< O^ Vurch das Vritische Neich, Erster Band. Durch Hag Kritische Ucich. Zndafrilia — Nculcoland — Äullmlieu - Indion — Vcecmicn ^ Canada. Von Alerand er Freiherr»» oon D übner. Erstcv Band. Mit riner Äarte. Leipzig: F. A. Brock h au Z. 1880. Einleitung. Palazzo Barberini, Nom, 25. April 188.",. Indien war einer meiner Iugendtränme. Mehrmals war ich im Begriff die Reise dahin zu unternehmen, aber immer traten Hindernisse dazwischen. In meinem „Spaziergang nm die Welt" hatte ich die Absicht ausgesprochen dies Land der Wunder zu besuchen. Seither sind zwölf Jahre verstrichen, nnd noch immer ist das mir selbst, allerdings vor Zeugen, gemachte Versprechen nicht gelüst. Dem lesenden Publikum mag dies gleichgültig sein, aber mich beschlich das Gefühl der Wortbrnchig-teit so oft ich, wahrend meiner Winteraufeuthaltc in Rom, in meiner Bibliothek an einem gewissen Vüchcrbrcte vorüberschritt. Da standen in zierlichen Einbänden die Originalansgabe und die verschiedenen Uebersetzungen der „I'rnmonu^ lvutnui' <1n monä«". Die Eigenliebe des Verfassers mochte sich daran weiden, aber sie ward getrübt durch die Erinnerung au das unbesuchte Indieu. Ich ließ daher eines Tages diese Bücher nach einer entlegenern Stelle des Saales verbannen. Heute Morgen führte mich der Znfall in ihre Nähe, nnd siehe, dieselbe Emvfin-dnng des Unbehagens überkam mich. Dem soll ein Ende gemacht werden. Ich gehe nach Indien. Jeder kluge Reisende läßt, bevor er sich in Bewegung setzt, seiue Koffer, und wenn es gilt dem tropischen Himmel zu trotzen, seine Person uutersucheu. Die Koffer sind in guter Verfassung VI Einleitung. und so die Gesundheit. Aesenlap hat gesehen, geprüft und den Ansfvrnch gethan: das hohe Alter vertrage, in dem gegebenen Falle, die hohe»« und niedern Breitengrade. Also nach Indien! Aber nicht auf dem banalen Wege des Snezkauals sondern nm das Cap der Guten Hoffnnng. Dort soll gelandet nnd auch Australien und Canada besucht werden. Dies gibt eine fast vollständige Reise durch das Britische Reich. Wicn, W. iVtai, Wie lieblich ist doch die Heimat! Und nie mehr so als im Augenblicke wo man sie verläßt. Wie süs; der Verkehr mit den Seiuigen und den alten Freunden! Aber mein Reiseplau fiudet eine kühle Aufuahme. Besonders die Damm lassen eö nicht an Vorstellnngen fehlen. Eigentlich halten si^ mich für etwas gestört. Auch mein Sohn beobachtet, wenn ich ihm von Indien nud Australien spreche, ein ehrerbietiges Stillschweigeu. I^E ^i-Iolic0 und auch um meine Thatkraft. Wenn irgendetwas diese Thatkraft schmälern könnte, so wären es diese Complimente die mich einigermaßen bedenklich machen. Im Traveller's Elub sagt man mir: „^VIlnt n i»In(,'I<)' olll l«I1o>v no i^!" Wenn mir ein Leid Zustößt wird man sagen: „'WlilU an oiä t'o«! 1i6vvn5!" Southaiupton, 2^. Juni. Heute Morgen um '.> Uhr, also zu einer Stunde, wo die Sonue in Pallmall lloch nicht aufgegangen ist, stieg der Reisende in den Wagen nnd sein alter Kammerdiener ans den Bock. Das Wetter war wie man es zuweilen in London im Hochsommer trifft: ein feiner rieselnder Regen, eisige Windstöße, ein grauer Himmel über welcheu schwarze Wolken ziehen, die Luft feucht uud kalt, das Ganze granfenhaft. Pallmall noch eine Einöde. An der Ecke des Atheuäum eiu Straßenkehrer, ucichst der Vortreppe der Travellers zwei Polieemeu die mit einen: betrunkenen heulenden Weibe ringen. Iu den obern Geschossen der nächsten Häuser, an den schleuuig geöffueteu Fcusteru, er-göheu sich Housemaids, den Staubbesen in der Hand, an dem Anblick der Seeue. Da briugt das Auftreten meines armen Eheeeo eine Wandlung hervor. Immer vorsichtig uud schon jeht bedacht den Sonnenstichen die seiner harren vorzubeugen, hat er bereits seinen indischen Helm aufgesetzt nnd Nacken uud Schultern sorgfältig iu eiuen weißen Schleier gehüllt. Eiu geographischer Misgriff der, von den Mägden sogleich bemerkt, ihr schalleudes Gelächter erregt. Dem erstannten Eroßsweeper entgleitet sein Instrument. Die Polieemeu lasseu zwar ihre Beute uicht fahreu, messeil uns aber mit strengen und argwöhnischen Vlickeu. Am Strand, wo es schon seit mehrcrn Stnndeu heller Tag ist, bleiben die Leute steheu, die eiueu lachend, die auderu VIII Einleitung. verblüfft. Dann eilen sie weiter, die Schritte verdoppelnd nm die verlorene Zeit einznholen. Am Bahnhofe allgemeine Sensation, bis, anf mein Geheiß, das (^oriiu^ (Isiieti in seinem Futteral verschwindet. Um 1^ Ilhr mittags hält der Zng anf dem Landungsplätze von Southampton wenige Schritte von nnserm Dampfer. Fünf Minuten später befinde ich mich in meiner wohnlichen Kajüte. Dem Programm gemäß genau nm 1 Uhr setzt sich der Steamer nach der südlichen Hemisphäre in Bewegung. Inhalt des ersten Landes. Gelte Einleitung........................ V Erster Theil. Südafrika. I. Die Ueberfnhrt. Vom 29. Juni zum 20. Juli 1883. — Tie Passagiere. — Madcra. — Teneriffa. — Das Cap Verde. — Die ^oint,» inorts..................... 3 II. Capstadt. Vom 20. zum 31. Juli; vom 2«. August zum 15. September. — Physiognomie der Stadt. — Nie Gesellschaft und die politische Welt. — Wynberg. — Constautia. — Vishops-Court. — Simons-Vay. — Die Barmherzigen Schwestern. — Die öffentliche Bibliothek, — Tic Sternwarte. — Laugalcbalcli. — Ter Drakenstein. — Paarl. ~^ Frcmsh - Hock. — Stellenbosch. 10 III. Die östliche» Provinzen. Kafferlaud. Vom 3l. Juli zum 15,. August. — Das Cap der Guten Hosfuung. — Port Elisabeth, — Visenbahn uud Elefanten. -^ (Graham's Town. — Ankunft im Kafferlaud. — King William's Towu und die Co-loine Braunschweig. — Magistrate und Kafferu. — Die Küste von Pondoland.................... . 36 IV. Natal. Vom 15. zum 26. August. — Durban. — Zuckcrbau. — Die Arbeiter. — TclagoaVay. — Die Zulu. — Picter-Maritz-burg. — Bei einem ZululMptliug. — Politische Uebersicht. , , 62 X Inhalt des ersten Bandes. Zweiter Tbeil. M e n se e l a n d. I. Die Ucbcrfnhrtcn. Von Kapstadt nach Ätelbonrne, vom 15». Tep-tenlberznm 5>. October 1««3. — Von Melbourne nach Vlnffs (Neuseeland), vom !«'. zunl 15>. October. — Aimclnnlichteiten und Nnzntommlichteiten der Seefahrten in den australischen Ge wässern. — Möven. — Passagiere. — Entfernungen.....Ill II. Die Tüdinscl. Vom 1'». Znin '2^. October I8«3. ^ Iuver carssill. — Wakatipnsee. — Tuncdin. -^ Christchnrch. — Eine „Etation" im Innern..................120 III, Tic ylordiuscl. Vom '2'». Oetuber zum 1!^. November l^!. — Wellington. — Picton. — New Ptumonth. — jiawhia. ^ Auck laud. — Tic hcisien Seen, — Politische llel'ersicht......13l> Tritter Theil. A ^t jtv l^ 1 te ^r. I. Seereise von Colombo uach Albany, Glcnela. und Mclliuuruc, Vom !>. zu,n ^?. April l8^4. — Unterseeische Vulkane. — Tie Koknsinseln. — Albany. — Ein Cyklon. — «lenela.. — An-tunst in Melbourne................... 17? II. Victoria. Vom 5. znm W. Oetober l««3; vom ^7. April znm 5,. Aiai l««l. — Geschichtliche Notizen. - Wirknnf; der Ent dcckuuss von ^oldminen, — Physiognomie von Melbourne. — Die intercolonial Eisenbahn...............183 III. Ncw-Eouth-Wcllco!. Vom l7. zum ^!». November 18^!: vom <;. zum 20. Mai 1884. — Geschichtliche Notizen. — Tie Physiognomie von Sydney. — Botany Bay. — Tic Universität. — Ausflüge nach den „Planen Bergen" nnd nach dein ,5awkes-bnry sslnß. — Tic Arbeitslosen..............199 IV. Queensland. Vom 27. November znm 13. Teeember 1.^3. — Brisbane. — Tailing-Towns. — Nockhampton. — Towns-villc. — Thursday Insel. — Politische Uebersicht....... 215 Inhalt des ersten Bandes. XI Vierter It heil. Indio lt. Zcite I, Ialia, Singapurf Ceylon. Vom 14. December I.^.'i zum 1ie. Passagiere. — Madera. — Teneriffa. — Das Cap Verde. — Die points inortF. Plym outh, 29. Juni. — Unser Dampfer liegt, die Post erwartend, am Eingänge der Rhede. Das Wetter prachtvoll. Kein Lnfthauch. Die Sonne verklärt mit sanftem Lichte die ehrwürdigen Thmmspitzen der Stadt, die grünen Hügelzüge mit ihren hundertjährigen Vamngrnpften, die weite Wasserfläche, jetzt blau wie der Himmel der sich in ihr spiegelt. Von Zeit zu Zeit Glockengelänte, gedämpft durch die Entfernung. Sonst allenthalben tiefe Stille, die Rnhe des Sonntags, in der Luft, am Lande, über den Wassern. Dies ist Altengland. Aber hier an Vord fühlt man sich bereits in Afrika. Die meisten unserer dort ansässigen Passagiere haben Eile dahin znrnckznkehren; die andern, welche erst ihr Glück zu machen hoffen, sind von ähnlicher Hast beseelt. Man spricht nnr von Diamanten, Schafen, Straußen. Selbst jene beiden jungeil Offiziere, die sich noch gestern im Kreise ihrer Familie befanden, sind bereits im Geiste, der eine an Bord seines Schiffes in Simons-Bay, der andere bei seinem Regimente in Natal. Niemand hat ein Wort, einen Gedanken, einen stillen Seufzer für die Heimat die man verläßt für lange, vielleicht für immer. Aber so ist der Mensch, besonders der Mann der That: 4 Erster Theil. Südafrila< er lebt in der Zukunft mehr als in dor Gegenwart, niemals in der Vergangenheit. Nur das Alter blickt nach ihr zurück. Wir haben einen Gentleman an Bord der seiner Gesundheit halber reist. Ein geistreicher Mann mit einer bnnten Vergangenheit, Er selbst erzählte mir seine Biographie. Noch sehr jung verlobte er sich mit einem reizenden Mädchen. Die Brant hatte nur einen Fehler, sie war arm. Der Vater widersetzte sich der Heirath und entzog dem Sohne die nöthigen Geldmittel. Dieser, um den hcißersehnten Augenblick zn beschleunigen, trat in eine Schansftielertrnppc die damals einer gewissen Beliebtheit genoß, und spielte stnmmc Rollen, gewöhnlich stellte er Neger dar. Eines Abends trat er als Herzog von Richelieu auf. Er hatte nur über die Bühuc zu schreiten nnd sich auf einen Thronsessel zu setzen; aber er erntete allgemeinen Beifall. Es war der größte aber anch der letzte Erfolg seiner theatralischen Laufbahn. Ein Brief der Brant machte ihr ein Ende. Sie benachrichtigte ihn von ihrer Vermählung mit einem andern. Den Tod im Herzen, beeilte er sich ihren: Beispiele zu folgcu. Obgleich iu deu Hafen des ehelichen Glückes eingelaufen, begann mm für ihn ein äußerst abenteuerliches Dasein. Sein Schicksal wollte es so. Als Offizier hat er in allen Welttheilen gekämpft, als Seemann alle Meere durchsegelt und auf allen Küsten Schiffbruch gelitten; natürlich alle Gattungen wilder Thiere gejagt. Zweimal widerfuhr ihm lebendig begraben zn werden. Der Mannichfaltigkeit seiner Erlebnisse entspricht die Vielseitigkeit seiner Talente. Er singt, er spielt auf dem Klavier und handhabt die Guitarre. Auf der Geige thun es ihm wenige gleich. Auch verläßt ihn dies Instrument niemals, nnd darum nennt man ihn an Bord den Herrn mit der Geige. Ueberdies leistet er das Unglaubliche auf dem Velocipede. Er erzählt vortrefflich und schreibt Romane. In diesem Augenblicke hat er eine novel unter der Feder, betitelt das „Geheimniß von Rockorgueil Eastlc". Hente hat er das erste Kapitel Madera, 5 beendigt, nach seinem eigenen Gestäudniß, eili kleines Bijou. Die einzige Schwierigkeit ist das Geheimniß seines Schlosses zn entdecken. Er sucht, er findet es nicht. Diese Ungewißheit verbittert sein Leben. Unter den Passagieren, besonders bei den Damen steht Mr. Ä. in großer Gunst. Wenn er abends, die Nase ein wenig hoch tragend, ein sarkastisches Lächeln auf den Lippen, die Geige unter dem Arme, in die Musikhalle tritt, erheitern sich alle Physiognomien. Die Langeweile der Seefahrt ist vergessen. Der Mann mit der Violine fühlt sich und ist der Herr der Situation. Der Meerbnsen von Biscaya liegt hinter uns, und die ersten Ansichten der senntropischen Breiten machen sich fühlbar. Die See ist ruhig, die Luft lau, noch nicht heiß. Ein paar Stunden auf Madera. Diese Insel wäre reizend, trüge sie nicht allzu sehr den Anstrich dessen was sie ist, und immer mehr wird: ein großes Sanitarium.* Die kleine Stadt Funchal, ihre eingeborenen Bewohner, die Hänser, die Gassen welche wie in Lissabon auf- und niedersteigen, die Villen und Grotten tragen ein entschieden portugiesisches Gepräge, allcrdiugs mit einem stark aufgelegten britischen Firnis. Hier und da sieht man Fremde, Herren und Damen mit gefärbten Wangen und leuchtenden Augen, bereits in zn vorgerücktem Stadium der Krankheit nm während des Sonnners nach Europa zurückzukehren. Sie reiteu spazieren, oder lassen sich in dem Rete tragen oder fahren in einem Carro. Der Rete ist ein Tragsessel, der die barocken Formen des 17. Jahrhunderts bewahrt hat; der Carro ein von Ochsen gezogener Schlitten, der auf den glatten Steinplatten mit Leichtigkeit dahingleitet. Andere, zu schwach um ihre Wohnung * Die Zahl der in Madera überwinternden Kranken ist in steter Zunahme begriffen. Seit 1879 ist sie von 120 auf 400 gestiegen. ß Erster Theil. Südafrika. zu verlassen, sitzen odcr lieget, auf chinesischen Nohrstühlcn am Balköne. Ihre Blicke schweifen vergeblich nach Abwechselung suchend von Fenster zu Fenster, von Thür zu Thür, welche in dieser todten Jahreszeit fast alle verschlossen sind. Das kranke Aussehen der Fremden bildet einen peinlichen Gegensatz mit der blühenden Gesundheit und der Lebhaftigkeit der Einheimischen, mit den kühnen phantastischen Umrissen des Felsens den man Madera nennt. Heute Morgen 9 Uhr zeigt sich vor uns am Horizont, den, nnbewaffneten Auge kaum sichtbar, ein grancr Punkt. Um Mittag ist der graue Pnukt ein hoher blauer Berg geworden. Abends dampfen wir in unmittelbarer Nähe an seinen Grnnd-festen vorüber: ein Labyrinth übercinandcrgcthnrmter, zerklüfteter kolossaler Felsblöcke, jetzt nmflossen von violetten nnd rosigen Tinten. Mit andern Worten, der Pik von Teneriffa war in Sicht nm N Uhr morgens. Um <', Uhr abends befanden wir uns an seinem Fuße, und während dieser ganzen Zeit liefen wir 12'/2 Meile die Stunde. Dank der ausnahmsweise:, Dnrchsichtig-keit der Luft hat sich der Bergriese in der großen Entfcrmmg von 112 Seemeilen gezeigt. Unter den Passagieren zieht eine ältliche Dame meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich muß ihr irgendwo begegnet sein. Ja, ich sah sie in den Galerien von Amsterdam. Ein Rembrandt oder ein van Haals mnß sie gemalt haben, oder irgendein anderer großer Meister jener Schule. Und dein thatkräftigen Ausdrucke ihres Antlitzes, dem mächtigen Bau der hohen Gestalt scheiut die geistige Beschaffenheit zu entsprechen. Sie ist Tochter nnd Gattin holländischer Boer. Stundenlang kann ich sie anhören wenn sie von ihren Iugeudjahren erzählt, von den Einöden des Orange Free State und von Transvaal, von den noch geheimnißvollcn I^U8 I)«iu>.8 mortF. ? Ufern des Limpopo, von den: nomadischen Familienleben der Boer, ihrem Sinne für Unabhängigkeit; wie sie die Einsamkeit lieben, die Entbehrung ertragen, der Gefahr Trotz bieten — von den Wilden, der Dürre, der Tsetse, dieser Feindin des Ochsen; von: Ochsen, diesem wesentlichen Bestandtheile ihres Daseins, denn er nährt sie nnd schleppt ihre Wagen dnrch die Steppe, und der Wagen ist des Boers Wohnhaus, in dem er zur Welt kommt, in dem er lebt nnd stirbt. Eines Tages gewahrte ich den Mann mit der Violine, wie er am Deck mit sorgenvollem Antlitze anf- nnd niederschritt. Er suchte sein Geheimniß. Aber abends waren die Wolken von seiner Stirn geschwunden. Niemals sah ich ihn glänzender. Er liebt es franzosisch radezubrcchen, und, immer galant, ist er verschwenderisch mit den: weiblichen Geschlecht. „Was ist die Seekrankheit?" fragte man ihn. Er antwortete: „I^a mal lw mer 68t 1a remoräk d'niie 6«wuiac mokant 6." Die Definition fand großen Beifall. Zwei junge Mädchen, welche eben ein Pensionat in Brighton verlassen haben, beneideten ihn um die Leichtigkeit mit welcher er das gallische Idiom handhabt. Vor uns liegt das Cap Verde. Wir können den Leucht-thnrm ansnehmen, und bald darauf die Sanddüucn im Rücken der Stadt Dakar. Die kleine Insel Gorea ist auch in Sicht. Ich besuchte dies entsetzliche Gestade im vorigen Jahre, anf einer Reise nach Brasilien begriffen. Am Rückwege fanden wir das Gelbe Fieber in Gorea. Dakar war noch frei, und der gute Kapitän Grou des Congo (Messageries maritimes) konnte es nicht über sich gewinnen einem Sergeanten und vier Soldaten ^ alle fieberkrank — die Anfnahme au Bord zu verweigeru. Der Schifssarzt sagte mir: „Einer oder zwei dieser armen Jungen werden an Bord sterben beim Einlaufeu in die Gironde. Die Gironde ist g Erster Theil. Südafrika. der Iwint uwrt der Fieberkranken ans den: Senegal; die Cana-rischen Inseln für die Patienten ans Brasilien und dem Rio de la Plata. Schwerkranke, die aus China und Indien kommen, unterliegen bei der Einfahrt in das Rothe Meer. Wer aber von ihnen die Ueberfahrt glücklich übersteht, wird in der Regel gerettet. Die Canarischen Inseln, die Gironde, Aden find die drei point inort8." Die Ursache sei unbekannt, aber die Thatsache durch eine lange Erfahrung bekräftigt. Glücklicherweise erholten sich nnsere jnngen Soldaten wunderbar, so anch der kränkste nnter ihnen, der Sergeant. Wir hatten die Nacht nächst der Quarantäne am Ansflusse der Gironde zugebracht. Am Morgen brachte nns ein kleiner Dampfer stromaufwärts nach Bordeaux. Auf dieser kurzen Fahrt, im Anblicke der Stadt, wenige Minntcn vor der Ankunft, starb der arme Sergeant. 1^' i>oint inort! Am Sonntage herrschen regelmäßig üble Laune und Langeweile im Ranchsalon. Keine Karten, kein Whist, kein Besigue. Sogar die Cigarre und die Pfeife gelten nicht für vollkommen orthodox. Eine im Punkte der Tonntagsruhe besonders strenge Dame ertappt den juugeu dcinoi^dw. . . einen Roman lesend. Sie fixirt ihn, lispelt das Wort Sonntag, entreißt ihm den Roman nnd drückt ihm ein Gesangbuch in die Hand. Seit zehn Tagen sahen wir weder Land, noch Segel, noch irgendein lebendes Wesen außer einem ungeheuern Walfisch. Dieser Theil des Atlantischen Meeres ist sehr einsam. Während wir uns längs der Westküste des afrikanischen Continents bewegten, war die Hitze unansstehlich. Jetzt hat sich die Luft abgekühlt, die lange Seefahrt geht zn Ende, nud die beste Laune herrscht wieder an Bord. Hente gerieth unser Schiff plötzlich in eine stnrmgepeitschte See, obwol vollkommene Windstille herrschte. Die Ankunft in dcr Laftstadt. 9 englischen Seeleute nennen dies den 80Minv63wrI^ ^iuuucl8>vsU, eine sehr bedeutende Störung der Meeresruhe, hervorgebracht dnrch eine unterseeische Strömung die, vom Cap Horn kommend, an die Grundfesten des Vorgebirges der Guten Hoffnung prallt. Am 19. Juli, kurz vor Sonueuuntergang war Land in Sicht. Genau um Mitternacht, bei dem herrlichsten Vollmonde, ging der Dampfer anf der Rhede der Capftadt vor Anker. Unsere Migeru Passagiere bracheu in ein infernales Frendengeheul aus. Einige zarte Damen verschmähten es nicht mit mehr oder minder melodischen Stimmen in den Chor einzufallen. Der Hexeusabbat verlängerte sich bis zum Morgcu. Eine starke Geduldsprobe für geregelte Staatsbürger welche gewohnt sind nachts zu schlafen. Ich tröste mich aber mit dem Gedauken daß die erste Etappc meiuer Weltfahrt erreicht ist. Entfernung von Southampton 6000 Meilen.* Heute Morgen trennten sich die Passagiere unter lauten Frendenbezeiguugen. Ich sah nie einen fröhlichern Abschied. Nur der Mann mit der Geige bewahrt inmitten des Getümmels die ihn nie verlassende Ruhe. Aber sein Antlitz ist freudestrahlend. Nicht ohne Mühe bahnt er sich den Weg durch ein Chaos von Reisesäckeu und Koffern, tritt zu mir, ergreift meine beiden Hände, blickt mir mit dem Ausdrucke eines Triumphators in die Augen —: Er hat das Geheimniß seines Romans gefuuden. * Seemeilen zu 60 auf den Breitengrad. Tie Entfernungen zu Landc smd immer in englischen Meilen, 09,16 auf den Grad, angegeben. II. Eaplwdt. Vom 20. zum 31. Juli' vom 2«>. August zum 15. September. Physiognomie dcr Stadt. — Tic Gesellschaft und die politische Welt. — Wyu-berg. — Constantia. — Vishops Court. — Simonö-Bay. — Die Barmherzigen Schwestern. — Tic öffentliche Bibliothek. — Die Sternwarte. — Langa-lcbalcli. — Tcr Drakcnsteiu. — Paarl. ^- Fransh-Hoek. — Stellenbosch. Seit der erstoll Besitzergreifung dieses Territoriums durch die Holländisch-Jüdische Gesellschaft, seit den Tagen des ersten Eapeommandanten, des hierzulande noch verehrten van Riebeek, habcil zahllose Reisende diese Gegend besucht und mehrere von ihnen nnteruommeu sie zu beschreiben. Als ob es der Feder oder dem Pinsel gestattet wäre den ergreifenden, fesselnden, beranschen-den Eindruck dieses Panoramas wiederzugeben. Unmittelbar hinter der Stadt erhebt sich, senkrecht emporsteigend, ein ungeheuerer Block mit horizontalem Scheitel. Es ist der Tafelberg. Zn seinen Seiten zwei riesige Felsen, hier der Löwenkopf, dort die Teufelsspitze. Zusammen bilden sie den mächtigen Damm an dem sich die Stürme der südlichen Meere brechen. Ein Bild der Unbeweglichkeit trotz der Mannichfaltigkeit der stets wechselnden Farben: Blau wie der Opal am Murgen, mattes Gold nachmittags, rosig wenn die Sonne dem Horizonte uaht, violett wenn sie unter ihm verschwindet. Am Fuße des Kolosses ein dunkelgrünes Band mit weißen Flecken: die Gärten uud Pflanzungen, die Kirchthnrme und Hänscr der Capstadt; weiterhin gegen Osten, lichtgrüu und gelblich, Wiesengründe und Dünen. Physiognomie der Capftadt. 11 Und über der Ebene, nach dem Innern des Continents flüchtend die gezinnten Ketten des „Blanen Gebirges". Wer könnte bei diesem Anblicke einem Anfalle von Begeisterung widerstehen? Aber kaum hat der Ankömmling den Fnsi an das Land gefetzt als ein Umschwung in seinen Eindrücken fühlbar wird. Er erinnert sich der ungünstigen Beschreibungen die er gelefcn hat. Wie sein Guidebook, findet er die Stadt klein, nnd sie ist es da sie nur 30000 Einwohner zählt; feucht, nnd fic ist es nach jedem Negeu; ohne monumentale Gebände, keine Renaissance, kein Elisa-bethean — kein Queen Anna-Stil. Mir gefällt dies, aber er vermißt die breiten Straßen, die pompösen Hänser die allerdings, von Unternehmern nach ein und demselben Modell gebant, sich gleichen wie zwei Tropfen Wasser. Diese Einförmigkeit findet eben seineu Veifall. Der Zukunftsmensch, der Mensch des 20. Jahrhunderts, erkennt sein Ideal in den amerikanischen und australischen Städteu, und dies Ideal sucht er hier vergebens. Daher sein strenges Urtheil. Das alte England empfand keine besondere Vorliebe für Straßen breit geuug daß Kinder in den durch den Regen gebildeten Wassertümpeln ertrinken, wie dies bei den Antipoden vorkommt. Der Iuugeugländer, der Engländer der Colonieu amerikanisirt sich. Daher der geringe Anklang welche die gute, alte, sympathische Capstadt bei ihm findet. So wenig steht sie in Gunst daß es eines gewissen moralischen Mnthcs bedarf um sie zu vertheidigen. Ich besitze diesen Muth aber ich bekehre niemanden zu meiner Ansicht, selbst nicht die alten eingesessenen Erbbürgcr; denn obgleich ihrer Stadt uon Herzen zugethan, beginnen sie an der Legitimität dieser Gefühle zu Zweifeln. Für nieinen Theil, finde ich die Capstadt reizend. Ihr Antlitz erzählt ihre Geschichte. Und sie hat eine Geschichte. Sie ist keiu Pilz, vou gestern auf heute emporgeschossen. Ihr Wachsthum ninfaßt mehr als zwei Jahrhunderte. Wir drängen uns znerst durch die bunte Menge welche das Gestade und die auliegeuden Gassen belebt: Matrosen, Schiffer, 12 Erster Theil. Südafrika. Fischer die ihren Fang feilbieten, Arbeiter ans St. Helena eingeführt, alle mit mehr oder weniger dunkler Hantfarbe, ein sonderbares Untereinander reiner nnd gemischter Rassen, Abkömmlinge der ehemaligen Herren des Bodens, der Hottentotten; Gaffern, Neger ans Namaqua- nnd Damaraland, Malaien. Die Vor-ältern der lctztern wnrden vor hnndert Jahren dnrch die Holländisch-Indische Compagnie als Sklaven eingeführt; die englische Herrschaft hat den Enkeln die Freiheit gebracht. Allmählich haben wir das Stadtviertel der Geschäftsleute erreicht. Hier herrscht der Weiße vor. Aber der Schwarze verschwindet nicht gänzlich. Nirgends und niemals verliert man ihn ans den Augen. Er ist der Herr des Continents. Ich weiß nicht ub cr es weiß, oder ob er es fühlt, aber daß er es ist beweist er durch sein Dasein. Vergeßt das niemals, ihr Herren Weißen; denn wenn ihr es vergessen solltet, könnte dies euch übel bekommen. Drei oder vier parallele Straßen führen zu dein Mittelpnnkt der Stadt. Allenthalben Magazine, elegante Htanfbnden, eine oder zwei etwas pompös allssehende Banken. Unerachtet der in allen Theilen der Welt obwaltenden Stockung des Handels, herrscht hier doch reges Leben. Ohne die Schwarzen, die inan überall sieht, würde mall sich in Europa glauben. Gegen Abend leeren sich die Gassen. Jedermann, Chef nnd Commis, Vorstände und Untergebene, Bankiers, Kaufleute, jeder der kann, wohnt U8n !>riw!mico am Lande. Um diese Stunden füllen sich die Eisenbahnzüge mit Reisenden und die Heerstraße mit Equipagen. Jedermann flüchtet in der Richtung von Wynberg, dein Paradiese des Cap. Nur die britischen Winden-träger, Civil nnd Militär, mit ihrem Personal werden meist zurückgehalten. Anch einige holländische Familien ziehen das Familienhaus in der Stadt der Villa am Lande vor. Die Holländer! Sie haben diesem Centruin ihr Gepräge aufgedrückt und dies Gepräge ist uoch nicht ganz verwischt. Ehemals sah man in der Hauptstraße einen von holländischen Eichen beschatteten Kanal. Zu beiden Seiten erhoben sich stattliche stei- Physiognomie der Capstadt. 13 ncrue Herrenhäuser, mit gegen die Gasse gekehrten Giebeln. Heute sind Kanal und Bäume verschwunden, die alten Gebäude abgetragen oder in Magazine verwandelt worden. Aber die Capstadt kann sich noch vieler stattlicher alter Hänser rühmen. Es sind massive, weniq geschmückte aber ansehnliche Steinbauten von mäßigem Umfange, aus dem vorigen oder dem 17. Jahrhundert: wahre Patricicrhäuser, würdig ihrer wohlhäbigeu Besitzer. Ich habe das Vergnügen eins derselben zuweileu zu besuchen. Architektur, innere Einrichtung, Diener uud die Gesellschaft welche mau dort trifft, vor allem die liebenswürdige Hansfrau, bildeu ein sympathisches Ganzes uud vergegenwärtigen die holländische Glanzepoche vergangener Zeiten. Capstadt verändert seine Züge in den, Maße als es sich von dem Gestade entfernt. Zuerst Seehafeu, dann Handelsstadt, dann offieielles nud politisches Centrum mit dem Government-House und dem noch im Bau begriffeneu Parlamentsgebände. Ein wenig weiter, wird die Stadt zum Garteu: der botanische Garten, der Garten des Gouverneurs, der öffentliche Garten. Noch einige Schritte weiter findet man sich plötzlich und ganz unerwartet auf den, üppigeu Rasen einer von Fichten eingerahmten großen Wiese. Ringsum ländliche Einsamkeit nnd Stille. Hinter nus ein Vorhang von Bänmcn über welche schlauke Kirch-thürme in die Luft ragen. Im Südwcsteu kletteru die Häuser die ersteu Staffelu des Löwenkopfes hinan. Diese Vorstadt ist hauptsächlich von Farbigen bewohnt. Es lohnt der Mühe die steilen Gassen zu erklettern. Da liegt die Stadt und die See zu unsern Füßeu ausgebreitet, und, jenseit der Bucht, gewahren wir das „Blaue" uud das „Hottentottengebirge", und mehr oder weniger überall deu Tafelberg. Vergeblich wendet man die Augen ab. Die Mauer von Granit fesselt den Blick. „Da bin ich", sagt sie, „da bleibe ich." Sie würde die Harmonie des Bildes stören ohne den vermittelnden Einfluß des Oceans, dessen unermeßlicher Horizont das Gleichgewicht anstecht erhält. 14 Erster Theil. Tüdafrila. Ich wohne in einem kleiuen aber sehr guten Hotel, dem besten der Capstadt, ilnd Zwar in sehr angenehmer Gesellschaft. Nur cms fehlt: Kamine. Daher bringen wir die Abende nnd die frühen Morgenstunden in unsern Fantenils zn, in einen oder mehrere Shawls gehüllt. Um 10 Uhr wird der Calorifere geöffnet, nämlich das Fenster. Die Gasse ist der Wärmeleiter, die Sonne das Feuer. Aber wenn die Sonne nicht scheint, wenn der Tafelberg seine schwarze Nebelkappe anfgcsetzt hat, wenn der iibel beleumundete Südwest immer neue Wolkeuballcu anfthürmt, wenn die Hänser in ihren Grundfesten zittern und die Windstöße Miene machen die Fensterscheiben einzudrücken, während die Nacht mitten im Tage die Stadt in ihr Dunkel hüllt, bis wieder auf Augenblicke fahle, gelbliche, unheimliche Lichter die Nebel dnrchdringen, was dann? Ei, cm wenig Gednid und ein Plaid mehr! Oefters erlebte ich nach einem furchtbaren Tage einen idealen Abend. In dieser Jahreszeit wechselt die Witternng mit wunderbarer Naschheit. Ueberdies beschränken sich diese Stürme gewöhnlich auf die Stadt, ihr Weichbild und die Bay. Während die auf der Rhede vor Anker liegenden Schiffe sich in großer Gefahr befinden, ist weiter draußen, auf fünf oder sechs Meilen Entfernung, der Himmel rein und die See wie eiu Spiegel. Der Gonvernenr Sir Hercnles Robinson ist mit Urlaub abwesend, und wird dnrch den General Iwiwradis Sir Leicester Smyth vertreten. Sir Leicester ist Commandant der britischen Heeresmacht in Südafrika und bewohnt, als solcher, das Schloß. Das „Castle" liegt im Osten der Stadt, hart am Strande. Dort baute van Riebeek sein Blockhaus uud umgab es sodann, aus guten Gründen, mit einein starken Pfahlwerk. Dic schöne Wiese, welche das Schloß von dem handeltreibenden Stadtviertel trennt, war damals ein Enmftf, gern besucht nicht nur von Rhinocerossen, Elefanten, Tigern und Leoparden, sondern auch von noch unbequemern Gästen, Hottentottenstämmeu, die dort ihr Lager Morgeuempfang im Government House. 15) aufschlugen. Jin Laufe dcs 17. Iahrhllnderts, dessen Gepräge es trägt, verwandelte sich das Blockhaus in ein Castcll: ein niederer Bau mit sehr dicken Manern, den Seewinden ausgesetzt, interessant als geschichtliches Denkmal, unbeqnem als Wohnhans, un-branchbar als Festnng, da es hentzutage unmöglich lväre sie zu vertheidigen. Aber an dies wenig anziehende und nicht einmal malerische Gcbände knüpfen sich für mich die angenehmsten Erinnerungen. Lady Smyth empfängt wöchentlich einmal, nicht im Schlosse, sondern im Goverument-House. Letzteres ist eiu geräumiges Hans mit schönen Sälen für den Empfang, mitten in der Stadt gelegen, gerade wo diese beginnt sich in Garten und Land zu verwandeln. Längs der Facade zieht sich eine Veranda hin. Man findet dort Luft, Schatten, eine liebliche Aussicht und berauschenden Vlnmenduft. In dem eolouialeu Dasein des Engländers sind die (^aräßn partis der Frau des Gouverneurs eine wichtige und ernste Angelegenheit. Nicht daß es schwer wäre zugelassen zu werden. Im Gegentheil, man hat nur bei Beginn der „Saison" sich einzuschreiben und bei der Ankuuft, im Vorzimmer, dem Hnissier seinen Namen zn nennen. Am Cap, in Australien, in allen britischen Colonieu herrscht zwischeu Wcißcu vollkommene Gleichheit. Wenn der Gonverneur im Innern reist drückt er jedem Europäer »der Afrikander* die Hand, was immer anch seine gesellige Stel-lnng sein möge. Jeder weiße Reisende, aber er muß wirklich und ganz weiß sein, findet bei den Pflanzern gastfreie Aufuahme. Doch erscheinen nicht alle mit dieser privilegierten Hautfarbe gesegneten Menschen an den Douncrstagm der Lady Smyth. Eom-mis, Lente ans dem kleinen Handelsstande und ans den Volksklassen verzichten freiwillig anf diese Ehre. Das Princip genügt ihnen. Sie sind vor allem vernünftige Leute. Sie kennen ihre * In Afrika geborene Söhne europäischer Aeltern nnd ihre Nachkommen. 16 Erster Thcil. Südafrika. Gleichberechtigung mit jedermann im Staate. Um die Gleichheit im Salon klimmern sie sich wenig. Aber für die höheru Schichten ist der ttaiäsn part> eine ernste Sache. Man hat dort das Gefühl sich bei der Königin zu befinden. Man athmet gewissermaßen Hofluft ein, einen feinen Wohlgeruch der anderwärts fehlt; man betrachtet mit Vergnügen die jungen Adjutanten und Secretäre, wie sie der Fran Gonverneurin ehrfurchtsvoll uaheud die eintretenden Damen nennen. Diese Versammlnngen erinnern an die Heimat, erregen das patriotische Gefühl uud beleben die in den Herzen der Kinder Altenglands, obgleich zerstreut über den Erdball, so tief gewurzclte Anhänglichkeit an die Königin und ihre Dynastie. Hier bieten bei schönem Wetter diese mehr feierlichen als kurzweiligen Matinees einen fchönen Anblick. Die Musikbandc der Highlander spielt, im Schatten einer Baumgruppe, Symphonien nnd Walzer. Das 8cotcl, reel darf nicht fehlen und das Kod 8liv« tne Hueon gibt das Zeichen znm Anfbrnch. Die Gäste lustwandeln in Gruppeu getheilt, nnd, von den Frauen sprechend, kann man ohne Schmeichelei behaupten, daß die hübschen Gesichter nnd hübschen Toiletten die Mehrheit bilden. Hier gewahrt man neben den schönen Typen der blonden Albion, Gestalten eines Rubens oder van Dyck. Der aumuthige Wuchs, der matte Teint, das dnnkle Seidenhaar anderer erinnern an das Edict von Nantes, dessen Widerruf ihre Ahuen zur Auswanderung uach Afrika bewog. Doch stille, hier nahen die Göttinnen des südafrikanischen Olymps! Die Session des Parlaments ist in vollem Zuge uud das kleine Hotel Pool faßt kaum die Masse der Notabilitäten: Minister des Tages, Minister der jüngsten Vergangenheit, Minister der nächsten Zukunft; Politiker der Stadt, Politiker der Provinzen, Candidate« für alle möglichen Aemter, denn die Emplco-mania, wie man in den südamerikanischcu Republiken sagt, ist Gesellschaft und Politik. 17 eine auch in dm englischen Colonien herrschende Epidemie, besonders ill jenen welche eine verantwortliche Regierung besitzen. Der kleine Saal, in welchem die Deputirtenkammer tagt, befindet sich ans einige Schritte vom Hotel. Die Abgeordneten verlassen die meist stürmischen Sttznngen nm hier ihre Kräfte zn stärken, und eilen dann wieder nach dem .Kampfplätze znrück. Glücklicherweise trüben politische Meimmgsverschiedenheitcn nnr selten den Persönlichen Verkehr. In diesem Pnnkte folgt man dem verständigen Beispiel des Mutterlandes. Doch speisen die Männer der Opposition zusammen. An ihrem langen Tische kann man ihre Führer sehen: Uvpingwn, der ein hervorragender Advokat ist, Gordon Sprigg, Premier zur Zeit Sir Bartle Frere's, einige Mitglieder der Holländischen Fraction, nnd andere Berufspolitiker von localer Berühmtheit,. Ich vermisse unter ihnen den Obersten Schermbrncker, dein ich oft in der Welt begegne. Baier von Gebnrt, einer der letzten Veteranen der znr Zeit des Krimkrieges gebildeten dentsch-briti-schen Legion, spielt der Oberst im hiesigen Oberhanse eine bedeutende Rolle, besonders wenn es der Schonnng des Staatssäckels gilt. Aber wer ist jener jnnge Mann am Oppositionstische, dessen geistreicher Ausdruck, desseu ernste Haltnng mir anffallen? Wie so viele andere kam er ails England hierher, jung, nnbekannt, arm. Er erwarb ein Stück Bandes, bebaute es, nnd sah sich bald gezwnugen es zu verlassen. Wie so viele andere, in ähnlicher Lage, ging er nach den Diamantenfeldern. Dort lächelte ihm Furtnna. Seine Thatkraft, Thätigkeit und Ansdaner rechtfertigten ihre Gnnst. Mit einer sehr bedentenden Snmme im Portefenille kehrte er nach der Eapstadt znrück. Aber da machte er eilte Entdeckung, seltener als die einer Gold- oder Diamanten-mine. Er entdeckte daß Gold allein nicht hiureicht damit der Mensch emporkomme. Er bedarf anch des Unterrichts und der ^l-ziehlUlg. Sofort ging er nach England, begann zn arbeiten, diesmal in den Schachten der Wissenschaft, eroberte einen Grad 1.8 Vrstcr Thoil. Südafrika. in Oxford und tain zurück nach dem Cap als ein gebildeter Maun. Natürlich ließ er sich in die Kanuner lvählen, wo or alsbald cinen gewissen Anhang fand. Heute gilt er für einen Candidate!! fiir das künftige Ministerium Upvington. Aber sein Ehrgeiz blickt höher. Warnill soll er sich nicht anch das englische Parlament und, eines Tages, die Pforten des obersten Rathes der Königin erschließen? Wenn es ihm gelingt, wird cr nicht der crsto sein, dcr auf diesem Wege dahin gelaugt ist. Dieser Fall ließ mich eiuen jener Fäden gewahren die so fein sind daß sic sich dem unbewaffneten Auge entziehen, und doch stark geuug nm, mit andern vereint, ein festes Band zn bilden zwischen dem Mntterlande und den Colonien. Ich, der ich uicht der Opposition angehöre, sitze au einem Tische mit Mr. Merriman einem der hervorragendsten Mitglieder des jetzigen Ministeriums, mit Mr. Graham Bower, Privat-secretär des Gouverneurs und mit ihren reizenden Gemahlinnen. Zuweilen verlängert sich die Tafel für den Premier, Mr. Scanlen und andere Politiker seiner Farbe. In den Colunien mit verantwortlicher Regierung, wohl zn unterscheiden von den Kroneolonien in welchen der Repräsentant der Königin ein antotratisches Regiment führt, ist der Gonver neur ein constitutioneller Sonverän, allerdings ohne das Prestige und ohne die Dauerhaftigkeit eines Dynasten. Er ernennt die Minister, aber er mnß sie ans der Majorität des Legislativen Körpers wählen. Er hat das Recht die gewählte Kammer auf-znlösen, aber er wird zn dieser äußersten Maßregel nur im äußersten Falle schreiten. Eeine Vollmachten sind also sehr beschränkt und dies nm so mehr als das iloeale) Ministerium über Aemter uud Guaden verfügt. Nichtsdestoweniger ist der Gouverneur eine wichtige Persuu, denn er vertritt die Kömgin, nnd die Königin besitzt in den Colonien eine bedeutende moralische Macht. Die Anhänglichkeit an die Dynastie, an nnd für sich noch sehr leoendig, und iu dereu Schatteu sich eine Menge persönlicher nud öffentlicher Interessen grnppireu nnd zum Theil verhüllen, ^- diese Gesellschaft und Politik. 19 Anhänglichkeit, dies Gefühl der Loyalität verleiht dem Stellvertreter der Sonveränin seinen Einfluß nnd seilte Macht. Mit Takt, Gednld und Geschicklichkeit ausgerüstet kann er, trotz der beinahe republikanischen und vollkommen demokratischen Verfassung, in kritischen Augeublicken dnrchdringen. Ueberdies, so ausgedehnt cmch die Autonomie in solchen Co-lonien ist, so sind ihr doch gewisse Grenzen gezogen. Wenn die Minister Wege betreten welche nach der Ansicht des Gouverneurs At einer Gefährdnng der Interessen des Reichs führen konnten, kann nnd muß er hemmend einschreiten. In einem solchen Falle verweigert er der Gesetzesuorlage seine Sanction, legt sein Veto ein uud berichtet an den Colouialmiuister. Das englische Cabinet faßt sodann die endgültige Entscheidung. Merkwürdigerweise ist der Gonvernenr der Eapeolouie fast immer cmch zugleich Ober-commissär für Südafrika nnd hat, als solcher, die Interessen der Eingeborenen zn wahren. Doch der Speisesaal des Mr. Pool ist kamn der Ort um diese comftlicirten Verhältnisse zu erörtern. Aus dem eben Gesagten erhellt aber die Bedentsamteit der Thätigkeit welche dem Privatseerctär des Gouverneurs obliegt, denn er ist sein Organ sür Geschäfte welche sich einer amtlichen Verhandlung entziehen. Um anf der Höhe seiner Aufgabe zu steheu, muß dieser Beamte verschiedene Eigenschaften in sich vereinigen. Der Privat-sccrctär wie er sein sott besitzt das Vertranen seines Chefs, ist vor allem imperial uud ist nicht Parteimann; er weiß allcs und kennt jedermann; er ist die Verschwiegenheit in Person, stets bereit die Herzeusergüsse der Gewaltigeu des Tages entgegenzunehmen. Ihm erzählen sie ihre Wünsche, ihre Beschwerden, ihre Befürchtungen. Er Hort sie mit Wohlwollen, aber er ermuntert uud entmnthigt niemand. Er versteht es, im richtigen Augenblick, einen Gedanken einstießen zn lassen, eine offene Hinterthür zu zcigeu, einen Ausgleich anzndenten. Weiter geht er "lcht. Er hütet sich ein Wort zu äußcru welches seine Beziehungen mit den Ministern des Tages trüben, ihn mit dcuen der 2. 20 Erster Thril. Südafrika. Zukunft entzweien könnte. Sein Blick nmfaßt das Ganze der Lage, aber die Einzelheiten entgehen ihm nicht. Er weiß wie wichtig sie zuweilen sind. Nichts ist ihn: zn hoch, nichts zn un-bedcntend. Er weiß daß in der Politik nichts ohne Bedentnng ist. Mit der Rechten gießt er, wenn nothwendig, einige Tropfen Oel in die parlamentarische Maschine, mit der Linken hält er das Räderwerk seiner Kanzlei in Bewegnng. Dies ist das Ideal eines Privatseeretärs des Gonvernenrs einer Eolonie mit verantwortlicher Regierung. Niemand hat es je besser verwirklicht als Mr. Bower. Dieser Wnndcrmensch hat Zeit für alles nnd für jedermann, selbst für einen alten Tonristen. Was wäre ich ohne Mr. Bower nnd Major Boyle, den Adjutanten des eommandirenden Generals? Ein weißes Atom am schwarzen Continent. Man verweilt nicht einen Monat in der Eaftstadt ohne mehrmals Wynberg zn besnchen. Die Gastfreundschaft der Bewohner nnd die reizende Gegend üben ihre Anziehungskraft. Auch dort herrscht der Tafelberg, aber er zeigt seineu südlichen Abfall. Dichter Wald nmfängt seine Grundfesten, füllt die Klüfte, kriecht den Abhängen entlang, nnd endigt nnr wo ihm senkrechte Wände Halt gebieten. Am Fnße dieses Berges beginnt eine wellenförmige zerklüftete Terrasse. Bedeckt mit ehrwürdigen Eichen, mit alten Fichten, einst aus Hollaud eingeführt, steigt sie in sanfter Neignng znr Ebene hinab. Es ist ein Park oder vielmehr ein von langen nnd breiten Wegen durchfurchter Wald; es ist keine Stadt, aber es ist Wynberg, d. h. eine gewisse Anzahl von Wohnhäusern, zerstreut im Lanbe liegend, mit glitzernden Fensterscheiben, niedlich übertünchten Manern, im ganzen an Holland erinnernd; aber eingerichtet mit englischen Möbeln nnd mit englischem Sinne für Behaglichkeit. Von hohen Punkten gewahrt man False-Bay nnd den Horizont des Meeres, aber dies Meer ist nicht mehr das Atlantische, welches wir bci Wynberg, Constants. 21 ber Capstadt verlassen haben, sondern der Indische Occan, vdcr kurzweg der Ocean, wie man hierzulande sagt. Die noch von Leoparden bewohnten Felsen, deren Profil sich zn unserer Rechten dahinzieht, bilden die Kette bekannt unter den, allgemeinen Namen des Caps der Gnteu Hoffnung. Jener weiße Punkt anf halber Höhe eines Hngelzngcs am Fnsie des hohen Gebirges ist Constantia, welches dem berühmten Wein seinen Namen gibt. Es ist der alte gastfreie Wohnsitz der Cloete deren Ahnen ihn gebant haben. Die vor dem Hause stehenden ehrwürdigen Eichen sind immer noch prachtvoll trotz ihrer gekrümmten Rücken auf denen zwei Jahrhunderte lasten. Mich erinnerte dieser reizende Erdenwinkel an Cintra. Von der Plattform vor dem Gebände zeigte man mir in der Ferne einen steil abfallenden Felsen. Es ist dies Cape Point, ein Anslä'ufer der Gebirgskette, das eigentliche Cap der Gnten Hoffnung, anch Cabo dos Tormcntas, Cap der Stürme, genannt, lind es verdient beide Nameu, weil Stnrm nnd schönes Wetter fortwährend wechseln und der Schiffahrer, der es umsegelt, fortwährend Ursache hat zn hoffen nnd zu fürchten. Also ill diesem paradiesischen Wynberg lebt man eigentlich. Morgens nach der Capstadt und abends zurück nach Hause. Die Entfernung beträgt zwischen sechs nnd zehn Meilen. Ich hatte Gelegenheit fast alle hervorragenden Persönlichkeiten der Colonie kennen zn lernen. Aber hauptsächlich ill Wynberg konnte ich mich ihres Umgangs erfrenen. In der Capstadt ist jedermann beschäftigt. Am Lande athmet man auf. In Wynberg, bei dein Präsidenten der Deputirtenkammer Sir David Tennant, einem bekannten Rechtsgelehrten, bei Mr. Alexander Vanderbyl, dem Hanpte einer alten holländischen Familie, bei Sir Henry de Pilliers, Chief Instice und Präsidenten des Oberhauses, in Capetown bei Mrs. Koopmans, begegnete ich der vornehmen Welt und den berühmten Männern des Cap. In diesen Kreisen 22 Erster Theil. Südafrika. fand ich Bildung des Geistes gepaart mit den besten Formen des Lebens, die änßerste Zuvorkommenheit, wenig Lnxns aber alle Bequemlichkeiten eines zugleich einfachen und verfeinerten Daseins. Die Gesellschaft, was man in Europa Gesellschaft zn nennen Pflegt, besteht ans der uffieicllen Welt, ans den Offizieren der englischen, in diesem Augenblicke, sehr geringen Heeresmacht, und den Spitzen der Kirche und des Staates, aus den Notabilitäten des Richter- nnd des Kanfmanusstandes, den Consuln und den alten holländischen Familien. Nie in Indien, in Anstra-lien nnd den andern britischen Eolonien, haben die Häupter der großen Handelshäuser die Gewohnheit angenommen, sobald als möglich, nach England zurückzukehren. Die Geschäfte überlassen sie den jungen Partnern die einst dem Beispiele ihrer Patrone folgen werden. Diejenigen welche bleiben, welche nicht daran denken Afrika zu verlassen, das Land wo sie geboren wnr-den, wo sie leben und sterben werden, sind die Holländer. Unter den alten Familien dieser Nation gab es sonst mehrere sehr reiche. Sie wareil uud siud, zum Theil, noch bedeutende Grundbesitzer, die von dem Erträgniß ihrer Güter leben aber wenig thun mn dies Erträgniß zu erhöhen. Der Grnnd dieses Stillstandes oder Rückganges liegt hauptsächlich iu der Schwierigkeit sich Arbeiter zu verschaffeu, seit, nnter der englischen Herrschaft, die gezwungene Arbeit abgeschafft wurde. Daher kommt es wol daß sich, bei vielen, der ehemalige Reichthum in einfachen Wohlstand verwandelt hat, bei andern ganz geschwnnden ist. Nichts ist beständig anf diesem Planeten; mau steigt oder sinkt. Einen reizenden Tag verlebte ich iu Bishops-Court (Wyn-berg), bei dem anglikanischen Bischof Dr. Jones. Das Wetter war himmlisch und ich frage mich ob dieser Tag Wirklichkeit oder Traum war. Ich sitze nnter der Veranda, den Blick nach Norden gerichtet wo jetzt uni Mittag die Sonne steht. Vor mir ein leuchtendes Wyiiberg. 23 Chaos. Es bedarf einiger Minuten um das Auge darau zu gewöhnen und einzelnes ausznuehmen. Da gewahre ich iu meiner Nähe einen blätterlosen Bnsch, ganz beladen mit kolossalen scharlachrothen Blumen. Hinter ihm niederes Gebüsch grau in grün. Im Mittelgrunde der Fichtenwald. Mit verschränkten Armen stehen sie da die holländischen BaumrMen, in diesem Augenblicke in saftigem Grün erglänzend. Auf diesem leuchtenden Vorhänge zeigen sich wie ein leichtes Gewebe, vom zartesten Lichtgrüu die eben sich öffueudcn Kuospeu des Eichenwaldes. Im Hintergrunde, aber ganz nahe, so nahe daß wie es scheint ich sie mit der Hand berühren könnte, von durchsichtigcu Schatten Übergossen, die Phantastischen Felsgruppeu des Tafelberges nnd der Tcnfelsspitzc. Nachmittags führen mich der Bischof uud seine Gemahlin in den „Silberwald". Den Silberbamn findet man nur am Cap der Guten Hoffnung. Dies ist wirklich eine Scene aus irgend-eiuem Feenmärcheu. Wir wandeln zwischen Bäumen vou mittlerer Höhe. Stämme, Aeste, Zweige, das Laub, alles ist d. h. scheint reines Silber. Die länglichen, steifen, metallischen Blätter strecken nach oben ihre feinen Spitzen in welchen fich die Sonne spiegelt. Ringsum ein Meer von ^iicht, direetem und zurückge^ worfeuem, erhöht durch deu Gegellsatz mit dem jetzt finstern Walde im Hintergrunde. Das geblendete Auge wendet sich ab nach den Bergen. Aber die Sonne steht nicht mehr hinter ihnen. Ihre schiefen Strahlen brechen sich an den vorspringenden Kanten der Felswände, gleiten von Wand zu Wand, setzen über Gräben und Klüfte hinweg, erlöschen endlich in den dunkeln Schluchten. Diese Capuatur ist ohue ihresgleichen. Sie erinnert an uuseru Welttheil nur durch die Hollaudischeu Eicheu- uud Nadelhölzer. Sie ist auch nicht halbtropisch, wie sie es. in diesem Breitengrade sein könnte. Sie ist 8ui 86N6ri8. Auch der Himmel ist anders, selten blau. Kciu Ultramarin wie an den Gestaden des Mittelländischen Meeres, aber die uutergeheude Souue verbreitet über ihn eiue eigenthümliche, überirdische Klarheit, hoch-gelbe, rosige, violette Töne von blendender Helle, bis die herein- 94 Erstt-r Thril. Südafrika. brechende Nacht dem Feuerwerk ein Ende macht. Dabei herrscht, bei ruhigem Wetter, tiefe Stille in der Luft und über dem Lande. Keine Spur belebter Wesen. Ein Frennd sagte mir daß, wenn er morgens, vor Anfgang der Sonne, sein Fenster öffnet, ihm immer wieder das Schweigen der Natnr auffalle. Ankömmlingen gibt es das Heimweh. Admiral Salmon, der Befehlshaber der Seestation vom Cap, welche die West- und Südküste von Afrika nmfaßt mit Inbegriff von Natal, hat sein Hauptquartier iu Simons-Bay. Er bewohut dort, wenn er nicht unter Segel ist, eine niedliche Villa am Strande, welchen er zum Theil in einen reizenden Garten verwandelt hat. Prachtvolle Coniferen und schone Arten der südafrikanischen Flora gibt es dort in Fülle. Das Schiff welches seiue Flagge trägt liegt im Augesichte des Hauses vor Anker. Etwas Poetischeres und Einsameres läßt sich nicht wohl denken. Ein paar Häuser abgerechnet, ungefähr eine Meile entfernt und mit dem Namen Simonsstadt beehrt, sieht man nnr Felfeu, Sand uud Meer. Aber die Admiralität uud Admiral Salmon lieben den Ort, weil er der Mannschaft weniger Ver-snchuugen bereitet als das südafrikanische Capna. Anch die Damen gefallen sich hier, und selbst die Offiziere haben nichts einzuwenden gegen dies bukolische Daseiu welches allerdings für sie häufig unterbrochen wird durch die Anstrengnngen, das Ungemach nud die Wechselfälle des Dienstes zur See. Iedermauu schieu znfrieden. Es ist ein großer Familienkreis, der trauliche Verkehr guter Kameraden untereinander und mit dem Vorgefetzten, iu den Formen der großen Welt und innerhalb der Grenzen der Diseiplin. Bischof Leonard. 25 Dor katholische Bischof von Capstadt, Msgre. Leonard, führte mich ili die sehr besuchten Schulen der Schwestern und in das Collegium vom Heiligen Joseph. Die Schulbrüder gehören verschiedenen Nationen an. Die meisten sind Belgier, eine große Anzahl der Zöglinge, Knaben und Mädcheu sind Protestanten. Diese Anstalten machen einen vortheilhafteu Eindruck. Die Säle sind geräumig und gnt gelüftet. Die linder, besonders die sogenannten Internen, welche im Hanse wohnen, sehr reinlich gehalten. Alle, Lehrer und Schüler, schienen gesnnd nnd vergnügt. Bei den Schwestern sah ich eine junge Negerin deren Begabung und Fleiß gerühmt wurden. Wenn sie sich in dieser Verfassung erhält wird sie getauft werden, aber erst in zwei Jahren. Es ist dies eine Gepflogenheit an welcher die Missionare, katholische wie protestantische festhalten. Die geistige Beweglichkeit und die Empfänglichkeit für vorübergehende Eindrücke, welche ein charakteristisches Merkmal der schwarzen Menschenrasse sind, erklären diese Vorsichtsmaßrel. Die Diöcese des Bischofs Leonard erstreckt sich über ein ungeheueres Gebiet: Im Norden, vom Orangefluß gegen Westen und Süden bis ans Meer, im Osten, bis an die östlichen Provinzen der Capeolonie. Die Katholiken, meist Arbeiter und Knechte in den Ansiedelungen, fast alle Irländer nud größteutheils sehr arm, leben zerstreut iu dieseu unermeßlichen Einöden. Obgleich der Bischof sich den größten Theil des Jahres anf der Reise befindet, kann er seine Diöcesanen doch nnr einmal in zwei Jahren sehen. Ihre Kinder erhalten keinen Unterricht außer dem ihnen von ihm ertheilten. Er tanft die Kinder, er traut die Brautpaare, er segnet die Gräber an welchen ihn sein einsanier Weg vorübcrführt. Vor der öffentlichen Bibliothek sieht man eine Statne, die lch mir znweilen betrachte, nicht wegen ihres künstlerischen Werthes sondern weil sie einen merkwürdigen Mann darstellt. Es 26 Erster Theil. Südafrika. ist — cm seltener Fall — das Standbild eines Lebenden. Sir George Grey, ein Staatsmann dessen Name in der südlichen Heinisphäre oft genannt wnrde nnd noch wird, gründete diese Bibliothek als er Gonvernenr war nnd bereicherte sie dnrch eine große Anzahl seltener nnd kostbarer Werke, insbesondere dnrch eine, in ihrer Art einzige Sammlung aller über die Colonie nnd Südafrika erschienenen Werke. Ich konnte einige dieser Schatze bewnndcrn aber der Bibliothekar der sie mir zeigte intercssirte mich mehr als die Bücher. Ein noch jnnger, in der gelehrten Welt als Philologe nnd Reisender bereits vortheilhaft bekannter Mann, fand Dr. Theophilns Hahn, Sohn eines dentschen Missionars im Namaqnalaude, wo er acht Jahre znbrachte, Gelegenheit diesen so wenig besuchten Theil des Continents zn erforschen nnd anf einer spätern Reise änßerst werthvolle Erkundigungen einzuziehen. Wenn europäischer Nnteruehmnngsgeist in diese heute noch geheimnißvollen Gebiete dringen sollte, wird man sich vor den verschlossenen Thüren einer unbekannten Welt befinden. Dr. Hahn befitzt den Schlüssel der sie öffnet," Ocstlich von der Stadt breitet sich ein niederes, flaches, snmpfiges Terrain bis an das Meer aus. Hier nud da sieht man ein Häuscheu oder eiuige Bäume, seit einem Jahre die Hütten nen eingewauderter Deutscher, uud drei Meilen weiter, auf eiuem vereinzelten Hügel, eineu Thnrm. Es ist die Sternwarte in welcher Herschel seinen stamen verewigte. Ihm verdankt das Vorgebirge der Gnten Hoffuuug eiuen gewissen wissenschaftlichen Abglanz der ihm geblieben ist. Große Männer sind wie die Souue die, uoch nach ihrem Untergange, den Abend-Himmel mit lichten Tönen verklärt. Nnr Männer der Wissenschaft ersten Ranges, werden in Eugland für würdig erachtet * Es ist kaum nothwendig M bemerken daß diese Worte geschrieben wurden vor der cm Jahr später erfolgteu Besitzergreifung vou Angra Pcquena durch Deutschland. Langalebalcli. 27 Herschcl zu folgen: Maelure, Sloue und Dt. Gill „königliche Astronomen". Wenige Schritte von der Sternwarte, bewohnt letzterer ein in einen, Garten stehendes Haus welches der Mittelpunkt des geistigen Lebens der Caftstadt ist. Man findet dort immer ein heiteres, geistreiches, wenn man will, wissenschaftliches Gespräch und man findet dort auch Mrs. Gill die Verfasserin eines reizenden Buches: „Sechs Mouate auf Ascension." As-eension ist eine nackte Fclseninsel auf halbem Wege zwischen Afrika nnd Amerika gelegen. Ich weiß nicht ob sie durch den Augen schein gewinnt, aber sie gewinnt wenu man sie mit den Aligen der Verfasserin betrachtet. Es gibt Porträtmaler welche dem uninteressantesten Antlitz Geist nud Anmuth verleihen. Besonders Frauen besitzen diese Kunst. Iu einem andern, einsamcru Theile dieser, hier fchon zur Steppe gewordeueu Ebene, nicht weit uou dem Hause welches Cetywayo währeud seiner Gefangenschaft bewohnte, steht iu eiuem abgeschlossenen Hofraum, von schöucu Bäumen beschattet, ein altes Genuiner, jetzt der Aufenthaltsort eines Mannes dessen Name vor einiger Zeit die beideu Colouieu iu lebhafteste Aufregung versetzt hat. Im Jahre 1^7'> ereignete es sich daß Langalebalcli, ein großer Znluhänptling, welcher nach Natal geflüchtet war, mit den englifchen Behörden iu Streit gerieth. Er verweigerte die Beobachtung gewisser Gesetze, ergriff die Flucht mit seinen Leuten, wurde eingeholt uud festgenommen. Bei dem Zusammenstoße kamen einige englische Soldaten um das Leben. In einem Lande, wo die Sicherheit der Weißen von der Ehrfurcht abhängt, welche sie einflößen, durfte dies uicht uugeahut bleibeu. Man ergriff also strenge Maßregelu. Der Häuptling wurde vor eiu ml Iwc gebildetes Gericht gestellt, der Rebellion schuldig befuu-deu, zu lebenslänglicher Deportation vernrtheilt und mit eiuem seiuer Söhne uach einer kleinen Iusel iu der Bay von Capstadt 28 Erster Theil. Südafrika. deportirt. Als Lord Carnarvon das Colonialmilnsterium über-nahm, ließ er den Proeeß revidiren. Der Gerichtshof erkannte den Vorgang für unregelmäßig und Langalebaleli nicht der Rebellion sondern einfach der Störung der öffentlichen Nuhe schnldig. Er wurde daher nach dein Festlande gebracht nnd in dein Hanfe eingeschloffen welches er jetzt seit acht Jahren bewohnt. Ich besuchte ihn in Begleitnng des Major Boyle. Zwei Wächter oder wie man fie hier in enphonischer Weise nennt, seine nn'owl«^, latente welche die Güte haben ihn zu Pflegen, führten uns in ein kleines Geniach nächst dem Hansthore, in welchem ein Tisch nnd ein paar Strohstühle standen. Der Staatsgefangene erfchien alsbald in Begleitung eines jnngen Menschen, seines Sohnes der, nnvollkommen genug, als Dolmetsch diente, nnd zweier Gemahlinnen denen es gestattet ist seine Gefangenschaft zn theilen. Das jüngere Weib trng einen Sängling im Arme, das letzte Kind des Häuptlings. Sie waren alle europäisch gekleidet, nnd fahen ans wie verwahrloste Proletarier. Langalebaleli mag zwischen fünfzig und sechzig Jahre zählen. Er war schweigsam, beinahe stnmm. Aber plötzlich brach er in einen Anfall von Wnth aus. „Wie lange", fchrie er, „wird man mich noch hier eingesperrt halten?" Sein Sohn sagte uns: „Böse, sehr böse." Ich machte dem peinlichen Äesnche ein Ende. Man begreift die triftigen Gründe welche nicht gestatten den mächtigen Hänpt-ling nach seiner Heimat zu entlassen. Die tranrigen Erfahrungen zu welchen die Wiedereinsetzung Eetywayo's Anlaß gaben sind jedermann gegenwärtig. Diese Gefangenschaft mag also nothwendig sein; sie ist aber darmn nicht minder hart. Der ewili-sirte Menfch in ähnlicher Lage verfügt, um sie zn erleichtern, über zahlreiche Mittel welche dein Wilden fehlen. Allerdings wird er mit Milde behandelt nnd, in materieller Beziehung, ging es ihm wahrscheinlich niemals besfer. Aber die Freiheit! Der Mann machte mir den Eindruck eines Löwen der fruchtlos an den Gittern seines Käfigs rüttelt. Ich begreife daß man Dcr Tratcnstcm. 2l) Spuren des Wahnsinns an ihm wahrnimmt. Es ist die einzige peinliche Erinnerung welche ich vom Cap mit mir forttrage. x. September. — Nach einer stürmischen nnd regnerischen Nacht, klärt sich an, Morgen der Himmel. Am Bahnhof erwarten mich Mr. John Noble nnd Dr. Atherstone, meine Begleiter anf einem Ausflüge nach dem Drakenstciu. Mr. John Noble, Clerk und Bibliothekar der Legislativen Versammlung,, ist ein geachteter Schriftsteller. Ich denke daß er nnd, anf einem andern Gebiete, Mr. F. W. Murray, Eigenthümer der „(^i^I'im^", des vornehmsten Blattes in Südafrika, am meisten zur Verbreitung der Kenntniß ihres zweiten Vaterlandes beigetragen haben.* 1)i. Gayborn Atherstone, einer der vorzüglichsten Aerzte in der Colonie, hat den größten Theil seines langen Lebens im Kaffernlande zugebracht, an den Ufern des Oraugeflnsses, im Nordwestcn und in andern Gegenden Südafrikas. Den ersten kostbaren Stein, den mau in den nachmalig berühmt gewordenen „Diamantenfeldern" fand, hat er geprüft nnd als Diamant erkannt. In Paarl wird nicht angehalten nnd Wellington nach zweistündiger Fahrt erreicht. Entfernnng von Eapstadt lV> Meilen. Wir verlassen die Eisenbahn und setzen die Reise ans emer gnten Fahrstraße fort. Sie führt einen jener Berge hinan welche die erste Staffel der Hochebene im Innern Afrikas bildet. Unser Reiseziel ist der berühmte Engpaß von Baincs-Cluof. Vier kleine muntere Pferde ziehen das leichte Fnhrwerk. Rasch fahren wir anf dem zerklüfteten Gelände, anfangs an schönen Ansiedelungen, Küchengärtcn nnd einzelnen, meist holländischen Gehöften vor- * Ich cntnahm Noblc's wcrthvollom Vnchc „soutk ^t'rioll pa«t n,nä prallt,", dic wcnigcn geschichtlich«! Notion welche ich, zinn lnchtcrn Verständniß mcincs Tagebuchs, mizlifnhn'n siir nützlich fand. 30 Erster Theil. Südafrika. über. Weiterhin beginnt ein Wirrsal von Felsen. Bald haben wir eine bedeutende Höhe erreicht. Das Sträßchen schlangelt sich die Abfälle des Drakensteines hinan; bei jeder Wendung ändert sich die Aussicht. Endlich wird der Höhenpunkt erreicht: ein Chaos von Steinblöcken, theils nackt theils mit Farukrant bewachsen, au zwei Stelleu den Blick in die Ferne gestattend. Gegen Westen, tief unten, zeigt sich das Thal welches wir soeben verließen. Die weißen Punkte sind die Häuser von Wellington; jener mit zwei Felsknppen gekrönte Berg erhebt sich über der Stadt Paarl nnd gibt diesen: Bollwerk holländischen Lebens und Fühlens seinen Namen. Die Holländer vergleichen nämlich die beiden Knpfteu mit Perlen. Jenseits, ein ungeheueres Veldt, blaft-gelb mit grünen Flecken: die Oasen inmitten der Wüste. Im Nordwest, zwischen einer conlissenartigen, doppelten Reihe von steil abfallenden Felsen rollt sich eine Ebene auf, ranh nnd steinig, von schwarzen Linien dnrchfurcht: der Busch, besäet mit sanft grünen Feldern deren Anblick meine Gefährten in Entzücken versetzt. Sie wissen was es heißt diesen Boden urbar zu machen. Zur Linken verlängert sich gegeu Norden der von uns erstiegene Grat. Jener riesige dunkelblane Fels der in das Veldt vorspringt trägt den Namen des ersten Gouverneurs des Caplandes. Am äußersten Horizont, von lichten zarten Tönen umflossen, stürzt eiu hoher, zackiger Berg, wie eiu Vorgebirge cudend, in die Ebene herab. Dies ist der Piquetberg. Er wie der ebeu erwähnte Riebeekberg erinnern an das heroische Zeitalter der holländischen Colonie. Der unbedeutende Chirurg an Bord eines Schiffes der Hol-ländisch-Iuoischeu Compagnie, später der erste Commandant, und in der That der wahre Schöpfer der neuen Niederlassung au der Südspitze Afrikas, lebt heute noch in der Erinnernng dieser Co-lonien. Geistig begabt, tapfer wo er es sein mnßte, immer vorsichtig, fast immer gerecht in seinen Beziehuugeu mit den Eingeborenen, ein trener aber schlauer Diener der Kaufherren in Amsterdam, die nur auf Gewiun sannen, es mit den angewandt Vaincs-Clous. 31 ten Mitteln uicht zu genau nahutcn und für ihn oft sehr unau-genehuie Patrone waren — ist nnd bleibt Jan Autonius van Riebcek eine geschichtliche Figur.* Values-Cloof, ein Engpaß zwischen steilen Felsen genießt in der Capstadt, wegen seiner malerischen Schönheit, eines großen Rufes. Mich erinnern die Zahllosen kleinen Wasserfalle, denen wahrend eines Theiles des Jahres die periodischen Regen zngnte kommen, nnd die vielen einzelnen Felsblöcke gegen welche sich die Wasser brechen, an die Gleu der schottischen Hochlande. Aber der eigentliche Reiz der Landschaft besteht doch wol in dein unermeßlichen Gesichtskreise und in dem Gegensatze zwischen dem nackten Gestein und der jetzt mit einem Blumenflor übergossenen Steppe. Gestern waren diese Veldte noch farbloses, ödes Gerölle. Heute hat der junge Frühling bereits einen aus kolossalen weißen und gelben Blumen gewebten Teppich über sie ausgebreitet. Die Büsche haben sich mit scharlachrothen und rosigen Glocken geschmückt; das grüngraue Heidekraut ist besäet mit violetten Knospen, die Luft geschwängert nut Wohlgerüchen. Während die Klüfte sich verdunkeln und über das Paarler Thal Nebelschleier ziehen, wandeln wir hier oben noch von einer leuchtenden Glorie nmflossen. Die leicht beflorte Sonne naht dem Horizont, und ihre letzten Strahlen liebkoseu das Laubwerk; gelbe blonde Lichter dringen in die Spalten des steinigen Bodens, verlieren sich zwischen Blumenkelchen, ersterben sanft in der Umarmung der Nacht. Um 8 Uhr abends, etwas uicht allzu ermüdet, fiuden wir uns im Paarl, iu einem holländischen Hotel, vortrefflich untergebracht. Was ist wol behaglicher als, nach einem gut verlebten Tage, iu guter Gesellschaft zu speiseu, sich mit lebhaftem Appetit al, einen gut bestellten Tisch zu setzen und, noch des in * Vgl. Theal, „Cw-onicie» ok (^po ooinmnuäei-Z, or ivn lu^il-k^ ot' oriFinai !Uknu8M'i,»t8 in tko ^ps Colony U!51—91" (Capetown 1«82). Höchst interessant und an einzelnen Stellen hochkomisch. 32 Erster Theil. Südafrika. den Bergen genommenen Luftbades genießend, sich von angenehmen Gefährten belehren zn lassen über interessante Dinge die man nicht weiß nnd die sie wissen. Entfermmg von Wellington znm Eingang vun Baines-Cloof 10 Meilen; von dort nach Paarl 1^ Meilen. 9. September. — Paarl zählt zwei Meilen vmi einem Ende znm andern, ist aber nnr ein großes Dorf, bestehend ans zwei Reihen von meist holländischen Hänsern nnd Gärten längs der Heerstraße. Während meines ersten Äesnchs machte ich die Bekanntschaft emes wohlhabenden Bnrghers, der zwei nebeneinanderstehende Hänser besitzt, eins ans dem 17. Jahrhundert, das andere ans dem Anfange des nnserigen. Das ist nnn ganz nnd gar das alte Holland, wie wir es ans seinen großen Meistern kennen nnd in Friesland und den „versunkenen" Städten der Znydersee noch sehen können. Wenn das Porträt der Mntter meines Wirthes nicht von Rubens oder van Dyck gemalt wnrde, so hätte das Original doch diese Ehre verdient. Das Hanpt der Familie hat die Hände eines Bauern und die Haltnng eines vornehmen Herrn. Er ließ uns seinen Wein kosten, konnte aber zn seinem Leidwesen keine Orangen anbieten, da eine bisher nn-betannte Krankheit diese Bänme, einst der Stolz und die Frende der Paarler, vollkommen vernichtet hat. Es ist hente Sonntag. Bnrgher nnd Bocr, zn Wagen, zn Pferd, zn Fnß, mit Frau und Kind, alle in Sonntagskleidern, schreiten oder fahren oder reiten gravitätisch nach ihren verschiedenen Kirchen. Die Farbigen thnn dasselbe. Natürlich haben sie ihr Gotteshans für sich. Diese hente so streng eingehaltene Unterscheidung zwischen Weiß uud Schwarz, war vor etwa huudert Iahreu uoch unbekannt. Der Farbige wurde durch deu Empfang der Tanfe gleichberechtigt mit dem Weißen. Heiden gehöriges Land betrachtete das Volk Gottes als sein natürliches Erbtheil, und es hielt nicht für Sünde zn nehmen was man nehmen konnte. Heiden, aber nicht Christen, wenn ihre Hautfarbe auch dunkel war, konnten zn Sklaven gemacht werden. Die Archive der Franst»-Hock. 33 Capstadt bezeugen dies. Als, zum Beispiel, eine junge Hindnsklavin, Namens Katharina, die Taufe erhalten hat, wird sie durch den Admiral Bogaers frei erklärt, uud im Pfarrregister erscheint sie, ebenso wie die Nichte des Admirals, als do erbare jonge Duchter. Die Erklärung liegt darin daß im 17. Jahrhundert in Enropa, uud daher uoch in dem folgenden am Cap, der religiöse Gesichtspunkt der maßgebende war. Mittlerweile besteigen wir unsern Wageu und verlassen die Stadt wo in diesen: Augeublick uur gepredigt und gesungen wird. Dnrch ein gnt bebautes Land fahrend nnd diesmal deu schönen Drakenstein zur Liukeu lassend, rollen wir rasch den Bergeu entgegen. Das Wetter ist über allen Begriff fchön, ein wahrer südafrikanischer Frühling wie man mir ihn versprochen hat. Wir genießen durch die Angen, die Nase, die Lungen. Um Mittag wird Fransh - Hoek erreicht. Entfernung von Paarl 10 Meilen. Fransh-Hoek liegt in einer Art Sackgasse, am Ende eines Thales welches vor einer Felsenmauer plötzlich endigt. Die alten Holländer hatten eine Etraße gcbant, anf welcher die Colonisten, welche sich im Caplande nicht gefielen, nach den, damals noch vollkommen nnbekannten, Landstrichen im Innern zogen. Hente ist diese Straße zwecklos geworden nnd mau läßt sie daher verfallen. Der Ort, in dem kleinen .