ISSN 0024-3922 LINGUISTICA LXI/1 METHODISCHE ZUGÄNGE ZU DIGITALEN TEXTEN UND DISKURSEN Metodološki pristopi k digitalnim besedilom in diskurzom Ljubljana 2021 Revijo sta ustanovila †Stanko Škerlj in †Milan Grošelj Revue fondée par †Stanko Škerlj et †Milan Grošelj Glavna in odgovorna urednica – Rédactrice en chef Martina Ožbot Številko LXI/1 uredila – Responsable du numéro LXI/1 Janja Polajnar Uredniški svet – Comité de rédaction Janez Orešnik, Stojan Bracic, Luka Repanšek Znanstveni svet – Comité scientifique Wolfgang U. Dressler (Wien), Martin Maiden (Oxford), Rosanna Sornicola (Napoli), Pierre Swiggers (Leuven) Svetovalni odbor številke LXI/1 – Comité consultatif du numéro LXI/1 Eva Gredel (Duisburg-Essen), Albrecht Greule (Regensburg), Derya Gür-.eker (Duisburg-Essen), Vida Jesenšek (Maribor), Monika Kavalir (Ljubljana), Konstanze Marx (Greifswald), Simon Meier-Vieracker (Dresden), Heinz-Dieter Pohl (Wien), Mirco Schönfeld (Bayreuth), Vedad Smailagic (Sarajevo), Friedemann Vogel (Siegen) Izid revije je financno podprla JAVNA AGENCIJA ZA RAZISKOVALNO DEJAVNOST RS Publié avec le soutien de L’AGENCE NATIONALE SLOVÈNE POUR LA RECHERCHE SCIENTIFIQUE This work is licensed under a Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License. / To delo je ponujeno pod licenco Creative Commons Priznanje avtorstva-Deljenje pod enakimi pogoji 4.0 Mednarodna licenca. CIP - Kataložni zapis o publikaciji Narodna in univerzitetna knjižnica, Ljubljana 81'42(082) METHODISCHE Zugänge zu digitalen Texten und Diskursen = Metodološki pristopi k digitalnim besedilom in diskurzom / [uredila Janja Polajnar]. - Ljubljana : Znanstvena založba Filozofske fakultete = Presses scientifiques de la Faculté des Lettres, 2021. - (Linguistica, ISSN 0024-3922 ; 61, 1) ISBN 978-961-06-0602-4 COBISS.SI-ID 101962755 SOMMAIRE – INHALTSVERZEICHNIS – VSEBINA VORWORT ...........................................................................................................................5 Henning Lobin SPRACHE IN NETZEN – TYPEN SPRACHLICHER NETZWERKE UND IHRE ANALYSE Jezik v mrežah – vrste jezikovnih mrež in njihova analiza 9............................................... Eva Gredel CORONA „IN A NUTSHELL“: EINE ANALYSE VON DIGITALEN DISKURSFRAGMENTEN IM KONTEXT VON „ERKLÄRVIDEOS“ ZUR COVID-19-PANDEMIE AUF YOUTUBEM Koronavirus „na kratko“: analiza digitalnih diskurznih fragmentov na primeru pojasnjevalnih videov o pandemiji Covida-19 na Youtubu 23............................................ Saša Kralj und Janja Polajnar THEMENDYNAMIKEN DIGITALER DISKURSE – EINE KONTRASTIVE DISKURSLINGUISTISCHE ANALYSE SLOWENISCH- UND DEUTSCHSPRACHIGER KOMMENTARFOREN ZUM ABTREIBUNGSGESETZ IN POLEN Dinamika obravnavanih tem v digitalnih diskurzih – kontrastivna diskurznolingvisticna analiza tem v slovenskih in nemških spletnih komentarjih 37......... Derya Gür-Seker „WIE SIEHT DIE #ZUKUNFTDERARBEIT AUS?“ – HASHTAGS ALS DREH- UND ANGELPUNKTE LINGUISTISCHER SOCIAL-MEDIA-ANALYSEN „Kakšna je videti prihodnost dela (#ZukunftderArbeit)?“ – Kljucniki kot osrednja tocka jezikoslovnih analiz družbenih omrežij 67............................ Aneta Stojic und Nataša Košuta METAPHORISCHE KOLLOKATIONEN – EINBLICKE IN EINE KORPUSBASIERTE STUDIE Metaforicne kolokacije – vpogled v korpusno raziskavo 81.................................................... Andrej Podobnik ZUM AUSDRUCK VON DUALITÄT IM ENGLISCHEN UND IM DEUTSCHEN – EINE INTERLINGUALE KORPUSBASIERTE UNTERSUCHUNG AUSGEWÄHLTER DUALFORMEN Izražanja dvojinskosti v anglešcini in nemšcini – medjezikovna korpusno podprta raziskava izbranih dvojinskih oblik 93................................................................................. Uršula Krevs Birk SYNCHRONE BETRACHTUNG MEHRSPRACHIGER GEOGRAFISCHER NAMEN DES SPRACHENPAARES DEUTSCH-SLOWENISCH ANHAND DIGITALER TEXTE UND DISKURSE Sinhroni pogled na vecjezicna geografska imena jezikoslovnega para nemšcina- slovenšcina v digitalnih besedilih in diskurzih 113................................................................... REZENSIONEN (RÉCENSIONS – OCENE) Elisabeth Putterer Christine RÖMER, Afra STURM: LEXIKOLOGIE 137...................................................... Stojan Bracic Vilmos ÁGEL: GRAMMATISCHE TEXTANALYSE. TEXTGLIEDER, SATZGLIEDER, WORTGRUPPENGLIEDER 141.............................................................. VORWORT Im Wintersemester 2020 fand an der Universität Ljubljana die Ringvorlesung „Diskursive Dynamiken“ mit internationalen Sprecherinnen und Sprechern statt, die den wissenschaftlichen Austausch zwischen den deutschen und slowenischen Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern anstrebte. Die Vorlesungen, die auch für die Öffentlichkeit in hybrider Form zugänglich gemacht wurden, begleiteten praxisorientierte Seminare für Studierende der Germanistik an der Philosophischen Fakultät. Im Anschluss an diese Veranstaltung entstanden das vorliegende thematische Heft „Methodische Zugänge zu digitalen Texten und Diskursen“, das vor allem methodische Vorgehensweisen und Herausforderungen mit Blick auf digitale Texte und Diskurse fokussiert, wie auch das Sonderheft „Diskursive Dynamiken“ in der sprachwissenschaftlichen Zeitschrift Deutsche Sprache (voraussichtlich 2022, i. Dr.), in dem Fallanalysen zu konkreten diskursiven Dynamiken auf unterschiedlichen Ebenen in gesellschaftlich relevanten Diskursen versammelt sind. Im vorliegenden thematischen Heft sind neben den Beiträgen der eingeladenen Vortragenden der Ringvorlesung auch zwei Beiträge von einer angehenden Wissenschaftlerin und einem angehenden Wissenschaftler publiziert, die von den praktischen Analysen in den erwähnten Seminaren profitierten. Die Herausgeberin verfolgte damit das Ziel, das ihr sehr am Herzen liegt, junge Germanistinnen und Germanisten an die Forschungspraxis heranzuführen. Die Vorträge sowie die sehr wertvollen Didaktisierungen für Studierende der Germanistik machten deutlich, wie vielfältig sich die methodischen Herangehensweisen bei der Untersuchung von digitalen Texten und Diskursen mit Blick auf beteiligte Diskursakteurinnen und -akteure gestalten und welche neuen Perspektiven dadurch auf sprachliche Kommunikation entstehen (vgl. Lobin in diesem Band). Des Weiteren wurde ersichtlich, welche Analyse- und Annotationsprogramme Forschende nicht nur bei den quantitativen (z. B. AntConc, Sketch Engine, COSMAS II), sondern auch bei den qualitativen, multimodalen Untersuchungen unterstützen können (z. B. MAXQDA). Mit Blick auf das Analysekorpus wurde zum einen die Wahl zwischen bestehenden großen elektronischen Korpora (z. B. das Deutsche Referenzkorpus (DeReko) oder British National Corpus (BNC)) und selbst gebauten, an die Forschungsfrage angepassten kleineren Korpora hervorgehoben. Bei letzteren standen zum anderen die sorgfältige Wahl des Analysekorpus (als eines repräsentativen Diskursausschnitts) und die Vorbereitung digitaler Analysetexte für die Analyse mit oben genannten Analyseprogrammen im Vordergrund. Insgesamt wurden dadurch die Forderungen der jüngeren linguistischen Forschung nach einer Kombination von qualitativen und quantitativen Zugängen relevant gesetzt, sei es, dass qualitative Analyseergebnisse durch quantitative Ergebnisse untermauert werden oder dass quantitative Analysen den Ausgangspunkt für weitere qualitative Analysen darstellen. Zudem wurden auch die Forderungen nach der Überprüfbarkeit der Analyseergebnisse hervorgehoben, indem Suchanfragen expliziert und annotierte Korpora für weitere Forschung frei verfügbar gemacht werden. Das thematische Heft wird durch den Beitrag eröffnet, in dem die in der linguistischen Forschung am wenigsten bekannten und verbreiteten Netzwerkanalysen dargestellt werden, die eine neue Perspektivierung der sprachlichen Kommunikation ermöglichen. In diesem Beitrag gibt Henning Lobin, wissenschaftlicher Direktor am Institut für Deutsche Sprache (IDS, Mannheim), zunächst einen Überblick über sprachliche Netzwerke und legt die Möglichkeiten zur Analyse dieser Netzwerke dar. Dazu werden zunächst drei Typen von sprachlichen Netzwerken prägnant vorgestellt. Anschließend wird das grundlegende Instrumentarium der Netzwerkanalyse aufgegriffen und erläutert, was die Anwendung dieser Methoden auf sprachliche Netzwerke für Zugänge eröffnen kann. In einem abschließenden Teil werden zudem Arbeiten genannt, die komplexere Methoden für sprachliche Netzwerke verwenden. Eva Gredel (Universität Duisburg-Essen) zeigt in ihrem Beitrag auf, wie komplex Diskursfragmente des digitalen Diskursraums YouTube sind und welche methodischen Zugänge für die diskurslinguistische Analyse von YouTube-Daten angemessen und relevant sind. Dies erläutert die Autorin anhand der Analyse etablierter Kampfmetaphern als multimodalen diskursiven Einheiten, wie sie in einem wissensvermittelnden Erklärvideo zum Thema der COVID-19-Pandemie und im anschließenden Kommentarforum vorkommen. Hierbei kombiniert sie diskurssemiotische Zugänge mit Ansätzen der (multimodalen) Interaktionsanalyse, um Kampfmetaphorik im Erklärvideo zu untersuchen, und schlägt für die ergänzende Analyse des Kommentarforums korpuslinguistische Verfahren wie Kookkurrenzanalysen und N-Gramm-Analysen vor. Saša Kralj und Janja Polajnar (Universität Ljubljana) erläutern in ihrem Beitrag, wie man Themendynamiken aus kontrastiver, diskurslinguistischer Perspektive untersuchen kann. Der Analyse thematischer Konstituenten der jeweiligen Teilthemen werden selbst konstruierte Analysekorpora aus Kommentarforen deutscher, österreichischer und slowenischer Online-Zeitungen zugrunde gelegt und zunächst qualitativ und anschließend quantitativ mit dem Analyseprogramm AntConc untersucht (Konkordanz-, Kookurrenz-, Kollokationsanalysen u.a.). Während mit der qualitativen Analyse die Themenkonstituenten mit Blick auf Themenentfaltung und Akteure untersucht werden, können mit AntConc ihre Serialität (Umfang und Vorkommen im Diskursverlauf) visuell zugänglich gemacht sowie ihre Kontextsensitivität (Kollokatoren) und Sequenzialität ermittelt werden. Derya Gür-.eker (Universität Duisburg-Essen) untersucht in ihrem Beitrag den sog. #ZukunftderArbeit-Diskurs in den Sozialen Medien Instagram, YouTube und Facebook, beschränkt sich bei der Analyse jedoch auf die Sprachebene. Das mithilfe des Hashtags #ZukunftderArbeit und des Suchworts ‚Zukunft der Arbeit‘/‚Künstliche Intelligenz‘ eruierte Diskurskorpus wird mit Blick auf die Meinungen der User/-innen zur Rolle der Digitalisierung und der Künstlichen Inteligenz auf die Arbeitswelt diskurslinguistisch, d. h. wort- und kontextorientiert analysiert. Hierfür werden quantitative und qualitative Zugänge kombiniert. Ausgehend von quantitativer Analyse und dadurch gewonnenen frequentiv dominierenden Diskurssträngen erschließt die Autorin in einem nächsten qualitativen Schritt Kontexte sowie Regelhaftigkeiten und Einstellungen in Bezug auf die Zukunft der Arbeit wie auch sprachliche Charakteristika des untersuchten Diskurses (Fachsprache, Anglizismen). Aneta Stojic und Nataša Košuta (Universität Rijeka) legen in ihrem Beitrag einige Ergebnisse aus dem umfangreichen Projekt zu deutschen, kroatischen, englischen und italienischen metaphorischen Kollokationen dar. Sie zeigen auf, wie metaphorische Kollokationen im interlingualen Vergleich mithilfe von Sketch Engine aus großen digitalen Korpora eruiert werden können. Nach der korpusbasierten Erhebung von Kollokationen werden diejenigen Wortverbindungen manuell selektiert, die eine metaphorische Umdeutung eines Bestandteils aufweisen. Die ermittelten Daten liefern zum einen prototypische Muster metaphorischer Kollokationen, die als Grundlage für eine Typologisierung dienen, und geben zum anderen wertvolle Einsichten in die Metaphorisierungsprozesse in einer interlingualen Perspektive. Andrej Podobnik (Universität Ljubljana) untersucht in seinem Beitrag Ausdrucksmöglichkeiten der Dualität im Englischen und Deutschen, die keine Dualparadigmen aufweisen. Die Untersuchung des aktuellen Gebrauchs von relativ vielfältigen Dualausdrücken in beiden Untersuchungssprachen erfolgt mithilfe von Sketch Engine und COSMAS II anhand von großen elektronischen Korpora: British National Corpus (BNC), English Web 2015 (enTenTen15) für das Englische und German Web 2013 (deTenTen13 ), das Deutsche Referenzkorpus (W – Archiv der geschriebenen Sprache und TAGGED-C) für das Deutsche. Die Ergebnisse der korpusbasierten Analyse zeigen, dass Dualausdrücke in beiden Sprachen einzigartige und alltägliche Formen einschließen, die untereinander viele Ähnlichkeiten wie auch Unterschiede mit Blick auf die Häufigkeit und die plurale bzw. duale Konzeptualisierung aufweisen. Uršula Krevs Birk (Universität Ljubljana) fokussiert in ihrem Beitrag ausgewählte zweisprachige deutsch-slowenische Toponymika. Anhand exemplarischer qualitativer Analysen repräsentativer digitaler Texte (z. B. Online-Wörterbuch slowenischer Exonyme, Kärntner Online-Ortsnamenbuch, das elektronische Korpus des Slowenischen Giga 2.0 usw.) zeigt die Autorin bei verschiedenen Namenpaarentypen, d. h. Namenpaaren im zusammenhängenden deutschen Sprachraum, im slowenischen Sprachraum oder in deutsch-slowenischen gemischtsprachigen Gebieten, aus synchroner Sicht diskursive Dynamiken mit Blick auf ihren Status als Namen- und Kulturgut auf. Ferner verweist die Autorin auf weitere Analyse-Möglichkeiten digital zugänglicher Namenpaare aus kontrastiv- und kulturlinguistischer, translatologischer, etymologischer, wie auch sozio- und diskurslingusitischer Perspektive. Die vorliegende Publikation wie auch die am Anfang erwähnte Ringvorlesung wurden von der Herausgeberin konzipiert und organisiert sowie von mehreren Akteurinnen und Akteuren sowie Institutionen großzügig unterstützt: in erster Linie vom DAAD, ferner vom Präsidenten des Alexander-von-Humboldt- und DAAD-Alumni-Vereins Slowenien, Ao. Prof. Dr. Sašo Jerše, und der damaligen DAAD-Lektorin an der Abteilung für Germanistik, Dr. Kristina Lahl, sowie von der Philosophischen Fakultät in Ljubljana. Ljubljana, 8. Februar 2022 Janja Polajnar Henning Lobin* Institut für Deutsche Sprache, Mannheim SPRACHE IN NETZEN TYPEN SPRACHLICHER NETZWERKE UND IHRE ANALYSE 1 EINLEITUNG: ERFAHRUNG EINES BLOG AUTORS1 * lobin@ids-mannheim.de 1 Der vorliegende Beitrag basiert in Teilen auf Lobin (2018). Wenn man zuvor Bücher und Aufsätze ausschließlich ganz „klassisch“ als Verlagspublikationen und in Zeitschriften veröffentlicht hat, macht man als Autor eines Wissenschaftsblogs einige ganz neue Erfahrungen. Dazu gehört die Geschwindigkeit des Publizierens, die wissenschaftliche Autorinnen und Autoren von traditionellen Publikationsformen her nicht kennen. Mit dem Klick auf den „Veröffentlichen“-Knopf geht ein Beitrag online, wird sofort gelesen, verlinkt und kommentiert. Eine weitere neue Erfahrung ist die Unmittelbarkeit, mit der etwas publiziert wird: Man selbst ist für alle Aspekte der Veröffentlichung zuständig und tritt dabei mit seiner Leserschaft in eine direkte, manchmal in eine zu direkte Verbindung. Die interessanteste Erfahrung ist aber die, den eigenen Beitrag, ja das ganze eigene Schreiben in ein Netzwerk von Kommunikation eingebunden zu sehen, das ständig in Bewegung ist, neue Verknüpfungen hervorbringt, unmittelbar auf neue Impulse reagiert und Bezüge zu Menschen und Inhalten herstellt, die einem zuvor nicht bekannt gewesen sind. Für einen Linguisten ist dabei besonders faszinierend, dass sämtliche Kommunikationsakte, die in derartigen Diskursen vollzogen werden, auch tatsächlich erfasst sind. Es ist dokumentiert, wer auf wen antwortet und zu welchem Zeitpunkt, so dass sich eine mit Zeitstempeln versehene hypertextuelle Struktur ergibt. Die einzelnen Kommentare bieten ein vollständiges Bild des Diskurses, denn neben den schriftlichen Beiträgen liegen ja keine weiteren aus der Interaktion hervorgegangenen Informationen vor – keine unbeobachteten Zwiegespräche, keine persönlichen Merkmale wie Aussehen oder Stimme der Kommentatoren und keine außersprachliche Interaktion durch Gesten und Blicke. Es zählt einzig und allein der geschriebene Text im Netz des digitalen Diskurses. Und dem Blog-Autor ist sogar einiges über seine Leserinnen und Leser bekannt: Von wo diese auf den Blog zugreifen, über welche Web-Seiten und sozialen Netze sie zu dem Beitrag gekommen sind, wie lange sie den Beitrag gelesen und wie viele andere Seiten des Blogs sie sonst noch aufgerufen haben. Diese Vollständigkeit in der Erfassung eines Diskurses ist es, was die Kommunikation in sozialen Netzen für die Linguistik so unwiderstehlich macht. Die Gespräche, Unterhaltungen, Kontroversen und verbalen Kämpfe auf Facebook, Twitter, Blogs und UDK 81:004.774 DOI: 10.4312/linguistica.61.1.9-21 anderen Plattformen sind gewissermaßen Laborfälle für Diskurse überhaupt. Ihre Abgrenzbarkeit und vollständige Erfassbarkeit machen sie zu Paradebeispielen für die Untersuchung des Netzes von Menschen und ihrer kommunikativen Verflechtung. 2 SPRACHE, IN NETZEN VERWOBEN Das Beispiel des Blogs zeigt, dass kommunikative Netzwerke von unterschiedlicher Art sein können. Es können zum einen die Inhalte miteinander verwoben sein: In einem Text wird auf einen anderen Text verwiesen, so dass sich ein Textgewebe ergibt. Als zweite Möglichkeit können wir Netze betrachten, die aus der Abfolge von Kommunikationsakten bestehen. Welche Äußerung folgt wann und als Reaktion auf welche andere? Sie sollen im Folgenden als Interaktionsnetzwerke bezeichnet werden. Und drittens können die kommunizierenden Personen selbst miteinander verwoben sein: Wer kommuniziert mit wem und wie oft? Diese Betrachtung führt zu sozialen Netzwerken. 2.1 Textgewebe Textgewebe sind unter der Bezeichnung „Hypertext“ schon seit längerer Zeit ein Gegenstand der Linguistik. Als Hypertext wird eine Menge von Texten verstanden, die durch Links miteinander verbunden sind. Links können sich auch auf bestimmten Textstellen (inklusive Bilder oder andere eingebettete Medien) beziehen. Das bekannteste Hypertextsystem ist das World Wide Web, allerdings können beispielsweise auch gedruckte Enzyklopädien als Hypertexte verstanden werden, da hier viele Einträge durch Verweise miteinander verlinkt sind, oder wissenschaftliche Texte mit ihren Literaturreferenzen, Zitaten, Fuß- und Endnoten. Wurden mit der Konjunktur von Hypertexten seit den 1990er Jahren zunächst die Eigenschaften dieser vermeintlich neuen Textsorte erforscht, befindet sich heute eher die Vernetzung selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit. Besonders interessant sind deshalb umfangreiche, aber in sich geschlossene Hypertext-Systeme mit einer gut funktionierenden Qualitätskontrolle wie Wikipedia. Wikipedia hat sich zu einem so wichtigen Gegenstand für sprachwissenschaftliche Untersuchungen entwickelt, dass mittlerweile sogar von einer „Wikipedistik“ als wissenschaftlicher Disziplin die Rede ist.2 2 Vgl. Gredel/Herzberg/Storrer (2017) sowie die Tagung zur „Linguistischen Wikipedistik“ 2017 an der Universität Mannheim (s. http://bit.ly/2EtV7YG). Von Bedeutung ist Wikipedia aus mehreren Gründen: Für die großen Sprachen liegen heute enorm umfangreiche Wikipedia-Versionen vor, deren Artikel untereinander verlinkt und, am Ende jedes Artikels, verschiedenen Kategorien zugeordnet sind. Externe Links sind klar als solche gekennzeichnet, alle anderen Links verweisen auf Artikel innerhalb einer Wikipedia-Sprachversion. Zudem weist jeder Artikel eine Versionsgeschichte auf, so dass man seine Genese sowie Zeitpunkt und Art von Änderungen nachvollziehen kann. Alle Diskussionen zwischen Autoren zu den Änderungen eines Artikels sind auf einer diesem eigens zugeordneten Seite dokumentiert. Insgesamt ergibt sich dadurch ein geschlossenes Hypertextsystem, dessen Struktur, Dynamik und kooperative Erstellung detailliert erforscht werden können. Linguistische Fragestellungen, die auf dieser Grundlage untersucht werden können, sind etwa solche zur Struktur des Wortschatzes oder zu den Eigenschaften der Semantik von Wörtern im Wikipedia-Netzwerk. Auch die Frage, wie sich Diskussionen von Wikipedia auf das Produkt, die Wikipedia-Artikel selbst, auswirken, ist von Interesse. Vergegenwärtigt man sich überdies, dass sehr viele Artikel auch mit ihren Entsprechungen in anderen Sprachversionen von Wikipedia verlinkt sind, ergibt sich sogar noch eine multilinguale, ja interkulturelle Dimension. Das hohe Maß an Organisation und Qualitätskontrolle, das bei Wikipedia vorliegt, macht dieses Hypertext-System zu einer so wichtigen Quelle für die Erforschung sprachlicher Netzwerke. Als eine Extremform sprachlicher Netzwerke können Wortnetze verstanden werden. Statt mehr oder weniger langer Texte sind in Wortnetzen einzelne Wörter miteinander verwoben. Auch Wortnetze besitzen bereits eine lange Tradition: Die großen Wörterbücher des Deutschen verzeichnen neben den formalen, inhaltlichen und Gebrauchseigenschaften eines Wortes oft auch Bezüge zu anderen Wörtern, etwa zu Synonymen, Antonymen (gegensätzlichen Begriffen) oder Hyperonymen (Oberbegriffen). Derartige Relationen zu Wörtern mit verwandter Bedeutung bilden das Grundprinzip des digitalen Wortnetzes WordNet.3 3 Vgl. https://wordnet.princeton.edu/. Relationen entfalten dort ein vollständiges Netz zwischen mehr als 100.000 Wörtern, so dass sich ein lexikalisches Gewebe ergibt, durch das man sich wie durch einen Hypertext hindurchbewegen kann (s. Abb. 1, Kamps 2001). Andere Wortnetze werden automatisiert aus der Analyse von Korpora gewonnen. Einen Ansatz dafür bieten Kollokationsanalysen, sofern man sie für jedes einzelne Wort in einem Korpus (ein einzelner Text oder eine größere Anzahl von Texten) durchführt. Verbindet man dann nämlich die Kollokatoren, also die besonders häufig in der Nachbarschaft eines Wortes vorkommenden Wörter, mit diesem Wort und setzt man dieses für alle Kollokatoren fort, so ergibt sich ein Netz von Kollokationen, das in einem ganz erstaunlichen Maße inhaltliche Zusammenhänge zwischen den Wörtern widerspiegelt. So zeigt Entrup (2017: 201) etwa, wie allein aufgrund derartiger Kollokationsanalysen die Bezüge zwischen den vier Mitgliedern der „Beatles“ abgeleitet werden können (s. Abb. 2).4 4 Beispiele für derartige Kollokationsnetze lassen sich unter http://corpora.uni-leipzig.de abfragen. Auch unmittelbare Nachbarschaftsbeziehungen, grammatische Abhängigkeiten oder andere Arten von Relationen zwischen Wörtern eignen sich für den Aufbau von Wortnetzen (vgl. z.B. Zweig 2016, Cech et al. 2016 und Chen/Liu 2016). Abb. 2: Anhand Kollokationsanalysen ermittelte Bezüge zwischen den vier Mitgliedern der „Beatles“ (Entrup 2017: 201) Abb. 1: Das Wortnetz (Kamps 2001) 2.2 Interaktionsnetzwerke Dialoge und Gespräche werden in der Linguistik als sich dynamisch entwickelnde Netzwerke verstanden (vgl. Fritz/Hundsnurscher 1994). Diese mündlichen Kommunikationstypen vollziehen sich gewöhnlich in realen Situationen, weshalb es eine eigenständige, schwierige Aufgabe darstellt, die Situation und die mündlichen Äußerungen adäquat zu erfassen. Nur vereinzelt sind schriftlich geführte Kontroversen untersucht worden (vgl. z.B. Fritz 2017: Kap. 10). Schriftliche Interaktionen im Internet dagegen finden im virtuellen Raum des Internets statt, in dem die gemeinsame „Situation“ der kommunizierenden Partner durch die sichtbare Oberfläche des verwendeten Programms oder der verwendeten Web-Seite genau dokumentiert werden kann. Überdies steht den Kommunikationspartnern ausschließlich ein schriftlicher Kanal zur Verfügung. Beides zusammen führt dazu, dass Interaktionen im Internet, wie schon erwähnt, nahezu vollständig erfasst werden können und somit einen idealen Gegenstand für die Untersuchung sprachlicher Interaktionen überhaupt bieten. Insbesondere die Dynamik solcher Interaktionen lässt sich sehr gut untersuchen, weil jeder Kommunikationsakt mit einer Zeitmarkierung versehen ist. Mit der Untersuchung des Interaktionsnetzwerks von Chat-Kommunikation (vgl. Beißwenger 2007) wurde ein Anfang gemacht, heute spielt die Interaktion auf Twitter, Facebook, in Blogs oder auf speziellen Plattformen wie Wikipedia eine ebenso große Rolle.5 5 Vgl. z.B. zu Twitter und Partnerschaftsnetzwerken Rudder (2016). Interaktionsnetzwerke entwickeln sich im kurzschrittigen zeitlichen Verlauf, weswegen ihre Dynamik von besonderem Interesse ist. Bei der Modellierung von sprachlichen Interaktionen ist in der linguistischen Gesprächsanalyse das Wechselspiel von Äußerungen in Gesprächssequenzen schon früh als dynamisches Netzwerk angesehen worden (vgl. z.B. Brinker/Sager 2010). In der Sprachtechnologie werden zur allgemeinen Modellierung von Dialogen sogenannte „endliche Übergangsnetzwerke“ eingesetzt, mithilfe derer in konkreten Interaktionen Auswahlentscheidungen für den nächsten Dialogschritt getroffen werden können (vgl. Carstensen 2017: 115–137). 2.3 Soziale Netzwerke Als letzter Typ eines Netzwerks können soziale Netze gelten. Anders als bei Interaktionsnetzwerken wird in ihnen die Verbindung zwischen Kommunikationspartnern als solchen erfasst, nicht in konkreten Interaktionssituationen. Als klassischer Fall kann das durch ein soziales Medium wie Facebook begründete soziale Netzwerk verstanden werden: Hier ist jeder Facebook-Teilnehmer mit anderen Teilnehmern „sozial“ verbunden, wenn eine „Freundschafts“-Beziehung zwischen ihnen besteht. Die Gesamtheit aller Freundschaftsbeziehungen zwischen Facebook-Teilnehmern lässt sich als ein Netzwerk modellieren. Auch für soziale Netzwerke gilt, dass unterschiedliche Arten von Relationen für die Vernetzung genutzt werden können. Bei Twitter kann es etwa die „Follower“-Relation sein, auf einem Blog-Portal die Information, welche Leser welche Beiträge kommentiert haben. Das soziologische Konzept des sozialen Netzwerks darf nicht gleichgesetzt werden mit den weithin genutzten sozialen Netzwerken im Internet.6 6 Grundlegend zu sozialen Netzwerken im soziologischen Sinne vgl. Fuhse (2018). Letztere prägen soziale Netzwerke im soziologischen Sinne aus und sollten deshalb besser als soziale Medien bezeichnet werden. Da Kommunikation eine der wichtigsten Grundlagen für soziale Ordnung darstellt, können soziale Netzwerke im Umkehrschluss auch als Ressource für die Untersuchung sprachlicher Kommunikation herangezogen werden. Dadurch, dass bestimmte soziale Netzwerke, die von Menschen gebildet werden, durch soziale Medien verwaltet und dokumentiert werden, eröffnen sich also interessante neue Forschungsperspektiven für die Sprachwissenschaft, und das in diesem Ausmaß erst seit wenigen Jahren. 3 WIE SICH NETZWERKE ERFORSCHEN LASSEN Für die wissenschaftliche Untersuchung von Netzwerken sind im Bereich der „Netzwerkanalyse“ einige gut entwickelte Methoden verfügbar (vgl. Fuhse 2018). Die einfachste Herangehensweise besteht darin, quantitative Eigenschaften von Netzwerken zu bestimmen: Wie viele Knoten gibt es, wie viele Kanten, wie groß ist das Verhältnis der realisierten zu den insgesamt im Netzwerk möglichen Kanten (die sogenannte Dichte)? Für Wikipedia etwa sind dies wichtige Basisinformationen (also die Anzahl der Seiten und der Verlinkungen), die sich von Sprachversion zu Sprachversion unterscheiden.7 7 Für Twitter, WhatsApp und andere soziale Medien existieren zahlreiche Plattformen, in denen solche elementaren quantitativen Auswertungen vorgenommen werden können, etwa http:// whatsanalyzer.informatik.uni-wuerzburg.de/, https://analytics.twitter.com/ oder http://www. twitonomy.com/profile.php. Die Eigenschaften einzelner Knoten lassen sich mit dem Konzept der Zentralität bestimmen. Dabei wird für die Knoten ermittelt, wie viele Kanten zu dem Knoten hinführen und wie viele Kanten von ihm wegführen (die sogenannte In- und Outdegree- Zentralität). Je nach dem, was die Kanten ausdrücken, lassen sich auf diese Weise besonders wichtige Knoten im Netzwerk identifizieren. Auf welche Artikel im Fall von Wikipedia also wird besonders häufig Bezug genommen und welche fungieren als „Hubs“, als Verteiler der Verlinkung auf andere? Auch in sozialen Netzwerken können durch Zentralität besonders einflussreiche oder im sozialen Sinne aktive Personen gefunden werden. Mit der Pfaddistanz wird die Anzahl von Kanten bezeichnet, über die man von einem Knoten zu einem bestimmten anderen Knoten gelangt. Pfaddistanzen lassen sich mit der Zentralität eines Knotens in der Weise verbinden, dass bestimmt werden kann, wie viele andere Knoten von einem Knoten in einer bestimmten Anzahl von Schritten erreicht werden können. Bestimmt man hingegen, über welche anderen Knoten die kürzesten Pfade zwischen zwei beliebigen Knoten im Netzwerk verlaufen und zählt diese jeweils für alle Knoten zusammen, kann man diejenigen Knoten bestimmen, über die ganz besonders viele dieser Pfade verlaufen. Derartige Knoten besitzen somit eine Art „Broker“-Status. In Wortnetzen spiegeln Pfaddistanzen Assoziationsketten von einem Konzept zu einem anderen wider (vgl. Deyne et al. (2016). Insbesondere semantische Netzwerke werden oftmals als Modelle der menschlichen Kognition angesehen (vgl. Beckage/Colunga 2016). In phonologischen Netzwerken bieten kurze Pfaddistanzen Erklärungen für Fehler beim Produzieren oder Verstehen gesprochener Sprache (vgl. Vitevitch et al. 2016). Manche Untermengen von Knoten in einem Netzwerk sind oftmals besonders stark miteinander vernetzt. Knotenmengen, die untereinander vollständig, also von jedem Knoten zu jedem anderen Knoten, vernetzt sind, werden als Cliquen bezeichnet. Es ist naheliegend, dass Cliquen von Menschen in sozialen Netzwerken für die Sprachwissenschaft besonders interessant sind, da in ihnen Eigenarten der Sprachverwendung bis hin zur Bildung neuer sprachlicher Varietäten zu erwarten sind, zum Beispiel im Bereich von Jugend- oder Fachsprache. Auch die Ermittlung solcher Knoten, die im Netzwerk hinsichtlich der Art ihrer Vernetzung mit anderen Knoten ganz ähnliche Eigenschaften aufweisen, ist ein wichtiges Verfahren in der Netzwerkanalyse. Wird das Netzwerk als Ganzes betrachtet, können die Knoten auf eine regelgeleitete Art miteinander verbunden sein oder zufällig. Eine auch im linguistischen Zusammenhang wichtige Mischform stellen die Small World-Netzwerke dar: Die Knoten sind dabei hauptsächlich mit benachbarten Knoten vernetzt, dazwischen gibt es aber immer wieder auch zufällig verteilte Verbindungen zu weiter entfernten Knoten. Derartige Netzwerke sind besonders leistungsfähig, wenn es darum geht, eine hohe Dichte mit kurzen Pfaddistanzen zu verbinden. Mit dem Konzept der Small World-Netzwerke lassen sich in Wikipedia thematische Zusammenhänge beschreiben, in Wortnetzen je nach Verbindungstyp grundlegende Zusammenhänge in verschiedenen linguistischen Dimensionen, beispielsweise von Wörtern eines bestimmten semantischen Teilbereichs. Noch weitergehend ist dies bei den sogenannten skalenfreien Netzwerken zu beobachten: Einer exponentiellen Verteilung folgend, weisen immer weniger Knoten immer mehr Verbindungen auf und fungieren dadurch zunehmend als Hubs. Auf diese Weise können in sehr großen Netzwerken sehr kurze Pfaddistanzen realisiert werden. Tatsächlich scheint das soziale Netzwerk der Menschheit so aufgebaut zu sein: In sechs Schritten ist es in den allermeisten Fällen möglich, von einem beliebigen Menschen zu einem beliebigen anderen aufgrund von Bekanntschaftsbeziehungen zu gelangen. Schließlich darf bei der Analyse von Netzwerken nicht die zeitliche Dimension unberücksichtigt bleiben, die Betrachtung der Netzwerkdynamik. Die verschiedenen Maße wie Dichte, Zentralität, Pfaddistanz und die partielle oder globale Netzwerktopologie können zu verschiedenen Zeitpunkten miteinander verglichen werden und ermöglichen dadurch Aussagen zur Entwicklung und Veränderung des Netzwerks oder von dessen Teilen. Differenziert sich etwa ein Netzwerk zunehmend zu einem Small World-Netzwerk aus? Gibt es eine generelle Tendenz in Netzwerken dahingehend, dass einzelne Knoten zu Hubs und Brokern werden, sich die Zentralität von Knoten mit bereits hoher Zentralität weiter erhöht? Diese und viele andere Fragen bieten eine ausgesprochen interessante Perspektive für die Untersuchung von Sprachwandel, ob es nun um die Rolle von sozialen Netzwerken für den Sprachwandel geht (vgl. Baxter 2016) oder die Rolle Einzelner in Interaktionsnetzwerken (vgl. Maity/Mukherjee 2016). 