Peter Scherber, Einige Anmerkungen zur Entstehung von Grums Dogodek v mestu Gogi 601 UDK 821.163.6.09–2 Grum S. Peter Scherber Dunaj EINIGE ANMERKUNGEN ZUR ENTSTEHUNG VON GRUMS DOGODEK V MESTU GOGI Prispevek se posveča trem vidikom drame Dogodek v mestu Gogi Slavka Gruma, ki doslej niso bili dokončno pojasnjeni: vprašanju odrske koncepcije, vprašanju, kdaj je Grum začel svoje delo za dramo, in vprašanju, kako je lahko prišlo do naslova in še posebej do oznake imaginarnega kraja Goga. The article focuses on three aspects of Slavko Grum’s play Dogodek v mestu Gogi that have not received the ultimate explanation, i.e., the issue of stage conception, the issue when Grum began working on the drama, and the issue where the title and, particularly, the imaginary place Goga originate. Ključne besede: Slavko Grum, mesto Goga, provincialnost, simultani oder Key words: Slavko Grum, town of Goga, provinciality, simultaneous stage Slavko Grums Drama Dogodek v mestu Gogi, im Druck erschienen 1930 und uraufgeführt 1931, gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten Zeugnissen slowenischer Dramatik im 20. Jahrhundert. Sowohl hinsichtlich seiner Aufführungskonzeption, in welcher die damals neue Idee der Simultanbühne verwirklicht worden ist, als auch in der Erfahrung der Freudschen Psychoanalyse, die den geistigen Hintergrund des Dramas darstellt, ist Grum auf der Höhe seiner Zeit. Letztendlich wird hier von Grum bereits das absurde Drama von der Mitte des Jahrhunderts vorweggenommen und man mag bedauern, dass der Autor keine weiteren Dramen mehr geschrieben hat. Sein Werk wurde bereits bei Erscheinen von Kritikern wie Josip Vidmar oder Marja Boršnik als bahnbrechend erkannt und gewürdigt. Nicht zuletzt, weil Grum seit der Mitte der 1930er Jahre nichts mehr publiziert hat und auch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im öffentlichen Leben aufgetreten ist, war er schon bei seinem Tode im Jahre 1949 so gut wie vergessen. Erst 1957 erschien die erste Sammlung von dramatischen und von Prosatexten Grums, die Herbert Grün und Milan Pritekelj pu- blizierten (Grum 1957). Herbert Grün erkannte schon damals, zu einer Zeit, als Grums Texte sich nicht gerade in den Kanon sozialistischer Literaturtradition einreihen ließen, die Bedeutung von Grums Drama. Seinen Essay Nemo propheta, mit dem sozusagen die Wiederentdeckung Grums beginnt, leitet er mit den folgenden Worten ein: Mimo Linharta, Levstika in Cankarja je Dogodek v mestu Gogi nemara najboljše, kar le pre- more slovenska književnost v dramski obliki. Kljub temu slovenska omika in njeno občinstvo Slavka Gruma tudi po smrti še vedno ne prištevata h klasikom gledališča in slovstva, tem več ga obravnavata – kadar ga sploh! – le kot kuriozum, kot obrobno posebnost, ki ne sodi v panteon, temveč na bulvar: to razodevata enako v publicistični teoriji kakor v gledališki praksi. Čuden in bridek paradoks, pristno šentfl orjanski in gogovski. (Grün 1976: 170) SR 4 - 2006.indd 601 SR 4 - 2006.indd 601 7.2.2007 11:10:22 7.2.2007 11:10:22 Slavistična revija (https://srl.si) je ponujena pod licenco Creative Commons, priznanje avtorstva 4.0 international. URL https://srl.si/sql_pdf/SRL_2006_4_8.pdf | DOST. 15/03/24 11.06 602 Slavistična revija, letnik 54/2006, št. 4, oktober–december Da ist sie auch schon, die immer wieder als treffend erkannte Gleichsetzung von »šentfl orjanski« und »gogovski«, die von Anbeginn an so gut wie evident war und die zu relativieren Grum selbst nicht gelang. Ich werde deshalb am Ende meines Beitrages noch einmal zu diesem Problem zurückkehren. Ich möchte im folgenden Beitrag