M^ Durch das Britische Neich. Zweiter Band. Durch das ßriüsche ^eich. Züdafrika — Neuseeland — Australien ^ Indien — Gceamen — Canada. Von Alexander Freiherr« oon Onbner. Zweiter Baud. Leipzig: F. A. B r o ck h a u s. 1886. Ztthnlt dcs uveiten sandos. Vierter 2beil. Indien. (Fortsetzung.) III. Bombay. Vom 7. znm 1^<. Februar 1884. — Puuah. — Par- bati. — Die Stadt der Eingeborenen. — Tckkan College. — Tie Ghat. — Parell. — Bombay. - Tie Insel Salsette. — Ein „öffentliches Frühstück". — Die Saifon in Bombay. — Til! Thürme des Schweigens. — Der Mann mit den Symbolen. — Goa (Pangim). — Tic goancsischc Kirche. — Nie Ufer des Mondovi. — Goa-Velha. — Achmcdabad. — Van-knnst und Senlptur. — Die gesellige Stellung der Assen. — Eine Hochzeit in der großen Welt........... 3 IV. Najputana. Vom 1<>. zum 2!». Februar 1884. — Historische Notizen. — Nach Mount Abn. — Monut Abu. — Das Mum. — Tie Tempel. ^ Die Tiger. ^- Sunset- nnd Scan-dal Poiilt. — Tnrch die Wüste. — Der Palast des briti-schcn Residenten in Iodhpur. — Das Fort. — Bestich beim Maharaja. — Das diplomatische Corps des Vicckönigs. — Der Teich. — Abermals Affeu. — Die Gräber von Man-dore. — Kailana. ^- Neisc nach Ieypur. — Die Stadt Iey-pur. — Der Palast des Maharaja. — Reformen der letzten Rcgiernng. — Amber. — Socialpolitische Verhältnisse iu Raj-putana ...................... 34 V. Penjab. Vom l. bis l l. März. — Vou Icypnr nach dem Kaibarpaß. — Die Ufer des Indus. — Atok. — Physiognomie von Peschawar. -^ Ein Afghancnfnrst. — Das Fort VI Inhalt des zweiten Bandes. und die Kirchhöfe. — Tcr Kaibarpasi. — Icimrud. — Lahor. — Nanjet Sing. — Shalimar. — Amritsir. — Der goldene Tempel. -^ Vin Gasthof in Delhi. — Tivau - i-Kas. — Divan-i-Am. — Tie Pcrlmoschcc. — Vie große Moschee. — Stimmung der Bevölkerung. — Katab Minar. — Tcr „Nidgc". — Physiognomie von Tclhi........ 75 VI. Nordwestproviuzen. Vom 11. zum 21. März. — Von Telhi nach Agra. — Eine Torftragödie. — Tie mongolischen Kai' ser. — Tie Monmnenle in Agra. — Tic anglo-indischen Staatsbeamten, — Physiognomie von Allahabad. — Ein geborene Nolabelu. — Benares. — Der Maharaja oon Be-nares. — Tie Ghat................. 104 VII. Siltim. Vom 21. znm 2ft. März. — Tic indischen Eisenbahn ncn. — Von Kalkutta »ach Tarjecling. — Sikkim. — Nc pal. — Butan. ^ Physiognomie uon Darjecling. — Ausflug nach Rcmjit Bazar. — Csoma dc Körös........1.^) VIII. Vengalen. Vom 28. März znm !'. April. — Kalkutta. — Tic todte Jahreszeit. — Tie Bildsäulen der großen Männer. — Pondichern. — Ceylon. — Abreise nach Australien. — Poli-tische Uebersicht...................151 Fünfter Theil. (!) oeanien. I. Dir Norfoltinscl. Vom 17. zum 2^. Mai 1884. — Neweastle. -Tic Norfottinsel. — Tic Abkömmlinge der Meuterer an Bord dcr Bonnty. — Eine Nacht bei dcm Magistrat. — Tic Barrc. 185 II. Fiji. Vom 28. Mai znm K,?. Inui. — Suva. — Mbao. — Takumbau. — Tie Prinzessin Audiqmlla. — Levuka. — Loma Loma. — Vie Zustände vor und nach dcr Vcsitzcrgrcifnng Englands.....................W<> III. Tamoa. Vom 17. zuiu 2!». Juni. — Tic Inseln Nina Tobutava nud Tafari. - Tie Trader. ^ Apia. — Tie Trinmvircu. — König Melietoa. — Tie dentschcn Handelshäuser. ^ Tutllila. — Pango Pango. ^- Hübncr-Bucht. — I^dour ti'sl^e. — Tie Missionare. — Tic City of Sydney..........253 Inhalt des zweiten Bandes. VII Sechster Theil. A o 5 d a tn e ^ t k a. Srite I. Ueberfahrt. Von Tutnila nach San-Francisco- vom 2l>. Inni zum 14. Juli. — Tic amerikanischen Steamer. — Tic Tand > wichinseln. — Die Verfassung. — Tic Eingeborenen. — Honolulu. — Physiognomie der Stadt. — Die Chinesen. — Tic königliche Familie...................309 II. San-Francisco. Vom 1,4. zum 2«. Inli. — Dic ealifornische Na-tion. — Fortschritte und Aenderungen. — Eiscnconstruction. — Eliffhonse. — Das Prcsidio. — Die Chinesen. — Die Einwanderer. — Tic drei transcontinental!,',! Eisenbahnen . . , 3ltt III. Durch den Continent. Vom 28. Inli zum 2C August. — Die Ueberfahrt. — Columbia. — Astoria. — Eine Telegraphistin. — Ein Intcrvicwcr. ^ Portland. — Tie Rocky Mountains. ^ Die Quellen des Missouri. — Der Mississippi. — Der Niagara. — Canada. — Die Städte. — Der St.-Laurent. — Die transcontinentale Eisenbahn. — Boston. — Ncnyork. — Newport. — Eine unangenehme Viertelstunde.......Z2l! IV. Die Hcimlchr. Vom 20. zum 2!!. August. — Von Nenyort nach Qnccnstown. — Lord Ampthill. — Ende der Reise durch das Britische Reich.................... 34« Schlnß.................,......... 352 ylnhauss.......................... 873 Vierter Thcil. Indie n. (Fortseyllnq.) v. Hübucr. II. 1 UI. Bombay. Ponr 7. zum 1V. Febrnar I.l^tt4. Pnnah. — Parliati. — Die Stadt der Eingeborenen. — Dekkan College. — Tic Ghat. — Parcll. — Bombay. — Tic Insel Salsette. — Ein „öffentliches Frühstück". — Tic Saison in Bombay. — Die Thürme des Schweigens. — Tcr Mann mit den Symbolen. — Goa (Pangim). — Die goancsische Kirche. — Tic Ufer dcs Mondoui. — Ooa-Velha. — Achme-dabad. — Vallknnst uud Sculptnr. — Tie gesellige Stellung der Affen. — Eine Hochzeit in der großen Welt. ^öei Tagesanbruch Abreise von Volaram. Hierauf 24 höchst angenehme Ztnnden anf der Eisenbahn in Gesellschaft Sir Donald Stewart's und seines Adjutanten Obersten Chapman. Folgen zwei interessante Tage in Pnnah wo wir die Gäste des Generals Hardiuge sind. Was kann man von Pnnah sagen, dem Hauptquartier des Oberbefehlshabers der Armee von Bombay? W ist, einfach, wuudenwll. Der „Äuud" ist eil, Park mit breiten Vanmgäugeu nnd Gärten in welchen die Wohnsitze der Europäer liegen. Am frühen Murgen sieht man dort jnnge Damen ihre englischen, ungarischen, australischen Pferde tnmmeln; Gouvernanten, die Vrille auf der Nase, ihre Zöglinge spazieren sichren, elegante ^UHr-a-dancZ mit Ponies bespannt, zum I.k>vii-toum8 fahren. Um !-! Uhr ist mit der Morgenfrische all dies Leben uer-schwunden. Schweigen, Einsamkeit, Tonne und Stanb werden 1" 4 Vierter Theil. Indien. hier, bis zum Abend, als unumschränkte Gebieter herrschen. Man hat mir das Nathhans, das Spital der Sassoon, einige Kirchen, ein Collegium nud andere Gebäude ssezeigt. Einen be-deuteudeu Eindruck auf die Einheimischen können sie nicht verfehlen. Leute, welche solche Niederlassungen grüudeu, müssen die Absicht und auch die Aussicht habeu im Lande zu bleiben. Mau sagt mir daß, vou allen Hindu-, d. h. uichtmohammeda-uischen Gebieten in Britisch-Indien, die Ntaharatta-Staaten, besonders Pnnah, der Staat des l,^1,^ besiegten und entthronten Peschwa, die einzigen sind in welchen entschiedene Abneignng gegen die englische Landesherrlichkeit vorherrscht. Wer Parbati sah vergißt es nicht wieder. Es ist cm auf einem isolirteu Hügel stehender Tempel. Wir erstiegen die Anhöhe auf breiteu Stufen als der Elefant, welcher uus trug, plötzlich anhielt, mit den: Rüffel umherschlug, dumpfe Töne vou sich gab uud auf eiuem Beine zu Pivotiren begann, etwa wie ein (5ircnspferd auf welchem man die spanische Schnle reitet. Mir war zn Muthe wie einem Lnftschiffer der am Scheitel seines Ballons sitzt. Meine Begleiter, zwei juuge Offiziere, lachteu uud ich lachte mit, aber dies Lachen schien mir eiu wenig gezwungen nnd venuandelte sich erst in echte Heiterkeit als das widerspeustige Thier, dnrch den Stachel des Kornak gebändigt, uns wohlbehalten am Eingänge des Tempels absetzte. Von der Niugmauer übersehen wir die heiligen Gebäude und ihre Höfe, nnd, tiefer nuten, einen gelben, schwarzgefleckten Teppich-, die versengte Ebene von Punah besäet mit vereinzelnten Banm-gruppen. Den Nahmen bilden die Ghat* nnd die Anhöhen von * Die M)at sind Beritten welche, nnf bridcn Küsten der Ganssccihalb'-insel dl'ni Olca» cntlan^ zirhcnd, dir zur Hochebene dcs Dcttan fnhvendcn Staffeln bilden. Parbati. 5 Eatara. Der Himmel ist safrangelb, und die lUltergchende Sonne, leichte Nebelschleier zerreißend, ergießt ihr magisches Licht über die weite Landschaft. Der Brahminc des Tempels zeigt mir mit dem Finger einen größern dnnkeln Fleck. „Dies ist Äirki", sagt er, „dort haben nns die Engländer vernichtet." Und so ist es. Hier Plante nnd anf dieser Ebene vollzog Mount-stnart Elphinstone, mit Hülfe seiner Generale, die Zerstörung des mächtigen Reiches der Maharatta. General Wellesley, der nachinalige Herzog von Wellington, hatte schon früher den mohammedanischen Eroberern den Weg nach dem Süden verschlossen. Seringaftatam nnd >tirki sind zwei große Etappen anf der glorreichen aber blntgetränkten Heerstraße welche England, mit wechselndem Geschicke aber endlichem Erfolge, zur Herrschaft Indiens geführt hat. Delhi sah die Vollbringung des Werkes. Ein Morgen- und ein Abendbcsnch in der indischen Stadt. Es sind dies die belebtesten Stnnden des Tages, besonders der Abend, wenn die Dämmerung die bewegten Massen, die feierlichen Umzüge, die Huchzeitsgeleite, die blnmenbcladenen Glänbigen an den Tempelthoren in ihre durchsichtigen Schleier hüllt. Welcher Gegensatz mit dem englischen Eantonnement! Dort Bequemlichkeit, Lnxns, Pracht! Hier alles Poesie, ein Tranm, ein Feenmärchcn. In dieser Stadt fehlt das mohammedanische Element nicht gänzlich, aber das hinduische herrscht vor. Mein Nnge ist zn ungeübt um sie zu unterscheiden. Dektan College ist ein stattliches Gebände. In einem geräumigen Saale finde ich ein Dutzend jnnger Hindll von etwa achtzehn bis zwanzig Jahren versammelt. Sie studireu Baeon 6 Vierter Theil. Indien. und Shakspeare! Heute Abend werden öffentlich».' Vortrage gehalten. Die These: die Engländer in Indien 0- oder 7MM englische Soldaten 25»<> Äiillionen Indier ill der Unterwürsigkeit erhalten. Aber wird der Prestige erhöht dnrch solche Besprechungen? — „Genießen die Studenten", fragte ich einen jnngen englischen Professor, „der vollen Redefreiheit bei ähnlichen Gelegenheiten?"— „Ganz gewiß" war die Antwort. Diese Vertrauensseligkeit nnd diese Achtnug vor der individuellen Freiheit sind, ohne Zweifel, höchst löblich. Ich möchte mir aber doch die Frage erlauben ob es klug ist für die jungen Maharatten, deren Anhänglichkeit an die herrschende Macht, auf das gelindeste gesagt, zweifelhaft, ähnliche Gegenstände der Besprechung zu wähleu, wie die „Anwesenheit der Engländer in Indien"? .Könnten die jungen Herren nicht eines Tages den Abzng der Engländer auf die Tagesordnung setzen? Sieben Stunden auf der Eisenbahn. Sie steigt jählings die Ghat hinab, windet sich senkrechten Felswänden nnd Abgründen entlang, Zuweilen nnter Vlöcken welche anscheinend in der Lnft hängen, passirt zahlreiche Tnnnel uud erreicht endlich das Gestade des Arabischeu Meeres. Die breuuende Atmosphäre nnd die üppige Tropcnnatur lassen die Reisenden fühlen daß sie das, verhältnißmäßig, kühle Dckkan hinter sich haben. Parell iVombay). Vom 9.—12.; vom 14.—IN. Februar. — Sir James Fcrgufson, Gonveruenr der Präsidentschaft von Bombay, hatte mir die Gastfreundschaft angeboten. Parcll. 7 Ich verließ also die Bahn auf einer von der Hauptstadt sechs Meilen entlegenen Station, in der Nähe von Parell, wo sich die officielle Residenz des Gouverueurs befindet. Goverumeut-House war einst ein Collegium der Jesuiten. Im Jahre 1720 nahm es die ehemalige Ostiudische Compagnie in Besitz. Der nntere Theil des Hauptschiffes der Kirche ist die Halle, der obere der große Saal des Palastes geworden. Nur die massive Festigkeit des Gebäudes eriunert au die ehemaligen Eigenthümer. Es ist ein Prachtban aber, leider, ungesund im Sommer. Um diese Zeit flüchtcu die Bewohner nach Malabar-Point in Bombay, oder nach dem Government-Honse nn-weit Punah. Hier wie in Madras, fallen mir die reiche Ein-richtuug anf, die Zahl der Dieuer, der Equipagen, der Pferde, die reichen Livreen, dazu der nüchterne, elegante nnd keineswegs theatralische Lnrns des ganzen Haushaltes. Vom europäischeu Gesichtspunkte beurtheilt, erscheint die Pracht übertrieben. Nicht so wenn mau bedenkt daß Indien nicht nur von Engländern bewohnt ist, daß die Regierer des Reiches, iu ihrer Art zu leben, nicht allzu sehr hiuter deu Maharaja nud Nabobeu zurückbleiben dürfeu, uud daß der Orientale die Macht mißt mit dem Maßstabe des Prunkes der sie umgibt. Bombay* ist unzähligemal beschrieben und abgebildet worden; aber weder Schriftsteller noch Maler vermochten je ein ähnliches Eonterfei zn liefern. Es scheint dies eben eine numögliche Aufgabe. Ich werde uicht versuchen sie zu löseu. Nur meine Eindrücke wiederzugeben sei mir erlaubt. Die Stadt nimmt den südlichen Theil einer schmalen und laugeu Iuscl ihres Namens ein. Ein Damm verbindet sie mit der Iusel Salsette uud dem Festlaude. Im Westen von dem " Bevölkerung 773000. 8 Vierter Theil. Indien. Arabischen Meer, im Osten dnrch die stillen Wasser eines insel-besäeten Golfes bespült, welcher, in Form eines Dreieckes, von Norden tief in das Land eindringt, entsendet die Insel Bombay nach Süden zwei niedrige nnd schmale Promontorien von ungleicher Länge. Das eine, das westliche, Malabar-Hill, der Wohnsitz der Macht, der Eleganz und des Reichthums, hat sich mit hübschen Hänsern, Cottages und Villen bedeckt, alle wie begraben unter der Laubfülle einer üppigen Tropennatur. Die hohen Beamten, Richter, Consnln, die Spitzen des Handelsstandes haben dorthin ihre Penaten getragen. Wer sich selbst achtet wohnt in Malabar-Hill. Bringt nicht der Gouverneur alljährlich einige Monate in Malabar-Point zu? Dies hohe Beispiel geuügt. Aber um in dem privilegirten Stadtviertel zu bauen und zu wohnen ist die weiße Hautfarbe eine unerläßliche Bedingnng. Selbst die Parsi, die Krösuse von Bombay, sind, während ihrcr Lebzeiten, ausgeschlossen. Nur ihre Leichen werden zugelassen um iu den Thürmen des Schweigens, welche dies irdische Paradies krönen, von Aasgeiern gespeist zu werden. Das andere Promontorium, l5olaba genannt, trägt auf seinem äußersten Porsprunge, welcher die Südspitze von Bombay bildet, die Sternwarte und deu Lenchtthurm. Zwischen diesen beiden Landzuugeu oder Promontorien erstrecken sich mehrere Stadtviertel welche, mit Malabar-Hill nnd Colaba, die nur für kleine Fahrzeuge zugängliche „Hintere Bncht" auf drei Seitcu umrahmen. Die maritime Thätigkeit findet ihren Mittclpuutt auf der Ostküste der Bombayinsel. Dort ist der geräumige, durch eiu Fort vertheidigte Hafen welcher sich, gegenüber von der Insel Elephanta nnd dem Festlaude, nach dem Golf öffnet. Die groste Belebtheit anf seinen Wassern zeugt von der Aedeutuug der Metropole des indischen Handels. Den Reiz Bombays macht seine Mauuichfaltigkeit aus: Maunichfaltigkeit des Terrains, der Gassen, der Bevölternng. Den Spaziergang beim Leuchtthurm von Colaba beginnend, Bombay. 9 richten wir nnsere Schritte gegen Norden. Nichts erstrecken sich zwei Wasserflächen: der Ocean. Nun haben wir den Avpollo-buud erreicht, und nach einem gut zubereiteten und gut aufgetragenen Frühstück im Mcht-Elnb dringen wir in die eigentliche Stadt ein. Da sind znerst die Esplanade und ihre monnmen-talen Gebäude, das Secretariat init den Kanzleien des Gouverneurs, die Universität, die Herberge der Seclente; weiterhin die anglikanische Kathedrale aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts, das Stadthans nnd viele andere Äanten in modern englischem Geschmack. In den Stadtvierteln der Parsi nnd der Hindn möchte man tausend Augen besitzen. Tie Vorübergehenden nnd eine Menge hübscher, häßlicher, sonderbarer, jedenfalls mir nener Gegenstände fesseln unsere Älicke. Noch einige Schritte, nnd wir sind wieder in Enrofta, in den großen Arterien welche nach Bmalla führen, der nördlichen Vorstadt, welche einem der berühmtesten Elubs in Indien ihren Namen gibt. Hier endigt die Stadt. Plötzlich verstummt der Straßonlärm. Um nach Parell zurückzufahren führt mich der Weg über eine große Wiese wo man nachts keinem menschlichen Wesen begegnet. Glücklicherweise reist der Europäer allenthalben mit vollkommener Sicherheit. Zwischen dem Indus nnd dein Cap Conwriu, zwischen den beiden Meeren und bis zum Fuße des Himalaja ist die weiße Hantfarbe, bei Tag wie bei Nacht, ein Talisman der vollkommene Sicherheit verbürgt. Kehren wir nach der Stadt der Eiugeboreueu znrück. Mit Ausnahme des Parsiviertels, welches wie seine Bewohner eineu besondern Charakter trägt, unterscheidet sie sich wenig von den übrigen Städten Indiens. Aber die belebte Natnr ist verschieden. Zunächst sieht man viele Frauen, welche anderwärts sich nnr selteu zcigeu. Hier begegnet man ihnen allenthalben. Betrachten wir diese Grnppe! Es sind Parsiweiber. Wir erkennen sie als solche au den grellen Farben ihrer Gewänder nnd au dcm künstlerischen Faltenwürfe ihrer Schürzen, am schlanken, 10 Victtrr Theil. Iiidirn. hohen Wüchse und an den aninnthigen Bewegungen, am klaren schwiminendeu Blick, deu langen Allgenwimpern, deu ovalen Mansion. Und welche Gestalten! Sic erinnern an die größten Schöpfungen dor griechischen,^nnst! Und alles schwätzt, flüstert, lacht. Ja, diese Weiber lachen. Nichts ist in Indien seltener als ein Lächeln. Aber Lachen? Niemals. Ich habe wol gesehen wie Diener, als Ehrfurchtsbezeignng gegen den Herrn, die Mundwinkel anseinanderzogen, aber sie brachten doch nur cine Gesichtsvcrzerrnug und kein ehrliches Lächeln zu Stande. Bei uns gähnt ^an nicht in gnter Gesellschaft, hierzulande lächelt man nicht. Hinter dieser von der Sonne beleuchteten, farbenprächtigen Gruppe iu der Mitte der Straße gleiten, im Schatten der Häuser, Hindumädcheu vorüber. Diese Kancphoren iu weißer Tunica, mit der classischen Amphora am Scheitel, scheinen verkleidete Göttinnen des Olymps. Hier und da wird ein Derwisch sichtbar, die Geisel der eingeborenen Gesellschaft, mit dem gehässigen, falschen, unheimlichen Blicke, dem struppigen Haar, seine Blöße kanm mit einigen Lnmpen verhüllend, eine Ekel nud Grauen einflößende Erscheinung. Das Gedränge wirkt an manchen Stellen beklemmend. Alle Sekten und Stämme Indiens find hier vertreten: ein zwischen dcn Häusern sich langsam verschiebender Knänel menschlicher Wesen. Die Tempel sind hier nicht hinter hohen Manern verbürgen, sondern öffnen ihr Inneres uu-mittelbar nach der Straße. Groteske Heiligenbilder ziereu die Facndcu. Gläubige mit Kräuzen und Blumensträußen in der Hand belagern die Eingänge. Ja, die alten Götter herrschen noch. Die christliche Civilisation hat die unvollkommenere aber ältere Gesittung noch nicht überwältigt. Die beideu Ströme begegnen, durchkreuzen, bekämpfen aber vermischen sich nicht. Die Umgegend von Parell ist ein tropischer Park, dessen einzelne Partien eine gewisse Abwechselung gewähren; aber Bombay. 11 im Grnnde ist die Landschaft doch allenthalben dieselbe: dichte Gruppen von Bananenbänmen, dariibcr der entfaltete Fächer der Cocospalme, Teiche eingefasit von Coeospalmcn, Cocos-palmen längs den endlosen Avennen. Hier und da kleine Tempel. Das Ganze belebt dnrch das ewige Spiel von Licht und Schatten. Wir kamen, der Gmwernenr nnd ich, von einer Spazierfahrt nach der Insel Salsette zurück. Am Strande stehen hübsche Landhäuser, nieist von Gärten umgeben. Die Besitzer sind Parsi. Es ist ihr Malabar-Hill. Von weitem gesehen versetzen diese Villen nach Enrova, aber bei näherer Bctrachtnug erkennt mau den Orient. Wir kamen an drei oder vier „portugiesischen" Kirchen vorüber. So werden die von eingeborenen Priestern besorgten katholischen Kirchen genannt. Unter der allgemeinen Bezeichnung „Portn-giesisch" oder „Goancsisch" versteht mau Abkömmlinge eines portugiesischen Vaters und einer eingeborenen Mntter. Diese Nasse wurde, im Lanfe des Jahrhunderts, mehr oder minder indisch. Die Goaneseu bilden in diesem Theile der Halbiuscl bei weitem die Mehrzahl der eingeborenen Christen nnd hängen, obgleich sie die Sprache ihrer Väter längst vergessen haben nnd ein verderbtes Hindustani sprechen, mit warmer Liebe an Portugal. Wir befinden nns in voller „Saison", Jeden Abend Diners, Bälle, große Empfäuge und Concerte in Parell sowol als iu der Stadt. Bombay bewahrt seinen Nnf als erstes sociales Cen-trnm in der angluindischen Welt. Schon Monntstnart Elphinstone rühmt den Ton der hiesigen Gesellschaft und stellt, in dieser Beziehnng, Bombay über Kcükntta.* * Parell, 3. Dcmnbcr 1819. „I^ito ol' t!ie Hon. .>!..«. NIpinnswn«" (London 1884). 12 Vierter Theil. Indien. Auch im Government-House nimmt man es mit den anderwärts bei offieiellen Empfängen beobachteten Formen nicht allzu strenge. Während allenthalben der Gouverncnr, als Repräsentant der Königin dem Hofgebrauche gemäß, erst im Talon erscheint wenn die ganze Gesellschaft versammelt ist, fällt hier der Etikette bange Scheidewand, nnd der Vertreter Ihrer Majestät benimmt sich wie ein gewöhnlicher Sterblicher. Ich hatte Gelegenheit einem „öffentlichen Frühstück" beizn-wohnen. Diese Gewohnheit stammt ans dem vorigen Jahrhundert. Eine Anzeige in den Zeitungen ladet Personen welche den Gonverncnr zu sprechen wünschen für den nächsten Tag zum Frühstück ein. Um zugelassen zn werden bedarf es nnr der vorläufigen Angabe des Namens im Secretariat. Gestern war die Zahl der Erschienenen größer als gewöhnlich; fast sämmtlich Engländer, doch anch einige Eingeborene, meist Parsi. Ich möchte nicht verbürgen daß sie alle mitaßen, aber sie saßen mit uns an vier großen rnnden Tischen. Mali begab sich sodann in den Garten wo jedermann Gelegenheit fand sich mit dem Gon-vernenr allein zn unterhalten. Diese Sitte, scheint mir, wäre anch unserm offieiellen Enropa zu empfehlen. Alles kommt dar-anf an daß die Geschäfte nicht vor sundern nach der Mahlzeit besprochcu werden. Hente Abend großer Ball der englischen Gesellschaft im Hanfe eines vornehmen Parsi. Bekanntlich bilden seine ^ands-lente, in Bombay, ein sehr bedeutendes Element. Der Saal war reich geschmückt, theils im enropäischen theils im orientalischen Geschmack. Der Herr vom Hause erinnerte mich an die großen Kalifherren der „Tansendnndemeu Nacht". Mich störte nnr der Gedanke daß der Körper dieses Mannes einst Geiern zur Speise dienen wird. Die Damen seiner Familie erschienen natürlich nicht. Man sah nur Engländerinnen, einige schön, Tic Thürme des Schweigens. 1Z einige hübsch, keine entschieden häßlich, alle in eleganten nnd frischen Toiletten. Jedermann nahn: am Tanze theil, einige mit offenbarem Gennß — mir unbegreiflich bei dieser Tem-fterawr — andere ans Pflichtgefühl. Ich sah wie alte, im Dienst crgrante Krieger ernst nnd gewissenhaft, ihre Pas aus-fiihrten, gleich Männern die gewohnt sind, unter allen Umständen, ihre Schuldigkeit zu thnn. Die englische Gesellschaft kennt keine Altersgrenzen, woran sie recht thnt. Sie überläßt es der Natnr einen jeden, znr richtigen Zeit, in den Pensions-stand zu versetzen. Die Tänzer zerfallen in zwei Kategorien, in begeisterte Adepten Terpsichore's nnd ill (Gewissenhafte, in Männer der Pflicht. Diese letztern sind für mich ein Gegenstand der Bewunderung und des Bedauerns. Nichts ist weniger unterhaltend als die Art in der sie sich nnterhaltcn, aber nichts ist unterhaltender als zn sehen wie sie sich nntcrhaltcn. Der österreichische Consnl Herr Stockinger hatte die Güte mich heute Nachmittag nach Malabar-Hill zn begleiten. Wir erstiegen die Anhöhe im Schweiße nnsers Angesichts, kamen vor einer hohen Maner an nnd betraten, von den Thorwächter ohne Schwierigkeit eingelassen, einen reizenden mit Älnmen, blühenden Hecken nnd Nohlgerüchen erfüllten Garten. In der Mitte stehen drei, etwa W Fuß hohe, dachlosc, runde Thürme. Die tiefe Stille welche hier herrscht — das „Schweigen" welches den Thürmen ihren Namen gibt — wnrde plötzlich dnrch Gekrächze nnd ^-lügelschlag nnterbrochcn. Eine Menge großer Aasgeier kamen aus dem nahen Gehölz eines indischen Stadtviertels her-beigeflogen lind ließen sich anf dem Gesims eines der Thürme nieder. Dicht m,einandergedrängt, einen schwarzen ^tranz bildend, nnbeweglich, das schmnzige Gefieder stränbend, erwarteten dic schcnßlichen Thiere die Anknnft ihrer Bellte. Diese ließ nicht lange anf sich warten. Ein kleiner ^icichenzng, mit den Resten 14 Vierter Theil. Indien. eines Parsi, von Verwandten nnd Freuudeu getrageu, betrat den abgeschlossenen Raum. Hinter der Bahre schritten zwei bärtige Männer deren Amtes es ist den Körper den Vögeln vorzuwerfen. Andere Neligionsgcnosscn, sämmtlich in weißer Klei-dnng, gingen hinterher. Nach einem knrzen Halt vor den zwei heiligen Hnnden welche die Identität der Verstorbenen consta-tiren trngen die beiden Bärtigeil den Todten in den Thnrm. Niemand dnrfte ihnen dahin folgen. Mit gransenhaftem Aechzen stürzten die Vögel anf den Leichnam. Von dieser Seeuc waren wir nnr Ohreuzeugeu. Nach einer halben Stunde schien das Mahl geendigt. Die Geier erschienen wieder am Nande des Thnrmes nnd flogen schwerfällig nnd krächzend nach ihrem Horste zurück. Äliittlerweile hatten die beiden Bärtigen das Skelet des Parsi in eine Oeffnnng des Thurmes geworfen. Die Zeit wird es in Staub verwandeln. Ein Reisender des l7. Jahrhunderts erklärte diese sonder bare Art der Bestattung dnrch die Verehrung der Anhänger Zoroaster's für die Elemente. Die Vcrührnng einer Leiche besudelt, nnd vor dieser Vernnreinignng will man die Elemente bewahren. Die Parsi sind ein schöner Menschenschlag, erkenntlich an der hohen Gestalt, der Adlernase, den mandelförmig geschlitzten Augen, einem ernsten, durchdringenden, gedankenvollen Blick, uud au deu entschieden kaukasischen Gesichtszügen. Kopfbekleiduug, die weiteu Gewänder sowie die Gesichtsbildung erinnern an Per-sieu, das Land dem sie entstammen nnd dessen Namen sie noch tragen. Unter allen asiatischen Bewohnern der Gangeshalbinsel stehen sie dnrch Erziehung, Wisseu, Keuutniß fremder Länder, und Geschmack an Reisen, dem Enropäer am uächsteu. In dieser Beziehuug bilden sie mit den: Hiudu eiuen augenfälligen Gegensatz. Viele von ihnen sprechen englisch. Anf nieinen Wanderungen in den Stadtvierteln der Eingeborenen gefchah es mir mehrmals daß ich nach dem Wege fragen mußte. Ich wandte mich immer an Parsi in englischer Sprache nnd wnrde stets verstanden. Fast alle sind Kaufleute oder Handwerter, nnd Tic Thürme des Schweigens. 15 leben ill fortwährenden: Geschäftsverkehr mit den Engländern. Und dennoch trennt sie ein Abgrnnd von lchtern. Europäische Civilisation konnte die Oberfläche glätten. Mehr vermochte sie nicht. In seinem Gemüth, in seiner geistigen Auschauuug blieb der Parsi was er war und ist seit Jahrtausenden. Die Berührung eines Todten besudelt. Selbst die beiden bärtigen Männer, nach der Meinung der Parsi die niedrigsten Geschöpfe ihrer Gemeinde, tragen Handschuhe und berühren die deichen nnr mit Zangen. Man würde das Feuer verunreinigen, wenn man sie Verbreuute; das Wasser, wenn mall sie, wie die Hindn, den heiligen Fluteu übergäbe; die Luft, weun mau gestattete daß die Auödüustuug der uermoderudeu Korper sie verpestete; die Erde, weuu man sie in ihr begrübe. Dies erklärt den Vorgaug welchem ich, nicht ohne einige Bewegnng, beiwohnte. Der scheußliche Fraß vollzieht sich zwar hinter den Eonlissen, so wie die griechische Tragödie die Verübuug der Uuthat dem Auge des Zusehers entzog. Aber, durch das Prisma der Einbildungskraft, sieht man genug um sich mit Abscheu abzuwenden. Die Wirkung des halb Verhüllteu ist um so gewaltiger. Aber leuteu wir die Augen ab von dem Festgelage der Harpyien. Blicken wir um uus. Bombay liegt zu unsern Füßen; die Stadt, die Bucht, das Meer! Im Südosteu erräth mau den Hafeu au dem Walde vou Masten deren Spitzen allein sichtbar sind. Ueber dieselben hinaus, am Horizout, Felsen nnd Eilande vou phautastischeu Umrisseu, uackt oder mit Heidekraut bekleidet, alle von der Sonne vergoldet. Ganz m der Nähe, unter nns ein in Cocosbäumeu gehülltes Stadtviertel der Eiu-gcborcueu. Ueber die Baumwipsel hiuweg, durch die Spalten ihrer geöffneten Fächer, hinter durchsichtigen, von der Entfernung gewebten Schleiern, die stattlichen Gebäude der Esplanade und von Eolaba. Weiter gegeil Osten eine verworrene Häusermasse mit ewigen rageudeu Kirchthürmcu: dies ist die eigcutliche StM Bombay. Zur Rechten bespült das Arabische Meer den Fuß dcr Anhöhe alts welcher wir steheu. Es ist eiues der schönsten N'> Vicrtcr Thcil. Indicn. nnd, dank der Vielfältigkeit seiner Elemente, reichsten Panoramen der Welt. Man könnte es einzig in seiner Art nennen. Aber die Nähe der Thürme des Schweigens schmälert den Genuß. Ohne sich von den Ursachen Rechenschaft zn geben, fühlt man sich gewissermaßen beunruhigt. Es ist ein gemischtes Gefühl von Entzücken nnd Abscheu. Man frent sich nnd man bedanert mm dem Orte zn scheiden. Ich machte die Bekanntschaft eines jungen Mohammedaners der in Paris nnd London stndirt hat. Er war in frühester Jugend nach Europa gekommen nnd spricht sehr gnt englisch. Wir hatten ein langes Gespräch welches, allmählich, eine ernste Wendung nahm. Ich frng ihn: „Glanben Sie was der Koran Ihnen zn glanben vorschreibt?" - „Die europäische Civilisation enthält nichts was meinem Bekenntnisse entgegenstände." „Dies ist keine Antwort. Glauben Sie daß Mohammed der Prophet Gottes war?" — „Ja, warnm nicht? Was er lehrte war das Symbol der philosophischen Wahrheit." Dabei blieb er. „Was denken Sie von den Brahmiueu? Glauben sie an ihre nnzäh-ligen Götter?" — „Nein, sie sind zu aufgeklärt. Jene von ihuen welche englischen Schulunterricht genossen müssen einsehen daß die Götzenbilder nur die Symbole der philosophische«: Wahrheit sind." — Immer Symbole! Ich bat ihn mir zu sageu was er uuter diesem Worte verstehe. Er suchte vergebens nach einer Antwort. Verdruß, Verlegenheit nnd, ich glanbe mich nicht zn irren, Zweifel malten sich auf seinem Antlitz mit den feinen Zügen und dem sauften und geistreichen Ausdruck. Ich sage mit Bedacht: Zweifel an feinem Symbole. Natürlich, lenkte ich sofort das Gespräch ans einen andern Gegenstand. Man sagt mir, er gehöre zu deu begabtesteu uud geistig hervorragendsten Persönlichkeiten seiner Klasse. Aber eine allgemeine, nichtssagende Formel, ein leeres Wort, genügt ihm nm alles zu erklären. T^ Maim mit d^n Tyinbolcn. 17 Dies erinnert mich an ein kleines ^lbentener Welches mir in Paris am i.'. Deeember 1^'>1, am Tage des Staatsstreichs, begegnete. Ich wandelte die Bonlevards hiltaltf. In der Nähe der Porte St.-Denis anbelangt, gewahrte ich im Mittelpunkte eines kleinen Volkshaufens ein Individnnm welches, nnter lebhaftem Beifall der Znhörer, nnablässig dieselben Worte wiederholte: „Brüder, setzen wir nns nieder znm Banket der Natnr." Ich bahnte mir den Weg dnrch die Menge nnd frng ihn: „Bruder, U'as verstehen Sie nnter Banket der Natnr?" Er snchte nach einer Antwort, fand sie nicht, begann zu stammeln, gcrieth !n Verwirning nnd sagte am Ende: „Ein Banket ist ein Banket, cin Bantet wie deren in Amerika stattfinden." Seine Znhörer, welche ihn eben erst beklatscht hatten, wnrdcn mit einemmale mistrauisch, wiederholten meine Frage in immer droheuderm Tone, nnd würden ihm wahrscheinlich übel mitgespielt haben wenn nicht in diesem Augenblick ein plötzlicher Angriff der Trnppe die Versammlnng zersprengt nnd der Verlegenheit des bedrängten Volksrcdners ein Ende gemacht hätte. Für mich war es ein Lichtstrahl. Der Mensch, welcher das Nene sncht, gleichviel ob anf den Wegen der philosophischen Speenlation, oder anf einer Barritade mit dem Revolver in der Hand, klammert sich an die erste beste Formel, aber er wirft sie von sich mit derselben Leichtigkeit nnter dem Einflnsse des ersten Skeptikers dem er begegnet. Vielleicht war dies der Fall des Mannes mit den Symbolen. Gewiß, die Wissenschaft zerreißt die Nebel des Aberglaubens, sie stürzt die falschen Götter, aber sie bewerkstelligt dies nicht ohne im Herzen des Adepten eine gewisse Leere zurückzulassen. Wird diese nicht ausgefüllt durch uene Ueberzeugungen, so handelt er wie der Ertrinkende der sich an einen Strohhalm klammert. Er bemächtigt sich irgendeiner hohlen Formel, aber, beim ersten Zweifel der in ihm aufsteigt, wirft er sie von sich: der Strohhalm bricht in seiner Hand, und er verfallt dem Nichts, v. Hülim'v. II, 2 18 Vierter Theil. Indien, Goa. Vom I^. zum 17. Februar, — Der Güte Sir James Fcrgussou's, welcher seine ?)acht zu meiner Verfügung stellte, verdanke ich die genußreiche Reise nach Goa. Am 1^., l>ei Tagesanbruch, verließ die Mary^Frere den Hafen von Bombaii, glitt rasch der hügeligen >tüste entlang nnd ankerte, am nächsten Morgen um dieselbe Stunde, vor Pangim oder Goa-Nova, der Hauptstadt der portugiesischen Besitzungen in Indien. Ein reizendes Gemälde entrollte sich vor unsern Blicken. Dichte Coeoswälder bedecken die Ufer des Mondovi bis an seine Mündnug in die Vncht, höher hinauf zwei grünen Bändern gleichend welche seine Wasser umsäumen. Im Hintergrnnde, die lichtnmfwssenen Firnen der Ghat. Tie Thäler hüllte noch die Nacht in ihre Schleier. Pangim, eim' kleine hübsche Stadt, liegt hart am Flusse. In den Straßen alte indo portugiesische Hänser, prachtvolle Bäume, wenig Frauen aber viele Männer, alle von mehr oder weniger dnnkler Hantfarbe je nach dein größern oder kleinern Zusätze indischen Blntes in ihren Adern. Ten wenigen Weißen, durchweg Offiziere oder Beamte, spricht das Fieber ans den blassen ^ügen, den hohlen Wangen nnd matten Angen. Tas Volt ausgenommen, trägt alles enropäische Tracht. Jedermann ist mit einen, kolossalen Sonnenschirm bewaffnet. Die Leutc gehen lang-sam einher, ihre Beine mühselig nach sich schleppend. Man könnte sie für kranke halten die eben das Spital verließen. Es sind aber keine kranke sondern nnr Müßiggänger die nicht wissen wie sie ihre Zeit todten sollen, lind welche die Langeweile zn Hanse fliehen nm sie ans der Gasse wiederzufinden. Der Palast des Gonvernenrs, eine Grnvpe von Gemächern, auf portugiesisch cn^, Hänser, geuannt »veil ein jedes von ihnen sein eigenes Dach besitzt, fällt dnrch seine Unregelmäßigkeit nnd durch die Anzeichen eines langen nnd langsamen Wachsthums Goa Nova. 19 auf. Nahebei vier Jahrhunderte habeu an dein ehrwürdigen Vane gearbeitet. Ill niehrcrn Sälen sind die Wände mit den Porträts der Vicetönige bedeckt. Das älteste trägt die Jahreszahl 15><>5>. Das zweite, in chronologischer Reihenfolge, stellt AlbuPierqne vor. Die große Anzahl dieser Gemälde, deren cinige dnrch die Feuchtigkeit sehr gelitten haben während andere vollkoinmen gut erhalten sind, erklärt sich theils dnrch das mörderische Mima, theils dnrch die Ränke der lissaboner Höflinge welche diesen hohen Staatsdicnern höchstens zwei oder drei Jahre der Amtswaltnng gönnten. Die Sammlnng bietet ein großes historisches Interesse. Für das Studimn der Trachten kenne ich nichts Aehnliches. Außer diesem Patast und einigen Kirchen verdient nnr die alte Residenz des Erzbischofs erwähnt zu werden, weniger wegen ihres Banstils als wegen der Bedeutung ihrer Bewohner. Goa war nud ist, bis zu einem gewissen Grade, noch heute die Hauptstadt des katholischen Indien. Daher beansprucht die portugiesische Regierung noch immer für den Erzbischof von Goa den Titel eines Primas uon Indien, und für Seine allergetrencste Majestät das Patronatsrccht über sämmtliche katholische Kirchen der Gangeshalbinsel. Erinnerungen anrufend welche nur mehr einen geschichtlichen Werth besitzen, auf päpstliche Bullen gestützt die iu das Il'i. und Ni. Jahrhundert zurückreichen, sowie ans ein neueres die erhobeueu Ansprüche nicht rechtfertigendes Concordat, «erschließt sich der portugiesische Hof absichtlich der Erkenntniß seiner Lage. Er vergißt daß seine sämmtlichen Besitzungen in Indien, mit Ansnahme von Goa nud Din nnd einer andern winzigen Nicderlassnng, au die Krone Englands abgetreten wur-den. Er übersieht anch seine angenfällige Unfähigkeit für die Bedürfnisse so vieler außerhalb seines Gebiets liegender Kirchen und religiöser Anstalten zn sorgen, Kirchen nnd Anstalten welche den Geldmitteln der Propaganden in Rom nnd ^yon ihr Dasein verdaukell. Taub gegeu alle Gegenvorstellungen des Päpstlichen Staatssecretärs, beharrt das Eabinet von Lissabon bei ^o Viortcv Thoil. Indien. seinen Ansprüchen obglcich sic vom Heiligen Stuhle verworfen und selbst von der englischen Regierung, welche i'lbrigcns anf eine Prüfung des Niceritnm der Frage nicht einging, für unzulässig erklärt worden sind. Die Römische Curie gründet ihren Einspruch ans die absolnte Ullmöglichteit für Portugal, sowol in geistlicher als finanzieller BeZiehnng, die den beanspruchten Privilegien anhaftenden Lasten zn tragen. Anßerdem herrscht unr Eine Stimme über die sehr große Ueberlegenheit des von der röntischen Propaganda verwendeten Klerus im Vergleich mit dem goancsischen. Die englische Negiernng erhebt keine Einwen-dnng dagegen daß das Hanpt der katholischen Kirche, gleich den protestantischen Missionsgesellschaften, seine Organe ernenne nnd für die Bedürfnisse des Cultns nnd Klcrns feiner Religion Fiir-forge treffe, aber sie verweigert einem fremden Souverän die Ausübuug ähnlicher Rechte auf einem der englischen Krone gehörigen Gebiete. Ich werde hier nicht auf eine gefchichtliche Tarstellnng der endlosen Verhandlungen zwischen Rom nnd Lissabon eingehen. Im Jahre 1.^^ stand man dem Tchisma nahe; lx5>? wnrde endlich ein Coneordat abgeschlossen. Alleiu auch hierdurch gelang es nicht den Streit beiznlegcn nnd die Schäden zn Heileu all welchen die indische Kirche litt nnd leidet. Das Concordat lies; ill einem Theile der Präsidentschaft von Bombay das portugiesische Patronatsrecht, sowie die andern Privilegien des Crz-bischofs von Goa fortbestehen. Die Folge war eine Reihe von Streitfällen über die geistliche (Gerichtsbarkeit zwischen Priestern der Propaganda nnd Mitgliedern des goanesifchen Klerns, oft anch von portngiesischer Seite neue Ansprüche, nnd von feiten des romifcheu Klerns, ernencrte Klagen und Anfragen in Rom. Es ist ein eigenthümliches Schanspiel dieser bald im Verborgenen, bald offen geführte Kampf welcher, in Indien, alle christliche Gemeinden in Verwirrung stürzt nnd, in Cnropa, den religiösen Frieden zwischen einem katholischen Fürsten nud dem Hanpte der Kirche zn bedrohen scheint. In dem einen Hccreslagcr sehen Goa-Vclha. 21 wir das moderne Portugal welches, obgleich in seiner innern Verwaltung den Doctrinen und Anschauungen der Neuzeit huldigend, veraltete Bullen anruft um verblichenen Zuständen den Tchein des Lebens zn bewahren; dort den Heiligen Ttnhl, diese vor allen eonservatwe Macht, welche diesmal für die Reform eintritt, für die Reform der ihrer bedürftigen Kirche Indiens — Portugal kämpfend unter den Fahnen des Mittelalters, Rom, dank der Macht der Logik, einen Verbündeten findend iu dem Protestautischcn England! Der landschaftliche Reiz der Gegend zwischen Pangim uud Goa-Vclha spottet jeder Beschreibung. Die alte Hauptstadt liegt sechs bis sieben Meilen stromaufwärts. Auf halbem Wege trifft man ciuc Aldca, einen Marktflecken der ans elenden Hütteu und einer ebenso elenden Bevölkerung besteht. Die Mäuuer, deu Gürtel ausgenommen, sind nackt, die Franeu iu Lnmpeu gehüllt. Eiue Masse linder spielen in den Pfützeu. Welcher Gegeusah mit dem üppigen Reichthum der Natur! Iu dem höhern Theile des Dorfes stehen stattliche, alte steinerne Hänser, ein jedes mit seinem Wappenschild» über dem Thore. Ich glaubte mich nach Lamego, oder Visen oder irgeudeiuer auderu altehrwürdigen Por-tngiesischen Proviuzialstadt versetzt. Es sind dies die Wohnsitze der Fidalgos deren Vorältern mit den Conquistadoreu iu das Land gekommen sind. Unweit Pangim fnhrcn wir über einen langen Damm, eiuen soliden Steiuban der Iesniten. Die goancsischen Freidenker behaupten, die Patres hätten ihn in einer Nacht «üt Hülfe des bösen Feindes errichtet. Als wir uns Goa nähern gewahren wir die Facade von St.-Angnstin. Im Hintcrgrnnde ein Vorhang von Cocosbänmen 22 Vierter Theil. Indien. gebildet. Diese Nnineu erheben sich auf der Stalle wo einst die stolze Metropole von Portugiesisch-Indien stand. Wir erreichten den verlassenen, von Palmen beschatteten Strand nnd gelangten, einige Schritte weiter, zn einem verfallenen Portal mit einem grob gemeißelten Hantrelief welches die Züge Vaseo de Gama's verewigt. Durch dieses Thor schreiten noch hente die von Lissabon neu angekommenen Statthalter, wenn sie ihren Einzug in Goa halten. Sie könnten die Stadt ebensowol anf jedem andern be^ liebigen Wege betreten, denn die Ringmanern sind verschwunden, sonne anch die Hänser nnd der Palast des Gouverneurs verschwunden sind. Von letzterm steht nnr mehr das Portal welches, einst, in einen Iaintemvel führte. Nur die Kirchen haben die allgemeine Zerstörung überlebt. Tic Geistlichen, welche den Dienst versehen, sind sämmtlich Eingeborene. Diese, mit wenigen Ausnahmen, gnt erhaltenen Gebäude werden an gewissen Festtagen von Tausenden von Pilgern ans Pangnn nnd andern Gegenden der Eolonie besucht. St.-Francisens von Assisi, ein schöner massenhafter Bau, errichtet nnmittelbar nach (Hinnahme der Stadt dnrch den Konquistador Albnqnerqne, trägt den Stempel der goldenen Dmstepoche Italiens. Der Bom-Iesns gehört dem Ende des l«>. Jahrhunderts an. Dort rnht, in einem vom Großherzoge Ferdinand II. von Toseana errichteten Grabmal, der Apostel von Indien Franz .Lavier. Der aus massiven: Silber getriebene Sarg des Heiligen ist offenbar älter als das Monument nnd die Kirche. Alle diese Tempel haben eine gewisse Aehnl ichfeit, aber ich halte St.-Franciscns von Assisi für den vorzüglichsten. Dein portngie-sischen Geschmack gemäß sind sie weiß getüncht. Im Innern bedecken reich geschnitzte Holzaltäre, meist viel nener als der Van, die Nischen nnd die Abside wo deren eine besteht, aber der Banstil ist der italienische ans dem Ende des 16. Jahrhunderts. Das Aenßere hingegen erinnert an Portugal. Goa wurde am St.-Katharinentagc eingenommen. Daher sieht mall fast allenthalben das Aildniß der Heiligen welche den Fuß anf den Rücken des Goa-Velha. 23 am Voden liegenden letzten einheimischen Königs setzt. In einem weitläufigen Frauenkloster wohnt die einzige, alle ihre Ordensschwestern überlebende, Nonne. Tic zählt 95> Jahre. Nach ihrem Tode wird das Gebände, der modern portugiesischen Gesetzgebung gemäß, „taisieirt" werden. Der Dechant des Kapitels der Se (Kathedrale), diente nils als Führer. Er ist ciu Laudeskind, und doch trägt sein sanftes, echt geistliches Antlitz die Spnren des uugesuuden Klimas. Der uns begleitende Adjutant des Gouverneurs behauptete daß drei odrr vier Tage in Goa-Velha dem Europäer das Fieber wenn nicht den Tod bringen. Der Dechant führte uns in seine Wohnnug, einige große Gemächer im Palast des Kapitels, des einzigen, wenn ich nicht irre, welcher nicht verfallen nnd mit Büschen bewachsen ist. Von den Fenstern übersieht man den Hanptplatz. Ein eigenthümlicher Anblick! Wald und Gestrüpp driugeu von allen Seiten ein. Undurchdringliches Dickicht bedeckt die Rninen der Häuser. Gras und Gcstränche vertreten das Pflaster. Mall sieht nur Kirchen. Nebenan, an der Me steht eine, eine andere zu nnserer Linken, halb verborgen hinter einer Grnppe von Fächerpalmen. Sie wnrde an der Stelle erballt, all welcher Albuquerque in die Etadt drang. Weiter rechts St.-Franciscns von Assist nnd, daneben, die Se. Weiterhin zeigt sich, hinter einer prachtvollen Grnppe von Palmen, die St.-Peter in Rom nachgebildete Kirche des heiligen Gaetanus. Tiefe Stille herrscht über Goa. Glockengelante ladet zwar, morgens nnd abends, die Gläubigeu zum Gebet. Aber diese Töue verhallen uugehört. Kein Sterblicher folgt dem Nufe. Das Leben ist erlöscht. Nichts blieb als einige Priester, eine Nonne, viele Panther nnd zahllose Schlangen. Es ist ein heroisches Denkmal der entschwnndenen Größe Portugals. Worte sind mwermögend es zu schildern. Am Eingänge die durch die Zeit halb verlöschten Züge des ersten seiner Eroberer. Die Kirchen noch anfrecht stehend; in ihnen betende 24 Vierter Theil. Indien. Priester. Das ^trenz, N'elches das Schwert überlebt hat. Allenthalben Wildniß und hundertjährige ^änlne, die Blnmen er-fetzend welche man anf (Gräbern pflanzt. Camöes allein vermöchte die Traner dieser iDrte zn besingen. Achmedabad, 17., 1,^., 19. Febrnar. — Es fiel mir schwer mich dem freundlichen Parell nnd dem verfiihrerischen Capna Indiens zu entreißen. Am N!. abends, Abreise von Bombay. Während der Nacht wird die Nerbndda passirt. Die anflehende Sonne sindet nus, nnweit Baroda der Residenz des Gaikwar, in einer partähnlichen Gegend. Nm 1<> Uhr morgens Ankunft iu Achlnedabad. Der Commandant des 2Z. Regiments, eingeborene Infanterie, Major Ebden hat die Güte mich am Vahnhofe ,^n enipfangen nnd nach dem, zwei Meilen gegen Nord-west, entlegenen Lager zn geleiten.^ Achmedabad trägt seine Geschichte auf der Stirne geschrieben. Von einem Mohammedaner gegründet, später von einem Viee-konige der mongolischen Kaiser regiert, ist es eine wesentlich * Der District Achmcdabad, MMch, durch dcu i.'chnsswat Varoda, von der Provinz Bombay qctrrimt, qlchürt zur Präsidentschaft dieses Na-mcus. Tie Stadt Achuicdabad (1 !«<><><> Eiuwohucr) ecienwart nnd der Znlnnft, 2l Iina, d> h. ncrechtc lind oolltommene Menschen. Tie in ihren Tempeln befind-lichen, vicrnndzwanzigmal wiederholten, zuweilen kolossalen Statnen stellen diese Anserwlihlten dnr. In gewisser Beziehung ist der Iainismns nichts anderes als der mit einer Mythologie, nicht von Göttern sondern von Hei l'sson, bereicherte Vnddhismns. Vgl. Hnntcr's „Indian ^mpir«", und zahl' lose Essays. 26 Vicrtcr Thril. Indien. gerathen in eine Procession „der ersten Schwangerschaft". Die junge Frau, dic Hauptperson des Festes, in ein karminrothes Seidenkleid gehüllt nnd mit Schmnck behängen, sitzt unter einem Baldachin der auf einem von Ochsen gezogenen Karren ruht. Eine Alizahl Frauen umgeben ihn. Die meisten tragen Amphoren anf dem Kopfe. Die nm Hals nnd Lenden gewnndenen Schärpen bilden einen prächtigen Faltenwurf. Flötenspieler folgeu. Der Lärm, die Menge, die glänzenden Trachten, die herrlichen Moscheen nnd geschnitzten Fladen der Hänser, die mit Frauen und Kindern besetzten Dächer und Balköne, vereinigen sich zu einem wundervollen Bilde in welchem zwei geschiedene Civilisationen, die manrische nnd die hindnische, ihren Ansdrnck fiudeu. Zwischen Achmedabad nnd dem Lager gleicht die Gegend einer ungehenern Nekrovole. Nach allen Nichtnngen nichts als mohammedanische (Gräber. Obgleich sandig, ist der Boden doch fruchtbar und wohl bebaut. Stein fehlt fast vollkommen. Wenige Palmen, aber kleine (^rnppeu niederer, stämmiger indischer Feigenl'änme, Tamarinden und Pipol breiten ihre Aeste ans als wollten sie die Vorüberziehenden nnter ihre Schatten einladen. Eine schöne maeaoamisirte, von Banmreihen eingefaßte Straße führt nach dem Lager. Als wir sie heute Nacht bcfnhren, grüßten uns Tausende von grünen Papagaieu, die in den Zweigen nisten, mit ihrem ohrenzerreißenden (Geschrei. Gutes und heiteres Diuer an der Offizierstafel. Die eingeborenen Kameraden haben eine „Messe" für sich, weil sie ihre Kaste verlören wenn sie mit den Weißen speisten. Ich bewnn-dere die Bande des 23. Negiments. Der Kapellmeister ist ein Rheinländer nnd hat sein Orchester selbst geschaffen. Theils Hindu theils Halbblut, aber alle Landesfinder, lernen sie die Mnsik nach Art der Papagaien, nnd diese Methode, die einzig Architektur und Tculfttm. 27 mögliche, gibt vortreffliche Nesnltate. Die jungen Leute besitzen das Talent der Nachahmung im höchsten Grade aber nicht die geringste Erfindnngsgabe. Ich bin vor Anbrnch des Tages aufgestanden und wandere vor dem Bungalow welches mir Lieutenant Seollen abzutreten die Güte hatte, der Morgenkühle genießend, anf nnd nieder. Beim ersten fahlen Lichte der beginnenden Dämmernng, erhebt sich in den großen noch in leichte Nebel gehüllten Bäumen des Canwnnemcnts ein höllischer Lärm: der ohrenzerreißende Schrei der Papagaien, das (Gekrächze der Naben nnd andere mir gänzlich unbekannte Mistöne verschmelzen sich zu einem scheußlichen Concert. Der Sonnenaufgang macht dem Hexensabbat ein Ende. Ein wahrer Glücksfall ist die Begegnung mit Dr. Bnrgeß, einem in der gelehrten Welt rühmlich bekannten Archäologen, welcher jetzt mit Heransgabe einer Beschreibung der Denkmale von Achmedabad beschäftigt ist. Wir besuchen ihn in seinem Lager, ^i-ckenIaA^l «urvo)' l'ami>, welches er im (karten des Collectors aufgeschlagen hat. Es ist kanm Tag nnd die Stadt verödet. Zwar hat jedermann bereits das Lager verlassen, aber man ist bei oder in den „Teichen", die Weiber nm Wasser zn schöpfen, die Männer, Hindu nud Mohammedaner, nm zn baden. Geleitet von Dr. Bnrgeß, welcher mir manches architektonische Räthsel löste, verbrachte ich deu ganzen langen und doch so kurzen Tag iu den heiligen Orten dieser wundervollen Stadt. Die wesentliche Bedeutung der Denkmale besteht wol darin daß sie die Geschichte Achmedabads versiunlicheu. Die nenen Gebieter brachten mit sich ihre mohammedanischen Gewohnheiten, 28 Vierter Theil. Indien. Anschauungen nnd Traditionen: aber die Kiinstler, deren sie sich zu ihvcu Bauten bedienten, gehörten dem eroberten Lande au. Sie warm Hindu. Daher kommt es dasi, währcud die Hauptanlage der Moschee arabisch ist, die Ausführung, das Hindllische Gepräge trägt. Diese Erscheinung findet mau in ganz Indien, wo immer das mohammedanische Element das llebergewicht gewann, aber nirgends tritt sie so sichtbar hervor wie in Achmedabad. Allmählich, aber nur bis zu einem gewissen Grade, eigneten sich die Architekten des Landes den manrischen Geschmack an. Dies liegt in der Natnr der Dinge, und die Gebäude liefern den Beweis. Die kurz nach 1413 entstandenen, sind, ihrem Wesen nach, Hindnbauten, die spätern, fast aber nicht vollständig, mohammedanische. Es würde zn weit führen meine an Ort nnd Stelle gemachten Aeobachtuugeu nnd Schlnßfolgernngen hier ausführlich wiederzugeben. Nur einige wenige Worte über die Architektur. Die ältesten Monnmentc, jene welche in das zweite Jahrzehnt des 15i. Jahrhunderts zurückreichen, wie die berühmte nn-ter dem Namen Iami-Mejid bekannte Moschee Achmed Schach's nnd die der Nani Sipri^' stehen, meiner Ansicht nach, hoch über den reichern, dnrch ihren Umfang imposantern, aber sowol was Hauptcntwurf als Verzierung anbelangt, weniger einfachen und vornehmen Vanten ans dem zweiten goldenen Zeitalter der Stadt, nämlich ans dem 17. Jahrhundert. Im allgemeinen, scheinen mir die Moscheen von Achmedabad über ihren wahren Werth geschätzt zu werden, insofern nämlich als man sie betrachtet von dein Gesichtspunkte der classischen Knnst nnd der allgemeinen gültigen Gesetze welche die großen Meister der Architektur aller Zeiten als maßgebend anerkannt haben. Gewiß, der Gcsammteindruck ist übcrwältigeud. Wir ver- Iami-Mcjid wnrdc uollcndct 1424, dic Moschee dcr Sultamn 1431. Architektur und Sculptur. 29 lassen die menschenerfüllte Gasse und betreten, durch cm vou außen kaum sichtbares Portal schreitend, den Hof der Moschee. Schwelgen und Einsamkeit umfangen uns alsbald. Unter dein Peristyl, der längs den Ringmauern hinlänft, erquickt uns kost' licher Schatten. Mit Wonne haftet der Blick au deu marmornen Spitzeuschleiern welche die Fenster verhüllen, an den wie Geschmeide gemeißelten Verzierungen der Nischen und Pilaster, an den vou hundertjährigen Vänmeu überwölbten Grabmälern. Gern geben wir uns dein Reize hin der uus entzückt, besticht, entwaffnet. Aber eine kühle Kritik stimmt diese Begeisterung herab. Für meinen Theil möchte ich die Kunst der Oruamentirnng höher schätzen als die Architektur. Man betrachte nur diese aus Marmor gewobenen Spitzenschleier der Fenster, an welchen sie die Jalousien oder Gitter vertreten. Man weiß in der That nicht was bewunderungswürdiger ist, die Erfindnngsgabe des Zeichners oder die Fertigkeit des Künstlers welcher Stein wie Holz zn bewältigen weiß. Das reichste uud zugleich das modernste Monument ist der berühmte Iaintempel welchen Hathi Sing, einer der reichsten Kaufleute der Stadt, mit einem Aufwaude von einer Milliou Rupien, restaurirt oder eigentlich vou deu Grundfesten neu erbant hat (1848). Mr. Fergnssun spricht sich, in seiner „Geschichte der Architektur", äußerst lobend ans. Ich finde den Bau reich und groß aber nicht großartig. Die Verhältnisse sind kleinlich, die Gewölbe niedrig, die Seulptureu roh. Armuth au (Hrfiudnug, Abwesenheit des Sinnes für Verhältnisse, zwei Mängel welche den Reichthum der Iuerustatioueu und der kostbaren Steine nicht verdecken können, kennzeichnen dies Wunderwerk des modernen Achmedabad. Wenn irgendetwas geeignet ist den Verfall der Künste in Indien darzuthuu, so ist es dieser Tempel; besonders wenn man bedenkt daß er in einer dnrch ihre Monnnientc berühmten Stadt entstand, wo großartige Vorbilder im Uebcrfluß vorhanden sind, wo eine mit Recht berühmte Schule vou Architekten und Bildhancrn gewirkt hat nnd wo der Knnstgeschmack 30 Picric Thnl. Indien. nnd die Uebnng dor Knilst, allerdings allmählich abnehmend, sich jahrhundertelang, von Geschlecht zu Geschlecht vererbt haben. Dor Holzschnitzer hat, in höhernl tirade als der Bildhaner, die alten gnten Traditionen bewahrt. Wir besuchten die vorzüglichsten Ateliers. Diese Künstler eopiren die geschmückten Fenster der Moscheen nnd Gräber mit großer Genauigkeit, klatschen ihre Zeichnnng anf dem Brete ab und bearbeiten es sodann mit einem einzigen Instrument. Die Ausführltng läßt nichts zu wünschen übrig. Aber man eopirt nur, man erfindet nicht mehr. Ein amerikanischer Sfteenlant machte hier große Bestellungen für Nenyork. Reiche Yankees schmiicken ihre Speisesäle mit Büffeten deren Ornamente den Grablnälern der Snltane von Guzerat entlehnt sind! In einiger Entfernnng von der Stadt befindet sich Schach-i-Vagh, der „Garten des Königs", ein fleiner zierlicher, l<>^2 für die damaligen Viretönige erbauter Palast. Jetzt bewohnt ihn der englische Nichter mit seiner Familie. Dies Hans, wie so viele andere welche ich hier sah, zeichnet sich durch eine Sonderbarkeit ans welche der Erwähnung werth scheint. Ve^ kauntlich übt das Material einen sehr großen, ja bestimmenden Einfluß auf die Entwickelung des Baustils. Man ballt anders mit Stein, anders mit Ziegeln, anders mit Holz. Hier haben viele steinere Gebäude die Holzeonstruction beibehalten. Vielleicht — so erkläre ich mir die Sache — verschmähten reiche keilte das Holz, gerade weil es keinen Stein im l^ande gibt. Sie ließen also steinere Häuser bauen. Die Architekten, welche Hindn waren, gehorchten, aber ohne den traditionellen Stil, den der Holzconstrnction nämlich, zn verlasseil. Die Wirknng ist bizarr. Es ist als ob man alls der Gasse einem alten Bekannten in Verkleidnng begegnete. Man erteuut ihn sogleich, nnd fragt sich: wozu die Vermummnug? Ich glaube die Autwort gegebeil zn haben. Eine vornehme Hochzeit. 31 Die Affen spielen in Achmedabad eine große Rolle. Ich sah deren allenthalben: in den Vänmen der Moscheen, anßerhalb der Stadt, längs dem Flnsse lou diese nnbeqnemen Wesen sich tränken, in den belebtesten Straßen der Stadt. Da sitzen sie anf den Dächern und betrachten die Vorübergehenden mit einem hohnischen Ansdrnck. In der verflossenen Nacht weckte mich ein höllischer Lärm. Lheeco stürzte in mein Schlafzimmer, ein Bild des Entsetzens, mit seiner sonoren römischen Stimme „^«.i^iui!" schreiend. Nänber, mitten im ^ager, schien mir änßerst unwahrscheinlich. Es waren anch keine Nänbcr, sondern nnr Affen welche, zur Kurzweil, das Dach des Bungalow abzudecken ver-snchten. Es ist dies eine ihrer Gewohnheiten. (5s ist nicht Gewohnheit der Einwohner diese genieinschädlichen Thiere ans-znrotten. Alles lvas seine religiösen Ueberzeugungen dem Hindn gestatten, ist sie mit Stockstrelchen zn verscheuchen. Wir befinden nns in der Jahreszeit der Hochzeiten. Nach dem Trommelschlag nnd Flötengepfeife zn urtheilen welches wir jeden Abend beim Nachhansefahreu vernehmen, sollte man meinen die ganze Stadt vermähle sich. Unter vielen andern, ver-heirathet anch einer der ersten Notabeln seine Tochter. Es ist Rao Bahadur Premathai Hamathai, das hervorragendste Mitglied der Iainitengemeinoe. Heute und morgen wird während der ganzen Nacht sein prachtvolles Haus für die glückwünschenden Freunde offen stehen. Wir finden den Hof nnd die Facade glänzend erlenchtet. Da der Vater der Brant nnwohl ist, werden wir von den Söhnen empfangen. Sie führen uns in einen langen, engen, dnrch Ampeln sanft erleuchteten Saal. Die Versammlnng ist zahlreich, besteht aber nnr aus Männern. Die Gäste treten ein, neigen das Hanpt, lassen sich längs der Wände, anf einer doppelten Reihe vou Stühlen nieder, sprechen untereinander mit leiser Stimme, 3l> Vicrtcr Th^il. Indien. lauschen der Mnsik, beuuindern den Tanz dor Bajaderen. ?tach einiger Zeit ziehen sic sich znriick nachdem sic die Herren vonl Hause abermals begrüßt inch diese sir nut Blumenkränzen behängen haben. Äieue Ankömmlinge nehmen ihren Platz ein. In dieser Weife erneuert sich die Gesellschaft unablässig. Die lieideu Brüder, schöne große, schmächtige vornehm aussehende jnnge Lente mit regelmäßigen Gesichtszügen und hellbrauner Hautfarbe, empfaugeu die Gäste nnt Anmuth und Würde. Die Brant, ein sehr schönes Kind, zählt kanm Zwölf Jahre. Eine ponceaufarbige Seideuschärpe schlingt sich um Haupt und Schnltern. Ein Unterwct v»u derselbeu Farbe umfaßt die Hüften. Geschmeide, von sehr hohem Werth, schmückt Arme und Knöchel. Ninge an den Fingern, den Zehen uud in den Nasenflügeln venwllständigen den Pnh. Die gravitätische Sicherheit uud Nnhe mit welcher die kleine anftritt ist von unaussprechlich komischer Wirtnng. Uebrigens beschäftigt sich niemand mit ihr; aber das beirrt sie nicht. 2ie weis; sehr wühl daß die Gesellschaft ihretwegen gekommen ist. Diese Art von Eheu werden immer erst einige Jahre später vollzogen. Hat die junge Frau, welche bei ihrer Vermählung vielleicht nnr fünf oder sechs Jahre alt war, mittlerweile ihren Gemahl durch den Tod verloren, so wird sie als Witwe betrachtet: sie wird znr Aschenbrödel iu der Familie des Verstorbenen, man schneidet ihr die Haare ab nnd behandelt sie wie eine Sklavin. Sehr hänfig, finden diese armen Geschöpfe ihre Lage unerträglich, entfliehe,! uud verwechfelu die elende Gefangenfchaft mit der elenderu Freiheit der Bajadere! Die „frühen Ehen" sind eine der Pestbenlen der indischen Gesellschaft. Hoffen wir daß die kleine Braut hier glücklicher sein wird! Sie steht uebeu meiuem Stichle, hält meine Hände in den ihrigen, und betrachtet mich aufmerksam mit ihren schönen, großen, rnnden, schwarzen Augeu welche uoch uichts sageu als die Freude an dem Physischen Dasein. Hätte ich sie ermnthigt, was ich nicht that ans Rücksicht für den Bräutigam welchem Eine vornehme .Hochzeit. 33 die Etikette verbietet seiner eigenen Hochzeit beiznwohnen, ich glanbe der kleine Schelm hätte sich mir anf den Schos gesetzt. In dem langen aber schmalen Ranme zwischen der doppelten Reihe von Siyen tanzten nnd sangen drei Bajaderen. Hinter ihnen, so nahe daß sie ihnen beinahe alls die Fersen traten, standen nnd gingen die Flötenspieler nnd Eymbclschläger. Die Nautschie oder Bajaderen, weder hiibsch noch häßlich, aber sehr graziös, trngen den Anzug ihrer Klasse: ein Gold- nnd Scidengespinst verhallte den Bnsen, dazn ei» weiter Pantalon und Vortnch von demselben Stoffe. Arme nnd Hüften sind uu-bedeckt, die Haare glatt nnd am Scheitel getheilt. Schmnck an den Händen, Füßen, am Halse nnd an der Nase. Diese Elßler und Taglioni — in diesen: Hause ist alles von erster Kategorie — tanzen eigentlich nicht; sie gehen, schreiten vorwärts und zurück, oder, besser, sie tanzen nicht mit den Beinen sundern mit den Händen, den Armen, den Schnltern, mit dem ganzen Oberleibe, vorzüglich mit den Angen, immer mit äußerstem Anstandc. Die jüngste, die kanm zwölf Jahre alt sein mochte, wandte das Ange von mir nicht ab. Streng nnd zugleich herausfordernd, warf sie mir bald zärtliche, bald vorwurfsvolle, bald flehende, bald drohende Blicke zn. Aber sie lächelte niemals. Man lächelt nicht in Indien. Kein Sonnenstrahl er-lenchtet diese dnnklen Gesichter. Anf dein Antlitze dieses Kindes malte sich bereits eine frühzeitige Wehmnth, eine zn vollständige Kenntniß des Lebens mit seinen Enttänfchnngen und Leiden. Der Gesang, wenn man die nnablässige Wiederholung derselben Note Gesang nennen kann, erleichtert es den Sinn der Schritte zn errathen. Aoer anch ohne diesen Kommentar würde man die Liebcsqnalen, die Entzweinng, die Versöhnung und den nenen Zwist verstehen können. Es ist das alte Einerlei. Man frägt sich nnr wie es diesen Mädchen gelingt die ganze Stimmleiter der Liebesgefühle in nnendlicher Abwechselung zn durchlaufen um auszudrücken was, immer und ewig, dasselbe bleibt. u, Hi,b,n'7. II. 3 IV. Najputana. Vom 1l». znm 2!». ssrliruar I88i. Historische Notizen. — Nach Momtt Abu. — Mount Abu. — Das Klima. — Die Tempel. — Die Tiger. — Sunset- mid Scandal-Point. — Durch die Wüste. — Der Palast des britischen Residenten in Iodhftur. — Das Fort. — Vcsnch beim Maharaja. — Das diplomatische Corps des Vice-königs. — Der Teich. — Abermals Affen. ^ Die Gräber von Mandore. — Kailana. — Reise nach Icypur. — Die Stadt Ieypur. ^ Der Palast des Maharaja. — Reformen der letzten Regierung. — Amber. — Socialpolitische Verhältnisse in Rajputana. Rajastan, das „Land dor Hänftttimie" oder, nach offieiellem englischem Sprachgebranche, Najpntana, gehört, in soeialer, Po litischer, physischer Bozichung, zn dcn mtcrcssautcstcn Ländern Illdiens.^ In socialer Nezichnng: jcdcr der 19 Staaten, ans welchen Rajpntana besteht, bildet eine große Familie, einen Clan. Die Bande des Blutes verknüpfen den Fürsten und seine Unterthanen, * Bei Abfassilini der folgenden tnrzen Notizeil dienten mir al6 Quellen ein Anfsatz des Sir Alfred Lyall, dermalen Gouucrneur der NordwesUichen Provinzen, in seinem Buche „H,8iaUc «tuäie«" (1l^84)i mündliche Mittheilungen dieses hohen Staatsbeamten während meines Aufenthaltes in Allahabad, und des Majors Luch, assistirenden Agenten in mchrern Rajpntstaaten. Vgl. auch das werthoolle Bnch „Ii^i«wn" von James Tod (1829) nnd den Physiognomic dcs Landes. 35 oder vielmehr den Familienvater und seine Kinder, den ältern und die jüngcrn Brüder, deun er ist in Beziehung auf den Adel, nur i>rm<^>« üiter iini6«. Mit Rücksicht auf Politik: weil uuerachtet der mohammedanischen Eindringlinge, welche sie besiegen, zurückdrängen, ihrer eigenen Eroberungen berauben aber auf dem ihncu gebliebenen Gebiet niemals dauernd unterwerfen konnten, die Rajputen ihre uralte Verfassung bis auf den hcutigeu Tag bewahrt habeu. Endlich, in physischer Beziehung. Rajputana erstreckt sich von West nach Ost, von den Grenzen von Sind bis an die Thore von Agra; von Nord nach Süd nnd Ost, von den Ufern des Sutledge bis zu den Maharattastaaten des Gaitwar, des Holkar und dcs Sindia. Das Gesammtgebiet zerfällt, wie bereits gesagt, in 1!» Staaten, nnter welchen Ndipnr oder Mevar, Iodhvnr oder Marvar und Ieypur die bedeutendsten sind.* Die Aravali, eine vou Thälern hier und da durchbrochene Gebirgskette, theilt, von Nord nach Südwest laufend, das Land in zwei ungleiche Hälften. Die größere, nämlich die westliche, ist eine Wüste, in parallelen Linien dnrchfnrcht von niedern, langgestreckten immer vereinzelten Sandstcinhügeln. Die fortwährend vom Wind gepeitschten und znm Theil zerbröckelten Fclskämme der letztern machen den Eindruck von Meereswellen und verleihen der Ebene das Ansehen der stnrmbewegten See. Sand und Heidekraut bedecken sie. Iu deu Oasen entspricht die Eultur der vorhaudenen Wassermeuge. Uud dennoch welcher Pinsel vermöchte die ernste, edle Schönheit dieser Wildniß wiederzugeben! Die östlich von den Aravalibergen gelegenen Districtc sind von der Natur minder stiefmütterlich bedacht. Dort wechseln bewaldete Anhöhen und Thäler mit den üppigen Triften und fruchtbaren Ackergründcn der Hochebene. Man kann sich von * Marvar (Iodhpny.- Aliödrhiiunfi A7000 (englische) Quadrcttmcilrn. Vcoöltenmg 2M00>«>. Mcvcn- (Udipnr): 12(!?<> Qnadralmeilen. Icypnr: 14882 Quadratmcilcn mit l"»5U00 Einwohnern. 36 Vierter Theil. Indien. dem Lande, selbst von seiner äußerlichen Gestalt, keine Vor-stellnng machen ohne sich seine Geschichte nnd Verfassnng gegenwärtig M halten. Man hat letztere, ich meine irrthümlich, mit dem alten Lehnswesen der germanischen Länder verglichen; denn, in Wirklichkeit ist diese Aehnlichkeit nur eine scheinbare. Znm Beispiel: bei nns waren die Obliegenheiten, Rechte, Privilegien und Ehren an die Scholle gebunden, d. h. au den Besitz eines Stück Landes welches dem Eigenthümer seinen Namen gab. Hier bezieht sich alles ans die Blutsverwandtschaft. Der Staat ist nicht nothwendig an den Grund nnd Boden gekettet. Er kann, zugleich mit dem Clan, den Platz wechseln. Dies ist in die Sitten übergegangen nnd besteht in gewisser Beziehung nuch hente fort. So sieht man nicht selten ganze Dorfschaften ihre Penaten weiter tragen, wenn der Sand der Wüste ihre Teiche verschüttet nnd der Negen, welcher sie wieder füllen sollte, gefehlt hat. Im feudalen Europa nimmt der Adelige den Namen des von ihm erworbenen Bodens. Hier gibt der Adelige dem Grunde den er befitzt seinen Namen. Der Staat nimmt den Namen der Hauptstadt nnd diese den Namen des Häuptlings der sie gegründet hat. Aber einen Zug hatte nnd hat der Rajpute doch gemein mit unsern fahrenden Rittern: die Lust an Abenteuern. Wenn in frühern Zeiten ein Raja viele Kinder und wenig Land besaß, gab er einem seiller Söhne ein Pferd, Waffen und einige Begleiter. Der Jüngling verließ das väterliche Haus und zog auf Abenteuer aus. Hierdurch erklärt sich die Verbreitung dieses Stammes über einen so großen Theil der Halbinsel. Hält mau sich die Verfassuug der Rajputeu gegenwärtig, sowie die Unfruchtbarkeit ihres Bodens, ihre kriegerischen Anlagen und den Geschmack an Abenteuern, so begreift man warnm sie, ihrem Wesen nach, Nomaden und fahrende Ritter sind. Im Anfange des Iahrhnnderts, zn einer Zeit wo Rajastan dnrch die militärisch organisirten Ränberbauden der Pindarn nnd dnrch die verbündeten Maharatten von zwei Seiten bedroht war, stritteil zwei der mächtigsten Fürsten des Landes, die Herr- Geschichtliche Notizen. 