neuerer Zeit. Erster Band: Das offene Polar-Mecr. Eine Entdeckungsreise nach dem Nordpol. Von vr. I. I. KaHes. Auö dem Englischen von I. E. H. Martin, ustos der Umversitäts-Vibliothel zu Jena. Nebst 3 Xarten und 6 Illustrationen in Holzschnitt. Jena, Hermann (5 o st c u o b l e. 1868. Prospectus. Bibliothek geographischer Reisen und Entdeckungen älterer und neuerer Zeit. Mit der Auffindung des Seewegs nach Ostindien uud der Entdeckung der neuen Welt am Ende des 15. Jahrhunderts beginnt für die geographische Wissenschaft eine neue Epoche, und die letzten drei Jahrhunderte bilden eine zusammenhängende Reihe kühner Seefahrten und Landreisen. Ob auch viele muthige Männer ihr Leben opferten, der Wandertrieb des Menschen ließ immer wieder andere in ihre Fußtapfen treten, um den gebildeten Völkern Europas die Kenntniß der bis dahin unbekannten Theile und Punkte des Balles zu verschaffen, den ihnen der Schöpfer zum Wohnplatz angewiesen hat; und diejenigen, denen es nicht beschieden war, selbst eine Wanderung zu unternehmen, folgten den Reisenden daheim, indem sie die Werke, in welchen dieselben ihre Forschungen und Erlebnisse niederlegten, mit Freuden aufnahmen. Diese Neisewerkc bilden eine umfangreiche Literatur, die sich gerade in unseren Tagen in bedeutender Weise vermehrt; denn es scheint dem 19. Jahrhundert vorbehalten zu sein, an Punkte der Erde vorzudringen, zu deren Erreichung bis jetzt jeder Schritt erfolglos war; man hat die Quellen des Nil gefunden, nach welchen die gebildeten Nationen Jahrtausende vergeblich suchten; man ist vom atlantischen Ocean durch das ewige Eis des Nordens bis zum stillen Meere gelangt; man rückt dem Nordpol immer näher. Ans den zahlreichen Werken, welche die Ergebnisse dieser wichtigen Forschungen enthalten, das Beste und Gediegenste auszuwählen und dem Leser in mög- Beschnnchte, oben oder an den Seiten aufaefchnittene Exemplare oder solche, welche die geringste« Hpure« des Lesens tragen, werden durchaus nicht zurückgenommen. Die Verlagshandlung. MßlisHM geographischer Reisen und Entdeckungen älterer und neuerer Zeit. Hrlier Wand' Das offene Polar-Meer. Von I)i. I. I. Hayes. Jena, H e r vn a n n (5 o st e ll o b l e, 1808. Bilg Nxrchiwii. Church - Svitz?. st.iv ^icder. Vcrz P.irrv, L>ip Euqcuic. st,ip Frederick VII. C>ip Uui^n. 2ic User des ^olar-Ween's. (Nach einer Sti;;e von I>. Hayes.) Das offene Polar-Meer. Oim OittdrrKuiMme muh dem Hordfilll. Von vr. I. I. Hayes. Aus dem Englischen von I. G. A. Martin, Custos der Univeisitäts^^Nbliothl?! zu Jena. Kebst 'Z Karten und 6 Muftrationen in Holzschnitt. 3 ena, Herma n » C o st o n u d l e. 1868. Meine Absicht war, dieses Puch William Parker Anlke von Philadelphia zu widmen, dem ich Alles verdanke, was ein gewaltiger Verstand nnd eine hochherzige Freundschaft thun konnte, um meine Pläne praktisch zu gestalten und einem Unternehmen, auf das ich mich ohne einen andern Vortheil als ein bestimmtes Ziel nnd ohne einen bessern Führer als den Antrieb der Jugend einließ, Erfolg zu sichern: da es mir aber versagt ist, diesen Tribut meiner Verehrung einem der edelsten Männer zu entrichten, so weihe ich es hiermit seinem Andenken. Vorwort. Der Plan des vorliegende» Buches mag hier eine tnrzc Erläuterung finden. Ich habe wenig mehr uersncht als eine person liche Schildernng, indent ich ans meinen reichen Notizen solche Scenen nnd Umstände answählte, die mir am geeignetsten schienen, dem Leser nicht nur die (beschichte unserer Ncise, sondern anch eine allgemeine Ansicht der arktischen Gegenden, — ihres landschaftlichen Charakters lind ihres Lebens, vor die Seele zu führen, mit einem flüchtigen Blick anf diejenigen Naturkräfte, die in ihren Resultaten jenem entlegenen Theile der Welt einen charakteristischen Ausdruck verleihen. Bei einem Monate langen Tag, anf den eine Monate lange Nacht folgt, wo die mittlere Jahrestemperatur nur wenig über Null (-14°,^ R.) steigt, muß nothwendig die ^uft nnd die Landschaft ein Gefühl erwecken, das sich ohne wirkliche Beobachtung schwer schätzen, oder, wir ich vielleicht sagen könnte, empfinden laßt. Ich werde reichlich belohnt sein, wenn es mir gelungen ist, dem Gemüthe des Lesers mit einigermaßen lebhaftem Gndrnck die Wunder nnd Großartigkeit der Natur einzuprägen, wie sie sich nns unter dem arktischen Himmel zeigten. Ich weiß, das; man gewöhnlich meint, ein Neisewert solle VIII Vorwort, einfach ein Tagebuch über (^veignifse nnd Vorfälle sein; dies schließt aber nothwendigrrweise eine nilaufhörlichc Wiederholung in sich, und ich glaubte daher besser zu thun, wenu ich in meinem Tagebuch AKcs wegließ, was für die Scene leine unmittelbare Bedeutung halle, lind wo ^'onecntralion erforderlich schiel!, das Tagebuch ganz aufgab und die kürzere uud gedrüugtcre ,vorm der beschreibenden Erzählung benutzte. Der Leser wird bemerken, daß ich nicht versucht habe, iu irgend einem Siune ein wissenschaftliches Werk zu schreiben. Der ^weck der Reise war zwar eiu rein wissenschaftlicher, — ihr Ziel war, die Grenzen des offenen Polar-Meeres zu erforschen, oder wenigstens zu entscheiden, ob ein solches existire, wie so oft behauptet worden war; aber wahrend ich die Verhaltnisse der Polar-gcwässer und des Polareiscs im Allgemeiueu erörtert und auf uerschiedeuen Gebieten der Physik und Natnrwissenschatt überhaupt uiele ueue Thatsachen mitgetheilt habe, wünschte ich doch deu Gegenstand in einer Weise zu behandeln, die, wie nur schien, mehr für das allgemeine Publikum als ausschließlich für den belehrten paßle, nnd zag es vor, den letzteren auf jene strenger wissenschaftlichen Kanäle hinzulenken, wo meine Materialien veröffentlicht worden sind oder der baldigen Veröffentlichuug entgegensehen. Kurz nach meiner Rückkehr aus dem Norden wurdeu meiue Aufzeichnungen der Smithson'schen Stiftung in Washington zur Verfügung gestellt, und ich habe auf die Bearbeitung und Ordnung derselben alle freie Zeit verwendet, über die ich gebieten tonnte; — die Hauptarbeit siel jedoch Mr. Charles A. Schott, dem Assistenten bei der Küsten-Vermessuug der Vereinigten Staaten, zu, der mit den bcsteu Fähigkeiten eines reich ausgestatteten Geistes uud ungewöhnlicher Kraft zu einer geduldigeu Untersuchung an die Aufgabe ging. So wurden Abhandlungen, die eine ausführliche Darleguug der maguetischen, meteorologischen, Vorwort, lx astronomischen, geographische», Pendel- und Fluth -Beobachtungen geben, vorbereitet und zur Veröffentlichung in den Smithson'schen ^Oontridution» to Xnovvi^e" angcilommen. Zu meinem Bedauern muß ich sagen, daß die Veröffentlichung dieser Abhandlungen lange verschoben worden ist. Da ich es für wi'm-schenswerth erachtete, daß die allgemeinen Schlüsse, zu denen wir bei unserer Znsammenstellung der Beobachtungen gelangt waren, der Welt ohne weiteren Aufschub mitgetheilt würden, so nahm ich mir vor, einige Hauptpunkte in einem knrzcn Anhange diesem Bande einzuverleiben. Als ich jedoch die Sache dem gelehrten Secretär der Smithson'schcn Stiftung vorlegte, wnrde von ihm der Anspruch erhoben, daß, da ich die Materialien seiner Sorge anvertraut hätte, die Stiftung jetzt das ausschließliche Recht auf jeden Gewinn besäße, der sich aus ihrer Veröffentlichung ziehen ließe. Einer so überaus vernünftigen Behauptung stimmte ich sogleich bei, zumal da mir mitgetheilt wurde, daß die Abhandlungen sich bereits im Druck befänden und sofort veröffentlicht werden sollten; ich betrachtete mich dadurch der wissenschaftliche!, Welt gegenüber als jeder weiteren Verantwortlichkeit für den langen Verzug entbunden und gnb den Gedanken des Anhangs anf. Die Karte, welche die Bahn nnd Entdeckungen meiner Reise und meiner verschiedenen Schlittenfahrten darstellt, wurde in gleicher Weise als das ausschließliche Eigenthum der Smithson'scheu Stiftung beansprucht und sollte, wie die Abhandlungen, sofort veröffentlicht werdey. Daher kommt es, daß die kleine Karte, welche diesem Buche zur Erläuterung beigegcben wird, nur eine (im Durchmesser zehnmal verkleinerte) Copie meiner ^eldkarte ist, die an Ort nnd Stelle nach meinen nicht revidirten Materialien entworfen wurde. Ich brauche vielleicht nicht zu bemerken, daß vollständige Genauigkeit im Felde nicht zu erreichen war, weil ich weder die Mnße, noch die Mittel zur Neducirnng der magnetischen Abweichung, X Vorwort. noch zur Erlangung der absoluten Zeit hatte. Gs freut mich jedoch, sagen zu können, daß keine größere Verschiedenheit besteht als die eine, welche auf der Feldkarte meine höchste geographische Breite zwei Minuten zu weit südlich stellt; da aber die Reductio-nen gemacht nnd eine Karte nach denselben entworfen worden war, so hatte ich mich zur Herstellung der Nichtigkeit auf diese Quelle verlassen, welche jetzt die Smithson'sche Stiftung allein besaß. Da ich mich hierin getäuscht sah und zu einer neueu Reduction die Zeit zu kurz war, so mußte ich auf meiue ursprünglichen Hülfsquellen zurückgehen. Zu meiner Freude kann ich jedoch sageu, daß die Feldkarte zu jedem praktischen Zweck hinlänglich genau ist und sich von der für die Smithson'scheu „<Ü0iit.ridnti0N8 w Xiiu^v-IsdFk" hergestellten, die sorgfältiger gearbeitet ist uud einen größeren Umfang hat, hauptsächlich in Betreff der den nen entdeckten Stellen gegebenen Namen unterscheidet, von denen nach meiner Rückkehr einige geändert wurden, was von keiner wesentlichen Bedeutung ist. Da ich kein Verzeichnis? dieser Aenderungen behalten hatte und die genauere Karte von dem Secretär der wissenschaftlichen Anstalt, dem sie, wie oben bemerkt, zur Veröffeutlichuug übergeben wordeu war, nicht wieder in meine Hände bekommen konnte, fo habe ich einfach die ursprüngliche Nomenklatur ange-nommeu und die Namen gebraucht, wie sie in meinem Tagebuch uud auf meiner Feldkarte erscheinen. Diese Auseinandersetzung wird it, der Annahme gemacht, daß die Smithson'sche Stiftung möglichen Falls die Karte, die fich schon einige Jahre iu ihre^n Besitz befindet, veröffentlicht-, — was ich jedoch für unwahrscheinlich halte, nnd was jetzt nnnöthig sein wird, zumal da ich gegenwärtig mit einer neueu Reduction meiner Materialien nnd mit dem Entwurf eiuer neuen Karte beschäftigt bin, deren Veröffentlichnng iu hinlänglich großer Gestall, um ihr sowohl topographischen als geographischen Werth zu geben, mein ausgezeichneter und lieber Vorwort. xi Freund, Dr. August Petermann in Gotha, in seinen geographischen Mittheilungen vorgeschlagen hat. Beschreibungen der botanischen Sammlnng von Mr. Elias Durand, der Algen von Mr. Ashmead, der sslechten von Professor James, der Vögel von Mr. John Eassin, der wirbellosen Thiere von Dr. William Stimpson, der Sängethiere von Dr. I. H. Slack, der Walthiere von Professor E. Cofte, der Infusorien von Dr. F. W. ^ewis, der Fische von Dr. Theodore Gill, nnd der Paläontologie von Professor ss, B. Meek sind von Zeit zn Zeit in den „?r<>c66l1inss8" der Akademie der Naturwissenschaften in Philadelphia erschienen, mit Ausnahme der letztgenannten, die in dein amerikanischen „.lournn! ni' ^rw i^ntl 8oi6n«68" veröffentlicht wnrde. Dr. I. Atkin Vieigs hat eine Monographie über Ethnologie in der Arbeit, die sich anf eine Sammlung von mehr als hundertunduicrzig Exemplaren gründet, und ich werde bald eine ausführlichere Besprechung der grönländischen Gletscher uud anderer verwandter Gegenstände vollendet haben, als die Grenzen und der Charakter dieses Werkes nur gestatteten. Ich würde meinen eigenen Gefühlen großes Unrecht thun, wenn ich hier nicht das Bekenntniß meiner Verbindlichkeit gegen diejenigen Gesellschaften, Vereine nnd einzelnen Männer nnd Frauen aussprechen wollte, die sich mit mir vereinigten, um die Orgaui sation der Erpedition in's Werk zu setzen, und welche großmüthig die Kosten derselben mit mir theilten. Sie kamen stets, so weil es in ihrem Vermögen stand, meinen Wünschen schnell entgegen, und das Unternehmeu wnrde mit einem Eifer nnd Interesse unterstützt, wie es einem rein wissenschaftlichen Zwecke selten zu Theil wird. Daß ich nicht früher einen bericht über meine Reise veröffentlicht oder denjenigen, die ein natürliches Recht hatten, es yt erwarten, eine genaue Uebersicht meiner Entdeckungen vorgelegt Xli Vorwort. habe, davon liegt die ganze Schuld in dem Umstände, daß von dem Augenblick meiner Rückkehr an bis spät in's letzte Jahr hinein meine Zeit völlig auf den Staatsdienst verwendet wurde, und sie werden, glaube ich, die Thatsache, daß das Commando über ein Nazareth mit drei bis fünftausend Insassen, das mir während des größeren Theiles des jüngst geführten Krieges an^ heimfiel, mir wenig Muße zu literarischer oder wissenschaftlicher Arbeit ließ, als genügende Entschuldigung für mein langes Stille schweigen annehmen. Auch wird man einsehen, daß an dem zeitweiligen Aufgeben der Forschung dieselbe Ursache Schuld war. Den 23. October 186tt. Verzeichmß der Substribenten für die Exp edition.") Durch einen besondern Ausschuß der amerikanischen geogra« phischcn und statistischen Gesellschaft in New ^orl, Vorsitzender: Egbert k!- Viele. Cassircr: Henry Grinncll. Henry Grinnell. A. D. Bache. George Folsom. Henry E. Pierrepont. Benjamin H. Field, M. de LaNoquette, Das „^me>it;g,n Journal ot' ^,iw ^uci 8oieneo8" — die Professoren Silli- nian und Dana. Egbert L. Viele. Eyrus W. Field. I. L. Graham, August Belmont. Horace V. Clafstin. George Opdyke. Gebrüder Brown ^ Co. F. S. Stalwecht. John Jay. C. Godfrey Günther. Peter Cooftcr. William Remscn. I, Carson Brevoort, Lewis Rntherford. C. P. Daly. Hugh N. Camp. W. A. White. John D, Clute, Marshall Offerts. Wolcott Gibbs. John D. Jones. Joseph Harfen. Alexander H, Stevens. John C, Green, Samuel E. Barlow. A. H. Ward. James T, Hall. *) Der Verfasser hat Grund zu vermuthen, daß die Namen mehrerer Per« sonen, welchen die Expedition Dank schuldet, in dicjem Verzeichnisse nicht er scheinen, weil sie ihm nicht mitgetheilt worden sind. Da er dasselbe ganz voll-ständig zu machen wünscht, so wird er sich Jedem, dessen Name ausgclasseu ist, Persönlich verpflichtet fühlen, wenn er eS ihm durch die Agentur, durch welche die Subscription besorgt wurde, anzeigt. XIV Verschluß der Sndscribenleli, E. A, Stausbury, W. T Vlodgett. Oi-. Samucl W, Francs, Frank Moore, H. M. Field, Blateman ^ Phinner,, Gebriider Harpers. John Austin Stevelts. George A. Woodward, C. Dctmold. Z. T. Detmold. Francis lieber, F. E. Church, Bayard Taylor. O. M, Mitchell, Henrietta B, Haines, Mary W, Talman. Clarence A, Ecward. F, 5!. Haw^f, Robert V, Wintlnop (Ä, P. Putnam, A. W. White, A. H, Wood. George L. Samson, Henry H. Robbins. Wm. H. Allen. Albert Clart, Joseph W. Orvis. John D. Wing, Grumell ^, Oidby. Simcon Holton.jun, Sheldon, Blakeman ^ ^o. AmerilamschcTrocknen Gesellschaft(^,n< Ruxton, Barter ä, Co. G. Tagliabue. Durch Ausschüsse des Handelsgerichts nnd der Akademie der Naturwissenschaften in Philadelphia. Cassircr^ Francis Cope Wm. Parker Fonltc, Joseph Harrison.jun, Henry Cope, Alfred Cope. Wm, Äuänell, John Ricc, Nordamerikanische >!edcttöversicherungs gesellschafl, Delaware'schc gegenseitige Versicherung^ gesellschaft. Getreide^Börsc (Oxu ^xo!iluiß«>), Gebriider Cope, Isaac Lea, N. Pearsall, C. Macalister. Henry C- Earcy. John C. Crcsfon, Wm. R. Lejc^!, Child« ^ Peterson. Samuel I. Neeve^. Edward Trotter, I, T. Alburger H, Co M, I, Wickcrsham. Thomas SparlH, E, I, Lewis, Joseph Leidy. R. C. Rogers. Jacob P. Jones. I. B. Lippincott 6 Co. M, W. Baldwin, Samuel E, Stotcs. I)i-. T. B. Wilson. James C. Hand. Henry C. Townscnd. Richard Price. M. L, Dawson, Samuel Cofsin-W. Haye. Lodge 51, A, A M John Thonipson. John P. Crozcr. Joseph Icanes. 0. I. Levis, Edward A. Souder, Geo, N. Tatham. John A. Brown. B. Marshall. R, Marshall. Thomas Richardson 6 Co. D. Haddock.M,, 1, B. Morris. Israel Morris. Berzeiämiß der Subscribenten, xv V, C, & R. N Tilc^lmian, John W, Se^ton, John Grigg, William Sellers 6 Co, Tobias Wagner, Warren Fisher. Wm. S. Vaux. Dr. James Bond. Chas. Henry Fisher. I. Edgar Thompson, Charles E, Smith, Frothingham, Nells 6 60. Fairman Rovers. John ^!. Lecontc, I. C, Trautwine. Edward Hayes. " Aubrey H, Smith. C, Townsend. E. C. Knight, Vuckman & Co, E. Dmar. E. H. Butler, Blair k Wycth, King ^ Baird. Sharp A Vrubcr. Durch einen Ausschuß von Cassirer- D. V. N, Radclifsc, I, H. Armsbn. Thomas W. Olcotl, Eli Perry. T>, V. N. Radclifie. Erastus Corning, N, C, DauiH, Isaac W. Voslmrg. John T. Rathl'onc. Alden Marsh. A, B, Banks. Charles L. Garficld. David I. Boyd. T, Nocssu ^ Sohn, Rowland & Irvin, Henry Winsor. David McContcy. Wilson, Childs ^ Co, A. Whitnev ^ Sohn. Townsend Sharplcß, David S, Brown. Chas. ElliS. Wm, M. Baird, James H, Orne, Joshua i!. Bailer». James Addicks. Benj, Marsh, Buzby & Co. Weaver, Filler 6, Co. James Leslie H, Co. McAlistcr ^ Bruder. Bibel-Gesellschaft. John H, Cooper. S. Hazard. Isaac I. Williams, Buckner ^ M'Connor, Burley & Co. Mrs, Or, Bond, B k Palmer. Dnrch den Bürgcr Ansschuß und den Ausschuß der Ala-demic der Künste und Wissenschaften in Boston, Cassircr: Rickard Baker iuu. Richard Bater ^»n. John Stetson. Warren Sawvcr. I. D, W. Joy. XVl Verzeichniß der Snbscvibenten, 0. W. Peabody, S. A, Dix, Theodon Lyman. Richard P. Pope. David Sears, Thomas Lee. Philipp H, Sears. B. W. Taggard. Amos A. Lawrence. 1. Vigelow, N«6. I),-, James W. Becbe. A. W. Spencer. S. H. Wallcy. Wm. Gray, H. A, Whitney. Geo. R. Russell. L. AMiz, B. A. Gould. C. C. Felton. Pros. I. Loncring. Prof. E. N. Horsford. James Lawrence. Jonathan Phillips, Nathan Applcton. Joseph Whitney, Abbott Lawrence. George W. Lyman, Edward Wigglcswortl,, Francis Skinner. George V. Blak. Naylor & Co, H. O. Honghton, Loge Columbia, Loge Woburn. Loge Mount Lebanon. Loge Winslow Lewis. HandelS^Bersicherungs-Gesellschaft (durch Capitän Smith). Gewerbs^ Versichciungs^ Gesellschaft (KI-i- nullictui LiZ' InLM'ÄNLe Oomplm^). I. Sawyer i^ Co. Wm. H. Kennard. E. Hammer (dänischer Consul). D. N. Hastell. Wm. Baker. Daniel Paine, H. Howard. Wm. M. Parter, Francis Kendall. C, G. Kendall. E. R. Mndgc ^ Co, Wilkinson, Stetson & Co. Merrill 6- Co. Allen. Whiting H, Co, Hnntington, Wadsworth ^ Parts. Fitchbnrger Wollett'Mescllschaft. Macnllum, Williams & Parker. Cdward Everett, N. P. Banks. Frederick W. Lincoln, John Cummings. John Clark. Joshua 27. Safsord, S. S. Arnold. Winslow Lewis, Ms<1 Or. Benj. French. Black ^ Bacheller. Wm. B. Bond. Wm. Furncß.jn», John Paine. James Stmgis. Thornton K, Lathrop, Caleb Cnrtis. Chas. D. Homans, IVll><>. Dr. George L. Pratt. A. G. Smith. Henry P. Kidder. Henry Mullitcn. A. W. Stetson. Chas, I, Spragile. H. S. Kidder. Stouewood & Baldwin. Mcssinger & Brüder. Middlcscxer Gesellschaft. Oak Hall. Fcuno «^ Co. F. A, Hawley ^ Co. Andrew Pierce. Vurnham ^ Scott, Gebrüder March. William N. Lovcjoy ^ Co, Whiting. Galloupc H. Co, Kcllcy & Levi». John A. Whipplc. Verzeichn iß der iHUbscribmten. xv,l Stetson, Kendall 6- Minot. Isaac Fenno. Charles E. Wiggin. Joshua Blate. ' Preston ^ Merrill. W,n, Read Q Sohtt, Richard Fay,iun. Redding ä. Co. Hostetter 6, Smith (Pittsburg in Penn- sylvanien). John Wilson. Henry W. Poolc. E, Thompson. H. B. Walley, Nichard F. Bond, ^!, Audenricd ^ Co. Noble, Hanmiott «K, Hall. ^>t, Cturtevant ^ Co. Wni. F. Wcld, I. G. Nigclow. Win, D, Atliltson.i"n, Jas. W. Wlghtman. Eeorge H. Sncüinq, I. C. Hoadlcy. A. Lonng. H. Poor ^i, Sohn. Win. M. Jacobs ^ Sohn. Win. Bond k Sohn. Pierce ^ Co. Joshua Stetson. Chas. W. Frcelano ^ Co. Gebrüder Vurrough ii, Co. Frost i^ Kimball. Washington Mills. Hunt Q Goodwin. Gco. W, SinnnonS. Äievin, Sawyer Q Co. George Osgood. Theodore H. Bell. Brown ^ Taggard. Winsor ^. Whitlicy Richard Morris Hunt. Edward I. Thomas, Wm. V. Haydcn. E. H, Blake. Lewis R. Reynolds. Swanu, Brewer ^ Tilcston. E. B, Moore. John E. Hayes. Ballard K Prince, Dana, Farrar ä, Hyde. Jas. Assaford. S. S. Arnold. C. B. Bryam. W, Clafflin ^ Co, Day, Wilcoz- ^ Co. I. I, Adams Q Co. Alex. Williains ^ Co. E. Paige ^ Co. D. P. Ivcs ^ Co. Max, White <^ Bartlett. I. B. Kendall. Sewall, Day ^ Co. E. A. & W, Winchester. Sech Adams. I. «^ I. F, Samson ^ Co, Wilder ^ Castbroot. Maynard >!«, Noycs. Winne, Eaton ^ Co, I. H. Poole. Fogg, Houghton >^ Co, Brown >^ Stanley. I. ChildS.jnn. Doan i^ Stilton. Parier, Gannett 6, Osgood. Dmton H) Wood. Foster ^ Smith, Wm. K. Wvis ^ Co. Inhalt. Einleitung. ^"« Plan der Expedition, — Erste Ankündigung. ^ Anrufung wisfen-schaftlicher Gesellschafteu. - Bitte um llnterstiitzuug, ^ Oefseutliche Vor-lesungcu -— Opserwilligteit verschiedener Gesellschaften mid einzelner Ntäuuer. — Anlauf eines Fahrzeugs in Boston. — Die in dieser Stadt an den Tag gelegte Theilnahme, — Schwierigkeit, eine geeignete Schiffsmannschaft zu bekommen. ^ Organisation der Reisegesellschaft, — Wissenschaftliche Aus riistung. ^ Reiche Proviantvon'äthc............. 1 Erstes Kapitel. Abschied von Boston, - In Ncmtastet Roads vor Anter, - Nnf der See 11 Zweites Kapitel. Uebcrfahrt nach der grönländischen Küste. -- ManMucht, — Die Vcr-decke anf der See. — Unsere Quartiere. — Der erste Eisberg. — Wir setzen über dcu Polarkreis. — Die Mitternachtssonne. — Der ewige Tag. — Wir sehen das Land. — Eine inertwürdige Scene zwischen den Eisbergen. Im Prövencr Hasen vor Anker ...........I.'l Drittes Kapitel. Die Colonie Pröven. — Der Kayal des Grönländers. — Mangel an Hunden. — Großmuth des Oberhändlers. — Arktische Flora.....^ Viertes Kapitel. Upernavik. — Gastfreundschaft der Einwohner. — Gibson Caruthcrs' Tod und Beerdigung. — Ein Essen am Bord. -- Abschied.....29 Fünftes Kapitel. Zwischen den Eisbergen. — Gefahren arktischer Schifffahrt. — Wir entgehen mit genauer Noth einem zerbröckelnden Eisberg. — Ausmesfung eiues Eisberges....................36 Sechstes Kapitel. Einfahrt in die Melville-Vai, — Das Mittel°Eis. — Der große Polar^ Inhatt, xlx Seile ström. — Ein Schneesturm, — Zusammentreffen mit einem Eisberg, — Cap Aort in Sicht. — Befreiung des Grönländers Hans......4? Siebentes Kapitel. Hans und seine Familie, — Der Pctowak-Metschcr, — Ein Schnee« Wetter. — Das Packeis, — Einfahrt in den Smith^Sund. — Ein starker Sturm, Zusammenstoß mit Eisbergen, - Kampf mit den Eisfeldern. — Rückzug aus dem Packeis. — In der Hartstcne Bai vor Anker. — Eintritt m's Winterquartier...................5ü Achtes Kapitel. Unser Winterhafen, — Vorbereitung auf den Winter. — Organisation der Geslliäfte. Die wissenschaftliche Arbeit. — DaS Observatorium. ^ Der Schooner au's Ufer getrieben. — Die Jäger. — Wir sägen eine Docke. — Eingefroren..................76 Neuntes Kapitel. Sonnenuntergang, — Winter-Arbeit. — Meine Hunde-Gespanne. — „Meines Bruder John's Gletscher." — Jagd. - Torflager, — Eskimo« Gräber. — Fäulniß bei niedrigen Temperaturen. Sonntag besteigt den Gletscher. — Hans nnd Peter. - Meine Eskimos. ^ Der Eskimo-Hund. — Vermessung des Gletschers. — Der Capitä'n. — Sein Geburtstagsschmaus A4 Zehntes Kapitel. Neise auf den Gletscher. - Das erste Lager. — Ersteigung de« Gletschers. ^- Beschaffenheit feiner Oberfläche. — Die Fahrt anf dem Gletscher hinaus. ^ Durch einen Sturm zurückgetrieben. ^ Niedrige Temperatur. — Dic Gesellschaft ist in einer gefährlichen Lage. — Eine MondscheiN'Landschaft . l07 Elftes Kapitel. Wichtige Ergebnisse der letzten Reise. — Das grönländische Gletscher« 'Ystcm. — Allgemeine Bemcrtnngcn über den Gegenstand. — Von den Alpcngletschern hergenommene Erläuterungen, - Bewegung der Gletscher. -Umriß deS grönländischen 51<>,- cl« g-Ia^.....'......115 Zwölftes Kapitel. Meine Kajüte. — Vermessung. — Ueber den Scorbut, — Die G» fahren, kalten Schnee zu effen. - Castor und Pollur, Frostflecken. — Knorr und Starr. — Hans, Peter uud Jacob wieder. — Kohlcn-Conto, — Die Feuer. — Behaglichkeit unserer Qnartierc. - Das Haus auf dem Verdeck. - Milde Witterung. - Ieufen. — Frau Haus. — John Williams, der Koch, - Ein fröhlicher Abend..............l25 Dreizehntes Kapitel. Zunehmeude Duukclheit. — Tägliche Lebens» und Geschäftsordnung. - -Das Tagebuch, — Unsere Heimath. — Der Sonntag, — Sonntag's Rückkehr. Eine Bärenjagd. - Das offene Wasser. — Mr, Knorr fällt in'S Wasser. ^ „Port Fonlter Wochenblatt." - Der Fluthmesfcr. — Das Feuer, loch, — Fuchsjagden. - Peter...............139 XX Inhalt, Vierzehntes Kapitel. Zeile Die Mitte des Winters. — Die Monate lange Nacht. — Glanz deß Mondlichts. — Milde Temperaturen, — Merkwürdige Witterung, — Ein Regenschauer. — Tiefe des Schnees. ^ Schncckrystalle. — Eine Epidemie unter den Hunden. — Symptome der Krankheit. - Große Sterblichkeit. — Nnr noch ein einziges Gespann übrig. -^ Neue Pläne. — Entwürfe, zu den Eskimos am Whale Sund zu gclangeu.......... 163 Fünfzehntes Kapitel. Die arktische Mitternacht. — Sonntag bricht nach dem Whale Snnd auf. — Wirkung der Finsterniß auf den Geist. — Geschäftsordnung. — Der Wcihnachts-Heilige-Abenb. — Der erste Weihuachtstag. — Das Weih nachtsmahl.....................170 Sechzehntes Kapitel. Das nene Jahr. — Ich erwarte Sonntag. — Das Nordlicht. — Ein merkwürdiges Schauspiel. — Tiefe des Schnees. — Auffallend gelinde Witterung. — Das offene Meer. — Verdunstung bei niedrigen Tempera-turcn. — Wir sehen der Dämmerung entgegen. — Meine Schooßfüchsiu . 180 Siebenzehntes Kapitel. Die arktische Nacht.................1»9 Achtzehntes Kapitel. Herrn Sonntag's lange Abwesenheit. ^- Wir bereiten uns vor, nach ihm zu suchen. — Es kommen Eskimos an. — Sie melden Sonntag's Tob. — Hansms Ankunft. — Zustand der Hunde. — Hansens Erzählung der Reise......................194 Nennzchntes Kapitel. Sonntag. — Die Morgendämmerung nimmt zu. -- Die arktischen Füchse. — Der Eisbär. — Abenteuer mit Vären. — Unsere neuen Eski» mos. — Die Estimo»Tracht. — Ein Schneehans. — Die Geräthe der Eskimos. — Eine Walroß-Jagd..............201 Zwanzigstes Kapitel. Wir sehen der Sonne entgegen. — Das offene Meer. — Vögel . . 211 Einundzwanzigstes Kapitel. Sonnenaufgang..................214 Zweiundzwanzigstes Kapitel. Frühlingsdämmerung. — Es kommen Eskimos an. — Wir erhalten Hunde. — Kalutunah, Tattarat, Myank, Amalatok und sein Sohn. — Ein arktisches Krankenhaus. — Dankbarkeit der Eskimos ..'.,... 218 Dreiundzwanzigstes Kapitel. Kalutuuah kehrt zurück. — Eine Eskimo Familie. — Das Familien-Eigeuthnm. — Die Familien Garderobe. — Myauk und sein Weib. — Peter's Leiche gefunden, — Meine neuen Gefpanne. — Die Situation. — Jagd. - Die Nahrung der arktischen Thiere, — Verfolgung der Wissenschaft unter Schwierigkeiten. Äalulunah zu Hause. — Eiu Eskimo-Schmaus. — Inhalt. xil Seite Kalntunah in Dienst. — Ich bekonime Herrn Sonntag's Leichnam. — Das Leicheubegängnih. — Das Grabmal........ ... 22? Vicrundzwanzigstes Kapital. Autritt ineincr ersten Ncise. — Zweck der Neisc. — Ein Unfall, — Frischer Anfbruch. — Das erste Lager. — Hartstcne's Steinhügel, — Er« forschung cincr Bahn. — Eine neue Art Schneehütte. — Eine unbehagliche Nacht. — Niedrige Tcmperatnr. — Wirkung der Temperatur auf den Schnee. — Zwischen den EisMem. — Ich sche den Humboldt Gletscher. Die Bahn ist für die Hauptgcscllschaft unmöglich. — Van Rcusfclaer Hafen. — Schicksal der „Advance." — Eine Fahrt im Sturm .... 237 Fünfnndzwanzigstes Kapitel. Ich smde Proviant vorwärts. — Kalutunah als Treiber. — Kawtuuah civilisirt. — Mr. Knorr. — Plan meiner beabsichtigten Reise. — Vorbcrei» tung zur Abreise. — Fleißige Eskimo-Frauen. — Kabluuet's Tod und Beerdigung. — Der Aufbruch...............24!) Sechsundzwanzigstes Kapitel. Die erste Tagereise. — Eiu Sinkm der Temperatur. — Seine Wirkung auf die Mannschaft. — In einer Schneehütte gelagert. — Die zweite Tagereise. — An der Cairn-Spitze. — Beschaffenheit des Eises. — Die Aus. ficht. — Vom Sturm aufgehalten. — Die Köche in Verlegenheit. -^ Schnee» wehe. — Gewalt des Sturmes. — Unsere Schneehütte.......255 Siebenundzwanzigstes Kapitel. Der Sturm dauert fort. — Bei der Arbeit. ^- Zwischen den Eis-Höckern. — Schwierigkeiten des Weges, — Die Schneewehen. — Wir kommen nur laugsam vorwärts. — Das Eis des Smich-Suudes. — Bil-dung der EislMcr. — Die alteu Eisfelder. — Das Wachsen der Eisfelder. ^ Dicke des Eises. — Die Aussicht.............263 AchtundzwanzigsteZ Kapitel. Die Schwierigkeiten vermehren sich- ^ Der Schlitten zerbrochen, — Betrachtungen über die Aussicht. - Die Maunschaft ist erschöpft uud ver-liert den Muth. — Immer schlimmer. - - Die Situation. — Niederlage der großen Gesellschaft. — Entschluß, die Gesellschaft zurückzusenden und die Reise mit Hunden fortzusetzen...............2 pitel voll Unfälle. — Cap Hawks. — Cap Napoleon. — Bom Sturm auf-gehalten, — GriuuclbLaud wird sichtbar. — Ich entdecke einen Snnd, — Gefräßigkeit der Hunde. ^- Ein tranrigcs Abendessen. — Wir campnen im Freien. — Abspannung der Mannschaft und Hunde. ^ Wir erreichen endlich das Land....................275 Dreißigstes Kapitel. Die weiteren Aussichten, — Nach Cap Napoleon. - Nach Cap Fra« XX'I Inhalt. Seite zer. — Spuren von Eskimos. — Mürbes Eis, — Der Kennedy Kanal, — Gelinde Temperatur. — Es zeigen sich Vögel. - Geologische Beschaffenheit der Küste, - Vegetation, - Ienfen sehr leidend........ . 285 Eiinlnddrcifngstes Kapitel. Ein neuer Aufbruch. — Epcculatiouen, — In einem Diebel. — Polar^ Landschaft, — Durch morsches Eis gehemmt. -- Ein Blick vorwärts. — Sck'lüsse, — Das offene Meer, — Gipsclpnntt der Reise. - Ich wende mich nach Süden znrück.................294 Zweiunddreißiqstes Kapitel. Das offene Polar Mccr, ^ Weite des Polarbeckens. " Grenzen des Polarbeckens, — Polarströme. — Polar Eis, —Der Eiögürtel. — Arktische Schifffahrt nnd Entdeckung, — Die rnssischelt Schlittcnreism. — Wrangcl's offenes Mccr. -- Parry's Boots Expedition, — Dr. Kane's Entdeckungen. - Ansdehnllng des Smith-Sundes. — Allgemeine Schlüsse, aus meinen eigenen Entdeckungen nnd denen meiner Vorgänger gezogen .... 393 DreiunddreißiqsteZ Kapitel. Am Bord des Schooners. — Uebersicht der Reise. — Die Rückkehr den Kennedy Kanal hinab. — Ein harter Marsch in einem Schneesturm. ^ Morsches Eis. - Wirkungen eines StnrmeS, — Rückfahrt dnrch die Eis. Höcker. — Die Hnude werden matt, — An der Eairn Spitze auf einer Barde treibend, — Das offene Wasser zwingt uns, unsere Zuflucht znm Lande zu nehmen. — Wir erreichen dm Schooner. — Ich entwerfe eine Karte. — Der neue Sund. — Meine nördlichen Entdeckungen .... 311 VierimddreWgstes Kapitel. Besichtigung des Schooners, — Methode der Ausbesserung. — Der Schaden ist bedcntmd. — Der Schooner zu jedem weiteren Zusammenstoß mit Eis nntauglich. — Prüfung meiner Hülfsmittel, ^ Pläne für die Zukunft...................... 322 Fi'mfunddreißissstes Kapitel. Der arktische Frühling. ^ Der Schnee verschwindet. — Die Pflanzen geben Lebenszeichen von sich. — Rückkehr der Vögel. — Vcrändcnmg im Meere. — Wicderausrüsmng des Schooners. — Die Eskimos. - Besuch bei Kalntnnah. — Kalutuncch's Bericht über die Eskimo-Traditionen. — Die Jagdgebiete sind durch die Anhäufung des Eises verkleinert worden. ^ Be< schwerden des Lebens der Eskimos. — Ihre Nahrung. Die Race schwindet dahin, - Besuch am Gletscher, — Nochmalige Vermessung des Gletschers, ^- Kalutnnah fängt Vögel. — Ein Schuccwettcr und ein Sturm. — Der Mitlag des arttischen Sommers ..............327 SechsunddrcißigsteZ Kapitel Der arktische Sommer. — Die sslora. — Das Eis schmilzt. — Ein Sommersturm mit Regen, Hagel und Schnee, — Die Terrassen. — Wirkung des Eises, -- Erhebnng der Küste, Geologisches Interesse der Eis-berge und des Landeiscs, — Eine Walroßjagd. — Der „Vierte". — Besuch auf der Littletou-Insel. — Viele Eidergänse und Möven. — Das Inhalt, xxl» Seite Eis bncht auf, — Kritische Lage des Schooners. — Wir uchmm Abschied von dm Eskimos. — Adieu, Port Foulte...........N9 Siebemmddreißigslcs Kapitel. Wir verlassen Port Foulte. ^ Versuch, Cap Isabella zu erreichen, -^ Wir stoßen auf Packeis u«d suchen Schlltz an dcr Littleton Insel. Jagd. Viele Vögel und Walrosse. - Besuch auf der Cairn^Spihe, - Wir «reichen die Mstlnste. — Aussicht von Cap Isabella. — Plä'ue für die Zukunft. Unsere Resultate. — Erörterung dcr Aussichten, das Polar Meer zu erreichen. — Die Gletscher von Ellesmere Land........3l>? Achtnnddreißigstes Kapitel. Wir verlassen dcu Smith-Sund. Fahrcu ilber das Nord Wasser. -^ Begegnen dciu Packeis. ^ Meer und Luft wimmclu von Leben, - Merk« würdige Luftspiegelung. — Wir erreichen den Whale-Sund, ^ Ich unter-suche deu Suud in einem Boote. - Wir treffen m Itevlit lHstimoo. — Sitten der Eskimos. — Hochzeits-Feierlichkeit, ^ Abuahmc des Staunnes. Ansicht von dcr Bardcu-Bai. — Dcr Tyudall-Gletscher......:tl^ Ncluulnddreißigstcs Kapitel. G Auf der Heimreise. - Einfahrt in die Melvillc-Bai. - Nir treffen mit einem Bär zusannueu. — Stoßen auf daö Packeis. — Fahrcu durch da<< „Süd°Wasser". — Erreichen Upernavik. — Die Neuigkeiten. ^ ^Itach Good haven, — Edles Benehmen der dänischen Negierung und der grönländiscl'en Beamten. - Dnrch einen Sturm ans der Baffins-Bai hinansgetriebcn, ^ Durch den Stnrm rettlos gemacht nnd gezwnugen in Halifax Schutz '^n sucheu, Gastfreundliche Aufnahinc. — Ankunft in Boston. — Ich lerne den wirklichen Zustand des Vaterlandes lenueu. Der Entschluß. Schluß......................N>; Veyeichmß der Illustrationen. Seit« 1. Die Ufer bcs Polar-Mceres, Titellupser. (Vergl. S. 296,) Nach einer Skizze von I)''. Havcs gezeichnet von H. Fenn 2. Karte der Polar-Gegenden ,............ I .? Gezeichnet von C. A, Schott,' '^ 3. Karle vom Smith Sun,h zUH Erläuterung von Oi-.Hayes' Neise nnd Entdeckungen ."^5l.. ,.>..........W Gezeichnet von Dr. Hayes. '' , - ' - 4 Port Foulte und s^yo UlNgebunst in Nord Grönlanb, Winterquartier dcr'Expedition . ,.........76 Gezeichnet von ^>'. H'aycs. 5. Ein arktisches Gespann . . .'...........^ Nach einer S!iz;c von Dr. Hayes gezeichnet von G, G. White -. Hayeö gezeichnet von G. G. White. 8. Eine Wal roß ja gd.................350 Nach der Beschreibung gezeichnet von Darlcy. 9. Tynball'Glctsche, im Whale Sund.........374 Nach einer Photographie von Dr. Hayes gezeichnet von H. Fenn, 0^i!<».5,»«!i .!«">> Einleitung. Plan der Expedition, — Erste Ankündigung. — Anrufung wissenschaftlicher Gesellschaften. — Bitte um Unterstützung, — Oeffmtliche Vorlesungen. — Opferroilligkcit verschiedener Gesellschaften nnd einzelner Männer. — Ankauf eines Fahrzeug« in Boston. — Die in dieser Stadt an dm Tag gelegte Theilnahme, — Schwierigkeit, eine geeignete Schiffsmannschaft zu bekommen, — Organisation der Reisegesellschaft, — Wissenschaftliche Ausrüstung, — Reiche Proviantvorräthe, Das vorliegende Buch soll die Geschichte der Expedition darlegen, die ich nach den arktischen Meeren führte. Der Plan des Unternehmens kam mir zuerst in die Gedanken, während ich als Arzt die Expedition begleitete, die der selige Dr. E. A. Kane, von der Marine der Vereinigten Staaten, befehligte. Obgleich derselbe zur Zeit meiner Rückkehr von jener Reise im October 1855 nicht ausführbar schien, so gab ich doch das Vorhaben nicht auf. Es umfaßte ein ausgedehntes Entdeckungs-project. Der beabsichtigte Wcg war der durch Smith-Sund. Mein Zweck war, die Aufuahme der Küsten von Grünland und Grinucll-Land zu vollenden und in der Richtung nach dein Nordpol die nur irgend möglichen Forschungen anzustellen. Meine Operationsbasis sollte Grinnell-Land bilden, das ich auf meiner früheren Reise entdeckt uud bis über den 80.° nö'rdi. Breite hinaus persönlich durchforscht hatte, also weit genug, nm mich zu überzeugen, daß es für meiuen Zweck förderlich sei. Ich trat der Anficht vieler gelehrten Naturforscher bei, daß das Meer um den Nordpol nicht gefroren sein könne, daß sich innerhalb des Eisgürtels, welcher dasselbe bekanntlich umschließt, eine offene Flache von veränderlicher Ausdehnuug finden müsse, Hayc«, Das offene Polar^ic«. 1 I Plan der Expedition. und wollte die Beweise vermehren, die schon dnrch die früheren holländischen und englischen Reisenden, in neuerer Zeit dnrch die Untersuchungen Scoresby's, Wrangel's und Parry's, und noch später durch Or. Kane's Erpedition angehäuft waren. Bekanntlich lag die grofte Schwierigkeit, auf welche man bei den mannichfachen Versuchen stieß, die man zur Lösung dieser wichtigen physikalischen Aufgabe machte, darin, daß der forscher nicht im Stande war, mit seiucm Schiffe durch den EiZgürtcl zu dringen, oder mit Schlitten weit genng über denselben zu reisen, um den unbestreitbaren Beweis zu erlangen. Meine frühere Erfahrung führte mich zu dem Schlüsse, daß die Aussichten anf Erfolg bei einer Fahrt durch Smith-Sund größer wären, als auf jedem andern Wege, und meine Hoffnungen auf das Gelingen stützten sich auf die Erwartung, daß ich im Stande sein würde, ein Fahrzeug bis ungefähr zur 80. Parallele nördl. Breite in den Eisgürtel hineinzuschieben und von da ein Boot über das Eis nach dem offenen Meere zu schaffen, das ich jenseits zu finden hoffte. War ich so glücklich, dies offene Meer zu erreichen, so gedachte ich mein Boot vom Stapel zu lassen und nordwärts in See zu stechen. Für den Transport über das Eis setzte ich mein Vertrauen hauptsächlich auf den Hund der Eskimos. Wie weit ich im Stande war, meinen Plan auszuführen, werden die folgenden Seiten zeigen. Man wird sich erinnern, daß der höchste Pnnlt, welchen Dr. Kane mit seinen Fahrzeugen erreichte, der Van Rensselaer Hafen unter 78" ^ nördl. Breite war, wo er überwinterte. Dies war auf der östlichen Seite vom Smith-Sund. Mir schien es, daß man auf der westlichen Seite eine günstigere Stellung erreichen könne, und nach eigenen Beobachtungen, die ich im Jahre 1854 auf einer Schlittenreise vom Van Nensselaer Hafen ans machte, hielt ich es für wahrscheinlich, daß man den bereits genannten Breitengrad zu einem Winterquartier und Veobachtungsmittelpunkt machen könne. Den Werth eines solchen Mittelpunktes für den Zweck wissenschaftlicher Untersuchung zu erläutern, wäre ein unnöthiger Versuch. Es war nicht allein die Aussicht auf die Genugthuung, die dnrch Vervollständigung unserer geographischen Kenntniß dieses Theiles der Erdkngel zu gewinnen war, noch der Hinblick auf die endgültige Lösung des Problems eines offenen Polarmeeres, was mich zu Erste Ankündigung. 3 dem Werke, das ich unternommen, crmuthigte. Es gab eine Menge naturwissenschaftliche Fragen, die noch der Entscheidung harrten, und ich hoffte ein Corps nut guten Kenntnissen ausgestatteter Beobachter mit mir zu nehmen. Die Bewegungen der Luft- und Wasscrströme, die Temperatur dieser Elemente, der Druck des erstern und die Gezeiten des letztern, die Veränderungen der Schwere, die Nichtuug uud Stärke der ,,magnetischen Kraft", das Nordlicht, die Bilduug und Veweguug der Gletscher uud viele wichtige Aufgaben aus der Naturgeschichte blicbeu durch Beobachtungen nm den genannten Mittelpunkt hernm zu lösen. Geschickte Arbeiter mit Unternehmungsgeist tonnten au jeuer Stelle ihre Kraft Jahre lang zu gewiuurcicher Thätigkeit verwenden. Diese Zwecke im Auge, wandte ich mich mit großem Vertrauen an die Männer der Wissenschaft in der Welt und an die aufgeklarte öffentliche Mciyung meiner Landslcutc. Die Antwort, obgleich am Ende sehr befriedigend, kam langsamer, als ich anfangs erwartet hatte. Es gab in der That viele entmulhigeude Umstünde, und nicht der geringste derselben war der Gedanke, welcher damals die öffentliche Meiuuug beherrschte, daß alle weiteren Anstreugungen nach dem Nordpol hin fruchtlos sein und einen unvrrantwortlicheu Verlust an Menschenleben in sich schließen müßten. Erst nach vieler Mühe begannen die dem Plane günstigen Einflüsse hier uud da auf das Volk zu wirkeu. Der bedeutendste derselben war natürlich die Genehmigung des Projects «on Seiten derjenigen Vereine, deren Ansichten in Betreff wissenschaftlicher Gegenstände die Masse beherrschen. Die erste öffentliche Anküudigung wurde der amerikanischen Gesellschaft für Geographie und Statistik gemacht. Vor der genannten Körperschaft las ich im December 1857 einen Aufsatz, worin ich den Plan und die Mittel zn seiner Ausführung darlegte. Vci dieser Gelegenheit lernte ich zuerst die Eutmuthigung kennen, die ich bereits erwähnt habe, und es wurde Allen, die sich lo weit für die Sache interesfirt hatten, einleuchtend, daß es, ehe man eine ernstliche Unterstützung erwarten könne, nothwendig sei, das Volk über die Ausführbarkeit der beabfichtigteu Forschungsreise und ihre uerhältnißmäßigc Gefahrlosigkeit zu bclchreu. An diese Aufgabe machte ich mich fogleich selbst, obgleich ich mit irgend einem Schein von Grund die ganze Neise hätte aufgeben mögen- aber im Aller von fünfuudzwanzig Jahren verliert 4 Theilnahme wissenschaftlicher Gesellschaften. man nicht leicht den Muth. Im Einverständmß mit den Freunden des Unternehmens ließ ich zu verstehen geben, daß ich von jeder der zahlreichen literarischen Gesellschaften nnd Vereine, die eben Curse populärer Vorlesungen für den Winter einrichteten, Einladungen annehmen würde. Solche Vorlesungen waren damals ganz in der Mode, und fast jede kleine Stadt im Lande konnte sich ihres ,,Cursus" rühmen. Die Einladungen, welche an mich gelangten, waren sehr zahlreich, und ich machte von denselben Gebrauch, so weit mir meine Zeit reichte. Die wissenschaftlichen nnd belletristischen Zeitschriften und die Tagespresse, die stets bereit ist bei der Förderung edler und der Aufklärung dienender Zwecke zn helfen, gewährten sehr erfreuliche Unterstützung, und als der Frühling des Jahres 1858 begann, nahmen wir zu unserer Freude wahr, daß wir manche der irrthümlicheu Vorstellungen des Volks von den Gefahren einer arktischen Forschungsreise beseitigt hatten. Zu den wichtigsten Vorlesnngen jener Zeit gehörte eine Reihe derselben, die ich auf Anregung des Professor Joseph Henry in dem schönen Hörsaal der Smilhson'schen Stiftung zu Washington hielt. Diese Vorlesungen waren um so wichtiger, weil sie dem Unternehmen die Freundschaft nnd Unterstützung des Professor A. D. Bache, des gelehrten uud einflußreichen Chefs der Küsteuvermessung der Vereinigten Staaten, verschafften. Im April 1858 brachte ich die Sache vor den Amerikanischen Verein znr Beförderung der Wissenschaft in seiner Iahresversamm-lnng zn Baltimore, und diese aus Repräsentanten bestehende Kör-perschufl ernannte anf den Vorschlag des Professor Bache sechzehn ihrer hervorragendsten Mitglieder zu einem Ausschuß für „arktische Forschuug". Es blieb jetzt nur noch übrig, die nöthige materielle Hülfe zu schaffen. Zu diesem Zwecke wurden schleunigst Ausschüsse ernannt von der Amerikanischen philosophischen Gesellschaft, von der Akademie der Naturwissenschaften zu Philadelphia, von der Amerikanischen geographischen Gesellschaft, von dem naturhistorischen Lyccnm zu New-3jork, von der Amerikanischen Akademie der Künste und Wissenschaften und der Bostoner Gesellschaft für Naturgeschichte. Von diesen verschiedenen Ausschüssen wurden sofort Subscrip-tionslisteu eröffnet, und Professor Bache, der immer der Vorderste ist, wenn es gilt, eine wissenschaftliche Entdeckung zn fördern, trat mit seinem gewaltigen Namen an die Spitze der Liste. Oeffentlich»,' Vorlesungen, 5 Der gelehrte Secretnr der Smithson'schen Stiftung, Professor Joseph Henry, gab der Sache weiteren Nachdruck dadurch, daß er wissenschaftliche Instrumente anbot, und darauf folgte die erste Unterstützung Mr. Henry Grinnell's, dessen eifrige Bemühungen und Opfer zu Gunsten arktischer Forschungsreisen zu bekannt sind, als daß er durch meiu Lob Etwas gewinnen könnte. Später wandte ich mich an die Handelskammer in New-?)ork und an das Handelsgericht in Philadelphia, Letzteres bildete schleunigst einen Ausschuß mit denselben Zwecken, wie die vorher r>on den wissenschaftlichen Gesellschaften ernanuten. Noch später sprach ich zu einer großen Menge von Zuhörern in dein Hörsaale des Lowell-Institnts zu Boston, die sich umer der Leitung des Ausschusses der Academie dcr Künste und Wissenschaften versammelt hatten, und es wurde bei dieser Gelegenheit, nach beredten Ansprachen von Seiten des Vorsitzenden, dcs seligen Hon. Edward Everett, und der Professoren Agassiz und W. B. Rogers, ein Ausschuß von Bürgern gebildet, um mit dcn bereits genannten Ausschüssen zusammen zu wirken. Die öffentlichen Vorlesungen, die im Anfange einen so erfreulichen Erfolg gehabt hatten, wurden fortgesetzt und erwiesen sich außer dem wachsenden öffentlichen Interesse, welches sie erzeugten, als eine Quelle substauticllereu Gewinnes. Zwei derselben wurden unter deu Auspicien der Amerikanischen geographischen Gesellschaft gehalten. Diese letzteren gewannen dadnrch einen besonderen Werth, daß Dr. Francis Lieber, Se. Ehrwürden der selige Dr. Vethune, Se. Ehrwürden I. V. Thompson, der selige Professor (später Generalmajor) O. M. Mitchel und Mr. (jetzt Bri-gadegencral) Egbert L. Viele, die bei der Gelegenheit sprachen, das Project öffentlich unterstützten. Die Hauptrede wurde von Dr. Lieber gehalten, und man erkannte in ihr sogleich jenen tüchtigen und gelehrten Schriftsteller wieder. Die Theilnahme, welche von deu Geographen im Auslande an den Tag gelegt wnrde, war kaum geringer als diejenige, welche die Männer der Wissenschaft daheim zeigten. Der große Präsident dcr geographischen Gesellschaft zu London, Sir Roderick Impey Murchison, sprach, als er jener ausgezeichneten Kürperschaft die beabsichtigte Erneuerung arktischer Entdeckung ankündigte, den aufrichtigen Wunsch der Gesellschaft zu dem Gelingen der Unternehmung aus^ und der geistreiche Vi«-Präsident der geographischen 6 Ankauf eines Fahrzeugs. Gesellschaft zu Paris, Mons. oe la Noquette, brachte schleunigst, als einen aufrichtigen Beweis seines Wohlwollens, einen reichen Beitrag zu dem Fond dar. Auch die Freimaurer-Brüderschaft zu New-Aork, Boston nnd Philadelphia leistete ihren Beistand, und er wurde um so höher geschätzt, als es aus freien Stückelt geschah und nuerwartet kam. Trotz der unaufhörlichen Mühe, die man sich auf allen Seiten qab, und der fast allgemeinen Theilnahme, die das Unternehmen endlich erregte, konnte ich doch erst Anfang Juni 18ö0 meine Vorbereitungen beginnen. Meine Forschungspläne waren auf die Hoffnung gestützt, daß ich im Stande sein würde, mit zwei Fahrzeugen aufzubrechen, — einem kleinen Dampfer, der unter Segel fahren und dessen Dampfkraft nur beuutzt werden sollte, wenn wir uns wirklich zwischen dem Eise befanden, — und einem Segelschiff, das ich als Bei- oder Proviantschiff gebrauchen wollte. Jetzt sahen wir ein, daß, wenn ich meine Abreise noch ein Jahr verschieben wollte, die Aussichten auf meine Abfahrt überhaupt sich eher vermindern als wachsen würden; wir entschlossen uns daher, mit den vorhandenen Mitteln zu thun, was wir konnten. Diese Mittel setzten uns in den Stand, nur ein einziges kleines Segelschiff auszurüsten und zu bemannen. Mr. Richard Baker der Jüngere, der energische Vorsitzende des Vostoner Ausschusses, wurde (unterstützt von einem aus den Herren Warren Sawyer, John Stetson, O. W. Peabody und I. D. W. Joy bestehenden Unterausschusse) mit der Auswahl und dem Ankauf eines Schiffes betraut, bei welchem sich die zu leistenden Dienste am besten mit dem Stande unserer Finanzen vereinigten, und die Pflicht wurde mit außerordentlichem Scharfsinn erfüllt. Als ich einige Tage nach dem Abschluß des Kaufes in Boston eintraf, lag das Fahrzeug an einem Werft, mit einer schweren Fracht beladen, die es ans Westindien gebracht hatte. Es war ein dauerhaftes, gut eingerichtetes, schmuck aussehendes kleines Segelschiff und schien dem eigenthümlichen Dienste, zu dem es bestimmt war, ganz angepaßt zu sein. Sein „Beilbrief" zeigte genau, daß es „H. 1" war, daß es einhundert und dreiunddreißig Tonnen Lästigkeit maß, daß es ein Vor- und Hintersegler war, acht Fuß tief im Wasser ging und „Spring Hill" genannt wurde. Diesen Namen vertauschten wir sofort mit „United States", und Ausrüstung. 7 die Aenderung winde später auf meinen Vorschlag durch Congreß-Acte bestätigt. Das Jahr war jetzt weit vorgerückt. Schon ehe das Fahr-zeng gekauft wurde, war es völlig Zeit, daß ich mich auf der Reise befunden hätte, und jede Verzögerung um einen Tag vermehrte meine Vesorgniß, daß ich nicht im Stande sein würde, durch das Eis der Vaffinsbai zu dringen nnd einen Hafen zn erreichen, ehe der Winter jeden Zntritt zum Lande absperrte. Mit nicht geringer Freude sah ich daher den Schooner auf den Stapelblöcken in Hrn. Kelly's Schiffswerft in Ost-Voston liegen und das Werk seiner Niederausrüstung rasch fortschreiten. Zum Schutz gegen die Abnutzung und den Druck des Eises wurden seine Seiten mit einer festen Spikerhant von dritthalb-zolligen Eichenvlanken versehen und die Buge bis hinter zu deu Vorderputtingen mit starken Eisenplatten beschlagen. Inwendig wnrde er mit schweren Balken verstärkt, die in Zwischenräumen von zwölf Fnß ein wenig unterhalb der Wasserlinie querüber gingen und ebenso wie die Deckbalten dnrch Nebenkniee und Kreuzstreben unterstützt wurden. Um bequemer zwischen den» Eise zu arbeiten, wnrde sein Takelwerk ans einem Vor- und Hinterseglcr in einen Vormarssegler umgeändert. In Mlge vieler unvermeidlicher Verzögerungen war der Monat Inni fast zu Ende, ehe der Schooner nach dein Werft in Boston gebracht wnrdc, um seine Vadung zu empfangen. Ein großer Theil dieser Ladung bestand ans freiwilligen Opfcrgaben, die ,,dcr Wissenschaft" dargebracht wuroeu, und kam von verschiedenen Orten, uud da diese ,,Opfer" unregelmäßig anlangten, so gab es natürlich beim Aufspeichern große Verwirrung. Es wird daher nicht überraschend erscheinen, daß unsere Abreise um mehrere Tage verzögert wurde. Ein Monat war selbst uutcr den günstigsten Umständen eine kurze Zeit, um ein Fahrzeug einzurichten, eine com-plicirte Ladung einznkaufeu und aufzuspeichern, Schlitten, Boote und andere Neisegeräthe zu bauen nnd znsammcnznbringen, In-strnmente nnd alle die zu wissenschaftlicher Forschung erforderlichen Dinge zu bekommen, — kurz, die mannichfachen Gegenstände herbeizuschaffen, die zu einer so ungewöhnlichen nnd langwierigen Reise nothwendig sind. Es war ein geschüftsvoller Monat, und nie drängte ich in einen gleich langen Zeitraum meines Lebens so viel Arbeit und Sorge zusammen. 8 Ofsiciere und Mannschaft. Die Auswahl meiner Schiffsmannschaft machte mir nicht wenig zu schaffen. An Material, aus welchem ich wühlen konnte, gab es einen ganz reichlichen Vorrath. Der Zahl nach waren in der That Leute genug vorhanden, um damit ein ansehnliches Geschwader zu bemannen; aber solche zu finden, deren Körperbeschaffenheit und Lebensgewohnheit sie zum Seedienst tauglich machte, war nicht leicht. Die größere Zahl der Freiwilligen war noch nie zur See gewesen, und die meisten von ihnen waren eifrig bereit, ,,in jeder Eigenschaft zu dienen," — eine Erklärung, die, wie ich nur zu oft bei dieser wie bei anderen Gelegenheiten gefunden habe, andeutet, daß sie überhaupt zu gar Nichts taugen. Ich schätzte mich glücklich, mir die Dienste meines früheren Gefährten und Freundes auf der Grinnell-Expedition, Hrn. August Sonntag's, zu sichern, der sich zeitig von Mexico aus, wo er beschäftigt war, einige wichtige wissenschaftliche Forschungen zu leiten, freiwillig erbot, sich mir anzuschließen. Er schlug mir sogar vor, er wolle die Arbeit, zu welcher er damals verwendet wurde, aufgeben, um mich bei den Vorbereitungen zu unterstützen. Als er im Jahre 1859 nach den Vereinigten Staaten zurückkehrte, wurde er bei der Dudley-Sternwarte in Albany angestellt, und um mich zu begleiten, opferte er die schöne Stellung eines zweiten Directors jener Anstalt. Meine Reisegesellschaft zählte, als sie endlich vollständig war, im Ganzen vierzehn Mann; es waren folgende Herren: August Sonntag, Astronom und zweiter Commandaut. S. I. McCormick, Capitäu. Henry W. Dodge, Steuermann. Henry G. Radcliffe, Hülfsastronom. George F. Knorr, Secretär des Commandanten. Collin C. Starr, Untersteuermann. Gibson Caruthers, Hochbootsmanu und Zimmerman«. Francis L. Harris, Freiwilliger. Harvey Hey wood, Freiwilliger. Iot) n McDonald, Matrose. Thomas Barn um, Matrose. Charles McCormick, Matrose. William Miller, Matrose. John Williams, Matrose, Wissenschaftliche Ausrüstung. 9 Unsere Ausrüstung zu wissenschaftlichen Beobachtungen war ziemlich vollständig. Die Smithson'sche Stiftung lieferte, ueben anderen nicht minder wichtigen Apparaten, einen gnten Vorrath an Barometern und Thermometern, sowie auch Spiritussen, Flaschen uud andere Dinge zur Sammlung und Aufbewahrung natur-geschichtlicher Gegenstände. In letzterer Beziehung schulde ich ganz besonderen Dank der Academic der Naturwissenschaften zu Philadelphia und dem Museum zu Cambridge. Ein hübsches Geschenk von Weingeistthermometern erhielt ich von dem geschickten Ver-fcrtiger derselben, Mr. John Tagliabeau in New-3>ork. Von dem topographischen Bureau in Washington wnrde ich durch die Gefälligkeit seines Chefs mit zwei Taschenftrtanten versehen, Instrumente, die ich sonst nirgends, sei es dnrch Kauf oder leihweise, hätte bekommen können. Von dem National-Observatorium hatte ich gehofft, die Benutzung eines Apparats zur Sondirnng der Meerestiefe zu erlangen, bis mir bekannt gemacht wurde, daß die Erlaubniß dazn durch keine Congreß-Acte vorgesehen sei. Außerhalb der Grenzen der nautischen Geschäftsordnung war ich besser daran. Der Chef der Küsten-Vermessung versorgte mich mit einem Vertikalkreis, welcher den doppelten Nutzeu eines Passage-Instrumentes und Theodolits gewährte, einem gnt geprüften Unifilar-Magne-tometer, einem Rcflexionskreis, einem Wurdeman'schen Compah und verschiedenen anderen wcrthvollen Instrumenten. Wir hatten fünf (drei Büchsen- und zwei Taschen-) Chronometer; die letzteren waren zum Gebrauch bei Schlittenreisen bestimmt. Wir hatten ein vortreffliches Fernrohr mit einem füufthalbzolligeu Objectivglas, und unter der vereinten Oberaufsicht des seligen Professor Bond in Cambridge und Hrn. Sonntag's ließ ich einen Pendclapparat nach dem Plane von Foster's Instrument verfertigen. An Instrumenten mangelte mir's nicht, aber an Männern. Mein einziger mit guten Keuntuissm ausgestatteter Gefährte war Herr Sonntag. Unsere Ausrüstung war im Ganzen genommen von der besten Beschaffenheit, und unsere Speisekammer enthielt Alles, was man vernünftigerweise verlangen tonnte. Eine bedeutende Masse in hermetisch verschlossenen Blechbüchsen verwahrtes Fleisch, Gemüse und Obst sicherte uns vor Scorbut, uuo ein großer Porrath an getrocknetem Rindfleisch, Rindfleischsuppe (doek 80uz>, eine Mischung von Fleisch, Mohren, Zwiebeln u. s. w.) und Kartoffeln, der von 40 Segelsertiq. der Amerikanischen Trocknnngsgesellschaft^) in New-2)ork eigens für mich zubereitet war, gewährte uns eine leichte und tragbare Nahrung für Schlittenreisen. Ich zog die Speise in dieser Gestalt dem gewöhnlichen Pemmican^) vor. Mit guter warmer wollener Kleidung ware»! wir reichlich versehen, nnd vier große Ballen Büffelhäute versprachen jedem von uns den Stoff zu einem Pelz nud Schutz gegen die arktifchen Winde. Ein gutes Lager von Büchsen und Muten, uuo Muuitionsvorrath iit Hülle und Mile leisteten uns noch die letzte Bürgschaft gegen Mangel. Im Schiffsraum hatten wir vierzig Tounm Steinkohlen und Holz, nebst einer Quantität Fichtenbretter, die, wenn wir uns im Winterquartier befaudeu, zur Herstellung eines Hauses auf dem obersten Deck bestimmt waren. Unsere Schlitten wurden nach einem von nur selbst gelieferten Modell gebaut, und die Zelte, Kochlampeu und anderen Lager-geräthe uuter meiner persönlichen Aufsicht gefertigt. Vou zahl-reicheu Freunden, deren Namen ich hier nicht erwähnen kann, ohne die Pflicht des Vertrauens zu verletzeu, empfingen nur Bücher nud eine große Menge „Kleinigkeiten", die später während unserer Wiutergefaugenschaft im Cise hoch geschätzt wurden. Wir hatten gehofft, am 4. Juli abzusegeln, nnd die Freuude der Expedition wurdeu von dem Vostoncr Ausschusse durch desseu Secretär, Mr. O. W. Pcabody, eingeladen, uns abreisen zu sehen. Obgleich der Tag düster war und ein feiner Regeu fiel, so wareu doch viele Hundert Menschen zugegen. Durch einen unvermeidlichen Zufall kamen wir nicht fort. Gleichwohl brachten uns die Gäste ihre besten Wünsche dar, und als die Mitglieder meines kleinen Commandos (die an jenem Tage zum ersten Mal alle versammelt wareu) sich der Reihe uach vom Gouverneur des Staates, vom Mavor^*)der Stadt, vom Präsidenten des Harward-College, vou berühmten Staatsmännern, Rednern, Geistlichen und Handelsherren aus Boston, und von Gelehrten aus Cambridge augeredet sahen, war das Maaß ihres Glückes voll. Begeistert durch die so sichtbar kund gegebene Theilnahme au ihren Schicksalen, waren sie zu Allem bereit. *) H,mm-ic;g,n Desiccating' OomMN)?. **) Die nahrhaftesten Fleischcheile getrocknet, pulverisirt, mit Fett vermischt und gepreßt. A n m. d. Ucbers. ***) Bürgermeister. Erstes Kapitel. Abschied von Boston. — In Nantastet Roads vor Auter, - Auf der See. Spat am Abend des 6. Juli 1860 wurde der Schooner „United States" in den Strom gezogen, bereit, am folgenden Morgen deu Hafen zu verlassen. Der Morgen dämmerte heiter und verhieß glückliche Fahrt. Als ich an Bord kam, fand ich, daß eine Anzahl Freuude, die ich eingeladen hatte, nns die Bai hinab zn begleiten, mir gegen eine halbe Stunde vorausgegangen waren. Uuter ihnen befand sich Seine Excellenz der Gouverneur des Staates nebst Vertretern der Ausschüsse von Boston, New-York und Philadelphia. Belebt von einer fröhlichen Gesellschaft Glückwünschender, kam bald der schöne große Schleppdampfer ,,R. B. Forbes" heran, nahm das Ende unserer Pferdeleiuc und zog uns von dem Ankerplatz. Als wir Long Wharf passirten, salutirte nns eine Batterie, welche der Mayor der Stadt zu diesem Zwecke hinabgesandt hatte, und zahlreiche Abschiedshurrah begrüßten nns, als wir die Bai hinabdampften. Da der Wind ungünstig war, so warfen wir in Nautast'ct Noads für die Nacht den Anker aus. Der Schleppdampfer nahm die meisten unserer Freunde mit nach Boston zurück, und ich blieb mit den officielleu Vertreteru der Beförderer des Unternehmens, mit der letzten unserer vielen Berathungen beschäftigt, in meiner Kajüte. Es wurdeu mir eine Handvoll Papiere überreicht, uud ich ward der alleinige Besitzer des Schooners ,,United States" und des am Bord desselben befindlichen Eigenthums. Ehe unsere Verhandlung endete, war die Sonne untergegangen, und da der 12 Erste Nacht aus der Sce. Wind versprach, die Nacht Hinduich anhaltend von ^sien zu wehen, so kehrte ich mit Mr. Baker in seiner Jacht nach Boston zurück. Als ich am nächsten Morgen zum Schooner kam, sah ich, daß der commandirende Ofstcier die Verzögerung benutzt hatte, den Schiffsraum ausbrecheu uud die Schiffsladung besser stauen zu lassen. Wir befanden uns allerdings nicht in dem Zustande, wie er sein muß, wenn man in See geht. Viele Vorräthe wurden im letzten Augenblick iu größter Hast au Bord gebracht, und das Deck war buchstäblich mit Kisten und Ballen bedeckt, die wir iu der Eile der Abreise nicht unterbringen konnten. Erst lange nach Einbruch der Nacht wurden die Luken geschlossen und war Alles in Sicherheit gebracht; da aber der Steuermann nicht au Bord kam, so waren wir genöthigt, zu warten,- bis es Tag wurde. Ich verbrachte die Nacht auf Mr. Baker's Jacht, die in der Nähe lag, mit einigen guten Freunden, die uns nicht verlassen wollten, bis sie uns wirklich abfahren sahen. Auch die beiden hübschen Jachten ,,Stella" und „Howard", deren biederen Eigenthümern ich für zuvorkommende Aufmerksamkeiten verbunden war, leisteten uns Gesellschaft. Mit dem ersten grauen Streifen des dämmernden Tages lichtete diese kleine Flotte ihre Anker und glitt, unsere letzten Abschicds-grüße tragend, sanft nach Hause, während wir mit günstigem Winde in die See stachen. Ehe die Nacht einbrach, war die Küste vor den Augen versunken, und ich wurde noch einmal nmhergeschleudert auf den Wogen des breiten atlantischen Oceans. Wieder sah ich die Sonne unter die Linie der Gewässer sinken und belauschte die wechselnden Wolken, die über dem Lande hingen, welches ich hinter mir gelassen, bis das letzte matte Errathen von Gold und Carmosin in das sanfte Zwielicht zerflossen war. Dann kroch ich in mein dumpfes, enges Nett und schlief den ersten langen ununterbrochenen Schlaf, den ich seit Wochen gehabt hatte. Die Erpedition, die während der vergangenen fünf Jahre meine Aufmerksamkeit so sehr ill Anspruch genommen, war jetzt wirklich unterwegs. Auf die Vorsehung und meine eigene Thatkraft bauend, sah ich der Zukunft mit Vertrauen entgegen. Zweites Kapitel. Ucberfahrt nach der grönländischen Küste. — ManMucht. — Die Verdecke auf der Sec. — Unsere Quartiere, — Der erste Eisberg. — Wir setzen über den Polartreis. — Die Mitternachtssonne. — Der ewige Tag. — Wir sehen das Land. — Eine merkwürdige Scene zwischen den Eisbergen. — Im Pri> vener Hafen vor Anker. Mit den Einzelheiten unserer Fahrt nach der grönländischen Küste will ich den Leser nicht lange anfhalten. Sie bot dnrchaus nichts Anziehendes. Mein erstes Geschäft war, die häuslichen Angelegenheiten meiner kleinen Gesellschaft zu regeln; mein zweites, auf dem Schooner so viel Ordnnng nnd Behaglichkeit als möglich zu schassen. Das Erstere lieh sich viel leichter ausführen als das Letztere. Ich rief die Dfficiere und Mannschaft zusammen und erklärte ihnen, daß, da wir eine lange Zeit eine eigene kleine Welt für uns bilden wür-oen, wir Alle die Pflichten einer gegenseitige» Abhängigkeit und die Bande gegenseitiger Sicherheit, Theilnahme und Ehrgeizes anerkennen müßten. Wenn wir dies im Ange behielten, werde es nns nicht schwer fallen, alle eigennützigen Nücksichten den Bedürfnissen einer gegenseitigen Wohlfahrt unterzuordnen. Die Antwort war für mich sehr erfreulich, und ich hatte später vollkommenen Grund, mir selbst Glück zu wünschen, daß ich gleich im Anfange die Beziehungen der Mannschaft zu mir auf einen so befriedigenden Fuß gestellt hatte. Ohne der Vortheile zu gedenken, die daraus für unsere Bequemlichkeit erwüchse», ersparte mir dieses Verfahren vielen Verdruß. .Ich hatte vom Anfang bis zum Ende der Neise keine Veranlassuug, an eine Verletzung der Mannszucht zu erinnern, und fand es nicht für nothwendig, andere Regeln 14 Die Verdecke und die Kajüte. aufzustellen, als diejenigen, welche in allen gut disciplinirten Schiffen üblich sind. Auf dem Schooner Ordnung zu schaffen, war ebenso unmöglich, wie denselben behaglich zu macheu. Ich sah mich auf dem atlantischen Ocean schaukeln mit Verdeckeu, die sich in einem Zustande befanden, welcher die Geduld des geübteste» Seemanns arg auf die Probe gestellt hätte. Fässer, Kisten, Bretter, Voote uud andere Gegenstände wareu an die Schanzkleid«ngeu und Masten genagelt oder gebunden, bis aller nutzbare Raum bedeckt war, so daß nur eiu enger, sich wiudcnder Pfad vom Hinter- nach dem Voroerkastelverdeck und zur Bewegung kein anderer Platz übrig blieb, als die Decke der Kokertajüte, die gerade zwölf Fuß Länge uud zehn Fuß Breite maß; und auch diese war zum Theil bedeckt und noch dazu mit Gegenständen, die auf einem wohlgeordneten kleinen Schiffe, wenn sie vorhanden sind, wenigstens niemals sollten vor Augen liegen. Das ließ sich aber nicht ändern, — unter den Luken war für Nichts mehr Raum; alle Ecken und Winkel im Fahrzeug waren voll, uud wir hatten keine andere Wahl, als die Verdecke vollgepackt zu laffen, bis eine freundliche Sturzsee kam und die platzraubenden Güter über Bord spülte. (Etwas wegzuwerfeu, waren wir viel zu vorsichtig.) Daß so etwas geschehen werde, war wahrscheinlich- genug, denn wir wurden von der Last so tief niedergedrückt, daß das Deck in der Mitte sich nur anderthalb Fuß über dem Wasser befand, und wenn man auf der Fallreepsplanke stand, konnte man sich jederzeit über die Negeling biegen und das Meer mit den Fingern berühren. Die Kombüse füllte den ganzen Raum zwifchen der Vorluke und dem Großmast aus, und das Wasser, das über die Fallreepsplanke hereinkam, durchströmte dieselbe häusig, ohne daß es sich hindern ließ. Der Koch wurde oft hinausgetrieben, das Feuer ausgelöscht und in Folge davon die Regelmäßigkeil unserer Mahlzeiten ein wenig gestört. Meine Kajüte nahm die hintere Hälfte des „Kokers" ein (der zwei Fuß über das Hinterverdeck hinaufreichte) und war sechs Fuß lang und zehn Fuß breit. Zwei „Gallgläser" im Verdeck gaben mir ein schwaches Licht bei Tage und eine Kerosene-Lampe, die unruhig in ihreu Bügeln quietschte, bei Nacht. Zwei darin angebrachte Kojen, auf jeder Seite eine, gaben bequeme Behälter für Schiffsvorräthe ab. Für mich dagegen »nachte der Zimmer- Im Nebel. 45 mann eine schmale Schlafbank zurecht, und als ich dieselbe mit einem prächtigen Afghan bedeckt und mit einem Paar carmosiu-rother Gardinen umfriedigt, war ich erstannt, wie viel Behaglichkeit ich mir bereitet hatte. Der schmale Naum vor meiner Kajüte enthielt die Treppe, die Speisekammer des Stewards, das Ofenrohr, ein Faß Mehl und ein ,,Zimmer" für Herrn Sonntag. Von da vorwärts, zwei Stufen in den Schiffsraum hiuab, befand sich die Officierkajüte, die genan zwölf Fuß im Geviert und sechs Fuß Höhe, maß. Sie war mit Eichenholz getäfelt und hatte acht Schlafbänke, die glücklicherweise nicht alle besetzt waren. Ein bequemes Zimmer bildete sie nicht. Die Quartiere der Mannschaft lagen uuter dem Vorder-l'astelverdeck, dicht an den „Kielklötzen" der Pfortlnken in der Nähe der Klüseu. Auch sie waren hinsichtlich des Ranmes beengt. Unser Conrs von Boston ans lag direet nach den äußeren EapZ von New-Foundland, anf der innern Seite der Sable-Insel. Jeder, der die Küste von Nova Scotia hinabgcscgelt ist, kennt die Beschaffenheit der Nebel, welche, besonders während der warmen Jahreszeit, über den Bänken hängen, und wir genossen die Verlegenheit, in welche der Schiffer, der diese Gewässer befährt, gewöhnlich geräth, in vollem Maaße. Am zweiten Tage nach unserer Abfahrt von Boston geriethen wir in ein Nebelland und waren sieben Tage lang in einen so dichten Dunstkreis eingehüllt, daß er die Sonne und den Horizont vollständig verfinsterte. Wir konnten natürlich kein Land sehen und mnßten uns daher während dieser Zeit in Betreff unserer Stellung anf die Lothleine und unsere Gissing*) verlassen. Unsichere Strömnngen machten die Zuverlässigkeit der letzteren zweifelhaft. Am sechsten Tage dieses dem Anschein nach endlosen Nebels wurde ich etwas unruhiger als gewöhnlich; der Cavitän aber versicherte mir, daß er über unsere Stellung im Klaren sei, nnd b e -wies es, während die Karte vor uns auf dem Tische lag, durch die Sondirnngrn. In der Tagwache^) sollten wir Cap Race umsegelu. Die Tagwache fand mich auf dem Deck, und nnsere Stellung *) Berechnung deö znrilÄgelegtm Weges. A n m. d. Uebers. ""»>) Zwischen 4 und 8 Uhr Morgens. Anm. d. Ucbcrs. 16 Wir setzen über den Polarkreis. wurde, wie zuvor, durch das Loth nachgewiesen. Das Loth war ein falscher Prophet, denn anstatt außen herumzufahren, liefen wir gerade auf das Cap los. Da mir jedoch die Versicherungen, die ich erhalten hatte, genügten, so ging ich zum frühstück hinab, hatte mich aber kaun: gesetzt, als uns der unangenehmste aller Nufe, — den man, hat man ihn einmal gehört, nie vergißt: — „Brandung voru!" erfchreckte. Auf dem Deck angekommen, sah ich die Segel im Winde killen, uud fast auf Pistolenschußweite stieg eine große schwarze Wand empor, an welcher sich die See in drohendster Weise brach. Zum Glück kam der Schooner schnell in den Wind nnd blieb stehen, fönst Hütten wir in wenigen Minuten straudeu muffen. Wir hielten uns uuu dicht an den Felsen, ehe die Segel fich füllten, und begannen langfam wegzukriechen. Das von der tückischen Klippe zurückgeworfene Flugwasfer siel wirklich auf das Deck, und es schien, als kouute ich die Felseu fast mit der Hand berühren. Wir hatten bald die Freude, den dunkeln Nebelschleier zwischen uns und die Gefahr gezogen zu sehen. Aber die Gefahr war offenbar noch nicht vorüber. In einer halben Stunde uahm der Wind fast bis zu einer Windstille ab uud ließ uns eine schwere See zurück, mit der wir kämpfen mußten, während aus der Dunkelheit her die Wehklage der zornigen Brandung kam, die um den Verlust ihrer Beute heulte. Gegen Mittag uahm der Wind zu uud befreite uns aus der Ungewißheit. Entschlossen, diesmal Cap Race weit auszuweichen, eilten wir ostsüdöstlich davon, uud erst als ich mich durch die Farbe des Wassers überzeugte, daß New-Foundland in einer Ent-fernnng liege, in der es uus uicht mehr gefährlich werdeu konnte, ließ ich deu Schooner mit volleu Segeln seiueu Cours nach Cap Farewell steuern. Es wehte jetzt eine steife Kühlte vou Südeu, und als die Nacht einbrach, fuhren wir unter eug eiugereeftem Marssegel vor dem Winde. Eine Neihe südlicher Stürme jagte uns nordwärts, und wir holten unsere Polhöhe mit erfreulicher Schnelligkeit ein. In wenigen Tagen durchfurchten wir die Gewässer, in denen sich Grönlands felsennmschlossene Küsten baden. Am W. Juli befand ich mich zn meiner Freude wieder innerhalb des nördlichen Polarkreises. Diese imaginäre Liuie wurde um acht Uhr Abends überschritten und das Ereigniß durch eine Salve aus unserer Signalkanone und Cutfalten der Flagge gefeiert. Der erste Eisberg. 17 Wir fühlten jetzt, daß wir völlig in unsere Laufbahn eingetreten waren. Vor zwanzig Tagen hatten wir Boston verlassen; wir hatten also im Durchschnitt jeden Tag hundert englische Meilen zurückgelegt. Der Schooner hatte sich als ein vortreffliches Seeboot bewahrt. Die Küste von Grönland lag, durch eine Wolke verdunkelt, etwa zehn französische Meilen*) entfernt; wir hatten Cap Walsingham auf der Vackbordseite, und die hohen Suckertoppen hätten wir auf der Steuerbordseite sehen können, wenn die Luft rein gewesen wäre. Wir hatten zwar das Land noch nicht erblickt, aber wir hatten unsern ersten Eisberg getroffen, wir hatten die „Mitternachtssonne" gesehen und waren in den ewigen Tag gekommen. Als der Stundenzeiger der 3)ankee-llhr, die über meinem Kopfe tickte, auf XII stand, überfluthete das Sonnenlicht noch immer die Kajüte. Schon in früheren Iahreu an dieses fremdartige Leben gewöhnt, hatte der Wechsel für mich wenig Neues; die Officiere aber klagten über Schlaflosigkeit und lagen trag umher, als ob sie auf die altmodische Dunkelheit warteten, die an die Schlafzeit erinnert. Den ersten Eisberg trafen wir am Tage znvor, ehe wir den Polarkreis passirten. Die matt-weiße Masse brach aus einem dichten Nebel über uns herein und wurde von dem Ausluger, als er zuerst das Geräusch der Brandung vernahm, die an denselben schlug, fälschlich für Land gehalten. Er schwamm gerade auf uns zu, aber wir hatten Zeit genug, ihm auszuweichen. Seine Gestalt war die eiuer unregelmäßigen Pyramide, an der Grundfläche ungefähr dreihundert Fuß uud vielleicht halb so hoch. Sein Gipfel war anfangs verdunkelt, endlich aber zertheilte sich der Nebel und enthüllte die Spitze eines glitzernden Kirchthurms, um welchen die weißen Wolken sich im Sonnenlicht ringelten und tanzten. In der starren Gleichgültigkeit, mit welcher er die Wellenschläge des Meeres aufnahm, lag etwas höchst Rührendes. Liebkosend schlangen die Wogen ihre sanften Arme um ihn, aber er würdigte sie nicht einmal eines anerkennenden Zunickens und ließ sie heulend und jammernd zurücktaumeln. In der DaviZ-Straße hatten wir eine schlechte Fahrt. Ein- *) 1 französische Meile -- 8 englische; 4'/^ englische -^ 1 geographische. Aum. d. Ucbcrs. Hayes, Das offene Polai-Mer. locht wird. Aum. d. Uebers. Arttische Flora. 27 Versuch gewesen. Ihre Bewohner leben hauptsächlich von der Seehundsjagd, und von allen nördlichen Colonien sind wenige so gediehen. Die in einigen Jahren gemachten Sammlungen von Thran und Fellen reichen hin, eine Brigg von dreihundert Tonnen zu befrachten. Der Ort legt glänzendes Zeugniß ab von der Beschäftigung seiner Bewohner. Aafe und Abfälle von Seehunden lagen längs dem Strande, auf den Felsen und zwischen den Hütten in jeder Stufe der Zersetzung umher, und dies, nebst der Anhäufung aller anderen nur denkbaren Stoffe, die eine barbarische Verachtung gegen die menschliche Nase darlegen konnten, machte die ersten Stunden unseres Aufenthalts daselbst nichts weniger als behaglich. Eine bessere Aussicht begrüßte uns hinter der Stadt, Dort lag ein schönes Thal, zwischen den Felsen eingeschlossen und reich an arktischer Vegetation. Es war mit einem dichten Nasen von Moos und Gräsern bedeckt, uuter welchen die ?oa arotio^ (N^-oeria arcti««, und ^lopktmru« n.Ipinn8 in größter Fülle auftraten. Stellenweise war es eine vollkommene Marsch. Kleine Ströme von geschmolzenem Schnee schlangelten sich durch dasselbe, zwischen den Steinen rieselnd, oder wild über die Felsen stürzend. Ueber dem Grüü flatterten Myriaden kleiner Mohnen mit goldenen Blumenblättern (kapaver nuäieaul«). Der Löwenzahn (I^outo-lion pnlußtw), nahe verwandt mit der daheim so wohlbekannten wilden Blume, leistete ihneu Gesellschaft; zuweilen ließ sich die Butterblume lPnnünouIus nivaliß) mit ihrem lächelnden, wohler-innerlichen Gesichte sehen, und die weniger vertraute kotentiiia uud die purpurne keclieularis standen da und dort umher. Auch die Saxifragen, purpurn, weiß und gelb, waren sehr zahlreich. Ich erbeutete nicht weniger nls sieben Varietäten. Die Birke und schwarze Rauschbccrc, und die schöne ^näromeäa, Grönlands Heide, wuchsen zusammengeflochten in einem geschützten Winkel zwischen den Felsen, und in seltsamer Nachäffung südlichen Reichthums kä'mpfteu die Weiden auf dem schwammigen Rasen schwach um das Dasein. Mit meiner Mütze bedeckte ich einen ganzen Wald derselben. Ich war im Jahre 1853 in Proven gewesen, uud der Ort hatte sich in der Zwischenzeit nicht verändert. Der alte Erhändler Christiansen war dort, etwas älter, aber nicht weniger genügsam als zuvor. Er beklagte sich bitter, daß Dr. Kane seine Versprechungen nicht gehalten habe, die er ihm gegeben, und ich versuchte seinen ZK Werth bei Hunde. Zorn zu besänftigen, indem ich ihm versicherte, daß Dr. Kane sein Fahrzeug verloren und nicht habe zurückkehren können; aber sein Leben sei sieben Jahre hindurch unglücklich gemacht worden durch Visionen eines Fasses amerikanischen Mehls, und er könne sich gar nicht trösten. Er war kaum im Stande, umherzukriechen; als ich ihm aber den ersehnten Schatz an's Ufer schickte, fand er Kraft, den Deckel aus dem Fasse zu brechen, und seiue Augen an der lange erwarteten Gabe zu weiden. Seine Söhne, jeder mit einer Schaar Kinder mit Eskimo-Gesichtern, obgleich flachshaarigen Häuptern, drängten sich um das Geschenk herum. Mein Tagebuch rühmt, daß sie die besten Jäger in der Eolonie wären, und daß sie die besten Hundegespanne hätten; aber es erwähnt auch mit einen: kleinen Aerger, daß sie keinen einzigen ihrer Hunde verkaufen wollten. Ich schrieb diese Halsstarrigkeit damals ihrem störrischen alten väterlichen Verwandten zu; aber es gab bessere Gründe. Aus bitterer Erfahrnng kannten sie die Gefahren, in den langen Winter hineinzugehen ohne eine große Anzahl Hunde, um sie auf der Sechundsjagd über das Eis zu fahren, und sich von ihren Thieren trennen, hieß den Hungertod wagen. Ich erbot mich, ihnen Schweine-, Rind- und in Büchsen verwahrtes Fleisch, und Mehl und Bohnen zu geben"; aber sie zogen den Seehund und die Aufregung, welche die Jagd mit sich bringt, vor und wiesen den Handel ab. Endlich waren die Eilboten alle angelangt, brachten jedoch unwillkommene Antworten mit. Ein halbes' Dutzend alte und eine geringere Anzahl guter Hunde war Alles, was ich hatte, um mich über den Verzug zu trösten; aber der Obcrhändler war nach Upernavik zurückgekehrt, und von diesem Orte hatte ich ermuthi-gendere Berichte erhalten, als von den unteren Stationen. Viertes Kapitel. Upeinllvil. — Gastfreundschaft der Einwohner. — Gibson Caruthers' Tod und Beerdigung. — Ein Essen am Vord. — Abschied, Am frühen Morgen des 12. stachen wir in See, und am Abend desselben Tages waren wir in Upernavit. Der Eingang zum Hafen ist wegen eines Riffes, das außerhalb des Ankerplatzes liegt, etwas unsicher; aber wir waren so glücklich, in Pröven einen eingebornen Lootsen zu bekommen, und fuhren ohne Unfall hinein. Dieser Lootse war in seiner Weise ein Original. Es scheint, daß er von seinen heidnischen Wegen bekehrt worden war und sich der Wohlthaten der Taufe und des Namens Adam erfreute. In einen sehr abgetragenen Anzug von Seehuudsfellen gekleidet, hatte Adam wenig von der Nettigkeit eines Matrosen an sich; aber wenn er auch kein Palinurus war, so hatte doch kein Lootse in der ganzen Welt je eine höhere Meinung von seiner persönlichen Wichtigkeit. Seine äußere Erscheinung war indeß nicht darauf berechnet, großes Vertrauen zu seiner Geschicklichkeit einzuflößen, und der Capitän fetzte ihm so unaufhörlich mit Fragen zu, daß er zuletzt ungeduldig wurde; seine Eitelkeit und Kenntniß in einen kurzen Satz zusammenfassend, welcher deutlich besagte: „Ich bin Herr der Situation," belehrte er diesen Officier, daß es allezeit „viel Wasser gäbe, Felsen überhaupt gar nicht," und zog sich mit allen Zeichen verletzter Würde zurück. Seine Belehrung war richtig, wenn auch nicht sein Englisch. Wir fanden die dänische Brigg „Thialfe" behaglich vor Anker im Hafen liegen und ankerten dicht neben ihr. Dies war das erste Fahrzeug, das wir gesehen, seitdem wir die Fischerschmacken auf der Höhe von Cap Cod verlassen hatten. Sie nahm Thran 3l> Upernavik. und Felle nach Kopenhagen ein, nnd ihr Commandant, Herr Bor-dolf, benachrichtigte mich, daß er in einigen Tagen abzusegeln hoffe, — endlich eine (Gelegenheit, den Aengstlichen daheim Vriefe zu senden. Die Bewohner der Eolonie waren schon über die Ankunft des „Dcmste Skip" sehr aufgeregt, und zwei Fahrzeuge auf einmal im Hafen war eine Erscheinung, die sie seit langer Zeit nicht gesehen hatten. Der moosbewachsene Hügel, der sich von der Stadt nach dem Strande neigt, war mit einer bunten Gruppe von Männern, Frauen und Kindern bedeckt, die, als wir uns dem Ankerplatz näherten, eine ganz malerische Erscheinuug Hot. Herr Hansen empfing mich mit echt skandinavischer Herzlichkeit; er geleitete mich nacki dein Negierungsgebüude und stellte mich dem sein Amt niederlegenden Oberhändler, Dr. Rudolph, vor, einem feingebildeten Vertreter des dänischen Heeres, der eben im Begriff stand, auf der „Thialfe" in dir Heimach zurückzukehren. Bei einem Krug im Laude gebrauten BiereZ und eiuer holländischen Pfeife befanden wir uns bald im Gespräch über die Aussicht, Hunde zu bekommeu, und über den Zustand des Eises nach Norden hin. Uperuauit unterscheidet sich in seiner allgemeinen Erscheinung nur wenig von Proven. Es hat einige Hütten und einige Einwohner mehr, und weil es der Sitz des Oberhändlers für den ,.Upernaviker District" ist, der Proven und was dazu gehört, mit umfaßt, so hat es etwas mehr Bedeutung erhalten. Dies rührt vielleicht von einer netten kleinen Kirche und einer Pfarrei her. Zum Pfarrhause fand ich schnell den Weg, denn ich wähnte hinter den sauberen Muslm-Vorhangeu seiner wuuderlicheu kleinen Fenster ein weibliches Gesicht zu entdecken. Ich klopfte an die Thür uud wurde von dem seltsamste,: Exemplar eines Frauenzimmers, das je auf den Zug der Klingel erschien, in ein trauliches Zimmercheu geführt, desseu eigensinnige Sanberkeit über das Geschlecht seiner Bewohner keinen Zweifel ließ. Das Mädchen war eine in voller Blüthe stehende Eskimo, mit tupferfarbigem Gesicht und schwarzem Haar, das auf dem Scheitel des Kopfes zu eiuem Knoten geflochten war. Sie trug eine Jacke, die bis zur Taille reichte, Hosen von Seehundsfell und bis über die Kniee heraufgehende Stiefel, die scharlachrot!) gefärbt und auf eine Weise gestickt waren, über welche die Dresdener Mädchen erstaunen würden. Durch das Zimmer Eine arttische Grabstätte. 31 verbreitete sich der Wohlsseruch der duftigen Rose, Neseda und Sonnenwende 5), die sich im Sonnenlicht unter den schneeweißen Vorhängen pflegten. Ein Kanarienvogel zwitscherte auf seiner Stange über der Thür, eine Katze schnurrte auf dem Kamin-tevpjch, und ein nicht zu verkennender Herr streckte, eine weiche weifte Hand ans, nm mich willkommen zu heißen. Es waren Seine Ehrwürdcn Herr Anton, der Missionär des Ortes. Fran Anton tanchte bald ans einem behaglichen Nebenkammerchen anf. Gleich darauf kam ihre Schwester, und wir waren schnell um einen heimathlichen Tisch gruppirt; eine Flasche echter Unsitte, vortrefflicher Kaffee, dänische Kost und dänifche Herzlichkeit ließen uns rasch die Beschwerden unfcrs eingeschränkten Lebens in dem kleinen vom Sturm geschleuderten Schooner vergessen. Mein Besuch bei Herrn Anton war jedoch mit großer Trauer verbunden. Ein geschätztes Mitglied meiner Gesellschaft, Mr. Gibson Caruthers, war in der vorhergehenden Nacht gestorben, und ich wollte den Mifsionär bitten, das Todtcnamt zu verrichten. Er willigte sofort ein, nnd die Stunde der Beerdigung wurde auf den folgenden Tag festgesetzt. Die Beerdigung eines Gefährten ist zn jeder Zrit schmerzlich; aber für uns, die wir von der Welt abgesondert standen, war sie es doppelt. Der Verstorbene hatte sich durch die vortrefflichen Eigenschaften seines Kopfes nnd Herzens bei Allen am Bord beliebt gemacht, nnd der plötzliche Eintritt seines Todes ließ den Eindrnck, den er auf seine ehemaligen Genossen machte, nm so stärker empfinden. Er hatte sich die Nacht zuvor vollkommen ge-snnd znr Ruhe begeben nnd wnrdc am nächsten Morgen todt in seiner Koje gefnnden. Für die Expedition war er ein bedeutender Verlnst. Außer Herrn Sonntag war er das einzige Mitglied meiner Gesellschaft, das in den arktischen Meeren gewesen, nnd ich hatte auf seine Kenntniß und seinen Verstand viel gerechnet. Er hatte unter De Haven anf der ersten Grinnell-Erpedition von Wl)0—51 gedient und ein vortreffliches Zeugniß für Tapferkeit und Muth mit nach Hause gebracht. Der Begräbniszplatz in Upcrnavik ist zn menschlicher Beerdigung ein kläglicher Ort. Er liegt an der Hü gel wand über der Stadt und ist unbeschreiblich traurig und öde. Er besteht aus 33 Bevölkerung von Uperncwik. einer Reihe Felsenstufen, auf welchen, mit Steinhaufen bedeckt (denn Erde giebt es dort nicht), einige rohe Särge stehen, — eine traurige Ruhestätte für diejenigen, welche hier ihren letzten Schlaf im ewigen Winter schlafen. Der Leichnam des armen Caruthers liegt auf einem, das von ihm so heiß geliebte Meer überblickenden Vorsprung, und die schlagende Brandung wird ihm ein ewiges Requiem singen. Wir wurden vier Tage in Uperuavik aufgehalten, iudem wir Hunde sammelten und die Grundstoffe einer arktischen Garderobe aufhäuften. Die letzteren bestanden aus Nennthier-, Seehundsund Hundefellen, von denen wir eine Quantität in Pröven bekommen und in die Hände der eingeborenen Frauen gelegt hatten, um sie in geeignete Kleidungsstücke zu verwandeln. Die längste Zeit erforderte die Herstellung der Stiefeln. Sie werden aus gegerbtem Seehundsfell gemacht, mit Sehnen genäht, eingewalkt und auf wahrhaft geistreiche Weise dem Fuße angepaßt. Wenn sie richtig gemacht werden, sind sie vollkommen wasserdicht. Der Stiefel, den die halbcivilisirten eingeborenen Frauen tragen, ist wirklich sowohl ein hübsches als nützliches Stück künstlicher Nadelarbeit. Indem man das gegerbte Seehundsfell abwechselnd gefrieren und aufthauen läßt und der Sonne aussetzt, wird es vollkommen gebleicht, und in diesem Zustande läßt es sich leicht mit jeder Farbe bemalen, die Franenlaune eingiebt oder der Oberhändler zufällig in seiner Vorrathskammer hat. Grönlands Frauen sind von den reizenden Eitelkeiten der Frauen anderer Länder nicht frei. Sie lieben lebhafte Farben sehr und verschmähen die Bewunderung nicht. Nöthe Stiefel, oder weiße, mit Roth geschmückt, schienen am meisten Mode zu seiu, obgleich die Farbenverschiedenheit ebenso wenig ein Ende findet als die Wunderlichkeit der Phantasie, welche sie an die Hand giebt. Man kann sich schwerlich einen possierlicheren Anblick denken, als der Haufe roth-, gelb-, weiß-, purpurn- und blaubeiniger Frauen darbot, die, als wir in den Hafen einliefen, sich am Strande hin drängten. Die Bevölkerung von Upernavik zählt ungefähr zweihundert Seelen, worunter sich etwa zwanzig Dänen und eine größere Anzahl Mischlinge befinden, während die Uebrigcn eingeborene Grönländer, das heißt Eskimos sind. Später werde ich mehr von ihnen zu sagen haben, jetzt aber ist meine Absicht, den Leser so schnell als möglich auf den Schauplatz uuserer Forschungen zu Neue Rekruten. 