4 ANALYSE SPRACHLICHER NETZWERKE Die Netzmetapher bringt in Gestalt der Netzwerkanalyse nicht nur neue methodische Zugänge mit sich, sondern provoziert auch ganz neue Fragestellungen, die anders als mit einem netzwerkanalytischen Instrumentarium gar nicht zu beantworten wären. Eva Gredel (2017, 2020) etwa zeichnet mit einem Vergleich der unterschiedlichen Versionen von Wikipedia-Artikeln mit den dazu stattgefundenen Diskussionsprozessen nach, wie Wissen durch Diskurse sozial konstruiert wird.8 8 Zur Methodik vgl. Gredel (2018). Ihr gelingt damit ein Brückenschlag zwischen einer soziophilosophischen Diskursanalyse, wie sie Michel Foucault begründet hat, mit einer empirischen Analyse digitaler Kommunikationsprozesse. Mit ähnlichen Methoden wird auch die lokale Netzwerktopologie von politisch „aufgeladenen“ Begriffen wie dem der „Nation“ in verschiedenen Sprachversionen von Wikipedia untersucht und deren kulturelle Verortung in der jeweiligen Sprachgemeinschaft ermittelt – zumindest wie sie sich als Ergebnis von Wissensaushandlungsprozessen auf Wikipedia präsentieren (vgl. Kleinke/Schultz 2019). Alexander Mehler et al. (2018) untersuchen die Wortnetzwerke des Wiktionary- Wörterbuchs – eines parallel zu Wikipedia kooperativ entwickelten Online-Wörterbuchs –, das sie als ein Beispiel für ein sogenanntes skalenfreies Netzwerk identifizieren. Die Eigenschaft der Skalenfreiheit finden sie nicht nur in diesem Wörterbuch selbst, sondern auch in der Partizipationsdynamik der Wiktionary-Autoren. Mehler ermittelt daraus eine Verzerrung der Artikel-Verteilung in diesem Wörterbuch, die auf die überdurchschnittlich hohe Aktivität einzelner Autoren zurückzuführen ist. Eine solche Netzwerkanalyse eines Wörterbuchs ist tatsächlich nur dann möglich, wenn es wie das Wiktionary digital und mit allen Metadaten zu seiner Entstehung vollständig verfügbar ist. Problematisch ist also die „Ungleichmäßigkeit“, die in großen Netzwerken besteht, die von Menschen ohne zentrale Planung erstellt werden. Man kann jedoch zusätzliche Verbindung automatisch integrieren (vgl. Entrup 2017); das Netz wird also nicht nur analysiert, sondern auch aktiv erweitert. Mit Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens werden dabei beispielsweise im Wortnetzwerk WordNet neue Verbindungen zwischen Knoten erzeugt, die deren wechselseitige Bedeutungsrelationen beschreiben, ohne dass diese an irgendeiner Stelle im Netzwerk explizit aufgeführt oder auch nur indirekt ableitbar wären. Das relationale Wörterbuch kann dadurch homogenisiert werden – der Computer wird zum Lexikografen. Bei der Untersuchung von Interaktionsnetzwerken rückt der Kommunikationsteilnehmer mit seiner spezifischen Äußerung in den Blick (vgl. Albrecht 2013). Als besondere Herausforderung gilt dabei die große Dynamik, die Kommunikationsverläufe aufweisen. Auch die soziale Ebene, die dem Interaktionsnetzwerk als soziales Netzwerk unterliegt, muss in ihrem Einfluss auf die Produktion und Rezeption von Kommunikationsakten Berücksichtigung finden. In diversen Studien hat Angelika Storrer für unterschiedliche Typen von Online- Interaktionen gezeigt, welcher Nutzen trotzdem aus der netzwerkorientierten Perspek tive auf Kommunikation gezogen werden kann (vgl. z.B. Storrer 2013, 2017). So zeigt sie, dass in unterschiedlichen kommunikativen Zusammenhängen in der Interaktion große Varianz beim Sprachstil der Beteiligten zu verzeichnen ist. Das digitale Medium ruft keineswegs einen „Internet-Stil“ hervor, stilistische Variation geschieht vielmehr im jeweiligen Interaktionszusammenhang. Dieser wird, wie sie anhand von Chat-Gesprächen zeigt, in hohem Maße durch die Bildung von Teilnetzwerken in Gestalt von Chat-Räumen unterstützt – im netzwerkanalytischen Sinne ist das nichts anderes als die Förderung der Cliquen-Entstehung. Dass in solchen Chat-Räumen sogar mit räumlichen Ausdrücken gearbeitet wird, die tatsächlich zur Orientierung in dieser rein virtuellen Sphäre beitragen, hat Michael Beißwenger (2013) gezeigt. Einige sprachliche Faktoren besitzen einen geradezu diskursorganisatorischen Charakter, wie es Laura Herzberg (2017) anhand des Ausdrucks von Höflichkeit in Wikipedia-Diskussionen untersucht. Formen der Höflichkeit haben eine direkte Auswirkung auf den Verlauf von Konflikten, und diese wiederum sind ausschlaggebend bei der Wissensaushandlung, die sich in den Wikipedia-Artikeln als deren Produkten niederschlägt. Soziale Netzwerke sind für die Untersuchung von Sprachwandel besonders ergiebig. In verschiedenen Simulationsstudien konnte gezeigt werden, dass die Eigenschaften der Weitergabe sprachlichen Wissens über mehrere Generationen hinweg deutliche Auswirkungen auf den Erwerb von grammatischen und lexikalischen Regeln und somit auf die Evolution von Sprache haben können (vgl. Gong 2016). Auch in sozialen Netzwerken, die nicht selbst einer Dynamik unterliegen, setzen sich sprachliche Neuerungen sehr unterschiedlich durch. Dies geschieht in Abhängigkeit davon, wie groß die Vernetzungsdichte einzelner Beteiligter bei weitgehender Homogenität im übrigen Netzwerk ist. Derartige Studien sind ein erster Ansatzpunkt für ein tiefergehendes Verständnis von Prozessen des sprachlichen Wandels – dieser wird zwar schon seit langer Zeit in der Sprachwissenschaft beobachtet und ist recht gut durch Regeln (beispielsweise Lautgesetze) beschreibbar, worauf jedoch Reichweite und Gültigkeit dieser Regeln zurückzuführen sind, ist noch weitgehend unbekannt. 5 DAS KOMMUNIKATIVE BILD DER SPRACHE Das Bild der Sprache, das in diesem Beitrag gezeichnet worden ist, stellt Sprache in ihrem kommunikativen Kontext dar. Dieser Kontext ist ein Netzwerk aus Wörtern und Bedeutungen, Äußerungen im Diskurs von Menschen in ihren Beziehungen zueinander. Die digitale Erfassung dieser Struktur erlaubt nun endlich, diese Phänomene auf umfangreicher Datenbasis empirisch zu untersuchen. Formal als Netzwerk modelliert sind sie den statistischen Verfahren der Netzwerkanalyse zugänglich. Die sprachwissenschaftliche Untersuchung sprachlicher Netzwerke ist besonders ergiebig, wenn sie auf vollständig erhobenen Datenbeständen beruht. Dies ist bei Computer- vermittelter Kommunikation der Fall, also bei Kommunikationsereignissen, die Twitter, Facebook, Blogs oder anderen sozialen Medien entstammen. In ihnen ist für jeden einzelnen Kommunikationsakt bekannt, was genau er beinhaltet, wann er von wem getätigt wurde und an wen er sich richtet. Eine derartige Vollständigkeit und Genauigkeit ist bei der Aufzeichnung der Äußerungen von Anwesenden in einer Gesprächssituation nicht erreichbar. Die Kommunikation in sozialen Medien ist deshalb nicht nur ein Beispiel für neuere Entwicklungen bei technisch unterstützter Kommunikation. Sie bildet zugleich auch einen Laborfall für die Untersuchung sprachlicher Netzwerke, und die daraus gewonnenen Erkenntnisse lassen sich, so zumindest die Überlegung, auf Kommunikationsverläufe anderer Art übertragen. Die Auffassung von sprachlicher Kommunikation als die eines mehrdimensionalen Netzes von Bezügen zwischen Menschen, Äußerungen, Wörtern und Konzepten bricht mit der rationalistischen Idealisierung von Kommunikation, wie sie in der Antike durch die Dialektik angelegt und im 20. Jahrhundert zur Logizentrik radikalisiert wurde. Nicht die Äußerung selbst trägt eine Bedeutung, diese ist vielmehr determiniert in einem Netzwerk von Bezügen, das zudem eigenen Netzwerkeffekten unterliegt. Damit bilden nicht mehr idealisierte Interaktionen die Grundlage für die Erforschung von Diskursen, es werden vielmehr reale Interaktionszusammenhänge in den Blick genommen. Vielleicht ist gerade das die wichtigste Erkenntnis bei der Betrachtung sprachlicher Netzwerke: In ihnen tritt die in der Linguistik lange vernachlässigte Sozialität wieder in den Vordergrund, die Sozialität von Menschen in ihrer Interaktion im Medium der Sprache. Literatur ALBRECHT, Steffen (2013) „Kommunikation als soziales Netzwerk? 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Netzwerke sprachlicher Objekte gab und gibt es zwar auch ohne Digitalisierung und Vernetzung, jedoch weniger umfangreich und wesentlich schwerer, möglicherweise gar nicht in großer Menge analysierbar. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den verschiedenen Typen sprachlicher Netzwerke: Textgeweben, Interaktionsnetzwerken und sozialen Netzwerken. Es werden zentrale Begrifflichkeiten der Netzwerkanalyse erläutert und anhand von Beispielen gezeigt, wie sprachliche Kommunikation auf der Grundlage der Methoden der Netzwerkanalyse aus einer anderen, neuen Perspektive betrachtet werden kann. Schlüsselwörter: soziale Medien, sprachliche Netzwerke, Text, Interaktion, Netzwerkanalyse Abstract LANGUAGE IN NETWORKS TYPES OF LINGUISTIC NETWORKS AND THEIR ANALYSIS Computer networks lead to the creation of a network of online texts, in turn giving rise to social networks of users of these texts as writers and readers. Networks of linguistic objects existed and still exist even without digitization and online networking, but they are less extensive and much more difficult, possibly even impossible to analyse in large quantities. This article deals with different types of linguistic networks: text networks, interaction networks and social networks. Central concepts of network analysis are explained and examples are given to show how linguistic communication can be examined from a different, new perspective based on the methods of network analysis. Keywords: social media, linguistic networks, text, interaction, network analysis Povzetek JEZIK V MREŽAH VRSTE JEZIKOVNIH MREŽ IN NJIHOVA ANALIZA Mrežno povezovanje racunalnikov ustvarja omrežja besedil in posledicno omrežja uporabnikov kot piscev in bralcev teh besedil. Mreže jezikovnih objektov so obstajale in obstajajo tudi izven digitalizacije in mreženja, a so manj obsežne in jih je veliko teže analizirati, sploh v vecjih kolicinah. V prispevku se osredotocamo na razlicne vrste jezikovnih mrež: besedilna tkiva/mreže, interakcijska omrežja in družbena omrežja. V prispevku razlagamo osrednje termine mrežne analize in na primerih pokažemo, kako lahko jezikovno komunikacijo na osnovi metod mrežne analize obravnavamo z drugacne, nove perspektive. Kljucne besede: družbena omrežja, jezikovne mreže, besedilo, interakcija, mrežna analiza Eva Gredel* Universität Duisburg-Essen CORONA „IN A NUTSHELL“: EINE ANALYSE VON DIGITALEN DISKURSFRAGMENTEN IM KONTEXT VON „ERKLÄRVIDEOS“ ZUR COVID-19-PANDEMIE AUF YOUTUBE 1 EINLEITUNG: YOUTUBE ALS DIGITALER DISKURSRAUM ZUR ANEIGNUNG UND AUSHANDLUNG VON WISSEN Mit einer Anzahl von 2,29 Milliarden aktiven Nutzern monatlich steht YouTube auf dem zweiten Rang der beliebtesten Social Networks weltweit (Statista 2021). Nicht nur Erwachsene greifen dabei auf die digitale Plattform zu. Besonderer Beliebtheit erfreut sich YouTube bereits auch bei Kindern und Jugendlichen: Die KIM-Studie (MPFS 2020a: 38) zeigt, dass 23% der befragten Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren YouTube täglich nutzen und weitere 36 Prozent der Befragten zumindest einmal bis mehrmals pro Woche Inhalte der Plattform rezipieren. Bei den Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren sind es laut der JIMplus-Studie 60 Prozent der Befragten, die – insbesondere in Zeiten des pandemisch bedingten „Social Distancing“ – (fast) täglich Videos bei YouTube schauen (MFPS 2020b: 18). Angesichts dieser intensiven Nutzung durch Jugendliche in Deutschland beschreibt eine Studie des Rates für Kulturelle Bildung YouTube als „Leitmedium und digitale[n] Kulturort von Jugendlichen“ (Rat für Kulturelle Bildung 2019: 7). Die Körber-Stiftung benennt in ihrer Analyse von 2019 die Plattform zudem als „Wissensdrehscheibe“, da von 38 Prozent der befragten Jugendlichen „Wissen aneignen“ als wichtiges Motiv bei der YouTube-Nutzung nach „Unterhaltung“ und „Zeitvertreib“ angaben (Körber-Stiftung 2019: 2). Aufgrund der hohen Relevanz und Reichweite von YouTube bei verschiedenen Altersgruppen ist die Plattform auch in den Fokus wissenschaftlicher Arbeiten gerückt und wurde innerhalb der Sprachwissenschaft schon aus verschiedenen Perspektiven betrachtet – etwa aus soziolinguistischer (Chun/Walters 2011), interaktionslinguistischer (Schmidt/Marx 2019) sowie medienlinguistischer Sicht (Boy/Bucher/Christ 2020). Die folgende Analyse schließt an Arbeiten an, die YouTube als digitalen Diskursraum verstehen (Tereick 2011 und 2013; Meier 2019 und 2020; Gredel/Mell i. Dr.), um systematisierend aufzuzeigen, welche methodischen Zugänge für die diskurslinguistische Analyse von YouTube-Daten angemessen sind. Der Fokus liegt dabei auf einem digitalen Diskursfragment, dessen zentrales Element ein „Erklärvideo“ darstellt und deutlich macht, wie Wissen in YouTube konstruiert und vor allem auch diskursiv ausgehandelt wird. Dabei ist die folgende Definition für Erklärvideos relevant: * eva.gredel@uni-due.de UDK [811.112.2'42:616.9]:004.774.1 DOI: 10.4312/linguistica.61.1.23-36 Explanation videos as we define them here are generally short, pre-recorded audiovisual presentations intended to communicate factual or procedural knowledge concerning some selected topic. Such videos show considerable diversity, ranging over non-professional productions through to specifically designed course-related content for higher education. (Bateman/Thiele/Akin 2021: 112) Konkret wurde für die exemplarische Analyse das Video „Das Coronavirus erklärt & Was du jetzt tun solltest“ (Kurzgesagt 2020: ID = NU31mw90re0) vom 24.03.2020 ausgewählt, das im Kanal „Dinge erklärt – Kurzgesagt“ (Deutscher Kanal) veröffentlicht wurde. Der YouTube-Kanal gehört zum Münchner Designstudio „Kurzgesagt“, das Kanäle in mehreren Sprachen anbietet (z.B. das englische Pendant: „Kurz gesagt – in a nutshell“). Seit 2017 werden diese Videos im Auftrag von „funk“ produziert, das ein „Gemeinschaftsangebot der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) und des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF)“ darstellt und Menschen zwischen 14 und 29 Jahren adressiert (Funk 2017). Im Oktober 2021 steht der Kanal an zweiter Stelle der beliebtesten deutschen YouTube-Kanäle mit rund 1,56 Millionen Abonnenten (Statista 2021). Mit dem skizzierten Gegenstand schließt der Beitrag an aktuelle Arbeiten in der internationalen Linguistik zur COVID-19-Pandemie an: Neben Untersuchungen zu semantisch-lexikalischen Neuerungen im Kontext der Pandemie (vgl. Balnat 2020), stehen auch Argumentationsmuster und Narrative etwa in Corona-Verschwörungstheorien (vgl. Römer/Stumpf 2020) sowie zu diskursiven Muster des Krisendiskurses (vgl. Daux-Combaudon et al. 2021) im Fokus der Sprachwissenschaft. Christian Koch und Britta Tho¨rle (2021) machen in ihrem deutsch-franzo¨sischen Vergleich deutlich, dass sowohl Experten des Robert Koch-Instituts wie auch des französischen Gesundheitsministeriums zur Veranschaulichung von virologischem Wissen auf Metaphern in ihren Lageberichten zur Pandemie zugreifen. Annette Klosa-Ku¨ckelhaus (2020) zeigt korpuslinguistisch informiert auf, dass in medialen Diskursen eine Vielfalt verschiedener Metaphern zum Einsatz kommt: Neben Wasser- und Naturkatastrophen-Metaphern (Coronatsunami) werden auch Kampf- und Kriegsmetaphern gebraucht. Digitale Wissensangebote im Internet zur COVID-19-Pandemie, die Kinder und Jugendliche adressieren, wurden bisher nicht sprachwissenschaftlich untersucht, obwohl diese Angebote mittlerweile zahlreich sind und hohe Reichweiten erlangen. Die vorliegende Analyse möchte diese Forschungslücke schließen und greift mit Metaphern als diskursive Einheiten eine Analyseebene auf, die seit jeher in der medizinischen Experten- Laien-Kommunikation für die Popularisierung von Wissen höchst bedeutsam ist (vgl. Liebert 1996: 808) und für die Ausgestaltung von Wissensformaten für Kinder und Jugendliche Relevanz hat (vgl. Janich 2016: 53). Der Beitrag ist folgendermaßen gegliedert: Zunächst werden die Eigenschaften der Plattform (Abschnitt 2) sowie die Struktur von Diskursfragmenten bei YouTube am konkreten Fallbeispiel erläutert (Abschnitt 3). Abschnitt 4 zeigt anhand der Beispielanalyse, welche methodischen Zugänge für eine umfassende Analyse des Diskursfragments nötig sind. Der Beitrag schließt mit einem Fazit in Abschnitt 5. 2 EIGENSCHAFTEN DER PLATTFORM YOUTUBE Um beschreiben zu können, welche Methoden für die (diskurs-)linguistische Analyse von YouTube angemessen sind, gilt es zunächst, deren Eigenschaften zu beschreiben. Benson (2017: 59) verweist auf die Non-Linearität der Plattform, auf der über Hyperlinks etwa von einer Videoseite zu nächsten navigiert werden kann. In medienlinguistischen Arbeiten wird die Multimodalität von YouTube als wichtige Eigenschaft benannt (Boy/Bucher/Christ 2020: 3). Diskurslinguistisch perspektiviert ist die Multiautorenschaft der Beiträge etwa in den Kommentarbereichen zu betonen, die zur „Pluralität der Diskurspositionen“ (Tereick 2013: 228) bei YouTube führt: Gleichzeitig sind Vertreter subversiver Positionen, da sie sich innerhalb einer partizipatorischen Community bewegen, fast zwangsläufig mit Gegenstimmen konfrontiert. Vertreter verschiedener Positionen müssen sich also mit der Sichtweise der jeweils anderen Seite auseinandersetzen. Weil derartige Aushandlungen in dieser Breite in zugangsbeschränkten Medien kaum zu beobachten sind, bietet die Analyse von YouTube die Möglichkeit ‚soziale Austauschprozesse“ [...] in konzentrierter Form zu untersuchen. (Tereick 2013: 231) Aus interaktionsanalytischer Sicht kann bei YouTube auch von „massive polylogues“ (Bou-Franch/Garces-Conejos Blitvich 2014: 19) gesprochen werden, da z.T. mehrere Tausende Internetnutzer Videos kommentieren. Durch die Offenheit und partizipatorische Kultur (vgl. Boy/Bucher/Christ 2020: 1) der Plattform ergibt sich dann zudem die „Dynamik der Inhalte“ (Tereick 2011: 64), da Internetnutzer permanent und auf unterschiedlichste Arten – etwa durch Kommentieren und Rekontextualisieren – zur Plattform beitragen können. Die Zusammenstellungen von Inhalten werden jedoch nicht nur durch menschliche Akteure, sondern auch maschinell beeinflusst, da „durch Personalisierungsalgorithmen [...] Inhalte an das vorhergegangene Surfverhalten der Nutzer angepasst [werden]“ (Tereick 2013: 232). So gehen etwa die Listen der am Rand angezeigten Thumbnails anderer Videos auf algorithmisch erzeugte Vorschläge zurück. Dabei wird über diese Thumbnails z.T. auch auf Videos in anderen Sprachen hingewiesen, was belegt, dass YouTube eine „auf internationale Teilhabe“ (Wergen 2019: 52) ausgerichtete Plattform ist. YouTube geht somit weit über eine reine „Archivierungsplattform“ (Wergen 2019: 51) für Videos hinaus und kann als „site of cultural negotiation” (Chun/Walters 2011: 252) verstanden werden, auf der Diskurse international und sprachübergreifend geführt werden. Die erläuterten Eigenschaften wie etwa Multimodalität, Multilingualität oder Multiautorenschaft stellen (diskurs-)linguistische Analysen von YouTube vor (methodische) Herausforderungen, die im Folgenden adressiert werden sollen. 3 DATEN(-TYPEN) DIGITALER DISKURSFRAGMENTE AUF YOUTUBE Es soll nun an einem Beispiel erläutert werden, wie die Grundeinheiten digitaler Diskurse – hier als digitale Diskursfragmente bezeichnet (für eine detaillierte Diskussion vergleiche Gredel/Mell i. Dr.) – in YouTube aufgebaut sind und wie ihnen methodisch und theoretisch adäquat in Diskursanalysen begegnet werden kann. Im Zentrum des digitalen Diskursfragments steht ein Video von 8:35 Minuten (s. Abb. 1, A), das als Animationsfilm folgendermaßen zu beschreiben ist: Animation films are characterized by the fact that – usually computer-generated – artificial moving images are shown to visually illustrate a process, a problem, an issue, or a scientific theory. The spoken language can generally be heard from off-screen synchronized with the – in many cases – dynamic visualizations. (Boy/Bucher/Christ 2020: 6) Rechts neben dem eigentlichen Video werden Thumbnails (Abb. 1, B) angezeigt, die auf Videos anderer digitaler Diskursfragmente (z.B. zum Impfen) verweisen und somit in gewisser Weise Diskursivität herstellen: Abb. 1: Screenshot des Kanals „Dinge erklärt – kurzgesagt“ Das Video wird auch gerahmt durch den Videotitel (Abb. 1, C) in Kombination mit Metadaten wie dem Veröffentlichungsdatum, der Zahl der Videoaufrufe (im Beispiel ca. 1,47 Mio. Aufrufe) sowie Hinweisen zum Kanal. Ergänzt wird dies durch weitere Metadaten auf der rechten Seite (Abb. 1, D) wie Zahl der Likes und Dislikes, deren diskursanalytische Relevanz Wergen folgendermaßen erläutert: Bleibt man im Foucault’schen Deutungsmuster, geht hiermit eine Unterwerfung des Subjekts unter quantifizierbare soziale Anerkennung einher – hier zeichnet sich eine freiwillige Messbarmachung ab und die Möglichkeit, sich in Mittel- und Höchstwerten messbaren Kategorien einzuteilen (Like/Dislike, Views, Subscriber). Es findet eine Messbarmachung sozialer Wertigkeit statt [...]. (Wergen 2019: 49) Zentral für den digitalen Diskursraum YouTube ist auch die Option, Kommentare unterhalb des Videos zu verfassen. Auch diese Kommentare sollten als Teil des digitalen Diskursfragments verstanden werden (vgl. etwa Sommer 2018: 197), wenngleich auch manche Betreiber von YouTube-Kanälen diese Option von vornherein deaktivieren. Im November 2021 sind es beim analysierten Video in der Summe 4.225 Kommentare (Abb. 1 E), die wiederum mit Likes und Dislikes bewertet werden (können). Viele Kommentare nehmen über intertextuelle Verweise (etwa in Form von Zitaten) direkt Bezug auf das Video (vgl. Polajnar 2019). In anderen Kommentaren wird das im Video behandelte Thema allgemeiner adressiert. Zu allen Kommentaren besteht für Nutzer der Plattform die Möglichkeit, wiederum Antworten zu verfassen. Die besprochenen und sehr unterschiedlichen Elemente sind somit relevant für umfassende Diskursanalysen der Plattform YouTube. Im Folgenden soll anhand einer Beispielanalyse aufgezeigt werden, wie der Komplexität digitaler Diskursfragmente auf YouTube methodisch begegnet werden kann. 4 BEISPIELANALYSE UND METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN 4.1 Diskurssemiotisch orientierte Analyse des Videos: Kampfmetaphorik Das Video mit einer Länge von 8:35 min im Zentrum des untersuchten digitalen Diskursfragments ist – wie bereits oben erläutert – ein Animationsfilm, bei dem künstliche bewegte Bilder durch einen Sprecher im Off thematisiert werden. Während im Videotitel (Abb. 1, C) die Adressaten des Videos geduzt werden (Was du jetzt tun solltest), nutzt der Sprecher im Video zeitweise auch das inklusive Wir: „Aber was passiert eigentlich bei einer Infektion [00:21], und was sollten wir tun?“ [00:24]. Er konstruiert somit über Personalpronomina eine kommunikative Dyade relativer Nähe zwischen Produzent und Rezipient. Da der Sprecher im Off jedoch an keiner Stelle zu sehen ist und auch nicht audiovisuell nachvollziehbar mit einer anderen Person im Video interagiert, soll das Video aus einer diskurssemantischen bzw. diskurssemiotischen Perspektive betrachtet werden. Im Falle etwa von Expertenvideos (Boy/Bucher/Christ 2020: 5), in denen Experten z.T. in Face-to-Face-Interaktion mit anderen zu sehen sind, wäre der Rückgriff auf Methoden der multimodalen Interaktionsanalyse angemessen (Schmidt/Marx 2019: 125), da die gezeigten Experten dann auch hinsichtlich unterschiedlichster Ausdrucksressourcen wie Gestik oder Mimik zu untersuchen wären. Bei der hier adäquaten diskurssemiotischen Betrachtung fällt auf, dass Kampfmetaphorik das Video im Visuellen und Verbalen prägt. Es handelt sich um Sprachbilder, deren Traditionslinien sich weit zurückverfolgen lassen und in Diskursen zu Viren als diskursiv etabliert gelten können (vgl. Gredel 2014: 91-92). Nach Liebert (1996: 808, s. auch das Modell in Abb. 2) werden Metaphern je nach Textsorte bzw. Gebrauchsdomäne unterschiedlich variiert bzw. ausdifferenziert: „In populärwissenschaftlichen Sachbüchern werden die abstrakten Begriffe taxonomisch degradiert zu ‚Dieb‘, ‚Mörder‘, ‚Pirat‘, im Artikel des untersuchten massenmedialen Nachrichtenmagazins findet sich der Ausdruck ‚unsichtbare Killer‘.“ (Liebert 1994: 86). Abb. 2: Taxonomische Beziehungen im Feld der Kampfmetaphorik (Liebert 1996: 808) Metaphern kommt somit „eine Brückenfunktion für die Verbindung zwischen wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Diskursen“ zu (Liebert 1994: 86) und führen zum Ausbau geteilter Vorstellungswelten. Dies wird auch im analysierten Video deutlich. Im Auszug des Transskripts zum Video sind relevante metaphorische Muster markiert: 01:47 Die Zelle schmilzt quasi und setzt dabei neue Corona-Teilchen frei, 01:51 die weitere Zellen angreifen. [...] 01:57 Nach etwa 10 Tagen sind Millionen von Zellen infiziert 02:00 und das Virus überschwemmt die Lunge. 02:03 Noch hat das Virus nicht sehr viel Schaden angerichtet, 02:07 aber jetzt wird dein Immunsystem zu deinem Feind. [...] 02:19 Das Corona-Virus infiziert die Immunzellen, 02:21 die in die Lunge strömen, um es zu bekämpfen. 02:24 Das sorgt für Verwirrung. [...] 02:36 Die Corona infizierten Immunzellen überreagieren und geraten in Panik. 02:41 Das Immunsystem verfällt quasi in Kampfrausch 02:44 und setzt mehr Soldaten ein als nötig. 02:47 Das ist Verschwendung und schadet dem Körper. 02:50 Chaos verbreiten vor allem zwei Arten von Zellen: 02:53 Neutrophile sind richtig gut im Töten. 02:56 Leider auch uns selbst. 02:58 Zu Tausenden tauchen sie jetzt auf und setzen Enzyme frei, 03:02 die wahllos Freund und Feind zerstören. 03:04 Die anderen Zellen, die jetzt austicken, 03:07 sind sogen. T-Killerzellen. [...] 03:30 Die meisten Fälle kriegt das Immunsystem wieder unter Kontrolle. 03:34 Es zerstört die infizierten Zellen, 03:36 verhindert weitere Infektionen durch das Virus, 03:39 und räumt das Schlachtfeld. Während Termini wie angreifen und bekämpfen auf der superordinierten Ebene der Kampfmetaphorik anzusiedeln sind, die Liebert (1996: 808) Wissenschaftstexten zuordnet, wird die Kampfmetaphorik zur Kriegsmetaphorik mit Begriffen wie Kampfrausch, Soldaten, Freund und Feind oder Schlachtfeld ausgebaut. Die im Video eingesetzten Metaphern sind auf der Basisebene wissenschaftsvermittelnder Texte zu verorten (vgl. Liebert 1996: 808). Visuell werden die schematisiert dargestellten Coronaviren und körpereigenen Zellen in einer tumultartigen Szene gezeigt, in denen ihnen Aussagen wie Attacke oder Ich bin so sauer zugewiesen werden. Die eigentlich leblosen Entitäten werden somit personifiziert. Einen Spezialfall stellt der im Video gebrauchte Terminus T- Killerzellen dar: Während Liebert (1994: 86) das Lexem Killer in Bezug auf Viren als taxonomische Degradierung in massenmedialen Texte sieht, ist der im Video verwendete Ausdruck T-Killerzellen als Fachbegriff zu verstehen, der auch in wissenschaftlichen Texten Verwendung findet (z.B. Little 2015: 87). Krieg- bzw. Schlachtszenarien werden also nicht nur verbal realisiert, sondern auch bildlich umgesetzt. Dass Erklärvideos auf YouTube metaphorisch auch nur auf der superordinierten Ebene konzipiert sein können, zeigt etwa das Video „Kindern das Coronavirus erklären“ von der EURAC Research (2020: ID = XO3UZ6CztvA). Zwar kommt auch hier die Kampfmetaphorik visuell und verbal zum Einsatz, wird aber nicht zur Kriegsmetaphorik ausgebaut: „Aber zum Glück gibt es ein Immunsystem. Das sind viele kleine Zellen, die die Viren bekämpfen.“ (EURAC Research 2020: 0:41). Das Kurzgesagt-Video unterscheidet sich also vom Video der EURAC als wissenschaftlicher Institution hinsichtlich des Ausbaugrads bzw. hinsichtlich der taxonomischen Ebene der Metaphern. 4.2 Diskursorientierte Feinanalyse von YouTube-Kommentaren in sequenziellen Kontexten mithilfe von digital Methods Im Kommentarbereich des digitalen Diskursfragments wird der digitale Diskurs zum Coronavirus fortgesetzt: Es finden sich dort im Kontext des Videos am 23. November 2021 insgesamt 4.225 Kommentare. Diese Kommentare können über bestimmte Tools im Sinne der Digital Methods (korpus-)linguistischen Analysen zugänglich gemacht werden: Für diese Beispielanalyse wurden zur Datenerhebung die YouTube Data Tools der Digital Methods Initiative Amsterdam genutzt (DMI 2021). Sie zeigen, dass sich in der Summe 2.517 verschiedene Autoren in den digitalen Diskurs auf YouTube einbringen, was Beleg für die Multiautorenschaft der Plattform ist. Von dieser Gruppe an Akteuren veröffentlichen jedoch 1.999 nur ein einziges Mal einen Kommentar. Das Maximum liegt bei 54 Kommentaren durch einen Autor. Auch der Umfang der Kommentare ist sehr unterschiedlich und reicht von Äußerungen, die lediglich ein Emoji oder (ein) Interpunktionszeichen umfassen bis hin zu elaborierten Kommentaren bestehend aus mehreren Sätzen. Das verwendete Tool extrahiert neben dem Namen des jeweiligen Autors auch Metadaten zu jedem einzelnen Kommentar wie etwa Zeitstempel (engl. ‚timestamp’), Zahl der Antworten (reply count; Maximum: 105 Antworten zu einem Kommentar vom 20.09.2020) und Zahl der Likes (like count; Maximum: 4.143 Likes zu einem Kommentar vom 24.03.2020). So unterschiedlich die Metadaten der Kommentare auch sind, viele der Kommentare zeichnen sich auf sprachlicher Ebene durch Eigenschaften aus, die internetbasierte Kommunikation charakterisieren – darunter etwa der Einsatz von Emojis oder von Adressierungsmarkern. In diesem Zusammenhang wurde über die Eigenschaften von Kommentarbereichen auf theoretischer Ebene reflektiert: Tereick (2011: 62) spricht davon, dass sich Kommentarseiten „gesprächsartig entfalten“, wohingegen Meier (2020: 286) von „simulierter Dialogizität“ spricht. Grundsätzlich lassen sich Äußerungen im Kommentarbereich von YouTube als „Sprache-in-Interaktion“ (Imo 2013: 56) verstehen, da Interagierende dort über ihre Äußerung eine Situation im weitesten Sinne durch das gemeinsame und häufig auf das Video bezogene Kommentieren konstituieren. Zumindest bei einer Sortierung der Kommentare nach Zeitstempeln – also in ihrer zeitlichen Abfolge – lassen sich auch „längere dialogische Sequenzen“ (Meier 2020: 286) rekonstruieren. Dies soll nun im Folgenden diskursorientiert im Rahmen einer Feinanalyse aufgegriffen werden. Tereick verweist explizit darauf, dass etwa im Video verwendete Metaphern ausschlaggebend für die Entwicklung der aufeinander bezogenen Äußerungen im Kommentarbereich sein können: Es entspinnt sich ein Dialog zwischen Teilnehmern, der einem Gespräch sehr ähnlich sein kann, bis hin zum Streit und zur gegenseitigen Beschimpfung [...] Das ,Gespräch‘ kann sich dabei auf vielfältige Weise entwickeln. Teile des Videos, z.B. bestimmte Metaphern [...] können dabei Auslöser sein, indem sie aufgenommen, modifiziert und weitergetragen werden. (Tereick 2011: 62) Anhand einer Sequenz soll hier aufgezeigt werden, wie Kommentare zum Diskursfragment beitragen und dabei die im Video genutzten Metaphern aufnehmen, modifizieren und ausbauen. Zahlreiche Kommentare verhandeln dabei zugleich die Qualität, den Wahrheitsgehalt sowie die Glaubwürdigkeit des Videos, wie etwa der Kommentar von Nutzer Morganey1 vom 10.08.2020, auf den es insgesamt 8 Antwortkommentare gibt, von denen in Abb. 3 die ersten drei zu sehen sind: Abb. 3: Screenshot zum Kommentarbereich des analysierten Diskursfragments Morganey1 greift in seinem initialen Kommentar das im Video sprachlich entworfenen Metaphernszenario mit Ausdrücken wie befallen, Immunabwehr oder Selbstzerstörungsmodus auf. Durch die einfachen Anführungszeichen zeigt er zugleich an, dass er sich davon kritisch distanziert (etwa beim Begriff ‚befallen’). Mit der metaphorischen Setzung Corona ist nur die Blendgranate greift er dann zwar die Kriegsmetapher auf und differenziert sie sogar auf der subordinierten Ebene nach Liebert (1996) mit Blendgranate aus, variiert aber auch zugleich das Szenario: Nicht mehr das Coronavirus selbst ist kämpfender Akteur in einem Kriegsszenario, sondern wird als Waffe in einem Kampf bzw. Krieg sprachlich inszeniert. Wer genau sich in diesem Kampf gegenübersteht, wird nicht explizit artikuliert, sondern lässt sich lediglich aus dem Kontext erschließen: Den sogenannten Weltbänkern wird im Kommentar die Menschheit gegenübergestellt. Die zum Coronavirus dargelegten Informationen diskreditiert Nutzer Morganey1 als „längst und vielfach widerlegt“ und hinterfragt somit die Qualität und Aktualität des Videos. Mit der Metapher Marionetten der Weltbänker dehumanisiert er die Produzenten des Videos und inszeniert sie als willenlose bzw. käufliche Akteure, wobei er die Metapher Marionetten zum Ende des Kommentars hin ein zweites Mal verstärkend in Bezug auf Medienschaffende setzt. Nutzer Piterthepan reagiert auf den Kommentar lediglich mit drei Fragezeichen, wohingegen der nächste Antwortkommentar von Nutzer Thomas John länger ausfällt, der zunächst über ein durch Anführungszeichen markiertes Zitat einen intertextuellen Bezug zum initialen Kommentar von Morganey1 herstellt. In der Folge kritisiert Thomas John die Aussagen von Morganey1 und untrestützt die im Video elaborierte Sichtweise, was zu einem erneuten Kommentar mit Adressierungsmarker (@ Thomas John) durch eben jenen führt. Auffällig ist auf sprachlicher Ebene, dass Morganey1 in diesem an Thomas John gerichteten Kommentar diesen direkt adressiert und mit der Adhoc-Bildung Virusapostel diskreditiert, was auf den Eskalationssgrad der verbalen Auseinandersetzung verweist. Die Sequenz schließt mit einem Kommentar eines weiteren Nutzers, der lediglich das Wort Aluhut enhält. Ein Ausdruck, der auf digitalen Plattformen zu Delegitimierung von konkurrierenden Meinungen bzw. Akteuren genutzt wird und „als Sinnbild für Personen, die eine absurde Weltsicht haben oder Verschwörungstheorien anhängen“ (DWDS 2021) verstanden werden kann. Gezeigt wurde anhand dieser qualitativen Beispiel-Analyse, dass Metaphern Anlass zur kritisch-abwertenden Beurteilung des Videos in der Anschlusskommunikation sein können (wie im Fall von Nutzer Morganey1). Zum Teil wird die Kampf- und Kriegsmetaphorik variierend fortgeführt, wobei auch Ausdrücke genutzt werden, die nach Liebert (1996) auf der subordinierten Ebene anzusiedeln sind (Weltkrieg bzw. Blendgranate) 5 FAZIT In diesem Beitrag wurde anhand einer Beispielanalyse zu einem Erklärvideo des YouTube- Kanals „Dinge erklärt – kurzgesagt“ (englisch ‚kurzgesagt in a nutshell’) zum Thema der COVID-19-Pandemie gezeigt, wie komplex Diskursfragmente des digitalen Diskursraums YouTube sind und welche methodischen Zugänge für deren Analyse relevant sind. Mit dem Fokus auf die in wissenschaftlichen Diskursen etablierte Kampfmetaphorik wurde deutlich, dass diese als diskursive Einheiten nicht nur im zentralen Video visuell und verbal eine wichtige Rolle bei der Wissensaushandlung einnehmen, sondern auch im Kommentarbereich von mehreren Akteuren kontrovers verhandelt und kritisch differenzierend fortgeführt werden. Die analysierten Daten legen es somit nahe, diskurssemantische bzw. diskurssemiotische Zugänge mit Ansätzen der (multimodalen) Interaktionsanalyse zu kombinieren, um digitale Diskursfragmente einer ihrer Komplexität angemessenen Untersuchung zuführen zu können. Insbesondere die aus dem Kommentarbereich über ein digitales Tool erhobenen Sprach- und Metadaten könnten in ergänzenden Analysen quantitativ etwa mithilfe korpuslinguistischer Verfahren wie Kookkurrenzanalysen oder N-Gramm-Analysen weitergehend ausgewertet werden. Literatur BALNAT, Vincent (2020) „Unter Beobachtung: Corona-Wortschatz im Deutschen und Französischen.