37 scher uon Iodhpur llud Ieypur UNI die Hand der Fürstin von Udipur. Es war in ihren Augen nicht mir ein Liebcshandel, sondern anch eine Ehrensache, nnd sie bekriegten sich in Gegenwart des gemeinsamen Feindes. Ihr Untergang schien besiegelt, als sie, im letzten Angcnblicte, ein wie sie meinten ehrenvolles Uebcreinkommcn trafen. Die Ursache des Streites, welche zngleich der Gegenstand ihrer romantischen Liebe war wurde beseitigt, d. h. sie starb an Gift. Ich erwähne dies tragische nnd zngleich bizarre Ereignis;, welches geschichtlich erwiesen ist, weil es über die eigenthümliche geistige Beschaffenheit dieses Stammes nnd seine Begriffe von Ehre Licht verbreitet. Während jener kritischen Epoche verlangten die Häuptlinge zweiten Ranges voll England Schntz nnd Bürgschaft ihres Besitzes. Nach der später erfolgten Auflösung des Maharatteureiches nnd der Vernichtung der Pindarri wnrde, durch die Verträge vou 1«l>, deu innern Zwistigkeiten der Rajpntcn nnd, zngleich, den Einfällen uon anßen ein Ziel geseht. Die Fürsten opferten ihre Unabhängigkeit und erreichten hierfür die Vortheile des „britischen Friedens". Die Generalgonvernenre von Indien machten seit jener Zeit, d.h. seit Lord Hastings, von ihren nenen Vollmachten einen äußerst mäßigen Gebrauch. Sie enthielten sich sorgfältigst jeden Eingriffes in die bestehenden Verfassnngen welche, ohne die englische Dazwischenknnft, zngleich mit den Staaten selbst, im allgemeinen Brande verschwunden wären. Daher gcschah es daß der Elan, welcher die Gruudlage dieser Verfassungen bildet, nnd mit ihm die aus ihm hervorgehende Wehrpflicht bis anf den hentigen Tag unverändert erhalten wnrdeu. Die Streitmacht eines jeden Fürsten besteht, außer seinen eigenen Mannen, ans den von seinen Adeligen, im Kriegsfalle, zu stellenden Contiugenten. Die Adeligen sitzen anf ihren Bnrgen, umgeben von ihren Bewaffneten welche beim ersteil Anfrnfe sich den Kriegern des Fürsten anzuschließen haben. Es ist eine permanente Kriegsbereitschaft. Dies System fand, in frühern Zeiten 38 Vierter Theil. Indien. seine Rechtfertigung in dm hänfigen Einfällen mohammedanischer Eroberer und, in der nenen Zeit, in den Angriffen der Pin-darri nnd der Maharatten. Hente ift der Friede gesichert, und dennoch besteht die militärische Organisation in derselben Weise wie vormals. Traditionen, Gewohnheiten, der Charakter der Nation und materielle Interessen hielten bisjetzt jede Abänderung fern. Man kann die Wehrverfassnng nicht umgestalten ohne die Clane Zu zerstören, und man kann die Elane nicht zerstören ohne sie in eine Masse von Atomen umzuwandeln, regiert von einem Herrscher, dessen despotische Gewalt die unablässige Aufsicht der obersteu Schutzmacht erheischeu würde. Hierdurch würden die Rajpntenstaaten den übrigen Lehnstaateu gleichgestellt. „Aber", sagt einer der hervorragendsten anglo-indischen Staatsmänner* „unsere antokratischen Schützlinge, welche über indische Staaten herrscheu, habeu bisher keine hiurelcheuden Erfolge aufzuweiseu, sodaß die englische Nation stolz darauf sein könute sie auf die politische Schaubühne gestellt zu haben." Neberdies würde eine allgemeine Entwaffnung die große Masse der vom Waffenhandwerke lebenden Männer brotlos machen. Die Folge wäre eine Verstärkung der zwar Europäer schonenden aber in der Wüste noch zuweileu vorkommenden Räuberbanden. Die Rajpnten von reinem Blut bilden nicht die Mehrzahl der Vcvölkernug. Es gibt Vrahmiueu, Charan, und die handeltreibenden Kastell welche, der Mehrzahl nach, Iainiten sind nnd sich rajputischer Abstammuug rühmen; endlich die Banern, eine Mischrassc von Rajuuten nnd Bhil. Letztere nnd andere eingeborene Völkerschaften wohnen, unbelästigt nnd nur die Antorität ihrer kleinen Häuptlinge anerkennend, in den einsamen Schluchten des Aravaligebirges. Der Fürst des Staates begnügt sich mit eiueiu, von ihnen meist unregelmäßig entrichteten, Tribut. Die große Mehrzahl der Einwohner bekennen sich zn den * Sir Alfred Lyall, „^siktio Ztuäie»". Nach Mount Abu. 39 brahminischcn Lehren, aber mit einem bedeutenden Beisatze des jainitischen Elements. Die Fürsten nnd Häuptlinge gelten für abergläubischer als fromm. Diesen Morgen Abreise von Achmcdabad. Während einiger Stnnden führt uns der Weg dnrch eine sehr gut bebaute Ebene. Gegen Abend wird hohes Fclsgebirge sichtbar. Noch einige Stunden, und der Zug ist an seinem Fuße angelangt. Es ist Munnt Abn, die südlichste Grnppe der Aravali. Von Abu-Road-Station, wu ich die Nacht iu meinem Waggon zubringe, bis Achmedabad zählt man l l ii Meilen. Ich finde dort Pferde, Iampane und Knli welche der assistirende Agent ill Mount Abu Kapitän Frazer zu schicken die Güte hatte. Die Stationen dieser, ganz kürzlich, eröffneten Bahn sind im landesüblichen Stile erbant. Jedes Gemach ist dnrch eine steinerne oder von Backsteinen gemauerte nnd weißgetüuchte Kuppel bedeckt. Bei allen ihren Bauten verwenden die anglo-indischen Ingenieure nnr Stein, Ziegel nnd Eisen weil die rothen Ameisen das Holz in kürzester Zeit zerstören. Die ersten Morgenstunden des nächsten Tages verstrichen ehe es gelang die zerstreuten Glieder meiner Karavane zu sammeln. Die Sonne brannte bereits unbarmherzig als ich endlich zu Pferde steigen konnte. Der kleine Fluß wurde durchwatet, d. h. wir wateten im Sande, welcher das Wasser ersetzte, und durchschritten dann einen schmalen Streifen ebenen Landes. Zwei Meilen von der Station beginnt die Ersteigung des Gebirges zwischen schwarzen senkrecht abfallenden, hier nnd da mit Bäumen und Büschen bewachsenen Felsen, wo Tiger, Leoparden und Bären in großer Anzahl häufelt. Wir wurden indeß nnr eines riesigen Affen ansichtig. Er saß anf einem Granitblock und folgte uns in geringer Entfernung, von Fels zu Fels springend, ohne uns je ans den Angen zn verlieren. 40 Vicrtcr Thcil. Indien. Je mehr wir uns erheben je wilder wird die Gegend. Im Norden zeigt sich das Nimmt Abu von der Hauptkette der Ara-vali trennende Thal; im Westen rullt sich ein Theil der großen Rajputawüste auf. Von hier geseheu, gleichen die Kuppeln der Station weißen Punkten. Der Regen hat, im ^aufe der Zeit, den Felskuvpcu phantastische Umrisse verliehen. Der Reitpfad ist enge, znweilen sehr steil, aber in vortrefflichein Znstande. Zu wiederholten malen wird meine Karavaue durch lange Reihen schwerbeladener Kamele aufgehalten. Naturlich ereignet sich dies immer an schwierigen Stellen, längs gähnender Abgründe, wo ein Fehltritt unserm irdischen Pilgcrwallen ein Ziel setzen würde. Eine Erfahrung die ich bei allen grosien Vergübergängen gemacht habe. Der Zufall gefällt sich iu solchen Scherzen. Aber er wiederholt sie zu oft. Es fehlt ihnen der Reiz der Neuheit. Uebrigeus, daut der Dazwischenkunft der Iampane deren rothe Livreen den Kameltreibern Respeet einflößen, kommen wir ohne Unfall davon. Mittlerweile ist die l^nft leicht, frisch, elastisch geworden. Aber die Sonne! ach, die Souue, die sich jetzt dem Zeuith nähert! Endlich, nach vierstündiger Reise, während welcher ich den Sattel nicht verlassen hatte, erreichten wir die ersten Häuser von Mount Abu. Entfernung von der Station 15> Meilen. Der General-Resident bei den Rajpntenfnrsten ist leider anf einer Rundreise in einem entlegenen Theile des Bandes begriffen, nud da es nnr eine Telegraphenlinie gibt war es unmöglich seinen Anfenthalt zu entdecken. Aber die beideu assistirenden Agenten Kapitän Frazer und Kapitän Newell nnd der Militärcommandant überhänfen mich mit Aufmerksamkeit. Reisen in Indien ohne gute Empfehlungsschreiben ist nicht leicht, besonders in diesen wenig besuchten und wildeu Gegenden. Wer aber dieses Vortheils genießt kann auf die freundlichste Anfnahme nnd wirksamen Beistand rechnen. Mount Abu. 41 Die wenigen Häuser, welche man Mount Al>n nennt, liegen 40lX) Fuß über der Mceresfläche. Die sie umgebenden Verssfirnen erreichen eine Höhe von 5>0M Fuß. Es ist eine kleine Hochebene oder, besser, eine in den schwarzen Stem grobgcmei-helte Schale deren Rand durch die Gipfel der Berge gebildet wird. Die „Residenz" des Generalagenten, die englischen Wohnhäuser, eine Kaserne lind ein Militärspital stehen ans isolirten, durch kleine Schluchten getrennten, Felsblöcken. Die Erdspalten sind mit Buschwerk oder Wasser gefüllt, und die durch sie führenden Pfade vertreten die Stelle der Gassen. Eins dieser Wasserbecken, der eine Vicrtelmeile lange Teich Naki Talao, bildet eine schöne Deeoration. Die Eingeborenen sind Ähil. Ich habe ihrer bereits erwähnt. Mit den Hindu haben sie keinerlei Verwandtschaft, sind viel schwärzer nnd auch, im Gegensatz mit den reinlichen Gewohnheiten letzterer, viel schnmziger. Der änßere Gebrauch des Wassers soll ihnen, buchstäblich, nnbekannt sein. Ich sah sie ill großer Anzahl und fand daß sie, obgleich wenig anziehend, doch gewinnen dnrch den Vergleich mit den australischen Aborigines. Das vielbesungene Klima schien mir seinem Nuse wenig zu entsprechen. Die Lnft ist kalt und die Sonne sengend. Die von den heißen Niederungen Kommenden leiden meist an Fieberanfällen. Während meines dreitägigen Aufenthalts fror ich im Hanse nnerachtet des Kaminfeuers, aber die Sonne trieb mich alsbald aus dem Freien in meine Wohnnng znrück. Die hochberühmtcn Iainatempel von Dilwarra stehen, anderthalb Meilen von Monnt Abu, in der Mitte einer engen Schlucht auf einem von der Natnr in den Fels gehauenen Unterbau. 42 Vierter Thcil. Indien. Aus der Ferne betrachtet, bilden sie cilie einzige verworrene Masse Von weißem Marmor. Der blendende Lichtglauz, welcher sie umschließt, verwischt die bizarren Einzelheiten des Baues. Wir waren zu Fuß gekommen, und unterwegs machte mich Kapitän Frazer auf die frischen Spnren eines Tigers aufmerksam. Das Uugethüm konnte uicht feru seiu. „Es ist", sagte mein Begleiter, „keiu mlni-Lawr, er greift Meuschen nicht an." Wir wandelten also getrost weiter. Aber die Anwesenheit des Tigers, wenngleich ungesehen, erhöhte den eigenthümlichen Eindruck welchen der erste Anblick Dilwarras auf mich hervorbrachte: eiu Olymp iu dem nur (Hotter und Naubthiere Hansen. Die zwei größern der vier Tempel wurden von drei reichen Kaufherren erbant, der älteste <1<>32> von Vimala Sa, der andere, zwei Jahrhunderte später l zwischen NN7 uud 1^47), vou zwei Brüdern, beide Monumente vollständig aus weißem Marmor. Nnu gibt es aber iu diesen Bergen keineu Marmor. Wie wurde er herbeigeschafft? Um dieses Räthsel zu lösen hat man die Gegeud in allen Nichtnugen dnrchforscht ohne in diesen, fast senkrecht abfallenden Felsen anch nur eine Spur von Straßen oder Pfaden zu fiudeu. In Nachstehendem fasse ich meine Eindrücke zusammen. Architektur. — Auch hier wird mit Stein gebaut und die Holzconstruetiou beibehalten. Schöne Eiuzelheiteu aber nicht der geringste Sinn für Verhältnisse uud wenig Eiuklaug zwischeu deu Elementen aus welchen das Gebäude besteht. Seulptur. — Nebergroßer Reichthum an Statuen und Basreliefs. Die Composition häufig bizarr, selten widerlich, zuweilen sehr schöu, fast immer eomplicirt. Die Zeichnung äußerst zart, die Ausführuug volleudet. Ich sah Gestalteu dereu Umrisse au die Autike erinnern. Daher die Hypothese eines Zusammenhangs mit der griechischen Knust welche, dreihundert Jahre vor Christi Geburt, mit Alexander in das Land gezogen sein soll! Aber wie hätte sich diese Schule bis zum 11. Jahrhundert unserer Zcit-rechuung fortftflauzeu töuueu, nachdem teine Spur ähnlicher Die Iamatempel. 43 Denkmale anfgeflcnden ward, welche malt den dazwischenliegenden Jahrhunderten zuschreiben könnte? Sie sind vielleicht Meisterstücke, aber Kunstwerke sind sie nicht. Sie den classischen Monmuenteu Griechenlands gleich zu stellen oder anch nnr mit ihnen zn vergleichen, scheint mir Uebertreibung. Aber der Gesammtciudrnck, ich gebe es zu, ist überwältigend. Er ist es so sehr daß die Kritik verstummt. Man fühlt sich nicht in ein anderes Zeitalter verseht aber in eine andere Welt die, ganz nnd gar, verschieden ist von der nnserigen. In gewisser Beziehung könnte man dasselbe von dem römischen und griechischen Alterthnm sagen; aber mit dem wesentlichen Unterschiede daß in Indien das Leben in voller Kraft pulsirt während es ans Griechenland nnd Rom gewichen ist. In den Tempeln der Nkruftolis voll Athen bewnndern wir die höchste Verwirklichung der Ideale des Schönen, des Großen, des Einfachen. Aber was sind diese Temftel anders als mehr oder minder gut erhalteile Ruinen? Tonristen ersetzen die Gläubigeu von ehemals, nnd die Götter welchen sie zu opfern lamen findet man, zerstreut, m den Mnseen Europas. Das Leben ist entschwunden ans diesen einst heiligen Stätten, nnd was bewnndcrt wird ist die Schönheit einer Leiche. Hier athmen wir frische Lebenslnft, aber dies Leben zeigt sich in einer Form die unsere Neugicrde reizt ohne sie zu befriedigen. Gewiß, wir befinden nns in Gegenwart eines lebendigen Wesens. Wir fühlen seinen Pulsschlag nnter dem Schleier der es bedeckt, aber wir sind nnvermögcnd ihn zu lüften. Dies war mein erster Eindruck: der heiße Wnnsch nnd zugleich das Bewußtsein des Unvermögens das Räthsel zn lösen. Wir wandeln uuter den Bogengängen. Sonnenstrahlen nnd Schatten snchen, begegnen, fliehen sich. Das Licht stuft sich ab in das Uueudliche. Reflexe kreuzen sich an den Kanten der octo-gonen Pfeiler, belecken den Manerschmnck, gleiten nnter der flachen Decke der Hallen dahin, erlöschen im Dunkel des Heilig-thnms. Anßen, rieselt ein Goldregeu über die gemeißelten 44 Vicrtrr Tycil. Indien. Marmorplatten, tropft, in leuchtende Perlen verwandelt, von den Friesen und Dachrinnen, dringt in die Kapellen wo immer, ein Bild der Langenweile mehr als der ewigen Rnhe, derselbe Gott oder Heilige, mit verschränkten Armen, anf seinen Fersen sitzt. Die die Tempel umgebenden Berge, wie überhaupt der ganze Gebirgsstock mm Monut Abu, behausen viele wilde Thiere. Darum ist auch der Tiger ill dem Leben der Offiziere ein wesentliches Element und der Hanptgegenstaud ihres Zeitvertreibs. Er greift, in diesen Alpengegeudeu, den Menschen nur selten an. Dagegen macht er große Verheerungen unter dem Vieh. Wenn ein Tiger eine Kuh zerrissen und zum Theil verzehrt hat, gestattet ihm das Verdauuugsgeschäft nicht sogleich den Schauplatz seiuer Unthat zu verlassen. Er zieht sich daher vorläufig in den nächsten Bnsch zurück. Die Eiugeboreueu, welche aus der Entfernung dem Misgeschick ihres Viehs beigewohnt haben, benachrichtigen den nächstwohuendeu Offizier. Eine gehörige Anzahl Bhil werden als Treiber versammelt nnd die Jagd begiuut sofort. Die Schützen erwarten ihr Wild anf Bäumen oder Felsblöcken sitzend und todten es ohne große Gefahr zu laufen. Aber es wäre Wahnsinn dem verwundeten Tiger in den Ansch zu folgen. Nur zu häufige Unfälle trüben die Frendc an den: edlen Weidwerke. Ganz kürzlich starb hier ein von einem Tiger zerfleischter jnnger Offizier au seineu Wnudeu. Der Generalagent, Oberst Bradford, verlor einen Arm im Kampfe mit einem dieser Thiere. Die Vcgegunng fand im Inngle statt, M Meilen vom Lager. Sein einziger Begleiter, ein Feldwebel, spannte eines der Wagenpferde ans nnd jagte nach dem Eantonnement zurück. Uuterwegs bestellte er allenthalben, wo er Pferde fand, die nöthigen Relais wodurch es dem Arzte möglich wurde dem Sunset und Iccmdal - Point. 45) verwundeten Oberst, dor mit dem Verlnst eines Arntes davon-kam, das Leben zn retten. Auf einem langen Spaziergange mit den drei jnngen Ofsi-zicren, in deren Händen die Geschicke von Mount Alm ruhen, bemerkte ich daß sie ihre Hunde fortwährend an der Leine führten. „lHme nothwendige Vorsicht", sagten sie mir, „in einer Stadt wo die Leoparden, bei hellem Tage, in den Gassen spazieren gehen." Unlängst packte ein solches Thier die Dogge eines meines Begleiters an seiner Seite. Ein gut gehaltener Pfad führt um eine der Zinken, welche die Stadt umrahmen nach dem Rande der kleinen Hochebene auf welcher sie steht, und die hier fast senkrecht abstürzt. Die Aussicht ist wundervoll. Vor uns, im Westen, jenseit eiuer etwa zwauzig Meilen breiten Steppe, eine Reihe vereinzelter Felslegel. Vierzig Meilen weiter, in derselben Richtung, anderes Felsgebirge. Mehr zur Linken, im Südwest, ein Ocean von Sand und Stem: die große Wüste von Rajpntaua. Die Sonne verschwindet langsam nnter dem Horizont welcher dem des Meeres gleicht. Die Täuschuug ist vollständig, eine Veschreibuug unmöglich. Viertausend Fuß unter uns, hüllen bereits die fernen Felsbcrge die Wüste in ihre langen Schatten. Nur einzelne grüne Schimmer lassen die bebauteu Oasen auf dem dunklen Grunde erratheu. In den klei-uen Wasserbehältern, Miniaturteichen, eiugelegtcn Silberplatten ähnlich, spiegelt sich das Abendroth. Wer den Blick langsam von nnteu nach oben erhebt durchläuft, in unzähligen Abstufungen, die ganze Stnfenleiter des Regenbogens. Die fernen über die Wüste gesä'eteu Felsgruppeu sind nicht mehr blau sondern sanft geröthet, und violette Tinten ergießen sich über die Steppe. In nächster Nähe das üppige Grün des steilen Abhanges nud ein Chaos von Steingerölle. Welches Bild! Mich fesseln nnd be-zaubern die hundert kleinen lenchtenden Teiche im dnukeln Thale: 46 Pirrtcr Theil. Indien. die klaren feuchten Augen des Himmels der, diesmals ans der Tiefe, zu nus Erdeukindern einporblickt. Auf einer Bank von Granit sitzend genießen wir des erhabenen Schauspiels. Für die elegante Colonic von Mount Abu ist diese Stelle ein Salon in freier Lnft. Jeden Abend versammelt sie sich hier. Unter Colonie verstehe ich die drei Offiziere, den Doetor, ebenso viele Damen und, während der heißen Jahreszeit, die Offiziere nnd Beamten der Residenzen bei den verschiedenen Maharaja mit ihren Familien. Hier wird der Sonnenuntergang bewnndert und der Nebenmensch besprochen. Daher der doppelte Name: Sunset- und Scandal-Point. Als ich diesen Morgen eben im Begriff war abzureisen stürzte einer der drei Offiziere im Iagdanznge, freudestrahlend, in mein Zimmer. Ein Tiger hat eiue Kuh zerrissen. Wie glücklich! Und daranf läuft er fort um die Bestie nicht zu versäumen. Arme junge Leute! Mau begreift daß in diesem Exil Scandal-Point allein nicht hinreicht die laugeu Tage zu ver-kürzeu. Glücklicherweise haben sie die Tiger. Iodhpur. Vom 24. Znm 27. Februar. — Iodhpnr ist schwer zngänglich. Mitten in der Wüste gelegen, ist es nur zu Pferde, zn Kamel oder zu Elefant zu erreicheu. Die Entfernung von der nächsten Eisenbahnstation beträgt über 5>tt Meilen. Der Sonne durch zwei Tage trotzen ist ein verwegenes Unternehmen. Glücklicherweise fand ich, nach einer auf der Bahn durchreisten Nacht, ill Pali einen Wagen und Pferde des Maharaja. Uever-dies wird mir gemeldet daß an drei Orten Relais zu sechs Pferden anfgestellt wnrden, uud, um das Maß des Glückes voll-znmachen, bietet sich mir Mr. Home, ein englischer Ingenieur Nach Iodhpur. 47 des Maharaja, als Gefährte an. Endlich wurde mir anf der Station Pali wo wir die Reise durch die Wüste antreten, ein treffliches Frühstück servirr: eine Artigkeit und zugleich Wohlthat welche ich dem Generalagenten Oberst Poullet verdanke. Leider mußte er gestern Iodhpur verlassen, was ihn nicht abhielt mich nach seiner „Residenz" einzuladen. Gegen 10 Uhr morgens brachen wir anf, Mr. Home nnd ich in ciner schweren, in Kalkutta gebantcu Chaise, der treue Eheeco am Bock, mein portugiesischer Dieuer zu Kamel. Drei Manner laufeu abwechselnd uebeu dem Wagen her. Ihr Beruf ist die Pferde auzutreiben und vor den Stechfliegen zu schützen. Eine Straße gibt es nicht. Unser Kutscher richtet sich nach den Spuren der K'amelkaravanen. Warum sollte der Maharaja eiuc Straße bauen lassen? Hat er je in seinem Leben Iodhpur verlassen? Aber er hörte von Wegen sprechen auf welchen das Feuer die Pferde ersetzt. Einen solcheu möchte er auch in seinen Staaten besitzen. So kam das Projeet einer Eisenbahn zwischen Iodhpnr und Pali zu Stande, welchem Mr. Home seine jetzige Thätigkeit und ich einen angenehmen und landeskundigen Begleiter verdanken. Das Land welches wir durchreisen ist, anfangs, noch nicht ganz Libysche Wüste. Sehr bald wird dies der Fall sein. Bis-jetzt sehen wir noch stachelige Büsche, hier und da verbranntes Gras, mit einem Worte die Spuren einer, immer ärmlichen jetzt dürreu und bestäubten, Vegetation. Die Lnft ist trocken und frisch, ötnrz vor Ankunft bei dem ersteu Relais, unterliegt eins unserer Pferde einen: Sonnenstich. Wir fahren durch zwei kleine Oasen wo Dörfer stehen. Tempel und Ringmancrn verleihen ihnen die indische Loealfärbnng. Die wenigen Reisenden welchen wir begegnen beleben einigermaßen die ernste nnd grußartige Landschaft. Welche unermeßlichen Horizonte! Wir überholen 4tt Vierter Theil. Indien. einige Kamelreiter, hicr einen Thaknr (Herr vom hohen Adel); sein Diener kauert hinter ihm, mit dem Chibuk des Gebieters in der Hand; dort einen Kaufmann der einem Dutzend schwerbeladener, an dasselbe Seil gebundener Kamele vuranreitet. Alle beschleunigen den Schritt, denn die Sonne sinkt und um ,^ Uhr werden die Thore geschlossen. Auf 15 Meilen Entfernung, erscheint unser Reiseziel am Horizont. Zunächst nur das anf dem höchsten Punkte eines Felfengrates stehende Schloß. Unser Gespann hat Muhe das schwere Fuhrwerk durch das Sandmeer zn schleppen. Die Sonne neigt sich zum Untergange. Violette Alabastertinten überfluten die Wüste und den Himmel anf welchen das Schloß seine schwarze Silhouette zeichnet. Zn unserer Rechten bleiben die Residenz des Maharaja und der von ihm selbst gezeichnete Sonnnerpalast. Endlich um 7 Uhr abends, fahren wir durch das stattliche „Sol-oatenthor" in Ioohvur ein. Indien ist ein Buch der Märchen. Aber hier tritt noch der Reiz des Neuen, des bisher nie Gesehenen hinzn. Iodhvur, mit seinen 4)s t't!Läor3, Wanzenernührer. Was die Affen anbelangt, wäre ihre sociale Stellung wol eines Studiums werth. v. Hübnl'r. II. 4 5)0 Vierter Theil. Indien. Der Palast trägt den ^tanien des Erbauers, Maharaja Snr Ting. Vormals war er die Zenana i^p«uring, nnd anf Tiger erheischt gewisse Vorkehrungen. Das sind Späße die man sich nicht alle Tage gewähren kann. Unsere Franen theilen nnscr nomadisches Dasein, gewöhnen sich rasch an das Zelt nnd verlassen es nur ans Gesundheitsrücksichten. Dann schicken wir sie nach Agra wo, mehr als in irgendeiner andern Stadt des Nordwestens, Hülfsmittel aller Art vorhanden sind." Ich gestehe daß ich diese nnd ähnliche Aenßernngeu nicht ohne einige Rührung vernahm. Diese Männer, die den Stoff eines Helden besitzen, die halb Missionare lder Civilisation), ein Stück Diplomat, Richter, Soldaten nnd Administratoren sein müssen, verbringen ihr Leben in einem aufreibenden, nm nicht zn sagen, mörderischen Klima. Ich habe fast keinem begegnet der nicht anf seinem Gesichte die Spuren der Dysenterie nnd des Fiebers trng, nnd doch sind sie znfrieden. Uebrigens gilt das Klima von Rajpntaua während der größern Hälfte des Jahres für gesund. Die schlimmsten Monate sind September nnd Anfang October, wenn nach der Regenzeit das Steppengras zn faulen beginnt, die heißesten April, Mai und Juni. Tcr Teich. 59 Auf einer Spazierfahrt bei sinkender Sonne, wurde das auf Kosten des Maharaja im Bau begriffene Wasserbehältniß besucht. Iu Zeiten großer Tiirre verschmachtet das Volk. Uu-erachtet semer Indolenz, ist Iesvaut Siug nicht ohne Ehrgeiz. Der Gedanke durch ein großes öffentliches Werk seinen Namen, als Wohlthäter dieser Stadt, der Nachwelt zu überliefern hat für ihn eiucn gewissen Reiz. Aber er vereinigt in seinen: Charakter die guten und Übeln Eigenschaften seiner Nation. Dem Eifer, der fieberhaften Thätigkeit der ersten Tage folgen lange Perioden der Apathie. Die Arbeiten werden eingestellt. Wird man sie je wieder aufnehmen? Glücklicherweise ist diesmal der Baumeister eiu Engländer, Mr. Home, mein Begleiter. Er wird den Ban zu Ende fuhren. Die weite Wasserfläche, von Geländern ans rothem Sandstein umgebeu, die kleineu Tempel und Paläste als Einfassnug, nud, im Hintergründe, der Felseu nnd die Eitadelle welche sich in ihr spiegeln, vereinigen sich zu einem reizenden Bilde. Dies ist Indien, das wahre alte Indien, das Indien Alexander's des Großen. Kanm nach Hause zurückgekehrt erhalte ich, im Auftrage des Maharaja, den Besuch seines Brnoers, des Overcommandanten. Er war bei sehr guter Laune nnd nnterhielt sich lebhaft mit meiuen Begleitern, natürlich in der Landessprache die ich nicht verstehe. Ich zog daher einen Spaziergaug im Garteu vor. Es währte nicht lange als mich ein Höllenlärm in meinen Betrachtungen störte. Die Urheber waren ein Trnpp zum Theil riesiger Affen. Anfaugs liefeu sie auf der hohen Ringmauer eiuher, dann schwangen sie sich anf einen nahen Banm, iu dessen Schatten ich saß, und landeten am Bodeu nicht ohne sich an meiner Person zu reibeu. Obgleich mit einem Stock bewaffnet enthielt ich mich ihn zn gebrauchen. Die Unholde kouuten es übel nehmen. Noch jetzt, wenn ich daran denke, steigt mir die Schamröthe 60 Alerter Theil. Indien. auf die Stirne: ich lief davon. Es war nicht das Benehmen eines Tapfern, aber es war das Klügste in der gegebenen Lage. Ueberdies sah mich niemand allster den Affen. Um 7 Uhr morgens, in Begleitung des Richters Hardyal Sing, Anfbrnch nach Mandore, der alten Hauptstadt von Mar-var. Hente ist sie nnr mehr ein Dorf, oder vielmehr eine Gruppe von Hütten, im übrigen ein Trümmerhaufen. Aber in nmnittelbarer Nähe stehen die Köuigsgräber. Die Entfernung voll der Residenz beträgt vier Meilen in nördlicher Richtung. Der Weg ist entsetzlich, der Boden abwechselnd grundloser Sand oder flache Felsplattcn. Bald verschwindet das Fort von Iodhpnr, welches doch so weite Horizonte beherrscht, hinter gewaltigen Saudstciublöckeu. Prachtvolle Baum-grnppen bringen einige Abwechseluug in die einförmige Landschaft. Die sie bildenden, sowie die fehlenden Elemente verleihen ihr das Gepräge der tiefsten Einsamkeit. Die Thiere wissen daß sie von den Menschen nichts zu fürchten haben. Ein Fuchs mit einem schönen großen Schwänze ließ uns auf zwanzig Schritte nahen ehe er sich in Bewegung setzte. Im übrigen sahen wir kein lebendes Wesen. Um !-i Uhr Ankunft bei den Gräbern. Das bedentcndste nnd schönste ist das des Ajit Sing* welcher, bereits König im Mntterleibe, anf Veranlassung des Hofes von Delhi, von den eigenen Brüdern Abhye Sing nud Aakht Sing ermordet wnrde. Einer der Mörder, Abhye, ließ dies prachtvolle Monument gegenüber seinem eigenen Mausoleum errichten. Die beiden Ehattry, im Zwischenramne eines Viertel-jahrhuuderts, aus grauem Marmor und rothem Sandstein * Regierte von 1080 bis 1725'! Abhye von 1725 bis 1750. Mcmdorc. tti erbaut, gehören zu den größten 31ieistcrwerken dor indo-arabischen Knnst. Aber das Grabmal des Mörders scheint mir bereits den Beginn des Vorfalls zu verrathen. Erkenntlich ist dies beson-ders au der Behandlnng des Steines. Kein Photograph ist noch, soviel ich weiß, bis hierher gedrungen, uud ich habe keine Abbildungen dieser Monnmente gesehen. Uugeachtet der erstickenden Hitze, verwandte ich einige Stunden um sie zn skizziren. Die übrigen Gräber, sämnttlich aus späterer Zeit uud besonders die ueuesteu, zeugen in augenfälliger Weise von deu Fortschritte»: des Niederganges der Knust. Wir haben mehrere iu alleu einzelnen Theilen besichtigt. Einige stehen mitteu in einem jener Gärten wie man deren so viele in Marokko nnd Algerien findet. Dieselben Wegdämme, dieselben in rechten: Winkel sich kreuzenden Wasserrinuen. In den Vierecken Büsche nnd Blumen. Hier geben prachtvolle Bäume Kühluug und Schatten. Ueber die Blätterkroncn ragen, rosenfarbig, grau, weiß, die obern Geschosse der königlichen Gräber iu die blaue Luft empor. Wir besteigen das oberste Stockwerk des Mausoleums des Maharaja Ajit. Uus gegenüber erhebt sich das seines Bruders. Zur Linken öffnet sich ein kleiner Platz zwischen mehrcrn Monumenten mit einem grünen Lanbvorhange als Hintergrund. Eines dieser Gebäude von besonderer Schönheit vereinigt iu sich alle Elemente der Hindu arabischen Architektur. Aber von einer Entfernung gesehen welche die octogonen Pfeiler als Säuleu erscheinen läßt, erinnert es an den Tempietto des Bramante am Ianieulns, oder an den Hintergrund in Rafael's Sposalizio. Vier Elemente machen sich bemerkbar: 1) ein großer würfelförmiger Sockel von Granit als Unterlage des Monuments; 2) acht uetogone Sänlchen, eigentlich Pfeiler wie man sie in den Iaina-tempeln findet: sie tragen mit Vermittelung von Cousoleu lein echt hindnisches Motiv) die 3) gezahnte», Rundbogen ans welchen, der achtseitige Architrav rnht; nnd anf diesem erhebt sich, 4) die Kuppel in Form einer halbeu Sphäre. Auf dem Platze herrfchen die rothen und weißeu Töne vor, 62 Vierter Theil. Indien. aber die Sonne vergoldet alles. Die tiefe Still» der Wildnis;, die Verlasseicheit und Ilnzngänglichkeit dos Ortes, die Erinnerungen an die Helden- nnd Missethaten eines ritterlichen aber barbarischen (Geschlechts, verleihen diesen Grabstätten einen nnanssprech-lich poetischen Reiz. Dor Maharaja, wie seine Brüder, ist ein leidenschaftlicher Jagd- und Pferdeliebhaber. Er sagt, es sei besser sein Geld für Pferde als für Tchmnck anszngeben. Hente Nachmittag hat cr seine schönsten Pferde, ungefähr zwanzig, nach der Residenz geschickt um sie von mir bewundern zn lassen. Diese edlen Thiere, darnnter einige prächtige Waler, waren vortrefflich gehalten. Gegen Abend Ausflug nach ktailana, halb zn Wagen halb zu Elefant. Letztere Art der Ortsveränderung finde ich ermüdend nnd unbequem. Kailana, der Sommerpalast des lchten Maharaja, liegt acht Meilen westlich von Iodhpnr nnd ist ein reizender, koketter Hindu-nwresker Van. Von einer Terrasse sahen nur in einem tiefen Hofe eine große Anzahl Wildschweine znr Fütterung versammelt. Die Seene erinnerte mich lebhaft an das liebe Friedland in Böhmen. Aber neu war mir die Znmnthnng, die wir natürlich mit Entrnstuug zurückwiesen, auf die verworrene schwarze Masse zu schiesien. Ich mnß leider die Zenana verlassen vhne deu Herrn vom Hause gesehen zu habeu. Verschiedene Umstände hatten das rechtzeitige Eintreffen der offieiellen Empfehlungen vereitelt. Ein Brief von Monnt Abu hatte Oberst Poullet, als er eben abreiste, von meiner bevorstehenden Ankunft verständigt. Er tonnte mich also nicht selbst empfangen, aber er befahl seinem Hans- Abreise von Iodhpur. 63 Hofmeister den erwarteten Fremdling aufzunehmen nnd zn beherbergen. Der Oberst kennt den Werth der Gastfrenndschaft in diesem Lande nnd er gewährt sie jemanden den er nicht selbst sehen konnte, den er nie sah nnd, wahrscheinlich, niemals sehen wird. Einem glücklichen Zufall verdanke ich das Vergnügen der Bekanntschaft nnd des Verkehrs mit dem assistircnden Agenten in Iodhpnr, Kapitän W. Loch. 27. Febrnar. — Abreise uun der Residenz nm 7 Uhr morgens, abermals in Gesellschaft des Mr. Home nnd in demselben Wagen des Fürsten der nns gebracht hatte. Als wir dnrch das Eoldatenthor in das Freie gelangten sahen wir eine kleine Neitcrschar qncrfeldein sprengen, als ob sie die Absicht hätte nns den Weg zn verlegen. Der Mann an der Spitze ritt einen prachtvollen Waler. Das edle Thier bäumte sich nnd machte gewaltige Sätze aber der Reiter schien an den Sattel geschraubt. Als er uns erreicht hatte grüstte er nnd änßerte er sei gekommen nm nns Lebewohl zu sagen. Es war Maharaj Pnrtab Sing, heilte nicht in seiner schönen Marvari-tracht sondern im Knickerbocker und in Hemdärmeln: die Jacke hatte er zn Hause gelassen. Der Anzug war nichts weniger als schön, aber, selbst als Proletarier verkleidet, sah der Prinz vornehm ans. Er sagte mir einige liebenswürdige Phrasen nnd snchte offenbar artig zn sein, aber der Ansdrnck seines Gesichts blieb kalt nnd trocken. Keine Spnr eines Lächelns. Man sagt mir die Najpnten sind von Natnr wenig liebenswürdig nnd nnr artig wenn sie etwas wünschen, erwarten oder befürchten. Wir setzten die Neise fort, nnd der Prinz, sein Pferd herumwerfend, entfernte sich ebenso rafch als er gekommen war. Ich warf einen letzten Blick zurück. Die phantastischen Umrisse des Schlosses reißen sich von dem lichten Goldgewebe des Himmels 64 Picrk'r Theil. Indien. ab. Safranfarbige Tinten übcrfluteteu den seukrccht abfallenden Fels und die Paläste der Citadelle welche er anf seinen: Scheitel trägt. Bald darauf gerietheu wir in eins jener Felsenlabyrmthc welche eine Eigenthümlichkeit der (legend bilden. Noch einmal, aber vergeblich, blickte ich nach der Hauptstadt der Wüste zurück. Die Vision war zerflossen, Iudhpnr für mich verschwuudeu für immer. Die Wüste, die wahre, die große Wüste umfängt nns mit ihren geheimnißuollen Schauern. Zwei Schritte vom Wege entfernt, sitzt ein schönes Dromedar anf seinen Hinterbeinen, das Vild der Verlassenheit und der stummeu Verzweiflung. Man behauptet, ich glaube mit Unrecht, die Thiere besäßen keine Physiognomie. Die Züge dev armen Kamels sprachen deutlich genug. Es hatte sich ein Bein gebrochen, nnd da die Hindn verabscheuen das Blut eines lebenden Wesens zn vergießen, überließ es der Eigenthümer seinem Schicksale. Wir hatten leider keine Waffen und konnten daher das Ende seiner Leiden nicht beschleunigen. Vorüberziehende Samaritaner fütterten das arme Thier und verlängerten daher seine Qual. Einige Aasgeier, die wir über nns gewahrten, werden es lebendigen Leibes verzehren. In einer der beiden Oasen durch welche wir fuhren nahmen wir, von Fliegenschwärmen belästigt, anf den Stufen eines Tempels das Frühstück ein. Zwei riesige Vüffel schnarchten zn unsern Füßen. Es war mn Mittag, und Menschen und Thiere schienen der Sonuenglut zu erliegen. Aber am Ende erreichten wir doch glücklich den Sanm der Wüste und bei sinkender Nacht die Station Iodhpnrjnnction. Ieypur, 2^. und ^'.». Februar. — Die Nacht durch gereist. Anlnnft iu der Station Icypur um 9 Uhr morgens. Eutfernnng von Iodhpurjnnetiou 171 Meilen. Der politische Agent 7>>'. Stratten geleitete mich nach seiner Residenz, einem Ieypur. 65 alten, drei Meilen von der Stadt entlegenen Paläste der Maharaja, und bewohnte mich in einem der prachtvollen Zelte welche cr für den hier erwarteten Herzog von Connaught aufschlagen ließ. Die Stadt Ieypur* ist für Handels- und Bantiergcschäfte ein bedentender Mittelpunkt und gilt, nuter allen rein hiudnischen Städten der Halbinsel, für die meist entwickelte. Die ehemalige, vier Meilen vou hier im Gebirge liegende, Hauptstadt Ambra wurde von dem großcu Maharaja Iey Siug verlassen weil eiue alte Ueberlieferung den Fürsten seines Namens untersagt dnrch mehr als sechs Jahrhunderte an demselben ilrte zn leben. Suwol wegen seiner Prachtliebc als wegen der Nuterstütznug welche er dcu Küusteu uud Wisseuschafteu angedciheu ließ, mit seinen: Zeitgenossen Ludwig XIV. verglichen, ließ Icy im Jahre 17^ diese Stadt erbauen. Der rajpntischen Sitte gemäß wurde sie uach ihrem Gründer Ieypur benannt. Der Ageut hatte die Güte mich dahin zu begleiten. Die hohen Stadtmauer,: sind roseufarbig cmgestrichcu, und das zwischen den Zinnen angesammelte nud herabfließende Regenwasscr hat seukrechtc schwarze Linien gezogen welche diesen Wällen ein ganz eigenthümliches Aussehen vcrleiheu. Im Innern der Stadt fuhren wir durch eine lange gerade Straße dereu Häuser sämmtlich violettroth getüncht nnd mit Wandgemälden, Arabesken und Blumentöpfe vorstellend, geschmückt sind. Die Zeichnung dieser Or-nameute ist entschieden hindnisch. Wo die Gebände nicht nnmittel-bar aneinanderstoßen, sind sie durch hohe Gartenmauern verbnnden. Der obere Theil der lehtern zeigt kleine Rundbogen und wenige Fenster, immer dnrch eine gemeißelte Steinplatte oder ein geschnitztes Bret verhüllt. Audere Gasseu durchkreuzen die Hanpt-ftraße, welche zu eiuem großeu Sanare führt, im rechten Winkel. Das Ganze trägt einen entschiedenen orientalischen, speeiell hiuduischen uud überdies ausgesprochen rajvutischen Charakter, u. Hüdnrr. ^1 66 Vierter Theil. Indien. aber der Plan der Stadt: die mit der Richtschnur gezogenen Gassen, die rechtwinkelige Kreuzung derselben, die alle nach derselben Zeichnung gebauten Häuser scheinen dem Geniits Indiens zu widersprechen. Wäre es ein Widerschein des Geschmackes au Einförmigkeit nud Regelmäßigkeit welcher, am Ende der Negie-rnug Ludwig's XIV., iu Europa zur Aufnahme kam? Unwillkürlich dachte ich au die Place Vendöme iu Paris uud au Karlsruhe, beide, wenn ich «licht irre, im Jahre 1l',W erbaut. Iu dieseu weiteu (^asseu herrscht grvßes Lebeu. Das roseufarbic^e Violett der Häuser uud das Weiß uud Noth der Gewänder des Volkes verleihen dein Bilde emeu zugleich heitern uud festlicheu Anstrich. Sehr weuiqc Weiber, uud diese meist aus den untersten Klassen. Viele Wagen, eigentlich Ochscnkarreu, sorgfältig verhaugelt, wenn sie Fraueu enthalten. Hier, im Pa-lantin getragen, eiu Adeliger desseu goldeuer Kopfputz all den veuctiauischen Dogenhut erinnert; dort einer seiner Standes-genossen zu Pferde. Die Menge macht ihm ehrerbietig Platz. Mehrere Roßkuechte laufeu hmterher. Viele Kamele und einige Elefanten erhöhen die Abwechselung des Bildes nnd die Bedrängnis; der Fußgeher. Der Palast des Fürsten nimmt, im Mittelpunkte der Stadt, einen beträchtlichen ^'lächenranm ein. Die Wachen, einige in Landestracht, andere europäisch uuiformirt, traten bei Aukuuft des Residenten in das Gewehr, uud ciue aus vier Flötenspielern bestehende Bande stimmte das Ooä 8ave t^6 Huymi au. Im zweitcu Hofe dräugten sich Höflinge und höhere Bediente. Füuf oder sechs kolossale Mefauten standen, reich geschirrt, in Reih nud Glied. Kopf und Zähne waren zierlich bemalt. Im ganzen ein imposanter, prachtvoller Anblick. Endlich laugten wir vor dem Eingänge des eigentlichen Palastes an. Der Maharaja zählt erst ^<> Jahre. Der letzte Fürst adoptirtc ihn anf seinem Todtenbett. Iu den indischen Staaten kommt es hänfig vor daß der natürliche Erbe eiu Schwächling ist. Daher das, übrigens znweilen bestritteue, Recht der Fürsten Vesuch bei dcm Maharaja. 67 dm Nachfolger in der Familie zu wählen, was sie gewöhnlich nur m krtwulo mortis thnn, und zwar aus gntcn Gründen. Der Adoptivsohn könnte, in einer Anwandlung von Ungeduld, seine Thronbesteigung beschleunigen. Daher die Angst der Höflinge wenn ein Regierungswechsel bevorsteht und die Ueberraschnngen welche ihn zu begleiten pflegen. Der jnnge Maharaja von Ieypnr ist ein schöner Mann mit einem offenen Ansdrncke nnd einnehmenden Zügen. Er war eben im Begriff ausznfahren um mehrern adeligen Familien Beileidsbesuche abzustatteu. Daher der silberne Säbel nnd die weiße Kleidung welche er trug, denn weiß ist die Farbe der Trauer. Nach iudischer Sitte war er barfüßig. Er wies uus Sitze an uud ließ mir sein Bedauern darüber ausdrücken daß ihn seine Unkenntnis; des Englischen verhindere sich mit mir zu unterhalten. Er habe zwar angefangen diefe Sprache zu er-lerueu, aber seiue Thronbesteigung nöthigte ihn auf alle Studien zu verzichteu. Eiu Maharaja habe keine Zeit zum Studircn. Ich fragte ihn was er empfnnden habe als man ihn benachrichtigte daß dieser große Staat ihm gehöre. Er antwortete: „Anfangs erschrak ich, wegen der großen Verantwortnng; jetzt habe ich mich aber daran gewöhnt." Der Saal, in welchem er nns empfing ist ein langes, nach dem Garten gauz offenes Gemach. Allenthalben stehen Divane, und an den Wänden hängen schlechte englische Bilder in Farbendruck, daruutcr eiu Porträt des Prinzen von Wales. Innerhalb der Ringmauern der fürstlichen Residenz befinden sich mehrere einzelne (Gebäude. Die meiste Anfmerksamkeit verdienen die beiden für öffentliche Ceremonien bestimmten Hallen. In einem dieser Säle empfahl man meiner Vewnndernng einen Thron von vergoldetem massiven Silber, im Stil des ersten Empire mit falschen persischen Ornamenten. Das etwas geschmacklose Prachtstück hat 50000 Pfd. St. gekostet. Unerachtet der sichtbaren enropäischen Einflüsse tragen diese Hallen ein orientalisch barbarisches aber großartiges Gepräge. 5* s,8 Vierter Theil. Indien. Die Sternwarte, eine Gruppe von Bauten lind eine der Hanpimerknnirdigkeiten von Ieypnr, ist das Werk Iey's welcher in Indien für den größten Astronomen seiner Zeit galt. Man zeigte nns anch den Artilleriepark. Die Geschosse sind nlit Ochsen bespannt deren Hörner in grünes Tuch gehüllt sind. Ueberdies tragen sie Schabracken von rothem Tuch. Die Wirknng ist grotesk. Hinter dein Wohnpalaste des Fürsten dehnen sich die Gärten aus. An beiden Seiten umrahmen prachtvolle Ricsenbäume die phantastische »md eomplieirte Facade. Wir wandeln ans Dammwegen, längs kleinen Teichen, versehen mit den nöthigen Vorkehrnngen nm die Spaziergänger zn benetzen. Ein alter Scherz, ursprünglich für die Khalifen erfnnden, aber seiner Zeit sehr beliebt bei den Königen von Castilien nnd Leon, nnd später ans den Landsitzen der Großen in Italien nnd Frankreich. Zum Glück für nns, gibt es in den Teichen kein Wasser. In einem entlegenen Theile des Gartens ladet nns ein hübscher kleiner Tempel znm Besnche ein. Hnndertjährige Mangroven beschatten ihn, nnd er verschwindet fast im Lanbe des Gehölzes. Aber wehe dem Vermessenen welcher es wagte dem Gott oder der Göttin des Ortes zu nahen! Eine kreischende Stimme erschallt. Angleich erscheint der Vrahmine des Heiligthnms. Mit dem Ausdruck des Zorues ans seinem scheußlichen Gesicht, rnft er uns ein gebieterisches Halt zu. In diesen: Augenblicke verkündigt Kanonendonner der Stadt das Ereignis; des Tages, die Eondolenzbesnche des Maharaja. Schwärme verschenchter Tanben fliege»; von den Dächern nnd Giebeln des Palastes anf. Sonderbarer Gegensatz! In der Luft die gefiederten Flüchtlinge; im Garten Einsamkeit nud Stille. Einige Schritte von nns der Brahmine, sprachlos nnd nnbeweglich seine gehässigen Vlicke auf die Eindringlinge heftend. Dranßen das Dröhnen der schweren Geschütze nnd die verworrenen Stimmen einer tausendköpfigen Menge. Tie Reformen des letzten Maharaza. 69 Dor letzte Maharaja war cm leidenschaftlicher Volksbeglücker. Ein nach europäischem Mnster erbautes Theater, ein Wiesengruud fiir I.invu-tonni^ nnd ein großer öffentlicher Garten sind sein Werk. Das Theater ist, wessen Mangels an Äe-snch, längst geschlossen, aber im Garten sieht man Eingeborene spazieren gehen, ans Bänken nnd nicht auf ihren Fersen sitzen nnd an gewissen Tagen der Woche den Weisen einer Regiments-bandc lauschen. Innge Leute spielen I^wn-temü«. Derselbe Fürst hat auch eine Schule der schönen Künste gegründet, über deren Eingang in englischer Sprache die Inschrift kcimni ot' art» zu lesen ist. Sie enthält kleine Bilder, Bleistiftzeichnungen, Schmnck-gegenstände nnd sehr schöne Metallgegenstände in eingelegter Arbeit. Die Cloisonnes von Ieypnr genießen von jeher eines großen Rufes. Das dabei angewandte Verfahren wird geheimgehalten. Ans den Fenstern dieser Anstalt sahen wir die Heimkehr des Fürsten. Sein mit feurigen Pferden bespannter Wagen fuhr in raschem Trabe vorüber. Lakaieil in bunten Livreen liefen daneben. Reich gekleidete und gnt berittene Edelleute umgaben die Staatsairrosse. Eine Abtheilung Reiterei schloß den Zug. Die rothe und weiße Volksmenge öffnete uud schloß sich alsbald auf dem Wege des Herrschers. Es war Sache eiues Augenblickes, eine Vision, eine Sternschunppe am nächtlichen Himmel; denn es war mittlerweile duukel gewordeu, uud, zu meiuer großen Ueberraschnng, wnrden allenthalben Oaslaternen angezündet. Gas in Rajistan! Es ist das Acnßerste was der Fortschritt leisten kann. Als wir ans der Stadt in das Freie fuhren begegneten wir einem Trupp Galerensträflingen. Sie blieben stehen, traten in Reih nnd Glied, streckten einen Arm horizontal ans und klaschten sodann mit den Händen indem sie einen Schrei ausstießen. Es ist dies ihre Art zu grüßen. Galgengesichter fehlteu nicht unter ihnen, aber sie schienen alle lnstig nnd gnt 70 Vierter Theil. Indien, genährt, ein Beweis daß der verstorbene Maharaja seine Reformen auch auf das Gcfä'ngnißwescn erstreckt hat. Ausflug uach der alten Hauptstadt Amber, zu Wageu, im Palaukiu uud zn Elcfaut. Diese verschiedeueu Verkehrsmittel verdankte ich der Güte des Fürsten. Die Gegend ist eine init Tempeln, verfallenen Hänsern, leer stehenden Palazetti und Grabdenknialen bedeckte Ebene. Der große Palast zu nuserer Rechten, im Znstande der äußersten Verwahrlosung uud dem Einstürze uahe, gehört dem Maharaja. In dem anliegenden großen Teiche hausen Krokodile in bedeutender Anzahl. Nir uähertcn uns einem uiedem Gebirgszuge welcher die Ebene im Norden der Stadt begrenzt uud betraten hierauf eine sich zwischen befestigten Anhöhen hinschlaugelude Schlltcht. Zn nusercr Liukeu, aiu jeliseitigeu Ufer eiues schmaleu Sees, stehen auf ganz nackten Hügeln mehrere aus rothem Saudsteiu erbaute Burgen. Einige haben die Farbe dieses Materials bewahrt, andere hat die Zeit mit mattem Gold belegt, wieder andere wurden von Menschenhänden weiß getüncht. Vor nns erschließt sich eine kleine Oase mit der alten Stadt, einem Agglo-merat vou zum Theil noch bewohuten, obgleich verfallenden Palästen und Hänsern. Die Riugmaner klettert den Grat der Berge hiuauf: die Chinesische Mauer im kleinen. Die Aehnlich-keit ist auffallend. Hinter diesem duukelbrauuen Gemäuer, zwischen deu Höhen, erweitert sich das Thal uud gestattet deu Vlick nach der gelben, schwarzgefleckten Wüste: gelb ist der Sand nnd schwarz der Bnsch. Im Hintergruude, gegen Noroeu, in großer Entfermmg, uermischcn sich die granen Töne einer Gebirgskette mit dem ambragcfärbten Himmel. Die Composition des Bildes ist phantastisch, das Colorit ernst, das Ganze überwältigend. Aber ich zweifle daß ein Maler wagen wollte diese Tinten Amber. 71 wiederzugeben, selbst wenn er es vermöchte. Mm, würde sagen, sein Bild sei manierirt und unwahr. Ein änßerst steiler Neitpfad führt zu den Palästen lind Tempeln von Amber hinan. Erstere gehören verschiedenen Epochen an. Selbst das ungeübteste Auge, selbst wer gänzlich unfähig ist die verschiedenen Epochen M unterscheiden welche die rajpntische Nrchitektnr während Jahrhunderten durchlaufen hat, muß überrascht sein durch die Individualität eines jeden dieser sich auf der Felsterrasse, ich möchte sagen, drängenden Gebände. Doch findet man in allen dieselben Elemente: hohe gezinnte Mauern, .Kioske deren Kuppeldächer von schlanken Sänlen getragen werden; übereinander angebrachte Balköne, alle versehen mit einem ans schmächtigen Colonneten ruhenden Schuhdache; geräumige Säle mit einem Walde von Sänlen welche, Vaumgrnppen ähnlich, ihre Schäfte znr Decke erheben: Steingeländer als Einfassung der offenen Terrassen und Freitreppen. Einen eigenthümlichen Zauber übt der Gegensatz zwischen den massiven Mauern, deren oberer Theil allein durchbrochen ist, und den gäuzlich freisteheudeu Areadeu uud Kiosken: ein Gemisch nüttelalteriger Burgeu uud antiker Saulengängc. Für den Kritiker ist dies ein Räthsel oder ein Widersinn, denn die erste Pflicht des Architekten ist dnrch das Aeußere die Bestimmung des Baues anzndeuteu. Aber, als Bild, gibt es nichts Reizenderes. Die rajpntischeu Künstler scheinen zuerst Maler gewesen zu sein und dann erst Architekten. Divan-i-Am, der Saal für Audieuzen, wurde deu Sälen welche mail in Delhi und Agra sieht nachgebildet. Der Kaiser nahm es übel daß sich der Maharaja erlanbte seine Paläste als Muster zu wählen. Daher beeilte sich letzterer die schöueu Senlp-turcu der Säulenschäfte nnd der Kapitale mit Stuck überziehen, und die schönen rosafarbigen Platten von Sandstein mit weißem Kalt bestreichen zn lassen. Man sieht hier in Vogelperspeetive aufgenommen die Abbildnngen dreier großer indischer Städte, darunter Benares, daher der Name „Gemäldesaal". 72 Vierter Theil. Indien. Icy Mandir wurde von dem großen Icy Sing ganz in Marmor erbant. Die vielen kleinen Spiegel, mit welchen im Innern die Wände nnd die Decke verziert sind, verrathen den Geschmack des IX Jahrhunderts. Snk Ncvas, der Saal des Vergnügens, ist berühmt wegen seiner gemalten Glasfenster nnd eines die Gemächer durchstießen-den Baches. Gleichfalls ein den Kaiserpalästen in Delhi entlehntes Motiv. Die Zenana halte ich für den ältesten dieser Bauten. Er zeichnet sich durch seine edle Einfachheit ans. In der Mitte des Hofes steht die Halle in welcher die regierende Königin ihre Dnrbar hielt. Die 2<> andern Königinnen begnügten sich, nnd, ich höre, die Gemahlinnen des gegenwärtigen Maharaja, welcher alljährlich zwei Monate in Amber zubringt, begnügen sich mit winzigen, durch einen engen Gang verbnndeneu Zellen. Alle diese Gebäude sind vollkommen erhalten. Sie schössen nebeneinander auf wie Pflanzen, und bilden eine unregelmäßige, gedrängte Gruppe. Daher kommt es daß die Aussicht, bei jedem Schritte des Beschauenden, wechselt. Aber zn seinen Füßen hat er fortwährend den kleineu, die Schlösser von Amber spiegelnden See und die nahen Höhen mit ihrer Chinesischen Maner, uud die verfallenen Paläste der Stadt und die üppige Vegetation der Oase nnd, jenseit, weit entfernt gegen Norden, die am Horizonte verduftenden Berge. Der Znfall führte uns zur Opfcrzeit in den Tempel der „steinernen Göttin", Silva Devi. Ehemals wnrdeu Menschen geopfert. Dieses entsetzliche Schauspiel blieb uns jedoch erspart. Iey Sing hat die Menschenopfer abgeschafft. Die Göttin nahm dies übel, und um ihren Zorn zu beschwichtigen verordnete Iey daß, ihr zu Ehreu, täglich eine Ziege zu schlachten sei. Der Tempel ist klein und besitzt nichts was zur Andacht stimmen könnte. Er sieht aus wie ein gewöhnliches Vorzimmer mit einem Alkoven. In diesem sitzt die Göttin ans ihren gekreuzten Beinen. Vor dem Hciligthum gewahrte ich, auf ihreu Fersen Tic politischen Institutions» in Rajputnna. 73 kauernd, zwei Männer in traulichen! Zwiegespräch. Ein kleiner Junge lag vor der Göttin anf dein Banche, anscheinend in inbrünstigem Gebet versnnken. Eine magere elende Ziege erwartete gleichgültig die ihr bevorstehende Katastrophe. Ihr Instinct schien ihr nichts zn sagen. Der Priester trat all sie heran, bestrente sie mit Mehl, besprengte sie mit Wasser nnd vollzog dieselbe Förmlichkeit an dem Messer des Mannes welchem es oblag das arme Thier zn todten. Eilten Aligellblick später, rollte der Kopf des Opfers auf den Fnßboden, während der Körper sich noch durch vier Minnten in heftigen Zuckungen bewegte. Mittlerweile hatte der Priester das Vlnt in einem (Gefäße gesammelt uud der Göttin vorgesetzt, jedoch nicht ohne vorher die Vorhänge zn schließen. Im Orient speisen hohe Persönlichkeiten immer ohne Zeugen. Niemand wird Rajpntana besuchen ohne überrascht zu sein dnrch den Gegensatz zwischen dem was dies Land war nnd was es ist. Ich spreche hier nicht von dem äußern Anblicke den es gewährt, denn er blieb unverändert, noch voll den Fortschritten der Civilisation deren einzige Svnren in Ieypnr zn finden sind, sondern von dem Gegensatze zwischen den alten, aber noch bestehenden, Institutionen nnd der neuen, dnrch die Annahme der britischen Obcrherrlichkcit geschaffenen Lage. Die Institntionen setzen den beständigen klriegsznstand vorans. Die britische Ober-Herrlichkeit schnf den beständigen Frieden. Die alten Institntionen sind also gegenstandslos geworden, und werden nnd müssen daher verschwinden. Die Macht der Dinge nnd der Logik verlangt dies gleichmäßig. All ihrer Macht scheitert der Wille der Menschen. Aber dann entsteht die Frage, wie soll die Leere ausgefüllt werden? Diese Frage drang sich mir anf als ich den Fuß in dies Land setzte, nnd noch ehe ich Sir Alfred Lyall's „^iatic 8wdi68" gelesen hatte. Der geistreiche Verfasser dieses 74 Ak'rtcr Thcil. Indien. Buches, der seiue Aiaterialieu au Ort und Stelle gesammelt hat, stellt sich dieselbe Frage und behandelt sie mit wenigen Worten, welche indeß seine genaue Kenntnis; der indischen Diuge und, ich möchte hinzufügen, des menschlichen Herzens, das sich überall gleich bleibt, auf eine glänzende Weife bethätigen. Aber er sagt unr was zu vermeiden, nicht was Zu thun ist. Er läßt sich nicht ans über die einzuschlagenden Wege welche zur Lösnug der Aufgabe führen köuneu. Gewiß die Zeit wird bei dieser Losung mitwirken, aber alles kanu man der Zeit nicht überlassen. Früher oder später wird England eingreifen müssen. Enthaltung scheint mir unmöglich. Man übt die Macht nicht ohne auch ihre Verantwortung zn tragen. V. Pcujab. Vom 1. I'is I I, März, Von Ieypur nach dein Kmbclrpas;. — Tie Ufer des Induö. — Awk. — Physiognomic von Peschawar. — Ein Afsshanenfürst. — Tas ssort und dir Kirchhöfe. — Der Knibarpasi. — Icnnrnd. — Lahor. — Rcmjct Sing. ^ Shalimar. — Amritsir. — Der goldene Tenipel. — Ein Gnsthof in Tclhi. — Tivan i NaS. — Tivan iZlm. — Die Prrlmoschcr. — Tic große Moschee. — Ttmmnmtt der Bevölkernns,, -- Katali Winar. — Der „Ridge". — Pyl, siognomic von Tclhi. Durch das Penjab. — Der Obcrbcfchlshal'cr dcr indischen Armee hatte die Güte mir den Besnch des allen Europäern verschlossenen Kaibarpasses zn gestatten. Da dies militärische Vorsichtsmaßregel»! erheischte, wurde ein gewisser Tag festgesetzt, und ich habe dermalen keine Zeit zn verlieren. Die großen Ebenen des Nordwesten werden daher ans der Bahn ohne Aufenthalt durcheilt. Hier, iu Amballa, zweigt sich die Straße nach Simla ab. Weiterhin, bei Sonnenaufgang, zeigen sich die weißen Riesen des Himalaja. Noch einige Stnnden, und der Zng erreicht, die Brücke des Sntledge überschreitend, das Königreich der Sikh. Im Norden die höchste Bergkette der Welt, zu unserer Linken eine unabsehbare Ebene. Die sie bedeckenden Getreidefelder erfreuen das Ange dnrch ihr zartes Grüu. Die Xiuft frisch, fast kalt. Außer in der nächsten Umgebung der Dörfer, kein Banm in Sicht. Am Himmel schwarze Wolken, die ersten welche ich gewahre seit ich Madras verließ. Wie alte Bekannte, nach langer 76 Vierter Theil. Indien. Trennung, begrüße ich die Strichregen welche sich mit kurzer Unterbrechung fulgeu. Um 5) Uhr abends hält der Zng ill der Station Lahor. Am nächsten Tage früh morgens wird Ravalftindi passirt. Hier befindet sich das Hauptquartier einer der wichtigsten Divisionen deren Aufgabe die Bewachung der Grenzen von Afghanistau ist. Der Himmel hat sich aufgeklärt und der Charakter der Gegend verändert. Allenthalben Basaltblöcke ohne jede Vegetation. Nur in den Schluchten eiuige Getreidefelder. Vullkom' mene Abwesenheit von Bäumen. Im Nordeu die leuchtenden Eishörner der Gletscher Kaschmirs welchen wir nns in der Nacht genähert haben. Die Stationen mit Menschen überfüllt. Durch ihre Gesichtszüge uud den kriegerischen Ausdruck dcrselbeu, nuterscheideu sich die Peujabi, in auffälliger Weise, vou deu übrigen Völkern der Halbinsel. Zwischen 9 uud 10 Uhr, uach Uebersteigung einer niedern Felskette, hält der Zng an den Ufern des geschichtlichen Stromes. Der Indns, auf deu nördlichen Abfällen des Himalaja ent-sprungeu, hat die geheimuißvollcn Thäler Thibets durchflosseu, und ehe er hier ankam, bereits fast die Hälfte der ungeheueru Eutferuung zurückgelegt welche seinen Ursprung von seinem Eude trennt.* Während dieser langen Wandcrnng hat er die unzähligen Bäche uud Flüsse anfgenommen, mit welchen ihn der Himalaja nud der Hiudukusch bereichern. Und dennoch, in diesen Engpaß gezwängt, möchte mau deu „Vater der Ströme" für eiueu tolleu Iuugeu, für eiuen übermüthigen Gießbach halten. Die kleinen Wellen stocken, überstürzen sich, prallen zurück, dringen vor, brechen sich endlich Bahn. Umsonst vcrsnchen die ungeheuern, übereinandergethürmten Basaltblöcke der schänmenden Flut Einhalt zu thun. Die Wasser besiegen den Stein. Ein * Tcr Lauf des IndnS wird auf 1«<>2 Meilen berechnet. Man zählt «lN Meilen von seinen Quellen bis Atuk und '.»42 von Atol biö zu seiner Mündnng i>, das Arabische Meer. Atot. 77 paar Schritt» vou der Station kann mau des Schauspiels ge-uießeu. Ciu wildes phantastisches Bild iu zwei Farbeu, weiß uud schwarz, gemalt. Der Zug rollt sodauu über die erst vor einigelt Mollnten vollendete Brücke. Hier blicke man Men Nord. Welcher Contrast! Der Indus, unbewußt der ihm bevorstehenden Kämpfe, rollt seine friedlichen Wasser majestätisch zwischen flachen grünenden Ufern, dnrch eine weite Ebene welche die Berge von Kaschmir im Norden begrenzen. Diese Kolosse scheinen so nahe, uud die ^uft ist so durchsichtig daß man die Schluchten der Abfälle und den Widerstrahl der Sonne ans den Zinken der Gletscher mit unbewaffnetem Auge wahrnimmt. Dies ist der Hintergrund des Bildes. Aoer in unmittelbarer Nähe springt das niedere Bcrggelände in den Strom vor. Anf dem Promontorimn stehen, braun wie Sepia, einige Häufer mit flacheu Dächern. Es ist die Stadt und das Gemäuer, über ihr, das Fort vou Atok, der alte Wächter desseu Aufgabe, der er niemals gerecht wurde, die Hut Iudieus gegen fremde Eroberer war. Bald daranf gelangen wir in das Thal des Kabul. Dieser Fluß, welcher der Hauptstadt Afghanistans seinen Namen gibt oder entlehnt nnd ihre Manern badet, ergießt hier seine klaren Wasser iu die schlammigeu Fluteu des Iudus. Dem Zufall, so verschwenderisch nnd so beständig in seiner Gunst seit ich diese Weltfahrt antrat und nirgends mehr als in Indien, verdanke ich die Bekanntschaft mit dem Commandanten der Division von Navalpiudi. Sir Michael Bidonlph befaud sich in demselben Znge nnd hatte die Güte sich, während einiger Stnudeu, zu mir zu setzeu. Welche Quelle von Belehrung. Sein Sohn trng einen prachtvollen Falken auf der Faust. In diesem Lande, welches sich hierzu vorzüglich eiguet, bildet die Falkenjagd einen beliebten Zeitvertreib der Raja. Wir nähern uns dem Ziele der langen Reise, und schon zeigt sich der Hindukusch mit feiner höchsten Kuppe, dem Khavak 78 Picrtt-r Theil. Indien. der sich 18200 Fuß über die Mecressläche erhebt. Im Thale des Kabulflusses, längs welchem sich die Eisenbahn hinzieht, seheil wir viel bcbautcs Laud aber, außer ein paar verkommenen Mimosen auf deu Statioueu, nicht eiuen Baum. Die Gegend erinnert an die spanischen Pyrenäen, wie sie dem Reisenden erschei-uen der sich ihnen, vou Süden kommend, nähert. Um :; Uhr nachmittags, Auknuft anf den, Vahnhofe der Stadt Peschawar, und eine halbe Stnnde später im englischen Cantonncment. Außer den Afridi und einigen andern Vergstämmen werden das neutrale Land, die Ufer des Indus und die Grenzdistrikte gegen Afghanistau von Pathanen bewohnt. Abstammung nnd Sprache haben sie mit den Afghanen gemein nnd unterscheiden sich r>ou ihueu nnr durch den Namen. Dies erklärt warum das Land so wenig Aehnlichkeit mit Indien hat. In der That, wer das rechte Indusufer betritt glanbt sich nach Centralasien versetzt. P es ch a w ar und de r K aiba r p a ß. V o m 5». z n m K 3^t ä r z. — Der Commissär von Peschawar Oberst Waterfield geleitet inich nach seinem hübscheu Buugalow, einem bequclnen steinernen Hause, sehr gut eingerichtet nm die Vewohner gegen Hitze lind Kälte zu schützen; denn sehr heiße Sommer nnd sehr strenge Winter folgen in diesem Lande uumittelbar aufeinander. Die Uebergangsepuchen von Frühling und Herbst sind unbekauut. Die Stadt Peschawar"', oou außen betrachtet, erinnert mit ihren sepiabrannen Ningmanern nnd mit ihrer Citadelle an die großen Städte Mittelasiens. Im Innern ist die Aehnlichkeit noch auffallender. Abgesehen von einigen Hindnhänsern — man * Vcvölkl'Nlnq der Stadt ohnc das Cantoimcmcnt .'.8W0, wovon!">«»0W Mohammedaner. Tas Cantonncment zählt 22000 Einwohner, danmtcr 3200 Christen. Peschawar. 7!) erkennt sic leicht an don viclon Stockwerkon und dem indischen Stil — nnterschoidot sich Poschawar nnr dnrch größere Beloblhoit nnd größorn Reichthum von Bokhara, Samarkand oder Kabul. Es vordankt soinon Wohlstand der Lage an: Eingänge des Kaiber-passes dnrch welchon die Straße nach Afghanistan führt nnd den Fronden nnd Versnchnngon welche os den ranhon Söhnon Mittelasiens bietet. Poschawar ist ihr Paris. Man kommt nm Geld zu gewinnen nnd anszngeben, nm zn arboiton nnd um Zn ge-nioßell. Anch ich finde die Physiognomie der ehemaligen Residenz* dor Könige von Kabul sohr anziohond. Wogon der hän-figcn Erdboden sind dio Hänsor ans Holz orbant nnd die Nännio zwischen don Balkon mit lichtbrannon an der Sonne getrockneten Lohmziogoln ansgefiillt. Die Obergeschosse, wenn deren vorhanden sind, springen gegen die Straße vor. Die ganz flachen Dächer erhöheil die Äohnlichtoit mit Erivan oder andern persischen Städten. In einer ongon Gasse bewundern wir eine Moschee. Eine andere, noch im Ban begriffene, zeigt den flam-lwyantcn manrischen Stil. Die Künstler nnd Steinmetzen arbeiten, wie nur gesagt wird, meist ohno Plan nnd Modoll. Sie bositzon ein sehr scharfes Ange und lassen sich, im übrigen, von der Tradition nnd den Bedürfnissen des Bauplatzes leiton. Abor diose neue Moschee, obgleich viel reicher als die alte, verträgt mit dieser letztern, in Beziohnng ans Architektnr und Behandlnng des Steines, keinen Vergleich. Anglikanische Missionare haben eine schöne Kirche im hindn-arabischen Stil t!) gebant. Por zehn Jahren wäre die Errichtung eines christlichen (^otteshanses im Innern der Stadt noch nnmög-lich gewesen. Aber in den letzten Zeiten bemerkt man eine bedeutende, schwer zu erklärende, Abnahme des früher berüchtigten Fanatismns der -Einwohner dieser Stadt. In den zahlreichen nnd wohlbostellten Bazaron sieht man * Sie war cs noch zur Zeit dcr Gesandtschaft wn Mountstuart Elphiu stcmc, im Jahre 1808. 80 Vierter Theil. Indien. grobe aber classisch geformte und ornanientirte Töpferwaaren, cm Erzeuguiß dieser Gegend; in einem runden den rcichen Kaufleuten aus Bokhara vorbehaltenen Bazar, prachtvolle Seidenstoffe; an einer Straßenecke, eine Masse von Nohrkäfigen kleine Vögel enthaltend welche von Hindu gekanft nud sogleich in Freiheit gesetzt werden. Diese gefiederten Wesen tragen nämlich die Sünden des Käufers mit sich fort. In einer der Hanvtgasseu befinden sich die Restaurants. Sie sind das Stelldichein der Feinschmecker, das Palais-Royal und der Boulevard des Italiens des afghauischeu Paris. Das offene Erdgeschoß läßt den Blick in dieKüche dringen wo ^eute aus dem Volke ihr Mahl einnehmen. Im Obergeschoß sitzt die elegante Ingend. Natürlich glänzt hier, wie an allen öffentlichen Orten in der orientalischen Welt, die Fran dnrch ihre Abwesenheit. Eine buntgemischte Menge drängt sich in den Gassen und Gäßcheu. In Europa besitzt Paris, in Asieu Peschawar die größte wechselnde Vevölkernug. Hier begegnen sich Fremde ans Bokhara, Turtistan, Kokan, Kastar nud, besonders, ans Afghanistan. Wo ist Indien geblieben? Jenseits des Indns. Dies ist eine audere Welt. Ich sah sie im Kaukasus, in Peking. Mit Indien hat sie nichts gemein. Zwei afghanische Prinzen, deren einer eine bedeutende Rolle gespielt hat, leben hier als Pensiouäre der indischen Ne-giernng. Der Sirdar Vali Muhammed Khan ist ein Brndcr des letzten Emirs von Afghanistall. Seine an merkwürdigen Wechscl-fällen reiche Lanfbahu entspricht der Geschichte uud der Lage semer Heimat. Aus diesen: Grnude verdient sie Beachtnng. Der Prinz trat nach dem Tode seines Vaters Dost Mohammed (1>!04) Ein afghanischer Prinz. 81 m das öffentliche Leben. In dem hieranf entstandenen Erbfolgestreite nahm er, abwechselnd, fnr beide Candidate» Partei. Während einiger Zeit Statthalter in einer der Provinzen Tnr-kestans, flüchtete er plötzlich jenseits des Oxus nach Bokhara. Nachdem er sich später mit seinem Bruder Scher Ali versöhnt hatte, bctrante ihn dieser nut der Statthalterschaft von Kabnl; aber, mit Recht oder Unrecht, des Trenbrnchs beschuldigt nnd deshalb seines Amts entsetzt, erklärte sich Vali zu Gunsten des feindlichen Thronbewerbers, Azim, welcher ihn nun, seinerseits, zum Statthalter von Kabnl ernannte. Kanm dort angekommen, näherte er sich Scher Ali. Als Azim hiervon Kenntniß erhielt ließ er ihn sofort verhaften und nach der Citadelle von Kandahar abführen. Aber die Besatzung dieser Festnng lehnte sich gegen Azim anf und setzte Vali in Freiheit. Er erwarb hierdurch wieder die Gnnst Scher Ali's und wnrde znin Statthalter von En-ram ernannt. In diesem seinem nenen Wirknngskreise verstand er in kurzer Zeit ein reicher Mann zu werden. Die hierbei von ihm entwickelte Thätigkeit erregte die Bewnndernng und den Neid der Statthalter der andern Provinzen. In Enram wird sein Name unvergeßlich sein. Hieranf trat er selbst als Thronwerber auf. Im Jahre 1.^77, während der englischen Besetzung von Kabnl, ward er mit der Verwaltung der Stadt beauftragt. Im Jahre 1^<» proelamirte er seine Thruneandidatur. Aber die euglische Regierung entschied zn Gunsten des jetzigen Emirs Abdnl-Raman, nnd Vali zog sich nach Peschawar znrück, wo er, wie bereits gesagt, als englischer Pensionär lebt. Ich gestehe daß diese Lebensbeschreibung mich nachdenklich stimmte. Ich frng ub alle afghauischen Prinzen von dem Schlage des Sirdar Vali wären nnd erhielt znr Antwort, sie hätten allerdings, sämmtlich, eine gewisse Familienähnlichkeit. Wenn dem so ist mnß es gestattet sein den Erfolg einer Politik zn bezweifeln welche sich anf das Büudniß mit diesem oder jenem Emir von Afghanistan stützte Das Hans, der Sarai, welches Sirdar Vali Mohammed v. Hübncr. II, H 82 Vierter Theil. Indien. Khan bewohnt, cm ehemaliges von Kaiser Akbar dem Großen* außerhalb der Stadt erbautes Caravanserai, steht zwischen einem großen Hofe und einem weitläufigen Obstgarten, nnd ist dnrch hohe Ringmauern eingeschlossen. Als wir, Oberst Waterfield nnd ich, dort erschienen wnrden wir am Eingänge von den hohen Würdenträgern des Fürsten, im Hofe von seinen Söhnen nnd, anf der offenen Freitreppe, von ihm selbst empfangen. Er ist ein schöner Mann von hohem Wnchs nnd dürfte in den Fünfzigen stehen. Die edlen Züge, die feurigen, uon großen, nach afghanischer Sitte, schwarzgefärbten Wimpern beschatteten Angen verhehlen nnr nnvollkommen, unter der Maske der Offenherzigkeit, den An^drnck eines hinterlistigen nnd misteten Gemüths. Er trug über einem Leibrucke von himmelblanem Tuche einen dunkelbraunen kaftan mit Seidenstickerei von derselben Farbe. Nach eiuigeu üblichen Redensarten führte er nns in einen langen und schmalen Saal welcher den Mittel^ nnd Hanpttheil des Gebäudes eiuuimmt. Von den Fenstern übersieht man, auf der einen Seite den Hof, anf der andern das offene Land. Niemand kann, von dem Hausherrn nngesehen, dem Gebände nahen. Der Prinz trng nns Sitze an. Seine Söhne, Enkel nnd Neffen standen im Kreise umher. Die Männer des Gefolges, Höflinge nnd Geheimschreiber, lauerten anf ihren Ferseu, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Die Seene versetzte mich nach dem Kaukasus. Die Unterredung in persischer Sprache, deren Oberst Watcrfield vollkommen mächtig schien, gericth keinen Angenblick in Stocknng. Ich werde nnr ein Wort hervorheben dessen Aufrichtigkeit ich nicht bezweifle. „Ich hoffe", sagte der Prinz, „lange genug zn leben nm den Thron meiner Ahnen zn besteigen." Als wir aufbrachen überraschte mich der Anblick des Hofes. So mnß es im Lager Tamerlan's ausgesehen haben. Da standen, an einzelne Pfähle gebnnden, prachtvolle tnrtomanische und arabische Regierte von 1 .'>'»7i, befand sich hier eine verworrene Masse von Hänsern welche die indische Regierung niederreißen ließ. Die wenigen europäischen Residenten errichteten anf dem hierdnrch entstandenen weiten Platze ihre Bungalow. Die übrigen Stadtviertel nnd insbesondere die Citadelle nnd die große Moschee tragen das uuverlöschliche Gepräge der großen mohammedanischen Herrscher. Das Fort oder die Citadelle. — Die Bastionen bieten den imposanten Anblick hoher, gezinnter, in rothem Sandstein erbanter Manern. Von diesen riesigen Steinflächen welche drei Seiten des Vierecks bilden — an der vierten vertritt der Inmna die Mauer — springen die Befestigungen der Thore vor. Die Thürmchen nnd Kioske an: obern Rande der Maner zeichnen ihre annmthigen Umrisse auf den, anch zwischen ihren Colo-netten sichtbaren, Himmel. Diese luftigen Gebäude bilden mit dem massiven Unterbau einen ergreifenden Gegellsatz. Wir betreten dnrch das Thor von Lahor das Innere der Forts. Hier fiel, während der Belagerung, General Nicholas als er seine Colouue zum Sturme führte, nnd die Eroberung desselben Thores hatte, fünf Tage später^, die Einnahme der Citadelle zur Folge. Aber nicht nnr hier, auch am Kaschmir-thore, am Ridge, allenthalben, in nnd um Delhi, ist jeder Zoll Erdreichs mit englischem nnd indischem Blnte getränkt. Innerhalb der Maueru steheu, neben einigen andern, drei Gebände, ein jedes von ihnen die höchste Leistung der iudo- * ?lm U>. September I85>7. Tivan-i-Kas. 95 arabischen Kunst, alle von dcm großen Kaiser Schah Iehau erbaut.