33 führen. Er wird gewiß eben so große Sehnsucht fühlen, von Uper-navik wegzukommen, als ich empfand. Durch Herrn Hansen's Güte bekam ich hier drei eingeborene Jäger und auch einen Dolmetscher. Der Letztere hatte sich auf der „Thialfe" nach Kopenhagen eingeschifft, konnte aber dem verlockenden Anerbieten nicht widerstehen, das ich ihm machte, und begab sich schnell von der dänischen Brigg in unsere überfüllte Kajüte herüber. Er war ein gemüthlicher, kräftiger Mann, hatte zehn Jahre in Grünland gelebt und, da sein Verstand das gewöhnliche Maaß überstieg, am Bord der englischen Walsischschiffe sich eine genügende Kenntniß der englischen Sprache gesammelt, um die Sicherheit zu gewähren, daß er ein sehr nützliches Mitglied meiner Gesellschaft sei, im Fall wir mit Eskimos zusammeu-trafen, mit deren Sprache er vollkommen vertrant war. Außerdem war er ein vortrefflicher Jäger und Hundetreiber, und indem er sich mir anschloß, verschaffte ich mir sein Hundegespann, das schönste in ganz Nordgrünland. Aber leider verursachte dies einen weiteren Aufenthalt, denn die Hunde waren sechzig Meilen die Küste hinauf, in Tessuissak, eiuer kleinen Iagdstation, von welcher er damals, als er Urlaub erhielt, um ein Jahr in die Heimath zu gehen, Händler war. Auch zwei dänische Matrosen schiffte ich ein und brachte dadurch meine Reisegesellschaft auf zwanzig Seelen. Da die neuen Rekruten in den folgenden Kapiteln oft auftreten werden, so nenne ich hier ihre Namen i Peter Jensen, Dolmetscher und Hunde-Aufseher. Carl Emil OlZwig, Matrose. Carl Christian Peters en, Matrose und Zimmermann. Peter (bekehrter Eskimo), Jäger und Hundetreiber. Marcus „ „ „ „ Jacob „ ,, ,, ,, ,, Der freunolicheu Gesinnung der Bewohner Upernaviks verdanke ich viel. Ihre einfache, aber vom Herzen kommende Gastfreundschaft war ein erquickender Umstand unserer Kreuzfahrt, und der beharrliche Wunsch, meinen Bedürfnissen abzuhelfen, sowie die Mühe, die sie sich gaben, mir das zu verschaffen, was ich so nothwendig brauchte, wird iu dankbarein Andenken bleiben. Hätten sich die öffentlichen Beamten meiner nicht angenommen und hätte ich mir selbst helfen sollen, so wäre ich wahrhaftig schlimm daran gewesen. Zu ihrer Ehre erwähne ich es, daß sie jede Art Hapeü, Das offene Polar Meer. H 34 Ein Essen am Bord. Vergütung zurückwiesen, und nicht ohne große Mühe ließen sich einige derselben bewegen, nur ein Faß Mehl oder eine Büchse Fleisch oder Gemüse anzunehmen. „Sie werden es nöthiger brauchen als wir," war die stets gleichlautende Antwort. Der Oberhändler schickte wirklich ein Geschenk wieder an Bord, welches ich ihm für das schöne Gespann Hunde gemacht hatte, das ich seiner Großmuth verdankte. Gewissermaßen um zu zeigen, wie hoch ich den Geist schätzte, der diese warmherzigen Leute trieb, beschloß ich, unsere Abreise durch ein Essen zu feiern, das ich den Vertretern König Friedrich's des Siebenten an diesem nördlichsten Vorposten christlicher Ansicd-lung gab. Ich schickte daher meinen Secretür, Mr. Knorr, mit einigen formgemäß aussehenden Einladungen aus, die mit dem ganzen Anstand Pariser Papiers und rosenduftigen Siegellacks ausgestattet waren. Er kam in wenigen Stunden mit drei Paaren zurück. Zwei der Damen waren aus dem Pfarrhause; die dritte war die Gattin des Oberhänolers. I)r. Nudolph, Herr Hansen und der Missionär bildeten ihre Bedeckung. Der Eapitäu der „Thialfe" befand sich bereits am Bord. Mittlerweile war unser alter schwedischer Koch halb verrückt geworden und der Steward leistete ihm Gesellschaft. In diesen hohen Breiten ein Essen für Damen zu veranstalten, lag nicht in ihrer Vorstellung von den strengen Anforderungen der Würde einer Forschungsreise. Sie „konnten es nicht begreifen." Der Steward ermöglichte es jedoch, die Seehundsfelle, welche die Kajüte versperrten, anf den Schlafbänkcn unterzubringen, und beseitigte dadurch allen unseren grönländischen Unrach bis auf den Geruch. Aber erst als das reine weiße Tischtuch, welches er aus einer außergewöhnlichen Kiste hervorbrachte, mit den rauchenden Schüsseln bedeckt wurde, die sein Scharfsinn ausgedacht hatte, wurde auf seinem Gesicht ein Lichtstrahl sichtbar, der sich der Freundlichkeit näherte. Da er jedoch im Allgemeinen ein sanftgesitteter Mann war, so wirkten seine grimmigen Blicke auf den Fortschritt der Vorbereitungen nicht wesentlich ein, und das feierliche Gesicht, mit welchem er dem Koch in großem Vertrauen vorhersagte, daß „solche Thorheit uns Alle in's Verderben bringen werde, es wahrlich werde," zeigte endlich ein geisterhaftes Lächeln und gab zuletzt eme zum Verzeihen geneigte Gemüthsstimmung kund. Ja, am Ende war er auf sein „Gedeck" ganz stolz. Abschied uon Upernavik. 35 Das Gedeck war in der That aller Ehren werth. Der Inhalt unserer hermetisch verschlossenen Büchsen war für jene Bewohner des Seehundslandcs eine willkommene Abwechselung; Grönlands Seen lieferten einigen edlen Lachs, nnd meine Proviantkiften trugen Etwas ans dem sonnigen Frankreich und dem goldenen Italien, sowie von Santa Cruz die Stoffe zu einem vortrefflichen Punsche bei. Die Unterhaltung wollte anfangs nicht recht vorwärts kommen, aber nach nnd nach wnrde Englisch, Dünisch, Deutsch und schlechtes Latein harmonisch untereinander gemischt wie die Bestandtheile des Punsches; Toaste wurden ausgebracht, — auf deu König, auf den Präsidenten, auf alles Glück, auf uns selbst, und Reden wurden gehalten, in denen man die glorreichen Erinnerungen der Kinder Odin's gebührend hervorhob. Die Fröhlichkeit wurde warm. Vielleicht angespornt durch eine neue Lobeserhebuug für den tapfern Harold und die russische Jungfrau, uud die Kämpfe und Liebschaften der Vikinger überhaupt, hatte soeben Jemand den besten Toast des Matrosen: ,,Liebchen und Weiber" ausgebracht und eine passende Erwiederung erhalten, als man auf der KaMcntreppe den schweren Tritt von einem Paar riesiger Seestiefeln hörte, nnd der Untersteuermann gleich Nanquo's Geist zu uns hereindrang. ,,Der Officicr des Decks sendet mich, zn melden, Sir, daß die Hunde alle am Bord sind, Sir, und daß das Ankertau stag-weise eingewunden ist, wie befohlen, Sir." „Wie ist der Wind?" „Leicht uud südlich, Sir." Da konnte es nichts helfen. Die Gäste mußten sich entfernen. Die „Sachen" der Damen wurden eiligst zusammengesucht, die Damen selbst schnell über die Fallreepsplanke in's Boot gebracht- Or. Rudolph übernahm unsere Briefe und versprach, sie dem amerikanischen Consul in Kopenhagen einzuhändigen; „olwk, oliok," ging das Bratspill; auf stiegen unsere weißen Flügel, und das letzte Glied der Kette, die uns an die Welt — die Welt der Liebe, warmer Lüfte und grüuer Wiesen — band, zerbrach vollends, als wir vom Gipfel des Hügels her den letzten Schimmer eines bunteu Bandes und das letzte Flattern eines weiften Taschentuches erblickten. 3* Fünftes Kapitel. Zwischen den Eisbergen. — Gefahren arktischer Schifffahrt. — Wir entgehen mit genauer Noth einem zerbröckelnden Eisberg. — Ausmessung eines Eisberges. Upernavik ist nicht minder die Grenze sicherer Schifffahrt als der entlegenste Punkt des civilisirten Lebens. Die wirklichen Beschwerden unserer Fahrt begannen, ehe noch seine kleine weiße Giebelkirche sich völlig gegen die hinter ihr stehenden dunklen Hügel verlor. Eine gewaltige Neihe von Eisbergen lag querüber vor unserem Cours, und da uns keine andere Wahl blieb, so fuhren wir zwifchen dieselben hinein. Manche waren von ungeheurer Größe, über zweihundert Fuß hoch und eine Meile lang; andere waren nicht größer als der Schooner. Ihre Gestalten waren eben so verschieden wie ihre Dimensionen, von festen mattweißen Massen mit geradeanfsteigenden Seiten und herabstürzenden Wasserfallen, bis zu einem alten vom Wetter beschädigten Haufen gothischer Thürme, deren krystallene Spitzen und scharfe Winkel in den blauen Himmel verschmolzen. Sie waren endlos lind unzählbar, und standen so dicht aneinander, daß sie in einer kleinen Entfernung einen ununterbrochenen Gisbaldachin auf dem Meere zu bilden schienen, und als wir uns ganz zwischen ihnen befanden, war der Horizont vollständig vernichtet. Hätten wir mitten im Schwarzwald gestanden, so hätten wir nicht vollkommener vom „sehenden Tageslicht" können abgeschnitten sein. Als der letzte Streifen des Horizontes zwischen den hinter uns stehenden hohen Eisbergen vor den Augen verschwand, kam der Steward (der eine poetische Gemüthsrichtung hatte) ans der Kambüse, blieb einen Angenblick stehen, warf einen schmachtenden Blick nach der Orffnnng und siel Ich photographire. 3? bann durch die Kajütensvringluke, indem er aus der „Holle" recitirte i „Laßt, w« hier eingeht, jede Hoffnung schwinden." Die Officiere riefen von unten nach ihrem Kaffee, und es ist nie ermittelt worden, ob der Steward an die Kajüte oder an die Eisberge dachte. Vier Tage lang wanden wir uns mühsam durch das scheinbar unendliche Labyrinth. Die Tage schwanden langsam dahin, denn der Wind, im besten Falle nur eine „Katzenpfote",*) starb oft zu einer völligen Windstille ab und ließ uns die Stunden in einem kalten Nebel oder in dem hellen Schein des beständigen Tageslichtes verlungern. Wenn dieser Zustand etwas Neues hatte, so hatte er auch seine Gefahren und Sorgen. Die Eisberge, die nur durch die Unterströme beeinflußt werden, standen für uns in der Praxis still, und der Oberstrom des Wassers, der uns, wenn wir unser Kielwasser verloren, hin und her trieb, machte unsere Lage nichts weniger als sicher. Wir betrachteten sie bald als unsere natürlichen Feinde und sahen sie mit verdächtigen Augen an. Wir wurden oft auf fie hingctrieben und entkamen nur mit Schwierigkeit und Lärmgeschrei; noch öfter rette-teu wir uns vor einem Zusammenstoß mit ihnen dadurch, daß wir bei Zeiten die Boote hinabließen und den Schooner iu's Schlepptau nahmen, oder einen Eisanker in einen andern Eisberg pflanzten und uns in größere Sicherheit warpten. **) Zuweilen banden wir an einen Eisberg an und warteten auf den Wind. Wir hatten harte Arbeit uud kamen wenig vorwärts. Ich fand jedoch Trost in meinem Skizzenbuche, das in beständigem Gebrauch war, und eines schönen Tages nahm ich meinen photographischcn Apparat heraus. Ich landete auf einer Insel und machte mit Hülfe meiner zwei jungen Assistenten, Nadcliffe und Knorr, meinen ersten Versuch in diesem nencn Geschäft. Er war im Ganzen unbefriedigend, überzeugte mich aber, daß es uns mit Ausdauer gelingen werde, wenigstens hübsche Bilder ;u bekommen. Praktisch verstand ich von der Kunst gar Nichts. Es war mir sehr unangenehm, baß ich mir nicht für die Expedition die Dienste *) Leichte Brise. *5) Warften oder werpen heißt in b«r Schiffersprach«, einen Wurfcmter an den bestimmten Ort bringen und dann das Ankertau wieder auf da« Schift aufroinben, bis letzteres vor dm Anker zu liegen tommt. Anm. b, Uebers. Iß Zwischen den Eisbergen. eines Photographen von Fach verschaffen konnte; aber dieser Mangel — es freut mich, dies sagen zu können — hinderte mich nicht, am Ende einige charakteristische Ansichten der rauhen Schönheiten einer arktischen Landschaft zu bekommen. Wir hatten indeß nur Bücher, die uns Anleitung gaben. Bei unserem Mangel an Kenntniß und einer trostlosen Temperatur, mit der wir kämpfen mußten, arbeiteten wir unter sehr nachtheiligen Einflüssen. Sonntag ging mit mir an's Land, machte gute Sextanten-Beobachtungen für unsere Stellung und erlangte einige nützliche Resultate mit dem Magnetonieter. Knorr fügte meiner Vögelsammlung einige schöne Exemplare hinzu. Die Möven, Malle-mucken und Bürgernieister, die schnatternde dreizehige Möve und die graziöse Eeeschwalbe waren sehr zahlreich. Sie wimmelten völlig auf den Eisbergen. Die Jäger waren oft nach Eidergänsen aus, von denen große Flüge sich auf den Inseln versammelten und in langen wellenförmigen Linien über uns hinzogen. Auch Seehunde spielten um das Fahrzeug herum, indem sie ihre verständigen, fast wie menschliche aussehenden Gesichter in dem stillen Wasser auf- und niederschnettten, — Zeichen für die tödtlichen Büchsen unserer Waidmäuner. Sie sahen, während sie ihre Besichtigungen mit uns vornahmen, so unschuldig aus, daß ich nicht das Herz gehabt hätte, sie zu todten, hätten wir sie nicht für die Hunde sehr nöthig gebraucht. Wir führten ein seltsam zauberhaftes Leben, — ein wenig Gefahr, bei vieler Schönheit und einer Welt voll Pracht. Die müßigen Stunden hätten mir gefallen, wäre nicht jede auf diese Art verbrachte Stunde meinen ernsteren Zwecken entzogen worden; dieser Gedanke machte mir die Tage lästig. Eine vier Tage lange fast beständige Windstille hätte selbst die geduldige Ergebung eines Hiob erschöpft. Wir hatten dann und wann ein leises Lüftchen, um uns zu necken, Verrätherische Meeresströme, um uns immer in Angst zu erhalten, während Eisberge uns stets bedrohten; bald lagen wir vor Anker, bald war unser Schiff an einen Eisberg angelegt, bald hielten wir uns durch harte Arbeit mit den Rudern frei von Gefahr. Oft entkamen wir nur mit genauer Noth, und ein solcher Fall ist vielleicht, da er einen eigenthümlichen Zug arktischer Schifffahrt erläutert, einer ausführlicheren Mittheilung werth. Wir waren in der Nacht ein wenig vorwärts gekommen, aber In Gefahr. 39 bald nach dem frühstück legte sich der Wind, und der Schooner lag wie ein Klotz auf dem Wasser. Wir gaben zu wenig Acht auf die Meeresströme, sondern beobachteten eifrig die Anzeichen von Wind, die sich in Südrn zeigten, und hofften auf eine Brise, als wir entdeckten, daß der Strom sich geändert hatte und uus verstohlener Weise auf ein Nest Eisberge setzte, die unter dem Winde lagen. Einer derselben gehörte zu der Art, die das Schiffsvolk unter dem bezeichnenden Namen „Berühre mich nicht" keuut, und bot jene zackige, löcherige Erscheiuung dar, die auf hohes Alter hindeutet. Sie sind unangenehme Nachbarn. Die geringste Störung ihres Gleichgewichts kann die ganze Masse in Stücke zerbröckeln lassen, und wehe dem unglücklichen Fahrzeug, das bei der Auflöfung ergriffen wird. In einer solchen Falle gefangen zu werden, hatten wir jedoch, wie es schien, die schönste Aussicht. Der Strom führte uns mit trostlos reißender Schnelligkeit dahin. Es wurde so schnell als möglich eiu Boot hinabgelassen, um eine Leine zu einem Eisberge zu bringen, der etwa dreihundert Fuß vou uns auf dem Grunde lag. Während dies geschah, streiften wir die Seite eines Eisbergs, der sich hundert Fust über unsere Stengen erhob; dann schlüpften wir au einem zweiten von geringerer Größe vorbei. Indem wir mit unseren Eisstangen an ihm schoben, änderten wir den Lauf des Schooners etwas; als wir aber glaubten, wir steuerten der Masse, die wir so fürchteten, aus dem Wege, änderte eine Gegenströmung die Richtung unserer Abtrift und führte uns fast mit der Breitseite auf dieselbe. Der Schooner stieß auf der Steuerbordseite au, und der Stoß, so gering er war, löste einige Eisstücke ab, die groß genug waren, um das Fahrzeug, wenn sie es getroffen hätten, zu zerquetschen, sowie auch viele kleine Klumpen, die um uus rasselten, aber glücklicherweise Niemanden trafen. Die Schanze wurde schnell geräumt, und Alle, nach vorn drängend, beobachteten ängstlich das Boot. Der Eisberg fing nun an sich umzuwälzen und ließ sich langsam über nns nieder; die kleinen Klumpen fielen dichter und schneller auf's Hinterdeck, und das Vorderkastel war der einzige Ort, wo die mindeste Aussicht auf Sicherheit war. Endlich rettete uns der Eisberg selbst vom Untergänge. Von dem Theile, welcher sich unter der Oberfläche des Meeres befand, brach eine ungeheure Masse ab, und diese, ein Dutzendmal größer 40 Wir ziehen um's liebe Leben. als der Schooner, kam wenige Schritte von uns rauschend empor und ließ von ihren Seiten aus eine gewaltige Masse Schaum und Wasser fliegen. Dieser Bruch that der Umwälzung Einhalt, und der Eisberg fing an sich in der entgegengesetzten Richtung niederzulassen. Aber jetzt kam eine andere Gefahr. Eine lange Eiszunge drang unmittelbar unter dem Schooner hervor; schon glitt und rieb der Kiel auf ihr, und aller Wahrscheinlichkeit nach sollten wir wie ein Fnßball in die Lust geschnellt oder mindestens umgeworfen werden. Die Seite unseres Feindes lehnte sich bald von nns ab, und wir befanden uns von Seiten dessen, was schlimmer als die Hagelschauer war, die nns nach vorn getrieben hatten, in keiner Gefahr mehr; wir sprangen daher zu den Gisstangen und zeigten unsere Kraft, indem wir versuchten das Fahrzeug wegzuschieben. Da gab es keine faulen Hände. Gefahr achtet nicht die Würde der Schanze. Nachdem wir uns an dieser harten Arbeit ermüdet hatten, ohne einen nützlichen Erfolg zu erreichen, kam der Eisberg uns wieder zu Hülfe. Ein lauter Knall erschreckte uns; ein zweiter und noch einer folgten rasch aufeinander, bis das Getöse betäubend wurde und die ganze Luft ein Behälter für furchtbaren Schall zu sein schien. Von der entgegengesetzten Seite des Eisberges hatte sich ein Stück nach dem andern abgespalten; dadurch stürzte eine ungeheure Masse Eis in's Meer und ließ den Berg sich wieder auf uns wälzen. Diesmal ging die Bewegung schneller; es begannen wieder Stücke zu fallen, und schon hinlänglich in Schrecken gesetzt durch die beunruhigende Auflösung, welche stattgefnnden hatte, erwarteten wir jeden Augenblick die ganze uns znnächst stehende Seite sich losreißen und gerade auf den Schooner stürzen zu sehen, in welchem Falle er unvermeidlich unter das Eis gerathen wäre, eben so hoffnungslos verurtheilt, wie eine Schäferhütte unter einer Alpenlawine. Jetzt war es Dodge, der mit dem Boote betraut war, gelungen, einen Eisanker einzupflanzen und sein Tan zu befestigen, und er begrüßte nns mit dem willkommenen Signal: „Holt an!" Wir zogen um unser Leben, lange und stetig. Secunden schienen Minuten, Minuten Stunden zu sein. Endlich begannen wir uns fortzubewegen. Langsam und stetig sank der Eisberg hinter uns, riß den Giekbaum weg und streifte hart an die Schanze. Aber wir waren gerettet. Sechzig Fuß waren wir fort, und das Zerbröckelnde Eisberge. 41 Bersten des Eisberges, das wir Alle so sehr gefürchtet hatten, trat ein. Die nns zunächst stehende Seite spaltete sich jetzt ab, stürzte wild in's Meer hinab, sandte über uns einen Flugwasserguß und regte ein Wogen der See auf, das uns anf und ab schaukelte wie bei einem Sturme, und uns in den Trümmern der zerbröckelnden Ruine reiben ließ. Endlich gelang es, uns herauszuwickeln, und wir waren weit genng hinweg, um ruhig auf deu Gegenstand unseres Schreckens zurückzublicken. Er wankte und wälzte sich noch immer wie etwas Lebendiges. Bei jeder Umwälzung wurden frische Massen losgerissen, nnd wenn seine Seiten in langen Schwingungen emporkamen, stürzten und spraugen große Wasserfälle von ihnen und zischten in das schäumende Meer. Nach mehreren Stunden ließ er sich, ein bloßes Bruchstück seiner frühern Größe, zur Ruhe nieder, während die Stücke, die von ihm abgebrochen waren, sanft mit der Fluth hinwegfchwammen. Ob es die Wogen waren, welche die Auflösung erzeugte, die ich so eben geschildert habe, oder die warmen Strahlen der Sonne, oder Beides vereinigt, kann ich mir nicht anmaßen zu sagen, aber der Tag war mit einer langen Reihe von Knallen zerbröckelnder Eisberge angefüllt. Kaum waren wir iu Sicherheit vor Anker gelegt, als ein sehr großer, der etwa zwei Meilen von uns stand und in seiner allgemeinen Erscheinung dem britischen Parlaments-hause glich, in Stücke zu geheu begann. Zuerst kam ein hoher Thurm in's Wasser gestürzt, wobei er einen ungeheuern Flug Möven von ihrem unwirthlichen Stande aufjagte, die kreischend in die Luft stiegen; es ging ein zweiter hinüber; dann senkte sich eine ganze Seite gerade hinab; dann fiel das Wrack um; und endlich nach fünfstündigein Wälzen lind Krachen blieb von der prächtigen gefrorenen Masse kein Bruchstück übrig, das sich fünfzig Fuß über das Wasser erhob. Ein anderer, der eine Meile lang nnd über fünfzig Fuß hoch zu seiu schien, spaltete sich mit einem schnellen, scharfen nnd endlich lange rasselnden Knall, welchen tausend gleichzeitig abgeschosscue Artillerie-Geschütze kaum hätten übertreffen können, in zwei, und die beiden Stücke wälzten sich stundenlang immer im Meere, ehe sie zur Ruhe kamen. Selbst der Berg, an welchem wir vor Anker lagen, stimmte in das Höllenconcert ein und entledigte sich einer Ecke, die größer als St. Paul's 'Cathedrale war. 42 Wirtungen der Auflösung. Meine Worte vermögen nicht, das Gerassel und Getöse, welches die wenigen Stunden hindurch, die auf das eben erzählte Ereigniß folgten, unsere Ohren erfüllte, auf entsprechende Weise zu schildern; ich entlehne sie daher aus dem „Alten Seemann"^): „Da war das Eis, Dort war daS Eis, Das Eis rings um uns kracht'; Es quietscht' und knurrt', Und heult' und murrt', Wie Teufel ohne Macht." Es schien in der That, als ob der alte Thor selbst Feiertag gemacht und sich aus seinem Neiche Thrudwanger und seinem Palast mit vielen Windungen und fünfhundert und vierzig Sälen wegbegebcn habe und mit seinem Wagen und seinen Ziegenböckcn, mit seinem Machthammer bewaffnet, seinen Kraftgürtel um den Leib und seine eisernen Handschuhe tragend, über die Berge gezogen sei, um diese Riesen des Frostes zu seinem besondern Zeitvertreib nach Rechts und Links zu schlagen. Doch nur in dieser Zeit des Jahres sind die Eisberge so unnachbarlich. Es ist bekannt, daß sie selten zerfallen außer in den Monaten Juli und August. Es muß dann in Folge eines ungleich erhitzten Zustandes ihres Innern und Aeußern geschehen, der durch die warmen Strahlen der Sonne veranlaßt wird, welche auf ihnen spielen. Von der Sonnenseite eines Eisberges habe ich nicht selten Stücke mit großer Kraft und mit einem Knall gleich der Explosion beim Sprengen der Steine in einem Steinbruch sich in fast horizontaler Linie ablösen sehen. Diese Explosionen und das Zerbröckeln des Eises sind stets von einer Dunstwolke begleitet, die ohne Zweifel dadurch entsteht, daß das kältere Eis des Innern plötzlich mit der wärmeren Luft in Berührung kommt. Der Effect ist oft sowohl sehr merkwürdig als schön, zumal wenn die Wolke die Strahlen der Sonne zurückwirft. Kann aber meine Feder kein Gemälde dieser Eisberge von ihren mehr furchtbaren Seiten liefern, so wird sie, wie ich fürchte, eben so wenig im Stande sein, ihre wunderbaren Schönheiten zu malen. Ich habe es früher einmal versucht und war mit dem Erfolg sehr unzufrieden. Gleichwohl hatte ich damals heiteres Wetter, ") Von S, T. Coleridge. Anm. d. Uebers. Aussicht von einem Eisberge. 43 wo der ganze Himmel eine Masse von prächtiger, lebhafter Farbe, das Meer ein aufgelöster Regenbogen und die Eisberge große schwimmende Monolithe von in Flammen gebadetem Malachit und Marmor waren. Jetzt war der Himmel grau, die Luft rein, und das Eis allenthalben ein todtes Weiß oder ein kaltes durchsichtiges Blau. Ich kletterte die abschüssige Seite des Eisberges hinauf, an den wir gebunden waren, und genoß auf einer Höhe von zweihundert Fuß eine Aussicht, die mich für die Mühe des Wagnisses reichlich belohnte. Ich war jedoch froh, daß ich wieder herabkam, ehe St. Paul's Cathcdrale von seiner Ecke stürzte- ein Ereigniß, das uns auf Kosten eines Eisankers und achtzig Klafter Ma-nilla-Leine in eine weniger unbehagliche Nachbarschaft trieb. Als ich mich dem Eisberg näherte, war ich von der auffallenden Durchsichtigkeit des Wassers überrascht. Indem ich über oeu Dahlbord des Bootes blickte, konnte ich das Eis verfolgen, wie es scheinbar grenzenlos weit hinabreichte. Blickte ich nach dem Schooner zurück, so war dessen Wicdcrschein sein vollkommenes Ebenbild, und man brauchte ihu nnr von den umgebenden Gegenstünden zn trennen, um auf den Geist den Eindruck zu machen, daß zwei Fahrzeuge, Kiel an Kiel, mitten in der Luft schwämmen. Diese eigenthümliche Durchsichtigkeit des Wassers zeigte sich weiter, als ich den Gipfel des Berges erreicht hatte. Weit in Südosten warf ein hohes schroffes Felsenufer sciuen duukleu Schatten auf das Wasser, und die Trennungslinie zwischen Sonnenlicht und Schatten war so markirt, daß es Anstrengung erforderte, die Täuschung zu verbannen, daß der Rand des Sonnenlichtes nicht die Kaute eines unermeßlichen Abgrundes sei. Es ist schwer für den Geist, die ungeheure Quantität Eis zu begreifen, die rings um mich her auf dem Meere schwamm. Die einzelnen Berge zu zählen, war unmöglich. Ich brachte fünfhundert znsammcn nnd gab es in Verzweiflung auf. Iu der 'Nähe standen sie mit der ganzen schroffen Rauhhcit ihrer scharfen Umrisse hervor; mit der Entfernung immer saufter werdeud, verschmolzen sie zuletzt iu den heitern grauen Himmel hinein, und dort, in weiter Ferne auf dem Meere von flüssigem Silber, beschwor die Phantasie wunderliche und wundervolle Bilder herauf. Vögel, Thiere, Menschen und architektonische Zeichnungen gestalteten sich in den fernen Masfeu vou blauer und weißer Farbe. Der Dom 44 Tessuissat. St. Peter's erhob sich über dem Thurme der alten Trinitätskirche, und im Schatten der Pyramiden stand ein byzantinischer Thurm und ein griechischer Tempel. Nach Osten war das Meer mit kleineu Inselchen besetzt, — dunkle Flecken auf eitler glänzenden Oberfläche. Durch die Kanäle, welche sie trennten, drängten sich Eisberge, groß und klein, bis sie in weiter Ferne zu einer Masse vereinigt schienen, die an einer schneebedeckten Ebene endete, welche schräg aufwärts ging und sich endlich in einer matten, bläulich-weißen Linie verlor. Diese Linie ließ sich hinter der zackigen Küste so weit nach Norden und Süden verfolgen, als das Auge tragen wollte. Es war das große Uor äs ^Iac6) welches das grönländische Festland nach seiner Länge und Breite bedeckt. Der schneebedeckte Abhang war ein Gletscher, der von demselben herabstieg, — der Mntterstamm, von dem sich in unregelmäßigen Zwischenzeiten viele der Eisberge abgelöst hatten, die uns so sehr belästigten, und die zu unserer allzu langen Beschreibung den Stoff geliefert haben. Endlich kam ein starker Wind, zwischen den Eisbergen heulend, und schickte uns frendig unseres Weges. Am Abend des 21. August ankerten wir in einem kleinen Hafen, der für den Schooner kaum groß genug war, sich umzudrehen. Wir lagen eiuem Felsenabhang gegenüber, auf dem einige Zelte von Seehnndsfellen aufgeschlagen waren; sie wurden von einer Anzahl Eskimos bewohnt, welche dem Anscheiu nach iu guten Verhältnissen lebten. Ich bemerkte zwei bis drei mit Moos und Gras überwachsene Hütten der Eingeborenen, und eine, die besser aussah als die übrigen; in dieser, belehrte mich Jensen, mein Dolmetscher, habe er gewohnt. Der Ort wird Tessuissak genannt, das heißt: ,,der Ort, wo es eine Bai giebt." Sonntag ging mit seinem Sextanten und „Horizont" an's Land, um genau zu ermitteln, wo er in der Welt lag: ein Ereigniß, das in seiner Geschichte noch nicht vorgekommen war, und das, wie ich fürchte, von seinen Einwohnern nicht gebührend gewürdigt wurde. Wir wären in einem Paar Stunden fort gewesen, aber Jensen entdeckte, daß seine Hunde sich zerstrent hatten, und viele derselben ließen sich erst nach langem Suchen finden. Mittlerweile legte sich einiges Eis quer über den Eingang des Hafens und schloß uns hermetisch ein. Endlich waren die Hunde alle am Bord, etwas über dreißig Das Nahen des Winters. 4b an Zahl. Die schlechten hatten wir entweder weggegeben oder ver-tanscht, und wir behielten vier prächtige Gespanne. Dreißig wilde Bestien auf dein Verdeck eines kleinen Schooners! Denkt Euch das, die Ihr ein ruhiges Leben und ein wohlgeordnetes Schiff liebt! Einige derselben waren in Käfigen längs der Schanzkleidung untergebracht- andere sprangen auf dem Verdeck umher; alle waren in Schrecken gejagt, und die meisten balgten sich. Mit ihrem unaufhörlichen Geheul machten sie Tag und Nacht fürchterlich. Wir waren vollkommen segelfertig und sehnten nns fort. Unsere arktische Garderobe war dnrch einige Einkäufe, die wir von den Eingeborenen für Schweinefleisch und Bohnen machten, vollständig geworden. Wir waren auf den Zusammenstoß mit Eis völlig vorbereitet. Die Leinen waren alle nett nnd sorgfältig aufgewickelt; die Eisanker, Eishaken, Eissägen, Eismeißel und Eisstangen waren alle so gestellt, daß sie, wenn wir sie brauchten, leicht zu erreichen waren. Das Gangspill und Bratspill waren frei, und Dodge, welcher die Erfahrung, die er zur See gemacht, nicht vergessen hatte, meldete „die Verdecke kampfbereit." Sollten die Gezeiten das Eis wegschwemmen nnd uns hinauslassen? Ich wurde sehr unruhig. Die Jahreszeit rückte vor; schon begann sich Eis zn bilden; die Temperatur war unter dem Ge^ fricrpunkt. Die Nächte machten anf den Süßwasser-Teichen einen entschiedenen Schämn. Ich konnte nur noch auf fünfzehn Tage eisfreier Jahreszeit rechnen. Der „Fox" war am 26. August 1857, nur vier Tage später, trotzdem er den Vortheil der Dampfkraft hatte, in's Packeis gefroren. Ich that Alles, was ich konnte, um die Langeweile dieses Aufenthalts zn vertreiben. Ich versuchte es mit dem »holographischen Apparat nnd erzielte noch weniger befriedigende Erfolge als früher. Ich versuchte mit dem Schleppnetz zu fischen, ohne uiel davon aufweisen zu können; ich botanisirte und fand Nichts, was ich nicht schon in meinen Sammlungen von Proven und Upernavik hatte. Die Vlnmen erinnerten mich an das Nahen des Winters. Die Blumenblätter hatten angefangen abzufallen, und ihre sinkenden Kopfe hatten einen schwermüthigen Blick. Sie schienen mit der kalten Luft um eine etwas längere Lebensfrist zn streiten. Nur Eines wnrde auf befriedigende Weise ausgeführt. Dem Hafen gegenüber lag ein nngehenrer Eisberg, und ich hatte sein 46 Ausmessung eines Eisberges. Maaß in meinem Notizbuch und eine Skizze von ihm in meiner Mappe. Die viereckige Wand, die er meiner Ausmessungs-Basis zukehrte, war dreihundertundfünfzehn Fnß hoch, und ein Bruch über drei Viertelmeileu lang. Die Eingeborenen sagten mir, er habe zwei Jahre lang auf dem Grunde gescsfeu. Da er über dem Meere fast viereckige Seiten hatte, so muß unter dem Wasser dieselbe Gestalt sich fortgesetzt haben, und da ich durch Messungen, die ich zwei Tage zuvor ausführte, entdeckt hatte, daß bei Süs?-wassereis, welches in Salzwasser schwimmt, sich der Theil über der Oberfläche zu demjenigen unter ihr wie eins zu sieben verhält, so war dieses krystallisirte Stück von Erich's Grönland in einer Tiefe von beinahe einer halben Meile gestrandet. Eine an Ort und Stelle vorgenommene oberflächliche Schätzung dleses Ungeheuers ergab mir au Kubikinhalt ungefähr siebenundzwanzigtausend Millionen Fuß und an Gewicht etwa zweitausend Millionen Tonnen. Ich überlasse dem Leser, selbst zu berechnen, wie viel sein Werth an Thalern und Groschen betrüge, wenu er in die Region des Eiscreme uud Terespunsches") geschafft würde, wieviel davon erforderlich wäre, um die amerikanische Nationalschuld zu bezahlen, und wie viel läuger als ein halbes Jahrhundert er den Angriffen widerstehen würde, welche die ganze civilisirte Welt zu all' den Zwecken auf ihn machte, zu denen der luxusliebende Mensch den Schaum der Bostoner Teiche verwendet. Die Gezeiten führten cudlich das Eis, das uns gcfaugen hielt, fort, uud am Abend des 22. waudeu wir uns wieder mühsam zwischeu den Eisbergeu und Inseln hindurch. Cap Shackleton und das Horse-Vorland lag dem Steuerbordbug gegenüber, und wir steuerten unseren Cours nach der Melville-Bai. ") iskerr^-LobdiLr: ein Gemisch aus XereSwein, geschabtem Eis, Puder» zucker und Citronenstückchcn. Anm. d. Ueber s. Sechstes Kapitel. Hinfahrt in die Melville Bai. — Das Mittcl-Eis. — Dcr große Polarstrom. — Ein Schnecsimm, — Zusammcntrcficii mit einem Eisberg. — Cap ?)ort in Sicht. — Befreiung des Grönländers Hans. Die Sonne war jetzt um Mitternacht nicht mehr über dem Horizont, und die Nächte wurden dunkele eiu Umstand, der uns zu noch größerer Sorgsamt'eit ermähnte. Ungeachtet unserer Vorsichtsmaßregeln wären wir beinahe auf ein blindes Niff gerathen, welches dem Horse-Vorlande gegenüber liegt und auf der Seekarte nicht verzeichnet ist. Auch zwischen einige Eisfelder kamen wir, die ersten, denen wir bis jetzt begegnet waren. Die Wogen wälzten sich in drohender Weise von Süd-ostcn herein, und das Eis, das sich wüthend anf ihnen hin und her warf, erweckte in uns ein Gefühl der Unsicherheit; wir entkamen jedoch in freies Wasser, nachdem wir einige Stöße erhalten hatten, die unseren festen Bugeu teinen wesentlichen Schaden zufügten. Um acht Uhr Morgens hatten wir die Wilcox-Spihe klar in Sicht und der Devils Thumb*) erhob sich über eine leichte Wolle, die an seiner Basis schwebte. Vor uns lag die Melville-Vai. Ich kletterte auf die Fockraa und durchstreifte mit meinem Fernglas den Horizont; — es war tcin Eis in Sicht außer hier und da ein herumstreichender Berg. Nach Westen zeigte uns ein „Eisblink", daß dort das Packeis lag; aber vor uns war Alles frei, — Nichts in Sicht als das „Schwellen und endlose Wogen." Nie in meinem Leben machte mir eine Entdeckung größere *) Tmjclsdaumm. 48 Die Melville-Vai. Freude. Die Geschicke der Expedition hingen, wenigstens für das laufende Jahr, von einer eisfreien Jahreszeit ab, und meine lebhaftesten Erwartungen kamen nicht der augenscheinlichen Wirklichkeit gleich. Damit der Leser einigermaßen die Freude würdigen kann, die ich bei der Aussicht empfand, welche sich vor mir öffnete, muß ich hier nothwendig eine Panse machen, um eine allgemeine Beschrei-bnng der Gegend, die wir zu durchfahren im Begriffe standen, und eine Erklärung der physikalischen Verhältnisse zn geben, welche diesem Theil der grönländischen Gewässer bei den Schicksalen nnse-rer Reise eine so hervorragende Bedeutung verliehen. Die Ufer der Melville-Bai, wie sie auf den Karten verzeichnet sind, erscheinen als eine einfache, einwärts gekrümmte Linie der grönländischen Küste; aber die Melville-Bai des Geographen umfaßt viel weniger als die des Seemanns. Die Walfischfänger haben mit diesem Namen lange die Erwciternng der Vaffins-Bai bezeichnet, die im Süden mit dem „Mittel-Eis" beginnt und im Norden mit dem „Nord-Wasser" aufhört. Das „Nord-Wasser" wird bisweilen in der Nähe von Cap Dork, unter 76" uördl. Breite, häufiger aber weiter oben erreicht, nnd das „Mittel-Eis," das allgemein als das ,,Packeis" bekannt ist, erstreckt sich zuweilen bis zum nördlichen Polarkreis hinab. Dies Packeis besteht aus treibenden Eisflarden, die an Größe von Fußen bis zu Meilen und an Dicke von Zollen bis zu Klaftern wechseln. Diese Massen sind bald eng zusammengepreßt und haben nur wenig oder keinen freien Raum zwischen sich; bald sind sie weit von einander getrennt nnd hängen voll den Verhältnissen des Windes und der Gezeiten ab. Sie sind stets mehr oder weniger in Bewegung und treiben mit den Winden und Meeresströmen nach Nord, Süd, Ost oder West. Durch diese Barriere zu dringen, erfordert gewöhnlich Wochen oder Monate und ist in der Regel mit großer Gefahr verbunden. Seit den Tagen, wo Baffin in der „Discovery", einen: Fahrzeuge von achtnndfnnfzig Tonnen Lästigkeit, zuerst durch jene Gewässer drang (es war im Jahre 1616), ist jährlich eine Flotte von Nalsischfängern diese Spießruthen gelaufen. Die Flotte war einst groß; sie zählte über hundert Schiffe; in den späteren Jahren aber hat sie sich auf weniger als ein Zehntel ihrer früheren Größe vermindert. So groß auch die Gefahr ist, es war immer ein Lieblingsweg der Walfischfänger. Manch starkes Schiff ist Das Mittel-Eis. 49 untergegangen, dessen Seiten von dein „dicklippigen Eise" erbarmungslos eingedrückt wurden; aber diejenigen Fahrzeuge, die dem Unglück entgehen, kehren fast alle heim, die Schiffsräume wohlgcfüllt mit dem Speck und Thran unglücklicher Walfische, deren böses Geschick sie verführte, die Gewässer um Lancaster-Sund, Ponds-Bai und die Küsten weiter unten zu besuchen. Das „Mittel-Eis" ist stets mehr oder weniger in Bewegung und, selbst mitten im Winter, nie fest geschlossen. Genügenden Beweis davon haben wir in dem Schicksale des Dampfers „Fox", der gegen Ende des Herbstes gefangen und, nachdem er mit großer Gefahr bis in die Nähe des nördlichen Polarkreises hinabgetrieben worden, im Frühling wieder befreit wurde. Wie der Sommer vorrückt, bricht es immer mehr auf, und nach und nach wird auch der feste Landgürtel, der als das „Feste" oder „Land-Eis" bekannt ist, angegriffen. Von diesem jedoch bleibt gewöhnlich ein schmaler Streifen bis zum Ende der Zahreszeit zurück. An ihn klammern sich die Walfischfänger auf's Züheste an. und die Schiffe der Forschungsreisenden sind in der Negel ihrem Beispiel gefolgt; sie benutzen stets den letzten Niß, der sich geöffnet hat, oder wie sie es nennen, den „Durchgang an's Ufer." Sie haben natürlich großen Schauder davor, im „Packeis" gefangen zu werden. Das „Feste" giebt ihnen Sicherheit, wenn der Wind von Westen her das Eis auf sie herabtreibt, denn sie können stets für ihre Schiffe eine Docke in das feste Eis sagen oder eine Bucht finden, um darin das Fahrzeug vor Anker zu legen. Auch haben sie immer den Vortheil, daß sie, wenn das Eis locker und kein Wind ist, im Stande sind, ihr Fahrzeug vermittelst der Schiffsmannschaft (denn Dampf wird von den Walfischfängcrn selten benutzt) mit dein Tau am Rande desfelben hinzuschleppen. Mit der Bildung dieser Barriüre haben die Mcercsströme viel zu thun. Der große Polarstrom, der, mit seiner schweren Eisfracht beladen, dnrch das Svitzbcrgen'schc Meer längs der Ostküste von Grönland herabkommt und den Grönländern von den Flüssen Sibiriens eine magere Zufuhr an Treibholz mitbringt, schwippt um Cap Farewell herum und fließt nordwärts bis Cap Jork, wo er sich nach Westen wendet. Hier vereinigt er sich mit dem eis-belasteten Strome, der durch Smith-, Jones- und Lancaster-Sund aus dem arktischen Ocean kommt, stießt von da südwärts, an Labrador und Newfoundland vorüber, nimmt unterwegs ans der Hayes, Das ofscnc PulavMeer. 4 50 Der große Polarstrom. Hudson-Straße einen Zuwachs an Stärke auf, zwängt sich zwischen den Golfstrom und die Küste hinein, giebt den Badegästen von Newport und Long Branch kühles, erfrischendes Wasser und verliert sich endlich den Vorgebirgen von Florida gegenüber. Nun wird man bei dew flüchtigsten Blick auf irgend eine Karte der Baffins-Vai sogleich sehen, daß jene Bewegung des Stromes da, wo sich das Mittel-Eis findet, eine Art sich langsam fortbewegenden Wirbel bildet, und dieser ist es, der das Eis versperrt und seine schnellere Bewegung nach Süden hindert. Auch wird man leicht begreifen, daß gegen Ende August das Packeis an seinem Umfang sehr wesentlich beschnitten worden ist. Die Sonne oben und das Wasser unten haben beide daran gezehrt, bis ein großer Theil gänzlich verschwunden und das ganze Eis mehr oder weniger morsch geworden ist. Der Monat August ist, soweit es das Eis betrifft, zur Beschiffung dieses Meeres durchaus die günstigste Zeit des Jahres; aber der Winter ist dann nahe und bietet eine ernste Quelle der Gefahr dar; denn wenn das Eis sich einmal um Euch schließt, so kann das erste Sinken der Temperatur Euch für die nächsten zehn Monate festkleben. Die Walsischfänger durchführen das Packeis gewöhnlich im Mai oder Juni, zuweilen sogar noch früher, wenn das Eis hart ist und eben anfängt, aufzubrechen. Als wir in die Melville-Bai einliefen, blieben uns vom Monat August nur noch acht Tage übrig. Mich dauerte die Zeit, die ich in den Ansiedlungen verloren hatte; aber dieser Verlust war unvermeidlich. Ehe ich Upernavit verließ, hatte ich über den Cours beschlossen, den ich verfolgen wollte. Ich gedachte das Packeis zurückzulegen, sobald wir es finden würden, in dasselbe an der günstigen Oeffnung hineinzufahren und, ohne uns um das Land-Eis zu bekümmern, die geradeste Linie nach Cap 3)ork zu nehmen. Es war sehr zu unsern Gunsten, das; der vorherrschende Wind viele Tage lang immer von Osten geweht und offenbar das ganze Packeis nach der amerikanischen Seite hinüber getrieben hatte, wodurch er für uns eine breite Flache freien Wassers öffnete. Sollte es so bleiben und uns eine freie Durchfahrt nach Cap 3)ork gestatten? Ich habe schon gesagt, daß ich seinen Wiederschein über den Wolken, — den „Eisblink", nach Westen hin sah. Es war nicht weit fort. Sollte es so bleiben? Während ich über die möglichen Fälle nachdachte, erhob sich Eine angstvolle Nacht. 51 plötzlich der Wind und ward zu einem halben Stnrm. Hinter uns stieg eine schwere See auf. Eine dunkle Wolke, die eine Zeit lang am südlichen Horizonte gehangen hatte, kam am Himmel heraufgezogen, breitete sich endlich in fliegenden Vruchstücken aus, schüttelte auf uns einen Hagel gefrorenen Dunstes nieder und ging dann in ein regelmäßiges Schneewetter über. Auf keiner Seite im Stande hundertundfünfzig Schritte weit zu sehen, ging ich von meinem unbehaglichen Stande auf der Fockraa herab. Es wurde nun ein Gegenstand ernster Erwägung, ob wir sollten unsern Cours weiter fortsetzen, oder auf den Wind brassen und auf besseres Wetter warten. In jedem Falle waren wir großer Gefahr ausgesetzt. Braßten wir auf den Wind, so hatten wir das Fahrzeug nicht in der Gewalt und, wenn wir durch die Dunkelheit trieben, die schönste Aussicht, auf einen verirrten Eisberg oder auf die Eisfelder zu gerathen, von denen wir allen Grund hatten anzunehmen, daß sie früher oder später unser Vordringen hemmen würden; außerdem, und das war kein unwichtiger Grund, verloren wir einen schönen Wind, Auf der andern Seite, wenn wir fortfuhren, war, obgleich wir das Fahrzeug in der Gewalt hatten, gleiche Aussicht, daß wir, im Fall Eis in unserm Cours lag, nicht im Stande sein würden, es durch die dicke Atmosphäre zeitig genug zu sehen, um ihm auszuweichen. Die Frage wurde jedoch rasch entschieden. Ich zog diejenige Gefahr, welche einige Thatkraft erforderte, vor, reefte alle Segel nieder, richtete des Schooners Nase auf Eav York und ging auf dieses los. In großer Herzensangst durchschritt ich das Verdeck. Wir fuhren über ein Meer, das nie ein Kiel durchfurcht hatte, ohne auf Eis zu stoßen, warum sollte unser kleines Schiff ein besseres Loos erwarten? Die Luft war so dick, daß ich zuweileu kaum den Ausluger auf dem Vordcrkastel sehen konnte; dann leuchtete es wieder auf, und unter dem breiten Baldachin uon schwarzen Dünsten, der von den Eisbergen getragen zu werden schien, welche hier und da zum Vorschein kamen, konnte ich mehrere Meilen weit sehen. Dann wurde die Luft wieder dick von dem fallenden Schnee und rasselnden Hagel; der Wind pfiff durch das Takelwerk, und die schweren Wogen rollten die ganze Zeit hinter nns empor, überschwemmten die Verdecke und drohteu uns zu verschlingen. Unsere ersten zehn Stunden in der Melville-Bai werde ich so bald nicht vergessen. 4* 52 Zusammenstoß mit einem Eisberg. Endlich, nachdem dieses wilde Nennen einige Stunden gedauert hatte, vernahm mein Ohr, das für jeden Eindruck scharf empfänglich war, den Ton einer Brandung. Einen Augenblick spater machte der Ausluger Lärm. „Woher?" „Das kann ich nicht herausbekommen, Sir." Der Ton kam von einem Gegenstände, der offenbar ganz in der Nähe war, aber Niemand konnte sagen, wo. Noch einige Augenblicke, und die Spiegelung eines Eisberges erschien in unserm Cours. Da war keine Zeit mehr zum Ueberlegen, und zum Handeln war es zu spät. Den Schooner bei dem Winde aufholen, hieß sicher mit der Breitseite auf ihn stürzen, und der Gegenstand war so wenig zu erkennen, daß wir nicht wußten, wohin wir steuern sollten. Wir konnten weder ein Ende von ihm noch seinen Gipfel sehen, — wir sahen Nichts als einen weißen Schimmer und eine Linie zorniger Brandung. Ich habe immer gefunden, daß man, wenn man nicht weih, was man thun soll, am sichersten fährt, wenn man gar Nichts thut, und im vorliegenden Falle rettete uns dieses Verfahren. Hätte ich meinem ersten Antriebe gehorcht und das Schiff mit dem Winde gehen lassen, so wären wir stracks zn Grunde gegangen; so aber schlüpften wir an dem häßlichen Ungeheuer vorbei und entkamen einem Zusammenstoß, der, wenn er eingetreten wäre, das Fahrzeug und natürlich Alle, die am Bord waren, augenblicklich vernichtet hätte. Die Fockraa streifte wirklich seine Seite, und die Brandung wurde von der weißen Mauer auf uns zurückgeworfen. In einigen Augenblicken war der Eisberg in dem Dunkel verschlungen, aus dem er so plötzlich aufgetaucht war. „Das war eine nahe Berührung!" sagte kaltblütig Dodge. „Seh—sehr nahe," antwortete Starr, gerade als hatte er eben den ersten Stoß eines Sturzbades bekommen. Der alte Koch wurde aus seiner Kombüse gerufen, um zu helfen, und mitten in der Aufregung hörte man ihn brummen: „Ich weiß nicht, wie ich das Mittagsessen der Herren fertig bringen soll, wenn ich so aus meiner Kombüse gerufen werde, um an den Tauen zu ziehen und zu schleppen." Er schien gar keinen Begriff zu haben, daß nur einen Augenblick zuvor auf Seiten „der Herren" sehr wenig Aussicht vorhanden war, daß Einer von ihnen seiner Dienste noch ferner bedürfen werde. Cap York in 2icht. 53 Dieses Abenteuer flößn' der Mannschaft größeres Vertrauen ein. Sie glaubten vermuthlich, daß, da zwei Kanonenkugeln nie auf dieselbe Stelle treffen, in unserm Cours nicht sehr wahrscheinlich ein zweiter Eisberg liegen werde; und so war es. Der Ruf „Brandung" wurde oft vom Vorderkastelverdeck gehört, aber am Ende erwies es sich, daß der Ton von der Seite des Bugs herkam, und wir fuhren unversehrt weiter. Endlich legte sich der Wind, es hörte auf zu schneien, die Wol-ten brachen sich, die Sonne schien hell, und wir lagen in Windstille nicht weit von der Mitte der Melville-Bai. Der Schnee und das Eis wurde vom Verdeck geschaufelt und vom Takelwerk geschlagen. Ich ging wieder mit meinem Fernglas hinauf. Es waren leine Eisfelder in Sicht, aber ihr Wieberschein war noch immer nach Westen am Himmel zn sehen. Das Meer war mit Eisbergen bedeckt, und es schien wunderbar, daß wir wohlbehalten zwischen ihnen durchgekommen waren. Einer in der Nähe erregte besonders meine Bewunderung. Er war ein vollkommener „Triumphbogen", durch welchen der Schooner ganz bequem hätte fahren können. Während der Nacht lag der Schooner unbeweglich, aber früh am Morgen brachte ein günstiger Wind uns wieder auf den Weg, und dieser Wind hielt den ganzen Tag stetig an. Eisberge erhoben sich vor uns und bewegten sich hinter uns in feierlichem Zuge. Mein Tagebuch bezeichnet sie als ,.Meilensteine des Oceans." Endlich stiegen die stattlichen, schnccgekrönten Hochlande hinter Cap 3)ork über den Horizont empor, und nach einer Weile sah man das kühne, dnntelseitige Vorgebirge selbst „anrücken in des Meeres tiefem Schooß." Auf Feldeis stießen wir erst gegen Mittag des 25. August. Ich war fast den ganzen vorhergehenden Tag und die Nacht obcn gewesen und hatte ängstlich beobachtet; als ich mich aber darauf gefaßt gemacht hatte, daß wir die Melvillc-Vai ohne einen einzigen Kampf mit dem Feinde zurücklegen würden, enthüllte sich in der Ferne eine weiße Linie. Es wahrte nicht lange, so erreichten wir sie; wir wühlten die ansehnlichste Oeffnung und brachen hindurch. Es war nur ein etwa fünfzehn Meilen breites lockeres „Packeis", und unter dem vollen Druck aller Segel fanden wir bei dem „Durchbohren" desselben geringe Schwierigkeit. 54 Im Nord-Wasser. Nun befanden wir uns in dem „Nordwasser." Wir hatten die Melville-Vai in fünfundzwanzig Stunden durchfahren. Ich segelte dicht unter Cap 3)ork und sah mich sorgfältig nach Eingeborenen um. Wer die Beschreibung von Dr. Kane's Reise gelesen hat, wird sich erinnern, daß dieser Seefahrer aus einer der südlichen Ansiedlungen Grönlands einen eingeborenen Jäger mitnahm, der die Schicksale der Expedition fast zwei Jahre lang theilte, sie dann aber (wie man sagte) einer eingeborenen Braut wegen verließ, um unter den wilden Eskimos zu leben, welche die nördlichsten Küsten der Bafstns-Vai bewohnen. Dieser junge Mensch hieß Hans. Ahnend, daß er seiner freiwilligen Verbannung überdrüssig sein und seinen Wohnsitz bei Kap Jork genommen haben möchte, in der Hoffnung, von einem freundlichen Schiffe erlöst zu werden, näherte ich mich dem Lande, um ihn zu suchen. Indem ich auf Büchsenschußweite an der Küste hinfuhr, entdeckte ich bald eine Gruppe menschlicher Wesen, welche Zeichen gaben, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich braßte das Fahrzeug auf den Wind, ging in einem Voote an's Land und fand dort wirklich den Gegenstand meines Suchens. Er erkannte Sonntag und mich sogleich wieder und nannte uns mit Namen. Ein sechsjähriges Leben unter den wilden Menschen dieser öden Küste hatte ihn auf deren Niveau häßlicheu Schmutzes heruntergebracht. Seine Gefährten waren seine Frau, die ihren Erstgeborenen in einer Kapuze auf dem Rücken trug, deren Bruder, ein helläugiger Knabe von zwölf Jahren, und „eine alte Dame mit geläufiger und redseliger Zunge," ihre Mutter. Sie waren Alle in Felle gekleidet, und da sie von den Eskimos, die wir sahen, die ersten waren, auf deren Kleider die Berührung mit der Civilisation noch durchaus keinen Einfluß ausgeübt hatte, so erregten sie bei uns Allen großes Interesse. Hans führte uns über rauhe Felsen und tiefe Windwehen den Hügelabhang hinauf zu seinem Zelte. Es war etwa zweihundert Fuß über dem Meere aufgeschlagen und hatte für einen Iäaer eine höchst unbequeme Lage; aber es war seine „Warte." Auf ermüdende Weise schaute er Jahr um Jahr uach dem ersehnten Fahrzeug aus; aber Sommer um Sommer verging, und das Schiff kam nicht, und doch seufzte er immer nach seiner südlichen Heimath und seinen Jugendfreunden. Sein Zelt war eine traurige Wohnung. Es war nach Eskimo- Befreiung des Grönländers Hans. 55 Art aus Seehundsfellcn gemacht und kaum groß genug, um die kleine Familie zu fassen, die sich um uns gruppirt hatte. Ich fragte Hans, ob er mit uns gchcn wolle? Ob er scine Frau und sein Kind mitnehmen wolle? „Ja!" Ob er auch ohne sie mitgehen wolle? „Ja!" Ich hatte keine Zeit, sein Herz genauer zu prüfen, wußte aber, daß man die dauernde Trennung von Mann und Weib für etwas Schmerzliches hält; ich ließ daher der Eskimo-Muticr diesen herkömmlichen Wahn zu Gute kommen und brachte sie Veide nebst ihrem Kinde, ihrem Zelte und ihren HauZgeräthen an Bord. Die alte Frau und der helläugige Knabe schrieen, wir sollten sie auch mitnehmen; aber ich hatte keinen Naum mehr; wir mußten sie deshalb der Fürsorge des Stammes überlassen, der, etwa zwanzig Köpfe zählend, das Fahrzeug entdeckt hatte und fröhlich sauchzeud über den Hügel kam. Nachdem wir einige nützliche Geschenke unter sie ausgetheilt hatteu, stießen wir ab und fuhren zum Schooner zurück. Hans war auf der Reise die einzige gleichgültige Person. Ich dachte später, er würde eben so zufrieden gewesen sein, wenn ich sein Weib uud Kind dem Schutze ihrer wilden Verwandten überlassen hätte, und hatte ich ihn damals so gut gekaunt, wie ich ihn später kennen lernte, so wäre ich nicht von meinem Wege abgegangen, um sein barbarisches Leben zu stören. Siebentes Kapitel. Hans und seine Familie, — Der Petowat«Gletscher. — Ein Schneewetter, — Das Packeis. — Einfahrt in den Smith-Sund. — Ein starker Sturm. — Zusammenstoß mit Eisbergen. — Kampf mit den Eisfeldern. — Rück-zug aus dem Packeis. — In der Hartstene-Bai vor Anker. — Eintritt in's Winterquartier. GZ war fünf Uhr Abends, als ich den Schooner erreichte. Während unserer Abwesenheit war der Wind stärker geworden, und da ich eine so günstige Gelegenheit zum Vordringen nicht verlieren wollte, so hatte ich mich eiligst an Bord begeben. Sonst hätte ich gern einige Zeit der Untersuchung des Dorfes der Eingeborenen gewidmet, das einige Meilen östlich vom Cap, auf der Nordseite einer ansehnlichen Bai, in der Nähe eines Platzes Namens Kikertait, — d. h. „der .Inselnplatz" — liegt. In der Voraussicht, daß ein starker Wind und eine schlechte Nacht kommen werde, hatte McConnick während meiner Abwesenheit die Segel ewgereeft, und der kleine Schooner mit seinen im Winde killenden Segeln schien ungeduldig wie ein Jagdhund an der Leine. Als er dem Winde überlassen wurde, drehte er sich mit einem graziösen Zurückwerfe« des ,,Kopfes" nach Norden herum, und nachdem er einen Augenblick wie zu einem guten Anlauf festgestanden, schoß er vor dem Winde fort, zehn Seemeilen in der Stunde. Vorgebirge, Baien, Inseln, Gletscher und Eisberge versanken schnell hinter nns, und voller Freude über ihr außerordentliches Glück war die Mannschaft in der besten Stimmung. Während wir dahin stürztm durch ein Nest von Eisbergen nach dem andern hindurch, war es ausgezeichnet, die Beweise sorgloser Kühnheit zu beobachten, die ihre Gedanken belebte. Eine gewagte Durchfahrt. 57 Dodge hatte das Verdeck, und Charley, ein so tollkühner alter Matrose wie je einer den Geschicken des Meeres folgte, hatte das Steuer, und es schien mir, während ich auf der Fockraa saß, als bestände ein gewisses stillschweigendes Einverständniß zwischen den Beiden, zu sehen, wie nahe sie den Eisbergen kommen könnten, ohne an dieselben zn stoßen. Wir fnhren durch viele enge Stellen; aber statt daß der Schooner sich in der Mitte des Kanals befand, ermöglichte er es in der Regel, im entscheidenden Augenblick (natürlich durch reinen Zufall) auf die eine oder andere Seite abzufallen, und wenn ich über das tölpelhafte Steuern einen Verweis hinabschrie, so erhielt ich zur Antwort die Versicherung, daß der Schooner, wenn er mit so vielem Hintersegel vor den: Wind laufe, seinem Steuer nicht gehorchen wolle; ich braßte daher den Schooner auf den Wind und reeftc das Großsegel eng ein; nun wurde das Fahrzeug, sei es aus Mangel an einer vernünftigen Ausrede oder weil eine wirkliche Schwierigkeit überwunden war, dahin gebracht, dem geraden Cours etwas näher zu bleiben, und wir jagten durch die wellenlosen Gewässer mit einer Schnelligkeit fort, die Einem, in Anbetracht unserer Umgebungen, den Kopf ganz schwindelig machte. Einmal wurde ich nicht wenig bennruhigt. Vor uns lag Etwas, das zwei, etwa zwanzig Klafter von einander entfernte Eisberge zu sein schienen. Um dieselben herumfahren hieß von unserm Cours abweichen; ich rief daher Dodge zu, um zu erfahr ren, ob er den Schooner sicher durch die enge Durchfahrt bringen könne. Stets bereit, wenn es ein wenig Gefahr gab, übernahm er gern die Verantwortlichkeit für das Verhalten des Schooners, und wir näherten uns der Einfahrt; aber als es zu spät war, uns nach rechts oder links zn wenden, entdeckte ich zu meinem großen Schrecken, daß die Gegenstände, die ich für zwei Eisberge gehalten hatte, nur Theile einer lind derselben Masse waren und durch ein Band zusammenhingen, das sich nur wenige Fuß unter der Oberfläche des Wassers befand. Die Tiefe des Wassers war jedoch größer, als es anfangs schien, aber der Kirl berührte wirklich zweimal das Eis, als wir durch die Oeffnnng schössen, und ich muß gestehen, daß ich, während der Schooner mit einigem Zögern und augenscheinlichem Sträuben diesen Schlittendienst verrichtete, wünschte, ich möchte sonst überall, nur nicht auf der Fockraa sein. 58 Hans und seine Familie. Die Officiere und Mannschaft unterhielten sich mit unseren neuen Verbündeten. Hans war sehr vergnügt und sprach sich mit so viel Enthusiasmus aus, als sein dummer Kopf es hergab. Seine Frau zeigte ein Gemisch von Verwirrung und Stolz, und offenbar überwältigt von der Neuheit der Verhältnisse, in die sie sich so plötzlich versetzt sah, schien sie mit einem chronischen Grinsen behaftet zu sein, während ihr Kind lachte, krähte und schrie, wie alle anderen Kinder. Die Matrosen gingen sofort mit Kübeln warmen Wassers, mit Seife, Scheere und Kamm an's Werk, um sie für rothe Hemden und andere ahnliche Luxusgegenstände der Civilisation vorzubereiten. Ueber die letzteren waren sie ganz entzückt und stolzirten mit derselben Miene erhöhter Wichtigkeit auf dem Deck umher, wie ein Knabe, der soeben von Röckchen und Schuhen zu Hosen und Stiefeln befördert worden ist; das Verfahren mit Seife und Wasser aber wurde nicht so hoch geschätzt, und sie mochten mit Recht Ginwände dagegen erheben, denn sie waren nicht daran gewöhnt. Anfangs erschien ihnen das Waschen und Kämmen als ein großer Spaß, endlich aber fing das Weib an zu schreien und verlangte von ihrem Gatten zu wissen, ob dies ein religiöser Gebrauch des weißen Mannes sei, wobei sie ein Gesicht machte, in dem man lesen konnte, daß sie es als eine rafftnirte Art christlicher Tortur betrachtete. Die Familie wurde schließlich für die Nacht unten zwischen den Tauen und Segelu in den „Pfortluken" untergebracht, und einer der Matrosen, welcher bei der Gelegenheit den Kammerherrn spielte und für diesen Zuwachs zu unserer Familie nicht besonders eingenommen schien, bemerkte, daß, ,,wenn sie zu Nichts weiter taugten, sie wenigstens gutes Holz zur Verstärkung der Buge des Schooners gegen das Eis wären." Die Küste, an der wir eben hinfuhren, interessirte mich in hohem Grade. Die Trapp-Formation der Disco-Insel erscheint bei Cap 3)ork wieder, und das Land zeigt eine hohe, zerklüftete Front, von tiefen Schluchten durchschnitten, die ein sehr malerisches Ansehen haben und deren Effect noch erhöht wird durch zahlreiche Eisströme, welche durch die Oeffnuugeu brechen. Eine jener Figuren auf der Karte ist der Petowak-Gletscher. Ich maß ihn, als wir vorüberfuhren, mit der Logleine und dem Chronometer, und fand ihn vier Meilen breit. Die vulkanischen Gesteine werden bei Cap Athol, auf der Südseite des Wolstenholme-Sundes, Wir begegnen dem Packeis. 59 unterbrochen, und die Linien von Kalksandstein und Grünstein, welche dem Auge dort sowie bei der Caunders-Insel und der darüber liegenden Küste nach Cap Parry hin begegnen, brachten mir manch harten Kampf aus früheren Jahren in's Gedächtniß zurück. Sie waren vertraute Landkennungeu. Um acht Uhr Abends befanden wir uns der Vooth-Bai, dem Winterquartier auf meiner Vootreisc im Jahre ^1854, gegenüber. Durch mein Fernglas konnte ich die Felsen unterscheiden, zwischen die wir unsere Hütte gebaut hatten. Sie erweckten viele uuan-genehme Erinnerungen. Vald darauf überzog sich der Himmel, und es fing an stark zu schneien. Da sich der Wind bis zu einer leichten Brise verminderte, so schlenderten wir den ganzen Tag langsam dahin und befanden uns, als wir den Whale- (oder Walfisch-) Sund außerhalb der Haklm)t-Insel vassirten, um fünf Uhr Abends noch dreißig Meilen vom Smith-Sund. Hier stießen wir auf Packeis, das sehr beträchtlich zu sein und sich nach Südwest zu erstrecken schien; da aber die Luft zu dick war, als daß wir uns weit genug hätten nähern können, um zu seheu, wie es beschaffen war, so begannen wir windwärts zu laviren, iu der Hoffnung, die unter dem Winde liegende Seite der Northumberland-Insel zu erreichen uud dort auf besseres Wetter zu warten. Diese Absicht schlug jedoch fehl; denn der Wind wurde fast zur Windstille, und wir mußten im Dunkeln umheriappcn und einen Eisberg zum Ankern suchen; aber die Wellen gingen zu hoch, um uus aus einem Boote landen zu lassen; wir verbrachten daher die Nacht in großer Unruhe, indem wir nordwärts trieben. Zum Glück bewegte sich das Packeis in derselben Richtung, sonst wären wir auf dasselbe gerathen. Die BrNndung konnte man stets deutlich hören, und mehrmals bekamen wir sie zu Gesicht; indem wir aber jeden Windstoß benutzten, um hinwegznschlcichen, entkamen wir ohne Zusammenstoß. Einmal war ich überzeugt, daß uns nichts übrig bliebe, als vor dem Winde umzuwenden und uns lieber kopfüber in die Gefahr zu stürzen, als zu warten, bis wir mit voller Gewißheit mit der Breitseite auf das Eis getrieben wnrdrn; aber im entscheidenden Augenblick erhob sich ein frischer Wind und dauerte einige Stunden fort; so blieben wir in unserm Cours, während das Packeis langsam von uns hinwegglitt. Unsere Hunde hatten die Wasserfüsser stark abgezapft, und 60 Einfahrt in den ^mith-Sund. die Wache war in der Nacht beschäftigt, den Schnee zu schmelzen, der auf das Deck gefallen war. Auch fischten wir mit einem Netz aus dem Meere einige Stücke frischen Eises auf. Dadurch bekamen wir einen Wassernorrath, der für mehrere Tage ausreichte. Als der Morgen graute, schralte*) der Wind nach Nordost; die Wolken zertheilten sich nnd enthüllten das Land. Cap Alexander, dessen hohe Felsenwände die Einfahrt zum Smith-Sund bewachen, schien etwa zwanzig Meilen weit, und Cap Isabella, fünfunddreißig Meilen von uns entfernt, zeigte sich auf der andern Seite. Wir steuerten ostwärts auf Cap Saumarez zu und fanden in der Nähe der Küste eine Durchfahrt durch das Packeis; aber später verging der größere Theil des Tages in erbitternder Windstille, während der wir, von einem starten Fluthstrom erfaßt, der uns abwechselnd die Küste hinanf nnd hinab führte, fast bestündig gezwungen waren, die Boote zn benutzen, um den Eisbergen nicht zu nahe zu kommen, die in großer Anzahl vorhanden waren, und deren viele eine gewaltige Größe hatten. Zu unserer Freude sahen wir uns jedoch endlich mit günstigem Winde in den Smith-Sund, das Gebiet nnserer Forschungen, einfahren. Als wir nach Cap Isabella hinüberstcuerten, hatten wir eine Zeit lang alle Aussicht anf bevorstehendes Glück, nach einer Weile aber wurde vom Masttop aus schweres Packeis entdeckt, und es wahrte nicht lange, so erreichten wir es. Dieses Packeis war aus den schwersten Eisfeldern zusammengesetzt, die ich bis jetzt gesehen hatte, und scin Nand, der schräg nach Nordost und Südwest strich, hemmte unser weiteres Vordringen nach der Westküste zu. Viele Eisflarden ragten zwei bis zehn Fuß über das Wasser, waren also zwanzig bis hnndert Fuß dick. Wären sie weit von einander getrennt gewesen, so hätte ich versucht, die Durchfahrt zu erzwingen- aber sie lagen zu dicht zusammengedrängt, als daß sich dies hätte ausführen lassen mit der Aussicht, den Schooner unversehrt hindnrch zu bringen. Das Eis schien grenzenlos zu sein. In der Richtung von Cap Isabella ließ sich kein offenes Wasser entdecken. Von Nordosten kam der Wind und gestattete nicht, in dieser Richtung eine Unter- *) Der Wind schralt, heißt: er fängt an, von dem Wtriche abzuweichen, welcher dcr Fahn giinstig ist, und von vorn in die Segel zu fallen, Anm. d. Ucbers. vom SMITH-SUND zur Krl.'iiili'ning vtni DT. HAYES Reise und Entdeckungen 1«()O-(il. Uli'I'.UTV Vom Packeis angehalten. 61 suchung vorzunehmen; wir eilten dahor nach Südwesten hinab und sahen unB ängstlich nach einem Durchgang um, aber ohne Etwas zu entdecken, das uns ermuthigt hätte. Es war uns indeß nicht gestattet, selbstständig zu einem Beschluß zu kommen, welchen Cours wir verfolgen sollten, denn über uns brach der wütheudste Sturm herein, dem mein Schicksal mich je entgegenführte, und ließ uns keine andere Wahl, als unter der Küste Schutz zu sucheu. Unsere Stellung war jetzt eine sehr gefährliche. Das schwere Packeis, das wir die Nacht zuvor passirt hattcu, lag uns gegenüber unter dem Winde und war sogar vom Masttop aus zu seheu; es sperrte uns daher, selbst wenn uns nichts Anderes übrig geblieben wäre, als vor dem Winde zu fahren, in dieser Richtung den Rückzug ab. Welch' fruchtloser Kampf nun folgte, werden die Notizen in meinem Tagebuch vielleicht am Besten zeigen. Den 28, August, 3 Uhr Nachmittags, Ein fürchterlicher Wind. Wir sind unter die Küste gefahren, werden zum Theil durch sie geschützt und suchen eifrigst einen Ankerplatz zu finden. Aber trotz dem Schutz, den das Land nns bietet, könnten wir doch keine Masche Segeltuch zeigeu. Wir befinden uns etwa drei Meilen von der Sutherland-Insel, welche dicht am Cap Alexander, auf dessen Südseite, liegt, aber wir haben aufgehört, ihr näher zu kommen. Wir können so wenig Segel führen, daß der Schooner nicht gegen den Wind arbeiten will; überdies kommt hier unter der Küste der Wind nur in Stößen. Wenn wir nur zwischen die Insel und das Festland hineinfahren können, werden wir völlig in Ordnung sein. Seit dem Tage, ehe wir Tessuissak verließen, bin ich nicht in's Vett gekommen, und in diesen sechs Tagen habe ich nur dann und wann ein wenig geschlafen. Wenn unser Anker einmal den Grund gefaßt hat, werde ich das Verlorene wieder einbringen. Ich hätte sollen vorsichtiger sein und eher Schutz suchen. Eine schwere wriße Wolke, die über Cap Alerander hing sIensen nennt sie ein „Tischtuch"), mahnte mich an den nahenden Sturm, aber damals dachte ich nicht, daß er uns mit solcher Wuth überfallen werde. Es ist eiu vollkommener Orkan. Ich fürchte mich hauptsächlich davor, daß wir auf das Meer hinausgetrieben werden, das überall mit schwerem Eis angefüllt ist. 62 Ein heftiger Sturm. Den 29. August, 12 Uhr Mittags. Eine Stunde lang war unter der Küste völlige Windstille. Das „Tischtuch" hat sich vom Cap erhoben, und am nördlichen Himmel ist eine entschiedene Aenderung eingetreten. Die leichten Windwolken verschwinden, und Schichtwolken nehmen ihre Stelle ein. Dem Sturme scheint der Hals gebrochen zu sein. 2 Uhr Nachmittags. Ich habe mich diesen Morgen gänzlich verrechnet. Der Sturm heult wüthender als je. Wir liegen auf der Höhe von Cap Sau-marez, ungefähr zwei Meilen vom Lande. Da es uns nicht gelang, die Sutherland-Insel zu erreichen, so sahen wir uns genöthigt, die Küste hinabzufahren, um unten in der tiefen Bai Schutz zu finden; aber der Wind, der um das Cap herumpeitschte, trieb uns zurück, und nun versuchen wir an's Land zu schleichen, in einer naheliegenden kleinen Bucht einen Anker hinunterzubringen und dort unsere zerrissenen Segel auszubessern. Wir sind eine trostlose Gesellschaft. Das Flugwafscr fliegt über das Fahrzeug hin und überzieht es mit Eis. Am Takelwerk und der Schanz-kleidung hängen lange Eiszapfen. Die Wasserstage und das übrige Tauwerk am Vordertheil sind mannsdick, und um auf dem Deck umhergehen zu können, müssen wir Asche streuen—ein höchst unseemännisches Verfahren! Ich kann jetzt leicht begreifen, warum Inglcfielb aus dem Smith-Sund hinwegeilen mußte. Wenn der Sturm, dem er begegnete, dem unsrigen glich, so hätte er mit t>er doppelten Dampfkraft der „Isabella" nicht gegen denselben vordringen können. Wollte ich den Schutz dieser freundlichen Klippen verlassen, so müßte ich mit noch größerer Schnelligkeit fahren, — und würde höchst wahrscheinlich untergehen. Die Windstöße, die uns treffen, sind ganz fürchterlich, und die Windstillen, die darauf folgen, deuten an, daß der Wind Kraft zu einem neuen Stoße sammelt. Zum Glück sind die Stöße von kurzer Dauer, sonst würden unsere schon beschädigten Segel, die auf die möglichst kleinsten Dimensionen herangebracht sind, zu Bändern zerreißen. Die Küste, die uns diesen krampfhaften Schutz gewährt, ist traurig genug. Die Klippen sind gegen zwolfhundert Fuß hoch, und ihre Gipfel nebst den hinter ihnen stehenden Hügeln mit dem Eine wilde Scene. 63 frisch gefallenen Schnee bedeckt. Der Wind bläst eine Wolke zusammengetriebenen Wassers über die hohe Felsenwand, wirbelt dieselbe in einer Weise, die unter anderen Umstanden ohne Zweifel recht hübsch sein würde, in der Luft herum und läßt sie dann in großen Güssen auf uns nicderströmen. Der Winter tritt früh-zeitig ein. Im Jahre 1853—54 waren zu dieser Zeit des Sommers dieselben Hügel frei von Schnee und blieben es noch zwei Wochen lang. 10 Uhr Abends, Wir sind dem Lande nicht naher gekommen und befinden uns fast noch da, wo wir zu Mittag waren. Der Sturm dauert fort wie zuvor, und trifft uns dann und wann so stark wie je. Die Aussicht vom Verdeck ist unbeschreiblich prachtvoll. Die Phantasie kann sich keine wildere Scene vorstellen. Nach Norden hangt eine dunkle Wolke und läßt die weißen Abhänge von Cap Alexander kühn hervortreten. Ueber die Klippen wälzen sich große Massen vom Winde getriebenen Schnees, und Ströme desselben ergießen sich in allen Rissen und Schluchten herab. Wirbelwinde treiben ihn von den Gipfeln der Hügel empor nnd drehen ihn durch die Luft. Die Ströme, die sich durch die Schluchten ergießen, gleichen dem Flugwasser großer Wasserfalle, und durch die flatterhafte Wolke dringen hier und da die duuklen Felsen hervor, verschwinden und dringen wieder hervor. Ein Gletscher, der dnrch ein Thal zur Bai herabsteigt, ist mit einem breiten Mantel von sich wälzendem weißem Stoff bedeckt. Die Sonne geht an einem schwarzen, unheilverkündenden Horizont unter. Aber die wildeste Scene befindet sich auf dem Meere. Dem Vorgebirge gegenüber ist Alles Schaum. Das Wasser, vom Winde dahingetragen, fliegt durch die Lnft und schießt über die hohen Eisberge hinweg. Es ist ein wundervolles Schauspiel. Ich habe vergebens versucht, es mit dem Pinsel zu malen. Meine Feder vermag es eben so wenig. Es ist mir unmöglich, dieser Seite ein Bild von der ungeheuren Masse Schaum beizugebcn, der über dem Meere flattert und, mit jedem Pulsschlag des unbeständigen Windes steigend und fallend, gegen den dunklen Himmel hervorsteht, oder von den Wolken, die droben hinfliegen, beim Heulen des Sturmes wild und scheu quer über den Himmel eilend. Erde und Meer sind mit brüllenden Tönen erfüllt. Auf der Luft wird Klagen, Schreien und Jammern getragen, laut und bang s>4 Eine Kajüten-Scene. wie das des Höllenwirbelwindcs, der unten in dem zweiten Kreise der Verdammten den italienischen Barden erschreckte, und die Schnee-und Dunstwolken werden von den zornigen Winden hin und her geschleudert, — bald hinauf, bald hinab, — wie Geister, die, verdammt von Minos auf ihrer unglücklichen Flucht in breiten, dichtgedrängten Schaaren, gepeitscht vom grausen Wirbelwind, „Hierhin und dort, hinauf, hinnntcr fahrcn." Zu der oben herrschenden Kälte und Verwirrung steht die Wärme und Ruhe hier uuten in auffallendem Contrast. Ich schreibe in der Officier-Kajüte. Der Ofen glüht roth. Der Theekessel singt ein heimathliches Lied. Jensen liest. McCormick, der von Arbeit und Angst ganz erschöpft ist, schlaft fest, Knorr und Rad-clisse leisten ihm Gesellschaft. Dodge hat das Deck, und hier kommt der Koch mit seinem Kaffeetopf gewankt. Ich werde mich mit einer Tasse stärken und Dodge zu einer kleinen Labung herunterschicken. Es war für den Koch keine leichte Aufgabe, über die schlüpfrigen Verdecke in die Kajüte zu gelangen. „Ich siel einmal hin, aber der Commandant sehen, ich habe den Kaffee noch. Er ist gut, etwas heiß und sehr stark, und geht bis in die Stiefeln hinab." „Eine schlechte Nacht auf dem Deck, Koch." „Oh! es ist furchtbar, Sar! Ich sah den Wind in meinem ganzen Leben nie so stark gehen, und morgen find's vierzig Jahre, daß ich zur See gedient habe. Und dann ist's so kalt. Meine Kombüse ist voll Eis, und das Wasser gefriert mir auf dem Ofen." „Hier, Koch, ist ein Guernsey für Sie; der wird Sie warm halten." „Ich dank' Ihnen, Sar!" — Er tritt mit seiner Beute ab; aber durch den Empfang derselben ermuthigt, bleibt er stehen und fragt: „Würden der Commandant so gut sein, mir zu sagen, wo wir sind? Die Herren haben mich zum Narren." „Gewiß, Koch. Das Land dort drüben ist Grönland. Jenes große Vorgebirge ist Cap Alexander; jenseits desselben ist Smith-Sund, und wir befinden uns nur etwa achthundert Meilen vom Nordpol." „Der Nordpol, wo ist der?" Vor Anker. 65 Ich erklärte es ihm so gut als ich konnte. „Ich dank' Ihnen, Sar. Wozu kommen wir her? — um zu fischen?" „Nein, nicht um zu fischen, Koch; der Wissenschaft wegen." „Ach, das ist's? Die Herren sagen mir, wir kämen, um zu fischen. Ich dank' Ihnen, Sar." Er zieht seine mit Fett beschmierte Mütze über das kahle Haupt und scheint, während er die Kajüten-treppc hinauf in den Sturm taumelt, nicht viel klüger zu sein. Es hat Jemand den alten Mann zum Besten gehabt und glauben gemacht, wir seien herausgekommen, um Seehunde zu fangen. Tcn 30. August, 1 Uhr Morgens. Der Wind zieht sich nach Osten, und die Windstöße kommen stärker und schneller. Wir treiben die Küste hinanf nnd von ihr ab, und ich fürchte, wenn wir noch viel weiter zurückgehen, werden wir vor Top und Takel auf's Meer geschickt werden. Es ist kein angenehmer Gedanke, — unter dem Winde Packeis nnd tausend Eisberge, nnd unter den Füßen ein nicht zu lenkendes Fahrzeug. McCormick strengt sich mannhaft an, nach der Küste zu steuern. 10 Uhr Vormittags. Diesen Morgen nm 3 Uhr erreichten wir die Küste und ankerten bei vier Faden Wasser. Das Hintertheil des Schooners wurde hernmgcschwenkt und mit nuseim festesten Tan an einen Felsen gelegt; aber bald darauf übersiel uns ein Windstoß mit solcher Gewalt, daß, obgleich die Segel alle fest beschlagen waren, das Tau wie eine Peitschenschnur zerriß, und nun liegen wir mit dreißig Faden Kette an unserm Bug- und Katanker. Die Schiffsmannschaft überläßt sich jetzt in scheinbarer Sicherheit dem Schlafe. Müde und erschöpft von der starken nnd gefahrvollen Anstrengung bedurften wir Alle sehr der Nuhe. Unsere erste Erquicknng war eine große Masse heißen Kaff«s. Aber trotz der Müdigkeit gingen einige der enthusiastischeren Mitglieder der Gesellschaft an'Z Ufer, so begierig waren sie, dieses weit im Norden liegende Land zu betreten. 8 Uhr Abends. Ich bin so eben von einer langweiligen Ersteigung des Gipfels der Klippen zurückgekehrt. Auf einer Höhe von zwölf- Hayeö, Das ofjcne Polar:'!!,«?, 5 66 Aussicht von den Klippen. hundert Fuß hatte ich eine gute Aussicht. Das Meer ist längs der Küste frei von Eis, wie es scheint, bis zur ^ittlcton-Insel hinauf, von welcher das Packeis sich über das Nord-Wasser erstreckt, so weit das Auge reicht. Um Cap Isabella hernm scheint viel offenes Wasser zu sein, aber die Küstenlinie tonnte ich natürlich nicht sehen. Oberhalb des Vorgebirges schien das Eis fest zu sein. Obgleich die Aussicht entmuthigend ist, so bin ich doch entschlossen, mit dem ersten günstigen Winde die Ueberfahrt zu «ersuchen. Der Weg war sehr schwierig, und als ich die Spitze der Klippe erreicht hatte, wurde ich fast über dieselbe hinweggcweht. Der Wind ging so stark, daß ich mich, während ich meine Beobachtun-gen machte, au einem Felsen festhalten mußte. Knorr, der mich begleitete, verlor seine Mütze, und sie flog wie eine Feder über das Meer. Die Scene war nur ein breiteres Panorama von derjenigen, die ich gestern beschrieb. Es war eine großartige, wilde Verwirrung der Elemente. Der kleine, weit unter mir liegende Schooner drehte sich und taumelte mit den wechselnden Windstößen und zog an seinen Kabeln wie ein au die Kette, gelegtes wildes Thier. Die Wolken usn treibendem Schnee, die durch die unter mir befindlichen Schluchten wirbelten, verbargen ihn und die jenseits von ihm stehenden Eisberge dann und wann vor dem Blick, uud als die Luft wieder ruhig wurde, tropfte die Wolke auf das Meer, und der Schooner lag nach kurzer Unruhe friedlich auf dem stillen Wasser, sich unter den schützenden Klippen im Sonnenschein pflegend. Vom Sommer giebt es noch einige schwache Spuren. In den Thalern, wo der Schnee hinweggewcht war, zeigten sich einige Flecke mit grünem Moos und Gras, und ich pflückte einen kleinen Blumenstrauß von meinen alten Freunden, den Mohnen, nnd der sich kränseludcu spinnenbeinigon l^xikr^'^ lln^iitu-i«. Der Frost, Schnee und Wind hatten sie ihres Reizes und ihrer Schönheit nicht beraubt. Die Klippen bestehen ans demselben Sandstein, mit dazwischen geschichtetem Grünstein, der, wie ich schon früher bemerkte, die weiter unten liegende Küste bildet. McCormick hat das alte Focksegel, das mitten hinunter zerplatzt war, durch ein neues ersetzt, das Großsegel und den Klüver aber, die beide sehr zerrissen waren, geflickt. An uns ist eine ungeheure Menge Eis vorbeigetrieben, aber wir liegen zu nahe am Ufer, als daß Massen von beträchtliche,,! Aus dem Schutz hinweggetrieben. 67 Umfang das Fahrzeug erreichen können. Drei kleine Eisberge sind jedoch in einer Grnppr nnmitteUmr hinter uns auf den Grund gerathen, und wenn wir vor Anker treibe», werden wir uns an sie legen. Von den Klippen stürzt der Wind wie eine vollkommene Lawine auf uns nieder, und austatt wie vorher in Stößen zu kommen, ist er jetzt fast beständig. Die Temperatur ist 2?" F. (—2°,22 R.) Ich machte hente einen Versuch mit dem Schleppnetz, brachte aber nichts vom Grunde herauf, als ein Paar Echinodermen (^.8-wriu,« ^i'OniillzMin:«, und.^. Mmia). Das Meer wimmelte von kleinen Garneelen, nuter denen lüraii^ou doi-Las höchst zahlreich ist. Die ausgewachseuen sind einen Zoll lang, und ihre farbigen Rücken geben dem Wasser eine in's Purpurne spielende Schattirung. Den 3:. August, « Uhr Abends. Die Nacht schließt einen Unglückstag, — einen Tag, wie ich fürchte, von böser Vorbedeutung. Mein armer kleiner Schooner ist schrecklich mitgenommen. Nachdem ich gestern meine Notizen eingetragen, legte ich mich kurz darauf nieder, um ein wenig zu ruhen, wurde jedoch bald mit der unwillkommenen Meldung geweckt, daß wir vor Anker trieben. McCormick rettete zwar den Buganker, aber der Katanker ging verloren. In einem kritischen Angenblick blieb er an einem Felsen hängen, das Tan zerriß, und wir wurden auf die Eisberge getrieben, die, wie ich oben mitgetheilt habe, hinter uns gestrandet waren. Beim Zusammenstoß gab es ein gewaltiges Krachen. Das Boot am Hintcrthcil zerflog in Splitter, die Schanzkleidung anf der Etcuerbordseite wurde eingeschlagen, und da das Vorbcrtheil des Schooners sich mit großer Gewalt hcrnmschwenkte, wurde der Klüverbaum weggerissen, und das Bugspriet nebst der Porstenge wurde abgesegelt. Bei dieser Beschaffenheit entkamen wir endlich anf ganz wunderbare Weise und trieben vor Top und Takel vor dem Winde hin. Da eine ungeheure Anzahl Eisberge und das Packeis in Sicht kamen, mnßten wir Segel beisetzen. Das Großsegel ging, sobald es ausgesetzt war, in Stücke — wir standen abermals in großer Gefahr; aber glücklicherweise ließ der Sturm nach, und wir sind von da an mühsam gegen den Wind gefahren und befinden uns wieder im Smith-Sund. Der Sturm scheint sich gelegt zu haben; der nördliche Himmel ist rein. Unsere Spieren 68 Im Smith-Sund und wieder hinausgetrieben. werden uns nickt gestatten, Klüver und Marssegel zu führen; — eine schlimme Aussicht bei der Einfahrt in's Packeis. Die Temperatur ist 22" ^. (—4",45> R.), und die Verdecke sind wieder glatt von Eis. Die Taue, Vlockrollen und Jungfern, Stage, Aallen und alle übrigen Dinge sind mit eiucm festen Ueberzug bedeckt, uud an der Negeling und dem Takelwerk hängen fußlange Eiszapfen. Wenn sie sich auch im Sonnenlicht sehr hübsch ausuehmen, so bieten sie doch einen recht winterlichen Anblick und passen durchaus nicht für ein Schiff. Ich versuchte diesen Morgen nach Cap Isabella zu gelangen, stieß jedoch auf das Packeis ebenda, wo es uns früher den Weg versperrte. In der Mitte desselben bemerkte man einige Stellen offenen Wassers; aber es war uumöglich, durch das dazwischen liegende Eis zu dringen. Jetzt ist noch meine einzige Hoffnung, mich die grönländische Küste hinaufzuarbeiten, rinen Anhalt am festen Eis zn bekommen, und den Versuch zu macheu, ob ich durch die engen Kanäle im Eise, die der Wind weiter oben im Sunde geöffnet haben muß, eine, Neberfahrt uach der andern Küste bewerkstelligen kann. Daß ich jene Küste erreiche, daran verzweifle ich noch nicht, obgleich der Wind offenbar das Eis dermaßen auf dieselbe zusammengepackt hat, daß es wie ein hoffnungsloses Unternehmen aussieht. Ich habe schon die Fog-Einfahrt, zwanzig Meilen oberhalb Eap Alexander auf der grönländischen Küste, im Auge und werde nnn diesen Punkt zu erreichen suchen, um dort eineu ueuen Anlauf zu nehmen. Während ich schreibe, wird der Wind stärker, und unter eng eingereeften Segeln tommen wir ein wenig vorwärts. Die armen Matrosen haben eine traurige Zeit; die steif gewordenen Taue machen ihnen viel zu schaffen. Der Schooner ist, so weit er sich über dem Wasser befindet, allenthalben mit Eis überzogen. Die Hunde sterben vor Kalte und Nässe. Drei derselben find schon todt. — Den 1. Ecptcmbcr, 8 Uhr Abclids. Wir sind wieder aus dem Sunde hinausgetriebcn worden. Der Sturm erhob sich abermals mit großer Gewalt, und beim Wenden des Schooners, um einem Eisberge auszuweichen, brach die Vordergaffel mitten entzwei. Nicht im Stande, außer einem eng eingereeften Stagsegel noch ein anderes ;u führen, sahen wir uns Einfahrt in das Packed. 69 genöthigt, unsere Zuflucht von Neuem hinter unsern alten Beschützer Cap Alexander zu nehmen. McCormick flickt das Wrack aus und bereitet es zu weiterem Kampfe vor. Die nächsten zwei Tage wurden mit einem gefährlichen Wag/ niß ausgefüllt. Nachdem die zerbrochene Gaffel wieder hergestellt war, kämpften wir abermals um den Sund und kamen wieder hinein. Das Packeis lag noch immer da, wo es früher war, und bot uns wieder die Spitze. Zwischen der Littleton-Insel und Cap Hatherton und, wie es schien, auch nordwestlich von diesem Vorgebirge war ziemlich viel offenes Wasser; aber der Insel gegenüber befand sich viel schweres Eis, mit sich windenden engen Kanülen, welche die Eisflarden trennten. Ich entschloß mich jedoch, in das Packeis hineinzufahren und den Versuch zu machen, in das oberhalb desselben befindliche offene Wasser zu gelangen. Wir nahmen die erste günstige Ocffnung, hielten etwa zehn Meilen weit einen nordwestlichen Cours nnd legten dann, als wir sahen, daß wir in dieser Richtung nicht weilcr durchdringen konnten, das Schiff um, in der Hoffnung, das freie Wasser zu erreichen, das oberhalb der Insel lag. Jetzt warcn wir im vollen Kampf. Es lief uns eine starke Strömung entgegen, und bald cntdccklcn wir, daß das Eis niit reißender Schnelligkeit den Sund herabkam und daß die Kanüle sich bereits langsam schlössen. Wir arbeiteten wacker, indem wir alle nur möglichen Segel beisetzten; aber wir erreichten unsern Punkt nicht und mußten bald wieder auf eine andere Seite wenden, oder vielmehr, wir versuchten es; denn der Schooner, der ohne sein Marssegel, das wir wegen der abgesegelten Stenge nicht führen konnten, nie zuverlässig ist, versagte das Wenden, und aus Furcht, zwischen die Eisfelder geklemmt zu werden, welche das offene Wasser um uus schnell verminderten, drehten wir das Schiff um; dazu gab cs jedoch nicht Naum genug, und wir waren nahe daran, mit dem Cteuerbordbug an ein festes Eisfeld zu stoßen, das eine Meile breit war. Fand diefer Zusammenstoß in unserm vollen Anlauf statt, so war für den Cchooner wenig Hoffnung vorhanden, und da wir ihn doch nicht vermeiden konnten, so hielt ich es für das Sicherste, den Stoß gerade auf das Vorderreitkuie zu nehmen; ich befahl daher, den Schooner laufen zu lassen, und drauf ging's in wahrer Sturmbocks-Art. Für mich war die Aus« 70 In die Enge getrieben. sicht doppelt unangenehm. Um leichter beobachten zu können, hatte ich meinen Stand auf der Vormarsraa genommen, und da der Mast schon gesprungen war und in Folge meiner Schwere schwankte, so hatte ich nicht viel mehr zu erwarten, als daß er, wenn der Stoß kam, abbrechen und mich mit dem Wrack auf das vorn stehende Eis landen werde. Zu meinem Glücke hielt das Holz fest, aber der Schaft zerflog beim Zusammenstoß in Splitter, und die eiserne Epikerhaut wurde von den Bugen gerissen, als wäre es Packpapier. Und nun kamen verzweifelte Kämpfe. Eine solche Reihe gymnastischer Kunststücke hat nie ein Marssegler durchgemacht. Die Verzögerungen und Schwierigkeiten der letzten wenigen Tage hatten mich so geärgert, daß ich entschlossen war, lieber Alles zu wagen als zurückzugehen. So lange der Schooner schwamm, dnrfte ich immer noch hoffen, Cap Hatherton zu erreichen. Als das Schiff von der Eisstarde los war, kam es wieder in den Wind, und durch einen engen Kanal gleitend, tauchten wir bald in einem breiten Raume offenen Wassers auf. Hätte dies fortgedauert, so wären wir bald mit Erfolg belohnt worden, aber in einer halben Stnnde wurde die Schifffahrt so schwierig, daß wir wieder wenden und landwärts stenern mußten. So fuhreu wir viele Stunden fort, lavirten immer hin und her, — rückten zuweilen ein wenig vor und wichen dann wieder zurück, iudem wir gezwungen waren, vor einer Flarde, die wir nicht umschiffen konnten, unter den Wind zu gehen. Der Raum,,in welchem wir den Schooner manövriren ließen, wurde nach und nach immer enger, die Zusammenstöße mit dcm Eise häufiger. Wir wichen zurück. Das Eis schloß sich an's Land an, uud wir wurden endlich zum Stehen gebracht. Es gab keinen Durchgang mehr. Zum Rückzug war es jetzt zu spät, wenn wir ihn auch hätten antreten wollen. Das Eis war hinter uns eben so dicht zusammengepackt wie vor uns. Die Scene hatte sich mit unglaublicher Schnelligkeit verändert. Eine Stunde später war vom Deck aus kaum noch ein Fleckchen offenen Wassers zu sehen, und die Eisflarden schlössen sich wie ein Echranbstock um den Schooner. Im Rachen desselben völlig machtlos, blieb nns keine andere Wahl, als mit möglichster Ruhe auf den Ausgang zu warten. Die Scene um uns war eben so imposant als beunruhigend. Außer dem Erdbeben und Vulkan giebt es in der Natur kein Die Gewalt der Eisfelder. 