auf drei – zugegebenermaßen nicht allzu zen- tralen – Fragen nachgehen, die aber dennoch das bisher erforschte Werk von Slavko Grum an einigen Stellen ergänzen sollen. Zuerst einmal möchte ich hier kurz auf die überragende Bedeutung der modernen Bühnenkonzeption hinweisen, wie sie Grum in seinem Dogodek verwirklicht haben wollte und des weiteren einer Frage nachgehen, die bislang nur scheinbar als bereits gelöst gegolten hat: die Frage der Werksgenese, 1 also der Bestimmung des Zeitraums, in dem Grum an seinem Drama gearbeitet hat. Schließlich werde ich mich auch zu der Herkunft des Dramentitels und des Namens »Goga« äußern, was dann vielleicht auch ein wenig die von Grum intendierte Bedeu- tung dieses »düster-wunderbaren« Ortes zu erhellen vermag. Die Forschung über Slavko Grums Werk, die bekanntlich nach Anfängen um 1930 erst verspätet wieder aufgenommen wurde und dann in der von Lado Kralj verantwor- teten Gesamtausgabe (Grum 1976) einen editorischen Höhepunkt erreicht hat, leistete Bedeutendes, um dem Autor, der ja nie ein hauptberufl icher professioneller Schrift- steller gewesen ist, und dessen gesamtes Werk in nicht viel mehr als einem Jahrzehnt entstanden ist, den ihm gebührenden Rang als einem der wichtigsten Dramatiker und Autoren von Kurzprosa in der Nachfolge Cankars zuzuweisen. Dennoch sind einige Fragen über Grums Dramatik strittig oder noch offen ge- blieben. Dazu gehört vor allem die Frage der Bühnenkonzeption und insbesondere des Bühnenbildes, die man nicht losgelöst von den persönlichen Erfahrungen Grums als leidenschaftlicher Theatergänger in seiner Wiener Studienzeit sehen kann. Hier scheint er denn auch die ersten Anregungen erhalten zu haben, sich der Simultanbühne als einem adäquaten theatralischen Ausdrucksmittel der damaligen Theatermoderne zuzuwenden. Unmittelbares Zeugnis von seiner engagierten Teilnahme am Wiener Theatergeschehen sind Grums begeisterte Äußerungen zum Gastspiel Tairovs in Wien, dessen Salome-Aufführung er im Sommer 1925 zusammen mit Bratko Kreft besuchte. 2 Sowohl bei Erwin Piscator in Berlin wie auch an verschiedenen Wiener Bühnen waren ebenfalls interessante Experimente mit der Simultanbühne unternommen worden 3 und 1 Was die Werksgenese anbelangt, haben sich diesem Thema vor allem F. Zadravec und L. Kralj gewid- met (Zadravec 1971, Kralj 1976). 2 Nach dem Brief an Joža Debelak (Grum 1976, II: 51) zu schließen, war dies am 19. Juni 1925. Bratko Kreft, der mit Grum die Aufführung im Raimundtheater besuchte, beschreibt sehr ausführlich die Theater- konzeption Tairovs und auch den Eindruck, den das Gastspiel des Moskauer Kammertheaters auf die jungen slowenischen Intellektuellen gemacht hat in seinem 1925 geschriebenen und später mit Kommentaren versehenen Essay Rusko gledališče v revoluciji (Kreft 1963). 3 Hier sei besonders der Bühnenbildner Oskar Strnad (1879–1935) erwähnt, der neben seiner Arbeit für Max Reinhardt am Theater in der Josefstadt am Burgtheater 1925 das Bühnenbild für Romeo und Julia mit einer Simultanbühne realisierte. Weitere bahnbrechende Bühnenbildner waren Friedrich Kiesler (1890–1965) mit seinem Konzept der Raumbühne und Remigius Geyling (1878–1974), der in seiner Peer Gynt-Auf- führung ein ähnliches Bühnenbild einer Häusergruppe realisierte, wie es dann der mit Grum befreundete Vavpotič in der Aufführung von Goga in Ljubljana, nun aber verbunden mit dem modernen Konzept der Simultanbühne verwirklichte. SR 4 - 2006.indd 602 SR 4 - 2006.indd 602 7.2.2007 11:10:22 7.2.2007 11:10:22 Slavistična revija (https://srl.si) je ponujena pod licenco Creative Commons, priznanje