* Der Divau-i-Kas, die Halle für Prwataudieuzen; Divan-i-Am, die Halle für öffentliche Empfänge und Moti Mesjid, die Perlmoschee ^ sind der Stolz Delhis und, ich glaube, im Verein mit den Wundern von Agra, der Ruhm uud die Zierde der Dynastie welche sie schnf. Divan-i-Kas. — Diese, auf drei Seiten offene Halle, befindet sich unweit der Ostseite des Forts uud liegt 25, Fuß über dem seine Grundfesten bespülenden Iumua."^ Sechs Reihen von Säulen und octogonen Pilastern tragen maurische Bogen auf welchen die Decke rnht. Au den beiden Enden des Gebäudes trennen kleine Höfe die Halle, auf der Nordseite, von den Bädern des Kaisers, gegen Süden, uou der Zenana, dem Harem. Diese beiden Gebäude befinden sich in der Läugenachse der Halle. Ein großer durchbrochener Marmorschirm gestattete der Kaiserin nud ihren Damen, ungesehen, den kaiserlichen Empfängen beizuwohnen. Die Wände, wo es deren gibt, der Plafond, der Fuß-bodeu, die Säulen und Pilaster find mit weißem Marmor bekleidet und mit Mosaik und eingelegter Pietra Dura geziert; das Werk ciues srauzösischen Goldschmieds, Antoine de Bordeaux, welcher wegen Betrugs aus seiner Heimat geflüchtet war. In der Mitte steht noch ein Marmorblock, der Untersatz des weltberühmten Pfaueuthrones, so genannt uach den beiden, ihr Rad schlagenden Pfanen welche die Lehne des kaiserlichen Sessels bildeten. Ihr Gefieder bestand aus Edelsteinen von unermeßlichem Werth. Von dieser Stelle gingen die Befehle des obersten Herrschers Indiens aus. Nadir Schah schleppte das Weltwunder l l73>>> mit sich fort. In diesem Saale thronte auch noch * Zwischen 1627 und 105)3. ** 2ie wird auch dcm Kaiser Aurungzeb zugeschrieben, welcher von 1658 bis 170? regierte. *** Tiese Halle ist !»<» Fuß laug, eiue ähnliche Vereinigung von Geschäftskenntniß und von seltenen Eigenschaften des Geistes und des Gemüthes zu verlangen Veranlassung hat. Das Cantonnement ist vielleicht das schönste welches ich sah. Lange macadamisirte Straßen zwischen den Compounds; allenthalben riesige Bäume. Schöne Häuser welchen die Veranda einen tropischen Anstrich gibt (obgleich die Veranda eine englische Erfindung ist). Eine große Anzahl stattlicher Gebäude: eine große katholische Kathedrale, eine sehr schöne anglikanische Kirche, ein ungeheueres, noch in Bau begriffenes Collegium, in indo-arabi-schem Stil, bestimmt eine möglichst große Anzahl junger Indier in Babu umzuwandeln. * Ten Engländern abgetreten von dem Nabob von Oudh im Jahre 1801. Bevölkerung 143680, wovon 103470 Hindu, 39370 Mohammedaner And 840 Christen. 118 Vierter Theil. Indien. Gegen Abend Spazierfahrt mit dem Gouverneur. Die heiße Jahreszeit ist früher als gewöhnlich eingetreten, nnd der heutige, jetzt zu Ende gehende, Tag hat mir gezeigt was Indien in dieser Jahreszeit ist: die Sonne, obgleich versengend, kaun: sichtbar hinter eincm Gewebe von gelben: Staub. Der fahlgelbe Boden vertrocknet. Die Hitze kamn erträglich. Akbar's Fort* hat, infolge englischer Zubauten, au Vertheidigungskraft gewonnen und an malerischem Reiz verloren. Zu seinen Füßen rollt der Imnna seine schlammigen Wasser um sie, am Ende jener kleinen Landzunge, in den Ganges zu ergießen. Sehr belebt ist die indische Stadt. Auch hier fiude ich jedermann mit rothem Pulver bestreut, obgleich das große Fest, welches in ganz Indien begangen wird, bereits vorüber ist. Leute, welche auf sich halten, tragen bei diesem Anlasse weiße Leibröcke von einem Gewebe welches den Rosenstaub nachahmt. Dieser Stoff wird in Birmingham erzeugt! Wo immer drei Anglo-Indier sich versammeln, dreht sich das Gespräch um Indien. Selteu kommt die Rede anf das „alte Land", es müßte sich denn um Beförderungen, Garnisonswechsel oder Pensioninmgen handeln. Hier sprechen wir von Indieu. Jemand sagt: „Die juugen Hindn von gntcr Familie, welche in unsern Collegien erzogen wurden, geben häufig ihre Landestracht auf uud kleiden sich europäisch. Die mohammedanischen Babu thun dasselbe, nur behalteu sie das Fez bei, deun mit eiuem Auge schieleu sie immer nach Konstantinopel. Aber die einen wie die andern wechseln ihren Anzug nm in nnferer englischen Gesellschaft zugelassen zn werden. Unglücklicherweise * Erbaut 1575. Eingeborene Notabeln. 119 sind wir zu exclusiv um diesem Wunsche zu willfahren. Die Folge ist daß wir sie unter die Malcontenten treiben." Arme junge Lente! Ihr Kleiderwechscl konnte in ihrer Welt nicht gefallen und in der der Herrscher hat er ihnen wenig gc-nützt. Sie sind Zwischen Zwei Stichle gerathen. Ich bedauere sie vou HerZen, aber ich gestehe ich kann die Lente nicht tadeln welche sie nicht mehr, und auch nicht jene welche sie noch nicht als die Ihrigen betrachten wollen. Glaubt man wirklich daß der schwarze Frack und das weiße Halstuch den die beiden Rassen trennenden Abgrund überbrücken können? Die meisten Anglo-Indier, doch nicht alle, sind dieser Ansicht. Sir Alfred Lyall meint man solle wenigstens den Versuch machen die eingeborenen Notabeln an unsere geselligen Lebensformen zu gewöhnen. Vielleicht könnte man auf diese Weise eine geistige Annäherung und eine Reform der Sitten uud Gebräuche herbeiführen. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, veranstaltete er ein Diner uud lud hierzu mehrere hochgestellte, dermalen hier verweilende Persönlichkeiten aus verschiedenen Theilen seines Gouvernements. Drei von ihnen nahmen an. Es waren zwei Mohammedaner und ein reicher hindnischer Raja. In Be-zng ans letztern muß allerdings bemerkt werden daß er, um eine getaufte Eingeborene zu heirathen, seine Kaste aufgab und Christ wurde. Die vier übrigeu Geladenen, alle hinduische Notabeln, ließen sich für das Diner eutschuldigeu. — Sich mit Christen an denselben Tisch setzen, mit ihnen essen? Wofür haltet ihr uns? — Indeß versprachen sie nach dem Diner zu erscheinen. Letzteres verlief vollkommen gnt; ich bedauerte nur ein der Localfarbe gemachtes Zugeständniß: die Damen des Hauses erschienen nicht. In meinem Innern machte ich die beiden Mohammedaner und den Ex-Hindn hierfür verantwortlich. Dieser Raja gefiel mir übrigens sehr wohl. Er sprach, lachte, uud handhabte die euglische Sprache so wie Messer und Gabel mit Leichtigkeit. Die beiden mohammedanischen Gäste beobachteten eine würdige 120 Vierter Theil. Indien. Zurückhaltung, nicht ohne einen Beisatz von Verlegenheit. Nach aufgehobener Tafel erschienen die vier Hindu, aber nur für einige Augenblicke. Ihre schönen und reichen Anzüge nahmen sich vortheilhaft aus neben dem Schwarz und Weiß der eng-lischen Gentlemen. Aber, obgleich diese beiden Raffen seit mehr als einem Jahrhundert die Wege des Lebens nebeneinander wandeln, vom Schlachtfeldc nach dem Durbar uud vom Durbar auf das Schlachtfeld, so schien man doch beiderseits betroffen und ein wenig verlegen sich in einen: Salon zn begegnen. Der Zu kurze Aufenthalt in Allahabad endet eher als mir lieb ist. Mein Verkehr mit Sir Alfred Lyall, nnerachtet unserer verschiedenen Gesichtspunkte in gewissen Fragen, wird mir unvergeßlich sein. Benares. — Vier Stnndcn nach der Abreise von Allahabad hält der Zug am rechteil Gangesufer, gegenüber der heiligsten Stadt der Welt, jedenfalls einer Stadt deren Heiligkeit in das Dnnkel der Zeiten zurückreicht. Während achthundert Iahreu war Benares der Mittelpunkt des Buddhismus bis es, im 4. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung, zu den: alten Hinduglauben zurückkehrte. Wagen nnd Diener des Commissars erwarten mich am Bahnhöfe. Wir fahreu über eine elende Schiffbrücke anf welcher sich eine Masse von Ochsenkarren zwischen den gebrechlichen Bambusgeläudern drängen. An ein rasches Fortkommen ist nicht zn denken. Aber dieser unvermeidliche Aufenthalt gestattet mir ein wuudervolles Bild zu schauen. Da liegt sie vor mir, am linken Gangesufer, auf einer fast senkrecht abfallenden Felster-rasfe, die alte heilige Stadt, mit den zahllosen Tempeln ihrer Benares. 121 Götter, mit den Palästen fast sämmtlicher indischer Fürsten. Jenes bizarre in siamesisch-chinesischem Geschmack errichtete Haus gehört dem Maharaja von Nepal. Die kolossale Moschee hat, den Hindugläubigen znm Spott, der fanatische Muselman Aurungzeb erbant. Ihre beiden Minarets überragen alle andern Gebäude obgleich die meisten fünf bis sechs Geschosse zählen. Breite, hohe Staffeln, die berühmten Ghat, erleichtern den Gläubigen zu dem Ufer des Stromes herabznsteigen. Glückselig wem es gegönnt ist in den heiligen Flnten Zu baden; dreimal glückselig wer sein Leben in der heiligen Stadt beschließt! Deshalb lassen sich auch so viele Kranke und Sterbende hierher bringen. Ihre Leiche wird am Fnße dieser Ghat verbrannt werden, und die Seele des Verblicheneu kann eine Reihenfolge wonniger Wandlungen mit Zuversicht erwarten. Als ich, in den Anblick versunken, um die Mittagsstunde, über die Brücke fuhr glich die schattenlose Vedute der Stadt eiuer Silhouette vou mattem Golde, kaum wahrnehmbar auf dem goldbestäubteu Hintergrunde des Himmels. Endlich passirte der Wagen die Brücke, erklomm eine fehr steile Rampe und erreichte, nachdem er die Stadt außerhalb der Mauern umfahren hatte, das Cantonnement wo sich die Baracken der Trnppen und die Compounds der Europäer befinden. Schou aus der Eutferuung macht mir das Hans des Com-missärs den Eindruck ciuer Oase. Prachtvolle Bäume hüllen es in ihre Schatten, Blumenterrassen verbreiten ihre Wohlgerüche, und auf der Schwelle begrüßen mich Mr. und Mrs. Lumsden mit jener herzlichen Zuvorkommenheit welche der anglo-indischen Gastfreundschaft ihren eigentlichen Reiz verleiht. Mein neuer Hindufreuud aus Allahabad, welcher in Benares ansässig ist, findet sich alsbald ein. Er ist einer der großen Grundbesitzer dieser Gegend, war Mitglied des Rathes Zu Kalkutta und Inspector im Departement des öffentlichen Unterrichts. Diesen hohen Aemtern verdankt er den Titel eines Raja. Er ist aber auch überdies, wie mir versichert wird, ein charakter- 122 Vierter Theil. Indien. fester Ehrenmann der, bei mehrerer Gelegenheit keinen Anstand nahm die Popularität deren er genoß seinen Ueberzeugungen zu oft fern. Mr. Lmnsden schenkt mir seine Zeit während meines Besuchs, nnd der Raja wird gleichfalls mein Begleiter sein. Er spricht englisch, wie bereits gesagt, fließend nnd correct, aber seine Art zn denken nnd zu urtheilen ist indisch geblieben. Wie interessant sich Indien dnrch einen Hindll erklären Zn lassen! Ich neckte ihn mit dem eifersüchtigen nnd despotischen Temperament der hindnischen Ehemänner. Er wollte dies nicht Zugeben. „Die Hindnfran", sagte er, „ist keineswegs eine Sklavin, wie von den Engländern behanptct wird. Sie geht wenig aus, weil sie lieber zu Hause bleibt. Sie ist von Natnr schüchtern, oder vielmehr was man anf englisch ^Ii^ nennt. Wenn ein Mann seiner Fran eine Ausfahrt im offenen Wageil vorschlüge, würde sie ihn für verrückt halteu. Wahrscheinlich würde sie ihm sagen daß sie Vorzüge sich iu einen Brunnen zu stürzen. Deshalb übt sie doch in der Familie nnd im Hanse einen größern Einflnß ans als ihr Gemahl." Es ist 4 Uhr nachmittags, und die heiße Jahreszeit hat bereits begonnen. Unter solchen Umständen das kühle Hans Zu verlassen, setzt einen gewisseil Grad von Heldenmnth voraus. Wir besitzen ihn. Die öffentlichen Gebände anßerhalb der Stadt, wie das Spital des Prinzen von Wales, das Collegium, die Normalschnle, in welcher die officiellen Volksaufklärer, d. h. eingeborene Schulmeister ihre Ansbilduug erhalteu, werdeu zuerst besucht. Auch das städtische Rathhaus, die tmvnliaii, ein pompöser Bau, wird mir gezeigt. Ich gestehe daß mich ein ausgestopfter Tiger, deu man dort sieht, am meisten interes-sirte weil er (vor zehn Jahren) in den Gassen (!) von Venares erlegt wnrde. Wir betreten sodann die wirkliche, die Hindnstadt. Die in den Bazaren und Kaufläden ansgebotenen Bronzewaren und gestickten Stoffe genießen in ganz Indien eines hohen Nufs. Die Benares. 123 Arbeit ist gewöhnlich vortrefflich, aber die Zeichnung bizarr, barbarisch und, sehr oft, geschmacklos. Tollte man es glauben, Veuarcs hanßmannisirt sich? Glücklicherweise mit Maß und Ziel. Häuser werdeu Zwar abgetrageu, aber so wenig als möglich, gerade nur so viel als für die Erleichterung des Verkehrs unumgänglich nothwendig ist. Ueber-dies werden die Nenbautcu in dem landesüblichen Hindustile aufgeführt. In gewissen Stadtvierteln haben die Häuser, cigent-lich Thürme, eine bedeutende Höhe. Der Grund ist ihre Ueber-völkerung, nnd sie sind übervölkert weil sie sich in der Nähe der großen Heiligthümcr und der Ghat befinden. Auch hier treten die Obergeschosse vor, sodnß die höchsten, in den durchwegs engen Gassen, die der gegenüberstehenden Häuser zu berühren scheinen. Man sieht auch kleine Brücken welche, iu schwindelnder Höhe, von einer Seite der Gasse nach der andern führen. Die Fenster sind sehr klein weil man hierdnrch das Eindringen der heißen Luft zu beschränken vermeint. Fast alle Mauern sind mit mythologischen Scenen in sehr grellen Farben bemalt. Nicht einen Augenblick vergißt man die Lauctiws loci. Es gibt auch Moscheen aber, mit Ansnahme der bereits erwähnten des Kaisers Aurungzeb, drängen sie sich den: Auge wenig auf. Im ganzen zählt man in Benares 1454 brahminische Tempel nnd 272 Moscheen. Bei Sonnen- uud Mondfinsternissen strömen hier an oder über 1W000 Pilger aus alleu Theilen der Halbinsel zusammeu. Diese grotesken, seltsamen, immer scheußlichen Fratzen mit denen die Wände der Häuser und die Tempelmaucrn bedeckt sind scheinen ihre stieren Blicke auf uns zu heften. Ein nn-heimlicher Eindruck! Man möchte, aber mau kann sich ihm nicht entziehen. Dagegen zeigen die Temftelthore von Bronze wahre Meisterstücke der Seulptnr. Die Figureu uud Sccneu gehöreu dem Hindu-Olymp an. Man verschwendet die Kunst nm Un-gehener zn schaffen. Eine bunte Menge: Brahminen, Bajaderen, fromme Stadtbewohner nnd Pilger von nah nnd fern belagern 134 Vierter Theil, Indim. die Zugänge zu den Tempeln und füllen die anstoßenden engen, gekrümmen Gassen. Hier befinden sich winzige Buden in welchen Exvotobilder und andere Gegenstände für denselben Zweck ails Similor, einem schwarzen Stein, Marmor oder Gips verfertigt, an die Gläubigen verkauft werden. In kleinen offenen Werkstätten werden wirkliche Götter erzengt. Das Volk zweifelt nicht an der Gottheit dieser Producte; die Punditen leugnen sie. In diesem Wirrsal von Gäßchen zwischen sehr hohen Hänsern, herrscht, obgleich die Sonne in ihnen nie sichtbar wird, eine erstickende Atmosphäre. Dazu das Gedränge. Nur mit Mühe brechen nns vier Polizeisoldaten Bahn. Ich werde kein Wort verlieren mn die Unreinlichkeit und die mephitischen Ausdünstungen in dem Tempel der heiligen Kühe Zu beschreiben. Wir ergriffen sogleich die Flucht. Einige Schritte weiter steht der hochberühmte „Goldene Tempel", Aischevar, sogenannt weil die Pyramiden über dem Heiligthumc mit vergoldeten Kupferplatten belegt sind. Runjet Sing hatte, am Todtenbette, seinem Nachfolger befohlen diesen besonders verehrten Tempel mit massivem Golde decken zu lassen. Letzterer zog es vor vergoldetes Kupfer zu spenden. Dieser Act der Sparsamkeit, welcher vielleicht den localen Göttern misfiel, that wenigstens der malerischen Wirknng, welche der Contrast zwischen der Vergoldung und dem schwarzrothen Sandstein hervorbringt, keinen Eintrag. Im Innern großes Gedränge von blumenbeladenen, opfernden, betenden, schwatzenden Weibern. Dazn, von Zeit zn Zeit, die dnmpfen Klänge der großen Glocke im Hofe. Hinter dem Tempel befindet sich der mit dem Schweiße Wischuu's gefüllte heilige Teich in welchen eben Männer und Franen Blumen warfen. Der ekelhafte Geruch des stehenden Wassers und der faulenden vegetabilischen Stoffe zwang uns Zum eiligen Rückzüge. Wir suchten und fanden eine Thür nnd betraten einen kleinen unregelmäßigen Platz, auf allen Seiten von Sanetuarien umgeben nnd überragt von den Pyramiden Benares. 125 des Goldenen Tempels. In der Mitte, auf einem sehr niedern Fnßgestelle, steht, aus einem ungeheuern Blocke gemeißelt, die kolossale Statue einer Kuh. Einige Schritte weiter bildeten einige Fakire, auf ihren gekreuzten Beinen sitzend, einen Kreis um das „heilige Feuer". Während vierzig Tagen und Nächten werden sie ihre Plätze nicht verlassen. Die Hitze des Feuers, der Sonnenbrand beirren sie nicht. Beinahe vollkommen nackt, das Gesicht mit einer Maske von Stanb, Asche und Schweiß bedeckt, das Haar struppig uud vcrworreu, gleichen sie eher Götzenbildern als menschlichen Wesen. Einer von ihucu, ein ganz junger Mensch, nnbeweglich wie eine Bildsäule, heftete sei-ueu erloscheueu Blick auf mich. Eine mähnenartige Fülle steifer, aneinanderklebender Locken sträubte sich auf einer niedern, vor der Zeit gefurchten Stirn. Ich frug mich ob dieses Häuflein entfleischter Kuochcu, diese geschwundeuen Gliedmaßen, dieser kaum mehr menschliche nackte Körper einem lebenden Wesen angehören. Was mag wohl in den Köpfen dieser Hinduasceten vorgehen? Mau antwortete mir: „Es sind Heuchler oder Fanatiker." Derki leichte Erklärungen erklären aber, eigentlich, gar nichts. Für mich sind es lebende Räthsel. Ich suche vergebens nach dem Sphiux der sie mir lösen könnte. Aber das Bild ist wunderbar: Noch nicht vollkommenes Dunkel. Der rosige Himmel der in Indien knrzen aber leuchtenden Abenddämmerung spiegelt sich in den Vergoldungen des Tempels, verbreitet warme Töne über die Sanctuarien die den Platz umgcbeu, über die steiucre Kuh welche ihu beiuahe ausfüllt und zu wachsen scheint in dem Maße als die nahende Nacht sie in ihre Schleier hüllt. Und vor uns, unbeweglich wie dies Idol, im grellen Lichte der Flammen welche sie zn verzehren scheinen, die Gruppe der Fakire? Auch iu Beuares hat Iey Siug, dessen Bekanntschaft wir in seiner Hauptstadt Ieypur gemacht uud welchen wir in seiner Sternwarte in Delhi wieder begegneten, ein großartiges Observatorium erbauen lassen (1693). Wir besuchten es nnd 126 Vierter Theil. Indien. ließen uns die Art erklären wie man damals den Lauf der Gestirne maß. Ich ssestehe, das sanfte Licht der sich im Ganges zn nnsern Füßen spiegelnden Sterne störte meine Anfmerksamkeit während des Vortrages. Im Süden der Stadt steht ein, wegen seiner heiligen Asfen, berühmter Tempel. Wenig erbant dnrch meine Berührungen mit ihren Ttandesgenossen in Gnzerat nnd Rajputana, nnterließ ich ihnen in Durya Kand anfzuivarten. Es fiel mir auf daß in Benares keiner der 1400 Tempel und keiner der Paläste über das 16. Jahrhundert znrückreicht. Mehrere dieser Gebände gehören dem unserigen an. Man erklärt dies dnrch die Zerstörungen welche die mohammedanischen Eroberer, besonders im nördlichen Indien, angerichtet haben, dann anch dadurch daß sie das Volk Zur Annahme des Isla-mismns zwangen, jedoch ohne daß es ihnen gelang den noch fortlebenden hinduischen Geist Zu todten. Er widerstand dem blutigen Vordringen des Halbmondes; er widersteht den friedlichen Vorkämpfern der europäischen Civilisation. Besuch bei dem Maharaja von Benares. Isri Perschad Naraim Sing Bahadur ist kein Lehnsfürst aber, als Haupt einer erlauchten Familie uud als der größte Grundbesitzer, die höchstgestellte Persönlichkeit in diesen Gegenden. Zu seinen Namen nnd Titeln fügt er die Auchstabeu O. (^. I. 8. das heißt Großgefährte des Indischen Sternes. Trotz seiner 66 Jahre, ist er noch ein schöner vornehm aussehender Herr. Sein Palast, natürlich überfüllt mit Dienern, Beamten, Höflingen, ist in europäischem Stile eingerichtet. An den Wänden Kupferstiche und Photographien. In der Mitte des Gemaches^ wo er uns empfing, und das verfinstert war weil er an den Augen leidet, ein rnnder Tisch und Lehnstühle. Aber man sieht Die Ghat. 127 wohl daß auf diesen Sesseln selten gesessen wird. Die Lebens-lnft in diesen Räumen ist eine entschieden indische. Uebrigens keine Ceremonie. Immer in Begleitung des Commissars nnd des Raja, drang ich ohne Umstände in das Haus des Maharaja nnd wnrde von ihm auf das artigste empfangen. Am nächsten Tage sandte er mir seinen ältesten Sohn und Nachfolger. <3in schöner junger Herr welcher den Prachtvolleu Anzug eines Raja mit Anmnth nnd Grazie trng. Er brachte mir Ansichten von Benares und ein Porträt seines Vaters. Man muß die Ghat früh am Morgen besuchen, zur Zeit wo gebadet wird. Der Maharaja hat uns seine Barke zur Verfügung gestellt, und, der Kühle der ersteu Stunde nach Sonnen-anfgang genießend, gleiten wir sanft der Felsterrasse entlang. Sie gewährt einen höchst phantastischen Anblick. Mit Ausnahme des chinesischen Palastes der Fürsten von Nepal und der imposanten Moschee Aurungzelrs, herrscht hier der Hindnstil vor. Obgleich alle diese Gebäude auf deu Höhen des Felsufers stehen, bilden sie doch keine ununterbrochene Reihe sondern vielmehr nnregelmäßige Grnppen welche, den Falten des Abhanges folgend, bald vorspringen bald zurückstehen nnd, von einem sich bewegenden Kahne betrachtet, abwechselnd die Facade nnd die Seitenwäude zcigeu. Die Ghat, uuregelmäßige, breite, zum Theil iu den Fclscu gehauene Treppeu mit sehr hohen Stufen, schlangeln Zwischen den Gebäuden dahin, Zwängen sich in die engen Uferspalten, und erreichen endlich, m steilem Abfalle, den Rand des Wassers. In diesem Augenblicke gleichen sie einem Ameisenhaufen. Allenthalben ein Gedränge von badenden Männern, Weibern und Kindern. Mädchen uud jnnge Fraueu, die lichtbraunen Glieder in weiße oder rothe Gewänder gehüllt, die edle Stirn von einem Schleier umfangen dessen Zipfel in der Morgen- 128 Vierter Theil. Indien. luft flattern, eilcu die Treppen herab, schöpfen Wasser in der heiligen Flut, und schwingen die gefüllte Amphora, den metallenen in der Sonne leuchtenden Krug, mit einer amnuthigen Handbewegung ans den classisch geformten Kopf. Aufrecht uud leichten Trittes ersteigen fic wieder die Ghat, erreichen alsbald den obern Rand der Terrasse, verschwinden endlich, wie Schatten, im Halbdunkel der Gassen. Mittlerweile waschen die Badenden ihren Körper mit den Händen, tauchen einige male unter und lassen sich und ihre Kleider sodann durch die Sonne trocknen. Niemand entkleidet sich gänzlich, nnd jedermann beobachtet den äußersten Austaud. Hier begegnen sich alle Kasten. Nach dem Bade setzen sich die Männer aus den höhern Ständen auf ihnen vorbehaltene Plätze, und schwätzen im Schatten riesiger Sonnenschirme welche eines der vielen eigenthümlichen Elemente dieses echt hinduischen Gemäldes bilden. Auf einem der Ghat, hart am Wasser nnd dicht neben den Badenden, werden Leichname verbrannt. Wir sahen einen welcher bereits in Asche verwandelt war; einen andern, noch unversehrten, wie man ihn seiner Umhüllnng entkleidete, uud den Flammen übergab; einen dritten der, noch in ein weißes Tuch gewickelt und an die Bahre festgebunden, von laufenden Kuli herabgctragcu wurde. Dieser Ghat wird die Brandstätte genannt. Tod uud Leben begegnen sich. Zahlreiche, auf der Treppe aufgestellte Steinplatten sind dem Andenken der Witwen geweiht welche, bevor diese zu fromme Sitte verboten war, hier den Sati vollzogen haben. Mr. Lumsdeu lenkt meine Aufmerksamkeit auf einen schwarzen uus uaheudeu Puukt. Ein riesiger Aasgeier sitzt auf einem schwimmenden Todten. Andere ihm die Bente bestreitende Vögel verjagt er mit gewaltigen Flügelschlägen. Tann versenkt er den langen Schnabel, mehreremale hintereinander, in den aufgedunsenen Leichnam, entreißt ihm und verschlingt, mit rückwärts geneigtem Kopfe, nicht ohne Mühe, die scheußlichen Bissen. Er frißt mit Methode. Diese widerliche Gruppe: der Me Ghat. 129 Todte, der Geier und die ihn umflatternden Mitbewerber trieben hart au uuserm Boote vorüber. Aber die Sonne macht sich fühlbar. Die Badenden sind nach Hause gegangen, die Kauefthoreu verschwunden, die Scheiterhaufen erlöscht. Schweigen uud Einsamkeit herrschen über den Ghat. v. Hübnei. II. S'ikkim. Vom 21. zum 28. März. Die indischen Eisenbahnen. — Von Kalkutta nach Darjeeling. — Sikkim. — Nepal. — Butan. — Physiognomie von Darjeeling. — Ausflug nach Ranjit Bazar. — Csoma de Körös. Von Benares nach Kalkutta. — In Vritisch-Indim lassen die Eisenbahnen und Waggons wenig zu wünschen übrig. Sie wären vollkommen, könnte man die das Dienstpersonal größ-tentheils bildenden Eurasier durch Europäer ersetzen. Nicht als ob ich erstern Uebles nachreden wollte; im Gegentheil, ich zolle ihren Verdiensten volle Anerkennung. Aber man sagt ihnen nach daß sie, sich selbst überlassen, sehr leicht den Kopf verlieren. Alles geht vortrefflich solange keine Störnng oder gar ein Unfall stattfindet. Aber das geringste unvorhergesehene Hinderniß setzt sie in Verlegenheit und kann ernste Folgen nach sich ziehen. Ein Beispiel kann ich aus eigeuer Erfahrung anführeu. Bald nach der Abfahrt von Benares in der Richtung von Kalkutta, wurde plötzlich zwischen zwei Stationen angehalten. Der uns vorangehende Zug war entgleist und versperrte die Linie. Die Zugführer erwiesen sich als rathlos und ließen uns, statt nach der nächsten Station zurückzukehren, von Mittag bis abends in einem Einschnitt verweilen, inmitten einer baumlosen Ebene, ohne irgendeine schattige Zufluchtsstätte, außer unsern Waggons welche Die indischen Eisenbahnen. 131 die Sonne in einen Glühofen verwandelte. Eine unangenehme, ja gefährliche Lage in welcher, mehr oder weniger, das Leben der Reisenden auf dem Spiele stand. Die mechanische Vorrichtung mittels welcher, durch Bespritzung mit Wasser, eine kühle Atmosphäre im Innern der Waggons erzeugt wird stand still mit der Locomotive. Mein Vorrath von Eis, schöne große, in Filz sorgfältig gewickelte, in einer hölzernen Kiste verpackte Würfel, war geschmolzen. (In der heißen Jahreszeit reist kein Europäer ohne sich mit Eis zu versehen.) Diese fünf tödlichen Stunden waren eine harte Prüfung. Ich begreife jetzt daß vor einigen Jahren ein unternehmender Mann in den großen Stationen zwischen Bombay und Kalkutta eiue gewisse Anzahl Särge von allen Größen zum Verkauf ausbot mit der Ankündigung: „Für die Bequemlichkeit der Reisenden." Am nächsten Morgen Ankunft in Kalkutta und, nach einem der Ruhe gewidmeten Tage, Abreise nach Darjeeling. Eutfernung vou Peschawar nach Kalkutta 1609 Meilen. Von Kalkutta nach Darjeeling. — Ehemals bedürfte eine Familie welche die frische Lnft des Himalaja aufsuchte, im Palankin, 15)—30 Tage um Darjeeling zu erreichen. Jetzt wird diese Eutfernung in weniger als 30 Stunden zurückgelegt. Ich verließ Kalkutta um die Mitte des Tages. Rasch durchflog der Zug eine unabsehbare, wohlbebaute, an vielen Stellen bewaldete Ebene. Unter diesem blendenden und glühenden Himmel wirkt der Anblick einiger Tamarinden oder indischer Feigenbäume wohlthätig auf das Auge. Man glaubt, augenblicklich, einige Kühlung der Atmosphäre zu fühlen. Allerdings, nur eiue Täuschung. Es war Nacht geworden als wir am Ufer des Ganges anlangten. Man setzt über den Strom in einer Dcnnftffähre welche 9* 132 Vierter Theil. Indien. gewöhnlich unterwegs im Schlamme stecken bleibt, was auch uns widerfuhr. Die erste Morgendämmerung ließ nns im Norden den Himalaja errathen. In Siliguri, au der Grenze von Vritisch-Tikkim, wurden die Reisenden iu zwei von einer Locomotive gezogenen Obar-k-dancs verpackt. Die Eisenbahn hat sich in einen einfachen, fortwährend steigenden Tramway verwandelt. Auf dem Grate eines Bergrückens, dessen Seiten beinahe senkrecht abfallen während rechts und liuks der Abgrund gähnt, beschreiben wir haarsträubende Curven und noch entsetzlichere Zickzacke. Aber je mehr wir uns erheben je frischer wird die Luft, je freier athmen wir, je mehr bekleidet sich das Bergland, anfangs mit uiederm Gestrüpp, dcmn mit stattlichen Büschen, endlich mit prachtvollen Kastanienwäldern. Hinter uus, gegen Süden, steigt scheinbar die große Gangescbene am Himmel empor, einem ungeheuern grancn Teppiche ähnlich welcher, anf der Höhe unserer Gesichtslinie wie an eine Wand geheftet, sich nach unten entrollt bis er den Fuß der Berge erreicht die wir ersteigen. Von diesem dunkeln Hintergrunde reißen sich zwei große Silbcrbänder ab: die Nebenflüsse des Gauges und des Brahmaputra, der Mahananda und der Tista. Ersterer gleicht eiuer im Halbdunkel der Dämmerung leuchtenden Säule. Noch eine halbe Stuude, uud die Nacht umfängt nns. Aber wir hören und riechen den Wald. Die Luft ist entschieden kalt geworden. Endlich hält der Zng bei der militärischen Gesundheitsstation Iallapur, worauf er, mit dämonischer Geschwindigkeit, nach Darjeeling hinabrast. Entfernung von Kalkutta: 364 Meilen. Ich steige in dem ganz guten kleinen Hotel eines Schott-länders ab, nnd nachdem ich den nächsten Platz beim Feuer gewählt und mich sorgfältig in meinen Wiuternberrock und einen Shawl gehüllt habe, erwarte ich, mit drei oder vier jnngcn Ehepaaren welche sich in ähnlicher Gemüthsstimmung befinden, mit Ungeduld das Auftrageu des Abendmahls. Sikkim. 133 Darjeeling, erbaut auf einem der Strebepfeiler des Himalaja, 7000 Fuß über der Meeresfläche und 5000 Fuß über dem Flußbette des Ranjit, welcher Britisch-Sikkim von dem chinesischen Sikkim scheidet, ist, während der heißen Jahreszeit, das irdische Paradies der officiellen Welt und (im nahen Iallapur) eine Gesundheitsstation der Armee von Bengalen. Zugleich ist es der, der südlichen Himalajakette nächstgelegene, Europäern Zugängliche Punkt, Der Staat Sikkim, welchen man uuabhängig nennt, der aber dem Kaiser von China tributpflichtig ist, kann mit einer Sackgasse verglichen werden zwischen den höchsten Bergen der Welt. Im Westen, auf dem Gebiete von Nepal, springt eine der Ketten des Himalaja nach dem Südeu vor. Im Norden bilden seine Riesen einen Wall welcher nur durch drei Engpässe überschritten wird. Der höchste von ihnen, der Tankralapaß, liegt 16000 Fnß über dem Meere. Im Osten grenzt Sikkim an den, gleichfalls unabhängigen, Miniaturstaat Butan. Dort erniedrigen sich allmählich die Berge bis zur gänzlichen Verflachnng in den Ebenen von Assam. In Sikkim galt der Kinchinjunga, 28000 Fuß über dem Meere, bis vor kurzem für den König der Alpenwelt. Er wurde durch den um 1000 Fuß höheru Berg Everett in Nepal entthront. Aber vor zwei Jahren erstiegen Mitglieder des londoner Alftcnclubs, in Begleitung von SchweiZerführern, einige nahe bisher für unzugänglich gehaltene Zinken, und von diesen Höhenpunkten entdeckten sie hinter dem Himalaja, im Norden und mit ihm parallel laufeud, eine andere thibetanische Kette deren Gipfel den Kiuchinjunga uud Berg Everett offenbar überragen. Die Gießbäche von Sikkim, meist Zwischen senkrechten oft an 1000 Fuß hohen Felswänden herabbranscnd, führen, nachdem sie durch die Schluchten der Strebepfeiler des Himalaja gedrungen sind, ihre schäumenden Wasser den Nebenflüssen des Brahmaputra uud Gauges zu. Eiuer dieser Gießbäche ist der Ranjit von dem bereits die Rede war. Die den kleinen Staat beherrschende Dynastie ist thibetanischen 134 Vierter Theil. Indien. Ursprungs. Der Raja entrichtet seinen Tribut an den Kaiser von China durch Vermittelung dcr thibetanischen Oberbehörden in Lhassa. Die Beziehungen mit den Engländern reichen in das Jahr 1814 zurück. Um jene Zeit führte die Ostindischc Compagnie mit Nepal Krieg. Der Raja von Sikkim schloß sich den Engländern an und erhielt zur Belohnung ein kleines Nepal abgenommenes Gebiet und eine jährliche Subvention von 300 Pfd. St. Später trat er der Compagnie den südlichen Theil seines Staates ab, nämlich den District von Darjeeling, und bequemte sich die „britische Garantie" anzunehmen (1835). Seither haben in den gegenseitigen Beziehungen verschiedene Wandlungen stattgefunden. Besonders schwierig erwies sich der Raja im Punkte dcr Sklaverei zu deren Aufhebung er sich verpflichtet hatte. Vorstellungen in diesem Sinne nahm er übel auf. Eines Tags ließ er sich sogar beikommen dem englischen Commissar in Darjcelmg einen schlimmen Streich zu spielen. Dieser hohe Beamte botanisirte anf dem Gebiete des Raja in Begleitung des bekannten Gelehrten Dr. Hooker, als die beiden Gentlemen ergriffen und in einen Käfig gesperrt wurden. In dieser Verfassung schleppte man sie, während sechs Wochen, durch alle Ortschaften des Landes. Die Folge war die Ent-ziehnng der Subvention und, einige Jahre später, der Abschluß eines neuen Vertrags durch welchen die Zahlung der Pension von dem guten Betragen (ßuoä dklmviour) des Raja abhängig gemacht wurde. Unter gutem Betragen wird verstanden: freier Handelsverkehr, Unterhaltung der Reitpfade welche Zu den thibetanischen Pässen führen und Schutz für europäische und andere Reisende. Die Bevölkerung ist ein Gemisch von Sikkim oder Lepcha, von Ghurka, Butia und Thibetanern. Die Ghurka (Nepaleser) welche der anglo-indischen Armee treffliche Soldaten liefern, sind ein kräftiger, kriegerischer, arbeitsamer Menschenschlag. Dagegen gelten die Lepcha, die eigentlichen Landeskinder, für weibisch, schwächlich und faul. Siklim. Nepal. 185 Die Lama oder buddhistischen Priester bilden die bevorzugte Klasse. Als solche sind sie vom Frondienst und jeglicher Steuerleistung befreit. Die Zahl der Klöster ist sehr beträchtlich. Darunter befinden sich drei große in der ganzen buddhistischeil Welt hochverehrte Lamaserien. Tamlang, die Hauptstadt des Raja, liegt auf eiuem hohen Berge. Man rühmt deu soliden Bau des fürstlichen Palastes und der Wohnhäuser, der Oberbeamteu. Der Beruf letzterer ist die methodische Plünderung der Unterthanen Seiner Hoheit. Die Regenzeit verbringt der Raja mit seinen Staatsdienern, jenseit der Engpässe, in dem thibetanischeu Hochthale Chumbi. Dieser König oder Fürst ist, wie ich höre, ein wenig begabter Herr. Er that aber einen glücklichen Griff in der Wahl seines „Botschafters" in Darjeeling. Letzterer soll ein schlauer Geselle seiu, welcher hauptsächlich für die chinesischen Interessen, mehr noch als für die seines Herrn, zu wirken weiß. Dieser kleine, sogenannte unabhängige, in einer Falte des Himalaja verborgene Staat liegt in einem der entlegensten Erdwinkel nnd ist sozusagen eine Welt für sich. Aber unter gewissen Umständen kann er seine Bedeutung haben. Um die politische Atmosphäre dieser Gegenden zu verstehen ist es nöthig auch auf die beiden Nachbarländer Nepal uud Butan einen Blick zu werfen. Vom geographischen Gesichtspunkte beurtheilt, ist Nepal ein großes Sikkim. Im Norden die höchsten Kolosse der Welt; zwischen Bergketten welche, nach Süden laufeud, niedriger werden in dem Maße als sie sich der Gangesebene nähern, weite Thäler mit üppigem Ackerland oder dichte Wälder in welchen Heerden von Elefanten hauseu. Diese Thiere bilden eine Haupt-quelle des fürstlichen Einkommens, denn in Indien betrachtet jeder Maharaja den Besitz einer größern oder geringern Anzahl von fchön gemalten, reich vergoldeten und gefchirrten Elefanten als ein unabweisliches Bedürfniß. Er bezieht sie aus Nepal. 136 Vierter Theil. Indien. In den Adern der Bewohner fließt chinesisches und tatarisches Blut. Sie bekennen sich zur Lehre des Buddha. Die Geschichte dieses, obgleich es an Vritisch-Indicn grenzt, so wenig bekannten Landes kann einen Beleg liefern für die weite Ausdehnung der Machtsphäre des chinesischen Reichs. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts führten die Nepaleser Krieg mit China. Eine chinesische Armee überschritt die 14-^-16000 Fuß hohen Himalajapässe und näherte sich bis auf Zwanzig Meilen der Landeshauptstadt Katamandu. Die Nepalesen wurden zu einem schmählichen Friedensschlüsse gezwungen. Im Jahre 1><14 entstanden Feindseligkeiten zwischen diesem Gebirgsvolke und der Ostiudischcn Compagnie, deren Truppen bis auf drei Tagc-märsche von der Hauptstadt vorgedrungen waren als Nepal Frieden schloß; aber es nahm weder die „Garantie" noch eine Subvention an, sundern bewahrte seine volle Unabhängigkeit. Mit sehr seltenen Ausnahmen, siud die Grenzen dieses Staates den Europäern hermetisch verschlossen. Das einzige Zu-geständniß welches gemacht wurde ist die Zulassung eines britischen Residenten am Hofe von Katamandu. Dieser Staatsbeamte und sein Arzt sind die einzigen Europäer welchen der Aufenthalt auf nepalesischem Gebiete gestattet ist, jedoch mit der Verpflichtung niemals einen eng gezogenen Raum, nächst ihrem Bungalow, zu überschreiten. Ueberdies werden sie auf ihren Spaziergängen stets von Wächtern begleitet. Ich frug wie sich Beamte für diesen Posten finden ließen. Man antwortete mir daß das Klima während der, in Indieu so mörderischen heißen Jahreszeit, paradiesisch ist; daß der Resident im Winter einen zweimonatlichen Urlaub erhält, endlich daß der Posten äußerst wichtig, daher ausnahmsweise gnt dotirt ist und Auspruch auf Beförderung gibt. Durch seine geographische Beschaffenheit unterscheidet sich Butan wenig von Sikkim und Nepal. Man rühmt den landschaftlichen Reiz des Territoriunis. Regiert wird es von dem Deb Raja oder politischen Chef und von dem Darm Raja, dem Physiognomie von Narjeeling. 137 religiösen Oberhaupte. Letzterer ist ein eingeborener Gott, was ihn nicht abhält mit seinem irdischen Collegen eine englische Pension Zu theilen.^ Darjeeling. — Leider, leider dichter Nebel! Um mich zu trösten sagen mir meine liebenswürdigen Nachbarinnen am Frühstückstische daß der „Schnee" tde 8110^3, nämlich der Kinchin-juuga, in dieser Jahreszeit niemals sichtbar ist. Welches Mis-geschick! Der Kankasus, mit Ausnahme einer halbeu Stuude, während welcher er mich alle Reize seiner ernsten Schönheit bewundern ließ, erwies sich ebenso unhold. Darjeeling steht am Rande einer großen Schlucht. Gegen Süden verhüllt die Kuppe von Iallapnr die Aussicht nach der Gangesebene. Ringsum erheben sich Berge Zu den Wolken. Der Kinchinjunga allein nimmt, wenn es ihm beliebt sich zu Zeigen, den ganzen nördlichen Horizont ein. Nach einem Besuch bei dem Commissar - Stellvertreter, Mr. Wace, einsamer Tftaziergang in der Nähe der Stadt. Ueberall Wolken! Ueber mir, neben mir, nnter mir. Sie kommen nnd gehen, nnd, was ich früher nie sah, steigen nnd sinken nebeneinander in senkrechter Richtnng. Zu meinen Füßen öffnet sich die Schlucht, aber eine dichte Luftschicht verhüllt sie. Ein kleiner buddhistischer Tempel der, gerade unter mir, an der Brüstung des Abfalls hängt scheint anf der glatten Wasserfläche eines Sees Zu schwimmen. Da steigt plötzlich aus diesem eine weiße Nebelsäule empor, auf ihrem Wege nach oben erst das Heiligthnm umfangend, dann mich. Noch höher angelangt, verwandelt sie sich in einen Baldachin. Endlich zerrinnt das Luftgebilde uud mit ihm auch der vermeiutliche See, und nichts * Anfänglich von 2500, gegenwärtig von 5M0 Pfd. Tt. Tiesc Tumme ist eine Entschädigung für Abtretung von Gebieten in Bengal nnd Assam. 138 Vierter Theil. Indien. hindert mich mehr den Blick in die Tiefe zu senken. Andere male dringen Sonnenstrahlen durch das Chaos von Fels und Wolken. Da kommen plötzlich einzelne Bruchstücke der Stadt Darjecling znm Vorschein. Gärten und Villen und wieder Gärten und Zierliche Hänser, erst noch durch dicke Nebelballen verhangen und nun in all ihrer Schönheit in vollem Sonnenglanze sichtbar. Die Stadt, auf der Kuppe eines in die große Kluft vorspringenden Bergrückens erbaut — ich möchte ihn ein Promon-terium nennen — kriecht von Terrasse Zu Terrasse, und alle diese Terrassen schweben zwischen Himmel und Abgrund. Von den am höchsten Grate stehenden Häusern hinabblickend, sieht man in den Hof meines Hotels. Von letzterm, in fast senkrechter Richtung gleichfalls nach unten, beherrscht man den öffentlichen Platz mit seinen Baumgruppen und dem großen Hindutempel, und, in einiger Entfernuug, eine Heilanstalt deren Architektur an Grosvenor-Gardens oder Alexandra-Hotel in London erinnert. Die anliegenden Höhen sind mit Häusern und Cottages, mit kleinern und größern Gärten besäet. Die sie verbindenden trefflich gehalteneu Fahrwege und Reitpfade schlangeln sich den Vorsprüngen und Einschnitten des Berges entlaug. Es ist einer der bevorzugten Orte unsers Erdballs, dies Darjeeling! Wohlstand und Behaglichkeit stehen ihm auf der Stirne geschrieben. In den spätern Nachmittagsstunden füllen sich die Wege mit Reitern und Amazonen, mit Ladies welche in „Dandy" getragen werden, und selbst mit Fußgängern, denn hier gestattet sich der Anglo-Indier den Gebrauch seiner Beine. Neben dieser eleganten Welt drängen sich Ghurka, Lepcha und Thibetaner welche alle, mehr oder weniger, den tatarischen oder chinesischen Typus zeigen aber nicht die geringste Stammes-ähnlichkeit mit den wenigen Hindu welche ihren englischen Herren hierher gefolgt sind. Die Ghurka oder Nepalesen sind ein kräftiger Menschenschlag von mittlerm oder kleinem Wüchse und stark entwickelten Muskeln. Sie kleiden sich wie die Tataren in Peking, Ter Kmchinjunga. 139 tragen eine aufgestülpte Pelzmühe am Kopfe und einen tüchtigen Stock in der Hand. Ihr Anblick versetzt mich, weit über den Himalaja hinweg, nach Centralasien und an die Chinesische Mauer. Männer von Stand tragen, mit Ausnahme des Zopfes, die chinesische Tracht. Ihre Kasaken sowol wie die Beinkleider scheinen aus den Werkstätten chinesischer Schneider hervorgegangen zu sein. Die Weiber, und man sieht deren in großer Anzahl, gehen unverschleiert ans und machen sich durch ihr freies Benehmen bemerkbar. Die Leute von tatarischer Abkunft sind leicht zu erkennen an der Stumpfnase, dem breiten Gesicht und dem von einem Ohre Zum andern reichenden Munde mit Haifischzähnen und fleischigen Wulstlippen. Dies Volk schwätzt mit Stentorstimmen und lacht ohne Unterlaß, was gegen das verdrossene und melancholische Wesen der Hindu angenehm absticht. Vor einem geräumigen Filzzelte hatte ich die Ehre einer Dame von hohem Stande vorgestellt zu werden. Sie lebt hier mit ihren fünf legitimen Gatten. Alles in allem war der heutige ein guter und angenehmer Tag. Nur eines hat gefehlt, der Kinchinjunga. Um 5 Uhr morgens stürzt Mr. Doyle, der Eigenthümer des Hotels, in mein Schlafzimmer und führt mich eiligst auf die Veranda. Es ist noch Nacht, eine bitterkalte Nacht, aber im Norden glänzt eine himmlische Vision. Man stelle sich das sturmgepeitschte Meer vor, mit einer sich bäumenden, alle andern überragenden ungeheuern Woge; und man stelle sich vor dieser Ocean sei in seinem Zorne Plötzlich zu Stein, oder besser, ein schneebedecktes mit rosigen Lichtern und violetten Schatten umflossenes Eismeer geworden. Dies Zauberbild nimmt den ganzen nördlichen Himmel ein: es ist der Kmchinjunga. 140 Vierter Theil. Indien. Um 8 Uhr morgens trete ich einen Ansslng nach den Ufern des Ranjit an. Ich will die änßerste Grenze des Indischen Reichs gegen Thibet sehen nnd, womöglich, überschreiten. Diese Grenze macht hier der Ranjit, nnd eine Brücke aus Bambus-rohr unterhält die Verbindung zwischen den Ztuei größten Reichen der Welt. Nun ist aber diese Brücke, wie mir gesagt wird, nnr für Landeskinder und Seiltänzer gangbar. Hiervon gedenke ich mich dnrch den Augenschein Zu überzeugen. Mr. Wacc, im Begriff abzureisen nnd mit Geschäften überladen, ist verhindert mich zu begleiten. Worauf es, wie er sagt, hauptsächlich ankommt, sind gnte Träger welche nicht die Gelegenheit benutzen nach dem unabhängigen Gebiete Zu entlaufen. Um sich der Treue meiner Kuli zu versichern stellt er mir zwei seiner „Orderlies" d. h. eingeborene Polizeisoldaten zur Verfügung. Die zu lösende Aufgabe ist folgende: Man hat auf eiuem sehr steilen aber gut unterhaltenen Reitftfade in den früher erwähnten 5000 Fuß tiefen Abgrund hinabzusteigen. Dort angekommen, findet sich der Reisende an den Ufern des Grenzflusses Ranjit, wo ihn:, wegen der bösen Luft, ein kurzer Aufenthalt angerathen wird. In allen Schlnchten des Himalaja herrscht bekanntlich die Malaria. Eine daselbst zugebrachte Nacht kann den Tod nach sich ziehen. Endlich bleibt der gymnastische Theil der Aufgabe zu löfen, nämlich eine Brücke zu überschreiten welche nichts anderes ist als ein von Bambusstäben gebildetes, auf beiden Ufern an Bäumen befestigtes, in der Luft schlotterndes Band. Der Anblick meines Dandy erfüllt mich mit trüben Ahnnngen. Die Träger, acht an der Zahl, lösen sich in kurzeu Zwischenräumen ab, die beiden Orderlies und mein portugiesischer Boy vervollständigen die kleine Karavane. Mein getrener Checco zieht die sybaritischen Genüsse des Hotels uor. Der Tag ist prachtvoll, die Luft frisch uud elastisch. Vor uns zeichnet der Kin-chiujunga seinen weißen Kamm auf den blauen Morgenhimmel. Ausflug nach Ranjit Vazar. 141 Aber bald verschwindet diese Fata Morgana hinter dem nahen Berggelände. Um den Ranjit zu erreichen, der wie bereits gesagt 5000 Fuß tiefer als Darjeeling fließt, haben wir wegen der vielen Krümmungen des Weges elf Meilen zurückzulegen. Der an vielen Stellen äußerst steile Pfad führt uns zunächst an dem erwähnten kleinen Buddhatempel vorüber. Es muß ein Festtag sein, nach den vielen Wimpeln zn schließen welche an der Spitze kleiner Stangen lustig in der Morgenlnft flattern. Bald haben wir die letzten englischen Bungalow hinter uns gelassen nnd, Thee- und Chinabaumpflauzungen durchschreitend, den Urwald erreicht. Zu unsern Füßen erschließt sich ein Labyrinth von Thälern nnd Schluchten aber dichte oben horizontal abgeschnittene Nebelschichten geben ihnen das Ansehen von ebenso vielen Seen. Zuweilen steigeu Wasserdünste in Sänlenform aus den untern Bergspalten empor. Geballte Nebelwolken umhüllen uns momentan. Aber der leiseste Lnfthanch zerstreut sie. Da thnt sich vor mir ein Schauspiel ohnegleichen auf. Ich senke den Blick in die Tiefe, aber ich kann die Schlucht nicht ergründen, dann erhebe ich ihn langsam, von Geschoß zu Geschoß, bis er an den Himmel streift. Allenthalben Wald: dunkel- nnd saftgrün in unserer Nähe, weiterhin blaugrün, und hellblau auf den Höhen, je nach den Abstufungen des Lichts und der Entfernung. Mit den unabläßlichen Wendungen des Pfades wechselt die Aussicht bei jedem Schritte, bis eudlich der Reisende gänzlich verwirrt und unfähig gewordeil ist sich, ohne Kompaß, zu orien-tiren. Keine ganz senkrecht abfallenden Felswände, keine natürlichen Maueru, aber sehr steile schiefe Ebenen. Im Rücken weiße Punkte welche sich zn erheben scheinen in dem Maße als wir in die Tiefe hinabsteigen. Diese weißen Punkte sind die Cottages der Pflanzer an welchen wir vorüberkamen. Die Theepflanze ist niedrig und immer schachbretfo'rmig gesetzt; in der Mitte des „Theegartens" steht das Bungalow. In ihm wohnen, man erkennt es auf den ersten Blick, der Unternehmungsgeist, der Muth, die Ausdauer, die Bequemlichkeitsliebe des Anglosachsen. 142 Vierter Theil. Indien. Wir kamen auch durch einige Chinabaumpflanzungen. Der Chinabaum, dessen erste Bekanntschaft ich in Java machte, ist etwas steif und pompös. Wir gewahrten einige sehr schöne Exemplare längs dem Pfade. In den höhern Regionen von Eichen, Kastanienbänmen und Magnolien umgeben, in den untern, von der ^lZopkiia ^izautea und andern Riesen des Urwaldes, sahen sie wie verlegen aus und als ob sie die etwas zu gemischte Gesellschaft verschmähten. Mein Dandy ist höchst unbequem; die Kuli marschiren im Schnellschritt; die Stöße des Tragsessels sind mehr als uusanft und die fortwährenden leiblichen Berührungen mit den Trägern nicht angenehm. Auch sitzt man schlecht. Diese Lepcha sehen wie Schwächlinge aus, sind in Lumpen gehüllt, und der Ausdruck ihrer Gesichter gefällt mir nicht.' Da lobe ich mir ihre javanesischen Amtsbrüder, die schönen schlanken Männer, mit winzigen Händen und Füßen, nackt mit Ausnahme des Gürtels, aber reinlich und am ganzen Körper tatouirt, und, was das Beste, immer lachend, fröhlich und zuvorkommend. Die Lepcha lachen auch, aber nur untereinander. Dem Europäer gegenüber sind sie mürrisch und frech. Dasselbe kann man von den Leuten, Männern und Frauen sagen welchen wir begegnen, sofern sie Lepcha sind, nicht aber von den gutmüthig uud fröhlich aussehenden Ghurka und Thibetanern. Das charakteristische Merkmal der Lepcha sind ihre kolossalen Waden. Nach zweistündigem raschem Marsche vernehmen wir mit Vergnügen das Rauscheu fließenden Wassers. Es ist der „kleine" Ranjit. Am rechten Ufer des „großen" langen wir eine Stunde später an. Dieser klare Waldstrom fließt zwischen bewaldeten Ufern und erinnert mich an die Traun unterhalb Ischl. Auch die Breite dieses Flusses scheint er zu haben. Die berühmte Rohrbrücke ist Zerstört. Der durch die letzten Regen angeschwollene Fluß hat sie fortgerissen. Einige Ueberbleibsel hängen noch an den Bäumen. Und dies ist das einzige Verkehrsmittel zwischen Britisch-Indien uud China! Keine Posten, keine Ranjit Bazar. 143 menschliche Wohnung, kein Schilderhaus am britischen Ufer, dessen Wacht den Thieren der Wildniß überlassen bleibt. Auf dem jenseitigen, dem chinesischen Ufer, steht eine Gruppe von Bambushütten, Ranjit Bazar genannt. Die von Thibet kommenden Reisenden, pflegen dort, nachdem sie die Hochpässe überstiegen, ihren Mundvorrath zu erneuern. Die Hitze in dieser Schlucht schien mir erstickend, die Luft schwer nnd betäubend. Bekanntlich ist sie Fremden verderblich. Nnr die hier ansässigen Eingeborenen athmen sie ohne Nachtheil, vertauschen sie aber, sonderbarerweise, nicht ungestraft mit einem bessern Klima. Die Brücke war, wie bereits erwähnt, zerstört. Ich hätte sie auch nicht pafsiren können. Aber am jenseitigen Ufer lag ein Kahn. Ich ließ ihn herüberrufen ungeachtet der schüchternen Einwendungen meines goanesischen Dieners. Er war, sagte er, mehrmals mit Engländern in Darjee-ling und einmal hier gewesen, aber keinem dieser Gentlemen siel es bei den Fluß zu überschreiten. Hierbei machte er ein jämmerliches Gesicht und suchte pantomimisch die Procedur des Halsabschneidens auszudrücken: „keople not Moä)'", sagte er, „dkä)', dkä)'." Am Ende gelaug es mir ihn Zu beschwichtigen. Die Kuli wurden der Wachsamkeit der Orderlies empfohlen; wir, ich und der Goanese, bestiegen den Kahn und, nicht ohne das erhebende Gefühl des Tapfern in mir zu verspüren, befahl ich dem Fährmann abzustoßen. Die Strömung war stark und günstig, und ein paar Ruderschläge brachten uns hinüber. Hier hietz es über hohes Steiu-gerölle kletteru. Wie das ohne Sonnenstich oder Schlaganfall bewerkstelligt wurde ist mir ein Räthsel. Am Laudungsplatze stand ein Dutzend Männer in Tatarentracht. Sie maßen uns mit den Augen ohne ein Wort Zu verlieren. Einige Weiber liefen herbei um mich zu betrachten. Alles, Männer, Weiber, Kinder, sah elend aus. Ich machte eine Skizze und kehrte dann, nicht unzufrieden mit mir selbst, nach dem Britischen Reiche zurück. Dort wurden meine Kuli gezählt, und siehe, es fehlte kein 144 Vierter Theil. Indien. theueres Haupt: das Verdienst der beiden Orderlies, wie diese mir durch Zeichen zu verstehen gaben. Nach einem kurzeu auf dem Grase eingenommenen Frühstück, wurde der Dandy wieder bestiegen und der Rückweg angetreten. Wärmn es leugnen? Ich fühlte mich in gehobener Stimmung. Ich hatte den Fuß auf das Gebiet des Raja von Sikkim gesetzt, der ein Lehnsfürst des Kaisers von China nnd ein College des Dalai Lama ist, und welchem, nach seiner Auffassung, das indo-britische Reich einen jährlichen Tribut entrichtet. Weit eutferut mich Cook oder Dumout d'Urville au die Seite zu stellen, hatte ich doch das Gefühl keiu gauz geringes Wagniß bestanden Zu haben. Hatte ich nicht riskirt, wie Dr. Hooker nnd sein Freund, der Commissar, in einen Käfig gesperrt uud im Lande spazieren getragen zu werden? Diese schmeichelhaften Betrachtungen verkürzten den Rückweg nnd ließen mich den fünfstündigen Contact mit meinen keuchenden nnd schweißtriefenden Lepcha geduldig / ertragen. Es war eben die Zeit der Abendpromeuade als ich in Dar-jeeliug aukam. Eine elegante juuge Dame, welche ich mich er-inucrte irgcudwo, in Hyderabad oder Bangalore oder in Bombay iu der Welt begegnet Zu haben, ließ als sie mich sah ihren Tragsessel halten. Hier muß ich meine Schwäche bekeunen. Ohne alle Einleituug, erzählte ich ihr sogleich vou meiuem Ausfluge. „Ich komme", sagte ich, „vom Ranjit, und ich war am jensei-tigeu Ufer." Ich erwartete einen Ausruf des Erstauueus. „Nicht wahr", sagte die juuge Miß, „das Land ist allerliebst. Ich bin im vorigen Sommer mit meiner Mntter dort gewesen." Ich fiel aus den Wolken. Und Cook nnd d'Urville, mit denen ich mich verglich! Mögeu mir ihre Manen meine Thorheit vergeben! Ich brach das Gespräch sogleich ab, vielleicht etwas zu plötzlich, uud schlich mit gesenktem Haupte, mit langem Gesicht und gebrochenen Gliedmaßen, traurig uud enttäuscht, nach meiuem Gasthofe zurück. Csoma de Korös. 145 Der Kinchinjunga ist er, wird er sichtbar sein? Jedenfalls bietet er der wenig zahlreichen aber guten Gesellschaft in Mr. Doyle's Hotel einen unerschöpflichen Gegenstand des Gesprächs. Da der Riese einen etwas langen Namen trägt, so wird er kurz-weg „Schnee" genannt. Heute, den ganzen Morgen über hat der „Schnee" die Güte sich bewundern zu lassen. Um Mittag bedeckt ihn eine dichte, himmelblaue Luftschichte. Der Koloß ist verschwunden, das Firmament an seine Stelle getreten. Vergebene Mühe ihn zu suchen. Die „Promenade" ist heute sehr belebt. Nachdem ich sie hinabgeschritten, Government-House und seine Gärten zur Rechten lassend, betrete ich einen einsamen Pfad der zum Kirchhofe führt. Er ist das Ideal eines Camposanto. Die Gräber liegen zerstreut auf einigen Terrassen welche die Schlncht überragen in deren Tiefe mein Blick niemals zu dringen vermocht hat. Die Grabschriften erzählen fast alle dieselbe Geschichte. Eine Mutter beweint ihr Baby welches dem Klima der Ebene erlag; ein junger Civilian, ein junger Offizier, Opfer ihrer Dienstpflicht, hatten die verpestete Luft ihrer Stationen zu lange eingeathmet. Aber ich suche ein Grab und kann es nicht finden. Die Nacht überrascht mich, und ich muß von diesem elegischen Ort scheiden ohne den Zweck meiner frommen Pilgerfahrt erreicht zu haben. Alexander Csoma de Körös verließ Ungarn, sein Vaterland, in früher Jugend. Unbemittelt, aber von dem Dränge des Wissens beseelt, durchzog er zu Fuß Syrieu, Persien, Afghanistan und erreichte, auf diesem Europäern damals verschlossenen Wege, die thibetanische Provinz Ladak. Das Studium der Landessprachen war der Zweck des Reisenden. Seine Armuth entkräftete den Argwohn. Drei Jahre brachte er in Lamaserien zn, davon einen ganzen Winter, in Begleitung eines Brahminen, ohne Feuer und ohne Möbel. Einige englische Agenten des v. Hübner. II. 19 146 Vierter Theil. Indien. Gmeralgouverucurs von Indien im Peujab entdeckten den jungen ungarischen Gelehrten und erkannten sogleich seinen Werth. Nicht ohne Mühe bewogen sie ihn eine magere Pension von 50 Rupien, etwa 100 Frs. monatlich, anzunehmen. Viel später erfuhr man daß die Hälfte dieser bescheidenen Summe für seine persönlichen Bedürfnisse hinreichte, und daß er den Rest znm Ankauf kostbarer Manuscripte verwendete, welche er als Eigenthum der indischen Regierung betrachtete. Sein Stolz, seine Selbstverleugnung, feine Verachtnng für alle Bequemlichkeiten des Lebens versetzten seine englischen Frennde in Bcwnnderuug uud Zuweilen in Verzweiflung, wenn es ihnen nicht gelang ihrem Schützlinge eine geringe Anshülfe aufzudringen. In dieser Weise, abgeschieden von der gesitteten Welt, fortwährend mit Entbehrungen aller Art kämpfend, anfangs auf den Umgang seines Brahmmen beschränkt, später allein oder mit den Bonzen irgendeiner Lamaserie lebend, verfaßte er sein berühmtes Wörterbuch und eine Grammatik der thibetanischen Sprache. Die indische Regierung ließ diese Werke auf Staatskosten drncken nnd verlängerte ihm den Genuß seiuer Pension. Im Jahre 1834 wurde er von der ^.8iMo 8oc1et.^ in Kalkutta zum Ehrcumitgliede erwählt. Im Jahre 1842 unternahm er eine nene Reife nach Thibet, diesmal mit der Absicht bis Lhassa vorzudringeu. Diese Hauptstadt des Dalai Lama hatte damals, wenn ich nicht irre, mit Ausnahme des Abbe Huc und seines Gefährten, kein Europäer besucht. Aber es war Csoma nicht bcschieden seineu Vorsatz auszuführen. Er verließ Kalkutta bei Beginn der heißen Jahreszeit, durchzog, wie man vermuthet, zu Fuß, die Ebene des Ganges und nahm in einer der Schluchten des Himalaja den Keim des Fiebers in sich auf welches ihu, weuige Tage nach seiuer Ankunft in Darjeeling, hinwegraffte. Die Regierung ließ ihm auf dem dortigen Kirchhofe ein Grabmal errichten und es, als es in Verfall gerathen war, im vorigen Jahre dnrch ein neues ersetzen. Eine Theepftanzung. 147 Held und Märtyrer der Wissenschaft, trug Csoma de Körös auf seinem Antlitze das göttliche Feuer das ihn verzehrte. Aber dieser mächtig modellirte Kopf saß auf einem kleinen und schwächlichen, meist ärmlich gekleideten Körper. In der gelehrten Welt von Kalkutta überlebt ihn der Ruf seines Namens. Weniger bekannt ist er dem europäischen Publikum, und nicht viele seiner Landsleute dürften wissen daß der Himalaja eine Zierde Ungarns in seinen Falten birgt. ^ Die Sonne ist kaum aufgegangen und schon erklimmen die Träger meines Dandy die Höhe von Iallapur. Noch ein letzter Blick zurück und hinauf nach dem „Schnee" welcher in diesem Augenblick einem weißen am blauen Himmel flatternden Bande gleicht. Bald darauf wird der Bahnhof erreicht. Der Director dieser Linie erbot sich mich im Trolly nach der Station Kurseong zu fahren, wo ich Diener und Gepäck finden werde. Unser Gewicht liefert die bewegende Kraft, und, wenn das leichte Fuhrwerk, besonders an den Krümmungen, durchzugehen droht, weiß mein Führer es Zu zähmen. Eine Schnelligkeit von 16 Meilen die Stunde scheint ihm das Richtige. Mit unsäglichem Behagen schlürfen wir die, in diesen frühen Morgenstunden, frische und elastische Luft des Hochgebirges. Vor uns entrollt sich die diesmal in Licht gebadete Ebene. Der Mahauanda und der Tista ziehen ihre, jetzt himmelblauen, Streifen über den gelben Vorhang der zu sinken scheint in dem Maße als wir uns den Niederungen nähern. Unweit der Station finden wir, unser harrend, Mr. Daniell und seinen Partner. Sie führen mich in ihren Theegarten. Die Pflanzung bedeckt die Seiten einer steil abfallenden Schlucht. * Nach meiner Rückkunft nach Europa sah ich eine in London bei Trübner (1885) erschienene Biographie des Gelehrten. 10* 148 Vierter Theil. Indien. In der Tieft gewahrt man das jctzt gänzlich vertrocknete Bett des Balasu. Im Westen, in unmittelbarer Nähe, erheben sich die Bergriesen von Nepal. Von hier zur Grenze werden nur 19 Meilen gezählt. Ungeachtet eines Verbots welches den Nepalesen den Austritt ans dein Lande untersagt, beziehen die englischen Pflanzer die größte Zahl ihrer Arbeitskräfte aus Nepal. 3er Mann erhalt hier, in Vergleich mit seinem Vatcrlande, dreifachen Lohn. Daher die periodische, sehr bedeutende, Einwanderung von Ghurka in Britisch-Sikkim. Nach der Ernte ziehen diese Lente mit ihren Ersparnissen in die Heimat znrück. Wenn es nur nicht so schwierig wäre die Grenze, ungesehen zu überschreiten! Ungesehen von dem Commandanten einer kleinen Grenzfestnng. Glücklicherweise, gibt es in Nepal, wie anderwärts, Mittel sich mit dem Himmel zu verständigen. Der Commandant ist ein gemüthlicher Herr. Er versteht es ein Auge zuzudrücken, aber er ist nicht blind uud hat gesehen daß seine Nachbarn, die Engländer, von ihrem Boden großen Vortheil ziehen. Er hat also auch einen kleinen Thccgarten gepflanzt, und die heimkehrenden Ghurka ver-schmähcn es nicht ihm während einiger Tage Frondienste zu leisten, worauf er sie in Frieden weiter ziehen läßt. Mr. Daniell erklärte mir die, sehr einfache und praktische Methode welche sowol bei der Ernte als bei der Bereitung nnd Verpackung der Blätter beobachtet wird. Der Thcebau hat in Britisch-Sikkim einen bedeutenden Aufschwung genommen. Aber für den Absatz fehlt der Markt. Bisher stößt die Ansfuhr nach Thibet, wegen des Widerstandes der Lama und der obersten Behörde in Lhassa, anf unüberwindliche Hindernisse. Der thibetanische oder vielmehr chinesische Thee ist von minderer Gattung nnd thcncrer als der von den Engländern in Sikkim gcbante. Die englische Regierung hat, zu wiederholten malen anf diplomatischem Wege, versucht die von den Lama bereiteten Schwierigkeiten zu heben. Aber bisher blieben die Ver-handluugeu mit dem Tsungli-Iamcn in Peking ohne Erfolg. Em chinesischer Grenzposten. 149 Ueberhaupt ist Europäern der Zutritt nach Thibet aus Sikkim auf das strengste untersagt. Einige Abenteurer haben zwar versucht in das geheimnißvolle Land zu dringen, aber der „Botschafter" des Raja in Darjeeling ermangelte niemals dem Befehlshaber des äußersten chinesischen Postens in den Engpässen bei gnter Zeit einen nützlichen Wink Zu ertheilen. Der Offizier empfing die Reisenden auf das verbindlichste und drückte ihnen sein Leidwesen darüber aus daß ihm seine Instructionen nicht gestatteten weiße Barbaren über die Grenze zu lassen. Als Beweis zeigte er ihnen einen Maueranschlag welcher ihn, im Ueber-tretungsfalle, mit dem Verluste seines Kopfes bedroht. Eine artige Weise den Reisenden das Schicksal anzudeuten welches sie ereilen würde, wenn es ihnen beifiele die Grenze Zu überschreiten. Es blieb ihnen also nichts übrig als umzukehren, und der Weg nach Lhafsa ist und bleibt den Europäern verschlossen. Auf den westlichen Grenzen herrscht einiger Verkehr, namentlich zwischen der Provinz Ladak und dem Penjab, durch das dazwischenliegende Kaschmir. Aber dieser Handel wird durch Ka-ravanen von Asiaten unterhalten und nicht durch Europäer für welche ein Versnch einzudringen auch dort mit ernstlichen Gefahren verbunden wäre, im besten Falle mit der Unannehmlichkeit unverrichteter Dinge umzukehren. Wir haben die prachtvollen Kastanienwälder welche die Anhöhen nächst Darjeeling beschatten hinter uns gelassen. In dem Maße als der Tramway herabsteigt, ersetzt die immer zunehmende Hitze die frische elastische Gebirgsluft. Gegen Abend, nach einer raschen Fahrt durch einen Salwald, läuft der Zug im Bahnhofe von Siluri ein. Hier ist die Grenze zwischen Britisch-Sikkim und Bengalen. Am nächsten Morgen wird der Ganges überschifft. Dieser Strom ist wirklich majestätisch. Er wälzt zwar seine gelben 150 Vierter Theil. Indien. Fluten durch eine einförmige, unabsehbare Ebene. Dennoch geräth jedermann, bei seinem Anblick, in Entzücken. Warnm? Weil man nicht nur mit dem physischen, sondern auch mit dem geistigen Ange sieht, und weil die Gedanken und Erinnerungen welche der Anblick eines Gegenstandes in uns wach ruft den Werth des letztern vermindern oder erhöhen. Die von uns berührten Ortschaften sind Gruppen von Hütten auf kleinen isolirten Maulwurfshügeln inmitten der Ebene. Alle Häuser tragen die indische KapnZe. Es ist dasselbe Motiv welches mir über den Fenstern der Paläste in Rajputana zum ersten mal aufsiel und ein wesentliches Element des hinduischen Baustils bildet. Der Palast hat es der Hütte entlehnt. ^ Um Mittag Rückkehr nach Kalkutta. * Vgl. S. 51. VIII. Bengalen. Vom 28. März zum 9. April. Kalkutta. — Tie todte Jahreszeit. — Tic Bildsäulen der großen Männer. — Pondichery. — Ceylon. — Abreise nach Australien. — Politische Uebersicht. Kalkutta. — Die früher als gewöhnlich eingetretene Hitze hat den Beginn der todten Jahreszeit beschleunigt. Mayfair und Belgravia haben ihre Fenstervorhänge herabgelassen. Man ist oder scheint in Goodwood zu sein. Man schämt sich die Gassen zn betreten, gleichsam in Ka^ranti gegen die Gesetze der Mode ertappt zu werden. Darnm fühlt ein jeder das Bedürfniß seine Anwesenheit zu entschuldigen indem er betheuert auf der Durchreise begriffen zu sein. In dieser Verfassung befindet sich dermalen Kalkntta. Die Stadt der Paläste schlummert, sie hält ihre Siesta. Government-House ist geschlossen, der Vicekönig nach Simla abgezogen, und mit ihm sein Hofstaat, sein „Stab", die Chefs und Unterchefs der verschiedenen Departements. Wer nicht der Central-regierung angehört, und dem daher die Ehren und Annehmlichkeiten von Simla versagt sind, geht nach Darjeeling. Dort ist das Rendezvous des Lieutenant-Governors und der officiellen Welt der Präsidentschaft von Vengalen. Bereits leert sich Kalkutta. Nur die Gerichtshöfe — inkaiiidil giuktixia, — sitzen noch. Daher ist auch mein Gastfreund ein Mann des Gesetzes. 152 Vierter Theil. Indien. Justice Cunningham vom Obersten Gerichtshof hat die Güte mich bei sich Zu beherbergen und mit einigen noch anwesenden Notabilitäten bekannt zu machen, darunter der Statthalter der Präsidentschaft von Vengalen Mr. Rivers Thomson; der Befehlshaber der Division, General Wilkinson; Mr. Tawnay, Präsident der Universität von Kalkutta und einer der größten lebenden Kenner des Sanskrit; der katholische Erzbischof Msgre. Goetlan, der Chief Justice Sir Richard Garth n. a. Hier, wie in unsern Hauptstädten, bringt die todte Jahreszeit zuweileu angenehme Ueberraschungen. Mau begegnet sich in kleinem Kreise. Interessante Personen an welchen man, während Monaten, in der eleganten Menge mit einem Hänoedrnck und dem Austausch einiger banaler Phrasen vorüberging hat mau jetzt Gelegenheit und Muße kennen zu lernen. Für mich waren dies allerdings ganz neue Bekanntschaften, und ich verdankte diese Begegnungen dem Zufall und der Liebenswürdigkeit meines Amphitryon. Im übrigen, abgeseheu von einigen Wagen welche noch abends am Maidan auf- uud niederfuhren, schien die Stadt in Schlaf versunken. Jedoch, wach oder schlafend, macht Kalkutta, von Howrah am rechten Ufer des Hugly gesehen, deu Eiudruck der Pracht, ich möchte sagen einer sich unbewußten, ruhigeu Pracht. Ebenso wenn man das Innere betritt. Die Häuser der Functionäre und der hohen Finanz sind übrigens nicht alle palastartig, sie erinnern eher an italienische Villen, um so mehr da es nicht an Bäumen und Gärten fehlt. Government-Honse sah ich nur von anßen. Es ist ein weitläufiger Prachtbau im sogenannten classischen Stile, so alt wie das Jahrhundert, und tragt auch das Gepräge des Geschmackes jener Zeit. Der künstlerische Werth mag verschieden beurtheilt werden, aber niemand wird bcstreiten daß der Hindu, welcher an dem imposanten Palaste vorübergeht, sich sagt: der Bcwohuer dieses Hauses muß ein sehr großer Herr, a V6i-)' diß ä^vsii, sein. In dieser Beziehung hat der Künstler jedenfalls seine Ans- Kalkutta. 