71 Schauspiel, dessen Gewalt sich mit derjenigen der Eisfelder in den arktischen Meeren vergleichen läßt. Wenn sie vom Winde oder von Meeresströmcn gegen das Land oder andere Widerstand leistende Gegenstände getrieben werden, schließen sie sich mit dem Drnck von Millionen sich bewegender Tonnen zusammen, und das Krachen, Getöse und die Verwirrung sind wahrhaft schreckenerregend. Wir befanden uns jetzt mitten in einer der schauerlichsten dieser Vorstellungen aus der Polar-Dunamik und kamen zu dem unbehaglichen Bewußtsein, daß der Schooner eine Art Dynamometer werden sollte. Wo irgend die Flarden zusammentrafen, wurden große Bergrücken aufgeworfen, um wieder unterzutauchen, wenn der Druck in einer andern Gegend ausgeübt wurde, und diese pnlsirenden Erhebungslinien, die in manchen Fällen eine Höhe von nicht weniger als sechzig Fuß — höher als uuser Masttop — erreichten, sprachen über das um uns liegende Meer hin von der Stärke und Macht des Feindes, der uns bedrohte. Wir hatten uns in einen dreieckigen Naum hineingearbeitet, welchen drei sich berührende Eisfelder bildeten. Anfangs gab es reichlichen Platz, uns herumzudrehen, wenn auch keine Aussicht zum Entkommen war. Wir waren in eine niedliche Docke gebracht und hofften in unserer Eitelkeit, sicher zn sein; aber die Ecken der schützenden Flarden wnrden langsam abgedrückt, der Raum nach und nach immer enger; wir lauschten auf das Knackern und Knirschen des Eises nnd beobachteten mit Bestürzung das Vorrücken desselben. Endlich berührte das Eis den Schooner, und es schien, als ob sein Schicksal besiegelt wäre. Er stöhnte wie ein selbstbewußtes Wesen bei Schmerz, krümmte und drehte sich, als wollte er sich seinem Gegner entwinden, nnd zitterte an allem Holzwerk von der Klote bis znm Kielschwein, Seine Seiten schienen nachzugeben. Sein Deckgebälk bog sich in die Höhe, und die Nähte der Deckplanken öffneten sich. Ich gab das kleine Schiff, das uns wacker durch so viele gefahrvolle Scenen getragen hatte, verloren; aber seine Seiten waren fest und seine Rippen stark. Das Eis auf der Backbordseite arbeitete sich allmälig unter den Bauch uud hob es endlich mit einem Schnpp, der nns Alle taumelu machte, aus dem Wasser. Da die Eisstärken noch immer vorwärts drückten und, indem sie sich aneinander drängten, zerbrachen, so stapelte sich unter und rings um uns ein großer Bergrücken auf, und wir sahen 72 Der Schooner in Gefahr. uns langsam in die Luft steigen, als würden wir durch die hebende Kraft von tausend Schraubensätzen emporgetrieben. Jetzt fürchtete ich, der Schooner werde auf die Seite fallen, oder die Massen, die sich über die Schanzkleidung erhoben, möchten auf das Deck hcrübcrstürzen und uns unter sich begraben. In dieser Stellung lagen wir acht angstvolle Stunden. Endlich hörte das Krachen auf bei einem Wechsel des Windes und der Gezeiten. Das Eis lieft Zeichen des Nachgebens blicken. Der Lauf der ungeheureu Flarden, die sich den Sund hinabdrängten, änderte sich mehr nach Westen. Mit Freuden sahen wir der Befreiung entgegen. Zwischen dcm bisher dicht zusammengepackten Eise zeigten sich hier und da kleine Fleckchen offenen Wassers. Die Veränderung der Scene war, obgleich weniger furchtbar, doch nicht weniger zauberhaft als zuvor. Bald dehute sich die Bewegung auf die Eisflardcn aus, die uns fo unbehaglich fesselten, und fowie der Druck aufhörte, wichen die Eisblöcke, die den vorderen Theil des Schooners trugen, und ließen, während die Buge ihnen folgten, das Hinterthcil hoch in der Luft. Hier lagen wir einige Augenblicke ruhig, daun begann die alte Scene von Neuem. Die entferntere Kante der äußeren Flarde, die uns hielt, wurde von einem andern sich bewegenden Felde von größerem Umfange erfaßt. Da ging das Einzwängen wieder los und wir schienen in eben so großer Gefahr wie früher zu sein; aber dieser Angriff war von kurzer Dauer. Die Flaroe wälzte sich um, und wir fielen, da der Druck fast augenblicklich beseitigt war, in's Wasser und taumelten, während das Eis, sein Gleichgewicht suchend, sich kopfüber und in wilder Verwirrung von seiner erzwungenen Erhebuug unter uus senkte, vorwärts und rückwärts und von einer Seite zur anderu hiuüber. Aus dieser neuen beunruhigenden Lage befreit, wandten wir jedes wirksame Mittel an, um uns aus den Trümmern des furchtbaren Kampfes zu ziehen, den wir bestanden hatten, und suchten so eilig als möglich in eiue Stellung zu kommeu, die größere Sicherheit bot. Einstweilen wurde eine Besichtigung vorgenommen, um zu ermitteln, welcher Schaden dem Schooner zugefügt war. Der Schiffsraum füllte sich schnell mit Wasser, das Steuerruder war zerspalteu, zwei Haken desselben waren abgebrochen, der Hintersteven losgesprungcn, Bruchstücke vom Schaft und Kiel schwammen Der Schooner rettlos. 73 neben uns im Meere, und allem Anschein nach waren wir im Sinken begriffen. Unsere erste Pflicht war, die Pumpen zu besehen. Wir befanden uns viele Stunden zwischen dem Eise, gefoltert von Zweifel nud Ungewißheit. Wir mußten uns mit großer Vorsicht bewegen. Der rettlosc Znstand des Schooners mahnte uns, ihn sanft zu behandeln. Stöße hielt er nicht mehr aus. Vorwärts konnten wir nicht weqen des Eises; zurückziehen mußten wir uns, denn es war uubediugt nothwendig, daß wir das Land erreichten und irgendwo Schutz fanden. Das Steuerruder war nicht mehr zu gebrauchen, und wir sahen uns genöthigt, mit einem andern langen Nuder zu steuern. Der Wind zog sich mehr und mehr nach Osten und breitete das Eis aus. Obgleich zuweilen ganz nmschlossen und einmal stark „gezwickt," krochen wir doch, indem wir die uus güustige Zeit abpaßten, langsam aus dem Packeis hinaus und gelangten nach zwanzig angstvollen Slundcn endlich in vevhältnißmäßig freies Wasser; wir segelten quer durch die Wellen nach der Harlstenc-Bai, wo wir einen Ankerplatz fanden. Der dem Schooner zugefügte Schadcu war geringer, als wir gefürchtet hatten. Eine sorgfälligere Untersuchung zeigte, daß keine Innenholzer zerbrochen waren, und die Nahte schlössen sich einigermaßen von selbst wieder. Als wir einmal vor Anker lagen und sahen, daß es mit dem Sinken keine Gefahr hatte, ließ ich die ganze Mannschaft ausruhen, bis auf diejenigen, die an den Pumpen fein mußten. Sie waren Alle völlig erschöpft. Am folgenden Tage wurde eine nochmalige Besichtigung des Fahrzeugs gehalten. Wenn es auch zu weiteren Kämpfen mit dem Eise untauglich war, so konnte es doch mit eiuigcm Beistand von Seiten der Pumpen noch immer schwimmen. Wenn alle vier Stunden eine gepumpt wnrdc, blieb der Schiffsraum wasserfrei. Die Ausbesserungen, die wir machen konnten, wurden sogleich begonnen. Ohne das Fahrzeng an's Ufer zu ziehen, lieh sich nur wenig thun; das Erstere war aber bei dem unsichern Zustande des Eises und der Witterung unausführbar. Das Steuerruder hing nur an einem einzigen Haken, und nachdem wir es wiederhergestellt hatten, war es noch immer uuzuverlässig. Während McEormick diese Reparaturen ausführte, ruderte ich in einem Walsischboote nach der Littleton-Znsel hinanf, wn zu 74 Ein zweiter Versuch. sehen, was das Eis i» unserer Abwesenheit gethan hatte. Der Wind kam uns entgegen, und wir hatten einen harten Kampf, nm unsern Bestimmungsort zu erreichen; als wir aber einmal dort waren, fand ich einige Ermnthiguug. Längs der Küste nach Cap Hatherton hinauf gab es viel offenes Wasser, das Packeis war jedoch im Westen und Südwesten sogar schwerer als früher. In dasselbe hineinzufahren, wäre selbst bei günstigem Winde und einem unbeschädigten Schiffe eine Thorheit gewesen. Es war gar keine Aussicht vorhanden, nach der Westküste zu gelangen, außer auf dem Wege, den ich zwei Tage vorher mit so unglücklichem Erfolg versucht hatte. Wir waren nicht wenig überrascht, auf der Littleton-Insel ein Rennthier zu finden. Es lag in festem Schlafe, anf einem Bett von Schnee zusammengekauert. Dodge's Büchse sicherte es für unsere Speisekammer nnd beraubte die einsame Insel ihres einziges Bewohners. Während unserer Abwesenheit war Jensen mit Hans ausgegangen und hatte ebenfalls Wild entdeckt. Sie hatten eine Heerde gefunden, die ungefähr ein Dutzend zählte. Zwei der Thiere wur. den erbeutet, die übrigen geriethen in Schrecken und entkamen in die Berge. Da der Wind bi5 zur Windstille abnahm, so begaben wir uns am nächsten Tage ilntcr Rudern in See und fuhren wieder in's Packeis hinein. Anf die Insel war noch mehr Eis herabgekommen, und alle unsere Anstrengungen, an der Küste hinauf-zudringcn, waren vergeblich, Die Luft war, in Betracht, daß die Temperatur zwölf Grad unter Null") stand, anf rine beimruhigende Weise still geworden, und eZ mar sehr zu fürchten, daß wir aus der See eingefrören. Um diese Gefahr zu vergrößern, kam noch ein Schneewetter hinzu; aber wir blieben noch immer bei unserer kalten und riskanten ,,Warp"-Arbeit mit Gang- und Bratspill, Walfisch- und Pferdelien, bald vordringend, bald zurückweichend und oft recht stark gezwickt. Endlich waren wir wieder vollständig eingeschlossen. Das junge Eis ging reißend schnell, und ich mußte wider Willen zugeben, daß die schiffbare Jahreszeit vorüber war. Wollten wir noch länger im Packeis bleiben, so konnten wir jetzt mit Sicherheit *) - 19« 56 R. Einfahrt in den Winterhafen. 75 darauf rechnen, daß wir für den Winter dün eingefroren; wir eil-ten daher, nachdem wir noch zwei Tage mit fruchtloser Arbeit hingebracht hatten, fo sehr wir konnten, um wieder in eisfreies Wasser zurückzugelangen. Das ließ sich aber nicht so schnell ausführen. Wer diese Polar-Meere befährt, muß Geduld lernen. Unsere Absicht wurde jedoch am Ende glücklich erreicht, und da eine Brise aufstieg, segelten wir in die Hartstcne-Vai zurück; wir steuerten nach einer Gruppe zerklüftet aussehender Inseln, die am oberen Ende der Bai in der Nähe der Küste lagen, stießen hinter denselben auf einen behaglichen kleinen Hafen nno warfen unsere Anker aus. Am nächsten Morgen hatte ich den Schooner näher an's Ufer gezogen und an die Felsen gelegt. Mittlerweile arbeitete die Mannschaft mit ängstlicher Ungewißheit, und als ich endlich meine Absicht verkündete, an dieser Stelle zu überwintern, nahmen sie die Mittheilung mit augenscheinlicher Freude auf. Ihre Aufopferung war groß gewesen, und sie bedurften Ruhe; aber trotzdem würden sie bei ihrer gewohnheitsmäßigen Thatkraft und Heilerkeit mit Freuden den Kampf fortgesetzt haben, hätten wir die geringste Aussicht gehabt, daß ein weiterer Versuch, über den Sund zu fahren, von günstigem Erfolg begleitet sein werde. Sie sahen jedoch, wie ihre Gesichter deutlich verriethen, selbst ehe ich es anerkennen wollte, daß die Zeit vorüber war. Zu ihrer Ehre sage ich es, daß sie auf der ganzen, mit ungewöhnlicher Gefahr uud Aufopferung verbundenen Neise angesichts der Gefahr nie verzagt waren und Alle einmüthig den genügendsten Beweis von männlicher Ausdauer geliefert hatten. Der Leser wird leicht begreifen, daß mir das Mißlingen des Versuchs, über den Snnd zn setzen, höchst ärgerlich war. Da ich, wie schon gesagt, die Westküste zu erreichen und bort all irgend einer passenden Stelle zwischen A<" nnd ^)" nördl. Breite mich eines Hafens zu versichern hoffte, so sah ich ein, daß, als dieser Plan sich nicht ausführen ließ, meine Aussichten auf glücklichen Erfolg, den ich im folgenden Frühjahre mil Schlitten zu erlangen gedachte, sehr in Frage gestellt wurdeu. Ueberdies war mein Fahrzeug — und das war mir der peinlichste Gedanke — offenbar so arg beschädigt, daß ich es zu jeden: ueucn Versuch im nächsten Jahre untauglich fand. Achtes Kapitel. Unser Winterhafen. — Vorbereitung auf den Winter. — Organisation der Gc» schäfle. - Die wissenschaftliche Arbeit. — Das Observatorium, — Ter Schooner an'ö User getrieben, — Die Zager, — Wir sägen eine Docle, — Eingefroren. Zu Ehren meines Freundes, des seligen William Parker Foulte von Philadelphia, der einer der frühesten Förderer der Expedition war und die ganze Zeit hindurch einer der getrmcsteu blieb, nannte ich unsern Hafen Port Fonlke. Er war gut geschützt, außer von Südwesten her; nach dieser Seite war er dem Winde und Treibeis völlig ausgesetzt; aber nach unserer eben gemachten Erfahrung zu urtheilen, hatten wir wenig Grund, aus dieser Richtung Wind zu fürchten, und uor dem Treibeis wurden wir durch eine Gruppe Eisberge gedeckt, die dem Eingänge des Hafens gegenüber gestrandet lagen. Unsere Stellung war, selbst für die grönländische Küste, uicht so befriedigend, als ich es Hütte wünschen könueu. Hätte ich die Fog-Einfahrt erreicht, so hätten wir unserm jetzigen Aufenthalt gegenüber einige Vortheile gewonnen und uns in einer besseren Lage befunden als I)r. Kane im Van Nenssclaer Hafen; auch wären wir daun einer zeitigen Befreiung eben so sicher gewesen, wie wir es wahrscheinlich in Port Foulte waren. Daß wir im nächsten Sommer nicht lange würden aufgehalten werden, und daß die Gefahr uicht eintreten konnte, daß mein Fahrzeug in einer ähnlichen Falle gefangen wurde, wie die „Advance", war in der That der Hauptvortheil, welchen derselbe hatte. Neben dieser Aussicht auf cine baldige Befreiung, die ihn empfahl, schien es dort viel Wild zu geben. Von Dr. Kane's Winterquartier waren wir nicht sehr weit; POKT FOULKE seine Umgebung i in Xord-Grünland. Vorbereitung auf den Wintor. ?? die Entfernung betrug in gerader Nichtung etwa zwanzig und an der Küste hin ungefähr achtzig Meilen. Wir befanden uns acht Seemeilen *) nordöstlich von Cap Alexander und lagen weit hinten in den Winkeln einer von schroffen Klippen umgebenen Bucht, bereu dunkler, rothlich-brauner Syenitfelsen düster genug aussah. Diese Bucht wird durch drci kleine Inseln verlängert, die in meinem Journale als „dic jüngeren Officiere"**) figuriren, und die auf meiner Kartc dic Namen Nadcliffe, Knorr nnd Starr führeu. Am hintersten Ende der Bucht gab es eine Reihe terrassenartiger Gestade, die aus losem Mecrtics (Singel) bestanden. Das Eis schloß uns bald ringsum ein. Für mich war jetzt die Hauptsache, mich auf den Winter vorzubereiten, und zwar in einer Weise, die dem Schooner Sicherheit und meiner Reisegesellschaft Behaglichkeit gewährte. Dabei verlor ich indeß die wissenschaftlichen Arbeiten nicht aus den Augen; für den Augenblick jedoch mußten dieselben wichtigeren Dingen untergeordnet werden. Es gab viel zu thun, aber meine.Erfahrung aus früherer Zeit erleichterte mir die Sorgen. Herr Sonntag, mit Nadcliffe, Knorr und Starr, die ihn unterstützen sollten, übernahm den Hanpttheil derjenigen wissenschaftlichen Arbeiten, welche wir auszuführen im Stande waren, und Jensen mit Hans und Peter wurden als organisirte Iagdmacht ausgehoben. Mr. Dodge mil dem ganzen Schiffsvolk schiffte die Fracht aus, schaffte sie an's Ufer, schwang sie mit rinem Dirk***) auf die untere Terrasse hinauf, die dreißig Fuß über der Fluth lag, und legte sie dort in einem aus Steinen gebauten und mit unseren alten Segeln gedeckten Vorrathshaus nieder. Das war eine sehr mühsame Arbeit. Der Strand war seicht, das Ufer abschüssig, und da das Eis nicht stark genug war, um einen Schlitten zu tragen, so mußte für die Boote zwischen dem Schiff und der Küste ein Kanal offen gehalten werden. Die Pflicht, den Schooner zu unserer Winterheimath vorzubereiten, fiel Mr. McEormick mit dem Zimmermann und dem sonstigen Beistand zu, den er außerdem noch brauchte. Nachdem die Segel abgeschlagen, die Naacn heruntergeworfen und die Stengen in Sicherheit gebracht *) Zwei deutsche Meilen. **) ,,'1'!ie VounSster»." ***) Ein Tau. 78 Unsere Verpflegung. waren, wurde das oberste Deck mit einem Dache «ersehen; — dies gab ein Haus, das an der Firste acht und an dcr Seite sechs und einen halben Fnß hoch war. Ein Ueberzug von getheertem Papier vorschloß die Risse, nnd vier Feilster ließen das Licht herein, so lange dasselbe noch dancrte, nnd lüfteten unser Quartier. Zwischen den Verdecken gab es viel zu thnn. Der Schiffsraum wurde, nachdem er gedielt, geschrubbt und geweißt war, in ein Zimmer für das Schiffsvolk verwandelt; der Kochofen wurde ans der Kombüse hinabgcbracht und in die Mitte desselben unter die große Lnke gestellt, in welcher unsere einfache Vorrichtung hing, mit dcr wir ans Schnee oder Eis Wasser schmolzen. Dies war ein trichterförmiger Doppelcylindcr von galvanisirtem Eisen, der mit dem Ofenrohr in Verbindung stand, nnd wurde der „Schnce-schmelzer" genannt. Ans demselben ergoß sich ein bestündiger Strom in ein großes Faß, und wir hatten stets einen Vorrath vom reinsten Wasser, der zn jedem Zwecke vollkommen ausreichte. In dieses Quartier zog die Mannschaft am 1. October ein, und da die Vorbereitnngsarbeit im Freien der Hauptsache nach vollendet war, so traten wir dann mit dcr Ceremonie eines Festessens in unser Wintcrlebcn ein. Und das Essen war keineswegs zu verachten. Auf nnsere Suppc folgte ein Upernaviker Lachs, nnd der Tisch ächzte unter einer ungeheuren Wildprctkeule, die von einem Kaninchenragout und einer Wildprctpastete flankirt wurde. Wir gingen in der That mit einer höchst ermuthigenden Anssicht auf eine reichliche Verpflegung in den Winter hinein. In den Wand-tauen hingen die Leichen von mehr als einem Dutzend Nennthicren, Kaninchen und Füchse waren gruppenweise am Takelwert aufgehäugt, und für den gesunden Appetit und die starke Verdauung, die wir einer elastischen Lnft und harten Arbeit verdankten, war nicht nur in der Gegenwart reichlich gesorgt, sondern schielt auch in dcr Zukunft noch Zufuhr in Anssicht zn stehen. Die Jäger kamen selten mit leeren Handen nach Hause. So oft sie von einer Jagd zurückkehrten, wurde von Nennthieren in Rnoeln von zehn und fünfzig Stück erzählt. Jensen, der mehrere Tage draußeu auf den Jagdgebieten campirte, hatte schon das Fleisch von etwa zwanzig Thieren in Löchern in der Erde verwahrt, außer denjenigen, die er an Bord gebracht hatte. In einer einzige»: Stunde hatte ich drei mit eigener Hand erlegt. Die Mannschaft sowohl als die Hnndc waren gut versorgt. Die Hunde, die nach Eskimo-Gebrauch nnr Das Observatorium. 79 alle zwci Tage gefüttert wurden, erhielten oft eilt ganzes Nenn-thier auf einmal. Sie waren sehr gefräßig, und da sie durch ihr hartes Leben auf der See bedeutend heruntergekommen, so schmälerten sie unsere Hülfsquellcu auf eiuc gewaltige Weise. Meiu Iourual erwähnt mit täglich wachsender Ungeduld, daß fast beständig starke Nordwinde herrschten, die uns während dieser Zeit in Verlegenheit sehten; aber endlich trat der Wind aus der entgegengesetzten Richtimg ciu, brach das innge Eis um uns her^ um auf und zwängte uns auf die Felsen. Weun auch in dem Umstände, daß dadurch unsere Lage sich verschlimmert hatte, wenig Trost zu finden war, so lag doch wenigstens etwas Neues in der Laune des Wetters. Hatte doch das einförmige „N. O." in der entsprechenden Columns des Logbuches wenigstens einmal abgewechselt. Nicht ohne Schwierigkeit gelang es nns, dem Schooner ans der unangenehmen Lage zn helfen. Bei jenen Vorbereitungen auf den Winter darf ich den Aftro uomen nnd sein kleines Corps nicht vergessen. Zwischen ihm und dem vollziehenden Officier entstand eine interessante Rivalität. Während der Eine ein in Sicherheit vor Anker gelegtes sauberes Schiff und eine wohlgenährte Mannschaft verlangte, war er natürlich auf jede Aushebung von Leuten für den Andern eifersüchtig, und ich mnß gestehen, daß die Leute für den Anhänger Epikur's viel lieber arbeiteten als für deu Schüler des Copernicns. Eine Vorladung in's Hauptquartier legte jedoch schnell den Streit über die Frage bei, wo die Arbeit am nöthigsten sei, nnd durch eine einsichtsvolle Unterscheidung dessen, was der Wissenschaft uud was der persönlichen Bequemlichkeit gebühre, gelang es nnZ, so lange noch das Tageslicht währte, den Grund zn einer recht hübschen Neihe von Beobachtungen zn legen, während wir gleichzeitig unsere Behaglichkeit sicherten. Auf der unteren Terrasse, nicht weit vom Vorrathshause, wurde ein nettes kleines Observatorium errichtet und sogleich Gebrauch davon gemacht, uud sobald das Eis stark genug war, um uns zu tragen, wnrde eine gemule Vermessung nnd Sondirung des Hafens uud der Bai vorgenommen. Das Observatorium war ein hölzerner Bau, acht Fuß im Geviert und sieben Fuß hoch, erst mit Segeltuch und dann mit Schnee bedeckt, uud durch und durch mit Bären- nnd Nennthierfellen ausgeschlageu. Iu demselben wnrde unser schöuer Pendelapparat aufgestellt, und Sonntag uud Rad- 60 Wissenschaftliche Arbeit. cliffe waren fast einen Monat beschäftigt, seine Schwingungen zu zählen. Er ging vortrefflich. Als dieses Instrument entfernt war, wurde der Magnetometer an seine Stelle gesetzt, und zwar auf ein Fußgestell, das eben so einfach als originell war. Es bestand aus zwei Fäßchen ohne Böden, die, ein Ende am andern, auf den festen Felsen unter dem Fußboden gestellt wurden; der so gebildete Cylinder wurde mit den einzigen Materialien, die nicht znsammen-gefroren waren, nämlich mit Bohnen gefüllt. Auf diese wurde Wasser gegossen, und so halten wir bald eine nette und vollkommen feste Säule. Da in dieser Wohnstatte der Wissenschaft kein Feuer irgend welcher Art zugelassen wurde, so blieb sie den ganzen Winter hindurch brauchbar.*) Nm eine genaue Temperaturtabelle zu bekommen, errichteten wir in der Nähe des Observatoriums einen passenden Schlitz für die Thermometer. In diesen wurde eiue Anzahl Instrumente, meist Weiugeistthermometer, gebracht, die wir alle sieben Tage stündlich und in der Zwischenzeit täglich dreimal ablasen.**) Außerdem zeichneten wir die Temperatur alle zwei Stunden nach einein Thermometer auf, der an einem Pfahl auf dem Eise hing. Mr. Dodge nahm für mich eine Neihe Eismessungen vor, und das Fernrohr wurde neben dem Fahrzeng in einem Gebäude aufgestellt, das wir aus Eisblöcken und Schneebällen errichtet hatten. Aber der Wind wollte uns noch immer keine Ruhe gönnen; indem er wieder ans südlicher Richtung eintrat, brach das Eis noch einmal auf; wir wurden wieder auf die Felsen getrieben und zum zweiten Mal genöthigt, für den Schooner eine Docke zu sägen und ihn vom Ufer wegzuziehen. Diese Arbeit war sowohl mühsam als unangenehm, sogar noch mehr als sie es früher gewesen. Das *) Ich muß hier erwähnen, daß die Pcudcl- und magnetischen, wie alle anderen physikalischen Beobachtungen bei meiner Rückkehr der Smithjon'schen Stif' tung in Washington zugesandt und in die dazu schr geeigneten Hände dcö Mr. Charles A. Schott, Assistent bei der Küsten-Vermessung der Vereinigten Staaten, gelegt wurden, dem ich für höchst fähige und thätige Mitwirkung bei der Ausarbeitung und Besprechung meiner Materialien, vorläufig zu ihrer Veröffentlichung in den „3!mtl>8miill,!i ^«,nti'ibutinl>5," aus die ich deu ^'escr in Betreff der Einzelheiten verweise, zu Dank verpflichtet biu. **) Diese Instrumente wnrden bei jeden zehn Temperatur Graden bis auf —40" F. (—32« N.) hinab sorgfältig verglichen und die Aufzeichnungen nachher auf unser Normalthcnnomcter bezogen, ein schönes Instrument, das ich von G. Tagliabue hatte. Vom Eise an's Us« gerieben. 81 Eis war mürbe und durch den Druck so verwirrt auf einander geworfen, daß es uns nicht leicht wurde, für den Fuß einen sichern Boden zn finden, und das Ergebniß war, daß nicht Viele von der Gesellschaft mit weniger als einem einmaligen tüchtigen Untertauchen davonkamen. Diese Unfälle waren jedoch eher unbehaglich als gefahrlich, da stets Hülfe zur Haud war. Der Schooner befand sich eine Zeit lang in eitler ziemlich beunruhigenden Lage, und es war sehr zweifelhaft, ob wir ihn losbringen würden; aber obgleich wir uns defsen bewußt nud, da das Eis nachgab und hin nnd her schwankte, wiederholt iu's Wasser fielen, so konnte dies doch bei der Schiffsmannschaft den unerschöpflichen Fond guter Lanne nicht zerstören. Von dieser glücklichen Stimmung muß ich jedoch zwei Individuen ausnehmen, die stets von einer Art spaßhaften Ernstes besessen waren, wo es dazu am wenigsten Gelegenheit gab, und sich, wie das bei solchen Leuten gewöhnlich der Fall ist, auf eine nicht gerade nützliche Weise beschäftigten. Einer derselben fing mit großer Ernsthaftigkeit und einer ungeheuren, aber falsch angewandten Energie an, in meine beste ncnnzollige Pferdelien zu hacken, die Niemandem im Wege lag, nnd der Andere begann mil gleichem feierlichen Ernste wacker meine Nnder zu zerbrechen, indem er Eisstücke damit wegschob, die keinem Menschen Etwas schadeten. Er versnchte sogar, allein nud ohne Hülfe, mit der Fluthstange, einem Werkzeug, das MeCormik zwei Tage Arbeit gekostet hatte, den Schooner wegzuschieben. Die Stange zerbrach natürlich; aber der gute Mann rettete sich vor des Steuermanns gerechtem Zorne dadurch, daß er den Bruchstücken in'Z Meer folgte, wo er sich anstatt schneller Hülfe mit der Versicherung tröstete, daß, wenn er nicht eile, die Garnelcn hinter ihm sein nnd nichts von ihm übrig lassen würden) als ein Skelett für die Sammlung des Eommandanten. Die Temperatur war jetzt unter Null"') und die gefahrvolle Lage, in der wir uns befanden, hatte keine schlimmeren Folgen, als für den Steuermann eine unbedeutende Brustfellentzündung und für den Zerstörer meiner Nnder einige rhenmatische Krämpfe. Unsere Anstrengungen wurden jedoch endlich mit glücklichem Erfolg belohnt, nnd der Schooner war wieder gerettet. Da die Luft still wurde und die Temperatur bis auf 10" unter Nnll^) fiel, so ") Ulttcv —14°,^ N, -"') -18«, 71 R. Hayes, Das offene Polar Atcer. 83 Eingefroren. waren wir bald fest eingefroren, gegen alle weiteren Unfälle dieser Art geschützt und zn unserer Frende im Stande, in Sicherheit über die Bai zu laufen. Dies ahnend, hatte ich Jensen und Peter beauftragt, für die Hunde Geschirre zn verfertigen, nnd machte an jenem Tage nut einem meiner (bespanne die erste Spazierfahrt. Die Thiere hatten sich ganz schön wieder erholt und befanden sich in vortrefflichem Znstande; ich war mit ihnen sowohl als mit ihrem Treiber Jensen zufrieden. Der Tag war in der That für die ganze Gesellschaft ein reizender. Das Eis hatte sich fest bis an's Land geschlossen; es war daher nicht mehr nöthig, für dir Boote einen Kanal offen zn halten, und die Jäger, die jetzt im Stande waren, mit Leichtigkeit an's Ufer zu gelangen, machten sich in großer Freude früh am Morgen auf deu Weg, um eine Nennthierjagd zn halten. Am folgenden Tage wurden die Pferdelienen, mit welchen wir bisher an die Felsen geankert waren, aus dem Eise gehauen nnd anf Blöcke von demselben Material gelegt. Auch stellten wir aus Platten von eben diesen: wohlfeilen arktischen Alabaster einen Stu-fcnweg vom obersten Verdeck nach dem gefrorenen Meere her, nnd da bald darauf ein tiefer Schnee fiel, so dämmten wir diesen zu einem weiteren Schutz gegen die Kälte an der Seite des Schooners auf. In den nächsten Tagen wurden die Gespanne benutzt, die Rennthiere zusammcnzuschaffen, die an verschiedenen Orten in Löchern in der Erde untergebracht waren, nnd als diese Arbeit vollendet war, wnrde das Inventar unserer frischen Proviantvor^ rathe aufgenommen, deren Berechnung einen ganz angenehmen Eindruck machte. Da der Schooner setzt behaglich in's Eis gebettet war, so hatten wir keine Ursache mehr, dir nautische Tagesordnung beizubehalten; ich nahm daher nut einem Offieier nnd einem Matrosen die Landmanns-Wache an; der Scctag, der zn Mittag beginnt, wurde in den heimathlichen Tag verwandelt, der zu Mitternacht anfängt, und in dem Bewußtsein, daß wir die Scheidelinie zwischen dem Sonnenlicht des Sommers und der Dunkelheit des Winters erreicht hatten, richteten wir uus auf den bevorstehenden Kampf mit Beschwerden ein und nahmen uns vor, denselben mit dem heitern Muthe durchzukämpfen, der entschlossenen Männern geziemt, nnd es uns so behaglich als möglich zn machen. Der per- Der Tag ist zu Ende. 83 sönliche Charakter meiner Gefährten versprach für die Zukunft alles Gute. Während die Anlagen nnd Neignngen hinlänglich verschieden waren, nm in unsern geselligen Verkehr immer etwas Neues zu bringen, gab es auch Verstand genug, um mich zu überzeugen, daß in der Erfüllung der individuellen Pflichten die Harmonie fortbestehen werde. Am 15. October sank die Sonne hinter die südlichen Hügel hinab, um sich vier lange Monate nicht wieder sehen zu lassen. Dies bildete nm Abend den Gegenstand nnserer Unterhaltung, und ich konnte auf den Gesichtern meiner Gefährten mit Leichtigkeit lesen, daß ihre Gedanken dem Tagesgestirn folgten, als es nach Süden wanderte; über den Tisch, nm welchen wir gruppirt waren, fiel einen Augenblick lang ein Schatten der Tranrigkeit. Während der letzten fünf Wochen waren wir Alle so in unsere Sorgen und Pflichten vertieft gewesen, daß wir kaum bemerkt hatten, wie der Tag sich neigte. Er war langsam und gleichsam heimlich verschwunden, nnd die Dunkelheit der Nacht, die dem immer länger werdenden Schatten folgte, ließ uns jetzt zum ersten Mal fühlen, wie wahrhaft einsam wir in der arktischen Wüste waren. ü« Neuntes Kapitel. Sonnenuntergang. — Winter^Arbeit, — Meine Hunde^Gespanne. — „Meines Bruder John's Gletscher." — Jagd, — Torflager. — Eskimo Gräber. — Fäulniß bei niedrigen Temperaturen. - Sonntag besteigt den Gletscher. — Hans und Peter. — Meine Eskimos. — Der Eskimo-Hund. — Vermessung des Gletschers. — Der Capitän. — Sein Geburtstaqsschmaus. Die Ankunft des Winters schildert mein Tagebuch folgendermaßen : Den 16. October. Der schönhaarige Gott des Lichts beliebt sich nnter dem südlichen Kren;*) znr Ruhe. Sein Pfad führt nicht mehr über die stillen Hügel, aber seine goldenen Locken fliegen noch über die Verge, nnd der Tag zögert wie ein Liebender, der von der Wohnung seiner Geliebten scheidet. Der kaltblickendc Herrscher der Dunkelheit betritt seinen majestätischen Kreislauf durch die feierliche Nacht, und die scmftüugigen Sterne erblassen bei seinem Nahen. Seine silbernen Locken bestreichen das Meer, und die wildeu Wogeu werden beruhigt wie eiu lacheudes Antlitz, das die Hand des Todes berührt. Obgleich Winter nnd Dnnkelhcit sich langsam über uns niederlassen, so haben wir doch noch immer nenn Stnndcn täglich Zwielicht, in denen wir nnsere Geschäfte im Freien verrichten können. Meine Vorkehrungen für die Gesundheit uud Behaglichkeit meiucr lleincn Familie habe ich vollendet und mein System der häuslichen Zucht und Wirthschaft vollkommen hergestellt, nnd ich bill überzeugt, daß die Näder der kleinen Welt, die sich um 5) Ein Sternbild. Meinc Hlmdcgespanne. 85 diesen eislockigen Schooner dreht, sich nunmehr sanft weiter bewegen werden. Nachdem dies abgemacht, kann ich mit größerer Freiheit mir eine Beschäftigung snchen, als es bisher möglich war. So lange mir das Zwielicht noch bleibt, wünschte ich einige kurze Forschnngsreiseu zu machen, nnd sobald die Mannschaft frei war, stellte ich sie an, einige Vorbereitungen zu treffen, die zum Cam-pircn nn Freien nothwendig sind. Ich bin schon mehrere Tage bereit, aber die Witterung war ungünstig, um etwas länger als einige Stunden abwesend zu sein. So geht denn unser Leben weiter sanft in die Nacht hinein. Heute machte ich eine höchst erheiternde Fahrt, nnd mein Tagewerk fiel sehr befriedigend ans. Ich fuhr am Morgen den Fjord hinauf nnd bin erst vor Kurzem zurückgekehrt. Dieser Fjord liegt gerade nördlich vom Hafen und bildet die Grenze der Hartsteue-Bai. Er ist ungefähr fcchs Meilen lang und zwei bis vier Meilen breit. Jensen war mein Kutscher, und ich habe eine prächtige Equipage, — zwölf Hunde nnd einen schönen Schlitten. Die Thiere sind in ganz vortrefflichen! Zustande, — alle gesnnd und stark, dabei sehr flink. Sie schwingen einen grönländischen Schlitten mit einer Schnelligkeit über das Eis hin, die nicht für schwache Nerven berechnet ist. Ich habe wirklich hinter ihnen sechs Meilen Wegs in achtundzwanzig Minuten durchritten, und bin, ohne an-znhaltcn, nm die Hnnde Luft schöpfen zu lassen, in dreiunddreißig Minuten auf demselben Wege zurückgekehrt. Sonntag und ich hielteu eine Wettfahrt, und ich übertraf ihn um vier Minuten. Ich wünschte, ich Hütte meine Freunde von Saratoga nnd Point breeze hier oben, um ihnen eine neue Art schnell lanfendcr Thiere zu zeigen. Wir brauchen unsere Nenner nach den: Wcttlauf nicht mit einer wollenen Decke zu bedecken und auch nicht mit dein Schwämme abzuwischen. Wir spanneu jeden mit einem einzigen Strange an, und diese Stränge sind so lang, als es die Phantasie des Treibers sür gut findet, — je länger desto besser, denn sie verwickeln sich dann nicht so leicht, der Zug der an der Seite gehenden Hunde ist grader, und weun das" Gespann auf dünnes Eis kommt und durchbricht, so stehen nnsere Aussichten, dem Untertauchen zu ent-ssehen, im Verhältniß zu ihrer Entfernung von nns. Die Stränge haben alle gleiche Länge, die Hunde laufen daher neben einander, und wenn fie richtig angespannt sind, stehen ihre Köpfe in einer "nie. Mine Stränge sind so abgemessen, daß die Schultern der 86 Meine Hundegespanne. Hunde sich gerade zwanzig Fuß vom vordern Theil der Kufen befinden. Das Gespann wird blos durch die Peitsche und die Stimme geleitet. Die stärksten Hunde werden an die Außenseite gestellt, und das ganze Gespann wird nach Rechts nnd Lints gelenkt, je nachdem die Peitsche auf der einen oder der andern Seite in den Schnee füllt oder die Leithunde berührt, was sicher geschieht, wenn sie dem sanften Winke nicht mit der genügenden Munterkeit gehorchen. Die Stimme unterstützt die Peitsche, aber in allen Nothfällen kann Ulan sich nur auf die letztere wirklich verlassen. Die Gewalt über das Gespann steht genau im Verhältniß zu der Geschicklichkcit, mit der man die Peitsche zu gebrauchen weiß. Der Peitschenschlag ist ungefähr vier Fuß länger als die Stränge und hat eine Schmitze von harter Sehne, mit der ein geschickter Treiber, wenn er will, die Hunde blutig hauen kann; anch kann er eins seiner Thiere an einer besondern Stelle treffen, die seinein Zweck gerade entspricht. Jensen hatte heute einen jungen widerspenstigen Hund im Gespann, und nachdem er seine Geduld völlig erschöpft hatte, eutschloß er sich zu den äußersten Maßregeln. „Sehen Sie jene Bestie?" sagte er. „Ich haue ihm ein Stück aus dem Ohre;" — und warhaf-tig, tlatfch ging die Peitsche, die harte Sehne wand sich um die Spitze des Ohres nnd schnippte sie so fein ab wie mit einem Messer. Dieser lange Peitschenschlag, der nur ein dünner, nach der Spitze hin immer schmäler werdender Streifen roher Seehundshaut ist, wird mit eiuem blos dritthalb Fuß langen Stäbe geschwungen. Er ist sehr leicht, und folglich schwer zu handhaben. Die eigenthümliche Wendung des Handgelenks, die nothwendig ist, um den Schlag nach seinem Bestimmungsorte hinansrollen zu lassen, ist ein höchst schwieriges Unternehmen. Sie erfordert eine lange und geduldige Uebung. Ich habe ausgehalten, und meine Beharrlichkeit ist belohnt worden; wenn ich im Nothfall Treiber werben muß, fühle ich mich der Aufgabe gewachsen; aber ich hoffe sehnlichst, daß der Nothfall nicht eintreten wird, der von mir verlangt, meine Geschicklichkeit zu zeigen. Es ist die allerhärteste Art harter Arbeit. Diese erbarmungslose Peitsche muß unaufhörlich im Gange sein; und sie muß erbarmungslos sein, oder sie ist unnütz. Die Hunde entdecken schnell die geringste Schwache des Treibers und beurtheileil ihn den Au- Gin arktisches Gespann. (Nach einer Tkizzc von Dr. Hayes.) Meine Hundegespanne. 87 genblick. Wenn sie nicht fest überzeugt sind, daß es in seiner Gewalt steht, ob ihre Felle heil bleiben sollen, so gehen sie, wohin es ihnen beliebt. Wenn sie einen Fuchs über das Eis setzen sehen, oder äuf eine Värenfährte kommen, oder einen Seehund wittern, oder einen Vogel erblicken, fort stürzen sie über Windwehen und Eishöcker, wobei sie die kurzen Ohren spitzen und die langen buschigen Schwänze ringeln, um ein wildes wolfsartiges Nennen nach der Beute zu halten. Wenn der Peitschenschlag mit einem gewaltigen Knall hinausfliegt, fallen die Ohren und Schwänze nieder, und die Hunde gehen weiter ihrer Bestimmung nach; aber wehe Euch, wenn sie die Gewalt bekommen. Ich habe meinen eigenen Treiber nur heute in seiner heftigen Hitze gesehen, nnd erst als er fast bei jedem Hunde im Gespann einen Schmerzensschrei hervorgebracht hatte, bezwang er ihren Eigensinn. Sie liefen einem Fuchse nach und zogen uns nach Etwas hin, das unsicheres Eis zu sein schien. Der Wind ging stark, und der Peitschenschlag wurde zuweilen in des Treibers Gesicht zurückgetrieben, — daher die Schwierigkeit. Die Peitsche brachte jedoch endlich die Hunde zur Vernunft; das Wild vor den Augen und nur wenige Schritte von dem verrathe-rischen Eise, gingen sie erst in einen hinkenden Trab über und hielten dann, fast wider Willen, an. Dies machte sie natürlich sehr verdrießlich, und es folgte nun ein allgemeiner Kampf, — zornig und hitzig, — der nicht eher zur Ruhe kam, als bis der Treiber zwischen sie gefahren war und sie mit seinem Peitschenstab von hartem Wallnußholz nach Rechts und Links geschlagen hatte. Ich habe mit demselben Gespann ein Abenteuer gehabt und zu meiuem Schaden kennen zu gelernt, was für unbändige Thiere sie sind, und wie schwer es ist, über sie Herr zu werden; sind sie aber einmal gebändigt, wie ein mnthiges Pferd, so sind sie ziemlich gehorsam; doch wollen sie auch, wie dieses edle Thier, dann und wann eine recht bestimmte Erinnerung haben, von wem der Gehorsam herrührt. Ich wollte meine Geschicklichteil versuchen uud begaun eine Spazierfahrt um den Hafen herum zu machen. Ich hatte den Wind im Nucken, uud als ich weit genug gefahren war und um. wenden wollte, gehorchten die Hunde nicht. Nichts ist ihnen so zuwider, als gegen den Wind zu laufen, und da sie sich sehr frisch fühlten, so waren sie offenbar zu einer Jagd bereit. UeberdieZ wollten sie vielleicht auch sehen, was für ein Manu dieser neue 88 Meine Hundegespanne. Treiber war. Mit ihm persönlich wareil sie sehr vertraut, denn er hatte sie oft genug gehätschelt; aber die Kraft seines Armes hatten sie noch nicht gefühlt. Nach vieler Mühe brachte ich sie endlich anf den Weg, aber ich tonnte sie auf demselben nur durch beständigen Gebranch meiner Peitsche erhalten, und da diese bei vier Hieben mir dreimal in's Gesicht zurückgcweht wurde, so war es klar, daß ich nicht lange aushalten tonnte; außerdem gefror mir das Gesicht im Winde. Mein Arm, der an eine so gewaltsame Bewegung nicht gewöhnt war, sank fast gelähmt bald nieder, und der Pcitschenschlag schleppte hinter mir im Schnee. Die Hnnde entdeckten sogleich, daß Etwas nicht in Ordnung war. Sie sahen sich forfchend über ihre Schultern um, nnd als sie bemerkten, daß die Peitsche nicht kam, wagten sie bchntsam nach Rechts abzuweichen. Da sie sahen, daß 'der Versuch keinen Widerstand fand, bekamen sie Muth und liefen mit wachsender Schnelligkeit; endlich schwenkten fie kurz um, kehrten die Schwänze dem Winde zu nnd stürzten fort in selbstgewählter Richtung, so glücklich, wie ein Haufen Knaben, die aus den Schranken des Schnlzimmcrs befreit worden sind, und mit dem wilden Nasen von einem Dutzend Wölfen. Und wie tanzten sie dahin und bellten und freuten sich ihrer knrz dauernden Freiheit! Wenn der Leser znfällig einmal ein Paar unbändige Pferde einige Stunden lang getrieben und Gelegenheit gehabt hat, an einem langen, steilen Hügel für seine schmerzenden Arme Nuhe zu finden, so wird er die Freude begreifen, die ich empfand, als ich sah, daß in die meinigen die Kraft zurückkehrte. Ich tonnte die Peitsche wieder benutzen und ermöglichte es, das unlenksamc Gespann zwischen eine Gruppe Eishöcker nnd Windwehen zu lenken, die ihr Fortstürmen Etwas hinderten. Ich sprang plötzlich ab, ergriff das Gehörn des Schlittens und warf ihu nm. Die Spitzen der Kufen wurdeu tief in den Schnee getrieben, nnd meine Flüchtlinge waren geankert. Eine kräftige Anwendung meiner sehncnbeschmitztcn Peitsche überzeugte sie bald von den Vortheilen des Gehorsams, und als ich auf deu Schlitten zurückkehrte und ihnen das Zeichen zum Aufbruch gab, trabten sie in der sanftesten Weise ab, die nur möglich war, liefen dem Winde entgegen, ohne sich zu empören, und Der Alida-Sce. 89 machten mir leine Noth lueiter. Ich glaube, sic »ucrden an die ^ehre deuten — und ich werde es ebenfalls. Aber ich fing an, meine Neise den Fjord hinanf zn schildern. Als wir nach einer höchst erheiternden ^ahrt das oberste Ende desselben erreichten, gelang es nns mit einiger Schwierigkeit über die Nisse zu setzen, welche die Fluth gemacht hatte, und kletterten über den Eisraud nach dein Lande. Hier stießcu wir ans ein breites und malerisches, zu beiden Seiten von hohen Klippell begrenztes Thal — an seinem hintersten Ende lag ein Gletscher nebst einem Wassertcich, der, eine Meile lang, den in der Mitte befindlichen Rann: einnimmt. Dieser Teich wird von dem Gletscher und den Wänden der Hügel gespeist, an denen im Sommer das Wasser des schmelzenden Schnees hcrabströmt. Der Abfluß des Wassers ans dem Teiche in das Meer geschieht durch eine zerrissene Schlucht, die Zeugniß ablegt, daß sie zur Zeit des Thanwetters mit ei nein stark fließenden Strome gefüllt ist. Seine Ufer sind stellenweise mit Torflagern (trocken und hart gewordenen Lagern von Moos), einer Art Stechtorf, bedeckt, mit dein wir leicht uufer Brennmaterial ergänzen können. Eine Probe davon, die an Bord gebracht wurde, breuut, wenn man ein wenig Fett zusetzt, ganz hell. Dieser Wasserteich führt auf Sonntag's Wunsch den Namen Alida-See. Das Thal, das ich zur Erinnerung an einen Ort, den ich wiederzusehen hoffe, „Chester" genannt habe, ist zwei Meilen lang, eine Meile breit und an vielen Stellen, besonders längs den Ufern des Sees, mit einem schönen Nasen von Gras bedeckt; von diesem hat der Wind den Schnee hiuwrggetriebeu und dcu Ort für das Rothwild verlockend gemacht. Mehrere Heerden, die sich zusammeu-genommcn auf etwa hundert Thiere bcliefcn, ästen das abgestorbene Gras des Spätsommers ab, uud ich tonnte, für den Augenblick den Zweck meiner Reise vergessend, d^r Vcrsuchuug uicht widerstehen, meine Büchse auf sie zu probiren. Ich wurde mit zwei großen fetten Böcken belohnt, während Jensen eine gleiche Anzahl sicherte. Der Gletscher wurde von Or. Kane im Jahre 4855) entdeckt und, da ihn später sein Brnder besnchte, der bei der Nachsuchuugs-Expedition der Vereinigten Staaten unter Cavitän Hartstene im Jahre 1855 Hnlfsarzt war, von Ersterem „Meines Bruder John's 90 ,,Meine? Bruder John'? Gletscher." Gletscher"") genannt. Beim Schiffsvolk hat er einen kürzeren Namen erhalten und ist als ,,Bruder John" ^) bekannt. Von den Berggipfeln nnd der Bai aus haben wir Alle ihn oft gesehen, aber erst hente besucht. Wir kamen noch zeitig genng zum Mit-tagsefsen nach Hanse, ziemlich müde nnd sehr durchkältet, denn die Temperatur war mehrere Grade unter Null, nnd es ging ein scharfer Wind. Während meiner Abwesenheit hat McCormick das Schiffsvolk beschäftigt, die Boote in Sicherheit zu bringen; eines derselben wurde vom Stnrm an's Ufer geweht nnd seine Seite eingeschlagen; ferner hat er das Steuer aus dem Eise sägen und vom Schiffe losmachen lassen. Hans und Peter haben Fuchseisen anf-gestellt und Kaninchen geschossen. Die fuchse, sowohl die weiße als die blaue Spielart, scheinen sehr zahlreich zu sein, und auch Kaninchen, oder, wie ich lieber sagen sollte, Hasen, giebt es viele. Die letzteren sind mit einem langhaarigen schweren Pelz bedeckt, der eine rein weiße Farbe Hal, und sind sehr groß. Ein hente gefangener wog acht Pfund. Ten 17, October, McCormick, der ein Hanptklempner und die wahre Verkörperung des Scharfsinns ist, hat ans einigen Eisenstäben sur mich eine Meßtette gemacht, nnd eine aus Sonntag, McCormick, Dodge, Radcliffc und Starr bestehende Gesellschaft hat mit dieser Kette und dem Theodolit die Bai nnd den Hafen vermessen. Sie scheinen sich einen großen Spaß darans gemacht zu haben, was in Betracht des tiefen Thermometerstandes, wie ich glaube, ein sehr lobens-werthcr Umstand ist. Barnum und McDonald haben einen Feiertag erhalten; sie gingen mit Jagdgewehren nach Rennthieren aus. Sie behaupten, scchsnndvicrzig Stuck gesehen zu haben, die sie alle in argen Schrecken setzten' anch viele Füchse jagten sie auf. Charley hatte ebenfalls einen Feiertag; aber er verschmähte die Waid-mannswaffen nnd nntcrnahm eine „Entdeckungsreise", wie er es nannte. Während er in die Bai oberhalb der Krystallpalast'Klip-pen***) hinabschlenderte, kam er auf eine alteEskimo-Ansiedlung, *) My Jirother John's Glacier. **) Brother John «**) O?8w1 l-'a>u«6 <^M'«. Entdeckt und jo gmamu von Capita« Ingle, field, von der kcuiglichm Manne, im August 1«^. Eskimo-Gräber. 91 fand ein Grab, beraubte es der darin eiuhaltencn Knochen und brachte sie mir in seinen Ueberzieher eingewickelt. Sie bilden einen sehr werthvollen Beitrag zn meiner ethnologischen Sammlung, und ein Glas Grog nebst dem Versprechen, daß er noch mehr Feiertage erhalten solle, sicherte mir Charley's Mitwirtnng in diesem Zweige der Nissenschaft. Charley ist, beiläufig gesagt, Einer meiner zuverlässigsten Leute und verspricht sehr nützlich zn werden. In der That ist Jedermann im Schiffe begierig, zur Vermehrung meiner Sammlungen beizutragen, aber dieser Eifer hat mich heute in eine ziemlich unangenehme Verlegenheit gebracht. Iensen, dessen langer Aufenthalt unter den Eskimos von Süd-Grönland ihn dahin gebracht hat, diese Menschen für nicht viel besser anzusehen als die Hunde, die ihre Schlitten ziehen, entdeckte ein Paar Gräber und schaffte die beiden hautberanbten Mumien, die sie enthielten, in der Vermuthung weg, sie würden schöne Museumsstücke bilden, und in dieser Meinung hatte er ganz recht; aber zum Unglück für das Museum strich, als Jensen an Bord kam, Frau Hans umher, und da sie eine der Mmnien an einem Gegenstande ihres Pelzkleides als einen Verwandten erkannte, machte sie einen schrecklichen Lärm und ließ sich selbst durch Jensen's Versicherung nicht beruhigen, daß ich ein Zauberer sei und sie, wenn ich in mein Vaterland käme, wieder in's Leben zurückbringen werde; ich hielt es daher, als ich die Sache erfuhr, in Rücksicht auf die Menschlichkeit, wenn auch nichl auf die Wissenschaft, für schicklich, sie in ihre Steingräber zurückzubringen, nnd damit war es abgemacht. Die Eskimo-Gräber scheinen um den Hafen herum zahlreich zu sein und liefern den Beweis, daß in nicht sehr ferner Zeit hier eine ganz bedeutende Ansiedlung bestand. Die Gräber sind Nichts als Haufen Steine, die man ohne Rücksicht auf die Richtung zusammengelegt hat, und bei der Größe des Haufens und seiner ^age hat man Nichts im Auge gehabt, als die Bequemlichkeit der noch Lebenden. Die Leichen sind bisweilen tauin ganz bedeckt. Grabmäler der Todten sind ja die traurigen Beweise eines schnell hinschwindenden Geschlechts. Den 18. October. Für mein Verfahren in Betreff der Wiederbeerdigung der Mumien bin ich gut belohnt worden; denn ich habe mir die Dank- 92 Fäulnis; bei, niedrem T^mperaturon. barkeit meiner Eskimos erworben, und Hans hat mir an ihrer Stelle zwei typische Schädel gebracht, die er zwischen den Felsen fand, wohin man sie geworfen hatte. Auch die kleinen (Harnelen leisten mir gute Dienste. Sie haben für mich mehrere Skelette von all den verschiedenen Thieren präparirt, die wir erbeutet haben. Ich entferne erst das ganze Fleisch von den Knochen; dann werden sie in ein Netz gelegt nnd in's Feuerloch hinabgelassen; jene munteren kleinen Mistkäfer des Meeres lassen sich sofort in uugeheuren Schwärmen im Netze nieder, und in etwa einem Tage habe ich ein Skelett, das feiner gereinigt ist, als es von den geschicktesten menschlichen Arbeitern Hütte geschehen können. Eine Gesellschaft brachte hente die Leiche eines Reuuthicrs herein, das ich gestern tödtlich verwundete, zu verfolgen aber zu müde war. Sie fanden seine Fährten, und uachdem fie denselben ungefähr eine Meile weit nachgegangen, stießen sie auf das Thier, das todt im Schnee lag. Wir entdecken soeben, daß die Fäulniß es ungenießbar gemacht hat, was bei einer Temperatur, die zehn Grad unter Null^) ist, sehr sonderbar scheint. Or. Kane erwähnt einen ähnlichen Fall, den er selbst beobachtet hat, und Jensen sagt nur, es sei allbekannt, daß so Etwas in Upernavik gar nicht ungewöhnlich vorkomme. Allerdings weiden die Grönländer, wenn sie ein Stück Rothwild erbeuten, dasselbe sofort aus. So auffallend auch die Sache auf den crsteu Blick erscheint, so läßt sie sich doch, wie mich dünkt, leicht erklären. Das todte Thier gefriert auswendig sofort, uud da auf diese Weise ciuc Schicht nichtlei-tcudeu Eises sich bildet und die Poren sich schließen, so wird die Wärme des Mageus lauge genug zurückgehalten, daß Zersetzung eintreten und Gas erzeugen kaun, welches die Gewebe durchdringt uud das Fleisch zur Nahrung untauglich macht. Diese Ansicht scheint dadurch bestätigt zu werden, daß die Zersetzung bei der kalten Witterung mitten im Winter leichter eintritt als bei der wärmeren Witterung mitten im Sommer. Dcn 19. October. Eine muntere Gesellschaft besuchte heute das Chester-Thal. Sie brachen frühzeitig mit zwei Schlitten auf — Sonntag mit Jensen auf dem einen, auf dem andern Knorr und Hans. Sonntag *) -18°,7i R. Sonntag besteigt den Gletscher. 93 schaffte den Theodolit und die Mcßkette hinaus, nm eine Vermessung des Gletschers vorzunehmen. Die Anderen nahmen natürlich ihre Büchsen mit. Sie sahen viele Rennthierc, schössen aber nur drei. Eins derselben war eine Trophäe Mr. Knorr's niid ware ihm beinahe theuer zn stehen gekommen. Das arme Thier war im Thale schwer vcrwnndet worden und versuchte auf drei Beinen den steilen Berg zu erklettern. Knorr folgte ihm, holte es endlich bis auf sechzig Schritte ein und brachte es mit einem gut gezielten Schuß herab; da aber der Jäger uud das Opfer sich zu des Ersteren Unglück in einer Linie befanden, so wurden dem Jäger die Beine fortgerissen, und Beide stürzten zusammen in einer Weise über die Felsen, die den Untenstehenden ziemlich beunruhigend schien. Der Bericht sagt nicht, wie der junge Mann sich half. Es ist aber noch ein Glück, daft er,,anstatt die Knochen zu breche», nur einige Branschen für sein Wagniß aufzuweisen hat. Auch Sonntag hatte feine Geschichte zu erzählen. Als er beim Gletscher ankam, reiste er erst zwei Meilen in der Schlucht hin, die vom Gletscher auf der einen und von dem Vcrgabhange auf der andern Seite gebildet wnrde, und stieg dann auf die Oberfläche des ersteren. Das Hinaufsteigen geschah auf Stnfen, die mit einem Beil in das feste Eis gehauen wurden. Ueber den Gletscher liefen stellenweise tiefe schmale Spalten, die mit einer Schneekrnste überbrückt uud so vollständig bedeckt waren, daß man sie nicht bemerkte. In eine derselben stürzte der Astronom, indem die Brücke nachgab, jählings hinab, und wahrscheinlich hätte er sein Leben verloren, hätte nicht ein Barometer, den er in der Hand trng, dein Falle Einhalt gethan, indem er sich qner in die Spalte stemmte. Es war mein bester Barometer, aber er ist natürlich hoffnungslos zertrümmert. Carl nnd Christian, meine beiden dänischen Rekruten von Upernavik, haben Netze gestellt, um Seehunde zu fangen. Diese Netze sind nach grönländischer Art gemacht, aus Nkemcn von See-hnndsfell mit großen Maschen. Sie werden dnrch Steine, die an ihren untern Nand geknüpft sind, in vcrticaler Stellung erhalten; der Nichts ahnende Seehund, der dahin schwimmt, um eine Partie Garnclen zn verfolgen und sich ein Mahl zu bereiten, oder einen Niß oder ein Loch im Eise sncht, nm Luft zu schöpfen, streift an dasselbe, verwickelt sich hinein und wird bald ertränkt. So werben 94 Seehundsjaad. — Das Eskimo-Dorf Etah, in Grönland die Seehunde im Winter meistentheils gefangen, und dabei sind die Hnnde höchst nützlich, indem sie den Jäger bei der Besichtigung seiner Netz? schnell von einer Stelle znr andern bringen und die gefangenen Thiere auf dem Schlitten nach Hause schassen. Diese Art der Jagd ist mit großer Gefahr verknüpft, da der Jäger auf das ncngebiloete Eis hinauslaufen muß. Jensen hat viele meiner Abende mit den Schilderungen seiner Abenteuer belebt, die er auf den (Eisfeldern bestand, während er nach seinen Netzen sah. Einmal brach das Eis; er wurde fortgetrieben und wäre verloren gewesen, wäre nicht sein krystallenes Floß an einer kleinen Insel hängen geblieben, auf die er entkam, und wo er ohne Obdach bleiben innßte, bis der Frost ihm eine Brücke nach dem Festland baute. Die Kühnheit nnd der Muth dieser grönländischen ^üger ist staunencrrcgend. Obgleich der Wind stark ging, bin ich doch auf der Nordseite des Fjord umhergewandert und habe das Eskimo-Dorf Etah besucht, das etwa vier Meilen weit in nordöstlicher Richtung liegt. Die Hütte, die dort steht, war, wie ich schon vermuthete, unbewohnt, legte aber Zeugniß ab, daß sie erst vor kurzer Zeit verlassen wurde. Dies ist seit jeuer Nacht, die ich im December 185)4 dort verbrachte, — eine Nacht, au die ich lange denken werde, — das erste Mal wieder, daß ich den Ort gesehen habe. Nicht weit von der Hütte entdeckte ich einen prächtigen Bock, der gemächlich den Schnee wegscharrte nnd das verdorrte Gras und Moos aufgrub, aus welchem er sich ein wohlverdientes, wenn auch nicht einladendes Mahl bereitete. Da ich mich ihm auf der unter dem Winde liegenden Seite näherte, so wurde es mir nicht schwer, in eine bequeme Schußweite zu kommen; aber ich fühlte ein Sträuben in mir, auf ihn zu feuern. Er war so in seine Arbeit vertieft und schien so wenig zu vermuthen, daß diese Einöden, die er so lange unbelästigt durchstreift hatte, einen Feind enthielten, daß ich mich fast erweichen ließ, und ich drückte erst ab, als ich zum dritten Mal gezielt hatte. Aber trotz dieser Unentschlossenheit hängen seine prächtigen Keulen jetzt im Takelwerk und werden zu einem künftigen Schmause aufbewahrt; auch hege ich keinen Zweifel, daß ich dann meinen Theil von ihnen essen werde, ohne dereinst zu denken, daß ich eine grausame That begangen habe. Hans und Peter, 95 Dm W. October, In den letzten Tagen habe ich entschiedene Symptome einer Nivalität bemerkt, welche zwischen meinen beiden Eskimo-Jägern, Hans niid Peter, besteht, dir mir Beide sehr nützlich sind. Peter ist ein sehr gewandter kleiner Bursche lind dabei ehrlich; er gefällt mir ganz und gar. Er ist ein Vollblut-Eskimo, mit sehr dunkler Hautfarbe, pechschwarzem Haar, das er nach der Mode der Eingeborenen, rechtwinklich über die Stirn, abschneidet; aber er hält sich reinlich nnd sauber, und betrügt sich allezeit gut. Er ist nicht nur ein gewandter Jäger, sondern besitzt auch großen Scharfsinn nnd hat in seinen fingern eine wunderbare Geschicklichkeit. Ich habe mehrere Proben seiner Handarbeit in der (Gestalt von Salz-schäufelchen, Papiermessern und anderen Kleinigkeiten vor mir, die er mit einer alten ^cile, einem Messer und einem Stück Sand-papicr aus dem Stoßzahn eines Wallrosses für mich verfertigt hat. Sie sind mit großer Sorgfalt nnd viel Geschmack geschnitten. Er ist stets beflissen, in Allem meine Wünsche zu befriedigen, und da ich seinen Eiser nie unbclohnt lasse, ist er um mehrere rothe Aanellhemden und einen vollständigen Anzug von Lootscntuch reicher geworden. Hans ist natürlich eifersüchtig. Ich kann in der That keinem meiner Eskimos eine derartige Freundlichkeit erweisen, ohne Hans unglücklich zu machen. In meiner Gegenwart vermeidet er es, seine Stimmung offen sehen zu lassen, aber er wird mürrisch unk gcht nicht auf die Jagd, oder kommt, wenn er hinaus geschickt wird, ohne Wildpret nach Hause. Er ist ein Ercmplar von der Ichlcchtesten Phase des Eskimo-Charakters. Die Eskimos sind in der That sehr sonderbare Menschen, und sie kennen zu lernen, ist ein interessantes Studium, selbst interessanter als das meiner Hunde, obgleich sie nicht so nützlich sind; und bann läßt sich der Hund mit einer langen Peitsche und Entschlossenheit im Zaume falten, während das menschliche Thier sich mil Nichts bändigen laßt. Man könnte sie recht eigentlich in alleu Stücken negative Menschen nennen, außer in ihrer UuzuucrlässiaM, die ganz po-sitiv ist, und doch zeigen sie unter sich den Anschein eines tngend' haften Betragens, wenigstens darin, daß sie, während sie bei Krankheit, Mangel oder Noth einander nie freiwillig Hülfe leisten, dieselbe doch nicht verweigern. Die thätige Dienstlcistuug ist unter ihnen vielleicht gauz unbekannt oder man denkt nicht an dieselbe; über sie thun das nächste Beste, — sie versagen sie nicht. Aus W Charakterzüge der Eskimos. der rohen Hütte des hartgewöhnten Bewohners dieser gefrorenen Wüsten wird der unglückliche Jäger, der sein Gespann verloren nnd auf der Jagd kein Glück gehabt hat, wird die ungeschützte Familie, die ihres Hauptes beraubt, wird selbst der Faule nnd Verschwenderische nie vertrieben; aber sie werden auch nie in eine andere eingeladen. Sie mögen kommen, sie mögen benutzen, was sie finden, als ob sie Mitglieder der Familie wären, die es für eine selbstverständliche Sache halten; aber wenn es bekannt werden sollte, daß sie in der Ferne verhnngern, so würde nie Jemand daran denken, mit Lebensmittcln zu ihnen zu gehen. Sie find die selbstvertrauendsten Menschen von der Welt. Es scheint ihnen nie einzufallen, Hülfe zu erwarten, und sie denken anch nie daran, dieselbe zu bringen. Die Nahrnng und das Obdach, deren Genuß dem Dürftigen gestattet wird, ist kein Liebcswerk, das man dem Nächsten erweist; die Hülfe, die der Jäger dem Manne gewährt, der keine Hunde mehr hat und auf seinen Schlitten springt, um auf eiuer Reise Rettung zu finden, ist kein Freundschaftsdienst. Wenn fich Gelegenheit bietet, setzt er ihn ab und macht sich heimlich davon, selbst wenn es an einer Stelle ist, von wo er seine Heimath nicht erreichen kann. Er fährt ganz rnhig fort und läßt ihn in: Stiche, ohne ihm nur einen Wink zn geben. Verändert er seinen Wohnort, so wird die Familie, die bei ihm Schutz gesucht hat, nicht eingeladen, ihn zn begleiten. Sie mögen kommen, wenn sie es im Stande sind, er kann und wird sie nicht fortjagen; seine Sprache hat in der That kein Wort, das dieser Handlung entspricht; sind sie aber nicht im Stande zn reisen, so läßt er sie mit eben so großer Gleichgültigkeit verhungern, als wären sie abgelebte Hunde, die durch die Jagd unnütz geworden. Sie betteln weder, noch borgen oder stehlen fie. Sie machen keine Geschenke und berauben einander nie; doch findet dies keine Anwendung anf ihre Gesinnung gegen den weißen Mann, denn ihm mausen sie gewöhnlich Alles, was sie können. Ich kann mir lein lebendes Wesen denken, das so gefühllos ist wie sie. Ja, selbst meine Eskimo-Hunde zeigen mehr Theilnahme an ihrem gegenseitigen Wohlergehen. Sie halten wenigstens zusammen, wenn sie einen gemeinschaftlichen Zweck verfolgen; ^n-weilen kämpfen sie zwar mit einander, aber wenn der Kampf vorüber ist, machen sie wieder Freundschaft. Diese Eskimos kämpfen Hans und seine Familie. 97 »lie mit einander, es mag vorkommen, was da will. Einen lästigen Rivalen auf der Jagd, oder einen alten schwachen Mann oder Frau, die znr Last geworden sind, oder cine Person, von der man glanbt, sie sei behext, oder einen faulen Kerl, der keine Hunde hat nnd von dem Erwcrbniß seiner fleißigeren Nachbarn lebt, schassen sie heimlich aus dem Wege. Sie bringen sogar ihre eigenen Kinder um, wenn deren etwa zu viel zur Welt gebracht werden, oder zufällig eins mit einem Gebrechen geboren wird, das es unfähig macht, sich selbst zu erhalten; aber sie kommen nie im offenen Kampfe zusammen; so pflegen wenigstens diejenigen Stämme zu verfahren, die noch nicht einigermaßen von der christlichen Civilisation berührt worden sind, oder denen sich nicht einige der kriegerischen Gewohnheiten der alten Norsen eingeprägt haben, welche vom neunten bis vierzehnten Jahrhundert in Südgrönland lebten und kämpften. Bei solchen Eharakterzügen sind sie natürlich nicht geneigt, l^gen Jemanden, der besonders glücklich ist, liebreich zu sein, und cs ist daher nicht zn verwundern, daß Hans auf Peter neidisch war. Hütte ich anch dem Letzteren nicht mehr Kleider gegeben, als hinreichend waren, seine Blößen zu bedecken, es wäre ganz dasselbe gewesen. Hätte ich Hans mit dem Vcsten von Allem überhäuft, was sich anf dem Schiffe befand, ohne Rücksicht auf die Menge oder Brauchbarkeit, es würde nicht mehr sein, als wonach ihn gelüstet. Aber der Kerl ist besonders eifersüchtig anf meine persönlichen zuvorkommenden Anfmerksamkeitcn gegen Peter, denn er sieht darin die Bürgschaft, baß noch weitere Gaben folgen werben. Hans hält, beiläufig gesagt, ein eigenes Hauswesen, und da er ein Stück von der weiblichen Menschheit hat, so kann er die Würdc einer systematischen Haushaltung in Anspruch nehmen. Innerhalb des Hanscs auf dem obersten Deck hat er sein Eskimo Zelt aufgeschlagen nnd führt, mit seinem Weib und Kind halb in Rcnnthierfelle vergraben, das Leben eines echten Eingeborenen. Sein Weib heißt Mcrknt, ist aber besser unter dem Namen Frau Hans bekannt. Sie ist ein kleines, kurzes und dickes Exemplar des Frauengeschlechts und sieht für eine Eskimo nicht übel aus. Sie ist wirklich, ich will nicht sagen die hübscheste, aber doch die am wenigsten häßliche Eingeborene von reinem Geblüt, die ich gesehen habe. Ihre Hautfarbe ist ungewöhnlich hell, und zwar dermaßen, baß auf ihren Wangen das Erröthrn sichtbar wird, wenn Haye«. Da« offene Polai'Meer. 7 W Marcus und Jacob. sir dazu gebracht werden kann, ein wenig Seife und Wasser zu benutzen, nm das dicke Pflaster von öligein Ruß zu entfernen, welches dieselben bedeckt. Dies kommt jedoch selten vor, und sich einem nochmaligen solchen Einweichen und Scheuern zu unterziehen, wie die Matrosen auf dem Wege von Cap 3)ork herauf mit ihr vornahmen, dazu läßt sie sich durchaus nicht bewegen. Der kleine Junge ist ein munteres Exemplar der ungewaschenen Mcuschhcit. Er ist etwa zehn Monate alt und erfreut sich des Namens Pingasuk — ,,der Hübsche." Er scheint von Natur eine eben so große Neigung zur Kälte zu haben, wie junge Enten zum Wasser- man kann ihn fast jeden Tag ganz unbekleidet durch den Schlitz des Zeltes und dann anßen auf dem Deck umhcrkricchen sehen, und seine Mutter, die auf die Temperatur oder das, was wir mit dem civilisirten Ansdruck und in herkömmlicher Gewöhn heit als Sittsamteit bezeichnen, eben so wenig Rücksicht uimml, trägt kein Bedenken, eben so entblößt umherzuwandern. Die Temperatur des Hauses jedoch ist nie sehr niedrig, meist über dem Gefrierpunkt. Meine beiden anderen Eskimo-Jäger, Marcus und Jacob, logiren bei der Familie Hans. Sie sind ein Paar drollige Kerle, ganz verschieden von Hans uud Peter. Marcus will uicht arbeiten, nnd Jacob ist wie der Prinz von Dänemark „fett und engbrüstig" geworden und kann nicht arbeiten. Jäger sind sie nur dem Namen nach. Wir haben Alles mit ihnen versucht, wozu wir glaubten, daß sle möglicherweise zu gebrauchen sein könnten; aber wir sind jetzt Alle einverstanden, daß sie nur dazu taugen, das Schiffsvolk zu belustigen und unser Wildpret zu zerlegen; das machen sie gut und gern, denn bei diesen Arbeiten finden sie fortwährend Gelegenheit zn essen, und was das Essen betrifft, so habe ich nie weder Menschen noch Vieh gesehen, die mit ihnen, besonders mit Jacob, wetteifern konnten. Wie viel Fleisch dieser jnnge Mann verzehren kann, ist ganz fabelhaft, uud es kommt ihm nicht darauf au, ob es gekocht oder roh ist. Der Koch behauptet, ,,er könne sich selbst auf drei Mahlzeiten essen/' — er meint natürlich sein eigenes Gewicht; ich brauche aber kaum zn sagen, daß dies eine Uebertreibung ist. Der Steward führt Shakespeare, an und glanbt den jnngcn Mann ganz genau zu treffen, wenn er ihn für einen Wilden erklärt, der „einen unbegrenzten Magen" hat. Die Matrosen necken ihn dmnit, daß sie sagen, er sehe den Thieren ähnlich, Gewohnheiten der Hunde. 99 die er so unbarmherzig verschlingt. Auf der Stirn wachsen ihm ein Paar Augensprossen, auf seinem umfangreichen Bauche sprießen Kaninchenhaare hervor, und auf dem Nucken zeigen sich Vogelfedern ; seine Arme und Beine verkürzen sich zu Flossenfüßen, seine Zähne verlängern sich zu Hauern, und ehe der Frühling kommt, meinen sie ein Faß Wallroßthran aus ihm zu bekommcu. Das Alles nimmt er gutmüthig hin; aber in seinem Auge liegt ein schelmischer Seitenblick, nnd wenn ich mich nicht irre, wird er es seinen Quälern noch vergelten. So viel von meinen Eskimos. Den 21. October, Ich habe eine zweite muntere Fahrt nach dem Gletscher gehalten und einen Tag mit nützlicher Arbeit verbracht. Hans fuhr Sonntag, und Jensen war, wie gewöhnlich, mein Kutscher. Wir nahmen Carl und Peter mit, um uns bei der Vermessung zu helfen, und obgleich sich anf jedem Schlitten drei Personen und einige Instrumente befanden, so that dies doch der Schnelligkeit unserer Fahrt keinen großen Eintrag. In vierzig Minuten waren wir am Fuße des Gletschers. Die Hunde sind durch die Benutzung ein wenig herabgcstimmt, "nd ich habe verordnet, daß sie keine so starken Nationen mehr bekommen, wie sie bisher erhielten. Sie sind noch immer lebhaft genug, aber nicht so schwer im Zaume zu halten. Meine Gespanne intercssircn mich sehr, und lein Pfcrdcbcsitzer fand je größere Freude an den Bewohnern seiner Ställe, als ich an denen meiner Hundehütten. Meine Hunde befinden sich jedoch in keinen großartigen Häusern; die genannten Hütten sind weiter nichts, als Wände von hartem Schnee, die längs dem Fahrzeuge aufgebaut sind; in diese gehen indeß die Hunde nur selten, sie ziehen die freie Eisebcne vor; dort schlafen sie, zu einem Knoten zusammengewundcn wie Würmer in einem Fischkorbe, nnd sind oft so in dem treibenden Schnee begraben, daß man sie fast nicht sieht. Nur wenn die Temperatur sehr niedrig ist und de^Wind ungewöhnlich heftig geht, suchen sie den Schutz der Schnee-Wände auf. Diese Hunde sind eigenthümliche Thiere und der Gegenstand merkwürdiger Studien. Sie haben ihren Anführer und ihre Unteranführer — die Ncgenten und die Negierten — wie jeder andere Staat, der eine gute Regierung verlangt. Die Regierten verschaffen 100 Der Anführer des Nudels. sich so viel Rechte als sie köunrn, und die Regenten erhalten sie beständig in Furcht, damit sie vor Nebellion sicher sind und in Frieden leben, Und ein Hundestaat ist wirklich auf der Grundlage richtiger Principien organisirt. Meine Gespanne zum Beispiel stehen unter der Gewalt eines großen kampflustigen Thieres, das eine schmutzige rothe Uniform mit zimmtfarbenen Aufschlägen trägt und scharfe Zähne hat. Er besitzt ungeheure Kraft, und seine ganze Bewegung zeigt, daß er sich derselben vollkommen bewußt ist. Mit einem Blick kann er jeden Hund in der ganzen Hcerde züchtigen, und er scheint die Fähigkeit zu besitzen, Verschwörungen, Cabalen und alle bösen Plane zu zerstören, die man gegen seine strenge Regieruug schmiedet. Keiner der übrigen Hunde liebt ihn, aber sie können sich nicht selbst helfen; sie fürchten sich, gegen ihn aufzutreten, deun wenn sie es thun, nehmen die Züchtigungen, die sie bekommen, kein Ende. Nun hat Usisohk (das ist sein Name) einen Rivalen, einen riesigen dicken Burschen mit schwarzer Uniform und weißem Kragen. Dieser Hund heißt Karsut, ein Name, der die Farbe seines Rockes bezeichnet. Er ist größer als Usisohk, aber nicht so gewandt und nicht so gescheidt. Von Zeit zu Zeit hat er mit seinem Herrn eine Balgerei, aber er zieht stets den Kürzeren, und seine unglücklichen Anhänger werden später von dem unbarmherzigen Nochrock einzeln gezüchtigt. Wenn sie an den Schlitten gespannt werden, ist Ustsohk's Platz auf der linken und derjenige Karsuk's auf der rechten Seite des Zuges. Ein anderes mächtiges Thier, das wir Erebus nennen, regiert Sonntag's Gespann, wie Usisohk das meinige; er kann Kar-snk geißeln, aber mit meinem Anführer hat er nie einen Kampf, außer auf seine und seiner Anhänger Gefahr. Und so gehen sie denn dahin, kämpfend, nm den Frieden zu erhalten, uud eiuauder zusammenbeißend, um das Gleichgewicht der Macht zu bewahren; und dies ist ganz zu meinem Vortheil; denn würden die gegenwärtigen Verhältnisse gestört, so würde mein Hundestaat sich in einem Zustande der Anarchie befinden. Usisohk würde in's Exil gehen und an Trägheit nnd einem gebrochenen Herzen sterben, und groß und blutig würden die Fehden zwischen den rivalisiren-den Parteien unter der Anführung von Karsnk und Erebus sein, ehe entschieden würde, welches das bessere Gespann ist. Usisohk hat noch andere Züge, die der Größe geziemen. Er hat Gefühl. Er hat sich Eine auserwählt, den Ruhm seines Rei- Di? Königin der Hundehütte. 101 ches zu theilen, ihn in Leiden zu trösten und seine Wunden zu lecken, wenn er vom blutigen Schlachtfelde kommt. Usisohk hat eine Königin, nnd dieser Gegenstand seiner Liebe, dieser Abgott seines Herzens weicht nie von seiner Seite. Sie länft im Gespann neben ihm und kämpft wackerer für ihn als einer seiner männlichen Unterthanen. 5Rr diese Hingebung läßt er ihr ziemlich viel Willen. Sie kann ihm den Knochen aus dem Maule stehlen, und er tritt ihr denselben mit einer sentimentalen Grimasse ab, die ganz lehrreich ist. Zuweilen aber kommt es vor, daß er selbst Hunger hat; dann trabt er ihr nach, und wenn er denkt, daß sie ihren Theil genossen hat, knurrt er bedeutungsvoll, worauf sie den Knochen fallen läßt, ohne zu murren. Ist der alte Bursche einmal besonders mürrisch, so stellt er sich, wenn dem Rudel ein Rennthier vorgeworfen wird, mit den Vordcrfüßen auf dasselbe, fängt an, von der Weiche zu nagen, knurrt die ganze Zeit wie ein Wolf, und kein Hund darf nahe kommen, bis er seine Genüge hat, außer die Königin Arkadik (denn unter diesem Namen ist sie bekannt), und auch sie kaun sich nur in einer einzigen Richtung nähern. Sie muß all seiner Seite hinkommen, zwischen seine Vorderbeine kriechen und zärtlich von der Stelle cssen, von welcher er eben ißt. So viel von meinen Hunden. Später werde ich ohne Zweifel mehr von ihnen zu sagen haben, aber es ist nur noch ein kleines Stückchen vom Abend übrig, nnd ich muß zu „Meines Bruder John's Gletscher" zurückgehen. In der Nähe der Vorderseite des Gletschers ließen wir unsere Gespanne halten und bereiteten uns zu seiner Besteigung vor. Die Vorderwand desselben, die das Thal hiuabblickt, zeigt eine etwas nach außen gewölbte Seitenlinie und ist etwa eine Meile breit und huudert Fuß hoch. Sie bietet dieselbe zerklüftete Oberfläche wie der Eisberg dar, dieselben Linien verticalen Verfalls, die durch das im Sommer an ihr hcrabrieselnde Wasser verursacht werden, — dieselben hier und da erscheinenden horizontalen Linien, die, obgleich nicht stark markirt, der Kurve des Thales zu entsprechen schienen, W welchem der Gletscher liegt. Die Anstei. gl'ng rückwärts von dieser mauerähnlichen Vorderwand ist mehrere hundert Fuß weit ganz schroff; dann wird sie stufenartig und nimmt bis zu einer Neigung von sechs Grad ab, wo sie endlich 102 Besteigung des Gletschers. in das „Nor äo 6I<^««" übergeht, welches das Land nach Osten zu bedecken scheint. Am Fuße der Vorderwand dcs Gletschers liegt ein Haufen zerbrochener Eisstücke, die sich von Zeit zu Zeit abgelöst haben. Manche von ihnen sind sehr groß — feste Klumpeu von hellem Krystallcis, die viele Fnß im Durchmesser haben. Eine solche Masse riß sich mit einer ungeheuren Menge kleinerer Stücke los, während wir die Wand betrachteten, nnd kam krachend in die unten liegende Ebene herab. Die Oberfläche des Gletschers ist von einer Seite znr andern sanft aufwärts gebogen. Sie geht nicht bis zmn AbHange des Berges herüber, sondern bricht schroff ab uud bildet, wie ich schon oben bemerkt habe, eine tiefe Schlucht zwischen dem Lande uud dem Eise. Diese Schlucht wird stelleuwcisc durch ungeheure Noll-steine, die von den Klippen gefallen, oder durch gleich große Eis-mafsen unterbrochen, die von dem Gletscher abgerissen sind. Zuweilen jedoch haben diese Unterbrechungen einen andern Charakter, wenn das Eis, indem es sich mit aller Macht vorwärts bewegte, die Felsen in verwirrtem Wogen an der Bergwand hinanfge-schoben hat. Das Reisen in dieser sich windenden Schlucht hin war mühevoll, zumal da die Schueekrustc zuweileu nachgab und man mit den Beinen zwischen die scharfen Steine oder das gleich scharfe Eis gerieth; aber ein paar Meilen Weges brachten uus au eine Stelle, wo wir anf den Gletscher hinaufsteigen konnten, indem wir unsere Axt benutzten, um Stufeu zu hauen, wie Sonntag schon früher gethan hatte. Jetzt waren wir völlig auf des Gletschers Nucken und bewegten uns vorsichtig nach seinem Mittelpunkte hin, bei jedem Schritte fürchteud, es möchte sich unter unseren Füßen eine Spalte öffnen uud uns zwischen ihre harten Nippen hinabsinken lassen. Aber das geschah nicht, und wir erreichten unsern Bestimmungsort, wo die Oberfläche vollkommen glatt — eine geneigte Ebene von hellem durchsichtigem Eis war. Unser Zweck bei diesem Ausfluge war hanptsächlich, zu bestimmen, ob der Gletscher sich fortbewege; wir benutzten dazu den sehr einfachen uud wirksamen Plan, den Professor Agassiz bei seinen Messungeu der Alpengletscher befolgte. Wir ließeu zuerst in der Are des Gletschers zwei Pfühle ein und maßen genau die Vermessung des Gletschers. 103 Entfernung zwischen ihnen; dann fleckten wir zwei andere Pfühle fast in die Mitte zwischen diesen nnd der Seite des Gletschers; hieranf stellten wir der Reihe nach anf jeden der Pfähle den Theodolit nnd brachten sie durch Winkel mit einander nnd mit feststehenden Gegenständen an der Bergwand in Verbindung. Diese Winkel sollen im nächsten Frühling wiederholt werden, und ich werde auf diese Weise erfahren, ob der Gletscher sich das Thal hinab bewegt, und mit welcher Geschwindigkeit. Bei dieser wie bei jeder andern Gelegenheit, wo wir versucht haben, Etwas zn thuu, das Sorgfalt nnd Ueberlegung verlangt, kam der Wind, um uns Schwierigkeiten zu machen. Die Temperatur allein macht nns wenig zu schaffen. Wenn sie auch eine Anzahl Grade unter Null ist, daraus machen wir uns Nichts, denn wir haben nns daran gewöhnt; aber der Wind ist ein bedeutender Uebclstand, besonders wenn unsere Beschäftigungen, wie im vorliegenden Falle, keine lebhafte Bewegung gestatten. Das Instrument zu handhaben, ist eine ziemlich kalte Arbeit; aber die Berühruugsschraubeu sind mit Wildleder überzogen wordcu, und wir sichcru dadurch nnsere Finger vor dein „Verbrennen", wie unsere kleinen Erfrierungen ganz bezeichnend genanul werden. Morgen beabsichtige ich eine nochmalige Untersuchung des Gletschers uorzuuehmen und will jede weitere Beschreibung desselben bis dahin verschieben. Währeud meiner Abwesenheit sind meine Jäger nicht faul gewesen. Baruum hat sechs Rennthicre erlegt; Jensen schoß zwei, und Hans neuu; aber das Hauvtereigniß war des Eapitäns Ge-burtstagsschmans, nnd als ich an Bord znrückkehrte, fand ich, daß Alle sehnlich anf meine Ankunft warteten, nm sich zu einem kostbaren Bankett zn setzen. Ich habe die Regel eingeführt, daß alle Geburtstage anf diese Art gefeiert werden sollen, und es steht jedem Einzelnen, wenn sein Geburtstag wiederkommt, frei, das Allerbeste zu bestellen, was meine Prouiautkistcu uud des Stewards Vorrathskammer liefern können, und hierin rechne ich mir einige Weisheit zu. Ich weiß aus Erfahrung, was die dunkle Wolke bedeutet, unter der wir langsam treiben, nnd ich weiß, daß es meinen ganzen Schars-sinn in Anspruch nehmen wird, wenn ich mit heiteren Lenten durch dieselbe hindurchkommcn will; ich weiß ferner, daß man die Menschen, mögen sie unter dem Polarstern oder unter dein Aequator 104 Der Capitän. leben, glücklich machen kann, wenn man sie satt zu machen im Stande ist, und überdies müssen alle Menschen zu einer gewissen Stunde des Tages, sei es um Zwölf oder um Sechs, „zu Mittag speisen;" denn sind sie nicht „ . . . Carnivore«, welche brauchen Ein Futter täglich als geringstes Maaß? Sie können nicht wie eine Schnepfe saugen, Sie woll'n wie Hai und Tiger ihren Fraß.") Daher haben sie solche Neigung zu Wildpret und ähnlichen Dingen und erinnern sich mit Freuden des Rathes, den St. Panlus dem frommen Thimotheus giebt, „ein wenig Weins zu gebrauchen um des Magens willen." McCormick war bei dieser Gelegenheit nicht nur der Gegenstand, dem Ehre erwiesen wurde, sondern machte sich auch selbst Ehre. Er hat wirklich sein Essen selbst gekocht, und hat es gnt gemacht. Mein Kapitän ist ein ganz außerordentlicher Mensch, und seine Fertigkeiten und Kenntnisse scheinen kein Ende zu haben. Gr hat einen hellen Verstand, eine gute Erziehung und an Nervenkraft ein wahres Magazin; während er sich in der Welt umherschlug, hat er sich eine oberflächliche Kenntniß von fast Allem gesammelt, was unter der Sonne bekannt ist, von der Astronomie bis zur Kochkunst, und von der Seefahrcrkunst bis zum Golo-graben. Er ist auch ein wenig Philosoph, denn er erklärt, wenn er nicht im Dienst sei, wolle er alle Bequemlichkeit haben, die er sich machen könne, während er, wenn er im Dienst ist, keine Gefahr zu achten scheint und sich um sich selbst gar nicht bekümmert; außerdem scheint er die Fähigkeit zu besitzen, Alles selbst machen zu können, wovon er verlangen kann, daß es Andere machen. Er weiß einen Marlpfricm so gut zu handhaben wie ,einen Sertanten und kann den Matrosen, Zimmermann, Schmied, Koch oder Edelmann mit gleicher Leichtigkeit fpielen. So viel von dem Manne; nun zu seinem Schmaus. Vor etwa einem Tage fand ich auf meinem Kajütentische ein nettes kleines Schreiben, dessen höfliche Worte lauteten: „Mr. McCormick überbringt dem Commandanten die Empfehlung der ") Lord Byron, Don Iuau II, 67. Aum. d. Utbers. Ein Geburtstagsschmaus. 105 Officierback*) und bittet um die Ehre, am 21. dieses Monats um sechs Uhr in ihrer Kajüte zu speisen." Ich habe mich auf die Vorladung gestellt und bin nun wieder in mcine eigene Höhle zurückgekehrt, überwältigt you Erstaunen über die Gcschicklichkeit meines Capiläns in Mer Kunst, deren Pflege den Lucullus unsterblich und Soner berühmt gemacht hat, und hoch erfreut, die Offieiere sowohl als die Mann schaft so vergnügt zu sehen. Die Speisekarte, ,,mit einigen Origin nal-Illustrationen von Radcliffe," enthielt für einen hungrigen Mann eine sehr verlockende Einladung, und ihre Bestimmungen wurden im Ganzen vollzogen. Es gab eine ganz vortreffliche Suppe — ^n,r«Miöro — von köstlichem Geschmack, einen gesottenen Lachs, in die sauberste Serviette gewickelt, eine gebratene Wild-pretskeule, die dreißig Pfund wog, und ein Paar gebratene Eidergänse mit Iohannisbcergele und Apfelsauce, nebst- einer guten Auswahl frischer Gemüse; hierauf ein ungeheurer Plnmpudding, der aus Boston bezogen und mit deu Flammen Otard's aufge-lrageu wurde, welche rings um die runde Süßigkeit flackerten; und dann kam noch gehackte Fleischpastete, weiße Gallertc (Llano-manner), Nüsse, Nosincn, Oliven, 3)ankee-Käse, Bostoner Zwieback, Kaffee, Cigarren uud ich weiß nicht, was sonst noch. Es gab ein Paar Flaschen Moselwein, die wir sorgfältig aufbewahrt hatten, und die ans dem kleinen Behälter unter meiner Schlafbank hervorgeholt wurden, sowie einige Flaschen Madeira und Tercswein, die sich an derselben Stelle befanden. Das einzige Gericht, das seinem Charakter uach ganz dem Orte angehörte, an dem wir uns befanden, war eine N^onnai^ von gefrorenen: srohem) Wildpret, das ill dünne Scheiben geschnitten und in der freien Luft zubereitel wurde. Es war sehr knappcrig, aber seine Vorzüge fanden keine gebührende Würdigung. Die „Speisekarte" schloß folgendermaßen: — 'Violin-Concert von Knorr. Gesang des Liedes i „Vor Morgen gehen wir nicht heim," von der Tischgesellschaft. Originalgeschichtcn stets an der Ordnung, aber „Joe Millers"**) bei Strafe verboteu, den Rest der Nacht das „Feuerloch" ausznränmen." Ich verließ dir Gesellschaft vor zwei Stunden in ungezügeltem *) Eine Back heißt in der Seemannssprache eine Anzahl an einem Tische Speisender, eine Tischgesellschaft. Anm. d. Uebers. °**) Ein sehr abgedroschenes Witzbuch und dann ein eben solcher Witz. 106 Ein Gebmtstagsschmaus. Genuß des Abends. Und sie scheinen die Gelegenheit recht gut zu benutzen. Die gauze Schiffsmannschaft ist dem Anschein nach wie Tam O'Shanter*) „Ueber alle beiden des Lebens hinaus;" von der Ursache jedoch, welche den vergnügten Gemüthszustand dieses berühmten Mannes herbeiführte, ist, soweit ich nachkommen kann, Nichts zu finden. Die Matrosen setzen ihr Fest noch mit einem lebhaften Tanze fort, zu welchem sie Marcus und Jacob gezwungen haben, während die Officiere, wie echte Amerikaner, Reden halten. In diesem Augenblick höre ich die Gesundheit „des großen Polarbären" ausbringen. *) Bon Robert Burns. Anm. d. Uebcrs. Zehntes Kapitel. Reise aus den Gletscher. - Das erste ^ager. — Ersteigung des Gletschers. — Beschaffenheit seiner Oberfläche, Die Fahrt auf dem Gletscher hinauf, — Durch eiucu Sturm zurückgetrieben. Niedrige Temperatur. — Die Ge-scllschaft ist i» einer gefährlichen Lage, — Eine Mondschein Landschaft. Ungeachtet wir selbst zur Mittagszeit kein richtiges Tageslicht hatten, war es doch zum Reisen hell genug, und da der Mond voll war nnd seinen Glanz mit dein Schein der sich zurückziehenden Sonne vereinigte, so trug ich kein Vedenkcn, meine beabsichtigte Reise auf den Gletscher in Ausführung zu bringen. Die heftigen Stürme schienen sich gelegt zu haben, nnd ich glaubte das Unternehmen mit Sicherheit dnrchsetzen zu können. Ich konnte in dieser Zeit Nichts thnu, was sich direct auf meine Forschungsplünc nach Norden hin bezog, und wollte meine Zeit auf das Vorteilhafteste anwenden. Das Meer unmittelbar außerhalb des Hafens war uoch immer nicht gefroren, nnd wir wurden in der Hartstene-Vai in enger Gefangenschaft gehalten; nur waren nicht einmal im Stande, um die Vorgebirge herumzugehen, die sie nach Norden nnd Süden begrenzten. Cap Alexander sowohl als Cap Ohlsen wurden uoch immer voll dem beuuruhigtm Meere gepeitscht. Iu der Müudung des Suudcs war offenbar nne große offene Wasserfläche, die sich bis zum „Nord-Wasser" hinab erstreckte. Wenn der Wiud aus dieser Nichtuug kam, brach das GZ weit iu die Bai hinein anf, um fortgetrieben zn werden, wenn er sich nach Osten drehle. Außerdem hatte ich, selbst wenu sich das Eis geschlosseu hätte, zum Herbst als eiuer Zeit zu Schlittenreisen so wenig Vcrtranen, dah ich zweifle, ob ich in dieser Nichtuug einen Anssing versucht ha- 1W Neise auf den Gletscher. ben würde. In jenen Gegenden, die einem frühzeitigen Gefrieren höchst günstig sind, verbindet sich das Eis nicht eher fest, als bis die Dunkelheit völlig eingetreten ist, nnd das Reisen ist nicht nnr mit vieler Gefahr, sondern auch mit großem Verluste an jener physischen Kraft verbunden, die sich nothwendig macht, um den verfänglichen Einflüssen der Krankheit zu widerstehen, welche bisher Männern, die in der arktischen Nacht verweilten, so oft den Tod gebracht haben. Alle meine Vorgänger in den Polarmeeren stimmen darin überein, daß der Spätfrühling nnd Frühsommer allein anf eine erfolgreiche Schlittenreise berechnet sind. Ich erinnere nur an zwei Commandanten, die im Herbste Reisegesellschaften in's Feld geschickt haben; in beiden Fällen war der Ver-snch offenbar nicht nnr unnütz, sondern auch schädlich. Durch die strengen Witterungseinflüsse, denen die Leute ausgesetzt wurden — sie waren fast immer naß und stets durchkältet gewesen — verloren sie die Kräfte, und als die Dunkelheit eintrat, lagen sie am Scor-but darnieder; im Frühling fand man, daß die Depots, welche sie errichtet hatten, znm größten Theile entweder von den Bären zerstört oder auf andere Art nutzlos geworden waren. Bei Neiseu in's Land hinein ist es anders. Da ist keine Gefahr vorhanden, naß zu werden, und ich habe es in der Negel nicht sehr schwierig gefunden, bei jeder Temperatur zu reisen, wie streng dieselbe auch sein mochte, wenn ich nur meine Leute trocken erhalten konnte. Etwas Feuchtigkeit ist jedoch selbst anf kleinen Landreisen fast unvermeidlich, und dies ist wirklich eins der größten Hindernisse, mit denen der Reisende in arktischen Gegenden zu kämpfen hat. Selbst bei niedrigen Temperaturen kann er es nicht ganz vermeiden, daß seine Kleider und Pelzbettzcug etwas feucht werden, indem, während er schläft, dnrch die Wärme seines eigenen Leibes der Schnee unter ihm schmilzt. Da dies unsere erste Landreise war, ^c> war natürlich Jeder begierig mitzugehen, Ich hatte anfangs beabsichtigt, die Hunde zu nehmen nnd mit Ienseu als meiucm einzigen Gefährten und Treiber zu reisen; aber als ich mit diesem (auf dessen Urtheil ich hinsichtlich solcher Dinge viel Vertrauen setzte) die Sache besprach, fügte ich mich seiner Ansicht, daß zu derartiger Arbeit die Hunde nicht brauchbar seien, Ich hatte später Grund, dies zu bereuen, denn es fand sich, daß sie auf manchen Strecken der Neise mit großem Vortheile hätten benutzt werden tonnen. Bei späterer Das erste Lager. 