UDK 130.2:930.1 Mnemosyne - die Gegenwart des Vergangenen KARLMATTHAUS WOSCHITZ. OSTERREICH POVZETEK MNEMOSYNE - NAVZOČNOST PRETEKLEGA Pričujoči članek, "Mnemosyne - navzočnost preteklega", se ukvarja s "spominjanjem" kot temeljnim pojmom conditio humana in kot zgodovinsko-filozofsko kategorijo, v kateri se ohranja zgodovina. Študija se sooča s platonističnim naukom o anamnesis-u, v katerem je "umsko" spoznanje utemeljeno iz predznane resnice, ki je konstituirana kot "ponovno spominjanje", toda tudi s hebrejsko-krščansko miselno tradicijo, kjer doseže spominjanje stopnjo hermenevtične kategorije kot razlage življenja pred Bogom in kot posredovanje med umom in zgodovino. Krščanstvo razume samo sebe kot skupnost spominjanja in pripovedovanja nekega "zaznamovanega" začetka. Pozornost je namenjena tudi zgodovinsko-filozofskim tezam VV. Benjamina, v katerih postane spominjanje "zgodovinskega trpljenja sveta" medij uresničitve uma in svobode. I. Iiinfiihrung und Exposition des Problcmfeldes Das Erinnern gehort zum Humanum des Menschen, der nicht nur Nachkommen-schaft hat - das hat auch das Tier -, sondem Nachleben, und der Kraft der Erinnerung Zeiten und Raume zu iiberbriicken vermag. Das Gedachtnis einer Gemeinschaft ist Sammelbecken fiir die Erfahrungen und das angeeignete und tradierte Wissen, das das Tun und Erleben steuert, um fiir die Lebenden und die Nachfahren als Weisung und Ubung zu dienen. Es bildet sich ein BewuBtsein gemeinsamer Vergangenheit heraus, an der der Einzelne teilnimmt, aber auch mitwirkt'. Aus den vielfaltigen Formen einer sozial vermittelten und gruppenbezogenen Kommunikation kristallisieren sich kul-turelle und religiose Objektivierungen heraus, "Erinnerungsfiguren" (J. Assmann)2 wie z.B. Texte, Riten, Begehungen, Feste sowie Handlungsmuster. Aby Warburg spricht von "retrospektiver Besonnenheit" und "mnemischer Energie", kraft deren sich ein kulturelles Gedachtnis objektiviert und stabilisiert. Ein Beispiel: Der steingewor- 1 Zum Icommunikativen Gedachtnis vgl. At Halbwachs, Les cadres soiaux de la memorie, 1925. Ders., La mčmoire collective, 1950. 2 Kultur und Gedachtnis, Hrsg.v. J. Assmann und T. Holscher, Frankfurt/M. 1988,12. dene Ausdruck der Memoria begegnet uns im monumentalen Gedachtnis3 der altagyp-tischen Kultur, nach einem Wort G.F. I legel.s "das Land der Ruinen iiberhaupt". In dieser Steinkultur der Monumente und seinem Ewigkeits-Diskurs ist das Errichten von Denkmalern (jrt mnw) als heiligc Verpflichtung und hochste Form des Handelns verstanden mit dem Prinzip der hieratischen Stillstellung (J. Burckhardt), wo durch die Kanonisierung die Dinge an einen geheiligten Bestand gebunden werden und der Verewigung und der Uberwindung der Verganglichkeit dienen. Religionen sind an das Gedachtnis gebunden und haben einen thesaurus memoriae, einen Gedachtnisschatz und einen Gedachtnisboden. Gedachtnis ist apprascntierte Vergangenheit und bringt im religiosen Bereich eine bestimmte Identitat zum Ausdruck, aus der die Gruppe das BewuBtsein ihrer Einheit und Eigenart hat (positiv: "das sind wir"), sich dadurch aber auch abgrenzt ("das sind die anderen"). Dieser "need for identity" (II. Mol) driickt Selbstbilder aus, zugleich aber auch Fremd- und Feindbilder. Auch der religios institu-tionalisierte Erbgang einer Religion umfaBt Miindliches und Schriftliches und die darin zum Ausdruck gebrachte Formung durch Sprache, Bilder, Symbole, Mythen und Riten u.a.m. In welchem Horizont und in welcher Perspektive thematisiert sie sich und auf welchen theologischen Fluchtpunkt hin? Mutatis mutandis liiBt sich Ahnliches auch