153 gäbe gut gelöst. Ich sah noch andere monumentale Bauten: das Rathhaus, die Paläste des Rathes von Bengalen und der Justiz und einige andere. Mir gefallen die Esplanade und die „Gärten", der Maidan mit der ans Birmanien gebrachten Pagode, und ganz besonders die auf der Promenade errichteten Denkmale der anglo-indischen Größen. Wenn ich unter der Statue des großen Lord Lawrence vorüberfahre erkenne ich iu dem schönen, leicht geneigten Kopfe von Erz die sympathischen nnd beweglichen Züge seiner Tochter, der Gemahlin meines Gastfreundes Mr. Cunningham. Es ist eine schöne Sitte das Andenken großer Mitbürger in Erz und Marmor Zu verewigen, vorausgesetzt daß der Parteigeist der Wahl des zu Ehrenden ferne bleibt; denn man soll diese Auszeichnung nur jenen zuerkennen lassen welche sie verdienen. Und dies ist hier der Fall. Der öffentliche Spaziergaug, Government-House, Town-Hall, die Kathedrale vou St.-Paul sind reich an Denkmalen, Bildsäulen und Inscriptiouen welche die Gründer und Pfleger des indo-britischen Reiches verherrlichen: Warren Hastings* — die Zeit hat die Wolken zerstreut welche ihre Schatteu auf diese große Gestalt geworfen hatten — Corn-wallis, Wellesley, Marquis Hastings, Bentinck, Auckland, Har-dinge. Canning, Ellenborough, Elgin, die Brüder Lawrence und so viele andere. Der Cultus seiner großen Männer kennzeichnet und ehrt den Anglo-Indier und verleiht der Hauptstadt Indiens ihr eigenthümliches Gepräge: feierlich, imposant, prachtvoll und, dabei, entschieden bureaukratisch. Kalkutta war, noch vor nicht langer Zeit, wegen seines mörderischen Klimas verrufen. Heute, dauk der Austrocknung der nahen Sümpfe und dein Ueberflufse an gutem Trinkwasser, gleichfalls eine Eroberung der neuesten Zeit, gilt es für die gesündeste Stadt der Welt. Darum entflieht aber doch wer Seine Statue trägt die Jahreszahl 1831. 154 Vierter Theil. Indien. immcr nur kann während der heißen Monate, nnd in diesem Augenblicke wüthet die Cholera in den von Eingeborenen bewohnten Stadttheilen. Der „Tibre", von den Messageries Maritimes, ein gnter alter Bekannter, ist überfüllt. Eine volle Ladnng eleganter Griechinnen ans dem hiesigen hohen Handelsstande und, als Gegensatz, mehrere Barmherzige Schwestern. Letztere sind Französinnen nnd kehren von einem Kirchenfeste in Chandernagor nach ihrem Kloster in Pondichery zurück. Erstere suchen irdische Freuden und eine kühlere Atmosphäre in London und Paris. Es herrscht vollkommene Windstille. So weit wäre der Himmel günstig. Aber wir sitzen die ganze Nacht im Hngly fest. Erst mit der Flut werden wir wieder flott. Die Miasmen des Flusses und Mosqnitoschwärme machen den Aufenthalt nicht angenehm. Glücklicherweise holte sich aber niemand das Fieber. In Madras machen, eben jetzt, die Blattern große Verheerungen, weshalb dort nicht angelegt wurde. Mit Vergnügen sehe ich Pondichery Zum zweiten male. Das Land und die Stadt, vom Meere betrachtet, eriunern an Madras. Nur trägt Poudichery einen französischen Anstrich. Eigentlich sieht man, vom Schiffe aus, nichts als die Kathedrale und den Palast des Gouverneurs, und, als Hintergrund, einen grünen Vorhang von Cocospalmen. Geht man an das Land, so erfrent sich das Auge au der Reinlichkeit der Gassen. Die Stadt ist klein, nnd wir verlassen sie alfogleich in einem ?mi386-P0U886, einem mit zwei Rädern versehenen Sessel, welchen drei Kuli vor sich herstoßen. So fahren wir, im raschen Trabe, unter schattigen Alleen, zwischen frischgrünen Reisfeldern, hier und da mit Gruppeu von Cocospalmen besäet. Ihre vom Wind leicht bewegten Fächer versprechen Kühlnng, aber die Luft bleibt darum doch erstickend heiß. Auch hier, wie in Madras, unter Pondichery. 155 den Laubgewölben der Avenuen, cm Gewimmel von weißen, rosenfarbigcn, schwarzbraunen, letzteres heißt, mit Ausnahme des Gürtels, nackten Gestalten. Man sieht auch viele Weiber. Alles geht langsam und scheint in eifriges Gespräch vertieft; aber niemand hat Eile. Es sind geborene Spaziergänger. Der kleine Tempel von Ventnore verdient seinen Ruf. Auf dem Rückwege wird das berühmte „Goldene Haus" besucht. Einst der Palast eines am Hofe von Versailles in Gunst stehenden Rajas, ist es jetzt von armen Leuten bewohnt. Der Hof, im italienischen Renaissancestil des Goldenen Zeitalters, ist im kleinen der Cortile des Palastes Massimo alle Colonne in Rom. In den Gemächern schönes indisches Holzschnitzwerk, im Treppen-Hanse prachtvolle Eisengeländer, ein Meisterstück französischer Schlosserarbeit. Im Schlafzimmer ein reich verziertes gleichfalls aus Frankreich stammendes Bett, welches aber besser in einer gewissen Kammer von Pompeji anfbewahrt würde. Die heißesten Stunden des Tages brachte ich bei dem Gouverneur zu. Mr. Drouet sowie seine Secretäre sind von der Insel Reunion gebürtig, und die Luft, die man in dem Hause athmet ist eine französisch-creolische. Endlich ankert der Tibre vor Colombo wo ich, diesmal, das Vergnügen habe den Gouverneur von Ceylon, Sir Arthur Gordon, zu finden. Hierauf vier Ruhetage zu Colpctti, in einem Land hause des österreichischen Vicecousuls Herrn Schnitze. Rechts und links, soweit das Auge reicht, niedere Felsterrassen, mit Cocosvalmen bewaldet und unablässig von einem Ocean gepeitscht der von hier bis zum Eismeer kein Land mehr bespült. Ach brächte dies Eis uns einige Kühlung! Ich habe nie eine drückendere Hitze empfunden. Hier endigen meine indischen Reisen. Das Buch der Tausendundeine Nacht ist geschlossen. Aber die Erinnerungen werden bleiben. 156 Vierter Theil. Indien. Niemand wird von mir eine erschöpfende Darstellung der indischen Zustände erwarten. Eine solche Leistung, selbst wenn sie meine Kräfte nicht überstiege, würde mich jenseits der Grenzen führen welche ich mir zog. Denn, wie bereits bemerkt, verzeichne ich in diesen Blättern nnr die von mir selbst, an Ort und Stelle, gemachten Wahrnehmungen. Gewiß, ich trat diese Reise nicht ganz nnvorbereitet an. Indien, welches so lebhaft zur Phantasie spricht, übte von jeher anf mich einen unwiderstehlichen Reiz. Während einer langen, amtlichen Thätigkeit, im Dränge der Geschäfte', nnd zuweilen nnter schwierigen Umständen, verlor ich dies Land der Wunder nie ganz aus deu Augeu. Weun Mnße vorhanden war, nahm ich immer wieder mit Vergnügen meine indischen Studien auf. Und nicht nnr aus Büchern wurde geschöpft sondern auch ans den mündlichen Mittheilungen anglo-indischer Beamter, Militärs, Missionare mit welchen mich der Znfall in Berührung brachte. Aber darum fühle ich mich doch nicht zu eiuem selbständigen Urtheil berechtigt. Ich beschränke mich daher anf eine Znsammenstellung der oft weit auseinanderlanfendcn Ansichten welche die officielle Welt in Indien heute in zwei Heereslager theilt, sowie der mir von andern vertrauenswerthen Personen gemachten Mittheilungen. Am Schlnsse wcrde ich nur sodann einige, mir angehölige, Betrachtungen erlauben. Zwei Fragen bewegen in diesem Augenblicke die anglo-indische Welt: Afghanistan und alles was sich daran knüpft, nnd die im Innern, je nach den verschiedenen Anschauungen, vorzunehmenden oder zn verhindernden Reformen. Da in Betreff anf Afghanistan die endgültigen Beschlüsse in London und nicht in Kalkutta oder Simla gefaßt werden müssen, behalte ich mir die Erörterung dieses Gegenstandes für den letzten Abschnitt dieses Buches vor, in welchem ich die allgemeine Reichspolitik Englands zu besprecheu gedenke. Die Entwickelnng der Antonomie der Gemeinden (local 86lk 80V6rnN6ny, der öffentliche Unterricht, die Zulassung von in Politische Uebersicht. 157 den Staatsschuleu erzogenen Indiern Zu einer größern Anzahl von Stellen im Staatsdienste und zu höhern Aemtern, die einheimische Presse und eine änßcrst wichtige Nenerung in der Criminalgesetzgebung stehen heute auf der Tagesordnung. Hinsichtlich der Gemeindeautonomie besagt die hierauf bezügliche Entschließung des Vieetönigs und seines Rathes ausdrücklich daß sie die Politische Erziehung des Volkes zum Gegenstand habe. Nun bestand bereits vormals in vielen Landgemeinden ein aus den Familienvätern oder Notabeln des Dorfes gebildeter Rath. Aber dies einheimische Institut verfiel allmählich oder wurde von der Ostindischen Compagnie gesetzlich beseitigt. Die von Lord Ripon beabsichtigten Einrichtungen sind mehr nnd anderes als die ehemaligen Dorfgemeinden waren. Wie mir allseitig versichert wird, ist das Princip der Wahl dem Hindu unbekannt. Jedenfalls widerstrebt er auf das entschiedenste der Wahl durch seinesgleichen. Wenn schon eine Wahl stattfinden muß, will er von seinen Vorgesetzten gewählt werden, und seine Vorgesetzten sind die Mitglieder der englischen Bureaukratie, fiir ihn persönlich, der Beamte semes Districts, der „Magistrate". In den Nordwestlichen Provinzen war der Widerstand so heftig und so hartnäckig daß Lord Ripon sich dazu herbeilassen mußte, im Widersprüche mit seinem neuen Gesetze, den Gouverneur dieser Provinzen mit der Zusammensetzung der Municipalitäten zu beauftragen. Man sieht — nnd ich könnte noch viele andere Beweise anführen — mit welchen Schwierigkeiten bei jedem Schritte auf dieser Bahn der Neuerungen in an zu kämpfen hat, und wie wenig es, im Lanfe eines Jahrhunderts, gelungen ist die hinduische Denknngsart den anglo-säch-sischen Anschauungen näher zu führen. Kurz nach Dämpfung der großen Rebellion von 1^57 eröffnete eine Proclamation der Königin, in einem beschränkten Maße, ihren eingeborenen Unterthanen den Eintritt in den Staatsdienst, nnd es wurde seither eine bedeutende Anzahl von Hindu und Mohammedanern in kleinen Aemtern, besonders im 158 Vierter Theil. Indien. IustiZfache, angestellt. Man sagt daß unter ihnen begabte nnd unterrichtete Individuen nicht gänzlich fehlen, und daß man zuweilen selbst auf ausgezeichnete Männer stößt welche sich die Anschannngen des Occidents bis zu einem gewissen Grade angeeignet haben. Aber sie bilden seltene Ansnahmen. Nnnmehr wird beabsichtigt die Eingeborenen in größerer Zahl und zu höhern Aemtern zuznlassen. Diese Neuerung wird voll den jnngen „Literaten", besonders von den Babu in Bengalen und von der indischen Tagespresse mit Ungestüm verlangt, und zwar als ein Recht mit Berufung auf das Princip der Gleichheit der Rassen. Im Grnnde aber überwiegt die Untcrrichtsfrage alle übrigen. Bereits im Jahre 1823 lenkte Monntstuart Elphinstone, damals Gouverneur von Bombay, die Aufmerksamkeit der Cmtralregie-rnng auf die Nothwendigkeit für deu höhern Unterricht der Eingeborenen Fürsorge zu treffen. Ein entscheidender Schritt in dieser Richtung wurde aber erst im Jahre 1835 in Kalkutta gethan durch die Einsetznng einer Commission mit der Aufgabe einen Studienplan Zu entwerfen. Den Vorsitz führte der berühmte Geschichtschreiber Mr., nachmals Lord, Maeaulay. Es handelte sich hauptsächlich nm Errichtung von einheimischen Collegien und Universitäten. Sogleich bildeten sich im Schose dieser Versammlung zwei, numerisch gleiche, sich schroff gegenüberstehende Fractional, die „orientalistischc" und die „englische". Die „Orientalisten" beantragten, außer einen: Lehrcurse der orientalischen Litteratur, den Unterricht im Hindustani, dem Arabischen und Persischen; die „Engländer" einen Lehrcurs der englischen Sprache und Literatur. Ein höchst merkwürdiger Bericht des Präsidenten der Commission bestimmte den General-gouverneur Lord Bentinck sich zu Gunsten der Vorschlüge der englischen Fraction Zu entscheiden. In diesem Schriftstücke, sagt Macaulay: „Wie sollten wir gestatten daß, auf Staatsunkosten, chirurgische Doctrinen gelehrt würden, welche einem englischen Hufschmied die Schamröthe in das Gesicht treiben, oder ein Politische Uebersicht. 159 astronomisches System worüber englische Schulmüdchen lachen würden, oder die Geschichte von Königen welche, 30 Fuß hoch waren nnd während 30000 Jahren regierten, nnd zu deren Zeit es Seen gab in welchen Honig und Buttermilch flössen?" Wenn mein junger mohammedanischer Freund in Bombay in dieser Commission gesessen wäre, hätte er dem berühmten Präsidenten wahrscheinlich geantwortet: „Was Tie so lächerlich finden ist nur ein Symbol welches ausdrücken soll daß es große Könige gab, während deren langer Regierung Wohlstand und Ueberflnß im Lande herrschten. Ihre Spöttereien beweisen nur Ihre Un-kenntniß des Geistes der orientalischen Nationen, welche Sie ebenso wenig verstehen als wir Ihre classischen Autoren verstehen werden, welche man uns in den künftigen Collegien lehren soll." 5 Dieselben Principien kamen, in der Folge, in allen öffentlichen Lehranstalten des Reiches zur Anwendung. In Indien theilt sich die europäische Gesellschaft in zwei Heerlager: das conservative und das liberale. Die Eonservativen wollen die heutigen Zustände wahren. Viele unter ihnen zögen wol Indien vor, wie es vor fünfzig Jahren gewesen ist. Aber sie begreifen daß die großen Umgestaltungen welche sich seither, besonders seit der Rebellion 1857, vollzogen haben nicht ungeschehen gemacht werden können. Sie sind auch zn einsichtsvoll um sich Zu schmeicheln daß es möglich sei zu den Znstänoen der Vergangenheit zurückzukehren. Sie unterwerfen sich also dem Unvermeidlichen, sie lassen den Statnsqno zu. Aber jeden Schritt vorwärts auf der, ihrer Ueberzeugung nach, schiefen Ebene betrachten sie als einen Schritt der zum Untergange der britischen Herrschaft und zngleich zum Ruin Indiens führen muß. „Dies Reich", sagen sie, „beruht auf den: Princip der Eroberung. Eroberte Länder können nur durch eine unbeschränkte * Bacon und Shakspeare befinden sich unter den englischen Autoren deren Studium Macaulay den Schülern der einheimischen Collegien empfahl (!). 160 Vierter Theil. Indien. Gewalt regiert werden. Zu jeder Zeit übten wir hier ein abso-lntes Regiment. Unsere Regierung stützte sich, einerseits, auf die Armee und, andererseits, auf die mehr oder weniger warme, mehr oder weniger kühle aber, mit gewissen Ausnahmen, allgemeine Zustimmung der Völker. Dies war die Ansicht unserer größten Staatsmänner, selbst solcher welche zn liberalen An-schammgen hinneigten. Sie begriffen daß die Lehrsätze ihrer Schule auf Indien keine Anwendung finden. Als Beweis kann dienen daß viele hier mit sehr vorgerückten Ansichten ankommende junge Männer, welche sich dem indischen Staatsdienst widmen, nach wenigen Jahren, durch den Augenschein belehrt, ihre mitgebrachten Doctrinen abstreifen und Conservative werden. Die (oben eitirte) Entschließung Lord Ripon's ist ein Ereigniß von ungeheuerer Tragweite, deun, wenn verwirklicht, muß die ganze Lage sich gründlich umgestalten. Sie hat keinen Sinn oder diesen: die Regierung faßt den Augenblick in das Auge wo sie Iudien sich selbst überlassen mnß. Dies wird geschehen wenn, dank der Erziehnng welche wir ihnen geben, die Indicr im Stande sein werden sich selbst zu regieren. Inzwischen und zn diesem Behnfe, müssen sie, mittels des Unterrichts in den Collegien und mittels repräsentativer Verfassungen in den Gemeinden, für das öffentliche Leben erzogen werden. So wird die Politik Lord Ripon's von der einheimischen Presse aufgefaßt. Diese Worte, an so hoher Stelle gesprochen, verwirren das öffentliche Urtheil, erregen unter den Litcratcn überspannte uud gefährliche Hoffnungen und untergraben das Anfehcn der Regieruugsorgane im Schoße der Bevölkerung. „Ihr wollt den Gemeinden die Leitung ihrer Angelegenheiten übergeben. Bisher waren hiermit die Districtsbeamten beanftragt, deren Verdienst um dies Land von niemandem bestritten wird. Künftighin werden sie dnrch unwissende Bauern, welche sich nur mit ihren eigenen Interessen befassen werden, oder durch einheimische Journalisten nnd Advocaten ersetzt werden. Politische Uebersicht. 161 Den englischen Functionären wird ein nutzloses Recht der Be-aufsichtigung gelassen werden. „Unser Crinnnalgesetzbuch erfuhr in: Laufe der Zeit mehrere wesentliche Umänderungen, aber Ein Princip wnrdc immer aufrecht erhalten, nämlich der Grundsatz daß die peinliche Gerichtsbarkeit in Beziehung auf europäisch-britische Unterthanen nur von britischen Richtern, welche Europäer sind, geübt werdeu dürfe. In dieser Bestimmung lag für die auf dem Lande ansässigen Weißen der einzige wirksame Schutz gegen den landesüblichen Meineid und falsche Zeugenschaft. Aber dies Lebensprincip unserer Gesetzgebung soll nunmehr beseitigt werden. Darauf hin zielt die berüchtigte Ilbert-Bill, und daher der Schrei der Entrüstung welcher von einem Ende Indiens zum andern ertönt.* „In Hinsicht auf den öffentlichen Unterricht geben wir zu daß sich unter den Professoren tüchtige Gelehrte befinden, aber der Unterricht welchen wir den Eingeborenen ertheilen ist oberflächlich, das System verwerflich, das Ergebniß beklagenswerth." Dies sehr ungünstige Zeugniß wurde mir von vielen Seiten bestätigt. „Tie Eingeborenen", sagte man mir, „verlieren in unsern Cullcgien alle Begriffe von Moral. Wir nehmen ihnen ihre religiösen Ueberzeugungen ohne irgendeinen Ersatz zu bieten. Wir berauben sie der Fähigkeit zu glauben. Wir bekehren sie zu Nihilisten, zn Malconteuten und zu Feinden Englands." Alle katholischen Priester nnd die meisten Protestantischen Missionare, welche ich sah, sprachen sich in diesem Sinne aus. „Ihr seid", sageu die Conservative« zu den Liberalen, „Utopisten. Ihr wollt ein neues Indien schaffen. Ihr wollt das Bestehende zerstören und jagt leeren Phautasiebildern nach. 5 <^, In cincr denkwürdigen Rcde welche Lord Lytton, Lord Ripon's in-mittelbarer Vorgänger, im April 1883 im Obcrhause hielt, faßte dieser conservative Staatsmann die Beschwerden zusammen zu welchen die beabsichtigten Neuerungen, auf dem Gebiete der Verwaltung sowie der Cri-minalproccdur, Anlaß geben. v. Hübncr, II, 11 162 Vierter Theil. Indien. Ihr wollt cine indische Nation schaffen. Aber es hat nie eine solche gegeben. Um diesen Zweck zn erreichen müßtet ihr vorerst die Verschiedenheit der Abstammung, der Sprache, der Religion, der Kasten hinwegräumen können, ihr müßtet die Schranken niederreißen welche die Zeit, während einer langen Reihe von Iahrhnnderten, errichtet hat. Ihr sucht und wollt das Unmögliche." Hierauf erwidern die Liberalen: „Ihr seid Egoisten. Wir sind hier die privilegirte station. Ihr wollt diese Stellung wahren. Ihr zittert für enere Aemter nnd Gehalte. Ihr wollt ein System anfrecht erhalten welches den nachgeborenen Söhnen der Aristokratie nnd der Gentry und einigen wenigen jungen Lenten aus andern Ständen, welche gewisse Prüfnngen bestanden haben, ein reichliches Auskommen sichert. Ihr wollt nicht zugeben daß Indien geschaffen wurde für die linder seines Bodens und uicht um von Fremdlingen ausgebeutet zu werdeu. „Uuserer Ansicht nach ist England, welches über einen be-deuteudeu Theil des menschlichen Geschlechtes herrscht, nicht nnr für das materielle Wohlsein soudcrn anch für den moralischen und geistigen Znstand der vou ihm regierteu Völker verantwortlich. Ihr Los nach allen Richtungen zn bessern ist Englands Pflicht nnd Beruf. Hierzulande liegt ihm ob: den Eingeborenen zu erziehen, ihn an die Telbstregiernng, vorerst in der Gemeinde, zn gewöhnen, ihn als Richter in die Gerichtshallen ein-znführcu, ihn allmählich für die Uebernahme höherer Aemter vorzubereiten nnd ihm dergestalt, für die Zukuuft, eiueu wesentlichen Antheil an der Regierung seines Landes Zn sichern. Gewiß, dieser Weg führt, möglicherweise, zur Emaueipatiou, d. h. zum Ende der englischen Herrschaft in Indien. Aber diese Rücksicht darf nus nicht beirren in der Lösung uuserer Aufgabe. Anch liegt diese letzte Phase in weiter Ferne. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, könnten wir nicht anf halbem Wege stehen bleiben. Wir können die vor einem halben Jahrhundert betretenen, anfangs laugsam und mit schwankenden, seit dreißig Politische Uebersicht. IM Jahre»!, mit festen Schritten stetig verfolgten Pfade nicht verlassen/' Hierin sind alle Liberalen einig. Die Gemäßigten wollen daß man in dieser Richtung nicht allzn rasch sondern vorsichtig vorwärts schreite, die Heißsporne empfehlen den Tublir-schritt. „Ja", sagen letztere, „wir wollen eine Nation schaffen, dieselbe Nation von: Cap Cumorin bis zum Fnhe des Himalaja. Tie Kasten find ein Hinderniß, aber dies Hinderniß wird vcr-fchwindm infolge der Aufklärung welche wir, dnrch nnsern Unterricht, verbreiten. Die ersten Erfolge sind bereits sichtbar in unsern Collegien. Also, man schwäche die Bande welche die Kasten umschließen ldie Radiealsten verlangen knrzweg Abschaffung der Kasten)- man beseitige die Unterschiede Zwischen den verschiedenen Sekten, mit einem Worte, man zerbreche und verwaudle in Atome diese alte, buntfcheckige, der Neuernug feindliche, iu Kasten, Klassen und Sekten getheilte Gesellschaft. Und nachdem wir sie in Atome verwandelt haben, wollen wir sie zn einer Nation zusammenschmelzen. „Dies setzt aber voraus daß der eiugeboreue «Literal» für den höheru Staatsdienst herangezogen und der Bauer, in der Schule der autonomen Gemeinde, znr politischen Reife gebracht werde." Dies wäre, in kurzem, das liberale Programm. Hören wir nnmuehr einige Stimmen welchen ich das Recht zugestehen muß sich vernehmen zu lassen. Ein in den Verwaltungsgeschäftcn bewanderter angw-indischer hoher Staatsdiener sagte mir: „Ich bekenne mich znr Politik Lord Ripon's: besonders soweit es sich nm die brennende Tagesfrage der loealen Sclbst-regienmg handelt. Seit fünfzig Iahreu erziehen wir die Eingeborenen. Zwei Generationen sind durch unsere Schnlen gegangen. Wir haben Universitäten nnd Collegien errichtet für den höhern Unterricht. Dennoch befindet sich die Verwaltung der Länder, von der Dorfgemeinde aufwärts zu den höchsten Stellen, in den Händen der herrschenden Klaffe, d. h. Fremder. Ist 11* 164 Vierter Theil. Indien. dieser Zustand auf die Länge haltbar? Ich bezweifle es. Oder vielmehr ich behaupte, es ist dies moralisch, logisch, sogar Physisch unmöglich. War es gut gethan diesen Erziehungsplan anzunehmen? Ich weiß es nicht. Ucbrigens handelt es sich heute uicht mehr hierum. Die Ergebnisse dieses Systems sind eine Thatsache mit welcher wir rechuen müssen. Wir können uicht zu unserm Ausgangspunkte Zurückkehren. Wir können die Ideen uicht vernichten zu welcheu wir seit eiucm halben Jahrhundert die Saat gelegt habeu. Es bleibt also uichts übrig als auf demselben Wege zu verharren. Mit welchem Erfolge? Wer weiß es? Daß hiermit wirkliche Gefahr verbunden ist bin ich weit eutferut zu bestreiten. Wir köuuen sie aber nur beschwören, oder wenigstens vermindern, indem wir versuchen eine allzu rasche Entwickelung der iu deu höheru Klasseu keimenden Gedanken, Wünsche nnd Bestrebungen möglichst hintanzuhalten. Das einzige Mittel um diesen Zweck Zu erreichen sind gewisse Concessionen welche sie für einige Zeit befriedigen, und, wenn Neues vcrlaugt wird, neue Zugestäuduisse. Der von deu Lite-raten^ durch die ciuheimische Presse anf uus ausgeübte Druck ist unwiderstehlich. Mau mnß also nachgeben, aber allmählich, Schritt für Schritt. Zuerst überlasse mau diesen jnngen Leuten die Verwaltung, die Polizei und die richterliche Gewalt in den Distrieten, später in den Divisionen. Gewiß — dies als Antwort auf eiue meiner Bemerkuugen — gewiß, auf diefem Wege wird man vielleicht am Ende bei der Emancipation ankommen. Jedenfalls stehen uns harte Zeiten und große Umformungen bevor. Aber ich sehe kein Mittel dies zu verhüten. Wir sind entwaffnet. Wir können, vielleicht, während einiger Zeit, die Fortschritte des Uebels aufhalten — wenn was geschieht vom Uebel ist (hier erkennt man den Radiealen) — aber wir haben nicht die geringste Aussicht es zu beseitigen. Mittlerweile finden wir * Das heißt die auf den Universitäten und Staats eollcgien gebildeten jungen Indicr, Hindu sowol als Mohammedaner. Politische Uebersicht. 165 aufrichtige Bundesgenossen in einen: große Theile der Bevölkerungen, unter allen Kasten nnd w den verschiedensten Theilen des Landes. Man hält an der pax driwimica, nnd nichts erschreckt den besonnenen nnd ruhigen Theil des Publikums mehr als der Gedanke daß wir Indien aufgeben könnten." Dies ist die Ansicht eines einsichtsvollen hochgestellten Mannes der liberalen Schule. Ueber die von ihm empfohlene Politik werde ich mir nur Eine Bemerkung erlauben. Ich weiß aus langer Erfahrung daß wer den vou ihm empfohleneu Weg der Zugeständnisse betritt, sicher sein kann in den Graben zu falleu den er vermeiden will, daß er aber nicht sicher ist daß es ihm gelingen werde den Stnrz zn verzögern. Aber sind diese jungen Literaten wirklich so unwiderstehliche Weseu? Hören wir hierüber einen andern Zeugen, gleichfalls der liberalen Richtung angehörig, aber dessen Urtheil für mich von besonderm Gewichte ist: „Vor unserer Ankunft und während der ersten Jahrzehnte unserer Herrschaft, waren die Bevölkerungen Indiens ein träger, apathischer Körper, zugänglich plötzlichen Anfällen panischen Schreckens und behaftet mit Krankheiten und Uebeln aller Art, die natürliche Folge der Einfälle fremder Eroberer und der hänsigen Kriege zwischen einheimischen Tyrannen. Wir brachten Indien die Wohlthaten eines tiefen Friedens, zugleich aber anch die Keime einer Bewegnng welche eben erst fühlbar wird aber deren letzter Ansgang sich jeder Berechnung entzieht. Dieser Koloß, dank unserer Dazwischenkuuft, beginnt sich zu regen, langsam, schwerfällig, etwa wie ein großes Schiff welches sich. mit Hülfe des Dampfes, langsam von seinem Ankerplatz entfernt. „Diese Bewegnng hat die Massen noch nicht ergriffen. Die Massen sind träge. Aber unter der in unsern Collegien erzogenen Ingend haben wir Ideen verbreitet von welchen sie, vordem, keine Ahnuug hatten. Das Stndinm nnserer Sprache und unserer Autoren.bringt sie anf neue Gedanken und erregt früher ungeahnte Wünsche. Sie träumen von nationaler Freiheit, ob- 1l>6 Vicrtcr Theil. Indien. gleich die indische Nation erst geschaffen werden müßte; sie begnügen sich nicht mehr mit den dnrch eine weise und gerechte Administration im Lande verbreiteten Wohlthaten: sie verlangen mit steigendem Ungestüm zwei Dinge: politische Gleichheit nnd Antheil an der Leitnng der Angelegenheiten des Landes. „Dies sind wichtige nnd nnlengbare Thatsachen, gegen welche es nntzlos nnd gefährlich wäre die Augen Zn schließen, um so mehr als sie nnser Werk sind. War was wir thaten wohlgethan oder war es vom Uebel? Ich weiß es nicht, doch denke ich wir konnten nicht anders handeln. Aber wer Ihnen gesagt hat daß die Regierung entwaffnet ist gegenüber der vom Thatendrange , nud besonders von dem Dränge nach Staatsan-stellnngen, beseelten Jugend tänscht sich vollkommen. Die Regierung besitzt hinlängliche Mittel um den Umtrieben der einheimischen Progressisten augenblicklich ein Ende zn machen. Diese Umtriebe könnten nnr gefährlich werden im Falle großer europäischer Verwickelungen nnd großer Miserfolge der britischen Waffen. „Nun sncht eine größere Anzahl einheimischer Literaten zn den Staatsümtern zugelassen zu werden. Dell Babu ein einfaches Nein entgegenzusehen ist, nicht weil es uns hierzu an der physischen Kraft fehlte, aber ans moralischen Grüudeu, unmöglich. Ich möchte hinzufügen, es ist logisch unmöglich. Man mnß sich aber klar werden über das Maß der möglichen Zuge-ftändnisse. Unsere Territorien sind in Distriete getheilt, deren jeder von einem "Colleetor» oder »Magistrat» verwaltet wird. Sechs Distriete bilden eine Division an deren Spitze der < Commissioner» steht, nnd sämmtliche Divisionen die Provinz deren oberste Verwaltung der Gouverneur leitet.* Mau könute damit * Ter Vieekönia (so betitelt seit der Auflösung der Ostiudischen Compagnie) und Generalgouvcrneur von Indien hat untcr seinem Vc-fehl 1) die von der Königin ernannten Gouverneure von Madras nnd Bombay: 2) die von ihm, dem Vleckönig, crnaimten Lieutenants-Gouvcr- Politische Uebersicht. , 167 beginnen, jedoch nnr versuchsweise, daß die Verwaltung von Districten einheimischen Beamten anvertraut würde. Weiter sollte man aber nicht gehen." „Und wem sott", frug ich, „die Leitung der Distriete übergeben werden? Den größern Grundbesitzern des Districts? Aber wenu sich deren keine finden welche geneigt oder befähigt sind dies Amt Zu übernehmen, werden Sie dann nicht genöthigt sein den Distrietsuerwalter in der sogenannten Intelligenz, nnter den Babn zu suchen? In diesem Falle säen Sie Wind, und werden Sturm ernten." „Gewiß", war die Antwort, „wäre es besser an die Spitze der Districte Männer zu stellen welche durch ihren Besitz einige Bürgschaft böten. Uebrigens ist zur Befürchtung daß wir nns zu immer größern Zugeständnissen drängen lassen könnten kein Grund vorhanden: denn, wenn es in Indien überhaupt eine öffentliche Meinung gibt welche diesen Namen verdient, so ist sie entschieden eonservativ und jeder Neuerung abhold. Zu diesen Gesinnungen bekennen sich die wohlhabenden Zemindare am Lande und die reichen Bankiers in den Städten offen nnd ohne allen Rückhalt." Was den öffentlichen Unterricht anbelangt, behauptet derselbe Staatsmann daß, bei dem religiösen Geiste der alle Klassen durchdringt nnd bei den vielen Sekten in welche das Volk getheilt ist, dic Regierung, soweit es sich nm Fragen der Religion handelt, eine vollkommene Neutralität bewahren muß. „Alles in allem, wandelt die Regierung den richtigen Weg; nur darf sie nicht zn rasch vorwärts gehen; besser wäre vielleicht sogar den Radschuh etwas cinznlegen. „Die trüben Ahnnngcn der Conservative« scheinen mir nicht gerechtfertigt. Wenn wir fortfahren unsere Fahne hoch zu tragen, ncurc von Bengalen, von den Nordwestlichen Provinzen und vom Pcnjab, sodann den Obcrronmussär dcr Centrcilprovmzen: ") die gleichfalls von ihm bestallten diplomatischen Agenten, o. h. dir Residenten bei den Lehnsfürsten. 168 Vicrtcr Tycil, Indien. wenn wir unablässig nnd lant verkünden daß unser Besitztitel ein rechtmäßiger, und daß wir fest entschlossen sind ans diesem Rechtsboden zn verharren, so verlieren die knabenhaften Be-strebnugen nnd Wünsche der in unsern Collegien erzogenen Indier ihre Schrecken." Um diese Schilderung der liberalen Meinung zu vervollständigen lasse ich hier einen andern hochgestellten Mann derselben Gesinnung sprechen: „Es sind fünfzig Jahre verflossen seit der gegenwärtig noch befolgte Schnlplan in das Leben trat. Ich will nicht untersuchen ob er gut oder schlecht ist. Ich gebe sogar seine bedenklichen und gefährlichen Seiten zn. Aber wäre ich im Jahre 1835 Mitglied der Commission Macanlay's gewesen so würde ich meiue Zustimmung gegeben haben. Uebrigens, heute befinden wir uns einer vollzogenen Thatsache gegenüber. Die Gouverneure, wie ihre Untergebenen, sind nicht berufen den vorgezeichneten Weg Zu verlassen, sondern sie müssen die bestehenden Gesetze in Anwendung bringen in der ihnen am besten scheinenden Weise. Es wird behauptet der der einheimischen Ingend ertheilte Unterricht erzeuge Unzufriedenheit und gefährliche Bestrebungen, untergrabe und gefährde die englische Herrschaft. Die Wahrheit aber ist daß unsere Macht heute fester wurzelt als dies vor fünfzig Jahren der Fall war." ,,Infolge oder ungeachtet des Unterrichts?" frug ich. „Vielleicht ungeachtet des von uns angenommenen Systems. Ich gebe dies zu oder, vielmehr, ich gebe es nicht zu, und zwar aus diesen Gründen: Je mehr die öffentliche Bildnng fich verbreitet, je allgemeiner wird die Ueberzeugung werden daß die englische Herrschaft eine Wohlthat für Indien ist. Hier, als Beispiel, zwei Thatsachen die ich verbürgen kann. Ein in Be-nares lebender Hindu, einer der Procercs der Gegend nnd ein uns offenkundig wenig geneigter Mann, sagte unlängst zn einem Freunde: — Weißt du was geschähe wmn die Engländer abzögen? Stelle dir vor daß wir in nnsern Thiergärten die Käfige Politische Uebersicht. 169 der wilden Bestien öffneten. In wenigen Augenblicken würden sie uns Zerreißen und sich selbst gefressen haben, und nichts bliebe übrig als ein Tiger mit blutigem Rachen, und dieser Tiger wäre ein Mohammedaner. „Meine zweite Geschichte. Die Handlung spielt im äußer-sten Süden. Zwei Hindn von hoher Kaste besprechen die Zustände Indiens. Der eine sagt: — Die Engländer sind noch unentbehrlich, aber je mehr sich unter uns die Bildnng verbreitet, je mehr werden wir in den Stand gesetzt uns selbst zu regieren. In einiger Zeit werden wir hinter ihnen nicht mehr zurückstehen. Dann können sie gehen. — Du täuschest dich, entgegnet der Freund. Es ist als ob du sagtest, meiu Bruder ist um zwei Jahre älter als ich. Also werde ich in drei Jahren älter als er sein. „Die Gefahr liegt nicht im Unterricht sondern in der Richtung welche man ihm gibt. Statt Literaten heranzubilden die uur den Eiutritt iu besoldete Aemter im Auge haben, sollte man den juugen Leuten eine technische Erziehung geben. Wir konnten aus ihnen gute Ingenieure, gute Förster und Landwirthe machen. Viele gute Advocaten sind bereits aus unsern Schuleu hervorgegangen. „Man behauptet das Dasein einer fremden Herrschaft verletze das Nationalgcfühl. Man vergißt ganz daß der bei weitem größte Theil Indiens stets fremden Herrschern gehorchte, daß es nie eine indische Nation gab sondern mehrere Nationen welche, durch Abstammung, Glauben, Traditionen und Sitten getrennt, nnr den Haß der einen gegen die andern unter sich gemein haben." Die, gänzlich freie, einheimische Presse ist nur eine Folge und ein Corollar des bestehenden Unterrichtswesens. Maeaulay fand daß sie mehr Gutes als Uebels thue. Diese Ansicht wird von den heutigen Functionären, selbst von den liberalsten, in keiner Weise getheilt. Eine freie Presse setzt eine, in Indien nicht bestehende, öffentliche Meinung voraus welche, obgleich 170 Vierter Theil. Indien. Zum Theil durch die Presse gebildet, doch im Stande ist letztere in gewissen Schranken Zu erhalten und von gewissen Verirrnngen abzuhalten. Ueberdies ist Preßfreiheit eine Anomalie in einein Staate der keine parlamentarische Verfassnng besitzt nnd von einer, den Vorgesetzten nnd nicht dem Lande verantwortlichen, Bureaukratie regiert wirb. Im allgemeinen wird den einheimischen Blättern wenig Gutes nachgerühmt. Eine ungezügelte Sprache, Verwirrung in den Ideen, fabelhafte Unkenntniß des besprochenen Gegenstandes kennzeichnen den einheimischen Journalismus. Man beschuldigt ihn anch dnrch Einschüchterung Geld Zu erpressen. Reiche Zemiudare, deren Gewissen nicht ganz rein, sind eine ergiebige Erwerbsqnelle, nnd das sogenannte nnsli moil?)' bildet die Haupteinnahme der gelesensteu Zeitungen. In der auglo-indischen Welt spricht sich die öffentliche Meinung laut gegeu diese Misbräuche aus, und mau wurde solchen Aergernissen längst ein Ende gemacht haben, ohne die dem Engländer angeborene Abneigung gegen die Ecnsnr, und weil namentlich die Männer der liberalen Schule das Princip der Preßfreiheit nicht antasten wollen. Gleich bei seinem Amtsantritte hatte Lord Lytton, durch einen im Conseil gefaßten Beschluß, deu schreiendsten Misbräncheu der Tagespresse zu steuern gesucht. Aber dies Gesetz wurde durch seinen Nachfolger, Lord Ripon, alsbald wieder außer Kraft gesetzt. Ueber Eiues herrscht vollkommene Uebereinstimmung, nämlich über den Übeln Einfluß der Presse auf alle welche lesen können. Nirgends ist dies fühlbarer als in Bengalen nud in den Nordwestlichen Provinzen. Aber nirgends berührt sie die Massen. Am wenigsten im Süden. Indien ist ein ungeheueres Gebiet, und die Eingeborenen der verschiedenen Theile desselben erfreuen sich nicht alle derselben Begabnng aber, im allgemeinen, gelten sie für ausgerüstet mit nicht unbedeutenden Fähigkeiten. Man erkennt ihnen Gedächtniß zu, eine große Geschicklichkeit im Nachahmen, und eine seltene Leichtigkeit verwickelte Fragen zu analysiren und mit Klarheit dar- Politische Uebersicht. 171 zustellen. Aber ihr Geist ist oberflächlich und ohne alle Originalität. Man findet bei ihnen nicht selten dialektische Fertigkeit, daher auch so viele sich mit Erfolg dem Advocatenstande widmen; wie denn überhaupt der Hindu vou Natur proceßsüchtig ist. Die Regierung und die Uuiuersitäteu werden beschuldigt diesem augeboreuen Hang emeu ungebührlichen Vorschub zu leisten durch die zu häufige Verleihung der für die Adooeatur erforderlichen Grade. Aber je mehr Advocaten, je mehr Processe uud je mehr zu Gruude gerichtete Baueru. Was ist nun die Ztimmnng der Eingeborenen mit Beziehung auf die englischen Gebieter? Diese Frage hörte ich oft auswerfen und erörtern in den officiellen Palästen, uuter dem Zelte meiner neueu militärischen Freunde, im Änngalow des Theepflauzers, im bescheidenen Priesterhause des Missionars. Um diese Frage zu beantworten, sagte man mir, ist es nöthig zwischen dem Hindn und dem Mohammedaner zu unterscheiden und so auch zwischen dem Norden und dem Süden der Halbinsel. Die Mohammedaner besuchen, in der Regel, die Collegieu uud Universitäten nur iu sehr geringer Anzahl^, demuugeachtet gewinnen sie furtwährend an Bedentung. Der Hindu, welcher zum Islamismus übertritt, verliert seine Kaste, wird aber vou den Mohammedanern auf dem Fuße der Gleichheit aufgenommen. Die Moschee steht ihm offen. Er breitet dort, wo es ihm beliebt, seinen kleinen Teppich ans uud verrichtet sein Gebet zur Seite der größten Herren. Der Reiz der Gleichheit hat schon manchen Hindu zum Muselman gemacht. * Ich citirc cm Beispiel: Tie Madrasa oder das mohammedanische Collegium in Kalkutta, gegründet 1781, zählte allerdings im Jahre 1.^73, 528 Zöglinge. Aber von den Kindern und juugcn Leuten welche die Primärschulen der Präsidentschaft von Bengalen besuchen sind 47,? Proc. Hindu, 13,5 Proe, Christen und nur ^,e Proc. Muselmanen. Ter Rest gehört verschiedenen Tcktcn an. Im Collegium von Madras fehlen die Moham^ mcdaner gänzlich. 172 Vierter Theil. Indien. Der Mohammedaner hat das Bewußtsein einem ungeheuern religiösen Gemeinwesen anzugehören welches sich ans dem Herzen Indiens bis an die Dardanellen erstreckt, und dessen Angehörige sich in Peking und im Innern von Afrika begegnen. Es besteht aus den verschiedensten Nationen, vereinigt untereinander durch die Erinnerung an eine große nnd glorreiche Vergangenheit. Die Hindu zerfallen ill zahlreiche Stämme, Kasten nnd Sekten zwischen welchen fortwährende Feindseligkeit herrscht. Die Dogmen der Mohammedaner faßt ein knrzer Satz zusammen: es ist ein Gott und Mohammed ist sein Prophet. Der Olymp der Hindu zeigt ein Chaos von Göttern, von Untergöttern, von Heiligen, von Götzen, von Fleischwerdnngen und Seelenwanderungen, von kindischen Fabeln, alle» durchströmt und belebt durch einen vantheistischen Gedanken welcher die Grundlage der Hindudoetrinen bildet. „Glauben Sie nicht", sagte mir ein feiner Beobachter nnd Henner der indischen Welt nnd welcher, inbesonders, die religiösen Znstände zum Gegenstande seiner Forschungen gewählt hat — „glauben Sie nicht daß wir den Pantheismns dem Hindn eingeimpft haben. Der Hindn kommt zur Welt, lebt nnd stirbt als Pantheist, der gemeine Mann ohne es zu ahnen, der, in seiner Weise, Gebildete mit vollkommenem Bewußtsein. „Die Muselmanen, wenigstens im Penjab und im eigentlichen Hindustan* lieben uns nicht, weil sie glanben daß wir das mongolische Kaiserreich zerstört haben, was ein Irrthum ist. Nicht wir, die Maharatten nnd die Tikh haben die Dynastie Timnr's gestürzt. Uns erübrigte nur den entseelten Leichnam zur Erde zu bestatten und die Erbschaft einznziehen." Dies ist Indien, geschildert von jenen die es regieren. Die Verschiedenheit der Urtheile entspricht den verschiedenen An-schaunugeu der von mir vernommenen Zeugen. Hier muß noch die Thatsache hervorgehoben werden daß die Conservative!! in der * Die Nordhälfte Indiens. Politische Uebersicht. 173 offieiellen Welt, mit Inbegriff der Richter, die ungeheuere Majorität bilden, und daß die nicht officiellen Residenten, englische Pflanzer und Kaufleute, sammt und sonders sich zu diesen Ansichten auf das entschiedenste bekennen. Aber wenn die Liberalen, numerisch, nur eiue sehr kleine Miuorität ausmachen, so zählen sie zu den Ihrigen den Vicekönig Lord Ripon nnd einige der ausgezeichnetsten und zugleich höchstgestcllten Staatsdiener. Wir haben hier Stimmen aus beiden Lagern vernommen: conservative und liberale, und anch eine der vorgerückten Fraction letzterer angehörige. Aber man muß nicht glauben daß wirkliche Radieale gänzlich fehlen. Man findet deren besonders im Lehrkörper, allerdings neben Männern welche hohe Gelehrsamkeit mit streng eonservativen Ueberzengungen verbinden. Ich selbst habe einige dieser jungen Radicalen begegnet. Sie gehen von dein Grundsatze aus, das Ideal einer gesunden Politik sei die Zerstückelung des britischen Reiches, insbesondere das Aufgeben Indiens. Um England zu retten muß mall es zuerst zerstören. Diese Professoren, vortreffliche junge Leute, aufrichtig und ehrlich an ihren Doctrinen hängend, alle aufgewachsen in einer Schule welche, in jüngster Zeit, in England an Bedeutung zu verlieren scheint, sind an und für sich nicht sehr gefährliche Individuen. Nicht einmal ihre Berührungen mit den einheimischen Notabcln, bei denen sie höchstens dem Lächeln des Unglaubens oder der Geringschätzung begegnen, können zu ernsten Bedenken Anlaß geben. Aber sie sind es welche die Jugend unterrichten und erziehen, welche den Babu heranbilden, mit Einem Worte welche den Teig schaffen ans welchem man die Fnnctionäre der Znkunft zu kueten gedenkt, die Männer welche einst Indien regieren sollen, in Gemeinschaft mit den Engländern oder — ohne sie. Ein eigenthümliches Schauspiel! Vielleicht einzig in seiner Art. Ein ungeheuerer Verwaltungskörper, gezwungen Principien zu huldigen welche die überwiegende Majorität seiner Glieder mit Entrüstnng von sich weist. Und dies Schauspiel ge- 174 Vierter Theil. Indien. währt Indien in diesem Augenblicke. Es wäre sehr leicht Beweisgründe für und gegen beide Theile anzuführen. Ich verzichte hierauf, weil dies zu einer weiteru Erörterung führen würde Zu welcher ich mich nicht berufen und auch nicht befähigt fühle. Die eineu wollen Stabilität, uud da sie, wenigstens die Einsichtsvollern, die Unmöglichkeit der Erfüllung dieses Wunsches erkeuneu, da sie überdies von der Ansicht ausgehen daß die menschliche Natur zum Uebel ueigc, so betrachten sie die dem Eingeborenen gestattete oder verheißene Freiheit als eine Gefahr und öffentliche Calamitä't, und überlassen sich deu schwärzesten Ahnungen. Ihre Geguer, ohue sich zu täuscheu über die Gefahren welche sie selbst hervorriefen uud welche mit jedem Tage uäher treten, sind voll Vertrauensseligkeit, weil sie den Sieg des Guteu uicht bezweifeln. Dieser edelmüthige Glaube au die Menschheit gereicht der liberalen Schule zum Ruhme und ist zugleich eine ihrer schwachen Seiten. Der Kritik erschließt sich hier ein weites Feld, nnd sie wäre sogar überaus leicht, wenn man absehen könnte von der Lage welche die Macht der Dinge England in Iudien bereitet hat. Konnte die englische Nation, eiue Nation zusammengesetzt aus Christen und Philanthropen, und von Natur aus, mehr als irgendeiue audere, geneigt das Menschengeschlecht mit den ihr nützlich scheinenden Ideen zn beglücken; auch, mit vollem Rechte, durchdrungen von dem Gefühl der Verantwortlichkeit welche ihr die Herrschaft über 250 Millionen menschlicher Wesen auferlegte — konnte diese Nation sich darauf beschränken das materielle Wohl dieser Völker zn fördern, im übrigen aber die Augen zu schließeu gegen ihre moralischen Bedürfuisse, gegen die Mis-bräuche, die Laster, den Aberglanben welche sie in dieser alten Gesellschaft fand? Offenbar, war dies uumöglich. Aber dann, was thuu? Hier begiuuen die Schwierigkeiten. Was thaten andere christliche Nationen, in andern Zeiten, nnter ähnlichen Umständen? Ich meine hier die Spanier uud Portugiesen, die großen Colonisatoren des 16. Jahrhunderts. Politische Uebersicht. 175 Zu jener Zeit überwog das religiöse Interesse alle übrigen. Der christliche Fürst glaubte sich, Gott gegenüber, verantwortlich für das Seelenheil seiner Unterthanen. Gab es unter ihnen Heiden, so war es seine Pflicht sie, durch Ueberrcdnng oder mit Gewalt, in den Schus der Kirche zurückzuführen. Zur Zeit der Reformation und bis iu die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, sowol in katholischen als Protestantischeu Ländern, gelangte ein analoges Princip zur Anwendnng. Man bezeichnete es mit den Worten: (,'u^u^ rexw, 6^U3 i^ii^o, d. h. der Unterthau bekeuut sich zur Religion des Landcsfürsten oder verläßt seine Staaten. Dies erklärt, hier von den beiden Amerika und von Indien sprechend, die spanische und portugiesische Politik jeuer Zeit. Die Statthalter ließeu die einheimischen Heiden einfach tanfen. Sie machten sie zu Christen. Die so Getauften waren vielleicht nnr dem Namen nach Christen, ihre Kinder wurden wirkliche, und bis auf den heutigen Tag, durch alle Veränderungen welche die Zeit mit sich brachte, sind diese Bevölkerungen christlich geblieben. Und da das Christenthum, uiemaud bestreitet es, einen Keim uud, nach der Meinnng vieler, deu befruchteudsteu Keim der Civilisation in sich schließt, nuterscheiden sich die, in solcher Weise vcrchristlichteu Bevölkerungen von ihren heidnisch gebliebenen Landslcuten noch heute dnrch einen höheru Grad vou Civilisation. Mau vergleiche, zum Beispiel, die Goancseu mit ihren Nachbarn den Maharatteu, die Indier der ehemaligen spanischen Colonieu in Amerika mit den Rothhänten iu den Vereinigten Staaten, uud man wird scheu welcher Abgrund die Heiden vou den Christen trennt. Und doch gehören oft beide demselben Volksstamme au. Aber dies Mittel der Civilisation fehlt dem modernen Staat welcher keine Staats- oder Nationalreligion kennt, welcher in der chriftlicheu Religion uicht das höchste Gut der Menschheit sieht und welcher daher verpflichtet ist die Gewissensfreiheit eines jeden einzelnen zu achten. Der moderne Staat läßt niemand taufcu aber er gibt jedermann den Unterricht und die Crziehung. Der 17l; Vierter Theil. Indien. öffentliche Unterricht ist das höchste Gut geworden welches wir berechtigt sind vom Staate Zn verlangen und welches der Staat verpflichtet ist nns aufzudringen, selbst wenn wir es nicht verlangen. Jeder Staatsbürger muß znm Unterhalt der Staatsschulen beitragen, ob er von ihnen Gebrauch mache oder nicht, und in den Ländern wo der Primarnnterricht obligatorisch ist muß der Familienvater, gleichviel ob es ihm genehm ist oder nicht, seine Kinder in die Staatsschule schicken, will er nicht in die gesetzliche Strafe verfallen: OuAi3 rsZio, 6M8 r^ii^io. Ich constatire Thatsachen, ich beurtheile sie nicht. Hierzu kommt daß, im modernen Staate, außer in Fällen wo mau, mittels einer wohlthätigen Ineouseqneuz, auf halbem Wege stehen bleibt, die Schule undenominational, bekenntnißlos, sein muß: der religiöse Uuterricht ist ausgeschlossen. Der Vice-ku'nig von Indien kann nicht mittels eines Order in council eine allgemeine Taufe auordueu, und wenn er es könnte wäre die Wahl zwischen den verschiedeueu christlichen Confessionen keine leichte, da der Staat, welchen er vertritt, sich zu keiner vou ihucn bekennt.* Was er thun kanu und thut, was jedes seiner Organe stets, unter allen Umständen, offenkundig und unparteiisch thnt, ist die Gewährung voller Freiheit zur Ausübuug des Apostolats durch die Missionare sämmtlicher christlicher Rc-ligionsgenossenschaftcn. Ich kann diefe Thatsache bezeugen, weil sie mir, soweit es sich um Katholiken handelt, von allen Bischöfen, apostolischen Vicareu, Pfarrern und Missionaren welche ich in fast allen Theilen des Continents sah mit voller Einstimmigkeit bestätigt wurde. Aber das Werk der auf sich selbst angewieseilen Missionare macht, wie ich hier beiläufig bemerke, nur sehr * Tie Kirche von England hat im Staate ihre offieiclle, legale und privilcgirte Stellung bewahrt, aber, infolge der natürlichen Entwickelung des Protestantismus, welcher auf dem Princip des freien Urtheils der individuellen Vernunft beruht, kann keine protestantische Körperschaft oder Kirche, in Tachen des Glaubens und der Toctrin, irgendeine Autorität ausüben. Politische Uebersicht. 177 langsame Fortschritte, und die Zahl der Neubekehrten verschwindet in der Masse der Hindu und Mohammedaner. In den Staatsschulen ist also der religiöse Unterricht ausgeschlossen, obwol es auf dem Erdeuruude keine religiösern Völker gibt als die welche die Halbinsel des Ganges bewohnen. Da es nicht gestattet ist in den Eollegieu das Evangelium zu lehren, so hält man sich an gewisse philosophische Allgemeinheiten, und, außer den sogenannten nützlichen Kenntnissen, tradirt man den jnngen Vabu, wir haben gesehen mit welchem Erfolge, die englischen Classiker. Aber konnte das Programm der „Orientalisten" angenommen werden? Kanu man sich vorstellen wie englische Gelehrte Vorträge halten über die heiligen Schriften der Vedda nnd sich mit der Exegese des Korans befassen? Oder konnten sie, ohne gleich beim ersten Schritte auf die unübersteigliche Schranke des logischen Widersinnes zn stoßen, die Literatur jener Länder ihres religiösen Elementes entkleiden welches ja die Wesenheit der Poesie, der Gelehrsamkeit und des täglichen Lebens dieser Völker ausmacht? Sollten sie sich zu Richtern auswerfen zwischen Wischnuiten nnd Sivaiten, Sunniten nnd Schiiten? Die Autwort kaun nur Eine sein. Es blieb also nichts übrig als zu thun was man that, aber, vielleicht, kounte man es in anderer Weise thun. Gibt es eine öffentliche Mcümug in Indien? Es wird behauptet nein. Indeß niemand vcstreitet daß die in den Staats-collegieu gebildeten Literaten, in den letztern Jahren, sehr vorlaut geworden sind, daß sie ihre Forderungen immer höher spannen, und daß sie namentlich die Regienmgsacte eiuer scharfen Kritik unterziehen. Wenn es wahr ist daß die oberste Behörde in Kalkutta dies Gebaren begünstigt, so würde ich dies, wäre ich ein Engländer, aufrichtig bedauern. Aber von diesen Vabu ist ja gar nichts Zu besorgen. So wird mir von liberaler Seite gesagt. Nnr in kritischen Zeiteu, etwa wenn England in einen: europäischen Kriege schwere Niederlagen erlitte, nnr dauu könn- v. Hübn«. II, 12 178 Vierter Theil. Indien. ten sie gefährlich werden. Nun, diese Beweisführung scheint mir sehr schwach. Das Leben der Nationen, wie der Individuen, ist eine Reihe von Erfolgen und Miserfolgcn, nnd es können Ereignisse eintreten welche dem Babn eine größere Bedeutung verleihen dürften als man ihm jetzt Zugestehen will. Die einsichtsvollen Männer der höhern Klassen, zu welchen natürlich die unruhigen Vabn nicht zahlen, würdigen die materiellen Wohlthaten welche das Land der britischen Regierung verdankt. Das Volk, eine träge Masse, ist nur auf den Erwerb seines Lebensunterhaltes bedacht. Man unterscheidet zwischen Mohammedanern und Hindn. Erstere gravitiren um einen, außerhalb Iudien, gelegenen Mittelpnnkt. Die Welt des Hindn ist seine Halbinsel. Daher die Beziehungen mit letztern einfacher uud leichter siud als mit den Mohammedanern. Aber Hindu sowol als Mohammedaner sind, mit Zwei Ausnahmen, England geneigt oder gleichgültig. Feindselig oder wenigstens entschieden abgeneigt sind die Bewohner von Delhi und anderer Städte welche einst nnter der unmittelbaren Herrschaft der mongolifchen Kaiser standen, nnd von den Hindu, die Maharattcn. Die Zerstörung dieser beiden Reiche zum Vortheile Englands liegt noch zu nahe um bereits vergessen zu sein. Die Zeit wird hier das Ihrige thnn. Zwischen Mnselmanen und Hindn herrscht wenig Sympathie. Nichts fürchtcu die Hindn mehr als die Wiederkehr der mohammedanischen Herrschaft. Die Lehnsfürsten haben aufgehört zn Besorgnissen Anlaß zu geben: die großen weil sie glanben daß die Regierung der Königin das System der Annexionen aufrichtig aufgegeben hat; die kleinen weil sie in den Engländern ihre Beschützer gegen etwaige Annexionsgelüstc der großen Lehnsfnrsten erkennen. Ich höre sehr viel reden von der ueueu erst zu bildenden, indischen Nation. Mittlerweile sieht man nur ein Agglomerat von Millionen menschlicher Wesen welche getrennt sind durch die Verschiedenheit des Blntes, des religiösen Glaubens, der Kasten, der Gebränche nnd Traditionen, deren Ursprung sich im Politische Uebersicht. 179 Dunkel der Vorzeit verliert. Wird diese neue Nation zu Stande kommen und wann? Dies ist eine jener Fragen welche vor das Forum der Moralisten und Philosophen gehört, welche sich aber der Sphäre des Staatsmanns entziehen, weil er sich mit der Gegenwart und nur einer beschränkten Zukunft zu beschäftigen hat. Wenn diese Nation gebildet ist, dann wird es an der Zeit sein ihr die Leitung ihrer eigenen Geschicke Zu überantworten. Eine solche Sprache, gehalten an einem hohen Orte, hoch genug um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu Ziehen und mithin von jedermann gehört zu werden, scheint mir eine wirkliche und nicht geringe Gefahr in sich zu schließen. Die Folgerungen welche die Literaten und die einheimischen Zeitungen darans ziehen liefern hierfür einen Beleg. Sie behaupteu, die indische Nation sei gemacht. Die Engländer sollen also gehen. In materieller Beziehung war Indien nie so blühend wie dermalen. Das Aussehen der meist gut geklcideteu Menschen, ihrer gut gehaltenen Dörfer und Häuser, der gut bebauten Felder, scheint es zu beweisen. In ihrer Haltung nichts Sklavisches; im Umgänge mit den englischen Gebietern ein gewisser Freimuth und die Ungezwungenheit von Leuten welche sich selbst achten; keine Spur von der knechtischen Unterwürfigkeit welche den Neuaukommeudeu in andern Ländern des Orients so unangenehm berührt. Ich kann nicht den Einheimischen von heute vergleichen mit dem was er war vor fünfzig oder dreißig Iahreu; aber ich konnte einen Vergleich anstellen zwischen den Bevölkerungen der von britischen Beamten verwalteten Provinzen mit Unterthanen der Lehnsfürstcn. Wir haben, zum Beispiel, die Grenze von Hyderabad überschritten. Der Himmel, der Boden, die Rasse sind dieselben geblieben, aber in allem Uebrigen ist der Unterschied im höchsten Grade auffallend und der Vergleich für den Staat des Nizam höchst ungünstig. Zwischen den Regierungsorganen vom Civil sowol als aus dem Militärstande und dem Volke bestehen die besten Beziehungen. Als Beispiel, wie tief das britische Ansehen im 12* 180 Vierter Theil. Indien. Volke wurzelt, sei hier nur erwähnt, daß auf der ganzen Halbinsel der Eingeborene der einen Proceß führt, insbesondere in Criminalfällen, einen englischen Magistrat dem einheimischen Richter vorzieht. In Vorstehendem habe ich gctren und gewissenhaft die AnZ-künfte Zusammengestellt welche ich an Ort und Stelle, in den glaubwürdigsten Qnellen, Zn schöpfen Gelegenheit fand. Ich verhehlte keine der schwachen Seiten dieser nngchenern Verwaltnngs-maschine, soweit sie von mir bemerkt wnrden, ich verschwieg keine der Klagen welche von achtbaren und das Land kennenden Männern gegen die Regierung erhoben werden. Aber selbst wenn man sich anf den Standpunkt des Pessimisten, der nicht der meine ist, stellte, so könnte man nicht leugnen daß Britisch-Indien heute ein Schauspiel bietet welches ohnegleichen ist in der Geschichte der Welt. Was gewahren wir? Austatt der periodischen wenn nicht ununterbrochenen kriege, tiefen Frieden im ganzen Reiche; an der Stelle der Erpressnngcn goldgieriger und grausamer Hänptliuge, sehr mäßige Anflagen welche hinter den auf den Gebieten der Lehnsfürsten erhobenen Steuern weit zurückstehen; die Willkür ersetzt dnrch die Gerechtigkeit welche für jedermann dieselbe ist, käufliche Tribunale durch unbescholtene Richter, deren Beispiel bereits auf die Rechtsbegriffe der Mafsen wirkt; keine Pindarri mehr, keine bewaffneten Räuberbanden; vollkommene Sicherheit in den Städten und anf den: Lande, anf den großen Heerstraßen nnd kleinen Nebenwegen; nnd, mit einigen durch die Gebote der Sittlichkeit erheischten Befchränknngen, volle Achtung des religiösen Glaubens, der Ausübuug des Gottesdienstes nnd der bestehenden Sitten und Gebräuche. In materieller Beziehung, wie erwähnt, ein Anfschwuug ohnegleichen, und selbst das, in gewissen Gegenden, periodisch wiederkehrende Elend der Hnngersuoth immer mehr gemindert dnrch die mit den Eisenbahnen znnehmende Leichtigkeit der Herbeischaffnng von Lebensmitteln. Und wer hat alle diese Wunder gewirkt? Die Weisheit Politische Uebersicht. Itzi und Unerschrockenheit einiger leitender Staatsmänner, die Tapferkeit und Mannszucht einer Armee zusammengesetzt aus wenigen Engländern und vielen Einheimischen und geführt von Helden; endlich, und ich möchte beinahe sagen hauptsächlich, die Hingebung, die Einsicht, der Muth, die Ausdauer, die Geschäfts-kenntniß und Unbescholtenheit einer verhältnißmäßig kleinen Anzahl uon Dieueru des Staates und der Justiz, den Regierern und Verwaltern des indo-britischen Reichs. Fünfter Theil. Ooeanten. I. Äie Norfolkiusel. Vom 17. zum 23. Mai 1884. Newcastle. — Tic Norfolkinsel. — Tic Abkömmlinge der Meuterer an Bord der Bounty. — Einc Nacht bei dem Magistrat. — Tic Barre. Hydncy, 17. Mai. — Heute Nachmittag Empfang an Bord des Nelson wo der Commandant der anstralischen Seestation, Commodore Erskine, die Creme der Gesellschaft vereinigt. Von der Commandobrücke übersehe ich das weite Deck, jetzt belebt vou einer eleganten Menge. Man spaziert paarweise anf nnd nieder, man tanzt, man macht die Cour. Das Wetter ist prachtvoll. Die unvergleichliche Bucht, welche mir nie zauberischer schieu, erglänzt im rosigen Licht der sinkenden Sonne. Aber dies heitere Fest hat für mich eine melancholische Seite. Ich scheide hier von frcnndlichcn Menschen welche mich mit Artigkeiten überhäuft haben. In einigen Minuten reise ich nach Oceanien ab, und Zwar an Bord des englischen Kriegsschiffs Espiegle, Kapitän Bridge. Die Gelegenheit die Südseeinseln Zn besnchen bietet sich nur äußerst selten. Wer die Gefahren, das Ungemach, die Entbehrungen einer langen und langsamen Seereise an Bord eines Walfischfängers oder eines Rekrutenschiffs scheut, wer keine Jacht besitzt, — angenehmer als sicher in diesen Meeren — muß darauf verzichten einen der interessantesten aber unzugänglichsten Theile des Erdballs zu sehen. Ich werde also während sechs Wochen der Gast des Kapitäns Bridge sein. 186 Fünfter Theil. Oceanien. Am 28. Juni wird sein Schiff an einein bestimmten Pnnkte das Packetboot begegnen welches Zwischen Sydney nnd San-Francisco fährt. Die Direction der Pacific-Steam-Mail-Company in Neuyork hat den Kapitän der City of Sydney ermächtigt mich mitten in der Südsee an Bord zu nehmen, >v6atdßr permitting, wenn das Wetter es Znläßt. Also, wenn der Wind nicht zn stark bläst, wenn die See nicht zu hohl geht, weun der Znstand der Atmosphäre den beiden Schiffen gestattet sich zn sehen, mit einem Worte, wenn die Elemente so liebenswürdig sind wie der Commodore und der Kapitän nnd die Direction der Amerikanischen Gesellschaft, werde ich am 14. oder 15. Juli iu San-Francisco landen. Im übrigen auf gut Glück! Im schlimmsten Falle, sagte ich mir, werde ich einige Monate länger an Bord eines schönen Kriegsschiffes und in guter Gesellschaft zu weilen haben. Aber meine hiesigen Freunde flüstern nur ins Ohr ich riskire noch anderes. Sie, wie jedermann, warnen mich vor den Wilden. Sie sind feindselig nnd treulos, legen sich in den Hinterhalt, greifen die Mannschaft, welche an Land geht, unversehens an, morden und fressen sie. Kam nicht Commodore Goodenough, einer der Vorgänger des Commodore Erskin, vor einigen Jahren auf diese Weise um das Leben? Er wurde in Sydney bestattet uud der Ort wo seine Asche ruht ist der eleganteste Theil des Kirchhofs geworden. Jedermann will in der Nähe eines Helden begraben werden. Seinerseits sagt mir Kapitän Bridge, gleichfalls in das Ohr: „Wir gehen nicht nach den Neuen Hebriden, noch nach den Salomonsinseln, wo der Kannibalismus hauptsächlich zu Hause ist; wir werdeu nnr Inseln besuchen deren Bewohner die üble Gewohnheit den Nebenmenschen zu verzehren bereits abgelegt haben." Dies beruhigt mich, aber ich hüte mich meine Freunde zn beruhigen. Mau liebt es für eine interessante Persönlichkeit zn gelten, nnd ist der Reisende nicht interessant der sich in ein Land begibt wo er sich nicht frägt: was werde ich essen, sondern von wem werde ich gegessen werden? Newcastle. 187 Der Kapitän holt mich ab. Einige Ruderschläge und wir erreichen unser Schiff welches wenige Kabellängen vom Nelson entfernt liegt und sich nunmehr in Bewegung setzt. Wir fahren dicht am Admiralschiff vorüber. Die Gäste des Commodore unterbrechen den Tanz, winken und rufen Abschiedsgrüße, während die Sonne, in Gestalt einer feurigen Kugel, majestätisch unter dem Meereshorizont verschwindet. Es war nachts als wir, zwischen den Heads passirend, das hohe Meer erreichten. Das elektrische Licht des neuen Leucht-thnrmes, des ersten der Welt, ist so kräftig daß, auf eine Entfernung von 5—6 Meilen, das Auge es kanm zu ertragen vermag. Newcastle, 18. und IN. Mai. — Eine bedeutende Stadt. Unten, am Strande, die Docks, die Magazine, die Butiken uud Tramways. Die Herrin der Situation ist die Kohle; darum ist alles schwarz oder schwärzlich. Im Rücken der Handelsstadt, auf den Dünen, die Wohnhäuser der wohlhabenden Bürger und die Kirchen der Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften, als da sind Katholiken, Anglikaner, Presbyterianer und, die zahlreichsten, Methodisten. Heute Sonntag sehen wir von unserm Schiffe aus nur Leute welche, mit Gebet- oder Gesangbüchern in der Hand, die steilen Gäßchen oder Treppen welche znr obern Stadt führen, im Eilschritt erklettern. Außer dem Glockengeläute, tiefe Stille über Wasser und Land. Nachmittags im öffentlichen Garten der auf dem höchsten Punkte der Stadt gepflanzt wurde. Er gewährt eine weite Aussicht über Newcastle, über grünende Felder und weiße Dünen, über den mit großen Seglern gefüllten Hafen. Am Horizont das Stille Weltmeer, heute grauschwarz wie Schiefer. Die ge-sammte Bevölkerung hat sich hier eingefunden. In Europa würde man diese Lente für Handwerker im Sonntagsstaate halten. Sie gehören aber allen Schichten dieser jnngen Gesellschaft an. 188 Fünfter Thcil. Occanicn. Die Gemeinsamkeit des Lebenszwecks, welcher bei allen Geld nnd wieder Geld ist, verlöscht die Ungleichheit nnd verleiht all diesen Spaziergängern, ihren Physiognomien sowol als ihrem Anznge nnd ihrer Haltnng, dasselbe prosaische Gepräge. Männer nnd Frauen, die Kinder an der Hand führend, gehen schweigend hintereinander her. Höchstens hier nnd da werden leise ein paar Worte gewechselt. 36mdian?k kvevan ne tiiät^ N6 Ü6tk. Alle Menschen welche einzig und allein anf Erwerb sinnen sind in dieser Lage. Der Sonnabend findet sie erschöpft. Der Sonntag ist für sie ein Tag der Rnhe, nicht der Unterhaltung. Aber hente, Montag, bieten die Stadt nnd der Hafen einen ganz andern Anblick. Newcastle besitzt nntcr seinen Sanddünen, hart am Strande, nngehenere Kohlenlager. Die Ausfuhr dieses Products, vorzüglich nach China, gibt der Stadt ihre Bedentung. Um Mittag sticht der Espiegle in See. Am 24. Mai ist Lord-Howe-Insel in Sicht. See sehr hohl. Landung unmöglich. Ei, mein lieber Espicgle, welche Lebhaftigkeit der Bewe-gnngen! Wie er hüpft, rollt, stampft, tancht nnd sich wieder aufrichtet. Seit sechs Tagen, länft er mit vollen Segeln vor einer frischen Doublebrisc ans Südwest. Auch die Strömuug ist günstig. Nur mnß man anf Spaziergänge am Deck verzichten. Jede Ortsveränderung verlangt einen Act der Gymnastik. Dagegen bin ich in den beiden Kajüten, welche der Kapitän mit mir theilt, sehr gnt nntergcbracht. Wir speisen unter dem Schntze eines respectabeln Viernndsechzigpfünders welcher in der Mitte der vordern Cabine steht nnd die Grenze zwischen dem Spcise-saal und dem Vorzimmer bildet. Die Achtercabine, wo sich zwei Schreibtische, ein Divan und Lchnstühle befinden, alles mit Seilen gut befestigt, dient als Arbeitscabinet nnd Salon. Ein Ter Espieglc. 189 großes reichlich besetztes Bücherbret enthält niehrere Werke über die Südseeinseln. Die Offiziersniesse in der Mitte des Schiffs gilt für die kühlste Räumlichkeit an Bord und wird anch, wegen der angenehmen Gesellschaft die man dort findet, gerne besncht. Die Mehrzahl der Matrosen scheinen mir sehr jung aber kräftig, gesnnd nnd fröhlich. Abends, während der wenigen freien Stunden, pflegen sie im Chor zn singen. Ans der Entfernung ist dieser Gesang mit der Begleitung des Wellenschlages ganz angenehm zn hören. Der artigste Ton herrscht an Bord zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Kein grobes Wort, kein Schimpfname, kein Flnch. Der Dienst macht sich sozusagen von selbst. Welcher Unterschied mit dem was ich vor vierzig Jahren anf englischen und andern Kriegsschiffen sah! Der Espiegle ist ein Sloop oder Corvette zweiter Klasse von 1100 Tonnen nnd führt, alles in allem, 142 Männer an Bord. Am 29. morgens kommt, unser erstes Reiseziel, die Norfolk-insel, in Sicht. Zuerst eine dnnkle Linie. Als wir uns nähern, niedere senkrechte Felswände. Darüber dichter Wald. Unten die kochende, schänmcnde Brandung. In den Ritzen die weißen Linien rauschender Waldbäche welche in das Meer stürzen. In der Mitte der Insel, nicht sehr fern*, der abgerundete, mit Büschen bewachsene Gipfel von Mount Pieton. Allenthalben eine Fülle von Vegetation. Wald nnd Wiesen wechseln, aber Wald herrscht vor. Und welch dichter, dnnkler, dein Auge undurchdringlicher Wald! Uud was für Bannn-! Die Norfolk-fichte, ^rkucai-ig, excßlsa, von hohem, schmächtigem Wuchs, mit horizontal gestreckten Aesten, etwas geziert, aber majestätisch, der König der Coniferen. Die Insel, welche ihm ihren Namen gab, * Die Insel ift 5 Meilen lang und weniger als 3 Meilen lireit. Mount Picton erhebt sich 1050 Fuß über das Meer. 190 Fünfter Theil. Oceanien. ist sein Vaterland. Als Wald kommt er nirgends anderswo vor, aber in Australien, in Neuseeland, viel seltener in Indien und Europa, trifft man schöne Exemplare dieses prachtvollen Baumes. Am Ufer liegt die Stadt, wenn zwei große Gebände, das eine, hente eine Ruine, das ehemalige Vaguo der Sträflinge, das andere, vordem ein Magazin, gegenwärtig die (anglikanische) Kirche, beide von einer hohen Mauer umgeben — wenn diese Gebäude uud einige von Norfolkfichten beschattete Hänser und Hütten den Namen einer Stadt verdienen. Gegenüber, im Süden, drei Meilen entfernt malt ein Felseiland seine phantastischen Umrisse an den Himmel. Es ist die wegen ihres Colorits, lichtgelb, dunkelorange, rosenfarbig, berühmte Insel Philip. Auf halber Höhe bezeichnet ein schwarzer Fleck ein Stück schwebenden Pinienwaldes auf einer luftigen Terrasse. Zwischen beiden Inseln vermehren niedere Klippen die Schwierigkeit der Schiffahrt. Der Wind ist plötzlich gefallen, nnd die wildbewegte See bildet einen sonderbaren Gegensatz mit der rnhigen Atmosphäre und dem idyllischen Charakter der Landschaft. Aber werden wir landen können? Die Norfolkinsel ist einer der unzugänglichsten Pnnkte der Erde. Ein englischer Functionär erzählte mir daß er, siebenmal vor der Insel angekommen, nnd nur einmal an Land gehen konnte. Glücklicherweise weht am Eingänge des Hafens die rothe und nicht die blane Flagge, ein Beweis daß kleine Boote die Barre Passiren können. Wahrscheinlich verdankte die Norfolkinsel ihrer isolirten Lage das traurige Los znm Gefängniß der „Recidivistcn" gewählt worden zn sein.