109 Uebcrleguug siel mir ein, daß sich für Jensen's Verleumdung der Hunde eine reichliche Entschuldigung in Sonntag's zerbrochenem Barometer finden ließ. Da ich beschlossen hatte, die Reise nur mit Menschen zu machen, so fiel meine Wahl auf Mr. Kuorr, John McDonald, Harvey Heywood, Christian Petersen und den Eskimo Peter. McDonald war einer meiner besten Matrosen, ein kurzer, stars geballter Bnrschc, stets zur Arbeit bereit. Christian war ihm in Körperbau, Gesinnung und Ansdaner nicht unähnlich und obgleich ein Zimmermann, doch auch ein wenig Matrose. Er hatte mehrere Jahre in Grönland gelebt und sich an ein rauhes Leben gewöhnt. Hcuwooo war ein Sandmann aus dem fernen Westen und hatte sich mir aus reiner Begeisterung angeschlossen. Er war voll Muth nnb Energie, und obgleich er in der Schiffsmannschaft eine viel niedrigere Stellung einnahm, als er verdiente, so lieh sich doch nichts Besseres für ihn thnn. Er war fest entschlossen, die Expedition zu begleiten, gleichviel in welcher Eigenschaft.*) Mit Peter ist der Leser schon bekannt. Am 22. October, dem Tage, der auf das Fest folgte, welches das letzte Kapitel schließt, marschirten wir ab. Unser Schlitten war leicht beladen mit einem kleinen Zelte aus Segeltuch, zwei Vüffelhäutcu zum Schlafen, einer Kochlampe und Proviant für acht Tage. Uitserc persönliche Ausrüstung bedarf nur einer kurzen Beschreibung. Für Jeden ein Extra-Paar Pelzstrümpfe, ein zin-uerner Napf und ein eiserner Löffel war Alles, was wir hatten. Unser erstes Lager schlugen wir am Fuße des Gletschers auf. Das erste Lager ist auf jeder Neise in allen Theilen der Welt ge wohnlich unbehaglich genug, kann aber trotzdem vielleicht seine gute Seite haben; an dem unsrigeu jedoch konnte meine kleine Gesellschaft durchaus keine gute Seite entdecken. Die Temperatur war —11« F. s—19", n R.), und wir hatten kein anderes Feuer, als dasjenige, welches wir in unserer Ofenlampe brauchten, um "user gehacktes Fleisch und unsern Kaffee zu kochen. Es schlief, glaube ich, nicht Einer. Unser Zelt wurde nothwendigerweise an einem Bergabhange aufgeschlagen und auf der glattesten Schicht *) Es macht mir große Freude, neuerdings erfahren zn haben, baß Harvey Hcywood während des letzten Krieges im Sildwesten gedient und große Tapferkeit bewiesen hat, wodurch er sich eine Stelle im Gencralstab errungen, iudem er den Ingenieurs eingereiht wurde, Ich fand in il>m einen vortrefflichen Zeichner. 110 Die Ersteigung des Gletschers. Steine, die wir finden konnten. Wir standen bei Mondschein auf und gingen an das Werk. Die nächste Tagereise brachte uns auf den Nucken des Gletschers, und das war ein sehr bedeutendes Tagewerk. Ich habe schon im letzten Kapitel die zerrissene Beschaffenheit der Schlucht geschildert, durch welche wir reisen mußten, um einen Punkt zu erreicheu, wo wir den Gletscher ersteigen konnten. Der beladene Schlitten ließ sich nicht über die Felsen und Eisblöcke ziehen, und die Leute mußten daher unsere Sachen Stück für Stück auf den Schultern tragen. Als wir an die Stelle kamen, wo ich früher mit Herrn Sonntag hinaufgestiegen war, bereiteten wir uns vor, den Schlitten hinaufzuheben. Die Landschaft war hier ganz malerisch. Wir standen in einem kleinen dreieckigen Thale, mit einem See in der Mitte. Uns zur Linken erhob sich der große Gletscher, und zur Rechten ergoß sich ein kleiner Eisstrom durch eine tiefe Schlucht. Vor uns stand ein massiver Pfeiler von rothen: Sandstcinfelsen, welchen diese beiden Ströme, die sich hinter ihm vereinigten, ganz umschlossen und zu einer Insel — einer Insel in einem aus Eis bestehenden Meere — machten. Der kleine See bot eine Erscheinung dar, die ich in Verbindung mit meiner Neise, die ich eben machte, ganz lehrreich fand. Als die Zeit des Thauwetters zu Ende gegangen, war er mit Wasfcr gefüllt gewesen, und es bildete sich Eis auf ihm, ehe das Wasser sich setzte. Als der See unter dem Glet-scher abgeflossen war, blieb das Eis zurück, ohne eine andere Stütze zu haben, als die Felsen, auf denen es ruhte. An vielen Stellen hatte es sich durch seine eigene Schwere niedergebogen, und in einein Falle bemerkte ich, daß, da der Druck endlich auf die Ecken der zurückbleibenden Platte ausgeübt wurde, das Eis bei einer Temperatur unter Null und sechs Zoll Dicke in eine Gestalt gedreht worden war, die dem Streichbrett am Pfluge eines Landwirths glich. Der erste Versuch den Gletscher zu ersteigen, war von einem Unfall begleitet, dcr im Augenblick ziemlich bedenklich aussah. Der Vorderste von der Gesellschaft glitt aus, als er die rohen Stufen hinaufkletterte, und warf, die steile Wand hinabgleitend, diejenigen, welche sich unter ihm befanden, nach Rechts und Links und sandte sie rollend m's Thal hinab. Das Abenteuer hätte ernste Folgen haben können, denn am Fuße des Abhanges ragten über Die Reise auf dein Gletscher hinauf. 411 den Schnee und das Eis viele beiseit hervor. Die nächste Anstrengung war von besserem Erfolge gekrönt; nun wnrde über die Seite des Gletschers ein Seil hinabgelassen, der Schlitten auf die geneigte Ebene hinaufgezogen, und wir traten oben unsere Reise an. Das Eis war hier sehr ranh, vielfach zerklüftet und fast ganz frei von Schnee. Wir waren noch nicht weit gekommen, als mir ein ähnlicher Unfall zustieß, wie früher Herrn Sonntag begegnet war. Den Leuten, die den Schlitten zogen, vorangehend, sah ich mich plötzlich, ohne irgend eine Warnung, durch den Schnee einsinken, und wnrde nur dadnrch gerettet, daß ich mich fest an einen hölzernen Stab hielt, den ich aus Furcht, das; mich ein solches Unglück treffen könne, auf der Schnlter trug. Der Stab legte sich quer über die Oeffnung und trug mich, bis ich wieder herausklettern konnte. Die Spalte war vielleicht nicht sehr tief, da ich aber Nichts fand, worauf sich meine Füße stützen konnten, so war ich doch froh, die Lösung der interessanten wissenschaftlichen Frage, ob diese Nisse sich durch den ganzen Körper des Gletschers erstrecken, auf eine spätere Gelegenheit verschoben zu sehen. Als wir uns der Mitte des Gletschers näherten, wnrde seine Dberfläche glatter nnd gewährte größere Sicherheit. Daß die Seiten so rauh waren, rührte ohne Zweifel davon her, daß der Theil des Thales, anf welchem das Eis ruhte, eine unebene Gestalt hatte. Nachdem wir noch etwa fünf Meilen gereist waren, schlugen wir unser Zelt anf dem Eise auf, begaben uns in dasselbe und erfrenten nns nach einem tüchtigeu Abendessen vou gehacktem Fleisch, Brod uud Kaffee eines gesunden Schlafes; — an die Temperatur zu denken, die mehrere Grade tiefer gefallen war als in der vorhergehenden Nacht, waren wir viel zu müde. Am folgenden Tage legteu wir dreißig Meilen zurück; die Steigung, die während des letzten Marsches einen Winkel vou ungefähr 0" gebildet hatte, verminderte sich allmälig bis anf etwa ein Drittel dieses Erhcbnngswmkels, nnd von einer Oberfläche aus hartem Eis waren wir anf eine gerade Ebene von compactem Schnee gekommen, unter dem wir beim Eingraben bis auf drei Fnß Tiefe kein wirkliches Eis finden konnten. In dieser Tiefe jedoch nahm der Schnee eine festere Eonsistrnz an, und obgleich er nicht zu wirklichem Eis wurde, konnten wir doch mit unserer Schaufel ohne große Schwierigkeit nicht weiter eindringen. Der 112 Grus« Kälte, Schnee war mit einer Kruste bedeckt, durch welche der Fuß bei jedem Schritt einbrach, wodurch das Reisen sehr mühsam wurde. Am folgenden Tage wurden etwa fünfundzwanzig Meilen gemacht; der Weg war von derselben Beschaffenheit wie den Tag zuvor, und auch die Steigung war ziemlich dieselbe; aber der Zustand meiner Leute warnte mich vor dein Wagstück, die Reise fortzusetzen. Die Temperatur war auf 30" F. unter Null*) gefallen, ein wüthender Sturmwind blies uns in's Gesicht, trieb uns in das Zelt, um Schutz zu suchen, und zwang uns, nachdem wir dort einige Stunden geruht hatten, die Rückkehr anzutreten. Den Hauptzweck meiner Reise hatte ich jedoch erreicht und in keinem Falle beabsichtigt, in dieser kritischen Zeit des Jahres mehr als eine Tagereise weiter vorzudringen. Meine Begleiter waren noch nicht genug an so niedrige Tcm^ peraturen gewöhnt, um sie ohne Gefahr aushalten zu können. Sie hatteu Alle mehr oder weniger Frostflecken bekommen; zwei von ihnen hatten die Gesichter dermaßen erfroren, daß sie sehr schmerzhaft und stark geschwollen waren, und da ihre Füße beständig kalt blieben, so fürchtete ich bedenkliche Folgen, wenn wir nicht schleunigst Schutz in niedrigerem Niveau suchten. Die Temperatur fiel in der Nacht bis auf 34" F. unter Nnll (—29«,35 N.), und es ist der Erwähuung werth, daß der niedrigste Stand des Thermometers in Port Foulte während unserer Abwesenheit 22" höher (also —19",ü« R.) war. Einer von ihnen schien ganz zu erliegen, und ich mnßte ihn in's Freie schicken, damit er sich durch starkes Gehen vor dem Tode rette. Der Sturm nahm stetig an Stärke zu, und die Temperatur sank immer tiefer und tiefer; wir mußten endlich Alle das Zelt verlassen und uns durch starke Bewegung vor dem Erfrieren zn schützen suchen. Dem Winde entgegen zu gehen war nicht möglich, und Schutz war auf der ununterbrochenen Ebene nirgends zu finden. Nur in einer einzigen Richtung konnten wir uns bewegen, nämlich so, daß wir den Sturm in: Rücken hatten. So gern ich die Reise noch einen Tag fortgesetzt hatte, so sah ich doch ein, daß ein längerer Verzug nicht nur das Leben von einem oder zwei Mitgliedern meiner Gesellschaft gefährden, sondern durch die *) -27°,57 R. Eine gefährliche Lago. 115! Vernichtung uon uns Allen die Zwecke der Expedition gänzlich vereiteln werde. Nicht ohne große Schwierigkeit wurde das Zelt abgebrochen und auf den Schlitten geschnürt. Der Wind blies so grimmig, daß wir es mit unseren erstarrten Händen kaum zusammenrollen konnten. Die Lente litten Schmerzen und konnten das stcifgewor-dene Segeltnch immer nur einige Augenblicke festhalten. Ihre Finger, die beständig eiskalt waren, mußten stark umhüllt werden, um sie auf dem Nandc des uur uoch flackernden Lebens zu erhalten. Wir wartetet: nicht anf ein nettes Packen und Laden, oder anf einen Abmarsch in geordneter Weise. Gefahr giebt schnelle Mittel an die Hand. Unsere Lage an dieser Stelle war eben so erhaben als gefahrvoll. Wir hatten eine Höhe von fünftausend Fuß über dem Spiegel des Meeres erreicht und wareu fiebenzig Meilen von der Küste entfernt, mitten in einer großen gefrorenen Sahara, die für das menschliche Auge unmeßbar war. Nirgends bot sich dem Blick ein Hügel, ein Verg, eine Schlucht dar. Der Streifen Landes, der zwischen dem Hier äs ^1:wL und der See liegt, war vollständig unter den Horizont gesunken, und kein Gegenstand traf das Auge, als unser schwaches Zelt, das sich vor dem Sturme beugte. Flatterhafte Wolken zogen vor dem Gesicht des Vollmondes vorbei, der, nach dem Horizont hinabsinkend, durch deu treibenden Schnee schimmerte, welcher ans unbegrenzter Ferne aufwirbelte uud über die Eisebeue eilte, — für das Auge iu wellen^ förmigeu Linien von flaumiger Weichheit, für das Fleisch in Schauern stechender Pfeile. Unsere einzige Nettnng war die Flucht, und wie ein Schiff, das vor dem Sturme treibt, dem es nicht widerstehen kann und der ihm den Untergang drohte, kehrten wir dem Winde den Rücken und liefen eiligst den Abhang hinab, um unser Leben zu retten. Wir waren etwa vierzig Meilen gereist und etwa dreitansend Fuß herabgestiegen, ehe wir wagten, Halt zu machen. Hier war der Wind weniger stark, als an deu höher gelegenen Punkten, und die Temperatur war um 12" F. gestiegen.*) Wir konnten uns zwar ohne Gefahr zur Ruhe legen, aber uuser Obdach von Segeltuch war doch sehr kalt, und trotz der verminderten Gewalt *) Also uoch ^4» R. Hayes, Das ofsme Polar-Mccr. 6 114 Eme Reise bei Mondschein. des Sturmes machte es einige Schwierigkeit, das Wegwehen des Zeltes zu verhindern. Am nächsten Morgen erreichten wir Port Fonlke nach einem mühseligen Marsch, aber ohne einen ernsten Unfall erlitten zu haben. Der letzte Theil der Reise wnrde ganz bei Mondschein zurückgelegt. Als wir den unteren Theil des Gletschers erreichten, war die Luft völlig still, und die Wanderung an der Seite hinab, durch die Schlucht, das Thal, über den Alida-Sce und den Fjord bot eine sehr cindrncksvolle Scenerie dar. Massen von treibendem Schnee fegten über die weißkövsigen Hügel, wie wesenlose Geister, die wild durch die Nacht flattern. Sie verkündeten, daß oben der Sturm noch heulte; aber an unsern: tief gelegenen Schutzort war die Luft still, wie in einer Höhle inmitten der Winde. Keine Wolke verdunkelte den breiten Vogcn des Himmelsgewölbes. Die sanften Sterne, in das Gewand der Nacht gekleidet, freuten sich, ihre Gestalten in dem glatten Spiegel des Sees zn erblicken. Der Gletscher warf die frostigen Strahlen des Mondes zurück. Die Schatten der dunklen Felsenklippen stahlen sich in die Lichtflnth, die das Thal erfüllte. Der weiße Fjord mit seinen Inselpunkten wand sich zwischen den rauhen Caps, und seine cisgepanzerten Wasser breiteten sich in die Bai aus und verschmolzen dann mit dem weiten Meer. In dunkler Ferne zeigten sich die hohen schneebedeckten Berge der Westküste. Auf dem Meere schwebte eine schwere Nebelbank, die, wenn der Wind sie bewegte, sich laitgsam veränderte und in ihrem dunklen Busen die gespenstische Gestalt eines Eisberges enthüllte; ein schwaches, dem Morgenroth ähnliches Licht umsäumte diesen düstern Mantel der Wellen. Hinter dieser Masse undurchdringlicher Schwarze schössen zornige Blitze hervor nnd erschienen, zwischen die Sternbilder fliegend, wie senrige Pfeile, von bösen Geistern einer andern Welt entsendet. Elftes Kapitel. Wichtige Ergebnisse der letzten Ncise. — DaS grönländische Glttschcrsystcm. — Allgemeine Beuierkungen über dm Gegenstand. — Bon dcn Alpengletschern hergenoinmene Erläuterungen, — Bcwcgnng der Gletscher, — Uniriß des grönländischen Nor 6« «z-Iaee. Die Ergebnisse der im letzten Kapitel enthaltenen Neise machten mir großes Vergnügen. Sie lieferten einen wichtigen Nachtrag zn den Beobachtungen, die ich in früheren Jahren gemacht hatte, und ich freute mich, daß ich Gelegenheit fand, mir eine klarere Vorstellung von dem Glctschersysteme Grönlands zn bilden. Die Neise hat nm so größeren Werth, als sie der erste gclnngene Ver-snch war, über das Nor äo ^laoo in's Innere des Landes zn dringen. Auf meiner Lnndreise, die ich im Jahre 18l>8 mit Mr. Wilson vom Van Ncnsselaer Hafen ausmachte, erreichte ich zwar die Wand des Nt;,- äo ßlaoo, wo es hinter der hohen Hügelkette ruhte, welche mit der Axe des Continents parallel läuft, aber dies war das erste Mal, daß ich mich wirklich auf demselben befunden hatte, und setzt erst lernte ich seine ungeheure Größe kennen. Selbst die Beschreibung des großen Humboldt-Gletschers, die ich von Mr. Bonsall erhielt, und die Kenntniß, die ich von dcn gewaltigen Eismassen hatte, welche die Gletscher der weiter südlich gelegenen Gegend entluden, reichte nicht hiu, um mir einen Begriff von der unermeßlichen Ausdehnung des Eises zu machen, das in den Thälern nud an den Wänden der grönländischen Berge liegt. Grönland kaun man in der That als einen ungeheuren Eis-behälter betrachten. Auf deu Abhängen seiner hohen Berge ist die flaumige Schneeflocke zum harten Krustall geworden, und von 416 Das Gletschersystem. Jahr zu Jahr und voll Jahrhundert zu Iahrhuudert immer mehr anwachsend, hat endlich ein weiter Mantel von gefrorenem Dunst sich über das ganze Land gebreitet, und längs seines ausgedehnten Gestades ergießen sich tausend Krystallströme in's Meer. Dieses Wachsen der Gletscher, das ill einer fernen Zeit beginnt, wo Grönland, in Wärme und Sonnenschein gepflegt, mit einer Pflanzendecke bekleidet war, ist für einen Mann, der sich mit physischer Geographie beschäftigt, ein sehr interessanter Gegenstand. Die Erscheinungen lassen sich aber sehr einfach erklärsn, seitdem wir durch die Untersuchung verschiedener Forscher die Gletscher der Alpen kennen gelernt haben, — einer Gegend, die, was die Erklärung der Gesetze betrifft, welche die Bildung und die Bewegung des Gebirgseises beherrscheil, den ganzen Werth der grönländischen Berge besitzt und den bedeutenden Vortheil hat, daß sie viel leichter zugänglich ist. Auf eine allgemeine Erörterung der mannichfachcu Theorien einzugehen, welche zur Erörterung der großartigen Erscheinnngen aufgestellt wurden, die ill den Alpengegendcn beobachtet, eine ergiebige Quelle ganz verschiedener Schlüsse geworden sind, liegt dem Zweck mid Plane dieses Buches zu feru. Es war indeß leicht, in dem großen alten Eisbett, über welches ich reiste, dieselben physikalischen Verhältuisse zu erkenuen, welche die Aufmerksamkeit eines Agassiz, Forbes, Tyudall und anderer minder berühmter Erforscher der Alvengletschcr gefesselt hatten, und es machte mir Freude, die in der Studierstube gewonneuen Anschauungen durch einen wirk^ lichen Versuch an Ort und Stelle bestätigt zu sehen. Die Sache hatte für mich schon lange großes Interesse gehabt, nnd es war mir sehr angenehm, zwischen dem Alpen- und grönländischen Eise eine Vergleichung anstellen zu können. Es war nicht schwer, in dem ungeheuren Niederschlug, über den ich gewandert, zu lesen, wie Scheuch^er auf deu Gedanken an eine Ausdehnung, oder De Saussure auf die Vermuthung einer Schiebn ng kam, oder bei dem stetigen Fortschritt der Wissenschaft und Entdeckung die Gruudursache der Bewegung zu finden, die man mit den Ausdrücken glasartige, zähe und Differential-Bewegung bezeichnet, wie sie von hervorragenden Forschern der späteren Zeit anf das Alpen-Eis angewandt werden. Ueber das grönländische Eis findet sich im Volte viel Miß^ oerstäudnift. Wie schon gesagt, beabsichtige ich hier nich!, anf eine Gletscher. 417 genaue Erörterung der Art und Weise seiner Bildung uud Be-weguug einzugchen, sondern werde mich begnügen, die Thatsache einfach anzuerkennen uud zwischen dem Gcbirgseise Grönlands und ähnlichen Niederschlagen in anderen Gegenden der Welt eine Vergleichung zu ziehen, so weit sie nothwendig ist. So, hoffe ich, wird der Leser genügendes Interesse an dein Gegenstände finden, um mir bei eiuer allgemeinen Uebersicht des ganzen Gebietes einige Seiten zu folgen. Später werde ich auf manche Einzelheiten zurückkommen, die einer besondern Mittheilung und Erörteruug bedürfen, indem die Darstellung derselben uns auf andere Gegenstände der Untersuchung führt. Um die Sache klar zu machcu, kauu ich uichts Besseres thun, als meine' Erläuterungen ans dem Gebiete der Alpen hernehmen, wo ernste Forscher eine lange Zeit hindurch ihre Untersuchungen emsig fortgesetzt haben. Einer der bedeutendsten und begabtesten war Mons. Le Chanonic Reudu, Bischof von Aunecu. Dieser ausgezeichnete und würdige Manu, und ebenso aufrichtige Verehrer der Wissenschaft wie der Religion, ist vor fieben Jahren ^) gestorben. Eine zwischen den ranhen Felsen und Eisklippen der Alpengebirge verbrachte Lebenszeit hatte ihn mit jeder Beschaffenheit der Natur in jenem Gebiete der Erhabenheit und Heimath des Wunderbaren vertraut gemacht. Professor TrmdaU sagt mit Recht von ihm: „Seine Kenntniß sei umfassend, sein Urtheil scharf und richtig und seine Beobachtungsgabe außerordentlich gewesen," uud er wandte seine Geistesgabcn, seine Körperkraft und tiefe Wahrheitsliebe frühzeitig der Aufhellung jener Naturerscheinungen zu, die ihm beständig vor die Augen traten. Nach vicljähriger gewissenhafter Arbeit übergab er der Welt die Resultate seiner systematischen Forschungen in einer Abhandlung, die unter dem Titel: ,/Theorie der Gletscher Savonens,"^) j„ 5,^ Denkschriften der königlichen Academic der Wissenschaften von Savoyen veröffentlicht wurde. Ich will die aus dieser Quelle geschöpfte Belehruug als Grundlage meiner gegenwärtigen Darstellung benutzen, — run durch das Gesetz, das jener gelehrte Priester von Annecy uns nach den Alpen ausgelegt hat, zu beweisen, wie w- arktische Continent *) i860. **) Thdorie des Glaciers de la Savoie, 118 Ursprung der Gletscher. seinen krystallenen Mantel empfängt, nnd wie er sich der überflüssigen Anhäufung entledigt. Nendu beobachtet zuerst die Aufhäufung des Gebirgsschnecs. Der Schnee, der auf die Verge fällt, verwandelt sich zum Theil in Wasser, das nach dem Fluß und durch den Fluß in's Meer abläuft, zum Theil in Eis. Das so gebildete Eis schätzt Nendu in den Alpen auf jährlich achtundfünfzig Zoll; — „dies würde den Montblanc in hundert Jahren vierhnndert nnd in tausend Jahren viertausend Fuß höher machen." „Nun lenchtet ein/' sagt er, „daß so Etwas in der Natur nicht vorkommen kann." Das Eis muß durch die Wirkung einer gewissen natürlichen Ursache entfernt werden, und da die Beobachtung gezeigt'hat, daß dies wirklich stattfindet, so beschäftigt sich Nendn mit-Methoden, durch die sich entdecken läßt, wie die Natur ihre Aufgabe gelöst hat, und kommt zu dem sehr vernünftigen Schluß, daß der Gletscher und der Fluß in der That dasselbe sind, daß zwischen ihnen eine so vollständige Aehnlichkeit besteht, daß es unmöglich ist, iu dem Letztem einen Umstand zu fiuden, der in dem Erstern nicht vorhanden ist; uud wie der Fluß die Wasser, die auf die Bergwände fallen, nach dem Ocean führt, so führt der Gletscher das Eis, das sich aus dem auf den Bergwänden liegenden Schnee bildet, iu dasselbe Niveau hinab. Er schließt seine Beweisführung mit der Aufstelluug des Gesetzes: „Der erhaltende Wille des Schöpfers hat zur Fortdauer seines Werkes das große Gesetz des Kreislaufes augewandt, das, genau betrachtet, sich in allen Theilen der Natur wiederholt." Zur Erläuterung dieses Gesetzes sehen wir, daß das Wasser den Kreislauf aus dem Ocean durch Verdunstung in die Luft, aus der Luft in der Gestalt von Thau, Regen und Schnee wieder zur Erde, und von der Erde vermittelst der großen Ströme, welche die von jeder Bergwand nnd aus jedem Thale cutrinnenden kleinen Flüsse aufnahmen, wieder in den Ocean znrück macht. Nnn ist dies Gesetz des Kreislaufs iu den Eisregiouen der Alpen, des hohen Himalaua-Gebirges, der Anden, der Gebirge Norwegens uud Grönlands dasselbe, wie iu den niedrigeren und wärmeren Gegenden der Erde, wo die Flüsse das Wasser der Oberfläche dem Meere zuführen. Bewegung der Gletscher. 119 , Ein Gletscher ist in der That nur ein fließender Strom gefrorenen Wassers, nnd die S tromsysteine der geinäßigten nnd heißen Zone werden in der nördlichen und südlichen kalten Zone die Gletschers« stem e. Wir haben gesehen, daß ein Theil des Schnees, der anf die Berge füllt, sich in Eis verwandelt nnd dieses Eis, so sonderbar es anch scheint, sich fortbewegt. Was die Ursache der Bewegung bildet, ist noch nicht zu allseitiger Befriedigung der Gelehrten entschieden worden, aber es ist dennoch wahr. Rendn bemerkt mit Nccht: „Es giebt eine Meuge Thatsachen, die zn dem Glauben zu nöthigen scheinen, daß die Substanz der Gletscher eine Art Dehnbarkeit besitze, vermöge der sie fähig ist, sich nach der Oertlichkeit zu gestalten, welche sie einnimmt, dünn zu werden, anzuschwellen und sich zusammenzuziehen, wie ein weicher Teig." Dies ist wahr in Bezug auf die Alpenpässe und auch wahr für die grönländischen Thaler. Ein großer gefrorener Strom ergießt sich die Ost- und West-Abhänge des grönländischen Eonti-nents herab, und wie in den Alpen geht das, was durch das Gefrieren in einem Jahre an Höhe gewonnen wird, durch das Abwärtsströmeu der beweglichen Viasse wieder' verloren. Die Bewegung läßt sich durch kein Hiuderniß hemmcu. Die niedrigeren Bergketten halten sie nicht auf, denn das Eis formt sich nach ihrer Gestalt, schlüpft durch jede zwischen ihnen liegende Oeffnung oder über ihre Gipfel hinweg. Thäler stören seinen Weitermarsch nicht, denn der gefrorene Strom tritt in sie ein und macht sie den höchsten Bergen gleich. Es achtet nicht den jähen Abstnrz, denn es hüpft über denselben auf die untenliegende Ebene hinab, — ein riesiger gefrorener Wasserfall. Winter und Sommer sind ihm völlig gleich. Es bewegt sich immer vorwärts anf seiner unwiderstehlichen Laufbahn, — eine ungeheure gefrorcue Flnth, die zmn Ocean anschwillt. Es strömt durch jeden Ausweg in den Küstengebirgcn, jede Schlucht und jedes Thal hinab, jedes Hin-derny; überreitend, die Felsen zermalmend und zerquetschend, und stößt endlich anf das Meer. Aber hier. hält es noch nicht an. ^s schiebt das Wasser zurück und macht 'seine eigene Küstcnlinie. Sich immer vorwärts bewegend, sich jeder Unebenheit des Meeres-bettcs anbequemend, wie es vorher bei der Oberfläche des Landes gethan, die weite Bai oder hell brcitcn Fjord ausfüllend, wo dieser 420 Bildung der Wbergc. sich erweitert, sich auch erweiternd, wo er sich verschmälert, sich gleichfalls verschmälerud, in seinem langsamen und stetigen Lauf die Inseln verschlingend, reicht es schließlich viele Meilen weit über die ursprüngliche Küstenlmic hinaus. Jetzt hat es den höchsten Grad seines Vordringens erreicht. Als es vor langen Zeiten, nachdem es über das abschüssige Land geströmt war, endlich an die Küste gelangte und dir Bai hinab schaute, die es zuletzt ausfüllen sollte, war seine Norderwand viele Hundert ^nß hoch. Zudem es sich weiter hinausbewegte, sank es allmälig unter die Wasserlinie, und am Ende ist seiue Vorderseite fast ganz verschwunden. In einem früheren Kapitel habe ich erwähnt, daß von einem Block Süßwassereis, der in Meerwasscr schwimmt, sich nur noch ein Achtel seines Gewichts und Umfangs über die Oberfläche erhebt, während sieben Achtel desselben sich unter der Oberfläche befinden. Die Ursache davon ist zu bekannt, als daß sie mehr denn einer flüchtigen Erklärung bedürfte. Jeder Schulkuabe weiß, daß Wasser beim Gefrieren sich ausdehut, und daß süßes Wasser im krystallisirten Zustande ungefähr ein Zehntel mehr Naum einnimmt, als im flüssigen; daher befindet sich, wenn Eis in süßem Wasser schwimmt, alls dem es sich gebildet hat, ein Zehntel desselben über, die anderen neun Zehntel aber unter der Oberfläche. Wird nun dieses Süßwasscreis saus welchem, wie man sich erinnern wird, der Gletscher besteht) in'Z Meer geworfen, so ändert sich das Verhältniß des Theiles, der über, ;u dem Theile, der uutcr der Oberfläche liegt, aus eius zu ncuu in eins zu sieben, und diese Aenderung des Verhältnisses rührt von der größereu Dichtigkeit des Meerwasscrs her, welche durch das Salz verursacht wird, das ?s im aufgelösten Zustande enthält. Nun wird man begreifen, daß, da der Gletscher sich immer weiter und weiter in'Z Meer hineindrängt, das Gleichgewicht des Eises endlich gestört werdeil muß, — das heißt, das Ende des Gletschers wird tiefer iu's Meer hinabgetrieben, als es der Fall sein würde, wenn es vou Zwang frei wäre und so schwimmen tonnte, wie es die Gigeuschafteu, die es durch das Gefrieren erlangt hat, mit sich bringen. Iu dem Augenblicke, wo mehr als sieben Achtel seiner Vorderwaud sich unter der Wasserlinie befinden, wird der Gletscher, wie ein Apfel, den mall in einem Wassereimer mit der Hand niederdrückt, das Streben haben, empor zu Das Gesetz des Kreislaufs. 121 steigen, biö cr sein natürliches Gleichgewicht wieder bekommt. Man wird sich aber erinnern, daß der Gletscher ein langer Eisstrom ist, der sich viele Meilen erstreckt, nnd obwohl das Ende das Streben hat, empor HU steigen, so wird es doch dnrch den stetigen Zusammenhang der ganzen Masse eine Zeit lang fest niedergehalten. Mit der Zeit aber wird, da das Ende des Gletschers sich immer tiefer und tiefer im Wasser vergräbt, das Streben, empor zu steigen, immer stärker und stärker, und endlich reicht die dadurch erzeugte Kraft hin, ein Stück abznbrcchen, welches, einmal frei, sich zu dem Niveau erhebt, das ihm uatnrgemäß ist. Dieses Stück kann ein fester Würfel von einer halben Meile und sogar noch größer sein. Das Abbrechen ist von einer großen Beunruhigung des Wassers und von gewaltigen Knallen begleitet, die mau viele Meilen weit hören kann; indem es aber nun frei im Wasser schwimmt, hören die Schwingungen, in welche die plötzliche Veränderung es versetzt hat, allmälig auf, und nachdem sie ihr natürliches Gleichgewicht erlangt, treibt die krystallene Masse mit der Strömung langsam iu's Meer hinaus und wird ein Eisberg genannt.^) So hat der Gletscher seinen Theil an dem großen Gesetze des Kreislaufes und Wechsels erfüllt. Der Thautropfeu, der, auf den: tropischen Palmblatt destillirt, zur Grde fiel, ist in der rieselnden Quelle des Urwaldes wieder zum Norscheiu gekommen, mit dem Bach zum Fluß, mit dem Fluß zum Oceau geströmt, ist dann in der Luft verschwunden und, vou dem uusichtbareu Winde nordwärts geführt, als flaumige Schneeflocke auf den hohen Berg gefallen, wo er, von einem Sonnenstrahl durchdrungen, wieder ein kleines Wassertügclcheu geworden ist; der frostige Wind, welcher der Sonne folgte, hat dieses Kü-gelchen m einen Krystall verwandelt, lind der Krystall begimu seine Wanderung wieder, indem er den Ocean sncht. Aber wo seine Bewegung einst reißend schnell war, lst sie jetzt langsam; wo er damals mit dem Flusse in einer Stunde Meilen weit strömte, wird er jetzt mit dem Gletscher in Jahrhunderten *) Früher nahn, man an, daß die Eisberge sich dnrch die Kraft der Schwere losrissen, aber dieser Irrthum sowohl als die wahre Theorie der Entladung der Eisberge wurde von Or. H. Riuk, dem jetzige« königlichen Inspector von Süd-Grönland, nachgewiesen. Manche Stücke lösen sich auch von der Vorderwand des Gletschers ab und fallen in's Wasser, aber oicse habm natürlich immer verhält« mßmäßig kleine Dimensionen und können taum Berge genannt werben. 422 Schönheit und Grofnntigteit der Eisberge. nicht weiter strömen, und wo cr cinst ruhig in's Meer eintrat, wird er sich jetzt mit der Welt der Wasser inmitten einer gewaltigen Zuckung vereinen. So haben wir denn gesehen, daß der Eisberg die»Ausströ-m u n g des arktischen Flusses, daß der arktische Fluß der Gletscher, und daß der Gletscher die Anhäufung der gefrorenen Dünste der Luft ist. Wir haben diesen Fluß beobachtet, wie er sich in seinem langsamen und stetigen Laufe von den Gergen her fortbewegt, bis er endlich das Meer erreicht, und haben gesehen, wie das Meer uon dem trägen Strome ein ungeheures Stück abreißt nnd sich selbst sein Eigenthum wieder zurücknimmt. Von den Fesseln befreit, die es unzählige Jahrhunderte im Stillen getragen hat, stürzt sich dieses neugeborene Kind des Oceans mit eiuem wilden Sprunge iu die Arme des elterlichen Wassers, wo es von der Bmndnng geliebkost uud wieder aufgezogen wird zu neuem Leben; die krystallenen Tropfen erhalten ihre lang verlorene Freiheit wieder und fliegen fort auf den lachenden Wellen, um den Sonnenstrahl noch einmal anfznfangcn und ihren Lauf durch den langen Kreis der Jahrtausende wieder zu machen. Und dieser Eisberg hat mehr Bedeutung als der große Strom, welchen des Gletschers südliche Schwester, die breite Amazone, uon den Abhängen der Anden und der Gebirge Brasiliens her in den Ocean ergießt. Feierlich, stattlich und aufrecht in Sturm und Windstille reitet er auf dem hohen Meere. Die rastlosen Wellen hallen wider durch seine gebrochenen Bogengänge und donnern an seine diamantenen Wände. Wolken, undurchdringlich wie die, welche die schöne Gestalt der Arethusa deckte, umhülleu ihn am Morgen; uuter der hellen Flamme der Mittagssonne wird er in glitzerndes Silber geharnischt; dann kleidet er sich in die prächtigen Farben des Abends, und in der stillen Nacht spiegeln sich die Himmelskörper in seiner gläsernen Oberfläche. Treibender Schnee wirbelt im Winter über ihn hin, und im Sommer schwärmen die Seemöven um ihn herum. Auf seiueu hohen Thürmen schmachten die letzten Strahlen des scheidenden Tages, und weun die lange Dunkelheit vorüber ist, fängt er den ersten Schimmer des wiederkehrenden Lichtes auf, und' seine vergoldete Kuppel kündigt den kommenden Morgen an< Die Elemente verbünden sich, seiner unvergleichlichen Schönheit ihren Tribut zu bringen. Seine laute Stimme wird an die Küste getragen, und die Erde rollt sie von Das Hll^ .w 8>i^e. 123 Klippe zu Klippe zwischeil die widerhallenden Verge hillein. Durch den Schleier von strahlenden Fontainen, die über ihm in den Sommerwinden flattern, stiehlt sich die Sonne, nnd der Regenbogen auf seiner blassen Wange verräth den marinen Knß. Die ^uft schinückt ihn mit Kränzen von weichem Dunst, und das um ihn stehende Wasser nimmt die Farben des Smaragds und Saphirs an. In Erfüllung seiner Bestimmung bewegt er sich beständig vorwärts anf seinem blauen Pfade, durch die wechselnden Jahreszeiten nnd unter dem veränderlichen Wetter. Langsam, wie er in lange vergangenen Zeiten aus den breiten Gewässern emporstieg, sinkt er in sie zurück. Er ist in der That ein erhabenes Symbol des Gesetzes, — ein Denkmal des langsamen Wechsels der Zeiten, älter als die ägyptischen Pyramiden oder der Obelisk von Heliopolis. Seine Krystalle waren schon lange Thautropfen und Schneeflocken, ehe das Menschengeschlecht in Eden geboren ward. Der Gletscher, auf welchem ich zum Ner äo Alaoo hinaufstieg, liefert zu der Beschreibung, wie ich sie eben von dein Wachsthum und der Bewegung gegeben habe, eine schöne Grlänterung. In einem beständig fließenden Strome vom Nor d<3 glaoo herabkommend, hat er endlich zehn Meilen weit das ganze Thal ausgefüllt, in welchem er liegt, und seine vorderste Wand, die, wie schon oben gesagt, eine Meile breit, ist jetzt noch zwei Meilen vom Meere entfernt. Die Winkel und Messungen vom October 18tt0 wurden, wie ich später zu erläutern Gelegenheit haben werde, im Juli 1861 wiederholt, und das Ergebniß zeigte, daß das Vorrücken des Gletschers jährlich über hnndert Fuß betrügt. Daraus wird man ersehen, daß noch mehr als hundert Jahre vergehen werden, ehe die Vorderwand des Gletschers am Meere anlangt, und da er sechs Meilen zurücklegen muß, ehe er tiefes Wasser erreicht, so werden wenigstens fünfhundert Jahre verstreichen, ehe er einen Eisberg von irgend beträchtlicher Größe entladet. Die Bewegung geht bei diesem Gletscher viel schneller als bei anderen, die ich untersucht habe. Von „Meines Bruder John's Gletscher" ausschlüpft der Nand des Nor äe ^laoe hinter den hohen Bergen im Rücken von Port Foulte herum und kommt oberhalb Cap Alexander in einem ausmüudenden Gletscher znm Meere herab. Dieser hat eine Vorderwand von zwei Meilen und von ihm reißen sich einige kleine Eisberge los. Nachdem es dann Cap Alexander umschlossen, das es mit dem Arme eines mächtigen Niesen unischlingt, kommt es auf 124 Das U«i' o«. der Südseite desselben wieder in's Wasser, Von da setzt es sich in einer Reihe breiter nnd unregelmäßiger Krümmen nach Süden fort, nnd dnrch jedes Thal der grönländischen Küste vom Smith-Sund bis Cap Farewell und von Cap Farewell auf derSpitzbcrgcn'schen Seile nach Norden bis zur entlegensten Grenze, oic erforscht worden ist, ergießt sich aus diesem großen Binnensee von Eis ein gefrorener Flnß. Nordwärts von „Meines Bruder Iohn^s Gletscher" macht es im Hintergrunde der bisher erwähnten Berge eine breite Krümme nnd liegt dem Van Nensselaer Hafen gegenüber, wo, wie oben gesagt, Mr. Wilsen und ich es erreichten, fünzig bis sechzig Meilen vom Meer. In dieser Richtung erscheint es zuerst auf der Küste an: obern Ende vom Smith-Sund, in dem großen Humboldt-Gletscher, dessen Breite man auf sechzig Meilen schätzt. Jenseits desselben dringt es in Washington^and ein nnd erstreckt sich von da in die Region des Unbekannten. Zwölftes Kapitel. Mine Kajüte. — Vermessung, - Ueber den Scorbut. Die Gesaliren, kalten Schnee zu essen, — Castor und Pollux. Frostflcckcn, — Knon und Stan, — Hans, Peter lind Jacob wieder. —Kohlcu-Conw, ^ Die Feuer. — Behaglichkeit unserer Quartiere. — Das Haus aus dem Verdeck. — Wilde Witterung. - Jensen, — Frau Hans. — John Willianis, der Koch, — Ein fröhlicher Abend. Nachdem ein gesunder Schlaf die Müdigkeit von den Strapazen der Gletscherreise einigermaßen beseiligt hatte, ging ich wieder an mein Tagebuch i Den 2^. October. Ich bedaure es nicht, daß ich wieder in meiite tranliche kleine Kajüte zurück bin. Vorher wußte ich nie, was für eine gemüth' liche Heiniath ich inmitten dieser arktischen Wildniß habe. Um die Annehmlichkeiten derselben richtig zn würdigen, mußte ich erst einige Tage anf dem ssise nnd einige Nächte im Zelte zubringen, ^ch hatte schon angefangen, sie als eine dnnkle, dumpfe Zelle zu betrachlen, die für einen Verbrecher passe. Jetzt ist sie ein wirklicher „Ruheplatz des Müden", eine Oase in der Wüste, ein Hafen im Smrm. Die hellen Strahlen des „schönängigcn Ull-ssrin" waren für den liebegefcsselten Ossian kein erheiternderer Führer, als der Schimmer dieser Kajüten-Lampe für mich, während ich in letztvergnngener Nacht aus der Kälte lain und über die Schnee-wüste trollte. Die Vorhänge, welche das umschließen, was am Tage mein Sofa und in der Nacht mein Bett ist, haben ein glänzenderes ^armosiu bekommen. Die Wolfs- nnd Bärenfelle, die das Sofa 426 Meine Kajüte. und den Fußboden bedecken, nm meine Füße vor dein Frost zu schützen, der von unten kommt, sind enschieden lnxnriös; die Lampe, voil der ich glaubte, sie brenne mit einer matten Flamme, ist im Vergleich zn dein, was sie war, ein wahres Drummond'sches Licht; die Wanduhr, die mich mit ihrem unaufhörlichen Ticken zn belästigcu pflegte, macht jetzt eine reizende Musik; die Bücher, die an allen möglichen Orten umherstecken, scheinen wiedergefundene verlorene Freunde zu sein. und die kleinen Bilder, die rings herum hängen, wo nnr irgend Platz ist, scheinen mich mit einer Art theilnehmender Heiterkeit anzulächeln. Nollcn von Landkarten und unvollendete Skizzen, Papierschnitzcl, Bücher aller Art, darunter verirrte Bände des Pfennig-Magazins'-) und Soner's Grnndsätze der Kochkunst, **) Zeichnengerälhschaftcn, Varometerfutterale, Abschriften aus den blauen Büchern der Admiralität, die Berichte der Commission für arktische Forschung enthalten, Seekarten von den Bahnen aller derjenigen britischen Helden, von Roh bis Nae, die Sir John Franklin suchten, bedecken den Fußboden, uud anstatt mich durch ihre Gegenwart zu belästigen, wie sie es früher thaten, sehen sie aus, als wollten sie mir einen stillen nnd erquickenden Genuß bereiten. Mein kleiner Taschcnsextant und Compaß, die an ihrem gewöhnlichen Holznagel hangen, meine Büchse, Flinte, Pulverhorn nnd Tasche, die sich, mit einer Neiscflasche dazwischen, an den ihrigen befinden, unterbrechen den weißen Raum auf der vor mir stehenden Gewelina/"^) nnd scheinen ihre besondere Sprache zu reden. Mein guter und trener Freund Sonntag sitzt mir gegenüber am Tische und liest. Ich schreibe, in meine Pelze eingenistet, während mein Tagebuch auf dem Schooße liegt, und wenn ich diese Nacht mit der Nacht auf dem Gipfel des Gletschers vergleiche und jetzt auf den grimmigen Wind lausche, der über das Deck und durch das Takelwerk heult, nnd denke, wie dunkel und düster dranßcn Alles ist, nnd wie hell und heiter Alles hier unten, so glaube ich, daß ich eben so viel Ursache habe, dankbar als znfrieden zu sein, was diesmal wenigstens wirklich der Fall ist. Sonntag hat nur einen Bericht gegeben über das, was er in meiner Abwesenheit gethan hat, und ebenso McCormick. Mit Jensen *) Penny Cyclopaedia. **) Principles of Cooking. ***) (Sine Ouevtoanb (©djott) im ©d?iffe. Slum. b. Hefccrf. Vermessung. — Ueber den Scorbut. 427 habe ich cm Gespräch über die Jagd gehabt. Mit den Ofsicicren habe ich zu Mittag gespeist, lind Alles geht „lustig wie ciue Hoch-zeitsglocke." Meine Begleiter auf dem Ausfluge haben sich von ihrer Müdigkeit wieder erholt, und die Fußreise scheint ihnen Nichts geschadet zu haben, diejenigen ausgenommen, die Frostflecken bekamen ; diese sehen ziemlich betrübt aus. Von ihren Schiffsgcfährtm erhalten sie wenig Trost. Ich freue mich sehr darüber, daß während meiner Abwesenheit Alles so gnt gegangen ist. Sonntag ist zweimal an: Gletscher gewesen, hat die Vermessung vollendet und einige geistreiche Skizzen gemacht. Nnch hat er anf einer genau gemessenen Stand-linic anf dein Eise der äußercu Vai eine werthvolle Arbeit ans^-geführt. Diese Standlinie ist 91M Fuß lang, und seine trigonometrischen Mcssuugcn geben folgende Entfernungen von der West-spitze der Starr-Insel: Nach Cap Alexander 8 Seemeilen. „ „ Isabella 31, „ ,, Sabine 42 „ Meine Befehle in Betreff der Jagd wurden genan befolgt, nnd unsere sich schnell anhäufenden Vorräthe von frischer Nahrung haben sich stark vermehrt. Das macht mir große Freude. Die Erfahrnng, die ich bei Or. Kane gemacht, hat nnch zu der Ueberzeugung gebracht, daß der Scorbut, der bis jetzt den arktischen Neiscnden so oft verderblich wnrde, sich durch einen reichlichen Ge-nnß frischer animalischer Kost leicht vermeiden läßt, und obwohl ich einen hübschen Vorrath von in Büchsen verwahrtem Fleisch und eine gute Nation frischer Gemüse habe, so möchte ich doch nicht ganz von ihnen abhängen, nnd um mich doppelt zn sichern, habe ich feine Mühe gespart, mir alles Wild zn verschaffen, das wir bekommen können. Ich habe daher immer ein gut organi-strtes Corps Jäger gehabt, dic von jedem andern Dienst frei sind, und gedenke in dieser Weise fortzufahren. Der Erfolg hat bis jetzt gezeigt, daß mein Plan richtig ist. Eine gesundere Schiffsmannschaft könnte man sich nicht wünschen. Es ist noch kein einziger Fall von Krankheit vorgekommen. Ich glaube nicht, daß unter ineinen Begleitern der Seorbut auftritt, und bin fest überzeugt, daß in Port Fonlke Menschen unendlich lange leben könnten,' ohne von dieser „furchtbaren Geißel der arktischen Zone" geplagt zu werdeu. Ich verlasse mich jedoch nicht ganz auf dic 128 Castor und Pollux. Jäger. Die geistigen Gefühle haben allenthalben viel mit der Gesundheit zu thun, und bei der besten Nahrung von der Welt wird Unglück mehr als das Herz krank machen. Ich für meinen Theil würde es gegen den Scorbut eher mit Gemüse und Liebe versuchen, als mit Haß nnd gemästeten Ochsen. Glücklicherweise ist meine Schiffsmannschaft eben so einträchtig nnd glücklich als gesund, und wenn sie nicht so bleibt, wird es nieine Schuld sein. Unser Wildpret-Verzeichniß summirt sich, nach Knorr, der das Buch führt, folgendermaßen! Rennthiere: 74, Füchse: 21, Hasen: 12, Seehunde: 1, Eidergänse: 14, vovekiss: «, Alken: tt, Schneehühner: 1. Hierin ist Alles enthalten, was von Anfang an Bord gebracht wurde. Außer diesen wesentlichen Beiträgen zn unseren Wintervorräthen sind noch einige zwanzig bis dreißig Rennthiere an verschiedenen Orten in Löchern verborgen, die wir einbringen können, wenn es uns beliebt. Die stärksten Eonsumen ten sind die Hnnde. McEormick hat Schmerz im Hals nnd eine geschwollene Zunge; dies rührt vom Schnee-Essen her. Er verließ mich am Gletscher, um zum Schiff zurückzukehren, nnd da er unterwegs Durst bekam, fing er an Schnee zu essen, um denselben zu stillen, ohne daß er die üblen Folgen kannte, die es möglicherweise haben könnte. Die Wickung war eine solche Entzündung der Schleimhaut, daß am Ende der Durst immer größer wnrde, je mehr er das Verlangen befriedigte. Zuletzt wnrde das Athmen schwer nnd schmerzhaft, und er kam ganz erschöpft auf dem Schiffe an. Es ist eine gute Lehre für die Schiffsmannschaft, und jedenfalls für mich tröstlicher, als für den Leidenden. » Dm 2N. October. Ich ging hente mit Herrn Sonntag zu seiner Standlinie und nahm einige weitere Messungen vor. In dieser Richtung gibt es ein Paar ungeheure Eisberge, die ich „die Zwillinge" genannt habe. Sie steigen majestätisch am dunklen westlichen Himmel empor. Castor trägt sein Haupt 2,W Fuß über dem Meere, nnd Pollur ist, obgleich uou kleinerem Umfange, noch siebcnzchn Fuß höher. Am Abend haben wir, nachdem wir unsere gewöhnliche Partie Schach gespielt, über einige weitere Fcldzugsvläne gesprochen. Ich habe eine Fahrt in die Gegend des Humboldt-Gletschers, Sountag eine nach dein Van Rensselaer Hasen vor. Es ist wichtig, daß der Frostflecken. 129 Meridian des letztgenannten Ortes mit demjenigen von Port Foulke in Verbindung gebracht wird. Für jetzt überlasse ich es Sonntag, und er bricht übermorgen auf, wenn die Witterung es erlaubt, — eine Bedingung, die bei diesem stürmischen Orte besonders nothwendig ist. Es ist uns nur noch wenig Tageslicht ge-, blieben, aber der Mond ist voll und wird der Gesellschaft wahrscheinlich als Führer dienen. Heute um drei Uhr war auch nicht der matteste Streifen von Licht zu sehen. Den 30. October. Sonntag ist reisefertig. Kr wird zwei Schlitten und Jensen und Hans als Kutscher nehmen. Sie haben sich auf eine siebentägige Abwesenheit bereit gemacht. Ich habe Sonntag seine Ausrüstung sich selbst besorgen lassen, ohne mich hinein zu mischen. Er hat sie, glaube ich, etwas beschwerlicher gemacht, als er sollte, — ein wenig zu viel zur persönlichen Bequemlichkeit mitgenommen, das ihm znr Last fallen wird. Das Reisen in dieser legend wird durch sehr strenge Gesetze beherrscht nnd bei der Wahl der Ausrüstung ist Einem nur sehr wenig Spielraum gelassen. Es giebt wahrscheinlich keinen Ort in der Welt, wo der Reisende sich die kleinen Dinge, die zur Bequemlichkeit dienen und so viel zur persönlichen Zufriedenheit beitragen, so vollständig versagen muß. Auf dem Schiffe kann er seinen Geschmack an Luxus befriedigen, so weit es seine Mittel erlauben; wenn er sich aber auf die Eisfelder und den Hundeschlitten begiebt, muß er sich zu harter Kost herablassen und darf Nichts bei sich führen, als was durchaus nothwendig ist, um das Leben zu erhalten, und dies ist blos Fleisch, Brod und Kaffee oder Thee, wenn er diesen vorzieht. Der Schnee muß ihm als Bett dienen, und seine einzige Decke muß das sein, was gerade hinreicht, ihn vor dem Erfrieren zu bewahren. Feuer kann er nicht haben, außer der Lampe, die nothwendig ist, sein Essen zu kochen, und wenn er friert, muß er sich durch Bewegung erwärmen. Auf meiner letzten Neise nach dem Gletscher hatte ich als Brennmaterial nur drei Quart Alkohol und eben so viel Ocl bei mir, und dies wurde nicht Alles gebraucht. Ich ging diesen Morgen in den Schiffsraum, um nach meinen Gefährten auf der letzten Neise zu sehen. Sie sind Alle von ihreu kleinen Frostflecken wieder genesen, außer Christian, dessen Nase Hayes, Do« osfene Polar Meer. 9 ^l,^s> Knorr und Ttarr. so dick wic eine Faust und so roth wie eine rothe Nübe ist. Die Spötteleien feiner Backsmaaten ^) nimmt er gutmüthig hin. Knorr ist jedoch in der Nasengegend fast eben fo schlimm daran, wie Christian, hat aber sonst weiter keinen Schaden gelitten. Die Nase ist in der That für den arktischen Reisenden ein recht unbequemes Ding, denn sie besteht daranf, sich bei jeder Gelegenheit bloß zu stellen, und steckt man sie unter eine Maske, so rächt sie sich dadurch, daß sie unter ihr der Fenchtigkeit des Athems schmeichelt, so daß in Zeit von einer Stnnde der angebliche Beschützer ein schlimmerer Feind wird, als der Wind selbst. In einem Weilchen ist die Maske nur ein Klumpen Eis. Mein jugendlicher Secretär hat sich, beiläufig bemerkt, auf der Fußreise rapfer gehalten. Ich hätte ihn nicht mitgenommen, wenn er nicht beständig und dringend darum gebeteu hätte. Es scheint nicht viel Leben in ihm zu sein, aber er hat Eonragc, und das ist ein vortreffliches Ersatzmittel; das hat ihn bis jetzt dnrchgebrachl. Meine Freunde fagten mir, ehe wir die Heimath verließen, ich brächte ihn nnnöthiger Weise in ein recht kaltes Grab; aber er scheint nicht geneigt, ihre Weissagung zu erfüllen, nnd wird wahr scheinlich mit dem stärksten Matrosen der Mannschaft Eours Hal-ten. Er ist erst achtzehn Jahre alt nnd außer Starr, der ungefähr dasselbe Alter hat, das jüngste Mkglicd meiner Gesellschaft. Auch er ist ein muthigcr nnd brauchbarer jnngcr Manu. Er kam gegen meine Abficht mit in die Reisegesellschaft, aber ich bedaure es durch aus nicht. Euthufiastifch für eine arktische Reise begeistert, erbot er sich freiwillig, in jeder Eigenschaft mit mir zu gehen, nnd da ich in der Kajüte keinen passenden Raum für ihn hatte, sagte ich ihm, er könne in's Vorderkastel gehell, ohne mir trämnen zn lassen, daß er mein Anerbieten annehmen werde; aber wahrhaftig am nächsten Tage zeigte er sich in Matrofenklcidcrn. Sein feiner Ea-storhut, seiu glänzender Tuchrock und seine lackinen Tanzschuhe hatten der Mütze, dem rothen Hemd und den Seestiefeln Platz gemacht, und als ich an Bord kam, fand ich den verwandelten Jüngling, der noch knrz zuvor ein eleganter junger Herr war, mannhaft bei der Arbeit. Ich bewunderte seinen Eifer, beförderte ihn auf der Stelle und schickte ihn hinter znm Eapitän, — das Beste, was ich für ihn thun konnte. *) Tischgenossen. Hans, Peter und Jacob. 134 Die Rivalität zwischen Haus und Peter wird immer stärker. Meine Sympathien ssehören dem Letzteren, und ich habe ihm heute einen wirklichen Beweis davon gegeben. Bis jetzt war Hans mit Sonntag's Gespann betraut und hat es ziemlich viel nach seinem Belieben benutzt; da er aber diesen Morgen abwesend und Ieu-sen nach einigem Wildpret ausgegangen war, so ließ ich mich von Peter nach dem unteren Gletscher fahren, wo ich einige Skizzen machen wollte. Dies hat, wie es scheint, Hansens Zorn gegen den armen Peter erregt; Jensen meldete es mir in gebührender Weise, und ich habe daher Hans die Hunde abgenommen und sie unter Peter's ausschließliche Aufsicht gegeben. Eo ist der eine Wilde vergnügt und der andere mißvergnügt; hoffentlich werden wir aber seinen Zorn nicht öffentlich zu scheu bekommen, denn ich habe ihm eine Vorlesung über die schlimmen Folgen gehalten, die es für ihn haben würde, wenn er fchlechte Laune zeigt, au die er jedenfalls denken wird, — doch werden seine Gedanken eben so wahrscheinlich auf Böses als Gutes gerichtet sein. Jensen sagt mir, „sie hätten Freundschaft geschlossen," was offenbar Unheil bedeutet. Hans scheint noch denselben Geist zu habcu, durch den er sich auszeichnete, als er auf der „Advance" war. Sein Charakter hat sich nnr wenig geändert, und sein Gesicht zeigt noch dieselben Züge wie früher, — dieselbe sanfte, geschmeidige Stimme, dasselbe schlaue kleine Auge, dieselbe garstige Gesiunung. Ich habe sehr wenig Vertraueu zu ihm; aber Sonntag hat ihm seine Guust zugewandt und zieht ihu als Hundetreiber Jansen weit vor. Peter dagegen ist ein stiller, bescheidener Bursche, und stets bereit und willig, Alles zu thun, was von ihm verlangt wird, selbst von Seiten der Matrosen, mit denen er sich viel abgiebt, und da er sich überall gutmüthig zeigt, so wird ihm natürlich zuweilen Alles aufgebürdet. Jacob ist Peter's Bruder und bleibt das Stichblatt des Vordcrkastels. Die Leute haben mit ihm einen Vertrag geschlossen, und dieser wirkt, so viel man Hort, zur Zufriedenheit. Er muß ihre Schüfsein aufwaschen, und sie müsseu ihm dafür die Brocken geben, die von ihrem Tische fallen. Davon wird er immer fetter, nnd das Gehen wird ihm jetzt schwerer als je. Im Vorderraum ist ein Balken, nur dritthalb Fuß vom Boden, über den er nicht mehr steigen kann. Seine Anstrengungen, unter demselben hinwegzukriechcn, hat man nicht unpassend mit 9* 1^3 KohlewCouto. denen eines Seehunds verglichen, wenn er um sein Luftloch herum über das Eis watschelt. Mr. Wardle's fetter Junge war nicht nnförmlicher als er, und er theilt auch, wie jenes vollblütige Geschöpf, seine Zeit zwischen Essen und Schlafen. Seine Backen sind in höchst lächerlicher Weise aufgeblasen, und er entspricht überhaupt ganz der Beschreibung von Mirabeau'Z corpulentem Bekannten, der blos zu dem Zwecke erschaffen zu sein schien, zu zeigen, bis zu welchem Grade sich die menschliche Hant ausdehnen kann, ohne zu platzen. Der vollziehende Officier sagt mir, er habe ihn dieser Tage auf das oberste Deck gefchickt, um ein paar Nennthiere zurecht zu machen; nachdem er aber so weit vorgeschritten, bis ein verlockender Bissen sich zeigte, habe er in seiner Arbeit Halt gemacht, von dem halbgefrorenen Fleische ein Stück abgeschnitten, und sei einige Zeit darauf zwischen dcn zwei todten Thieren in festem Schlafe gefunden worden, während der letzte Rest seines Leckerbissens ihn« von den Lippe» baumelte. Den 1. November. Der neue Monat stellt sich mit Sturm ein. Die Reisenden hätten heute aufbrechen sollen, aber ein wüthender Sturm halt sie am Bord zurück. Wir sind heilte drei Tage über den Vollmond hinaus, und wenn sie noch sehr lange warten müssen, werden sie znr Neise kaum Licht genug haben. McEormick und Dodge haben zwischen dcn Eisbergen Castor und Pollnr eine Barenfalle aufgestellt. Es ist eine ungeheure Stahlfalle, mit Wildpret geködert und mit meinem besten Eisankcr befestigt. Mich dauert das arme Thier, das mit dem Fuß hinein ^ geräth. Ich habe soeben unser Kohlen-Eonto durchgesehen und den täglichen Perbranch für den Winter festgestellt. Wir haben vierunddreißig Tonnen am Bord und unterhalten nur zwei Feuer. In den Kombüsen-Ofen, der im Schiffsraum steht, gehen täglich dritthalb nno in die Kajüte anderthalb Pütsen voll; bei diesem Verbrauch an Brennmaterial leben die Leute in behaglicher Wärme, rochen ihr Essen und Trinken und schmelzen aus dem Eise einen reichlichen Wafseruorrath. Das Eis, das von der hellsten und reinsten Beschaffenheit ist, kommt von einem kleinen Eisberge, der etwa eine halbe Meile weit in der Mündung des Hafens eingefroren ist, III meiner eigenen Kajüte habe ich keinen Ofen, die Das Haus auf dem Verdeck. 433 ganze Hitze, die ich brauche, kommt aus dem Officier-Ofen quer über die Kajütentreppe durch die Riegel meiner Thür zu mir. Die Temperatur, in welcher ich lebe, steigt uud füllt zwischen 40" und 60" F, s3n,55 und ^2",4b R.), und zwischen meinen Pelzen ver-lungere ich die Stunden, die ich nicht draußeu verbringe/ so warm und behaglich, als ich es nur wünschen kann. Etwas von meiner Behaglichkeit verdanke ich jedoch der übermäßigen Hitze im Officier-Quartier. Die Temperatur ihrer Kajüte steigt zuweileu bis auf 75« F. (19^,11 R.), und ist selten niedriger als 60" F.; zu Zeiten sind sie wirklich wie gebraten. Unsere Quartiere sind von Feuchtigkeit durchaus frei lind werden gut gelüftet. Ein Theil der l^roßlnke über dem Quartier der Mannschaft ist immer offen und die Springluke an der Kajütcntreppc wird selten geschlossen. Da diese Lüftung durch das Haus auf dem Deck geschieht, so wird letzteres in einem ganz behaglichen Wärmegrad erhalten und ist ein sehr passender Vermittler zwischen dem untersten Deck und der äußeren Luft. In diesem Hause wird diejenige Arbeit verrichtet, die sich unten nicht machen läßt, und bei dem düstern Lichte der Signallampe, die am Giekbaum hängt, kann man dort zu jeder Seit eine bunte Gruppe Menschen, wie es gerade paßt, arbeiten oder spielen sehen. Nach vorn steht in der einen Ecke Hansens Zelt, durch dessen Schlitze der heitere Schimmer einer Lampe und das Wiegeulied einer Eskimo-Mutter driugt, die ihren „Hübschen" in Schlaf hätschelt. Auf der gegenüberliegenden Seite ist nnser Fleischerladen, wo eine Partie gefrorener Rennthicre aufgestapelt sind, wahrend Marcus und Jacob — die Fleischer — auf Absatz warten. Nahe dabei steht unsere Feldschmiede und der Amboß, wo McCormick ewig die heiße Asche bläst und auf, Niemand weiß, was schlägt, Dodge sagt! „Er schlägt die Zeit todt." Unter dem Fenster in der Mitte des Schiffs steht die Werkbank uud der Schraubstock des Zimmermanns, wo Christian, Jensen, Peter und Hans immer an einigen Jagd- oder Schlittengeräthen flicken, — während man auf dem Deck bunt uutcreiuauder gemischt die Offi-ciere uud Mannschaft ihre Pfeifen ranchen und nur darauf bedacht seheu kann, sich so wenig Anstrengung und so viel Vergnügen zu machen, als die arktische Nacht gestalten will. Von nnten dringt durch den Lukenweg ein heiteres Licht herauf und bringt manch' heiteres Lache,! mit. Um den Großmast herum steht nnser Flinten -gestell, und nahe dabei ist eine nette Ginrichtung von McCor- 134 Herr Jensen, mick's Hand, wo Jeder einen Holznagel für seinen Pelzrock hat, da wir diese Dinge wegen des großen Wechsels der Temperatur, der in ihnen Feuchtigkeit erzeugt, nicht mit hinunter nehmen. Den 2. November. Der Barometer, der gestern bis auf 29,58 sank, ist seitdem beständig gestiegen und steht jetzt auf 29,9«, giebt also ziemliche Sicherheit, daß der Sturm nach und nach zn Ende gehen und die Reisenden fortlassen wird. Der Sturm hat mit dem Eise wilde Wirthschaft gemacht, es aufgebrochen und so weit nach Südwest hinausgetricben, daß das offene Wasser sich nur zwei Meilen vom Schooner befindet. Die „Zwillinge" stehen gerade am Rande desselben, und lägen sie nicht auf dem Grnnde, fo würden sie wegschwimmen. Eine der Stationen von Sonntag's Standlinie ist fortgetrieben, und die Pärenfalle ist hinter ihr gefolgt uud hat nieinen schöum Eisanker mit fortgenommen. Merkwürdig, das lose Eis ist alles aus Sicht getrieben, nnd auf deu unglücklichen Wassern, die sich um Eap Alexander hernm durch die Dunkelheit wälzen und stürzen, ist kein Fleckchen mehr zu seheu. Die Temperatur war während dieses ganzen Sturmes sehr mild. Obgleich der Wind ans Nordost kam, so ist sie doch nie unter Null*) gesunken. Den 8. November. Die Reisenden sind endlich fort, nnd ich habe diesen Abend bis zehn Uhr vergebens auf ihre Rückkehr gewartet. Da sie offenbar um Eap Ohlsen herum gegangen sind, woran ich zu zweifeln einigen Grund hatte, so sehe ich nicht ein, warum sie ihren Bestimmungsort nicht erreichen sollten. Sie werden jedoch mit Spalten, die der letzte Sturm geöffuet hat, und mit bedeutenden kegelförmig zusammengetriebenen Gismassen zn kämpfen haben, nnd ich weiß kaum, wie Jensen mit dieser Art des Neisens fertig werden will. Schon schlecht genug für Leute, die daran gewöhnt sind, wird es für ihn eine schwere Prüfung sein. Er ist ein prachtiger Kutscher uud treibt seine Hnndc vortrefflich, wenn das Eis leidlich eben ist und der Schlitten mit den Hunden im Galopp schnell darüber hingleitet; aber sich durch Eishöcker und tiefe Schneewehen *) D. h. nicht unter —14«,^ R. Häusliches Glück. 135 hindurchzuarbeiten, — ivo man dcn Schlitten heben muß und oft umwirft, wo die Hunde beständig knurren, ihre Stränge verwickeln, in schlechte Laune gerathen nnd ein allgemeiner Kampf folgt, — das ist etwas ganz Anderes, und daran ist er nicht gewöhnt. Da durchzukommen erfordert eine fast übermenschliche Geduld, und wenn Jensen von dieser Reise mit einem guten Zeugnisse zurückkehrt, so ist mir in Zukunft nicht bange um ihn. Er ist ein kräftiger und handfester Mann, sechs Fuß laug und von gewaltigem Muskelbau. Die Kenntniß, die er sich bei einem achtjährigen Aufenthalt in Grönland von der Jagd, von der Eskimo-Sprache, die er wie ein Eingeborener spricht, und uon dem Englischen erworben, das er von den britischen Walfischfängern aufgeschnappt hat, macht ihn zu einem der nützlichsten Mitglieder meiner Gesellschaft. Die Leute haben fleißig Seehundsfclle zu Nocken, Hosen und Stiefeln zusammengenäht, um ihre Wintergarderobc zu vervollständigen. Sie haben sich viel Mühe gegeben, Frau Hans zu bewegen, diese Arbeit für sie zn verrichten, aber das faule Geschöpf weigert sich staudhaft, einen Stich zu nähen. Sie ist die Widerspenstigste ihres ganzen Geschlechts, glanbt von Nichts und von Niemandem abhängig zu sein, »nacht, wenn ihr Etwas nicht gefällt, ein grimmiges Gesicht und bekommt alle vierzehn Tage einmal den NapM, wo sie dann ganz bestimmt erklärt, sie wolle Hans nnd die weißen Manner für immer verlassen und wieder zn ihren Leuten gehen, Einmal machte sie den Versuch und lief, ihr Kind auf dem Rücken, in rasender Eile fort, nach Cap Alexander zu. Es hatte offenbar einen häuslichen Zank gegeben. Hans kam aus seinem Zelte, als ob Nichts vorgefallen sei und stellte sich l>n's Fenster, wo er gemüthlich seine Pfeife rauchte und sie auf die gleichgültigste Weise von der Welt beobachtete. Während sie fort-trippelte nach Süden zu, machte ich ihn auf sie aufmerksam. „Ja — mich sehen." „Wo geht sie hin, Hans?" „Sie nicht gehen. Sie wieder kommen — Alles in Ordnung." „Aber sie wird erfrieren, Hans?" „Sie nicht erfrieren. Sie bald wiederkommen, — Sie sehen." Er rauchte seine Pfeife weiter mit einem ruhigeil Gekicher, das deutlich sagte, wie gut er die Grillen seiner Geliebten verstand. 136 Ein fröhlicher Tag. Zwei Stunden später kehrte sie wirklich zurück, ganz demüthig und ganz durchkältet, denn der Wind blies ihr in's Gesicht. Da es Sonnabend ist, so sind die Matrosen einer um den andern am Waschstutz beschäftigt, um für den Sonntag einen reinen Anzug zu haben; denn an diesem Tage zieht selbst in diesem entlegenen Winkel der Welt Jedermann das Beste an, was er Hai, und bei der Musterung am Sonntag-Morgen bieten meine Leute eine sehr nette und achtbare Erscheinung dar. Bei dieser Gelegen^ heit wird von den Officieren sowohl als von der Mannschaft die graue Uniform getragen, die ich als Parade-Uniform angenommen habe. Jeder Ofsicier hat einen Matrosen zur „Waschfrau;" auch ich habe den meinigen, und Knorr hat mir soeben die ermmhi-gendstm Mittheilungen von seiner Geschicklichkeit gemacht, und als Beweis derselben fand ich, als ich von einer Fußreise nach dem offenen Wasser (wo ich einige Temperatur-Beobachtungen gemacht hatte) aus dem Mondschein hereinkam, auf dem Tische ein mit Gau de Cologne besprengtes, gut gestärktes nnd hübsch geplättetes Vattist-Taschentuch. Der Tag scheint aus dem einen oder andern Grunde für Jedermann besonders heiter und fröhlich gewesen zu sein, und die Fröhlichkeit geht noch fort in den Abend hinein, Ich denke mir, unser alter Koch ist bei ungewöhnlich guter Laune gewesen, und dies hat ohne Zweifel Etwas dazu beigetragen. Ich für meinen Theil muß anerkennen, daß er eine gewaltige Kunst besitzt, auf die geistigen Gefühle einzuwirken. Mein Gang nach den: offenen Wasser war kalt und ermüdend. Ich wollte gern so weit hinaus kommen, als ich konnte, sprang daher über die losen Gisptatten und erreichte einen in der Nähe der „Zwillinge" stehenden Eisberg, auf welchen ich stieg. Ich grub ein Loch in denselben und fand, daß er eine Temperatur hatte, die nur 8" F. (3",5« R.) niedriger war als die Temperatur des Wassers, in welchem er schwamm, die 29" F. (—1«,34 N.) betrug. Ich kletterte so schnell als ich konnte auf das feste Eis zurück, denn die Ebbe und der Wind, die stark vom Lande herkamen, sahen ganz darnach aus, als beabsichtigten sie, das Floß aufs hohe Meer hinaus zu führen. Um wieder auf den Koch zu kommen! — Ich war bei meiner Rückkehr dazu aufgelegt, einem mit Iohannisbeergelöe garnirten Lendenbraten von Wildpret, der auf mich wartete, und bei dessen Zubereitung der Koch offenbar seine ganze Kunst erschöpft hatte, John Williams, der Koch. 137 volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und später machte Kuorr mit meinem Alkohol-Ofen eine Tasse aromatischen Mokka für mich. So kann man sein Vergnügen selbst da finden, wohin Bacchus und Cupido nicht zu kommen geruhen. Dies ist offenbar die Gegend, in welche Apollo freiwillig wanderte, nachdem er durch den Nathschluß der olympischen Götter verbannt worden war, und wo nach den Träumen der griechischen Dichter die Menschen im Oenuß aller möglichen Glückseligkeit ein unglaubliches Alter er reichten; ich muß aber offen gestehen, daß ich bezweifle, ob der verbannte Gott weife gehandelt, da die Sage Nichts von einem Schooner erwähnt und ich finde, daß man in diesem Wohnsitz des Boreas vor letzterem selbst ziemlich scharf auf seiner Hut sein muß, — ungeachtet die Dichter das Gegentheil behaupten. Der Koch brachte mir das Essen selbst. ,,Ich denke, der Commandant essen dies gern," sagte er, „Wenn Sie aus der Kälte kommen/' „Ja, Koch, es ist wirklich superb. Nun, was kann ich für Euch thun?" „Ich dank' Ihnen, Sar! Ich denke, wenn der Commandant l>ur wollten so gütig sein, mir einen reinen Hemd zu geben, ich würde sehr dankbar sein. Sie sehen, der sein sehr schmutzig, lind lch bekomme keine Zeit, ihn zu waschen." „Gewiß, Koch, Sie sollen zwei haben." „Ich dank' Ihnen, Sar!" - Er bückt sich halb nieder, worunter er eine Verbeugung versteht, und geht wohlvergnügt zu seinem Ofen und seinen Kupfergeschirren zurück. Unser Koch ist ein ganz eigenthümlicher Mensch. Er ist bei weitem der älteste Mann auf dem Schiffe und das sonderbarste Gemisch entgegengesetzter geistiger Eigenschaften, das ich je gefunden habe. Er rühmt sich, daß er, seitdem er Boston verließ, nie von, Schiff gekommen sei. „Wozu soll ich an's Land gehen?" sagte er eines Tages zu einigen Officiercu, die ihm die Wunder desselben erzählten. „Mich an's Land gehen! Das Land seiu recht guter Ort, die Gemüse zu baue», aber es seiu kein Ort, sich aufzuhalteu. Ich geht uic an'Z Land, wenn ick/s vermeiden kann, und so es meinem himmlischen Vater gefallen, werden ich'Z nie thun." Ich habe eine Stunde des Abends recht angenehm mit den Dfficiereu in ihrer Kajüte verbracht, habe mit Knorr meine gewöhnliche Partie Schach gespielt und werde mich nun, nachdem ich für 138 Ein vergnügter Abend. heute mit diesem Tagebuch fertig bin, in mein Nest von Pelzen wickeln und in Marco Polo von jenen Theilen der Welt lesen, wo die Menschen ohne alle Anstrengung leben, den Nutzen der Bärenfelle nicht kennen und am Fieber sterben. Nlles erwogen, tann unser Loos in Gegenden fallen, die noch weniger anmuthig sind als die Mitte des arktischen Wintcl's. Dreizehntes Kapitel. Zunehmende Dunkelheit. ^ Tägliche >Lebens- und Geschäftsordnung, Da5 Tagebuch. — Unserc Hemiath, — Der Sonntag, - Sonntag's Rückkehr, ^ Eine Bärenjagd. — Das offene Wasser. — Mr. Knorr fällt in's Wasser, - „Port-Fmlller Wochenblatt." - Der Unchmesser. - Das Fencrloch. — Fuchsjagden. — Peter. Die stetig zunehmende Dunkelheit zwang uns immer mehr, zu Hause zu bleiben. Wir hatten jetzt kaum noch anderes Licht, als das, welches der Mond nnd die Sterne spendeten. Die Jagd wurde nicht ganz aufgegeben, aber der Stunden, in denen wir sehen konnten, waren so wenige, daß sie Nichts mehr eintrug. Die Dunkelheit der Nacht hatte sich in die Thäler gelegt und war die schroffen Berge hinanfgekrochen. Da die Finsterniß völlig auf uns lag, so konnten wir jetzt kaum etwas Anderes thun, als durch dieselbe dahinleben und den Frühling erwarten, wo wir der Rückkehr zu einem thätigen i/eben und dcr Erfüllung derjenigen Pflicht ten entgegensahen, um dcrctwillen wir die Ncise unternommen hatten. Die Art und Weise unseres Lebens will ich, weil sie einen Theil der Geschichte der Expedition ansmacht, ans meinem Tagebuch mittheilen. Den l>. November, Unser Leben hat sich in eine ganz systematische Ordnung hineingearbeitet. So lange das Sonnenlicht währte, waren unsere Gewohnheiten natürlich etwas unregelmäßig, aber jetzt sind wir in eine ganz bestimmte Methode hineingekommen. Wie wohlthuend ist es, von Verantwortlichkeit frei zu sein! Wie freundlich ist's von der Uhr, daß sie uns sagt, was wir zn thun haben! Die 14t) . Tagesordnung. Schiffsglockc folgt ihr durch die Stunden hin, nnd wir zählen ihre gellenden Töne und wissen dadurch genau, wie wir zu handeln haben. Die Glocke sagt uns, wenn es am Morgen halb Acht ist, und dann „stehen wir auf." Eine Stunde später frühstücken wir, und um Ein Uhr wird ein zweites Frühstück genommen. Um Sechs halten wir die Hauptmahlzeit und nm Elf löschen wir die Lichter aus und „legen nns nieder," — das heißt, Jedermann außer dem Verfasser dieses Tagebuches uud der „Wache." Nach der Hauptmahlzeit komme ich gewöhnlich mit den Officieren zu einer Partie Whist znsammeu oder spiele in meiner eigenen Kajüte mit Sonntag oder Knorr eine Partie Schach. Gin Tag unterscheidet sich nur sehr wenig vom andern. Radcliffe zeigt nur am Abend die Witterungstabelle, wenn er sie fertig hat; sie ist fast ebeu so eintönig, wie die Form der Uebcrreichung. Den täglichen Bericht über den Schiffsdienst erhalte ich von McCormick; er enthält aber Nichts, was besonders belebend wäre. Ich notire, was vorgeht, in dieses umfangreiche Tagebuch, — theils um des Nutzens willen, theils aus Gewohnheit, theils zur Beschäftigung. Der Stand des Magnetometers, der Barometer und Thermometer, des Fluthinessers ^), die Beobachtung der Zunahme des Eises nnd alle ähnlichen Dinge, deren Kenntniß von Nutzen ist, finden auf den Seiten desselben eine Stelle; aber etwas Neues kommt selten vor, und wenn es kommt, so mache ich ihm gegenüber eine Randbemerkung, damit ich dasselbe von Zeit zu Zeit heraussuchen kann, wie man ein glückliches Ereigniß aus dem Gedächtniß hervorsucht. Der Schiffsdienst geht folgendermaßen von Statten: Nach dem Frühstück „geht" die Mannschaft unter Dodge's Leitung „daran," räumt die Verdecke auf uud putzt und füllt die Lampen; eine Abtheilung geht zum Eisberge und holt unsern täglichen Wasserbedarf. Dann wird nach dem Feuerloch gesehen, die Hunde gefüttert, das für den Tag bestimmte Quantum Kohlen abgemessen, die Vorrathskammer aufgeschlossen und die Rationen ausgegeben, und ehe noch die Zeit des zweiten Frühstücks herankommt, sind die Arbeiten des Tages abgemacht. Nach dein zweiten Frühstück nehmen ivir zur Bewegung einen Spazicrgang vor, und ich habe es zur Negel gemacht, daß Jeder, der nicht zwei Stunden gearbeitet hat, wenigstens eben so lange zu seiner Gesundheit spaziereu geht. *) 'I'iäL-i'ßAiZtßr. Unsere Heimath. 141 Ich für meinen Theil mache fast täglich eine Fahrt um die Vai herum, oder trolle über die Berge oder auf das gefrorene Meer hinans. Zuweilen nehme ich meine Büchse mit, in der Hoffnung, ein Ncnnthier oder vielleicht einen Bären zu schießen, aber gewöhnlich gehe ich nnbewaffnet und uubcgleitet, außer von einem muntern jnngcn Neufonndläuder Hunde, der sich des Namens „General" erfreut. Dies kleine Thier hat mit mir meine Kajüte Netheilt, seitdem ich Boston verließ, und stets auf den ausgesuch-testen Platz bestanden. Wir sind die besten Freunde geworden. Er weiß ganz genau, wenn nach dem Frühstück die Stunde zmn Ausgeheu kommt, und winselt ungeduldig an der Thür, und wenn er mich die Mütze und Fausthandschuhe vom Nagel nehmen sieht, ist sein Muck vollständig. Der kleine Kerl giebt einen höchst vor-lrefflichen Begleiter ab. Er belästigt mich nicht mit sinnlosem Geschwätz, sondern versucht alles Mögliche, sich angenehm zu machen. Ist er in gesetzter Stimmung, so spaziert er mit stolzer Gravität neben mir her; ist er aber anders gestimmt, so springt er in der wildesten Weise umher, — wälzt sich im Schnee, schleudert die weißen Flocken in den Wind und zerrt dann und wann an meinen großen Pelzhandschuheu oder am Schooße meines langen Pelzrocks. Aor einiger Zeit fiel er die Luke hinab und brach das Bein, und während dies heilte, vermißte ich ihn sehr. Ein gescheidter Hund giebt eine vortreffliche Gesellschaft ab. Ich fuche so sehr, als eine billige Rücksicht auf die Manns-zuchl gestatten will, die gesellschaftlichen Verhältnisse und Gebräuche der Heimath zu pflegen. Wir könne» zwar keinen Ball halten und entbehren die wesentlichen Elemente einer erfolgreichen Theegesell-Ichaft, aber wir leiden keinen völligen Mangel an denjenigen Gebräuchen, die in dem Lande, wo die Geliebten weilen, so viel von der rauhen Seite des Lebens wegnehmen. Und die Beobachtnng dieser kleineu äußereu Gebräuche befordert Glück und Frieden. Es giebt keinen Ort in der Welt, wo die Gewohnheiten einer uu-beschränkten Vertraulichkeit so viel Unheil aurichtcu, wie in der überfüllten Kajüte eines kleinen Schiffes, noch giebt es einen Ort, wo wahre Artigkeit ein so großer Segen ist. Kurz, ich versuche unseru Wiuteranfeitthalt so heiter als möglich zu machen, und wir werden m diefe „hölzerne Mauern" alle Helligkeit bringen muffen, die wir nur können, wenn wir nicht von der dranßen herrschenden Finsterniß überwältigt werden wollen. ,Ich wünsche, daß meine 142 Sonntag's Rückkehr, Leute immer fühlen, daß sie hier bei aller Beschwerde und allen Einflüssen der Witterung, mit denen sie zu kämpfen haben, einen heitern Schutzort gegen die Stürme finden und von ihren Strapazen ausruhen können. Der Sonntag wird so weit als möglich eben so gefeiert, wie wir ihn in der Heimath feiern würden. Um zehn Uhr halte ich, von dem vollziehenden Officier begleitet, eine Besichtigung jedes Theiles des Fahrzeugs und untersuche genau die Gesundheit, Gewohnheiten und Behaglichkeiten der ganzen Schiffsmannschaft, und unmittelbar darauf versammeln sie sich Alle im Ofsicicr-Quartier, wo ich ihnen einen Theil des Morgeugebetes vorlese; darauf folgt ein Kapitel aus dem guten Buche, das wir Alle gleich sehr lieben, wo wir auch sein mögen. Zuweilen lese ich eine von Blair's schönen Predigten vor, und wenn die Eßzeit lommt, haben wir das Bedürfniß, um Gottes weitere Fürsorge zu bitten, und wird es auch mit wenig Worten ausgesprochen, so wird es doch auf's Tiefste gefühlt. Den tt. November. Die Reisenden sind zurückgekehrt, und, wie ich fürchtete, ohne Erfolg. Sonntag hat mit mir gespeist und soeben die Erzählung der Abenteuer beendigt, die seine Gesellschaft erlebt hat. Die Neise war eine sehr schwierige. Es stellten sich ihnen hohe GiZhöcker, tiefe Schneewehen, offene Spalten, heftige Winde in den Weg, und dies sind Hindernisse, mit denen man nie ohue Gefahr, Strapaze uud Frostflecken kämpft. Sie hatten viel Mühe, aus der Hartstene-Bai zu kommen, da das Wassor bis zum Landeis hineindrang. Als sie aber einmal heraus waren, hatten sie die Küste hinauf eine leichte Fahrt bis zur Fog-Einfahrt, wo einer der Schlitten zerbrach und sie auf offene Spalten stießen, die sie nicht vassireu konnten. Nachdem sie den Schlitten, so gut als es ging, wieder hergestellt hatten, wendeten sie ihre Blicke heimwärts. Eine kurze Strecke oberhalb Cap Hatherton trafen sie die Fährte von einem Paar Bären; sie verfolgten dieselbe, holten die Thiere ein und erbeuteten sie. Es war eine Mutter mit ihrem Jungen. Sonntag hat mir eine lebhafte Schilderung von dieser Jagd gegeben. Die Bären wurden von: Rande eines Rückens kegelförmiger Eismassen aufgetriebcn, wo sie geschlafen hatten, und eilten Eine Bärenjagd. 143 sofort nach den etwa vier Meilen entfernten offenen Spalten hinaus. Sobald die Hnnde die Fährte entdeckten, stürzten sie anf ihr fort in die Gishöcker hinein, ohne zu warten, bis sie von ihren Treibern hingelenkt wurden, und ohne sich darnui zu bekümmern, ob die Schlitten und die Leute, die auf ihnen saßen, es aushalten würden. Die Eishöcker waren sehr hoch und die Durchgäuge zwischen ihnen holprig und voller Windungen. Hätten sich die Bären an dieselben gehalten, so hätten sie die Verfolgung vereiteln können deim das Vordringen der Schlitten wurde oft unterbrochen, und mnn konnte der Führte nicht immer folgen. Aber der Eisrücken war nicht über eine Viertelmeile breit und die Bären, die gerade quer über ihn setzten, zogen es offenbar vor, jenseits einer Spalte Sicherheit zn snchen, über welche sie schwimmen konnten. Der erste Etnrz in die Eishöcker hinein war ziemlich aufregend. Jensen's Gespann ging voran, und Hans, der Hintennach fnhr, schoß dicht an demselben vorbei, und die Hunde gcriethen bunt untereinander. Jensen's Schlitten wurde beinahe umgeworfen und Sonntag in den Schnee gewälzt; aber er war so glücklich, das Gehörn des Schlittens zu ergreifen und mit Hülfe desselben wieder auf seiuen Sitz zu kommen. Das verworrene Eis hielt die uugeduldigeu Hunde sehr anf und brachte sie mehrmals fast znm Stehen; aber ihre Begierde und die Energie ihrer Treiber siegten zuletzt über alle Hindernisse, und nach vieler Mühe tauchten sie endlich anf einer breiten und fast ebenen Fläche auf, wo sie das Wild zum ersten Mal erblickten. Durch den Verzug, den die Schlitten iu deu Eishöckern mach' ten, halten die Bären einen Vorsprung von einer vollen Meile bekommen, und es war nicht unwahrscheinlich, daß sie Has Wasser erreichten, ehe man sie einholen konnte. Die Hunde schienen die Gefahr so gilt zu begreifen wie die Jäger und machten sich mit dem ganzen wilden Instinct ihrer Natur an die Jagd. In Wuth ge. bracht durch den Aufenthalt und die Aussicht, die Beute zu verlieren, fegte das blutdürstige Nudel quer über die Ebene gleich einem Wirbelwind. Jensen und Hans ermuthigten ihre betreffen den bespanne durch alle die Künste, die der eingeborene Jäger kennt. Die Schlitten flogen völlig über den harten Schnee und prallteu über die Windwehen und die gelegentlichen Eisstücke hinweg, die über die sonst im Ganzen glatte Oberfläche hervorragten. 144 Gne Bärenjagd. Es war eine wilde Jagd. Die Hunde zeigten in ihrer Schnelligkeit und ihrem Gebell die ganze Ungeduld, die ein Nudel Jagdhunde im Angesicht eines Fuchses beweist, aber mit der zehnfachen Wildheit derselben. Als sie sich den Bären näherten, kamen sie Sonntag vor wie eben so viele Wölfe, die gegen einen verwundeten Büffel anrücken. In nicht ganz einer Viertelstunde hatte sich die Entfernung zwischen den Verfolgern und Verfolgten bis auf einige hundert Schritt vermindert, aber sie waren nicht mehr weit vom Wasser, — das den Einen Sicherheit bot, den Andern die Jagd verdarb. Während dieser ganzen Zeit wurde die alte Bärin durch das Jung» zurückgehalten, das sie offenbar nicht gern zurücklassen wollte. Das arme Thier war in Todesangst. Ihr Geschrei war zum Erbarmeu. Der kleine Bär trabte erschrocken und ängstlich all ihrer Seite hin, und obgleich er sie sehr am Fortkommen hinderte, so wollte sie ihn doch im vollen Anblick der Gefahr nicht im Stiche lassen. Furcht uud Mutterliebe schieneu abwechselnd ihren Entschluß zu beherrschen; aber sie hielt noch immer fest zu ihrem von ihr abhängigen Sprößling. Bald eilte sie vorwärts nach dem offenen Wasser zu, als ob sie uur auf ihre cigeue Sicherheit bedacht fei, — bald kehrte sie um und schob das sich abmühende Junge mit ihrer Schnauze fort, bald lief sie wieder uebeu ihm her, als wollte sie es durch Schmeicheleien zu größerer Eile er-muthigen. Mittlerweile stürzten ihre Feinde vorwärts und kamen der Beute immer näher. Die Hunde, die bei der Aussicht auf ein baldiges Zusammmtressen ihre eigene Müdigkeit vergaßen, preßten sich immer stärker in ihre Halsbänder ein. Der entscheidende Augenblick nahte rasch, und um die Verlegenheiten der Familie Petz noch zu vermehren, ließ der kleine Bär nach. Endlich waren die Schlitten nur noch fünfundsiebenzig Schritt von den sich abmühenden Thieren entfernt. Jetzt bog sich jeder Jäger nach vorn, ergriff das Ende der Keine, mit welcher die Stränge zusammengebunden und am Schlitten befestigt waren, und zog den Knoten auf. Die Schlitten blieben stehen, und die Hunde, von der Last befreit, die sie gezogen hatten, sprangen wüthend auf ihre Beute los. Die alte Bärin hörte das Rauschen ihrer kommenden Feinde, machte Halt und stellte sich dem Angriff entgegen, wahrend der Kleine erschrocken um sie herumsprang und dann' zwischen ihre Beine kroch, um sich zu schützen. Eine Bärenjagd. 145 Der alte und erfahrene Anführer Usisohk begann den Angriff. Die Königin Arkadik war dicht neben ihm, und die anderen zwanzig wolfsartigen Bestien folgten ihrer Schnelligkeit gemäß. Das furchtbare Geficht und das herausfordernde Gebrüll des in Wuth gebrachten Ungeheuers zertheilte die Koppel, und die Hunde Uefen nach Rechts und Links. Nur einer (ein Junger) stellte sich