^esselthale halb versteckt, war das Asyl der ersten hngenottischen Auswanderer welche infolge des Widerrnfs des Vdiets von Nantes nach Afrika gekommen waren. Für deu holländisch gewordenen Franzosen sowie für den holländischen Boer ist Fransh-Hoek ein classischer Boden au den sich ihnen theuere Eriunerungcn kunpfen. Der Ort besteht aus mehrern zerstreut liegenden Gehöften, Gärten nud Pflanznngen. Die Familie, bei welcher wir vorsprechen, ist im Jahre M93 eingewandert. Die Urkunde bezüglich auf ihren Grnndbesitz trägt die Jahreszahl 16!14. Das Haus, geräumig, bequem, ganz und gar holländisch, steht auf dem Platze wo sich die erste Ansiedelung 34 Erster Theil. Eüdafrilü. befand. Im Garten zeigte man uns eine riesige Eiche. Der Dnrchmesser der Aeste mißt 93 Fnß. Die Hugo kanlen mit den ersten französischen Einwanderern, ließen sich hier nieder und leben an dieser Stelle bis zum hen^ tigen Tage. Die Glieder der Familie entfernen sich selten; ein-oder zweimal im Jahre gehen sie nach Stelleubosch, der nächstgelegenen Stadt, nnd nur, wenn dringend nothwendig, nach der Eapstadt. Der Patriarch Hugo ist vor kurze,n gestorben, daher die schwarze Kleidung seiner Angehörigen. Für das Fami lienhaupt wird hierzulande die Traner dnrch drei Jahre getragen. Seine Kinder, Enkel, Nr- und Ururenkel begreifen seinen Tod nicht. ,,Er war nie krank", sagten sie mir, „hat in seinem Leben nie das Bett gehütet, und mit einem mal starb cr. Wie sonderbar!" -— Und wie alt war er? — „Dreinndneunzig Jahre." Sein Sohn nnd seine Schwiegertochter stehen nnn an der Spitze der Familie. Beide sprechen nur holländisch. Wir fan den noch zwei seiner Töchter nnd einen Schwiegersohn mit ihren bindern nnd Kindeskindern. Alle einfache, schlichte, liebenswürdige Menschen, ohne alle Spur von Eleganz aber nicht ohne die Würde des Patriciers. Dieser alte verstorbene Patriarch zählte 292 direete Abkömmlinge, von welchen 2l! leben. Es winde mir schwer fallen mit Worten den Ausdruck der Ruhe und des Wohlstandes zu schildern welcher diesen entlegenen Erdenwinkel kennzeichnet. Daß keines der Familienglieder die Sprache der Ahnen kannte, nahm mich nicht wnnder. Alle Abkömmlinge der französischen Einwohner befinden sich in demselben Falle. Die alte holländische Regierung war darauf bedacht daß der Ge-branch der französischen Sprache allmählich verschwand. Als Le Vaillant im Jahre 17^0 die Eolonie besnchte fand cr nur einen Greis der noch französisch verstand. Die, nicht sehr gute, Straße nach Stellenbosch führt den Bergen entlaug dnrch eine malerische KUuft. Das Land ist im ganzen gnt bebaut. Auf halbem Wege fanden wir in einem großen Hofe freundliche Anfnahmc. Die Eigenthümer waren Hol- Stellenbosch. 35 länder. Mau sah ihnen aber die Nähe einer Stadt an, wenngleich nur der kleinen Stadt Stellenbosch. Auch in diesen Fa-inilienkreisc sprachen ,mr sehr wenige englisch. Dann zwischen Felsklüften weiter fahrend, gewahrten wir mitten in der Wildniß einige schöne Gemüsegärten, das Werk zweier dentscher Familien die sich vor einigen Jahren hier angesiedelt haben. Knrz vor Einbruch der Nacht erreichten wir Stellenbosch. Entfernung von Paarl 1'> Meilen. Ein reizendes Städtchen- Kleine, reinliche Steinhänser, die Giebel ans die Strasie gekehrt, mit glänzenden Fensterscheiben. Alte Eichen in Fülle: in den Gassen, längs den Kanälen, rings um die Plätze welche mit üppigem Nasen bedeckt sind. Eine Stadt, wie sie Ruisdael oder Arenghel malten, nnd das im fernen Afrika, im 19. Jahrhundert! 8* III. Die östlichen Provinzen. Oafferland. Vom 31. Juli zum 15». August. Das Cap dcr (Nuten Hoffnung. — Port Elisabeth. ^ Eisenbahn und Elefanten. ^ Graham's Town. -^ Ankunft im .Kasfcrland, ^ Kinq William's Town nnd die Colonie Brauuschweig. — Magistrate und Kasferu. — Die Küste von Pondoland. 3l. Juli. — Um 1 Uhr nachmittags verlässt das Packet-boot die Docks. Die See ist hohl. Mit, einer gewisseu Regel-inäßigkeit, in rhythmischer Beweguug, folgt Woge auf Woge. Betauutlich erreicheu die Wcllm nirl^'uds, st'lbst nicht am (5ap Hurn, cinc ähnlich» H^h^'. Siebzehn Meter! Der frische Westwind wird allmählich zum Sturm. Da bietet die Küste ciuen prachtvollen Anblick. Die Felsen, bald verschleiert, bald ihre zackigen oder, dem Tafelberg ähnlich, obeu platten Umrisse M^eud, erscheinen mid verschwinden mit jeder Bewegnng des rollenden Schiffes. Die Wogen fchlendern den Schanm ihrer Kämme in die Lüfte, jaqen über die uiederu Vippeu und Riffe hinweg, stürlnelt vergeblich au gegeu die das Festlaud hütenden Rieseu. Die Berge sind dnukelvwlett, das Meer lichtgrüu, der Himmel aschgrau. Mit rasender Schnelligkeit flieheu die schweren Wolken; vergeblich suchen sie sich au den Firueu und in den Klüften des Berglaudes festzuklammern; der Sturm göuut ihneu keiue Ruhe. An der Küste keiue Spur von Bodenkultur oder menschlicher Mosselbay. 37 Behausung. Allenthalben fast senkrecht abfallende Felsen. Am Gestade nicht für eine Hütte Platz. Ein Schwärm von Seemöven folgt uns in wildem Reigen; ganz nahe l,ei dem Sch/ffe, zeigt und verbirgt ein Walfisch abwechselnd seinen Rücken. D ie Sonne lächelt znweilen. Es ist aber ein mcheimliches Lächeln, nnd die kaum zerrissenen Schleier verhüllen sie alsbald wieder. Die Nacht ist hereingebrochen nnd an Backbord gewahren wir die Lichter von Cape Point, der äußersten Spitze des Caps der Guten Hofsmmg. Unser Dampfer, die Pnnta Agulha, den südlichsten Pnnkt Afrikas, vermeidend, verfolgt noch einige Zeit sei neu südlicheu Curs. Erst um k Uhr, sich ostwärts wendend, erreicht er d've Gewässer des Iudlscheu Oceans. 1. August. — Die itiiste hat sich verflacht. Jene langen horizontalen Linien find Veldts, d. h. Grassteppen, heute infolge achtmonatlicher Dürre in Staubfelder verw nudelt, oder Busch, d. h. mit niederm Holze bewachsenes Gelände. Bauerhöfe, wenn dereu vorhanden sind, entziehen sich nnsern Vlicken. Der Steamer ankert auf der kleineu Nhede an Mossed bay, einer Gruppe von unansehnlichen, mit gerolltem Eisen gedeckten Häusern. Zur Seite nnd im Rücken der Stadt niedere Felsen und Sanddüneu. Iu deu Schluchteu uud Fugcu uiederes Gestrüppe. Das Gestade, die Düneu, die Felsen, die Häuser, alles ist schmuziggelb, der staubgepuderte Busch, gclbgrau. Es gibt uicht^ Häßlicheres. Ich verschmähte es an Land zu gehen. Dagege u verdaukteu wir eiueui ungeheuern Hai eiu cigen-thiimliches A chauspiel. Die Matrosen, welche seine Lauge auf zwölf Schuhe schätzten, warfen ihm eine Stück Fleisch vor welches, mit eiuer Harpune vers eheu, an einem Seile befestigt war. Sogleich machte sich das Ungethüm au die Arbeit. Da die Hand-Inug gerade unter dem Hintertheile des Schisses spielte, konnten wir den Niesenfisch, was nnter anderen Umständen nicht rathsam gewesen wäre, aus nächster Nähe beobachten. Er hatte sehr 38 Erster Theil. Südafrika. kleine Augen nnd war von einer hübschen lichtbrauuen Farbe mit röthlichen Töuen. Zuerst nintreiste er seine Beute, dann warf er sich auf sie, aber niemals gelang es ihm sie mit den Zähnen zu fassen. Er schoß immer nebeu dem Fleischklnmpen vorüber. Endlich, des bösen Spieles müde nnd gleichsam beschämt über seine Ungeschicklichkeit, zog er sich in die Tiefe znrück nnd erschien nicht wieder. 2.-3. August. — Heute Morgen Ankunft in Port Elisabeth. Ohne die südafrikanische Natur und die vielen Kaffern würde man sich in England glauben. In dem westlichen Theile der Eapeolonie, in der Eapstadt und, mehr noch, in den Districten von Paarl nnd Stellenbosch ist das holländische Element vorherrschend. Port Elisabeth gilt für den wichtigsten Handelsplatz der Eolonie. Hier findet man den Engländer der gekommen ist um reich zu werden. Die meisten dieser Männer sind Söhnc ihrer Thaten, «ell macl6 men. Fast die ganze männliche Bevölkerung gehört dem Handelsstande an und arbeitet neun Stnn^ den des Tages. Da hente die Post abgeht, ist jedermann doppelt beschäftigt. Dennoch fehlt es mir nicht an liebenswürdigcn Führern. Mehrere Herren lösen sich hierbei ab, theilen mit nur das Kostbarste was sie, heute, besitzen, ihre Zeit. Das nenne ich Gastfreundschaft üben. Meine verschiedenen Cieeroneu fahren mich dnrch Main-Street. Die Straße folgt dem Mccresgestade nnd ist über zwei Meilen lang. Es ist das Stadtviertel der Geschäfte. Nnerachtet der schlechten Zeiten, über welche allenthalben gcklagt wird nnd welche hier, wegen der übertriebenen Spekulationen in Diamanten-actien mehr als anderwärts gefühlt werden, fiel mir doch die in dieser langen Zeile herrschende Bewegung anf. Bnde reiht sich hier an Bude, Magazin an Magazin und des Wagenrollens ist kein Ende. Die Hanptausfnhr-Artikel sind Wolle und Straußenfedern. Letztere werden in großen Hallen versteigert. Die Masse Pott Elisabeth. 39 dieser dort aufgespeicherten, so kostbaren Waare muß von nnge-heuerm Werthe seiu. Im Hafen lagen nur wenige Schifft. Eine Schar Kaffern, schöne, kräftig aussehende Pnrschen, etwa vierzig an der Zahl, lnden einen Kutter mit Ballast. Mit einer anmuthigeu Ve-wegnng hoben sie die mit Steinen gefüllten Körbe auf den Kopf. Dabei waren fie vollkommen nackt, aber obgleich bei dem eisigen Südwinde vor Kälte zitternd, verrichteten sie ihre Arbeit nnter fortwährendem Schwätzen nnd Gelächter. Hier verdienen die schwarzen Arbeiter fünf Schillinge täglich, bleiben aber mir einige Jahre. Haben sie das Nöthige erspart nm ein Weib zu kaufen, welches ihre Gemahlin und Sklavin sein, nnd arbeiten wird während sie im Sande liegend ihre Pfeife schmauchen, kehren sie alsbald nach ihrem Kraal zurück.* Man führt mich in die Kunstausstellung, hierorts die erste ihrer Art, nnd insofern ein Erfolg, als die Damen, nämlich die weißen Frauen, sie in großer Anzahl besuchen. Natürlich ist kein Manu zu sehen. Die Männer habeu anderes zu thun. Sie sind in ihrem Comptoir, oder in ihrer Vude, jedenfalls an der Kette. Eigentlich, im figürlichen Sinne und mit Hinblick anf die Arbeit, sind sie die einzigen Neger in Afrika. Aber sie werden es nur während einer gewissen Zeit fein. Jetzt leben sie in der Verbannung, aber jenseit dieser Epoche ihres Lcbcus, eröffnet sich ihnen, so meinen sie wenigstens, der lachende Horizont der Heimat, des Wohlstandes, vielleicht des Reichthums, ganz gewiß der Muße und der Unabhängigkeit. Werden sich diese Hoffnungen verwirklichen? Zunächst, nicht jedermann erwirbt hier Geld. lind dann ist Geld wirklich eine Bürgschaft des Glückes? Mau frage nur die nonvolnix nc!ii08 in Kensington oder in Brighton oder in vielen der hübschen Landhäuser, au welchen * Kraal ist eine eingezäunte («ruppe von Hütten. Es ist das verdorbene spanische Wort corral, welches noch heute, in den hispcmo amerikanischen Freistaaten, eine Viehhürde bezeichnet. .10 Erster Theil. Südafrika. Altengland sli reich ist. Dort die Früchte ihrer Arbeit ilt Ruhe zu genießen war der Traum ihres Lebens. Jetzt, da sie ihren Wunsch erreicht haben, sehnen sie sich, wenigstens sehr viele von ihnen, zurück nach dein Lande ihrer ehemaligen Thätigkeit, nach Afrika, nach Australien, nach China, nach Japan. Was sie er warteten war Täuschnng, Illusion, aber Illusionen, obgleich falsche Brüder, sind angenehme Lebensgefährten. Die wohlhabenden Familien bewohnen in der obern Stadt, die mit ihren steil hinanführenden lassen im kleinen an San Francisco erinnert, niedliche Hänser die in gntgehaltenen Oärtchen stehen. Der frischgrnnc Nasen sticht angenehm ab von der sonnverbrannten, staubbedeckten, banmlosen Hochebene. Das Wnndcr eines grünen Rasens nnd seinen botanischen Garten ver dankt Port Elisabeth einer nenlich erbanten Wasserleitung, welche das kostbare Element alls den Quellen eines etwa dreißig Meilen entfernten Gebirgsznges in Fülle herbeiführt. Weiterhin liegt die „Location", d. i. die den Eingeborenen angewiesene Wohnstätte. Wir besuchten einige der Zelte welche, den der Nenheit abgerechnet, wenig Reiz besitzen. Wir krochen alif allen Vieren in das Innere, nud zogen uns dann schleunigst zurück. Die Lnft schien uns verpestet, die Männer waren ganz nackt, die Weiber mit einem Rock bekleidet, die jnngen Mädchen begnügten sich mit einein Gürtel, nnd die linder folgten dem Beispiele des Vaters. Andere sonnten sich vor den Zelten im Sande liegend, die Männer in ihre Karos gehüllt, d. h. mit Ocker roth gefärbte Wolldecken, daher man sie rothe Kaffern nennt znm Unterschiede von den civilisirten Gaffern. Letztere tragen eine Jacke nnd Beinkleider oder verhüllen ihre Nacktheit nnter Fetzen beliebiger Art. Irgendeine Bekleidung ist aber allen welche die Stadt besuchen polizeilich znr Pflicht gemacht. Diese Ebene nnd die Location, etwa eine Meile von der Stadt entfernt, sind hänfig der Schauplatz blutiger Auftritte zwischen Männern verschiedener Stämme. Ich bin im Elub untergebracht worden. Es ist die beste Von Port Elisabeth nach Graham's Town. 41 Anstalt ihrer Art in Südafrika nnd viele nnserer Elubs köuuteu sie Zlun Vorbilde wählen. Im Lesezimmer fand ich die vornehmsten englischen Blätter nnd die „Kölnische Zeituug", nnd in allen Sälen Gentlemen welche mich ans das herzlichste bewillkommneten. 3. August. — Seit einigen Jahren verbindet eine Eiseu-bahn diese Stadt mit Graham's Town. Am Bahnhofe habe ich das Verguügeu den anglikanischen Bischof von Capetown wieder-Znfinden. Wir fahren znsammen, nnd so vergeht die Zeit in der angenehmsten Weise nnerachtet der trostlosen Einförmigkeit der Gegend. Zuerst ein weites Veldt. Keine Spur von Vegetation. Das Gras ist vollkommen verbrannt. Znweilen sahen wir die oraugegelbe Blüte der afrikanische»! Agave. Die ganz flache Ebene schwillt hier und da zu wellenförmigem Gelände an, oder gar zu abgernndeten niedern Hügelzügen. Weiterhin Busch, meist niederes Dorueugebüsch, alles mit dicken Staubschichten bedeckt. Eine der Stationen heißt Sandflat. Ein gut gewählter Name. Mau könnte sich- in der Libyschen Wüste glanben. Der Zug bewegt sich mit kleiner, eigentlich kleinster Geschwindigkeit. Dies gestattet einem Affe»,, der längs der Schienen lustwandelt, nns mit Muße zu betrachten. Als er seine Neu-gierdc befriedigt hat, dreht er nns ruhig den Rücken und verschwindet langsam im Gebüsch. Strauße sehen wir in Fülle. Sie streckeu ihre laugen Hälse über die Drahtfäden der Zäune nnd betrachten uns mit dem Ausdrucke der Geriugschätzuug. Außer iu deu Bahnhöfen hatten wir kein anderes lebendes Weseu geseheu, als wir, zum großen Erstannen des Bischofs, einen Europäer gewahrten welcher, den Ranzen am Rücken, zu Fuße ciuherschritt. Eiu Zeicheu der schlechteu Zeiten, sagte meiu Begleiter. Der Europäer reist nie zu Fuß. Kaum würde er in einem Gasthanse Aufuahme finden. Anch ans einem andern Gruude empfiehlt sich das Beispiel dieses Wegfahrers nicht zur Nachahmnng. Diese Gegenden werden häufig vou Elefanten 42 Erster Theil. Südafrika. nnd Leoparden besucht deren Begegnung man beffer vermeidet. Als uulänqst der katholische Bischof von Graham's Town hier zn Wagen durchkam, wurde er benachrichtigt, daß eine Heerde Elefanten im Anznge fei. Die Gefahr war dringend, und hätteu diese Thiere nicht eine andere Richtung eingeschlagen, waren der Bischof uud sein Gefährte verloren. Besonders uuaugeuehme Patrone sind die jnngern Elefanten. Ein beliebter Zeitvertreib und eine Art ihre Kräfte Zn üben ist ihnen das Losreißen der Eisenbahnschienen. Um 0 Uhr abends Ankunft in Graham's Town. Eutfcrnuug von Port Elisabeth lox Meilen. Fahrdauer sieben Stunden. Diese Bahneu find engfpurig und der Dienst noch etwas primitiv. Dennoch haben sie bereits in der ökonomischen Lage der Provinz einen Umschwung hervorgebracht. Hier trennte ich mich von Dr. Jones, und stieg in einem Hotel ab desfen Eigenthümer ein Pole ist, welcher sich aber für einen Russen ausgibt. Sem Vater, fagte er mir im engsten Vertrauen, sei ein wenig Nihilist gewesen, daher seine schleunige Abreise nach dem Auslande. Die .... off seien nahe Verwandte der Romanoff. Als aber sein Vater nach Berlin kau,, habe er, nm dem Könige von Prenßen zn gefallen, feinen Namen ger-manifirr indem er das off in ow umänderte. Ich hoffe daß es diesem vornehmen Gastwirthe gelingen wird, die Einrichtung nud die Bediennng in seinem Hotel mit feiner hohen Geburt und seinen hohen Familienverbmdnngen in einigen Einklang zn bringen. Mittlerweile schien mir die Branntweinatmofphäre, welche die Zimlnerluft verpestet, der Vornehmheit zn ermangeln. Ich verbrachte einen melancholischen Abend in: sogenannten Lesezimmer nebeu der Trinkstnbe, wo eine zahlreiche und laute Gesellfchaft versammelt war. Die Bevölkerung von Graham's Town besteht aus Engländern, Holländern nnd einer kleinen Anzahl Dentscher. Die Hälfte der Graham's Town. 43 Bewohner sprechen beide Sprachen, holländisch nnd englisch. Wie in allen größcrn Städten der östlichen Provinzen haben die Schwarzen ihre abgesonderte „Location". Die Stadt liegt in einein flachen Kesselthal welches banm-lose Hügel umrahmen. Aber in den Gassen, längs der Hänser nnd in der nächsten Umgebnng sieht man Baume in Fülle. Dieser Reichthum an grünem Laub erfrent das Ange des Ankömmlings nach seiner Neise dnrch die Wüste. Graham's Town, obgleich wenig verschieden von andern englischen Städten der Colo nie, nimmt den ersten Rang ein, hinsichtlich der Anzahl nud der Schönheit seiner öffentlichen Gcbände, besonders seiner Kirchen welche zwar verschiedenen Neligionsgenossenschaften gehören, aber der Physiognomie der Stadt ein wesentlich geistliches Gepräge verleihen. Mein Hotel steht in einer breiten nach der Thalsohle hinabführenden Gasse, Ochfenwaggons ziehen einen großen Theil des Tages ohne Unterlaß vorüber. Es sind dies jene eigenthümlichen geschichtlichen Fnhrwerke, welche den Boern nicht nnr als Wagen dienten nnd noch dienen, sondern anch als Wohnnng, nnd, nöthigenfalls, als Blockhalls. In ihnen, mit l2, l4, l>! Ochsen bespannt, haben sie einen Theil des schwarzen Continents entdeckt, durchzogen nnd erobert. Noch hente bilden diese Waggons, dort wo die Eisenbahn fehlt, das einzige Verkehrsmittel mit Orange Free State, dem Transvaal, Griqnaland-West, den Diamantenfeldern, endlich mit den jenseit des Limpopo gelegenen Gebieten. Jedes dieser Fnhrwerke kann eine Last von 5 —ksX)<> Pfnnd befördern. Die oft sehr kostbaren Ladnngen, werden farbigen Fnhrlenten anvertraut, nnd es ist kein Fall einer Veruntreuung bekannt. Anßer diesem eben genannten Verkehr, der gegen Mittag anfhört, ist es in den Gassen ziemlich still. Den ganzen Tag über liegen die Männer ihren Geschäften ob nnd die Franen, die Hitze meidend, bleiben zu Hause. Erst bei sinkender Sonne, sieht man einige Damen zn Wagen und einige Herren zu Pferde unterwegs nach den Anlagen anßerhalb der Stadt. 44 Erster Theil. Südafrika. Die Umgegend trägt dm Ausdruck großartiger Wildheit. Von den nächsten Höhen hat man einen weiten Umblick. Tie Stadt ist eine Oasis mitten in der Einöde. Alle diese, gegenwärtig verbrannten und vertrockneten Veldts bedeckt uach der Regenzeit, ein grüner Teppich. Jetzt gewahre ich nur gelben Ocker und schwarze Flecken, den Busch, nnd weite, weite, endlose Horizonte nnd über mir das dnnkelblaue Gewölbe eiucs wolkenlosen Himmels. Allenthalben tiefes Schweigen. Eigentlich ist Südafrika doch nichts anderes als eine Wüste, spärlich besäet mit Pflanznugen, mit vereinzelten Gehöften in denen Weiße leben, mit zahlreichen Graals von Wilden bewohnt, mit einigen Gruppen europäischer Wohnsitze welche Städte genannt werden. Der Richter Sir Iaeob Barnaby Barry hat die Güte nur seine Zeit zu opfern. Sohn eines Engländers nnd einer holländischen Afrikanders, er selbst in Afrika geboren, hat er seine Rechtsstndien in England gemacht nnd seither sein Leben in Afrika zngebracht. Seinen Namen hat er geknüpft an mehrere wichtige Verhandlungen. In seinem Hanse hatte ich das Vergnügen einen Theil der geistlichen Gesellschaft kennen zn lernen. Diese Neuerend Gentlemen nud ihre Damen haben die Atmosphäre der altehrwürdigen Kathedralstädte ihres Vaterlandes hierher gebracht. Bin ich wirklich in Afrika? 5). August. — Von Graham's Town uach 5ling William's Town, der Hauptstadt vou Britisch ^taffraria, zählt mau 7.^ Meilen. Eine Diligence legt den Weg täglich zwischen Morgen nnd Abend znrück. Aber, in Anbetracht des schlechten Znstandes oder vielmehr des Mangels einer Fahrstraße, setzt die Reise in jenem Vehikel äußerst kräftige Knochen vorans. Ich zog daher vor einen Wagen zn miethen, welcher mich in anderthalb Tagen nach >ting William's Town bringen wird. Mit mir reist als freundlicher Führer Mr. Sydney Stent, ein höherer Beamter der Eolouialregiernug nnd Vorstand des Departements für Im Kaffcrlcmd. 45> Straßen und öffentliche Bauten. Wenn Mr. Stcut, obgleich die Specialität für gute Beförderung, sich und mich gegen das entsetzliche Rüttclu meines Wagens nicht zu schützen vermochte, so trifft ihn darüber kein Vorwurf. Die Verkehrsmittel lassen überhaupt viel zu wünscheu. In den Colonien ist, mit Ausnahme der Regicrnng, jedcrmauu autonom uud niemand mehr als die Gemeinden, welche den Vorstellungen der hohen Obrigkeit gewöhnlich das Ohr verschließen, besonders wenn ihnen Geldopfer zngeinnthet werden. Während der acht ersten Meilen nicht ein Baum sichtbar. Allmählich erweitert sich der Horizont. Im Norden uud Nordist entrollen sich die betten des Catbergs nnd des Winterbergs, jetzt beide iu Schatten gehüllt. Mit dem durchsichtigen Schwarz der Berge, mit dein blassen Gelb der Veldte und dem Opalblan des Himmels, hat der Schöpfer eine großartige, poetische, wildschöne Landschaft gemalt. Ich verzichte auf eine Beschreibung. Fast keine Gehöfte zu sehen. Tie miisseu aber vorhanden sein da wir fast ohue Unterbrechung an weiten Gehegen vorüber-kommeu welche durch Eiseudrähte voneinander nnd gegen die Straße abgeschlossen sind. Die Stranße bedürfen eben ausge-dehnter Räume, deun sie Pflegen viel zu laufen, was sie nnr mit Hilfe ihrer Flügel zu thun vermögen. Daher kommt es auch daß kleine Straußzüchter selten aufkommen. Die Thiere brechen ihre Flügel au deu Drahtfäden zu kleiner Gehege, natürlich mit großem Nachtheil für das Gefieder. Die Straußenzucht wäre gewiß höchst einträglich ohne die vieleu Gefahren mit deuen sie verbunden ist. Zuweilen brechen Epidemien ans welche ungeheuere Verheerungen anrichten nnd den Züchter zu Gruude richten. Der Strauß ist ein lauuisches, boshaftes und gefährliches Thier. Zuweilen läugere Zeit hindurch gehorsam und zuthulich, ändert er sein Benehmen mit einem mal, ohne alle Ursache. Daher naht mau ihm immer mit Vorsicht. In der Nähe der Capstadt sah ich zwei Männer mit eiuem Strauß ihres Weges ziehe»'. Sie hatten ihm die Augen mit einer Kappe verhüllt und führteu 46 Erster Thoil. Südafrika. ihn cm einem Seile das mittels Riemen um seine Brnst befestigt war. Der Vogel schritt majestätisch voran. Die Männer folgten ihm. Der Stranß wird gefürchtet wegen seines Verrätherischen Naturells, wegen seiner Launenhaftigkeit nnd hauptsächlich wegen eines großen spitzigen nnd scharfen Nagels an den Füßen. Er greift immer unversehens an, indem er mit einem Beine schlägt. So wnrde unlängst einem armen Kaffer von einen: dieser Thiere der Bauch aufgeschlitzt. Um 10 Uhr Ankunft am Fish River, ehemals die Grenze der alten holländischen Capeolouie. Eine eben vollendete Brücke gestattet in jeder Jahreszeit den Uebergang dieses Flnsses der bald, wie jetzt, einer ärmlichen Wasserriuue, bald einem rauscheu-deu Gebirgsstrome gleicht. Die öde Stelle heißt Committee's Drift. Wir hielten vor einem einzelnen Gasthanse. Mit Ausnahme der Passagiere welche die Diligenee befördert, erfrent nur selten der Anblick eines weißen Reisenden das Ange der Wirths-lcute, Mann nnd Fran, welche hier einige Felder bebauen. Ihre Hauvteiunahme liefert die Trinklmde. Sie ist in diesem Augenblicke, von einem Hänfen Kaffern belagert. Gekommen um ihren Vorrath an Branntwein einznkanfen, sind bereits die meisten von ihnen betrunken ehe sie den Heimweg nach ihrem Kraal antreten. Es ist nicht das erste mal daß ich dergleichen tranrigen nnd widerlichen Scenen beiwohne. In Breakfast Fly, wird wieder den Pferden einige Rast gewährt, diesmal mitten in der Wüste, vor einem winzigen Häuschen. Die Wirthin, eine mehr als neunzigjährige Engländerin, hat die mnständlichen Artigkeitsformen des 18. Iahrhnnderts bewahrt. Von hier prachtvoller Blick nach dem Amatnla-Gebirge. Nachmittags führt uus ein sehr steiler Weg au die Ufer des Kaiskama hinab. Dieser Fluß bildete ehemals die Grenze der Colonie Britisch-Kaffraria welche später mit der Capevlonie vereinigt wnrde. Beide Ufer sind mit Euphorbien dicht bewachsen; daher der exotische Anstrich der Gegend. Das Flußbett war fast ausgetrocknet, und ohne Schwierigkeit erreichten wir das andere Iquipikll. 47 Ufer. So wären wir denn gtilcklich iin Kafferland angelangt. Das zunächstliegende Gebiet gehört dein Häuptlinge des Gaika-Etamines infolge einer frühern Concession welche die gegenwärtige Negiernng als zu Recht bestehend am'rkannt hat. Die Gegend bewahrt denselben Charakter, uüt dem Unterschiede daß man nnr Kraale und Wilde sieht. Um 5, Uhr Ankunft im Nachtlager: eine uiedere Hügelgruppe, bedeckt mit Weideplätzen welche die sechsmonatliche Dürre in eine Stanbwüste verwandelt hat. Auf deu Anhohen zwei Kraale. Das Vieh ist entsetzlich mager. Diese Stelle heißt Iquipika. Hier, mitten nnter den Wilden, lebt ein Weißer mit seinem Weib. Er ist Kapitän in der Colonialarmee, hat die letzten Kaffernkriege mitgemacht nnd besitzt die Maniereu eines Gentleman. Seine Gattin, die Tochter eines englischen Soldaten, im Kafferland geboren, ist eine große, stattliche Fran, kleidet sich wie eine Lady nud ist offenbar eine tüchtige Hanswirthin. Wät^ rend des Krieges flüchtete sie mit den Kindern uach dein, damals von den Kaffern belagerten, King William's Town. Bei ihrer Rückkehr fand sie unr mehr die öden Manern ihres Hauses. Nun ist aber alles im besten Stande. In den Zimmern Möbel aus England, wiener Stühle, und an den Wänden zierlich eingerahmte Photographien. Und dies alles mitten unter den Kraalen, auf eiue Tagereise Eutfernnng von der Stadt, mit der, hoffentlich nicht nahen, Anssicht uener Kafferkriege. Nicht uur in Resina leben nnd sterben die Menschen am Fnße eines Vnlkans. Der Wirth begleitete nns nach einem der Kraale. Wegen der nach Sonnenuntergaug sehr empfindlichen Kälte, fanden wir die Männer in ihre Wolldecken gehüllt. Nach ihrer Toilette zu urtheilen, sind die Weiber weniger, die Mädchen gar nicht empfindlich für Frost. Unfer Führer sagte ihnen, ich besäße viele Rinder, viele Schafe und viele Weiber. Die Anzahl der Frauen gibt den Maßstab der Vermögensverhältnisse des Gatten. In diesem Lande ist das Weib nicht, wie im Orient, ein Luxusartikel, sondern ein Gegenstand der ersten Nothwendigkeit; denn sie verrichtet 48 Erster Thcil. Südafrika. die Arbeit. Der Mann arbeitet nnr wenn er mnß. Dies ist der Grund warmu er sich bei den Weißen, in den Städten oder am Lande, für einige Zeit als Arbeiter verdingt. Die Fran Wirthin war ans die Kaffern nicht gut zn sprechen. Sie sind, sagte sie, schlechte Arbeiter, schlechte Diener, nnd — welche Umuoralität! — Daß sie ihren Branntwein in ihrer Schenke kaufen, vergaß die gnte Fran. 6.-9. An gust. — Der Charakter der Gegend wie gestern, aber je mehr man sich den Peri- nnd Amatnla-Bergen nähert, desto schöner wird sie. Um :) Uhr erreichten wir King William's Town. Auf der ganzen Reise von Port Elisabeth hierher, sah ich anf der sogenannten Heerstraße, mit Ausnahme der Passagiere in der Diligence nnd des weißen Fnßreisenden, nnr Stranße, Affen, Antilopen nnd Schwarze. Ich gemeße hier der Gastfreundschaft eines österreichischen Kaufmanns, Herrn Rndolf Walcher, Vorstandes eines der ersten Hänser in diesem Mittelpunkte des Handelsverkehrs mit dem Orange Free State, mit Transvaal und dem Innern des Continents. Die Physiognomie von King William's Town bietet nichts Besonderes. Es ist eben eine südafrikanische Stadt wie alle andern. Die Vewohner sind Kanflente, die Gassen, nnter, tags, verödet oder nnr von Schwarzen besncht. Gegen s» Uhr abends, wenn die Kanfläden nnd Magazine gefchlossen werden, uud die Geschäftsleute nach Hause gehen, beleben sie sich für kurze Zeit. Dann folgt alsogleich die Einsamkeit, die Stille uud das Dunkel der Nacht. Der größte Theil der Stadt nimmt eine leichte Erdvertiefnng ein, aber die nächsten Anhöhen bedecken sich allmählich mit Häusern und Gärten. Es gibt anch einige schöne Kirchen. Die eben, zum Theile mit reichen Beiträgen protestau-tischer Stadtbürger, vollendete katholische Kirche ist ein gothischer Prachtban. Physiognomic von King William's Town. 4^ Am meisteu fällt das monumentale Krankenhaus in die Augen. Sir George Grey hat es errichtet und der in der Colonie verehrte Dr. Fitz Gerald leitet die Anstalt. Einige junge Kaffern werden hier zn Krankenwärtern nnd für den Dienst in der Apu^ theke erzogen. Ich hoffe, für die kranken, man wird sie nicht zu Chirurgen machen. Die weitläufigen Magazine meines Amphitryon find mit Waaren aller Art augefüllt. Zuweileu sieht man dort bis auf zehutansend, von Orange Free State und Transvaal eingeführte, Vallen Wolle aufgestapelt. Dies läßt auf die Wichtigkeit des Verkehrs mit dem Innern schließen. Ich verdanke dem Herrn Walcher die Bekanntschaft mit den hervorragenden Persönlichkeiten dieser lebenskräftigen und wie es scheint vielversprechenden jungen Gemeinde. Mehr als anderswo stehen sich hier die eivilisirte und die wilde Welt gegenüber. Vor noch nicht langer Zeit war die Umgegend vun King William's Towu der Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen Weißen und Kaffern. Auf viele Meilen in der Ruude stößt der Wanderer auf Stellen, an welche sich glorreiche Erinnerungen knüpfen. Aber, am Ende, find es doch Erinneruugeu au Hinterhalte, Ueber-fälle, Mord- nnd Blutthaten, welche sich jeden Tag wiederholen konneu. Man lebt von hente auf morgen. Eine Hand voll Weißer inmitten der schwarzen Welt. Und anf diesem den schlimmsten Wechselfälleu so sehr ausgesetzten Boden ist es dem Muthe, der Thatkraft nnd dem Uuternehmnngsgeiste anglosächsischer nnd deutscher Kaufleute gcluugeu einen der wichtigsten Handelsplätze in Südafrika zu fchaffeu. Iu der oberu Stadt siud die geradeu, laugeu und breiteu Straßen verödet. Bäume verhüllen die aus Ziegel erbauten uud mit Gärtchen umgebenen Häuser. Hier und da, sieht man eine farbige Bonne mit Kindern; hier und da vernimmt man, dnrch ein geöffnetes Fenster, den Klang eines Klaviers. Aber, im ganzen, Einsamkeit uud Schweigeu. In der eigentlichen Stadt einige Frauen die Einkäufe machen, nnd unbeschäftigte Kafferu. 50 Erster Theil. Südafrika. Wir treten in eine Bude in welcher Eingeborene sich mit ihrem nöthigen Bedarf versehen. Mciuc Begleiterin fragt cine schiine große Kafferin ob sie eine Fingo sei. „I, I. Nein, nein!" schreit dir Wilde in äußerster Anfregnng, „Poudo, Pondo!" Die Fingos waren, vor der englischen Herrschaft, Sklaven der Pondo, Die Schwarzen, wrlchon ich in dcu Straßen bc^cssnc, crr^cn mcm lebhaftes Interesse. Iiias geht in diesen Möpsen, ill diesen Herzen vor? Es sind lebendige Räthsel welche niemand zu lösen weiß, selbst die nicht welche in ihrer Mitte leben. Die Ant warten ans meine ErknndMM'n sind nnznsammenhängend, nn-genügend oder widersprechend. Die meisten Nanflente nnd Colo-nisten sehen in dein Schwarzen das verkörperte Uebel. Ich sollte meinen, mit Ansnahme der Missionare, jener nämlich welche, wie die Katholischen, in das Innere dringen, sind die Magistrate mehr als irgendjemand in der Lage die schwarze Welt zn kennen nnd richtig zn benrtheilen. Die Magistrate sind von der Colunialregiernng ernannte und besoldete Staatsdicner nnd vermitteln den Verkehr zwischen ihr nnd dem Wilden. In den östlichen Provinzen sind sie fast alle Afrikander nnd Söhne von .ttanflenten, Kolonisten oder Ve^ amten. Sie beziehen einen Gehalt von l!W—800 Pfd. St. nnd sind der Sprache jener Stämme knndig. In den meisten Fällen haben sie sie als.ttind dnrch ihre Bonne erlernt. Sie residiren, womöglich, in den kleinen enroväischen Städten, oder im Vnsch unter den Wilden, nnd, in diesem Falle, getrennt von jedem Verkehr mit Enropäcrn! Es sind, wie man mich versichert, meist tüchtige Männer. Znr Arbeit erzogen, die Strapazen langer Tageinärsche zn Pferde nnd zn Fnß, im Walde nnd anf der Steppe mit Leichtigkeit ertragend, gewöhnt an intellectnellc-, gesellige, oft materielle Entbehrnngen, hängen sie doch mit Liebe an ihrem Vernfe nnd leisten wesentliche Dienste. Ich bin einigen dieser Herren begegnet, nnd sie hatten die Güte mir manche interessante Ansknnft zn geben. „— Wir sind", sagte einer, „M gleich Detectives nnd Diplomaten. Wir müssen erfahren lind Die Magistrate. 51 unserm Minister in der Capstadt berichten was im Schoße der schwarzen Welt vorgeht. In Beziehung ans letztere üben wir, innerhalb gewisser Grenzen und je nach den Umständen, eine väterliche Autorität. Nicht selten wird ein in seinem Distriete wohl gesehener Magistrat bei vorkummmeudeu Streitigkeiten von den beiden Parteien znm Schiedsrichter gewählt. Handelt es sich um Aufklärung über Angelegenheiten von allgemeinem Interesse, so tritt der Magistrat zuerst mit den kleinen Häuptlingen iu Verkehr, und hat er auf diesem Wege seiu Urtheil gebildet, so sucht er den großen Chef, d. h. den Besitzer mehrerer Kraale, für seine Ansicht zn gewinnen. Anders geht er in dem eigentlichen ätafferlaude zu Werke. Dasselbe ist bekanntlich nnabhängia/'-, steht aber doch unter einem gewissen Einflnsse der Reichsregiernug welche dort eine Art von Proteetorat ausübt uud sich zu diesem Eude das Recht einer gewissen Ucberwachung vorbehält. Die großen Häuptlinge in dem unabhängigen Kafferlaude haben, auf Aurathen der englischen Regierung, einige Gesetze angenommen, darunter das Verbot des Verkaufes berauschender Getränke, und einige Verfüguugeu im Interesse der guten Sitten. Die iu diesem freien Lande zerstreut lebenden Magistrate haben darüber zn wachen daß die gesetzlichen Bestimmungen befolgt werden. Ihre Aefuguisse find begrenzter als die unserigen, und sie können nicht wie wir, im Nothfalle die Unterstützung der Colonial- oder Neichs-behörden in Anspruch nehmeu, aus dem Grunde weil es deren dort keine gibt. Die Magistrate sind also auf ihre eigeue Gewandtheit angewiesen. Sie sind, vor allem, Diplomaten. Sie wenden sich zuerst an den Oberchef, und, suchen erst wenn sie seine Zustimmung erlaugt haben, auf die kleinen Häuptlinge zn wirken. Diese Verhandlungen sind nicht immer leicht. Der Kaffer ist geborener Diplomat. Auf alle an ihn gestellten Fragen wird er zuerst verneinend antworten. Cr nennt dies: Hinter der Hecke sprechen. * Seither wurde die qanzc Tceküste von Pondoland unter englischen Schutz gestellt. 4* 52 Erster Thcil. Tüdasrila. „Verschwörnngen sind nicht zu befürchten. Die Kaffern, ob^ gleich begabter als die sehr verkommenen Mischrassen der Hotten-totten, sind nnfähig irgendeinen Plan zn ersinnen. Es kommt wohl vor daß einige Hänvtlinge mit dem Gedanken umgehen nns zn überfallen, aber sich untereinander über die Art des Ueberfalles zn verständigen übersteigt ihre geistigen Graste. Von Natnr geschwätzig, sind sie nnfähig nnd verschmähen anch ein Geheimniß zu bewahren. Im Gegentheil sie rühmen sich, in einen: solchen Falle, im Vorhinein des Schadens den sie uns zuzufügen gedenken. Uebcrdies sind alle nnsere Diener Gaffern, davon die meisten ihrem Herrn anfrichtig zugethau sind. Anch weiß jeder Kaffer was in seinem Stamm vorgeht. Wir können daranf zählen zn guter Zeit von den kommenden Ereignissen uuter-richtet zn werden. Stehen zwischen verschiedenen Stämmen Feindseligkeiten in Anssicht, in welchem Falle die Lage des Magistrats allerdings gefährlich werden könnte, so flüstert ihm einer seiner Diener ganz gewisi in das Ohr: Meister nicht gnt hier sein. „Diese Wilden besitzen drakonische Gesetze, und eine vollkommen orgamsirte Polizei. Jedes Familienhanpt ist sich seiller Verantwortlichkeit bewnßt. Es liegt ihm die Pflicht ob alles was er hört nnd sieht zur Kenntniß des Durfhänfttlings zn bringen, in derselben Lage befindet fich letzterer gegenüber dem Haupte mehrerer Kraale, welcher hinwieder die gleiche Obliegenheit bei dem großen Häuptling des Stammes zn erfüllen hat. In BritisäMaffraria, ist der große Chef verbnnden, von allen, was er erfährt, dem Magistrate Bericht zu erstatten, was cr auch in ruhigen Zeit-läufeu zu thuu pflegt. Natürlich wird er sich dessen wohl hüten wenn er einen Angriff im Schilde führt. Aber er weiß alles was in seinem Stamme vorgeht. Ein Mann der ihm gegenüber zurückhaltend wäre, würde, uuter gewöhnlichen Umständen, sehr strenge, in Kriegszeiten aber, mit dem Tode bestraft. Es geschah während eines der letzteil Kafferkriege nach einem hitzigen Gefecht daß man dem Dr. Atherstone einen jungen schwer verwundeten Die Kafferi,. 53 Wilden brachte. Der Arzt behandelte, pflegte und rettete ihn. Als der Innge, seine Dankbarkeit äußernd von dem Wohlthäter Abschied nahm, fragte ihn dieser: «Was würdest dn thnn, wenn ich in deinem Kraale Schuh suchte?" Die Antwort war: «Wenn ich sicher wäre das; dich niemand gesehen hat, so würde ich dich verstecken und retten. Wenn man dich aber gesehen hätte, würde ich dich umbringen. Oh! ich würde dir jedeu Schmerz ersparen. Ich würde dir das Herz durchbohren.» — «Wie, ich habe dir so viel Gutes gethan, uud du konntest mich todten?» ^ "Ganz gewiß, wenn ich dich nicht umbringe, werde ich umgebracht; denn meine Pflicht ist alles was ich erfahre dem Häuptling zu berichten.» „Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in den i'it8(» verhandelt. Diese von den kleinen Häuptlingen gebildeten Versammlungen haben nnr eine berathende Stimme. Die Macht des Oberhänptlings ist nnbeschräukt. Er kann wen er will vom Leben zum Tode befördern, aber wehe ihm wenn er den Rath schlagen der Mso» beharrlich das Ohr verschließt. Iu diesem Falle würde er ganz gewiß erschlagen. Es ist dies ein Funda-meutalartikel ihrer Verfassuug." „Was siud ihre Gesiuuuugeu iu Betreff der Weißen?" „Fragcu Sie deu Wind von welcher Seite er morgen weheu wird. Es sind Kinder anf die man sich nicht verlassen kann. Doch dürfeu gewisse schlechte Symptome nicht anßer Acht gelassen werden. So geschah es vor einigen Jahren, daß ein Magistrat von einem Häuptling ermordet wurde. Eiu äußerst selteuer Fall. Der Mörder wurde uatürlich hingerichtet, aber seit jenem Tage gaben die Kaffern dem hier zn Lande sehr gemeinen Baum den wir Enphorbia nennen den Namen des hingerichteten Haupt' lings. Uebrigcus muß man derlei Vorkommnissen nicht allzu viel Gewicht beilegen." Ueber die religiösen Znstände erhielt ich wenig Auskuuft. Wie die Zulu, scheiueu die Kaffern eine uubestimmte Ahnung von einem oder mehreru höheru Wesen zu haben uud au eine Art 5)4 Erster Theil. Südafrika. Seelenwandernng zu glauben. Die in ihre Hütten eindringenden Schlangen gelten für die Vorältern oder Verwandten der Insassen. König Cetywayo ist davon überzeugt. Die Bemühungen der Missionare sind, wie mir versichert wird, in diesem Theile von Afrika selten erfolgreich. Wenigstens fehlt es nicht an bittern Enttäuschungen. So geschieht es häufig daß Zöglinge der großen, protestantischen Mission von Lovedale, kaum entlassen, wieder in den Zustand der Wildheit verfallen, das Erlernte, wegen Mangel an Uebnng, vergessen, sich den Weißen gleichstellen, die Missionare verspotten nud sich durch ihre Frechheit hervorthun. Daher die, leider, notorische Thatsache daß kein Europäer einen getauften Kaffer in seine Dienste nimmt. Allerdings ist das von den Weißen gegebene Beispiel nicht immer erbaulich. Eiu Häuptling sagte einem Magistrat: „Wärmn sollte ich Christ werden? Euere Religion erheischt daß ihr ench gegenseitig liebet. Aber ihr haßt euch, uud eiuer schadet dem andern soviel er kann. Ihr sollt mäßig sein, nud seid fortwährend betrunken." Der Häuptling Kreli, einer der hervorrageudsteu Persöulichkeitcu im Kaffer-laude, sagte einem meiner Bekannten: „Die Religion ist gnt für die Weißen, aber nicht für'nns Schwarze. Die Christen haben sich mit ihrem Gott überworfen; sie haben ihn umgebracht. Deshalb scheu sie so traurig aus und gehen gesenkten Hauptes einher, während wir, die uicmals einen Gott tödteten, lustig und gnter Dinge sind, nnd die Nase hoch tragen." In der Umgegend von King William's Town nnd in dem ganzen Gebiete zwischen der Stadt und dem Meere, in der Richtung von Ost-London findet man viele zerstreut liegeude Pflanzungen uud Gehöfte deutscher Colomsten welche, auf Veranlassung des damaligeu Capgouvcrncurs, Sir George Grey, eiugewaudcrt stud. Der Boden wnrde nicht ausschließend von ihnen urbar gemacht. Schon vor den Deutscheu waren holländische Voer hier ansässig; aber die neuen Ankömmlinge wurden ihnen lästig. Deutsche Colonien. 55 Wie gewöhnlich, in ähnlichen Fällen, verließen sie das Land. In der ganzen Gegend zwischen King William's Town nnd dein Meere befindet sich nnr mehr Ein holländischer Culune. Die deutschen Niederlassnngen bilden mehrere Gruppen, deren Namen, wie Berlin, Braunschweig n. s. f. an das Vaterland erinnern. Wir verwandten einen Tag zum Besuche ciuer dieser Colonien, welche ans zehn Meilen Entfernung, im Norden der Stadt, am Fuße der Peri-Berge liegt. Die Gegend gleicht den zwischen hier und Graham's Town gelegeneu Einöden. Eine wilde, großartige Landschaft. Abgerundete Hügel mit Buschwerk oder, wic jetzt, mit vertrockneten Weidegründeu bedeckt. Sepia- nnd ockergelbe Tinten ersetzen das frische Grün der Regenzeit. In Thal-ritzeu die Euphorbia nnd afrikanische Agaue uud iu der Ferne die duftigeu, unbegrenzten Horizonte des schwarzen Continents. Geheimnißvolle Einsamkeit bildet den Reiz dieser Gemälde, hingeworfen mit einigen Pinselstrichen, iu zwei oder drei Farben. Aber welche Meisterhand schuf sie! Der Weg führte uns durch mehrere Kraale, dereu Hütteu sich durch ihre Reinlichkeit auszeichnen. Die Eingänge sind so niedrig daß wir nur ans allen Vieren kriechend iu das Innere gelaugeu kouutcu. Der Rauch der sie erfüllte, uud deu nur die Augeu eiucs Kafferu zu ertrageu vermögen, zwang uns alsbald zum Rückzug. Iu eiuer dieser Wohnplntze trafeu wir eiuc blinde Engländerin die, seit Jahren, der Gastfreuudschaft der schwarzen Iusasseu geuießt. Von Zeit zu Zeit wird sie uach der Stadt gebracht wo sie Almoseu sammelt welche sodaun mit ihreu Hauswirtheu getheilt werdeu. Es ist der einzige Fall vou Bettelei der mir in Afrika vorkam. Die Meierhüfe gehören sämmtlich Deutschen. Sie liegeu auf eine halbe, höchsteus auf eiue Meile vou eiuauder eutfernt und bilden die Eolonie Braunschweig. Nicht ohne einige Schwierigkeit gelang es uns iu eins dieser Häuser zu driugcu. Nachdem wir lauge am Thore gepocht hatten, 56 Erster Thcil. Südafrika. öffnete nns eine alte Fran, in deutscher Banerntracht, aus Star-gard gebürtig und das reinste Ponnnersche sprechend. Nachdem sie ihrem jüngstverstorbcnen Eheherrn einige Thränen gewidlnet hatte, erzählte sie uns ihre einfache Lebensgeschichte welche, so zienilich, die aller Pflanzer im ztafferlande ist. Sic briugeu eiueu kleinen Geldvorrath mit nnd finden Boer welche, immer auf Abgeschiedenheit bedacht, ihre Höfe dcn Ankömmlingen zu niedern Preisen verkanfen nnd sodann abziehen. Der neue deutsche Besitzer geht sogleich au seiu Werk nnd gedeiht. Da bricht ein Kafferukrieg aus. Der Vater nnd die erwachsenen Söhne greifen zur Flinte nud rücken bei der Eolouialtruppe ein. Dic Frau packt die tleiueru «inder nud einige Habfeligkeiten zusammen nnd flüchtet uach der Stadt. Die Wilden kommen, schlachten oder raubeu das Vieh, lassen aber, iu diesem Punkte schonender als die Localmiliz, das Hans unversehrt. Das von unserer Pommerin bewohute war sehr uett gehalten und gut möblirt. Obgleich eine eifrige Lntheraueriu hat sie doch die Wäude der Zimmer mit Heiligenbildern in Farbeudrncken geschmückt. Italienische Hansirer verbreiten hier diesen bei den Colonisten beliebten Artitel. Der Telegraph ruft mich nach East-London. Die Barre ist gnt und der von der Capstadt nach Natal fahrende Steamer in Sicht. So wird denn aufgebrochen nnd das frenndliche, tranliche Haus — ein Stück Alt-Oesterreich im Kafferlaud — nicht ohne Leidwesen verlassen. Eine 42 Meilen lange Eisenbahn verbindet diese Stadt mit East-London, welches letztere, wäre die Barre nicht so schlimm, eine große Zukunft hätte. Das Land dnrch welches der Schienenweg führt ist, mehr oder weniger, Wüstenei nnd die Stadt, trotz des pompösen Namens, aller irdischen Neize bar. Allerdings sah ich sie nnter den ungünstigsten Umständen. Der Regen fiel in Strömen, der Wind heulte, nnd die Barre Die Barre von East-London. 57 war nicht nur uupassirbar, sondern das Packetboot hatte, nach zweitägigem Warten, die Geduld verloren und die Reise nach Durban fortgesetzt. Die Südküste Afrikas ist die von den Seefahrern am meisten gefnrchtete, die Aarren ihrer Häfen sind die üdelst belenmnndeten, nnd die gefährlichste von allen ist die von East-London. Daher genießt sie auch, wie böse Zungen behaupten, einer besondern Beliebtheit bei gewissen Nhedern. Alte schlechte Schiffe zn hohen Prämien versichern zn lassen und einem geschickten Kapitän anznvertranen, der es versteht an der richtigen Stelle zu scheitern, ist, wie mir von glanb-würdiger Seite versichert wird, ein in diesen Gewässern schwunghaftes Geschäft. Mittlerweile sitze ich in einem sogenannten Hotel. Aus christlicher Liebe enthalte ich mich jeder Beschreibung dieser Schenke welche ich mit einer Masse lärmender Bnrschen theile, die aus den Goldwerken znrückkommen und hier eiuen Theil ihres Metalles verprassen. Ein Hexensabbat Tag und Nacht. Dreimal 24 Stuuden bestand ich die Prüfung. Dann riß dem alten Toliristen die Geduld! Glücklicherweise war die Nnbia auf der Rhede vor Anker gegangen. Die Schwierigkeit war nur an Bord zn gelangen und kein Leichtes, für Geld und gute Worte cm Boot und Schiffer zu finden die das Wagstück uuternahmen. Auch hatten wir uugefähr fiebcn fatale Miuuteu zu durchleben. Aber die Barre wurde Passirt. An Bord wnrden wir in körben gehißt, eine Art der Ortsverändernng die zngleich an die Schwingungen des Pendels uud das Aufsteige,! eines Ballons eriuuert. Unglücklicherweise hat die Nubia Waaren ein- uud auszuladen, und die Lichterschiffe können die Barre nicht Passiren. Gleich nach uus machte eines derselben den Versuch. Er mis-glückte. Eilt Manu wurde dabei über Bord gewaschen nnd ertrank. Die Folge für nns waren drei müßige Tage auf der Nhede. Weuigsteus hatte ich meine von mephitischeu Dünsten erfüllte Spelunke mit einem großen, schönen und beinahe leeren 58 Erster Thcil. Eüdafriw. Packetbuote vertauscht, Auch der Kapitän gefällt mir. Er war kürzlich alls einer Expedition im Innern von Afrika und ist bis zn den Vieturiafällen des Zambesi vorgedrungen. Das Schwierigste des Unternehmens war lebendigen Leibes nach der Küste zurückzukehren, was ihm allein gelang. Die Knochen seiner Gefährten bleichen anf der „schwarzen" Erde. Endlich hat die Nubia ihre Ladung eingenommen, nnd nun sind wir nnter Dampf, hart der Kafferuküste entlang; znerst Fingo-, dann Poudoland. Alles Felsgelände, theils gezackt, theils abgeplattet, wie der Tafelberg am Eap. Dann abwechselnd wüste Veldter und dichte Wälder. Das Wetter prachtvoll. Wir kommen ganz nahe an der Mündung des St. Iohnflusses vorüber. Einige Engländer haben sich dort unter den Poudo angefiedelt. Einer derselben, den wir an Bord haben, sagt mir: „Wir sind ungefähr sechzig Europäer und glauben uns, mitten nnter der schwarzen Bevölkerung, vollkommen sicher. Unser Leben ist ganz angenehm. Der Tag vergeht rasch in nnsern Eomptoirs. Die Abende sind den» Vergnügen gewidmet. Zuweileu wird Theater gespielt. Von Zeit zu Zeit läuft ein kleiner Steamer von Durban ein, der uns die Post, Mundvorrath und die Waaren bringt, welche wir im Innern absetzen." Dies kleine Territorium, wenn man es so nennen kann, wnrde durch Sir Vartle Frere von dcm Häuptling der Pondos nm den Preis von 4000 Pfd. St. für die englische Krone erworben. Man behauptet es werde einst der Mittelpunkt des Handels mit dem innern Kafferlaud sein. Unter den fünf oder sechs Passagieren, welche in dem großen Salon des Steamers beinahe verschwinden, fällt mir ein Ehepaar auf. Alter des Gatten zwischen vierzig und fünfzig; Ausdruck melancholisch; Gesichtsfarbe blaß; der Blick unbestimmt, träumerisch, intelligent; platte Brust, schmale Schnltern, unansehnliche Gestalt; der üppige Haarwnchs der Schere nnd des Kammes bedürftig; Anzug vernachlässigt. Beim Sitzen pflegt der Reisende Ein Anti-Spiritist. 59 seine Beine anf einen Tisch zu legen nnd die Arme hinter seinem Nacken zu kreuzen. Ehe er noch dcn Mund öffnet, erkenne ich in ihm den Amerikaner und den Magnetisenr. Seine Gefährtin vereinigt in ihrem sanften, traurigen nnd schläfrigen Antlitz alle charakteristischen Merkmale des weiblichen Mediums. Um die Bekanntschaft des Paares zu machen, verfalle ich auf dcu Gedanken dem Beispiele ihrer Landsleute im „Fernen Westen" zn folgen. Ich gehe also gerade anf den Mann zu und stelle an ihn, ohne alle einleitende:« Worte, folgende Fragen: „Wer sind Sie? Woher kommen und wohin gehell Sie? Was ist der Zweck Ihrer Reise?" Der Fremde, den meine etwas nngestüme Neugierde nicht im geringsten zn überraschen schien, antwortete: „Ich bin Professor. Ich bin Bloßsteller, oder wenn Sie wolleil, Ankläger der Spiritisten. Ich bin Mesmerist. Ich halte Sitznngcn, nnd bill Gedankeilleser. Meine Wiege stand an den Ufern des Mississippi, nnd ich trat als Tambour iu das öffentliche Leben. Es war dies znr Zeit des Secessionskrieges. Dem Znfalle verdankte ich" — dies sagte er mit einer gewissen Bescheidenheit -- „znr Rettung einer vom Feiud eroberten Fahne durch meine energischen Trommelwirbel beitragen zu können. Zur Belohnung versetzte mich die Regierung in den geheimen Dienst" — „Das heißt, sagte ich, Sie wurdeu Spion," — „Ganz gewiß, ich war es, aber znm Nutzen der beiden Armeen." —„Wie!" rief ich aus, „Sie meldeten in beiden Lagern was Sie beim Feinde gefehen hatten?" — „Nein" — dies mit einigem Erröthen aber ohne irgendeine Verstimmung zu zeigen — „Nein. Hören Sie nnd nnterbrechen Sie mich nicht. Ich bezog eine hohe Besoldnng, denn ich schlug fortwährend mein Leben iu die Schanze. In jener Zeit passirte ich die feindlichen Linien nnablässig, und benntzte diesen Umstand um in Neuyork Artikel einzukaufen welche bei den Conföderirten besonders gesucht wurden. Keiner war es mehr als Chinin. In Neuyort zahlte ich die Unze 12 Dollar in Papier; den Con-födcrirtcn verkaufte ich sie für 1A) Dollar in Gold. Sie sehen, nicht mir den beiden kriegführenden Theilen, auch der Menschheit W Erster Theil. Südafrika. leistete ich Dienste, denn in der Armee der Südstaaten waren die Ehininvorräthe erschöpft und konnten nicht erneuert werden. Viele, sehr viele Fieberkranke verdanken mir ihr Leben. Bei Beendigung des Krieges fand ich mich im Besitze eines schiinen Vermögens welches ich binnen knrzem durch wahnsinnige aber glückliche Spekulationen vermehrte. Wie jeder Amerikaner, der Gold in seiner Tasche hat, ging ich nach Europa. Iu England machte ich mit einigen Spiritisten Bekanntschaft nnd lieft mich in ihre Brüderschaft anfnehmen. Ich entdeckte aber bald daß es Betrüger waren. Ich entdeckte anch daß die Verstorbenen sich sehr wenig nni unsere Angelegenheiten kümmern und keine Lust verspüren sich in dieselben zu mischen. Als ich nach Amerika zurückkehrte, wo Millioueu diesem Aberglanben huldigen, beschloß ich ihnen die Augen zu offnen. Ich miethete für einen Abend das große Theater in Neuorleaus und enthüllte bei vollem Hause alle Betrügereien der Spirits. Ich schmeichelte mir, indem ich so handelte, auf den Dank meiner Mitbürger zahlen zu können. Aber das Gegentheil fand statt. Ich wnrde die Zielscheibe des Hasses, der Verleumdung nnd der Verfolgung. Besonders die Presse fiel über mich her und zerfleischte mich anf das unbarm' herzigste. Da riß mir die Geduld und ich antwortete in derselben Weise. Mittlerweile hatte ich das Erträgniß meines ehemaligen kleinen Chininhandels infolge der lächerlichsten Speen lationen.verloren, und zwar bis anf den letzteil Dollar. Da wurde ich Professor. Ich wählte diesen Stand um die Spiritisten zu entlarven nnd sodann nm Geld zu verdienen. Man nennt mich hier einen Taschenspieler. Ich bin es nicht. Allerdings mache ich anch kleine Knnststücke, wie znm Beispiel den berühmten uumnckic! trick, das Knnststück von dem gefesselten Manne, aber dies thne ich nur um zn zeigen daß es möglich ist, auf natürlichem Wege durch Geschicklichkeit zu leisteu, was die Spiritisteu fälschlicherweise der Mitwirkung von Geistern zuschreiben. Ich bin mit großem Erfolge in Australien nnd in Neuseeland aufgetreten und beute nunmehr Afrika ans. Bleiben Ein Anti Spiritist. 6l noch Mauritius, Indien und Mexico, woranf ich nach meiner Vaterstadt Zurückkehren werde, ein reicher Mann aber ein Manu der den Zwcck st'incs Lcbcns verfehlt hat. Dieser Zweck war einem kolossalen Betrng ein Ende zn machen. Ich habe ihn nicht erreicht, denn, glauben Sie mir, es ist leichter die schwierigsten Kunststücke ansznführen, als einem Tropf begreiflich Zu machen daß er das Oftfer eines Schwindlers ist." IV. . Natal. Vom 15. zum 20. August. Vurbau. — Zuckerbcni. — Tie Arbeiter. — Delagoa-Vay. — Die Zulu, — Pieter-Marihburg. — Bci einem Zuluhäuptling. — Politische Uebersicht. 1'>. Angnst. -^ Wer zum ersten male in Durban landet tränt kaum seinen Angen. Dies ist nicht mehr Britisch-Südafrika. Es ist ein Tropcnland. Hier wiegt der indische Feigen-banm seine Arnie, die Mangrove verbreitet ihre geheimnißvollen Schatten: Bananen neigen ihre Niesenblätter, nnd der federige Banlbns flnstert ill der schwülen Nordlnft. Ein warmer Aequa-torialstrom und die Lage Natals all dcr Ostkilste Afrikas erklären dies Hereinrasselt der Trupcnwelt in den tiefen, »der wie man eigentlich sagen sollte, in den hohen Enden. Dnrban besteht mw zwei kleinen Städten, der vbern nnd der nntcrn. Die untere Stadt mit ihren Waarenlagern und den vielen Matrosen in den Gassen sieht ans wie irgendein kleiner Hafenplah des Elyde oder der Themse. Die obere Stadt liegt im Hintergründe der Bay anf einer niedern Anhöhe, nnd cr innert dnrch ihre geradeil und mwerhältnißmäßig breiten Gassen mehr all Amerika als cm England. Bänme in Fülle. Die Hänser meist einstockig oder »mr mit einem Obergeschoß versehen, Kirchen aller Religionsgenossenschaften, viele schöne Kaufläden, besonders in Main-Street, auch kleine niedliche Gärtchen, ill, ganzen Durban. 63 ein Gemisch von Ziegel, Stein, gerolltem Eisen nnd Laubwerk, welches mich kalt lassen würde, ohne den Reiz der üppigen Vegetation verklärt dnrch das Farbenspiel eines tropischeil Himmels. Aber die Lente denen man in den Straßen begegnet verleihen der prosaischen Stadt einen poetischen nnd malerischen Anstrich: Kaffern deren Klcidnng in einer Schürze von Schaffell besteht. Einige fügen die abgetragene Jacke eines englischen Soldaten hinzn. Znln in Masse. Schöne Männer deren bronzefarbige Gestalten in der Sonne glänzen. Dazn fröhliche Gesichter mit dem Ansdrncke sorgloser Gntmüthigkeit. Die Mädchen, ausgezeichnet dnrch die classischen Umrisse des Kopfes, des Nackens nnd der Schultern. Noch andere Stämme sind hier vertreten. Viele Schwarze werden, nm hier als Feldarbeiter oder Domestiken zu dienen, von der Umgegend der Delagoa-Bay nnd von dem Stromgebiet des Zambesi eingeführt. In dieser bnnten Menge unterscheiden sich die Malaien durch ihre feiueu und regelmäßigen Züge von den aus gro'berm Stoffe gemachten Znlu. Die Ueber-legenheit der indischen Nasse springt in die Augen. Die olivenfarbigen, schlanken Gliedmaßen in weiße oder rothe Gewänder gehüllt, den Shawl in künstlerischen Falten nm die Schultern oder über das Haupt geworfen, Arme, Hände nnd die Fußgelenke mit schweren Ringen aus Bronze oder Silber beladen, schreiten die Hindnweiber nnd -Mädchen, an die Antike erinnernd, durch die Straßen. Noch classischer wäre der Eindruck ohuc den häßlicheu Schmuck ill deu Naseuflügelu. Vor vierzig Iahreu war die Sielte au der Durban steht das Stelldichein von Elefanten, noch vor zwanzig von Löwen. Der Fortschritt der Kultur hat dies edle Wild verscheucht, doch ist es nicht vollkommen verschwunden. Im Westen der Stadt zieht eine uiedere, bewaldete, Berea genauute Hügelkette, die Blicke anf fich, dort stehen Hans an Halls, Gärtchen an Gärtchen. Es sind die Wohnnngen der dnrbaner Geschäftsleute. Wcuu die Souue sinkt, füllt sich die schölle dahin führende Heerstraße mit Wagen und Reitern. Die s>4 Erster Theil. Südafrika. Comptoirs werden geschlossen und jeder eilt nach Hanse. Aber diese schöne Straße bricht plötzlich ab am Rande des Urwaldes, noch heute bevölkert von Leoparden, Antilopen und Affen, ohne der Schlangen zn erwähnen die, mit dem Schreckbilde der Znlu, die Geisel der Colonie sind. Welcher Contrast! Hier europäischer Comfort, dort, zwei Schritte von uns, jenseit der maeada-misirten Straße, Urwald und wilde Thiere! Ein Bild des Daseins des Afrikanders, der geboren wird, der lebt nnd stirbt an den Grenzmarken der gesitteten Welt nnd der nngebändigten Natnr. Die Schlangen find das Schreckniß des ankommenden Co-lomsten. Aber rasch gewöhnt sich der Mensch an beständige Gefahren. Diese Thiere gehören zu den giftigsten ihrer Art. Gewöhnlich folgt der Tod dem Bisse binnen einer Viertelstunde. Herr Dumas, der Vorsteher der Zuckermühten in Edgecomb, ungefähr zwanzig Meilen von hier, erzählte mir daß einer seiner Kuli von einer Schlange in das Bein gebissen wnrde. Dem Arzte gelang es das Leben des armen Hindu, der furchtbare Schmerzen litt, durch drei Tage zu verlängern. Iu dieser kurzen Frist war das verletzte Glied in vollkommene Fänlniß übergegangen. Diese Thiere dringen in das Innere der Wohmmgen ein. Als Herr Dumas eines Morgens erwachte, fand er neben sich eine Cobra welche die Nacht anf feinen: Kopfkissen zugebracht hatte. Merkwürdigerweise siud Schlangenbisse, welche fast immer den Tod zur Folge haben, verhältnißmäßig selten, besonders wenn man bedenkt daß die Knli, vollkommen sorglos, in den Feldern und im Änschwerk, immer barfnß nnd fast ganz nackt arbeiten. Dies erklärt stch dadnrch daß die Schlange den Menfchen flieht nnd nnr angreift wenn man sie berührt. Die gefährlichsten find die welche anf den Fnßpfaden zn schlafen Pflegen ohne zn flüchten wenn man ihnen naht. (5m c Zuckermühle. 65 Die eben erwähnte Zuckermnhle gehört einer französischen Gesellschaft, wird von einem Franzosen geleitet nnd ist eigentlich unr ein erster Versuch. Die Meeresströmung von Mozambique erhöht hierznlande die Temperatur aber sie bringt nicht die dem Rohre nöthige Menge von Regen, welcher in den Tropen niemals fehlt. Ausnahmsweise herrschte in den zwei letzten Jahren nasse Witterung uor, aber es gibt anch vollkommen trockene Jahre. Wird das Rohr der Dürre widerstehen? dies ist die Frage. Einige hundert Schritt von der Mühle steht das Wohnhans des Direetors anf einer luftigen Anhöhe. Fran Dumas, die iumitten der Zuckerfelder, der 5tuli und der Schlangen die Maniereu einer Dame bewahrt hat, empfängt uus auf das liebeus-würdigste. Die Schlangen und die Diener sind die Qnal ihres Daseins. Dieselben Klagen vernehme ich allenthalben in diesen Kolonien. Ich sitze selten bei Tische ohne daß die Fran des Hauses mir ihr Herz eröffnet. Mehr als dic Entbehrungen nud Gefahren verschiedener Art denen der Pflanzer ausgesetzt ist, verbittern ihr die Domestiken das Leben. „Seit einer Woche", sagte mir Madame Dumas, „sind wir ohne alle Diener, und ich bm genöthigt die niedrigsten Dienste im Hanshalt selbst zn verrichten." Kuli sowol als Kaffern, in einem Lande welches weiße Arbeit ausschließt, die eiuzigeu Meuscheu die den Boden bebanen, kennen ihre llnentbehrlichkeit für den Enropäer. Sie verdingen sich anch als Vediente, gewöhnlich für eine bestimmte Zeit. Ist die Frist verstrichen, so nehmen sie ihren Abschied, gewöhnlich ohne allen Gruud, aber uichts vermag sie zurückzuhalten. Sind sie uicht für mehrere Jahre anfgenommeu worden so ziehen sie meist uach einem Monat ab. Der österreichische Eonsnl ist, seit einem Jahre, bei seinem elften Bedienten angelangt. Er nannte ihn daher Eleven, Elf. In der Capeolonie lernen die Eingeborenen etwas Englisch; hier müssen die Hausfrauen die Sprache des Dieners kennen. Eine jede von ihnen spricht Kaffrisch nnd Hindustani. Die weißen Mägde, kaum au das Land gestiegen, stellen sich mit ihrem Herrn anf den Fuß 66 Erster Theil. Südafrika. der Gleichheit, worden vorlaut, schämen sich ihres Standes, suchen andere Beschäftigung, besonders einen Mann, nnd heirathen schließlich. In der kürzesten Zeit haben sie das gesellige Niveau ihrer Herrschaft erreicht, nnd klagen wie diese über die Schwierigkeit sich Diener Zu verschaffen. Dnrban besitzt zwei Clubs, beide vortrefflich gehalten. Ich machte dort mit vielen offieiellen nnd andern Persönlichkeiten Bekanntschaft, nnd groß war die Zahl der gewechselten Händedrücke. Jedermann schielt erfrent einen Fremden zu begrüßen der kein Kanfmann nnd kein Pflanzer, mithin teilt Rivale war, nnd jedermann sprach den offenbar anfrichttgen Wnnsch ans mir nützlich zu seili. Nnd man war mir nützlich. Ich fragte, nnd man antwortete. Es war ein aufgeschlagenes Bnch dessen belebte Blätter mit dem Leser schwätzten. Und, wie überall in den Eolo-men, Beamte, Pflanzer, Kaufleute, alles was weiß ist, sprach fast ausschließlich nur von den Angelegenheiten Ratals, von den Schwarzen, den Kuli, den Marktpreisen, den Straußen, dem Znckerrohr, von der Dürre welche in diesem Augenblick den Viehstaud furchtbar herabfetzt, aber selten von ihrem Gebnrts-lande, dem alten England. Sie sind sehr loyal, aber die Schleier der Entfernung, die Trennnng von den Freunden nnd Verwandten jenseit des Oeeaus eutziehen das Mutterland ihren Blicken. Eetywayo nimmt ill ihren Gesprächen einen größeru Platz ein als die Königin Vietoria. Hier, wie im 5lafferlande, wird die schwarze Bevölkerung von den Staatsdieneru, die iu ihrer Mitte leben, vortheilhaft beurtheilt, während Kanflente und Pflanzer sie verabschenen. Man bekommt haarsträubende Geschichten zn hören. Hier folgt eine als Beispiel. Eilte in der Nähe von Dnrban, jenseit des Nmgeni, lebende Pflanzersfran pflegt ihren Fleischvorrath einmal ill der Woche aus der Stadt holeu zn lassen. Der schwarze Diener, welchen Die Zulu. 67 sic hierzu verwendet, benutzt die Gelegenheit um für sich selbst dm Abfall des geschlachteten Thieres zu kaufen. Eiues Tages hatte er einen Ochscntovf erhandelt. Als er am Rückwege mit seinein Sohne den Fluß durchwatete, wnrde dieser von einem Alligator gepackt. „Vater", rief der Knabe, „wirf ihm das Fleisch vor, dann läßt er mich sicher los." Aber Papa wollte sich von seinen: Ochsenkopfe nicht trennen nnd überließ deu Sohn dem Krokodil. Da alle Anwesenden die Thatsache bestätigten konnte ich sie nicht bezweifeln. Da mir aber ein hoher Beamter in das Ohr flüsterte, es sei an der ganzen Geschichte kein wahres Wort, konnte ich sie unmöglich glauben. Wo aber ist die Wahrheit? In diesen: Theile von Afrika wächst die schwarze Bevölkerung fortwährend. Die Thatsache ergibt sich mit Bestimmtheit aus dem Erträgniß der Hütteusteuer. Die Anzahl der Hütten ist gcnan bekannt und man nimmt durchschnittlich für eine jede einzelne vier und einen halben Insassen an. Als Ertlärnng der Thatsache bezeichnet mau die kräftige körperliche Beschaffenheit des Menschenschlags und die Vielweiberei. Der Mauu theilt seiue Hütte mit seiner „großen Fran"; jeder auderu seiner Gattinnen gibt er eine Hütte nnd ein Stück Feld das entweder bebant oder als Viehweide ausgenntzt wird. Ist die Schenknng einmal geinacht so kann sie nicht mehr zurückgenommen werden. Nur mit Einstimmung der betreffenden Fran könnte der Gatte über das -Grnndstück nenerdiugs verfügen. Nach ihrem Tode geht es anf -ihren ältesten Sohn über. Die Franen gelten für Sklavinnen ihrer Ehemänner. Dies ist ganz richtig in andern Theilen Südafrikas. Aber hier, bei den Zulu, gemesit die Frau eiues bedeu-teudeu Ansehens in der Familie, wird gnt behandelt und verrichtet zwar viele Arbeit aber weniger als die Frauen der englischen Pflanzer. Im,allgemeinen sind die Weiber, nach ihrer Weise, gut gekleidet, gut geuährt uud sehen zufriedeu aus. Die Zulu find em lnstiges und glückliches Volk; sie verlangen nnr Nicht behelligt zn werden nud sind zuthulich solange sie gut behandelt werden. 5* W Erster Theil. Südafrika. Vorstehendes wurde mir uoil einen» englischen Magistrat gesagt der seit 1852 in diesem Lande dient. Mehr als dreißig Jahre, verlebt nnter den Wilden! nnd dabei die Haltung, die Sprache, die Manieren, das Aenßere des Gentleman i>ai' ox^ol-lonce. Ich speiste mit ihm im Clnb. Der elegant geschürzte Knoten der weißen Halsbinde, der orthodoxe Schnitt des schwarzen Fracks wären im Traveller's Clnb oder in der Union an ihrem Platze gewesen. Ein anderer im Staatsdienste hochgestellter Mann, ein feiner Kenner der Menschen nnd Dinge in Natal, wo er das Licht der Welt erblickt hat, sagte mir: „Die Zulu sind leicht zn leiten. Sie achten das Gesetz nnd büßen ohne Mnrren nnd ohne Groll die Strafen welche der Richter über ste verhängt hat, voraus-gesetzt daß man sie von der Gerechtigkeit des richterlichen Urtheils überzeugen kann. Wo nicht, werden sie den vermeintlichen Aet der Ungerechtigkeit niemals vergessen noch verzeihen. „Sie glanben an ein höchstes Wesen, kennen aber keinen Götzendienst. Ziemlich allgemein wird behanptet daß sie vor langcr Zeit den mosaischen Glanben angenommen. Zn dieser sonderbaren Vernmthung gab vielleicht eine Sitte Anlaß welche man anch bei den Kaffern findet, nnd welche wol mohammedanischen Ursprungs sein dürfte. Bekanntlich macht der Korall in Centralafrika viele Proselyten. Die Znln sind abergläubisch nnd schwören anf die Seelenwandernng. So werden die in ihre Hütten dringenden Schlangen für die Geister verstorbener Verwandter gehalten. Sie werden nnr getödtet wenn der Zanberdoctor er-klart hat daß sie Eindringlinge nnd keine Verwandten seien. „Im ganzen sind sie ein znfriedenes Völkchen von unverwüstlicher Heiterkeit. Sie bearbeiten das Feld je nach ihrem Bedürfniß. Besonders wird Mais gebant; nnd hierans das bekannte Kafferubier bereitet, die Hanptuahruug der Häuptlinge, welche sich deshalb meist einer bedeutenden Corpulenz erfrenen. Der englischen Regierung, besser gesagt den Agenten der Regierung erweisen sie sich anhänglich wenn diese sie mit sanfter aber Delagoa Bay. 69 fester Hand zu leiten wissen. In ihnen paart sich die Einfalt des Kindes mit der Schlauheit des Wilden. „Eine genaue Volkszählung würde Argwohn nnd Unruhe erregen, und ist daher unmöglich. Es gibt Kraale welche aus drei bis vier Hütten bestehen, es gibt aber anch deren mit mehrern hnndert Eabauen. Einige große Häuptlinge besitzen an vierhundert Kraale." Ich fand hier mit Vergnügen einen jungen Belgier dessen Bekanntschaft ich während einer Teereise gemacht hatte. Er kehrt nach Lourenzo Marquez znrück, wo er als Agent der beiden englischen Colonien in Südafrika die Anwerbung eingeborener Arbeiter zu besorgen hat. Lonrenzo Marquez, Inhambäo, Quilimanc, Mozambique, dermalen unbedeutende kleine Städte, könnten sich, seiner Anficht nach, bedeutend heben wenn fie nicht auf ihre eigenen, ganz unerheblichen Hülfsquellen augewieseu wären. Der Boden, auf welchem sie stehen, wurde niemals an Portugal abgetreten. Nie großen Häuptlinge betrachten sich als die rechtmäßigen Besitzer. Alle diese Factoreien sind auf Landzungen erbaut die in das Meer vorspringen, wie Lonrenzo Marqnez, oder anf kleinen Inseln, wie Mozambique. Delagoa-Bay hat den Vortheil der dem Transvaal nächstgelegene Seehafen und daher der natürliche Stapelplatz dieser Repnblik zu sein. Letztes Jahr nuternahmcn einige Boer, uner-achtct ihrer Furcht vor den Fiebcru die au der Seeküste herrschen, einen Zug nach Lonrenzo Marqucz. Sie kamen mit ungefähr dreißig Waggons um verschiedene Artikel einzukaufen. Es war der erste Versuch dieser Art. Noch vor kurzem wäre er un-inüglich gewesen wegen der Tsetse. Bekanntlich tödtet diese Fliege die Ochsen mit welchen die Waggons bespannt sind. Aber seit die Heerden von Antilopen, welchen die Tsetse immer folgt, sick nordwärts richtend, die Einöden zwischen Leydenburg und dem Meere verlassen haben, ist auch die furchtbare Fliege verschwunden. Der Zug der Bauern nach der portugiesischen Factorei 70 Erster Thcil. Südafrila. führte übrigens, wegen der geringen Waarenvorräthe welche sie dort fanden, zu keinem erheblichen Resultat. Aber es ist ein erster Schritt iu der guten Richtung und wird vielleicht beitragen Zur Verwirklichung des seit langem zwischen dem Präsidenten von Transvaal und der portugiesischen Regierung verhandelten Prujeets einer Eisenbahnverbindnng der Telagoa-Vay mit der Südafrikanischen Republik. Das Leben welches die Europäer, mit Inbegriff der Portugiesen und zweier weißen Franen, fünfzehn an der Zahl, in Lou-renzo Marquez führen ist uicht beueidenswerth. Das Mima gilt für äußerst uugesnnd. Man steht nm 5 Uhr auf und geht früh zu Bett. Wie iu Iuhambäo und Qnilimane, hat man nnr im Wiuter frisches Fleisch. Die cnropäifchen Residenten kaufen gemeinsam einen Ochsen den sie unter sich theilen. Die übrige Zeit leben sie von conservirtem Fleisch nnd Geflügel. Die seltene uud unregelmäßige Ankunft eines Dampfers ist natürlich ein Ereigniß. Der Reihe nach wird der Kapitän bewirthet und die vou ihm gebrachten Munduorräthe, Schinken, Wein, Zinn-büchsen mit conservirtem Fleisch n. s. f. gehen reißend ab. Der Erwerb der Residenten ist ein sehr mäßiger. Sie stellen Gesundheit nnd Leben auf das Spiel und gewinnen selten mehr als das Nöthige znm Leben. So beziehen die Eommis der zwei französischen Handelshäuser nur 2> Uhr morgens verlassen nnd nin 2 Uhr nachmittags lief der Zug im Bahnhof von Pieter-Ma-ritzburg ein. Der Gouverneur, Sir Henry Aulwer, empfing mich im Government-House, auf einige Schritt entfernt vom „Lager" und vom Bahnhof. Bequem nnd praktisch. In einem Lande wo 3(X)0tt Weifte neben 40. 