* So nennt man die gefährlichsten und unverbesserlichsten unter den dcportirten Sträflingen. Die wenigen Reifenden welche sie besnchten, unter ihr der berühmte österreichische Botanist Baron Karl von Hügel, beschreiben diese * Entfernung von Australien 900, von der Nordspitze Neuseelands 400 Meilen. Geschichtliche Notiz. 191 Ansiedelung mit den düstersten Farben. Baron Hügel nennt sie eine Hölle in einem Paradies. Als die Strafanstalt vor dreißig Jahren aufgelassen wurde, erhielt Norfolk eine andere Bestimmung. Im Jahre 1789 hatte die Bounty von der englischen Kriegsmarine, Kapitän William Vligh, auf einer Kreuzung im südöstlichen Pacific begriffen, Taiti, nach tängerm Aufenthalt verlassen, als eine Menterei an Bord ansbrach. Die gesammte Mannschaft und drei Offiziere betheiligten sich daran. Der Kapitän und die übrigen Offiziere wurden überwältigt, in eine Schaluppe geworfen, mit einigen Fässern Wasser und Mnndvorrath versehen und ihrem Schicksal überlassen. Vligh, ein Mann wie wenige, durchfuhr in seiner offenen Nußschale, von den Passatwiuden getrieben, und durch die Strömungen gefördert, das nngehenere Stille Weltmeer in seiner ganzen Breite, sah, der erste, die Fiji-Inseln, landete, nach dreimonatlicher Reise, in Timor (Niederländisch-Indien) nnd erreichte endlich, wohlbehalten, England. Er war selbst der Uebcrbriugcr der Kunde von der Meuterei an Bord seines Schiffes. Die Nachricht erregte Unwillen und Bestürzung. Eiu siegreicher Aufruhr auf einem Kriegsschiff war ein unerhörtes Ereigniß, und eiu gefährliches Beispiel. Mittlerweile kehrten die Meuterer nach Taiti znrück, versahen sich mit Weibern uud stachen wieder in See. Während einer langen Reihe von Jahren waren sie verschollen, uud mau vermuthete der Ocean habe die Schuldigen verschlungen als, 1808, ein von Stürmen verschlagener Schiffer auf eiuem ifolirten Felsen unter dem 25. Grad südl. Br., einen alten Matrosen Namens Adam mit mehrern Weibern und Kindern entdeckte. Es waren die Witwen und Abkömmlinge der Insurgenten der Bounty. Alle andern hatten sich untereinander ansgerottet. Die ersten authen-tischen Nachrichten von diesen Insulanern verdankt man dem Kapitäu Veechy, von der königlichen Marine, welcher die Insel Pitcairn im Jahre 1825 besuchte. Den Matrosen Adam fand er noch am Leben. Dieser alte Meuterer, Tyrann und Todt- 192 Fünfter Theil. Ocecmien. schläger hatte sich in einen Patriarchen nnd Heiligen nntgewandclt. Gleichheit und Brüderlichkeit, wenn anch nicht Freiheit, Friede nnd Wohlstand herrschten anf dein Eilande welches ein wahres Eden geworden war. Verbrechen waren unbekannt. So berichtete wenigstens der ebengenannte Kapitän. Ein Theil des englischen Pnblikmns gerieth in Verzückung, die philanthropischen Eoterien veranstalteten Sammlnngcn nnd verwandelten die Pit-cairner in Pensionäre der öffentlichen Wohlthätigkeit. Die Folge war eine rasche Vermehrung der Bevölkerung. Zwanzig Jahre später vermochte die Insel sie nicht mehr Zu fassen. Auch fehlte es am nöthigen Boden nm so viele Menschen zn nähren. Unter solchen Umständen, eigentlich unter dem Drncke der öffentlichen Meinung in England, wies die englische Regierung den Pitcair-nern die Insel Norfolk, wo die Strafanstalt bereits aufgelöst war, zum Aufenthalt an und sorgte für ihre Uebersiedelung. Um jene Zeit stand ein merkwürdiger Mann an der Spitze der kleinen Gemeinde. Mr. Nobbs, von Gebnrt Schottländer und den Volksklasseu entsprungen, war Zufällig in Pitcairn gelandet, ließ sich dort nieder und wnrde, nach Adam's Tode, der leitende Geist und das Haupt der Gemeinde. Er lebt noch in hohem Alter nnd war bis Zum vorigen Jahre als Kaplan bei der melanesischcn Misston auf Norfolk angestellt.^ Der Exodus fand im Jahre 1856 statt. Die englische Rc-giernng ließ die ganze Bevölkernng, nngefähr 200 Personen, nach ihrer neuen Heimat bringen, installirte sie auf der Insel nnd überließ ihr, außer der Nutznießung der beiden großen Staatsgebände, einige Heerden Schafe nnd mehrere Pferde. Anßerdem versah sie sie mit dem nöthigen Ackergeräth , eröffnete den guten Leuten aber daß die bisherige Unterstützung aus den: Staatsschatze uud die periodischen Schenkungen einzelner Wohlthäter fortan eingestellt würden, und sie sich fortan * Diese Mission steht unter der Leitung, des anglikanischen Bischofs von Melanesien, welcher auf der Norfolkinsel rcsidirt. Die Verfassung. 193 nicht mehr als Pensionäre sondern als Colonisten zn betrachten hätten. Der Gouverneur von New-South-Wales wurde znm Gouverneur der Insel ernannt mit der Verpflichtung sie, während seiner Amtsdauer, einmal zu besuchen. Eine Annexion an die genannte australische Colonie sand jedoch nicht statt. Die Insulaner erfreuen sich, mit einigen geringfügigen Beschränkungen, einer vollständigen Autonomie. Ein gesetzgebender Körper in welchem jedes männliche, über 25 Jahre alte, Individuum Sitz und Stimme hat versammelt sich viermal im Jahre. Seine Beschlüsse bedürfen der Bestätigung des Gouvcrueurs von New-South-Wales. Der Unterhalt der Straßen, der Kirche und der Schule liegt der Gemeinde znr Last. Die ganze männliche Bevölkerung leistet Frondienst während sieben Tagen im Jahre. Es sind, alles in allem, patriarchalische Znstände. Die englische Urkunde durch welche die pitcairner Gemeinde auf Norfolk installirt wurde enthält aber eine merkwürdige Bestimmung, merkwürdig insofern sie mit den Grundsätzen der modernen Colonisation und namentlich mit der englischen Colo-nialpolitik in Widerspruch steht. Die Acte gewährt nämlich den Bewohnern der Norfolkinsel die „alleinige Nutznießung" dieses Territoriums und schließt sie hierdurch von der übrigen Welt ab. Es geschah dies auf inständiges Verlangen der neuen Colonisten. Kein Fremder darf sich auf der Insel niederlassen. Nicht nur die Natur, auch das Gesetz macht sie unzugänglich. Eine Ausnahme wurde nur zu Gunsten der melanesischen Mission gestattet in welcher ungefähr 15)0 Kinder aus verfchiedenen Gruppen Melanesiens, unter der Leitung des Bischofs Dr. Sel-wyn, erzogen werden. Diese Anstalt befand sich früher in Auckland wurde aber, wegen des verhältnißmäßig rauhen Klimas, hierher verlegt. Sie befindet sich in der Mitte der Insel und steht außer allem Verkehr mit den Einwohnern. Was ist nun das Ergebniß der freiwilligen Abgeschlossenheit in welcher letztere leben? Wir werden es mit eigenen Augen sehen. v. Hübner, n. 13 194 Fünfter Theil. Oceanien. Der Magistrat, das ist der für ein Jahr gewählte Regent der Insel, Mr. Francis Nobbs, war an Bord gekommen, und, von ihm geleitet, verließen wir, Kapitän Bridge und ich, den Espiegle nicht ohne eine lebhafte Regung der Neugierde zu verspüren. Die Barre wurde ohne Schwierigkeit Passirt, und wir stiegen an das Land unter dem Zusammenströmen der Einwohner für welche der seltene Anblick Fremder ein großer Genuß zu seiu scheint. Wir wandelten eine Weile auf sehr holperigen Wegen, zwischen Küchengärten und mehr oder minder baufälligen kleinen Häusern, einst von den Kerkermeistern und Beamten des Bagno und heute von den ehemaligen Pitcairnern bewohnt. Wenn eine dieser alten Spclnnken einzustürzen droht, suchen die Insassen in einem andern, etwas minder verfallenem Hänschen ihr Unterkommen indem sie die Räume mit den daselbst bereits befindlichen Bewohnern theilen. Diese Procedur läßt zu wünschen im Pnnkte der Reinlichkeit und auch in sanitärer Beziehung, aber sie ist beqnem. Die Norfolkinsel ist das Eldorado der Nachlässigkeit. Die Insulaner vernachlässigen ihre Person so wie ihren Anzug der sehr einfach aber europäisch, sehr abgetragen aber nicht Zerrissen ist. Sie gehen viel spazieren, zu Fuß oder auf ihren Ackergäulen reitend, sind nie eilig und scheinen sorglos, etwas schläfrig, aber znfrieden mit ihrem Lose. kleäium t6nu6i's dßltti. Die Mischung des englischen und polyncsischcn, hauptsächlich tahitischeu, Blutes verleiht den Insulanern ein eigenthümliches Gepräge. Ihre Haut ist weiß oder olivenfarbig, das Haar schwarz oder röthlich. Zuweilen findet man beide Typen in demselben Individnum vereinigt. Man sieht gut gebaute Mäuner und Weiber, welche letztere nicht immer geradezu häßlich sind, aber alle Gesichter entstellt der große Mund mit den fleischigen Lippen des Wilden. Sie scheinen wohlerzogen und sprechen ein correctes Englisch, allerdings indem sie die Vocale dehnen was eine Eigenthümlichkeit aller polynesischen Mundarten sein soll. Der Magistrat führte uus zu seinem Vater Mr. Nobbs, Eine Nacht beim Magistrat. 195 dem ehemaligen Haupte der Colonie auf Pitcairn, dessen ich bereits Erwähnung that. Wir fanden den achtzigjährigen Greis, in seinem Sorgenstuhle lesend, am Kaminfeuer sitzen. Er empfing uns artig, wechselte einige Worte und kehrte dann Zu seinem Buche zurück. So klein auch seine Lebenssphäre war, so nahm er doch in ihr den ersten Platz ein, was man ihm anmerkt. Seine Frau sieht wie eine Tahitierin von ungemischtem Blute aus. Ihre Tochter, eine Fünfzigerin, machte uns die Honneurs mit dem leichten Anstande einer Dame der großen Welt. Das kleine „Parlonr" ist mit einer gewissen Sorgfalt eingerichtet. An den Wänden eingerahmte Photographien, in der Mitte ein großer runder Tisch mit Album und Illustrationen vom vorigen Jahre. Wiener Stühle, austrian ekaii», die ich unter allen Himmelsstrichen finde, vervollständigen die Einrichtung. Alles in allem, hat dieses Interieur, in seiner Weise, einen ich möchte sagen höfischen Anstrich. Alles ist relativ auf dieser Welt. Kapitän Bridge kehrt an Bord zurück und überläßt mich dem Magistrat der uns versichert daß das gute Wetter bis morgen anhalten und meine Einschiffung ohne Schwierigkeit stattfinden werde. Er tritt mir sein Pferd ab, bemächtigt sich meines Nachtsacks und begleitet mich zu Fuß. Der Doctor der Gemeinde, ein seit einigen Jahren hier angesiedelter englischer Arzt, auf einem hübschen Pony reitend, schließt sich uns an, und kurz vor Sonnenuntergang, brechen wir auf. Das Ziel der kleinen Reise ist der Hof des Magistrats im Innern der Insel. Wir haben vier Meilen zurückzulegen aber, obgleich die sehr vernachlässigten Wege durch die letzten Regen sehr gelitten haben, obgleich die Pferde bei jedem Schritt über Baumwurzeln stolpern oder in Wassertümpeln zu versinken drohen oder am nassen Grase ausgleiten, so vergeht die Zeit doch rasch und angenehm. Ich stelle Fragen, und die beiden Begleiter beantworten sie, ein jeder in seiner Weise. Nichts ist für den Reisenden lehrreicher als ähnliche Discussionen zwischen Leuten vom Lande. 13* 196 Fünfter Theil. Oceamen. Tie Straße, welche im ganzen steigt, erklettert steile Hügel,, stürzt plötzlich in tiefe Erdeinschnitte, durchzieht Weideland nnd dringt stellenweise in den, auch um diese abendliche Stunde, mit Wohlgerüchen erfüllten Wald. Im unsichern Lichte der Dämmerung glänzen auf dem dunkeln Grunde der Norfolkpiuien die goldenen Aepfel der Hesperiden, die Früchte gigantischer Citronenbäume welche vor beinahe hundert Jahren von den Devor-tirten gepflanzt wurdeu, die aber heute, dank der Nachlässigkeit der jetzigen Bewohner, der vordringende Wald in seiner Umarmung zu ersticken droht. Hier und da Zeichnet ein Ferntree die feinen Umrisse seines Lanbes auf den topasfarbigen Abendhimmel. Alte Eichen, gewaltige Rhododendron, Büsche von Guava und andere Arbusten verleihen der Landschaft das Ansehen eines Parks, aber eines Parks wie ihn die Natnr allein zu erfindeu vermag. Der Arzt hatte uns auf halbem Wege verlassen, uud es war dunkle Nacht geworden als wir vor dem Gitter des Gehöftes ankamen. Der Magistrat ließ einen leisen, dumpfen Ton vernehmen, etwa wie Ku-i, Ku-i! ein unter den Polynesiern üblicher Ruf. Ein kleiner Junge, den ich für einen Knecht hielt der aber ein Sohn meines Gastfreundes ist, erschien sogleich, öffnete das Pförtchen und nahm mir das Pferd ab. Die Familie fanden wir im Wohnzimmer versammelt: Mrs. Nobbs eine schöne Fran mit volynesischen Gesichtszügen, drei Töchter, zwischen 12 und 20 Jahren, und zwei Knaben. Der älteste Sohn, anglikanischer Pfarrer in Queensland, und die älteste Tochter, Schulmeisterin in Auckland, waren abwesend. Die Frauen fand ich anständig aber höchst einfach gekleidet. Der Magistrat, der in meinen Augen las, sagte mir: „Auf unserer Insel sind wir unsere eigenen Schneider. Zuweilen werden uns Muster von Auckland geschickt. Wir thun alles selbst." Dabei zeigte er mir seine schwieligen Hände. „Aber", frug ich, „Sie, als Magistrat, leisteu doch keinen Froudieust?" — „Während sieben Tagen im Jahre klopfe ich Steine wie jeder andere." Eine Nacht beim Magistrat. 197 Am Landungsplätze hatte ich die Patrone zweier amerikanischer Walftschfänger gesehen welche in der Abfahrt begriffen sind. Einer von ihnen wird einen Sohn nnd eine Tochter Mr. Nobbs' mit sich nehmen. „Werden Sie lange abwesend sein?" frug ich. — „Während mehrern Jahren", war die Antwort, „vielleicht kommen wir nie wieder nach Hause." Mich wunderte die Gleichgültigkeit mit welcher die Familie diese so nahe bevor-stehende und so lange Trennung aufzunehmen schien. Aber warum schon heute traurig sein, da die Abreise erst morgen stattfinden wird? Die Kunst von Tag zu Tag Zu leben vermag wol kaum Größeres Zu leisten. Diese Philosophie hat ihre praktische Seite. Ich werde suchen sie mir anzueignen. Papst Gregor XIII. pflegte zu sagen: „Wer lange leben will muß es verstehen traurige Gemüthsbewegungen aufzuschieben." Das Diner schien mir ganz gut; der Wein, ein hiesiges Gewächs, erinnerte mich an den Capwein. Zum Nachtisch wurden kolossale Orangen aufgetragen. Man sagt mir die Bäume an welchen sie wüchsen, einst von Convicts gepflanzt, sind seither, infolge der Vernachlässigung, vollkommen entartet. Man beraubt sich dadurch eines guten Ausfuhrartikels nach Neucaledonien, wo diese Frucht bei den Franzosen sehr beliebt ist. Mr. und Mrs. Nobbs haben mir ihr Zimmer abgetreten, und ich schlief den Schlaf des Gerechten in einem Bett welches mich nicht herauszuwerfen drohte. Kein Rollen, kein Stampfen, kein Aechzcn der Wogen, sondern nnr das sanfte Flüstern des nahen Waldes. 28. Mai. — Es scheint, man liebt es hier der Ruhe Zu Pflegen. Sieben Uhr! und noch herrscht tiefe Stille im Hause. Als ich gestern die Absicht änßerte um diese Stunde aufzustehen wurde von allen Seiten Widerspruch laut: „In Norfolk-Island steht man nicht mit der Sonne auf." Ich benutze also die stille Morgenstnnde um meine hier gesammelten Notizen in mein Tagebuch zu schreiben. 198 Fünfter Theil. Oceanien. Die Norfolkinsel, wie so viele andere von Cook entdeckt, enthält 8600 Acres, von welchen nur 120 bebaut sind. Eine beachtenswerthe Thatsache. Ohne die 150 kleinen Wilden in der melanesischen Mission, zählt die Bevölkerung 470 Seelen. Zur Zeit des Exodus betrug sie 200. Seit einigen Jahren blieb sie unverändert. Es gibt nur 68 Ehepaare, welche den fünften Thcil der erwachsenen Bevölkerung ausmachen! Man bemerkt sogar in der Jugend eine Abneigung gegen den Ehestand. Vielleicht erklärt sich dies zum Theil daraus daß, infolge der strengen Abgeschlossenheit der Insel nach außen, die Bewohner mehr oder weniger sämmtlich Verwandte geworden sind. In der juugen Generation ist ein Herabkommen der physischen und geistigeu Kräfte auffällig; auch die Fälle von Blödsinn mehren sich. „Mau muß", sagte mir einer der hiesigen Notabeln, „das Blut erneuern, was nur möglich ist wenn das absolute Verbot der Einwanderung aufgehoben und die Insel für eine zu bestimmende Anzahl Fremder zugänglich gemacht wird. Aber ist die Thüre einmal geöffnet, so wird es schwer sein Abenteurer und Vagabunden, besonders die Australier, fern zu halten. Sie werden massenhaft herbeiströmen und uns aus unserer Insel verdrängen." Vollkommen richtig! Aber wessen ist die Schuld? Diesem Völkchen fehlt jedwede Thatkräftigkeit, und, merkwürdig genug, die Weißen welche am wenigsten oder, was nur selten vorkommt, gar kein tahitisches Blut in ihren Adern führen sind, in der Regel, die verweichlichtstcn und cutartetsteu Glieder der Gemeinde. Die Leute sind genügsam und die Natur verschwenderisch. Wozu also die Arbeit? Dies erklärt die Thatfache daß alle Baulichkeiten, Pflanzungen, Straßen u. s. f. aus der Zeit der Strafcolonie herrühren und das Werk der Deportirten sind. Die Pitcairner haben wenig geschaffen und das Uebernommene mehr oder weniger verfallen lassen. Ich habe bereits erwähnt daß nur ein sehr kleiner Theil des Bodens bebaut wird, und dennoch könnte er alle Früchte Oeffentliche Zustände. 199 und Gemüse der gemäßigten und mehrere der tropischen Zone erzeugen. Anf den Weidegründen wird einiges, verhältnißmätzig wenig Vieh gezüchtet*, wobei Zu bemerken ist daß anch die Thiere entarten. Ein kleiner Theil der männlichen Bevölkerung widmet sich dem Walfischfange. Die Verbindungen mit der Fremde sind unregelmäßig und sehr selten. Von Zeit zu Zeit übernehmen Walfischfänger, meist Amerikaner, die Bestellung der Post. Znweilcn, sei es wegen Mangel an Gelegenheit sei es wegen schlechten Wetters, ist die Verbindung mit der übrigen Welt dnrch drei, vier, fünf Monate gänzlich unterbrochen. Da tritt wol anch Mangel in den unentbehrlichsten Bedürfnissen ein, und es kommt vor daß die Vorräthe von Mehl, Zucker, Thee, Kaffee vollkommen erschöpft sind. Mit ein wenig Voraussicht und Thätigkeit ließe sich dies vermeiden. Eine Postvcrbindung mit Neucaledonien mittels eines Kutters würde dem Uebelstande abhelfen. Aber nichts vermag diese schläfrigen Insulaner aufzurütteln. Hinsichtlich der öffentlichen Moral sind die Ansichten getheilt. Ich hatte weder Zeit noch Gelegenheit diese Frage zu studieren. Jedenfalls kann man den Pitcairnern nachrühmen daß sie keine Säufer sind, vielleicht zum Theil auch, wegen der großen Schwierigkeit sich geistige Getränke zn verschaffen. Auffallend ist die den Einwohnern angeborene Artigkeit und eine sie auszeichnende natürliche Würde. Man sagt sie Hütten dies von ihren polynesischen Müttern geerbt, gewiß nicht von den Matrosen der Bounty. „Es sind angenehme Leute", sagte ein Offizier des Esviegle. „Wir haben deren an Bord eingeladen. Sie kommen barfüßig an, in Hemd und Pantalon, welche offenbar schon lange gedient haben, erscheinen in der Offi-ziersmesse, setzen sich zu Tisch uud handhaben Messer und Gabel wie wir andern, sind weder verlegen noch vorlaut, sprechcu englisch wie Engländer und benehmen sich wie Gentlemen." Leider 2000 Schafe, 1350 Stück Rindvieh, 270 Pferde. 200 Fünfter Theil. Oceanien. haben sic mit den guten Manieren auch die Sorglosigkeit und das 6o1e6 lar nieute ihrer polynesischen Ahnen geerbt. Mit einem Worte gesagt, wohlwollende und edle Menschen haben, zn Gunsten dieser Mischlinge, die Rolle der Vorsehung übernommen und sie mit Wohlthaten aller Art überhäuft. Aber indem sie sie von der übrigen Welt abschieden schufen sie ihnen ein unnatürliches Dasein: Keine Mitbewerbung Fremder und, daher, kein Wetteifer untereinander, kein Anlaß zn gesteigerter Thätigkeit, keine Erneuerung des Blutes und daher allmähliches Verkommen, Versumpfung und, in letzter Folge, physischer uud moralischer Verfall. Der philanthropische Versuch mislang. Ich zweifle daß man ihn erneuern werde. Als ich aus dem Hanse trat fand ich die Töchter des Magistrats im Hofe. Sie waren wie Mägde gekleidet. Die eme rührte Butter, die andere fegte den Stall, die dritte schöpfte Wasser im Brunnen. Aber eine halbe Stnnde, später erschienen sie beim Frühstück, gewaschen und im niedlichen Anzüge von Vürgermädchen. Als die Stuude des Aufbruchs schlug liefen sie querfeldein, fingen Zwei Pferde ein, sattelten sie und brachten sie vor das Hans. Mr. Nobbs und ich brachen sogleich nach der melanesischen Mission auf. Diese guten Menschen sind weder Bauern noch Städter, weder Knechte noch Herren, weder Weiße noch Schwarze, sondern ein Gemisch von dem allen. Ich warf einen letzten Blick nach ihrem ländlichen Wohnsitze znrück: im Schatten einiger schöner Bäume, das bescheidene Häuschen mit seiner Veranda mit seinem kleinen Vlnmengarten an der Vorderseite; ringsum, Aecker und Weidegrund; die Aussicht, hier nach dem nahen Urwald der einige Schritte von der Umzännung beginnt, dort nach einer mit Norfolkpinien besäeten Wiese. Dies kleine, friedliche, ein wenig schläfrige Gehöft, die Pastorale Landschaft, der eigenthüm- Die Varre. 201 liche Einklang zwischen der belebten und unbelebten Natur werden mir unvergeßlich bleiben. Der Magistrat ist, in seiner Sphäre, ein überlegener Mann, jedenfalls allen seinen Mitbürgern weit überlegen. Er hat Auckland und Sydney besucht und verdankt sich selbst die Kenntnisse die er besitzt. Jedes seiner Worte trägt den Stempel des gesunden Menschenverstandes und der Erfahrung. Während der Nacht hat sich das Wetter geändert. Der Wind henlt, nnd der Wald seufzt. Ein unheimliches Rauschen der vom Sturme gerüttelten Aeste ersetzt die sanfte Symphonie vom vorigen Abend. Der Magistrat beruhigt mich aber. Während ein paar Stunden wird es noch möglich sein die Barre zu passiren. Also, besuchen wir die kleinen Wilden in ihrer Mission! Bald wird die prachtvolle Pinienallee erreicht welche, einst von den Convicts gepflanzt, zur Anstalt führt, und wir sind eben im Begriff vor dein Thore abzusteigen als sich, hinter uns, der Hufschlag galoppirender Pferde vernehmen läßt. Es ist Mr. Lowry, erster Lieutenant des Esviegle, mit einem Führer. Der Kapitän sendet ihn mn mich eiligst an Bord zu rufen. Der Wind nehme Zu, die See gehe hohl; er habe die Anker lichten müssen um sie nicht zu verlieren. Ich werfe sogleich meinen Ackergaul herum uud drücke ihm die Sporen in die Weichen. Wir sind am Strande angelangt. Die See ist wüthend. Ihre Wogen fegen den Landnngsdamm. Demungeachtet finden wir die gesammte männliche Bevölkerung dort versammelt. Die Barre ist entsetzlich. Ich Passirte mehrere der übelberüchtigtsten Barren, und einige unter ungünstigen Umständen: East-London schauerlichen Angedenkens, Pernambuco, Point-de-Galle und so manche andere, aber ein ähnliches Schauspiel war mir nie be-schieden. Wir stürzen uns in das Gully des Kapitäns, und es gelingt den Kai zu verlassen ohne umzuschlagen. Der Offizier sitzt am Steuerruder dessen Seile durch eiue eiserne Stange ersetzt wnrden. Die fünf Matrosen, das Bild der körperlichen 202 Fünfter Theil. Ocmnien. Kraft, der Kaltblütigkeit, der Unerschrockenheit und der gespanntesten Aufmerksamkeit, wenden die Augen nicht ab von ihrem Lieutenant. Sie wissen in welcher Lage wir uns befinden. Mr. Lowry, der, wie es scheint, lächelnd zur Welt kam, und der sie — hoffen wir als Admiral — einst lächelnd verlassen wird, ist in der Bctrachtnng der Brandung versunken. Von Zeit zu Zeit sagt er: „Wir werden durchkommen", und ich ent-gegne ihm: ,,^60 junge Leute stürzten anf den Tanzplatz. Die einen bildeten in der Mitte eine festgedrängte Grnppe, die andern um sie einen Kreis. Alle sangen, schrien und warfen die Arme um sich. Jeder dieser RuudtänZe endigte mit Händeklatschen, Kniebeugungeu und einer Kennern des menschlichen Körpers unerklärlichen Verdrehung des Rückgrats. Was sind uusere besten Clowns dagegen? Stümper. Das Fest endete mit einem von dem Roko von Mbao gelieferten Gastmahle am Grase. Ich sah daß man größere Fische uud Jam in Körben oder auf einzelnen großen Taroblättern auftrug. Der Vorstand der Mission, reverend Langham, erbot sich uns bei der Prinzessin Andiquilla einzuführen. Zu diesem Ende durchschritten wir die Stadt zuweileu anf engen Fußpfaden, theils von Gehöft Zu Gehöft, die Hecken, welche sie trennen, auf rohen Staffeln übersteigend. In der Mitte eines solchen Hofes steht immer die Kabane. Das schwere uud hohe, mit getrocknetem Schilf gedeckte Dach ruht anf Querbalkeu welche, in der Mitte, durch ewige starke roh behaucne Baumstämme und am Umfange, durch kleinere Holzpfeiler gestützt werden. Ter Ramn zwischen letzteru füllt, die Ringmauer bildend, ein Geflecht 22^ Fünfter Theil. Oceamen. von Rohr und Zweigen ans. Das Innere, ohne Fenster nnd ohne Esse, bildet einen einzigen ungetheilten Raum. Tie Einrich-tnng ist änßerst einfach: einige Strohniattcn nnd eine Petroleumlampe (sie werden seit einigen Jahren in großer Anzahl eingeführt); keine Spnr von Betten, Tischen oder Stühlen. Mundvorrath und die wenigen Kleidungsstücke werden unter dem Dache anfgehangen. In den Gassen, wenn hier von Gassen die Rede sein kann, wird das Pflaster durch einen frischen, dichten, weichen Rasen ersetzt. Sonne und Schatten wechseln unablässig, und welcher Schatten, gespendet von hnndertjährigen Mangroven, von indischen Feigenbäumen, von dem Brotfrnchtbamn mit seinen feinen nnd tief eingeschnittcnen Blättern, von dem anmnthigen Ti, dem Ferntree, von Cocos- uud vicleu andern Bäumen, welche ich vom Sehen aber ach, nicht dem Namen nach kenne! Mehr als einmal geschieht es daß wir nns, mitten in dieser Stadt, dnrch dichte Büsche den Weg bahnen müssen; aber wie wundervoll sind diese Büsche mit ihren vielfarbigen Sammtblättern, prunkend im Schmucke ihrer Blumen: scharlach, rosa, blaßgelb, lilla, himmel-blan. Unser Cicerone hält vor zwei großen nebeneinander senkrecht anfgcstellten Steinplatten. Ein ungeheuerer indischer Feigenbaum neigt sich, seine Aestc wiegend, über die Blöcke. Hinter ihm, halb verkohlt aber immer noch lebend, steht ein riesiger Baumstamm. Der steile Abfall eines mit hohem Grase bewachsenen Hügels bildet, dicht hinter dieser Gruppe, eiueu grünen Vorhang. Gibt es etwas Poetischeres als dies Stück Landschaft, entlehnt, wie es scheint, einer idealen Welt? Aber an diesen beiden Stcinblöcken wurden die Opfer zerschmettert ehe ihr Fleisch auf der Tafel des ehrbaren Takumbau erschien. Zwei Männer faßten den Unglücklichen je bei einein Arme und einem Beine, versetzten ihn in Schwingungen nnd schlenderten ihn sodann, den Kopf voran, gegen die Blöcke. Dieser so idyllische Ort war nichts anderes als die Menschenflcischbank, daher dieser Stadttheil noch heute das Schlachthaus geuauut wird. Die Prinzessin Andiquilla. 225 Der Palast oder eigentlich die Kabane der Prinzessin Andiquilla unterscheidet sich von den Hütten der gewöhnlichen Fijier nur durch etwas mehr Höhe und dnrch einen Zierath von weißen Muscheln am Ende des nach außen vorragenden großen Dachbalkens. Es ist dies ein Privilegium der Mitglieder der königlichen Familie. Bei unserer Ankunft waren einige Mägde wahrscheinlich unserm Besuche zu Ehren mit Klopfen und Reinigen der Matten des Hauses beschäftigt. Die Prinzessin kauerte am Boden, das Kinn auf ihre Knie gestützt, den Rücken an einen der Mittelpfeiler gelehnt. Sie war im traulichen Zwiegespräch mit einem alten Kuli begriffen und begrüßte uns, ohne übrigeus ihre bequeme Stellung zu ändern, mit zahllosen Händedrücken und einem wiehernden Gelächter. Aber obgleich sie nichts trug als ein blaues Hemd, und ein solches Neglige einer außergewöhnlich beleibten Dame nicht vortheilhaft sein konnte, sah sie doch entschieden vornehm und, beinahe, schön aus. Besonders gefiel mir ihr lebhafter durchdringender Blick. Sie ist Witwe nnd Mutter einiger Kinder. Ich sagte ihr, der Wahrheit gemäß, daß ich sie am Ballplatze, ohne sie früher gesehen zu haben, an ihrem fürstlichen Aeußern erkannte. Dies Compliment schmeichelte sie über die maßen, uud Mr. Langham mußte es ihr mehrmals wiederholen. Am Ende des Besuches, kletterte auf ihr Geheiß ihr Sohn, ein hübscher etwa zehnjähriger Knabe, in den Dach-raum um Orangen zu holen welche sie uns hierauf, uuter einem neuen Lachparoxysmus, zuwarf. Sie fand uns, offenbar, entweder sehr unterhaltend oder sehr lächerlich. Mittlerweile nahm ihr Gespräch mit dem alten Kuli, der die Gegenwart der Fremden nicht zu bemerken schien, seinen ungestörte:: Fortgang. Der königliche Palast ist nichts anderes als eine größere Hütte. Seit dein Tode Sr. Majestät ist er unbewohnt und wird es auch bleiben. Um den königlichen Leichnam zu entfernen mußte eine Oeffnung durch die Rohr- und Blätterwand des Palastes gebrochen werden. Der Körper eines Königs darf u. Hübner. II. 15 226 Fünfter Theil. Oceanien. nicht durch das Hausthor entfernt werdeu. Die Etikette verbietet es. Das Mausoleum besitzt nichts Vemerkenswerthes. Die Sonne stand bereits tief als wir, am Rückwege den Platz wo getanzt worden überschreitend und eiuen sehr steilen Pfad hinansteigend, in der Methodistenmission ankamen. Die Häuser der Revereuds stehen, wie bereits erwähnt, auf dem höchsten Punkte der Insel uud erhalten ans erster Hand die kühlende Seebrise, wenn es ihr nämlich zu wehen beliebt, was nicht sehr häufig der Fall seiu soll. Einige schöne Bäume spenden Schatten, einige Blumenbeete Wohlgerüche. Das Innere ist einfach und beqnem eingerichtet. Die Franeu hatten sich eben im Parlour, das auch als Speisesaal dient, zum Abendmahle versammelt. Ich glaubte mich im australischen Hintcrlande, bei irgendeinem Farmer der, obgleich wohlhabend, keinen Luxus kennt. Mr. Langham besitzt eine schöne Waffensammluug und, uuter andern einheimischen Curiositäten, reichgeschnitzte vierzackige Gabeln deren man sich bei kannibalischen Festgelagen Zu bedieucu pflegte. Die wenigen Weißen welche, in langen Zwischenränmen, in diesen Gewässern erscheinen sind große Liebhaber dieser Instrumente, und die Wilden, schlauer als mau meint, erzeugen dereu eine für den Fremdenbcdarf hinlängliche Anzahl. Aber der wahre Kenner verschmäht die Nachahmung nnd sucht uach Gabeln welche beim Menschenfraße wirklich gedient haben. Der reverend Langham lebt seit vielen Jahren auf den Fiji. In den bewegten Zeiten Takumbau's, nnd bei den Verhandlungen welche Znr Annectirnng führten hat er eine bedcntcndc Rolle gespielt, ja es gab sogar Augenblicke in welchen er entscheidend in die Geschicke des Archipels eingriff. Seit dieser eine englische Colonie geworden, mußte sein Einfluß natürlich abnehmen. Die großen Häuptliuge welche sich einst fortwährend bekriegten und anch jetzt nur oberflächlich versöhnt haben, suchen Rath uud Unterstützung nicht, wie früher, bei den: reverend Laugham, sondern bei dem Vertreter der königlichen Gewalt. Demuugeachtet ist der Vorstand der Mission von Mbao uoch immer eine an- Levuka. ^^ gesehene Persönlichkeit und, ich möchte hinzufügen, eine historische Gestalt. Man hat ihn nur zu betrachten, diesen Mann mit dem kalten, stechenden Blick, mit den unbeweglichen Zügen, mit dem strengen Ausdruck seiues nichts weniger als sanctimonious oder salbungsvollen Antlitzes, und man erkennt in ihm wer er ist. Sein Aeußeres verräth die Richtung seines Geistes und die Unbeugsamkeit seines Charakters. Es erklärt seine lange und thatenreiche Laufbahn. Levuka, Mango, Loma Loma. Vom 9. zum 15. Juni. — Wir haben Suva gestern verlassen. Die Nacht entsetzlich. Das Rollen derart daß die Besorgniß aus dem Bette geschleudert Zu werden den Schlaf verscheuchte. Aber dieseu Morgcu ist das Wetter wundervoll. Der Espiegle kreuzt zwischen den Inseln Oualan und Wakaya. Es wird im Feuer exercirt. Die fünf 104-Pfünder speien ihre Kugeln, und die beiden Inseln senden uns den Widerhall des Kanonendonners Zurück. Obgleich die See hoch geht wird die Scheibe nur selten gefehlt, und der Kapitän ist freudestrahlend. Um Mittag läuft die Corvette in der Lagune ein nnd ankert vor Levnka, der frühern Hauptstadt der Fiji. Sie blickt nach Ost. Ein Berg mit mehrern Zinken, welcher die Insel Ovalau bildet, beherrscht die an seinem Fnße liegende Stadt. Einige kleine Landhäuser, auf den ersten Staffeln des Berges zerstreut, zeichnen ihre Umrisse auf den Vorhang einer üppigen Vegetation. Hölzerne Treppen oder sehr steile Fußpfade führen zu ihnen hinan. Mit Ausnahme des Himmels und der Häuser, ist alles grün, das Grün des Waldes welcher den Berg, die Felsen, die Schluchten nnd Kegel bedeckt. Die Natur ist eine große Künstlerin; Eine Farbe genügt ihr hier um eine reizende Landschaft zu malen. Wendet man sich aber um, so erschließt sich dem trunkenen Blick ein zauberisches Bild. Es ist immer dasselbe 15* 228 Fünfter Theil. Oceanic«. und doch immer neu. Hierin liegt das charakteristische Merkmal der Südsee. Dieselben Elemente wiederholen sich in das Unendliche. Man wird müde sie zu beschreiben, müde die Beschreibung derselben zu lesen; man ermüdet nie sie Zu betrachten. Das Land hier hoch dort die Meeresfläche kaum überragend, aber überall grün; ringsum eine weite stille vielfarbige Wasserfläche mit stets wechselnden Effecten, je nach der Tiefe des Meeresgrundes und der Stellung der Sonne; dann die weiße schäumende Linie der Riffe, und, jenseits dieses Gürtels, der Ocean, beinahe schwarz durch den Gegensatz mit den schimmernden, glänzenden Farben der Lagunen: Perlen, Topase, Smaragde anf einem Kifsen von dunkler Seide! Endlich, in weiter Ferne, einige Inseln mit phantastischen Umrissen welche, Wolkenflöckchen ähnlich, vergeblich streben sich dem Meereshorizont zu entreißen. Auf eiuem Spaziergang am Strande sehen wir riesige Spinnen. Ihre Fäden scheinen die Zweige der Büsche zu biegen. Diese Thiere gelten für wohlthuend, nnd niemand wagt es-sie zu stören. Dagegen steht die zarte Sensitive in üblem Rufe weil sie, Zum großen Nachtheil des Viehs, das Gras zerstört. Sie wnrdc von Europa eingeführt. Alle Versuche sie auszurotten waren bisher vergeblich. Mehrere kleine Ausflüge wurden während unsers Aufenthalts vor Levuka unternommen. An weitere Excursionen ist nicht zu denken, man müßte denn den Muth besitzen zu Fnße zn reisen, bei überwältigender Hitze, auf engen, meist von Büschen überwachsenen Pfaden welche, an vielen Stellen dnrch Felfcn unterbrochen, den Wanderer nöthigen über glatte Granitblöcke zu klettern; daher anch die Unmöglichkeit zu reiten. Hierzu kommt daß das Innere beinahe unbewohut ist, und der Reisende sehr starke Tagemärsche machen muß um irgendeine elende Hütte als Nachtquartier zu erreichen. Aber einen reizenden Spaziergang kann ich jenen welche Levuka. 229 nach mir die Insel besuchen angelegentlich empfehlen. Um den Weg abzukürzeil begebe man sich in einem Boote nach einer Stelle, etwa anderthalb oder zwei Meilen nördlich von der Stadt. Die Landung ist nicht leicht. Das Boot wird über und zwischen Korallenbänken Hinwegzugleiten haben, am Ende aber doch, so gnt es eben geht, das Land erreichen. Für meinen Theil hoch zu Roß, auf den breiten Schultern eines braven Matrosen, kümmere ich mich wenig um die Brandung und die schlammige:: Stellen wo man so leicht zu Falle kommt. Vom Landungsplatz gehen wir querfeldein über einige wohlbestellte Aecker, dann durch einen Wald von Cocospalmen und, in einer engen Felsschlucht, einem kleinen schäumenden Wildbache entlang, bis wir endlich an eine Stelle gelangen welche Dichter besingen mögen, die ich aber nicht zu beschreiben vermag. Der Bach, hier eine kleine Cascade, stürzt über eine Wand in ein kleines Becken welches er in den Felsgruud gegraben. Ringsum dichtbewaldete Granitblöcke, nach allen Seiten Einsamkeit und Abgeschlossenheit; nur im Osten, über ein Meer von Cocoswipfeln hinweg, rollt sich der Ocean auf. Es ist das Eden des weißen Residenten der hier süßes Wasser, Kühlung und Schatten findet. Nur ist der Weg zum Paradies, gewöhnlich, nicht bequem. Ich hätte es nie betreten ohne den Beistand meiner jungen Gefährten. Um auf diesen Pfaden nicht Zu straucheln muß man Wilder oder Seemann fein. Am Rückwege kamen wir durch ein schönes, im Laube begrabenes Dorf. Die Hütten waren reinlich, die Bewohner schienen wohlhabend und die Iamsfelder gut gepflegt. Vor dem Orte hielten wir eine kurze Rast auf einein kreisförmigen mit Steinblöcken eingefaßten wohlbeschatteten Platze. In der Mitte steht ein Herd auf welchem die Dorfbewohner, einmal die Woche, ihr Brot backen und wo vormals der Mensch gebraten wurde. Aber jetzt wie damals, versammeln sich hier die Familienhänpter um ihren Kcwa zu nehmen und die öffentlichen Angelegenheiten Zu besprechen. 230 Fünfter Theil. Oceamen. Es war, wie gesagt, ein reizender Ausflug, der mich aber vor jeder Versuchung weiter in das Innere Zu dringen gründlich geheilt hat. Was ist auch das Innere dieser Inseln? Ein. unbewohnter Wald zwischen zwei Mcercsuferu. In der großen, d. h. einzigen, Straße von Lcvuka, einer langen Reihe von Häusern am Meer, fehlt es nicht an Bewegung. Toch sieht man nur wenige Weiße, aber um so mehr Eingeborene. Die einen wie die andern scheinen nicht mit Geschäften überladen Zu sein. Im Hafen wiegen sich einige gedeckte Boote, einige Kutter, zwei oder drei große Segelschiffe nnd ein kleiner Steamer der die Post nach Suva befördert. Ich trat in mehrere Butiken über welchen englische und deutsche Na-meu Zu lesen waren. Auch eiuen tschechischen eutdeckte ich. Der Träger desselben, ein Schneider aus Prag, klagte über schlechte Geschäfte. Aber wie soll ein Schneider gute Geschäfte machen in einem Lande dessen Bewohner keine Kleider tragen! Die Eingeborenen gewinnen bei näherer Bekanntschaft. Hat man sich erst an die unregelmäßigen Züge und den Haifischrachen gewöhnt, so entdeckt man in ihren Gesichtern einen Ausdruck von Gutmüthigkeit uud Heiterkeit der für sie einnimmt. Anch ein gewisser Anstrich von Selbständigkeit spricht für sie. Unter den Weibern sah ich mehrere sehr hübsche. Aber die Schönheit entflieht mit der ersten Jugend. Man zeigte mir sechzehnjährige Matronen, noch einige Jahre, und die Sylphide ist eiu Fleischklumpen geworden. Wir komnien vom Government-House zurück. Seit die Hauptstadt nach Suva verlegt wnrdc steht es leer, wird aber immer bereit gehalten znr Aufnahme des Gouverneurs und feiner Gemahlin, wenn Geschäfte oder das Bedürfniß einer Luftveränderung Sir William und Lady de Voeux hierher führen sollten. Dies Haus, von Takumbau erbaut, wurde feither den europäischen Levuka. 231 Bedürfnissen angepaßt und mit allen Vorkehrungen versehen welche die Engländer ersonnen haben um sich gegen tropische Hitze und Feuchtigkeit zu schützen. Es ist ein weitläufiges Erdgeschoß, auf seiner Rückseite durch einen Vorhang von Bäumen gegen die Abendsonne geschützt, auf der Vorderseite durch eine Veranda. Der Garten vor dem Hause ist ein Grasplatz mit einigen Blumenbeeten. Auf dieseu Iuseln, gibt es keine Sommerfrische, keine Hillstation wie in Indien, wo die amtlichen Persönlichkeiten, oder wenigstens ihre Familien, während der großen Hitze, den Verheerungen des tropischen Klimas weniger ausgesetzt sind. Bleiben also die beiden Städte. Man geht von Suva nach Levuka; von Levuka nach Suva, wie der Kranke der sich, in seinem Bette, von einer Seite nach der andern wendet. Es ist, er weiß es, eine Täuschung, aber es ist immer eine Veränderung, eine Bewegnng, und nichts widerstrebt unserer Natur mehr als die Unbeweglichkeit, welche man erst im Tode findet. Ich bewundere diese Functionäre, und ich frage wie es möglich sei deren zu finden. Es sind keine unbemittelten Menschen die, um ihr tägliches Brot zu gewinnen oder weil jede andere Laufbahn verschlossen wäre, diese Posten suchen und erhalten. Alle diese Männer, hohe Beamte und Untergebene, gehören, mit wenigen Ausnahmen, den obern Schichten der Gesellschaft an. Und dennoch, aus Abscheu vor dem Nichtsthun, beseelt von dem Wuusche dein Vaterlande zu dienen, vielleicht auch getrieben vou dem Gefallen am Abenteuerlichen, das den Anglosachsen kennzeichnet, verlassen sie ihr Vaterland um, viele vielleicht die schönsten, Jahre ihres Daseins in den fernen Südseeinseln unter Wilden zu verleben. ?. Brehcret, vou der Congregation der Maristen, apostolischer Präfect im Fiji-Archipel, von Geburt Vendeer, übt hier sein geistliches Amt seit vollen vierzig Jahren. Europa hat er, seit er es verließ, nicht wiedergesehen. Er ist der Typus der Asceten. 233 Fünfter Theil. Oceanien. Seine ehrwürdigen Züge athmen Sanftmuth und christliche Liebe. Seine Kleidung, wie die kleine Kirche, wie das PriesterhauZ und die Schule, trägt das Gepräge der apostolischen Armuth. Ein methodistischer Missionar sagte mir: „Es ist ein Heiliger." Dies Zeugniß wird bestätigt durch das einstimmige Urtheil der weißen Bevölkerung. Der reverend Webb, ein methodistischer Missionar, führte mich in sein Haus welches, auf eiucr der Anhöhen im Rücken der Stadt stehend, eine prachtvolle Aussicht über Land und Meer gewährt. Einige schöne Bäume und die Veranda spenden ihren wohlthätigen Schatten. Im Innern, Reinlichkeit und ein bescheidener Comfort, kein Luxus. Einheimische Christen nnd Katechnmenen kommen und gehen. Tas Arbeitszimmer des Missionars dient zugleich als Archiv uud Bibliothek. In der Wohnstube empfängt uus Mrs. Webb, von ihren wohlgcwaschenen nnd wohlgekämmten Kindern umgeben. Der reverend Webb, in England geboren aber schon in seinem vierten Lebensjahre nach Australien gekommen, hat im Newton^College (Sydney) seine theologischen Studien absolvirt. Seine Frau ist eine Australierin. Der größte Theil der mcthodistischcn sowie der congregationali-stischcn Missionare gehören ehrbaren Familien aus dem kleinen Kaufmannsstande in Sydney oder Melbourne an. Intelligenz und Thatkraft malen sich anf dem Antlitz dieses noch jungen Mannes. Er scheint mir, wie seine Standesbrüder, ein tüchtiger Pionier der Civilisation zn sein. Wer den ?. Brcheret mit Mr. Webb vergleicht, beide Männer von unbestrittenem Verdienst, wird sogleich die Kluft gewahren welche den katholischen vom protestantischen Missionar trennt. Aber beide verfolgen, anf verschiedenen Wegen, dasselbe Ziel. 12. Juni. — Diesen Morgen kam unsere Corvette an Hat-Island vorüber. Hat-Island, Vatn Vara, ist ein aus der See Die Insel Mango. 233 emporsteigender ungeheuerer Felsblock von der Form eines Hutes. Aus einer gewissen Entfernung ist die Täuschung vollkommen. Uni 10 Uhr wird hart an einer vom Walde eingefaßten Klippe geankert. Es ist die von einer sydneyer Gesellschaft ausgebeutete Insel Mango oder, uach der Schreibart der Missionare, Mago. Die ursprünglichen Einwohner, Fijier, haben sie vor mehr als zwanzig Jahren verlassen. Es befinden sich zwar jetzt ungefähr hundert ihrer Landsleute hier, aber sie sind gedungene Arbeiter aus Jasawas. Auch Polynesier und Hindukuli wcrdeu von derselben Gesellschaft verwendet. Was hier vorgeht könnte die ehemaligen Herren des Archiv Pels das Los ahnen lassen welches ihnen bevorsteht. Anf die eine oder andere Weise, verschwinden die Eingeborenen; und, findet man noch deren, so sind es nicht mehr die Herren des Bodens sondern für ein, zwei oder drei Jahre gemiethete Diener. Ist ihre Zeit um so ziehen sie ab, angeblich nm nach Hause zurückzukehren. Eigentlich erfährt aber niemand mit Gewißheit was aus ihnen wird. Die Zurückbleibenden sind die Herren, und diese Herren sind Weiße. Unter dem Antriebe eines einzigen Gedankens, des heißen Wuusches Geld zu machen, reich zu werden und Zwar in möglichst kurzer Zeit, über bedeutende Geldkräfte verfügend, denn nichts ist leichter (zu leicht vielleicht), als in Australien Kapitalien zu borgen, ausgerüstet mit den neuesteu Erfindungen der Wissenschaft, unternehmend, unerschrocken, unermüdlich, die Arbeit liebend und an sie gewöhnt, stürzt der Weiße vorwärts, 6o63 adeaä. Wie soll der arme Wilde, einem solchen Concurrents gegenüber, anfkommen? Unmöglich. Sein Urtheil ist gesprochen, er verkümmert, verschwindet, stirbt. Nicht als ob er mit Härte oder Grausamkeit behandelt würde. Auf den Neuhebridcn, auf den Salomoninseln und anderwärts in Oceanien kommen Gewaltthaten zwischen Schwarzen und Weißen allerdings noch häufig vor, aber auf den Fiji, wo der Eingeborene bei den englischen Behörden stets kräftigen Schutz fiudet, ist heute Aehnliches nnerhört. Im Gegentheil, man sucht 234 Fünfter Theil. Occamen. ihn hier zn civilisiren, zu erziehen, zu retten. Ich zweifle an dem Erfolge dieser edlen Bestrebungen, denn die Macht der Dinge ist gewöhnlich stärker als der Wille des Menfchen. Zwei Agenten der Compagnie find mit etlichen 39 Fijiern an Bord gekommen. Letztere beginnen sogleich einen Kriegstanz. Mit dem Kapitän auf der Dunette sitzend, kann ich mit voller Bequemlichkeit dies seltsame und phantastifche Schauspiel betrachten. Die nahe Felswand und der Wald bilden die Decoration, das Deck das Podimn. Die Wilden, bald in kleine Grnsipen getheilt, bald in eine Linie gereiht, vollziehen ihre Bocksprünge, singen im Chor, stoßen plötzlich einen Schrei ans, bringen durch ihr eigenthümliches Händeklatschen bald helle bald dumpfe Töne heruor, uud eudigen jeden ihrer höllischen Reigen mit einem Fnß-sall uud einer für Anatomen unerklärlichen Vcrdrehnng des Rückgrats. Der Takt wird dnrch zwei Musikanten gegeben, deren einer einen dicken Stock handhabt anf welchen der andere mit einem Stäbchen schlägt. Um die Tanzenden bilden die Offiziere, in ihren Lehnstühlen rnhend, einen Kreis, nnd hinter ihnen drängen sich die Blau- und Rothjacken, die Matrosen uud Marinesoldatcn, alle mit der äußersten Aufmerksamkeit zusehend, die eineil mit offenem Munde, die andern unter schallendem Gelächter, je nachdem die Production vou der ernsten oder komischen Seite anf-gefaßt wird. Der Hornist ist in Ekstase gerathen. In gehöriger Entfernung von den Schwarzen, die er nicht liebt, steht mein Kammerdiener, als vorsichtiger Mcnfch, zwifchen den Zwei kräftigsten Matrosen der Mannschaft. Es waren die ersten Nachmittagsstnndcn, also die heißeste Zeit des Tages, als ich mit Kapitän Bridge an Land ging. Die Sonne, doppelt unerträglich infolge des Rückpralls der Strahlen von den Blöcken die wir zu übersteigen hatten, wirkte wie ein Hochofen. Aber man gewöhnt sich an alles, selbst an die Sommcrstrenge der Tropen. Glücklicherweise erwarten uus Pferde im Schatten einiger indischen Feigenbäume. Wir besteigen sie sogleich, und bergauf bergab, durch tiefe Erdspalten und über Die Inscl Mango. 235 steile Kegel hinweg, bald im Dunkel des Waldes, bald anf einer Grassteppe reitend, erreichen wir die im Centrmn der Insel erbaute Zuckermühle der Gesellschaft. Der Director empfing uns in seiner Wohnung, eine landesübliche, für englische Insassen eingerichtete Kabane. Diese Hütte, die Fabrik und die Pflanzuug bilden eine Oase der Gesittung inmitten der wilden Natur. Ein enger Paß führt zwischen niedern senkrecht abfallenden, mit Schlingpflanzen bewachsenen, am Scheitel bewaldeten Felsen nach der Lagune, einer Miniaturbucht, deren Ufer der Last der Vegetation die sie bekleidet zu unterliegen scheinen. Eine einzige kleine Oeffnung gestattet dem Auge den Ocean zu sehen, uud einem flachkieligen Schiffe der Gesellschaft die Barre zn überschreiten. Letzteres ist übrigens nur bei hoher Flut und anch da nicht immer möglich. Auf diese Weise versendet die Compagnie ihre Producte nach Melbourne. Das Schiff war auf der Reise, und die kleine Landungsbrücke am Ufer die einzige Spur menschlicher Wesen. Tiefes Schweigen, in langen Zwischcnranmen unterbrochen durch den gellenden Pfiff eiucs Wasscrvogels, ruhte über der reizenden Einöde. Die sinkende Souuc vergoldete sie mit ihren letzten Strah-leu. Ein unvollendeter Claude-Lorrain dem noch die Tempel und Najadcu fehleu. Die Zukuuft wird das Vild vervollständigen, aber die Tempel werden Fabriken, und die Najaden keine Polynesierinnen sein.* * Mango besitzt einen Flächcnraum von 7095 englischen Acres. Gepflanzt werden Cocospalmcn und Zuckerrohr. Tie Wcidcgründc nähren 100 Stück Rindvieh und an 40 Pferde. Ausgeführt werden 120 Tonnen Copra, 40 Tonnen Baumwolle und eine sehr geringe Quantität Kaffee. Tas Haupt-erzcugniß ist Zucker, dessen Ausfuhr dies Jahr 1000 Tonnen erreichen dürfte. Alle Productc werden nach Melbourne verschifft. Tie Bevölkerung besteht aus 40 Weißen, 190 Fijiern, Polynesiern und Kuli, sämmtlich im Tienst der Gesellschaft. Ter Boden ist sehr zerklüftet und die höchsten Punkte erheben fich 170 Fuß über die Meercsfläche. Tiefe Auskünfte wurden uns von dem Tirector des Etablissements, Mr. Borron gegeben. 236 Fünfter Theil. Oceanien. 13. Juni. Loma Loma. — Der Espiegle ist iu cine sehr ausgedehnte Lagune eingedrungen und wiegt sich nun auf seinen Ankern vor einigen im Laub versteckten und von Riesenbäumen beschatteten Hütten. Es ist Loma Loma, der Hauptort auf Vanu Mbalava, der grüßten unter den Erforscherinseln welche heute Zu den Fiji gercchuet wcrdeu. Die Natur ist dieselbe, aber die Meuscheu sind anders, nämlich Voll- oder Halbblutvolynesier. Man betrachte jene jungen Frauen, alle Gemahlinnen oder Tochter großer Häuptlinge. Der Ausdruck der Physiognomie, die nachlässige aber anmuthige Haltuug, der einfache aber sorgfältige Anzug, gestatten keiuen Zweifel über die gesellige Stelluug dieser Damen. Den Mund immer ausgeuommen, sind ihre Züge regelmäßig. Ich bemerke sogar zwei oder drei classische Profile und bewundere den matten iDliventeint der sich mit dem langen, üppigeu, glatten, meist schwarzen Haare harnionisch verschmilzt. Diese Göttinnen des tongischen Olymps haben eben ihre Siesta an: Ufer gehalten. Jetzt, sitzend oder noch ausgestreckt an: Sande kegend, scheinen sie in der Betrachtung uuserer Matroseu versunken, welche sich ausnahmsweise einen freien Tag genießend in unmittelbarer Nähe mit Fischfang erlustigeu. In geringer Entfernung von den Damen stehen einige schöne junge Leute beisammen: hohe schlanke Gestalten mit vornehmer Haltung uud stolzem Blick. Auch sie heften die Augeu auf unsere Fischer, denn so viele Europäer zu sehen ist eine Seltenheit nnd das Erscheinen eines Kriegsschiffs ein Ereignis;. Wir nähern uns diesen nnr mit einem Schnrz aus Vamnriude bekleideten Elegants. Sie treten beiseite um uus Platz zu machen, erwidern mit einem kalten Gruß deu uusern, bezeigen aber keine Lust sich in ein Gespräch einzulassen. Einige Schritte weiter tritt der Wald über den Straud bis an den Meeresrand vor: ein dnnkles Ehaos von dichtem Laube, von krampfhaft gewundenen Aesten nnd riesigen Stämmen. Unten, ein Knäuel schlaugenartig verschlungener Wnrzeln. Durch Loma Loma. II7 die grüne Masse hat die Natur einen Tunnel gebohrt an dessen jenseitigem Ausgauge ein Stück Lagune sichtbar wird, jetzt milchfarbig wie der Himmel der sich in ihr spiegelt. Hohe Orangenbäume behängen das dunkle Mangroveugewölbe mit ihren goldenen Früchten. Zwei junge Fraueu die uns gefolgt waren verlangten mein Augenglas zu sehen. Die eine brach in Gelächter aus, die andere warf es voll Entsetzen von sich. Beide ergriffen die Flucht. Die Ueberlegenheit der polynesischeu über die fijische Rasse fällt in die Augen. Man erkennt sie an der Constructiou der Hütten welche niedlich geflochtenen Körben mit gebauschteu Schmalseiten gleichen. Einige, die mit Fenstern versehenen, sind von Europäern bewohnt deren man ungefähr ein Dutzend zählt. Hierzu tritt Mr. Swayne der Magistrat. Es sind die einzigen auf der Insel lebenden Weißen. Der Marquis de Carabas der Loca-lität ist ein englischer Kaufmann der große Ländereien angekauft, auf ciuem reizenden Eilande gegenüber Loma Loma sein Wohnhaus erbaut hat uud iu der Stadt drei Magazine besitzt. In ciuem dersetbeu fiudeu wir einen Commis dessen Aeußeres uns auffällt. Er trägt, wie hier alle Europäer, dm üblichen Anzug, welches sich auf ein wolleues Gilet und einen Pantalou beschränkt. Aber er spricht das reinste Euglisch, „U,6 Hueen'ä Tu^Usd" und seine feinen Formen verrathen den Mann der großen Welt. Wahrscheinlich einer der vielen welche am Ocean des Lebens Schiffbruch litteu, ein nach diesen fernen Gestaden verschlagenes Wrack der gesitteten Welt.* * Tie Bevölkerung von Vanu Mbalava und dcr zwei andern Inseln aus welchen die Gruppe dcr Erforschcrinseln besteht beträgt 2000 Eingeborene, theils Fijier, theils Polynesicr, theils Mischrassc zwischen beiden, und aus 26 Weißen. In letztere Zahl sind die regelmäßigen Besucher mit eingerechnet. Jährlich werden 1000 Tonnen Copra ausgeführt. 238 Fünfter Theil. Oceanicn, 15. Juni. Zur See. — Seit ungefähr zehn Jahren steht der Fiji-Archipel, mit Inbegriff der Erforscherinseln, unter britischer Herrschaft. Er verdankt der ueueu Regierung unleugbare Wohlthaten: einen relativen Wohlstand; unerachtct der unter den Tribus herrschenden feindseligen Stimmung, den innern Frieden; vollkommene Sicherheit für Leben nnd Eigenthum; indirecteu aber wirksamen Schutz gegen die Versuche Arbeiter zu entführen; endlich den Ueberlieferungen und Gebräuchen des Landes möglichst angepaßte politische Einrichtungen. Als die Vertreter der englischen Regierung die Inseln in Besitz nahmen fanden sie gewisse Satzungen, Rechte und Verbindlichkeiten welche in dem Archipel seit undenklicher Zeit zu bestehen schienen, und welchen die Bewohner verdanken sich, mehr als irgendeine andere Bevölkerung in Oceanicn, zu einem homogenen Volke gestaltet zn haben. Der Eingeborene gehorchte dem Häuptlinge und beobachtete die bestehenden Gewohnheiten. Das Gesetz, sofern hiervon die Rede sein kann, kannte kein Individuum, und galt nnr für die Gemeinde. Die Verwandtschaft ist wesentlich agnatisch. Tie Familien, die Ouali, urspünglich Abkömmlinge von Brüdern, unter der patriarchalischen Autorität eiues gemeinsamen Hanptes stehend nnd in Gemeinden vereinigt, arbeiten gemeinsam, mit oder ohne Erfolg, gewöhnlich aber mit Erfolg, d. h. nnter guten Verhältnissen, solange sie in einer Gemeinde vereinigt bleiben, während das vereinzelte Individuum in der Regel zn Grunde geht. Obgleich der Fijier seinein Wesen nach Ackerbauer ist fehlt ihm doch der Begriff von der Nothwendigkeit und den Vortheilen der Arbeit. Er arbeitet nur nm zu leben, d. h. weun er muß. Daher dein Häuptling die Vefuguiß gelassen werden mußte das Maß der zu verrichtenden Arbeit zn bestimmen.* * „Memorandum upon the establishment of district plantation in the colony of Fiji for the purpose of enabling- the native population to provide their taxes in a manner accordant with native customs", tiou 9Jh\ Sf}ur[tcm, oijne Saturn, nmljrfdjeinlid) 1875. Oeffentliche Zustände auf Fiji. 239 Derart waren die Zustände als die Engländer von dem Lande Besitz nahmen. Tie wilden Stämme traten Plötzlich unter ein gesittetes Regiment. Auf die permanente Anarchie sollte und mußte die permanente Ruhe folgen, der beständige Frieden anf den beständigen Krieg. Ties war mittels Anwendung der nöthigen Zwangsmittel zu erreichen; schwieriger war die Aufgabe, ja unmöglich, Wilde mit einem Schlage in civilisirte Menschen zu verwandeln. Der Proceß konute nur allmählich vollzogen werden. Vor allem mußte also für die Uebergangsperiode ein moäu8 vivendi gefunden werden, was nur geschehen konnte indem man sich der vorhandenen Elemente bediente. Die gegebenen Elemente waren der Hänptling des Stammes und das Gewohnheitsrecht. Von diesem Gesichtspunkte aus muß die vou dem ersten Gonverneur der neuen Colonie ausgearbeitete und oetroyirte Verfassung beurtheilt werden. Die Häupter der großen Stämme, die Roko, treten einmal im Jahre zusammen, legen Rechenschaft ab von den Zustäuden und Bcdürfnisseu ihrer Tribus uud beantragen die ihnen nöthig scheinenden Verbesserungen. Ueberdies haben sie dem Gouverneur schriftliche Berichte Zu erstatteu. Dieser Rath, native couu-cil, wird von den Eingeborenen Emboze genannt. Die kleinen Häufttliuge, Vuli, verwaltet! ihreu District nnd versammeln sich gleichfalls Zu gewissen festgesetzten Zeiten. Es gibt also zwei Arten von öffentlichen Zusammenkünften, deren erstere man mit unsern Nationalparlamcnten, letztere mit den französischen eon-86Ü8 ^euernnx vergleichen könnte. Das Nene und Eigenthümliche ist daß in diesen berathenden Versammlungeu Männer nnd Söhne von Männern nebeneinandersitzen, deren Lebensbcruf noch ganz kürzlich geweseu war sich gegenseitig zu bekämpfen und zu verzehren. Die Verhandlungen in den Emboze werden in englischer nnd in der Fijisprache gedruckt und verbreiten ein merkwürdiges Licht über die moralischen und geistigen Zustäude dieses Völkchens, über seine Sitten, sowie über die Anschauungen 240 Fünfter Theil. Qceanien. der neuen Parlamentarier welche auch mit einer beschränkten richterlichen Gewalt bekleidet sind und mit ihren neuen Befugnissen den Glanz und das Ansehen vereinigen, deren sie als große Häuptlinge seit undenklichen Zeiten genossen haben. Es wäre nicht dieses Ortes hier in eine Schilderung der neuen fijischen Rechtszustände einzugehen. Bin ich wohl unterrichtet so bewährte sich die von Sir Arthur Gordon erlassene Verfassung. Sie sieht zwar bizarr genug aus, aber bizarr siud auch, wenn man so sagen darf, die Menschen und die Dinge denen sich der neue Codex anpasseu mußte. Jedenfalls, ist in diesem Volke, seit Beginn der neuen Aera, eine merkwürdige Wandlung Zum Bessern vor sich gegangen. Als Beleg erzählt man mir mehrere unleugbare Thatsachen. Ich werde nur eine derselben erwähnen. Wer vormals, nicht vor sehr langer Zeit, den Boden einer dieser unwirthlichen Inseln betrat, setzte sein Leben auf das Spiel; wer iu das Innere eindrang war beinahe sicher es zu verlieren. Man lese das sehr interessante Buch des Kapitäns (Admiral) Erskine*, und man wird sehen was die Fiji vor 40 Jahren waren. Heute ist die Beschützung des Gouverneurs, seines Stabes und der weißen Ansiedler einer kleinen, ausschließend aus Eingeborenen gebildeten, Truppe anvertraut. Mit Ausnahme eines jungen Offiziers, welcher diese improvisir-tcn Soldaten befehligt, weilt nicht Ein englischer Rothrock auf den Inseln! Und die farbigen Unterthanen der Königin bilden 98 Procent der Gesammtbevölkerung des Archipels! Ich könnte mehrere ähnliche Wunder erzählen. Dennoch laufen die Urtheile der alten Residenten über die neuen Zustände weit auseinander. Die einen geben dem Gouverneur das Verdienst der erreichten Wandlung zum Bessern, andere schreiben sie der Verfassung oder dem Einfluß der Missionare und der weißen Einwanderer zu. Aber manche Stimmen werden laut * „A cruise among the Islands of the Western Pacific" (bonbon 1853) Ocffentliche Zustände auf Fiji. 241 welche, in allem Ernste, behaupten die Fiji-Insulaner hätten, bereits vor Ankunft der Europäer, einen hohen Grad von Civilisation erreicht, und der ihnen Zur Last gelegte Kannibalismus sei eine reine Erfindung. Im Gegentheil, die Berührung mit den Weißen sei an ihrer Verwilderung schuld. Die Missionare kommen hierbei sehr übel weg, so auch die Gouverneure, insbesondere Sir Arthur Gordon, überhaupt alle Fnnctionäre der Krone. Sie seien l nach der Ansicht der bei weitem zahlreichsten Ansiedler) Zu nachsichtig für die Eingeborenen, zn parteilich, zu geneigt alte Gebräuche aufrecht zu erhalten oder gar alte Uebuugen wiederherzustellen, ohne zu bedenken daß manches was ehemals ganz gut seiu mochte in einem gesitteten Staate eine baare Unmöglichkeit sei. Zwei Beschwerden vernehme ich am hänfigsten. Zunächst, die angebliche Parteilichkeit der englischen Gerichte Zu Gunsten der Schwarzen. In allen Processen zwischen Pflanzern uud Arbeitern behielten, sagte man mir, letztere recht. Der Eingeborene wird geschützt, und dagegen sei nichts einzuwenden; aber man gehe zu weit und sei entschieden nngerecht gegen den Weißen. Folgender Fall wiederhole sich in das Unendliche: Die Arbeiter eines Farmers verlangen von ihm Zugeständnisse welche nicht in ihrem Vertrage enthalten sind und welche den Arbeitgeber zu Gruude richten würden. Er verweigert sie also. Da wenden sie sich an das Gericht, jedoch erst nach vorläufiger Uebereinkunft mit den andern Arbeitern desselben Pflanzers, welcher nnmnehr, von allen gemeinsam, irgendeines erfundenen Vertragsbruches beschuldigt wird. Da er keine Entlastungszeugen stellen kann wird er vernrtheilt. Daher — ich citire hier fortwährend was ich hörte — daher die beinahe verzweifelte Lage des kleinen Farmers und die große Popularität des Gouverneurs, seines Stabes, der Richter unter der schwarzen Bevölkerung. „Diese Herren", sagte man mir, „können freilich unter dem Schntze schwarzer Soldaten ruhig schlafen. Sie brauchten v. Hübncr. II. 16 243 Fünfter Theil, Occcmien. sie eigentlich gar nicht, aber wir, die wir nicht populär sind, wir zögen Rothröcke vor." Hieranf entgegnen die Vertheidiger der Negierung: „Die Residenten in Suva nnd Leunka lieben das Programm «Fiji für die Fijier» ebenso wenig als die Anglo-Indicr das neuerlich in Kalkutta und Simla so häufig vernommene Losungswort «Indien für die Indier». Die große Mehrzahl der in den ersten Zeiten hierher gekommenen Weißen waren Abenteurer der übelsten Art, australische Bankrottirer, entsprungene Sträflinge der Gefängnisse von Sydney und Melbourne. Entschiedene Galgenstricke, der Abschaum der Menschheit, der Schrecken der ehrlichen Leute, welche selbst damals nicht ganz fehlten, machten sie diese Inseln Zum Mittclpnnkte eines wahren Sklavenhandels. Von Levnka segelte der berüchtigte «Karl» zweimal nach verschiedenen Inselgruppen die er mit Fener und Schwert verheerte. Menschenraub war an der Tagesordnung, und ohne nuserc Dazwischentnnft wäre der Eingeborene ohne Zweifel binnen kurzem ausgerottet worden. Gründe der Menschlichkeit haben die englische Regierung, wenn nicht ausschließlich doch hanfttsächlich, bewogen von dem Archipel Besitz zu ergreifen: deshalb, nämlich znm Schntz der Insulaner, wird er auch regelmäßig von Kriegsschiffen besucht. Die enropäischen Einwanderer welche nach der Annectiernng hierher kamen wnßten was sie thaten. Sie kannten die Vortheile welche sie möglicherweise ernten konnten sowie die Schattenseiten des Unternehmens. Sie haben kein Necht sich zn beklagen. Die gegen nnsere Gerichte vorgebrachte Beschnldignng der Parteilichkeit erklären wir für Verlenmdung." Die andere Beschwerde betrifft die Begünstigung der gro-ßeu Häuptlinge, überhaupt der Stammcshäupter, deren Ansehen und Einfluß in ihren Tribus von den englischen Behörden aufrecht erhalten werden. Es uuterliegt keinem Zweifel daß das Prestige des Häuptlings, welches in andern oceanischen Inseln erschüttert oder verschwunden ist, hier niemals größer und einflußreicher war. Dies erklärt warum iu Fällen, wo eiu neues Oeffentliche Zustände auf Fiji. 243 Oesetz oder eine neue Verordnung dem Oberhaupt dcs Stammes nicht genehm ist und er daher die Anwendung desselben eigenmächtig verzögert im Government-House gewöhnlich ein Auge Zu^ gedrückt wird. Diese Politik begreift sich. Die Regierungsbehörden finden es leichter, durch die Vermittelung der Häuptlinge, gegliederte Stämme als, direct ohne alle Vermittelung, eine in Atome anfgelöste Menge zu regieren. Aber gerade dies misfällt den Pflanzern. Sie führen mehrere Gründe an, von welchen ich hier nur einen citire. Sie bchanpten daß die Gewalt dcs Häuptlings, obgleich willkürlich ansgeübt, nicht eigentlich unbeschränkt war. Wenn seine Erpressungen und Grausamkeiten ein gewisses Maß überstiegen, erklärten ihn die Familienhäupter seiner Macht verlustig und ersetzteu ihn durch ein Glied seines Geschlechts oder verschmolzen ihre Tribus mit einer andern. Den Act der Absetzung besiegelte gewöhnlich ein Keulenschlag welchen einer der vornehmsten und nächsten Verwandten dem allzn autokratischen Häuptlinge auf den Schädel versetzte. Diese summarische aber nothwendige, durch den Gebrauch geheiligte, Einschränkung der absoluten Machtfülle besteht nicht länger. Im Gegentheil, ein neues Gesetz untersagt den Tribus sich ihres Hauptes zu entledigen. Sie haben ihre Beschwerde an den Gouverneur zu richten, aber der Gouverneur, aus Grundsatz oder Neigung, bevorzugt den Häuptling. Indeß, die wahre Ursache der unter den Farmern herrschenden Unzufriedenheit ist anderwärts zn snchen. Die Pflanzer brauchen Arbeiter, die Kaufleute in Suva uud Levuka Diener; aber die einen wie die andern sind nur schwer und zu ungünstigen Bedingungen zu finden. Diese Schwierigkeit schreiben die Weißen den Roko nnd Buli zu welche der Verdingung ihrer Stammesangehörigen als Arbeiter entgegenwirken. Die Europäer sind also die entschiedenen Gegner der Autorität des H äuptlings. In andern noch uuabhäugigcn Gruppen Oecaniens, find 16* 244 Fünfter Theil. Occamen. die wenigen weißen Residenten welche sich dort befinden, sowie die Kapitäne und Agenten der Arbeiterschiffe, von demselben Geiste beseelt und arbeiten mit größerm Erfolg an der Vernichtung des Einflusses der Stammeshäuptcr. Man erklärt dies durch die Abwesenheit einer europäischen Regiernngsgewalt welche die Häuptlinge schützen könnte, durch die Gewohnheiten der Insubordination welche die Wilden, nach Vollenduug ihrer Arbeitszeit iu Queensland oder m auderu Colonien, nach ihrer Heimat zurückbringen; endlich durch die physische uud moralische Entartung der oeeanischen Rassen. In Gesellschaften welche iu voller Auflösuug begriffen sind erschlaffen die Baude welche sie zusammenhielten, bevor sie zerreißen. Tas Ausehen des Hauptes erlischt zugleich mit seiuer Tribus, langsam, allmählich uud auf natürlichem Wege.