R. „Port-Foulker Wochenblatt." 149 Mitten im Schiff steht mir ungeheure Pfnyr, nnd das tripv, triup, tnpp ist nichts weniger als angenehm. Mein Tagcbnch wird angehender, — zwei Neuigkeiten an einem Tage. Erst ein Thauwctter nnd dann eine Zeitung. Die freie Presse folgt der Flagge über die ganze Welt, nnd der Nordpol erfreut sich des „Port-Foulker Wochenblatts". Während der vergangenen Woche interessirte sich Zedermann sehr für ein Zeitungsnnternehmen, das den obigen Titel führt. In der Meinung, eine Zcrstrennng zn schaffen, die unsern Feind, die Dunkelheit, vernichten werde, schlug ich den Offteieren vor, ein Wochenblatt herauszugeben, nnd bot zugleich meine Unterstützung an. Der Vorschlag wnrdc mit Freuden begrüßt, nnd der Erfolg übertrifft meine höchsten Erwartungen. Mr. Dodge und Knorr übernahmen die Redaction, wenigstens für die erste Woche, und haben in der Kajüte und dem Vorderkastcl Alles gesammelt, was muthmaßlich anziehend ist, nnd sie haben viel Glück gehabt. Heute erschien die erste, Nummer; sie ist „reichhaltig" nnd bringt manche „seltene" und hübsche Sachen; das Beste kam znm großen Theil aus dem vordern Theile des Schiffs. Das Erscheinen des Blattes macht großes Aufsehen, und seine Vedentung in Rücksicht anf die Gesundheit läßt sich nicht hoch üenng anschlagen. Alle stehen durch das Unternehmen in der gespanntesten Erwartung, und seit mehreren Tagen ist fast über nichts weiter als über „das Blatt" gesprocheil worden. Bei der Herausgabe desselben haben wir nns in allen Einzelheiten anf höchst komische Weise fest an die Gewohnheiten gehalten, die in dieser Neziehnng in der Heimath herrschen. Es giebi regelmäßige Herausgeber und Berichterstatter, ein Burean für „allgemeine Nach-nchten," ein „Nedactions-Departement" und ein „Telegraphen Burran," wo mail angeblich Depeschen ans allen Welttheilen erhält; auch über die Beziehungen, die zwischen Sonne, Mond nnd Sternen bestehen, wird von „zuverlässigen Correspondenten" berichtet, nnd bildliche Darstellungen von austerordeittlichen Vorfällen erhalten wir von „nnserm sich an Ort nnd Stelle befindenden Künstler/' Natürlich hing viel von dem Anfsehen ab, mit welchem das Vlatt in's Dasein trat, nnd im Vewnßtsein dieser wichtigen Thatsache sparten die Herausgeber keine Mühe, die Neugierdc des Publikums zu steigern; sie schickten „Circulare" aus, machten 150 „Poit-Foulker Wochenblatt." „Anschläge" und wandten alle Mittel au, durch welche die Zeitungsträger das Interesse des Volles zu gewinnen wissen. McCor-mick leistete Hülfe uud leitete die Herstellung eines etwas bessern Diners als gewöhnlich, so daß das begierig erwartete Wunder, gleichviel, welchen Werth es hatte, eiuer guten Anfnahme sicher war. Mr. Knorr hatte die mechanische Ausführung übernommen, und man wußte, daß er die neugeborene Zeitung in seiner Verwahrung hatte; nachdem daher das Tischtuch entfernt war, erschollen lante Rufe, er solle sie zum Vorschein bringen. Während er sie unter seinem Kopfkissen hervorzog swo er sie sorgfältig versteckt hatte, um sie nicht sehen zu lassen, bis der günstige Augenblick kam), wurde von ihm verlangt, er solle sie laut vorlesen. Dies wollte er eben thun, als Jemand rief, ein so wichtiges Ereignis; dürfe nicht so ohne Form vorübergehen. „Nach nationalem Gcbranch müssen wir eine Versammlung bcrufeu, dieselbe durch die Wahl geeigneter Beamten organisiren und einen Nedner erueunen, der die Einwcihnngsrede hält. Dann, uud uur dann, kaun man sagen, daß wir das wichtige Ereigniß, das eingetreten ist, in gehöriger Weise eingeweiht haben. Mit einem weniger sichtbaren Zeichen der Verherrlichung einer so bedeutungsvollen Erscheinung, wie die Gründuug einer freien Presse au dieser eutlegenen Grcuze der Civilisation ist, wird sich das Port-Foulke'sche Publikum uicht begnügen." Gegen diesen Antrag wurde kciu Giuwaud erhoben, — er wurde in der That mit großem Beifall aufgenommen, die Versammlung demgemäß organisirt und Herr Sonntag einstimmig zum „Vorsitzenden" berufen. Nachdem die erforderliche Anzahl Vice-Präsidenten uud Eccretäre ernannt worden waren, wurde Mr. Knorr durch Acclamation zum Nedner gewählt. Nun begann ein gewaltiges Händeklatschen nnd Rasseln mit zinnernen Bechern, vermischt mit Rufen zur „Ordnung" und „hört! hört!" inmitten deren der Redner die Proviantkiste bestieg und sich folgendermaßen an seine Zuhörer wandte: „Mitbürger! — Durch die einhellige Stimme dieser uncr-leuchteten Versammlung berufen, die neue Aera einzuweihen, die anf einer umnachteten Gegend dämmert, wird mir das glückliche Vorrecht zu Theil, verkünden zu können, daß wir mit Aufopferung vieler Zeit, Arbeit uud Mittel einem Bedürfniß abgeholfen haben, das vom Port-Foulke'scheu Volke schon langc gefühlt worden ist. „Port-Fcmller Wochenblatt." 151 Mitbürger! wir sind nicht mehr ohne jenes angeborene Recht jedes amerikanischen Bürgers, — eine freie Presse und ein Organ der öffentlichen Meinung. „Ueberwältigt von der Schwere meiner Stellnng, sehe ich mich außer Stande, Ihnen eine Nede zu halten, wie sie der Feierlichkeit und der hohen Bedeutung der Sache geziemt. Zu meinen und meines böhmischen Bruders Gunsten muß ich jedoch schicklicherweise sagen, daß wir, eine altehrwürdige Sitte beobachtend, unsere Ansichten für uns behalten nnd unsere Gründe für das Pnblikum aufbewahren werden. Die Bewohner von Port Foulke verlangen eine baldige Rückkehr der Sonne. Wir werden das Verlangen unterstützen und mit Nachdruck geltend machen. Sie wünschen Licht. Wir werden nns an die Himmelskörper wenden und auf die günstigen Gelegenheiten znr Gegenseitigkeit hinweisen. Sie suchen ein glückliches Leben. Wir werden, derselben altehr-würoigen Sitte gemäß (von der ich sagen kann, meine Herren! daß sie in diesem großen nnd glorreichen neunzehnten Jahrhundert die Presse zu einer Macht erhoben hat), — wir werden, sage ich, ihnen jederzeit frei und offen rathen, im öffentlichen wie im Privatleben die Tugend zn bewahren. ,,Mitbürger! — Dies ist eine denkwürdige Epoche in der beschichte Port Foulke's. Man hat uns berichtet, daß sein ursprünglicher Name Nnlniciqueipal'laitah sei, der, nachdem er ausgesprochen ist, „den Ort der heulenden Winde" bedeutet. Bei dieser öffentlichen Gelegenheit ist es schicklich, daß wir unsere Gedanken auf die Zukunft, besonders anf unsere erhabene „Mission" richten. Dieser „"Ort der heulenden Winde" liegt, wie Sie bemerken wer. den, Mitbürger! an den entferntesten Grenzen unseres sich weit ausdehneuden Vaterlandes, — eines Landes, Mitbürger! dessen ungeheure Küsten sich in dem grenzenlosen Ocean baden, und das sich vom Aufgaug der Sonne bis zu deren Untergaug und vom Nordlicht bis' zum südlichen Kreuz erstreckt. Aber wie kann ich sagen: vom Nordlicht, Mitbürger? Haben wir nicht diese schwankende Grenze des Gebietes unserer Nation weit hinter uns gelassen? Ja, Mitbürger! und uns fällt es nuu anheim, die große Streitfrage über die nationalen Grenzen, die durch unsere Unternehmung' angeregt worden ist, zum Abschluß zu bringen, — zum Abschluß, meine Herren! Wir müssen sie bis zum Nordpol^selbst fortrücken! — und dort, meine Herren! werden wir die Sterne 152 „Port-Foulker Wochenblatt." und Streifen annageln, nnsere Flaggenstange wird die Spindel der Welt werden, nnd die Universal-Yankee-Nation wird sich wie ein Kreisel um sie drehen. „Mitbürger und Freunde! - Zum Schluß lassen Sie mich einen Toast ausbringen, wie er sich bei dieser Gelegenheit geziemt: — auf die freie Presse und die Universal-3)ankec-Nation. Möge die erstere in künftigen Zeiten, wie in vergangenen, die Dienerin der Freiheit und das Sinnbild des Fortschritts bleiben, und möge die letztere die ganze Schöpfung in sich aufnehmen und der große Himmelskreisel werden!" Der jugendliche Redner setzte sich nieder inmitten dessen, was die Presse ganz passend als „stürmischen Beifall" bezeichnen würde. Kr hatte offenbar, einen günstigen Eindrnck gemacht, sowohl für sich als für sein Blatt, und wir waren Alle auf das Vorlesen desselben im höchsten Grade begierig. Nachdem das Rasseln der zinnernen Becher aufgehört hatte, begann das Lesen und wurde nur dann und wann durch Beifallszeichen unterbrochen, denen die Menschen sich stets so gern hingeben, wenn sie nach einem befriedigenden Diner auf den Vortrag guter Geschichten lauschen. Man bedauerte nur, daß cs so schnell zu Ende ging. Es wurde allgemeiner Beifall geäußert, den Verfassern Dank ausgesprochen, auf den Redner Toaste ausgebracht und das Fest in sehr fröhlicher Weise geschlossen. Da wir nur ein einziges Exemplar des Blattes besaßen, so wurde dasselbe, sobald Knorr mit dem ^esen in der Kajüte zu Ende war, den Matrosen eingehändigt, und von dieser Seite wnrden ebenfalls Zeichen des Beifalls vernommen. Es enthält sechzehn eng geschriebene Seiten, eine etwas prnnkhafte Abbildung von unserem Winterhafen, ein Portrait von Sjr John Franklin und ein lebhaftes Bild des Generals, der seiue verwundete Pfote in einer Binde trägt. Dazu kommen dann noch hübsche „Räthsel," „originelle Witze," „Artikel über einheimische und auswärtige Verhältnisse," „Personalien," „Anzeigen" n. s. w., u. s. w., nebst einer größeren Anzahl Ergüsse, die Anspruch auf etwas Höheres machen. Unter den letzteren befindet sich ein illustrirter Prospect von dem Hauptredacteur, ein Gedicht vom Steward und ein Lied auf den General. Das letztgenannte singen jetzt die Leute und scheinen besonderes Vergnügen an folgendem Chor zu finden! „Häng' auf die Peitsch' und das Geschirr, Stell' auf das Schiff dcn Schlitten, SKI „Port-Foulker Wochenblatt." 153 Der General kann Nichts mehr thuu; Er wird nun bald für ewig ruh'n,"") Zch muß zu meinem Bedauern sagen, daß die hierin enthaltene Prophezeiung wahrscheinlich in Erfüllung geht, denn der General ist sehr krank. Der arme Kerl! er hört von dieser unbarmherzigen Belustigung über sein Unglück jedes Wort, und könnte er sprechen, so würde er ohne Zweifel mit Gray's Katze, seufzen: „Ach Gott! -Ein Liebling hat nie einen Freund!" Doch kommt iu dem Liede ein Vers vor, auf den er aufmerksam lauscht, und bei diesem unerwarteten Zeichen des Mitgefühls steigen ihm die hellen Thränen in die Augen. Um seinetwillen mag er hier eine Stelle finden! „Hat der General zu seinen Vätern Sich versammelt mit gcbrochncm Bein, Unter taltem Schnee sein Grab gefunden, Werden für uns schlechte Zeiten fein/' Den 1A. November, Die Temperatur ist auf 4° F. von Null (—12«,45 R.) herabgegangen, aber es giebt noch immer viel Matsch und feuchte Luft. Der Schnee, der dem Eise am nächsten liegt, 'ist mit Wasser gesättigt, ein Umstand, der schwer zu erklären ist, da die Tempcratnr noch nie den Gefrierpunkt erreicht hat und das Eis, auf welchen, der Schnee ruht, über drei Fuß dick ist. Es scheint fast, als fände eine Art osmotischer Wirkung statt. Es fängt jetzt an zu schneien: der fallende Schnee ist wie gewöhnlich sehr leicht, und schön und regelmäßig krystallisirt. Die Tiefe des Schnees, der bis jetzt ssefallen ist.^ beträgt 15'^ Zoll. Den !3, November. Es wird immer schlechter. Die Temperatur ist wieder gestiegen, und das Dach über dem obersten Deck liefert uns einen noch ärgeren als tropischen Regen. Der dem Eise zunächst liegende Schnee wird immer wäßriger; ich kann dies durchaus nicht begreifen, da ich heute gefunden habe, daß das Eis unter der Oberfläche eine *) Nachahmung eines Negerliedcs, Anm, d, Ucberf. 154' Der Fluthmesser. Temperatur von 20« F. (-b",^ N.) hat; au der Oberfläche ist es 19" F. (—5",?tt R.), und der Schnee ist da, wo cr mit dem Eis in Berührung kommt, 18" F. (^6",^2 R.). Das Wasser hat 29" F. (-1"M N.). Die Dunkelheit ist noch nicht ganz vollständig. Zu Mittag taun ich noch immer so viel sehen, um mit einiger Mühe gewöhnliche Druckschrift zu lesen. Dm 14. November, Der Wind hat fast vierundzwanzig Stunden lang aus Nordost geblasen, und die Temperatur halt noch an wie zuvor. Heule Abend um 10 Uhr war sie 4^" F. (-12^ R.) Mit der Speculation bin ich fertig. Ein warmer Wind vom Usr äe 3I3.06 nnd dieser grenzenlose Behälter des grönländischen Frostes selbst zerstören meine Theorien, wie Thatsachen schon früher nut den Theorien gelehrterer Männer gethan haben. So lange der Wind vom Meere her kam, ließ sich die der Jahreszeit nicht angemessene Wärme einigermaßen rechtfertigen. Mit McCormick's Hülfe, des Mannes, der mir Alles macht, was Scharfsinn erfordert, habeich heute eilten uenen Flnthmesser") hergestellt. Wenn seine Wirknng seiner Einfachheit entspricht, werde ich eine gute Tabelle der Gezeiteu von Port Foulte bekommen. Er besteht nur aus einem leichten Tau, au dessen eines Ende ein schwerer Stein geknüpft ist, der fest auf dem Grunde des Meeres ruht. Das Seil kommt durch das Feuerloch herauf, geht über einen Flaschenzug und wieder in's Wasser hinab, währeud es au diesem letzteren Ende ein zehnpfündiges bleiernes Gewicht hat. Der Flaschenzug ist an ein Nuder befestigt, das ans zwei, mit Eisblöcken hergestellten Pfeilern ruht. Zwei Fuß uuter dem Rnder nnd in enger Berührung mit dem Tau befindet sich ein eiserner Stab, und da das Tau durch kleine Schnnren, die „Knoten" haben, in Fuße und Zehntelfnße eingetheilt ist, so wird der Stand der Ebbe und Fluth mit Hülfe einer Gallglas-^aterne abgelesen, wie der Eisenstab an den Schnuren vorübergeht. Der eiuzige Nachtheil besteht in der Schwierigkeit, zu verhindern, daß sich Eis an das Tau ansetzt, was geschehen wird, wenn das Feuerloch nicht wenigstens viermal in der Stunde ausgeräumt wird. *) Tide-regieter. Das Feuerloch. 155 Das Feuerloch bedarf keiner weitern Beschreibung; man braucht nur seinen Namen zu nennen, um zu wissen, was es ist. Für den Fall, daß im Schooner Feuer ansbricht, können wir uns im Betreff des Wassers zum Löschen nur auf dieses Loch verlassen; wir wenden daher große Sorgfalt anf dasselbe, nm es immer offen zu erhalten. Bis jetzt hat die Wache es von Stunde zu Stunde ausgebrochen. Den t5. November, Der Wind hat den Schnee wieder zusammengepackt, und da die Temperatur sich bis auf Null (—14",22 N.) hinabgeschlichen hat, so ist die Fenchtigkeit fast ganz aus der Luft verschwunden. Ich habe Haus mit einem vollständigen neuen Anzüge und einem Paar von meinen röthesten Flanellhemden beschenkt; ich denke dadurch, daß ich ihn besser stelle als Peter, seine Eifersucht zu beschwichtigen. Wenn mir dies nicht gelungen ist, so habe ich wenigstens seiner Eitelkeit geschmeichelt, denn er ist von Natur zum Stutzer geschaffen, und kein Mensch auf dem Schiffe putzt sich so gern herans, wie dieser wilde Jäger. Nicmano freut sich mehr als er, bei der sonntäglichen Besichtigung in glänzendem Anzüge erscheinen zu können. Er läßt sich nicht herab, mit den anderen Eskimos auf dem Fuße der Gleichheit zu verkchreu. Seinen schönereu Kleidern schreibt er ohne Zweifel viel von seiner persönlichen Wichtigkeit zu; — aber solche Dinge kommen nicht blos bei den Eskimos vor. Den ^<' November, McCormick hat eiue Schiffahrts-Schule errichtet und Hal in Barnum, Charlcu und McDonald drei gnle Schüler. In diesem als Seemanns-Halle bekannten Quartier ist in der That ein wahrer Wissensdurst vorhanden, nnd eine vortreffliche Bibliothek, die wir der Güte unserer Vostoner Freunde verdauten, wird gut benutzt, In der Kajüte findet ein stiller Ucbergang zu wissenschaftlicher Muße statt. Dodge hat schou mehrere Kisten voll „I.ittoii'8 Living ^o" und „^<25tillili8t«- liöviovv" verbraucht. Kuorr treibt Dänisch, Jensen Englisch, und Sonntag plagt sich mit der Eskimo-Sprache uud beschwört mit seinem langen, mathematischen Kopfe eine unbegreifliche Masse von Diffcrentialgrößen herauf. Was mich betrifft, so haben meine Beschäftigungen kein Ende. Die 11)6 Fuchsjagden. Ordnung unseres Lebens macht mir viel zu schaffen und nimmt einen großen Theil meiner Zeit weg. Vielleicht mache ich mir unnöthige Angst um die Angelegenheiten meines Haushalts und bürde mir unnützer Weife „jene Sorge auf, die des Lebens Feindin ist," und die vor langer Zeit die irdische Laufbahn der guten alteu Mutter Hubbard störte; dann finde ich aber in ihr meine größte Befriedigung, und die Mußestunden werden augenehm genug mit einem Buche oder einem Spaziergang oder mit diesem Tagebuchc ausgefüllt. Mir sind jetzt die Tage der Dunkelheit noch nicht zur Last geworden, aber ich kanu sehen, daß sie mir in der Zukunft noch zum Ueberdruß werden. Neu 17. November. Die Temperatur ist bis auf 10" F. unter Nnll (-l8",«7N.) gefallen, was wir mit gebührendem Danke anerkennen. Die Lnft funkelt wieder vor Kälte, und eine völlige Windstille hat den Frost die ganze äußere Bai mit Eis bedecken lassen; die krystallene Ebene erstreckt sich so weit über den Sund, als das Auge tragen will. Der Flnthmesser *) arbeitet ganz gut, aber die jüngeren Ofsiciere beklagen sich bitter über die Noth, das Feuerloch eisfrei zn halten und die mit Eis überzogenen Knoten in der Dunkelheit abzulesen. Starr glitt heute ein Stück in's Loch hinein nnd rninirte beinahe das Instrument, indem er es ergriff, um sich daran festzuhalten. Die Ablesungen sind in der Negel ganz genall, aber um mich vor einem starken Fehler zu schützen, habe ich meine eigene Art, auf dem Untersatz von Eis ein Zeichen zur Eontrole zu machen. Heute haben wir 9 Fuß 7 Zoll zwischen Ebbe und Fluth, Die armen Füchse sind die unschuldigen Opfer eines neuen Vergnügens geworden. Sie sind sehr zahlreich, und die Officiere stellen ihnen mit Fallen, Eisen und Gewehren nach, Ihre Bälge sind sehr fein und schon, nnd geben warme Röcke, obgleich ich nicht bemerke, daß sie zn diesem Zwecke benntzt werden; die Officiere lassen sie vielmehr in die sichersten Winkel ihrer Schränke wandern. Ohne Zweifel „ist dabei eine Dame im Spiele." Den 18. November. Ein windstiller, kalter, heller, ruhiger Tag, sonst bnrch kein ungewöhnliches Greigniß bezeichnet, als durch das Erscheinen der 5) I'icls-rkssikter. Ein Flüchtling. 157 zweiten Nummer des „Wochenblatts." Nadcliffe gab sie heraus, und wir hatten in diesem von Finsterniß umgebenen Schoouer mien zweiten glänzenden Abend. Den 19, November. Unser ruhiges Leben wurde durch ein geheinmißvolles Ereigniß gestört. Ich habe schon oft die drollige Rivalität erwähnt, ^die zwischen den beiden Eskimos, Hans und Peter, entstand. Beide waren sehr nützlich, aber ihre Beweggründe waren ganz verschieden. Der Eine zeigte, wie Mr. Wennnick, ein löbliches Verlangen, sich „beweglicher Habe" auf gütliche Weise zu beinächtigen; der Andere wurde von einer neidischen Gesinnung beeinflnßt, die von dem Werth, den seine Eroberungen hatten, ganz unabhängig war. Er ist das Urbild einer Klasse Menschen, die das Muck Anderer nicht mit ruhigem Gemüthe sehen können. Ob dieses Gefühl in Hans bei der Aufwallung steheu blieb, oder ob es sich in einem Verbrechen verzehrt hat, muß sich uoch zeigen. Ich saß diesen Morgen um zwei Uhr rnhig auf meiner Schlaf-bank und las, als die tieft Stille durch Tritte auf der Kajütentreppe unterbrochen wurde. Einen Augenblick später trat der Steward ein, ohne anzuklopfen, und stand mit einer Bestürzung vor mir, die Böses ahnen ließ. Während er zu sprechen zögerte, fragte ich ihn, was in aller Welt ihn zu dieser Stunde zu mir geführt habe. Brannte das Schiff? Ohne meine Frage zu beachten, rief er aus: „Peter ist fort, Sir!" „Fort? Wohin?" „Fort! Entlaufen, Sir!" „Ist das Alles?" -^ Ich wandte mich wieder zu meinein Buche und bat ihn, wieder in sein Bett zu gehen. , Peter fehlt noch immer. lich, daß Hans erst eine Lüge ersann ilnd danit durch kluges An-fächeln der sich entzündenden Flanune mit anderen Liigen und geheimnißvollen Winken zusetzt im Stande war, einen großartigen Streich auszuführen und den armen harmlosen Burschen in die Finsterniß hinauszutreiben, um in Sorfalik Sicherheit zu sucheu. Durch die drohende Gefahr toll gemacht, ist er zu Allem bereit, — ergreift seinen Reisrsack und flieht. Als er unsere Lichter auf dem Hafen sieht, wirft er den Neisesack weg nnd beschleunigt seine Schritte. So verstehe ich nun, was es bedeutete, als Jensen mir vor einigen Tagen sagte, „sie hätten Freundschaft geschlossen." Dcn 23, November. Fünf Tage sind verflossen, uud Peter kehrt noch immer nicht zurück. Ich habe nach der Hütte in Etah geschickt, aber er ist nicht dort gewesen; anch in den Gegenden, wo unser Nennthierfleisch vergraben liegt, lassen sich keine Spuren von ihm entdecken. Mittlerweile ist viel Schuee gefallen, und es hat ein grimmiger Sturm gewüthet, in welchem Niemand ohne Obdach lange leben konnte. Ich habe trotz des Sturmes meinen gewöhnlichen Spaziergang gemacht. Meine Pelze sind jetzt abgeworfen, und der treue alte Carl klopft deu Schnee heraus. Die Gewalt des Windes hatte ihn bis auf die wirkliche Haut hineingetrieben, und ich war nur eine eiuzige weiße Masse. Bart uild Gesicht waren eben so bedeckt wie meine Kleider, nnd ich sah dem nicht nnähnlich, was ich mir unter Kriß Kringle zu deukeu pflegte, wenn ich ihn nur „in den Tagen anderer Jahre" vorstellte, wie er seine jährliche Rundreise über die Dächer machte. Mein Spaziergang war ein elwas beschwerlicher. Ich hatte mich zu weit auf das Meer hinaus gewagt und mich in der Stärke des Windes verrechnet; als ich ihm daher auf meinem Rückwege entgegengehen mußte, fand ich, daß ich eine etwas schwere Aufgabe vor mir hatte. Das Licht anf dem Schiffe konnte, ich in der Entfernung uur schwach erkennen, und als Windstoß auf Windstoß, wie es schien, in boshaftem Trotze, mein Gesicht mit Schnee peitschte, und jedes Mal mit größerer Wuth, wünschte ich mich, offen gestanden, mehr als einmal aus der Klemme heraus. Ich befand mich wirklich in einiger Gefahr. Der Frost griff Treibender Schnee. ^61. meine Backen an, und hätte ich nicht wiederholt dem Winde den Nucken zugewandt nnd das erfrierende Fleisch mit meiner von dem Pelzhandschuh befreiten Hand wieder belebt, so hätte ich in der That lein Gesicht behalten. Aber jetzt, wo ich mich in behaglicher Warnte befinde, bin ich weit entfernt, das Wannst zu bedauern. Der Grund, warum ich hinansging, war, mir den Sturm ganz genau zn betrachte»,. Der kürzlich gefallene Schnee ist sehr tief, und der Wind, der ihn von den Bergwänden und Thälern aufraffte, schien die ganze Atmosphäre mit einer fliegenden weißen Masse anzufüllen. Er strömte über die Berge und schimmerte wie Hercnhaar längs ihren Spitzen hin. Große Wolken stürzten rasend die Abhänge herab, drehten sich in graziösen Gestalten von phantastischer Leichtigkeit über die Klippen hinweg und wirbelten von da, in den Strahlen des Mondes flimmernd, auf das gefrorene Meer hinaus. Die wüthenden Windstöße, brachten eine ungeheure Masse desselben von den Terrassen her, die, nachdem sie über den Schooner gesetzt und dnrch das Takelwerk gerasselt war, über die Eisfläche eilte, sich in kalter GleichgülliaM um die Eisberge schlaug, welche die Oberfläche derselben mil hervorragenden Punkten verzierten, und, wie wolkcner-zeugte Gespenster der Nacht an mir vorüber tanzend und hüpfend, in die ferne Finsterniß hinausflog, wo sie mit dem Bransen der Wogen überirdische Stimmen vermischte. Und wenn ich an diese wilde, wilde Scene denke, sind meine Gedanken mitten in derselben bei meinen« Diener Peter. Die steif gewordenen Taue, die au die Masten schlagen, der Wind, der dnrch die Wandten henlt, das Krachen des Schnees an die Wände des Schooners, sind Schreckcnstöne, die dnrch die Nacht wieder hallen, nnd wenn ich denke, daß dieser unglückliche Mensch eine Beute des schneidenden Sturmes ist, so frage ich mich unaufhörlich, was wohl der Grund gewesen sein kann, der ihn bewog, sich seiner Wuth so auszusetzen. - Bei alle dein, was nennen wir Muth? Dieser arme Wilde, der sich nicht bedenken würde, ganz allein den grimmigen Eisbar anzngreifcn, der sich jetzt ans freien Stücken, indem er, von Furcht verfolgt, hmausfloh in die Finsterniß, über Berge und Gletscher, durch Schneewehen und Stürme, - einer Gefahr gegenüber gestellt hat, die schrecklicher ist als alle anderen, hat nicht so viel Ent- Haycö, Das oftmc Polov Hiccr. 163 Much. schlossenheit, uni seincn Mitmenschen entgegenzutreten, von denen er sich einbildet, daß sie ihm Böses zufügen wollen. EZ scheint in der That eine Eigenthümlichkeit des ungebildeten Gemüths zn sein, Menschen-Zorn nnd Menschen-Verrath mehr zu fürchten als alle anderen Uebel, — ärger als wilde Thiere, Sturm nnd Pestilenz. Vierzehntes Kapitel. Die Mitte des Winters, — Die Monate lange Nacht. — Glanz dcö Mond-lichts. - Milde Tempcratnrcn. — Merkwürdige Witterung, — Ein Nc< gcnschcmcr. - Tiefe des Schnees. ^ Echneetrystalle. — Eine Epidemie unter den Hunden, — Symptome dcr Krancheit. Große Sterblichkeit. — Ätur «och ein einiges Gespann übrig. - ^cene Pläne, — Entwürfe, zu den Eskimos am Whalc-Sund zu gelangen. Der Leser, der meinem Tagebuch folgte, seitdem nur in Port Aoulke einliefen, wird bemerkt haben, wie allmnlig das Tageslicht schwand, und mit welch' langsamem und gemessene»! Schritte die Dunkelheit uns überfiel. Als der November sich seinem Ende näherte, verlor sich der letzte Schimmer des Zwielichts. Die Sterne leuchteten zu allen Stunden mit gleichem Glanz. Aus einem Sommer, der keine Nacht hatte, waren wir durch ein herbstliches Zwielicht in einen Winter übergegangen, der keinen Tag hatte. In dieser fremdartigen Einrichtung der Natnr liegt etwas Ehrfurcht Einflößendes und Unwirkliches. Wir wußten Alle aus unseren Schuljahren her, daß an den Polen der Erde das Jahr nur einen einzigen Tag und eiue einzige Nacht hat; wo wir nun aber dcr Wirklichkeit gegenüberstehen, ist es sehr schwrr, es sich als wirklich vorzustellen, und noch schwerer ist es, sich daran zu gewöhnen. Wenn der beständige Sonnenschein des Sommers nnsere lebenslänglichen Gewohnheiten störte, so that es die nnnnterbrochene Dunkelheit des Winters noch mehr. In dnn einen Falle wurde dnrch das immerwährende Licht, das zur Thätigkeit anregte, die Einbilonngskraft gereizt; in dem andern warf eine Monate lange Nacht eilte Wolke über den Geist und lies; die, Thatkraft verkümmern. 11* 164 Die Mitte des Winters. Diese lange Dunkelheit erleichtert der Mond einigermaßen. Den Horizont umkreisend und nie untergehend, bis er seine zelM tägige glanzvolle Bahn zurückgelegt hat, scheint er von seinem Aufgang bis zmn Untergang ununterbrochen. Und er scheint mit einem Olanze, den man anderswo kaum finden wird. Die einförmige weiße Farbe der Landschaft und die allgemeine Reinheit der Atmosphäre vermehren die Helligkeit seiner Strahlen, und man kann bei seinem Lichte mit Leichtigkeit lesen, ja, die Eingeborenen benutzen ihn oft wie die Sonne, um sie bei ihrem Nomadenleben zu leiten und sie zu ihren Jagdgebieten zu führen. Die Tage und Wochen in der Mitte des Winters gingen langsam vorüber. Die Erfahrung, die wir bis dahin machten, war in vieler Beziehung merkwürdig. Obgleich durch hohes Land geschützt, waren wir nichtsdestoweniger heftigen und fast beständigen Nordostwindcn ausgesetzt, und obgleich in Polarfinsterniß eingeschlossen und von Polar-Eis umringt, hatten wir bisher die ganze Zeit ein offenes Meer vor uns gesehen, und die zornigen Wogen waren oft ein drohender Schrecken. Vielmals hatten wir uns in Gefahr geglaubt, mit dem Eise den Wellen preisgegeben und in hülfloser Lage auf die hohe See hinausgeführt zu werden. Die Temperatur war auffallend mild gewesen, ein Umstand, der sich wenigstens zum Theil durch das offene Wasser erklären ließ, und von derselben Ursache rührten ohne Zweifel auch die große Beunruhigung der Luft und die häufigen Stürme her. Im letzten Kapitel habe ich ein ganz merkwürdiges Steigen des Thermometers erwähnt, das in der ersten Hälfte des November eintrat; aber eine noch höhere Temperatur folgte einige Wochen später, wo fie "2" F. (0" R.) erreichte und fast eben so plötzlich wie sie gestiegen war, bis auf 1l>" F, unter Null s—3<)",9s> R.) zurücksank. In Folge dieser außerordentlichen und unerklärlichen Erscheinung fing das Thauwettcr von Neuem an, und wir sollten unser früheres Unbehagen, das von der Feuchtigkeit auf dem Deck und in unseren Quartieren herkam, in einem höheren Grade fühlen. Zwei Tage lden 28. und 39, November) konnten wir kein Fener weiter brauchen, als das wir haben mußten, um unser Essen zu bereiten und unsern nothwendigen Bedarf an Wasser zu schmelzen. Um unser Erstaunen noch zu vergrößern, folgte auf einen starken Schneefall ein Regenschauer, was ich in dieser geographischen Breite vorher nicht gesehen hatte, außer in den Mona- Schneekrystalle. 165 ten Juli und August, und auch da fiel kaum mehr Regen als bei der gegenwärtigen Gelegenheit. Die Tiefe des während dieser Zeit niedergeschlagenen Schnees war ebenfalls merkwürdig; sie betrug im Ganzen ,'>2 Zoll. In einem einzigen Tage fielen 1!) Zoll, 5 Zoll mehr als im Van Rensselacr Hafen während des ganzen Winters von 1853—54. Der Gesnmmtbetrag des Cchuees, der bis zum ersten December gefallen war, belief sich auf 48 Zoll. Da ich mich so weit nördlich von der Linie des Schnee-Marimums befand, so war ich nm so mehr überrascht, als meine frühere Erfahrung gezeigt zu haben schien, daß die Gegend des Smith-Sundes von atmosphärischen Niederschlagen ganz frei sei. Ich interessirtc mich sehr dafür, zu beobachten, wie außerordentlich vollkommen nnd schon in dieser warmen Zeit die Schneekrystalle waren, und es ist ziemlich sonderbar, daß vollkommene Krystalle sich nur zeigen, wenn der Schnee bei einer uerhältniß-maßig milden Temperatur fällt. Ich habe sie nicht gefunden, weun der Thermometer unter Null *) stieg oder fiel. Dann ist der Schnee ganz trocken nnd hart und zeigt nicht jene weichen, dünnen, durchsichligeu Flocken, wie sie bei wärmerer Luft sich bilden. Mit Hülfe eines Vergrößerungsglases sah ich mich im Stande, von einer größeren Anzahl derselben ganz gcnane Skizzen zu nehmen. Ihre Gestalt war stets sechseckig, aber die Strahlen waren sehr mannichfaltig entwickelt, obgleich sie alle dieselbe ursprüngliche Anlage besaßen. Die vollkommensten und vollsten erinnerten an ein winzig kleines Farnkrautblatt. Als wir uns der wirklichen Mitte des Winters näherten, wurde der befriedigende Fortgang der Dinge dnrch eine Neihe Unglücksfälle gestört, die einen großen Einfluß auf die Schicksale der Erpedition ausübten nnd, indem sie alle meine Plane durchkreuzten, mich in ernste Verlegenheit brachten. In einem frühereu Kapitel habe ich erwähut, daß in Süd-Grönland unter den Hunden mehrere Jahre lang eine Krankheit geherrscht hatte, nnd daß ein großer Theil dieser nützlichen Thiere derselben zum Opfer gefallen war. Die Ursache dieser Krankheit war nicht ermittelt worden, aber nach den Aufschlüssen, die ich erlangen konnte, dürfte ich glauben, daß ihr Ursprung in der *) Unter - 14°,Lü i». 466 Eine Epidemie unter den Hunden. Oertlichkeit zu suchen sei, und daß ich daher, wenn ich meine Gespanne von dem Sitze ihres Einflusses entfernt hatte, von ihren Gefahren befreit sein werde. In dieser Meinung hatte ich in den däuisch-eskimo'schen Ansiedluugen viel Zeit darauf verwandt, hier und da einen Hund zn bekommen, bis ich deren sechsunddreißig hatte. Bis zum 1. December blieben sie vollkommen gesuud, und da sie reichlich mit frischem Fleisch gefüttert wurden, so hatte ich großes Vertraueu, daß ich im Staude sein würde, sie bis zum Frühling ourchzubrmgen, uud daß ich, wenu die Zeit meiner Schlittenreisen kam, vier kräftige uud dienstfähige Gespanne haben werde. Durch die Mittheilung, die ich von Hans erhielt, daß die Eskimos am Whale-Suud und in desseu Nähe, bei deneu er gelebt hatte, durch deu Tod einer großen Anzahl ihrer Hunde schwere Verluste erlitten hätten, wurde ich eine Zeit lang etwas in Furcht gebracht, weil die Beschreibung, die er von der Krankheit gab, mit derjenigen von Süd-Grönland übereinstimmte; da aber der November vergangen war, ohne daß sich in meinem prächtigen Rudel Symptome der Seuche gezeigt hatten, so hegte ich alle Hoffnung, daß sie nicht würden heimgesucht werden. Der Verlust, den Or. Kane durch den Tod seiner Hunde erlitt, war nur frisch im Gedächtniß; aber dafür schien es eine hinreichende Ursache zn geben. Da er fast gar kein frisches Futter hatte, sah er sich genöthigt, seine Gespanne mit Salzfleisch zu erhalten, von dein mau, da es bei deu Meuschen Scorbut erzeugt, kaum erwarten tonutc, daß es auf die Hunde, die zuvor immer eine Kost von frischem Seehuudsfleisch gcwohut gewesen waren, anders als schädlich wirke. Meiue Hoffuungeit wurden jedoch nichr erfüllt. Eines Tages im Aufange des December meldete mir Jensen, daß einer der schönsten Hunde von der Krankheit befallen worden sei, und empfahl, ihn zu erschießeu, um der Verbreitung vorzubeugen; dies wurde denn auch gethan. Einige Stuudeu später wurde ein zweiter in derselben Weise ergriffen. Die Smnplome waren aufaugs diejeuigen großer Unruhe. Das Thier sprang mehrmals um das Schiff herum, erst den eiuen Weg und dann den andern, mit einer schwankenden Unsicherheit in seinem Gange uud mit abwechselndem Heben und Senken des Kopfes und Schwanzes, wahrend jede Bewegung große nervöse Aufregung andeutete. Nach einer Weile sprang er nach der Mündung des Hafens hiu, wobei er die ganze Zeit bellte und Große Sterblichkeit unter den Hunden. 167 sich zum Tode zu fürchten schien vor irgend einem eingebildeten Gegenstände, vor dem er zu fliehen snchte. In einem Weilchen kam er zurück, noch aufgeregter als zuvor. Diese Symptome nahmen rasch an Heftigkeit zu, die Augen unterliefen mit Blut, aus dem Maule floß Schaum, uud der Hund wurde von einer, wic es schien, unwiderstehlichen Begierde ergriffen, nach Allem zu schnappen, was ihm in den Weg kam. Die Krankheit verlief in einigen Stunden. Anf die Aufregung folgte Schwäche uud Abspannung; das arme Thier taumelte um das Fahrzcug herum, offenbar nicht im Stande, seinen Weg zu sehen, und fiel endlich in einer Ohnmacht um. Nachdem er ein Weilchen im Schnee gezappelt hatte, kehrte das Bewußtsein zurück, und cr kam wieder auf die Füße. Bald darauf folgte eine zweite Ohnmacht; dann kamen sie eine nach der andern in schneller Reihenfolge, bis endlich der Tod seinem Leiden ein Ende machte, der vom Beginn des Anfalls an in weniger als vierund-zwanzig Stunden eintrat. Inzwischen hatte ich ihn genau beobachtet, i>l der Hoffnung, der Ursache, anf die Spur zu kommen und cine Eur vorzunehmen. Aber ich konnte dnrchaus keine Aufklärung bekommen. Auch die Section enthüllte Nichts. Es war keine Entzündung des Gehirns, der Neruencentra, des Rückenmarks oder der Nerven selbst zu sehen, und ich wußte mir die sonderbare Erscheinung durchaus nicht zu erkläreu. Daß es keine Wasserscheu war, zeigte die Thatsache, daß das Thier cher nach Wasser verlangte als dasselbe scheute. Gleichwohl traten viele der Symptome auf, die jene Krankheit begleiten; aber die Krankheit schien nicht, wie die Wasserscheu, durch den Biß mitgetheilt zu werden; denn diejenigen Hunde, die zufällig gebissen wurden, bekamen dieselbe nicht schneller als die anderen. Dieser Fall hatte kaum sein tüdtliches Ende erreicht, als wieder einer gemeldet wnrdc; — eine Kugel erlöste das Thier von seinen Leiden. In vier Tagen siarben sieben Hunde. Ich sah mit Schrecken meine schönen Gespanne zusammenschmelzen und meine Hoffnungen in Gefahr gebracht, und während dies vorging, konnte ich nur zusehen, mich wundern und Versuche anstellen, aber der Ansteckung nie Einhalt thun noch das Uebel hemmen. Unter den Hunden, die zuerst befallen wurden, war ein prächtiges Thier, das ich schon früher genannt habe. Es war das beste Zuglhier meines besten Gespannes, der zweite Anführer, — Karsuk. 4ßß Nur noch cin Gespann übrig. Ich habe me von einem lebenden Wesen solche Wildheit und rasende Kraft äußern sehen, wie er zwei Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome zeigte. Indem ich glanbte, daß Ein-sperrung gut thun könne, und sehen wollte, ob die Krankheit nicht von selbst verginge, hatte ich ihn gefangen und in einen großen Kasten auf dem Verdeck gesteckt; aber dies schien die Heftigkeit der Symptome eher zu verstärken als zu mildern. Er riß mit unbeschreiblicher Wuth an den Brctteru, und als er die Zähne in eine Spalte brachte, biß er eineu Splitter nach dem andern ab, bis er-ein Loch gemacht hatte, das für seinen Kopf groß genng war; da ließ ich ihn erschießen. In diesem Augenblicke waren seine Augen wie Feuerkugeln, Er hatte einen seiner Neißzähne abgebrochen, und sein Maul spritzte Vlul aus. Bald darauf spraug plötzlich ein anderes schönes Thier auf, das einige Augenblicke zuvor noch vollkommen wohl zu seiu schien, stürzte mit wildem Geschrei fort, eilte um den Hafen herum, kehrte zum Fahrzeug zurück und fiel dort in einer Ohnmacht ringend nieder. Ich hatte ihn augelegt, aber er riß sich los, uud aus Besorgniß für die anderen Hunde wurde auch er getödtet. An demselben Tage starben noch drei, und die Todesfälle in den beiden ersten Wochen des December beliefen sich anf achtzehn. Bei diesen, nebst den zuvor erlittenen Verlusten blieben mir nur zwölf Hunde übrig. Eine Woche später waren dieselben auf neun vermiudcrt. Die große Bedeutung dieses Unglücks wird vielleicht dem Leser nicht gleich einleuchten. Man wird sich jedoch erinueru, daß meine Forschungspläue für den kommenden Frühling sich hauptsächlich auf Hunde stützten, die als Transportmittel über das Eis dienen sollten. Da nun meine Gespanne sich so vermindert halten (und es war sogar wahrscheinlich, daß sie alle starben), so lag es klar vor Augen, daß, wenn ich nicht im Stande war, den Verlust zu ersetzen, alle meine Pläne fehlschlagen. Herr Sonntag theilte meine Angst vollkommen. Da alle unsere Anstrengungen, dem tödtlichen Verlauf der Krankheit Einhalt zu thun, mißlungen waren, so konnten wir nur auf Mittel und Wege sinnen, das Uebel einigermaßen wieder gut zu macheu, oder neue Pläne zu entwerfen, die mit unseren veränderten Umständen in Übereinstimmung waren. Der erste Ausweg, der sich darbot, war, mit den Eskimos am Whale-Sund iu Verkehr zu treten; im Fall sich dies ausführen Pläne, wieder Hunde zu bekommen. 169 ließ, durften wir annehmen, daß wir von denselben einige Hunde bekommen würden. Wenn es uns gelang, den Stamm zum Fahrzeug zn bringen, konnten wir unsern Wunsch leicht erreichen; denn während der Zeit, wo ihre Hunde in unserm Dienste standen, konnten wir, wenn die Noth es erforderte, sie Alle mit Nahrung versehen, sei es aus uuseren Vorräthen oder durch die Jagd. Haus wurde über die Eskimos befragt, und von ihm erfuhren wir, daß eine Familie anf derNorthumberlaud-Insel, mehrere Familien auf der Südseite und möglicherweise eine oder mehrere auf der Nordseite des Whale-Sundes lebten. Die Northumberland-Insel war, wie wir reisen mußten, um sie zu erreichen, etwa huudertundfünfzig Meilen entfernt. Daß wir so bald als möglich mit diesen Leuteu in Verkehr traten, war eine Sache von höchster Wichtigkeit. Wenn eine hinreichende Anzahl Hunde am Leben blieb, bis im December der Mond kam, so sollte Sonntag dann die Neise machen, indem er einen einzigen Schlitten und Hans als Treiber nahm. Starben die Hunde alle, dann beabsichtigte ich, so bald als möglich zu Fuße hinabzugehen und mein Bestes zu thun, um die Eskimos alle uach Port Foulte und Etah zu brin^ gen, ihre Hunde zu beinchen, so lange wir sie brauchten, und in der Zwischenzeit die Leute zu ernähren und zu kleiden. Vorläufig kouuteu wir jedoch uur warten, bis die Finsterniß in der Mitte des December vorüber war, und hoffen, daß der Monat glücklicher enden werde, als er begonnen hatte. Fiinftehnies Kapitel. Die arktische Mitternacht, - smmtaq bricht nach den, Whalcslmd auf. — Wirtung tcr Finstcvniß auf dcn (Vcist, — Oeichäft?r>dnm!g, Dn Weih--nachts'Heiligc-Abcnd. - 3er erste Weihnachlstag, ^ Das Nclhnachlsinahl, Den ^2, Tcccinder, Die Sonne hat heute ihre größie südliche Declination erreicht, und wir haben die arllische Piitternacht verbracht. Die Winter' sonnenwende ist für uns der MittagZtag, wie für diejenigen, die in den Ländern wohnen, wo die Sonne in dein „sich nünuülzenden Jahre" dreihundertfünfnndscchzigmal anstatt einmal tommt, zlvülf Uhr die Mittagsstunde ist. Für mich waren die letzten uier Wochen rreignißvoll, nnd ich begrüße diesen Tag mit Frende uitd bin ft'oh, das; wir niln anf der abwärts führenden Bergwand der Polar-^inslerniß sind. Der Tod meiner Hunde erfüllt mich mit Trauer, und diese Trauer wird verdoppelt, wenn ich dente, das; das Unglück Sonntag in die Gefahren der Nacht hmeingeschickt hat, um bei Zeiten das Uebel wieder gut zu machen. Sonntag reiste gestern ab, um zu den Eskimos zu gelangen. Wir hatten die Sache von Tag zu Tag besprochen und sahen klar, daß es das Einzige war, was wir thun konnten. Hans sagte uns, daß die Eskimos sich gegen dcn Frühling hin um Cap York herum versammeln würden, und es war offenbar, daß, wenn wir auf das Tageslicht warteten, sie zu weit uon uns entfernt waren, uln sie dann noch zu erreichen. Nach Hansens Erzählung schien wenigstens eine ziemliche Wahrscheinlichkeit vorhanden zu sein, daß Einige derselben sich in Sorfalit oder in anderen Sta- Vorbereitungen zu einer Reise. 174 tionen auf der Nordseite des Whale-Sundcs befanden, nnd Hans zweifelte nicht, daß die Reise sich leicht machen ließ, selbst wenn sie bis zur Northnmberland-Insel oder über dieselbe hinaus bis Netlik reisen mußten. Er brannte vor Begierde, daß es fort ging, und Sonntag wartete mit Ungeduld nur auf den Mond und auf be-stäudige Witterung. Hans war der einzige brauchbare Treiber, denn er allein wußte, wo die Dörfer der Eingeborenen zu finden waren, und drei Personen auf einem Schlitten war gegen alle Regeln des arktischen Reifens. Obgleich zur Zeit von Peter's Verschwinden mein Verdacht gegen ihn erregt worden war, so hatte sich doch noch Nichts beweisen lassen, und Sonntag hatte ihu als Treiber eben so gern wie Jensen und hegte noch immer Vertrnnen zu ihm. Jensen mitnehmen hieß sich mit einem unnützen Hinderniß beschweren. Die Reise sollte schnell gehen, es war daher wichtig, alle unnöthige Last zu ersparen. Die Krankheit unter den Huuden ließ vor sechs Tagen nach, wo der letzte Todesfall vorkam, nach welchem noch neun gute Thiere übrig blieben, die Sonntag alle mit sich nahm. Die Gesellschaft zur Reife vorzubereiten, erforderte nur wenig Zeit. Hans machte für fich einen Büsfelfack, um in demselben zu schlafen, und Souutag führte zu seinem eigenen Gebrauche einen Sack von Bärenfell bei sich, den er von Uperuavit mitgebracht hatte. Ihrc ^ebensmittel waren auf zwölf Tage berechnet, obgleich nicht erwartet wird, daß sie so lange ausbleiben werdeu, denn die Strecke bis znr Northumberlano-Insel, wenn sie fo weit zu gehen branchen, läßt fich in zwei Märschen machen. Sonntag und ich legten sie im December 4854 in drei Märschen zurück. Die Eskimos machen sie oft in einer einzigen Tagereise, und Hans schien es als eine leichte Aufgabe und als Spielerei anzusehen. Ein Zelt nahmen sie nicht nut; sie gedachten fich anf die Schneehütte zu verlassen, mit deren Bau Hans nothwendigerweifc sehr vertraut sein muß lind Sonntag in vergangenen Jahren viel Erfahrung gemacht hat. Der Plan ist der, daß fie, im Fall das Eis um Eav Alexander hcrnm nicht fest sein sollte, über den hinter dem Eau liegenden Gletscher setzen nnd von da die Küste hinab direct nach Sorfalit gehen müssen. Falls dort leine Eskimos zu finden sind, werden fie sich qner über den Sund direct nach der Nor-chumberlano-Znsel begeben, wenn sie nicht guten Grund haben, 172 Sonntag reist nach dem Whale-Sund ab. ihren Weg längs der Küste hin zwanzig Meilen weiter nach Peter-avik zu nehmen. Die Witterung war ganz stürmisch, bis gestern, wo Windstille eintrat, nnd der Thermometer stand auf—21" F. (—23",57 N.). Heut' ist es viel milder geworden, und es fällt leichter Schnee. Dic Temperatur ist über Null*), nnd Alles sieht für die Reisenden günstig ans. Sie sind jetzt sechsunddreißig Stunden fort, ohne Zweifel am Cap vorüber nnd richtig auf der Ncise. Ihre Abfahrt verursachte viel Aufregung und erweckte die Schiffsmannschaft ans einem lethargischen Zustande, in welchen zu verfallen sie in der letzten Zeit trotz Allem geneigt schien. Sonntag war in vortrefflicher Stimmnng und hegte das volle Vertrauen, daß er die Eskimos und Hunde bald bringen werde; er freute sich bei der Aussicht auf eiu mehrtägiges Abenteuer. Hans war lebhaft und eifrig. Er knallte mit seiner Peitsche, die Hunde sprangen in ihre Halsbänder, nnd fort ging's in vollem Galopp. Der Schlitten glitt rasch über den schlüpfrigen Schnee, und als sie in den Mondschein hinauseilten, sandten wir ihnen, dreimal wiederholt, das echt nautische „Hip, hip, hurrah!" und danu einen „Tiger" nach. Den W. December, Vergangene Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum, den ich nothwendig erwähnen muß; wäre ich zum Aberglauben geneigt, so könnte er mich bewegen, in ihm eine Vorbedeutung von Unglück zu lesen. Ich stand mit Sonntag weit draußen auf dem gefrorenen Meere, als plötzlich durch die Dunkelheit hill ein Krach geschah und in dem Eise zwischen uns im Nu ein Niß entstand. Er kam so plötzlich und erweiterte sich fo schnell, daß Sonntag nicht auf die Seite herüberspringen konnte, wo ich stand, und daher auf den dnnklen Wassern einer beunruhigten See fortschwamm. Zuletzt sah ich ihn fest auf dem krystallenen Floß stehen, wo seine gerade Gestalt gegen einen Lichtstreifen abstach, der am fernen Horizonte lag. Unser Leben geht seinen Gang mit ununterbrochener Eintönigkeit. Es fällt nur Weniges vor, woran man erkennt, daß die langweiligen Stunden der Dunkelheit vorwärts schreiten. Wenn 5) Ueber —14°,22 R. Geschäftsordnung. 173 ich auch einige Vesorgniß um Sonntag hege, so beneide ich ihn doch und wundere mich nicht, daß er so begierig war, die Reise zu machen, auch abgesehen vou dem wichtigen Zwecke derselben. Ein Ausflug in die Eskimo-Dörfer und einige Tage Kampf mit den Etürmeu würden Einen herausreißen ans der langen Trägheit, mit der man auf den Tag wartet. Alles in der Welt ist besser alB Unthätigkeit und immerwährendes Einerlei. Unser Theil ist Ruhe und endloser Schlendrian. Der Schiffsdienst wird von Woche zu Woche mit derselben peinlich genanen Regelmäßigkeit verrichtet, und unsere gesellschaftlichen Pflichten werden anf dieselbe Weise erfüllt. Wir leben nach dem „Glockenschlag;" das ist in doppeltem Cinne wahr. Der „Glockenschlag" macht den Tag und bezeichne» den Fortschritt der Zeit. Aber trotz dieser „Glocken-schlage," dieser endlosen „Glockenschläge," würden wir, glaube ich, Alle daliegen und die ewige Nacht hindurch fortschlafen und nicht erwachen, bis über nns der Tag in dein langen Jenseits graute „Glockenschläge" geigen uns die Stunden und halben Stunden und den Wechsel der ,,Wache" an und beherrschen die Einthciluna der Zeit wie auf der See. ,,Ein Schlag" rnft uns zum Frühstück, „zwei" zum zweiten Frühstück, und ,,uier Schläge" sind die Ladung zur Hanptmahlzeit. ,,Sechs Schläge" sind das Signal zum Auslöschen der Lichter, und bei ,,sieben Schlägen" öffnen wir unsere Augeu wieder für denselben immerwährenden blassen Schimmer der Keroseue-Lampe und erwachen wieder zu demselben Geschäftsschlendrian, Müssiggaug und Langenweile, die kein Ende nehmen. Die Jäger setzen beim Mondschein die Jagd auf Renuthiere und Füchse fort, — jedoch mehr aus Gewohnheit und znr Bewegung, als weil sie im Erfolg Ermuthigung finden; denn selbst wenn der Mond scheint, können sie nur auf's Gerathewohl schießen. Die Arbeit im Observatorium geht fort, und wenu der magne? tische Beobllchtungstaa, wiederkehrt, klettern wir jede Stunde auf das Eis-Postament und finden, daß Etwas vorgegangen ist. Die Verfinsterungen der Iupiter-Trabauten werden sorgfältig durch das Fernrohr beobachtet, damit unsere Ehronometer nicht falsch gehen. Die Gezeiten fahren fort zu steigeil und zu fallen, ungeachtet der ungeheuren Eislast, welche die Fluth emporhebt, und gleichgültig dagegen, daß sie bewacht werden. Dodge setzt seine Eismessungen fort und findet, daß die Krystalltafel bis zu unserm 174 Wirkungen der Finsterniß. Kiel (61/2 Fuß) hinabgeht, so daß wir in einer vollkommenen Wiege rnhen. Damit die Matrosen Etwas zu thun haben, habe ich ihnen aufgegeben, jeden Tag eine Stunde Segeltnch-Säcke für die FrühjahrZreisen zusammenzunähen. Von den Officieren erhalte ich dieselben täglichen Berichte fort; das Wochenblatt erscheint regelmäßig und gewährt stets eine angenehme Unkerhaltnng; der Bibliothekar giebt jeden Morgen die Bücher aus, und sie werden stark gelesen; die Officiere und die Mannschaft haben kein neues Unterhaltungsmittel und füllen die letzten der wachen Stunden swo es nichts Anderes als Nacht giebt, kann ich nicht sagen den Abend) gewöhnlich mit Karten und Nauchen aus. Ich gehe öfter in die Kajüte, als ich sonst zu thuu pflegte; aber mein Schachspiel mit Knorr vernachlässige ich nicht, und bis zu Sonntag's Abreise verbrachte ich von jedem Abend einen Theil im Gespräch mit ihm; aus Mangel an etwas Neuem sprachen wir immer wieder von nuseren Sommerplänen und berechneten bis aufs Haar das Maaß unserer Arbeit und deu Theil, deu Jeder davon übernehmen wollte. So gehen wir dem Frühling entgegen; aber jede Stunde der Dunkelheit wird ein wenig länger, sangt etwas mehr Farbe aus dem Blute, nimmt etwas mehr von der Elasticität des Ganges hinweg, fügt etwas mehr zu dem sich verlängernden Gesicht hinzu und hemmt nach und nach das heitere Lachen und den lustigen Scherz, die aus dem Schiffsraum und der Kajüte kommen, und ohne daß wir es ofscn bekennen wollen, müssen wir nns doch Alle gestehen, daß der Feind dann nnd wann die Oberhand über nns gewinnt, und daß wir den Muth oft zn erneuern haben. Die Neu-heit unseres Lebens ist erschöpft, und die Außenwelt hat uichts Neues. Der Mondschein kommt und geht wieder, und die Nacht glitzert heiter und kalt auf der weißen Landschaft. Das Gedächtniß kehrt ungeheißen zn anderen Tagen zurück, die geflohen nnd hinüber sind, und in der funkelnden Lnft nnd der stillen Stunde der Wintcrnacht vermisfen wir das Schellengeläute und den Schlitten, der, obgleich schon voll, doch immer noch Einen aufnehmen kann, und den Gafthof an der Straße, und das ranchende Abendessen, das der „Herr Wirth" aufträgt, nnd die knatternde Flamme der ländlichen Scheite; und wenn wir den Mond uud den Schnee ynd den Frost vergessen, nnd an den Sommer und den Sonnen- Der WeihnachtsHeiliaMbend. 175 schein denken, dann erinnern wir nns, daß „der Sitz im Schatten des Hagedornstranchs" in weiter Ferne liegt. Den 24, December, Der Weihnachts-Heiligc-Abend! Welch' glückliche Erinnerungen werden mit der Erwähnung dieses Nauiens wieder in's Gedächtniß gerufen! Wie viel jugendliche Hoffnungen bringt er der müden Seele und dem schmerzerfüllten Herzen zurück! Wie machtig ist der Zauber, wie magisch der Einfluß! In dies kleine eis-umschlossene Fahrzeug ist ein Lichtstrahl gefallen, und aus dem verheißenen Morgen schöpfen wir diefclbe Bcgeistcrnng, die über die ganze Menschheit gekommen ist, seit „jener helle nnd liebliche Stern" den Hirten von Iudä'a znin ersten Mal aufging; denn wo wir uns auch befinden auf dieser weiten, weiten Welt, wir finden in dem Tage das Symbol, das nns Alle an eine Hoffnung bindet. Mit der anfgehenden Sonne tritt Freude in's Dasein, und die Weihnachtsglocken, die ihre fröhlichen Stimmen anf den Schwingen des wiederkehrenden Lichts hinsenden, umschlingen die Erde mit cincm nnnnterbrochenen Geläute. Ihre harmonischen Töne lassen überall hin frohe Botschaft erklingen. Die freudenvolle Musik erfreut den einsamen Wächter auf dem Meere und den Jäger, der sich neben der heißen Asche seines qualmenden Feuers wärmt; sie dringt in die niedrige Hütte des Sclaven und in die Baracke des müden Auswanderers ein; sie erreicht den Wanderer in den Steppen der Tartarci und den Wilden im Urwald; sie tröstet den Armen und Trauernden, wie den Reichen und Mächtigen; dem Kranken wie dein Gesunden, wo sie auch unter der Sonue sein mögen, bringt sie c^neu segensreichen Licht-glanz, — und sie strahlt auch . . . „auf den cw'gen Schnee boch unterm Polarstern, Beleuchtet mit dein hellen Kreuz den tiefen Gilden fern. Der Wcihnachtsmorgen bildet nur die Dänim'rung, welche bringt Den Tag, an dem die Lebenskraft mit keinem Winter ringt." Ich habe auf dem Schiffe noch nie solche Heiterkeit nnd Freude gesehen. Aus versteckten Winkeln sind verschiedene Geschenke hervorgeholt worden, und nach der magischen Art, auf die sie zum Vorschein kommen, könnte man denken, Santa Claus habe erst eine besoudere Mission zu dieser kleineu Welt übernommen, ehe 176 Der erste Weihnachtstag. er anfing, die Schuhe und Strümpfe zu füllen und in den theuren alten Ländern, wo er der Schutzherr des ,,Christ-Kinkle-Heiligen-Abends" ist, und wo die silberne Schnur, mit welcher die Liebe gebunden, jährlich einmal mit dem Weihnachtsopfer aufgefrischt wird, dm verlassenen Mädchen Mitgaben für die Heirath zu geben. Der Kajütentisch ächzt förmlich unter einer Masse Feicrtagssueisen, — freundliche Andenken von denen, die heute Abend im Familienkreise von uns sprechen. Hansen von Vonbons und „Weihnachtsstollen" von jeder nnr denkbarm Art, die allerhand zärtliche Mottos tragen, kommen aus ihren blechernen Kapseln nnd setzen den frohen Herzeil in Aussicht stehende Verdauuiigsschwäche entgegen. Heute war Jedermann geschäftig, fertig zu werden, um den morgenden und die folgcudcn Festtage zu feiern. Zu diesem löblichen Vorsatz ermuthige ich natürlich auf alle Weise. Die Echiffs-vocräthc enthalten Nichts, was für den Weihnachtsfchmaus zu gut wäre, der, wie McCormick verspricht, denjenigen seines (Geburtstages noch übertreffen soll. Leider wird er demselben seine persönliche Aufmerksamkeit uicht widmeu können, denn er liegt an einem erfrorenen Fuße darnieder, den er während der Jagd auf eine nur ihm selbst bekannte Weise bekommen hat. Wie in der Heimath Niemand gern bekennt, daß sein Pferd mit ihm durch-gegaugeu ist und ihn abgeworfen hat, so will hier Niemand gestehen, daß Hans Frost Gewalt über ihn hat. Frostflecken zu haben ist in dieser Gemeinde ein stehender Vorwurf. Den 26. December, Weihnachten kam und ging wieder und hat uns Allen eine angenehme Erinnernng hinterlassen. Für mich würde es ein Tag des reinsten Vergnügens gewesen sein, wären meine Gedanken nicht Sonntag gefolgt nnd hätten sie uicht bei dem schweren Verluste verweilt, den ich in dem Tode meiner Huude erlitten; denn die Lente waren munter und lnstig, und sie so zn sehen, ist jetzt meine erste Sorge. Abgesehen von jedem Gcfühl, das sich an den Wunsch knüpft, daß die Lente glücklich find, hat es für mich noch eine andere Bedeutung, denn es ist die Bürgschaft für die Gesundheit. Die Schiffsglocke wnrde auf den Masttop gezogen, und während die Glocken anderer Länder durch das Sonnenlicht und über eine fröhliche Welt hin läuteten, ließ die unsrigc ihre hellen Töne Der erste WeihnachtZfeiertag. 177 durch die Dunkelheit uud Einöde erschallen. Hierauf versammelten wir uns in der Kajüte und brachten in unserer eigenen beschei-deneu Weise unsern Dank für den Segen dar, den der gütige Himmel uns verliehen hatte. Dann Mg Jeder an die ihm zu-ercheilten Geschäfte. Ich brauche uicht zu sagen, daß diese Geschäfte hauptsächlich die Vorbereitung und Förderung Nlles dessen betrafen, was zu einein „Weihnachtsschmaus" gehörte, Die Offi-ciere schmückten die Kajüte mit Flaggen, und die Matrosen deco-rirten ihre Wände und Balken mit Streifen von rothein, weißem und blauem Flanell, der ihneu aus deu Schiffsvorräthen geliehen wurde. Der ganze Schooner wurde illniniuirt und jede Lampe in Beschlag genommen. Es wnrde ein besonderes Quantum Oel bewilligt, und das oberste Deck war glänzend erleuchtet. Für die Festmahlstische wurden zwei ungeheure Armleuchter gebaut, und einiges Gold- und Silberpapier, Flitterschnüre und Streifen Borte, die uns Mr. Horstmann frenndlichst zum Wintertheater geschenkt lMte, welches nie stattfand, bedeckten das Holz, aus dem sie bestanden, und verliehen den Leuchtern ein ganz glänzendes Ansehen, während zwei Dutzend Walrathlichte die Nänmc, in denen sie hingen, brillant erleuchteten. Knrz vor der Speisestnnoe besuchte ich auf Bitten der Mannschaft deren Quartier und freute mich eben so sehr über den Geschmack, den sie gezeigt hatten, als über die Innigkeit, mit welcher sie auf den Geist des Tages eingingen. Alle Ecken nnd Winkel des Schiffsraumes waren so rein und sauber als möglich. Jedermann war geschäftig nnd frcnte sich. In letzterer B^iehnng konnte man jedoch den Koch als eine Ausnahme von der Regel bckrach-ten, denn von seiner Kunst hiug der Erfolg der Pläne ab, die Jeder hatte, und er wurde daher streng bewacht. Bei seinem rothglühenden Kombüsen-Ofen machte ich Halt und wünschte ihm ein fröhliches Weihnachten. ,,Dank' Ihnen, Sari" sagte er; „aber ich bekomme keine Zeit, an das fröhliche Weihnachten zu denken. Der Commandant sehen diese großen Nennthicre." Er fuhr fort, zwei schöue Wildpretskeulen, die zu den: Feste wareu sorgfältig aufbewahrt wordcu, wacker zu begießen und die letzte Hand an einen Kessel verlockender Suppe zu legen. In der Absicht, ihn zu ermuthigen, erinnerte ich ihn, daß mit dem Anftragen des Essens seine Arbeit vorüber sein werde; da erwiderte er mit jener Logik, durch welche die menschliche Natur, besonders bei Haye«, Das osftnc Polav-Mccr, 12 178 Em fröhliches Weihnachten. einem Schiffskoch, sich auszeichnet-, „Sar verzeihen; so lange mein himmlischer Vater mir Gesundheit schenkt, will ich gern arbeiten." Als ich aus dem Schiffsraum in die Officier-Kajüte ging, sandte mir die Mannschaft drei Hoch nach, und noch drei auf die Expedition, und ich weiß nicht, wie viele später noch anf ein „fröhliches Weihnachten" für sie selbst folgten. Das oberste Verdeck war durch die Menge Lampen hell nnd heiler nnd mit ungewöhm licher Sorgfalt „aufgeräumt" worden; auch aus der Mitte deo Schiffs hatte mau Alles entfernt. Dies, sagte mir Kuorr, sei sein Werk, und man theilte mir mit, das; dort ein „Ball" sein solle. Die Neigung zur Oelvergeudung war ansteckend. Selbst das kleine heidnische Weib meines abwesendeil Jägers hatte sich noch eine Lieferung zu verschaffen gewußt und erfreute sich einer ExtraFlamme zu Ehren des Tages, dessen Bedeutung ihr böhmische Dörfer waren. Ihre Hütte war ein heiteres Nest von Pelzen, und der kleine Pingasuik mit einem Streifen zähen Seehundspecks, der die Stelle eines Ooodyear'scheu Patent-Emmmisangers für Kin der vertrat, lachte und krähte, wie mau es an diesem christlichsten Tage von einem kleinen christlichen Kinde erwarten würde. In einer Ecke grinste Jacob, der fette Jacob. Charley sagte mir, er finge bei der Aussicht auf die vieleil Brocken, die, bei eiuem so reichlichen Schmaus abfallen würdeu, schon am frühen Morgen an zu grinsen, und um sich darauf vorzubereiten, habe er einen Fuchs verschlungen, den Jensen ans einer seiner Fallen mitbrachte, lind dessen Balg abzustreifen er dem jungen Manne übertragen hatte. Draußen auf dem Eise sah ich eine unruhige (Gruppe um zwei große blecherne Kessel beschäftigt. Sie rührten Etwas mit hölzernen Stöcken nm, und ich fand, daß sie bei 34" F. unter Null s—20",35 N.) „Wasser-Eis" und „römischen Punsch" im Oroßen machten. Sie brauchten zu ihrem „Gefrorenen" keine chemischen Mittel. Nm sechs Uhr ging ich zu den Ofsicieren zu Tische. Unser Mas und Steingut war von der Zeit an, wo wir Boston verließen, auf irgend eine geheimnißvolle, nur dem Steward bekannte Weise verschwunden, aber wir haben eine Menge Blcchwaare, um den Mangel zu ersetzen, und jeder Becher enthielt einen Strauß aus Seidenpapier geschnittener Blumen, und eiu ungeheures Mittel-stück von demselben Sloff stand unter dem glitzernden Armlenchter. Das Mahl sagte Allen vortrefflich zu, nnd wenn nus der ortho- Ein arktischer Ball. 179 doxe Truthuhn fehlte, so war die Wildpretskeule kein schlechter Stellvertreter. Ich blieb bis neun Uhr und überließ dann die Gesellschaft einem fröhlichen Abend. Die Stunde znm Auslöschen der Lichter wurde nach Belieben hinausgeschoben, und da ich dieses Privilegium selbst bewilligt habe, so kann ich natürlich nicht sagen, daß die Negeln der Mnnnszucht oder des Lebens am Bord irgendwie verletzt wnrden. Ich sah mit Freuden, daß die Leute überhaupt den Geist hatten, fröhlich zn sein, und ennuthigte sie darin nnr zu gern. Jeder Theil des „festtags/' wie sie es scherzweise nennen,, wurde mit sehr anständigem Betragen verbracht. Der „Ball" ging los, wie versprochen war, nnd als ich um Mitternacht hinaufging, um mir die Spaßvögel einmal anznsehen, fand ich Knorr in Pelze gewickelt, auf einen: Fäßchcn sitzend und ganz energisch geigend, während Barnnm und McDonald mit ungeheurem Beifall einen Matrosentanz aufführteil; dann schwenkte Carl den Steward in den „schwindligen Irrgängen des Walzers" herum, und endlich machte Charley das Schiff mit Lachen erschüttern, indem er einen ?Ä8 ä« äoux mit Madame Hans versuchte. Der alte Koch war von nnten die Treppe herausgekrochen und schrie, seine Beschwerden und „Rennthiere" vergessend, den Tänzern lauten Beifall zu. Aber bald bemerkte man, daß er sich von dem „heitern und festlichm" Schauplatz fortmachte. Ein Dutzend Stimmen riefen ihm laut nach: „Halloh, Koch! — kommen Sie her uud machen Sie einm Tanz!" „Was hilft mir Tanzen und dummes Zeug Machen, wenn keine Frauen da sind?" „Aber da ist Frau Hans, Koch." „Hu!" — und er tauchte hinunter. 12* Sechzehntes Kapitel. Daö neue Jahr. — Ich erwarte Sonntag. — Das Nordlicht. — Ein mcrkwür« digcs Schauspiel. — Tiefe des Schnees. Auffallend gelinde Wittcruug. — Das offene Meer. — Verdunstung bei niedrigen Temperaturen. — Wir sehen der Dämmerung entgegen. — Meine Schooßfüchsin. Den t. Januar 1861. Die Weihnachtsfeierlage sind schnell vergangen, und das Jahr des Heils achtzehnhunoerteinundsechzig ward unter großem Jubel geboren. Wir haben soeben „das alte aus- und das ueue eingeläutet/' Als die Uhr die, Mitternachtstunde zeigte, wurde die Glocke gezogen, unsere Drehbasse*) sandte aus ihrem kleinen Schlunde eine Feuerflamme in die Dunkelheit, und einig«'. Feuerwerkereien gingen zischend und paffend in den heitern Himmel hinein. Die Raketen und blauen Lichter strahlten mit einem zauberhaften und seltsamen Licht über den Schnee hin, und das laute Dröhnen der Kanone und der Lärm der Glocke, die durch die nahm Schluchten in vielfachen Echos widerhallten, schienen gleich den Stimmen aufgeschreckter Geister der Einöde. Ich sehe jetzt ängstlich Sonntag's und Hansens Rückkehr entgegen. Ich war in der That schon vorbereitet, sie in den letztvergangenen sieben Tagen jeden Augenblick zu sehen; denn wenn ich auch wenig Hofsnnng hatte, daß sie in Sorfalik oder Petrra-vik Eskimos finden würden, so hätte mich doch ihre schnelle Rückkehr uicht überrascht. Hellte ist der zehnte Tag ihrer Abwesenheit, und sie haben mehr als reichliche Zeit gehabt, selbst nach der Südseite des Whale-Sundes zu gehen und wieder zurückzukommen, *) Aue Art kleiner SchiManoum Ä n IN. d, u e l,' e!',. Wir sehen Tonntms^ Rückkehr entgegen. 181 Ich bin jetzt uni so ängstlicher, da der Mond untergegangen ist und die Schwierigkeiten des Reifens dadurch so bedeutend vermehrt werden. Indeß hegte Sonntag den unverhohlenen Wunsch, einige Zeit u.ntcr den Eingeborenen zu bleiben, nm ihre Sprache und Sitten zu studiren lind an ihren Iagdausflugen theilzunehmen, nnd als er abreiste, hatte ich die feste Ueberzeugung, daß, wenn sich ein leidlicher Vorwand für eine so lange Abwesenheit finden ließ, wir ihn bis zum Iauuar-Mond nicht sehen würden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß er bleiben wird, wenn er fiu-det, daß dadurch der Wahrscheinlichkeit nach das Interesse der Expedition nicht leidet. Den 5. Januar, Ich habe keinen Hund mehr. Der General war der letzte; er starb vor zwei Tagen, ^er arme Kerl! Ich hatte ihn in der letzten Zeit mehr als je liebgewonnen, zumal da er von dem Schaden au seinein Beine wieder ganz genesen war und uach einiger Zeit jedenfalls am Schlitten nützlich zu werden schien. Es t'ommt Einem sonderbar vor, den Ort so verlassen und so still zu sehen. Im Frühwintcr ging ich nie aus dem Schiffe auf das Eis, ohne daß das gauze Nudel sich um mich herumdrängte und, wenn ich kam, vor Freuden spielte und bellte; jetzt liegen ihre leblosen Körper zerstreut im Hafen umher, halb im Schnee und Eis begraben, uud wenn sie auch nicht so furchtbar sind, bieten sie wenigstens kaum einm schulteren Anblick dar, als jene anderen starren und steifen und zusammengewundcnen (Gestalten, welche die wandernden Dichter unter dem dunklen Himmel und den „düstern Dünsten" und gefrorenen Wassern des eisigen Reiches des Dis fanden. Die Hunde bildeten eine Gesellschaft, die, abgesehen von ihrem Nutzen, sich bei Jedermann beliebt machte, und in dieser Beziehung fühlen wir Alle die Größe des Verlustes gleich start. Es ist jedoch schwer, ohne ein Lieblingsthier auszukommen, und seitdem der General gestorben ist, habe ich mir von Jensen eine Füchsin fangen lassen; dieses schlaue kleine Geschöpf fitzt jetzt zusammengekauert in einem Kübel mit Schnee ill einer Ecke meiner Kajüte, und wenn sie auf das Kratzen meiner Feder lauscht, sieht sie fast aus, als wollte sie gern wissen, um was es sich handelt. Ich gebe mir viele Mühe, sie zu civilistren, nnd habe einigen Erfolg gehabt. Als sie hereingebracht wurde, war sie sehr scheu, 182 Das Nordlicht. indem ich sie aber eine Weile sich selbst überließ, hat sie sich mit ihrer neuen Wohnung etwas ausgesöhnt, Sie ist etwa drei Viertel ausgewachsen, wiegt vier und ein viertel Pfund, hat einen Pelz mit langem schönem Haar, der in der Farbe demjenigen einer Malteser-Katze gleicht, und wird unterwiesen, anf den Namen Birdie zu antworten. Den 6. Januar. Schon oft ist mir. der sonderbare Umstand aufgefallen, daß wir bis jetzt das Nordlicht kaum geseheil haben; erst heute hat es sich mit großem Glänze gezeigt. In den letzten zwölf Stunden sind wir zweimal mit demselben begünstigt worden. Das erste war um elf Uhr Morgens, das zweite nm neun Uhr Abends. Im letzten Falle war der Bogen vollkommen; im ersten war er weniger zusammenhängend, aber intensiver. In beiden Fällen war die Richtung des Mittelpunktes vom Observatorimn aus (genan) West zu Süd und stand 30" über dem Horizont. Zwanzig Grad über dem Bogen am Abend befand sich ein zweiter unvollkommener, eine Erscheinung, die ich znvor nicht gesehen habe. Iu der Richtung West-Nord-West schoß ein einziger Strahl nach dem Horizonte hinab und dauerte dort fast eine Stnnde fort. Die Seltenheit des Nordlichts macht sich hier noch mehr bemerklich als im Van Rensselaer Hafen. Wir scheinen fast über dasselbe hinaus zu sein. Die Gegend, in der es mit dem größten Glänze auftritt, scheint zehn bis zwanzig Breitengrade weiter südlich zu liegen. Wie im Van Rensselaer Hafen, zeigt es sich fast immer am westlichen Himmel, und Jensen sagt mir, dies sei auch iu Upernavik der Fall, uud behauptet ebenfalls, daß die Erscheinungen dort viel glänzender nnd häufiger wären als hier. Die Erscheinung am Morgen war viel schöner als die am Abend. Ich habe in der That selten ein erhabeneres uud imposanteres Schauspiel gesehen. Veilänfig gesagt' wie sonderbar klingt es doch, von Ereignissen zu sprechen, die am Morgen und am Abend geschehen sein sollen, wenn man, nm sein Leben zu erhalten, nicht ohne die Uhr sagen kann, mit welchem Namen man die Abtheilungen der Zeit nennen soll! Wir sagen alls Gewohnheit elf Uhr Morgens nnd elf Uhr Abends; wenn wir uns aber durch einen unglücklichen Zufall nm zwölf Stunden verrechneten, dann würden wir immerfort den Abend Morgen nnd den Morgen D Das Nordlicht. 183 Abend nennen, ohne daß wir im Stande wären, den Irrthum dnrch einen Unterschied in der Starte des Lichts zn diesen zwei Tageszeiten zu entdecken. Das war jedoch eine Abschweifnng. Uni wieder anf das Nordlicht von diesem Morgeu zu kommen! NlZ cs eben zum Vorschein kam, spazierte ich zwischen die Eisberge an der Mündung des Hafens hinans, und obgleich die Zeit so nahe am Mittag war, so tappte ich doch dnrch eine Finsterniß hin, die mich bei meinen Bewegungen zwischen dem holprigen Eise in die größte Verlegenheit brachte.' Plötzlich schoß ein heller Strahl hinter der schwarzen Wolke hervor, die vor mir tief unten am Horizonte lag. Er dauerte nur einen Augenblick; nachdem er die Luft mit einer seltsamen Beleuchtung angefüllt hatte, verzog er sich wieder nnd ließ eine noch tiefere Finsterniß znrück, als vorher war. Oleich darauf wölbte sich der Bogen, den ich oben erwähnte, qner über den Himmel, und das Nordlicht nahm allmälig einen festeren Stand an. Der von dem Bogen eingeschlossene Ramn war ganz dunkel und wurde vou der Wolke ausgefüllt. Das Spiel der Strahlen, die von seinen: stetig glänzenden Saume aufstiegen, war eine Zeit lang sehr launenhaft, denn es ließ, wenn ich das Bild gebrauchen darf, das Hervorbrechen der Flamme ans einem Brande mit der sanften Glnth des frühen Morgens abwechseln. Das Licht wurde nach und nach immer intensiver und ging von unregelmäßigen Hervorbrechungen in eine fast stetige Glauzflä'che über. Diese Fläche war jedoch dnrchaus nicht einfiw mig; sie war nur eine Fluth von sich vermischenden nnd mannich^ fach gefärbten Streifen. Die Erscheinung, anfangs harmlos nnd ruhig, wurde an, Ende in ihrem Glänze erschreckend. Die breite Kuppel über mir steht ganz in lodernden Flammen. Gräßliche Feuer, wüthender als die, die ans dem brennenden Troja den Himmel entzündeten, fahren zornig qner über den Luftranm. Die Sterne erblassen vor dem wunderbar funkelnden Glänze uud scheinen immer weiter nnd weiter von der Erde zurückzuweichen, — wie damals, als der Sonncnwagen, von Phaöthon geführt nnd von den nnleutsatM'n Rossen ans seinem gebahnten Geleise gebracht, rasend durch den Himmel stürzte, die Welt versengend nnd die Sternbilder verwelken machend. Die sanfte Andromeda flieht zitternd vor der Flamme; Pcrseus mit seinem blitzenden Schwert und ' Gorgonenschilo zieht sich in Furcht zurück; der Polarstern wird aus der Nacht gejagt, nnd der große Bär, die trenc Schildwachc ^84 T^fe ^,^ Schnees. des Nordens, verläßt seinen Posten und geht der schwachen Fährte nach. Die Farbe des Lichts war hanplsächlich roth; dies war aber nicht beständig, nnd in dem wüthenden Schauspiel vermischten sich alle Schattirungen. In dem blaßgelben Feuer spielten blane nnd gelbe Lichtströmc, nnd zuweilm von dcr weiten Wölbung des erleuchteten Vogens nebeneinander ausgeheild, verschmelzen sie ineinander nnd werfen einen geisterhaften Glanz uon Grün in'Z Gesicht und über die Landschaft. Dieses Grün sticht wieder das Noth aus; Vlau nnd Orange umschließen einander auf ihrer schnellen Flucht; violette Pfeile schießen dnrch eine Flnth von Gelb, und unzählbare Znngen von weißer Flamme, aus diesen sich vereinigenden Strömen gebildet, fahren in die Höhe und lecken den Himmel. Das Spiel dieses vielfarbigen Lichts auf den umliegenden Gegenständen war wahrhaft wundervoll. Neber dem Meere zeigten sich die zauberhaften Gestalten unzähliger Eisberge einzeln uud in Gruppen, und um ihre Spitzen leuchtete der seltsame Lichtschein wie die Feuer des Vesuv über die dem Untergange geweihten Tempel von Campanien hin. Anf den Berggipfeln längs der weißen Oberfläche der gefrorenen Gewässer, anf den hohen Klippen glühte das Licht, wurde düster und glühte wieder, als ob die Luft mit Gebein-Meteoren angefüllt wäre, die mit wilder Unstetigkeit über einer großen,' grenzenlosen Todtenstadt schwebten. Die Scene war geräuschlos, aber die Sinne wurden getäuscht, denn auf die schnellen Blitze schienen n«heimliche Töne zn folgen und in das Ohr zn fallen, wie wenn ,Mn Ocistcrhecr Sich naht nüt Specr Und Banner und sseuerflamme." Dm 16. Januar. Der Januar verläuft stürmisch. Der Wind bläst fort wie zuvor, und das Brausen der Stürme erfüllt die Nacht mit Schreckens-tönen. Die Luft war jedoch meistentheils gan^ rein. Schnee ist seit dem November nur wenig gefallen. Die ganze Tiefe desselben beläuft sich jetzt auf 53-'/4 Zoll, Der Unterschied in den atmosphärischen Verhältnissen dieses Ortes und des Van Rensselaer Hafens fällt mir immer mehr anf. Dort hatten wir selten Feuchtigkeit, und Stürme kannte man tanm.' Die Temperaturen waren sehr Verduttswnq b^> niedrigen Temperaturen. ^85 niedrig, und der Minier zeichnete sich durch eine allgemeine Ruhe der Elemente aus. Hier sind die Temperaturen milder, als sie Parry auf' der Melville-Insel hatte, die atmosphärischen Störungen waren sehr groß und die Masse Schnee wahrhaft überraschend. Die Winde haben wenigstens ein Gutes. Sie führen den Schnee entweder fort oder packen ihn ganz fest zusammen, so daß wir mit eben so geringer Schwierigkeit umhergehen, als wenn wir auf dem bloßen Eise liefen. Er ist so hart gestampft, wie die Fahrwege im Centralpark. Alle diese nngewöhnlichen Erscheinungen rühren, wie schon bemerkt worden ist, ohne Zweifel von der dichten Nähe des offenen Meeres her. Wie weit sich dieses Wasser erstreckt, ist natürlich unbekannt, aber um eine so bedeutende Störuug in der Atmosphäre hervorzubringen, können seine (Grenzen sehr eng sein. Es scheint in der That, als befänden wir nns in dem eigentlichen Wirbel der Nordwinde, Der Dichter hat uns gesagt, daß die Nordwinde „ihre Wiege weit unten in den Tiefen haben, die unter dem Polarstern gähnen," und es hat ganz den Anschein, als wären wir in diese gähnenden Tiefen gerathen und nicht nur an den Ort gekommen, wo die Winde ihre Wiege haben, sondern wo sie auch geboren werden, Ich habe den ganzen Winter hindurch eine Reihe Versuche gemacht, die mir einige intcressautc Resultate liefern. Sie zeigen, daß selbst bei den niedrigsten Temperaturen Verdunstung stattfindet, uud baß oft Niederschläge vorkommen, wenn die Luft scheinbar ganz rein ist. Uni dies letztere zn bestimmen, habe ich eine Anzahl Eisstücke mit glatter und genau gemessener Oberfläche der Luft ausgesetzt und den unbedeutenden Niederschlag vou ihnen gesammelt. Diese Ansammlungen betragen bis jetzt, nachdem ich sie auf das Normalmaaß des frisch gefallenen Schnees gebracht, sieben Achtelzoll, Um die Verdunstung zu bestimmen, habe ich eine An-M in einer flachen Schüssel gemachter dünuer Eisplatteu ^und emige Streifen nassen Flanells im Freien aufgehängt. Der Flanell wird in einigen Tagen vollkommen trocken, und die Cisplatten verschwinden langsam und stetig. Ich wäge sie in der Regel alle zwei Tage, und es ist hübsch, zu beobachten, wie meine kleinen kreisrunden Wurfscheiben in aller Stille hinwegschmelzen uud „zu dünner Luft" hinschwinden, während der Thermometer unten in den Nullen steht. 166 Meine SchcwMchsin. Diese Verdunstung bei niedrigen Temperaturen findet zu unserm Vortheil beständig vor unseren Augen statt. Nn Waschtagen werden die Kleider auf Leinen gehängt, die wir quer über das Tatelwerk des Schiffs oder an Pfählen über das Eis spannen, wie man es an den Montags-Nachmittagen in den Höfen der Farmhünser sieht, und ehe die Woche vorübergeht, ist die Feuchtigkeit verschwunden, es mag uoch so kalt sein. Den 16, Iamwr, Unsere Nngen wenden sich jeht sehnsuchtsvoll nach Süden nnd warten begierig auf die Spitze des Wagens Aurora's, wenu die schöne Göttin des Morgens aus dein Meere aufsteigt, um von ihren rosigen Fingern einen Strahl der Freude in diese Welt herabfallen zu lassen, die sie so lange vernachlässigt hat. Wir sind fast einen Monat über den dunkelsten Tag des Winters hinaus, und es wird noch lange dauern, ehe wir Licht bekommen; aber es ist nun Zeit, daß wir zu Mittag ein mattes Erro'then am Horizout haben. In der ungeduldigen Erwartung finden wir einen neuen Neiz, wenn man es so nennen kann. Mittlerweile hätschle ich meine Füchsin. Birdie ist ganz zahm geworden und macht ihrem Lehrer große Ehre. Sie ist das schlaueste Geschöpf, das man je sah, uud bildet für den General keinen schlechten Stellvertreter. Sie nimmt des Generals Platz an meinem Tische ein, wie sie seine Stelle in meinem Herzen hat; aber sie sitzt auf meinem Schooß, wo der General nie zugelassen wurde, und wenn sie ihre zarten Pfötchen auf den, Tischtuch hat, sieht sie ganz malerisch aus. Ei, sie ist in der That eine vollkommene kleine 0«nrm3,nä6, anch gut erzogen nnd gescheidt. Wenn sie die kleinen Bissen in den Mnnd nimmt, fnn-teln ihre Augeu vor Wonne, fie wischt ihre Lippen ab und blickt mit einer Coquetterie ^u mir auf, die ganz unwiderstehlich ist. Der begierige Appetit wird durch Beobachtung des Anstandes bei Tische und eine passende Selbstachtung im Zaume gehalten, nnd sie begnügt sich, einen Schmaus, an dem sie so viel Geuuß siudet, zu verlängern. Sie ißt nicht gern stark gewürzte Speise; sie genießt sie lieber ohne Zulhat; ich habe daher einige kleine Stückchen Wildpret, die für sie auf eiuem besondern Teller servirt werden. Sie hat ihre eigene Gabel; aber sie ist noch nicht weit genug in den Gebräuchen der Civilisation vorgeschritten, um sie selbst zu handhaben; ich qebe Mine SchooMchsin, 487 ihr daher die leckeren Bissen in den Mund. Bisweilen zeigt sie zu viel Ungcdnld; aber ein sanster Schlag mit der Gabel auf die Nasenspitze ist ein ganz wirksames Mittel, ihre Geduld wiederherzustellen und sie vor Verdammgsschwäche zu bewahren. Ihre (Gewohnheiten iuteressiren mich in hohem Grade. Nachdem ein kurzes Einsperren in einen Käfig sie mit dem Orte vertraut gemacht hatte, ließ ich sie frei in meiner Kajüte umherlaufen; aber sie machte bald das „Gallglas" über meinem Kopfe ausfindig, nm welches herum sich Risse befinden, durch die sie die kühle Luft schnüffeln formte, und nahm die Gewohnheit au, über die Regale zn springen, ohne alle Rücksicht auf die vielen werth-vollen uud leicht zu verderbenden Gegenstände, die auf denselben lagen. Von diesem Zufluchtsorte kann sie Nichts als eine gute Mahlzeit weglocken, nnd sobald sie von ihrem Stande aus die Stückchen rohen Wildprets sieht, kriecht sie gemächlich herunter, schleicht sanft in meinen Schooß, blickt nur sehnsüchtig und zärtlich in's Gesicht, streckt mit lebhafter Ungeduld ihre kleine Zunge heraus nnd bellt redend, wenn der Anfang der Mahlzeit sich zu lange verzögert. Von dieser Gewohnheit zu klettern versuchte ich sie zu kunren, indem ich sie au eine Kette legte, die mir Knorr ans Eiscndraht gemacht hatte; aber sie nahm es sich so sehr zu Herzen, daß ich sie mußte gehen lassen. Ihre Anstrengungen, sich frei zu machen, waren sehr ergötzlich, und sie verdiente ihre Freiheit hinlänglich. Sie versuchte beständig die Kette zu zerreißen, nnd da es ihr ein' mal gelnngen war, schien sie entschlossen, sich in ihren späteren Versuchen nicht tänschen ;n lassen. So lange ich sie beobachtete, lag sie ganz rnhig zusammengekauert in ihrem, Nett oder ihrem Schneekübel; den Augenblick aber, wo ich die Angcn von ihr wandte, oder wo sie glaubte, daß ich schliefe, arbeitete sie hart, um ihre Vefreinng zn erwirken. Erst zog sie sich zurück, so weit sie kommen konnte; dann schoß sie plötzlich vorwärts und legte sich am Ende ihrer Kette mit einem Rnck vor Anker, der sie auf dem Fußboden tanmcln machte; dann erholte sie sich wieder, wobei sie keuchte, als ob ihr kleines Herz brechen wollte, schüttelte ihren in Unordnung gerathenen Pelz aus und versuchte es von Neuem. Dies that sie aber mit vieler Ueberlegung. Sie setzte sich einen Augenblick ruhig uiedcr, legte den Kopf schlau auf eine Seite, verfolgte mit dein Auge die Kette in ihrer ganzen Länge bis zu der ,!88 Mine ^chooftsüchsin. Stelle, wo sie am Fußboden befestigt war, spazierte dann gemächlich bis an diesen Puutt, zögerte einen Augenblick nnd »nachte einen zweiten Sprung. Diese stanze Zeit sah sie mich scharf an, nnd wenn ich irgend eine Bewegung machte, siel sie sofort anf den Fußboden nieder nnd stellte sich, als ob sie schliefe. Sie ist ein sehr nettes nnd reinliches Geschöpf, Hie bürstet immerwährend ihre Kleider nnd badet fich ganz regelmäßig in ihrem Schneebad. Das letztere ist ihre größte Wonne, Sie wühlt mit ihrer winzigen Nase die reinen weißen Flocken anf, wälzt und reibt und vergrabt sich halb in ihnen, wischt sich das Gesicht mit ihren weichen Pfoten ab, nnd wenn Alles vorüber ist, steigt sie mit ihren zarten Fingern anf die Ceite des Kübels, blickt ganz wissentlich um sich nnd hebt das hübscheste kleine Gebell an, das man je hörte. Auf diese Art will sie Bewunderung erzwingen, und nun durch ihre Leistung befriedigt, schüttelt 'sie eine stattliche Anzahl Mal ihren funkelnden Pelz und kriecht dann, glücklich nnd erfrischt, zu ihrem luftigen Vett in, „Gallglas" und schläft. Siebenzehntes Kapitel. Die arttisckc ^>iackt, Dm 2(1. Januar. Der Morgen kommt! Ein matter Schimmer der Dämmerung stieg heute in der Mittagsstunde am südlichen Himmel auf, und wenn auch kaum bemerkbar, war er doch für uns Alle ein erheiternder Anblick. In uuserer gewöhnlichen Eonntags-Versammlnug las ich folgende Stelle aus dem Prediger Salomonis vor: „Süß ist das ^'icht, und licblich dcu An^cn dic Sonnc M schm," Dies gab auch den Text zu unserer Abend-Unterhaltung, und wir spracheil lange von der Zukunft und von dem, was zu thun war, wenu der Gott des Tages wiederkam. Wir fühlen jetzt Alle, daß der Schleier der Nacht sich hebt, daß die Wolke, hinwegzicht, daß die schwere Last der Finsterniß erleichtert wird. Die Leute haben ihre'Mittcl zum Zeitvertreib erschöpft; das Wochenblatt ist eines natürlichen ToVes gestorben; theatralische Aufführungen sind unmöglich, und es giebt nichts Neues, um dcu langen Stunden das Ermüdende zu uehmen. Aber wir werden noch nicht so bald nöthig haben, an diese Dinge zu denken. Es wird in Kurzem weder Zeit noch Gelegenheit zn Vergnügungen geben. Die arktische Nacht wird bald zu den Dingen der Vergangenheit gerechnet werden. Wir sind begierig darnach, daß sie ein Ende nimmt, und sehnen uns nach dein Tage und nach Arbeit. 1!»0 Die arttische Nacht. Und man mag sageil, nias man will, und von Much »üd männlicher Entschlossenheit uyd geistigen Hülfsmitteln nnd dergleichen niehr sprechen wie man will, diese arktische Nacht ist eine strenge Probe. Körperlich kann man recht gnt durchkommen. Wir sind immer vollkommen gesund gewesen und sind es noch. Ich bin mein eigener „Schiffs-Doctor," nnd bin ein Doctor ohne einen Patienten. Indem wir lieber an Democrit als an Heraclit glauben, haben wir den Scorbnt nnd alle anderen Krankheitsquellen verlacht, daß sie sich schämten. Ja, wir haben über den Scorbut wirklich nnd aufrichtig gelacht; denn wenn er bei eingesalzener Kost nnd unzureichender Nahrnng, was unser Loos nicht war, wie ein Dieb in der Nacht kommt, so stellt er sich doch auch bei Verzagtheit und der hypochondrischen Stimmung eines unglücklicheu Hauswesens ein, womit wir glücklicherweise verschont blieben. Uebt aber auch die arktische Nacht auf den Körper nur riuen geringen Druck, der sich aushalten läßt, so ist sie doch für die Geisteskräfte eine strenge Prüfuug. Die Finsterniß, welche die Natur so lange umhüllt, entfaltet den Sinnen eine ueue Welt, und die Sinne bequemen sich dieser Welt nur dürftig an. Die erheiternden Einflüsse der aufgehenden Sonne, die zur Arbeit einladen, — die besänftigenden Wirkungen der Abenddämmernng, die zur Ruhe mahnen, — der Wechsel zwischen Tag uud Nacht, der dem müden Geist nud schmerzenden Körper die Bürde, erleichtert, indem er die Hoffnung stärkt uud den Muth erhalt in dem großen Lebenskampfe im theuren Heimathlande, — das Alles ist nns entzogen, und bei der beständigen Sehnsucht nach Licht, Licht, gelingt es dem von dem wechsellosen Fortschritt der Zeit müden Geist und Körper nicht, Ruhe zu finden, wo Alles Ruhe ist. Die Großartigkeit der Natur hört auf, deu abgestumpften Gefühlen Frende zu machen. Das Herz sehnt sich beständig nach neuen Verbindungen, neuen Gegenständen und neuer Gesellschaft. Die finstere und traurige Einsamkeit unterdrückt den Verstand; die Verödnng, die überall herrscht, belästigt die Phantasie; die Stille — fiuster, traurig und tief ^ wird zum Schrecken. Und doch giebt es in der arktischen Nacht Vieles, was für den Naturfreund anziehend ist. In dem auflodernden Nordlicht, in dem Spiele des Moudlichts auf deu Hügelu und Eisbergen, in der wundervollen Helle des Sternenlichts, in der weiten Ans- Die arttische Nacht. 