vom weltlichen Bereich sagen. Zu den Urangsten des Menschen zahlt die des Vergessenwerdens, sodaB es zu seinen bewegendsten Bitten das "VergiB mich nicht!" gehort. Er hat das Verlangen, etwas zu hinterlassen, was ihn iiberdauert, an ihn erinnert: im Nachruhm, in Gebilden des Geistes und seiner Hande. Der Mensch will sich in das Gedachtnis der Zeit einschrei-ben und das Eingeschriebene mit seinem Namen verantworten. Gedachtnis ist eine geistige Kraft (endrgeia - vgl. Plotin, 4,6,10- Jclo5 fktaiXtu>v. Bei Synesios heiBt es: 6eT...oe aneKimnevov neuvijcrOui ofltev t:T8. Die Klage iiber die Seele hat zum Inhalt, sie habe Vergessen getrunken, schlafe und sei in die Materic versldavt. Ihr gelte das Bemiihen, sich wiederzuerinnern, zu erwachen, den Weg in die Freiheit anzutreten.9 Fiir die Gnosis ist das Vergessen tragisches Schicksal. Die Seele ist in der Frcmde der Matcric und ihr verhaftet aufgrund der Trennung von der Einhcit des Gottlichen. Wiedererinncrung ist der crstc Schritt auf dem Riickweg zur transzcndcnten Heimat, mythologisch dargestellt als Weckung durch den "Ruf, den "Himmelsbricf', den "Gcsandten". Zum Repertoire der griechischen Mythologic gehort die Quelle der "Erinnerung" (Mnemosyne) und der "Vergcssenhcit" (Lethe), die eine Rolle spielen beim Ubergang der Seelen aus dem vorgeburtlichen Zustand des ort- und zeitlosen Seins in die ird-ische Existenz. Dem Eintritt in das Leben geht das Trinken aus dem FluB Ameles voraus, dem FluB des Nicht-Festzuhaltenden. "Und jedesmal, wenn einer trinkt, ver-giBt er alles", sodaB die Erinnerung an die Ideen geloscht wird. Das zeitliche Sein des Menschen ist unter dem Bild des durchflicBenden Lcbcns und des Nicht-zu-Haltenden erfaBt. Alles droht in Vergessenheit abzusinken. Lethe ist Tochter der Eris (Ilesiodos, Theog. 227). Aus Lethe, der Quelle der Vergessenheit tranken in der Untcrwelt die Verstorbenen nach ihrer Ankunft im Hades, um die Erinnerung des Vergangenen durch einen Trunk zu tilgcn10 Im Orakel des Trophonios in Lebadcia muBte der Besucher, der es befragen wollte, zucrst vom Wasser der Lethe (AT|i)11c;\5ftcop) trinken, um alles bishcr Erfahrene und Gedachte zu vergessen, und dann einen Trunk vom Wasser der Mnemosyne (Mvi|[ioiruvt|q fnjujp) nehmen, um sich des neu Geschauten und Gehorten zu erinnern." Daneben haben die Orphikcr die Quelle der Mnemosyne imaginiert (vgl. die orphischen Goldtafelchen) als Gottin, von der jede Erinnerung kam (Orphische Goldtafelchen, Frg. 32 g). Dank ihrer kann sich der Tote im Jenseits als Sohn der Erde und des Himmels ausweisen. Hcsiod erwahnt die Musen erstmalig in seiner "Theogonie" 53, dem altesten Le-hrgcdicht der Griechen: Auf der pierischen Ilohe, mil Zeus dem Vater vereinigl, Zeugte Mnemosyne sie, die Eleuthers Fluren beherrschet, 8 Syncs Agypt. 99c Pet; vgl. Macrobius, somn. Scip. 1,9,1. 9 Vgl. Synesios, insomn. 139c; hymn. 1.660; 9,96; Macrobius, somn. Scip. 1,12,9. Da/.u W. Theiler, Die chaldaischen Orakel und die Hymnen des Synesios, 1942. 10 Vgl. Simonides, Epigr. 184 Bergk; Anth.Pal. 7,25. 11 Pausanias 9,39,8ff. Pausanias emhlt von ein em Kult der Mnemosyne, wonach die Einzuweihcndcn zu zwei Quelleo gefiihrt werden: "Dort muB er das sogenannte Wasser des Vergessens trinken, damit er alles vergifit, was er bishcr gedacht hatte, und danach trinkt er ein andcres Wasser des Krinnerns. und davon er-innert er sich an das, was er gesehen hat, wenn er hinahgestiegen isL" Trost dem Leide zu s ein und Linderung aller Betriibnis. (Ubers. J.H. VoB). Der Urgottin Mnemosyne entspringt das Musische.12 Nach der mythopoietischen Vorstellung hat Mnemosyne drei Tochter, Mneme, das Erinnerungsvermogen im eigentlichen Sinne, Aoide, den Gesang und Melete, das zukunftsgerichtete Gesam-melt-Sein und Sinnen als Auspriigung der Memoria. Letztere ist die vorwegnehmende Erinnerung des Menschen. Nach dem Mythos der Mnemosyne ist dem Namen des Gedachtnisses das Echo des Vcrgessens eingeschrieben, Lesmosyne. Wenn es auch von ihr iiberwunden wird, ist es ihr unausloschbar eingezeichnet (Hesiod, Theog. 