze mehr, und er machte mit seinen Kirschen die Runde auf dem ganzen Verdeck — nur den Frauen bot er keine an, wie sich nach tiirNscher Lebensart von selbst versteht. Mittlerweile hatte sich sein Begleiter, ebenfalls Offizier und wie der andere mit mehren langbaumclnden Medaillen dccorirt, ein abscheulich plattgedrücktes Gesicht, das scinc Negerabstammung nicht Verlcngncn konnte, ill größter Nonchalance ans die Planken nicdcrgrlauert, gleichsam als wollc er der ganzen Welt herausfordernd zciaen daß er ein Paar Schuhe besitze. Nnd er hatte ein Paar Schuhe, der Würdige, aber guter Himmel, welche! Niemand in Deutschland würde sie von einem Kehrichthaufen aufheben, neugierig guckten die Zehen daraus hervor m die Welt — denn an den ^uxns von 38 Strümpfen denkt kein echter Türke — glücklicherweise waren aber Haut und ^cder von einerlei Farbe, daher kein großer Unterschied zu bemerken. In diesem Augenblick begrüßte mich ein Bekannter, ein Schotte, mit dcm ich im Caft der Börse zu Galah mehre Male zufällig zusammen getroffen war. Was er war und trieb, wußte ich nicht; aber er erzählte mir, daß er sich in Ismail niedergelassen habe, und suchte mich nunmehr dringlichst zu bereden, meinen Ausflug bis »ach dieser Wundcrstadt auszudehnen. Denn als eine solche pries er sie, mit ihren breiten, regelmäßigen Straßen, netten, reinlichen Häusern, hübschell Gärten. „Schade nur," fügte er hinzu, ,,daß die Stadt, seitdem die Russen sie verlassen haben, fast menschenleer geworden ist, was freilich auch sein Gutes hat; denn wohlfeiler kann man jetzt nirgend in der Welt ein Haus miethen, wie in Ismail." Während der redselige Schotte mich alfo zu unterhalten strebte, warf ich von Zeit zu Zeit einen Blick hinaus auf den Strom und seine Ufer. Es war und blieb immer dasselbe Vild. Links die Hütten der Douanc in gleichmäßigen Abständen dicht am Strand, rechts Wcidigt und Schilf; über den Wasfcrn schwebten zahlreiche Mövcn mit häßlichein Geschrei, znweilen flog ein mächtiger Pelikan vor dem nahenden Dampfboote auf, um ein paar taufend Schritte weiter wiederum fchwerfällig auf die Fluth zu sinken; da und dort ein türkisches, schmutziges Schiff mit sonderbar hohem Kastell, regungslos in der Windstille vor Anker. Die Festung Isaktscha auf dem rechten Ufer, von welcher aus Omer Pascha — der andere — 1853 im October die rufsischen Kriegsschiffe, welche die Donall hcranf segelten, mit Erfolg beschoß und damit den Krieg thätlich begauu, macht den Eindruck der Verkommenheit, wie Alles, was osmanisch heißt. Hier scheint sich die Donau noch einmal zusammennehmen zu wollen, ehe sie in jenes regellose Wassergcwirr verfällt, das der europäischen Politik so vieles Kopfzerbrechen und 39 dem kranken Mann so vieles Geld gekostet hat; brcil und so langsam, daß seine Oberfläche dem Spiegel eines Landsee's gleicht, fließt der Strom zwischen flachen, schilfgegürtcten Ufern dahin, ohne Buchten, Arme und Inseln; nnr muß man nicht irre werden durch die großen Lunane, besonders ans der linken Seite, welche von trag hervorwallendcn Flüßchen gebildet werden, die in ihrer Mattigkeit scheinbar nicht das Vermögen mehr haben, die letzte Barriere zu durchbrechen, die sie von der Beherrscherin ihres Gebiets trennt, daher sie in stehendem Halbsmnpf ihr Leben beschließen. Anders »nag es freilich aussehen, wenn die Winterwassev sie geschwellt haben. Gerade an dem Punkte, wo der bis dahin immer noch einige Douanstvom sich in viele Arme spaltet, nm der Mündung zuzueilen, evhcbt sich ans dem linkm Ufer die türkische Stadt Tnltscha. Hier kann man noch wählen, ob man durch die Kilia (Xili L»gÄ?i), die Snlina (8uUnc No^i) oder den St. Gcorgs-canal (XcäliN? Noz^i) hinans schiffen will in den Pontus Eurinus. Diese Arme sind die befahrensten, außer ihnen gibt es aber noch drei andere, die Ialova-Kutsuk, die Portesca und die Knrtc-Bogasi, allein sie werden zur Schifffahrt fast gar nicht bcuntzt. Sie liegen südlicher, als die drei erstgenannten, nnd sind Abzweigungen des St. Georgscanals, welcher bei dein Flecken Dunaveez sich nach Süden weudct, eine Zeitlang in dem große» Brackwasser, welches Na,nsinsee genannt wird, verweilt (an seinen Gestaden liegt die schnnchige Hanptstadt der Dobrudscha, Baba-dagh) mid sodann in vier Armen hinausbricht in das Meer. Die Mündungen Portesca und Knrte umschließen die Insel Kectai mil einem armseligen Fischerdorf. Gegenwärtig ist die Sulina die Hanptpassagc für Schiffe, nach dem Beschluß der Mächte aber, welche über das Schickfal der Donau zu gebieten haben, wird der St. Georgscanal dazu erhoben werden; ob die Türkei, welche alsdann im alleinigen Besitz der Mündung sein 40 wird, die großen Kräfte und Mittel, die zn einer solcken Arbeit gehören, aufzutreibcn vermag, und bis wann — das ist eine wohl auszuwerfende Frage. Vom Strom aus gesehen, gewährt Tultscha einen hübschen, malerischen Anblick; mail möchte ihu sogar fast großstädtisch nennen. Viele Fahrzeuge liegen vor Anter und lustig wehen ihre laugen Wimpel im günstigen Ostwind, der zahllose andere mit gebauchten Segeln stromaufwärts bringt; in Zwischenräumen braust ein Dampfer vorüber oder naht sich im mächtigen Bogen dem Land, wo er Station hat. Das Localboot, auf welchem ich anlangte, fährt blos zwischen Galatz, Tnltscha und Ismail. Puffend entrang sich der Dampf alls dem Nohr, langsamer bewegten sich die Näder, die Glocke erschallte weithin lind ein Strom buntester Art von Menschen fast aller Nationen ergoß sich an'« Land. Die Stadt ist nicht dicht bis au's Ufer gebaut, ein breiter verwahrloster Quai trennt die Häuserzeilen von dem Strom, im Hintergrund erhebt sich ein wilder Hügclzug; rechts schaut von einem seiner Scheitel das Haus der Donaucommission palastartig civilisirt weithin „über die Lande bis au die blaue See/' Zur Linken schließt ciuc hohe, steil in den Strom abfallende Klippe die Aussicht; dazwischen regellos durcheinander gewürfelt die graueu Häuser der Stadt, da und dort die unschöne Kuppel eines Vethauses oder ein halbzcrfallencs Minaret, ähnlich einem abgegriffenen Leuchter mit einem ausgelöschten Kcrzeuendc darauf. Vor allen Dingen fuchtc ich eine Stätte, wo ich mciu Haupt niederlegen könne; sie ist nicht fchwer zu finden, denn das deutsche Gasthaus des Herrn Ringlcr ist das einzige feiner Art in Tultscha. Es erfreut aber doch fchon ein deutsches Herz, wieder einmal ein Gasthofschild in der Muttersprache zu erblicken und sei es auch noch so bescheiden. Wie leicht zu denken, ist wenig Zuspruch hier und das stolze Hotel verwandelt sich auch in der Lingua franca in cine modeste Locanda mit ,,oum«i-!? inadiiiati 41 6», Mtare." Freundlich aufgenommen, wenngleich allerdings etwas verwundert betrachtet, fand ich mich bald heimisch und ließ mir den erfrischenden, prickelnden Moldavaner Wein, der viel klarer nnd heller anssieht, wie das ungereinigte Donauwasscr, das wan trinkt, trefflich munden. Nach dem längeren Aufcntbalt in Galatz tonnte ich mmi hohes Erstaunen durchaus nicht bergen, hier gewaschene Teller nnd fogar ein verhältnißmäkig reines Bett zu finden, welches doch wenigstens nicht nöthigte, den Tifch zur Lagerstcllc zu wähleil, Der Gastwirth Ningler ist ein Tvroler nnd kann wahrscheinlich, was alle Fremde können, dn' sich hm-zu Land angesiedelt haben, nämlich viel erzählen von einem früheren Leben; er thut es mit Mch und Geschick; als reifender Künstler auf dcr Zither ist er nach der Türkei verschlagen worden, wo mau auf Kunst nicht viel gibt. Seine hübsche, verständige Frau stammt ans Siebenbürgen; sie erzählte mit Selbstbewußtsein, das; sie vor ein paar Jahren die weite Reise von ihvcr ersten nach der zweiten Hcimath ganz allein in felbsttutschirtcm Wagen und ohne jegliche Gefahr zurückgelegt habe. Nach einiger Nast machte ich einen ersten Gang dnrch die Stadt. Die Bevölkerung derselben mag etwa 20U0U Einwohner betragen, meistens kriechen, Vulgären, Italiener nnd Deutsche, deren Umgangssprache die lingua franca ist. Früher war die Stadt zum größeren Theil von Moslem bewohnt, aber auch hier macht sich die Verdrängung des Mlam bemerkbar, die mir häusig während meiner Slreifereim im Orient aufgefallen ist. Gegenwärtig wohnen nur uoch etwa sechszig türkische Familicu in Tnw scha und nur »och in einer einigen erbärmlichen Moschee wird der Prophct verehrt. Der russisch - türkische Krieg ist es gewesen, der hier die Gläubigen verjagt hat; iu pauischem Schreckeil sind sie gelaufen bis in's Herz von Rmnelicn und haben die Wiederkehr vergessen. Ihrer Häuser und Besitzungen nahm sich an, wer ^ust und Glück, nebenbei auch einige Piaster für dcn Kadi übrig hatte. 42 Die Bauart der Stadt ist nicht ganz orientalisck, vielmehr geben die Ziegeldächer den Häusern cincn abendländischen Anstrich. Aber, lieber Gott, was sind das für Dächer! Sie sehen gerade so aus, als habe der Bauherr einen Korb voll zerbrochener Hohlziegel über die Sparren geschüttet. Das Schilf, ihr sieghafter Nebenbuhler, nimmt sich ihnen gegenüber fast behäbig, mindestens sicherer aus. Fast allc Häuser sind von Holz, vorspringende tauben und Verandahs überall angebracht, die Stelle des Fensterglases vertritt mcistentheils das rautenförmige Gittcrwerk der Orientalen. Sonst steht Alles offen; aller Verkehr scheint ans die Straßen verlegt, deren Reinlichkeit begreiflicherweise dadurch nicht gewinnt. Gemüthlich werden in ihrer Mitte dort Schafe geschlachtet, hier Balken beHauen, üder einem Strohfener wird Talg gcfchmolzen, eine Jüdin von nicht mehr erkennbarer Farbe entleert einen Sack voll Häcksel mitten unter die Gruppe der Tfchibukraucher vor einer der zahllosen Kaffecschenken; hier werden Anstalten gemacht, die Ueberreste eines todten Pferdes, das die Passage seit lange allzusehr gehemmt hat, summarisch zu entfernen; kaltblütig vertheilt der Limonadenvcrkänfer in der duftenden Nähe seineu zweifelhaften Labetraut'; mit Vebensgcfahr drangen sich Ochsenwagen und einspännige Karuheu durch die vielen Hindernisse; ein langer Trupp von Kctteilsträflingcn, zwei und zwei an eine eiserne Stange geschmiedet, wandelt vergnügten Muthes seiner gezwungenen Arbeit bei der Donaureguliruug eutgegen; schäbig aussehende Hunde fahren dem Fremden allc Augenblicke nach den Beinen, als mißgönntet! sie ihm das Recht des Daseins uud ziehen sich knurrend mit einge-Nemmten Schwänzen vor dem erhobenen Knüttel zurück, ohne welchen kem Franke türkische Städte durchwandern kann; in Ermangelung eines eigenen hatte mir der zuvorkommende Wirth aus seinem großen Vorrath einen Gastprügcl sorglich mit auf den Weg gegeben. Um etwas frischen Athem zu schöpfen, fchlug ich mich aus 43 der seltsamen Atmosphäre der Hauptstraße, in welcher übrigens der Knoblauch vorznherrschen schieil, durch ein Seitengäßchen hinunter nach dcm Hafen. (5s lagen gegen hundert Schiffe im Strom vor Anker, alle unter Ballast, nm iu Galatz oder Braila Getreide zn laden; sie ziehen es vor, sich hier zu ver-Proviantiren, weil dies dilliger geschehe» kann, wie an den genann^ ten Handelsplätzen, Unter ihnen siel besonders in die Augen der schwarze, scklanke Numpf und das symmetrische Takelwerk des kleinen französischen Kriegsdampfers Averne dicht am Ufer, welcher zu dem Sänih- lind Truhapparat der Donamommission geHort. Die lustigen Provcn^alcn seiner Besatzung waren cden in einer lebendigen Grnppe auf dem Deck versammelt und lachten über die Grimassen u»d den Aufzug eines bulgarischen Bettlers, der vom ^and aus ihre Mildthätigkeit anrief. Kein Maler, und sei es Murillo selber, hat das in der Darstellung von Lumpen geleistet, was dieser graubärtige, nie gewaschene Strolch an seinem mustn-lösen Körper zur Schau trug. Und erst die Kunst seiner Mimik! Unzählige Mal Nenztc er die Arme vor der Vrust, warf sich auf die Kniee, schlug den Kopf ans die Erde und sprang wieder empor, als sei er ein mechanisches Kunststück aus einem Spiel' waarcnladen; die gutmüthigen Matrosen warfen ihm mit vollen Händen Weißbrodstücke zu. die sofort in feinen nnergvündlichen Bastsack verschwanden; alxr immer von Neuem wiederholte er sein Spiel; wahrscheinlich hatte er mehr Dnrst wie Hunger und erwartete eine Geldspende. Nachdem ich mir den Mann lange genug angesehen, um eine Anwandlung von Schwindel zu verspüren, schlenderte ich längs des Flusses weiter. So oft ich mich umdrehte, erblickte ich noch die unermüdlichen Verbeugungen des Zudringlichen. Das türkische Quartier bildet das Ostendc der Stadt, Das hervorragendste Gebäude desselbeu ist natiirlich das Kaffeehaus dicht neben der außerordentlich zerfallenen und ärmlich aussehenden 44 Moschee. Jenes ist von einer hölzernen Galerie umgeben, und auf ihr saßen unbeweglich wie Statuen zwanzig bis dreißig Türken mit gekreuzten Beinen; fast lauter alte Männer mit wchlgcpflegtcn weißen Bärten nnd in stattlicher, zum Theil reicher Kleidung. Besonders stachen hervor ihre breiten blüthenweißcn Turbane; einen einzigen von grüucr Farbe, die bekanntlich das Vorrecht dcr Abkömmlinge des Propheten Ali ist, sah ich darunter. Alle hatten den Schlauch dcr Wasserpfeife zwischen den Lippen, aus denen von Zeit zu Zeit ein blaues Dampswölkchen anoll, das einzige Zeichen ihres Lebens. Nichts von jener Ncugicr, die so ost dein Fremden lästig wird, verrieth sich in ihren starren Zügen, sie folgten mir nicht einmal mit dem Blick, als ich ihren Ncgräbniß-plcch betrat, dcr wenige Schritte davon auf einem Hügel an der Donau angelegt ist. Hier sah es wüst und wild aus, Unrath aller Art zwischen den von hohen Nesseln umwucherten Gräbern, deren Denksteine, meistens umgestürzt, halb in dcr Erde lagen; nur hier und da ragte noch ein roh gemeißelter Steinwrban über das Unkraut hervor. Nuten im Strome steht, vom Lande losgerissen, die Insel eines mächtigm Fclsblocks und darauf eine Fischerhütte, die in ihrer Zerfallcnhcit ein höchst malerisches Bild darstellte. Als Staffage trieb sich ein ganzes Häuflein halbnackter Kinder ringsumher, bcfchäftigt, Netze zum Trocknen auf dem Felsen auszubreiten; im Schatten des Daches saßen zwei türtische Weiber, Kopf und Gesicht mit weißem Moussclin nmwundcn. Dicht hinter dem türkischen Friedhof erhebt sich die schon erwähnte steile Klippe bis zu mehrcrcu huudcrt Fuß Höhe über dem Wasser-spicgcl. Der Weg hinauf schlangelt sich durch eine Vorstadt dcv Bulgaren; sie besteht aus lauter erbärmlichen Schilfhüt ten, an welchen fast kein anderes Baumaterial bemerkbar ist. Zwischen ihnen ist da und dort ein freier Raum, auf dem einige halb-verwitterte Holzkrcuze andeuten, daß mall hier sich begraben lassen kam«, wo man will; je näher an der Traufe des Hauses, um so 45 bequemer. Von einer Pietät siegen die Todten keine Spur; im Gegentheil. Hier wird denn auch dem Fremdling klar, daß er es ist, Kinder in dcr Tracht des Paradieses liefen entsetzt und schreiend vor mir davon nnd kugelten über einander in die niedrigen Löcher, welche Hausthüren vorstellen sollen; dagegen traten hübsche, großäugige Weiber blos im Hemd, höchstens noch ein Tuch scbürzen-artig umgeschlagen, an die Schilfzäuue, um mir verwundert nach-zublickeu. Es wareu lauter stattliche, kräftige Gestalten von braunem Teint, denen dcr rothe Vuud um die rabenschwarzen Zöpfe recht gut staud. Freilich war auch mauchc Alte darunter, vou der sich das Auge mit gelindem Grauen abwandte. Der Gipfel des Bergvorsprungs gewährt nach drei Seiten hin eine weite Aussicht. Unmittelbar an seinem Fuße hat ein industrieller Ungar einen Steinbruch eröfsuet und von ihm aus eine Eisenbahn nach dem Landungsplatz angelegt; wahrscheinlich die erste ans türkischein Gruud lind Boden. In großen Bogen flnthct die Donau breit und gemächlich dahin, überall bis in entlegenste Ferne blitzt ihr Wassergewirr, in welchem man sich vergeblich zu oricntiren sucht, in den Strahlen der Sonne; nach Osten uud Nordeu nur endlose ununterbrochene Flächen, Strom und Nohr sumpf. Westlich dehut sich die Stadt aus, gelagert in einen» muldenförmigen, von Hügeln umgrenzten Necken; ihre unregclmäßigcn Häuserreihen und die Unebenheiten der Lage verleihen ihr einen eigenthümlichen Reiz aus der Ferne. Der südliche Hang des iso-lirtcu Verges senkt sich in einen Schilfs«, welcher der Stadt ihre hauptsächlichen Baustoffe liefert, rings um denselben gewahrt man Spuren von Ackerbau; jcuseits schließen uackte Höhenzüge den Horizont. Von dem Leben m Tultscha kann ick aus den paar Tagen meines Aufenthalts nur wenig erzählen; was man mir darüber mittheilte, klingt nicht besonders tröstlich. Inzwischen ist doch durch die Anwesenheit der Herren von dcr Donaucommissiou mehr 46 Leben und Annehmlichkeit hineingekommen, wie früher. Die Spitze der Gesellschaft bildet der österreichische Consul von Mar-tyrt und seine Gemahlin, eine walachische Bojarin. Der ebenso liebenswürdige cils energische Mann hat sich große Verdienste um die Stadt nnd seine Schutzbefohlenen erworben; zn den letzteren zählt er jeden Deutschen, der sick vertraneusvoll an ihn wendet. Das Recht semer Jurisdiction übt er streng nnd gewissenhaft; aus den häufigen Kämpfen mit den türkischen Behörden, in die es ihn verwickelt, geht er gewöhnlich siegreich hervor. Von den hier cmge-siedelten Italienern, welche eine geschlossene Gesellschaft für sich bilden, will man nicht viel Gntes erzählen; bemerkbar macht sick unter ihnen eine Anzahl von Aerzten, von welchen zwar jeder eine Platte mit dem Doclm' mcllü'inu«.' an seine Thüre genagelt hat, die aber in Verlegenheit gerathen würden, wenn sie den Nachweis ihrer Studien und ihres Diploms liefern sollten. Mehrere davon sind Nückdleibsel des letzten Kriegs. In den Händen der Griechen ist, wie überall, wo sie sich eingenistet haben, der Handel; die Juden kommen gegen sie nicht auf und müssen sich mit untergeordneten Geschäften, als Viehhandel und dergleichen befassen. In ihrem Besitze ist dagegen das Schneidergcwcrbe, ebenso das Lohn-fuhrwerk. Die Vulgären bilden den Stamm der Lastträger, Handarbeiter, Gärtner und Ackerbauer; ihre kräftige Nace wird für derartige Verrichtnngcn besonders geschälzt. Die meisten Handwerker sind Serben oder Magyaren, sie scheinen nicht viel auf ihre Nationalität zu halten, denn wenn man bei ihnen einspricht, so kommen sie Einem sofort entgegen mit der beruhigenden Erklärung' „Ich auch deutsches Bruder." Viele Tartarcn leben in der Dobrudscha zerstreut uud gelten als vortreffliche Viehhirtcu, treiben aber auch mit Leidenschaft und weitem Gewissen den Hansirhaudcl. Die Moldavaner sind verrufen als träge nud schmutzig; sie leben von was sie tonnen, glücklicherweise übersteigen ihre Bedürfnisse selten diejenigen des Hausthicrs, das von den Türken verabscheut wird, 47 nichtsdestoweniger aber in den Straften ihrer guten Stadt zwanglos promenirt, so lange e^ seine Rivalen im Amte der Straßenpolizei, die Hnnde, gestatten. Nun bleibt uns noch übrig, cincn Blick ans die ziemlich zahlreichen dentschcn Einwohner zn werfen. Die Mehrzahl derselben bewohnt ein besonderes Quartier im Süden der Stadt, die dcntsche Mahala. Auf dem Wege dahin hat man mehr, als Einem lieb ist. Gelegenheit, die winkeligen, nach allen beliebigen Richtungen sich kreuzenden Gassen und Gäßchen zu stndircn; gute wasserdichte Stiefel und abgestumpfte Empfindlichkeit der Geruchs-nerven sind bei diesem Gang angelegentlich zu empfehlen. Gin Maler könnte hier schr schätzbare Studien in architektonischen Un Möglichkeiten machen, Symmetric ist den hiesigen Vaunmstern unbekannt; n«an sM das Fenster dahin, wo man es nöthig glaubt und kümmert sich nicht um seine Nachbarn. Die Hauptfronte größerer Wohnungen sieht übrigens nie nach der Straße, sondern nach orientalischer Sitte in den abgeschlossenen Hof. Ich hatte eine Adresse zu erfragen und dadurch Gelegenheit, verschiedene Vesuchc zu machen, also das Innere mehrerer Häuser theilweise zn besehen; einen Abend brachte ich auch in liebenswürdiger Gesellschaft einer eorfiotischen Familie zu, welche die Wohnung eines reichen Türken inne hat. Durch das wohlverwahrte Thor, welches erst nach vielem Pochen und Hundelärm geöffnet wird, tritt man l" einen geräumigen Hof; das Haus ist mit einer unregelmäßigen Menge von vergitterten Erkern überladen; eine bedachte hölzerne Treppe führt in wenigen Stufen auf einen dunklen Vorplatz mit lchmgestampftcu Estrich; das Hauptzimmer, oder der Salon, wenn man will, ist der einzige größere Raum; an Mobiliar hat er nichts aufzuweisen, wie einen auffallend niedrigen Tisch und einen rings an den Wänden herlaufenden Divau mit vielen kattunbezogenen Kissen; alle übrigen Zimmer sind sehr eng uud die Haupt-"'öbel derselben bestehen in großen und kleinen buntbemalten Kästen. 43 Vetten habe ich nicht zn sehen bekommen und durste natürlich auch nicht darnach fragen, wahrscheinlich vertritt der Divan auch ihre Stelle. Uedrigcns will ich offcn bekennen, daß ich die prächtigen, schlanke» griechischen Frauen in ihrer kleidsamen Nationaltracht viel anziehender fand, wie die Geheimnisse ihrer Menage. Endlich hatte ich nach vielem Abmühen herausgebracht, daß die zn erfragende Adresse mit Sicherheit im Vesik eines Hansjörg Fischer, wohnhaft in der deutschen Mahala, sei; die Wohnung diese? Biedermanns könne mir dort jedes Kind geigen. Also wanderte ich Hinalls in das vaterländische Quartier. Es machte keinen Eindruck, welcher geeignet wärc, patriotischen Stolz zu heben. Zum großen Theil liegt dic deutsche Mahala an beiden Seiteil einer sehr breiten und langen Strafe, welche erwünschte Gelegen-heit bietet, sich alles dessen bequem zu entäußern, was in Hof und Haus allzu lästig wird. Die Wohnungen sind lauter einstöckige. aus Erdc zufammengeknetete, schilfbedccktc Hütten mit möglichst t'lcme» Fcnstern, in welchen das Glas cine Seltenheit ist. Vei dem Eintritt in die erste schlug mir eine Vnft entgegen, die mich fogleich wieder in den Hof unter die heulenden Hunde zurücktrieb. Ein Wesen, wahrscheinlich cine Fran, obgleich ich es nicht bestimmt behaupten könnte, erschien auf der Schwelle; meiner höfliche» «Nage nach dem Gesuchten quollen die vaterländischen Laute entgegen: „Immer geradaus!" und die Thüre fuhr zu, daß das Dach raschelte, '^oll von dem empfangenen angenehmen Eindruck, wanderte oder sprang ich vielmehr weiter, die spärlichen, nicht allzutief schlammigen Stellen des Weges suchend, zum höchsten Ergöbcn eines Rudels vou unmöglich zn beschreibenden Kindern, welchen aber trotz gezeigter Kupfcrstücke durchaus keine andere Antwort abzugewinnen war, als ein verhöhnendes Gegröhle. Es war eine recht amüsante Streife; in mehreren Hänscrn versuchte ich mein Glück, ohne besseren Erfolg; entweder hieß es: „weiß nit!" oder „da oben!" Unverdrossen spazierte ich bis nach „da oben," „wo 49 die litten Häuser stelln." Noch einmal trat ich ein und kam gerade recht zll den Vorbereitungen de^ Vrodbackens, Entschlossen, mich nicht mehr abweisen zn lassen, erhielt ich denn auch endlich die Nustnnfl: „Da nebenan wohnt cr," Das ärmliche Geräth, das ich in dieser Hütte sah, gab mir eine schachte Vorstcllnng von dein Wohlbefinden meiner lieben Landslente: dennoch soll es ihnen allen recht gnt gehen und ihr Fleiß im ^andban ihnen hübsche muckte bringen, ^ast alle diese Deutsche sind anC' Rnß' land i>l der Türkei eingewandert, schon eine yveite Generation von Kolonisten; ihre Voreltern stammten hauptsächlich ans Baveru nnd Schwaden; sie sind katholischer Religion, haben eine Kirche nnd einen Geistlichen. „Nebenan" war allerdings ein ziemlicb weiter Begriff, da man viele der Hütteu im Umkreis darnach hätte gemeint glanben können. Aüf's Gcrathewohl lvat iä, dnrch ein Gatterthor in eine große Umzäunung, in der sich eine halbwilde Pferdeheerdc umher-trieb; glücklicherweise brachte meine Erscheinung unter ihr nnd unter den nicht fehlenden Kötern einen folche« Anfrnhr hervor, daß sich auf einmal ans der Tiefe der Erde eine brüllende Stimme vernehmen ließ mit einer dcutscbcn Begrüßung, die mit einem Willkommen sehr wenig gemein hatte. Zngleich tauchte ans einem Loch im Boden ein stvuppig blondes Haupt empor und zu »neiner Ueberrafchung erkannte ich, daß, wa? ich bisher für eine» Misthaufen gehalten hatte, ein Haus war, eine jener Scmlankcn oder Erdwohnnngcn, lvie si.- i„ Nnßland ndlich sind. „Wer ist da?" rief mich der ^andsmaun mürrisch an, als ob er mich nicht sähe. „Können Sie nur sagen, wo Herr Hansiörg Fiscker wohnt?" frug ich beschcidcn. „Dcr bin ich, was wollen Sie?" lantcte die Antwort. „Können Sie mir mcht sagen, wo ich die und die Person lindeV Der brave Mann besann sich eine Weile, dann erwiederte er- „Ja, das t'ann ich Ihnen wohl sagen, aber wenn Sie nur nicht sechs Piaster geben, so thue ich's nicht." — Meiner 50 (befühle in dicscm Augcublicke bin ich nicht mehr gan^ sicher, cr> innere mich aber wohl, daß ich mir den Mann und seine Hundc genau besah, imd dauu nieinen Knüttel. Das Nesnltat dcr Ueber-legung war, daß ich ihm drei Piaster oder einen Zwanziger bot; sehr kaltblütig lind lakonisch antwortete er: ,,Nä!" und tanchtc wieder unter in seine Höhle. Ich stand allein in der Abenddämmerung; meine Adresse zu erfahren war nur die Lust vergangen, ich trat sogar mit einiger Vesorguiß den Rückweg an aus der vaterländischen Region in diejenige der uncivilisirtcn Völker. Biederer Hansjörg Fischer, wenn du anch deiuc sechs Piaster nicht erhalten hast, so soll dir doch weit mehr werden, dein Name sei ein Denkmal der deutschen Ocmülhlichkcit im Ausland! Frisch war der Morgen und wolkeulos dcr Himmel, wie hier fast immer im Sommer, als ich mich aufmachte znm Besuch der deutschen Vaucrncoloniccn in der Dobrudscha, zunächst in Kataloi. Nach dcr Amveisung des Wirths begab ich mich zu dem Vazar dcr Stadt, aus dessen Plah stets lange Reihen von Fuhrwerken zu sofortiger Verfügung stehen und ließ mich in Unterhandlung ein mit einem hübschen, aber ganz nnsagbar schmutzigen Iudenjnngen. Denn die Juden sprechen alle deutsch, war mir gesagt worden. Wenn aber der kleine Orientale von meinem Deutsch dasselbe gehalten hat, wie ich von dem seinigen, so kann ich nicht hoch in seiner Mcinuug gcstaudcn haben. Ucbrigens war das Geschäft der Wagenmicthc rasch geschlossen; ich bot ihm die Hälfte von dem, was er gefordert, und vergnügt über den guten Handel sprang der unmündige Lenker sofort auf den Wagen und hieb anf die beiden abgetriebenen Mähren davor, wie ein kleiner Teufel. Im Galopp ging es dnrch die Stadt, berganf über einen ganz mit Windmühlen garnirten Hügclzug, hineiu in die Wildniß. Dcr Wagen, dem ich leichtsiuuig mmie Knochen anvertraut, war eine Moldavancr Virschce, natürlich ohne Federn; sie unterscheidet sich von der gewöhnlichen Karutzc durch ein Kmbgcflecht, den Sitz bildet Heu mit einem 51 darüber gebreiteten Schaffell. Vor den Thoren der Stadt Tnltscha beginnt die Einöde dunkler Verge, die nur mit Gestrüpp bewachsen sind, weil die vielen bunten ^icgeuheerden, die sie beweideu, gar keinen höheren Wuchs aufkommen lassen. Ucberall kletterten die rauhhärigen Thiere an den Abhängen umher, ernste bulgarische Hirten, ans ihre langen Stäbe gelehnt, zn ihren Füßen zottige gclbc Hunde, bildeten eine treffliche Staffage. Ich snchte Belehrung dei meinem zwölfjährigen Verschar, allein, wenn fein Deutfch auch zu einem einfachen Geschäft hinreichte, so doch nicht zu einer Unterhaltnng. Ich brachte jedoch heraus, daß er ^cif-Ehanc Mordachai heiße nnd jeden Abend Hiebe bekomme, wenn er weniger als fünf Piaster für das Pferd heimbringe. Immer wilder wurde die Gegend, steiler sielen die Höhen ab, einerlei, es ging unaufhaltsam im Galopp hinauf und hernntcr, aber cinch nicht eine Minnle unterbrach der Junge die Thätigkeit seiner unbarmherzigen Peitfche. Große Adler kreisten zahlreich in der i!nft; sie waren so wenig schell, daß mir auf fünfzehn Schritte ein Schuß mit der Pistole auf einen prächtigen weißen Seeadler gelang, dem zu Lieb ein Augenblick angehalten worden war. Offen gestanden, war es mir welliger um die Iagdlust zu thun gewesen, als dem kleinen Burschen vor mir auf alle Fälle die Notiz zur weiteren Verbreitung zu geben, daß ich gut bewaffnet sei. Den Hanptbestand des Gestrüpps der dunklen Verge bildeten niedere Eichenbnfche, dazwischen Prnnusarten, Weißdorn und hohe Unkrautstauden, nirgends Nadelhölzer. Der Gcbirgswald, ein paar Meilen tiefer im .^and, besteht aus Eichen, von welchen aber die Mehrzahl guter Stämme längst ausgeholzt ist, außerdem aus Linden, Ulmen und Weißbuchen; letztere werden in Ermangelung der erstgenannten gegenwärtig vorzugsweise zu den Douaubanten verwendet. Keine Spur von Anban ist weit und breit auf diesen wilden Höhen zn erblicken. Die Straße laust ohne Wahl hindurch, blos von Wagengeleisen vorgezeichnel. In der Jahreszeit des Regens 4* 52 kann fie blos mit Ochsen befahren werden. Vin eigentlicher Nasen hat sich nirgends zwischen dm Sträuchern gebildet, aber viele hübsche Vlumeu lcnchteu da uild dort aus dem dunklen Grün hervor. Ungeheure Nolfsmilchgebüsche, Lychnisarten, Disteln und Wollblumen überragen häusig dii,' HolMwächse. Es ist sehr einsam hier, selten begegnet mau ciucn Wageu, der uach der Stadt fährt, oder erblickt einen Hirten iu der Ferne. Nach etwa zweistündiger Fahrt deutete der kleiue Verschar in die Tiefe und sagte: „Kataloi." Hätte ich vorher kcinc Moldavancr Dörfer gesehen, so wäre es mir schwerlich in den Sinn gekommen, jene Erdkcgel zur Linken für cm großes Dovf zu halten. Kein einziger Vanm sproßte zwischen den Ansiedlungen dort hervor, nackt, grau und trostlos lagen die Hütten planlos durcheinander am flachen Abhang des jenseits emporsteigenden Hügels. Aber nicht in ihre Mitte ging unsere Fahrt, wir hielten uns rechts und ließen das Moldaoaner Dorf bei Seile. Nicht lange, so quoll aus Schilfaufwüvfcu rechts uud links von der Straße dünner Ranch empor, wir waren in der deutschen Colonic und vou Außen sah sie nicht um ein Stückchen besser aus, wie diejenige der Nachbarn. Auch ihvc Hütten paf-sirten wir, da erschienen plötzlich zu beideu Seiten der Straße ein paar verhältnißmäßig ganz hübsche Häuser, freilich von Lehm gebaut, mit Stroh gedeckt, aber doch im Besitz von Fenstern und Thüren und, o des überraschenden Lurns, sogar weiß angestrichen! Das erste davon war die Schäuke uud vor der hielten wir. Als ich eintrat, sah ich augenblicklich, welcher Nation die Wirthe angehörten; auf eincr Vauk lag ein Mann iu einer kurzen blauen VIonse und las einen jener illustrirtcn französischen Romaue, wie sie jetzt für ein Billiges zu habeu sind; auf dem Divau hiutcr dem Tifch saß eine üppige, schwarzäugige Fran ill halbgriechischcr Tracht mit gekreuzten Veiucn lind rauchte ihren Tschibuk. Es Waren Franzosen, ein Pariscr und eine Pvovencalin. Sie cm. pfingen mich äußerst freundschaftlich und artig, nud ich bewies 03 mich sofort dankbar dafür, indem ick das mir vorgesetzte Vier nickt allein lobte, sondern sogar trank; wer da weiß, was Alles dic Franzosen Vier nennen, wird diese Heldenthat würdigen. Gleich »ack den ersten Worten der Unterhaltung wnrde mir dic freudige ^cbenaschung, dast meine Petanntcn, nack denen ich gestern den ganzen Tag vergeblick gesucht, in dem gegeuiU'crliegendcn Hanse wohnten. Ich eilte sofort dahin, mußte mick aber erst gehörig legitinnren. ehe man mir glanbeu wollte, daß ich es sei, der sick ül diese Einöde verirrt habe. Mr. nnd Madame Pnissant waren aus Dijon vor mehreren Iahrell nach dcr Tobrndscha gegangen, um ein industrielles Unternehmen auszubeuten, abcr, wie cs so oft geht, dieses beutete sic ans und sic waren froh, mit dem Nest ihrer Habe sich in Kataloi ansiedeln zu tonnen. Sie bewirthschafteten eine große Fläche und halten zu leben, allein sie wären keine Franzosen gewesen, wenn nicht alle Augenblicke der bittere Vergleich zwischen Sonst nnd Jetzt zum Vorschein gekommen wäre. Hhve Einrichtung war bei großer Nettigkeit und Sauberkeit fast mehr als ärmlich; aber die Nationalität sprang gleich wieder zn Tage, als ich in das kleine Gastzimmer geführt wnrde, das sie mir sofort freundlich zur Verfügung stellten. Welch' ein Abstand! Nohc geweifte Wände, lehmgcstrichener Fußboden nnd ein breites Himmelbett, von Spitzen nmwallt, mit einem Plümean von himmelblauem Atlas, davor ein eingelegtes Tischchen von Nosenholz mit einer Menge kleiner Nippsachen, an der Wand ein Spiegel in schwerem Goldrahmcn und darunter ein ganz ärmlicher Divan mit schlechtem Kattnn iibcrzogen. Madame Puissant tonnte einen Seufzer nicht unterdrücken, als sie mir zuflüsterte: „Tas ist Alles, was uns geblieben ist." Aber eine elegische Stimmung griff doch nicht Platz, trotzdem mein Aublick sie fortwährend an vergangene Herrlichkeiteil erinnern mnßte. Ihre größte Klage war die, daß sie von den türkischen Obrigkeiten fortwährend gedrängt würden, in den Unterthancnvcrband zu treten, wozu nach dem Gesetz jeder 54 Grundbesitzer verpflichtet ist; aber Najah zu werden, sträubt sich der Ausländer so laug er kaun. Außerdem schilderten sie den Hader, in dem sie unaufhörlich mit den deutschen Nachbarn lägen, als eine Quelle des Verdrusses und Schadens; sie standen in Bildung hoch über diesen, waren eher gekommen und hatten daher auf das beste Land und die fettesten Weidcgründc Beschlag gelegt, allein die Deutschen sind in der Mehrzahl und respectiren, wie es scheint, nicht sonderlich das Squatterrccht. Jeder Ansiedler kann sich Eigenthum nehmen, wo und so viel er will, wenn es besitzlos ist oder dcv Krone gehört; auch mit dem Holz der Wälder, die freilich von Kataloi noch yoci Meilen entfernt sind, kann er schalten zu eigenem Gebrauch, wie es ihm beliebt. Die Haupt: culturcn des Ackerbaues sind Weizen und Mais, Roggen geräth schlecht, die Kartoffel» nur mittelmäßig. Die Franzosen hatten sich hauptsachlich auf die Pferdezucht geworfen, die Deutschen dagegen, wohl mit richtigerem Urtheil, auf die Niutwichzucht. Schafe, für welche das ^,'and vorzugsweise geeignet wäre, werden bis jetzt nur wenig gehalten. In Begleitung meiner Gastsrennde ging ich in die Schenke zurück, um meinen Iudeujungen hcimzusendcn. Ich fand darin einen neuen Gast, einen riesigen Arnauten mit scharf markirtcm Gesichte und fußlangem Schnautzbart. Seine reichgestickte Tracht, die Pistolen und der Handfchar im Gürtel machten ihn zu einer frappanten Erscheinung, er hatte den Nargilch vor sich nnd daneben — o Wunder! — eine zinnerne Pinte mit Vier. Der erste Vcwcis der fortschreitenden Civilisation unter dcu Türken! Später erfuhr ich allerdings, daß sie darin schon ziemlich weit voran sind und es mit manchem echten Deutschen aufuehmcu tönncu. Trotzdem meine Franzosen kein freundliches Gesicht dazu machten, ließ ich mich nicht abhalten, die deutschen 5'andslente zu besuchen. Die Umgebung der ersteil Erdhütte, vor die ich trat, deutete auf nichts weniger, als auf Wohlstand oder Ordnungsliebe. 56 Der Zugang war kothig und mit allerlei Hindernissen versperrt, worunter ein halbes Dutzend Huildc nicht die mindest beschwerlichen waren. Rechts erhob sich ein hohes Korbgeflecht, welches die Scheune vorstellte, es wird darin Getreide, Heu, auch Holz nnd Kohlen mifbewahrt. Während ich mich umschaute, ries es plötzlich: „Lisbeth, Ev, Ehrischtian!" Ta war ich denn anf einmal mitten im lieben Deutschland und gar sonderbar erklangen hier die wohlbekannten vaterländischen ^ante! Ein altes Mütterchen trat hinter dem niedrigen Schilfdach der in die Erde gegrabenen Wohnung hervor. „Grüß Gott," rief ich ihr zu. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und frug: „Wo kommen Sie denn her? Sie sind gcwiß unfer neuer PfarrcN" Ich lehnte diese unerwartete Ehre ab, die sich mit meinem ganzen Auszug wenig verciucn ließ, und begann meine Unterhaltung mit der Alten. Sie war gebürtig aus Württemberg, ans dem Bietighcimer Amt und als Kind mit ihren Eltern fortgezogen; die meisten Frauen der Eolonie stammen ebenfalls ans Württemberg und Vaden, allein die wenigsten davon siud in Deutschland geboren. Beibehalten haben sie aber ihre ursprüngliche Tracht und alle Lebensgewohnheiten; ihr Dialett ist noch vollkommen der schwäbische auf der breitesten Grundlage, nur manchmal klingt ein fremdes Wort dazwischen. Es wohnen etliche vierzig Colonisteufamilicu hier; von den Männern sind nur einige wenige Dentsche und zwar alls der Umgegend von Graudenz, die übrigen sind lauter Ungarn und Polen, Alle sind vordem in Vessarabien ansässig gewesen; bei dem Allsbruch des Krimkricgcs hatten sie sich zur Allswanderung entschlossen ans Furcht, russische Unterthanen werden zu müssen und zur Militärpflicht gezogen zu werden. Mit hübschen Ersparnissen zogen sie nach der Dobrndscha, allem gerade hierher wälzte sich auch der Krieg uud sie behaupteten, dabei fast um Alles gekommen zu sein. Da packten sie wieder aus und kehrten nach Rußland zurück. Allein nunmehr wollte man sie dort nicht 56 wieder aufnehmen, Jahre lang zogen sic hi» und l>cr und s^Iugen sich durch, so gut es ging; endlich machte die russische Regierung, die wirtlich nngemcin viel für ihre Colonisten thut, diesen, Zigeunerleben ein i^ndc, »interstühte sic mit Geld und Lebeusmittelu und schasste sie auf ihre Kosten wiederum zurück in die Dobrudscha. „Es geschieht uns schou recht/' s^gte die Alte, als sie mir ihre Ddysscc vorsaug, „wir habeil dem Kaiser seine Guadc verachtet uud dafür hat er uns anch uicht n,ehr als Kinder haben wollen." Sie sprach vollkommen so, wie eine eingeborene Nussin echtesten Schlags. In der Türkei wurden die armen Leute gut aufgenommen und es ward ihnen freigestellt sich anzusiedeln, wo sie wollten. Nach reiflicher Wahl entschieden sie sich für Kataloi. Der Bodcu sei hier gut, berichteten sie mich, der Acker nicht zu weit entlegen. Sie führen eine gan^ andere Wirthschaft, wie die Franzosen; ihnen gedeiht, was dicfen uicht; sie bauen Mais, Kartoffeln, Gerste uud Roggeu, welchen sie dem Weizcu vorziehe,,. Weide für ihr Vieh haben sie zur Genüge, au Brennmaterial fehlt es uicht. Im Anfang machten sie fchöuen Gewinn an dem Holz, das sie zum Verkam schlugen; dics ist aber jeht verboten. Tic Hauptnoth ist der Wassermangel, Qnellcn uud Bäche gibt es nicht und die Brunnen müssen sehr tief gegraben werden; ihr Wasser hat immer einen leichten Salzgeschmack. Das Muster zu ihren Wohuungen haben die Kolonisten mit aus Nnßlaud gebracht. Die Lehmmanern derselben ragen höchstens eine Elle über den Boden hervor, zu der Thüre führen Stufen hinab. Diese Bauart ist sehr billig, aber zur Bequemlichkeit und Verschönerung des Lebens trägt sie wenig bei. Eine dicke, ungesunde Luft herrscht in den uuterirdischeu Räumen, deren es gewöhnlich drei sind, Schlaft uud Wohnzimmer, Küche nnd Vor-rathskammer. Die Möbel beschränken sich auf das Allercinfachstc, rohe Tische u»d Bänke, einen Kasten, eine hölzerne Pritsche als gemeinsames Bett. Pon Bettzeug wissen diese Leute, nach rnssischcr 57 Sitte, nichts mau bedecN sick mit Kleiocrn und Pelzen, oder siecht i,n Wiitter auf den großen thönerncn Ofen. SckN'einc »ind Hühner theileu die Wohnung mit der Faiuilic, ihr,,' Aus-dünstuugeu, vermischt mit deneil des Quaßständers, der sauren Milch und der Zwiebeln, bilden eine Atmosphäre, iu der ein nickt Gewöhnte es nur Minuteu lang alishaltcn kaun. Nichtsdestoweniger sahen die Kinder frisch und wohlgenährt aus-, freilich wilx-n sie sich auch den Hanpttheil dcs Jahres hindurch im Freien umher. Gin Gleiches gilt von dm Mäuneru, worunter viele stattliche Gestalten, wohingegen die Weiber, die fast immer au häusliche Arbeit gebunden siud, das Siegel übermäßiger Nustrcuguna, und der ungesunden Wohnung nnv allzudeutlich aufgeprägt zeigten. Ich sah kein eiuziges erwachsenes hübsches Mädchen, noch lMgc Fraucu schieucu doppelt so alt, als sie wirklich warm. Während des Tags ist t'eiu Mann im Dorfe anzutreffen, eutwcdcr befiudet er sich bei dem Vieh auf der Weide, besorgt die Ackerarbeit, schlägt Holz oder holt Schilf, welches ihm von d^'n Behörden unentgeltlich geliefert wird, zum Ausbessern der Dächer und der Umzäunungen. Ich besuchte im Laufe des Tages fast die meisteu Hütten der Nusiedluug. Ueberall, wo ich sl'agte, hieß cs: „Es geht uus gut/' — allein daran hing doch stets die Klage um das verlorene Kanaan, die Sehnsucht nach Nußland. Deutschland ist von diesen ^'cutru ganz vcrgesseu, sie wissen nichts mehr davon und wollen nichts davon wissen. Nicht einmal eine Frage der Neugier nach dem alten Stammlandc ward rege, häufig dagegen die, ob es wahr sei, daß der Krieg wieder losginge zwischen Rußlaud und der Türkei. Mittelst einigen Para's hatte ich bald Freundschaft mit Kindern geschloffen, nach uud uach kam die ganze hoffnnngsvolle Jugend des Dorfs und hielt die crdhrauncu Händchen auf; sogleich fiugcu die um-hcrstcheudcu Mütter nud Gasen an zu klagen über ihre Noth uud die Seltenheit des Geldes, ohne aber dadurch meinen mageren »8 Geldbeutel zu größeren Spenden vermögen zu tönncr«. Dic Franzosen versicherten nur später heilig und theuer, daß alle deutschen l^olouisteu in ihrer Art wohlhabend zu nennen wären und daß Jeder von ihnen ein hübsches Capitälchcu als Noth-pfennig vergraben habe. Dumpf, stumpf nud verkommen -- das war der Eindruck, den diese armen Ableger meiner Nation auf mich machten. Ihr größter Jammer war die furcht vor dem Najah — sie begriffen, daß sie aus dem Negen in die Traufe gerathen waren. Am Abend t'amen die Männer heim; theils auf Wagen mil Pferden, theils vor langen Zügen prächtiger, grauer Rinder. Jetzt erst gewann die Kolonie ^'eben; billig dürfte ich mub wuudern über den Kinderrcickthum, der sich entfaltete, denn von allen Wagen herab wimmelte es von dem erwachselleren iungcn Volk, das fchon frühzeitig bei der Arbeit helfen muß. Als sie vernahmen, daß ich Gast der Franzosen sei, betrachteten mich die Männer »lit Mißtranen, sie schimpften lästerlich über dieselben und verhöhuteu die neuen Ackergcräthe, welche sic eingeführt hatten. Ihre eigenen Wagen nnd Pflüge waren von der rohestcn Bauart, und zwar nach russischen, nicht nach dentschen Modellen. Bedeutend größer, aber soust »m uichts besser als Kataloi, ist die andere deutsche Colonie Atmadfcha. Sic besteht der Mehrzahl nach ans Preußen des Posen'schen Bezirks, einige Wnrttembcrger sind darunter. Auch diese Ansiedler sind größten-theils schon eine zweite Generation; die Voreltern sind im Jahre 1815 in Folge der Befreiungskriege nach Nußland ausgewandert, von wo sie sich hierher gewandt haben. Ihre Gegend ist besser, namentlich holzrcichcr in nächster Nähe, wie diejenige von Kataloi. Auch ihnen geht es im Ganzen gut lind sie scheinen vorwärts zu lommcn. Die Preußische Regierung iuteressirt sick für dieselben; ihr Consular-Agcnt Blücher in Galah hat sich viele Verdienste um die Ansiedler erworben und sie gcdenleu seiner mit großen. 59 Lob, Diese Landcolonieen schören fast sämmtlich zur lutherischen Kirche; cbcn wnrdc ein Geistlicher ans Preußen, ein Herr Kübn, erwartet, welchen die Neuerung sandte; für ihn hatte mich meine erste Bekanntschaft gehalten nnd es ging mir noch mehrere Male so. Vielleicht, daß es dem vereinten Einfluß von Kirche nnd Schule gelingt, ein wirklick dentsches Leben in die gnten, zweiinal von dn- Heimath angestoßenen Leute zn bringen. Es wäre dies hochcrfrculich, denn sonst werden sie doch mit der Zeit anch den letzten Rest ihrer Nationalität vergessen, Daß diese Coloniecn in materieller Hinsicht sich dnvcharbeiten und vorwärts kommen werden, daran zweifle ich nickt, denn es gibt keine fleißigeren und genng-sam^en Lcnte, als die Deutschen. Auf die Frage aber, ob das weite ^and der Dobrndscha für die )lusivanderung geeignet sei, kann ich nur mit einer Warnung antworten. Platz ist noch genug da für Viele, der jungfräuliche Voden wird anf Jahre hinans ohne höhere Cultnr ergiebige Ernten liefern, an Absatz der Pro-dntte fehlt es nicht. Allein welcher Deutscher, der es weiß, was das Wort bcdentet, wird ein Najah werden, seine Kinder unter die türkischen Truppen stecken lassen wollen? Trotz des Hatti-Scherifs mit seinen schönen Phrasen von Gleichberechtigung vor dem Gesetz, ist nnd bleibt der Najah dem echten Moslem gegenüber ein Nus-gcstoßener, ein Sclave. Gewährt die türkische Regierung den Kolonisten nicht dieselben Vortheile, wie die rnssische, so wird sie noch lange darauf warten können, ihr dünnbevölkertes Land zu wirklicher Cultur und ^n der immer nothwendiger werdenden Ertragsfähigkeit heranzubringen, Ich sprach mit Omcr Pascha über diese Angelegenheit, aber der setzte sich sogleich aufs hohe Pferd und rief: „Nie kann sich eine Negiernng gefallen lassen, daß Jemand Grundbesitz erwcrlxn, Schutz und Rechte genießen soll, ohne daß er dafür auck alle Pflichlcn eines Staatsbürgers übernimmt?" Darauf zn entgegnen war schwer, denn was zn sagen gewesen wäre, das ließ sich dem Würdenträger der hohen 60 Pforte eben durchaus nicht sagen. Die (Konsuln haben sich ill dieser Sache viele Mühe nicht verdrießet! lessen, vermochlcil aber begreiflicherweise den, ^ilcvfanntcil l^cscy ^-gc,»lidcr Nichts ^ns-zurichtcil, so sehr sic sich auch sonst darin gefallen, dc» Hcvveil Pascha's init der nothwendigen Energie cittgegen zn tvclcn, — Vange schoil steht der Halbmond im letzten viertel; möchte dem unseligen ^ande, deni Krebsschaden Enropa's, endlich einlnal die Sonne aufgehe»! 61 IV. S n l i u a. Wir reisten nut dem „Fürsten Metternich", aber nicht mit dem alten berühmten Diplomaten und Vcsidcr des edelsten Weines, sondern in dem prächtigen Dampfboote der Donau-Compagnie, das seinen Namen trägt, Dic Gesellschaft, welche sich in der blendenden, gcränmigen Kajüte znsammengefnnden hatte, war nicht groß, aber desto besser; aus Mer Herren Vänder waren Repräsentanten darnnter. Dort ein Merchant's-Clerk alls Manchester, Missionär für Calico und Iaconnet unter den Heiden des Ostens; hier ein fideler Neinreiseudcr ans Marseille, welcher mit unnack-ahmlicher Sllada >a w'll« Trance u>ld ihre monssircnden Prodnete ftries; dort ein Hainblirgev Commis, dcv natürlich „Vchrens" hieß und mänuiglich ini Vertrauen fragte, ob er glaube, daß es in Odessa „gutes Viev" gäbe; hier ein griechischer Daudy aus Constautinopel, mit Ungeduld die Stunde erwartend, wo er seine lackirten Stiefel auf der Promenade zeigen könue; ein Woll-wollmder Speculaut alls Basel bcganu scinelt Einzug iu die (^aMc mit einem heftigen Zornergnssc über deii italienischen Steward, der es in irgend etwas gegen den gestrengen Herrn verfehlt hatte; umsonst snchte ein handfester Westphälischer Ingenieur den Streit zn beschwichtigen, es bedürfte der Dazwischeuwnft des Kapitäns, um einen Fanstkampf zu vechindern; den, Schweizer aber geriett) 62 seine Nntoritätsucht nicht zum Vesten, denn von nnn an fügte es der Husall, daß bei Tafel stets die Schüssel an ihn zuletzt kam. Da war noch ein Bantier aus Wien, ein seiner Mann, der wohlgefällig seinen ungeheueren Reichthum an Weißzeug limpackte — er fiihrte nicht weniger als hnndcrt Dutzend Hemden nnt sich, alle zn eigenem Gebranch, den» ,,Wer kann es mir wehren?" sagte er; ferner ein iungcr Kailflnaun ans Odessa, der von semer großen Tour in „Europa" zurückkehrte; eine kleine Sammlung junger Engländerimlcn unter dem Schuhe einer resoluten Gouvernante ans Nenfchatc!, im Begriff, sich nach Fcodosia zu begeben; endlich ein paar schlanke, sehr gewählt gekleidete Damen ans Prag, junge Mädchen, deren treffliches Clavierspiel nns manche langweilige Stunde verkürzte, aber leider doch nicht trefflich genng war, ihueu später die getränmten goldenen Verge im Lande der ^erheißnng Rußland zu erobern. Rasch waren wir eingerichtet, die geringe Zahl der Passagiere erlaubte jedem Einzelnen sich nach Gefallen auszubreiten, nnd das war gut. Die Dampfschiffe der DonangefeNfchaft sind aNe vortrefflich nnd elegant, ans dem Meere bedarf man abcr noch grö'f^cn Comforts, wie auf dem Strome, der alle Angcnblicte zu landen erlaubt; freilich ist hier auf Terra snma blihwcnig von diesem zu gewähren und zu holeu. Die Ufer der unteren Donau sind aller Reize baar. In endlosen Ebenen, soweit das Angc reicht, erstreckt sich links und rechts das sumpfige Schilfmeer, das vielleicht Hunderte von Qnadratmeilen einnimmt; weit und breit kein Baum, kein Strauch, keine menschliche Wohnung. Nur hier und da erhebt sich auf der linke», moldavanifchen Stromseite in regelmäßigen Intervallen eine armselige Breterhütte, bestimmt für die Douanenwache. Der Strom ward immer schmäler uud schmäler. War das noch die gewaltige Donau? Oft nur kaum hnudcrt Fuß breit waud sich eiu stiller Wasserspiegel dahin, unbewegt, wie ein stagnircndcr Sumpfcanal; wir waren in den «.igmtlichen Suliua 68 Arm eingelanfcn und die Fahrt erinnerte mich auffallend an die-senige mit dem Dampfboot von Oldenburg nach Elsfteth. Die mäandrischen Windungen abcr, welche der im Morast seiner Delta's halb verkommene Fluß hier macht, zu beschreiben, ist kaum möglich. In Tcras gibt es, wie Gerstäcker irgendwo erzählt, einen River, in welchem keine Fische gedeihen, weil den-selben seiner vielen Krümmungen wegen alsbald das Rückgrat venentl wird — von dem Dottaucaualc der Sulina dürfte man getrost das Gleiche berichten. (5s lag gerade eine zahllose Menge von Getreideschiffen, nach Tnltscha, Galah und Ibraila bestimmt, und ans günstigen Wind zum Aussegeln wartend — denn von einem ordentlichen Leinpfad, außer für Menschen und Kähne, ist hier nicht mehr die Rede rnhig im Fluß vor Anker, hauptsächlich türtische, griechische, ionische, aber auch französische Fahrzeuge. Scholl von Weitem erblickte man die Masten derselben, aber alle Augenblicke veränderten sie ihre Stellung: Schiffe, welche hmter uns zu liegen schienen, waren noch zn passireu, und die, an denen wir schon vorüber gekommen, traten plötzlich wiederum vor uns oder zur Seite. Ueberall aber im ganzen Kreise des Horizontes erhoben sich die schlanken Masten, so daß mau sich auf dem Meeve zu befinden wähnen konnte, wäre nicht das grüne Schilf dazwifchen gewesen statt der grünen Wogen. Unser Dampfer fnhr dabei ganz langsam, augenscheinlich mit großer Vorsicht; die Passagiere waren gebeten worden, den Raum vor den« Stenerraoe nicht zn betreten. Daß dies seinen guten Grund hatte, bcwicseu die schwarzen Wracks, die hier und da entweder halb am Strande lagen oder deren morsche Spieren über dcm Wasserspiegel hervorragteil. Nnr Schiffe von geringem Tiefgänge können die Sulina ohne Gefahr mit Ladung passircn. Abwärts wird in Tultscha oder Prislav, aufwärts iu Suliua eiu Vootsc au Bord genommeu. Aber damit ist keineswegs jede Gefahr beseitigt, denn die Lootscu der Doncmmündungen sind nicht die vorzüglichen, zuverlässigen 64 Führer norddeutscher Häfen, sondern größtentheils griechisches Ge-sindcl ohne Trenc nnd verlaß, dem es nnr darum zn thnn ist, die Kapitäne n.ich Kräften zn prellen, N'as ihnen gewöhnlich gelingt, da tein Tarif eristirt und die Preise je nach Jahreszeit nnd Frcanenz sehr wechseln. Zur Fahrt stromanfwärts bcdieilen sich die Getreideschiffe am besten der österreichischen Schleppdampfer; thun sie das nicht, so bringen sie o>t von Snlina bis Galatz, eine Entfernung von mir sechzehn geographischen Meilen, einen Monat zu und noch länger, und wie sich iu diesem langeil Zeitraum das Geschäft verändern kaun, braucht nicht auseinandergesetzt zu werden. Um sechs Uhr Abends kam der Lcuchtthurm vou Sulina in Sicht, und eine halbe Stnnde später lag dcr Meltcrnich vor Auler ans dem linlen Ufer des »lach der Miiudnng zn sich wieder verbreiternden Stromes, gegenüber der Stadt und dem Masienwald des Hafens. Vor uns aber rollten mit weiden Schauml'ronen die Wogen des schwarzen Meeres. Ein unvergeßlicher Anblick! Mehrere Stunden Rast waren uus hier vergönnt, denn erst mit dem Veginn der Ebbe nm Mitternacht zu sollte die Barre passirt werden. Also rasch an's Land! Eine Menge von Booten umdrängte schon nnser Schiff; mit eindringlichen Geberden und in allen möglichen Sprachen lnden die sonnverbrannten, wild aussehenden Führer derfclben cin, uus ihrer zum Landen zu bedienen. Nir wählten den hübschesten darunter aus — die Stimme der Damen entschied — einen schlanken, braunen Griechen, den« der überhängende Fes der Inseln gar malerisch auf den pechschwarzen bocken saß, und dessen blitzende Augen, tadellose Nase und weißen Zähne in jedem Salon Aufsehen gemacht haben würden. Gewandt und kräftig schob cr sein breitbanchiges Kielboot zwischen den Rivalen hindurch bis zur Treppe, und nach wenigen Nndnschlägen betraten wir auf einen« morschen ^andungsgerüst das rechte Touau^ ufer und die an seinem änßersteu Ende erbaule Stadt Sulina, 65 Wer hat nock nicht von den Städten in Amerika gelesen, die wie Pilze über Nacht aus der Erde schießen, von San Francisco in Kalifornien, dessen Einwohnerzahl sich von Tag zn Tag um Tausende vermehrte, von dev fabelhaften Schnelligkeit, mit welcher die australischen Golddistrictc eine zahllose Bevölkerung an sich zogen? Aber man braucht uicht den Oceau zu »lessen und in fremden Weltthcilcn zu suchcu, was man in Europa ebenso überraschend finden kann, ja noch viel erstaunenswerter, weil eben in der Nähe, wenigstens im Bereich der abendländischen Civilisation, Noch im Jahr 1^50 stand auf dem rechten Ufer der Sulina-mündung blos der Leuchtthurm und eine Lootsenhüttc, heute erhebt sich hier eine Stadt, deren wechselnde Population manchmal bis fünfuttdzwanzigtausend Seelen betragen soll, die man aber in geo-graphischen Handbüchern und Couversationslericis meist vergeblich aufsuchen wird. Und was flir eine Stadt ist es, die hier aus der Erde, nein, ans dein Sumpfe wuchs! Wer sie betritt, der fühlt sich angenblictlicy in eine fremde, ncne Welt verseht; hat er nicht überflüssige!: Muth, so befällt ihn vielleicht cm gelindes Frösteln; ist er in der Literatnr bewandert, so kommt ihm jene Stelle aus dem Dante: „Dies ist die Stadt der Qualen und Verdammnis iu den Sinn, nnd über jeder Thüre der zusammengeschichteten Häuser glaubt er zn leseui „Laßt alle Hoffnung hinter Euch!" Diese Häuser! Ans allem Material der Welt sind sie zu-sammengebant, aber die wenigsten ans wirklichem Baumaterial und die seltensten geballt. Cigarrcnkistendeckel sind verhältnißmäßig noch ein höchst solider Stoff für die Wände, hänfig sieht man dazu blos Kattuu bcmcht, nnd zwar nach der Slraße heraus; Schilf vertritt, in starke Bündel zusammengcbundcu, die Stelle der Ballen, und ist das allgemeine Deckmittcl. Nur einige Hauptgebäude sind theilwcisc aus gebraunten Steinen errichtet, die von fern her eingeführt werden mußten; die Moschee ist zur größeren Hälfte ans weiß übertünchten Vretcrn zusammengeschlagen. Hamm, Steppen >md Elädle. ^ 66 Schiffstrümmer bilden eilten Hanptbcstaildtbcil der Vanten, und manches incrkivürdige Gallionbild schont aus ganz nngelvöhnlicher Ecke in das tolle Treiben ringsum. Die Hauptstraße besteht nur ans zwei langen Reihen solcher Baracken, aber dieselben sind gefüllt mit Menschen bis in die entlegensten Winkel, und ein unbeschreibliches Gewühl, Schreien, Singen, Lachen, Pfeifen, Nnfen, Musiciren betäubt den Fremdling. Jedes Haus ist zugleich cm Laden, eine Schenke uud eine Spielhölle. Handwerker, friedliche Bürger, Familien gibt es hier nicht, aber alle rohen Genüsse des Lebens werden dem Einwohner geboten. Dieser will auch um Alles in der Welt nicht dauernd hier bleiben, ihn fesselt nur die Grwerbgier oder die Noth, welche gewöhnlich gleichbedeutend ist mit dein Arme der Gerechtigkeit. Hier ist der Auswurf von ganz Europa zusammengeflossen: entflohene Matrosen, gejagte Secränbcr, cntsprnngene Galeerensträflinge, Mörder, die sich vor dein Gesetz oder der Blutrache verbergen, Spieler, welche allüberall anderswo zu sehr gekannt sind, Deserteure, Gauner jeder Art und Kategorie — sie finden Alle hier ein sicheres Asyl unter türkischer Oberhoheit. Denn man braucht Menschen und diese verdienen ein fabelhaftes Geld. Seitdem der Getrcidehandcl der nntcrcn Donauländer sich regelmäßig organisirt hat, ist die Menge der Schiffe, welche in die Sulina einlaufen, ungcmein groß; sie zählt nach Tausenden. Die meisten davon müssen mehrere Tage, wenn nicht Wochen, vor der neuen Stadt liegen bleiben; der Mairose findet hier die erste Gelegenheit, sein Geld los zu werden. Kommen die Fahrzeuge von Ibraila, Galah, Tultfcha mit Getreide beladen zurück, dann können sie gewöhnlich, weil sie für das Meer, nämlich mit scharfem Kiel und Tiefgang gebant sind, die gefährliche Varre der Snlina nicht passiren, welche meistens nnr 7 bis K Fnft Wasser hat nnd blos Schiffen von höchstens 300 Tonnen und mit platten Vöden die Passage erlaubt. Die Kapitäne sind daher gezwungen, ihre Ladung 67 zu löschen und si» mittelst Leichtern über die Barre hinaus zu befördern. Da finden denn genug Hände Arbeit und hohen Verdienst. Unter einem Ducatcn täglich ist selten ein Kornträger zn haben; in Perioden des Arbcitermangels oder der Nnhänfnng von Schiffen, die nach Beförderung drängen, steigt manchmal der Taglohn auf sechs Dueaten und mehr. Und wer heute die sechs Ducaten in der Tasche hat, der rührt gewiß nicht eher einen Getreidesack an, bis sie rein alle geworden sind, was freilich häufig in einer kurzen Stunde der Fall zu sein pflegt. Dazu kommt neuerdings der Zusammenfluß von Menschen durch die Etablirung der Donancommission, den Beginn der Stromregnlirnng, die Station türkischer, englischer nud französischer Kriegsschiffe, nnd die Nast der Dampfboote der österreichifchen, russischen und französischen Gesellschaften — lauter Elemente, ans welchen ein wogendes Leben nnd Treiben nnunterbrochener Anfregung zusammenschießt. Alle Nationalitäten sind hier vertreten. Türkcu vou jedem Kaliber und in jeder Tracht, besonders viele Bulgaren und Alba-nesen, Iuselgrieckcu und Iouier, Malteser, Vgvptcr, Neger, Armenier, Serben, Moldavancr, Walachcn, Nüssen treiben sich in dichtem Gewühl durcheinander; dazwischen geht breitspurig, Arm in Arm, eine Kette englischer Matrosen, mit ungeheuren, übergelegten, blanen, weiß besetzten Hemdkragen, kurzen Jacken und Wachstuchhüten, die so weit als möglich im Nacken sitzen; dort eine Gruppe französischer Seeleute, welche mit Bewunderung den Künsten eines tanzenden Affen znsehen, den eiu kleiner Tunese in fast paradiesischer Tracht nmherführt; hier die gesetzten, ernsten illyrischen Matrosen der Donaudampfer vor dem lockenden Tisch des Polentakochs; dann ein Trnpp türkischer Linie von der Fanal-.wache; geschäftige Kleinhändler mit angehängten Kästen voll unnützen Tandes, orientalischer Abkuuft, wie überall in der Welt' halbnackte Aessarabier mit Körben voll unansehnlicher Kirschen; b* 68 zerlumpte Zigeuner und zahllose abenteuerliche Gestalten, von welchen auch der geübteste Kenner nicht zn bebanptcn vermag, weß Landes, leicht aber, weß Geistes Kinder sie sind. Alle Sprachen schwirren durcheinander, die allgemeine Sprache des Handels und der Conversation ist die italienische, die Lingua franca, wie im ganzen Orient; Ilebcrbleibsel der Herrschaft der Nepnbliken Genua und Venedig über das Mittelm^er und seine Grenzländer. Ohr-betäubendes Geräusch durchschwirrt die ganze Stadt. In die heiseren Tone der Ausrufer aller möglichen Comestibilien mischen sich die eintönigen Klänge der Gnzla, in die wilden Gesänge berauschter Seeleute das „Guarda" der Lastträger, weun sie Jemandem einen Balken aus die Vrust gestoßen haben; ein melancholischer Drchorgclmaun ergeht sich halb schlafend in seinem Melodieuzau-bcr, der leider alle Augenblicke einmal abschnappt, Folge einiger geplatzter Pfeifen seines Kastens, welchen nichts desto weniger die griechischen Schiffsjungen umstehen, wie das achte Wcltwnuder; von der Landung erschallt das „Hoi, hüahoi" der Matrosen an der Schiffswindc; Teller klappern, Gläser klingen, die schmutzigen Marqueure schreien wie Besessene, Flüche der Spieler, Gekreisch von Papageien, Rollen von Villardbällen und Kegelkugeln, Hellten zahlloser Hunde, manchmal eiu Schuft aus der Pistole eines Uebermnthigen — Alles das vereinigt sich zn einem nnbeschreib-baren Ganzen. Wer Nationen und Charaktere sludiren will, der wmde sich Hieher. Welcher Unterschied! Dort die ernsten, stillen Türken, mit gekreuzten Beinen nnbcweglich auf der niedrigen Pritsche sitzend, welche den Divan vorstellt, nnr von Zeit zn Zeit thun sie einen tiefen Zug aus dem Nargileh, behalten den Ranch minutenlang iil sich nnd lassen ihn dann mächtig hervorquellen, selten den trockenen Gaumen erfrischend mit dem dicksatzigcn. Trank der Levante aus den winzig kleinen Obertassen; hier eine Gruppe italienischer Mannavi, die im leidenschaftlichsten Mora-- 69 spiel die Hände dnrcheinandcrwerfen, als gehörten sic ihnen nicht; dort ein beranschter Acthiopc, der, von wildem Beifall angefeuert, mit schäumendem Mnude und hervovgcqilollenen Aligcn sich in einem Grotesktanz dreht, bis er niedcrbricht; ein griechischer Pope mit langem Bart, der den hohen Rohrstock mit regelmäßiger Bedächtigkeit vor sich niederseht und escortirt wird von einem Gefolge strenggläubiger Schiffer, welche seine staubige Soutane küssen, nnd ihm gegenüber eiu halbnackter Derwisch, fußlange Stahlnadeln durch die mit Eisenplatten bedeckten Brnstwarzeu gebohrt. Wie m einem verzauberten Land ans Tausend und Einer Nacht wähnt man zu wandeln, der Kopf schwindelt, fieberisch locht das Blut, als sei die allgemeine Aufregung ansteckend. Hier sieht man die ganze Welt, wie sie der Kalif im Krystall erblickte; nur zwei ihrer wichtigen Insassen fehlen - Polizei und Weiber! Aber in einem solchen Flibnstierlagcr ist kein Platz für Vcide. In der ganzen Stadt Sulina mögm leine zwanzig Frauen eristircn, nnd die da sind, gingen des ''.Namens längst verlustig. (5'inige alte Vetteln unsauberster Art sieht man an den Schenktischen hantieren, hier und da, aber sehr selten, auch ein jüngeres Wesen, das der Kleidung nach dem weiblichen Geschlechte anzugehören scheint; ein Bild von diesen Töchtern der Sünde zu geben, dazu fehlen alle Farbeu. Während wir die lange Hüttenzeile der Stadt dnrch-schnittcn, konnten wir nnr zu deutlich gewahren, wie hier das Weib betrachtet wird. Die Damen unserer Gesellschaft waren das Ziel der allgemeinen Anfmcrksamkcit, es bildete sich förmlich eine Gasse, um solch' eine ungewohnte Erscheinung zu begaffen; wenn wir auch die sich kreuzenden Nufc nnd Bemerkungen nicht verstanden, so doch wohl die brennenden Blicke, die unzüchtigen Gebcrden. Umkehren dnrftcn wir nicht, denn Muthlosigl'eit solchem Gesindel gegenüber ist der Anfang zum Verderben; aber mauche Hand griss doch fester nach der verborgenen Waffe, nnd zitternd, nicht wagend, die Blicke vom Boden zu erheben, eilten 70 die uus anvertrantcn Neiscgefährtiilncn dahin in unserer möglichst dicht geschlossenen Mitte. Endlich lag das Gewühl hinter uns, und über eine breite Fläche gelben, jedweder Vegetation entbehrenden Sandes gelaugten wir zu dem Lenchtthnrme, dem Ziele des Ausflugs. Er ist von mäßiger Höhe, aus Stein erbaut, wie das daran grenzende, sehr geränmige Wachtlocal, in welchem einige Compagnieen türkischer Soldaten als Ncsahnng liegen. Diese nahmen uns ganz freundlich auf, gestatteten sogar dem vorwitzigen Schweizer, eines ihrer Lüttichcr Percnssionsgewchre vom Stande hinwegzunchmcn und ihnen die Handgriffe der Baseler Miliz vorzumachen — und sie lachten recht herzlich darüber. Alls der breiten Wendeltreppe war die Vaterne bald erklommen, rings um sie führt cine mit eiserner Balustrade umgebene Galerie. Eine großartige, aber einförmige Fernsicht bot sich den Blicken. Vor uns, gen Osten, wogte das schwarze Meer, da und dort tauchte ein Segel empor aus den dnnkelgrünen Wogen gleich einem weißen Pnnkte, blitz-sämelle Mövcn flatterten nbcr den Wassern, sonst lein Leben weit und breit. Wohl aber Denkmale der Zerstörung gcnng — was bcdcntet jenes hochragende schwarze Kreuz mitten in den Wellen? Und jener auderc dunkle Gegenstand, und dort wieder — es sind Wracks, die Neste gestrandeter Schiffe, redende Zeugen der gefährlichen Einfahrt, nnd viernnddvcisng davon vermochten wir zu zählen! Es gibt lamn eine andere Stelle in der ganzen Welt, welche so gefürchtet nnd der Schifsfahrt verderblich wäre, wie die Sulinamündung der Donau. Die Barre ist ganz schmal und ihr Fahrwasser verändert sich außerordentlich häufig, je nach einer andauernden Windrichtung, welche den Sand und Schlamm der Donau znrückstaut oder weiter zu flößen erlaubt; selbst der knndigste Lootse muß daher von Zeit zu Zeit peilen, um sich nicht zu inen, und anch dies sichert ihn nicht gcgcn dic Tücke der Barrc. Dabei wchcn die Winde hier ungemein heftig, nirgends gebrochen von 71 entgegenstehenden Hindernissen; sobald ein Kiel sich in der Sandbank festgerannt hat. ist cv gewöhnlich auch rettungslos verloren, denn die klemm Schleppdampfer, welche seit einigen Jahren ausdrücklich dazn in Snlina stationirt sind, um Fahrzeuge über die Barre zu bringen, wagen sich nicht immer hinaus, werden aber auch leider noch viel zn wenig benutzt, besonders von den Türken nicht, welche mit ihren, Fatalismus sagen: „Sollen wir scheitern, so hilst kein Schlepper; wo nicht, warum dann das viele Geld bezahlen?" In neuerer Zeit ist übrigens, Dant der durch die Donaucommission verbesserten Organisation des Hafeudienstes, unausgesetztem Baggern und dem Auswerfen eines Schutzdammes von der linken Spitze der Mündnng aus die Passage bei weitem gefahrloser geworden, wie früher. Der Lcuchtthurm steht ans dem rechten Ufer der Snlina, zur Linken ergießt sich der brackische Strom in mäßiger Breite trag in das Meer, verräthcrifch schant der gelbe Sand zu beiden Seiten einer erkennbaren schmalen grünen Wasserstraße nntcr deu durchsichtigen Wogen hervor. Unabsehbar, so weit das Auge reicht, nach jeder anderen Richtung dchut sich das Schilf, ein zweites grünes Meer, täuschend vom Wind in Wcllcnkämmc aufgejagt, nur südöstlich liegt ein Raum nackten Sandes, den die Sturmflut!) überspült, uud hiuter uns im Westeu erhebt sich die qualmende Stadt, deren niedere Dächer nur die Windmühle, das Minaret der Moschee uud die hölzerne Kuppel des griechischen Vethauses überragen. Aber hinter ihnen starrt empor der dichte, Masten-Wald der Schisse im Hafen, uud sonderbar, bis in die entlegenste Ferne ragen Masten bald einzeln, bald in Gruppen alls dein Schilf' die der stromaufwärts gehcudeu Schiffe. Gerade ging die Sonuc unter uud ans dem rothen Schleier, hinter welchem sie sich barg, zeichneten sich die Spieren und das Takelwerk dcr fernen Fahrzeuge mit unnachahmlicher Schärfe ab. Ihr Sinken mahnte an den Heimweg, denn Hcimath durften und mußten wir unser Schiff 72 hier nennen — obgleich manchmal arg nindrängt und roh verspottet, gelangten wir doch ungefährdet zurück nach der Landung und in's Gefährt des wartenden Bootsmanns, der mit freundlichem Lachen die weißen Zähne zeigte, als ihm die beliebten Zwanziger in die Hand gezählt wurden. Jedes gemünzte Geld der Welt gilt hier, jene aber haben den Vorzug. Prenßische Silber-thaler gehen als Füusfrankenstücke, Sechstel als Zwanziger — Papiergeld hingegen wird man in Sulina nnr mit Verlnft los, selbst die inländischen Kaimes. Der Metternich sollte in der hellen Vollmondnacht die Barre passiren, nm am Morgen im Hafen von Odessa einznlanfen. Miide und vielleicht anch thcilwcise in Fnrcht vor dem Meere und der Seekrankheit, hatten die Passagiere ihre Kojen gesucht lind verwnn-devten sich beim Erwachen gewaltig über den sanften Gang des Schiffes, noch mehr über die Todtenstillc an Bord. Diefc hat etwas Unheimliches — rasch sprang Jedermann an die ^nken — da lagen wir noch richtig am gestrigen Platze in der Sulina, und die Sonne schien über alle Verge oder vielmehr Ebenen. Was bedeutet dies? Ein Unglüctsbote trat in die Kajüte: „Der Wind hat umgeschlagen, weht streng aus Osten, die Warnuugsfahne flattert am Fanal, kein Schiff darf heute über die Varrc lanfen!" Gine schöne Geschichte! Verdruß und Aerger spiegelten sich in allen Augen. Jeder hatte so sicher darauf gerechnet, am Ziele der Reise zu sein, die Seinigen wiederzusehen, Geschäfte abzuschließen, in die alte Ordnung zu kommen — besonders aber beklagte sich der feine Grieche bitterlich darüber, daß er heute Abend nicht, wie er gehofft, das schöne Vaudeville zu sehen lx'komme, welches die französische Schauspielergesellschaft in Odessa gebe. Jedoch was halfs? — Die Wolken des Unmnths verzogen sich bald nnd man fügte sich geduldig, ja scherzend in das Unvermeidliche. Natürlich begab slch die ganze Gesellschaft nach dem Frühstück 73 "n's Land, mit ?luSnahmc der Damen, welche um keinen Preis wiederum dazu zu bewegen gewesen w5ren. Die Voote umdrängten das Schiff, aber der gestrige Führer erhielt den Vorzllg l>nd ward als Gondolier förmlich in Dienst genommen. Trefslicker Stasio, wie treulich dientest dn uns, wie sehr bemühtest du dich, uns zu unterhalten, uud wie wenig verstanden wir dich lind dein corrum-Pirtes Italienisch! Und doch ward uns nach und nach seine ganze "cbensgcschichte zn Theil ^ freilich in Bruchstücken, die man zusammensetzen mußte gleich ciuer Mosaik. 