* Aber der Gegensatz der hiesigen Zustände mit deu Vorgängen in andern Archipelen fällt iu die Augen, und kein Unbefangener wird der Weisheit der englifchen Oberbehörde die verdiente Anerkennung versagen. Nnd die Bevölkerung? Welche Wirkung übt auf sie dic sorgfältige, verständige, ich möchte beinahe sageu, Zärtliche Fürsorge der neueu Gebieter? Numerisch, uimmt sie ab! Weuiger als anderwärts, nicht ohne einige Schwankungen, aber, alles in allem, vermindert sie sich. Von 16000) Seelen, im Jahre 187 l, ist sie, znr Zeit der letzten Zählung, auf 115000 gefalleu, während die Weißen: Engländer, Teutsche, Skandinaven uud eiuige Amerikaner, vou 200 oder 300 auf 2000 gestiegen sind. Die Masern, von einem englischen Kriegsschiff eingeführt, richteten fnrchtbare Verheerungen an, und diefer Seuche wird, bis zu eiuem gewissen Grade, der große Ausfall der Bevölkerung zugeschrieben. Währeud ich hier verweile rafft der Keuchhusten 5 In einigen Gruppen hat das Stcumneöhaupt all seine Macht bewahrt, wie zum Beispiel w NenbritlUmicn, Ncuirland, und, soviel man weiß, in Neugninca. Oeffentliche Zustände auf Fiji. 245 Kinder massenhaft dahin und decimirt derart eine kommende Generation. Europäische Krankheiten sind, bei ihrem ersten Anf-treten, dem Wilden besonders verderblich. Ich höre behaupten baß, unerachtet vortrefflicher Maßregeln zum Schutze der öffentlichen Gesundheit, die sijische Raffe binnen kurzem erlöscheu werde. Mit einigen wenigen Ausnahmen, wie die Inseln Wallis und Fotnna, zeigen fich mehr oder weniger, meist aber in erhöhtem Maße, dieselben Erscheinungen in allen pacifischcn Gruppen, mit Inbegriff von Neuseeland. Ueberall ist die Berührung der Weißen den Eingeborenen verderblich. Zunächst die furchtbaren Wirkungen der geistigen Getränke. Hier ist der Verkauf derselben an Einheimische streng untersagt. Das Be-bürfniß nach Arbeitskräften in Queensland (Australien) dessen Klima, überall warm und heiß im Norden, die weiße Arbeit großentheils ausschließt, hat deu ladour traäs, den Handel mit Arbeitern, in das Leben gerufen. Jedermann kennt die im Beginn hierbei begangenen Grausamkeiten. Neue Flibustiere landeten auf den melancsischen Inseln und bemächtigten sich, durch List oder mit Gewalt, der einheimischen Jugend. Hente ist dies Geschäft geregelt und unter die Aufsicht der Regierung von Queensland und des Obercommissärs in der Westlichen Südsee gestellt. Sehr strenge Vorschriften wurden erlassen und jedem „Rekrntenschiff" ein queensländischer Regierungsagent beigegeben, dessen Anfgabe es ist für die genaue Einhaltnng derselben zu sorgeu. Zudem, üben englische Kreuzer der australischen Seestation eine sehr strenge, wenngleich nicht immer wirksame, Controle aus. Die Berichte der sie befehligenden Offiziere beweisen nur zu sehr wie viel noch Zu thun übrigbleibt. Seit einiger Zeit erscheinen auch deutsche Kriegsschiffe zum Schutze deutscher Unterthanen in diesen Gewässern. Die Werbetrader kommen also nm junge Leute welche ihre Arme für ein, Zwei oder drei Jahre verdingen nach Queensland oder den Fiji-Inseln zu transportiren, mit der, nicht immer erfüllten, Verpflichtung sie, nach Ablauf ihrer Dienstzeit, 246 Fünfter Theil. Oceamen. nach ihrem Dorfe zurückzubringen. Aber nnr ein Theil dieser Wilden sieht das Vaterland wieder, und, in der Regel, haben sie aus ihrem Aufenthalte in der gesitteten Welt nur wenig Vortheil gezogen. Gewöhnlich haben sie nur deren Laster sich angeeignet. Die Folge davon ist die beinahe gänzliche Entvölkerung der Neuhebriden und die bevorstehende der Salomons-inseln. Ich werde auf diesen Gegenstand zurückkommen. Sir Arthur Gordou und Mr. Thurstou haben, um die Fiji vor einem ähnlichen Lose Zu bewahren, ein Mittel ersonnen durch welches, einerseits, die Auswanderung verhindert und, andererseits, dem Staate eine kleine Emnahmeqnelle eröffnet wird. Es-wnrde den Eingeborenen eine in Rohftrodncten cntrichtbarc Steuer auferlegt.^ Zu diesem Ende wnrden Tistrictspflanznngcn gegründet auf welchen die Männer, unter der Aufsicht und Verantwortlichkeit der Roko uud Buli, zu arbeiten verpflichtet sind. Mit dem Erträgnisse wird die Stener bezahlt. Zugleich aber wird hierdurch deu juugen Leuten unmöglich gemacht das Land zu verlassen. In der That gibt es keine Auswanderung, unl> dies glückliche Resultat wird der eben geschilderten fiscalischen Maßregel verdankt. Dagegen sieht man hier eine bedeutende Anzahl Arbeiter welche von verschiedenen Gruppeu Melanesiens herbeiströmen. Die (methodistischen) Missionare werden beschuldigt durch ihren unverständigen Eifer znr Entvölkerung beizutragen. Im Interesse der guten Sitten, haben sie den Weibern welche sich, mit Ausnahme des Schnrzes, mit einer äußerst nnvollständigen Bekleiduug begnügten ein langes baumwollenes Hemd octroyirt, welches vom Halse zu den Knien, wenn nicht bis zu den Fersen, herabreicht. Anch die Männer werden, bisher ohne Erfolg, ermahnt sich mehr zu bedecken. Diese Nenerung soll anf die Gesundheit äußerst nachtheilig wirken. Die Eingeborenen, mit Kleidern angethan welche sie nie waschen und selbst in der Nacht Diese Steuer trägt jährlich 18000 Pfd. Tt. cm. Oeffentliche Zustände auf Fiji. 247 nicht ablegen, verlassen ihre Hütten vor Tagesanbruch, setzen sich, schweißbedeckt, der kühlen Morgenluft ans nnd Ziehen sich dadurch Lungenkrankheiteu zu, welche vordem unbekannt waren und gegenwärtig große Verheernngen anrichten. Ein vor eine Commission von Aerzten und Beamten geladener Missionar sagte, seiner Ansicht nach, seien die veränderten Gewohnheiten und namentlich die „seit Einführung des Christenthums und der Civilisation veränderte Tracht" die Hauptursache der großen Sterblichkeit nnter den Eingeborenen.* Die Annectirungsacte wurde im Jahre 1874 promnlgirt. Im Juni 1875) landete der erste Vertreter der britischen Krone in Levuka. Seine Anfgabe war einzig in ihrer Art und ohne Beispiel in der Geschichte der Colonien. Betrachten wir diese Aufgabe nnd die Weise in welcher sie gelöst wurde. In verwickelten oder geheimnißvollen Fällen, in Fällen welche den Stoff liefern Zu dem was man causes c61i>di'E8 nennt, fragt man vor allem: Wo ist die Frau? In politischen Dingen, wenn ich einem neuen, einem fruchtbaren, einem nicht landläufigen und selbstverständigen, sich jedermann aufdringenden Gedanken begegne, frage ich: Wo ist der Mann? Ich frage nicht wo sind die Männer? Gedanken entspringen in den: Gehirn eines einzigen nnd nicht in mehrern Köpfen. Ein Mann hat eine Idee. Diese Idee kann in ministeriellen oder parlamentarischen Kanzleien, in Commissionen oder in öffentlichen Sitzungen besprochen, abgeändert, verbessert, verdorben werden, aber weder die Bureaux, noch die Comites, noch die Parlamente haben sie erfunden oder entdeckt. Sie ist in dem Kopfe, vielleicht auch im Herzen, eines einzigen Mannes entstanden. Ich frage nun, wer ist der Mann? Der Mann ist Sir Arthur Gordon, der erste Gouverneur * „Report of a commission appointed to inquire into the working of the .Western Pacific Orders in Council", ^ebntar 1884, Söeüage B. Aussage bei reberenb St. Robertson 21. 9ttärs 1883. 248 Fünfter Theil. Oceanien. dieser Colouie und Obercommissär der Westlichen Südsee.* Bei der Ausführung leisteten ihm tüchtige Organe, insbesondere Mr. Thurston, wichtige Dienste. Letzterm Beamten verdankte er offenbar werthvolle Auskünfte über die moralischen, politischen, physischen nnd geselligeil Znstände der neneu Colouie, und mit Hülfe dieser verläßlichen Angaben ersann er seinen sofort zur Ausführung gebrachten Plau. Sir Arthur ist kein populärer Mann. Eine eiserne Hand verträgt nicht wohl den Glaeehandschuh, und ein jeder von nns ist mit den Fehlern seiner guten Eigenschaften behaftet. Ich muß auf diesen Umstand anfmerksam machen weil ich, an Ort und Stelle uud anderwärts, über seine hier entwickelte Thätigkeit die übelwollendsten nnd ungerechtesten Anssprüche vernahm. Aber der Staatsmann, gewöhnt an den Kamps mit den Leidenschaften des Tages, läßt ähnliche Angriffe an sich abprallen. Nicht von den Zeitgenossen erwartet er eine parteilose Würdigung seiner Wirksamkeit. Die Journalistik, er weiß es, ist eine Großmacht, aber sie bildet nnr die Meinung des Tages. Die Geschichte schafft die Meinung der Jahrhunderte. Die Journalistik schreibt auf Papier, und die nächste Morgenluft trägt die loseu Blätter fort. Die Geschichte meißelt ihre Verdicte in Marmor und Erz. Die zu lösende Anfgabe war, ich wiederhole es, einzig in ihrer Art. Es handelte sich darmn die europäischen Mitglieder der entstehenden Colonie — man weiß ans welchen Elemeuteu sie bestand — zu schlitzen gegen sich selbst nnd gegen die Eingeborenen; und, andererseits, die Interessen der Aborigines zn wahren, den von den Weißen begangeneu Grausamkeiten nnd zugleich den beständigen Kriegeu unter den Wilden ein Ziel zu setzen. Die Fijiphilen mögen mir den Ausdruck nachseheil; ich glanbe Menschen welche eben erst noch ihresgleichen aßen darf man Wilde nennen. Der Friede mnßte also zuerst hergestellt uud * Gegenwärtig Gouverneur von Ceylon. Oeffentliche Zustände auf Fiji. 249 dann befestigt, das wilde Thier mußte gezähmt werden. Da aber das Mutterland schon lange aufgehört hat mit vollen Händen Zu spenden, und vielmehr die Schnüre des Staatssäckels immer straffer anzieht, da es dem neuen Gouverneur nur spärliche Mittel gewährt, mußte letzterer eiueu Theil der Verwaltung anf die Schultern der neuen Katechumeneu der Civilisation wälzen, was nur möglich war wenn er, statt glatten Tisch zu machen, die alte Verfassung d. h. die von ihm vorgefundenen Gebräuche, Ueberlieferungen nnd Rechtsbegriffe bestehen ließ. Sir Arthur verfügte weder über eine zahlreiche Bureaukratie, noch über eine beträchtliche Streitmacht, noch über grobes Geschütz und nur über sehr, sehr wenig Geld. Er mußte also mit einheimischen Elementen, denen er einige englische „Magistrate" beigab, seine Regierung einrichten. Diese einheimischen Elemente konnten nnr die Häuptlinge sein, deren jeder in seinem Stamme herrschte. Er mußte also die Häuptlinge für sich gewinnen, was er nur erreichen konnte iudem er ihre Autorität nicht vernichtete, wie die Weißen wollten, sondern im Gegentheil erhielt und stärkte. Denn wenn es ihm gelang die Häuptlinge für die neue Ordnung zu stimmen, gewann er auch für dieselbe das Volk, weil eben die Häuptlinge auf ihre Stämme einen maßgebenden Einfluß ausübten. Diesen Weg, welchen er allein entdeckt hatte, betrat Sir Arthnr Gordon muthig, entschlossen und ohne langes Bedenken. Sein Nachfolger Sir William de Voeux bewegt sich in derselben Richtung. Wenn die Ergebnisse des von dem ersten Gouverneur erdachteu und ausgeführten Systems seinen Erwartungen entsprechen; wenn es, mit den von ihm angewandten Mitteln, gelingt diese Insnlaner in den Echos der Civilisation einzuführen, ohne daß sie unterwegs verschwinden, dann wird Sir Arthur Gordon, als Wohlthäter der Fiji, in der Geschichte Oceaniens für immer einen hervorragenden Platz einnehmen. Ich fasse das Gesagte kurz zusammen. Nach langen Zögerungcn und langwierigen Verhandlungen 250 Fünfter Theil. Occanicn. entschloß sich die englische Regierung von den 200 Inseln, dar-nnter IM bewohnte, welche Takmnban's Reich ausmachten, Besitz zu ergreifen. Beide Theile handelten hierbei nnter dem Drncke einer Zwangslage. Takumbau (überdies tief verschuldet infolge eines in den Vereinigten Staaten gemachten Anlehens) hatte zu wählen zwischen der Abdankung und dem gänzlichen Untergang, wahrscheinlich einem gewaltsamen Tode und der Ausrottung seiner Familie und seines Stammes. Andererseits, mußte sich die euglische Regierung fragen ob es länger möglich war, mit gekreuzten Armen, den Greuelthaten beizuwohnen welche in jenen Gewässern von britischen Unterthanen, sozusagen unter den Augeu englischer Beamter, englischer Consuln uud englischer Seeoffiziere, ungestraft begangen wnrden? Konnte sie gestatten daß sich in der Südsce ein ncner Sklavenhandel bilde, nachdem sie, während einer langen Reihe von Jahren, anfangs ohne uud endlich mit vollem Erfolge, so große Opfer gebracht hatte um den Sklavenhandel in den afrikanischen und brasilischen Gewässern für immer zu vcruichteu? Kounte sie länger taub bleiben gegen die immer lauter werdenden Vorstellungen der erregten öffentlichen Meinung in Australien und dein leidenschaftlichen Aufschrei der Philanthropen in England? Zu diesen Gründen der Humanität gesellten sich allerdings zeitliche Rücksichten. Die Fiji wurden als ein irdisches Paradies geschildert, bestimmt den englischen Spinnereien zahllose Ballen Baumwolle zu senden; als eine oder eigentlich mehrere Inseln Malta welche, in Kriegs-Zcitcn, England die Herrschaft der Westlichen Südsee sichern würden. Für seme Kriegs- uud Haudelsmariue wären sie eine uneinnehmbare Seefeste. Diese Hoffnungen blieben uud werden immer unerfüllt bleiben. Wäre der ganze Archipel nnr eine einzige ungeheuere Baumwollpflanznng so würden seine Erzeugnisse doch niemals hinreichen um die englische Baumwollindustrie vou deu amerikanischen Producenteu unabhängig zu machen; und, was die Verwandlung der Fiji in ebenso viele Seefestungen anbelangt, wird die Physische Beschaffenheit der, ihrer Korallen- Oeffentliche Zustände auf Fiji. 251 gürtet wegen, schwer zugänglichen Inseln die Befahrung dieser Meere für große Schiffe immer äußerst gefährlich machen. Aber, in bescheidenerem Maßstabe, bietet der Besitz dieser Inseln mehrere wesentliche Vortheile; wäre es nur weil die Märkte von Australien und Neuseeland, heute für ihren Bedarf von Colo-nialwaaren an Java und Mauritius angewiesen, diese Artikel, sobald die Fiji sie in gehöriger Menge erzeugen können, von Le-vuka und Suva beziehen werden. In diefem Augenblicke bieten die Fiji ein eigenthümliches nnd, ich meine im ganzen, befriedigendes Schauspiel. Iu der einheimischen Welt, allenthalben, Friede. Die Hänpter der großen Stämme, in Pairs nnd Präfecten verwandelt, beschäftigt mit der Verwaltung oder im Parlament, sich untereinander nicht mehr als ehedem liebend, aber die öffentliche Ordnung nie und nirgends störend. Im allgemeinen keine oder äußerst wenige Gewaltthätigkeiten. Das Volk fröhlich, harmlos, nicht arbeitsam, aber znfrieden mit seinem Lose. Bisher hat die den Einheimischen, innerhalb gewisser Grenzen, Zugestandene Autonomie uur gute Erfolge auszuweisen. In der, rasch zunehmenden, europäischen Bevölkerung ist in den letzten zehn Jahren eine sehr bedeuteude Wandluug vor sich gegaugeu. Der legendäre Schnapphahn von vordem hat ehrbaren nnd thätigen Bürgern Platz gemacht, deren Arbeit mit Hülfe (hauptsächlich aus Sydney) zufließender Kapitalskräfte be-frnchtet wird. In mehrfacher Hinsicht gewinnt die junge Colonie eine Faniilienähnlichkeit mit Australien und Neuseeland. Die Urbarmachung des Bodens schreitet langsam aber stetig fort, und der Handel hat in der letzten Zeit einen unerwarteten Anf-schwung genommen. Im Jahre 1883 wiesen die Staatskassen einen nicht unbedeutenden Ueberschuß aus.* Ich habe in Vorstehendem meine in verschiedenen aber vertrauenswürdigen Quellen geschöpften Auskünfte gewissenhaft wieder- * Von 26000 Pfd. St. 252 Fünfter Theil. Lcwnien. gegeben. Ich habe auch die so oft weit auZeinanderlaufendcn Ansichten über Menschen und Dinge nicht mit Schweigen übergangen. Hieranf aber innßte ich mich beschränken. Eine eigene Ansicht ansznsprechen halte ich mich nicht für berufen. Nur eine Bemerkung sei mir gestattet: die Besitzergreifung der Fiji dnrch England war eine gute Handlung — und ein gutes Ge-schäft. III. Samoa. Vom 17. zum 29. Juni. Tie Inseln Nina-Tobutava und Tafari. — Tie Trader. — Apia. — Die Triumvircn. — König Mclictoa. — Tic deutschen Handelshäuser. — Tu-tuilll. — Pango Pango. — Hübner-Vucht. — Inborn- traäo. — Tie Missionare. — Tie City of Sydney. Samoa. Vom 17. zum 29. Juni. — Am 14. mittags, Abreise von Loma Loma. Hierauf drei Tage Wiudstille oder Gegenwind. Wir haben nnn beigedreht, und vor uns liegen, auf einige Meilen Entfernung, die Inseln Nina-Tobutava (Keppel-Island) nnd Tafari (Boscowen-Island). Wir wollen eine Landung versuchen, nnd das Gully des Kapitäns findet sich alsbald in einem Labyrinth von kaum sichtbaren Riffen. Glücklicherweise naht ein Eingeborener, mit einem Knaben in einem ans-gehöhlten Baumstämme kauernd, nnd bietet sich als Pilot an. Die Atmosphäre ist dicht. Die Sonne, leicht umflort, breitet eiueu aus Goldfäden gesponnenen Schleier über das innere Becken welches einer mit Edelsteinen besäeteu Schale gleicht. Außerhalb des Korallengürtels, schäumt, braust, bäumt sich die dunkelgrüne See wie vom Fieber gerüttelt, im merkwürdige:: Gegensatze mit der metallischen Unbewcglichkcit der Lagune. Unser Boot, immer geleitet von dem Mann nnd dem Knaben in dem schwimmenden Baumstämme, gleitet über Untiefen, windet sich 354 Fünfter Theil. Oceanicn. Zwischen halbverborgenen Riffen hindurch, erreicht endlich die niedern, dicht bewaldeten Ufer. Es ist die Insel Nina-Tobutava, getrennt dnrch einen schmalen Kanal von einer jener zahllosen ringförmigen Eilande welche, die Oberfläche des Wassers kanm überragend, immer mit Cocospalmcn bewachsen, eines der charakteristischen Merkmale der Südsec bilden. Im Norden, nur wenige Meilen entfernt, steigt Tafari, ein kolossaler Kegel, ans den Fluten in die Lnft empor. Kanm dreißig Bewohner haben Platz gefunden nm an seinem Fnße ihre Hütten Zu bauen. Unerachtet der Nähe der Insel, dank der hinter ihr stehenden Sonne und der eigenthümlichen Atmosphäre Zeigt sie sich in Gestalt einer dämmernden Silhouette. Die Aehn-lichkeit mit Stromboli ist auffallend. Endlich wird Nina-Tobutava erreicht. Hart am Landungsplätze steht die Kabane einer der drei weißen Residenten der Insel. Sie sind Traders. Trader heißen, in der Westlichen Südsee, Krämer welche australische nnd englische Waaren liefern, wie Messer, Cotonaden, Fenergewehre (letztere von den Wilden besonders gesncht), und Zwar zn den doppelten europäischen Marktpreisen. Der Trader, welcher einen gewissen Theil irgendeines Archipels auszubeuten hat, tauscht sie für Copra und Baumwolle um uud gewinnt hierbei, zuweilen 700 ja ßlA) Procent. Die eingetauschten Producte schickt er nach Apia, Suva, Levnka oder Touga, an das dort befindliche Haus welches ihn commanditirt hat nnd diese Artikel, meist mit nngchencrm Gewinn, nach Europa verschickt. Ist der Trader ein nüchterner, intelligenter nnd thatkräftiger Mann, nnd kommt er nicht bei seiuem Geschäft nm das Leben, wie ihm das in den mclancsi-schen Archipelen leicht begegnen kann, so ist er in wenigen Jahren ein wohlhabender Mann. Der Unterhalt kostet ihm sehr wenig. Er hat einen Vorrath von conservirtem Fleisch, den er gelegentlich ernenert, nach seiner Insel mitgebracht. Seine gewöhnliche Nahrung besteht ans Dam, Bananen und Hühnern; sein Anzug aus einer Weste und einem Pantalon von Flanell, Tie Trader. 255 welche zugleich die Wäsche vertreten, und aus einem Strohhut bei schönem Wetter, iu der Regenzeit, aus einem Südwester welcher den Kopf, die Stirn und den Nacken schützt. Aber, leider, sind nicht alle Trader nüchtern, arbeitsam und energisch. Das Klima entnervt sie. Sie arbeiten nur wenn sie müssen, gerade genng um uicht Huugers zu sterben. Viele von ihnen verbringen den Tag in ihrer Hütte am Boden ausgestreckt oder sich im Schatten eines Eocosbaumes in ihrer Hängematte wiegend, allein oder in Gesellschaft einer eingeborenen Gefährtin, thun nichts und verschwinden spnrlos. Es fehlt aber unter ihnen nicht ganz an energischen Männern. Sie sind es in der Regel nnr zu sehr, diese letzten Epigonen jener verzweifelten Rowdies von vordem, dereu Greuelthaten das australische Publikum mit Entsetzen erfüllteu und selbst iu europäischen Zeitungen einen Widerhall faudeu. Blutige Verbrechen kommen noch heute, obgleich seltener, vor. Aber von aller Uebertreibnng abgesehen, sind die Zustände noch schlimm genug. So betheuert eiu glaubwürdiger Mann mit eigenen Augen gesehen zu haben wie ein Trader, um eine erhandelte Flinte zu prüfen, einen Eingeborenen, der Cocos-nüsse pflückte, von dem Wipfel des Baumes herabschoß. Noch anderes dieser Art könnte ich anführen. Endlose Vendetten sind die natürliche Folge. Aber es gibt auch Ehrenmänner uuter den Tradern, wie denn überhaupt ihr, noch kürzlich so übel beleumundetes, Geschäft sich von den Schlacken reinigt seit der Verkehr mit den civili-sirten Ländern zunimmt, der einheimische Käufer den wahren Werth der ihm gebotenen Waare kennen lernt, und das Tuukel, welches bisher jene fernen Gegenden umhüllte, allmählich Zu weichen beginnt. Feuergewehre sind, wie bereits erwähnt, der von den Eingeborenen gesuchteste Artikel. Nie mehr als wenn er sich im KriegsZustande befindet oder zum Kriege vorbereitet. Obwol auf den oceanischen Inseln der Ianustempel niemals geschlossen wird, sind die Melanesier von Natur feige. Bei ihnen ist der Krieg 256 Fünfter Theil. Occanien. nichts als eine Reihe heimtückischer Ucbcrfälle und Nieder-metzelung von Weibern und Kindern welche sich in irgendeinem Hohlwege ertappen ließen. Schlachten werden nie geliefert. Begegnen sich, durch einen unerwünschten Znfall, die beiden Armeen so tritt der Kühnste hervor, schleudert dem Feinde einige Schimpfworte entgegen nnd läuft sodann davon. Dagegen sind die Männer anf Samoa, wie alle Polynesier, geborene Krieger und begegnen sich gerne in offener Feldschlacht. Aber tapfer oder feige, leben sie, mit kurzen Unterbrechungen, in beständigem Kriegszustande. Der Krieg liegt in ihren Sitten nud fördert zugleich die Interessen des Traders. Ganz kürzlich war dem Kapitän eines englischen Krenzers gelnngen zwei große Häuptlinge zu versöhnen. Sie waren an Bord gekommen, hatten sich vor ihm die Hand gereicht und den Frieden beschworen. Unglücklicherweise besaß der Trader jenes Ortes einen Vorrath nnabgesetzter Flinten. Der Krenzer war kamn in See gestochen als die Feindseligkeiten wieder begannen. Allerdings konnte man die Schnld des Krämers nicht nachweisen. Der Trader, eine Art Robinson Crnsoe und offenbar ein friedfertiges Wesen, begrüßt die Fremden auf der Schwelle seines Häuschens. Sein Weib, eine Maori aus Neuseeland, überrascht uns durch einige Reste von Schönheit, durch ihre edeln Züge, ihre hohe Gestalt lind die natürliche Würde mit welcher sie uns willkommen heißt. Sie spricht ein reineres Englisch als ihr Gemahl, obgleich er ein echter Sohn Albions ist. Während wir seine Vorräthe besehen kommen die beiden andern Trader, ein Engländer und ein Däne, und alle drei geben nns das Geleite nach Hihipu, der Hauptstadt der Insel. Wir schreiten über einen prachtvollen grünen Teppich. Allenthalben exotisches Laubwerk iu Fülle, riesige Bäume deren Blätter, breite, schmale, gezackte, abgerundete, sammtartige oder glänzend wie Metall, ihre kühleude Schatteu über die am Rasen Zerstreut liegcudeu Korbhüttcn ergießen. Um die Luft einzulassen sind die Matten welche die Mauern vertreten, aufgerollt, und der Blick Hihipu. 257 dringt unbehindert in das Innere. Aber niemand ist zu Hause. Im Freien sehen wir nnr wenige Männer, darunter einige stattliche Bursche, dagegen viele junge Mädchen welche, bei unserm Anblick, mit erkünstelter Schüchternheit die Flucht ergreifen. Die jungen Franen aber lanfen uns entgegen, betrachten uns mit neugierigen Blicken und brechen in schallendes Gelächter aus. Auch wohlbeleibte Matronen nei me^o d^i cawiu äi N08tra, vita, nnd alte Weiber, deren körperlicher Umfang jeder Beschreibung spottet, weiden sich an unserm Anblicke. Aber alle diese Wesen, jung, alt, schlank, dick bis zum Unmöglichen, schäkern und lachen und erfrcnen sich nnscrer Gesellschaft. Wir sehen viel röthtiches oder blondes Haar. Die vornehmsten Gebäude sind die Kirche und der Palast des Gouverneurs. Die Kirche zeichnet sich durch ihr kolossales Dach, der Palast durch seine Fensterscheiben aus. Denn man wisse, diese Inseln, welche sich König Georg I. von Tanga vor etwa dreißig Jahren ans friedlichem Wege zu Gemüthe führte, besitzen einen Magistrat, einen Richter und mehrere Polizeisoldaten. Letzteren wird nachgerühmt daß sie es sich zum Vergnügen anrechnen den Tradern die ihnen regelmäßig gestohlenen Milch-schweinchen, regelmäßig zurückznbringen. In einer Hütte finden wir ein Weib welches anf einem gefällten Baumstämme, der ihr als Tisch dieut, die Rinde eines gewissen Baumes mittels Hammerschlägcn glättet. In dieser Art werden die Schurzgürtel verfertigt. Ein neben ihr kniendes junges Mädchen malt schwarze Flecken anf denselben Stoff nnd bringt in dieser primitiven Weise eine nicht nnschöuc und ganz originelle Zeichnnng zu Stande. Ein für nns am Rasen anf-gerollter Teppich, gleichfalls aus Banmrinde nnd in ähnlicher Weise gefärbt, ist 14 Fuß breit und 120 Fuß lang. Aber die Sonne sinkt, nnd es ist hohe Zeit diese inmitten des Stillen Weltmeeres gelegeneu Inseln zu verlassen. Die Seefahrer vermeiden sie wegen des schwierigen Zuganges, daher sie äußerst selten besucht werden. Seit vier Jahren hat hier kein v. Hübner. II. 17 258 Fünfter Theil. Occamcn. englisches Kriegsschiff seine Flagge gezeigt. Wir hatten einige Mühe den Rückweg zu finden. Indeß mit Hülfe desselben Piloten, gelang es, über die Untiefen glücklich Hinwegzugleiten, an keinem unsichtbaren Riffe zn scheitern und den Espiegle knrz vor Einbruch der Nacht zu erreichen. 19. Juni. — Vor uns erheben sich 6000 Fuß hoch, die nackten Berge von Savai. Zur Rechten entflieht, bis sie sich am Horizonte verliert, eine bläulich-grüne Hügelkette. Dies ist Upolu. Upolu, Savai und Tutuila sind die drei großen Inseln der Gruppe der Schiffahrer, heute bekannter unter dem einheimischen Namen Samoa. Die Bevölkerungen haben ihre Hütten am Strande gebaut. Das Innere ist unbewohnt. Die Corvette läßt Savai links liegen, steuert der Nordküste von Upolu entlang, läuft au den gewaltigen Wracken Zweier gestrandeter Schiffe vorüber und ankert um 4 Uhr nachmittags vor Apia. 20. Iuui. — Apia zeigt sich sehr vortheilhaft, mit seinem Gemisch von weißen Hänschen und dunkelgrünen Bäumen, mit den Flaggen der drei Consul« Dcntschlands, Englands nnd der Vereinigten Staaten, mit der katholischen Kirche am Rande des Wassers, und den mit Cocospalmeu dicht bewachsenen Bergen im Hintergrunde. Vier große Dreimaster, Barkschiffe und eine Golette, sämmtlich nnter deutscher Flagge, ein englisches, ein amerikanisches Schiff und eine Unzahl kommender nnd gehender Kähne, verleihen dem Hafen ein belebtes Ansehen. Au seinem Eingänge liegen, zur Warnung der Seefahrer, die bereits erwähnten Wracke. Tas Triumvirat. 25g Eine Menge kleiner Nachen, überfüllt mit Männern nnd Weibern, umschwärmen sogleich den Espicgle. Erstere zeichnen sich dnrch die prachtvolle Tatouirung ihrer Schenkel aus. Sie scheinen kurze, schwarze weißgestickte Hosen Zu tragen. Die natürliche Hautfarbe ist die des florentiner Bronze. Die Weiber sind lichtbraun, alle Vollblutpolynesier. Man läßt nns lange auf die Pratica warten. Die Herren Consnln thun wohl daran die Sanitätsvorschriften mit Strenge Zu handhaben. Endlich dürfen wir an Land gehen, aber um die vielen Korallenriffe Zu vermeiden ist das Gully des Kapitäns, im Hafen selbst, zu großen Umwegen genöthigt. Der Consnl der Vereinigten Staaten, Dr. Canisins, von Geburt Westfale, natnralisirter Amerikaner, der deutsche Consul, Dr. Stübel, Sachse, dem deutschen diplomatischen Dienstzweige entlehnt, der englische Consul Mr. Churchward, ehemaliger Ca-valerieoffizier, bilden das Triumvirat welches in Apia regiert. Die Municipalität ist, bis zu einem gewissen Grade, den europäischen Factorien in China nachgebildet. Der König hat das Land, auf welchem Apia steht, nicht veräußert aber, mittels einer Leibrente von W Dollars mouatlich, die Nutznießung nnd Verwaltung desselben der sogenannten Municipalität abgetreten. Es ist, eigentlich, eine Art Condominium welches die Cousulu der drei Vertragsmächte ausüben, nämlich der Mächte England, Dcntschland und der Vereinigten Staaten, welche im Jahre 187!» mit dem König einen Vertrag geschlossen haben. Infolge einer andern Convention von demselben Datum, erkennt der König die ausschließliche Gerichtsbarkeit des britischen Obercommissärs für die britischen Unterthanen an, welche in seinem Archipel ansässig sind. Die Municipalität von Apia unterscheidet sich von den Settlements in China dadnrch daß hier die Verwaltnng, eigentlich die Regierung, durch die Consnln der drei Mächte gemein- 17* 260 Fünfter Theil, ^ccanwt. schaftlich ausgeübt wird, während in China, z. V. in Shanghais die Niederlassungen der Engländer, der Franzosen und der Amerikaner voneinander vollkommen getrennt sind. Visher ist die Wirksamkeit des Triumvirats eine gedeihliche. Vielleicht das erste Beispiel, allerdings in winzigen Verhältnissen, einer befriedigenden Lösung der kritischen nnd schwierigen Anfgabe einer Verwaltung geführt dnrch die Vertreter verschiedener Staaten. 57b dies Ergebniß dem innern Werthe der Mnnicipalverfassnng oder der Einsicht nnd Versöhnlichkeit der Eonsuln zn verdanken sei, bleibe dahingestellt.* Der Mechanismns der Verwaltnngsma-schine ist änßerst einfach: ein Magistrat und sechs Polizeimänner nnter seinem Befehle. Er sowol wie die sechs Polizeiagenten sind Farbige. Tennuch ist kein Fall der Widersetzlichkeit seitens der weißen Residenten bisher vorgekommen.^ Wenn man die engen Grenzen der Municipalität überschritten hat befindet man sich in dem Königreiche Melietoa's. Die Verfassung seiner Staaten ist eine rein patriarchalische. Nnr die Familicnhänpter besitzen politische Rechte. Sie sind entweder Häuptlinge, Alii, oder Gemeine, Tulafale. Die reichern nnter ^ Seither sind in Samoa Ereignisse eingetreten welche die gnteu Beziehungen zwischen den drei Consuln bedeutend getrübt haben. ** Tcr Magistrat hat eine Besoldung von 15 Pfd. St. jährlich, die PoliZcimänner von 20 — 25 Tollars monatlich. Tie Iahrescinnahmc der Municipalität beträgt 5000 Tollars. Tie zahlt wie bereits gesagt dem König eine Leibrente von 20 Tollars monatlich und besoldet scincu Magistrat, 10 Dollars monatlich: letzterer hat keine richterliche Befugniß, sondern wohnt den Proeessen zwischen Weihen und farbigen nur als Zeuge bei. Tie Bevölkerung der Municipalität zählt 1^5 Weiße und 218 Mischlinge, zusammen -i^i Seelen, Tic weiße Bevölkeruug besteht aus 75 Teutschen, 41 Engländern, 23 Amerikanern, 13 Holländern und Schweizern, 11 Franzosen und 2 Skandinaviern. Außerhalb der Municipalität beträgt die nichtsamoaischc Bevölkerung ungefähr 2l>0 Personen, darunter 75 Weiße. Vic Trader, Engländer, Amerikaner, Skandinavier, arbeiten meist für die beiden auf Samoa bestehenden deutschen Handelshäuser. Tie vorstehenden Auskünfte wurden mir in Apia geliefert. Hie Verfassung auf Samoa. 261 ihnen, oder solche welche eines besondern persönlichen Ansehens genießen, werden hohe Alii oder hohe Tnlafale genannt. Diese find oder vielmehr waren die Großgrundbesitzer des Landes. Die Politischen Rechte werden von den Häuptlingen nnd Tulafale in Dorf- oder Distrietversammlnngen geübt, je nachdem es sich um Angelegenheiten des Dorfes oder des Districts handelt. Die Autorität dieser gesetzgebenden oder richterlichen Versammlungen wird nie bestritteu, währeud die Versammlungen der Häupter und Tulafale in Mnliuun, wo der König residirt, nnr für eine Formsache gelten. Es werden dort Reden gehalten aber keine Beschlüsse gefaßt, welche auch gar nicht für verbindlich betrachtet würden. Melietoa ist nnr König für die drei Mächte, welche ihn als solchen anerkannt haben, aber er ist es nur in einem sehr beschränkten Maße oder gar nicht in den Augen seiner angeblichen Unterthanen. Es gibt einen Vicekönig und einen obersten Richter, welche beide in Mnlinuu residiren, aber keine organi-sirte Regierung, keine anerkannte Autorität, kein königliches Prestige, keine Steuern nnd keinen Heller in den Staatskassen, außer den 20 Dollars welche die Municipalität dem König jeden Monat verabfolgt. Die Volkszahl wird, in Ermangelung eines Census, von den methodistischen und congregatioualistischen Missionaren annähernd auf 34000, von den katholischen auf 30000 Seelen geschätzt. Nach den Wahrnehmnngen der letztern, hätte sie sich seit dreißig Jahren um 6000 Personen vermindert. Der Handel befindet sich hauptsächlich in den Händen zweier großer Hamburger Häuser: der Deutschen Handels- und Plantagen-Gesellschaft und des Hauses Rnge u. Eomp. Sie haben sehr bedeutende Ländereien angekauft und treiben zugleich Handel und Ackerbau. Auf deutschen Schiffen werden die Producte ihrer 262 Fünfter Theil, ^cccnucn. Pflanzungen nach Enropa versandt und auf deutschen Schiffen die zum Vertriebe auf den Inseln bestimmten Waaren eingeführt. Eine große Anzahl der letztern ist nicht dentschen Ur-sprnngs. Cotonaden und Feuergewehre kommen aus England, Geräthschaften und Mundvorrath aus Amerika und Australien, das übrige aus Deutschland. Fast alle auf diesen Inseln ansässigen Europäer stehen im Dienste der beiden dentschen Häuser oder handeln für sie. Sowol in Beziehnng auf den Handelsverkehr als auf die Bodencultur und Schiffahrt, nehmen diese beiden Niederlassungen eine herrschende Stellung cm. Sie verdanken sie den sehr bedeutenden in Verwendung gebrachten Kapitalien, der einsichtsvollen Leitung, dem Rnfe der Solidität deren diese Firmen genießen, aber auch, man darf sich das nicht verhehlen, der Abwesenheit einer ernsten Concurrenz. Ich hatte Gelegenheit den Dentschen anf verschiedenen Pnnk-tcn der Erde zn beobachten. Ich begegnete ihm auf meinen Wanderungen allenthalben, und ich faud ihn überall deuselbcu. Er hat vielleicht seine Muttersprache vergessen; dies ist in der zweiten Generation sogar gewöhnlich der Fall; er hat einige Gebräuche des Landes angenommen in welchem er lebt, dem Anglosachsen einige, im „Vaterlande" in seiner Lebcnssphäre, nn-bckannte Bequemlichkeiten sich Zu eigen gemacht, aber, in allein was seine geistige Richtung uud den Charakter anbelangt, bleibt er Deutscher. Er ist, in der Negel, intelligent, immer frngal, nüchtern, sparsam, geduldig, ausdauernd, muthig aber nicht verwegen. Er sinnt nicht auf raschen Gewiun und liebt nicht zu wagen. In diesem Punkte unterscheidet er sich von dem Anglosachsen welcher, unternehmender als er, sich in verwegene Abenteuer stürzt und sie meistens, nicht immer, glücklich besteht. Der Deutsche schreitet etwas langsamer aber sicherer vor, und läßt sich nicht verdrängen wenn er Wurzel gefaßt hat. Endlich, ist der Deutsche der Volks- uud uutern Mittelklassen besser unterrichtet als der Anglosachse derselben geselligen Schichten und weiß sich leichter den Bedürfnissen seiner neuen Lage anzupassen. Die Teutschen auf Samoa. 263 Als Landbauer theilt er mit dem Schottländcr den Ruf der erste Colonist der Welt zu sein. Alles was man in Samoa sieht, soweit es sich um Weiße handelt, hat ein deutsches Gepräge. Es wurde bereits gesagt daß die beiden Häuser, welche diese Inseln beinahe ausschließlich ausbeuten, Handel nnd Bodencultur cunmliren. Dies System bietet große Vortheile, kann aber, nnter gegebenen Umständen, auch große Nachtheile nach sich ziehen. Bisher werfen die Pflanzungen von Upoln keinen Gewinn ab. Wenn die Teutschen fremde Concurrenz fürchten, so verfügen sie wenigstens über alle Vortheile des dknw8 p038iä6U8. Bisjetzt fiudet der Unternehmnngsgeist englischer und australischer Kapitalisten in andern Archipelen der Südfee ein zn weites Feld der Thätig-keü als daß er sich versucht fühlen könnte die festen Stellungen der beiden Hamburger Häuser auf Samoa anzugreifen. Alles in allem, finde ich zwischen den Engländern und Deutschen, soweit ich sie mit eigenen Augeu am Werke sah, eine große Familienähnlichkeit und weder bei dem einen noch bei dem andern die geringste Spur des Verfalles. Sie brauchen den Erfolg nur zn wollen um ihn zu erringen. Sie sind Pares unter den Nationen. Aber England ist reicher als Deutschland, reicher an Kapitalien welche es gezwungen nnd oft verlegen ist fruchtbar zu macheu. Auf diefem Felde würde man sich nicht mit gleichen Kräften mefsen. Wir besuchten die der Handels- und Plantagen-Gesellschaft gehörige Pflanzung Utnmapn. Zuerst wurde dem Meere entlang geritten, dann kamen wir an einigen Fischerdörfern vorüber, wo wir mehrere mit der Elephantiasis behaftete Kranke sahen, und bogen hierauf, nunmehr immer steigend, nach dem Innern der Insel ein. Nach einem anderthalbstündigen Ritt langten wir am Kamme des Gebirgszuges an welcher das Rückgrat von Upoln bildet. Hier, im Mittelpunkte der Plantage, welche sich von einem Meere zum andern, von der Nord- nach der Südküste ausdehnt, steht anf einen: cnlminirenden Punkte 36-4 Fünfter Theil. Oceamen. ein nettes Hänschen welches einer der Aufseher, cm junger Teutscher, bewohnt. Die Aussicht ist sehr ausgedehnt. Ringsum zu unsern Füßen ein Meer von Cowsftalmen, und über die Vanm-wipfel hinweg der weite Meereshorizont. Ieue kleine in die See vorspringende Landzunge ist Muliuuu, die Hauptstadt des Ko'uigs. Vou oben gcseheu, bildcu die Cocosbäume einen dichten Wald, aber wenn man sich nähert überzeugt man sich daß sie gepflanzt wurden und Zwar, mit großer Regelmäßigkeit, in Form eines Schachbretes. Die genau bemessene Entfernung zwischen jedem Baume beträgt 8 Fuß. Eine fahrbare Straße, welche ohne die sorgfältigste Pflege sich alsbald mit Büschen und Schlingpflanzen bedecken würde, erleichtert den Transport der Prodncte nach den Landungsplätzen. Auch Kaffeebäume wer-deu gepflanzt, mit der Absicht, wenn der Versuch gelingt, sich vorzugsweise anf den Kaffeebau zu verlegen. Man befindet sich eben noch in der Epoche des Experimentirens, aber deutscher Ernst, deutsche Methode und Thatkraft sind unverkennbar. Sehr angenehme Stunden verlebte ich in der katholifchen Mission. Der Vorstand ist Msgre. Lamaze, Bischof von Olympus uud apostolischer Viear in Eentraloecanien. Vier, junge und alte, französische Priester theilen mit ihm die Mühen, die Sorgen und Gefahren des Apostolats, Er hat ein ansgedehntes Grundstück neben der Kirche uud dem Missionshanse erworben uud auf demselbeu ein Dorf für seine Neophyten erbaut. Die Nutznießung der vou ihuen bestellten Aecker wird ihnen ohne Vergütung überlassen. Sie entfernen sich nur selten aus der „Reduc-cion", wie man in Südamerika sagen würde; die Männer sind verheirathet nnd jede Familie hat eine abgesonderte Hütte. Dies System bewährt sich auch hier wie anderwärts. Die Hauptaufgabe ist die neuen Christen vor der Berührung mit den extra umro8 lebenden Eingeborenen und mit den Weißen zu bewahren. Tie katholische Mission. 265 In diem jungen Baumschule des Christenthums sahen wir nnr fröhliche Gesichter, gut bebaute Felder und reinliche Hütten. Einige der Männer werden zu Katechisten ausgebildet. Auf halber Höhe eines Bergkegels steht ein steinernes Kirchlein welches der nahende Seefahrer ans großer Entfernung wahrnehmen kann. Ein heftiger Stnrm — in diesen Gegenden glücklicherweise eine seltene Erscheinung — hatte es voriges Jahr zerstört aber, dank den Beiträgen einiger Wohlthäter und der freiwilligen Arbeit welche die Bewohner des katholischen Törf-chens leisteten, war es möglich die Kirche binnen wenigen Monaten nen Zn erbanen. Tiefer Ort heißt Vacca. Tort werden die künftigen Katechisten erzogen und auch in die classischen Studien eingeführt. Sonntags wohnten wir dem Hochamte in der Missions-kirche bei. Tie jungen Eingeborenen, besonders die Mädchen nnd Franen, sangen mit melodischen Stimmen. Ich gedachte des ohrenzerreißenden Gekreisches während des Gottesdienstes in den chinesischen Chretientes und in den Klöstern der katholischen Kopten in Aegypten! Nachmittags versammelten wir uns ans einem Rasenplätze zwischen der Kirche und dem Priesterhause. Der Bischof, seine Patres uud Gäste, die Mitglieder der Gemeinde mit dem Oberrichter des Königs an der Spitze, ließen sich im Kreise nieder. Die Tochter des letztern reichte den Kava. Der Kava ist ein Getränk welches junge Mädchen ans einer gewissen Wurzel bereiten. Tiefe wird von ihnen sorgfältig gereinigt, geschabt, gekant, dann wieder gewaschen, und in dem dergestalt veränderten Zustande ill eine große hölzerne Schale gegossen. Das Ergebniß dieser Reihe wenig appetitlicher Operationen ist ein nach Nhnbarber schmeckender, bei Weißen und Farbigen gleich beliebter Trank. Bei freundschaftlichen Zn-sammenkünften, bei öffentlichen Belustigungen sowie bei Empfang von Ehrengästen darf der Kava nicht fehlen. Er wird stets in Gegenwart der Gesellschaft, und in der Regel von 266 Fünfter Theil. Oceanian. jungen Mädchen von Stande nnd uon guter Aufführung bereitet. Die Gäste sitzeu im Kreise, die jungen Mädchen innerhalb desselben neben dein Gefäße welches die Flüssigkeit aufnehmen wird. Darf man ans den unwillkürlichen Grimassen nnd geschwollenen Backen dieser dunkeln Heben einen Schluß ziehen, so ist dieser Kammgsproceß eine harte Arbeit nnd setzt gewaltige Kinnbacken voraus. Wenn der Trank gebraut ist, klatscht der Herr des Hauses in die Hände, die gesammte Gesellschaft folgt seinen: Beispiel, alle Gespräche verstummen, nnd das Familicnhanpt ruft den Namen des Gastes welcher den Ehrenplatz einnimmt. Eine der Jungfrauen nähert sich letzterm langsam, verneigt sich mit Anmuth und reicht ihm den Trank in der halben Schale einer Coeosnuß. Sobald diese geleert oder wenigstens mit den Lippen berührt worden wird sie von neuem gefüllt und von demselben Mädchen, nach ihrer Rangordnung, den übrigen Gästen gebracht. Die Missionare sagen mir daß sie, auf ihren Reisen, Einladungen zum Kava gerue annehmen, weil diese Versammlungen die Gemüther frenndlich stimmen nnd, später am Abend, Besprechungen über ernste Gegenstände zn erleichtern pflegen. Nach dem Kava wurde getanzt. Die jungen Katechumenen, den Schurz vou Baumrinde um die Lenden gegürtet, das Haar mit einer Blume geschmückt, ein hölzernes Schwert in der Hand, führten mehrere Kriegstänze anf. Weiber nnd Mädchen nahmen keinen Theil daran. Sie besuchen die Sava nicht, sagte mir einer der Patres mit einem bedeutungsvollen Blick den ich nicht verstand da ich noch nicht wußte was eine Sava ist. Mittlerweile war es Abend geworden und ein schwaches Lüftchen wehte von der See landeinwärts. Er war einer der heißesten Tage deren ich mich entsinne. In dieser Grnpve zeigt das Thermometer, bei ruhigem Himmel, das ganze Jahr über 25—27' 15. Demungeachtet erreichen die Europäer ein hohes Alter, während man uuter den Einheimischen wenige Greise ficht. Tic katholische Mission. 267 Beim Abschied sagten uns die Missionare daß, noch in zehn Jahren, die Bewohner von Samoa sich des Namens des Espiegle, des Kapitäns Bridge und des meinigen erinnern würden. Ihr Gedächtniß nnd ihre Beobachtungsgabe sind außerordentlich. Sie erfinden Namen für die kleinsten Bäche, für Schluchten, Felsblöcke n. s. f., kennen genau die Lebensgewohnheiten der Thiere, sind sehr aufgeweckt und intelligent, letzteres aber nur bis Zu einer gewissen Grenze welche sie niemals überschreiten. Wcuige Schritte von der Mission befindet sich das Kloster der Schwestern, mit zwei französischen und füuf einheimischen Nonnen. Die Oberin verließ in 26 Jahren dies Haus nur einmal auf wcuige Wochen um in Sydney ärztliche Hülfe zu sucheu. Sie ist es die alles schuf, alles orgauisirte, die die kleine Kapelle^ ein Kleinod mönchischer Architektur, erbaute, die viele junge Wesen vor einem schmählichen Geschick bewahrt nnd in einheimischen uud europäischen Familien die Wohlthaten einer soliden nnd christlichen Erziehung verbreitet hat. In ihrer für weiße Kinder bestimmten Schule sah ich zwei kleine deutsche Mädchen vom reiusten teutonischen Typus, aber sie wußten nicht ein Wort deutsch uud sprachen nur englisch und samoaisch. Die Sonne ist unerbittlich, die Hitze unbeschreiblich, nnd die Zeit 1 Uhr nach Mittag. Und um diese Stunde brechen wir auf nach Mulinuu! Höfische Pflichten rufeu uns dahin. Msgre. Lamazc, welcher die Güte hat als Dolmetsch zu dienen, der deutsche nnd der englische Consul leisten uns Gesellschaft. Die Hauptstadt des Königs von Samoa, welche ich eher einen Coeoswald nennen möchte, liegt anf einer in das Meer vorspringenden Laudznuge, ungefähr zwei Meilen östlich von Apia. Die Häuser, weun es deren viele gibt, verstecken sich im Gehölze; wir sahen oder erriethen nur wenige. Auf dem Haupt-Platze der Residenz, einem baumleeren Raume, steht ein monu- 268 Fünfter Theil. Qecanien. mentales Holzgerüste, der Galgen. Ganz folgerichtig, wohnt der Oberrichter nebenan in einer niedlichen Hütte. Er und seine Tochter welche Katholiken sind, nnd deren Bekanntschaft wir im Missionshause gemacht, liefen herbei um dem Bischof die Hand zu küssen. Dann ließen wir nns alle, im Schatten des fatalen Gerüstcs, zn einem traulichen Gespräche nieder. Es begann eben eine interessante Wendung Zu nehmen als sich hinter nnZ eilige Schritte vernehmen ließen. Es war ein athemloscr Mann welcher offenbar die Absicht hatte nns zu überholen. Er wurde angerufeu und wir setzten gemeiusam die Wandernng fort. Dies Individuum trng ein Hemd welches gewiß schon lange keine Wäsche gesehen, nnd einen Pantalon ans Leinwand welcher sich im Zustande des ärgsten Verfalles befand. Die Züge des Fremden waren nicht vornehm uud sein Ausdruck weuig einnehmend. Ihm anch nur ein Wort zu entreißen war vergebliche Mühe. Anf alles was wir sagten antwortete er mit einen: wiehernden Gelächter. Erst als wir nns dem Hanse in welchem die öffentlichen Verfammlungen stattfinden genähert hatten erfuhr ich seinen Namen. Es war der König, nnd ich gestehe mein wenig ehrerbietiges Benehmen gegen Se. Majestät erregte in mir einige Gewissensbisse. Je weniger von der Audienz gesagt wird, je besser. Eine geränmigc Hütte; der Fußboden mit schmuzigcn Matten bedeckt; die Vorhänge, welche die Ringmauer vertraten, anfgczogen um die Luft emznlassen, welche glichend ist. Der König und die Enropäer sitzen anf Wiener Sefseln, welche nnr bei feierlichen Anlässen dienen, wie z. B. wenn die Consnln kommen, nicht nd Huäisuänln verdum i6Zium, sondern nm ihre Stimme dem König vernehmbar Zn machen. Einige in Eile berufene Hänpt-linge kauerten auf den Matten, das Kinn anf die Knie, und den Rücken gegen die Pfeiler gestützt. Einer von ihnen, ein großer Hänptling, hielt mir zu Ehrcu eine endlose Rede. Dabei schien er einzuschlafen. Wir befanden uns in ähnlicher Verfassung. Endlich riß mir die Gednld. Ich erhob mich: ein zweiter Verstoß König Melictoa. 269 gegen die Etikette. Meine Begleiter thaten dasselbe. Der König, welcher während der Ceremonie geschnarcht oder, in gezwnuge-uer Weise, gelacht hatte, lachte nun hell anf und diesmal offenbar herzlich. Jedermann, Wilde und Gesittete, trennten sich mit unverhehlter Freude. Wir statteten noch dem Viceköuig, der einen Vortheil haften Eindruck macht, einen kurzen Besuch ab, nnd traten dann mit Vergnügen deu Heimweg an. Melietoa ist, wie ich höre, kein Idiot. Er ist ein gewöhnlicher Mensch der, wenn man ihn ruhig gelassen hätte, heute uoch einer der großen Häuptlinge auf Samoa wäre oder nicht wäre. Aber man wollte einen König ans ihm machen. Nun ist er aber, wie bereits gesagt, nur König in den Augen der Vertragsmächte, und uicht iu der Meinuug der andern Häuptliuge, welche ihn niemals aufrichtig als ihreu Beherrscher anerkannt haben. Die drei Consülu verlangen von ihm, ihrer Pflicht gemäß, Schutz für die, außerhalb Apia, iu verschiedenen Theilen der Inseln zerstrent lebenden Europäer, uud zu diesem Ende verlangen sie von ihm daß er für die Wiederherstellung uud Erhaltung des innern Friedens Sorge trage. Sie haben weder deu Bernf noch die Mittel diese Aufgabe selbst Zu lösen. Sie wenden sich also an den König. Aber der König ist machtlos. Man sieht, es ist eine falsche uud auf die Länge unhaltbare Lage. Die Vorgänge auf den Fiji- uud Tonga-Inseln sind bekannt. England hat den großen Häuptliug Georg, dessen Vater bereits der Gebieter des Tonga-Archipels war, als König anerkannt. Ihm steht ein altsr 6go in der Person des reverend Baker Zur Seite. Die Anerkennung dnrch England befestigte, sie schnf uicht seine Stelluug. Auf deu Fiji versuchte, von weißen Abenteurern angetrieben, ein ehrgeiziger Chef die andern Stammeshäupter zu uuterjocheu. Er scheiterte und hatte nnr Zwischen seinem Untergang und der Entsagnng zu wählen, während England sich entschließen mnßtc entweder von den Inseln Besitz 270 Fünfter Theil. Occanien. Zu ergreifen odcr seine auf denselben ansässigen Unterthanen den Wechselfällen des Zufalles zu überlassen. Die Analogie springt in die Augen. Auf den Samoa-Inseln müssen bedeutende Interessen gewahrt werden. Die wenigen englischen nnd deutschen Krenzer, welche von Zeit zn Zeit in jenen Gewässern erscheinen, können zwar in einzelnen Fällen znweilen dem Gekränkten Zu seinen: Rechte verhelfen; sie vermögen nicht den Frieden dauernd herzustelleu; aber europäische Interessen können jeden Augenblick zu leiden haben, solange ein danernder Friede nicht an die Stelle der Fehden getreten ist welche sich, wie intermittirende Fieberanfälle, mit einer gewissen Regelmäßigkeit in kürzern oder läugern Zwischenräumen wiederholen. Der Friede setzt eine geregelte Regierung voraus, welche nur möglich ist wenn man einen Oberhäuptling gefunden hat, wie in Tonga, oder eine europäische Regieruug, wie in Fiji, welche stark genng sind den übrigen Häuptlingen den Frieden aufzuerlegen. Ein Schattenkönig, wie Melietoa, genügt nicht. Wir führen hier ein bewegtes Leben. Die Anwesenheit eines Kriegsschiffes, an sich ein Creigniß, bringt einige Abwechselung in das etwas langweilige Dasein der Residenten. Diners an Bord, Tiucrs am Lande, Ausflüge zn Pferd und in Booten. Welcher Contrast mit der sanften Monotonie an Bord unsers Espiegle! Aber das Interessanteste wurde uns am Schlüsse des Aufenthaltes geboteu. Die Herreu Stübel nnd Churchward haben in dem Hause eiues großen Häuptlings der Nachbarschaft einen Ball, eine Sava, veranstaltet. Die Nacht war schwarz, nnd der Regen, von einer starken Brise gepeitscht, fiel in Zwischcurämnen. Das Gully des Kapitäns Bridge, welches er selbst steuerte, tauzte auf den kleineu sich rasch folgenden Wellen der Lagune und strandete einigemal auf Korallenbänken, aber am Ende gelang es doch in das kleine Eine Tava. 271 Rinnsal einzulaufen, und nahe bei dem Wohnhause des Chefs zu landen. Zuerst wurde, in Gesellschaft der Notablen des Stammes, der Kava genommen, worauf mau nns in die große für öffentliche Versammlungen bestimmte Hütte geleitete. Hier erwartete uns ein eigenthümliches Schauspiel. Der Saal war gedrängt voll. In der Mitte, bei den drei Baumstämmen welche das Dach tragen nnd die man mit Vlmnen- und Blätterkränzen behängen hatte, brannte ein großes Fener. Es war die einzige Beleuchtung. Der deutsche und der englische Consul, die Offiziere und einige Matrosen des Espiegle, zwei oder drei Residenten von Apia, bildeten das europäische Publikum. Die farbigen Zusehcr, Männer uud Fraucu, gehörten den höhern Schichten der einheimischen Gesellschaft an. Nur mit großer Mühe gelang es dem Balletcorps sich durch die Meuge Bahn Zu brechen. Ein grellfarbiger Streifen uou Kattun mit einigen Cocos-blättern geschmückt, oder ein kleiner Schnrz von Baumrinde nm die Lenden, Blumensträuße im Haar, bildeten den Anzug der Vallerinen. Die in-ima clomia azzoww trug, um ihreu hervorragenden Rang zu bezeichnen, eine große blonde Perücke von der Gestalt einer Phrygischen Mütze nud, darauf, eineu gewaltigen scharlachrothcn Federbnsch welcher die warmen Töne — von der Farbe des gebrannten Znckers — der Schultern, des Oberleibes und der Arme zur Geltung brachte. Neben dem Feuer angelangt, ließen sich die Mädchen, von Cocosöl triefend, im ganzen 16 an der Zahl, die Premiere in ihrer Mitte, auf die Matte nieder und erwarteten, still und regungslos wie Statuen, das Signal der Prima Ballerina. Sie gab es indem sie eine Melodie anhub welche während des ganzen Tanzes gesungeu wurde. Die Beweguugcn, deren Präcision die Europäer in Erstannen setzte, waren anfangs zurückhaltend, gemessen, langsam, feierlich, dann allmählich beschleunigt, endlich von rasender Schnelligkeit. Diese Damen tanzten mit den Augen, mit den Handen, mit dein Oberleibe. Nnr die Beine blieben uubcweglich. 272 Fünfter Theil. Tccanicn. Der Text der Gesänge nicht die Musik, war zu Ehren des Kapitäns Bridge und meiner Person componirt worden, nnd, in der That, gewisse Töne welche mit nnscrn Namen einige Aehn-lichkeit hatten, wiederholten sich fortwährend. Am Ende des Ballets klatschten die Weißen Beifall. Das einheimische Publikum verhielt sich schweigend. Nicht so als die Tochter des großen Häuptlings im Saale erschien. Sie ist schon und tugendhaft. Leider kann man dies nicht von allen juugen Mädchen dieser Inseln behaupten. Jene von ihnen deren gute Aufführung allgemein bekannt ist zeigen sich nie anders als in Begleitung einer oder mehrerer Dnenncn. Ihnen ist die Ehre vorbehaltcu bcc feierlichen Gelegenheiten den Kava zn bereiten, und sie heirathen gewöhnlich Krieger von hohem Range eines befreundeten Stammes. (Man verheirathet sich niemals in derselben Tribus.) Aber abgesehen von dieser der Sittsamkeit gebrachten Huldigung, geuießcn auch die Mäd-cheu welche keinen Anspruch auf den TugendpreiZ erheben der allgemeinen Hochachtnng. Es war also eine vornehme Dame und eiue Tugeud uud überdies eine Schönheit die nuumehr erschieu. Alle Blicke richteten sich auf sie, uud die dunkeln Gäste begrüßten sie mit einen: ehrfurchtsvollen Veifallsgemnrmel. Ich hätte ihr 18 Jahre ge-gebeu, aber sie zählt deren nur 13. Sehr wenig bekleidet und den Kopf mit einer riesigen Perücke bedeckt, welche sie aber Mittel fand gleich bei Beginn des Ballets zu verlieren, wodurch die classischen Umrisse des Kopfes und Nackens enthüllt wurden, nahm sie vor dem Feuer zwischen vier Männern Platz. Bei jedem neueu Tanze stimmte einer dieser Koryphäen einen Gesang au. Es waren dieselben Verdrehungen des Oberkörpers, dieselben Bewegnngeu der Arme und der Hände. In diesem tugendhaften juugeu Wesen brannte das göttliche Feuer der Ballerine. Aber nichts in ihren Stellungen und Geberden erinnerte an die Gemeinheiten des Ball Mabile. Endlich erhoben sich die fünf Tänzer. Dies war der kritische Augenblick. Jetzt, Eine Sava. 273 flüsterte mir einer der Consuln in das Ohr, beginnen die Begriffe des Anstandes sich zu verflüchtigen. In der That, die so lange zur Unbeweglichkeit verhaltenen Beine fchienen das Versäumte einholen zn wollen. Ein höllischer Reigen folgte. Terpsichore, verhülle dein Antlitz! Der Kapitän und ich dachten dies sei der Augenblick den Rückzng anzutreten, schon des guten Beispiels halbcr, welches übrigens für unsere jungen Offiziere verloren war. Ich gestehe daß ich nicht ohne Leidwesen wegging; so anziehend, wenn auch zugleich abstoßend, schien mir dies eigenthümliche, bizarre nnd von mir nie gesehene Schauspiel. Auf unsern Bühnen vermag man nichts Aehnlichcs in Scene Zn setzen. Und wie wnnderbar sind doch diese stets wechselnden Wirknngen des Feuers welches die Lampen ersetzt. Jetzt zeigen sich die Tänzer in strahlender Beleuchtung, jetzt hüllen sie sich in dämmernde Schatten, und nur die glänzenden Augen, welche die Nacht durchdringcn, verrathen ihre Gegenwart. Weiterhin verschwände alles im Dunkel wenn nicht in gänzlicher Finsterniß, ohne jenen geheimnißvollen, unerklärlichen Widerschein welcher im Saale umherirrt, bald schwarze Köpfe zeigt mit Federbüschcu und Blumen geschmückt, bald dunkle Gestalten, bald auf die Bühne geheftete Blicke. Hierzn kommen das dumpfe Dröhnen des Tam-Tam, das Ranschen der dranßen vom Winde gepeitschten Bäume, das Heulen Melu-sinens, die erstickende Hitze im Innern, die Valsamgerüche welche das mit wohlriechendem Holze genährte Feuer im Saale verbreitet hat. Grotesk und erhaben, ein böser Tranm und ein Gedicht, eine Hoffmann'sche Erzählung, eine Dante'sche Vision! Beim Weggehen sehe ich Checco, wie immer bei ähnlichen Gelegenheiten, zwischen zwei Matrosen sitzen. Er ist entrüstet und sagt mir: „Huesto i; I'iickrnu. lo 1'iw veäuw äipiuw. I>a * „Es ist die Hölle. Ich habe sie gemalt gesehen. Es war genau dasselbe." v. Hübner. II. 1I 374 Fünfter Theil. Oceamcn. Und diese selben, kaum bekleideten Weiber, welche sich solchen Unterhaltungen hingeben, sieht man Sonntags, in ihr Normalhemd gekleidet, mit Gesangbüchern beladen, nach der Kirche gehen! Arme Missionare! Umsonst stillen sie das Faß der Danaiden. Man begreift daß sie Zuweilen den Mnth verlieren. Tutuila. Vom 25. Zum 29. Juni.— Aeolus verwöhnt nns nicht. Während 24 Stunden strömender Negen, Gegenwind, hohe See. Aber diesen Morgen lächeln Himmel, Meer und Land. Der Espiegle stenert hart an der hohen Insel Tutuila, umfährt einige senkrecht abfallende von der Brandung gepeitschte Vorgebirge, dringt zwischen steilen Hügclabfällen in einen sich schlangenförmig windenden Kanal nnd, nachdem er ihn verlassen hat, in die Bai von Pango Pango. Ohne den dichten Wald welcher das Land vom Meeresnfer bis an die Gipfel der Verge^ bedeckt, ohne die unzähligen ihn überragenden Wipfel von Cocospalmen, würde ich mich in einem norwegischen Fjord glauben. Hier gleicht die Bucht einem See. Kein MeercshoriZont in Sicht und keine Haifische in dein weiten stillen Becken. Kein Grnnd sich nicht zu baden. Daher die vielen Tritonen nnd Na-jaden wclche alsbald herbeieilen. Alle schreien, lachen, gcsticu-liren, springen aus ihrem hohlen Baumstämme in die Flnt, tauchen unter ihm weg, nnd suchen den Espiegle Zn entern. Aber vergebens. Der, in solchen Dingen, strenge Kapitän findet die Toilette der Damen zn unvollständig, und man ruft ihnen vom Deck Zn: „AlMw VliäZ6 not at nomo." Sie entfernen sich lachend, schwimmen wieder herbei, sind nicht glücklicher uud geben endlich den Versuch auf ohne zu schmollen. Später schickt nns der Himmel einige Streifregen. Die Männer, wclche ihrem Tie höchsten 2500 Fuß hoch. Pango Pango. 275 Haarputze immer große Sorgfalt widmen, bedecken den Kopf mit einem ungeheuern Taroblatte dem sie die Form eines antiken Helmes geben. Ohne es zn ahnen, haben sie sich in Götter des Olymps verwandelt. Die Weiber hüllen den Oberleib in ein einziges riesiges Blatt. Ein poetisches, mythologisches Bild. Diese Insulaner haben eine sehr lichte, olwenartige Hautfarbe. So müssen die Götter des Olymps ausgesehen haben, wenn sie Griechen waren, wie anzunehmen ist. Aber woher kommen alle diese Leute? Es sind die Dorfbewohner von Pango Pango, welches eine Meile östlich von unserm Landungsplätze hart am Ufer liegt. Zwischen dem Laube können wir einige Häuser oder vielmehr elende Hütteu wahrnehmen. Aber mit einem male, wie von plötzlicher Furcht befallen, ergreifen sie die Flucht, die einen in ihren Kähnen, die andern schwimmend, alle in der Richtung ihres Dorfes. Zn gleicher Zeit bemerken wir daß, uns gegenüber im Norden, eine gewisse Anzahl von Nachen, mit Männern und Weibern beladen, vom nahen Ufer abstößt. Das Dorf welches sie verlassen ist Fango Tongo. Diesmal werden die Männer an Bord zugelassen. Sie bieten ans schwerem Holz geschnitzte Streitäxte, Gewebe aus Wurzelfasern und andere Gegenstände feil nud schreien Schot, Schot! ihre Art das englische Wort sdirt ansznsprechen. Sie wollen ihre Waare gegen Hemden austauschen, ein um so gesuchterer Artikel als ihu uiemand besitzt. Das ihnen gebotene Geld, Schillinge und Sixpence, weisen sie mit Entrüstung zurück. Im letzten Monat November befanden sich die Bewohner von Pango Pango und Fango Tongo im Kriegszustandc. Die Veranlassnng dazn hatte der Tod des großen Chefs von Pango Pango, Namens Mauuga gegeben. Zwei Thronbewerber standen auf: Mauuga Mauuma, welcher der Partei des Verstorbeuen angehört, nud Mannga Lei. Beide erhobeil Anspruch auf den Namen Mannga kurzweg und auf die Oberherrlichkeit in der Tribns Pango Pango. In Beziehung auf die Rechtsfrage werde ich dem Beispiele des zur Beilegung des Streites hierher gc- 13* 276 Fünfter Theil. Oceamcn. sandten englischen Offiziers folgen, welcher in seinem Berichte sagte es sei ihm schwer sich über diese Frage eine Ansicht Zu bilden. Die Ereignisse, einfacher als die rechtliche Seite des Streites, geben aber einen Begriff von der Natnr dieser Kriege und von der Art und Weise wie sie geführt werden. Tarmn erzähle ich den Fall welcher sonst wenig Interesse böte. Mannga Mauuma überfiel und verbrannte theilwcisc Pango Pango, tödtete einige Krieger nnd fällte eine gewisse Anzahl von Cocosbänmen^ worauf sich Mcnmga Lei mit seinen Mannen nach dein Dorfe Fango Tongo begab, wo er dasselbe that. Ein Dutzend Krieger blieben am Platze. Ein dort lebender norwegischer Trader nnd sein Weib, eine Eingeborene, retteten schwimmend ihr Leben nnd fanden Anfnahme bei einem englischen Trader welcher mit seiner Gattin, einer Tahitieriu, eine nette Hütte anf der Spitze einer kleinen Landznnge bewohnt. Mit dem katholischen Missionar in, Leone, anf der Südküste, sind diese beiden Männer wahrscheinlich die einzigen Weißen in Tutuila. Beide arbeiten für die Handels- und Plantagen-Gesellschaft in Apia. In dem Samoa-Archipel bildet der Krieg die ansteckendste aller Seuchen. König Mclietoa, welchem wir die Ehre hatten in Mnlinuu vorgestellt Zn werden, mit Recht beunruhigt, wandte sich an die Consuln, nnd, anf Ansuchen der lctztcrn, kam Kapitän Auckland anf seinem Schiffe Miranda hierher, bemächtigte sich der beiden Prätendenten und brachte sie nach Apia. Sie wurden dem König zur Obhnt übergeben nnd befinden sich dermalen noch als Staatsgefangene in Mnlinun. Nach dem Abgauge der beiden Häuptlinge, war es ein Leichtes den Frieden herznstcllen. Allerdings ein hinkender und unsicherer Friede. Alles dies läßt mich kalt. Ich bin nicht in der Lage mich für einen oder den andern der Thronwcrber zu cnthusiasmiren, und weine selbst den zehn oder zwölf Tapfern welche anf dem Felde der Ehre sielen keine Thräne nach. Was mir interessant scheint ist die Veranlassung des Streithandels und der Anruf fremder Hülfe. Pango Pango. 277 Successionsfragen Zwischen Stammeshäuptern wiederholen sich im natürlichen Laufe der Dinge. Da kein Häuptling mächtig genng ist um den beiden streitenden Theilen einen friedlichen Vergleich aufzuerlegen, wird, nothwendigerweise, zn den Waffen gegriffen. In solchen Fällen laufen Enropäer, wenn deren sich an Ort nnd Stelle befinden, die äußerste Gefahr. Kreuzt ein Kriegsschiff in der Nähe, gleichviel welche Flagge es führe, meistens die englische, Zuweilen die französische oder dentsche, sehr selten die amerikanische, so wird es iu der Noth herbeigerufen, oder der Commandant kommt aus eigenem Antriebe weil er dem Blutvergießen uud Mordbrennen iu den Dörfern nicht wohl mit gekreuzten Armen beiwohnen kann. Er kommt also uud macht Frieden. Nichts ist leichter. Von der Rechtsfrage hat der Offizier natürlich keine blasse Ahnung. Aber auch angenommen daß er die Gebräuche uud das Gewohuheitsrecht der Iusulauer kenne (was ganz gewiß nicht der Fall ist), so hat er weder den Auftrag noch die Berechtigung zwischen unabhängigen Eingeborenen das Richteramt Zu üben. Ein von ihm gethaner Ausspruch wäre, sowol in den Augen der betreffenden Parteieu, als vor jedwedem europäischen Gerichtshöfe, wegen Incompetenz des Offiziers, null uud nichtig. Er beschränkt sich also darauf die Kämpfenden zur Niederlegung der Waffen zn veranlassen, was sie auch thuu, natürlich mit der Absicht sie wieder zn ergreifen sobald der Kreuzer außer Sicht ist. Dies ist die Geschichte der 14 Fiji-Stämme vor der Annectirnng. Dies sind hente noch die Zustände auf Samoa und in den andern unabhängigen Gruppen, mit der einzigen Ansnahme welche Tonga bildet, wo t>er wahre König ein Weißer, nämlich der reverend Baker ist. Hier herrscht dermalen eine Art von Waffenstillstand, aber nur deshalb weil beide Theile um die Feindseligkeiten wieder zu begiuuen die Rückkehr ihrer Häupter abwarten, welche dermalen noch die Staatsgefangenen Melietoa's, eigentlich der Triumviren von Apia find. 278 Fünfter Theil. Occamcn, Ein Spaziergang in den Gassen von Pango Pango oder vielmehr auf Grasplätzen, zwischen zerstrent liegenden Hiitteu und Vanmgruftpen der mannichfaltigsten 3lrt. Die Hitze überwältigend; daher die Wände der Kabancn, d. h. die Matten welche sie bilden, aufgezogen sind, was nns gestattet Weiber und Kinder zn sehen, welche, am Boden ansgcstreckt, ihre Siesta halten. Männer, keine oder wenige. Wir wissen nicht was sie thnn, wir wissen nur daß sie nicht arbeiten. Warum sollten sie? Spendet ihnen die Natur nicht Cocosnüsse, Jam, Taro, Bananen? Mehr verlangen sie nicht. Wir gehen in die Hütte der öffentlichen Versammlungcu. Aber dort wie in der Kirche sehen wir, einige spielende Kinder ausgenommen, keine lebende Seele. Der Kapitän hat einen Zum Photographen abgerichteten Matrosen mit an Land gebracht, und es werden mehrere Ansichten aufgenommeu. Wir gruppiren die Weiber, was sie sehr unterhält. Aber die Mädchen ergreifen die Flucht. Wärmn? Doch uicht aus Schüchternheit? Heute empfing der Kapitän hohen Besuch. Die Schwester Mauuga Lei's, welche während seiner Gefangenschaft die Zügel der Regierung führt, kam an Bord. Sie ist von mittlerm Alter, änßerst beleibt, hat grobe Züge, aber schöne geistreiche Augen uud die Haltung einer Gebieterin. Unsere Offiziere nennen sie IWH6836 äß 66i-oi8tew. Ihre drei Hofdamen, sämmtlich Töchter von Häuptlingen, weniger schön als anmuthig, gefieleu uns wegeu ihres ehrerbietigen uud zugleich vertraulichen Benehmens gegenüber der Prinzessin. Die Männer des Gefolges blieben am Deck, aber die vier Damen wnrdcn im Salon empfangen. Sie saßen anfangs anf europäische Weise, ließen sich aber nicht zweimal bitten diese unbequeme Stellung gegen die landesübliche Zu vertauschen. Der vornehme Stil verlangt daß man anf beiden Beinen sitzt, das eine dabei aber vorstreckt und den Fuß Pango Pango. 279 in eine vibrirende Bewegung versetzt. Erfrischungen wurden gereicht nnd wie nur schien gewürdigt, und die „Herzogin", welche einige Worte Englisch weiß nnd bei heiterster Lanne war, lachte, schäkerte, flüsterte mit ihren Damen, als plötzlich ein verworrener Lärm an unser Ohr drang. Es waren die Leute von Fango Tongo, die Freunde Mannga Maunma's und die kleinen Häuptlinge seiner Tribus welche sich näherteu um auch ihrerseits dem Espicgle einen feierlichen Besuch abzustatten. Die Herzogin nnd ihre Damen erblaßten, aber es war die Blässe des Zorns, nicht der Furcht. Mittlerweile war es zn spät geworden die uube-qnemen Gäste abznweisen. Sie befanden sich bereits an Vord, nnd so standen sich die beiden feindlichen Fractionen gegenüber. Einer der neuen Ankömmlinge, ein junger Mann mit einem häßlichen Gesicht, benntztc die Gelegenheit um im Gedränge eiuem Manne von Pango Pango seine Streitaxt zu entweuden. Ilm sie zu verbergen fand er kein besseres Mittel als sich auf seine Bente zu setzen. Aber das Adlerauge der Herzogin, welche inzwischen am Deck erschienen war, entdeckte den Diebstahl und der Kapitän von ihr benachrichtigt, ließ den Schuldigen einfach über Bord werfen. Ein Matrose beschleunigte die Execution im entscheidenden Augenblicke mittels eines gewaltigen Fußtrittes. Das Deck war jetzt mit Männern gefüllt. Fast nackt, das Haar mit Blumen oder Federn geschmückt, die Streitaxt oder Keule in der Hand, bildeten sie zwei gesonderte Gruppen, bcgingeu aber keine thätlichen Ansschreitungcn. Die Matrosen und Marinesol-datcn waren in doppelter Reihe aufgestellt, und die Schwester des großen Maunga Lei konnte in Begleitung ihrer Damen die Corvette mit den ihrer hohen Stellung gebührenden Ehren verlassen. Inzwischen wechselten die Männer beider Parteien zornige Blicke nnd Worte welche ich nicht verstand, die aber, offenbar, keine Complimente sein konnten. Einige Augenblicke später zogen sich anch die Fango Tongo-Leute zurück. Die beiden großen Staats-kühne, gefolgt von einem Schwärme winziger Nachen, bewegten sich langsam, ein jeder in der Richtung seines Dorfes. Es war ein 280 Fünfter Theil. Oceanien. prachtvoller, phantastischer Anblick, Die Herzogin, von ihren Damen umgeben, stand auf der Commandobrücke. Eine sehr beträchtliche Anzahl von Kriegern, deren geölte Körper in der Tonne glänzten, füllten das Schiff vom Helm zum Hintertheil. Am Vorderdeck befand sich eine Estrade auf welcher ein Mann, mit einer großen Axt bewaffnet, unabläßlich die tollsten Bockssprünge machte. Dabei stieß er ein wildes Geschrei aus nnd schien jeden Augenblick, das Gleichgewicht verlierend, über Bord zu fallen. Alle sangen im Chor, mit männlichen fast harmonischen Stimmen, eine ernste melancholische Weise. Die Männer der feindlichen Partei hatten gleichfalls ihren Hanswurst der, wie jener der Herzogin, auf einein hohen Schemel am Vorderdeck stand aber sich ruhig verhielt. Auch saugen die Männer nicht. Der Zwischenfall an Bord des Espiegle, nicht der Diebstahl soudern die Entdeckung nnd schimpfliche Bestrafuug desselben, hatte sie verstimmt. Schweigend Zogen sie von daunen. Nachmittags begaben wir uns nach ihrem Dorfe Fango Tongo. Wir saudeu die Notabeln in der großen Empfaugs-hütte beim Kava versammelt. Zwei jnnge Mädchen bereiteten ihn mit äußerster Anstrengung ihrer Kiuubackeu. Wir wurden aber nicht eingeladen einzutreten und an dem Gelage theilzunehmen. In dieser vornehmen Gesellschaft erkannte ich den Gesellen welchen die Strafe heute Morgen so rasch ereilt hatte. Er saß, den Rücken an einen Pfeiler gelehnt, mit einer kurzen Pfeife Zwischen den Zähnen, und maß uns mit frechen Blicken. Hierbei blieb es aber. Weder hier noch in Paugo Pango residiren Missionare. Eingeborene Lehrer „Teachers" übeu die Seelsorge. Der hier residirende Teacher, ein Mann von etlichen fünfzig Iahreu, der aber wie ein Greis aussah, führte uns iu seiue Hütte. Sie unterschied sich von den andern nur dnrch ein Glasfenster nnd einen Tisch anf welchem Gesangbücher aufgestapelt wareu. Am Boden lagen zwei jnnge Mädchen. Man bot nns Cocosmilch, ein den beiden erschöpften Wegfahrern willkommener Trunk. Tutuila. Hübner-Bucht. 