191 dehnnng der Eisfelder, in der hohen Größe der Berge und Gletscher, in der nackten Wuth der Stürme liegt viel Erhabenes und Schönes. Aber sie sprechen eine eigene Sprache, — eine Sprache, die rauh, holprig und hart ist. Die Natur zeigt sich hier in einem riesigen Maaßstabe. Äus dem gläsernen Meere erheben die Klippell ihre finsteren Stirnen und blicken grimmig über die einsame Wüste der eisbedeckten Gewässer bin. Die in der klaren kalten Atmosphäre glitzernden Berg-spihen, deren Häupter von ungezählten Jahrtausenden gran, durchbohren den Himmel. Die Gletscher ergießen ihre krystallenen Ströme in Uuthen von unermeßlicher Größe in's Meer. Die ^nft selbst, welche die sanfte Milde anderer Himmelsstriche verschmäht, stellt sich in höherer Majestät dar »md scheint dem Weltall eine grenzenlose Durchsichtigkeit zu verleihen, nnd die Sterne durchbohren fie scharf, und der Mond erfüllt fie mit kaltem Glanz. Unter diesem ätherischen Gewände der Nacht giebt es weder Wärme noch Farbenmischnng. Kein breites Fenster öffnet sich im Osten, kein gold- nnd karmostnfarbener Vorhang fällt im Westen auf eine in Blau, Grün uud Purpur gekleidete Welt, deren Farben M einem harmonischen Ganzen, einem bnnten Mantel von reizender Lieblichkeit verschmelzen. Im Schatten der ewigen Nacht braucht die Natnr keine Draperie uud verlangt keinen Schmuck. Das gläserne Meer, die schlanke Klippe, der hohe Berg, der majestätische Gletscher vermischen sich nicht mit einander. Jedes steht allein da, nur mit Einsamkeit gekleidet. Die schwarze Prie-steriu des arktischen Winters, sie hat die Welt in ein Sterbehemd gehüllt und ihren dichten Schleier über das Gesichl der Natnr geworfen. Ich bin oft in die arktische Nacht hinausgegangen nnd habe die Natnr von verschiedenen Seiten betrachtet. Ich habe mich mit ihr gefreut, wenn sie sich ill ihrer Stärke zeigte, und mich mit ihr unterhalten, wenn sie in Ruhe lag. Ich habe den wilden Aus-brnch ihres Zornes gesehen, habe ihr lustiges Spiel beobachtet uud sie angeschaut, wenn fie in Schweigen gehüllt war. Ich bin in der Finsterniß draußen umherspaziert, wenn die Winde durch die ^erge drallsten und nber die Ebene krachten. Ich bin am Strande hin geschlendert, wenn der einzige Ton, der die Stille unterbrach, das dumpfe Knarren der Eistafeln war, indem sie mit der Fluch nnd Ebbe lrüg stiegen nnd fielen. Ich bin weit hinaus auf das 192 Die arktische Nacht, gefrorene Meer gewandert und habe auf die Stimme der Eisberge gelauscht, die ihre Einkerkerung beklagten, — am Gletscher hm, wo die Lawine sich bildet und fällt, — auf den Berggipfel, wo der treibende Schnee, über die Felsen laufend, sein Klagelied sang, -^ und wiederum bin ich fortgewandert nach einem entfernten Thale, wo alle diese Töne schwiegen nnd die Luft still und feierlich wie das Grab war. Und hier ist es, wo die arktische Nacht den stärksten Eindruck macht, wo ihr wahrer Geist sich offenbart, wo ihre Wuuder sich zu Scherz und Spiel mit den dunklen Vorstellungen der Seele auflösen. Der Himmel oben und die Erde uuten offenbaren nur eine endlose und unergründliche Ruhe. Nirgends um mich herum giebt es einen Beweis von Leben oder Bewegung. Ich stehe allein mitten in den mächtigen Bergen. Ihre schlaukeu Kämme steigen empor und verlieren sich in dem grauen Gewölbe des Himmels. Die dunklen Klippen, die au ihreu weißen Abhängen stehen, sind die Stufen eines ungeheuren Amphitheaters. Der Geist, der auf ihreu kahlen Spitzen keine Nuhe findet, wandert in den Weltraum. Der Mond, vom langen Wachen müde, geht zur Ruhe. Die Pleiaden athmen nicht länger ihreu süßen Einflnß. Cassiopea und Andromeda und Orion und die ganze unendliche Schaar unzähliger Sternbilder stützen dieser todteu Atmosphäre keineu Funken Freude mehr eiu. Sie haben ihre ganze Zartheit verloren und find kalt und ohne Puls. Das Auge verläßt sie und kehrt zur Erde zurück, uud das zitternde Ohr erwartet Etwas, das die drückende Stille unterbricht. Aber keine Fußtapfe eines lebenden Wesens erreicht es; kein wildes Thier heult durch die Oede. Kein Vogel schreit, um die Scene zu belebeu; kein Baum ist vorhanden, in dessen Zweigen die Winde seufzen und jammern kö'unm. Nur die Schläge meines eigenen Herzens lassen sich in dem großen leeren Raume hören, und wenn das Blut durch den empfindlichen Bau des Ohres läuft, werde ich überwältigt, wie von mißklingen-deu Tönen. Das Schweigen hat aufgehört negativ zu sein. Es ist mit positiven Attributen ausgestattet wordeu. Ich scheine es zu hören, zu sehen uud zu fühlen. Es steht da wie ein schreckliches Gespenst, das den Geist mit dem überwältigenden Bewußtsein allgemeinen Todes erfüllt, — das Ende aller Dinge verkündet und die ewige Zukunft ansagt. Seine Gegenwart ist unerträglich. Die arktische Nacht. 193 Ich springe von dem Felsen, auf dem ich saß, ich setze meine Füße schwer in den Schnee, nm die schauerliche Gestalt zu verbannen, — und der Ton rollt durch die Nacht und vertreibt das Hirn-gesm'nnst. Ich habe auf dein Antlitz der Natnr keinen Ansdrmk gesehen, der so schreckensvoll war wie das Schweigen der arktischen Nacht. 13 Hayes, Das osfenc Polnr-Me«. HchWutes Kapitel. Herrn Sonntag's lanqe Abwesenheit. — Wir vercitm uns vor, nack il„n '^n suchen. — Es tonnnen ^skiinos an. — Sie melden Sonntag's Tod, — Hansens Antnnft. — Zllstand dcr Hillldc. — Hansens Er;äl>>nn^ t-er Reise. Jetzt war ein voller Monat verflossen, seit Sonnlag nnd Hans uns verließen, nnd da mehrere Tage des Iannar-Mondscheins uer^ gangen waren, ohne sie zurückzubringen, so halle ich alle Ursache, unruhig zu sein. (^'s war offenbar, daß sie eulweder ein Unglück genomnicn hallen, oder tinter den Eskimos atlf eine nncrtlärliche Weise anfgehalten ivitrden, ^ch fing daher an, alls Mitlel zu der (Entscheidung zn sinnen, was nii5 ihnen geworde» >var. Zuerst schickte ich Mr. Dodge nach ^ap Alexander hiliab, n»> die fährte zu verfolgen und zu ermittelu, ob sic u>n das Cap herum oder über dasselbe gegangen seien. Das Schliltengeleise lies, sich etwa fünf Meilen weit verfolgen; dann nahm es plötzlich ein Ende, indem das Gis seit dein December aufgebrochen und hinweggetrieben war. Dodge tonnte jetzt nur die Pässe deö Gletschers untersuchen, und da er dort keine Geleise fand, so lag es ans der Hand, daß die Reisenden auften herumgegangen waren. Meine nächste Sorge war, zu entscheiden, ob die Geleise auf dem festen Eise südlich vom Cap wieder zum Vorschein kamen; ich bereitete mich daher vor, mit einer kleinen Gesellschaft zn Fuße aufzubrechen und über den Gletscher zu setzen. Im Mll ich unterhalb Cap Alexander Geleise fand, hing mein fernerer Weg von Umstünden ab; kam das Geleise aber nicht zum Vorschein, so war es ein vollgültiger Beweis, daß die Reisenden verloren waren, und ich wollte dann südlich weiter gehen, bis ich die Eskimos traf, Es kommen Eskimos an, 195 denn ich tonnte die Verbindung mit ihnen nicht länger verschieben. Obgleich die Temperatnr bis ans 4.^ F. unter Null*) gefallen war, so machten doch die sorgfältigen Vorbereitungen, die ich zum Campiren getroffen hatte, die Reise in dieser Hinsicht von allen Gefahren frei. In Dodge's Abwesenheit gefror das Quecksilber während des Winters znm ersten Mal, und ich war närrisch genug, eine Kugel aus demselben zu formen und sie ans meiner Büchse durch eine Planke zn schießen. Dodge/ der einer meiner härtesten Männer war, kehrte von seiner zwölfstündigeu Fußrcise mit der Klage zurück, daß er eher iwn Hitze als von Kälte gelitten habe, und erklärte, er werde, wenn er noch einmal berufen werden sollte, so weit dnrch Schneewehen nnd Eishöcker zn waten, keine so schwere Last von Pelzen mitnehmen. In Wahrheit, er wie seine beiden Gefährte,: langten nnter ihren Nocken von Büffel-fell in starkein Schweiße an. Meine beabsichtigte Reise sollte jedoch nichl znr Ausführung kommen. Der Schlitten war mit unserer leichten Fracht beladen, nnd wir waren bereit, am Morgen des 27. anfznbrechen, aber es erhob sich plötzlich ein Sturm und hielt uns diesen nnd den fol genden Tag am Bord znrnck. ^rnh am Morgen des W. machten wir nns, da der Wind still geworden war, reisefertig. Die Leute zogen ihre Pelze an, nnd ich ertheilte in meiner Kajüte Mr, McCor mick die letzten Instructioncn, als Earl, der die Wache auf dem Deck hatte, eilig an meiner Thür erschien, um „zwei Eskimos am Schiff" zn melden. Sie hatten uns aus der Finsterniß her ganz plötzlich nnd unbemerkt überrascht. In der Vermuthnng, daß diese Leute uns schwerlich besucht haben würden, wenn sie nicht erst mit Sonntag und Hans zusammengetroffen wären, fchickcc ich sofort den Dolmetscher ab, um sie zu vernehmen. Er kam in einigen Minuten zurück. Ich fragte begierig, ob sie Nachricht von Herrn Sonntag brächten. „Ja." Ich brauchte nicht weiter zu fragen. Jensen's Gesicht sprach zu deutlich die schreckliche Wahrheit aus, — Souutag war todt! Ich schickte Jensen znrnck, nm daranf zu sehen, daß für die Bedürfnisse nusercr wilden Besucher ordmtlich gesorgt werde, nnd sie weiter zu verhören. Sie erwiese» sich als zwei meiner alten Bekannte^ — Utinah, dem ich für wichtige Dienste verbnnden 13* 196 Die Eskimos meldm Eonnwg's Tod. war, welche er mir im Jahre 1854 leistete, und cm munterer Bursche, dem ein fallender Stein das Bein zerquetscht hatte, und der seitdem aus einem hölzernen umhergehinkt war, welches ihm im Jahre 1850 der Arzt des „North Star" geliefert, und das ich ihm einmal reparirt hatte. Sie kamen Beide auf einem einzigen Schlitteu, der von fünf Hunden gezogen wnrde, und hatten den ganzen Weg von einem Dorfe auf der Südseite des Whale-Sunoes, Namens Iteplik, aus zurückgelegt, ohne einmal anzuhalten. Unterwegs kam ihneu der Wind zum Theil in's Gesicht; sie waren daher vom Kopf bis zu den ssüßen mit Schnee und Reif bedeckt. Mr ihre Bedürfnisse war bald reichlich gesorgt, und, sie waren nicht langsam, nur die Nachricht mitzutheilen, die mich am meisten interessirte. Von ihnen crfnhr ich, daß Hans mit dem Vater nud der Mutter seines Weibes sich auf dem Wege nach dem Schiffe befände. Einige seiner Hunde waren gestorben, nnd er reiste langsam und gemächlich. Da ich zu der Reise nach Süden keine Veranlassung mehr hatte, so nmrden die Vorbereitungen zu derselben eingestellt. Hans kam zwei Tage später an nnd war, zu unserm großen Grstauneu, nur von dem Bruder seines Weibes begleitet, einem Jüngling, deu ich einige Monate zuvor bei b'ap ?)ork gesehen hatte; aber es erklärte sich bald, was der Grund davon war. Der Vater nnd die Mutter seines Weibes waren, wie Utinah mich b> richtete, mit ihm gereist, aber sie sowohl als die Hunde brachen zusammen und wurden in der Nähe des Gletschers zurückgelassen, und Halls war gekommen, um Hülfe zu holen. Es wurden sofort Leute abgesendet, um sie hereiuzubriugeu. Da Hans durchkältet und müde war, so stand ich für den Augenblick davon ab, ihn zu verhören, und ließ die vom Weiler mitgenommenen Reisenden sich erst erwärmen und essen. Die beiden alten Leute wurden zusammengekauert in einer Höhle gefunden, die in eine Schneebank gegraben war, nud zitterten vor Kälte. Die Hunde lagen nahe dabei zusammengeduckt, und keiner von ihnen wollte einen Schritt laufen; sir wurden daher sannyt den Eskimos auf unserm großen Eisschlitten auf eiueu Haufen gepackt nnd zum Schiffe geschleppt. Die Eskimos lebten durch die Wärme uud die gute Vewirthung in Hauseus Zelt bald wieder auf, während die Hunde, nur fünf au Zahl, fast leblos ans dem Verdeck ausgestreckt lagen. Sie konnten weder fressen noch sich Hansens Erzählung. 197 bewegen. Dies war der Nest meines einst prächtigen Rudels von sechsunddreißig Stück, mck dies das Ergebniß einer Neise, von der ich so viel gehofft hatte! Es stak ein Geheimniß dahinter. Was mochte es bedeuten? Ich lasse mein Tagebuch reden: Den I. Februar. Hans hat nur feine Meise erzählt, und ich sitze da, seine Schil-dernng mit sehr schmerzlichen Gefühlen niederzuschreiben. Die Neisenden fnhren, da das Eis fest war, ohne Schwierigkeil um Cap Alexander herum und »nachten nicht eher Halt, als bis sie die Sutherland-Insel erreicht hatten, wo sie eine Schneehütte banten nnd einige Stunden rasteten. Von da fuhren sie weiter die Küste hinab nnd snchten die Eskimos in Eorfalik ohne Erfolg. Da die dortige Hütte der Eingeborenen in Trümmern lag, stellten sie zu ihrem Schutz ein zweites Haus' von Schnee her, nnd nachdem sie gut ausgeruht hatten, reisten sie direct nach der Norchumberlaud-Iusel ab, indem jie zu dem Echlnffe kamen, daß es unnütz sei, anf der Nordseite des Sundes noch länger nach Eingeborenen zu snchen. Sie waren auf ihrem Wege, so weit ich nach Hansens Beschreibung urtheilen kann, etwa vier bis fünf Meilen vorgerückt, als Sonntag, weil er ein wenig fror, vom Schlitten sprang und den Hunden vorauslief, um fich durch die Bewegung zu erwärmen. Da verwickelte sich ein Strang und nöthigte Hans, das Gespann einige Minuten anzuhalten; dadurch blieb er eine Strecke zurück und wollte eben vorwärts eilen, um wieder nachzukommen, als er plötzlich bemerkte, daß Sonntag sank. Er war an das dünne Eis gelangt, das einen kürzlich offenen ^luthriß bedeckte, und da er wahrscheinlich den Vodm unter seinen ^i'lßen nicht beobachtete, trat er unversehens anf dasselbe. Hans eilte, ihn zu retten, half ihm aus dem Wasser nud wandte, sich nach dem SchneehauZ zurück, das sie erst kürzlich verlasseu hatten. Es wehte in dem Augenblick ein leichler Wind aus Nordost, und dieser veranlaßte, nach Hansens Angabe, Sonntag, die Hütte aufzusuchen, ohne erst seiue, nassen Kleider zu wechseln. Anfangs lief er neben dem Schlitten her und verwahrte sich dadurch gegen Gefahr- nach einer Weile aber setzte er sich anf und fuhr, nnd als sie in Sorfalik anhielten, entdeckte Hans, daß sein Gefährte steif und sprachlos war. Hans behauptet, er habe ihn in aller möglichen Eile in die Hütte gebracht, die nassen und gefrorenen Kleider 198 Hansens Erzählung. entfernt und Sonntag in den Schlafsack gelegt. Dann gab er ihm einigen Branntwein, den er auf den Schlitten in einer Reiseflasche fand, verschloß die Hütte dicht nnd zündete die Alkohol-Lampe an, zu dem doppelten Zweck, die Temperatur zu erhöhen und etwas Kaffee zu machen; aber alle seine Bemühungen waren vergeblich; Sonntag starb, nachdem er beinahe einen Tag ohne Bewußtsein geblieben war. Seitdem er die Hütte erreichte, sprach er nicht wieder nnd hinterließ keinerlei Auftrag. Hans verschloß den Eingang der Hütte, damit der Leichnam nicht von den Bären nnd Füchsen gestört werde; dann richtete er den Schlitten wieder südwärts nnd erreichte die Northnmbrrland-Insel, ohne daß ihm etwas Unangenehmes begegnete. Zu seinem großen Aerger fand er, daß die Eingeborenen das dortige Dorf kürzlich verlassen hatten; aber in einer leeren Hütte erholte er sich durch einen- erquickenden Schlaf, und nnter einem Steinhaufen lag Walroßfleisch gcnng, um seinen Hunden ein tüchtiges Futter zu geben. Die nächste Tagereise brachte ihn nach Netlit, das ebenfalls verlassen war. Dann fuhr er einige zwanzig Meilen weiter den Sund hinauf nach ItcpM, wo er so glücklich war, mehrere Familien zu finden, von denen einige in der Steinhütte der Eingeborenen, andere in Schneehütten wohnten. Da der Whale-Sund im Winter ein Lieblingsanfenthalt der Seehunde ist, so hatten sich die Leute gerade dort versammelt nnd lebten mitten im Ucberfluß. Hans erzählte seine Geschichte, nnd erfrent, zu hören, daß wir in der Nähe ihres alten Dorfes Etah wären, stellten Utinah und der Mann mit dem hölzernen Beine ihre beiden Ge-spanne zusammen und entschlossen sich, wenn Hans seine Rncktchr anträte, ihn zu begleiten. Mittlerweile hatte jedoch mein Jäger andere Pläne, Er befand sich nur drei Tagereisen vom Schiffe, und wäre er sogleich zurückgekommen, so wäre doch der Hauptzweck der Neise erreicht gewesen; statt desseu aber gab er den jungen Eskimos hohe Belohnungen, um mit seinem Gespann nach Eap 3)ork hinabzufahreu. Die Geschenke, welche Sonntag für die EsNmos mitgenommen hatte, fielen jetzt alle Hansen zu, und er war nicht sparsam damit. Und er schwört, daß seine Verfügnng über das Eigenthnm nnd das Gespann in meinem Interesse geschehen sei. „Sie wünschen, daß die Eskimos wissen, daß Sie, hier sind. Ich sage es ihnen. Sie werden nächstens kommen und Hnndc in Menge bringen." Hansens Erzählung. 199 Wärmn ging er mch: selbst nach Eap York? Er war zn nn'idc u»d hatte überdies eine erfrorene Zehe, dir er bekani, während er Herrn Sonntag pflegte. Trotz all' dieser ^ttheucrungeu der Aufopferung für meine Angelegenheiten hege ich dennoch starken Verdacht, daß ihm von der Genossin seines Zeltes nnd seiner Freuden bestimmte Befehle ertheilt wurden, nnd wenn hänsliche Geheimnisse nicht besser bewahrt würden als manche andere, so würde ich wahrscheinlich entdecken, daß die Reise nach Cap Dork zu dem einzigen Zweck gemacht wurde, die beiden alten Leute, die Hans zum Schwiegersohn haben, von dort herauszubringen. So regieren selbst hier unter dem Polarstern Eva's Töchter die Geschicke der Männer. Es war wieder einmal die alte Geschichte uon dem geborgten Pferde. Die Reise war lang und schwierig; die Hunde wnrden übertrieben und mußten Hunger lciden, und die Reisenden brachten uon den nenn Thieren, mü denen sie abgereist waren, nnr fünf wieder mit nach Zteplik znrück. Vier uon ihnen stürzten, nnd man ließ sie ohne Weiteres sterben, Dcn 2. Februar, Um,ah und sein Holzbeiniger Gefährte haben uns verlasseil, versprachen aber wiederzukommen, sobald sie für ihre Familien gesorgt haben. Sie hallen viele wcrthvollc Gescheute bei sich, und wenn diese ihre wilden Verwandten nicht znm Schiffe locken, so wird Nichts es vermöge»,. Sie wollen den Eskimos sagen, daß ich Hunde brauche, und ich habe ihnen aufgetragen, die Knnde in Umlauf zu bringen, daß ich dem Jäger, der mir sein Gespann leihen oder verlaufen will, reichliche Vergütung geben werde. Aber die 5-mude sind leider selten; die meisten Jäger haben keine übrig, nnd'viele haben gar keine mehr. Ich habe kein Geschenk im Schiffe, das groß genug wäre, die beiden Eskimos, die mich verlassen haben, zn bewegen, sich anch nnr von einem ihrcr kostbaren Thiere zu trennen. Da ich mich hiervon überzeugt hatte, konnle ich schon nut meinen Geschenken verschwenderisch sein, nud die armen Wanderer auf den Eiswüsten gingen eben so wohlhabend von nur hm-weg, als hätten sie mir ihre gauzen Gespanne verkauft Sie schützen die ^agd und ihre Familien vor, und das stnd starke Gründe Nadeln und Messer, Eisen nnd Stückchen Holz können Weiber und Kinder nicht essen, und hundertundfnufzig Meilen ist 200 Hansens Erzählung. ein weiter Weg für ein Weib, das ein Kind an der Brnst dnrch die Kälte und Stürme der arktischen Nacht tragen soll, selbst wenn es nach diesem Himmel voll Ueberfluß wäre. Mit meiner Freigebigkeit wollte ich jedoch einen doppelten Zweck erreichen, — ich wollte den Lenten einen wesentlichen Dienst erweisen nnd sowohl ihre Begierde als die des Stammes reizen, der sich sicher in Iteplik schaarenweis nm sie versammeln wird, nm sich ihren Reichthum anzusehen. Aber ich mnft gestehen, daß meine Aussichten, Hunde zu bekommen, nicht ermuthigeud sind. Es werden wahrscheinlich nur wenige Eskimos mit ihren heruntergekommenen Gespannen so weit heraufkommen. Hans halt an der gestrigen Erzählung fest; ich habe ihn die Kreuz und Qnere gefragt, aber nichts Neues erfahren. Obgleich ich keinen gnten Grund habe, an der Wahrheit seiner Erzählung zn zweifeln, so will es mir doch nicht in den Kopf, daß Sonntag bei seiner reichen Erfahrnng es gewagt haben sollte, fünf Meilen in nassen Kleidern zu reisen, zumal da ihn ein eingeborener Jäger begleitete, der mit allen Mitteln vertraut war, die auf den Eisfeldern zur Sicherheit dienen, und dem eiu Ml iu's Wasfer nichts Ungewöhnliches ist. Der Schlitten nnd die Decke von Segeltuch, die über die Ladung gebreitet war, boteu die Mittel zur Herstellung eines zeitweiligen Schutzes gegen den Wind dar, und der Schlafsack hätte vor dem Erfrieren gesichert, während Hans die trockenen Kleider bereit machte, von denen Sonntag einen vollständigen Anzug hatte. Auch kann ich nicht begreifen, wie er noch so lange gelebt und Hans keinen Auftrag für mich gegeben, anch, nachdem er aus dem Wasser gekommen, kein Wort weiter gesprochen haben soll, als daß er seinem Treiber befahl, nach der Schneehütte zurückzueilen. Es ist jedoch nnni'ch, über die Cache zu grübeln, und da es in Hansens Interesse lag, daß er dem Officier, der von Allen, die im Schiffe sind, sich seiner am meisten annahm, treu war, so würde es eben so grundlos als ungerecht sein, den Verdacht zn hegen, daß er Sonntag im Stiche ließ. Remyehlites Kapitel. Sonntag, ^ Die MoivMdämmenmg ninunt zu, ^ Die arktischen Füchse, — Der Eisbär. — Abmteucr mit Vänn, — Unsere neuen Eskimos, — Die Eskimo-Tracht, — Ein Schneehaus. -^ Die Geräthe der Eskimos. ^- Eine Walroß-Jagd. Ich will den Leser nicht «lit den vieleil düsteren Betriichtnngen belästigen, die ich während der Zeit, welche auf die im letzten Kapitel mitgetheilten Ereignisse folgte, in mein Tagebuch niederschrieb. Während der Verlust der Hunde mich in betreff meiner Aussichten in die Zukunft sehr in Zweifel nnd Ungewißheit ließ. beraubte mich Herrn Sonntag's Tod eines Beistandes/ der zur Erreichung mancher meiner Zwecke höchst wesentlich war. Seine vertrante Bekanntschaft mit den phyfitalischen Wissenschaften nnd seine hohe Begeisiernng für Alles, was zn einer physikalischen Untersuchung, in der freien Natur sowohl als in der Studirstube, gehörte, machten ihn zu einer unschätzbaren Hülfe, während seine heitere Stimmung und mämilichen Eigenschaften ihm einen tiefen Einfluß auf mein Gemüth verliehen, Nehulichkeit des Geschmacks und der Gesinnung, gleiches Alter, ein gemeinschaftlicher Zweck'und eine gegenseitige Abhängigkeit in Betreff des gesellschaftlichen Lebens hatten ein Freundschaftsband, das seinen Ursprung in den Gefahren nnd Schicksalen einer früheren Neise hatte, immer stärker befestigt. - Das Licht nahm jetzt von Tag zu Tag zn, nnd wir fanden m der Wiederaufnahme der Jagd eine frische Anregung. Man darf indeß nicht glauben, daß wir, selbst zn Mittag, schon wirtliches Tageslicht hatten; aber es gab ein Dämmerlicht, das mit jedem folgenden Tag stärker wurde/ Die Reunthiere waren während des Winters sehr abgemagert, nnd ihr Fleisch war zähe und fast ge- 202 E'nc Rennthierjagd. schmucklos; dies cntmulhigte jedoch die Zager nicht, und es wnr^ den mehrere Stücke crbentet. Eines Tages kam eine große Hecrde in die Nähe des Vorrathshanses herab, deren Anmeldnng ein allgemeines Gereifte um die bewehre und eiil Nennen über die Berge veranlaßte, nm das Wild zn umstellen. Das Schifssvolk glick mehr Knaben bei einem ^esttagsfpiel als Männern, die sich ihr Essen verschaffen wollten. Sie machten 5/ärm genug, um, wie man hätte glauben sollen, jedes lebende Wesen aus der Umgegeud zu verscheuchen; aber dessen ungeachtet wnrden drei Thiere ge-schössen. Der Thermometer stand auf 41"^. unter Null"'), nnd da ein leichter Wind ging, so mar die Vnft etwas schneidend nnd führte zahlreiche für nnser Leben ganz charakteristische Zufälle herbei. Das Angreifen des falten Gewehrs war von einiger Gefahr fiir die Dinger begleitet, da man mit großen Fansthandschnhen an der Hand weder den Drücker ziehen noch laden kann, und es gab eine ganze Anzahl kleiner ,,Brandflecken," wie derartige Wnnden scherzweise, genannt wurden. McDonald hatte eine alte Mnsketc mit Fencrsteinscbloß, die einzige Wafsc, die er bekommen konnte, und mitten in der Anfregung hörte man ihn feuern. Knorr eilte in dieser Richtung hin und fragte begierig, nach was er geschossen habe, nnd wohin das Wild gegangen sei. Seine Antwort machte uns später nicht weilig Vergnügen, ,,Vor einer halben Stnnde war dort ein ungeheuer großes Ncnnthier, nnd Hütte ich den Drücker gezogen als ich das Schiff verließ, so würde ich es erlegt haben. Aber Sie sehen, das Pulver ist so kalt, daß es nicht brennen will, und es dauert eine halbe Stunde, ehe es losgeht;" nnd nm seine Behauptung zu beweisen, schüttete er Etwas davon ans den trockenen Schnee und hielt ein Zündhölzchen daran. Sein versengter Backenbart lieferte einen glänzenden Beweis, daß seine Behanptnng nicht thatsächlich begründet war. Die Bergwand schien von Füchsen zu wimmel», nnd als fie das Blut der todten Nennthiere witterten, strömten sie von allen Seiten herbei. Diese Thierchen waren anfangs gan^ zahm, aber durch die Vehren, die sie von den Jägern erhielten, waren fie von ihrer Vertraulichkeil knrirt worden, und man innate sich ihnen mit Gewandtheit nähern. Mi hatte sowohl von der blauen als weißen Spielart ein lebendes Exemplar in meiner Kajüte. Eins 6) -23»^? R, Die arktischm Füchse. 203 derselben war das artige erschöpf mit dem Namen Birdie, von dem ich schon gesprochen habe. Das andere war rein weiß und in der Gestalt von Birdie nicht verschieden, obgleich es etwas größer war. Der Pelz des letztern war viel gröber als der von Virdic. Ihr Gebell war genau' dasselbe. Aber während Birdie sehr gelehrig nnd ein ganz zahmes Hausthier geworden war,, blieb der andere dnrchaus wild und unzähmbar. Das Gewicht des einen betrug 41/2, das des andern 7 Pfund. Der letztere war ausgewachsen und ungewöhnlich groß. Diese beiden Varietäten des Fuchses sind, ungeachtet sie in vielen Punkten Aehulichkeit mit einander haben, offenbar verschiedene Arten. Ich habe sie nicht zu vereinigen gewußt, denn der Pelz einer jeden behält seine unterscheidende ^arbe; der des blauen Fuchses ändert sich blos im Grad der Schattirung, während der des weißen nur von reinem Weiß bis zn schwach gelblicher Färbung wechselt. Der Ausdruck ,,blan," anf die Art angewandt, zu welcher Birdie gehörte, ist eine nicht ganz falsche Benennung, denn auf dem Schnee gesehen, macht ihre Farbe einigermaßen diesen Eindruck. Die Farbe ist eigentlich ein kernhaftes Grau, indem Weiß uud Schwarz harmonisch vermischt lind nicht vermengt sind wie bei dem grauen nordamcritanischen Fuchse. Ihre Bälge wer-deu von den Pelzthierfängeru Süd-Gvönlands, wo die Thiere selten sind, sehr gesucht, denn der Pelz hat auf dem Kopenhagener Markt einen fabelhaften Preis. Diese Füchse habeu eine sehr unsichere Grislenz, nnd man kann sie fast zu jeder Zeit über das (Äs laufen sehen, wo sie die Fährten der Bären suchen, welchen sie mil dem Instinct des dem ^öweu nachgehenden Schakals folgen; nich> nin gegen diese umher, schwärmende»! Monarchen der Eisfelder ihre Stärke zu versuchen, sonderu wenn der Bär einen Seehund fängt, stellt der kleine Fuchs sich ein, um sich einen Antheil von der Beute zu holen. Außer^ dem besteht seine Nahrung ans einem gelegentlichen Schneehnhu l dem arktischen Waldhuhu), und wenn er in seinem Sprunge schnell ist, kann er so glücklich sein, einen Hasen zu fangen. Im Sommer versammeln sie sich um die Nester der Vögel herum und schwelgen in Eiern. Es ist iu Gröulcmd Volksglaube, daß sie vou denselben ungeheure Vorräthe zu ihrer Nahrung für den Winter zusammentragen, aber ich habe bei ihnen nie einen solchen Beweis vou Vorsorge gesehen. 204 Der Eisbär. Die Bären, die fortwährend durch die Nacht hin wandern, müssen schlechterdings einen harten Kampf nms Leben haben. Während des Sommers kriechen die Seehunde, die ihren einzigen Unterhalt liefern, anf das Eis herauf und lassen sich dort leicht fangen; aber im Winter begeben sie sich nur zu den Spalten, um Athem zu holen, und stecken dabei blos ihre Nasen über das Wasser, so daß sie schwer zu fangell sind. Durch Hunger zur Verzweiflung getrieben, fällt der Bär zuweilen in die Aufenthallsorte der Menschen ein, um die Nahrung zu suchen, die sein scharfer Sinn entd.eckt hat. Während des Frühwinters hielten unsere Hunde sie von unserer Nähe ab; als aber die Hunde gestorben waren, kamen mehrere Bären znm Vorschein. Ciller derselben kam über Land vom Fjord und näherte sich dem Vorrathshause hinter dem Observatorium weg, wo Starr mit dem Ablesen der Scale des Magnetometers beschäftigt war. Der schwere Tritt der wilden Bestie wurde dnrch die Stille der Nacht gehört, nnd ohne viel Rücksicht anf den zarten Bau des Instrumentes zu nehmen, welches er eben beobachtete, stürzte der junge Mann nach der Thür, warf den Magnetometer um und hätte, während er nach dem Schiffe eilte, um Lärm zu machen, in seiner jähen Hast, über den gefährlichen Fuß des Eises zu kommen, beinahe sein Leben verloren. Wir sprangen mit unseren Büchsen hinaus; aber während Starr in der einen Richtung floh, hatte sich der Bär in der andern fortgemacht. Ich hatte um diese Zeit ein Abenteuer, das gleich demjenigen, welches Starr erlebte, zeigt, daß der Eisbär nicht so grimmig ist, wie man allgemein annimmt; es ist nie bekannt geworden, daß sie den Menschen anfallen, außer wenn sie hitzig verfolgt und in die Enge getrieben werden. Ich schlenderte eines Tages am Ufer hin und beobachtete mit großem Interesse die Wirkung, welche die kürzlich eingetretene Springfluth auf den Fuß des Eises übte; da fand ich mich, indem ich um eine Landspitze herumkam, im matten Mondlicht, plötzlich einen, nngeheuer großen Bär gegenüber. Er war gerade vom Land^Eise herabgesprnngen und kam mir im vollen Trabe entgegen. Wir erblickten einander ill demselben Augenblick. Da ich weder eine Büchse noch sonst ein Vertheidigungsmittel bei mir hatte, so drehte ich mich plötzlich nach dem Schiffe hin, ich glaube, so ziemlich mit denselben Betrachtungen über Besonnenheit und Tapferkeit, wie diejenigeu waren, welche den Geist des alten Jack Falstass durchkreuzten, als der Douglas Unsere neuen Eskimos. 205 ihn angriff; da ich aber, nachdem ich einige ziemlich große Schritte gemacht halte, fand, daß ich nicht verschlungen wurde, blickte ich mich über die Schulter um und sah, eben so sehr zu meiner Ueber-raschuug als Freude, den Bär hiuwegrasen nach dem offenen Wasser zn, und zwar mit einer Schnelligkeit, die über seinen Gemüthszustand keinen Zweifel ließ, Ich glaube, es würde schwer sein, zu entscheiden, wer am ärgsten in Furcht gesetzt war — der Bär oder ich. Die Vermehrung der Familie Hans wurde für uns eine willkommene Duelle sowohl der Belustigung als der Bedienung. Es waren, wie schon oben gesagt, drei Personen hinzugekommen -sie führten die Namen Tscheitschenguak, Kablunct und Augeit. Der Letztere war der Bruder von Hausens Weib, und sein Name bedeutet „der Fänger;" er wnrde ihm ohne Zweifel in früher Kindheit wegen einer besondern Neigung gegeben, die er damals an den Tag legte. Und er wurde nicht unpassend so genannt. Die Matrosen nahmen ihn in ihre Gunst auf, scheuerten und lammten ihn uud zogen ihm christliche Kleider an, nnd unter ihrer ermnthigeuden Unterstützung zeigte er sich bald voller Kniffe wie ein Affe nnd so diebisch wie eine Elster. Eine besondere Marter war er für den Steward nnd den Koch. Fast zur Verzweiflung getrieben und in jedem Vcrbessernngsulan völlig getänscht, machte sich endlich der Erstere mit einem Packet Tractätchen und einem Katechismus an deu kleiuen Heiden, während der Letztere seinen festen Entschluß erklärte, ihn bei der ersten günstigen Gelegenheit zu verbrühen. „Sehr wohl, Koch; aber erinnern Sie sich, daß Sie für einen Mord gehängt werden." ,,Dann todte ich ihu nur ein wenig," war die fertige Antwort. Seine Mutter, Kabluuet, erwies sich als ein uützlicher Zuwachs zu unserm Hausstand. Sie war sehr fleißig mit ihrer Nadel und nähte beständig für uns, indem sie allerhand Kleidungsstücke aus Fellen, von den Stiefeln bis zum Ueberrock, machte, die zu eiuer arktischen Garderobe gehören, bis sie vermittelst Bezahlung für ihre Arbeit iu deu Besitz derjenigen in einem Hauswesen brauchbaren Gegenstände gekommen war, deren sie bedürfte. Ihre Hautfarbe war gauz licht, wie auch ihr Name besagt. Kablunet ist der Titel, den die Eskimos unserer Race geben; er bedeutet „das Kind mit der weißcu Haut," uud weun der Name ihres Gatten, Tscheitschenguak, nicht „das Kind mit der dunklen 206 Die Eskimo-Tracht. Haut" bedeutete, so hätte doch diese Bedeutung für ihn gepaßt, denn er war fast schwarz. Die äußere Erscheinung dieses interessanten Paares war nicht besonders anziehend. Ihre Gesichter waren breit, die Kinnbacken schwer, die Backenknochen hervorstehend wie bei anderen fleischfressenden Thieren, die Stirnen schmal, die Augen klein und sehr schwarz, die Nasen platt, die kippen lang nnd dünn, und wenn sie sich öffneten, wurden zwei schmale, weifte, gut erhaltene Ncihm polirten Elfenbeins enthüllt, — das jedoch durch langen Gebrauch und harten Dienst start abgenntzt war, denn die Zähne der Eskimos dienen zu deu verschiedensten Zwecken, wie Felle zu stollen, Stricke straff anzuziehen, nnd nebenbei noch die Speise zu kauen, die, wie ich hier wohl erwähnen darf, ganz animalisch ist. Ihr Haar war pechschwarz, obgleich nicht allzu dicht, und der Mann hatte den stärksten Bartwuchs, den ich in einem Eskimo-Gesichte gesehen habe, aber er beschränkte sich auf die Oberlippe und die Spitze des Kinns. Das Gesicht des Eskimo ist in der Thal seinem Typus nach ganz mongolisch uud gewöhnlich bartlos. Von Natur sind sie kurz, doch wohlgebaut, und legen in jeder Bewegung den Beweis von Kraft und Ausdauer ab. Die Kleidung des Mannes uud der Frau unterschied sich nnr wenig von einander. Sie bestand aus ueuu Stücken, — einem Paar Stiefeln, Strümpfen, Pelzhandschuhen, Beinkleidern, einem Unterkleid nnd einein Ucberrock. Der Mann trng Stiefeln von Bärenfell, die bis znm oberen Ende der Wade reichten, wo sie mit den Beinkleidern zusammentrafen, die ans demselben Stoff bestanden.» Die Stiefeln der Frau reichten fast bis zur Mitte des Schenkels herauf und waren aus gegerbten Seehundsfelleu gemacht. Ihre Beinkleider waren, wie die ihres Gatten, von Bärenfell. Die Strümpfe waren von Hnndefell und die Fausthandschuhe von Seehundsfcll. Das Unterkleid war ans Vogelbälgen gefertigt, die Federn nach Innen gekehrt, und der Ueberrock, der sich vorn nicht öffnete, sondern wie ein Hemd über den Kopf gezogen wurde, aus blaucu Fuchsbälgen. Dieser Nock endet in eine Kapuze, die den Kopf so vollständig einhüllt wie ein albanisches Eapot oder eine Mönchskappe. Diese Kapuze bildet den Haupt-umerschied in den Anzügen der Geschlechter. Im Eostüm des Mannes ist sic ruud nnd paßt genan anf die Hirnschale, während sie bei der Frau am Scheitel spitzig ist, um das Haar aufzuneh- Eine Schneehütte. 207 men, das auf dem Wirbel des Kopfes gesammelt und mit einem Stück roher Seehundshant in einen harten, hornähnlichen Büschel zusammengebunden wird, - ein Kopfputz, den man, was er anch sonst für Vorzüge haben mag, nicht als besonders malerisch betrachten kann. Ihr Alter ließ sich nicht bestimmen; denn da die Eskimos nicht über ihre zehn Dinger hinans zählen können, so ist es für sie ganz unmöglich, durch irgeud ein Bezcichnungs-Verfahren anf ein vergangenes Ereignis zu verweisen. Da sie keine Schriftsprache haben, welcher Art sie auch sei, uicht einmal die Bilderschrift nnd Hieroglyphen der rohesten nordamerikanischen .Indianerstämme, so besitzen sie keine Aufzeichnungen, nnd die mündlichen Ueberliefe-rnngen, die von einer Generation auf die andere hcrabkommen, werden durch kein Mittel fixirt, das auch nur eine annähernde Schätznng der Perioden ihres Wachsthums, Glückes und Verfalls oder selbst ihres eigenen Lebensalters gewährte. Die beiden alten Lente, wurde» der Wärme in Hausens Zelt bald überdrüssig; sie gingen an's ^and, banlen eine Schneehütte nnd gründeten eine Haushaltung auf eigene Rechnung, und da sie von Lieferungen lebten, die sie regelmäßig aus meinen reichen Proviaulvorräthen erhielten, und sich nichl anzustrengen brauchten, so ist es vielleicht uicht überraschend, daß sie ein recht glückliches und zufriedenes Ehepaar waren. Die Schneehütte, obgleich eine architeklouische Merkwürdigkeit, hätte die Verachtung eines Bibers erregt. Sie war weiter nichts als eine künstliche Höhle in einer Schneebank und wnrde folgendermaßen hergestellt! Gerade dem Schiff gegenüber war eine enge Schlucht, in welcher die Winterwinde den Schnee bis zn einer großen Tiefe aufgehäuft halleu, wobei derselbe, indem er durch die Oeffnnng wirbelte, eine Art Höhle ließ, — der eine Eurve bildende Schnee zur Rechten uud über dein Kopfe, und die viereckige Felswand zur Linken. An der innern Seite dieser Höhle anfangend, begann Tscheitschengnak sich im Schnee zu vergraben, ziemlich so, wie ein Niesenhnnd es m der lockeren Erde macht, — indem er in die Schneewehe hinab-grnb und die Klumpen mit großer Geschwindigkeit hinter sich warf. Nachdem er etwa fünf ^iiß abwärts gegangen war, wühlte er noch ungefähr zehn ,vuß weil in horizontaler Richtung fort. Dann begann er seinen Ban auszuhöhlen. Seine Schaufel wurde in den harten Schnee über dem Kopfe eiugeschlagen, die Blöcke, die 208 Tschcitschmguak „;u Hause." herabstürzten, wurden weggeräumt und in's Freie herausgeworfen; in einem Weilchen könnte er aufrecht steheil und arbeiten, nud als er endlich von der Größe der Höhle befriedigt war, glättete er sie ringsum und über dem Kopfe und kam, mit Weiße bedeckt, heraus, Nnn wurde die Thür in Ordnung gebracht und gerade groß geuug gemacht, um auf allen Vieren hindurch zu kriechen. Der Cingangstunnel wurde abgeglättet wie das Innere; der Fußboden der Höhle wurde erst mit ciuer Schicht Steiuc und dann mit mehreren Schichten Nennthierfellen bedeckt; die Wände wurden mit demfelben Stoff behängt; zwei Lampen der Eingeborenen wurden angezündet; quer über die Thür wurde noch ein Nennthierfell angebracht, und Tscheitschenguak uud feine Familie waren „zu Hause." Einige Stunden später befuchte ich fie und fand sie scheinbar warm und behaglich. Die Lampen (ihr einziges Feuer) loderten heiter empor, und das Licht glitzerte auf der weißen Kup-, pel ihres neuen Baues; die Temperatur war bis zum Gefrierpunkt gestiegen, und Kablunet nähte, wie eine gnte Hausfrau, munter an einem Kleidungsstück; Tscheitschenguak besserte für seineu Schwiegersohn eine Harpune aus, und Angelt, der helläugige Plagegeist der Kombüse und Speisekammer, war emsig beschäftigt, einige Bissen Wildpret, die ziemlich so aussahen, als hätte er sie erst kürzlich verstohlener Weise aus eiuem verbotenen Winkel in des Stewards Vorrathskammer erhalten, in einem Magen unterzubringen, der zum Gleichgewicht seines Körpers in großem Mißverhältniß stand. Für die Freundlichkeit, die ich diesen Leuten erwiesen hatte, gaben sie mir einen Satz von ihren Jagd- uud Hausgeräthen. Die Hauptstücke davon waren eine Lanze, Harpune, Leine, eine Kaninchenfalle, cinc Lampe, ein Topf, Feuerstein und Stahl, nebst einigem Lampendocht und Znnder. Die Lanze war ein hölzerner Schaft, wahrscheinlich von Dr. Kane's verlorenem Schiff, der „Advance", mit einem langen eisernen Nagel, der fest an das eine Ende desselben gebnudeu war, nnd einem mit scharfem Eisen beschlagenen Stück Walroßhaucr am andern Ende. Der Harpunenstab war ein Narwal-Zahn oder Horn von sechs Fuß Lauge, — ein sehr hartes und festes Stück Elfenbein und vollkommen gerade. Die Harpuucnspitze war ein drei Zoll langes Stück Walroßhauer mit einem Loch durch den Mittelpunkt für die Leiue, einem Loch in dem einen Ende für die scharf gemachte Spitze des Eine Wallosijaqd. A19 Stabes, und am andern (snde, wie die Lanzensuitze, mit einer eisernen Spitze versehen. Die Leine n'ar nur ein Streifen roher Seehundshant von etwa fünf Fuß l<änge und durch einen ununterbrochenen Schnitt rings nni den Körper des Seehunds herbestellt. Die Kaninchenfalle war eine ^'eine von Scchnndsfell, von der eine Menge Schlingen banmrlten. Die Lampe roar eine flache Schüssel von weichem Seifenstein, an (Gestalt einer Venus-mnschel nicht unähnlich, acht .^oll lang und sechs Zoll breit. Der 3opf war ein Gefäß mit viereckigen Seilen von demselben Mate^ rial. Der Feuerstein war ein Stück harten Granits, der Stahl ein Klumpen rohen Eisenkieses, der Oocht war getrocknetes Moos, lind der Wunder die zarte ftauinähnliche Decke der Weidenkätzchen. Tscheitschenguak sagte mir, er bereite eben die Lanzen zu einer Walroßiagd vor, nnd er nnd Hans beabsichtigten morgen ihre Geschicklichreit zu versuchen. Die Walrosse waren den ganzen Winter hindurch in dem ossenen Wasser anßerhalb des Hafens sehr zahlreich gewesen, nnd man konnte fast zu jeder Zeit vom Mnde des leises her ihr schrilles Geschrei hören. Das fleisch dieser Thiere ist die Hauptuahrung der Eskimos, und wenn sie anch das fleisch der Rennthiere schätzen, so geschieht es doch fast so, wie wir es mit den „Canevasenten" machen, nnd ^u einem tan gen nnd stetigen Kampf geht Nichts über den „Awak", wie sie das Walrost in Nachahmuua. seines Geschreies nennen. Sein fleisch ist für sie das, was der Neis snr den Hindu, Rindfleisch für die Gauchos von Bueuos Ar,res, oder Schöpsenfleisch für die Tartaren der Mongolei ist. Die beabsichtigte Jagd lief glücklich ab. Hans und der alte Mann zogen aus, indem sie ihr ganges Iaadzeng in schöner Ordnung hatten, und fanden eine zahlreiche Walroßheerde, die nahe am Rande des Ms^s schwamm. Man näherte sich ihr mit Vor sicht ans allen Vieren, und sie wnrde nicht beunruhigt. Die Jäger gelangten bis auf einige ,vuß vom Wasser. Dann legten sie sich beide flach anf das Eis nieder nnd ahmten das Geschrei der Thiere nach, in deren Verfolgung sie begriffen waren; dadnrch wurde die ganze Hcerde bald so weit herangebracht, daß sie mit der Harpnne leicht zu erreichen war. Plötzlich erhob sich Hans nnd vergrnb seine Waffe in ein Thier von stattlicher Größe, während sein Geführte die Leine festhielt und sein Ende derselben mit dein eisernen Nagel eines Lanzenstades sicherte, den er in's Ei5 trieb und fest Hayes. Das offene Polar Mecr. 14 210 Ane Zeit d^ Ueberflusses. niederhielt. Das Ähier kämpfte gewaltig, um sich zu befreien; es zuckte und schlug umher, wie ein wilder Stier, der mit einem Lasso gehalten wird; aber Alles war unnütz. Bei jeder günstigen Gelegenheit zog Hans den schlaffen Theil der Leine herein und verwahrte ihn, nnd endlich befand sich die fich sträubende Beute nur noch zwanzig Fuß von den Jägern. Jetzt thaten die Lanze und Büchse das Ihrige mit raschem Erfolg; die in Schrecken gesetzten Kameraden des sterbenden Thieres stürzten mit lautem Lärmgeschrei durch die Gewässer fort, nnd ihre tiefen Baßstimmen schallten seltsam durch die Finsterniß hin. Der Saum des Eises war zu dünn, um das gefangene Wild zn tragen; man verwahrte es daher mit einer Leine und ließ es bis zum folgenden Tage liegen, wo dann, da das Eis bei der niedrigen Temperatnr dicker geworden war, das Fleisch herausgehauen und eingebracht wnrde. Die Schneehütte erfreute sich nun eines Vorraths an Nahrung und Speck, der für ihre Insassen lange Zeit reichte; die Hunde wurden mit einem kräftigen Fntter erquickt, nnd Kopf u»d ^ell wurden in ein Faß gesteckt und mit der Etiquette „5>mitj!«oniÄu" versehen. Zwanzigstes Kapitel. Wir schc» d«' Somic cnt»;cgcu. — Das offmc Mccr, -- Vögel, Während die Tage so fortgingen, kroch di> Sonne nach dem Horizonte herauf, und jeder wiederkehrende Mittag brachte eine Zunahme des Lichts, Ich hatte immer ein kleines Buch in der Tasche, und früh im Febrnar sing ich an mit ihm Versuche zu machen. Als ich zu Mittag das Titelblatt lesen tonnte, war ich sehr erfreut, bald darauf ließen sich die kleineren Buchstaben herausfinden; dann tonnte ich mit Leichtigkeit den feinsten Druck entziffern, nnd die jüngeren Officiere jubelten vor Freude, als sie nn Stande waren, um elf, zwölf nnd ein Uhr die Thermometer ohne Laterne abzulesen. Am 10. Februar machte ich am Rande meines Buches folgeude Anmerkung; „Zu Mittag fast heller lichter Tag, und ich lese diese Seite um drei Uhr Nachmittags." Meiue Berechnungen stellten die Sonne am 18. an den Horizont. Das Sichtbarwerden der Sonne wurde nun das einzige uns beschäftigende Ereiguiß. Iedermaim dachte fortwährend daran, und Jedermann sprach beständig davon. Nie sah eine Gesellschaft "on Menschen begieriger einer kommenden Freude entgegen, als wir dem verheißenen Morgen, — wir, halb blutlose Wesen, aus der Nacht kommend, gebleicht im langen Lampenlicht und fast so farblos wie Kartoffelkeimc, die in einem dunklen Keller wnchsen. Wir Alle merkten darauf, wie sich der heutige Tag zum gestrigen verhielt, und stellten ihn demselben Tage eine Woche zuvor gegenüber. Selbst der alte Koch wurde angesteckt, kroch zwischen seinen Schmorpfannen und Kupfergeschirren hervor, kam heranfgeschlichcn, beschattete die Augen mit seinen am Ofen gehärteten Handen und 14* I13 Wir sehen der Sonne entgegen. guckte hinaus in das wachsende Dämmerlicht. „Ich denk', dies sein sehr lange Nacht," sagte er, „und ich möchte gern noch einmal die liebe Sonne sehen." Der Steward war in einem Zustand chronischer Aufregung, Er konnte die Sonne keine Stunde in Frieden lassen. Er mnßte beständig auf sie aufpassen. Er mnßte immerwährend, ein Buch in der Hand, anf das Verdeck hinauf-und auf das Eis hinauslaufeu und bei dein wiederkehrenden Tageslicht zu lesen versuchen. Mit der Zeit wurde er ungeduldig. „Glaubt der Eommandant nicht, daß die Sonne eher wiederkommt als den W?" - „Glaubt er nicht, daß sie am 17. wiederkommt?" — „War er ganz sicher, daß sie nicht am 16. zum Vorschein kommen werde?" — „Ich fürchte, Steward, wir müssen uns anf den Schiffskalender verlassen." ^ „Aber könnte der Schissskalender nicht falsch sein?" — und ich koimie deutlich bemerken, daß er glaubte, meine Rechnung könnte auch falsch sein. Mittlerweile wurden wir mit einer Reihe neuer Stürme ge^ martert und konnten kaum aus dem Schiffe gehen. In der äußern Bai war das Eis alles aufgebrochen, und das offene Meer trat naher an uns heran als in irgend einer früheren Zeit des Win ters. Das Eis war aus der Bai fast alles hinausgetriebeu, und das breite, dunkle, angrenzende Wasser war nicht nur uom Verdeck in Sicht, sondern ich konnte auch, wenn ich auf dem Hintertheile des Schiffes stand, mit einer MmMngel aus meiner Büchse fast in dasselbe treffen. Selbst im innern Hafen hatte sich das Eis um die Küste herum abgelöst, und obgleich es dick und fest war, fo glaubte ich doch einmal, es sei Gefahr vorhanden, daß es nachgebe und die ganze Masfe anf's Meer hinausgehe. Merkwürdig! längs dein Rande dieses Wassers her kam auch ein Flug gefleckter Vögel, um sich unter der windfrcien Küste zu schützen und ihre kleinen Füße in dem Wasser zu wärmen, das die Winde nicht wollten gefrieren lassen. Es waren die südgrön-ländischen schwarzen Lummen, - die llril». Al-Mo der Naturforscher. Mau sieht sie zur Winterszeit oft um die Disco-Insel und Upernavik herum, aber ich war ganz erstaunt, sie in der arktischen Nacht so nahe am Pole eingebürgert zu sindeu. Es war ein sonderbarer Anblick, sie bei 30" F. unter Null (—27",b? N.) iu den Höhlen, unter dem Fuße des Eises herumplütschern zu sehen, wobei sie ihr klägliches Geschrei ausstießen und sich ullch Arktische Vögel. 213 der ganzen Welt umsahen wie heimathlose Kinder, die, ohne Schuhe und in Lumpen, sich in einer kalten Decembernacht zum Schutz unter die Gingangsstufen einer Hausthür ducken. GZ fehlte mir zwar ein Gremplar von ihnen in meiner Sammlnng, aber es würde etwas Stärkeres erfordert haben als die Ansprüche der Wissen^-schaft, um mich zu bewegen, auch nur eine Feder ihrer zitternden Köpfchen zu verletzen. EinundMansigstes Kapitel. Sonnenaufgang. Den 18. Februar. Gott Lob! Ich habe die Sonne wieder gesehen. Da wir wußten, daß die Sonne heute erscheinen werde, so war Jedermann voller Erwartung und eilte nach dem frühstück fon an irgend einen Lieblingsplatz, wo man sie glaubte sehen zu können. Manche gingen in der rechten ^ichtnng und wnrden befriedigt; Andere gingen in der falschen Richtnng und wurden getäuscht. Knorr und andere Officiere erstiegen die Hügel über Etah. Charley hob seine rheumatischen alten Beine auf und versuchte von der Nordseite des Hafens eine Aussicht zu gewinnen, vergaß aber, daß die Verge dazwischen lagen. Harris und Hcy-wooo kletterten ans den Gipfel des Hügels hinter dem Hafen, und der Erstere schüttelte seine Odd-fellow's-Flagge der Sonne gerade in's Gesicht. Der Koch ärgerte sich, daß er „die liebe Sonne" nicht sah; aber er konnte seinen Punsch nicht befriedigen, ohne auf's Land zu gehen, und dies konnte er eben fo wenig thnn, als der Berg sich bereden ließ, zn Mahomet zu konnneu. Er wird wahrscheinlich warten müssen, bis die Sonne über die Hügel in den Hafen schleicht, was wenigstcus noch ^vülf Tage dauert. Mein eigener Antheil an der Aufregung des Tages war ihrer Nuhe gleich. Von Dodge und Jensen begleitet, brach ich in früher Stunde auf und ging nach einem Pnntte auf der Nordseite der Vai, von welchem ich die Aussicht auf den südlichen Horizout beherrschte. Wir hatten viele Mühe, unsern Bestimmungsort zu erreichen. Das offene Wasser fam fast bw auf eine Meile an den Sonnenaufgang. 215 Punkt heran, nach welchem wir wollten, und es war keine leichte Aufgabe, unsern Weg längs den zusammengetriebenen abschüssigen Massen des Eisfußes aufzusuchen. Endlich aber langten wir glücklich" auf unserer Warte sdie man künftig als Sonnenaufgangs-Spitze*) kennen wird) an und hatten noch eine halbe Stunde übrig. Der Tag war zn einem festlichen Ausflug keineswegs angenehm. Die Temperatur war sehr niedrig, und der ganz frisch blasende Wind brachte den treibenden Schnee von den Bergen herab und rasselte ihn ziemlich scharf um uns herum. Aber durch die Aussicht, die sich vor uns ausbreitete, wurden wir reichlich belohnt. Gin offenes Meer lag zn unseren Füßen und erstreckte sich, wenn wir das Gesicht nach Süden wandten, weit nach vorn und rechts von uns. Zahlreiche Eisberge standen auf demfelben, aber sonst war es im Ganzru frei von Eis. Seine Oberfläche war durch die Winde, die es am Gefrieren hinderten, sehr aufgeregt, und die Wellen tanzten in der kalten Vnft, als wollten sie den Winter verhöhnen. Es war in der That ein nngeheurer wallender Kessel, - siedend und schäumend und dampfend. Die leichten sich ringelnden Ströme von „Frost-Nanch," die über ihm aufstiegen, segelten auf dcm Winde nach Südwesten hinweg und vermengten sich dort mit einer duntlcn Nebelbank. Kleine Ströme jungen Eises, die sich gleichsam bemühten, die Wogen zu biuden, rasselten nnd knackertcn über die ruhelosen Gewässer hin. Zur Linken standen die hohen Küsteugebirgc kühn in der hellen Luft empor, und nahe au Eap Alerander guckte zwischen ihnen der Gletscher hervor, der mit sanfter Böschung vom breiten Nor äe Fwco das Thal herabkommt. Die kühne Vordcrwand der Krystall-Palast-Klippen schnitt scharf gegen diese weiße Vinie ab, und die dunklen, düsteren Wände von Eap Alexander stiegen rechtwinklig von» Meere anf. Auf den Kämmen der schweigenden Hügel und über das wcisMÜtzige Vorgebirge sck)webten leichte Wolken trag dahin, und durch sie ergoß die Louue Hinen Strom goldenen Feuers, und der ganze südliche Himmel stand vom Glänze des kommenden Tages in Flammen. Die Spitze von Cap Alexander lag gerade südlich von uns, *) Suurise Point. 246 Sonnenaufaanq. und hinter ihr sollte die Sonne genau in der Mittagsstunde hervortreten und sich, nnr mit ihrer halben Scheibe über der Wasserlinie, am Horizonte hinwälzen. Wir warteten mit großer Begierde ans den nahenden Augenblick. Jetzt brach ein Lichtstrahl durch die sanften Nebelwolken, die weit rechts von uns dem Cap gegenüberlagen, verwandelte sie in ein pnrpnrnes Meer nnd glitzerte auf den silberfarbenen Spitzen der schlanken Eisberge, welche den dunstigen Mantel durchbohrten, als wollten sie die kommende Wärme auffangen. Der Strahl rückte uns immer näher und uäher, das purpurne Meer erweiterte, die glitzernden Kirchthurm-sftitzen vermehrten sich, denn in rascher Folge brachen sie eine nach der andern in die lodernde Flamme des Tages hervor, nnd als dieser wuudcrbare Wechsel anf die Oberfläche des Meeres überging, fühlten wir, daß der Schatten des Vorgebirges der Schatten der Nacht war, und daft die Nacht hinwegzog. Bald glühten die duukelrotheu Klippen hinter nils mil einer lebhaften Färbung, die Hügel und Berge traten in ihren neuen Gewändern von glänzender Helle hervor, und die dahinstürzeuden Wogen verloren all-mälig ihre zornige Barschheit und lachten im Sonnenschein. Und jetzt war die Linie des Schattens zu sehen. „Dort ist sie auf der Spitze," schrie Jensen. „Dort ist sie auf dem Fuße des Eises," antwortete Dodge, — dort zu unseren Füßen lag eine Masse funkelnder Edelsteine ausgebreitet, und die Sonne trat groß und breit vor nns. Ab gingen unsere Mützen alle zu gleicher Heit, und wir begrüßteu den lange verlorenen Wanderer des Himmels mit lautcu Frendenbezeignngen. Nnu badeten wir uns in der Atmosphäre anderer Tage. Die Freundin aller hoffnungsvollen Vereine war wieder zurückgekommen, um nene Gluth in nnsere Herzen zu bringen. Sie war nach einer Abwesenheit von huudertundsechsnndzwanzig Tagen zurückgekehrt, um eine schlummernde Welt von Neuem zu beleben, und als ich ihr nach dieser laugen Zwischenzeit wieder iu's Gesicht blickle, wnndrrte ich mich nicht, daß es Menschen gäbe, die vor ihr dic Kniee beugen und^c anbeten uud für „das Auge Gottes" erklären. Die überall die Mutter des LichlZ und Lebens ist, sie ist es auch in diesen Einöden. Der Keim crwarlct sie hier wie im Orient; aber dort ncht er nnr die knrzen Stunden ciuer Sommernacht, wahrend cr hier Monate lang uuter einer Schueebccke schläft. Nach einer Weilc jedoch wird die helle Sonne diese Decke zerreißen Sonnenaufgang. 217 und sic in strömenden Fontainen zlnn Äieere stürzen und die kalte ^'ldc küssen nnd ihr Marino und Leben geben; lind die Blumen werden knospen und blühen nnd ihre kleinen (^esichtchen lächelnd nnd dankbar zu ihr hinanfwenden, wenn sie in dem langen Sommer nber diese alten Hügel wanderi, Die Oleischer selbst werde» bei ihrer Anknuft Freudenthräncn weiilen. Das Eis wird seine eiserne Hand ans den Gewässern lösen nnd die wilden Wogen in Freiheu spielen lassen, DaH Remtthier wird lnstig über die Berge hnpfcNs nm sie bei ihrer Ankunft zn bewillkommen, nnd wird sie sehnsüchtig lim grüne Weide anblicken. Die Seevögel, die wissen, daß sie ihnen ans den Mseninseln einen 'Itnheplatz für ihre Füße giebt, werden kommen, die, Moosbetten anfznsnchcn, die sie ,^n ihren Nestern ausbreuet, und die Sperlinge werden ans ihren lebenspendenden Strahlen anlangen nnd dnrch den endlosen Tag hin ihre Minnelieder singen. Zweiundzwalyigstes Kapitel. Frühlingsdämmenmg, — Es kommen Eskimo? an. — Nir erhalten Hunde. ^ Kalutunah, Tattarat, Myaut, Amalatot und sein Sohn, — Ein arktisches Ärankcnhans. — Dankbarkeit der Eskimos, Meine Zeit wurde jetzt völlig von Vorbereitungen zu meiner Reise nach Norden in Anspruch genommen. Die Sonne, die, wie im letzten Kapitel mitgetheilt wurde, am 18. erschien, stieg am nächsten Tage vollständig über den Horizont, stand am darauffolgenden Tage etwas höher, und da sie in stetiger Progression zn steigen fortfuhr, so hatten wir bald vor und nach Mittag mehrere Stunden helles Tageslicht, obgleich die Sonne über del, Hügeln ans der Südseite des Hafens eine Zeit lang noch nicht zn sehen war. Die lange traurige Nacht verging; das Licht nahm mit jedem folgenden Tage zu, und die ,vrühlingsdämmernng verschmolz langsam in den immerwährenden Sonnenschein des Sommers, wie wir zuvor die Herbstdämmerung sich in die ununterbrochene Finsterniß des Winters hatten verwandeln sehen. Die Einzelheiten meiner Vorbereitungen znr Meise würden für den Leser wenig Interesse haben; ich übergehe sie daher. Doch muß ich auf die Lage zurückkommeu, in der ich mich befand, jetzt, wo die Reisezeit begonnen hatte. Die Hunde, fünf au Zahl, welche Hans von der südlichen Neise zurückbrachle, hatten sich wieder erholt und schienen keinen wesentlichen- Schadeil gelitten zu haben; aber es waren nicht genug, um ein dienliches Gespann für eiuen einzigen Schlitten zn liefern. Sie waren deshalb von geringem Nutzen, und es wnrde klar, dah, wenn ich nicht von den Eskimos eine frische Lieferung erhielt, Es kommen Eskimos an. 219 jeder Plan zu einer Schlittenreise, den ich etwa machte, in Betreff seiner Ausführung ganz von der Mannschaft abhängen müsse, Anstatt der Hunde mußteu Mäuner die Schlitten ziehen. Die Eskimos hatten mich getäuscht, indem sie nicht nach Etah heraufkamen, und da der Februar fast vergangen war, ohne von dieser Seite Verstärkungen zu bringen, so hatte ich die Hoffnung, sie zu sehen, ganz aufgegeben, als eine Gesellschaft von drei Maun zu höchst gelegener Zeit aut'am. Dies gab nur neueu Muth; denn weuu ich auch nicht hoffeu konnte, die schönen Gespanne, die ich verloren hatte, zu ersetzen, so war doch noch Aussicht auf einigen Beistand vorhanden, dessen ich nöthig bedürfte. Die Eskimo-Gesellschaft bestaud aus drei Personen, die ich Alle schon früher gekaunt Hütte. Ihre Namen waren Kalutunah, Tattarat uud Muauk. Kalutnual, war im Jahre 1<^4 der beste Jäger des Stammes und anßerdem der Andschekok oder Priester. Er war nicht langsam, mir zu sagen, daß er seitdem zu der Würde eines Häuptlings oder Nalegak vorgerückt sei, eiu Amt, das ihm jedoch keine Gewalt gab, da bei den Eskimos Jeder sich selbst das Gesetz ist und sie sich keiner Macht unterwerfen. Der Titel ist ungefähr eben fo vag wie der eines „Vertheidigers des Glaubens;" und die Vergleichung ist nicht ganz schlecht, denn wenn auch der letztere seinen Ursprung in einer lateinischen Abhandlung über die ,,siebeil Sacraments' hatte, so erhielt cr sich doch durch ein scharfes Schwert fort, uud ebeuso ist der Titel Häuptling oder Nalegak, wie sie es nennen, das dem geschicktesten Jäger gemachte Compliment, ilnd dieser Titel erhält sich durch Grschicklichkeit im Gebrauch einer scharfen Harpune fort. ,Halutunah's vortreffliche Jagdgeräthe — seine starke» deinen, Mauzen und Harpunen, sein schöner Schlitten und seine muuteren, glatten Hunde ^ legten hinlängliches Zeugnis; vou dcm Scharf-sinu des Stammeü ab. Taltarat war ein ganz anderer Mensch. Sein Name bedeutet „die dreizehige Möuc," und eine passendere Benennung hätte ihm kaum könuen gegeben werden, denn er war das vollkommene Urbild dieses lärmenden, schnatternden, graziösen, im höchsten Grade verschwenderischen Vogels, und wie manche andere dreizehige Möve oder Harold Skimpole der menschlichen Gesellschaft, war er, trotz Stehlens uud anderer Knuste, immer '„gauz heruntergekommen." Myauk war ihm uicht uuähulich, nur daß er wo möglich noch schlechter war. Er gehörte in der That 220 Eskimo-Gespanne. zu Satans regulärer leichler Infanterie, und war so voller Nänke, wie Asmodcus selbst. Die Gesellschaft lau, ans zwei Schlitten herauf. Den einen fuhr Kalutunah, den andern Tattarat, Kalutunah's Gespann war sein eigenes. Von dein andern Gespann gehörten zwei Hunde Tattarat, einer war geborgt, und der uierte Myauk's Eigenthum. Es ist merkwürdig, zu beachten, wie dieselben Charaktcrzügc sich bei allen Völkern und auf dieselbe Weise zeigen. Während Kalu-tunah mit frisch allssehenden nnd in schönem Zustande befindlichen Hunden, mit starken Strängen und festem Schlitten ankam, bestand Tattarat's Gespann aus so mageren und hungrig aussehenden Kötern, wie man sich kanm denken kann, ihre Stränge waren alle verschlungen und verwickelt, nnd der Schlitten war gebrechlich und zerfiel fast in Stücke. Sie hatten den ganzen Weg von Ite-plik her zurückgelegt, ohne anzuhalten, eine kurze Rast in Sor-falik ausgenommen. Sie behaupteten, sie hätten, seitdem sie ihre Hcimctth verließen, Nichts genossen, und wenn der Appetit den Glauben beherrscht, so war, wie ich meinte, kein Grnnd vorhanden, daran zu zweifeln, denn sie wurden mit dein besten Theil eines Wildpretviertels fertig, dessen Verschlingen durch mehrere Stücke Walroßspeck sehr unterstützt wurde, ehe sie sich in die Rennthicr^ felle von Tscheitscheuguak's Hütte wälzten und schliefen. Am nächsten Morgen hatte ich Kalutunah in meine Kajüte gebracht; ich gedachte ihn mit der ausgezeichneten Hochachtung zu behandeln, die seinem hohen Nange gebührte. Aber es war Vorficht nöthig. Znm Stnhl gab ich ihm ein Fäßchen, und ich achtete besonders darauf, daß seine Person mit nichts weiter in Berührung kam, denn unter den weiten Pelzen dieses berühmten Häuptlings streiften große Heerdcu kriechender Wesen umher, für die noch kein gelehrter Lexikograph einen feinen Namen erfunden hat, und die ich daher nicht weiter beschreiben kann. Auch deu Manu selbst kann ich nicht auf entsprechende Weise beschreiben; denn als er auf dem ^äßchen saß, war sein Leib in einem ungeheuren Pelzrock mit seiner großen Kapuze verborgen, und seine Beine und Füße staken in langhaarigem Barenfell, — das ganze Eostüm unterschied sich uur wenig von dem schon beschriebenen Anzug des duukelgesichtigeu Tschcilschcnguak, Er war ciu Studienstück für einen Maler. Kein Kind hätte schrankenlosere Freude zeigen können, wenn alle Nürnberger Spielwaaren vor ihm auf einen Haufen ge- Ein schmutziger Potentat. 221 worsen worden wären. Sein Gesicht mit etwas Anderem als einem sseschickten Pinsel zu malen, wäre eine nnmögliche Aufgabe. Es ist nicht anmuthig wie das uou ,,Villiers mit dem Flachshaar," noch weniger hübsch wie das des Kricgerfürsten Nireus, welchen Homer als den hübschesten Mann im ganzen griechischen Heere preist (und uachher nie wieder erwähnt), noch war es wie das von Ossiau'B Häuptling, ,,dessen Gesichtsveränderungeu so verschieden waren wie die Schatten, die über das Grasfeld fliehen;" sondern es wurde im Sonnenschein eines hellen Grinsens gebadet. Im Ganten genommen erkannte man in ihm sogleich das Gesicht seinerRace, wenn es auch einen höheren Typus der Männlichkeit als gewöhnlich geigte, Die Gesichtszüge unterschieden sich nnr dem Grade nach von den schon beschriebenen Tscheitfchengnak's; die Haut war weniger dunkel, das Gesicht breiler, die Backenknochen höher, die Nase platter und mehr gebogen, die Oberlippe länger, der Mund weiter, die Augen noch kleiner; wenn er lachte, zogen sie sich in kaum erkennbare Schlitze zusammen. Auf seiner langen Oberlippe wuchs ein kleiner Zaun schwarzer Borsten, die sich nicht anmuthig kräuselten noch schlaff herabhingen, sondern gerade aus stachen wie der Bart einer Katze. Einige derselben Art gingen strahlenartig von seinem Kinn ans. Ich schätzte ihn etwa vierzig Jahre alt, und da Seife und Haudlücher und die äußerliche Anwendung des Wassers unter den eingeborenen Bewohnern des Whale-Sundes noch nicht eingeführt sind, so hatten diese vierzig Jahre die Anhäufung eines Ueberzngs über die Haut begünstigt, der durch un gleiche Reibung seinen Händen und seinem Gesicht ein ganz geflecktes Aussehen gegeben hatte. Aber wenn er auch nicht hübsch war, so war er doch nicht wirklich häßlich; denn trotz der rohen Züge und des schmutzigen Gesichts hatte der Kerl eine rauhe Art guler ^'aune und freimüthiger Unbefangenheit an sich, die mir sehr gefiel. Seine Zunge war nicht geneigt zu ruhen. Er mußte mir Alles erzählen. Sein Neib lebte noch nnd hatte den Verantwortlichkeiten, die er schon hatte, noch zwei Mädchen hinzugefügt- aber fein Gesicht glühte vor Wonne, als ich ihn nach ihrem Erstgeborenen fragte, der, wie ich mich erinnerte, im Jahre 1854 ein heiterer Knabe von etwa fünf bis sechs Sommern war, und er zeigte den ganzen gerechten Stolz eines Vaters bei der Aussicht auf des Jungen künftige Größe. Er konnte schon Vögel fangen und lernte Hnude treiben. 323 Ein primitiver Vertrag. Ich fragte ihn nach seinem alten Rivalen Sivsu, der mir einst viel Verdruß machte und Kalntunah endlose Unannehmlichkeiten verursachte, Er war todt. Als ich ihn fragte, wie er gestorben sei, wollte er nicht mit der Sprache heraus, sagte aber endlich, er sei getödtet worden. Er war beim Volke sehr unbeliebt geworden nnd wurde eines Nachts in einer dunklen Hütte erstochen; aus einer tödtlichen Wunde blutend, hatte man ihn herausgeschlevpt und in den Steinen und Schnee begraben, wo die Kälte nnd Wunde znsammen seinen» Leben sowohl als seiner Bosheit bald ein Ende machten. Seit den fünf Jahren, wo ich sie nicht gesehen, hatte der Tod unler seinem Volke furchtbare Verwüstuugeu augerichtet, und er beklagte sich bitter über die Beschwerden des letzten Winters, welche die Folge eines großen Mangels an Hunden waren, indem dieselbe Laune, welche die meinigen wegraffte, anch diejenigen seines Volkes ergriffen hatte. Die Krankheit scheint in der That durch ganz Grönland allgemein gewesen zu sein. Aber ungeachtet dieser Armuth überuahm er es, mir einige Thiere zu verschaffen, für die ich ihm reichliche Geschenke geben sollte, nnd zum Beweis seiner Aufrichtigkeit bot er mir zwei von den uiercn an, die sein gegenwärtiges bespann ausmachten. Von Tattarat kaufte ich später einen der drei, die er hatte, und für eiu schöues Messer erhielt ich auch den vierten vom Gespann dieses Jägers, das Eigenthnm Mnauk's und den einzigen Hund, den er besaß. Die Jäger waren alle mit ihrem Handel wohl zufrieden, dcnu sie giugen fort, reich an Eisen, Messern lind Nadeln, — ein Reichthum, der für sie mehr Werth hatte, als alle die ungeheuren Haufen Schätze gehabt haben würden, mit welchen der Inka Atahuallpa dcu raubgierigen Pizarro zu befriedigen suchte, oder die Huuderttansende von Rupien, mit welchen der unglückliche Najah Nuncomar sich ans den Klaueu des unbarmherzigen Hastings zn befreien strebte. Und wir hatten einen Friedensund Freundschaftsvertrag geschlossen uud hatten ihn durch ein feierliches Versprechen ratificirl, wie es sich für einen Nalegak uud einen Nalegaksoak geziemte. Der Nalcgak sollte dem Nalegaksoak Hunde verschaffen, uud der Nalegnksoak sollte sie bezahlen. Dieser überaus eiufache Vertrag mag vielleicht anfangs den Leser befremden ; aber ich bin überzeugt, daß dieses Befremden verschwin« Ich bekomme Hunde. 223 den wird, wenn er sich an die denkwürdige geschichtliche Parallele von Burgoyne nnd seiuen Hessen erinnert. Ich sagte Kalutunah nicht, daß ich seinem Volke nur Wohlthaten zu erweisen wünschte, denn Niemand dringt schneller in die Leerheit solcher ErNärnngen ein, als der ungebildete Wilde. Er läßt sich nicht so leicht mit philanthropischem Gefühl foppen, wie man allgemein annimmt, und weiß es genau, weun man ihn zu hintergehen hofft. Aber ich wagte es mit einer kleinen harmlosen Betrügerei anderer Art; ich gab ihm zu verstehen, daß es nutzlos sei, wenn die Eskimos mich zn täuschen versuchten, da ich nicht nur ihre Handlungen, sondern auch ihre Gedanken errathen könnte. Um meine Kräfte zu beweisen, machte ich vor ihm einige einfache Taschenspieler-Kunststücke, wendete mit großer Ernsthaftigkeit eine Karte um und sagte ihm genau (es war kein großes Wagnist), was Utinah und sein holzbeinigcr Gefährte gestohlen hätten, Er war ganz erstaunt, sagte, in Betreff des Stehlens hätte ich ganz recht, denn er hätte die gestohlenen Gegenstände selbst gesehen, und hielt mich offenbar für einen wunderbaren Zanberer. Er gestand mir, daß er im Taschenspielergeschaft fclbst Etwas leiste; als ich ihn aber nach seinen Reisen auf den Grund des Meeres fragte, die er in seiner Eigenschaft als Andschekok machte, um den Zauber zu brechen, dnrch welchen der böse Geist Torngak i'n seinem Zorn zur Zeit der Hnngersnoth die Walrosse und Seehunde festhält, ging er sehr geschickt zu einem andern Gegenstand über und be gann eine Bärenjagd zu schildern, die kürzlich stattgchmden hatte und die ihm großes Vergnügen zu machen schien. Das ver-wundete Thier riß sich von den Hnnden los, langte nach einem der ^äger und schlug den unglücklichen Mann durch eine» Hieb mit der Vordertatze todt. Kalutuuah lachte herzlich, während er die Geschichte erzählte, und schien sie für einen Haupte spaß zu halten. Unsere wilden Gäste blieben einige Tage bei uns uud reisten dann nach ihrer Heimath ab, erklärten aber, sie gedächten bald wiederzukommen und mehr Leute von ihrem Stamme und Hunde mitzubringen. Ich fuhr einige Meilen mit ihnen hinaus, und wir nahinen auf dem Eise Abschied. Als ich etwa eine Meile weit fort war, bemerkte ich, daß Myank vom Schlitten sprang, um Etwas aufzuheben, das er hatte fallen lafsen. Ohne Zweifel erfreut, diese Extra-Last auf seinem gebrechlichen Schlitten los zu 224 Ein «n'ttischer Micawber. sei», hieb Tattarai auf sein bespann, und day Vetzte, wa'? ich von den, armen Myant sah, war, daß or forlrannle und sich mann^ haft belnühte, um nachzukommen; aber trotz all' seiner Anstren gungen blieb er zurück, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß man ihn den ganzen Weg bis Iteplit zu ^uße gehen ließ. Dieser Myauk war noch dasselbe drollige Geschöpf, dns er schon war, als ich ihn früher kennen lernte, — cine Art arktischer Micawbcr; er wartete immerwährend auf Etwas, das geschehen sollte und nie geschah, und hoffte nut großer Fröhlichkeit anf l^lück, das nie kam. Er erzählte mir alle seine Beschwerden und Unglücks-falle. Sein Schlitten war ganz in Stücke zerbrochen, und er konnte ihn nicht wieder machen; seine Hunde waren alle todt bis ans einen, den er an mich verkaufte; seine, Harpune hatte er in ein Walroß gestochen, die Leine war zerrissen und das Walroß nahm sie mil fort; seine Lanze hatte er verloren, und überhaupt alle seine Angelegenheiten waren in einem sehr kläglichen Zustande. Seine Familie war in großer Noth, da er für sie nichts ;n esse» fangen konnte; sie waren daher in Dmarat's Hütte gegangen. Tattarai war ein armer Jäger, nnd er machte eine schreckliche Grimasse, welche sagte, wie groß seine Verachtnng gegen dieses tapfere Individuum war. Er nahm fich daher jetzt vor, so bald er nach Hause käme, es bei Kalutunah zn versuchen. Kalntunah's Niederlassung war allerdings schon ziemlich angefüllt, da nicht weniger als drei Familien dort einquartiert waren; aber es gab, wie er glaubte, immer noch Naum für eine Familie. Jedenfalls werde er es versuchen. Und wollte mm nicht der Nalegntsoal — der große Häuptling, der so reich und so mächtig war, so gut sein, ihm so viele Geschenke zu geben, daß er znrückgehen nnd Jedermann neidisch machen wollte? Die menschliche Natur ist in der arttischen Zone dieselbe wie in der gemäßigten; mil dieser Ein-decknng zufrieden, überlud ich den Schall völlig mit Reichthümern und schickte ihn in Freuden fort. Aber sein Weib, wie stand es mit ihr? „Oh, fic ist faul und will Nichts thun, und nöthigw mich, diese ganze lange Reise zu machen, um ihr einige 'Nadeln zu holen, die sie nicht benutzen will, und ein Messer, das sie uicht braucht; und jetzt, wo ich ohne Hund zurückgehe, wird sie mich gehörig ausschelteu!" — Er ergriff seine Zunge und zog sie so weit aus dem Munde, als er sie herausbringen konnte; auf diese bildliche Art versuchte er die ^/änge jcney kampflustigen Organs häusliches Glücl. 225 in dem Weibe seines Herzens zu erläutern. „Aber," fügte der wilde junge Ehemann hinzu, „sie hat eineu zerrissenen Rock, der so voll Löcher ist, daß sic nicht ohne Furcht, zu erfrieren, aus der Hütte gehen kann, und wenn sie mich zn sehr auszankt, werde ich ihr keine dieser Nadeln geben und werde ihr teine Füchse fangen, um sich einen neuen zu machen;" — es war jedoch leicht zu sehen, daß die Nadeln nicht lange würden vorenthalten bleiben, und daß die Füchse würden gefangen werden, wenn ihm gesagt wurde, er solle sie fangen; nnd als er mir erzählte, daß sie ihn mit einem Erben zu dem Myauk'schen Elende beschenkt habe, gab ich ihm auch für diesen Etwas. Der kleine hoffnungsvolle Sprößling war bereits, wie er mir mittheilte, von seiner natürlichen und mütterlichen Nahrung entwöhnt und zeigte große Neigung zn Speck. Er hatte ihn Dal-ta-geo genannt; weiter konnte er es in der Aussprache des Namens Doctor Kane nicht bringen. Kalutuuah und seine Gefährten waren kaum fort, als ein anderer Schlitten kam, der noch zwei Eskimos brachte, — Ama-latok von der Northumberland-Insel nnd seinen Sohn. Sie hatten vier Hunde, und da sie unterwegs angehalten hatten, um ein Walroß zil fangen, das sie zu in Theil mitbrachten, so waren sie sehr müde, und da sie bei der Sicherung der Beute naß geworden waren, so froren sie und waren ein wenig erstarrt. Beide lagen mehrere Tage lang ganz trank in Tscheitschenguak's Schneehütte. So hatte, ich denn endlich einen Patienten, und die Schneehütte wurde eine Art Krankenhaus, denn der alte Tschcitschenguak war auch krank. Ich besuchte sie entweder selbst oder schickte Mr. Knorr täglich zweimal; da aber der Geruch des Ortes für die aristokra tische Nase dieses Herrn mit der Zeit zu stark wurde, so konnte 'ich nicht langer durch Stellvertretung verschreiben; ich ging daher selbst und kurirte meine, Patienten sehr schnell. Dadurch erlangte ich außerdem, daß ich der Nalegaksoak, „dcr große Häuptling" war, noch großen Nuf als ein Narkosak, der „Medicin-Mann" (Arzt, Zauberer und Wahrsager). Nmalatok glaubte einmal, er werde sterben, und mir wnrde im Ernst bange um meinen Ruf; am Ende aber erholte er sich völlig wieder, und, so auffallend es auch erscheinen mag. sein Gedächtniß überlebte wirklich den Dienst, den ich ihm erwiesen, lange genug für ihn, um mehr zn thun als „Konanak" - „ich danke Ihnen" — zu sagen; das heißt, sobald er umhergehen konnte, brachte er mir seinen besten Hund Hope«, Das offene Polar-MtN. lh 226 Wtlmo-Dankbarkeit. und machte mir, zum Zeichen der Dankbarkeit, ein Geschenk damit. Als ich ihm spater einige bedeutende Gaben anbot, verkaufte er mir noch einen, und ging dann eben so reich nach Hanse, wie die Gesellschaft, die ihm vorausgegangen war, und so glücklich wie Moses Primrose, als er mit seinem Gros Chagrin-Brillen von der Messe zurückkehrte. So wurden meine Hundehütten noch nnmal angefüllt, und mein Herz freute sich. DreiundMlmzüMs Kapitel. KanUunah tchrt zurücl, Oiuc E^liluo ssanulu, ^ Dai! ssauiilicn Eigcuthuu!, Die ^amilim Gardcrobc, — Älyaul und Ml Weid, P^tcr'V deiche ^cfundcu, ^ Vitrine ncucn Gcspciuuc. -^ Die Situation, ^agd. Dir Nahnmg d^' ^vttisckcil Thicrc, — Vcriolgunq der Wisscnschaft unter Schwie rigteiten. kalutuncch zu H^uso, - C1n E^lmio Schmaus, — Kalutunah in Dienst, - ^>ck bctoulmc Hcni' Honülass^ ^ickuam. - Das deichen-bcgättguiß. Da? (.^radiua!, Kaluinnah Nun scincin Vcrsp^chcn gnnäß nach einigen Tagen znrnck nnd bvachle die ganze Kalnwnah'sche ^mnilie mit, die aus seinem Weibe und vier Kindern bestand. Es war ein ordentlicher „Umzug." Der Häuptling hatte eZ auf irgend eine Weise möglich ge macht, ein anderes bespann von sechs Men Hundeu zusammenzubringen, und kam nach dem neuesten Geschmack herauf, indem er auf seinem kleinen Schlitten Alles mitbrachte, was er in der Well hatte, und das war nicht viel. I^ie zur Behaglichkeit des Lebens dieneuden Dinge, welche di'.'se arttischen Nomaden besitzen, siud nicht zahlreich, und es ist eiu ("lnck, das^ ihre Wünsche so gut mit den Mitteln übereinstimmen, sie zu befriedigen, denn wahrscheinlich besitzt kein Volt in der Well 10 wmig, sei es bewegliches oder anderes Eigenthum. Die ganze Fracht des Schlittens bestand aus Theilen von zwei Bärenfellen, dem Familienbett; einein halben Dutzeud Seeh'undsfellen, dem FamilienzeU - zwei Lanzen und zwei Harpunen; einigen festen Harpnnenleinen; einem Paar Lampen uud Töpfen; einigen berathen nnd Materialien znr Wiederherstellung des Schlittens in, Ml eines Unglücks; einem kleineu Sack von Seehundsfell, der die Familien-Garderobe, das heißt, die Gerathe znr Ausbesserung derselben enthielt, denn die ganze 15* 228 Ane Eskimo-Familie. Garderobe hatten sie auf dem Leibe; dann war noch eine Rolle getrocknetes Gras vorhanden, das sie wie wir die Korksohlen für die Stiefeln benutzen, und einiges getrocknetes Moos zn Lampendocht; und zur Nahrung hatten fie einige kleine Stücke Walroß-Fleisch und Speck. Diese Fracht war mit einem der Seehundsfelle bedeckt, über welches von einer Seite znr andern einc Leine gezogen war, wie eine Sandalenschnnr, nnd das Ganze war fest auf den Schlitten gebunden; oben darauf ritt die Familie, während Kalutunah selbst nebenher spazierte und sein Gespann mehr mit guten Worten ermuthigte als mit der gewöhnlichen Eskimo'schen Grausamkeit forttrieb. Vorn saß die Mutter, das schönste Exemplar einer Eskimo-Matrone, das ich gesehen hatte. In der großen Kapuze ihres Fuchsbalg-Rockes, einer Art Nückenbeutel der Beutelratte, nistelte ein schlafendes Kind. Dicht neben der Mutter saß der Knabe, auf den ich schon angespielt habe, ihr Erstgeborener und des Vaters Stolz. Dann kam ein Mädchen von etwa sieben Jahren, uud ein zweites, drei Jahre alt, war in einc große Masse Pelze eingewickelt und an die Schlittenhörner gebunden. Als der Schlitten nahe am Schiffe hielt, ging ich ihnen entgegen. Die Kinder waren anfangs ein wenig in Furcht, wurden aber bald zum Lachen gebracht, und ich fand, daß dieselben Künste, mit welchen man die Liebe christlicher Kinder gewinnt, auch bei den heidnischen wirkten. Das Neib erinnerte sich meiner wohl und nannte mich ,,Doc-lih", wahrend Kalutunah, vor Wonne am ganzen Leibe grinsend, auf seine Hnnde zeigte und mit Stolz ausrief: „Die sind schon!" worin ich ihm gern bch'timmte; dann fügte er hinzu: „Ich komme, sie alle dein Nalegaksoak zn geben," und darin stimmte ich ebenfalls bei. Was mir bei dieser Familie am meisten auffiel, war ihre scheinbare Gleichgültigkeit gegen die Kälte. Sie waren von Ite-plik her in langsamen Märschen gekommen, hatten, wenn sie müde waren, in einem Obdach von Schnee oder verlassenen Hütten angehalten, und unsere Thermometer stiegen nnd fielen während dieser Zeit zwischen 30« und 40° F. nnter Nnll*), und als sie ans dieser Temperatur an Bord kamen, schien es ihnen nicht einzufallen, sich zu warmen, sondern sie wanderten erst durch das ganze Schiff und befriedigten ihre Neugierde. *) Zwischen -2?°,5? und -!k'> R. Myaut und Familie. 229 Einige Stunden später kam eine Familie von ganz anderer Beschaffenheit an, Myauk und sein Weib mit dem zerrissenen Rock. Sie waren den ganzen Weg von Iteplik herauf zu Fuße gegangen, und die Frau trug diese ganzen hundertundfünfzig Meilen ihr Kind auf dem Rücken. Myauk war offenbar in Verlegenheit, eine Entschuldigung zu finden, warum er mir diefen Besuch machte; aber er faßte Muth und entdeckte, wie Kalutunah, einen Grund. „Ich komme, dem Nalcgaksoak mein Weib und Daktagee zu zeigen," und wies dabei anf das schlumpige, schmutzige Geschöpf, das ihn als Ehemann anerkannte, und auf das hülflose Wesen, daZ ihn zum Vater hatte. Als er aber merkte, daß ich für den Anblick wahrscheinlich nicht viel bezahlen würde, sagte er schüchtern mit einem zweiten bedeutsamen Fingerzeig: „Sie nöthigte mich, zu kommen;" dann ging er ab, ohne Zweifel um zu sehen, wo er Etwas stehlen konnte. Mit Kalutunah kam ich bald überein. Er sollte in der Hütte zu Etah leben, jagen, so viel er ohne Hülfe seiner Hunde, die er mir alle lieh. konnte; aber in jedem Falle sollte er sich auf meine Vorräthe verlassen, und ich machte mich verbindlich, ihn mit Allem zu versehen, was er zu seinem und seiner Familie Unterhalt brauchte. Am folgenden Tage wurde die Hütte in Etah ausgeräumt und in Ordnung gebracht, und diese interessante Familie zog dort ein, während Myauk, — so begierig, sich unter den Schutz eines in Gunst hoch stehenden Mannes zu stellen, als ob er weiße Haut gehabt hätte und wüßte, was „öffentliches Amt" bedeutet, und näher am Aequator lebte, — dem großen Mann in seine neue Wohnung folgte und so kaltblütig in eine Ecke seiner Höhle kroch, als wäre er ein verdienstvoller Mensch und nicht der ärgste Lump und Bettler, der je von Werth uud Fleiß schmarotzte. Kalutunah brachte eine Auflösung des Geheimnisses mit, das auf 'Peter lag. Sobald das Tageslicht wiederzukommen begann, entschloß sich einer der Itepliker Jäger, Namens Nesark, nach Pe-teravik heraufzureisen und dort sein Glück in der Seehundsjagd zu versuchen. Als er bei der dortigen Hütte ankam (diese Eskimo-Hütten sind gemeinschaftliches Eigenthum), sah er zu seiner Ueber-raschung auf dem Fußboden einen sehr abgemagerten Leichnam liegen. Es war der eines Eskimo, der die Kleidung des weißen Mannes anhatte, und die Beschreibung ließ keinen Zweifel, daß 230 Die Situation. es die seiche Peters war. Ncsark gal» ihm em Eotimo Begräbnis;. So wurde diese seltsame Geschichte nach Verlanf voll drei Monaten zum Abschluß gebracht; aber ich konnte mir noch immer so wenig wie je das sonderbare Benehmen des unglücklichen jungen Menschen erklären. Zch war jetzt der Besitzer von siebenzchn Hunden geworden nnd wartete nur auf ein einziges Hauplereigniß, um eine vorläufige Neise nach Norden anzutreten. Um die Sonuenausgangs-Spitze^) war das Meer noch nicht geschlossen, und ich konnte auf dieser Seite nicht aus der Bai hinauskommen. Ueber das 1'and zu reisen, war wegen seiner großen Holprigfeit für einen Schlitten, selbst ohne Fracht, unmöglich, und die Spitze in dieser Zeit des Jahres durch das gebrochene Eis und stürmische Meer in einem offenen Boote zu umfahren, daran war aus leicht begreiflichen Gründeu nicht zu denken. Mein Plan war immer gewesen, mit meiner Hanptgescllschaft aufzubrechen, wenn die Temperatur angefangen hatte gegen den Sommer hin gelinder ;u werden, was wahrscheinlich um den ersten April stattfand; aber ich hoffte schon vor dieser Zeit mit meinen Hunden irgend ein nützliches Werk zn verrichten. Der März ist der kälteste Monat des arttischen Jahres; aber während ich kein Bedenken trug, in dieser Zeit mit Hundeschlitten aufzubrechen, war die Erinnerung an Dr. Kaue's Unglücksfälle noch zn frisch in meinem Gedächtniß, um mich zu rechtfertigen, wenn ich bei den Temperaturen des März eine Gesellschaft zn ,^uße aussandle. Während ich auf den Frost wartete, der für mich um die Sonuenaufgangs-Spihe herum eine Brücke bauen sollte, fütterte ich meine Hunde herauf nnd kräftigte fie. Es zeigte fich bald, daß sie den Thieren, die ich verloren halte, weit nachstanden, und es war nothwendig, ihnen möglichst viel Nuhe zu gewähren und gutes Kutter zu geben. Ich ging wiederholt in's Chester-Thal auf die Neuntl)ier)llgd. Während des Winters hatten sich diese Thiere längs den Ufern des Sees in großer Anzahl zusammcngeschaart und, indem sie nach der abgestorbenen Vegetation des vorhergegangenen Sommers suchteu, mit ihren Klauen ganze Acker Schnee aufgescharrt. Die Kaninchen und Schneehühner waren ihnen nachgezogen, um die Knospen der Weidenstämme zu sammeln, die gc- *) Sunrise Point. Kalutunah zu Hause. 