avtorstva 4.0 international. URL https://srl.si/sql_pdf/SRL_2006_4_8.pdf | DOST. 15/03/24 11.06 Peter Scherber, Einige Anmerkungen zur Entstehung von Grums Dogodek v mestu Gogi 603 die revolutionären technischen Konzepte, die 1924 auf der »Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik« in Wien präsentiert wurden, sind sicher auch Grum zur Kenntnis gelangt, wenn er nicht, was nahe liegt, sogar Besucher dieser Ausstellung gewesen ist. Welchen Stellenwert Grum in seiner Dramatik dem Bühnenbild einräumte, wird immer wieder in seinem Briefwechsel deutlich. 4 Über die Genese des Dramas Dogodek v mestu Gogi gibt es widersprüchliche Anga- ben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass zur Genese eines Dramas natürlich nicht erst die Niederschrift als Manuskript (beziehungsweise Typoskript) gehört, sondern auch die Zeit vor der endgültigen Fassung, gewissermaßen eine Art Latenzzeit, in welcher der feste Wille, ein bestimmtes Werk zu verfassen, die kreativen Kapazitäten seines Autors bestimmt. Selbstverständlich könnte dies Tür und Tor der wilden Spekulation öffnen, sofern es nicht sehr sichere und plausible Fakten gibt, die eine vernünftige Eingrenzung dieser Latenzphase erlauben. Insbesondere bei Autoren, die Motive, Figuren, Namen von Personen immer wieder neu verwenden und in ihrem Werk verankern, besteht die Gefahr, den Beginn dieser Latenzphase unzulässig und damit kaum aussagekräftig zu weit zurück zu verlegen. Deshalb erfordert es schon eine sehr präzise und verantwor- tungsvolle Analyse, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, von wann ab von einem Autor die Arbeit an einem späteren Werk begonnen wird. 5 Sehr wichtige Daten hierbei sind immer die Selbstzeugnisse des Autors, doch auch diese müssen grundsätzlich immer kritisch hinterfragt werden. Wie von Kralj berichtet, gibt es drei derartige Selbstaussagen Grums zur Entstehung von Goga. 1. In einer Umfrage der Zeitung Slovenski Narod (SN) unter dem Titel »Kaj delajo in snujejo naši umetniki« vom 14. Juli 1928 wurde Grum befragt und antwortete unter anderem: »Trenutno si delam beležke za neko dramo, ki jo nameravam zgraditi v povsem svojevrstnem, infantilističnem štilu [...]« (Grum 1976, I: 422). Offensicht- lich war zu dieser Zeit, wenn seine Angaben gestimmt haben, die Niederschrift des Dramas noch nicht erfolgt. 2. Beinahe ein Jahr später, am 25. Mai 1929 erschien, ebenfalls in Slovenski narod, ein Interview anlässlich der Verleihung des Literaturpreises aus Belgrad an Grum mit dem Titel »Človeštvo oropani iluzij in božanstva«, das Milan Zadnek mit Grum führte. Zur Entstehung von Goga äußert er sich dabei nur kurz über die Dauer der Niederschrift: »Dramo ‚Dogodek v mestu Gogi’ sem zgradil kakor mozaik iz posa- meznih slik. Napisal sem jo v 3 tednih, popravljal sem jo pa nad pol leta.« (Grum 1976, I: 425) Diese Aussage ist ziemlich präzise, zumindest, was die Dauer der Niederschrift und die Korrekturen an diesem Text anbelangt und sie wird durch die spätere Aussage im Interview mit Božidar Borko 1931 bestätigt. 4 Vgl. im Brief an Otto F. Babler 3. 10. 1929: »Narisati bom dal še scenerijo drame, ker je prizorišče precej divje, moderno, in bi si ga sicer režiser težko predstavljal.« (Grum 1976, II: 158), an Fran Albreht 3. 4. 1931: »Da je igra tudi na ljubljanskem odru scenično izvedljiva, sva se skupno z Vavpotičem do dobra prepričala, zgraditi bi se dalo te stavbe s samimi praktikabli, ki jih ima oder že v zalogi in ne bilo treba bogve kakih investicij«.(Grum 1976, II: 146), oder wenn er Radovan Brenčič, dem Regisseur der Uraufführung in Maribor die Entwürfe Vavpotičs mit Brief vom 9. 