6r war ein Kind der schiinen Insel Zantc — tim'c >Ii I.cvilnt»», wie er stolz hinzufügte — hatte sich schou vom zehnten Jahre an auf griechische,! Schiffen, wohl mcistcntheils Piraten, umhergctrieben, uud war endlich auf eiuer geuucsischen Feluea Steuermann geworden. Hier wuß cin schreckliches Ereigniß fcineul Leben eine neue Wendung gegeben hadcn — wir vermutheten aus duukelen Andeutungen, die er mit unnachahmlichen, ader höchst bezeichtlenden Gesten begleitete, ^"lß er feinen Kapitän, wahrscheinlich seinen Nebenbuhler bei einer dunkeläugigen Schöneil, niedergestochen - er entfloh nnd ward Matrose ans einein Marseille Kauffahrer, mk welchem er eine Reise nach New-Orlcans machte. Von da fuhr er nach der Havanna, war in Valparaiso, zwei Mal in Hongkong, am Cap der gnten Hoffnung uud in St. Helena gewesen — von letzterer Insel, "ls dem Grade Napoleons des Großen, sprach er mit höchster Verehrung und griff dabei stets an die Mütze — wenn wir ihm einreden wollten, daß sich die Gebeine des Kaisers längst nicht mehr daselbst befänden, schüttelte er mit schlauem Lächeln den Kopf, als wolle er sagen: „Geht doch, ihr Schäker, das weiß ich besser; ich bin ja dort gewesen!" Wie er nach der Sulina gekommen verhehlte er trotz aller Redseligkeit sorgfältig; cin Kamerad von ihm,, der später einem anderen Theile unserer Schiffs-Gesellschafl feine Dienste widmete, behauptete: er sei vor Malta vou einer englischen Fregatte entronnen und dann mit einem tiirkischeu Schiffe an der 74 Schlangeuiuscl gescheitert. Welch' ein ^'eden, lind zwar in der tnrzen Spanne von zweiundzwanzig Jahren! Während meine Nciscgefährten sich ill den verschiedenen Vocan-den, Kaffeehäusern, Villardsälen — es gibt von den letzteren schon mindestens ein Dutzend in der nenen Stadt — zerstreuten, wan-dertc ich langsam am Fanale vorbei längs des Strandes dahin. Im Anfange war der Weg beschwerlich in dein mahlenden Sande, aber sobald der Fnß den Ufcrstreifcn betrat, welchen die schäumendeil Wogen beleckten, fand er einen festen, clastifchen Pfad, wie man ihn sich nicht befscr wünschen mag. Einige der Wracks lagen hier so nahe, daß ein Steinwurf sie hätte erreiche» können; Wellen nnd Menschen hatten ihnen entrissen, was möglich war, meist aber blieb doch ein Mast mit festgebundener Naa stehen, ein Kreuz, aufragend ans dem Lcichenfcldc der Tiefe. , An dem Strande lagen wenige Mnschcln, und diese nnr von den allergewöhnlichsten Arten, Tychogoma, Mactra, Pecten u. s. w., selten darunter, uud zwar stets zertrümmert, ciuc unechte Wendeltreppe; Neste von Krabben, Hummern, Secsternen, Igeln u. dcrgl. waren nicht zn entdecken. Nichtsdestoweniger ist das Meer hier überaus fischreich, wie schon die Möven bewiesen, deren spihbeschwmgte Schaaren unablässig darüber kreisen, nm da nnd dort mit nie fehlender Sicherheit plöblich niederznstoßen auf die unvorsichtige Beute. Eine ziemlich weite Strecke war ich scholl gewandert »ud hatte die ganze Landzunge des rechten Snlinastrandes umgangen, als mir auf einmal ein paar hundert Schritte landeinwärts eigenthümliche Hervor-ragungcn im Dünensande auffielen, deren ,^weck ich nicht sofort errieth, bis ein schärferes Hinblicke» sic als Kreuze, als Gräber erkennen liest. Der Fricdhof der Stadt Snlina lag vor mir. Die Erinnerung an diese Stätte der Nnhc lvird mich nie-mals verlassen. Die Gräber sind in lockeren Sand gegraben, tief, aber nicht tief genng für die Springflnth, welche höhnisch die Hügel wegspült nud ihren Inhalt dem Tage zeigt. Was die Woge 75 nichl nimmt, das ergreift der Sturm — darum gibt es auch ^"viß in der ganzen Welt keinen traurigeren, erschreckenderen Nuhe-plal? dcr Todten, wie den von Snlina. Verweht, zusannnenge^ sunken, geöffnet, halb wieder gefüllt, so liegen die Gräber in dcr gelben, nackten Ocdc, wo blos hier und da kümmerliche Salsolen und Salicornicn dein salzgelränkten Boden entsprossen, Nnr i>t der Umfriedignng eines Grabes wächst hohes, grünes Schilf, ein mMwn'rdiger Anblick- während der Weidcnbanm, init welchem treue Liebe ein anderes nach Kräften zn schmücken versncht hat, schon halb verdorrt ist, Hast alle diese Gräber sind noch ncn und Mug, scheu aber nralt aus, als schliefen darin längst erloschene ^'schlechter. Einzelne davon sind mit einer Umzäunung aus starken Bohlen und gleichem Dach verschen, ähnlich einem kleinen Blockhaus, im Innern sind mächtige Steine daranf gewälzt — über umsonst, die gierige Hyäne der Mccrfluth wird sie eines Tages dennoch öffuen, schon hat sie manche davon halb unterwühlt. So hier — zwei gegeneinander gelegte, noch mit Muskelfasern bedeckte ^nochenha'ndc ragen wie flehend alls dem Sande hervor — und bort ein nnr noch halb vergrabener, schon eingebrochener Sarg, ^us welchem lange, schwarze Haare in den Wind flattern. Wer hier Schädel und Gebeine sammeln wollte, der hätte b>e schönste Answahl, sie sind dabei merkwürdig weiß gebleicht und wohlerhalten. Dic ganze Pietät der Bevölkerung, die sich etwa hierher verirrt, beschränkt sich daranf, die entblößten Ueberrestc aufzunehmen, und in eines der umzäunten und überdachten Gräber HU werfeu, welche dadurch zu wahren Veinhänsern geworden sind. Jeder Ruhestätte ist irgend ein Viebeszeichen gesetzt worden, sei es nur ciue Schifftplanke nut einigen Charakteren darauf, oder ein robes schwarzes Krenz, auf welchem der Name des darnnter Muhenden mit Kreide geschrieben. Aber die wenigsten dieser Er-"mernngstafeln stehen längere Hcit, fast allc stud morsch abge-^N'chcu, ningcsunken -^ und Niemand stellt wieder auf, was 76 einmal liegt. No sind auch die Freunde und Verwandte der hier Begrabenen? Alle Male sind von Holz, nnr cin einziges macht eine Ausnahme, mit fast befremdendem Eindruck — eine weiße Marmortafel, auf der mit Gold die russische Inschrift stcht: „Hiev ruhet der Hofrath nnd Stabsarzt Karl Kondvatofs." Heute wnd der Fingsand sie längst verschüttet haben. Das äußerste, tief ein-gcsuntene Kreuz nach dem Meere zn, bezeichnet uüt^ ,,I^uuä XnuÜLßu, Nanäai 1852", war das älteste Grad, das ich fand. Das jüngste war das des ^lexanäro l^ir^uä, nö ll, 'I'uulou, nulii» vn6ä in 8t,. Oeorßo'« Ni'üncll ot' Danube," 29. Nu, 1658. Dort „Vm^nt Narxin, (^upt. du Lrick I.^« 3 lrörL» do Lr«3t" brüderlich neben ,,.Ill!>le8 Nni'i'U)', ^ilßinesi', 35 )'lü,ii-8 olä" — uoch viele Briten, Franzosen, Holländer — etwas abseits von ihnen und möglichst nebeneinander Nufsen, Armenier, Griechen. Aber nur cin einziges Kreuz mit deutscher Aufschrift fand ich. „L. L. Menkcma, geboren 1843/' weiter nichts! Ich wandelte lauge zwischen diesen Gräbern herum und suchte die vom Salzgischt der sprühenden Wellen hald zerfressenen Inschriften zu entziffern; keine davon sagte mehr, als wer da liege; der Phantasie blieb ^s überlassen, an jeden Namen eine Biographie zu heften; leicht würde es ihr in dieser Umgebnng geworden sein, die allerphantastischste zu ersinnen — und doch wäre dieselbe vielleicht blaß und einförmig gewesen, gegenüber dem Garn, das mancher der Schläfer da unten von seinen: Leben hätte spinnen köunc». — Dicht am Fnedhof der Suliua läuft auf hohen Staugen der Telegraphcndraht einher, der nach Coustautinopcl führt. Scholl die Unbeweglichkeit des Schiffes verlnudetc am frühen t)ttf$ernc £afel berichtete, „William Barter, Stoker on Board II. B. M. S. Wcsor", nebft Thos. Cook, A. B., 20 3%c alt, ebenfaUč fcon fcev SBefev, „drowned in St. George's Branch of Danube," 29. Mai 1858. Stort „Vincent Marzin, Capt. du Brick Les 3 freres de Brest" bvüberlid) neben „James Murray, kilßinesl', 35 )'lü,ii-8 olä" — noch viele Briten, Franzosen, Holländer — etwas abseits von ihnen und möglichst uebcueinandcr Nüssen, Armenier, Griechen. Aber nnr ein einziges Kreuz mit dcntschcr Aufschrift fand ich. „L. L. Menkema, geboren 1843/' weiter nichts! Ich wandelte lange zwischen diesen Gräbern herum und suchte die vom Salzgischt der sprühenden Wellen hald zerfressenen Inschriften zu entziffern; keine davon sagte mehr, als wer da liege; der Phantasie blicl? es überlassen, an jeden Namen eine Biographie zn heften; leicht würde es ihr in dieser Umgebung geworden sein, die allerphantastischste zu ersinnen — nnd doch wäre dieselbe vielleicht blaß nnd einförmig gewesen, gegenüber dem Garn, das mancher der Schläfer da unten von seinen: Leben hätte spinnen könne». — Dicht am Fnedhof der Snlina läuft anf hohen Stangen der Telegraphcndraht einher, der nach Constantinopcl führt. Scholl die Unbcweglichkeit des Schisses verlündetc am frühen 77 Morgen des folgenden Tages, daß noch immer die warnende Flagge des ^'euchtthmms wehe, nnd ein Blick vom Verdeck bestätigte nnser Schicksal. Der Ostwind ivar noch viel heftiger als gestern, und blies nns gerade in die Zähne, Um so mehr wunderten wir nns daher, als wir ein Schiff mil vollen Segeln vor dem Wind daher abjagt kommen sahen, welches geradezu anf die Barre loshielt, während draußen in der Ferne zahlreiche minder waghalsige Fahr-^'uge geduldig vor ihren Ankern ritten. Verwehrt kann natürlich keinem Kiel die Einfahrt werden, die blaue Flagge warnt nnr, befiehlt nicht — wer sich an ibrc Warnung nicht kehren will, der nimmt Alles auf seine Kappe. Das that anch der Kapitän der Elvop, die keck setzt herein flog, das griechische Kreuz an der Gaffel — schwerlich standen Assuradeure hinter ihr, die sich dergleichen Tollkühnheiten höflich verbeten — kurz, cs gelang ihr trefflich und in wenigen Minuten schoß sie nns gegenüber zwischen ihresgleichen. Sollte das wackere Dampfboot aber nickt hinaus können, wo diese griechische Wasscrspinne herein kann? So fragten "uf eiinnal mnthig geworden, viele Passagiere ^ abcv Kapitän Nässt schüttelte lachend den Kopf und meinte, eine Maus schlüpfe leicht hindurch, wo ihr die Katze nicht zn folgen vermöge — n»d somit waren wir abermals zu einem Tag Aufenthalt in Sulina verurthcilt. Nicht gewillt, in den Loeanden nmhcrznliegen, und z» nnge-lchrt, um die Zeit an Vord mit Kartenspiel todt zu schlagen, crbat ich mir die Doppelflinte des Intendanten, der westphälische Ingenieur packte ein in Berlin aequirirtcs Znndnadelgcwchr aus und so zogeil wir auf die Jagd. Stasio war bereit, nnd wir legten oberhalb des Fanals am nchten Strand an, um daselbst Möven zu schießen. Heut aber sah es hier ganz anders aus, als gestern. Ein recht artiger Sturm hatte die Nacht hwdnrch mit vollen Backen gegen das Land Ablasen, nnd da lag ausgebreitet die Fülle seiner Bescherung. 78 Vor Allem w'ar es nicht mebr inöglich, längs dos Gestades herzn-gehen, ohne verschiedene tiefe Kanäle und Tiimpel zn durchwaten — „das thut den Augen gut vnn meiner Mnttcr Sohn!" winde Paddy gesagt haben, hätte er uns die Stiefel sorgsam in das Salzwasser tauchen sehen. Ein biscken erschrocken waren wir auch trotz unserer geladenen Flinten, als plötzlich, wenige Schritte vor uns, hinter dem schwarten Rumpfe eines gckentertcn, schon halo im Sand begrabenen Bootes, ein halbes Dutzend dunt'clbranuer Kerle auftauchte, mit Harpunen und Vootshaken bewaffnet, grünen Tang über Haar nnd Südwester, uaß wie die Frösche und schmierig zum Entsetzen — sie sahen aus wie die Tritonen in Neptun's Gefolge, wenn er uuter der Linie den Zoll vom Ncnling fordert, oder wie ungewaschene Meerjungfern männlichen Geschlechts -— waren jedoch weiter nichts, als ehrsame Stvandräubcr. Dieses ist, beiläufig gesagt, in Snlina das gemeinste, aber anch ehrlichste von allen Geschäften, die hier getrieben werden. Die Schiffs-trümmer lagen auf dem Sand wie gefa'et umher, denn jeder Stnrm rüttelt an den Wracks los, was will, und wirft es ans den Strand. Aber was fliegt dort die mächtige Krähcnschaar empor, be^ stehend aus unserer guten dentschen Nebclkrähe und anderen Sorten^ Was flattern die Möveu so gierig umher? Il> <3u»1, ein großer Fisch liegt hier anf dem Trockenen, ein Thun; der Vursche ist über vier Fuß lang, mid hat einen Rücken wie ein mäßiges Schwein, obenhcr stahlschwarz, silberweiß an» Bauche, ohne erkennbare Schuppen; er ist noch ganz frisch, doch haben ihm die ^ögel schon die Augen und eine Seite ausgehackt, ans der das dunkel-rothe Fleisch heraus schaut. Wir schnitten znm Wahrzeichen ein Stück aus der unteren Kinnlade des Fisches, mit beweglichen, hakenförmig gekrümmten, sehr spitzen Zähnen. Hier glückte auch der erste Schuß anf eine große Möve; es mußte eine ziemliche Strecke in die Uferbrandung hinausgcwatct werden, um sie zu bekommen; 79 dafür wurden die grauen, an den Spitzen schwär; und weiß ge-säumten, N'eitklafternden Fittige als Trophäen mitgeuonnnen. 7lbcr mit der Jagd war e^ nunmehr auch vorbei, die klugen '^'ögel waren auf einmal so schcu aMorden, daß sie nus kaum auf tausend Schritte uahc kouuucu ließen, wir wandten nns daher ^'ald zum^^ückweg, an dem Friedhof vorbei, nach der Stadt. Es war je!?t uugcsähr 1(» Uhr vormittags — das Gewühl in den Straßen ärger, als je znvor, überall wurde gespielt, getrunken, getanzt, jeder dritte Mensck hielt ein Karteuspiel in der Hand, auch die edlen Würfel klapperten in den hölzernen Bechern, uud die Billards Ware» umdrängt von Amateurs. Dabei brodelte uud schmorte es über unzähligen Fenevn — in Sulina kann man bequem jedem Hau^, was gleichbedeutend ist mit jeder Kncbe, in den Topf gucken — und eiu sättigender Duft von Oel und Fisch lagerte wie ein ^lcbcl schwer auf dem ganzen Umkreis. Dazu der Qnalm alls Tausenden von Wasserpfeifen, Tschibuk^, Papvros und österreichischen Rattenschwänzen, der Dampf der heißen Getränke, welche trolj einer Tcmperatnr von 32" R. im Schatten mit Profusion consumirt wurdeu, der Rauch des gewöhnlichen Vrenn^ materials, d>,is ^alvu vl'niu aus Mist besteht, verbuudcn mit den Ausdüustungen der Schiffe, Fische, Sümpfe, Menschen — nnd man wird zugeben, daß in ciuer derartigen Atmosphäre der civili. sirtc steifende gar keinen Hunger bekommen kaun. Desto größer war unser Durst, uud wir sahen nns fleißig nach ^öschmittcln um. An auderes Wasser, als das der Donau, ist nicht zu denken, ^lüMch noch, weun es nnr einigermaßen filtrirt ist; gewöhnlich hat es die Tcmperatnr der srischgemolkencn Milch und das Auseheu, als sei es von ciimn Topf voll grüner Farbe abgegossen. Zu Thee uud Kaffee nimmt man Negenwasscr, welches in Fässern aufgefangen nnd bewahrt wird. ssis ist hier ein ganz seltener Artikel, denn aus Mangel an Kellern ist es nicht zu halten, uud die Anlage Oberirdischer Eisbehältcr kennt man noch nicht. Spähend 80 wanderten wir die Hauptstraße entlang, aber alle Locandeu ivaren so dicht gedrängt voll Menschen, sahen so schmierig ans, daß wir, Besseres hoffend, immer weiter zogen. So kamen wir in dcn äußersten Stadttheil g,en Westen; hier ward cs stille, sogar sauberer, ein Trottoir von Vohlen lief neben dein Suiupf der Straße bev und überbrückte einige Moorbäche, die sich aus dem Urwald des Schilfes der Donau zuwälzteu. Ein zweistöckiges Haus, natürlich ganz ans Holz erbant, zog die Aufmerksamkeit an. Das untere Geschoß war verschlossen, zu dem oberen, das mit eiuer überdachten Galerie rings umgeben war, führte eine steile hölzerne Treppe. Auf jener saßen rund umher bärtige Türken wie Antomaten nnd rauchten ihre Nargilch's; ohne viele Umstände stiegen wir hinauf und traten in einen großen Saal, der die ganze Etage ausfüllte. Wir befanden uns in einem türkischen Han. Einfacheres taun es nicht geben, als die Ein-richtnug eines solchen Gasthauses; das ganze Menblement besteht aus einer an drei Wandsciten des (Gemachs hinlaufenden breiten Pritsche, die als Vctt, Divan nnd Tisch dient. Hier saßen und lagen Türken jeden Alters lind Standes; der Eine in süßer Nnhe, der Andere im Begriff, Toilette zn machen und den Turban um den Kopf zu winden, der Dritte mit ernster Miene seine Pfeife vorbereitend; man hätte denken sollen, unser plöklicher Eintritt habe Verwunderung, Mißfallen erregen müssen — keineswegs, nur einen gleichgültigen Blick warfen die berechtigten Gäste auf die Eindringlinge, dann wurden diese nicht weiter beachtet. Nichts von jener dummen Neugier, die sich in öffentlichen ^oealen gewisser Städte des Abendlandes sogleich in allen Gesichtern spiegelt, wenn ein Fremder sich dahin verirrt; nichts von der unverschämten Zudringlichkeit, welche ein Uranien beginnt mit Jedem, der das Unglück hat, in ihre Nähe zn gerathen; nichts von der Genialität gebildeter Kellner, die sich die ,Hähne stochern, wenn der Gast nach Bier schreit, wie der Hirsch nach frischem Wasser. 81 An dev vierten Wand des Saales, neben der Emgangsthnre, hatte der unentbehrliche Kaffeewirth sein Büffet aufgeschlagen; es ist wahr, es sah etwas ärmlich aus nnd entsprach keineswegs den Anforderungen der Reinlichkeit, immer aber noch besser, wie in den fränkischen Locanden. Wir verlangten Kaffee; ans einer zinnernen Dose schüttete der Garcon das dunkelbraune, mehlfein zer-mcchlene Pulver in die kleine, einem halben Ei ähnliche Tasse, ließ heißes Wasser daranf laufen, daß das Getränk schäumend emporwalltc, nnd das Labsal war fertig. Es mundete tresslich und die anwesenden Türken schienen sich über nnsere sichtbare Approbation zu freuen. Der Divan — um hochtrabend zn reden — der linken Seite des Saales war von einer Gruppe egyptischer Marincsoldaten eingenommen. In diesem Augenblick ließ sich Einer von ihnen, ein jnngcr, frischer Bursche mit mehreren Medaillen anf der Vrnst, die Gnzla reichen, die kleine perfische Laute mit gekrümmtein Hals nnd mit nur drei Mctallseitcn bezogen, nnd zu dem eintönigen Geklimper derselben begann er mit lauter, etwas von der rauhen Seeluft belegten Stimme einen merkwürdigen Gesang, dessen Melodie sich in nur wenigen Noten bewegte. Leider verstanden wir kein Wort davon, aber der Tcrt, der augenscheinlich improvisirt und an uns gerichtet war, schien den allgemeinen Beifall zn erwecken. Lnstig nickten die Krieger darein, die entfernter Placirten näherten sich, dranßen anf der Galerie erhoben sich die Phlegmatischen Osmanlis und ihre bärtigen Gesichter unter den bnnten Turbanen bildeten einen höchst frappanten Hintergrnnd. Da waren wir mitten in Gulistau, und der Schenke kredenzte sodann, um das Märchen abzurunden, königlichen Scherbet in diamantenen Pokalen — aber ach, er zog uns sofort mit Gewalt in die alltägliche Wirklichkeit znrück. Es war eine Art fader Mandelmilch, matt wie Louisens Limonade, nnd die Gläser, worin dieser altberühmtc Trank scrvivt ward, waren mit ganz Anderem mcrustirt, als mit Smaragden und Topasen. Ich wandte mich nach Hamm, Ctcppcn »nd Sllidle. 6 82 dem Versuch mit Ekel ab, da reichte mir gutmüthig ein Sohn des alten Nil den kurzen Tschibnk vom eigenen Mnnde weg, wobei er die ganz nntiirtischc Aufmerksamkeit hatte, die kugelige Hornspihe mit Etwas abzuwischen, das er unter der Vrustroatte des Waffenrocks hervorzog, und worüber ich noch im Zweifel bin, ob es cin Gewehrpntzlnmpen oder ein ähnliches Utensil der Reinlichkeit war; laut schrie ich ihm auf Deutsch zu, sein Mund ekele mich weniger an, wie alles Andere — woraus, als hätten sic's verstanden, cin heller Ausbruch sröhlicheu Gelächters folgte. Daun kam ein zweiter Wohlthäter, hob deu Deckel von einer gläsernen, im Laufe der Zeit milchig trüb gewordenen Vase und lud uns cin, zuzulangen, indem er fortwährend ausrief: ,,Ii,ucmU Il>kum— dnono, duuno!" Aber anch der süßliche Pomadengcschmack dieser rosenrothcn Gallerte, einer im ganzeil Orient berühmten Leckerei, vermochte uns nicht mehr zu fesseln. Wir verabschiedeten nns von den freundlichen Insassen des Han; rinasnm ertönte in tiefen Gaumenlauten das ,,8a!mn lüiu'imm" — die Alten auf der Galerie nickten mit den Köpfen, wie chinesische Pagoden — und fernhin scholl noch der monotone Mollgesang znr Lantc, vielleicht cin Abschicdslied für die Freindlinge. So nahmen wir doch eine hübsche Erinnerung aus Suliua mit. - Am Nachmittag versuchten wir nnscr Iagdgeschick auf dem linken Ufer, und wanderten im heißesten Sonnenbrand auf gut Glück hinein in das Schilf, einem schmalen ausgetrctcuen Pfade folgend. Weiter und weiter drangen wir in das Schilfmeer. Mit bleierner Schwere lag die Glnth des Himmels über dem Morast, eine schwüle, dicke, fast grcifoare Atmosphäre umgab uns uud schien sichtbar aus dem morschen Boden zu brodeln. Man konnte sich zwischen deu Vayous in Louisiana wähnen, und es fehlten auch nicht die Pciniger „mit den scharfen Gesichtern," denn Milliarden von Fliegen und Mücken waren die einzigen Thiere, die wir zu sehcu bekamen, aber mit dem Unterschied, daß sie uns jagten und 83 Vlut abzapften nach Herzenslust. Diese nichtswürdigen „Geizen," welche die ganze untere Donau, unsicher machen, sind eine von den allerverwünschtesteu Landplagen, nnd einfache Bekleidung hilft nicht einmal gegen ihre perfiden Säugrüssel. Etwa eine Stunde lang waren wir im Schweiße unseres Angesichts — oder vielmehr Leibes — in dem Schilfwald umhergestelzt, tättowirt am ganzen Körper, Antlitz nnd Hände gezeichnet, als seien wir Ncconvalcscenten der Pocken ^ immer drückender lastete die dumpfe Hitze auf uns, die Zungen Nebten am Gaumen und wir betrachteten den Himmel, nm uns nach der Sonne Stand znm Rückweg zn wenden — da schreckte mich plötzlich ein dringliches Zeichen meines um hundert Schritte voraus geeilten Begleiters, des Ittgenicnrs, aus der apathischen Ermüdung auf, die mich gänzlich hatte vergessen lassen, daß ich eine Flinte trug und auf der Jagd war. Nnn aber erwachte auf einmal wieder der Eifer, mit gefpanutcm Hahn schritt ich aufmerksam voran, bis ich den Gefährten ereilte, der in großer Aufregung mir ganz leise zuflüsterte: „Ein Eber! — zwei — noch einer!" Unsere Iagdfreude dauerte indeß nicht lange, denn je näher wir kamen, je sonderbarer sahen diese Wildsauen aus — sie trugen dicke Pelze, einige sogar Hörner — mit einem Nort, sie verwandelten sich in eine ehrsame Schafherde, nnd zwar noch gerade zu rechter Zeit. Jetzt trat auch der bulgarische Hirt mit zwei riesigen Hunden hervor, und alle drei schielten und knnrrten nicht schlecht, als sie uns plötzlich wie aus dem Boden gewachsen mitten im nnwirthbaren Schilf erblickten. Auf welcher Seite beider Par-teim übrigens das Mißtrauen größer gewesen ist, wage ich nicht zu entscheiden. Nhne Ornß und Wortwechsel, aber mit öfterem Umblick entfernten wir uns von der wilden Gestalt, mit der breitmäuligen Tromblonc auf der Schulter und den beiden wölfischen Wächtern. Nunmehr drang auch das Rauschen der Brandung deutlicher an unser Ohr und ward unser Führer, der uns nach einem 6"- 84 halbstündigen Maisch an das sandige Meere^gestade nördlich von Snliua Vogasi brachte. Wir bedurften sehr der Ruhe, noch mchr der Erfrischung; die schäumenden Wellen lockten so verführerisch, daß wir nach kurzer Rast auf dem feuchten Sand uns in ihre wohlige Umarmung schwangen. Wie herrlich war dies Vad in der kühlen, wallende« See! Ein paar hundert Schritte von uns entfernt ragte cm schwarzes Wrack aus der Tiefe empor; wir schwammen darauf zu, uud umkreisten es mehrmals, aber an Vord zu kommen, war nicht möglich, denn einerseits war von Äord nicht viel mehr vorhanden, uud sodann brach das Holz, sobald man es angriff, in morsche Späne auseinander. Wir konnten uns sobald vou dem erfrischenden Elemente nicht trennen — so oft wir das Ufer gewonnen hatten, zogen uns die schelmischen Wellenmädchen wieder zunick in ihre feuchten Arme — wir sanken hin und wurdcu uicht mehr gesehen, bis auf dem Kamme der nächsten Woge. Vom Strand aus konnten wir den ^enchtthurm »nd ein Stück der Stadt Sulina sehen. Plöhlich lagerte sich auf derselben eiu dichter rother Qualm, gleich darauf züngelten hohe Flammen empor. „Die Stadt brennt!" „Lassen Sie dieselbe in Gottes Name» abbrennen!" sagte mein Begleiter sehr rnhig, „sie ist nichts Besseres werth/' „Wollen wir nicht hin, helfen, retten?" „Fällt uns gar nicht ein/' erwiederte cr, „hier ist es viel gemüthlicher. Die deutsche Feucrmncrsncht ist dort nicht am Platz; Sie würden rislircn, geprügelt oder bestohlen zu werden, hier zu 5!aud löscht Niemand, als wer dazn verpflichtet ist." Er hatte sehr recht, der erfahrene, schon lange im Orient ansässige Mann, doch aber mnßte ich oft hinüber schauen nach der rothen aualmeudcn Wolke und Gewissensbisse oo meiner Unthätig-keit in solcher Gefahr bekämpfen. Nach einer Stunde begaben wir uus auf dcu Heimweg, und 85 schlenderten gemächlich das Ufer entlang, bis an die äußerste Ecke, wo vor einer Stunde ciu Dampfer der „Mcfsageric imperialc" Anker geivorfen hatte. Hier läuft der Damm hinaus in die See, welcher bis jetzt das einzige fichtbare Zeugniß der Arbeiten dcr berühmten Donau-Commission ist, aber schwerlich fertig werdeu wird, denn heute fehlt es an Holz, morgen an Steinen und alle Tage an Geld. Zu den Arbeiten werden meistens türkische Sträflinge verwendet, daran ist niemals Mangel, Es stehen hier einige Gebäude zum Obdach für Arbeiter und Wachen. Als wir un, die Ecke des Schilfdickichts traten, hatten wir ein höchst lebendiges Schauspiel. Der große französische Dampfer lag etwa einen Steiuwnrf weit vom Ufer ab, sei» ganzes Backbord war garnirt mit Köpfen und unter diesen zeichneten sich namentlich diejenigen ciuer Anzahl türkischer Frauen aus, deren loir nicht weniger als dreißig zählten. Sie gehörten zu dem Harem des Pafcha von Belgrad und reisten mit dein Steamer nach Eoustanti-nopcl. Sie sowohl, wie die Offiziere der Equipage, waren Zuschauer der Spiele, an welchen sich die Matrosen ergötzten. Es ist eigenthümlich, leine andere Nation weiß das Leben so von der fröhlichen Seite aufzufassen, jeder Minute ihren Tropfen abzugewinnen, wie die Franzosen. Sehe man doch irgend ein anderes Fahrzeug der Welt, ol) die Mannschaft gleich die erste Stunde der Rast dazu benutzt, sich in Voussonericcu und grotesken Scherzen zu ergehen! Hier hatte das Spiel auch seinen gymnastischen Zweck. Eine lange Naa war von dem Fallreep ans nutteist eines Taues weitaus über die Tiefe gehängt und zum Ucoerfluß mit Seife bestrichen. An ihren, äußerste» Ende, gerade über der tiefsten Stromstcllc, hing an einer Schnur mit dem Kopf nach unten ein unglückseliges, lebendes Huhn. Die Matrosen, einer nach dem andern, alle blos mit Schwimmhoscn bekleidet, versuchten balanci-rend auf der schmalen Stange bis an das Ende zu gehen, nm 86 den Kopf des avmen Thieres zu fassen, abzureißen und dcit Körper als Sicgcsbcutc zu erhalten. Aber Wenigen nur gelang das Kunststück; dic Meisten sielen auf der Hälfte des schwankenden Wegs herab in's Wasser und mnsiten schwimmend wieder an Bord zn gelangen snchen. Die Uebung mag ganz gut sein, aber das lebende Hnhn ist doch wohl nicht nothwendig. Ans unser eigenes Schiff zurückgekehrt, empfing uns eine fröhliche Nachricht. „Der Wind hat sich gelegt, die Warnnngs-stagge weht nicht mehr auf dem Leuchtthurme, in einer Stnnde können wir die Vane passiren!" Das brachte nenes Leben in die ganze, Gesellschaft. Schon qualmte der Ranch aus dem riesigen Schlot, das Deck war klar gemacht, man sah überall erwartungsvolle, freudige Gesichter. Nur der gntc Stasio nnten in seiner Jolle, der nns mit seltner Zähigkeit treu gcvlicben war, zeigte eine trübe Miene, sie galt aber wahrscheinlich mehr unsern Zwanzigern, als nns selber. Wir gewährten ihm die letzte Freude, und liefen nns noch einmal nach der Stadt übersetzen, um die Verwüstnngen des heutigen Brandes zn beschanen. In der dritten dem Ufer parallelen Zeile waren sieben Häuser abgebrannt, lein Mensch hätte in dem wogenden, unabänderlichen Gewühl irgend eine Andeutung solchen Unglücks aufgefnndcn. Die Brandstätte rauchte und brannte noch, ohne Gefahr; an Löschen dachte man nicht mehr, nnd selbst neugierige Znschaner fehlten. Dagegen war von der einen Brandstelle schon der Schutt ziemlich weggeschafft, bis auf einige Hansen verkohlter Trümmer in der Mitte; Leute waren beschäftigt, dünne sichtene Stollen, als die Eckpfeiler eines neuen Gebäudes aufzurichten, das vielleicht am nächsten Abend fir und fertig war. Das ist die Stadt Sulina in Europa! Schon standen die Leute am Gangspill, als wir zurückkehrten. Es war etwa sieben Uhr Abends, ein unbeschreiblich klarer Himmel lag iiber uns, kein Lüstchcn erregte die Atmosphäre. Unten in der Cajntc erklang das Clavier in rauschenden Accordcn, Hcrr 87 Kondopulos, der feine Grieche, sang mit ertrcmstem Gefühl Arien von Verdi; der Vaseier gab sein heimathliches Leiblied „in, Aar-gä'u find zwei Lieba" zum Vcstm, wozu der bedächtige Mr. I. Amschel aus Manchester die Bemerkung machte, das erinnere ihn an den Stier von Uri und sein Horn; dann verbreitete sich anf einmal das Gerücht, Capitain Vassi sei ein bedeutender Sänger — wahrscheinlich als Italiener p«r 8o — und er ward umdrängt von flehenden Musitwüthigcu, bis er mit Dounertou die Spiegel der Cajü'te erbeben »nachte — es war ein Lärm uud Treiben, als habe der gravitätische Mettcrnich die Besatzung mit seinem leichtfertigen französischen Nachbar getauscht. Endlich kam der Lootfe au Bord und übernahm das Commando. Eiu paar tiefe, schwere Athemzüge that das Boot, dann singen seiue gewaltigen Schaufeln au zu arbeiten; „Hnrrah, Hurrah!" scholl es von den befreuudeten Schifscu zmn Abschicds-grnße, und dahin schössen wir, gleich dem Albatroß, hinaus in das dunkle Meer, hinter uns eine milchweiße Straße im aufgeregten Gewässer. Fast ehe wir uur Zeit hatten, an Gefahr zu denken, war die gefährliche Barre hinter uns, der Lootfe sprang in seine Nußschale, — lebe wohl, Sulina, wir fchwimmen im Pontus Eurinus! 88 V. Odessa. Gegen dic Seekrankheit nnd die Furcht davor gibt es kein besseres Mittel, wie ruhige Lage in der Koje, obgleich auch dieses nicht immer hilft. Das Meer war zwar „gastfrcnndlich" genug, doch unterließ cs nicht, den braven Mettcrnich zuweilen wic ein Kind in der Wogcnwicge zu schaukeln, troh des schönen Abends verschwand daher von den Passagieren Einer nach dem Andern vom Verdeck und statt lustigen Lärms ans der (5aiüte erschallten nunmehr blos seltsame ^ante aus dem tieseren Schlafraum. Aber die Fahrt war gut nnd mit der ersten Frühe des kommenden Tags stieg das langersehnte Ziel der Ncise, die Stadt Odessa, stolz und Prächtig vor uns auf. Ihr Anblick vom Meer aus gehört zu den großartigsten, die ich kenne. Auf hoher, steil abfallender Küste reiht sich in langer Zeile Palast an Palast; bis in unabsehbare Ferne ist das Meer bekränzt mit stattlichen Villen und Ansiedlnngen, goldene Knppeln leuchten im Morgenlicht, zahllose Schisse jeder Art liegen in den beiden Hafenbassius und ihre schwarzen Masten bilden gewissermaßen einen Nahmen für das Stadtbild; dazwischen überall Leben und Bewegung; oben ein wolkenloser blauer Himmel, unten das durchsichtig dunkelgrüne Wasser — man sieht sich nicht so leicht satt an einem solchen Gemälde. Vielfach hat nian die Lage von Odessa mit derjenigen 89 voll Neapel verglichen; da der gleiche Versuch zwischen dem letzteren und der Mark Brandenburg mit vielem Glücke schon gemacht morden ist, so darf man einem enthusiastische, Pfahlbürger gern die Freude gönnen, zumal Odessa's wirklich reizende Lage von Niemand abgestritten werden kann. Aber der poetische Duft des Morgens, den wir eben eingesaugt haben, weicht sehr rasch einer nichts welliger als poetischen Wirklichkeit. Nachdem die Sanitätscommission an Vord gewesen ist und sich durch ein gutes Frühstück davon überzeugt hat, daß wir weder Pest noch Cholera heimlich einzuschleppen Willens sind, klettern wir die schmale Treppe herab, und mit wenigen Nudcrschlägcu für vieles Geld führt uns ein italienischer Bootsmann an das Werft der Quarantäne, wo wir dcn Boden Ncurnßlands betreten. Der feierliche Eindruck des Augenblicks kommt aber gav nicht zum Vcwußtsciu wegen des beginnenden Gezänks mit dein Fährmann, welcher nie genug bekommt, auch wenn er Alles bekommt, sondern grundsätzlich auch die reichste Gabe mit Murren entgegen nimmt. Nnnmchr sind wir gefangen in einem wohlverschlosscncn und bewachten Hof, wo wir nns auf nnsern Koffern es bequem machen und zum Zeitvertreib in's Wasser spucken können, bis der gestrenge Herr Visi-tator eintrifft. Das dürfen wir im Voraus versichert sein, daft er der Passagiere wegen nicht eine Minute früher kommt, wie gewöhnlich. Mittlerweile grüßen sich Verwandte uud Vekauute durch das hölzcrue Staket, das die Quavautäne vom Hafen absperrt; ein alter Soldat in einem grauen Nock, der ihm bis auf die Füße fällt, gibt zwar Acht, das; nichts weiter durch das bitter gesteckt wird, als die Hände; allein immer kann er doch nicht aufpassen und wird sich doch einmal bücken dürfen, wenn er plötzlich ein Fünfnndzwanzig-Kopekcnstück zu seinen Füßen im Sand erblickt. Da übrigcus nach und nach immer mehr von unsern Reisegefährten in dem gehcimuißvollcu Gaug zur Douane verschwinden, so fassen wir uns ein Herz und folgen ihnen, höchst- 90 eigenhändig den Koffer schleppend. In dem halbdüstcrn Raum ohne jcdc VePlentlichkeit oder Einrichtnng, wo die Visitation vorgenommen wird, pfeift ein ganz anderer Wind, wie in den Donau-fürstenthünn'rn und der Türkei, und doch dreht er sich auch, sobald ,uan versteht, mit einem galvanischen Mctallreiz ans ihn zn wirken. Gescht, man führe mehrere Cigarrenkisten bci sich und der Visitationstyrann früge barsch: „Was ist darin?" so würde eine sehr gute, das Geschäft beschleunigende Antwort sein: „Ich werde Ihnen eine davon nach Haufe senden, dort können Sie das bequemer untersuchen." — Der Beamte wird dies richtig finden und die Kisten passircn. Dagegen dnrchwühlen die ungewaschenen Hände der znr Hülfe commandirtcn Soldaten Koffer und Säcke nach jedem Schnitzel bedruckten Papiers, was gewissenhaft confiscirt wird, so daß eine nicht geringe Unordnung und Reibung unter de» kunstreich verpackten Gegenständen bewirkt wird. Es ist während dieser Vornahme nicht ganz unzweckmäßig, den Soldaten ein wenig genan alls die Finger zu sehen, blos damit nicht unwillkürlich etwas daran hängen bleibt, Bücher, die man bei sich hat, werden zn-crst auf die Censur geschickt, von wo man sie nach ein paar Tagen, falls sie nichts Staats- uud Ncligionsgefährliches enthalten, zurückempfängt; dafür hat man gleich im Voraus einen Rubel an den Visitator zu entrichten. Ich hatte blos zwei schlechte französische Romane ü 1 Franc das Stück in« Koffer und machte mir ein Vergnügen daraus, sie dem Herrn anstatt des Rubels zu verehren, was ihn jedoch nicht sonderlich zn crfrcnen fchieu. Endlich war auch dies Geschäft glücklich beendet, und nach der gewöhnlichen Revue vieler offener Hände konnte das Gepäck in euic Pawosta (Pfcrdckarrcn) geworfen werden, der ich in der Droschtc den Weg wies. Auch von Innen macht Odessa sofort den Eindruck einer großen Stadt; überall prächtige, prunkende Gebäude, breite Straßen mit Trottoirs — aber die Straßen sind uugepflastert, im Sommer 91 ein Stanbbad, im Winter und nach Ncgenwctter überhaupt ein Vrei. in welchem thatsächlich scholl Menschen und Thiere veruu-glückt sind, so unergrliudlich tief ist er. Dcr Dichter Puschkin hat nicht ungeschickt dic Stadt mit einem Schreibzeug verglichen, Tinte oder Sand, Odessa's Hanptader ist die Nichelicustraßc. Hicr finden sich die prächtigsten Gewölbe, llnter wclchclt dasjenige dcr Gebrüder Stiffel nlit einer so großartigen Pracht aufgeführt ist, wie ich kein ähnliches in den grössten Städten dcr Welt gesehen habe. Andere kleinere Läden zeickmen sich nicht minder durch kostbaren Inhalt, geschmackvolle Ausstattung, aber auch so fabelhafte Prcise alls, daß einem ehrlichen Deutschen davor die Haut schaudert. Nach dem Meere zu ist die Nichclienstraßc geschlossen durch das Theater-gebäudc mit dcr Stadtnhr; die Cckc gegenüber bildet das französche (5aft Richelieu, fast nur vou Franzosen nnd Italienern vcsncht; vor ihm alls dcr freien Straße findet wöchentlich dreimal um die Mittagszeit eine Art freier, aber lebhaft befuchter Börse statt. Hier staud vor fünfzig Jahren eine einstöckige, schlechte strohgedeckte Hütte, die Wohnung des Herzogs von Richelieu, des Mannes, dein die Stadt Odessa ihre Hcbnng und ihren jetzigen Flor verdankt. An das Theatergebäude schließt sich das Palais Noyal, eine sehr verkleinerte und verkümmerte Nachahmung des berühmten Pariser Platzes, rings umgeben mit fashionablen Veriaufsmagazinen. Mit dcr Nichelieustraßc lrenzt sich die Nibasstraßc, so genannt znm Andenken an den eigentlichen Begründer dcr Stadt, den Admiral de Nibas, von italienischer Abkunft. Der Grundstein zu dem jetzigen regelmäßigen Straßennetz ward gelegt im Jahre 1800; alljährlich feiert die Stadt diesen Jahrestag am 22. August neuen Swls durch eiuc großartige Procession. Außer den genannten siud nocl'» folgende Hauptstraßen auzuführcu: Parallel mit dcr Richclienstraßc: die Katharincnstraßc, die italienische Straße, die Preobraschcnskistraßc und die polnische Straße; im Winkel auf 92 sie, oder parallel mit der Nibasstraße: die ^augeronstraf^e, dic griechische Straße, die Polizeistraße, die Poststraße, die Iltdcnstraßc. Es ist hier nur der innerste, und bcvölkcrtstc Theil der Stadt berücksichtigt. Schöner als alle, Straßen, einzig in seiner Art ist der Boulevard von Odessa (die Nnssen schreiben »lach löblicher Sitte genau wie sie sprechen, also: Vulwar). Es ist eitle breite Straße ans der erhöhten Meeresküste des Hafens, nur die eine Seite mit Häusern, oder vielmehr mit lauter Palästen bebaut; unter diesen zeichnet sich besonders ans das Palais Narischtin mit seinen Mahagouyfensterrahmen und vergoldeten Beschlägen. Es gehörte früher der Fürstin Narischtin, der Geliebten Alexanders I.; ein unterirdischer Gang soll daraus nach ciucm tcmpelartigen Pavillon in halber Höhe der steilen Küste geführt haben; viel weiß man von den Liebesfcsten zu erzählen, die dereinst darin gefeiert worden sein sollen; jcht schon ist er eine Ruine, in Staub zerbröckelnd, wie alles Irdische. Auch der Palast ist nicht mehr in fürstlichc-n Händen. Die Flotte der Alliirten hatte sich den unschuldigen Scherz erlaubt, eine Bombe hineinzuwerfen; sofort wurde er über Hals und Kopf mit dem ganzelt Inventar für 100,000 Nubel verkauft, obgleich er mehr als sechsmal so viel gekostet haben soll. Das südliche Ende des Boulevards schließt die Börse, ein Gebäude, dessen eorrumpirtcr griechischer Stvl mit den Fabelthieren vor dem Eingang, uud dem aus Waarcnballcn bestehenden Fries einen um so sonderbareren Eindruck macht, als es heillos vernachlässigt aussieht und fast gar nicht besucht wird. Zur Rechten, am Eingang der italienischen Straße, befindet sich das historisch-antiquarische Museum, ein einstöckiges Gebäude mit einer nicht reichen, ziemlich planlos zusammengewürfelten Sammlung, worunter die griechischen Denkmale wohl die wcrthvollsten sind. Das Mnscmu iu Kertsch ist viel reicher und war es noch mehr, ehe die Herren Matrosen der englischen Flotte sich den Spaß gemacht hatten, ihren Ueber- 93 much an den kostbarsten Antiquitäten auf eine wahrhaft unverzeihliche Weise auszulasten. Am Mordende des Boulevards liegt das Palais Woronzoff, erbaut von dem früheren, berühmten Gouverneur Neurußlands, dessen Namen immer noch ein hoch gefeierter ist. Nicht weit davon in der Neihe wohnt der gegenwärtige Gouverneur, Graf Stroganofs. Aber nicht die Häuserseite leiht dem Boulevard seinen Nciz, sondern die freie, mit der wunderbaren Aussicht auf das Meer. Dieses bildet hier den runden Busen von Odessa, nach Südcu hin offen, im Norden und Osten geschlossen von dem weißen Vogen dcr Contraküste. Der Wasserspiegel liegt 200 Fuß tief unterhalb des Boulevards, dcsseu freier Naud mit Akazien nnd Gebüsch bcwachscu, einen reizenden Spaziergang bildet. Zur Linken zieht sich die Stadt noch stundcnlaug längs des Ufers hin bis zur Chersoncr Tamoschna; ein breiter, in's Meer hinaus gebauter Damm bildet den russischen Hafen, worin die uur mit dem Inland verkehrenden Schiffe anlegen, zur Rechten ist dcr Hafeu für die ausländischen Fahrzeuge, dcrcu hier immer viele Hunderte vor Anker liegcu. Der Verkehr ist äußerst lebhaft; plumpe Lichterschiffe zum Aus- und Einladen gehen und kommen, zahlreiche Dampfboote lasseu doppelte Straßen hinter sich, eine dunkle am Himmel, eine silberne iu der Fluth; Fischerboote sind über die ganze Bucht zerstreut; Tausende von Wagen und Karren, von Menschen und Thieren in ununter-brocheuer Bewegung längs des Ufers zwischen den Häfen. In der Mitte des Boulevards bildcu das Gouverncmentsgebände und das Hotel St. Petersburg einen halbrunden Platz, m dessen Centrum das Monument des Herzogs von Richelieu steht. Er ist dargestellt iu römischer Tracht, deu Lorbeerkranz um's Haupt, mit der rechtcu Hand deutet er auf deu Boulevard, in der linken hält er eine Nolle. Das Modell der Bronzcstatue ist von Mademoiselle Falconet in St, Petersburg. Sie läßt viel zu wünschen übrig uud dcr Witz hat sich an ihr gar häufig verflicht. 94 Es gibt eine Stelle, von welcher aus betrachtet, die Gestalt ein fast beleidigend sonderbares Profil gewinnt; dic hingestreckte Hand erhält dic Dcutnng: „Gebt Geld her!" Bei den« Schrcckbombar-dement scheint das Monument das Ziel der englischen Kanonen gewesen zn sein; wirklich ist eine Ecke seines Piedestals von einer Kngel abgeschlagen worden, die nunmehr zum Andenken darin eingekittet ist. Aehnliche Erinnenlngszcichcn an diese merk-würdige Beschießung finden sich noch genug in der Nähe; so sah ich i» dem Schlafzimmer der verstorbenen Fürstin Gagarin cine Vombe, die das Dach und die erste Etage durchschlagen hatte, in der gewölbten Decke des Gemachs unschädlich stecken geblieben war, und zum Andenken nicht entfernt worden ist. Nicht weit zur Rechten vom Freihafen ist die Stelle, wo der cnglichc Schran-bcndampfer Tiger im Nebel ans den Grund lief und von einev rasch aufgepflanzten Batterie vollständig vernichtet wurde. Noch heute kann man Eigarrenröhrcn und ähnlichen Kram, aus den Nesten dieser Trophäe gefertigt, kaufen, wenn man Glauben daran hat. Die Erzählungen aus jener Zeit geben ein höchst lebendiges Vild von dem panischen Schrecken, der sich der ganzen Stadt bcmcistert hatte. Während sich Cavallcriercgimenter der Flotte gegenüber zu einem sehr zweifelhaften Schutz zusammenzogen, flüchtete Kind und Kegel zu allen Thoren hinaus auf's Land; Arbeiter waren gar nicht mehr zn bekommen, Jedermann mußte selbst Hand anlegen, um Hab und Gut in Sicherheit zu bringen; niemals sind vortheilhaftere Grundstnckskäufe abgeschlossen worden, wie in jenen Tagen. Aber es war viel Lärm um Nichts, die alliirte Flotte verschwand so plötzlich wie sie gekommen war, und man weiß heute noch nicht recht, was sie gewollt hat. Jedenfalls waren die Kugeln, die sic in dic Stadt warf, wenn sie überhaupt nichts Ernstliches beabsichtigte, ein sehr kleinlicher Muthwillen. — Sehr oft habe ich lachen müssen, wenn Züge hcremgekommener Bauern vor dem Mouun^ul des Herzogs mit entblößten Häuptern 95 auf die Knie sanken und vor dem alten Sünder, den sie wahrscheinlich für den Schuhheiligen der Stadt halten, andächtig ihre Gebete verrichteten. Eine prächtige Freitreppe von nahe zu 200 Stufen führt hier von dem Boulevard hinab an das Ufer. Sie hat ein riesiges Geld gekostet, denn kurz nach der ersten Vollendung wich der Grund uud sie rollte zusammen. So schön und imposant sie auch ist, so bildet sie doch cincu höchst beschwerlichen Aus- und Niedergang, namentlich in der heißen Jahreszeit. Ihrem Fuß gegenüber, dicht am Mecrcsrand, steht eine bunte, russischbyzantinische Kapelle, die zur jährlichen Wasserwcihc benutzt wird. Von dem Boulevard aus kündigt jeden Tag eine Kanone dem Hafen uud der Stadt die Mittagsstunde an. Dieselbe war früher dauernd hier aufgepflanzt, wurde aber von einigen industriellen Juden gestohlen und befand sich fchon in einem Ochsenwagen auf dem Weg uach dem Inneren, als der Dicbstahl entdeckt und der Nanb dnrch flüchtige Kosaken wieder eingeholt wurde. Seitdem wird das kleine Ding anf seinen zwei Rädern täglich zur Stunde an Ort und Stelle uud wieder zurückgebracht in den Hof des Gouverncmcntshauses. An den Abenden des Sonntags, Dienstags uud Donnerstags spielt die Militärmusik auf dem Boulevard und dann ist derselbe das Rendezvous der ganzen schönen Welt von Odessa. Der Toilettcnanfwand, welchen die hiesigen Damen machen, ist größer, wie er mir irgendwo begegnet ist, namentlich gilt dies auch von den Crinolinen. Nnter den Damen höherer Stände findet man auffallend viele Schönheiten; ein gewisser orientalischer Typus ist übrigens vorwaltend. Vor dem Erfrischungszelt nebeu der Treppe kaun mau, eiu Glas Thee oder Eis schlürfend, sehr interessante l5ostümstudicn machen. Dort auffallend bunt gekleidete, breite Kosakcnannuen im Sonntagsaufputz, mit welchen die Familie Pruuk treibt, hier Tschcrkcsscuprinzen mit ihren furchtbaren Schafpclzmühcn uud Patroncnröcken; Knaben in der allgemein beliebten Kosakeutracht; Modeherren i», ^uatro 96 «pinFlcs; Gymnasiasten in der Uniform; Militärs in grauseidnen Blousen und Eommodemühen; dazwischen alle möglichen Nationalitäten. Die Straße längs den Häusern bildet einen Corso, auf welchem sich die Equipagen nnd ihre Besitzer zur Schan stellen ; reitende Gmsdarmen sorgen für die Ordnung Hinter dem glänzenden Wiener PhaMon und einem Paar prachtvoller Vollblutpferde davor, schwankt der alterthümliche Kaste»! eines Gutsbesitzers mit seiner Tschctwemia (Viergespann) von struppigen Steppcnmähren; ihni folgt eine Stadtdroschke, iu welcher icdcnfalls Ausländer sitzen, sonst würde sie nicht wagen, sich hier einzudrängen; zwischen den beiden Kutschenreihen lassen juugc Löwen ihre Orloff-traber vor einer niedrigen Wurst, auf der sie rittlings sitzen, ausgreifen, zum Erstaunen des Fremdlings, welcher diese wunderbaren Nosse noch nicht geseheu hat. Reiter sieht mau nur sehr wenige; überhaupt ist in Nnßland das Reiten nicht so gentil, wie das Fahren. Um den maßlosen Staub zu dämpfeu, wird währcud des Sommers der Boulevard Tag für Tag mit der Feuerspritze begossen. Odessa ist eine Stadt der Paläste, aber auch der Gegensätze. Neben dem prachtvollen Gebäude steht eine schmdclbcdecktc Hütte, oder selbst eiue Nuiuc. Letztere fallen besonders auf, manchmal trifft man in einer ganz belebten Straße auf eiu nur halb fertiges, schon wieder zerfallendes Haus, oder auch einen seit Jahren unbenutzten Prachtban mit zertrümmerten Fenstern, geborstenen Thüren, zerbröckelnden Schwellen. Man glaubt die Hast vor sich zn sehen, mit welcher so viele Untcrnehmungeu angefangen werden, ohne die Kräfte, sie zu Ende zu führen. Außerdem verleiht das eigenthümliche Baumaterial den Häusern nach einigen Jahren fchon das Aussehen grauen Alterthums. Es ist der Muschelkalkstein, der fast überall in Neurußland die zweite Boden-schichte bildet. Die Steine werden in großen Qnadern daraus mit der Säge geschnitten »nd darauf mit dem Veil in alle 97 beliebigen Formen leicht behaueu. So rasch und bequem sich damit bauen läßt, so geschwind verwittert die Masse an der Luft, so daß ohne besondere Vorsichtsmaßregeln ein Hans selten länger dauert als fünf und zwanzig Jahre. Auch haben die Steine den großen Uebelstand, daß sie bei Bränden verbrennen. Sie gelten trotz des Vorraths und der leichten Gewinnung stets einen hohen Preis wegen der thcnrcn Mcnschenarbeit und der großen Baulust. Daß die Menschen überall dieselben sind, mußte ich häufig eingcstehen, wenn ich den hiesigen Maurern bei ihren» Tagewevt zuscch; sie sind eben so fleißig, wie ihre Kameraden in Deutschland. Dagegen fallen hier die unbequemen Leitern der Bangerüste, aber auch die Winden und Auszüge weg; bei Neubauten wird eine breite, schräge Bahn bis znr obersten Etage errichtet und Alles blos mit Menschenkraft hinanfgeschafst. Oft sah ich einen schweren Balken auf solche Weise von achtzig und mehr Leuten mit unsäglicher Mühe uud Zeitverlust emporschleppen. Odessa ist sehr reich an Kirchen aller Glaubensbekenntnisse; die prachtvollste ist der Sobor oder die Kathedrale auf dein nach ihr benannten Platz an der Preobraschenskischen Straße. Auch die katholische Kirche ist eiu sehr stattlicher Bau, uicht minder die neue Synagoge. Das Untergeschoß vieler Gebäude ist ganz zu Getreidemagazinen eingerichtet, vornehmlich in den Stadttheilen, die dem Hafen näher liegen. Die Straße davor wird im Sonnner ohne Weiteres ebenfalls benutzt; auf Tüchern werden große Getreidehaufe» hier aufgeschüttet und an der Sonne gewendet. Unaufhörlich ziehen lange Reihen von Ochsenwagcn, beladen oder leer, einer dicht hinter dem andern, durch die Stadt. Um Leute zu fparen, regiert ein Bauer oft mehrere Gespanne, dann wird das hintere mit einem Strick an den vorderen Wagen gehängt. Man kann sich das Vergmigen denken, an einem Straßenübergang im Staub oder Schmntz warten zu müssen, bis vielleicht sechzig der trägen Gefährte defilirt sind; die Bauern haben aber in Ha mm, Steppe» und Städte. 