281 Als wir unsern Spazicrgang fortsetzten gewahrten wir einen Europäer der vor seiner Hütte faß und uns zu sich heranwinkte. Es war der bereits erwähnte norwegische Trader, vormals Matrose. Er erzählte uns den letzten Krieg und gestand daß beide Theile eine bedeutende Anzahl von Nadelgewchren bei ihm bestellt hätten, ein sicherer Beweis daß, nach erfolgter Rückkehr der feindlichen Häuptlinge, der Krieg sofort wieder ausbrechen werde. Die die seinige unigebenden eingeäscherten Hütten, und die vielen gefällten Cocospalmen und verkühlten Stämme lieferten einen traurigen Commentar zu seiner Erzählung. Die männliche Bevölkerung spielte am Meeresufer I^vu-tennis! Dies ist ihre Art sich Zu civilisiren. Alle Wege führen nach Rom. 28. Juni. — Die Stunde der Abreise hat geschlagen. Gestern Morgen, von einer ungeheuern Menge rudernder oder schwimmender Tritonen und Najaden umgeben, lichtete der Espiegle die Anker. Im letzten Augenblicke kam die Herzogin an Bord. Sie war sehr einfach gekleidet und schien nachdenkend und traurig. Der Kapitän ermähnte sie den Frieden zu bewahren, aber sie schüttelte den Kopf und sagte: „Unmöglich, böse Menschen, nicht gut, daä k66lin88." Unsere Corvette glitt sanft dahin Zwischen den sich eonlissen-artig verschiebenden Vorgebirgen des Fjord. Nachmittags gewann sie die hohe See und hielt in einer Bncht der Westküste von Tntuila, in der Nähe einer, jahrans jahrein, von gigantischen Wogen gepeitschten Felswand. Die Seefahrer nennen sie West-cap. Der Bncht, welche von den Offizieren des Espiegle gestern und heute zum ersteu mal sondirt und aufgenommen wurde, hat man meinen Namen beigelegt. Sie ist tiefgehenden Schiffen zugänglicher als es die Küsten dieser Inseln in der Regel sind und wird, wie man glaubt, mit der Zeit der Mittelpunkt des 282 Fünfter Theil. Occanien. Dampfverkehrs zwischen Sydney, San-Francisco, Fiji, Apia, und andern Archipelen werden. Das kleine am Strande liegende Dorf Poloa besteht, anßer der Kirche in welcher der einheimische Lehrer waltet, nnr aus einigen armseligen Hütten. Gestern kamen Eingeborene in ihren Kähnen um Früchte und grobes Schnitzwcrk feilzubieten. Sie sahen wie echte Wilde aus. Heute haben sie sich nicht gezeigt weil die Sonntagsruhe von den Methodisten sehr strenge beobachtet wird. Während Lieutenant Ommaney uud andere Offiziere, unter der Leitung des Kapitäns, mit dem Studium der Bucht beschäftigt siud benutze ich die beidcu Tage der Ruhe, wahrscheiu-lich meine letzten an Bord des Espiegle, zn einem Rückblicke auf die sechswöchcutlichc Kreuzfahrt in der Westlichen Südsce.* Der Ausdruck Westcru Pacific, dem mau in dcu euglischcn Correspoudenzeu fortwährend begegnet, ist nie präcisirt nnd in autheutischer Weise defiuirt wordeu. Aber dem Wortgebrauche gemäß, versteht mau hierunter alle oceauischen Archipele zwischen den beiden Weudekreisen uud Zwischeu dem 140." östl. L. und dem 170/ westl. L. Drei verschiedene Rassen theilen nnter sich dieseu ungeheueru Raum: die melauesische, die polynesische und die der Papua. Vou dem Gesichtspunkte der Civilisation betrachtet, abgesehen von den eine englische Colonie gewordenen Fiji, uuter- * Meine Quellen sind zunächst die an Trt nnd Ttcllc eingezogenen Erkundigungen, dann die dem englischen Parlament und dem Deutschen Reichstage mitgetheilten amtlichen Schriftstücke, straft einer seither in Berlin (l;. April 188ly zwischen Teutschland und England vereinbarten Declaration bedeutet „Western Pacific" jenen Theil des Ttillen Weltmeeres welcher zwischen dem I.^ nördl. Br. und dem 3<>.° südl. Br., sodann zwischen dem 165.° wcstl. L. uud dem 13i).' östl. L. (Greenwich) liegt. scheidet mau drei Kategorien: die Neuhebrideu, Sauta-CrnZ, die Salmuouinselu, Nelicaledonien, Neubritannia, Neuirland n. s. f. deren Einwohner der mclancsischen Rasse angehören. Sie sind Wilde im eigentlichen Sinne des Wortes und noch großentheils Menschenfresser. In andern Gruppen, welche die zweite Kategorie bilden, namentlich in denen von Tonga und Samoa, sind die Bevölkerungen, dem Namen nach, christlich nnd halbcivilisirt. Auf den Tonga herrscht ein sogenannter constitutioneller König, dessen in Wirklichkeit unbeschränkte Macht von einem mcthodistischen Missionar ausgeübt wird. Die Wallis- uud Fotnna-Inseln besitzen eine durchaus katholische Bevölkerung. Die Königin betrachtet ein an sie gerichtetes Breve Pins' IX. als das kostbarste Juwel ihrer Krone. Katholische Missionare leiten ihr Gewisseu und die Regierung ihrer Staateu. Auf den Samoa befindet sich ein machtloser König nuter der uuvollkommeueu Oberaufsicht dreier Cousuln. Endlich die dritte Klasse: Inseln deren Bevölkerungen einige Schritte auf dem Pfade der Civilisation gethan haben, welche ihren Häuptlingen gehorchen, an ihren Gewohnheiten und Gebräuchen hängen aber keine irgendwie organisirte Regierung besitzen. Neuguinea ist beinahe noch ^6rra incognita.* Mau weiß nur daß die Bewohner aus mehreru durch Ansehen und Sitten geschiedene Völkerschaften bestehen, in großen gut gebauteu Dörfern leben, Ackerbau treibeu uud sehr an ihren: Grundbesitz halten. Als gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die Kapitäne Cook und Bright diese Meere der Schiffahrt eröffnet hatteu, strömten Abenteurer in Menge herbei, uud sehr bald sah sich * Tcr Leser ist gebeten nicht zu vergessen daß diese Blätter im Jahre 1884 geschrieben wnrden, also vor der Besitzergreifung einzelner Theile dieser großen Insel durch Teutsch land und England. 284 Fünfter Theil. Oceanian. die englische Regierung genöthigt für die Fernhaltnng oder doch möglichste Beschränkung der von ihren Unterthauen begangenen Uebertretnngeu uud Verbrechen Fürsorge zu treffen. Zu diesem Ende wurden mehrere Parlamentsbcschlüsse, der erste unter Georg IV., 1824, Publicirt. Die ueueste Acte, „?acitic Is-lanäm-Z ^.menämeut ^ct" vom Jahre 187i), überweist einem Obercommissär die Gerichtsbarkeit über alle britischen Unterthanen welche in der westlichen Südsee Schiffahrt nnd Handel treiben oder auf den Inseln ansässig sind. Jeder Engländer welcher einen Insulaner mit Gewalt oder dnrch List aus seiner Heimat entführt soll vor den Gerichtshof des Obercommissärs gestellt werden. Der hierauf bezügliche Orä^r iu council wurde, dieser Acte gemäß, 1877 publicirt und steht also seit sieben Jahren in Kraft." Wenn man nach den Ergebnissen dieser neueu Einrichtung fragt, mnß man sich gestehen daß sie unbefriedigend sind. Die Ursache springt in die Angen. Der Obcrcommissär mit seinem Gerichtshofe ist nur competent für Uebertretnngen und Verbrechen welche von britischen Unterthanen, weißen und farbigen, untereinander oder zum Nachtheile nichtbritischer Eingeborener begangen wurden. Seine Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht anf strafbare Handlungen vou Eingeborenen oder Weißen welche keine britischen Unterthanen sind. Alle diesfälligen Vorstellungen des Obercommissärs mußte die Negiernug, dem Aussprnche der Kronanwälte gemäß, zurückweisen. * Tas Gebiet, ans welches diese Bestimmung anwendbar ist, begreift die Freundschafts-, SchiffahrtZ-, Union-, Phönix-, Ellis-, Gilbert-, Mar-schall-, Salomon^Inseln, serner die Caroline«, Tanta-Cruz, Rotuma und Neuguinea westlich vom 143. Meridian Ost, Nenbritannicn und Nenirland, endlich die Luisiaden, im ganzen eine Region von 3500 Meilen von Ost nach West, uud 2500 von Nord nach Süd, fügt aber auch, ohne sie namhaft zn machen, alle, nicht zu den Colonicn Fiji, Queensland nnd New-South-Walcs gehörigen, Inseln des Wcst-Paeific hinzn. Ter Gcrichts-sprengel des Oborcommissärs ist sonach sehr unvollkommen definirt. Daher die große Erbitterung der auf den Inseln ansässigen englischen und anstralischen Handelsleute und Pflanzer. Sie begriffen eine Gesetzgebung nicht welcher sie, aber nicht ihre dent-schcn, amerikanischen, skandinavischen Concnrrentm, unterworfen waren. In Australien wurden intercoloniale Conferenzen und öffentliche Versammlungen gehalten um gegen die neue Politik in der leidenschaftlichsten Weise zu Protestiren. Vor der Einsetznug eines Obercommissä'rs und seines Gerichtshofes, war die Polizeigcwalt in diesen Gewässern den Commandanten der englischen Krenzer übertragen. Sie hatten, soviel als möglich, für die Aufrechthaltnng der Ordnung zu sorgen, Ausschreitungen britischer Unterthanen und Einheimischer entgegenzutreten, überhaupt eine Art patriarchalischer Gerichtsbarkeit auszuüben. Es wird allseitig Zugegeben daß sie diese Aufgabe, im ganzen, mit Takt und Umsicht lösten. Farbige welche nicht britische Unterthanen waren konnten sie nnr strafen wenn sich die begangenen Unbilden als ein Kriegsfall, acts ok nai', denten ließen. Glücklicherweise ist dieser Ansdrnck etwas elastisch, nnd indem sie ihm, in dem gegebenen Falle, eine größere oder kleinere Ansdehnung gaben gelang ihnen manches Gute zu thuu und manches Uebel Zu verhüten. Die Erscheinung eines Kriegsschiffes machte immer Eindrnck sowol anf die weißen als farbigen Bewohner der betreffenden Localität. Hatte ein weißer britischer Unterthan ein Verbrechen begangen oder den Ruf eines unverbesserlichen Störenfrieds erlangt, so ließ ihn der Commandant des Kreuzers ergreifen nnd brachte ihn nach Australien um dort vor Gericht gestellt zu werden, oder er deportirte ihn nach irgendeiner andern, von dem Schauplatze seiner Gewaltthaten möglichst fernen Insel. Diese Proceduren waren allerdings summarisch, in einem gewissen Grade willkürlich, aber sie thaten ihre Wirkung, und kein Trader wagte den geringsten Widerstand. Wahr ist daß viele britische Unterthanen sich der Autorität der Offiziere entzogen indem sie sich für amerikanifche Staatsbürger ausgaben. 286 Fünfter Theil. Oceanicn. Die Installation eines Obercommissärs, welcher mit legislativen nnd richterlichen Befugnissen ausgerüstet war und dem ein Gerichtshof zur Seite staud, machte der eben geschilderten Thätigkeit der Seeoffiziere, grundsätzlich, ein Ende; oder besser gesagt, sie machte sie, da mau die Offiziere und ihre Schiffe doch nicht entbehren konnte, schwierig, heikelig, und, wegeu der Reibungen Zu welchen sie zwischen dem Befehlshaber der australischen Seestatiou nnd dem Obercommissär Anlaß geben konnte, nachtheilig für die Sache welcher man dienen wollte. Dieser hohe Functionär — der Obercommissär — ist, übrigeus, dem Anscheine nach mächtiger als in der Wirklichkeit. Seine Vorschriften und Ordonnanzen haben zwar Gesetzeskraft, aber das Maximum der Strafen, welche ihm zusteht deu Uebertreteru aufzuerlegen, darf nicht 3 Pfd. St. oder 3 Monate Gefängniß übersteigen! Seit der Schövfuug dieses hohen Amtes, kauu kein britischer Uuterthau, was immer für ein Verbrechen er begangen habe oder wie dringend auch, im Interesse der öffentlichen Ordnung, die Ahndung dieses Verbrecheus sei, zur Strafe gezogeu werdeu, wenn er uicht vorher vor dem comveteuten Tribunal erschienen uud, uutcr Beobachtung aller Rechtsformen, verurtheilt worden ist. Bei den großen Entfernungen uud der Schwierigkeit des Verkehrs, ist die Folge daß der Verbrecher meist straflos ausgeht. Hieraus folgt dies: die Vollmachten des Obcr-commissärs l^in Beziehuug auf britische Unterthanen) sind und bleiben überall, insbesondere in den wenig besuchten Iuselgruppeu, ein todter Buchstabe, uud, audererseits, hat die Schöpfung dieser ueueu Behörde der vormaligeu, so heilsamen, gerichtlichen Inter-veutiou der Seeoffiziere ein Ende gemacht. Auf die Einheimischen, welche uicht britische Uuterthaneu siud, steht dem Obercommissär keinerlei Einwirkung zu; er kauu aber die Offiziere der königlichen Kriegsmarine, in ihrer Eigenschaft als britische Unterthanen, verhindern irgendeinen Act uor-zunehmeu welcher sich nicht streng innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegte. Mit andern Worten, der Obercommissär, uu- fähig mit eigenen Mitteln wirksam einzugreifen, besitzt die Mittel, sowol in Beziehung auf Weiße als Farbige, die Mitwirkung der Flotte Zu lähmend Eine Commission, welche die ^Vßätorn ?a«üc oiäei8 in eouneil Zu prüfeu hatte, und in welcher Sir Arthur Gordon den ersten Platz einnahm, gelangte zu dem Schlüsse daß die Bestimmungen dieser Acte „in hohem Grade unbefriedigend" sind. Sie bringt dann mehrere Verbesserungen in Vorschlag, aber es muß erlaubt sein an ihrer Wirksamkeit zu zweifeln. Denn der Kernpunkt der Frage scheint mir in ihrer internationalen Seite zu liegen, und über diese gleitet der Bericht mit wenigen Worten hinweg. Ich werde hierauf zurückkommen. Ich habe bereits vom labour trmle, der Anwerbnng von Arbeitern gesprochen, und mau hat gesehen daß an Bord eines jeden Werberschiffes sich ein Agent der qneensländischen Regierung oder des Obercomnnssärs befinden muß, desseu Aufgabe es ist für die geuaue Befolgung der bestehenden Bestimmungen Sorge Zu tragen. Queensland, dies ungeheuere noch größten-theils im Innern unbekannte und uubeoaute Territorium, und, in geringerem Maße, die Fiji bedürfen Arme und können, der klimatischen Verhältnisse wegen, nur farbige Männer verwenden. Daher werden auf den Inseln Arbeiter angeworben. Das Gesetz erheischt die freie Einwilligung des sich verdingenden Individuums, aber in Wirklichkeit, nut Ausnahme einiger Stämme auf einigen Inseln, wird der Arbeiter, für die Dauer von drei oder fünf Jahren, einfach gekauft. Der Werber verpflichtet sich ihn, nach Ablauf seiner Dienstzeit, nach seiner Heimat zurückzubringen, aber nicht immer wird die Zusage gehalten. Dieser Menschenhandel findet unter verschiedenen Verkleidungen statt. Den Häuptlingen, Verwandten und Freunden der juugen Leute welche man anwerben will werden Geschenke angeboten, ^ Ich citirc hier beinahe wörtlich den Bericht der 'Wostei'u ?aoiü« Iio)a1 ^ounniZLiou datirt London 1883. 288 Fünfter Theil. Occamen. und sie selbst bringen die Rekruten, ob sie wollen oder nicht, an den Strand. Ein anderes, häufig angewandtes, Mittel besteht in betrügerischen Versprechungen welche wer sie macht weder die Absicht noch die Macht hat zu halten. So geschieht es daß juugc Leute, durch glänzende Anerbieten verleitet, sich, trotz dem Verbote des Hauptes ihres Stammes, oder ihrer Gemeinde oder ihrer Familie, aus der Heimat entfernen. Hierdurch begehen sie, nach den Begriffen des Insulaners, eines der gehässigsten Verbrechen deren der Mensch fähig ist, denn in Oceanien besteht das Individuum als solches nicht, sondern ist ein ergänzender Theil der Gemeinde welcher es angehört. Man weiß aber sehr wohl daß der wahre Schuldige der Werber war. Man rächt sich also, aber nicht an ihm denn er hat bereits, so rasch er konnte, mit seinem Rekrnten das Weite gesucht, sondern an dem ersten Weißen dem man begegnet. Hierin handeln die Insulaner, von ihrem Gesichtspunkte aus, nur folgerichtig, eben weil sie kein Individuum sondern nur die Gemeinde kennen. Sie halten sich also an die Gemeinde der Weißen, d. h. an diejenigen welche die weiße Hautfarbe miteinander gemein haben. Aber der Werber welcher uuerachtet des Verbotes des Hauptes der Tribus oder der Dorfgemeinde jnnge Leute eutführt hat beging keinen Verstoß gegen die Acte von 1872 nnd 1875; denn diese Acte verlangen nur die individuelle Zustimmung des Einheimischen, dig mvn con8Lntm6nt. Er hat also nicht das englische Gesetz wohl aber eine der Fnndamentalbestimmungen verletzt auf welchen das bürgerliche Dasein der Insulaner beruht und, in den meisten Fällen, Zu blutigen Repressalien Anlaß gegeben, welche einem oder mehrern Weißen das Leben kosten. Das hier Gesagte findet in dcm mehrfach angeführten Commissionsberichte seine Bestätigung. Nicht unerwähnt darf bleiben daß alle Europäer welchen ich begegnete, die einen lschr wenige) mit Entrüstung, die andern lachend zugaben daß, in den meisten Fällen, die Arbeiter von den Häuptliugeu für einen in vorhinein ausbedungenen Preis dem Werber überliefert werden. Anf den Salomoninseln, schicken die Chefs für ein schönes Geschenk ihre Sklaven oder Stammesangehörigen an den Strand wo der Ne-kruteur sie ergreift nnd an Bord schleppt. Es umrde oben gesagt daß alle jene welche Arbeiter dingen gesetzlich verpflichtet find letztere, am Ende ihrer Dienstzeit, nach ihrer Heimat zurückbringen zu lassen, und daß dies nicht immer geschieht. Sehr oft wird hierbei anch mit sträflicher Nachlässigkeit verfahren. Wenn die armen Leute auf einer Insel oder in der Nähe eines Dorfes, wo sie nicht zu Hanse siud, gelandet werden so geschieht es häufig ja fast immer daß sie von au-dern Wilden erschlagen und gefresfen werden. Mau kann dies in dem erwähnten officiellen Commissionsbcricht lesen. In Australien wird über alle diesc Unregelmäßigkeiten soviel als möglich mit Stillschweigen hinweggegangen. Noch lieber würde man die Augen ganz zudrücken. Darum steht doch außer Zweifel daß während der „Arbeiterfaisou" d. h. Zwischen Mai und September, um welche Zeit die Werberschiffe ihr Geschäft betreiben, die Inseln alljährlich der Schauplatz von Gewaltthätigkeiten sind, welche aber der öffeutlicheu ^euntniß meist entzogen werden. Iu Queensland ist das Bedürfniß nach Arbeitern so gebieterisch daß die Behörden — wenigstens werden sie dessen allgemein, vielleicht mit Unrecht, beschnldigt — die beständigen Gesetzesübertretnugen der Werbkaftitäne uud die sträfliche Gefälligkeit der sie begleitenden Regiernngsagenten, absichtlich nicht bemerken. Ihrerseits legeu sich die Melanesier in den Busch, er-warteu die Mauuschaft des vou den Werbern an Land geschickten Bootes nnd machen sie nieder wo und wie sie köuncu. „Auf den Nenhebriden und den Salomoninseln", sagt Kapitän Moor^, „ist ein großes Verdienst einen Weißen mitzubringen. Nach vollbrachtem Verbrechen, begeben sich die Thäter unter Nühruug des Tam-Tam nach ihrem Dorfe und erzählen * Bericht des Kapitäns Moor, von I. B. M. Tart, an dcn Commodore Erstine m Sydney, 7. November 1888, „Mas Looks". v. Hübucr. II. 19 290 Fünfter Theil. Occanien. daß sie mim Weißen erschlagen haben. Alsbald verbreitet sich hiervon die Nachricht in der ganzen Gegend." Jeder Kapitän eines Werberschiffes und jeder Negiernngs-agent anf demselben ist mit einen: gedrnckten Schreiben versehen welches seine Vefngnifse nnd Verpflichtungen aufzählt. „Diese Instructionen", fährt Kapitän Moor fort, „find ein todter Bnch-stabe. Wenn der Offizier eines Krenzers die Vorweisung des Briefes verlangt lächeln die Kapitäne wie über einen bnreau-kratischcn Scherz, oder sie ziehen ein schnulziges, abgenntztcs Exemplar hervor anf welchem sie die wesentlichsten Bestimmnngen radirt haben, nämlich: 1) daß der Arbeiter sich freiwillig verdingen müsse nnd 2) daß den Personen welche den Arbeiter verschaffen kein Geschenk — trade — gemacht werden dürfe. Stellt der Offizier fie hierüber zur Rede, so antworten sie: «Wenn ich mich an das Reglement hielte, würde ich mit einem leeren Schiffe nach Hause kommen», was vollkommen richtig ist- aber wenn die Arbeiter nicht in einer den: Gesetze gemäßen Weise anfgetrieben werden können, so geschieht deren Aufnahme unter Umständen welche unverträglich sind mit der Ehre der englischen Flagge." Die Stellung der Regierungsagenten, wenn fie ehrliche Leute sind, ist eine äußerst peinliche. Einerseits ist der Agent an die Befehle der briZbaner Regierung gebunden, welche er aber nicht ansznführen vermag. Allerdings — nnd das ist sein Trost — nnterzieht die Regierung sein Benehmen keiner sehr strengen Prüfnng, denn es ist ihr hauptsächlich darum zu thuu daß möglichst viele Arbeiter iu Queensland eingeführt werden. Andererseits, befindet sich der Agent in den Händen des Kapitäns dem er beigegebeu ist. ,,Nicht er", sagt Kapitän Moor, „sondern der Schiffspatron wählt die Oertlichkeit wo er sein Geschäft zu betreiben gedenkt. Der Agent weiß vielleicht daß der Ort gefährlich ist, nnd daß es wahrscheinlich zn Flintenschüssen kommen wird. Aber da seine Instruction ihm vorschreibt die Operationen des Kapitäns zu begünstigen, begnügt er sich damit gewisse Unregelmäßigkeiten hintanzuhalten. Haben unangenehme Vorfälle stattgefunden, so sucht man sie zn verheimlichen. Die Kapitäne gefallen sich darin einen kecken Handstreich glücklich zu vollziehen. Aber wenige können leugnen daß sie, anf einer icden Neise, wenigstens zweimal in ihr Tagebuch einschreiben müssen: ^Eingeborene hinter den Bäumen ans Boot geschossen. Fener erwidert. Wirkung unsers Feuers unbekannt. Joe oder Jim, oder irgendein anderer Eingeborener der Mannschaft geblieben. Begraben in tiefen: Wasser.» Ich citire nnr Fälle ivo geschossen wnrde. Ich kenne aber viele andere. Die Eingeborenen schießen auf jedes Boot welches an Land geschickt 5vird, hanfttsächlich nm sich der Flinten und der für die Bezahlung der anzuwerbenden Arbeiter bestimmten Artikel zn bemächtigen." Die Flinte spielt eine große Rolle. Ihr Einfluß anf die Zustände der Westlichen Südsee ist bereits fühlbar. Kapitän Bridge* berichtet daß „in den Neuhebridcn die Wilden Feuer-gcwehre jeder Art besitzen, und daß diese Waffen auf Trade-schiffen eingeführt werden. Die aus Queensland zurückgeschickten Arbeiter bringen fast immer treffliche Jagdflinten nach Hause, Pulver ist ein Tauschmittel geworden und dient als laufende Münze. Der unter den Wilden immer mehr verbreitete Gebranch und die steigende Einfuhr von Feuergewehren ziehen beklagenswerthe Folgen nach sich. Es ist heute schwieriger als ehedem Verbrechen Zu ahudeu. Ein jedes Unternehmen dieser Art erheischt, bei der eigenthümlichen Beschaffenheit des meist unbekannten Terrains, ernster Vorbereitung und stellt bedeutende Verluste in Aussicht. Um ein Paar Wilde welche anf Weiße schössen Zn strafen ist es nothwendig einen kleineu Feldzug zu unternehmen. Da die Kriege zwischen den Tribns beständig sind bilden Prä'eisious-gewehre den gesuchtesten Artikel. Nm sich deren zn verschaffen bieten die Häuptlinge dem Werber Männer und Weiber ihrer * An Bord dcs Espieglc, Hanouer Harbour (Ncuhcbridm), 27. April 1883, „Vws Look«". 292 Fünfer Thcil. ^ccmnen. Tribus an. Endlich, sind die Kriege zwischen den Inselbewoh-^ neru niörderischcr geworden." Hören wir anch einen nichtenglischen Zeugen dessen Ans-sagen das eben Vernommene bestätigen. Der Befehlshaber eines deutschen Kriegsschiffes, Kapitän Karcher, berichtet aus Vatavia, l!. Juli 1833^: „Eine Qnelle beständiger Gefahr ist der Umstand daß die Insulaner die verschiedenen Nationalitäten nicht Zu unterscheiden vermögen nnb den ihnen von einem Weißen Zugefügte« Schaden an dem ersten Weißen dem sie begegnen Zu rächen suchen. Jedermann ist der Ansicht daß die Arbeiterwcrber hieran schnld sind. Gewiß kann man den ErZählnngen der Pflanzer keinen unbedingten Glanben schenken, aber wenn nur die Hälfte wahr ist von dem was mir der Consul sagte und andere bestätigten, so ist die Anwerbung, von Arbeitern einfacher Sklavenhandel. Diesen Angaben Znfolge, kaufen die Kapitäne nicht nnr innge Lentc für Fenergewehre, daruuter auch Hinterlader, und für Munition, sondern locken sie auch unter dem Vorwande Handel treiben zu wollen an Bord und halten sie dort gewaltsam zurück. Andere, welchen sie auf offener See in ihren Kähnen begegnen, werden einfach entführt." Derselbe deutsche Kapitän fügt, beinahe mit den Worten des Kapitäns Moor, hinzn: „Wenn die Regierungsagenten ihre Weisungen befolgten, würden die meisten Arbeiterschiffe ohne Arbeiter zurückkehren. Sie schließen also die Augen, lassen den Kapitän gewähren und beschränken sich darauf Zu bestätigen daß keine Unregelmäßigkeit vorgekommen ist. Die Dolmetscher dienen als Lockvögel. Daher die blutigen Zusammenstöße/' Dies sind die Znständc in der Westlichen Südsee, wie sie oon den berechtigtsten Zcugeu geschildert werdeu und wie sie sich mir, bei eigener Betrachtung, darstellten. * Beilage des mehrfach eitirtcn LomnmsicüMcrichtö, Tir Arthur Gordon's und Consorten, Von mir aus dem Englischen übersetzt, da ich den deutschen Text nicht besitze. Welche Nationen sind an der Anfrechthaltnng der öffentlichen Ordnnng in diesen fernen Gewäsfern am nicisten intcrefsirt nnd daher znr Wahrnng derselben vor allen andern berufen? Zunächst England mit Inbegriff der anstralischen Cowmen: Queensland, dnrch Lebensinteressen genöthigt sich Arme zn verschaffen welche sie nnter den australischen Aborigines, der tiefstgesnnkenen Nasse der Menschheit, nicht findet; New-South-Wales welches den Traders in Occanien Geld vorstreckt; Victoria welches die Menschen liefert: Pflanzer nnd Kanflente, vorzüglich letztere. In zweiter Stelle, Deutschland; die Vereinigten Staaten in bedeutend kleinern Verhältnissen; endlich Frankreich. Mit Mexico und den südameritanischen Freistaaten bestehen soviel wie keine Beziehungen. Sie kommen hier also nicht in Betracht. England. Die Zahl der Engländer auf den Inseln ist vielleicht geringer als die der Australier; aber aus England kommen die Kapitalien, entweder direct oder durch Vermittelnng australischer Banken; England besitzt den großen Archipel der Fiji, nnd England ist es welches, durch seinen Ober- nnd zwei Unter-commissäre nnd nnter Mitwirkung seiner Kriegsschiffe, die Ordnung in den Gewäfsern nnd anf den Inseln der Archipele zn wahren sucht. Und hier erlaube ich mir die gewiß von niemandem, der die Znstände kennt, bestrittcne Behauptung ansznsvrechen daß die britische Regierung, mit Einsicht nnd Eifer bedient nnd bedentende Kosten nicht scheuend, diese schwierige Aufgabe nn-ablässig, thatkräftig uud, nnerachtet des unvollständigen Erfolgs, mit immer neuen Anstrengungen zn lösen beflissen ist. Das wichtigste, aber ein nnrnhiges, allzn rühriges und zu Uebergriffen geneigtes, Element liefern die anstralischen Eolonien. Immer nnter dem Dränge der Nothwendigkeit sich Arbeitskräfte zn verschaffen, hat die qneensländische Regiernng vor Zwei Jahren, anf eigene Fanst, Neuguinea aunectirt. Als die englifche Regierung, ans triftigen Gründen, diefen Aet für nichtig erklärte, geriethen die Colonien in gewattige Anfregnng. Eine 294 Fünfter Thcil. Occanicu. Annectirungspolitik wurde uud wird uoch heute mit Ungestüm verlangt. Das Stille Weltmeer, wenigstens der westliche Theil, soll ein anstralischcr See werden. Die, seither, fallen gelassene Absicht der französischen Regierung ihre Strafeolonic anf Neu-caledonieu zu erweitern wnrde als Grund dieser ehrgeizigen Bestrebungen angegeben; in Wahrheit lieferte sie nur den Vorwand. Die dentschen Interessen sind hauptsächlich durch drei Hamburger Häuser vertreten, deren zwei bereits besprochen wurden. Ihre Haudelsbeziehuugeu mnfasseu die Samoa-, Tonga-, Gilbert-, Marschallgrupften, die Caroliueu und beinahe sämmtliche melanesische Inseln. Auf Uvolu und Savai (Samoa) uud eiuigen audern Inselu habeu sie große Pflauzungen gcgrüudet. Sie allein unterhalten directen Schiffsverkehr mit Europa (Hamburg) mittels großer Schncllsegler welche von ihnen gemiethet werden oder ihr Eigeuthum sind uud nuter deutscher Flagge fahren. Sie beschäftigen mehr als 200 Traders, meistens Dentsche. Aber die eingeführten Waaren sind überwiegend cuglischcu, australischen oder amerikanischen Ursprungs. Die in mehrern Gruppen überwiegende Vedeutuug der deutscheu Häuser ist allgemein aner-tauut und durch die dem englischen Parlamente vorgelegten Schriftstücke bestätigt. In den Vereinigten Staaten hat sich die öffentliche Meinung, seit langer Zeit, von Unternehmungen im Auslande abgewandt. Aenßerst eifersüchtig auf jede fremde Eiumischnng in die Angelegenheiten des amerikanischen Continents, ist die Re-pnblik fernen Expeditionen sowie jeder Action abgeneigt, welche auf die Entwickelung der Hülfsquelleu ihres ungehenern Territoriums nachtheilig wirken könnte, denn in dieser Entwickelung erkeunt sie die Haufttquelle ihres Reichthums und ihrer Macht. Daher kommt es auch daß die nordamerikauische Flagge in der Südsee immer seltener wird. Selbst die amerikanischen Walsischfänger fangen an ihre Schiffe zu verkaufen weil das Product ihrer Jagd die neuerliche Eonmrreuz mit deu Mineralölen nicht, zu bestehen vermag. 1^3,1) nur ti'llcio. ^95 Frankreich Zählt, hier, in feiner Eigenschaft einer Seemacht ersten Ranges. Aber seine Besitzung in der Westlichen Südsee, Neucaledonien, ist eine Strafcolonie. Frankreich ist vertreten dnrch Missionare, Offiziere, Seeleute, Beamte nnd Tcportirte, aber durch keine Kolonisten. Die in ihrem Besitz befindlichen oder von ihr protectirteu Inselgruppen im Ost-Pacifie sind bc-denteuder, und die französische Flagge zeigt sich in allen Gewässern des Stillen Weltmeers. Umfaßt mau mit Einem Vlick die von mir geschilderten Zn-stände, so erkennt man sofort daß das Bedürfniß nach Armen der Kernpunkt dessen ist was man, in kurzem, die „pacifische Frage" nennen wird. Ja wohl, Arme! Man kann sie nicht entbehren, und da man in den Mitteln nicht wählerisch ist nimmt mau die Arme wo man sie findet, so sehr, daß man bald keine mehr finden wird. Nicht die Inseln verlangt man sondern die Insulaner. Die Sterblichkeit nuter den farbigen Arbeitern iu Queensland ist fabelhaft. Ich enthalte mich hier die nur genannten Ziffern zn geben weil ich glauben will daß sie übertrieben sind. Thatsache ist aber daß es immer schwieriger wird sich Menschen zn verschaffen; daß die Ncuhebrideu, iufolge des beständigen Aderlasses, fast keine mehr liefern; daß die Salomoninseln sich entvölkern; daß überall, mit wenigen Ausnahmen, die Einwohnerzahl sichtlich abnimmt. Und deuuoch haben sich, in mehrcrn Archipelen, die Znstände gebessert. Seit der Ankunft der Missionare nnd dem häufigeren Erscheinen englischer Kreuzer, haben sich die Titten gemildert, verringern oder verkürzen sich die Kriege zwi-scheu den Stämmeu. Auf den Fiji und anf andern Inseln ist der Kannibalismus verschwuudeu; aber die Zahl der Einwohner uimmt, nichtsdestoweniger, fortwährend ab. Eine der Hanptursachen dieser Erscheinung ist ohne allen Zweifel, jedermann gibt dies Zn, die Anwerbung der Arbeiter, der ladoui- traäo. Die jungen Leute gehen fort und kehren nicht wieder oder doch nur in sehr geringer Zahl. Man tödtet die Henne mit dem goldenen Ei. 296 Fünfter Theil. Oceanian. Ich sehe hier ganz ab von der philanthropischen Seite dcr Frage oder, wie ich lieber sagen mochte, von den Rücksichten der christlichen Liebe, welche doch auch in Betracht kommen, nnd welche, niemand kann das bestreitcn, ans die Intervention der englischen Regierung einen wesentlichen Einflnß üben. Ich stelle mich hier ausschließend anf den Standpunkt der materiellen Interessen EnropaZ und Australiens, soweit sie sich anf diesen Theil Oceaniens beziehen. Diese Interessen sind sehr bedentcnd. Man treibt hier Handel nnd man bebaut das Land. Die Bodencultur befindet sich noch im Stadium der Experimente. Die deutschen Häuser, welche sehr große Ländereien erwarben, ziehen ans ihnen noch keinen Gewinn. Die kleinen englischen nnd australischen Farmer klagen daß sie nicht aufkommen können. Einige Großgrundbesitzer gedeihen. „Neue Reiche" habe ich aber iu Oeeanien nirgends begegnet. Wie dem sei, so viel ist gewiß, die Schwierigkeit Arme Zu finden wächst von Jahr Zu Jahr. Die deutschen Häuser klagen über englische und australische Concnrrenz auf dem Gebiete des labour trndk, und mngekehrt. Thatsache ist daß, wenn der farbige Arbeiter fehlen sollte die Pflanznngen anfgegeben werden müßten.* An der Stelle dcr Insulaner würde man Zu den Chinesen Znflncht nehmen müssen. Aber der Chinese kostet mehr nnd verdrängt in der Regel den Weißen. Tansend Belege, ans verschiedenen Theilen der Erde, ließen sich anführen. Die Erhaltung der melanesischen Rasse ist also für den weißen Pflanzer in Oceamen eine Frage um Sein nnd Nichtsein. In Beziehung anf den Handel ist es klar daß die Zeiten wo 700, 500, 1000 Procente vom kapital gemacht wnrden sehr bald der Vergangenheit angehören werden. Die Insulaner lernen mit jedem Tage die ihnen gebotenen Artikel nach ihrem * Tie deutschen Häuser sinnen mich bereits auf Errichtung eigener Arbeitercolonien. wahren Werthe schätzen. Was sie vor allem suchen sind Waffen. Was sie dafür bieten sind Menschen. Eine doppelte Art sich zu vernichten. Aber die Vernichtung der Schwarzen ist der Nnin der Weißen. Es scheint nur daß man sich in einem fehlerhaften Kreise bewegt aus welchem es nnr einen Ausweg gibt: Schutz dem Farbigen gegen den Weißen nnd gegen sich selbst. England hat den Versnch gemacht aber nur unvollständige Erfolge erzielt. Die mehrmals citirte Commission bestätigt die Unzulänglichkeit der von dem Oräsi- in council angeordneten Maßregeln. Warum siud sie unzulänglich? Weil, iu Gemäßheit des Völkerrechts, die Action des britischen Obereommissärs nnd seiner Organe sich auf weiße nud schwarze Unterthanen Euglcmds be-schränkeu muß und weil sie nicht auf andere Staatsangehörige, und auf nichtbritische Eingeborene nur in den sogenannten Kriegsfällen, ansgedehnt werden kann. An dieser Beschränkung scheiterten die Vestrebnngen der englischen Regierung. Ich habe bereits meine Zweifel an der Wirksamkeit der von der Commission beantragten Verbesserungen ansgesftrochcn. Das einzige wirksame Heilsmittel sehe ich in einer internationalen Uebcreinknnft deren Bestimmungen anf alle in den paeifischen Inseln nnd Gewässern lebenden oder reisenden Menschen anwendbar wären. Eine solche, von allen europäischen nud amerikanischen Staaten anerkannte, Uebereinkunft wäre von den Mächten zu fchließcu welche an der Erhaltung der Ruhe im Stillen Weltmeer und an dem Wohlsein der Eingeborenen am meisten interessirt sind. Ihnen liegt, folgerichtig, ob die genane Befolgung der Bestimmungen dieses Vertrages zn erzwingen. Diese Mächte sind, in der Reihenfolge der Bedeutsamkeit ihrer Interessen angeführt, das Britische Reich, Deutschland, die Vereinigten Staaten nnd Frankreich.* ^ Ich brauche tamn zu bemerken daß als ich dies Tagebuch schrieb, Deutschland seine neue Colonialpotitik uoch nicht iuaugurirt hatte. Tic scit« 298 Fünfter Thcil. Oceanian. Tic Aera der Entdeckungen naht ihrem Schlüsse. Allenthalben, ans dem weiten Erdmruude, sinken die Nebel des Unbekannten uud der Eutfernuug. Auch die Siidsee, einst nnr selten voic kühuen Seefahrern besucht, erschließt sich hente dem Uuteruehmnugsgeiste nnd der Thätigkeit aller Nationen. Es ist Zeit ihr ihren Antheil zn gewähren au den Rechten nnd Pflichten der gesitteten Welt. In der Geschichte der oceanischen Inselu, welche noch zu schreiben ist, werden die Missionare eiue hcrvorrageude Stelle einnehmen. Die ersten welche hier erschienen waren Wesleyauer oder Methodisten. An die Constitutions ihrer Kirche gebunden, welche weder ein Centrum, noch ciu Haupt, uoch eiue Hierarchie kennt, stehen die Missionare der vou Wesley gegrüudeteu Sekte, bis zu einem gewissen Grade, nnter dem Einflüsse der ^Veslvmi ^I6tlmäi8t Locistv iu Sydney deren Thätigkeit sich über Neu-feelaud, Fiji, Notuma, die Touga- uud eineu Thcil der Samoa-Inseln, Neubritannien uud Neuirlaud erstreckt. Sie liefert die nöthigen Fonds, unterzieht die Missionare ihrer Veaufsichtiguug uud erhält vou dicseu regelmäßige Berichte welche sie, für den Gebranch der Mitglieder der Gesellschaft, veröffentlicht.^ Auf den Fiji gibt es uur katholische uud wesleyamsche Missionare. Dasselbe ist nicht der Fall in den andern Archipelen wo das Apostolat vou Organeu der vcrschiedeueu protestautischcn her zwischen den Laliinctcn von Verlin und London gepflogenen Unterhandlungen bewegen sich in der bezeichneten Richtung. * Außer der ^n8ti-lüikn ^Voslvan Netiloäizt Aooist^ in Sydney, besteht in London, für Europa, Indien und China, die ^V68iv«,n ^li^^iau societv, und die )Ietkn>t I^iizc-upÄi )Ii88iniiÄi'ic:8 8o«ie,>t^ in den Vereinigten Ttlllltcn wo die Weslcyancr, der Zahl nach, unter den verschiedenen christlichen Religiousgcnosscnschaftcn den ersten Platz einnehmen. Tic Missionare. 299 Confessionm, besonders von Congregationalisten nnd Presbyte-rianern ausgeübt wird. Anf der Norfolkinsel leitet der anglikanische Bischof von Melanesien eine wichtige Anstalt welche sich über verschiedene melanesische Inseln verzweigt. Auf meinen Reisen in von Heiden bewohnten Länder,: hörte ich oft Zweifel änßern, uud zwar von protestantischen Residenten, über die Ersprießlichkeit der Wirksamkeit ihrer eigenen Missionare. „Haben sie", fragt man sich, „wirklich die Keime der Civilisation nnd des christlichen Glanbeus gesäet? Werden sie diese Wilden jemals Zu wirklichen Christen machen?" Hierüber sind die Ansichten getheilt, aber die, Mehrzahl antwortet anf diese Fragen verneinend. Anch die katholischen Geistlichen, mit gewissen Vorbehalten anf welche ich znrückkomme, geben zn daß der Erfolg ihrer Thätigkeit immer mehr oder weniger nngewiß ist. Beide Theile, die Organe der katholischen Kirche, und die Schüler Wesley's, haben dasselbe Ziel vor Augen; aber sie suchen es auf verschiedeuen, mau möchte sagen, auf entgegengesetzten Wegen zu erreicheu. Der protestantische Missionar lehrt den Wilden die Vorschriften nnd Glaubenssätze der christlichen Religion, stellt ihn nnter die Aufsicht eines einheimischen Lehrers nnd läßt ihn in irgendeinem Handwerk unterrichten. Letzteres soll ihm die Mittel verschasfen die, ihm nenen erlanbten Bedürfnisse, welche er als civilisirter Mensch fühlen wird, Zu befriedigen. Der katholische Missionar wirkt vor allem anf das Herz und den Willen seines Neovhyten. Er sucht den Heiden vor allein in den Schos der Kirche einznfnhren und dann erst in den Schos der Civilisation. Zn diesem Ende isolirt er die Schafe seiner Heerde soviel er kann. Er betrachtet die Verüh-rnng mit den Heiden und mit den Weißen als eine Gefahr welcher er seine Nenbekehrten nicht auszusetzen wagt, bevor sie nicht gegen dieselbe gerüstet sind. Diese Waffen sind: die zur Ueberzeugung gewordenen Glanbenssätze und die zur Gewohnheit gewordene Ausübung der Vorschriften der christlichen Re- 390 Fünfter Theil. Occauicn. ligion. Hierin liegt, wenn ich nicht irre, der Hanptnnterschied zwischen den beiden Methoden. Die katholischen Missionare sind nicht der Ansicht daß die allmähliche Verfeinerung der Sitten, die fortschreitende Bildnng des Geistes, die Arbeit nnd die ihr zn verdankenden crlanbten Genüsse, daß der beständige Verkehr mit dem civilisirten Menschen den Neophyten nothwcndigerweise zum Glauben führen müsse; sie sind vielmehr überzeugt daß, nm den Wilden der Barbarei zu entreißen, man vor allem seinen Aberglauben zerstören nnd die Keime der neuen Lehrsätze der christlichen Religion in seine Brust pflanzen müsse. Das beste Mittel hierzn sei die Gründnng von christlichen Gemeinden, von cin^tient^z wie sie in China heißen, von recwccioues wie die alten Spanier sie in Südamerika nannten. In diese Gemeinden seien die Zöglinge einzuführen wenn sie die Missionsschule verlassen. Erstere müssen jedem Eindringlinge, sei er ein Weißer oder ein Farbiger, verschlossen sein. Die Millionen christlicher Indier in den beiden Amerika, die Hunderttausende in: südlichen Indien welche, obgleich Indier bleibend, wahre Christen nnd insofern wahre Civilisirte geworden sind und durch drei Jahrhunderte blieben, verdanken diese Wohlthat der eben bezeichneten Methode. „Damit die christliche Moral in das Blut dringe", sagen die Patres, „bedarf es mehrerer Generationen. Das Samcnkörnchen welches zn keimen beginnt mnß gegen Unkraut nnd ranhe Witterung geschützt werden." In den großen protestantischen Instituten, wie zu Lcwedale (Capcolonie) und in der trefflichen Anstalt auf der Norfoltinsel, welche der anglikanische Bischof von Melanesien leitet, werden die Zöglinge vor dem Verkehr mit anßen sorgfältig bewahrt. Aber nach Vollendnng ihrer Erziehung kehren sie in die Heimat nnd in ihre Familie znrück. Die Folge davon ist eine große Zahl von Abfällen. Innge Lente, welche in der Schnle zu den besten Erwartungen berechtigten, werden alsbald abermals zn Barbaren, nnd man hat bemerkt daß diese Recidivisten immer Tie Missionare. Z91 unter das Niveau der Wilden sinken an welchen das Experiment der Eivilisirnng nicht vorgenommen wurde. Ich könnte zahlreiche Beispiele anführen. Folgende von Kapitän Moor>' erzählte, idyllische Dorfgeschichte möge genügen: „Einige junge Leute, welche in der melanesischen Mission anf Norfolk-Island eine vortreffliche Erziehung erhalten hatten, begingen, kaum nach Hanse zurückgekehrt, die schauerlichsten Grausamkeiten. Znm Beispiel, der Sohn des anf der Ostküste von San-Cristoval lebenden Hänptlings war während zehn Iahreit Zögling anf der Norfolkinfel. Er hatte dort lesen und schreiben gelernt, malte in Wasserfarben (!) nnd spielte etwas Klavier s? !), aber das erste was er bei der Heimkehr that, war die Kleider abzn-legen. Da er bisher noch niemand umgebracht hatte galt er in seiner Gegend für «ein altes Weib» und sah sich also genöthigt eine Gelegenheit zn snchen welche ihm gestattete seinen Muth zu zeigen. Sie ließ nicht auf fich warten. Die Mutter oder Großmntter eines Frcnndes, des Häuptlings von Hiara Namens Bo, starb. Es mnßte ein Ersatz gesucht werden. Zu diesem Ende wnrde das Dorf Kahua angegriffen und eine große Zahl der Bewohner getödtet. Eine Fran fnchte sich mit ihrem Kinde zn retten. Sie gab dem jnngen Nahanomai die gewünschte Gelegenheit. «Todte sie nicht», rief ihm fein Vater Zu. «Wir werden sie anf unsern Iamfeloern arbeiten lassen.» Aber der junge Mann warf sie nieder und zerschmetterte ihr den Hirnschädel mit einem Steine. Das Kind tödtete er in derselben Weise. Im nächsten Jahre fraß ihn, glücklicherweise, ein Haifisch, und der Vater sieht sich nun nach einein Ersatz um/' Die katholischen Missionare sind ähnlichen Enttäuschungen ausgesetzt weun es ihnen nicht möglich ist ausschließlich katholische Gemeinden zn bilden. Ein Priester, von der Congregation der Maristen, sagte mir: „Ich kann meine Eingeborenen nicht iso- ^ Bericht an Coinmodore Erskinc, Sydney 7. November 1883, „Muo 302 Fünfter Theil. Occanien, lirm und erreiche daher nur nnvollkonnnene Resultate." Das auffallendste Beispiel der Vortheile der abgeschlossenen Gemein-deu bieten die Inselu Wallis uud Fotuna, wo die sämmtliche Bevölkerung katholisch ist. Beide Inselu liegen in einer einsamen Region der Südsee, einige hnndcrt Meilen von Fiji und Samoa entfernt. Hier hat die Natnr für Absperrung gesorgt. Dies find anch die zwei einzigen Pnnkte in Oceanien wo die Bevölkerung etwas znnimmt. Anch die Gemeinde des Msgre. La-maze in Apia gibt, obgleich weniger vollkommen abgeschlossen gegen anßen, weil fie nnter der direeten und fortwährenden Aufficht des Bischofs uud seiner Priester steht, sehr befriedigende Resultate. Das katholische Apostolat nmfaßt die Fiji, „Central-Oeea-nien" ?. Juli zum 20. August. Die Ucbcrfahrt. — Columbia. — Astoria. — Einc Telegraphistin. — Em Interviewer. — Portland. — Tie Rocky Mountains. — Tie Quellen deK Missouri. — Tcr Mississippi. — Ter Niagara. — Canada. — Tic Städte. — Ter St.-Laurent. — Tie transcontincntale Eisenbahn. — Boston. — Neuyork. — Newport. — Eine unangenehme Viertelstunde. Große, vortreffliche Dampfer unterhalten die Verbindung, zwischen den Hauptstädten von Californien und Oregon. Die Entfernung von San-Franeisco nach Portland beträgt 680 Meilen, und die, wegen der häufigeil Nebel, für gefährlich geltende Ueberfahrt nimmt in der Regel drei Tage in Anfpruch. An Bord des Oregon ist der Reisende wohl aufgehoben. Kapitän Polemann, em Deutscher, ist einer der sieben Ueberlebenden des Schiller. Ait Bord, viele Deutsche — man begegnet deren allenthalben — und eine Abtheilung Vereinstruppen. Die Offiziere, deren mehrere von ihren Frauen begleitet werden, benehmen sich wie vollendete Gentlemen. Die See ist bewegt, der Himmel grau und klar. Nachdem der Steamer die Barre des Goldenen Horns aber passirt, steuert er der Felsküste entlang; später, der Sicherheit halber, entfernt er sich von ihr. In dem Maße als wir gegen Norden vordringen wird die Luft frischer und belebender. Diesen Morgen ein vierstündiger ununterbrochener Spaziergang am Deck ohne die ge- Astoria. 327 ringste Ermüdung. Auf Ceylon, hatten 15> Minuten Bewegung unter den Cocosbäumen meine Kräfte erschöpft. Am dritten Tage vor Tagesanbruch, passirt der Oregon ohne Unfall die gefürchtetc Barre des Columbia. Gegen l> Uhr morgens legt er am Landnngsplatze von Astoria an. Eine Stadt der Holzhauer, aber anziehend in ihrer Weise. Alles ist aus Tannenholz gezimmert: Häuser, Pflaster, Brücken, Gehwege. Ueberall athmet man die Wohlgerüche eines Nadelholzwaldcs. Man könnte sich im Walde glaubeu, und man ist es in der That. Vor uns der majestätische Strom, ein Strom der Zukunft, eine der großen Arterien der Welt. Jenseits schwarze Linien: die amerikanische Pinie, erkenntlich an dem hohen schlanken Wnchse und den kurzen verkrüppelten Armen. Einzeln sieht sie ein wenig wie ein Besenstiel aus. Es ist der überreiche Haarwuchs eines Schuljungen welcher dein Kamme widersteht. In diesem Lande athmet alles die Ingend. Oregon, obgleich vcrhältnißmäßig hoch im Norden gelegen — Portland liegt unter dem 46. Breitengrade —, genießt eines vorzugsweise mildeu Klimas. Es verdankt diesen Vortheil, dessen San-Francisco bcranbt ist, der großen japanischen Strömnng, obgleich diese weniger warm ist als der mcxicanische Golfstrom. Ihre lauen Wasser, welche von jenseit des Stillen Weltmeers kommen, fließen nordwärts, den Küsten von Oregon, Washington und Britisch-Colmnbien eutlaug. Noch in Alaska macht sich ihr wohlthätiger Einfluß geltend. Es regnet hierzulaude sehr viel, daher die Einwohner net lest, Naßfüße, genannt werden. Strenge Kälte ist unbekannt, während im Innern des amerikanischen Continents, wie in Minnesota, Michigan, Wisconsin, sibirische Winter vorkommen. Oregon ist, dermalen, ein ungeheuerer Wald, vorzüglich reich an dem sogenannten i-Sllvood, welches besonders als Ban-Holz geschätzt ist, nnd an der weißen Ceder des Libanon. Es gibt einige Farmer, aber die große Industrie des Landes ist wmderinss, das Fällen des Holzes. Die Wälder sind, dem 328 Sechster Theil. Nordamerika. Anscheine nach, unerschöpflich. Dasselbe gilt von Washington und Britisch-Columbien. Wer in diesen Staaten Land erwerben will erhält gratis 160 Acker gegen die Verpflichtung sie sogleich Zn bearbeiten nnd daselbst ein Wohnhaus oder eine Hütte zu erbauen. Hat er dieser Obliegenheit durch fünf Jahre Genüge geleistet, so erhält er eine ähnliche Schenkung von 160 Ackern zu denselben Bedingungen. Ein nüchterner Mann und guter Arbeiter ist sicher sein Glück Zu machen. Die Indianer sind sehr zahlreich. Sie leben anf den „Reservationen" nnd fangen an Holz zu fällen und ihr Land zu bebauen. Aber uoch sehr viele Rothhäute ziehen das nomadische Leben ihrer Väter vor. Sie treiben sich in der Nähe der Niederlassnngen der Weißen umher nnd sind berüchtigte Viehdiebe. Auf der Ueberfahrt habe ich mit einem Holzhauer Freundschaft geschlossen. Er führte mich in Astoria umher und eröffnete mir sein Herz über die Zustände in diesem entlegenen Erdwinkel. „Der gute Indianer", sagte er mir, „ist der todte. Man kann diese Leute weder als Diener noch als Arbeiter gebrauchen. Glücklicherweise sterben sie aus." Einige Genossen meines nenen Freundes bestätigten diesen Aussprnch. Sie hoffen daß die rothe Rasse bald vollkommen verschwinden wird. Dies ist nicht die Ansicht eines Offiziers der Armee der Vereinigten Staaten der sein Leben in den „Reservationen" zubriugt. „Von den Apache und einigen andern Stämmen des Südens, in Arizona uud Neumexico abgesehen", sagte er mir, „kann man die indianische Frage als gelöst betrachten. Einige kleine Schild-erhebuugeu mögen noch vorkommen, aber.in Masse werden die Indianer den Kriegspfad nie wieder betreten. Sie kennen jetzt nnsere Ueberlegenheit. Solange die Regierung ihnen zu essen gibt, oder", wie er sich ausdrückte, „ihnen den Banch füllt, werden sie sich rnhig verhalten. Sie sterben an Abzehrnng, aber sie haben viele Kinder, und die Zeit ihres gänzlichen Vcrschwinoens ist vielleicht ferner als man glanbt." Ich sagte meinen Holzhauern daß wenn sie in der bisherigen Ankunft in Portland. 329 Weise fortführen die Wälder auszurotten so würden bald keine Bäume mehr zu fällen sein, und die Holzhauer würden verschwinden wie die Wilden. Darauf entgegnen sie, die Wälder seien unerschöpflich. „Während wir und unsere Kinder nnd Kindeskinder die Bäume niederhauen, jetzt im Oregon, später im Territorinm von Washington und endlich iu Britisch-Columbia, werden in unserm Rücken neue Wälder entstanden sein." Von niedern bewaldeten Hügeln gesämnt, scheint der Columbia an seiner Mündung breiter als er ist. Die Landschaft hat den Charakter einer sanften, großartigen Monotonie: ein dunkelgrüner Vorhang von Pinien, eine gelbliche Wasserfläche, darüber, iu diesem Augenblicke, ein blaßblauer Himmel. Gleichfalls blasse Lichter und Schatten, die ich mir nicht wohl erklären kann, spiegeln sich abwechselnd in der weiten Wasserfläche welche kein Kahn belebt. Nirgends eine Spur menschlicher Behausung. Nur, in großen Zwischenränmen, hölzerne Landungsplätze für die Verschiffung des geschlagenen Holzes. Weiter oben werden die Ufer niederer, aber der Wald währt fort. Ueber den Baumwipfeln steigen, in bedeutender Entfernung, jetzt im vollen Sonnenscheine glänzend, schneebedeckte Aschenkegel in die Luft empor. Es sind die Riesen des Nordens, Mount Helena, Mount Adams nnd, der höchste von ihnen, Mount Hood.* Nach sechsstündiger Fahrt lenkt unser Steamer in den Williamette ein, einen Nebenfluß des Oregon, und erreicht bald darauf deu Hafeu von Portland, der Hauptstadt von Oregon. Je mehr man mit Amerikanern verkehrt je mehr fühlt man wie sehr sich der Entwickelungsgang ihrer geistigen Bildung von dem nnserigen unterscheidet. Sie beginnen im Leben mit der Praxis und gehen dann auf die Theorie über. Wir befolgen * 90,00, 11000 und 13000 Fuß hoch. 330 Sechster Theil. Nordamerika. die entgegengesetzte Methode, Die Schule bereitet uns auf das Leben vor. Hier ist das Leben die Schule. Ich will damit nicht sagen daß die Kinder keinen guten Unterricht erhalten. Im Gegentheil, nirgends thut der Staat mehr für die öffentliche Erziehung. Aber die eigentliche, die hohe Schule der iuugeu Amerikaner ist Praxis uud Erfahrung. In San-Francisco trete ich iu ein Telegrapheubureau. Ein zierlich gekleidetes Dämchen nimmt mir meine Depesche ab, liest sie uud sagt: „Wien? Wien? Wo ist dieser Ort?" Obgleich, iu meiner Eigeuschaft als Wiener, tief beschämt uud iu das Herz getroffcu, bemeistere ich mciue Eutrüstung, uud antworte daß es die Hauptstadt vou Oesterreich ist. „Oesterreich?" sagt sie, „wo ist Oesterreich?" Teuuoch scheiut diese Demoiselle, deren geographische Keuntnisse ich mir schmeichle erweitert zu haben, ihren Posten ganz gut auszufüllen. Iedeufalls traf meiu Telegramm an dem ihr uubekauuten Orte au. Iu Europa beginnen die Candidate:: für solche Anstellungen mit dem Studium der Geographie, dann erst wird ihnen der Telegraph anvcrtrant. Hier ist das Umgekehrte der Fall, nnd Amerika befindet sich dabei wohl. Ein anderes Beispiel. In einer großen Stadt, dringt eiu junger Mcmn, unangemeldet, in meiu Zimmer. Er sagt mir er sei Journalist, wolle mich „interview" uud werde mir uur wenige Frageu stellen. Hier folgen, wörtlich, einige dieser Fragen: „Welche Nachfolgegesetzc besteheu iu Braunschweig? Seit waun gehört Vrauuschweig zum deutschen Königreich? Welche Beziehungen unterhalten die deutschen Fürsten untereinauder? Welche Acuderungeu sind seit der Bilduug des ueueu Reiches eiuge-treteu? Gcbeu Sie mir auch geuaue Auskunft über deu Papst, seine guten Eigenschafteu uud seine Schwächen, uud über alle Cardinäle und audere Mitglieder des «Couciliums». Was denken Sie von Napoleon III.? Wie hätte er, Ihrer Ansicht nach, Frankreich regiereu solleu, uud welche Fehler habeu seine Generale im deutschen Kriege begangen. Erzählen Sie mir Interviews. 331 auch kleine Anekdoten nnd geheime Vorkommnisse ans seinein Leben, nnd was sonst aller Art in den Tnilerien vorging. Unsere Abonnenten lieben diese Gattnng von Lektüre." Stnmm vor Erstannen, hatte ich ihn reden lassen. Nachdem ich den Gebranch der Sprache wiedergefnnden hatte, antwortete ich: „Sie setzen mich in Verwunderung, weniger dnrch Ihren Mangel an Discretion als dnrch das Uebermaß Ihrer Unwissenheit über Gegenstände welche Sie jeden Tag in Ihren: Blatte besprechen. Haben Sie denn niemals irgendein Buch gelesen, gar nichts studirt?" — „Nein, Sir", antwortete er, ohne die geringste Verstimmung über meine etwas unsanfte Apostrophe an den Tag zn legen, „nein; wenigstens nicht genug. Wie sollte ich lesen, da ich den ganzen Tag schreiben mnß? Wir Journalisten schöpfen was wir wissen wollen nicht ans Büchern soudern ans den mündlichen Mittheilungen derer welche im Stande sind uus zn belehren." Es ist, in andern Worten dasselbe, was mir, vor Zwei Jahren, ein talentvoller junger Journalist iu einer großen südamerikanischen Stadt gesagt hat. „Haben Sie auf der hiesigen Universität studirt?" fragte ich diesen Cavallero. — „Nein, Senor, die Universität wird nur von künftigen Advocate« besncht. Für uns andere verlohnte es sich uicht der Mühe. Wir leben in einem neuen Lande. Wir müssen die Menschen imftrovisiren. Wir treten sehr früh in das öffentliche Leben. Der Redactenr nnsers Journals ist 28 Jahre alt. Er ist der älteste von nns. Ich zähle 24 Jahre. Die übrigen Mitarbeiter sind jünger. Als Journalisten müssen wir von allem etwas wissen, denn unsere Aufgabe ist über alle und alles ein Urtheil abzugeben, loäo v ^oäoZ. Sie begreifen daß wir keine Zeit für die Universität haben." Portland, eine Stadt vou 35000 Eiuwohnern, ist, in der pacifischen Region, die Metropole des Nordwestens und der 332 Sechster Theil. Nordamerika Mittelpunkt eitles bedeutenden Handels. Ein polnischer Jude aus Königsberg in Preußen, der hier seit 25) Jahren, also solange die Stadt besteht, ein kleines Waarengeschäft betreibt, eröffnet mir sein Herz. „Die großen Kaufleute", sagt er, „lassen die kleinen nicht aufkommen. Und dann erst die Chinesen? Ach, diese furchtbaren Chinesen? Man kann gegen sie thun was man wolle, sie machen immer gute Geschäfte. Sie siud uns überlegen." Die Söhne des Himmels, hier weniger verfolgt als in Cali-fornien, bilden einen bedeutenden Bestandtheil der Bevölkerung. Sie bauen ihre Hänscr selbst, meist aus Ziegeln, und obgleich, die „Zweite Avennc" ihnen als Wohnsitz angewiesen ist, finden sich ihre Häuser in allen Stadtvierteln zerstrent. Sie besitzen sehr schöne Waarenniederlagen und sind stolz auf ihre, wie man sagt, große uud prachtvolle Pagode. In einer ihrer Antiken sieht mau alle Arten von Erzengnissen des chinesischen Gewerb-fleißes. In der chinesischen Apotheke werden nnr gegen Vorzeigung der Recepte eines chinesischen Doetors Arzneien verabfolgt. Die Gassen sind geradlinig und sehr belebt. Einige enden im Walde. Vom Balkon meines vortrefflichen Hotels, Edmond-House, kann ich die weiße Pyramide des Mount Hood bewundern. Am nächsten Tage, um die Mittagsstunde, Abreise auf der Nordpacifischen Eisenbahn, welche erst im vorigen Jahre dem Verkehr eröffnet wnrde. Der Eigenthümer, einer der großen Eisenbahnkönige, ging mit seiner Gesellschaft darüber zu Grunde, aber sein Werk besteht. Die beiden Ausgangspmikte sind Portland (Oregon) und St.-Paul (Minnesota). Entfernnng 191 l. Meilen. .. Ich fröhne dem Luxus eines statL-room. Es ist die schöne geräumige Cabiue an Bord eines großen Steamers, mit dem Der Columbia. II3 Unterschiede daß es hier weder Rollen noch Stampfen gibt, und beinahe kein fühlbares Schütteln. Mehrere kritische Augenblicke ausgenommen, gleiten die Waggons auf den Schienen wie ein Schlitten am Schnee dahin. Langweilt mich die Einsamkeit in meiner Zelle, so mache ich einen Sftazicrgang von Waggon zu Waggon und studire die, meist uninteressanten, Physiognomien der Reisegefährten. Nicht ein Rowdie im Train, keine jener bis Zu den Zähnen bewaffneten Schnapphähne deren, einst, häusiger Anblick mir anf meinen frühern Reisen im „fernen Westen" so oft die Gänsehaut gab. Diesmal anch nicht die geringste Gemüthsbewegung. Wie ganz anders war das vor 13 Jahren! Anch die Neue Welt wird prosaisch. Die in den Speisewaggons verabreichten Mahlzeiten sind vortrefflich. Die Ears, in welchen gekocht nnd gegessen wird, werden morgens angehängt und abends eingestellt. Eine ökonomische und Praktische Einrichtung, nur darf während der Nacht kein Uufall nnd, als Folge, kein längerer Aufenthalt eintreten; in diesem Falle entstünde HungerZnoth. Aber wenn man bedenkt daß diese Linie, fast fortwährend, gänzlich unbebaute, menschenleere, nur von Nothhäuten besuchte Einöden durchzieht, muß man zugeben daß das Mögliche geleistet wird. Wir haben die lachenden Ufer des Williamctte mit den ernsteren des Columbia vertauscht. Letztere wurden, in den Zeitungen der Gesellschaft, in allen Tonarten besungen. Aber, abgesehen von diesen Uebertreibungen, ist die Landschaft welche an beiden Seiten des Zuges vorüberfliegt wirklich schön. Allenthalben rauscheu kleine Cascadcu über kleine Fclsblöcke nieder. Man würde sie reizend finden, hätte man nicht, nach jenen Beschreibungen bezahlter Federn, die Fälle des Niagara erwartet. Aber der Strom selbst ist prachtvoll. Zu seinem Lobe kann man nicht zu viel sageu. Nadclförmige Säulchen von Vasalt, an der Spitze mit einer oder zwei Pinien geschmückt, brechen die Einförmigkeit der niedern, flachhügcligen, bewaldeten Ufer. Uebrigens-läßt, auf dieser Strecke, der Ban der Bahn keine Langeweile 33-4 Sechster Theil. Nordamerika. aufkommen. Wie in einem Boote auf hoher Sec geschaukelt, fährt man fortwährend über Brücken welche die Zuflüffe des Stromes überspannen, oder anf provisorischen, oft meilenlangen, Hulzdämmen, ti-Lsti^vorlc genannt. So gewohnt ich bin an die Verwegenheit der Ingenieure in den verschiedenen neuen Welten die ich durchreist, fühle ich doch, hente nnd gestern, daß sich znweilen meine Haare sträuben. Das Angstgeschrei welches in solchen Augenblicken in nieine Cabine dringt, läßt mich die Empfindungen der Ladies in dem anstoßenden Compar-timent errathen. Allmählich ändert sich der Charakter der Landschaft. Wenn die untergehende Souuc sie mit ihreu magische« Tiuten verklärt, eriuuert sie an die Hintergründe der vorrafaelischen Meister. Nur die heilige Familie fehlt. Die nächsten Tage fahren wir dnrch Wald und Steppe, Steppe und Wald. Diese stillen Einöden dnrchzieht der Train ohne besondere Eile aber ohne mehr als nothwendig anzuhalten. Prachtvolle Flüsse, welche jetzt ihr Bett in den Sand und Felsen graben, jetzt sich durch deu Urwald Bahn brechen, stürzen uus brausend entgegen. In großen Zwischeuräumen wird die Hütte eines Köhlers sichtbar, oder eine vereinzelte Sägemühle oder eiuc Gruppe vou Wigwams vor welchen Indianerweiber in Lumpeu mit ihren nackten Kindern kauern. Dann wieder voll-kommeue Einsamkeit, ^eine Spnr eines menschlichen Wesens. Wir haben den weiten See der Pend d'Oreilles auf einer Schieuenbrücke überschritten, die ersten Staffeln der Rocky Mountains erstiegen uud, in einer bitterkalten Nacht, das Hochplateau des amerikanischen Rückgrates erreicht. Die aufgehende Sonne begrüßt uns als wir eben den großen Tunnel von Mullan verlassen. Hier ist die Wasserscheide zwischen deu beiden Weltmeeren. Der Zug hält bei Helena, Helena vou Troja; so taufteu die Mineuarbeiter die Hauptstadt von Montana. In dieser goldreichen Zone gibt es viele Deutsche uud daher auch Gesang- nnd Turnvereine. Tie Quellen des Missouri. IZ5 Man sieht nur wenige Bäume und, am westlichen Rande der Ebene, niedere schneebedeckte Hügelznge. Aber diese niedern Hügel sind, in der That, die höchsten Firnen dieses Theiles der Rocky Mountains. Wir haben nämlich das Rückgrat des Continents überschritten ohne es zn bemerken. Nichts erinnert an die Alpennatur außer die eisige Luft. Um 9 Uhr erreichen wir die Ufer des Missonri, der hier noch ein Kind ist. Vei der Station Gallatin kommen wir an seiner Wiege vorüber. Ein Wirrsal von niedern Hügeln und nackten Felskegeln bezeichnet seine Quellen oder vielmehr den Zusammenfluß des Gallatin, Madison und Jefferson, welche hier die zweitgrößte Arterie Nordamerikas bilden. Bald daranf dringt die Bahn in das Thal des Jellowstone-River. Wir folgen ihm die ganze Nacht hindurch. Selbst dem prachtvollen Mondschein gelingt es nicht der einförmigen Landschaft einigen Reiz zu verleihen. Der Morgen findet uns in einem gänzlich flachen uud, einige magere Baumwollbämne abgerechnet, vegetationslosen Lande. Der Jellowstone ist verschwunden. Der Zug durchläuft die Prairien von Dakota, setzt über den „Kleinen" Missouri, eilt au mehrern Städten vorüber, welche, alle vom Jahre 1882 herrührend, aus einigen Holz- oder Leinwandhütten bestehen, nnd hält endlich in der Station von Man-dan, nach Helena, die bedeutendste Stadt an der Nordvacific-bahn. Wir sind hier im Lande der Sionx angelangt nnd man führt nns in einen Kaufladen wo Kunstproducte diefer Wilden feilgeboten werden. Mit einem male befinden wir nns abermals an den Ufern des Missouri. Als Kind hatten wir ihn vor kaum wenigen Stunden verlassen, jetzt, nachdem er mittlerweile einen großen Bogen beschrieben, finden wir ihn als erwachsenen Jüngling 336 Sechster Theil. Nordamerika. wieder, oder, Metaphern beiseite lassend, er ist hier schiffbar geworden für Fahrzeuge von einigen hnndcrt Tonnen. Am nächsten Tage, geht dic Tonne für uns mitten in Minnesota auf, d. h. in der größten Kornkammer der Welt. Bald darauf erreicht der Zug den Mississippi. Nach allen Richtungen streift das erquickte Auge, so weit es reicht, über bebaute Felder. Allenthalben Törfer und Märkte; Gärten, Häuser und Kirchthurmspitzen! Fast 2000 Meilen Einöde liegen hinter uns. So wären wir denn, gottlob, wieder in den Schos der civili-sirten Welt zurückgekehrt. Um 12V2 Uhr mittags, gerade vier Tage und vier Nächte nachdem wir Portland verlassen, länft der Zng in der Station St.-Paul ein, dem östlichen Terminus der Nordpacifischen Bahn. Diese lange Strecke wird mit großer Bequemlichkeit zurückgelegt, aber, was Abwechselung nnd landschaftliche Schönheit anbelangt, steht die Bahn hinter der „Centralpacific" weit zurück. Ich brach sogleich nach Chicago auf. Wir habeu die neueröffneten nnd wenig bekannten Regionen nunmehr im Rücken. Mit Entzücken begrüße ich abermals den Mississippi. Dies breite Band, oder vielmehr diesen See welcher sich zwischen zwei grünen Linien von einem Horizont zum andern verlängert. Wir passiren am nächsten Morgen dnrch die deutsche Stadt Milwaukee nnd erreichen um Mittag Chicago wo ich mir einen Ruhetag schenke. Die Stadt ist, seit ich sie das letzte mal besuchte, aus ihrer Asche erstauden, schöner nnd reicher als sie vor dein Brande war, ist aber immer vor allem Handelsstadt. Mit wehmüthigem Vergnügen sehe ich den Niagara wieder. Armer Niagara, er ist älter geworden. Sein Bett ist gesunken nnd die „Amerikanischen Fälle" haben dadnrch an Wirkung verloren. Aber die Wassermenge ist dieselbe geblieben, und so auch Canada. ZZ7 ihre Musik, ein großer, wcuu nicht der größte Reiz dieses wundervollen Schauspieles. Folgt ein Spaziergang durch Canada, das friedlichste (wenigstens dein Anscheine nach), das anmnthigste, wenngleich, die Stromschnellcn des St.-Laurent abgerechnet, das wenigst romantische Land welches ich sah. Zuerst quer durch den See Ontario, mit seinen flachen am Horizont kamn sichtbaren Ufern; dann den St.-Lanrent hinab zwischen seineu „tausend Inseln" hindurch. Sie versetzen mich nach den schwedischen Seen mit ihren kleinen Felsen, den kleinen Tannenwäldchen, den kleinen Landhäusern und Sommerfrischen mit grell angestrichenen Holzwänden. Und dann alle die netten Städte Toronto, Montreal, Quebec". Toronto nut seiner englischen Physiognomie; Montreal, die obere Stadt reich an Kirchen und Bäumen, die nntere, welche an das Frankreich Lndwig's XIV. gemahnt; Quebec eudlich, die Stadt der glorreichen Erinnerungen, mit dem militärischen Gepräge, mit seinem ragenden den Strom beherrschenden Schloß. Außer der französischen Physiognomie eines großen Theiles der Bewohner, fällt besonders der Ausdruck der Ruhe, der Sicherheit und der Wohlbehäbigkeit auf, welcher diese Städte kennzeichnet. Geschäfte ja, Thätigkeit ja, aber mit Maß und Ziel! Kein Kirchthurmrennen nm rasch Geld Zu machen! Wie glücklich daß niemand gezwungen ist kopfüber vorwärts Zu stürzen, to go alieml! Wie man den kürzern zöge wenn man amerikanisch würde, wenn die Jankee in das Land kämen! Bleiben wir also was wir sind. So sprach sich jedermann gegen mich aus; frauzösische sowol als englische Canadier. Es ist ein eigennütziger und daher solider „Loyalismus" der aus ihnen spricht. Ich machte während meines kurzen Aufenthaltes in den genannten Städten mehrere angenehme Bekanntschaften. In Quebec v. Hübner. II. 22 338 Sechster Theil. Nordamerika. führte mich ein glücklicher Zufall mit dem auf einem Ausfluge begriffenen Vicekönig Lord Lansdowne zusammen. Gibt cs eiuc beneidcnswertherc Stellnng als die des Vertreters eiuer augebeteten Königiu, in einem Lande wo die Rnhe^ nie oder änßerst selten gestört wird, wo man sich die langen Winternächte durch Schlittenfahrten bei Fackelbeleuchtnng verkürzt, wo Jagd nud Fischfang im Sommer, die „todte Jahreszeit" beleben? Und wie die Canadier ihr Vaterland lieben? Eiu hoher Beamter, französischen Blntes, sagte mir: „Der Golf von Neapel ist schön, aber er läßt sich nicht vergleichen mit unserm St.