10. 1930 empfi ehlt. (Grum 1976, II:166) 5 Im Interview mit Božidar Borko hat sich Grum auch zu dieser Phase und diesem ausschlaggebenden Ereignis geäußert: »Prevzame me neko doživetje, potem hodim okrog bolan in ne znam živeti dalje, dokler se ne – izpišem« (Grum 1976, I: 448) SR 4 - 2006.indd 603 SR 4 - 2006.indd 603 7.2.2007 11:10:22 7.2.2007 11:10:22 Slavistična revija (https://srl.si) je ponujena pod licenco Creative Commons, priznanje avtorstva 4.0 international. URL https://srl.si/sql_pdf/SRL_2006_4_8.pdf | DOST. 15/03/24 11.06 604 Slavistična revija, letnik 54/2006, št. 4, oktober–december 3. In dem bereits erwähnten und im Kommentarteil der Gesamtausgabe wieder abgedruckten Interview mit Borko, das in der Zeitung Jutro am 19. September 1931 erschienen ist (Grum 1976, I: 447–450) spricht Grum sowohl die angeblich ausschlaggebende Anregung durch Joža Debelak als auch die spätere Phase der Niederschrift des Dramas an: Snov za ‚Dogodek’ so mi dali povsem intimni, osebni doživljaji. Nekoč mi je dejalo neko dekle sredi noči v temni predmestni izbi: Ali Vas ne bi moglo biti sedajle zelo groza, če bi naenkrat doli na ulici vzniknil šepajoč korak, ki bi potem obstal in se ne hotel prenesti dalje? – To vprašanje je bila prva inspiracija moje drame. Napisal sem jo poleti leta 1928. In sicer neobičajno hitro, v treh tednih, toda popravljal sem jo potem dobrega pol leta. (Grum 1976, I: 448–449) Auch in seinem Brief vom 17. Dezember 1929, also bereits nach ihrer endgültigen Trennung, erinnerte Grum Joža an dieses nächtliche Gespräch. 6 Die Ortsangabe einer »V orstadtstube« und die Umstände ihres Zusammenseins (»intimni, osebni doživljaj«, »sredi noči«) läßt darauf schließen, dass dieses Gespräch in der Zeit stattfand, in der sich Grum in Ljubljana befand und in der beider Verhältnis noch ungetrübt war, was vermutlich nur für die Zeit zwischen August 1926 und März 1927 gelten kann. Sehr genau dagegen ist belegt, dass Joža Debelak kurz vor dem 1. März 1929, dem Abgabetermin für den Literaturwettbewerb in Belgrad, in dem das Drama ausgezeichnet wurde, eine Schreibmaschinenfassung von Goga angefertigt hat. 7 Hieraus stellt sich die wahrscheinliche Aufeinanderfolge von der Niederschrift bis zur maschinenschriftlichen Einreichung des Manuskripts in Belgrad folgendermaßen dar: Im Juli/August 1928 hat Grum seine Aufzeichnungen niedergeschrieben. Anschliessend wurde am Text gefeilt und korrigiert und Ende Februar hat Joža Debelak das Typoskript erstellt, das zum 1. März 1929 in Belgrad eingereicht wurde. Es gibt aber leider keine durch konkrete Daten fi xierbare Hinweise Grums darüber, wie wir uns die Genese des Dramas über die unterschiedlichen Prosa-Entwürfe und dramatischen Versuche bis zur Niederschrift vorstellen können. 8 So entschloss sich Lado Kralj anhand des vorliegenden Materials für die Annahme, dass Entstehung und Niederschrift eng beieinander gelegen haben und für das Jahr 1928 anzusetzen seien. Milan Pritekelj, der Mitherausgeber der ersten Werksausgabe von 1957, der war der Meinung, Grum habe bereits Ende 1926 begonnen, sein Drama zu schreiben. Er begründete diese Meinung mit dem fi guralen Motiv des »Hinkenden«, das sowohl in der Skizze Zločin v predmestju (geschrieben spätestens Anfang 1927) als auch im Drama Dogodek v mestu Gogi in der Figur des Klef verwirklicht worden war. Die Wichtigkeit dieses Motivs für die Genese des Dramas erhellt auch aus der oben zitierten Antwort in Borkos Interview. Außerdem berief sich Pritekelj noch auf einen Zeitgenossen Grums, der ebenfalls einen Zeitpunkt Ende 1926 genannt haben soll, an den er sich aber nicht mehr genau erinnern konnte. Wegen dieser nicht sehr überzeugenden Materiallage entschied sich der Herausgeber der Gesamtausgabe von 6 » – saj se je spomnite, tisto za katero ste mi dali misel vi – šepavec v noči.