7 98 Wahrheit ihre Herzensfreude daran, wenn sir einen Städter in dieser Weise ärgern können, Manchmal bekommt es ihnen aber auch schlecht; ich habe gesehen, wie ein Offizier kaltblütig seinen Säbel zog, mit einem Hieb den Strick trennte, zwischen den Wagen dnrchging und den Vaner furchtbar ^bfuchtelte. Die ganze Stadt ist vollkommcu regelmäßig in Quadrate eingetheilt; einem jeden Viertel steht der Quartaluik oder Viertcls-meistcr vor, welcher di? Polizei nud Verwaltnng scincr Abtheilung über sich hat. An den Kreuzmigspunkteu der Straßen sind kleine Wachhäuser für die dienstthuenden Polizeisoldaten errichtet, früher standen sie fast mitten in der Straße, sind aber im vergangenen Jahr bei Seite geschoben worden. Mail merkt nicht viel von der Thätigkeit der Polizei; höchstens, daß sie hier und da einmal einen stier Betruukeucu von der Straße, die er für sein Bett hält, aufhebt nud iu (Gewahrsam bringt. Dies geschieht ganz einfach, indem die erste beste Droschke gezwungen wird, ihn sammt seinem Begleiter aufzunchmeu nnd fortzuschaffen. Das ist für dieselbe allerdings eine sehr nnaugeuchmc Sache, und der Kutscher stränbt sich, so lang er kauu dagegen; zuletzt siegt doch die Gewalt, die im schlimmsten ^all auch ihre Fäuste oder die Knnte gebranckt. Sobald sich dahcr das Gerücht verbreitet, irgend wo liege ciu Betrunkener auf der Straße, so machen sich schnell alle Droschkenkutscher davon uud wähleu lieber einen großen Umweg, wie dcu verhaßten Zwaugsdicust. Im Ucbrigen dürfen sich die Drofchkeu keineswegs wegen allzustrenger Aufsicht beschweren. Ihre Beherrscher sind, wie überall iu der Welt, das unverschämteste Pack, das es gibt; auf ihren Halteplätzen z. V. an der Einmündnng der nntcren griechischen Straße in die Nichelieustraße, pflanzen sie sich ungenirt halb oder ganz auf den Uebergang nnd zwingen die Fußgänger ans dem Trottoir eiucu großen Bogen durch Schmntz und Staub um die Pferdeköpfe herum zu machen. Der Iswoscht-schik ist niemals mit dein znfrieden, was mau ihm bezahlt, aber 99 nur Neuling kehren sich an seine Neclamationcn. Die rufstsche Droschke ist in Petersburg wie in Odessa nnd allen übrigen Städten des Reichs von der nämlichen Form. Sie hängt ganz tief in Federn zwischen niedrige» Rädern und ist eigentlich nur siir eine Person eingerichtet. Zwei neben einander haben einen ziemlich knappen Sitz; gewöhnlich sind zwei Pferde vorgespannt, doch gibt es auch elegante Einspänner. Die Kutscher fahren sehr sicher nnd selten passirt ein Unheil. Man geht in Odessa viel weniger, als anderswo, wer es nnr irgend vermag, bemcht die Droschke, sogar zn einen: kürzeren Weg, Der Fremde, der nicht weiß, wie er sich dem Iswoschtschik verständlich machen soll, hat blos ein paar Worte ausweudig zu lernen, um mit ihm völlig zurecht zn kommen: 1'n^w!!, vorwärts; n^ lwvvu, n», pru^v», links, rechts; prumu», geradeaus; «toi, halt. Dies ist vollständig genug. Das Droschkenfabrcn ist in Odessa kein Vergnügen, Im Sommer sitzt der unglückliche Fahrgast völlig eingehüllt in eine rothe Staubwolke, der zu lieb viele junge Männer Schleier an den Hüten tragen, wie denn Jedermann über die Tuchklcider einen möglichst leichten graucu Stanbmantel wirft; im Herbst ist man vollkommen in der Vage, al^ passtre mal« eine Reihe von Schlammvulkanen. Daran ist aber einzig und allein die schlechte Polizci-verwaltung Schuld. Ist die Straße einmal wieder ganz unergründlich, eine stäte Abwechselung von Verg nnd Thal geworden, so werden einige Karren voll Muschclkalkbrocken hineingeworfen »nd damit ist es gut. Allein dieses weiche Material ist binnen wenigen Tageil von den Fuhrwesen znm feinsten Staub vermahlen, in den der Fuß bis über den Knöchel einbricht, und der mit Rcgenwasser angemacht, einen Vrei bildet von grauenhafter Tiefe nnd Anhänglichkeit. Schon lange hat die ganze Einwohnerschaft nach Abhülfe dieses Uebel stands geschrieen; cs geschah auch Mchreres; den ausländische» Schiffen wurde auferlegt, Pflastersteine als Ballast mitzubringen und zwar unentgeltlich; hier uud da 7* 100 wurde einmal ein Stück Strafte gepflastert, freilich scklecht genug. Neuerdings jedoch scheint es Ernst werden zu wollen; die Stadt hat einen Accord abgeschlossen mit dem von Sevastopol her berühmten Bauunternehmer Wolochoff, wonach dieser sie binnen drei Jahren mit Pflaster versehen muh. Die interessanteste Straße Odessa's ist für mich immer die Iudenstraße gewesen, sie ist die belebteste, dagegen lann auch keine andere in Schmutz uud Gestank mit ihr wetteifern. Hier herrscht unaufhörlicher Haudel, unaufhörliches Gewühl und Geschnatter, unaufhörlicher Geruch nach sauren Gurken, dürren Fischen und ' Knoblauch. Wie sich von selbst versteht, ist der Kleingeldwechsel vollständig in den Händen der Hebräer und sie verdienen dabei um so mehr, je größer die Silbernoth in Rußland ist. Diese ist wirtlich ungemein groß; während eines fünfmonatlichen Aufenthalts ist mir ein einziger Silbcrrudel zu Gesicht gekommen, den ich als eine große Merkwürdigkeit aufbewahre. Trinkt man im Kaffeehans ein Glas Limonade sür fünfzehn Kopeken, so gibt der Wirth auf einen Papierrubel nicht heraus, sondern borgt entweder lieber dem unbekannten Gast, oder zwingt ihn, beim Juden zu wechseln, wobei er bis 20 Proccnt verliert. Ein Fremder, welcher Geld einzunehmen hat, hüte sich vor den falschen Kassenscheinen, die in großen Mengen cursive» und theilweise den ächten täuschend ähnlich sind; dies gilt besonders für die Fünfzigrudelscheine. — Eine merkwürdige Sekte der Juden sind die Karalm oder Karai'ten, im Volksmund auch Karaiben genannt, was sie aber nicht sind, obgleich sie Manchem die Haut abziehen, Ihre Religion hält sich einfach an die Worte der Schrift und sie verwerfen den Talmud gänzlich. Den Sabbath halten sie so heilig, daß sie in ihren Häusern nicht einmal Feuer dulden. Sie hassen die Juden, meiden den Verkehr mit ihnen und wollen nicht zu ihnen gezählt sein. Von diesem sonderbaren Volk leben gegenwärtig höchstens 5000 bis 6000 Seelen in Odessa uud in der Krim, sie heirathen nur unter 101 einander und sehen sich daher alle auck merkwürdig ähnlich; nichts destoweniger gibt es viele kräftige, mannhafte Gestalten unter ihnen. Ihre Physiognomie hat jedoch nichts Indisches, sie sehen mehr den Tartaren ähnlich, denen sie auch theilwcise ihre Tracht entliehen zu haben scheinen. Die Karalm sind lütter sehr wohlhabende Geschäftsleute nnd werden von der Regierung besonders begünstigt; dafür rühmen sie sich auch, daß noch niemals Einer ihres Volks eines Vergehens oder Verbrechens wegen bestraft worden sei. Die Thatsache ist richtig; aber ihre mißgünstigen Halbbrüder, die Juden, legen sie dahin ans, daß vermöge ihres Neichlhums und ihres merkwürdigen Zusammenhaltens die Karaim einem sie compromittirenden Falle entweder zuvorzukommen, oder über Geschehenes einen undurchdringlichen Schleier zu breiten verständen. Wo es gilt, ihre Ehre und ihren Glauben zu schützen, stehen sie alle zusammen wie ein Mann, Ich kann mich nicht enthalten, hier eine kleine Geschichte zn erzählen, welche während meines ersten Aufenthalts in Odessa viel besprochen wurde. Aus eitler Karattenfamilie verschwand der Sohn, ein Innge von fünfzehn Jahren. Sorgsame Nachforschungen ergaben, daß er sich auf dem Landhaus der Fürstin G., einer sehr frommen und bckehniugslustigen Dame, befände und am Psingstfest mit noch einem Juden, einem Mohren und einem Zigeuner znsammen die heilige Taufe empfangen sollte. Er war dnrch den Kammerdiener mit Hülfe des bekehrten Juden, eines schlauen Vurschcu, dcm es nur um den Pathen-pfennig zu thun war, verlockt worden. Die Karaim waren außer sich, schössen sofort eine große Summe znsammen nnd wandten sich zunächst an einen der berühmtesten Advokaten Odessa's, Dieser sagte ihnen nnd sich sellxr, daß der Weg des Rechts ein sehr langwieriger, dem Adel und dem Klerus gegenüber sogar zweifelhafter sei uud der Junge ganz gewiß längst getauft sein würde, ehe uur die erste Resolution erfolgen könne, dann aber fei es zu spät. Er rieth daher zur List; dies acceptirtm die Karalm bestens 102 Nach unsäglichen Schwierigkeiten und Opfern gelang es einein ihrer Gesandten, bis zu den fast hermetisch verschlossen gehaltenen Convertiten durchzudringen und mit dein Juden eine Unterhandlung zu eröffnen. AIs diesem eine größere Summe geboten wurde, wie er dnrch den Glaubeuswechsel voraussichtlich zu gewinnen im Stande war, schlug er unbedenklich sein Seelenheil in die Schanze und fand, daß die Religion seiner Väter in der That die bessere sei. In einer dunklen Nacht stand eine wackere Tschctwernia nicht weit von dem Choutor der Fürstin; der Jude hielt Wort und brachte den Knaben. Im Galopp ward derselbe entführt, plötzlich stürzten die Pferde, ein Strick war über die Straße gespannt, wie bei den Neraubnngsverfuchen hier ganz üblich, und mehrere wegelagernde Strolche stürzten beutegierig ans den Wagen los. Allein sie verrechneten sich; zu Führern hatte man cinc genügende Zahl der kräftigsten Kara'ltensöhne gewählt und diese empfingen die Räuber so nachdrücklich, dast dieselben glänzend zurückgeschlagen wurden und zwei der Ihrigen auf dem Platze ließen. Die Flucht ging glücklich von Statten. Jetzt erst machte die Sache Aufschcu. Die Fürstiu, unterstützt von der Geistlichkeit, klagte und verlangte den Knaben in den Schooß ihrer Kirche zurück; allein umsonst, er war und blieb verschwunden und ist bis hellte nicht wieder zum Vorschein gekommen, Gerade dies benutzten die Gewaltigen, indem sie behaupteten, der Innge sei aus Rache von seinen Glaubensgenossen ermordet worden. Wie ich späterhin hörte, brachte eine Deputation geachteter Karann die Sache persönlich vor den Kaiser und bewies, daß der Flüchtling wohlgcborgen lebe; es ist zn wünschen, daß sie damit ihr Ende erreicht haben möge. Unter den Juden gibt es viele aligesehene Leute, aber doch verhältnißmäßig nur »venige Großhändler. Im Allgemeinen ist der ausländische Kaufmann davor zu warnen, ohne sicherste Grundlage sich mit ihnen in größere Geschäfte einznlasscn. Gerade in der letzteren Zeit ist wieder ein eclatanter Fall vorgekommen, welcher 103 dem Vertrauen des Platzes Odessa einen grossen Stoß verseht hat. (5m jnnger Mann trat bci einem rechen, jüdische>l Makler, der wcder rechnen noch schreiben konnte, als Commis in Dienst nnd führte sofort, statt der gewohnten hebräischen, eine doppelte italienische Buchhaltung ein. Allein statt Ordnnng schien diese blos ^erwirrnng in's Geschäft zn bringen. Der Alte vermochte es nicht mehr zn überschen, es traten wirkliche oder künstliche Verlegenheiten ein, die ihn in solche Angst iagtcn, daß er sich ein Messer durch den Hals zog. Das Geschäft kam znr Liquidation nnd der Bnchhaltcr machte sich dabei n ein anständiges Zinnner darin nicht nücthcn. Dabi.'i ist es fast nothwendig, daß man seine eigene Bedienung mitbringt, sonst ist man vollständig verlasse,l. Fast alle Hotels sind nur Vogirhäus^r. Eine rühmliche Ausnahme macht das in ncnever Zeit von einem Schweizer (Herrn Kohl) eröffnete Ilütrl Iu »uuv^II« liu^io, welches ziemlich alif deutschem Fnß eingerichtet ist und Ausländern vorzugsweise cmvsohlcn werden kann. Wer ein Vild von der Ungebundenheit slidlicheil Bebens haben will, der wandere an einem heißen Sommcrabend hinab nach dein rnssischcn Hafen, Er wird lanm seinen Augen tranm bei dem Schauspiel, das ihn hier empfängt: Längs des ganze» Ufers baden nngenirt Tausende von Weidern und Mädchen; zwar gewöhnlich, aber doch nicht immer, mit einem dünnen Kattnn-tleidchen, das Wechseln desselben geht vor dm Augen der Zuschaner vor sich, an welchen es selten fehlt, wenn anch hier nnd da ein alter Polizeisoldat Miene macht, sie wegzuwehen. Besonders lebhaft ist das Gewühl am Freitag Abend, wo die Jüdinnen hier ihre Reinigung vornehmen, während der Gatte und Vater mit einer Pawoska am Ufer auf sie harrt. Spaziert man längs des letzteren gegen Süden, wobei man große Massen vou Floßhölzern zu überklettern hat, so gelangt man nach der Seebadeanstalt, die von eincm Karalm hier errichtet worden ist und ihm cinc große Rente abwirst. Sie ist ziemlich zweckmäßig eingerichtet, doä, hat mau es mit der Neinlichtcit nicht zu genau zn nehmen, lind oft ist sie so gedrängt voller Menschen allerlei Schlags, das; nur das unabweisbare Bedürfnis; dazu vermögen 108 kann, sick hineinzuwagen Vic! erquickender ist das Seebad an dem Ehoutor Langerou, aber es ist febr weit südlich von der Stadt entfernt. Ein Gang durch den Hasen für die ausländischen Schiffe gibt keinen besondere» Vcgnff von der Fürsorge der Administration für diesen wichtigen Lebensknoten der Stadt. Ueber-all herrscht Unordnung und ^ersalknhl'it, die Befestigungen der äußeren Ietse liegen in Trümmer,', mau sieht keine ordentlichen Krahnen, der einzige Dampfkrahnen entspricht nicht seinem Zweck, die Lagerhäuser licgeu großenthcils nngünstig und der Transport dahin ist mühscun. Wahrhaftes Erstaunen erregen die ungehcnren Massen von Maschinen und Maschinenbcstandtheilcn, namentlich für Zuckersabritation, welche hier fortwährend anfgehänft sind, um in das Innere verladen zu werden. Unter den Schiffen macht sich eine große Anzahl von Dampfbooten bemerkbar, diejenigen der russischen DampsfchiffsahrtsgeseNschaft überragen in Größe nnd Ausstattung alle übrigen, Eine directe Verbindung durch Dampfer besteht von hier aus mit Galatz, Constantinopel, den Hasen der Krim (und von da dcs Pontus), Taganrog, Berdiansk, Nicolajeff, Cherfon. Seit deni Jahre 1859 ist der Freihafen aufgehoben, eine Maßregel, worüber das Urtheil sehr verschieden lautet. Die nächste Folge davon war eine viel strengere Stcuercontrole, welche für den Handel nm so empfindlicher ist, als der neue Zollinspeclor, selbst in ungerechtfertigten fällen, eine Strenge und Rücksichtslosigkeit zur Schau stellt, die schou zu einer energischen Eingabe der Kanfmannschaft an die Regierung Veranlassung gegeben hat. Daß auch im Hafen ein Schiff nicht sicher ist, davon kann ich Zeugniß geben; viele Wochen lang konnte ich von meinem Fenster anf dem Boulevard aus die traurig über das Wasser emporragenden Spieren einer Brigg sehen, welche mit sammt ihrer eingenommenen Getreideladung Plötzlich i„ die Tiefe versunken war. Täglich lagen Lichter daneben, nm zn retten, was möglich war, das Schiff selbst ist nicht gehoben worden. 109 Die dentschen Handwerker wohnen in zwei besonderen Quartieren vorzugsweise nebeneinander, sie führen die Namen: die deutsche Obercolonie nnd die Untercolonie. Erstere gehört schon mit zur Moldawanka, dein berücktigtstcn Quartier von Odessa Es liegt im Westen der Stadt, zwischen den Hänsern finden sich Feld, Weiden und Steinbrüche; hier lebt alles Gesindel zusammengedrängt und Niemand wagt sich gern des Abends in diese verrufene Region. Am entgegengesetzten Ende zieht sich die Cher-soner Vorstadt in einer breiten unregelmäßigen Straße längs dem innersten Ende der Bucht unabsehbar hin; sie ist nur von Russen bewohnt nnd immer sehr lebhaft, da der ganze Vcrtehr zn Land aus dem Osten sie Passiren muß. Es wird wenige Städte in der Welt geben, die ein so merkwürdiges Klima haben, wie Odessa. Im Sonnner ist es erstaunlich heiß; 1859 ist die Hitze mehrere Male bis auf 42" gestiegen; der Landwind bringt keine Erquickung, nnr Stanb lind von der See her weht es selten. Die letztere scheint übechanpt gar leinen (5'insluß anf die Temperatnrverhältnisse zu äußern. Ost regnete es viele Monate lang nicht einen Tropfen, dann auf einmal gießt ev wie mit Kannen den Himmel herab. Furchtbar heftig treten die Gewitter anf, welche nicht selten Tag für Tag am Himmel stehen. Die Reife des Obstes, des Getreides u.s. w. fällt trotz dem südlichereil Vreitegrad und der Sommerhitze meistens 14 Tage später wie in Mitteldeutschland. Der Winter ist anßer^ ordentlich streng nnd anhaltend. Häufig friert die Vucht zu; man hat schon bis zu 22" Kälte gehabt. Sehr empfindlich machen sich die von Norden kommenden Schneestnnne geltend; der SchneefaU ist öfters beträchtlich nnd erlanbt Schlittenbahn. Schauen wir uns in der Stadt noch einmal um, so werden wir im Ganzen die materiellen Interessen darin den geistigen gegenüber weit überragen sehen, Für Wissenschaft nnd ächte Kunst 110 geschieht äußerst wenig. Die Stadlbibliotbek, die sick, in, Oou vcrnemcntshause befindet, ist nicht besonders bedeutend und wird schr wenig benutzt, sss befindet sich hier ein Gymnasium oder Lycenm, welches eine grosse Sckülcrzabl u>ld einige Nichtige Professoren hat. Sonst bemerkt man schr wenig von wissen^ schaftlichen Bestrebungen, Die vorhandenen Leihbibliotheken find kläglich; Buchhandlungen gibt es drei deutsche, drei französische und mehrere russische; selten kann man die Bücher gleich bekommen, die man zn haben wünscht. Sie sind zugleich Lcseeabi-nete und ^onversationsloeale, wo man ^icnigkeiten einsammelt und verbreitet, Gs erscheinen zwei Zeitnngen iil Odessa, eine russische, der <)55ki >V^Hl^t,lnIl sOdefsaer Bote) nnd eine französische, das ^mirual ll'Ocl^^a-, letzteres wird von Michel de Ribas, einem Nachkoiumen des Admirals, mit Geschick und Delikatesse redigirt. Zcitungsleetnre findet man ill dem kanfmännischen Club, im Hotel Nichelien nnd iin englischen Club, dem Odessaer Adelsclnb, der ein eigenes Gebäude neben dem Theater besitzt. Von deutschen Heituugen werden daselbst nur gehalten: die Angs-vurger Allgemeine, die Neue Preußische und. die Wiener .Heilung. Die am meisten im südlichen Nußland verbreiteten deutschen Blätter sind die Gartcnlaubc und der sächsische Dorfbarbier. An Vergnügnngsorte» ist Odessa nicht gerade arm zu nenne», doch vermögen die meisten derselben nnr geringen Ansprüchen zu genügm. Mitten in der Stadt an der Ribaöstrcche liegt der Stadtgarten, cine baumreiche, aber leider anch staubreiche Promenade, die vorzugsweise von Kiuderwa'rteriunen bemcht wird. I» ihm befindet sich eine Strnvc'sckc Anstalt zur Erzengnng kiinst-licher Mineralwasser, welche gute Geschäfte machen soll, obgleich sie das nichtswürdigste Produkt liefert, was mir jemals vorgekommen ist. Gar nicht weit davon befindet sich die Lieblings-erholnngMtlc der Odcssaer feinen Welt, es ist dies der Alercjeff-garten, welcher wirklich sehr scholl nnd gnt eingerichtet ist nud den Ill N,lf verdient, in dein er stcht. Hier ist alle Abende im Jahr Eoucert und selten fehlt es an Besuch. Man triukt seinen Thee, der ganz vorzüglich ist, soupirt anch wohl, und raucht cine Cigarre, welche jedoch 33 Kopeken oder 10 Silbcrgroschcn kostet; dies ist nicht der höchste Preis, denn es gibt Cigarren bis zn einen, Rudel das Stück, Von Zeit zu Zeit veranstaltet der Garten ein be-sonderes Fest, illnminirt haun alle seine Ränme mit bunten Lampen, läßt iloch ein zweites Concert spielen und vielleicht nebenbei irgend einen Tausendkünstler auftreten, dann ist aber gewöhnlich der Zudrang so groß, daß viele Gäste wieder unver-richtetev Dinge umkehren müssen. Das Etablissement war früher Palais des Fürsten Nepnin, der es Schulden halber mit der ganzen prachtvolleil Einrichtung ^ an Alcrejeff verkanfen mußte. Die Einrichtung ist w den Zimmern geblieben, allerdings hat sie von ihrer früheren Pracht Einiges durch den Gebrauch und die Vernachlässigung eingebüßt. Ein anderer vielbesuchter Ort ist der Ehoutor ^angcron, am Mecrcsufcr südlich von der Stadt; hier finden öfters Concerte und Feuerwerke statt, auch das dabei befindliche Seebad wird stark besucht. Auf dem Wege dahin kommt man an einer mächtigen Easerne vorüber, in welche der confis-eirte Palast eines polnischen Edelmanns verwandelt worden ist. Im botanischen Garten, im Floragarten u. s. w. versanlmelt sich gleichfalls an Sonn- und Festtagen viel Volk; aber hier ist es schon ziemlich gemischt, wie wir zu sagen pslcgen, nnd der Genuß entschädigt selten für die Strapazen, mit welchen er erkämpf! werden muß. Das Theater Odessa's ist ein ganz stattliches und geräumiges Haus, Eigenthum der Stadt; im Sommer ist es gewöhnlich vou einer italienischen Oper eingenommen. Für diese sind die Odessaer alle enthusiastisch begeistert; solche Ovationen nud Veifallsäuße-rnngen tonnen um' im Süden vorkommen. Sage man aber auch darüber, was mau wolle, wer eine gute italienische Oper gehört 112 und gesehen hat, wird zugeben müssen, daß die Deutschen meistens weder zu singe» noch zn spielen verstehn. In den letzten Jahren war das Personal besonders gut, ich erinnere mich lebhaft der wunderbaren Gcsangcsthaten der PvM, der Orrechia, des Pozo-Uni u. s. w. Abwechselnd mit der italienischen Oper findet russi-sches Schauspiel statt, welches aber nicht sonderlich besucht wird. Eine französische Schauspieltruppe, deren Mittelpunkt die einst gefeierte, immcr noch schöne und liebenswürdige Nose Ehen war, machte sehr schleckte Geschäfte und vermochte nur mittelst freiwilliger Unterstützungen ihre Heimath wieder zu gewinnen. An Concerten fehlt es nie; Odessa, wie überhaupt Nußland, wird für ein Californicn der Kuust gehalten, in welchem es dem Einen glückt, Gold zn finden, dem Andern nicht. Die talentvollsten Virtuosen, wie z. B. Rubinstein, hatten schwach besetzte Häuser, während andere, deren Namen im Ausland ganz unbekannt ist, zum Schooßkind der Mode wnrden, aus irgend einer Laune des Zufalls. Es ist erstaunlich, wo manche solcher Concertgeber den Muth zum Auftreten hernehmen, denn e« gibt in Odessa recht tüchtige Musikverständige, namentlich unter den Deutschen. Wie man es hier machen m»ß, das hat Niemand besser verstanden, wie Herr Carlo Vosco, der Sohn des alten Magiers, der im Sommer 1859 eine gvoße Vorstellung im Theater gab, zu der bei erhöhten Preisen das ganze Halls ausverkauft war. Seine Production war eine über jeden Begriff mittelmäßige nnd schon am gleichen Abend wnßte Jedermann, daß dieser Bosco ein falscher sei; bei der Vorstellung kam der merkwürdige Fall vor, daß ein Kunststück unterbleiben mußte, weil keine drei ganzen Silber-rubel nnter der Versammlung aufzutreiben waren. — Ein Kafseehauslrben wie in anderen Städten des Südens findet man in Odessa nicht, nnr die Franzosen sind demselben einigermaßen hold. In dieser Hinsicht scheiden sich die Nationalitäteil ziemlich streng von einander, Eigenthümlich war das gegenseitige Ver- 113 hallen derselben während des Krieges in der Lombardei. Die Italiener und Franzosen waren Feuer nnd Flamme, sie hatten aus Pnvatmitteln eine beträchtliche Summe, ich glanbe von 25,000 Frcs. zusammen geschosstn, n,n jedes wichtige Creigniß vom Kriegsschauplatz sofort dnrch ein Telegramm, das an den sardinischen Consul adressirt war, zn erfahren und wurden ails diese Weise wirklich sehr gnt bedien!. Bei der fieberhaften Unqe^ dnld, mit der man dem Verlauf des Kriegs folgte, waren die ^eitnngen völlig unni'ch, da lein iu Rußland erscheinendes VlaN aildere, politische Nachrichten bringen darf, als solche, die schon in der ofsiciellen St. Petersburger Zeitnng veröffentlicht worden sind. Die Umgegend der Stadt Odessa bietet nnr wenige an ziehende Punkte. Jeder, der es nur irgendwie vermag, besitzt oder miethet nedon seiner Stadtwohnnng noch ein Landhalls, einen sogenannten (ihontor. Das Wort ist tartarischen Ursprungs nnd bedeutet eigentlich ein Vorwort oder eine Meierei. Die Choutor's liegen alle im äußeren Ring innerhalb des früheren Zollrayons der Stadt, in großen Gärten, die nicht selten den Umfang eines Landgutes haben. So besitzt z. B. der Choutor Gagarin über 100 Dessätincn oder 400 Morgen Areal. Die Gärten dieser Villen sind etwas einförmig, meistens nur mit Akazien bepflanzt, dem Baum, der hier am besten gedeiht; neben ihnen macht sich der Lnftbamn oder Oötterbanm am meisten breit, dessen schnelles Wachsthum das nothwendigste Erforderniß, den Schatten, am frühesten liefert. Man findet übrigens auch sehr geschmackvolle und wohlgepflegte Anlagen, deren Unterhaltung freilich bedeutende Summen erfordert. Wer weitere Ausflüge machen will, der wählt als Ziel die kleine oder große Fontaine; letztere ist der Ausgangspunkt der schon erwähnten Wasserleitung. Nahe dabei liegt das Dorf Lustdorf, eine der schönsten und wohlhabendsten deutscheu Colonieen. Es ist daselbst eine Wasserheilanstalt und ein Seebad, weschalb im Sonnner viele Stadtbe- H a mm, Slcftpen »>,d Stable. 8 114 wohner und Fremde sich hier aufhalten. Noch mag angeführt werden, daß Freunde der Jagd allenthalben freien Paß haben, weßhalb aber auch in der nächsten Nähe der Stadt wenig Wild mchr zu finden ist. Wer in Odessa ankommt, hat sofort feinen Paß zu depomren und beim Gouverneur eine Bittschrift um Aufenthaltserlaubniß einzureichen. Dies kostet, durch einen Tschnwwnik beforgt, 3 Nubel 10 Kopeken. Im Uebrig/n bekümmert sich keine Seele um die Legitimation des Fremden; in dicscr Hinsicht lebt man in Odessa so. frei, wie in England. Ja noch freier, denn nirgends in der civilisirten Welt wird wohl erlaubt werden, was ich selbst im Juli 1659 gesehen und gehört habe: Eine Orgie mitten auf dem freien Platz des Boulevards, gefeiert von jungen Adeligen und italienischen Opernsängern, welche letztere um 2 Uhr nach Mitternacht mit aller Kraft ihrer Lungen cin Gratis-Concert gaben, dem die Polizeisoldaten aus schüchterner Entfernung sehr andächtig zuhörten. — Der Gouverneur der Stadt ist Varon Mcstmacher; er ist sehr beliebt. Statthalter von Ncuvußland ist Graf Stro-ganoff. Niemand kann Odessa, wie eine andere russische Stadt, verlassen, um in's Ausland zu reisen, wenn cr nickt vorher dreimal in den Zeitungen verkündet worden ist, wodurch Verlusten der Einwohner vorgebeugt werden soll. Dil,' Maßregel ist ebenso umständlich, wie unwirksam, aber man erhält ohne dieselbe nicht den nöthigen Kronspaß, der zum Austritt ermächtigt. Auch zur Reise in das Innere bedarf es oines Paffes; der Ausländer wird wohl daran thun, um viele Laufereien zn vermeiden, einen Schreiber des Paßbüroaus mit dessen Erwirkung zu bcauftrageu, was allerdings 7 Nubel 50 Kopeken kostet. Haben muß man einen solchen Paß, aber man wird niemals darnach gefragt und braucht ihn deßhalb blos zur Erlangung der Podoroschnaja, des Erlaub-nißscheins zuv Benutzung der Postpfcrde. Ich bin von Stawropol 115 bis nack St. Petersburg gcreisi, ohnc nach dem Passe gefragt zu werden. Aber der Tschinownik will auch leben. Städte vergleiche ich am liebsten mit Frauen. Odessa kommt mir vor, wie eine Dame, die einen prunkenden Atlasmantel überwirft, um einen plötzlichen Besuch zu empfangen; aber er verbirgt dem geübten Auge nicht die saloppe Haustleidung darunter. 8* 116 VI. Die Steppe. Wenige Minuten vor Thorschluß hielt unser Neisewagen an der Chersoner Tamoschna, den, nordöstlichen Thor«.' der Stadt Odessa. Dieselbe hatte damals noch einen Freihafen, es durfte Niemand die Stadt verlassen, ohne sich einer Visitation nach zollpflichtigen Gegenständen unterworfen zu haben, und Punkt acht Uhr des Abends im Sonnner siel der Schlagbaum, der jeden Ansgang überhaupt verbot, es sei dcnn in Kronangelegeuheiteu oder mit einer Spccialerlaubniß des Gouverneurs. Wir ergaben uns gehorsam der Untersuchung, die Koffer, welche unter dem Schutz des leibeigenen Dieners Ilia in eiucm besonderen offenen Wagen, einem der berüchtigten Peret'ladnoi, folgten, mußten geöffnet, der Paß und Passagierschcin vorgcwicscn werden. — Alles dies ging rasch uud zu völliger Zusricdenstcllung beider Theile vor sich. Wir hatten vier Postpfcrde vor einem trefflichen Brougham aus dem berühmtesten Pariser Atelier von Vender, die Postillione kannten den Edelmann, welchen ich begleitete, und seine Trinkgelder sehr gut, und so konnten wir über die Beförderung keineswegs klagen. Auf allen Poststationcn waren die Pferde im Augenblick bereit, und geschont wurden sie nirgends. Es war eine wunderschöne Iulinacht; unvergeßlich ist nur insbesondere eine Strecke vov dcr ersten Station Staraja Dofinofka, 117 Wo wir so dicht am Ufer des brandenden Meeres hinfuhren, daß die Wellen bis nnter die Räder spülten. Die ersten Strahlen der Morgensonne beleuchteten eine weite, von Hügeln dmclMlltc Ebene, welche schon de» Character der Steppe trug, aber deren noch engbegrcnzter Horizont nicht das Gefühl der Unendlichkeit hervorrief, das die eigentliche Steppe sicher kennzeichnet. Einen Büchsenschuß weit vo» der einsamen Poststatiou erhoben sich wunderliche Steinkrenzc aus dem Gestrüpp, hier war ein verlassener Friedhof. Ich hatte Muße, zwischen diesen Denkmälern eine Viertelstunde umhcrzuwandeln; die Gräber sind von einem ovalen, regelmäßig geschichteten Steinhaufen überragt, erst aus diesen, erhebt sich das griechische Kreuz mit seinen doppelten Qnerbalken und seinen kreisrunden Enden. Ein quadratischer Platz war nut einer Brustmaucr umgeben; hier, erklärte mein Reisegefährte, hat früher ein Kirchlein gestanden, nnd die Stätte des Mars ist ans ewige Zeiten hinans geheiligt, daher sie sorgsam vor der Entweihung durch den Fuß unreiner Thiere geschützt wird. Nachdem uns unterwegs der aus der Krim zurückkehrende Prinz Albrecht von Preußen begegnet war, erreichten wir bei gnter Zeit des Morgens das Plateau, von dessen mäßiger Höhe ein wundervoller Blick verstattet ist über die silberne Niesenschlange des Vng und jenseits die große Kriegsstadt Nicolaieff, deren Halbinsel der mächtige Strom in weitem Bogen umgürtet. Eine merkwürdige, währeud des Krimkrieges von dem genialen General Tottlebcn construirtc schwimmende Brücke aus lauter Baumstämmen führt über den Fluß, welcher hier breiter ist, wie der Nhein an irgend einer Stelle. Wolkenlos war der blaue Himmel, als wir nach tagelanger Rast in der Stadt abfuhren, aber fanm nach einer Stnnde bedeckt mit schweren dunklen Massen, und aus ihnen entlud sich ein furchtbares Gewitter mit einer Heftigkeit, von welcher der Nordländer 116 gar keinen Begriff dat. Blitz auf Blitz. Scblaa auf Scblag folgten einander fast ohne Unterbrechung, der Regen schoß herab nicht Wie ein Regen, nein, gleich einem Wasserfall, in wenigen Augenblicken schien weit nnd breit umher das ^and ein See, nnd der Weg ein reißender Bcrgbach. Daß wir bald nach dein Beginn des Wetters die Station erreichten, half wenig zum Besten von Menschen nnd Thieren, denn bei diesem plötzlichen Klaffen der Wolkcnschleußc genügten ein paar Secunden zn so vollständiger Durchtränfung, daß alles Nachfolgende gar nicht mehr beachtet zu werden brauchte. Auf Postillione und Pferde wird nicht Rücksicht genommen, deßhalb ging es mitten im furchtbarsten Ausbruch des Gewitters unaufhaltsam weiter, nur waren dein Viergespann noch zwei Vorpferde zugegeben worden, auf deren einem ein zwölfjähriger Junge saß und den Kantschn schwang wie ein Alter. Das war eine Fahrt! Der schwarze Boden des Weges war dnrch den Regen in einen weichen Brei verwandelt, in welchen die Räder des leichten Wagens einsanken bis an die Naben; da gall es nun, diesen und den Hufen des Gespanns gar keine Zeit zum Versinken zu gönnen, nnd so flogen wir denn dahin vontro ä, toire oder vielmehr ü, dnui'de. In wenigen Augenblicken war für uns, die wir bei gefchlosscnen Fenstern im Innern saßen, die Außen-Welt verborgen durch einen Vorhang von zähem, braunem Schlamm, der den ganzen Wagen incrnstirte; wie die Postillione ausgesehen haben, l'onnte sich blos die Phantasie vorbilden. Kaltblütig unterhielt mich mittlerweile mein freund von den vielen Unglücksfällen, welche bei dergleichen Kirchthnrmrennen vorzukommen pflegen. Besonders gefährlich ist die Position des Vorrciters. Stürzt sein Sattelpferd, fo vermag das nachfolgende Gespann unmöglich in der wildesten Barriere plötzlich anzuhalten, es schießt mit dem Wagen und seilten Ans' und Insassen über das am Boden liegende Thier hinweg, nnd es entsteht ein furchtbarer Knäuel, lx'i dessen endlicher Lösung nicht Alles wieder auf die 119 Beine kommt, was vorher darauf gewesen war; glücklich, wenn nur ein paar Pferde darauf gegangen sind; gewöhnlich bleibt aber der Porreiter auf dem Wahlplatz als Opfer seines halsbrechenden Berufs; aber es ist nnr ein Junge. Warum also viel darüber reden? Persuchen wir lieber, den schlimmen Weg zu verschlafen. Ich gestehe, mir war dies nicht möglich, und ich snchte unbemerkt einige gelinde Vorkehrungen gegen einen unvorhergesehenen Anprall zu treffen; mein Begleiter lächelte mit geschlossenen Augen. Ohne Nast, ohne Abwechslung in der Gangart, aber auch ohne Unfall ging es weiter. Vou der Gegend war nichts zu sehen, die, Gewöhnung stählte gegen die Furcht; spät in der Nacht erreichten wir endlich das Ziel. Ans dem Wagen steigend, umringte uns sofort eine Meute knurrender Hunde,, eine Alte mit einer Laterne verscheuchte die bösartigen Thiere, und küßte mit tiefer Vcrneigung wiederholt den Nockärmel ihres Herrn und Gebieters, dann öffnete sie die Thüre seines Palastes oder vielmehr Landsitzes, Ländlicher hatte ich allerdings bis dato nichts gesehen; ein großes Zimmer und ein Cabinet bildeten die gesammten Räumlichkeiten, sie waren einfach mit Kalk geweißt, d. h. wo noch der Bewurf hielt; das Mobiliar bestand aus eiucm Tisch, einem Stuhl, einer Feldbettstatt mit Matratze nnd einem Leuchter, also einfach. Kerzen hatte mein Gefährte mitgebracht, einen wohlversehenen Flaschenkeller ebenfalls. In der dem Herrenhause gegenüber befindlichen Wohnung ward es lebendig, verzweiflungsvolles Hnhnergeschrei lind ein dnrch die offene Thüre sichtbares hoch aufloderndes Fcner eröffneten beruhigenden Trost. Jetzt kamen die Leibeigenen, den lang abwesend gewesenen Herrn zu begrüßcu. Den Vornehmsten darunter, dem Verwalter uud dem Schafmeister, ward die Ehre der Umarmung und des Kusses, die Andern begnügten sich mit Haudschlag uud Aermelküssen. Vieles hatte der Edelmann zu fragen und zu hören. Während dessen beschäftigte ich mich mit der Moblirung 120 des großen für micb bestimmten Zimmers. Einige Koffer und ein Regenschirm machten in dieser Hinsicht allerdings keinen sonderlichen Effect, desto größeren aber das rasch aufgeschlagene Vett, welches die Halste des Raumes einnahm, und aus einigen gewaltigen Heubündeln ebenso einfach als zweckmäßig bereitet ward. Nicht lange und ein wahrhaft lururiöses Mahl dampfte auf dein Unieum der Tische, darunter die köstlichen Pascharski - Eotelettcs aus Hühnerfleisch, weläie nur russische Köche zu bereiteu wissen, und denen zu Ehren Kaiser Nicola us manche Fahrt gemacht hat zu dem Postmeister Pascharski, der sie erfand in einer Stunde der Noth und Inspiration, als der Czar vor seinem Hanse hielt, ein Mahl begehrte nnd nichts vorhanden war, wie einige lebensmüde Hühucr. Aber nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war - führte dir Schaffnerin mich zn dem schön bereiteten Lager — nm mit Homer zu reden. Bald umfing mich der tiefe Schlaf der Ermüdung, allein er wich ab nnd zu dem Erscheine»' allerlei kleiner Gespenster, welche wahrscheinlich den Fremden strafen wollten für sein unbefugtes Eindringen in ihr lang gehegtes Asyl. Von den Gästen im Heu gar nicht zu reden, an diefc wird man im Süden bald gewöhnt, wenn sie es nur nicht zu arg treiben, wie verschiedene Gattungen blutdürstiger Zecken, von welchen eine sogar nnr den Ausländer anzapfen soll. Aber es flirrte nnd schwirrte sonderbar, stieß und trommelte an die Scheiben, rauschte und surrte so überlaut, daß ich endlich beschloß, auf die Ruhestörer Jagd zu machen. Mit einigem Gefühl von Schrecken und Ekel bekam ich große, lebhaft sich sträubende, wollig anzufühlende Geschöpfe in die Hand, welche sonderbar schrieen, als ich sie unbarmherzig todtquetschtc — es waren prächtige Todtenköpfc, wie sich beim Morgenlichte ergab, die Schnsncht und der Stolz jnnger dcntscher Schmetterlings-sammler, hier ganz ordinäre, überall verbreitete Abcndfalter. Nach der Jagd wollte ich wiederum einschlafen, aber der erzwungene 121 Waffenstillstand dauerte nickt lange; mit dcm ersten Gra,>en des Morgens begannen die Fliegen munter zu werden, welche Decken und Wände bctüpfelten, und ihre unverschämten Spaziergänge mit den kitzelnden Beine«« erzürnten mich endlich so sehr, daß ich aufsprang und hinauseilte vor die Thüre dcs Hauses. Welch' ein Anblick! Der Sonne goldener Vall war eben am Horizont emporgestiegen nnd endlos, unermeßlich nach alten Rich-tungen breitete sicl> ans die Steppe, Derselbe Eindruck, großartig und doch herzbeklemmend, befiel mich, den ich empfunden, als ich zum ersten Male aus der Koje auf das Verdeck stieg und rings nur Himmel nnd Wasser erblickte. Wie damals das Schiff, so waren jeht die paar Hänslcin hinter mir das Einzige, was an den Menschen erinnerte in der stillen, großen Oede, in welche das« Auge sich verlor bis in meilenweite blaue Fernen. Das braune Grün, welches die Fläche überzog, ward hier nnd da vom Wind in leisen Wellen bewegt, da nnd dort erstieg aus einer Senlnng ein Hügel, gleich einer stillstehenden Woge, und die funkelnden Thantropsen an del» Fahnen der Halme glichen dem Schanme des rollenden Wassers. Statt der spitzbcschwingten Möven kreisten langsam Nanbvögcl über ihrem Jagdreviere, sonst kein lebendes Wesen weit und breit. Vergebens späht der Vlick im ganzen Umkreise nach einem Gegenstände, an dem er hafteil könne; ein tönig, ohne Unterbrechung dehnt sich das branne Gefilde, kein Stranch, lein Vanm, kein Fels, kein Nanch ans einem wirthlichen Schornsteine, der des Menschen Nähe verkündet — nnr Steppe, weiter nichts als Steppe. Wunderbar sind die gewaltigen, zer-klüstcten Vcrgriesc» der Schweiz mit dem diamantengekröntcn Scbeilel, prachtvoll und romantisch blicke» die blancn Angcn italienischer Secn aus dem Kranze ihrer Ufer zum Himmel ans, mrchtbar und erdrückend ist ill seiner Größe draußen das hohe, finstere Meer oder die an dic Klippen donnernde Brandung — aber eben so mächtig dcr Eindrnck, welchen die Stepp? macht in 122 ihrer nackten Leere, durck die Unermeftlichkeit und grauenvolle Einsamkeit, in deren Mitte sic dm Menschen versetzt. Und derselbe schwindet nicht, man gewöhnt sich keineswegs daran — täglich erwacht cr aufs Neue nnv täglich gewinnt er an Tiefe. So wenigstens habe ich es empfunden, der ich viele Wochen lang gewohnt mitten in den Steppen, in dem kleinen (5houtor, welchen ich beschrieben. Ans meiner Betrachtung ward ich etwas prosaisch geweckt und geschreckt durch den plötzlichen wüthenden Anfall eines Hundes, zu welchem sich sofort die ganze Meute von gestern Abend gesellte. Dic Köter sahen verzweifelt wild aus, ihr zottiges, graubraunes Fell, die falschen Augen und riesigen Faug;ähne, die sie mir höchst ungastfreundlich wiesen, unterschieden sie fast nicht von dem Wolfe, dessen Enkelkinder sie sicherlich sind und welcher dennoch ihr größter Feind ist. Mit strategischer Vorsicht und beständigem Bücken nach nicht vorhandenen Steinen bewerkstelligte ich meinen Rückzug bis zu einem an der Wand des Hauses lchncudm Knüttel, dessen Besitz mir sogleich die gehörige Autorität verschaffte. Durch den Höllenlärm der Hofwächtcr waren aber mittlerweile auch die übrigen Bewohner des Choutor erwacht; bald brodelte der Samowar und nach dem Frühstück begann die Besichtigung des Gehöftes. Sie war in wenigen Minuten beendet, denn zu sehen gab es eigentlich nichts, als die beiden strohgedeckten Wohnungen, einen ditto Schafftall und ein rohes, vernachlässigtes Gehege, welches den übrigen Heerden nothdürftigcn Schutz gegen die Winterstürme gewährte — aber nur von den Seiten, uicht von oben, denn es war nicht überdacht. Und doch befaß das Gnt, in dessen Kern wir uns befanden, nicht weniger als 16,000 Morgen Flächeninhalt und gegen l0,000 Stück Vieh, vorzngsweise Schafe. Aber nur 100 Dessätincn (400 Morgen) davon waren mit Getreide bestellt, alles Uebrigc freie Weide, jnngfrälüichcs Land. Hier ist noch Raum für kommende Geschlechter, nnd Jahrhunderte wird es 123 dauern, bis sich die Nachbarn mit den Ellbogen sioßen, wie so häufig bei uns. Zwei lebhafte Klepper der kleinen Steppenrace, die sich ans den kirgisischen und don'schen Pferdeschläg>n gebildet hat, in Doppelpony-Gro'ßc, führten >lns alsbald in rascher Spazierfahrt durch das weitläufige Bchhthnm; siebeu Werst hatte» wir zu fahren, bis wir die Grenze erreichten, längs deren sich in verhältnißmäßig schmalem Streifen das cultivirtc Land hinzog, wo der stattliche Ghirka-Weizcn eben in voller Ernte befindlich war. Und hier durste ich auch zum ersten Male erstaunen über die wunderbare Fruchtbarkeit des Steppenbodens, denn ich vermachte den mitgebrachten Maßstab, der Cultur der gepriesensten Länder anzulegen. Das ganze Südrußlaud, vorzugsweise Nenrußland geheißen, weil es zu den jnngstm Erwerbungen des großen Czarcnrnchs gehört, ist in der Urzeit unstreitig ein unermeßlicher See gewesen, dessen östliche und westliche Ufer in dem Hindukuschgebirge Asiens und in den Karpathen Ungarns emporstiegen, Als die gewaltige Wasscrmasse, Bahn brechend, ablief, ließ sie ans den Trillionen von Schalthieren des Untergrundes eine ungeheuere Masse von Schlamm znrück, gebildet ans verwesten Organismen und fein geschlämmten Erden in inniger Vermischung; dieser Urschlamm bildet jetzt den berühmten Tschernosem, die unerschöpfliche schwarze Ackererde des Landes, welche sich in der Mächtigkeit von wenigen Hollen bis zu 15 Fuß und darüber auf dem Muschelkalk abgelagert hat. Diesem Boden verdankt es der Landstrich, daß er, fast ohne alle jene künstliche Hülfe, welche bei nns die Pflanzenproduktion erheischt, die noch lange Zeit ausreichende Quellc der Körnergcwlnmlug für einen großen Theil der übrigen Welt ist. Freilich gehört noch ein wesentliches Agens zur völligen Entwickelung dieser Fruchtbarkeit, nämlich genügende Feuchtigkeit; denn 124 hier brennt die Sonne mit heißesten» Strahl und versengt in knrzer Frist die iunge grüne Saat zu bleichen, versä)rnlnpstcn Greisenhalmen, wenn von den Niederschlägen des Frühjahrs nicht ein genügender Ueberrest im Boden geblieben ist. Wenn aber dies der Fall oder der Vorsommer zeitweilig erfrischende Schaner bringt, dann entwickelt sich die Vegetation in fast unglaublicher Ueppigkeit. Die ganze Steppe überzieht ein dichter Teppich hochhalmiger Gräser, deren Achrcn nnd Rispen sich manchmal bis zur Mauneshöhc erheben; durchflochten, ist er in saftigem Gewirr mit allerlei Krau-tern, Ranken nnd Standen, ans welchen prächtige Blumen bald einzeln die Köpfchen strecken, bald sich zu ganzen bnnten Matten, Steppcngärtcn, vereinen. Mit Verwunderung erblickt der fremde Wanderer da und dort Kinder der Uora wild und gedeihlich emporwachsen, die er daheim kümmerlich in Töpfen hegt; mit Ent-zucken pflückt er im engsten Umkreise einen Strauß, wie ihn zierlicher kein civilisirter Garten zn bieten vermag. Wie man inmitten der Alpengletscher zuweilen einen kahlen Fels nut Damm erde bedeckt nnd darin die prächtigsten Alpenblnmcn wnchern sieht — die sogenannten Gletschergärten — so schmücken sich auch iu der Steppe Vorzugsweise nur einzelne Stellen mit Farben und Düften, ohne daß man wüßle, wie und warnm; vielleicht muß man wieder weit wandern, ehe man ein zweites, ähnliches Plätzchen findet. Nebeil dem Nützlichen und dem Schönen erhebt sich aber anch das Widerwärtige nud Schädliche; das ist der Vnrian, nnter welchem Gesamiutnamen man alle nnni'chen Standen der Steppe begreift. Merkwürdige, geheimnißvolle Gewächse sind darunter: die Stcppennadel, deren spitzer, nnt Widerhaken gezähnter Samen den Thieren durch Hant nnd Muskeln dringt iu ihr Herz und Eingeweide, so daß sie clcudiglich erliegen müsscu; das „betruukcuc Kraut," desseu Gcnnß die Pferde toll macht nnd lahmt, während es den Rinder» nicht schadet; die Choleraklette, welche zum ersten Male mit der Seuche erschienen und ein specifisches Heilmittel 125 gegen diese und die Huudswuth sein soll, und der Kurai. Letztere Pflanze, das gemeiue Salzkraut, verdient besondere Erwähnung, da sie zu einem sonderbaren Phäno>nen ''Anlaß gibt, von dein ich mehr als einmal Augeuzeuge gewesen bi». Weun im Herbst die Wiude schärfer über die Ebeue zu pfeifen beginnen, dann fängt auf einmal da und dort eine Steppe zu wandern au. ^n der That erscheint es den« Neuling, als löse sich die Rasendecke des Bodens freiwillig los, rolle sich zusammen und kugele nun iu lustigen Sprüugen vor dem Winde her, schneller, als das schnellste Roß zu laufen vermag. Vald schreitet die räthselhafte Bewegung vor in langgestreckten, fast geradlinigen Kämmen, gleichsam in Ordnung gehalten von höherem Willen, bald bricht sie diese Linien und wirbelt im tollsten, nngebcrdigsten Tanze umher, daß man glaubeu möchte, neckische Kobolde trieben da ihr Wesen, Manchmal stauen sich die rollenden Massen an irgend einem unsichtbaren Hinderniß, „auf des Vormanns Numpf steigt der Hintermann," Gewicht hängt sich an Gewicht, Hügel erbauen sich, luftige Säulen und Thürme, wie von Spinnen gewebt, bis endlich das Ganze den Halt oder Schwerpunkt verliert, überkugelt und numnchr, vom schadenfrohen Wind zcrblasen, mit doppelter Eile wieder vor diesem dahinflieht. Die Russeu nennen diese Erscheiuung Perekatipole d, i. Waudcrn des Feldes, uud frcueu sich ihrer, denn sie bringt ihnen willkommenen Vrenn-stosf. Alle jene kugelnden Gebilde sind nämlich Stauden des Salzkrautes, deren Aeste beim Zusammendörren sich zu einem Vall znsammcnwölben, nnd dcrcu Stengel oberhalb der Wurzel abfault, worauf daun der Wind die merkwürdigen Pflanzcnleichen schaarenweisc über die Steppe jagt. Oft scheint eine einzige Pfianzenart sich großer Regionen der Steppe vorzugsweise bemächtigt zu haben; so erblickt man häufig, so weit das Auge reicht, völlig ebene duukelgelbe flächen, gebildet aus den breiten Dolden einer Gattung Wolfsmilch, welche 126 kein Thier berührt. An besonders günstigen Stellen erheben sich wahre Gebüsche, Vuriandickichte, gebildet von stacheligen Disteln und Kletten, die fast in Baumesstärke nnd Höhe emporwachsen, und ihre bewehrten Aeste malerisch ausbreiten, gleich riesenhaften Armleuchtern. Schlanke, blüthcnvolle Königskerzen schießen dazwischen empor wie gclde Lanzen; große Flockblumen, graue Wer-muthdüsche und wuchernde Amaranten verschränken sich zu einem fast undurchdringlichen Urwald im Kleinen. Solch ein Versteck ist das Sonnnerlager der Wölfin, wohin sie sich bchntsam flüchtet, um ihre Iungm zu verbergen vor den vielen Feinden, an deren Spitze der Herr Gemahl nnd Vater steht; hier wohnt der unheimliche Scheltopusik, eine Harm- und fußlose Eidechse, deren Größe und Schlangcngestalt den Wanderer, der sie im Sonnen-genuß aufstört, oft jählings erschreckt, so daß er mit entsetztem Sprunge zurückfährt, denn er hat erzählen hören von den fabelhaften Giftschlangen der Wüste; aber mehr noch erschrickt das Thier und wie ein Blitz ist es im Dickicht verschwunden. So leer und öde auch die Steppe dem Hinblick darüber erscheint — wie eine leere Vettlerhand, sagt der Dichter — ein so mannich-faltiges, wimmelndes Leben birgt sie doch in ihrem Schooße. Lange Heerziige von Ameisen durchkreuzen nach allen Richtungen hin den Halmenwald, prächtige Schmetterlinge, zahllose Fliegen und Bienen tanzen und summen über den Blumen, während große Spinnen arglistige Vrüctcu bauen von Stengeln zu Stengeln, so daß oft eine ganze Strecke mit ihrem Gewebe übersponneu ist. Heuschrecken und Grillen zahlreicher Arten hüpfen und fliegen durch das Grün; Vliudmolle und Zieselmäuse souncn sich vor ihren unterirdischen Bauten; hoppelnd kommt Meister Lampe daher, cavalieremeut jede Gefahr verachtend; Zwergtrappen fahren anf aus dem Vuriauncst, kreischende Falken nnd Weihen streichen niedrig dahin, mit scharfen« Auge uach Äeute spähend. Alles dies uud noch viel mchr hat mir die Steppe gezeigt 127 ans der täglichen Wanderung, die ich, theils in Begleitung meines Gastfreundes, theils allein und ziellos, regelmäßig unternahm, im Wagen, zu Pferd und zn Fuß. Einen vollen Monat verbrachten wir in der Einöde; dann und wann wurden die Nachbarn besucht — der nächste blos etwa 120 Werst weit! — aber auch die Nachbarn wohnten mitten in dcr Steppe. Iagdzüge und ritterliche Uebungen verkürzten die Zeit, welche übrig blieb nach einer ost anstrengenden Thätigkeit, und die wiederholte Besichtigung des weitläufigen Gebietes und seines Zubehörs hielt uns stets in Athem. Zn dem letzteren rechne ich vorzugsweise die großen Hcerden, welche es einzig ermöglichen, der Steppe genügenden Nutzen abzuringen. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich urplötzlich in die süd-amerikanischcn Pampas verscht zu wähnen, wenn ein Tabun halb-wilder Sieppcnpferde mit donnerndem Hufschlag daherbraust, der Tränke zu, hinter ihnen drein wilde, dnnkelhäutige Tartarcn oder Zigeuner in der malerischsten Tracht der Zerrissenheit; voran der führende Hengst, den Kopf hoch, die Ohren gespitzt, mit weit aufgeblasenen Nüstern, als suche er herausfordernd die Gefahr, rechts und links in der bräunlichen Staubwolke lustig springende Fülle», zuweilen von ihrer Mutter mit strafendem Biß genöthigt, sich nicht zu weit v 'n dem Trupp zu entfernen. Die wilden Augen, die langen, gewellten Mähnen, welche oft bis zu den Knieen reichen, die schweren verworrenen Schweife, die den Boden fegen, und die große Verschiedenheit in der Färbung der Thiere — obwohl das Fahle immer vorherrscht — vervollständigen den Eindruck, welchen die oft gelesene Beschreibung und die Catlin'schen Abbildungen der Mnstanghecrdcn hinterlassen haben. Und merkwürdig ist die Achnlichkeit der Gebräuche, welche soweit von einander entfernte Völker sich zu einem und demselben Zwecke angeeignet haben. Wie der Gaucho oder Comanche den Lasso, so sührt der Tartare nnd Kirgise den Arkan, die gefürchtcte Riemen- 128 schlinge, die er nnt unfehlbarer Sicherheit wirft und damit ein bestimmtes Pferd ans der Mitte des Tabnn's herausholt. Dann aber muß man die Thiere sehen, wenn der Arkan über ihren Häuptern schwirrt! Mit Verzweifelnder Hast drängen sie hinweg von dem Opfer, bäumen sich, schlagen, um Raum zu gewinnen, Wiehern und Angstgeschrei erfüllt ohrzerreißeud die Luft, bis der zusammengeballte Knänel sich gelöst hat, und nunmehr die Pferde nach allen Richtnngcn der Windrose aneinander stieben, Allein die Rufe der ^'ithengste locken die Gescheuchten bald wieder in die eifersüchtig gehüteten Trupps zusammen, und nicht lange, so ist die Gefahr vergessen, während sie in der Gestalt der gutbc-rittenen Hirten schon wieder gan; nahe ist. Es gibt kcin anft rcgendcre^ Schauspiel, als solches Pferdejagen. Aber dabei muß man auch die Tartaren sehcu. Die verschiedenen Völkerschaften der russischen Steppen, Kosaken, Basch-kireu, Tschuwaschen, Mordwiueu und Zigeuner sind sammt und sonders vortreffliche Reiter und von frühester Ingcud au auf dem Pferde, so daß sie vollständig mit ihm znsammenwacbsen. Allen voran ist der Tartar als verwegenster Reiter, kühner Nossebändigcr nnd gewiegter Pferdekenner; daneben hat er in seiner ganzen Haltnng wie in den Gesichtszügen etwas Nobles nnd Nittcrlickcs, welkes den übrigen genannten Raecn abgeht. Jedoch der Schein trügt; wer dies erfahren will, braucht sich mit ihm nnr in irgend einen Handel einznlassen, am liebstcu in einen Pfcrdehandel. Mit dem Arkan in der Hand zeigt er sich aber durchaus uur vou der vortheilhaften Seite. Das auserkorene Thier, meistens ein dreijähriges Fohlen, das »och niemals des Menschen Hand und Gewalt erprobt hat, macht crfchrcckt verzweiflnngsvolle Anstrengnilgen, um der Schlinge zu entgehen, aber dadurch zieht sich diese unr immer enger zusammen und schnürt ihm dermaßen den Hals zu, daß es röchelnd hinstürzt. Wie eine Kahe arbeitet sich nnn der vom cigcnen Pferde gesprnngene Tartar, Hand um Haud vorgreifend, 129 an dem Arkan hin, bis zn deni zappelnde», bewllßtloselt Wild-ling; in einen« Augenblick ist demselben ein ^aum iiber den Kopf gestreift, ein Gebiß in das Maul geschoben; dann wird die furchtbare Schlinge gelöst. Zn sich kommend, liegt das Fohlen einen Augenblick da in stillem Staunen, ans einmal wird ihm das Vewnßtseiu seiner Vage, wie der Blitz springt es ans die Vcine — aber umsonst, eben so rasch sitzt schon der Bändiger anf seinem Rücken. Mag dann das entsetzte Roß thun und versnchen, was es nur will, es gelingt ihm nicht mehr, seine alte Unabhängigkeit zurück zu erobern, freilich schießt es kreischend, schlagend, fchüttclud, nm sich beißend, in tollen Sätzen hinaus in die Steppe, aber in wenig Stnnden lommt es zurück, gebändigl nnd gelehrig; es ist der Zivilisation gewonnen nnd laßt sich den Sattel auflegen. Auch muß man die Tartaren sehen bei einem Wettrennen, ihrer größten Vclnstigung, namentlich wenn es ihnen gelungen ist, einige Theilnchmcr nicht ans ibrcni Stamme, einen lecken Mnschik oder einen selbstgcnügsamen Kolonisten, dafür zu gewinnen. Mit diesen spielen sie im Anfang, wie die Katze mit der Maus, nnd so vollendet sind ihre Neitertünste, daß sie anf's Haar genau zu berechnen wissen, wenn es Zeit ist alle Krast zn entfalten. Darin trügen sie sich nie, nnd bei allen Steppenrcnnen sind stets nur die Tartare» Sieger; ihre ausgezeichneten Pferde — größer wie diejenigeu der eigentlichen Steppenraec — haben sogar schon manches Vollblnt geschlagen, das Jahre lang ans dem Turf den Preis davon getragen hatte. Dann wiedcrnm besuchten wir die Ninderheerdeu, die in großen Trnpps von mehreren hnudcrt Stück da und dort weidete». Es sind prächtige Thiere, von der im ganzen Südosten Europa's verbreiteten sogenannten Podolischen Race, von weißgraner Farbe und nut großen, einwärts gekrümmten Höruern. Das stete freie Lebcn Jahr aus Jahr ein in der Steppe hat ihnen den dumn,-stieren Ausdruck geuommeu, der sie da kennzeichnet, wo sie unr 180 im Stalle gehalten werden; mit klugen Augen blicken sie umber, muthig schnaubend senken sie die Hörner und scharren mit den mihen, wenn sie Gefahr wittern, etwa eil, unbekannter Hund naht; aber plötzlich ergreift sie doch cine Furcht, lind schlank und leicht fliegen sie dahin über das VlaclMd wie Hirsche, die Schweife hoch in der Luft, brüllend und deu Boden stampfend. Leider decimirt eine furchtbare Seuche, die Rinderpest, alljährlich die Heerden diefcr nühlichcn Thiere in erschreckender Weife. Dieselbe kommt immer aus dem Osten, aber Niemand weiß bis heute, wo sie zuerst auftritt, nnd wie sie eutsteht. Der über allen Begriff abergläubische Vauer der Steppe idcutificirt die Seuche eiuem geheimmßvoüen überirdifche» Wesen, der Pestjungfrau, Morr genannt, die auf weißen Fittigen schauerlich über die Länder fchwcbt, und die Orte aufsucht, welchcu sie Opfer auferlegen will, wobei sie in höchst irregulärer Weise vom geraden Wege abweicht und oft viele Werstc überspringt, nm plötzlich in einem Bezirk aufzutauchen, wo man gar nicht an sie gedacht hat. Die Ccremonieen, welche die Landleute, oft mil dem Beistand ihrer Popen, gegen das Gespenst vornehmen, sind höchst sonderbar nnd, obgleich auch in Deutschland noch hier und da in ganz ähnlicher Weise üblich, doch wenig bekannt. Sobald die Seuche ausgebrochen ist, eilt, was von Menschen Leben und Bewegung hat, nach der Kirche, worin eine feierliche Messe celebrirt wird. Nach derselben schreitet Kind und Kegel in langem Hng hinaus vor das Dorf, auf einen geeigneten Platz; gewählt wird zu der Procedur am liebsten eines der kreisrunden Tartarengräber oder ein anderer Hügel. Mitten durch denselben ist ein schmaler Stollen gegraben, so daß eben zwei Menschen sich neben einander hindnrchdrängen können. Vor dem jenseitigen Ausgangc wird ein nngchenrer Haufen Vurian anfgcthürmt. Mittlerweile sind die gesammten Ninderhecrdcn des Dorfes herbeigetricben und werden von berittenen Hirten auf dem Platze gehalten. Die ältesten und angesehensten Einwohner schreiten m znerst durch den Höhlengang, sie sind beivaffnet nut zlrei Stäben von verschiedenen, Holz; durch rasches, fortgesetztes Drehen des härteren in dein weicheu müssen sie ein Feuer entzünden, mn dcn Vnrian anzubrennen; ans andere Weise ist dies nicht erlanbt, es müssen sogar während dein die Feuer in allen Behausungen sorgfältig gelöscht sein. (Gcnall so wird in Westfalen, Fricslaud <'c. das „Nothfencr" bei Viehsenchell behandelt.) Dilrch das brennende Gcniste eilen die Nettesten; sobald der Nauch cmporwirbclt, werden auch die Hecrdcn stiick>veise in den Gang nnd dnrch das Feuer getrieben; ihnen folgen znlctzt alle Männer des Dorfes, Weiber nnd Kinder bleiben nur Zuschauer. Ist dieser Erorcismns vorüber, dann geschieht sorglos nicht das Mindeste mehr gegen die Senchc; es braucht kaum gesagt zn werden, wie wenig er hilft. Das werthvollste Produkt der Steppen ist die Wolle ihrer Schafhecrden, die sich von Jahr zu Jahr in erstaunlichem Maße vermehren, da die Gutsbesitzer eingeschcu haben, wie wenig Stu-tercien und Nindviehzncht da einbringen, wo es an genügendem Absatz fehlt. Um einen Begriff von der Ansdehnung dortiger Schäfereien zu geben, fnhrc ich an, daß ein deutscher Kolonist in der Molotschna, Friedrich Fein, der Abstammung nach ein Sachse ans (shemnitz, welcher mit nichts begonnen hat, als seiner Hände und feines Kopfes Kraft, gegenwärtig beinahe !',00,000, fagc drci-malhuuderttausend, Merinos besitzt! Im groben Durchschnitt nur l> Pfund Wolle — ungewaschen wegen Wassermangel! — auf das Haupt gerechnet, während man sonst stets 7 bis 9 Pfund annimmt, nnd das Pud zu n Vicht hin und her drehte, dachten sie nicht einmal daran, ihre schon ga»'> respectable» spitzen ^ähne zu zeigen; lanm aber waren sie ans den Fnschode» gescht, so verkrochen sic sich in dic siusterstcn Winkel, »nd es hielt schwer, sie wieder hervorzudringen; besonders einen, der sich dermaßen zwischen Wand nnd Pult eingeklemmt hatte, dast es ihm selder fast unmöglich gewesen wäre, fich wieder zn befreien. ^>ia. türlich regte der Anblick der Gcfa»genen meine Iagdlnst noch mehr an, nnd ungeduldig fragte ich- „Wann? Wie?" Ader ich ward lxdcntct, daß zn einer Wolsshel/c »nancherlci Vorkehrungen nothwendig seien, daß mall vor Allem das Versteck des Feindes anfspnrcn miisse, wozn die crfordcrlichc>l Schritte noch an demselben Abend besprochen wurden. Damit mnßtc ich mich denn vorläufig begnügen, obgleich ich am liebsten gleich anf der Stelle geritten wäre; znr C'utschädiguug wurden mir inzwischen andere Iä'gerfrenden in Aussicht gestellt. Am nächsten Morgen machten wir eine Fahrl durch die Felder. Endlos dehnte sich der gelbe Weizen, dcr, mit schwere« »ollen Aehrcn nickte, dcr Roggen alls mannshohen Halmen, die bärtige Gerste, der Hafer mit seine» zitternden Rispen und die dunlelgrüne Leinsaat, welche aussah, wie ein hochgcschorner Teppich, Hiicht weit, und es zeigte sich eine ra'thselhaflc Erscheinung. Aus der Mitte eines reifen Weizenfeldes reckte sich bei «nserm Nahen eine Menge dnnller Gegenstände hervor, gleich Pfählen, aber sie bewegte», drehten, dncktcu und entfernten sich. Noch war ich meiner Sache nur hall) gewiß, da ranfchlc es, und mit schmetterndem Flligelschlag brauste eine grosse Herrdc prächtiger Trappen dahin und senltc sich, voMommrn in Sicht, ein paar tansend Schritte weiter. Und jetzt hoben sich liberal!, nah und fern, die 140 spitzen, lauschenden Köpfe der stattlichen Vögel über die Halme empor, viele Hundertc konnte man mit einem Nnndblick gewahren, Gerechter St, Hubertns, und ich hatte keine Büchse! Vor nnge-duldiger Aufregung vermochte ich taum im Wagen sitzen zu bleiben. Ich gedachte der Trappcnjagd im lieben Vatcrlande, wie man da lange vor Sonnenaufgang hinans und Viertelstunden lang geduldig wie ein Fuchs zwischen Saaten und Kartoffclzeilen dahin kriechen mnß, um das überaus schöne und seltene Hochwild, das in Deutschland von Jahr zn Jahr mehr verschwindet, zn beschleichen, nnd wie doch am Ende alle Mühe, alic Anstrengung vergeblich ist. Hier war es anders, die Thiere schienen vorsichtig, aber wenig scheu, oft ließen sie den Wagen bis auf zwanzig Schritte herankommen, ehe sie aufflogen. Es ist ein weitverbreiteter Irrthum, daß die Trappe eines Anlaufs bedürfe, ehe sie sich znm Flug zu erheben vermöchte; ich habe hundertmal gesehen, wie sie sich, erschreckt, augenblicklich in die ,^uft wirft, und diese sehr kräftig nnd rasch durchschneidet. Die Zahl der in den Saaten hansenden Trappen war eine außerordentliche und es ist bei ihrer Größe und Schwere leicht begreiflich, welchen nngemeinen Schaden sie thnn. So sehr man dies auch einsieht, so ist man doch eines Theils daran gewöhnt, andern Theils spendet die Natur hier ihre Gaben in so reicher Fülle, daß man sich nicht die Mühe gibt, dem Uebel eifrig Einhalt zn thun. Also ein Paradies für Jäger! Wäre es uns doch beinahe gelungen, eine iungc Trappgans lebendig zn fangen. Dicht vor den Pferden lief das verwirrte, tölpische Ding quer über den Weg. „Fangt sie!" rief mein Begleiter, der die Zügel führte; mit einem Satz war ich vom Wagen, der uns zur Seite reitende Verwalter vom Pferde, nnd wir hätten sie ganz gcwiß erhascht — denn sie hatte noch einen Monat bis znr Flngfertigkcit — aber der schöne Weizen dancrtc uns doch zn sehr, als daß loir nicht 141 bald, trotz der nachgerufenen Anfenerung des Vesitzers, von der athemkostenden Hetze abgelassen hätten. Kann« in'Z Halls z,lrück-gelehrt, ging es an die Auswahl einer Flinte unter den vorhan-denen, sehr übel behandelten Waffen des Landsitzes; dann mußte sie geputzt, probitt, Schrot zusammengesucht und Patronen gemacht werden, denn eine Trappe wollte und mußte ich schieben. Daheim war »lir's, trotz öfterer Versnche, niemals gelungen. Der nächste Tag War ein Sonntag. Frühzeitig an, Morgen schon machte ich mich ganz allein, ohne jemand ein Wort zu sagen, weil ich große Veglcitnng fürchtete, auf den Weg hinaus in die Steppe. <^ö war ein prachtvoller, heißer Tag, zu Allem eher geeignet, wie zu einem Pürschgang. Allein der erwachte Iagdeiscr ließ mich selbst vergessen, daß ich anf's O^athewohl in die weite Oede wanderte, n?o kcin Markzeichen vor dem Bern reu schützt. Die Entfernnng bis zu den Getreidefeldern, ill welchen ich mein edles Wild vcrmnthen konnte, war groß; ziemlich ermüdet nnd von der Sonnengluth gedrückt, erreichte ich endlich das Re^ vier. Der Weizen, znm großen Theil abgebracht, stand in Mandeln. Vorsichtig schlich ich von einer zur andern, nm das Terrain zu recognoseiren. Plötzlich gewahrte ich Trappen. Gtwa tansend Schritte feldein äßte sich eine große Heerde, sorglos, als wisse sie, daß hcnt ein Tag des Friedens sei, zwischen deu anfgethürmlen Ottreidehanfen. Vor allen Dingen snchte ich jetzt das plötzlich eingetretene Fieber, das sich mit hämmerndem Herzklopfen bemerkbar machte, zn bewältigen; es gelang mir nicht ganz, obgleich ich ein ziemlich versuchter Jäger bill. Alsdann begann ich das An-schleichen, den Wind brauchte ich nicht zn berücksichtigen, denn die Luft war vollkommen still. An der Erde hinkriechend, jeden höheren StoPPclbufch, jede vergessene Distel als Deckung benutzend, unbeweglich, so lange ich die Hälse der Trappen verdächtig emporgereckt wähnie, schob ich mich von Mandel zu Mandel. Langsam aber siä,er rückte ich dem Wilde näher, die peinigende Un- 142 geduld mit Mühe bezähmend. So war ich vielleicht auf hundert Schritte hinzugekommen, mit äußerster Behutsamkeit spähte ich hinter meinem Versteck hervor nach den stattlichen Vögeln, bis zu welchen die kurzen Rohre meiner Doppelftinte nicht reichten — denn ich will cs gestehen, daß ich, allein Waidmannsbraucv ent gegen, Schrot führte und nicht die edle Kugel, die solchem Wild gebührt. Die Trappen gingen trag uud cmscheinend arglos hin nnd her, zuweilen ein Korn vom Vodeu anfpickcud, dauu wieder die Köpfe hoch emporstreckeud, um zu sichcru; ciu gutes Geschick schien sie auf ihrer Promenade meinem Stand eutgcgen zu führeu. Ein alter gravitätischer Hahn mit gewaltigem Schnurbart ü^ Haynau schritt dem Volke voran; er war ihm nicht blos ^lihver soudcrn auch Wächter. C?ben, als ich wiederum nur mit dem halben Auge vorlugte, um die noch übrige Entfernung prüfend zu messen, blieb er plötzlich stehen — offenbar sah oder witterte der erfahrene Schelm etwas Ungehöriges. Und richtig, ich war verrathen — denn plötzlich breitete das ganze Geschwader, wie auf ein gegebenes Zeichen, die Fittige aus, und dahin flohen die scheuen Vögel und ließen mir ein ärgerliches Nachsehen. Was half es, daß ich sie in nicht großer Weite wieder einfallen sah? Zwar versuchte ich, indem ich einen Haken schlug, ein abermaliges Bcschlcichen, aber es mißlang noch weit schneller, als das erste; denn einmal erschreckt, ist die Trappe das vorsichtigste Wild, das es gibt, uud auch dem gcduldigsteu Schützeu wird es daun uicht nlchr gelingen, sie zu berücken. Schwer verdrossen wanderte ich einer andern Richtung der Steppe zu. Die Sonne brannte scheitelrecht herab und mit jedem Schritte stieg die Schale der Iagdlust höher gegenüber der jenigen der Erinnerung an das kühle Gemach uud den köstlichen Trunk des eisgekühlten ^uaß, die mich erwarteten. Ich wandte mich zur Rückkehr; da kam quer über die Ebene ein einzelner Baucrnwagen heran, gerade auf mich zu. <5s »^> Sergei, der 14N getreue Tabunschtschik sNofchirt), welchen sein Oebietev nachgesandt hatte, u>n feurige Kohlen anf des Fliichtlings schon hinreichend gliihende^ Haupt zu sammeln, indem er nur das einzige Mittel zu einer wirklich erfolgreichen Jagd bot. Ich schwang mich auf den Strohsitz des schmalen Gefährts hinter den bärtigen Lenker, der mir, mehr durch seichen, als durch Worte, verständlich machte, daß ich mich nuumehr gänzlich seiner Discretion zu überlassen habe. In ciuem weiten Vogen führte er mich darauf durch die Steppe in eine andere Abtheilung der Getreidefelder, wo die Früchte noch auf ihren: Halme standen. Ehe wir den Rand derselben erreichten, bedeutete mich Sergei, abznsteigeu und hinter der langsam fahrenden, von ciuem kleinen Klepper gezogenen Teljäga herzuschreitcu. So kamen wir auf deu schmalcu Weg, welcher die einzelne» Weizenäcker von einander scheidet; die Flinte hatte ich vor mir auf deu Wagen gelegt, der blos zur Brusthöhe reichte. Schou ehe ich selbst des erhofften Wildes ansichtig ward, gab die plötzliche Aufregung meines Führers mir davon deutlicher Kunde, als mir lieb war. Nicht eine Minute mehr konnte er ruhig sitzen bleiben, alle Augenblicke fuhr er herum, riß den Mund auf, kniff die Augen zu und machte so lächerliche Grimassen, daß ich kaum ali mich zu halten vermochte; all' mein zorniges Nicken und Faustdrohcn war vergeblich; begütigend duckte er sich nur uicdcr, um im uächsten Augenblicke abermals herumzufahren >>ud von Neuem Fratzen zu ziehen. Aber ich sah nicht mehr uach ihm, denn dort erschien das Wild. Ueber den Halmen reckten sich die bekannten Köpfe empor, und zwar anf beiden Seiten des Weges, weithin im Getreide vertheilt; ein Volk von wenigstens scchszig Stück Trappen ging hier anf der Aeßung. Der Wagen schien keinen besonderen O'indnick auf sie zu machen, denn nach' dem sie ihn ncngierig betrachtet, dnckten sich da und dort die Köpfe wiederum, um fortzufahren in der unterbrochenen Beschäftigung. 