77 sich kreuzende Straße». Ali den holländischen Ursprung erinnern die Bäume längs den Hänseru nnd der Name oder vielmehr die beiden miteinander verbundenen Namen der Stadt welche das Andenken zweier Helden verewigen.* Reizender Ausflug nach dem Kraale des Häuptlings Tete-leku in die Schluchten des Swarttuv, mit Sir Henry Bulwer, Herrn Shepstoue und einigen juugen Offizieren. Herr Shep-swne, Bruder des Sir Theophilus, welcher durch die vorübergehende Annexion von Transvaal auch in Europa bekannt wurde, ist (Colonial-Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Im Lande geboren, hat er sein, bereits langes, Leben iu beständiger Berührung mit den Zulu nnd nicht selten in ihrer Mitte zugebracht. Die Entfernung zwischen der Stadt und dem Kraale, dem wir uns jetzt nähern, beträgt ungefähr zehn Meilen. Vor nns eröffnet sich einsam und geheimnißvoll, eine dämmernde Schlncht in welche die kleine Culonne langsam hiuabreitet. Ueber uns, in unmittelbarer Nähe, gewahren wir den finstern, oben platten, Scheitel des Swartkop, zu uusern Füßen zwei durch eine Bergritze getrennte Kraale, und am Eingänge eines derselben eine Gruppe dunkler Gestalten, deu Hänptling stehend, hinter ihm seine Männer, der Etikette gemäß, auf ihren Fersen kanernd. Bei unserer Ankunft trat Teteleku heran uud half uus vom Pferde steigen. Die Männer, immer sitzend, gaben, um ihreu Respect zu bezeigen, einige dumpfe grunzende Töne von sich. Die Weiber hielten sich, eine lange Reihe bildend, in ehrfurchtsvoller Entfernung und riefen im Chor: „Oho! oho!" Ein jnnges Wesen, eine der zahlreichen Lebensgefährtinnen des Chefs, * Pietcr Relief aus Paarl, einer hugenottischen Familie entstammend, von Dingan dem Oberhaupt der Zulu meuchlings ermordet (Il^) und Gert Maritz, Bürger von Graf Reinet. Beide, Anführer der Boer im Natal uud Grimder der ephemcreu Republik Natalia, Um jene Zcii (1840) wurde die Stadt Picter-Maritzburg erbaut. 7N Erster Theil. Südafrika. Zog unsere Aufmerksamkeit durch ihre Schönheit auf sich. Züchtig nnd bescheiden staud sie hinter dcr „Großen Frau" des Häupt-liugs, eiuer schwarzeu 3^ieg Merilis, aber obgleich sie sich zu verbergen suchte, faud sie doch Mittel sich Zu zeigen. Die Weiber habeu deu Buseu uud die Leudeu verhüllt. Die jungen Mädchen, alle schön gebaute Personell, trageu ihre schwarzeil Haare iui natürlichen Znstande, die vcrhciratheteu Frauen fär-beu sie ntit rotheiu Ocker. Der Häuptling, welcher von unserm Besuche beuachrichtigt worden, trug außer dem Schurz seiu Gala-eostiim, eine Jacke nnd den Kopfriug mit einer rothen Feder. Er schritt mit vorwärts geneigtem Oberkörper einher uud wandte keinen Augeublick die Augen von dem Gouverneur ab. Aber nucrachtet dieser Ehrfurchtsbezeiguugeu, schien er doch was er ist, cm großer Herr in seinem Lande. Durch eine kleine niedrige Oefftmug, dereu Holzeiufassuug mit grobem Schnitzwerk verziert ist, krochen wir in das Innere seines Palastes d. h. einer geräumigen mit einer Art von Stuck gepflasterteu Hütte. Die Weiber verstehen es diesem Stuck, durch Stampfen mit den Füßen, die Härte und den Glanz des Marmors zu geben. Vou Möbeln keine Spur. Die Proceres stellteu sich allmählich ein, krochen wie wir, aber mit dcr Schmiegsamkeit des Tigers odcr der Katze, durch das enge Pförtchen, und ließcn sich im Halbdunkel Verschwindend längs den Wänden nieder. Dicse Häuser besitzen keine Fenster, und, nm unsere Augen zn schonen, hatte mau das Feuer ausgelöscht. Der Chef zeigte seine Schätze, Felle nnd einige Wolldecken in welche sich die Weiber bei öffentlichen Tänzen hüllen. Am Ende des Besuchs wurde Kaffcrbier in einem großen Pokale gereicht, nachdem Teteleku, zum Beweise daß der Trauk kein Gift enthalte, znerst daraus getruuken hatte. Ich frug ihu, mit Hülfe des Herrn Shepstone, ob zuweilen Schlangen in seine Cabane eindringen. Er antwortete daß jeue welche kommen von seiner Sippschaft und daher stets willkommen seien. Beim Aufbruch begleitete uns die ganze Bevölkerung des Pieter-Maritzburg. 79 Kraales nach dem Orte wo wir die Pferde gelassen hatten, und, als wir sic bestiegen, riefen die Weiber wieder Oho! Oho! Ein eigenthümlicher, wilder Anftritt, wie ihn Saluator Rosa gemalt hätte, im ernsten Nahmen einer finstern Berglandschaft. Als wir aber die dnnkle Schlncht verlassend den Grat cines HöhenzngZ erreicht hatten, da rollte sich die Ebene von Maritz-bnrg vor nns anf, llmfaugeu von dämmernden Bergriesen und erglänzend im rosigen Lichte der untergehenden Sonne. Jeden Abend großes Diner im Government-House. Wären nicht die Znlndiener, schöne Leute in weißer gelbgeränderter Livree, aber nach hiesiger Landessitte barfuß, so würde ich mich in irgendeinem englischen Country-Honse glanben. Dnrban ist der Hafen, Pieter-Maritzbnrg die Hanptstadt der Colonie, als Sitz der politischen, militärischen nnd administrativen, richterlichen nnd kirchlichen Behörden in Natal. Ich hatte daher hier Gelegenheit die Bekanntschaft sämmtlicher Notabilitäten zu machen. Darunter befanden sich der Chief Justice; Mr. Galway, Attorney General, Mr. Ackermann, Präsident des Legislativen Conseils, Msgre. Iolivet, katholischer Bischof und uoch andere hochgestellte Persönlichkeiten, alle mehr oder minder an den Staatsgeschäften betheiligt,, und, wenn ich mich nicht täusche, mehr oder weniger unter dem Cindrncke der ernsten Lage stehend welche, an sich verwickelt, in England wenig verstanden wird, selbst an Ort und Stelle nicht leicht richtig benrthcilt werden kann nnd jedenfalls Gefahren verschiedener Art in ihrcm Schosc birgt. „Es ist kein Leichtes", sagte man mir, „zu wissen was jenseit des Tugela vor sich geht, und uicht leichter erräth man die zn gewärtigenden Ergebnisse der Rathlosigkeit und Uncntschwssenheit welche in London obwalten." Man besprach die finanziellen Verlegenheiten, die heftigen Angriffe der Opposition im Localparlament, die eine verantwortliche Regiernng fur die Colonie, verlangt, und vor allem, die 80 Erster Theil. Südafrika. große, die brennende, die nie von der Tagesordnung verschwindende Frage: den Schwarzen. Als, während des Znlnkrieges, Prinz Lonis Napoleon sich nach dem englischen Hauptquartier begab, verweilte er einige Tage bei Sir Henry Bulwer. Man fand ihn liebenswürdig, sehr jnng, rastlos, äußerst begierig sich hervorzuthun nnd überzeugt das; die Waffenthaten welche er in diesem Feldznge zn vollbringen hoffe seine Thronbesteignng beschleunigen würden. Sonderbar genug, alle jungen englischen Offiziere, welche ihn auf seinen Ausflügen iu der Umgebung von Maritzbnrg begleiteten, hatten das Vorgefühl eines ihm zustoßenden beides. Ein vortrefflicher Reiter, Pflegte er beim Anfbrnch immer der letzte zu Pferde zu steigen, indem er sich, mit Grazie und leicht wie eine Feder, in den Sattel schwang. Man vermnthet daß diese Gewohnheit ihm das Leben getostet hat. Als im Bnsche, wo er getödtet wurde, das Signal zum Aufsitzen geblasen wurde, oder eigentlich als jeder sich auf sein Pferd warf, zögerte der Prinz wie gewöhnlich, vielleicht auch nm feine Kaltblütigkeit zu zeigeu. In diesem Angenblick fielen zwei Schüsse ans dem Gebüsch. Das Pferd des Prinzen wnrde scheu, bäumte sich und verhinderte ihn es zu besteigen. Er lief dann in der Richtung der Reiter, welche ein unfähiger oder feiger Offizier befehligte, sank von zwei Pfeilen durchbohrt zn Boden, uud wurde mit einem kleinen Azagai vollends gctodtet. Ich bewohnte im Government-House die Gemächer welche der Prinz, anf seiner Tnrchreise nach dem Kriegsschauplätze, nnd im folgenden Jahre die Kaiserin Eugenie, anf ihrer Pilgerfahrt nach dem Zulnlcmde, eingenommen hatten. Als ich mich in dem Bette befand, welches diesen beiden hohen Persönlichkeiten als Ruhestätte gedient hat, dem Sohne als er einem zu frühen nnd tragischen Tode entgegenging, der Mutter auf ihrem Wege nach dem Schanplatze der Katastrophe, da traten alte halb verwischte Prinz Louis Napoleon. 81 Erinnerungen, plötzlich in lenchtende Visionen verwandelt, vor meine Seele, störten meinen Schlaf, verfolgten mich im Traume: die Gebnrt eines Erben; vierzehn Tage spater, der Friede- die Bevollmächtigten, wie sie, nach Unterzeichnung des Vertrags, von der Volksmenge am Qnai mit Jubel begrüßt, die Freitreppe des Ministeriums hiuabschreiten; der Kanonendonner der Invaliden welcher der Stadt das heißgewünschte Ereiguiß verkündigt. Allenthalben in den Straßeil Menschen, Franeu und Männer Freuden-thräuen vergießend. Keine Sorge mehr, kein Grnnd mehr zn zittern für den Gemahl, für den Sohn, den Bruder in den Schanzgräben vor Sewastopol! Dann das Tedenm, das feierliche Geläute der Glocken von Nutre-Dame. Und die Ceremonie der Taufe, das Banket im Hötel de Ville, uud alle die öffentlichen Feste, diesmal der Ausdruck einer, wenn nicht allgemeinen, doch aufrichtigen Freude. Das zweite Kaiserthnm am Gipfel seiner Macht. Im Lande, die Rückkehr des Vertrauens in die Dauerhaftigkeit der nenen Zustände. In Enropa, das Wiederaufleben der Hoffnung eines für die Znknnft gesicherten Friedens. — Und dann? — Was wir erlebten. — Und am Ende? — Am Ende, im fernen Afrika, ein Hinterhalt von Wilden; der Leichnam eines Jünglings ausgestreckt auf dem Heidekraut; eiue entthronte Mutter, mit ihren Thränen den Boden begießend der das Blnt ihres Kindes trank. Die Geschichte des Alterthnms, so reich an wnnderbaren Wechselfällen die wir für Fabeln hielten, bieten wenig Aehnliches. Welch reicher Stoff der Vctrachtnng über das Nichts der menschlichen Grüße!* An Bord des John Elder, — Itt. September. — Ich bin unterwegs nach Australien. Auf die Anstrengungen der Reisen 5 Ta die dirette Tampfverbindlmg mit Indien unterbrochen war, fand ich mich genöthigt nach der Caftstadt zurückzukehren. Tort schiffte ich mich am 15. Scpteinlx'r nach Australien ein. u. Hüb,"!', i. 6 82 Vrstcr Thnl. Südafrika, im Innern, anf das bewegte Weltleben in der Capftadt, folgen die Rnhe, die Sammülng, die wohlthuende Monotonie einer langen Ueberfahrt. Dies gibt Gelegenheit nnd Mnße einen Blick nach dem Lande znrnckznwerfen welches ich gestern verließ. Der erste Eindruck, welchen die öffentlichen Angelegenheiten Südafrikas dem Beobachter machen, ist der eines Räthsels, chaotischer, nnentwirrbarer Znstände. Ich möchte fagen eine Schrift mit unentzifferbaren Buchstaben. Wenn man die Dinge aber näher betrachtet, mit etwas Gednld nnd Ansdauer, entdeckt man den Faden des Knäuels. Wir haben es hier mit drei Elementen zu thnn. Es sind die Schwarzen, die Holländer, die Engländer, nnd dann, wieder nnd immer wieder, die Schwarzen. Ja, mit Recht nennt man Afrika den dnnkeln Continent. Der Zahl nach übertreffen die Farbigen die Weißen in uugeheuern Verhältnissen. Nnd zwar wohl zu beachten, sie vermehren sich fortwährend, während die Zahl der Weißen dieselbe bleibt, d. h. verhältnißmäßig abnimmt. In Nordamerika nnd in allen andern englischen Eolonien findet das Gegentheil statt: der Farbige verschwindet allmählich dnrch die Berührung mit dem Weißen. Dies wäre also eines der Elemente. Zn bemerken ist hier noch daß die englische Familie durchschnittlich fnnf bis sechs linder zählt, die holländische zehn bis zwölf. Die Engländer verlassen Afrika nach einer gewissen Zeit. Die Holländer bleiben. Die Einwanderung der einen wie der andern, verglichen mit der Answandernng von Enrova nach Amerika, ist verschwindend klein, nnd anch sehr bedeutend geringer als die Answandernng nach Australasien. Also in Südafrika, nimmt der Schwarze zu, der Holländer bleibt im Lande, der Engländer verläßt es nach kürzerm oder läugerm Anfenthalt. Von dem Gesichtspnnkte der Zahl allein betrachtet, gehört die Zukunft deu Schwarzen, nnd, wenn man die beiden weißen Rassen miteinander vergleicht, sind die Holländer im Vortheil vor den Engländern. Aber die Inferiorität der Engländer nnd Politische Uow'sicht, 83 Holländer, in Beziehung anf ihre Zahl, wird, allerdings innerhalb bisher noch unbestimmbarer Grenzen, ausgewogen dnrch die Ueberlegenheit loelche die Gesittung nnd Bildung geben, und, lneiner Ueberzeugung nach, auch durch die Ueberlegenheit der Rasse. Ich werde hier, natürlich, in keine Beschreibung der einzelnen schwarzen Stämme dieses Theiles von Afrika eingehen. Bisjetzt zählen die Eingeborenen nur als physische Kraft. Aber diese Kraft ist, verhehlen wir es uns nicht, eine furchtbare. Betrachten wir vielmehr die beiden weißen Nassen, nud zwar zunächst, als die ersten Ankömmlinge, die Holländer. Was ich hier sage wurde aus verschiedenen nnd ans den besten Quelleu geschöpft. Nicht einer der Gedanken, keine der Voraussetzungen und Schlüsse, welche hier folgen, sind mein Eigenthum. Ich beschränke mich darauf die Aussagen der Zeugen zn sammeln nnd getreu wiederzugeben nud mir uur einige Bemerkungen zu erlauben. Die Voeru. — Mit diesem Namcu bezeichnet der Sprachssebrauch die Abkömmlinge der ältern, seit K',5^ in das Land gekommenen holländischen Eolonisten. Am Cap, in den englischen Kreisen, erregt das Wort Boer unangenehme Emftfindnngen, denn es erinnert an eine heikliche Frage: Was ist die Stimmung der ehemaligen Herren des Landes in Betreff der nenen? Der Arzt der eine Wunde untersucht ist, während der Operation, eine dem Kranken unliebsame Persönlichkeit; um so mehr ist dies der Fall wenn man, wie ich, nicht in der Lage ist die Wnnde zu heilen, sondern nur von einer allerdings wohlwollenden Wißbegier geleitet wird. Der hervorstechendste Zug im Charakter des Boers ist der Drang nach Unabhängigkeit. Ihm opfert er alles anßer seinem Glanben, seiner Familie, seineu Achsen nnd seinen, Waggon. Er hat ein Stück Landes bebant nnd gedeiht. Er fühlt sich glücklich und ist fröhlich in seiner Weise. Da werden in der Eapstadt Gesetze erlassen die ihm unbequem sind. In seiner Mchbarschaft haben sich Leute niedergelassen die ihm auch unbeqnem sind. Er wird trübsinnig, unruhig, nuglücklich. Da verläßt er seinen 6- 84 Erster Theil. Südafrika. Garten, seine Gemüse- nnd Blumenbeete, seine Orangenbäume, seine Strauße und Zieht ab, treckt, uach uubetaunten Regionen wo cr zu finden hofft was ihm nnentbehrlich scheint: Unab> hängigkeit und Einsamkeit. Diese Gefühlsrichtnng war dem Boer vou jeher eigen, fchon zur Zeit der holländischen Landesoberherrlichkeit, als die Kammer der Siebzehn in Amsterdam im Einklang mit den Generalstaaten ihre Commandanten nach dem Cap entsandte. Aber diese Mishelligkeiten zwischen den Voern und den Behörden nahinen einen ernstern, ich möchte sagen chronischen Charakter an, seit das Capland englisches Vesitzthnm geworden ist. Was sind mm eigentlich die Beziehnngen zwischen Holländern und Engländern? Ich lasse hier verschiedene Persönlichkeiten sprechen, deren Urtheil mir das größte Vertrauen einflößt: „Die Holländer lieben uns Engländer wenig. Nicht daß eine entschiedene Feindseligkeit bei ihnen gegen nns obwaltete; aber es fehlt an Sympathie. Sie sind zu vernünftig nm auch nur eineu Augenblick zn glanben daß sie uns dies Land mit Waffengewalt entreißen könnten. Sie beschränken sich daher — ich spreche hauptsächlich von den Holländern in Capetown — anf eine gesetzmäßige Opposition. Sie schmollen nicht, sie conspiriren nicht, aber es freut sie sich, im Parlament nnd wo immer sie können, so unangenehm als möglich zn machen. „Es sind eigenthümliche stanze, diese alten Holländer. Die Colonie macht keine Fortschritte. Thatsächlich, sind wir die Herren; moralisch sind es die Holländer. Nun scheinen aber die Holländer im ganzen mit ihrer materiellen Existenz znfrieden. (?) Sie verlangen nnr zu bleiben was sie sind. Als Weiße glanben sie daß sie die Gleichen der übrigen weißen Welt sind, als Abkömmlinge der alten Colonisten, kraft des aristokratischen Gefühls das ihnen eigen ist, halten fic sich für ein wenig besser als die übrige Welt. Sie wollen also bleiben was sie sind. Sie begnügen sich anch mit ihrem Besitz, denn sie besitzen das Nothwendige nnd verschmähen den Ueberflnß. Es sind Zu-, Politische Uebersicht. 85 friedeue, d. h. Leute die jede Neuerung und mithin jeden Fortschritt verabscheuen. „Paarl nnd Stelleubosch sind, mit der Capstadt, die bedeutendsten Mittelpunkte des alten holländischen Geistes. Jedermann ist dort Verwandter, und man besitzt Brüder, Vettern, Neffen in gauz Südafrika, in Natal, im Orange Free State, im Transvaal, iu den Vcldteu und im Busch, überall wo eiu Zwau-ziger-Ochseugcspauu einen holländischen Familieuwaggou durch die Steppe schleppt. „Die Boeru bleiben sich überall gleich. Gleichgültig für Euglaud, sich wenig kümmernd um Politik, selten feindselig, im Gegentheil der Regiernug mit Passiven: Gehorsam uuterwürfig, und weit eutferut aufrührerische Pläne zu schmieden, gefallen fic sich doch iu der Betrachtuug uud Besprechung der möglichen Wechselfälle welche der cuglischeu Herrschaft einst eiu Ende bereiten könnten. Wol hauptsächlich infolge der so sehr vervielfältigten Familicubande, betrachten sie sich untereinander als solidarisch. Daher für die Vertreter der Königin die Nuthweudig-keit leise aufzutreteu. Niemaud verstaub das besser als Sir George Grey. Dies erklärt auch seme große Popularität. Er hatte eiue leichte Hand. Ganz gewiß sind die Voeru keine grundsätzlichen Feinde. Immer gab es Schwaukuugen in uuseru Beziehungen mit ihucu. Heute herrscht eiue gewisse Svanmmg vor. T)ie Veranlassung hierzu gabeu die uicht gcmz legale Besitzergreifung der Diamantenfelder, im Namen der Capeolouie zum Nachtheil des Orange Free State, uud der letzte Krieg mit Transvaal. Zwar waren die Vocru die Augreifeuden und überdies schlugen sie die euglischen Truppen. Aber man kaun nicht leug-ueu, wenn mau die Dinge von ihrem Gesichtspunkte aus betrachtet, daß wir sie gezwuugeu habeu die Waffeu zu ergrnfeu. Jede Kugel die, iu deu drei Gefechten von Lange Neck, Ingogo und Majuba Hill, einen Boer traf versetzte, in ganz Südafrika, eine große Anzahl von Familien in Traner." Dieser Krieg mit Transvaal uud sein Ausgang sind offenbar 80 ' Erstrr Thcil. Südafrika, die wichtigsten Ereignisse die sich in diesem Theile der Welt, seit der Besitzergreifung dnrch England, ereignet haben. Ich lasse zunächst einen Mann sprechen der das Recht besitzt zn sagen: Huornm pai-8 tui: „Der Aet der Annexion svon Transvaal) dnrch Sir Theo-philns Shepstone war, strenggenommen, kein ganz legaler; er wurde aber legalisirt durch die nachmalige Zustimmung der Bevölkerungen. Die Boern der Opposition schwiegen wenigstens dazu. Der von nns nach Transvaal entsandte Agent misfiel gleich bei seinem Auftreten. Er hatte in seinem Stäbe englische. Offiziere und Beamte, nnd man legte ihm, vielleicht mit Unrecht, die Absicht bei die englische Sprache znr Staats- nnd Unterrichtssprache zn machen. Die Boern schickten eine Depntation nach London nm dort ihre Beschwerden vorzubringen. Sie verlangten Aufrechterhaltung der Gebräuche und Gesetze des Landes sowie der holländischen als amtlicher Sprache und, im Fall der Ableh-nnng dieser Bitten, Aufhebung der Annexionsatte. Unter Ans-rechterhaltung der Gebräuche und Gesetze des Landes verstand man stillschweigend die Anfrechthalwng der im Transvaal bestehenden häuslichen Sklaverei und der gezwnngenen Arbeit. Das; das englische Cabinet solche Anforderungen nicht einfach zugestehen konnte liegt auf der Hand. Aber man hätte sich verständigen können. Die englische Regierung antwortete jedoch mit einer schroffen Abweisung. Die Nachricht hiervon bewirkte einen plötzlichen nnd vollständigen Umschwung der Stimmnng des Landes. Die bisher von den Gemäßigten in Schranken gehaltenen Männer der extremen Partei errangen das Uebergewicht. Die Voern nahmen sofort eine drohende Haltung ein. Der Eommissar verlangte im Cap gewaffnete Unterstützung. Einige von dort ill Eile geschickte Truppen wnrdeu, uuterwegs, vou Buern umzingelt, aufgefordert sich zu ergeben und, als sie sich weigerten, größten-theils niedergeschossen. Dies ist der erste Zusammenstoß nnd zwar bei Lange Neck. „Auf die Kunde hiervon eilte der Commandant in Natal, Politische Uebersicht. 87 General Eolley, mit 5>lx> Mann herbei, griff mehrere tansend Boern an, welche sich in einer sehr festen Stellung verschanzt hatten, und wurde mit großem Verlust zurückgeworfen. Dies ist das zweite Gefecht, und zwar bei Ingogo. „Mittlerweile waren, nnter dem Befehl des Generals Wood, beoentende Verstärkungen ans England in Dnrban angelangt. General Eolley erhielt den Befehl die nenangekommenen Truppen abzuwarten; aber, von dem Wnnsche beseelt die erlittene Schlappe gntzumachen, bezog er mit seiner Hand voll Leute eine von ihm für uneinnehmbar gehaltene Stellung. Die Boern griffen ihn an und vernichteten, trotz eines heldenmäßigen Widerstandes, die britischen Truppen. General Colley fiel. Es ist die dritte Action, genannt das Gefecht von Majnba Hill. „Als Mr. Gladstone diese Unfälle erfuhr telegraphirte e>r dem Gonverneur am Cap: «Wir haben den Boern nnrecht gethan. Machen Sie Frieden.» Man begreift die Verzweiflung General Wood's welcher, mit den zur Züchtigung der Nebelleu hinreichenden Streitkräften, nur einige Tagemärsche vom Kriegsschauplätze entfernt war. Man begreift anch die Bestürzung, die Entrüstung der Trnppen und der englischen Ansiedler; sowie die Schmälernng des britischen Ansehens infolge eines nach drei Niederlagen geschlosseneu Friedeus. Indeß die Befehle des ersten Ministers waren peremtorisch und ein Vertrag wnrde geschlossen, kraft welchem die »Afrikanische Repnblik« von Transvaal wieder in das Leben trat. „Von nnserm anglo-afrikanischcn Standpunkte beurtheilt, sind diese Ereignisse höchst beklagenswert!). Die Boern im Transvaal, wenigstens bei weitem die große Mehrheit, kümmern sich weder um die Verfassnng noch um die öffentliche Macht welche sie regiert. Gegen die Engländer fühlen sie keine besondere Abneigung. Was sie wollen ist daß man sie rnhig nach ihrer Weise leben lasse, lind sie wollen sich in allen Beziehnngeu des Lebens ihrer Sprache bedienen können. Wo nicht, greifen sie zur Flinte, oder sie ziehen ab, sie trecken. Nun aber, seit jenen 88 Erster Thcil. Südafrika. Ereignissen, ist alls dem ganzen ungehenern Gebiete wo mau Holländern begegnet, in ihrer Stimmung llnd in ihren Ansichten, ein bedeutender Umschwung eingetreten. Eine sehr kleine Minderzahl blieb nnd ist der englischen Regiernng unverhohlen und aufrichtig zugethan. Die große Mehrzahl jedoch, welche sich allmählich an die britische Herrschaft gewöhnt hatte, zeigt sich jetzt kalt, zurückhaltend aber nicht geradezu feindselig. Der nach drei Niederlagen, ohue Geuugthuuug für die gekränkte Ehre unserer Waffen, abgeschlossene Friede gab dem holländischen Element, nicht mir iu Transvaal und im Orange Free State sondern auch iu uuseru beiden Colonicu und in ganz Südafrika, einen übertriebenen Begriff seiner Macht. Deuuoch ist das Uebel nicht unheilbar wenn die Regiernng der Königin es versteht der geistigen Verfassung nnd dem Nationalgefühl der Holländer Rech' nnng zu tragen. „Lord Carnarvon begünstigte, als er Colonialminister war, den in England viel bevorworteten Gedanken einer südafrikanischen Conföderation. Gegen die Idee, an und für sich, ist nichts einzuwenden. Aber sie kann nur allmählich verwirklicht werden. Die weißen Bevölkeruugen müsscu den Nnhcn derselben einsehen lernen. Am Tage wo sie zu dieser Einsicht gelangt sind, wird sich die Conföderation von selbst bilden. In seiner Ungednld, schickte uns der Minister den Historiker Fronde. Dieser berühmte Gelehrte, der übrigens mit keinem uffieiellen Charakter bekleidet war nnd kein Staatsmann ist, dnrchreiste sämmtliche Colonien nud Republiken Südafrikas, berief Versammlungen nnd erklärte den Holländern, dem wie er unablässig widerholte «stärksten, zahlreichsten und an: tiefsten gewnrzelten Elemente des Landes», wie alle Vortheile der Couföderation ihnen in den Schos fallen würden. Nächst der Convention von Majnba Hill, haben diese Reden zu dem ebenso unbeqnemen als gefährlichen Erwachen des holländischen Geistes am meisten beigetragen. Eine andere Wirknng hat die Mission Mr. Fronde's nicht hervorgebracht. Lord Carnarvon ernannte dann Sir Vartle Frere zmn Gon- Politische Uebersicht, 89 vernenr der Cavcolonie und Obcreommissär in Siidafrika. Dieser ausgezeichnete, liebenswiirdige, allgemein geachtete nnd, wie keiner seiner Vorgänger, ini Lande geliebte Staatsinann trat an sein Werk mit all den Mitteln ausgerüstet welche ihm der Glaube seiner Ueberzeuguugeu, der Adel seiner kräftigen Seele, der reiche Schatz der in Afrika und Indien gesammelten Erfahrungen zn verleihen im Stande waren. Der Unfall von Isan-dnla erschütterte seine Stellung, der Eintritt Mr. Gladstone's in das Ministerium hatte seine Abberufuug zur Folge. Aber auch ohne seiueu Rücktritt wäre die Eouföderatiou nicht zu Staude gekommen, weil die Dinge noch nicht reif sind." Nach den englischen Urtheilen, hören wir einen alten Boer welcher, einem nicht britischen Fremden gegenüber, die seinem Stamm eigenthümliche Zurückhaltung einigermaßen ablegte: „Ich bin loyal. Auch meiu Vater war es. Oft sagte er uns: «Kinder, Gott befiehlt daß wir der Obrigkeit uuterthau seieu. Also gehorchen wir der euglischeu Regierung.» Uud das habe ich immer gethan. Aber die Engläuder richteil uns zu Grunde (durch die Aufhebung der schwarzeu Zwangsarbeit). Un-ter der alten Regierung waren wir glücklich. Die Schwarzen hatten das Gefühl ihrer Iuferiorität. Es ist uicht wahr daß die Holländer sie mishandelteu. Das Gegentheil ist wahr. Die Engläuder habeu die falsche Theorie der Gleichheit der Rassen verkündigt. Die Schwarzeu arbeiten uicht mehr oder nnr wenig. Sie sind darum nicht glücklicher. Aber die Boeru könueu ihre Grüude uicht Mehr bewirthschafte». Sie verarmen. Sie waren reiche Lente, uach ihren Begriffen. Reich ist wer genng besitzt um im Ueberfluß zu leben. Ihre Bedürfnisse waren beschränkt uud sie vermochten sie reichlich zu befriedigen. Heute siud sie alle mehr oder weniger verschnldet. Die Staatseinkünfte nehmen zn, dank den gleichfalls zunehmenden Abgaben, aber die holländische Bevölkerung kommt hernnter. Und bei alledem siud die Finanzen der Colunie in schlechtem Zustande. Aber die Engländer haben noch anderes am Gewissen: sie habeu die Schwarzen 80 Erster Theil, Südafrika. bewaffnet. Unter der holländischen Regierung war der Besitz von Waffen den Farbigen auf das strengste untersagt, uud die Behörden sorgten dafür daß dies Gesetz beobachtet wurde. Aber was thateu die Engländer? Als die Hafenbanten in der Caft-stadt unternommen wnrdeu, und es sich darum haudclte Arbeitskräfte zu gewinnen, wnrde deu Schwarzen ein sehr hoher Lohn zugesagt mit Erlaubniß ihre Ersparnisse zmn Ankauf vou Flinten zu verwenden. Ich sehe noch meinen Vater wie er uns sagte: «Kinder, ihr seht meine weißen Haare. Ich werde nicht erleben was, dank den Engländern, euch bevorsteht. Es ist der Anfang des Endes. Sind die Schwarzen bewaffnet so werden sie uns ausrotten.»" Mau sieht welcher Abgrund die Anschammgeu der beiden weißen Nassen trennt, des holländischen Boer, der noch im 17. Jahrhundert lebt und des Engländers unserer Tage. Die Boern ergreifen hierzulande Besitz von der belebten und unbelebteu Natur. Sie besetzeu und bebaueu das Laud, sie verscheuchen die wilden Thiere oder zähmen sie; sie unterwerfen sich die Eingeborenen und macheu aus ihnen Sklaven, wenn man Lente die zur Arbeit gezwnngen werden so nennen kann, aber sie behandeln sie wie Glieder ihrer Familie. Sie kamen nach Afrika im Jahre 165^ mit der Absicht zu bleiben uud sie blieben. Die Zukunft und Afrika gehören ihnen, vorausgesetzt daß sie nicht durch einen Startern vertrieben werden, und dieser Stärkere ist der Schwarze oder der Engländer. Sie nehmen den Kampf anf mit dem Schwarzen uud sie flieheu die Berühruug mit dein Eug-läuder. Sie trecken. Mit Hollaud, dem alten Mutterlande haben sie keinen Verkehr. Kein Band, weder ein moralisches noch ein politisches, fesselt sie au dasselbe. Ja sie haben es eigentlich vergessen. Die „Hottander", wie man die modernen Einwanderer aus den Niederlanden hierzulande nennt zum Uuter-schiede vou den Nuern, beschäftigen sich hier mit Handel, selten mit Ackerbau, befassen sich aber gern mit Politik und erfreuen sich bei ihreu alten Stammesbrüdern einer äußerst geringen Politische Urbcrsicht. 9l Beliebtheit. Die modernen Bestriffe: parlamentarische Verfassung, Gleichheit, Demokratie, Soeialismns, sind den Boern unbekannt. Sie kennen nur die Familie, und versammeln sich nur zur Wahrung gemeinsamer Interessen oder zur Abwehr gemeinsamer Gefahren. Sie sind Republikaner, wie es die Patriarchen waren auf den Weidegründeu der Bibel. Den moderneu Menschen, Engländer oder Deutscheu, uermeideu sie. Uud könuen sie dies nicht so ziehen sie ab; sie trecken. Auf diesen Wanderzügeu schreckt fle keine Gefahr; kein Hiuderuiß scheiut ihueu uuüber-windlich. Mit ihren Leichen, mit deu Resteu ihres von der Tsetse getödteteu Viehs besäen sie die Einöden vou Namaqna-land, von Damara, von andern noch geheimnißvollen Regionen des Binnenlandes Südafrikas. Man rühmt die Reinheit ihrer Sitten. In religiöser Beziehnng bewahren sie deu fefteu Christus-glauben, die ererbten Vorurtheile, die augeboreueu Antipathien der Vorälteru. Iu jeder Hiusicht ist für sie das 17. Iahrhuudert noch nicht abgelaufen. Mau findet in der Capstadt und auch anderwärts holländische Afrikander, welche an Bildnng des Geistes uud Verfeinerung der Sitten, iu den höchsten geselligen Kreisen unserer Hanptstädte, niemand nachstehen würdeu. Aber iu ihrem Herzen siud sie Boern. Afrika geht ihnen über alles. Das Aenßcre dieser Menschen kann sich vorstellen wer Teniers oder die Brenghels oder andere altholländische Meister kennt. Der Tyftns pflanzt sich fort im schwarzen Continent, wie das Frankreich Ludwig's XIV. iu Canada alle politischen Umwälzungen überlebt hat. Die Holländer haben zwei unabhängige Staaten gegründet. Orauge Free State, vou Laudwirthen bewohnt, ist das Vorbild eines wohlgeregelten, gedeihenden Gemeinwesens. Die Republik Trausvaal, das gelobte Land farbiger nnd weißer Landstreicher, überdies fortwährend durch Horden von Wilden vou answärts bedroht, gibt, im Gegeutheile, das Schauspiel fortwährender Rnhe-störnngen nnd Kriege. 92 Erster Thcil, Südafrika. Orange Free State* ist in Farins, d. h. Niederlassungen oder Plantagen getheilt. Jeder Farmer oder Plantagenbesitzer ist ermächtigt eine gewisse Anzahl Eingeborener, sei es als Diener, sei es als Arbeiter, zn verwenden. Diese gesetzliche Bestimmnng hat znr Folge daß die schwarze Bevölkernng im Lande anf ein bestimmtes Mast beschränkt wird. Ueberdies bestehen zwei Reserven, d. h. ausschließlich für Eingeborene vorbehaltene Wohnstätten. Man berechnet die Zahl der weißen Einwohner in: Freistaate anf 50 —N0000, die der Schwarzen anf ^>0W; während in der britischen Colouie Natal wie man gesehen hat, 30000 Weiße mit 400000 Eingeborenen zusammenleben, wobei noch zu bedenken daß die Anzahl der letztem fortwährend auf natürlichem Wege zunimmt, abgesehen von möglichen, und bereits dagewesenen, massenhaften Einwanderungen ans den umliegenden Negergebieten. Im Orange Free State ist die Einwanderung der Farbigen verboten. Der Ueberschuß der ursprünglichen schwarzen Bevölkerung wnrde genöthigt nach Natal oder nach der Cap-colonie anszuwaudern. straft eines zwischen England und dieser Republik abgeschlosseucn Vertrages, haben die Reichsregierung nnd die Regierung der Capcolonie die Vervflichtnng übernommen die Grenzen von Orange Free State gegen die Basuto zu über-wacheu. „So", sagte mir ein hochstehender britischer Staatsdiener, „ist es der traditionellen Weisheit der Holländer nnd der Ge-schicklichkeit des Präsidenten Brand gelnngen den Freistaat vor einer doppelten Gefahr zn schützen: Uebcrmäßige Einwandernng und feindliche Einfälle der Schwarzen." Johannes Henrieus Brand, Sohn eines ehemaligen Präsidenten der Depntirtenkammer in der Eapstadt, wnrde in dieser Stadt im Jahre 1tt2^ geboren, machte seine Rechtsstudien in Leyden ^Holland) uud lebte sodann als Advoeat in London, später am Eav. Im Jahre 1863 wnrde er zum Präsidenten des Orange Free State erwählt, welche Stellung er, infolge mehrmaliger * Das Territorium zählt ungefähr ?W0<) Quadratmeilcn. Politische Uebersicht. <)H Wiederwahl, noch heute einnimmt. Er gilt für einen der ausgezeichnetsten Männer in diesem Theile der Welt. Indeß, Personen die ihn genau kennen, versichern mich daß er seine Erfolge weniger seiner staatsmänuischen Begabung verdankt, als seinem gesunden Menschenverstände und einer unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit. Die britische Reichsregiernng erhob ihn in den Rittcr-stand. Dieser Act der Gnade erregte unter der Bürgerschaft Mis-behagen, nnd Brand zögerte einige Zeit diese Ehre anzunehmen. Anch führt er nicht den Titel Sir der ihm infolge dieser Standeserhöhung gebührt. Dagegen läßt sich seine Ehehälfte, weniger rücksichtsvoll für republikanische Seruftel, Lady Brand nennen. Unter allen Gebieten, in welchen weiße Afrikander leben, ist Orange Free State der rnhigste und der bcstregierte. Aber abgesehen von dem nnlengbaren Verdienste des Präsidenten, verdankt die Republik diese Vortheile — ich berühre hier eiue südafrikanische Lebensfrage — hauptsächlich der numerischen In-feriorität der schwarzen Bevölkerung. Diese letztere hat aufgehört eine Gefahr für die weißen Bewohner zn sein. Aber dies günstige Zahlenverhältniß kann nnr dadnrch erhalten werden daß der Freistaat sowohl gegen friedliche Zuzüge als feiudliche Einfälle der Basnto oder anderer Stämme bewahrt werde. Diese Aufgabe überschreitet die Kräfte der Bürger des Orange Free State. Sie wird vou England gelöst. Eugland liefert und zahlt die für die Bewachung der Grenzen nöthigen Truppeu. Iu Transvaal, im Eavlande, besonders iu Britisch-Kaffrarien uud Natal verursacht die große Ueberzahl des schwarzen Elements beständige Besorgnisse und periodisch wiederkehrende Störungen der öffentlichen Rnhe. Vor allen ist Transvaal ein Sammelplatz von weißen und farbigen Freibeutern. Auch hat diese nicht sehr gut regierte Republik häusig durch Eiufälle feiudlicher Stämme zu leideu. An der Spitze steht Präsident Krüger, der kein Brand ist. Die Engländer. — Sie sind entweder Kaufleute oder Pflanzer, Farmer. In deu Ostprovinzcn der Capcolonie über- 94 Erster Theil. Südafrika. trifft dic Zahl der englischen Pflanzer jene der holländische!! bc-dentend. Diese Engländer bringen aus der Heimat einen hellen Kopf mit, starke Arine, unerschrockene Herzen nnd bedeutende Kapitale. Nnr wenige von ihnen gehören der Gentry an, die meisten den untern Schichten des Mittelstandes, eine bedentende Anzahl dem Volke. Wenige, vielleicht nicht einer, kommen mit der Absicht zu bleiben. Ihre Thatkraft ist sprichwörtlich, ihre Thätigkeit nur nbertroffen dnrch ihre Verwegenheit die ohnegleichen ist. Aber der Handelsstand leidet durch die in allen Theilen der Welt herrschende Stockung der Geschäfte und dnrch eine übertriebene Speculation in den Gold- nnd Diamanten-aetien. Dcr Niedergang im Handelsverkehr wirkt auf die Farmer znrück. Und auf jedermann, Farmern nnd Kanflenten, lastet das Gefühl der Unsicherheit, verursacht durch das numerische Uebergewicht der schwarzen Veviilkernug. In den Boern, welche er wenig liebt, sieht der englische Ansiedler Nebenbuhler nnd Uebel-gesinute, in den Schwarzen, Fanlenzer welche nicht als Gleiche behandelt sondern mit dem Stocke regiert werden sollten. In der officiclleu Welt, wo mau zwischen schwarz nnd weiß, die Wage eben halten mnß, denkt nnd sieht man anders. Sie besteht ans Gentlemen, meist Engländern, aber anch englischen Afrikander» und Holländern; denn letztere sind vom Staatsdienste nicht ausgeschlossen. Man findet deren in allen Zweigen der Verwaltung nnd der Instiz. Seit laugen Jahren sind fast alle Gouverneure welche England hierher fandte Männer von unbestrittener Bedeutung gewesen, und ihr „Stab" war immer ans tüchtigen Kräften zusammengesetzt. Wenn, demnugeachtet, die meisten dieser hohen Staatsdiener ihren Posten in Ungnade verließen, so kann die Ursache offenbar nicht in ihnen liegen, nicht in den Menschen ljenen welche England hier vertreten) sondern in den Zuständen, in den Dingen. Abgesehen von ihren kleinen Eolonien im Kafferlande leben die Deutschen zerstreut in der Eapeolonie. Noch bilden sie kein geschiedenes Element der Bevölkerung, Aber ihr Ruf als Urbar- Politische Uebersicht. 95 macher und Landwirthe ist gesichert. Sie gelten für die ersten, und nnr die Schottländer worden ihnen gleichgestellt. Es ist dies die Ansicht aller Engländer die ich hierüber befragte. Lentc die ans der Politik ein Geschäft nnd ihren Broterwerb machen, und welche man imliticüm« zn nennen pflegt, fehlen natürlich hier so wenig wie anderwärts, und, seien sie mm Engländer, englische oder holländische Afrikander oder Dentsche, unterscheiden sich wenig oder gar nicht von ihren Berufsgcuosseu in Enropa. Dies sind die Elemente alls welchen die Bevölkerung Südafrikas besteht. In der Capeolonie ist das numerische Verhältniß zwischen Engländern und Holländern wie eins zu zwei; zwischen Weißen und Farbigen wie eins zn vier. Doch darf man nicht den schwerwiegenden Umstand vergessen daß, mit Ausnahme der Meeresgrenze nnd der Grenze von Oranien, die Colonie uach allen übrigen Seiten von Ländern mit schwarzer Bevölkerung umgeben ist. Einfälle wilder Horden liegen daher im Bereiche der Möglichkeit. In dieser Hinsicht kann Natal als Beispiel gelten. Im Jahre 1^44 meldete der Richter Eloetc an den Gouverneur Napier daß, bei der ersten Besehung dieses Territoriums durch die Engländer, sich dort nnr NM0 Eingeboreue vorfanden, davon ein Drittel dem Hungertode nahe war. Aber binnen zwei oder drei Jahren stieg, infolge einer plötzlichen Einwanderung von Znln, die Bevölkerung anf K.XXXD. Im Jahre l,^7, eine Kruncolonic linier-wandelt. Politische Uebersicht. 101 Wir schcn also hier zwei öffentliche Gewalten, von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehend nnd einen verschiedenen Gesichtskreis beherrschend — nnd niemand wird bestrciten können daß britische Staatsmänner weiter blicken als Colouialpolitiker ^-wir sehen zwei Gewalten bernfen znr gemeinsamen Vertretung nnd Vertheidigung von Interessen welche selten identisch, hänfig verschiedenartig, zuweilen geradezu entgegengesetzt sind. Und diese ihnen zngemnthete gemeinsame Handlung findet gewöhnlich anf einem Gebiete statt wo das Unbekannte nnd das Unerwartete die Hauptrolle spielen. Hierzu kommt daß man beiderseits trachtet die durch solche Expeditionen vernrsachten Kosten möglichst anf den Partner abznwälzen. Die Nachtheile dieses Systems fallen in die Angeli; sie bilden aber die Wesenheit und den Kern, ich inöchte hinzufügen die Geschichte der britischen Herrschaft in Südafrika. Die immer wiederkehrenden meist nncrwarteten Unruhen im Schose der schwarzen Vevölkeruugen außerhalb der Grenzen der Colonie wirken natürlich nachtheilig auf den Handelsverkehr der letztern nnd bedrohen die öffentliche Ordnung auf ihrem eigenen Gebiete. Folgerichtig wäre es also, da sie ein autonomer Körper ist, ihre Sache für ihre Vertheidigung zu sorgen. Dies ist vollkommen richtig als Theorie. Thatsächlich aber stellt sich herails daß die Colonie in finanzieller, militärischer und politischer Beziehnng, besonders in finanzieller, vollkommen unfähig ist diese Anfgabe zn lösen; daß sie also der Mitwirkung der Reichsmacht bedarf, und daß das Zusammenwirken der beiden Gewalten zu unabsehbaren Weiterungen, Verwickelungen und Conflicten führt, welche natürlich die gemeiusamc Handlung hemmen, nnd zwar znweileu unter Umständen wo Gefahr im Verznge liegt. Ich meine also daß die Annexion an die Capcolonie von schwarzen Länderstrichen nud die Eiumischuug der Colonie in die Angelegenheiten schwarzer Nachbarländer, welche außerhalb ihrer Grenzen liegen gleichfalls eine Ursache der in Rede stehenden Krankheit bilden. , 102 Erster Theil. Südafrika. Aber den Hanptursftrung aller Uebel au welchen Britisch-Afrika leidet sehe ich in dem Mangel an Stetigkeit in der obersten Leitung der öffentlichen Angelegenheiten. Der Gmwernenr nnd Obercommissär ist für fünf Jahre ernannt. Er bedarf eines, wahrscheinlicher zweier Jahre, nm sich mit Menschen und Dingen vollkommen bekannt zn machen und, was ebenso wichtig, nm selbst in der Colonie gekannt zu werden. Seine volle Thätigkeit beginnt kaum vor dem dritten Jahre und schließt mit dem Ende des vierten. Sein fünftes Amtsjahr gleicht mehr oder weniger den letzten Tagen eines Sterbenden, der sein Testament macht obgleich er weiß daß der Erbe seinen letzten Willen nicht beachten wird. Denu der Nachfolger bringt seine, eigenen Ansichten mit, welche denen des Vorgängers in der Regel zuwiderlaufen. Diese Betrachtung, welche kein Tadel sein soll, findet auf alle audern Colonien und Indien Anwendung. Die kurze Dienstzeit der Gouverneure, begrüudet auf Rücksichten welche den Interessen der Coluuieu ferue liegeu, ist ein großer Uebcl-staud und eine der Ursachen, obgleich nicht die wesentlichste, der in der obersten Leituug der Geschäfte zu beklagenden Unbeständigkeit. Andererseits zieht ein politischer Umschwung in England, in den Statthaltereicn ebenso wie in den diplomatischen Posten, was ich für sehr weise halte, nothwendigerweise einen Wechsel nicht nach sich. Es ist darum aber nicht minder wahr daß das Ansehen nnd der Einfluß eines Vertreters der Krone, wclcheu ein conservatives Ministerium eruauut hat, infolge des Eintrittes eines liberalen Cabinets, in der Colonie selbst bedeutend sinken, und so auch umgekehrt. Nicht nur hört der Gouvcrucur auf die Vertrauenspcrsou des Colonialministers zu seiu, sondern er findet sich sehr oft in einer Lage welche ihm nur die Wahl läßt gegen das neue Ministerium aufzutreten, in welchen: Falle er sofort abberufen wird, oder aber, infolge der neueu Iustruetionen, sich in Widerspruch zu sctzeu mit seiner bisherigen Gcschäftslcitung, was ihm natürlich in der öffentlichen Meinnng der Eolouie uur schaden kaun. Politische Uebersicht. IM Aber, am Ende, sind die Gouverneure uur die obersten Organe der Reichsregierung, und daher dem Colonialminister Gehorsam schuldig. Der Sitz des Uebels ist daher in England zu suchen, und dort müßte die Heilung angestrebt werden. Es handelt sich darum einen leitenden Gedanken zu finden, welchen weder die Schwingungen der innern Politik noch die verschiedenen individuellen Anschammgen der sich folgenden und verdrängenden Eabinetsmitgliedcr zn beirren im Stande wären. Diesen Gedanken zu fiudeu ist Sache der leitenden Staatsmänner. Vom Parlament gebilligt wird er von der Reichsregierung, iu gewissen Fälleu unter Mitwirkung der Colonialregiernng, je nach dem Bedürfnisse der Zeit und des Orts, feine praktische An-Wendnng zu finden haben. Ist der Gedanke ein richtiger, so wird ihm die Zustimmung des Nationalinstinets gewiß nicht fehlen. Nichts hat mich mehr betroffen als die in den beiden südafrikanischen Colonien obwaltende Eutmuthignug. Was die Orgaue der Regierung erschreckt und lahmt sind nicht die Verlegenheiten aller Art, die Schwierigkeiten, die, wenn nicht driugeudeu so doch offenbaren, Gefahren welche sich auf afrikanifchem Voden gehänft haben, sondern die Unmöglichkeit zn ergründen was man eigentlich am Sitze der Regierung im Muttcrlande will, weil es dort an einen: leitenden, unwandelbaren Gedanken fehlt. Wenn ich unwandelbar sage so muß mau dies Wort uicht zu buchstäblich uehmeu. Nichts ist unwandelbar auf dein Gebiete der Politik, anßcr die Prineipien, solange es möglich ist sie nicht zu verleugnen was man, übrigens, selten uugestraft thut. Aber mau muß wisfen was mau will und muß seiuen Willen möglichst selten ändern. Wäre ich Engländer so ist dies alles was ich von den Lenkern der Geschicke des Reiches verlangen würde. Jedermann nnd besonders Afrika müssen wissen daß das von der englischen Nation angenommene Programm soviel als möglich über den Ministerwcchseln und dem Spiele der Parteien stehe. Das nenne ich den unwandelbaren Gedanken. Man hat zwischen drei Wegen zu wählen: 104 Erster Theil. Südafrika. Erhaltung und Befestigung dessen was man besitzt; Ausdehmmg der Besitzungen bis an eine künstliche oder natürliche Grenze, mit alleiniger Achtung anderer europäischer Colouien. Mit andern Worten, Schaffung eines afrikanischen Indien; endlich Räumung des Continents, mit Ausnahme des Caps der Gnten Hoffnung oder irgendeines andern Küstenpnnktes der als Zufluchtshafen nnd .Nohlenstatiuu dienen würde. Letztere Lösung entspräche den Wünschen einer kleinern Schnle vun Politikern welche auf Anflösuug des britischen Reiches sinnt, aber in den letzten Jahren, in England sowol als in den überseeischen Besitznngen dieser Macht an Boden verloren hat. Wer das Cap und Natal gesehen hat, wird sich gegen das Aufgebeu dieser Colonien auf das entschiedenste aussprcchen. Die Folgen einer solchen Politik fallen in die Augen. Die Holländer, welche die weiße Majorität bilden, würden sogleich versuchen eine dritte holländische Republik zu gründen, natürlich nicht ohne auf den Widerstand der euglischeu Residenten zu stoßen. Beide Theile sähen sich genöthigt schwarze Bundesgenossen zu sucheu, und dies würde mü logischer Folgerichtigkeit — es ist wahr, die Ereignisse spotten zuweilen der Logik — zur Vernichtung der Weißen führen. In Beziehung auf die beiden ersten Eventualitäten, werde ich mir mir eine allgemeine Bemerkung erlauben. Die Engländer, befinden sich in Afrika in einer Lage, ähnlich der welche ihre Landsleute in Indien gegenüber den unabhängigen Fürsten einnahmen, bevor das ganze ungeheuere Dreieck zwischen dem Meere, dein Hindnkusch und dein Himalaya, mittelbar oder nmnittelbar unter die Oberhcrrlichkeit der englischen Krone gelangt war. In derselben Lage befinden sich noch heute die Russen in Mittelasien. Die Nachbarn sind Barbaren. Raubzüge, Grenzverletznngen, Einfälle wilder Horden oder weißer Freibeuter sind Vorkommnisse des täglichen Lebens. Um dem Unfuge ein Ende zu machen, überschreiten die Trnppen die Grenze und ertheilen den Ruhestörern die verdiente Züchtigung. Nichts Politische Uebersicht. 105 ist leichter. Wenn aber diese Truppen nach Erfüllung ihrer Aufgabe auf ihr Gebiet zurückgekehrt sind, werden sich dieselben Uebelstände alsbald wiederholen und einen abermaligen Streif-zng erheischen. Man besetzt also in dcmernder Weise einen Theil des benachbarten Gebietes. Mit andern Worten, man erweitert das eigene, indem man die Grenzen vorschiebt. Da treten aber wieder ähnliche Ereignisse mit ähnlichen Folgen ein. Dies ist die Geschichte Centralasieus, Indiens, Südafrikas. Ihr habt zu rechnen nut unabweislichen Bedürfnissen, mit unwiderstehlichen Anfordernngen der gegebenen Verhältnisse, mit Ereignissen deren Veranlassung sich euerm Einflüsse und euerer Beaufsichtigung entzieht. Unter diesem Drucke erweitert ihr euere Gebiete. Thut ihr es gerne? Thut ihr es mit Widerwillen? Dies ist die Frage. Und über diese wesentliche Frage zu einer klaren Anschauung und zu einen: festen Eutschlusse zu gelangen scheint mir eine dringende Nothwendigkeit. Keine Klage habe ich öfter vernommen als die daß, wenn anf diesem oder jenem Punkte dieses uugeheuern Territoriums unvorhergesehene Schwierigkeiten vorkommen, man sie immer je nach den: Bedürfnisse des Angellblickes oder der Oertlichkeit zu beseitigen sucht nnd nicht mit Hinblick auf die beständigen nnd allgemeinen Interessen der Colonie und des Reiches. Aber das setzte ein System voraus, und eil: System besitzt man eben nicht. Ich fasse das Gesagte in Kürze zusammen. Das Uebel, all welchem Britisch-Afrika leidet, liegt in seiner ethnographischen Beschaffenheit, in der Verschiedcnartigkeit seiner Rassen. Um die Folgen zu mildern wird man, in Betreff der Beziehungen zwischen Holländern und Engländern, einen muän^ vivemii suchen müssen. Die größte Schwierigkeit wird hierbei die Arbeiterfrage bilden, nämlich das Verhältniß der Boeru zu ihren farbigen Arbeitern. Hinsichtlich der Eingeburcueu, sowol der in den Colonien lebenden, als.der schwarzen Bevölkerungen der benachbarten Länder, wird es, meiner Ueberzeugung nach, als nothwendig erkannt werden sie unter den ausschließlichen Schntz der Reichsregierung 106 Erster Thcil. Südafrika. zu stellen und dem Einflüsse der Localftarlameute und Local-regierungcn vollkommen zu entziehen. Zur Rechtfertigung dieser Ansicht, folgt hier ein Auszug aus einem amtlichen Actenstücke neuesten Datums, allerdings bezüglich anf die Südsee-Insulaner, aber sehr wohl auweudbar auf die hier besprochene Frage*: „Nichts wäre nachtheiliger als ein Abgehen von der bisher unwandelbar befolgten Maxime (nicht in Afrika) der Negiernng Ihrer Majestät, kraft welcher, iu Gegenden welche von derselben Localregierung verwaltet und von eiuer großen Anzahl Eingeborener und einer geringen Anzahl Weißer bewohnt werden, die Leiter der Angelegenheiten der Eingeborenen, unter die ausschließliche Controle der Reichsregierung gestellt nnd daher in die Lage versetzt worden, im Falle vorkommender Conflicte zwischen den Interessen weißer und farbiger Unterthanen, die nöthige Unparteilichkeit zu bethätigen. Eiue solche Controle in die Hände eines australischen Parlamentes legen, wäre sie einer Oligarchie überantworten, in der die Schwarzen nicht vertreten sind, und welche daher den Einflüsterungen des Eigcnuntzes mehr oder weniger zugänglich wäreu." Diese Beschränkung zum Nutzen der Eingeborenen abgerechnet, wird gewiß niemand daran denken den weißen Gemeindewesen die Ansübnng ihrer autonomen Rechte zu schmälern. Mögen sie sich selbst aber nicht die Schwarzen regieren! Außer diesem tiefliegenden und nicht gründlich zu heilenden Uebel (der Rasscnvcrschiedenheit) gewahrt man eine Menge kleiner Unpäßlichkeiten uud Gebrecheu. Dies ist Sache des Arztes nnd der Behandlung, und je weniger mau den einen und die andern wechselt, je rascher wird die Genesnug eintreten. Aber die politische Frage, welche ich oben besprochen habe: * „kepart ok 2. commisLion appoiutsil to inquire into U>e voilliuz ol tky >Ve8toiu?Hcitic orclüi-8 iu council." Wurdc dem Parlament 1684 mitgetheilt. Politische Uebersicht. 107 Vergrößerung, Statusqno, Aufgeben, Confüderation der Colonien, diese politische Frage überwiegt alle andern nnd erheischt eine Lösung. Die Weisheit der englischen Staatsmänner, der gesunde Sinn der englischen Nation lassen hoffen daß mau sie finden werde. Man könnte, aber ich hoffe man wird nicht, sagen: Wie vermißt sich dieser Fremde uns seine Anschauungen, mau köunte es fast Rathschläge nennen (was letzteres nicht in meiner Absicht liegt) über unsere afrikanischen Angelegenheiten aufzudringen? Hierauf antworte ich nnr Eines: Was man liest entspricht nicht nur meiuen persönlichen Eindrücken sondern auch deu Ueberzeugungen von Männern welche Afrika genau keunen uud deren Anhänglichkeit an das Mutterland über jeden Zweifel erhaben ist. Zweiter Theil. Aenseeland. I. Die Ilcderfahrten. Von Capstadt nach Melbourne, vom 15>. September zum 5. October 1883. Von Melbourne nach Vluffs (Neuseeland), vom 10. zum 15. October. Annehmlichkeiten und Unzukömmlichkeiten der Seefahrten in den australischen Gewässern. — Möven. — Passagiere. — Entfernungen. 3Im 15. September, nm 5> Uhr abends setzt sich der John Elder, Oriental-Company, in Bewegung. Bereits am zweiten Tage der Reise entnehmen wir ans dem monotonen Gesänge der Matrosen, welche die Sessel hissen, daß die Region der Passatwinde erreicht ist. In den Breitengraden, in welchen der Indische Ocean beginnt sich mit dem Antarktischen Potarmcer zu vermischen, wehen die Westwinde das ganze Jahr über. Die vom Eismeer kommenden Strömungen verfolgen dieselbe Richtnng. Diese Winde nnd diese Strömnngen machen es den großen Steamcrn möglich die 0000 Seemeilen, welche das Cap der Gnten Hoffnung von Australien trennen, binnen 19—20 Tagen znrnckznlegen. Auf der ganzen ungeheuern Strecke, kein Land, kein Znflnchtshafen, keine Nohlenstation! Die Rückkehr auf demselben Wege ist nn-möglich weil bei dcmselbeu Kohlenverbranch man höchstens eine Schnelligkeit von sechs Meilen die Stunde erreichen könnte, wodurch die Dauer der Reise auf 4l Tage nnd " Stnnden ver längert würde. Aber kein Schiff wäre groß und geränmig genng um das, zur Erreichuug einer größern Schnelligkeit uöthige Brenn- 112 Zweiter Theil. Neuseeland. material zu laden. Darum wird der Rückweg von Australien nach Cuglaud entweder durch die Magellanische Meerc,igc, vor-ansgesctzt daß der Zustaud dcr Atmosphäre gestattet sie zu sin-deu, oder um das Cap Horu genomnien. Die Oriental-Company zieht den Weg über Adeu und durch das Nöthe Meer vor, weil die Australier, gewöhnlich die Mehrzahl der Passagiere, die strenge Kälte an der Südspitze Amerikas vermeiden wollen. Während des ägyptischen Krieges im verflossenen Jahre, haben die Boote dieser Gesellschaft den Rückweg über das Cap der Guten Hoffnung genommen, zu welchem Behufe sie bis zum W. (südlichen) Breitengrade abweichen umßtcn um sodann durch die Gewässer von Madagaskar und längs der afrikanischen Ostküste das Cap zn erreichen. Die sehr beträchtliche Vermehrung der Auslagen sind Ursache daß dieser Curs für gewöhnliche Zeiten aufgegeben wurde. Mehrere Tage sind verflossen seit der John Elder die afrikanischen Gewässer verlassen hat. Das Wetter ist schön, aber die See geht hohl. Die vorige Nacht spazierten meine Koffer in meiner Kajüte nmher. Die Lnft überaus angenehm; sie kräftigt, sie erqnickt, fie erheitert nnd wirkt anf die Stimmung wie Champagner. Man lernt schlafen nngeachtet des Rollens, und, was noch wunderbarer, nngeachtet des Kindergeschreies. Die Atmosphäre ist eisig, aber man fühlt es kanm. Da dcr Luftzng, welchen die rasche Bewegung des Steamers hervorbringt, dnrch den nns vorwärts treibenden Westwind anfgehoben wird, herrscht vollkommene Windstille am Deck: ein sonderbarer Gegensatz zn den schänmendeu Wogen nnd den lnstigen Tänzen des nns folgenden Gevögels. Da sind die Albatros mit ihren dmmnen glotzenden Angen, mit der majestätischen Haltnng, den kolossalen Flügeln; die scheuen Möven, die kecken Caphühuer, diese Clowns dcr Lüfte, nie müde ein Rad zn schlagen; die Seetanbcn immer paarweise fliegend. All dies steigt, sinkt, beschreibt elliptische Curven, Me Mövrn. 113 streift mit dm Schwingen an die Käinme dor Wellen ohne sich zu benetzen. Die kühnsten voltigireu über unsere Köpfe hiuweg. lieber deu ganzen Ocean verbreitet, landcu diese Vögel nnr int Sominer nm ihre Eier zu legen. In jener Jahreszeit werden die öden Kiistenstriche Anstralieus, die Südseeinseln, in diesem Meere die unbewohnte Insel Sanet-Paul, die wir links gelassen, die ebenso unbewohnte Inselgruppe Kergucla, die zll unserer Rechten blieb, mit Millionen Eiern bedeckt. Die gefiederten -Reisegefährten folgen dem John Elder seit er das Cap verließ. Ich kenne sie persönlich. Mit der Soune verschwinden sie; d. h., sie begeben sich znr Nuhe: sie schlafen ans ciuer Woge ruhend. Die Seeleute behaupten daß sie sich bei dem ersten Granen des Morgens in die Luft erheben, hoch gcnng um das Schiff wahrzunehmen welches sie am Abend vorher verlassen haben. Wie dem sei, gewiß ist daß sie zwei oder drei Stunden nach Sonnenaufgang wieder in der Nähe desselben angelangt sind. Wenn inan bedenkt wie rasch die großen Steamer fahren, fragt man sich, was wunderbarer sei: die Fcrnsichtigkcit dieser Thiere oder die Geschwindigkeit ihrer Flügel. Hente saßen einige Hunderte von ihnen, eine große Grnppe bildend, anf einer breiten Welle beisammen. Sie schienen zu schwatzen, ähnlich dem Dameutreise eiues Salons. Im Mittelpunkt der Gesellschaft glänzte ein prachtvoller Albatros. Mit einem mal verschwand er, uud die Gesellschaft stob wild auseinander. Armer Albatros. Ein Hai hatte ihn gepackt. Der John Elder ist ein seetüchtiges Schiff der Pacifk-Eom-pany, welches die Gesellschaft der Orient-^inie sammt Kapitän, Offizieren und Vemauuuna. für eiue gewisse Zeit gechartert hat. Obgleich kein lebendes Vieh an Bord ist, läßt die Kost doch nichts zu wünschen übrig. Fleisch, Fische, Gemüse werden in einem „kalten Raum", in gefrorenem Znstande, aufbewahrt. Das australische Niudfleisch welches auf der Tafel erscheint wurde iu v. Hübin'r. I, ' g 114 Zweiter Thcil, Neus^lmid. Sydney in hinreichender Menge eingeschifft, sodaß es für die ganze Fahrt, nach und von England znrück, ansreicht. Mit einigen wenigen Ausnahmen, gehören die Passassicrc den nntern Schichten des englischen Mittelstandes an. Die meisten sind Schottländer-. Farmer, kleine Kanflente nnd Handwerker, fast alle kräftige Leute mit dem Stempel der Thatkraft auf der Stirn, nnd alle überzeugt daß sie ihr Glück machen werden. Der Ansdrnck der Entschlossenheit anf ihren Gesichtern, die kräftigen Arme, das gesnnde Anssehen scheinen für den Erfolg zn bürgen. Die Franeu tragen dasselbe Gepräge, nnd die Babies, nach der Nraft ihrer kleinen Lnngen zn urtheilen, berechtigen zn den schönsten Erwartnngen. Anch mehrere Anstra-lier befinden sich in der Reisegesellschaft. Sie kommen von einem Besnch im „alten Lande" znrück nnd scheinen derselben Lebenssphäre anzugehören. Die Unterhaltnng zwischen diesen Hünengestalten belebt sich znweilen in bedenklicher Weise, aber selbst ein leidenschaftlicher Wortwechsel trübt nnr vorübergehend das gute Einvernehmen. Der Scherz wird znweilen sehr weit getrieben, und es kommt wol anch vor daß sogenannte praktische Späße, pr^cti^al ^ok<^ mit einigen Fanstschlägen endigen. Wer sie erhalten hat macht gewöhnlich die Entschnldignng, eine der überlegenen Kürperkraft dargebrachte Hnldignng. Wenn nicht jedermann das „Englisch der Königin" spricht so vernimmt man doch nie ein Wort über welches eine anständige Frau zn er-röthen hätte. Im Umgänge mit den ranhen Söhnen Albions haben jnnge Mädchen nichts zn besorgen. Aber wehe dem der der Gesellschaft misfällt. In dieser volksthümlichen Menge befinden sich anch einige Familien der höhern Stände, darnnter ein liebenswürdiger jnnger Nobleman welchen die Aerzte uach den Antipoden schicken. Ach die Aerzte! Sie wissen nicht was sie thnn wenn sie einen .Kranken der Pflege seiner Familie, den Bequemlichkeiten des heimatlichen Herdes, dein Umgänge mit den Freunden entreißen. Dies alles vertauscht er mit den Uebelständen einer langen Ueber- Tie Passagiere. N5 fahrt, mit der Schlaflosigkeit verursacht durch das Rollen und Stampfen des Schiffes auf einem immer bewegten Meere, mit einer in der Regel mittelmäßigen wenn nicht nngefnnden Kost «unser John Elder macht eben eine feltene Ausnahme), mit der Mnthlusigkeit die ihn bei der Laudung in dem fernen Lande überfällt, mit der niederschlagenden Wirkung und dem Gefühl der Verlassenheit an dem Orte seiner Verbanmmg! Nicht ohne eine Anwandlung von Mitleid sehe ich den schönen Jüngling, mit den engen Schnltern, der flachen Brnst, den glänzenden Augen, den edelu Zügen, wie er, sorgfältig gekleidet, sich in die Schar der kräftigen, von Gesnndheit strotzenden Männer mengt, welche sich täglich, wenn das Meer es gestattet, den in England so beliebten, athletischen Spielen hingeben. Aber bald, von Müdigkeit übermannt, sinkt er zusammen; der Schweiß, den eine eisige Brise trocknet, perlt anf seiner Stirn. Eine sonderbare Eur für einen Brnstleidcnden. Und dennoch begegnete ich anf meinen Reisen, mehrmals ähnlichen Kranken. Der Aescnlap, der sie znr Deportation verurtheilt hat, ist vielleicht ein sehr gnter Arzt, aber er kennt die weiten Seefahrten nur ans Reisebeschreib nngen. Wir haben einen jnngen Z)antee an Bord. Ein köstlicher Mensch! Will er eine Bekanntschaft machen, so geht er anf den Betreffenden zu, blickt ihm fest in die Augen und fragt ihn: „Wie heißen Sie?" Daher wird er auch am Schiffe VVImt,'» 70m-numo genannt. In der kleinen Ranchkajnte kann man ihn sehen, die Beine anf zwei Tischen ansgestreckt, mit dem Rücken anf einer Ballt ruhend. Es ist dies, oder vielmehr es war eine amerikanische Gewohnheit welche jetzt in Abnahme kommt. Wer in den Vereinigte», Staaten gereist ist findet darin nichts Auffallendes. Dieser, am Schiffe sehr populäre, Geselle mit einem offenen Ausdruck, einer gestülpten Nase uud eiuem kecken aber nicht frechen Blicke, spricht stark dnrch die Nase. Seine Anekdoten sind oft haarsträubend, aber niemals unanständig, zuweilen sogar geistreich und gewürzt mit echt amerikanischem Humor. 8* 116 Zweitcr Theil. Nruscclcind. Wenn er nicht spricht, pfeift er immer dieselbe Arie. Man kann nicht sagen daß er gemein ist. Es bezeichnet den amerikanischen Demokraten daß er der Gleiche der Höherstehenden werden will. Er sncht die Gleichheit indem er sich erhebt. Der europäische Demokrat will daß wer höher steht zn ihm herabsteige. Jenen bewegt der Ehrgeiz, diesen der Neid. Am liebsten verkehre ich mit einem Schottländer welcher ehemals, ich glaube presbyterischer, Missionar war und gegenwärtig in einer ansehnlichen Stadt von New-South-Wales die Seelsorge übt. Er gab mir eine Flugschrift deren Verfasser er ist. Der Titel allein sagt vieles: „('In'i8tiiui minions to >vronß ZÜ3.C68, among' >vrong' rllc,'65 tmä in ^vinuß nailäk." „Christliche Missionen am unrechten Orte, bei den unrechten Menschen^ anvertraut den unrechten Personen." Ein merkwürdiges Buch. Der Verfasser sucht, mit Hülfe amtlicher Schriftstücke, deu Beweis zu liefern daß, mit Ausnahme der schwarzen Rassen in Afrika nnd Indien und der gelben in Ehina und Japan, sämmtliche andere farbige Stämme sich mit steigender Naschheit vermindern und im Laufe des nächsten Iahrhnnderts verschwinden werden. Von dieser Voraussehnug ausgehend, gelaugt er zur Ansicht daß man offenbar unfruchtbare Vestrebuugeu aufgebe:^ d. h. sämmtliche Misswuare bei deu auf dem Aussterbeetat steheu-deu Völkerschaften abberufen und anderwärts verweudeu solle. Nulängst wohute ich mit mchrcrn Reisegefährten einem Gespräche zweier Passagiere bei. Der eine vuu ihneu behauptete^ die Theilung der Güter 0. Grade frischere Wiude uud schmälere Meridiane. Ich habe niemals eiuc angcuehmerc Seereise gemacht. Der Himmel war fortwährend lichtgran, nachmittags perlfarbig wenn die Souue, ihre Schleier zerreißend, Schiff und Meer mit sauf tem Lichte übergoß. Ich saß vom Morgen zum Abeud au Deck, in meinen Kafferpelz gehüllt nnd verfchlang eine Bibliothek. So vergingen die 20 Tage ohne einen Augenblick der Langeweile. Dabei das Gefühl der vollen Gesuudheit. Iu solcher Verfaf suug legte ich die Eutfermmg zwischen dem Cap der Guten Hoff-nuug, ungefähr im Meridian von Wieu, uach Melbourne, im Meridian von Kamtschatka, iu dem erstaunlich kurzeu Zeitraume vou li) Tageu zurück. Aukuuft in Melbourne am -V, Abreise am 10. October. Am 15>. abends, nach einer stürmischen Uebcrfahrt in einem kleinen Attlmist in Neuseeland. Hi) Colouialdampfer, erblicke ich die eis- und schneebedeckten Brrg-riesen, die Hüter der Südinsel Neuseelands, welche der in diesen Breiten nimmer ruhenden Wuth der Elemente ihr Hno» 66"! zurufen. Für die Nacht flüchtete unser Boot in eine kleine Bucht der Piloteninsel, nnd am nächsten Morgen landeten wir wohlbehalten in Bluffs au der Südspitze der Tn'diusel. Der- Bürgermeister von Ilwercarqill und Herr Jackson, ein junger Oxonian* em-pfiugeu mich am Lauduugsftlatze. Letzterer wird in dieser Co-lonie »nein willkoiumener Begleiter sciu. Eutfernnug uon der Capstadt nach Melbourne 5!)2^, von Melbourne nach Bluffs 1200 Seemeilen. * Student der Universität Oxford. II. Die Hlidiilscl. Vom 15, zum ^1. October 1883. Ilwcn'cirgill. — Wakatipnscr. — Duncdin. ^ Christchurch. — Elnr „Station" im Innern. Eine Eisenbahn verbindet die wenigen Häuser welche den Namen Vlnffs führen mit Invereargill, der südlichsten Stadt der Welt <40" südl. Br.». Vom ersten ?lugenblicke au erregt der Bürgermeister meine Aufmerksamkeit. Man steht ihm an daß er ein Sohn seiner Thaten ist, a «oil mlulo mau, und überdies ein Mensch dein nichts für unmöglich gilt. Nnhig, einfach, bescheiden nicht ohne Würde, verrathen sein scharfer Blick sowie der Ausdruck seiner Physiognomie den Mann von inucrm Gehalt. Engländer von Gebnrt, ging er zuerst nach Änstralien, snchtc, ohne es zn finden, Gold in Ballarat und Bendigo, kam dann nach Neuseeland wo er glücklicher war. In Otago sammelte er einen kleinen Schatz der den Ankauf eines Gütchens ermöglichte. Im Laufe der Jahre gelang es seine Söhne als Färber zu ver-sorgeu; er selbst treibt, wenu ich uicht irre, das Schusterhaud-werk. Er hat einen offenen ilopf, mwerdreht dnrch schlecht verdaute Lektüre, nnd sprach mit großer Klarheit von den politischen Zuständen der Insel, was ihn nicht verhinderte zngleich meine Fußl'ekleidnng aufmerksam zu betrachteu nud sogleich den französischen llrsprnng derselben zu erkennen. Dann zog er eiuc Invcrmrgill. 