« (Grum 1976, II: 133). 7 Vgl. dazu den Brief an Joža Debelak vom 11. Dezember 1929 (Grum 1976, II: 131). 8 Vgl. zur Genese des Dramas auch die frühen Überlegungen von Zadravec (Zadravec 1971: 197–198). SR 4 - 2006.indd 604 SR 4 - 2006.indd 604 7.2.2007 11:10:22 7.2.2007 11:10:22 Slavistična revija (https://srl.si) je ponujena pod licenco Creative Commons, priznanje avtorstva 4.0 international. URL https://srl.si/sql_pdf/SRL_2006_4_8.pdf | DOST. 15/03/24 11.06 Peter Scherber, Einige Anmerkungen zur Entstehung von Grums Dogodek v mestu Gogi 605 1976 für die wahrscheinlichere, wenngleich ebenso vage, aber durch das Wort des Autors gleichsam autorisierte Datierung in den Sommer 1928. Tatsächlich gibt es doch noch weitere Argumente für eine frühere Datierung. Hierzu ist es notwendig, einen genaueren Blick auf die Werke Grums zu werfen, die als unmittelbare Vorstufen zu Goga gelten. Als unstrittig kann man hier den Einakter Upornik 9 und die Skizzen Zločin v predmestju, 10 Mansarda, 11 und nicht zuletzt auch Aloisius Ignatius Singbein 12 nennen. Alle vier Werke sind zwischen November 1925 und Anfang 1927 entstanden oder erschienen. Betrachtet man die einzelnen möglichen Entwürfe näher, so kann man aus ihnen doch ein sehr interessantes Bild über die Zeit der Genese von Dogodek v mestu Gogi gewinnen. Dies gilt vor allem Personengleichheiten, die schon im Einakter Upornik vorkommen oder Motive und Personenkonzepte die auch in den Skizzen vorkommen (die »Totenuhr« im Holz, Der Maler mit dem Namen »Žalostna madona«, der hinkende Schritt, oče Kvirin, Birič und viele andere). Sogar die Umstände der ersten Veröffentlichung von Zločin v predmestju könnten einen Hinweis darauf geben, dass Grum Anfang 1927 mit der Arbeit an Goga sehr beschäftigt war. Er schrieb nämlich in seinem Brief an Měrka am 30. Juni 1927 in wel- chem er ihm seine Skizze mit einigen Hinweisen zu ihrer Übersetzung schickte: »Nisem pozabil na Vas in bi Vam gotovo že poslal obljubljeno povestico, toda zaposlen sem z neko večjo stvarjo in sem se radi tega tako dolgo zakasnil« (Grum 1976, II: 15). Am aufschlussreichsten ist jedoch die Skizze Aloisius Ignatius Singbein. Sie wirkt sowohl hinsichtlich ihrer Szenerie, ihres fi guralen Inventars sowie wegen ihres ernüchternden Schlusses wie eine Szene aus dem späteren Drama, das in Prosaform daherkommt. Wenn wir uns zudem noch an der Stelle genauer umsehen, an welcher diese Skizze in Ljubljanski zvon abgedruckt ist, dann fällt auf, dass sie direkt auf die Übersetzung eines Textes von Leonid Leonov folgt. Als Herausgeber und Übersetzer zeichnete Dr. Nikolaj Preobraženskij, 13 der viele Jahre lang ein wichtiger Vermittler russischer Kultur und vor allem Literatur in Slowenien gewesen ist. Ihm verdanken wir zahlreiche Informationen zur jungen Sowjetliteratur in einer kundigen und kaum von ideologischen Scheuklappen behinderten Art der Darstellung. Nach einführenden Worten zum damals noch wenig bekannten Leonov bringt Preobraženskij das fi ktive V orwort und den Text eines ebenso fi ktiven Abschiedsbriefes von A. P . Kovjakin, die beide den narrativen Rahmen für eine Sammlung eigenwilliger und grotesk komischer, im Skaz erzählter Geschichten abgeben, die Leonov 1924 im Russkij sovremennik veröffentlicht hatte. Der Titel dieser Sammlung 14 lautet im Origi- nal: »Zapisi nekotorych ėpizodov, sdelannye v gorode Goguljeve Andreem Petrovičem 9 Erschienen in Ljubljanski zvon (LZ) 1927, 1, 10–16. 