144 Die Flinte hatte ich schusifertig in der Hand — da plötzlich schlug es mir zur Rechten mit lautem Schall die Luft, ein stärkn- Hahn stieg keine dreißig Schritte von mir auf — aber er fauk auch eben so rafch nieder. Ich hatte einen glücklichen Schuft gethan, freudig erregt sprang ich der prächtigen Beute zu, während weit nnd breit die Schaaren der Räuder, auf so unerwartete Weise aus ihrem Reviere gcfchreckt, in großen Flügen enteilten. Der erlegte Vogel war ein ausgewachsener junger Hahn, gegen dreißig Pfund schwer, mit glänzendem, schwarz gewässert - rost-braunem Gefieder auf dein Rücken, Hals, Kopf und Brust hell-gran, die Ständer fast armstarf, überaus kräftig, die unten weiften, an der Spitze dunkelbraunen Schwungfedern hatten fingerdicke Kiele. Mit Hülfe Sergei's, der sich wie närrisch geberdete nnd einen Kriegstanz nm das erlegte Wild halten zn wollen schielt, hob ich die Beute auf den Wagen, und vollkommen befriedigt traten wir den Rückweg an. Hierbei will ich zu erwähnen uicht nuterlafse», daß das in Deutschland allgemein verbreitete Vornrtheil von der Ungenießbarkeit des Trappcnflcifchcs ^ es sei denn einige Tage in der Erde vergraben gewesen — von den Rnssen nicht getheilt wird, und ick habe mich genugsam davon zu überzeugen Gelegenheit gehabt, daß es einen sehr schmackhaften, vortrefflichen Wildbraten abgibt, welcher dem des Anerhahns weit vorzuziehen ist. Allerdings legt n«an es gern in Essig, gesäuerte Milch oder in Ouaß, ehe es an den Spieß kommt. Unsere Heimfahrt führte an einem jener künstlichen, durch Anfdämmuug gebildeten Teiche vorüber, in welchen das Winterwasser sich sammelt, den Heerden zur Tränke. Er war rings mit hohem Schilf nmkränzt, nur da und dort tiefe Pfade von den Weidethieren bis zum Wasserspiegel hindurchgebrochen. Wir scheuchten eine Kette Krickenten auf, die kleinen schwarzen Streckhälse waren schon weit, ehe ich ans dem Wagen fertig wurde. Anch ein paar Spießenten rauschten empor; zwar tnallte ich 145 hiutcr den bei uns ziemlich seltenen Wanderern drein, aber leider vergeblich. Der Iagdcifer war ohnedies erstickt in der fabelhaften Gluth des Himmels, der über unv lag, wie ein Breunspiegel, die Zunge klebte mir ain Ganmen, ich Ivolltc volu Wagen fpringen und vonl fchlammigen Wasfer des Tcichcs schöpfen, allein Sergei litt es nicht, indem er mich ans wenige Schritte vertröstete. In der That enteilte er nicht lange daranf plötzlich und kam nach kurzem Verzng wieder, fchwer beladen mit einer Last, die er im Schooße seines Kittels oder Hemdes — das Kleidungsstück ist Beides — herbeischleppte. Es waren Gurken, welche unterhalb des Teiches, der zur Bewässerung diente, in weiten Feldern angepflanzt standen. Sie sind eine Lieblingsspeise der Rnssen, und zwar roh, höchstens geschält, aber nicht immer, und mit etwas Salz; so findet man sie selbst auf den besten Tafeln. Dem Beispiel meines Begleiters folgend, machte ich mich rasch daran, rohe Gurten zn verspeisen, zum ersten Male in meiuem Leben; sie löschten trefflich den Dnrst. und odgleich ich gewiß ein halbes Dutzend davon zn mir nahm, fühlte ich keinerlei Beschwerde dar-nach. Sergei hatte freilich durch mehrmalige anffallende Bewegung der Hand znm Munde und mit schmachtend nach dem Himmel gerichteten Augen, während seine Lippen das magifche Wörtleiu „Nodki" murmelten, deutlich zu verstehen gegeben, was zn solcher Kost gehöre, allein ich tonnte dem Guten nicht helfen. Uevrigens brachte er, denn es war ja Sonntag und jedem Tage muß sein Necht werden, die Entbehrung reichlich wieder ein, wie ich am lichten Abend mich übcrzeugeu konnte, als ich ihn im StaUe zwischen den Pferden liegend fand, die anscheinend an diese Vertraulichkeit duvchans gewöhnt waren und sie respcctirtcu. Das Glück der ersten Jagd fahrt bewährte sich nicht anf den folgenden. Gs war gerade, als hätten sich die Trappen meilenweit in der ganzen Umgegend die drohende Gefahr und die List des Menschen mitgetheilt; denn fernerhin ließ niemals wieder em Hamm, Steppen und Sl^btc. 10 14s Volk den Wagen bis znr Schußweite herankommen. Die Vorsicht und Schen dieser großen Vögel mußte ich bewundern, so sehr ich Mich darüber auch ärgerte. Der Ersatz war, dem Quantum und der Iagdfreude nach, ein ziemlich geringer; der tägliche Gegenstand der Suche wareu Wachteln, deren die Stcppeufeldcr unzählige Mengeil bergen und welche in der Erntezeit außerordentlich fett sind. Dazu brauet mau einen guten Huud; der, welcher mir zu Gebote staud. war gilt, aber nur für sich; er dachte nicht anders, als der Jäger mache sick seinetwegen alle die Mühe, und spielte daher den angenehmen Wirth, der jeden Braten anschneidet, ehe ihn der Gast erhält. Die Wachtelbeize mit dem Habicht ist eine Hauptlust der Tartaren und mehrere Male war ich später so glücklich, diesem interessanten Schauspiele beizuwohnen, welches nm so mehr in die alten Zeiten des höfischen Rittcrthums zurückversetzen konnte, als die kleidsame Tracht dieser Stepprusohne dem idealen Iagdgewande der Edelknaben mit dein falten auf der Faust, die uns die Maler schon in allen möglichen Stellungen gezeigt haben, ziemlich ähnlich ist. Die Jagd geschieht zu Pferde, gerade wie die Fallen-jagd. (sine Anzahl tartarischer Jäger, auf's Trefflichste beritten, vertheilt sich über die Steppe, jeder hat einen l'leiucn, langhaarigen Wachtelhund bei sich, welcher weiter nichts zn thun hat, als in möglichst ruhigem Tempo die Vögel aufzustöbern uud emporzu-jagen. Auf der Hand, ohne Handschuh trägt der Jäger cineu Habicht mit der Lederkappe über deu Augen; sobald die Wachtel auffliegt, reißt er sie dem Vogel ab und wirft ihn nach, der Habicht steigt nicht empor, wie der Edclfalke, fondern schießt fofort im Bogen auf das Wild, welches zwar sogleich einfällt und sich zu verbergen sucht, selten jedoch dem gierigen Auge des Räubers entgehl, der sich darauf stürzt, aber es mit den Fängen gewöhnlich so säuberlich packt, daß er es seinem Herrn lebend nud unversehrt überbringt. Nur junge, noch unerfahrene Habichte stoßen so scharf 147 nieder, daß sie die Wachtel verletzen oder todten. Der Jäger führt, ein seltsamer Anblick, eine» hölzernen Käfig neben sich, in welchen' er das erbeutete Wild verwahrt, er fängt nicht selten an einem Tasse fünfzig bis scchszig Stück Wachteln auf solche Weise. Diese werden gewöhnlich noch eine Zeit lang gemästet und dann lebendig zu Markte gebracht; man verkauft sie nach dem Gewicht, das Pfund etwa zu einem halben Thaler; sehr viele davon werden in Tonnen eingepökelt und geräuchert, oder auch mit Fett übergössen aufbewahrt. Die zur Beize bestimmte» Habichte müsseck ganz jung aus den» Neste genommen werden; der Jäger füttert sie stets nur selber und sie gewöhnen sich frühzeitig so an ihn, daß sie seinem bocken gehorsam folgen. Sobald sie mit der Kappe und der Faust vertraut sind, kann man uubedcnklich wagen, sie fliegen zu lasseu. Die Tartaren besitzen überhaupt eine höchst merkwürdige Oeschicklichkcit in Lähmung und Abrichtuug der Thiere; sie beizen nicht nur mit dein Habicht, sondern anch mit dem Steinadler, dessen Junge fie von den riesigen Ocbivgen der Krim holen, und mit dem Gdelfalken, den sie aus Persien uud dem Kaukasus bc-zicheu. — Wachtclfang mit Stellnctzcn und Hanfgarnen wird eben-falls vielfach betrieben uud ist ziemlich ciuträglich. Einige Abwechselung in das einförmige Wachtelschießen, dessen Ausbeute durch den liebenswürdigen Monsienr, so hieß dcr Hund, mu ein Dnttheil mindestens dccimirt ward, boten die Eteppcnhühner, die sich überall fanden, dann die hübschen Zwergtrappen lOt'5 U>l,'!l<>) von der Oröste einer Wildgans, fast gerade so gefiedert, wie die große Trappe; ich traf dieselben stets einzeln in der Steppe liegen, sic lassen den Jäger nahe herankommen, und fliegen dann plötzlich mit merkwürdig tönendem Flügelschlag empor aus ihrem versteck im Nuriau. Die Raubvögel, vou welchen die Steppe wahrhaft wimmelt, lernten bald die Flinte kennen, und wichen ihr in, scbcin'u Respect aus, obgleich sie als nützliche Na- 10* 149 turvolizei vor ihr voNkomnlen sicher waren; die Hasen lagen alle wohl geborgen tief in» Getreide, und überdies war es nicht ihre Zeit; so mußte denn mcmckmal nur des Schusses wegen ein un glückliches Ziesel herhalten, das vor seinem Loche sich sonnte, nnd die mit gestohlenen Körnern gefüllten Backen krähte. Aber nacl> und nach ward dies alles langweilig, zumal die furchtbare Hihe, die scbon mit dem frühen Morgen begann, jeden Iagdzug zu einer Art von Martyrium, langsamem Braten alls dem Roste vergleich-bar, machte. Da kam eißes Tages der Schäfer Stepan, ein Bündel unterm Arme, das er mit gar betrübter Gcberde vor den Füßen seines Herrn ausbreitete; es waren drei blutgetränkte Lämmerfollc. „Der Wolf hat sie zerrissen, o Herr!" so klagte der Getreue, und die hellen dicken Tropfe» rollten ihm unaufhaltsam in den krausen Bart, während sich plötzlich die ganze Atmosphäre des Zimmers mit Spiritus vollgcsogen zu haben schien; „wir haben gewacht, Herr, und die Hnndc haben ihn gejagt, aber er ist wieder-gekommen und hat die drei besten Stücke geholt aus der Hecrdc, sieh hier ihre Felle, die Leiber haben wir verscharrt. Hilf, Herr, und gib uus den Leo, denn Misere Hunde trauen sich nicht an den Wolf." Leo war ein uugeheurer Neufundländer, von merkwürdiger Tapferkeit und Stärke, aber trag und verwöhnt, nnr Vächter des Hauses nnd Hofes, doch hatte er schon manchen Wolf im Kampfe gar rühmlich bezwungen. Der Gutsbesitzer wiegte bedächtig den Kopf, antwortete aber weiter nichts als: „Geh' zuvor, Stepan, uud schlafe Deiueu Rausch aus!" worauf sich der Schäfer entfernte nnter den fürchterlichsten Eiden, daß er gar nickt mehr wifse, wie Branntwein ausfehe, nur der Kummer, uur die tiefe Betrübniß um die fortwährende» Verluste des geliebten Herrn halx- ihm die Vcine geknickt. Als er fort war, sprach mein freund: „Ich weiß ;war ganz bestimmt, daß die 149 Spitzbuben selbst die Lämmer geschlachtet und verzehrt haben, aber was will mau machen? Beweisen kann ich es ihnen nicht, Einer ist wie der Andere, und sie haben für sich, daß Wölfe wirkllch in der Nähe sind, also muß ich es hinnehmen. Aber um ihnen aus cm paar Wochen mindestens die Ausrede abzuschneiden, sollen die angeblichen Ränder verjag! werden. Morgen in der Frühe der Erste." Das war willkommene Kunde! Spät am Abend sprangen Sergei, Wassilei und Sacha, drei erprobte Reiter und Wolfsjäger, von den Gäulen; sie waren den ganzen Tag ans der Streife gewesen. „Der Wolf ist gefunden, Väterchen," sagte der riesige Wassilei schmunzelnd, „morgen wird er zu Deinen Füßen kriechen." Und sie schmunzelten alle Drei immer energischer, und leckten die bärtigen kippen, und kratzten sich hinter den Ohren, bis der Gebieter, wohlbekannt mit dieser Zeichensprache, einem Jedem ein mäßiges Wasserglas voll des geliebten Wodki kredenzte. Es floß hinab wie Wasser, immer schmunzelnd wischton sie den Mnnd mit den weiten Aermeln und verneigten sich tief, dann gingen sie, die nöthigen Anstalten zn treffen. Um drei Uhr früh sollte Jedermann fertig zur Stelle sein; ich war schon eine Stunde vorher munter und bereit. Aber endlos dehnten sich noch die Zurüstungen, das Hin- nnd Hcrlanfen, der Thee, nachdem meinem nngeduldigcu Rnmoren gelungen war, männiglich zu erwecken. Einigermaßen vcrwnndcrt gewahrte ich von dem gewohnten Apparat der Flinten, Waidmesscr, Jagdtaschen, Pulvcrhörner durchaus nichts, von welchen, sich der Deutsche, dessen ssrbtugcud die Lust am Schleppen zn sein scheint, noch immer nicht losmachen kann. „Hier Ihre Waffc!" fagtc der Edelmann, und übergab mir eine vortreffliche Reitpeitsche aus einem Stück ungegerbten Leders. „Wolleu Sie mir deun nickt die Ehre gönnen, einen Wolf erlegt zu haben?" gcgenfragte ich halb gcdcmüthigt. 150 ,,D»e ^hre ist so klein," erwiederte «nein Freund lächelnd, „daß ein Sportsman darauf verzichtet. Wissen Sie nicht, wie man in England den Fuchs jagt? Gerade so werden wir es mit seinem Netter machen. Und nu» zu Noß!" Vor der Veranda scharrten vier Pferde ungeduldig del« Boden. Das stattlichste darunter war cinc englische Vollblutstntc, welche bei den Nennen zu Chclfon, Wosnesensk nnd Iekaterinoslaw schon mchrinals gesiegt, eines der werthvollsten Thiere aus dem bedeutenden Gestüte meines Freundes. Sie war von dessen Güte für mich bestimmt; aber neben ihr schäumte und stampfte ein tartarischer Napphengst, dessen prachtvolle Mähne, überhaupt sein ganzes Wesen mich augenblicklich dergestalt einnahm, daß ich mir die Gunst ausbat, ihn reiten zu dürfen. Sie ward mir, wie ich glaube, mit einiger Genugthuung gewährt, denn die englische Stute war zehnmal werthvollcr, wie das eingeborene Thier. Wassilci und Sacha, unsere Genossen, ritten starke Ponies der Steppcnrace, der letztere trug einige Stricke am Sattel, und darin bestand unsere ganze Ausrüstung; nicht einmal Hunde wurden mitgenommen. Im scharfen Trab ging's hinaus in die thauige stille Steppe, die beiden leibeigenen etwa um fünfzig Schritte voraus. Wie herrlich war's in dieser Morgenfrischc, überwölbt von« blaue», ungetrübteu Himmel, dahin zu reiten durch die Wüste, ohne Weg und Bahn! Nicht lang und die Pferde sielen von selbst in die gewohnte Gangart, den Galopp, denn Trab laufen in Nußland nur die Orlow'schen Traber aus Chränowoi, und es hält schwer, Steppenpferdc an diese dem Thier nicht natürliche Vewcgung zu gewöhnen. Wir mochten ungefähr drei Werst zurückgelegt habe», als Wassilei sich umwandte und die Hand hoch empor hielt; es war ein Zeichen größerer Vorsicht, wir warfen die Cigarren weg und befleißigten uns des Schweigens. Aber lang noch danertc der Nitt, viel zu lang für meine fieberhafte Ungeduld. Plötzlich Wandte sich der Vorreiter zum zweiten Male mit eindringlicher Geberde. Itzi „Halt!" commandirle mein Begleite», ,.wir sind dem ^ager des Wolfes nahe; die beiden Vurschm werden ihn aufjagen; lassen wir nnsere Pferde etwas verschnaufen, damit sie sich zeigen können, wenn es wirklich gilt." Wafsilci und Sacha hatten mittlerweile sich getrennt und ritten nunmehr im Schritt einer Bodensenkung zu, die von wildem Vuriangestrüpp erfüllt war, das hier und da seine stacheligen Häupter über das Niveau der umliegenden Fläche erhob. Nach einigen Minuten waren sie unserm Vlicken entschwunden. In athemloser Erwartung harrten wir — wenigstens ich - eine ziemliche Weile; da, auf einmal erscholl ein so durchdringender Schrei, daß ich erschreckt zusammenfuhr, und mein gutes Thier, nicht gewohnt an so rüde Hülfen, sich bäumte uud mich bügellos machte. „Vorwärts, dort länft der Wolf!" rief mein Freund und flog voran. Ohne Antrieb folgte mm« Nenner. Uns gerade gegenüber, am jenseitigen, stach abgeduschten Hang der Mulde streifte ein Ding durch die Vurianbüsche, wie ein grauer Schatten; es mochte 800 bis 1000 Schritte von uns entfernt sein. Gleichzeitig aber tauchten auch Wassilei und Sacha ihm zur Rechten auf, in ziemlichem Abstand von einander; der Erstere voraus, augenscheinlich bestrebt, dem Wolf die Nichtnng zu verlegen und ihn nach unserer Seite, die wir den linken Nand der Vertiefung umritten, zu wenden, Es gelang ihm vortrefflich, das geängstigt« Thier ließ sich von der anfangs eingeschlagenen Linie seiner Flucht abbringen, und es war nunmehr an uns, die wir die Sehne seines Vogcnlaufes ritten, die Hatze aufzuuehmen. Alle Aufmerksamkeit, die ich vorher dem Gcgenstand derselben gewidmet, con-centrirte sich bald auf die Pferde. Als wüßten sie, was es gelte, flogen die edlen Thiere dahin, es bedürfte nicht des mindesten Antriebes durch Zügel und Peitsche, um sie zu reizen oder zu leiten; in ihnen schien dieselbe Aufregung zu gähreu, die ihre Reiter ergriffen halte. Die Vollblutstutc mochte aber noch so 152 gewaltige Sstze machen, mein Tartar war ihr stets zur Seite, und, was mich am meisten verwunderte, ehe man sich's versah, ritten Nassilei und Sacha, welche doch weit hinter uns geblieben waren, auf ihren kleinen struppigen Kleppern mit uns auf einer ^inie; nach und nach schwenkte der letztere zur Linken, so daß wir Beiden im Abstand von ungefähr hnndert Fuß die Mitte einnahmen. Bald waren wir dem Wolf auf 300 bis 400 Schritte nahe, und mm galt es, das Tempo zu mäßigen, sollst würden wir dem Raubthier zu früh, ehe es seine Kräfte verloren, auf den Nacken gekommen sein, und der Erfolg wäre problematisch gewesen. Es kostete aber große Mühe, die Rosse zu zügeln, und besonders mein Hengst machte mir mehr zu schaffen, als mir lieb war. Einige Worte des mir zur Seite gerückten Iagdherrn erklärten mir auch icht das Mauöver der Vorreitcr. Man hetzt den Wolf nur mit dem Winde, niemals gegen denselben; im letzteren Fall hält er die Verfolgung noch einmal so lange ans, während die Pferde übermäßig angestrengt werden. Die Direction war gelungen und der Erfolg schon sichtbar. Deutlich war zu gewahren, daß der Wolf an Kräften mehr und mehr verliere. Wir waren etwa seit einer Stunde auf seinen Ferfcn lind kamen ihm, trotz der nunmehr gemäßigten Oangart unserer Pferde, mit jedcm Schritt näher. Er lief in einer Art von knrzem Galopp, den Kopf tief niederhängend, den Schweif eingeklemmt, von Zeit zu Zeit fiel er in einen Trott, wie um sich zu erholen, zuweilen wandte er sich nach rechts und links, aber überall waren die Verfolger. Allmälig rückten wir ihn« so nahe, das wir die scharfe Witterung des Thieres bekamen; unbändiger wurden die Pferde, sie hackten im Lauf mit den Vordcr-füßen, als gierten sie darnacb, den grimmen Feind zu treffen. Schon ritt Wassilei ihm dicht zur Seite, der Augenblick der Entscheidung nahte. Immer langsamer lief das verfolgte Thier, manchmal raffte es noch alle seine Kräfte zusammen zu ein 153 paar verzweifelten Sätzen, aber endlich erlahmte seine letzte An strengnng. Im Bestreben zu enteilen, schoß es einigemal noch cinc Strecke weit vorwärts, dann versuchte es einen Haken zn schlagen - nmsonst! Endlich stand es — wir waren dicht hinter ihm. Es gibt keinen schcnßlichern Anblick, wie den des mattgc-hetzten Wolfs. Die Znuge hing ihm fußlang aus dem geifer-tricfcnden Maule, die weingelben Zotteln des Sommerpelzes standen vom Körper ab, »nd ein abscheulicher Geruch vergiftete ringsnm die nächste Atmosphäre. Wie es im Ncinecke Fuchs beschrieben: „es brach ihm vor Schmerzeil über und über der Schweiß durch seine Zotten, .er löste sich vor Angst." DaZ Thier war eine Wölfin, wahrscheinlich dieselbe, der man die Jungen geraubt, hager und verwahrlost zum Entsetzen. Mit eingeknickten Hinterläufen »nachte es nunmehr Kehrt gegen die Verfolger, denen es tanm gelang die wüthenden Pferde zn pariren. Wie ein Blitz war der starke Wassilei aus dem Sattel, er riß feinen alten Filzhnt vom Kopf, stülpte ihn nm die ,^anst und trat, diese vorgehalten furcht-los der erschöpften Wölfin entgegen. Treulich folgte ihm sein wilder Klepper, mit den Vorderbeinen hauend und die Zahne bleckend, als wolle er helfen, del« grausamen Näubcr zu fangen. Dieser sah allerdings noch gefährlich genug aus, aber doch war schon in seiner ganzen Stellung nicht mehr zu verkennen, daß mit der Enikräftung die Fcigbcit übcr ihn gekommen sei. Jetzt stand der Manu einen Schritt vor dem Naubthier, weit riß dieses den schäumenden Nachen auf, die Fanst mit dem schützenden Filzhut fuhr ihm zwischen die Fangzähne, aber die gewaltigen Kiefern hatten ihre Stärke verloren, nur unschädlich schlössen sich dieselben, gleichzeitig aber packte Wassilei's kräftige Nechtc das Genick der Wölfin und presste ihr den Kopf an den Boden. In dem nämlichen Allgenblick war auch Sacha ;ur Haud mit Stricken, eine Schleife ward um die Schnauze geschlungen, mit einer gleichen jedes Paar der Pranken nnschädlich gemacht — und 154 in einer Minute lag die Wölfin gebändigt und gefangen zn unsern Füße». Die echten Jäger der Steppe halten cs für unWaid männisch, den Wolf sofort zu todten; passionirtc freunde der Hetze legen sogar eine harte Strafe darauf, wenn einer ihrer Lente sich von« Eifer dazu hinreißen läßt, gleich als wollten sie zeigen, wie we»üg furchtbar ihnen ein solch blutdürstiger Feind sei. Waffen zu tragen ist daher niemals dabei erlaubt; will man tnrzen Proceß machen, so wird der Wolf mit den Kantschn's erschlagen. Wir sparten ihn für einen cbeubürtigeu Gegner ans; Sacha warf den Gesesfclteu vor sich auf's Pferd und dann ritten wir fröhlich heimwärts, ich um ein merkwürdiges Iagdabenteuer reicher. Unsere Pferde wareu und dliebcu so frisch, als kämen sie eben von der Weide. Zwei Tage Galgenfrist wurden der gefangenen Wölfin ver stattet; man hatte sie, ihrer Bande entledigt, in einer Scheune eingesperrt und mit Futter versehen, wovon sie aber wenig Notiz zu nehmen schieu. An, drillen Tage schlug ihre Stunde. Wir Waren voll der Seite her auf das Gebälke gestiegen, uiu das Schauspiel mit anzusehen; die Wölfin hockte in einer Ecke und blickte ingrimmig finster nmher nnd hinanf. Da öffnete sich die schmale Pforte der Einfahrt und herein schob Wassilei den edlen Neufundländer Leo, rasch wieder hinter ihm schließend. Kanm erblickte der wackere Hund die gefährliche Feindin, so richtete er sich mit dumpfem knurren majestätisch empor, laugsamen Schrittes, die Läufe hoch gehoben, schritt er näher nnd näher anf sie zu. Die Wölfin drückte sich ganz dicht an den Voden, nur den Kopf mit dem geöffneten Rachen in die Höhe streckend, als wolle sie einen Sprung nach dem Halse des Widersachers wagen. Aber dieser war ein erptobw Held, der nicht dein ersten Wolfe gegenüberstand. Sobald er nahe genug war, machte er eine Bewegung, als wolle er sich auf die Feindin stürze», rasch fuhr diese lnappend vorwärts, aber gleichzeitig hatte Leo mit berechneter Behendigkeit 150 eine Wendung ^ur Seite ausgeführt und mit gewaltigem Satze lag er nun über der Wölfin ^ ein Piß, ein Krachen der Halswirbel, nnd sie streckte sich zuckend, verendet. Stolz und unversehrt, gehobenen Schweifes, mit Befriedigung leise knurrend, umschritt der edle Hund den besiegten Gegner, von Zeit zu Zeit stillstehend, als sei er darauf gefaßt, ihn wiederum erwachen zu sehn. Ader er war sehr todt. Dies war eine Wolfshetzc im Sommer. Im Winter, der gewöhnlichen Jahreszeit fiir solches Vergnügcu, ist sie gefahrvoller und interessanter, theils wegen des schlimmeren Terrains für die Reiter, theils weil die Wölfe dann gewöhnlich in Nndeln zu-sammengehen nnd es dann heißt: Auf den Mann ein Vogel! Die dem Vager entnommenen jungen Wölfe werden gröfttcntheilö blos zur Wiuterhatz auferzogcn, wie man es in Britannien anch mit Füchsen zu halteu pflegt. Eine andere Art Wolfsjagd ist die im Schlitteu; sie gibt Gelegenheit, Gcschicklichkeit in der Hand-habung der Büchse zu zeigen. Mit einem tüchtigen Dreigespann fährt der Jäger hinans, er hat mehrere Gewehre zur Haud, vielleicht »loch ciucn Vüchseuspanuer neben sich, und sitzt rückwärts im Schlitten, an welchem mittelst eines langen Strickes ein Stück Aas angebunden ist, das im Schnee nachschleift. Sind die Wölfe zahlreich in der Gegend, so bekommen sie bald die Witterung der Lockspeise und beginnen, derselben zu folgen; anfangs in scheuer Entfernung, dann aber, von Hunger und Gier angestachelt, immer näher und uähcr. Ein guter Schütze kann auf diese Weise ein ganzes Nudel nach und nach vertilgen, denn der Fall eines Kameraden schreckt die Anderen nur höchstens ans so lange ab, bis dcsseil magerer Leichnam zerrissen und verschlungen ist. Nur muß er ein scharfes Auge und eine sichere Hand haben, um die Wölfin nicht zu todten, welche gewöhnlich den Kern eines Rudels von vier bis sieben Wölfen bildet. Ist diese gefallen, so werden dic letzter» toll und jcheuen keine Erfahr mehr, so daß 156 ofl nur schnelle Flucht vor ihrer Wuth crrcltm lanu. Die Tartaren jageil den Wolf mit dem Adler, welcher dazu abgerichtet wird, indem cr stets sein Flitter auf dem Schädel eines oberflächlich ausgestopften Wolfes empfängt. Der Vogel umflattert das aufgejagte Wild so lange, bis es ihm gelingt, sich auf dessen Halse ein zntrallcn und ihm mit scharfem Schnabelhicbe die Augen zu treffen. So feig der Wolf allein und zur Sommerzeit ist, wo er überall in der weiten Steppe Nahrung zur Genüge findet, so gefährlich und blutdürstig wird cr iu der Periode des Mangels, iu der cr viridu« uniti» jagt und selbst dem gewissen Tode stier entgcgenrennt, wenn ihn der unbezähmbare Hunger treibt. Dann kommt cr von weit her aus den Wäldern gewandert und umschleicht allnächtlich mit grausigem Geheul die Ansiedlungcn; nicht selten Wagt er sich fogar in deren Mitte und holt, trotz des Gebells der Hunde, ein Kalb, ein Schaf, ein Huhn ans den schlecht verwahrten Wintcrstallungen. Vor den Hunden der gewöhnlichen Race fürchtet cr sich nicht, wohl aber diese vor ihm, sie sehen, wenn auch in noch so großer Uebcrzahl, seinen Angriffen nur ein wüthendes Bellen entgegen, ohne ihn selber zn fassen. Erst wenn sie einen sicheren Rückhalt an den erweckten Vewohncrn haben, lassen sie sich zuweilen zur Offensive bewegen, ziehen jedoch gewöhnlich dabei den Kürzeren. Aber nicht allem Hausthicre in großer Zahl, auch Menschen fallen alljährlich den gransamcn Raubthicreu als Opfer. Noch ist in Odessa die Erinnerung wach an einen entsetzlichen Fall aus dem Winter von 185? anf 1858. Die Gattin eines dcr Ncdactcure des OclLzzkii 'WMtnik (Odessaer Bote), der geleseustcn Zeitung in Neunchland, Madame Troinizt'y, fuhr an einem schönen Sonntagmorgen mit ihrer erwachsenen Tochter im Schlitten aus's Land, 24 Werst weit, ich glaube, um einer Hochzeit beizuwohnen. Nachdem sie ungefähr die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatten, veränderte sich das Wetter und ein hestiges Schneegestöber Ichlug den Reifenden in das 157 Antlitz. Bald darauf wurden die Pferde des Dreigespanns seltsam unruhig, die Damen wandten sich besorgt nm — da waren die Verdcrber über ihnen, ein großes Nudel Wölfe jagte wie rasend hinter dem Gefährte drein, dcntlich gewannen ihre schwarzen Leiber auf dcm weißen Schnee stets einen größeren Vorspruug. Mit gellendem Angstgcschrei riefen die Fraueil dcm Iswoschstchik zu, dieser, betäubt' voll Furcht, vielleicht auch belruulcn — wer weiß es, aber es ist zehn Mal eher möglich, als das Gegentheil — hieb mit rasender Wucht ans die Pferde ein, daß sie, mit plötzlichem Anznge sich in das Geschirr werfend, dahinstehen, gleich dcm Sturmwinde. Aber der leichte Schlitten schlug bei dcm heftigen Anpralle halb nm, Mutter und Tochter wurdeu heraus-geschleudert, entsetzlich scholl ihr Hülfcgeschrei dcm daln'njagcuden Kutscher nach — umsonst, der sah sich nicht um, der hörte nicht, er fuhr davon wie toll, bis in's nächste Dorf. Als er sich zum ersten Male wandte, erblickte er nur den geleerten Schlitten hinter sich. Freiliä, warfen sich sofort einige muthige Männer anf Pferde nnd ritten zurück, nm zu retten, wenn Rettung möglich sei — aber sie kamen zu spät. Noch erblickten sie die enteilen-den Wölfe, aber anf dcm blutgetränkten Wahlplatzc fanden sie nichts, als einen Damcnhut und einen Schuh. Und doch war noch ein Wnndcr dabei. Denn während die Männer wieder laugsam hcimritteu erscholl anf einmal cm Hülferuf, wie aus dcu Tiefen der Erde, vorsichtig nahten sie dcr Stelle — da lag in einer (>wlbe, ganz Vom Schnee bedeckt, dem Tode nahe vor Schrecken und Frost, die jugendliche Tochter dcr unglücklichen Mutter. Beide Fraucu waren ein Stück dem Schlitten nachgelaufen, die ältere war aber bald zusammengebrochen, während die jüngere Plötzlich durch die Schneedecke in eine tiefe Höhlung stürzte, gewiß zu ihrem Heil; die Stimmen der Vorbeireitenden erweckten sie zum Leben. — — — 158 VIII. Ritt in die Plawni des Dniepr. Weit her aus den, Norden kommend, den Wolchonskischeu Hügeln entsprungen, die auch die Wiege seiner mächtigen Schwester Wolga sind, flicht der gewaltige Dnieprstrom gen Süden, dem schwarze» Meere zu. Wenn er in tollen Sprüngen über die grauiwen Treppenstufen dei Nit'opol zum letzten Mal den Jugend-Übermut!) gebüßt hat, so wallt er in der breiten und stattlichen Gemächlichkeit rüstigster Manneskraft dahin durch ein anmuthiges Thal. Vo»l allen Seiten rieseln und rennen ihm Flüsse, Flüßchen und Bäche zn, ihr silbernes Band windet sich dnrch frischgrüne Wiesenflächcn, dunkle Wäldchen, zerstreutes Buschwerk, da und dort weiße Häuschen hübscher Dörfer nnd in ihrer Mitte die golden flimmernde Kuppel der Kirche — das Alles gibt eiu gar liebliches Bild. Doppelt gewinnt es, wenn der Wanderer aus der baumlosen, braunen Steppe des Südens kommt und von Nova Woronzofka aus zum ersten Mal hinabschallt in die prächtigen Plawni oder Niedcrungswälder, die als mcilenbreite Verbrämung den riesigen Strom begleiten. Mit welchen: unaussprechlichen Vergnügen sieht er sich uach monatlangrm Braten unter der fast schcitelrcchten Sonne wieder umfangen von schattiger Waldcsimcht; wie oft hat er vorher davon geträumt, wie wahr ist ihm das Wort erschiene», daß der Wald eiu Bedürfniß des gebildeten 189 Menschen st'i! Daher war auch eine der ersten Bitten, die ick dem Freund aussprach, dessen Dach für mehrere Tage mir deutsche Gastlichkeit verheißen hatte, die um einen Ausflug in den Minen Wald, und bereitwillig ward sie mir gewährt, denn auf ihu sind seine Anwohner stolz nud freuen sich des Eindrucks, de» seine Hallen auf die fremden Besucher machen. An einem herrlichen Morgen zog eine stattliche Cavalcade durch die Pforte des Landsitzes, und fchou ihre Husammcnschnug versprach den Genuß des Iagdritts zu erhöhen. Denn um das Nützliche mit dem Angenehmen zu vereinen, oder vielmehr, um das Letztere zu steigern, warcu die Doppelflinten umgeschnallt und den Thieren des Waldes der Krieg crllärl worden. Den Mittel' punkt, den strahlenden, der Gesellschaft, bildete eine Dame. Im eleganten Amazonenhabit, den wallenden Federhut auf den kastanienbraunen Locken, kühn thronend auf einem windschncllcu Tscherkessen-rappen, wäre Fräulein Sonmta eine reizende Erscheinung gewesen überall, nicht blos hier auf der Steppe. Sie war die Führerin des ,Hugs, nnd eine verwegene, heldcnmülhigc dazu; durch Dick und Dünn ihr zu folgen, war Lust, nickt blos Gebot. Galant hielt sich ihr treu zur Seite der Onkel, ein alter, kleiner Herr mit weißem Bart und Haar, aber mit heißem, rothem Blut, ein Jäger und Fiscker, ein Kra'ntcrkenncr uud Pädagog, ein Sckack-spieler und Reiter, wie Wenige — die Jahre hatte» scheint ihm den Zoll erlassen uud ein bewegtes Leben war über ihn hinweggegangen, ohne mehr als äußere Spuren zu hinterlassen. Er hatte vieler Menschen Stätten gesehen und Sitten erkannt, war gewesen iu Island uud in Madeira, in Paris und in Arckangcl; an Norwegens Küste rettete er einst im Schisfbruch »ur das nackte Leben, und bei Scbastopol pfiffen die Kugelu um sein ehrwürdiges Haupt. Wie er so da saß, iu eigenthümlicher, selbsterdachter Aus-riistuug auf dem muthigen Steppeuklepper, gemahnte er mich an den Hawt-eye des Cooper'fchen Romans, der die Fremdlinge sicker 160 durch die Schrecken der Wildniß leitet. Dann kam der Hausherr, ein junger, kräftiger Mann, echt dentschen Geblüts, ein großer Landwirth, der hier in reizender Nmgcgend und im Schooß der liebenswürdigsten Familie sich ein kleines Paradies geschaffen hatte, ^in trefflicher Reiter und Stallmeister tummelte er gefchickt eine» Napphcngst edler Zncht, der nnfre kleinen Thiere überragte wie ein Kolech. Ich selbst ritt eiuen trefflichen tartarifchen Paßgänger. Ein Reitknecht auf einem Doppelftony folgte der Gcfcllfchaft. Neber die Steppe reitet man nicht, wie daheim auf deu Stadtprommaden. Die weite, flache stbenc fcheiut einznladcn, zn drängen zum flüchtigsteu Rossestauf, es überkommt den Reiter eine Hast und ein Streben ill die Ferne, deren er sich soust nicht bewußt ist. Und so flogeu wir denn auch bald dahin im gestreckten Galopp, wetteifernd um den Vorrang. Den aber ließ nnserc holde Herriu sich uicht streitig machen, weit voraus uus Allen trug sie ihr unvergleichlicher gelter, uud ihre weiße Feder flatterte trium-phireud an der Spitze, trotz der lebhaften Stimulatiouen, mit welchen der Oukel fein Pferd ihr zur Seite zu halte« trachtete. Nebenher sprangen und kläffteil lustig die Huude — verwuudcrt standen die grauen Rinder auf aus dem thauigen Gras, lim dem wilden Rcnneu Platz zn machen, die,Zieselmäuse schössen wie rothe Pfeile in ihre Crdlöcher vor dem „Donucrgepolter des Hufschlags" — was freilich eiue poetische Licenz ist in Betracht des weichen Stcppengrnnds — uud immer näher traten die dunklen Massen der Plawni. Zwischen den ersten hohen Bäumen erschienen da und dort graue Strohdächer, zerstreute Häuschen des großen Dorfes Gru-schewka, dessen Wohnungen ill der Steppe auseinander liegen, wie die Kömer von des Sämanns Wurf. Hier hinderte der Fluß Starwua, eilt kleiner Vasal! des Duiepr, den Wciterritt. Fräulein Soninka rieth zwar knrz, auf gut Glück hinüberzufetzcn, und schon war sie bereit zur That, als zur rechten Zeit noch der Rnf 161 des Oberförsters dcm Wagniß ein Ziel sehte. Dieser wohnt dicht am Ufer und kam, die Gesellschaft zu begrüßen. Er rieth uus, voil den Pferden zu steigen und sie von dein Reitknecht hinüber führen zn lassen; so geschah es, nnd es war ein Glück. Denn kaun, hatte der Vnrschc mit zwei Handftferdcn einige Schritte in dein Wasser znrückgclegt, a°ls plötzlich die Thiere in dcm Schlamm-grnnd versanken bis an die Sättel; hoch auf spritzte das getrübte Element, die scheuen Nossc suchten sich aus des Führers Hand zu befreien, dabei sauten sie immer tiefer, es war ein augstcrregendcr Anblick. Aber er dauerte nicht lange: der Reitknecht, obgleich bis an die Hüften im Wasser, hielt sich wacker und ließ nicht los, ein paar Schritte weiter kam festerer Grnnd, und dann war bald das jenseitige l,lfer erreicht. Mittlerweile ward auch die rechte Furt gcfundeu, die der Grundherr stolz durchritt, während des Försters ältester Knabe die anderen Mitglieder der Gesellschaft einzeln in einem schmalen Nachen hinübcrrndcrtc. Endlich warm Alle wieder beisammen; das Intermezzo hatte keine weiteren Folgen, als ein paar uasse Sättel, aber die trockneten bald bei dem ferneren scharfen Ritt. Noch ein zweiter Nebenfluß war zu passircn, die Potpilna, breiter und reißender, als der erste. Hier ging aber eine regelrechte Fähre. Diese sind in Rußland durchgängig der Art eingc-richtet, daß ein gewaltiges Tau über das Wasser gespannt ist, längs desscu der Fährmann sein Schiff hinzieht. Hat er Bauern eingenommen, so läßt er die für ihn eintreten bci der harten Arbeit; uus erzeigte er die Ehre selber. „Vctrachten Sie den Kerl!" sagte der Onkel, „würden Sie nicht geschwind znm Revolver greifen, wenn sie ihm allein auf der weiten Steppe begegnete»?" In der That, cs konnte kaum ein wilderes, thierischeres Gesicht geben, wie das des athletischen Mannes, dic langen, gelben Haare hingen ihm zottig über die Ncincn Schlitzaugen, ans denen H aii>n>, Elcppn, und Etädtc. 11 162 es manchmal hcrvorblihte, wie beim lauernden Wolfe, dcr sich nicht getränt, eine willkommene Beute anzufallen. Viele ähnliche Gesichter hab' ich in Nußland gesehen, und es schauderte mir unwillkürlich, wenn ich ihren Ansdruck zu entziffern vevsncbte! Ader da ist der Wald, da steigen die grünen Massen des Gebüschs ans der moorigen Grde, dort rauschen die Wipfel himmelhoher Bäume. Auf einmal befanden wir uns eng eingeschlossen alif schmalem Pfad. Rechts und links wucherte das saftige, Win-dendnrchflochtene Schilfrohr !)is über Neitershöhc empor, gleich einer festen Mauer, das Spiel des Windes darin glich dem Rauschen der See, kleine, zierliche Sänger wiegten sich hoch oben auf den grauen Fahnen lind lieblich klang ihr feines Lied in die Melodie des frischen Morgens. Hier und da lag eine freie Wiese inmitten des Röhrichts, da war großes Getümmel und rege Arbeit, denn die Heuernte fand statt, obgleich im August, Nur in diesem besonders günstigen Jahr fiel sie so früh, gewöhnlich erst in den September. Denn sobald im Frühjahr dcr Schnee zu schmelzen beginnt, so steigt von Tag zu Tag der Dnieprstrom in ganz außerordentlichem Maße. Im Mai hat er seine flachen Ufer z» beiden Seiten viele Meilen weit überschritten, die Plawni sind zu einem unermeßlichen See geworden, aus welchem die Bäume sonderbar hervorragen-, zwischen den Kronen derselben fährt man im Boot hoch über dem Grund, anf dem wir jetzt gemächlich reiten; dcr Ochsenbaner verwandelt sich in einen Kahnführer, jeder Verkehr findet nur zu Wasser statt. Häufig genug unterwaschen die andringenden Fluthen die lehmgeknctew, Häuschen der Vanern, oder ergießen sich zur Ueberraschung der Bewohner in die halb-unterirdischen Semlanken (Erdwohnungeu), obgleich die Ansiedler sich mögMst erhöhte Gründe ausgesucht haben. Allein dennoch ist die jährliche Ueberschwcmmnngsperiode ihre liebste ^eit. Dann erst auch wird die Landschaft zu einen, wahrhaft großartigen Bild, '^u einen, stillen blauen Meer, ans dem unzählige grüne Inseln 163 auftauchen. Mit Beginn des Monats August fangen die Wasser endlich an, wieder abzulaufen, aber trotz der brennenden Sonnenhitze dauert es doch lauge genug, bis Menschen nnd Thiere sich wieder in die Plawni wagen dürfen. lind die Ersteren muffen noch häufig dafür bittere Strafe leiden, denn aus dein schwane migen Boden quillt ein Fieberdnnst hervor, der von dem Nmling unfehlbar Tribut fordert. In diesem heißen Jahr lagen die Plawni ausgetrockneter da, als seit Menschengedenkcn; die Betten vieler Flüsse zeigten ihrcu schwärzlichen nackten Grund, von Millionen Rissen klaffend, kläglich lagen die geborstenen Kähne darauf; abscheuliche Miasmen entströmten den Verwesenden Muschclschichten nud anderen Organismen der verlorenen Wasserwelt. Die Männer stiegen von den Pferden, die dem Reitknecht anvertraut wurden, unter dessen Geleit unsere Dame lustist weiter ritt, wähveud wir, die Flinten zur Hand, in's Dickicht drangen. Mit jedem Schritt ward es nnnmchr urwäldlichcr; mächtige Wnrzeln krochen über die Erde, üppiges Gestrüpp schoß seine Loden dicht empor, dazwischen rankten sich Dornen und Schlingpflanzen, und bei jedem Schritt brach der Fuß eiu in den morschen Voden. Da durfte man wohl an Brasilien denken und wünschte sich eine Art m die Hand, statt der unbequemen Flinte. Wenn man halb kriechend, halb gleitend endlich in steteres Bereich zu kommen wähnte, da war es ein schwarzer, dampfender Tümpel, den man nmgehen mußte; und schlimmer noch, das Durchbrechen des Gesträuchs jagte zahlreiche Schwärine wilder Eilten vielerlei Art, Becassinen, Vläßenten, Reiher nnd andere angenehme Wasserfrennde anf, die meistens schou weit waren, ehe man das Gewehr an den Backen bringen konnte. Vinr der ernste uud ehrenfeste Bugai, welchen die Kk'inrnsst-n nach seinem Geschrei Quack nennen, unsere Rohrdommel, blieb neugierig, aber in hinreichender Entfernung, auf einem abgestorbenen Ast sitzen nud lugte mit vorgestrecktem Hals nach deu fremden Eindringlingen in den Waldfriedcn. Dali* 164 gegen schoben Dutzende von Schildkröten ihr getäfeltes Haus und sich selbst in Sicherheit, das heißt, in das schlammige, froschgc-füllte Wasser, so schnell sie konnten, und drollig sah es ans, wenn sie manchmal dabei übereinander hinweg zu fliehen strebten, cm sonderbarer Knäncl, Endlich, keuchend, Gesicht und Kleider zerrissen, die Extremitäten mit schwärzlich-grüner Kruste gepanzert, durch und durch in Schweiß gebadet, kamen wir aus dcm verwünschten Unterholz des Sumpfes heraus. Gern hätte ich die Andern ausgelacht, wie sic mich, aber ein überraschender Anblick fesselte meine ganze Aufmerksamkeit. Der Hochwald der Plawni tvat uus entgegen in seiner ganzen Majestät, Schönheit und Eigenthümlichkeit. Seinen Hauptbestaud bilden Weiden, aber Weidcnbäume wie es in der ganzen Welt nicht mehr gibt. Ihre ungeheueren Stämme, verknotet, verwachsen, auseinander gerissen, verkrüppelt und verschränkt, wie es die wildeste Phantasie des Künstlers nicht zu denken, geschweige denn darzustellen wagt, sahen allem Andern ähnlich, nur nicht Pflanzengebilden, und wäre nicht die Krone der hellgrünen Blätter gewesen, man hätte sie für Versteinerungen oder für barocke Götzenbilder untergegangener Niesenvölker halten können. Die ältesten, umfangreichsten dieser viclhuudcrtjährigcn Vänme warcn alle hohl; von ihrer Größe mag man sich dadurch ciueu Begriff machen, daß nicht selten ein Ncitcr zu Pferd in der Höhlung sich bergen kann. Viele davon sind schwarz ausgebrannt, denn wie allenthalben in der Welt, zünden anck hier die Mäher nnd Hirten ihr Kochfcner an in der beauemcn, zuggeschühten Hütte; aber nichtsdestoweniger grünten die obenstchcudcn Aeste lustig fort. Gebrochene Stämme lagen überall unbenutzt am Voden, bis sie verfaulten; zuweilen hatten sie in der Rinde wieder ansgcschlcigcn, und dann sah der graue Stamm aus wic ein Felsen, auf welchem Gebüsch zum Licht emporschoßt. Zwischen den Weiden, sie hoch überragend, baueten mächtige Schwarzpappeln ihre zackig verworrenen 165 Krone» in dm Himmel, von dem sie freilich nur hicr nnd da cin blaues Stückchen gew'^hreit ließe». Was ihren Stämmen an Umfang abgeht, das crscdcn sic durch gewaltige Höhe; i»dem sic abcr allenthalben die niedrigeren Weiden überdachen, bildet sich cm Waldgewölbe von großartiger malerischer Wirkung, wie man cs von diesen sonst gering geachteten Bäumen kaum erwarten würde, die freilich bei uns anch scltcn in Wäldern zusammen stehen. Den Boden zwischen ihnen bedeckt theils ein Prächtig grüner, moosiger Rasen, jetzt gerade von den Hcnern tnrz geschoren, theils Schilf und Buschwerk mancherlei Art, fast undurchdringlich verflochten mit Kletterpflanzen und Dornranken; hicr und da schimmern dic Spiegel trüber Lachen zwischen dem Grün hervor. Anf eincm rcichbeschatteten Frciplcch erwartete nns die schöne Amazone und das Frühstück; ich glaube das letztere zog in diesem Augenblicke unsere Gesühlc weit energischer an, als dic Erstere! Und das wird man uns abgematteten Jägern eben so gern verzeihen, als sic uns verzieh. Wie hübsch einladend sah dic weiße Serviette auf dem grünen Nasen aus, und wie unendlich hübscher »och alle dic guten Sachen, welche malerisch darauf gepflanzt Ware»! Mit Waidmannslnst begann sofort die Vcrtilgnng derselben, den Beginn machte natürlich der nncrläßliche Magcnschlüssel Wodka, mit dem der Onkel niemals aufschloß, ohne dabei sein ^icblingsmotto, sein goldenes Wort ausznsprcchen: „Es gibt keinen schlechten Schnaps!" Allmälig aber traten Pausen ein, die sich immer öfter wiederholten und von bedenklichen Drehungen des Halses begleitet waren. „Wo ist dcr Wcin?" fragte endlich unser Gastherr. O weh, er war vergessen worden, der wohlvcrschcnc, mit nassen Tüchern umhüllte Flaschcnkorb war stehen geblieben, wo er stand, und wir mußten den Durst mit Wasser löschen. Glücklicherweise war dieses wenigstens mitgenommen worden- es befand sich, nach klemrussischcr Sitte, in einem eigenthümlich gestalteten Fäßchen, dessen Handhabung Gcschicklichkcit erfordert, denn 1S6 es mußtc die Spundöffnuug über dm zum Himiuel gerid'leten Mund gehalten werden, Da gab es vielen Scherz, wenn dcm Ungeschickten die Flnth über Bart und Brust schoß! Nach einer Stunde bestiegen wir wiederum die Pferde. Ein schmaler Pfad leitete immer tiefer in den Urwald. Näher traten die riesigen Stämme zusammen, Falten und Sperber flogen schreiend von ihren Horsten auf, wilde Tauben girrten im hohen Laub, aber kein Singvogel ließ sich hören. Anch vierfüßigcs Wild ist in dieser Jahreszeit selten in den Plawni zn treffen. Zuweilen kommen ans den Lindenwäldern im Norden verirrte Rehe herein, aber die sumpfige Niederung scheint ihnen wenig znznsagen; öfter trifft man im Spätjahr wilde Schweine, von welchen keineswegs gewiß ist, ob es nicht blos verwilderte sind. Diesen wird der heftigste Krieg gemacht, weil sie die besten Wicscnstcllen durchwühlen und allerlei verderblichen Unfug stiften. Wie in Amerika lichcn lange Zeit hindurch dic Bauern ihre Schweine, denen die rohe», seichen ihrer Besitzer aufgebrannt waren, nnbedentlich das ganze Jahr hindurch in die Plawni, wo sie sich in erstaunlicher Zahl vermehrten, nur zn gelegentlichem Bedarf wurde hicr und da ein Stück geholt. Seitdem aber die Besitzung in strengerer Weise bewirthschaftet wurde, war ein Verbot gegen diesen Gebrauch ergangen. Die Bancrn kehrten sich nicht daran. Da wurden eigens zu diefcm Zweck mehrere Dntzend Flinten angeschafft und die damit bewaffneten Uprawitels (Verwalter), Prikaschtschiks (Beamten), Vögte und Schäfer führten einen unbarmherzigen sscldzug gegen das halo-zahmc Mssclwild. Noch im vcrgangeucu Jahre sind auf diese Weise über zweihundert Schweine in den Plawni gctödtct worden. Die erlegten Thiere bleiben unberührt liegen, die «Eigenthümer dürfen sie holen. Die «leisten davon werden eine Beute der Geier, Adler. Krähen, Füchse und Wölfe. Letztere stellen sich uur mit dem Winter ein. Dann durchstreifen sie in großen Rudeln die Waldung, sie wagen sich bei hartem, andauerndem Frost bis an 167 die Dörfer, nnd schauerlich klingt ihr wüstes Geheul ganze Nächte hindurch, beantwortet von dem zaghaften Gebell der Hunde, deren jedes Hans eine ganze Anzahl hält zur Bewachung von Menschen und Vieh. Hnndertc von Schafen fallen alljährlich den blntdü> stigcn Bestien zum Opfer, trotz aller Borsicht und Wachsamkeit der Hirten. „Hier herum muß jetzt der Schatzgräber hausen," sagte der Onkel. — „Der Schatzgräber? Wer ist das?" — „Sie werden ihu kennen lernen," ricf unser Führer und setzte seinen Rappen in Galopp, um dem weit vorangccilten Fräulein nachzukommen, Es war schwer, hier nebeneinander zu reiten. Immer wunder barere Formen eutwickelte der Wald, immer gewaltigere, seltsam gestaltete Bänmc drängten sich, eine tiefe Dämmerung lag zwischen ihnen, wie Niesenschlangen liefen ihre verknoteten Wurzeln über den schmalen Pfad, der nicht selten von einem geftüvzten Stamm gesperrt, über welchen die Pferde hinwegsetzen mnßtcn. Sie thaten dies willig und ohne Hnlfc zn erwarten, nicht einmal strauchelten die bewundernswürdigen Thiere auf ihren StahlfiWn; wer hätte cmch ans den Weg achten können, da es beständig galt, den Kopf zn schirmen vor den niedrigen Aesten, die sich zu einem undurchdringlichen Dach über uns verschränkten. Da schlug plötzlich in nicht großer Ferne die tiefe Stimme eines Hundes an, lustig antworteten ihm Nero und Hettor, unsere Begleiter. „Das ist der Schatzgräber!" rief der Onkel. Das Dickicht lichtete sich vor uns, ein heller Sonnenschein blendete fast die Augen. Noch lag ein mächtiger Stamm im Wege; lachend flog die kühne Soninka darüber, und wie Diamantenregen sprühte es rings mn sie empor — da galt kein Halten und Besinnen — hinüber, und in einem Augendlick befanden wir uns Alle bis zum Sattclkiwpf im Nasser. Ein schmales Uüßchen schläugeltc sich hier träge durch den Wald, eingerahmt von nralten Weiden nnd haushohem Schilf. Der gefallene Banmstamm hatte es den Augen verborgen, bis es zu 168 spät wm', aber lachend und glücklich ging die Passage von Statten, Fast crschrack ich, als a»n andern Ufer mir plötzlich cinc höchst sonderbare Gestalt in's Angc siel. Es war ein langer, hagerer, alter Mann, sein gelbes, rnnzclvollcs Gesicht stach eigenthümlich ab gegen das weiße ^ockenh.iar, die dichten Angcnbrancn und den wohlgcpflcgten, schneeigen Bart, der ihm bis zum Gürtel herab-wallte. Auf dem Hanpt trng er eine kegelförmige Tartarcnmühe aus schwarzeni Lämmcrfell, damit war auch sein langer, dunkler Talar verbränlt; er stntzle sich ans einen Spaten uud neben ihm stand ein großer, zottiger Wolfshund. Er lain nur vor wie ein geheimnisvoller Zauberer aus irgend einem der unbekannten Heiden-Völker östlicher Steppen — man denke sich meine Verwunderung, als er uns Plötzlich begrüßte im allerbcstcu sächsischen Hochdeutsch: „Ei schecncn kuten Tag, meiuc Herrschaft eu; wo kommen Sic denn her so zcit'g?" — „Guten Tag, Lchmann!" rief der Onkel, „was gibt's Neues? Hast Du nicht wieder ciucn Schah gesnndcu?" — „Ach, schweigen Sie doch, Sie Spötter," entgcgnetc der in einen Lchmanu verwandelte Zauberer, „Sie lriegcu mich uicht wieder dran. Aber Wolleu Sie nicht die Gütigkeit haben, uud>eiu bischen bei mir absteigen? Ich habe guten Quaß und Krcdsc, so groß wie Schafe." Das ließ sich hören, wir folgten der freundlichen Einladung; ich tonnte mich immer uoch uicht von meinem Stanncn erholen. Der kleine Fluß bildete einen Vogcn, und eine Stelle im Bezirk War von Schilf und Gestrüpp geklärt. Hier stand eine kegelförmige Hntte aus iu die Erde gesteckten, obcu verbundenen Vaumschößlingcn, mit Nasen bedeckt, das getreue Abbild eines indianischen Wigwam. Weiches Heu bildete das gauze Mobiliar derselben. Da wohnte Lehmauu, der Schatzgräber, während der Zeit des Hcuwcrbcns, Er hatte diese Arbeit in eiuem District der Plawni zu beaufsichtigen; eigentlich war er Prikaschtschik oder Schäfcrcivcrwaltcr auf eiucm der Vorwerke jenseits dos Dnicpr. 169 Nachdem er n»>s Alleil die Hände geschüttelt uild mich besonders als spceiellcn Vandsnlann mit ansgesncht sächsischer Höslichkeit begrüßt halte, eilte er zu seines Kochstelle in einem nahen, hohlen 'I^cidcndaum; hier entfachte er ein prasselndes Fcncr nnd hing darüber dell halbkngclförmigen Kessel ans Olcheisen auf, welcher das nncntbehrlichstc Geräth jeder russische» Haushaltung ist; er füllte ihn mit Wasser nnd wies den Reitknecht an, des Kochamtes zu ivaltm. ^v selber rief: „Ich holc dic Krebse; wollm sich's die Herrschaften nicht deanem machen?" nnd stieg in einen winzig kleinen Kahn, den er mit einer langen Stange flußabwärts stieß bis zu dein tiefern Tümpel, w» sein Krebsrastcn verwahrt lag. „Betrachten Sie jenes Fahrzeug," sprach mich der Onkel, anf das Schifflcin deutend, an. „Da haben Sie wieder ein Stnck, das zmn Urwald paßt. Der Kahn ist ans cincm Wcidcnstamm ans-gehaueu, er faßt nur einen einzigen Menschm, nud es gehört Gcfäncklichleit dazn, sich darin im Gleichgewicht zu erhalten. Daher stammt auch sein Name. Sie wissen vielleicht, daß man draußen in Europa (in Nußland spricht man nicht vom Ausland, sondern von Vnropa!), am Rhein, die kleinste Art der Kähne „^Seclenverranscr"" nennt? Nnn, gerade so heißen sie auch hier zu Land, nämlich „Dnschalnpka," wörtlich überseht, nud ich möchte nur wissen, wo die Bezeichnung znerst entstanden oder ob fie von beiden Völkern gleichzeitig erfunden worden ist!" Wir hatten uns mittlerweile auf ein schattiges Plätzchen gelagert; angelegentlich fragte ich nach der Lebensgcfchichtc des sonderbaren ^andsmannes, den ich hier in der Wildniß gefunden. Sie war ziemlich einfach, ^chmanu stammte ans Mittwcida oder dessen Nähe, nud kam vor beinahe vierzig Jahren als Schäfer nach Nnßland; drciunddreißig Jahre lang verwaltet er feineu gegenwärtigen Posten, Er hält sich für einen sehr gebildeten Mann, ja für einen Gelehrten, verachtet daher gründlich seine Collegen und „das Voll"; er besitzt eine Bibliothek und siudirt 170 viel; aber sein Studium erstreckt sich mir anf „die höhere Welt"; Dr. Falist's Hö1lenzwa»tg, der Clavis Salomonis, Traunlbiichcr und Prophezeihnngcu füllcil aNe seme Mußestunden, und seine Hauptleidcnschaft, ja das Dichten und Trachten, der Angelstern seines gangen Lebens ist das Schatzgrabcn. Dieses hat er zu einer wahren Wissenschaft erhobeil und betreib es mit aller Utw sicht eines bewährten Adepten. Keiil vernlfcner Ort, keiilc N»inc, kein altes Tartareugrab ist sicher vor seinem Spaten; wenn ei» altes Weib ein Lichtlei» hat tanzen schell am fnmpfigen Busch, gleich ist er hinterher und wühlt sich ein, wie cm Maulwurf; und er hat dabei Glück gehabt, denn er fand mehrere hübfche Stücke Bernstein, welcher längs des Dnieftrs nicht selten ist. Vielleicht ist das seltsame Treiben des alten Mannes dnrch dic Oertlichkeit erweckt worden, iu der er lebt, denn hier auf den Dnieprinscln ware» die geheimnißvolleu festeil Lager der Saporoger, jeuer kühnen Freibeuter, welche bald die Polen, bald die Tartaren aus cigeuc Faust bekriegten, keinem Seepter, nicht einmal dem des Czaren, uutcrthan, nnermchlichc Schätze zusammenschleppten nnd vergeudeten. Und dazu uoch der Kranz der zahllosen „Mollen" oder Kurganc (Hünengräber) rings anf der Steppe, von welchen einige, geöffnet, Gerippe, Waffen uud goldenen Schmuck in /Me zu Tage boteu — Vcranlassnug genug, aus dem träumerischen Schäfer einen fanatischen Schahgräber zu machen. So hieß er auch, der Kladokopatelj, bei Alt und Jung, Russen uud Deutscheu, weit »>ld breit. Maucherlei Scherze wurden mit ihm getrieben. Der Onkel hatte vor mehrere» Jahren bei allen Pct'amltcn alte Münze», Silber uud Kupfer, gesammelt; letzteres bildete die Mehrzahl, aber er selbst hatte eilt abgegriffenes Goldstück dazu geopfert, uud das Ganze, in ciucn antiken Scherben gepackt, auf dem alten Saporoger Kirchhof bei Pawkrosk kunstvoll vergraben. Der Schatzgräber erhielt Nachricht von einer bläulichen Flamme — es war ein Spirilusfcuer! — die sich daselbst zcige, uud iu der Nacht darauf 171 hob er wirklich mnthig den Schatz. „Sic hätten das Gesicht sehen sollen, nut dem er zn uns tan,!" fnhr der Onkel, in der ^rinncrnng lachend, fort. „Stolzer ivar noch kein Kaiser, sicherer fein Weltweiser! ^war ivard er sehr verblüfft, als ihm später dcv gespielte Streich entdeckt und ciil Verzeichnis; dcr Münzen und ihrer Geber vorgelegt ward; allein gar bald gewann er seine Siegesfrcudc wieder, denn unglücklicher Weise war gerade cin silbcrucs Hauptstück des Filudes darin anznfnhren vergessen worden! Und so ist nnd bleibt cr denn dcr „Schatzgräber," nnd wenn Sie wollen, wnnen Sic ihn heute Nacht an jeden beliebigen Ort sprengen; oh»c den Spaten in der Hand gebt er nie aus." — O'beu kam dcr Schahgräber wieder zurück ln dcr Dnschakupka »nd brachte ein Netz voll der gröftteu Krebse, dic er llubarm^ herzig in das brodelnde Wasser des Kessels warf. Dann deckte er eine Grl,be hinter seiner Hütte ans und holte einen Ständer voll Ouaß hervor, der mit allerlei Kräutern nnd Vanmblättern gewürzt war. Das sänerliche Getränk schmeckte köstlich ill dcr sonnigen Schwüle, nicht minder die Krebse, wenn sie gleich das stanende Element verriethen, dem sie entnommen wareil, Vehmann wartele alls mit einer Würde, wclche hoch ergötzlich war; besonders machte er sich um die schöne Soninka zn schaffen, suchte ihr die besten der Panzerthiere au6 und war iu einer Weise verbiudlich uud eivilisirt artig, die im grellsteil Wicdcrsprncb ^ll seinem barocken ^oslilin und Aussehen stand. Unter Scherzen nnd Neckereien M"g das improvisirte Mahl vorüber. „Schatzgräber." sagte der Onkel, .,Dn hast uns königlich bewirthet uud verdienst königlichen Dank. Ich weiß etwas für Dich, aber ich sage Dir's nicht eher, als bis Dn diesen, fremden Hcrrn erzählt hast, wie D» zn Deiner Frau gekommen bist." - „Ach, Herr Onkel, Sie wollen wieder über mich lachen," enlgegncte der Alte. — „Nein, gewiß nicht!" betheuerte dcr Spötter. „Die Geschichte ist viel zu ernst nnd interessant dazu." — „Aber Sie haben sic ja schon oft 172 gehört." — „Eincrlei, so etwas lann >nan nie geilug hören/' — „Bitte, lieber Herr Lchmann, erzählen Sie!" schmeichelte auch Fräulein Sonint'a, da konnte er nicht widerstehen. Mit gekreuzten Vcmen setzte er sich uus gegenüber, wie ein kirgisischer Schamane, und begann mit verschämtem lächeln: „Es ist jcht schon ziemlich lange her, die Ucberschwcmmnng war gerade sehr groß, stärker als gewöhnlich, da machte ich mich eines Morgens in der Duschaknpka ans, nm nach einigen Slirden ^Hcnschobevu) zu sehen, die ich gefährdet glaubte, lustig und guter Dinge s»hr ich dahin, bald mußt' ich mich durch dichtes Schilf arbeiten, bald durch Baumästc, aber ich kannte so ziemlich die Richtung, wenn auch zu Wasser Alles ganz anders anssieht, wie zu Land. Endlich kam ich in's Freie, wie ein weiter See lag es vor mir, ich strebte quer hinüber nach einer Waldspitze, der Märte meiner Fahrt. Aber ans einmal fand ich mit der Stange leinen Gnmd mehr und eine heftige Strömung riß mich fovt, gerade nach der entgegengesetzten Seite. Acrgerlich stieß ich fortwährend recht» uud links um mich, den Boden zu suchen, plötzlich fand ich ihn auch, hatte aber so tief und kräftig eingestoßen, daß mir die Stange cutfuhr uud ich nun hülflos dahin schwamm. Eine schöne Geschichte! dacht' ich, war aber leiueswegs verzagt, denn schon befand ich mich wieder zwischen den Pänmm. Ich versuchte eineil Ast abzureißen, nm mich seiner alö Ruder zu bedienen, aber auf einem solchen kleinen Seelenverkäufer, der bei jeder Verletzung des Gleichgewichts umkippt, und bei der heftigen Strömung ging das dnrchaus nicht. Ich ergab mich daher in mein Schicksal, kauerte nieder, damit mich die Zweige nicht ans dem Schisflein schlcudcm konnten, trank einen Schluck Branntwein, den ich glücklicher Weise bei mir führte, uud trieb dahin. Nur vor Einein hatte ich Angst, nämlich, daß die Flnth mich dem großen Strom zuführe, dann wär' ich in meiner Nußschale verloren gewcseu. Alleiu fo weit kam es glücklicherweise nicht. 