121 Flugschrift aus der Tasche welche er mir verehrte. Es war ein von ihm in irgendeiner Versammlung gehaltener Vortrag über die Angelegenheiten der Stadt, einfach, klar, sogar sprachlich fehlerlos. Keine Spur von Eleganz; aber man sieht daß der Verfasser den Gegenstand kennt den er behandelt. Lächelnd zeigte er mir die Schwielen seiner Hände. Dieser „Mayor" ist ein Typns von Menschen wie man sie zuweilen in den englischen Colonien trifft: Männer die von ihrer Hände Arbeit leben aber den Horizont ihrer Gemeinde oder ihres Distriets geistig beherrschen. Sie sind vor allem Bürger die nichts gemein haben mit dem professionellen Politiker, aber die nicht ohne den Stoff sind ans dem der Staatsmann gebildet wird. Ihre Stellnng ist eine bescheidene, nnd ihr Leben verläuft ill dem Dnnkel beschränkter Verhältnisse, aber sie üben einen ununterbrochenen, znweilen wichtigen, vielleicht in kritischen Allgenblicken entscheidenden, Einflnß auf die Geschicke ihres nenen Vaterlandes. Es ist eine seltene Gnnst des Zufalls in diesen anonynn'n Büchern blättern zu töunen. Wie viel Licht vcrbreiteu sie über verwickelte Fragen die mau früher nicht verstand! Wir haben die Ehre in der Staatsearrosse der Munieipalität die Stadt Invereargill zu besichtigen. Die geraden, UN Fuß breiten und nnabsehbar langen Straßen harren uoch der Hänser welche sie eiufassen sollen. Aber im Eentrum entwickeln bereits einige öffentliche Gebäude, daruuter die Bibliothek, Athenäum genannt, ihre stattlichen Fladen neben den hölzernen, eisen-gedeckten Bürgerhäusern. Die Einwohner sind sehr stolz auf ihre Prachtbauten in welchen sie eiu Symbol der künftigen Größe ihrer Stadt erkennen. Daß diese einst der Hauptausfuhrhafen der Südinsel sein werde ist wohl mehr als ein frommer Wuusch der ehrbaren Bürger von Invereargill. Ein kalter Regen, den nns ein schneidender Wind in das Gesicht trieb, erinnerte die Reisenden au die Nähe des Eismeeres. Die Regierung hat mir einen Salonwagen mit freier Passage cmf allen Eiseilbahnen znr Verfügnug gestellt. Es ist unmog- 122 Zweiter Theil. Neiisceland. lich zuvorkommender zu sein. Ein Scparatzug bringt meinen jungen Cicerone und mich nach deu Ufern des berühmten Waka-tipusees. Das Laud ist cine wellenförmig Ebene, beballt in der Umgebung der Stadt, weiterhin Weidegrund. In dem Graslaudc wechseln gelbe Flecke mit grünen. Allenthalben sieht man Stechginsterhecken, die jetzt mit orangefarbigen Blüten bedeckt sind. Längs den Schienen weidende Heerden von Schafen werden fortwährend von nnserm Zuge verscheucht. Der Himmel ist grau, die Erde gelb, die Bergkette vor nns, das ,Moudschcin Gebirge" blänlich-schwarz. Von der Station Athol ab wird die Gegend unbebaut und wild. Keine Spnr menschlicher Bewohnuug außer einigen Hütten der Hirten, alle nach demselben Modell gebant. Bevor die Bahn die Ufer des Sees erreicht schlangelt sie sich durch ein Wirrsaal von Moränen welche die nahen Gletscher im Laufe der Jahrhunderte herabgesenkt haben. Anknnft in Kingstown nm l Uhr. Diese Stadt besteht aus einem kleinen Hotel, einem andern Hanse nnd dem Bahnhofe am Endpunkt des Schienenstranges. Der Himmel hat fich plötzlich aufgeklärt. Der Wind ist immer noch kalt, aber die Sonne heiß. Ein kleiner Dampfer bringt uns nach Quceustowu, ungefähr auf halbem Wege gelegen zwischen Anfang uud Eude dieser langen nnd vcrhältuißmäßig schmalen Wasserfläche. An beiden Ufern erheben sich in sanfter Steigung, ganz baumlos, in einen weißen nnd gelben Mantel gehüllte Berge bis zur Höhe von , Hnlim'r, I, H i:i0 Zweite Theil. Nmsorland. tagnachmittag, i^ c^niot ^uuäa>- ^tt^lnooli. Morgens Glocken-gelänte, abends feierliche Stille mid tiefe Einsainkeit. Ausgenommen einige Männer und Frauen im Sonntagsanzng, unterwegs nach dcn Kirchen wo der Abendgottesdienst stattsindet, beside ich die Gassen für mich allein. Ich schlendere nmer schönen Äanmreihen, gehe Worcester-Street auf und nieder nnd glaube mich in der Umgegend einer alten englischen Kathedralstadt. Diese Tänschnng wiederholt sich unaufhörlich. Sind dies wirklich die Antipoden? Bisher habe ich nicht einen Eingeborenen gesehen. Man sagt mir ich werde deren auf der Nordinsel finden. Die Wahrheit ist aber daß die Maori verschwinden. Wärmn? Erstlich, erwiderte man nur anf diese Frage, infolge der Annahme der europäischen Tracht. Niemand hat sie dazn gezwungen. Aber, wie die Japaner, fühlen sie das Bedürfniß nnserc Sitten und Gewohnheiten nachzuäffen. Seit sie sich in europäischer Weise kleiden, legen sie niemals ihre Gewänder ab, selbst nicht während der Nacht. Die Folge ist daß sie sich, beim Ausgehen in der Morgenfrischc, Erkältungen nud Lungeukrmikheiteu zuziehen. In der Umgegeud der Goldgruben, wo die Europäer zusammenströmen, werden die Weiber von früher unbekannten >lranlheiten befallen die sie nicht zu behandeln wissen. Viele sterben elendiglich, und linder bringen die Keime des Uebels auf die Welt. Die größteu Verheerungen, endlich, verursachen die geistigen Getränke. Cook fand hier nnr Vögel, nicht Ein vierfnßiges Thier. Die Ratten nnd Schweine welche dermalen hier exiftireu find die Abkömmlinge von Thieren welche der Weltnmsegler auf seinen Schiffen mitgebracht hatte. In dem Mnsenm, dessen Gründer und Vorstand Dr. von Haast ist, sieht mau Vögel, deren Gattung noch vor zehn Jahren sehr gemein war, uud welche heilte änßerst selten geworden sind. Andere, wie die Moa, sind vollkommen ueischwnudeu. Nnr die Kea, ein grüner Papagai, widersteht. Sie ist die Geisel nnd der Schrecken der Schafe, an deren Christchurch. 131 Rücken sie sich klammert um die Nieren der armen Thiere zu fressen. An den Ufern des Wakatipnsees nnd anderwärts beträgt die Zahl seiner Opfer an 10 Procent. Auch die Pflanzenwelt, sowie die belebte Natur, leidet durch die Berührung mit den Weißen. Das Rindvieh und die Schafe, ursprünglich ans England importirt nnd jetzt, in immer größerer Zahl, im Laude gezogen, verzehren die Pflanzen bevor diese ihren Samen verbreitet haben. Sie zerstören auch das Unterholz welches die Wurzeln der grvßeu Bäume beschuht. Infolge dessen dringt der Wind unbehindert in die Wälder nnd vertrocknet den Boden. Der nöthigen ^-enchtigkeit, beraubt sterbeu die Bäume. Die Maori kennen das Los das ihrer harrt. Das einheimische Gras, der gelbe Tnssock, verkommt wenn auf demselben Grundstücke grünes, englisches, Gras gesäet wird. Daher sagen, sie: „6r66n ^ra^ t'.liM^n, W8800K kläoi-i." Die Menschen, die Thiere, die Pflanzen des Landes werden verdräugt durch Menschen, Thiere und Pflanzen die aus Europa kommen. Diese Metamorphose vollzieht sich mit wunderbarer Raschheit. Ein neues Eugland entsteht. Der Maori, die Moa, der Ti verfallen der Vergaugeuheit und werden bald der Sage angehören. Wer weiß ob künftige Geschlechter sie nicht für einen Mythns halten, ob irgendein Zuknnftsprofessor von (5hristchurch nicht beweisen werde daß es niemals eiueu Maori gab? Heute Nachmittag ist große „Proeessiou"; 0. h. der Avon, cin zwischen Trauerweiden, Gärten und Landhäusern sich schlangelndes Flüßchrn, wird von einer laugen Reihe vou Kähueu befahren. Die Fenster und Balköne sind mit Damen dicht besetzt, jungen und alten, in einfachem kleinbürgerlicheu Anznge. Die Männer stehen am Rande des Wassers. Ein bukolisches Schauspiel welches au die /VIma. mater im „alten Lande" erinnert. Ein wahres Kleinod ist Islum, der Wohnsitz eines Sohnes 132 Zweiter Thcil. Ncusccland. des Erzbischofs von Christchnrch Dr. Harper. Haus, Garten, Vänme, Nlnmen nnd der Flnß, nüt Inbegriff der freundlichen Bewohner, bilden ein echt englisches Stillleben. Ich habe hier sehr angenehme Bekanntschaften gemacht, darunter einige Familien welche in der ersten Zeit eingewandert sind und die Anschammgen nnd Gefühle derselben bewahrt haben. Letztere verflüchtigen sich wie die Mäori. Dem Professor von Haast bm ich zu besondern: Danke verpflichtet. Er ist der würdige Nachfolger des österreichischen Gelehrten, Professor Hoch-stetter, dessen wissenschaftliche Forschungen zur Kenntniß der Hilfsquellen dieser Inseln wesentlich beitrugen. Auch hat er in der Colonie ein gutes nnd danerndes Andenken hinterlassen. Am frühen Morgen Anfbruch nach Waitavi, jetzt dem Terminus der Bahn welche Christchnrch mit Nelson verbinden soll. Wir nähern uus der doppelten hohen Gebirgskette, dem Rückgrat der Südmsel. Der Morgen ist schön und die Luft erquickend. Die Soune vergoldet die nüt frisch gefallenen: Schnee bedeckten Zinken der Berge und färbt mit rosigen Tinten den Fnß dieser Niesen. Um uns die gewöhnliche Landschaft: eine weite Ebene, oraugefarbige Hecken, grangelber Tussock, saftgrünes englisches Gras, nud flüchtende Schafheerden. Der Eigenthümer des „Nnn" erwartet nns am Bahnhofe. Er mag ein vorgerückter Fnnfziger sein nnd ist der Tyvns des englischen Gentleman von altem Schlage. Er hat in der Armee weiland der Ostiudischen Compagnie gedient. Seine Fran ist Engländerin, die Kinder sind Maori, wie man die im Lande geborenen Weißen im Scherz zu nennen Pflegt. Der Herr besitzt 7(XX)0 Schafe und gehört also zn den größcrn Squatters. Deu Grund hält er in freiem Besitz, Freehold. Der Run erstreckt sich über eine von Hügeln umrahmte und Eine Station im Innern. 133 durch zwei Flüsse bewässerte Ebene. Eine vereinzelte Anhöhe gestattet den Blick cmf das Hochgebirge. AIs wir hente Morgen Christchnrch verließen, glichen diese Kolosse Wölkchen am fernen Horizont. Jetzt steigen sie, scheinbar nahe, in den Himmel empor. Es ist eine schölle Landschaft aber sie macht den Eindrnck der Einsamkeit. Wer hier seine Hütten baut, mnß von "den eigenen Kräften eine hohe Meinuug haben, denn er kann auf keine menschliche Hülfe zählen. Am Fnße des eben erwähnten Kegels, mitten in einer Vaum-schule: Fichten, Eichen, Pappeln, steht das gut eingerichtete und wohlgchaltcne Wohngebäude. Die Tochter und eine Freundin, zwei junge gebildete Mädchen, trugen das von ihnen, mit Hülfe der Frau vom Hause, bereitete Mittagsmahl auf. Hier verrichtet jedermann Hundearbeit. Diener sind beinahe nicht aufzutreiben und, wenn so bleiben nicht. Es gibt aber vielleicht noch tiefer liegende Gründe. Das Gemeindewesen hierznlaude ist von Gentlemen begründet worden, aber diese Gentlemen wurden allmählich durch Männer aus dem Volke von der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten verdrängt. Es ist daher natürlich daß letztere der neuen Gesellschaft ihren Stempel aufdrücken. Wahrscheinlich werden sie sich, im Laufe der Zeit mit dem erworbenen Vesitz auch den Geschmack der höhern Klassen aneignen. Man wird sie dann neue Reiche, nsmveaux i-ic!i68, nennen, aber allmählich werden sie die Muße welche der Reichthum gibt würdigen lernen, nnd so dürfte die neuseeländische Gesellschaft des 20. Iahrhuuderts mit der unsers alten Europa manche Aehnlichkcit darbieten. Aber mittlerweile gibt es hier nur Menschen die mit ihren Händen arbeiten. Die Mitglieder der Aristokratie nnd der Gentry bewahren die geistige Richtung, die Traditionen nnd die Manieren ihrer Klasse. Handarbeit erniedrigt niemals. Alle Jahre, an einem gewisse«: Tage und in einen: gewissen Tempelgrunde, führt der Kaiser von China den Pflng. Wenn der Kaiser von Brasilien seinen Wagen am Vahnhofe, oder sein Iachtschiff im 134 Zwcitrr Theil. Neuseeland. Haftn besteigt, liebt er es seme Reisetasche und sein Plaid selbst zu tragen. Eine seinen weißen Unterthanen gegebene Leetion, weil sie sich einbilden Handarbeit sei Sache der Schwarzen nnl> entehre den Weißen. Dom Pedro II. will sie eben wieder zu Ehren bringen, was in einem Sklavenstaate kein Leichtes ist. Hier, fürchten Edelleute nicht durch Handarbeit ihren Stamm-banm zn schädigen. Man hat schwielige Hände. Wie sollte dies nicht sein, da man die Schanfel führt? Man ist sonnverbrannt, wenn man den ganzen Tag den Vnsch ausgerodet oder Vichheerden gehütet hat. Dies verhindert aber nicht, vom Felde oder von den Hürden heimgekehrt, sich zu waschen, eine sorgfältige Toilette zu machen und an der Tafel der höchstgestellteu Personen ein Gedeck zu finden. „Sehen Sie sich diese beiden Männer an", sagte mir der Sqnatter auf einem Spaziergange dnrch sein Gebiet. „Es sind Gentlemen, wie Sie an ihrer Hal-tnng mehr als an ihrem Anznge erkennen werden. Es sind Croppers. Darnnter versteht man Folgendes: der Eigenthümer einer Station verpachtet für einen sehr geringen Preis auf zwei Jahre ein Stück unbebauten Landes. Der Pachter übernimmt die Verpflichtung dasselbe auszuroden und mit Getreide zn besäen. Nach Ablauf der zwei Jahre, nimmt der Eigenthümer das Land zurück, baut englisches Gras darauf und verwandelt es dergestalt in Weidegrnnd. Wenn der Cropper, der ein Pferd und das nöthige Werkzeug besitzen muß, ein nüchterner, thätiger, dem Spiel nicht ergebener Mensch ist, und wenn er nicht besonderes Unglück hat, infolge schlechten Wetters oder Sinkens der Getrcidepreise, so kann er innerhalb der zwei Jahre auf einen Reinertrag von 800—1000 Pfd. St. rechnen, und, fährt er in derselben Weise fort, in sieben bis acht Iahreu die zum Kauf eiuer kleinen Station nöthige Summe ersparen. Dies alles aber nur in der Voraussetzung daß er selbst arbeitet. Wenn er Arbeiter miethet, muß er zn Grunde gehen." Hinter einer Hecke, halb im Grase versteckt, lagen zwei Gesellen von wenig einnehmendein Aenßern. Ich wäre ihnen nicht Eine Station im Innern. 135 gern allein im Walde begegnet. „Es sind", sagte mir mein Begleiter, ^niK^nvuci^, Leute die den Sonnenuntergang abwar ten nnd dann in einer Station vorsprechen nm Abendbrot nnd Unterkunft für die Nacht zn erbitten. Dies wird, nach Eintritt der Nacht, nie verweigert, aber nie zugestanden solange die Sonne am Himmel steht," In einiger Entfermmg vom Hanse befinden sich die Schafhürden nnd die Oertlichkeiten in welchen die Tchafschnr vorgenommen wird. Es ist eine wichtige Epoche im Jahre, welche mit dem Eintritt der heißen Jahreszeit, also im nächsten Monat, beginnt. Unser Wirth verwendet zn dieser Arbeit, welche sechs Wochen dauert, I2l> Männer. Die Schcrer, Ml an der Zahl, erhalten 1 Pfd. St. Tageslohn. Alle werden auf der Station genährt. Wir trafen dort bereits den .Koch, einen ita^ lienischen Schweizer, emsig beschäftigt seil« (Geschirr in Ordnung zn bringen. Im Hanse des Besitzers kochen seine Frau lind Tochter, die Arbeiter werden von einem Koch bedient. Wie sonderbar! Aber die Lente sind da nm die Schafe zn scheren nnd nicht nm sie zn braten. Ich sah prachtvolle Thiere, alle Abkömmlinge von sächsischen Merinos. Für die Bocke werden sehr hohe Preise gezahlt. Diese Squatter führen ein einsames Leben. Die im Van begriffene Eisenbahn wird allerdings manchen Vortheil bringen, manche Entbehrung nnd manche Gefahr beseitigen: aber es gehört doch ein gewisser Mnth dazu seine Wohnstätte in diesen Einöden aufzuschlagen, fern von jeder unmittelbaren Hülfe, und abgeschnitten von allem geselligen Verkehr. Indeß, es scheint der Mensch gewöhnt sich leicht an diese Lebensart- er liebt die weiten Horizonte nnd den beständigen Kampf mit der Natnr, lind kehrt, wenn die Stnnde des Scheidens schlägt, nur mit Widerstreben znrnck in den Schos der gesitteten Welt. III. Die Nordinsel. Vom 25. October zum 12. November 1883. Wellington, — Picton. — New-Plymouth. — Kawhia. — Auckland. — Die heißen Seen. — Politische Uebersicht. Vei sinkender Nacht verließen wir in einem kleinen Dampfer den Haftn von Christchnrch, Namens Littleton, ungefähr sieben Meilen von der Stadt entfernt. Am nächsten Tage fand uns die aufgehende Sonne am Eingang der Meerenge welcher Cook seinen Namen gab. Seit ich in den australeu Gewässern schiffe, ist mir dieser merkwürdige Mann immer gegenwärtig. Es ist fabelhaft wie viele neue Länder er entdeckt, wie viele nn bekannte Meere er befahren, welchen Schwieligleiten er getrotzt, welche Gefahren er bestanden hat. Die Neuseeländer haben den Helden unter die Götter versetzt. Ein verschleierter Olympier, den irdischen Blicken entrückt, lebt er fort in der Erinnerung und der Einbildnngskraft der Sterblichen. Vor uns steigen, wie in der Luft schwebend, die hohen Berge von ätaikura empört An ihrem Fuße kriecht eine verworrene Kette von niedern gezackten Hügelzügen, mit Ausnahme * Auf der Südinsel, am südöstlichen Eingänge der Cool'sche» Meer-enge erhebt sich der Pik von Kaiklua '.»70» ss-ilsz, der des Looker on l^'0 Fuß über den Meeresspiegel. Wellington. 137 einiger gelber Grasflecke, jeder Vegetation vollkommen bar. Eine Fata-Morgana, oder ein Kaleidoskop: die Farben verschwimmen, scheiden nnd begegnen sich. Wenn der Blick, von der unruhigen, schänmenden, unwirthbaren See abgewendet, sich langsam erhebt, dnrchlänft er die Stufenleiter eines wundervollen Farbenschmclzes: Unten Safrangelb mit rosigen Tonen, darüber Tiefblan, Aznrblan, Blaßblau wie Opal. Bei den Firnen der Gletscher angelangt, vermag er es kaum sich von dem entzückenden Schanspielc lusznreißen. Es sind Diamanten die in der Morgensonne glänzen, am matten Hintergrnnde des perlfarbigcn Firmaments. In der entgegengesetzten Richtnng ahnt man die niedern Ufer der Nordinsel. Als landschaftlichen Reiz — die Fanatiker des Wakatipnsces mögen mir dies verzeihen — habe ich in Neuseeland bisher nichts Nehnliches gesehen. Wellington, wo wir gegen Mittag ankommen, liegt im Innern einer kleinen Bucht. Daher kein Meereshorizont, nnd die Tänschnng eines Landsees. Die User sind theils bebant, theils bedeckt sie der Urwald. Die Hanptstraßc, ansnahmsweise nicht schnurgerade, läuft einigen mit Häusern nnd Gärtchen besäeten Hügeln entlang. Es ist eine niedliche kleine Stadt, wegen der häufigen Erdbeben ganz nnd gar ans Holz gcbant. Vielleicht wird die Vezeichnnng „klein" die Empfindlichkeit der Einwohner erregen, welche mit Recht von der amtlichen Hauptstadt der Co-lonie eine hohe Meinung haben. Ehristchnrch auf der Süd-, Auckland anf der Nordinsel besäßen eigentlich mehr Anspruch auf diese Ehre. Wellington wnrde seiner eentralcn Lage wegen zur Hauptstadt gewählt. Man ließ mich hier die Paläste des Gouverneurs und der Legislatur, nnd insbesondere ein nngc-heneres Gebäude bewundern in welchem die Staatsarchive und das Nrbeitspersonal sämmtlicher Ministerien untergebracht find. Die Wellingtoniancr sind auf diesen Ban sehr stolz. Ueberall liebt man ein Unicum zu besitzen, aber nirgends mehr als in den Eolouien. Dieser Tempel der Bureaukratie ist ein Labyrinth von großen und kleinen, sehr gut und zweckmäßig eingerichteten 138 Zweiter Theil, Neuseeland. Gemächern, und ich frage nur wie es möglich ist die nöthige Anzahl von Beamten aufzntreiben mn alle diese Kanzleien zu bevölkern, und die nöthige Beschäftigung zu finden für diese Menge glücklicher Sterblicher in deren Händen die Geschicke Nen-seelands rnhcn. Aber je mehr ich die Colonien bereise, je mehr ich mich in dieser nenen Welt umsche, nm so klarer wird mir daß der Mensch überall, mehr oder minder, sich gleich bleibt und die NmMomlmill, dm-euu^lüica nnter allen Himmelsstrichen gedeiht. In diesem großen Regiernugs-Phalanstere, von dem Post-und Telegraphenminister Oliver geleitet, hatte ich die Ehre die meisten seiner College» kennen zn lernen. Auch im Elnb, wo ich wohne, finden sie sich zu den Mahlzeiten nnd abends ein. Den Gegenstand der Unterhaltung bilden die Kämpfe zwischen der demokratischen Voltspartei nnd dem aristokratischen Element, zwischen dein „Mob" und den „Gentlemen", wie die einen sagen, zwischen dem Volk und den „Landsharks" nach der Ansdrucks-weise der Lente ans der uuteru Klasse. Wer wird Besitzer von Grund nnd Boden sein? Dies ist die Frage. Ein deutscher Kaufmann, ein hier sehr angesehener Mann, sagte mir: „Bisher behaupten wir unsere Stellung. Und diese Stellung ist die erste. Natürlich nehmen wir die nonv^ux nclw^ gern am Fnße der Gleichheit in unserer Mitte auf, aber nnr in der Voraussetzung daß sie anf ehrlichein Wege reich geworden sind." So verstrichen zwei angenehme Tage im Umgänge mit gescheiten nnd zum Theil gebildeten Männern. Dann, nachdem ich mich von meinem jungen Oxonian, der hier bleibt, mit Leidwesen getrennt hatte, trat ich die Reise nach Picton an. Das Städtchen ist auf der Nordspitze der Eüdinsel. in einer engen Bncht gelegen, ich möchte sagen in einem norwegischen Fjord. Was diesen Landschaften immer fehlt ist der Mensch. Daher das den Reisenden beschleichende Gefühl der Einsamkeit sobald er die Städte verlassen hat. In den Berghalden gibt es wol einige Maorihütten. Einige dnnkle Gestalten stehen hier nnd da anf Picton. Nclson. 139 den Klippen und Felsblöcken nlit welchen hier das Meer besäet ist, ein Meer tief genug um den größten Schiffen die Fahrt hart am Ufer zu gestatten, wenn es hier überhanpt Schiffe gäbe. Hügel von bedeutender Höhe, mit grünem Grase bedeckt, um-rahmen die Bucht. Zu beiden Seiten erschließen sich dämmernde Schluchten zwischen den senkrecht abfallenden Felsufern. Man sagt mir daß diese hohen Terrassen prachtvolle Weidegründe mit zahlreichen Schafheerden auf ihrem Scheitel tragen. In Nelson habe ich das Vergnügen den Gonverneur der Colonie, Sir William Iervuis zu treffen. Die Stadt liegt im Hiutergrnnde einer kleinen gegen den Ocean geöffneten Bucht, nnd gewährt einen lieblichen Anblick. Den hohen Kllpferbergeu kehrt sie den Rücken. Im Grnnde ist sie, mit Ausnahme des kleineu Geschäftsviertels, nur eine Gruppe von Cottages und cnglifchen Gärten, welche das grüue Berggelände hinansteigt. Die Einwohner haben sich meist von den Geschäften zurückgezogen nnd leben von ihren Reuten oder, wenn sie Beamte waren, von ihrer Pension. Keine Spur von Bewegnug. Tiefe Ruhe herrscht über Pensionopolis, im grellen, meinem Gefühle nach, augenehmen Gegensatze zn den: lärmenden Getriebe der großen Handelsstädte. Ich sah in den Colo-nicn so viele denen der Drang und das Bedürfniß Geld zu machen anf die Stirn geschrieben ist, daß mir Menschen welche, wie hier, nur ausruhen nnd genießen, wie Wesen höherer Art erschienen. Man liest das «lok'e kn- nwnw anf ihren znfrie-denen, sorglosen, ein wenig schläfrigen Gesichtern. Sie verlangen nichts als daß man sie in ihrer Ruhe nicht störe, daß man sie der Schatten ihrer Gärten, der sanften lanen Lüfte ihrer Vncht, nnter einer ineist halb verschleierten Sonne genießen lasse. Vielleicht sehen sie anch so glücklich ans weil sie dem Götzendienste des goldenen Kalbes entsagt haben. Als nachmittags der Gonvernenr, mit dem ich die Reise fortsetze, sich nach dem Hafen ln'gab, war die Gasse durch die wir fnhren mit wohlgetleioeten Menschen erfüllt. An ihrer 140 Zweiter Theil. Neuseeland. Spitze stand der anglikanische Bischof. Ich hörte niemals cin so begeistertes Hep, Hep, Hep, Hnrrah! Die Zufriedenen sind immer den leitenden Gewalten zugethan. Die lächelnde Menge setzte ihre Zurufe fort lange nachdem unser Schiff den kleinen Hafen verlassen hatte, und wir vernahmen noch die durch die Entfernung gedämpften Töne als ein zauberhafter Sonnenuntergang, dessen wir bereits auf hoher See genossen, den Bezeigungen britischer Loyalität ein Ende machte. Wir steuern an der Westküste der Nordinsel dem Lande Ta-ranaki entlang, einst dem Schauplatze der Kriege mit den Maori und überdies berühmt wegen der Fruchtbarkeit des Bodeus, hinter welcher selbst die der gcsegueteu Provinz Canterbury zurückbleibt. Der eisenhaltige Sand am Strande ist schwarz. Eine amerikanische Gesellschaft hat hier Eisenwerke, nach einem neuen System eingerichtet. Um die Mitte des Tages erschollen neue Hep, Hep, Hurrah! von der Küste her. Wir sind vor New-Plymouth, in einiger Entfernung von der Stadt angekommen; und werden in einem stattlich geschmückten Korbe an das Land gehißt. Der Gouverneur besichtigt die Arbeiten am neueu Damm, empfängt die Spitzen der Behörden, vernimmt und beantwortet die an ihn gerichteten Anreden und besteigt sodann mit seinein Gaste einen vierspännigen Phaethon. Die Reitknechte sind als Postillone von Longinmeau gekleidet. Piqueurs umgeben das leichte elegante Fuhrwerk. Eine lange Reihe von Equipagen und Reitern folgen dem Wagen des Gouverneurs. Man nennt dies hier eine Procession. Sie hat zwei Meilen zurückzulegen ehe sie die Stadt erreicht, an deren Eingang der Repräsentant der Königin von den verschiedenen Körperschaften mit vorangetragenem Fähnlein feierlich empfangen wird. Ein Offizier der Colonialtrnppe, dessen weißen Helm ein rother Federbusch beschattet, die Beine in ungeheuern Stiefeln steckend, reitet an der Spitze des New-Plymouth. 14 l langen Zuges, sorgt für frcic Passage, nnd stimmt von Zeit zu Zeit sein Hep, Hep, Hurrah! an, welches Tausende von Stimmen mit Begeisterung wiederholen. Diese Scene hatte übrigens nichts Komisches. Im Gegentheil, das Ganze war anständig, feierlich, aber eigenthümlich und natnrwüchsig. Die Männer sahen ernst und nachdenklich ans. Man konnte errathen daß ein jeder ein Anliegen hatte. Wir sind hier nicht in Nelson welches nur Eins wünscht: in Ruhe gelassen zu werden; sondern in New-Plymonth, einer Stadt voll von Ingend, überströmender Thatkraft, voll von unbestimmtem Sehnen und Trachten, von Hoffnnngen deren Erfüllung unmöglich ist, welche sie aber verwirklichen wird, dank ihrer Willenskraft, ihrer Verwegenheit, ihrem naiven Glauben an das Glück. Ueberall in den Colonien findet man diese geistige Stimmung, aber, wie mir scheint, nirgends mehr als hier. Der Zng hielt im Mittelpunkte der Stadt neben einer öffentlichen Schule. Um besser vernommen zu werden, sprach Sir William am Bock des Wagens stehend. Ich konnte den Ein-drnck der Rede ans den Gesichtern der Menge lesen welche den kleinen Platz, die einmündende Gasse, die Fenster und Hallsdächer erfüllte. Unerachtet einer sengenden Sonne, hatten die Männer das Haupt eutblöht uud es war eiu glücklicher Gedanke des Gouverneurs daß er seinen Speech mit der „Motion" begann, jedermann möge sich bedecken. Hieranf folgten artige Bemerkungen, Rathschläge, Lobsftrüche, Znsagen, letztere allerdings etwas allgemein. Aber die Wirkung der Rede war überwältigend, und die Stadt bewahrte den Tag über nnd bis tief in die Nacht ihr feierliches Aussehen. Rings nm New - Plymonth bekleiden frische Wiesen die wellenförmige Ebene über welche Stechginster nnd blühendes Hcidekrant gelbe und roscnfarbige Tinten verbreiten. Monnt Eg-mont («200 Fnß) der Aetna der Antipoden, weiß von: Scheitel zur Zehe, beherrscht die Stadt. Mitternacht war vorüber als ich mich von Sir William Iervois verabschiedete um die Reise, diesmal in Begleituug des 142 Zwcitcr Theil. Nniscclcmd. ersten Ministers, Major Atkinson, fortzusetzen. Die Abfahrt von New-Plymouth war weniger glänzend als die Anknnft. In der dnnkeln Nacht irrten die soeben genannte hohe Persönlichkeit nnd sein Begleiter geraume Zeit am Strande nmher, vergeblich ihr Schiff, die Henemoa suchend. Endlich stießen sie auf einige Fischerleute die sie an Bord brachten. Heilte Morgen, nm <» Uhr, ging der kleine Dampfer im Hafen von Kawhia vor Anker. Kawhia gehört zum „Königslande", d. h. zu dem unabhängigen Gebiete des Königs der Maori. Die Stellung dieses, zur Zeit der Liga von Taranaki, erwählten Königs ist eine unklare. Es thut mir leid, zur Steuer der Wahrheit, bekennen zn müssen daß Tawhao keines sehr guten Rufes genießt. Meine Achtung für die Größen dieser Erde verhindert mich hier die Schilderung wiederzugeben die ich von diesem Gelcgenheitskönige vernommen habe. Die Eolonialregierung scheint sich mit der Absicht zn tragen seinem Königreiche ein Ende zn machen, nicht mit Gewalt, sondern mit moralischen Mitteln, ml>//i luoi^ii. Den Beginn machte sie mit der Besitzergreifung eines Pah, oder Kampfplatzes, wo eiu Gensdarmerieposten errichtet wnrde. Am Fuße des Pahs soll eine Stadt gebaut werden auf einem dem Könige abgekanf-ten Grundstücke. Znnächst werden dort eiu Zollhaus, ciu Telegraphenamt und ein Postamt eingerichtet. Sofort wird die Menge herbeiströmen, nnd ehe einige Jahre verstrichen find, dürfte anf diesem jetzt wüsten und einsamen Strande eine blühende mit Anckland wetteifernde Handelsstadt stehen. Große Er-wartuugeu knüpfen sich an dies Projeet. Verschiedene Umstände scheinen sie zu rechtfertigen. Kawhia liegt Sydney, und mithin England, näher als Auckland. Die Seereise würde nm <;mum des Malaiischen Archipels, endlich viele Gattungen der europäischen Flora. Auf den Pfaden hüpfen Känguru in ihrer unbehülflicheu Weife, und wir begeguen eiuem riesigen Strauß der majestätisch einherschreiteud uns kaum i'iues verächtlichen Blickes würdigt. Im Dickicht fliegen Fasanen auf. Ihr weißes Halsband verräth chinesischen Ursprung. Der Park selbst macht einen chaotischen Eiudrnck. Die grüne Farbe herrscht vor, aber in uuzähligeu Abstufuugen. Er ist kein botanischer Garten, er ist kein Urwald: er ist das irdische Paradies Vor dem Falle. Ausflug nach den heißeu Seen. Vom 29. October zum 5). November. — Gewissen Pflichten kann sich der wiß^ begierige nnd gewissenhafte Reisende nicht entziehen. Man geht nicht nach Rom ohne den Papst zu sehen. Man reist nicht uach Neuseelaud ohue die heißeu Seeu zu besucheu oder doch die Absicht dieses Besuches zu äußeru. Um meinen: treuen Diener die Unannehmlichkeiten einer Seereise zu ersparen, lasse ich ihn in Auckland zurück uud mache mich allein auf den Weg. Das Meer ist in einem entsetzlichen Zustande; der Golf von Hauraki gleicht einem Kessel mit siedenden: Wasser. Der sehr kleine Dampfer 150 Zweiter Theil. Neuseeland. hat sich nicht sobald vom Kai entfernt, als er einen Höllen-reigen zn tanzen beginnt. Dcr Regen fällt in Strömen nnd dringt sogar in die elende Rauchkajüte wo mir nach dem Abendessen der Koch Gesellschaft leistet. Ein anderer Mann, von wenig einladendem Acnhern, setzt sich zn uns. In den Colonien herrscht vollkommene Gleichheit. Jack, sagt man, gilt so viel wie sein Herr. Der Koch ist ein närrischer Kanz mit den Manieren der großen Welt. Der Himmel weih welche Wechselfälle des Schicksals ihn in diese Meere verschlagen haben. Daß er aber kein geborener Koch ist, beweist das von ihm soeben bereitete Abendmahl. Hierzulande kommt es täglich vor daß jnnge Leute aus guten Familien, nachdem sie ihr Vermögen in Speeulationen oder am Spieltische verloren haben, in den Dienst ihrer ehemaligen Bedienten treten, welche, gewandter oder glücklicher als sie, mittlerweile ans dcr geselligen Leiter emporgestiegen sind. Ein höherer Beamter, dnrch seine Geburt der englischen Aristokratie angehörig, sagte mir: „Die jüngern Söhne welche hierher kommen verlieren meist ihr Geld, entweder weil sie nichts von Geschäften verstehen oder weil ihnen die neue Lebensweise widerwärtig ist. Sie verfallen in Trübsinn nnd Mnthlosigkeit, und suchen Zerstreuung im Spiel oder ergeben sich dem Trnnke. Man macht sich keine Vorstelluug von all den Wandlnngen welche sie erleben. Ich selbst könnte als Beispiel dienen. Ich war Offizier ill Indien in einem eleganten Regimente. Infolge eines Zerwürfnisses mit meinem Obersten, verkaufte ich meine Commifsion nnd ging nach Nenseelaud wo ich alsbald alles was ich besah verlor. Nicht ein Penny war mir geblieben. Da wnrde ich Oberhirte, Ii6kd -, von Schaf-hecrden. Ein hartes Brot, aber wer es ißt, vergibt sich nichts nach den Begriffen des Landes. Später wurde ich Golddigger. Mit drei Gefährten begab ich mich nach den Minen von Wakatipn. Wir arbeiteten 16 Stnnden täglich; meine Gesellschafter, Männer ans dem Volke, erlagen der Anstrengung, und ich frage mich noch heute wie meine Gesundheit wider- Die heißen Vecn. 151 MM konnte. Am Ende verließ ich die Gruben mit etwas Gold in der Tasche welches ich jedoch alsbald wieder verlor." sEr sagte mir nicht wie.) „Ich traf eben Anstalt wieder Schaftreiber zu werden — toch uicht mehr znm Worte koininen. Es war spät als ich mich in meine Kajüte znrnckzog. Die scheußliche Atmosphäre in dieser Spelunke nnd das Rollen nnd Stampfen des Bootes verscheuchten aber den Schlaf von meinem elenden ^ager. Am nächsten Morgen, nm l<) Uhr, kam der Menclg bei strömendem Regen vor Tanranga an. Major Swindley holte mich au Bord ab und brachte mich in ein kleines Hotel wo nur alles fanden was das Herz erfrent: treffliche Kost, einen wohnlichen Salon nnd ein gntes Fener im Kamin. Der Major befehligt die Gensdarmerie des Distriets nnd ist, im Auftrage der Regiernng, mein Begleiter alls diesem Ansflnge. Ilm Mittag klärt sich der Himmel auf nnd ein kleiner Bnggy, eine Art von (^I»!N'-ii,-d:ui<^ die von Ealifornien eingeführt wnrden, bringt uns nach dem Gate Pah tranrigen Andenkens. Hier geschah es im Jahre 1864 daß die britischen Soldaten infolge eines Mis-verstandnisses im Dnukel aufeinander fchosseu, dann in einem Plötzlichen Anfall von Schrecken die Flucht ergriffen, ihre Offi- 152 Zweiter Theil. Ncnsrclaüd. ziere verlassend, welche dm Kamftf bis zum Morgen fortsetzten. Bei Tagesanbruch fand man den Pah verlassen. Dieser nächtliche Kampf und die starken Verluste der Engländer erinnern an Cortez' trifte noclie in Mexieo. Der Pah, der wie alle Kampfplätze der Maori den Scheitel eines Kegels einnimmt, gewährt eine weite Aussicht über eine zerklüftete Ebene nnd niedere mit Büscheu bewachsene Hügelzüge. Die röthlichen Toue des Heidekrauts verschmelzen sich mit dem Graugrün des Gestrüpps. Grün und Noth sind die in diesem Theile der Nordinsel vorherrschenden Farben. Die tapfern Offiziere welche am Gate Pah fielen ruhen auf dem Kirchhofe von Tauranga. Auf einem einfachen Monument liest man ihre Namen. Die Stadt besteht ans einigen hölzernen Hänsern. Die Bäume welche sie umgeben, meist Trauerweiden, Norfolkfichten und Pappelbäume, wurden von Europäern gepflanzt. In der Umgegend entstehen mehrere Pflanznngen. Allenthalben sieht man die Bucht welche kein Boot, kein Segel belebt. Ein iso-lirter Fels, der sich x kleiner See) genannt, vorüber nnd erreichten dann die Ufer des großen Sees Nutorun «Now, See; rna Loch). Die dichten Wolken am jenseitigen Ufer entstiegen den berühmten Geisern, diesem Wnn-der Neuseelands, nnd, wie man hinznfngen kann ohne in die Trompete zn stoßen, diesem Wnnder der Welt. Um '» Uhr abends Anknnft im Seehotel. Entfernung von Tauranga 5,.', Meilen. Ohinemntu ist ein kleines, anf einer in den See vorspringenden Landzunge erbautes Maoridorf. Pfähle nmgeben jedes einzelne Haus. Die Bewohner, welche sich niemals an den kriegen mit den Engländern betheiligten, gelten für gnte „Loyalisteu". Soeben haben sie ihr Stadthaus geballt, d. h. die Halle in welcher die Familienhänpter zusammenkommen. In der Mitte steht ein Sockel anf welchem die Büste der Königin Victoria, in Gegenwart des Gouvernenrv, feierlich anfgestellt werden soll. Noch uor zwei Jahren traf man hier kein weißes Gesicht. Hente, dank den heißen Seen nnd den anckländer Aerzten, besitzt Ohinemntn einige Waarenniederlagen nnd zwei während der Badesaison stark besnchte Hotels. Der Boden gleicht ringsnm einem Siebe. Ans den kleinen, mit siedendem Wasser gefüllten, Oeffnungen steigt fortwährend Ranch anf. Daher ist ein Spaziergang in den Gassen sogar bei Tage schwierig nnd nachts gefährlich. Einige Europäer im trunkenen Znstande fanden hier ein jämmerliches Ende. Heute Abend habeu wir das geräumige Hotel für uns allein. Nnr der Besitzer, der Gründer der Stadt Graham's Town in dem nahen Goldrevier an „der Themse", leistet uns Gesellschaft. Eiu herablassender Herr der es nicht unter seiner Würde findet meine Nengierde über manche Pnnkte zu befriedigen. Die heißen Seen. 155> Heute Morgen nahm ich ein Bad m einem kleinen, einige Schritte vor dem Hotel sprndelnden nnd smfzenden (Heiser. Daneben buk ein Mäoriweib ihr Ärot in einer siedenden Pfütze. Ein Spaziergang in diesem Dorfe ist wirklich unheimlich. Man hat immer den Tod eines Hummers vor Augen. Die großen Geiser voll Wakarewarewa, drei Meilen von hier, versetzen in Dante's Inwl'iw. Der Qualm blendet, die Hitze erstickt, der Lärm betäubt den Vesncher. An den Arm eines Maori geklammert, blickt er in den gähnenden Pfuhl der ihn zu verschlingen droht. Das Land, eine zerrissene, von Grä ben dnrchfnrchte, mit Heidekraut bewachsene Ebene bietet wenig Anziehendes. Im Osten die dnnkle Waldlinie, im Norden die weite Wasserfläche, eingerahmt von Hügeln die, dnrch den Vergleich mit dem See, niedriger scheinen als sie sind. Aber die Geiser sind ein ergreifendes Schauspiel. Ich habe nichts Aehn-liches gesehen. Das Dorf Wakarewarewa mit seinen Tnssockdächern scheint aus den prähistorischen Zeiten der Mäori zu stammen. Nichts erinnert hier an Europa als das vom Winde geneigte Kreuz nber der Kirche, einer Hütte welche, etwas geräumiger als die übrigeu, vou dem Schottländer Vater Macdonald, einem katholischen Priester, aus eigenen Mitteln uud zum Theile mit seinen eigenen Händen, erbant wurde. Er lebt hier ein gnter Hirte seiner Schafe. Etwas weiter kamen wir in einen schönen Urwald. Da stehen in Reihe nnd Glied die schwarze Fichte, nnd die rothe Fichte nnd, vor allein, der edle Kanri slitnninn :n^trlüi<> wel cher nnr ans der Nordinsel vorkommt. Anßerhall, Enropa sind der Kauri, die Wellingtoniana, die Fichte der Norfolkinsel nnd die Ceder des Libanon die Könige des Waldes. Wir bewundere teu eiuige prachtvolle Exemplare der Daniel :m8trHli«, aber viele dieser Riesen schienen dahinzusiechen. Die einen waren kaum von dem tödlichen Uebel ergriffen, andere hatten bereits die Matter, viele sogar ihre Zweige verloren. Leichenblässe be deckte manchen, einer schlanken Sänle gleich, aufsteigenden Stamm. 156 Zweiter Thril. Nruseclmid. Der Feind ist die Rata. Diese Schlingpflanze schmiegt sich an die Stämme, und, gleich der Boa Constrictor, erstickt sie langsam aber sicher in ihrer Umarmnng. Von ferne gesehen, gleicht sie einen, dicken Seile. Die Mauri behaupten sie entspringe aus dein .Kopfe einer Raupe. Die Sage hat etwas Poetisches. Die Wahrheit ist daß es hier eine Ranpe mit einem Auswüchse am Kopfe gibt welche mit der Rata einige Aehnlichkeit besitzt. Der Wirth in Ohincmntn zeigte nns mehrere Exemplare. Die Kauri, wie so viele andere Couiferen, erreichen eine bedeutende Hohe. Die Natnr pflanzt sie gewöhnlich in einer gewissen Entfernung voneinander. Ihre Aeste sind zn tnrz um sich mit denen der Nach-barstämmc zn verschlingen; aber das Unterholz bildet eine feste, undurchdringliche Masse. Das helle Grün der Arbnsten sticht angenehm ab von dem Blaugrnn der Kauri, und bringt in das Colorit der Waldlandschaft eine dem Ange wohlthuende Abwech' selung. Die Hauptschönheit des Kauri besteht in dem mächtigen, schlanken, glatten Stamme. In der Sonne, lenchtet er wie Metall; der Schatten übergießt ihn mit warmen lichtbrannen Tinten. Die einheimischen Bänme jedweder Gattung ernenern ihre Blätter fortwährend. Frische und Grazie fehlen gänzlich. Im ganzen keine Aehnlichkeit weder mit unsern noch mit den tropischen Wäldern. Der „Bnsch" dieser Insel ist ein Unienm. Er gefällt, er fesselt, er überrascht, aber er stimmt znr Wehmuth. Er gleicht einem interessanten Kopfe, mit dem Ausdrucke des uahen Todes anf den edeln Zügen. Die Maori selber sind wie ihr Wald. Die uubelebte wie die belebte Natnr müssen, so scheint es, den Nenankömmlingen weichen. Nachdem die Straße oder besser gesagt der Weg den Wald zu meiuem Leidwesen verlassen hat, führt er dem seinem Namen entsprechenden See Tikitapn l Blauer See) eutlang nach den Ufern der Rotokaki. Um 4 Uhr erreichten wir das Mäoriourf Wairoa. Entfernung von Ohiuemutu 11 Meilen. Mit Ans-nahme eiues oder zweier Missionare, sind die einzigen hier lebenden Europäer die Wirthsleute eines kleinen Hotels welches der Die heißen Seen. 15>7 Insel Wight zur Ehre gerochen würde. Die Biographic der Pioniere bietet fast immer ein gewisses Interesse. Unser Wirth war ursprünglich seines Zeichens ein Schafhirte. Seine Frau hütete in ihrer Kindheit Schweine, diente als Kinderwärterin in Auckland, gab sich selbst eine gewisse Erziehnng, nnd ist hente eine hübsche, wohlgekleidete jnnge Fran nnd tüchtige Hauswirthin. Wir gingen an der Schule vorüber, als eben die Jugend sie verließ. Es ist eine undenominationale oder eonfessionslose Anstalt welche von der Colunialregiernng errichtet nnd auf ihre Kosten unterhalten wird. Mein Begleiter, der kein Freund dieses Systems ist, sagte mir: „Hier lernen die Kinder nicht einmal den Namen Gottes anssprechen." In demselben Augenblicke trat einer der tatouirten Schuljungen an mich heran und bettelte in Ziemlich frecher Weise. Da ich keine Notiz von ihn, nahm lief er mit einem 6oä äam Mi! davon. So ganz unbekannt ist also der Name Gottes doch nicht. Wir standen mit der Sonne ans nnd stiegen anf einen: steilen Fußpfade in eine Schlucht hinab, welche sich gegen den, verhältnißmäßig, großen See Tarawera anfthnt. Ein mit vier Mäori bemannter Nachen und die unvergleichliche Kate harrten unser dort. Kate ist eine Halbblutmäori, in der Mitte des gewöhnlichen Erdenlebens angelangt, und besitzt noch einige Spnren früherer Schönheit. Sie rettete das Leben einem Tonristen welcher, ihrer Warnnngen nicht achtend, in einen der kleinen Geiser stürzte. Daher die Medaille der Eolonialregiernng, welche ihre Brust schmückt. Dieses in ihrer Weise hervorragende Geschöpf, von dnnkler Gesichtsfarbe, die Stirn und die Wangen geschmückt mit kunstvoller Tatouirnng, anständig gekleidet nnd von Züchtiger Hal-tnng, steuerte den Kahn; die Wilden führten die Nnder mit 158 Zweiter Theil. Neuseeland. kräftigen Armen, und rasch glitten wir anf der weiten Wasserfläche dahin. Der See spiegelte das wolkenlose Himmelszelt, den grünen Gürtel der ihn nmspannt nnd, über diesem, niedrige Berghalden, von den rosigen Tinten des blühenden Heidekrautes Übergossen. In der Mitte des Sees angelangt gewahrten wir sein östliches Ufer, einem grünen Damme ähnlich, überragt von den steilen Abhängen und dem Krater des Vnlkans Edgecmnbe. Bald daranf wandte sich das Boot südwärts, nahm in einem kleinen Dorfe Mnndvorrath ein, Fische nnd Erevetten. nnd setzte nns an der Mündung des Flüßchens Kaiwaka an das Land. Der Kaiwaka ist der Abflnß der Wasser des berühmten heißen Sees Roto Mahana. Von diesem Punkte bis zu der Stelle an welcher wir nns eingeschifft hatten zählt man sieben Meilen. Wir gingen eine Weile am linken Ufer des Emissärs entlang, setzten in einem ansgehöhlten Baumstämme nach dem jenseitigen Ufer über und erkletterten eine Auhiihe, ohne Wege nnd Steg, so gnt wir konnten, dnrch dick nnd dünn, dnrch Heidekraut nnd Tussock und Mannkabüsche deren große weisie Blumen sich in der sanften Brise wiegten. So erreichten wir die Ufer des heißen Sees. Vor uns, in geringer Entfernung, erhoben sich staffel-förmig die berühmten Weiften Terrassen. Die Rot heu verdeckte noch ein Vorsprnug des Geländes. Von geringer Ausdehnung, umgeben von Hügeln welche das Heidekraut blaßroth färbt während ihr Fnß sich in grünes Laubwerk hüllt, kann der See Mahana anf Schönheit, im gewöhnlichen Sinne des Wortes, keinen Anspruch erhebeu. Er gilt sogar für häßlich. Anf mich, ich gestehe es, wirkte er bezaubernd. Die Natur, diese große Künstlerin, verschmäht es hier durch reiches Colorit lind phantastische Zeichnung auf das Auge zn wirken. Einige Striche mit dem Stifte, einige Pinselstriche mit blassen Tönen genügen ihr. Indem sie die Ufer des Sees, die nnr ein Znbehör sind, herabdrückt, erhöht sie die Terrassen welche den Hanvtgegenstand des Gemäldes bilden; nnd so ergreifend, so großartig ist die Wirkung dieser Bilder daß ich verzichten muß sie iu Worteu wiederzu^ Die hcißeu Teen. 1V geben. Es war eiuer jeucr Augenblick» in welchen man die Uu zulünglichteit der menschlichen Sprache fühlt, der es leichter fällt die Thätigkeit des Geistes nud die Regnngen des Gemüthes wiederzugeben als Eindrücke zu beschreiben welche durch die Vermittelung der Sinne vor nnsere Seele treten. Wir befinden nns am Fuße der Weißen Terrassen, welche aber nicht weiß sundern perlfarbig sind. Die höchste derselben nimmt ein kleiner Teich ein der erst sichtbar wird wenu man an seinem Rande steht. (5s ist der Krater. Siedendes Wasser entströmt ihm, überfließt die breiten Staffeln der Terrassen und füllt, allmählich einen Theil der Hitze verlierend, eine große Anzahl kleiner, muschelförmiger Höhlungen. In diesen natürlichen, etwa vier Fnß tiefen, dem Anscheine nach alabasternen Bade^ wannen nimmt das Wasser eine aznr- oder opalblaue Färbung an. Den Grund tonnte man mir nicht angeben. Unzähligen kleinen, von der Natnr in die Stnfen der Terrassen gebohrten Oeffnnugeu entsteigen Wasserdünste in Form von Wölkchen, oben weiß wie frischgefallener Schnee, tiefblan auf ihrer untern Fläche. Vielleicht der Widerschein des in deu Wannen enthaltenen Wassers. Aus letztern erhebeu sich von Zeit zn Zeit kleine flüssige Sänlen, nach Art der Wasserkünste in altfranzösischen Lustgärten. Auch mit Fallschirmraketen könnte man sie vergleichen. Oben am Krater gestattet die Hitze des Wassers und des Dampfes nnr einen ganz knrzen Aufenthalt. Von nnbeschreiblicher Schönheit uud wundervoller Mannichfaltigkeit sind die an den Rändern der Stufen, im Lanfe der Jahrhunderte, entstandenen Tropfgebilde. Von der trefflichen Kate geführt.nnd dnrch eine eigenthümliche Fnßbekleidnng gegen das Ansgleiten geschlitzt, wateten wir fortwährend in dem heißen Wasser welches die Eigenschaft besitzt die Gegenstände in Stein zu verwandeln. Vor einigen Jahren verlor hier eine englische Dame einen Schnh, beilänfig gesagt, von selten kleiner Dimension. Noch befindet er sich, vollkommen versteinert, an derselben Stelle. Er ist tabn, heilig, nnd wehe dem Verwegenen der sich erkühnte die Reliqnie zu berühren. 160 Zweiter Theil. Neuseeland. Ein von Mäori geruderter hohler Baumstamm hat uns an das andere Ufer gebracht und wir landen am Fuße der Rosaterrassen welche aber nicht rosenfarbig sondern rothgelb sind. Wirklich rosen- und purpurfarbige Felsen sah ich nur im Steinigen Arabien. Diese zweiten Terrassen sind etwas niedriger uuo schmäler als die Weißen, aber die Staffeln sind vollkommener erhalten, nnd man erkennt hier, deutlicher als dort, die Haud des Architekteu. Einige Reisende haben mit Bleistift ihre wenig interessanten Namen auf die Steinplatten geschrieben, und es ist leider unmöglich sie zu verlöschen. Lcii^ta manntt. Ich nahm in einer dieser natürlichen Wannen ein köstliches Bad und zwar, trotz eines rauhen Windes, ohne Nachtheil für die (Gesundheit. Gefrühstückt wurde im Schatten einiger blühender Manuka-büsche, nicht im Grase, welches hier fehlt, sondern auf Bimssteinen sitzend, in Gesellschaft unserer Führerin nnd einiger Mäorifischer. Die letztem brachten nns in ihrem Kahn nach der Stelle wo wir nnseru Nachen gelassen hatten. Der heiße Kai-waka, mehr Bach als Flüßchen, aber reißend nud überreich an Stromschnellen, windet sich wie eine Schlange zwischen den grünen Vorhängen des Dickichts beider Ufer. Die Manuka fiud hier zu Bäumen aufgeschossen. Die Tntu mit ihren giftigen Blättern, der einheimische Hanf nnd andere exotische Gewächse bilden den Nahmen nnd, an mehrern Stellen, ein dnutles Tonnengewölbe unter welchem unser Kahn pfeilschnell dahinglitt. Wir kehrten auf demselben Wege, auf welchem wir gekommen waren, nach Ohincmutu zurück nnd hatten im ganzen, zu Fuße, zu Wagen nnd zu Schiff, über 30 Meilen zurückgelegt. Bei furchtbarem Wetter um tt Uhr morgens den Wagen bestiegen. Um « Uhr Ankunft am Rande des großen Urwaldes welcher den See Notorna von dem Flußgebiete des Waikatu Oxford. Cambridge. 161 trennt. Wir durchziehen ihn zu Pferde und, nngeachtet des strömenden Regens der dnrch unsere Kautschukmäntel driugt, unbeachtet der gefällten Vanmstämme welche den Reitpfad fast ungangbar machen, habe ich selten eines Rittes im Urwalde mehr genossen. Bei den: Austritte, auf einer Anhöhe angelangt, rollte sich vor den Reisenden ein unermeßliches Rundbild ans: eine weite Hochebene, zerrissen uud zerklüftet durch tiefe Rinnsale, hier mit Büschen bewachsen dort besäet mit Grupfteu vun Kauri welche die Axt der Ansiedler noch nicht berührt hat; weiterhin niedere Hügelzüge, blau in blan am Horizont verdnftend. Wir haben die Mäori-Reserve verlassen und sind in der Stadt Oxford angekommen, welche aus zwei Häusern besteht. Das eine ist der Gasthof, hanptsächlich von Steinbrechern und Holzhauern, sämmtlich Weihe, besucht. Im Gastzimmer liegen das dubliner Blatt „^Vkski? ?l-6ouian" und die „Nachahmung Christi" auf. Später erreichten wir das Thal des Waikatn. Der imposante Strom, der Emissär des im Mittelpunkte der Insel gelegenen Tanposees, wälzt seiue etwas trüben Wasser, zu unsern Füßen, in einer tiefen Thalrihe. Dieser letzte Theil der Tagereise, zwischen Oxford und Cambridge schien mir vorzüglich genußreich. Jedermann ist nicht dieser Ansicht, aber die Freuude der römischen Campagna wiirdeu sich zu meiner Meinnng bekennen. Um 0 Uhr abends Ankunft in Cambridge. Her Regen hatte den ganzen Tag über angehalten. Erst im Augenblicke als wir vom Pferde stiegen klärte sich der Himmel. Und demun-geachtet war es einer der genußreichsten Tage meiner Reise. Die Stadt Cambridge, eine Grnppe von Häusern und Gärten, steht auf einer Anhöhe deren Fnß der Waikatn badet. Die Gegend ist Weideland mit blühender Viehzucht. Alles, hat hier einen bukolischen Anstrich. Wegen des Sonntags waren die Züge eingestellt. Am folgenden Tage Eisenbahnfahrt vom U. Hübncr. I. II, 1i>2 Zweiter Theil. Neuseeland, frühen Morgen an. Bei sinkender Sonne Ankunft in dor Hauptstadt des Nordens. Seefahrt von Auckland nach Sydney, Vom 12. Mm l7. Oetober. — Am Tage meiner Abreife wüthete über der Stadt Auckland und den Buchten einer der furchtbarsten Stürme, welche ich je erlebt habe. Das Clubhaus zitterte in seinen C^rnndfesten. Die Zealandia, einer der vier großen Steamer welche zwischen Sau-Franeiseo nnd Sydney einen monatlichen Dienst versehen, schon seit einigen Tagen erwartet, war noch nicht sigualisirt worden, was einige Besorgnis; erregte, als sie gegen Mittag, unerachtet der Wnth der Elemente, ans der Nheoe erschien. Gegen Abend legte sich der Wind, nnd um Mitternacht, von Sir George Grey an Bord begleitet, schiffte ich mich ein. Eine angenehme Neberraschnug bereitete mir die Begegnung mit Lord nnd Lady Nosebery, welche sich nach Australien begaben. Es war Mitternacht vorüber als die Zealandia, trotz des uoch immer schändlichen Wetters, in See stach. Unter den verschiedenen wilden Stämmen, deren Näsgeschick es war mit dem weißen Manne in Berührung zu gerathen, hat keiner mehr als der der Maori die Aufmerksamkeit, die Neu-gierdc und das wohlwollende Interesse Enropas erregt. Man rühmte ihre Schönheit, ihren Unabhängigkcitssinn, die Tapferkeit welche sie in vielen blutige»! Kämpfen mit den Eindringlingen bewährt hatten. Daher auch das Angstgeschrci der Colonisten, als, nach Wiederherstellnng eines problematischen Friedens, die letzten englischen Trnppen Nenseeland verließen. Die Abbernfung dieser Streitträfte war übrigens unr die Anwendung des neuerlich aufgestellten Grundsatzes dast jede Colonie mit verantwortlicher Rc- Politische Uebersicht. 163 gieruug für ihre eigene Sicherheit zil sorgen hab,,'. Hier schien die Aufgabe die vorhandenen Kräfte zu übersteigen: aber sie wurde, wie die Folge zeigte, glücklich gelöst. Allmählich beruhigten sich die Eingeborenen, und hente geben sie kemcn Anlaß mehr zu ernsten Besorgnissen. Ans ihre „Reserven" und das sogenannte Königsland anf der Nordinsel beschränkt, auch dort sogar uon der hcrbeischleichenden Civilisation bedroht, beginnen die ehemaligen Herren des Bodens sich in ihr Schicksal zn fügen, und dies Schicksal, sie wissen oder ahnen es, ist das nahe Erloschen ihres Stammes. Es geht nnter ihnen eine Sage, laut welcher ihre Voraltern von den Hawaiinseln (Sandwich >, nach andern von einer der Samoa, nach den damals nnbewohnten Inseln Neuseelands gekommen wären. Dies soll sich im 15. Iahrhnndert ereignet haben. Da weder die Passatwinde noch die bekannten Strö-muugeu ihre gebrechlichen Fahrzenge nach Süden treiben konnten, klingt die Legende höchst nmvahrschemlich. Andererseits ist aber der volynesische Ursprnng der Maori angenfällig. Sir George Grey, einer der besten Kenner der Sprache nnd Gesittung dieser Wilden, erblickt in ihnen die entarteten Abkömmlinge eines hoch-eivilisirten Volks. Das Werk der Vekehrnng begannen wesleycmische Misfiu nare welche im Jahre 1^5 in das Land gekommen waren. Damals ließen sich mehrere Stämme tanfcn. Nach der allgemeinen Ansicht, sind aber diese Vekehrnngen sehr oberflächlich. >t,aum haben die Prediger ihren jnngen Gemeinden den Rücken gekehrt, so verfallen diese in die alten Gewohnheiten nnd die erlernten Dogmen sind alsbald vergesse!«; jedoch nicht gänzlich, denn in diesem Augenblicke beschäftigen sich einige Hänvtlinge mit der Erfindung einer nenen Religion, wobei sie verworrene Erinnerungen an christliche Glaubenssätze einstießen lassen. Dic Zahl der Missionare wnrde übrigens bedeutend vermindert seit dic Gesellschaften ihr Hanptaugeumerk anf die oceanischen Inselgruppen richten. Der katholische Bischof von Auckland, Msgre. 11* 164 Zweiter Theil. Neusccland. Luke, belobt sich sehr der kleineu von ihm gebildeteu christlichen Gemeinden welche uuter fortwährender Aufsicht seiner Hülfsarbeiter stehen. Der Mangel an Priestern vereitelt allein, seiner Ansicht nach, eine Ausdehnung dieses frommen Werks. Uebrigens ist wol kaum nöthig zu bemerken daß die kleine Anzahl katholischer Eingeborener in der großen Menge ihrer ganz oder halb heidnischen Stannnesgcnossen verschwindet. Die Religion der letztern ist ein Gemisch dunkler Begriffe des Christenthums nnd ererbten Aberglanbens; aber alle haben dem Kannibalismus entsagt, welcher noch im Jahre 1>i4<> auf beiden Inseln herrschte. Im Mnsenln von Christchurch wird ein sehr eomplicirtes Instrument gezeigt, dessen man sich bediente um, bei den Festgelagen^ das Gehirn aus den Menschenschädeln zu entfernen. Nach dem allgemeinen Urtheil sind die Maori, innerhalb gewisser nie überschrittener Grenzen, geistig begabt. In Auckland machte ich die Bekanntschaft eines Mannes der wie ein Geutleman aussah. Es war der Häuptling von Ohinemutu; ein ältlicher Herr, mit lichter Hantfarbe nnd einem prachtvoll ta-touirteu Gesicht. Da mein Begleiter als Dolmetscher diente, konnte ich mit dem Maori verkehren. Nach wenigen Minuten hatte ich vergessen daß er ein Wilder war. Die Maori stehen im Rufe feiner Beobachter. Während meines Ausfluges nach den heißen Seen, hörte Major Swindley einen unserer Schiffer sagen: „Wie sind diese Herren doch verschieden von den Weißen die im Sommer kommen! Diese lärmen, zanken, verlieren ihre Zeit mit Essen und Triukeu und sehen nichts oder wenig von der Gegend. Die beiden Herren aber benehmen sich anders. Das uenneu wir reisen." Sie besitzen einen gewissen Hang znr Ironie. „Ihr sprecht uns immer von Gott", sagte ein Häuptling zn einem Missionar, „nnd während wir die Angen zum Himmel cmvorschlagen, stehlt ihr uus deu Boden unter den Fußen weg." Eine Anspielnng ans den damaligen Länderschacher, als große Gebiete für Glasperlen nnd Pfeifen verhandelt wurdeu. Politische Uebersicht. 165 Ich habe bereits von dem sogenannten Könige und seinem „Königslande" gesprochen. Die Cvlouialregienmg beabsichtigt, wie erwähnt, der Unabhängigkeit dieser unbequemen Enelave, welche den direeten Verkehr zwischen Nuckland nnd Wellington verhindert, dnrch Anwendnng gewisser Mittel ein Ende zn machen. Die Anfstelluug eines Lagers mit 1W Coustableru nächst dem Hafen von Kawhia ist der erste Schritt m dieser Richtung. Ich will mir kein Urtheil über eine Politik erlanben welche, nach gewöhnlichen Nechtsbegriffen, kaum zn entschuldigen wäre. Aber die Macht der Dinge versetzt zuweilen in Zwangslagen denen mau nicht Zu entgehen vermag. Wenn die Mäori überhanpt wieder zn den Waffen greifen sollten, und daun gewiß zum letzten mal, würde das „Köuigslaud" den Kriegsschallplatz bilden. Hierüber sagte mir ein höherer Offizier, der in solchen Dingen für eine Autorität gilt: „Ein Aufstand ist sehr möglich. Aber wir werden uns nicht überraschen lassen. Die Maori sind keine Ver-räthcr. Befreundete, t'l-imulii^, werden nns gewiß, bei gnter Zeit benachrichtigen wenn Gefahr vorhanden uud der Eutschluß uns anzugreifen gefaßt ist. Sie handeln immer so. Haben sie aber diese Freuudespflicht ehrlich erfüllt, so halten sie sich, als gute Maori, für berechtigt ja verpflichtet uus, mit Auwendnng aller Mittel, anch der Kriegslist, zn vernichten. Eiu befreundeter Maori, welcher sieht daß Sie sich nicht retten können, wird Sie ohne weiteres niedermachen um Ihnen einen grausamen Tod nnd die Schande Zu erspareu durch Feindeshand, d. h. den Tod des Besiegten, zu sterbeu. Gegenwärtig halten sich die Maori rnhig »veil sie wissen daß wir gegen jeden Angriff gerüstet sind. Hierauf kommt alles au. Sie müssen wissen daß wir schlagfertig uud wachsam sind; dauu verlieren sie das Gelüste nach einem Ausstände. Die Anwesenheit vou NW Polizeisoldaten in Kawhia uuter dem Befehl eines tüchtigen Offiziers ist eine Bürgschaft des Friedens. Diese Hand voll Weißer, iumitteu eiuer Masse Wilder, habeu nichts zu befürchten." Hiermit ist alles gesagt. Der Weihe hat nichts mehr zu befürchten von dem Maori. l66 Zwwcr Thcil. Ncuscrland. Der Maori hat nichts zu hoffen vou deni Weißen. Somit gibt es koine Mäorifrage nlehr. Aber es gibt eine andere, eine brennende, alle andern beherrschende Frage. Die oberste Gewalt auf dieseu Inseln geht mehr und mehr in andere Hände noer. Neuseeland wechselt seine Herren. „Die ersten Colonisten", wurde mir gesagt, „gehörten beinahe ausschließlich der englischen Aristokratie uud der Gentry an. Da wurden die Goldlager von Otago entdeckt. In jenen Tagen bcgaun die massenhafte Einwandernng vou Familien aus dein niedern Mittelstaude uud dem Volte. Das gesellige Niveau saut allmählich aber stetig. Heute uimmt die Demokratie bereits die erste Stelle ein. Die Minister, die höhern und untergeordneten Beamten, die Mitglieder der beiden Kammeru gehören beinahe ausschließend den untern Schichten des Mittelstandes an, wenn sie nicht ans den Reihen des Volks hervorgegangen sind. Hierzn fonimt daß die hier geborenen Kinder der ersten Einwanderer, obgleich häufig iu Eng-laud erzogen, die Ideen, Sitten und Manieren dieser neuen Welt annehmen welche so ganz anders ist als die ihrer^Väter." Offenbar hat man es hier mit einen: Umschwung zn thun welcher, zugleich politisch und social, sich langsam, rnhig, aber wie es scheint mit unwiderstehlicher Macht vollzieht. Was mau mir vou der so verschiedeneu Dent'^ und Lebensweise der Söhue sagte, fiel mir gleich iu den ersten Tagen meiner Anknnft in Neuseeland auf. Aber dies ist uur eiue uatürliche Rückwirkung dcs Uebergangs der Gewalt au audere Schichteu der Gesellschaft. In der Familie geben die Aelteru den Tou an, im Staate die Gebieter. Hier siud die Gebieter Leute aus dem Volle, der Pöbel wie die oon der Macht Verdrängten sie nennen. In meinen Gesprächen mit den letztern bemerkte ich daß sie das Wort Mob, Pöbel beständig im Munde führen, znm Unterschied von den Geutlemen. Aber was wenigstens die Manieren anbe- Politische Uebersicht. 1^7 langt, ist es aussenfällig daß hier unter den Antipoden der Mob steigt und der hier geborene Gentleman die Gefälligkeit hat zu sinken, sodaß sich beide Theile auf halben, Wege begegnen wer-den; wie denn überhanpt die Bilduug einer neuen, einer scclän-difchen Nation feinein Zweifel unterliegt. Die anglosächsische Nasse wird in ihr vorherrsche,:, aber sie wird alle andern fremden Elemente, namentlich das deutsche, in sich aufnehmen, uud diese neue Nation wird den Stempel der Demokratie auf der Stirne tragen. Der Mauu aus dein Volk fühlt sich als Herr, uud gewiß ist Ncuseelaud das Paradies der Menscheu welche durch Handarbeit ihr Brot verdieuen. Daher die Redensart der „vier Acht: acht Stunden Arbeit, acht Stnuden Nichtsthnus, acht Stuudeu Schlafes und acht Tchilliuge Lohn". Der Lohu ist sehr hoch, weun verglichen mit den Preisen der Leueusmittel lind anderer Gegenstände erster Nothwendigkeit. Auf der Südinsel verdieute, vor siebeu bis acht Jahren, der Feldarbeiter 4-4^ Schillinge; heute erhält er 7—.^, au der Westküste bis zu 19 TäMingeu. Das Lebeu ist wohlfeil. Fleisch tostet ein Drittel, Mehl etwas weuiger als die Hälfte weniger als im Mutterlaude. Gemachte, von England eiugeführte Kleidungsstücke erleiden zwar einen Zu-schlag von 5> Proeent, aber die Leute geben doch weniger Geld für Kleidnng aus in einein Lande wo Luxus uud strenge Wiuter-kältc uubekauut sind. Es ist also, wie bereits bemerkt, das Eldorado des Arbeiters. Aber anf seinem so glänzenden Firmament zeigen sich zwei schwarze Punkte die ihn beunruhigen. Vor allem die Leute seinesgleichen, die uuabläßlich aus dem alten Lande herbeiströmen uud, infolge der znnehmcudeu Auzahl kräftiger Arme, zu eiuem Tiuken des Lohues oder eiuer Zuuahme der Arbeitsstnudeu Aulaß gebeu köuueu. Daher ist er geschworener Gegner der Eiuwauderuug. Es gibt sodann hier die, wenig zahlreiche, Klasse der Großgrundbesitzer. Sie treiben ausschließlich Viehzncht. Dies führt mich zu der großen Tagesfrage, betreffend den Grnudbesitz. Um 168 Zwritcr Tycil. Ncnsccwud. sie zn verstehen, ist es nöthig einen Blick auf die Vergangenheit znruckznwerfen. Bekanntlich war es Coot dor, im stamen Georg's III., von Nenseeland Besitz ergriff. Aber erst im Jahre 1^14 wnrden die Inseln dnrch das Colonialdeparteinent dem Britischen Reiche einverleibt. Um jene Zeit begannen vereinzelte Abenteurer diese noch geheimnißvollen Gegenden zn besnchen. Mittlerweile hatte sich, ohne Unterstützung ja gegen den Willen des Colomalministers, in London nnter dein Vorsitz Lord Durham's, eine Gesellschaft gebildet mit der offen ansgesvrochencn Absicht von den Mäorihäuptlingen Grundstücke käuflich zu erwerben. Sie ging von der Voraussetzung ans die Eingeborenen seien die Besitzer des Bodens und daher auch berechtigt ihn zu veräußern. Diese Gesellschaft, welche verschiedene Wandlnngen erlebte, entsendete ihr erstes Schiff, trotz der formellen Einsprache der englischen Regiernng, im Jahre 183!) nach Neuseeland und erwarb dort, vor Ende des Jahres, Ländereien deren Flächeu-ranm dem von Irland gleichkam. Den höchst wesentlichen Umstand, daß die Inseln für eine englische Colonie erklärt worden nnd die Hänptlinge mit ihren Stämmen zur klrone in ein Abhängigkeitsverhältniß getreten waren, ignorirte die Compagnie absichtlich. Die erworbenen Grundstücke oder eigentlich Landstriche wnrden mit Flinten, Pnlver nnd Blei, Schlafmützen, Taschentüchern n. dgl. bezahlt. Bald daranf kam znr Kenntniß der Negiernng daß in vielen Fällen die Verkänfer nicht die Eigenthümer des Bodens nnd von den letztern anch nicht znm Verkanf ermächtigt waren. Der Minister der Eolonien erließ nunmehr eine Erklärnng kraft welcher Neuseeland der australischen Colonie Nensüdwales einverleibt wnrde. Zngleich sandte er einen Agenten an Ort und Stelle, welcher als Gonvernenr fungiren sollte, mittlerweile aber sonderbarerweise den Titel eines Eonfnls führte. Dieser Oberbcamte landete an der Nurdspitze der Nordinsel, schloß mit 46 Hänptlingen den Vertrag von Waitangi, der noch hellte für den Besitztitel Großbritanniens gilt, nnd gründete sodann die Stadt Auckland. Tnrch das ebengenannte Uebereintommen nnter- Politische Uebersicht. 169 warfen sich die verbündeten Stämme der britischen Oberhcrr-lichkeit. Ihrerseits erklärte die Königin ihren Besitz von Grund nnd Boden als zn Necht bestehend. Im übrigen wnrde ihnen der Schntz der Krone zngesagt. Das dnrch den Vertrag von Waitangi anfgestellte Princip steht im Widerspruch mit der befolgten Uebnng bezüglich ans von Wilden bewohnte, herrenlose Länder, eine Uebung welche sich anf die rechtliche Voraussetzung gründet daß der Wilde nicht besitzt, und daß civilisirte Staaten, dnrch die Thatsache der Besitzergrei-fnng des Landes, auch Eigenthümer des Bodens werden; mit andern Worten, daß der Boden des Landes dnrchweg Kronoder Staatseigenthnm ist. Dies Prineip hat in den australischen Colonien volle Geltung. Hier aber waren die Stämme oder Tribns als Grundbesitzer anerkannt worden. Es war daher nnr folgerichtig daß dic Lanocrwerbungeu der Gesellschaft Lord Durham's einer strengen Prüfung nnterzogcn wurdeu. Da ergab sich daß die von den Europäern mit ein Paar Schiffsladungen angetanften Ländereieu mehr als 45 Millionen-Aeres betrngen! Die Regierung bestand darauf daß die Besitztitcl der Erwerber in Oi'0>vii-8raut,8, Rcgieruugsconeessionen, verwandelt würden, uud daß solche Eoneessionen nnr nnter zniei Bedinguugeu sollten verabfolgt werdeu, nämlich' es müsse der Beweis geliefert werden, daß der betreffende Stamm znm Verkauf ermächtigt war nnd daß der Erwerber einen billigen Preis bezahlt habe. Die natürliche Wirkung dieser Bestimmungen waren die Nichtigkeitserklärung der meisten dieser Verkänfe und die Rückgabe der Län-dcreien an die alten Besitzer. Jene Känfer ans dieser Periode, welche infolge der Untersnchnng nicht exprovriirt worden sind oder jene an welche sie ihre Besitztitel abgetreten haben, bilden die, wie bereits gesagt, sehr zusammengeschmolzene Klasse der Groß-grnndbesitzer anf Neuseeland. Sie sind hente, seitens der Voltspartei, die Zielscheibe der heftigsten nnd gehässigsten Angriffe. Unerachtet der ansnahmsweisen Großmut!) welche die Ne-giernng in ihren Verhandlungen mit den Maori an den Tag 170 Zweiter Theil, Ncuscrland. legte, die aber von letztern als Schwäche gedeutet wurde, erwiesen sich die Häuptlinge wenig dankbar. Im Jahre 1853 schlössen sie einen gegen die Engländer gerichteten Bund. Der Mittelpunkt der Vewegnng, und später der Hanpttriegsschanplatz, war der an der Westküste der Nordinsel gelegene Landstrich Ta-ranaki. Um jene Zeit ereignete es sich zum ersten mal daß eine gewisse Anzahl von Häuptlingen ein gemeinsames Oberhaupt, einen .König erwählten, allerdings nnr einen Schattenkönig. Dennoch blieb bis zu diesem Jahre tt^) das „Königsland" hermetisch verschlossen, und erst gegenwärtig, wie mau gesehen hat, tritt die loeale Regierung mit der Absicht hervor es den Colo-nisten zu eröffuen. Die neuseeländische Verfassung, im Jahre 1>5>^ dnrch eine Aete Sir George Grey's in straft gesetzt, wnrde später in eine Colouic „mit verantwortlicher Regierung" umgewandelt. Hier-dnrch traten die Maori in den Vullgeuuß der politischen Rechte und beschicken, wie die Weißen, das Repräsentantenhaus mit De-pntirten ihrer Farbe. Ich kam mit mehreru Großbesitzern in Berührung nnd fand sie alle im höchsten Grade aufgeregt oder eutmuthigt, insbesondere aber erbittert gegen die Regierung welche sich, wie sie behaupten, von der Demagogie in das Schlepptan nehmen lasse. Andererseits wird aber auch behauptet daß die Minister ihre angeblichen demokratischen Gesinnnngen nur darum an den Tag legen, weil dies ein Mittel sei sich an der Gewalt zn erhalten. Im Gruude aber bekämpfen sie insgeheim die demokratischen Prineipien welche sie dnrch die Presse nnd in: Parlament Zur Schau tragen. Sir George Grey ist auf das entschiedenste an die Spitze der Voltsftartei getreten und verficht ihre Interessen mit dem Feuer eines jugendlichen Tribnns und mit dem Ansehen eines in den öffentlichen Angelegenheiten ergrauten Staatsmannes. Diese Un»ä lin^tiou bildet den Gegeustaud aller Gespräche. Von Cabinctsmitglicdern nnd Leitern der Opposition, von Nota- Politische Uebersicht. 