“ Nouveaux Cahiers d’Allemand 38/2, 139–159. BATEMAN, John A./Thiele LEANDREA/Akin HANDE (2021) „Explanation videos unravelled: Breaking the waves.” Journal of Pragmatics 175, 112–128. BENSON, Phil (2017) The discourse of YouTube: multimodal text in a global context. New York/London: Routledge. 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In diesem Beitrag wird anhand einer Beispielanalyse die Komplexität des Diskursraums YouTube aufgezeigt und erläutert, welche methodischen Zugänge zu digitalen Diskursen auf YouTube adäquat sind. Fokussiert wird in der qualitativen Analyse auf Metaphern, über die Akteure geteilte Vorstellungswelten zum Coronavirus sprachlich konstruieren. Schlüsselwörter: YouTube, Metaphern, Diskursanalyse, Digitalität, Interaktionsanalyse Abstract CORONAVIRUS „IN A NUTSHELL“: ANALYSIS OF DIGITAL DISCOURSE FRAGMENTS IN THE CONTEXT OF EXPLANATION VIDEOS ON THE COVID 19 PANDEMIC ON YOUTUBE YouTube is one of the most popular digital platforms in the world. Videos on current and socially relevant topics – such as explanation videos on the COVID 19 pandemic – can achieve a very wide reach. They are viewed millions of times and are discussed from a myriad of different point of view by thousands of Internet users in the comment sections. In this sense, YouTube can be understood as a space of digital discourses for the negotiation of knowledge. In this article, the complexity of YouTube as a discourse space is demonstrated with the help of an example and it is explained which methodological approaches to digital discourses on YouTube are adequate. The qualitative analysis focuses on metaphors through which the participants construct through language shared imaginary worlds about the corona virus. Keywords: YouTube, metaphors, discourse analysis, digitality, interaction analysis Povzetek KORONAVIRUS „NA KRATKO“: ANALIZA DIGITALNIH DISKURZNIH FRAGMENTOV NA PRIMERU POJASNJEVALNIH VIDEOV O PANDEMIJI COVIDA-19 NA YOUTUBU YouTube je ena najbolj priljubljenih digitalnih platform na svetu. Videi o aktualnih in družbeno pomembnih temah – kot npr. pojasnjevalni videi o pandemiji covida-19 – lahko dosežejo veliko odmevnost, imajo na milijone ogledov in o njih v komentarjih številni uporabniki kontroverzno diskutirajo. YouTube lahko tako razumemo kot digitalni diskurzni prostor za usvajanje znanja in pogajanja o njem. V prispevku pokažemo na analizi primera kompleksnost YouTuba kot diskurznega prostora ter primerne metodološke pristope k digitalnim diskurzom na YouTubu. V prispevku se osredotocamo na metafore, s katerimi akterji jezikovno ustvarjajo predstave o koronavirsu. Kljucne besede: YouTube, metafore, diskurzna analiza, digitalnost, interakcijska analiza Saša Kralj* Janja Polajnar** Universität Ljubljana THEMENDYNAMIKEN DIGITALER DISKURSE – EINE KONTRASTIVE DISKURSLINGUISTISCHE ANALYSE SLOWENISCH- UND DEUTSCHSPRACHIGER KOMMENTARFOREN ZUM ABTREIBUNGSGESETZ IN POLEN 1 EINLEITUNG Im Jahr 2020 konnte sich kaum ein gesamtgesellschaftlich relevantes Thema gegen den global allgegenwärtigen Diskurs zur Corona-Pandemie durchsetzen. Darauf verweist die cOWIDplus Analyse am IDS, die eine Verengung der behandelten Themen in deutschen Online-Zeitungen feststellt (vgl. Müller-Spitzer et al. 2020: 14–19). Im Oktober 2020 kommt es aber in Polen zur Verschärfung des bereits sehr strengen Abtreibungsgesetzes. Das neue polnische Gesetz, das keine Schwangerschaftsabbrüche im Falle einer schweren Fehlbildung des Fötus erlaubt, löst in Polen viele Proteste aus und wird trotz der Pandemie über die Landes- und Sprachgrenzen hinaus viel diskutiert. Beide Diskurse zeigen nachdrücklich, „dass Diskurse weder kulturell, noch hinsichtlich der Akteure und Akteurinnen, noch in Bezug auf Themen einzelsprachliche Phänomene sind“ (Gredel et al. 2018: 1; Arendt/Dreesen 2015). Im Beitrag werden wir uns dem sprachenübergreifenden Diskurs um das verschärfte Abtreibungsgesetz in Polen anhand der Themenanalyse relevanter Kommentarforen unter Artikeln in slowenischen und deutschsprachigen Online-Zeitungen diskurslinguistisch nähern. Kommentarforen stellen nicht nur eine interaktive Erweiterung medialer Diskurse dar, sondern spielen als eigenständiges Diskursmedium mit eigenen Diskursentwicklungen eine Rolle. Das Ziel des Beitrags ist es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich Themenentwicklungen zu ermitteln. Im Fokus stehen die Verbreitung und Entwicklung einzelner Teilthemen in einer kontrastiven Perspektive in deutschen, österreichischen und slowenischen Kommentarforen im Diskursverlauf.1 Es wird von der Hypothese ausgegangen, dass die identifizierten Teilthemen nicht nur im unterschiedlichen Umfang thematisiert werden, sondern auch deren Teilaspekte unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Mit einer Kombination der manuellen qualitativen und quantitativen Analyse mittels AntConc werden Teilthemen samt Themenkonstituenten erarbeitet und visualisiert sowie kontrastiv diskutiert. * sasakralj7@gmail.com ** Janja.Polajnar@ff.uni-lj.si 1 Bei der Untersuchung der deutschen, österreichischen und slowenischen Online-Korpora handelt es sich zugleich um eine kontrastive Betrachtung von drei Kontaktsprachen bzw. -varietäten (s. Krevs Birk 2019: 155f.). UDK [811.163.6'42:811.112.2]: 004.774.1 DOI: 10.4312/linguistica.61.1.37-65 2 KONTRASTIVE DISKURSLINGUISTIK Ein mehrsprachiger Ansatz bietet sich in diskurslinguistischen Analysen gerade bei zunehmend digitalisierten und globalisierten Diskurswelten besonders an (vgl. Gür- .eker 2019b: 217), denn Online-Diskurse sind nicht nur einfach global rezipierbar, sondern auch kommentierbar. Bei Themen mit internationaler Brisanz können folglich aufgrund des unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds der Berichterstatter/-innen und der User/-innen in Kommentarforen Themenschwerpunkte und Argumentation anders sein (vgl. Polajnar/Gredel 2018). Unter „kontrastiver Diskurslinguistik“ (Czachur 2020), die sich in den letzten zwanzig Jahren etabliert hat, fasst man heute „diskurslinguistische Analysen mehrsprachiger Texte/Gespräche, d.h. interlinguale Vergleiche“ (ebd.: 59). Bei einem kultur-kontrastiven Zugang werden nach Czachur (2020: 204) Methoden der Diskurslinguistik mit den Methoden der kontrastiven Text- und Medienlinguistik und der interkulturellen Linguistik verknüpft. Kontrastive Diskurslinguistik geht hierbei von der Prämisse aus, dass ein Vergleich sprachgebundenen Wissens, wie es in sprachspezifischen Teildiskurskorpora realisiert ist, möglich ist. Hierbei werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede von sprachlichen Phänomenen auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen ermittelt. Während transnational orientierte Diskursanalysen kulturübergreifende Phänomene fokussieren sowie ihr Vorkommen und ihre Funktion in Diskursen verifizieren oder falsifizieren, interessieren sich kulturvergleichende diskurslinguistische Arbeiten für kulturspezifische Konzeptualisierungen in den jeweiligen Diskursen und streben über die Identifizierung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden hinaus auch die anschließende Reflexion und Sensibilisierung an (vgl. Czachur 2020: 205). Durch den Sprachvergleich wird auch der Kulturvergleich ermöglicht (vgl. Czachur 2011, Arendt/Dreesen 2015). Die Vergleichbarkeit gewährleisten das gemeinsame Thema und der zeitlich ausgegrenzte Diskursabschnitt. In den anfänglichen vergleichend konzipierten Arbeiten wie denen von Böke et al. (2000) oder Czachur (2011) wird bei dem international geführten themengebundenen Diskurs von mehreren Phänomenen ausgegangen und von Paralleldiskursen gesprochen. In jüngeren Untersuchungen wird hingegen von einem über seine Strukturen und Funktionen oder Akteurskonstellationen einheitlichen Diskurs ausgegangen, der aus einzelsprachlichen Teildiskursen besteht (vgl. Gür-Seker 2012: 319f., Arendt/Dreesen 2015), was mit zunehmender Digitalisierung und Transnationalisierung von Diskursen begründet wird. 2.1 Digitale Diskurse – Akteurinnen/Akteure – Themendynamiken Diskurse werden in der Diskurslinguistik als „Text- und Gesprächsnetze zu einem Thema“ (Felder 2012: 122) aufgefasst, die thematisch und intertextuell zusammenhängen. Während diskurslinguistische Untersuchungen am Anfang oft klassische Massenmedientexte als Diskursausschnitte analysierten („newspaper bias“ Warnke 2013: 191), so kam es mit dem Internet als einem umfassenden Öffentlichkeitsforum zur Erweiterung der Diskurswelten auf digitale Diskurse (vgl. Gredel et al. 2022, i. Dr.). Gür-Seker (2019b: 219) spricht vom Diskurs 2.0, „mit dem alle neueren Entwicklungen im Social Web gemeint sind, die auch [...] Kommentare unterhalb von Online-Medienartikeln umfassen und als Teil transtextueller Diskurse Diskursrelevanz besitzen“. Bestandteil diskurslinguistischer Analysen werden nun die neuen Kommunikationsformate im Internet, welche die Interaktions-, Produktions- und Rezeptionsbedingungen des Internets auf einer höheren Stufe ausschöpfen und individuelles und gesellschaftliches Handeln auf neue Weise miteinander veknüpfen (vgl. Fraas/Pentzold 2008: 3). Hierbei wird der digitale Raum nicht nur auf ein Medium für die Anschlusskommunikation reduziert, sondern spielt als eigenständiges Diskursmedium eine Rolle, denn auch seine Text(teil)e werden in den Traditionsmedien aufgegriffen (vgl. Polajnar/Scharloth/Škerlavaj 2022, i. Dr.) und zeigen eigenständige Diskursentwicklungen. Während Printmedien „(historische) Ereignisse in diskursive“ transformieren und „Diskurspositionen für die Öffentlichkeit“ produzieren sowie „den Zugang einzelner Akteure zum Diskurs“ kontrollieren (Arendt/Dreesen 2015: 429-430), werden in Kommentarforen Diskurspositionen öffentlich von interessierten User/-innen vor einem aktuellen Hintergrundwissen reflektiert, diskutiert und weiterverarbeitet (vgl. Schmidt 2006: 139). In digitalen Diskursen wie den hier analysierten Kommentarforen kommt es auf der Akteursebene also zur Veränderung der Akteurskonstellation, denn nun können an Diskursen interessierte User/-innen teilnehmen und diese Diskurse aktiv mitgestalten. Sie können u.a. digitale Techniken wie Verlinkungen oder Hashtags nutzen. Obwohl ihre kommunikativen Handlungen individuelle Perspektiven darstellen, sind sie auf der Ebene des Kommentarforums überindividuell (Gloning 2022, i. Dr.) und geben einen Einblick in diskursrelevante Themen und ihre Dynamiken. Zu interessierten User/-innen kommen noch die Medien als „plurale, kollektive Akteure“ hinzu, die redaktionell eingreifen und auf diese Weise „Sachverhalte perspektivieren, tabuisieren, kontrollieren und beschränken“ sowie einen erheblichen Einfluss auf den Diskurs nehmen (Spieß 2018: 159). Im Hinblick auf thematische Zusammenhänge in medial hybriden Diskursen verweist Gloning (2022, i. Dr.) auf die Komplexität und die wechselseitige Verknüpfung von Teilthemen bzw. Diskurssträngen zu einem thematischen Netz, denn die Thematisierungen diskursiver Ereignisse fügen sich „in bereits früher bestehende Diskursstrukturen und thematische Stränge [ein] [... und] tragen damit zur ,Aktualisierung‘ und Akzentuierung bestimmter Diskursstränge bei“ (ebd.). Die Thematisierung von diskursiven Ereignissen ist nach Gloning zudem von folgenden Entwicklungsdynamiken gekennzeichnet: thematische Entwicklung, zeitliche Aspekte, dynamische Verhältnisse von traditionellen und digitalen Angeboten, regionale Dynamik, Frequenzerscheinungen. 2.2 Methodische Zugänge zu mehrlingualen Diskurskorpora Da man den Diskurs empirisch in seiner Gesamtheit nicht vollständig erfassen kann, werden in diskurslinguistischen Untersuchungen forschungspraktisch relevant themenidentische virtuelle Korpora (vgl. Busse/Teubert 1994: 14) gebildet und analysiert. Diese stellen jedoch nur einen zeitlich-medialen Diskursausschnitt dar. Folglich sind auch die Forschungsergebnisse nicht uneingeschränkt auf den gesamten Diskurs übertragbar (vgl. Felder 2012: 121f.). Man kann für linguistische Diskursanalysen ein Korpus verwenden, das online frei verfügbar ist, oder man erstellt ein eigenes Korpus.2 Wenn man mehrere, z.B. multilinguale Korpora verwendet, müssen die Kriterien, soweit es geht, ähnlich sein, damit sie vergleichbar bleiben (vgl. Gür-Seker 2019b: 219–221). Diskurslinguistischen Analysen werden Korpora zugrunde gelegt, in denen man textübergreifende Sprachstrukturen, sog. diskursive Muster „im Geflecht von Diskursakteuren“ und im Hinblick auf deren zeitliches Vorkommen im Diskursverlauf (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011: 22) analysiert. Somit ist die Engführung der Diskurs- mit der Korpuslinguistik legitimiert. Eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete diskurslinguistische Analyse kann von korpuslinguistischen Methoden profitieren, indem „quantitative Verfahren der maschinellen Textanalyse“ (Felder 2012: 125) die qualitative Textanalyse ergänzen (vgl. Bubenhofer 2009). Bei einer deskriptiven diskurslinguistischen Analyse mit dem korpuslinguistischen Schwerpunkt werden vor allem ausdrucksseitige rekurrente Muster fokussiert (vgl. Felder 2012), wie in unserem Fall rekurrente Themenkonstituenten und deren Kollokatoren, die für einen bestimmten Diskurs typisch sind und unsere Wahrnehmung prägen. Für eine quantitative Analyse stehen Diskursforscherinnen und Diskursforschern heutzutage computergestützte Analyseprogramme zur Verfügung (vgl. Gür-Seker 2019b: 221): Zum einen gibt es Analyseprogramme wie Sketch Engine, AntConc oder Wordsmith, die nur reine Texte erkennen können und sich für Frequenz-, Konkordanz-, Kollokations- und Clusternanalysen von sprachlichen Daten anbieten. Zum anderen kann man Softwareprogramme wie MAXQDA einsetzen, die Medientexte als Gesamtheit unterschiedlicher Zeichenmodalitäten erkennen können, womit man Bild- oder Videoanalysen durchführen kann. 3 FALLSTUDIE: THEMATISIERUNGEN DER EREIGNISSE ZUM ABTREIBUNSGESETZ IN POLEN In der Fallstudie wird der Diskurs über das im Oktober 2020 verschärfte Abtreibungsgesetz in Polen näher analysiert. Mediale Thematisierungsorte dieses Diskurses waren zum einen Offline- und Online-Tageszeitungen, Hörfunk und Fernsehen in Polen und in den anderen EU-Ländern, denn die Verschärfung des bereits sehr strikten Abtreibungsgesetzes traf auf internationale Resonanz. Zum anderen wurde das Thema in digitalen Foren, in den sozialen Medien und in Kommentarforen der Online-Zeitungen verhandelt. Die Ereignisse in Polen führten somit zur Konstitution eines sprachübergreifend geführten, „medial hybriden Diskurses“ (Gloning 2022, i. Dr.). Der Fokus der kontrastiven Analyse liegt auf der Diskursdynamik der Teilthemen, und zwar in einer mikrodiachronen sowie sprachübergreifenden Perspektive. 2 Eine andere Möglichkeit den medialen thematischen Diskurs zu untersuchen stellt eine exemplarische Untersuchung für den Diskurs einschlägiger und repräsentativer medialer Angebote dar, wie dies beispielsweise von Krevs Birk (2020: 22f.) für den Diskurs deutschsprachiger Minderheiten Sloweniens durchgeführt wurde. 3.1 Untersuchungsdiskurs Aufgrund der oben dargestellten diskursiven Komplexität beschränkt sich diese Fallstudie auf Kommentarforen von Zeitungsartikeln deutscher, österreichischer und slowenischer Online-Zeitungen bzw. Nachrichtenportale. Der Untersuchungszeitraum ist auf die Monate Oktober und November 2020 begrenzt, als über die Ereignisse intensiv berichtet wurde. Das deutschsprachige Teilkorpus entstammt der überregionalen, liberalen, deutschen Online-Zeitung Zeit Online und der österreichischen Online-Tageszeitung mit linksliberaler Ausrichtung Der Standard. Die slowenischen Kommentarforen wurden auf dem Nachrichtenportal 24ur und auf dem politisch- und regionalneutralen Nachrichtenportal MMC publiziert. Tab. 1: Zusammensetzung des Diskurskorpus Online- Zeitung Zeitungsartikel Kommentarforum: Anzahl der Kommentare und Wörter Zeit Online 20 Festnahmen bei Protest gegen Abtreibungsverbot in Warschau (19.10.2020) 32 (von insgesamt 42) 1135 Wörter (von 1464) Der Standard Polen demonstrieren gegen verschärftes Abtreibungsverbot (23.10.2020) 32 (von insgesamt 193) 848 Wörter (von 5673) 24ur Protesti po skoraj popolni prepovedi splava: prerivanje in solzivec pred hišo Kaczynskega (23.10.2020) 32 (von insgesamt 32) 601 Wörter (von 601) MMC Po omejitvi splava protestniki na Poljskem zahtevajo „svobodo, enakost, pravice žensk„ (24.10.2020) 32 (von insgesamt 104) 1772 Wörter (von 7709) 3.2 Methodisches Vorgehen Um das verstehensrelevante Wissen aus Diskursen abzuleiten, wurde in der Diskurslinguistik das Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse-Modell (DIMEAN) (Spitzmüller/ Warnke 2011: 121-201) entwickelt, das zwischen drei diskursanalytischen Ebenen unterscheidet: Text, Akteure und Wissen. In dieser Analyse wird der Fokus auf die Bestimmung von Teilthemen gelegt, was in der vorliegenden Analyse durch die Bestimmung von frequenten Themenkonstituenten und deren Kollokatoren in Relation zu Akteurinnen und Akteuren untersucht wird. Zunächst werden die Teilkorpora intralingual untersucht, dann werden die erarbeiteten Teilthemen vergleichend diskutiert, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich Themenentwicklungen zu ermitteln. Das Gesamtkorpus beträgt 15.337 Tokens. Aufgrund des relativ kleinen Korpusumfangs und der für diskurslinguistische Fragestellungen erkannten Einschränkungen von rein quantitativen Korpusanalysen, soll die quantitative Analyse mit dem Konkordanz- Programm AntConc die qualitative Analyse ergänzen. Im Rahmen der qualitativen Analyse werden zunächst die ersten 32 Kommentare aus jedem Kommentarforum auf Teilthemen und die dazugehörigen Themenkonstituenten, die typischerweise mit einem Teilthema auftreten und diskurs-charakterisierend wirken, analysiert.3 In einem nächsten quantitativen Analyseschritt werden mit der Frequenzanalyse im AntConc die häufigsten Diskurs-Types berechnet. Die 20 häufigsten Diskurs-Types ohne Funktionswörter werden mithilfe der Konkordanz-Analyse und der qualitativ ermittelten Themenkonstituenten den jeweiligen Teilthemen zugeordnet. Neben Themenkonstituenten werden mit AntConc deren Kollokatoren, Cluster sowie ihre Verteilung im Diskursverlauf ermittelt, indem die Softwarefunktionen Concordance, Concordance Plot, Collocations und Clusters/ N-Grams4 3 In manchen korpuslinguistischen Diskursanalysen wird zur Bestimmung von Schlüsselwörtern (Key-Word-Analyse) eine Kontrastierung des Untersuchungskorpus mit einem Referenzkorpus herangezogen (vgl. Felder 2012). Darauf wird in dieser Studie verzichtet. verwendet werden: Die Softwarefunktion Concordance zeigt Konkordanzen eines Suchworts im Analysekorpus in ihrem direkten textuellen Umfeld (Key Word In Context) an (vgl. Müller 2013). Anhand der Kotext-Durchsicht zum Suchwort kann man bereits Mehrworteinheiten mit dem Suchwort ermitteln. Zudem können die Ergebnisse mit Concordance Plot im Barcode-Format visualisiert werden, was uns einen Einblick in die Dynamik der gesuchten Themenkonstituenten und folglich in die Themendynamiken in unterschiedlichen Diskurskorpora ermöglicht. Die Diskursabschnitte intensiverer Auseinandersetzung mit einer Themenkonstituente werden im Concordance Plot durch angehäufte Striche sowie die darüberstehenden Frequenzangaben repräsentiert. Mit diesem Tool können nämlich konkrete Suchanfragen in allen gleichzeitig hochgeladenen Korpora visuell miteinander verglichen werden, was als Heuristik für weitere Schritte kontrastiver Analysen dienen kann. Des Weiteren kann man die Frequenzen von Themenkonstituenten und ihre Vielfalt nach Teilthemen vergleichen, um zum einen auf die Relevanz eines Teilthemas im Diskurskorpus zu verweisen sowie die Unterschiede unter den einzelsprachlichen Kommentarforen aufzuzeigen; zum anderen kann man anhand unterschiedlicher Themenkonstituenten zu einem Teilthema die Unterschiede in thematisierten Aspekten aufzeigen. Mithilfe des Konstituentenvergleichs können also bei multilingualen Diskurskorpora transnationale Themendynamiken aufgezeigt werden. Mit der Softwarefunktion Collocates kann man Kollokatoren erarbeiten, die meist links oder rechts vom Suchwort stehen, mit ihm in statistisch signifikanter Weise auftreten und mit ihm stark assoziativ verküpft sind. Kollokatoren stellen nicht nur die direkten Nachbarwörter vom Suchbegriff dar, denn sie können im Text auch relativ weit weg vom Suchwort vorkommen. Auf diese Weise ist es möglich, Wortmuster zu erkennen, die nicht durch die bloße Untersuchung von Wortabfolgen in Konkordanzen zu erkennen sind. In diskurslinguistischen Analysen können dadurch Informationen zu semantischen Präferenzen und Assoziationen im Diskurskorpus eruiert werden. Mit der Softwarefunktion Cluster werden häufig zusammen auftretende Wörter beliebiger Größen, sog. Cluster, berechnet. 4 Für Analysemöglichkeiten mit einzelnen Softwarefunktionen siehe Bubenhofer (2020). 3.3 QUALITATIVE ANALYSE DER KOMMENTARFOREN Im Rahmen der qualitativen Analyse werden zunächst der Grundriss des Zeitungsdiskurses zum Abtreibungsgesetz, die Struktur der zugehörigen Kommentarforen sowie Diskursakteurinnen und -akteure dargestellt. Danach wird auf die Teilthemen samt Themenkonstituenten und deren Kollokatoren eingegangen. 3.3.1 Grundriss des Zeitungsdiskurses zum Abtreibungsgesetz in Polen In allen vier Beiträgen deutschsprachiger und slowenischer Online-Zeitungen wird über die Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts vom 22. Oktober 2020 berichtet, die legale Schwangerschaftsabbrüche nur noch dann vorsieht, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet oder die Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat ist. Die Verfassungsrichterin gab hiermit dem Antrag rechtskonservativer Abgeordneter statt, welche die bisherige Abtreibungsregelung als verfassungswidrig sahen. Diese Regelung erlaubte Schwangerschaftsabbrüche im Falle einer schweren Fehlbildung des Fötus, was die Antragsteller als einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verankterten Schutz des Lebens betrachteten. Damit waren viele Polen nicht einverstanden und gingen auf die Straße, um zu protestieren und für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Dabei kam es auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die zahlreiche Demonstrantinnen und Demonstranten verhaftet hat, worüber vor allem im Beitrag von Zeit Online und 24ur genauer berichtet wird. In allen vier Beiträgen wird zudem die Rolle der Europäischen Union thematisiert. 3.3.2 Slowenische und deutschsprachige Kommentarforen und ihre Akteurinnen und Akteure Im Rahmen der qualitativen Analyse wurden die ersten 32 Kommentare jedes Kommentarforums zunächst daraufhin analysiert, wie viele eigenständige Kommentare und Antworten sie enthalten: In den deutschen Kommentarforen ist Dialogizität stärker ausgeprägt (Tab. 2), denn sie enthalten deutlich mehr Antworten und Bewertungen durch Daumenhoch oder Sternchen als die slowenischen, was auf eine umfangreiche diskursive Online-Gemeinde hinweist, die den Untersuchungsdiskurs konstituiert. Auf eine geringere slowenische Online-Gemeinde verweisen die geringe Anzahl der beteiligten User/-innen und die ausgeprägte Einwegkommunikation. Tab. 2: Merkmale der Dialogizität in Kommentarforen Der Standard Zeit Online 24 ur MMC Kommentare zum Artikel (%) 21,76 % 21,42 % 65,63 % 15,38 % Kommentare zu Kommentaren (%) 78,24 % 78,58 % 34,37 % 84,62 % Kommentare in der Sprache des Artikels (%) 98,5 % 100 % 100 % 100 % Kommentare in englischer Sprache (%) 1,5 % 0 % 0 % 0 % Anzahl der Likes (Daumenhoch, Sterne) (%) 996 Likes 440 Dislikes (161 Kommentare . 83,42 %) 55 Sterne (24 Kommentare . 57,14 %) 276 Daumenhoch 146 Daumenrunter (28 Kommentare . 87,5 %) 402 Sterne (72 Kommentare . 69,23 %) Anzahl der Kommentare mit Hyperlinks (%) 1,5 % 0 % 0 % 0,9 % Anzahl der Kommentare mit Emojis (%) 0,5 % 0 % 6,25 % 9,61 % An Kommentarforen beteiligen sich am Thema interessierte User/-innen aktiv, indem sie einerseits Kommentare schreiben und andererseits die Kommentare anderer User/-innen bewerten und kommentieren. Bei 24ur kann man die Bewertung der Kommentare mit einem „Daumen runter“-Emoji oder einem „Daumen hoch“-Emoji ausdrücken, bei Der Standard erfolgt dies mit einem Plus- oder Minuszeichen. Bei MMC und Zeit Online kann man einen Kommentar nur mit einem „Sternchen“ versehen und hiermit nur eine positive Bewertung ausdrücken. Die Bewertungen steuern den Diskurs insofern, als in einigen Kommentarforen die beliebtesten Kommentare am Anfang gezeigt und folglich mehr gelesen und kommentiert werden. Die User/-innen kann man nach ausgedrückter Zu- oder Abneigung grob in drei Gruppen einteilen: Befürworter/- innen, Gegner/-innen des Abtreibungsrechts und Neutrale. Allerdings gibt es nur einen neutralen Kommentar, dafür aber viele Kommentare, wo die Meinung nicht eindeutig erkennbar ist, da vom Hauptthema abgewichen wird. Auf der Akteursebene sollen neben einflussreichen Diskursakteurinnen und -Akteuren zudem Benennungen für die betreffenden Personen(gruppen) (Nominationen) analysiert werden, die im Diskurs in wertender Absicht qualifiziert werden (Prädikation). Dadurch kann aufgezeigt werden, welche Akteursgruppen im Diskurs als homogene soziale Gruppen konstituiert werden, wie sie bewertet werden und wie sich die User/-innen gegenüber diesen Personen(gruppen) positionieren (vgl. Gür-.eker 2019a). Zum einen sind individuelle Akteurinnen und Akteure zu nennen, wie der im Rampenlicht stehende polnische Politiker Jaroslaw Kaczynski oder in slowenischen Kommentaren der slowenische Regierungschef Janez Janša. Mit AntConc können zum anderen die häufig erwähnten Personengruppen sowie ihre Qualifizierung im Diskurs ermittelt werden. In allen Kommentarforen sind einerseits Äußerungen über schwerbehinderte und ungeborene Kinder häufig vorzufinden, deren Leben durch das Abtreibungsgesetz nun geschützt wird, und andererseits Frauen, mit ihrem Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper (Tab. 3). Tab. 3: Personengruppen in deutschsprachigen und slowenischen Kommentarforen samt Kollokatoren Deutschsprachige Kommentarforen Slowenische Kommentarforen Nomination Fre- quenz Kollokatoren Nomination Fre- quenz Kollokatoren Kind, Kinder 39 (schwer-) behindert, ungeboren otroci, otrok* (Kinder, Kind*) 96 oddati (abgeben), zaželeni (gewünscht), pravice (Rechte) Frau, Frauen 24 Selbstbestimmung/ Ent-scheidung/ Proteste/ Rechte der Frauen, Menschen- und Frauenrechte žensk* (frau*) 47 otroka niso želele (das Kind war unerwünscht), poseg v telo (Eingriff in den Körper), pravice (Rechte) Polen 19 Poljsk* (Poln*) 16 vlada (Regierung) Kirche 17 katholische cerkev, cerkven* (Kirche, kirch*) 14 veljaki (Prominente) Deutschsprachige Kommentarforen Slowenische Kommentarforen Nomination Fre- quenz Kollokatoren Nomination Fre- quenz Kollokatoren Polizei 16 policija, polic* (Polizei*) 1 Regierung 9 polnische, konservative vlad* (Regier*) 5 sramota (Schande), slovenska (slowenisch), naša (unsere), desna (rechte) Demon- stranten 7 aggressiv (zitiert als Aussage der Polizei) protesti, protestniki (Proteste, Demonstranten) 3 podpora (Unterstützung) Eltern 7 müssen entscheiden starš* (elter*) 7 odlociti (entscheiden), financna pomoc (finanzielle Hilfe), sprejeti odgovornost (Verantwortung übernehmen), 3.3.3 Teilthemen aus qualitativer Perspektive Transnationale Diskursrelevanz kommt nach qualitativer Analyse folgenden Teilthemen zu: Politik, Religion, Frauen- und Kinderrechten sowie Demonstrationen. Politik Am Anfang aller vier Kommentarforen wird am häufigsten das Teilthema Politik thematisiert. In vielen Kommentaren der Befürworter/-innen des Abtreibungsrechts werden die Entscheidungen polnischer Politiker/-innen sehr kritisch diskutiert. In diesem Zusammenhang wird die Metapher Gift bzw. giftig verwendet, die auf den negativen Einfluss der polnischen Politik auf die polnische Gesellschaft hinweist. Beispielhaft dafür ist der folgende Kommentar: „Das Gift der rechten Populisten in Polen zersetzt die Unterstützung, das ist ja das Perfide an solchen Systemen, spalten, wo es nur geht.“ (namevergeben2, Zeit Online, November 2020). In vielen Kommentaren der Befürworter/- innen wird die enge Verbindung von Staat und Kirche und ihr Einfluss auf die Rechte der Frauen sehr negativ bewertet. (1) Jaroslaw Kaczynski in cerkveni velikaši vodijo Poljsko in unicujejo pravice žensk, in kdo si prilašca to pravico Kaczynski je homoseksualec, cerkev pa je polna pedofilov, torej nas odlocitev popolnoma nic ne preseneca. Dragi Slovenci postavlja se vprašanje ali bodo to dejanje Poljske države, stranke SDS in NSi obsodile ali podprle ali bodo kar molcale ? toliko v razmislek VSEM, kaj nas pod to vlado lahko še caka. (borjac, 24ur, 24.10.2020)5 Im Kommentar (1) wird zudem ein Vergleich der polnischen Politik mit der slowenischen gezogen, denn slowenische User/-innen befürchten, dass die slowenische Regierung eine ähnliche Abtreibungspolitik einschlagen könnte. So wird in den slowenischen Kommentaren der Blick nicht auf die Verhältnisse in Polen verengt, sondern bilateral und in einigen Kommentaren sogar europäisch perspektiviert. Die Perspektivierung auf die EU ist ein weiteres Teilthema, das in allen Kommentarforen thematisiert wird. Hierbei stellt sich vor allem die Frage, was die EU gegen das verschärfte Abtreibungsverbot machen kann: „[…] Erstaunlich das es autoritäre Systeme immer darauf ansetzen Frauenrechte zu kontrollieren. Kann die EU/der europäische Gerichtshof helfen?“ (H. Reisen, Zeit Online, November 2020). Religion Das zweitwichtigste Teilthema, das oft in Verbindung mit der Politik auftritt, ist die Religion bzw. der Katholizismus. Einerseits wird in Kommentaren auf den Glauben, andererseits auf die Kirche als Institution verwiesen, die nach der Meinung der Befürworter/ -innen auf die Entscheidungen der polnischen Regierung einen negativen Einfluss nimmt. Im Hinblick auf das eingeführte Abtreibungsgesetz wird sogar von religiösem Fanatismus gesprochen. In den Kommentaren der Befürworter/-innen kam zudem oft das Lexem Mittelalter vor, in den slowenischen Kommentaren gab es sogar Variationen davon, z.B. 18. stoletje (18. Jahrhundert) oder bronasta doba (Bronzezeit). Mit den Metaphern wird darauf verwiesen, dass ein solches Abtreibungsgesetz in die Vergangenheit gehört und daher im 21. Jh. nicht akzeptabel ist: „Willkommen im Mittelalter. Traurig.“ (Gelöschter Nutzer 11371, Zeit Online, November 2020). Eine wichtige Themenkonstituente in den Kommentaren der Befürworter/-innen ist LGBTQ+. Dabei wird oft ein Vergleich zwischen den Abtreibungs- und den LGBTQ+-Rechten gezogen und wie beide seitens der Regierung und der Kirche unterdrückt werden. Vergleiche werden auch mit dem Islam gezogen, denn einige Befürworter/-innen sehen zwischen den Verhältnissen in der polnischen Kirche, die sich nach einem Gottesstaat sehnt, und den Verhältnissen im Islam keinen Unterschied: „und bitte verlieren Sie nicht ein Wort über den bösen Islam, denn was Sie hier schreiben ist nichts anderes als der wunsch nach Errichtung eines katholischen Gottesstaats, in dem das Recht gleichgesetzt wird mit Religion.“ (wink mit dem zaunpfahl 7, Der Standard, 5 Deutsche Übersetzung (SK): Jaroslaw Kaczynski und der Kirchenadel regieren Polen und zerstören die Rechte der Frauen. Und wer eignet sich dieses Recht an – Kaczynski, ein Homosexueller, und die Kirche ist voller Pädophiler. Daher überrascht uns die Entscheidung überhaupt nicht. Liebe Slowenen, die Frage ist, ob der polnische Staat, die SDS- und die NSi-Parteien diese Tat Polens verurteilen oder unterstützen, oder ob sie gar schweigen werden. So viel ALLEN zum Nachdenken, was uns unter dieser Regierung noch erwartet. 24.10.2020). Die Gegner/-innen verweisen in ihren Kommentaren häufig auf die Bibel als das zentrale, richtungsweisende Dokument der Christen, welche die Abtreibung verbietet. Frauen-, Kinderrechte Beim dritten Teilthema handelt es sich um Frauen- und Kinderrechte und die Frage, wessen Rechte im Fall einer Abtreibung am wichtigsten sind. In Verbindung mit den Kinderrechten treten häufig auch die Kollokatoren ungeboren, (schwer-)behindert und töten auf. Zudem wird z. B. diskutiert, ab wann ein Embryo überhaupt als Mensch gilt und daher Rechte haben kann. Weitere Teilthemen Die Teilthemen „Demonstrationen“, „Adoption“ und „Wissenschaft“ kommen nur in einigen Kommentarforen vor. Auf Zeit Online ist der Polizeieinsatz bei Demonstrationen der Abtreibungsbefürworter/-innen ein zentrales Thema. Es wird diskutiert, ob die Verhaftungen der Demonstrierenden gerechtfertigt sind, oder ob die Polizei übertrieben reagiert hat, was Gegner/-innen als unbegründet zurückweisen. Ein weiteres Teilthema, das Gegner/-innen diskutieren, ist die Adoption, die als eine Alternative zur Abtreibung dargestellt wird, was allerdings nur in den beiden slowenischen Kommentarforen angesprochen wird: „Se strinjam, splav je treba prepovedati v cisto vseh primerih. Naj ga mama donosi in ga da po rojstvu v posvojitev, ce res ne more drugace. Ljubecih zakonskih parov, ki cakajo na možnost za posvojitev otroka, je ogromno.“ (MMC, Sorrento, 24.10.2020).6 Das letzte Teilthema, das von den Befürworter/-innen eingebracht wird, betrifft die wissenschaftliche Perspektive und die damit verbundene Berufung auf Expertinnen und Experten der Medizin (Autoritätsargumente). 3.4 Quantitative Analyse mit AntConc Tabellen 4 und 5 liefern eine Übersicht der salienten Teilthemen samt frequenten Themenkonstituenten und deren Kollokatoren in den deutschsprachigen (Tab. 4) und slowenischen Kommentarforen (Tab. 5). Aus den Tabellen wird ersichtlich, welche Themenkonstituenten mit welchen Teilthemen im Diskurskorpus zusammenhängen und welche Bedeutung einem Teilthema anhand der Anzahl und der Frequenz der Themenkonstituenten zukommt. Auf diese Weise kann man die Teilthemen und ihre Dynamiken in deutschsprachigen und slowenischen Kommentarforen vergleichen. 