173 Als ich nach laugen, bangen Stunden endlich wieder in ein ruhigeres Fahrwasser gekommen war, beschloß ich, mich in Sicherheit zn dringen, ehe die Nacht hereinbreche. Mein gilter oder böser Stern führte mich zn einem gewaltigen Weidcnbaum, dessen Krone eben über dem Wasserspiegel hervorragte; ich hielt mich an den Acsten fest, und nach vielen vergeblichen Versuchen glückte es mir, einen derselben durch den Ring meines Fahrzcngcs zu ziehen und so vor Anker zu gehen. Nachdem ich dasselbe nach Kräften befestigt, schwang ich mich in dic Vaumwipfel uud richtete mich da häuslich ein. Ich muß sagen, ich habe schon besseres Nacht-quartier gehabt, meine armen Glieder thaten mir am Morgen so weh, daß das Stehen auf den Aestcn, wie ein Kranich, eine wahre Erleichterung war. Nmcr Schrecken — das Tageslicht zeigte mir meine Duschat'upka verschwunden, das Wasser war um mehrere Arschinen gestiegen, und ick) saß ans dem Vaume. Herunter konnte ich nicht, denn ich schwimme wie eine bleierne Ente, aus Erlösung dnrfte ich in dieser Wildniß nicht rechnen, nur im Verlaufen des Wassers war Ncttung. Also abwarten! Aber das war schwer. Was soll ich's weiter ausmalen? Drei Nächte nnd zwei Tage hatte ich schon auf dem verfluchten Vaum— ich habe ihn mittlerweile abgehackt! — zugebracht, der Hunger quälte mich furchtbar, der Schnaps war alle, es begannen vor meinen Augen rothe Fenerringe zu kreisen, ein unüberwindlicher Schwindel befiel mich, es war, als flüstere mir ein heißer Athem in's Ohr: Wirf Dich hinab, daun ist's vorbei! Da auf einmal klang es wie eine ferne Menfchcnstimmc — gewaltsam riß ich mich empör — ja, ja, ein helles Lied scholl über's Wasser. Hülfe, hierher, Hülfe! brüllte ich, wie ein geschundener Wolf — das ^iedlein schwieg, ein Nuf gab Antwort, und gleich daraus trat eine breite Lodka (Boot) voll Hell zwischen die Väumc, gerudert von einer strammen Dirne, die vcrwnndert nach den, Vogel umschaute, der so laut pfiff. Als sie mich sah, sing sie an zu lachen, daß sie 174 aufs He» fiel, aber in demselben Augenblick lag ich auch neben ihr und regte mick nickt mehr. Erschrocken fuhr sic hnrtig davon, — sie hielt mich für todt nnd gestand später, daß sie unterwegs nicht übel Lust gehabt habe, den ungebetenen Gast ans-zuladen-, allein der Himmel gab ihr bessere Gedanken ein und so brachte sie mich glücklich nach Kaprilowka vor und in das Haus ihrer Mntter. Hier lag ich ein paar Tage im Fieber — ich tonnte gar nickt von dem verwünschten Baum herunter kommen! — die guten Seelen pflegten mich liebreich — und so hat sich's gemacht!" „Aber, Lchmann," fragte der Gutsherr,, habt Ihr denn niemals bereut? Ihr, ein gebildeter Mann, ein Ausländer, ein Schriftgelehrter, nnd ein kleinrussisches Vauernmädel? Wie klappte denn das zusammen'?" „Es ging!" erwiederte der Schahgräber, ,,was das <5ine zu wenig hatte, hatte das Andere gmngsam, das gibt die besten Ehen. Meine Warinka war ein hübsches, gutes Kind; sie braute ihren Quaß und kochte ihren Vorscht, trotz Giner, und dann" — fügte er heimlich hinzu — „sie war ein Sonntagskind. Geboren Schlag zwölf Uhr Mittags am heiligen Lichtmeßtag. Sie sah mehr wie die Andern. Aber ich darf's nicht sagen. Nnd die Mutter, die alte Mariwan, das war eine llnge Frau, konnte das Feuer besprechen, Menschen und Vieh curircn, und sonst noch Vieles. Ich habe Manches von ihr gelernt. Nein, nein, bcrcnt hab' ich' niemals!" „Nun, dann ist der Wcidenbanm doch Dein Glück gewesen, Schatzgräber," sagte der Onkel. „Aber jetzt kommst Du nickt eher los, bis Du uns das Liedchcn singst, mit welchem Deine Warinta selig Dich ans der Lust herunter gefangen hat. Frisch los darauf, finge!" „Aber, Herr Onkel," flehte der alte Manu und hielt die breite Schwielenhaud vor's Gesicht, wie ein zimperliches Mädchen. 175 „Keine Umstände, Schatzgräber, wir sind unter uns!" gebot der unbarmherzige Spaßvogel. „Soninka wünsckt's zu hören, nickt wahr, mein Tänbcken?" — Und als das Tä'ubchcn lachend nickte, ränsperte sich sogleich Herr Lehmann llnd begann mit näselnder Fistelstimme: „Adna gora wisokaja A drugaja niaka Adna mila dalekaja A drugaja bliska. Ot tak moja mila Kochaimja tscliumobriwa! Ot tak ljubiw mila Kochanuju tschornobriwu 1" In freier Ucbersctzung: „(5ill»lal himmelhoch auf Bergen, Dann in's Thal hernieder, ^iilinal ist die liebste fcrne, Uno dailn naht sie wi^bcr, Kommt mein Liebchen schanen Mit den schwarzen Augenbrauen! Zeigt mir schijn'rc Fraucn Mit so schwarzen A»s,m!)ranen!" „Es ist nnr ein altes kleinrnssisches Tanzlied (N^Iul-^-«ii^kllM pl^1O stand die Equipage in Neihe und Glied, alle Galericcn waren besetzt, ans jeder Luke schaute ein Kopf. Als wir weiter fuhren, ward in der Ferne noch ein zweiter solcher Schiffslcichnam fichtbar, noch größer wie die Sinope, für 142 Kanonen, ebenfalls ganz abgetakelt. Es dauert lange, ehe man gewahr wird, daß man in den Bug eingelaufen ist, der mit trägem Strom in den Liman mündet. 199 Nllmälig aber rücken die Ufer zusammen und werden schroffer. Uebcrall sieht man darauf Schanzen, Ueberbleibfcl des ^rimkriegs. Das Wasser erscheint wie ein grüner Schlamm, es ist ganz und gar mit Algen angefüllt, wie ein Sargassomeer, welche die Fahrt sehr erschweren. Anf einer Insel mitten im Flnß erhebt sich ein großes, aber nicht vollendete» Fort, welches zum Schutze Nicola-jeffs iu aller Mc errichtet worden war. Die Aussicht in's Land hinein ist wenig erfreulich, überall Steppe ohne Abwechselung. Noch viel minder ist es der Aufenthalt an Vord, die Unordnung Uhr bis Abends 7 Uhr; die Flüche, die an diesem Tage auf uns hcrabregncten, kann man sich denken, denn auf jeder Stromseite hielten die ganze lange Zeit hindurch Hnuderte von Wagen, welchen durch nuseren Unfall die Passage versperrt war. Ich und mein Begleiter, Constantin von Gerbel, wir werden diesen Tag nicht vergessen, c« war der 15. Juli 1858. 208 Wcun man über die Briickc kommt, so bcsiudct sich reckts der Stadtgarteu, cine schattige Anlage, deren Werth man in diesem Lande des glühenden Sonnenbrandes recht würdigen lernt und gern den Maßstab heimathlicher Schöpfungen dieser Art daran zu legen vergißt. Auch manche hübsche Privatgärtcu finden sich im Rayon der Stadt. Die Gewerbthätigkeit nnd der Handel derselben sind vcrhältnißmäßig unbedeutend; Nicolajeff ist eine reine Beamten- und Militärstadt. Die Zahl ihrer Einwohner mit Ausnahme der Arscnalarbciter nnd der Truppen beträgt ungefähr 25,000 Seelen; es gab eine Zeit, wo ihre Bevölkerung 120,000 zählte. Die Spuren und Reliquien des Krimkricges werden dein Land auf lange Zeit blcibcu. Da mau damals nicht anders erwartete, als daß die Alliirtcn über die Landenge von Perekop dringen und rillen Angriff vom Lande, gleichzeitig wie zu Wasser versuchen würden, so wnrdc unter General Tottlebcn's Anleitung die ganze Ostseite der Stadt ill einem mächtigen Bogen von» Ingul bis zum Bug mit Befestigungen verschen. Die Schnelligkeit, mit welcher dieselben aus der Erde wuchscu, war fabelhaft; allein es wurden auch alle Kräfte angestrengt. Weiber und Kinder, Mädchen und Greise standen in den Gräben und halfen Schanzen aufwerfen, weniger aus Zwang, wie aus eigenem Antrieb, denn es galt ja einem heiligen Krieg, der Sache der Rechtgläubigen gegen die Ungläubigen. Es waren solche Vorsichtsmaßregeln getroffen, daß das ungeheure hier aufgehäufte Kriegsmaterial schwerlich in die Hände des Feindes gefallen wäre. Mitschleppen hätte er es doch nicht gekonnt und der Pariser Frieden hat fast dieselbe Wirkung gehabt, wie eine thatsächliche Vernichtung; es liegt todt uud uuhlos begraben. Eine russische Flotte enstirt nicht mehr im schwarzen Meere und Rieolajeff hat feine Bedeutung verloren. Selbst wenn in fpätcrcn Zeiten, wie taum zu bezweifeln ist, eine Aenderung der politischen Lage eintreten nnd Rußland wieder die unbeschränkte Herrschaft im schwarze»! Meer 209 gewinnen würde, wozu cs bei der jährlich wachseudell Zahl der Schraubendampfer der vein Staat unterstützten russischen Gesellschaft keiner besonders großen Vorbereitungen bedürfte, so steht es doch fehr in Frage, ob Nieolajeff wieder znm Sitz der Admiralität und zum Depot der Kriegsvorräthe erkoren werden würde. Durch die Steppe fährt man, wenn mau es haben kann, am liebsten bei Nacht, und so fuhr ich auch gegen Mitternacht in guter Begleitung von Nicolajefs ab nach Cherson. Die Fahrt ist kurz, frühzeitig am Morgen war die, letztere Stadt erreicht. Ihr erster Aliblick erregt keineswegs große Erwartungen, schlecht gepflegte Straßen, vernachlässigte Gebäude, Trümmer uud Schmutz überall. Doch sind die Häuser bei Weitem nicht so nach der Schablone gebaut, wie in Nicolajeff, und manche darunter Präsentiren sich recht stattlich; ill einem solchen fanden wir freundliche Ausnahme und fühlten uns bald heimisch. Ein Vad im Dniepr erfrischte trotz des lauwarmen Wassers hinlänglich zu einem Gang durch die Stadt. Cherfon ist im Jahre 1778 vo»l Potemtin (sprich Patjomkin) gegründet worden lind war anfänglich die Hauptstadt des südlichen Rußlands, aber Odessa und Nieolajeff liefen ihr allmälig den Rang ab, und gegenwärtig steh! sie tief untev der ersteren, dagegen namentlich in Handelsbeziehungen wieder über der zweiten. Sie ist die Hauptstadt des Gouvernements immer noch dem Namen nach, außerdem die des Kreises Cherson, wahrend Odessa keine Kreisstadt ist, wie außer jener noch Ovidiopol, Elisabcthgrad, Tiraspol nud Alerandria, welche die fünf Kreife des Gouvernements repräscntiren; ebenso ist Chcison der Sitz des obersten Gerichtshofs. Seine Bevölkerung beläuft sick auf 30 - bis 40,000 Einwohner. Der Handelsverkehr ist bedeutend; diesen Eindruck empfängt man, je mehr mail sich dem Herzen der Stadt und dem Haien nähert. Hier herrscht stets eine rege Lebendigkeit; man bemerkt besonders viele Juden und Tartaren. Die Magazine sind unansehnlich; der Kaufhof, den eine jede größere russische Ha mm, Steppe» »nd Etädlc. 14 210 Stadt besitzt, befindet sich in dem griechischen Viertel, wo die an-geseheneren Kaufleute wohnen; in der Soldatcnvorstadt ist die Besatzung einquartiert, ein unbedeutender Ring von Erdwällen unigibt die Stadt und die etwas unansehnliche Citadcllc. Der Hauptspaziergang ist der Stadtgarten, welker aber ziemlich beschränkt und nicht besonders angelegt ist, trotz scincr angenehmen Lage inmitten der Stadt. In ihm erhebt sich das Vronzedenlmal Potemlin's von Falconet: es ist eine der geschmacklosesten Statuen, die ich je gesehen habe, und wetteifert in dieser Hinsicht mit der-- jenigen Richelieu's in Odessa. Der Fürst ist dargestellt im Küraß, aber mit weiten, faltigen Beinkleidern; mit der linken stützt er sich ans's Schwert, in der Rechten hält cr den Fcldhcrrnstab nebe» ihm stcht der Helm anf dem herabgefallencn Mantel. Das Ganze sieht sonderbar aus. Die Inschrift lautet: lic^n^nt« 5tt-«0I20 ?rimc> Omnium Ü,u8«ic»i'uzn Im^oi^torc et ^.utnkrÄtore, Nieliaelo Comite Voiontfiov supi^mat! I^s>v»,6 Iiu88iae ll,tljU6 Vßßßllrabiao l?ud«'!mt« NV> land selbst hergestellt werden könneu, das nncntbehrlichstc Stück jeder HauslMnng, Pflugschare, Messer, Narren; Fäsfer mit Mehl Ilnd Grütze, Hirsen nnd Lein, Ocl, Essig, Degutti und Theer, Flachs, Hanf und ihre Produkte in allen erdenkbaren Gestalten 214 Leder, Schusterarbcit, darunter die berühmten Wasserstiefeln von Charkow, die der Unkundige im Anfang für ein Paar Fcuercimer hält; Knmmerpctze, Tulup's s Schafpelze) und Astvakan; Honig und Wachs, Gebinde mancherlei Gattung, selbst das grobe, unmögliche Papier aus den antediluvicmischeu Mühlen des Innern, stark wie Carton mit tiefen Gruben und scharfem, unregelmäßigem Rand — Alles dies ist hier zn haben. Neben der Planke vom Ufer auf's Schiff steht der bärtige Knecht oder Genosse des Handelsherrn im langen Kaftan, den bunten Gürtel um die Hüften, in frisch geölten Nn'scnstiefeln; die Mütze in der Hand, verbeugt er sich unaufhörlich so tief, daß der ganze Scheitel seines gleichmäßig in der Mitte getheilten üppigen Haarwuchses sichtbar wird, und lädt mit Schmeichclworten die Vorübergehenden ein, hcrbeizu-treten und zu kaufen, was das Herz begehre. Gleich am Eingang des Verdeckhauscs steht das schmale Pult, mit dem Buche des Kaufmanns, auf dem Tisch in der Mitte brodelt unaufhörlich der Samowar, vielleicht sitzt auch eine breite Hansfrau mit reicher Spitzenhanbe dahinter und kredenzt Iedcm, der es verlangt, ein Täßchen des geliebten Thee's. Ringsum in großen flachen Schaalen von Holz, in- und answcnoig vergoldet und mit bunten Malereien geziert, sind Muster von Getreide, Buchweizen, Hirseu, Leinsaat, Hanfsamen ausgestellt; unwillkürlich taucht der Besucher die Hand hinein uud läßt die glänzenden Körner dnrch die Finger rollen; der schlaue Kaufmann merkt sofort, ob ein Geschäft zu machen ist oder nicht, im ersteren Fall holt er eine dunkle Flasche und ein altertümliches Spihglas aus ihrem Versteck und vielen Ohren däncht der Ton des Pfropfens Mnsik, viele Augen fnnkrln und bald gibt es nichts mehr, das nicht gekauft würde. Der Handelsmann ist fast immer ein Großrnsse, er behält also sein ruhiges Vlut, lacht in den Bart und macht seinen Schnitt. Kein anderes Volk besitzt dieses zähe Talent für Schacher und Handel, wie die Großrnssen, zu allem Uebrigen sind sie verdorben. Das Spruch- 215 Wort sagt: „Der Zigeuner macht den Juden, der Grieche über-vorthcilt den Zigeuner, der Armenier prellt den Griechen, aber ein Moskowiter leimt zehn Armcmcv!" Man unterscheidet den Kleinrusscu sofort von dem Großrnsscn, nicht allein am Dialekt, sondern anch an der Tracht, vornehmlich an der Frisur; der Erstere scheert die Haare turz oder ganz und gar ab, bis auf einen Büschel in der Mitte, gleich den alten Germanen und den Moldavanern, auch gestattet ihm die Sitte nicht, vor dem vierzigsten Jahr einen Vart zn tragen, welcher der Stolz des Großrussen ist, sobald er ihn gewonnen hat. In der bunten Menge, die da hin- und herwogt, erblicken wir die stolzen Kosaken in allen möglichen Schat-tirnngen, im bunten, reickverbrämten Kaftan, zur Seite die Weiber mit ihren rothen Hauben u»d die Mädchen mit den buntdurch-flochtenen Zöpfen; wie Königinnen wandeln die Frauen der Altrussen unter der großen halbmondförmigen Haube von Goldstoff, die wie ein blitzendes Diadem aussieht, mit ihren bnntgestickten Miedern, aus welchen das feine weifte Hemd üppig hervorbauscht uud in rothen, schwarz oder blan garnirten Wollenröcke». Dazwischen gelbgesichtige Tartaren mit blanem Kaftan, bunten, weiten Kattunbeinkleidcru, die niedrige Mütze von schwarzem Lämmcrfell auf dem Kopf, sie haben überall etwas zu horchen oder zn handeln und lassen nicht so leicht die Gelegenheit vorbei, einen guten Schick zn machen. Hier dcntsche Colonisten aus der Molotschna, deren kuopflose Röcke sie sofort als Mcnnoniten kenntlich machen, dort russische Soldaten in dem häßlichen grauen Caftot, der ihnen bis aus die Füße reicht; Juden mit dicken Marderpelzmützen trotz der Sommerglntl), unaufhörlich tröpfelt von ihren Korkzieherlocken der Schweiß herab anf die fettglänzenden Kaftane; dort leibeigene Bauern in kattunenen Hemden, einen alten Strohut auf dem Kopf, die Peitsche in der Hand, die mit offenem Mund alle die Wunder anstanncn; bettelnde Zigeunerinnen, deutsche Drehorgelmänncr, die in der ganzm Welt zu finden sind, tnrz Menschen von jedem 216 Schlag, Mer und Geschlecht. Es lohnt sich wohl der Mühe, durch das Gewühl zn drängen, wobei man freilich nnempfindlich sein mnß gegen Berührnngm nnd Anödünstnngen mancherlei Art. Hat der Lodkenbesitzer seine Waaren ansverkallft, so verhandelt er zuletzt noch das Schiff auf den Abbruch, entweder in, Ganzen oder Stück vor Stück. Tief in den Steppen erkennt man an den Löchern der Plöcke die Planken der Duieprbarken in den Wänden der besten Hänser. Der Hauptgegenstand des Handels von Cherson ist das ans hem Dniepr hcrabgcho'ßte Holz; hier ist der Holzhof für das ganze an diesem Material arme Neurußland. Längs des Hafens, nnd weit hinauf am Fluß, sind nngeheure Massen davon aufgehäuft. Die große,: Stämme werden, in Flößen vereinigt, dnrch Schleppdampfer nach den Küstcnhäfen weiter befördert. Nächstdem wird Getreide, Wolle, Talg, Hanf und Flachs hauptsächlich verladen. Vedcntend sind die Wollwäschereien Cherson'Z, welche glänzende Geschäfte machen; im Inneren des Landes fehlt meistens die Gelegenheit, die Wolle auf den Thieren selbst zu waschen; eine von Franzosen errichtete Dampfsägeml'chle hat nicht minder große Erfolge gehabt, mehrere Dampfmahlmühlen sind vorhanden, andere in der Entstehung begriffen. Ein besonderer Handelsartikel der Stadt sind die Melonen nnd Wassermelonen, welche nirgends in der Welt so gut gedeihen, wie in ihrer Umgegend. Hunderte von Vootcn verschiffen dieselben »lach allen Richtungen hin, ungerechnet die zahllosen Pawosken, die damit beladen in'» Innere gehen. Weder in Spanien, noch in Italien, weder in Ungarn noch in Constantinopel findet man diese Früchte von solchem Umfang und Wohlgeschmack, wie hier. Mehrere Monate lang lebt das Volk in Südrußland ausschließlich von ihnen. Bei einer guten Ernte kann man öfters einen ganzen Wagen voll davon für einen Nubel und noch weniger kaufen; dann gemeßt man nnr die besten davon, die übrigen dienen zn Schweinefutter. Es gibt nichts Er- 217 srischenderes, wie eine gut reife, vollsaftige Arbuse (Wassermelone), besonders wenn sie im Eiskeller aufbewahrt gewesen ist, sie ersetzt ans das Neste das schlechte Wasser und fehlt daher während der Zeit der Ncife bei keiner Mahlzeit, sei es auck in der ännsten Hütte. Es gibt unzählige Abarten davon in allen möglichen Formen und Großen, von der eines Apfels bis zu derjenigen eines Riesenlürbisses; man hat deren schon von 40 Psund Schwere gezogen. In der Mitte von cinandergcschnitten zeigt die Wassermelone ein purpurrothes, Miges Fleisch voll süßem aromatischen Saft, worin zahllose schwarte Kerne zerstreut sind, auch diese werden genascht, für die beste Abart hält man aber diejenigen mit gelbem Fleisch und braunen Kernen. Die eigentlichen Melonen die der Dcntschc hier zum Unterschied Zuckermelonen nennt, übertreffen die Arbusen an Gewürz und Nahrhaftigkeit, sind aber nicht so gesund und so erfrischend wie jene. Wenn der russische Vauer ein Brod und cm paar Wassermelonen hat, so bedarf er keines weiteren Proviants nnd wird auch nie mehr auf die Reise mitnehmen. Ein anderer wichtiger Handelszweig der Stadt Cher-son sind Fische. Alle nach Süden fließende Ströme Rußlands sind überaus fischreich, am meisten aber der Dniepr; ebenso ist das schwarze Meer dafür bekannt; die in letzterem vorkommenden Fische steigen in den Limanen und Flüssen weit hinauf; im Dniepr gehen sie bis zu dessen Fällen bei Nikopol. Der gemeinste Fisch ist die Makrele, die in ungeheuren Mengen gefangen, entweder frisch verzehrt, eingesalzcn oder an der Sonne gedörrt wird. Sie wird allgemein als Häring angeschen nnd verkaust, Nächstdem sind die Flußfische Varbe (Notary) und Karausche (Xa,ra«), die gemeinsten, auch diese werden in zahllosen Mengen gedörrt und bilden eine Hauptnahrung des Volks anstatt Fleisch. Letzteres kommt in manchen Haushaltungen der leibeigenen, die von der Herrschaft ernährt werden, höchstens ein oder zweimal im Jahr vor, so daß die Leute gar keinen rechten Geschmack daran finden, 218 dagegen bildet ein gedörrter Fisch, welcher ohne weitere Zubereitung verspeist wird, nach dem Branntwein den wichtigsten Theil der Wochenprovision, die sic alls dem Gntc empfangen. Merkwürdig häufig ist der Stör, ein gewaltiger Kumpan, den man schon bis 30 Fuß lang gefangen hat. Er fehlt niemals anf den Märkten, sein festes mit gellxm Fett durchwachsenes Fleisch ohne Gräten ist derb und nahrhaft, aber unverdaulich. Ganz vortrefflich sind die jungen Siöre von Armslänge bis zu zehn Pfund schwer; ich ziehe sie dein Sterlet vor, welcher für den feinsten Fisch der Welt gilt, besonders seitdem ihm Aleraudcr Dumas in seinem Monte Christo ein so köstliche Monument gesetzt hat. Ucbrigens ist der Sterlet des Dnicvrs, wie ma« sagt, nicht der ächte, der allein in der Wolga vorkommen soll. Wahrhaft nngehener ist der Reichthum der Gewässer an Krebsen, welche ebenfalls eins der allergcwöhnlichsteu Nahrungsmittel sind. Anf allen Märkten sieht man große Hänfen davon in gekochtem Zustand anf der blosen Erde aufgeschüttet. Für einen Kopeken bekommt man mehr davon, als man anf einmal bewältigen kann. Oft habe ich nut Erstannen zugesehen, wic der gemeine Russe mit dieser Kost umspringt, das mühsame Entschälcn ist nicht seiue Sache, er schiebt den Krebs zwischen die Kinnbacken nnd zermalmt ihn, wie er ist mit Stumpf und Stiel. Aus allen diesen Köstlichkeiten der Wasser, nut Zusatz von Quaß, Kräutern, Zwiebeln, Gewürzen nnd Rahm, wird eine eigenthümliche Kalteschaale bereitet, die Vadwinia oder kalte Suppe, die mit Stückeu Eis darin ausgetragen wird, sie ist ein berühmter Leckerbissen, zn dem jedoch ein kräftiger Magen gehört. Znm erstenmal habe ich sie gegessen in dem Adelsclnb zu Ehersou, in welchen ich von Freunden eingeführt ward. In jeder Gouverncmcntsstadt besteht ein solcher als Sammelpunkt der ganzen Corporation zn geselliger Erholung. Der russiche Adel ist eine gciuz eigenthümliche Institution, wesentlich Verschieden von dem Deutschen, überhaupt von demjenigen anderer Länder. Daher 219 ist auch der ä'nßere Unterschied eines russischen Adeligen und eines Nichtadcligen gar kein großer; denn wenn der letztere Talent und Glück hat, kann er es znm Adel bringen. Die Verhältnisse sind einigermaßen verwickelt, wcßhalb sie auch im Ausland noch wenig bekannt sind, oder falsch beurtheilt werden. Mit den Ahuen und der Reinlmt dcr Race uumut man es in Nnßland nickt so genau, trotzdem schliesst sich die Aristokratie nach Kräften ab und wacht eifersüchtig an den Grenzen ihrer Bevorrechtungen. Dahin zahlt sie z. V. die unr ihr gestattete Erwerbnng von Grundbesitz mit Seeleu; ohne die letzteren kann der Bürgerliche 5!and kaufen, so viel er will; mit ihnen bedarf er dcr Darlcihnng eines Namens, was übrigens Alles zu machen ist. Es gibt einen doppelten Adel in Nußland, den Pcrsonaladcl und den Erbadel. Der Erstere, natürlich der minder angesehene, tritt bei Bürgerlichen mit dem Character des Collegienassessors oder der achten Rangklasse im Eivildienst ein, im Militär durch Erreichung des Ossiziergrades. Auch der Erbadel kann crworbeu wcrdcu mit der vierten Classe des Civildienstes, dein wirklichen Staatsrath und dem Obersten-rang im Militär. Dies ist aber eine neuere Vestimmnng, unter Nicolaus verlieh schon der fünste Rang im Civil, der Staatsrath schlechthin, uud dcr Major im Militär den erblichen Adel. Der Kaiser kann denselben auch durch ein Machtwort ertheilen, es geschieht dies nicht oft und ist fast nur Ausländern gegenüber üblich. Ebcu so verleiht dcr Empfang hoher russischer Orden den Erbadel, sie werden aber selten Jemanden ertheilt, der ihn nicht schon besitzt. Ausländischer Adel lM volle Geltung in Nußland, ia sogar fast zuviel, denn er wird gern und ohne besonderen Argwohn anerkannt, wenn er auch etwas zweifelhaft sein mag. Die alten Familien, die Woronzoff, Stroganoff, Gagarin, Vcstnscheff, Tolstoi, Dolgoruki, Kutusoff, Repnin und wie sie Alle heißen, sind allerdings so adelstolz nud erelusio, wie nur die englische Lordschaft immer sein kann, mit ängstlicher Sorgfalt suchen sie. 220 ihren Rang nach jeder Seite hm zu wahren und die Zeichen desselben unl sich zu verbreiten; nichtsdestoweniger siud unter ihnen Mesalliancen, namentlich mit Ausländerinneu, nicht gerade selten. Mit ihnen kämpfen aber, obgleich häusig unterstützt von großem Vesitzthum, vergeblich jene Aristokraten mit tartarischcn oder tscherl'essischen Namen, welche erst eine neuere Zeit aus dcu Schild gehoben hat. Im Laufe der Jahre habcn viele von diesen Namen sich numerklich geändert d. h. rnssisicirt, eine Sitte, welche schon Gogol lächerlich gemacht hat. Alle diese Glieder der hohen Aristokratie blicken mit souveräner Verachtung herab alts die niederen Adelsklassen und gehen viel lieber mit Bürgern um, wie mit ihnen. Besonders wird der gebildete Ausländer von ihnen bevorzugt, und es kann nicht fehlen, daß der glatte Schliff ihres ganzen Wesens ans diesen gewöhnlich einen gewinnenden Eindruck macht. Manchmal aber bricht doch ein Blitz des Sarmatencharac-ters deutlich genug hervor. Der russische Adel bildet eine Corporation, einen Staat im Staat; daß dies mancherlei Ncbelstände im Gefolge hat ist erklärlich und neuerdings iu der Baucrufrage schroff genug hervorgetreten. An der Spitze des Adels steht in jedem Gouvernement ein Adelsmarschall, der anf fünf Jahre gewählt wird. Dies viclbegehrte Ehrenamt verleiht hohes Ansehen und den Titel Grcellenz oder Generalrang. Dic Corporation besitzt verschiedene Rechte, die sich aber außer der Repräsentation nicht über ihren Bezirk Hinalls erstrecken, so z. B. das der Wahl verschiedener höherer Beamten. Die Adclsversammlungcn finden gewöhnlich in jedem Gouvernement zweimal im Jahre statt, können aber auch, wenn nöthig, öfter allsgeschrieben werden; sic werden nnr vo>l den Grundbesitzern und dein höheren Adel bcsncht, cm eigener Beamte ist zur sorgfältigen Führung der Adelslistcn und zur Prüfnng der Titel angestellt. — Ohne Frage ruht im russischen Adel der Schwerpunkt der Bildung und der Macht des Reiches. Vr ist der entschieden bevorzugte Stand, gegeil den lein 221 anderer anzukämpfen vermag. Er ist aber auch numerisch im Vortheil, dcnn es gibt in Rußland mehr Adelige, wie Bürger und das mag bei der Werthmessuug des russischen Adels mit iu die Wagschaale geworfen werden. Gewöhnlich ist der Adelsclnb (Gemeingut oder Actienunte^ nehmen der Korporation des Bezirks; so hier in Cherson. Gin reicher Edelmann hat das Hans dazn hingegeben, ein Oekonom ist angestellt, der die Wirthschaft besorgt, die Einrichtung der Convcrsationssäle uild Spielzimnier ist geschmackvoll, ohne gerade glänzend zu sein. Das Lesezimmer ist der vernachlässigtstc Theil, es sind darin nur ein paar rnssische Zeitnligen zu fiudeu. Jeder Adelsclub hält streng auf seine Absonderung; von dem Tschin (der Vllreautratie) ist es eigentlich nur die siebente Classe, die der Hofräthc, die letzte, die mit einigem Anstand sich zur Theilnahme berechtigt halten darf. Die Hauptunlerhaltung ist, wie bekannt, das Spiel, uud zwar ein Spiel, wie es nur ill Nußland vor-kommen kann, Einen sehr unschuldigen Beitrag dazu kann ich aus eigener Erfahrung mittheilen. Ein sehr liebeuswürdiger, lunger Edelmann mit deutschem Namen proponirte mir eine Partie Villard; ich nahm sie an, frug aber glücklicherweise „nm welchen Satz?" — „Nnn, nin den gewöhnlichen." -- „Und wie hoch ist der gewöhnliche Sah?" — „Huudert Nubel." — Verbindlich dankend legte ich meine Queue alls die Tafel. Aber wir spiciteu dennoch nnd zwar um Nichts. Daß der Champagner in Strömen stoß, braucht wohl kaum erwähnt zn werden, der rnssische Adel kennt ja keinen andern Wein. Es war eim- lustige Nacht; ich werde ihrer lange gedenken. Zn einem der Herrn am Spieltisch trat plötzlich ein Diener und flüsterte ihm einige Worte in's Ohr. Er sprang in die Höhe uud ein grauer Schalteil lief über sein Gesicht, Die Heuschrecken waren gekommen nnd hatten scine ganze Ernte vernichtet -~ uud diese Ernte hatte er soeben im Voraus verspielt. Einerlei, Champagner her, es gilt die nächstjährige Ernte! 222 XI. Tie deutschen Ansiedler in Neurußland. Zwar ist es bekannt, daß in Nußland eine Menge von Deutschen angesiedelt lebt, aber die Ausdehnung, in der dies stattfindet, die Verhältnisse und näheren Zustände der Kolonisten sind bis jetzt, trotz vortrefflicher Berichte über einzelne Gegenden, noch nicht zur allgemeineren Kenntniß gelangt, wie es ohne Zweifel wünschenswert!) ist. Namentlich fehlt es an speciellen Angaben über die Lage der deutsch-russischen Colouieeu in der Gegenwart. Ueber das ganze ungeheuere Neich, von Aräiangcl am wcisien Meer an bis herab nach Astrachan am Kaspisec nnd tics hinein in den Kautasus, in Grusicn, leben überall Deutscbe, mehr oder weniger zerstreut, gewöhnlich jedoch in eigenen Dörfcru beisammen. Das Talent des Germanen, sich allerorts einzuleben, ist höchst merkwürdig, nnd kein anderes Volk besitzt es in gleichem Grad. Uebcrall in der Welt, man mag hinkommen, wohin man will, findet man einen Deutschen, obgleich es manchmal fast unbegreiflich erscheint, welcher Wind ihn daher geweht haben tonnte. Ich will aus vielen nur ein Beispiel anführen, welches zugleich bestätigen mag, daß an Seltsamkeit der Lcbcusläufc kein anderer ^öltcrstamm mit uns sich messen kann. Eines Tages fnhr ich mit meinem Tartaren Tschcreiuct auf der Steppe dahin zwischen Nowo Mor-kowsk und Constantinogrod. Menschen und Thiere waren der 223 Erfrischung bedürftig und höchst willkommen daher das schon aus der Ferne winkende Wahrzeichen der Stange eines Traktyrs. Ganz einsam, meilenweit von jeder anderen Ansiedlung, erhob sich das, wie es schien, eben erst vollendete Gebände mit seinem großen Sarai,*) wie ans dem Boden gewachsen, Nls wir hielten, trat daraus hervor ein Mann in einer Kleidnng, dcrcn Nachlässigkeit gar keine Beschreibung zugibt, warf einen Vlick auf mich und sagte: „Guten Morgen!" Da ich ihm vor Verwunderung nicht antwortete, wandte er sich au meinen Kutscher in dem geläufigsten Tartarisch. Nach meinem Gintritt in die Schenke wurden wir rasch bekannt. „Das hat nubt über meiner Wiege gestanden," sagte er zn mir mit einem heiseren Pathos, „daß ich dermaleinst hier eine Fnhrmannswirthschast führen würde. Wir waren Künstler und oft hab' ich au einem Abend lausende gewonnen; jetzt ist man froh, wenn man das liebe Leben durchbringt. Amalia," rief er, komm' doch herails, Du brauchst Dich nicht zu gcnircn, hier ist ein Landsmann!" — Amalia, die Gattin, genirte sich auch uicht und kam aus dem Nebenzimmer, bekleidet blos mit zwei Stücken, die noch überdies sehr lose um ihren Körper hingen. Sie bewill-kommte den Landsmann ganz frcnndlich und er ward eingeladen, den Thee mit ihnen zu trinken. Das Zimmer hatte durchaus den russischcu Anstrich, in der Ecke die mit Vlumcn umkränzten Heiligenbilder, das Lämpchen davor, an dcu Wänden grellbunte Spruchbilder, das alleveinfachste Gcrälhe nach inländischer Art. Von deutschen Grinnernngrn bemerkte man nichts, wenn man dahin nicht sieben Stück Violinen rechnen wollte, die seltsamer Weise nebeneinander hingen. Der würdige Wilth heißt Blumenkranz und stammt aus holländisch Preußen, seine Frau aus Krcuznach. Beide hatten hier den Hafen gefunden nach einem wilden Aben-tcurerlcbeu; ihre Künstlcrschaft hatte sie mit einem Panorama nach ») Von Schuppen umgebener Hof, zum Uebernachten der Fuhrwerke. 224 Nnßland geführt, dann ging der Mann zn dein höheren Fach eines Jongleurs libcr und ward znletzt Kunstreiterdircetor. ^)tach seiner Versicherimg gewann er als solcher sehr viel, mußte das Meiste davon aber wieder zusetzeil bei den großen Wanderungen, welche von einem Einnahmeplatz zmn andern nöthig waren. Er sprach so ziemlich alle Sprachen Europa's, das Rnssische vollkommen. Nachdem die älteste Tochter des wandelnden Hauses mit dem Bajazzo und einem Theil der Kasse einen Ansflng nach Amerika unternommen hatte, beschloß der gekränkte Vater sich in die Stille des Privatlebens zurückzuziehen und errichtete mit dem Nest seiner Habe die einsame Steppenscheuke. „Es geht mir gut," sagte er, „denn ich weiß die Leute zn behandle», Jeden nach seiner Art, wer Grobheiten will, bekommt sie nnd Höflichkeit kostet nichts. Aber ich wollte doch, ich wäre wieder in Dentschland, in Krenz-nach, wo meine Fvau Antheil an zweien Häusern besitzt. Aber mau kommt aus diesem Lande nicht mehr fort," seufzte er. Das ist anch der ewige Refrain aller Deutschen, die noch uicht Wurzel geschlagen haben, deren Vaterlandswahl noch schwankend ist. Mit Fleiß habe ich meinem Bericht das Vild eines Einzelansiedlers ans eigene Fanst, eines zur Nnhe gesetzten Umherzüg-lers vorausgeschickt, wie deren Dentschland genug liefert, um auch audere Länder damit zu versorgen. Es ist ein Stück der deutscheil Romantik. Durchaus fern stehen dieser die wirklichen deutschen Colonisten in Nnßland, die in geordneten Verhältnissen begonnen nnd fortgearbeitet haben. Der größte Theil von ihnen befindet sich wohl nnd lebt in angenehmen Verhältnissen; von Heimweh nnd sentimentaler Sehnsucht nach dem alten Vaterlandc ist nirgends eine Cpnr zn finden; anfnchtig gesagt, die Mehrzahl von ihnen weiß nichts mehr von Dentschland, null aber anch nichts meyr davon wissen; ihre Gedanken, ihre Vorstellnngen, ihre Znkunfts-tränme, Alles ist rnssisch, wenn sie auch deutsch denken nnd redeil. Zum Theil ist es anch schon die zweite Generation, die den Stamm 225 dor Colonistcn bildet. Viele wollen die Bemerkung gemacht haben, daß dieselbe in sittlicher Hinsicht der ersten schon bedeutend nachstehe; ich erlaube nur darüber tei» Urtheil, aber die Berichte der Schulzenämter verneinen es mit Zahlen in der Hand, und denen muß man glauben. Von den Coloniccu im südlichen Nußland haben Harthausen und Kohl schon erzählt, und ihreu Schilderungen darf im Wesentlichen das Zeuguiß der Treue und Wahrhaftigkeit ertheilt werden. Da es mir jedoch in Folge besonderer Verhältnisse vergönnt war, tiefere Blicke, wie Andere, in die Zustände der deutschen Coloniecn zu werfen, so glaube ich noch hinter Jenen eiue interessautc Nachlese halten zu können, die sich vorzugsweise auf statistische Daten erstrecken wird, weil ich diese gerade für am geeignetsten erachte, das richtige Vild von ciucm derartigen Gegenstände zu geben. Deutsche Colonicen fiudcu sich im gauzcu südlichen Nußland, theils diasporisch, theils ill Gemeinden zusammen vereinigt. Im Osten folgen sie dem Laufe der Wolga, und sind besonders in der Umgegend von Sarepta zahlreich, im Süden erstrecken sie sich bis Tislis. Ich beschränte mich hier jedoch darauf, die bcvölkertsten deutschen Coloniedistricte in Neunißlaud, also in den Gouvernements Chcrson, Vessarabien, Ickaterinoslaw und Tannen in das Vereich meiner Mittheilungen zu ziehen. Nach der Zähluug am Ende des Jahres 1858 betrug die christliche Bevölkerung der deutschen Colonieen in den genannten Gouveruements 136,823 Seelen, darunter 69,598 männliche uud «7,225 weidliche; hierunter sind aber einbegriffen acht diasvorische Vulgarencolonieen untcr der gleiche« Verwaltung mit 10,715 Gin-Wohnern, 5563 Männern, 5152 Weibern. Die Zahl der Gemeinden beträgt 214 und zwar im Gouvernement Chcrson 46, in Ickaterinoslaw 53, in Taurien «0, in Vessarabien 25. In letzterem Landstrich finden sich außerdem noch 43 Vulgarencolonieen mit 49,080 Einwohnern. Diese gehören der orthodoxen griechischen Hllmm, Steppen und Städte. 15 226 Religion an, stehen also nnter der Staatskirche. Die deutschen Colomcen besitzen hingegen ihre eigenen Kirchenverwaltnngcn. Der rölnisch - katholischen Neligion geboren 40 Colonieen an nüt 13 Kirchspielen. Die evangelisch - lutherischen Vekenncr bilden die Mehrzahl in !13 Colonicen, dieselben zerfallen in zwei Probstbc-zirke, Cherson uüt Vessarabicn, Tanrien mit Iekaterinoslaw, der erstere mit 13, der letztere mit 6 Kirchspielen. Die Evangelisch-Neformirten bildeil nm' 2 Gemeinden, Ddessa nnd Chabag in Vessavabien. Besonders zahlreich sind hingegen dic Mcunoniteu, 74 Colonieen in 4 Kirchspielen nnd anfterdem nüt Seclsorgen-ältesten, zn ihnen zählen auch die Hntter'schen Vrnder, die im Einzelnen von der ^'ehrc des Menno Simonis abweichen. Gndlich gibt es anch noch 5 Colonicen Separatisten, eine in Cherson, vier in Tainien, uüt eigenen Seelsorgern. Diese letzteren sind gegriin-det worden von Wnrttenibcrgcrn, einem kleinen Theil des großen Answandercvzugs, der im Jahr 1^17 ans Snddentschland nach Südrußland zog. Er bestand ans 1400 Familien, größtenthcils aus der Umgegend von Stuttgart, Oßlingcn, Freudcnstadt u, s. w. Sie gehörten fast Allc zn der nlystischen Sekte der Zioniteu, ^velchc die Apokalypse dcntctelt und das tausendjährige Neich erwarteten. Von jencn 1400 kamen ctiva nur 5W Familien im Land ihrer Vestinunnng an; ^icle hatten sich nntcrwcgs zcrstrent, noch mehr waren den Strapatzcn der sitcise erlegen; dic meisten starben in der Quarantäne vor Ismail an einer bösartigen Scnche, der 1200 Menschen binnen 14 Tagen zmn Opfer fielen. Von den Angekommenen wandten sich 400 Familien, vereint mit 100 Familien älterer Colonisten, über den Kaukasns nach Grusicn und gründeten hier die Colonieen Ncu-Tifiis, Alcrandcrdorf, PaterZ-dorf, Helcnendorf n. s. w.; ungefähr 100 Familien sehten sich im Chcrson'scheu und bildeten die Colouie Hoffnungsthal; aus ihr gingen die 4 Filiale in Tauricn hervor. Neben den christlichen Colomstcn gibt es aber auch noch 227 deutsche Hcbräercolouic«» in den GouvcrucmcntZ Chersoil uild Iekaterinoslaw, deren Anzahl im ersteren 20, im letzteren 11 beträgt. Ihre Bevölkerung belauft sich auf 25,938 Einwohner, darunter 14,218 männlichen und 11,725 weiblichen Geschlechts; das Mißvcrhältniß der Geschlechter ist hier besonders auffallend. Die gcsammtc Colonicenbcvölkernng des bezeichneten Gebiets beträgt demnach 211,836 Einwohner. Die am stärksten bevölkerte Gemeinde ist Großliebenthal im Chersoner Gouvernement, ^dcssaer Kreis, Liebenthaler Gebiet, mit 2574 Einwohnern, l 300 Männern, 1274 Weibern. Die kleinste Gemeinde ist Herzcnberg im Gou vcrnemcnt Taurien, Melitopolischer Kreis, ,^nrichtha!er Gebiet, mit 22 Einwohnern, i» männlichen, 13 weiblichen. A,l Ar«l besitzen die Colonicen zusannnen 1,820,976 Dessä-tinen oder 4,331,U04 pvenßischc Morgen, davon fallen mit Ausschluß der Bulgaren und Hebräenoloniecu anf die Gouvcrncmcilts Chcrson 247,586 Dessätiuen, Ickaterinoslaw 104,142, Tauneu 194,856, Vess.nabien 135,137, zusammen 6«1,723 Dessätincn; auf die bessarabischm Äulgareneolonieen 284,302, auf die Hebräer-colonicen 116,!)51 Dessätincn. Allsfallend ist hierbei die Landes-auantität der bnlgavischen Coloilieen, welche sämmtlich vorzugsweise mehr Viehzucht treiben. So besitzt Großbnjalik im (5herscner Vulgareugediet 17,707 Dessätilleil auf 2212 Einwchuer, wollach 8 Dessätinen auf den Kopf konnneu. Im Durchschnitt fallen alls den Kopf der Colonistenbcvölkcruug 5,11 Dcssätmen oder 20 Morgen. Die Anzahl der Häuser in sämmtlichen Cotoniecn beträgt 25,112; davon falten ans Kherson «340, Icwtermoslaw 2750, Taurien 7570, Vessarabicn 6143, die Hcbräereolouiccn 2309» Es kommt demnach ein Haus ans 8,4 3 Köpfe. Die Schulkmdcr-zahl beträgt 25,165; im Durchschnitt also fast geuan auf jcdcs Hauö ein Kiud, welches die Schule besucht. Das Verhältniß ist aber iu den cmzelncu Bezirken ein sehr verschiedenes: Cherson zählt 7489, Iekatemwslaw 4215, Taurien 11,9!»8, das Hebräer 15^ 228 gebiet 1013, das Vulgarengebiet nur 450 Schulkinder (in 20 Schulen!). Die Deutschen stehen in dieser Hinsicht voran, bei den Bulgaren kommen auf 6143 Häuser und 49,080 Einwohner nur 450 Kinder zur Schnlc, in dM Hebräcrcoloniccn fällt anf zwei Hänser noch nicht ganz ein Schnlkind. Nach den Ginzel-bezirken stellt sich das Verhältniß folgendermaßen: in Taurien kommen ans das Haus 1,58, in Iekatcrinoslaw 1,53, in Chcrson 1,18, in den Hebräercolonicen 0,43, im Vnlgarengebiet 0,073 Schnlkinder. Die Mehrzahl der deutschen Colonisten stannnt aus dem südlichen Dcntsckland, aus Württemberg nnd Vaden, sodann ans Bayern, Hessen, Sachsen, letzteres hat nnr ein geringes Contingent gestellt; ein größeres Ost- nnd Westpreußcn, aus Pommern kamen die sogenannten Schweden; die Clsässer haben die einzigen Coloniecn mit französischen Namen gegründet ^I^iü-oollamix'no^l! I. nnd II., ^.i-oi», Vrionil«). Eine Anzahl von Schweizern hat sich im Znrichthalcr Gebiet angesiedelt. Die Mcnnonitcn der Molotschna stammen ans der Danzigcr Niedcrnng. In viele Coloniecn sind von der Negierung aus deutsche Polen nnd leibeigene angesiedelt worden. Die Vnlgaren sind sämmtlich ausgewanderte oder als Gefangene nach Nnßland versetzte türkische Najah'ö. Die Juden stammen ans Ungarn, Galizicn, hauptsächlich aber ans denlsch-polnischcn Provinzen. Die ältesten Colonicen sind die sogenannten schwedischen, Alt-Danzig und Schwcdendorf, sie wurden in, Jahr 1787 gegründet. Die drei nächst alten Coloniecn Iambnrg, Iosevhsthal nnd Nnbalsk datircn ans dem Jahr 1789. Der Einwanderung besonders günstig waren die Jahre 1804, 1809, 1815, 181« und 1817. Die jüngste Colonie ist Klein-Neudorf, Glücksthalcr Gebiet, Tiraspoler Kreis, gegründet im Jahr 1855 von 29 älteren dcntschen Wirthen, welche sich daselbst mit erworbenem Vermögen 1200 Dessätinen eigenes Land angekauft haben. Mehrere jüngere Colonieen datiren vom Jahr 1852. Die ältestm 229 Hebräercolonicen stammen aus dem Jahr 1«07, die jüngsten ans 1848 bis 1850. Wie in Nordamerika, so findet man anch im südlichen Nuß-land wieder die Städtenamcn der alten Heimath anf die jungen Ansiedelungen übertragen. Es ist dies eine gnte nnd schöne Sitte, die gewiß nicht lächerlich gemacht zn werdetl verdient, wie es zuweilen geschieht. Von deutschen Heimathnamen finden wir: Randan, Speyer, zwei Karlsruhe, Worms, Nastadt, München, Cassel, zwei Darmstadt, Stuttgart, Mannheim, Nassan, Durlach, Heidelberg, Hochheim, Teplitz, Leipzig; man weiß da gleich, wcß Landes Kinder die Ansiedler gewesen sind. Wenn aber auch die Namen Straßburg, Selz, Kandel, Baden, Mannheim, Elsaß (sämmtlich im Kutschurgancr Gebiet, Cherson) ganz deutlich auf die Herkunft innerhalb gewisser Grenzen schließen lassen, so ist es doch nicht bei allen der Fall; wir finden z. V. die deutschen Colonienamen Waterloo, Borodino, Beresina, Paris — als Denkmale des deutsch-patriotischen Stolzes aus den Vefrcinngskricgcn. Jedenfalls sind alle diese Ortsnamen besser lind bedeutender, wie die vielen selbsterfundencn mit Thal nnd Dorf, wie Liebenthal, Nosenthal, Glücksdorf, Lnstdorf, Neudorf u. s. w. Diese zeugen voll keiner besonderen Erfindungsgabe; andere, mit dem Namen der russischcu Fürsteufümilic gebildet, sehen aus wie Schmeichelei oder Empfehlung. Die Hebräercolonieen haben alle russische oder polnische Namen, trotzdem die Mehrzahl ihrer Vcwohncr dcntsch ist. Ganz ohne Namen sind noch verschiedene kleine deutsche Ansiedelungen nnd einige Vulgarencolonieen in Vcssarabien. Die innere Verwaltung der dentschen Coloniccn ist eine ganz vortrefflich geregelte nnd läßt dem Selfgovernment mehr Spiel-ranm, wie es noch in vielen Gemeinden Deutschlands besitzt. Jedes Gebiet wird verwaltet von einem Schulzencimt; dieses besteht ans dem Obcrschnlz, den Amtsbeisitzern (ein oder zwei), dem Schriftführer nnd nach Vcdürfniß noch einigen Schulzcnamts- 2:50 Mitgliedern. Sitz und Stimme bci ihren Berathungen hat anch der Vorsitzende des landwirtschaftlichen Vereins, der in keinem Gebiete fehlt. Die Geistlichen haben mit der Gemeindeverwaltung nicht das Geringste zn thnn, selbst die Schnlc ist ihren» speciellen Einfluß cutzogen, doch weiß sich dieser geltend zu machen, und zwar öfters in einer Weise, daß Conflicte zwischen ihnen uud dem Schnlzenamt entstanden sind. Das letztere stellt die Schnllchrer an, die von der Gemeinde besoldet werden und in keiner einzigen fehlen (in den Nulgarengemeinden sind die Geistlichen auch zugleich Schnllehrer), Die Colonistcn genossen und genießen großer Ve-günstignngcn; anßcr dem ihnen cingeränmten Land wird bci der Ansicdlung eine zehnjährige Steuerfreiheit bewilligt, die Abgabelt sind anßcrdem sehr gering, die Leistungen für die Krone und die Verwaltung ebenfalls nicht bedeutend. Eine anthcntischc An-schannng darüber, sowie über die ganze innere Gemeindeverwaltung wird der späterhin mitzutheilende Bericht eines Schnlzen-amtcs geben. Schon beim ersten Anblick zeichnen sich die dcntschcn Coloniecn vor allen übrigen bewohnten Orten dcs Landes sehr vortheilhaft aus. Die Dörfer sind geschlossen, obwohl jedes Hans vom andern hinreichend getrennt ist; meistens haben die Gebäude die Form nud das Ansehen der alten Heimath beibehalten. Ein Gleiches gilt von den Gerathen und der Tracht, an letzterer bleibt der Deutsche mit einer Art von zähem Stolze hangen, trotz dem Klima, der Landessitte und der vcrhältnißmäßig größeren Kostbarkeit der Stoffe. Nur den russischen Schafpelz hat er sich ziemlich allgemein angeeignet. Anders ist es mit der Lebensweise, mit Speise nnd Trank, diese sind, wie kaum anders möglich, zum großen Theil russisch geworden. Der Colonc baut Wassermelonen und Mais, weiß die Zwiebeln nnd den Qnaß zn schätzen, »vie der ächteste Russe, und den Branntwein leider manchmal fast noch besser wie dieser. Die dcnlschen Vornamen werden mit ängstlicher 231 Treue beibehalten, ebenso auch der Dialekt der früheren Hcimath, der sich so wenig verwischt hat, daß sich sofort daraus die Ab-stammnngsgegend errathen läßt; inzwischen mengen sich doch, namentlich bei der jüngeren Generation, russische Worte nud Wendungen in dic Sprache, aber nie in solchem Maß und Mißklang, wie bei dem Englisch-Deutsch der uordamcrikanischcn Ansiedler. Nnssisch sprechen fast Alle, die Jüngeren dnrchgängig, freilich nicht mit besonderer Reinheit, was daher kommen mag, daß Niemand dankbarer dafür ist, wenn mall sich bestrebt, seine Sprache mit ihm zu reden, wie der Russe. Allerdings gibt es auch noch eine Anzahl alter Colonisten, denen es seit dreißig und mehr Jahren durchaus nicht hat gelingen wollen, sich die Sprache ihrer neuen Heimath anzueignen. Man kann sagen: Es geht den deutschen Eolonisten in Südrußland durchschnittlich gut, diel besser jedenfalls, wie es ihnen in der Hcimath gegangen wäre; das Loos eines dcntschen Kleinbauern ist dem ihrigen gegenüber ein armseliges, säst die Hälfte von ihnen kann man wohlhabend nennen; Viele darunter sind reich, Manche sogar sehr reich. Schon Hart-hauscn hat darüber berichtet und del« Millionär Cornicß, ciucn Mennouitcn, als Beispiel angeführt, ein weit größeres, ein fürstliches Vermögen besitzt aber der Eolouist Friedrich Fein in der Molvtschna, von dem schon die Rede war; sein Landbesitz ist größer wie manches Hcrzogthnm. Die Colonisten haben das unberechenbar große Verdienst, znerst die Grnndsätzc eines tüchtigen Ackerbaues nach dem südlichen Rnßlaud verpflanzt zn habcn. Vor ihnen war der Getreidebau gänzlich verwahrlost und cs herrschte die reine Steppcnwirthschaft, die ihr Gewicht in der Viehprodnttion hat, damit den Vodcn aber nur anf das Kläglichste zn verwerthen vermochte. Mit richtigem Blick warfen sie daher ihre ganze Kraft auf dic Vodenlxstellnng; sie führten das Dreifeldersystem ein, gehm aber neuerdings, nach dem Vorgang der Mennonitcn, die überhaupt die tüchtigsten und 232 wohlhabendsten Wirthe find, nach und nach zu einer Pierfelderwirthschaft mit Schwarzbrache über, wozu die immer engere Entgrenzung des jungfräulichen Stcppcnbodcns zwingt. Diese Fruchtfolge lautet gewöhnlich: erstens Brache, zweitens Weizen, drittens Gerste und Hafer; oder erstens Brache, zweitens Gerste oder Hanf, Hirsen, Kartoffeln, drittens Weizen, viertens Roggen und Hafer. Die Düngung der Felder ist bis jetzt allgemein nur unter deu Mcnnonitcn und in der Krim üblich; mit Vorliebe und Berechtigung verwendet man dazu Asche uud bcfiudet sich sehr wohl dabei. Bewässerte Wiesen gibt es nirgends, mit dem Anbau der Futterkräuter hat man bis jetzt nur Versuche gemacht; Tabak wird gebaut in der Krim, in Vessavabicn uud sonst au eiuzclnen Stellen. Es hat sich in der letzten Zeit eine bedeutende Abnahme dieses Betriebszweiges gezeigt, im Jahr 1854 bcschäftigtcu sich damit 1020 Familien, im Jahr 1857 blos 715. Der Weinbau ist am bcdcutcndstcu in Veffarabien, hier zählte man im Jahr 1856 9,707,885, in Chersou 4,579,60«, in Tannen 857,772 Wcin-stöcke der Colomsten; höher wie zu 1 Rubel der Eimer kann der Wein selten verwerthet werden. Deu besten erzeugt die vou Waadtläuderu gegründete Colonic Chabag in Bessarabien, wo der Colonist Tardent sich vorzugsweise um die Cultur verdient gemacht bat. Gartenbau wird nur zum Bedarf, böchstcus in der Nähe vou Odessa auch für deu Markt, betriebeu. Der früher kräftig in die Haud genommene Obstbau geht vou Jahr zu Jahr zurüct, besonders in Folge des nicht zu bewältigenden Ungeziefers. Waldanlagen gibt es bis jetzt uugcfähr 280, alle uur in kleinerem Maßstabe; der lockere Boden, die sengende Sommerhitze und die furchtbaren Schucestürme des Winters stellen den Vaumpflauzuugeu große Schwierigkeiten in den Weg. Die Viehzucht der Colonisten ist nicht unbedeutend, aber bei ihrer hauptsächlichen Ackevwirthschaft doch gering gegenüber derjenigen der russischen Großgütcr in deu Steppen. Im Jahr 1656 233 war folgender Viehbestand vorhanden: Pferde 97,836, Ochsen 63,133, Kühe 96,249, Schaft 929,965 (unter den letzteren sind die Heerden des Fein und anderer Colonistcn, die ans eigenem nicht von der Regierung verliehenem Land geweidet werden, nicht einbegriffen), Zuchthengste gab es 275, Zuchlstierc 803. Der Erlös der Viehzucht war im Jahr 1855: 634,654 Nnbcl; mehr wie im vorhergehenden 72,917 Rubel. Davon fielen auf den Verkauf von Vieh 336,322 Rubel, von Vntter und Käfe 98,684 Rnbel, von Wolle 200,000 Nnbel. Beträchtlichen Schaden hat der Viehzucht der Colonistcn der Krimkrieg gebracht, der überhaupt auf die gcinzen Verhältnisse Sndrußlauds von außerordentlichem Einfluß gewesen ist. Während die Einen unter seiner Geißel litten, gewannen Andere durch Spekulationen und Lieferungen ungeheuere Summen. Unter den Letzteren ist namentlich der schon erwähnte Colonist Fein zu nennen, ein Glückskind, das die russischen Bauern im Vnnde mit dem Teufel glauben. Der Fouragemangel war groß bei der russischen Armee, Niemand glaubte an Einstellung der Feindseligkeiten und das Heu staud in so nngcheuercm Preis, daß Fein, salbst auf die Gefahr hin, seine Schafe nicht durchwintern zu können, seine ganzen Hcuvorräthc au die Krone verkaufte. Kaum war dies geschehen, so trat der Frieden ein, die Verrathe wurden wieder losgeschlagen, er kanfte sein noch nicht von den Slirden hinwcggebrachtcs Heil zu einem Spottpreis wieder zurück und verdiente bei diesem Haudel, ohne jegliche Mühe, 90 Prozent. Da er über 300 Skirden, jede zu oii-on 80 Fuder, Heu gewouueu hatte und das Pnd gegen einen Rubel galt, so kaun man ausrechnen, wie hoch sein Gewinn gewesen sein mag. Während des Krieges zeichneten sich die deutschen Kolonisten durch Opferwilligfeit und große Anhänglichkeit an die Regierung auf das Vortheilhaftcste aus und gewannen damit viel Lob und An-erkennung. Nach Beendigung desselben erhielten 60 bis 80 Schulzen und Colonisten von den« Kaiser Medaillen und goldene Uhren zur 234 Belohnung ihrer Dienste. Zur Krönung desselben nach Moskau wurden ihre Vertreter, Tberschnl^ Kraus aus Großlicbenlhal und Fries aus der Mololschna, speciell eiugeladcil llud dabei mit Ehren überhäuft. Nach dieser Abschweifung zur landwirtschaftlichen Produttion der Colomeen zurückkehrend, sei vorerst der Seidenbau erwähnt. Leider ^vird derselbe bis jetzt noch nicht in der Ausdehnung u>ld Vottkonnncnhcit betrieben, wie dies dem Klima und den gan^cil Verhältnissen nach zu erwarteu wäre. Die Meunoniten steheil auch hier voran und gewinnen am meisten Seide, besonders im Iekaterinoslawschcn und nördlichen Taurien. Ill Vessarabien treiben dic Vulgären Seidenbau; im gauzeu Gouvernement Cherson wird er nur in cincr einzigen Vulgareucolouic gefunden. Verkanft wmdc im Jahr 1855 sür 34,3 Fabriken, außerdem 342 Manufacturwnlstättcn. Die Meisten davon befinde» sich wiederum im Mennonitengebiet, außerdem aber in den bcssarabischcn Vulgarencolonieen Volgrad nnd Kamrad. In jener Zahl sind einbegriffen Tuchfabriken 5, Walkmühlen 35, 23<; Färbereien 41, Käsefabriken 1, Branntweinbrennereien 2, Bierbrauereien 10, Essigfabrikcn 10, Seifensiedereien 8, Lichterfabrilcn 11, Delmühlcn 90, Grützmühlcn 76, Zicgeldrcnncrcien lN, Dach: ziegelbrennereien 1 ('», Kalköfcn 12, Töpfcrwaarenfabrikcn 10, außcr-dcm Scidchaspeln 154; der Productionsbetrag dieser Anstalten beläuft sich auf 000,000 Nubcl jährlich. In dem russischen Ve-richt, dem wir diese Angaben entnehmen, ist wörtlich gesagt: „In Bezug auf die Güte der Fabrik- und Handarbeit gehört der Vorzug unter dem Bauernstände Sndrußlands unstreitig den Colonisten, und nuter diesen wieder den Mennoniten." Jährlich finden in den Colonieen 9 Jahrmärkte und 3<>2 gewöhnliche Märkte statt, deren Umsatz durchschnittlich 300,000 Nnbel beträgt. Beschickt werden dieselben hauptsächlich mit Pferden, Rindvieh, Wolle, Speck, Getreide, Wein, Leder, Töpferwaarcn, Ackerbaugerathen, Leinwand, Schnittwaarcn und Specereien. Znr Gilde gehören 5ß Kolonisten, darunter 43 bessarabischc Vulgären, bloße Handelöconcession besaßen 127, worunter 80 Vulgären. Gasthöfe gab es iil den Colonice» 1855 nur 25 und überdies 6 Traktirc. Der landwirtschaftliche Verein, welcher alle Colonieen mit einander verbindet, ist im Jahr 1851 gegründet worden nnd hat bis jetzt im Ganzen eine peinlich erfreuliche Wirksamkeit entfaltet, wenn es gleich hier anch geht wie im alten Vaterland, wo es die Mehrzahl immer den wenigen energischen Männern des wirklichen Fortschritts überläßt, das Fahrzeug vorwärts zn bringe», so gut es gehen will. Das Organ des Vereins ist das Unterhaltungsblatt für deutsche Ausicdlcr im südlichen Nnßland, das von Collegienrath Schwamberg, dein Inspector des ersten Bezirks im Gouvernement Cherson herausgegeben wivd. Freilich mnß dasselbe noch vielen Stoss ans deutschet! Vlätteru schöpfen, doch hat es anch ganz tüchtige Mitarbeiter nnter den Kolonisten nnd es zeichnen sich besonders die Vorsteher der Hebräercoloniecn 237 als gemüthliche und gewöhnlich anch poetische Schriftsteller aus. Das Blatt ist unter den Kolonisten sehr verbreitet, wie auch der jährlich als Beilage dazu erscheinende Wirthschaftskalender. Der Einfluß der (5olonicen aus ihre Umwohner ist sehr bcdeuteud und erstreckt sich viel weiter, als man glauben sollte. Der russische Bauer hängt so zäh am Alten, wie nur irgend Einer; ist er aber einmal für das Bessere gewonnen, so hat dieses auch keinen fanatischeren Anhänger. Dentsche Geräthe, besonders Wagen und Pflüge verbreiteten sich zuerst, allerdings nur bei den intelligenteren Gutsbesitzern; dann gewann die deutsche Art des Handwerks Boden, wie denn anch überall in ganz Nußland die vorzüglichsten Handwerker der Mehrzahl nach Deutsche find, namentlich die Bäcker, was mir besonders aufgefallen ist; jede noch so kleine russische Stadt weist sicherlich ihren deutscheu Bäcker auf. Alsdann verdankte Südrußland den Colonistcn wichtige An-sichten über die Prodnctionskraft seines Bodens und deren Vcr-wcndling; sie gaben das erste Beispiel der Beschränkung der übermäßigen unprodnctiven Viehzucht, der Ausbreitnng der Schafzucht, an Stelle der uneinträglichen Hncht von Pferden nnd Rindern; sie gingen voran mit der Begründung eines tüchtigen Nckerbanes, lehrten ihre Nachbarn bessere Bodenbestellung, wie sie auch deren Lehrmeister bleiben werden, wenn sie in späteren feiten die bis jeht noch für unversiegbar gehaltene Fruchtbarkeit des Tschernosem anfhört und ein ncncs System der Landwirthschaft verlangt. Mall kann ohne Uebertreibung sagen, erst seitdem die dentsche» Colonieeu in Sndrußland gegrnndet worden sind, ist dieses mächtige Gebiet in die Neihe der prodnetivcn Länder der Welt eingetreten. Diesc Wahrheit wird aber von den Nnssen nur ungern oder gar nicht anerkannt. Die russischen Colonieen bilden einen besonderen Zweig in der Administration des Staats. Die Colomalverwaltung wird geleitet dnrch die in, Jahr l«OU gegründeten Fürsorge-Comitss 238 für die ausländischen Ausicdler im südlichen Nußland; sie stehen unmittelbar unter denl Ministerium der Ncichsdomäncn und sind der Gewalt des Generalgouvernements nicht uittcrtban. Es sind deren zwei, wovon das eine, welches den in meinem Bericht genannten Vezirk Neurußlaud umfaßt, sciuen Sitz in Odessa hat; das zweite Colonialamt ist in Saratow und vcnvaltet die Colo-nieen längs der Wolga am Kaspifec nnd in Kanlasicn. An der Spitze des Fürforgccomit^s steht cm Präsident; in Odessa gegen Wärtig Staatsrath Aleraudcr von Hamm, deutscher Abkunft, ein Mann, dessen ^od ich ans besoildcren Gründe» dem Munde unparteiischer sengen überlassen muß. Das (somitl> bilden vier Abtheilungen: die erste für die Oekouonüe, die zweite für die Conttole; die dritte für die Hebräercolonicen; die vierte znr Schätzung der Ländercien, (^'olonieen und Gewerbe nach dcn Ka-taslcrregcln. Unter besonderer Verwaltung stcheu die transdannbi-schcn Ansiedler der bessarabischcn Vulgaveneolonicen, der lehteren sind es 43; ebenso besteht ein besonderes Fürsorgcamt für die Hebräercolonieen. Aufter dcn ^erwaltnugsbeamten ist iloch cine Anzahl Beamten für besondere Aufträge angestellt, Topographen, Feldmesser, Architekten, Uebcrseher; ferner Aerzte. Das Fürsorgecomite hat zugleich auch das Oberkirchenvorstchcramt in der Verwaltung der öfoummschen Angelegenheiten der evangelisch-lutherischen Colonickirchen im südlichen Rußland, deren einer Probst zu diesem Zweck geistlicher Beisitzer ist. Die Eintheilung der l5olo-niebezirke ist die folgende: I. Gouvernement, ^V. Kreis. 1. Gebiet, u. Gemeinde; also z. V. die Gemeinde ^ustdorf im Licbeuthalcr Gebiet des Odessaer Kreises im Gouvernement Cherson. Außerdem aber sind die Gemeinden wiederum ill besondere Verwaltungsbezirke eingetheilt. Mn jeder solcher Vczirk umfaßt, je nach der Größe, ^!age, den kirchlichen und anderen Verhältnissen, entweder nnr ein Gebiet, vielleicht mit einzelnen Colonicen daneben, oder auch mehrere Gcbictc wie gewöhnlich. So gehören zn dem 23l> erste«: Vez'irk im sthcrsoncr Gouvernement die Gebiete Licbentbal und Kutschnvgan und die einzelne Kolonie l^habag in Vessarabieil, im Ganzen 18 Colomeen. Der größte Verwaltungsbezirk ist derjenige der Molotschna mit 7l! Coloniccn. Für jedcil Bezirk ist ein besonderer Inspector iilstallirl, welcher die Zustände der Colo^ niste» persönlich zu überwachen und die Vcrnnttelnng zwischen ihm'n nnd dmi Finsov^ecomitü zu leiten hat. An das letztere hat das Schnlzenamt eines jeden Gebiets alljährlich einen genauen, sorgfältigen Vevicht über die ganze Lage der Coloniccn abzustatten. Wir schätzen uns glücklich, einen solchen Äericht beifügen zu tonnen, der gewiß das authentischste Vild von den Zuständen der dentschcn Colonicen in Südrnßland geben wird, »nit welchen die> jcnigen vieler Gemeinden des Mnttevlande-.' sich schwerlich werden messen können. Wir glauben sogar, daß man ihn als ein Muster betrachten tan», welches in Deutschland in solchen Kreisen nicht so leicht nachgemacht werden dürfte. Sein Verfasser ist der ^ber-schulz des betreffenden Gebiets, ein schlichter Naner, der aber nelx>n vielen anderen Auszeichnungen das Vand des Annen- nnd des Wladimir-Ordens trägt; denn das muß man der Nlssischen Regierung lassen, kein Verdienst bleibt ihr nnbemerkt nnd ein jedes wird geschäht nnd belohnt. 