10 Erschien zuerst Ende Juli 1927 in einer slowakischen Übersetzung, so dass die Fertigstellung der Skizze für das Frühjahr 1927 anzusetzen ist. Vgl. dazu den Brief an den Übersetzer Měrka (Grum 1976, II: 151). 11 LZ 1925, 11, 666–667. 12 LZ 1926, 11, 705–706. 13 Später war er als Professor für Russistik an den Universitäten Zadar und Frankfurt am Main tätig. 14 Leonid Leonov, Sobranie sočinenij v desjati tomach. Tom 1: Povesti i rasskazy. Moskva 1981, 281–344. SR 4 - 2006.indd 605 SR 4 - 2006.indd 605 7.2.2007 11:10:23 7.2.2007 11:10:23 Slavistična revija (https://srl.si) je ponujena pod licenco Creative Commons, priznanje avtorstva 4.0 international. URL https://srl.si/sql_pdf/SRL_2006_4_8.pdf | DOST. 15/03/24 11.06 606 Slavistična revija, letnik 54/2006, št. 4, oktober–december Kovjakinym«, was von Preobraženskij mit »Zapiski o nekaterih dogodkih v mestu Goguljevo« 15 ins Slowenische übersetzt wurde. Die Wortwahl Preobraženskijs bei der Übersetzung und auch der Ortsname Go- guljevo weisen sehr wahrscheinlich mehr als nur zufällige Gemeinsamkeiten mit dem Titel des späteren Dramas von Grum auf, insbesondere, da wir doch annehmen können, dass die Häufung der Entwürfe aber auch die Anregung Jožas bezüglich des »hinkenden Schrittes« in der Nacht mit der Zeit der V eröffentlichung des Leonovtextes im Ljubljanski zvon zusammen fallen dürfte. Schon Preobraženskij hatte in seinen einleitenden Worten darauf hingewiesen, dass Leonovs »žalostni in komični Goguljevski zapiski« Erfolg gehabt hätten, als »slika popolnega neuspeha revolucije v globini Rusije, kjer je povzročila samo obup na smrt in ponižanje obsojenih malih meščanov«. Weiter meint er zu Leonov: »Njegove slike ruske vsakdanjosti imajo nekaj tudi od Dostojevskega: mali junaki se namreč občutijo kot žrtve nekega besa, ki jim je vzel nekdanje mirno življenje.« 16 Grum, der neben Dostojevskij, Tolstoj und anderen russischen Klassikern auch sein Interesse an junger russischer Prosa bekundet hat, 17 könnte ja damit in der Tat Auto- ren wie Leonov gemeint haben. Ob er allerdings alle Texte der Leonovschen Zapisi gelesen hat, oder auch andere junge russische Autoren, dafür fehlen uns die Belege. Zumindest aber dürfen wir annehmen, dass Grum eine besondere Sensibilität für die Zwischenbereiche zwischen dem Epistolaren und der klassischen fi ktionalen Prosa besaß, in dem auch die Zapisi Leonovs beheimatet waren. 18 Wofür steht nun der Ortsname Goga. Die Gleichsetzung Gogas mit einem langwei- ligen, kleinen Provinznest, voll der sozialen Kontrolle und mit geheimnisvollen, schwer durchschaubaren Ereignissen eint beide Orte, das Goga Grums und das Goguljevo Leonovs. Grum hat dies durchaus global und zeitlich nicht fi xiert verstanden und wollte dies nicht in erster Linie auf irgendwelche Orte in Slowenien oder anderswo bezogen wissen, deshalb schrieb er an Fran Albreht darüber: So moja imena nekoliko čudaška in zvenijo skoro nemško, toda to zaprašeno mestece, ki se godi v njem drama, nikakor ni Kranj ali Mokronog, temveč neko umišljeno, hote malo istinito, napol razpadlo mestece bolj iz srednjega kot novega veka, ko so bila po naših, slovenskih mestih v resnici taka imena. In potem je v meni neka čudna tendenca, ki je čisto izraz mojega karakterja in proti kateri se nočem boriti, in to je, vsa moja dogajanja, vse miljéje ter osebe nekako raznaroditi, sploh jim ovzeti vse znake lokalizma, narediti jih zelo občečloveške, nadnarodne in nadkrajevne. (Grum 1976, II: 145) Dies hat natürlich nicht verhindert, dass Goga in der weiteren Rezeption fast immer in der Cankarschen Tradition als Synonym zum St. Florianstal verstanden worden ist. Nur eben als ein Goga als einem globaler Hort allgemein auffi ndbarer menschlicher Angst und einer vom Grauen durchzogenen Unwirtlichkeit. 