-Lanrent von der Dnfferin-Terrasse gesehen/' Groß war mein Erstannen. Und doch hatte ich dasselbe in Neuseeland, von Auckland sagen hören, und in New-Sonth-Wales von Sydney. Es ist immer der arme Golf von Neapel der zum Vergleich dieneu mnß und der hierbei immer verliert. Canada, wenigstens seine Oberfläche, macht den Eindruck daß keiue Revolution je dies Land verheert hat. Doch wird mir versichert der Geist der Nenzcit verbreite sich rasch unter der französischen Jugend und bald werde das Frankreich Lnd-wig's XIV. verschwunden sein. In den hohern Klassen bestehen gute Beziehungen aber wenig soeialer Verkehr Zwischen den beiden Nassen. Man ist getrennt durch die Verschiedenheit des Blutes, der Religion, der Sprache und der Sitten, aber man lebt auf freundschaftlichem Fuße nicht mit- aber nebeneinander. Die canadische Pacifübahn wird im Jahre 1^86 eröffnet werden. „Man hatte", sagte mir ein Mitglied des Ministeriums, „bei Unternehmung dieses Riesenwerkes einen dreifachen Zweck im Auge: man wollte den weißen Bevölkerungen des Paeifischen «slojie» und den wenigen im Nordwest zerstreut lebenden Neißcn ihre Zusammengehörigkeit mit uns begreiflich und fühlbar machen. * Seit meinem Besuche wurde diese Ruhe durch die Rebellion des Mestizen Ricl vorübergehend gestört. Canada. IIs) Sie sollen einsehen lernen daß wir, von einem Zum andern Meere, Ein großes Ganzes bilden. Ferner wollen wir die kürzeste Land- nnd Wasserstraße zwischen England nnd China herstellen; denn die von San-Francisco oder Portland nach jenen trans-pacifischen Ländern anslanfenden Schiffe, insbesondere die Segelschiffe, sind gezwungen die günstigen Winde nnd Strömungen im Norden zu suchen. In Zukunft werden die Schiffe ihre Ladungen in unsern Häfen einnehmen. Endlich soll und wird diese Bahn der Einwanderung in Canada einen mächtigen Aufschwung verleih eu." Aber die Zeit drängt, uud ich habe Eile mich in Nenyork nach Europa einzuschiffen. Boston ist eine reizende Stadt. Ich kenne keine sympathischere zwischen dem Rio de la Plata und dem St.-Lament. Sie wird das amerikanische Athen genannt nnd trägt in der That das Gepräge der feinen Sitten nnd der geistigen Cnltur. Nenyork hat sich seit meinen Besuchen in den Jahren 1870 uud 1871 merklich vergrößert. Seine Bevölkerung, damals eine Million, hat nm 20 Procent zngenommen. Aber es ist jetzt die todte Jahreszeit, uud wenn in den Geschäftsviertcln das gewöhnliche Leben herrscht, so bezeugeu in den eleganten Stadttheilen die herabgelassenen Fenstervorhänge die Abwesenheit der Insassen. Die vornehme Welt ist in Newport, die „neuen Reichen" in Saratoga oder in andern Badeorten. Aber nur wenige haben eine Europafahrt gewagt. Kein Europegoing dies Jahr. Die Cholera hält die Tonristen znrück und entvölkert die, in dieser Jahreszeit, gewöhnlich überfüllten Packetboote. Die Neuyork mit Vrooklyu verbindende, kürzlich vollendete, Hängebrücke ist ein wirkliches Weltwunder. Wenn man sie auf der Eisenbahn passirt kann man sich die Gemüthsbeweguug verschaffen, zwischen den Schienen, auf die Mastspitzen der unten 22* 3^0 Sechster Thcil. Nordamerika. durchsegelnden Schiffe hinabzublickeu. Die beiden Pfeiler an welchen die Brücke hängt überragen die höchsten Kirchthürme der Stadt. Der Bau hat 34 Mill. Dollars gekostet. Ist es die Wirkung der änßerst trockenen Lnft anf die Nerven der Einwohner oder die übertriebene Geschäftsthätigkeit welche den Neuyorkeru diesen eigenthümlichen, dem Fremden so auffallenden Anstrich einer fieberhaften Beweglichkeit gibt? Man möchte glauben daß ihnen Ruhe unerträglich sei. Ein Amerikaner sagte mir: „Ein jeder von uns will znerst ankommen. Ihr geht, wir rennen auf den Pfaden des Lebens; daher langen wir auch früher als Ihr au seinem Ende an/' Der österreichische Consul Herr Fritsch bringt mich nach Newport. Gegen Abend begeben wir nns auf einen der großen Steamer welche, im Sommer, Zwischen hier und jenem eleganten Scebade laufeu. Dies Schiff hat 5>M0 Tonnen (!) nud drei Stockwerke. Im Centrum befindet sich eine große von drei Galerien umgebene Halle. Nach letzterer öffnen sich die Cabmen welche ein Ideal des Comforts find. Obgleich das Schiff mit Passagieren überladen ist, herrscht Stille am Bord. Die Amerikaner sprechen immer leise oder mit halblauter Stimme. Man hört auch keiu Commando uud mau sieht weder Offiziere noch Matrofen, derm es übrigens uur wcuige gibt. Der Leviathan dampft, dem Anscheine nach, sich selbst überlassen. Der Abeud ist wundervoll, nud der Hudson mit ähnlichen übcrfillltcn Booten bedeckt. Es ist Sonntag, nnd alle diese „Excnrsionisten" haben ihn benutzt nm auf dein Wasser eine etwas weniger heiße Luft zu athmen als in diesem Backofen Ncuyork. Wir fahreu uuter der brooklyuer Brücke durch. Von unten betrachtet gleicht sie dem Fragment eines ungeheuern Spiunengewebes an welchem die Brücke hängt. Die schwarzen Fliegen welche über nusern Köpfen hin- und hcrkriechen sind Eiscnbahnzüge. Schauderhaft! Um 4 Uhr morgens Ankuuft in Newport. Newport. 341 Ich befinde mich in einer schönen Villa, Stil Qneen Anna, kokett eingerichtet und gut bewohnt. Die Damen des Hauses setzen mich in Erstaunen durch ihre Kenntniß der Menschen und Dinge in Europa. Die Gesellschaft welche man hier trifft besteht ans Personen der großen Welt und des besten Tones. Alle, obgleich gute amerikanische Patrioten, leiden ciu wenig an der Sehnsucht nach Europa. Newport (Staat Rhode-Island), auf der südlicheu Spitze einer Insel gelegen, ist, vergleichsweise, eine alte Stadt. Der Reichthum der großen nenyurkcr Existenzen entfaltet sich längst dem Strande in prachtvollen Häusern, meist im Queen-Anna-Stil, in schönen Gärten, reichen Equipagen und geschmackvollen Livreen. Der große Mann des Tages ist Mr. Bennett, Eigenthümer und Herausgeber des „Xe^v-^ork Heralä". Das Blatt soll jetzt 7—K00000 Dollars eintragen. Heute hat Mr. Beunett die Creme der Gesellschaft von Newport, oder vielmehr von Neu-York, an Bord seiner Jacht, eigentlich einer Fregatte, zum Lunch versammelt. Ich sah viele hübsche Fraueu, viele Toiletten von Worth, nnd einige Elegants welche sich durch die Einfachheit ihrer Manieren und ihr reines Englisch vortheilhaft auszeichnen. Dies darf übrigeus nicht wundernehmen. Die Personen welchen man hier begegnet gehören den höchsten Kreisen an nnd haben die Jankecmaniercn abgeschliffen im Contact mit dem alteu Continent. Aber auch die Leute welche man in den Waggons nnd an öffentlichen Orten begegnet und welche nicht auf Eleganz Anspruch machen, haben sich in den letzten 1'> Jahren zu ihrem Vortheil verändert. Man spuckt nicht mehr, man gefällt sich nicht mehr in nnmöglichen Stellungen, man näselt weniger als vordem. Die Umgestaltung ist besonders in der jüngsten Generation fühlbar. Ich habe heute an Vord gefrühstückt, einem Polo, einem Concert, einem Diner und einer Soiree beigewohnt, und daß 342 Sechster Theil. Nordamerika. ich die Nacht nicht auf einem Balle zubrachte war meine Schuld. Am nächsten Tage Rückkehr nach Neuyork. Znm letzten mal, in Amerika, erhebt sich über mir die Sonne prachtvoll und strahlend, wie ich sie täglich sah seit meiner Landnng in San-Francisco. Die Koffer sind gepackt und Checco im Begriffe sie an Bord des Cnnard-Steamers Bothnia Zu bringen, welcher in zwei Stunden abfahren wird. Im letzten Augenblick bemerkte ich daß mein Notizbuch, in welchem ich meine Einladnngen und geselligen Pflichten verzeichne, auf nner-klärliche Weise verschwunden war, legte aber der Sache keine Ve-dcntung bei. Ich befand mich in der heitersten Stimmung und dankerfüllt gegen die göttliche Vorsehung welche mich, anf dieser weiteir nnn beinahe vollendeten Wandernng so gnädig beschützt hatte. Es bleibt nunmehr die Fahrt dnrch das Atlantische Meer — ) i- k In, otra kauäa — nach dem andern Ufer überzusetzen, wie die Spanier sagten als sie noch ihre Colonien besaßen. Für sie, wie für mich, war dieser Ocean nnr ein Bach. In dieser Stimmung verließ ich das Hotel, nachdem ich früher meine Greenbacks in englische Banknoten umgewechselt, und unternahm einen letzten Spaziergang dnrch die fünfte Avenue. Ich trat aus einer Butike als ein elegant gekleideter Herr, ans einem Wagen springend, anf mich zueilte. „Ich sehe, Baron", sagte er im reinsten Englisch, „daß Sie mich nicht erkennen. Ich hatte die Ehre Ihnen vorgestellt zu werden in Sydney, im verwiche-ncu November, nach einem großen Diner beim Gouverneur Lord Augustus Loftus. Ich bin einer der Bewunderer Ihrer ?r0M6-naäs anwur äu inonäe uud bitte Sie Ihren Namen in mein Exemplar zu schreiben. Dagegen wollen Sie einen Band Gedichte, von Longfellow in welchen er seinen Namen schrieb, als Andenken annehmen." Ich entschuldigte mich wegen Mangels an Eine unangenehme Viertelstunde. 343 Zeit, aber der junge Manu, der wie ein englischer Gentleman aussah und nur gefiel, bestand auf seiner Bitte, sodaß ich am Ende nachgab nnd mit ihm in seinen Wagen stieg nm nach dem Hotel Windsor zurückzukehren wo auch er logirte. Unterwegs entsann er sich daß die Bücher bei einem ganz in der Nähe wohnenden Freunde lägen nnd befahl, nnerachtet meiner Ein-wendnngen, dem Kutscher dahin so rasch als möglich Zu fahren. Es war mir unangenehm weil ich fürchtete mein Boot Zu versäumen, aber kein Verdacht entstand in mir. Hatte ich doch mit dem Gentleman bei Lord Angnstus gespeist. Wahr, daß ich mich seiner nicht entsinnen konnte, aber Achnlichcs widerfährt mir Zuweilen. Ich kenne so viele Menschen, und habe in den letzten 14 Monateu so viele neue Bekanntschaften gemacht! Indeß so ganz nahe wohnte der Freund uicht. Nach einer mehr als raschen Fahrt von etwa zehn Minnten hielt der Wageu vor einem uuausehulichen Hanse, dessen Anblick mich etwas befremdete. Nach einigen mit dem Kntschcr gewechselten Worten, die ich nicht vernehmen konnte, ließ mich mein Begleiter durch die Hausthür ein, schloß sie hinter nns und führte mich, dnrch einen dnnkeln Gang, in ein kleines schmnziges Zimmer im Erdgeschoß. Ein großer Menn saß an einem kleinen Tische, den Rückeu gegen einen Spiegel gekehrt, welcher zwischen den zwei Fenstern hing. Während ich mich ihm näherte sah ich, in eben diesem Spiegel, wie mein Freund ans Sydney die Thür vorsichtig nnd geräuschlos schloß und den Schlüssel in seine Westentasche steckte. Ich begriff nun wo ich mich befand. Das Aeußere des großen Monsieur vor dem Spiegel verrieth seiueu Beruf. Als ich eintrat erhob er sich um zu grüßen. Dabei verzog er seinen breitgeschlitzten Mund bis an die großen herabhängenden Ohren, uud lächelte wie eiu Haifisch. Alles in allem der Typus des Galeerensträflings: eine niedere flache Stirn, der Schädel beinahe kahl geschoren, die Leicheublässe eiucr Galgenphysiognomie erhöht dnrch einen riesigen schwarzen Schnnrrbart. Die Hände eines Gladiatoren, mit schweren Ringen 344 Sechster Theil. Nordamerika. an den langen knochigen Fingern. Dazn der verwahrloste An-Zng eines falschen Elegant. Er sprach mir sogleich von dem Band Gedichte welchen er nicht im Hause habe, der aber sogleich würde gebracht werden. Mittlerweile, ein Stück Wachsleinwand und Karten anf den Tisch werfend, lnd er mich zn einer Partie Monte ein. Ich lehnte ab, artig nnd bestimmt. „So werden wir denn spielen", sagte er sich an seinen Spießgesellen wendend. „Sie haben auch Ihren gestrigen Gewinn hier vergessen." Dabei überreichte er ihm ein Packet Greenbacks anf dessen Umschlag die Ziffer 200 Dollars gedrnckt war. „Oh, entgegnete dieser, ich dachte es wäre nicht so viel gewesen." Und die beiden Strolche begannen ihr Spiel. Dies gab mir Zeit über meine Lage nach-zndenken. Meine erste Bewegung war ein heftiger Anfall von Zorn gegen mich selbst. Wie, sagte ich mir, alle Meere zn dnrchschiffen ohne Unfall, die ungesundesten Länder zn dnrch-reisen ohne einen Schnupfen davonzutragen, nnd jetzt, beim Einlaufen in den Hafen, elendiglich Zn scheitern! Kein Kind läßt sich, in ähnlicher Weise, in die Falle locken. Aber frnchtlose Sclbsworwürfe wareu nicht an der Zeit. Die dringende, augenscheinliche Gefahr, sei sic mm wirklich oder nnr eingebildet, lahmt oder erhöht die Fähigkeiten des Geistes nnd der Seele. Mir schien, ich hätte hundert Augeu nud Ohren. Einige Seennden genügteu mir nm mich Zn orien-tiren. Ich befand mich in der Gewalt zweier Falschspieler, vielleicht zweier Mörder. In Neuyork, wurde mir erst gestern gesagt, ereignet es sich täglich daß Einwanderer, die mit etwas Geld ankommen oder ihre Ersparnisse nach Europa znrückbringen wollen, in üble Hänser gelockt und dort beraubt, uicht selten ermordet werden. Offenbar hat der junge Elegant mein Notiz-bnch gestohlen um mich, mit Hülfe desselben, zn täuschen. Ich bin hier kein Unbekannter. Man kann mich nicht, wie irgendeinen armen Einwanderer znerst plündern nnd dann, ungestraft, auf die Gasse setzen. Und selbst in solchen Fällen todten die Eine unangenehme Viertelstunde. Z45 Strolche, Zuweilen, ihre obscuren Spielopfer um nicht angegeben Hu werden. Offenbar habe ich es mit tüchtigen Kräften zu thun. Diese Glücksritter sind geschickte Leute. Sie haben den Augenblick, nämlich den Augenblick der Abreise wie dies übrigens gewöhnlich geschieht, sehr gut gewählt. Wenn ich in Nenyork nicht mehr gesehen werde, wird mich niemand suchen, da man annehmen muß ich sei in der Bothnia nach Enrofta abgereist. Von diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist meine Lage eine äußerst kritische. Aber Zwei Umstände sprechen zu meinen Gnnsten. Erstens, wissen die beiden Männer nicht ob ich Geld genng bei mir trage damit die Bente das Wagniß einer Mordthat werth sei. Auswanderer haben beim Kommen oder Gehen zuweilen Vaargeld, bei sich, Vcrgnügungsreisende, wie ich, gewöhnlich nur Creditbriefe. Zweitens, wissen sie daß ich in Neuyork bekannt bin und einflußreiche Freunde haben muß. Es kann ihnen auch nicht entgehen daß, wenn meine Abwesenheit vor Abgang des Schisses an Bord bemerkt wird was beinahe gewiß ist, mein Diener Lärm schlagen, der Kapitän den Telegraphen in Bewegnng setzen und die Polizei nach mir forschen wird. Ich gelange zu diesem Schlüsse: wenn ich das Spiel annehme bin ich sicher die Summe Geldes welche ich bei mir habe zu verlieren und mein Boot zu versäumen, denn es bleibt mir kaum mehr die nöthige Zeit mn an Bord zu gehen: aber ich bin nicht gewiß daß mich die Männer, nachdem sie mich beraubt, nicht auch ermordeu werden. Auf der andern Seite, wenn ich das Spiel standhaft verweigere haben sie nnr zwischen zwei Wegen zu wählen: sie müssen mich nnbelästigt abziehen lassen oder, nach vollzogenem Raube, todten. Mein Entschluß ist gefaßt. Ich werde nicht spielen und suchen die Schurken einzuschüchtern. Gelingt letzteres so bin ich gerettet. Wo nicht, habe ich wenigstens das Mögliche versncht. Also anf diese Karte, da nun einmal in dieser verwünschten Höhle gespielt werden muß, will ich mein va tont spielen. 346 Sechster Theil. Nordamerika. Der Croupier lud mich abermals zum Spiele ein, diesmal in einem etwas herrischen Tone. Von meiner Seite, abermalige Weigerung. „Gnt, Baron", sagte er, „da Sie dnrchans keine Lnst haben werde ich für Sie spielen. Mein Gewinn soll der Ihrige sein." Die Partie mit seinem Genossen begann sogleich, nnd das Glück begünstigte mich natürlich. Nach ein paar Mi-nnten hatte ich 1000 Dollars gewonnen. Der Mann mit dem schwarzen Schnnrrbarte öffnete seine Schublade, holte fünf Packcte jedes Zu 200 Dollars hervor, und schob sie mir über den Tisch zu. Ich schob sie sogleich Zurück. Aber es mußte ciu Ende gemacht werden. Ich hub folgendermaßen an, nnd zwar langsam, mit lanter Stimme, ohne die geringste Bewegnng Zn verrathen und indem ich jedes Wort mit einem gewissen Nachdrnck anssprach: „Ich habe Ench gesagt daß ich niemals spiele. Dies muß Ench genügen. Uebrigens, wenn ich auch spielen wollte köunte ich nicht weil ich kein Geld bei mir habe. Es wäre für Euch verlorene Mühe. Ihr wißt beide daß mein Diener mein Gepäck anf die Bothnia gebracht hat. Ihr wißt wahrscheinlich nicht daß mehrere Frennde mich dort erwarten um Abschied zu nehmen, nnd, unter ihnen, der Consul und der anf der Durchreise begriffene Gesandte meiner Nation. Wenn ich vor Abgang des Schiffes nicht erscheine, nnd wenn diese Herren mich nicht im Hotel finden, werden sie mit Hülfe der Regierung Nachforschungen veranstalten welche Ihr vielleicht besser thätet zn vermeiden." Dann, zn meinem Freunde von Sydney gewandt: „Oeffnen Sie die Thüre." Während meiner Anwesenheit in der Spelunke, war ich fortwährend neben lchterm gestanden. Er selbst saß dem Cronftier gegenüber. Es trat eine Panse ein. Die beiden Männer wechselten Blicke. Es war eine Berathnng nnd zugleich die Krisis, und für mich, ich gestehe es, eine böse Spanne Zeit. Der junge Mann saß mit dem Kopfe über den Spieltisch gesenkt. Ich bemerkte daß sein stereotypes Lächeln einem finstern Ansdrncke Platz gemacht hatte. Der Croupier sah kalt und mürrisch ans. Einc unangenehme Viertelstunde. 347 Kein Haifischlächeln mehr. Nach einer oder zwei Minuten, welche mir endlos schienen, erhob er sich langsam von seinem Sitze nnd sagte, gegen seinen Spießgesellen geneigt, mit halb-lanter Stimme: 3iimv lüm out. Führe ihn hinans. Dieser sprang anf und äußerte, als er die Thüre öffnete, er habe sie geschlossen damit wir nicht im Spiele gestört werden könnten. Ich hatte auf den Lippen ihm Zu antworten daß es hierzu unnöthig war den Schlüssel in die Tasche zn stecken. Aber ich hatte keine Lust die Unterhaltung zu verlängern. Einige Augenblicke darauf befand ich mich im Freien. Der Wagen war verschwunden. Jetzt vor allem daranf bedacht noch znr rechten Zeit den Hafen zn erreichen, war es mir unmöglich nach dein Namen der menschenleeren Gasse nnd des Stadtviertels zu forschen. Uebrigens wozn? Es fehlte an Stoff Znr Klage. Diese Herren boten mir ein Geschenk an, dann eine Partie Monte, nnd als sie bemerkten daß ich kein Spieler sei begleiteten sie mich an die Thüre. Kann man artiger sein? Aber als ich den Fuß auf das Deck der Bothnia setzte, wenige Minutcu vor der Abfahrt, überkam mich das Gefühl eines Menschen der einer großen Gefahr entrann. IV. Äie Heimkehr. Vom 20. Zum 29. Auglist. Von Neuyork nach Quecnstown. — Lord Ampthill. — Ende der Reise durch das Britische Reich. Dieser große und schöne Steamer ist beinahe le^r. Doch hat er die Ehre eine offieiclle Persönlichkeit unter seinen wenigen Reisenden zn zählen. Es ist der Ministerrcsident und Consnl der Vereinigten Staaten in Liberia. Liberia ist bekanntlich ein an der Westküste vun Afrika, nnweit Sierra Leone, vor dein Secessionskriege von entlassenen Sklaven gegründeter Freistaat. Dieser Diplomat, welchen: die Natnr eine schwarze Hant verlieh, ist der Typus des englischen Tandy. Er spricht ohne den geringsten amerikanischen Dialekt, ist änßerst sorgfältig gekleidet, und seine ganze Erscheinung zeigt den Mann von Geschmack, der gewohnt ist sich in den hohen Sphären des Lebens Zu bewegen. Und doch erblickte er das Licht der Welt als Sklave und hat sechs Jahre in Liberia verlebt. Wie er da in seinem Neisestuhlc hingegossen rnht, einen Roman in der Hand, ist er das Bild des Staatsmannes anf Ferien, der seine Zeit zwischen frivoler Lektüre und tiefen Meditationen theilt. Die Zwei oder drei andern Passagiere sind Amerikaner. Der eine, wie es scheint ein Pessimist, sagt mir: „In den Staaten, sind wir eigentlich nichts anderes als ein Hanfe von Atomen Rückkunft in Europa. 349 oder, wenn Sie wollen, von Individuen welche sich alle in derselben Richtung vorwärts stürzen, aber welche kein Band unter sich vereinigt, welche nichts gemein haben außer dem brennenden Wuusche reich zu werdcu. Daß noch so wenige Zusammenstöße unter uns vorkommen verdanken wir dem ungeheuern Raum über welchen wir verfügen. Aber bereits fängt er an enger zu wer-deu. Daher wollen wir auch keine Einwanderer mehr. Wenn es einmal an Ranm fehlt, wird ein heilloser Kampf entstehen aller gegen alle, deiwm omnium contra 0iuli63." Dies ist, wie ich bereits bemerkte, die Sprache eines Pessimisten. Aber was mich als etwas Neues überrascht auf dieser letzten Fahrt durch den Continent, das ist die nicht wegznlcuguendc Verstimmung gegen die Immigration. Das Wetter ist prachtvoll, und die Bothnia, wie alle Schiffe dieser berühmten Gesellschaft, nimmt den südlichen Curs. Im Norden sehen wir Zwar schwarze Streifen, aber einige Nebelballen abgerechnet, welche wir unter dem Gebrülle des Nebelhornes durchziehen, vermeidet der Steamer die Region des Eises und der Finsterniß. Am 29. Angust 1884, um Mittag ist Fastnet-Rock in Sicht. Um 6 Uhr abends hält das Packetbuot am Eingänge von Cork Harbour, uud ein kleiner Dampfer bringt die Pafsagiere nach Queenstown. Mit lebhaftem Vergnügen fühle ich europäischen Boden unter meinen Füßen. Im Hotel werden mir die nencsten eben eingelangten Londoner Blätter gebracht. Mein erster Blick fällt auf eine Aufschrift in großen Buchstaben: Leichenbegängniß des Lord Amvthill. Es war ein Tonnerschlag aus heiterm Himmel. Aber nur zu wahr. Der Tod hat Englands Botschafter in Berlin, inmitten seines Wirkens, im schönsten Alter, im vollen Besitze seiner Kräfte, dahingerafft. Xei N6220 äsi camin äi uo3trg. viw, entriß er ihn seinem Lande, seiner Familie, seinen Freunden! 350 Sechster Theil. Nordamerika. Ich kannte Odo Rnssell seit seiner Kindheit. Seit seiner ersten Ingend bis zu seinem Ende verband uns jene sanfte, ruhige Freundschaft, cine Folge gemeinsamer Sympathien, welche zuweilen zwischen Menschen verschiedenen Alters besteht uud sich trotz langer Trennungen erhält. Wahrend einiger Jahre hatten uns Bernfspflichten in Rom zusammengeführt. Aber vou nahe wie aus der Ferne, verlor ich ihn nicht ans den Augen. Er stieg anfangs langsam dann rasch, aber, wie alle anserwählten Naturen, wnrde er grüßer in dem Maße als er stieg. Ein feiner und gebildeter Geist, ein gerader und fester Charakter, in schwierigen Augenblicken durch ciucn seltenen Takt geleitet, die Rnhe nnd Unbefangenheit, welche nichts zu trüben vermag, in schwierigen Augenblicken bewahrend, anfgewachsen in den Staatsgeschäften, geschickt in der Behandlung der Menschen und den Continent kennend wie wenige seiner Landslente, vereinigte Lord Amvthill im hohen Grade, mit dem Glänze eines historischen Namens, alle Eigenschaften welche, in seiner Laufbahn, den Erfolg verbürgen. Im Privatleben heiter, geistreich, lebhaft, sicher im Umgang und von seltenem Gleichmnth, glücklich iu seiner Häuslichkeit, ein Liebhaber und Beschützer der Künste, wnßte er den Neid zn entwaffnen nnd sich mit einem Bollwerke ergebener Frennde zu umgeben. Eine liebenswürdigere Natnr ist mir niemals vorgekommen. Man sagt voll den Diplomaten sie seien von allen Staatsdienern diejenigen welche den Blicken des Pnblikmns am meisten uud fortwährend ausgesetzt sind. Man vergleicht sie mit Schauspielern welche, in der Komödie des Lebens, die großen nud kleinen Rollen spielen; und es gibt einfältige Menschen welche sie um deu glänzenden Schein beneiden der sie nmgibt. Aber dieser Schein ist zn glänzend. Die Gasflammen der Rampe welche die Bühne von dein Znschancr trennt, werfen — Flammen, wie bekannt, sind uudurchsichtige Körper — ihre Schatten anf diese Herren im goldgestickten Rocke, nnd die Wirksamkeit letzterer vollzieht sich im Halbdunkel. Gewiß, die Blau- nnd Lord Ampthill. 351 Gelb- und Rothbücher erzählen vieles, zuweilen Zu viel, niemals genng. Sie dürfen eben nicht. Gewisse Partien der Staats-transactionen bleiben verschleiert. Aber die Wahrheit ist nur wahr wenn sie sich nnverschleiert zeigt. Hierans folgt daß die Zeitgenossen welche sich unterrichtet glanben, sehr oft ohne es zu sein, zuweilen einen Richtersprnch fällen ohne die Acten des Processes zu kennen. Ein nngerecht verurtheilter Diplomat ist entwaffnet. Ehre und Pflicht legen ihm Schweigen auf. Aber er möge sich trösten. Es wird einst Licht werden über seiner Wirksamkeit, wenn die Archive seiner Zeit, wahrscheinlich lange nach seinem Tode, dem Gebiete der Geschichte anheimfallend, sich den Forschungen der Wissenschaft erschließen werden. Auch in diesem Pnnkte, wie in so vielen andern, hatte Odo Rnssell keinen Grnnd zur Klage. Das Glück, unfähig den Verführungen seines Reizes zu widerstehen, hatte für ihn nur ein beständiges Lächeln. Aber ich zweifle daß die englische Nation schon jetzt im Stande ist die Größe des Verlustes zu crmessen welcher sie traf. Ihre Staatsmänner, jene welche den lieben Dahingeschiedenen am Werke sahen, nnd die cnropäische Diplomatie kennen die Dienste welche er seinen: Vaterlande geleistet hat. Kommende Generationen werden sie würdigen. Den 30. Äugn st. — In Ennis habe ich die Eisenbahn verlassen und nähere mich nun den Felsterrasseu der Bncht von Miltown. EZ ist beinahe Nacht geworden. Der Himmel ist gran, und der Abendwind ranscht in den letzten Vanmgrnftpen längst der Straße welche nach dem Oeean führt. Mein Kutscher hält plötzlich an. Aus einem mir entgegengekommencn Wagen springen ein Herr und zwei jnnge Damen..... Ein schöner, ein süßer Augenblick! Der letzte meiner Reise durch das Britische Reich. Zchluß. Paris, Januar 1886. Vor 16 Monaten kam ich nach Europa znrück, nnd, m diesem kurzen Zeiträume, haben sich, in fast allen Theilen des Britischen Reichs, wichtige Ereignisse theils vorbereitet theils vollzogen: In Indien, eigentlich in Afghanistan, Zwischenfälle welche den Frieden Zwischen Großbritannien nnd Rußland, für einen Angenblick, in Frage stellten; im Osten der Gangeshalbinsel die Eroberung eines Königreichs, welche die englische Herrschaft in Asien bis an die chinesischen Grenzen ausdehnt; in Afrika und Oeeanien bedeutende Annexionen; in Anstralien die nene Idee einer Reichs confederation verbreitet nnd in den Müssen Wurzel greifend; in Canada ein furchtbarer Aufstand der französischen Mischlinge, niedergeworfen durch die alleinigen Streitkräfte des „Domininm". Ich übergehe hier mit Stillschweigen deu ägyptischen Feldzng weil er nicht nur allein ans Rücksichten der indischeil Politik Englands unternommen wurde. Alle diese Ereignisse sind später als meine Reise und sollten daher in der Beschreibung derselben unerwähnt bleiben. Da sie aber in unmittelbarem Zusammenhange mit den von mir geschilderten Zuständen stehen, dürften mir, am Schlüsse meines Buches, einige knrze Bemerkungen über dieselben gestattet sein. Südafrika. ZgZ Nur wenige Worte über Südafrika. Im Osten hat England die Küste von Pondolaud, den besten Theil von Kaffraria Propria, seiner Schutzherrschaft unterworfen. Im Norden, hat es sich, indem es von Bechuanaland Besitz ergriff, den mittleren Regionen des schwarzen Continents bedeutend genähert. Beide Acte waren keine freiwilligen sondern der Negierung aufgedrungen; der eine, die Annexionen in Kaffraricu, durch die Befürchtung Deutschland könnte sich dieser Gebiete bemächtigen; der andere, die Expedition in Bechuaualaud, durch das dringende Bedürfniß dort die materielle Ordnung wiederherzustellen und deu einzigeu Weg nach dein Innern offenzuhalten, welcher den englischen Eolonien geblicbeu ist seit Orauge Free State und Transvaal uuabhäugige Freistaateu geworden sind, — der eme nnd der andere durch uuabweisliche Anforderuugeu der colo-nialen Iuteressen des Reichs. Diese Vorgänge erklären sich also von selbst. Man braucht kciu Prophet zu seiu um vorauszusehen daß England, früher oder später, sich wird gezwungen sehen ganz Kafferland, Basuw-laud, Zululand und das zwischeu Transvaal uud der portugiesischen Factorei in der Delagoabucht gelegene Gebiet seiner direc-ten oder iudirecten, wahrscheinlich aber dirccten, Herrschaft zu unterwerfen uud, dergestalt, die Ideen eines seiner weitseheudsten und thatkräftigsten Diener, des jüngst verstorbenen Sir Bartle Frere, zu verwirklichen. Man begreift das Widerstreben der Minister uud des aufgeklärten Theiles der öffentlichen Mciuung in England sich auf eine Politik der Abenteuer uud der Vergrößerung einzulassen, welche jedenfalls zu großen Ausgabeu, und möglicherweise zu enropäischcn Verwickelungen Anlaß geben kann. In dieser Beziehung befindet sich England in der Lage eines guten Wirthes der Anstand nimmt einen neuen Flügel an sein Haus zu bauen, nachdem es ihm bereits zu groß für seine Bedürfnisse scheint. Er fragt sich anch ob seine Mittel ihm erlauben würden ein so weitläufiges Gebäude iu gutem Staude zu erhalten und in geziemender Weise Zu bewohnen. Aber in v. Hühner. II. S3 354 Sechster Theil. Schluß. dem Leben der Nationen wie der Individuen gibt es Zwangslagen. Wer weder stehen bleiben noch nmkehren kann, geht vorwärts. Aber wann und wie? Die Aufgabe des Colonialministers ist eine äußerst schwierige nnd verwickelte. Er erhält seine Nachrichten durch die beiden Gouverneure, dnrch den Generalagenten der Capcolonie in London; in kritischen Zeiten durch Politiker von Metier welche das Cap- oder das Natalministerimn aä Iwc an ihn abschicken; dnrch Deputationen der Colonien, endlich durch einige große Häuser iu der City welche mit jenem Theile der Welt in Handelsbeziehungen stehen. Mit Hülfe dieser, in der Regel sich gegenseitig widersprechenden Daten, mnß er sein Urtheil bilden und einen Entschlnß fassen, den Entschluß der Enthaltnng oder des Eingreifens, nnd, wenn er sich für letzteres entscheidet, im vorhinein die zur Unternehmung nöthigen Kräfte berechnen nnd den Zeitpunkt des Einschreitens wählen. Nicht Zn früh, nicht Zu spät. Weuu man die ungeheuere Entfernuug in Betracht zieht, welche das Colonial-Office von dem Schauplatze der beabsichtigten Handlung trennt, nnd wenn man bedenkt daß die Notizen über welche der Minister verfügt von Personen geliefert werden, welche unter dem Einflüsse der verschiedensten, oft entgegengesetzter, Interesse« stehen, so begreift man die Schwierigkeit seiner Aufgabe. Daher auch die Thatsache daß der Colouialnnnister, grundsätzlich, Zu einer Politik der Enthaltung hinneigt. Aber die Enthaltung ist zuweilen gefährlicher und kostspieliger als die Action. Betrachten wir die letzten Vorgänge in Bechnanaland. In diesen weiten, im Westen von Transvaal und nördlich von der Capcolonie gelegenen Einöden, waren Zwischen einigen Hänptlingen Feindseligkeiten ansgebrochen, welche die Ruhe auf dem englischen Gebiete Zu stören drohte. Die Häuptlinge hatten weiße Abenteurer in ihre Dienste genommen wobei Schenkungen von Ländereien die Stelle des Soldes vertraten. Vor mehr als zwei Jahren, beantragte der Gouverneur der Capcolonie, Sir Her- Südafrika. Z55 cules Robinson, die Entsendung einer kleinen Abtheilung Polizeisoldaten nach der Grenze, wo sie für längere Zeit stationirt werden sollten. Ihre Anwesenheit wurde für hinreichend erachtet um das Uebel in: Keime Zu ersticken. Der Colonialminister jede Einmischung ablehnend, ertheilte eine abschlägige Antwort. Infolge dieser Enthaltungspolitik, nahm die Anarchie derart zu daß, binnen kurzem, der Handelsverkehr der Colonieu mit dem Iu-neru vollkommen unterbrochen war. Da, etwas spät, erkannte das englische Ministerinn! die Nothwendigkeit zn handeln, d. h. einen militärischen Feldzug zn unternehmen, welcher von dem General Sir Charles Warren vortrefflich geleitet wurde aber 1'/2 Mill. Pfd. St. gekostet hat. Auch unter einem andern Gesichtspunkte verdieut diefe Be-chuanafrage betrachtet zu werdeu. Die Mission des Generals war keine ausschließlich militärische. Er war auch mit den etwas unbestimmten Vollmachten eines Sftecialcommissärs versehen worden. In dieser Eigenschaft glaubte er sich uuabhäugig von dem Obercommissär Sir Hercules Robinson und vollkommen selbständig, letzterm bei- aber nicht untergeordnet. Er haudelte also auf eigeue Verantwortung und durchweg in einem den Weisungen des letztern entschieden entgegengesetzten Geiste. Insbesondere erbitterte er ein wichtiges Element der weißen Bevölkerung, die Boers welche Sir Hercules bei guter Stimmung zu erhalten suchte. Es kam zu Reibungen, endlich zu offener Gegnerschaft zwischen den beiden Vertretern der Krone. Wie hätte es anders kommen sollen? Der eine repräsentirte ausschließend das Reich; der andere, als Obercommissär, befand sich in derselben Lage; aber, sonderbarerweise uud aus schwer zu begreifenden Gründen, ist der Obercommissär für Südafrika in der Regel auch Gouverueur der Capcolonie. Iu dieser letzteru Eigeuschaft hatte Sir Hercules die Interessen der Colonie zu wahreu, oder, besser gesagt, die Bestrebungen der eben au der Gewalt befindlichen „colonialen" Partei zn schonen. Diese Partei verfolgt das Ideal eines großen autouomen Colonialreichs, welches sich 356 Sechster Thcil. Tchluß. von ciuem Meere zum andern nnd vom Cap der Gnten Hoffnung bis au die Ufer des Zambezi erstrecken soll, ciue Art Australien, deren Läudcr ausschließlich von dou Weißen ansge-bentct würdeu. Die „Imperialistische" Partei träumt von cinem afrikauischeu Indien uud setzt deu Schutz des Schwarzen an die Spitze ihres Programms. Der Zwiespalt zwischen dieseu beiden Parteieu, uoch wcuig bcmerklich während meiner Reisen iu jenem Lande, soll sich seither bedeutend gesteigert haben. Hierzu kam daß sich General Warren mit einer Hand voll Soldaten auf dem Schauplätze der Action, die weder Krieg noch Frieden war, befand, also in einer uugeheueru Eutfermmg vou der Hauptstadt der Colouie, während Sir Hercules Robinsou die Atmosphäre uou Capetown athmete. Ueberdics, gingen Agenten von geringerem Range Zwischen der Capstadt und Bechuanaland auf uud ab. Ein jeder vou ihueu brachte seiueu Gesichtspunkt mit uud Handelle je nach den Weisuugeu seines Vorgesetzten oder der Leiter seiner Partei. Der Premierminister Mr. Uppington, einer der Häupter der Colonialpartei, machte einen Besuch in Bechuana-land kurz vor Ankuuft des Generals Warren. Unter solchen Einflüssen mnßtcn sich die Beziehungen zwischen dem Speeial-und dem Obercommissär erkälten und am Ende verbittern. Sir Hercules Robinson erklärte alle von Sir Charles Warren erlassenen Verordnungen für null nnd nichtig, und das nene Ministerium der Königin lmit Lord Salisbury als Premier) belobte zwar den General insofern es ihm gelungen war den Frieden und die materielle Ordnnng in jenen Gegeudeu herzustellen, rief ihn aber nach England zurück. Tie zwischen den beiden hohen Fuuctiouären gewechselten Correspondenzen, welche eine bedauerliche Erbitterung athmen, wurden dem englischen Parlament vorgelegt. Sie bilden eine seltsame Lektüre uud kounten in Südafrika nur nachtheilig und, insbesondere anf die dortigen Beamten des Reichs wie der Colouie, beirreud und entmuthigend wirken. Sie enthalten aber auch zugleich eiuen beredten Com-mentar zn den Klagen welche ich anf meiner Reise veruahm, und Nustralllsien. 357 rechtfertigen und erläutern, meiner Ansicht nach, das Bild welches ich von den dortigen Zuständen entwarf. Der Leser kennt die Art nnd Weise in welcher sich die Australier selbst beurtheilend Er hat die Pessimisten vernommen welche alles in den schwärzesten Farben schildern, nnd die Zufriedenm welche über sich selbst in Ekstase gerathen. Beim ersten Anblick wäre man geneigt die von beiden gelieferten Porträte ihrer selbst für Caricaturen Zu halten: wenn man sie aber nebeneinander betrachtet und von der Uebertreibung absieht fließen sie, scheint mir, zu einem wohlgetroffenen Conterfei zusammen. Mehr als einmal hörte ich die Zwischen den verschiedenen Theilen dieses großen Continents bestehenden Beziehungen er-örteru, und immer ließen mir diese Discnssionen denselben Eindruck zurück: Man beschäftigt sich weit mehr mit den Interessen welche die Colonien voneinander abstoßen als mit jenen welche sie gemein haben und welche sie also eiuander näher rücken sollten. Wie die ReichZregierung, in Canada mit Erfolg, ohne Wirknng in Südafrika that, empfiehlt sie auch in Australien die Bilduug einer Consideration. Kurz nach meiuer Abreise von Sydney versammelte sich dort eine Ministerialeonferenz, welche sämmtliche Colonien beschickten, zu dem Zwecke diese Frage zu prüfen. Wie dies jedermann vorausgesagt hatte, trennte sie sich ohne Erfolg. Indeß keimte in den Geistern ein anderer Gedanke, der einer Conföderation der Colonien mit dem Mntter-lande, was also, mittelbar, auch eine Verbindung zwischen den Colonien untereiuaudcr wäre. Unerachtet der bisher noch un-übersteiglich scheinenden Hindernisse, fand dieser Plan in England eine sympathische Anfnahme. Lord Roseberry brachte ihn im * Vgl. Bd. I, Z. 242. 358 , Sechster Theil. Tchluß. Oberhause zur Sprache, und der achtungswürdigstc Theil der englischen Presse sprach seineu Beifall aus. Nur findet jedermann daß die Sache noch nicht reif ist, mit andern Worten, man sncht aber findet noch nicht die Mittel der Verwirklichung des Gedankens. Tie von australischen Radicalen bevorwortete Lösung der Aufgabe* setzt einen gänzlichen Umsturz der Dinge in Altengland und eine radicale Veränderung der physischen Gestalt des Erdballs voraus. Solche Bestrebungen gehören also in das Reich der Träume. Um Australasien zn verstehen muß man das gesammte Britische Reich in das Auge fasfen. Noch vor uicht sehr lauger Zeit, waren die Colonien nichts-anderes als eine Anzahl von Factoreien in gewissen Archipelen oder anf den Küsten mehr oder minder unzugänglicher Festländer. Das englische Parlament beschäftigte sich mit ihnen sehr selten uud gestattete demzufolge der Regierung, in ihrer hier-anf bezüglichen Action, einen weiten Spielramn. Die Staatsmänner welche sich im Colonial-Office folgten gingen in der Regel dieselben Wege und ließen sich ungefähr dnrch dieselben Grundsätze leiten welche damals, kraft einer schweigenden Uebcr-einknnft, die stehenden Regierungsmaximen in Beziehung anf die Colonien bildeten. Die Maschine war gnt znsammengestellt und arbeitete vortrefflich. Sie bot insbesondere einen nicht zn überschätzenden Vortheil: sie brachte eine gewisse Stabilität nnd Gleichmäßigkeit in die Behandlnng der colonialen Angelegenheiten durch die Regiernng. Dies war die Lage noch vor etwa 30 Jahren. Aber seither hat sie sich gründlich geändert. Die Faetoreien sind reiche, blühende Gemeinwesen geworden; die ringsum bebanten, kleinen Grundstücke, ungeheuere Territorien; die Colonien, Staaten; die Ansiedler, Nationen. Diese neue Welt, welche vollkommene Autonomie, gänzlich demokratische nnd beinahe republikanische Ver- Vgl. Bd. I, T. 239. Australasicn. 359 fassuugeu besitzt, regiert und verwaltet sich selbst. Ich sehe hier natürlich von den Kroncolonien ab, welche, vergleichsweise, von geringer Bedeutung sind. Anf der andern Seite sind Eingriffe des englischen Parlaments, allerdings indirecte, hänsiger geworden als ehedem. Sehr oft hörte ich in Indien wie in den Co-lonien sagen: „Nicht die Minister der Königin, das Parlament regiert uns. Die Minister, auf Erhaltung ihrer Majorität bedacht, thun was diese will. Ihr Wille, uicht unsere Interessen, gibt die Entscheidung." Ich weiß nicht wie weit diese Klagen begründet sind, aber gewiß ist daß die Stabilität in der Leitung der Colonialangelegcnheit sich bedeutend vermindert hat. Während dieser Umschwung in Canada und in den Antipoden vor sich ging, durchschritt das alte England eine Phasis ohne Analogie in der Weltgeschichte. Ohne irgendeinen greifbaren Grund, ohne den geringsten Zwang von außeu, aus eigenem Antriebe uud mit osfeueu Augen, schien es bedacht uno entschieden seinem legitimen Einflüsse als europäische Großmacht Zu entsagen. Die Enthaltung jeder Action auf dem Gebiete der auswärtigen Politik war gewissermaßen ein fundamentales Gesetz, ein wahrer Glaubensartikel geworden. In Vezichuug auf die Eolonien begriff man daß der alte Mechanismus nicht mehr hinreichte. Die zu hebenden Lasten waren um das Hundertfache schwerer geworden. Der Krähn krachte, belastet man ihn noch mehr, so bricht er. Was thun? In der Stimmung in welcher man sich befand fchien das Einfachste die Colonien Zu emanci-piren. Wenn sie sich von nns trennen wollen, so mögen sie es thuu. Es war das Losungswort des Tages. Wer an weiter als zehn Jahre Zurückzudenken vermag wird sich dessen erinnern. Aber anf den mächtigen Ruf eines ausgezeichneten Mannes welchem das Land die Leitung seiner Geschicke anvertraut hatte und unter dem Waffenlärm eines großen Kriegs im östlichen Europa, erwachte Eugland ans seinem Schlaf. Seit jenem Tage, besonders seit man entdeckt hat daß die Colonicn die besten Abnehmer englischer Producte sind, spricht niemand mehr vom Auf- 360 Sechster Theil. Schluß. geben derselben (und sogar Indiens!). Im Gegentheil, zntn ersten mal, Zunächst in Anstralien, wird der Gedanke einer An-nähernng, nicht der Trenmmg lant: der Gedanke einer Confederation mit dem Mntterlande. Aber beide Bewegungen, die der Scheidung welche der Vergangenheit angehört, sowie die heute täglich mehr nm sich greifende einer Verbündung — diese beiden Bewegungen, obgleich ihrem Wesen nach sich gegenseitig ausschließend, haben ihren gemeinsamen Ursprnng in der immer mehr verbreiteten Ueberzeugung von der Unmöglichkeit die Colonien wie bisher zu regieren. Die alten Wege müssen verlassen, neue betreten werden. Die Anf-gabe ist eine dringende; sie kann nicht zurückgewiesen, noch, meiner Ansicht nach, lange hinausgeschoben werden. Drei Ziele, wenn ich nicht irre, werden die Gesetzgeber, bei Lösnng dieses Problems, im Auge halten müsseu. Man trenne so gründlich als möglich die Leitung der Neichsangclegenhciten in den Colonien von der Leitnng der Colonialangelegenheiteu. Mau strebe hierbei die möglichste Stabilität au uud stelle die farbige Bevölkerung unter den ausschließlichen Schutz der Reichsregiernng; endlich gewährleiste man, mit Ausnahme dieser beiden Beschränkungen, den Colonien mit verantwortlicher Regierung den vollen Genuß ihrer Autouomie. Ich schließe mich jenen an welche an die sogenannte „Loyalität" der Anstralier glauben, und ich sehe nnr einen Fall voraus in welchem sie Plötzlich und gründlich andern Stimmungen Platz machen könnte, nämlich wenn die Reichsregierung gewisse Anforderungen der öffentlichen Meimmg entschieden zurückwiese. Was ist al^r, iu Australien, die öffentliche Meinung? Die Meinnng der Massen; und die Massen, welche ihre örtlichen und speciellen Interessen in der Regel richtig beurtheilen aber mit den Erfordernissen der allgemeinen Lage wenig bekannt sind, stehen unter dem fortwährenden uud sie unbedingt beherrschenden Einflnsse einer Tagcsvresse und Volksredner welche, mehr als radical, ihr Losungswort von den amerikanischen nnd englischen Australasien. 361 Trade-Unions erhalten. Wenn, in Beziehung anf irgendeine Angelegenheit das Publikum, mit Recht oder Unrecht, in einer schließlichen Entscheidung der Reichsregierung eine Rechtsverwei-gerung Zu erkennen glaubte, oder wenn man es zur Ansicht bereden könnte daß England Lebensiuteressen der Colonien dem eigenen Vortheile hintansetze, in diesem Falle uud ich sollte meinen, nur iu diesem Falle, würde das Band zwischen der Mutter nnd den Kindern bedenklich gespannt werden und, möglicherweise, reißen. Können die australischen Colomen den Schutz der Metropole entbehren? Ich weiß es nicht, aber in Australien lautet die Antwort hieranf bejahend. Hierdurch unterscheiden sich diese Colonien wesentlich von den südafrikanischen welche, ans ihre eigenen Kräfte beschränkt, lebensunfähig wären und dies wissen oder fühlen. Anch für den Fall eines langen und für Euglaud unglücklichen Krieges mit andern Seemächten, wird der Abfall der Colonien vorausgesetzt, doch siud hierüber die Ansichten getheilt. So viel ist gewiß daß die australische:: Colouieu ihre Häfen befestigen und binnen kurzem ihre Hauptstädte in vertheidigungsfähigen Znstand versetzt haben werden. Seinerseits wird der Feind, selbst wenn er die für ähnliche Unternehmungen nöthigen Transportmittel nnd Kohlenstationen besäße, eine Landung auf irgendeinem Punkte des menschenleeren Litorale wol schwerlich wagen, da seine Truppen dort fast gewiß an Wassermangel zu Grunde gingen. Allein dieser Umstand allein ist für die Colonien nicht entscheidend. Australieu und Neuseeland werden, allerdings, bald in der Lage sein sich gegen fremde Einfälle sicherzustellen aber noch langer Zeit bedürfen um eine, für den Schutz ihrer zunehmenden Handelsschiffahrt, hinreichende Kriegsmarine zu schaffen, und, bis dies geschehen, wird diese Aufgabe den englischen Flotten znfallen. Hieraus schiene Nachstehendes zu folgen. England wird seine Colonien besitzen, solange das Parlament die nöthigen Mittel 362 Sechster Theil. Tchluß. bewilligt für die Erhaltung einer Flotte welche im Stande ist die britische Uebermacht Zur See zn wahren. Sind die Colo-nien aufgegeben, die Kohlcnstationen verloren, fo darf man bezweifeln daß diese Summen in Friedenszeiten votirt werden. Dann aber wird und muß England seine sogenannte Herrschaft über die Meere, allmählich, verlieren nnd, mit ihr, die hervorragende Stellnng einbüßen welche es heute uuter den europäischen Großmächten eiunimmt. Aus diesem Dilemma sehe ich keinen Ausweg. Anf allen Punkten der Erde begegnet man Dentfchc. Mit den Anglosachsen und den Irländern sind sie die großen Colo-nisatoren der Gegenwart. In den Vereinigten Staaten, obgleich immer als Deutsche erkenntlich, werden sie Amerikaner, in Australasien Australier. In diesen großen Staatengruppen streifen sie ihre Nationalität ab in politischer, nicht in geistiger und moralischer Beziehung. In andern transoeeanischen Gegenden schwebte der Deutsche bisher sozusagen in der Luft. Er bedürfte des Schutzes und verlangte ihn von seinem Vaterlande. Hieraus erklärt sich die iu ueuester Zeit von der deutschen Regierung in so großartigem Maßstabe inangurirte Colonialpolitik. Der erste Eiudruck in England, besonders in amtlichen Kreisen, war der der Ucberraschung, nicht ohne einen Beisatz von Verstimmung. In den Colonien äußerte sich dies weniger. In Australien erscholl zwar, lanter als je, der Ruf nach Annexionen in der Südsee, aber, individuelle Rivalitäten abgerechnet welche auch zwischen Landsleuten vorkommen, wurde das, wenn ich nicht falsch berichtet bin, gute Einvernehmen zwischen britischen und deutschen Colonistcn keinen Augenblick gestört. Man erkennt an Ort und Stelle, besser als in Europa, wie viel noch zn thun bleibt, und daß es noch des Raumes genug gibt für die einen wie die andern. Dies ist die glänzende Seite der Zukunft. Tie Chinesen. 363 Aber es fehlt nicht an Schatten. Man betrachte das chinesische Element. Der letzte Krieg Englands nnd Frankreichs mit China ist, in meinen Augen, ein Ereigniß von unberechenbarer Tragweite, nicht wegen der leichten Lorbern welche die Armeen der verbündeten Mächte errnngen haben, sondern weil er die große „chinesische Mauer" Zerstört hat, die Mauer welche 4 Jahren besetzt halten (nicht besitzen), Zeichnet sich der vornehmste Stadttheil dnrch die große Zahl nnd relative Pracht seiner Paläste aus, deren mehrere wenn nicht die meisten ans dem 16. Jahrhundert herrühren. Von jeher war es den Chinesen untersagt in diesem Quartier Hänser Zu bauen. Dies Verbot besteht noch immer, aber viele dieser Paläste wurden von Chinesen gckanft nnd werden von ihnen bewohnt. Ich sprach in meinem Tagebnchc von der riesigen Zunahme der gelben Einwanderer in Singapnr nnd auf dem hinterindischcn Festlande. Anf den Sandwichinseln sind, wie man sah, die Chinesen ein Element von großer stets wachsender Bedeutung geworden. Ich habe die Gilbcrt-Inseln, eine der wichtigeren Gruppen der Südsce, sowie die Westküste von Südamerika nicht besncht, aber ich ersehe ans deutschen Amtscorrcsvondenzen daß ein chinesisches Haus sich in jenem Archipel das Handelsmonopol angeeignet Die Chinesen. Z65 hat, und, aus andern Gcsandtschaftsberichteu, daß die seit 20 Jahren in Chili nnd Peru eingewanderten Chinesen die sehr hohe Zahl von 200000 erreicht haben, sehr hohe, wenn man sie vergleicht mit der geringen weißen Bevölkerung jener Länder. Aber besonders in den Vereinigten Staaten nnd in Australien, vor allem in den pacifischen Staaten der amerikanischen Union, hat sich das gelbe Element außerordentlich vermehrt, nnd nirgends mehr als in Californien. Bekanntlich hat die Legislatur dieses Staates, vor kurzem, ein Gesetz votirt welches die chinesische Einwanderung für die Dauer von zehn Jahren verbietet. Ihrerseits vertheidigen sich die weißen Arbeiter gegen die Eindringlinge wie sie es vermögen, nicht durch eine freiwillige Herabsetzung des Arbeitslohnes, Zu welcher sie sich weder herbeilassen wollen noch können obgleich dies das einzige Mittel wäre die gelbe Conmrrenz zu bestehen, sondern einfach durch Anwendung von Gewalt. Blutige Raufhändel kommen täglich vor. Unlängst wurden, in einem der westlichen Staaten, chinesische Arbeiter in Masse erschlagen. Und was ist die Wirknng dieser Gewaltthaten sowie der ungerechten drakonischen Gesetze gegen die Chinesen? Tie Wirkuug ist daß letztere überall an Boden gewinnen. Hierzn liefert San-Francisco einen schlagenden Beweis, San-Francisco, die blühende Metropole des vaci-fischen Ufcrgebiets, in Bcziehnng ans Handel und Verkehr wenn ich nicht irre, die dritte Stadt der Union. Bekanntlich bildet die ErZeugnng von Cigarren einen der wesentlichsten Industriezweige Californieus. In den Fabriken arbeiten Weiße nnd Gelbe Seite an Seite. Im verflossenen Herbste < 1885) stellten die Chinesen die Arbeit ein, indem sie die Entlassung ihrer weißen Gefährten verlangten. Die Eigenthümer der Fabriken gaben nach nnd entließen ihre weißen Arbeiter. Als Entschuldigung vor der öffentlichen Meinung brachten sie den, vollkommen wahren, Grund vor daß es ihnen unmöglich sei für denselben Lohn weiße Arbeiter zn finden. Also der dnrch das Gesetz verpönte Chinese ist bereits in der Lage dem Arbeitgeber sein Gesetz aufzuerlegen. 366 Sechster Theil. Schluß. Eine in San-Francisco erscheinende Zeitung* sagt: „Den Chinesen genügt es nicht mehr einen unserer Industriezweige mit nns zu theileu, sie verlangen ihn für sich allein. Nachdem sie sich die Cigarrenerzcngnng angeeignet haben, werden sie dasselbe versnchen mit andern Zweigen, wie Confection von Schuhen nnd Kleidern, und unsere Fabrikanten werden sich genöthigt sehen ihre Arbeiter, Männer und Mädchen, zu entlasseu." In diesem 'äußerst merkwürdigen Artikel wechseln Drohungen mit Alarm-rufeu, eigentlich mit einem wahren Schmerzensgeschrei. „Sie (die Chinesen)", fährt der Artikel fort, „sind sanftmüthig und versöhnlich solange sie sich schwach fühlen, aber sie werden anmaßend nnd hart wenn sie sich für die Stärkern halten. Ihre Arbeitscinstellnng zeigt die Rasse in ihrem wahren Gesicht. Sie verbreitet ein nenes Licht über die chinesische Frage nnd ist im Grunde nichts anderes als eine Aufforderung an die Weißen das Feld zn räumen. Die Chinesen fühlen sich die Herren der Lage, und, wenn diejenigen welche in einem Gemeinwesen die Arbeit verrichten die wesentlichsten Bestandtheile dieser Gemeinde bilden, so ist es klar daß die Weißen, welche anf den pacifischen Küsten keine Arbeit mehr finden, gezwungen find andere Gegenden aufzusuchen wo sie nicht riskiren, ihrer Farbe wegen, vertrieben zu werden." Diese Sprache in dein Munde eines Stimmführers der öffentlichen Meinung in San-Francisco bedarf keiner Erläuterung. In Europa kennt man die Chinesen nnr vom Hörensagen. Man ist bereit sie unbequem uud unangenehm zu finden, aber man beschäftigt sich weiter nicht mit ihnen, man fragt nicht: was werden fie in einer mehr oder weniger nahen Znknnft fein? Prüfte man aber die betreffenden statistischen Angaben, so würde man sich wnndern — und ich gestehe daß ich mcinestheils erschrecke — über die außerordentlichen und stetigen Fortschritte welche diese Rasse in der jüngsten Zeit gemacht hat. Deutsche, * ,/rdß ^Ioi-uiuF 0lü1", vom 30. October 1885. Tie Chinesen. , Zgs Engländer, Irländer, Skandinavier, Italiener, mit Einem Worte, die Colonisten sämmtlicher europäischer Nationen werden kanm hinreichen nm den Unmassen menschlicher Wesen entgegenzutreten welche dieser ungeheuere Körper, das Reich der Mitte genannt, über den Erdkreis ergießt. Wird dieser beständige Aderlaß seine Constitution erschöpfen, werden darüber die Quellen des Lebens einer Nation versiegen, welche um 10() Mill. Seelen mehr Zählt als die Gesammtbevölkernng Europas? Wir wissen es nicht. Was wird entstehen aus dem Anewauderprallen jener beiden Ströme, des weißen nnd des gelben? Werden sie friedlich in parallelen Rinnsalen dahinfließen, oder durch ihren Zusammenstoß chaotische Zustände erzeugen? Wird die christliche Gesellschaft, die christliche Civilisation in ihrer jetzigen Gestalt, für einige Zeit, verschwinden? Wird sie siegreich hervorgehen aus dem Conflict nnd ihre ewigen Principien, nach wie vor, be-frnchtend über das Erdenrnnd tragen? Wir wissen es nicht. Es sind dies ungelöste Räthsel. Es fiud die Geheimuisse der Vorsehung. Verhüllt ruhen sie noch im Schose der Zukunft. Was wir vernehmen, sind nur die ersten Klänge der Ouvertüre des großen Dramas kommender Zeiten. Noch ist der Vorhang nicht aufgerollt. Die Handlung spielt im 20. Jahrhundert.* Während meiner Reise ill Indien begegnete ich überall der Ueberzeugung von einem bevorstehenden, jedenfalls unvermeidlichen Kriege mit Rußland. „In diesem Augenblicke", sagte man mir, „durchziehen rnssische Trnppen den östlichen Theil des Khanats von Bokhara, welchen nnr ein schmaler afghanischer Landstrich vou Indien trennt. Rußlaud hat sich, währeud der * Ich habe diese Gedanken in einem Portrage geäußert, welchen ich in Wien, im Orientalischen Mnsem« hielt (Februar 1885). 368 Sechster Theil. Schluß. letzten Jahre, in Centralasien außerordentlich ansgcdehnt. Seine Eroberungen wirken auf die Einbildungskraft der mohammeda-nifchen Welt. Nun ist aber, in Indien, das mohammedanische Element das wichtigste und das am schwersten zn behandelnde. Indem Rußland sich unsern Grenzen nähert, bedroht es nns auf dem militärischen, moralischen nnd politischen Gebiete." Diese Anschannng, mehr oder minder offen, in den höchsten Sphären der Regierung mit einiger Zurückhaltung ausgedrückt, trat mir, wie gesagt, allenthalben entgegen. Es sind dieselben Besorgnisse, dieselben Prophezeinngen welche man in den Memoiren nnd öffentlichen Blättern ans dem Anfange des Jahrhunderts liest. Damals war es Napoleon der, wie man überzeugt war, im Begriff stand in Indien einznfallen. Tie Analogie springt in die Augen. Ohne sich zum Vertheidiger Rußlands aufzuwerfen, könnte man antworten, nnd hat man geantwortet — allerdings ohne die geringste Wirkung hervorzubringen — daß die Rufsen, indem sie ihr Gebiet vergrößern, in den meisten Fällen nur thuu was sie nicht lassen können; daß sie im Gruude uichts anderes thun als die Engländer in Indien nnd Afrika thaten uud noch thun; daß es zwar allerdings in Rußland ehrgeizige Stimm-führer gebe welche für Erobernngeu nud die Errichtung der russischen Universalmouarchie in Asien schwärmen, aber daß es, neben diesen Trümmern, uud zwar in den höchsten Sphären der Macht, nicht an Männern fehle welche, ernstlich aufrichtig nnd energisch, für die Erhaltnng des Friedens wirken. Aber die Antwort war immer dieselbe: „Wir wurden überlistet, getänscht uud wir sind bedroht, diesmal nicht von Eiuem Manne, sondern von einer ganzen Nation." So festgewurzelten Ueberzengnngen gegenüber verfehlen alle Gegengründe natürlich ihre Wirkung. Zwei Axiome haben sich der Geister bemächtigt: der russische Ehrgeiz uud Herat, der Schlüssel Indiens. In Politischen Dingen, besonders in Dingen der answärtigen Po- Indien. 369 litik, verstehe ich unter Axiom eine augenfällige oder für augenfällig geltende Wahrheit, welche keines Beweises bedarf, eben weil sie augenfällig ist oder es zn sein scheint. Ein Axiom ist kein Princip. Principien sind allgemeine, abstracte Regeln deren Anwendung sich nach den Bedürfnissen der Zeit richtet, welche aber immer in Kraft bleiben nnd die man nie ohne Gefahr und selten ohne Nachtheil verleugnet. Das Axiom ist ein feststehender und, in der Meinung der Gläubigeu, unwandelbarer Glaubenssatz, ein Fixstern anf der beweglichen Sphäre der Politik. Es kann in dem Kopfe eines Mannes von großem Ansehen entstanden, oder die Formel einer Reihe von Erfahrungen, oder auch uur eiu geflügeltes Wort sein, welches die Einbildungskraft der Massen entflammt nnd sich ihrer bemächtigt hat. Es kann, je nach Umständen, die Absichten der Männer an der Gewalt fördern oder hemmen. Fälle können eintreten wo die Regierenden sich genöthigt sehen dem Ideale den Rücken zu kehren, während die Regierten es noch anbeten. Ja es kann vorkommen daß ein Axiom zur öffentlichen Gefahr, zum öffent-lichcu Unglück wird. Ich sprach bereits von dem Axiom des russischen Ehrgeizes; noch nicht von: Herat der Schlüssel Indiens. Dies Wort wird, ich weiß nicht mit welchem Grnnde, dem Herzog von Wellington zugeschrieben. Aber, znr Zeit dieses großen Feldherrn, trennte ein ungehenerer Ranm die afghanische Festung von den russischen Grenzen. Hente sind diese bis in ihre unmittelbare Nähe vorgerückt. Wenn Herat, wirklich, der Schlüssel vou Indien ist, so wäre dies allerdings für England sehr nachtheilig; denn dieser Schlüssel häugt, sozusagen, an der Thüre des Gegners. Von seinein Fenster braucht er uur die Hand auszustrecken uni sich des Schlüssels zu bemächtigen —- voransgesetzt daß dieser nicht bewacht wird von jemandem der so stark ist als er selbst. Aber die Engländer können den Schlüssel nicht bewachen wegen der großen Entfernung welche sie von ihm trennt. 370 Sechster Theil. Schluß. Die Wacht ist also einem Frennde anvertraut, und dieser Freund ist der Emir von Afghanistan. Man weiß was Afghanistan ist: cm Schlachtfeld der Bewerber um den wankenden Thron des Emirs; zu wiederholten malen der Kriegsschauplatz zwischen Afghanen und Engländern; ungeheuere Steppen mit Zerstrent liegenden Oasen, bewohnt von einem Volke welches den neuen Bundesgenossen seines Herrn so abgeneigt ist daß der jetzige Emir, der Freund nnd Pensionär Euglauds, in der jüngsten Vergangenheit es nicht gewagt hat oder nicht gewagt hätte den britischen Trnvveu den Durchzng durch sein Gebiet zu gestatten. Und doch hatten ihm die Engländer Kandahar freiwillig zurückgegeben, Kaudahar, das deta-chirte Fort der Riugmauer welche die Natur Zur Vertheidigung ihrer Halbinsel errichtet hat. Ueberdies, wurdeu die Arbeiteu au der Befestiguug der Gebirgspässe und der Bau der Eisenbahn, dieses Rundwegs hinter deu natürlichen Wällen, zur Beruhigung der Afghanen eingestellt. Blieb also Herat, der Schlüssel Indiens, anvertraut der Bewachung des Emirs. Wahrhaftig, wenn Britisch-Indieu keine andern Vcrtheidiguugsmittcl besäße wäre es nichts anderes als ein auf Flugsand stehender Prachtbau. Aber es gibt audere Mittel der Vertheidiguug; es gibt das Schwert Euglands. Wenn afghanische Horden die russischen Vorposten angreifen; wenu irgeud ein rnssischer Offizier an der Spitze einiger Truppen einen militärischen Spaziergang uuter-nimmt und dabei, auch nur zufällig, die afghanische Grenze überschreitet, so tritt der ca3U3 Kolli eiu. Mit andern Worten, das Axiom vou dem Schlüssel von Herat birgt in seinem Schose den Krieg zwischen zwei der größten Mächte der Erde und, mittelbar, den europäischen Krieg. Glücklicherweise, im Laufe des verwichenen Jahres (1885) vielleicht dank dem, fo lehrreichen, Zwischenfalle von Penjdeh, ist in der öffentlichen Meinung ein großer Umschwung eingetreten. Das anglo-indische Publikum vergißt allmählich Herat, und der neue Vieekönig, eifrig und aufrichtig unterstützt von deu Indien. 371 höchsten Militärbehörden, ließ, in richtiger Würdigung der Bedeutsamkeit der natürlichen Grenzen, die Arbeiten zur Befestigung der Gebirgspässe nnd den Eisenbahnbau wieder aufnehmen. Es ist nicht mehr in Herat wo die Engländer, nachdem sie sich 4(X) Meilen von ihrer Operationsbasis entfernt hätten, dem Feind, wenn es einen gibt, entgegentreten werden. Sie gedenken ihn am Helmünd zu erwarten, in welchem Falle es die Aufgabe der Russeu wäre durch die Steppe zu marschiren nnd sich von ihrer Basis zu entfernen. Die Rollen wären sonach vertauscht. Darum wird aber England doch fortfahren, solange als möglich, ein freundschaftliches Verhältniß mit dem Emir von Afghanistan zu unterhalten. Der Werth dieses Bündnisses wird von den größten Autoritäten in dieser Frage anerkannt, aber je stärker England an seinen Grenzen ist, je weniger wird sie von der afghanischen Allianz abhängen und je leichter wird es ihr sein sich ihrer zu versichern. Nebrigens nicht die in einer unberechenbaren Zukunft möglichen Eiufälle Rnßlauds würden mir Besorgnisse einflößen, wenn ich Engländer wäre, wohl aber die Wege welche man in Indien auf dem Gebiete der iuuern Politik wandelt, iusbesouderc der in gewissen Regionen begünstigte Plan die verschiedenen Volksstämme welche die Halbinsel bevölkern in eine einzige Rasse zn verschmelzen, eine neue Nation zu schaffeu, und sie zu schaffen nach dem Ebenbilde des Engländers. Doch es ist Zeit abzubrechen. Würde ich aufgefordert meine Reiseeindrücke in Einem Satze znsammenznfassen so wäre meine Antwort: die britische Herrschaft in Indien ruht auf festeu Grundlagen. England hat dort uur Einen Feind zn fürchten — sich selbst. 24* Anhang. Reiserouten und Entfernungen. Geographische Englische Meilen Meilen !^>auf !>!>,io auf einen Grad. einen Grad. D. S.* Von Southampton nach Capetown . C>014 D. S. Von Capetown nach Port Elisabeth .417 E. B. Von Port Elisabeth nach Graham's Town......... 108 W. Von Graham's Town nach King William's Town....... 73 W. Ausflug nach Peri Bush .... 18 C. B. Von King William's Town nach (Last- London ......... 30 D. 2. Von East-London nach Turban . . 257 E. B. Von Durban nach Pieter-Maritzburg 70 W. Ausflug uach Swartkop Valley . . 20 E. V. Vou Pieter-Maritzburg uach Turbau 70 D. S. Von Durbau nach Capetown . . . 804 D. S. Von Capetown uach Mclbourue . . 5923 D. S. Von Melbourne uach den Bluffs (Neu- seeland) .........1200 E. B. Von den Bluffs nach Iuvcrcargill und Kingstown........ 106 D. S. Von Kingstown nach Qneenstown (Wa- katipusec) nnd Kinlongh.... 56 D. S. Von Kinlough uach Kingstown . . 56 E. B. Von Kingstown uach Tunediu. . . 174 Laws . . . 1472? 669 * D. S., Dampfschiff; E. B., Eisenbahn; W., Wagen. 374 Anhang. Geographische Englische Meilen. Meilen. Transport . . 14727 669 E. B. Von Tnnedin nach Christchnrch . . 230 E. B.u.W. Ausflug in das Innere. . . 114 E. B. Von Christchnrch nach Littleton . . 7 N. S. Von Littleton nach Wellington . . 178 V. S. Von Wellington nach Picton ... 54 T. S. Von Picton nach Nelson .... 81 D. S. Von Nelson nach New-Plymouth . . 146 D.S. Von New-Plymouth nach Kawhia- Harbour......... 66 D. S. Von Kawhia-Harbour nach Manikan 80 E. B. Von Manikau nach Auckland ... 7 D. S. Von Anckland nach Tanranga . . . 145 sVon Tauranga nach Ohincmntn, zu "' ^ deu Geiseru, Wairoa, Roto - Ma-^ , > hanasce, den Terrassen, Cambridge ^ ! und Hamiltou....... 172 E. B. Von Hamiltou nach Auckland ... 87 D. S. Ausflng auf die Insel Kawan. . . 52 D. S. Von Aucklaud nach Sydney . . . 1334 E. B. n. W. Ansflng nach Richmond . . 76 E. B. Ausflug nach den Blnc Mountains . 192 u. Ausflug nach Hawkeslmry-Rivcr . . 147 E. B.j D. S. Von Sydney nach Brisbane ... 500 E. B./Darling-Towns, Westbrook, Harlexton U. W. > nnd Zuriick........ 275 ^ ^ sVon Brisbane nach Batavia 36861 'l Ausflüge.......98/ E. B / ^ ' Von Batavia nach Bnitenzorg, Tjand- < jocr, Bandoeng, znm Vnlkan Tang- ^. , koe-bau-praoe und zurück . . . 325 Pferd. l. ^ " Laws .^ ^ 21095 2353 Anhang. 375 Geographische Englische Meilen. Meilen. Transport . . 21095 2353 D. S. Von Batauia nach Singapur . . . 550 T>. S. Von Zingapnr nach Colombo ^Ceylon) 1570 E. B. Reise nach Kandy nnd in das Innere 221 D. S. Von Colombo nach Pondichery . . 562 T>. S. Von Pondichcry nach Madras... 80 i Von Gnindy-Park Madras) nach Ban^ ü. B. ^ galore (Mysore), Ausflug ins Lager !, und znrück nach Guindy-Part. . 476 E. B. Ansflug nach Conjevcram .... 115 E. B. Von Madras nach Hyderabad. . . 522 ^, ^Reisen zwischen Bolarani nnd Hydc- "' l rabad......... 112 E. B. Von Hyderabad nach Puna . . . 515 E. B. Von Puna nach Bombay.... 119 ^ ^ sVon Bombay nach Goa . . 2.'!0^ ^'^' Ausflug nach Goa-Velha . . 16^ 476 'l Znrück uach Bombay . . . 2301 Von Bombay nach Achmedabad . . 310 Von Ächmcdabad nach Abu- Road-Station .... 115 Von Abu-Road-Statiou nach Monnt 3lbu nnd zurück . 30 Von Abu-Noad-2tation nach M ' Iodhpur-Innetion . . . 103 ' Von Iodhpnr-Junction nach Vferd ^ ' Von Pali nach Iodhpur . . 55 Von Iodhpur nach Iodhftnr- Innttiou......64 Von Iodhftur-Junction nach Icypnr......171 Von Icypnr nach Tclhi . . 191 V. B< Von Delhi nach Peschawar. ... 626 Latus .^ ^ 24333 6107 376 Anhang. Geographische Englische Mcilcn. Meilen. Transport . . 24333 6107 W. u. C. B. Ausflug iu dcn Kaibarpaß . . 30 sVon Peschawar nach Lahore, Amrit-E. B. ^ sir, Agra, Allahabad, Vcnarcs, Üal- !. kntta......... . 1609 E. B. Vou 5lalkutta uach Tarjee- ^ u. ling.......364s ^_ Dan- Ausflug uach Sikkim ... 22 l dy. Zurück nach Kalkutta . . . 3641 D. S. Von Kalkutta nach Colombo (Ceylon) 1412 Von Colombo nach Albany (King-Gcorgc-Sonnd) . . 3379 D.S.! Von Albany nach Glenclg 5682 (Adelaide)......181« Von Glenelg nach Melbourne 485 E. B. Von Melbourne nach Sydney... 580 Von Sydney nach San-Francisco: Von Sydney nach Newcastle 55 Von Newcastle nach Norfolk-Island ......900 Von Norfolk-Island nach Suva (Fiji-Island).....909 ^. AuGng nach Mbao, hin nnd Z- zurück....... 70 ^ Von Suva nach Levuka . . 60 H 1 Von Levnka nach Mango-Is- 2739 ^ land.......115 D Von Mango nach Loma Loma 36 A Von Loma Loma nach Nina- Tobntava (Keftftel-Island) 285 Von Nina-Tobntcwa nach Apia, Npolu (Samoa). . . . 189 Von Apia nach Pango Pango (Tutnila-Island) ... 120 Laws . . . 34166 9076 Anhang. 377 Geographische Englische Meilen. Meilen. Transport . . 34166 9076 ^ Von Pango Pango nach dem > A Westcaft (Tutuila) ... 18 ^ 1 (2757 auf dem Efpiegle.) s ^ ^ Von Tutuila nach Honolulu 2280 Z' Von Honolulu nach San-Fran-Z cisco.......2100 D. S. Von San-Francisco nach Portland . 680 E. B. Von Portland nach St.-Paul (North- Pacific-Nivcr)....... 1911 E. B. Von St.-Paul nach Chicago . . . 410 E. B. Von Chicago nach Niagara-Falls über Tetroit......... 512 E. B. s Von Niagara - Falls nach Lewston, u. ^. Toronto, Kingston nnd Prcscott D. S. ^ nach Montreal....... 114 353 E. B. Von Montreal nach Quebec ... 172 E. B. Von Quebec nach Voston .... 420 E. B. Von Boston nach Ncuyork .... 2^0 'D. S. Von Neuyork uach Newport und zurück 800 D. S. Von Neuyork nach Queenstown (Cu- nard Southern-Track).....2960 Summa 42618 13084 13084 engl. Meilen ^ 11351 Summe in gcogr. Meilen 60 auf den Grad: 53969 Summe in deutschen Meilen 15 auf den Grad: 13492,25 oder: 99942 Kilometer. Druck von F. A. Vrockhaus in Leipzig.