240 XII. Tic Verhältnisse einer deutschen Colouie in Sndrußland. ^Jahresbericht an dm Präsidenten der deutschen (Moiiiem Staatsrcith von Hannn über die Z»stände des Colonie-Bezirks ^icbenthal im Gonverncincnt Kherson vom Jahre 1658, verfaß! von dem Schulzenamt). Allgemeiner HuZwld. Der Llebeuthalcr Bezirk bcstcht aus elf Coloniecn, von denen sicdcn den pvotcswntischcn lind vicv don römischckatholis^en Glau-I'en bekennen. — In diesen 6f Coloniccn dcfinden sich 811 vollständige Wirthschaften, Revisions-Familien adcr 1527 nnd Seelen: Männliche 6109 Weibliche 5954 Zusammen . . 12 0t! 3 Im Jahre 1858 wnrden geboren: Männliche 271 Weibliche 274 Zusammen . . 545 Gestorben sind: Männliche 132 Weibliche 134 Zusammen . . 266 241 Der Gesundheitszustand der Ansiedler während des Jahres war ein befriedigender, mit Ausnahme der ersten und letzten Monate des Jahres. — In den ersten Monaten herrschte der Keuchhusten fast allgemein nnd in dcu beiden letzten Monaten des Jahres kam die häutige Bräune oder der Croup in verschiedenen Coloniccn und Familien zum Vorschein; der Opfer, die dieser Krankheit erlagen, waren indeß nicht sehr viele. Epidemische oder andere bedentcnde Krankheiten herrschten nicht. — In einzelnen Zweigen betrachtet, stellen sich für den Licbcnthaler Bezirk folgende Resultate heraus, die einen kurzen Ucberblick über den Znstand dieses Bezirkes zum 1. Januar 1«59 gewähren dürften. Läudereien. Die Ansiedler des Liebcnthaler Bezirks be-nutzen zum 1. Januar 1859 folgende Läudereien: 1. Kronslä'udereieu. Q. Von Häusern und Hofplätzen eingenommenes Land .... 486 Dess. 600 Faden d. Kivchcn und Pfarrland . . 460 „ — „ o. Gartenland ..... 1342 „ — „ 6. Weingartcnland .... 953 „ 406 „ 0. Ackerland...... 18017 „ 1473 „ t. Heuflur....... 6906 „ 1404 „ 8. Weideland...... 12500 „ 53 „ k. Unter Wegen nnd Dämmen 2013 „ 177 „ 1. Waldland...... 407 „ — „ Zusammen . . 43105^ Dess. 2. Eigene Ländereien besitzen die Colouisten: a. Ackerland........ 16506 Dess. d. Waldung........ 32'/2 „ e. Das dem ganzen Bezirke gehörende Schäfereiland...... 537 „ Zusammen . . 17075^ Dess. Hamm, Steppen m>d Stad«. 16 242 3. Uebcrdieß haben die Colonisten von verschiedenen Landeseinwohnern und Gutsbesitzern Land gepachtet 27,740 Dess. In Allem benutzen die Colonisten 67,921'/2 Dcss. Für die in mieth-weiser Vellutzung der Colonistcu befindlichen 27,740 Dcss. Land bezahlen dieselben die jährliche Pachtsummc von 78,211 Rubel 95 Kopeken. Tie Preise für Micthland werden mit jedem Jahre höher, so daß es der unbemittelten Klasse wirklich schwer wird, die hohen Pachtvrcisc zn erschwingen. Nur in sehr großer Entfernung vom Bezirke ist Land um mäßige Preise zu miethen, in der Nähe des Bezirks aber zehrt der hohe Pachtzins dcn Nutzen, den der Landmann ziehen könnte, beinahe auf. — Aus diesen Ursachen wird auch in Zukunft die Landwirthschaft beschränkt werden müssen. Abgaben uud Steuern, An Abgaben, Kronsschulden und Gemeindesteuern hatte der Liebenthaler Bezirk im Jahre 1858 zn entrichten: . Nub.S. Kop. 1. Kronsabgaben......19916 18 2. Laudesgebühren......3610 40^ 3. Steuern für die Kolonial-Verwalwng 1200 96 4. Kronsschulden...... 5671 43'/4 Zusammen . ."^0398 98^ Gemeindesteuern wurden entrichtet: Nub.S. Kop. 1. Für die Geistlichkeit .... 660 89^ 2. Znr Unterhaltung der Inspeetions- Kanzlei........ 142 73 3. Zur Besoldung der Vezirksältestcn 246 9 4. Zum Gehalte der Dorföältestcn . 368 20^ 5. Für die Vezirlsschrcibcr ... 521 93 6. Für die Gcmeindeschreiber . . 1562 38^ 7. Für die Sendboten des Bezirksamtes 608 51 8. Für die Vütteln, Feld- u. Waldhüter 1078 15^ 9. Für die Hirten......6344 10 10. Für die Schullehrer . . - . 2094 30'/, 243 Nub.S. Kop. 11. Zur Verbesserung der Viehzucht . 171 35^ 12. Zur Versicherung der Häuser iu der Brandkasse.......2026 32^ 13. Zur Tilgung der Schuld der Gemeinde Ioachimsthal in der Vrandkasse . 304 21 14. Zur Unterhaltung der gemeinschaftlichen Gebäude...... 117 52 15. Zur Uuterstübun.^ ci»ies durch «Brand Veruuglückteu iu Güldcndorf . . 100 — Zusammen . . 16548 71^/Z Nicht nur alle Eteuern uud Abgaben sind rückstandslos eingegangen, soudcru es siud auch auf Rechnung der Abgaben für's Jahr 1859 zum Voraus abgetragen 48Zl> Rubel 17'/; Kopeken. In dieser Hinsicht wird der Liebenthaler Vezirk den besten deutschen Ansiedlungcn kanm nachstehen. Wenn man dedenkt, daß im Aufang der vierziger Jahre der Liel'eutbaler Bezirk auf jede Art und Weise verschuldet war und jetzt seine Abgaben und Gebühren regelmäßig uud pünktlich ohne Zwang entrichtet, so muß man gesteheu, daß in dieser Hinsicht ciu bemerkenswerther Schritt zum Guten geschehen ist. Frohuen und Neiheleistuugen. Im Jahre 1858 wurden Reihenfuhrcn gestellt: 1. Zur Ncise in Dienstangelegenheiten . 393 Fnhren 2. Für Militär........45 „ 3. Für Arrestanten nach den Etappen . 934 „ In Allem . .1372 Fuhren, Weniger als im Jahre 1857: 1119 Fuhren. — Arbeiter wurden gestellt: Zu Pferd 307 Zu Fuß 1115 Zusammen . . 1422 1«* 244 Alle Neihcleistungen haben die Colomsten gekostet 2443 Nub. 10 Kop. Im Verhältniß gegen frühere Jahre waren im letzt-vergangenen Jahre nnr wenig Rciheleistungen zu verrichten, so daß die Kosten auf eine männliche Nevisionsseelc nnr 41 Nudel Silber betragen. — Quartiere für Militär wurden eingeräumt: 3523. Gegen frühere Jahre fehr wenig nnd noch 20438 weniger als im Jahre 1857. Pachtartikcl und deren Einkünfte. 1. Die Einkünfte von Gegenständen, die in Pacht abgegeben, sind im Jahr 1858 regelmäßig eingegangen; mit Ausnahme der unten erwähnten Gemeindepachtartikel befinden sich überhaupt in Pacht 7 Objecte. Dieselben hätten im Jahre 1856 Pacht einbringen sollen 3276 Nudel 82 Kopeken, haben aber nnr 2475 Rub. 90 Kop. eingetragen, weil ursächlich der Wiederverpackung der Fischfänge im Dnistcr-Flusse bei Franzfeld und im Meere bei Lustdovf die Pacht erst im Jahre 1859 fällig wird. 2. Pachtartikel, die unter wirthschaftlicher Verwaltung der Schulzenämtcr stehen, zählte es im Jahr 1858: 28. Im Laufe des Jahres 1858 wnrden aufgehoben: 2, so daß sich znm Jahre 1859 noch befinden in Packt: 26. — Die zwei Pachtartikel: der Fischfang im Damme bei Pctcrsthal nnd die Restauration in Pctersthal mußten deßhalb aufgehoben werden, weil sie im Jahr 1856 Niemand in Pachtuug uahm. Die im Jahre 1858 veräußerten Pachtartikel haben eine Einnahme abgegeben von 1766 Nub. 99 Kop. — Alle Pachtgelder sind regelmäßig eingegangen und zu den nöthigen Zwecken verwendet worden. — Fremde Personen nnd Dienstboten. Im Jahr 1858 waren in der Colonic des Licbenthaler Bezirks fremde Personen alts anderen Ständen wohnhaft: 245 1. Immerwährend: n,. Alisländer .... 17 d. Bürger..... 1 o. Verabschiedete Soldaten 3 ä. Bauern..... 5 Zusammen . . 26 Diese beschäftigten sich mit Gewerben. 2. Zeitlich waren anwesend: a. Adelige und Beamte . 25 d. Ausländer .... 17 e. Kaufleute..... 43 ä. Bürger..... 6 6. Verabschiedete Soldaten 19 f. Unadclige..... 38 ß. Bauern..... 302 Znsammen . . 449 Diese Personen haben keine besondere Beschäftigung in den Colo-mcen, sondern sind entweder solche, die die Wasserheilanstalten in dcn Colonieen Groß- und Klein-Liebcnthal oder das Meerbad bei Lustdorf besuchen oder aber als Knecht bei den Colonisten oder als Taglöhner in der Heu- und Getreideernte arbeiten. Die Badeanstalten in Großliebenthal und Klcmliebcnthal und die Lage der Colouic Lustdorf beim schwarzen Mccrc gewähren den erwähnten Colonieen manche Vortheile durch Vermiethung von Häusern an Fremde und durch den vorthcilhaftcn Verkauf vou Lcbeusmitteln; auch ist anzunehmen, daß die Sitten der Ansiedler durch diesen mehr oder weniger bedentendcn Fremdenbcsnch geläutert werden. Andernthcils wird aber durch diese Fre»nden auch Manches in's Dorf gebracht, das nicht zum Vortheil ist. Unter andern die Kleiderpracht, die in Städten so gebräuchliche Entheiligung der Sonn- und Feiertage, Tanz und Musik gerade auf diese Tage, 246 und dergleichen mehr, so daß die Einnahme, die die Colonisten beziehen, dlivch diese letzteren Uebelständc aufgewogen wird. Hinsichtlich der Dienstboten geht es im Liebenthaler Bezirke, wie an vielen anderen Orten. Es ist viel Klagens. Nicht nur, daß dic ^öhnc sich jedes Jahr verstärken nnd erhöhen, sondern die Dienstboten werden mit jedem Jahre anspruchsvoller. In vielen Fällen tragen anch die Vrodherren einen großen Theil der Schnld. Nur ein Gntes hat der Liebenthalcr Bezirk in dieser Hinsicht auszuweisen, näuilick eine Verordnung über das gegenseitige Verhalten beim Alistritt von Dienstboten vor der zwischen ihnen nnd ihren Dienstherren verabredeten Zeit. Tritt ein Dienstbote vor Ablauf der verabredeten Daner des Dienstes ohne wichtige Ursache alls dem Dienst, so erhält er die Bezahlung nach einer bcispiclmäßigen Vcrcchnnng, so daß die Nintermonate, die fur den Landmann die arbeitslosen sind, weit geringer berechnet werden, als die Sommermonate, vornehmlich werden die Erntemonate am höchsten gerechnet. Dieses Mittel hält viele Dienstboten vo» dem Anstritt vor der festgesetzten Zeit ab. Daqegen ist aber der Dienstherr, wenn er einen Knecht oder eine Magd vor Ablanf der verabredeten Dienstzeit wegschickt, verbunden, dem Wegznschickcnden den ^ohn auf alle Monate gleichmäßig anszuzahleu. Hierdurch ist nun bezweckt, daß auch Niemand einen Kuccht oder eine Magd vor Ablauf der Dienst-daucr entläßt, denn die Sommermonate haben für den kandmann gegenüber den Wintermonaten einen vierfachen Werth. Ueber dies Alles aber werden die gegenseitigen Rechnungen zwischen Vrodherren und Dienstboten immer auf dem betreffenden örtlichen Schnlzenamte ausgeglichen, so daß die Interessen beider Theile sicher gestellt sind. Dessenungeachtet aber liegt die Zeit noch in weiter Ferne, wo in dieser Hinsicht keine Klagen mehr erhoben zu werden brauchen. Willkürliche Handllingen kommen indeß nicht mehr vor, nur ein bcdancrlicher Fall ereignete sich im Jahre 1858 im Großliebenthaler Schnlzenamte betreffs zweier Tagelöhner, die 247 ihren verdienten Lohn nicht erhalten haben, wodurch eine bedeutende Zwistigkcit zwischen den Aemtern entstand, die aber noch der Entscheidung und völligen Aufklärung harrt. Waisen und Vormundschaften. Zum 1. Januar 1859 befinden sich im ^iebenthaler Bezirke Vormundschaften: Ueber nnmündige Waiscu . . . . 286 Ueber Unsittliche uud Zahlungsunfähige 19 Zusammen . . 305 Unter diesen Vormundschaften befinden fich: Waisen beiderlei Geschlechts ... 647 Unsittliche und Zahlungsunfähige . 19 Zusammen . . 666 Pcrs. Die Waisen des Liebeuthaler Bezirkes besitzen znm I.Iauuar 1859 folgendes Vermögen: Nnb.S. Koft. a. In Billetm der Kreditanstalten . . . 5000 — d. In der gemeinschaftlichen Waiscnkassc und bei Privatpersonen in Güldeudorf stehend 111,640 28'/^ c. Sonstiges Vermögen der Colonieen . . 40,105 2^ Zusammen . . 156,745 30^ Es trifft also auf jedeWaise im Durchschnitte 242 Nb. 26^ Kp. Diese Summe ist zwar nicht sehr groß, aber doch immcrhiu bedeutend. Nicht groß ist diese Summe, wcun man sie für sich betrachtet, aber schwerlich dürfte im Durchschnitte auf jede andere Seele im Bezirke so viel kommen als nach obigem Ausweis auf eine Waise trifft, und deßhalb ist diese Summe doch bedeutend.—-Was die Waisen nnd deren Vermögen aubelangt, so ist für dieselben der Art gesorgt, daß sich der Liebenthaler Bezirk mit jedem andern wird messen tonnen und schwerlich wird ein Bezirk schönere Resultate für seine Waisen vorzulegen haben, als,der Nebenthalcr Bezirk. 248 Im Liebcnthaler Bezirk besteht eine gemeinschaftliche Waisen-lasse; diese Kasse wird durch zwci dazu alls Lebenszeit erwählte Männer, die das allgemeine Zutrauen genießen, verwaltet. — In diese Kasse muß alles Waiscnvermögen niedergelegt werden und wächst dort dnrch Zunehmnng von ö'/Z pCt. immerwährend an. Keine Waise kann, so lange nun auch die Waisenkasse besteht, behaupten, oder mit Wahrheit sagen, daß sie um nnr einen Kopeken in dieser Kasse verkürzt worden wäre. Im Gegentheil wird in dieser Kasse jedes Vermögen sorgfältig verwaltet und dafür gesorgt, damit es seiner Zeit der Waise mit reichlichen Zinsen zurückerstattet werden kann. Sobald eine Waise volljährig ist, erbält sie ihr Vermögen vollständig und auf die erste Anforderung hin. Wenn das Vermögen indeß dnrch Vormünder verwaltet wird, kann cine Befriedigung der betreffenden Waise nicht so regelmäßig geschehen, denn will der Vormund das Vermögen, das ihm anvertraut ist, vermehren, so bleibt ihm nichts übrig, als solches an Privatpersonen ausznleihen, geschieht aber dies, so kann er es nicht jede Stunde zurückverlangen, sondern mnß Termine abwarten, so daß die Waise anf ihr Vermögen oder aber das Vermögen auf die Waise warten, wodnrch natürlich der Waise auf jeden Fall Nach? theil erwachsen nuch. Dieses Alles ist bei der Liebenthaler Waisentasse nicht der Fall; sie bezahlt immer auf die erste Anfordcrnng hin baar ans, und die in sie niedergelegten Kapitalien sind so sicher, wie auf irgend einer Stelle. Mit vollem Rechte wird und muß deßhalb diese Anstalt als eine wahre Wohlthat für dic Ansiedler dieses Bezirkes betrachtet werden. Sparkasse. Eng verbunden mit der gemeinschaftlichen Waisenkasse ist die gemeinschaftliche Sparkasse des Liebenthaler Bezirks, Wie die Waisenkasse für die Wais/n, so ist die Sparkasse für die wohlhabendere Klasse des Bezirks eine Wohlthat. Hier kann jeder Colonist sein kleines oder größeres Kapital sicher niederlegen, nnd ebenso wie die Waisenkapitalien sind diese Kapitalien 249 sicher und tragen jährlich 5 Prozente. Weder die Einlage noch die Kündigung solcher Kapitalien wird begrenzt. Diese Kasse genießt nuter den Ansiedlern des Liebellthaler Bezirks so großes Zutrauen, daß die Colonistcn ihre Kapitalien so gerne niederlegen, als ans dem Odessaer Comptoir der Ncichscommerz-Vank. Diese Kasse besitzt zum 1. Iannar 1659 die Summe von 62,556 Nub. 57 V4 Kop. in Umlauf, also mehr als im vergangenen Jahre 16,743 Nub. S. 14^ Kop., was Beweis genug liefert, daß die Ansiedler ihre etwa entbehrlichen Kapitalien in dieser Kasse sicher wissen. Dnrch die beiden Kassen, die Waisen- und Sparkassen ist für die Waisen und die wohlhabenderen Coloinstm hinlänglich gesorgt. Aber, fragt man billig, warum für die Andern nicht auch? Hierauf erhält man die Antwort dnrch Folgendes: Die ländliche Leihbank besteht zwar dem Namen nach im Liebeuthaler Bezirke noch nicht, der That und Wirklichkeit nach aber besteht sie wirklich. Die Kapitalien der Waisen und Sparkassen dürfen nicht stille liegen, wenn sie nicht den Kassen schädlich sein sollen, und werden deßhalb ausgeliehen und zwar unabänderlich zn sechs Prozenten. Sobald nämlich ein Colonist in die Lage kömmt, daß ihm ein kleineres oder größeres Kapital in seiner Wirthschaftsführung oder in seinem Gewerbe oder einem Zweige beider nöthig ist, nimmt er ohne Weiteres seine Zuflucht zur Leihkasse, in der vollen Ueberzeugung, daß er dort nicht wucherische Zinsen zu bezahlen habe, nicht übervortheilt werde. Kein Colonist kann zwar ohne Erlaubniß und Znstimmnug seines örtlichen Schulzenamtes eiu Nnlehen aus der Kasse erhalten, sobald er aber von seinem Schnlzenamte als zuverlässig anerkannt wird, zwei sichere Bürgen über das zu wünschende Anlchen beibringt, wird ihm ein zu diescm Endc gedruckter Schuldschein zn seiner und seiner Bürgen Unterschrift vorgelegt, und sobald solcher unterzeichnet nud vom Schulzenamte beglaubigt ist, wird er an die Leihkasse befördert und von dieser 260 das Anlehen an's respective Schulzenamt zur Aushändigllng au den Betreffenden gesandt. Durch diese Maßregel ist cs dem Unbemittelten möglich gemacht, sich empor zu schwingen, dem Bemittelten aber seinen Wohlstand zu vermehren. Allen ist gedient, keiner hat zn befiirchtcn, einem Wucherer in die Hände zu fallen und unerschwingliche Zinsen entrichten zu müssen, sondern jeder weiß, was seiner wartet. Nnn ist es freilich wahr, daß der Mann, der keine Schulde,, macht, keine zu bezahlen hat und jeder Uneingeweihte wird sagen, das hier Gesagte sei alles gut, nur eins fehle und das sei die Rückzahlung, dadurch könne man die Schuldner zu Gruudc richten. Dies ist wahr!, wer Schulden macht, muß sie, wenn er kein Vankerottmachcr sein will, bezahlen und solche Lentc, die gern leihen und nicht wieder zurückbczahlen wollen, können alt dem Guten einer Aushülse in Gcldnoth keinen Antheil nehmen. Zu Grunde gerichtet wird aber durch die Nückbezahlung von Anlehcu Niemand, und wurde cs auch uoch Niemand. Die Nückbczah-lungen geschehen nicht in zum Voraus bestimmten Zahlungsterminen, sondern richten sich ganz nach den Zeitlagcn und Zeitvcr-hältnissen. Ncgel ist cs erstens, daß keine Schuld größer werden darf, als sie war, deßhalb müssen auch die laufenden sechs Prozente alljährlich bezahlt werden. Zweitens, bei dieser Prozenten-bezahlnng bleibt die Sache bei Mißernten oder andern widrigen, die Ansiedler betreffenden Geschicken, bewenden. Bei guten Jahrgängen, bei reichlichen Ernten aber wird von der Schuld jährlich von 6 bis 10 pCt. Kapital eingezogen, so daß die Schuld jährlich abnimmt, uud endlich ganz aushört, ohne daß der Schuldner auch nur die geringste Bedrückung zn erleiden hätte. Daß es aber jedem Schuldner freigestellt bleibt, seine Schnld auch jeder Zeit theUweise oder auf cimual ganz zu bezahlen, versteht sich von selbst. Durch die Waisenkasse wird also das Vermögen der Waisen, durch die Sparkasse werden die entbehrlichen Kapitalien der Wohlhabcn- 251 deren sicher gestellt, und durch diese Kasse wird wieder dcm ganzen Vczirke die Möglichkeit zur Ausbreitung seines Wohlstandes durch Anleihen zu christlichen Zinsen gewährt. So wirken diese Kassen zusammen und gehen Hand in Hand, so trägt und sti'cht Eines das Andere und so sind wir, Alle vereint, stark, Aus dcm bisher Gesagten ist zu ersehen, daß die Kasse an die Waisen fünf ein halb und die Kapitalisten fünf Prozente alljährlich bezahlt, von den Schnldnern aber sechs Prozente einnimmt. Hierüber nnr kurz noch Folgendes. Vom Waisenvcrmögcn sowohl, als von den bei der Sparkasse angelegten Kapitalien wird cin halbes Prozent zu Vcrwaltnngskosteu, als Gehalt für die Rech-nnngsfnhrcr verwendet; das dann von den Kapitalisten der Sparkasse »och bleibende halbe Prozent aber wird zu einem Fonds bei etwaigem Verluste der Kasse verwendet. Dieser Fonds beträgt zum 1. Januar 1859: Rub.S. Kop. a. In Billeten der Kreditanstalten.... 278. — !,. In Baarem.........722. 9« o. Der Sparkasse znm Zinsanwuchs einverleibt 2013. 20 Zusammen . . 3014. 1(i. Glaubensbekenntnisse. Der Liebcnthaler Bezirk zählt znm 1. Januar 1859 Seelen: Männliche . . 6109. Weibliche . . 5954. Zusammen . . 12063. Davon bekennen sich: a. Zur Griechisch-Russischen Religion: Männliche . . 49. Weibliche . . 84. Zusammen . . 133. 202 d. Zur Evangelisch-Lutherischen: Männliche . . 4059. Weibliche . . 3682. Zusammen . . 7941. c. Znr Evangelisch-Neformirten: Männliche . . 215. Weibliche . . 208. Zusammen . . 423. ä. Zur Römisch-Katholischen: Männliche . . 1786. Weibliche . . 1780. Zusammen . . 3566. Kirchen zählt der Licbcnthaler Bezirk nur 3, Bethäuser 6 und in den Colonieen Lustdorf und Güldcndorf wird der Gottesdienst in den Schulhäusern abgehalten. Kirchspiele bestehen im Liebenthalcr Bezirke 5. Alle, mit Ausnahme von Franzfcld, sind mit Geistlichen versehen. Das Kirchspiel Großlicbeuthal ist das größte und bevöltertstc, es zählt zum 1. Januar 1859: 4563 Seelen. Die Colonieen Lustdors und Güldendorf zählen zum Odessaer Evangelisch-Lutherischen Kirchspiele. Die Kirchen und Vethäuser sind in gntem Zustande, mit Ausnahme der Kirche in Ioscvhsthal. Diese wurde auf Befehl der Geistlichkeit ganz abgebrochen. Die Gemeinde Iosephsthal beabsichtigt schon seit einer Neihc von Iahreu deu Neuban einer Kirche, welcher aber ursächlich der unzureichenden Mittel bis jetzt noch nicht begonnen werden konnte. Auch die Gemeinde Lnstdorf beabsichtigt den Bau einer Kirche. In dieser Colonie sind die Mittel znrcichender, so daß es der Gemeinde möglich sein wird, mit Beihülfe einer kleinen Anleihe den Vau zu beginnen und zu beendigen. 253 Schulen. Jede Colouie besitzt am 1. Januar 1859 ein eigenes Schulgebäude. In sehr guten, Znstande und geräumig sind die Lchvsäle in den Colonieen Großliebenthal und Freudenthal. In Großliebenthal befinden sich drei Lehrsälc und in Freudenthal zwei und überdies abgetheilte Wohnungen für die Lehrer. Die Zahl der Schüler beträgt: Knaben . . 977. Mädchen . . 954. Zusammen . . 1931. Im Jahre 1658 traten aus den Schulen nach beendigtem Lehrkursus: Knaben . . 86. Mädchen . . 125. Zusammen . . 211. Im Jahre 1658 wurden belohnt: a. Mit Büchern: Knaben . . 49. Mädchen . . 82. Zusammen . . 131. d. Mit Belobigungsschreiben: Knaben . . 136. Mädchen . . 172. Zusammen . . 306. In Allem . . 439. Die Schulen werden durch die Schiller gehörig besucht und für Schulversäumnisse wird das laut Allerhöchst bestätigten Schul-regcln festgesetzte Strafgeld eingezogen und der Schulkasse zur Anschaffung dev Lehrhülfsmittcl überwiesen. In allen Schulen sind angestellt: Lehrer 11, Gehülfen 4, zufammen 15. Ein Mißvcrhältniß herrscht in den Schnlcn. Die Katholischen werden zu frühe aus der Schule entlassen und die Protestanten müssen solche zu lange besuchen. Vornehmlich sollte darauf gesehen werden, daß die Mädchen nicht länger als bis zum 254 zurückgelegten 14. Lebensjahre die Schulen zu besuchen hätten. Die katholische Ingend aber sollte veranlaßt werden, die Schule länger zu besnchen, damit sie doch wenigstens etwas gebildeter würde. Indeß kann das Bezirksamt hier nicht umständlich sprechen, Weil es von der inneren Einrichtung der Schulen nur unzureichende Kenntnisse hat. Vor einigen Jahren sand sich das Bezirksamt veranlaßt, gemäß verschiedenen Anforderungen die Schnlcn zu wiederholten Malm zu besuchen. Dabei traf es aber keinerlei Anordnungen, anßcr daß es unreinlichen Kindern Reinlichkeit empfahl und alle Schiller crmahnte, ihren Lehrern zu gehorsamen und darnach zu trachteu, sich ihucn angenehm und werth zu machen. Die Folge davon war eine Klage verschiedener Geistlichen gegen den Eingriff der weltlichen Obrigkeit in ihre Rechte. Um nnn mit den Herren Geistlichen nicht in Uneinigkeit zn gerathen, um nicht ferneren Unklagen aufgesetzt zn sein, nntcrließ das Bezirksamt, weitere Besuche anzustellen, und kann deßhalb nicht wissen, welche Maßregeln die Geistlichkeit zur Verbesserung der Schulcu angestellt hat, oder austelleu wird. Nur soviel ist bekanut geworden, daß die Schullchrer der protestantischen Schulen zu Küstern umgeprägt werden sollen, warum ist leicht begreiflich! Schnlvcrmögcn. Die elf Schnlen des Liebenthaler Bezirks besitzen: a. Bücher: ABC-Bücher .... 349. Schriftmuster . . . . 17U3. Kirchliche Bücher ... 32. Arithmetische .... 4. Zum Gebrauch der Lehrer 33. Zum Verkauf . . . . 255. Zusammen . . 2436. d. LehrlMfsmittel: Schiefertafeln .... 537. Reche nbreter - - - -_____9. Insammen . . 546. 255 o. Möbelstücke: Klassentafeln .... 26. Tische init Bänken . . 278. Schränke..... 8. Stühle...... 13. Zusammen . . 325. Die Lehrer werden von dcn Gemeindesteuern und anderen Gemcindceiukünsten bezahlt, nnd wurden im Jahr 1858 zn diesem Zivccke verwendet: 2094 Nub. S. 30^ Kop. — Das zur Heizung der Lehrsälc und Wohnungen der Lehrer nöthige Vrenn-material wird von den Gemeinden iu nllwra geleistet. Hänscrbau. Iil den Colonieen des Liebenthaler Bezirks befinden sich folgende Gebände: 1. Colonistcnhäufcr: Steinerne . . 1262. Gestampfte . . 67. Erdhütten . . 33. Znsammen . . 1362. Mehr als im Jahr 1857 40 Häuser. 2. Gcmeindegebäude gibt es 44 außer dcn Kirchen und Vet-häufern. In Hinsicht des HänscrbaucZ ist im Jahr 1858 ein bcmer-kensrocrther Fortschritt geschehen. Nicht nnr, daß 40 neue Häufer aufgeführt worden, sondern es wnrde auch eine bedentende Anzahl von den früher erbant gewcfenen alten Häusern abgebrochen und nen aufgeführt. Die Neubauten werden nicht nur ordnungsmäßig, sondern anch Planmäßig und zweckmäßig anfgcführt, so daß die Coloniecn, wo folchc nicht beim Entstehnngszustaude schon verkrüppelt und der Zweck der Wohlgelegeuhcit vereitelt wurde, ein immer besseres und schöneres Auoseheu aunchmen, bis sie endlich das Ziel, das ihnen gestellt ist, erreicht haben werden. Nur in Hinsicht der Schulzenamtkanzlcien bleibt noch Manches zu wüuschen 256 übrig, aber hoffen läßt es sich, daß mit der Zeit auch hierin cine Aenderung geschehen und zweckmäßige Aemtcrhäuser erbaut werden. Die Pfarrhäuser sind dagegen in allen Colonieen, wo sich solche befinden, planmäßig uud gut gebant. Vorfälle. Im 1.185s ereigneten sich im Liebenthaler Bezirke: a. Feuersbrünste 5. Es brannten fünf Colonistenhänser ab, wodurch ein Schaden entstand von 3254 Nub. S. 96 ^ Kop. Der Schaden beträgt mehr als im Jahre 1858: 2479 Nub^S. 76 ^ Kop. Die Braudvernnglückten wurden aus der gemeinschaftlichen Vrandkasse dcs Liebenthalcr Bezirkes ausbezahlt mit: 2804 Nub. S. 98'/2 Kop. und einem Abgebrannten aus der Colonie Güldendorf verabreicht ertra 109 Rub. S. — zusammen 2904 Nub.S. 98^ Kop. Den in den alten Colonieen des Liebenthaler Bezirks Abgebrannten wurde nämlich der ganze erlittene Schaden vergütet, dem Abgebrannten aus Güldendorf aber von der dortigen Gemeinde nur 100 Nub.S., weil diese Gemeinde bis jetzt noch keinen Theil an der gemeinschaftlichen Vrandkasse besitzt. d. Durch verschiedene Zufälle siud: Menschen eines außerordentlichen Todes gestorben 6 — darunter zwei Kinder aus der Kolonie Maricnthal. Von den erwähnten Personen sind durch schnelles Fahren vcrnnglnckt 2, dnrch Entzündung der Kleidungsstücke umgcl'ommen ein Kind, dnrch den Sturz von einem Pferde umgekommen ein Kind, dnrch den Einstnrz einer Sandgrube erdrückt eine Fran, in Folge eines Nanfhandels um's Leben gekommen ein Iosephsthalcr Colonist. Vrandkasse. Im Liebenthaler Vczirke besteht eine gemeinschaftliche Brandkassc, an die jeder Abgebrannte Anspruch zu machen hat. Alle Colonieen außer Güldendorf haben daran Antheil. Die Kasse wird durch zwei dazu erwählte Aelteste verwaltet. Die Gebäude im Liebenthalcr Bezirk mit Ausnahme von Gül-dendorf sind alle gegen Feuerschaden in die Kasse versichert. Die 257 Versicherung geschieht durch eine Abschätzung, die immer nach Verlauf von dreien Jahren erneuert wird. Nach der gegenwärtigen Abschätzung haben die zilr Brandkasse versicherten Gebände einen Werth von 211,413 Rub. S. — Da nun nach den Regeln der Brandkasse von jedem Nnbel jährlich ein halber Kopeken Versiche-rungs-Gebühren entrichtet w'ird, so beträgt die jährlich zu entrichtende Summe 1057 Nnb. S. 7^ Kop. Zlir Vorbeugung voil Brandschäden sind Brandaussänlßmän-ncr ernannt, ohne deren Bewilligung kein neues Kauüu oder eine nene Feucrstelle erbaut werden darf, Uebcrdirs ist diesen Brand-ausschußmänueru zur Pflicht gemacht, die Kamine und Feuerstellen gehörig zu besichtigen lind ihren Zustand zu prüfen und zu würdigen, bei Brandschäden zu erscheinen, in Gemeinschaft mit den Vrand-ältestcn eine Uutersnchung sowohl des Brandes, als auch des Schadens au vevbrauutcu Gegeustäudcu zu haltcu, iib^r da^ Ergebniß dem Bezirt'iZamtc bei Vorstellllng der Uutcrsuchuugsacte zu berichten. (3in Vraild ist jedenfalls ein Unglück. Wenn nun der Verunglückte auch noch auf die ihm etwa gebühreude ^'nlschä'Digung lauge warten oder gar keine erhalten soll, so ist er ein doppeltes Unglück. — Diesem ist nun im Licbcnthaler Bezirke vorgebeugt; sobald die Untersuchung über die Ursachen nnd die Entstehung des Brandes geschehen ist, wird dem Vernnglüctten der ganze entstandene Schadeil nickt nur an Kebäudeu, sondern anch an anderen beschädigten Gegenständen vollständig vergütet. Tie Brandtasse des ^iebenthaler Bezirkes besitzt gegenwärtig folgende Summen: a, Auf dem Odessaer Comptoir der Reichs- N»l'. S, Kop. eommerzbank befinden sich ohne Zinsen . 8,287 7l> d. Vaar befinden sich bei der Brandkassc . . 48 80'/^ 0. Im Ansstande bei der Gemeinde Maricnthal 5,28 78 (l. Der Sparkasse des Liebcnthaler Bezirkes sind zum Zinsanwuchs einverleibt .... 2,9ti9 39^ Znsammeu . . IiI^'"^" 258 Vorrathsmagazine, Vorrathsgetreide und Porraths-kapital. 1. Vorrathsmagazine befinden sich im Liebenthaler Bezirke zwar in jeder Colonie eines, aber nach Plänen erbante nur: 3. Die übrigen sind mitnnter in sehr schlechtem Znstande; vornehm-lichc Berücksichtigung verdienen die Vorvathsmagazine der Colonieen Kleinliebenthal, Marienthal, Iosephsthal, Petcrsthal nnd Güldendorf. Diese sind eigentlich im schlechtesten Zustande nnd wären jedenfalls neue nnd geräumige Vorrathsmagazine nöthig. Die Colonieen Kleinliebenthal und Güldcndorf sind auch um die Erlaubniß znm Vaue von ncnen Vorrathsmagazinen eingekommen und das Liebenthaler Bezirksamt hat darüber einem Füvforge-counts Vorstellung gemacht, aber bis jetzt noch keine Gntscheidnng erhalten. Die Colonie Pcteröthal hat bereits ein kleines Capital zn diesem Behufe und wird den Ball eines Vorrathsmagaziucs bald beginnen. Hinsichtliä' Mancnthal uud Ioscphsthal aber scheint die Lösung dieser Frage noch in weite Ferne gerückt. Marienthal ist zu arm, als daß ihm der Bau zngemnthet werden könnte, nnd Iosephsthal beabsichtigt, wie bereits vorne erwähnt, den Bau einer Kirche, und wenn dieses geschehen soll, kann ein Vorrathsmagazin noch lange nicht in Angriff genommen werden. 2. Vorrathsgetreide befindet sich zum 1. Januar 1859 baar in den Vorrathsmagazinen: Wintcrgctrcide .... 2,734^ Tschetwert Sommergetreide . . . 3,736«/g „ Znsammen . . 6,471 Tschctwert. Im Jahr 1658 ist das Vorrathsgetreide vermehrt worden dnrch die Ernte in einigen Coloniecn und durch die Getvcideliefe-rung iwr Seele um Tschetwert: 730. Im Jahr 1858 sind verkauft worden aus dem Vonaths-magazine der Colonie Petersthal: 259 Wmtergetreide.....80 Tschetwert Sommergetreide.....200 „ Zusammen . .280 Tschetwert für die Summc von . . . Nub.S. 848. 37 Kop. 3. Vorrathskapital besitzen folgende Gemeinden: Nub.S. Kop. Großliebcnthal.........5,254 — Kleinlicbcnthal.........2,3«2 22 Alexanderh ilf......... 135 — Nenburg.......... 373 79 Maricnthal. . /....... 315 — Petersthal..........1,202 12 Freudenthal......... 861 15 Franzfeld.......... 972 36 Lustdorf........... 534 17 Güldcndorf..........i,7!)7 5« Zusammen . . 13,907 37. Das Vorrathökapital der Gemeinde Neuburg ist dem Fürsorgecomite zum Abtragen des Zinscnanwnchseö eingesandt; das Kapital der Gemeinden Frcudcnthal und Marienthal aber in der gemeinschaftlichen Sparkasse des Liebcnthalcr Bezirkes verzinslich niedergelegt. GZ sind noch nicht zehn Jahre, daß in der Colonic des Liebenthalcr Bezirkes säst noch gar kein Vorrathsgctrcide aufzu-weisen war und nun sind alle Vorrathsmagazine ziemlich angefüllt und ist bereits ein bedcntcndes Vorrathskapital vorhanden-, dies ein ncncr Vcweis des Fortschritts. Aerzte, Heilanstalten und Pockenimpfung. Förmlich angestellte Aerzte befinden sich im ,^icbenthaler Bezirke nicht. Dies ist ein fühlbarer Mangel. Das Bezirksamt sieht indeß noch lein Mittel, diesem abznhelfen. 17* 260 Heilanstalten befinden sich im Liebenthaler Bezirke zwei, die bereits oben erwähnten Wasserheilanstalten zll Groß^ nnd Klein-liebcnthal. Im Jahre 1^58 befanden sick im Licocuthalcr Bezirke Cololüstenkinder, dellen die Schutzpocken noch nicht eingeimpft waren..............152 Im Iayre 1856 kamen durch Geburt hinzu: 550 Zusannucn . . 702. Hiervou wurde» im Jahre 1858 geimpft . 552. Folglich bleiden znm Jahr 1859 nngeimpfte Coloniftenkindcr........ 150. Davon'. Wc^en Krankheit........18. Wessm Nichtcrreichlmg des gchörigen Alters 34. Wegen Absterben glcich nack der Geburt . . 24. Wegen Abwesenheit des Impfers .... 74. Die meisten ungeimpften Kinder befinden sich in den Colo-nieen Manenthal, Freude,,. Nutzvieh: Kühe 6682, mehr als im Jahr 1857: 211. Schafe 5253, weniger als im Jahr 1857: 230. Schweine 1555, mehr als im Jahr 1857: 201. Es finden fich also überhaupt mehr als im Jahr 1857: 812Köpfc. Dies wäre ein gutes Zeichen. Es ist indeh zn ersehen, daß sich das Znavich am meisten v.ermehrt; dies rührt daher, daß die Feldbestellung im Jahre 1857 zugenommen hat. Indeß kann die Viehzucht im Liebcnthaler Vczirke keine große Ausbreitung mehr cneicken, indem die Weide da^n nilbt mchr hinreichend ist. — Der Ackerban gewinnt jedes Jahr an Ausdehnung und deschalb muß die Viehzucht eingeschränkt werden. — Scdaf;ncbt tann in den Colonieen dcs Liebenthaler Bezirkes nicht betrieben werden. Diejenigen Eolomste» der (5olonicen Freudeuthai und Güldendor?, welcbc bedeutende Schafzucht betreiben, haben ihre Schafe ans Pachtlaud. 2. Gemeindezuchtvieh wird gehalten: a. Hengste . . . 17. d. Vullen . . . 61. 265 In Hinsicht der Verbesserung des gemeinschaftlichen Zuchtviehes fanden in den letzten Jahren einige kleine Einschränkungen stall, die aber, da den örtlichen Aemtern dcdenteudere Gcldausgaben bewilligt, gehoben sind. 3. Im Jahre 1858 ist Vieh gefallen: Pferde .... 188. Hornvieh . . . 454. Sckafe .... 208. Schweine . . . 66. Zusammen . . 9 IN. Die Viehsencke war im Jahre 1858 in der Colonic Aleran-dcrhilf, es ist aber nickt viel Vieh gefallen. 4. Von der Viehzucht hatten die lFolonisten im Jahre 1858 eine Einnahme: Rub. S. Kop. a. Für verkauftes Vieh.......9865 10 d. Für verkaufte Vutter nnd Käse .... 6326 — o. Für verkaufte Schinken......128 — si. Zur Wolle..........3794 — Zusammen ^ 23113 10 Die wenige Wolle, die im Licdenlyaler Bezirke verkauft, wird im Schweiße abgesetzt, Wald und Gar! end au, 1. Waldball, In den Colonicen des ?iebenthalcr Bezirkes lxfinden sick Waldplantagen: 13, und in denselben znm 1. Januar 185!> Bäume: n. In den Plantationen: Waldbäome.....270,387. Maulbecrbä'nme .... 18,566. Zusammen . . ^ 286,^5^ d. In den lebendigen Hecken: Maulbeerbäume .... 23,164. Nuderc Pflanzungen . . 36,264. Znsammen . . 59,428^ 266 e. In den Vamn- und Pflanzschulen: Waldbämne.....460,031. Maulbeerbäumc . . . . 16,211. Zusammen . . 476,242. In Allem Bäume . . . 824,623. Im Jahre 1858 wurden Bänme angepflanzt: Waldbäume.....10,351. Maulbcerbäume .... 2,064. Zusammen . . 12,415. 2. Gartenbau. Znm 1. Januar 1859 gibt es Fruchtgärten der Colonisteu: 624. Fruchtbäume dann: Frucht tragende .... 60,301. Keine Fruchttragende . . 12,809. Veredelte...... 32,521. Wilde....... 19,176. Zusammen . . 124,809. Im Jahr 1658 wurden Fruchtbäume: angepflanzt......3,733. veredelt....... 325. Zusammen . . 4,068. 3. Weinbau. Iu den Coloniccn des Licbenthaler Bezirkes befinden sich zum 1. Iannar 1859: Weingärten ............ 787. Weinreben in denselben......... 2,160,646. Im Jahr 1658 wnrdcn Weinreben angepflanzt . . 4,400. Im Jahr 1858 wurde Wein verfertigt Eimer: . . ' 6,203. Davon wnrden verkanft Eimer....... 2,278. zum Preis von 88 Kop.S. der Eimer. In Hinsicht des Wald-, Garten- und Weinbaues ist im Jahr 1858 im ^iebcnthaler Bezirke uur wenig geschehen. Der laud- 267 wirthschaftliche Verein ging mit schlechtem, oder besser gesagt, mit gar keinem Veispkl voran. In den Ichvergangenen Jahren trat der Krieg hemmend in den Weg, und so ist in dieser Hinsicht Vieles zn thun. Da min wieder cm Vorsitzer fnr den landwirth-schaftlichcn Verein erwählt werden soll, so ist zn erwarten, daß in Hinsicht des Garten-, Wald- und Weinbaues ein Mchres geschehen werde, als es bisher der Fall war. Scidenban. Der Scidenban wurde im Jahr 1658 in den Coloniecn des Licbenthalcr Bezirkes nicht betrieben. Es ist indeß zu erwarten, daß dieser Zweig der Landwirthschaft durch die Colonisten des Liebenthalcr Bezirks in den nächsten Jahren ebenfalls wird in Angriff genommen werden. Tabaks bau. Im Jahr 1858 beschäftigten sich 6 s, Familien mit dem Tabakbsau. Von denselben wurde im Jahr 1858 Tabak ausgearbeitet Pud 74. 4 Pfd. Aus dieser Zahl wurden verkauft Pud 21. 30 Pfd. zum Preis von 10 Kop. S. per Pfd. — Seit einigen Jahren liegt der Tabaksbau im Licbcnthaler Bezirke ziemlich darnieder. — Streitsachen. Im Jahr 1858 kamen Streitsachen zur Schlichtung vor die Aemter: ll. Vor's Bezirksamt . . . 105. d. Vor die Schulzcnämtcr . . 128. Zusammen . . 233. Davon wurden geschlichtet . . 229. Und znr Entscheidung höheren Orts vorgestellt: 4. Im Jahr 1858 wurden Colonisten gerichtet: a. Im Vezirksamte: Männliche . . . 80. Weibliche.... 3. Zusammen . . 83. 268 d. In dm Schulzcna'mtevn: Männliche . . , 68«. B^ciblichc. . . . K». Zusannnen . .704, In Allem . .7^7. Von den Gerichten wurden Strafen unterzogen: a. Geldstrafen: Männliche . . .-551. Weibliche .... 7. Zusammen . .558. d. Strafen mit gemeinschaftlicher Arbeit: Männliche . . . 55. Weibliche.... 6. Zusammen . . 61. o. An'eststrafcn: Männliche ... 36. Weibliche.... 5. Zusammen . . 89. ll. Ruthenstrafcu: Männliche . . . 46. Zusammen . . 787. Ungeachtet im Jahr 1856 im Verhältniß zum vorigen Jahre 64 Personen mehr bestraft wurden, so kann doch nicht gesagt werden, daß der sittliche Charakter abgenommen hätte, sonder» es muß auch berücksichtigt werden, daß viele ledige Personen fiir Uebcrtrctung der Polizeistunde bestraft wurden und daß eben hier durch die Zahl der Vcstraften vermehrt ward. Ueber Dienste. Im Jahr 1856 befanden sich im Lieben-thaler Bezirke Amtspersonen: 269 n. Im Vcch'ksamte. . . 3. d. In den Schnlzcnämtern 33. Zusannuen . . 36. Im Jahr 1858 sind davon abgegangen: Im Ve-irksamte ... 2. In den Schulzenämtcm . 18. Znsammen . . 29. nnd sind ebensooiele durch allgemeine Wahlen wieder eingetreten, ^nni Gehalte für Amtvpersonen wnrdcn iln Jahr 1858 verwendet: Nnb.S. Kop. u. Im VeM'samte . . 797 22 d. In den Schulzcnämtern 2087 96 Zusammen . .2884 96 Die Dienenden erfüllen die Pflichten ihrer Obliegenheiten nach den Anordnungen, Regeln und Gesetzen, so daß sich in die-scr Hinsicht sehr Vieles geändert hat, nnd man mit Recht nnd im vollen Sinne des Worts sagen i'^nni cs ist besser geworden, als es war. Geschäftsgang. Zum Jahr 1856 verblieben unvollzogene Papiere: a. Im VczirkZamte .... 2. d. In den Schnlzenämtcrn . . 41. Zusammen . . 43. Im Jahre 1858 gingen Papiere M- ^'oN^iehnng ein: a. Im Ve^nWamte .... 2250. d. In den Schnlzenämtern . . 5991. Znsammeu . . .8241. Im Jahre 1858 wurden Papiere vollzogen: n, Im Vezirlsamte . . . .2249. d. In den Schulzeuämtern . .5981. Zusannnen . . 8230. 270 Demnach verblieben zum Jahr 1659 unentschiedene Papiere: a. Im Vezirksamte .... 3. d. In den Schulzenämtern . . 51. Znsammen . . 54. Der Geschäftsgang wird von Jahr zu Jahr ausgebreiteter, dessenungeachtet herrscht überall Ordnung. Die frühere Gleichgültigkeit hat aufgehört und Geschenke werden nirgends angenommen. Umlauf der Summen. Im Jahr 1858 verblieben Summen: a. Im Vezirksamtc: Nub.S. Kop. In Villeten der Kreditanstalten . 30,890 68 In Vaarem....... 102 34 Zusammen . . 30,993 2 d. In den Schulzenämtern: Nub.S. Koft. In Villcten der Kreditanstalten . . 413 75 In Vaarcm........2,202 87^ Zusammen . . 2,616 62'/4 Im Jahre 1858 sind eingekommen: a. Im Bezirksamt«:: Nub.S. Kop. In Villeten der Kreditanstalten . . 6,828 28 In Vaarem........ 63,043 90^ Znsammen . . 69,872 16^ d. In den Schulzcnämtern: Nub.S. Kop. In Vaarem.......123,974 71 Iu Allem . . 227,456 53^ Im Jahre 1858 wnrden verabfolgt: a. Im Vezirksamtc: Nub.S. Koft. In Billetm der Kreditanstalten . . 2,824 3 In Baarem.......62,895 63^ Znsammen . . 65,719 66^ 271 d. In den Schulzenämtern: Rub.S. Kop. In Villeten der Kreditanstalten . 413 75 In Vaarcm.......^23,966 64^ Zllsmnmen . .124^380^9^ In Allem . .190,100 6 Demnach verbleibt znm Jahre 1859: n. Im Vczirlsantte: Nub.S. Kop. In Villeten der Kreditanstalten . . 34,894 93 In Vaarem....... 250 60»^ Zusammen . . 35,145 53^ d. In den Schulzenämtern: Rub.S. Kop. In Baarem........2,210 93^ In Allem . . 37,350 47'/. Die Aunahmc, Abscndung nnd Verwendung der Snmincn geseicht nach den verordneten Negcln nnd haben sich im Jahr 1856 nirgends irgeild welche Vcrlnste erwiesen. Schlußworte. Das bisher Gesagte wäre mm eine kurze Andeutung alles Dessen, was der Liebenthaler Bezirk für's Jahr 1858 aufzuweisen hat. — Beobachten wir nun das Ganze noch einmal in Summa, so stellt sich nns zweierlei vor Augen. Erstens, daß die Ansiedler dieses Bezirkes schon manches Gute auszuweisen haben, daß ihneu aber zweitens auch noch Manches fehlt. — Einst und Jetzt betrachtet liefern dieselben Resultate. Der lieben-thaler Bezirk war vor Jahren, vor nicht gar vielen Jahren, ein verschuldeter Bezirk. Die Einwohner liebten nichts mehr, als gcld-kostende, Zeit und Gesundheit raubende Veschäftignngen, hierzu gesellte sich die Trunksucht; achttägige.Archweihfeste, drei- bis vier: tägige Hochzeit»- und Kmdtaufsschmausereien waren an der Tages? ordnnug. Dies ist anders; es ist doch bereits so weit gekommen, daß diese Unordnnngm aufgehört haben, es ist fo weit, daß die Gemeinden AnZsprüche fällcu, daß, wer sich iu einer Schänke berauscht, einer öffentlichen Bestrafung unterzogen werden foll. Ill 272 den Aemtern, in denen früher der Schlendrian zu Haus nnd nicht selten mit Ungerechtigkeiten verbunden war, ist Ordnung und Gerechtigkeit eingeführt, — Kirchen und Schulen werden besucht, Geistliche und Lehrer vcrehvt, wcil sie's verdienen, wer davon ausgeschlossen, ist salbst Schuld. Und so können wir sagen, es ist besser geworden. Besser ist es geworden in der Sittlichfeit, besser m der Bildung, besser in Kirche und Schule, besser in den Familien, besser in der Kindererziehung und deßhalb auch besser im Wodlstand. Wenn es aber schlecht war und besser geworden ist, so ist es noch nicht gut, nicht vollkommen. So ist es auch im Liebenthaler Bezirke. Wir, die Einheimischen, sehen noch Mängcl und Gebrechen, noch Schäden, die zu Heileu, noch Verbesserungen, die nicht nur heilsam, sondern unerläßlich nöthig sind nud ein auswärtiger Nichter würde freilich noch mehr finden; doch da unc, Mehreres gelungen ist, so sind wir der zuversichtlichen Hoffnnug, daß uns auch noch Weiteres gelingen wcrde. — Die Vahn zum ^ausc nach dem Guten, nach dem vorgesteckten Ziele ist doch wenigstens geöffnet, die Zahl derer, die das Gute wünschen, wächst, ciu ueues Jahr ist herangenaht und ruft ims zu, auf's Neue zu wirkeil, und so wollen wir denn darnach trachten, das ;u thun, wa»? den Liebenthaler Bezirk endlich dahin bringen tanu, mit dcn besten deutschen Ansiedlungen in Nußland iu eiue Reihe zu treten, und sonnt den wohlmeinenden und edlen WiNen der Regierung in Aus-sü'hrung zu bringe». — Freilich wird uns im Jahr 185!» auch manches Rauhe berühren, freilich können un^ widrige Geschicke zu unferer Väntcrung zu Theil werden, vornehmlich ist die Änosicht des ^andmanneo eine düstere und dunkle in Hinsicht auf die unzählbaren Heuschrecken, die mit der wärmeren Jahreszeit zum Vorschein kommen werden. Uns ist bange, aber loir verzagen nickt im Bewußtsein dessen, daß vereinter Kraft, starkem und gutem Willen viel möglich, und einem ernsten Streben nie der Segen des Höchsten versagt wird. — 273 XIII. Acht Tage in Stambul. Am Tage der Abreise herrschte ein ungewöhnliches Gewühl ans dem Molo des Freihafens von Odessa, dessen breite Zunge sich weit in die Bucht hmansstreckt, gen Siiden bewehrt mit vcr^ falleueu, arg vernachlässigten Festungswerken, die manche Kngel von dem Geschwader der Alliirten empfangen haben. Der Prächtige Dampfer Alerander, das neueste Schranbenboot der russischen Dampfschifffahrts - Gesellschaft machte heute seine erste Fahrt von Odessa nach Constantinopel. In der That war es sehenswerth, dies stolze schmucke Schiff, und schon beim ersten Anblick mnßtc man sich sagen, wie gar trefflich cm solcher Bau ohne Viele Umänderungen im Kriege zu gebrauchen sein würde. Die Regierung unterstützt die genannte Gesellschaft in einer so generösen Weise, daß man wohl zu der Annahme berechtigt sein kann, es werde, weun cs einmal Noth thut, eine russische Kriegsflotte im schwarzen Meer so plötzlich erscheinen, als sei sie aus den Wogen gewachsen. Zwischen Land und Bord gab es viel Thränen. Die Gesellschaft französischer Schauspieler, Madame Rose <5heri au der Spitze, gab einem ihrer Mitglieder das Abschicdsgeleitc, einer allerliebsten Soubrette, Mademoiselle Armcmdine Pinteux. Der Schmerz des armen Mädchens, das sich von seinen Unglücksgenossen trennen mußte, war ebenso heftig, als er schnell vorüber ging nnd einer Hnmm, Slcppen und C!Äd!c, 18 274 neckischen Lustigkeit Platz machte, die uns Reisegefährten Alt nnd Inng nicht wenig die Fahrt verkürzte. Als ich Besitz von immer Kabine «ahm, fand es sich, daß ich sie theilen mußte; das Gluck wollte es, daß ich zum Kameraden den Akademiker Kupfer, den berühmten Meteorologen aus St. Petersburg, bekam. Mit diesem liebenswürdigen, unterrichteten und weitgereisten Manu — er hatte im Auftrag der Regierung ganz Sibirien und das Land des Amur durchforscht — habe ich die gauze übrige Reise bis in die Heimat!) zurückgelegt, und während derselben vielfach Gelegenheit gehabt, dem Zufall zu danken, welcher mich mit ilnn zusammenbrachte. Die Abfahrtsstunde war zwar auf vier Uhr festgesetzt, allein es wurde doch sechs Uhr Abends, ehe wir der Metropole des Staubes im Ernste Valet sagten. In mächtigem Vogen, majestätisch, schwamm der Alerander hinaus in das offene Meer nnd bald lagen Stadt und Küste außer Sicht. Das Acnßcre des Schiffes hatte nicht zu viel versprochen, es erwies sich als ein vorzüglicher Gänger; die Kajüte war splendid eingerichtet, die Kabinen bequem und reinlich, Küche nnd Keller ließen nichts zu wünschen übrig. Der Kapitän Gräve, ein hochgebildeter Mann, der alle Sprachen fertig redete, war ungemein zuvorkommend gegen scine Passagiere, die, Gesellschaft selbst eine vortreffliche — und doch wurde es uns nicht so recht wohl in dem Boot. Die Schranbc, die vermaledeite Schraube! — Zweifelsohne ist sie ciuc fchr große und nühliche Erfindung, aber für Passagicrschifft ist sie doch nicht geeignet, das Geräusch, das unaufhörliche Klappern und Stoßen, das sie veranlaßt, ist ganz unerträglich und man gewöhnt sich auch nicht daran, wie an den Lärm der Mafchine anf den Naddampfern. Besonders in der Nacht ist das Acchzcn der mächtigen Welle, das Kreischen der Zähne, das Knarren der Lager nnd der Schlag der Schranbe im Wasser in einer Menge von Variationen so störend und peinigend, daß man manchmal wünschen möchte, das Schiff 275 führe ein wenig an einer Sandbank auf, um nur ein paar Stnn' den Ruhe zu erlangen. Der Van der Schranbendampfer ist Schuld an dicfem Höllenfpcctakcl. Von der Maschine ans führt cm langer Tunnel durch das Schiff, in dem die Welle der Schraube gelahrt ist. Der Vanch bildet daher gewissermaßen einen Resonanzboden, der die Laute des Vcwcgungswcrkes weiter leitet bis an's Ohr des in seine Koje gefchmicgten müden Schlafbedürftigen. Ich habe mir vorgenommen, wenn ich die Wahl habe, niemals wieder mit einem Sclnaudendampfer zu fahren. Der Alerauder war in Großbritannien, wenn ich nicht irre in Glasgow, gebant, Ingenienrc, Maschinenwärter nnd Feuerleute waren Engländer; mit großer Freundlichkeit führten sie mich in allen Winkeln ihres geheimnißvollen Reiches umher, und ich vergalt dieselbe zu ihrem großen Jubel mit einer Origmalflasche Gin, die nur ein Freund in Odessa mit auf den Weg gegeben hatte als ganz untrügliches Mitlei gegen die Seekrankheit. Es war dies, beiläufig gesagt, das ein und dreißigste Specificum gegen das unleidliche Uebel, den» ich befand mich anf meiner ein und dreißigsten Seereise, die kleinen Fahrten von Calais nach Dower, von Odessa in die Krim u. f. w. allerdings mitgerechnet. Vielleicht gerade weil ich es nicht gebrauchte, blieb ich diesmal vollkommen verschont, während ich sonst immer daran leide, und ttotz einer in der Nacht sehr bewegten See. Gegen Morgen des nässten Tages steigerte sich dcr Ungestüm des Windes und der Wcllen, so daß unser Schiff recht artig tanzte, indesfen hielt es sich überaus wacker und, wie mir schien, unempfindlicher gegen den Anprall der Wogen, wie ein Nad: dampfer. Nnf dem hohen Meer war übrigens auch der Sturm nicht so gewaltig, wie längs der Küste; wie wir in Constantinopcl aus den Zeitungen ersahen, gingen in derselben Nacht (17/18 September 1d58) sünf österreichische Oetteideschisfc in der Nähe der Schlangeninsel, wo sie anf den Sand geschlendert wnrden, zu Grunde. Ein tragisches Schicksal traf den Kapitän des einen davo», 18* 27f> einer dalmatinischen Brigg; cs gelang, das Boot herabzulassen, die ganze Mannschaft nüt der Fran und Tochter des Kapitäns rettete sich hinein; als cr, der Letzte, im Begriff war hinabznspringcn, riß eine Woge das Boot weit hinweg; keine Möglichkeit cs zn erreichen oder umzukehren! Aber das gebrechliche Fahrzeug ward im nächsten Augenblick schon vor dcn Augen des Zurückgelassenen von der heulenden Brandung mit Mann und Maus verschlungen; ihn aber, den Kapitän, rettete am Morgen ein anderes österreichisches Schisf unverletzt von dem Wrack. Während des ganzen Tages hatten wir nnr einmal Land erblickt, das Kap Gülgrad; mit der Abenddämmerung stiegen die Verge des thracischcn Bosporus vor uns auf. Aus der unermeßlichen Weite der See lenkten wir plötzlich in eine» Verhältniß-mäßig schmalen Kanal, welchen links nnd rechts die gigantischen Schlösser Anadoli Fcner und Rnmcli Fencr hüten. Eine halbe Stunde nach der Einfahrt warfen wir Anker vor Bnjukdcre; es war völlig dunkel, aber zahlreiche erleuchtete Fenster gaben uns einen Begriff von der Bedeutung des Ortes. Wie trefflich fchliefen wir in dieser Nacht, in der die Schraube ruhte! Trotzdem lockte uns die erste Frühe wieder aufs Verdeck. Welche entzückende Rundschau! Doppelt bezaubernd für den, der Monate lang in der dürren Steppe sich umhergetrieben. Die Ufer der spiegelglatten See werden von mäsiigen Höhcnzügeu gebildet, die amphitheatre lisch emporsteigen; während die asiatische Küste hier wenig Ansicd-lungen, alxr weit gedehnte dunkle Wälder sehen läßt, ist ans der europäischen jedes Plätzchen bcoant mit einer lustigen Villa; stolze Pinien breiten über ihnen ihre wagcrcchtcn Schirmkroncn aus, Lorbeercu und Myrthcn, Oranaten nnd Feigen wnchern überall, dazwischen rieselnde Bäche, Fontaincnstrahlcn, die im Licht der aufgehenden Sonne zwischen dem dunklen Laubwerk fnnkcln; ein wnnderbarcr Wohlgernch durchbalsamt von« Lande her die Luft, Mcs ist Glanz uud Schimmer, Schönheit nnd Pracht. Am Ufer 277 hin dehnt sich eine lange Ncihc von Paläste», größtenthcils in europäischer Bauart, hiev wohnen die Gesandten, Cousuln und reichen Handelsherren, die im Sommer aus Constantinopcl entfliehen ; anf den Terrassen darüber die orientalischen Lusthäuser der Pascha's nnd Vornehmen unter den Türken, dazwischen niedliche HolzhäuZchen, die von ferne aussehen, wie feines Schnitzwerl, aber Alle sind umgeben von cincm Kranze bunter Blumen und grüner Lustgchölze, weithin leuchten daraus hervor die purpurrothen Blüthcn-büschcl der Granaten. Es beginnt lebendig zu werden am Land, Fischer besteigen ihre Voote, eine Maulthiertarawanc klinnnt den Berg hinan zu der berühmten Wasseraucllc, welche bis zur Kaiserstadt geleitet wurde, seltsame Fuhrwerke mit Ochsen bespannt, auf ihnen unter cincm rothen Baldachin vermummte Weiber, ziehen vorüber — man wähnt sick in die Scenerie eines arabischen Märchens versetzt. Mittlerweile sind die Matrosen an's Gangspill getreten, die Kette klirrt, der Anker ist gelichtet, nnd wir schießen hinaus in die schmale Wasserstraße. Von mm an kommt man nicht mehr zu sich selber vor Schallen und Bewunderung; näher treten die Ufer, immer dichter drängen sich an ihnen die Ansicdlungeu, si^ häugcn zusammen, wie die Gebäude einer großen Stadt, Landhäuser und Fischerwohnungen, Hütten nnd Paläste, Schlösser und Werfte wechseln im buntesten Gemisch miteinander ab; dazwischen die reizendste Vegetation, die man sich nnr denken kann, deren harmonische Formen schon dem Vild cincn Reiz verleihen, von welchem der Nordländer keine Ahnung gehabt hat. Auf dein Wasser ist es so lebhaft, wie auf dem großen Caual in Venedig, Segel an Segel fliegt an uns vorüber, unzählige Kaiks schießen hinüber, herüber, Mövcn und Adler wiegen sich in der Luft und über das Alles sp^unt sich der vcinste blaue Himmel. Schon wähnt man sich in der Stadt »ind ist noch weit davon entfernt. Immer stattliche werden die Gebäude, anf der asiatischen Seite erscheint das alte Serail, auf der europäischen endlich eine 278 gedrängte Häuscnnasse, darüber hinweg die gewaltigen Kuppeln der Moscheen und die Nadeln der Minarets, das ist Constantinopel! Der Eindruck, welchen diese Stadt in ihrer unvergleichlichen Lage macht, ist gar nicht zu beschreiben, es bemächtigt sich des Schallenden eine wahre Trunkenheit, er möchte sich Flügel wünschen, nm dies Alles möglichst rasch zu umkreisen, hundert Augen, um die Fülle von Eindrücken aus einmal in sich aufnehmen zu können. Was Goethe von Neapel gesagt, das gilt auch hier: „Wer dies gesehen hat, der kann niemals m seinem Leben ganz unglücklich werden." Wir biegen ein in das goldene Horn, zwischen zahlreichen Sckuffen hindurch nähern wir uns dem Ufer von Galata, wir sind zur Stelle. Kaum ist der Anker hinabgerasselt, so umgibt auch eine Menge eiligst herbcigcrudertcr Vootc das angekommene Schiff; es sind die Dragomane der Gasthäuser, welche kommen, um die Fremden abzufangen. Schon von Weitem winken und rnfcn sie nnd hallen ihre Karten empör, sie dürfen aber das Schiff nicht eher besteigen, bis die Qnarantänebeamten an Vord gewesen sind. Diese lassen nicht so lange auf sich warteil, wie in russischen Häfen, und ihr Geschäft ist sehr rasch beendigt. Nunmehr beginnt ein wahrer Sturm von den Booten aus auf das Schiff; ehe wir uns nur recht besinnen können, haben wir cine Karte in der Hand nnd ein junger Mann präsentirt sich uns als prädcsti-nirtcr Schutzgeist und Führer, Abgesandter des Herrn Missiri im Hotel d'Angleterrc. Er ist ein Italiener und mit nicht zu verachtender Energie hat er in einem Augenblick unser Gepäck in Beschlag genommen, nns in sein Voot spcdirt und triumphirend fährt er ab. Adicn, Alerander, glückliche Fahrt, Kapitain, ü. i-ovs)ii' Mademoiselle Armandine! Zuerst nach der Douane. Diese gibt keinen besonderen Begriff von dem türlischcn Zollwescu, aber man ist sehr zufrieden damit zwischen Rußland und Oesterreich. Wir landen an einem 279 schmutzigen, morschen, kleinen Werft mit einem Gebäude, welches eigenthümliche Betrachtungen über hiesige Staatsanstalten erweckt. Ein paar, in der Kleidung, wie cs scheint, nicht wählerische Türken schlürfen alls Pantoffeln herbei und beginnen mit dem Italiener einen Diseurs, in welchem dieser alsbald in Feuer und Flamme geräth uud in Geschrei und Geberdcn so grob zu werden scheint, daß die Herren von der Donanc alles Mögliche aufbieten, ihn zu begütigen, und froh sind, uns loszuwerden. Die Sache ist abgethan, ohuc daß ein einziger Koffer geöffnet werden mußte. Ein halb Dutzend Lastträger wartet fchon, halbnackte, magere Kerle, aber von einer Kraft und Geschicklichkeit, welche Erstaunen erregt. Vlos mittelst einiger Tragbänder hänfen sie ungeheure Lasten auf ihren Rücken und schreiten damit bergauf, bergab so sicher und rasch voran, daß wir ihnen kanm zu folgen vermögen. Sie brechen uns Vahn dnrch ein fremdartiges Gewühl; dann gewinnen wir abgelegnere Gaffen, in welchen nur hier und da ein altes Weib, das es nicht mehr der Mühe werth hält, sich zn verschleiern, an den Mauern hiufchleicht, und erreichen in der engen Hauptstraße von Pera unser Hotel. Hier werden wir mit britischer Urbanität empfangen und mit allem Comfort der Civilisation umgeben. Das Hotel d'Angleterrc ist das größte und vorzüglichste in Constantmopcl und darf nm fo mehr empfohlen werden, als es dnrchaus nicht theuer ist, was mau bcfonders findet, wenn man von Odessa kommt. Nichtsdestoweniger stehe für den, der Constantinopcl zu besuchen gedenkt, hier als gnter Nath das weise Wort des Iago: „Thne Geld in deinen BeutelI" denn der Dragoman, die Pferde, die Kaits, die Fcrmanc, der ewige Vakschisch und die Verlockung von so vielen fremdartigen, wünschcnswcrthcn Gegenständen, die man zur Erinnerung in die Heimath bringen zu müssen glaubt, nehme» die Neiselassc gewaltig m Ansprnch. Das Hotel d'Anglctcrrc hat den Charakter einer Pension; Alles in Allen, zahlt man täglich 18 Francs; dafür hat man Zimmer, 280 um 9 Uhr ein Frühstück :l I'lmzfläikb mit Kaffee oder Thee, kaltem Fleisch, Eiern, Steals und Früchten, nm 6 Uhr Abends ein vortreffliches Diner mit Wein vom asiatischen Olymp bei Vrussa ü. äi^oretiuu. Die Bedienung ist vortrefflich, die ganze Ginrichtung zeigt die strenge Ordnung und den gediegenen Lurus der englischen Gasthäuser ersten Ranges. C's versteht sich, daß die genannte Summe berechnet wird, ob man etwas genießt oder nicht. Den ersten Ausflug dnrch die Stadt zweier Welten machten wir zn Pferd. Antonio, der Dragoman, ein „Nomauo", wie er sich bei jeder Gelegenheit rühmle, hatte drei dürre Klepper herbeigeschafft, deren Sattelzeug mit ihrem Acußern im Einklang stand, fo daß wir darauf jedenfalls keine besondere Erscheinung machten, wie wir auch aus dem Lächeln mancher Begegnenden recht gut ablese» konnten. Neben uns her lief der Pferdcverleiher, ein hochgewachsener, sechszehnjähriger Vulgareujüngliug, eine prächtige Gestalt mit edlen Zügen und blitzenden Augen, seine rabenschwarzen Locken waren mit einem verschossenen Tuch, in einen spitzen Turbau gewunden, bedeckt; er trug eine defecte griechische Jacke, welche die Arme blos ließ, nnd hatte die weiten Beinkleider in einen Wnlst bis über die Kniee heraufgewickelt. Barfuß lief er auf dein entsetzlichen Pflaster und hielt selbst bei den, stärksten Trab unserer Mahren ohue Beschwerde mit ihnen Schritt. Pera, die Christeustadt, ist ein unregelmäßiges, winkeliges Hänscrgewirr; ihre Hauptstraße wird vou einem ewigen Gewühl bewegt; Türken in der Nationaltracht sieht man selten darunter, dagegen trägt Jedermann den Fes. Auch Damen erblickt »nan äußerst wenige in den Straften. An einer Brandstelle vorüber ritten wir hinab nach Galata; hier beginnt das Drängeil uud Wogen der Menschenmenge fast gefährlich zn werden, alle Augenblicke hat mau einen Anstoß zu befürchten, es ist größcv wie auf High-Holborn in London. Die Straßen sind mit Magazinen und Gewölben gar- 281 nirt, in welchen alle möglich«! Lebensbedürfnisse feil sind; ein großer Theil des Verkehrs findet vor dm Thüren statt; hier sitz! der Sämhsticker in seiner Arbeit, der Wechsler vor seinem Tisch, die Verkäufer von Sorbet, Kuchen, Pistazien, Cüronen, Azarolen füllen die Lnft mit dem Ausruf ihrer Waaren; vor den Kaffee-schmken qnalmen die Tschibuks und Nargilchs; ein seltsam g>>-mischteö Aroina von Früchten nnd Fischen, Lederwerk und Tabak, Fett und Kaffce fchwängert die Atmosphäre, Vettler klammern sich an den Steigbügel nnd verfolgen uns lange Strecken, Lastträger rennen rücksichtslos Jedermann an, der »licht bei Zeiten ausweicht, hier nnd da begegnet uns eim verschlossene Karosse von merkwürdiger Bauart in schreienden Farben, worin eine Dame ihren Ausflug macht; Weiber in gelben, blauen, violetten Ueber-würfen, Kopf und Gesicht bis an die Augen- in den weißen Schleier gehüllt, schlürfen häßlich in ihren weiten gelben Ritter-stiefeln hier und da durch das Gewühl; Türken in allen Trachten, Mohren, Perser, Vulgären, Griechen, Zigenner, Juden, Franken, — Hausirer, Schiffer, Soldaten, Derwische, das Alles treibt sich so dnnt, so fremdartig dnrchcinandcr, daß es Einem vor den Angcn flirrt, als schaue man in ein ewig wechselndes Kaleidoscop. Unbeschreiblich ist das Gewühl auf der großen Vrücke über das goldene Horn, welche Galata mit