3.4.1 Diskursstränge in deutschsprachigen Kommentarforen Aus der quantitativen Analyse geht hervor, dass die bereits manuell erarbeiteten Teilthemen Politik, Religion sowie Kinder- und Frauenrechte in deutschen Kommentarforen ähnliche Diskursrelevanz aufweisen, das Teilthema Demonstrationen wird nur auf Zeit Online diskursiv relevant gesetzt. 6 Deutsch: Ich stimme zu, Abtreibungen sollten in absolut allen Fällen verboten werden. Soll doch die Mutter das Kind zur Welt bringen und nach der Geburt zur Adoption freigeben, wenn es wirklich nicht anders geht. Es gibt viele liebevolle Ehepaare, die auf die Möglichkeit warten, ein Kind zu adoptieren. Tab. 4: Teilthemen mit Themenkonstituenten, deren Kollokatoren und Cluster in deutschen Kommentarforen Zeit Online Der Standard Themenkonstituenten (samt Kollokatoren) Häufigkeit Themenkonstituenten (samt Kollokatoren) Häufigkeit Teilthema 1: Religion (Suchwort: mittelalt*) (tiefstes) Mittelalter, mittelalterlich 6 (Suchwort: relig*) religiöse Fanatiker/ Fundamentalisten 14 (Suchwort: Bibel) 5 (Suchwort: klerikal*) klerikal-faschistoide Truppe, klerikal dominierter Staat 5 (Suchwort: kathol*) (verbohrte) Katholiken, katholisch 4 (Suchwort: kathol*) Katholiban, katholische Fanatiker 14 (Suchwort: gott*) Gott 3 (Suchwort: gott*) Gott, gottesdurstige Menschen, Gottgläubige, katholischer Gottesstaat 15 (Suchwort: Kirche) katholische Kirche 2 (Suchwort: Kirch*) katholische/heilige Kirche 15 Teilthema 2: Kinder- und Frauenrechte (Suchwort: Kind*) behinderte/ungeborene Kinder 7 (Suchwort: Kind*) ungeborene/gesunde/(schwer) behinderte/“normale“ Kinder 36 (Suchwort: Frau*) Frauenrechte, X der Frau(en) (X = Proteste, Gesundheit, bevormunden), 5 (Suchwort: Frau*) Frauenrechte, X der Frau(en) (X = Entscheidung), 12 (Suchwort: Recht*) Rechte der/des X (X = Schwächeren, Kinder, Rechtsordnung 6 (Suchwort: Recht*) Rechtsstaat, Recht auf X (X = gesunde Kinder, Kindstötung, Leben, Selbstbestimmung), 18 (Suchwort: ungeboren*) ungeborene Kinder, Ungeborene 4 (Suchwort: ungeboren*) ungeborene Kinder, Ungeborene 7 (Suchwort: töt*) töten, das Töten 4 (Suchwort: behindert*) (körperlich) Behinderte, behinderte Kinder/Säuglinge/ Ungeborene 14 Zeit Online Der Standard Themenkonstituenten (samt Kollokatoren) Häufigkeit Themenkonstituenten (samt Kollokatoren) Häufigkeit Teilthema 3: Politik (Suchwort: Polen) 9 (Suchwort: Polen) 30 (Suchwort: regier*) konservative, polnische Regierung, regieren 3 (Suchwort: regier*) konservative, polnische Regierung 11 (Suchwort: polit*) politisch, Politik 2 (Suchwort: polit*) politisch, klerikal-faschistoide Politiker 5 (Suchwort: demokr*) Demokratie 1 (Suchwort: demokr*) Demokratie, demokratische Staaten 8 (Suchwort: gesetz*) Gesetz 1 (Suchwort: gesetz*) Gesetz(e), Gesetzesvoschläge 6 (Suchwort: Höchstgerichtsurteil*), Höchstrichter*, Höchstgericht* 3 (Suchwort: Europa) 10 (Suchwort: EU) 2 (Suchwort: EU) 6 Teilthema 4: Demonstrationen (Suchwort: poliz*) Polizei/Polizisten aggressiv; Polizeieinsatz 18 / (Suchwort: *demo*) Demo, Demonstrationen, Demonstranten (aggressiv) 16 (Suchwort: *demo*) Demo(s) von Abtreibungsgegnern, Abtreibungsgegnerdemo, große/größere Demonstrationen, Demonstraten 12 Demonstrationen/Protest gegen Abtreibungsverbot 2 Abtreibungsregelung, -verbotsgegner, Abtreibungsgegner 4 Das Teilthema Religion wird vor allem im österreichischen Kommentarforum intensiv und durchgehend verhandelt (Abb. 1). Aus den Kollokatoren zu relevanten Themenkonstituenten wird ersichtlich, dass es sich vorwiegend um negative Kommentare der Befürworter/-innen handelt, die den Einfluss der katholischen Kirche auf polnische Politik und Gesetzgebung als sehr negativ bewerten und die Kirche selbst als verlogen enthüllen wollen. Die polnischen Politiker und Kirchenvertreter werden als klerikal-faschistoide Truppe bzw. religiöse Fanatiker und Fundamentalisten sowie Katholibane abgestempelt, die einen katholischen Gotteststaat errichten wollen. Ein Vergleich mit dem Islam wird gezogen: „Ich finde das auch schrecklich, aber es obliegt den Polen, diese Katholiban nicht zu wählen.“ (Ibimsdalauch, Der Standard, 23.10.2020). Das neue Abtreibungsgesetz wird metaphorisch als tiefstes Mittelalter bzw. mittelalterlich bezeichnet. Abb. 1: Screenshot Concordance Plut der Suchwörter zum Teilthema Religion in Zeit Online und Der Standard: *gott*, Kirch*, kathol*, relig*, klerikal*, Mittelalter*, Bibel Das Teilthema Frauen- und Kinderrechte, dem vor allem im österreichischen Kommentarforum großes Gewicht zukommt, stellt die Rechte beider Personengruppen gegenüber. Befürworter/-innen verweisen auf Frauenrechte, d.h. auf ihr Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper (wichtigster Kollokator zu Frau: Selbstbestimmung ); das neue Abtreibungsgesetz betrachten User/-innen als einen Versuch von autoritären Systemen, Frauen zu kontrollieren. Polen wird im Hinblick auf das neue Abtreibungsgesetz als Rechtsstaat in Frage gestellt: (2) Polen ist als klerikal dominierter Staat samt dessen ... gegen die Freiheit der Selbstbestimmung von Frauen nicht würdig, als Rechtsstaat bezeichnet zu werden. Dass die katholische Kirche eine derartige Macht ausüben kann und die Gesetze nach den Vorstellungen religiöser Fundamentalisten beschlossen werden, ist eine Schande für die EU und die Menschlichkeit. (René Herndl9, Der Standard, 23.10.2020) Abtreibungsgegner/-innen verweisen hingegen auf die Rechte von getöteten, ungeborenen und schwerbehinderten Kindern, die als Schwächere geschützt werden sollen: „Die beiden Rechte gelten und müssen abgewogen werden, wobei man immer an die Rechte des Schwächeren denken sollte.“ (Stanislaw Ogorek, Zeit Online, November 2020). Zentrale Stellung in Kommentaren nehmen zudem abgesehen von der Diskursposition trans textuelle Muster mit Leerstellen ein: Recht auf X (X = gesunde Kinder, Kindstötung, Leben, Selbstbestimmung) und Rechte der/des X (X = Minderheiten, Schwächeren, Kinder). Abb. 2: Screenshot Concordance Plut der Suchwörter zum Teilthema Frauen- und Kinderrechte in Zeit Online und Der Standard: Kind*, Frau*, Recht*, töt*, ungeboren*, Behindert* Das Teilthema Politik wird vor allem im österreichischen Kommentarforum intensiv diskutiert (vgl. Abb. 3). Befürworter/-innen bewerten den Antrag der polnischen Regierung auf Gesetzesänderung sehr negativ und bezeichnen die Regierung als eine konservative, klerikal-faschistoide Truppe, was auf die enge Verzahnung beider Teilthemen Religion und Politik hinweist. Zudem wird die Urteilsbegründung des Höchstgerichts im Sinne des Papstes Johannes Paul II. kritisiert. In den Kommentaren wird diskutiert, dass sich dadurch das Grundproblem der Demokratie zeigt, denn ein Großteil der Bevölkerung hat die aktuelle Regierung, die undemokratische Entscheidungen trifft, gewählt. Zudem wird im österreichischen Kommentarforum die europäische Perspektive relevant gesetzt, indem die undemokratischen Gesetze wie das polnische als EU-fremd betrachtet werden und die Passivität der EU kritisch bewertet wird. Dem Teilthema Demonstrationen kommt nur auf Zeit Online Diskursrelevanz zu. Bei den Ereignissen handelt es sich um große Demonstrationen von Abtreibungsgegnern bzw. Zehntausende von Demonstranten, die sich zum Teil aggressiv verhalten, weshalb ein Polizeieinsatz notwendig ist (häufiges N-Gramm: gegenüber der Polizei aggressiv). Die jeweiligen Konkordanzen zum N-Gramm zeigen allerdings, dass es sich um Zitate über das aggressive Verhalten von Demonstraten gegenüber der Polizei handelt, was Befürworter/-innen als Polizeijargon enthüllen; aus den Kommentaren wird deutlich, dass die Polizei Demonstrierende in negativem Licht zeigen wollte, um eigene Handlungen zu legitimieren. Der Vergleich von Themenkonstituenten mit Concordance Plot (Abb. 4) zeigt zudem eindrucksvoll, in welch unterschiedlichem Umfang dieses Teilthema in beiden Kommentarforen verhandelt wird. Der visuelle Vergleich von Themenkonstituenten mit Concordance Plot weist auf die Dynamik und Dominanz einzelner Teilthemen im jeweiligen Kommentarforum hin. Während in Kommentaren im österreichischen Der Standard die politischen, reli Abb. 3: Screenshot Concordance Plut der Suchwörter zum Teilthema Politik: Polen*, regier*, polit*, demokr*, Höchstgerichtsurteil*, Höchstrichter*, Höchstgericht*, gesetz*, EU*, Europa* Abb. 4: Screenshot Concordance Plut der Suchwörter zum Teilthema Demonstrationen in Zeit Online und Der Standard: *demo* und poliz* giösen, rechtlichen und ethischen Aspekte abgewogen werden, problematisieren User/ -innen auf Zeit-Online intensiver die Hintergründe der Demonstrationen gegen das verschärfte Abtreibungsgesetz und den Polizeieinsatz. 3.4.2 Dominante Diskursstränge in slowenischen Kommentarforen Tabelle 5 zeigt die dominanten Teilthemen samt Themenkonstituenten und deren Kollokatoren in beiden slowenischen Kommentarforen. Tab. 5: Unterthemen und Themenkonstituenten samt Kollokatoren in den slowenischen Kommentarforen 24 ur MMC Themenkonstituenten (Kollokatoren) Häufigkeit Themenkonstituenten (Kollokatoren) Häufigkeit Teilthema 1: Politik (Suchwort: držav* (Staat*)) naš diktator (unser Diktator) poljska (polnisch) 6 (Suchwort: držav* (Staat*)) gleda stran (schaut weg) 4 (Suchwort: vlad* (regier*)) poljska (polnisch), sramota (Schande) desna (politische Rechte), naša (unser) 4 (Suchwort: Poljsk* (polnisch*)) 8 (Suchwort: politik* (Politik*)) 3 (Suchwort: politik*) 1 (Suchwort: Evrop* (Europ*)) sramota za (Schande für) 2 (Suchwort: EU (EU)) naj spokajo iz (verschwinden aus) 4 (Suchwort: evro* (Euro*)) se šlepajo na evropskih sredstvih (europäische Mittel), opušcajo evropske standarde (verzichten auf europäische Standards) 8 Teilthema 2: Religion (Suchwort: rkc (kurz für Römisch-katholische Kirche)) 1 (Suchwort: rkc) rkc in desnica gresta z roko v roki (rkc und die Rechte gehen Hand in Hand) 11 (Suchwort: cerk* (kirch*)) se meša v življenje ljudi in državo (mischt sich ein), cerkveni velikaši unicujejo pravice žensk (kirchliche „Größen“ zerstören die Rechte der Frauen) 3 (Suchwort: cerk*) žrtev cerkve (das Opfer der Kirche), cerkveni veljaki (Kirchlicher „Adel“) 16 24 ur MMC Themenkonstituenten (Kollokatoren) Häufigkeit Themenkonstituenten (Kollokatoren) Häufigkeit (Suchwort: katol* (kathol*)) katoliška razlicica islamistov (katholische Variante der Islamisten) 1 (Suchwort: katol*) poljski katoliški absolutum (polnisches katholisches Absolutum) 3 (Suchwort: kršc* (christ*)) 2 (Suchwort: kršc*) 12 (Suchwort: biblija (Bibel))) 3 (Suchwort: Bog (Gott)) 2 Teilthema 3: Kinder- und Frauenrechte (Suchwort: pravic* (Recht*)) unicujejo pravico žensk (zerstören das Recht der Frauen) 3 (Suchwort: otro*) otrok, ki ne bo zaželjen (unerwünschtes Kind), umor bolnih otrok (Mord kranker Kinder), (se) ubijajo nerojeni otroci (Umbringen von ungeborenen Kindern) 96 (Suchwort: splav) slab in krivicen (schlecht und ungerecht), moralno sporen (moralisch fragwürdig), slaba odlocitev (schlechte Entscheidung), ni vprašanje vere, ampak cloveka (nicht die Frage der Religion, sondern des Menschen) 26 (Suchwort: ženske) ženske, ki otroka niso želele (Frauen, die das Kind nicht wollten), poseg v telo ženske (Eingriff in den Körper der Frau) 19 (Suchwort: zarod*) deformiran zarodek (deformiertes Embryo),,zarodek je del ženskega telesa (das Embyro ist Teil des weiblichen Körpers), zarodek sploh še ni rojen (das Embyro ist noch nicht geboren) 17 24 ur MMC Themenkonstituenten (Kollokatoren) Häufigkeit Themenkonstituenten (Kollokatoren) Häufigkeit Teilthema 4: Demonstrationen (Suchwort: protestnik* (Demonstrant*)) vsa podpora (volle Unterstützung) 1 (Suchwort: protesti* (Demonstrationen*)) 2 (Suchwort: policija (Polizei)) policija in politika (Polizei und Politik) 1 Teilthema 5: Adoption (Suchwort: posvoj* (Adopt*)) 8 Teilthema 6: Wissenschaft (Suchwort: znan* (wissen*)) dvomiti v znanost (zweifeln an der Wissenschaft) 26 (Suchwort: strok* (expert*)) stroka nima pojma, stroka tudi zmotljiva (die Experten haben keine Ahnung, die Experten sind auch fehlbar) 9 Das Teilthema Politik wird in beiden slowenischen Kommentarforen viel diskutiert (vgl. Abb. 5). Die Themenkonstituenten držav* (dt.: Staat*) und Poljska (dt.: Polen) verwenden vorwiegend Befürworter/-innen, die das Verhalten der polnischen Regierung negativ betrachten. Sie sind der Meinung, dass der Staat die Augen vor der Wahrheit verschließe, vorauf der Kollokator gleda stran (dt.: schaut weg) hindeutet. Ähnlich wie in den deutschen Kommentaren wird auch hier die europäische Perspektive relevant gesetzt, da Befürworter/-innen EU oder evro* in Verbindung mit Kollokatoren wie naj spokajo iz EU (dt.: sie sollen aus der EU verschwinden) gebrauchen. Anders als in deutschsprachigen Kommentaren wird nun die Abneigung gegenüber Polen ausgedrückt, denn Polen handle nicht im Einklang mit den EU-Standards und sei nur aus finanziellen Gründen in der EU. Dem Teilthema Religion kommt vor allem in MMC eine zentrale Stellung zu (vgl. Abb. 6). Es wird durch ähnliche Themenkonstituenten wie in deutschen Kommentaren charakterisiert: rkc (dt.: kurz für Römisch-katholische Kirche), cerkev/cerkveni (dt.: Kirche/kirchlich), katoliški (dt.: katholisch), kršcanski (dt.: christlich). Befürworter/ -innen verweisen damit einerseits auf die enge Verbindung von Kirche und Staat und andererseits auf ihre Einmischung in die Rechte der Frauen. Auch in den slowenischen Kommentaren wird der Vergleich mit dem Islam gezogen: katoliška razlicica islamistov (dt.: katholische Variante der Islamisten). Die Themenkonstituenten wie biblija (dt.: die Bibel) oder Bog (dt.: Gott) verwenden Befürwort/-innen hingegen, um zu verdeutlichen, dass ihre Auffassung der Abtreibung auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und nicht auf religiösem Glauben basiert. Abb. 5: Screenshot Concordance Plut der Suchwörter zum Teilthema Politik in 24ur und MMC: vlad*, držav*, Poljskem, politik*, EU, evro* Abb. 6: Screenshot Concordance Plut der Suchwörter zum Teilthema Religion in 24ur und MMC: rkc*, cerk*, katol*, kršc*, biblija, Bog (Concordance Plot) Das Teilthema Kinder- und Frauenrechte stellt im MMC-Kommentarforum das wichtigste Teilthema dar und wird im Vergleich zum 24ur-Kommentarforum deutlich intensiver diskutiert (vgl. Abb. 7). Während im letzteren nur das durch das neue Gesetz zerstörte Recht der Frauen diskutiert wird, werden in MMC unterschiedliche Aspekte relevant gesetzt. Die häufigsten Themenkonstituenten sind otroka (dt.: Kind), splav (dt.: Abtreibung), ženske (dt.: Frau) und življenje (dt.: Leben). Die Abtreibungsgegner/-innen verbinden mit der Themenkonstituente splav (dt.: Abtreibung) Kollokatoren wie slab in krivicen (dt.: schlecht und ungerecht), moralno sporen (dt.: moralisch fragwürdig), slaba odlocitev (dt.: schlechte Entscheidung) und mit der Themenkonstituente otrok* (dt.: Kind*) Kollokatoren wie umor bolnih otrok (dt.: Mord von kranken Kindern) oder ubijanje nerojenih otrok (dt.: Umbringen von ungeborenen Kindern), um die Abtreibung als eine Gewalttat darzustellen. Diese sollte ihrer Meinung nach verhindert werden, um die ungeborenen Kinder und deren Recht auf Leben zu schützen. Die Befürworter/-innen der Abtreibung verwenden hingegen Wortverbindungen wie poseg v telo ženske (dt.: Eingriff in den Körper der Frau), ženske, ki otroka niso želele (dt.: Frauen, die das Kind nicht wollten) oder splav ni vprašanje vere, ampak cloveka (dt.: Abtreibung ist nicht die Frage der Religion, sondern des Menschen), um darauf hinzuweisen, dass die Abtreibung das Grundrecht der Frau ist, welches weder von der Kirche noch dem Staat eingeschränkt werden darf. Die letzte wichtige Themenkonstituente ist zarodek (dt.: Embryo), die in einigen Kommentaren synonym für Kind verwendet wird. Während die Abtreibungsgegner/- innen das Wort aufgreifen, um zu erklären, ab wann ein Embryo als Lebewesen gilt und nicht mehr abgetrieben werden darf, setzen es die Befürworter/-innen ein, um hervorzuheben, dass im Falle eines deformierten Embryos eine Abtreibung erlaubt sein müsste. Im Gegensatz zum deutschen Teilkorpus kommt dem Teilthema Demonstrationen in den slowenischen Kommentarforen keine zentrale Rolle zu. Die relevanten Themenkonstituenten wie protesti (dt.: Demonstrationen) oder protestniki (dt.: Demonstranten) verwenden Befürworter/-innen, um ihre Unterstützung für Demonstrierende zu zeigen. Das wird durch den Kollokator vsa podpora (dt.: volle Unterstützung) noch deutlicher. Die Themenkonstituente policija (dt.: Polizei) setzen Befürworter/-innen hingegen ein, um die Handlungen der Polizei und Politik zu verurteilen: Sramota v moderni dobi, kaj dela politika in policija (hanna.m, 24ur, 23.10.2020).7 Das Teilthema Wissenschaft entfaltet sich im MMC-Kommentarforum wider Erwarten der manuellen Analyse zu einem wichtigen Teilthema: Im Diskursverlauf kommen die Lexeme strok* (dt.: Expert*) 9 Mal und znan* (dt.: Wissenschaft*) 26 Mal vor. Die Analyse zeigt allerdings, dass Wissenschaft nicht nur Befürworter/-innen verwenden, z.B. svoje znanje crpal iz znanstvenih in strokovnih knjig, ne pa iz Biblije (dt.: er schöpfte sein Wissen aus wissenschaftlichen und fachlichen Büchern, nicht aus der Bibel), sondern auch Abtreibungsgegner/-innen, z. B. stroka nima pojma, stroka tudi zmotljiva (dt.: die Experten haben keine Ahnung, die Experten machen auch Fehler). Auch das Teilthema „Adoption“ kommt nur in MMC vor und wird von Abtreibungsgegner/- innen besprochen. Sie erwähnen Adoption als eine Alternative zur Abtreibung: Se strinjam, splav je treba prepovedati v cisto vseh primerih. Naj ga mama donosi in ga 7 Deutsch: Eine Schande in dem modernen Zeitalter, was die Politik und die Polizei machen. Abb. 7: Screenshot Concordance Plut der Suchwörter zum Teilthema Kinder- und Frauenrechte in 24ur und MMC: pravic*, otro*, splav, ženske, zarod* Abb. 8: Screenshot Concordance Plut der Suchwörter zum Teilthema Wissenschaft in 24ur und MMC: znan*, strok* da po rojstvu v posvojitev, ce res ne more drugace. Ljubecih zakonskih parov, ki cakajo na možnost za posvojitev otroka, je ogromno. (uizzi, MMC, 24.10.2020)8. Es gibt aber auch einige Befürworter/-innen, die hervorheben, dass Adoption nicht immer eine gute Lösung sei, da es viele Probleme im Adoptionssystem gibt und es oft wegen der komplizierten rechtlichen Verfahren sehr schwer ist, ein Kind zu adoptieren, weswegen viele Kinder nicht adoptiert werden und in Waisenhäusern aufwachsen. Durch den Vergleich von Themenkonstituenten kann man feststellen, dass die Teilthemen Politik und Religion in slowenischen Kommentaren ähnlich häufig sind und immer wieder aufgegriffen werden. Dem Teilthema Frauen- und Kinderrechte kommt hingegen im MMC-Kommentarforum eine dominante Rolle zu; zudem werden hier zwei weitere Teilthemen, Adoption und Wissenschaft, diskursiv relevant gesetzt. 4 FAZIT UND AUSBLICK Der qualitativ-quantitative Zugang auf Online-Diskurse, wie er in diesem Beitrag an deutschsprachigen und slowenischen Kommentarforen zu themengebundenen Artikeln in slowenischen, deutschen und österreichischen Online-Zeitungen durchgeführt wird, hat gezeigt, wie Themendynamiken diskurslinguistisch in einer kontrastiven Perspektive untersucht werden können. Während mit qualitativer Analyse eines Diskursfragments Teilthemen samt Themenkonstituenten im Hinblick auf Akteurinnen und Akteure erarbeitet werden können, schafft die quantitative Analyse und Visualisierung frequenter Themenkonstituenten mit AntConc eine gute Vergleichsbasis für die Exploration von Diskursrelevanz einzelner Teilthemen sowie ihrer Dynamik im Diskursverlauf und kontrastiv in unterschiedlichen Sprachkorpora (vgl. Fijavž/Fišer 2020; Polajnar 2022, i. Dr.). Zudem wurden mit AntConc relevante Kollokatoren sowie Konstruktionsmuster mit Slots (z.B. X der Frauen) erarbeitet, anhand welcher Einstellungen gegenüber dem betrachteten Abtreibungsgesetz erschlossen wurden. Insgesamt wurden sowohl Konvergenzen (gemeinsame Teilthemen: Kinder- und Frauenrechte, Religion und Politik) als auch Divergenzen erarbeitet. Zu Unterschieden kommt es beispielsweise im Umfang und der Entfaltung der behandelten Teilthemen. In slowenischen Kommentaren wird – im Gegensatz zu den deutschsprachigen – beim Teilthema Politik relativ oft der Vergleich mit Slowenien gezogen, und zwar aufgrund der Befürchtungen, die slowenische Regierung könnte eine ähnliche Verschärfung einführen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass sich trotz einer viel geringeren Rolle der Kirche in Slowenien die momentane slowenische Regierung in ihrer politischen Ausrichtung näher an der polnischen positionieren lässt als die deutsche oder österreichische. Obwohl in beiden Kommentarforen die europäische Perspektive relevant gesetzt wird, werden unterschiedliche Aspekte thematisiert: Während in deutschsprachigen Kommentaren die undemokratischen Gesetze wie das polnische als EU-fremd 8 Deutsch: Ich stimme zu, Abtreibung sollte in absolut allen Fällen verboten werden. Die Mutter soll es zur Welt bringen und nach der Geburt zur Adoption freigeben, wenn sie wirklich nicht anders kann. Es gibt viele liebevolle Ehepaare, die auf die Möglichkeit zur Adoption eines Kindes warten. sowie die Passivität der EU kritisch bewertet werden, kritisieren slowenische User/ -innen vor allem die opportunistische Haltung Polens gegenüber der EU, was auf Mentalitätsunterschiede der EU-Gründungs- und EU-Beitrittsländer verweist. Ein weiterer thematischer Unterschied betrifft die Teilthemen Adoption und Wissenschaft, welche nur in slowenischen Kommentaren Diskursrelevanz aufweisen und in Zeitungsartikeln gar nicht erwähnt werden. Diese Unterschiede deuten darauf hin, dass Diskurse, wie sie sich in Kommentarforen konstituieren, nicht nur eine interaktive Erweiterung medialer Diskurse darstellen, sondern als eigenständiges Diskursmedium mit eigenen Themenentwicklungen eine Rolle bei der Wissenskonstitution spielen. Durch den Sprach- und Themenvergleich konnten kulturelle Unterschiede auf thematischer, aber auch auf struktureller Ebene aufgezeigt werden, denn deutschsprachige Kommentarforen sind viel dialogischer ausgerichtet, wohingegen die slowenischen Kommentarforen eher eigenständig oder in sehr kurze Threads eingebettet sind. Trotz des kleineren Umfangs des slowenischen Kommentarforums konnte in allen eine vergleichbare Themenvielfalt festgestellt werden. Die vorliegende diskurslinguistische Themenanalyse des Diskursausschnitts, der die „Außenperspektive“ auf das betrachtete diskursive Ereignis darstellt, konnte transnationale Konvergenzen und Divergenzen aufzeigen. Eine wichtige Ergänzung wäre ein Vergleich mit dem polnischen Diskurs. Literatur Sekundärliteratur: AntConc: Anthony, L. (2019). AntConc (Version 3.5.8) [Computer Software]. Tokyo, Japan: Waseda University. https://www.laurenceanthony.net/software (Zugriff: 13.1.2021). 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Zusammenfassung THEMENDYNAMIKEN DIGITALER DISKURSE – EINE KONTRASTIVE DISKURSLINGUISTISCHE ANALYSE SLOWENISCH- UND DEUTSCHSPRACHIGER KOMMENTARFOREN ZUM ABTREIBUNGSGESETZ IN POLEN Im Beitrag wird mittels eines qualitativ-quantitativen Zugangs zu deutschsprachigen und slowenischen Kommentarforen gezeigt, wie Themendynamiken diskurslinguistisch in kontrastiver Perspektive untersucht werden können. Während mit qualitativer Analyse Teilthemen samt Themenkonstituenten im Hinblick auf Akteurinnen und Akteure je Sprache erarbeitet werden, schafft die quantitative Analyse und Visualisierung frequenter Themenkonstituenten mit AntConc eine gute Vergleichsbasis für die Exploration einzelner Teilthemen sowie Themendynamiken im Diskursverlauf und sprachübergreifend in unterschiedlichen Sprachkorpora. Durch den Vergleich werden Konvergenzen (gemeinsame Teilthemen) und Divergenzen erarbeitet: Zum einen lassen sich kulturell begründete Unterschiede auf thematischer Ebene aufzeigen, die den Umfang und die Entfaltung der behandelten Teilthemen betreffen, zum anderen wird die Dialogizität auf struktureller Ebene untersucht. Insgesamt zeigt sich, dass Kommentarforen als eigenständiges Diskursmedium mit eigenen Themenentwicklungen auch in sprachübergreifender Perspektive eine wichtige Rolle bei der Wissenskonstruktion spielen. Schlüsselwörter: Diskurslinguistik, kontrastive Analyse, thematische Analyse, Kommentarforen, Slowenisch, Deutsch Abstract DYNAMICS OF DISCURSIVE THEMES IN DIGITAL DISCOURSE – A CONTRASTIVE DISCOURSE-LINGUISTIC ANALYSIS OF SLOVENE AND GERMAN COMMENTARY FORUMS The article uses a qualitative-quantitative approach to explore comment forums where German or Slovene are used, uncovering dynamics related to discursive themes in a contrastive discourse-linguistic perspective. While qualitative analysis is used to develop subthemes with regard to discourse agents per language, the quantitative analysis and visualization of frequent thematic constituents with AntConc creates a good basis for comparison of individual subthemes as well as theme related dynamics in a particular discourse and across languages. By comparing discursive themes in different subcorpora both convergences (mutual subthemes) and divergences were uncovered: on the one hand, culturally based differences surface on a thematic level, affecting the scope and development of the analyzed subthemes, while dialogue-related differences emerge on a structural level. Overall, it turns out that comment forums, as an independent discourse medium with their own thematic developments, also play an important role in discursive knowledge construction from a cross-linguistic perspective. Keywords: discourse linguistics, contrastive analysis, thematic analysis, commentary forums, Slovene, German Povzetek DINAMIKA OBRAVNAVANIH TEM V DIGITALNIH DISKURZIH – KONTRASTIVNA DISKURZNOLINGVISTICNA ANALIZA TEM V SLOVENSKIH IN NEMŠKIH SPLETNIH KOMENTARJIH V clanku so nemški in slovenski komentarji k spletnim clankom obravnavani po kvalitativno- kvantitativnem pristopu, da bi pokazali, kako je mogoce dinamiko diskurzivnih tem prouciti z diskurznolingvisticne in kontrastivne perspektive. V kvalitativni analizi se osredotocamo na proucevanje razvoja podtem glede na akterje v vsakem izbranem jeziku posebej. Kvantitativna analiza in vizualizacija pogostih tematskih sestavin posameznih podtem s konkordancnim programom AntConc pa omogocata primerjavo posameznih podtem glede na njihovo prominentnost in primerjavo njihove dinamike v poteku diskurza v razlicnih jezikovnih korpusih. Kontrastivna analiza pokaže tako konvergence (skupne podteme) kot tudi divergence: po eni strani se na tematski ravni pokažejo kulturno pogojene razlike, ki vplivajo na obseg in razvijanje obravnavanih podtem, po drugi strani pa – glede na dialoškost – razlike na strukturni ravni. Pomembna ugotovitev je, da imajo forumi spletnih komentarjev kot samostojen diskurzni medij z lastno dinamiko podtem tudi z medjezikovnega vidika pomembno vlogo pri sooblikovanju družbeno relevantnih diskurzov. Kljucne besede: diskurzna lingvistika, kontrastivna analiza, tematska analiza, spletni komentarji, slovenšcina, nemšcina Derya Gür-Seker*1 Universität Duisburg-Essen „WIE SIEHT DIE #ZUKUNFTDERARBEIT AUS?“ – HASHTAGS ALS DREH- UND ANGELPUNKTE LINGUISTISCHER SOCIAL-MEDIA-ANALYSEN 1 EINLEITUNG Spätestens seit der Corona-Pandemie ist das Thema Digitalisierung in aller Munde - sei es im Kontext des Distanzunterrichts, der Weiterbildung oder des Arbeitens, das in der Pandemie zunehmend digitaler geworden ist. Wenn es um Digitalisierung geht, spielen jedoch nicht nur digitale Arbeitsabläufe eine Rolle, sondern auch Technologien wie Künstliche Intelligenz (im weiteren KI), die in viele Lebensbereiche hineinwirken (vgl. OECD 2018; Wittphal 2019). KI begegnet uns u.a. als Anwendung am Smartphone, wenn wir Sprachassistenten nutzen, oder beim Abruf von Bots im Internet, die Antworten auf Fragen automatisiert liefern oder die Beratung übernehmen - um nur einige Beispiele zu nennen. Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse verschiedener Umfragen in Deutschland, eine Tendenz hin zu mehr Offenheit gegenu¨ber KI-Anwendungen und ein zunehmendes Interesse an automatisierten Technologien (vgl. Bosch 2020, Bitkom 2020). Dennoch bleiben gewisse Vorbehalte gegenu¨ber den Auswirkungen von KI auf die Arbeitswelt, die in Befragungen sichtbar werden (vgl. Bitkom 2020). Wie aber zeichnet sich der Mediendiskurs u¨ber die Zukunft der Arbeit linguistisch aus und welche Einstellungen lassen sich in Bezug auf die Digitalisierung der Arbeitswelt ausmachen? Um diese Fragen zu beantworten, legt der vorliegende Beitrag den Fokus auf Social- Media-Diskurse und führt linguistische Hashtaganalysen durch, um dann so erschlossene Kommunikate kombiniert mit quantitativen und qualitativen Analysezugängen diskurslinguistisch zu untersuchen (vgl. Bubenhofer 2009). Ziel des Beitrages ist es also, den Social-Media-Diskurs über die Zukunft der Arbeit auf Instagram, YouTube, Twitter und Facebook hashtagorientiert exemplarisch am Beispiel von #zukunftderarbeit zu analysieren und aufzuzeigen, wie dieser sprachlich realisiert wird und welche Einstellungen auszumachen sind. Dabei wird im ‚Zukunft der Arbeit‘-Diskurs auch auf KI perspektiviert, da KI viele Arbeitsfelder betrifft (vgl. OECD 2018). Ausgangspunkt der Analyse sind deswegen auch Hashtags, weil diese auf unterschiedlichen Social-Media-Plattformen zum Einsatz kommen und wiederkehrend verwendet werden. Zugleich werden Posts über Hashtags gebündelt und thematisch sortiert. Von Relevanz ist auch, dass Posts durch Hashtags auffindbar, damit im Diskurs sichtbar werden und somit Reichweite generieren (können), um eigene Themen oder Standpunkte auf Social Media zu verbreiten. Nachfolgend wird die Methodik und im Anschluss die Datenbasis vorgestellt werden, um dann Ergebnisse und abschließend das Fazit darzulegen. * derya.guer@uni-due.de UDK [81'42:331]:004.774.1 DOI: 10.4312/linguistica.61.1.67-80 2 METHODIK UND DATENBASIS Der vorliegende Beitrag greift auf eine digitale Datenbasis zurück, um den öffentlichen Social-Media-Diskurs über die Zukunft der Arbeit hashtagorientiert linguistisch zu untersuchen. Unter dem Terminus ‚Diskurs‘ versteht der Beitrag ein globales Thema, das durch zusammengehörige Aussagen sowie sprachliche und nicht-sprachliche Kommunikate konstituiert wird (vgl. Gür-Seker 2012; Jewitt 2017; Stöckl/Caple/Pflaeging 2020). Diese Aussagen bzw. Wissenssegmente und multimodalen Kommunikate sind über Datensammlungen, sogenannte Korpora, erschließbar. Die Analyse geht vom Hashtag #zukunftderarbeit aus, zieht unterschiedliche Datenquellen heran und untersucht diese, um Regelhaftigkeiten, Einstellungen und Mentalitäten im Diskurs über die Zukunft der Arbeit zu bestimmen. Hierfür werden quantitative und qualitative Zugänge kombiniert. Quantitativ bedeutet, dass die Analyse z.B. Worthäufigkeiten betrachtet oder statistische Zugänge wählt. Bei der qualitativen Analyse werden einzelnen Kontexte untersucht und beschrieben (z.B. Postingtexte unterhalb abgesetzter Posts, Userkommentare) (vgl. Bubenhofer 2009; Bubenhofer/Scharloth 2013, Polajnar/Fišer 2021, Polajnar 2021). Um die Forschungsfrage zu beantworten, untersucht der Beitrag den Hashtag #zukunftderarbeit sowie damit verbundene Hashtags, die in abgesetzten Posts (u.a. Bildbeschreibungen, Tweets oder Userkommentaren) vorkommen und im Rahmen des Beitrags analysiert werden. Dabei wird eine linguistische Diskursanalyse durchgeführt, die wort- und kontextorientiert vorgeht (vgl. Gür-Seker 2015, vorauss. 2022). Zu betonen ist jedoch, dass Mediendiskurse zusehends über (Bewegt-)Bilder gesteuert und geprägt werden, was besonders auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder YouTube als bild- bzw. videolastige Plattformen deutlich wird (vgl. Doliva/Gür-Seker/Schlicht vorauss. 2022; Gür-Seker/Boonen/Wentker vorauss. 2022; Leaver/Highfield/Abidin 2019). Im Rahmen dieses Beitrags beschränkt sich die Analyse auf die Sprachebene, ohne Einbezug von Bildern, Videos oder Storys, wobei die Multimodalität der zugrunde liegenden Kommunikate stets reflektiert wird (siehe dazu Gür-Seker vorauss. 2022; Schmitz 2005; Jewitt 2017; Stöckl/Caple/Pflaeging 2020). Die Vorgehensweise gliedert sich insgesamt in drei Schritte. Nach dem Datenaufbau (Phase 1) werden im Rahmen der Analyse (Phase 2) wiederkehrende Hashtag und somit zusammenhängende Wörter, Wortgruppen und Kontexte untersucht. Abschließend (Phase 3) werden die Ergebnisse zusammengefasst. Für die Analyse wird das Analyseprogramm MAXQDA1 verwendet, das quantitative und qualitative Zugänge sowie Annotationen auf sprachlicher und visueller Ebene ermöglicht. Zu Beginn der Datensichtung wird die Häufigkeit von Hashtags und Wörtern softwaregestützt bestimmt. Die Analyse zeichnet sich durch eine Art Zirkelprozess aus, bei dem Hashtags und Wörter abgefragt und ihre Kontexte, Partnerwörter und Wortgruppen gesichtet werden, um anschließend Auffälligkeiten nachzugehen (vgl. Gür-Seker 2012, 2015). Sind relevante Hashtags und Wörter bestimmt, erfolgt eine Kontextanalyse, bei der das Suchwort immer im jeweiligen Kontext näher untersucht wird. Dadurch können Schlüsselwörter, um die sich der Diskurs dreht, bestimmt und näher untersucht werden. Auf der Wortebene können über 1 Vgl. https://www.maxqda.de, zuletzt abgerufen am 30.10.2021. sogenannte ‚Sprachthematisierungen‘ (das Sprechen über Sprache) Wortbedeutungen, Alternativbezeichnungen und Einstellungen bzw. Kontroversen im Diskurs ausgemacht werden (siehe Böke 1996; Klein 1989). Von Relevanz ist, dass Wörter als Indikatoren für Einstellungen der Akteur*innen gewertet werden, denn „[n]o terms are neutral“ (Stubbs 1996: 107). Mit der Wahl von Wörtern werden somit bestimmte Perspektiven auf das Bezeichnete deutlich und Einstellungen sichtbar. Die Datenbasis2 umfasst unterschiedliche Quellen, die je nach Eigenschaft des jeweiligen Mediums oder der Plattform nach einheitlichen Kriterien (Untersuchungszeitraum, Suchwortkombinationen) erfasst und je nach Beschaffenheit der Datenressource entweder mittels Tools oder manuell (händisch) erschlossen wurden. Die Analyse baut auf das ‚Zukunft-der-Arbeit‘-Korpus auf (siehe Tabelle 1), das Posts im Untersuchungszeitraum von Mai 2018 bis Mai 2020 erfasst, die über den Hashtag #zukunftderarbeit oder das Suchwort ‚Zukunft der Arbeit‘ (bezogen auf Facebook, siehe Fußnote 3) erschlossen wurden. Es besteht aus insgesamt 628.480 laufenden Wortformen und 70.537 Wortarten. 