55). In dem Text der Goldplattchen von Pctelia (Diels, VS 1 [66], B 17) wird der dUrstende Mensch aus dem yivoc, ovpavtova o vor der Quelle der Lethe gewarnt. Er wird an die Quelle gewiesen, die dem See der Mvimow*) entflieBt, um durch sie das heroische Leben wiederzugewinnen (ebd. B 19a). Ill: Die philosophische Anamnesis Plato greift die Traditionen von einem praexistenten Leben der Seele auf mit der zu weckenden Erinnerung an die Schau der Ideen.13 In der Anamnesislehre Pinions geht es um eine vorgewuBte Vcrnunftwahrheit, ein Vorwissen, das Wissen ermoglicht. Defizientes kann nur im Vorblick auf das Vollkommene als solches erkannt werden. Indem Platon hier die Frage apriorischer Erkenntnis und damit die Frage nach dem ermoglichcnden Grund von verniinftiger Erkenntnis stellt, iiberschreitet er den Er-fahrungsbereich hin in den Bereich der Mctaphysik. Erkenntnis wird auf vorgewuBte Wahrheit zuriickgefuhrt, die vorgewuBt ist in der Weise der Vergessenheit. Sie muB "wiedererinnert" werden, ein Erkenntnisvorgang, den Kierkegaard eine rein ar-chaologische "Wiederholung nach riickwarts" apostrophiert.1^ Solch apriorische Erkenntnis habe einen gottlichen Inspirationsgrund, ihren Ursprung in der Inspiration durch die Musen. Erkenntnis wird ermoglicht aus vorgewuBter gottlicher Wahrheit. Bereits die Orphiker hatten die Vorstellung vom jenseitigen Trunk aus der Quelle der Erinnerung. Die platonische Ideenlehre hingegen ist metaphysisch-erkenntnistheore-tisch orientiert. Ihr noetischer Kosmos ist ewig und unabhangig von ihrem Gedacht-werden. Die I'hanomenc dagegen sind zeitlich und bilden mimctisch den Ideenkosmos ab, das Urbildliche in der Sichtbarkeit des Unsichtbaren. In der Anamnesis, die die begrifflichen und normativen Leistungen der Vernunft erkliiren soil, wird der Mensch nach riickwarts angebunden. Seine Seele ist, wie der platonische Sokrates im "Phaidon" es dartut, praexistent und unsterblich. In der "Pohteia" ist die Praexistenz der Seele Bedingung fiir die Moglichkeit der Schicksalswahl, die Postexistenz Bedin-gung fur die Moglichkeit des Totengerichts. Im lO.Buch der "Politeia" erzahlt Platon 12 Urspriinglich warcn es drei, Melete ("Obung", "Praxis"), Mneme ("Gedachtnis", "Erinnerung") und Aocde ("Lied"). Vgl. E.R. Curtius, Die Musen, in: Europaische Literatur und lateinischcs Mittelalter, Bonn 1948, 233-250. W.F. Otlo, Die Musen und der gottliche Unsprung des Singens und Sagens, Diisseldorf-Koln 1955. Forschungsbericht E. Barmeyer, Die Musen, Miinchen 1968, 38ff. Zu Mnemosyne vgl. J. Rud-hard!, "Mnemosyneet les Muses", in: Ijl mčmoire des religions, hg.v. Ph. Borgeaud, Genf 1988, 37-62. W.F. Otlo, Die Musen, Diisseldorf 1956, 63ff. P. Decharme, Les Muses, Paris 1969, 22f. Vgl. Si. Gold-mann, Topoi des Gedcnkens, in: Gedachlnislcunst, hg.v. Haverkamp/ljachmann, 146ff. 13 Meno, 81a-b; Pindar, Frg. 133; vgl. Ol. 2,75ff; Phaid. 