dem ächten Stambul verbindet, unbeschreiblich aber anch der Anblick, den man von hier aus genießt. Alle Augenblicke geht eins der kleinen Dampfboote nach Scutari oder Vujutdere ab, so gedrängt voll, daß kein Apfel zur Erde fallen konnte; zahllose Vootc durchkreuzen den Chryso-kcras, amphithcatralifch steigt Constantinopcl in den buntesten Häusergruppcn vor dem Vlick empor, denn Pcra und Galata hinter uns sind Städte fül sich, nur Anhängsel des heiligen Stambul. Nicht ohne mancherlei Znsannncnstöße und Verwünschungen gelangen wir über die Vrückc an dem Wachchans links vorbei, wo- eine Menge prächtiger Pferde mit goldenen Schabracken der Würdeil- 282 träger aus den verschiedenen Divans harrt, dann reiten wir eine enge Gasse berganf nnd u,lgcinrt dllrch die hohe Pforte in's Vereich des alten Serails. Henk' halten wir uns nicht anf, nur von Anßen betrachten wir die langen zerfallenen Paläste, die vernach lässigten Brnunen, die gestürzten Säulen, aber auch die imposanten Bauten dcr Moscheen, alle überragend die des Mohamed, des Achmet, die Snlimanie nnd die Sophia, das Wnnderwcrk der Welt. Im flüchtigen Trab rciteu wir über den Atmeidan mit seinen zerbröckelten Odeliokcn, wo ein paar (Vompagnieen Soldaten ercrziren und machen Halt in sehr schuttrcichcr Umgebung vor einer Art Kcllerhals; gefährliche Stufen führen hier hinab in einen ungeheuren unterirdischen Nanm, dessen mächtiges Gewölbe von colossalen Säulen plump genug getragen wird; der Schutt hat den Naum vielleicht schon über die Halste aufgefüllt, cin paar türkische Seiler und Legionen von Ratten haben hier ihre Werkstätte aufgeschlagen. Wir befinden uns in der sogenannten Wassercisterue des Baisers Konstantin; es ist zweifelhaft, welche Bestimmung dennalcinst dieser uugchenre Keller gehabt hat; möglich daß er doch ein Wasserbassin gewesen ist. Der Wärter erhält seinen Vakschisch, ein zweiter freundlicher Mann öffnet die Thüre für einen Vakschisch, ein Junge präsentirt cin Glas Wasser, natürlich aus dem Brunnen des Kaiser Constantinus selig, ebenfalls um einen Valschisch, unserem Pferde-Wärter hatten ein paar Andere helfen muffen die wilden Rosse zu hüten, wieder ein Batschisch, zwanzig Hände strecken sich hinzu uns dic Steigbügel zu halten, zwanzig Beine trabcu hinter uns nach und bis in weite Ferne schallt es hinter uns drein: Val'schisch, Valfchisch! An den Gräbern der Sultane vorüber ritten wir eine lange Straße, die mit dem Mecresufer parallel ^länft, durch Con-dvsealc uud Psamatia, rein türkische Quartiere; die Straßen waren wie ausgestorbcn, heiß prallte die Sonne von den engen Wänden ab, gelbst die Hnnde waren unsichtbar, die Holzgittcr der wenigen auf dic Gasse gehenden Fenster alle verschlossen und verhangen; 283 hier und da ein kleiner Begräbnißplah in einer Straßennische mit umgefallenen Lcichenstnncn, ganz umsponnen von Ephen, dazivisä,en ein lllstigcr Sprudclbrnnnen; über die langen Mcinern hingen reichbcladene Granatenzweige bis in dic Straßenmitte, Lorbeerezr und Erdbeerbäume, Feigen und Qnitteu inngabcu die hölzernen Wohuuilgen mit ihren vielen Erkern, Treppen, Säulchen und Galcrieen. C's war ein langer Nitt, anstrengend genug in der Gluth der schcitclrechtcn Sonne, dennoch empfanden wir keine Nnlnst, den». Alles, was wir erblickten, war so neu, so fremd, so seltsam. Plöhlich kamen wir auf einen freien Platz, eine schattige Ulmenallee führte nach einem mächtigen Thor, riefige Mauer-werke erhoben sich vor uns; nach einiger Verhandlnng mit einem Bimbaschi wurden wir eingelassen und betraten Peditulclcr, das Schloß der sieben Thürme, das die westlichste und zugleich südlichste Spitze von (5onstanlinopel bildet. Es ist ein ungeheuer weitläufiges Kastell dicht am Mccrcsstrand und von gewiß wichtiger Position, aber, Du lieber Gott, wie sieht das jeht ans! Die Ruinen längs dem Nhein sind dagegen wahre Königsschlösser, Alles ist zerfallen, zerbröckelt, zcrmorscht; auf den breiten Mauern liegen rostzerfrcsscnc Kanonen anf verfaulten Lasettcn, ans welchen man mit der Hand Stücke brechen kann, ohne daß der begleitende Soldat eine Gebcrde der Abwehnlng macht; ich glaube, man tonnte für einen Vatschisch auch die alten Kanonen mitnehmen, wenn sie zn schleppen wären. Ueberall wuchert Unkraut, Dornengeranke, wildes Gestrüpp, dazwischen Anfänge eines Gärtchens und ein Stück Land mit Melonen und Mais. Mit Lebensgefahr erklettern wir einen der Thürme lind werden hier allerdings durch eine Nnssicht belohnt, wic sie eben nur einmal auf der Welt zu finden, aber im schlichten Wort auch nicht eiumal annähernd zu beschreiben ist. Der geschichtliche Boden, auf welchem man steht, erhöht vielleicht den Eindruck, den die wuudcrbare Natur und das romantisch zu-samniengeN'ürfcltc Mcnschcnwcrk hier machen; dreißig I^,hrhnnderte 284 laufen an dem Geiste vorüber; in jedem Augenblick tancht eine frische iiiennniseenz auf; i>l jedem Augenblick aber auch der Ge-dallte: Welcher Jammer, daß dies Paradies, diese Stätte großer Erinnerungen, die Stadt zweier Welten im Besitz eines roben Volkes, der Civilisation gänzlich entzogen ist! Als die größte Merkwürdigkeit der Siebenthürme zeigt der Dragoman eine Inschrift, welche venetianische und französische Gesandte, die der Neber-mntl) des Beherrschers aller Gläubigcu hier eine Zeit lang eingesperrt hielt, ans langer Weile in den Stein gegraben haben. Nach der üblichen Belohnung an verschiedene halb uniformivte Individuen für Dienste, die sie uns vielleicht hätten leisten tonnen, schwangen wir uns wieder anf uusre Araber und ritten zur Pforte der sieben Thürme hinaus in's Freie. Wir waren anßcrhalb der Stadt; uns zur Rechten wendend, ritten wir die Straße, welche längs der crenelirten Maner hinführt, die ganz Stambul vom goldenen Horn bis zmn Propontis gegen das Landinnere absperrt. Sie ist ein imposantes, mächtiges Werk von nngehcncrcr Höhe, allein dermaßen zernagt vom Zahne der Zeit, daß sie einen» Kanonenschuß schwerlich mehr zn widerstehen vermöchte. Hier nnd da ragt ein stnmpfer Thurm über ihre Zinnen empor. Zur linken weitgedchnte Begräbnißvlähe; ernst erheben sich die vetnrbantcn Steine in einem Wald von hohen, dunklen Cyvresscn, in deren Schatten kein Gras den nackten, glatten Boden überkleidet. Diese (5ypressenwälder oder Friedhöfe ziehen sich rings um die ganze Stadt diesseits und jenseits des goldenen Horns, sie sind die Lieb-lingssftaziergänge der Türken, welche von der abergläubischen Scheu nichts wissen, die bei uns den stillen Ruheplatz der Todten flieht. Am Thore von Silivri bogen wir ein, nm in einen» Kaffeehaus uns zu erfrischen. Es war dasselbe von kleinster Art, doch befand sich ein Gärtchcn hinter dein einzigen Schcnkraum des Hänslcins; hier im Statten eines mächtigen Feigenbaumes nahmen wir den drannen Labetrank zu uns, der dem Orientalen sein Eins und 285 Alles ist, d. h. neben Tabak und Harem. Mächtige Wasserpfeifen wurden uns vorgesetzt, und behaglich schlürften wir den abgekühlten Rauch des duftigen Tanmelkrantes in die Bungen ein. Eine ziemliche Anzahl von Türken nnd Griechen niederer Stände war Mitgast; unbeweglich saßen sie anf dem strohgcflochtcnen Divan in stille Peschammg versunken, während der Kaffecwirth dagegen Wie Quecksilber hin- und herrannte nnd eine Aufmerksamkeit entfaltete, die dem an occidentalism Kaffeehäuser Gewöhnten fast befremdlich vorkommen mußte. Der türkische Kaffee ist vortrefflich; aber er mundet uicht gleich das erste Mal, da man sich nicht überwinden will, den mehlfeinen Sah mit zu schlürfen. Hat man aber einmal einige Uebung darin erlangt, so zieht man ihn gewiß jedem anders bereiteten Kaffee vor. Unaufhörlich werden die Bohnen frisch geröstet und im Mörser zerstampft, nicht gemahlen; mit einem Hornlöffelchcn süllt der Schenke die winzig kleine Schale zur Hälfte voll des feinen Pulvers und gießt dann kochendes Ci-stcruenwasser darauf, daß sich ein dicker, hcllbranncr Schanm bildet. Es gibt kein erfrischenderes, anregenderes Getränk, besonders in der heißen Tageszeit, und dasselbe sättigt nebenbei in ungewöhnlichem Maße. Nach einer halben Stnndc trabten wir weiter längs der Mauer bis znm Thore Edreneh, dnrch welches wir wieder in die Stadt einzogen. Eines der schmutzigsten Quartiere derselben beginnt hier, das Indenviertel, das den Gipfel der Unsanberl'eit aber erst jenseits des goldenen Horns, in Haskoci erreicht. Wir machten Halt in einer uralten Nuine edler byzantinischer Äanarl, sie heißt der Palast des Belisar, ob mit Necht, möge dahingestellt bleiben. Kaum hatten wir die Stnfen einer Art Hühnerleiter betreten, die zum ersten Geschoß führte, so waren wir auch schon umgeben von eiuem halben Hnndcrt greulicher Iudenkinder, die sich an uns klammerten, um den Zoll des Äakschisch zu erheben; es war schwer sich von ihnen loszumachen, und es gelaug uur durch den Kunstgriff, einige Paras herab auf die Erde zn werfen, wo. 286 rauf sich ein so merkwürdiger Knäuel nnter ohrzcrrcißcndem Geschrei am Vodcn wand, daß der ernsthafteste Mensch sich des Aachens nicht hätte enthalten können. Aber wie der Wind waren sie wieder hinter nns drein, nnd mir das energische Znfchlagen nnd Bcr-riegeln des schmalen Pförtchens, das nns Einlaß gad, rettete für einige Augenblicke vor ihrer Zudringlichkeit. Ein altes, übermäßig fettes Iudenweib nahm uns in Empfang, allerdings mit etwas argwöhnischen Vlicken nns musternd. Der hohcNanm, in welchen wir traten, war rings mit Divans nmstellt; er schien das Granen-gemach zn sein, denn die Alte gestattete taniu einen Nmblick darin, sondern drängte uns hinans in die, düsteren Ränmc der Ruine. Zu sehen gab es hier nicht viel, doch ward uns von einem Altan herab ein befriedigender Nmblick auf das Häuscrgcwirr von Vlacher-mcs, alls das goldene Horn und die ganzen nördlichen Stadttheile. Der Nückzug war gefährlich; zuerst hielt die Alte die Hand ans, dann kam ihre Tochter, die an dem Pförtchcn Schildwache gestanden hatte; draußen war die Leiter von oben bis unten mit schwarzen Krausköpsen beseht, sie wankten und wichen nicht, keine Möglichkeit, herabzukommcn. Es wurde wiedernm das früher mit Erfolg angewendete Mittel versncht, diesmal aber vergeblich, denn die Kupfermünzen wurden schon in der Lnft von der unten harrenden Bande erhäscht, das Pförtchen hinter nns war hermetisch verschlossen. Da ergriff Antonio einen Scherben mit Nasser, der auf der Mauer stand, nnd goß ihn über die Köpfe der hoffnungsvollen Kinder Israels. Ihr Abscheu vor dem Element der Taufe hatte die lustigste Wirkung, wir benutzten die Verwirnmg, um die Leiter hinabznrutschcu, aber es kostete noch manchen Kampf, nm glücklich auf die Pferde zu gelangen. Die Ehrentitel, die man uns nachrief, nud zwar ans allen Häufern ringsherum, deren Einwohner an Fenster und Thüren geeilt waren, verstanden wir glücklicherweise nicht und suchten so rasch als möglich fortzukommen. Au der Moschee des Sultans Selim vorüber, gelangten wir wieder bis 287 zur Brücke, pMrtm dieselbe und ritten dilrch Galata und Pcra bergauf bis zu der prächtigen Arlillcriel'asmie; von da über den großen Kirchhof hinweg nach der kaiserlichen Gcwehrfabril, die Höhe hinauf bis zu dcm Cadcttenhaus der Garde. Hier hat man wieder eine überaus prächtige Fernsicht-, unter den Füßen das nene Serail von Vesckil'tasch, die jetzige Residenz des Sultans, ein prachtvoller weißer Warmorpalast, dicht am Meer, zn welchem eine reiche Freitreppe niederführt, an deren Schwelle die goldgc-schmücktcn KaikZ des Sultans liegen; ein hohes goldenes Gitter schließt den Hofraum des Palastes ab, in welchem geschmackvolle Vlnmenparterres, musterhafte Reinlichkeit und Ordnung einen überaus angenehmen Eindruck machen. Dicht daneben ist die kleine, elegante Moschee der Snltanin Valide. Jenseits des Bosporus dehnt sich die asiatische Küste in der reizendsten Abwechselung von waldigen Höhen gekrönt bis in weite Ferne sichtbar aus. Aber wir waren müde und froh, als wir nach wohlvollbrachlem Tagewerk au der Tafel des Hotels Platz und Erfrischung nehmen konnte». Solche Fülle vou herrlichen Früchten, Trauben, Pfirsichen, Orangen nnd Granatäpfeln, wie sie hier vor uns pnrngte, hatten wir niemals gesehen. Noch vor dem Ende des Diners erhob sich eine hohe, etwas gebeugte Dame mit grancm Haar vom obersten Platze der Tafel, um dcu Salon zu verlassen; ehrerbietig stand die ganze Tischgesellschaft auf, sie mit tiefer Verbcngnng zn grüßen; es war Lady Franklin, die Wittwe des berühmten Nordpolfahrers. Durch Vermittelung der russischen Gesandtschaft suchten wir um einen Herman zur Besichtigung des Serails und der Moscheen nach; er ward nns bereitwillig zngcsagt. Am nächsten Morgen beschlossen wir einen Ausflug uach Asien. Jede halbe Stunde fährt von der Ärücle ein Dampfboot nach Sentari und der Verkehr ist so außerordentlich lebhaft, daß es wahre Kämpfe verlangt, um zwischen dem Vrückeugcländer hiudurch an Vord zu kommen, ssinc besondere Abtheilnng des Verdecks ist für die Frauen reservirt uud 288 wehe dem, der es wagen wollte, die geheiligte Grenze zu überschreiten, oder mit allzn großer Neugier uur darüber hinwegzu-starren. Das Boot sah äußerst verwahrlost aus, das Verdeck abzuwischen schien blos dem Regen überlassen, Kapitän und Mannschaft standen im Einklang zn de^n Fahrzeug. Aber dies vergaß man über dem prächtigen Panorama, das auf der kurzen Fahrt sich in immer neuen Gestaltungen vor den trnnkcnen Blicken anf-rolltc. Man bedauert fast, daß die Strecke gar zu schnell zurückgelegt wird, es braucht kaum cine halbe Stunde vou Galata bis Scutari. Diese asiatische Vorstadt von Constantinopel trägt einen viel orientalischeren Charakter, wie das letztere. Die Straßen sind eng nnd regellos, die Häuser fast alle von einerlei Banart, mit überhängenden Erkern, Alles vergittert und verschlossen. Wir stiegen die Hauptstraße bergan und gelangten bald nach dem Mesaristan oder großen Friedhof, ans welchem sich ieder bemittelte Türke betten läßt, um in der geheiligten Erde Asiens zn ruhen. Gin dichter Cypresscnwald bedeckt die Spitze der Anhöhe, an deren Fuß dicht am Meer die große Kaserne der Garde liegt. Wir beabsichtigten, von hier ans zu Pferd nach Vulgurlu Tepe, einen, kegelförmigen, isolirlcn Berg, zn reiten, dessen platanengckrönter Gipfel eitle wundervolle Anssicht bietet uud das Ziel der Laud-partieen aus der Stadt ist; aber au dem Drofchkcnplatz von Neni Mahalle, wenn man den Haltpnnkt der Pferde nnd abenteuerlicher Fuhrwerke für die Ausflüge türkischer Damen so nennen darf, schien man uus für Engländer zn halten und verlangte hundert Piaster für cm Pferd. Dies war selbst dem Antonio zu viel und somit beschlossen wir, zu Fuß in Asten weiter vorzudringen. An der Besitzung von Haider Pascha vorüber, immer längs dem Meere hin, schlenderten wir gemächlich nach Kadikoei, dem alten Chaleedon. Unterwegs glückte der Fang einer prächtigen Landschildkröte; sie hat, iil einen Fruchtkorb verpackt, die Reise uach Deutschland glücklich zurückgelegt und hält eben ihren Winterschlaf 269 in einem mit Baumwolle gefütterten Cigarrcnkasten. Kadifoci ist ein freundliches Dorf dicht an der See mit einem fehr eleganten Kaffeehans am Landungsplätze; wir ließen uns hiev nieder und erquickten uns an Kaffee uild wunderschönen Weintrauben, die in großen Hansen auf der Straße aufgethürmt waren. Alsdann nahmen wir ein Kalk mit zwei Ruderern, nm nach Constantinopel zurückzufahren. Die Kalks sind eigenthümliche Fahrzeuge, lang und schmal, über und über mit geschnitzten Arabesken verziert; im Spiegel liegen Polster nnd Teppiche für die Passagiere, welche ihre Last reckt gleichmäßig vertheilen nnd sich jedcr stärkeren Be-wegnng enthalten müssen, weil der fcharfe Kiel sonst umkippt oder das Boot schwierig zu rndern ist. Antonio, welchem Stillcsitzen nicht verliehen war und der außerdem als dritter Mann auf den Voden in der Mitte des Ka'ik placirt ward, hatte fortwährend Streit mit den beiden Ruderern, zwei Inselgriechen, hochgewachsene, kräftige Gesellen. Sie handhabten die Nuder mit bewundernswürdiger Sicherheit und Ausdauer; ich beobachtete die merkwürdige Vorsicht, mit welcher sie athmeten. Sie zogen die Luft tief ein, um sie mit vollen Backen fast pfeifend und ganz laugsam wieder ausznblascn; sie thaten einen Athemzug, während wir deren drei nöthig hatten. Es war aber auch keiu leichtes Stück Arbeit, denn es ging gerade der Strömung entgegen. Wir hielten uns möglichst dicht an dem asiatischen Ufer bis zu den, Kiß Kulefsi, oder Thnrm des Leander, einer Rniuc mitten im Bosporus, die ihren Namen irgend einem unwissenden Romantiker vcrdaukt. '^on da an schnitten wir gerade hinüber nach Galata nnd gericthen mitten in eine Heerde von mehr denn huudcrt Delphinen, lustige Bnrsche, deren breite, schwarze Nucken übel- den Wasserspiegel emporragten, in wclckem sie plätschettcn, sprangen lind spielten, unbekümmert um unser Voot. Antonio behauptete, dies deute eine Wetter-Veränderung an nud begaun darüber mit den beiden Griechen, die ihn auslachten, nach seiner Art emc sehr hitzige Debatte. Der Ha mm, Steppen u»d Städte. 19 290 Eingang des goldenen Horns bildet den Hafen von Constantiuopcl; es lagen sehr viele Schiffe in demselben, namentlich eine ungewöhnliche Menge von großen und kleinen Dampfern. Dic hier herrschende Lebhaftigkeit dcs Verkehrs weis? ich nnr nut derjenigen der Thcmsc bei London zu vergleichen nnd ich glaube fast, die letztere kommt dabei zn knrz. Auf nnserm Wunsch landete das Kalk oberhalb Galata in Topchane, am Platze der Hafenwache, an deren Werft wir kecklich ansstiegcn. Kau»» aber waren wir zwischen die Kanonen gerathen, als ein furchtbarer Albamfe uns in sehr encrgifcher Weise umzukehren bedeutete, eine Patrouille kam hinzu und wir wichen der Ucbermacht. Allein am Landungsplatz war schon kein Kail' mehr zn sehen und so konnten sie denn weiter nichts thun, als nns die Höfe hindurch escortiren und durch ein Pförtchcn nach Galata hinauslassen. Wir hatten nichts dagegen; Von der nunmehrigen Wandcrnng durch die verrufensten Gassen dieses verrnfensten Viertels von Constantinopel werde ich mich aber wohl hüten, zu erzählen; hier lebt der Auswurf der Menschheit, nnd nur an hellem Tage darf man wagen, sich hierher zu verirren; es wäre aber gut, wenn man Augen und Nase dabei außer Thätigkeit setzen könnte. Es wurde nns aber ein recht frenndlicher Ersatz für das Ausgestandene. Aus dem alten, runden Geuucser-thnrm, der das hervorragendste Monument von Galata bildet, lebte in dem Wächter dem Antonio ein gar getreuer Oastfrcund; zn ihm lud er nus ein nnd wir kletterten die düstere, verwahrloste Treppe dcs ungeheuer massiven Gebändes hinan. Das obere Geschoß bildete eine vielfenstrigc, kreisrunde, heitere Stube; entgegen trat uns ihr Bewohner, der Commandant des Thurmes, ein kleiner, alter Türke mit langem, weißein Vart, würdig und freundlich, mit gcrrenztcn Annen bengte er sich nud rief das: ßalllm alü^lium, dann führte er uns in eine der tiefen Fensternischen, wo wir es uns auf Teppichen bequem machteu, während ein geschäftiger Junge, der wie durch Zauberei aus irgend einem 291 Winkel hervorgekommen war, die Tschibuks brachte und das Kohlenbecken. Der alte Wächter aber entfachte dem Herd inmitten des Gemachs ein Ncisigfeuer zur Bereitung des braunen Dufttrankes, der dem Türken jede schöne Stunde schmücken muß. Dieses Thurmgemach ist wahrscheinlich die schönste Wohnung auf der ganzen Erde, wenn mau als Kriterium nur die Aussicht gelten lassen will. Ich wciß nicht mehr genau, besitzt es acht oder zwölf Fenster; aus jedem derselben genießt man eiuc wunderbare Ausschau auf die immense Stadt und ihre reizenden Umgebungen, und mit dem Nahmeil wechselt auch immer das Bild. Wir stiegen auch auf verdächtigen Leiter» bis auf die freie, oberste Plattform des Thurms, von der aus sich die Ein^lgemälde des tieferen Stockwerks zu einem ungeheuren Panorama gestalten, für dessen darben das Wort zn arm ist. Der Thurm dient als Feuerwache und sigualirt die ankommenden Schiffe. Das gute Pernehmcn Antonio's mit dem alten Wächter bezog sich auf die letztere Obliegenheit; wurde ein Dampfer mit Passagieren erwartet, so gab der Thürmer durch ein Pnvatsig»al dcm Hotel Nachricht, sobald er in Sicht erschien und ward dafür anständig honorirt. Wie weit die türkische Indolenz geht, konnte man hier auf dem Thurmgipfel deutlich gewahren; obgleich der Wächter täglich heraufsteigt, so hat er es doch niemals der Mühe werth gefnndcn, den Haufen morscher Bretter, die hier oben durch Ncgen und Sonnenschein verwesen, so zn ordnen, daß ein genügendes Plätzchen M sichcrem Standpunkt vorhanden sei; es wäre die Arbeit einer Viertelstunde, aber das ist schon viel zu viel. Wenn ssnn-r den Hals bricht, so hat er ihn brechen sollen, und damit ist Alles gut. Richtet man an den Türken eine überlästige Frage, wie z. V., warum er nicht zu rechter Zeit durch ein kleines Mittel einem groben Nebel vorbeugen wolle? so besteht seine ganze Antwort in einem unendlich gutmüthigen, halb schlanm, halb bemitleidenden Lächeln, als wolle er sagen: „Armcr Teufel, was verstehst du von der Knnst dcs Lebens?" Als wir wieder in 19* 292 den Fenstern saßen, nnd der dampfende Kaffee aufgetragen war, sah ich mich erst recht in dem Thnrmgemach um. Sein ganzes Möbelwerk bestand in Teppichen, Polstern und einigen Kisten, zu meiner größten Verwunderung hörte und sah ich, daß der Wächter zugleich ein Geflügelhändler war und die Geflügelzucht hier oben auf dem Thurm praktisch betrieb. Einc Menge Tauben und Hühner spazierte ganz zutraulich zwischen uns umher, sogar ein paar Truthähuc fehlten uicht. Für die Tauben war gesorgt, sie fanden zahlreiche Nistplatze in dem alten Gemäuer, aber das Hühner-vieh war zeitlebens auf das Zimmer in, obersten Stock angewiesen, gewiß ein seltsamer Hühnerhof. Wir konnten nus lauge uicht trennen von dem alten, freundlichen Wirth und seiner luftigen Behaufuug. Er entließ uns mit Segenswünschen und nahm uus das Versprechen ab, daß wir wieder tommcn wollten. Auf dein Nückwcg führte uns Antonio bei einem griechischen Weinhändler ein, seiu Keller war ein ebenerdiges Magazin, worin ein Dutzend großer Fässer von schr zweifelhafter Vcmart lag; nichtsdestoweniger mundete dcr ans ihnen frisch weg gezapfte Viiw äi sanwi'm« ganz köstlich; man hält ihn für deu besten griechischen Wein, er gleicht den feurigsten Ungarweincn, ist tief goldgelb oder auch rothgelb, mit etwas zusammenziehendem Geschmack und einer leichten, gcwürzhaften Vlume. Den 9lord!ändern behagt und bekommt er weit bcffer, wie der berühmte Cypvicr, unter dessen Namen man aber gewöhnlich ein entsetzliches Gebräu aus Hckate's Küche bekommt. Ein in Constantinopel vielberühmter Wein ist derjenige von der Infel Tenedos; er ist ein sogenannter Bratcnwein, nicht süß, aber geistig, und stärker wie der Brnssawein. Wen« es an Empfehlungen mangelt, oder wer sie nicht be-nuhen, alfo den Abend nicht in irgend cincr bcfrcundcteu Familie zubringen kann oder will, der kommt in Constantinopel in Verlegenheit, was er damit anfangen soll. Ausflüge zu macheu, ist für den Europäer immer gefährlich; nach Sonnenuntergang dars 293 er sich weder m Seno niemals — einiger Armbänder, Rosenkränze nnd anderer niedlichen Dinge gelangt. Froh, los zu kommen, zog ich ihn nach dem Ansgang; da war anf einmal der Handschar wieder vor meinen Angeil nnd der Mann frug mit der gewinnendsten Ueberredung: „Achtzig?" Nein. „Siebenzig? Sechs-zig? Fnnfzig?" Nein. Ich war aber noch nicht auf der Schwelle, so besaß ich die Klinge lind er zwei Napoleons. Fromme Segenswünsche begleiteten uns. Aber sie schieneil so wenig hier zu gelten, wie die Schwüre der Gerechten. Als ob sich das Gerücht verbreitet hätte, Rothschild habe uns abgesandt, um den Bazar von Constantinopel ansznkanfen, so wurden wir in der Gasse desselben wieder empfangen. Eine Menge von lungernden Tagedieben, lauter Juden und Griechen, umdrängte nns, faßte nils an 301 den Rockschößen, suchte uns dahin, dorthin zu zerren, ein Geschrei und Geplapper, nm verrückt zu werden, Jeder wollte uns führen, Jeder uns etwas ausschwatzen, Jeder etwas tragen oder helfen. Trotz der energischsten Grobheit in Worten nnd Geberden wnrden wir die Kerle nicht los, sie zogen nnanfhorlich hinter uns drein und vergällten nns jede Vetrachtnng. Was soll man machen, wenn man solch' einem schmierigen Gesellen die Faust unter die Nase hält und er beugt sich zur Entgegnung demüthig herab um den Rockzipfel zu küssen? Unter den vielen Magazinen nehmen diejenigen der Schnhwaarcn in Glanz und Pracht ihrer Produkte eine der ersten Stellen ein. Diese gold- und silbergestickt cn Pantoffeln sind so verführerisch, daß Einem auf der Stelle irgend ein Liebes in der Heimath einfällt, dem mau mit solchem uied-lichem Wunder eine große Freude bereiten tonnte; wir kauften auch Pantoffeln. Unverzeihlich wäre es gewesen, ohne einen ächten Fes von hinnen zu fcheideu; wir kauften auch Fes. Dann waren die Buden der Parfnmenrc mit den Wohlgerüchen Indiens, Per-siens und Arabiens gar zu anlockend; da waren ächtestes Noseno'l, Ambra, Moschusbeutel, Metkabalsam, Sandelholz, Alo«, und Myrrhen; auch hier kamen wir in den Besitz orientalisch dnsten-der Rosenkränze und Näuchcrwerke — nun aber war es genug und wir begaben uns auf die Flucht. Dies schien jedoch dem unverdrossenen Schwärm unserer Begleiter außer dem Spaße zu sein, sie verlegten uns den Weg, hundert Häude sireckten sich uus entgegen, Jeder wollte der Führer gewesen sein, es war nicht zum Durchkommen. Da mußte endlich Ernst gemacht werden, und es gab einige unsanfte Berührungen; aber das Zeter, das sie unn-mehr über uns schrieen, muß man erlebt haben. Antonio schüttelte sich wie ein nasser Pudel und lachte, als wir heraus waren; ein Jude, welcher behauptete, uns zu dem Fcsverkäufer geführt zu haben, folgte nns bis an die Brücke und verließ uns erst da mit einem energisch gerufenen, glücklicherweise unverständlichen Gruß. — 302 Der Abend dieses Tages wird mir unvergeßlich sein. Nir verbrachten ihn auf der Terrasse des Hotels, deren Belvedere einen prächtigen Blick hinüber nach Scutari ,mt dein Thnrm des Leander nnd auf den Hafen verstattet; Oraugcblüthen durchwürztcu die ^'ust mit süßem Hauche nnd am dnnkelblancn Hinunel stand iil unbeschreiblicher Majestät der große Komet. Ihm aber wandte sich mindere Aufmerksamkeit zn, wie einer reizenden Dame unserer Gesellschaft, Sie war eine Französin, Mademoiselle Vcaud, ein liebliches Kindergesicht, frisch weiß und roth, edle, schlanke Gestalt mit. großen blauen Augen, blonden Locken, Rnbincn-Lippen und wunderschönen Zähnen; sie war uns bei Tafel jchon ebensowohl aufgefallen durch Schönheit nnd gewählte, diamantenreiche Toilette, als sie uns deute durch die Liebeuowürdigteit ihrer fast schüchtern reservirtcn Unterhaltung bezauberte. Erst später erfuhren wir ihr Schicksal. Said Pascha von Aegypten hatte sie, fast noch ein Kind, in Paris gesehen und, wie man sagte, von ihre»» Verwandten ertauft, sie war ihm nach Kairo gefolgt und mehrere Jahre die erklärte Favorite seines Harems gewesen. Aber ein neuer Stern aus Italien hatte sie aus der Guust des Gebieters verdrängt und sie war verstoßen, oder vielmehr mit einer Summe von 100,000 Francs abgefunden worden. Sie schien sich über ihr Loos sehr beruhigt zu haben und der Hof, welcher sie fortwährend nmgab, verringerte sich nicht, auch als man wußte, wer sie war. Könnte sie doch ihre Memoiren schreiben; vielleicht thut sie es. Der Ferman war erschienen, und in einer Gesellschaft von neun Personen, darunter eine Dame, Engländerin, machten wir uns am nächsten Morgen in Begleitung eines schnurrbärtigen Kawasscn als Sauvegarde alls dcu Weg nach dem alten Serail; wir bestiegen in Gnlata ein großes Poot, das uus quer über die Mündung des goldenen Horns nach dem öden Quai des Sera'i Humayuue trug, einen« der schönsten Spazievgänge der Erde, der aber von Niemand benutzt wird, wic vou einer traurigen Schild- 303 wache. Ein Pförtchcn öffnete sich, wir schritten über einen Hof, stiegen eine Treppe hinan und befanden uns in dem alten Palast des Großhcnn, welcher gegenwärtig nicht mehr bewohnt wird, außer von einer Anzahl seiner abgedankten Weiber. Offen gestanden, blieb der Eindruck sehr weit hinter der Erwartnng zurück; wir hatten von orientalischer Pracht geträumt, von Gold nnd Edelsteinen, märchenhaft bemalten Marmorhallen mit springenden Brunnen aus goldene» Löwenköpfcn, von wunderbaren Geweben nnd Teppichen, von den Kimstwevken morgenländischer Zanberer — nichts von alledem, sondern die nüchternste, hausbackenste Prosa, ohne Geschmack nnd ohne Lnrus. Alles erschien so verblichen, so unächt, so ganz ohne Wahl placirt, daß ich nicht umhin konnte, Vergleichungen anzustellen mit den Wohnungen mir bekannter Berliner Kaufleute, welckc hundertmal kostbarer nnd tausendmal eleganter eingerichtet sind, wie diese des Beherrschers aller Gläubigen. Besonders viele Uhren fand man aufgestellt, mit wenigen Ausnahmen aber saheil sie alle ans, als seien sie zufällig anf dem Trödelmarkt erstanden worden. Am spaßhaftesten ist die Bildergalerie; hier hängt Crethi aind Plethi durcheinander, die Mehrzahl der Tableaur besteht aus ordinären, illuminirten Lithogra-phiecn, nnd ordentlich traurig in seiner Verlassenheit häugt mitten darnuter ein Ölgemälde, Scestück von Gudin, Geschenk Louis Philipps an Ncschid Pascha, Es ist sehr vernachlässigt und seine Betrachtung bietet einen großen Spielraum zum Philosophiren über die Vergänglichkeit alles Irdischen. Der Thronsaal, in welchem die Andicnzen ertheilt wnrdcn, liegt in der südöstliche», Ecke des Palastes, mit prächtigem Fernblick anf den Bosporus und die asiatische Küste. Er ist aber so ärmlich ansgcrüstet, daß man sich eines Lächelns nicht erwehren kann, namentlich wenn man die Thronsäle des Kremlin in Moskan nnd des Ninter-palastes in St. Petersbnrg gesehen hat. Der in der Ecke auf einem niederen Tritt aufgepflanzte Thronscsscl entsprach den, Uebrigen, 304 t>ie Vergoldung war schwarz geworden, die grüne Seide verschossen, die Stickerei beschädigt, die wenigen Edelsteine darin blind oder falsch; ganz frei und nackt stand er da, ohne Baldachin oder Hintergrund. Unsere Engländerin, eine Virago, stieg ohne Weiteres die Stufe hinan, um zu probiren, wic es sich auf dem Throne der „Sonne der Welt" sitze, aber mit einem Angstschrei warf sich der uns begleitende Wächter zwischen sie und das geheiligte Object und jagte die verwegene Barbarin mit zornsprühenden Geberden hinweg von der Tribüne. Der gute Mann war lange nicht zu beruhigen über die maßlose Keckheit, daß ein Fremdling, und noch gar dazu ein Weib, es wagen gewollt, den Thron des Sultans einzunehmen! Wir zogen dnrch eine lange Neihe von Zimmern, alle sehr einförmig und fadenscheinig ausgestattet, mit persischen Matten anstatt der Tcppiche belegt, und stiegen hinab in den inneren Garten des Serails, vordem nur dein Harem des Großherrn zugänglich. Er war etwas verwildert, aber die Natur ersetzt hier reichlich die Knnst. Die prachtvollsten tropischen Gewächse blühten im Schutze der Mauern in voller Ueppigkeit, der Führer — an jeder Pforte bekamen, wir uatmlich einen neuen, welcher seinen Zehnten beanspruchte — wohl der Gärtner selber, pflückte mehrere wunderschöne Blumensträuße ans Geranien, Orangenblüthen, Granaten, Nosen und vertheilte sie sehr artig, bat sich aber hernach dafür je einen Franc aus. Ueberall waren die Lorbeerbäume zu hohen Pyramiden verschnitten, Myrthen und Kirschlorbeer bildeten vorzngsweise das Gebüsch, darüber erhoben niedrig-stämmige Granaten ihre runden Kronen, in welchen die reifen Früchte neben den brennend rothen Blüthen prangten. Ich hatte einen herabgefalleuen Granatapfel aufgehoben nnd fragte pantomimisch die zwei Soldaten von der Schloßwache, welche wahrscheinlich zur Aufrechthaltung der Ordnnng hinter nuö drein marschirten, ob ich ihn behalten dürfe; sogleich machten sie die bezeichnende Gebcrdc mit der Hand: Bakschisch! Und als ich einen Franc in 305 dieselbe legte, singen sie sofort an, den Granatbaum zu plündern, iudcm sie unbarmherzig die Zweige hcrabrissen und ich ihrer Freigebigkeit kaum Einhalt gebieten konnte. Aus den Kiosken von den Terrassen des Gartens herab grnicßt man cine wundervolle Aussicht und es gehört nicht viel Phantasie dazu, um sich den Nciz einer orientalischen Mondscheinnacht beim Klang der Cymbelu und dem Tanz der Odalisken hier nach Vclicbeu auszumalen. Aus dem Garten wanderten wir in das berühmte Kostümcabinct; dasselbe cuthält mehr als dreihundert lebensgroße, ziemlich plump geschnitzte Holzfignrcn in dem wahrhaftigen Kostüm der verschiedenen Chargen des Klerus, Bcamtenthums, Militärs und von allen der Türkei unterworfmen oder zinsbaren Nationen. Es fiuden sich viele Portraits unter diesen barocken Gestalten, die ciu merkwürdiges ethnographisches Museum bilden, worin ein Zeichner rcichcu Stoff für seine Mappe finden würde. Die schönsten Figuren stehen in Glasschränken, es sind siorentinische Wachsbilder von hoher künstlerischer 'Vollendung nnd sie stellen die vier Lieblings-knabeu des Sultans Mahmud iu ihrer höchst kostbaren und malerischen Nationaltracht dar; wenn, wie hartnäckig behauptet wird, diese Wachsfiguren wirklich vollkommen ähnliche Porträts sind, so hat es niemals eine weibliche Schönheit gegeben, die sich mit derjenigen dieser Knaben messen konnte; man kann sich von ihrer Betrachtung schwer losreißen und verzeiht dem alten Ianit-scharcnschlächter Vieles, nur uicht, daß er solche Knabeu straugu-lircu ließ, wenu die Natur aus ihnen Männer machen wollte. Die altgricchische Kirche der Kaiserin Irene war unser nächstes Ziel; sie ist jcht zum Zeughaus eingerichtet, uud wenn dasselbe auch nicht besonders groß ist, so zeichnet es sich doch durch musterhafte Ordnung uud ziemlichen Reichthum an Waffen aus. Unter den letzteren zogen nns diejenigen tscherkcssischer nnd knrdistanischer Völker am meisten an. Hier werden die Schlüssel der Dardanellen nnd dicjemgcn allcr Städte des Reichs verwahrt uud gezeigt; der Ham>n, Steppen und Slädtc. 20 806 höchste Schatz aber sind die Schwerter des Propheten, die in einem kostbaren Gehäuse sich befinden und von Ungläubigen nicht berührt werden dürfen. — In einer besonderen Abtheilung des Palastes der hohen Pforte, einem ebeuerdigen Saal, ist eine archäologische Sammlung aufzustellen begonnen worden; sie ist arm für den Ort ihrer Entstehung, reich im Werth ihrer Einzelheiten. Als das werthvollste Stück derselben verehrt der christliche Besucher das Marmorgrabmal des Apostel Johannes mit griechischer Inschrift. Prächtige Porphyr-Sarkophage byzantinischer Kaiser sind vorhanden; andere aus penthclischem Marmor mit hoch erhabener Vildhauerarbcit iu vortrefflichem Style geziert, würden noch viel werthvollcr sein, weuu nicht die rohen Türken den Figuren der Reliefs alle Köpfe abgcschlagcu hätten. Aus dem Hof des Serails schritten wir nach der Aya Sofia, der Sophienkirche, dem Wuudcr der orthodorcn Welt und nicht blos dieser. Auf dem Wege dahin entfaltete der Straßenpöbcl feine ganze Liebenswürdigkeit gegen uns, wahrscheinlich empörte ihn die uuver-schleiertc Dame in der Gesellschaft; die liebe Jugend bcwarf uns mit Meloneuschalcn und das „Giaour, Giaour!" schallte uuauf? hörlich hinter uns drein, felbst bis in die heilige Wölbuug des Gingangs der großen Mofchec. Hier mußte nuu die lächerliche Ceremonie des Sticfelauszieheus oder Ucbersckuhens vou Pantoffel«: vorgenommen wcrdeu; ein kleiner, dicker Engländer unter uus wollte sich dersclbeu durchaus »licht unterwerfen, und zankte sich weidlich mit deu Dragomaueu uud Muezzims herum, die ihm vergeblich Vernuuft predigten, lind als dies nichts half, die Thüre vor der Nase zuschlugen. Wir waren in der Sophienmoschce. Gott ist groß uud Mohamed ist fein Prophet — einerlei, welche Religion du bekennst, hier wirst du fromme uud große Gedanken zu fassen vermögen. Eiu wuuderbarcr Tempel, troh aller Ver-ftümmcluugen! Die gewaltige Kuppel, deren Höhe das Auge täuscht, wölbt sicy so frei, so imposant über deu mächtigen Strebe- 3N7 Pfeilern, wie kaum die von St. Peter in Rom, obgleich diese größer ist. Der ganze Bau ist im edelsten Verhältniß gehalten, hätte mau nur Erlaubniß und Muße, seine Einzelheiten zu studireu! In kostbarer Pracht ist diese Kirche wohl von keiner der Welt übertreffen worden, alle Wände der oberen uud unteren Galeriecn uud dic ganze Kuppel sind aus edelster Mosaik zusammengesetzt. Einer der Muezzim schlug mit einem Eisen Stücke davon herunter und bot uns die vergoldeten und buuten Glasflüsse zum Kauf an, ich wandte mich mit Ekel davon ab. Auf diese vandalische Weise sind schon ganze Theile des Plafonds und der Wände demolirt worden. Hier, ich gestehe es offen, hat sich mein Grimm darüber, daß die Türken zu den Europäern gezählt werden, am heftigsten geregt. Wie lange noch wird dieser Herr-liche Van in den Händen der Moslem sein? fragte man unwillkürlich. Da deutet der Dragoman hinüber auf die uugchencrc Goldwand, die eiustmals den Ikonostas bildete, und auf derselben erscheint in den allerdeutlichsten Umrissen ein riesiges Äildniß — es ist unverkennbar das des Heilands der Welt. Seit so vielen Iahrhnnderteii habe» die Türken alles Mögliche versucht, es hin-wegzubringen, haben es übertüncht und übergoldet, aber immer tritt es nach eiu paar Jahren wieder deutlich und immer deutlicher hervor, bis es von Neuem überpinselt wird. Die Griechen erblicken darin cm Wunder, welches sie dahin deuten: „Der Heiland wird zurückkehren in die Stätte, die ihm bereitet worden ist!" Andere christliche Reminiscenzen bemühen sich die Mufti's mit ungeheuer großen Tafeln, auf welchen der Namcuözug des Propheten gemalt ist, zu verdecken; dieselben trag'n keineswegs zum Schmuck der edlcu Kirche bei. Wir dnrftm nur die obere Galerie betreten; uutcu war Gottesdienst. Die Gläubigen saßen in abgesonderten Kreisen da uud dort auf Matten lind lauschten eiutöuigen Vorlesungen; es war aber immer ein Gehen und Kommen, nud viele Augen richteten sich herauf nach uns, anstatt 20* 306 au? den Vorbeter. Lange ward der Aufenthalt nicht gestattet, die Wächter trieben uns ordentlich wieder von dannen. Wir schieden still und mit wehmüthigen Gefühlen aus dem wunderbaren Gotteshaufe. Nunmehr wanderten wir zn dcr Mofchee des Snltan Nchmet, einer verschnörkelten Nachahmung der Sofia, die aber trotz ungeheuerer Größe mit ihrem schmucklosen, plnmpen Inneren und weißgetünchtcn Wänden keinen sonderlichen Eindrnck auf uns machte. Um so tiefer war dcr, den wir am Grabe des Sultans Mahmud und feiner Frauen empfingen. Es ist ein heller, freundlicher, mit goldenem Gittcrwerk nmschlossener Kiosk, umduftct von Myrten und Kirschlorbeerbänmen, eiu schlichtes, luftiges Gemach, durch dessen hohe Fenster die Sonne strahlte und die ewige Lampe verdunkelte, dcr Namn, in welchem fünf oder fechs Sarkophage, mit kostbar gestickten Teppichen überdeckt, die Gebeine des mächtigen Kaifcrs und seiner rechtmäßigen Frauen nmschlicßcn. Weihrauch und Ambra duftet unaufhörlich aus silbernen Kohlenbecken, kostbare Bände des Koran liegen aufgeschlagen, Sprüche in Goldschrift zieren die weißen Wände. Auf den feingcflochtmen Matten schleichen Priester in buntscidencn Kaftanen hin nnd her, als fürchteten sie die Nuhc der Todten zu stören. Welcher Abstich gegen nordische Grabgewölbe mit ihrem feuchten Moder und ihren schauerlichen Emblemen von Schädeln und Gebeinen! Os mnß ein Trost sein, seine Asche so freundlich mitten im sonnigen Glänze des Lebens gebettet zu wissen. — Damit war die Neihe dessen, was der Ferman uns eröffnet hatte, zu Ende und wir begaben uns auf den Rückweg. Den Abend dieses Tages verbrachte ich mit Antonio in Galata, nachdem ich die Vorsicht gebraucht hatte, mich in einen Griechen zn verwandeln; wir dnrchkrochen allerlei Höhlen, bis wir uns am Ziel befanden, in einem sogenannten Theater. Dasselbe, in einem düsteren, von hohen Manern umgrenzten Hofe aufgeschlagen, war weiter nichts, als ein fogenanntcs chinesisches Schattenspiel. Die Zuschauer bestanden zum größten Theil aus 309 Halberwachsenen und Kindern. Ueber das, was ich gesehen, muß ein dichter Schleier fallen. Die verderbteste Phantasie des Abendlandes würde auch im Entferntesten nicht an diese fchanderrolle Wirklichkeit reichen, an der das heranwachsende Geschlecht sich er-bante nnd bildete. Ich war froh, als wir ohne jede Gefährde wieder in Pcra waren, aber der olympische Wein wollte an diesem Abend nicht munden. Nachdem wir am uächsten Morgen auf der Agentur des Lloyd Plätze zur Weiterreise belegt und dabei unser gute» französisches Gold zu möglichst geringem Cours hingegeben hatten, warfen wir uns auf die bereit gehaltenen Pferde und sprengten in vollem Galopp dnrch Topchane und Fundukln nach der Moschee der Sultanin Valide, die durch einen freien Platz von Dolma Vagleche Serai, dem neuen Palast des Sultans, getrennt ist, um diesen letztereu zmu Gottesdienste reiteu zu sehen. Unsere Eile war um-soust gewesen, wir mußten noch zwei Stunden warten; in der guten Gesellschaft, die wir zu gleichem Zweck versammelt fanden, wnrde diese Verzögerung mit dein Frühstück des Großherrn, und dieses mit der Anwesenheit einer Deputation des Vercius uugari-scher Weinprodncenten iu Verbindung gebracht, welcher es geglückt war, ihre köstlichen Proben von Tokaier nnd magyarischem Champagner in das großherrliche Palais zu schaffen. Besonderen Scherz hatten wir mittlerweile durch die Freigebigkeit österreichischer Marineoffiziere, welche die nmstehendeu Türken mit den dünnen, langen, strohhalmdnrchwirkten Krenzercigarrcn ihrer Regie, vulFo Rattenschwänzen, beschenkten; freudig zündeten die bärtigen Turbanträger das fremde Gut an, aber sie zogen nicht lauge, denn so lcidcu-schajtlichc Raucher sie auch sein mochten, dieser Tabak war ihucn denn doch zu stark. Endlich wirbelte die Trommel, im nächsten Augeublick stand anf dem freien Platz vor der kaiserlichen Gewchr-fabrik ein Regiment in Parade, und zwar in einer Haltung und nüt einer Präcision, welche der größten Civilisation keine Schande 310 gemacht haben würde; das Gleiche war der Fall bei den Gewehrgriffen; Alles ging auf einen Schlag; man mußte Respect davor bekommen. Die Soldaten fahen vortrefflich ans, Alle in blauem preußischem Waffenrock, weißen PantalonZ nnd den rothen Fes auf dem Kopf; sie trugen säunntlich Percussiousgewehre. Jetzt ranschte die türtische Musik, in welcher der mit Noßschweifen verzierte Schellenbaum noch eine große Rolle spielt. Eine Anzahl von Pascha's sprengte vor in reichen goldgestickten Uniformen, sie sprangen vou den Pferden, welche harrende Diener übernahmen nnd schritten in der breiten Gasse zwischen Soldaten uud Zuschauern dem Sultan entgegen. Dieser tam auf ciuem milchweißen ftersi-scheu Pferd mit gelben Ma'lmeu uud Schweif, das vou zwei Negern geführt wurde, laugsam daher geritten; cr faß vorgebeugt, jeder Zoll ein kranker Mauu, ein eingefallenes hageres Gesicht mit matten dmcklcn Augen, ziemlich weißem Teint, umrahmt von einein dunkelbraunen kurzgcschorcncn Vollbart. Er trng den Fes, eine einfache dunkelblaue Uniform mit einem Stern auf der Brust und einen langen schwarzen Mantel trotz der Sonuengluth. Zu beiden Seiten längs des Spaliers der Menge schritt eine Negcrwache mit blant'en Säbeln, hiuter dem Sultan ritten riesige Eunuchen und ein großes Gefolge von Würdenttägeru des Hofes. Eine Schwadron cirl'asfischer Lauzcurciter bildete den Schluß der Proeession. Die Pascha's nnd Minister, sechs oder acht an der Zahl, schritten inmitten der Gasse dem Großhcrrn eutgegen nnd verbeugten sich tief vor ihm, indem sie die Hand ans den Mund und sodann auf die Vrnst legten; er grüßte mit ciueiu huldvollen Nicken. Sogleich schwangen sich die Pascha's wieder auf ihre Pferde, schloffen sich unmittelbar dem Sultan an uud ritteil mit ihm iu den umgitterten Hofraum seiuer Licblmgsmosckee. Das Volk benutzt diese Pro-cessioneu zum Aubriugen vou Bittschriften. Zu dem Ende stellt sich der Bittende in die vorderste Neihe, wo ihm Jedermann gern Platz macht uud hält die iu dem laugen türkischen Format gc- 311 schriebenc, mit einem Stiick weißer Seide oder Musselin umwickelte Schrift fortwährend hoch in die Höhe. Sobald der Großhcrr an ihm vorüber kommt, wirft er sich mit dem Angesicht zur Erde nieder, hält aber dabei scine Petition immer hoch über dem Kopf empor. Alsbald tritt ein Offizier ails dein Gefolge anf ihn zu und nimmt ihm dieselbe ab. Kein Einziger der Hülftsncheuden wird vergessen oder Übergängen. — Dcn Nest des Tages verbrachten wir an den süßen Wassern in Asicn, aber von den dort gesehenen Wundern mnß ich im Besonderen erzählen. Am Abend suchte ich zur Bereicherung meiner ethnographischen Kenntnisse in Begleitung des treuen Antonio ein türkisches Vad auf; er führte mich nach seiner Versicherung in Eins der elegantesten nicht weit vom Platze der Moschee des Sultans Sclim. Wir traten in einen von einer Lampe matt erhellten tempelartigeu Vorplatz, der mit Marmor geplättet und mit strohgeflochtenen Divans versehen war. Alsbald erschien ein ganz weiß gekleideter Jüngling, verneigte sich mit gekreuzten Armeu tief vor nur und erbat sich die Gnade, mir die Stiefel ausziehen zu dürfen, welche ihm huldvoll gewährt wnrdc. Er half mir zugleich mich der Obcrtleider zu entlcdigeu, fckob mir gestickte, etwas stark gebrauchte Pantoffeln an die Füße und warf nur eiucu weißen Mantel um, welcher ebenfalls nicht gerade aus der Wäsche an mich kam. Dann führte er mich in ein zweites kleineres, erwärmtes Gemach, das von Sandelholz-Näucherwcrk duftete und noch viel sparsamer erleuchtet war, cr breitete eine Matte auf dem Fußboden aus, entkleidete mich völlig und lud mich ein, mich darauf auszustrecken, worauf er sich mit einer stummen Verbeugung wieder entfernte. Ehe ich zum Nachdeukcn gekommen war, öffnete sich eine entgegengesetzte Pforte und herein sprangen Mi völlig nackte Knaben mit kupfernen Necken in den Händen, in welchen laues Wasser und Seife befindlich war. Ohne mich zu befragen, ohne cin Wort, begannen sie mich zu bearbeiten, d. h. mit einein dicken Seifenschaum zu überziehen, wobei sie 312 Augen, Nase, Mund and T)hr."l durchaus nicht verschonten, so daß ich mich in keineswegs angenehmer Verfassung befand, Die Seife reiben sie mit der Hand ein und peitschen sie dann auf der Haut mit einer Art langer Quasten aus Hauffädcn zn Schämn. Auch gegen diese Wohlthat war ich völlig gefühllos. Nachdem ich hinreichend eingeseift war, packten sic mich untcr den Armen, er-hobm mich und führten mich in ein drittes Gemach, das einer geräumigen Cisterne ähnlich war. Hier kam ich unter ciuc Brause mit lauem Wasser ;u stehen, die mir den Seifcuschaum abwusch uud dies war allerdings eine sehr augcuehme Empfindung. Die Knaben halfen mit wollenen Lappen der Brause nach und stießen mich daranf wieder zurück in das verlassene Kämmcrlcin. Hier empfing mich der frühere Diener uud warf mir einen durchwärmten Teppich um, geleitete mich zn dem Dioau uud streckte mich darauf aus. Jetzt traten auch die beidcu Knaben herein, diesmal mit einem weißen Tuch um die Lendeu, schälten mich aus meiner Decke heraus und begannen mich mit weichen Tüchern abzureiben. Dabei drückten und zogeu sie au allen Muskeln und Gelenken, ja durchkneteten förmlich den Körper; ich kaun nicht sagen, daß dies angenehm gewesen sei. Nachdem ich wieder den erstcu weißen Mantel nmbekommen hatte, wurde ich aufrecht gesetzt, einer der Knaben trocknete uud balsamivte mir das Haar, der andere nahcle mit Scheere und Bimsteiu, um meine Füße in Ordnung zu bringeu, der Dieucr warf neues Näucherwerk auf die Kohleuflamme, da fing es denn an, mir etwas nebelig zn Muthe zn werden, weil ich mich aber den Leuten nicht verständlich machen konnte, so muhte ich denn über mich ergehen lassen, was Sitte war, und nnr die allerletzten Anerbietungen des freundlichen Bademeisters wies ich mit Entschiedenheit zurück. Ich war doch froh, als ich im Vorgemach meinen Antonio wiederfand, der mit Tschibuk nud Kaffee es sich sehr bequem gemacht hatte; auch nnr wurde diese Labsale vorgesetzt; es ist Gebvauch und gut, das Vadehaus uicht zu ver- 313 lassen, bevor der Körper sick eiuigermaften abgekühlt und bcrubigt hat. Das wahre Wohlsein überkommt Eiucm erst eine Etnnde später, — nnd an dicscin Abend ward dein Wcin von Vrussa Ehre angethan. War es doch auch der letzte Abend in Stambul! Kein eivilisirter Mensch wird sür seine Lebenszeit in Constan-tinopel wohne»: w'oNen — das ist das Endresultat aller cmpfange-»eu Eindrücke. In diesen holperigen schmutzigen Straßcu. an dercu Neinigilng Niemand denkt, wie die Hunde; wo man gefallene Thiere achtlos liegen läßt, bis sie abgenagt oder verwest sind; zwischen diesen zerfallenen Palästen und morschen Häusern, inmitten dieser Vcvo'lkcnmg, die dcu Abschaum zweier Welten in sich ans-nimmt, kann sich Niemand wohl fühlen, der den Segen der Cultur gekostet hat. Den Fanatismus der Türken, ihren stets ausgesprochenen Haß gegen alle Franken ganz bei Seite gelassen, vermag man sich alls jedem Schritt nicht des Gedankens zu erwehren: Was kömtte diese Stadt sein, nnd was ist sie? Nur ihre Außenseite ist glänzend, sie gleicht der indischen Frucht, die nnter der schimmernden Schale moderndes Fleisch hegt. Wer den Bosporus entlang fährt, auf dem Thurm von Galata oder den Hügelu von Seutari steht, der darf ausrufen: „Dies ist das Paradies der Welt!" Aber wer sich in die znsammeugedrängten Gassen des Häuserhaufeus der Stadt verirrt, den erfaßt Ekel und Abscheu so häufig, daß ihm ein guter ThcU des Wohlwollens, das ihm die bestehende Umgebung eingeflößt hat, wieder verloren geht. Und wohl hat das Sprüchwort der Malteser über ^onstautinop-l Necht: Mcr Städte Krön' und Stcrn, — Ab« nur von fern. 314 XIV. All den siißcu Wassern in Asien. An dem öden Quai, dicht neben dev Moschee der Sliltanin Validc, lag ein großes Kalk nnt zwei Ionicni bemannt, stattlichen, hochgewachsenen, breitschultrigen Gesellen, wie fast alle Ka'lk-sührcr in der gesegneten Stadt des Padischah-, die Fürsorge nnseres Dragoman hatte eben diese nnd ihr besonders geschmücktes Voot nnter einer Anzahl von Bewerbern an der Station zn Galata ausgewählt, und wir durften ihm dankbar dafür sein. Nicht odue einiges gefährliche Schwanken nahmen wir unsere Plätze auf den Polstern im Spiegel des Schisslcins, mit gekreuzten Veinen, in guter Türkenmanicr, ein; dann schosfen wir hinaus in die sonnigen Wogen, zum Baldachin über uns den unbeschreiblich reinen, blauen Himmel — und zuweilen Antonio's roth banmwollnen Regenschirm, den er mit großer Dienstbeflissenheit über uns ausspannte; denn die Sonne schoß glühende Pfeile. Das ist die schönste Kahnfahrt, die man denken kann und die Erinnerung an sie wird immer frisch in mir bleiben. Nur langsam schwimmt das Ka'lk dahin; denn die Strömung in dem engen Kanal ist gewaltig und sie zu bewältigen bedarf es der Knnst und Kraft der griechischen Ruderer, aber auch des wunderbar darauf eingerichteten Vanes ihrer leichten Fahrzeuge. Zu träumerischer Nuhe gelangt man nicht, dem« es gibt allzuviel zu sehen; links uud rechts smd die Uf^r ununterbrochen 315 garnirt nut den bunten, regellosen Zeilen der Ansiedelungen; unter ihnen steigt manchmal eine Moschee, ein weitläufiger Palast cmpor, so drüben in Asien Beglerbegserai, friiher die Sommerrcsidcnz des Sultans, jcht für dessen abgedankte Weiber eingerichtet; links Tschiragauserai, ein Palais der Snltanin Mutter; dazwischen schmucke, weiße Villen in jeder Größe, darüber hoch hinweg (5y? presscnwälder, Pinienkronm, Lorbeerpyramiden — dicht an's Gestade drängen sich malerische Fischerhäuser und Waarenmagazinc, oft auf Säulen so herausgestellt in's Wasser, daß die Voote darllnter, wie in eine bedeckte Halle, fahren können. Hunderte voll Kalks durchfurchten das dunkelblaue Wasser; wir freuten nns, daß an Schnelligkeit keines derselben mit dem unsrigcn wetteifern zn können schien. Da die Hauptströmung des Bosporus sich hier an die asiatische Küste drängt, so hielten wir nns stets an der europäischen, dem linken Ufer, an welchem wir manchmal dickt hinfuhren. In Ortakoci trat ein stattliches Gebäude mit breitem Erker, dessen Gitterfenster ausnahmsweise in die Höhe gezogen waren, dicht an das Wasser; an seiner Landungstrcppe lagen mehrere KaNs, darunter ein sehr reich verziertes; aus dem Obergeschoß vernahmen wir dentlich das helle Lachen- weiblicher Stimmen und die zirpenden Lallte der Guzla — gerade als wir dicht unter dem Erker hin-fnhren, füllte sich derselbe plötzlich mit einer Menge von Frauen, welche aber erst rasch den Schleier umwanden, als sie uns erblickten. Wir wars^n ihnen Handküsse zn, sie uus aber etwas ganz Äuderes. Ihr abscheuliches Zetergeschrei veranlaßte wahrscheinlich die Erscheinung zweier baumlangen Kerle ans der Lau-dungstreppc, aber wir waren schon weit. Vei Arnautkoei, einem Flecken, der auf einer Landzunge vorspringt, ist die Strömung am stärksten, weil sie sich hier von dem europäischen nach dem asiatischen Ufer hinüberwendet. Ohne Hülfe vermag ein Kail sie nur schwer zn bewältigen. Am Ufer steht 316 daher eine fortwährende Zahl von Männern bereit, um die Fahrzeuge zu schleppen; wir warfen den ersten besten einen Strick zu und zwci Maim zogen uns anscheinend ohne viel Vcschwerde etwa 60 Schritte weit über die gefährliche Stelle. Diese Vootzieher zu bezahlen ist Sache der Kallführer, doch werfen ihnen die Passagiere gewöhnlich ein kleines Silbcrstück als Ertrabelohnung zu. Unglücklicherweise bestand unser Münzvorrath nur in papiernen Kaimes; außerdem aber war ich Vesitzer eines braunschwcigischen guten Groschcnstücks, das aus Mangel all Liebhabern beständiger Miether meines Portemonnaies geworden war; dieses zeigte ich dem Antonio nnd der meinte freudig, das sei gerade was ienc Männer brauchten. Und so warfen wir ihnen das röthlich schimmernde Sildcrstück zu; sie fingen es höchst geschickt in der Llift nnd lange noch konnten wir uns daran ergötzen, wie sie es beschauend die Kiipfe zusammensteckten, es auf den Nermcln rieben und zwischen den Zähnen verfnchten; wohl möchte ich wissen ob, und wie sie es wieder los geworden sind; vielleicht hat es als kostbare Seltenheit den Weg in eine türkische Münzsammlung gefunden. Die Lebhaftigkeit dieser Wasserstraße ist in ihrer bunten Mannichfaltigkeit fast nicht zu beschreiben; heute am Freitag war sie doppelt groß, die Kalks hatten mit uns das gleiche Ziel. Dazwischen Boote der Fischer, Jollen von den Kriegs- und Wacht-schisfcn, Lichter, Segelschiffe jeder Größe und Form, hinüber und herüber fuhren die kleinen Localdampfer, zwei oder drei ihrer Niesen-brüder kamen an uns vorüber auf dem Wege m das schwarze Meer oder in das von Marmara — das blaue Element war übersäet mit weißen und dunklen Punkten nah uud fern. Auf der Rechten lag die ungeheure Kaserne der Garden bei Vauikoei in Asien hinter uns, am linken Ufer hatten wir Passirt Deftcrdar-Vnrnn, die Serails von Eöma und Mirima; die Flecken Ortakoei, Kurutscheschmc, Arnantkoci, Vclbek mit seinem Nmnc„schloß; alle diese bilden eine fortlaufende Reihe oder Straße; schon minder 317 zusammenhängend erscheinen auf der asiatischen Seite dic Küsten-flccken Istavros, Veglerbegloei, Dgenghellikoei, Vanikoei, Kandilli. Indem wir nimmehr den Canal kreuzten, um das asiatische Ufer zu gewinnen, schien der erstere auf einmal vor uns geschlossen wie ein Binnensee nnd als Wächter erschienen rechts und links im Hintergrund die mächtigen, grauen Nnndthürme von Nnmcli- und Anawli-Hissari, Zeugen genuesischer Herrschaft in den Gewässern des Pontns und Propontis. Von dem Verghaug zur Rechten schont das weithin lcnchtende, gewaltige Lustschloß Ali Paschas höchst vornehm und civilisirt herab, aber das Auge haftet nicht daranf; denn es wird gefesselt von dem reizenden Kiosl des Sultans, der hernberschimmert wie ein blendender Edelstein in grüner Fassung. Dies ist das Ziel der Fahrt, da sind die süßen Wasser von Asien. Seinen Namen hat dieser Ort von zwei Bächen klaren Wassers erhalten, die von den Bergen herabrieselnd, sich hier in's Meer ergießen und zwischen diesem nnd dem Abhang eine grüne Wiesenfläche eingrenzen, beschattet von wenigen riesigen Bäumen. Dicht am Gestade erhebt sich das groscherrliche Lustschloß, weiß und zierlich, von Ferne wie ans Spitzen gewebt, phantastisch aus dem dunklen Hintergrund hervortretend, in der Nähe verliert es viel, die türkische Verwahrwsnng ist anch hier in reichem Maße vorha»den. Uebrigcns ist es weiter Nichts wie ein Gartcnpavillon, anscheinend ganz leer, einige niedrige Wirtschaftsgebäude mit einem Hof schließen sich nach dem Inneren zu daran. Dies ist der berühmteste, beliebteste Vergnügungsort Coustantinopels und seiner ganzen Umgegend, hier erscheint während der Saison die elegante Welt alle Freitage um frische Luft zu schöpfen, zu schwatzen, zu bcwuudcrn und sich bewundern zu lassen. Zahllose Kalks lagen au der Landnng, die Menschen wogten in buutestem Gewühl unter den Schattcngängen der Bäume, anf dein fchöneu bekicsten Quai. Ungednldig sprangen wir ans unseren Nachen und warfen nns hinein in das seltsame, fremdartige Gedränge. 