3 2 Herzlich gedankt sei Annika Österdiekhoff, die die Datenbasis aufgebaut hat. Im Korpus werden Posts und Kommentare zusammengeführt, um den Themenschwerpunkt ‚Zukunft der Arbeit‘ eingehend analysieren zu können (siehe Tabelle 1). Tab. 1: Zukunft-der-Arbeit-Korpus (Untersuchungszeitraum: 01.05.2018 bis 01.05.2020) Plattformen und Suchabfragen Anzahl der Posts Kommentaranzahl Instagram ‚#zukunftderarbeit‘ 1.549 3.346 YouTube ‚Zukunft der Arbeit‘ 314 6.720 Facebook ‚KI, Künstliche Intelligenz‘ & ‚Arbeit, Zukunft der Arbeit‘ 288 402 Twitter ‚#zukunftderarbeit‘ 5.072 - Insgesamt 7.223 10.468 Die Datenextraktion bezieht nur öffentliche Profile in die Untersuchung ein, wobei nur Profilnamen nichtanonymisiert wiedergegeben werden, bei denen es sich auch eindeutig um Akteur*innen öffentlichen Interesses handelt (siehe z.B. Beleg 1 und 2). Zu den ethischen Richtlinien im Umgang mit Social-Media-Daten, an denen sich die Au 3 Das Facebook-Material wurde erst nach manueller Sichtung und Bestimmung jeweiliger Profile bzw. Posts softwaregestützt erschlossen und umfasst Kontexte mit ‚KI‚ Künstliche Intelligenz‘ und ‚Arbeit, Zukunft der Arbeit‘. Das Instagram-Material (Posts, Kommentare) und Twitter-Material (nur Tweet, ohne Kommentare) ist insgesamt ergiebiger und damit öfter mit Treffern sichtbar. torin orientiert, siehe auch Franzke/Bechmann/Zimmer/Ess/Aoir (2019). Nachfolgend werden die hier beschriebenen Zugänge im Rahmen der empirischen Analyse umgesetzt, um die in der Einleitung dargelegte Forschungsfrage zu beantworten. 3 EMPIRISCHE ANALYSE Die in diesem Kapitel vorgenommene Social-Media-Analyse untersucht über den Hashtag ‚#zukunftderarbeit‘ den Themenkomplex ‚Zukunft der Arbeit‘, um darüber auch arbeitsspezifische Kontexte mit Fokus auf KI zu erschließen und zu analysieren. 3.1 Hashtaganalyse Die Analyse des ‚Zukunft-der-Arbeit‘-Korpus zeigt, dass viele Wörter vorkommen, die sich auf Digitalisierungs- und Wirtschaftskontexte beziehen (z.B. Transformation, Digitalisierung , Unternehmen, Mitarbeiter; siehe Abbildung 1). Ferner fallen nicht nur zahlreiche deutsch- und englischsprachige Hashtags auf wie #innovation, #digitaletransformation oder #futureofwork, sondern es werden auch Emojis und Wörter verwendet, die auf Meinungsbekundungen zurückzuführen sind (z.B. leider, freuen, denken). Emojis wie .. oder .. werden von User*innen genutzt, um Meinungen zu platzieren oder Aussagen zu stützen (vgl. Beißwenger/Pappert 2020; Danesi 2017) (siehe Abbildung 1). Abb. 1: ‚Zukunft-der-Arbeit‘-Korpus – Wortwolke (minimale Häufigkeit 100) Werden alle Hashtags im Datenkorpus mittels Suchworteingabe ‚#‘ erfasst, zeigt das Abfrageergebnis mit einer minimalen Häufigkeit von 1.000 Treffern, dass im Datenmaterial spezifische Hashtags dominieren, die sich auf Arbeitskontexte, die Zu kunft und Digitalisierung beziehen – von #zukunftderarbeit (6.648) über #futureofwork (1.063) bis #futureofai (1) (siehe Tabelle 2). Tab. 2: Zentrale Hashtags im ‚Zukunft-der-Arbeit‘-Korpus (minimale Häufigkeit 1.000) Suchwort bzw. Hashtag Häufigkeit #zukunftderarbeit 6.648 #newwork 1.877 #digitalisierung 1.092 #futureofwork 1.063 Die Sichtung der Hashtags zeigt im Speziellen, dass die Zukunft der Arbeit mit neuen Arbeitsformen und Digitalisierung verknüpft ist. Der deutschsprachige Diskurs wird zugleich durch englischsprachige Bezeichnungen geprägt und ist somit eindeutig länderübergreifend vernetzt (siehe Tabelle 2, Abbildung 1 oder 2). Denn über die Hashtags (z.B. #futureofwork, #artificialintelligence usw.) lassen sich Posts finden, die sich außerhalb deutschsprachiger Diskurse bewegen und somit zum ‚Panoramafenster transnationaler Diskurse‘ (vgl. Gür-Seker 2021: 150-153) werden. Ein Phänomen, das sich in vielen anderen Diskurskomplexen auf Social Media beobachten lässt und somit eindrücklich darlegt, wie wichtig kontrastiv-diskurslinguistische Zugänge auch in der germanistischen Linguistik sind, um Kommunikationsfunktionen, aber auch kulturübergreifende Diskurspraktiken in einer vernetzten Welt systematisch zu untersuchen und zu erschließen (siehe dazu auch Gredel/Kämper/Mell/Polajnar 2018; Gür-Seker 2012). Insbesondere die Hashtagnutzung dient nicht nur zur thematischen Sortierung eines Posts, der dann unter dem jeweiligen Hashtag aufgeführt wird. Hashtags dienen auch zur Vernetzung mit anderen Profilen, die denselben Hashtag führen und somit auch thematisch zusammenhängen (können). Unabhängig von dieser transnationalen Social-Media-Vernetzung dienen Hashtags auch zur gezielten Reichweitengenerierung und sie platzieren Meinungen und Positionen (siehe dazu ausführlicher Gür-Seker 2021). Der Blick in die Gesamtliste aller Hashtags verdeutlicht, dass Hashtags, die auf KI-Diskurse hinweisen wie #ki (449) oder #künstlicheintelligenz (79), ebenfalls gemeinsam mit dem Ausgangshashtag #zukunftderarbeit auftreten. Dies bedeutet, dass im ‚Zukunft-der-Arbeit‘-Korpus Arbeit mit KI thematisiert wird. Eine hashtag- und suchwortorientierte Analyse des Korpus veranschaulicht, dass der Social-Media-Diskurs über die Zukunft der Arbeit sich um Künstliche Intelligenz, aber auch um Roboter, Maschinen und Automatisierung dreht (siehe Abbildung 2). Abb. 2: ‚Zukunft-der-Arbeit‘-Korpus – Künstliche Intelligenz: Hashtags und Kontexte Werden alle Hashtags im Gesamtkorpus gesichtet, können Themenbereiche wie Zukunft/ Arbeit, Transformation/Digitalisierung, Arbeit(er*innen), KI(-Anwendungen), Unternehmen/Wirtschaft und (Weiter-)Bildung/Studium/Schule unterschieden werden. Die hier vorgenommene Kategorisierung der Hashtags verdeutlicht, wie Hashtags im Zukunft-der-Arbeit-Diskurs genutzt werden und welche Themenfelder im Spezialdiskurs dominieren, die näher analysiert werden können. Die nun anschließende Analyse startet zunächst auf der Wortebene mit Fokus auf den Themenkomplex Arbeit und ihrer Darstellung im Social-Media-Diskurs. Herausgearbeitet werden Vorstellungen über die Zukunft der Arbeit. 3.2 Sprache im Kontext von Zukunft der Arbeit Im ‚Zukunft-der-Arbeit‘-Korpus ergibt das Suchwort‚*Arbeit*‘4 (inklusive aller Wortbildungen) insgesamt 7.836 Treffer. Es finden sich Belege, die die Folgen der Digitalisierung bewerten, beschreiben oder thematisieren. Erwartungsgemäß geht es im Kontext von Arbeit nicht nur um Technologien, sondern auch darum, wie sich das Arbeiten im Zuge der Technologisierung wandelt und welche neuen Arbeitskontexte es gibt bzw. geben wird (z.B. neue Berufe, Arbeitsformen, Arbeitsumgebungen). Das Nomen Arbeit findet sich 1.601 Mal, wobei auch Anglizismen wie Job/s (535) und work (464) vorkommen, die Arbeit benennen bzw. im Kontext von Zweiworteinheiten wie New Work (260) gebraucht werden. Der Diskurs über die Zukunft der Arbeit zeichnet sich generell durch eine Vielzahl von Anglizismen aus. 4 Abgefragt wurden alle Wörter im Korpus, die das Wort Arbeit aufweisen (z.B. Arbeit, Arbeitsmodell, Arbeiterklasse oder #ZukunftDerArbeit, #WirFeiernArbeit). 3.2.1 Zukunftsperspektiven und Einsatzmöglichkeiten Private und öffentliche Akteur*innen setzen Posts zum Thema ab oder informieren über Studien/Umfragen, Konferenzen, Ausstellungen, Bücher oder Vorträge. Insbesondere sind Profile von Personen auszumachen, die im Digitalbereich arbeiten, Veranstaltungen und Ausstellungen besuchen und darüber über ihre öffentlichen Profile posten. Aber auch öffentliche Akteur*innen wie Unternehmen, Universitäten, Ministerien, (gesellschafts-)politische Akteur*innen oder Medien berichten über Zukunftsthemen der Arbeit (siehe Beleg 1). 1) „ Wie sieht die #ZukunftderArbeit aus? Übernehmen bald #Roboter unsere #Arbeit & Maschinen unser Denken? Wir sind den Fragen auf den Grund gegangen. #KI #SocialMedia #Digitalisierung #NewWork #Industrie40 @BMAS_Bund @Arbeit_Zukunft @FAZ_BerufChance https://www.deutschland. de/de/topic/wirtschaft/digitalisierung-drei-irrtuemer-ueber-die-kuenftige- arbeitswelt …“ (Twitter, de_deutschland, 2018-11-12 12:05:00) Thematisiert werden generell Zukunftsperspektiven in Bezug auf die Rolle neuer Technologien in der Arbeitswelt - in Beleg 1 mit Fokus auf Roboter, die zum Einsatz kommen können. Zukunftsperspektiven beziehen sich aber ebenso auf die Arbeitsorte der Zukunft, die beispielsweise auch außerhalb von Bürostrukturen möglich sind (mobiles Arbeiten, Homeoffice). Letzteres ist wiederum eng verzahnt mit persönlicher und privater Ausgeglichenheit und wird mit dem englischen Wort Why (Warum) verknüpft. Im Kontext des ‚Whys‘ geht es um den Sinn der Arbeit, die verrichtet wird. Bevor auf diesen Werte- oder Sinn-Diskurs eingegangen wird, geht es zunächst darum, zu erschließen, was Zukunft der Arbeit konkret bedeutet. 3.2.2 Zur Bedeutung von ‚Zukunft der Arbeit‘ Zukunft der Arbeit bedeute „die Wege zur Arbeit zu überdenken“ (Twitter, 2019-04-09 10:35:04), sie sei „kreativ“ (Twitter, 2019-09-29 14:49:01), wobei sich das Wort Arbeit „möglicherweise auflösen“ müsse, weil man in Zukunft nur noch „tätig“ sei, „statt zu arbeiten“ (Twitter, 2019-03-28 08:52:20). Für die Zukunft der Arbeit sei daher auch ein „neue[r] Leistungsbegriff“ notwendig (Twitter, 2019-06-19 10:31:31; Hervorhebung der Autorin). Bemerkt wird aber auch, dass viele Unternehmen, die die Bezeichnung Neue Arbeit verwenden, nicht „konsequent den ganzen Weg“ (YouTube, VMBn2X) gingen. Neben Begriff gibt es auch Kontexte mit heißt oder X ist, die auf Bedeutungskontexte hinweisen. Hierbei wird Arbeit wiederholt mit neuen oder spezifischen Formen oder Vorstellungen von Arbeit assoziiert. Arbeit 4.0 wird in vielen Kontexten mit Flexibilität verknüpft, man müsse dabei auch den Willen haben „Sachen anders zu machen“ (Instagram, 2018-07-28 20:29:55). Das neue Arbeiten wird dann auch verbunden mit Agilem Arbeiten, was „Loslassen“ und „auf den Prozess zu vertrauen“ bedeute (Twitter, 2019-03-21 09:23:23). Wenn neue Arbeitsvorstellungen formuliert und erläutert werden (X heißt), dann geht es auch um neue Arbeitsorte wie Coworking Spaces, die als „neue“, „flexible Arbeitsorte“ und „Plattformen“ für unterschiedliche Gruppen beschrieben werden (Instagram, 2019-05-28 12:46:36). Im Zukunftsdiskurs wird grundlegend ein neues Verständnis von Arbeit konstruiert. Auf neue Arbeitsformen weisen Wörter wie beispielsweise Workation (18) hin – eine Wortneuschöpfung aus Work (Arbeit) und Vacation (Urlaub). Es lassen sich Tipps finden, was eine gute Workation ausmacht oder Profile von User*innen, die aktuelle Bilder aus ihrer Workation posten. So wird gezeigt, wie Digitalexpertinnen „ihren stickigen Büroalltag gegen Natur“ tauschen und wie Workation, die „Verbindung von Arbeit und Urlaub“ ermöglicht (Twitter, 2019-06-02 09:17:11). Gleichzeitig wird deutlich gemacht, dass Neue Arbeit nicht nur bedeute, Büroräume durch andere Arbeitsräume zu ersetzen bzw. „das Büro abzuschaffen“. New Work bedeute, eine „#Ergebniskultur zu etablieren“, die sich abkoppelt von reiner Anwesenheit (Twitter, 2018-07-29 08:21:45). Deswegen wird New Work auch verstärkt mit Wörtern wie Freiheit, Selbstverantwortung oder Entwicklung, aber auch mit dem Aufbrechen von Hierarchien verknüpft. Wenn sich die Arbeitsräume und -ideen verschieben, dann kommen auch Fragen hinsichtlich der Balance bzw. des Ausgleiches zwischen Arbeit und Privatleben auf, die mit den Begriffen Work-Life-Design oder Work-Life-Balance bezeichnet werden. Von Relevanz ist in diesem Kontext jedoch auch, dass sich durch neue Arbeitsformen, u.a. ausgedrückt in Workation, die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem auflösen und somit neue arbeitsspezifische Fragen rechtlicher Art aufkommen. 3.2.3 Polarisierung im Diskurs: Erfolg versus Probleme Auf Social Media werden bestimmte Vorstellungen über die Zukunft der Arbeit verbreitet, die positive und negative Effekte der Digitalisierung gegenüberstellen. Zum einen werden positive Folgen und Aspekte der Digitalisierung ausgedrückt durch Wörter wie Erfolg (360), Chance (228), positiv (147), Potential/Potenzial (104) oder Sinn (96) (siehe Abbildung 3). Zum anderen lassen sich jedoch auch negative Kontexte finden, die durch Wörter wie Problem (376), Herausforderung (178) oder Arbeitslosigkeit (120) ausgedrückt werden (siehe Abbildung 4). Werden Kontexte mit Angst betrachtet, bestimmen den Diskurs unterschiedliche Themen wie Digitalisierung, Existenz- und Zukunftsängste, Werte, aber auch das Lernen, also Qualifizierung (43). Das Nomen Arbeitslosigkeit tritt wiederkehrend mit dem Qualifizierungs-Topos auf, das die Notwendigkeit von Weiterbildung (191) im digitalen Zeitalter impliziert (siehe Beleg 2). 2) „#strukturwandelgestalten heißt Beschäftigte weiterzubilden statt abzubauen – dafür gibt es jetzt bei #Siemens den #Zukunftsfonds. Der ermöglicht nachhaltige Perspektiven. Ein wichtiger Schritt für #IGmetall #Mitbestimmung #ZukunftderArbeit im Sinne ALLER“ (Twitter, BirgitSteinborn, 2019-02-05 09:37:53) Im Diskurs wird Strukturwandel im Vergleich zur Qualifikation nicht immer explizit benannt und meist durch die Alternativbezeichnung Wandel (634) impliziert, die mit Hashtags wie #wandel (90), #kulturwandel (66), #digitalerwandel (40) oder #arbeitimwandel (17) vorkommt. Es ist ein digitaler, tiefgreifender, rasanter oder beruflicher Strukturwandel, der verdeutlicht, dass Digitalisierung eine grundlegende Veränderung für alle Wirtschaftszweige und damit Berufsfelder bedeutet. 3.3 Werte-Debatte: Was ist gute Arbeit? Im Social-Media-Diskurs wird über die Zukunft von Arbeit reflektiert, die mit sogenannter guter oder sinnvoller Arbeit einhergeht, aber auch über den gesellschaftlichen Nutzen der Digitalisierung diskutiert. Darüber wird sowohl in den abgesetzten Posts als auch den Kommentaren diskutiert und nachgedacht. Vor allem auf YouTube wird zum Teil kontrovers debattiert, wenn es beispielsweise um die Einführung eines Abb. 3: Verteilung positiv konnotierter Suchwörter unter Einbezug ihrer Kontexte Abb. 4: Verteilung negativ konnotierter Suchwörter unter Einbezug ihrer Kontexte bedingungslosen Grundeinkommens geht. Im Kontext des Grundeinkommens wird die Frage aufgeworfen, was passiert, wenn durch Automatisierung das Arbeiten für einige Menschen nicht mehr möglich oder gar notwendig sei. Es geht also einerseits um Zukunftsfragen, die das Leben des Menschen in einer digitalisierten Arbeitswelt betreffen, aber auch um die Werte der Gesellschaft im Allgemeinen. Der Werte-Diskurs ist kritisch gegenüber bestehenden Strukturen und geprägt von neuen Verständnissen von guter oder sinnvoller Arbeit. Dabei erfolgt eine klare Abgrenzung zu gängigen Vorstellungen wie „die Wahl zwischen Zellen- und #Großraumbüro[s]“ (Twitter, 2019-02-18 11:53:34) – die Vorstellungen von Arbeit sei heute komplexer. Gute Arbeit „könnte etwas Gutes bewirken“, wobei Spaß und Leidenschaft wichtige Faktoren seien, um „einer sinnvollen Tätigkeit nach[zu]gehen“ (Twitter, 2018-10-02 17:07:19). Im Diskurs über die Zukunft der Arbeit spiegeln sich auch erste Auswirkungen der Corona-Pandemie wider, die Mitte März 2020 zu mehr Homeoffice führte. Für das Suchwort ‚Corona*‘ (207) liegen Partnerwörter wie homeoffice, remotework, Arbeit, Gesellschaft, Werte oder zu unseren Werten stehen vor. So äußern einige User*innen mit Bezug auf die Folgen der Pandemie die steigende Relevanz von Werten auch im Kontext von Arbeit in Unternehmen (vgl. Instagram, 2020-03-29 07:33:45). Die Werte-Debatte rund um das (Neue) Arbeiten wird sicherlich den Diskurs über die Zukunft der Arbeit weiter bestimmen – auch und vor allem in Bezug auf Künstliche Intelligenz. So finden sich Posts, die die Rolle der Gewerkschaften genauso reflektieren wie die Rolle der Menschen. Gefragt wird unter anderem was passiert, wenn Arbeit, die von Menschen verrichtet wird, „nicht mehr notwendig ist?“ (Twitter, 2019-07-12 12:23:46) oder wie Gewerkschaften funktionieren sollen, wenn „die Technologie die Arbeit übernimmt“ (Twitter, 2019-05-28 21:26:30). Es sind somit grundlegende gesellschaftliche Fragen, die die User*innen auf Social Media beschäftigen. 4 FAZIT Der Beitrag konnte exemplarisch zeigen, wie über Hashtags der Diskurs über die Zukunft der Arbeit auf Social Media diskurslinguistisch erschlossen und untersucht werden kann. Dabei wurden über Hashtaganalysen zunächst frequentiv dominierende Diskursstränge ausgemacht (siehe Tabelle 2), um dann in qualitativer Perspektivierung Kontexte zu erschließen und ausgehend von Wörtern Einstellungen in Bezug auf die Zukunft der Arbeit zu bestimmen. Zugleich konnten über kommunikative Aushandlungsprozesse, die sich beispielsweise über Sprachthematisierungen (z.B. ‚X bedeutet‘) realisieren, neue Perspektiven auf das Arbeiten heute und in Zukunft ausgemacht werden. Neben einem hashtagorientierten Zugang führt die vielschichtige Datenbasis (siehe Tabelle 1) zahlreiche Posts von Social-Media-Akteur*innen zusammen, die auf Social Media eigenständig, niederschwellig und vergleichsweise kostengünstig über Themen posten, diese verbreiten und kommentieren. Neben journalistischen Sprachgebrauch, Umgangssprache und Tippfehlern liegt im Datenmaterial eine verstärkte Ausprägung von Anglizismen vor, die auf Berufsfelder in der Wirtschaft und insbesondere in der Digitalbranche zurückzuführen sind. Auf Grundlage des hier untersuchten Soci al-Media-Korpus sind zentrale Merkmale kommunikativer Praktiken und des Sprachgebrauchs im Kontext der digitalen Transformation der Arbeitswelt auszumachen, die gezielt über Hashtaganalysen und die nähere Kontextanalyse erschlossen werden konnten, und nachfolgend kompakt zusammengefasst werden. Die Sprache im Diskurs über die Zukunft der Arbeit zeichnet sich auf Social Media durch technologisch-wirtschaftliche Terminologie bzw. fachsprachliche Kommunikation (inklusive Anglizismen) aus (z.B. KI-Technik, Turing Test, Deep Learning, Cybersicherheit, Trainingsdaten, Produktionsfaktor, usw.). Im Datenmaterial wird eine Vielzahl von Anglizismen verwendet (z.B. Workation, Startup, One-Click-Bewerbung). Außerdem sind diverse Alternativbezeichnungen auszumachen, die die Auswirkungen und Folgen von Digitalisierung und KI beschreiben. Zum Teil werden Bezeichnungen verwendet, die Arbeitslosigkeit als Folge benennen, jedoch Perspektiven auf die Folgen verschieben und als Euphemismen, d.h. als beschönigende bzw. verschleiernde Wörter eingestuft werden können (z.B. Automatisierungsverlust/Verdrängungseffekt statt Arbeitslosigkeit oder Kostenreduzierung statt Kündigung). Insgesamt handelt es sich um einen Spezialdiskurs mit arbeitsspezifischen und technologischen Wissensvoraussetzungen. Dieser kann über Hashtags erschlossen und diskurslinguistisch systematisch untersucht werden, um kulturelle Praktiken und Mentalitäten einer Zeit (Hermanns 1995) hinsichtlich der digitalen Transformation der Arbeitswelt zu bestimmen. 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Zusammenfassung „WIE SIEHT DIE #ZukunftderArbeit AUS?“ – HASHTAGS ALS DREH- UND ANGELPUNKTE LINGUISTISCHER SOCIAL-MEDIA-ANALYSEN Wie zeichnet sich der Mediendiskurs u¨ber die Zukunft der Arbeit linguistisch aus und welche Einstellungen lassen sich in Bezug auf die Digitalisierung der Arbeitswelt ausmachen? Um diese Fragen zu beantworten, legt der vorliegende Beitrag den Fokus auf Social-Media- Diskurse und führt ausgehend vom Hashtag #zukunftderarbeit Hashtaganalysen auf Instagram, YouTube, Twitter und Facebook durch, um dann so erschlossene Kommuni kate diskurslinguistisch zu untersuchen. Der Beitrag perspektiviert dabei insbesondere Digitalisierung und ebenso den Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die Arbeitswelt und zeigt auf, wie der ‚Zukunft der Arbeit‘-Diskurs sprachlich realisiert wird und welche Einstellungen von User*innen, die auf Social Media interagieren, verbreitet werden. Schlüsselwörter: Social-Media-Analyse, Hashtags, Diskursanalyse, Zukunft der Arbeit, Digitalisierung Abstract “WHAT DOES THE FUTURE OF WORK LOOK LIKE?” – HASHTAGS AS CENTRAL PIVOTS OF LINGUISTIC SOCIAL MEDIA ANALYSES What are the linguistic characteristics of media discourse about the future of work and what are people’s attitudes towards the digitalization of work? To answer these questions, this article focuses on social media discourses. The article starts with an analysis of #zukunftderarbeit hashtag and proceeds to an analysis of related hashtags on Instagram, YouTube, Twitter and Facebook in order to then examine extracted posts from a discourse linguistic perspective. As the article focuses on digitalization issues and the influence of artificial intelligence (AI), it shows how the ‘future of work’ discourse is realized linguistically and which attitudes are disseminated by users who interact on social media. Keywords: social media analysis, hashtags, discourse analysis, future of work, digitalization Povzetek „KAKŠNA JE VIDETI PRIHODNOST DELA (#ZukunftderArbeit)?“ KLJUCNIKI KOT OSREDNJA TOCKA JEZIKOSLOVNIH ANALIZ DRUŽBENIH OMREŽIJ Kakšne so jezikovne znacilnosti medijskega diskurza o prihodnosti dela in katera mnenja opredeljujejo digitalizacijo dela? Da bi odgovorili na ti vprašanji, se v prispevku osredotocamo na diskurze družbenih omrežij Instagram, YouTube in Facebook. S kljucnikom #zukunftderarbeit pridobljene komunikate proucujemo z analizo kljucnikov z diskurznolingvisticnega vidika. Pri tem osvetljujemo predvsem digitalizacijo in vpliv umetne inteligence na delo ter pokažemo, kako je diskurz o prihodnosti dela jezikovno konstituiran ter katera mnenja uporabnic in uporabnikov so razširjena na družbenih omrežjih. Kljucne besede: analiza družbenih omrežij, kljucniki, diskurzna analiza, prihodnost dela, digitalizacija Aneta Stojic*1 Nataša Košuta** Universität Rijeka METAPHORISCHE KOLLOKATIONEN – EINBLICKE IN EINE KORPUSBASIERTE STUDIE 1 EINLEITUNG: PROBLEMSTELLUNG UND ZIELSETZUNG Kollokationen sind seit Jahrzehnten Forschungsgegenstand unterschiedlicher sprachwissenschaftlicher Disziplinen, insbesondere der Computerlinguistik, Korpuslinguistik, Phraseologie, Lexikographie, Translatologie und Fremdsprachendidaktik. Sie alle untersuchen syntagmatische Verbindungen, gehen aber von unterschiedlichen Zielstellungen und methodologischen Herangehensweisen aus, was neben der ambivalenten Natur von Kollokationen dazu führte, dass sich zwei Kollokationsauffassungen entwickelt haben: eine engere und eine weitere. Im weiteren Sinne versteht man unter Kollokationen jede syntaktisch und semantisch kompatible Wortverbindung. In dieser Bedeutung sind Kollokationen mit Kookurrenzen vergleichbar und die Verbindung von Wörtern zu einer syntagmatischen Einheit gründet auf dem Kriterium der Frequenz des gemeinsamen Vorkommens und der statistischen Wahrscheinlichkeit. Ein solches Kollokationsverständnis findet sich bei den Vertretern des Britischen Kontextualismus, deren Gründer J. R. Firth das sprachliche Phänomen der Kollokationen benannt hat (Firth 1957: 10). Eine Kollokation wäre demnach als gehäuftes Miteinandervorkommen zu verstehen. In dieser Bedeutung werden Kollokationen auch in der Korpus- und Computerlinguistik verwendet, in der es bei Kollokationen um die Extraktion von rekurrenten Wortverbindungen aus elektronischen Datenbanken geht. Das engere Kollokationsverständnis berücksichtigt neben dem Kriterium der Frequenz auch semantische Aspekte bei der Beschreibung von Kollokationen. Nach dem Frequenzkriterium kann es sich nämlich auch um freie Wortverbindungen handeln, deren Bedeutung kompositionell ist, während die Bedeutung von Kollokationen semi-kompositionell ist. Nach diesem Kollokationsverständnis gehört die Kollokation zur Phraseologie im weiteren Sinne (Fleischer 1997; Burger 1998), wodurch sich der Bedarf nach Abgrenzung der Kollokationen von anderen phraseologischen Erscheinungen auf der einen Seite und freien Verbindungen auf der anderen Seite ergibt. Als Abgrenzungsproblem zeigt sich die unterschiedliche Ausgeprägtheit des Stabilitätsgrades und der Idiomatizität in Kollokationen, so dass sich die Kollokationen, laut Hausmann (1984: 393), auf einem Kontinuum zwischen freien und festen Wortverbindungen befinden. Auf der einen Seite charakterisiert Kollokationen eine größere Fixiertheit und Restringiertheit im Verhältnis zu freien Wort * aneta.stojic@ffri.uniri.hr ** nkosuta@ffri.uniri.hr UDK 81'373.74:81'322 DOI: 10.4312/linguistica.61.1.81-91 verbindungen. Das bedeutet, dass die Substituierbarkeit eines Bestandteiles der kollokationalen Verbindung aufgrund der begrenzten Wahlmöglichkeit eines potentiellen Kollokationspartners gering oder überhaupt nicht möglich ist. Selektionsrestriktionen wirken sich auf den Grad der semantischen Kohäsion zwischen den Kollokationskonstituenten und in Folge auf den Grad der Stabilität der Verbindung aus. Je stärker die semantische Kohäsion, desto stabiler ist die Verbindung und desto näher ist sie an den Phraseologismen (Stojic 2019: 305). Laut Gruntar Jermol (2007: 139) ist Idiomatizität der Kollokation in erster Linie mit der Idiosynkrasie verbunden bzw. mit der Eigenschaft „einzelsprachlich unterschiedlich“ zu sein (z. B. den Tisch decken = Sl. pogrniti mizo = En. to lay the table), aber auch mit der Spezifität eines Bestandteiles der Kollokation, der keine oder sehr wenige Synonyme erlaubt. Nach Hausmann wird diese Konstituente Kollokator genannt (Hausmann 1984: 118). Sie modifiziert durch das gemeinsame Vorkommen mit der zweiten Konstituente der Kollokation, der Basis, die Bedeutung der Basis auf eine bestimmte Art und Weise. Dabei kommt es zu einer semantischen Beziehung, die asymmetrisch ist. Die Basis ist semantisch autonom und kognitiv übergeordnet, während der andere Bestandteil (der Kollokator) semantisch von der Basis abhängt und somit der Basis kognitiv untergeordnet ist. Nach Hausmann (2007: 226) haben in Kollokationen vornehmlich Substantive die Funktion der Basis, weil mit ihnen auf referentielle Größen Bezug genommen wird. Die Basis behält in der Regel ihre primäre Bedeutung in der kollokationalen Verbindung bei. Mit ihr gemeinsam erscheinen in der Funktion des Kollokators hauptsächlich Verben und Adjektive, die das Potenzial zur sekundären Bedeutungsentwicklung, die zur Polysemie führt, in sich bergen (Blank 2001). Eine der grundlegenden Fragen, die sich über verschiedene Sprachepochen und linguistische Schulen hinweg erstreckt, ist, inwieweit Polysemie auf der Ebene der Lexeme Teil des Systems oder aber kontextbedingt ist. Strukturalistische Sprachauffassungen, insbesondere in den Werken bekannter Vertreter wie E. Coseriu, betrachteten Polysemie als außersprachliches Phänomen, das die innere Ordnung des Sprachsystems stört. Des Weiteren erklärt Coseriu (1967: 303) in seiner Abhandlung zu lexikalischen Solidaritäten, dass das Nichtberücksichtigen von Einschränkungen der lexikalischen Kombinatorik, insbesondere im Zuge von Bedeutungsübertragung, zu besonderen semantischen Effekten führt. Dabei unterscheidet Coseriu außer- und innersprachlich motivierte Übertragungen (ebd.). Außersprachlich motivierte Übertragungen sind durch Sachkenntnis bedingt. Coserius Beispiele deuten auf die Verbindung zwischen Benennung in Relation zur außersprachlichen Wirklichkeit hin. Das illustriert er am Beispiel des Lexems sauro, das im Italienischen als Adjektiv eine Farbbezeichnung darstellt, nämlich ‚(hell)braun mit rötlichem Schimmer‘, und als Attribut zu cavallo ‚Pferd‘ gebraucht wird. Sauro kann jedoch auch als Substantiv gebraucht werden und zwar in der Bedeutung von Fuchs als Pferdeart. Coserius Beispiel zeigt eine metonymische Übertragung, der Autor benennt die Art der Übertragung jedoch nicht explizit. Bei innersprachlich motivierten Übertragungen kommt es zu einem lexikalischen Widerspruch, den Coseriu in Gestalt der sogenannten innersprachlichen Metaphern realisiert sieht. Dies erklärt er aus dem Gegensatz des Syntagmatischen mit dem Paradigmatischen. Aus diesem Gegensatz entsteht, so Coseriu, „automatisch eine sprachliche Metapher“ (ebd. 302). Als Beispiel führt er die Verbindung die Kälte beißt an, die auf der absichtlichen bildlichen Übertragung des lexikalisierten Inhalts, der in der lexikalischen Solidarität (mit den Zähnen) beißen besteht, beruht. Der Redegegenstand (die Kälte), der selbst den Inhaltszug „menschlich“ nicht aufweist, bekommt auf Grundlage der Übertragung die Eigenschaft „menschlich“, also liegt der semantische Prozess der Personifizierung zugrunde, der die Verbindung mit beißen, die sonst nicht möglich wäre, ermöglicht. Verbindungen dieser Art, die also auf dem absichtlichen Widerspruch beruhen, nennt Coseriu Nicht-Solidaritäten (ebd. 302). Damit verweist Coseriu intuitiv auf einen wichtigen Prozess im Bereich der syntagmatischen lexikalisch-semantischen Phänomene, nämlich auf die Tatsache, dass bestimmte semantische Prozesse die Stabilität einer Wortverbindung begünstigen, deren Akezptabilität auf den Prinzipien der semantischen Selektion und Restringiertheit beruht. Eine mögliche semantische Umdeutung des Kollokators, die in der Kollokationsforschung festgestellt wurde, beruht auf Metaphorisierungsprozessen. Nach Martin (1997) sind Kollokationsrestriktionen gerade durch Metaphorisierung bedingt, wobei mindestens ein semantisches Merkmal in übertragener Bedeutung verwendet wird. Scherfer (2001) schließt daraus die Kriterien zur Bestimmung von Kollokationen. Ist ein Lexem in einer bestimmten Wortverbindung mehrdeutig und wird es in übertragener (bzw. abstrakter) Bedeutung verwendet, handelt es sich um eine Kollokation. Für dieses umgedeutete Lexem gibt es in der jeweiligen Sprache ein oder mehrere Synonyme. So hat das französische Adjektiv endurci beispielsweise eine konkrete und eine abstrakte Bedeutung. Die konkrete Bedeutung lautet ‚qui est devenu dur ...‘ = etwas, was hart geworden ist, und die abstrakte Bedeutung lautet ‚qui avec le temps s‘est fortifié, figé dans son opinion, son occupation‘ = etwas, was sich mit der Zeit gefestigt hat, z. B. Meinung, Einstellung. Konecny (2010) gibt eine ausführliche Analyse der semantischen Umdeutung des Kollokators. Die Autorin schlussfolgert, dass bei einer Reihe von Kollokationen zwischen den Kollokationsbestandteilen eine konzeptuelle Ähnlichkeit (ebd. 602ff) vorliegt, die auf zwei Arten semantischer Prozesse gründet: 1. auf der Relation der Kontiguität bzw. Metonymie, z. B. in der Verbindung Geld in die Hand nehmen (Übertragung innerhalb desselben außersprachlichen Frames) und auf der Relation der Ähnlichkeit bzw. Metapher, z. B. eine Krankheit ausbrüten (Verknüpfung zweier Konzepte, die unterschiedlichen außersprachlichen Frames angehören). In germanistischen Arbeiten werden solche Kollokationen bei einigen Autorinnen als metaphorische Kollokationen bezeichnet (Reder 2006; Volungeviciene 2008; Konecny 2010). Ihnen wurde bisher relativ wenig Interesse gewidmet. Selten findet man Näheres über den Prozess der Metaphorisierung selbst. Laut Reder (2006: 161) wird der Kollokator, der in einer metaphorischen Kollokation in übertragener Bedeutung gebraucht wird, in einer freien Wortverbindung auch wörtlich verwendet. Die Lesart wird durch den Kontext bestimmt, wobei die Bedeutungsübertragung auf einer Ähnlichkeitsbeziehung beruht und sich durch ein gemeinsames Sem erklären lässt (ebd: 174). Die metaphorische Bedeutung basiert (so Volungeviciene 2008: 295) auf einer lexikalisierten Metapher, deren Bedeutung zu einer konventionalisierten Bedeutung geworden ist und deswegen meistens nicht als metaphorisch motiviert aufgefasst wird. In neueren anglophonen Untersuchungen zu Metaphern werden Kollokationen als mögliches Instrument zur Identifikation von Metaphern in Korpora angeführt. Kollokationen werden in dieser Betrachtung als Metapher-Signalgeber gesehen. White (2003) stellte fest, dass in einem Korpus von Financial Times-Texten eine Reihe von Adjektiven metaphorisch in Verbindung mit „Wachstum“ gebraucht wurden. Stubbs (1995: 384ff) beobachtete, dass die Adjektive big ‚groß‘ und small ‚klein‘ oft in übertragener Bedeutung in Kollokationen wie big business ‚großes Geschäft‘, big gun ‚große Waf.fe‘, small fry ‚kleine Fischbrötchen‘ und small beer ‚kleines Bier‘ vorkommen. Deignan und Potter (2004: 1237) stellten fest, dass das Lexem heart ‚Herz‘ in metaphorischer Verwendung von „Sitz der Emotionen“ wiederholt mit Verben wie break ‚brechen‘, open ‚öffnen‘ und win ‚gewinnen‘ gebraucht wird. Die Autorinnen schlussfolgern, dass bei vielen Kollokationen metaphorische Bedeutung zugrundeliegt. Allerdings lassen sich solche Umdeutungen oftmals nur auf der Ebene von kollokationalen Verbindungen ermitteln. Die Bedeutung dieser Prozesse für Kollokationen wird jedoch nicht weiter ausgeführt und stellt somit ein Desiderat in der Kollokationsforschung dar. Das Anliegen des Forschungsprojektes „Metaphorische Kollokationen – syntagmatische Verbindungen zwischen Semantik und Pragmatik“, das von der Kroatischen Forschungsstiftung gefördert wird, ist es, die Metaphorisierungsprozesse in Kollokationen näher zu beleuchten, um mögliche Rückschlüsse auf Kollokationsbildung zu ziehen. Es wird nämlich davon ausgegangen, dass gerade die Analyse der semantischen Umdeutung neue Einsichten in mögliche Gesetzmäßigkeiten des selektiven Kombinierens als spezif.isch semantisch bedingtem Mechanismus, auf dem der Prozess der Kollokationsbildung beruht, geben kann. Um dieses Ziel zu erreichen wird eine umfangreiche korpuslinguistische und lexikalisch-semantische Untersuchung metaphorischer Kollokationen durchgeführt. Die Methodologie wird im nächsten Abschnitt näher dargestellt. 