171 bilitäten des Handelsstaudes, vl.ni englischen, deutschen, neuseeländischen Politikern hörte ich sie verhandeln, überall und unablässig. Vom Anbeginn au, sagte man mir hat die euglische Regierung eiueu großeu Fehler begangen. In Australien erklärte sie alles Land für Kroueigeuthum, indem sie hierdurch die Eingeborenen ihres Besitzes vM'ommeu beraubte. Iu )teuseelaud kam man auf Umwegen uugefähr zu demselben Ergebniß, jedoch mit dem Unterschiede daß den Eiugeboreueu gewisse Läudereicu vorbehalten wurden, wo sie Grundbesitz erwerben können. Alles übrige Land steht znr Verfügung der Regierung nud des Eolonialpar-laments. Hieraus ergibt sich, unr von Neuseeland sprechend, daß eine sehr beschränkte Anzahl vou Personen, etwa 1000—1200, mit in England aufgenommenem Gelde, l l Millionen AereZ, zu Spottpreisen erwarben. Diese Allkäufe repräsentireu ein kapital von 500 Mill. Pfd. St., wovon 270 Millionen noch nicht gezahlt sind. Die Großgrundbesitzer verfügen über die Regierung und das Parlament. Letzteres besteht ans zwei Kammern: dem Gesetzgebenden Rathe und dem Hanse der Repräsentanten. Die Mitglieder des Oberhauses oder Gesetzgebenden Rathes wer-deu vom Gouverneur ernannt, jedoch im Einklang mit den Ministern. Aber da diese die Großgrundbesitzer, soviel sie können, begünstigen, öffnen sie die Pforten des Oberhauses nur ihreu Schützlingeil und Frenudeu. Iu dem Repräseutautenhause sichert ihnen der Wahlmodus einen großeu Einflnß. Dies erklärt die Lage in der wir uns befinden. Ein nngehenerer Theil des Gebiets ist iu den Händen einer kleinen Anzahl vou Mäunern, deren mehrere eiu Einkummeu von ü^0—30000 Pfd. St. besitzen, und iu deren Interesse es liegt ihr Land nicht zu bebauen da es als Weidegrund eiu größeres Erträgnis; gibt. Ihr ganzes Bestreben geht darauf hin die Erwerbnng kleiner Grundstücke durch kleine Leute zu vereitelu. So geschieht es daß, iufolge ihres Einflnsses auf die Minister und im Parlament wo ihre Creatureu sitzen, sich ein Zustand verlängern kaun welcher für 172 Zweiter Theil. Neuseeland. das unbebaut bleibeude Laud ebeuso uachtheilig ist als für die ankommenden Einwanderer. Diese Landfragc steht in engem Zusammenhaute mit den öffentlichen Arbeiten, Straften uud Eisei,bahuen. Unter dem Drucke der erzürnten öffentlichen Meinnng wnrde, znr Zeit des Beginns der Eisenbahnbanteu, in den beideu Hän-seru eiu Gesetz votirt, kraft welchein in Anbetracht der zu gewärtigenden Steigerung des Werthes der Grnndstücke welche die nencn Bahnen durchschneiden würden, die Besitzer dieser Gründe, im Verhältniß des Flächeuraums, verpflichtet wurden zu deu Kosten des Vanes der Bahnen beizutragen. Das Gesetz wnrde aber anßer Kraft geseht, obgleich der Werth des Bodens sich verzehnfacht hat. Daher die Erbitternng derK^eilMNndbesitzer nnd der Einwanderer. Wird eiue ueue Bahu geftlaut durch unverkaufte Grundstücke oder dnrch Land welches den immer znm Verkauf bereitwilligen Maori gehört, so verstehen es die Schützlinge der Gewalthaber in deu ministeriellen Kanzleien einen praktischen Wink zu erhalten, uud das Land welches sie, infolge dessen, um 1 Pfd. St. deu Aere gekauft haben, ist am nächsten Tage lO Pfd. St. werth. Dem öffeutlicheu Unwillen über diese schreienden Uebelständc verdankt die Gesetzesvorlage betreffend die „Nationalisirnng des Bodens" laud nationalisation, ihre Entstehnng. Natürlich kaun ich die Nichtigkeit dieser gegen die Regierung erhobenen Anklagen nicht verbürgen. Ich kauu uur sagcu daß sic im Pnbliknm nmlaufeu llud vou mehreru sehr hochgestellten Persönlichkeiten geäußert werdeu. Sir George Grey brachte eine Gesetzesvorlage ein dnrch welche der gesammte Grnnd nltd Boden Nenseelands fiir Na-tioualeigeuthluu erklärt werdeu soll. Eiue zu ernennende Commission werde die Gruudstücke schätzeu nud Sir George meiut. die Schätzuug wnrde durchschuittlich 1 Pfd. St. fiir deu Aere ergeben. Für den Aere werde sodauu eine Grundsteuer, ianä tax, vou 4 Peucc zu eutrichten sein, nud diese Steuer werde Politische Uebersicht. 173 zunehmen im Verhältniß der in derselben Hand befindlichen Anzahl Acres. Der Antragsteller hofft daß, dnrch diese Bestimmung, die Großgrundbesitzer gezwungen würden den Kleinbesitzern und den neuankommenden Einwanderern einen Theil ihrer ^ändereien zn verkaufen. Ich konnte nicht umhin Sir George mein Befremden über seinen, wesentlich socialistischen, Gesetzesvorschlag anszudrücken. Er entgegnete, die änßersten Uebel können nur durch die änßersten Mittel geheilt werden. Bleibt zu erwägen ob das Mittel nicht schlimmer ist als das Uebel. Die radieale Partei, welche von ihrem nahe bevorstehenden und vollständigen Trinmph überzeugt ist, geht noch weiter. Sie verlangt einfach die Abschaffung des Grundeigeuthnms und die Ersetzung desselben dnrch ein Pachtsystem, in der Weise daß kein Grundstück für längere Zeit als ^l Jahre verpachtet werden dürfe. Kann man den Worten der Minister, in öffentlichen Versammlungen sowie im Privatverkehr, auch mir gegenüber, geäußert, Glauben schenken so unterliegt es keinem Zweifel daß sie sich für die „Natioualisiruug" des Bodens sowie für die gänzliche Einstellung des Verkanfs von Krouläudereien entscheiden werden. Der gesammte Grundbesitz mnß, wie sie bchanpten, au den Staat übergehen. Die Gruudbesitzer, fi'L^ioIclßl'i, müssen in Pächter, Ilolll(^8 uiuier tli6 law, verwandelt werden. Das bezügliche Gesetz wird nicht unmittelbar aber in einer nicht fernen Zukunft dnrchgebracht werden. Mittlerweile, stellt die Negiernng den Vcrkanf der ^ro^vniaud« ein, uud verpachtet, versuchsweise, kleine Grnndstücke für einen bestimmten knrzcn Zeitranm. Dies ist das Programm der gegenwärtigen Minister. Man bezweifelt, wie bereits erwähnt, ich weiß nicht mit welchem Grunde, ihre Aufrichtigkeit. Aber aufrichtig oder nicht, ist ihre Sprache nnr der Widerhall dessen was die Massen wollen, nnd die Massen werden in kürzester Zeit, wenn sie es nicht schon sind, ans Neuseeland die Herreu der obcrsteu Gewalt sein. 174 Zweiter Theil. Neuseeland. Während ich vorsteheude Zeilen in mein Tagebuch eintrage, steuert die Zealandia öden, zerklüfteten, felsigen Gestaden entlang. Wir befinden ims an den nördlichen Anslänfcn des Nordlandes, wo ein paar hnndert Weiße sich in zerstreuten Gehöften angesiedelt haben, während dort eine unbekannte, nicht sehr große Anzahl wilder Nomaden als Jäger imd Fischer ihr Leben fristen. Auf der ganzen Reise behandelte uns das Stille Meer, ungeachtet seines friedlichen Namens, mit entschiedener Ungnade. Aber dies ficht den amerikanischen Leviathan, der nie rollt nnd nur selten stampft, in keiner Weise an. Nicht rasch aber majestätisch bewegt er sich vorwärts. Eines Tages hatten wir das schöne und seltene Schauspiel eines Sturmes bei Sonnenschein. Endlich, am 17. November morgens, lief die Zealcmdia durch die Heads in die wundervolle Bucht von Sydney ein. Dritter Theil. Anstr alten. l. Socrcise non Colombo nach Albany, Glenelss und Melbourne.^' Vom !». MM 27, April I«34. Unterseeische Vulkane. — Die Kokusinsrln. — Albany. — Ein Cnllon. — Glcnclg. — Ankunft in Melbourne. Ner Shannon der I' l5N(l 0 (Peninsular nnd Oriental) Oompivn)' verließ Colombo ans' Ceylon an, 1<». April 1884. Ausnahmsweise begünstigt uns das Wetter. Nasch nnd sanft durchschneidet der Dampfer die, in diesem Monat, gewöhnlich sturmgepeitschten (Gewässer des Indischen Oeeaus. An einigen Stellen gewahren wir, von einem Horizont zum andern, lange weiße Streife». Es sind Bimssteine welche irgendein nnter-seeischer Vnltan anf die Oberflache gespieen hat. Wir stenern in geringer Entfernnng an einer Gruppe kleiner * Ich landete dreimal in Australien: in Melbourne vom Cap, in Sydney von Neuseeland, endlich ,zum zweite« mal in Melbourne, von Indien lommend. Zur größern Bequemlichkeit des Lesers vereinige ich in demselben Kapitel meine während eines dreimaligen Aufenthaltes in Australien gemachten Wahrnehmungen. Ich erzählte bereits die Neberfahrten von Afrila nach Melbourne nnd Neuseeland, und von dort uach Tvdney. Indem ich den dritten Theil meines Buches mit der Beschreibung meiner letzten Neise nach Australien beqinne, begehe ich einen Anachronism welchen man verzeihen möge. Tie beschwerliche Tecfahrt dnrch die Meerenge von Torres nach Indien folgt an ihren: natürlichen Platze, v. Hübner, I, 12 178 Dritter Theil. Australien. Eilande vorüber, Koko genannt. Ein schottischer Farmer, welcher die holländische Flagge anfgehißt hat, besitzt, bewohnt und bc-bant sie mit seiner Familie. Dieser Robinson Ernsoe soll sich dabei sehr gut befinden. Ein kleines Segelschiff nnterlM die Verbmdlmg zwischen seinem kleinen Königreich nud Batavia wo, für ihn, die eivilisirte Welt beginnt. Als wir Mls Australien nähern trübt sich das Wetter. Die Wogen waschen über Deck. Um von meiner Kajüte am Vordertheil, in nmnittelbarer Nähe des Schafstalles, in den Speisesaal zn gelangen bedarf ich des Beistandes einiger Matrosen. Aber ich ziehe die Einsamkeit, nnr mit Hmnmeln getheilt, dem großen Salon vor welcher, anf dieser Ueberfahrt, mit seekranken Passagieren, mit musicirendeu Damen, mit schreienden Babies überfüllt ist. Endlich ist Cap Leeuwin in Sicht nnd am nächsten Morgen, ^l. April, länft der Shannon in den König-Georg-Suud ein. Entfernung von Colombo 3795) Seemeilen. Ein nnerquicklicher Anblick: am Eingänge niedere sandgefleckte Felsen: dann der Sund eingerahmt von niedern steinigen Hügeln, theils nackt theils mit Heidekraut bewachsen, itein Baum, keine Spur von Cultnr. Aber eine oder mehrere Flotten könnten hier vor Anker liegen nnd nichts wäre leichter als den Eingang zn befestigen, was anch nächstens geschehen wird. Der Dampfer hält vor der entstehenden Stadt Albany. Von ferne gesehen, gleicht sie den kleinen Seehäfen in Eornwallis oder Irland. In der Nähe betrachtet, ist eö der Embryo einer australischen Stadt i wenige weiße Häuser mit graueu Dächern, schnurgerade, übermäßig breite Straßen, meist uoch ohne Gebäude. Wir sehen eine große anglikanische Kirche nnd eine sehr schöne katholische Kapelle in welcher ein spanischer Priester den Gottesdienst versieht. Die Entfernung von hier nach Perth, der Hauptstadt von Westaustralien, beträgt U'><» Meileu, und liald soll eine Eisenbahn beide Städte verbinden. Albany wird dann, so hofft mau, das große Entrepot fiir den Wein, das Getreide und Albany. 179 'die übrigen Prodnete der Umgegend von Perth werden. Die Dentschen bilden ein bedentcndes Element in dieser Colonie. Im Sommer wie im Winter, wic das ganze Jahr hindurch, ist das Klima mild, nie übermäßig heiß, aber immer fencht. Man könnte sich in Irland glauben. Passatwinde wehen ohne Unterbrechung, abwechselnd, von Ost nnd West. Mr. Loftie, Agent der Colonialregierung, anch Resident betitelt, nnd seine Fran, die Insassen eines sehr beqnemen nnd hübschen Cottage welches wnnderbarcrweise die Stürme noch nicht fortgetragen haben, bieten sich mir als Führer an. Wie sie an ihrer nenen Heimat hängen, nnd welche Hoffnungen nnd Pläne der Znknnft! Diese langen, von Hecken nmsänmten Wege sind in ihren Angen bereits zn prachtvollen Straßen geworden. Fnßgänger nnd Reiter, Dampfonmibnsse nnd elegante Equipagen drängen sich zwischen den Reihen stattlicher Paläste. Natürlich ist dies alles dermalen noch ein Gebilde ihrer Colonialphantasie. Aber dieser naive nnd feste Glanbe in die Znkunfl, der sie belebt, der sie antreibt, der sie nie verläßt, anch nicht in Zeiten der Prüfnng nnd arger Enttäuschung, dieser merkwürdige Zug im Charakter der anstralischen Colonen führt endlich znm Erfolg. So wahr ist es daß nur wer Unmögliches anstrebt Großes vollbringen kann. Mr. und Mrs. Loftie zeigen nur also den Clnb, über den ich natürlich mit ihnen in Ekstase ge-rathe, obgleich er nnr ein kleines Hänschen ist mit einem Bücher-bret und einigen Bänden: die zukünftige öffentliche Bibliothek, die anglikanische Kirche, einige gute nnd stattliche Hänser am Hafen, die ersten Gartenanlagen deren künftige Pflanzen nnd Blnmcn einst mit den Passatwindon kämpfen werden, endlich die Anssicht anf die Bucht, dermalen das trostlose Bild der Wild-niß. Aber wie schön wird sie sein, wenn die Sanddünen in grünende Aecker, das Gestrüpp in Lustgärten verwandelt sind 5 wenn die Klippen reizende Villen ans ihrem Scheitel tragen, beschattet von ehrwürdigen Norfoltfichten oder zitternden Silberpappeln; wenn die stille ^agnua belebt wird dnrch zahllose 12- 180 Dritter Theil. Australien. Segelschiffe und rauchende Dampfer. Das ist Albany betrachtet durch das eolouiale Prisma. Nnd doch, ist dies alles ein, Traum, ein leerer Wahn? Gewiß nicht. Was anderwärts geschah, warnm soll man cs nicht auch in Westaustralirn erleben? Nur eins thut noth. Der Wille, nnd diesen besitzt man. Eine winzige Barkasse bringt mich nach dem Shannon zn-rück, wo, ich vom Regen und Gischt durchnäßt ankomme. Aber plötzlich wird das Wetter heiter nnd kalt. Alte Matrosen, die diese Breite:» wohl kennen» schütteln den Kopf. Sollte dies ein schlimmes Anzeichen sein? Am nächsten Morgen überfällt uns eil» Cyklon. Er bläst von Nurd und treibt nach Süd. Die See, siedendes Wasser in einem Kessel, ist prachtvoll. Himmel und Wasser fließen ineinander: ein ungeheueres Leichentuch, bereit uns zu umfangen. Erscheint, die Sonne für Augenblicke, su, glänzen die Wogen in der Farbenpracht des Saphir. Aber alsbald hüllt sie sich wieder in ihre fahlen Schleier. Der Dampfer rollt und stampft wie ich es selten erlebte. Gehorcht er noch dem Steuer? Gebunden an meinen Reisestuhl, welcher mit Stricken befestigt ist, befinde ich mich im ausschließlichen Besitze des Stnrmdecks. Ein erhabenes Schauspiel! Ist Gefahr vorhanden? Wozu die ^rage? Es handelt sich darnm ans einem Trichter zu entkommen, welcher sich wahrscheinlich von Nord nach Süd verrückt und dessen Durchmesser wahrscheinlich gegen zehn Meilen beträgt. Aber wo befindet sich der Mittelpunkt des Trichters? Hierauf kommt alles an. Ich hörte Kapitäne sagen daß sie sich, in ähnlicher Lage, nach gewissen, sichern Anzeichen richten. Andere horte ich behaupten das; diese Anzeichen häufig täuschen. Eins nnr ist gewiß: man muß dem Zauberkreise entkommen. Gelingt dies nicht, sv wird man verschlungen. Es ist Nacht, aber keine schwarze. Bleiche Lichter irren über dem Wasser nmher. Woher kommen sie? Wer weiß es? Von Zeit zu Zeit überwältigt mich der Schlaf, und im Traume sehe ich mich zurückversetzt nach dem sonnigen Zauberlande Ein Cyllvn. ' 181 welches ich kürzlich verließ. In einem Haudcch sitzend, fühle ich die heftigen Bewegungen meines Elefanten der, im rasenden Lanfe dnrch die brennenden Sandwüsten Rajputanas dahineilt. Dann bringt mich ein plötzliches Erwaä)en znrück in die nn-heiniliche Wirklichkeit meiner Lage. Aber die Nengierde, ein brennender Wnnsch den Ausgang des Abenteuers zu errathen, läf;t keine andere Empfindilng anfkonnnen. Wird es gelingen die Peripherie des Kreises zn überschreiten? Ein Matrose, mein gnter Freund, koinmt von Zeit zn Zeit llm nachzusehen ob Pelz nnd Stuhl in der richtigen Verfassnng st'ien. Er gibt nur dann die nenesten Nachrichten. Die Passagiere, sagt er, seien fast alle seekrank nnd nnr wenige ahnen in welcher Lage sich das Schiff befindet. Endlich grant der Morgen, ohne daß der Stnrm sich zn legen scheint. So vergeht der lange Tag. Von meinem Platze kann ich die verschiedenen Decke übersehen. Das Boot ist äußerst seetüchtig, die Maschine erster Kategorie; der Kapitän, die Offiziere, die englischen Matrosen desgleichen. Auf ihren männlichen Zügen lese ich Pflichtgefühl nnd Ernst, aber keine Spnr von Entmnthignng. Dagegen scheinen die Laskaren nnd Malaien, Matrosen nnd Anfwärter, in sehr bewegter Stimmnng. Die Angst bleicht ihre schwarzen Gesichter. Die folgende Nacht ist noch sehr schlecht, aber ich «erbringe sie, immer am Deck, in tiefem Schlafe. Am nächsten Morgen (24. April) nm 5> Uhr überschreitet der Shannon die Kreislinie des Cyklon. Da Sonne und Horizont sichtbar sind, kann der Kapitän seine Veobachtnngen anstellen. Sie ergeben daß das Schiff, nach Süden getrieben, ">^', Meilen znrückgelegt hat ohne sich seiner Bestimmnng zn nähern. Um Mittag sind die von ^,. Mai 1««4, Geschichtliche Notizen. — Wirkung der Entdeckung von Goldmine». — Phy siognomie von Melbourne. — Die intercolonialc Eisenbahn. Die Geschichte dieser Colonie ist bald erzählt.* Am Anfang des Jahrhunderts ankerte ein Lieutenant der englischen Marine am Eingänge einer Vucht und benannte sie, nach dem ersten Gouverneur von New-Smith-Wales, Port Philip. Im Jahre 1X27 ließ sich dort ein Mann nieder, Namens Batman. Er war aus der Umgebung von Sydney gebürtig und in Vandie-mensland, jetzt Tasmania, ansässig. Einige Jahre später folgten ihm ein Mr. Fawkner mit einigen andern Pflanzern ans Tasmania, nnd Fawkner siedelte sich all der Stelle an wo heute die Metropole der Colonie, die Stadt Melbourne, steht. Die Käufe welche diese ersten Pioniere mit eingeborenen Haupt' lingen abgeschlossen hatten wnrden von dem Gouverneur von New-South-Wales uicht anerkannt weil, wie bereits erwähnt, die englische Regiernng den Grundsatz aufgestellt hatte daß der * Es dürfte dem Leser angenehm sein daß ich ihm, in wenigen Wor ten, die Entstchuuqsgcschichtc der australischen Colonien in das Gedächtniß zurückrufe. Vgl. „Illlnäduok for ^u^i-AUll anä Asw 2«klauä" und 1ß4 Drittrr Thcil. Australian. australische Voden Kroneigenthuin sei, über welchen die Eillgc-boreueu nicht verfügen können. Im Jahre 1^'>. bis 1<^ October 1883. — Ich genieße ln'er, im Hause des Gonverneurs Marquis von Normanby, der Ruhe, angenehmer geselliger Beziehungen und einer edlen Gastfreundschaft. In den ersten Stunden des Morgens, Spaziergang in deu ground 5 vor dem Palaste, dann wird, mit Hülfe eines kleinen Schlüssels, in den anstoßenden botanischen Garten gedrnngeu. Eilte hübsche Theaterdeeoration! Die Euealyptus welche, in diesem Lande auf jedem Schritte, daran mahnen daß nlts der Durchmesser des Erdballs vou Europa trennt, sind hier durch audere, aus der Ferue eiugeführte, Bäume erseht. Die Coniferen walten vor, und unter diesen nimmt natürlich die Fichte der Insel Norfolk deu ersteu Platz eiu. Gut gezeichnete Pfade führen sanft abwärts zum Teich, auf welchem weiße und schwarze Schwäne, schwarz und weich wie Sammt, majestätisch nmherschwimmeu. Die Nieseltbäume der Ufer und die exotischen Gewächse einiger Miniaturinseln spiegeln sich iu der stillen Waffer- * Ich habe diese Worte i» meinem „Spnzicrgang um die Welt" au geführt. 1tt6 Dritter Theil. Australien, fläche. Von den Höhenpnnkten des Gartens, übersieht man das Panorama von Melbourne. Die Stadt mit ihren Vorstädten verbreitet sich über zwei niedere Hügelzüge, steigt imd sinkt mit den Beweguugeu des Bodens, verliert sich allmählich zwischen andern, fernern Anhöhen. Das Auge, wohin immer es sich wende, gewahrt nnr Hänser nnd Gärten, nnd, am Horizont, wolkenähnlich, in zartem Farbeuspiele, wechselnd mit der wechselnden Stimmnug der Atmosphäre, die ungewissen Umrisse eines weithin sich erstreckenden Gebirges. Dieser botanische Garten, mit seinen Baumgruppeu nnd Kiosken, seinen Bächen und Teichen, mit dem nahen Government-House, welches stattlich anzn-fehen ist nnd schön wäre ohne den unschönen Thurm, verdient in vollem Maße den Rnf dessen er genießt. Ja man darf be-hanpten daß er einzig in seiner Art ist. Sein frisches nnd mannichfaltiges Grün bildet einen angenehmen Gegensatz mit der rosiggrancn Masse von Häusern und Kirchthürmen welche den Hintergrnnd des Gemäldes bildet. Der Aarra-Iarra fließt zwischen dem Garten und dem vornehmsten Stadtviertel. Das übrige verduftet in der Ferue, nnd nnr die Abstufungen des Lichts und der Schatten gestatten die uugeheuere Ausdehnung der jnngen Metropole zu errathen. In den Straßen herrscht, trotz des hier wie in Südafrika, Neuseeland nnd anderwärts dermalen daniederliegenden Handels, ein lebhaftes Treiben. Einen eigenthümlichen Charakter besitzen sie aber nicht. Um die Mitte des Tages bilden die sehr sorgfältig gekleideten Franeu die Majorität. Nur morgens nnd abends, nach Schtnß der Gewölbe nnd Magazine, wird die männliche Bevölkerung sichtbar. Die Männer haben alle eine gewisse Familienähnlichkeit. Es sind Goldgräber, nur grabeu sie nicht in den Minen. Aber jedermann will reich werden. Jedermann hat also dasselbe Ziel vor Augen. Daher derselbe Ausdruck auf allen Gesichtern. Eine Art moralischer Uniform die jedermann trägt. Die Franen sehen weniger eingenommen aber einnehmeuder ans. Gegeu 4 Uhr füllen sie die Straßen, in welchen sich die Melbourne. 187 eleganten Kaufläden befinden. Es fehlt dann auch nicht an schönen Equipageu mit den: Kutscher in Livree; aber immer ohne Bedienten. Männliche Domestiken existireu nicht. Lord Nur-manby hat die seinigen ans England mitgebracht und sie werden ihm wieder dahin folgen. Es ist die einzige Ansnahme. Zwei Kategorien von Gebäuden zeichneu sich ans: die Banken durch einen pomphaften Palaststil, die Kirchen durch eine große Mannichfaltigkeit der Bauweise. Die gothische ist vorherrschend. In den eleganten Gassen stören die vielen Lücken der unverkauften Bauplätze. Natürlich kreuzen sich die Straßen im rechten Winkel nnd verlängern sich unabsehbar. Treffen sie einen steilen Abhang, so erklettern sie ihn ohne die gerade Linie zu verlassen, als ob sie den Himmel erstürmen wollten. Dies erinnert au San-Franeiseo. Uebcrhanpt bietet Melbourne mehr Aehulichkeit mit amerikauischeu als mit englischen Städten; aber Männer nud Frauen tragen ein britisches Gepräge. Die Gassen in welchen sich keiuc Kauflädeu befiudeu sind mit Bän-meu bepflanzt. In alleu andern ist der Baum auf das strengste verpönt. Der Gcmeinderath, meist ans Kleinhändlern bestehend, findet daß das Lanb die Auslagen der Buden verhüllt und daher den Verkauf beeinträchtigt. Es gibt mehrere sehr schöue Gebäude. Offenbar haben die Architekten in Rom, in Frankreich, in England studiert. Es ist leicht das Modell zn erkeunen welches ihneu vor Augen schwebte. So ist das Regiernngshans mit den Kanzleien der Ministerien, ein schöller Renaissancebau. Er sowie die katholische Kathedrale im gothischen Stil und mehrere andere Kirchen sind wirkliche Kunstwerte. Allerdings mit Geld, nnd hieran fehlt es nicht, kann man monumentale Bauten ansführen. Aber hier wird mit Geschmack und Kunstsinn gebant. Ein Verdienst, seltener als man glaubt, uud werth erwähnt zu werdeu. Die Einwohner sind, mit Recht, stolz auf ihre Stadt. Wenn mau bedenkt daß sich hier vor vierzig Jahren eine von Wilden und Kängurn bewohnte Einöde befand, glanbt man zu träumen. 188 Tritter Theil. Australien. Government-'Honse welches, wie bereits gesagt, eine Anhöhe außerhalb der Stadt, am linken Ufer des ?)arra-Z)arra krönt, wurde von der Eolonie mit einem Kostenaufwand von 1MXX> Pfd. St. erbaut! Der Tanzsaal icbertrifft an Länge den großen Saal im Bnckingham-Palast, dem Wuhnsitz der Königin von England, nm l,^ Schuhe. Die Victorier wollen nän^ lich alle in allem übertreffen. Man tadelt sie deshalb nnd macht sich über sie lustig, aber ich denke mit Unrecht. Menschen welche keine Bedenken kennen, welchen kein Unternehmeu HU schwierig scheint nnd welche uor keinem Hinderniß zurück-schenen, solche Menschen bringen es weit. Es beweist dies weniger Selbstüberschätzung und Gefallsucht als Verwegenheit und Kraft. Aber Verwegenheit uud Kraft führen zum Erfolg wenn sie nicht zum Untergaug führen. Hem Gouverneur verursacht die übertriebeue Weiträumigkeit seiner Empfangsgemächer erhöhte Auslageu nnd, in geselliger Beziehung, manche Verlegenheit. Jeder Vietorier ist berechtigt anf dem Balle des Gouverneurs zu erscheinen, nnd die Gastfreundschaft Sr. Excellenz kennt nnr die dnrch den Raum gezogenen Grenzen. Je größer das Appartement desto gemischter die Gesellschaft. Doch hieran wird niemand Anstoß nehmen, außer wer die hiesigen Zustäude uicht versteht oder nicht verstehen will. Mein Amphitryon fährt mich durch die Suburbs (Vororte), nach dem Dorfe Kew. Es war eiue etwa l-'> Meilen lange Fahrt über eiu wellenförmiges Terrain, durchfurcht vou trefflichen Straßen oder vielmehr breiten Gassen welche, wegen der geringen Höhe der Hänser, noch breiter scheinen als sie sind. Eigentlich sind es nicht Hänser sondern Hänschen, nieist zierliche Eottages mit eisernen Dächern, auf drei Seiten von ciuer Veranda umgeben nnd immer in einem Gärtchen oder auf einem Fleck Nasen stehend der jetzt wie grüner Sammt und, Melbourne. 189 Während drei Viertel des Jahres, wie die Wüste Sahara aussieht. Nicht nur reiche oder wohlhabende Familien wohnen hier, sondern auch sehr kleine Leute. Aber, obgleich im raschen Trab? fahrend, konnte sich mein Auge doch an den glänzenden Fensterscheiben erfrenen, den frisch gewaschenen weißen Vorhängen, überhaupt an den Anzeichen der Ordnung nnd der Reinlichkeit, welche in diesen bescheidenen Wohnstättcn herrschen. Der ?)arra-Marra bringt einige Abwechselung in dies etwas einförmige Stillleben. Zwischen Tranerweiden schlangelt er sich dahin. Aber an manchen Stellen könnte man ihn beinahe malerisch finden. In dieser Jahreszeit des Ueberganges vom Winter zum Frühling folgen sich Regen nnd Sonnenschein, Windstöße nno Windstille mit großer Naschhcit nnd nnanfhörlich. Der Him mel sieht übellauuig aus, nnd wenn er hier nnd da lächelt so ist es ein gezwungenes Lächeln. Dichte Wolken werfen ihre schwarzen aber durchsichtigen Schatten über die Gegend. Der Wind verscheucht sie um sie alsbald wieder zurückzuführen. Die Sonne ist brenueud, die Luft eisig. Die öffentliche Bibliothek steht von 1<> Uhr morgens bis 1<» Uhr abends jedermann offen. Der Leser sncht selbst sein Buch uud trägt es dann an seinen Platz zurück. Ich fand eine beträchtliche Anzahl von Männern, aber die Mehrzahl war schlecht gekleidet und schien nnr gekommen zn sein um die Zeit zu tiM ten. Ganz gewiß gehören sie nicht der ausgewählten Gesellschaft an. Die ausgewählte Gesellschaft arbeitet; sie hat keine Zeit znm Lesen. Heute Abend ein sehr angenehmes kleines Diner in Government-House. Unter den Gästen befindet sich eine hübsche und juuge Australierin welche morgen, mit ihren Kiudern, nach England abreist. Der Gemahl, ein großer Sqnatter, wird ihr in einigen Tagen folgen. Dies jnnge Paar sprach von der Reise 190 Dritter Theil. Australien. wie man von einem Ausflüge von Wien nach Baden spricht. Die Frau nimmt den Morgen- der Mann den Abeudzug. Bei den Antipoden verliert man eben den Begriff der Entfernung nnd denkt nicht an die möglichen Unfälle znr See. Wer im dritten Stock wohut steigt, ohne es zn bemerken, die endlosen Treppen hinanf. Seine Besucher, freilich, kommen athemlos an. Gebirgsbewohner gehen mit uollem Gleichnmth längs Abgründen deren Anblick hinreicht den Bewohnern der Ebene den Angstschweiß anf die Stirn zu treiben. Es ist Gewohnheitssache. Melbourne. Vom ^7. April zum 5>. Mai l.^4. — Mein zweiter Aufenthalt in dieser Stadt, fällt in den Beginn des Winters. Himmlische Tage! Ein Wetter wie Saphir, würde man in der Türkei sagen: eine strahlende Sonne, ein wolkenloser Himmel, von einem etwas undurchsichtigen Lichtblau, au Porzellan von Sevres erinnernd- die Luft elastisch nnd,anregend; das Land verbrannt infolge der Sommerdürre; der Rasen in Staub verwandelt: das Laub grün, d. h. immergrün, jenes matte traurige Grün der Bäume welche das ganze Jahr über dieselbe Livree tragen. Außerhalb des botanischen Gartens nnd einiger schöner Anlagen in der obern Stadt, Eukalyptus, mir Eucalyptus, immer Eucalyptus, mit seinen krampfhaft gerungenen Nesten, mit den häugeudeu Blättern die zu sagen scheinen: Snche keinen Schatten bei mir, ich habe keinen zu bieten. Aber ich kümmere mich wenig nm das was auf der Erde vorgeht, ich erhebe den Blick zum Himmel, schlürfe die herrliche Luft mit vollen Zügen, nnd erfreue mich, nach dem bewegten Treiben der letzten Monate, des Daseins nnd der Ruhe in diesem irdischen Paradies. Lord und Lady Normanby sind abgereist. Die Fahne der Königin weht nicht mehr vom Thnrm des Government-House dessen hermetisch geschlossene Fenster und Thore die Abwesenheit des Vertreters der Krone versiunlicheu. Jedermann spricht Melbourne. 191 mir von dem eben geschiedenen Gouverneur. Man sprach weniger von ihm während seiner Anwesenheit, und das gereicht ihm zum Lobe. In ruhigen Zeiten ist es nicht nöthig daß ein hoher Functional- beständig anf der Schaubühne fignrire. Er erfüllt seine Pflicht wenn er die Maschine im Gange erhält, von sich selbst möglich wenig reden macht nnd jedes Aufsehen vermeidet. Es ist dies ein Mittel das Vertrauen in die bestehenden Zustände zu befestigen. Ohne dies Vertrauen gibt es keinen Credit und daher keine Arbeit, uud ohne Arbeit keinen öffentlichen Wohlstand. So beurtheilen hier die bedeutendsten Persönlichkeiten die Amtsverwaltung ihres letzten Gouverneurs. Marquis von Normanby, Sohn meines englischen Kollegen in Paris zur Zeit der zweiten Republik und des Staatsstreichs, durch mehrere Jahre im Unterhause als Whipper-iu für die Whigs thätig, kounte in spätern Jahren seine im Parlament erworbene Erfahrung verwerthell, zuerst als Gouvernenr in Halifax, dann in Ncnseelaud uud endlich in Victoria. Zugleich Staatsmann uud gentleman <»f tn6 sport, mußte er sich hier der streugen Colo-nialetikette unterwerfen, welche ihm nicht gestattete Besuche zurückzugeben oder sich anders in den Straßen zu zeigeu als in seiner Earrosse mit einem Stallmeister an der Wagenthür. Aber einmal, außerhalb der Stadt, kntschirte er selbst sein feuriges Viergespann zum nicht geringen Ergötzen der Menge die, trotz ihrer schwieligen Hände und der demokratischen Gesinnungen, den großen Herrn aus Altengland mit Vergnügen betrachtete. Tcr botanische Garten hat, vom Mrra-Iarm bewässert, sein frisches Grün bewahrt. Der Sonntag füllt die Pfade nnd Rasenplätze mit Spaziergängern, uud einige Weiber nud Männer der Heilsarmee singen nud predigen znr geringen Erbauung der Zuhörer uud beständig unterbrochen durch grobe oder unflätige Witze, wobei sich die Laritins hervorthuu. So 192 Drittrr Theil. Australien. nennt man misrathene junge Vnrsche, eine Geisel der australischen Großstädte, würdige Rivalen der berliner Lonis oder der wiener Kaftpelbnben. Die Soldaten der Heilsarmee, besonders die Weiber, sahen änßerst gemein ans. Ihre Gesänge erinnern an die der blinden Bettler in nnsern Städten. Von Zeit zn Zeit trat eine der Franen vor nnd hielt eine knrze Predigt: „Wann werdet ihr sterben? Ihr wißt es nicht. Vielleicht in zwei, vielleicht in drei Stnnben, vielleicht heute Abend, vielleicht morgen. Der Erlöser streckt die Arme nach ench ans. Bereuet enere Sünden." Es waren immer dieselben Worte, in den: Tone einer Schülerin welche ihre Leetion hersagt, nnd mit den Bewegnngen eines Antomaten, vorgebracht. Ein Mann, der halb Geistlicher nnd halb Hanswnrst schien, dirigirte die Vorträge. Die Znhörer lachten nnd die Larikins brüllten. Eine ekelhafte Scene, aber, näher betrachtet, vielleicht doch anch ein, wenn man will, grotesker Protest gegen die große Bewegung deren Zweck die Entchristlichnng der Gesellschaft ist. Ver Elnb gefällt mir. Ich bewohne eine Zelle nnd schlafe in dem Vett eines Mönches. Außerdem ein oder Zwei Ttroh-stuhle, dagegen aber fürstliche Wasch- nnd Badeanstalten. Mehr verlange ich nicht. Der Tisch ist gut bestellt, die Bedienung desgleichen nnd der Sveisesaal groß nnd luftig. In der Bibliothek gestatten die hohen, jetzt stets geöffneten Fenster dem Licht nnd der Wärme Eingang, nnd bequeme Armstühle laden zn Betrachtungen oder znr Lektüre ein. Man findet hier alle australischen Zeitungen welche jedoch nur für Lente Interesse haben können die Gold suchen oder mit Ländereien nnd Vieh Handel treiben. Daneben liegen aber auch die nenesten englischen Blätter, Revncn nnd Flugschriften auf. Es ist wirklich ein Club wie weuigc. Wenn man ohne Schwierigkeit zn den (^>räou Mrtw« und Bällen des Gonverneurs Zutritt fiudet, so läßt sich dasselbe Melbourne. 19Z nicht von dem Melbourne-Clnb sagen. Die aus der Demokratie Hervorgegangenen werden leicht zn Aristokraten, und der E^clll^ sivismus, der dem menschlichen Herzen eigen zn sein scheint, setzt sich über die gleichheitlichen Institutionen ohne Scrnpel hinweg. Die Geschichte beweist, meine Reisen nm die Welt bestätigen diese Thatsache. Die Ulüversität, ein schönes in einem Garten stehendes Ge-bände, ist, in jedem Sinne des Worts, eine Wiege der Wissenschaft. Man spricht sehr vortheilhaft von den Professoren nnd Studenten.. In den neuen Ländern ist der jedermann beseelende Wnnsch möglichst rasch reich zn werden der große Feind der Wissenschaft. Wissen hat für den australischen Stndenten in der Regel nur Werth als ein Mittel früher als andere seineu Zweck zu erreichen, nnd dieser Zweck ist Gold. Eine Ausnahme, nnd es gibt deren, können nur edle und ausgezeichnete Natnren machen. Besitzen sie anch die nöthige geistige Begabnng so müssen sie eine Leuchte der Wissenschaft werden. Ich schlenderte eines Abends in Bonrke-Streer, wie Collin-Street, eine der großen Parattelstraßen, nnd gelangte dnrch eine mit elektrischem Licht prachtvoll erleuchtete Vorhalle in einen dnnkeln halbleeren Eaal. Es ist das „Tpernhans" nnd man gab Offenbachs „Blaubart", eingerichtet für diese Bühne. Das Stück in seiner Vcrkleidnng, die Trnppe, die Ansstattnng, das Orchester, der Saal und das Pnbliknm bildeten ein wenig anziehendes Ganzes. Der Znfall hatte mich bei der Wahl des Theaters nicht begünstigt. Auch in London und Paris gibt es ähnliche entsetzliche Belnstignngsorte. Die jnngen Herren in meinem Club waren hierüber verdrießlich nnd führten mich, um den ungnnstigen Eindruck zn ver- v. Hiidni>r. I, 1Z 1>>4 Dritter Tycil. Australien. wischen, in das Bijoutheater. Ein sehr netter Saal, cin anständiges Publikum nnd eine gelungene Vorstellung. Hierzulande sftieleu zuweilen ganz gnte englische Truppen, aber niemals oder höchst selten Schauspieler ersten Ranges, weil der Australier, in Melbourne, in Sydney, in Adelaide, 4 Schillinge für den Sitz zahlt, bei großen Anlässen 5», nnter keinerlei Umständen mehr. Dafür kann man keine Patti oder Nilsson hören. Die Ristori, die große Tragodin, hat diese antarktischen Gegenden vor vielen Jahren besucht, nnd die in den beiden Amerika gemachte reiche Goldernte mußte das Defieit der Expedition nach den Antipoden decken. Für Virtuosen ist dies also kein günstiger Boden. Kann man es den Anstraliern verübeln? Ich glaube kaum. Die ungeheuere Mehrzahl will Geld gewinnen, uicht an^geben. Die Leute wollen keine Wechsel ziehen anf eine uugewisse Zu kuuft und bleibeu bei ihren 4 Schillingen für den Fanteuil, worau sie wohl thun. Beim Nachhausegeheu glaubte ich mich nach Paris anf den Bonlevard des Italiens versetzt. Die Menge drängte sich in Bourke-Street, darunter viele Herren und einige Damen in Abendtoilette. Die Kaufläden waren glänzend erlenchtet und die Restaurants zeigteil bei elektrischem ^icht Hnmmern, Anstern, Früchte nnd sonstige Leckerbissen. Man kam und ging. Ganz wie in Paris; die Tänschnng war vollständig aber von kurzer Daner. Dies bewegte Treiben beschränkt sich anf einen sehr geringen Raum. Ein paar Schritte weiter, herrschen Dnnkel nnd Einsamkeit. Ich habe bereits der Goldminen erwähnt und der vielen Enttäuschungen die sich an sie knüpfen. Nur eine sehr geringe Anzahl der Goldgräber ist reich geworden. Große nnd ergiebige Geschäfte werden, in Vietoria, hauptsächlich im Handel mit Län-dcreien gemacht. Anf diesem Wege werden nngehenere Vermögen erworben. Der „^andschacherer" geht hierbei folgender Melbourne. 195 maßeu zu Werke. Er kauft Weidegründe, Runs, verpachtet sie mit dem von ihm darauf gestellten Vieh, meist Schafen; und veräußert sie sodann mit großem Gewinn. Dies Vorgehen wird mehrmals wiederholt. Nach einer gewissen Anzahl von Jahren, sind diese Leute reich gewordeu und können, dem Wuusche ihres Herzens folgend, nach England zurückkehren. Auf diese Weise entstehen die „neueu Reicheu", die nmiveaux ril?dß8. Aber die eigentlichen Squatter, jene welche nicht sveculircn sondern Viehzucht treiben, verlieren an Vedeutuug uud steigeu laugsam die sociale Leiter herab. Es wird mir versichert daß die, seit der Entdeckung des Goldes, so beträchtliche Einwanderung iu den letzten Jahren fast gänzlich aufgehört hat. Tie Regieruug besteht aus Mäuuern oder Freunden der nuteru Klassen welche keine weitere Einwan-deruug Wolleu. Daher wird dermalen den Iinmigranten keine Staatshülfe mehr gewährt. Noch vor knrzem bestritt die Eo-lonie einen Theil der Reisekosten. Diese Subvention hat anf-gehört. „Den Leuten aus dem Volke", wurde nur gesagt, „welche, infolge des ueueu Wahlgesetzes, uusere Herreu geworden siud fehlt es uicht an Einsicht. Nnr ist ihr Gesichtskreis ein be schräntter; aber sie wissen was sie wollen und sie kennen ihre Interessen, d. h. die Interessen ihrer Klasse, welche nicht immer die Interessen des Landes sind. Das Territorium der Eolonie ist sehr ausgedehnt: ob es mehr oder weniger bebaut werde oder brach liege kümmert sie wenig. Sie wollen es aber für sich allein besitzen und zn ihrem ausschließlichen Vortheil ansnntzen. Was sie, über alles, befürchten ist ein Herabgehen des Arbeitslohnes. Also keine Eouenrrenz! dies ist ihr Losnngswort. Sie wollen wol den Knchen unter sich, sie wollen ihn nicht mit neuen Ankömmlingen theilen." — „Sehen Sie sich doch die Leute an", sagte mir ein alter australischer Pionier, „welche vor deu Trinkbudeu stehen. Sie erwerben ihr Brot als Lastträger oder durch ähnliche Beschäftigungen, und sind uusere Herreu und Meister. Ein jeder von ihneu ist Wähler. Sie haben die 13- 196 Dritter Theil. Australien. Arbeitszeit auf acht Stunden festgesetzt, gewisse Vorrechte erlaugr und die Einwanderung zum Stillstand gebracht. Daß dieses System zmn finanziellen nnd ökonomischen Ruin des Landes führen muß sehen sie nicht ein. Vorderhand sind sie gnter Dinge, vcr-hältnißmäßig wohlhabend uud daher zufrieden; aber es sind Leute die uou ihren« Kapital leben." Die Männer der höhern Stände wnrdcn, mit wenigen Ausnahmen, aus allen Aemtern verdrängt. Sie fühlen sich besiegt und fügen sich in ihr Los mit dem Schweigen der Ergebnis in das Unvermeidliche, denn sie wissen daß sie einen Umschwung zu ihren Gnnsten nicht zu erwarten haben. Die nenen Herren und Gebieter gleichen Kindern welche in einen Speisesaal mit einer großen reichlich besetzten Tafel gedrungen sind. Sie schließen die Thüren um das Vorhandene allein zn verzehren, was sie doch nicht vermögen. So essen sie sich krank nnd der Nest der Speisen verdirbt. In meinem Clnb werden Menschen und Dinge der Colonie fortwährend besprochen. Ueber die Menschen sind die Ansichten getheilt, aber über die Dinge herrscht nnr Eine Stimme: Victoria ist, in jeder Veziehnng, das erste Land der Welt. Und nicht nnr junge Leute, auch ältere, verhältnißmäßig hochstehende, seit vierzig Jahren hier angesiedelte Männer, die „Pioniere" Melbournes, gefallen fich in diesem Selbstlobe. Man nennt dies dimvinZ tn6 ti-umM, in die Trompete stoßen. Sie blasm musterhaft, unermüdlich, mit kräftiger Lnnge, nud ich bin weit entfernt es ihnen übel zu uehmen. Am Ende ist es ja doch nur der ehrliche Allsdruck ciuer tiefen, wenngleich naiven, Ueber-zengnng. Und dann ist es so wohlthuend vollkommen znfrie-dene Menschen zu sehen. Ich habe deren niemals in Enropa. begeguct. Tio intcrcownialo Eisenbahn. 197 Die Umgebung von Melbourne ist nicht malerisch, besitzt aber doch einige hübsche Punkte. Tu zum Beispiel ermangeln St.-Kilda oder Brighton keineswegs eines poetischen Anhauchs. Da findet man wohlgehaltene Gärtchen und kleine nette Häuser, freilich durch Unternehmer alle nach demselben Modell erbant, und das Meeresufer, nnd die erfrischende Seeluft, und blaue Berge iu der Ferne nnd, was die Hauptsache, gute freundliche Menschen. In einen: Theil der Wälder welche die ebcngenannten Berge, noch mehr als die Entfernuug, blau färben wachsen, an einer Stelle Black-Spur genannt, die höchsten Bäume der Welt. Sie habeu die ealiforutschen Waldkönige entthront. Einige uon ihnen erreichen die fabelhafte Höhe von 140 Meter. In der Nähe wird Weinbau betrieben. Den besten Tranbensaft liefern die Weingärten eines schweizerischen Edelmanns, des Grafen Hnbert von Kastella dessen Einladung ich leider, wegen Mangel an Zeit, nicht annehmen konnte. Seine Weine dürften, vorausgesetzt daß sie die lauge Ueberfahrt ertragen, einst in Europa mit unsern ersten Gewächsen wetteifern. Von Melbonrne nach Sydney, 5. bis li. Mai. — Nach langen Zügerungen, Berathungen, Unterhandlungen, welche einen Einblick in die Natnr der internationalen Beziehungen gestatten, verstanden sich endlich die Regierungen von Virtoria nnd New-Sonth-Wales über den Nnschlnsi ihrer beiderseitigen Eisenbahnen nächst der am Mnrray gelegenen Grenzstadt Albnry. So kam die ununterbrochene Linie Melbonrne-Sydney zn Stande. Es wnrde sogar ein direeter Zug eingerichtet welcher die Entfernung Mischen den beiden Hauptstädten, 580 Meilen, in 20 Stunden zurückgelegt. Dieser Eilzug, der also 30 Meileu in der Stunde fährt, besitzt noch den Reiz der Nenhcit, nnd die Zeitungen geben täglich die Namen der Passagiere. Das Land ist so wie ich es anf diesem Continent überall 198 Trittrr Thcil. Australien. sah: viele, wenige oder keine Eucalyptus; uuabsehbare, hori' zontal gespannte Eisendräthe, welche die Rnns oder Ttatiolien der Sqnatter voneiuauder scheiden; sehr wenige Städte nud diese meist nnr aus einigen Hänsern bestehend. Letztere, mit ihrer Veranda vor der Haupt- nud einigen Nadelholzbänmen an deu Nebenseitcn, sehen sich alle zum Verwechseln ähnlich. Eine trostlose Monotonie, nnr übertroffen dnrch die des Waldes, des dichten, des halb gelichteten, des ausgerodeten Waldes. Der Vollmond ergießt sein Silberlicht über verkohlte Baumstämme, über Bäume die ihre Wipfel verloren haben, über entastete, über entblätterte Bänme, über die Skelete des Waldes die im Abendwinde zittern. Der grauende Morgen beraubte die Einöde des elegischen Anhauchs welchen die Mondnacht über sie verbreitet hatte. Golbonrne sieht stattlich ans, und verdient wirtlich deu Namen einer Stadt, aber die Gegend bleibt sich gleich. Nichts als Gnmmibänme. Endlich zeigen sich die fliehenden Umrisse der „Blauen Berge" und bald daranf die rothlichweißen Hänscrmassen von Sydney. Noch eine halbe Stunde, und der Zug länft in deu geränmigen Bahnhof der Hauptstadt von New-South-Wales ein. Ill, New-South-Wales. Vom 17. zum ä<,>. November l^3; vom ,!. Zum 2<>. Mai 18«1. Geschichtliche Notizen. — Die Physiognomie von Sydney. — Notany-Bay. — Die Universität. — Ausftiiqc nach den „Blauen Bergen" und nach dem Hawkesbnry Flnß. ^ Die Arbeitslosen. Dcm portugiesischen Reisenden, 3)tanoel Godcnho, welcher im Jahre l«'»M an der Nordknste von Anstralien landete, gebührt die Ehre dics^'n (lontilu'iit mtdcckt zu habcn. Ihut fol^k'n HMWdischc Schifffcchrcr dor^n berühmtester, Tasmau, dic Insel, welcher später die Engländer seinen Namen gaben, nach dem damaligen Gmwernenr von Holländisch-Indien Vandiemensland genannt hatte. Das grosie Land, Nen-Holland ward Anstra-lien, Südland, nmgetanft. In diesen entlegenen Gegcllden verdankt man auch den Franzosen mehrere Entdeckungen. Aber der größte Erforscher war Kapitän Eook. Im Jahre l77<) lan dete er, von Nenseelaud koinmend, ill Votany-Vay, besnchte das umliegende Land nnd nahm davon für deu König von England Besitz. Der erste Gonvernenr, Eommodore Philip, traf 17^7 ein. Seine Anfgabe war die Errichtung einer Ttrafeolmüe. Bekanntlich wnrden in uenerer Zeit alle diese Anstalten auf-gehubeu. Aber obgleich feither beinahe 30 Jahre verstricheu sind, haben weder die Zeit noch der Znflnß so vieler Einwanderer die Sftureu jeues Systems gänzlich verwischt. „Es ist eine 200 Dritter Thcil. Australien. noch nicht ganz geheilte Wunde", sagte mir cine hier geborene Dame. „Nehmen Sie sich in Acht sie zn berühren. Tprechen Sie niemals das Wort Convict aus." Dieser nur halb verlöschte Fleck, der sich dem unerfahrenen Auge entzieht, ist in Wirklichkeit ein Krebsschaden an welchem die Eolonie noch heute leidet. Man weiß wer das Blnt eines Deportirten in seinen Adern führt, und die Sühne müssen büßen für die Süudeu der Väter. Zwei für Ncw-Touth Wales charakteristische Thatsachen verdienen erwähnt zu werden. Während Nordamerika seine erste Eolonisirung der freiwilligen Einwanderung von Privaten verdankt, entstand die große australische Eolonie nicht dnrch das Herbeiströmen von Individuen welche hier ihr l^lnck machen wollten, sondern sie war das Werk der englischen Regierung. Ihr Ursprung so wie ihre Entwickelung bis zum Jahre 1856, welches ihr die Autonomie brachte, tragen einen ansschließlich amtlichen nnd bureaukratischen Charakter. Die andere Eigenthümlichkeit liegt darin daß Neuseeland, Vandiemeusland (Tasmania), Victoria nnd Queensland, einst Depeudenzen von New-South-Wales waren. Sydney. Vom 17. zum 29. November 1^3. — Jeder Eingeborene dieser Stadt behauptet daß die Bucht an der sie liegt von unvergleichlicher Schönheit ist. Ich gebe dies zu, weil sie mit den Gegeudeu, welche für die malerischesten der Welt gelten, auch uicht die geriugste Aehnlichkeit besitzt, mithin anch nicht mit ihnen verglichen werden kann. Ich gehe noch weiter, ich sage, sie ist mehr schön als malerisch. Ich möchte sie mit dcm Antlitze einer Frau vergleichen, welches uns kalt ließe ohne den die Züge belebenden Ausdruck einer cdeln Teele. Wir sehen hier eine ungeheuere Wasserfläche welche sich gegen Osten, bei den Heads, nach dem Oeeau öffnet, dagegen Sydm'y. 201 westwärts ties in das Land dringt. Ihre Verzweigungen nnd kleinen Nebenbuchteu scheinen uuzählig. Landeinwärts, am äußersteu Ende, nimmt sie die, gleich dem bewaldeten Gelände, blauen Wasser der Paramatta ans. Am südlichen Ufer verbreitet sich die Stadt über eine niedere, zerklüftete Hügelkette: für das Auge eine Reihe von kleinen Vorgebirgen und Schlnchteu. Gegenüber ans dem nördlichen Ufer, North-Shore, stehen, zwischen Gärten nnd Anlagen, die Hänser der diesen Namen tragenden Vorstadt. Nach allen Richtnngen hin, sind die Ufer hügelig und dic dnrch flache Thäler geschiedenen Anhöhen scheinen sich in das Unendliche zu wiederholen. Allenthalben gewahrt man reizende Einzelheiten welche andere ähnliche landschaftliche Motive, auch wo sie sich unsern Blicken entziehen, gewissermaßen errathen lassen. Es sind einzelne Partien eines Gemäldes die sich im Halbdunkel verlieren. Man schreibt dies dem beschränkten Gesichtskreise zu. Aber das Gesammtbild ist doch schrankenlos. Dies ist der erste Eindrnck welchen Sydney macht, und er wiederholt sich unabläßlich: der Eindruck des Uubegrenzteu. Es ist der Zauber welcheu der Oeeau und das Firmament auf uns ansübeu. Sie stelleu bildlich dar was wir definiren aber nicht fassen können: das Unendliche. Um uns eiueu Begriff vou der Ausdehnung dieser Bucht zn geben sagte man nnv das; ein Boot, welches sie in allen ihren Nebeubuchteu dem Ufer eutlang befahren sollte, bei seiner Rückkehr am Ausgangspunkte, einen Weg von 4M Meilen zurückgelegt hätte! Die geringe Höhe der Ufer läßt das Becken noch größer erfcheinen als es wirklich ist. Die wundervolle Harmonie in dem Verhältnisse zwischen Wasser und Land bildet, meinem Gefühle nach, deu großen Reiz der Zeichnnng. Vom Colorit werde ich sogleich sprechen. Hätte der Künstler hohe phantastisch geformte Berge hinzugefügt, so würden diese natürlich deu Blick des Betrachtenden auf sich lenken, sie würden den, bereits niedern Hügelrahmen noch mehr verflachen und, dnrch den Vergleich mit sich selbst, die Wasserfläche verkleinern; aber Wasser uud W2 Dritter Theil. Australien. Himmel bilden eben die Hanptelemente dieses Meisterstücks der Natnr. Die Ufev, außer wo die Häusermassen sie roth und weiß färben, sind mit Vegetation, d, h. mit Enealyvtns, schwarzblanem oder schwarMünem Eukalyptus, bedeckt. In den Gärten sieht man wol einige Norfolkfichten und einige Sanet-Helena-Trauer-weiden welche in die düstern und eintönigen Tinten etwas Abwechselung bringen, aber Schwarzgrüu herrscht vor und der Eiu-druck ist ein einförmiger, und, an trüben Tagen, ein über allen Begriff melancholischer. Da der Ocean nnr durch die Heads, eine schmale Meerenge, geseheil werden kann, nnd diese Heads nnr von den Höhenpunkten der Stadt ans sichtbar sind, bietet die Bucht den Anblick eines Landsees. Mit Verwunderung betrachtet man die Masse von Kriegsschiffen, riesigen Packetbooten und großen Segelschiffen welche hier vor Anker liegen. Eigentlich ist die Landschaft nichts als ein Wasserbecken mit einem schön gemeißelten Rande, nnd doch bringt sie eine so gewaltige Wirtnng hervor daß man sie Nio de Janeiro, Neapel nnd Konstantinopel znr Seite stellt. Eine schwache Analogie mit den niedern, baumreichen und zerklüfteten Ufern des Bosporus gebe ich zu, aber alle andern Vergleiche scheinen mir ganz uud gar verfehlt. Ich erwähne ihver nur als eiues Beweises wie ungeheuer die mit so geringen Mitteln hervorgebrachte Wirkung ist. Der Himmel nnd die Abstnfuugeu des Lichtes erklären das Wunder. Hier verläßt mich der Mnth weiter zu schreiben. Man mnß nie das Unmögliche versuchen. An manchen Tagen, zu ge-wisseu Stunden, gleicht die Bucht einem erst angelegten Aquarell. Gran anf grau, fchwarz auf schwarz. Ein kanm begonnener Graffitto. Dann zerreißen einige blasse Souuenstrahleu das Gewölk indem sie es verduukelu. Je uach der Stimmung der Luft näheru oder eutfernen sich die kleinen Wasserbecken uud Neben-bnchten. Die ganze Landschaft ändert sich, mit der Beweglichkeit der Züge eiues Mnoes welches, abwechselnd lacht, weint, in Zorn geräth nnd sich wieder besänftigt. Ein andermal, bei Sydney. 2M einer in dieser Jahreszeit seltenen Stimmung der Atmosphäre, würde man sich, wären die schwarzen Schatten nicht, nach den duftig blauen Gestaden unsers Mittelmecrs versetzt glauben. Himmel und Wasser sind mit nltramarineu Tönen übergössen. Ich wandle auf einem Pfade, der Bucht entlang, am Fuße der Anhohe welche den botanischen Garten trägt. Zu meiner Linken erscheint die Silhouette vou Government-House, dunkel aber durchsichtig schwarz; hiuter ihm, in größerer Eutferunug, fällt ein anderes, blaßschwarzes, Vorgebirge in die Bay ab. Gcgeuüber zeigt sich North-Shore tief uud uudurchsichtig schwarz. Zwischeu den Anhöhen uud meinem Standpuukte fallen die Sonnenstrahlen fast seukrecht, aber ohue sie zu dnrchdriugeu, auf die Rauchwolken vorüberziehender Dampfer. Alles andere in dem Bilde ist Gold und I^i>i3 Ia/uN. Man sieht der Stadt Sydney an was sie ist: eine Tochter Altenglands nnd die Metropole Anstraliens. Die nicht allzu, breiten und nicht überall schnurgeraden Straßeu folgeu den Be-wegnngen des Bodens. Es ist augenscheinlich daß, znr Zeit ihrer Grüuduug, Amerika den Antipoden noch nicht als Vorbild diente. Sydney hat nichts Amerikanisches nud nnterscheidet sich hier-dnrch uou Melbourne, Brisbane und den nenseeländischen Städten. Der Palast des Gonverueurs steht iu einem schönen Park uud geuießt der Aussicht auf die Bncht. Er wurde vor nn-gefähr :',<» Jahren im elisabethischen Stil erbant nnd gilt mit Recht für eiu Meisterstück moderner Bantunst. Die Ministerien, zahlreiche Kirchen, darnnter die prachtvolle, aber noch unvollendete katholische Kathedrale im Mittelpunkte der obern Stadt, die Uni versität in dem westlichen Viertel, welche eine Anhöhe krönend die Blicke der Ankommenden schon ans der Ferne auf sich zieht, viele schöne Privathänser, rechtfertigen den Stolz nnd die begeisterte Anhänglichkeit der Bewohner an ihre Stadt. In den großen ^04 Trittcr Theil, Australien. Parallelstrasien blühen Handel und Gewerbe. 9iachinittags zwischen 4 und 5) Uhr füllen sic sich nnt Damen welche hier ihr» Einkänfe machen und zngleich sich nud ihn' Toiletten bewundern lassen. In der obern Stadt, führen lange und elegante, daher wenig belebte, aber leider von Dampftramwageu infestirte (lassen, an schönen Gartenanlagen vorüber, nach den östlichen Vorstädten. Biegt mau dann links ein so gelangt man, fortwährend auf-nnd niedersteigend, in ein mit Gärten und Landhäusern besäetes Hiigelgelände. Es sind dies die früher erwähnten kleinen Vorgebirge. Die Bncht zeigt nnd verbirgt sich abwechselnd. Das Ganze ist eine altenglische Landschaft mit halbtropischer nnd australischer Vegetation. Man vergißt nicht leicht Pott's Point nnd Darling Point, Donblebay nnd Rosebay, nnd auch nicht die Heads mit ihrem elektrischen Lenchtthnrm, der 300000 Pfd. St. gekostet hat, der Stolz nnd die Frende der Sydneyer. Ich genieße mit Lord nnd Lady Rosebery die Gastfreundschaft des Gonvernenrs nnd seiner Gemahlin Lady Angnstns Loftns nnd finde Gelegenheit mehrere der Notabilitäten kennen zn lernen. Meine Veziehuugeu mit dem Chief Justice Sir James Martin, dem Premierminister Mr. Stuart, dem Attorney-General Mr. Dalley, dem Nichter Sir George und seiner reizeu-deu Gemahliu Lady Iuues, mit Herrn Mitchell und Sir Patrick Jennings nnd so vielen andern interessanten Persönlichkeiten werden mir immer in angenehmer Eriunernng bleiben. Großer Morgenempfang im Government Honse, einer jener in der eleganten londoner Welt beliebten, nnd, nnter nns gesagt, in der Regel nicht sehr kurzweiligen Naräen partis. Hier aber Botcmy.Vay. 2<>"> unterhält man sich bei solchen Gelegenheiten. Die Herren sehen zwar ernst und nachdenklich aus. Es ist leichter sein Comptoir oder sein Magazin hinter sich zu lassen, als die Sorgen, die Hoffnungen, die Gemüthsbewegungen der Geschäfte. Aber die jnngen Mädchen uud die jungen Frauen unterhalten sich köstlich. Alle zeichnen sich aus dnrch ihre einfachen aber geschmackvollen Toiletten, manche dnrch Schönheit und elegante Manieren, die iu der Colouie geborenen dnrch jene Mischung von Lebhaftigkeit uud Apathie welche soust nur den Creolinnen eigen ist. Obgleich die Sonne sich neigt, ist die Hitze noch bedeutend, etwa wie an einem schwüleu Sommertage in Neapel. Noch vor acht Tagen hatten wir kühles englisches Frühlingswetter. Die Sydueyer sind entzückt über ihr 5tlima; aber die enropäischen Residenten finden es schwächend, entnervend und die Quellen des Lebens langsam erschöpfend. Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte. Ausflug nach Votauy-Vay. Waldeiusamleit beginnt wo Sydney anfhört. Der Anblick der Bay uud ihrer Ufer entspricht dem Namen, welcher gleichbedeutend geworden ist mit refu^ium poccatonim, wenn eiue weite unbewegte, schweigsame Wasserfläche, wenn die sie auf drei Seiteu umrahmenden niedern, hier nackten dort mit magerm (tnealyvtns bewachsenen Felsufer, wenn ein ödes Gestade, welches ohne einen kleinen Artillerie-Posten und die Signalstation gänzlich verlassen wäre, weun diese in cm Gesammtbild vereinigten Elemente geeignet sind duukle Begriffe von Verbrechen und Strafe wachzurufen. Der, heute, graue Himmel erhöht den Cindruck der Trauer und Verlassenheit. Am Strande steht ein auf Kosten der französischen Re-giernng, znr Zeit der Nestanration, errichtetes Monument des kühnen Weltnmseglers La Perouse. Die Inschrift sagt daß seine letzten Nachrichten von hier datirt waren (17^). Einige Schritte 20s> Trittcr Theil. Australian. weiter findet lnan das gut erhaltene Grab des Almoscniers der Expedition. Wir g^licn an den zwei oder drei Zelten der Artilleristen vorüber, deren Bewohner am verbrannten Grase ansgestreckt, der iiberhänfigen Schlangen nneingedenk, ihre Siesta halten. So leicht wird der Mensch vertrant mit der beständigen Gefahr. Die Reptilien sind in diesem Theil des Kontinents eine wahre Landplage. Wenn man zn Pferde reist im Walde, nm die Mitte des Tages während der größten Hitze, findet man deren immer am Wege zusammengerollt, nnd, in diesem Falle, muß man ihnen Zeit lassen sich zn entfernen. Mit Ansnahme einer Viper, die todte oder tanbe Adder genannt, welche dnrch das Geräusch des Herannahenden nicht geweckt wird und daher nm so gefährlicher ist,, fliehen sie den Menschen. Ihr Biß ist meist tödlich. Nachts pflegen sie die Bahnhofe zn besnchen nnd anf del» breiten Steinen der Plattform zu lagern, daher Reisende mit Nachtzngeu immer zur Vorsicht ermahnt werden. Nichtsdestoweniger kommen unter Weißen Schlangenbisse selten vor. Der Enealyptns des Waldes steigt an einigen Stellen herab bis an den Rand der ihn spiegelnden Lagune, neigt sich über sie, betrachtet wohlgefällig seine knrzen, magern, verkrüppelten Aeste, sein spärliches Laub nnd die gesenkten, keinen Schatten gewährenden. Blätter. In diesem Walde begegneten wir einer Familie von „eivilisirteu" Aborigines, wenn Beinkleider nnd eine Pfeife auf diese Bezeichnung Anspruch gewähren. Die Universität wnrde im Jahre 1^5>l gegründet. Der Attorney-General Mr. Dalley hat die Güte mich M begleiten, und der in der gelehrten Welt rühmlich bekannte 1'»-. Carolus Bad-ham* zeigt uns die Anstalt. Der Professor ist ein Zögling * Sritdnn gcswrben. Sydney. 207 Pestalozzi's, hat in England, Straßburg mid Rom stndirt, nnd erinnert, durch seine äußere Erscheinung, all deli Gelehrten des 17. Jahrhunderts. Der Mann schien mir in allem eine Allsnahme von dem Gewöhnlichen oder Herkömmlichen: ein Philologe bei den Antipoden, der dnrch das Ansehen seines Namens und den Reiz semcr Persönlichkeit es vermag die Ingend alt sich zu -ziehen nnd ill ihr den Geschmack für die Wissellschaft zu wecken! Der Doetor spricht ansier seiner Muttersprache, deutsch, französisch, italienisch, ohne allen fremden Aeeent. Das Gebäude, die Halle, die verschiedeneu Säle nnd Sammlungen geben den Eindruck einer reichdotirten und gutgeleiteten Anstalt. Die meisten Schulen in Anstralien sind eonfessionslos, undenominational. Die Leute aus dem Volke — ich spreche hier von den Protestanten — obgleich in der Regel gläubige Christen welche Sonntags die Predigt hören, bestehen darauf das; kein Religionsunterricht ertheilt werde. Sie meinen auf diese Art religiösen Zwistigkciten in der Familie vorzubeugen!! Die katholische Geist-Nchkeit, die Bischöfe an der Spitze, Protestiren, bisher fruchtlos, gegen dies System der Scheidung zwischen der Wissenschaft und den: Glauben. Letzte Nacht grosier Ball bei Mr. Mitchell. Die Gemächer winden in West-End oder Belgravia für elegant gelten. Dies läßt sich besonders dem Tanzsaal nachrühmen. Die Gesellschaft war zahlreich und die vielen Umformen der Seeoffiziere gabeil der Versammlung einen glänzenden Anstrich. Das Fest hatte einen vornehmen Eharakter. Es gehört ein gewisser Ninth dazu ill dieser demokratischen Atmosphäre, Haus zu machen. Neun man nur die Bedienung entbehren könnte! Ilmc Mk6 laci-y-mk«! Als sich nnlängst auf einem Balle die Gefellschaft znm Sonper begab, liatten sämmtliche Domestiken das Haus verlassen. 208 Drittcr Theil. Australien. Eiu am Laude augcuehm verbrachter Tag. Wir fahren auf der Bahn nach Richmond nm eiu Gestiit zu besucheu. Wald, Wald, Wald. Zäune, Weideland, und Schafheerden. Einige schöne Oraugenbämne, nnd dann wieder du^l nnd Eukalyptus verschiedener Gattung. Vor uns die Blaueu Berge, nnd jc >uehr wir nus ihnen nähern nm so blancr werden sie. Ani Ende des Tages, ein biblisches Mahl bei dem Eigenthümer des Gestütes, der aussieht wie eiu Patriarch der Weidegründe von Bertseba. Das Colonial-Offiee enthält die Kanzleien des wichtigsten Ministeriums; in seiner Art das Muster eines ähnlichen Zweckeu dienenden Gebäudes. Kein Luxus, nichts Ueberflüfsiges, aber das Nothwendige in äußerster Vollkommenheit. Iu der Nähe befiudet sich die öffentliche Bibliothek die von ll) Uhr morgens bis 10 Uhr nachts geöffnet ist. Was würden uusere Herreil Bibliothekare zu deu Nachtstunden sagen? Sie sind aber eine große Wohlthat für Mäuuer welche, uach vollendeter Tagesarbeit, ihren Abend mit Lektüre verbringen können in einem luftigeu, gut geheizteu und gut erleuchtete»! Saale, nnd zwar ohue eiueu Penny zn bezahlen. Eyduey besitzt auch ein Museum und eiue öffeutliche Galerie. Die Gemälde, der Mehrzahl uach Aquarelle, kommeu ans (tug-land. Diese Stadt ist in jeder Veziehnng bedeutend. Und doch zählt sie kamn hnndert Jahre, nnd niar noch vor nicht sehr langer Zeit eine Strafanstalt.* Der Premier Mr. Stuart und der AttorneyGeneral Mr. Dal-lcy veranstalteten eiueu Ausflug uach deu Blaueu Bergen. Lord Augustus Loftus mit seiueu Gästeu, die politischeu uud geselligeu * Zähl der Einwohner, sämmtlich Weiße, 800000. Dic Blau«: Vcrgc. 209 Vtotabilitäten füllten mehrere Waggons eines Extrazuges. Diese Waldnatur ist, trotz ihrer Einförmigkeit, nicht ohne landschaftliche Schönheit. Je mehr der Zng in das Gebirge eindringt nnd die ersten Staffeln desselben ersteigt, je mehr erhebt sich am Horizont, einem nngeheueru gelben Vorhänge ähnlich, die staubige sonnverbrannte Ebene in unserm Rücken. Aber vor, über und unter nns nichts als Wald, d. h. die ewigen Gnmmibänme mit ihren gekrümmten, weißeu oder granen Stämmen nnd Acsten, mit den gebengten Wipfeln, den grau-grünen Blättern, welche dermalen der Frühling mit rothgelben Tönen übergießt. Bei uns sind dies die Farben des Herbstes; aber hier ist alles anders als auf der übrigen Welt. In diesen Wäldern gibt es kein Wild außer kleinen Bären nnd Kängnrns. Letztere werden mit Kenlen erlegt. Es kommt vor daß an einein Tage deren ^^5000 in dieser Art getödtet werden. Eine andere, bereits erwähnte, Eigenthümlichkeit dieser Wälder besteht in dem Mangel an Schatten nnd Wasser. Was die Bildung des Vodens anbelangt, so besteht er aus einer Neihe horizontaler, in die Ebene vorlaufender nnd dann plötzlich wie Vorgebirge fast senkrecht abfallender Hügclzügc. Die Hauptkette des Manen Gebirges überschreitet die Bahn mittels zweier Zickzack welche in den Eolonien als ein Wunder nnd, mithin, als ein Weltwnnder gerühmt werdcn. Jedenfalls gereichen sie dem Ingenienr zur Ehre welcher die Kühnheit besaß einen solchen Plan zn entwerfen und die Geschicklichkeit ihn so gut auszuführen. In der Nähe der Station Katnmba steht anf einer domi-nirenden Anhöhe ein sehr gutes Hotel. Die Luft ist elastisch, die Aussicht wundervoll; entzückend das Eolorit der Landschaft welches die ganze Stufenleiter der blauen Farbe vom Opal zum Kobalt, zum Ultramarin, znm Saphir, dnrchläuft. Diese Mannich-faltigkeit der Töne ein und derselben Farbe verleiht dem Panorama einen eigenthümlichen, in seiner Art einzigen und unbeschreiblichen Charakter. v. Hüvnev, 1, ^4 ^10 Dritter Theil. Australien. Heute Morgen Aufbruch nach dem Hawkesbury-Fluß. Wir wareu sehr zahlreich und abermals die Gäste der Herreu Stuart uud Dalley. Eiue Dampfbarkasse brachte uus nach dem Nordufer. Während wir uns Mauly-Bmi näherten, zeichneten einige zwanzig große Schisse mit ausgespannten Segeln uud kommende und gehende große Dampfer ihre schwarzeu Umrisse auf deu perlgrauen Himmel der sich, zwischen den Heads, mit dem Meereshorizont verschmolz. Eiu zerklüftetes, theils mit Nuterholz theils mit Heidekraut bewachseues Gelände trennt die Bucht vou dem Oceau. Keine Straßen; uur Saud. (Glücklicherweise sind unsere (^I>lli-n-da,uc8 mit trefflichen Ponies bespauut. Eiu liegender Löwe mit meuschlichem Antlitz bewacht die Mündung des Flusses welcheu wir beschiffeu sollen. Dieser Löwe ist eiu Felsen, llud dieser Felsen cm Eiland. Eiu fthau-tastisches Bild! Eiu kokett eingerichtetes Äoot uud ein kleiner Schleppdampfer harren dort der Gesellschaft. Die beiden Ufer des Hawkesbury sind ein Wirrsal von Hügeln. Der Wald, der sie bedeckt, steigt bis an deu Raud des Wassers herab, welches seiu Bild zurück^ wirft: Weiße, glatte, marmorsäulenähnliche Stämme, andere gekrümmt uud krampfhaft verschluugeu, hier uud da Riesenstelete die, obgleich seit langem schon des Todes verblichen, noch immer aufrecht steheu. Eiu mageres vou der Sonne durchleuchtetes Laub. Also wenig Schatten uud immer dieselbe australische Mouotouie. Doch wird sie belebt durch deu Wechsel der Aussicht, welche sich äudert mit deu Windungen des Flusses, mit deu sich verschiebeudeu Spiegelbildern der Wasserfläche uud mit deu vou der Eutferuung bedingten Abstnfuugeu des Lichtes. Au deu Uferu teiue Spur menschlicher Behausung. Wir haben heute Murgeu bei Souueuaufgaug die volkreichste Stadt des Conti ueutö verlasseu, uud jetzt, um Mittag, befinden wir nus in der Wildniß. Weiter stromaufwärts werden die Ufer niedriger und be- Am Hawkesbury-Fluß. 311 ginnen sich zu beleben. Zuerst ewige Fischer- lind Köhlerhütten; dann die Umzäunungen von Wcidegründen nnd endlich einzelne Gehöfte von Pflanzern. Der Eucalyptus ist nicht mehr alleiniger Herr und Meister. Hier und da ist der Wald ausgerodet. Neben den Häusern nnd dem Flusse entlaug gewahrt man Trauerweiden, sämmtlich wie behauptet wird, von dem Grabe Napoleon's anf St.-Helena eingeführt. Es gab nämlich eine Zeit wo der Name des Kaisers in den Colonien einer großen Popularität genoß. Aus dieser Epoche stammen die vielen Tranerweiden die man in den Gärten von New-Sonth-Wales sieht. Sie wurden von den, von Europa kommenden Seglern welche immer in St.-Helena anliefen, nach Australien gebracht. Der Hawkesbnry schlangelt langsam zwischen den doppelten Hecken welche diese niedern glockenförmigen, von der einheimischen Vegetation so sehr abstechenden Bäume au seinen beiden Ufern bilden. Ihre hängenden Zweige baden und spiegeln sich in den hier fast stehenden Wassern des Flnsses. Die von einem dunkeln Wolkenringe, ans welchem Blitze zucken, umfangene Abendsonne vergoldet nnd rothet ihr mattgrünes Lanb. Noch einige Augenblicke, nnd die dnrchsichtigen Schleier der Dämmerung umhüllen nns. In der Lnft, über dem Wasser, im Wald tiefe Stille. Wir kommen an einem ^iager von Aborigines vorüber. Die Wilden, Männer Weiber nnd Kinder, sitzen um die Feuer welche sie vor ihren Zelten angezündet haben. Diesem elegischen Abend folgen plötzlich Blitz nud Donner und ein Un-gewitter von seltener Heftigkeit. Dann eine ruhige, stille, laue Nacht. Uni Mitternacht Ankunft in Sydney. Zurückgelegte Entfernung 147 Meilen. Sydney. Zweiter Nnfenthalt. Vom l;. znm 17. Mai 1^84. — Ich fand hier dasselbe idealische Wetter welches ich in Melbourne gelassen hatte. Nur ist die Sonne drückender und 14* 212 Dritter Theil. Australien. die Luft weniger elastisch. Daher kommt es auch daß wer nur einigermaßen kaun Sydney im Sommer verläßt. Mau geht nach Melbourne oder, noch besser, nach Tasmania. Während meines zweiten Aufenthaltes wohnte ich in, Australischen Club. lim die Lnnchstnnde füllt er sich mit den Sommi-täten des Handelsstandes, mit Staatsbeamten, Politikern, über-^ Haupt mit Leuten welche die Franzosen äß« domme» 8«-i6nx nennen. Die elegante Ingcnd zieht den Nniun-Clnb vor welcher in modernerer Weise eingerichtet ist. Aber in beiden ist man gut aufgehoben. Namentlich das materielle Leben läßt wenig zu wünschen übrig. Im Lesesaal liegen alle australische Zei^ tungen auf uud die für deu Colonialgcbranch gedruckten Auszüge der großcu euglischeu Journale. Aber, wie bereits gesagt, mau iuteressirt sich hierzulande uur weuig für europäische Menschen und Dinge. Auch in einem deutschen, nach deutschem Muster eingerichteten Club wurde ich freundlich aufgenommen. Seit einiger Zeit durchziehen täglich einige tausend Männer paarweise, unter tiefem Schweigen, die besuchtesten Gassen der Stadt. Am Eingänge eines der großen öffentlichen Gärten angelangt, machen sie Halt vor der Statue des Prinzen von Wales. Hier werden Reden gehalten. Diese Spaziergänger sind Arbeiter ohne Arbeit, und,diese sogenannten „Proeessionen" haben zum Zweck die öffeutliche Meiuung aufzuregen uud die Negierung einznfchiichtern. Die Unterhaltsmittcl werden den Arbeitslosen dnrch die Tradcs-Nnions geliefert, welche in den Colomen eine sehr große Rolle spielen. Mehr als einmal unterbrach ich meinen Morgenspaziergang um die Volksredner zn hören. Sogenannte Gentlemen wechselten mit einfachen Arbeitern, uud letztere schienen mir weniger heftig nnd ehrlicher als die Herren im Gehrocke und mit dem Cylinder am Kopfe. Diese, offenbar Demagogen von Profession, wiederholten die bekannten Phrasen deren Zweck Die Arbeitslosen. 