231 legentlich emporgeschleudert wurden, und welche ihre Nahrung bilden. Auf einem meiner Ausflüge verschaffte ich mir ein schönes Fell von einem Weibchen, aber ich mußte es mit eigener Hand abziehen, ehe es gefror. Die Temperatur war damals 80" F. unter Null (—28",<«» R.), und ich erinnere mich nicht, daß mein Eifer für die Naturgeschichte je so streng geprüft worden wäre. Ich sehnte mich außerordentlich, Herrn Sonntag's Leiche zu bekommen, ehe ich das Fahrzeug verließ. Dazu wollte ich mir Kalutunal/s Beistand verschaffen und fuhr deshalb einige Tage später, nachdem er sich in Elah festgesetzt hatte, zu ihm hinüber. Ich hatte elf meiner neuen Hunde au den Schlitten gespannt, und Jensen „war wieder der Alte/' Ich fand Kalntunal) behaglich eingerichtet und dem Anschein nach wohlzufrieden. Als Geschenk zu einem Einzngsschmans hatte ich ein Viertel von einem kürzlich erbeuteten Rennthier und ein paar Gallonen Oel bei mir. Als er uns nahen sah, kam er uns entgegen, nnd da in den Durchgang zur Hütte einiger Schnee geweht war, so scharrte er ihn mit dein Fuße weg nnd lud uus ein, einzutreten. Dies thaten wir auf Händen und Knieen dnrch eine Art Tnnnel von etwa zwölf Fuß Lange; von da tünchten wir in einer matt erleuchten Höhle auf, wo, in einem Nest von Nennthierfellen zusammengekauert, die ich ihnen gegeben hatte, die Familie des Häuptlings nnd das Weib und Kind Myauk's warcn. Kalutunah's Weib nähte flink weg an einem Paar Stiefeln für mich, und ich brachte ihr noch einige „Arbeit" und auch einige Geschenke mit, unter welchen fich eine Schnur Glasperlen und ein Spiegel befand, die den bindern viel Vergnügen machten. Myauk's Weib dagegen war ganz müßig; sie achtete nicht einmal auf ihr Kind, das, durch unsere Ankunft erschreckt, herabrollte nnd sich auf dem Fußboden nm unfcre Füße hernm nnd von da in den Schnee wälzte, der längs dem Eingang zur Hütte gestreut lag. Das arme kleine Geschöpf, das fast nackt war, erhob ein schreck-liches Geschrei, nnd seine liebenswürdige Mntter ergriff es rasch an einem Beine, zog es in dir Höhe und stopfte ihm ein Stück Speck in den Mund^ das seinem Lärm schnell Einhalt that. Diese Frau sowohl als ihr Maun waren für du- genügsamen Eigenthümer der Hütte offenbar eine große Last; aber bei einer großmüthigen Gastfreundschaft, die ich sonst nirgends in der Geschichte oder Dichtung, außer bei dem Sachsen Ccdric, gefunden 232 Ein Morgenbesuch. habe, durfte eine so nichtswürdige Nolle sich bei einer sparsamen Familie aufdrängen, ohne Furcht, zur Thür hinausgeworfen zu werden. Ich saß einige Zeit da und sprach mit Kalutunah und seinem fleißigen Weibe. Es war zwar, da sich so viele Leute in der Hütte befanden, kein Raum, um es sich sehr bequem zu machen, und ich mußte, wenn ich mich bewegte, den Kopf auf die Seite halten, um nicht an die steinernen Sparren zu stoßen. Außerdem war der Geruch des Ortes dcr Art, daß er das Herz mit einer ziem^ lichen Sehnsucht nach der freien Luft erfüllte; aber ich ermöglicht? es, so lange zu bleiben, bis ich mit meinem Verbündeten und seiner nützlichen Gemahlin einige wichtige Uebereinkommen abgeschlossen hatte; dann nahm ich unter gegenseitigen Versicherungen der Freundschaft und des Wohlwollens Abschied. Venn Scheiden sprach ich zu ihm- „Sie sind Häuptling und ich bin Häuptling; wir wollen unseren betreffenden Völkern sagen, daß sie gegen einander gnt sein sollen;" aber er antwortete: „Nein, nein, ich bin Häuptling, Sie aber sind der große Häuptling, und die Eskimos werden thun, was Sie ihnen sagen. Die Eskimos haben Sie gern und sind Ihre Freunde. Sie machen ihnen viele Geschenke," Ich Hütte ihm sagen können, daß diese allmächtige Methode, den Leuten Freundschaft einzuflößen, nicht blos bei Eskimos anwendbar ist. Dieser Besuch war eine angenehme kleine Episode. Ueber die aufrichtige Innigkeit, mit welcher Kalutunah auf meine Pläne einging, war ich sehr erfreut, während die kindliche Einfachheit seiner Gewohnheiten und dic Freimüthigkeit seiner Erklärungen ihm einen hervorragenden Platz in meiner Achtnng gewann. Er fand großes Vergnügen an unseren Gewehren und bettelte um eins derselben, indem er behauptete, er könne in seiner Hütte sitzen und die Rennthiere erlegen, wenn sie vorbeiliefen. Er wollte die Flinte dnrch das Fenster stecken und zeigte nach einem Loch in der Wand von etwa einem Fuß im Geviert, wo das Licht durch eine dünne Platte von hartem Schnee hereingelassen wurde. Im Mittelpunkt der Platte hatte ?r ein rundes Loch gemacht, das, wie er lachend sagte, den Zweck hatte, sich nach dem Nalegaksoak umzusehen, - ein gut gedrechseltes Compliment, wenn es auch von einem Wilden kam, und um so gewandter, da das Loch in Wirklichkeit zur Lüftung der Hütte dient?, wenigstens war es die Ein Eskimo-Schmauäl. " 233 einzige Oeffnung, durch welche die verdorbene Luft möglicherweise hinausziehen konnte. Er sowohl als sein Weib freuten sich in hohem Grade über die Geschenke, die ich ihnen mitgebracht hatte. Obgleich sie von Rennthirren umringt sind, so ist doch Wildpret ein Leckerbissen, den sie selten genießen, da sie kein Mittel besitzen, sich der Thiere zu bemächtigen. Sie haben nicht die Bogen und Pfeile der Eskimos einiger anderen Gegenden. Ohne zu warten, bis es gekocht war, sing Kalutunah an, einen wackern Angriff auf das rohe, gefrorene Fleisch zu machen. Sein Weib und seine Kinder waren nicht langsam, seinem Beispiele zu folgen, indem sie sich um dasselbe herumdrängtrn, wo es auf dem schmutzigen Fußboden lag, und Frau Myauk nahm am Schmause Theil, ohne sich erst dazu einladen zu lassen. Und ich habe nie ein Gastmahl gesehen, das seine Theilnehmer in so hohem Grade zu befriedigen schien, nicht einmal hungrige Nathsherren bei einem Stadtrathsbankett. Kalutunah grinste vor Wonne am ganzen Leibe. Er war über nlle Maßen glücklich. Seine Zähne zerquetschten unaufhörlich die harten Kerne, in die er die gefrorene ,,Keule" zerschnitt, und seinen Schlund hinab stoß ein stetiger Strom der köstlichen Speise. Seine Zunge hatte wenig Gelegenheit, sich zu entfalten; nur daun und wann machte sie sich von dem Wildprctgcwirre los, und dann hörte ich viel von der Größe und Güte des Nalegaksoak. Den Genuß des Mannes mit anzusehen, war spaßhaft. Wenn aber die Nenuthierkeule Befriedigung gewährte, so verschaffte das Oel Behaglichkeit. Die Hütte war dunkel und kalt, denn sie war noch nicht durch und durch anfgethant worden. Ka-lutunah glaubte jetzt die Mittel zu einer zweiten Lampe zu haben, und einige Minuten nach unserm Eintritt brannte in der Ecke eine frische Flamme. Ich habe schon früher gesagt, daß die Eskimo-Lampe nur eine flache Schüssel ist, aus einem Block Seifeustein ausgeschnitten. Das getrocknete Moos, das sie als Docht benutzen, wird um den Rand herum gelegt, und die Flamme, die es giebt, ist ihre einzige Beleuchtung und Heizung. Ueber den Lampen hingen Töpfe von demselben Seifenstein; in diese brachte Frau Kalutunah einigen Schnee, um das Wasser zu einer Wildpretsuvpc zu bekommen, und lud nns ein, auf dieselbe zu warten und an ihr theilzunehmcn. Ich kannte aus früherer Erfahrung die Beschaffenheit der Eskimo-Küche zu gut, als daß sie mich hätte begierig gemacht, sie noch weiter kennen zu lernen; ich schützte daher Ge- 234 Meine Eslimos. schäfte vor und licß sie sich auf ihre Weise laben. Wie lange sie ihren Schmaus fortsetzten, habe ich nicht erfahren, aber als Kalu-tunah am nächsten Morgen herüber tam, theilte er mir mit, daß in der Hütte zu Etah kein Wildpret mehr vorhanden sei, — ein Wink, der nicht weggeworfen war. Meine Eskimos zählten jetzt siebenzehn Seelen, nämlich sechs Männer, vier grauen und sieben Kinder, und stellten eben so viele Schanniingc» des Charakters und der Nützlichkeit dar. Für die Unannehmlichkeiten, die sie uns bereiteten, wurden wir durch die Näherei, welche die Weiber Kalutunah'V und Tscheitscheuguak's für uns besorgten, reichlich entschädigt; denn trotz all' unseres Scharf, sinns und unserer Geduld, gab es untcr der Schiffsmannschaft keinen Einzigen, der einen Eskimo-Stiefel machen konnte, und dieser Stiefel ist in den arktischen Gegenden die einzige einsprechende Fuß-bedeckung. Von deu Männern war Hans der nützlichste; denn trotz seiner tadelhaften Eigenschaften war er, Jensen ausgenommen, mein bester Jäger. Kalutunah kam täglich auf's Schiff und suchte als bevorrechteter Gast mich in meiner Kajüte anf. Meine Reise nach Etah hinüber machte ihn im höchsten Grade glücklich; denn wie der Schall der kommenden Schlacht den Krieger belebt, der lange in frieden ruhte, so erwachle neues Leben in ihm, als ich ihm die Pflege eines meiner neu erworbenen Gespanne anbot. Am nächsten Morgen kam er an Bord und übernahm die Hunde, und als ich ihm einige Tage später mein Vertrauen noch weiter bemies, indem ich ihn nach Cap Alexander hinabsandte, nm zn sehen, ob das Eis fest sei, war sein Freudenbecher bis zum Rande voll. Da der Bericht Kalutunah's günstig lautete, schickte ich eilig Mr. Dodge ab, um Herrn Sonntag's Leiche herauf zu bringen. Mr. Dodge führte die Reise mit Geschick und Energie aus. Er erreichte Sorfalik in fünf Stunden und hatte keine Schwierigkeit, die Oertlichkeit aufzufinden, nach welcher sie suchten, indem sich Hans durch einen großen Felsen oder vielmehr Klippe an dieselbe erinnerte, an deren unter dem Winde liegenden Seite sie ihre Schneehütte geballt hatten. Aber die Winde hatten seitdem den Schnee über der Hütte aufgehäuft, und sie war so vollständig vergraben, daß sie nicht zu sehen war. Sie sahen sich deshalb genöthigt, die deiche durch mühsames Durchwühlen dcr harten Wind-wehe aufzugraben, und da es, als die Arbeit vollendet war, ganz dunkel und sie sehr müde waren, so errichteten sie ein Obdach von 3onntag'o B^rdMmg. 235 Schnee, fütterten ibre Hnude uud ruhten alls. Obgleich die Tem-peratlir -l^" F. unlcr ^iull l^9",<>i R.) ivar, so ermöglichteil sie c?, doch, ohne ernste Unannehmlichkeit i,l ibren Pellen zn schlafen, Dies war die erste Erfahrung, die Mr, Dodge in diefcr Nrl zu eampiren machte, lind er ivar mit Nechl anf den Erfolg des Versuches stolz. Sobald das Tageslicht wieder kam, brachen die Reisenden anf nnd sehnen auf derselben Bahn zurück, die sie ans der Hin-reife verfolgten; aber zu ihrer großen Bestürzung hallen die E'e-zeiten nnd der Wind in der Zwischenteil viel von dein Eife in der Näl,e des Caps hinweggefiihrl, so dnß sie dir Aussicht auf die sehr schwere Anigabe vor sich hallen, über den (Gletscher zn setzen, ^ies war schon snr einen leeren Schlitten nut besonderen Schwier rigkeiten verbunden, und wäre es daher snr sie im höchsten ("rade gewesen. Glücklicherweise gelang es ihnen jedoch mit einiger Gefahr, über eine sehr verrätherischc Stelle zn kommen, wo der Fuß des Eises, an den sie sich halten mußten, abschüssig war und einer der Schlitten beinahe in'ö Meer gerathen ware. Kaluttmnh rettete ihn durch eine gewandte Bewegung, dir mit Sicherheit nur von einem Manne konnte, altsgeführt werden, der dnrch lange Erfahrung mit solchen Oefahren nnd Nrttungsniitteln vertraut war. Der Leichnam unseres seligen Kameraden wnrde in das Observatorium gelegt, wo einige Wochen zuvor sein schöuer Geist sich mit denjenigen Arbeiten beschäftigt hatte, welche die Freude seines Lebens waren, nnd nnf der kleinen Stange, die das Gebäude überragte, wurde die Flagge halb aufgezogen, Die Vorbereitungen zum Leichenbegängnis wurden mit geeigneter Feierlichkeit getroffen. Unter Mr. MeEormick's Oberaufsicht wnrde eiu netter Sarg gemacht, und nachdem der Leichnam mit aller möglichen Sorgfalt hineingelegt war, am zweiten Tage nach Mr. Dodge's Rückkehr alls dem Observatorium heransgebracht, mit der Flagge bedeckt lind dann, gefol^l von der ganzen Schiffsmannschaft in feierlichem Zuge, von vier der trauernden Tischgenossen des Verstorbeneu zu dem Grabe getragen, das mit vieler Mühe in die gefrorene Terrasse gegraben worden war. Als der Leichnam in seiner letzten kalten Ruhestätte lag, las ich über ihn das Leichengebet vor; daun wurde das Grab geschlossen. Später bauten wir über demselben mit Steinen einen Hügel von uetter 236 Ccmntag's Grabmal. Gestalt, und bezeichneten das Kopfende mit einer ciselirten Stein-platte, die folgende Inschrift trägt: August Sonntag. Gestorben im December 1860. 2« Jahre alt. Und hier in der traurigen Einsamkeit der arktischen Wüste schläft unser Kamerad den Schlafs der in dieser geplagten Welt kein Erwachen kennt, — hier, wohin keine liebenden Hände kommen können, um Blumen auf sein Grab zu streuen, und keine Augen von Trauer sich trüben; aber die sanften Sterne, die er im Leben so liebte, werden über ihn ewiges Todtenamt halten, und die Winde werden über ihn jammern, und die Natur, seine Geliebte, wird ihre gefrorenen Thränen ewig auf sein Grab fallen lassen. Viernnd)wan)igstes Kapitel. Autriit meiner crsteu Reise. — Zweck der Ncii'e. ~ Eiu Ulifall, - Frischer Auf-bruch. — Das ciste Lager. — Hartstcuc'^ Stciuhü.qrl, — Erforschung einer Vahu. — Eine neue Art Schuechiitte. — Eine unbehagliche Nacht. — Niedrige Temperatur. — Wirkung der Temperatur aus den Schnee. — Zwischen den Ciichöckcrn. — Ich fchc den »umboldr-Metsckcr, - - Die Bahn ist für die Hauptstesellschaft unmöglich. — Van Nensselacr Hafen. — Schick» fal der „Advance." — Einc Fahrt im Sturm. Am 16. März sah ^ch mich zum erstenmal im Stande, um die Sonnenaufgangs-Spitze herum zu kommen. Eine kurze Zwi-schenzeit ausgenommen, war die Temperatur jetzt tiefer gesunken als in irgend einer früheren Zeit des Winters, und da die Luft zwei Tage ganz still gewesen war, so hatte sich aus der äußern Bai Eis gebildet. Dieses lange ersehnte Erriguiß wurde mit Freuden begrüßt, und ich beschloß, sofort nach Norden aufzubrechen. Meine Vorbereitungen nahmen uur einige Stunden in Anspruch, da Alles schon seit Wochen in Bereitschaft war. Den einen Schlitten vertraute ich Jensen, den andern Kalutunah an; der Erstere hatte nenn, der Letztere sechs Hunde. Oiner der Hunde war gestorben, und ein zweiter in einem Kampfe zum Krüppel gemacht worden; es blieben mir daher nur fünfzehn dienstfähige übrig. Mein Zweck bei dieser vorläufigen Reise war hauptsächlich, die Bahn zu erforschen und zu entscheiden, ob es am besten wäre, mich an die grönlandische Küste zu halten und Dr. Kane's Route zu verfolgen, oder oberhalb Cap Hatherton gerade über den Sund zu gehen, um auf Grinncll-Land den Ausgangspunkt zu erreichen, nach dem ich im vorhergegangenen Herbst ohne Erfolg gestrebt 238 ^in Unfall. hatte. Offenbar hing Alles davon üb, daß ich jetzt im Stande war, gut zu machen, was ich durch dieses Mißlingen verloren hatte; es wilrbe durch eine Neihe von Umständen herbeigeführt, die ich nicht zu wiederholen brauche, da der Leser sich an den Kampf erinnern wird, dnrch welchen mein ,vahrzcug rettlos wurde, und der beinahe sein gänzliches Scheitern zwischen den Eisfeldern in der Mündung des Sundes verursacht hätte, Wenn der Zustand des Eises sich dem Plane, schnell über den Sund nach l^rinnell-Land zu sehen, oder auch nur ohne langen '^erzng einen passenden Ausgangspunkt auf der grönländischen Seite jenseits des Hnm-boldt-Glrtschers zu erlangen, als günstig erwies, so hegte ich wenig Zweifel, dafz ich meine Sommer-Arbeiten mit Erfolg beendigen werde. Als wir dir Sonncnaufgangs-Svitze, erreichten, sanden wir, daß das Eis sehr holprig nnd unsicher war, und die l^ezeit der vorhergegangenen Nacht hatte gerade der Spitze gegenüber einen weiten Nist geöffnet, über den wir nothwendig seyen mußten. Dieser Niß hatte sich erst seit einigen Stunden wieder geschlossen, und die Hunde zögerten an seinein Rande einen Augenblick; aber Jensen's Peitsche sprach ihnen Muth ein, und sie stürzten vorwärts. Das Eis bog sich mncr ihrer Schwere, nnd das bespann zerstreute sich, als hätten sie sich gegenseitig verständigt, aber nicht zeilig genug, um sich zu retten, denn sie alle sanken, bunt unter einander, in's Meer hinab und zogen den Schlitten nach sich. Da ich hinten saß, so hatte ich Zeit, mich herabzuwälzen, aber Mensen war nicht so glücklich, und Hunde, Schlitten,. Treiber nnd Alles zappelte und schlng sich in confusem Gewirr zwischen dem ge^ brochenen Eise herum. Als Kalnuinah, der einige Schritte zurück war, nachtam, zogeil wir sie aus ihrem kalten Aade heraus. Jensen war ziemlich start eingeweicht, nnd seine Stiefeln waren mit Wasser gefüllt. Da wir uns nur fünf Meilen vom Schooner befanden, so hielt ich es ^l'ir das Sicherste, lieber so schnell als möglich zurückzufahren, als eine Schneehütte zu banen, um meinen unglücklichen Treiber vor dem kalten Winde zu fchntzen, der zu blasen begann, lleberdies waren unsere Mffelfelle fo naß, als sie nur sein konnten, und wir würden ans der Neise äußerst wenig Behaglichkeit gehabt haben, wenn wir nicht ^irückkehrten und sie mit trockenen vertauschten. Auch die Hunde liefen große Gefahr, Schaden zn leiden, wenn wir sie bei so niedriger Tempe- Das erste Lager. 339 ratur ill ihren nassen Pelzen rnhcn ließen. Die Peitsche wurde nicht geschont und das Fahrzeug ohne ernste folgen für Jensen oder das Gespann erreicht. Etwa eine Stunde genügte, uns wie-^ der auszurüsten; dann brachen wir von Neuem auf, und da wir diesmal vorsichtiger warm, so kamen wir ohne weitere Beschwerde um die Spitze Heruni, Das Eis war glatt und die Neise ging gut, als wir die Küste hinaufzogen, und da wir nicht schwer beladen wareu, so kameu wir in gutem Schritt vorwärts. Der Schnee war durch die Winde sehr hart zusammengepackt wordeu, und wo Eishöcker gewesen waren, hatte er sich zwischen ihnen gesammelt, so das; die Oberfläche, wenn auch etwas wellenförmig und unebeu, doch so fest wie eine Bandstraße war. Als es anfing dunkel zu werden (wir hatten das bestäudige Sonnenlicht des Sommers noch nicht erreicht), machten wir unter Cap Hatherton Halt und schlugen unser erstes Lager auf. Es war ein echt arktisches Lager; - die Hunde anpfählen und eine Höhle in eine Schneebank wühlen, sind sehr einfache Arbeiten und erfordern nur wenig Zeit. Zeusen machte die Höhle, und Kalutunah besorgte die Thiere, und als Alles fertig war, krochen wir hinein und versuchten unser Bestes, es uns behaglich zu machen und zu schlafen; aber die Erinucruug an die Schlaf-bank des Schiffes war noch zu frisch, um Beides zur Ausführung kommen zu lassen, Kalutuuah ausgenommen, der sich an Nichts zu erinnern schien und die ganze Nacht hindurch auf die fürchterlichste Weise schnarchte. Draußen war die Temperatur 49" F. unter Null ( 32>2 N.). Ich bedauerte es nicht, als wir am nächsten Morgen uns wieder auf den Weg machten, und durch die Bewegung wurden wir bald warm. Da das Eis, nachdem wir Cap Hatherton passirt hatten, dieselbe Beschaffenheit behielt, so erreichten wir schnell das nördliche Horn der Fog-Eiufahrt. Hier entdeckte ich, als wir uns der Spitze näherten, eiueu aufgebauten Stcinhügel (<^iru), der an einer hervorragenden Stelle stand, und da ich mich nicht erinnerte, daß er das Werk eiuer von Or. Kane's Gesellschaften sei, so ließ ich die Schlitten Halt machen und ging an's Land, um ihn genau zu besehen. Er war, wie eine Urkunde zeigte, die iu einer Glas-Phiole an seiner Basis lag, von Capitäu Hartsteue 240 Hartstene's Steinhügel (cairn). gebaut, als er nach Or. Kane suchte. Die Urkunde lautet? folgendermaßen ! ,,Der amerilanische Dampfer „Arctic" legte hier au und dllrchsuchte Allcs nach Spuren von Oi. Kane und seinen Gefährten, ohne etwa« Weiteres zu fin-den als eilic Phiole mit ciitem kleinen Stückchen Patroncnpapicr, das die Buch» staben „O. Ä. Äug, l!^,V' cnthiett, einige Zündhölzchen und eine Schifftbüchsen» Wgel, Wir gehen von diesen» unbekannten Punkte nach Cap Hatherton und suchen. H. I. Hartstene, Comuiandirender Lieutenant der Nordpol-Expedition, Den l«. August I«^i>, « Uhr Abends, p. 8. Sollte die amerikanische Barke „Release" die« finden, so wird sie cr> ichen, daß wir uns auf dem Wege nach Cap Hathcrton befinden, um dort ;u suchen. H, I. H." Ich war sehr erfreut über diese Entdeckung, denn sie erinnerte mich an die schützende Sorge unserer Negierung und au eine lapsere Anstrengung, eine sehr hülflose Gesellschaft uon Mannern aus dem Nachen des arktischen Eises zu befreien. Es thut mir nur Leid, daß der Ver fasser dieses in Eile geschriebenen Veweises seines muthigen Su chens Cap Halherton nicht einige Zeit früher erreicht hatte, denn dann wäre uns manch' harter und ermüdender Kampf erspart worden. Den On wird man künftig als Cairn-Spitze kennen. Ich kletterte auf eine Anhöhe, wo ich eine gute Aussicht auf das Meer hatte, die eiuen Halbkreis nmfaßte, dessen Radius mehrere Meilen betrug. Der Anblick war nicht ermuthigend. In jeder Richtung, außer unmittelbar die Küste nach Cap Hatherton hinab, war das Eis sehr holprig, denn es war an die Küste gezwängt, und in großen Stücken, die für Schlitten ziemlich hoffnungslos aussahen, über das Meer aufgestapelt. Die Ausficht entschied den Gang meines Handelns. Die Cairn-Spitze sollte meinen Ausgangspunkt bilden, wenn ich über den Sund setzte, und eine höchst beqneme Lage für ein Depot von Proviant sein, im Fall ich genöthigt war, die grönländische Küste hinauf zu reisen. Ich nahm daher alle Lebensmittel von meinen Schlitten, außer was wir in sechs Tageil brauchten, und da ich im Felsen eine passende Spalte entdeckte, so legte ich sie hinein und bedeckte sie mit schweren Steinen, um sie vor den Bären zu schützen, deun ich beabsichtigte weiter die Küste hinauf zu gehen, um die Beschaffenheit des Eises auf dem ganzen Sund in Augenschein zu nehmen. Ein neuer Nnustyl füv eine Schneehütte. 941 Diese mannigfachen Perrichtnngen nahmen den gangen Tag lvcg' wir fütterten daher die Hunde, gruben uns wieder in eine Schnee-bank ein und verbrachten eine zweite Nacht nach der Mode ark tischcr Reisender, cine Mode, die man nicht gerade rühmen kann. Wir schliefen und froren nicht, und mehr als dies erwarteten' wir nicht. Die nächste Tagereise wurde mit leichten Schlitten gemacht, aber sie war viel langweiliger als die beiden vorhergehenden Tage; denn die Bahn war rauh, und während des größeren Theiles der Zeit mußten die Hnnde thun, was sie tonnten, um mit Nichts anf den Schlitten als unserer wenigen Nahrung und geringem Zeug zum Schlafen durch die über einander geschobenen Eismasse» zu kommen. Vom Aufsitzen war gar keine Nedc. Nachdem wir neun Stunden so gearbeitet hatten, in welchen wir, so leicht wir auch beladen waren, nicht über zwauzig Meilen machten, fuhren wir zu uuserer großen Freude an der ersten passenden Schuecbank zu noch einem Nachtlager vor. Da ich natürlich zur Veränderung geneigt war, so hatte ich mich den ganzen Tag, während ich zwischen dem Eis uud del» Windwehen umhersprang, im Geist damit beschäftigt, einen bessern Plan zu einer Hütte auszudcukeu, als die Höhleneinrichtung des nomadischen Kalutunah war. Die Schneebank, die ich wählte, hatte eine viereckige Seite von ctwa fünf Fuß Hohe. Wir fingen auf dem Gipfel derselben an nnd gruben ein Loch, das etwa sechs Fuß laug, vier uud einen halben Fuß breit uud vier Fuß tief war, wobei wir zwischen dem Loch uud der viereckigen Seite der Vank eine etwa zwei Fuß dicke Wand ließen. Oben auf dieses Loch stellten wir einen Schlitten, über dem Schlitten brachten wir die Decke von Segeltuch an, die während des Neisens zum Ein^ schlagen der Fracht benutzt wurde, und auf diese schaufelten wir wieder lockern Schnee, bis er etwa drei Fuß tief war. Dann gruben wir nach diesem umschlossenen Naum hinein ein Loch durch die dünne Wand, schoben unser Bettzeug von Vüffclfellcn nnd alle Gegenstände hinein, durch die der Zahn eines Hundes dringen konnte, und die nicht in Blechbüchsen eingeschlossen waren (dcnu die Huude fressen Alles, selbst ihr eigenes Geschirr), dann einige Blöcke harten Schnee, und endlich krochen wir selbst hiuein. Die Schneeblöckc wurden in den Eingang gedrängt, und wir waren für die Nacht unter Dach und Fach gebracht, Haycs. Das oe Pol«» M«v. ! 6 342 Ein kaltes Logis. Da ich nur eine furze Meise machen wollte, so glaubte ich ein wenig (5'rtrafracht bewilligen ;u können und nahm Alkohol als Brennmaterial mil, da dies die einzige Feuerung ist, die man in der eingeschlossenen Atmosphäre einer Schneehütte benutzen kann. Bald flackerte uns eine geisterhafte blaue Flamme in's Gesicht, und in unserm einzigen Blechkessel wurde einiger Schnee in Wasser verwandelt; dann fing das Wasser an zu summen, und nach einer langen Weile kochte es (es ist nicht leicht, bei einer solchen Tem-peratur Wasser mit eiuer kleineu Lampe zu kochen), uud wir er^ quickten uns mit einem Nöselstopf voll guteu starken Thees; dann wurden die Theeblütter in eine Ecke geworfeu, noch einiger Schnee in den Theekessel gebracht und geschmolzen, und aus getrocknetem Rindfleisch uud getrockneten Kartoffeln machten wir ein kräftiges Ragout; uud als wir über dieses verfügt hatten, brannten wir unsere Pfeifen an, wickelten nns in unsere Büffel ein und thaten den Nest der Nacht hindurch das Beste, was wir konnten. Meine Erfindung siel indeß nicht so befriedigend aus, wie man erwartete. Wenn anch die Hütte bequemer war und ein wenig Bewegung gestaltete, ohne daß wir den lockern Schnee über uns herabstießen, so war sie doch vie! kälter als unsere beiden Höhlen, die nach Kalntnnah's Plan hergestellt waren, in deren jeder die Temperatur die Nacht hindurch um Null''') herum stand, indem sie sich bis zu diesem Grade durch die Wärme erhob, die von unseren eigenen Körpern und von der Lampe ausstrahlte, bei welcher wir das Abeudesseu kochten. Aber dieses Loch unter dem Schlitten ließ sich nicht bis über 20° F. unter Null (—23",,2 N.) erwärmen. Der Thermometer ließ sich durch keine Schmeichele! bewegen zu steigen. Trotz alledem hielt ich noch immer an meiner Theorie von den Schneehütten fest und schob ganz ungerechter Weise die Schuld auf Jensen, der bei dem Bau nachlässig gewesen sein sollle; ich schickte ihn deshalb hinaus, um noch mehr Schnee auszuwerfen. Dies machte die Sache nicht im mindesten besser, sonder eher noch schlimmer; denn durch die jetzt offene Thür zog die wenige Warme, die wir herzustellen ermöglicht hatten, hinaus, und als Jensen zurückkam nnd wir nns wieder einschlössen, war die Temperatur —35« F. (—A»",«,» N.) und tan, sväirr üie höher als —">0" F. Niedrige ^mperawr. L4."> ('"27",57 R,). Selbst Kalnlunah ivurde int Schlafe gestört, und als er sich die Augen rieb und Nlit den Füßen znsanlmcnfchlug, uln sie vor dcm Erfrieren zu bewahren, machte er eine Grimasse, die deutlicher als Worte sagte, wie gering er die Talente des Nalcgaksoak zum Bau von Schncehülleu schätzte. Die Ursache dieser ganzen Störung erklärte sich jedoch am nächsten Morgen gan; dentliä,. Die Hütte war gnt genug, und ich hielt später immer an dem Plane fest, ja selbst Kalntnnah mnßte zugestehen, daß er der richtige war. Die Hütte war vollkommen luftdicht. Der Thermometer erzählte die Geschichte. Als er an der Schneewand hing, machte ich Jensen anf ihn aufmerksam. Das obere Ende des feinen rothen Alkoholstreifens stand ans -tl" F. unter Null (—28o,<>2 R.). Wir krochen endlich in's Freie herans, nni den Sonnenschein ;n prüfen. „Ich will Ihnen das beste Büffelfell im Schiffe geben, Mensen, wenn die Lnft außen nicht wärmer ist als in dieser Höhle, die Sie so voller Köcher gelassen haben/' Und es schien wirklich so. Einen reineren nnd glühenderen Morgen sah nie ein menschliches Nnge. Das Sonnenlicht funkelte anf der ganzen Landschaft und der großen Welt uon weißem Stoff, und die gefrorene Ebene, die Vishöcker, die Eisberge nnd die hohen Gebirge bildeten ein Gemälde, das für das Ange einladend war. Kein Lufthauch regte sich. Jensen gab ohne Murren nach. ,,Wohl, die Hütte muß doch mn Ende roller Löcher gewesen sein; aber das n.ächstc Mal will ich sie fest machen." Ich holte den Thermometer herans und stellte ihn im Schat-len eines in der Nähe stehenden Eisberges auf. Ich erwartete wirklich ihn steigen zu sehen; aber nein, nieder sank die kleine wthc Sänle, niedcv, immer nieder, fast bis zur Kugel selbst, und blieb nie stehen, bis sie anf <^'/,« F. unter Null, —100'/," ^ unter dein Gefrierpunkt des Wassers (—44",?« N.) angekommen war. 5) Ich erinnere mich mir an zwei Fälle, wo vor dieser Zeit eine gleich uiedrige Temperatur beobachtet wnrde; in einem derselben, von Niveroff zu Yakutsk in Sibirien aufgezeichnet, betrng fie ^ Es ist mvälmenswetth, daß dic nirdrissst^ Telupcv^ur, dic währcnd Mcmcr AbU'escnbcii in Polt ^olllt.: .n,sgc^ichlitt winde, ^?" F. uuln Null 10' 244 Niedrige Temperatur. —72" der Fahrenheitischen Scale (-46<>,W N,). Es ist mir jedoch nicht bekannt, daß je ein Reisender eine so niedrige Temperatur beobachtete, während er im Felde war. Es kam mir sonderbar vor, daß dieses starke Sinken der Temperatur für die Sinne nicht bemerkbar war, die nns auch nicht den'geringsten Wink gaben, daß wir hier in diesem flammenden Sonnenlicht die kälteste Temperatur hatten, die je beobachtet ninrde. Dies würde sich aber nur bei der tiefen Windstille bewährt haben, mit der wir begünstigt waren. Vei so niedriger Temperatur ist der geringste Wind peinlich und selbst gefährlich, besonders wenn der Reisende ihm entgegen gehen muß. Anch ist es sonderbar, daß, während die Sonnenstrahlen, indem sie die Atmosphäre dnrch-dringen, ihr so wenig Wärme mittheilen, sie stark genug sind, um auf der Haut Blasen zu ziehen, so daß in Wahrheit die entgegengesetzten Eigenschaften der Wärme — positive nnd negative — zu einer und derselben Zeit auf das unglückliche Gesicht wirken. Die Wirkung dieser niedrigen Temperaturen anf den Schnee ist sehr auffallend. Er wird so hart, daß er fast dem Sande gleichkommt, und die Reibung der Schlittenkufe wird demgemäß stärker. Derselbe Umstand wurde vom Baron Wrangel beobachtet, aber den Eskimos ist er nichts Neues. Der Schlitten geht am leichtesten, wenn der Schnee ein wenig naß ist. Um der dadurch veranlaßten Schwierigkeit einigermaßen vorzubeugen, bedeckt der Eingeborene die Sohle seiner Kufe mit Feuchtigkeit, Er löst im Munde ein Stück Schnee auf, läßt das Wasser in die Hand strömen und überzieht mn demselben die polirte Elfenbein-Sohle, nnd im Nu hat er ein Häutchen von düunem Eis gebildet, das den harteu Krystallen Widerstand leistet. Kalntnnah hielt zu diesem Zweck oft an, und iudem er das Erperiment mit meinem eigenen Schlitten machte, fand ich, daß es vortrefflich wirkte und einen sehr merklichen Unterschied im l^ange des Schlittens herbeiführte. Es wäre eine unnöthigc Mühe, wenn ich die Einzelheiten der Reise von Tag zu Tag mittheilen wollte. Wie schon gesagt, wurde dieselbe nur versuchsweise gemacht uud so lange fortgesetzt, bis ich mich völlig überzeugt hatte, daß die Route nordwärts an der grönländischen Küste hin ganz unmöglich war. Die Beschaffenheit des Eises war von derjenigen, wie sie im Jahre 1853—54 war, ganz verschieden. Damals war das Küsten-Ms ungemein glatt, und auf Eishöcker stießen wir erst, als wir uns etwa 10—20 Meilen vom Kalutunah zerbricht sich den Kopf. 245 Ufer entfernt hatten. Jetzt gab es keinen solchen Gürtel. Der Winter war eingetreten, während das Eis an's Land gedrängt wurde, und der Druck war furchtbar gewesen. Längs der Bahn waren ungeheure Massen aufgestapelt, und das ganze Meer war nur ein einziger Wirrwarr von Eis-Fragmenten, die durch den Druck bis zu einer entsetzlichen Höhe emuorgctrieben und in dieser Stellung zusammengefroren waren. Die ganze Scene stellte die Felsengebirgc in kleinem Maßstabe dar: Spitze nach Spitze, Nucken nach Rücken, Vorsprung nach Vorsprung, durch tiefe Thäler getrennt, in die wir auf holprigem steilem Abhang hinab- und auf der andern Seite wieder hinaufstiegen, um über einen hohen Kamm zu setzen imd dieselbe Arbeit zu wiederholen. Das Reisen war sehr mühsam. Es war nur ein endloses Klettern über Eismassen seder Form nnd Größe. Kalutunah zerbrach sich den Kopf darüber, welchen Zweck ich hatte. Er hatte nie gehört, daß in diese Gegend eine Reise gemacht wor-den sei, außer um Bären zu fangen, und dann nur in der dringendsten Noth, und als wir über eine Bärenfährte nach der andern setzten, ohne eine Jagd zu halten, wnrde er immer betroffener. Er hatte einen doppelten Grund dazu, — er wollte das Iagd-vergnügen genießen und die Wirkungen unferer Büchsen sehen; aber keine der Fährten war frisch, die Jagd hätte zu lange gedauert, um mit meinen Zwecken übereinzustimmen. Endlich kamen wir jedoch an eine Spur, die offenbar keine Stunde alt war und der wir mit glücklichem Erfolg hätten nachgehen können, denn die Fährten rührten uon einer Mutter und einem kleinen jungen Bär her. Kalutunah ließ sein Gespann halten und erörterte laut sein Gesuch um die Erlaubniß, einen Angriff zu machen. Er war für dle Jagd wegen des Felles, das für den Nalcgaksoak einen so schönen Pelz geben würde, wegen seiner Frau und Kinder, die so lange kein Bärenfleisch genossen hatten, und endlich um der Hunde willen. „Sehen Sie nnr, wie unglücklich sie sind," sagte er, auf seine müden Hunde zeigend, welche die Beredsamkeit, die an sie vergeudet wurde, weuig zu würdigen schienen, denn sobald wir We Schlitten hatten halteil lassen, waren sie in ihren Fahrten niedergefallen. Ein vier Tage langes Ziehen durch Windwehen und Mshöcker hatte sie dahin gebracht, daß sie sich ans einer Bärenjagd nicht viel machten. Trotz der Schwierigkeiten des Reiscus, gelangte ich nach noch I46 Ich sehe den HumbuldtMetschei. drei Tagen so weit, daß ich den großen Humlwldl.Gletscher sah, aber das Ms wurde immer schlechter, die Eisberge vermehrlen sich, meine Hunde wnrden ohne allen Zweck entkräftet, nnd so gern ich die Reise anch fortgesetzt hätte, es war dadurch Nichls zu errei cheu. Der Boden war von Dr. Kaue'5 Neisegesellschafleu bedeckt gewesen, und es war Nichts weiter zu lernen, als waö ich bereitb aus Erfahrullg wußte, daß ich nämlich auf teiucu Fall meiu Boot iu dieser Richtung nach dem Polar-Meere bringen konnte. Ob ich besser that, wenn ich qner nbcr den Suud nach (^riuuel! Vnnd ging, muszte sich erst noch zeigcil. Jedenfalls war diese letztere offenbar meine einzige Nonte. Der Humboldt^^letscher war vom Gipfel eiue^ Eiüberges zn seheu. (5r enlhüllte sich iu einer laugen Millie uou bläulich-weißer Farbe, (^ap Agassiz, der letzte bekannte Punkt der gröuläudiicheu .nüste, begreuzte ihu zur Rechten, uud zur ^iuteu verschwand er m weiter Ferne. Eeiue Neigungslinie schieu mir mehr nach Osteu gerichtet zu seiu, als iu der ursprünglichen Aufnahme Mr. Boun-sall's, vou Dr. Kaile's Expedition, angegeben, uud obgleich dieser Umstand praktisch von geringer Bedeutung ist, so ha! er mich doch, in Verbindung mit später zu erwähueudeu Beobachtungen, ueran-laßt, auf der kleinen Karte, die dieses Buch begleitet, vou Dr. Kaue's Karte etwas abzuweichen. Die Küste, au welcher ich hingereist war, bildete eiue Reihe mir wohl erinnerlicher ^andmarkeu. Die schlanken Saudsteiutlipvcu »va ren mir eben so vcrlraut wie die Rciheu hoher Waaren^liederlagen und Vorraths-Häuser auf dein Broadway. Ich war so oft vom Van Renfselaer Hafen aus die Küste hiuauf uud hinabgegaugeu, daß ich jedeu Punkt am ^aude, jede Schlucht und jedeu Wasserriß tauulc, als hätte ich sie erst gesieeu g^ehe»,, Als ich aber in den Hafeu selbst hiuabkam, ivie verändert war da Alles! Anstatt des breiteu, glntleu l<1s^c^ s,h^>^ welches ich so ofj gesä)leudcn nun, gab es uur eine einförmige Wilduiß vou (^ishöckeru, All der Stelle, wo die ,,Advauce" eiusl lag, war das l^iH so hoch. wie ihre Mast' toppe aufgestapelt, ^eru Rock^j wurde vou der furchtbaren Lawine, die von Nordet! in den Hafen hinabgestürzt ivar, säst übcr-ritten, und der Ort auf der Butler Insel, wo das Vorraths Haus stand, war so tief begrabeil, daß mau ihu laum uoch sah. Von *) T>er'.Fam!ln Abreise. - fleißige Estimo-Fraueu. — Kablunct's Tod und Be-erdigung. — Der Aufbruch, In den nächsten Tassen fuhren die Hundeschlitten zwischen dem schooner lind der Cairu-Spitze ununterbrochen hin und her und schafften die Vorräthc, die wir zu unserm Sommcr-Feldzug brauchten, nach dem letztgenannten Platze. Die Temperatur blieb noch immer sehr niedrig und ich hielt es nicht für klug, eine Gesellschaft zu ^uße auszusenden. Ich Wichte aus früherer Erfahrung, wie wichtig es für eiuen Commandanten ist, eine unerfahrene Mannschaft im Auge zu behalten, denn'ein einziger Erfrorener demoralisirt ein ganzes Dutzend, und ssrostfleckcu an einem ,Mße sind so ansteckend wie die Blattern. Kalutuuah's Gespaun wurde Mr. Knorr überwiesen; dadurch befriedigte ich die Vcthciligten und nützte zugleich meinen eigenen Interessen. Der Nciz der Neuheit, mir zu dieueu und mit mir zu reisen, war jetzt vorüber, und ich tonnte deutlich sehen, daß es dem Hänutling eben so lieb war, bei seinem Weibe und Kindern zu bleiben, als sich den unsicheren Geschicken der Eisfelder anzuvertrauen, zumal da seine Neugierde, zu sehen, wie dieser Mann, dm er den großen Häuptling nannte, sich verhielt, völlig befriedigt war. Die eben gemachte Reise hatte ihn überzeugt, daß ich auf seine Achtuug vollen Anspruch hatte, da ich nicht fror und mich überhaupt so gut betrug, wie eiu Eskimo uuter gleichen Umständen gethau habcu würde, nnd das war ill seinen Augen viel. EZ war nicht schwer zu bemerken, daß Kalutunah in der Erwar- 2bs> Kallltunnh cmilisnt. tung mit mir reiste, mich unter seinen schützenden Flüge! zu ueh. men, nnd wenn er anch nicht die angenehme Befriedigung hatte, mich vor Kälte stöhnen und seufzen zu sehen,«so hoffte er wenig-stens Gelegenheit zu haben, mick zu belehren, wie inan leben und reisen muß; als ich aber anfing ihn zu belehren und das Blatt umwandte, sah er sich sehr getäuscht, nnd als ich zn dieser Ber-letzung des Aiistandes die noch nnverzeihlichere Beleidigung fügte, ihm eine Bäreniagd zu verweigern, uerlor sich seine Begeisterung schnell, uud wenn er anch den Nalegaksoak um so mehr bewmi derte, so wünschte er ibm doch um so weniger zn folgen, zumal da die Gefahren des Dienstes die Einkünfte überwogen, Der Kerl war in der That gesonnen, die Bortheile seiner neuen Stellung vollkommen zn benutzen, und ich entschloß mich bald, ihn fortan zu pensionireu und von meiner Güte abhängig zu machen; ich verdoppelte daher seine Reichthümer lind machte ihn zu dem glück lichsten Eskimo, der je gesehen wurde. Mein durch nnd dnrch ener gischer, kühner uud geschickter Jäger, der sich mit seineu vortrefs lichen Iagdgerätheu uud reiche» Borräthen brnstete, fand sich zum ersten Mal in seinem Leben so gestellt, daß er von aller Nothweu digkeit, für deu andern Morgen zu sorgen, befreit war, Es war wirtlich ein ueues Gefühl, und es ist mchl überraschend, daß er deu kurzen Feiertag zu genießen wünschte, Er srente sich außerordentlich, — er freute sich über sich selbst, svenie sich über den Nalegaksoak, der ihn so reich gemacht und ihm gestattete, so fanl zn sein, und freute sich über den Weißen.Mauns^luzug, mit den, er geschmückt war, und in welchem er eine so traurige Rolle spielte, Sein Gesicht war nie ohne das heiterste Grinsen. Ich gab ihm einen Spiegel, nud er trug ihn beständig mit sich herum, betrach tete sich und lachte über seiueu Kopf, auf dem er eiur Mühe hat'e, und über sein rothes Hemd, das unter einem alten Pelzrock hing, Es war Alles sehr schön und ganz wundervoll. „Sehe ich nicht hübsch aus?" war die schwere Frage, die er Jedermann vorlegte. Aber der angenehme l^emüthszustand, in den er dnrch diese neue Art Kostüm versetzt wurde, sollte um von kurzer Tauer sein. Der Reiz der Neuheit verging in einigen Tagen. Ich hörte auf, ihm Vergnügen zu machen, und er entdeckte ohne Zweifel, daß er, indem er seine Eitelkeit befriedigte, das Fleisch quälte, Eines Tages erschien er an Bord in seinein alten Anzug vou Pelzen. „Was ist aus der Mütze, dem rotheu Hemd und Rock Vorbereitung ^iin Aufbruch. 251 geworden?" „Ach! ich fiel in's Wasser, und mein Weib trockne! sie wieder!" Späier kam es heraus, daß er nach Hause gegangen war, den Weiften-Manns-Staat mit den der Kälte widerstehenden ^uchsbälgen vertauscht und den ganzen Anzug zwischen die Felsen geworfen hatte. Kalntnnah's Gespann fiel Mr. Knorr ans reiner Notbwen digkeit zu, da außer Hans Niemand weiter im Schiffe war, der die Peitsche handhaben konnte. Knorr hatte mit empfehlenswerther Vorsorge seine Uelmngen frühzeitig im Winter begonnen, indem er dentlich voraussah, daß, wenn er wnftte, wie man Hunde treibt, seine Aussichten, mich auf meiner ganzen nördlichen Neise zu begleiten, sich wahrscheinlich nicht verminderten. Die Arbeit kam eigentlich einrm der Matrosen zu- aber das ^eld stand Allen in gleicher Weise offen, nnd der junge Herr, der fand, daft amtliche Winde seinem Ehrgeiz im Wege stand, zögerte nicht lange in seiner Wahl mid gr'ff mit einem Eifer zn, den ich sogleich zu schützen wuftle. .^ch Imbe anderwärl?, cvwähnl, daft das Hundetreiben keine leichle Arbei! ijl, ,^n der 31,l>risre '^eine l,ernn> oder dem in'5 t^esielil, der zufällig ans dem ^chlinen saft, Einen Hnnd zu lrefsen, das tonnten sie kaum zu Alande bringen, nnd e^ ivar ein reiner Znsaü, Mrine Inrzliili ge»iachte Gleise l,a>!c den (^ang nieines Handelns entscliieden. Die lrhle Anssichl, die isl, non den> (Zipfel der hohen Klippe hinter der <^irn Spihe halle, überzeugte mich, daß U! der laiifendei, ^nl'ü^^eil fnr inich die einzige Mögliä>keit war, von diesem Plake n,!> über den Snnd zn setzen, denn meine Beobachtungen die gröüinndijche >infle tünauf hatten mir, wie schon bemerkt worden ist, die Unmöglichkeit gezeigt, auf diesem Wege das Polar M,,r ^n erreichen, Ml,Eormick ha!,e die nninittelbare Leitung der ^ordneunngü Arbeit, lind da er mit seiner gewöhnlichen Energie Alles uorwärls drängle, fo waren wir vor Ende März zum Ansbruch fertig. Aber die Temperatur fuhr noch immer fort, zwischen zu niedrigen Graden zu schwanken, um in Sicherheit 252 Ein EskimoVegräbniß. reisen zn können, und ich wartete nnr,auf ein Steigen des Thermometers. Unsere kleine Gemeinde war jetzt voll Leben und Geschäftigkeit. Die Eskimos waren ein nicht unbedeutendes Element im Bienenstock. Der nützlichste Dienst kam jedoch von den alten Damen, die den häuslichen Angelegenheiten des Schneehauses und der Hütte zu Gtah vorstanden. Sie nähten beständig für uns und waren wahrscheinlich die ersten Frauen in der Welt, die je reich wurden „durch fleißige Arbeit mit Nadel und Zwirn."") Aber die Schneehütte wurde endlich von Unglück getroffen. Die arme alte Kablunet, das redselige, gutherzige und fleißige Weib Tscheitschenguak's, ward krank. Ihre Krankheit war Lungenentzündung und verlief mit großer Schnelligkeit. Alle meine Arzneien und alle meine Anstrengungen, sie zu retten, waren nutzlos; sie starb am vierten Tage. Dieses unglückliche Ereigniß hätte beinahe meinen Nimbus als Narkosak zerstört, uud es hätte dies wirklich vollständig gethan, wäre nicht zum Glück ein Nordlicht erschienen, bei dem Jensen, dessen mein Journal als ,,eines passenden und brauchbaren Mannes" gedenkt, den Eskimos mittheilte, daß während dieser Zeit die Medicin des weißen Mannes nicht wirken werde. Dndnrch wnrdc meine Ehre gerettet. Sie starb um fünf Uhr Abends; nm sechs wurde sie in ein Sterbekleid von Seehundsfell eingenäht nnd, ehe die Leiche noch kalt war, auf Hansens Schlitten nach einer benachbarten Schlucht geschafft, dort zwischen die Felsen begraben und mit schweren Steinen bedeckt. Die einzigen Beweise von Trauer oder Leid wurden von ihrer Tochter Mcrkut, Hansens Weib, an den Tag gelegt, sie schienen aber mehr von der Sitte vorgeschrieben als von Liebe eingegeben zu sein. Mcrkut blieb, nachdem die Anderen fortgegangen waren, bei dem Grabe und spazierte etwa eine Stunde lang immer um dasselbe herum, wobei sie mit leiser Stimme einige Lobeserhebungen der Verstorbenen murmelte. An das Kopfende des Grabes legte sie das Messer, die Nadeln und die Sehne, die ihre Mutter noch kürzlich benutzt halle, nnd die letzten Leichcngebräuchc für die dahingeschiedene Wilde waren verrichtet. Tscheitschenguak kam her- *) Hood's Lieb vom Hemde. An m, b, Ncbers. Zum Aufbruch bereit. 253 über und sagte nur, daß er Niemanden mehr habe, der seine Lampe brennend erhielte, und daß seine Hütte kalt sei, und bettelte mit ganz betrübtem Gesichte nm die Erlaubniß, bei Hans zu leben. Nachdem ich meine Zustimmung gegeben hatte, wurde die von Hans nicht für nöthig erachtet, nnd so wurde denn die Schneehütte verlassen, und die heitere Familie, die dort eine rohe Gast-freundschaft übte, war aufgelöst; das ,,Haus des Schmauses" war ein „Hans der Klage" geworden, und Tscheitschenguak war aus demselben hinwcggezogeu, um die kleine noch übrige Spanne seines Lebens allein zn verbringen. Ali lind schwach geworden durch einen harten Kampf nm's Dasein, war er jetzt von einem Geschlecht abhängig, das sich wenig nm ihn kümmerte, während die, welche allein die Leiden seiner sich neigenden Jahre hätte mildern können, vor ihm hingegangen war nach der fernen Insel, wo der große Geist, Torngasoak der Mächtige, die glücklichen Seelen mit einem endlosen Schmaus auf den immergrünen Ufern des grenzenlosen Sees bewirthet, wo man das Eis nie sieht und die Dunkelheit nie kennt, -~ immerwährender Sonnenschein im ewigen Sommer der Seligkeit ist, — nach dem Upernak, das kein Ende hat. Da die Temperatnr etwas gelinder geworden war, so entschloß ich mich, an: Abend des ,^. April abzureisen. Obgleich die Sonne um Mitternacht den Horizont noch uicht erreicht hatte, so war es doch für meine Zwecke hell genug, und wenn wir in der Nacht anstatt am Tage reisten, hatten wir größere Wärme, während wir uns im Lager befanden, welches wirklich die Zeit der größten Gefahr von Seiten der Kälte ist; denn auf den: Marsche hat die Mannschaft gewöhnlich nicht viel Mühe, selbst bei den uiedrigsten Temperaturen warin zn bleiben, voransgesetzt, daß kein Wind geht. Außerdem wird noch einer andern Schwierigkeit vorgebeugt. Der beständige Glanz der Mittagssonne ist eine sehr bedeutende Last für das Auge, und es ist große Vorsicht uöthig, um sich vor der schmerzhaften und unbequemen Krankheit zu hüten, die mau als „Schneeblindheit" keunt. Um meine Mannschaft so uiel als möglich gegen dieselbe zn schützen, versah ich Jeden mit einer blauen Neisebrille. Meiue Gesellschaft, die ich iu's Feld mitnahm, bestand aus allen branchbaren Offieiercn nnd Mannschaften im Schooner, zwölf an Zahl. Um siebeil Uhr waren wir Alle zum Aufbrnch 254 Der Aufbruch. fertig, und als ich mich ihnen auf dem Eise neben dein Sckwoncr anschloß, boten sie eine eben so malerische, als bclrble (i'rscheinnng dar. Voran stand Jensen, ungeduldig seinen langen Peitsche» schlag hinauZrollend, uud seine acht Hltnde, an den Schlitten „die Hoffnung" gespannt, waren eben so ungeduldig wie er. Dann lam Knorr mit sechs Hunden und der „Perseverance" (Ausdauer), an deren Lehne er eine kleine Flagge gebnnden hatte, die sein Mottos )/I?nu)0m-8 i»M"5) führte. Dann kam eine lebhafte <"rnppe von acht Mann, Jeder mit einem Gürtel von Segeltuch nbcr die Sehnt-ter, an welchen eine Leine geknüpft war, die ihn an den Schlitten befestigte. Neben dem Schlitten standen Mc^'ormick und Dodge, bereit, ihn zwischen den (fishöckern zu lenken, und auf dem Schlit ten lag ein zwanzig ^uß langes metallenes Rettungsboot, mil welchem ich das Polar-Mecr zu befahren hoffle. Der Masl war aufgezogen und die Segel waren gespannt; auf der Spitze slal^ terte unsere Bootsflagge, die zwei frühere arktische und eine anl arktische Reise mitgemacht hatte, und an den Masttop waren dir Freimaurer-Zeichen gesteckt. Unsere kleine Signalflagge war am Hintertheil angebracht. Die Soune schien hell in den Hafen, nnd Jedermann war mit Vegeifternng erfüllt und zu dem harten ,^amp! bereit, der kommen sollte. Hoch anf Hoch drang mir ^nlgegen, al^ ich die Treppe vom Deck hinabging, Auf ein gegebenes seichen feuerte Nadcliffe, der zur Beaufsichtigung des Schiffs zurückblieb, die „Drehbasse" ab, „Marsch!" schrie Me^orniick, klatsch ging die Peitsche, die Huude sprangen in ihre Halsbänder, die Mannschaft ten spannten ihre ,,Bahn-Seile," und der Zug ging ab. Die Ereignisse, welche nnn folgen, will ich in der Hoffnung, das; der Veser an meiner <^esellschaft genügendes Interesse nndcl, um fie durch die eisige Wildnis; ;n begleilen, in die sie jich j!mz>, aus meiuem „^eldbuche" initiheilen ^ aber dazu ist ein nrn^> .^'a pitel nöthig. s) Stcw bcreit. Lechsnud;wmyiystes Kapitel. Die erste Tagereise. -^ Ein Tinten der Teinperatur, — Seme Wirfung auf die Mannschaft. — ^n einer Schneehi'itte gelagert, - Die zweite Tagereise. — An der Cairn spitze. - Beschaffenheit des Eises. Die Aussicht, - Vom Stnrm aufgehalten ^ Die Köä)c in Verlegenheit, - Schuccwcde, — Ge» walt des Sturmes, ^ Nusere Schneehütte, Den 4, April. ,In eine Schneeball! vergraben nnd nicht allzu sehr mit meinem ersten lagewer! Alfrieden. Die Temperatur der Luft ist bis ans —!'.2" ,^. s - 2k"/,<; ^)i^.) herabgesprnngen, nnd innerhalb der Hütte stehi sie jehi^ zwei Stnnden nach ineineni Eintritt, einen l^rnd nber ?lnl! (--1^'^7^ N.j, steisst aber bestündiss. Drei von der (hesellschafl nnterlaqen anf dein Marsche der Kälte, und ich hatte viele Mühe, sie vor einer ernsten Erstarrnnss zu bewahren. Wir tainen hübsch vorwärts, bis wir die Sonnenaufganqs-Spitze erreichten, wo das <>is sehr holprig war nnd wir nns nber zwei Stunden plagten, um nnser lancn's nnd schwerfälliges Boot und Schlitten über dasselbe zu bringen. <5s war wahrscheinlich nur mi geringer Porgeschmack von dem, was kommen soll, wenu wir nber den Sund gehen. Als wir einmal nber diese abscheuliche Stelle wareu, machten wir Halt, um einiges Wasser zu schmelzen, beun die Leute waren sehr wann und durstig geworden. Zum Unglück erhob sich gerade zu dieser Zeit eine scharfe Brise und erkältete nns dnrch und durch, denn bei der heftigen Bewegung hatten wir stark geschwitzt. Der erste kalte Windstoß setzte einen Dämpfer auf die Vegeisternug, welche die Gesellschaft vom Schiffe mitgebracht hatte, nnd es war einzig, den Wechsel zu beobachten, der in ihrer StnnMMg eintrat. EZ war der Gegensatz von Cham- 356 Die ovstt> Taaoreisr. pagner mid sanrcm Aepfelwein. Ntanche sahen aus, als gingcn sie zu ihrem eigenen Begräbnis;, und uiachten jenes Gesicht, das sich iu dm Worten ausspricht! ,,Mrin l^otl! was soll ich anfcm^ gen?" und das recht ergötzlich gewesen sein wnrdc, halte es mich nicht beunruhigt. Einer derselben, der nicht genug Energie besaß, um sich iu Bewegung zu erhalten, duckte sich hinter eine Schnee-wehe, und als er eutdeckt wnrde, hatte er sich der Länge uach niedergelassen, um zu erfrieren. In einer halben Stunde wäre sein Wunsch erfüllt gewesen. Als ich auf ihn zuging, sagte er ganz kaltblütig und mit einem Tone, der eines Märtyrers wnrdig war: ,,Ich erfriere/' Seine Finger nnd Zehen wnren schon so weiß wie ein Talglicht. Gs war keine Zeit zu verlieren. Durch Reiben brachte ich sein Blut wieder ein wenig in Umlauf; dann gab ich ihn zwei Männern zur Aufsicht, mit dem Befehl, ihn in Bewegung zu erhalteu, uud rettete ihn von den ernsten folgen, dir sonst seine Kleinmütigkeit gehabt haben würde. Ohne noch länger auf die ersehnten Wassertropfen zu warten, drängte ich vorwärts nach der ersten Schncebank und brachte meine Gesellschaft aus dein Winde uud unter ein Obdach. Aber dies geschah nicht ohne Schwierigkeit. Es schien, als ob zwei bis drei der Leute von dem heroischen Wunsche erfüllt wären, auf der Stelle zu sterben, und ich glaube wirklich, sie hätten dies lieber gethau, als daß sie vou selbst eiue Schaufel nahmen und bei der Herstellung, wenn auch nicht eiues Ortes für Behaglichkeit, doch wenigstens eines Platzes für Ruhe und Sicherheit halfen. So Etwas schon beim Aufbruch ist nicht ermuthigeno, aber ich kann nicht sagen, daß ich sehr darüber erstauut wäre, denn ich weiß aus früherer Erfahrung, welches Wagstück es ist, eine Mannschaft bei so niedrigen Temperaturen dem Winde auszusetzen. Dies ist jedoch eins von deu Dinge», die sich durch keine Vorsorge vcrhüteu lassen. Ernste Folgen schein! die Sache nicht gehabt zu habeu, uud die Leidcndeu werden immer behaglicher, jo höher die Temperatur der Hütte steigt. Wir haben unser rohes Lager-Abendessen gehabt, und ich habe eine Alkohol-Vampr in Brand gebracht; die Thür ist dicht geschlossen; die ganze C^e sellschaft hat sich unter die Schlafpelze gesteckt; die Herzhaften rauchen ihre Pfeifen, und die Uebrigen zittern, als wollten sie durch die Bewegung warm werden. Das ZühneNappern ist leine angenehme Musik. An der Cnirn-Spitze. 257 Den 5'. April. Wieder unter den, Schnee in der Nähe von Cap Hatherton. Unser Halt im letzten Lager danerte achtzehn Stunden, bis die Mannschaften vollständig aufgethaut waren und der Wind sich ganz gelegt hatte. Der kurze Marsch von da wnrde langsam und stetig gemacht, da ich die Leute nicht im Anfang mit so viel Arbeit plagen und nicht lange der Kälte aussetzen will. Frostflecken von Bedeutung giebt es von der gestrigen Reise nicht. Die Stimmung der Gesellschaft hat sich wieder Etwas gehoben. Die Temperatur ist gestiegen nnd die Hütte ist wärmer, als die der letzten Nacht, — das heißt, mein Thermometer, der an der Knfe des über meinem Kopfe stehenden Schlittens hängt, zeigt 10" F. unter Null (—18°,6? N.). Dm 6. April, Wir haben die Eairn-Spitze erreicht, und sind behaglich unter Dach uud Fach, Bis Hieher sind die Leute ziemlich gut gekommen. Die gedrückte Stimmung, die auf den kalten Windstoß folgte, der nns oberhalb der Sonnenaufgangs-Spitze überfiel, ist vorüber, und Alle sind lustig und munter. In diesem Lager hatte ich nicht nöthig, zu treiben oder zu belehren oder die Schaufel selbst zu nehmen. Die Muthlosen haben durch die Lehren, die sie erhielten, Etwas gewonnen nnd haben gelernt, daß, wenn man auf den Eisfeldern für seine Behaglichkeit und Sicherheit sorgt, die Schaufel die, Anrufung des Himmels wesentlich uuterstützt, — eine sehr heilsame Peränderung, und in Folge davon haben wir, statt an dem Bau unserer Hütte über zwei Stunden zuzubringen, wie in der ersten Nacht, die Anfgabe diesmal in nicht ganz eitler Stunde vollendet, und Jeder schien eine Ehre darin zu suchen, die Arbeit in der möglichst kürzesten Zeit zu inachen. Mit den Hundeschlitten ging heut die Neise recht hübsch, aber mit dem Boote sehr schlecht. Auf der glatten Oberflüche läuft e5 peinlich leicht, aber das lange Ding über eine auch nur vier Fuß lufe Windwehe, oder, was noch schlechter ift, über auch nur halb so hohe Eishöcker zu schleppe», ist eine mühsame Arbeit, und wir stnd heut über viele Striche holprigeil Eises gesetzt, über die wir erst kommen kountcn, nachdem wir eine Bahn gebrochen hallen. In Folge dessen mußten wir von der Ladnng Manches zurücklassen, zumal da ich die Eairn-Spitze erreichen wollte, ohne noch einmal zu campiren. Knorr und Icnjen hatten schon eine ihrer Frachten vom März bei Cap Hatherlon in ein Loch vergraben, m,d Hahes, Das osfene Poüar Mecr. l,? 258 Die Aussicht. was wir heut abluden, wurde dazu gelegt. Es heraufzubrmgeu wird uns einen Tag Arbeit kosteu. Die Schwierigkeiten, die der Trausport des Bootes zwischen den Eishöckern macht, und die nur sehr leichte Last, welche die Leute oder Huude über das gebrochene Eis schaffen können, wie die Erfahrung am heutigen Tage lehrte, überzeugen mich, daß das Boot und die Fracht sich schwerlich anf einer einzigen Reise nach der Westküste transportiren lassen; ich habe deshalb beschlossen, das Boot für jetzt hier zu lassen, wenigstens bis die Bahn weiter untersucht ist, uud mit den beiden Hundeschlitten uud ciuer Gesellschaft zu Fuße aufzubrechen, die den andern Schlitten zieht, welcher mit so uiel Vorräthen beladen wird, als sie fortbringen können, um ein Depot auf Grinnell-Land zn errichten. Ich kann die Gesellschaft zu jeder Zeit zurücksenden, um das Boot nachzuholen, und weuu es sich ausweisen sollte, daß das Boot sich nicht über den Suud bringen läßt, dann werde ich auf jedeu Fall zu meinen Forfchnngsreisen über das Eis mit den Hundeschlitten ein Depot von Proviant haben, ehe das Thanwetter des Zum und Zuli dieser Art des Neisens ein Ende macht. Die vor mir liegende Bahn sieht hoffnnngslos genug aus. Nachdem die Gesellschaft uuter Dach und Fach gebracht war, kletterte ich anf eine beträchtliche Anhöhe und hatte die traurige Genugthuung, die abscheulichste Scene zn erblicken, anf der mein Auge je geruht hat. Sie hatte nichts Einladendes. Einige Meilen uon dem ausgenommen, was offenbar bis zn einer sehr späten Zeit des Herbstes offenes Wasser gewesen, das plötzlich gefror, ist keine Nuthe glattes Eis zu sehen. Der ganze Sund scheint mit Eis von der 'massivsten Beschaffenheit augefüllt gewesen zu sein, das im Sommer anfgebrochen, ein sich fortbewegendes „Packeis" geworden, mit der südlich laufeudeu Strömung anf die grönländische Küste hcrabgekommen ist und sich in einem entsetzlichen Wirrwarr über das ganze Meer hin aufgestapelt hat. Was es ist, weiß ich vom Jahre 1854 her, wo ich über dasselbe setzte; wenn es jetzt so schlimm ist, wie damals (und es scheint noch viel schlimmer zu sein), so ist alle Aussicht auf einen harten Kampf vorhanden. Den ?. Apnl. Sah je ein Mensch folch' launisches Wetter, wie das im Smith-Sund ist:' Es ist die Folter meines Lebens nnd der Feind meiner Die Köche in Verlegenheit. 259 Pläne. Ich kann mich nie auf dasselbe verlassen. Es ist das echteste flatterhafte Mädchen, das je Mamma Natur zur Mutter hatte. Wir camvirteu in einer windstillen Atmosphäre, aber mitten in der Nacht ^- puff! — herab kam ein Hornstoß des Boreas, und dann blies und blies der alte Gott, als ob er in seinem ganzen Leben noch nie geblasen hätte und brweiscu wollte, was er leisten könne. Wir konnten draußen kaum unsere Nasen sehen lassen uud haben den ganzen Tag zusammcngeduckt in der Schneehöhle gelegen, — eine traurige Art von Einkerkerung. Nur mit großer Schwierigkeit haben wir Etwas zu essen bekommen, uud wir hätten es nie, wenn ich nicht selbst den Koch gemacht und meineu Einfaltspinseln gezeigt Hütte, wie man die, Ofenlampe brennend'erhält, so daß der Wind sie nicht ausbläst; deun wir können nur Schweineschmalz als Brennmaterial benutzen, und der Nauch davon ist so stark, daß wir nicht innerhalb der Hütte haben kocheu können. Mir scheint, daß Nichts den Menschen so bald nm den Verstand bringt, wie die Kälte. Die Köche hatten nicht mehr so viel Vcsinnnng, um sich iu eiue Schneewand cinzuschließeu, uud ich mußte ihnen lehren, wie man das gehörige Verhältniß Fett und Kabelgarn in der Lampe aufrecht erhält, um zu verhindern, daß die Flamme einerseits nicht qualmt und andererseits nicht ausgeblasen wird. Um einen Topf Kaffee zu machen, brauchten wir mehr als zwei Stuudeu und kamen aus der jämmerlichen Wind-wehe herein, die Pelze ganz voll Schnee; jetzt schmilzt derselbe, und die Kleider werden, feucht, denn wir wechseln den Auzug nicht, wenn wir zwischen unsere Betttücher nnd Decken von Büffelfell kriechen. Den 8. April. Konnte es etwas Schlimmeres geben? Der Sturm fährt fort und hält uuZ in enger Gefangenschaft. Meine Leute köunteu in demselben nicht länger leben als in einem feurigen Ofen. Etwas Aehnliches sah ich noch nie. Vergangene Nacht wnrde es wärmer und schneite; das machte uus Muth; aber hernach blies der Wind wüthender als je, und das menschliche Auge sah nie solche Erscheinungen. Es gab nirgends etwas Anderes als fliegenden Schnee. Die Sonne war uerduukclt, uud die Berge und Küste wareil vollständig verborgen und nicht zu seheu. Dann und wann können wir die schattenhafte Gestalt eines Eisberges seheu, aber das ist selten. 1?* 269 In einer Schneebank. Gestern suchten wir es zu erzwingen, uud heut wieder, denn ich möchte nach Cap Hatherton hinunter, um unsere dortige Fracht heraufzubringeu. Wir fingen daher au die Hütte einzureißen, um zu dem Schlitten zu gelangen; aber iu zehn Minuten überzeugte ich mich, daß, wenn wir wagten, dem Sturme entgegen zu gehen, die halbe Gesellschaft auf der Stelle- erfrieren werde; ich schickte deshalb die ganze Schaar wieder unter Dach und Fach und ging hinter die Schneewand, um den Köchen bei ihrem Feuer zu helfen. Die armen Hunde waren so tief vergraben, daß man sie fast nicht sah. Sie waren alle auf einen Haufen znsammengelrochen, und während der Schnee sich über ihnen anhänfte, steckten sie die Köpfe in demselben immer weiter und weiter in dir Höhe. Als ich sie zählen wollte, um zu sehen, ob einer uns verlassen habe und zum Schiffe zurückgelaufen oder erfroren sei, war es in der Thal eine Kopfzahlung. Es waren ihrer vierzehn. Es scheint ziemlich auffallend, daß ich in einer Schneehütte so fortschreiben kann, aber das Schreiben macht nur hier, im Ernste gesagt, nicht mehr Mühe als in meiner Kajüte. Die Temperatur hat fast den Gefrierpunkt erreicht, und das Schreiben wird dadurch sehr erleichtert. Was sollte ich sonst machen? Ich habe zwei kleine Bücher, die ich gerade für solche Fälle, wie dieser ist, mitgebracht habe, und während meine Gefährten Karte spielen und um Pfefferkuchen, Austern-Soupers und Flaschen Num wetten, die in Boston bezahlt werden sollen, finde ich nichts Besseres zu thun, als zu lesen und zu schreiben, und da ich einmal nicht ohne Beschäftigung sein kann, sondern die Zeit ans irgend eine Weise todt. schlagen muß, oder sonst einschlafe, so will ich diese Hohle in der Schneebank beschreiben, Sie ist ein achtzehn Fuß langes, acht Fuß breites und vier Fuß tiefes Loch, Oben über besagtes ^och sind die Ruder des Bootes gelegt, um den Schlitten zu tragen, der quer über dieselben gestellt ist; über den Schlitten ist das Segel des Bootes gebreitet und auf das Segel ist lockerer Schnee geworfen. An dem einen Ende der so gebildeten Höhle ist ein Loch, durch das wir hereinkriechen, und welches dicht mit Schneeblö'ckm ausgefüllt ist. Auf dem Fußboden (wenn ich den Ausdruck brauchen darf) ist ein Stück Caoutchouc-Zeug gebreitet; dieses ist mit Büffelfellen belegt, die alle viereckig geschuitten und zusammengenäht sind, und auf diesen liegt wieder eine ganz gleiche Decke von Vüfftlfellen. Wenn Dreizehn in einem Vette, 261 wir schlafen wollen, stecken wir uns unter die oberste dieser Vüffel-decken und bequemen uns, so gut wir können, dem bescheidenen Ranme an, der Jedem zugewiesen ist, Der Ehrenplatz ist an dem Ende, das am weitesten von der Thüre entfernt liegt, und das entgegengesetzte Ende ausgenommen, ist dieser Ehrenplatz unter allen anderen Plätzeu der am wenigsten wünschenswerthe, denn die zwölf Schläfer unter mir ermöglichen es auf die eine oder andere Weise, das „Bettzcng" wegzuziehen und mich an die Schneewand zu zwängen, während ich Nichts anf mir habe, als meinen Reise-Anzug; wir gehen nämlich zn Bett, ohne das Coftüm zu wechseln, Stiefeln nnd Strümpfe ausgenommen, die wir unter den Kopf stecken, um als Kopfkissen auszuhelfen, während diejenigen Dinge, die wir „Nennthier-Schlafstrümpfe" nennen, ihren Platz an den Füßen nehmen. Außerdem wüßte ich nicht viel zu sagen. Das kann wohl kaum Comfort genannt werden. Ich erinnere mich noch dunkel, daß ich fester geschlafen habe als die letzten vier Nächte, uud daß ich auf Etwas gelegen habe, das für die ,,schauernde Haut" angenehmer war als dieses Bett von Schnee, das Empfindnugen hervorbringt, die schlechterdings unbeschreiblich sind, — als ob man zwischen einem Fichteubrett und dem Bratrost des heiligen Laureutins läge. Und doch sind die Leute geschäftig und lustig genng. Harris, einer meiner energischsten nnd ehrgeizigsten Männer, näht einen Fleck anf seine Hosen von See-hnudsfell, stopft ,,em Loch ;», um den Wind abzuhalten", Miller, auch ein mnthiger nud sorgsamer Mann, macht einen Niß in seinem Eskimo-Stiefel zu, und Earl, der eiue schöne Tcnorstimmc hat, ist soeben mit einem Matrosrnlied zu Ende nnd reinigt seine Kehle zu ,,dem, kühnen Soidalenbnben". Es werden mehrere Spiele Karten verlaugt, nnd wir sind überhaupt eine ziemlich lustige Gesellschaft, — die echtesten Mark Tapleys von Meisenden. Wir führen ein Leben, wie es noch uicht da war, und ich kann mir denken, daß die Zeit kommen wird, wo ich dieses Tagebuch durchblättere und mich an dem auffallenden Eontrast zwischen diesem Treiben und der trägen Ordnnng des gewöhnlichen Lebens ergötze, Dann werde ich mich sicherlich wundern und zweifeln, ob ich dies nicht Alles in einem Traume geschrieben, so sonderbar wird es mir vorkommen; nnd doch b'eqnemt sich der menschliche Leib und der menschliche Geist so schnell den wechselnden Lebcnsverhältnissen an, daß bei Allem, was wir lhun, das, was geschieht, im Augenblick 262 „Es ist Alles eitel." stets natürlich erscheint und uns nicht in Verwunderung seht; blicken wir auf die Vergangenheit znrück, dann sind wir immer erstaunt, daß wir so viele Verwandlungen durchgemacht haben, und erkennen uns kaum selbst wieder iu unserm Chamäleon-Kleid. Wenu ich je wieder das Glück haben sollte, iu Delmonico's Hotel Caucvas-Enten zu speisen, > werde ich ohne Zweifel das Ragout von getrocknetem Rindfleisch uud Kartoffeln, das jetzt, nebst Brod und Kaffee, meine einzige Kost ausmacht, von Herzen verschmähen; uud doch schmeckte mir nie eine Canevas-Ente so gut wie gerade dieses Nagout, kein durch die französische Filtrirmaschiue destillirter Kaffee war je so schön wie der Nöselstopf voll, der am Morgen kochendheiß bis zu mir herumgereicht wird, und die besteu Schütze des PLNgorder Forstes gewährten uie eineu größern Genuß als die wenigen Stückchen Schiffszwieback, die der Kaffee hinnnter-spült. Unfere Freuden sind in der That nur relativ. Absolut sind sie uie, und Glückseligkeit ist höchst wahrscheinlich, wie Palen weise angedeutet hat, uur eiu bestimmter Znstand jenes ,,Nervennetzwerkes, das die ganze Gegend des Zwergfells bedeckt;" da mm dieser kalte Bleistift mir blos iu dm Fingern Schmerz macht, während Nichts die Harmonie des Zwergfells stört, so weiß ich uur, daß ich es so gut habe, wie ich es je iu meinein Leben hatte. Ich habe zwar nicht die Mittel, die ich zur Nusführuug meiner Pläne erwartete, uud bill von Schwierigkeiten uud Hindernissen umringt; wenn aber die Glückseligkeit iu jeuer Gegend liegt, so liegt die Freude in der Zutuuft, deun wir vergessen gern die Gegenwart über den Vorgefühlen, — über dem hoheu Vergnügen, das aus den bevorstehenden Kämpfen uud Müheu hervorgehen soll; uud es ist gut, daß es fo ist; deuu das, auf dessen Erlangung wir die meiste Zeit verwenden, ist oft uicht werth, daß man es hat. Der Prediger sagt uns! „Es ist Alles eitel;" und was sagt der Dichter? — „— Freude gleich dem Löwenzahn Zerfällt, weht sic cm Wind nur an, Wie Schnee im Wasser, all' sein Schimmer -Währt einen Hauch, und schmilzt auf immer, Dem raschen Nordwind gleich, der floh, Eh' man vermag zu zeigen, wo." *) *) Nob. Burns, Tam o Shander. Anm. d. Ucbers. SiebemmdMlUyiBes Kapitel. Der StM'M dallcrt fort. -^ Bci der Arbeit. - Zwischen den Eiöhöckcrn. — Schwierigkeiten des Weges, ^- Die Schneewehen. — Wir konininl nur langsam vorwärts. — Das Eis des Smitl>Snttdcs. — Vildnng der Eis>-Höcker. — Die alten Eisfelder. — Das Wachsen der Eisfelder. — Dictc des Eises. — Die Aussicht. Ich will der Geduld des Lesers nicht die schwere Last auflegen, welche die Bitte mit sich bringt, die nächsten drei Wochen hindurch meinem Tagebuch Seite für Seite zu folgen. In Tagebücher muß man notwendigerweise so viele Dinge aufnehmen, die rein persönlicher Art sind, und sie müssen so uiele endlose Wiederholungen, so uiele Ereignisse enthalten, die täglich wieder-kehren, daß sie der Natnr der Sache nach anßcr den Verfassern derselben unmöglich für irgend Jemanden uiel Interesse haben lönnen. Es sei daher genug, wenn ich sage, daß der Sturm an dem Tage, der anf denjenigen folgte, welcher das vorige Kapitel schloß, fortdauerte und sich erst am Ende des zehnten Tages ganz legte. Mittlerweile waren wir jedoch emsig beschäftigt. Der Sturm hielt uns nicht ab, die Hütte zn verlassen. Unser erstes Geschäft war, die bei Eap Hathcrton zurückgc> lassenm Vorräthe herauszubringen. Als dies geschehen war, bra cben wir nnser Lager ab und begannen den Snnd mit einer mäßigen Last zu überschreiten, wobei die Mannschaft den großen Schlitten zog, während die Hunde wie vorher angebracht waren. Der Wind hatte sich glücklicherweise mehr nach Süden gezogen, und da er uns beinahe in den Nuckelt kam, so wurden wir von ihm weitig belästigt. Aber Schwierigkeiten anderer Art mahnten uns bald an die ernste Beschaffenheit des Werkes, das wir unter- 364 Schwierigkeiten des Weges. nommcn hatten. Indem wir uns nach Rechts und Links wendeten und von Zeit zn Zeit wieder zurückgingen, wenn wir eine Nich-tung eingeschlagen hatten, anf der nicht fortzukommen war, legten wir die ersten wenigen Meilen ohne große Beschwerde zurück, aber weiterhin wurde der Weg über alle Beschreibung schlecht. Ich kann ihn nur mit einer verworrenen Anhäufung von dicht zusammengepackten und in großen Haufen und endlosen Nucken über eine ungeheure Ebene aufgethürmten Felsen vergleichen, die kaum einen Fnß ebenen Boden zwischen sich lassen nnd den Reisenden zwingen über die unebenen Massen hin den möglichst besten Grnnd für seinen Fuß herauszusuchen und nicht zu umgehende Hindernisse bis zur Höhe von zehn, ja zuweilen von in ehr als hundert Fuß über dem allgemeinen Niveau zu übersteigen. Die kleinen Zwischenräumc zwischen diesen dicht gehäuften Eismassen sind zuweilen mit zusammengetriebenem Schnee ansge-füllt. Das Uebrige wird sich der Leser leicht denken können. Er wird sehen, wie die Schlitten sich durch das wilde Gewirr gebrochener EiZplatten winden, wie die Mannschaft und Hunde ihre betreffenden Ladungen hinaufziehen und schieben, gleich Napoleon's Soldaten, als sie ihre Artillerie über die steilen und rauhen Pässe der Alpen schleppten. Er wird sehen, wie sie über die Kanten hoher Nucken, dnrch die keine Oeffnung führt, hin überklettern nnd auf der andern Seite wieder hinabklimmen, wobei der Schlitten oft über einen jähen Abhang stürzt, zuweilen umschlägt und häufig zerbricht. Wiederum wird er sehen, wie die Gesellschaft, nachdem sie vergebens über einen Nucken zu setzen oder einen Paß zu fin-den verfucht hat, mit Schaufel und Brechstange eine Bahn bricht, oder aber, wenn sie auch mit diesen Mitteln ihr Ziel nicht zu erreichen vermag, sich zurückzieht, um einen bessern Weg zu suchen; und sie kann vielleicht so glücklich sein, eine Art Kluft oder Thor zu finden, auf dessen sich windendem und unebenem Boden sie etwa eine Meile mit verhältnißmäßiger Leichtigkeit zurücklegen wird. Die Schneewehen sind bald eine Hülfe, bald ein Hinderniß. Ihre Oberfläche ist stels hart, aber für den Fuß nicht immer fest genug. Die Kruste giebt häufig nach, und zwar in ermüdendster und ärgerlichster Weise, Sie will die Last nicht ganz tragen, und der Fuß sinkt gerade in dem Augenblick, wo man den andern aufhebt. Aber was noch schlimmer ist als dies, die Klüfte zwischen den Eis-Höckern sind häufig in der Weise mit Schnee überbrückt, daß un- Der Smith-Sund. 365 ten ein bedeutender, ganz leerer Naum bleibt, und gerade in dem Augenblick, wo Alles recht gnt zn gehen scheint, sinkt ein Mann bis mitten an den Leib, ein zweiter bis an den Hals hinab, ein dritter wird ganz begraben, so daß man ihn nicht mehr sieht, auch der Schlitten bricht durch, und Alles ans dieser unglücklichen Lage wieder herauszuziehen, ist vermuthlich eine stundenlange Arbeit, zumal wenn der Schlitten must abgeladen werden, und das Letztere kommt aus vielen Gründen fast immer vor. Nichi selten muß die Fracht auf zwei bis drei Laduugeu fortgeschafft werden, Tie Schlitten fahren beständig hin und zurück, und der Tag ist ein endloses Ziehen und Schleppen. Das seemännische Geschrei der Matrosen, das Einheit in die Handlung bringen soll, vermischt sich mit den lauten und nicht immer freundlichen Befehlen Jensen's und Kuorr'Z, die ihre müden und durch Anstrengung er^ schöpften Hunde antreiben. Man kann sich kaum eine Arbeit denken, die entmnthigender wäre, oder die Energie von Menschen nnd Thieren schneller lahm legte. Die Kraft liest allmälig nach, nnd wenn wir, was oft geschah, nach einem langen und harten Tagewerk von einer Anhöhe zurückblickten und unsere letzte Schneehütte fast mit einer Vnchsenkugel erreichen konnten, so war dirs wahrhaft abschreckend. Ich brauche kaum zu sagen, dcch ich bald jeden Oedanlen an einen Versuch, das Boot über den Sund zu bringen, aufgab. Hundert Mann hätten diese Arbeit nicht ausführen können. Mein einzigerZweck war jcht, mit einem so großen Proviantvorrath als möglich nach der Küste von Grinnell-Land zu gelangen, und die Mannschaften bei mir zu behalten, so lange sie von Nutzeu sein konnten; aber es wurde bald fraglich, ob die Leute ihre eigenen Lebensmittel selbst hinübcrschaffcn konnten, abgesehen von dem, was ich brauchte, damit das ernste Werk zum Vortheil ausschlagen sollte. Trotz Allem jedoch thaten die Leute standhaft ihre Pflicht, bei Sonnenschein nnd Sturm, bei Kalte, Kefahr nnd Strapaze, Um die Ursache dieser außerordentlichen Beschaffenheit des Eises zu erklären, brauche ich zu dem, was im vorigen Kapitel mitgetheilt wurde, nur noch Weniges hinzuzufügen. Der Leser wirb die Ursache leicht begreifen, wenn er die Karte vom Smith-Sund genau ansieht. Er wird bemerken, daß der Sund in der That ein ausgedehntes Meer ist, dessen Axe fast von Ost nach West läuft, und das eine Länge von etwa hunderNindsechzig und 266 Dimensionen eines Eisfeldes. eine Breite von achtzig Meilen hat. Der Name „Sund", unter dem er bekannt ist, wurde ihm erst von seinem Entdecker, dem kühnen alten William Bassin, vor zweihundertfünfzig und etlichen Jahren gegeben. Der Eingang ist von Cap Alexander nach Eau Isabella hinüber nur dreißig Meilen breit, nnd bei einem Blick auf die Karte sieht man, daß dieses Thor sich rasch zu dem Meere erweitert, auf das ich die Aufmerksamkeit gelenkt habe, — einein Meere, das an Größe dem Easvischen oder Baltischen wenig nachgiebt, wenn man es von dem Ende der Vafsins-Vai bis dahin mißt, wo der Kennedy-Kanal das Wasser einengt, ehe es sich zu dem großen Polarbecken ausbreitet. Dieses ausgedehnte Meer sollte den Namen des Führers der Erpedition tragen, die znerst seine Grenzen bestimmte, — ich meine natürlich I),-. Kane. In dieses Meer nun läuft die Strömung aus dem Polar-Becken durch das oben erwähnte breitere Thor, das als Kennedys Kanal bekannt ist, nnd das Eis, das nur laugsam durch den engen Sund in die Baffins-Bai entkommt, hat sich innerhalb des Meeres von Jahrhundert zu Jahrhundert angehäuft. Der Sommer zergliedert es bis zn einem gewissen Grade und zerbricht es in Stücke von verschiedener Größe, die sich zusammenpressen, reiben und beständig zermalmen, sich auf einander nnd auf die grönländische Küste hinabdrängen und so das Resultat hervorbringen, das wir gesehen haben. Um die Gewalt und Größe dieser Eisbewegung völlig zu würdigen, muß mau sich criunern, daß ein sehr großer Theil des Eises sich scholl vor langer Zeit gebildet hat, — alte Flarden oder Eisfelder von ungeheurer Dicke und meilcnweiter Ausdehnung sowohl, als Eisberge, die sich vom Hnmboldt-^'letscher abgelöst haben. Wenn diese gewaltigeu Massen im Anfang des Winters mit der Strömungd urch das Meer hiu toben, wo dasselbe sich schließt und rasch neues Eis sich bildet, sind sie ebenso unwiderstehlich wie ein Tornado uuter den herbstlichen Blattern. Zur Erläuterung will ich die Dimensionen eines alten Eisfeldes mittheilen, das ich maß, während ich über den Sund ging. Seine durchschnittliche Höhe über dem Meeresspiegel betrug zwanzig Utß, und seine Oberfläche, die sehr uneben bald in abgerundeten Hügeln bis zu achtzig Fnß Höhe anstieg, bald zu tiefen gewnudenen Thälern hinabsank, war sechs Meilen lang und vier Meilen breit. Mit unseren Schlitten über eine solche Flarde zu kommen, Ursprung einer Gisflarde. 267 war fast eben so schwierig, als über die Eishöcker selbst zu setzen; den» außerdem, daß ihre Oberfläche uneben war, wie die eines sehr holprigen und zerrissenen Bandes, war es auch noch mit Schnee bedeckt, der eine Kruste hatte, welche die Schlittenkufen beständig durchschnitten und die unter dem Fuße einbrach. Ich schätzte die feste Masse in runder Zahl auf M»0 Millionen Tonneu, da ihre Tiefe etwa hundertundsechzig Fuß betrug. Rings um den Rand war auf allen Seiten eine Art Bergkette von vorjährigem Eis aufgeworfen, deren höchste Spitze hnudcrtundzwanzig Fuß über dem Spiegel des Meeres lag. Dieser Eishügel, wie man ihn wohl nennen kann, bestand aus Eisblöckeu von jeder Gestalt und verschiedener Größe, die in der größten Verwirrung anf einander gehäuft waren. Zahlreiche gleich wilde Formen, wenn anch nicht von solcher Höhe, stiegen von demselben Rücken und von jedem Theile dieser öden Fläche empör, nud wenn tausend Vissabons zusammengedrängt würden und durch den Stoß eines Erdbebens in Stücke zerfielen, tonnte die Scene kaum wilder, und über die Ruinen zn fahren keine schwerere Anfgabc sein. Der Ursprung einer solchen Flarde liegt in einer sehr fernen Zeit. Daß sie in irgend eine tiefe Einbieguug des Landes gebettet wnrde und dort blieb, bis sie zu einer solchen Dicke herangewachsen war, daß weder die Sonne des Sommers, noch das Waschen des Wassers sie ganz vertilgen konnte, ehe die Kälte des Winters wiederkam, ist höchst wahrscheinlich. Hierauf wächst sie, wie der Gletscher wächst, vou obcu und besteht, wie der Gletscher, ganz aus Süßwasser-Eis, — das heißt aus gefroreucm Schnee. Hieraus sieht man, daß die Anhäufung von Eis auf den Berggipfeln von der Auhüufnng, die auf diesen schwimmenden Feldern stattfindet, nicht verschieden ist, und daß sie mit jedem Jahr dicker werden. So groß sie auch dem Ange erscheinen und so zwerghaft sie sind im Vergleich zu dem binnenländischen Um- äo Alaoe, so sind sie doch in Allem, waö ihr Wachsthum betrifft, wirkliche Gletscher — schwimmende Zwerggletscher. Daß sie nur auf diese Weise zu so großer Dicke anwachsen können, wird sofort einlench-ten, wenn mau sich erinnert, daß Eis bei directem Gefrieren bald eine Maximum-Dicke erreicht, und daß seinem Wachsthum durch ein Naturgesetz Einhalt gethan wird. Diese Dicke hängt natürlich vou der Temperatur der Oertlichkeit ab; aber das Eis ist selbst der Schutz für das Meer. Die kalte Luft kann die Wärme 368 Durchschnittliche Ticke d^ Eises. des Wassers nicht durch Eis wegsangen, das mehr ic Äianuschaft ist erschöpft und verliert den Muth. gunner schlimmer. Die Situation, — Niederlage der großen Gesellschaft, — Entschluß, die Gesellschaft zurückzusenden und die Reise mit Hunden fortzusetzen. Den 24. April, Die Notizen dieses Tagebuches werden ziemlich eintönig. Ich habe heut wenig niederzuschreiben, was ich nicht schon gestern schrieb. Abwechselungen giebt es nicht, wenn mau Woche für Woche immerwährend anf derselben '^ahn, in demselben endlosen Gewirre reist, — heut haben wir fast unser gestriges Lager vor Augen, der Schlitteu ist Erbrochen, die Mannschaft gänzlich erschöpft und die Hunde abgenutzt. Wir sind jetzt zweiundzwanzig Tage vom Schooner fort und haben auf unserer Reise im Durchschnitt täglich nicht mehr als drei Meilen gemacht. Von der Cairn-Spitze sind wir ungefähr dreißig Meilen entfernt und von dort her in der That nur langsam vorgerückt. Grinnell-Laud erhebt sich verlockend nördlich von tins über das gefrorene Meer, aber es steigt sehr langsam empor. Ich versuchte meinen ursprünglichen Plan durchzusetzen und meinen Weg uach <.sap Sabine zu nehmen, aber die Eishöcker waren in dieser Richtung ganz undurchdringlich, und ich mußte mich mehr nach Norden halten. Die Temperatur ist stetig gestiegen, aber sie ist noch immer sehr niedrig und tälter als während des größeren Theiles des Winters in Port Foulte. Heut war der niedrigste Stand 19« ^. unter Nnll (—22",^R,); die Luft war still lind rein, und die Sonne strahlte auf uns wie zu Anfang der Frühlingszeit in der Heimath. I7(> Betrachtungen über die Aussicht. ' Den 25. April, Ein höchst qualvoller Tag. Der Schlitten war am Morgen mit vieler Mühe wieder hergestellt, aber nicht so, daß er ohne nene Ausbesserungen auf dem ganzen Marsche hielt. Das Reisen wird, je weiter wir vorrücken, immer schlechter. Die Eishöcker sind nicht größer, aber der neu gefallene Schnee ist nicht vom Winde gestört worden und liegt locker auf der Oberfläche; er macht daher die Arbeit des Schlittenziehens viel größer als zuvor, selbst anf den wenigen ebenen Stellen, mit welchen wir, seitdem wir am Morgen anfgebrochen, begünstigt waren. Meine Begleiter befinden sich in einem sehr traurigen Zustand. Einer derselben hat sich vom Heben den Rücken verstaucht, ein Zweiter hat einen Knöchel verrenkt, ein Anderer hat Magenentzündung, noch ein Anderer eine erfrorene Zehe, nnd Alle sind von Müdigkeit ganz überwälligt. Die Men -schen halten es eben so wenig aus wie die Hunde. Bis jetzt habe ich nicht gewagt, in diesen» Tagebuche hinsichtlich des Gelingens meiner Unternehmung einen Zweifel auszusprechen; aber kürzlich giug mir der Gedanke durch die Seele, daß die Aussichten, mit dieser Gesellschaft die Westküste je zu erreichen, fast hoffnungslos erscheinen. Die Frage in Betreff des Bootes, wurde schon vor vielen Tagen entschieden, und es wird jetzt ein Gegenstand sehr ernster Ueberlegung, ob es wirklich wahrscheiulich ist, daß die Mauuschafl auch nur mit so viel Lebensmitteln, als nöthig sind um sie wieder zurückzubringen, über diese Eishöcker nach der Westküste gelangen kann. Sie müssen schon fast so viel thun, als sie können, um nur die Gegeustände zu transportiren, die sie selbst im Lager brauchen, und die weder schwer noch groß sind. Den W. April. Der heutige Fortschritt war noch unbefriedigender als der gestrige. Die Leute sind vollständig erschöpft, niedergeschlagen, muthlos bis zum höchstcu Grade. Die menschliche Natur hätt es nicht aus. Sie findet keinen Nuhevunkt, denn die Schwierigkeiten lassen nicht nach. Eine Kälte, die bis zu den innersten Quellen des Lebens dringt; Gefahren von Seiten des Frostes und Gefahren, die schweres Heben bringt; Strapazen, die kein Ende nehmen, — wir stecken, so zn sagen, die ganze Zeit im Schlamm; und dann kommt Schneeblindheit, freudenlose Nächte mit mangel- Die Situation. 