2 ERHEBUNG UND ANALYSE METAPHORISCHER KOLLOKATIONEN Die korpusbasierte Untersuchung metaphorisierter Ausdrücke ist laut Stefanowitsch und Gries (2006) eine immer weiter verbreitete Arbeitsmethode in semantisch orientierten Untersuchungen1. Sie bietet nämlich eine große Sammlung authentischer Texte, die als Basis für statistisch repräsentative Forschungsergebnisse dienen kann. Darüber hinaus geben Kollokationen, wie oben dargestellt, korpuslinguistisch gute Einsicht in Übertragungsprozesse. Deshalb werden die Kollokationen im Rahmen des o. g. Forschungsprojektes korpuslinguistisch erhoben. Um nicht nur einzelsprachliche Einsicht in die Metaphorisierungsprozesse in Kollokationen zu gewinnen, wird die Korpusuntersuchung computerlinguistisch mithilfe von SketchEngine an Vergleichskorpora der kroatischen, deutschen, englischen und italienischen Sprache durchgeführt.2 1 Zur vergleichbaren Methodologie s. Polajnar (2019 und 2021). Dabei 2 In weiteren Untersuchungen von Kollokationen wären im Hinblick auf Konvergenzen auch Vergleichskorpora der slowenischen Sprache heranzuziehen, da es sich im Falle der slowenischen Sprache um die Kontaktsprache des Kroatischen sowie des Deutschen handelt (s. Krevs Birk 2019: 155f.; 2020: 14; Krevs Birk/Krištofelc 2020: 194). werden der weitere und der engere Kollokationsansatz miteinander verbunden und das Konzept der sog. Trichter-Methode (Majoros 2013) in adaptierter Form angewandt. Es handelt sich methodologisch um eine semi-automatische Vorgehensweise, die für die Zwecke unserer Untersuchung angepasst ist, weil die Ermittlung von Kollokationen nicht thematisch ausgerichtet ist, sondern von den frequentesten Basen in allen vier zu untersuchenden Sprachen ausgeht, zu denen die jeweiligen Kollokationsprofile erstellt werden, die dann manuell bearbeitet werden. Ein großer Vorteil von SketchEngine ist, so Durco (2010: 116), dass ein solches Verfahren die Extraktion von Kollokaten in allen grammatischen Relationen zu untersuchten Basen sowie eine effiziente Erstellung von Kollokationsprofilen von Wörtern ermöglicht (ebd. 123). Der Nachteil ist, dass die Anwendung verschiedener statistischer Maße zu Wortlisten mit unterschiedlichen Präferenzen führt, die lange und redundante Auflistungen von Kookurrenzen generieren und noch nichts über die spezifische Art der Wortverbindung aussagen. Deshalb wird das statistische Maß logDice verwendet, das die Feststellung der Salienz (typischer Wortverbindungen) ermöglicht. Nach Gantar (2007) kann dies in der Korpuslinguistik zur Bestätigung fester Wortverbindungen verwendet werden. Für jede Sprache werden die grammatischen Kategorien (Word Sketch grammar) der Analyse festgelegt, weil die Kategorien sprachenspezifisch sind und nicht alle Kategorien für die Bestimmung der lexikalischen Kollokationen relevant sind. Die gewonnenen Daten werden daraufhin durch Anwendung des lexikalisch-semantischen Ansatzes gesichtet. Aus den Kollokationsprofilen werden diejenigen Wortverbindungen manuell selektiert, die metaphorische Umdeutung eines Bestandteiles aufweisen. Die semantische Analyse der Metaphorisierungsprozesse wird mithilfe von semantischen und etymologischen Angaben zum identifizierten umgedeuteten Kollokationsbestandteil aus einsprachigen elektronischen Wörterbüchern wie Duden online und DWDS für das Deutsche durchgeführt. Aus den ermittelten Daten sollen schließlich prototypische Muster eruiert werden, die als Grundlage für die Erstellung eines Kriterienkataloges, der eine Typologisierung der ermittelten metaphorischen Kollokationen ermöglicht, dienen. 3 BISHERIGE EINBLICKE IN METAPHORISIERUNGSPROZESSE IN KOLLOKATIONEN Die bisherige semantische Sichtung des deutschen Korpus zeigt unterschiedliche semantische Gegebenheiten, die nachfolgend an den Lexemen dick und dünn dargestellt werden: a) Unterschiedliche Grade semantischer Umdeutung Die semantische Umdeutung in Kollokationen lässt sich vornehmlich an relativen Adjektiven nachvollziehen. Gerade ihre relative Bedeutung gibt ihnen das Potenzial zur semantischen Modifikation, was am Adjektiv dick illustriert wird. Seine prototypische Bedeutung „von beträchtlichem, mehr als normalem Umfang; massig, nicht dünn“3 findet sich im Beispiel dicker Stoff. In dieser primären Bedeutung erfüllt das Adjektiv 3 Bedeutungen nach Duden online und DWDS [überprüft am 27.10.2021]. seine Hauptfunktion, nämlich die Eigenschaft, sein Begleitwort zu beschreiben. Deshalb kann das Adjektiv dick in der Verbindung mit Stoff durch jegliches semantisch kompatibles Adjektiv, das die Eigenschaft von Stoff beschreibt, ersetzt werden, z. B. dünn, gewoben, seiden u. Ä. Deshalb handelt es sich bei dieser Art von Wortverbindung um ein freies Syntagma. In der Verbindung mit Knöchel aber kommt es zu einer Bedeutungsveränderung, die aus der prototypischen Bedeutung hervorgeht, nämlich „krankhaft angeschwollen“, also vom normalen Umfang abweichend. Da das Adjektiv eine übertragene Bedeutung hat, die physisch messbar ist, handelt es sich bei dieser Art von Umdeutung um einen geringeren Grad im Vergleich zur Umdeutung von dick in der Kollokation dicker Freund. In der letztgenannten Verbindung wird die prototypische Bedeutung auf eine vorgestellte Dimension projiziert, „eng verbunden durch eine feste (dicke) Beziehung“, die also physisch nicht messbar ist. Es handelt sich somit um einen Übergang aus einer konkreten Domäne in eine abstrakte. Diese Umdeutung verhindert eine paradigmatische Substitution mit möglichen synonymen oder bedeutungsähnlichen Lexemen, wodurch sich der Grad der semantischen Kohäsion verstärkt. In der Kombination mit dem Lexem Fell kommt es zu einer neuen Art von Bedeutungsübertragung, die ebenfalls auf dem Metaphorisierungsprozess gründet, allerdings sind beide Bestandteile der Wortverbindung betroffen, weshalb die Verbindung dickes Fell ‚unempfindlich, abgehärtet‘ einen Phraseologismus darstellt. Keiner der Bestandteile ist substituierbar, was bedeutet, dass in solchen Verbindungen nicht nur der Grad der Umdeutung am höchsten ist, sondern auch der Grad der semantischen Kohäsion am stärksten ist. b) Widerspruch zwischen syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen Umgedeutete, metaphorisierte Kollokatoren weisen Besonderheiten auf der Ebene der Antonymie auf. Das reguläre Antonym zu dick lautet dünn, allerdings ändert sich dies je nach Kollokation. So ist es beispielsweise üblich, das Lexem Kaffee mit dem Adjektiv dünn zu gebrauchen, wenn man auf die schwache Intensität des Kaffeegeschmackes referiert. Will man das Gegenteil ausdrücken, also auf einen Kaffee, der eine hohe Konzentration aufweist und sehr gehaltvoll ist, referieren, lautet die Verbindung nicht *dicker Kaffee, sondern starker Kaffee. Auch auf der Ebene der Synonymie zeigen sich wegen der umgedeuteten Bedeutung von dünn in der Verbindung mit Kaffee, die nicht die primäre (nämlich „einen geringen Umfang aufweisend“), sondern eine sekundäre, metaphorische (nämlich „wenig gehaltvoll“) ist, Substitutionsrestriktionen. Diese verhindern eine Substitution des Adjektivs dünn durch seine Synonyme schlank (*schlanker Kaffee) oder mager (*magerer Kaffee). Das Adjektiv dünn hat in seiner neuen, übertragenen Bedeutung ‚wenig gehaltvoll‘ auf der Ebene der Antonymie auch andere antonymische Opponenten. Mit dem Lexem Soße verbindet man beispielsweise das Adjektiv dick (dicke Soße . dünne Soße), aber mit dem Lexem Brühe verbindet man das Adjektiv kräftig (kräftige Brühe . dünne Brühe) u. Ä. Die Beispiele illustrieren den Widerspruch zwischen syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen, dessen Ursache in der semantischen Umdeutung der prototypischen Bedeutung liegt. Die Umdeutung ist durch den Vergleich mit Wissen aus der außersprachlichen Wirklichkeit motiviert, das auf eine neue Entität übertragen wird, wodurch eine neue Bedeutung entsteht. Die neue, übertragene Bedeutung ist lexikalisiert und bekommt somit ihren eigenen Platz im Sprachsystem und dies sowohl auf paradigmatischer als auch auf syntagmatischer Ebene. Das bedeutet in Folge, dass mit der neuen Bedeutung neue Kombinations- und Substitutionsmöglichkeiten entstehen. Die neue, übertragene lexikalisierte Bedeutung hat auch das Potenzial zu neuen semantischen Umdeutungen, wie das Beispiel dünner Inhalt illustriert. Das Adjektiv dünn hat in dieser Verwendung eine neue, ebenfalls übertragene Bedeutung, nämlich ‚dürftig‘. c) Interlinguale Vergleiche Betrachten wir die Übersetzungsäquivalente der metaphorischen Kollokation dünner Inhalt im Kroatischen und Englischen, zeigen sich die gleichen semantischen Prozesse, allerdings werden sie mit anderen Lexemen realisiert: Dt. starker Kaffee . dünner Kaffee , En. strong coffee . weak coffee ‚schwacher Kaffe‘, Kr. jaka kava ‚starker Kaffee‘ . slaba kava ‚schwacher Kaffee‘. Die gleichen Prozesse lassen sich auch an anderen metaphorischen Kollokationen, die auf flüssige, verzehrbare Substanzen referieren, feststellen. Im Englischen lautet das Antonym zu light beer ‚leichtes Bier‘ (= weniger Alkohol als herkömmliches Bier enthaltend) . regular beer ‚herkömmliches Bier‘, das Antonym zu thin soup ‚dünne Brühe‘ . hearty soup ‚herzhafte Brühe‘, das Antonym zu thin sauce ‚dünne Soße‘ . thick sauce ‚dicke Soße‘ u. Ä. Alle angeführten Beispiele deuten darauf hin, dass die semantische Umdeutung in den genannten Sprachen auf dem gleichen Prinzip beruht, nämlich auf dem sprachlichen Mechanismus der Bedeutungsübertragung durch Metaphorisierung, dass sich aber die Konzeptualisierung in den einzelnen Sprachen unterscheiden kann. Die Art und Weise wie in den einzelnen Sprachen auf ein bestimmtes Konzept kognitiv zugegriffen wird bzw, die spezifische Perspektive, für die sich eine Sprachgemeinschaft entscheidet, um ein Konzept zu versprachlichen, äußert sich in unterschiedlichen Konzeptualisierungen. 4 SCHLUSSFOLGERUNGEN UND AUSBLICK Die semantische Analyse der Metaphorisierungsprozesse in metaphorischen Kollokationen mit den Lexemen dick und dünn zeigt, dass bestimmte Prozesse auf die Entstehung einer bestimmten metaphorischen Kollokation eingewirkt haben. Zunächst wurde festgestellt, dass der Grad der Umdeutung variiert und sich auf die Substitutionsmöglichkeiten des Kollokators auswirkt. Je mehr die umgedeutete Bedeutung von der primären Bedeutung abweicht bzw. die Dimension sich verändert, desto höher ist der Grad der Umdeutung und desto restriktiver sind die Substitutionsmöglichkeiten. Das bedeutet in Folge, dass auch der Grad der semantischen Kohäsion mit dem Grad der Umdeutung steigt. Ebenfalls zeigte die Analyse, dass die Lexikalisierung der metaphorisierten Bedeutung Grundlage für neue Opponenten auf der Ebene der Antonymie schafft, wodurch die Zahl der Opponenten steigt bzw. das ursprüngliche antonymische Paar durch weitere Lexeme erweitert wird, deren Distribution nicht beliebig ist, sondern vom Kollokationspartner abhängt. Die Analyse der Metaphorisierungsprozesse im interlingualen Vergleich zeigt, dass der Prozess als universales Phänomen erscheint, die zugrundeliegenden Bilder sich je doch unterscheiden können. In vielen Fällen ist die Bildhaftigkeit verblasst, was mit der Zeit zur Festigung der semantischen Kohäsion und semantischen Transparenz geführt hat. Deshalb nehmen wir Kollokationen heute als unauffällige idiosynkratische Spracheinheiten wahr. Die Metapher hat sich durch Lexikalisierung vonseiten einer Sprachgemeinschaft etabliert, wodurch sich diese bestimmte Wortverbindung usualisiert hat. Die Kollokation hat durch diesen Prozess einen „Sitz in der Sprache“ bekommen (Siepmann 2002: 250). Das zeigt auch, dass die durch Umdeutung entstandene Polysemie durch Gebrauch und Kontext bedingt ist, aber in die Sprachstruktur aufgenommen wird und somit nicht nur Teil des Sprachsystems, sondern auch Teil des konventionellen Wissens wird, was eine erfolgreiche Kommunikation ermöglicht. In diesem Sinne kann die metaphorische Kollokation als feste Gestalt mit semantisch-pragmatischem Eigenwert bestimmt werden, worauf schon in Stojic und Košuta (2020: 152f) hingewiesen wurde. An dieser Stelle möchten wir betonen, dass die hier ausgeführten Illustrationen semantischer Prozesse nur einen kleinen Teil der Korpusuntersuchung betreffen und somit als exemplarische Einsichten zu betrachten sind. Diese Einsichten in die Metaphorisierungsprozesse wie auch mögliche andere müssen durch weitere umfangreiche Untersuchungen bestätigt werden, um an repräsentativer Gültigkeit zu gewinnen, was wir mit unserem Forschungsprojekt anstreben. Literatur BLANK, Andreas (2001) Einführung in die lexikalische Semantik für Romanisten. Tübingen: Niemeyer. BURGER, Harald (1998) Phraseologie: Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin: Erich Schmidt Verlag. COSERIU, Eugenio (1967) „Lexikalische Solidaritäten.“ Poetica 1/3, 293-303. DEIGNAN, Alice/POTTER, Liz (2004) „A corpus study of metaphors and metonyms in English and Italian.“ Journal of Pragmatics 36/7, 1231-1252. DURCO, Peter (2010) „Einsatz von Sketch Engine im Korpus – Vorteile und Mängel.“ In: S. Ptashnyk et al. 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Ziel des Forschungsprojektes ist es, die Metaphorisierungsprozesse in den metaphorischen Kollokationen zu beleuchten, um auf diese Weise mögliche Einblicke in Entstehungsprozesse von Kollokationen zu gewinnen und somit zum besseren Verständnis dieses lexikalisch-semantischen Phänomens beizutragen. Die bisherige semantische Analyse der Belege lässt darauf schließen, dass gerade die übertragene Bedeutung eines Bestandteiles der Kollokation die semantische Kohäsion zwischen den Bestandteilen gefestigt hat, was eine gewisse Selektionsbeschränkung zur Folge hat. Aus diesem semantischen Umstand ergeht die Tatsache, dass die Kollokation aus heutiger Perspektive als usuelle und relativ stabile Verbindung gilt. Diese semantischen Prozesse sollen im Beitrag anhand ausgewählter Beispiele aus dem Korpus illustriert werden, um Einblicke in die bisherige Korpusuntersuchung zu gewähren. Schlüsselwörter: metaphorische Kollokationen, syntagmatische Beziehungen, Selektionsbeschränkungen, semantische Kohäsion 4 Diese Arbeit wurde von der Kroatischen Forschungsstiftung im Rahmen des Projektes Metaphorische Kollokationen – syntagmatische Verbindungen zwischen Semantik und Pragmatik (IP-2020-02-6319) unterstützt. / This work has been fully supported by Croatian Science Foundation under the project Metaphorical collocations – Syntagmatic word combinations between semantics and pragmatics (IP-2020-02-6319). Abstract METAPHORICAL COLLOCATIONS – INSIGHTS INTO A CORPUS-BASED STUDY The research object of this paper are metaphorical collocations, a special group of collocational bonds in which one component is used in a figurative sense. As part of the scientific research project “Metaphorical Collocations - Syntagmatic Word Combinations between Semantics and Pragmatics”, funded by the Croatian Science Foundation, a corpus research is conducted in Croatian, German, English and Italian using SketchEngine tools to extract binary multi-word combinations from large digital corpora for individual languages, which are manually processed to identify metaphorical collocations. The aim of the Project is to provide new insights into the processes underlying the creation of collocational bonds as well as new insights into the principles of selective combining as a specific semantically-conditioned mechanism of natural languages. The semantic analysis of part of the corpus so far suggests that it was the metaphor that over time reinforced the semantic cohesion between the components of the collocational bond and contributed to the selectional constraints that led to our current perception of the collocational bond as a common and thus given word bond. These semantic processes are illustrated by selected examples from the corpus. Keywords: metaphorical collocation, syntagmatic relations, selectional constraints, semantic cohesion Povzetek METAFORICNE KOLOKACIJE – VPOGLED V KORPUSNO RAZISKAVO V prispevku so obravnavane metaforicne kolokacije, ki jih v proucevanju kolokacij štejemo med besedne zveze, pri katerih je ena beseda uporabljena v prenesenem pomenu. V okviru znanstvenoraziskovalnega projekta »Metaforicne kolokacije – sintagmatske zveze med semantiko in pragmatiko«, ki ga financira Hrvaška znanstvena fundacija, nastaja korpusno podprta raziskava, v kateri se v hrvaškem, nemškem, angleškem in italijanskem jeziku s pomocjo orodja SketchEngine iz velikih digitalnih korpusov za posamezne jezike lušcijo dvodelne besedne zveze, ki jih rocno pregledujejo, da bi tako odbrali metaforicne kolokacije. Dosedanja pomenska analiza dela korpusa je pokazala, da je prav metafora okrepila pomensko kohezijo med sestavinami metaforicnih kolokacij in prispevala k izbirnim omejitvam, ki so povzrocile, da z današnjega zornega kota metaforicne kolokacije razumemo kot stalne besedne zveze. Te leksikalnopomenske procese bomo ilustrirali na izbranih primerih iz korpusa. Cilj prispevka je na podlagi analize metaforicnih procesov v metaforicnih kolokacijah dobiti vpogled v tvorbo kolokacij in s tem prispevati k boljšemu razumevanju tega kompleksnega leksikalno-semanticnega pojava. Kljucne besede: metaforicne kolokacije, sintagmatski odnosi, izbirne omejitve, pomenska kohezija Andrej Podobnik* ZUM AUSDRUCK VON DUALITÄT IM ENGLISCHEN UND IM DEUTSCHEN – EINE INTERLINGUALE KORPUSBASIRTE UNTERSUCHUNG AUSGEWÄHLTER DUALFORMEN 1 EINLEITUNG Dualität ist ein prominenter Aspekt des menschlichen Denkens, was bereits Humboldt in seinem Werk Über den Dualis (1828) hervorhob. In der Sprache zeigt sie sich vor allem im Dual – einer Unterkategorie des Numerus, die „die Zweizahl/Paarigkeit von als paarig betrachteten Elementen mit eigenen nominalen und/oder verbalen Formen“ ausdrückt (Glück/Rödel 2016: 164). Der Dual kommt in unterschiedlichem Umfang in mehr als 200 Sprachen der Welt vor (vgl. Plank 1996: 123) und betrifft, wie die folgenden Beispiele aus dem Slowenischen zeigen, typischerweise Nomina und Pronomina, aber auch Verben und Adjektive (vgl. Simonovic 2020: 108f., 111): (1) Macki sta preckali cesto. (Dt. Die Katzen [dual] überquerten die Straße; Engl. The cats [dual] crossed the road.) (2) Midva ne greva nikamor. (Dt. Wir [dual] gehen nirgendwohin; Engl. We [dual] are not going anywhere.) Innerhalb der Kategorie des Numerus ist der Dual relativ selten, da die meisten Sprachen nur zwischen Singular und Plural unterscheiden. Weiterhin wird er von zahlreichen Linguistinnen und Linguisten für einen semantisch markierten Teil der Sprache gehalten (vgl. Jakop 2008: 13), da er beispielsweise weniger natürlich ist (Greenberg 1966: 34) und kompliziertere Strukturen zu bilden tendiert (Stolz 1988, in Derganc 2006: 59). Ferner erwähnt Corbett (2000: 224–227) einige Sprachen bzw. Dialekte, wo der Dual eine ganz spezifische Funktion hat, z.B. Kobon in Papua-Neuguinea, wo durch Heirat verwandte männliche Personen dual angeredet werden (Davies 1981: 153, in Corbett 2000: 224), oder die nepalesische Sprache Limbu, die den Dual als Höflichkeitsform verwendet, um eine einzelne Person anzusprechen (van Driem 1987: 221, in Corbett 2000: 224). Auch im Englischen und im Deutschen kommt der Dual selten zum Ausdruck, weshalb sich die Frage stellt, wie die beiden Sprachen duale Bedeutung vermitteln. Wie die Übersetzungen der Beispiele (1) und (2) zeigen, ist diese nicht immer sichtbar, also muss sie aus dem situativen Kontext erkannt werden. Wenn man die Dualität in den Übersetzungen explizit ausdrücken wollte, könnte man Die beiden Katzen und Wir * andrej.podobnik5@gmail.com UDK [811.111'366.532:811.112.2]:81'322 DOI: 10.4312/linguistica.61.1.93-112 beide im Deutschen bzw. The two cats und The two of us im Englischen verwenden. Solche Formen sind nur einige Beispiele der verschiedenen Möglichkeiten, wie das Englische und das Deutsche Dualität ausdrücken können. Im Fokus steht die Frage, wie Dualität im Englischen und im Deutschen im heutigen Gebrauch zum Ausdruck kommt. Wir konzentrieren uns auf die Merkmale des Duals und darauf, wie diese spezifisch in den beiden Sprachen realisiert werden, die keine Dualparadigmen aufweisen. Der historischen Entwicklung dualer Formen in beiden Sprachen und den aktuellen Dualausdrucksformen folgt eine korpusbasierte Analyse ausgewählter Dualformen1. 2 DUAL IM ENGLISCHEN UND IM DEUTSCHEN DIACHRON BETRACHTET Als systematische Komponente trat der Dual im Englischen und im Deutschen nie auf (vgl. Howe 1996: 130–177, 241–282), es gab aber in den früheren Perioden in beiden Sprachen trotzdem Elemente des Duals, vor allem bei Pronomina (ibid.: 135, 244). Im Altenglischen war der Umfang von Dualformen vom Dialekt abhängig, generell kamen sie aber selten, meistens in religiösen Texten (z.B. in den Rushworth Gospels und der Ruthwell Cross Inschrift) vor (vgl. Seppänen 1985, in Howe 1996: 135; Howe 1996: 135). Im Mittelenglischen gab es noch weniger Dualformen, da die Sprache unter anderem auch viele Endungen verlor (vgl. Sweet 1900: 216). Im Deutschen war der Dual ebenso bereits von Anfang an selten (vgl. Howe 1996.: 244). Das althochdeutsche System verfügte über einzelne Pronominalformen, z.B. hwëdar/wëdar (’welcher von zweien’) (Braune 2004: 252), während im Mittelhochdeutschen auch die seltenen Dualformen (z.B. die Pronomina e., enc und enker) pluralische Bedeutung hatten (vgl. Walch/Hächel 1988, in Howe 1996: 244; Howe 1996: 245). Heute gibt es sowohl im Englischen als auch im Deutschen wenige Spuren des Duals, es bestehen aber trotzdem bestimmte Ausdrucksformen, die eine duale Bedeutung tragen. In der Tabelle 1 sind Ausdrucksformen aufgezählt, die laut der theoretischen Analyse von Podobnik (2020: 21–22) entweder semantisch oder syntaktisch Dualität signalisieren. Darauffolgend werden die wichtigsten Formen erläutert und mit Beispielen dargestellt. 1 Der vorliegende Beitrag basiert auf meiner Masterarbeit, die ich unter Betreuung von Ao. Prof. Dr. Janja Polajnar Lenarcic und Doz. Dr. Franciška Lipovšek verfasste. Ich möchte mich bei Prof. Polajnar Lenarcic für die Einladung bedanken, an dieser Ausgabe von Linguistica mitzuwirken sowie für ihre Unterstützung bei der Verfassung meines Beitrags. Tab. 1: Dualausdrucksformen im heutigen Englisch und Deutsch DUALAUSDRÜCKE IM HEUTIGEN ENGLISCH Ausdruck Kategorie Semantisch/ syntaktisch both indefinites Artikelwort/Pronomen semantisch either, neither indefinites Artikelwort/Pronomen semantisch nor, neither negatives additives Adverb semantisch either…or, neither…nor, both… and, not only…but also, not…but paarige Junktion/getrennt- mehrteilige Konjunktion syntaktisch just as…so, if…then, whether…or getrennt-mehrteilige Subjunktion syntaktisch rather…than, not so much…as Engl. quasi coordinator syntaktisch each other, one another Reziprokpronomen semantisch e.g. the younger (of the two) der Komparativ semantisch (the) other indefinites Artikelwort/Pronomen semantisch each indefinites Artikelwort/Pronomen semantisch between Präposition semantisch binoculars, glasses, clippers, scissors, braces, jeans etc. paariges Nomen semantisch two, the two, second Zahlwort semantisch double, twin, twofold, binary, dichotomy etc. Anderes semantisch beide indefinites Artikelwort/Pronomen, Zahladjektiv semantisch entweder…oder, weder…noch, sowohl…als auch, nicht nur… sondern auch, nicht…sondern paarige Junktion/getrennt- mehrteilige Konjunktion syntaktisch ob…oder, je…desto/umso, wenn auch…so doch getrennt-mehrteilige Subjunktion syntaktisch lieber…als, weniger…als Engl. quasi coordinator syntaktisch einander Reziprokpronomen semantisch (der/die/das) jüngere (von den beiden) der Komparativ semantisch (der/die/das) andere indefinites Artikelwort/Pronomen, indefinites Zahlwort semantisch zwischen Präposition semantisch Fernglas, Brille, Schere, Hose etc. paariges Nomen semantisch DUALAUSDRÜCKE IM HEUTIGEN ENGLISCH Ausdruck Kategorie Semantisch/ syntaktisch zwei, zweite/-r/-s, die beiden Zahlwort semantisch doppelt, Zwilling, zweifach, binär, Dichotomie etc. Anderes semantisch Das wahrscheinlich offensichtlichste Beispiel des Duals im Englischen ist das pronominale both. Laut Quirk et al. (1985: 297) ist es neben either und neither eine der drei englischen Formen mit dualer Bedeutung, von denen laut Huddleston/Pullum (2016: 361) eben both die prominenteste ist. Both kann als Artikelwort, Prädeterminativ oder Pronomen gebraucht werden (Quirk et al.: 258–259): (3a) Both students passed the geography test. (Dt. Beide Studenten bestanden den Geographie-Test.) (3b) Both the students passed the geography test. (Dt. Die beiden Studenten bestanden den Geographie-Test.) (3c) Two students took the geography test. Both passed. (Dt. Zwei Studenten nahmen am Geographie-Test teil. Beide bestanden ihn.) Wie bereits die Übersetzungen der obigen Beispiele zeigen, ist das deutsche Äquivalent von both beide. Es wird von der Duden-Grammatik (2016: 313) als „teils Artikelwort oder Pronomen, teils Adjektiv“ klassifiziert, während Helbig/Buscha (1994: 320) dafür die Begriffe „flektierbare Sammelzahl“ und „Zahladjektiv“ verwenden. Beide kann adjektivisch (4), nominal (5) oder vor einem Relativsatz (6) gebraucht werden (vgl. Gruntar Jermol 2011: 227–228, wie auch Polajnar/Muster 2017): (4) beide schöne(n) Mädchen (5) A: Ich habe zwei Bücher zum Ausleihen. Welches möchtest du haben? B: Beide. (6) Hier sind beide, die du ausgewählt hast. Während both im Deutschen ein direktes Äquivalent mit beide hat, ist das bei either und neither nicht der Fall. Die Bedeutung von either ist mit der von both vergleichbar, denn es handelt sich in beiden Fällen um zwei Denotate, nur dass bei either eine Wahl zwischen den beiden vorhanden ist, während sich both immer auf beide bezieht. Neither hingegen ist der Gegensatz zu both, da es die Ablehnung beider Denotate ausdrückt. Wie die folgenden Beispiele illustrieren, können sowohl either als auch neither als verbindende adverbiale Bestimmungen fungieren (vgl. Huddleston/Pullum 2016: 1308), zusätzlich kann aber neither (genauso wie nor) auch als negativ-additives Adverb gebraucht werden (vgl. Quirk et al. 1985: 937): (7a) She wasn’t impressed, (and) I wasn’t either. (Dt. Sie war nicht beeindruckt und ich ebenso nicht.) (Huddleston and Pullum 2016: 1308) (7b) She wasn’t impressed, (and) neither was I. (Dt. Sie war nicht beeindruckt und ich ebenso nicht.) (ibid.) (8) All the students were obviously very miserable. Nor [= neither] were the teachers satisfied with the conditions at the school. (Dt. Alle Studenten fühlten sich offensichtlich sehr miserabel. Auch die Lehrer waren mit den Umständen an der Schule nicht zufrieden.) (Quirk et al. 1985: 937) In beiden Sprachen werden auch Reziprokpronomina verwendet, die außer der pluralen auch eine duale Bedeutung haben können. Während es im Englischen zwei Konkurrenzformen gibt (each other und one another), zwischen denen es laut Quirk et al. (1985: 364) keinen semantischen Unterschied gibt, gibt es im Deutschen das Pronomen einander. Ein auffallender Unterschied zwischen Englisch und Deutsch ist, dass das deutsche Pronomen in Kombination mit einer Präposition zu einem einteiligen Adverb wird (z.B. voneinander, füreinander), während die englischen Formen von der Präposition getrennt bleiben (from each other, for one another). 3 ENGLISCHE UND DEUTSCHE DUALAUSDRÜCKE IM KONTEXT Zur Kontextualisierung bestimmter englischer und deutscher Dualausdrucksformen werden im Folgenden die wichtigsten Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Podobnik (2020: 34–49) präsentiert. Die Analyse konzentriert sich auf die prominentesten Ausdrücke und ihre kontextuelle Verwendung (inkl. unkonventionelle Varianten, bestimmte vs. unbestimmte Formen u.a.). Daher umfasst die Untersuchung zwei Schwerpunkte: 1) Sonderformen und Bedeutungen von both und beide, 2) der Umfang des dualen Gebrauchs der englischen und deutschen Reziprokpronomina. Die Ergebnisse werden korpusbasiert2 eruiert, und zwar via der Plattformen Sketch Engine und Cosmas II. Vier Korpora wurden ausgewählt: British National Corpus (BNC), English Web 2015 (enTenTen15), German Web 2013 (deTenTen13) und Deutsches Referenzkorpus , bei dem Beispiele aus zwei Archiven analysiert wurden: W – Archiv der geschriebenen Sprache und TAGGED-C (Wortart-bedingte Suchanfragen). Die Ergebnisse sind in Tabellen präsentiert und umfassen generell die absolute Häufigkeit und die Häufigkeit pro Million Wörter3 für jede Suchanfrage. In einigen Tabellen sind auch die Prozentsätze der typischsten Beispiele oder der verschiedenen Varianten (z.B. wir beide und wir beiden) vorhanden; jede analysierte Form wird unter der entsprechenden Tabelle mit einem Beispielsatz aus einem der verwendeten Korpora illustriert. 2 Hierbei stellt die quantitative korpuslinguistische Analyse eine gängige Vorgehensweise bei der Untersuchung von lexikalischen und grammatischen Phänomenen dar (vgl. Polajnar/Fišer 2021) und bietet ferner eine gute Vergleichsbasis über verschiedene Teilkorpora und Sprachen hinweg (vgl. Polajnar 2022, i.Dr.). Eine Kombination mit qualitativer Kontext-Analyse wird in jüngerer linguistischer Forschung als wichtig hervorgehoben (ebd.). 3 Stellenweise als pMW abgekürzt. Mithilfe der gesammelten Daten wurde versucht, die folgenden Forschungsfragen zu beantworten: 1) In Anbetracht der Redundanz des bestimmten Artikels nach both (z.B. both the students) interessiert uns, wie oft the in dieser Position erscheint. 2) Parallel zu 1) ist von Interesse, wie häufig beide in der bestimmten Form (die beiden) vorkommt. 3) Wie oft erscheinen die definiten, grammatisch ungewöhnlichen Phrasen mit dem bestimmten Artikel the both of us/you/them im Vergleich zu both of us/ you/them und the two of us/you/them? 4) Kontrastiv zu 3) ist zu eruieren, wie häufig die Formen wir/ihr/sie beide(n) im Vergleich zu wir/ihr/sie zwei gebraucht werden. 5) Wie ist das Verhältnis zwischen dualem und pluralem Gebrauch der englischen und deutschen Reziprokpronomina? a. Ergebnisse 1) In Anbetracht der Redundanz des bestimmten Artikels nach „both“ (z.B. „both the students“) interessiert uns, wie oft „the“ in dieser Position erscheint. Both vs. both the TYP: both + Nomen Suchanfrage: [word=”both”][tag=”NNS”] > context [lemma="and"] (not, 1..15) Korpus absolute Häufigkeit Häufigkeit pro Million Häufigstes Beispiel Häufigkeit des häufigsten Beispiels BNC 7.672 79,80 both sides 1.361 (17,74 %) enTenTen15 855.018 64,82 both sides 146.304 (17,11 %) Beispielsatz: (9) Attorneys for both sides left the courthouse without speaking publicly about the case. (Dt. Anwälte beider Seiten verließen das Gerichtsgebäude, ohne öffentlich über den Fall zu sprechen.) (Abigayle Cassandra Blake Vaughn accused Christopher Vaughn) TYP: both the + Nomen Suchanfrage: [word="both"][word=="the"][tag="NNS"] > context [lemma="and"] (not, 1..15) Korpus absolute Häufigkeit Häufigkeit pro Million Häufigstes Beispiel Häufigkeit des häufigsten Beispiels BNC 84 0,87 both the variables, both the parties 3 (3,57 %) enTenTen15 21.351 1,75 both the countries 1,566 (7,33 %) Beispielsatz: (10) There are opportunities and partnerships to be forged for the mutual benefit of both the countries. (Dt. Es gibt Chancen und künftige Partnerschaften zum gegenseitigen Nutzen der beiden Staaten.) (India Sri Lanka CEO’s forum identifies potential areas for strengthening bilateral ties.) Laut den Ergebnissen4 ist both the + Nomen eine seltene Kombination, die auch 1,5 Treffer pro Million Wörter nicht überschreitet. Da both + Nomen viel häufiger erscheint, kann man schließen, dass der bestimmte Artikel in dieser Position semantisch keine bedeutsame Rolle spielt. Das kann man mit der Behauptung von Huddleston/Pullum (2016: 376) untermauern, dass the in dem Fall nur als Verstärker der Bestimmtheit von both dient. Das bedeutet aber nicht, dass diese Kombination irrelevant ist, denn man kann nicht bestreiten, dass sie trotz allem verwendet wird. Jede Form, welche die Sprache produziert, ist gewissermaßen von Bedeutung und auch in diesem Fall kann man voraussetzen, dass es irgendwann den Bedarf gab, die Bestimmtheit von both zu verstärken, auch wenn das heute nicht wichtig zu sein scheint. 4 Es muss erwähnt werden, dass Ergebnisse mit and nach dem Schlüsselwort in beiden Suchanfragen ausgefiltert wurden, um unpassende Fälle (im Sinne von He likes both cars and motorcycles.) zu eliminieren. 2) Parallel zu 1) ist von Interesse, wie häufig „beide“ in der bestimmten Form („die beiden“) vorkommt. Beide vs. die beiden TYP: beide + Nomen Suchanfrage (Cosmas II): beide MORPH(N) Suchanfrage (Sketch Engine): [word="beide"][tag="N.*"] Korpus absolute Häufigkeit Häufigkeit pro Million Häufigstes Beispiel Häufigkeit des häufigsten Beispiels DeReKo (TAGGED-C) 117.266 114,6 beide Teams 14.122 (12,04 %) enTenTen13 1.290.435 78,08 beide Seiten 122.803 (9,52 %) Beispielsatz: (11) Mit diesem Risiko müssen beide Seiten leben. (Freimaurerei) TYP: die beiden + Nomen Suchanfrage (Cosmas II): die beiden MORPH(N) Suchanfrage (Sketch Engine): [word="die"][word="beiden"][tag="N.