15 LZ 1926, 11, 702–705. 16 Alle drei Zitate: LZ 1926, 11, 702. 17 »Zelo mi imponira mlada ruska proza« meinte er im Interview mit Borko (Grum 1976, I: 450). 18 Vgl. dazu besonders L. Kraljs Ausführungen zu Brief und Tagebuch als zwischen den traditionellen Gattungen liegende Literaturformen unter anderem bei Grum (Kralj 2006). SR 4 - 2006.indd 606 SR 4 - 2006.indd 606 7.2.2007 11:10:23 7.2.2007 11:10:23 Slavistična revija (https://srl.si) je ponujena pod licenco Creative Commons, priznanje avtorstva 4.0 international. URL https://srl.si/sql_pdf/SRL_2006_4_8.pdf | DOST. 15/03/24 11.06 Peter Scherber, Einige Anmerkungen zur Entstehung von Grums Dogodek v mestu Gogi 607 LITERATURA Manfred BRAUNECK, 1986: Theater im 20. Jahrhundert. Programmschriften, Stilperioden, Re- formmodelle. Reinbek: Rowohlts Enzyklopädie. Herbert GRÜN, 1964: Nemo propheta. Radostna Melpomena. Ljubljana: Knjižnica mestnega gledališča 28. 170–172. Slavko GRÜM, 1957: Goga. Proza in drame. Uredila Herbert Grün in Milan Pritekelj. Maribor: Obzorja. Slavko GRÜM, 1976: Zbrano delo 1–2. Uredil Lado Kralj. Ljubljana: DZS. Lado KRALJ, 2006: Dnevnik in pismo kot modela slovenske kratke proze med vojnama. Slavi- stična revija 54/2. 205–220 Bratko KREFT, 1963: Rusko gledališče v revoluciji. Gledališče in revolucija. Ljubljana: Knjiž- nica mestnega gledališča 1963. 58–161. Leonid LEONOV, 1981: Sobranie sočinenij v desjati tomach. Tom 1: Povesti i rasskazy. Moskva: Chudožestvennaja literatura, 1981. 281–344. Josip VIDMAR, 1930: Slavko Grum: Dogodek v mestu Gogi. Ljubljanski zvon 1930, 562–565. Franc ZADRAVEC, 1971: Psichoanalitična drama Dogodek v mestu Gogi. Lirika, epika, drama- tika. Druga izdaja. (Avtorji: H. Glušič, M. Kmecl, S. Skaza, F. Zadravec). 189–209. Franc ZADRAVEC, 1993: Slovenska ekspresionistična literatura. Murska Sobota, Ljubljana: Po- murska založba, Znanstveni inštitut Filozofske fakultete. POVZETEK Drama Dogodek v mestu Gogi Slavka Gruma bo opazovana s treh vidikov. Najprej gre za odrski koncept simultanega odra, ki je bil tu v slovenski dramatiki prvi uresničen. Ponovno bo raziskano še vedno sporno vprašanje, kdaj je Grum začel z delom za to dramo. Izkaže se, da je treba kot verjetno upoštevati prvotno mnenje prvega urednika Grumovih del, ki je domneval čas konec leta 1926. V zvezi s tem vprašanjem se izkaže v pomoč, če pobliže pogledamo okoliščine objave neke Grumove črtice, ki velja za enega od konceptov za dramo. V časopisu Ljubljanski zvon stoji neposredno pred Grumovim besedilom prevod nekega besedila Leonida Leonova, ki je skoraj dobesedno anticipiral naslov poznejše drame. To bi lahko služilo razrešitvi doslej enigmatičnega krajevnega imena »Goga«, ki je medtem postalo utelešenje kraja duhovne ožine in provincialnosti. SR 4 - 2006.indd 607 SR 4 - 2006.indd 607 7.2.2007 11:10:23 7.2.2007 11:10:23 Slavistična revija (https://srl.si) je ponujena pod licenco Creative Commons, priznanje avtorstva 4.0 international. URL https://srl.si/sql_pdf/SRL_2006_4_8.pdf | DOST. 15/03/24 11.06 608 Slavistična revija, letnik 54/2006, št. 4, oktober–december SR 4 - 2006.indd 608 SR 4 - 2006.indd 608 7.2.2007 11:10:23 7.2.2007 11:10:23 Slavistična revija (https://srl.si) je ponujena pod licenco Creative Commons, priznanje avtorstva 4.0 international. 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