316 Wie soll ich nur deu Eindruck beschreiben, den ich hier empfing! Gs war, als seien wir dnrch ein Zauberwort mitten in die ganze Gluth und Pracht eines arabischen Märchens verseht; die lebendige Illustration zu Tausend nnd Ciuer Nacht erwuchs ans jedem Schritt in immer neuen Gestaltungen. Ans dem grüuen Wiescnplan, nntcr deu wchcndeu Baumln am Ufer saßeu Tausende von Weibern in allen Farben uud Trachten, sämmtlich aber Haupt und Gesicht mit dem weißen Schleier nmwunden. Diesen aber hat die Mode oder vielmehr die Civilisation ziemlich weit vou dem entfernt, was er sein sollte (und wohl wieder geworden ist, seitdem die neueste» Verordnungen des hohen Divans auch dieses wichtige Kleidungsstück nud seine frivolen Neucruugcn berücksichtigt haben). Alle jungen Frauen und besonders die, welche sich ihrer Schönheit bewußt waren, trngen ihn nicht, wie es das Gesetz des Propheten erheischt, von undurchsichtigem Musselin, sondevu sehr weise von höchst durchsichtigem Tüll, so daß er Nichts verhüllte. Uud „bei Allah!" es wäre Schade darum gewesen, wenn dem nicht so gewesen wäre; niemals habe ich eiuc solche Vereiuiguug vou weiblichen Schönheiten gesehen wie hier; wie beranscht in'tc das Auge von einer dieser Blumen zur andern nnd glaubte in jeder die schönere zu entdecken; der Schnitt der Gesichter war tadellos, wie der Teint, welchem die Meiste» übrigens durch künstliche Nosen und Nubincn nachhelfen; besonders reizend erschienen die feinen, dnnkclen Bogen der Brauen und die großen, mandelförmigen Aligen. Es siel mir ans, daß die Mehrzahl derselben blau war, hätte nnr etwas mehr Geist daraus hervorgeblitzt! Die Schönen ließen sich sehr geru betrachten, blos die Häßlichen wandten sich ab; die Letzteren gehörten aber fast dnrchgäugig schon einem höhereu Lebensalter an, Beweis wie rasch sich hier die Blüthe abstreift und zur dürren, runzeligen Frncht nmwandelt. Daß, wie Mephisto meint, die Orientalen das „recht quammig, qnabbig," mit hohem Preis bezahlen, muß in der Seltenheit begründet sein, denn unter den 319 vielen schlanken nnd feinen Gestalten zeichneten sich nur sehr wenige durch luchr als gewöhnliche Fülle aus. Die Tracht aller Türkinnen ist vollkommen gleich, die Stände unterscheiden sich nur durch den Stoff der Gewänder und die Zierathen. Ein bunter, andersfarbig besetzter Ueberwnrf umhüllt den ganzen Körper, die Füße stecken in Pantoffeln und mit diesen in weitgeschafteten, gelben Stiefeln, welche den Gang der Frauen höchst schleppend und un-graziös inachen, so daß sie alle nur so lange schön bleiben, als sie sitzen. An Perlen und Edclsteiueu fehlt es nicht, sie werden verschwenderisch zur Schau getragen. Laugsam durchgingen wir dcu Naum vor diesem Frauenlager, in die Reihen selbst darf tein Mann eintreten, als der Wasserbieter, der mit Krug und Schale hin- uud herschrcitct, um das kühlende Naß schönen Lippen zu kredenzen; wir beneideten den Mann nicht wenig und es gelang uns, einigen jungen Schöllen ein recht helles Lachen abzugewinnen, als wir ihn zu uns riefen, um uumittelbar uach ihnen ans derselben Schale zu trinken. Zahllose Kinder von jedem Alter und Geschlecht spielten zwischen den Weibern in lustigster Weise; Wasserpfeifen, Tschibuks und Papicrcigarrcn hingen an jedem Mund; deun die türkischen Schönen raucheu größtentheils mit Leidenschaft. Fast alle hatten Matten, Polster und Teppiche mitgebracht, worauf sie nack üblicher ^)smancnsittc saßen, die meisten auch Körbe uud Gefäße mit Erquickungeu. Es war ein uugcmcin reizender, lebendiger Anblick. Antonio, der Schalt', wurde davon und von uusercr Begeisterung so aufgeregt, daß er eine Heldenthat zu verrichten beschloß, auf die er uus im Voralls selbstgefällig aufmerksam zu machen die Güte hatte. Kühnlich trat er auf eine gränlichc, gelb-gcsichtige, spitznasige Alte zu, die im äußersten Ninge saß und an eiuem langen Tschibuk sog; mit Entsetzen sahen wir, wie er vor ihr alls die Kniee sanl, aber er that es nur, um sich, zum Boden niederbeugend, seine Papyros an ihrem glimmenden Tabak zu entzünden; die Umsihcuden lachten großenthcils, Einige schienen aber 320 auch ;n schimpfen. Die Alk' hatte bei diesem unerwarteten Vorgange sehr große Augen gemacht; Plötzlich, ehe er sich noch erheben konnte, zog sie rasch ihr Rohr weg, kehrte es um und entleerte den ganzen Inhalt ihres Pfeifellkopfs auf den etwas unscheinbaren Kalabreser des verwegenen Burscheu. Das Hallo hatte man hören müssen, welches sich bei dieser Rachethat erhob; der Italiener sah etwas verdutzt aus, als er den Hut abschüttelte, wir drück-teu uu» bci Seite und thaten eine Zeit lang, als kennten wir ihn nicht. Um den ganzen Wicsenplan dcr süßen Nasser führt ein breiter Fahrweg und auf diesem entfaltet sich der wunderbarste Corso, den man sehen kann. An Karossen fehlte es nicht, sie waren zu Hunderten vorhanden, iu allen möglichen Vauarten, meist aber in der Form ieuer halbrunden Kasteil, wie sie vor fünfzig Jahren Mode waren, alle mit den schreiendsten Farben bemalt lind daran ve>-goldet, was uur irgend zu vergolden war. Unter ihnm befand sich eine Menge von Hofeqnipagcn, selbst einige neue, höchst elegante Wiener Wagen, alle mit vier lind sechs Pferden bespannt — denn eine Anzahl der Sultaninnen hatte ihren Ansfahrtag. Sie faßen immer zu je vier in einem Wagen, in einem einzigen Sechsspänner bloß zwei. Mail fährt nur im langsamen Schritt uud so hatten wir Muße, sie nach Hcrzeuslust zu betrachte,,, was sic sich um so lieber gesallcu zu lasscu schieneu, als ihre Schleier uoch dünner Ware», wie die der übrigen Damen. Es mochten zehn oder zwölf solcher Wagen sein. Die meisten dcr Sultauinncn, die den Rücksitz einnahmen, waren blutjunge Kinder, fast alle blond, mit blanm Augen; Wimpern und Vraueu, wie mir scbieu, gemalt, uicht minder die Wangen; au deu Schläfen quollen unter dein Schleier zahllose, feste Löckchen, wie aufgeleimt, hervor, welche nicht dazn beitrugen, die regelmäßige Schönheit der Gesichter zu erhöhen. Uud scholl, wunderschön, waren fast alle — aber sie glichen Wachsbildern. Sie strahlten von Diamanten; wenn sie vorüberfuhren, 321 war es, ab? wenn eine sckwere Wolte von seltsamem Parnim umher wehe; mit kalter Theilnahmlosigkeit schienen sie in die bunte Welt ^i blicken. Neben, vor, hinter den Wagen ritten riesige ssunnchcn, rücksichtslos grobe Kerle, die sich nicht darum kümmerten, ob ihr Pferd Jemanden anf die Füße trete oder nicht; den franken, die mit begreiflicher Ncngier in die Wagelt starrten, warfen sie tückisch drohende Blicke zu. Sie trugen blaue Uniform mit dein Fes, viele waren dekorirt, alle Neger; sie ritten wnndcrbare persische Pferde edelster Zucht und tummelten sie mit seltener Kraft und Geschicklichkeit, Zwischen den übrigen Karossen zeichneten sich besonders fremdartig ans große, mit weißen Ochsen bespannte, von einem rothen Baldachin überdachte Leiterwagen, welche die Stelle der Omnibus zn vertreten schienen. Das Fahren scheint eines der größten Vergnügen türkischer Frauen zn scin; für ein Villiges besteigen sie zn Dutzenden ein solches Wagenungcthüm nnd lassen sick darin ein paar Mal um den Plan herumfahren. Immer d unter, berauschender ward das Gewühl, die Poesie und der Dmt des Orients lagerten darüber. Dort nmdrängt eine Menge von Negerfranen — schon auf Schritte weit merkt der Geruchsinn ihre Nähe — einen alten, weißbä'rtigcn Afrikaner, einen ärmlich gekleideten dunkelbraunen Mann; auf einem Tcppich vor sich hat er allerlei nichtswürdigcs Zeug zum Verkauf ausgelegt, das Niemand teunt, wie die Kinder des Sudan, die hier in der Erinnerung ihrer Heimath sckwclgeu. Es sind bctanbend riechende Wurzeln und Kräuter, Salbenbeutel, Schlangcnhaute, Giraffen-zahne — er hat nickt Hände genug, »im den schwarze» Schönen seine Gifte und Wohlgcrüche, Nmuletc uud Zaubermittel gegen ihre Piaster zn spenden. Verkänfer von Sorbet, gerösteten Pistazien und Mandeln, wnnderschönen Trauben nnd Pfirsichen drängen sich dnrch die Menge; in einigen Vnden werden Kuchen, Zuckerwerk, Rachat-Lakum feil gehalten, zerlumpte Vettlcr heften sich beharrlich an die Schritte der Fremden und sind nur mit einer Gabe abzu- Hnmm, Steppen »nb Stüdle. 21 322 schütteln, versuchen aber glcick darauf wieder, ob mail sic noch im Gedächtniß behalten hat. Ein paar Musilbandcn mischen ihren Lärm zu dem andern, Vor einem Gebüsch zur Seite der Wiese drängen sich Wagen und Menschen, dort erklingen sonderbar wilde * Harmonieen aus Guzla, Trommel, Tamburin, Pfeife und Geige, hier spielt eine Higeuucrbande, zwei junge Männer tanken dazu, wenn Hüpfen und Dreyen auf einer Stelle, wobci schon dem Zuschauer schwindelt, Tanz heißen kann. Im Ganzen aber erblickt man wenige Männer in dem Gewühl, die meisten davou sind Franken, Armenier und Perser, die einheimischen gehören beinahe alle dem Kriegerstande an. Die Sonne brannte heiß, wir waren durstig vom vielen Rauchen geworden lind Antonio warnte dringend vor dem Wassertrinken ohne Präservativ. Aber anßer Wasser nnd Sorbet darf hier kein Getränk verabreicht werden. Das heißt öffentlich, wie überall. Antonio entfernte sich einen Augenblick nnd erschien bald wieder ui der Begleitung Spiro's, des ältesten unserer beiden Gondoliere. Mit schlauem Augenzwinkern lud er uns ein, ihm zu folgen und bchntsam gingen wir alls seiner Spur. Nach mancherlei Umwegen verschwand er plötzlich in einer dürftigen Vretterhütte im Gebüsch hiuter dcu Gebänden, nicht weit vom Landungsplatze. Ihr enger, schmutziger Raum war vollgepfropft mit Gästen, mißtranisch richteten sich alle Blicke auf unel und am mißtrauischsten diejenigen eines halbnackten Burschen, welcher der Besitzer zn sein schien, zugleich der Fährmann nach der gegenüber liegenden Spitze von Kandilli. Aber wir hatten an Spiro einen guten Bürgen uud auf dessen Kopfnicken zog jeuer fofort hinter allerlei Gerumpel eine bauchige Flasche hervor und schenkte in kleine türkische Kaffeetassen Mastic, einen griechischen ^iquenr, den man gewöhnlich mit Wasser nimmt, das er milchweiß färbt. Wir mußten ihn ohne dasselbe trinken, Ware« aber von dem Geschmack eben so wenig erbaut, wie vou dem verhältnißmäßig horrenden 323 Preis, den wir dafür bezahlen mußten. Aber darin war auch die furchtbare Strafe einbegriffen, die auf dein verpönten Handel steht. Die übrigen Gäste der Vude waren sonderbarer Weise meistens ächte Türken, Als wir wieder herausgetreten an der Landung hinschlcndcrten, bekamen wir die Wirkung dieses Trafiks vor Angcn: Ein betrunkener Derwisch, der in tollster Weise lachend und singend am Ufer umher taumelte, zum Abscheu der Gläubigen und zum Schrecken für seiue Freunde, die ihn endlich nur mit Gewalt in ein bereit stehendes Kalk zu werfen vermochten. Wir konnten nns lange nicht losreißen von dem ewig wechselnden Schanspiel dieses eigenthümlichen Lustorts. Aber ohne seine lebendige Staffage, ohne die wundervolle Umgebnng, bietet er doch an.und für sich gar wenig und die schlichteste deutsche Bürgeröfrau würde sich dafür bedanken, allfonntäglich an einen solchen Platz geführt zu werden oder zu spazieren lind daselbst ihren höchsten Genuß in einer Umfahrt im Ochsenwagen zu finden. Für Verschönernng oder Instandhaltung geschieht gar Nichts, nnr dem Großhcrrn zu Liebe wird der Quai an der Landnng etwas besser gepflegt; aber der kranke Mann kommt selten hierher, er befindet sich nirgends wohlcr, als in seinein Serail nnd überläßt den Gennsi des Spaziergangs seinen Favoritinnen. Es fehlt sogar an dein Hanpterforderniß eines orientalischen Spaziergangs, am Schatten, n»r wenige hohe, alte Vänmc verbreiten ihn, Weiden nnd Pappeln, nnd ohne die, von« Meere herübcrfächelnde Kühlnng wäre es hier im Sonnenbrand kaum ansznlMen, In dem Wiesen-plane, der von wilden, zerzausten Hecken begrenzt wird, sind viele kahle Stellen, auf welchen der gelbe Sand hervorschimmert, der Fahrweg ist natürlich so, wie ihn Gott gibt und Stanb empfängt man ans erster Hand mehr als genug. Für audere Bequemlichkeiten, als der liebe Erdboden sie bietet, ist nirgends gesorgt. Und doch würde diese vcrhältnißniäßig kleine, so reizend gelegene Stelle mit ganz geringen Kosten in den herrlichsten Park umgeschaffen 21* 324 werdeil können, welchcil die Erde besitzt, Aber der Orientale hat keinen Sinn für Naturschöuheitcn nnd noch weniger sin künstliche Landesverschöncrungen; was iil seinen Erzählnngen von prächtigen Gärten gefabelt wird, läuft in der Wirklichkeit stets auf ein sehr bescheidenes Maß zurück, an dem die, wilde Natnr des begünstigten Landes das größte Theil hat. Immer aber verlangt cr Wasser und zwar süßes Wasser, wenn nnd wo er sich ergötzen soll, deßhalb sind anch die süßen Wasser von Asien nnd Europa seine Lieblingsstätten geworden. Schon zog eine lange Karawane der Wagen bergan de» Landweg nach Scutari, schon sank der Schatten des Abends herab, als wir endlich Abschied nahmen und unser Kail zurückwandten nach der heiligen Stadt. Hui, wie flog es iM dahin mit der Strömung, das eingesetzte Segel vom günstigsten Winde geschwellt, während die beiden Ionier sich behaglich im Sterne streckten und ihre Cigarren schmanchten. Zwischen einer ganzen Flottille von heimkehrenden Ka'i'fs fnhren wir dahin, trotz des ziemlich hohen Wellenschlags erschollen aus den meisten Lachen, Gesang nnd Lanten-klänge, viele darnntcr waren so übermäßig beladen, daß der Nand nur zollweit vom Wasser entfernt war, allein die Weiber darin schienen sich so wenig zn fürchten, wie die Führer, Antonio hatte seine Auswahl vortrefflich getroffen, nnser Kaik war ein Schnell-segler, der alle übrigen hinter sich ließ. Ein anderes, in welchem einige schwarze Offiziere saßen, schien eine Zeit lang um den Preis mit uns kämpfen zn wollen, allein wir überholten es bald. Als wir dicht daran Hinschossen, erhob einer seiner Insassen den Arm und rief uns drohend einige Worte zn; unsere Vootsleutc aber lächelten anf den Stockzähnen und blieben völlig gleichgültig; Antonio gab auf unsere Frage vor, den Znruf nicht verstanden zn haben. Zur Heimfahrt brauchten wir kaum eine halbe Stunde, während die Hinfahrt das Dreifache dieser Zeit in Anspruch ge-nommeu hatte. Wir waren still und nachdenklich, sollten wir doch 323 am nächste» Morgen dieser wundervollen Scenerie Lebewohl sagen für immer. Aber wie man sich das Veste immer bis zuletzt aufheben soll, so durste» wir auch den letztcmpfangenen (5iudr»ck als den schönsten rühmen cms der ganzen zerfallenden Türke »wirthschaft und noch gar manchmal werden wir träumen von den süßen Wassern Asiens. 326 XV. Eine Fahrt durch den Archipelagus. Ein leichter Nebel lag auf den Wassern des Propontis/umhüllte die Vcrgkronen Asiens und Nnmcliens mit einem rothen Feuerschein; denn die Sonne kämpfte mit ihm, des Sieges gewiß. Schon brachen, gleich glühenden Pfeilen, die Spitzen der Minarets und wie erzene Schilde die Knppcln der Moscheen daraus hervor; phantastisch erschien da nnd dort eine Gruppe aus dein ungeheuren Hänsermecr der Zweiweltenstadt, plötzlich hell erleuchtet, dann wieder mit einem graublauen Schleier verhüllt; c6 schien, als bewege sich jeder Gegenstand tanzend oder schwebend hin nnd her, und ein wundersamer Anblick war es, gerade an dieser Stätte, an der großen Vrncke des goldenen Aorns, am Landungsplatz der Vootc in Galata. Wir hatten von nnscrem irischen Wirthe und seiner feinen Lady Abschied genommen, ohne irgend eine Beschwerde über die Nota, was viel und selten ist im Orient; wir hatten der liebenswürdigen Gesellschaft des Hanfes Valet gesagt, zn der sich am Abend vorher, wie wir vernommcn, der alte Fürst Milosch von Serbien gesellt hatte, welcher incognito hicr war nnd in der Nacht von so heftigen Krämpfen oder Blutcongestionen befallen wurde, daß das ganze Haus dadurch in Aufrnhr gekommen war. Die dem Hotel dienenden Hamals hatten uufcr Gepäck die steilen 327 Gassen von Pera herabgeschleppt und unser seitheriger Dragoman, Antonio, bemühte sich mit rührender Sorgfalt, im Hinblick auf die nahe Stunde des Abschieds und der Vergeltung, soviel wie möglich um uns und unsere Effecten. Noch einmal schauten wir auf das bunte, fesselnde Gewühl auf der Brücke, das seiues Gleichen nicht hat in der ganzen Welt, danu traten wir in ein weitbanchiges, für den Transport von Passagieren und Gepäck eigens gebautes Kielboot, um uns hinausrudcrn zu lassen nach dem mächtigen Aoyddampser „Pluto"; er crwartctc uns, schon paffte ungeduldig der Qualm auö deu Schloten und eine Menge voll Kaits und Fahrzeugen jeder Art umdrängte den Niesen gleichwie Ameisen. Mit gewohnter Energie, oder vielmehr Grobheit stieß Antonio alle Kähne zurück, wclchc sich vor uns schieben wollten, und schaffte uns Naum auf der Schiffstreppc. Das Verdeck war gewounen, das Gepäck untcrgestaut, die Stewarts hatten uns Kajüten augewiesen, und es blieb nur noch der Abschied von dem trefflichen Dragoman. Mit welchem Wortschwall uns der Oute seine Dienste vorzuzählen wußte, während wir die Börsen aufknöpften, wie glücklich pries er uns, daß wir gerade in feine Hände gefallen seien und nicht in diejenigen eines unwissenden Franzosen, eincs räuberischen Griechen oder gar — hier bekreuzte er sich — in diejenigen eines „maladetto Ebreo." Wir versuchten die Scene abzukürzen, mdem wir ihn fragten, welches Honorar er verlange, obgleich wir sehr wohl wußten, daß wir ihn« 15 Francs pr. Tag zu zahlen hatten; dies ist die Tare. Aber sofort entwickelte sich auf's Neue, nur noch weit stürmischer, sein Ncdnertalcnt, indem er auf das Uebcrzengendstc zu beweisen suchte, daß seine Leistungen eigentlich gar nicht ^i bezahlen seien und mindestens hoch über der Tare stüuden. Dies einsehend, bewilligten wir ihm 20 Francs pr. Tag; er wog die blanken Napoleons mit äußerst wehmüthiger Miene in der Hand, indem er meinte: ob unsere Großmuth es über sich gewinnen könne, einem 323 römischen Bürger, dazu Flüchtling imd überdies Familienvater mit ungezählter Nachkommenschaft, ein so geringes Äquivalent für seine Talente zu geben; als wir ihm aber mit viclem Ernste versicherten, unser Gewissen sträube sich durchaus nicht dagegen, ward er sofort wieder der alte, fidele Bursche, umarmte uns stürmisch und wischte sich mit änßerst groteskem Pathos die trockenen Augen, als es ihm endlich gelnngen war, sich von nns loszureißen und die Schiffstreppc zu erreichen. So lauge er in Sicht blieb, warf er uns Kußhände zn ans dem Boote, das ihn zurücktrug in das duftende Pcra. Noch ein Blick auf die Stadt, ein letzter. Von diesem Bilde sich zn trennen, hält wahrlich schwer; tief sucht mall es im Ganzen und im Einzelnen seiner Seele einzuprägen. Aber dies ist wahrlich nicht der Augenblick, sich träumerischen Meditationen hinzu-gcbeu; mau ist taum seiner Glieder sicher, Jedermann im Wege, ein nnbeschreiblichcö Gewühl herrscht alls dem Verdeck, dessen Rang-ordnung noch nicht hergestellt ist; auf jeden Abreisenden kommen mindestens zwei Begleiter, welche Abschied von ihm nehmen wollen, Böte mit Früchten und Blumen suchen Geschäfte zu macheu, die letzten Ballen werden aufgehißt, der Proviant kommt in verschiedenen Ladungen an, endlich tritt etwas Nuhe ein und in demselben Augenblick ertönt die Glocke. Nie Quecksilber auf einer Tafel anseinander läuft, so verschwindet plötzlich die Hälfte der Leute vom Deck, so schießen die Boote mit ihnen nach allen Richtungen davon, Zuruf und Tücherschwenken von beiden Seiten. Schärfer pfeift der Dampf ans der Esse, ein Zittern lallst dnrch den ganzen gewaltigen Van, lallt ächzt er auf und scht dann feine Schaufeln in Bewegung. Aber nicht vorwärts blicken wir, nur rückwärts nach der Wunderküste, welche eben voll der siegenden Sonne prächtig beleuchtet wird, als ob sie lins den Abschied recht erschweren wollte. Schon liegt die Mündnng des goldenen Horns, das alte Serail und drüben der Thurm von Galata weit hiuler 329 un><; der Leandcrthnrm und das langgedehnte Scutari fliegn anf der linken Seite vorüber, rechts grüßen noch einnial die ehrwürdigen sieben Thürme, auf der asiatischen Seite erscheint Chalcedon, deutlicher treten die Prinzcninseln, die alten Demonesi, hervor und die Ufer zu beiden Seiten znrück, wir haben den Bosporus verlassen nnd laufeu in den Proponlis, das Meer von Marmara. Je weiter wir in demselben vorwärts dampfen, nm so mehr verringert sich die Zahl der begegnenden Segel, um so einförmiger wird die Fahrt, zmnal der Vergleich mit der überlebcndigcn Straße des thracischen Bosporus noch so nahe liegt. EZ überkommt Einem ein Gefühl grenzenloser Leere und Langeweile und mürrisch summt man das bekannte Liedchm vor sich hin: „Ein Vergnügen eigner Art ist doch eine Wasscrfahrt." Das ist aber gerade der Moment, .sich mit den: Schiff und der Gesellschaft etwas bekannt zu machen. Das Erstere ist prächtig und beqncm, wenngleich die Anordnung nicht besonders empfehlenswert!) erscheint, wonach die große Kajüte oder der Speisesaal so in der Mitte gelegen ist, daß alle Schlafkoien nnmittelbar darein münden und die Erleuchtung nur durch Oberlichter, matt genug, bewerkstelligt wird. Doch was thut's, wcnil man in den griechischen Meeren fährt, steckt man nicht in der Kajüte, und oben auf dem Verdeck befinde.t sich ein geräumiges, mit einem Divan rings versehenes, rundes Stnrm-haus, worin man mit Bequemlichkeit sich anfhaltcn, rauchen und einen Blick hinauswerfen kann, wenn es der Mühe werth ist. Die Offiziere uusercs Dampfers, lauter Dalmatiner, waren liebenswürdige, allerdings uicht bcsondcrs zugängliche Männer, die Gesellschaft der ersten Kajüte nicht groß, Damen »licht darunter; die Tafel, die Weine, die Bedienung, die Reinlichkeit ließen nicht das Mindeste zu wünschen übrig; dazu das prächtigste Netter von der Welt, so konnte man es sich wohl gefallen lassen. Oir waren nach 10 Uhr Vormittags aus dem Hafen von Constantinopel ausgelaufen, gegen 4 Uhr des Nachmittags traten 330 wir der Insel Marmara, dem alten „Prokonnesos" entgegen und dampften dicht an ihrcr nördlichen Küste vorüber. Wild und zerrissen, scheint dieselbe Nichts zu sein, wie das verlorene Stück eines ungeheuren Gebirges, dessen höchste Punkte sicherlich wenig unter 3000 Fuß über dem Meere erhaben sind. Die ganze Nordseite der großen Insel ist völlig nnbewohnt nnd mau kaun sich leinen traurigern, düsterern Anblick denken, als diese nackten, blcicbgraucn Felsen, in welche das niederschießende Winterwasser tauscud tiefe Rinnen gegraben hat und wo nur hin und wieder ein kümmerlicher grüner Fleck am Gestein haftet, Zeuge dafür, daß die Vegetation noch nicht ganz erstorbcn ist. Die Allwesenheit der thätigen Menschenhand verkünden gewaltige Steinbrüche, welche hier nnd da in die Bergwand senkrecht cingegrabcn sind. Nnr auf der Südfeite der Insel finden sich ärmliche Niederlassungen von Fischern, Jägern und Steinmetzen, deren Mittelpunkt das Dorf Marmara bildet. Die Iuscl wird von Constantinopel aus der Jagd wegen bcsncht und nicht blos osmanischc Prinze» und Würdenträger, sondern auch bevorrechtete Söhne Albions halten sich häufig längere Zeit daselbst auf, um wilde Ziegen und Muflons zn schießen, deren es große Hecrden in dem Gebirge geben soll. Tiefer senken sich die Schatten des Abends, und von beiden Seiten nähern sich wieder die User der Weltthcile, wir treten in den Kanal von Gallipoli, aber es ist schon zu dnnkel, so daß wir die Stadt nnr an den Lichtern zn ahnen vermögen. Nunmehr sind wir in die Straße der Dardanellen, in den Hellespont, eingelaufen nnd fahren in ihr dahin, wie anf einem Fluß, die Nähe der Küsten verrathen da uud dort hochloderndc Hirten-fcuer. Es ist eine niildc südliche Nacht, Millionen Stirne suukeln mit ganz anderem Glanz am dnnkclblauen Himmelsgewölbe, wie im bleichen Norden, und wenn auch der Mond nicht scheint, so wird die Nacht doch immer heller, je weiter sie voranschreitct. Gegen 10 Uhr Abends begrüßt uus plötzlich ein Kanonenschuß, 331 wir befinden uns zwischen den Dardanellenschlössern, Sestos und Abydos, aber der österreichische Adler fliegt unaufgehalten an ihnen vorbei. Auf der europäischen Seite, cm der wir ziemlich dicht hinhalten, erhebt sich das größte der beiden Bollwerke nnd zwei gewaltige runde Thürme dräuen finster aus seiner Mitte herüber. Eine ganze Flotte von Handelsschiffen liegt hier im Kanal vor Anker; sie dürfen in der Nacht nicht passiren; außer den Feuer-fchlünden der Besten wehren dies die türkischen Wachtschiffe, auf deren Bug helle Fanale brennen. Nunmehr verbreitert sich die Straße wiederum, in einer Stunde verlassen wir die Küsten und dampfen hinaus in das offene Aegäische Meer. Schwer hält es, sich von dem Verdeck zu trennen, aber endlich verschwindet ein Passagier nach dem andern und sucht die Koje. Uud gewiegt von classischen Wogen, trefflich gebettet, eingelullt von dem Rauschen der Schaufeln und dem dumpfen Gedröhne der Maschine, schlummern wir ein nnd träumen von griechischen Göttinnen und türkischen Sclaven. Während der Nacht — wie schade — fliegen wir vorbei am Dardanergestad, wo die Ruinen der heiligen Troas liegen und der Snnois durch die Schilfe rauscht; zur Rechten lassen wir hinter uns die Insel Imvro, das alte Imbros, links Tcnedos, wo die falschett Achajer sich bargen, jeht berühmt weithin wegen seines vortrefflichen Weins. Wir sehen nicht Lemnoö oder Stali-mene mit dem Kvater des Mosychlos, eine der Werkstätten des Hefthaestos, nicht zur Linken das Vorgcbirg Mysieus, Lectum, jetzt Vaba Kaiessi, nicht kcsbos, Mytilene, der erste Sitz der Pelasger, einst die Stätte der verfeiuertsten Cultur nnd auch ietzt noch eine der bcdcutcudsten uud cultivirtcsten kleinafischen Inseln. Als wir am frühe» Morgm aufs Verdeck sprangen, da stand gerade vor uns der hohe Vergkcgel der Insel Ipsara; der Lauf nnsercs Schiffes ging zwischen ihr und den Klippen von Kajoderi hindurch, links in der Ferne erschienen die blauen Verghäupter 332 von Chio, Scyos. Es war cm wunderbarer Tag, keine Wolke am tiefazurnen Himmel; das Meer erschien wie eine jener gewellten Glastafeln, deren man sich zuweilen bedient, um die Durchsichtigkeit zn vermindern; der Vergleich ist freilich ein schlecht tcr, aber er trifft doch zu. Der Dampfer zog lange Furchen in der blauen See, durch die er still und ruhig dahinglitt, ohne Erschütterung, als die vou der Maschine, und ohne jenes unleidliche Schwanken, welches dem nicht davan Gewöhnten so sicher und rasch die Seekrankheit bringt. Von dein erhöhten Quarterdeck dcs ersten Ranges sah man hinab auf die malerischen Gruppen des Zwischendecks. Hier Iuselgncchcn mit ihrem hohen, übergeschla-gcncu Fes und den ungehcnren blancn Pumphosen, in braumn, litzenvcrzicrten Jacken und mit bnntcn Tüchern als Gürteln um die Hüfte, worin ein Messer steckt, nicht selten aber auch daneben ein Löffel. Es sind lauter stattliche, schlanke Gestalten mit blitzenden Kohlcnaugen, feiner, scharfgcbogcncr Nase, darunter ein gewaltiger schwarzer Schnnrrbart, der Teint matt olivcnbrann. Eben beugt sich der eine, ein junger Mann, über sein schönes Weib, die ihren Säugling tränkt, während ein dreijähriger, schwarzgelockter Vnbe, an die Mntter geschmiegt, behaglich an einem nn-gchcnrcn Stück Wassermelone schmatzt, das ihm manchmal in den Händchen zn schwer wird; was würden unsere civilisirtcn Mütter zu einem solchen kühlen Frühstück sagen? Gin alter, weißhaariger Mann liegt noch schlnmmcrnd in einen zottigeil Mantel eingewickelt, zu den Füßen der Fran ans dem Deck; es ist ein hübsches Genrebild, diese Familie in ihrer bunten nnd doch harmonischen Tracht. Nicht weit davon, an der warmen Nand über dem Feuerraum, hocken einige Neger auf den Fersen; mit der hohlen Hand schöpfen sie aus einem Tuch, der gemeinsamen Schüssel, halbgckochten Ncis und lassen ihn in den weitgcöffneten Mund rollen. Ans dem Gewühl nnd den verschränkten Veinen der noch Schlummernden arbeiten sich einige Türken heraus, im langen, 333 etwas vernachlässigten Kaftan. bunte Turbane um die glatten Schädel gewunden; bedächtig ersteigen sie das Deck der ersten Kajüte und suchen sich einen stillen Platz aus, wo sie sich gegen Morgen niederwerfen, nm ihr Gebet zu verrichten; und ein brünstiges ist es, wenn man ihre Geberdcn dabei beobachtet, dieses Kreuzen der Arme auf der Vrnst, das Berühren des Bodens mit der Sti-rne. Natürlich fehlt es nicht an deutschen Handwerke bnrschen, die sind überall zu treffen in der Well; dort sitzen einige beisammen, sie haben die in Constautinopel gemachten Ersparnisse in türkischen Pfeifen nnd Tabaksbentelu angelegt; einer darnnter saugt mit dem Mnth der Verzweiflung an dein Schlauch eines gläsernen Nargileh, das jedenfalls in Böhmen angefertigt worden ist und welches er in seine Hcimath, Hessen, tragen wird, wo es das Wunder eines Dorfes im Vogelsbcrg zn werden berufen ist. Dort Fcstlandgriechcn in der Fustanella, etwas übernächtig und etwas sehr schmutzig; hier Arnauten, Söhne der schwarzen Berge, in langhaarige Wollenmäntel gewickelt, aus welchen von Zeit zn Zeit eine ganze Rüstkammer von Fencrschloßpistolen nnd Hatagan^ hervorblickt, gelehnt anf die bcüinnte, lange, cinlänfige Flinte mit dem kurzen sondcrbareu Kolben, von der man wohl begreift, daß man damit schießen, aber nicht, wie man damit treffen kann. Es ist ein ganzes Heerlager, das da' unten auf dem zweiten Deck sich niedergelassen hat, und das Gemisch wird'um so bunter und der Arche Noah ähnlicher, da es auch nicht au Thieren fehlt; lange Gitterställe enthalten den lebenden Proviant des Schiffs an Federvieh nnd Ferkeln; einige rauhhaarige Hunde beschnüffeln da und dort die Vrodsäcke der Passagiere; Papageien kreischen aus dem niederen Takelwerl, wo sic einstweilen angekettet sind; ein aus dem Orient heimkehrender Savoyard« macht die Morgentoilette seines Affen, um ihn später der Gesellschaft zu produciren uud eiueu Theil der Reisekosten herauszuschlagen; einc große, mit Drahtgewebe verschlossene Kiste endlich enthält ciue ganze Samm- 334 lung voll wunderschöner dreifarbiger Cyperkatzcn, die ein Speculant 'nach dem Abendlandc führt und gewiß gute Geschäfte damit macht; denn schönere, zierlichere Geschöpfe kann man nickt sehen. Kurz es verlohnt sich wohl der Mühe für uns Aristokraten des ersten Platzes, zuweilen einen Blick herabzuwersen ans das malerische Gewühl des eigentlichen Voltes da unten, und wenn man lachen will, so muß man die frühe Morgenstunde wählen, nm das Herauswickcln der Deckpassagiere aus ihren improvisirteu Betten zu sehen, welche freilich für die Mehrzahl noch luxuriös genng sind. Und kein übles Schaufpiel bietet dann anch das Frühstück auf dem Deck, wobei vielerlei seltsame Flaschen, strohmnwnndene, zum Vorschein kommen nnd gar oft ihren Vodcn nach dein Himmel emporrichten. Was sie da Alles essen und trinken, das wissen die Götter; Melonen, Feigen, Weintranben und gedörrte Fische schienen die Hanptingredicnzen der Mahlzeiten zu sein und in den Amphoren war sicherlich kein Wein, Wohl aber it« den sonderbaren Gefäßen, welche aussahen wie ein Paar ausgestopfte jnngc Monstren mit kurzen Beinen, deren eine ziemliche Anzahl sich vorn in der Nähe des Bugspriets blähete; es waren Schläuche voll griechischen Weines, wie sie wohl anch schon Vater Homer gekannt hat. Lang begleitete uns Chios, dann tanckte links in der Ferne Nikaria auf — Samds bleibt anßer Sicht — und wir liefen in's )kariscbe Meer: ^clU'U5 iclilinz nomin^m f?cit Älirm5! Welche Reminiscenzen ans der schönen Schulzeit, alls Homer nnd Ovid bis hinüber in die Epoche, wo das Verständniß begann und die früher widerwillig gesammelten Vlüthen zu würzigen Früchten reiften! Nnn erschienen die Cycladen, Axdros nnd Tinos, und in den schmalen Kanal, welcher beide Inseln von einander trennt, lenkten wir ein. Er windet sich, wie ein breiter Strom zwischen hohen, steilen Vergspihen, welche der Formation des Kalks angehören, deren wunderbare Schichtungen vieler Orten deutlich zu 83S Tag treten. Diese Verge sind nur ganz spärlich bewohnt, überall nur nacktes Gestein, selten unterbrochen durch eine mit Olivengebüsch bewachsene Schlncht, aus der ein Vach in willkürlichem Lauf über das Gerölle herabricsclt in's Meer. Dort eine kleine Kapelle, hier und da mit Steinen abgegrenzte magere Nlftcnweiden, das ist Alles, was die Anwesenheit des Menschen in diesen öden Wildnissen verräth; erst wenn man die Insel hinter sich hat, gewahrt man auf Tinos eine am südlichen Vcrghang sich lehnende größere Ansiedlung, Dorf oder Stadt. Und verwundert fragt man: Dies also sind die griechischen Inseln? Jene Eilande, die sich die Götter zu Wohnsitzen erkoren, von welchen die Poeten aller Zeiten so viel geschwärmt und gesungen haben, wie von einem irdischen Paradies? O wie unendlich weit liegt die Wirklichkeit hinter dem Vilde, das man sich daheim davon entworfen hat! Wäre nicht der ewigblaue, griechische Himmel, wäre nicht das Meer, so würde man sich auf diesen Klippen in die trostloseste Oedc verseht fühlen. Und die Menschen, die da spärlich wohnen, lassen es sich leider wenig angelegen scin, durch Kunst zu erobern, was die Natur versagt, nachdem sie ihre Schätze in jener schönen Zeit des Alterthums, die wir die classische nennen, völlig ausgegeben zu haben scheint. Die Inselgriechen sind ein reines Seevolk, Schiffe sind ihre Heimath, das Meer ist ihr Acker. Kühn, fast verwegen, befahren sie dasselbe, oft um nur ärmlichen Gewinns halber in dcu gebrechlichsten Fahrzeugen; es gibt keine besseren Matrosen, keine gewandteren Piloten. Die Bedürfnisse dieses Volks sind erstaunlich klein; mäßig wie kein anderes, lebt es von Fischen, die das Meer, von Früchten, welche die Erde trotz aller Kargheit noch immer reichlich genug liefert. Der Mehrbedarf wird durch Zwischenhandel und Schifffahrt erworben. Die griechischen Kansfahrer sind die billigsten der Welt, eben weil sie die mindesten Ansprüche an'S Leben machen; andere können nicht nut ihnen concurriren, schon aus dem Grunde, weil die Ve- 336 manuung eines griechischen Fahrzengs gewöhnlich nur ans der Familie des Eigners besteht; gar oft kann man die Mutter am Steuer sehn, das sie mit dem rechten Arm regiert, während der linke ein Kind an die Brust drückt; halberwachsene Knaben springen in die Schootcn, als liefen sie auf ebenem Land und ein englischer Matrose würde zum Tod erschrecken, wenn er einen Blick in die Proviantkammer eines Mistiks würfe. Erst in der ncneren Zeit, Dank König Otto's Regiment, wendet man anch der Nrproduclion ans den griechischen Inseln wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zu, namentlich dem Weinban nnd der Gcwinunng der Korintheu. Das Haupterzcugniß bilden aber die Oliven, zugleich eines der gewöhnlichsten Nahrungsmittel des Volkes. Ans Peranlassnng des Königs von Preußen sind die Marmorschätzc der Inseln ebenfalls wieder in Angriff genommen worden; doch das Alles will nnr wenig sagen gcgeunber dein, was die See gewährt. — Der Kanal ist Passirt, in weiter Ferne znr Reckten, wie ein Oewölk taucht eine Bergkette am Horizont auf; der Kapilän deutet nach dem höchsten ihrer Gipfel: „der Helikon!" Wir laufen dickt an der unbewohnten Felseninsel )jura oder Dschura, dem alten Oyaros, vorbei, vor nns steigen ans dcn Flnthen empor Zca, Kcos nnd Thcrmia, Kythnos, weiterhin Scriphos nnd Siphuos, Scrfo uud Sifanto; wenden wir uns nm, so erscheint im fernsten Hintergrund, vom Himmel kanm nntcrscheidbar das Gebirg von Euböa, Negropontc. Dann znr Vinken Mykone, weit darüberhin sichtbar die felsigen Ufer der Sporaden, vielleicht von Pathmos oder Leros. Tief im Süden schließen die Verge von Paros, Antiparos nnd Naxos eiilen Theil des Horizonts. Run^ mehr erhebt sich nnnnttelbar ans den Flnthen vor nns Syra oder Syros. In N'eitem Bogen umkreist der Dampfer dessen nordöstliche Küste, als wolle er das nahe Dclos, die heutige Insel Nhenea anlanfen, aber allmälig wendet er nach Westen, und gewinnt die Bucht von Hernwpolis, der Hauptstadt der Insel SrM. 337 Und fürwahr, sie darf sich eine Hauptstadt nennen; dcnn gar prächtig und malerisch steigt sie cmpor am Berg mit ihren neuen, weißen Häusern, unter welchen sich viele stattliche nnd geschmackvolle Gebäude bemcrklich inachen, die sofort ein größeres Stück Civilisation verrathen, als man bisher zu sehen gewohnt war. Hermopolis ist die crstc Handelsstadt Griechenlands und Hauptstadt der Nomarchie der Cycladen; sie besitzt gegenwärtig etwa 30,000 Einwohner, welche sämmtlich blos von Handel und Schifffahrt leben. Diese zweite Stadt des griechischen Reiches ist wunderbar schnell emporgewachsen; denn sie wnrdc erst im Jahre 1821? gegründet, hanptsächlich von griechischen Flüchtlingen, welche daselbst Sicherheit fanden, da die Türkei sich der Fordcrnng der Großmächte bequemte, die Insel Syra als ncntralen Boden anzuerkennen. Damals stand an ihrer Stätte nur cinc kleine Ansied-lnng katholischer Griechen, welche sich hierher gewandt hatten, nm der Intoleranz ihrer orthodoren Landslcute zu entgehen. Noch jetzt theilt sich die Stadt in zwei Hälfte», in die katholische, welche oben am Berge, und in die griechische Stadt, welche untcn am Hafen liegt. Weithin fchaut die Kirche der Ersteren über das Meer, wohingegen gerade damals in den HafmPiarticr ein ncncr griechischer Tempel, durchaus von parischcm Marmor erbant ward, an dessen Pracht nnd Schmuck die reichen Kaufleute der Stadt ungeheure Summen gewendet haben. Die zirkelrnndc Vncht von Hcrmopolis bildet einen sehr guten Hafen, welcher leider nur vor der Tramoutana allMwcnig geschlitzt ist. Stattliche Kais, große Lagerhäuser, umgcden denselben, zahlreiche Schiffe, unter allen Flaggen, liege» darin vor Anker, darunter nicht wenige Dampfer, das Gewühl der Voote und Lichter deutet hinläuglich auf die reiche Handelsthätigkcit des Platzes. Alles dies konnten wir uns nach Muße betrachten; dcnn wir hatten hier 4 Stunden Aufenthalt, allein nnr aus der Ferne. Denn leider lagen wir vor Ankcv unter der viel gefurchtsten gelben Flagge; in irgend einem Hamin, Stcppc» und Städte. ^ 338 kleinen Hasen von Tunis oder Tripolis war dir Pest aufgetreten und deßhalb ward allen aus dem ganzen Orient kommenden Fahrzeugen, selbst denjenigen aus Constantinopcl, wo gar kein PestfaU vorgekommen war, Iidera pruüni versagt; da die Dampfer des österreichischen Lloyd immer ciueu Arzt an Vord haben, so gilt eine Reisezeit mit ihneu, falls die Seuche nicht auf dem Schiff erschienen ist, am Bestimmungsort als Quarantäne, natürlich darf aber in der Zwischenzeit kein Passagier uud Niemand von der Mannschaft mit dem Lande verkehren. Also waren auch wir voll dem Betreten des Bodens Griechenlands angeschlossen, d. h. wenn Wir uns uicht einer fünftägigen Quarantäne uutcrlvcrfen wollten. Verkehr mit Syra war iuzwifchcn dennoch nothwendig nnd es war manchmal lustig auzusehen, welche Maßregeln dabei genommen und umgaugeu wurden. — Vor Allem warf sich der Kapitän mit dem Doctor in sein Gig uud fuhr mit der gelben Flagge, die trag hinter dem Boot im Wasser drein schleppte, irgendwohin dem Lande zu. Mittlerweile näherte sich ein mächtiger Lichter dem Dampfboot und legte »leben demsclbm an; ciue große Menge der Deckpassagiere ging nämlich in Syra ab, ihre Effekten wurden ausgeladen und in dem Bauch des Lichters eingestaut, dann kletterte ein buntes Gemisch vou Männern und Weibern, Kindern uud Greisen, Türken nnd Indcn, Griechen und Franken, nach nnd hockte schwermüthig uiedcr auf der Bagage in der Mitte des Fahrzeuges, weit ab voll dem Steurer uud deu Rudcrlcuten. Andere Böte aus dem Hafen umkreisten den Plnto in immer engeren Ningen; sie waren hanptsächlich mit Früchten beladen: Weintrauben uud Haseluüssc, Granateu und Feigen, Pistazien und Kastanien, dazwischen Brode, Honigkuchen und Backwcrk mancherlei Art, waren verlockend darin ausgebreitet und es entstand auf dem Verdeck ein lebhafter Vegchr darnach. Der Bootführer und Händler hätte sich nun sicherlich Nichts daraus gemacht, unser Geld ohne weiteres Bedenken in die Tasche zu stecken, alleiu er 339 hatte einen alten Schnauzbart bci sick', wahrscheinlich cine Art Hafenwächter, der ihm anf die Finger paßte. Wollte man kaufen, so rief der Vootführcr den Preis, und der Wächter reichte mittels einer Stange ein mit Wasser gefülltes irdenes Schiisselchen empor, wohinein die Geldstücke geworfen werden mnßten; der Verkäufer las sie sorgfältig heraus und die Früchte, in ein herabgelassenes Netz geworfen, wurden an Bord cmporgchißt. Besonders vcr-saheu wir uns hier noch mit den in Schachteln gepackten türkischen Confitüren, Rachat-Lakum, welche anf der Infel Syra in ganz besonderer Feinheit angefertigt werden. Während dieses Handelsverkehrs kam der Kapitän znrück und mit ihm viele neue Passagiere, darunter der bayerische Gesandte von Feder ans Athen. So nahe die Metropole des classischen Hclenenthnms — in wenigen Stunden wäre von hier aus der Pyväus zu erreichen gewesen und doch war er für nns unerreichbar; denn Niemand hatte Zeit oder Lust sich fünf Tage Gefängnißstrafe aufzuerlegen, unter welcher einzigen Bedingnug das Land hätte betreten werden können. Wir waren anf's Verdeck, in das Schiff gebannt nnd mit diesem Loose nichts weniger als unznfrieden, wenn wir hinabschauten anf den überfüllten Lichter, der sich eben in Bewegung sehte, um seine unglücklichen Insassen nach der Quarantäne abzuführen, welche die Vootleutc natürlich mit ihnen theilen müssen, was sie gerne thun, indem sie dafür bezahlt werden. Die Qnarantäne liegt dein Hafen gegenüber auf dem nackteil Infelchen Gradeo; schaukelnd setzte sich das plnmpc Lichtcrschiff dahin in Bewegung, so langsam, als suche es die Landung soviel als möglich zu verzögern; unser Dampfboot hingegen, nachdem es auch erwünschten frischen Proviant, worunter herrliches Vrod und köstliche Weintrauben am meisten bestachen, eingenommen hatte, rüstete sich zur Weiterfahrt. Die Anwesenheit von Bayern unter den nenen Gästen der ersten Kajüte führte sofort zn der merkwürdigen Ent-decknng, an welche vorher Niemand zu denken gewagt hatte, daß 22* 340 der Pluto vortreffliches Wiener Vier m Fischen zwischen Eis gelagert habe. Während dieselbe von den Dentschen fofort praktisch ausgenutzt ward, beging Einer aus der Gesellschaft die Per-sidie mit dem Traitcllr des Schiffs einen Handel abzuschließen, der das fämmtliche vorräthigc Vier in seinen Vcsitz brachte; cs war nachher äußerst komisch die langen Gesichter zu scheu, als die verlangte zweite Flasche abgeschlagen werden nnchtc, und das freudige Ah! der Ucberraschuug zu hören, als gleich darauf der vaterländische Trank dnrch die Oute des unbekannten Wohlthäters iu Dutzenden von Eistühlcrn aus der Tafel erschien. Man zog damit auf's Verdeck, es war ciue wundervolle Mondnacht, der Komet stand in riesiger Größe am Himmel und wir tranken ihm schäumende Becher zu. Freilich wird mau es als eiuc halbe Barbarei verschreien, zwischen den griechischen Inseln Vier zu trinken; inzwischen hat sich ja auch am Fuß der Al'ropolis eine Bayerisch-bicr-Vraucrei etablirt und macht glänzende Geschäfte, jedenfalls würden anch Pcritles und Aläbiades ein gntcs Glas Vier, wie Ulan cs hcntzutage haben kann, dem nach Boctfctt riechenden und nach Terpentin schmeckenden herben griechifchcn Wein vorgezogen haben. Am Morgen des nächsten Tages begrüßten wir in hellem Sonnenschein die Gebirge der Mama, die hohen Gipfel des Tay-getos. Die Küste von Morea, der Peloponnes, breitete sich vor unseren Blicken aus, eben umsegelten wir das langhingcdehntc Cap Malea oder San Angclo, zur Tinten erschien am Horizont die Insel Kerigo, Cythcra, zur Rechten das unbewohnte Eiland Ela-phonisi Onognathos nnd wir liefen in den Vnsen von Lakouien ein. Gegen 8 Uhr Vormittags erschien Cap Matapan, Tänarion, die südlichste Spitze des europäischen Coutinents, ein nicht hoher, scharfer Vorsprung weißer Klippen; landeinwärts erhöhen sich die Verge amphitheatralisch uud der Gipfel des Eliasbergcs schaute aus der Ferne recht Achtuug gebietend herab. Aber öde erschien die 341 Küste, keine Spnr von Ansiedelungen war daran zu brmcrkeu. Wir durchschnitten deu Nnsen von Kalamata, Pherae oder Calama, der auch w'ohl Vncht vtzn Korou odcr Messeue genannt wird, in nordwestlicher Richtung; Cap Gallo, das alte Akritas, bekamen wir selbst nicht zu Gesicht, wohl aber die kleine öde Insel Vene-tiko odcr Tegannsa nut der Vorklippe Fonuigas. Hier bogen wir ein in den Kanal von Mothone zwischen den önussischcn Inseln Kabrera und Sapienza und dem Festland. Erstere sind völlig unbewohnt und nackt, weiter Nichts als ödes Gestein; dennoch werden sie noch eine Rolle in der Politik unserer Zeit spielen, denn England hat Ansprnch auf den Besitz dieser Felsen, als zu dcn ionischen Inseln gehörig, gleich den Strophadcu, erhoben und würde daselbst zweifelsohne gern ein kleines Gibraltar gründen, welches natürlich ganz Morea beherrschen würde. Die Messenischc Küste ist gleichfalls ein wildes Vergland; die Gipfel des Lykodimo und des Dimitrios scheinen dcn Himmel zu tragen. Ans einer Landzunge zur Neckten erscheint die kleine Festnng Mothouc, zur Linken dehnt sich unabsehbar die offene Fluth, noch dampfen wir eine Zeit lang dicht an der Küste hin, da erscheint, gedeckt von einer langen Halbinsel, die Bucht von Navarino odcr Pylos; das uugehcure Bassin, welches sie bildet, liefert bekanntlich einen herrlichen Hafen, groß genug, daß »nächtige Flotteu sich darin vernichten können; die Geschichte hat es gelehrt. Die ganze Bucht scheint mit Festnngswerken garnirt zu sein, deutlich können wir hier und da dcn Blitz der Sonne auf einem polirten Geschütze wahrnehmen. Aber unaufhaltsam nach Norden strebt uunmehr der Kiel mit dem Eintritt in den Busen von Arkadien odcr Kyftarissta und dann in's offene ionische Meer, So lange wir die Küste von Mcsseuicu und Elis nicht ans dcn Augen verlieren, zeigt sie sich stets als ein schmaler Flachlandgürtel mit dahinter emporsteigenden scharfgratigen Fclsenbergen, deren Zinnen weiße Wölkchen krönen. Tiefblau ist die völlig 342 ruhige See, hiev und da erscheinen Züge von Delphinen, Meerschweine, wie der Fischer sie minder ästhetisch nennt, nnd wenn sie so hinter einander, wie im Gänsemarsch, herziehen, nnd ihre rnnden, breiten Rücken sich aus den Wellen heben, so gehört wirklich nur geringe Phantasie dazn, sich daraus das Vild der nngchenren Sceschlange zu constrniren, welche schon so viele Schiffer geängstigt, so viele Redakteure glücklich gemacht hat. Im Norden erheben sich die Verge von Zakynthos, der Insel Zante — ,,?ioi-e äi I.ovimtc," wie jeder ihrer Bürger stolz hinzufügt, zunäckst der Monte Scopo, in der Ferne Monte Peri, umgürtct von einer bunten, reich besiedelten Küste, deren Anblick aus der Weite schon den Enthusiasmus der Ionicr für dieses ihr irdisches Paradies begreiflich erscheinen läßt; znr Rechten tritt Cap Glarcnza in C'lis hervor, ans dein Felsen darüber das malerische Kastell Tornese — nordöstlich dehnt sich die Bucht von Patras, der Nnscn von Korinth oder Lepanto — es erscheinen die Gebirge Actolicns, an deren Fuß Misso-longhi liegt, und Akarnaniens. Hinter den Ersteren steigt amphi-theatralisch die Reihe der Gipfel immer höher empor, bis zuletzt ein höchstes, cisgckröntcs Haupt ihre gezackte Pyramide schließt. Das ist der Parnaß, sageil nns stolz die Griechen uud mit Ehrfurcht grüßen wir ihn, den Nabel der alten Welt nnd Hellas', den Altar und die Heimath der Musen und Poeten, wo der kasta-lische Onell den« Hnfschlag des Flügelrosses entsprang, wo die delphische Pythia die Orakel des fernhintresfenden Gottes verkündete und korykische Nymphen um die Grotte des großen Pan ihre Neigen schlangen. Ob er es wirklich war, der Parnaß? Wer weiß es; jedenfalls wareu wir noch gute 20 geographische Meilen davon entfernt — genug, wir habeu uns gläubig seines Aublicks gefreut und rühmen uns den Parnaß, wenn nicht bestiegen, so doch wenigstcns geschen zn haben. Je näher wir der größten der ionischen Inseln, Kephaloma, kommen, nm so rascher senkt sich die Nacht herab, viel schneller will nns erscheine», wie in nordischen 343 Breiten,' Der Anblick ibres Gestades ist nicht so lackend grün, mannichfaltig und von Ansiedlnngen belebt, wie derjenige von Zante, aber dennoch bildet anch diese Insel trotzdem sie bergig genug erscheint, einen angenehmen Abstich von der schroffen Nacktheit der Cykladcn. Wir lenken in den Kanal Viskardo ein, der Kepha-lonia von Thiaki trennt, der viclbcrühmtcn Insel Ithaka. Es war nm « Uhr Abends, als wir eintrafen nnd leider war es schon recht dnnkel, trotzdem der Komet am Himmel in immer gewaltigerer Größe nnd Schönheit brannte. Anf Kcphalonia erblickten wir viele Lichter nnd Fener, anf dem armen, felsigen Ithaka nur ein einziges. Siht daran vielleicht der viclgewanderte Odysseus, den die Phäaken schlafend heimgebracht nnd der jammernd das Vaterland nicht erkennt? OderGnmäos, der wackere Sanhirt, oder der arglistigen Freier Einer, der dem heimkehrenden Telemachos auflauert? Wie schade, daß mm schon der Schleier der Nacht das elassischc Gestade verhüllen muftte. Und so auch fuhren wir in spater Abendstunde vorbei an Santa Maura oder Leucadia? ohne mehr als die dunklen Umrisse steilrechter Felsen zu erkennen — welcher von ihnen war der Opferstcin der Uebeskranken Sappho? Und war es ein Wunder, wenn mail in solchen Nächten Nichts träumte als Odysseen und griechische Mythen? In der frühesten Frühe des folgenden Tages lagen wir im Hafen von Korfn. Es wird in der Welt nicht viele schönere Panoramen geben wie das, welches hier vor den überraschten Blicken sich anfthut. Die Hafeubncht gleicht einer mächtigen runden Schale, rings umrandet von stattlichen, sanft anlaufenden Höhen, bekleidet mit wuchernder Vegetation; da nnd dort erheben sich ans dem Grün prächtige Villen oder imposante Forts; südöstlich die stattliche Citadelle hoch über der Stadt, die sich links von der Hafeneinfahrt am Strande hindehnt mit stattlichen europäischen Häusern, darunter sogar fünfstöckigen; nördlich die furchtbaren Batterieen der kleinen Insel Vido, welche den Hafen decken. Aber 344 auf Wällen und Bastionen wachsen schlanke Cyprcsscn, glänzender Lorbeer, schirmkronigc Pinien. An dein grauen Hang der Verge rings umher kleben überall Dörfer, Häuser, Hütten, bis hinanf zu den Gipfeln; sie sind umgeben von dem dunklen Grün weitge-dehntcr Olivenwälder, Weinberge fehlen nicht, überall sicht man den Boden steißig bebaut. Ist das schon britische Lnft der Betrieb-sainkcit, die hier weht? Fast sollte man's glauben. War doch schon im grauesten Alterthum das Land der Phäat'en das des Obstes und Weins; auch hat sich der Charakter despoils nicht im mindesten geändert, es liebt noch hellte nicht Krieg und Jagd, wohl aber die schncll-hinschwebendcn Schisse und den Handel. Die Korfioten sind berühmte Kaufleute, gewandte Seefahrer, tüchtige Matrosen. Eine ziemliche Anzahl von Schissen liegt im Hafen, wir unterscheiden die eng-lischc, die französische, die griechische, die türkische, die neapolitanische und die ägyptische Flagge; die unsere ist leider immer noch gelb nnd wir bleiben gefangen, unvermögend Theil zu uehmen an dem lebendigen Verkehr, der uns fein verlockendes Bild zeigt. Indessen sind hier unter dem Regiment der Engländer die Maßregeln gegen die Pestanstecknug nicht so streng wie auf Syra; es entwickelt sich daher auch um das Schiff alsbald ein thätiger Handel aus vielen Booten, welche Früchte aller Art, besonders riesige Melonen, wunderschöne, großbeerige Trauben, Feigen, Gemüse, Blumen, Milch, Fleisch, Fische, Krebse bringen nnd zum Verkauf anbieten. Mit vieler Freude gewahrten wir, daß unser Majordomo sich mit ganz besonderer Auswahl und äußerst reichlich hier aus's Neue verpro-viantirte; besonders spannten wir ails die prächtigen Schnepfen und Bekassinen, die er bündelweise ans den Booten an Bord hißte — aber leider haben wir von allen den Leckerbissen Nichts zu sehen bekommen; vermuthlich wurden sie in Trieft wiederum »erhandelt. Auf dein Qnai, längs des Ufers drängte sich das gehende und kommende Volk wie in einer großen Stadt, uns erschien das Gewühl nnendlich bunter. Die Korfiotcn selbst, größteutheils lange 345 Gestalten, sehen malerisch gcnng aus in ihren braunen Jacken, blauen Beinkleidern, welche je 4l) Ellen Vaumwollenzeug erfordern, rothen Strümpfen und dein rothen Hcs der Insclgricchen. der mit seiner violette»« Quaste kokett auf die Seite herabhängt. Es dürfte übrigens ein Preis ausgefetzt werden, für die Erfindung einer unpraktischeren Kopfbedeckung, wie gerade diese; Niemand würde ihn erwerben können. Unter den korfiotischcn ^raucu des niederen Volks sieht man fehr hübsche Gesichter und besonders graziöse Gestalte»', deren Bewegungen kein deutsches Bauermädchen nachzumachen verstünde. Sie verhüllen Kopf und Brust mit einem weißen Tuch, welches das Antlitz frei läßt, weite, weiße Acrmel, sammetne Mieder mit silberneil Kettchen nnd Schaumünzen, rothe oder blane, sammctgaruirtc Nöcke bilden ihren gewöhnlichen Anzug, welcher ganz vortrefflich Neidet. Eigenthümlich s^hen die rothen Uniformen der englischen Besatzung aus zwischcu alleil den Griechen, Türken, Arnauten, Albanesen u, s. w., doch war die französische Modctracht ebeufalls hinreichend vertrctcu, aber nicht mehr wie ill Constant:'-novel in Begleitung des unvermeidlichen Fes; hier herrscht schon der Cylinder, wie überall, wo die Engländer dominireu. Die Citadelle, welche das Vauner Altenglands trägt ohne das Kreuz der ionischen Inseln, liegt hoch über der Stadt und beherrscht dieselbe vollständig, ist auch von ihr durch einen tiefen, überbrückten Graben getrennt. Längs desselben erstreckt sich die sogenannte Esplanade, der Hauptspaziergang der Stadtbewohner; hier steht die Bildsäule des Marschallö Schulenburg, der im Solde Venedigs 171« Korfn glücklich gegen die Türken vertheidigte, sodann der Conssitutionstempel, ein Denkmal zur Erinnerung an die den ionischen Inseln verliehene Verfassung. Diefe Schönheiten bekamen wir leider nicht selbst zu Gesicht, allein der Poetor war so freundlich sie uns alle vorzumaleu und mit dein Finger auf das Genaueste ihre Lage anzudeuten. Die englische Herrschaft oder vielmehr Vormundschaft über die ionifchcn Inseln ist auf den Wohlstand der- 346 selben von nicht geringem Einfluß gewesen; Gesetz, Ordnung, Civilisation, haben sich eingebürgert und eine viel blühendere i'agc abschaffen, wie es diejenige der meisten griechischen Inseln ist, welchen freilich auch die Natur nnd die geographische Situation nicht so zn Hülfe kommt. Dagegen mußte man von dem Anstand der türkischen Inseln erzählen höreil, -^ diesen Gennß hatten wir zur Genüge durch die Güte und Mittycilsamkeit zweier Cypriote», Vater uud Sohn, die aus einer Neise nach Wien begriffen waren, daselbst um das österreichische Consulat auf jener Insel für den Jüngeren zu werben. Sie führteu ;u diesem Behuf eiueu ansehulichen Verrath ächten Cypcnveines mit sich, gingen aber änßcrst sparsam damit um, was wir davon zu kosten bckameu, bewies uus erstens, daß man auch im Orient die Kunst versteht Vtiqnctten aufzukleben ; denn was wir seither als Cyprier und nachher getrunken haben, war sämmtlich geschmicrtes Zeug, und zweitens, daß ein Wein auch schlechter sein kann wie seiu Ruf; denu dieser, obgleich stark uud geistreich, muudete uus in sciuer süßlichen Herbe nicht sonderlich. Freilich begünstigen die Türken auch uicht deu Weinbau, wie sie denn eigcutlich gar Nichts begünstigen als Faulheit und Corruption; das Gemälde, welches uns die Herren von ihrer Heimath entwarfen, ehemals auch diejenige der Licbesgöttin uud das schönste Vand der alten Nelt, war ein äußerst trauriges, düsteres; sie trösteten sich mit der Hoffnuug: fo kann es nicht lange mehr bleibcu. Vine Eigenthünüichtcit dieser Vyprioteu siel männiglich auf; statt der Milch zum Kaffee schtcu sie diesem große Stücke Butter hinzu; ob sie vielleicht chemische Physiologie stndirt hatten? Sieben lauge Stunden lagen wir vor Korfn festgebannt und dursten uicht hinaus aus dem engen Naumc des Schisss. Doch ermüdete uns keiue Langeweile, das Rundbild war zu prächtig. Hatte sich das Auge satt geschaut au deu bnutcu Farben des uaheu Ufers, fo wandte es sich rückwärts uach den purpurueu Bergen von Epirus oder Albanieu, in deren Mitlc Ianina liegt, der Sitz 347 des einst so gefüvchtetcu Ali, der Schauplatz furchtbarer Thaten und noch ungeheuerlicherer Märchen; während der Nacht warm wir bei Prevcsa und Varga dicht vorbei gegangen, -- Eine ganze Reihe von Booten näherte sich nnserem Schiff, sie gaben Geleit „cucn Passagieren desselben, dem seitherigen Lord Oberrichter von Ionicn, Sir John Neid, der mit Fran nnd Kindern die Heimkehr nach Alt-England antrat; unter den übrigen Ankömmlingen inleres-sivte vorzugsweise eine prenßische Diakonissin aus Jerusalem, welche viel zn erzählen Wusitc von den bet'lagenswevthcn Spaltungen zwischen den christlichen Sekten dort nnd deren unheilvollen Folgen. Endlich schlug die Glocke der Abfahrt, es war zugleich die Mittagsglocke, wir rauschten heraus aus dem Kranze der Olivcnwälder, vorbei dem Lcuchtthurm, der auf einer Klippe mitten im Kanal sich erhebt, wo, rings von hohen Fclsenufern eingeschlossen, das Meer erscheint wie ein stiller Landsee. Nir lassen Korkyra hinter uns, zur linken erscheinen die Eilande Samotrati, Fano, Merlera, rechts begleitet uns die Küste des albancsischen Festlandes >— steil abschüssige, meist nackte, unbewohnte Gebirge, von Wildwassern zerrissen. Am Nachmittag trieb uns ein leichter Regen in den Salon; es ist nicht gut, weuu nahe am Ziel der Fahrt sich ncnc Gesellschaft zu der alten findet, znmal wenn die erstere aus Engländern besteht, Kinder bilden dabei die beste Vermittlung der Ausgleichung, so auch bei uns die liebenswürdigen Kleinen des britischen Würdenträgers; zur Antinipfung der Bekanntschaft half ein gemüthlicher Seehund, der cinc Zeit lang äußerst zutraulich neben unserem Dampfer herschwamm, ohne sich irre machen zn lassen, aber schr bald von dem Letzteren überflügelt wurde. Die Unterhaltung wurde uach nnd nach eine recht lebhafte und in allen möglichen Sprachen geführt, bis spät iu die Nacht hiueiu. Mit Eintritt der Dunkelheit passirten wir Cap Lingnetla, vor Alters Glossa, der znngen-förmige Ausläufer der akrot'erauuischen Verge, uud traten aus dem ionischen iu das adriatische Meer. 348 Dies erwies sich minder günstig wie die südlichen Wogen. Nach guter Nacht kam ein frischer, etwas duftiger Morgen und eilt bedeckter Himmel, als sei es ein Zeichen, daß wir nnnmehr gen Norden fuhren. Auch die Abwechselung in der Umschau hörte auf und die Zahl der Reminiscenzen. Um 8 Uhr erschien die Insel Lagosta, hochfelsig, leuchtend im Strahl der Sonne, welche eben die Wolken verjagte, links in der Ferne die Klippe Pelagosa. Immer noch war das Meer wie ein lcis gewellter Spiegel, kein Lüftchen wehte, bis in die weiteste Ferne erstreckte sich der Blick. Aber es gab an diesem letzten Tage der Fahrt nicht viel mehr zn sehen. Einförmig stand die Wand der Verge Dalmaticns und der Herzegowina immer >n nnserer Recklen, auf der linken nnr Himmel nnd Wasser. Die Ichten Inseln, zwischen welchen wir uus hindurchwandten, waren Vissa, Pnso und Sauet Andrea, von da au verloren wir die Küste Dalmatiens oder vielmehr dieicuigen der zahlreichen Inseln, welche das Festland verdecken, selten mehr aus dem Gesicht, die Ufer erschienen spärlich bewohnt und bewaldet, bergig, ohne Reiz. Den schönen Abend brachten wir vollkommen on snmilw in dem Sturmhäuscheu ;u; wenn man fünf Tage lang in einem Nanm von 50 Quadratfuß zusammen gelebt und genossen hat, dann wird man ziemlich bekannt miteinander. Das Vier war leider alle, aber es gab zur Oenüge asischen Wein aus Brussa, Porter und Ale von Guinesscs und es fehlte auch nicht an dem ächten Schaumtrank, der in der ganzen Welt seine Freunde hat. Früh 7 Uhr am anderen Tage warfen wir Anker im Hafen von Trieft. Groft und herrlich liegt die Stadt im Halbkreis an der Bucht; hiutcr ihr stolze Berge mit prächtigen Schlössern nnd Landhäusern; im Hafen ein Gewühl von Schiffen aller Art und Größe, wie es nur eine Handelsstadt vom erste»« Nang anfzn-. weisen vermag; bis weit hinaus in die weiteste Ferne viele Hunderte von bliukcnden Scgclu, gehend oder kommend, sichtbar; 349 abseits zur Rechten in besonderer Vncht stattliche Fregatte»» und Corvctten der junge» österreichischen Marine — und am ^iande gleich der deutsche Gruß: „Haben's nir zu verzollen, Zleisch, Vrod^' O, wic die heimathlichen Töne nach langer Abwesenheit so hold klingen. Da bezahlt man gern für den Korb voll Früchten, die man aus dem Orient nach Nordcii bringen will, mehr Steuer, als sie gekostet haben; man ist ja wieder daheim, man betritt deutsche Erde. Aber nein, das ist ein Irrthum, Trieft ist keilte deutsche Stadt, wie man alsdald auf jedem Schritt gewahr wird; Deutschland liegt viel weiter ,,driuucu im Ncich." Nnd darum im Flug über die Alpen ans der Wundcrstraße des Scmmering, und hinaus aus Oesterreich — in's Reich! XL '$&$ iv r/YCEikli Franz TlMMlNm's VMsthriftcn. Die Abenlruer HcyG« Chrlstliftl) unn Baycrn^ sscuanut dcr Dämpfer. Vin Voll.»l,uch, darin ^ar viel ^rohe^. ?i>s!ereö nnd Wnn^rsames aus länqst vergangene!« feiten zum Vorschein kommt, von srudestcn Jahren deö Helden an, bis Derselbe in das heilige Land pilgerte imd bci seiner Heimtebr cms der I»scl ^ihodus selig verstarb. Für Alt und Jung. Volksausgabe mit zwei Illustrationen. Zwei Vändc. Rchlr. 2. fl. 3. 30 kr. vl'ciü. Clmmlm lteiz Dmn Petrm Uockerlein, eines Gliict^littn^ aus alter Zeit. Dnn ailch Kunde zn fn^cil von dcn HcvMM Höilhclm und Ludwiq; vonl gclalnlm Ävcnlinus, von der schoncn Linsalz ^lisadctl, nnd Part Anionia sammt ihren freiern — deninächst vom Ttadtünielnchjn' Bav!holo>näno Nns!h,,'!!!>ev und vielen anderen sonderlichen Gesellen. Zur Kurzweil «ud ssuter Mahnung. Zwei Tl'cile, Rlklr. I. 22> L.ir. si. 3, Cppclciu lion Glliliugcn nnd waö sich seiner Zeil mil diejcm rillerlichcu ^nlenspiesicl und seinen Epichgescllcn im fränkischen zu^etraqen. Mit 8 Illnstrationcn von M uttcnthalcr. 8. Geh. 24S^r. fl. l. 24 kr. rhcin. Die gute, alte Zeit. Münchner Grschichtrn. Dnu frohe nnd cvnsle Kunde ;n finden voin b^seil Junker Sara^in nnd dem Wctw'machcr von Frankfurt; vom Rach5schrei!,'cr ^ur^el in der Schwcdcnzcil; vom f>ottlosen :)iechts-frcnnd (5alomälus; nächst vo>n Löwe» Äldcrtus des V. und allerletzt, was sich mit dem frommen, blinden Meister von Mrnl'evs, ;nqttragcn, so bei nnsercr lieben Fvanen zu München nnter der Sonueünl'r begraben lie>i!. Fiir Alt und Iunst. Geb. 24 Ew'. fl. 1. 24 kr. rbeiu. heitere 8täi)k'geschichtl'll. Kiihu nn!' luuutcr, ssromnl milllntcr. ß. 1P01. Geb. ^!l> ^>^r. sl. 1. 1U kv. rhcin. f A I . r .. . .■ Frilnksurl a, M, Dl»ck von I. D. Na»,« >lä »dcr. l««2. ■S f . t' - n