*"] Korpus absolute Häufigkeit Häufigkeit pro Million Häufigstes Beispiel Häufigkeit des häufigsten Beispiels DeReKo (TAGGED-C) 115.775 113,2 die beiden Männer 3.311 (2,86 %) enTenTen13 1.025.888 62,08 die beiden Männer 13.414 (1,31 %) Beispielsatz: (12) Wider erwarten verlieben sich die beiden Männer. (Proteus) Die Form die beiden unterscheidet sich von beide (sowie von both) darin, dass sie nicht den Gegensatz zu ‚eines der beiden‘ betont, sondern eher eine definitere Variante des Zahlworts zwei ist (vgl. Das Indefinitpronomen beide). In der Analyse erscheint die Kombination die beiden + Nomen in beiden Korpora fast so oft wie beide + Nomen, was man für überraschend halten könnte, da modifizierte bzw. markierte Formen normalerweise seltener vorkommen. Daher weist dieses Ergebnis darauf hin, dass der Gebrauch von beide mehrheitlich determiniert wird, doch man muss bedenken, dass einige Treffer wegen der Kombination des Relativpronomens die und des nachfolgenden Dativs (z.B. Der Besuch verlief in einer sehr freundschaftlichen und harmonischen Atmosphäre, die beiden Seiten Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen gab (deTenTen13)) unpassend waren. 3) Wie oft erscheinen die definiten, grammatisch ungewöhnlichen Phrasen mit dem bestimmten Artikel „the both of us/you/them“ im Vergleich zu „both of us/you/them“ und „the two of us/you/them“? (The) both of us/you/them, the two of us/you/them AUSDRUCK: the both of us/you/them Suchanfragen: the both of us; the both of you; the both of them Korpus Häufigkeit (the both of us) Häufigkeit (the both of you) Häufigkeit (the both of them) BNC 4 (0,04 pMW) 7 (0,07 pMW) 11 (0,11 pMW) enTenTen15 1.581 (0,11 pMW) 1.163 (0,09 pMW) 2.185 (0,16 pMW) Beispielsätze: (13a) Certainly, this town is big enough for the both of us. (Dt. Allerdings, diese Stadt ist groß genug für uns beide.) (CIO) (13b) Bringing your date here will allow the both of you to experiment on unknown dishes and enjoy the whole experience by doing so. (Dt. Indem Sie Ihr Date mitbringen, werden Sie beide mit neuen Gerichten experimentieren und damit die ganze Erfahrung genießen können.) (Finding a place to bring Cleveland single professionals on dates) (13c) The both of them connected instantly and had a deep conversation together. (Dt. Es hat zwischen den beiden sofort gefunkt und sie führten miteinander ein tiefes Gespräch.) (Empowering people affected by homelessness through art, photography and entrepreneurship) AUSDRUCK: both of us/you/them Suchanfragen: both of us; both of you; both of them > context [lemma="the"] (not, -1..-1)5 Korpus Häufigkeit (both of us) Häufigkeit (both of you) Häufigkeit (both of them) BNC 283 (2,94 pMW) 197 (2,05 pMW) 711 (7,40 pMW) enTenTen15 23.077 (1,75 pMW) 11.636 (0,88 pMW) 55.924 (4,24 pMW) Beispielsätze: (14a) Both of us have children, and you also have grandchildren. (Dt. Wir beide haben Kinder und du hast auch Enkelkinder.) (March for Science) 5 Beispiele mit the vor dem Schlüsselwort wurden ausgefiltert. (14b) Both of you make good points, thank you. (Dt. Ihr beide habt gute Argumente, danke.) (Natsuki still cold-hearted) (14c) This was a huge step forward for both of them. (Dt. Das war für sie beide ein großer Schritt nach vorne.) (Trans Families Share Stories of Motherhood…) AUSDRUCK: the two of us/you/them Suchanfragen: the two of us; the two of you; the two of them Korpus Häufigkeit (the two of us) Häufigkeit (the two of you) Häufigkeit (the two of them) BNC 151 (1,57 pMW) 127 (1,32 pMW) 463 (4,82 pMW) enTenTen15 10.882 (0,82 pMW) 5.915 (0,45 pMW) 23.215 (1,76 pMW) Beispielsätze: (15a) The two of us were the only engineers for this project. (Dt. Wir zwei waren die einzigen Ingenieure für dieses Projekt.) (Postmortem little boy games) (15b) It was so great to talk to the two of you yesterday. (Dt. Es war toll, gestern mit euch beiden zu sprechen.) (Prayer and Thanksgiving) (15c) The two of them have much to learn from each other. (Dt. Sie zwei können viel voneinander lernen.) (Ohio Guidestone) Im Vergleich zu both of us/you/them und the two of us/you/them erscheinen die Phrasen the both of us/you/them 10–70 Mal bzw. 7–40 Mal seltener. Das ist keine Überraschung, denn wenn man the und both kombiniert, resultiert das normalerweise in einer grammatikalisch inkorrekten Struktur (z.B. *the both parents), wobei Personalpronomina die Ausnahme zu sein scheinen. Aufgrund der geringen Häufigkeit kann the both of mit both the verglichen werden, denn es handelt sich in beiden Fällen um eine Form, deren Bestimmtheit durch den bestimmten Artikel verstärkt wird. Daher kann man sagen, dass im Englischen zusätzliche Bestimmtheit nur gelegentlich für wichtig gehalten wird. Da beim Korpus BNC auch Daten zur Verfügung gestellt werden, ob es sich um gesprochene oder geschriebene Texte handelt, kann man feststellen, dass beide Ausdrucksgruppen mit the (the both of us/you/them; the two of us/you/them) irgendwie mit gesprochener Sprache verknüpft sind. Die Ergebnisse gehören nämlich überwiegend entweder zum gesprochenen Teil des Korpus oder stellen geschriebene Dialoge dar. Bei beiden Suchanfragen, besonders bei der grammatikalisch fragwürdigen Gruppe the both of us/you/them, zeigt sich eine Parallele zwischen der gesprochenen Sprache und der Tendenz, unkonventionelle Formulierungen zu verwenden und sich nicht streng an die vorgeschriebenen Grammatikregeln zu halten. 4) Kontrastiv zu 3) ist zu eruieren, wie häufig die Formen „wir/ihr/sie beide(n)“ im Vergleich zu „wir/ihr/sie zwei“ gebraucht werden. Wir/ihr/sie/Sie beide(n), wir/ihr/sie zwei AUSDRUCK: wir beide(n) Suchanfrage (Cosmas II): wir beide oder wir beiden Suchanfrage (Sketch Engine): [word="wir"][word="beide|beiden"] Korpus absolute Häufigkeit Häufigkeit pro Million Häufigkeit (wir beide) Häufigkeit (wir beiden) DeReKo (TAGGED-C) 1.758 1,72 1703 (96,87 %) 55 (3,13 %) enTenTen13 107.062 6,48 103.788 (96,94 %) 3.274 (3,06 %) Beispielsatz: (16a) Nur wir beide und der Teig. (Geniale Ideen für die Küche!) AUSDRUCK: ihr beide(n) Suchanfrage (Cosmas II): ihr beide oder ihr beiden Suchanfrage (Sketch Engine): ): [word="ihr"][word="beide|beiden"] Korpus absolute Häufigkeit Häufigkeit pro Million Häufigkeit (ihr beide) Häufigkeit (ihr beiden) DeReKo (TAGGED-C) 129 0,13 92 (71,32 %) 37 (28,68 %) enTenTen13 34.114 2,06 20.040 (58,74 %) 14,074 (41,26 %) Beispielsatz: (16b) Dann könnt ihr beiden miteinander sprechen. (Lektionen der Wildnis) AUSDRUCK: sie beide(n) Suchanfrage (Cosmas II): sie beide oder sie beiden Suchanfrage (Sketch Engine): [word="sie"][word="beide|beiden"] Korpus absolute Häufigkeit Häufigkeit pro Million Häufigkeit (sie beide) Häufigkeit (sie beiden) DeReKo (TAGGED-C) 112 0,10 105 (93,75 %) 7 (6,25 %) enTenTen13 37.372 1,89 36,410 (97,43 %) 962 (2,57 %) Beispielsatz: (16c) Nach einigen Wochen fanden sie beide die Situation fast unerträglich. (Susan) AUSDRUCK: Sie beide(n) Suchanfrage (Cosmas II): Sie beide oder Sie beiden Suchanfrage(Sketch Engine): [word="Sie"][word="beide|beiden"] Korpus absolute Häufigkeit Häufigkeit pro Million Häufigkeit (Sie beide) Häufigkeit (Sie beiden) DeReKo (TAGGED-C) 33 0,03 32 (96,97 %) 1 (0,03 %) enTenTen13 12.606 0,76 12.232 (97,03 %) 374 (2,97 %) Beispielsatz: (16d) Also ein riesiges Dankeschön an Sie beide! (Portraitfotografie - was gute Portraitbilder zeigen!) AUSDRUCK: wir/ihr/sie/Sie zwei Suchanfrage (Cosmas II): wir zwei; ihr zwei; sie zwei; Sie zwei Suchanfrage (Sketch Engine): [word="wir"][word="zwei"]; [word="ihr"] [word="zwei"]; [word="sie"][word="zwei"]; [word="Sie"][word="zwei"] Korpus Häufigkeit (wir zwei) Häufigkeit (ihr zwei) Häufigkeit (sie zwei) Häufigkeit (Sie zwei) DeReKo (TAGGED-C) 94 (0,09 pMW) 20 (0,02 pMW) 26 (0,03 pMW) 9 (0,01 pMW) enTenTen13 8.247 (0,50 pMW) 9.614 (0,58 pMW) 589 (0,04 pMW) 241 (0,01 pMW) Beispielsätze: (17a) Wir zwei sind schon durch dick und dünn gegangen und wohnen in Chemnitz. (Tagestour Tschechien) (17b) Ihr zwei seid wunderbare Menschen. (Das Geheimnis der kosmischen Schlange) (17c) Auch sie zwei wissen jetzt, woran sie noch arbeiten können und sollen. (Jahresbericht Akrobatik & Geräteriege Winterthur 2020) (17d) Weshalb haben Sie zwei sich entschlossen, gemeinsam weiterzumachen. (Wir sind Krampferli 2009) Hinsichtlich der Bedeutung ist der Unterschied zwischen wir/ihr/sie beide(n) und wir/ihr/sie zwei ähnlich dem zwischen (the) both of us/you/them und the two of us/you/ them. Was aber die Häufigkeit angeht, ist die Abweichung zwischen den deutschen Formen größer als die zwischen den englischen – die häufigste Form des ersten Typs (wir beide(n)) erscheint mindestens 13 Mal häufiger als ihre Konkurrenzform des zweiten Typs (wir zwei)6. Innerhalb des ersten Typs ist wir beide(n) weit am häufigsten und 6 Doch es gibt laut einer Stichprobenanalyse (bis 100 Beispiele pro Suchanfrage) ca. 5–10 % unpassende Beispiele bei wir/ihr/sie beide/beiden und sogar etwa 35 % unpassende Treffer bei Sie beide/beiden (z.B. Sie können auch einen Rundweg daraus machen, wenn Sie beide Wege verbinden (deTenTen13)). die Höflichkeitsform Sie beide(n) am seltensten. Außerdem werden Kombinationen mit beide öfter verwendet als die mit beiden, wobei nur ihr beiden eine überdurchschnittliche Häufigkeit erreicht. Beim zweiten Typ kommt in deTenTen13 die Form ihr zwei überraschenderweise häufiger als wir zwei vor, während in DeReKo das nicht der Fall ist. Die Formen sie/Sie zwei sind in beiden Korpora selten. Als Grund für die größere Häufigkeit der wir-Formen könnte man den allgemeinen Gebrauch von Personalpronomina in Gesprächen bzw. Dialogen angeben, denn normalerweise spricht man in diesem Kontext am meisten über sich selbst (ich, wir), etwas weniger über seine(n) Gesprächspartner (du, ihr) und am wenigsten über dritte Personen, die am Gespräch nicht beteiligt sind (er, sie, es / sie) (vgl. Biber et al. 2007: 15). Wenn man sich aber ausschließlich auf die Rollen des Senders und des Adressaten konzentriert, stellt sich die Frage, ob es weitere Faktoren gibt, die die Diskrepanz zwischen der Häufigkeit der Formen für die erste und die zweite Person verursachen könnten. Im Kontext des Duals bzw. zweier Referenzobjekte könnte die Natur der Anrede von Bedeutung sein, denn es ist üblicher, als Adressaten eine Person anzusprechen als zwei, besonders weil nur einer der Adressaten auf einmal replizieren kann. 5) Wie ist das Verhältnis zwischen dem dualen und dem pluralen Gebrauch der englischen und deutschen Reziprokpronomina? Each other, one another AUSDRUCK: each other Suchanfrage: each other Korpus Häufigkeit (gesamt) Stichprobengröße Häufigkeit (Dual) Häufigkeit (Plural) Häufigkeit (mehrdeutig) DeReKo (TAGGED-C) 10.351 (107,67 pMW) 1000 516 473 11 enTenTen13 1.461.193 (93,05 pMW) 1000 384 595 21 Beispielsatz (Dual): (18a) Both organizations agreed on increasing coordination with each other. (Dt. Beide Organisationen einigten sich auf eine stärkere Koordinierung untereinander.) (Al-Khidmatfoundation) Beispielsatz (Plural): (18b) They all worked together and supported each other. (Sie arbeiteten alle zusammen und unterstützten einander.) (Outdoor fun in February) Beispielsatz (mehrdeutig): (18c) This would be a totally boring party if we didn’t talk to each other, right? Now let’s get ready to par-tay!!!! (Dt. Dies wäre eine ganz langweilige Party, wenn wir miteinander nicht sprechen würden, oder? Machen wir jetzt Party!!!!) (Archives for September 2010) AUSDRUCK: one another Suchanfrage: one other Korpus Häufigkeit (gesamt) Stichprobengröße Häufigkeit (Dual) Häufigkeit (Plural) Häufigkeit (mehrdeutig) DeReKo (TAGGED-C) 2.670 (27,77 pMW) 1000 380 587 33 enTenTen13 454.666 (28,95 pMW) 1000 247 714 39 Beispielsatz (Dual): (19a) Over the past several years, Samsung and LG have waged a silent battle against one another. (Dt. In den letzten Jahren haben Samsung und LG einen stillen Kampf gegeneinander geführt.) (LG V10 Review Part I: Replacing the Galaxy Note) Beispielsatz (Plural): (19b) We all learned from one another in strange and surprising ways. (Dt. Wir haben alle auf seltsame und überraschende Weisen was voneinander gelernt.) (Saveful Bright) Beispielsatz (mehrdeutig): (19c) How the cousins nudged one another and giggled when Tom startled himself and everyone else by pricking his forefinger on a fishbone during lunch. (Dt. Wie die Cousins einander stupsten und kicherten, als Tom sich und alle anderen erschreckte, indem er sich beim Mittagessen seinen Zeigefinger an einer Fischgräte stach.) (Cul De Sac (Second Place Marguerite McGlinn Award Winner)) Einander AUSDRUCK: einander Suchanfrage (Cosmas II & Sketch Engine): einander Korpus Häufigkeit (gesamt) Stichprobengröße Häufigkeit (Dual) Häufigkeit (Plural) Häufigkeit (mehrdeutig) DeReKo (TAGGED-C) 186.880 (19,00 pMW) 1000 478 467 55 enTenTen13 386.911 (23,41 pMW) 1000 456 447 97 Beispielsatz (Dual): (20a) Nils und Marie lieben einander zweieinhalb Sommer lang. (Und Wahrheit wird Verrat) Beispielsatz (Plural): (20b) Gott ist nahe, wo die Menschen einander Liebe zeigen. (Liebesgedichte & Liebessprüche) Beispielsatz (mehrdeutig): (20c) Wenn ihr angemeldet seid, könnt ihr also nun mit einander chatten. (Memorial Beach) Die Analyse des Dual- bzw. Pluralgebrauchs der englischen Reziprokpronomina hat einige interessante Ergebnisse gezeigt, besonders bei each other. Aus einem Muster von 1000 Beispielen dieses Pronomens waren nämlich 51,6 % dual und 47,3 % plural in BNC (die übrigen waren doppeldeutig), während in enTenTen15 das Verhältnis 38,4 % vs. 59,5 % betrug. Diese Diskrepanz könnte man folgendermaßen erklären: 1) enTenTen15 ist viel größer als BNC und lässt folglich eine größere Vielfalt an Ergebnissen zu; 2) zum Teil enthalten die beiden Korpora unterschiedliche Textsorten – BNC verfügt über geschriebene Texte verschiedener Gattungen und Perioden sowie ein Subkorpus mit gesprochenen Texten, während enTenTen15 nur Texte aus dem Internet nimmt (Sketch Engine); 3) BNC wurde in den 1990er Jahren erstellt (Sketch Engine Kunden-Support, persönliche Mitteilung) und es ist möglich, dass sich der Gebrauch seitdem geändert hat. Die Ergebnisse für one another sind eindeutiger: In beiden Korpora überwiegt der Pluralgebrauch (58,7 % in BNC und 71,4 % in enTenTen15), was darauf hinweist, dass generell der Dual häufiger mit each other ausgedrückt wird, während der Plural vor allem bei one another vorkommt. Interessanterweise gab es sowohl bei each other als auch bei one another wenige mehrdeutige Beispiele. Daraus kann man schließen, dass der Kontext bzw. Kotext, den Sketch Engine anbietet, in der Regel genügt, um die Bedeutung bzw. die Referenz herauslesen zu können. Auch dies mag einer der Gründe sein, warum der Dual aus dem Englischen (und anderen Sprachen) schrittweise verschwand. Im Deutschen ist die Abweichung zwischen dem dualen und dem pluralen Gebrauch sehr gering – 1,1 % bzw. 0,9 % zugunsten des Duals in DeReKo bzw. deTenTen13. Eine Erklärung dafür wäre, dass bei nur einem verfügbaren Pronomen der Gebrauch stärker variiert. Das ist aber nicht bewiesen und es ist auch möglich, dass die Ergebnisse anders gewesen wären, wenn man auch adverbiale Ableitungen (miteinander, voneinander usw.) in die Analyse eingeschlossen hätte. 4 FAZIT Der Beitrag befasste sich mit englischen und deutschen Dualformen, die in der heutigen linguistischen Forschung meist im Hintergrund stehen, 7 und stellte ihre Relevanz dar. Dualformen im Englischen und im Deutschen verfügen über eine relativ große Vielfalt, was die Ansicht widerlegt, dass Dualität wegen der Abwesenheit des Duals in den beiden Sprachen nicht zum Ausdruck kommt. Das Englische und das Deutsche hatten historisch gesehen mit dem Dual zwar wenig zu tun, es gibt aber heute trotzdem zahlreiche einzigartige Ausdrucksformen (z.B. the both of you, diese beiden), sowie ganz alltägliche Formen (each other, der jüngere), die Dualität vermitteln. Interessanterweise hat es sich erwiesen, dass die englischen Sonderformen (both the und the both of us/you/them) im Vergleich zu ihren deutschen Entsprechungen (die beiden, 7 Dies kann auch für die kontrastive Betrachtung des Duals im Deutschen und Slowenischen festgestellt werden, obwohl es sich um zwei Kontaktsprachen handelt, die seit ihren Anfängen, d. h. seit der Herausbildung des Althochdeutschen und Alpenslowenischen, in Kontakt stehen (Krevs Birk 2019: 155f). wir/ihr/sie/Sie beide(n)) viel seltener sind, was darauf hindeutet, dass diese Ausdrücke im Englischen in stärkerem Maße für ungewöhnlich gehalten werden. Ferner hat die Untersuchung gezeigt, dass im Englischen das Pronomen each other öfter dual und die Konkurrenzform one another eher plural interpretiert wird, während im Deutschen die einzige verfügbare Form (einander) etwa gleich häufig dual und plural gebraucht wird. Im Allgemeinen kann man aber darauf schließen, dass die beiden Sprachen aus der Sicht der Dualität gut vergleichbar sind. Literatur Sekundärliteratur BIBER, Douglas/Stig, JOHANSSON/Geoffrey, LEECH/Susan, CONRAD/Edward, FINEGAN (2007) Longman Grammar of Spoken and Written English. Harlow: Pearson Education Limited. BRAUNE, Wilhelm (2004) Althochdeutsche Grammatik I: Laut- und Formenlehre: Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte. Tübingen: Max Niemeyer Verlag. CORBETT, Greville G. (2000) Number. Cambridge: CUP. DERGANC Aleksandra (2006) „Nekatere znacilnosti dvojine v slovenšcini.“ Slavisticna revija: Casopis za jezikoslovje in literarne vede, 54, 57–71. DUDEN-GRAMMATIK (2016) Duden. Die Grammatik: Unentbehrlich für richtiges Deutsch. Berlin: Dudenverlag. GLÜCK Helmut/Michael RÖDEL (2016) Metzler Lexikon Sprache. 5., aktualisierte und überarbeitete Aufl. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag. GREENBERG Joseph H. 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Dem historischen Überblick dualer Formen in beiden Sprachen und den aktuellen Dualausdrucksformen folgt eine korpusbasierte Analyse ausgewählter Dualformen. Die empirischen Daten sowie die theoretischen Prämissen zeigen, dass Dualität im Englischen und im Deutschen entgegen den Erwartungen relativ häufig zum Ausdruck kommt. Schlüsselwörter: Dualität, Dual, Dualität im Englischen und im Deutschen, Korpusanalyse, kontrastive Analyse Abstract EXPRESSING DUALITY IN CONTEMPORARY ENGLISH AND GERMAN – A CROSS-LINGUISTIC CORPUS-BASED ANALYSIS OF PRESENT-DAY DUAL EXPRESSIONS The aim of this article is to show the presence of duality in contemporary English and German grammatical forms despite there being no dual in these two languages. The focus lies primarily on the features of the dual and the ways in which these are reflected in the two Germanic languages. An overview of historical and present-day dual expressions is followed by a corpus analysis of selected dual forms. The empirical data, as well as the theoretical premises, show that duality is a surprisingly common feature in English and German. Keywords: duality, dual number, duality in English and German, corpus analysis, contrastive analysis Povzetek IZRAŽANJA DVOJINSKOSTI V ANGLEŠCINI IN NEMŠCINI – MEDJEZIKOVNA KORPUSNO PODPRTA RAZISKAVA IZBRANIH DVOJINSKIH OBLIK Namen clanka je prikazati vidik dvojinskosti v sodobnih angleških in nemških slovnicnih oblikah kljub odsotnosti kategorije dvojine. V clanku se osredotocamo na zna cilnosti dvojine in njihovo odražanje v omenjenih germanskih jezikih, ki nimata dvojinskih paradigem. Zgodovinskemu pregledu in povzetku sodobnih dvojinskih izrazov sledi korpusna analiza izbranih dvojinskih oblik. Empiricni podatki skupaj s teorijo dokazujejo, da se dvojinskost v anglešcini in nemšcini v nasprotju s pricakovanji pojavlja dokaj pogosto. Kljucne besede: dvojinskost, dvojina, dvojinskost v anglešcini in nemšcini, korpusna analiza, kontrastivna analiza Uršula Krevs Birk* Universität Ljubljana SYNCHRONE BETRACHTUNG MEHRSPRACHIGER GEOGRAFISCHER NAMEN DES SPRACHENPAARES DEUTSCH- SLOWENISCH ANHAND DIGITALER TEXTE UND DISKURSE 1 EINLEITUNG Namen wie Dunaj und Wien, Ljubljana und Laibach, Železna Kapla und Bad Eisenkappel , Altsag und Stare Žage sind Beispiele für slowenisch-deutsche Namenpaare, die im Sprachenpaar Deutsch-Slowenisch, in den zwei in Kontakt stehenden Sprachen, einen unabdingbaren Teil diverser Sprachkontaktprozesse zwischen dem slowenischen und deutschsprachigen Kulturraum darstellen. Sie resultierten vordergründig aus der historischen deutsch-slowenischen Zweisprachigkeit und sind in der Gegenwart, nicht nur in der Zeit der deklarierten Mehrsprachigkeit, wie etwa durch den Gemeinsamen Europäischen Rahmen für Sprachen, oder durch die Prämissen der interkulturell orientierten philologischen Ausbildung festgelegt, keinesfalls weniger relevant als früher. In digitalen Texten und Diskursen werden mehrsprachige Namen selten untersucht, obwohl die Digitalisierung die soziale Präsenz und semantische Wissensbestände der Toponyme mitkonstruiert. Im vorliegenden Beitrag werden ausgewählte zweisprachige deutsch-slowenische Toponymika innerhalb von digitalen Texten und Diskursen erfasst. Es wird versucht, die aktuelle Medialisierung historisch gewachsener deutsch-slowenischer toponymischer Zweisprachigkeit exemplarisch zu untersuchen, wozu sich diverse (retro-)digitalisierte Texte sowie Online-Texte und -Diskurse aus jüngster Zeit anbieten. Hierbei wird u. a. die Tatsache berücksichtigt, dass seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, als das slowenische Areal endgültig einsprachig wurde, auch der offizielle Status der deutschen Namen abgeschafft wurde, was die gesellschaftliche Funktion von zweisprachigen slowenisch-deutschen bzw. deutsch-slowenischen Namenpaaren1 erheblich beeinflusste. Die Thematik bedarf zunächst einer einleitenden Gegenstandsbestimmung, um die gegenwärtige digitale Präsentation von geografischen deutschen und slowenischen Namen adäquat erfassen zu können.2 Der Beitrag wird mit dem Hinweis auf die Not * ursula.krevsbirk@ff.uni-lj.si 1 Die Reihenfolge der Sprachen im Adjektiv deutsch-slowenisch bzw. slowenisch-deutsch ist für die im Beitrag behandelte Problematik der zweisprachigen Toponymika des Deutschen und des Slowenischen nicht relevant. 2 Der Beitrag entstand an der Universität Ljubljana im Rahmen des von der slowenischen Forschungsagentur ARRS geförderten Forschungsprogramms „Theoretische und applikative Sprachforschungen: kontrastive, synchrone und diachrone Aspekte/Teoreticne in aplikativne raziskave jezikov: kontrastivni, sinhroni in diahroni vidiki – P6-0218 (A)“. UDK [811.112'373.21:811.163.6]:004.774 DOI: 10.4312/linguistica.61.1.113-136 wendigkeit weiterer Untersuchungen zweisprachiger Toponymika, u. a. aus der diachronen Perspektive, abgerundet. 2 ZUR DIGITALEN PRÄSENZ TOPONYMISCHER MEHRNAMIGKEIT DES SPRACHENPAARES DEUTSCH-SLOWENISCH 2.1 Gegenstandsbestimmung Für die Einteilung der deutschen und slowenischen Namen für dieselbe geografische Gegebenheit ist zunächst das zusammenhängende sprachliche Gebiet relevant (vgl. Krevs Birk 2018; 2022, i. Dr.). Im Zusammenhang mit digitalen Kontextualisierungen zu den deutschen und slowenischen Toponymen für dieselbe geografische Realität werden folgende toponymische Namenpaare diskutiert: a) slowenische Toponyme für deutschsprachige Räume (z. B. Solnograd – Salzburg), b) deutsche und slowenische Toponyme in zweisprachigen/gemischtsprachigen Gebieten (in Kärnten und in der ehemaligen Sprachinsel Gottschee) und c) deutsche Toponyme für den Sprachraum Sloweniens (z. B. Stein für Kamnik). Nach einer Einführung in den toponymischen Namenpaartyp wird exemplarisch auf dessen Digitalisierung eingegangen. Der Typus, auf den hier nicht eingegangen wird, bilden die deutsch-slowenischen Namenpaare für geografische Objekte außerhalb des zusammenhängenden deutschen und slowenischen Sprachraums.3 2.2 Slowenische Toponyme für deutschsprachige Räume Dass Wien auf Slowenisch Dunaj, auf Englisch Vienna, auf Französisch Vienne, Polnisch Wieden, Tschechisch Víden, Ungarisch Bécs, Kroatisch Bec, Mazedonisch ..... heißt, ist keinesfalls zufällig. Die genannten Namen sind Exonyme, d. h. Namen, die „nicht von der örtlichen Gemeinschaft verwendet werden“ (Jordan 2018: 42), die jedoch dieselbe referenzielle Semantik aufweisen und sich von dem Endonym als dem Namen, der „von der örtlichen Gemeinschaft akzeptiert und verwendet wird“ (ebd., vgl. Pohl 2020: 29), formativisch unterscheiden. Exonyme entstehen in einzelnen Sprachen nicht nur für kulturell und politisch international bedeutende Orte oder Areale, sondern auch für geografische Gegebenheiten, die aus der Perspektive der großräumigen Areale und Kulturen (wie etwa Mitteleuropa) peripher erscheinen, zumal sie für die Bewohnerinnen und Bewohner von Teilregionen, Sprecherinnen und Sprecher der Kontaktsprachen in Kontaktregionen eine wichtige Rolle spielen, da sie für diese Sprechergemeinschaften sozial, migrationsbedingt, wirtschaftlich, religiös, kulturell bedeutsam sind.4 3 Bei vielen geografischen Objekten außerhalb des zusammenhängenden deutschen sowie slowenischen Sprachraums lassen sich exonymische deutsch-slowenische Namenpaare ausmachen, die aus diversen historischen Sprachkontaktprozessen resultieren, z. B. dt. Venedig – sln. Benetke für it. Venezia, dt. Prag – sln. Praga für tschech. Praha usw. 4 Beispielsweise war einst die deutsche Stadt Köln (am Rhein) als spätmittelalterlicher Pilgerort für die Slowenen bedeutsam, was sich in dem lautlich adaptierten slowenischen Exonym Kelmorajn niederschlägt. Durch die phonetische Anpassung von Köln am Rhein beugte man die Verwechslung mit dem Namen Kolín vor. Kelmorajn ist längst in Vergessenheit geraten bzw. kommt lediglich in historischen Kontexten literarischer Werke vor. Umgebung der Siedlung, deren römischer Name nach Kladnik/Perko Salisburgum gewesen sein soll,7 zurückzuführen sind.8 Im digitalen Exonym-Wörterbuch von Kladnik/Perko (2013: 12f.) fallen insbesondere die Anweisungen bzw. Empfehlungen zum Exonymgebrauch ins Auge. Sie folgen einer Bewertungsskala, wofür folgende Kriterien genannt werden: grammatische Korrektheit, obligatorischer Gebrauch nach den internationalen Gebrauchsstandards für einzelne Namengruppen, ausgehend von UNO-Resolutionen (z. B. Staaten, Seen, unbesiedelte Regionen), Korrektheitsgrad bezüglich der Herkunft und Adjektivbildung, Tradierung des Exonymgebrauchs, Präferenz für slowenische appellativische Namenbestandteile wie auch für kürzere Namenformen, geografische Entfernung von Slowenien, Umfang des Bezugsgebietes, weltweite Namenbedeutung, Potenzial der Namenproduktivität. Aufgrund der genannten Kriterien, denen ein gewisses Maß an „Subjektivität“ (ebd.: 13) eingeräumt wird, wird ein fünfstufiges Bewertungsmodell erstellt. Greift man auf Informationen zu einigen ausgewählten Exonymen zurück, so werden z. B. Inomost/Inšpruk, Lipsko, Branibor, Bolcan als „unangemessen“, Badensko , Draždane, Hessensko hribovje, Mecklenburška als „nicht empfehlenswert oder unnötig“, Brandenburška, Dunajsko Novo mesto als „weniger empfehlenswert“, Aniža, Dunajski gozd, Gradišcanska, Severno Porenje-Vestfalija als „empfehlenwert“ und Bavarska und Dunaj als „notwendig“ eingestuft. Die einzelnen Einstufungen resultieren aus dem online zugänglichen Kommentar der Autoren, dass sie die entsprechenden Informationen zur aktuellen Gebrauchsweise der slowenischen Exonyme liefern wie auch zur weiteren „Vereinheitlichung“ ihres Gebrauchs beitragen wollen, was eine eindeutige Identifikation der benannten Objekte ermöglichen würde. Darüber hinaus würden die etymologischen Erklärungen eine Basis für die endgültige Standardisierung darstellen. Als ein wichtiges Ziel des Wörterbuches wird auch die systematische Erfassung der Namen als nationales und internationales Kulturgut (Kladnik/Perko 2013) genannt.9 7 Reiffenstein (1990: 193) hält zum Namen der Stadt Salzburg zur Römerzeit fest: „Die etwa in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. entstandene Römerstadt trug den Namen luvavum, einen nichtlateinischen Namen, den die Römer von der (keltischen) Vorbevölkerung übernommen haben.“ Neben dem digitalen Zugang zu den einzelnen slowenischen und auch mehrsprachigen Exonymen sowie dem durchaus informativen Charakter der Einträge stellen – aus linguistischer Sicht – insbesondere Gebrauchsanweisungen anhand einer ausgewählten Bewertungsskala den Versuch dar, eine systematische Herangehensweise an die slowenischen Exonyme anzubahnen. Ein weiterer digitaler Rückgriff auf einzelne Exonyme zeigt, dass die Steuerung ihres Gebrauchs eine herausfordernde Aufgabe darstellt. Das digitale Textkorpus des 8 Bei Solnograd geht es eigentlich um eine „Remotivierung“ (Harnisch 2017: 250) nach dem tschechischen Vorbild (Harvarlík/Valentinová 2018: 148), wenngleich im Tschechischen parallel zu Solnograd auch Salcpurk existierte (ebd.). 9 Kommentar zum Wörterbuch (Kladnik/Perko 2013; unter https://www.termania.net/slovarji/129/ slovar-slovenskih-eksonimov; Zugriff: 20.10.2021). Elsass (franz. Strasbourg, dt. Straßburg, elsäss. Schdroosburi), in Südtirol (it., Bolzano, dt. Bozen, ladinisch Bulsan/Balsan) oder im Burgenland (z. B. dt. Kittsee, ung. Köpcsény, slowak. Kopcany, kroat. Gijeca, vgl. Földes 2020: 186) der Fall ist. Darüber hinaus sind in den meisten und auch in den genannten Regionen Europas zwei- bzw. dreisprachige Ortstafeln sichtbare Symbole der sprachlichen Koexistenz im Alltag. 2.3.1 Kärnten/Koroška Im Falle des Sprachenpaares Deutsch-Slowenisch liegt das gegenwärtige zweisprachige bzw. gemischtsprachige Gebiet im österreichischen Kärnten (und in einigen Teilen der Steiermark), in dem zweisprachige geografische Namen wie etwa Achomitz und Zahomec, Aich und Dob, Bleiburg und Pliberk (vgl. Pohl 2020: 25) auf die Koexistenz zweier Sprachen verweisen. Beim deutsch-slowenischen zweisprachigen Gebiet in Kärnten handelt es sich einerseits um die südlichste Kontaktregion des zusammenhängenden deutschen Sprachraums und andererseits um den nördlichsten Kontaktraum des zusammenhängenden slowenischsprachigen Gebietes, das nach Pohl (ebd.) ein „Rückzugsgebiet“ darstellt, da das ursprüngliche Areal der slawischen Besiedlung bis nach Osttirol reichte. Kärntner slowenische und deutsche Namen sind digital auf der Webseite von Heinz- Dieter Pohl (http://members.chello.at/heinz.pohl/) unter dem Kapitel „Namenkunde“ (http://members.chello.at/heinz.pohl/Namengut.htm) zugänglich; hier sind auch weitere onomastische und kontaktlinguistische Inhalte verfügbar, darunter das „Kärntner zweisprachige Ortsnamengut“, seine Etymologie, wobei auf dessen sensible kulturelle und identitätsstiftende Bedeutung hingewiesen wird. Die zuletzt erschienene Monografie Pohls „Kärnten/Koroška. 1000 Jahre gemeinsames slowenisches und deutsches Namengut“ (Pohl 2020: 24f.) legt eine ausführliche Typologie der deutsch-slowenischen Namenpaare Kärntens offen. Grundsätzlich wird zwischen den „im Deutschen gebrauchten“ und „im Slowenischen gebrauchten“ Namen unterschieden; sie sind jeweils entweder „etymologisch deutsche Namen“ oder „etymologisch slowenische Namen“, des Weiteren noch „Übersetzungsnamen“ (die entweder zu etymologisch deutschen oder etymologisch slowenischen Namen gehören), „verschieden benannte Objekte“ und „etymologisch weder slawische noch deutsche Namen“ (ebd.). Die Typologie liegt dem ausführlichen zweisprachigen toponomastischen Namenverzeichnis zugrunde (Pohl 2020), dem ein online zugängliches Ortsnamenverzeichnis (Abb. 5) vorausgeht. 2.3.2 Gottschee/Kocevsko Wenn äußere Zeichen wie Ortstafeln trotz historisch gewachsener Mehrsprachigkeit ausbleiben, bleiben Referenzen vor Ort ohne Symbol und Referenten ohne Symptom; beim Ausbleiben von mehr- bzw. zweisprachigen Ortstafeln ist die Mehrsprachigkeit der Ortsbewohner nicht sichtbar. Dies ist sehr oft in Gebieten der Fall, die von Sprachverlust und -erosion betroffen sind, wie etwa im Gebiet der ehemaligen Gottscheer Sprachinsel, obwohl für das Gottscheer Gebiet bzw. seine Siedlungen Namen in drei Sprachen bzw. Sprachvarietäten existieren (wie etwa dt. Altsag, gottsch. Autshug und sln. Stare Žage). Bekanntlich hängt die Spracherosion mit der Auflösung der Gottscheer Sprachinsel als Folge der Umsiedlung von 95 % der Gottscheer 1941/1942 zusammen (vgl. Ferenc 2020), sodass in der Gottschee nur wenige Gottscheer Familien als Restminderheit verblieben sind. Nach der Flucht aus dem Umsiedlungsgebiet in der Untersteiermark und der darauffolgenden Migration zerstreuten sich die Gottscheer in der ganzen Welt. Die Eckdaten zur Gottscheer Sprachinsel sind insofern wichtig, als die weltweit zerstreuten Gottscheer digital eine Gemeinschaft bilden, die durch die digitale Vernetzung international sichtbar ist. Dass sie ihre Zugehörigkeit zur Gottscheer Gemeinschaft, Sprachinselgeschichte und -kultur weiter pflegen, sei es in den USA, Kanada, Deutschland, Österreich oder Slowenien, wo sie Gottscheer Vereine gründen, bekunden sie (multi)medial, zunächst durch die Presse, wie etwa die Gottscheer Zeitung.12 Darüber hinaus lässt die Online-Medialisierung von Gottscheer Inhalten auf diversen Webseiten durchaus eine identitätsstiftende und vernetzte Gemeinschaft erkennen. Als Beispiel sei das Portal „GOTTSCHEE DIGITAL“ (https://www.leustik.com/ gd/) genannt, das die Polyfunktionalität der angebotenen digitalen Informationen und des Quellenmaterials sowie der Mehrfachadressiertheit erkennen lässt: Mit dem Ziel der Archivierung, Aufbewahrung des Kulturerbes, Darstellung der Geschichte wie auch des Informierens über aktuelle Ereignisse in der Gottschee und in den Gottscheer Vereinen weltweit wird ein abwechslungsreicher digitaler Zusammenhang zwischen dem bzw. den Phänotext(en) und diversen Referenztexten und -medien hergestellt, darüber hinaus kann über Postings der Kommentarforen seitens der Nutzerinnen und Nutzer „die Intertextualitätsrezeption erschlossen werden“ (Polajnar/Luth 2021: 103, vgl. auch Polajnar 2019). Hierbei spielen auch Ortsnamen aus der Gottscheer Sprachinsel eine bedeutende Rolle, die in Ortsnamenverzeichnissen erfasst wurden: 12 Das weltweit vertriebene Informationsblatt der Gottscheer im Ausland wie auch in Slowenien, das seit 1955 in Klagenfurt bis heute monatlich erscheint, ist eine Fortsetzung der in Gottschee herausgegebenen Gottscheer Zeitung aus der Zwischenkriegszeit (1919–1941). Abb. 8: Übersichtskarte (Aibel); unter https://www.leustik.com/gd/wp-content/uploads/2021/01/g- ub-cd5.jpg (Zugriff: 30.12.2021) Abb. 9: Detailkarte (Aibel); unter https://www.leustik.com/gd/ (Zugriff: 30.12.2021) Diese Pflege soll nach Pohl „keine volkstumspolitische, sondern eine kulturpolitische sein“, die das Ortsnamensgut „ganz allgemein ins öffentliche Bewusstsein bringt“ (ebd.). Durch die Online-Medialisierung des Ortsnamensgutes ist die Möglichkeit gegeben, die zwei- bzw. mehrsprachigen Namen mindestens digital offenzulegen, um durch die digitale Sichtbarkeit den öffentlichen Diskurs über die Mehrnamigkeit anzuregen. 