70c. 14 S. Kierkegaard, "Die Wiederholung", in: Wcrke, Bd. 3, Jena 1923, 119, schreibt: "Die 'Wiederholung' entspricht genau der 'Erinnerung'. Wiederholung und Erinnerung durchlaufen dieselbc Bewegung, nur in entgegengesetztcr Richtung: in der Erinnerung riickwarts, in der Wiederholung vorwarts gehend. Darum macht die Wiederliolung (wenn es Wiederholung gibt) den Menschen gliicldich, wahrend ihn die Erinnerung unglilcldich macht." die Mythe von der Wahl der Lebenslose im Vorgeburtlichen. Aus dem groBeren Angebot der Musterbilder wahlt die Seele Lebensgange (biOn paradeigmata), die ihr eidetisch vorgegeben sind, wie die Ideen den Erscheinungen. Solch freie Wahl hat keine Theodizee notigt und exkulpiert die Gottheit. Im "Phaidon" wird das apriorische Wissen seinem Inhalt nach als "Idee" bezeichnet, als "wirklicher Grund" (to aVxiov tTi> Kvxi), im Gegensatz zu "dem, ohne das der Grund kein Grund ware" (Phaid. 99b 3f: ekeivo JjCkeTvo Uvev ov to aVtiov ovk U tot' e'i't] uVtiov). So ist das Einzelschone noch nicht im Erkennen seiner Mitursachen, wie z.B. der Farben, For-men, Gestalten erkannt, sondern erst im Erkennen des wahren Grundes, seiner "Teilhabe" (un)f^; Partizipation) an der Idee des Schonen als dem apriorisch gewuBten vollkommenen Grund. Dieses nicht mehr pradizierbare absolute und rela-tionslose Eine vereinigt alle Vielheit in sich in einer hoheren Weise. Platon iibergibt damit dem abendlandischen Denken mit der Konzeption der Idee eines seiner zen-tralen Themen, sodaB nach einem Bonmot A.N.. Whiteheads die europaische Phi-losophiegeschichte als "eine Serie von FuBnoten zu Plato" aufzufassen sei.15 Das Vorwissen des Vollkommenen ist durch die Begabung der Seelen mit dem Wissen von den Ideen als Urgestalten und Urbildern der veranderlichen, unvollkommenen und wahmehmbaren Wirklichkeit (vgl. Phaid. 100c 5f) gegeben. Dies wird im Mythos von der vorgeburtlichen Schau geschildert und im Blick auf die erotische Liebe als einem gottlichen Wahnsinn gedeutet (Phaidr. 248ff). Im Nachdenken iiber den Eros im "Symposion" kommt zur Sprache, daB dieses Kind von Armut und UberfluB in seiner Ergriffenheit mehr liebt, als es ausdriicklich liebt. Im "Phaidon" wird die Anamne-sislehre auch vom Gedanken her getragen, daB der Mensch immer schon mehr wisse, als er ausdriicklich wisse. Um etwas als gleich, gut, seiend zu erkennen, bedarf der Mensch eines "Vorwissens" (jtpoeiftevcxi), um es als das Eigentliche, Vollkommene, An-sich-Gleiche, Gute, Seiende usw. zu erkennen (Phaid. 74d 9-c4).16 Dieses Wissen ist nicht aus dem Sinnlichen und damit Unvollkommenen ableitbar, sondern "die Wahrheit dessen, was wirklich seiend ist, ist stets in der Seele" (Men 86 b 1). Beim Neuplatoniker Plotin wird die "Seele" zum Gedachtnisgrund schlechthin,17eine Vorstellung, die Kant destruieren wird. Es gibt nach ihm keine erkenntnisfundierende Bedeutung inhaltlicher Aprioritat, denn der menschlichen Erkenntnis begegne nur, was die Vemunft selbst nach ihrem Entwurf hervorbringe. IV. Der Zeugniswert der Erinnerung Die abendlandische Gesittungsgemeinschaft ist bei all ihren partikuliiren Unter-schieden und Akzenten eine sozial-kulturelle Gegebenheit, eine "koinonia politikd" mit gemeinsam gewachsenen kulturellen Wertgehalten. Uberkommene Hand-lungsmuster legen immer schon das mcnschliche Handlungsfeld aus und normieren es vor. Geleistetes muB nicht erst neu erfunden und gebaut werden, um neue Entwiirfe 15 A.N. Whitehead, Process and reality, New York, 619674 63. 16 Im Phaidros 249d schreibt Platon: oxav to tr]6f ti? opoiv kuXXo; tun uX.r|0u; <'»vot|U|m|aKO(tev(>5 jrrepoirai, da/.u 249c: Jtpo; fKeivou; (den Ideen) at:i eojr |iv»i|ir| kcxtu &uva|iiv; vgl. 250a 5; 253a. 17 Der dogmatische Platonismus wird im Neuplalonismus^ dahin aktualisiert, daB die Wahrheit in der Seele ihre totale Prasenz hat (Procl. in Ale. 474,15; 521^3): r) |ivt'i|h| r.v v