2l3 immer derselbe ist, Aufreizung des Armen gegen den Besitzenden. Die Redner ans dem Arbeiterstande erzählten ihre Entbehrungen nnd Leiden, betonten ihren Wunsch aber die Unmöglichkeit sich Arbeit zn verschaffen, und schlössen gewöhnlich mit einer Verwahrung gegen weitere Einwanderung. Was sie verlangten sei Arbeit, aber unter der Bedingung daß der Staat sie gegen Con-curreuz schütze. Tie Manner im Gehrock predigten einfach die Beraubung der Reichen. Während diese Reden gehalten wurdeu, zerstreuten sich die Arbeiter des Auszuges im Garten, ranchteu schweigeud ihre Pfeife, sahen gelangweilt, mürrisch, traurig aus, schieuen aber HN Gewaltthätigkeiten nicht aufgelegt. Keiner hörte den Rednern zu, deren Auslassuugeu ihneu offenbar sattsam bekannt waren. Das Auditorium bildeten die zufällig Vorübergehenden. Unter ihnen sah ich meist austäudig gekleidete Menschen, wahrscheinlich dem kleinen Gewerbs- und Handelsstande angehörig. Mir fiel die gespannte Aufmerksamkeit dieser Zuhörer auf. Auch vorüber-fahreude Fiaker hielten au, trotz der schüchternen Einsprache ihrer Fahrgäste. Die übrigeu wareu Leute aus den Volkstlassen. Das Gift, wenn man die gröbste Verleumdung der Besitzenden mit diesen: Namen bezeichnen darf, wurde nicht tropfenweise gereicht, sondern in Fülle eredeuzt, nnd zwar mit sichtlichem Eindruck auf die Zuhörer. Das Ministerium thut nichts dagegeu, weil es, um seine Majorität zu wahren, die vorgerückten Parteien schonen muß. Deunoch scheinen es diese sich täglich wiederholenden, das Publikum mehr und mehr aufregenden Auftritte einigermaßen zu beunruhigen. Auch höre ich daß zwar nicht die Aufzüge aber die Versammlungen im, Park verboten werden sollen. Als Grund wird man angeben, daß die Statue des Prinzen von Wales dabei leiden köunte! Den wahren Zweck des Verbotes aus-zusprechen wird mau uicht wagen. Es wird hierdurch niemand getäuscht, aber die Pille wird vergoldet und die Empfindlichkeit des Königs Mob geschont werden. 214 Dnttcr Thcil. Australien. Man sieht, alles ist nicht rosenfarbig in diesen Staaten so überreich an Iugeudkraft, an Leb ens fülle, an übertriebenen Hoffnungen und tollkühnen Bestrebungen. Ich mnß übrigens beifügen, daß ich in den Clubs sowol als in höhern amtlichen Regionen wenigen Personen begegne welche ihre Besorgniß verhehlen. „Der nächste Zweck dieser Demonstrationen ist", sagt man mir, „gegen die Einwanderung gerichtet. Mau will die Regierung zwingen sie einzustelleu, wie dies bereits in Victoria thatsächlich geschehen ist. Die Minister wollen die Gefahren der Lage nicht sehen und suchen, mittels oft gefährlicher Zugeständnisse an die Demagogie, über die Verlegenheiten des Tages hinwegzngleiten. Die Trades-Unions sind eine Macht' sie erhalten das Lusuugswurt ans Amerika und England. Ermuthigt dnrch die scheinbare oder wirkliche Schwäche der Regiernng, steigern die Arbeiter ihre Anforderungen. So verlangen sie bereits, nach dem Vorgange von Neuseeland, die sogenannte Acht: acht Stnnden Arbeit; acht Stunden Rnhe und Vergnügen: acht Stnndeu Schlaf und acht Schillinge Arbeitslohn. Die Ankömmlinge aus England sind in der ersten Zeit entzückt. Sie vergleichen ihre nene Lage mit ihrem Dasein im Vaterlanoc und frenen sich ihre Umstände so sehr gebessert zn sehen. Aber die Aufwiegler bemeistern sich alsbald dieser Zufriedenen und verwandeln sie, binnen wenigen Monaten, in Maleontentc." Alle diese Klagen enden immer mit derselben Phrase: ich sehe viele Steine auf uuserm Wege, I 8 6L mnn)' rock8 in our n^y. Aber, obgleich ein wenig erschreckt dnrch das was vor sich geht nnd was noch geschehen könnte, zweifelt niemand au der gläuzenden Znknuft der Colouie, und die Seufzer enden gewöhnlich mit eiuem kleinen Trompetenstöße, einer australischen Fanfare, als ob man mir fagen wollte: Aengstigen Sie sich nicht zu sehr für dies Land. Es ist doch das erste der Welt. IV. Gueensland. Vom 27. November zum 13. December. Brisbane. — Darling-Downs. — Rockhcimptun. — Townsville. Thurs» day-Insel. - Politische Uebersicht. Queensland gehörte anfangs zu Ncw-Sonth-Wales, wnrde 1859 eine selbständige Colonie, entledigte sich der Sträflinge nnd verdankte der Entdeckung von Goldlagern an verschiedenen Pnnk-ten feines Gebiets eine große Anzahl von Einwanderern. Aber es ist.nnd bleibt vor allem ein Viehzucht treibendes Land. Ein kleiner Steamer, der zwischen Sydney nnd Brisbane fährt, nimmt Lord Rosebery und mich auf. Sir Patrick Jennings* hat die Güte uns als Führer zn begleiten. Wir dampfen der Küste entlang, eine Reihe von malerischen durch ebenes Land geschiedenen Vorgebirgen, und kommen an Maequarie vorüber, vormals eine der größten Strafanstalten, nnd so geht es fort von Cap zu Eap. Alle diese Felsen trageu noch die ihnen von Eook verliehenen Namen. * Dermalen (188 Quadratmeilcn ein. Jenseit dieses Gebiets, nach West und Nord, beginnt die ^ii^ incognita. Man fängt zwar an sie zu erforschen. Eine gewisse Anzahl verwegener Pflanzer, haben sich, über Gefahren und Entbehrungen erhaben, anf einige hundert Meilen von der Küste niedergelassen. Demuugeachtet ist es noch eine geheimnißvolle Welt. Ein schmaler zerklüfteter Landstrich scheidet den Ocean von dem Küstengcbirge dessen Kamm eigentlich den Nand einer sich gegen West nnd Südwest allmählich senkenden Hochebene bildet. Die dünnen Wasserfäden welche auf den östlichen Abhängen des Eoastranchc entspringen fließen dem Stilleu Weltmeer zu, während die ihren Ursprung anf dem Hochplateau nehmenden Bäche, den Continent in südwestlicher Nichtnng durchkreuzend, den Darling, verschiedeue andere Flüsse, endlich den Murray bildeu, welcher sich unweit Adelaide in den Indischen Oeean ergießt. Wir befinden uns unterwegs nach diesen interessanten Downs. Der Busch beginnt wo die Stadt anfhört. Es find aber meist offene, op«,! t'oi't^l«, d. h. theilweise gelichtete Wälder. Die ganze Gegend ist eigentlich nichts anderes. Hier und da sieht man Gehöfte, hier und da eine Häusergruppc die Stadt genannt wird, aber alles liegt mehr oder weniger versteckt im Busche der, zu seinem Lobe sei es gesagt, etwas grüner und frifchcr ist als die Wälder von New-Sonth-Wales. Das Land hebt sich stnfenweise, und die eugspnrige Bahn vertieft fich mehr und mehr im Walde bis fie eine AXX) Fuß hohe Waud erreicht. Diese zu ersteigen ist nunmehr die Aufgabe. Die Ingenieure lösten sie in der einfachsteu, nnd zugleich etwas haarsträubenden Weise, mittels sehr vieler, sehr kleiner nnd sehr steiler Eurveu. Die Fahrt bietet echt australische Fern-sichtcn- eine ernste, großartige Landschaft die, mit den vorspringenden und zurückweichenden Gliedmaßen des Gebirges wechselnd, doch immer dieselbe bleibt. Bergketten mit horizontalen Kämmen, dicht bewachsen mit Enealyptns — lichtbtan, dunkelblau, grnnlichblan — ziehen nach Süden. Zu unsern Füßen Darling-Downs. 219 gähnt der Abgrund. In seinen tiefsten Tiefen gleichfalls dichter Gummiwald. Der Zug hat den Rand der Hochebene glücklich erklettert, ist vor der Hauptstadt von Darling-Downs, Tuwmnba, vorübergedampft und seht uns in der Station Oakly ab. Entfernung von Brisbane 124 Meilen. Kleine Wägelchen, Buggies, bringen uns, über Weidegründe fahrend, nach Sir Patrick Jennings' Station. Es ist die Zeit der Schur, und man führt uus sofort uach den Hallen wo diese wichtige Operation vor sich geht. Ueber die Schafe, wie man mir sagt Merinos erster Qnalität, halte ich mich, bei meiner Unkenntniß dieser Materie, nicht für geeignet ein Urtheil abzugeben. Mehr als die Schafe iltteressirteu mich die Männer welche unter sich die Arbeit theilten. Es handelt sich hier nm eine Reihe systematisch geordneter Operationen. Wir fanden meist junge Lente; die eiueu, schmächtig nnd beinahe schwächlich aussehend, sind in der Eolouie geboren, audere, mit breiten Schultern nud strammen Armeu, Europäer. Alle arbeiteten mit höchster Aufbictuug ihrer Kräfte so rasch als möglich, weil sie, nach der Leistuug, d. h. mit eiuer gcwisseu Summe für die Schur von 2<> Schafen, gezahlt werden. In der Regel reichen fünf Mimtteu aus um das Thier seiues Felles zu entkleiden. Letzteres wird sogleich durch audere Hände auf die Tischplatte geworfeu, auf welche es ausgebreitet falleu muß was eine nur durch Uebuug zu erwerbeudc Fertigkeit voraussetzt. Die armeu Thiere, ihrer Kleidung beraubt uud gleichsam sich ihrer Nacktheit schämend, flüchten durch kleine Thüren nach dem Hof-ramne. Die Felle werden sodann klassifieirt, gerollt uud in offenen Breterverschlägen während tt —12 Stimdeu aufbewahrt. Erst wenn sie, in dieser Weise, die thierische Wärme verloren habeu werden sie gepreßt und in Ballen verpackt, deren jeder mit starker Leinwand umgeben, gcuäht und bezeichnet wird. Zwei Ballen, durch Eisenklammeru verbunden, bildeu den Ar-titel wie er nach London ausgeführt wird. 220 Dritter Theil. Australien. Die Scherer verdienen 15—2l», die übrigen Arbeiter 10 Schillinge im Tage. Außerdem werden sie ernährt. Ihr Getränk ist sehr schwacher Thee ohne Zucker. Während der ganzen Periode, welche <> —8 Wochen dauert, enthalten sich die Männer der geistigen Getränke. Aber nach der Schur wird die verlorene Zeit eingebracht, und Alkohol fließt in Strömen. Einer der Arbeiter, ein kräftig anssehender Mann mit grauem Haar welcher die Felle zu pressen hatte, fiel mir durch sein urgermanisches Wesen auf. Ich redete ihn ohne weiteres deutsch an. Seine ernsten Züge erheiterten sich und, meine Frage beantwortend, erzählte er mir die einfache Geschichte seines Lebens. „Ich bin", sagte er mir, „ans der Umgegend von Berlin gebürtig. Wir verdienen hier bei weitem mehr als zu Hanse. Allerdings ist das Leben bedeutend kostspieliger, aber, demungeachtet, geht es uns besser. Wir haben nns niemals gute nnd kräftige Nahrung zu versagen. So genießen wir alle Tage Fleisch nnd zwar in Fülle. Wer arbeitet ist sicher sein Brot zu verdienen. Armuth ist uubekaunt." Sir Patrick sagte mir daß dieser Maun vordem in seinem Solde gestanden war nnd 1lX> Pfd. St. Iahreslohn erhielt. Er verließ diesen Dienst nm t'i«o selector zn werden. Sein Weib besorgt das Haus und die kleine Wirthschaft. Er selbst geht auf Arbeit von Station zu Station, und ist ein wohlhabender Mann geworden. Wie so viele seiner Landsleute, haben ihn die allgemeine Wehrpflicht und sein mäßiges Gefallen am Kriegerstande nach Australien geführt. Es ist dies die Geschichte aller li 66 selsetttrs und kleinen Pflanzer. Nur liederliche Gesellen kommen nicht auf. Diese Station, eine der bedeutendsten in Darling-Downs, heißt Westbrook. Das Wohnhaus liegt, eiuige Meileu entfernt, auf dem Plateau welches scineu Charakter bewahrt. Mit Drahtfäden eingeschlossene Weidegründe uud halb ausgerodeter Busch folgen sich uuablässig. Die Kämme der von uns überschrittenen Tarling-Downs. 221 Berge bleiben in Sicht, erheben sich aber kaum über die Ebene der Plateaus, und gleichen niedern Hügeln. Wcstbrook ist ein geräumiges Hans, mit einer breiten Veranda welche die Schlafzimmer gegen die Sonne schützt. Nächst der in das mcinige führenden Thür werden mir einige dnnkle Blutflecken gezeigt, die Spnren eines Kampfes, welcher gestern hier zwischen einer Katze und einer Cobra stattfand. Vor einigen Monaten, in den ersten Zeiten meines Aufenthaltes in Schlangenländern, würde mir diese Entdeckung eine schlaflose Nacht verursacht haben. Aber dergleichen Gemüthsbewegungen verlieren sich bald. Man gewöhnt sich an alles. Die Reisegesellschaft löst sich ans. Lord Rosebcry kehrt, von Sir Patrick begleitet, ans dem Landwege nach Sydney zurück. Ich ziehe nach Indien weiter. Ein Freund unsers Amphitryon fährt mich durch einen Theil dieses Eldorados der großen Squatter. Wir kommen dnrch Drayton, eine heute beinahe verlassene Stadt. Die Zukunft geHort dem nahen, viel jüngern Tuwumba welches die Eisenbahn berührt, während sie Drayton znr Seite liegen läßt nnd ihm daher die Lcbensbedingungen entzieht, Drayton stirbt, wie die Enealyptus durch eiuen cirkelförmigen Einschnitt am Stamme, eines allmählichen Todes. Tuwumba sieht großartig ans. Die langen und breiten Gassen harren meist noch der Häuser, aber die Stadt ist bereits ein wichtiges Centrum, nmgeben von Villen nnd Gärten, in welchen man einige Norfolkfichten sieht. In dem Stadtgebiete selbst werden aber alle Bäume systematisch ausgerodet. Daher das nüchterne Allssehen der Stadt. Die Deutschen bilden den dritten und zugleich den wohlhabendsten Theil der Bevölkerung. Eine Meile entfernt, steht ein einsames, zierliches Hans, Harlexton genannt, an der Stelle wo die Eisenbahn den Höhen- 222 Dritter Theil. Australien. rand des Knstengebirges ersteigt. Von diesem Punkte beherrscht der Blick nach einer Seite hin das Plateau, nach der andern cin Chaos von Schluchten, Vorgebirgen nnd Vergabfällen. Ein Bach, der hinter dem Hanse entspringt nnd über Felsblöcke plätschernd in der Tiefe verschwindet, eilt dem nahen Stillen Weltmeere zn. Einige Schritte weiter anf der entgegengesetzten Seite der Villa zeigt man nns einen dünnen Wafscrfaden der langsam gegen Westen fließt. Seine Bestimmung ist, mitten durch den ungeheuern australischen Continent, nach dem Indischen Ocean zn schleichen. Bisher sah ich nnr wenige Chinesen in Australien, aber es wird nur versichert daß, trotz der drakonischen Gesetze welche ihre Vertreibung bezwecken, die Zahl derselben fortwährend zunimmt. Jeder Sohn des Reiches der Mitte, anch der ärmste, hat bei seiner Landung 10 Pfd. St. zn erlegen, welche ihm, übrigens, bei der Abreise zurückgezahlt werden. Diese Bestimmung hat die Cinwandernng nicht vermindert. Chinesische Gesellschaften in seiner Heimat strecken dem Kuli die für ihn sehr hohe Summe vor, nnd er ist gewöhnlich in knrzcr Zeit im Stande sie zurückzuzahlen; denn hat er australischen Boden einmal betreteu, so ist er in der Regel ein gemachter Mann. Anch hier sagt mir jedei> mann daß die Chinesen die besten Gärtner, die besten Landwirthe, die besten Handarbeiter, die besten Köche und zugleich ehrliche nnd dem Gesetz gehorchende Menschen sind. Die Dornnda, Kapitän Hay, von der British-Indian^Company, erwartet die Passagiere an der Mündnng des Brisbane-flnsses. Diese Gesellschaft, geleitet von einer Anzahl bedeutender Ge schäftsleute, unter deuen der Chairman Air. Maemnon hervorragt, hat sich in den letzten Jahren bedeutend entwickelt. Ihre Schiffe befördern die Post und Reisende, vorzüglich Auswanderer, von Eng- Die Nordostküste. 233 land durch den Snezkaual nach Queensland, und durchlaufen nugeheuere Entfernungen, wie z. B. die Strecke von Adeu nach Batavia, ohne anzuhalten. Andere ihrer Boote unterhalten die Verbindung längs der ostafrikanischen .Mste, zwischen Bombay, Aden, Zanzibar, andern Hafenplätzen Afrikas und Delagoa-Bay. Sehr beliebt ist die Linie Kalkutta-Singapur, auf welcher Ran-gnn nnd andere Häfen Hinterindiens berührt werden. Die Dorunda, wie alle Schiffe dieser Gesellschaft ein seetüchtiges Boot, ist hauptsächlich für den Emigranten- nnd Waarentransport eingerichtet nnd bietet den Reisenden erster Klasse, welche keine Auswanderer sind, nur einen sehr beschränkten Nanm, daher man diese Steamer für die Reise von England nach Australien besser vermeidet. Dagegen empfehlen sie sich für die Heimfahrt, auf welcher sie keine Auswanderer nnd überhaupt nur wenige Passagiere befördern. Bleibt die Gefahr ansteckender Krankheiten, besonders der Blattern, deren Keim durch Auswanderer zuweilen anf die Schiffe verpflanzt wird. Da ich wünschte die Nordostküste uon Queensland, die Meerenge von Torres nnd ein Stück Niederländisch-Indien zu sehen, entschloß ich mich, nnerachtet mancher Warnnngen, für diese Ronte, obgleich sie, wegen der zahlreichen Korallenbänke nnd des nngesnnden Klimas, für gefährlich gilt. In der That verlor anch die Gesellschaft, im Anfang ihrer Thätigkeit, mehrere Schiffe. Aber, dank der seither auf Kosten der Colonial-regierung veranstalteten trefflichen Belenchtnng der Küsten nnd der genanern Kenntniß jener vordem wenig besuchten Meere, sind Unfälle in letzter Zeit selten geworden. Die Korallenbänke erstrecken sich von Nord nach Süd in bedeutender Entfernung von dem Festlande. Die Zwischenränme füllen ungehenere Lagunen ails welche, verhältnißmäßig seicht nirgends tiefer als l20 Fuß, den Kapitänen gestatten bei nebeligem Wetter vor Anker zn gehen. Die Kliftpenwand schlitzt überdies gegen den, zuweilen sehr heftigen, Ostwind. Die Regierung von Queensland, welche die Einwanderung 224 Dritter Theil. Australien. in jeder Weise begünstigt, gewährt jungen Mädchen freie Passage, und jedes Boot (eines im Monat» befördert deren immer NO—100 nach dem neuen Vaterlande. Der Colonist, welcher einer Magd bedarf oder, was hänsig vorkommt, eine Verwandte aus Europa nachkommen läßt, hat sich an das Einwanderungsamt in Brisbane zn wenden und 2 Pfd. St. zu erlegen, welche dem betreffenden Mädchen gesandt werden und für Ankauf der Reifeausstattung bestimmt sind. Für die Ueberfahrt ist, wie bereits gesagt, nichts zn entrichten. Die Mehrzahl dieser jngcnd-lichen Answanderinnen gehören den nntern Schichten des Mittelstandes an. Man findet unter ihnen auch Bonnen und Gouvernanten welche letztere meist eine sorgfältige Erziehnng erhalten haben. Unbescholtener Ruf und gute Sitten bilden die erste Bedingung der Anfnahme. Diese Mädchen, welche sich immer sehr gut aufführen, stehen während der Ucberfahrt unter der Anfsicht einer „Matrone" nnd zweier „Snbmatronen", nnd sind einer strengen Disciplin unterworfen. Sie müssen bei dem ersten Glockenstretch aufstehen, sich binnen einer bestimmten Zeit ankleiden, und ihr Bett selbst machen. Nach den: frühstück erfolgt die Visitirung sämmtlicher Kajüten durch die Matrone. Die jungen Personen sind zn zehn in Kameradschaften abgetheilt, welche ihre Mahlzeiten abgesondert einnehmen, wobei die vernünftigste, mit dem Titel eines Kapitäns l!>, den Vorsitz führt. Die von ihnen bewohnten Cabinen, im Hintertheil des Schiffs, sind vou deu übrigen Mumen hermetisch abgeschlossen. Am Verdeck trennt ein doppeltes Geländer die Mädchen von den Reisenden erster Klasse, mit welchen ihnen jede Conversation untersagt ist. Selbst Aeltern nnd Brüder dürfen nur zweimal die Woche mit ihnen verkehren. In jungen Colonieu, wie Queensland, bildet das elicits <;t multipIicHmini eine Lebensbedingnng. Hierans erklärt sich die verständige Freigebigkeit der Loealregiernng sowie ihr Wnnsch sich, ohne Unterbrechung, mit einer ebenso kostbaren als gebrechlichen Waare zu versehen, welche aber, dank der sorgfältigen Tie Auswanderer. ^25 Verpackimg, Seennfälle abgerechnet, imtner in intaetem Zustande ankommt. Wir haben eine „Aiatrone" an Bord welche die weite Reise znm dritten mal macht. Sie ist Australierin, ungefähr dreißig Jahre alt, sehr wohl erzogen nnd hat die Manieren eiuer Dame. Die Regierung von Brisbane verwendet fünf solcher Matronen, gewährt ihnen freie Uebcrfcchrt und freien Aufenthalt in London und zahlt für jede Neise ein Honorar von nO Pfd. St. Die übrigen Emigranten werden in zwei Kategorien, Ehepaare nnd Ledige, getheilt und, voneinander streng geschieden, im Mittel- uud Vordertheile des Schiffs uutcrgebracht. Das Dicustftersoual sowie die Mannschaft sind durchweg Laskaren ans der Umgegend von Kaltntta. Ihre Zahl an Bord der Dorunda beträgt ungefähr li^o. Der Kapitän, die Offiziere nnd Quartiermeister, zusammen ^l) Manu, sind Engländer. Hierzu kommt ein Dntzend Passagiere. Ein schlimmes Verhältniß zwischen Weiß nnd Schwarz, wenn man die Schwierigkeiten der Schiffahrt in diesen Meeren nnd den umstand bedenkt daß die Ufer entweder menschenleere Einöden sind oder von Kauni-baleu bewohnt werden. Aber man sagt mir daß, wenn die schwarzen Matrosen Uebles im Schilde führten, irgeudeiu getreuer Diener, trotz seiner dunkelu Hautfarbe, die Offiziere hiervon, bei guter Zeit, verstäudigen würde. Es ist dieselbe Geschichte, wo immer eine Hand voll englischer Nobinson Ernsoes iu schwarzer Atmosphäre leben. Ein jeder rechnet in der Stunde der Gefahr auf feinen Freitag. Die Doruuda steuert, bei prachtvollem Wetter, der Küste eutlaug. Das Meer, hier' in Wirklichkeit eiu Laudsce, ist spiegelglatt, die Gegeud malerisch: Baumlose Vorgebirge welche, eou-lissenartig, soweit das Ange reicht in die blaue Wasserfläche vorspringen nnd am Horizont verdufteu. 22tt Trittcr Thcil. Australien. Die Stadt Nockhamptou, im Innern an eiuem Flüßchen, genau unter dem Wendekreise de« Eteinbocks gelegen, verbirgt sich hinter einer Bergkette welche sie dem Seefahrer unsichtbar macht nud der kühlenden Meeresbrise beraubt. Während unser Dampfer eine uugeheuere Anzahl Wolleuballen einschifft, fahre ich mit dem Kapitän in eiuer kleineu Dampfbarcassc nach der Stadt. Entfernung W Seemeileu. Je mehr wir uns m das Land vertiefen, je heißer wird die Luft. In eiuer kleineu Bucht schläft ganz gemüthlich, halb im Schlamm vergrabeu, eiu mächtiger Alligator. Niemand denkt daran ihn in seiner Rnhe zn stören. Er ist ein guter alter Bekannter der Bootsleute die sich aber wohl hüten hier zu baden. Northampton ist einfach eiu Backofen, Ein Herr Feez ans Bayern, der Pionier uud Gründer dieser Stadt (1>.'>7), hat die Güte sie uns zu zeigen. Eiue lange Gasse, die grüßte wenn nicht die eiuzige, läuft dem Flusse entlang über welchen man soeben eine monumentale Brücke schlng. Auf einer nahen Au-hohe steht ciu monnmcutales Schulgcbäude, und, anf einen: andern Hügel, ein gleichfalls monumentales Spital. Ringshermn wurde der Wald gelichtet nnd nicht ein Baum verschont, was der Stadt ein unbeschreiblich ödes Ansehen gibt. Aber weuu Rockhamptou, dermalen noch nicht durch Schönheit uud Annehm-lichkeit glänzt so thut es sich bereits hervor durch seine Bedeutung als Stapelplatz und Ausfuhrhafen. Den nächsten Tag legt die Doruuda bei Maeqnai an, nach Rockhampton das größte Depot von Schaffelleu welche die Stationen des Iuueru liefern. Eines Tags begegneten wir einem Schiff unserer Compagnie welches London vor zwei Monaten verlassen hatte. Es war überfüllt mit Auswanderern. Auf dem Deck eingepfercht begrüßen sie uus mit Inbelgeschrei. Die guten Leute schienen entzückt bei dem bedanken bald den Boden des neuen Vaterlandes zu betreten. Mit Recht wird der landschaftliche Reiz des Pfingstkanals, Townsville. 227 Whitsunday-Channel, gerühmt. Im kleinen erinnert er, ohne dessen nnvergleichliche Schönheit zn erreichen, an das „Innere Meer" von Japan. Ich habe schon der trefflichen Erlenchtnng dieser Küsten erwähnt. Die Zahl der Lenchtthürme ist bedeutend. Ein in Thursday-Islaud stationirender Gutter der queensländischen Regierung versieht die Wächter mit Brennstoff und Lebensrnitteln. Da die Küste des Festlandes von feindlichen Stämmen bewohnt wird, so wurden die Thürme auf möglichst unzugänglichen Eilanden erbaut und mit Manern umgeben. Innerhalb dieser Befestigung stehen die Wohnungen der Wächter, immer vier für einen Lenchtthnrm. Ihre Familien leben mit ihnen. Welche Existenz! Townsville, so benannt nach dem Gründer der Town hieß, verdankt den nahen Goldlageru eine Bevölkerung von (MX) Seelen. Anch diese Stadt ist ein großer Stapelplatz und Aus-fnhrhafen für die ans den Stationen im Innern gebrachten Felle. Von Zeit zn Zeit kommen die Squatter hierher nm Provisionen einznkaufen nnd während einiger Tage, in einem vortrefflichen Hotel, der materiellen Frenden der gesitteten Welt zu genießen. Dieser Gasthof gilt für den besten in Anstralien. Er verdankt seinen Nnf der intelligenten Wirthin und ihrem chinesischen Koch der einen Wochenlohn von 5> Pfd. St. erhält nnd ein wahrer Künstler ist. Townsville klettert die ersten Staffeln eines gänzlich nackten, felsigen Berges hinan nnd zeichnet sich durch die Menge seiner kleinen Gärtchen aus. Am Rande der Stadt beginnt die wilde Natur, ja sie erlaubt sich sogar in die Gaffen cinzndringen. An den Straßenecken, an andern Orten, nber-hanpt liberall wo es ihnen beliebt oder wo man sie noch nicht ausgerodet hat, entfalten üppige Waldbüsche den Schmuck ihrer Blüten. Dieses trauliche Znsammenleben von Wildniß und Civili- 15* 228 Dritter Theil. Australia. sation hat einen eigenthünilicheu, poetischen Reiz. In den Gärten gibt die, ans Indien eingefiihrte, jetzt mit großen purpurfarbigen oder gelben Blnmen bedeckte, 1'onti^un, re^ia einigen Schatten und läßt die trostlose Einförmigkeit der Hänser vergessen. Es ist Sonntag, nnd ein Bnggy schleppt uns mühselig, über den brennenden Sand des Gestades nach der Kirche. Nachmittags werden die Umgegenden besucht. In einem ^lmr-lVdcme fahren wir der Eisenbahn entlang welche zn den Goldminen fnhrt. Auf ciuige Schritte von der Stadt beginnt bereits der Wald. Noch einige Minnten, nnd die letzten Hänser liegen hinter uns. Wir befinden uns in der Wildniß. Aber der Bnsch ist weniger häßlich als im Süden des Continents, Es ist zwar immer der Eucalyptus, aber seine Waller scheinen mir grüner nnd die Gattnngen zahlreicher. Pappelbänme von der Familie welche die Engländer i>0i>1i^r <^um tree nennen nnd die man an der weißen Ninde erkennt, der Pandanus oder die Ttopvelzieher-palme, der Fernbanm bringen einige Abwechselnng in diesen, eigentlich doch australischen, Wald, Dem Sonntage verdanken wir die Begegnung mit einigen Sühnen des Reiches der Mitte. Sie sitzen gedrängt in einem Karren uud fahren nach irgeudeiuer Sfticl- oder Opiumhölle. Die Zahl der Chinesen ist hier im Zunehmen begriffen. Als Arbeiter zieht man sie den Kanaken aus den Sandwichinscln und den Siugalesen ans Ceylon vor, aber weder die einen noch die andern können entbehrt werden da das Klima keine weiße Arbeit zulaßt. Das Ziel unserer Fahrt ist das Akazienthal. So haben zwei unternehmende Männer ihren mitten im Walde angelegten Garten benannt. Sie sind erst seit einem Jahre hier und hatten mit der Ansrodnng des Bodens, dessen sie bedurften, beginnen müssen. Ein Geschäftsfreund reist in Ncuguiuea und sendet ihnen selteue oder unbekannte Pflanzen, besonders nene Orchideen. Auch erhalten sie bereits Vestellnngen ans Californien, Indien und England. Der ^^3nai'iu5 «lolin^onii, ein großer unbehnlflicher Vogel mit braunem Gefieder, durch manches- Townsvillc. 229 Ml den Strauß erinnernd, paßt trefflich zu den ihn umgebenden exotischen Büschen nnd ihren in dor Sonne glänzenden Blättern. Auf einem Vaumaste überraschen nur einen mit einer Ricsen-ameisc im Zloeikainpfe begriffenen Frosch, tree lio^. Ein auf Vännien lebender Frosch! Dergleichen sieht man, glanbe ich, nur in Anstralien. Am Rückwege halten wir uns bei einem Lager vun Aborigines auf. Die Familie besteht ans dem Hanpte, einem Vierziger von schenßlicher Häßlichkeit, seinen zwei Weibern nnd einer kranken Tochter. Zwei Soldaten der eingeborenen (^enodarmerie leisten ihnen Gesellschaft. Sie sehen sich alle ähnlich: Thierische Physiognomie, wilder Blick, gedrungene, niedrige Statnr, gekrümmte Haltung. Der Mann zeigt seine 5tnnst im Werfen dcs Bnmeraug, einer sehr gefürchteten Waffe, obgleich sie nur ein Stück Holz in Form einer Sichel ist. Sie durchschneidet die Lnft, erreicht eine unglaubliche Höhe, beschreibt ein Zickzack nnd kehrt am Rückwege in die Nähe des Ausgangspunktes znrück. Als Angriffswaffe benutzt, wird sie zur Erde geschlendert und trifft, im Aufpralle, ihr Opfer. Es würde dem Geometer schwer fallen dnrch Berechnung den Weg zn beschreiben welchen die Waffe zurückzulegen hat um ihr Ziel zu erreichen. Instinet und Uebung ermöglichen dem Wilden die Aufgabe praktisch Zu losen. Unser Steamer hat Townsoille «erlassen nnd umschifft die „Magnetische Insel", von Cook so benannt weil ihr eisenhaltiges Erdreich seinen Kompaß störte. Sie ist gänzlich unbewohnt. Gegenwärtig läßt die Regierung dort ein Lazarett» anlegen. Je mehr wir nns dein Aequator nähern, je mehr ändert sich die Stimmung der Luft. Bisher sehr trocken, wird sie mit jedem Tage feuchter. Alles ist nicht rofenfarbig anf den langen Seefahrten in der heißen Zone. So hatte es in Brisbane an Zeit gefehlt um das faule Wasser ans dem untern Schiffsraum 230 Dritter Theil. Australien. zu entfernen. Die Folge ist eine Verpestung der Lnft in den Kajüten. Dazn ihre vielen Insassen, Schwarzkäfer von nnge-henerer Größe. Diese schrecklichen Thiere, welche mit den Kohlen geladen werden, beißen nicht, aber sie benagen Nagel nnd Haare, verbreiten einen entsetzlichen Gcrnch nnd verfolgen den Reisenden in seinen Tramnen. Anch die meist ans eonservirtcm Fleisch und Gemüsen in Zinnbüchsen bestehende Nahrung, die Hitze und unerträglich gewordene Feuchtigkeit der Lnft wirken entnervend und entnmthigend ans die meisten Passagiere. Da liegen sie am Deck in ihren Lehnstühlen. Schlafsucht und Tr.auria.keit, die Vorlänferinnen der Krankheit, bemächtigen sich ihrer. Der alte Tourist macht, soviel er kann, gnte Miene zum bösen Spiel. Wenn er sich, der Selbsttäuschung einer Gesund-heitspromenadc frohnend, mühselig an all diesen im magischen Schlafe befangenen Gestalten vornberschleftpt, gedenkt er unwillkürlich des vierteu Actes von „Robert dem Tenfel". Aber keine Zanberruthe weckt diese Schläfer. Besonders widerwärtig sind die Nächte. Deu ersten Theil derselben verbringe ich immer am Vorderdeck auf dem Rnhebette des gnten Kapitäns ausgestreckt. Es ist der beste Platz. Die laue Seebrisc streichelt und kühlt, scheinbar, die Wangen; denn es ist doch nnr Tänschnng. Ueberdies mahnt die große Feuchtigkeit der Atmosphäre, welche leicht das Fieber bringt, zum Rückzüge in die heiße und übel riechende Kajüte. Wir dampfen fortwährend der Küste entlang und zwar iu ihrer unmittelbaren Nähe. Sie ist mit Buschwerk bewachsen, wird von Wilden bewohnt welche, nach dem Zcnguisse amtlicher Documente, deu niedrigsten Typus des menschlichen Geschlechts darstellen. Die Aborigines von Qneensland sind Nomaden und Menschenfresser die den Landban nicht kennen und in einein vollkommen gesetzlosen Zustande leben. Indeß scheint die merk- Tic Aborigines. 231 würdige Eutwickeluug ihrer Sprach? die Theorie zu rechtfertigen, nach welcher diese Nasse eine verhältmßmäßig huhe Kulturstufe erreicht hätte bevor sie iu ihren heutigen Znstaud vollkommener Entartung herabsauk. Mehrere Pflanzer hattell uud haben, in zuuehmeuder Zahl, die Verwegenheit sich mit ihren Familien auf dieseu verwiiuschteu Gestaden niederzulassen. Hmter ihrer Käse, die ein Blockhaus ist, beginnt der Wald, nnd im Walde, sie wisseu es wohl, lauert der Wilde. Wenn sie, die Harke iu der Haud, auf ihr Feld geheu tragen sie immer den Revolver im Gürtel nud die Flinte auf der Schulter. Sie tödteu uder werdeu getödtet. Iu deu meisten Fällen sind sie die Tödten-deu. Die vou beideu Seiteu, besouders aber uon deu Weißeu, begaugeueu Greuelthateu solleu haarsträubeud seiu. Wir wulleu aber hoffeu daß die vuu Zeit zu Zeit nach Brisbaue, Syduey, Melbourne gclaugeudeu Schaueruachrichteu übertrieben siud. Iu dieser Weise vollzieht sich die Eroberung der uncivilisir-teu Welt. Je mehr der Piouier nach Norden waudert, je größer wird die Gefahr für ihn. Sie vermindert sich in dem Matze als er westwärts zieht, d. h. iu das Innere, wo der Huuger deu Wil-deu seiuer Kräfte beraubt. Wir habeu eiueu Kleiuhäudler an Bord, welcher sich iu Normanton angesiedelt hat. Normautou ist ciue ini Entstehen begriffene kleine Stadt von 4M Einwuhueru. Sie liegt mu Golf vou Carpentaria, besitzt dermalen weder Kirche noch Geistliche, weder Doetor noch Apotheke, aber Banken uud Wirthshäuser. Sie gilt für u rising- Me«, eiue Stadt der Znkuuft, weil Stationeu für die Schafzucht iiu Iuueru zu eutsteheu be-giuueu. Ich fragte die Frau und die Schwägerin des Kauf-mauus ob sie die Langeweile und die Entbehrungen dieses Exils nicht fürchteten. Die Antwort war: wir fürchten nus nnr vor den Schwarzen. Der Mann erzählt daß an den Ufern des Gulfs von Carpentaria die Aborigines dem Hnnger erliegen. Sie Pflegen, ewige zwauzig Mäuuer zufammeu, auf die Jagd zu 232 Dritter Tycil. Australien. schicken. Ist die Ausbeute nicht hinreicheud, nnd iu dieseu Enea-lyptnswäldern haust wenig Wild, so wird der zulcht Heimkehrende geschlachtet uud verzehrt. Mr, . . . hat viel unter den Wilden gelebt. Sie fürchten den Weißen uud greifen ihn nur nnter günstigen Umständen an, weist nachts während des Schlafs. Iu der Knust sich, iin Gebiische kriechend, uugehort zu uäheru leisten sie Unglaubliches. Cooktowu, welches deu Namcu des großen Eutdcckers trägt, ist in vollem Verfall begriffen. Entstanden zur Zeit der Ent-deckuug von Goldlageru in der Umgegend, verkommt es seit diese Gruben verlassen wurden. Viele Häuser steheu leer oder sind Ruinen geworden. Die Hitze ist bereits unerträglich, und wir gehen dem Sommer entgegen nnd nähern uus dem Aequawr! Ter ktapitäu, welcher die iudischeu Äieere viel befahreu hat, versichert mich daß, mit dem Notheu Meere nnd dem Persischen Golfe, die Gewässer längs der ostaustralischeu Mste zn deu heißesten Regionen des Erdballs gehören. Auch die Schiffahrt iu diesem Wirrsal vou Koralleubäuteu nud Eilanden, welche häufig kaum au der Oberfläche des Meeres sichtbar sind, geHort zu den schwierigsten uud gefährlichsten. Seit vier Tagen hat der Kapitän, vou seinen Offizieren umgeben, die Commandobrücke nicht verlasseu. Dauk dem Volluwude, touute die Dorunda währeud der Nacht iu die Torresstraße einlaufen (1^. December) und anf einige Kabellängen vou der Donncrstagsiusel, Thursday-Islaud, vor Auter geheu. In Syduey, iu Brisbane, iu Melbourue spricht mau mit Euthusiasmus vou dcu Reizen dieser bezaubernden Insel. Aller^ Thursday - Inscl. 233 dings sind dies Personen welche sie nicht selbst besncht haben. Nm so größer war meine Enttänschnng. Es ist ein Snnd theils vom Festlande, umgeben, theils besäet mit Inseln nnd Klippen, deren einige mit Encalyptns bewaldet, andere mit niedern Büschen bewachsen sind, aber alle an Wassermangel leiden. Die Stadt (?) Thnrsday-Island liegt ans einer in das Meer vorspringenden kleinen Landznnge. Der Wald beginnt unmittelbar hinter den elenden meist hart am Ufer erbanten Hänsern. Anf der änßcrsten Spitze der Landznnge, welche dort die Gestalt eines kleinen niedrigen Vorgebirges annimmt, befindet sich das Haus des Magistrats. Die niedern Büsche nnd Bäume welche seine Wohnnng nmgaben ließ er ausroden. Hier weht, an der Spitze einer hohen Fahnenstange, die Flagge von Queensland. Ganz ill der Nähe sieht man den Instizpnlast oder Conrt-honse, in Wirklichkeit eine hölzerne Bude mit dem Sitze des Richters, der Box der Geschworenen nnd der Bank der Angeklagten. Glücklicherweise werden auf diesem beoorzugteu Eilande, wegen Maugel au Eiuwohuern, keine Verbrechen begaugeu. Nur cntlaufeue schwarze Arbeiter liefern den Stoff für Gerichtsverhandlungen und bilden die Pensionäre des Gefängnisses, einer andern Hütte welche hart uebeu dem Iustizpalast steht. Letzterer dient auch als Empfangssaal in welchem die Offiziere einlaufender Kriegsschiffe oder anderer großer Fahrzengc bewirthet werden nnd als Kirche wenn ein Geistlicher hier dnrchreist. Letzteres ereignet sich aber nnr selten. Ein viertes Hänschen enthält die Kanzleien des Magistrats, der Donane und der Postverwaltung. Die fünf weißen Polizeisoldaten, welche die bewaffnete Macht bilden, bewohnen nebenan ein kleines Bnngalow. Anf Flintenschnßweite von dem amtlichen Qnartier befindet sich die ans einigen Dntzend ärmlich alissehender Wohnhäuser bestehende Stadt. Dazu kommen zwei oder drei elende Waaren-Niederlagen nnd zwei ganz erträgliche und immer überfüllte Hotels. Die Gäste werden von den hier anlaufenden Dampfern geliefert. Diese sind die kleinen Colonial-Post-Steamer, die 234 Dritter Theil. Australien. großen zwischen Sydney nnd Hongkong verkehrenden Packet-boote, endlich aber nnd vorzüglich, die Schiffe der British-India-Company. Dic flottirende Vevölkernng von Thnrsday-Island nnd der dazugehörigen kleinern Inseln wird zn 15)!»» angegeben, wornnter 4.^ Weiße. Die übrigen sind Malaien, Südseeinsnlaner, Chinesen nnd eine sehr kleine Anzahl Japaner. Die Kinder des Reiches der anfgehenden Sonne wandern selten aus. Es gibt keine Aborigines anf Thursday-Island und nnr sehr wenige anf den benachbarten Eilanden, aber in den Küstenstrichen des Festlandes leben sie in großer Anzahl. Die einzige hier gekannte Gewerbsbetriebsamkeit besteht in der Perlfischerei. Die Weißen nehmen hieran leinen Antheil; nur Farbige widmen sich dieser gefahrvollen Beschäftigung. Obgleich dies Meer überreich an Haien ist kommen Unfälle selten vor. Der Anzng der „Scheller" (Tancher) scheint diesen Unthiereu zu impouiren. Sie kommen wol an sie heran, betrachten sie mit ihren kleinen Augen, folgen ihnen und umkreisen sie, znweilen nicht ohne sie zu berühren, entfernen sich aber, wenn ihre Neugierde befriedigt ist, ohne ihnen ein Leid anznthnn. Um in das Gebäude des Magistrats zu gclaugcn haben wir den erwähnten ausgerodeten Platz vor dem Hause zu durchschreiten. Die Temperatnr schien mir die der Esse eines Hochofens. Im Innern, dank einer gnten Ventilation, war die Lnft verhältnißmäßig kühl. Der Magistrat findet das Klima heiß aber gesnnd. Seine Gemahlin scheint diese Ansicht nicht zu thcileu. Mr. Lether residirt hier seit acht Jahren. Er war es der nnlängst die, von der englischen Negicrnng sogleich aufgehobene, Annexion Nenguiucas au die Colonie Queensland pro-tlamirte. Als wir anf den Landnngsvlatz zurückkehrten sahen wir ein von dem gegenüberliegenden Festlande kommendes Canot mit Aborigines herauuaheu. Sie waren duntelschwarz und ihre Klei- Politische Uebersicht. 235 dnng bestand ans einem Diadem oon weißen Muscheln. Ein wildes, phantastisches Schauspiel. Nachmittags lichtet die Durnuda die Anker und an der Booby-Insel, früher Postinsel genannt, vornberdamvfend verläßt sie die Meerenge von Torres. Booby-Island ist ein niederer Fels ohne alle Vegetation, außer einigen magern Büschen in den Rinnsalen jetzt vertrockneter Regenbäche. Am Scheitel deK Felsens gewahrt mau einen Eairu oder Steinhaufen, das ehemalige Postbureau in welchem die passirenden Schiffahrer ihre Briefe niederlegten. Nachfolgende Kapitäne übernahmen die Beförderung. Die einzigen Bewohner des Eilandes sind unzählige Wasservögel. Dnrch nusern Dampfer verfchencht, flogen ganze Schwärme dieser Thiere anf, die Lnft mit dem Getöse ihres Flügelschlages erfüllend. Wir ließen Prinee of Wales-Insel zu unserer Linken und stenerten, ohne sie deutlich ausnehmen zu können, die Küsten von Neuguinea entlaug. Das Meer ist wie ein See, der Mond verschleiert, die Lnft schwill aber weniger sengend seit wir die australische Küste verlassen nnd die ungeheuere Wasserfläche des Meeres von Hara-fnra erreicht haben. Die Anschauungen welche vor fnnfzehn oder zwanzig Jahren die öffentliche Meinung in England und den Eolonien beherrschten berechtigten znr Annahme daß die Trennung der letztern von dem Mntterlande nur mehr eine Frage der Zeit sei. Viele Politiker betrachteten dies' Ercigmß als bevorstehend, andere als allmählich näher rückeud, fast alle als unvermeidlich. In England suchte man sich mit dem Gedanken der Scheidung vertrant zu machen uud nach den etwaigen Vortheilen zu forscheu welche 236 Dritter Thcil, Australlcn. aus ihr für dic Metropole erioachseu könnten. Ich spreche natürlich nicht von einer gewissen politischen Schnle deren Adepten die Zertriimmeruug des Britischen Reiches offen anstreben. Ich habe mir das große Pnbliknm der Zeitnngsleser im Ange, über-hanpt jene N'elche sich mit Politik beschäftigen. Viele damals erschienene Flugschriften «erfolgten diese Tendenz. Antony Trollope huldigte ihr in seinem vor Zwölf Jahren heransgekom-meuen Änche: die Colonien find Söhne welche ihre Volljährigkeit erreicht haben, Töchter die heirathen wollen. Mal! hat sie erzogen, man gebe ihnen ihre Mitgift, nnd trenne sich, nicht ohne ein peinliches Gefühl, aber in Freundschaft. Wenn ich, was mir mehrmals begegnete, sehr hochgestellte Staatsmänner, im vertraulichen Verkehr, in diesem Sinne sprechen hörte, vermochte ich kaum meinen Ohren zu traueu. Aber die Thatsache ist unbestreitbar. Natürlich nicht alle politischen Notabilitäten meiner Bekanntschaft theilten diese Anschauung. Seither trat in Cuglaud eiu Umschwung ein. Er fiel zusammen mit dem Erwachen der öffentlichen Meimmg infolge des Russisch-Türkischen Krieges. Aber was ist die Stimmung in den Colonien? Ich beantworte diese Frage wol am besten indem ich hier Ansichten von Persönlichkeiten wiedergebe, deren Urtheil anerkanntermaßen von Gewicht ist. „Die Australier", sagte mir ein englischer Staatsmann, „sind stolz anf ihre Anhänglichkeit an das Mntterland, die Königin nnd die Dynastie. Dies an sich löbliche Gefühl hat auch das Verdienst der Aufrichtigkeit. Aber in der Politik darf man nicht zu viel auf Gefühle bauen; nm so mehr als das dynastische Gefühl in den Colonien sich im Laufe der Zeit natnrgemäß ab^ schwächel, muß. Es wird, wenn auch fortdauernd, doch im Herzen der iu der Colonie geborenen Generationen weniger lebhaft sein. Nichtsdestoweniger ist es ein Element welches zählt. Nnr darf man seine Bedeutung nicht überschätzen. „Die Festigkeit des die Metropole nnd die Colonien zn- Politische Uebersicht. - 237 saminenhaltenden Bandes liegt in der Gemeinsamkeit dor Interessen, nnd diese Interessen sind wichtig, tiefgreifend und augenfällig. Es denkt hicr anch gar niemand an eine Trennung. Man weiß daß man dabei nichts gewinnen nnd viel verlieren würde. Die Eolonien besten die vollendetste Autonomie nnd eine änßerst demokratische nnd beinahe republikauische Verfassung. Man könnte sie Modellrepubliken nennen, insofern beinahe jedermann wohlhabend nnd nnabhängig ist, nnd Nachtheile nnd Gefahren welche sich in andern Nepnbliken, zum Beispiel bei Anlaß der Präsidentenwahl, periodisch wiederholen hier nnbetannt sind. Hier ernennt die Königin den Präsidenten, d. h. den Gonvernenr, welcher nicht, wie der Präsident der Vereinigten Staaten, ein nnnmschränkter Herrscher sondern nnr der Vertreter des eonsti-tutionellen Königthums ist. In Amerika ereignet sich alle vier Jahre daß die Geschäfte stocken, die öffentliche Ruhe gestört, die politischen Leidenschaften in einer für die bestehenden Zustände gefährlichen Weise entfesselt werden, lind wärmn? Damit die Nation sich einen Herrn nnd Meister geben könne dessen sie sich, während der Dauer seiner Wirksamkeit, zn entledigen tein gesetzliches Mittel besitzt. Jedermann sagt sich hier: 16 mionx c^t 1'6I1N^IM 38 ' Tnttcr Theil. Australicu. keinen Patriotisinus, aber die englischen Leiher werden vielleicht die Hand weniger offen haben wenn es sich darum handelt ihre Capitalien im Auslande anzulegen, d. h. in Ländern welche, infolge der Lostrennung, sich der englischen Eoutrole gänzlich entzogen haben. Endlich schmeichelt es die Kolonie einer Großmacht anzngehoren welche die Meere beherrscht." Ich gestehe daß diese Auffassung meinen eigenen Eindrücken entspricht. Der Premierminister einer der Eolonien lies; sich mir gegen-über folgendermaßen aus: „Die Colonien sind loyal. Diese Loyalität wurzelt in ihren Interessen, nnd zugleich in ihren Gefühlen. Die britischen Ans-Wanderer verpflanzen die Anhäuglichteit an ihr Geburtsland in die neue Heimat. Die in Australien geborenen.Ander besitzen allerdings uicht dieselben Traditionen und dieselben Erinnerungen. Sie sind loyal, infolge ihrer Liebe zn den Aeltern, also gewissermaßen im zweiten Grade, und dies Gefühl ist daher bei ihnen weniger lebhaft. Aber unser Gebiet ist sozusagen nncr-meßlich. Trotz des unvernünftigen und von egoistischen Beweggründen eingegebenen Widerstandes gegen die Einwanderung, wird diese durch neue Gesetze begünstigt werden. Mau kaun cineu gewaltigeu Aufschwung der Immigration mit Sicherheit erwarten, und die neuen Ankömmlinge werden die Loyalität im Lande steigern uud kräftigeu. Australien kann, in dieser Ve-ziehnng, nicht mit den Vereinigten Staaten verglichen werden. Bei uns ist das herzliche Einvernehmen mit England uiemals getrübt wurdeu. Was immer die volitischeu Auschauungen oder Grundsätze unserer Einwanderer sein mögen, sie kommen hierher um ihr Brot zu verdienen und ihr Glück zu machen. Sie kommen nicht in der Absicht dies oder jenes politische Ideal zn verwirklichen." Vernehmen wir noch einen großen Squatter: „Die Leute in Australien sind sehr demokratisch aber nicht republikanisch, und man ist der köuiglichcu Familie zugethau. Politische Uebersicht. 2W Dies ist nicht etwa nur die Stimmung der Gentlemen, sondern auch das Gefühl der den nntern Voltsklassen angehorigen Einwanderern, und wird von den in den Colonien geborenen Personen getheilt. Sie unterscheiden jedoch zwischen den Immigranten nnd jenen welche anf australischem Aoden zur Welt gekoinmeu sind. Während der letzten Wahlen sagte nur ein Wähler: «Ich theile Ihre politische,: Ansichten nicht; aber ich werde für Sie stimmen weil Sie ein in Australien geborenes Mädchen geheirathet haben.«" Wenn man sich in den Colonien nnr wenig oder vielleicht gar nicht mit der Möglichkeit einer Trennung beschäftigt hat, so tritt jetzt der Gedanke einer Conföderation mehr und mehr in den Vordergrnnd. Allein die erste Vedingnng der Verwirklichung dieser Idee ist der Abschluß eines australischen Zollvereins mit oder ohne Nenseeland. Hierin liegt die Hauptschwierigkeit der Ausführung dieses, wiederholt aber bisher kaum erusthaft angeregten, Planes. Wenige Tage nach meiner Abreise von Sydney sollte in dieser Hauptstadt eine von allen Cotouieu des Continents nnd Neuseelands beschickte Miuisterialeouferenz znsammen-treteu um diese Anfgabe zu losen.* Noch vor zehn oder zwölf Iahreu wurde der Abschluß einer Föderation als der Vorläufer der Cmaneipatiun der Colonien betrachtet. Der Körper sagte man werde zn groß, die Vande welche ihn an England knüpfen zu schwach werden. Sie werden zerreißen. Diese Ansicht war damals ein Glanbensartikel geworden. Anch über diesen Pnnkt haben sich seither die Ansichten gründlich geändert. Eine nene Idee bricht sich Bahn. Wie wäre es wenn man eine Verbündnng, eine Föderation, mit dem * Der LoiMch trrnnte sich ohnc zu endgültigen oder praktischen Entschlüssen gelangt zu sein. 240 Dritter Thcil. Australia. 3)iutterlaude austrebte? Die Viäuuer dcr vorgeschritteusteu Partei bemächtigteu sich de^ Gedaukens. „England", sagen sie, „nimmt, nach dein Beispiele dor Colonien, das allgemeine Wahlrecht an, mid zwar ohne alle Beschränkung; die Pairskammer wird anfgehoben nnd durch einen legislativen Nathskörper ersetzt in welchem das Princip der Erblichkeit keine Vertretung findet; die nach England abgeordneten australischen Depntirteu haben, im englischen Parlament, Si<5 und Stimme in allen Angelegenheiten des Reiches. Die Fnsion zwischen England nnd den Co-lonien ist eine vollständige. Das Atlantische Meer und der Indische Ocean haben aufgehört zu sein." Ich glanbte zu träu-mcu als Männer, welche nicht für Trämncr gelten, mir diese Träume mit dem Ausdruck der innigsten Ueberzeugung auseinandersetzten. Unter ihueu befaudeu sich hohe Staatsbeamte lnid sogar ein Cabmetsmimster. Es ist dies, ich wiederhole es, das Programm der vorgeschrittenen Meinung, nnd dies Programm findet den größten Beifall iu deu Masseu, uud die Massen stud die Herren des Laudcs. Ich darf jedoch nicht unerwähnt lassen daß iu Sydney, im Verkehr mit deu Ministern uud vielen Sommitäten der Politik und des Handelsstandes, ich nie ein Wort vernahm welches nicht das Oepräge der gesnnden Vernunft, der Mäßignng nnd einer richtigen Auffassung der Lage an sich trug. In diesen kreisen ist man weit eutferut au der-gleicheu Phautasiebildern Gefallen zu fiudeu uud sich für eine Idee zu begeistern deren Verwirklichung eine gänzliche Umge-staltnng Altcnglands ooranssetzt. Während meines hiesigen Aufenthaltes herrschte große Aufregung infolge des Gerüchtes daß die französische Negicrnng ihrer Strafeolonie in Nenealedomen eine größere Ausdehuuug zu geben beabsichtige. Hierüber sagte mir cm leitender Munster Folgeudes: Politische Uebersicht. 241 „Was uns beschäftigt ist die auswärtige Frage; sic berührt alle unsere Kolonien. Von außeu bedrohen uns Gefahren welche wir abwehren müssen. Wir können uicht zugeben das; fremde Mächte vmi Neuguinea uud den Neuen Hebrideu Besitz ergreifen. Die Nähe einer Strafeolonie wie Nenealedonicn, von wo fliichtige Deftortirte täglich in kleinerer oder größerer Anzahl nach uusern Küsten übersetzen, ist für uns eine Quelle von Verlegenheiten nnd Gefahren. Wir haben die (britische) Reichsregie-rnng ersncht die Südkiistc von Nengninea in Besitz zu nehmen oder wenigstens unter ihren Schutz zu stellen, uud uns bereit erklärt einen Theil der dosten der zu errichtenden Seestation zu trageu." Ich habe bereits von der Annexion Neuguiueas au Queensland und der hierauf bezüglichen Proelamation des Magistrats voll Thursday-Island Erwähnuug gethan, sowie von der Nichtigkeitserklärung der englischen Negiernng in Betreff dieses Schrittes, ^ord Derby hatte wiederholte, in diesem Sinne, an die englische Regierung gerichtete Gesuche, ungeachtet der wachsenden Erbitterung in dm Colomen, zuerst kategorisch zurückgewiesen, daun in saufterer Weise abgelehnt und endlich die Annexion gruud-sätzlich zugestanden, und nur über den Modus gewisse Vorbehalte gemacht. Dieser Vorgaug wirft eiu, in meinen Augen, bedeutungsvolles Licht auf die Natur der zwischen dcu Colomen nnd dem Mntterlaude bestehenden Beziehungen.* Eine eingehende Erlänternng der 1^nmo daß die Speculation mit Ländercicn immer größere Verhältnisse annimmt. Dies erklärt die neuen Gesetzesvorschläge, die InnlN^-«, welche jetzt in den Loealparlamenten mit großer Leidenschaftlichkeit verhandelt werden. Ueber deu Eharakter dieser künftigen Gesetze, kaun kein Zweifel obwalten. Sie werden deu Zweck verfolgen den Ankauf kleiner Grundstücke zu begüustigeu und die Bildung großer Gütertomplexe zn verhindern. Ueber die ^iage in Australien sind die Ausichteu getheilt. Hö'reu wir zuerst die Schwarzseher: „Ja, diese Eolouieu habeu Wunderbares geleistet, uud zwar in unglaublich kurzer Zeit. Auf deu ersten Blick sollte man meiucu es sei Zauberei. Sie habeu Städte von unerhörter Pracht gegründet. Sie haben stattliche öffentliche Gebäude auf- Politische Uebersicht. 243 geführt ltlld dic Stadtgebiete init eleganten Wohnhäusern, Villen und Gärten bedeckt. Ihre Eisenbahnen entwickelten sich mit reißender Schuclligteit, nnd Südaustralieu hat dnrch die Aufstellung einer Telegrafthenlinie, welche den Continent in seiner ganzen Breite durchzieht, ein Riesenwert ohnegleichen vollendet. Aber alles dies hat man mit fremdem Gelde gethan, mit dem Gelde Englands, des «alten Landes", welches sich für Australien begeistert hat. Negiernngen, Gesellschaften, Individuen, mit Einem Worte, alles ist hierzulande verschuldet. Die kolossalen Staatsschnlden werden noch anf den kommenden Geschlechtern lasten. Die Existenz der Gesellschaften hängt ganz und gar von den Schwankungen der europäischen Geldmärkte ab, die der Par-tienliers von den Geschäften der Bank welche ihnen Geld vorgestreckt hat. Es gibt in Sydney eine große Anzahl von Lcn-ten welche ein schönes, reich möblirtes Hans in Pott's Point oder Darling Point oder in andern eleganten Vorstädten besitzen, Wagen nnd Pferde halten nnd ein großes Hans führen. Aber alle Kosten werden mit dem in einer Bank geborgten Gelde bestritten. Sie besitzen hinlängliches Einkommen mn die Interessen des ansgeliehenen Capitals nnd die laufenden Ansgaben des Hanshaltes zn bestreiten, aber au dem Tage an welchem die Bank ihr Darlehu zurückverlangt sind sie zn Grnude gerichtet. Die Geschäfte stocken heute auf der ganzen Welt, aber anderwärts ist man im Stande die Krisis zn überleben. Hier fehlt die dazn nothige Schwnngkraft. Vor knrzem noch desertirteu die Matrosen der englischen Station massenhaft weil ihnen ungeheuerer Lohn angeboten wurde. Hente treiben sich in Sydney nnd Melbourne Tansende von unbeschäftigten Arbeitern anf dem Pflaster umher. Die Regierung gibt ihnen freie Unterkunft für die Nacht, unterstützt sie soviel als möglich in nnanffälliger Weise nnd schickt sie, auf Staatskosten, nach dem Innern von wo sie alsbald, weil sie auch dort kaum Beschäftignug finden, nach den Städten zurückkehren. Das Uebel nimmt zu und die Znstände werden immer bedrohlicher. Gegenwärtig sind die 16* 244 Trittcr Thcit. Australien. Aultexionvgelüste an dor Tagcsorduuug; das lvestliche Ttille Weltmeer soll ein australischer See werden. Queensland ver langt Guinea nnd die Neu-Hcbridcn; Nenseeland die Samoa-und TougaIuselu, Victoria und New-Eouth-Wales andere oceanische Archipele. Dieser Schwindel erklärt sich durch das Bedürfniß der Spceulanten welche immer nach Objecten ihrer verderblichen Thätigkeit forscheu. 2ie wolleu Laud wohlfeil kaufeu uud zu riesigen Preiseu verschachern. Diese Leute oder diese Gesellschaften, dank der Unterstütznug ihrer Freunde in den Legislature«, steheu heute obeuan. Das Llngstgeschrei, anläßlich der französischen Neeidivisteu in Neuealedouien und die eingebildeten Gefahren feindlicher Angriffe von außen bezwecken nnr die Bennrnhigung der öffentlichen Meinung." Diese trübcu Anschanuugeu gewinnen den Optimisten, welche die ungeheuere Mehrzahl bilden, uur ein Lächeln ab. „Es ist wahr", eutgeguen sie, „die Staatsschulden der Kolonien, namentlich Nenseelands, scheiueu erdrückend wenn man sie vom europäischen Standpnntt ans beurtheilt. Aber mau vergißt, man hält sich nicht hinlänglich gegenwärtig, daß wir Familiensühue sind mit großen Erwartungen. Es mnß uns doch wol gestattet sein eiuige Wechsel auf die Zntnnft Zn ziehen bevor wir in den Besitz nnscrs Vermögens treten, welches, sozusagen, keine Grenzen kennt. Hicrans erklärt sich die Bersnchnng zu borgen und die Leichtigkeit Geld zu finden. „Wir besitzen einen Continent, und dieser Continent ist ein dermalen noch größteutheils todtes Kapital. Dies Kapital muß nntzbar gemacht werden, uud das ist es ebeu was wir thuu. Man wendet die Dürre des Klimas ein und die Unfruchtbarkeit des Bodens. Das Iunere, heißt es, ist eine wasserlosc Wüste. Wir werden sie in einen nnermeßlichen Garten, in ein üppiges Weideland verwandeln. Das Wasser werden wir den Eiuge-weideu der Erde entreißen. Versuche hierzu werdeu fortwährend uud mit steigeudem Erfolge, besouders in Südaustralicn, gemacht, lind an vielen Stelleu liefern bereits Artesische Brunneu Politische Uebersicht. 245 Wasser in Fülle. Weun die Armnth an diesem Elemente ein Hinderniß bildet, so ist es wenigstens kein unüberwindliches. „Dies sind nicht etwa leere Declamationen. Um in die Znkunft zn blicken, betrachte man die Gegenwart, verbleiche n:an mit ihr die Vergangenheit. Was waren, was sind wir? Man messe den Weg den wir zurückgelegt haben: unsere, die älteste Colonie in weniger als hundert Jahren, die übrigen in weniger als einem halben Jahrhundert, in Wahrheit, die einen wie die andern, seit dreißig Jahren, d. h. seit dem Tage an welchen: wir verantwortliche Regierungen erhielten, mit andern Worten, seit die Krone, sich mit dem leeren Glänze der Sonveränetät begnügend, die wirkliche Macht in unsere Hände gelegt hat. Die Civilisation, in mehrere Armeen getheilt, mit dem Meere als Basis ihrer Operationen, bewegt sich vorwärts anf zusammenlaufenden oder parallelen Wegen, greift den Feind an, welcher die Barbarei ist, wirft ihn zu Boden, vernichtet ihn wo immer sie ihm begegnet. Nichts widersteht ihr, weder die belebte nuch die unbelebte Natur. „Die Meuschen, die Eingeborenen welche auf diesem Continent die Stelle des wilden Thieres einnehmen, fliehen unsere Verührnng. In jeder Weise verschwinden sie. Es scheint dies in den Rathschlnssen der Vorsehnng zu liegeu. Wir fügeu uns ihnen ohne sie zn prüfen. Wollten loir so könnten wir nicht. Wir haben zu viel zu thun um auch nur für ein paar Pfennige Zeit für philanthropische Untersuchungen oder religiöse Betrachtungen zu erübrigen. Wenn es Gott gefällt nus der Aborigines zu entledigen, um so besse-r; wo nicht, werden wir selbst dafür sorgen. Die Gerüchte von der Grausamkeit der Ansiedler in Qneeusland sind übertrieben. Daß sie nicht immer Tammt-handschnhe anlegen, daß sie, in fortwährender Todesgefahr lebend, sich vertheidigen nnd hierbei zuweilen das Maß des Nöthigen überschreiten, wird niemand in Abrede stellen. Wir sind Anglosachsen uud, als solche, geborene Philanthropen. Vielerlei Ver-snche wurden gemacht mn die Sitten der Wilden zu mildern: 246 Trittcr Theil. Aiistwlicn. als Beweis, der nicht sehr gliickliche Gedanke aus Aborigines eine Polizeitrnppe zn bilden. Aber alle diese Unternehmungen, alle Versnche die moralisch, geistig uud körperlich auf der niedrigsten Stnfe stehende Rasse zu eivilisireu, siild kläglich gescheitert. „Uud, gleich den Menschen, flieht die unbelebte Natur die Berührung mit uns, oder vielmehr sie verwandelt sich. Jährlich werden ungeheuere wüste Landstrecken in Weidegrüude umgestaltet, audere dem Handball eröffnet, Wälder fallen nuter unserer Art, Straßen und Eisenbahnen, von der Meeresküste ausgehend, schreiteu nach dem Innern vor. Verwegene Erforscher, iu steigender Zahl, driugen in die Wildniß. Ihre Erzählungen berechtigen zu den glänzendsten Hoffnungen. Mau weiß nnnmehr das; nicht alles Land Steppe oder Sand ist, daß Wasser nicht überall fehlt, und daß mit Zeit, Arbeit nnd Geld der Eontinent zn erobern ist. Nuu, es gebricht uus weder au Zeit, deun wir siud juug, noch an Armen — das Mutterlaud schickt sie uud die auf australischem Boden erstehenden Geschlechter leisten ihren Beitrag — noch au Geld, denn die aus England znfließenden Capitalien werden vermehrt durch die welche wir täglich, im Schweiße unsers Angesichtes, schaffen. „Betrachten Sie unsere blühenden reichen Städte, ebenso viele Pflanzschnlen der Eivilisatiou, bewohnt vou arbeitsamen, ruhigen, sich selbst regierenden, dem Gesetz gchorsameu Meuscheu, uud iu welcheu mau weder den Pauperismus (Sie werdeu nicht Einen Bettler gesehen haben) noch irgendeines der andern socialen Uebel kennt, mit welchen die Städte Enropas behaftet sind. Daß es Verschuldete gibt, daß der Handelsverkehr nnd die Gewcrbs-thätigkeit steigen nnd sinken, nnd gerade jetzt etwas stocken wie in allen Theilen der Welt, was übrigens uur eiue Folge der Ueberproduetiou in Enropa ist, — das; hierdnrch einige brotlose Arbeiter auf das Pflaster nnserer großen Städte geworfen wnr-den, wer wollte, wer könnte es lengueu? Doch es siud Wolkeu die vorüberziehen. Die Klagen über Gnterspemlation nnd die sträfliche Betheiliguug ewiger Politiker und Regiernngsmänncr Politische Uebersicht, 247 verdienen keine Widerlegnng. Wir sind Menschen und machen keinen Ansprnch über nienschliche Schwächen erhaben zn sein. „Zweifeln Sie nicht all nnserni Loyalislnns. Kinder Alt-englauds, halten wir fest an nnsern Traditionen, an linsern geschichtlichen Ermnernngen, nnd, obgleich Demokraten vom Wirbel znr Zehe, schmeichelt der Anblick eines Lords nnser Ange, nnd der Anblick eines königlichen Prinzen versetzt nns in Begciste-rnng. Wir sind dem «alten Lande» von ganzer Seele zugethan. Aber wir sind verwöhnte Kinder, und nnsere Mntter kann nns nichts verweigern. Wenn sie sich den Anschein gibt zn widerstehen, werden wir böse. Dann gibt sie sofort nach. Solange sie sich so benimmt, bleiben wir gewiß gnte Kinder. „Alles in allem, ist die Lage gesnnd nnd die Znknnft glänzend. Bei nns wnrden znm ersten mal die großen Grnnd-sätze der neuen Philosophie praktisch verwirklicht. Auf diesem Gebiete sind wir den Vereinigten Staaten weit vorans. Ihre Bürger begnügen sich mit der Gleichheit. Der Freiheit begeben sie sich zn Gnnsten eines Gebieters. Die Wahl desselben ist der einzige Act der souveränen Gewalt welcher von dem Volke in vier Jahren einmal ans geübt wird. „Wir sind, vorzugsweise, ein atheistischer Staat, aber die Bürger desselben sind Christen. Bei nns besteht gänzliche Scheidung zwischen Kirche nnd Staat, nnd der Neligionsnnterncht ist in den von der Regiernng nnterhaltenen oder nnterstützten Schnlen ausgeschlossen. Wir erkennen hierin das einzige Mittel zn ermöglichen daß Familien von verschiedenem Glanben friedlich nebeneinander leben. Die meisten enropäischen Staaten haben, auf dem Gebiete des Unterrichts, dieselben Wege betreten. Sie haben die Grlwdlageu verlassen anf welchen die alte christliche Gesellschaft, hente ein Dma. der Vergangenheit, gefußt hatte. Sie bewegen sich vorwärts in der neuen Richtung, die einen rasch, andere langsam nnd unsichcrn Schrittes, manche wie gezwungeu und zuweileu den, übrigens ohnmächtigen, Wnnsch verrathend anf halbem Wege stehen zn bleiben oder, noch lieber, wieder 248 Dritter Theil, wistralim. umzukehren. Aber, am Ende, wandelt Enrupa iu den Fußstapfen Australiens welches das Vorbild des utoderneu Staates geworden ist." Ich werde, am Schlüsse meines Buches, auf diese Anschauungen zurückkommen. Was versteht man nnter dem, iu ncnester Zeit, von Geographen uud englischen Neiseuden so oft und in so verschiedenem Siuue gebrauchten Worte Australasieu? Ist es Australien nnd Neuseeland? Oder begreift man uuter dieser Benennung auch einige Iuselgrnppen des westlichen Stillen Weltmeers oder gar deu gauzeu Pazifischen Oeean welcher ja, uach einem in den Co-louieu vorherrschenden Wnusche, eiust eiu australischer See werden soll? Hierüber köuute nur der Gebrauch cntscheideu, aber diese Entscheidung ist noch nicht erfolgt. Ich werde mir hier nur Eine Betrachtung erlaubeu. Wenn die Eolonistcn, deren Herkunft eine gemeinsame ist, in Australien nud Neuseeland eine gewisse Verwandtschaft uud mehrfache Analogien zeigen, so läßt sich dasselbe nicht von deu Ländern sagen welche sie iu Besitz genommeu haben. Der Unterschied zwischen Australien und Neuseelaud ist eiu sehr auffallender. Australien ist cm Festland, Neuseeland eine Insel, iu Wirklichkeit zwei Inseln welche aber, nur durch eiue schmale Meerenge getreunt, ein großes Land bildeu. Es ist eiu begrenztes, erforschtes nnd daher bekanntes, großcntheils ausgenutztes wcuu-gleich uoch nicht vollkommen bebantes Territorium. Australien, kaum au eiuzelueu Theilen seiner Peripherie für die Cultur ge-wouuen und, in seinem Inuern, noch iu gcheimuißvolle Schleier gehüllt, wirkt auf die Eiubilduugskraft durch seine ungeheuere Ausdehuuug, welche greuzeulos scheint, sowie anch das Feld grenzenlos scheiut welches es der Speeulatiou, der solideu Thätigkeit und dem Spiele des Zufalles eröffnet. Politische Uebersicht. 249 In Neuseeland geht alles wie bei vollem Tageslichte vor sich. In Australien ist noch vieles im Dunkel. Der Colonist in Neuseeland weiß daß sich hinter den Bergen das Meer befindet. Der australische Colonist weiß daß hinter dem Msteu-gebirge, dem Coast Nange, ungeheuere, wasserlose daher unzugängliche, unbekannte, geheimuißvolle, gewissermaßen greuzeulose Landstriche beginnen. Je nach der Stimmung und Anlage semer Seele, eilt er nach der Wildnis;, eutschlosseu den Eingeweiden des uuwirthlicheu Bodens seine verborgenen Schätze zu eutreißeu, oder, znrückbcbeud vor dem Gedanken jene geheimnißvollen Schleier zu lüften, läßt er sich im Scegebiete nieder. Dieser Gegensatz zwischen dem Beschränkten und Bekannten in Neuseeland und dein Unbeschränkten nud Uube-kannten in Australien, drückt deu beideu Colonieu ein so verschiedenes Gepräge auf und wirkt und muß auf die geistige Stimmung der Colouisten naturgemäß zurückwirken. Die neuseeländischen Siedler Nüssen was sie vernünftigerweise zu erwarten haben. Sie keuuen ihr Land. Die Australischen kenueu das ihrige nicht, und lasseu daher ihrer Einbildungskraft freien Spielraum. Die Regierungen, besouders die vou Eüdaustralien nnd Queensland, wetteifern in Austreuguugeu um das Iunere der Cultur zu eröffneu, uud eutseuden zu diesem Eude fortwährend Forschnngsrcisende welche unermüdlich, vor keiner Gefahr zurück-bebeud, dem Wildeu uud der Dürre trotzend, zuweilen ganz allein die Wüsteneien des Festlandes durchziehen. Darum ist auch der Australier^ iu der guteu Bedeutung des Wortes, seinem Wesen nach, Abenteurer. * Während ich mich in Melbourne aufhielt kam riu ans dieser Stadt gebürtiger Mann von dem ßiolf Carpentaria an. Er hatte den ganzen Continent ohne Begleiter durchreist. Cs war nichts ganz Ungewöhnliches, sodaß diese That, mich ausgenommen, niemand überraschte. Ich erwähne derselben als bezeichnend für die Lnst des Anglosachscu an abenteuerlichen Unternehmungen. 250 Tnttcr Thcil, Alistralicn. Dies ist nicht die Sache dos Neuseeländers. Er baut sein Land oder weidet sein Vieh. Auch er ist ein Eroberer, aber er erobert, für die Cnltur, eiu bekauutes Land. Er ist rnhiger, dcm Boden der ihn nährt anhänglicher, weniger geneigt zu gewagten Unternehmungen, wenn man will, prosaischer als der Australier. Auf seineu beiden Inseln ist der Pionier eine Gestalt der Vergangenheit, in Australien ein unentbehrliches Element der sich bildenden Nation. Gewiß, neben so vielen Gegensätzen, findet man auch Analogien aber wenige gemeinschaftliche Interessen. Die wärmsten Lobredner der Confödcratiou, in Sydney, in Mclbourue, in Brisbane, müssen dies Zugeben. Wenn iu Dnuedin, in Christ-chnrch, in Auckland von Couföderation die Nede ist lächelt man. Man gibt Zu daß eine Zolleiniguug oder ein ähnliches Abkommen wünscheuswerth wäre, aber die Idee eines großen australischen von eiucin Gesammtftarlamente regierten Staates wird anf das bestimmteste zurückgewiesen, denn man begreift daß in ciuem solchen gesetzgebenden Körper zu Sydney, bei einem Eou-flict australischer und neuseeländischer Interessen, die Dcputirteu der beiden Inseln sich immer iu der Minorität befänden. — „Nciu", so schließen immer diese Besprechungen, „uein, wir wollen kein Znbehor von Australien werden." Biortcr Thcil.