2.4 Deutsche Namen für slowenische Orte Geht es um die aus der Sprachkontaktgeschichte resultierenden Namen bzw. Namenpaare, wird bei der Interpretation von deutsch-slowenischen zweisprachigen Namen für Slowenien in den digitalen deutschsprachigen Texten der geschichtliche Hintergrund berücksichtigt, denn Namen wie etwa Laibach, Marburg an der Drau, Rudolfswert , Stein, Adelsberg, Oberlaibach, Krain, Oberkrain, Weißkrain sind im Deutschen keinesfalls zufällig. Die genannten deutschen Namen beziehen sich auf Orte und Regionen Sloweniens, die seit 1918 slowenische Namen tragen. Das slowenische Areal ist bekanntlich von der vielfältigen Sprachkontaktgeschichte geprägt, in der das Deutsche und das Slowenische aus diversen Gründen dreizehn Jahrhunderte lang koexistierend waren, sodass „ein und derselbe Ort synchron und diachron teils zahlreiche unterschiedliche Namen tragen kann“ (Greule 2021: 180).14 Bis 1918 gehörten in den vormaligen slowenischen Kronländern die referenzidentischen slowenischen und deutschen Toponyme (z. B. Ljubljana und Laibach) für ein und dieselbe geografische Gegebenheit zur historisch gewachsenen zweisprachigen Toponymie. Wurde die amtliche Zweisprachigkeit des Areals des heutigen Slowenien 1918 aufgehoben, kann die enge Verwobenheit der deutschen und slowenischen Toponymika keinesfalls bestritten werden, im Gegenteil: So wie in Kärnten bei der Namengebung einmal das Deutsche, das andere Mal das Slowenische auschlaggebend war (Pohl 2020), lassen zahlreiche akribische etymologische und kontaktlinguistische Studien (z. B. von Snoj 2009, Torkar 2015, Šekli 2020, Pohl 2020 u. a.) anhand von Quellenbelegen sowie inter- und intralingualen Vergleiche eine lang andauernde Interaktion zwischen dem Slowenischen und dem Deutschen (und auch weiteren Kontaktsprachen) erkennen, die in vielen Fällen eine gegenseitige Einflussnahme von Namen desselben Namenpaares belegen. Die zumindest administrative Zweisprachigkeit des slowenischen Gebietes bis Ende des Ersten Weltkrieges, das 1918 an den neu gegründeten Staat, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen fiel, wurde offiziell durch die Einsprachigkeit ersetzt – darunter auch die Benennung der geografischen Gegebenheiten des slowenischen Gebietes. Durch die langersehnte sprachliche Statusänderung des slowenischen Gebietes erlangte die slowenische Sprachgemeinschaft die bis heute andauernde muttersprachliche Homogenisierung des slowenischen Gebietes. Diachron gesehen gab es nach 1918 zeit- und stellenweise (insular) zwei historische Gegebenheiten, die das Deutsche offiziell möglich machten: Durch die Statussicherung der Gottscheer Gemeinschaft als (Sprach-)Minderheit in der Zwischenkriegszeit (1918–1941) wie auch durch die von 14 Die historisch generierte Zweisprachigkeit von Ortsnamen findet sich zum Beispiel auch in Bosnien-Herzegowina (s. Memic 2019, Radanovic 2020). Das retrodigitalisierte Verzeichnis (Abb. 11) bietet einen Einblick in die zweisprachigen Namen während der nationalsozialistischen Besatzungszeit, die abgebildete Tabelle bringt Ortsnamenspaare aus dem Landkreis Stein (Kamnik). Die Namenspaare im Verzeichnis wurden größtenteils (bis dato ebenfalls retrodigitalisierten) älteren Ortsverzeichnissen entnommen (z. B. Stein, Domschal, Depelsdorf, Sankt Paul usw.).15 Die Namenpaare lassen unterschiedliche interlinguale Beziehungen erkennen, die hier nur am Rande erwähnt werden können, jedoch zum Gegenstand weiterer kontrastiver Studien der bilingualen Toponoymie werden sollen. Neben formativisch unterschiedlichen Scherenbüchel und Cešenik, Depelsdorf und Depala vas, semantischen Äquivalenten Aich und Dob, Mischformen aus lautlich adaptieren slowenischen Wörtern und Übersetzungsäquivalenten (Latschenberg für Lacni vrh) fallen jedenfalls nicht nur phonologische Anpassungen wie etwa Bresowitz für Brezovica sowie lautlich und graphematisch kaum adaptierte Formen wie Gorjuše, Laase, Studenz auf, sondern auch die in beiden Sprachen identischen Formative wie Raca, Zaboršt, Žeje. Dies wird durch die intertextuelle Verknüpfung entschlüsselt, da sich dem Vorwort des „Gemeinde- und Ortsverzeichnisses“ (1942: 2) entnehmen lässt, dass eine künftige „Verdeutschung aller noch nicht festgesetzten Ortsnamensformen“ vorgesehen wurde. Soziolinguistische Betrachtungen sind insofern relevant, als sie die Namen in Verbindung mit den gesellschaftlichen Umständen sowie Umbrüchen bringen, in denen die Namen bestimmte Konnotationen erhielten. Die semantischen Wissensbestände zu den Namen, die vordergründig eine „Monoreferenz“ aufweisen und der Identifizierung und Individualbenennung dienen (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2015: 20–23), hängen eng mit ihrer Verwendung unter weiten kulturell, gesellschaftlich und politisch geprägten Umständen zusammen, sodass sie diversen Bewertungen, die unter diesen Umständen aufgekommen sind, unterliegen. Deutsche Toponymika wie etwa Laibach, Krainburg, Stein waren, wie die soziale Praxis zeigt, in Slowenien bekanntlich insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg stark (negativ) konnotiert (Krevs Birk 2022 i. Dr.), denn das Deutsche war in Slowenien nach 1945 verpönt, was mit dem Schicksal der Deutschen im Nachkriegsslowenien zusammenhängt.16 Jedoch reichen die Anfänge der sozialen Bedeutung von deutschen Toponymen für den slowenischen Raum bis ins 19. Jahrhundert zurück, als sich die slowenische Sprache und Kultur im Konkurrenzkampf mit der deutschen in allen öffentlichen Domänen zu etablieren begann. Die soziale, im gesellschaftlichen Diskurs erworbene und tradierte Semantik, die die deutschen Namen (wie etwa Laibach, vgl. auch Scheuringer 2017: 192–195) für den slowenischen Raum erwarben, führte nach 1918 zu ihrer Meidung in deutschsprachigen Texten und Diskursen, was u. a. die germanistische Ausbildung in Ljubljana reflektierte (Grah/Klinar 2005, Krevs Birk 2022 ebd.). Vor dem Hintergrund des Zusammenspiels von gesellschaftlichen Umbrüchen und der Meidung der deutschen Namen in Slowenien im 20. Jahrhundert (Krevs Birk 2022, 15 Special-Orts-Repertorium von Krain: Neubearbeitung auf Grund der Ergebnisse der Volkszählung vom 31. December 1890; unter https://dlib.si/details/URN:NBN:SI:DOC-ATNTI3MV (Zugriff: 24.10.2021). 16 Für eine ausführliche Beschreibung des Schicksals der deutschen Minderheit in Slowenien nach 1945 s. Ferenc (2020, 232–236). Darüber hinaus enthält die jüngste Eintragsversion (Stand: 09.09.2021) neben den im Titel angekündigten „deutschen Namen für slowenische Orte“ auch Listen („weitere Bezeichnungen“) ausgewählter Flüsse-, Gewässer-, Gebirgsnamen sowie Namen von einigen slowenischen Regionen und Landschaften. Durch die zitierten Verweise im Wikipedia-Eintrag wird eine polyvalente digitale Medialisierung der Namenpaare erreicht, die man im medialen Verbreitungsprozess einerseits wikipedia-intern, d. h. sowohl innerhalb des Kommunikationsraums Wikipedia als auch intratextuell, innerhalb des Wikipedia-Eintrags, und – andererseits – wikipedia- extern durch den Zugriff auf weitere digitale sowie nichtdigitale Texte erschließen kann. Diskursivlinguistisch betrachtet handelt es sich hierbei um einen Modus, durch den auch mehrsprachige Toponyme, Endonyme sowie Exonyme, nicht nur digitalisiert, sondern zugleich „konstruiert, legitimiert und distribuiert“ (Roth/Wengeler/ Ziem 2017: IX, vgl. auch Polajnar/Luth 2021) werden. 3 SCHLUSS Der Überblick der exemplarisch vorgestellten Namenpaare bzw. Verzeichnisse aufgrund digitaler Texte und Diskurse verweist auf die Möglichkeit einer weiteren Nutzung digital zugänglicher Namenpaare, die als Untersuchungskorpora für kontrastiv- und kulturlinguistische, translatologische, etymologische, sozio- und diskurslingusitische Analysen dienen können. Zudem werfen gegenwärtig alte und neue Formate der Kommunikation, mono- oder multilingual, in schriftlichen sowie multimedialen Texten und Diskursen neue Fragestellungen zur Geschichte, Semantik und Gebrauchsweise( n) von mehrsprachigen Namen auf, da die „fundierte Kenntnis der Mehrnamigkeit und die Erklärung ihres Zustandekommens im Einzelfall wichtig und hilfreich [sind], um Konflikte zu entschärfen oder gar nicht aufkommen zu lassen“ (Greule 2021: 187). Die Online-Digitalisierungen zeigen außerdem, dass sowohl die slowenischen als auch die deutschen geografischen Namen, Endonyme oder Exonyme, aus synchroner oder diachroner Sicht zum historisch gewachsenen (inter-)nationalen Namen- und Kulturgut gehören und als solches entsprechend wahrgenommen und erforscht werden müssen. Literatur CIGALE, Matej/Anton Alojzij WOLF (1860) Deutsch-slovenisches Wörterbuch. URN:NBN:SI:DOC-PKL1Z02C. http://www.dlib.si [10.10.2021]. CIGALE, Matej (1869–1877) Slovenski atlant. Kartografsko gradivo. Ljubljana: Matica slovenska. Die 164 Ortstafeln auf einen Blick. http://members.chello.at/heinz.pohl/Ortstafeln.htm [05.10.2021]. Dunajsko Novo mesto. https://viri.cjvt.si/gigafida/Concordance/Search?Query =Dunajsko+ Novo+mesto [05.10.2021]. ENCEVA, Milka (2018) „Sprachkontakte zwischen Deutsch und Slowenisch am Beispiel zweisprachiger Ortsnamen.“ Godišnik cuždi jezici i kulturi 1, 196–217. 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Zusammenfassung SYNCHRONE BETRACHTUNG MEHRSPRACHIGER GEOGRAFISCHER NAMEN DES SPRACHENPAARES DEUTSCH–SLOWENISCH ANHAND DIGITALER TEXTE UND DISKURSE Im Beitrag wird das Vorkommen ausgewählter zweisprachiger deutsch-slowenischer Toponymika in digitalen Texten und Diskursen aufgegriffen, um die aktuelle Medialisierung historisch gewachsener deutsch-slowenischer toponymischer Zweisprachigkeit exemplarisch zu erfassen. Da bei der Einteilung der Namenpaare für dieselbe geografische Gegebenheit vordergründig der geschlossene Sprachraum entscheidend ist, folgen die exemplarischen Darstellungen den einzelnen Namenpaartypen und deren sozio- und diskursivlinguistischen Charakteristika. Für Namenpaare, die im zusammenhängenden deutschen Sprachraum (sln. Dunaj – dt. Wien), im slowenischen Sprachraum (sln. Ljubljana – dt. Laibach), in deutsch-slowenischen gemischtsprachigen Gebieten, die insular (sln. Stare Žage – dt. Altsag in der Gottschee) oder in Sprachkontaktregionen (sln. Železna Kapla – dt. Bad Eisenkappel in Kärnten, auch in der Steiermark) vorkommen, werden jeweils zwei digitale, online zugängliche Texte präsentiert, die diese Namenpaare im digitalen Format distribuieren und aus synchroner Sicht zur diskursiven Dynamik der slowenischen und deutschen zweisprachigen Toponymik beitragen. Schlüsselwörter: Deutsch, Slowenisch, Toponyme, Zweisprachigkeit, Digitalisierung Abstract SYNCHRONICAL VIEW ON THE MULTILINGUAL TOPONYMS OF THE GERMAN-SLOVENE LANGUAGE PAIR IN DIGITAL TEXTS AND DISCOURSES The study discusses the occurrence of bilingual German and Slovene geographical names in digital texts and discourses. The digital medialization of the historical bilingual toponyms is presented with examples of digital texts, which corelate with the toponymical pairs classified according to the language area such as German-language area (Sl. Dunaj – Ger. Wien), Slovene-language area (Sl. Ljubljana – Ger. Laibach), bilingual area in the former insular area of Gottschee (Sl. Stare Žage – Ger. Altsag) and the bilingual area of Austrian Carinthia and Styria (Sl. Železna Kapla – Ger. Bad Eisenkappel ). After presenting the relevant sociolinguistic factors of the bilingual toponymical pairs, the article proceeds to an analysis of two digital examples for each of them. They show how the digital format distributes and increases the discursive dynamics of diverse types of Slovene and German bilingual toponymy. Keywords: German, Slovene, toponyms, bilingualism, digitalization Povzetek SINHRONI POGLED NA VECJEZICNA GEOGRAFSKA IMENA JEZIKOVNEGA PARA NEMŠCINA–SLOVENŠCINA V DIGITALNIH BESEDILIH IN DISKURZIH Prispevek obravnava pojavitve dvojezicnih nemško-slovenskih geografskih imen v digitalnih besedilih in diskurzih. Z vidika strnjenosti jezikovnega prostora oznacujejo slovenski in nemški dvojezicni toponimi nemški jezikovni prostor (npr. slov. Dunaj – nem. Wien), slovenski jezikovni prostor (npr. slov. Ljubljana – nem. Laibach) ter dvojezicni nemško-slovenski prostor, ta pa se pojavlja na obmocju nekdanjega jezikovnega otoka (npr. slov. Stare Žage – nem. Altsag na Kocevskem) ter v sticnih dvojezicnih regijah (npr. slov. Železna Kapla – nem. Bad Eisenkappel na avstrijskem Koroškem, Štajerskem). V prispevku so prikazane nekatere sociolingvisticne znacilnosti nemško- slovenskih toponimicnih parov, digitalna medializacija te zgodovinsko pogojene toponimicne dvojezicnosti, ki jo ponazarjajo izbrani zgledi digitalnih besedil, pa pomembno prispeva k diskurzivni dinamiki nemških in slovenskih dvojezicnih toponimov. Kljucne besede: nemšcina, slovenšcina, geografska imena, dvojezicnost, digitalizacija Wortschatzförderung in den verschiedenen Lehrplänen (in den Bundesländern und in der Schweiz) spielt. Es wird jedoch betont, dass „Bildungsstandards sowie Lehrpläne i.d.R. keine Hinweise zur Art der Vermittlung [geben]: Das ist Sache der Lehrpersonen bzw. der Ausbildungsstätten, die auch aufgefordert sind, neue wissenschaftliche Befunde aufzunehmen.“ (S. 17) Anschließend werden wichtige Zusammenhänge von Wortschatz und verschiedenen Kompetenzbereichen erläutert, wobei auch die Problematik der Leistungsunterschiede unter den Lernenden angesprochen wird: In Studien zum Wortschatzumfang von Kindern konnte beobachtet werden, dass die Differenzen im Wortschatzumfang (die auch mit dem sozioökonomischen Status der Lernenden zusammenhängen) während der schulischen Ausbildung stabil bleiben oder sogar größer werden. Der Einfluss der Schule auf den Wortschatzerwerb sollte nach Ansicht der Autorinnen deshalb aber nicht unterschätzt werden. Vielmehr geht es um die Frage, welche Formen der Vermittlung effektiver und geeigneter sind. Nach den ersten zwei einführenden Kapiteln wird der Schwerpunkt im dritten Kapitel nun auf die Grundbegriffe der Lexikologie gelegt. Zunächst werden die Termini Lexikon, mentales Lexikon, Wortschatz definiert, anschließend werden aus der Psycholinguistik und der kognitiven Lexikologie bekannte Verarbeitungsprozesse und Begriffe wie produktiver vs. rezeptiver Wortschatz, Wortschatzumfang und -tiefe, Wortwissen erklärt. In diesem Kapitel werden auch Wörterbücher behandelt, Wörterbuchtypen vorgestellt, des Weiteren wird in diesem Zusammenhang auf die mangelnden Nachschlagekompetenzen von SchülerInnen hingewiesen. Bezüglich der Förderung des Umgangs mit Wörterbüchern formulieren die Autorinnen einige Vorschläge. Kapitel 4–7. erläutern weitere Grundbegriffe und Wortschatzphänomene. Kapitel 4 präsentiert die Zeichenmodelle von Saussure, Morris und Bühler, außerdem werden die Begriffe Lexem, Morphem, Motivierung, Phraseologismus etc. erklärt. Mit Bezug auf Frames und Skripts wird ausgeführt, wie Frames und Skripts in der Schule bei Schreibübungen zur Aktivierung des sprachlichen Wissens der Lernenden genutzt werden und wie dadurch „die schriftliche Formulierungsflüssigkeit zusätzlich gefördert wird“ (S. 53). Kapitel 5 befasst sich mit Bedeutungsbeschreibungen und lexikalischen Relationen. Im Zusammenhang mit der Bedeutung werden auch die verschiedenen Formen der Unterspezifikation im Lexikon (Ambiguität, Vagheit, Kontextabhängigkeit) thematisiert. Schließlich werden die Bedeutungsrelationen und die Wortfelder kurz dargelegt. Kapitel 6 und 7 fokussieren die Wörter im Sprachvergleich, Wandelphänomene (Archaisierung, Neologismen, Entlehnung, Bedeutungswandel), das Deutsche als plurizentrische Sprache und die Varietäten-Vielfalt des Deutschen. Nach dem Überblick über die wichtigsten Gegenstände und Begriffe der Lexikologie steht im letzten Kapitel wieder die sprachdidaktische Perspektive im Mittelpunkt. Kapitel 8 stellt die Frage in den Fokus, was eine wirksame schulische Wortschatzvermittlung und –förderung auszeichnet. Verschiedene Förderansätze werden präsentiert und charakterisiert, die sich in die zwei Grundtypen implizites Lernen und explizite Wortschatzvermittlung einordnen lassen. Hier wird erklärt, welcher Wortschatz mit Hilfe des jeweiligen Ansatzes gefördert werden kann. Es wird hervorgehoben, dass das implizite Erlernen von Wörtern, das „über den sprachlichen Input“, sozusagen „beiläufig“ erfolgt (S. 95), beim Erwerb des alltagssprachlichen Wortschatzes wirksam ist, allerdings ist dieser Ansatz vor allem bei SchülerInnen mit guten Lesekompetenzen effektiv. Bei dem impliziten Lernen besteht also die bereits im zweiten Kapitel erwähnte Gefahr, dass die Unterschiede im Wortschatzumfang durch die Schule noch größer werden können. Als alternative Ansätze der Wortschatzförderung bieten sich die expliziten und systematischen Vermittlungsformen: die isolierte Wortschatzvermittlung, die lexikon- und textorientierte Vermittlung, die sog. robuste oder interaktive Wortschatzarbeit und die genrespezifische Wortschatzvermittlung. Unterkapitel 8.6 enthält auch Empfehlungen zur Förderung des Wortschatzes im Bereich Schreiben. Auf den letzten Seiten des Buches befinden sich neben dem Literaturverzeichnis auch die Lösungsvorschläge für die Aufgaben sowie ein Glossar der wichtigsten Termini. Neben der klassischen Einführung von Thea Schippan (2002) gibt es im Bereich der Wortschatzlehre zahlreiche Lehrbücher, die die theoretischen und methodischen Grundlagen der Lexikologie und der Wortschatzanalyse vermitteln (vgl. z.B. Römer/ Matzke 2010, Wanzeck 2010, Elsen 2013). Diese Lehrbücher sind i.d.R. als Grundlage bzw. Begleitlektüre für Seminare gedacht, dementsprechend richten sie sich in erster Linie an den wissenschaftlichen Nachwuchs. Da sie nicht für sprachdidaktische Zwecke konzipiert wurden, liegt der Schwerpunkt auf der sprachwissenschaftlichen Perspektive. Im Buch von Römer und Sturm werden Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik, Sprachtheorie und Unterrichtspraxis miteinander verbunden. Das Zielpublikum bilden neben Lehramtsstudierenden vor allem LehrerInnen, die sich im Bereich Wortschatzförderung fortbilden möchten. Für Studierende im Hauptstudium dürfte sich das Buch an einigen Stellen als nicht detailliert genug erweisen, da bestimmte Themen (wie z.B. die Entlehnung oder der Bedeutungswandel) nur in großen Zügen, auf das Wesentliche beschränkt beschrieben werden. Die Publikation ist in erster Linie für diejenigen empfehlenswert, die sich in den wortschatzbezogenen Fragen der Muttersprachendidaktik vertiefen möchten, sie kann aber auch LehrerInnen im DaF-Unterricht wichtige Impulse geben. Literatur ELSEN, Hilke (2013) Wortschatzanalyse. UTB Band 3897. Tübingen/Basel: A. Francke Verlag. RÖMER, Christine/Brigitte MATZKE (2010) Der deutsche Wortschatz. Struktur, Regeln und Merkmale. Tübingen: Narr Francke Attempto. SCHIPPAN, Thea (2002) Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. 2., unveränderte Auflage. Tübingen: Niemeyer. WANZECK, Christiane (2010) Lexikologie. Beschreibung von Wort und Wortschatz im Deutschen. UTB Band 3316. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. DOI: 10.4312/linguistica.61.1.141-145 Stojan Bracic*1 * Stojan.Bracic@ff.uni-lj.si Universität Ljubljana Vilmos Ágel (2017) GRAMMATISCHE TEXTANALYSE. TEXTGLIEDER, SATZGLIEDER, WORTGRUPPENGLIEDER Berlin/Boston: De Gruyter. 1 GRUNDLAGEN DER GRAMMATISCHEN TEXTANALYSE Die zu besprechende Grammatik von Vilmos Ágel ist ein sehr umfangreiches Werk (941 Seiten). Es handelt sich um eine theoretisch konzipierte wissenschaftliche Grammatik, die nur bedingt etwa auch zu didaktischen Zwecken benutzt werden könnte. Der Vorteil dieser Grammatik ist auf der anderen Seite darin zu sehen, dass sie mit ihren detaillierten Darstellungen grammatischer Fragen der deutschen Sprache zum kritischen Nachdenken über traditionell interiorisiertes grammatisches Wissen anregt. Es ist eine Textgrammatik, welche die grammatischen Relationen nicht von unten nach oben (vom Wort über das Satzglied bis hin zum Text, also traditionell bottom-up), sondern von oben nach unten, also beginnend beim Text in der top-down-Perspektive, angeht. Dieser Orientierung liegen Beobachtungen zugrunde, dass nicht jedes sprachliche Zeichen im Satz einem Satzglied zugeordnet werden könne, dass also die Satzgliedbestimmung in der bottom-up-Perspektive bei gewissen Elementen der linearen Satzstruktur auf der Strecke bleibe. Ein Umstand, der sich bei der traditionellen syntaktischen Satzanalyse manchmal in der Tat als frustrierend herausstellt. Das Problem kann jedoch auch so umgangen werden, dass man auf den Skopusbegriff ausweicht: Partikeln und Modalwörter, z.B., können in einem Satz keinen Satzgliedwert haben, weil sie satzbezogen, im Prinzip also satzäquivalent und daher auch als Satz paraphrasierbar sind. Anders bei Ágel: Er geht auf drei Ebenen heran: Nach den „Grundlagen der grammatischen Textanalyse“ im Kapitel I befasst er sich im Kapitel II auf der Textebene mit Textgliedern, die er auch als die grammatischen Makroglieder von Texten benennt; im III. Kapitel behandelt er die Satzglieder als grammatische Mesoglieder von Texten und auf der untersten, der sog. Mikroebene (IV. Kapitel), nimmt er die Wortgruppenglieder als die grammatischen Mikroglieder von Texten unter die Lupe. Alle theoretischen Ansätze wendet er systematisch auf denselben Analysetext an. In Kapitel V ist der Apparat angeschlossen. Dem I. Kapitel (I GRUNDLAGEN DER GRAMMATISCHEN TEXTANALYSE) geht die Einleitung zur Lektüre mit Erklärung der Darstellungskonventionen voraus. Vorauszuschicken ist: Das Buch ist ingesamt ein wertvoller Beitrag zur Germanistischen Linguistik. Es ist jedoch so umfangreich, dass man es in einer Rezension nur annähernd adäquat besprechen kann. Deshalb wird hier im Weiteren – um den roten Faden nicht ganz zu verlieren - so vorgegangen, dass einige Schwerpunkte ausgewählt werden, die besonders auffallen. Stellenweise werden gewisse Positionen des Autors (kritisch) hinterfragt. Das dürfte den Wert des Buches nicht mindern. Bevor zu den zentralen Kapiteln II, III, IV übergegangen wird, sollen kurze Anmerkungen zu der im Buch verwendeten Terminologie und zu der sog. Funktion-Argument-Wert-Formel gemacht werden. Dabei handelt es sich nämlich um zwei Subthemen, die im ganzen Text immer wieder auftauchen. Der Autor verwendet viele, z.T. auch metaphorisch angehauchte und fremdwörtliche Termini wie z.B. Recycling, Recyclator, recycelt, Doppelagent, Portmanteau- Junktor, Slot, Szenario, Anszenario, Impressio, konzentrisches Kuckuksei, dummy- Präpositionalgruppe (als, wie) (vgl. S. 789, 735, 683, 902, 238 u.a.m.). Diese Termini klingen in ihrer Menge innovativ, bergen aber - wie häufig bei der Verwendung von Fremdwörtern der Fall ist - die Gefahr, unpräzise zu bezeichnen, sich einer genauen Lesart zu entziehen. Daher wäre es wohl leserfreundlicher, Parallelen zur traditionellen Nomenklatur konsequenter zu ziehen. Vom uneingeleiteten Nebensatz ist z.B. in der ganzen Grammatik – wenn ich nichts übersehen habe - nur einmal die Rede, und zwar im Glossar im Rahmen des Stichwortes „Verbalkomplex“, obwohl diese Struktur in Ágels Grammatik häufig unter verschiedenen anderen terminologischen Bezeichnungen vorkommt. Im Werk sind allerdings einige terminologische Wortfelder genau erarbeitet und können als Muster dienen, wie man verschiedene, sich z.T. häufig semantisch überlappende Begriffe klar gegenüberstellen bzw. unter Beachtung von Hierarchien voneinander abgrenzen kann. Es folgen zur Illustration einige Beispiele. Das Szenario als Oberbegriff für den Sachverhalt eines Satzes unterteilt Ágel in Ereignisse (die mit Vollverben versprachlicht werden) und Nichtereignisse (die mit Prädikativgefügen versprachlicht werden). Das Szenario ist in seiner Klassifikation gleichrangig wie das Impressio (vgl. S. 874, 849, 894, 364, 336). Die Ereignisse wiederum zerfallen bei Ágel in Handlungen, Tätigkeiten, Vorgänge, Zustände; unter Nichtereignissen versteht er Klassenzuweisungen, Zustandszuweisungen und Eigenschaftszuweisungen (S. 364). Auch bei mehrteiligem Prädikat ersinnt Ágel ein kompliziertes terminologisches Feld. So verwendet er z.B. die Begriffe prädikative Streckformen (S. 316, 336), Kollokativgefüge, Prädikativgefüge, Prädikationskonstruktion, Prädikation(sträger), Prädikativprädikat Funktionsverbgefüge, Nominalisierungsverbgefüge, Verbalkomplex, Verbalgruppe, analytische Verbform (vgl. S. 179, 267, 316, 358, 364, 390, 497). Im Zusammenhang mit dem kohäsionsstiftenden Begriff Junktor (S. 197) werden auch folgende Termini verwendet: Kohäsionsglied, Konnektor, Junktor, Junktiv, Parajunktor, Konjunktor, Subjunktor, Junktion, Konjunktion, Subjunktion (S. 62, 63, 80, 859). Die Funktion-Argument-Wert-Formel (u.a. S. 18ff., 854, 30, 31, 567) wird im Buch in fast jedem neuen Kapitel bemüht. Sie ist nicht einfach durchschaubar. Grundsätzlich scheint dahinter die Dualität Form – Funktion zu stecken (vgl. u.a. S. 18, 21, 845). Mag sein, dass davon bei Formalisierungsversuchen zur digitalen Sprachverwendung Gebrauch gemacht werden kann. Stellenweise führt diese Formel jedoch zu Formulierungen, die schwer erschließbar sind: „Syntaktisch dynamische Prädikate stellen Anwendungen von syntaktischen Konstruktionen auf statische Prädikate dar …“ (S. 880). 2 TEXTGLIEDER: DIE GRAMMATISCHEN MAKROGLIEDER VON TEXTEN Die Unterscheidung von orthographischen und grammatischen Sätzen ist eigentlich eine Definitionssache. Dem sog. orthographischen Satz (dieser stehe zwischen einem Großbuchstaben und einem Satzzeichen, S. 11 und passim) den Satzwert abzusprechen ist daher zumindest unter dem kommunikativen Aspekt m.E. problematisch. Die unvollständige, prädikatlose Struktur allein kann hier schwer als alleiniges Kriterium für (Un)Grammatikalität akzeptiert werden. Grammatisch unvollständige Satzkonstruktionen (verschiedene Typen von Ellipsen, Apposiopesen, Anakoluthen, Isolierungen z.B.) vermögen mehr auszudrücken als nur das sog. Impressio (170 und passim). So inventiv und stellenweise wirksam einsetzbar die Bezeichnung Impressio auch sein mag, ihre Verwendung scheint nur begrenzte Berechtigung zu haben, und zwar nur dann, wenn die unvollständige Satzform einen besonderen schildernden Effekt realisiert. Das bewegt sich schon an der Grenze zur Stilistik, welcher Ágel explizit leider kaum Beachtung schenkt (s. unten). In der logischen Konsequenz dieses Kritikpunktes finde ich auch die Verwendung der Begriffe wie Nichtsatz, Existenzialnichtsatz, Gegenstandsexistenzialnichtsatz (S. 182 und passim) problematisch. 3 SATZGLIEDER: DIE GRAMMATISCHEN MESOGLIEDER VON TEXTEN Das Kapitel über das Prädikat ist im Buch besonders gründlich erarbeitet. Den vom Autor hoch eingeschätzten grammatischen Wert des Prädikats sieht man nicht zuletzt auch daran, dass die Prädikate in allen analysierten Belegen im Buch durchgehend fett gekennzeichnet sind. Er nennt das Prädikat „de/n/ archimedische/n/ Punkt unter den Satzgliedern“ (S. 255) und reiht es damit eindeutig unter die Satzglieder ein, wenn auch im weiteren Sinn. Die Aufgliederung des Prädikats in statisches und dynamisches Prädikat mag ihre theoretische Berechtigung haben, sie erschwert jedoch das einheitliche Erfassen dieses Satzgliedes. Die Klassifikation verschiedener Erscheinungsformen der Prädikatsdynamik ist genauestens differenziert (S. 397, 407), wie es sich für eine theoretische Grammatik eben gehört, seine (übermäßig) herausdifferenzierten Varianten (s. oben zur Terminologie) wären etwa für didaktische Bedürfnisse jedoch unbedingt auf eine überschaubarere duale Grundstruktur zuzuschneiden: auf die nominale Prädikatskomponente als den vorwiegenden Bedeutungsträger und auf die verbale Prädikatskomponente als die vor allem die Grammatikalität beisteuernde Größe. Im Einklang mit dem Kapitel zum Prädikat ist auch das Kapitel zur Verbvalenz auf sehr hohem theoretischem Niveau präsentiert (vgl. u.a. Seiten 47, 140, 407). Die Rede ist im Rahmen der Valenzänderung vom statischen Prädikat, vom kategorial dynamischen Prädikat, vom konstruktionell dynamischen Prädikat und im Rahmen der Valenzträgeränderung von der Umkategorisierung (mit 3 Unterarten), weiterhin von der Kontamination und der Substitution. Wenn man sich in die Differenzierung dieser Begriffe vertieft, muss man letztendlich einräumen, dass sie nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern das Ergebnis einer akribischen Erforschung sind. Die Frage ist nur, inwiefern das für einen nicht in erster Linie an reiner Theorie Interessierten1 1 Wie bei Ágel sind Personenbezeichnungen generisch zu verstehen. nützlich ist. Im engeren Sinne zerfallen bei Ágel die Satzglieder in Komplemente (Szenariokomplementierung) und Supplemente (Szenariokontextualisierung) (u.a. S. 255, 292, 17, 128). Es erhebt sich die Frage, ob die Kriterien für die Einteilung der Komplemente in zentrale und periphere überzeugend sind. Denken wir nur an die Bagatellisierung der Rolle von Partikeln als Füllwörtern bis zur nicht so weit zurückliegenden Zeit. Beim doppelten Akkusativ drängt sich die Frage nach der Legitimität des Prinzips auf, das Ágel »das Einmaleins der Satzgliedlehre« nennt (S. 49 und passim) und nach welchem dasselbe Satzglied in demselben statischen Satz nur einmal vorkommen dürfe (S. 49). Bei den Satzformen fallen vor allem die Formen der Nebensätze auf. Im Satzgefüge H. sagt, bald wird etwas geschehen. wird z.B. der Nebensatz bald wird etwas geschehen traditionell gesehen als ein uneingeleiteter Nebensatz klassifiziert. Bei Ágel hingegen wird dieselbe Konstruktion als „Akkusativobjekthauptsatz“ bezeichnet (S. 35), obwohl im Glossar von uneingeleitetem Nebensatz – zwar nur einmal – die Rede ist (S. 898). Auch die Bezeichnungen „abhängiger Hauptsatz“ sowie „Attributhauptsatz“ (S. 843) und „Attributtext“ (S. 844) verwundern einen traditionell ausgebildeten Germanisten. Im Buch vermisst man explizite Hinweise darauf, dass verschiedene abweichende Phänomene stilistische und pragmatische Funktionen erfüllen können. Einschlägige Schlagwörter zur Stilistik fehlen im Sachregister vollends, auf die Pragmatisierung wird nur in einer kurzen Fußnote 8 (S. 238) hingewiesen, wobei beide Begriffe zumindest querverweisend vielfach verwendet werden könnten (vgl. obige Bemerkungen zur Terminologie und etwa die Begriffe Verstehenspräferenzen (S. 469) oder pragmatische Alternativen, S.201). 4 WORTGRUPPENGLIEDER: DIE GRAMMATISCHEN MIKROGLIEDER VON TEXTEN Auf der Mikroebene erhebt sich für den kritischen Leser die Frage, ob Negationen in der Tat den Geltungsgrad ausdrücken, also als modalisierende Epistemikglieder aufgefasst werden können. Ist es nicht so, dass die Negation mit der Affirmation gleichwertig einen propositionalen Status in der objektiven Realität abbildet und gleichermaßen gewiss oder ungewiss sein kann (S. 128, 17, 849). Eine Negation lässt sich freilich in ihrer modalen Intensität aber auch variieren, z.B. mithilfe von gewiss (nicht), partout (nicht), absolut (nicht), keinesfalls… 5 APPARAT ist umfangreich und gut aufgegliedert in: 1 Leittext (Abdruck der Novelle von Siegfried Lenz „Landesbühne“ aus Die Zeit), 2 Quellen (weitere 58 literarische Werke), 3 Literatur (auf 33 Seiten!), 4 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen (aufgeführt nach der Kapitelgliederung), 5 Darstellungskonventionen (typographische und andere Marker), 6 Glossar - Verzeichnis der Fachausdrücke: (alphabetisch angeordnet, mit kurzen definitorischen Erklärungen, leider nicht konsequent mit einschlägigen Belegen ausgestattet), 7 Sachregister (sehr detailliert gegliedert und mit Bezug auf den Fließtext der Grammatik fast vollständig erfasst; s. oben Anmerkungen zu Pragmatik und Stil(istik)) und in 8 Wort- und Ausdrucksregister. 6 FAZIT Die hier besprochene Grammatik von Vilmos Ágel ist ein monumentales Werk, mit dem sich jeder Germanist vertraut machen sollte. Man braucht jedoch viel linguistisches Vorwissen und Ausdauer, um das Buch bis auf den Grund zu durchdringen. Es ist nämlich ein Werk mit hohem wissenschaftlichem Anspruch. LINGUISTICA LXI/1 (2021) Založila Znanstvena založba Filozofske fakultete Univerze v Ljubljani Izdal Oddelek za romanske jezike in književnosti Revue éditée par les Presses scientifiques de la Faculté des Lettres de l'Université de Ljubljana et publiée par le Département des Langues et Littératures Romanes Za založbo – Responsable Mojca Schlamberger Brezar Dekanja Filozofske fakultete – Doyenne de la Faculté des Lettres Glavna in odgovorna urednica – Rédactrice en chef Martina Ožbot Številko LXI/1 uredila – Numéro LXI/1 dirigé par Janja Polajnar Jezikovni pregled nemškega besedila Bernhard Winkler, Niko Hudelja Jezikovni pregled slovenskih povzetkov Darja Gabrovšek Homšak Jezikovni pregled angleških povzetkov Lilijana Burcar Tajnica redakcije – Secrétaire de rédaction Metka Šorli Dopise nasloviti na: – Prière d’adresser toute correspondance à : Martina Ožbot, Filozofska fakulteta Oddelek za romanske jezike in književnosti Aškerceva 2, 1000 Ljubljana, Slovénie linguistica@ff.uni-lj.si Tel.: + 386 1 241 13 98, Fax: + 386 1 425 93 37 Naklada: 400 izvodov – Tirage : 400 exemplaires Racunalniški prelom – Mise en page Žiga Valetic Tisk – Impression Birografika BORI, d. o. o., Linhartova cesta 1, 1000 Ljubljana Cena: 17 €