* I n d i o n. " Die wenigen geschichtlichen und geographischen Notizen welche ich fnr nützlich hielt in meine Erzählung einzuschalten, siud W. W. Hunter's „Im-I> Vin'tcr Theil. Indien. Vulkan, dessen Crater an den Hinitnel zn stoßen scheint, steht auf der großen Infel dieses Nanicns. Hier finden wir die Sec von einem Horizont zum andern von weißen Streifen durchfurcht. Es sind Bimssteine, die letzten Spnren der furchtbaren Katastrophe welche den Sund im vergangenen Sommer verheert hat. Endlich am ^3. December, an einem nnbefchreiblich schönen Morgen, geht nnser Boot in einer weiten Bncht vor Anker. Mehrere Gruppen großer Dampfer, die gleichfalls vor Anker liegen, nnd viele ein- und anslanfende größere nnd kleinere Schiffe beleben die Scene. Ueber dem niedern Land, welches einem grünen Bande gleicht, erheben sich in dnftiger Bläne, die ferneil Bergriefen, erlöschte Vnltane, Salak und Gede.^ Wir sind in Batavia. Entfernung von Brisbane 3680 Seemeilen. Batavia ist ein Feenlaud, ein Zanbermärchen. Wäre es möglich mit Pinsel oder Feder ein getreues Abbild zu entwerfen, so würde es für übertrieben oder uuwahr gelten. In der unteru Stadt befinden sich die Comptoirs. Dort macht man Geschäfte nnd holt fich das Fieber. Im übrigen eine alte holländische Stadt. Die Neinlichkeitspolizci im Flusse wird von Krokodilen besorgt, welche in Fülle vorhanden sind. Sodann gelangt man in das Chinesenviertel. Man tonnte sich in Kanton glan beu. Hieranf folgt ein Wald von Coeospalmen, Bananen- uud indischen Feigenbäumen nnd riesigem Caetns. Andere Bämne mischen dazu, mit dem Pnrpnr ihrer Blüten, das lichte nnd dunkle Krau, das blaue uud riithliche Grün ihrer breiten, gezackten, schlangenfvrmigen, sammtartigen oder glänzenden Blätter. — Aber wo ist die Stadt? — Wir befinden nus bereits in ihr. — * «1»»>» Fuß nnd I3000 Fuß hoch, Vatama. 357 In der That, den Wald dnrchschln-iden breite und schmale Fahrwege, welche die Gassen sind. Von durchsichtigen Schatten übergössen, von Gärten umgeben, halb verstockt im Gehölz, erräth man die Hänser mehr als man sic sieht. Sie tragen alle dasselbe Gepräge: eine niedere Facade — unr selten ficht man ein oberes Stuckwerk — geschützt dnrch eine breite Veranda; an jeder ihrer zwei Ecken ein in den Garten vorspringender Flügel. Der Garten selbst meist nur ein Rasenplatz mit Blumenbeeten, umgeben von Balnstraden, Statnen nnd Vasen welche an Haarlem oder besser an Japan erinnern, von wo die alten Holländer das Gefallen an Porzellantöpfen anf steinernen Fußgcstcllen nach der Heimat gebracht haben. Den Zauber, welchen Vatavia auf den Ankommenden ansübt, verdankt es, scheint mir, hanptsächlich ftinem Reichthnm an Bän-men deren Pracht alles übertrifft was ich anderwärts unter den Tropen sah, nnd, sodann, den in ihrem Schatten lustwandelnden Menschen. Hiermit meine ich nicht die Holländer welche sich, übrigens, nnr zu Wagen oder zu Pferde zeigen, sondern die Massen der Angeborenen. Der Glanz ihrer Tracht zieht das Ange ans sich. Die Harmonie der Farben bczanbcrt es. Roth, Nosa nnd Weis; herrschen vor und vermählen sich in wnnder-vollem Schmelze mit dem in das Unendliche abgestuften Grün der Bamngrnpven. Ich bin bei meinem Eonsnl abgestiegen. Herr P. Pels, Vorstand eines der hiesigen großen Handelshäuser, bewohnt ein schönes Hans welches als Mnsterbild eines eleganten, einfach vornehmen Wohnsitzes im niederländisch - indischen Geschmacke gelten kann. Alle künstliche Einrichtungen um den nachtheiligen Einflüssen des heißen nnd fcnchten Klimas zu begeguen, sind hier vorhanden. Aber am Ende wird doch nnr eine angenehme Täuschung erreicht. Der Aeweis, die blassen Ge- v. Hübncr, I. 17 258 Vierter TlM. Indim. sichte. Fast alle Europäer leiden mehr oder loeuiger an Plnt-arnnlth. Es ist Sonntag. Die Sonne nähert sich dem Horizont, und die elegante Welt hat sich ans dein mit zierlichen Equipagen gefüllten Hanptplatze versammelt. Dainen nnd Herren erscheinen mit bloßem Kopfe; die erstern mit Blumen im Haar;, letztere, selbst die Offiziere, haben den Hnt oder Helm zn Hans»,' gelassen. Unter diesem Himmel, ist die Tonne einmal verschwunden, gehört die Kopfbedeckung zn den überflüssigen Dingen,, nnd der Holländer ist, seinem ganzen Wesen nach, praktisch. Eine Militärbande spielt; die Herren steigen vom Pferde nnd nähern sich den Wagen nm mit den Damen zn schwätzen, etwa wie am römischen Pincio oder am Lnngarno in Florenz. Aber das Gesammtbild ist exotisch. In dem an indischen Gegenständen ans Java, Snmatra^ Borneo sehr reichen Mnsenm kann man Indien kennen lernen wie es vor dem Hereinbrechen des Islamismns ansgesehen hat. Aber was für ein Islamismus? Und wie hat er sich der Raja^ nnd mithin der Bevölkernngen so rasch bemächtigen können, obgleich er kaum die Oberfläche dieser Gesellschaft dnrchdrnngen hat? Trotzdem gelingt es den Hadji oder Metkapilgeru die Landbevölternngen anf das abscheulichste ausznbenten. Eine Menge interessante Fragen drängen sich anf. Ich erlanbe mir sie künftigen Geschichtsforschern zn empfehlen. In religiösen Angelegenheiten bethätigt die holländische Regierung, welche in den Eolonien ein unbeschränktes nnd Vätern liches Regiment führt, allen Neligionsgenossenschaften, christlichen wie nichtchristlichen gegenüber, dasselbe Wohlwollen oder dieselbe Gleichgültigkeit. Nnr anf gewisse hergebrachte Uebnngen hat sie Batavia. 25V nicht verzichtet. So sind den Missionaren Vetehrnngsvcrsuche gegeniiber von Mnselniauen auf das strengste untersagt. Mit Chinesen nnd Hindn brauchen sie sich keinen Zwang aufzulegen. Der Grund dieses eigenthümliche,: Verbots soll die Rücksicht für das arabische Element sein, welches aus reichen Kaufleuteu und Großgruudbesitzeru von Maskate und Hadramant besteht. Es sind Familien die hier seit langer Zeit von Geschlecht zu Geschlecht ansässig sind und auf die malaiische, überhaupt auf die mohammedanische, Vevölkernng von Java einen bedeutenden Einfluß ausüben. Ausflug nach Vniteuzorg, Tjandjoer, Bandoeng und dem Vulkau Tangkoe-bau -vraoe. Vom ^4. zum .'N. December. — Bei Sonueuaufgang Abreise ans der Eisenbahn. Das Land vou nubeschreiblicher Schönheit: Banmgrnppen, meist Coeus-, Bananenbäume nnd Bambussträuche vou riesiger Dimension, wechseln mit Reisfeldern deren junge Pflanzen sich in wassergefüllten Rinnen spiegeln. Diese saftgrünen Gründe steigen terrassenförmig die Anhöhen hinan und siud jetzt mit arbeitenden Büffeln nnd Menschen bedeckt: Mänueru, Weibern, bindern. Letztere führen die fchwarzen Ungeheuer. Die Ortschaften hüllen sich in Laub und Schatten, wie eine Dorfkokette ihr Antlitz hinter der Schürze verbirgt. Den Hmtergrnnd des Gemäldes bilden der Gcde nud der Salat, grau und safranfarbig am Fuße, lichtblan gleich dem Opal an ihren Gipfeln. Das Himmelszelt wie aus mattem Silber geschmiedet. Bnitenzorg, das Petropolis von Rio de Janeiro, das Eintra von Lissabon, das indische Simla, ist die gewöhnliche Residenz des Generalgonverneurs und, das ganze Jahr über, die Sommerfrische der offieiellen Welt uud der großeu Kaufherren. Das batavische Sanssonei schützt zwar nicht gegen die Sorgen der Staatsangelegenheiten nnd Handelsspeeulatioueu, aber es bewahrt 17* ^60 ViMrr Thcil. Indian, vor dem Fieber. Die Nnigegend erinnert an die schönsten Partien anf Eeylou. Dcr Gouvcruenieutspalast, obgleich im nüchternen Geschmack der zwanziger Jahre erbant, hat cm stattliches Ansehen, aber ich ziehe den Park vor mit seinen hundertjährigen Bäumen. In ihren Schatten macht ein riesiger Elefant seinen Morgeuspazicr-gaug. Er sieht melancholisch und gelangweilt aus. Damhirsche uud Rehe in Fülle, aber su zahm das; sie nnserm Wageu tanm ans dem Wege gehen. Die ersten Stuudeu der Nacht haben einen eigenthümlichen poetischen Reiz. Die Dunkelheit ist noch nicht vollständig. Schwarze Schleier umhüllen uns zwar, aber ihr Schwarz erblaßt mit den Entfernungen. Der Blick erhebt sich von Stufe zu Stufe bis er deu Firn des Salak erreicht. Hinter der Silhouette des Niesen, die noch lichten orangefarbigen Töne des Abcndhimmels. Ueber uuseru Häufttcru ballen sich dichte schwarze, gelbgesäumte Wolkeu. Die Weihnachtsfeiertage haben das Hotel von Bellevue mit Gästen überfüllt. Herren uud Damen, alle deu höheru Gesellschaftskreisen vou Vatavia angehörig, erscheinen beim Frühstück und Clinch iu eiuer durch das >tluua gerechtfertigten oder wenigstens zu entschuldigenden Toilette. Die Damen tragen ein Ka-misol, welches, das Hemd ersehend, bis zum Saraug reicht. Der Saraug, der Landestracht entlehnt, ist ein baumwollener Uutcr-rock von greller Farbe. Die Herreu habeu einfach ihr Nacht-costüni behalteu, deu Pnjama, der aus eiuer weißru Jacke uud einem weiten farbigen Pautalon besteht. Die nackten Füße stcckeu iu Pantoffeln. Den jungen Damen steht diesc Toilette sehr wohl, Büitcnzorg. 2ii1 weniger ältlichen nnd eorvnlenten Frauen. Mich hat dies saus ^n^ anfangs eilligermaßen überrascht, aber das Auge gewöhnt sich daran. Unvermählte jnnge Damen erscheineli übrigens nie anders als vollständig gekleidet. Ich machte hier einige allgenehme Bekanntschaften, und jedermann ist bereit nieine Fragen zn beantworten. „Unsere Herrschaft iil Indien", sagte man mir, „beruht anf dem Monopol nnd der gezwungenen Arbeit. Dies widerstrebt den modernen Anschannngen, aber jedermann, Regierer nnd Negierte, befinden sich dabei wohl. Znm Beispiel das Monopol des Kaffees. In gewissen Gegenden bant ihn die Regierung nnter eigener Regie; in andern, sind die Gemeinden verpflichtet ihn zn pflanzen nnd die Frucht dem Staate zn einem bestimmten Preise, 14 Gulden das Pickel, zn überlassen. Die Verwaltnng verkanft dasselbe sodann ihrerseits für .';5>—40 Gulden. Niemand darf znm eigenen Gebrauch einen Vorrath von mehr als .'< Kilogramm im Hause haben. Da kommt es wol vor daß, wenn die in den Ttaats-niederlagen angehänften Vorräthe von Kaffee erster Qnalität erschöpft sind, man sich seinen Bedarf ans Holland kommen lassen mnß. Dies ist nicht angenehm, aber niemand betlagt sich, weil die Vortheile jedermann einlenchten." „Die Regierung", sagte mir einer meiner neuen Bekannten, „bedient sich der ehemaligen Fürsten, die mehr oder weniger kleine Souveräne wareu, nm die ihnen noch sehr anhänglichen Bevölkerungen zu regieren, nnd sie versichert sich der Trene dieser in niederländische Beamte verwandelten «Snltanc" mittels hoher Gehalte. Der ehemalige Snltan ist «Regent» geworden, und vertritt, als solcher, die Regierung bei der eingeborenen 262 Vierter Theil. Indim. Vevölkernng, Übt die Loealpolizci ans und, innerhalb gewisser Grenzen, die richterliche Gewalt. Aber die 8ummli i^vnnl ruht in den Händen des «Residenten". So nennt man den holländischen Oberbeamtcn in jedem einzelnen District. Er ist das Ange nnd, nöthigenfalls, der Arm des Generalgonvernenrs; aber er enthält sich, ohne dringende Nothwendigkeit, jeder (im mischnng in die dem Regenten Angewiesenen Angelegenheiten. „Die von Natnr sanften und leicht zu führenden Java-nesen sind, in ihrer passiven Weise, der holländischen Regierung nicht abgeneigt. Dasselbe läßt sich nicht von den Bewohnern von Sumatra nnd mehrern andern Gebieten des niederländisch indischen Reichs behaupten. Unser Volk hier ist zufrieden. Ein wenig Reis für jeden Tag, und so wenig Arbeit als möglich das ganze Jahr dnrch, ist, in ihren Angen, das Ideal irdischer Glückseligkeit. Es erging ihnen nicht so gut nnter den ein heimischen Fürsten von welchen sie ausgesaugt wurden. „Was immer die soeiale Stellnug eines Eingeborenen sei, er ist verbnnden das landesübliche Kovftnch nnd den Sarang um die Lenden zu tragen nnd sich europäischer Fnßbckleidnng zu enthalten. Die Weißen sprechen mit den Landestindern, wenn lehtere anch holländisch verstehen, nie anders als malaiisch, nnd kein Eingeborener würde es wagen einen Weißen in einer enro-päischen Sprache anzureden. In Vatavia hat die in den Provinzen noch beobachtete Strenge der Etikette, während der letzten Deecnnien, etwas nachgelassen. Aber die Aufrechthaltung des Ansehens nnd die allgemeine Anerkennung der Ueberlegenheit der weißen Rasse bilden noch immer, im Verein mit dem Monopol nnd der gezwnngcnen Arbeit, das Grnndprineip nnserer Herrschaft. Es ist dies das alte bewährte Eolouialregiment. In dieser Weise war es möglich daß eine Hand voll Holländer, während beinahe drei Jahrhunderten, Millionen von Asiaten in Unterwürfigkeit erhalten konnte. Im englischen Indien hat man dies System seit fünfzig Jahren verlassen und eine hnmanitarische Aera eröffnet. Die'Znkunft wird lehren, mit welchem Erfolg." Tjcmdjocr. 263 Alle Anwesenden stimmten meinem Gewährsmann bei, nicht vhnc dic Besorgnis; ansznsprechen daß der Geist der Neuerung auch in das holländisch-indische Reich eindringen könnte. Tjandjoer, eine ganz und gar indische Stadt, ist Sitz eines Regenten nnd daher auch eines Residenten. Hier lebt als Staatsgefangener ein sehr großer Herr, der entsetzte Snltan von Borneo. Er bewohnt einen ans mehrern einzelnen Hans-chcn bestehenden Palast. Eine kolossale Puppe mit dem Kopfe nnes Fisches bewacht den Eingang. Es ist ein Genins, und seine Aufgabe die Nbwehrnng böser Geister. Es war Nacht als wir vorübergingen nnd wir hörten wie der Snltan mit den Scimgen in der kleinen Moschee das Abendgebet verrichtete: „Ille Mallah, Ille Mallah", nnd wieder „Ille Mallah"! Die Palmen begleiteten den Ehor der Gläubigen mit dem Flüstern ihrer Riesenfächer, nnd der Genins schüttelte seinen vom Abend-winde bewegten Fischkopf. Was für eine schwarze, heiße, liebliche Nacht! Nnter der Veranda nnsers kleinen Hotels sitzend, wohnen wir einer nntcr freiem Himmel stattfindenden Vorstellnng von Marionetten bei. Sie stellen die Götter nnd Göttinnen des hindnischen Olymps vor. Wie armselig sind im Vergleich mit ihnen die Gnignols der Champs-Elysees in Paris oder unsers wiener Praters. Die wüthendsten Kämpfe liefern sich diese Gottheiten, deren überirdischer Glanz für die islamisirten Bevölkerungen noch nicht gänzlich erloschen ist. In geringer Entfernnng tanzt eine Bajadere. Die Sprünge ihrer Partner, zweier junger Bursche, erinnern an die Bewegungen wilder Thiere nnd bilden einen auffaltenden Gegensatz mit der ruhigen nnd züchtigen Haltnng der Tänzerin. Das Antlitz meist verhüllt durch die weiten Aermel ihres Kleides, tritt sie vor und zurück ihre Schritte von Zeit zn Zeit mit einem monotonen Gesänge begleitend. 264 Vierter Thcil. Indicn, In diesem kleinen Hotel, welches von einem ehemaligen österreichischen Offizier gehalten wird, fand ich Zeitnngen ans Böhmen. An den Wänden hängen verblichene Lithographien, die Porträte des Marschalls Nadchky nnd anderer Helden Oesterreichs, welche mich an bereits ferne Tage erinnerten, an Tage so reich an trüben aber anch glorreichen Erinnerungen. Zwischen Tjandjoer und Bandoeng reisen wir, theils anf einer noch nicht eröffneten Eisenbahn, theils zu Wagen, durch ein höchst malerisches Land. Die Fahrstraße, von holländischen Ingenieuren meisterhaft gezogen, von eingeborenen Frouarbeitern vortrefflich gebaut, ersteigt iu Schlangenwindnngen den Kamm des hohen Verges Missigit. Die Gegend ist übel beleumundet wegen ihrer vielen Tiger, Leoparden nnd Panther. Es fehlt auch nicht au wildeu Büffeln und Wildschweinen, und an gewissen Stellen kann der Reisende wol anch auf Rhinocerosse stoßen. Der Znfall ersparte nns derlei Gemüthsbeweguugen. Wir sahen unr zwei riesige Eber welche die Straße, iu geringer Entfernung vor nns, im eiligen Laufe überschritten. Noch vor wenigen Jahren, wagte sich in den Kampong (Dörfern) zur Nachtzeit niemaud auf die Gasse, außer in zahlreicher Gesellschaft, bewaffnet uud vou Fackelträgern begleitet. Die durch die Eiseubahubanteu, in großer Anzahl, herbeigezogenen Arbeiter haben einen Theil der schlimmen Nachbarn verscheucht. Iu den wasserreichen Flüssen uud Gießbächeu wimmeln Krokodile. Diese Ungeheuer gelteu hier für geheiligt. Niemand wagt sie zn belästigen. Erst wenn sie in einem Dorfe unter Menschen und Vieh gewaltige Verhccruug augerichtet, wird der Ortspriester gerufeu. Im vollen Ornat läßt er sich am Ufer des Flnsses nieder nud stimmt einen Hymnns an. Zeigt sich eines dieser Unthiere so wird es erlegt, aber erst nachdem der heilige Mann in ihm den Schuldigen erkannt hat. Den Tigern fehlt die Zwischen Tjandjocr und Bandocng. ^65 Uimntastbarkeit der Krokodile aber sie sündign im Bewnßtsein des Schreckens den sie der Bevölkerung einflößen, und auch ihnen wird nur nachgestellt wenn sie bereits großes Unheil in dcr Gemeinde verübt haben. Die Pal* sind immer durch uumerirte Steine bezeichnet. Längs der Straße, selbst wo sie dnrch die Dörfer zieht, lanfen grüne Hecken anf beiden Seiten fort. Die Landschaft, einem nn-geheuern Parke ähnlich, bewahrt überall ihren an Abwechselimg reichen, bizarren, phantastischen aber immer lieblichen nud heitern Charakter. Kalkhaltige oder vulkanische Felsen, in Gestalt vereinzelter Kegel, dicht bewaldet, am Gipfel mit einem riesigen Federbnsch von Bambus geschmückt, zeichnen ihre Silhouette anf den morgens blaßblanen, nachmittags dnrch schwarze Wolkenbälle verdüsterten, bei Untergang der Sonne, goldigen Himmel. Alle fünf Pal trifft man ein PostHans. Vor demselben schützt ein die ganze Breite der Straße einnehmendes Dach den Reisenden sowie die Pferde nnd den Wagen, während des Um-spannens, gegen Sonne nnd Regen. Hier befinden sich anch, in den Kaffeedistrieten, die Staatsmagazine iu welchen die von den Gemeinden gelieferte Frucht aufgestapelt wird. Kein Land der Erde, China nnd Japan anZgenommcn, kaun einen Begriff geben von der Bewegnng welche in den Dörfern nnd anf der Heerstraße herrscht. Kuli gehen, immer in langen Reihen, beflügelten Schrittes einer hinter dem andern, die Lenden mit dem Sarang geschürzt, au den Beinen Spuren gewesener Hosen, den Oberkörper nackt, nud beschattet dnrch einen nngehenern Hut der wie der Deckel eines Topfes aussieht oder wie ein Schild. An einer langen, sichelförmig gekrümmten Bambnsstauge, tragen sie ungeheuere Lasten. Audere schleppen Nohr für den Bau ihrer Hütten. Weiber sieht man in großer Zahl. Das Blau, Noth, Weiß ihrer Sarang stimmt sehr wohl zu dem florentiner Bronze * Tcr Pal zählt 12N? Meter. 266 Vicrtcr Theil. Indien. der halb entblößten Gestalten, zu dem schattigen, in das Unendliche abgestuften Grün einer verschwenderischen Natnr. Man sieht junge Äiütter den ans ihren Hüften reitenden Säugliug stillen, während sie in den Reisfeldern arbeiten. Wie in Japan verhüllen sie den Bnseu beim Herannahen eines Europäers nut den Aermelu ihrer Tnniea. Es ist ein Strom menschlicher Wesen uuter welchen man anch zuweileu Männer in vollständiger nnd reicher Bekleidung sieht. Sie gehören der einheimischen Gentry an, sind Edelleute oder vielleicht Söhne irgendeines ehemaligen Sultaus, nunmehrigen Regenten. Da diese hohen Herren, deren fünf legitime Gattinnen Ansprnch anf Pension genießen, immer mehrere Odalisken nntcrhalten, ist die Zahl ihrer linder Legion. Die ganz ans Bambnsrohr erbauten, mit einem hohen, schweren, steilen Dache gedeckten Hänser verschwinden im Lanb. Daher geschah es nns auch daß wir durch mehr als ein Dorf fnhren ohne es zn bemerken, Längs der Straße befinden sich viele Vreterbnden in welchen Lebensmittel feilgeboten werden. Das Volk verrichtet die dem Weißen schnldige Ehrfnrchtsbczci-gnng mit einer durch große Uebung erworbenen Fertigkeit. Die Männer, sobald sie des nahenden Enropäers ansichtig werden, machen anf beiden Seiten des Wegs kehrtnm, wenden ihm den Nucken zn, knien nieder, nnd berühren den Voden mit der Stirn, was natürlich nicht möglich ist ohne den uninteressantesten Theil ihrer Persönlichkeit nach oben zn kehren. Dies ist die äußerste Höflichkeitsform nnd zugleich eiu Aet großer Demuth, deuu niemand zeigt sich gern von seiner nnvortheilhaftesten Seite. Aber cs ist schwer sich des Lachens zn enthalten während mau durch diese doppelte Neihe umgestülpter Karyatiden fährt. Bandoeng. 267 Bandoeng, Welches wir gegen Mittag erreichen, liegt anf einer von hohen Bergen eingefaßten Hochebene.* Es ist die Hanptstadt der Provinz Preanger. In einem sehr anten, von einem Holländer gehaltenen Hotel treffen wir zahlreiche Gesellschaft: Hochgestellte Funetionäre, Negierungsbeamte, reiche Pflanzer, aber keine Malaien, welche in den von Europäern besnchten Gasthänsern keine Anfnahme finden. Nicht so Chinesen. Wenn fie mit wohlgefnllter Börse ankommen dürfen sie mit Weißen nnter Einem Dache wohnen. Wir sind in der Negen- oder Monsnnzeit, der gesündesten in Holländisch-Indieu. Die Morgenstunden sind entzückend. Um Mittag bewölkt sich der Himmel. Um 5'» Uhr beginnt, nnter furchtbarem Blitz nnd Donner, der Regen in Strömen zu fallen; gewöhnlich währt er bis gegen Sonnenuntergang. Zwischen (i und >! Uhr abends werden Besuche gemacht, dann geht jeder zum Speisen nach Hanse. In der „Societät", dem Club höre ich die brennende Tagesfrage besprechen: die Zukunft des Chinabaumes. Jedermann Pflanzt Chinabänme, wie dies auch jetzt anf Ceylon nnd einigen Inseln der Südsec geschieht, iiaffeeban zahlt sich nicht mehr, die Zuckerpreise sinken; europäische Ueber-production anf allen Gebieten der Industrie hat auf der ganzen Welt eine Stockung der Geschäfte hervorgernfeu. Also es lebe Chiuiu, es lebe das Fieber! Ersteigung des VnltausTaugkoe-bau-praoe. ^8. December. — Ich werde diesen Tag nicht leicht vergessen. Die Aufgabe war einen thätigen Vnlkan, der 7(X><»Fnß hoch nnd, in nördlicher Richtuug von der Stadt, i^O Pal oder ^'> Kilometer von ihr entfernt ist, zu ersteigen. Das Land behält die Physiognomie der von uns in den letzten Tagen bereisten Gegend, nnr trägt es «00 Fuß hoch. Tic nahen Berge erreichen eine Aöye von »i—tt(M Fuß. 268 Vicrtcr Thcil. Indian. bereits den Charakter der Alpcnnatnr. Je mehr wir uns erheben um so stiller wird es ringsum. Schon liegt das „Rasthaus" bei Lembang, einein kleinen Weiler von wenigen Hütten, hinter nns. Vor den Reisenden zeigt sich der Vnlkan dem sein, einem umgestülpten Nachen gleichender, Grat den Namen gab. Der Krater selbst bleibt unsichtbar. Der znweileu sehr steile Pfad dringt iu den Urwald, führt über ausgerodete Stellen, an welchen Chinabäume gepflauzt werden, iu ein Dickicht von Banm-ricsen welche noch keine Axt berührt hat. An gewissen Pnnkten schlaugelt sich der kaum zwei bis drei Fnß breite Weg, den Krümmungen des Berggrates folgend, zwischen zwei gähnenden Abgründen hinauf. Seukt man den Blick iu die Tiefe so gewahrt mau die Wipfel des Urwaldes. Ringsum, ausier in der Richtnng der noch in der Ferne sichtbaren Stadt, steigen die Firnen des Hochgebirges empor. Das Platean von Bandoeng gleicht einem aus grünen und schwarzcu Fäden gewobenen Teppich: grün die Reisfelder, schwarz die im dnnkeln Gehölz versteckt liegenden Dörfer. Sämmtliche Berge sind mit prachtvollen gigantischen Bänmen verschiedener Gattung bis an den Kamm hiuan bewachsen. Tiefe, lautlose Stille herrscht iu der Luft, im Walde, über den Abgründen, Kein gefiederter Sänger läßt sich vernehmen. Vögel sind in vielen Theilen Javas eine Seltenheit. Allmählich mischt sich zn dem köstlichen Waldduft eiu starker Schwefelgeruch. Wir sind am Räude des Kraters angelaugt. Die Lava sucht vergebens die Vegetation zn verdrängen. Dichtes Lanbwerk, Arbusteu uud undurchdringliches Gestrüpp hemmen den Blick in die Tiefe, aber das dnmpfe Getöse der Höllenküche schlägt an nnser Ohr. Wir hatten kaum begouueu über Lavagerölle hiuweg in den Krater niederznsteigeu, als der Himmel, welcher sich seit einer Stnnde leicht verschleiert hatte, mit einen: mal seine Schleuseu öffuete. Mit Leidwesen entschied ich mich zum Rückznge. In diesem Klima wird man nicht ungestraft durchnäßt. Cm tüchtiges Fieber, mit nnberecheubarem Ansgange, ist die gewöhnliche Folge, Wir fühlten nns wie unter einer Ersteigung ciues Vulkans. 269 Wafscrpnmve und ich begann an dcr Undurchdringlichst meines Kantschntmantels zn zweifeln, als der Himmel, gegen seine Gewohnheit, sich Plötzlich allfheiterte nnd die Sonne alsbald die schwarzen Wolken zerriß. Aber welcher Nückzng! Die schnmlen Pfade waren in Gießbäche nmgeN'andelt nnd die Pserde strauchelten bei jedem Schritt. Meine beiden jüngern Gefährten, Herr Otto Meyer vom österreichischen Consnlat in Batavia nnd der ehemalige österreichische Offizier ans Tjandjoer, Zogen vor den Weg zn Fuß znrüchnlegcn; ich selbst ritt anf gnt Glück weiter, bis mein Pferd, natiirlich anl Rande eines Abhanges, wie dics in ähnlichen Fällen zn geschehen Pflcgt, das Gleichgewicht verlor und Zusammenstürzte, glücklicherweise ohne in den Abgrnnd zn rollen. Aber mein kleiner Javanese, gcrieth hierbei nnter das Thier während ich über den Hals desselben anf die Schnltern des Vnrschen glitt. Im Grunde hatte ich nnr den Sattel gewechselt, nnd ^ Ende gnt alles gnt. Ein treffliches Abendmahl in nnserm gnten Hotel nnd in gnter Gesellschaft eingenommen, ließ die Mühen des Tages leicht vergessen, nnd nnr die Erinne-rnng an die gchcimmßvollen Schaner und die Pracht des tropischen Hochgebirges wird bleiben. Bandoeng ist ein ^nstgarten, ein Part nnd ein Wald. Die Straßen sind breite von Rieseubänmcn beschattete, von lebendigen Hecken eingefaßte Avennen. Wäre ich ein Botaniker fo könnte ich die verschiedenen Vanmarten anfzählen. Tie Palme, besonders die Coeospalme, der Vananenbanm, nnd dcr Bambus, der hier ein wirklicher Baum geworden ist und die erste Rolle spielt, walten in dcr bnnten Gesellschaft vor. Die Hänser sieht man kanm. Die Stadt ist wie mit einem grünen Vorhänge nmgeben. Hier nnd da öffnet er sich nnd gestattet die Aussicht nach dem naheu Hochgebirge. Abends tanzt eine Bajadere im Hofe nnsers Hotels. Es hatte nachmittags stark geregnet -^ nnd von dem glühenden durch- 270 Vierter Theil. Indien. weichten Boden steigen weiße Wasserdämpfe auf. Die Temperatur der Luft erinnert an einen Backofen. Der Tanz, die Musik, der Gesang, die ganze Scene stimmt melancholisch. Besuch beim Regenten, der, im Volksmuude, noch Sultan heißt. Toe Mengoeng-Kvisseina-Delaga, ein noch jnuger Manu nnd äußerst artiger Herr, spricht nnr malaiisch, lim den ^opf hat er das umgeschriebene Seideutuch gewunden; er trägt überhaupt die Landestracht, aber, von dem Privilegium eines Regenten Gebranch machend, europäische Schuhbetleiduug. Neben ihm steht seiue „erste" Frau. Der Regeut sagt mir, sie sei eiue Prinzessin und führe diesen Titel. Sie ist weder juug uoch hübsch aber große Dame. Ihr Gemahl führte mich iu dem aus zwei Häuseru besteheudeu Palast, Kratou, umher. Das eine dient als Wohnung, das audere für feierliche Empfäuge. Beide smd enropäisch eingerichtet. Im Garten spielte die Musitbande des Regenten. Die Künstler kauerten am Boden, währeud ein Manu uud eiue Frau, gleichfalls auf deu Fersen sitzend, eiue Vorstellung uou Ältariouetteu gaben, uud zwar mit unvergleichlicher Maestria. Abermals eine Gotterschlacht aus dem hiudui-scheu Olymp. Mail sagt nur daß iu deu hühcrn Klassen ähnliche mythologische Puppenspiele sehr gewürdigt werden, vielleicht als eiue duutle Hriunerung an alte Zeiten, wo noch die Götter uud nicht der Koran, wo eiuheimische Fürsten und nicht holländische Beamte im Lande herrschten. Der ktraton hat dnrchwegs einen voruehmcu Anstrich. Ich frage warum? Der iudo europäische Stil läßt mich kalt. Die Gärten sind verwahrlost; dürre Blätter uud Unkraut bedecken die Wege und das große Wasserbecken in der Mitte des Gartens. Auch der prachtvolle Baumgaug der zum Eingänge führt ist vernachlässigt. Aber, ich wiederhole es, das Ganze sieht vornehm aus, vornehm und phantastisch. Ein Tylvesterabend in Batavia. ^71 Vom Perrun vor dem Palast sieht mau, zwischen den Bänmen hindurch, cm Fenster des von dom „Residenten" be-wohuten Hauses. An diesem Fenster, in seinen: Bambusstuhle sitzend und seinen Chibuk gemüthlich schmauchend, vermag der „Resident" in aller Bequemlichkeit, mit hocheigenen Angen zn beobachten wer bei seinem Collegen, dem „Regenten", ein- und ausgeht. Wir sind nach Batavia znrückgekehrt. Es ist Sylvesterabend. Noch einige Stunden, und das alte Jahr hat ausgelebt. Die Nacht ist schwarz und lau. Die Fenster der holländischen Häuser stehen weit offen und gestatten freien Blick in die heute glänzend erleuchteteu Zimmer. Herren nnd Damen, diesen Abend in gewählter Toilette, sitzen in großen Lehustnhlen von Bambus, eonversiren nud ranchen beim Thee. Ein holländisches Stillleben. Drcmßen aber, im Walde, in den Banmgängeu, d. h. in den Gassen der Stadt, drängt sich das malaiische Volk. Zahlreiche Raketen erhellen vorübergehend das Dunkel. Dies ist die landesübliche Art das neue Jahr zu begrüßen. Java stand nicht ans meinein Reiseprogramm. Dem Zufalle und dem Mangel eines Bootes nach Britisch-Iudieu verdanke ich eine angenehme Woche. Unmöglich sie besser zu verwenden. Aber ich kam unvorbereitet, und jedenfalls auf zu kurze Zeit nln die Dinge näher zn betrachten. Es war nnr ein flüchtiger Blick, wie man ihn in einer Galerie, im Vorbeigehen anf ein Bild von schlagender Wirkling wirft. Die leuchtende Vision erfaßt uus, bemächtigt sich unser, folgt uns, verläßt nns nie wieder. 272 Vierter Thcil. Indien, Ein altersschwaches kleines Boot der 3^essagerie^ Maritimes, welches zwischen Holländisch-Indien und Singapur anf-und abfährt, dient nur als Vehikel Zur Weiterreise. Ich besitze ein österreichisches Herz, aber französischen Gaumen nnd Magen. Diese Betrachtung entstand in nur bei der ersten Mahlzeit an Bord des Emirne welcher, übrigens, mehr dnrch seine Küche glänzt als durch die Schnelligkeit seiner Bewegung und die Solidität seiner Maschine. Langsam und sanft gleitet er anf einem ruhigen Meere dahin zwischen den hier niedern, mit Wald und Gestrüpp bewachsenen Küsten der großen Insel Sumatra und der höhern, gut bebanteu metallreichen Insel Bangka. Wir hatten Batavia am Z. Januar morgens verlassen nnd am 'i. nachmittags landeten wir am Kai von Singapur, der Hauptstadt der britischen Strait-Settlements. Entfernung von Batavia '>')() Seemeilen. Singapur. Vom 5>. zum 7. Januar. — Mein erster Besuch fand im Jahre 1571 statt. Wie hat sich seither alles verändert! Damals hatte man, um vom Landungsplätze nach der Stadt zu gelangen, anf einem zwei Meilen langen Damme dnrch einen nugesnnden Sumpf zu fahren. Anf diesen:, seither alisgetrockneten Morast ist ein fast ansschließlich von „Gelben" bewohntes Stadtviertel entstanden. Singapnr wird allmählich eine chinesische Stadt. Rechnet man die Esplanade ab nnt dem Instizpalast, einige andere öffentliche Gebände, Governmcnt-House auf einer Anhöhe, die Wohnhänser der wenigen europäischen Kaufleute, die Kircheu und Gasthofe, lchtere von Deutschen oder Schweizern gehalten, so gewahrt man uichts als lange Reihen von Hänsern, je zu zwei Fenstern mit einem Obergeschoß welches anf Pfosten rnhend in die Gasse vorragt, wodnrch nnten gedeckte Gänge entstehen. Das Erdgeschoß besteht ans ganz offenen Kaufläden. Alle diese Hänser gehören Chinesen. Mein Singapur. 27H Hotel liegt an einer Ecke der Esplanade, als» im elegantesten Stadtthcilc von Singapur. Aber ail dieser Ecke endigt Europa und beginnt China. Von meiner Veranda sehe ich nur chinesische Bntiken, eine jode mit ihrem vertiealen Aushangsschildc vor der Thüre. Da liest man: Ehong-Ii nnd Gi-Ehong, Schneider; Lun-Chong, Schneider; Pnck-Qnag, Schneider; Nanl-Seng, Schneider; dann die Auslage eines Juweliers, eines portugiesischen Inden, nnd hieranf wieder die langen Schilde mit Ehong nnd Pnck nnd Seng, soweit das Ange reicht. Vom Morgen znm Abend durchstießt die Gassen ein Strom menschlicher Wesen. Jedermann scheint Eile zu haben. Mit geneigtem Hanpte einherschreitend, den schwarten Zopf in Pendelschwingungen versetzend, die schlotternden langen Arme in noch längere Aermel gesteckt, Geschäftssorgen auf der gefalteten Stirne, das höhnische Lächeln des Skeptikers anf den Lippen, folgen sich in nnnnterbrochcner Reihe: der chinesische Gentleman, der chinesische Großhändler, dcr chinesische Butikier, der Handwerker, der Kuli, die erstern sehr sorgfältig gekleidet, die lehtern in nachlässigem Anzüge, der Knli nackt bis anf den diirftigcu Schurz. Verhältnißmäßig wenige nud nnr den untersten Volksklassen au-gehorige Weiber, Kinder in Menge. Seit kurzem haben die Chiueseu den japanischen Iin-ri-ki-sha eingeführt. Man begegnet ihm anf jedem Schritte. Bekanntlich ist dies ein anf zwei Rädern ruhender, mit einem beweglichen Dache versehener Sessel welcher von einem Kuli in raschem Trabe gezogen wird. Wer zwei- odor dreihundert dieser Wägelcheu aus Japan kommen läßt nnd an Unternehmer verleiht, macht sicher ein gutes Geschäft. In einigen Jahren ist er ein wohlhabender Mann. Allerdings für den Kuli, der das Pferd vertritt, ist es kein leichtes Brot. In weniger als drei Jahren nnterliegt die kräftigste Natur. Der arme Kuli stirbt au Entkräftung. Aber was liegt daran? Vleibt ja doch der Wagen, nnd nichts ist leichter als für den Pferdemenschen Ersatz zn finden. Es gibt so viele Ehinesw in Singapur! Aber was würden die Gesellschaften zum Schutze v. Hiilmi'r, I. 1« 274 Vierter Theil. Indien. der Thiere in England dazu sagen, wo wenn ich nicht irre die Bespannung von Karren mit Hnndon gesetzlich Verbuten ist? Nach den Chinesen kommen, der Zahl nach, die Eingeborenen, die Malaien, gnte, stille, sanfte Menschen, solange sie nicht einen Anfall von Amok haben, d. h. eine Art von Berserterwnth, während welcher der damit Behaftete alles niedermacht was er ans seinem Wege begegnet. Sie gelten für gute Kutscher und werden als solche häufig gebraucht. Ich sah reiche Chinesen, iu schönen Equipagen, mit Malaien anf dem Bocke! Man begegnet auch vieleu pechschwarzen Mäunern, hcreuli-scheu fast vollkommen nackten Gestalten. Es sind Ming, an der Küstc von Kuromaudel zu Hause. Des Weißen wird man auf der Straße selten ausichtig. Mau muß ihn iu seiner Kanzlei, in seinem Comptoir oder iu feiuem Club aufsuchcu. Die vorwiegeude Sprache, außer der chiucsischeu welche uur vou gelbeu Meuscheu gesprochen wird, ist die malaiische. Alle Europäer siud ihrer kuudig. Weuu ich allem spazieren giug, war es mir uumuglich uach dem Wege zu fragcu. Ach sah uur Chinesen, Malaien uud Gliug. Die Europäer gehören fast insgesammt den höheru Stäudeu uud der Mittelklasse au. Tie siud „Civilians", Beamte, Offiziere oder Kaufleute. Unter letzteru uehmeu Dentsche und Schweizer einen hervorragcudeu, wenn nicht den ersten, Platz eiu. Mit Ausnahme einiger englischer Reitknechte, gibt es fast keine Weißen aus den uuteru Ständen. Kommen welche so findet die Regierung Mittel ihnen baldmöglichst die Abreise zu erleichteru. Es geschieht dies iu der Absicht das überwiegende Auseheu des Weißen zu wahren. Dies begreift sich in eiuer Stadt wo einige hundert Europäer mit nahezu MMO Chincseu uud 40lXX) auderu Farbigen zusammen leben. Deuuoch besteht keine Verordnuug welche, wie iu Niederländisch-Iudieu, deu Asiaten die enropäische Tracht untersagt. Die Chinesen siud vortreffliche Laudarbeiter unäer ^oittll^t, d. h, weuu sie ihren Autheil au der Erute habeu, aber clltschie- Singapur. 275 dene Faulenzer wenn sie für den Tag bezahlt werden. Man gedenkt jetzt eine massenhafte Einwanderung von Laskaren oder andern Hindn in das Leben zn rufen. Aber wer die chinesische Ueberlegenheit kennt zweifelt an dem Gelingen dieser Unternehmung. Ein deutscher Taschenspieler hat heute Abend die Elite der Gesellschaft im Court-House vereinigt. Die Herren erschienen ill weißer Jacke nnd weißem Pantalon; die Damen, gleichfalls in weißer Toilette. Fast alle sahen angegriffen, erschöpft, nnd auffallend blaß aus. Blutarmuth, diese Geisel der Gegeuden am Aequator, sprach ans allen Gesichtern. Doch gilt Singapur, einst so übel berüchtigt wegen seiner verpesteten Luft, infolge der Anstrocknung des erwähnten Sumpfes, für die gesündeste Stadt im äußersten Orient. Der Morgen ist wundcrlieblich und beinahe kühl. Ich schlendere allein durch die Straßen. Zwei chinesische Hänser, welche sich gegenüberstehen, fallen mir auf durch das reiche Schnitzwerk ihrer Thore. Ganz wie in Kanton. Wie, wenn wir uns das Iunere betrachten? Gedacht gethan. Ich betrete durch den monnmentalen Eingang schreitend einen kleinen Hofraum. Vor der Hauptfa^ade stürzt mir ein Schwärm von Dienern entgegen. Aber ich zähle auf die Zaubcrmacht meiner weißen Haut. Mit eiuer Haudbeweguug bahne ich mir den Weg in einen schöllen Saal wo ich den Herrn des Hauses fiude. Er ist iu deil Händen seines Barbiers der ihm den Kopf rasirt, natürlich mit sorgfältiger Schonung des obligaten Haarbüschels am Scheitel wo der Zopf befestigt wird. Eine Gruppe von Freunden halten sich in ehrfurchtsvoller Entfernnng. Den Eindringling messen sie mit mißbilligenden Blicken, jedoch ohne das 18* 276 Vierter Thcil. Indm,. Schweigen zu brechen. Glücklicherweise radebricht der große Mann etwas Eltglisch. Ich trage ihm ineinen Wunsch vor seinen Wuhnsitz zn sehen u>eil er, nach dein Aeußeru zu schließen, mit den besten Hänsern die ich in Kanton sah den Vergleich vertrage. Dies schmeichelt ihm. Er lächelt anmuthig nnd beauftrag einen der Hausfreunde mir alle Räume seines Palastes zn zeigen, natürlich nnt Ausnahme der Fraueugemächer. Es ist wirklich die Residenz eines kantoner Krösus: kleine Höfe, kleine Pavillone, kleine mit gestickten Zelttüchern bedeckte offene Gange, alles überladen mit den tansend barocken, kleinen Knnstgegenftänden deren Anblick das Ange des Celestials erfreut. Ueberall hängen vergoldete Käfige mit bizarrer Vergitterung deren Insassen das Hans mit ihrem schrillen Geschrei erfüllen; aber nicht einer dieser bnntfarbigen Vögel singt. Ich erfnhr später daß der Eigenthümer des Hauses und sein Nachbar gegenüber die ersten Pfefferhändlcr in Singapur sind. Der Colonialseeretär, Mr. Irving, welcher den Gouverneur Sir Charles Weldt während seiner Abwesenheit vertritt, hatte die Güte mir abwechselnd mit dem österreichischen Consul, Herrn Brandt, nnd einigen Kaufleuten die Honneurs zu machen. Alle sprechen mir oon der stetigen und ununterbrochenen Zunahme des chinesischen Elementes. Ein großer Theil von Hinterindieu ist beinahe unbewohnt. Der westliche Theil dieser Halbinsel besteht, anßer den englischen Besitzungen, den Strait-Settlements, aus einheimischen Staaten mit einheimischer Verwaltung, aber mehr oder welliger unter britischer Aufsicht. Infolge einer massenhaften chinesischen Einwanderung beginnt Perak sich der Vodenknltur zu eröffnen. Die amtliche Ziffer der in Singapur, im Jahre 1>>^ gelaudeteu Chinesen ist l 00000. Im verflossenen Jahre (l^3) erhob sie sich auf 150000, und wird allem Anschein nach in diesem Jahre Ankunft in Ceylon. 277 2900M erreichen. Ein Theil dieser Einwanderer läßt sich in Singapnr nieder, die große Mehrzahl aber zieht noch dem Fest-lande von- Hinterindien welches bestimmt sein dürfte ein Nen-China zn werden. Der Mang-tse, einer der großen nnd schönen Dampfer der Messagerieö Maritimes, vereinigt alles was man uon einem Packetboote verlangen kann: sehr wenige Passagiere, aber unter ihnen einige angenehme und interessante Persönlichkeiten; eine vortreffliche Küche, einen entsprechenden Dienst, nnd, um die Hanpt-sache nicht zn vergessen, ein Schiff ersten Ranges nnd einen Kapitän würdig es zn befehligen. Der?)ang-tsc läuft fortwährend 13—15, Knoten in der Stnnde und legt in weniger als fünf Tagen die 15)70 Seemeilen znrück welche die Straits von der Insel Ceylon trennen. Am U). Januar zerreißt die aufgehende Sonne das leichte Morgengewölke. In der Luft der Adamspik, unter ihm eine Nebelschichte, unter dieser, soweit das Ange reicht, ein weißes, grüiigesänmtes Baud: die Brandnng an dem niedern mit Coeos-palmcu gekrönten Fclsendamme. Das ist Ceylon, lim !<» Uhr morgens wird in Colombo gelandet. Ehe es Abend ist, habe ich einer Einladnng des leider anf einer Nnndreise begriffenen Gon^ vernenrs, Sir Arthnr Cordon, ^olge leistend, anf der Eisenbahn, fortwährend steigend, ein Land der Wunder dnrchzogcn. Bei hereinbrechendem Abend Aukunft iu Kandy, wo ich im „Pavillon" bei Lady Gordon die liebenswürdigste Aufnahme finde. Kandy, im Mittelpunkte der Insel gelegen, war die Hauptstadt der Könige, solange' es deren gab, und der „Pavillon" ist die dem englischen Gonverneur angewiesene Sommerfrische. In Colombo fürchtete ich zu verschmachten, in Kandy zn erfrieren. 278 Vierter Theil. Indien. Insel Ceylon. 12. —15. Januar. — Ich wohne dem Sonntagsdienste in der katholischen Kirche bei, einem schönen im Jahre 1577 ans Stein errichteten Gebäude. Der Bischof predigt im reinsten Englisch mit der sonoren Stimme welche der docca romana eigen ist nnd mit dem feurigen Gebcrdensftiele des Südländers. Einige Offiziere, eine beträchtliche Anzahl Soldaten nnd Enrasier, Männer nnd Franen, nehmen die Betstühle cin. Das Schiff ist angefüllt mit singalesischen Weibern. Sie sitzen ans den Fersen nnd bilden, ohne es zu ahnen, höchst malerische Grnvpen. Dazn hilft anch der schöne Faltenwnrf des die ganze Gestalt umhüllenden großen Tuches ans Kattnn, welches immer mir von einer Farbe ist: karmin, weiß oder brann. Zuweilen tommt eilt schöngeformter Arm znm Vorschein, selten ohne den Schmnck eines Bracelets von Bronze oder gediegenem Silber. Es ist schwer den künstlerischen' Eindruck zn erklären, noch schwerer ihn zn beschreiben. Der Künstler ist eben die Natur. Es fehlte der ganzen Scene an der Absicht, nnd darin lag vielleicht, znm Theil, ihr Reiz. Die Franen, trotz ihrer zierlichen Füßchen nnd der kleinen länglichen Hände, sind nicht schön zn nennen, aber welcher Adel in den Zügen, in den Stellungen, in den (heberden! Die Hautfarbe der Smgalesen wechselt, in unendliche Abstufungen vom lichten florentiner znm dnnkeln Bronze übergehend nnd von diesem Zur bläßlichen Schwärze des Ebenholzes. Das Halbdunkel in der Kirche milderte die Gegensätze zwischen den sanften Tönen, in welchen die Klippen der Eingeborenen erschienen, mit dem grellen Scharlachrot!) der englischen Uniformen. Kandy ist eine kleine ganz indische Stadt. Singalesen bilden die Mehrzahl, aber anch Malaien nnd Tamnl von der Küste Koromandel wohnen hier. Mit Ausnahme der Negierungs-kanzleien nnd der Post, zweier Gebäude welche ill einer europäischen Provinzialstadt glänzen würden aber hier kaun: an ihrem Platze sind, sah ich keine europäischen Hänscr. Der reizende „Pavillon" verschwindet hinter einem Vorhange Pracht- Ceylon. 279 voller Bäume und exotischer Büsche. Dic wenigen englischen Residenten, fast alle Beamte, wohnen in ihren Bungalow ansier-halb der Stadt. Diese hat also, wie gesagt, ein Vollkummen indisches Gepräge. Vom ersten Grauen des Morgens an beleben sich die engen von niedern Häusern eingefaßten Gassen. Männer, Weiber, linder und Büffel bilden eine verworrene, stets bewegte Masse. Die jnngen Leute mit einen: großen Kamm in den Haaren, mit den weiblichen Zügen und der schmiegsamen Gestalt, könnte mail für Mädchen halten. Sie sehen apathisch, schwächlich nnd verweichlicht aus. In dieser Menge gibt es rein Gedränge. Niemand scheint den andern zu berühren. Als ich die Kirche verließ sah ich wie ein Greis mit cdeln Zügen, dunkler Hautfarbe nnd silberweißem Barte eine 5fran grüßte welche ein Kind auf ihrer Hüfte trng. Beide wareu ^eute aus dem Volke. Sie blieben steheu, verneigten sich, wechselten einige Worte, verneigten sich wieder nnd schieden voneinander mit dem leichten Austande der vornehmen Welt. Mr. Dickson, „Agent", was wir Kreishaufttmmm nennen würden, im Mitteldistrikt, führte mich nach seiner Wohnung in den ehemaligen Königspalast ^ welcher auf einer Anhöhe steht. Glücklicherweise wurden au demselben keine Veränderungen vorgenommen, anßer daß man ihn mit einer Veranda versah. Wenige Schritte vom Palaste steht einer der berühmtesten Buddhatempel. Ein Zahn des Gottes wird dort aufbewahrt, in der innersten einer Auzahl vou Büchsen welche mit kostbaren Steinen besetzt nnd außerdem, dank den letzten Königen, mit schwereu Ketten uud Armbändern behängen sind. Saphire und Rubine glänzten iu dem Halbdunkel des Hciligthnms. Frische Rosenblätter in großen Schalen verbreiteteu eiuen berauschenden Wohlgeruch. Zwei Bonden empfingen nns. Sie hatten den Kopf vollkommen geschoren uud waren in weite gelbe Seiden- * Ter leNe köniss von <5o>)lon wurde von den Engländern bei ihrer Ankunft iln Jahre 1^1,5 des Thrones entsetzt. 280 Vierter Theil. Indien. mäntel gehüllt welche die rechte Schulter und den rechten Nriu entblößt ließen. Der eine fiel mir anf durch die Lebhaftigkeit seines durchdringenden Blickes und den boshaften Ausdruck seines Gesichtes, der andere durch sein verkommenes Aussehen. Zwei Typen die mir von Japan und den mongolischen Lamaserien sehr wohl bekannt sind. Diese heiligen Männer haben überall eine Familienähnlichkeit. Ausflug iu die Berge anf einer unvollendeten Bahn welche Kcmdy mit dem höchsten Theile der Insel verbinden soll. Es war ein langer Zug und jeder Wageil mit Einheimischen überfüllt welche, wie man mir sagt, an Eisenbahnfahrten ein großes Gefallen finden. Mr. Dickson verließ uns auf eiuer der ersten Statiouen. Der Vorstand des Cantons, ein sehr beleibter, bescheidener junger Cingalese, nnd mehrere llnterbeamte empfingen den Chef mit den schnldigen aber nicht übertriebenen Ehrenbezeigungen. Sie trugen kleine Standarten während andere mit Instrnmenteu, welche Marterwerkzeugen glichen, dazu aufspielten. Es war ein infernaler Lärm. Dazn das Volksgedränge nntcr einer vernichtendeil Sonne. Der jnnge Vorstand gefiel mir. Er sprach ein wenig englisch. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich daß die britischen Fnnetionäre nicht englisch sprechende Organe vorziehen, weil der Verkehr nut Europäern anf die Moralität der LandeMnder in der Negel nachtheilig Wirte. Ein merkwürdiges Geständnis;. Der District von Anibaya, durch welchen die Bahn führt, war noch vor knrzem wegeu seines trefflichen in Enropa beliebten Kaffees berühmt. Jetzt bietet er den traurigen Anblick der Verheerung. Diese Cultur ist vernichtet und aufgegeben. Man sieht nnr verlassene Wohnstätten und, auf den Feldern, die Reste gefällter Kaffeebänme. Ein Bild der Verwüstnng. Es wird nun versncht den Kaffee durch Thee, Caeao nnd Chinarinde zu ersetzen. Ceylon. 281 Mit dor Bahn parallel führt eine gute Fahrstraße nach Nurara Eliya, von den Engländern New-Aurelia genannt, nach dem Kamme des Hochgebirges. Dort steht eine Cottage welche dem Gouverneur nnd semer Familie während der heißesten Mouate als Zufluchtsort dient. Wir fanden die Luft in diesen hohen Vergregionen höchst crqnickend nnd vergaßen daß wir uns nnter dem sechsten Breitengrade befanden. Das Volk sieht wohlhabend ans. Aber im Grnnde sind die Lentc arm, denn sie haben nie Geld, obgleich genng um zu leben. Aber Misernten und Epidemien finden sie aller Hülfsmittel bar und haben allgemeines Elend wo nicht Hnngersnoth znr Folge. Wer sie beherrscht ist ihnen vollkommen gleichgültig, daher sie anch deu englischen Gebietern nicht abgeneigt sind. Es ging ihnen nie besser als jetzt; nnr die pedantische Genauigkeit nnd Strenge bei Erhebung der Auflagen widerstrebt ihren Begriffen und Gewohnheiten. Die ehemaligen Könige nahmen ihnen den letzten Ana wenn sie Geld brauchten, aber in gewöhnlichen Zeiten schlössen sie ein Auge und bei schlechter Ernte erließen sie die Stencrn wol anch gänzlich. Nnr in diesem Puukt vermißt der Eingeborene die „gnte alte" Zeit. Dieselben Klagen vernahm ich in allen von Barbaren oder Halbeivilisirten bevölkerten Bändern der Erde, welche uuter das Regiment des modernen Staates gerathen sind. Zn meiner nicht geringen Neberraschnug sah ich einige Kaffern in den Gassen von Kandy. Kaffern in Ceylon? Man erklärte mir die Anomalie. Es bestand hier ein ans <4l)!> Farbigen zusammengesetztes Bataillon: Singalesen, Tamnl, Malaien, westindischen Negern und sogar Kaffern. Die Offiziere waren 282 Vierter Theil. Indien. Engländer. Vor ungefähr fünf Jahren wnrdc es, ans administrativen Gründen, aufgelöst; aber die meisten dieser Leute blieben im Lande und mehrere, darunter die Kaffern, werden als Poli-zeisoldateu verwendet. Es war ein glücklicher Gedanke ganze oder halbe Barbaren ans den verschiedenen Theilen des britischen Reiches, Zur Vertheidigung der gemeinschaftlichen Sache, in eineu Körper zn vereinigen. Die Morgendämmernng ergießt ihr fahles Licht über deu Pavillon und den Park. Die Lnft ist überans lieblich, frisch, mild, mit den Wohlgerüchen der Blnmeubeete geschwängert welche das Haus umkränzen. Im Innern sieht man, dnrch die stets offenen Thüren, die singalcsischen Diener bereits ihr Tagewerk beginnen. In ihren weißen Leibröcken und barfuß, gleiten sie geränschlos über die Strohmatten der Gemächer, verschwinden im Hintergrunde der Säle, zeigen sich wieder im Halbdunkel der Galerien. Einen auffallenden Gegensatz mit diesen schlanken, schmiegsamen Gestalten bilden der mächtige Torso, die breiten Schultern, die äthiopischen Züge eines schwarzen Hereules welchen Sir Arthur Gordon von deu Fidji-Inseln mitgebracht hat. In den angto-indischen Behausungen steht alles den Augen offen und hüllt sich doch zugleich in gcheimnißvolle Schleier. Es ist der fortwährende Zwiespalt zwischen dem Licht das mau bekämpft und dem Schatten deu man sucht. Ein von der Morgenluft leicht bewegter Seidenwolleubaum besäet den Nasen vor dem Pavillon mit seinen kolossalen karminrothen Blüten. Das Flattern der Flügel, nicht der Gesaug, der im Gehölz nistenden Vögel uud die halblauteu Töne des Tam-Tam ans der nahen Pagode Buddha's schlagen au mein Ohr zugleich mit dem verworrenen durch die Entfernung gedämpften Geräusche der er-wachenden Stadt. Endlich, oder vielmehr zu bald, fährt der Wagen vor. Ceylon. 283 Nicht unwohl aber etwas müde und angegriffen war ich hier angekommen. Mau trotzt uicht ungestraft der fcuchteu Hitze von Nordanstralien und Java. Abcr drci Tage, in dieser Gebirgs-lnft und iu Lady Gordon's gastfreiem Hanse verbracht, gaben mir das Gefühl der Gesundheit Znrück. Und nun, ans nach Indien.* * Obgleich die Insel Ceylon, in ethnographischer, geschichtlicher nnd geo-graphischer Beziehung zn Indien gerechnet werden muß, wurde sie doch, in Betreff der Verwaltung, von Britisch-Indien getrennt, nnd als selbständige Lolonic eingerichtet. Die damals zwischen den Departements der englischen Regierung nnd der Ostindischen Compagnie obwaltende Eifersüchtelei erklärt diese Anomalie. Leylon war im Jahre I8l5 dnrch königliche und nicht durch Truppen der Compagnie eingenommen worden. Hieranf gründeten sich die Ansprüche des englischen kolonial Offiec. II. Madras. Vom 15. Januar zum ?. Februar. Antmift in Madras. — Aufenthalt in Guindy Park. — Mmmt St.-Thomas. — Mysore. — Ein Tiger auf dem Bahnhöfe. — Der Maharaja von Mysore. — Eine Ncvne in Bangalore. — Tic indische Nrmec. — Ein Äall bei dem Maharaja. — Tie britischen Residenten. — Msgre. Coadou. — Waffenspiele im Lager. — Tie Tempel von Conjeveram. — Ankunft des Vieetönia.s iu Madras. — Nrisc nach Hyderabad. — Volaram. — Der Staat des Nizam. — Sir Salär Inng. — Tic Lehnsfiirsten. — Die Arniec des Nizam. — Die Dnrbarc des Viccwuigs und des Nizam. — Feste ill Hyderabad. — Eme Villa Salär Iuna/s. — Ein MorgenspaZiergang.. — Die Stadt Hyderabad. Der Tibre (Mefsageries Maritimes) hat den Hafen von Colombo am 1-'i. abends vcrlasson, dio Insel Ceylon umschifft, und, nach einem vor Pondichery verbrachten Tage, am 19. morgens auf der Nhede von Madras die Anker geworfen. G ni lld y - P a r k. V o ili 10. z u ln 22. n n d v o m 2s'>. I a n n a r zilm 1. Febrnar. ^ Die so übel berüchtigte Barre läßt hente nichts Zu wünschen übrig. Der eigenthümliche Van der Hafenboote Mgt von den Schwierigkeiten mit welchen sie bei schlechtem Wetter zn kämpfen haben. Physiognomie don Madras. 285 Die Stadt rollt sich längs dem Meere auf. Das Ufer ist niedrig und dicht bewachsen. Die gegen die Rhede gekehrten Fahnden der Häuser zeigen nnr Veranden nnd Arcaden. Man denkt an Menschen die mit offenem Munde dastehen mn die Seelnft einznathmen. Das geschichtlich denkwürdige Fort St.-George, einige öffentliche Gebäude im Vordergrunde, im Mittelgrunde, halb verhüllt dnrch Riesenbänme, der weitläufige Palast der Gouverneure, verleihen der Stadt, von unserm Steamer aus betrachtet, ein halb militärisches halb bnreaukrati-sches Gepräge. So wäre ich denn in diesen: mir ganz fremden Lande angelangt. Wie werde ich mir die Reise uud den Aufenthalt einrichten, vor allem, wie meine Landnng bewerkstelligen? Während ich hierüber nachsinne, naht ein schönes großes Boot mit Rnderknechten in weißer Livree. Der Offizier den es an Bord bringt ist Kapitän Bagot, Adjutant des Gouverneurs der Präsidentschaft von Madras, des riM donoui'ildw Grant Duff, welcher mich freundlich nach Guiudy-Park einlädt. Guindy-Park ist der gewöhnliche Aufenthaltsort des Repräsentanten der Königin. Wir fahren im raschcu Trabe, unter hohen Laubgäugeu, dnrch eiu flaches, grünes, von Prachtvollen breiten Vaumgängen dnrchschuitteues Land. Allenthalben wogt eine buntfarbige Meuge von Fußgängern in weißen, rosa-, orangefarbigen, braunen Leibröcken. Andere zeigen, fast mwerhüllt, ihren dunkeln, prachtvoll gemodelten Körper. Die Weiber, mit schweren Vronze- oder Silberringen an den Hand- nnd Fußgelenken, verstehen wie niemand den Shawl über Haupt uud Schultern zu werfen oder um die Lenden zn fchlingen. Es sind geborene Künstlerinnen. Man geht paarweife oder zu dreien und vieren, immer im eifrigsten Gespräch vertieft. Aber niemand scheint Eile Zn haben. Es ist ein grellfarbiger Strom menschlicher Wesen, bald in der Sonne glänzend, wenn diese das Laubdach dnrchdringt, bald iu durchsichtige Schatten gehüllt, aber ununterbrochen uud majestätisch einherfließend, stach drewiertelstündiger Fahrt kommen 286 Vierter Theil. Indien. wir an, und ich erneuere mit lebhaftem Vergnügen die Bekanntschaft mit Mr. Grant Dnff. Guiudy-Park, iuuen und außen mit weißem Chuncm belegt, ist ein weitläusiger Palast in italienischem Geschmack, wie er zur Zeit seiner Erbauung vorherrschte. Jedes Zinnner hat seine Punka. Su werden große lange viereckige Fächer genannt welche, in halber Höhe des Gemaches anfgehäugt, durch unsichtbare Hände mittels Schnüren iu Bewegung gesetzt werdcu. Ialousieu vertreten die Vorhänge an Fenstern und Thüren. Die Lnft, welche vou allen Seiten eindringt, verleiht, dank der Puuka, das Gefühl des änßerstcu Wohlbehagens verbunden mit einer dunkeln Ahnung künftiger Rheumatismen. In den Gängen gleiten die Diener geräuschlos nnd geisterartig auf und nieder. Alle in weißen Leibröckeu und farbigem Gürtel. Ihre Zahl ist Legion. Einen augeuehmen Gegensatz zu diesem orientalischen Lnxus bilden die vornehme Einfachheit der Bewohner und die anspruchslose Eleganz der Einrichtuug. Vor einer der Fa^aden erstreckt sich eiu weiter, infolge der letzten Regen, üppiger Naseuvlatz mit einer Terrasse welche den Pleasureground uon dem Parke trennt. Jenseits schweift der Blick in das Grüne: Grnppeu riesiger Bäume, endlos scheinende Wiesengrnnde; noch weiterhin Laubvorhänge deren blasse Tiuteu auf bedeutende Entfernnngeu schließen lassen. Die Abwesenheit eines sichtbaren Horizontes bringt, vielleicht noch mehr als eine Fernsicht vom Gebirge, deu Eindruck des Unbeschränkten, des Endlosen hervor. Garten, Part nnd Zubehör sind sorgfältig unterhalten. Damit mau aber uicht vergesse in Indien zn sein, gesellt znweilen, bei einbrechendem Duukel, ein Schakal seine unmelodische Stimme zu den Tönen des Klaviers welche durch die geöffneten Fenster iu das Freie dringen. Ich werde die allabendlichen Sftaziergänge mit meinem Gllindy-Park. 287 geistreichen Amphitryon nicht leicht vergessen. Die brennenden Tagesfrageu, einige Ereignisse der Vergangenheit, die Namen gemeinschaftlicher Frennde welche ans der großen Schaubühne eine Nulle spielten nnd noch spielen, Europa nnd Indien, bildeten den Gegenstand der Unterhaltung bis die Speiseglocke ihr ein Ende machte. Nicht ohne einige Gemüthsbewegung solgte ich dann Mr. Grant Duff auf dein Pfade der über den Nasen zum Hause führt. Schlangen lieben das Gras, nnd Schlaugen gibt es im südlichen Indien in großer Menge. Ankömmlinge werden hierdurch unangenehm berührt, gewöhnen sich aber bald a>t diese Landplage, nnd gedenken ihrer nnr wenn sie gelegentlich hören daß wieder irgendein armer Hiudu von einer Schlange getiidtet wnrde. Gerade hente Morgen berichtete ein Offizier aus einer nahen Station daß er, an seinen: Schreibtische fitzend, plötzlich eine Cobra sah welche neben seiner Haud auf einem Blatt Papier lag. Einen Augenblick wie gelähmt, ermannte er sich, sprang auf nnd erschlng sie. Aber während seines sieben^ jährigen Anfenthaltes ist dies erst die zweite Cobra welche er in der Nähe nnt eigenen Angen gesehen hat. Vor Tagesanbruch in Mouut St.-Thomas. Dort steht eine kleine Kirche zur Erinnerung au deu Apostel dieses Namens a»l der Stelle erbant wo er, der Legende nach, vou den Heiden bedroht wurde. Nicht weit davon bezeichnet eine andere Kirche den Ort seines Märtyrertodes. Der Schauplatz dieser heiligen Tragödie ist die reizendste lachendste Gegend die man sich vorstellen kaun. In dem südlichen Theile der Präsidentschaft find die einheimischen Katholiken, deren Vorälteru der heilige Franciseus Xaverins bekehrt hatte, noch sehr zahlreich. 288 Vierter Theil. Indien. Mau sieht hierzulande viele uüt kleincu Ochfeu bespannte Karren. Die zurückgebogenen Hörner dieser Thiere sind immer zierlich bemalt. Der sanfte Blick ihrer kleinen Augen, der Ans-drnck züchtiger Bescheidenheit auf ihren: Antlitz, insofern man von dem Antlitz eines Ochsen sprechen kann, erregen unser Interesse. Aber diese artigen Wesen sind in Wirtlichkeit abscheuliche Wesen. Man hüte sich ihnen zu nahen. Da sie sehr wohl wissen daß ihre Hörner nnr eine Zierde nnd keine Waffe sind bedienen sie sich ihrer Hufe mit vielem Geschick nnb großem Nachdruck. Den Morgen in Madras zugebracht. Es gehört einiger Muth dazn mn über die ungeheuere Esplanade vor dem Fort St.-Geurge, dem Strande entlang und durch die breiten Gassen des Englischen Stadtviertels zu fahren, unter der Wucht einer unerbittlichen Sonne nnd meist auf einem brennenden Sandboden der die anfgesangte Hitze mit Iuteresseu Zurückgibt. Die Pagode, obgleich weniger berühmt als die von Madura und Conjeveram, gehört zu den bessern dravidischen Tempeln. Ich war kanm eingetreten als die Heiligkeit des Ortes ihre Wirkung auf mich übte, meine Gernchsnerveu unangenehm berührte, und mich mit geheimnißvollen Schauern erfüllte. Dies scheint nicht der Fall der Habitues zn sein. Die Vrahmiuen sahen schläfrig aus, der heilige Elefant gelangweilt und ärgerlich über die Nolle die mau ihn spieleu läßt. Vortreffliches Frühstück im Elnb der für den besten in Indien gilt. Bangalore. Vom 23. znm 27. Jan na r. Der Gonver-neur begibt sich in das Lager von Bangalore und ich habe die Ehre ihu zu begleiteu. Tcr Staat Mysore. 289 Bangalore, cms der großen Militäreantonnements in Indien ist cinc, unter englischer Verwaltnng gebliebene, Enelave des hindnischen Lehnsstaates Mysore. Zu Anfang des 15>. Iahr-hnnderts gegründet, fiel dies Königreich nm die Altitte des vorigen in die Gewalt eines mohammedanischen Söldners, des nachmals berühmt gewordenen Haider Ali. Die Erpressnngen, die Grausamkeiten des Usurpators nnd seines Sohnes Tipu Sahib, die Verfolgung der Hmdn, deren sie sich schuldig gemacht, leben noch heute im Volksmunde fort. Wir alle kennen den siegreichen Fcldzug (1799) in welchem der Herzog von Wellington, damals Oberst Wellesley, seine ersten Lorbern pflückte, die Tragödie von Seringapatam, das heldenmnthige Ende Tipu Sahib's. Alles dies ist nichts Außergewöhnliches oder Unerhörtes. Die Geschichte Indiens ist reich au ähnlichen Ereignissen. Was aber nnerhört genannt werden kaun ist die Thatsache daß die englische Negiernug eiue laugst entthronte Dynastie wieder in das Leben rief, indem sie einem ihrer Sprößlinge das mit bri-tischeu Waffen eroberte Königreich zurückgab. Er war ein dreijähriges Kind. Zum Manne geworden, nnd in Besitz seines Landes gesetzt, regierte der nene Maharaja in eiuer Weise welche deu damaligen Generalgouverucur, Lord Bentiuck, zwang ihn des Thrones zu eutsetzeu (1^3!) und die Verwaltnng des Landes zu übernehmen. Dieser selbe Prinz hatte, als Pensionär nnd Staatsgefangener, ein bereits hohes Alter erreicht als er tl^'»'') einen Kuabeu von rajputischem Blute an Kindesstatt annahm. Die englische Negierung bestätigte die Adoption, ließ den künftigen Maharaja sorgfältig erzieheu und übergab ihm (1882), als er das gesetzliche Alter erreicht hatte, die Verwaltung seines Staates. Abreise von Madras nachmittags. Das Land ist flach, wellenförmig, besäet mit Wäldchen, Reisfeldern nnd Teichen, u. Hübncr. I. 19 290 Vkrtcr Theil. Indwi. alteu, frisch gegrabeueu, uatlirlicheu, kliustlicheu. Ill dem Theile der Halbinsel welche wir dnrchreisen zählt mau deren über 80000. Ihr Wasser ist nachtheilig für die Gesundheit. Das Land hebt sich allmählich. In der Nacht erreichen wir die Hochebene welche einen Theil von Ceutraliudieu einnimmt. Ill dem Gestrüpp Hansen viele Tiger. Zuweileu zeigen sich deren längs der Eisenbahn. Vor klirzem telegraphirte der Chef einer etliche hnndert Meilen entfernten Station nach Madras, an die Bahnadministration: li^ertt on platform, ßtalt trißlitenecl. I'ia^ arran^. „Tiger am Perrvn. Beamte in Angst. Bitte Vorkehrungen zn treffen." Die Nacht war kalt; Winterftaletot nnd Shawl thaten gilte Dienste. Uni 7 Uhr Anknnft in Bangalore. Entfernung von Madras ^12 Meilen. Eilte Abtheilnng von Sepoys und Reiterei des Prinzen bildeten die Eseorte des Gouverneurs, Wir stiegen bei dem Residenten, Mr. Lyall ab, dessen geräumiges im anglu-indischen Stil erbautes Haus in einem schölten Park steht. Die heiße Sonne mld die frifche fast kalte Luft erinnerten an einen Wintertag in Nizza oder Cannes. Bangalore liegt 3000 Fnß über der Meeresfläche nnd gilt für gesund. Demnngeachtet sollen Wechselfieber im Lager hänfig vorkommen. Mail schreibt sie dem Nordost-Mousun zu der die Miasmen von der Küste Koromaudel herbei führt nud anf der Hochebene von Mysore verbreitet. Mit dem Gouveruenr und dem Residenten Besnch bei dem Maharaja welcher nns am Perron seines nenen Palastes empfing. Dies kanm volleudete Gebäude, vou ciuem eilglischeu Architekteu iiu elisabethischeu Stil aufgeführt und iu englischem Geschlliack eingerichtet, aber von dem Besitzer in echt orientalischer Weise bewohnt, ist ein Sinnbild der zwitterhaften Zustände dieses jnngen Hindnstaates: ein Ast gepfropft anf den Stamm Ter Maharaja don Mysore. 291 eines alten, vor mehr als einem Iahrhnndert durch den Blitz zerschmetterten, Baumes. In der Stadt Mysore, wo er sich gewöhnlich aufhält, lebt der Maharaja ganz und gar den Landessitten gemäß. Bei gewissen festlichen Anlässen zeigt er sich seinen Unterthanen indem er fünf Stunden ohne Unterbrechung, in reichem Anzüge und mit kostbarem Geschmeide behängen, unbeweglich ans einem Balköne sitzt. Hier hat er, bis zu einem gewissen Grade, die europäische Tracht nnd auch unsere Gewohnheiten angenommen. Ehama Najeudra Wodejar Bahadur ist eiu schöner Jüngling von würdevoller Haltnng, mit edeln Zügen und einem sanften fast melancholischen Ausdruck. Seine Hautfarbe, ein helles Bronze, spielt in das Schwärzliche. Auf der Stirne trägt er eiueu schwarzen scheibenförmigen Fleck den er zuweilen mit einem rothen verwechselt um hierdurch den feindlichen Sekten Wischnu's und Siva's seine Unparteilichkeit darznthnn. Sein Anzng war einfach und hielt die Mitte zwischen der indischen Tracht nnd der Morgentoilette eiues englischen Gentleman. Er spricht englisch langsam aber correct mit einem etwas fremden aber nicht unangenehmen Accent. Zuweilen stottert er ein wenig. Man sagt von ihm daß er ein richtiges Urtheil besitze, daß es ihm schwer falle rasch einen Entschluß zn fassen und daß man anf sein Wort, hat er es einmal gegeben, zählen könne. Uebrigens regiert nicht er sondern seiu Divan.* Der Anfenthalt in Bangalore, wo dermalen 10000 Mann Trnppen versammelt sind, gibt zn einer Neihc von Festen Anlaß. Zum ersteu mal haben sich hier die drei großen „Chefs" versammelt: Sir Donald Stewart, Obereommaudirender in Indien, Sir Fre- * In Indien wird der erste Minister Divan genannt. 19- 292 Vierter Theil. Indien. derick Roberts, Commandant der Armee von Madras, General Harding, Commandant der Armee von Bombay. Heute große Revue im Lager. Achttausend Mann waren ausgerückt und entfalteten sich auf einer weiten von Steintegelu uud Vaumgruppen besäcten Ebene: Artillerie zn Pferde, britische Cavalerie, königliche Artillerie, britische Infanterie, im ganzen, ohne die Offiziere, 2800 Engländer. Der Rest bestand alls einheimischen Truppen, Cavalerie und Infanterie, und einem Regiment des Maharaja. Die Haltung der englischen Truppeu war prachtvoll, die der eingeborenen Regimenter von Madras, obgleich diese Rasselt für weniger kriegerisch gelten als die Bevölkerungen des nördlichen Indien, duch in hohem Grade befriedigend. Die Reiter des Maharaja machten den Eindrnck gut geübter unregelmäßiger Truppen. Zunächst der großen britischeu Staudarte hielteu sich, sämmtlich zu Pferde, Sir Frederick Roberts welcher das Lager com-maudirt, der Gouverucur vou Madras im Morgenauzug, Sir Douald Stewart und General Hardinge. Wie alle Offiziere trugen sie ihre Galauniform: den scharlachrotheu Leibrock uud den weißen goldverbrämten Helm. Der Maharaja hatte sich bescheiden den Offizieren des Stabes beigesellt. Einer Einladnug Sir Frederick's folgend, nahm er ueben ihm seineu Platz. Er hatte deu itopf iu ein karminrothcs goldgestreiftes Tuch gehüllt. Mit Ausnahme dieser sehr eleganten Kopfbekleidung, welche kein Turbau war, trug er europäische Meidung: eine Jacke vou schwarzem Sammt, lichte Lederhosen und hohe Reitstiefel. Er ritt, fehr gilt, einen schönen weißeu Araber. Hinter der Gruppe welche die „Chefs" nud ihr Gefolge bildeten, nnd in welche sich einige kühne Amazonen eingeschmuggelt hatten, drängten sich Wagen an Wagen, sämmtlich mit Damen besetzt und, hiuter dieseu, zu Fuß und zu Pferd eine große Anzahl von Europäern. Das Defile der Trnppen war höchst imposant, besonders als sie ,,m» drills" formirt vorübermarschirten. Die Scene läßt sich nicht wohl in Worten wiedergeben: eine weite, Die indische Nrmec. 293 leicht zerklüftete Ebeue, die lange theils rothe theils dunkle Linie der Truppen, die in der Sonne glänzenden Waffen, das Wiehern der Pferde, das dmnftfe Dröhnen der Artilleriegespanne, nnd, gleichsam als Rahmen des großen und glänzenden Bildes, die Menge der Eingeborenen, herbeigeeilt zu Fuß oder in Karren, gezogen von jenen sanft blickenden Oechslein welchen ihr rother, ulaner, gelber Hörnerschmnck zn jeder Zeit ein festliches Ansehen verleiht. In dein verworrenen Kuänel von Menschen nnd Thieren herrschten die weißen nnd karminrothen Töne der Gewänder vor, ini anmuthigeu Gegensatze mit den dunkeln, bronzefarbigen oder schwarzen Gesichtern nnd Körpern derer die sie trugen. Weiterhin zeichneten Elefanten nnd eine lange Reihe sich einzeln folgender Kamele, mit Vorräthen für das Lager beladen, ihre dunkeln Umrisse auf den indischen Himmel: leuchtend im Zenith, erblassend nach nuten, in leichten Dnft gehüllt wo er mit dem Horizont verschwimmt. Der Nordost-Mousnn hatte die Luft be-denteud abgekühlt, aber die Sonne stach gewaltig. Wir waren auf der Bahn gekommen nnd kehrten im Wagen nach Bangalore zurück. Kleine Steinhaufen, Lust- und Küchmgärteu, nud isolirte Gruppen riesiger Väume bilden die Elemente der Landschaft. Hier nud da ein Dorf. Volk überall. Die Nazare mit Käufern überfüllt. Der Weg führt uns an einer Pagode vorüber. Neben ihr stehen einige Coeospalmen. Der Wind bewegt ihre Fächer, nnd der einfache Dorftempel erscheint wie verklärt iu dein unablässigen Wechsel vou Licht uud Schatteu. Ich gestehe das; ich dem militärischen Tchanspiel vou hente Morgen nicht ohne einige innere Bewegung beiwohnte. Man ist immer bewegt wenn man, znm ersten mal mit eigenen Augen, die Verwirklichung einer Idee wahrnimmt welche man bisher nur durch Lektüre oder vom Hörensagen gekannt hat. Ich sah Truppeu zusammengesetzt aus Söhnen zweier Rassen welche Ab-- 294 Vierter Theil. Indien. gründe trennen; ich sah sie stehen nntcr derselben Fahne, be-rnfen derselben Sache zn dienen: Wahrung der Ordnung, För-dermtg der Civilisation, vor allein aber Erhaltnng der britischen Herrschaft in Indien. Die Besiegten in: Dienste der Sieger, welche letztere kanni eine verschwindende Minderzahl bilden! Es ist der kühnste Gedanke den je der menschliche Geist ersann. Es ist tolle Verwegenheit in den Angcn jener welche an der Lebensfähigkeit des Indischen Reiches zweifeln. Mir scheinen zwei Beweisgründe, deren einer nnwiderleglich ist, für das System zu sprechen. Znnächst eine lange nnd glänzende Erfahrung, bekräftigt, viel mehr als widerlegt, durch die Revolte von 1857, welche mit Hülfe eingeborener Truftpeu in knrzer Zeit niedergeworfen ward. Das zweite Argument, welches ich für unwider-leglich halte, ist die materielle Unmöglichkeit in welcher sich das Mutterland befindet dnrch ihre Söhne die einheimischen Truppen zn ersetzen welche den überwiegend größern Theil ihrer indischen Armee bilden. Su viel ist augenfällig: Indien mnß entweder anfgegeben oder das jetzige System beibehalten werden. Es bleibt also nichts übrig als anf dem längst betretenen Wege weiter zn wandeln. Hier sieht man wie eine Welt mit einem Spazierstöckchen regiert, verwaltet, im Zaume gehalten wird. Aber hinter der physischen Macht, die nnerheblich ist im Vergleich mit der zu lösenden Aufgabe, entfaltet sich die moralische Macht welche eine unbegrenzte sein kann: der Prestige, ein Begriff für welchen ich, in der dentschen Sprache, keinen Aus-drnck finde. Was ist Prestige? Jedermann führt hier das Wort im Mnnde, nnd niemand vermag es in genügender Weise zu dcfi-niren. Anch ich bin es nicht im Stande. Ich werde aber ver-snchen meine Auffassung des Begriffes anszndrücken. Wenn es jemandem gelingt in mir den Eindrnck seiner Ueberlcgcnheit hervorzurufen so übt er anf mich einen Prestige aus. Er hat mich nber-zengt daß er, von uns beiden, der Stärkere ist. Je weniger diese Ueberzengnng, meinerseits, das Ergebniß langen Nach- Die indische Arm«. 295 deukeus ist, je tiefer wird sie wurzeln, bis sie sich zu einem Glaubensartikel entwickelt hat. Dann ist der Prestige ein vollkommener geworden. Die Wörterbücher bezeichnen Prestige als eine Tänschnng, eine Illusion. Ich halte diese Definition für eine irrige. Solange eiue wirkliche Ueberlegcuhcit besteht, ist der Prestige keine Täuschung. Er wird zur Täuschung, weuu der Anscheiu aufgehört hat der Wirklichkeit zu entsprechen. Der Prestige hat zwei Feinde: deu Maugel au Erfolg, gleichgültig waun, wo und wie, nud sudauu die Discussiou, die Analyse. Er beruht auf den: Glauben, nnd der Glaube verträgt keiue Discussion. Der Mangel an Erfolg zerstört deu Prestige plötzlich aber nicht immer vollkommen; die Diseussiou untergräbt uud zerstört ihn laugsam, allmählich, gründlich. Weil die Sonne im Britischen Reiche niemals nutergeht, liegt es nicht in der ansschließlichen Macht der Behörden und der Armee anf der Gaugeshallüusel den englischen Prestige in Indien zu wahren. Alis alleu Puukteu der Erdkugel kauu er vertheidigt, bloßgestellt, verloren werden. Lunch uud Diuners folgen sich ohne Unterbrechung. Jedermann ist in heiterster Stimmung. Das Lager wird aufgehobeu, uud die Spitzen der Armee vcrhchleu uicht ihre Zufriedeuheit mit den Leistnngeu der Truppen. Täglich mehrmals begegne ich dem Oberemumaudautcu Sir Douald Stewart: ein schöner Typus des englischen Gentleman nnd des Feldherrn, mit eiuem offeueu, treuherzigen, festen Blick, einem wohlwolleudeu aber im-pouireudeu Ausdruck. Schuurr- uud Backeubart gebleicht durch 40 Dieustjahre uuter dem iudischeu Himmel. Sir Frederick Roberts, welcher als Commandant der Madras-Armee das Lager befehligt, macht die Hmmeurs iu der liebeuswürdigsteu Weise. Der Held vou Afghanistan, weltberühmt geworden durch seinen Marsch von Kabul nach Kandahar, erinnert durch Gestalt nnd 296 Vierter Theil. Indim. Miene an unsere Hnsarenoffiziere. Sein lebhaftes und geistreiches Auge, der Ausdruck von Tapferkeit uud Festigkeit welcher seme Züge adelt, erkläreil seine glänzende Laufbahn nnd die Hoffnungen die sich an seinen Namen knüpfen. Eines Abends, gegen Sonnenuntergang den man hier nicht wie in den fieberhaften Gegenden Europas, zu scheuen braucht, höchst augeuehmer Spaziergaug nach Lel Vegh. Es ist dies ein öffentlicher, urfprünglich von Haider Ali angelegter uud uuter der britischeu Verwaltung ueu gepflanzter Garten. So wie die „öffentlichen Gebäude" iu welcheu sich die Kanzleieu der Staatsregierung befinden, ist Lel Begh in den Besitz des Maharaja übergcgaugeu. Nicht durch die Vegetation, welche indisch nnd tropisch ist, sondern durch die Aulage uud den Gesammtaublick, erinnert der Ort au die Villa Vorghese nnd an einige Partien der Villa Pausili iu Nom. Mau zeigte uns einige schöne Cy-pressen, welche im nördlichen Indien häufig, im südlichen selten vorkommen. Die Nacht überfiel uus während wir ui.ter den exotischen Lanbgäugen wandelten. Ein Vall, welcheu der Maharaja in deu „öffentlichen Ge-bänden" für die englische Gesellschaft veranstaltet hatte, beschloß die Reihe der Festlichkeiten. Der Fürst cmpfiug mit würdevoller Anmuth. Auf einem dunkeln reich gestickten Leibrocke, welcher der türkischen Votschaftsumform nachgebildet schien, trug er mehrere Niviercn von Diamanten welche auf NMW Pfd. St. geschätzt werden. Das Gefallen an kostbaren Steinen ist hierzulande in den hohen Ständen eine vorherrschende Leidenschaft. Die Fürsten geben für den Ankauf voll Perlen, Diamanten nnd cmderm Geschmeide fabelhafte Summen ans. Daher der große Der Ball dcs Maharaja. 297 Vorrath von Schmuck welcheu man zu jeder Zeit bei den Dia-mautellhändleru in Bombay, Kalkutta und Madras findet. Die Damen erschienen in den verschiedensten Verkleidungen. Man sah deren reiche, elegante, bizarre, einige geschmackvolle, aber im Durchschnitt hatte die Natnr mehr geleistet als die Knust der Modistiuueu. Die im Saal herrschende Atmosphäre war eine entschieden militärische. Neben einer reizenden jungen Frau sitzend, welche das Costüm einer Nonne gewählt hatte, frug ich: „Wer ist jene hübsche Blondine?" — „Miß . .. englische Cavaleriebrigade." — „Und die neben ihr, mit brannem Haar?" — „Mrs.. . königliche Artillerie." — „Uud die Dame im weißen Burnus?" ^ „Lady ... Contingent von Hyderabad." Nnd so weiter. Meine Nachbarin selbst war von der Subsidiary Force. Sie stellte mich einer jungen als Diakonissin gekleideten Dame vor welche die Löwin des Tages geworden ist seit sie eiueu Tiger schoß. (5oftümirte Bälle werden, sobald die erste Neugierde befriedigt ist, gewöhnlich langweilig. Dies war iudeß hier nicht der Fall. Coutredauscn uud Lancicrs folgten sich ohne Unterbrechnng. Mit Ausnahme des Herrn vom Hanse, der fortwährend in der Nähe der Thür staud uud Ankommende und Fortgeheude artig aber ohne ein Lächeln begrüßte, betheiligte sich alles am Tanze. Ich sah neben der vergoldeten Jugend weiß beschmirbartete höhere Offiziere sich tapfer in das Getümmel stürzen. Der Maharaja, fein Bruder, der Divan uud die übrigen Würdenträger wareil, mit Inbegriff der zahlreichen Dienerschaft, die einzigen Landcskinder in dein Saale. Doch hatte das Fest eiueu orientalischen Anstrich. Ein kalter Luftzug vertrieb mich vor (5ude dcs Balles und, in meinen Oberrock gehüllt, beschloß ich mit einem Spaziergange im Garten des Residenten, welchen ein indischer Vollmond magisch erleuchtete, diesen au verschiedenen nnd nur augeuehmeu Em-drückeu so reicheu Tag. 298 Viertcr Thcil. Indicn. Die Vollmachten und Pflichten der bei den, mist nnabhän-gigcn, Prinzen beglanbigten Residenten sind nicht klar definirt; sowenig als das Verhältniß dieser Fürsten znr Kaiserin vun Indien. Man wollte sie nicht Mediatisirte nennen, was sie eigentlich sind, nnd nennt sie daher Lehns- oder Fendalfürsten, was sie eigentlich nicht sind. Nls der Maharaja von Mysore den Thron bestieg ans welchen ihn die indische Negicrnng berufen hatte nmßte er anch aus ihren Händen die ihm auferlegten Vedingnngen annehmen. Sie bestehen, der Hauptsache nach, in Folgenden:. Er darf kein neues Gesetz erlassen nnd kein bestehendes abändern ohne Einwilligung des Vicekönigs. Dieselbe Zustimmung ist erforderlich bei Ernennungen zn öffentlichen Aemtern nnd selbst.da wo es sich nm Gehaltserhuhnngen handelt. Der Resident verhandelt die Geschäfte Zncrst mündlich und dann schriftlich mit dem Divan, nnd nur in äußerst wich-tigeu Fällen nnmittelbar mit dein Maharaja. Der gegenwärtige Divan ist ein verhältnißmäßig, unterrichteter Mann. Er verwaltet nnd regiert Mysore unter der Aufsicht des Residenten. Heute Morgen beehrte mich der Maharaja mit seinem Besuch. Seine einfache würdevolle Haltuug und ein leichter An-flug vou Melancholie auf feinem edlen Gesicht verleihen seiner Erscheinung ein gewisses Interesse. Er brachte mir seine Photographie, eine, wie mir gesagt wurde, seltene Gunst. Mau gibt seiu Porträt uicht jedermann, am wenigsten böswilligeu Menschen welche dnrch Zaubermittel damit Mißbrauch treiben könnten. Ich bin also, in den Augen des Fürsten, ein harmloses Wesen. Msgre. Coadou, apostolischer Vicar im Staate Mysore, ein ehrwürdiger Greis, aus der Vretagne gebiirtig, waltet hier sein Msgre. Coadou. 299 Amt seit einer laugen Neihe von Jahre»,. Die Anzahl seiner Glaubeusgenossen beträgt ^l',000 wovon 15000 in Bangalore wohnen. Bekehrungen kommen nur im Volke vor, fast niemals oder nur äußerst selten in den höhcru Kasten. Man erklärt sich diese Erscheinung, welche sich überall wiederholt wo es katholische oder protestantische Missionare gibt, dnrch die Feindseligkeit der Brahminen gegen das Christenthum. Ihr Einflnsi ist, besonders am Lande, sehr groß. Msgre. Coadou nnd seine Eooperatoreu beloben sich der wohlwollenden Neutra-lität der englischen Behörden. Das Lager ist aufgehoben, nnd die Regimenter beginnen den Hciinmarsch nach ihren Cantonnemcnts. Znm Schlnß finden diesen Nachmittag Waffenspiele statt. Zuerst ein Carrousel, aufgeführt von Laneiers, Offizieren und Soldaten, sämmtlich vortrefflich beritten. Die Spanische Schule mit Pferden der Truppe reiten ist keine kleine Anfgabe. Hierauf folgen Zweikämpfe zu Pferde zwischen Engländern und Einheimischen. Ein Sikh begeistert die enropäischen Znschaner. Ans jedem Kampfe geht er siegreich hervor. Einmal entrollt sich der Shawl der seinen Turban bildet, das lange Haar flattert im Winde; er rafft es Zusammen, ordnet es, schlingt sich das Tnch um die Stiru, alles iu vollem Galopp. Die Männer seiner Nation legen großen Werth anf ihr Haar. Ein General erzählte mir er habe gehört wie eiu schwer verwundeter Sikh, dem mau deu Kopf rasirt hatte die ärztliche Hülfe mit den Worten ablehnte: „Laßt mich sterben. Ich habe mein Haar verloren." Das indische Publikum wohnte dem Schauspiel, augenscheinlich mit großem Interesse aber schweigend bei, und ohne Beifall zu äußern. Mau sagt mir dies sei ihre Weise. Es ist ein wenig demonstratives Volk. Die Ebene war überfüllt mit weißen nud roseufaroigeu Gewändern. Vou Menschen ge- 300 Vierter Theil. Indien. bildete Traubon, in diesen beiden Farben, baumelten an den Aesten der alten Tamarinden. Die englischen Soldaten mischten sich unter die Eingeborenen. Die Abendsonne nnd die, in diesem Jahr hier wie auch in der südlicheu Hemisphäre, zum ersten mal beobachtete „glühende" Dämmerung verschmolz ihre purpurnen, gelben, violetten Töne mit dem Noth nud Weiß der Menge, mit dem Duukelgrün der Bäume, mit dem Vlaßgrau der bestaubten Ebene. Es war die Schlußseene eines Ballets mit wechselnder elektrischer Bclenchtnng. Conjeveram, ^9. Jan nar. — Ich habe einen laugen Eisenbahnweg vor mir; da aber die jetzt im südlichen Theile der Präsidentschaft wüthende Cholera einen Besuch der großen Tempel von Madras unmöglich macht, begnüge ich mich mit den klei-uern aber ältern nnd ebenso ehrwürdigen Pagoden von Con-jcveram. Voll zwei Hiudndieuern begleitet, verlasse ich Guindy-Park vor Sonuenanfgang. Das Land ist flach. Unzählige, der Mehrzahl uach künstliche Teiche, versehen die nnabsehbaren Reisfelder, durch welche die Äahu zieht, mit dem nöthigen Wafscr. Weiterhin verleihen niedrige Hügelzüge der traurigen uud einförmigen Gegend einige Abwechselung. Ueberall weidende Ziegen. Diese Thiere siud eiue Geisel des Laudes. Ihnen ist der so nachtheilige Mangel an Bänmen znznschreiben. Daher beschloß anch der Gonvernenr von Madras die Hügel zu bewalden und für die Ziegeu besoudere Strecken als Weidegründe abschließen zu lasseu. Bereits wnrdeu zn diesem Ende einige junge Männer von England ans uach der berühmteu Forstschule in Nauey geschickt, uud sobald sie ihre Studien beendigt haben wird mau hier mit dem Werke der Bewalduug begiunen. Ill Eiugleput empfängt mich der Collector. Er sagt mir, das Volk sei glücklich nnd zufrieden wcuu die Neisernte gnt ist. Anch herrschell tiefe Rnhe und verhältnißmäßiger Wohlstand in Conjeveram. 301 einein Lande, welches nnter der Schreckensherrschaft der mohammedanischen Fürsten Haider Ali und Tipn Sahib fortwährend der Schauplatz vou Erpressungen, Allfständen und Hinrichtungen gewesen ist. Diesen entsetzlichen Znständen habe die i>a,x dri-tunniea ein Ende gemacht. Schade sei nur daß die Bewohner die Gegenwart mit der Vergangenheit nicht vergleichen können. Das jnnge Geschlecht wisse nichts von den frühern Zeiten nnd das ältere habe sie vergessen. Ankunft in Coujeveram um 10 Uhr morgens. Der Collector oder Magistrat, von meinem Besuche im vorhinein verständigt, hatte mir einen feierlichen Empfang bereitet. Diefcr Beamte, ein hiesiges LandeZkind, gehört der niedrigen Kaste der Sndra an, hat in dem Collegium vun Madras stndirt nnd spricht ziemlich correct englisch, jedoch mit einen: Accent welcher ihn fast unverständlich macht. Er ist verhcirathct, Vater eines Kindes und trägt die Landestracht. Neben ihm standen das Haupt der Stadtgemeinde nnd der Collector eines nahen Tullog. Letzterer ist ein Brahnnne und spricht sehr gut englisch, aber sein Fnchsgesicht gefiel mir wenig. Drei weiße von der Nase über die Stirn bis wo der Haarwuchs beginnt, senkrecht gezogene Linien beweisen daß er, wenn ich recht verstanden habe, der Sekte des Wischnn angehört. Die Seene im Bahnhof war änherst belebt. Vrahminen der beiden großen Pagoden bchingcn mich mit violetten nnd gelben Blumenkränzen nnd steckteil mir einen Thyrsusstab mit einem Papagai von Carton, in die Hand. Andere boten Früchte welche ich, dem Gebranch gemäß, nur mit den Fingern berührte. Alle diese Artigkeitsbezeignngen fanden in der Sonne statt, und welcher Sonne! Conjeveram liegt in einer Niedernng und gilt für einen der heißesten Punkte Südindiens. Da ich die Nacht hier nicht zubringen wollte fiel mein Aufenthalt noth-gedrnngen in die heißesten Stunden des Tages. Es gab auch Augenblicke in welcheu ich zu unterliegen glanbte. Endlich setzten wir uns in Bewegnng. Ein Mann zu Pferde, der die 302 Vierter Theil. Indien. große Trommel schlug, eröffnete den Zllg. Auf beiden Seiten inarschirten Flötenspieler. Nantchie «Bajaderen) gingen tanzend und singend vor dem Ochsellkarren in welchem ich init dem Collector saß. udcr eigentlich, da es keine Sitze gab, ain Boden kauerte. Die Stadtbehördcn folgten in ähnlichen Fuhrwerken. Das Volk drängte sich anf nnserm Wege, nnd in der Menge gewahrte ich eine große Anzahl von Brahminen. Sie hatten alle die Stirne mit senkrechten oder horizontalen weißen Strichen bemalt je nachdem sie Wischnuiten oder Siviten waren. Sehr viele von ihnen waren fast nackt, viele nur mit einigen Lnmpen bekleidet, aber alle sahen stolz und viele überdies feindselig aus. Der Zng bewegte sich so langsam als möglich vorwärts, und wir branchten volle 20 Minuten nm vor dein Sivatempel anzulangen. Dies Heiligthum, reicher an Edelsteinen als alt baarcm Geld, befindet sich in baufälligem Zustande. Eine beträchtliche Eutferuuug scheidet ihu von der hochberühmten Pagode Wischnn'Z in Klein-Eonjeveram. Wir legten sie mit den turzeu Schritten unserer Oechs-leiu zurück. Furchtbar gerüttelt in dem alten federlosen Vehikel, verschmachtend, deun die Hitze war unbeschreiblich, betänbt dnrch den Lärm einer höllischen Mnsik, erstickend in Staubwolken welche kaum die ktövfe oer Bajaderen errathen ließen — diesen unermüdlichen, singenden und tauzendeu Wesen — dankte ich Wischnu aus dem Grunde meiner Seele als wir endlich an der Schwelle seines Heiligthnms hielten. Dieser Gott, reicher als sein Nebenbuhler, sorgt selbst für die Bedürfnisse seines Hanfes, oder, weniger mythologisch ausgedrückt, der Tempel zieht aus seineir eigenen Gründen ein gntes Einkommen, die sehr beträchtlichen Gaben der Gläubigen nngerechnet. Die beiden mützcn-förmigcn Goprum (EiuganMhore) sind 120 Fnß hoch. Äan-weise und Smlptnr, eigentlich barbarisch, erinnern einigermaßen ali die ägyptischen Tempel. Aber es kommen auch Motive vor welche dem italienischen Nenaissanecstil entlehnt scheinen. Mau sagt, aber ohne den Beweis liefern zn können, daß diese Bauten aus dem 13. Jahrhundert stammen. Ein Liebhaber südindischcr Die Tempel von Coiijcuoram. Z03 Kunst, der in dieser Gegend als Beamter verweilt, versichert mich, in der Umgegend, kleine Tempel gesehen zu haben welche dem 7. Jahrhundert angehören. Eine uuläugst nnwcit Bombay entdeckte Inschrift bestätigt das; nm jene Zeit ein König von Satra über einen Theil Südindiens herrschte, nnd daß er Con-jeveram erobert habe. Die Schönheit der Pagoden entwaffnete den Zorn des Siegers welcher die Vernichtung der Stadt beschlossen hatte. Nicht nnr schonte er ihrer, sondern ans sein Geheiß wnrde sogar eine der Pagoden mit Goldplatten belegt. Haider Ali, weniger empfänglich für die Neize der Knnst, ließ, als echter Mnselman, die, Götter in Menschengestalt vorstellenden, Smlptnren an den Wänden nnd Pfeilern verstümmeln. Nnr die höheru Theile, welche die Vandalen nicht erreichen konnten, blieben mwersehrt. Mit Hülfe des Brahminen, der den: Tempel vorsteht, konnte ich die Vasreliefs mit vuller Mnße besichtigen. Sie stellen die Inkarnationen Wischnu'Z dar. Eine grobe Arbeit, aber nicht ohne Wirknng, vielleicht hervorgebracht durch den Gegensatz zwischen der grotesken Composition nnd dem feinen nnd belebten Ansdrnck der Physiognomie des Gottes. Hier, wie in allen Tempeln Sndindiens, welche sehr verschieden sind von denen des nördlichen Theiles der Halbinsel, findet man drei Elemente: Die Goprnm (die Purtale), die Halle mit dem Heiligtmn, und den heiligen Teich. Die Goprnm. Gewöhnlich gibt es deren zwei. Sie sind an der änßern Ringmauer angebracht nnd steigen Zn einer beträchtlichen Höhe empor. Ans großer Ferne ziehen sie bereits die Blicke auf sich. In den Höfen sieht man Mveilen kleine Goprnm, also anch Thore, die aber nach keinem andern Raume führen und deren Vestimmnng ich mir nicht erklären kann. Die Goprum silld immer bedeckt mit staffelartig übereinander gereihten kleinen Statnen und Vasreliefs. Die Halle. Mit Senlpturcn geschmückte Pilaster, welche sich im rechten Winkel trenzen, tragen das Dach. Die Halle umgibt das Heiligtnm. Letzteres ist für Europäer unzngänglich. 304 Vkrtcr Theil. Indien. Der Vrahmine fiihrte mich bis an die Schwölle welche, luie or mir sagte, selbst dcr Gollverneur nicht überschreiten diirfe. Die Thür war geöffnet, aber, obgleich mau einige Fackeln angezündet hatte, gestattete mir das Halbdunkel nicht die Züge Wifchnn's ausznnehmen. Ich sah nnr daß er im Hiutergrnnde auf seinen Beinen saß. Nebeu der Halle siud die Nemifeu für die kolossalen Statuen des Löwen, des Vogels, der Schnecke und cmderu Ge-thiers, alle vou vergoldetem Kupfer. Ihr Anblick ist geeignet die Glänbigeu in heilsamen Schrecken Zu versetzeu. Ich gestehe daß sie mich ebenso anzogeu als abstießen. Ich begreife daß Ulan bei ihrem Anblick zugleich zittert und lacht. Außerhalb aber in der Nähe des Tempelumfanges, stehen die Schankarreu deren sich die Götter bedienen wenn sie ausfahrcn, was nur au gewissen Festtageil geschieht. Der au roheu uud gefaßtcu Edel-steiueu, au Rubineu, Smaragden, Saphiren, Diamauten uud Perlen reiche Schatz vermehrt sich fortwährend dnrch die Gabeu der Gläubigen. Seit undeutlichen Zeiten werdeu diese Steiuc in Coujeveran: gefaßt, aber ein Vergleich zwischen dem alten Geschmeide mit dem modernen zeigt wie sehr die ^nnst des Goldschmieds in Verfall gerieth. Der heilige Teich. Zuweilen ist er mit einem Steiugeläu-der llmgeben. Breite Treppeu gestatten den Andächtigen zum Wasser hinabzusteigen um dort ihre Waschnugeu vorzuuehmeu. Prachtvolle alte Niesenbänme, innerhalb oder jenseit der Ring-maner, spenden den Badenden ihren wohltätigen Schatten. Der Teich ist das poetischste, das Heiligthnm, mit dem es umgebenden Säulengängeu der Halle, das geheimnißvollste, die Goprnm das imposanteste Element der dravidischen Tempel. Nährend die Schätze vor dem von mir eingenommenen Stuhle ausgekramt wurdeu, währeud die uuermndlicheu Bajaderen, ungeachtet meiner Protestation, unablässig tauztcn und saugen, kounte ich die Physiognomien der Menge mit Muße studiereu. Ich saß am Fnße einer breiten Freitreppe welche zu eiuem kleinen jetzt mit Arahminen gefüllten Goprum emporführt. Das Tie Tempel uon Conjeveram. 305 Volk war in dm innern, der Sonne ausgesetzten Hofranm z,i-rückgedrängt worden. Aber sie, die Privilegirten, saßen im Schatten ailf den Stnfcn des Portales und betrachteten den Fremden mit kalten, stolzen, unfreundlichen Blicken. Die Tracht der Mehrzahl bestand aus einem weißen meist zerrissenen Lcnden-tnche. Die Stille welche in dieser bewegungslosen Gruppe von Vrahmincn und, im Hofe, unter dem Volke herrschte, die fratzenhaften kolossalen Götzenbilder, in den dämmernden Sänlen-gängen wie in durchsichtige Schleier gehüllt, das Spiel von Schatten uud Licht, dircctem und zurückgeworfenem, die Strah-leu der Sonne hier ciue glatte Wand hinabrieselnd, dort sich brechend an den scharfen Kanten des gemeißelten Steines, — dies alles vereinigte sich zu einem Ganzen von unbeschreiblicher Wirkung. Die meist sehr armen Brahminen sind iu dieser Gegend Vaueru oder Tagelöhner. Die Stadt ist überfüllt mit diesen heiligen Meuscheu. In zwei Sekten, die des Wischnn nnd des Siva, nnd überdies in mehrere Fractionen getheilt, gerathen sie häufig in Handgemenge, nnd nicht selten kommt es, in: Tempel selbst, Zn blutigen Auftritten. Als ich die Pagode verließ vertheilte der Vorstand das Geschenk, das ich ihm gegeben, unter die Bajaderen. I'inita 1a cc,meäia, geht jeder nach Hause. Die Brahminen sind mit ciuem mal verschwunden, der Reisende wird von neuem iu die Staatscarrossc des Collectors gehißt, die vestalischeu Iungfranen, schweiß- nud staubbedeckt, schleichen todmilde nach ihren Häuschen außerhalb der Maueru des Tempels deren Priesterinuen sie sind. Die Staatscarrosse, d. h. das Ochsenwägelcheu, nimmt den Weg der zur amtlichen Residenz des Collectors führt. Diesmal fürchtete ich wirklich der Hitze, dem Staube und den Stößen des Marterkarrens zn erliegen. Endlich rumpelt sie in einen von Maueru umfangenen Hof nnd hält vor eiuem unheimlich ans- u. Hübuer, I. 20 300 Vierter Theil. Indien. sehenden Hause desseu Untergestock ein Gefängniß ist. Der obere Stock enthält die Kanzleien des Collectors welcher einige Orangen und die fade nud warme Milch einer Cocosnuß auftragen läßt. Zwei Prahminen halten es nicht unter ihrer Wiirde dem Sudra und dem Europäer Gesellschaft zu leisten, aber alle hüten sich die Erfrischungen mit mir zu theilen. Diese Herren sagen mir das; die Stadt Z5000 Einwohner zählt, sämmtlich Eingeborene, nud daß kein Europäer hier lebt. Nnch der Collector, wie bereits gesagt, ist ein Hindu. Dieser Umstand fiel mir auf, nm so mehr als die Zahl der hier zusammenströmenden Pilger bei manchen Festen bis auf 5i0000 anwächst. Der Collector, ein Manu mit einem offeneu Altsdrnck, erzählt mir von seiner Familie, von seiner Amtswaltung, von dein Verdruß und deu Sorgen welche ihn: die Brahminen verursachen. Er bezieht 2000 Rnpien Gehalt*, welche, da das Leben sel,r wohlfeil ist, für seine Bedürfnisse vollkommen hinreichen. Freilich, wenn die Neiserute fehlt, steigen die Preise aller Lebensmittel, und dann tritt sogleich allgemeines Elend ein. Auch die Schlaugeu sind eine furchtbare Plage. Selten vergeht eme Woche ohue daß ihm Todesfälle infolge von Schlaugeubisfeu gemeldet werden. Die Uuterhaltung wurde immer lebhafter. Ich frug ciuen der beiden Brahminen, jeueu der englisch sprach, nud daher, weil ihn sein Begleiter uicht verstand, ohne Mckhalt redeu konnte: „Glauben Sie an Wischuu?" ^ „Neiu, ich habe den Glauben verloreu." — „Wo und wie?" -^ „Im Collegium von Madras, als ich englisch lernte." — „Sie glauben also an nichts?" — „Ja, ich glaube daß es vielleicht einen Gott gibt, der nnch in einer anderu Welt, je nach meinen: Verdienst, belohnen oder " Gegenwärtig gilt die Rupie ungefähr einen österreichischen Papier gulden oder Zwei Francs. «umdy-Park. 307 bestrafen wird. Diese Ansichten darf ich aber in meiner Familie nicht verlautbareu. Auch muß ich fortfahren den Tempel zu besuchen. Sonst würde ich meine Kaste verlieren. Die Vrah-minen welche nicht in englischen Collegien stndirt haben, sind gläubig, so sehr das; sie an die göttliche Natur der uon ihnen selbst fabrieirtcu Götzenbilder glauben." — Dies alles wurde sehr einfach gesagt, in Gegenwart des Mannes seiner Kaste, der ihn nicht verstand, und des Collectors, gleichfalls eines ehemaligen Zöglings desselben Colleginins, der ihn verstand, es aber nicht für gerathell hielt sich über diese heikliche Materie auszu-sprechcn. Guindy-Park, 31. Iauuar. — Dieser reizende Aufenthalt mit den schönen Zwischenacten in Bangalore lind Couje-veram geht nun zu Ende. Heute Morgen traf Sir Donald Stewart ein. Nachmittags fnhrcu wir alle nach Madras zum Empfange des Vicekönigs und seiner Gemahlin. Die Stadt hat ein Festgewaud allgelegt. Eine dichtgedrängte Volksmasse von Einheimischen füllt die Straßen, die Dächer, Bäume nud Baugerüste. Sie erscheint wie immer iu ihren drei Farben: dem Schwarz der Haut, dem Weiß und Noth der Gewänder. Ein Vicekönig wird selten in Südiudieu gesehcu. Auch dies ist der erste nud wol auch der letzte Bestich Lord Nipon's. Die englische officielle Welt wartete in einem am Landungsplätze errichteten Pavillon. Auch einige Indier von hohem Range hatten sich der Gesellschaft angeschlossen. Ich machte Bekanntschaft mit einem entthronten nwhaminedauischeu Fürsten. Seine Dynastie ist eine der ältesten in Indien. Er war ganz ill Weiß gekleidet uud trug iu den Haaren eineu Diamantenstrauß von großem Werth. Aber, selbst iu Lumpeu gehüllt, würde er dnrch seine imposante Gestalt auffallen. Einer der anwesenden Offiziere sagte ihm im Gespräche daß, vor huudert 20* 308 Vierter Theil. Indien. Jahren, England kaum einige Acres Voden in diesem Lande besessen habe. Der Prinz entgegnete: „Die Welt ist rund." Das Wetter war Prachtvoll und das Meer, ausnahmsweise, wie ein Spiegel. Der Vicckönig, voll Lady Ripon nnd seinem Gefolge begleitet, verll'eß die Jacht nnd landete nnter dem Kanonendonner des Fort St.-George. Im Pavillon von dem Gouvernenr und den übrigen Civil- und Militärbehörden begrüßt, antwortete er mit einer langen Nede, in welcher er jedoch jede Anspielung ans gewisse brennende Fragen des Tages sorgfältig vermied. Hierauf setzte man sich nach Guindy-Park in Bewegnng. Wir hatten sechs Meilen zurückzulegen. Aber anf der ganzen mit vielen Triumphbogen geschmückten Strecke bildete das Volk eine nnuuterbrocheue dichte Hecke. Diese Nacht eutfaltete Gnindy-Park große Pracht. Banket, Fenerwerk, Concert, geleitet voll deili grußeil Stradiot, der alle Künstler seines Orchesters selbst abgerichtet hat. Er selbst schien mir würdig seines Meisters nnd Vorbildes, des unsterblichen Strauß. Ich frage mich wie es möglich ist in diefcm allerdings fehr großen Gebäude so viele Gäste unterzubringen: den Vicekönig mit seiner Gemahlin und dem Gefolge, den Obercommandanten in Indien mit seinem Stäbe, und so viele andere Persönlichkeiten von mehr oder minder hohem Range. Die im Parke aufgeschlageneu, sehr bequemen nnd eleganten Zelte erklären das Wnnder. Es ist dies hierzulande Gebranch. In dem Hanse des Anglo-Indiers sind die Wände elastisch wie seine Gastfreundschaft. Bei ihlll fehlt es für Frennde nie an Platz. Der Vicekönig begibt sich nach Hyderabad znr Installirung des Nizam, in amtlicher Sprache zur „Belehnung desselben mit der administrativen Gewalt". Der Nizam ist bekanntlich der erste und mächtigste unter den sogenannten Lchnsfürsten. Von Lord Ripon freundlich eingeladen ihn anf dieser Neise Zu Reise nach Hyderabad. AH begleiten, werde ich einer Staatsaction beiwohnen, welche in der Geschichte Indiens ohne Beispiel ist.* Hyderabad. Vom 1. znm 7. Februar. — Der Zug des Vicekönigs verläßt um Mittag den Vahuhof von Madras. Das Land ist zuerst flach, dann wellenförmig; später gewahren wir die ersten Strebepfeiler der Hochebene. Auf eiuem der Bahnhöfe erwarteten zwei vornehme Zemindare (Großgrundbesitzer) den Vicckönig, welcher den Wagen uerließ nnd sie, unter einem Baldachin sitzend, empfing. Kurzer Halt bei der Station Vallypnlly. Sie liegt mitten im Jungle und wird häufig von Tigern besucht. Die an beiden * Nach Erlüschung der alten Dynastie von Golkonda, znr Zeit dcs Kaisers Aurangzeb, bemächtig sich ein mohammedanischer Abenteurer dcs Gebiets der ailsgestorbenen Negentenfamilie und wurde, nuter dem Titel eines Nizam, der Gründer o^-s Staates Hyderabad. Der gegenwärtige Nizanl ist sein Abkömmling lind neunter Nachfolger. Allc Fürsten dieses Hauses waren Freunde Englands. Im Jahre l.8l« wnrdc dieses Königreich, welches eine Horde von Räubern, Pindarri genannt, verheerten, dnrch die bewaffnete Dazwischenkunft der indischen Regierung gerettet. Zum Tchußc des Nizain stellte der Gc-neralgouverueur ein britisches Trnftftrncorps, das „Contingent von Hyderabad" zur dauernden Verfügung des Fürsten, welcher sich dagegen verpflichtete die Kosten desselben zu tragen. Dieses Contingent und eine andere britische Truppe, die „Subsidiary Force", welche in den Cantonnements von Tikanderabad und Volaram, '.! und 12 Meilen von der Ttadt Hyderabad entfernt, stationiren, bilden im Herzen des Dekkan einen festen militärischen Pnnkt von großer Vcbcntnng. Der Nizam hat ein Einkommen von .'5 Mill. Pfd. 2t. Er unterhält, außer den 5W0 „rcfonnirtrn Truppen", eine irreguläre Armee von 4<)(M Mann und eine abyssinischc Leibgarde. Die großen Adeligen, Umara, Emire oder Nabob genannt, besitzen eigene Truppen welche von der Armee des Nizmn vMommeu unabhängig sind. Die herrschende Dynastie uud die Mehrzahl des Adels habeil sich zum Islamismus bekehrt. Der Staat Hyderabad nimmt den grüßten Theil des mittlern Dekkan ein und hat den Flächcnramn von England lind Schottland. Zahl der Einwohner, nicht ganz 10 Millionen. 310 Vierter Theil. Indien. Enden dos Bahnhofs befindlichen, aus Zickeln gemauerten und stark vergitterten Käfige sind nicht für Tiger souderu zum Schutz der Weichensteller bestimmt. Bei sinkender Nacht feierliche Empfänge in dem festlich geschmückten Bahnhöfe von Cndappa. Musik, Bajaderen, Volk in großer Anzahl. Ich mifchte mich unter die Menge, bemerkte aber bald daß ich der einzige Europäer der Gesellschaft war. Der Vieekönig ließ mich durch einen Ndjntanten fchlennigst ab-berufeu weil mau, wegen der häufigeu Krankheiten, besouders Blattern, Volksansammlnngen zu vermeiden hat. Also schuell zurück in den Wagen. Am nächsten Morgeu erreichten wir die Grenze von Hyderabad. Anf der Etation Wadi wurde der Viceköuig vou zwei großen Wiirdenträgern des NiZam begriißt: seinem Oukcl und Schwager, dein Peskar, eineul gebrechlichen Greise, der in seiner weiten nach türkischem Muster gestickten Uniform zu verschwinden schien, uud vou einem fetten, neunzehnjährigen etwas vorlaut aussehenden Iuugeu, gleichfalls iu ottomanischcr Divlomaten-uuiform. Letzterer ist der älteste Sohu des im vorigen Jahre verstorbenen ersten Ministers, Sir Salär Jung. Er spricht sehr gut englisch uud bewirbt sich, trotz sciucr Jugend, um die erledigte Stelle sciucs Vaters. Die hochwichtige Frage der Besetzung dieses Postens, d. h. der Ernennung des Divau, soll während der Anwesenheit des Vicekonigs gelost werden. Wir befinden uus nunmehr auf dein Platean des Dckkan. Eine Ebene so weit das Auge reicht, besäet mit zahllosen niedern Felsgruppeu. Hier nud da ein Teich. Hier und da einige Reisfelder, einiges Vieh dessen entsetzliche Magerkeit dem vertrockneten Boden entspricht. Das Volk geht in Lumpen, die Hütten siud elend. Welcher Unterschied mit Britisch-Iudieu! Die gäuzlich baumlose Gegend erinnert an nnsern Karst, aber je mehr wir uns der Hauptstadt nähern, je abwechselnder wird sie. Iu der Nähe vou Hyderabad köuute man sie sogar malerisch nenueu. Basaltblöcke am Kamme vereinzelter Hügelzügc zeigen Ankunft in Hyderabad. 311 die Umrisse voll Vnrgen und Schlössern. In dor Entfernung wiederholen sich dieselben 3Notive. Dor Horizont scheint unermeßlich. Gegen 5 Uhr nachmittags laufeu wir un Bahnhof ein. Der Nizam empfängt dcn Vicekönig unter einem prachtvollen Zelte uud geleitet ihn zum Wagen. Am Wege dahin bilden junge Leute Spalier. Sie stelleu Hindngötter vor. Ihr Gesicht ist vergoldet oder blan, grün, roth lackirt. Anfrecht und uu-bewcglich, gleichen sie Statuen. Die Tänschnng wäre vollkommen ohue das Rolleu der großen schwarzen Augeu. Diese Götzen von Fleisch nnd Blut machten einen eigenthümlichen Eindruck. Mau sieht sie uur bei sehr feicrlicheu Anlässen. Unlängst starb einer von ihnen eines plötzlichen Todes. Das Stnck mit welchen: sein (Besicht nnd einige Theile seines Körpers bedeckt waren, verhinderte die Trausspiratiou uud führte hierdurch den Tod herbei. Nrmer Iuuge! Man hatte die Farben zu stark aufgetragen. Der Viceköuig, Lady Ripon und die gauze Reisegesellschaft fuhrcu iu Wagen des Nizam nach Bolaram, wo sich das Landhans des britischen Residenten befindet. Die gewöhnliche Behausung des letztern ist ein monumentaler Palast ill italienischem Stil, eiue Nachahmung des vieeköniglichen Palais in Kalkutta, austerhalb der Stadt Hyderabad, iu der Vorstadt Chaddargat. Eutfernnng von Hyderabad nach Volaram l2 Meilen. Der Anfeuthalt iu Volaram trägt ein vorzugsweise militärisches Gepräge. Außer dcn hier uud in dem nahen Sikhandera-bad eantonnirenden Truppen nnd ihren Offizieren, sind mehrere Sommitäten der Armee versammelt: Sir Donald Stewart, Sir Frederick Roberts, Oberst Ncy Commandant der Snbsidiary Force, General Gough welcher das „Contingent von Hyderabad" 312 Vierter Theil. Indien. befehligt, alle mit ihren Damen und ihrem Stäbe. Mit großem Vergnügen begrüße ich hier wieder den Gouverneur von Madras und seine Gemahlin. Lnnch, Dinners, Feuerwerke und Revuen folgen sich ohne Uuterbrechuug. Unter zwei prachtvollen Zelten des Nizam hält der Peskar, ohne je selbst zu erscheinen, offene Tafel. Am Morgen werden Besuche gewechselt. Alles ist fortwährend in Bewegung, und die Damen gehen hierin mit gutem Beispiele voran. In den Cantonuements sind zwar einige Cholerafälle vorgekommen, und in Hyderabad macht die Senche eine reichliche Ernte unter den Eingeborenen, aber niemand spricht davon. Mit dein enlinarischcn Theile der Festlichkeiten ist der große Signor Pelliti betraut. Dieser in seiner Art ansgczcich-nete Manu kam vor einigen Jahren nach Indien. Er reiste mit leichtem Gepäck, aber er brachte seinen erfinderischen Geist mit sich, sowie die Kunst seines Standes nnd eine merkwürdige Thätigkeit. Als „italienischer Zuckerbäcker" nnd Koch machte er in kurzem sein Glück. Alle Tage, in dem fernen Dekkan, einer unberechenbaren Zahl von Gästen Mahlzeiten zu liefern welche eines Vatel würdig wären, setzt ein Genie ersten Ranges voraus; aber, kaltblütiger nnd erfindungsreicher als Vatel, wird er nie in die Lage kommen sich iu sein Schwert Zu stürzen. Herablassend wie alle großen Männer, weihte er mich in die Geheimnisse seiner Thätigkeit ein und erklärte mir wie es ihm gelinge für die vornehme Gesellschaft von Bolaram die nöthigen Leckerbissen von gehöriger Qualität, in gehöriger Menge nnd zur gehörigen Stnnde aus Kalkutta, Bombay und selbst ans England herbeizuschaffen. Reizend ist „Main-Street". Main-Street ist eine große Straße, in der Nähe von Bolaram, gebildet ans zwei Reihen eleganter Zelte, welche die Gäste des Nizam beherbergen. Mich selbst hat der oberste Commandirende in Indien, in dem ihm zugewiesenen Bungalow nutergebracht. Alles scheint heiter, guter Dinge nnd nnr alls Unterhaltung bedacht. Man sieht indeß doch auch einige nachdenkliche Gesichter. Neben dem mllitä- Der Staat des Nizam. 313 rischcn Gepränge und dm Weltfreuden, spielt sich, in aller Stille, ein kleines Drama ab. Der Vesnch des Vieeköuigs in Hyderabad, wo man keinen seiner Vorgänger je gesehen hat, ist ein Ereigniß. Der Nizam besitzt das ausgedehnteste Territorium, herrscht über die größte Anzahl von Unterthanen, verfügt über die reichsten finanziellen nnd militärischen Hnlfsquelleu, im Vergleich mit den andern Lehnsfürsten, nnd nimmt daher, nnter ihnen, den ersten Platz ein. Die geographische Lage seines Staates im Herzen der Halbinsel erhöht seine Vedcntsamkeit. Gewisse Umstände nnd Ereignisse könnten "^ die höchsten militärischen Autoritäteu sind dieser Ansicht — die Entscheidung der Geschicke Indiens in seine Hände legen. Der große indische Anfstand vom Jahre 1Xi7 liefert für diese Anschanung einen negativen Beleg. Der große Staat Hyderabad nahm keinen Antheil an der Rebellion. Daher wnrde auch im südlichen Indien die Ruhe nicht einen Augenblick gestört. Im entgegengesetzten Falle, so dentt man fast allgemein, würde der Anfstand sich über das ganze Dekkan verbreitet, znerst die ehemaligen Maharattastaateu, dann das Karnatik, Mysore nnd endlich die Siidspitze der Halbinsel ergriffen haben. Die britischen Trnppen mnßten, in diesem Falle das Innere räumen nud sich in den Hauptstädten der Präsidentschaften eoncentriren. Indien war wieder zn erobern. Das Verdienst der England freundlichen Haltnug des Nizam, während jener kritischen Zeit, gebührt dem Gouverneur des Staates, Mir-Turab-Ali-Mukhtar-Ul-^inlk, iu Europa bekannter unter dem Namen Sir Salär Jung. Diese der Zeitgeschichte angehörigen Ereignisse sind jedermann gegenwärtig oder können in jeden, Eompendinm der Geschichte des Jahrhunderts nachgelesen werden. Dennoch höre ich sie gerne von Augenzeugen erzählen, besonders wenn eine sehr 314 Vicrt« Theil. Indien. hohe Stellnng, lange Erfahrnng und gründliche Kenntniß der Menschen und Dinge in Indien ihren Worten ein besonderes Gewicht verleihen. „Der Staat des Nizam", sagte mir eine dieser Persönlichkeiten, „ist sehr bedentend. Er liegt im Herzen oder vielmehr er ist das Herz des Dekkan. Im Westen der Hauptstadt ist das Land steinig, flach nnd nicht sehr fruchtbar. Im Osten, anf einer Entfernung von etwa M) Meilen, beginnen prachtvolle Wälder von uugeheuerer Ausdehnung. Die Volkszahl erreicht nicht ganz il> Millionen, aber, infolge seiner großen Ausdehnung, scheint das Land dünner bevölkert zu seiu als es ist. Im Begiuu des Jahrhunderts war Hyderabad ciuc Beute der Piu-darri. Sie wütheten allenthalben mit Feuer und Schwert, besonders mit der Brandfackel. Da der Nizam nicht im Stande war sein Land zu vertheidigen, rückten drei englische Armeecurps ein nnd stellten, binnen knrzem, Nnhe nnd Ordnung wieder her. Hierauf, im Jahre 1><1^, wurde mit dem Fürsten ein Vertrag abgeschlossen welcher die künftigen Beziehnngen zwischen ihm nnd der englischen Regierung festsetzte. lMit andern Worten: der Fürst trat England, als Preis der geleisteten Hülfe, einen Theil seiner Smweränetätsrechtc ab.) Die englischen Truppen kehrteu auf britisches Gebiet zurück, aber kaum warm sie abgezogen als der Fürst sich von neuem bedroht sah, und infolge dessen wurde auf seiu Verlangen das lwch jetzt bestehende Hülfseorps, das «Contingent von Hyderabad» genannt, zu seiner Vcrfügnug gestellt. Dagegen machte er sich anheischig den Sold dieser Truppen zu bezahlen. Da er aber dieser Verpflichtung nicht nachkam, ließ der britische Generalgouverneur die Provinz Berar (1<^7) besetzen, ohne das Wort Annexion anszusprecheu. Sie wird seither von uns verwaltet. Mit einem Theile des Erträgnisses dieses Gebiets wird das Hülfseorps in Hyderabad gezahlt, nud der Rest au dcu Nizam abgeführt. Diese Einrichtung besteht also seit beinahe fünfzig Jahren, und die Provinz, ruhig, zufrieden nud wohlhabend unter unserer Verwaltung, bildet einen Sir Salär Jung. ZI5 anffallenden Gegensatz mit den elenden Zuständen in den übrigeu Gebieten des Nizam. Dieser Fürst, nnd der größere Theil der Nabobc, deren mehrere Blutsverwandte der regierenden Familie sind, bekennen sich znm Islam, aber dic bei weitem iiber»oiegei,de Mehrzahl der Unterthanen hält an dem Hindnglanben fest. „Dnrch dreißig Jahre hat der erste Minister, Sir Salär Iuug die Regierung geleitet. Mehrmals versuchten die Nabobe ihn zu verdrängen. Er verstand es aber immer sie abzuweisen. Diese Adeligen haben keine Erziehung genossen nnd sind vollkommen unfähig in Staatsgeschäften verwendet zn werden, was im Grnnde bedauerlich ist weil ihr großer Grundbesitz als Bürgschaft ihrer Treue dienen könnte. Känflichkeit, Willkür nnd eine scheußliche Instizpflege waren noch bis vor knrzem die charakteristischen Eigenschaften der hiesigen Zustände. Salär Inng, für feine Person ein anständiger Meusch, versuchte mit einigem aber geringem Erfolge sie zu bessern. Wirtliche, ernsthafte Reformen hat er nicht zn Stande gebracht. Der Hof von Hyderabad war uud ist ein Nest vou Intriguen. Seit einem oder zwei Jahren fängt man hier an Europa nachzuäffen, und einige Nabobe lassen ihren bindern eine englifche Erziehnng ertheilen. „Gleich bei Beginn der Nebellion von 1<^')7, sah Sir Salär den endlichen Sieg der Engländer vorans, erklärte sich also zn nnscru Gnnstcn, bewahrte während der ganzen Epoche, was nicht immer leicht war, diese frenndschaftliche Haltnng nnd leistete uns hierdurch, ohne allen Zweifel, einen sehr wesentlichen Dienst. Aber er liebte nns nicht. Sein Benehmen mit Vezng anf Berar beweist dies. Während seiner ganzen dreißigjährigen Amtswal-tnng, verfolgte er nnr Einen Gedanken: die Wiedererlangnng Berars. Zn diesem Ende begab er sich vor Zwei Jahren nach England und winde dort mit übertriebener Auszeichnung, in der That mit den sonst nnr Prinzen vom Geblüte gewährten Ehren, empfangen. Aber in Betreff der Angelegenheit welche die Veranlassung seiner Reise war, wies man ihn an den Vieekonig. Mt übertriebenen Begriffen seiner Macht nnd Stcllnng nach 3 lss Vierter Theil. Indien. Indien zurückfahrt, trat er, in Beziehung anf Verar, mit uu-gestümen ^ordernngen hervor, Nlld das Verhältniß zwischen Hyderabad und Kalkutta begann sich ernsthaft zu trüben. Indeß, dank den Bemühnngcn Lord Nifton's, schielt Salär sich eiues bessern zu besinnen als ihn, im vorigen Jahre, die Cholera, binncu wenigen Stunden hinwegraffte. „Sir Salär Iuug war ein Nabob im großeu Sinne des Wortes. Er hatte die Hand offen, neigte im Grnude Znr Verschwendung, baute unaufhörlich uud hiutcrließ, trotz ciues Einkommens von 120000 Pfd. St., eine Milliou Schuldeu. „Nach seinem Tode wurde eine Regentschaft eingesetzt welche aus uier großen Nabobs besteht; uuter ihnen befindet sich der älteste Sohn des verstorbenen Ministers. Der junge Salär Inng hat einige Jahre in England zugebracht uud ist bei der hiesigen Jugend sehr beliebt- überdies crfrent er sich der Frcnndschaft des Nizam. Im vorigen Winter, wie man glaubt auf den Rath der Mitglieder der Regentschaft, begab sich der Fürst, von ihnen begleitet, während der Ausstellung nach Kalkutta und ersnchte den Vieekönig ihm in Hyderabad die Investitnr zu erthcileu, und zugleich deu ueueu ersten Minister für ihn zn wählen." Dies ist also dic Veranlassung der Reise Lord Nivon's. Der erste Minister hat die ganze Verwaltnng in seineu Häudeu. Der Nizam herrscht aber er regiert uicht. Lord Ni-pou hatte uuter vier Bewerbern zu wähleu. Sie schieueu alle unmöglich. Der eine wegen seiuer Kränklichkeit, der audere wege»l seiuer Uufähigkeit, der dritte wegen seines üblen Rufes, endlich der vierte wegeu seiucr Iugeud. Da uun aber die Iu-geud eiu Fehler ist welcher sich mit jeden, Tage verringert, und überdies der Nizam die Kandidatur dieses Staatsjnnglings befürwortete, so wurde Salär Jung Mn,, 19 Jahre alt, zum ersteu Minister ernannt. Man erzählt daß, um dem jungeu Herru die Zeit zu lasseu etwas älter zu werden, dem Nizam gcrathen wurde die Erueuunng des Premiers für einige Jahre zu verschieben. „Aber was soll ich", antwortete er, „mittlerweile thun?" Die Lrhnsfürsten. 317 Offenbar kennt der Prinz fcincn Beruf, den Berns zu genießen nnd nicht zu regieren. Ich finde ein besonderes Vergnügen darm, mich über indische Dinge von Anglo-Indiern belehren zu lassen. Da erfährt man immer etwas Interessantes, interessant nicht für Personen welche Indien kennen, aber für jene welche es nicht kennen. Die sogenannten Feudatar- oder Lchnsfürsten herrschen über 60 Millionen Seelen. Mit Inbegriff dieser Zahl, beträgt die Gesammtbevölkernng von Britisch-Indicn 25)5> Millionen!* Die Lehnsfürsten haben, der englischen Regierung gegenüber, verzichtet: auf das Recht der diplomatischen Vertretung untereinander nnd bei auswärtigen Regierungen, sodann anf das Recht der Kriegführung. Vor dem Jahre 1818, d. h. vor der Zerstörung des Reiches der Maharatta und der Eutthrunnng des Peschwa, dessen Staaten dem indo-britischen Reiche einverleibt wurden, und vor der Wiederherstellung der Ruhe im Staate Hyderabad durch englische Trnpven, verhandelte die Ostindische Compagnie mit den damals unabhängigen, jetzt feudatärcu Prinzen, und fchloß Verträge mit ihnen, anf dem Fnßc einer vollkommenen Gleichheit. Hiervon ist jetzt keine Rede mehr. Diese Fürsten sind Pasallen der englischen Krone geworden, und die neue Lage der Dinge wurde von ihnen, thatsächlich wenngleich stillschweigend, anerkannt als sich Königin Victoria im Jahre 1877 den Titel einer Kaiserin von Iudieu beilegte. Werden aber auch heute keine Verträge mehr mit den Lehnsfürsten geschlossen, so werden die einst geschlossenen darmn doch noch als zu Recht bestehend betrachtet. Nnr sind die Fälle einer Berufung auf dieselben, änßerst selten geworden. Der Vicekönig * Die Gesammtbeoölkerung Europas beträgt 3dl), dic des Chinesischen Reichs 400 Millionen. 318 Vierter Theil. Indicn. und sein Rath legen, wenn sie es für nöthig erachten, den Fürsten none Pflichten anf oder neue Beschränkungen ihrer Rechte, welche ans den alten Verträgen nicht hervorgehen. Zn diesen nenen Beschränkungen gehört: Verbot der Einfuhr gewisser Waffen. Verbot, ohne die fetten ertheilte Einwillignng des Vicekönigs, Europäer in ihren Armeen oder Verwaltungsbehörden anzustellen. Die Verpflichtung in ihren Staaten die in Britisch-Indien bestehenden Vorschriften für Post- nud Eisenbahnwesen anzn-nehmen. Die den Lehnsfürsten auferlegten Rechtsbeschränknngen sind nicht überall dieselben. Mehr oder weniger Freiheit wird ihnen gelassen je nach den Umständen nnter welchen die Umwandlung der unabhäugigeu Souveräne in verkleidete Vasallen vor sich ging. Als Gegenleistung für diese Verzichte, hat die Negierung der Königin die Verpflichtung übernommen sie gegen jeden Angriff von außen, nnd, im Falle eines Aufstandes, gegen ihre eigenen Unterthanen zu vertheidigen. Bei diesen Fürsten werden Residenten beglaubigt. Der Vice-könig ernennt sie, uud sie steheu unter der Leitung des Staats-secretärs für indische, das heißt, auswärtige Angelegenheiten. Ihre Aufgabe ist darüber zu wacheu daß die Fürsten ihre mit der Regierung von Indien eingegangenen Verbindlichkeiten erfüllen, und zugleich über ihren Staatshaushalt eine gewisse Aufsicht zu führen. Sie sind Wächter und Räthe. Sie haben, wie mir jemaud treffend sagte, Diplomatie zu treiben, aber von oben nach unten. Ich hörte die, nicht von jedermann getheilte, Vermuthung aussprechen daß die großen Lehnsfürsten, mit Ausuahme eines einzigen, im Grunde ihres Herzens, England abgeneigt sind, weil die indische Regiernng sie verhindere sich der Gebiete der kleinen Fendatare zu bemächtigen. Unbestreitbar scheint daß letztere in der englischen Negieruug eineu uatürlicheu Beschützer gegen ihre großen Standesgenossen erkennen. Der Vieetönig, die Fürsten nnd die Residenten befinden sich zuweilen, einander gegenüber, in einer schwierigen, um nicht zu Die Armee des Nizam. 3l!) sagen falschen Lasso. Mit größter Leichtigkeit könnte der Knoten gelöst oder vielmehr zerhauen werden. Das Mittel wäre Annexion. Man würde hierdurch nnr znr Politik Lord Dalhousie's znrückkehren. Aber diese Politik war, wie nur ein hochgestellter Mann sagte (was allerdings von anderer Seite ans das lebhafteste bestritten wird) die indirecte Veranlassnng zum Aufstande des Jahres 1«57. Der indischen Negierung sei es gelungen die Fürsten zn überzeugen daß sie ihre Entthronung nicht beabsichtige, nnd hierin liege eine Bürgschaft für die Anfrechthaltung des Statusquo und des innern Friedens auf der Halbinsel. „Wenn", fuhr mein Gewährsmann fort, „die großen Fürsten vernünftigerweise an der Aufrichtigkeit unserer Regierung zweifeln könnten, so würden sie sich sogleich untereinander in Verschwörungen einlassen, und die kleinern, welche heute treu au England halten, würden, um sich womöglich zn retten, bei guter Zeit in das Lager der Großen überlanfen. Ein europäischer Krieg, in welchen England verwickelt wäre, könnte allerdings zn einer nenen Rebellion Anlaß geben, aber nnr in der Vorallssetzung daß dir großen Feudatare eine Rückkehr znr Annexionspolitik zn befürchten hätten." Der Nizam nnterhält eine zahlreiche Armee; aber die großen Umara verfügen mich über eigene Trnppen. Zwischen diesen und den Streitkräften des Nizam fehlt es an jeglichem Verbände. Jeder diefer Nabobe hat seilte Infanterie, Cavaleric, Artillerie, nnd, unerachtet des bestehenden Verbotes, dienen mehrere enro-Päischc Eondottieri snbalterner Gattnng nnter den Verschiedellen Fahnen der Großen des Staates. Es ist der orgamsirte Bürgerkrieg der zn jeder beliebigen Stunde ansbrechcn kann. In den Kasernen des Nizam gibt es Weiber nnd Kinder die Fülle. Jeder Soldat hat für sein Eheweib, die Mutter, die Großmutter wenn sie lebt, seilte Schwägerinneu und natürlich seine Kinder 320 Vierter Theil. Indien. Anspruch auf freies Quartier. Unter dcu Offizieren befiudeu sich Europäer: Engländer uud andere, welche mit Bewilligung des Vicckömgs dieneu uud viele Eurasier. So werden in Indien die Abkömmlinge vou eiuem weißen Vater uud einer eingeborenen Mntter geuauut. Seit mehrern Geschlechtern hciratheu sie untereinander und bilden ein nicht nuwichtiges Element. Sie sollen einen lebhaften beweglichen Geist, aber nur die Fehler und uicht die guten Eigenschaften beider Rassen besitzen. Sie sind fast alle Christen und meist Katholiken. Ich habe bereits von der „Subsidiary Force" uud dem „Contingent uon Hyderabad" zusammen 5000 Maun, gesprochen. Ihre Cantonuemeuts, Volaram und Sikhanderabad sind, mit Bangalore und Puna, die bcdeuteudsteu uud besten in Indien. Zwischen beiden erhebt sich ein kleines Fort, das Zwiug-Uri uon Hyderabad. Hente Morgen machte der Nizam dem Vicekönig seinen Besuch. . Der Durbar fand im Hause des Residenten statt, in einem Saale nächst dem Perrun an welchem die Wagen halten. Genau zur bestimmten Stuude, fuhr der Fürst in einer englischen Staatscarrosse vor. Wagen und Geschirre der vier Pferde waren gelb, die Farbe der Dynastie. Sein Gefolge bestand alls mehrern Adeligen, darunter die vier Mitglieder der Regentschaft, sämmtlich, wie bereits gesagt, Candidate,! für deu Posten des erstell Ministers. Sie waren alle in europäischer gestickter Uniform. Nur der Kopfputz gehörte dem Osten an. Der Viceköuig, im Morgenanzng, aber mit seineu Orden geschmückt, empfiug deu hohcu Gast aus der Schwelle des Thores, ließ sich sodann anf einem versilberten und zum Theil vcrgolde-teu Stuhle uieder uud bot dem Nizam eiuen versilberten Sitz zn seiner Rechteu au. Nebeu dem iudischeu Fürsteu saßeu die Nabube, ucben Lord Ripon Mr. Durand, Pro-Staatssccretär Tie ^cstl' in Hyderabad. ^»I1 fiir die indischen sansioärtigen! Angelegenheiten, und die Befehlshaber der beiden britischen Hülfseorps mit ihren Stäben. Der Nizam ist 17'/,. Jahre alt und bereits Vater eines Sohnes und zweier Töchter. Es ist mir nicht bekannt daß er eine (Gemahlin besitzt oder je besitzen wird. Seine Hantfarbe ist dunkel, seine Züge sind regelmäßig und dermalen noch nichts-sagend. Das lange schwarze Haar fällt steif anf den Nacken wo es sich nach oben biegt. Ein lant geführtes Gespräch zwischcn ihm und dem Vieekonig iiber gleichgültige Dinge danerte kaum einige Minuten. Anf alles was ^!ord Nipon sagte antwortete der Fürst mit einein einfachen Ja. Ein gnter Anfang, nnd, im Interesse beider Theile, wird der jnnge Herr wohl daran thnn in dieser Weise fortzufahren. Hieranf wnrden die Nabobe ilnd Herren seines Gefolges vorgestellt. Sie schritten an dem Vicekönige vorüber indem sie sich verneigten, die Alten tief, die Jüngern nnr sehr leicht. Alle boten ihm den (^riff ihres Schwertes welchen er, der Landessitte gemäß, mit den fingern berührte. Hieranf wnrde „Attar nnd Pan", Nosenwasser und Pfeffer, aufgetragen, nnd die Eihnng war zn Ende. Endlich ist der große Tag, der 5». Februar angebrochen. Es war für den Militärseeretär und Neisemarschall, Lord William Veresford, keine leichte Anfgabe den feierlichen Zng nach Hyderabad zn ordnen. Im Orient wird anf Etikette großer Werth gelegt, nnd der leichteste Verstost gilt fiir einen Mangel an Ach tung wenn nicht fiir eine absichtliche Beleidigung. Indeß alles ging vortrefflich von statten. Um !» Uhr morgens verließ der Vieekonig mit seinem ganzen Gefolge Volaram. Die Generale nnd der Gonvernenr von Ma dras fuhren voraus in Galaearrofsen, hinter ihnen die Wagen der Secretäre nnd Adjutanten. Der Dnrbar fand im Palast des Nizam statt, in einem sehr 322 Vierter Theil. Indien. großen Saale nielcher durch Areaden in A>ei transversale Schiffe getheilt wird, Tic Trnppen des Fürsten paradirten im Garten nach ivelchein eine Neihe von offenen Thilren ini Rnndbogenstil den Blick gestatteten. Eine große Moschee und andere »wreske Gebände bilden, jenseits des Gartens, den Hintergrnnd des Ge-inäldes. Es war eiu prachtvoller Anblick! Mau hatte mir gesagt, Hyderabad sei der Typus eiuer indischen Stadt. Mich erinnerte sie mehr an ktairo. 7>ch gestehe das; dies eine kleine Enttäuschung war. Nicht eiunial Elefauten! uud doch besil)t der Fürst deren eine beträchtliche Anzahl. Aber, in Europa, <;eigt man Elefanten nnr in Menagerien nnd nicht bei Revilen und Festlichfeiten: nnd hier ahmt man Enropa nach obgleich man es nicht liebt. Alles in allem war was wir sahen nicht sowol Indien als Negypten nnd dcr Khedive, begriffen im Proeeß der Umwandlung nach einem, wenig verstandenen, enropäifchen Vorbilde. Einen ähnlichen Eindrnck machten mir die Nabobe. Im Hintergrnnde des Saales, vor einer Art von Alkoven, saßen nebeneinander der Vieekiinig in großer Uniform und der Ni^am mit kostbarem Geschmeide bedeckt. Unter den Großwürdenträgern nahm der junge Salär Jung bereits den ersten Platz cin. Seine unglücklichen Mitbewerber tonnten ihren Verdruß nicht verbergen. Ter Vieetönig, mit welchem sich der Nizam nnd die ganze Versammlung erhob, verlas, nnter tiefer Stille, in englischer Sprache cme Rede welche mir, in mehr als einer Beziehnng, sehr bedon-tnngsvoll schien. Es war die Sprache des Sonveräns MM Vasallen, des Vaters Min Sohn. Der Nizam sah nervös aufgeregt ans. Er dachte wahrscheinlich weniger an das was er hörte als was er selbst M sagen hatte. Er begann mit leiser Stimme. Das Platt ans welchem er las gitterte in seiner Hand. Allmählich aber faßte er Mnth und schien sehr vergnügt als er seine Jungfernrede zn Ende gelesen hatte. Mr. Dnrand trug hierauf die vieekönigliche Ansprache in persischer Uebersehnng vor. Nach Veendignng dieser testing, welche die Nabobe mit sichtbarem Interesse vernommen hatten, umgürtete der Vieetönig den Fürsten eigeuhändig iilit einem kostbaren Ehreusäbel, uild gab ähllliche Waffen dem jungen Premier, deul Peskar und dem Umara Ehaulsul. Attar und Pan wnrdeu gereicht, und der sehr vorilehlll allsseheilde Durbar war zu Cud^'. (5r hatte ungefähr eille Stunde gedallert. Abends Ml.'ite Rnsc nach Hyderabad. Diec'lnal um dem Bautet des Ni^aill lm.;nwolMN und die l^roße Beleilchtuu^ zn sehcu derelt ^».'stcu auf mehrere Lakh berechnet werde». Ich werde eine Beschreibung dieses Festes nicht versuchen. Iemaud hatte den HerM vou Wellington uni Materialien für die Be-schreibnug einer seiner Echlachteu ^ebeteu. Ter Feldherr antwortete' „Mau beschreibt eine Schlacht ebenso weui^ als eiueu Ball"; und ich möchte hilizufnaeu, alc> eine Beleuchtung die sich über eiueu Naum vou etwa zehn Duadratmeileu erstreckt. Das Schallspiel welches sich vor nns ailfrollte, als unser Wagen die letzten Hänser von Sikhauderabad m der Nichtilug der Hauptstadt hinter sich ließ, versetzte uus ill eiue Foeuwelt. Alleilthalben, soweit das Ange reicht, farbige Lampen ähnlich den venetiani-scheu Pallonii lällgs der Chaussee, auf dem Flusse Mnsi, auf deu Teichen, vor llus, uebeu lnic', iiberall. Der Vollmond erblaßte über diesem tansendfarbigen Fenermeere. Außerhalb der Stadt bildete das Volk zu beiden Seiten der Straße eine undurchdringliche Masse. Im Iiluern wareu die Gassen, mit Aus-uahme der dichtbesetztcn Fenster nud Dächer, volltuutuleu leer. Anf den Plätzen nild offenen Näumen, ilisbesoitdere in der Nähe des (5har Millar, dessen vier schlanke Minaretc gleich feurigen Halmen in den nächtlichen Himuu'l eulporstiegeu, wareu die Zuschauer hinter Geländern anfgestaut. Die Polizei des Nizam hatte diese Vorsichtsmaßregel für nöthig erachtet ill einer Stadt welche bekanntlich das i'ot'n^ium iic^utormn Indiens ist. In vielen Straßen war dies also ein Volksfest ohne Volk. Der Wille des Herru hatte alle diese kampelt augeznudet. Sein 21* 324 Vk'rtt-r Theil. Iudicii. Wille hat dcn Iluterthaueu ihren Anblick versagt. Cs ist der Orient der Tauselldulldeiue stacht. Nur Aladin kouute dcn Palast in solcher Weise schllliicken und, ohne ihlu zn schmeicheln, innß ich gestehell daß ich nie Aehn^ liches geseheu habe. Die Stuwer ill Wien, die Festordner des Troeadero in Paris oder des Krystallpalastes zu ^»ndon, iviivdril sich in Ehrfnrcht itcigcn vor dcn Schdpflliil^n seiner Wnndcr-lanlpe. Welchor ^n'ichthnin an (5rfindnn>i lll'bcli sl) qroster (5in-fachhcit? Da,in, luclchcr (^»,'schlnack nnd Farbcnsiltn! Betrachtet diesen init einem Mariimrgeländer nud Blninenbeeten umrahniten Tcich, danebeli die riesi^eil Bälllne des Gartens nnd die durch manrische BogenqaiW' dnrchbr^cheile Facade des Palastes. Ala-din hat sie init sanften weißen Tönen iibenpssen. Bälune, Bln ,nen, der Palast, alles, selbst die bnnte Ä)ten^e der Europäer, Nabobe, Offiziere nnd Diener des Nizam, scheinen ans Silber gemeißelt. Dnrch den (^eqensah erscheint der Himmel schwarz unerachtet des Vollmolides. Von den obern Stufen der Freitreppen welche uach dem Saale führen, ill d^n hmte Morden der Dnrbar stattfaild, sieht man in dem Nasserspiegel des Teiches diesen wundervollen (hraffiw von weißem Filigran nnd schwarzem Flor. In einem anderu Hofe blendet nnö ein tausend-farbiges Fenermeer, ein persischer Teppich ans lenchtendeu Blumen gewebt. In eiuem dritten steigeil Nateten iilit Fallschirillen in die Lnft, eili Fenerwerk in europäischem Stil, Das Gauze schieu eiu Traum. Selbst alte Auglo-Indier, die ail dergleichen gewöhut siud, geriethen in Vegeisteriulg. Das Banket fand in einer langen Galerie statt. Dreihnn^ dert Gäste saßen all drei Tischeil; nnter ihueu lllehrere englische Damen nild viele Nabobe niid (^roßn'iirdenträger des Staates. Ich hätte vorgezogen daß die Diener das Mahl in großen schweren Schüsseln von gediegenem Silber, statt anf englischem Porzellan, anfgetragen, nnd diefe großen Herreu, als echte Muselmanen, sich ihrer Finger bedient hätteu. Sie handhabteu iudeß die Messer und Gabelu aus Similor ohne die geringste Unbe- Eiuc Villa 3ir Lalar Iuusi'ci. 325 hnlflichieit. Der Geist der Nenernng dringt eben alich in Hy^ derabad ein. Seit kurzen finden die Ilnlara Gefallen ail der englischen ^ost, und vcranstaltcn sich gegenseitige Gelage uach enropäischenl Mnster. Dnrch die Küche bewerkstelligell sie ihrni lHinzug in das grußc .^arlNnuiserai der eivilisivlen Nelt. Unter ihnen befanden sich mehrere die ein goldenes mit Diamanten geeiertes Diadem anf dcr Staatsmntze trn^en. Es ist dies ein Vm'recht der Verlvandten des Fiirslen. Das Banket währte sehr lange nnd gab mir Mnße die Physiognomie des ^iizam zn stndiren. Er sah heut Abend interessant ans nnd, unerachtet seiner Ingend und eines Anstrichs voll Verlegenheit welche nicht Schüchternheit sein kann, unerachtet einer offenbar angeborenen Schweigsamkeit, schien er was er ist, ein großer Potentat/' Frühstück bei Mr. nnd Airs. Grant Dnff iu einem ^and^ Hanse welches der verstorbene Sir Salär Inng erbauen ließ. Es ist eine hübsche italienische Villa mit einigelt großen Nänmen in welchen schlechte Eovien nach Rafael, Titian nnd andern italienischen Meistern, anch ein Porträt von Garibaldi zn sehen sind. Im Garten stehen Nachbildungen bekannter antiker Sta-tnen! Ich snche nach einer psychologischen Erklärnng. Wir haben es hier mit Menschen zn thnn die uns, Europäer, nicht lieben. Und doch ahmen sie nns nach. Weder der Geschmack an Knnst noch deren Verständniß bewogen den Eigenthümer diese werthlosen Erzeugnisse mit schwerem Gelde zu erwerben. Nur wer für überlegen gilt wird nachgeahmt. Der Nachahmende will sich zu seinem Vorbilde erheben: ein natürliches nnd sogar loli^ lichcs Bestreben und, in diesem gegebenen Falle, ein für die Gebieter Indiens vortheilhaftes Symptom. Aber warum laßt * WcnM TlM nach scincr Inswüation brachtc ihn cm h^fligcr Cholera (NN'all a>l den Rand dcs Grabes. 326 Vierter Thril. Iudicn. ihr dann den Einheimischen in d^n Eullegien, die Gleichheit zwischen ench und ihnen doären? Sie fühlen daß sie nicht enres-gleichen sind. Wärmn sie in diesen richtigen Gefüljl deirrelt? In diesem Lande übt die halln' Stnnde lvelche d^'Nl Sonnen allfgang voranM'ht nnd f>.'lgt ciln'n illlb^schvcidlichcn ^andcr. Ich lustwandle allcin in dcr Umgc^cnd 0l.ni Bolavani. Eine rothe Kligel steiqt über den Horizont empor. Schwer beladene Elefanten ziehen an mir vorüber, ihre riesigen nnd scheinbar endlosen Schatten über die weite Ebene werfend. Der leichte Lnfthanch des Morgens bringt mir, mit den Wohlgerüchen der Büsche, die dnrch die Entfernnng gedämpften Töne einer die Sonne begrüßenden Mlitärmnsit. Ich ersteige einen Hohenpnnkt. Die Anssicht scheint nnbegren^l, Es ist überall dieselbe Ebene des Dekkan, wellenförmig, M-llnsttt, mit niedern Felsblöcken besäet. In: Westell zeigen sich die Hügel von Goltonda. In allen andern Richtnngen verschwimmt der Horizont mit dem Himmel. Dieselben Motive wiederholen sich: niedere Felsen fassen natürliche. Gräben ein oder trönen verein^ zelte Erdtegel. Man könnte sie für Bnrgen halten oder für Sänlen oder für eeltische Dolinen nnd Menhire. Die schwarzen Linien nnd Pnnkte ailf der Ebene sind Bänme: Tamarinden, indische Feigenbänme, geheiligte Pipol, in Grnppen oder als Alleen gepflanzt längs der vielen maeadamisirten, trefflich ge haltenen Straßen welche die Steppe dnrchziehen. Diese ist am frühen Morgen dnntelbrann, weil bei dem niedern Stande der Sonne jedes Sandkörnchen seinen Schatten wirft. Später im Tage wird sie lichtgrani die Farbe des Stanbes der sie bedeckt. Weiterhin sehe ich weiße Linien: es sind die Zelte des improvi-sirten Lagers nnd die (hartenmanern der Änngalow in welchen die Offiziere der beiden Hülfseorps wohnen. Tic Ttadt Hyderabad. 32? Das uugesnnde ,Wma in,d der Wassermaugel bestimmten, ain Ende des N!. Jahrhunderts die Beu'ohuer Goltondas diese alte Hauptstadt zu verlassen. An ihrer Stelle uunde, acht ^viei leu iveiter östlich, Hyderabad erbaut. Golkonda verwandelte sich alluiählich in einen Trümmerhanfen der, einige l^räber abgerech-,u't, wcni^ Int^x'ssc bietet. Dasselbe läßt sich nicht vm, der nencn Nesideu,;stadl des Ni,^ani sagen. Nur ist es nicht leicht in sie einzudringen. Vs bedarf hieran einer (5rldubuiß des britischen Residenten in Balaram lind eines Elefanten oder Wagens mit einer Escorte, Diese Vorschrift ertlärt und rechtfertigt sich dnrch die unfrenudliche Stimmung der Bevölkernng, besonders der zahlreichen Abentenrer l5oltonda als wir den Rückweg antraten nm nach Bolaram zum Bautet Bedeutung der Installation. 329 dos Residenten zu eilen. Der Vieekonig und der Nizam, sowie die ganze Gesellschaft sollten sich dort zum letzten mal begegnen. Es war eine Gelegenheit sich Lebewohl zn sagen, nnd für nnch, überdies, für alle genossene Freundlichkeit zn danken. Morgen ist allgemeiner Anfbrnch. Uebermorgen werden alle diese, schönen <^elte oerschwnnden sein. Von dieser glänzenden Menge, von all diesen Herrlichkeiten wird nichts bleiben als die Erinnerung an ein Fcenmärchen nnd, in Wirklichkeit, der Nizam mit seinem Premier, der britische Resident mit der Subsidiary Foree nnd dem Contingent von Hyderabad. Doch nein! Es bleibt ein Ereignis? ohne Beispiel, würdig in die Jahrbücher dieses nngehenern Reiches verzeichnet zn werden und glänzend in der Geschichte der Amts-waltung Lord Ripon's, das Ereignis; der Investitur des mächtigsten der einheimischen Mrsten durch den Vertreter der Kaiserin von Indien. Ende dcs ersten Vcmdcs. Liuck von F. A. Vroctyaus ill Leipzig, ÜBERSICHTSKARTE VON FREIHERRN VON HÜBNER'S REISEN UM DIE ERDE (1871 und 1883-188^). 1.........Spa zier gang um dio Welt 1871. 2____Durch das '.Britische Roidi 1883-188'!. K.I. ItntrUmnx (ieoyr „ifi.r/ Anstatt.,I.rifnuj. ^