271 hafter Nuhe in Schneehütten, schneidende Stürme und unbefriedigende Nahrnng. Dies ist die Erfahrung, die wir täglich machen, und die Aussicht, die wir täglich uor uns haben; denn der hentige Tag bricht über uns in demselben ungehenern Eis-Dschungel herein wie der gestrige. Meine Gesellschaft hat, ich muß es gestchen, guten (Nrund, mulhlos zu sein; denn noch nie waren menschliche Wesen so von Schwierigkeiten uniringt und anf so uueutwirrbare Weise in eine Wildnis verwickelt. Heute geriethen wir in einen „Sack" und hatten eben so viel Mühe über die hohe Barriöre zu steigeu, die ihn begrenzte wie Jean Valjean, nm aus dem Sack l^'enrot nach dem Klosterhof zu entkommen. Aber nnser Klosterhof war eine sehr alte Flaroe, kaum besser als die aus Eishöckern bestehende Barriere. Ich fühle hent Abend, daß ich nicht mehr weit kommen werde. Jeder Tag bestärkt mich in der Ueberzeugung, daß wir nicht nur (Hrinnell-^aiid nie mit so viel ^ebcnsmitteln erreichen können, als zu einer Reise die Küste hinauf nach dem Polar-Meer nothwendig sind, sondern daß es sich auch überhaupt nicht ausführen läßt. Ich habe mit den Officiereu gesprochen und sie sind alle dieser Ansicht. Sie sagen, die Sache sei hoffnungslos. Dodge drückte sich folgendermaßen aus: „Sie könulen eben so gut versuchen anf den Dächern über dir Stadt Newport' zu fahren!" Sie sind kühne und wackere Männer, es fehlt ihnen nichk an Muth und Ausdauer; aber es scheint, als wenn man gestchen müsse, daß Schwierigkeiten vorhandeu sind, die sich nicht überwinden lassen. Es kommt mir jedoch anf die Durchführung dieses Unternehmens zu viel an, als daß ich die Niederlage sogleich gestehen sollte, und wir wollen es morgen wieder versuchen. Dm 27. April. Immer schlimmer! Wir sind hentc nur wenig vorwärts gekommen, der Schlitten ist böse zerbrochen, und ich bin znm Stillstand gebracht. Es scheint kein Schatten einer Hoffnung für mich vorhandeu zu sein. Mnß ich mich für einen geschlagenen Mann erklären? Ich fürchte es. Ich war in meinem ganzen Lebeu nie so muthlos wie heut Abend, selbst damals nicht, als ich mitten im Winter, von feindlichen Wilden umringt und ohne Nahrung und Transportmittel bei fruchtlosem Sucheu nach Hülfe den zweifelhaften beschicken der 272 Die Mannschaft ist capul. arktischen Nacht entgegentretend, mit meiner Reisegesellschaft durch Hunger und Kalte ausharrte. Im Smith-Sund habe ich nur eine ununterbrochene Neihe unübersteiglicher Hiudernisse gefunden. Seitdem ich Cap Alexander im vorigen Herbst, als der verschwindende Sturm sein graues Haupt entblößte, zum ersten Mal erblickte, hat mich nur Unglück getroffen. Meine damaligen Versuche die Westküste zu erreichen, wurden im Kampfe mit Hindernissen von der schwersten Art gemacht, und ich gab sie nicht eher auf, als bis der Winter über mich hereinbrach und mich zwang, mit einem rettlosen und fast sinkenden Schiffe den nächsten Zufluchtsort aufzusucheu. Dann starben meine Hunde, und mein bester Heistand wurde das Opfer eines unglücklichen Hufalls. Später gelang es mir einigermaßen, die verlorenen Gespanne, auf die ich mich allein verlassen mußte, wieder zu ersetzen, nnd hier bin ich noch einmal mitten auf dem Sunde geschlagen, wo ich machtlos fcststecke. Meine Mannschaft sollte mir als Mittel dienen über die Schwierigkeiten hinwegzukommen ; aber ich habe mich geirrt, wie vor mir Or. Kane. Zwei Abtheilungen, welche dieser Commandant zu Fuße nnssandte, um über den Sund zu setzen, verfehlten ihren Zweck. Zuletzt gelang es mir, mit Hnnden hinüberzukommen, aber die Ueberfahrt war mit fast unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden, mit so großen, daß mein Begleiter, in der Ueberzeugung, Hunger und Tod würden bei der Fortsetzung des Versuches unvermeidlich sein, die Sache mit einer Büchsenkugel zu erledigen beschloß; die Kugel psisf an meinem Ohr vorbei und ich gelangte doch an das jenseitige Ufer, — entdeckte Grinnell-Land und erforschte seine Küste zweihundert Meilen weit. Aber jetzt ist das Eis unendlich schlimmer als damals, uud ich bin überzeugt, daß die Schwierigkeiten jetzt ihren Höhepunkt erreicht haben nnd die Krisis eingetreten ist. Die Leute sind, wie schon gesagt, von den unausgesetzten Anstrengungen der vergangenen Woche vollständig erschöpft und sowohl durch den Gedanken an den geringen fortschritt, der gemacht worden ist, als dnrch die furchtbare Beschaffenheit der vor ihnen stehenden Eishöcker, die nach ihrer Vorstellung immer schwieriger zu übersteigen werden, je weiter und weiter sie iu dieselben eindringen, muthlos geworden. Die Kraft hat nachgelassen, da ihre Energie unaufhörlich und außerordentlich in Anspruch genommen wird, und zwar bei Temperaturen, bei denen es selbst unter den Die Mannschaft ist matt. 27^. günstigsten Umständen schwer ist zu existireu; dcuu ,^eder glaubt, daß uoii sciuen persönlichen Vemühungeit die einzige Äcöglichkcit abhängt, etwas vonuärls zu kommen, und erkennt, daß nach allen ihren Anstreuguugen und allen ihren Opfern der gemachte Fort schrill ganz uuznlänglich ist, den Zweck zn erreichen, de» nur vor Augen haben. Zu dieser geistigen Abspannung kommt noch die stetige und beunrnhigcnde Abspannung der physischen Kräfte. Ein Mann ist arbeitsunfähig geworden, weil er sich beim Heben den Nucken verstaucht, cin Zweiter ist nnbrauchbar geworden, weil er sich beim fallen das Fußgelenk verrenkt hat- noch Andere macht das Erfrieren der Dinger lind Zehen nutzlos, und die Lebenskraft der ganzen Gesellschaft ist durch den Einfluß der Kälte so gesunken, daß die Leute kaum noch fähig sind, das Nothwendigste für ihre eigene Erhaltung zu thuu, geschweige daß sie sich anstrengen sollten, ciue Neise zu vollenden, dercu Ende sich uicht absehen laßt, und bei deren Anfang sie schon fühlen, daß ihr Leben geopfert wird. In Betracht des Zustandes meiner Leute habe ich daher zu dem Schluß kommen müssen, daß der Versuch, mit Schlitten über den Sund zu fahren, mißtuugen ist, und daß meine einzige Hoffnung, dieses Ziel zu erreichen, jetzt auf dein Schooner beruht. Da ich den ganzen Sommer vor mir habe, so deute ich, daß ich auch ohne Dampf nach Cap Isabella hiuüberkommeu uud von da mich die Westküste hiuaufarbeiten kann, und sollle ich felbst nicht im Staude seiu, so weit den Snnd hinaufzukommen, wie ich einst hoffte, fo kaun ich doch ohne Zweifel für den nächsten Winter einen Hafen in passender Lage erreichen. Ich habe mich deshalb entschlossen, die Mannschaft zurückzusenden, und McEormick genau angewiesen, was zu thuu ist, damit das Schiff, wenn das Eis aufbricht und es in Freiheit setzt, vorbereitet sei. Er soll rings um den Schooner das Eis ausgrabcn, den Schaden ausbessern, den er im vergaugcnen Herbste gelitten hat, die zerbrochenen Spic^ reu wieder machen uud die Segel flicken. Was mich betrifft, so werde ich mich mit meiucu Huudeu durchschlagen, so gnt ich kann, Die Leute haben mir fünfundzwanzig Tage guten Dienst geleistet und mir mit etwa achthundert Pfund Lebcnsmittcln fast den halben Weg über den Snnd geholfen; das ist Alles, was sie thun köuuen. Ihre Arbeit ist zu Ende. Obwohl die Aussicht, mit den Hnndcn durchzukommen, zu Hayes, Das ost'mc P„!ar wl«r. 18 274 Noch ein Versuch. keiner Hoffnung berechtigt, so fühle ich doch, daß ich, nx'nn ich von der Mannschaft unbehindert bin, noch einen weiteren Versnch machen muß. Meine Begleiter habe ich mir ansgewählt und ihnen ihre Befehle ertheilt. Sie werden Knorr, Jensen und der Matrose McDonald sein, — wenn ich mich nicht irre, lanter mnthige Männer und Alle auf die Neise begierig. Es giebt noch Andere, die gern mit mir gingen; aber wenn sie anch Mnth n»d Entschlossenheit haben, so haben sie doch wenig physische .Kraft, und überdies sind mehr als zwei Personen anf einen Schlitten zu viel. Jetzt, wo ich an diesen nenen Versuch deute, den ich morgen machen werde, lebt meine Hoffnung wieder auf; wenn ich mich aber an die frnchtlofen Kämpfe der lctztvergangenen Tage erinnere und an diese Eishocker denke, wo Spitze nach Spihe eine über die andere emporsteigt, nnd Nucken nach Nucken in endloser Reihe sich nnter allen Winkeln nnd in allen Nichtnngen durchschneiden, dann muß ich gesteheu, daß mir der Mnth fast sinkt nnd meine Gedanken mich bewegen, den Versuch aufzugebeu, mich zurückzuzieheu von einem Unternehmen, das Jedermann, von Jensen ab, für unausführbar erklärt, uud in Betreff der Ueberschreitung des Suudes meiu Vertraueu auf den Schooner zn setzen. Aber ich verzage noch nicht? Ich habe vierzehn Huude und drei auserlesene Männer, und mich dem Schutze einer allweisen Vorsehung überlassend, die mich so oft zum Siege geführt und vor Gefahr behütet hat, nehme ich morgen den Kampf von Neuem mit Muth nnd Entschlossenheit auf. Hinweg mit der Verzweiflung! (Nach cincr Sti'^c von Oi, Hayes.) RennundMalyigstes Kapitel. Die große Gesellschaft zurückgesendet, — Wir stillen nni< wieder in die Eiö-Höcker. — Vortheile, welche die Hunde gewähren, — ^ager in einer Eis höhle. — Die Hunde werden gepflegt, ^ Schneeblindheit. ^ Ein Kapitel voll Unfälle, — Cap Haww. -- Cap ^'apoleon. — Vom Sturm ansgel,a> ten, — OrinneU Land wird sichtbar. ^ Ich entdecke einen Ennd, Ge fräßigteit der Hnndc, Ein twnrigeö Abendessen, ^ Wir canipireil iin Freien. ^- Nbspannniig der Ä)iannscl,aft nnd Hunde, Wir erreichen end lich das Vand. Den 28. April. Dicsm Morgen schickte ich die sswßc s^cMschaft ytvück. Die Trennung war sehr rührend. Es waren die erschöpftesten Men schcn, die ich je ssesehen habe. Ich begleitete sie eine knrze Strecke, nahm dann mit großer Betrübniß Abschied von ihnen nnd kehrte zum Lager zurück. Als ich mich umblickte, nm zu sehen, welchen Fortschritt sie machten, bemerkte ich, daß sie Halt gemacht hatten und das Gesicht nach uns zukehrten, offenbar in der Absicht, uns drei Abschiedshurrah zu bringen. Aber die Sache war hofsnnngs-los, — sie konnten nicht einmal mehr qnieken. Bald nachdem die Gesellschaft fort war, stürzten wir uns wieder in die EiZhöcker. Wir nnlßten über einen schrecklichen Rücken sehen nnd nahmen nnr die Hälfte der Fracht mit, gedachten aber zurückzufahren und die andere Hälfte nachzuholen. Knorr's Schlitten brach znsammen und wurde mit Mühe wieder hergestellt. Jensen's Schlitten stürzte über einen Abhang, den wir eben hinunterfuhren, nnd beschädigte einem der Hunde ein. Bein. Das arme Thier wurde losgemacht und ist mit uns bis zum Lager gehinkt. Wir fuhren etwa anderthalb Meilen weit und kehrten dann um, den Nest der Vorräthe 18* 276 Schneeblindheit. nachzuholen. Ans diesen anderthalb Meilen sind durch die Windungen des Weges, den wir verfolgten, beinahe vier geworden, — und da wir diesen Weg dreimal gingen, so kommen nngefähr zwölf Meilen heraus. Einen so schlechten Tag habe ich noch nicht gehabt; die Mannschaft hätte ihren Schlitten vielleicht gar nicht dnrchbringeu können. Die Hunde erklettern die Eishöcker mit derselben Leichtigkeit, mit der die Gemsen auf die Felsenspihcn der Alpen steigen. Ein Vortheil, den sie haben, besteht darin, daß sie nicht so schwer sind wie die Menschen und nicht so leicht dnrch den mit einer Kruste versehenen Schnee brechen; und dann lassen sich die Schlitten, weil sie kleiner sind, leichter regieren. Wir sind an einen fürchterlichen Rücken von Eishöckern gekommen, waren aber zu erschöpft, um ihn noch zu ersteigen, nnd haben nns daher in einer Art Höhle gelagert, die wir dadurch herstellten, daß wir einige Eisschollen über einander bauten, wobei wir die Arbeit er sparten, ein Loch zu graben; und das kam höchst gelegen; denn Jensen nahm wegen des nnsichcrn Bodens fnr die Füße seine Brille ab nnd leidet in Folge dessen an beginnender Schneeblindheit; er hätte daher, indem nur unsere gewöhnliche nächtliche Höhle in eine Schneewehe gruben, nicht helfen können. Unser O»artier ist sehr luftdicht und behaglicher als gewöhnlich, — die Temperatur ist bis zu 10« F. vom Gefrierpunkt (-12",22 N.) hcranf, während sie draußen 12" F. unter Nnll (—10",5.6 N.) ist. Wir brachen am Morgen mit vielem Lebensmnth anf, sind aber heut Abend trübsinnig genug. Ein so langsamer fortschritt bei so vieler Strapaze ist nicht begeisternd. Der Schlaf ist unser einziger Trost, und ich bin froh, daß die Temperatnr hoch genug ist, um uns Ruhe zu gönnen, ohne daß wir frieren. Der Schlaf, der schon für manchen müden nnd von Sorgen gedrückten Mann den Kummer erstickte, hat in den letzten fünfundzwanzig Tagen auch den meinigen manchmal erstickt. Er ist in diesen Eiswüsten noch mehr „der süße Erquickcr der inüdcn Natm" als anderwärts, und unser Schlaf ist in Wahrheit „der Schlaf des Arbeiters." Thörichter Sancho Panza! und doch in deiner Thorheit weise! Die Menschheit wird sich deiner lange erinnern um deines weisen Gedankens willen: — „Gesegnet sei der Manu, her deil Schlaf erfand." Ich will mich ganz mit ihm bedecken wic Wildheit der Hunde. 277 du, und wenn ich auch in ihm feiuc „Hitze" finden kann, „die die Kälte vertreibt," so will ich doch mit ihm die Erinncrnng au meiue gctänschten Hoffnungen umhüllen. Den 23. April. Wieder zurück unter das Obdach uou unserer letzten Nacht. Die Eishöcker waren heut fast dieselben wie gestern, und wir machten ungefähr denselben Fortschritt, — aber nnr mit der Hälfte unserer Vorräthe. Die Ladung wnrde im Schnee vergraben, und wir kehrten zurück, um das Uebrige zn holen; als wir jedoch hier ankamen, waren die Hunde nicht im Stande, eine zweite Fahrt zn machen. Wir befinden uns daher noch einmal hier in dieser Eishöhle unter unseren Büffeln uud sucheu Schlaf. Es ist die beste Hütte, die ich je gehabt habe. Die Temperatur der Luft kam zu Mittag bis zn 4" F. über Null (—12",45, N.) heranf, nnd in der Sonne war sie 88" F, (2",<:<; N.). Der Thermometer, der in der Höhle über meinem Kopfe hängt, zeigt jetzt 81" F. (-0",45N.). Den 30. April. Wir brachte» den Rest unserer Fracht bis zu der Stelle heranf, wo wir nnserc gestrige Ladnug uergrnbm; das war Alles, was wir thnn tonnten. Ich darf den Hunden nicht zn viel zumnthen; denn wenn sie nachlassen, ist es nm mich geschehen. Sie sind hent Abend sehr müde nud müssen gepflegt werden; ich gab daher Jensen die Anweisung, ihnen ein warmes Abendessen von Fleisch, Kartoffeln uud Schmalz zu machen, nud zwar ein reichliches. Sie halten einen wahren Hcißhnnger. Die Wnth, mit der sie in ihr Futter reißen, übertrifft Alles, was ich je gesehen habe, nnd Nichts entgeht ihren scharfen Fängen. Wenn sie nicht streng bewacht werden, fressen sie ihre Geschirre auf, nud Alles, was von Lcder ist, müssen wir in die Hütte bringen. Mehrere Stränge sind schon in ihre gierigen Gurgelu verschwunden, und wir sind jetzt mit dem Verschlingen und Zerreißen so schlimm daran, daß wir Stricke nehmen müssen, nm das Lederzeug zu ersetzen. Nm unsere Verlegenheiten uoch zn vermehren, vergaß Zeusen die vorige Nacht, den Schlitten zn überdecken (Knorr's Schlitten bildet das Dach unserer Hütte), und als wir am Morgen hinauskamen, war derselbe in Stücke zerrissen, die Schnur-Riemen waren alle gefressen, 278 Die Küste stcht vor Augen. und die Stücke des Schlittens lagen rings nm das Lager im Schnee zerstreut. Ich habe beinahe achthundert Pfund Hundefutter, aber es wird täglich sehr viel verbraucht, und es sieht daher bei der Langsamkeit, mit der wir vorwärts kommen, mißlich ans. Den 1, Mai, Heut war es nns nnmöglich, auch nur mit der halbeu Fracht fortzukommen; wir mußten deshalb drei Theile ans ihr machen; — einen derselben haben wir nach meiner Schätzung, den Weg gerechnet, den wir gereist sind, ncnn Meilen weit gebracht, in gerader Linie jedoch wahrscheinlich nicht den dritten Theil dieser Strecke. Die Beschaffenheit des Eises, über das wir nns geplagt haben, läßt sich gar nicht beschreiben. Sie ist schlimmer als Alles, was wir schon dnrchgemacht haben. Die heutige Fahrt hat, uns die Küste ganz deutlich vor die Augen gebracht, Ich komme wie der dahin, wo ich 1854 war, und bin nicht weit von mmiem damaligen Rückweg entfernt; aber wie verschieden ist der Zustand des Eises! Damals lag die Hauptschwierigkcit in der Hinreise, die vom Van Nensselaer Hafen gerade nach Norden ging. Die Rückreise machte ich weiter nnten im Sunde, in der Nähe der Gegend, wo wir uns jetzt befinden; dort war das Eis nnr wenig gebrochen, und ich kam in zwei Tagen von einer Küste zur anderu hinüber. Jetzt habe ich eine viel schönere Gelegenheit, Beobachtungen zu machen, als damals, denn bei der früheren Reise gab es viel Nebel, uud ich war beständig schneeblind. Die Küste von Grinnell-Land liegt offenbar etwas weiter nördlich, als ich sie damals setzte; denn nach meiner Beobachtung und Berechnung sind wir, wenn die Karte richtig ist, nur uoch zehn Meilen vom Ufer. Die beiden kühnen Vorgebirge, welchen I)»-. Kane die Namen Bache und Henry gab (das Victoria-Vorland und Cap Albert des Eapitän Ingle-field), scheinen zwei große Inseln in der Müuduug eiues Sundes von dreißig bis vierzig Meilen Breite zu sein. Ich behalte mir fnr weitere Beobachtung ein weiteres Urtheil vor. Auf der Küste zeigen sich zwei sehr ansehnliche Vorländer. Das eine liegt fast gerade nach Norden und steht mit einer dunklen Vorderwand hervor, die sich wie eine Mauer bis zu wenigstens 1^00 Fuß Höhe crhcbl. Auf meiner ersten Reise gab ich ihm den Namen Vouis Napoleon, zu Ehren des merkwürdigen Mainies, Vom Eturm aufgehalten. 279 der als Kaiser uon Frankreich damals erst anfing, dcr Welt die Größe seiner Macht zu zeigen. Es steht auf der Nordseite einer sehr ansehnlichen Bai. Mehr in dcr Richtung, die wir verfolgen, und näher nach nns zu liegt das zweite kühne Eav, welchem Dr. Kane bei meiner Rückkehr von dieser Küste meinen eigenen Namen anhing; da aber später anf den Karten zwischen den Namen Hawks und Hayes einige Verwirrung entstand, so habe ich den letzteren wieder beseitigt, und dieser ungeheure Felsen, gegen welchen Gibraltar ein Zwerg ist, wird künftig den Namen Eap Hawks führen. Die ganze vor nns liegende Küste ist sehr steil, nnd die Vergspitzen erheben sich hoch. Dcu ^, Mai. Vom Stnrin im gestrigen Vager aufgehalten nnd elend genug. Wir kamen am Morgen zurück, nm eine andere Ladung zu holen, nnd als wir zur Abfahrt fertig waren, blies und wehte es so stark von Norden, daß wir dem Sturme nicht entgegengehen konnten nnd daher Schutz suchen mnßten. Die Hunde bedürfen dcr Nuhe sehr, und dies ist das Einzige, womit ich mich zufrieden gebe. Unsere ^agergegenständc wurden alle im Vager der vorigen Nncht gelassen, nnd wir haben Nichts, worauf wir nns legen können, als Schilee, der nnr um einen Schatten weicher als Eis ist. Ans einer unserer blecherncn Proviantbüchsen haben wir einen Kessel und ans einer zweiten eine Lampe gemachl, nnd so etwas Abendessen bekommen. Jensen ist noch immer theilweise schneeblind, uud seinc Leiden haben sich nicht vermindert. Diese Schneeblindheit ist einfach eine Entzündung des ganzen Angapfels, die in Folge des intensiven Vichtes, welches dcr von der allgemeinen Weiße znrückgeworfcne Glanz der Sonne crzengt, ill der Netzhaut entsteht. 3m 3. Mai. Dcr Sturm hielt nils zwölf Stunden in unserer elenden Höhle auf. Die Nnhe that den Hunden ant, und wir haben noch das erfreulichste Tagewerk vollbracht. Wie aber jcde Nose ihren Dorn hat, so muß jeder Tag seine Plagc haben. Zeusen kam, indem er mit seinen bösen Augen dahinstolpertc, mit dem Bein in eine Spalte und verrenkte es sehr bedeutend. Er sagt mir, er habe das Bein vor zwci Jahren gebrochen, und da der Brnch schräg 280 Eine schöne Tagesfahrt. war und man die Theile beim Heilen über einander greifen ließ, so wurde die Verbindung unvollkommen. Den 4. Mai. Eine schöne Tagesfcchrt. Wir hatten etwas ebenes Eis und kameu wacker vorwärts. Jensen's Schneeblindheit ist verschwunden, und da unser Weg uns über alte Flaroen führte, so hat sein Bein ihm nicht sehr wehe ssethau und sich gebessert. Er gräbt jetzt ein ,^och zn unserm nächtlichen Obdach uud siugt eiu däuisches Lied, so heiter wie der Todtengräber im Hamlet. Kuorr und McDonald zerhacken die Kucheu vou getrocknetem Rindfleisch für die Hunde, und die wolfsartigen Thiere erfülleu die Luft mit dem gräflichsten Gebell. Die gespenstige Koppel des wilden Jägers im Harz machte nie mit furchtbareren Töueu das Ohr des verspäteten Wanderers bersten, als diejeuigeu sind, die gerade im jetzigen Augenblick aus deu Kehlen meiner wilden Bestien kommeu. Die Kerle würdeu uns auffressen, wenn wir ihnen dazu die geringste Gelegenheit gäben. Knorr fiel gestern, während er sie fütterte, mitten in das Nudel hiueiu, und wäre uicht McDonald augenblicklich über sie hergefallen und hätte sie gepackt, so glaube ich, hätten sie sich eiu Futter aus ihm gemacht, ehe er aufstehen konnte. Es ist gerade die Milternachtstuude, und ich schreibe seit unserm Anfbruch zum ersten Mal im Freien. Die Temperatur ist nur einen Grad unter Null (- 14",«? N.), und einen schönereu Sonnenschein sah man nie. Dieses weite Meer von Weiß, diese große Wildniß von glitzernden Spitzen besitzt eine starre, ruhige Erhabenheit, die wundervoll imposant ist. Die vor uns stehenden Berge, ungleich dencu der grönländischen .Miste, rageu iu mehrfachen Reihen himmeldurchbohrcnder Kegel empor, die aussehen wie riesige Haufen Kanonenkugeln, welche mit Schnee bestreut siud. Die Mitternachtsonue strömt von Norden über sie hiu uud mildert ihre Umrisse durch farbige Dünste, die von Osten her schweben. Ach! wäre ich doch über die Barriöre, die mich von diesem Lande meiner Wünsche trennt! Diese Berge sind mir „liebliche Verge", ^ die Schäfchen, die auf ihnen ruheu, siud die Hecrdeu der „Stadt" meiner ehrgeizigen Hoffnungen — des ge-heimnißvolleu Meeres, das ich in diesen Tagen der Müdigkeit uud Strapaze suche. Ein frcsissienges Rudel. 281 Ich habe einige schöne Beobachtungen nnd vortreffliche Sonnrn-messnngen von einen, Pnnkte aus machen können, der nach der Sonnenhöhe bestimmt war, und bin jetzt fest überzengt, daft westlich vom Smith-Sund noch ein Sund liegt, der im Jahre 18l)4 von mir übersehen wurde, Und daß ich die ganze Küste von Grin-nell-Land zn weil südlich legte. Den 5. Mai. Hent war ein Tag zum Umkommen, lind wir sind nur wenig vorgerückt. Es sieht ziemlich schlecht mit uns ans. Jensen klagt wieder über sein Vein und war, als wir uns lagerten, nicht im Stande, weiter zu gehen. Er stöhnt vor Schmerz, Knorr steckt in der Arbeit mit einer Zähigkeit nnd einem Mnthe, die zu be-wnndcrn sind. Er hat noch kein einziges Mal zugestanden, daß er müde sei, nnd noch hent Abend, nach den bedeutenden Strapazen des Tages, die das Heben des Schlittens verursachte, und der endlosen Noth und Verwirrung mit den Hunden, war auf meine Frage, ob er es satt habe nnd sich nach dem Lager sehne, seine rasche Antwort: „Nein, Sir!" Und doch fand ich ihn, als wir uns lagerten und die Nrbcit gethan war, hinter einem Eis-Höcker umgefallen, hinter den er gegangen war, nm seine Abspannung nnd Mattigkeit zu verbergen, — aber der (^eist war nicht matt. McDonald zeigt nie großes Verlangen, daß wir Halt machen, aber die Strapaze fängt bei ihm an ihre Wirknng zu thun. Er hat den echten Muth des vollblütigen Bullenbeißers, nnd hält an seiner Arbeit fest wie ein Bluthund an der Spur. lassen Sie mich mit meinen Plagen zn Ende kommen! Meine Hunde zeigen Symptome der Erschöpfnng; das ist aber einigermaßen meine eigene Schuld, denn ich habe mit knickriger Sorge über jedes Loth Futter gewacht, nnd die vorige Nacht gab ich jedem Thiere nur anderthalb Pfnnd. Die Folge war, ^- wie ich eben gesagt habe, und überdies brachen sie, nm sich zn rächen, in Jensen's Schlitten ein, der, weil Jedermann müde war, nicht abgeladen, sondern statt dessen mit drei Fuß Schnee bedeckt wurde. Die Bestien zerstreuten Alles ringsum, versuchten mit ihren Wolfs-fangen unsere blechernen Fleischbüchsen aufzureißen, fraßen nnsere Extra-Stiefeln, das letzte Stückchen Lederzeug, das wir noch hatten, nebst einigen Pelzstrümpfen auf, und machten Knorr's mit Sce-hundsfell überzogener Meerschaum-Pfeife cin Ende, die er nnvor- 282 Ein kaltcs MmdchV'n, sichtiger Weise an die ^chlittenlebne gehängt halte, ^etzl schilüreu wir die Schlitten mit Hanfleinen zusammen, nnd diese bilden lNlch die stränge; aber dic ^olge ist, daß der Schlitten innner ans-eiuanderfällt nnd die Stränge beständig zerreißen. Ein anderer Hund riß einen Tabaksbeutel von Sechundsfell auf, schüttelte seinen Znhalt heraus und verzehrte ihn; und noch einer forschte nnser einziges Stück Seife ans. Das sieht für unsere künftige Reinlichkeit schlecht aus, aber zweiunddreißig Tage bei diesen nie drigen Temperatnren hnben die scharfe Schneide deo Ekels abgenutzt. Anfangs wuschen wir uns seden Morgen mit einer Hand voll Schnee- aber ncnrrlich sind wir nicht mehr so eigen nnd wer den nns über die Seife uicht so sehr grämen, wie es vielleicht vor einigen Wochen der ,vall gewesen sein könnte. Unsere Lebensmittel verschwinden mit erschreckender Schnellig feit, nud doch kommen die Hnnde, wenn ich sie nur im mindeste» einschränke, sofort herunter. Wenn die Hunde mich im Stiche laffen, dann ist Nichts zu machen nnd ich bin in der größten Verlegenheit. Noch zwei Tage mnsfen nn5 sicherlich an's Vaud bringen. Wir gehen auf <>ap HawlZ los, aber wir müssen gestehen, daß das Cap von Tag ;n Tag nur wenig näher rückt, ^a wir nn ^ählige Mal anhalten müssen, nm theilö die Hunde ruhen ^n lassen, theils die zerbrochenen Schlitten nud zerrissenen Stränge wiederherzustellen, so finde ich, wenn ich Nichls lhun kann, nm den Aufbrnch zu beschleunigen, schöne Gelegenheit, einen Plan non der Küste zu entwerfen, nnd mein „^eldbnch" nnd ,,SNzzenbuch" werden beide gnt benutzt. Ein höchst erbärmliches Tagewerk zu eiuem höchst erbärmlichen Ende gebracht. McDonald verschüttete unser kochendheißes 'Abendessen auf den Schnee, und da mir kein zweites Onantnm Brennmaterial (Schweineschmalz nnd .Nabelgarn) bewilligen könn ten, so waren wir in eben so großer Gefahr, ohne Abendessen zn Bette zu gehen, wie Naillie Nicol Zarvie im Elachan Aberfoil, ehe das rothglühende Pflugsech die grobeil Hochländer ;ur Per-nunft brachte' glücklicherweise jedoch ermöglichte es McDonald zn nnserer großen Freude, den größeren Theil deo Ragouts mit sammt dem Schnee zusammenzuscharren, nnd wir aßen es kalt. Der Kaffee war aber natürlich unwiederbringlich verloren, nnd Tic Schlittm sind zerbrochen. 38A wir legen uns daher ziemlich traurig nieder. Die Temperatur ist wieder bis auf 10" F. unter Null l—18«,<;7 N.) hinabgesprnngen, und das Schreiben ist für die Dinger nichl angenehm, lucnn der Thermometer sich so beträgt. Den 7, Mai. Eine zweite Ausgabe aller anderen Tage, Zum Lohn sür eine energische TageZarbeit haben wir mir einen geringen fortschritt gemacht und liegen niedergeschlagen mit zwei zerbrochenen Schlitten da. An dem einen ist eine Knfe zerspalten, nnd Zeusen erklärt, er habe sic so oft ausgebessert, dast er sie nicht mehr aus-besseru könne; aber einige Stunden Schlaf werden hoffentlich seinen Verstand schärfen. Wir fiud eine ziemlich kläglich aussehende Gesellschaft von Nrisenden. Da wir zn wenig Lebenskraft haben, um eine Schneehütte zn bauen, fo haben wir die Schlitten zusammengeschleppt und siud eben im Begriff ans denselben im freien zu schlafen. Die Nacht ist leidlich warm, — die Temperatur ist über Null (^!4",^ N.^) und das Schlafen läsn sich vielleicht möglich mache»- aber die wohlthuende Wärme der Schneehütte müssen wir entbehren. Die Strapazen des Tages babeu uns 'allerdings so in Schweift gebracht, als ob wir uus unter den Tropen befanden, nnd nusere Kleider werden daher durch und durch naß; der Rock gefriert, sobald wir Halt macheu, steif und fest wie Eisenblech, und wir haben am ganzen Leibe das unbehagliche befühl, das Einen überkommt, wenn mau bei einer Wasserkur iu nasse Leinentücher gepackt wird. Ten ^. Mai, Wir schlugen uus durch wie bisher. Ich glaubte sicher, wir würden heute das Land erreichen, aber es erscheint nicht näher als diesen Morgen, wo nur ansbrnchen. Schlitten, Geschirre, Hnnde und Männer sind alle in Stücke gegangen. 5m !>, Mai, Wir jchlngen lins noch immer durch, aber diesmal durch Nebel und Schnee, den ganzen Tag mit einer leblosen Atmosphäre, so dick wie die ,vinsternis5 des Hades, behert. Den 10. Mai, Wieder bei derselben hoffnungslosen Arbeit, nnd wir gehen 284 „Ccip Fliegfort." wieder zwischen den ssishockern iu's Lager. Zch darf nicht hoffen, daß wir das Ufer morgen erreichen nierdrn, denn ich hab»,' nuch so oft getäuscht; aber das Ufer wird einmal erreicht ivrrden, wenn nur ein ^oth Nahrnuq übrig oder ein Hnnd a»> Lebe» bleibt, um es mitzuziehen. Ich habe allmäliq eine Art Hunde Eiltschlossenheit angenommen. Den 11, Mai, Endlich im ^lach Cap Fvazcr, -Spuvcll von lHiCinwö, ^^ Äliirdeö Eis, Der Kennedy Kanal, — Gc^ tindc Teniperaülv. Es zeigen sick Pö,;e!, - - Geologische ^esckaffenheit der Kiiste, -- Vegetation, Jensen sehr leidend. Obgleich sehr erfreut über deu Erfolg, deu ich gegen so verzweifelte Hindernisse errungen hatte, war ich doch, als ich über meine Vage nachdachte nnd mir die Erwartungen in's Gedächtniß rief, die ich beim Aufbruch hegte, nur wenig aufgelegt, mich sieges-froh zu fühlen. Daß ich einunddreißig Tage brauchte, um über den Sund ^il kommen, nnd daß es mir nicht gelang, das Boot, oder auch nur eine Gesellschaft zu ^-uße, herüberzubringen, halte meine ursprünglichen Pläne zerstört, während die harte Strapaze und die bedeutende und unerwartete Abnahme meiner ^ebensmittel durch (ixtra-Flittern der Hnnde, um sie bei Kräfte» zn erhalten, meine Hülfsquellen so sehr vermindert hatten, daß ich für die gegenwärtige Jahreszeit nur wenig Hoffnung hegen fonute, eine ausgedehnte Forschung zu machen. Unter gewöhnlichen Umständen hätte viel weniger als die Hälfte des gutters, das ich den Hunden täglich gab, zu ihrer Erhaltung reichlich geuügt; so aber hatten sich die achthundert Pfund Hundefutter, die ich hatte, als die größere Gesellschaft mich verließ, durch Verbrauch und kleine Depots für unsere Rückreise bis auf etwa dreihundert Pfuud vermindert, die auf keiueu Fall länger als zwölf Tage reichten. Das Höchste, was ich jcht zu lhun hoffen konnte, war, den Weg nach den Ufern des Polarmeeres zu erforschen und dadurch die Vasis für eiue fernere Reise zu geben, die in dem ^alle folgen sollte, daß ich im TMsommer die Westseite des Smith Sundes mit 286 Langsamkeit der Reise. meinem Fahrzeuge erreichte, mit anderen Worten, zu ermitteln, welche Aussicht vorhanden sei, meinen ursprünglichen Plan in Ausführnng zn bringen, den der Umstand, daß ich mit Gewalt in einen Winterhafen anf der grönländischen Küste anstatt anf der entgegengesetzten Seite getrieben worden war, gestört hatte. Die Ansznge ans meinem Feld-Tagebnch, die ich im letzten Kapitel gab, werden dein Leser gezeigt haben, wie langsam wir vorwärts kamen, während ein früheres Kapitel ihn in Betreff der Bahn, anf der wir soeben gereist waren, so weit befriedigt haben wird, daß es jeden Rückblick anf dieselbe hier unnöthig macht. Ob^ gleich ich beim Anfbruch ahnte, daß mir in den Eishöckern ein ernstes Hinderniß im Wege liegen werde, so war ich doch nicht daranf vorbereitet, ihnen in so furchtbarer (Gestalt zn begegnen, und daß es meinen Begleitern, dir ich zn Fuße mitnahm, nicht gelang, durch dieselben forlzutommen, war für meine Erwartungen ein bedentender Schlag. ,Ich hatte mich jedoch anf alle Fälle gefaßt macht nnd gedachte wieder einzubringen, was ich verloren hatte, indem ich noch ein Jahr im Smith-Sund blieb. Die Fahrt von der Cairn-Epitze über den Snnd war in der Geschichte der arktischen Reisen beispiellos. Die Entfernung von einem Lande znm andern beträgt, wie die Krähe fliegt, nicht über achtzig Meilen, nnd doch nahm die Ncisc, wie schon bemerkt, ein nnddreißig Tage weg, so daß anf einen Tag nur wenig mehr als zwei Meilen kommen. Die Bahn aber, die wir zu wählen ge-zwnngen waren, betrug oft wenigstens dreimal so viel, als die gerade ^inie, und da fast jede Meile dieser gewundenen Rontc drei- und oft fünfmal zurückgelegt wurde, um unsere in mehrere Theile zerlegte Fracht nachzubringen, so betrng die wirtliche Strecke, die wir täglich machten, im Durchschnitt wahrscheinlich nicht weniger als sechzehn Meilen, oder zwischen der Cairn-Spitze und Cap Hawks im Ganzen etwa fünfhundert Meilen. Die letzten vierzig Meilen, die nnr mit Hundeschlitten zurückgelegt wurden, nahmen vierzehn Tage in Anspruch, — ein Umstand, der schon von selbst zeigt, wie schwierig das Unternehmen war, zumal wenn man sich erinuert, daß vierzig Meilen anf gewohnlicher Eisbahn in fünf Stunden zurückzulegen für ein gewöhnliches Gcfpann Hunde eine Spielerei ist, nnd dabei würde die Fahrt das Gespann nicht halb so sehr ermüden, als wenn es dieselbe Ladung eine Stnnde lang Wir waten durch tiefen Schnee, 38? übn- solche Eishöcker ^ieht, wie sic uns auf dieser ganzen Neise entgegentraten. Um das beste Nesnltat zn erlangen, das der Eskimo-Hund zn liefern fähig ist, dazu gehört wesentlich, daß er im Stande ist, mit seiner Ladnng inilner fortzutraben. An einer traa.cn Schleife zn gehen, ist für seine Munterkeit und Lebenskräfte eben so verkümmernd, wie das Ziehen eines Karrens für ein dressirtes Pferd sein würde, nnd er wird viel lieber mit hundert Pfund über gutes Eis springen, als ein Viertel dieser Last auf einer Val>n ziehen, die nur eineu langsamen Schritt gestattet, Wir machten an Cap Hawks nicht länger Halt, als nöthig war, nm die Gespanne ansrnhcn zn lassen- dann begannen wir nnsere Neise die Küste hinanf. Der erste Tagcmarsch brachte uns über die breite Bai zwischen Cap Hawks nnd Cap Napoleon. Zu unserer Freude waren wir jetzt zuin ersten Mal im Stande, nnsere ganze Fracht ans eine Ladnng fortzubringen; und doch ging das Reisen noch lange nicht gut. In ^olge der Gestaltung der Küste war die Bai nor den Winden geschützt gewesen, nnd der Schnee des Winters lag daher locker anf der Oberfläche des Eises. Wir hatten jedoch keine andere Wahl, als über die Vai zu sehen, denn anßen hermngehen hieß, nns wieder in die EiZhöcker stürzen. Der Schnee hatte sich bis zn einer Tiefe von mehr als zwei ,^nß ange häuft, die wir sehr mühsam durchwateten. Der Schlitten schnitt bis an die Querhölzer ein, die Hunde versanken bis an die Bäuche, und um die Sache noch schlimmer zn machen, konnte Ienseu nicht mehr mit seinem Beine fort, so daß wir einen Theil seiner Ladnng auf Knovr's Schlitten bringen mnßtcn, damit er sich aufsetzen konnte. Um dadurch nicht aufgehalten zn werden, legte ich McDo-nald einen Gürtel über die Schulter, nahm selbst einen nnd gab Knorr einen, nnd Jeder von nns zog, ich darf sagen, eben so viel wie der beste Hund im Gespann. Auf der zweiten Tagereise war das Eis in einer schrecklichen Weise an Cap Napoleon herangezwängt, so daß wir ganz außer Staude waren, an dieser Stelle das Ufer zn erreichen, nns nach dem Cnnd Hinanshalten mnßten nnd noch einmal zwischen die Cishöcker verwickelt wnrde». Ein dicker Nebel, der, das Land vollständig verhüllend, von Norden über nns hereinkam und ein Schneewetter, das hinter ihm folgte, machte nns so viel Verwir^ rung, daß wir nns lagern mnßten. 286 Kennedy-Kanal. — Spuren von Eskimas. Am nächsten Morgen erreichten wir das Land-Eis und machten an diesem Tage eine wackere Fahrt bis zur Nordseite von Cap Frazer, — es war, seildem niir die Eairn-Spitze verließen, das erste Mal, daß wir einen Trab gemacht hatten. Unser Lager wurde in der Nähe des fernsten Pnnktes aufgeschlagen, den ich im Jahre ^54 erreichte. Wir waren jetzt im Kennedy-Kanal, den ich früher kaum betreten l)atte. Das Eis im Eingang des Kanals war ziemlich wie das des darunter liegenden Sundes; wir mußten nns daher an das Land-Eis halten, selbst während wir über die Gontd-Bai") setzten, die zwischen Eap Leidu nnd Eap Frazer liegt, und von welcher ich ehedem glaubte, daß sie einen guten Winterhafen abgeben werde. Diese Bai war in der That mein Ziel, das ich im vorhergehenden Herbst mit meinem Fahrzeug zu erreichen gedachte. Die kleine Flaggenstange, die ich früher dort aufgepflanzt hatte, stand noch aufrechl zwischen den Felsen; aber von der Flagge war keine Spur mehr übrig. Die Winde hatten sie gänzlich hinweggepeitscht. Während wir um das obere Ende der Oould-Vai herumfuhren, bemerkte ich, daß, wie in Port-Foulte, im Vau Ncnsselaer Hafen und fast in allen Baien der grönländischen Küste, die ich oberhalb Eap ^)ort besnchl habe, das Land mit einer sanften Bö schnng ansteigt, die mehr oder weniger regelmäßige Stnfen bildet, — eine Reihe terrassenförmiger Gestade, deren höchstes nach meiner Schätzung hnnderlnndzwanzig bis hunderlundsnnfzig Fuß über dem Meere liegt. Ich werde später Gelegenheit haben, auf diese Terrassen zurückzukommen, und will jetzl den Leser nicht länger dabei aufhalten, sondern nur noch bemerken, daß sie auf eine fortschreitende Erhebung der beiden Küsten hindenten. In dieser Bai fand ich auch die Ueberreste eines Eskimo Lagers. Die Merkmale waren in ihrem Eharakter ganz unverkennbar, obgleich sie aus sehr alter ^eit herrührten. Die Enldecknng war um so erfreulicher, da sie die mündlichen Ueberlieferungen der Eingeborenen bestäligte, die mir von Kalnlnnah erzählt worden waren. Die Ueberreste bestanden in einem einzelnen Kreise uon schweren Steinen, die auf der kiesigen Terrasse lagen. Der Kreis war elwa zwölf Fuß im Durchmesser und uou solcher Beschaffenheil, wie man sie an allen ") So genannt zn Ehren des !>>'. V, A. Gonld in Cambndgc. Morsches Eis. 289 Orten sehen kann, wo Eskimos sich in der Sommerzeit aufgehalten haben. Die Steine haben den Zweck, den unteren Nand ihrer au5 Seehundsfellen bestehenden Zelte festzuhalten, nnd wenn das Lager abgebrochen wird, zieht wan die Felle Heralls nnd laßt die Steine in der oben beschriebenen Lasse. Die nächste Tagereise war die befriedigendste von allen, die wir gemacht hatten- doch hatte auch sie ihre Schattenseiten, Während wir vorrückten, lernten wir allmälig in noch höherem Grade als im Smith-Snnd die ungeheure Gewalt des Eisdruckes kennen, die von dem südlichen Lauf der Strömnng herrührt. Jede Spitze Land, die nordwärts hervorragte, war nnter Eis der massivsten Beschaffenheit begraben. Viele Blöcke von dreißig bis sechzig Fuß Dicke und noch viel größerer Breite lagen anf dein Gestade im Trockenen, von dem unwiderstehlichen Packeis selbst über das Ni veau der höchsten Fluthen emporgctrieben. Das erste Hinderniß, das unserm Fortschritt von dieser Seite in den Weg gelegt wurde, stellte sich bald nach unserm Anfbrnch aus dem Lager oberhalb Cap Frazer ein, und da wir völlig anßcr Stande waren, dasselbe zu übersteigen, so mnßten wir noch einmal unsere Zuflucht zu den Eisfeldern nehmen. Das war aber keine leichte Sache. Die Fluth war vorüber; wie es schien, war völlige Ebbe, und das Land-Eis bildete eine Mauer, an der wir hinabklettern mnßten. Wir banden die beiden Schlitten zusammen und stellten dadurch eine Leiter her, ans der wir sicher hinabsteigen konnten; die Hunde wurden an ihren Strängen und die Fracht Stück für Stück an einer Leine hinuntergelassen. Das Feld-Eis war jedoch außer seiner Holprigkeit an vielen Stellen sehr mürbe und unsicher, so daß wir, nachdem eins der Gespanne durchgebrochen und nicht ohne Schwierigkeit gerettet war, uns an das Ufer zn ziehen nnd unsere Zuflucht wieder zn dem Land-Eis zu nehmen gezwungen waren. Da wir jetzt allen Windungen der Küstenlinie folgten, so wurde unser Weg wenigstens verdoppelt, und als wir Halt machten, um zu übernachten, waren wir sowohl als die Hunde sehr müde. Obgleich von der Tagereise sehr erschöpft, benutzte ich doch die Zeit, die meine Gefährten auf die Herstellung des Lagers und die Bereitnng des Abendessens verwendeten, zur Besteigung der Hügelwand, nm eine Allssicht zu gewinnen. Die Luft war ganz rein, und ich beherrschte nach Osten einen uuuuterbrochcnen Horizont. Das Eis war viel weniger uneben als dasjenige, über wel> HaycS, Das offene Po!ar»M«r, 19 290 Gelinde Temperatur. ches wir im Smith-Sund sehten, denn die alten ^larden ivaren, wahrend dieser Theil des Meeres im letzten Herbst oder Winter zugefror, weniger dicht zusammengedrängt gewesen, ti's gab daher viel mehr neues Eis. Das Meer war augenscheinlich sehr lange offen gewesen nnd hatte sich in der That, wie das Wasser anf der Höhe von Port Foulke, erst im Frühling vollständig geschlossen. Ich war ganz erstaunt, das Eis so dünn und so frühzeitig weggespült zn sehen. An Punkten, wo die Gestaltung der Küste zu dem Schluß berechtigte, daß ein Wirbel in der Strömung schneller auf das Eis gewirkt hatte, als an anderen Stellen, waren kleine flecken offenen Wassers sichtbar. Es siel nur auf, daß nach Osten kein Vand zn sehen war, denn durch eine solche Atmosphäre hätte mail leicht das Land in einer ^erne von fünfzig bis sechzig Meilen erkannt. Es dürfte daher den Anschein haben, das; der Kennedy-Kanal etwas breiter ist, als man bisher annahm. Nach Nord-Osten war der Himmel dunkel und wolkig nnd lieferte den Beweis, daß dort Wasser war, und Jensen, der das Vorrücken der Jahreszeit sorgfältig beobachtete, war nicht langsam, nieine Anfmrrksamkei! ans den „Wasserhimmel"") zn lenken. Die Temperatur der Luft war auffallend mild nnd znm Reisen in der That peinlich gelind; doch hatte dies auch sein Angenehmes, da wir auf unseren Schlitten im Freien mit Behaglichkeit schlafen konnten. Die niedrigste Temperatnr während des Tages war 20" F. (—5"M N.), während sie einmal bis zum Gefrierpunkt stieg; — die Sonne flammte anf uns herab, während wir uns mühsam unter der schweren Last von Pelzen fortschlepp ten. Es schien wirklich ein schwüler Tag zu sein. Unsere Pelze ablegen nnd in Hemdärmeln reisen war natürlich nnser erster Gedanke; aber dies vermehrte die Last auf den Schlitten, und es war von höchster Wichtigkeit, daß den Hunden jedes Pfnnd nnnöthigen Gewichts erspart werde; so trug denn Ie^' seinen Pelz auf dem Rücken nnd schwitzte nach seiner Weise. Diese unzeitige Wärme wirkte sehr zu uuserm Nachtheil. Der Schnee wurde wässerig, nnd da zwischen uns und Port foulte *) Eine dunkle Erscheinung am Himmel, welche (im Gegensatz ;u dem Ms-blinken) in der Richwng, wo dieselbe fich befindet, eisfreies Wasser anzeigt. A um, d. Nebe vs. Es zeigm sich Vögel. 291 clue so große Strecke Eis lag, so hatte Jensen, der die schnelle Auflösung des Eises um Upcrnavik herum in derselben Zeit des Jahres aus Erfahrung kanutc uud dabei oft iu ernste Verlegen^ hcit gerathen war, immer ein scharfes Auge auf unsere Rückzugslinie. Aber ich hielt es wenigstens emeu Monat lmig noch nicht für wahrscheinlich, daß das gauze Eis aufbrechen uud uns dadurch Gefahr drohen könne. Gleichwohl nahte der Frühling swenn man es so nennen darf) rasch, wie man daran sah, daß sich Vögel zeigten. Als ich auf der Hügclwand stand, kamen einige kleine Schnceammern und zwitscherten um mich herum, uud eiu Bürgermeister flog über unsere Köpfe hin uud schwenkte sich nach Norden. Er schien den Tou sich wälzender Wogeu veruonnucu zu habeu uud führte sein Weibchen, das mit sittsamer Miene hinter ihm hersegelte, nach einem hochzeitlichen Ruhesitz auf irgend einer wellengelcckten Insel; er schrie, als wollte er fragen, ob wir uns etwa auf demselben Wege befänden. Anch ein Nabe kam, setzte sich anf eine Klippe über unserm Lager nnd krächzte eiu trauriges Willkommen oder eine Warnung. Ein solcher Vogel hatte uns deu ganzen Winter hindurch Gesellschaft geleistet, und dieser sah beinahe so aus, als sei er fest entschlossen, mit meinem Schicksal in euger Verbiudung zu bleiben; ich vermuthe jedoch, daß er sich in Wahrheit nur nach Brosamen umsah. Er blieb mehrere Tage bei uus uud flog jedes Mal, sobald wir auf dem Wege wareu, in unser verlassenes Lager herab. Die Küste, an der wir jetzt hinreisten, hatte viel Interessantes. Sie bestand aus einer Neihe hoher Klippen vou silurischeu Gesteinen*) — Sand- uud Kalkstein, — welche durch die zerstören-dcu Einflüsse des Frostes im Winter und des Thauwctters im Sommer sehr zerrissen waren. Hinter diesen Klippen erhob sich das Land zu hohcu Vergspitzcu, wie ich sie schou beschrieben habe. 5) An Cap k!eidy, Cap Frazer und anderen Punkten der Kiistc sammelte ick später eine betracht!!^' AuM Fossilien, - die bald nach meiner Heimkehr sammt, lich der Smithfon'schen Stiftung in Washington zugesandt wnrden, Leider gingen die schönsten derselben, nachdem sie von Philadelphia abgeschickt waren, verloren; doch fand sich unter dcu geologischen Sammlnngen eine hinreichende Au;ahl Exemplare, um den Professor F. V. Meer, dem ich sie anvertraute, m den Stand zn setzen, einige interessante Vcrgleichuugöpuultc feslMclleu. In einen, kurzen Aufsätze, der in Silliman'6 Journal, Inii 1«65, veröffentlicht wurde, zählt Professor Meet zwölf Arten ans uud beschreibt sie, Einige Exemplare waren nnvoll- 19* 292 Charakter des Landes. Auf den Wänden dieser Spitzen lag Schnee und hüllte sie in einförmiges Weiß; aber nirgends gab es einen Beweis, daß Gebirgs-eis vorhanden sei. Die ganze Küste voll Grinnell-Land entlang zeigt sich kein Gletscher; sie bildet daher zu Orönland und dem Lande auf der Südseite des Kanals, das ich entdeckte, während ich über den Smith-Sund setzte, — den» Gllesmere-l'and drs Ca^ pitän Inglefield, — einen auffallenden Kontrast. Während dieser Tagereise hatte ich zahlreiche Spuren entdeckt, daß sich früher Eskimos hier aufgehalten hatten. Sie waren denjenigen ähnlich, die ich vorher in der Gould Bai fand. Auch an Cap Frazer und anderen Stellen sammelte ich einige Fossilien, welche deutlich den Charakter des Gesteins darlegten. Von Vegetation gab es an denjenigen Stellen, wo die Winde das Land von Schnee entblößt hatten, nur wenige Spuren. Ein Weiden-stamm (wahrscheinlich Kalix arotic-a), ein einziges Exemplar einer abgestorbenen Saxifraga s^Äxifra^a (ippositifolia) und ein Büschel verdorrtes Gras s1?08tu(H oviim) war Alles, was ich fand. Wenn auch glücklich in Hinsicht der zurückgelegten Strecke, fiel der Tag doch nicht ganz so aus, wie ich gehofft hatte. Das Land-Eis war außerordentlich rauh, und um einige Landspitzen konnten wir nur mit großer Mühe herumkommen. In einem der schwierigsten Fälle dieser Art glitt Jensen aus und beschädigte sein Vein wieder; dazu verstauchte cr sich später noch beim Heben seines Schlittens den Nucken. Iu Folge dieser Unglücksfalle wurde unser Weitermarsch am folgenden Tage sehr verzögert lind brachte ständig mid lichen sich ihrem sprcisisckm Charakter nach nichl bestimmen. Ich theile hier das Veneichnii! mit! 1. Zaphventi.s llayesii. 2. Syringopora ****. 3. Favorites ****. i. Strophomena rhoinboidali 5. Strophodonta Headleyans 6. Strophodoiita Bcekii. 7. Rhyiichondla ****. 8. Coelospira concava. 9. Spi riser ♦*♦*. 10. Eoxouema Kanei. 11. Orthoceras ****. 12. Illaenu8 ****. Professor Mcek macht folgende Bemerkung: ,,Nach dem vochchcndeu Vcr< zeichnisse wcrdcn die Geologen, wie wir glaubm, bcistinnnen. daß die Gesteine an diesem Punkte, dcm Höchsten, wo je Fossilien gesammelt wnrdcn, zu der obersten filurischen Forniation gehören. Das Merkwürdigste jedoch ist, daß fast alle mit Arten, die sich im schich'tthonartigm Kalkstein der ^ccw'Vorkcr unteren Heldcrberg-Gruppe vom Catskill finden, ganz eng verwandt und, wie es scheint, nicht von ihnen ;u unterscheiden sind," Jensen is< matt. 293 mich wieder in ernste Verlegenheit. Mein Tagebuch stellt unsere 3age folgendermaßen dari Den 15. Mai, Jensen, mein stärkster Mann und der Einzige, auf dessen physische Ausdauer ich mich immer am vertrauensvollsten verlassen habe, ist, nicht nur ermüdet, sondern vollständig matt. Er liegt auf dem Schlitten nnd jammert und stöhnt vor Schmerz, den ihm sein verstauchter Nucken und beschädigtes Bein macht; ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen soll. Noch weiter zu gehen scheint er nicht im Stande zu sein, nnd cs wird sich nur um die Frage handeln, wie wir ihn heimbringen wollen, Vei einigermaßen gntem Wege mußte ich ungefähr den 83" nördlicher Breite erreichen, aber der Verlust von Jensen's Muskelkraft bringt mir Schaden. Heul war die Bahn abscheulich, und doch haben wir, Alles erwogen, sehr gnle Geschäfte gemacht. Wir haben wenigstens zwanzig Meilen zurückgelegt. McDonald ist ziemlich stark mitgenommen, und Knorr ist ebenso schlimm, wenn man ihn auch nicht dazu bringen kann, es zu gestchen. Jensen's beiden haben auf seine Stimmung eingewirkt, und bei den Hunderten von Mei-len, die hinter uns liegen, ist es vielleicht nicht überraschend, daß die einzige Erwartung, die er jetzt hat, in Erfüllung gehen wird, wenn seine (Meine zurückbleiben, um zwischen diesen unfruchtbaren Felsen zu bleichen. Was ich morgen thun werde, muß der morgeudc Tag entscheideu. Dank der sorgfältigen Pflege, habe ich doch meine Hunde in gntem Anstand erhalten; das ist das Veste vom Kamufe. Eimmddreißigstes Kapitel. Ein neuer Aujbrnch. — Specnlalioneu, — In cinem Nebel, — Polar-?and' schaft. — Durch morsches Ei« gehemmt, — Ein Bliä vorwärts, — Schlüsse. — Das offene Meer. — Gipfelpunkt der Reise. — Ich wende mich nach Süden zurück. Die unerwartete Unfähigkeit meines stärksten Mannes, Jensen's, war ein Mißgeschick, das ich nnr um einen Grad weniger bitter empfand als das vorhergehende Mißlingen des Versuchs, eine Gesellschaft zu^ Fuße über den Cuud zu bringen, und es machte mir vielen Kummer; denn während ich die Dienste eines starken Armes nnd eines thätigen Körpers verlor, war ich natürlich auch noch um seine Rettung besorgt. Ich muß gestehen, daß ich, einen hülflosen Mann auf dem Halse, vierhundertundfünfzig Meilen rauhes Eis zwischeu mir und dem Schooner und nur knappe Depots von Proviant am Wege, die ich blos auf eine Reise mit leeren Schlitten berechnet hatte, etwas bestürzt war. Als der Morgeu kam, hatte sich Jensen nur wenig gebessert und war kaum im Stande, sich zu bewegen. Ich entschloß mich sofort, ihn unter McDonald's Aufsicht zu lassen und mit Knorr allem vorzudringen. Für den Fall, daß mich von Seiten des morschen Eises (das Einzige, was ich zu fürchten hatte) ein Unglück treffen follic, ließ ich'bei McDonald fünf Hunde zurück, mit der Anweisung, so und so viel Tage auf uus zu warten und dann zu thun, was er könnte, um nach Port Foulke zurückzukommen. Als unser einfaches Frühstück vorüber war, stürzte ich mich abermals durch die EiZhöcker und machte, meinen letzten Versuch. Unsere Vahn ging quer über eine Bai, die so tief in's Land ein-schnitt, daß, wenn wir auf dem Land'Eise den gewundenen Kri'nn- 7m elm-,,, Nebel. 295 mungcn ihreü llfer^ gefolgt ivären, der Weg sich mehr als vervierfacht hätte. Mein Vorsatz war jetzt, mich anzustrengen so sehr ich konnte, nl,d so weit zu reisen, als meine ^rbensmiltel erlaubten, um an deu höchsten erreichbaren Breitengrad zu koinnien und einen Beob-achtungspnnkt zu genminen, der mich in den Stand setzte, mir eine bestimmte Ansicht über das vor mir liegende Meer und über die Aussichten zu bilden, dasselbe mit einem Boot oder mit den» Schooner zu erreichen, Zch war bereits etwas weiter nach Norden vorgedrungen als Morton bei Dr. Kane's Expedition im Juni 1854, nnd sah auf dasselbe Meer hinaus von einem Punkte, der wahrscheinlich gegen sechzig Meilen nördlich und westlich uon Eap Constitution lag, wo unr ciucn Monat später im ,^ahre das offene Wasser seinem weiteren Vordringen Einhalt that. Es blieb mir jeyt nur übrig, die Besichtigung so weit als möglich nach Norden auszudehnen. Bei dem besonnenen Haushalten mit meinen Hülfsqnellen hatte ich noch immer reichliche Mittel in Händen, um einer Neise, die, wie die zunehmende Dunkelheit und Ausdehnung des Wnsferhiunnels nach Nordosten nuch zu mahnen schien, sich ihrem Gipfelpunkt näherte, einen erfolg reichen Nusgang zu verbürgen. Unsere erste Tagereise war nicht besonders ermmhigend. Das Eis war rauh, der Schnee tief, und nach neunstündiger mühevoller Arbeit mnßten wir Halt inachen, um auszuruhen, unchdcm wir seit dem Anfbruch uicht mehr als eben so viel Meilen zurückgelegt hatten. Ein dichter Nebel, der sich bald nach der Abfahrt ans nns niederließ nnd, indem er uns nicht gestattete, auf jeder Seite neunzig Fuß wen zn sehen, die Auswahl ciuer Bahn erschwerte, hatte unsern fortschritt sehr verzögert, denn wir mußten nns in Betreff unseres Eonrscs nach dem Kompaß richten. Als der Nebel sich mit der Zeit uer;og, hatten wir ansgc-Ntht; das Land war bald erreicht, und wir verfolgten nun unsern Weg läng» dem Fuße des Eises hin fast mit demselben Glück, das wir gehabt hatten, seitdem wir das Ufer oberhalb Eap Napoleon streiften. Die Küste hatte noch dieselbe Beschaffenheit, — zur Linken erhoben sich große, gerade aufsteigende Klippen, zur Nechten stand ein zackiger Nucken von zermalmtem Eis, der für die dunkeln Felsen gleichsam eine weiße Franse bildete. Wir reisten in Wahrheit in einer sich windenden Schlucht hin, die 296 Polar-Landschaft. das Land auf der einen und das Eis auf der andern Seite begrenzte; denn diese Eisfranse stieg über fünfzig Fuß über unsere Köpfe empor und, einzelne Stellen ausgenommen, wo eine Kluft uns einen Blick auf das Meer gestattete, waren wir vollständig eingeschlossen wie in einen Canon der Cordilleren, Von Zeit zu Zeit unterbrach jedoch eine Bai den Zusammenhang der hohen Küste, und wenn wir ihren südlichen Nand entlang das Gesicht nach Westen wandten, öffnete sich vor uns ein abhängiges terrassenförmiges Thal, das sich sanft aus dein Meere erhob, welches am Fuße der mit imposanter Größe aufsteigenden Verge lag. Nie machte die Traurigkeit und Oede einer arktischen Landschaft einen stärkeren Eindruck auf mich. Obgleich meine Stellung auf dem höchsten Punkte des grönländischen Nor cle ßlaoo im October des vergangenen Jahres dem Anschein nach der Einbildungskraft Alles geliefert hatte, was nöthig war, um das Gemälde einer grenzenlosen Unfruchtbarkeit auszufüllen, so schien doch hier die Mannigfaltigkeit der Formen den Gindruck auf das Gemüth zu vergrößern und der Phantasie einen weiteren Spielraum zu geben; und wenn das Auge von Bergspitze zu Bergspitze wanderte, wie sie sich eine über die andere erhoben, und auf deu dunkeln, vom Frost verkleinerten Klippen ruhte, und den Fuß des Eises verfolgte und das Meer überblickte, und überall sah, wie die stillen Kräfte der Natur in der Dunkelheit des Winters und im funkelnden Glänze des Sommers wirkten, jetzt noch ebenso, wie schon zahllose Jahrtausende lang, da fühlte ich, nur von Gottes Auge allein beobachtet, wie nnbedcutend alle Werke und Anstrengungen der Menschen sind, und als ich nach irgend einem Zeichen von lebenden Wesen, nach der Fährte eines wilden Thieres, — eines Fuchses, Bären oder Nennthiers, — suchte, die mir bei meinen Wanderungen anderwärts immer über den Weg gelaufen waren, und Nichts als zwei schwache Menschen und unsere ringenden Hunde sah, da schien es in der That, als hätte der Allmachtige die Hügel und Meere mit saurem Gesicht angeblickt. Seitdem wir die Eairn-Spitze verließen, hatten wir uns sehnsuchtsvoll nach Bären umgesehen; aber obgleich wir, besonders um Eap Frazer herum, viele Fährten gefunden, so hatten wir doch kein einziges Thier bemerkt. Ein Bar wäre für uns in der That eine Gabe Gottes gewesen und hätte mich aller Sorge um die Kräfte der Hunde überhoben, denn er hätte nicht nur nenes Durch morsches Eis gchemmt, 297 Leben in sie gebracht, sondern ihnen anch für mehrere Tage kräftigere Nahrung gewährt, als das getrocknete Rindfleisch war, mit dem wir sie so lange gefüttert hatten. Nach einem zehnstündigen Marsche mußten wir wieder cam-piren, und am folgenden Tage gelangten wir in vier Stunden an das südliche Cap einer Bai, die so ticf in's Land hineindrang, daß wir uns, wie in anderen Fällen, wo uns ähnliche Hindernisse entgegentraten, entschlossen, lieber qner über dieselbe zu setzen, als der Küstenlinie zu folgen. Wir waren nur einige Meilen gegangen, als wir uns plötzlich gehemmt sahen. Unser Cours ging über eiuen Streifen altes Cis, welcher das Ufer einfaßte, direct nach einem hervorragenden Vorland, das die Bai nach Norden begrenzte. Dieses Vorland schien etwa zwanzig Meilen von uns, oder nahe am 82" nördlicher Breite zu liegen, und ich wollte es gern erreichen; aber das alte C'is war leider plötzlich zu Ende, und nachdem wir über die Franse von Eishöckeru geklettert waren, die seinen Rand bildete, befanden wir uns auf Eis vom letzten Winter. Der unfehlbare Instinct der Hunde warnte uns vor der drohenden Gefahr. Wir bemerkten eine Zeit lang, daß sie sich mit ungewöhnlicher Vorsicht bewegten; endlich zerstreuten sie sich nach rechts und links, uud weigerten sich, weiter zu gehen. Ich kannte dieses Benehmen der Hunde zu gut, um über seine Bedeutung einen Zweifel zu hegen; ich ging ein Stück voraus und wurde bald gewahr, daß das Eis morsch und unsicher war. In der Meinnng, dies könne vielleicht in der Oert-lichkeit liegen und von einem besondern Umstände in der Strömung herrühren, fuhren wir auf die alte Flarde zurück uud »nachten einen zweiten Versuch weiter nach Osten zn. Ich ging jetzt den Hunden voraus und flößte ihnen dadurch größeren Muth ein. Aber ich war uoch uicht weit gekommen, als das Eis wieder unter dem Stocke nachgab, mit dem ich seine Festigkeit untersuchte; wir wendeten uns wieder zurück und suchten eineu noch östlicheren Weg. Nachdem wir mit derartigen Anstrengungen zwei Stunden hingebracht hatten, wobei wir etwa vier Meilen auf das Meer hinaus gelangten, kam ich zu der Ueberzeugung, daß das Eis außer» halb der Bai ganz unpassirbar sei, und daß Beharrlichkeit nur mit Unglück enden könne; denn wenn wir durchbrachen, waren wir nicht nur in großer Gefahr, sondern würdeu auch, da wir naß wurden, unsere Neisc nach der gegenüberliegeichcn Küste sehr 298 Aus das L.ind W zurück. verzögen, wenn nichl ganz uereilelt haben. Wir zogen uus dabei nach dem ^ande hin znrück und suchien u'ieder Sicherheit anf der alten Flarde, führen dann westwärts nnd bemühten uns, n>ei«er oben über die Bai zu setzen; aber hier war es ebenso wie drangen anf dem Meere, nnd die Hnndc weigerten sich standhaft, n.'eiler zu gehen, sobald wir das alle Eis «erließen. Da ich meinen Zweck, über die Bai zu kommen, durchaus erreichen tvollte, so hielten wir tins immer weiter nach Westen lind setzten Misere Au^ strengung mit Beharrlichkeit fort, bis wir tins überzeugten, das; dieselbe sich nicht überschreiten ließ; da blieb uns keine andere Wahl, als nns nach dem Laudcis zurückzuziehen nnd nach nnscrem Bestimmungsort den weiten Umweg zu machen. Um zu ermitteln, wie weit dieser Weg unQ der Wahrscheiu lichkeit nach von der geraden Vinie abführen werde, spazierte ich, während die Hunde ausruhten, einige Meilen am Ufer hin, biü ich das obere Ende der Bai sehen tonnte, das nicht weniger als zwanzig Meilen weit lag. Zu diesem langen Umweg hätten wir wenigstens zwei, wo nicht drei Tage gebraucht, — cin Unter nehmen, das sich bei dem Etande unserer Lebeuömitlel nicht rechl^ fertigen ließ; — wir begaben nns daber, von mehr als zwölf-ständiger Arbeit müdr, in's ^ager, um abzuwarten, was eine wru tere Beobachtung am folgenden Tage ergab. Von dem Zustand des Eises in der Bai nberraschl, entschloß ich mich den Hügel über dem i^agrr zu ersteigen, um die Ursache zn ermitteln, durch welche wir der Wahrscheinlichkeit nach so ge-tänscht worden waren, und zugleich festzustellen, ob sich uicht weiter östlich ein näbercr Wcg finden ließ, als dcr auf dem Land-Eise der Bai war; denn daß es nur möglich war, unsere Reise nach Norden in der einen oder andern Richtung fortzusetzen, war jetzt tlar. Die Strapazen des Tages machten es jedoch nothwendig, daß ich etwas ausruhte, ehe ich den Hügel bis zn einer solchen Höhe zu ersteigen snchte, die mich in den Stand setzte, von der Beschaffenheit des Eises bis zur gegenüberliegenden Küste eine klare Ansicht zn bekommen. Nach einem sehr tiefen »ud erquickenden Schlaf, der uou einer Müdigkeit herbeigeführt wurde, die ich zuvor in einem folchrn l^radc selten erlebte, kletterte ich die steile Hügelwand hinanf nach dem Gipfel einer zerklüfteten Klippe, die nach meiner Annahme etwa achthundert 7^uß über dein Spiegel des Meeres lag. Aussicht von dev Klippe. 299 Die Aussicht, die ich von dieser Höhe genoß, bot einc Er-klärung der Ursache dar, daft meine Weiterreise am vorhergehenden Tage gehemmt worden war. Das Eis hatte überall dieselbe Beschaffenheit wie in der Mündung der Bai, über die ich zu gehen versucht hatte. Eine breite Spalte, die in der Mitte der Bai anfing, erstreckte sich über das Meer, vereinigte sich, während sie sich nach Osten schlangelte, mit anderen Spalten und erweiterte sich wie das Delta eines mächtigen Flusses, der sich in den Oeean ergießt, bis sie sich «nter einem Wnsserhimmel, der am nördlichen und östlicheu Horizonte hing, in dem offenen Meere verlor. Non dem dunklen Himmel im Norden hob fich in matten. Umrissen der weiße abschüssige Gipfel eines stolzen Vorlandes ab, — das nördlichste bekannte Land ans dem Erdball. Nach meiner Schätzung liegt es nnter W" M nördlicher Breite oder uierhnndertnndfnnfzig Meilen vom Nordpol entfernt. In größerer Nähe trat ein anderes kühnes Cap hervor, nnd noch näher stieg das Vorland, nach welchem ich Tags vorher zugesteuert war, majestätisch aus dem Meere empor, als wollte es eine hohe Berg' spitze, auf die der Winter sein Schncediadem gelegt hatte, bis ganz in den Himmel hinanfschieben. Außer der Küste, anf welcher ich stand, war kein Land sichtbar. Das Meer unter mir war eine bunte Fläche von weißen nnd dunklen flecken; die letzteren waren entnieder weiches zerfallendes Eis, oder Stellen, wo das Eis ganz verschwuuden war. Diese Stellen nahmen, je weiter sie znrücktrateu, an Dunkelheit und Größe zu, bis der Gürtel des Wasserhimmels sie alle zu einer gleichförmigen dunkelblauen Farbe vermischte. Die alten festen Flardcn svon denen manche eine Meile, andere sogar Meilen breit waren) nnd die massive» Nucken nnd Wüsten von übereinander geschobenein Eis, die zwischen ihnen und rings um ihre Nänder aufgehäuft lagen, waren die einzigen Theile des Meeres, die noch die weiße Farbe und Festigkeit des Winters hatten. Die Erörterung des Werthes der Beobachtung, die ich von die. s"n Punkte aus machte, behalte ich mir für ein anderes Kapitel vor. Hier mag es genügen, wenn ich sage, daß Alles duranf hin wies, daß ich an den Ufern des Polarbeckcns stand, und daß der breite Ocean zn meinen Füßen lag; daß das Land auf welchem ich stand, und das in dem fernen Eap vor mir seinen Gipfel- 300 Die Reise ist beendigt, punlt erreichte, nur eine weit in dieses Meer vorspringende Spitze war, wie der Sicwero-Wostotschnoi-Noß der gegenüberliegenden sibirischen Küste; daß der kleine Eisrand, der die Küste umfaßte, im stetigen Zerfallen begriffen war, nnd innerhalb eines Monals das ganze Meer eben so frei von Eis sein werde, wie ich das Nord-Wasser der Baffins-Vai gesehen hatte, -^ nur dnrch ein bewegliches Packeis nnterbrochen, das iw» den Winden mid Meeres strömen hin nnd her getrieben wird. Weiter nach Norden vorzudringen war natürlich unmöglich. Die erwähnte Spalte, hätte uns an sich schon verhindert, das gegew nberliegende Land zu erreichen, nnd das Eis außerhalb der Vai war noch zerrütteter als innerhalb derselben. Mehrere offene Stellen befanden sich nahe am Ufer, und in einer derselben sah man einen Flng schwarzer dummen. Während nnseres Mar sches den Kennedy-Kanal hinauf, hatte ich an mehreren Punkten ihre Brnteplatze bemerkt, aber ich war nicht wenig erstaunt, die Vögel so früh im Jahre in dieser Gegend zn sehen. Mehrere Bnrgermeister-Möuen flogen über uns weg lind nahmen ihren Weg nach Norden, wo sie das offene Wasser zn ihren Fütterungsplätzen und ihrem Sommeraufenthalt snchten. Um diese Aufent^ Haltsorte der Vögel hernin giebt es nach den crsten Tagen des Juni niemals Eis. Meine Neise war jetzt beendigt, nnd ich hatte Nichts mehr zu thun, als meinen Weg nach Port Fonlkc zurück zu machen. Das Vorrücken der Jahreszeit, die Schnelligkeit, mil welcher das Thauwetter Platz griff, die Gewißheit, daß das offene Wasser sowohl uon Süden durch die Baffins-Bai als von Norden durch den Kennedy-Kanal in den Smith-Sund eindrang und dadurch meine Nückkehr nach der grönländischen Küste hinüber gefährdete, mahnte mich, daß ich lange genug geweilt hatte. Es blieb uns jetzt nnr noch übrig, zum Zeichen unserer Entdeckung unsere Flagge aufzupflanzen und zum Beweis unserer Anwesenheit einen Bericht niederzulegen. Die Flaggen *) wurden an *) Es waren einc kleine Unions-Flagge »die Bootsflagge), die bei der Süd» fee-Expedition des Capitän Wilkcs, von der Marine der Vereinigten Staaten, und später bei den Nordpol-Expeditionen des kommandirenden Lieutenants De Haven und Dr. Kane geführt worden war; einc tleine Unions Flagge, die Herrn Sonntag von den Damen der Nlbany-Atadcmie iiberreicht worden war; Yvei kleine Freimaurer-Flaggen, die mir anvertraut waren, - die eine v^n der ^oge Aufpflanzung der Flagge. 391 den Peitschenschlag gebunden und zwischen zwei Felsen gehängt, und während wir einen Stcinhügel l^niru) bauten, durften sie im Winde flattern-, dann riß ich ein Blatt aus meinem Noüz-buche uud schrieb folgende Worte daranf^ „Dieser Puutt, das nördlicl'stc ^alld, das je erreicht worden ist, wurde am l«. und l9, Mai I«61 von dein Unterzeichneten in Begleitung von George F. Knon' besucht, die mit einem Hnudcschlittcn reiften. Wir lamm hier an nach einem mühsamen Marsch von sechönndvicrzig Tagen aus meinem Winterhafen in der Mhe von Cap Alexander an der Mündung des Smith-Sundes. Nach mei-iien Beobachtungen befinden wir uns unter 8l" 35^ nö'wl. Breite und ?l^° 30' ivestl. Länge, Unser weiteres Vordringen wurde durch morsches Eis und Spalten gehemmt. Der KcnnedyÄaual scheint sich zu dein Polarbeckcn zu erweitern, und mit der Ueberzeugung, daß er wenigstens in den Monaten Juli, August und September schiffbar ist, gehe ich von hier nach meinem Winterhafen zurück, um nach dem Aufbruch des Eises in dicfcm Sommer einen zweiten Persuch zu machen, niit meinem Schiffe durch den Smilh-Sund zu kommen, I, I, Hayes, Den 19. Mai >8l>l." Dieser Bericht wnrde sorgfältig in einer Ncinen Glas-Phiole verwahrt und unter dem Stcinhügel niedergelegt; dann wandten wir die Augen heimwärts. Aber ich verließ den Ort mit Widerstreben. Er hatte für mich etwas Bezauberndes, und es waren keine gewöhnlichen Gefühle, mit denen ich meine ^age betrachtete, mit einem einsamen Gefährten in dieser uubetretcneu Wüste, während meiue Nähe au der Are der Erde, das Bewußtsein, daß ich auf eiuem ^ande stand, das weit jenseits der Grenzen früherer Beobachtung lag, die Betrachtungen, die meineu Geist in Betreff des großen Oceans durchkreuzten, der vor mir ausgebreitet war, der Gedaute, daß diefe eisumgürteten Gewässer vielleicht die Küsten ferner Inseln peitschten, wo menschliche Wesen von unbekannter Aaee wohnen, ganz geeignet wareu, selbst die Luft in Geheimmß zu hüllen, um die Neugierde zu fvauneu nnd deu Entschlnß zu Kaue, in New-Aort, die andere voll der Loge Columbia in Boston, ^ und die Signal'Flaggc unserer Expedition, die das EMditiou« Emblem, den Polar stern, — einen kcirmosinrothcn Stern in weißem Felde, — trug, cbcufaM eine Gabe von schöner Haud. Da ich durch ein heiliges Verspreche,« verbunden war, alle diese Flaggen an dem nördlichsten Puntt, den ich erreichte, zu entfalten, so war es eine angenehme Pflicht für mich, sie mit mir zu nehmen, — eine Pflicht, die dadurch, daß sie zusammen nickt drei Pfund wogen, nnr noch angenehmer wurde. 303 Betrachtungen und Gefühle. verstärken, auf diesem Meere zu fahren und sein? fernsten Grenzen zu erforschen; nnd als ich mich an die Anstrengungen erinnerte, die von einer großen Ncihc kühner Männer — durch das Eis und über das Eis — geinacht worden waren, dieses Meer zu erreichen, da schien es, als ob die Geister dieser alten Helden kämen, um mich zn ermnthigcn, wie ihre Erfahruug mich bereits geführt hatte; ich fühlte, das; ich „die große und wichtige Sache," welche dem hartnäckigen Frobrisher seinen Eifer eingeflößt, in meiner Gewalt, und daß ich die Hoffnung des unvergleichlichen Parry erfüllt hatte. Zweinnddrcikiyltes Kapitel. Das ofsenc PolarVtcer, Weite des Polarbeckeus, Grenzn dcs Polar« bcttcns. — Polarströine, - PolarEis. — Ter Nsgiirtel, Arttische Schiffe fahrt und Entdeckung ^ Die niMckcn Gcklittcnrcisen. - Wl angel's offenes Meer. ^ Parry's Boots^EMdition, -- I>. Kane's Entdeckungen, Aus. dehnnng des Suntli-Sundcs. — Allgcnieiilc Schlüsse aus meinen eigenen lHntdcckumM und dcnm nieiner Vorgänger geigen. lassen Sie lms hier einige Augenblicke innehalten, um einen kurzen Blick auf das Polarbeckeu zu werfen und zu einem richtigen Verständnis zu kommen, was mit dem so oft gebrauchten Ausdruck: „Offenes Polar-Mccr" gemeint ist. Die beigcgcbenc Karte uon der Umgebung des Nordpols wird den Leser in den Stand sehen, sich eiu bestimmteres Urtheil zu bilden, als er es nach der genauesten Beschreibung könnte. Gr wird bemerken, daß um den Nordpol der Erde herum eiu ausge-dchutes Meer, odcr richtiger eiu Ocean mit einem mittleren Durchmesser von mehr als zweitausend Meileu liegt. <5r wird bemer-lm, daß dieses Meer fast vollständig mit ^and umgebeu ist, und bah seine Ufer zum größten Theil geuau bestimmt sind, — nur die Nordfnsten von Grönland und Gnnuell-^and, die am weitesten in dasselbe hineinragen, sind noch unentschieden. Er wirb sehen, daß diese Ufer bis zn einem gewissen Grad gleich weit vom Pol entfernt und innerhalb der Ncgion des immerwährenden Frostes liegen. Er wird sich erinnern, daß sie überall von Menscheu derselben Race bewohnt sind, welchen der Voden keinen Lebensunterhalt liefert, die ausschließlich von Jagd und Fischerei leben und ihre Wohnorte entweder auf die Küste oder auf das Ufer der Flüsse beschränken, die nach Norden strömen. Er wird bemerken, 304 Grenzen des Polarbeckens. daß die lange Küstenlinie, die diesen arktischen Nomaden Wohnung giebt, an drei Hauvtstcllen unterbrochen ist, und daß durch diese Stellen die Gewässer des Polar-Meeres sich mit den Gewässern des atlantischen und stillen Oceans vermischen; — die drei Durchbrüche sind: die Bassins-Bai, die Vehrings-Straße und die breitere Ocffnung zwischen Grönland nud Nowaja-Semlja; und wenn er auf der Karte den Meeres-Strömen nachgeht und den Golfstrom verfolgt, wie er nach Norden fließt und das warme Wasser der Tropenzone durch das östlich von Spitzbergen liegende breite Thor führt und einen Gegenstrom von kaltem Wasser westlich von Spitzbergen und durch die Davis-Straße hinausdrängt, so wird er leicht, begreifen, warum bei dieser unaufhörlicheu Versetzung der Gewässer des Pols durch die Gewässer des Aequalors die große Hauptmasse der ersteren nie bis anf mehrere Grade uuter dein Gefrierpunkt durchkältet wird, und da das Polar-Meer, das fast eben so breit wie der atlantische Ocean zwischen Europa und Amerika, wahrscheinlich auch eben so tief ist, so wird der Leser einsehen, daß diese ungeheure Wassermasse die Temperatur der ganzen Gegend mit einer Wärme mäßigt, die größer als ihre natürliche ist, und daß der Allmächtige bei dem allweisen Walten seiner Macht dadurch dem Gefrieren derselben eine Schranke gesetzt hat; und hierin wird er ein zweites Zeichen von dem großen Naturgesetz des Kreislaufs finden, das, wie es der versengten Erde Wasser und der Luft Feuchtigkeit giebt, so auch die Temperatur der Zonen mäßigt, — iudem es die heiße mk einem Wasser-strom aus der kalten abkühlt und die kalte mit einem Strom aus der heißen erwärmt.^) ^) Die Temperatur der !l!nft am Nordpol hat in Verbindung mit dem Mn-fluß des Meeres und der Sonne der Speculation ein ergiebiges Thema geliefert. Ich. habe eine sehr lehrreiche Abhandlung über das Klima des Nordpols vor mir, die W. E. Hickson am 1<> April 1865 vor der königlichen geographischen Gesellschaft zu London las, und theile aus derselben folgeiche Stelle mit: „Man hat immer angenommen, daß die nmnittclbar an den Polen liegen« den Flächen die kältesten der Erde sein müssen, weil sie am weitesten vom Acqna-tor entfernt sind. Daher müßten die Schwierigkeiten und Gefahren der Schiff-fahrt desto größer werden, je höher die geographische Breite sei. Eine ganz ent° gegcngesetzte Ansicht fing jedoch an unter den Meleorologcn ;u herrschen, als Alexander von Humboldt 1«l7 sein System der Isothermen veröffentlichte und nachwies, daß die Cntfernnug vom Acquator tein Maßstab für die Kälte ist, da der Aequator keine Parallele der größten Hitze darstellt. Die Linie der größten PollwStröme. — Der Eisaültel. ^Ob Wenn der Leser dies im Gedächtniß behält, so wird er einsehen, daß nur das Nasser an der Oberfläche eine so niedrige Temperatur erreicht, daß es sich in Eis verwandelt, und wird auch einsehen, daß, wenn der Wind das Wasser an der Oberfläche in Vewegnng bringt, die Theilchen, die bei der Berührung mit der Luft durchkältet worden sind, sich heun Wälzen der Wogen mit dem unten befindlichen warmen Wasser vermischen, und daß daher Eis sich nur an geschützten Stellen oder da bilden kann, wo das Wasser einer Bai so seicht nnd die Strömung so schwach ist, daß es bis auf den (^ruud kalt wird, oder wo die Luft über dem Meere gleichmäßig still isi. Man wird sich jedoch erinnern, daß die Winde über dein Polar-Meere eben so wütheud blasen wie in jeder andern Gegend der Welt, uud wird daher leicht begreifen, daß das Polcir-Eis nur einen kleinen Theil des Polar-Wassers bedeckt, und daß es nur da vorhauden ist, wo es vom Lande ge^ hegt und geschützt wird. Es klammert sich an die Küsten Sibi^ riens an, springt von da über die Vchrings-Straße nach Amerika hinüber, umarmt das amerikanische Ufer, füllt die engen Kanäle aus, die das Polar-Wasser durch den Parry-Archipel in die Baf-fins-Bai führen, setzt von da nach Grönland, von Grönland nach Spitzbergen und von Spitzbergen nach Nowaja-Semlja hinüber, — und legt so um den Pol einen ununterbrocheuen landumschlingeu den Eisgürtel, der sowohl im Winter als im Sommer mehr oder weniger zerreißt, und die Bruchstücke, die stch immer hin und her bewegen, aber niemals weit von einander trennen, bilden eine Barriere, gegen welche alle Kunst und Kraft des Menschen bis jetzt nichts vermocht hak. Will der Leser die Untersuchung weiter verfolgen, so mag er den einen Schenkel eines Zirkels nahe am Nordpol (das heißt unter 86" nördlicher Breite und 160" westlicher Längc) auf die Karte sehen und einen Kreis beschreiben, der zweitausend Meilen Hitze durchkreuzt in Afrika dm Meridian von Greenwich fünfzehn Grad nördlich vom Aequator und steigt nach Ostcn noch fünf Grad höher, indem sie läng«? dein südlichen Rande der Wüste Sahara hinläuft. Im Jahre 1821 wies Sir David Vrewstcr in eincr Abhandlung über die mittlere Temperatur der Erde darauf hin, daß der Thermometer am Pole wahrscheinlich zehn Grad höher steige, als in manchen anderen Gegenden des nördlichen Polarkreises. Seitdem sind keine neuen Thatsachen entdeckt worden, um diesen Schluß umzustoßen, cs sind im Gegen-theil viele an's vicht gekommen, die zu seiner Bestätigung dienen," Haycs, Das osftnc PolavMecr. ^ 306 Schifffahrt durch dn« Eis. im Durchmesser hat, und er wird dabei den Nand des Landes und die mittlere Linie des Eisgürtels in seinem ganzen weiten Perlauf getroffen und eine Fläche von mehr als drei Millionen Quadratmeileu^) bedeckt haben. Obgleich dieser Eisgürtel nicht durchbrochen worden ist, so ist man doch an vielen Stellen in denselben eingedrungen und seinem südlichen Rande theils längs den (bewässern gefolgt, die in dei.' Nähe des Landes durch die ausströmenden Flüsse der arktischen Wasserscheiden von Asien uud Amerika gebildet werden, theils indem man sich durch das Gis arbeitete, das durch deu Sommer stets mehr oder weniger gelockert wird. Auf diese Weise haben verschiedene Seefahrer die nordwestliche Durchfahrt versucht, und endlich gelang es Sir Robert McElure, uachdem er von der Beh-rings-Straße bis nach Banks-Land der Küstenlinie gefolgt und dann durch das gebrochene Eis gedrungen war, diese Durchfahrt auszuführen, nach der man fo lange gejncht hat; — doch brachte auch er sein Schiff nicht vollständig durch, fondern mußte dreihundert Meilen weit über das Winter-Eis nach dem Welliugton-Kanal reisen, von wo er durch die Vaffins-Bai in einem Schisse nach Hause znrückkehrte, das von Osten gekommen war. Und auf dieselbe Weise gelangte Capitän EMnson, von Westen nach Osten fahrend, fast bis an die Stelle, wo Franklin, der von der entgegengesetzten Seite in das Gis eingedrnngen war, unterging. So haben auch die Russeu die sibirischeu Küsten erforscht, wo sie nur auf zwei unübersteigliche Hindernisse stießen, die der Schifffahrt aus dem atlantischen nach dem stillen Ocean entgegentraten, nämlich Cap Iakan, an welches das Eis stets herangezwängl wird und das Behring vergebens zu passiren versuchte, und Cap Siewero-Wostotschnoi, zu dessen Uebersteignng der tapfere junge Lieutenant Prondtschikoff fo heldenmüthige Anstrengungen machte; und durch dieselbe Schifffahrts-Methode strebte der Amsterdamer Lootse, der ernste alte Wilhelm Barentz, im Jahre 1598 auf nordöstlichem Wege eiue Durchfahrt nach Eathav zu finden. Die Versuche, den Gürtel zu durchbrechen, in der Erwartung um den Pol herum eisfreies Wasser zu finden, waren sehr zahlreich und wurden durch jede Oeffnnng gemacht, die aus den südlichen Gewässern nach dem Polar-Meer führt, Die Geschichte dieser *) ^nva l««,<). Kane beschreibt, gegen hundert Meilen nördlich und westlich von dem Punkte, von welchem eine seiner Gesellschaften anf die eis losen Gewässer hinausschaute. Meine eigene Ansicht über das, was ich sah, uud nber den Znstand jenes Meeres, das Wrangel anf der dem Pnnkle, wo ich stand, entgegengesetzten Seite offen fand, das Kane's Gesellschaft rechts von mir offen gefunden hatte, und das Parry's Reise oberhalb Spitzbergen als offen nachwies, mag man aus dem herleiten, was ich bereits kurz dargelegt habe, und mag hier noch kürzer abgeschlossen werden. Die Grenzen des Polarbeckens sind hinlänglich bestimmt, um uns in den Stand zu setzen, vou den unbekannten Knstenlinien Grönlands nnd Grinnell-Lanos, — den einzigen Theilen des weiten Umkreises, die noch unerforscht bleiben, — einen rationellen Ueberschlng zu machen. Der Verlanf der nördlichen Küstenlinie von Grönland wird annähernd durch ähnliche Beispiele aus der physischen Geographie bestimmt, und dieselben Beweise führen uns zu dem Schlüsse, daß Grinnell-Land sich nicht über die Grenze meiner Forschungen hinaus erstreckt. Ich halte dafür, wie Ingle-field schon vor mir that, daß der Smith-Sund sich zu dem Polar- Erweiterung des Smith-Sundes. 309 becken erweitert. Jenseits der engen Durchfahrt zwischen Cap Alexander und Cap Isabella breitet sich das Wasser stetig aus bis nach Cap Frazer hinauf, wo rs sich ganz plötzlich ausdehnt. Auf der grönländischen Seite streckt sich die Küste regelmäßig nach Osten, bis sie Cap Agassiz erreicht, wo sie unter den Gletscher taucht und sich der Beobachtung entzieht. Dieses ssap besteht aus Urgestein und ist das Ende eines Gebirgs-Ansläufers. Dasselbe Gestein sieht man längs der Küste an vielen Stellen, ist aber meist mit dem Niederschlag von Sand- und Grünstein bedeckt, der die hohen Klippen der Küstenlinie bildet, bis es etwa dreißig Meilen im Innern in einer Gebirgskette zu Tage streicht, über die ich im Jahre 1858 (mit Mr. Wilson) setzte, um hinter ihr das Uer äß Z-laoo eingeschlossen zu finden. Weiter nach Norden ist das Nor äe sslaos in's Polar-Meer herabgeströmt, hat, sich durch das Wasser fortschiebend, endlich Washington-Land erreicht nnd ist südwärts zum Smith-Sund angeschwollen. Daß die Vorderseite des Humboldt-Gletschers mehr uach Osten streicht, als Dr. Kane's Karte zeigt, habe ich schon nachgewiesen, und daß Washington-Land viel weiter in dieser Richtung liegt, habe ich genügende Gründe zu glaubeu. Nach Morton's Bericht ist anzunehmen, daß diese Insel nur eine Fortsetzung desselben Granitrückeus ist, der an Cap Agassiz plötzlich abbricht und an Cap Forbes, in einer mit dem grönländischen Gebirgszug vereinbaren Linie, wieder über dem Meere erscheint. Es ist daher wahrscheinlich, daß dieses Washington-Land in ferner Zeit in der Erweiterung des Smith-Sundes stand, auf allen Seiten von Wasser bespült; - was nach Osten lag, ist jetzt von dem großen Humboldt-Gletscher verdrängt; was nach Westen lag, führt jetzt den Namen Kennedy-Kanal. Bei der warmen Flnth des Golfstromes, der sich nordwärts ergießt nnd das Wasser des Polar-Meeres in einer Temperatur erhält, die über dem Gefrierpunkt steht, während die Winde, die unter dem arktischen Himmel eben so beständig wehen wie unter dem tropischen, und die Ebbe und Fluth der Oberfläche das Wasser immer in Bewegung erhalten, ist es, wie ich schon bemerkt habe, nicht möglich, daß auch uur ein beträchtlicher Theil dieses weiten Meeres zugefroren sein kann. An keinem. Punkte innerhalb des nördlichen Polarkreises hat mail einen Eisgürtel gefunden, der sich, sei es im Winter oder im Sommer, mehr als fünfzig bis hundert Meilen vom Lande erstreckte. Ja, selbst in den engen Kanälen, 310 Das osseiw Pol'ir Mcer. welche die Inseln des Parry^ Archipels von einander trennen, in der Bassins-Bai, in dein Nord-Wasser und der Mündung des Smith-Sundes, — in der That überall innerhalb des breiten Raumes der kalten Zone gefriert das Wasser nicht, anßer wenn es durch das Land geschützt ist, oder wenn Packeis, das durch lange aus einer Richtung wehende Winde angehäuft wurde, denselben Schuh gewährt. Daß das Meer sich nicht schließt, außer wenn es ruhig ist, hatte ich während des letzten Winters reichliche Gelegenheit kennen zu lernen; denn wie diese Ncisebeschreibung häufig erwähnt, konnte ich zu allen Zeiten, selbst wenn die Temperatur der Luft unter dem Gefrierpunkt des Quecksilbers war, vom Verdeck des Schooners aus das Brausen des Wellenschlags hören. Es würde unnöthig sein, den ^escr mit den Schlüssen anf-zuhalten, die sich ans dem Zustande des Meeres ziehen lassen, wie ich ihn an dem Puukle beobachtete, von welchem das letzte Kapitel uns die Rückkehr antreten ließ, da die Thatsachen für sich selbst sprechen. Doch wird es nicht am unrechten Orte sein, zu bemerken, daß Jeder, dessen Auge je auf dein arktischen Eise ruhte oder den Wechsel der arktischen Jahreszeiten sah, anerkannt hat, daß das offene Wasser, sowie der Sommer vorrückt, in sehr kurzer Zeit stetig südwärts durch deu Kennedy-Kanal in den Smith.Sund eindringt. DreiunddreWgstes Kapitel. Am Bord deß Schooners. - Uebersicht der Reise, — Die Rückkehr den Kennedy' Kanal hinab. — Ein harter Marsch in cimm Schnecsturm. Morsches Eis, Wirkungen eines Sturmes, — Rückfahrt durch die Eishöäer. — Die Hunde werden matt, - An der Cairn-Sftitzc alls einer Flarde treibend. ^ Das offene Wasser zwingt uns, nnsere Zuflucht zum Lande zu nehmen. — Wir erreichen den Schooner. — Ich entwerfe eine Karte. — Der neue Snud, — Meine nördlichen Entdeckungen. Port Fonllr, den 8. Juni. Nieder zurück an Bord des Schooners nach zweimonatlichem Placken und Reisen anf dem Eise. Seitdem ich am 3. April sein Verdeck verließ, habe ich nicht weniger als 1800 Meilen nnd seit dem ersten Anfbrnch im März nicht weniger als 1L00 Meilen zurückgelegt. Ich bin etwas zerschlagen nnd vom Wetter mitgenommen, aber etwa ein Tag Nnhe und civilisirte Behaglichkeit, der ^nxuZ des Waschens, eines Bettes, und eines mit reinlichem Steingnt, das mit dein Besten gefüllt ist, was mein alter schwedischer Koch liefern kann, bedeckten Tisches wirken wunderbar verjüngend, ^ sind so mächtig, wie Hebc'Z Berührung für den kriegerschöpfteu Iolaos. Im Schooner scheint es gut gegangen zn sein. Radcliffe hat mir seinen Bericht gegeben, nnd er ist befriedigend. McCormick hat mir eine ansführliche beschichte dessen überreicht, was sich zugetragen hat, seitdem er mich in den Eishöckern verließ; aber ich enthalte mich jetzt der Mittheilung derselben, bis ich einige der Hllupluorfätle meiner Reise niedergeschrieben habe, während sie mir noch frisch im Gedächtniß sind. Außerdem sagt mir McCormick, er sei nicht im Stande, den Schooner auszubessern, daß er eis- 312 Uebersicht dcr Noise. fest werbe, und da ich nicht Willens bin, diesen Beschluß anzunehmen ohne eine nähere Untersuchung, als ich bis jetzt habe vornehmen können, so werde ich die Sache vor der Hand nicht weiter berühren. Um es offen zu gestehen, die letzten Tage der Heimreise brachten uns Me ziemlich ganz herunter, und obgleich die eingeschlossene Luft meiner Kajüte nach so langein Aufenthalt im Freien für mich drückend ist, so ermähnt mich doch der Doctor (der mein Doppelgänger ist), etwa einen Tag auf diesem Ruhesitz zu bleiben. Das Schreiben ist mir jedoch nicht verboten. Ich bin mit der vollen Ueberzeugung zurückgekehrt, daß der Kennedy-Kanal schiffbar ist, und es bleibt nur noch zu beweisen übrig, ob der Smith-Sund sich hinreichend öffnen wird, um eine Durchfahrt zu gestatten. Mit Dampf würde ich es ohne allen Zweifel erzwingen können; mit Segeln ist der Versuch natürlich sehr unsicher, nnd doch, glaube ich, sind die Aussichten für mich günstig. Ich bin fest überzeugt, daß jedeu Sommer von Cap Frazer an ein Weg nach dem Pole offen ist, — ein Neg, der sicherlich von Eis nicht ganz unuersperrt, aber doch wenigstens für Dampf« schifffahrt frei genng ist; und wenn ich bis an diesen Punkt durchdringen kann, dann werde ich meine Wünsche in vollem Maaße erreicht haben. Dies ist in der That dic eigentliche Schwierigkeit. Meine Ansichten von der ganzen Sache werde ich hier an Ort und Stelle von Tag zu Tag niederschreiben, sowie sich Gelegenheit bietet, Morgen hoffe ich mich von den Strapazen der Reise wieder hinlänglich erholt zu haben, nm das Ordnen meiner Materialien und den Entwurf meiner Karte, zu beginnen. Und jetzt habe ich hier das Glück, mit dankerfülltem Herzen gegen jenes große Wesen, ohne dessen Willen kein Sperling auf die Erde fällt, mitzutheilen, daß es in diesen zwei Monaten einer gefahrvollen Reise mich und jedes Mitglied meiner Gesellschaft vor ernstem Unfall und dauerndem Schaden bewahrt hat. Den 4, Juni. Ich habe einige meiner Beobachtungen verarbeitet und in der Küsteulinie meiner Bahnkarte roh skizzirt. Letztere giebt ein respectables Bild von uuserer Sommer Schlittenfahrt. Seit der Mitte dcs März habe ich, die Küste von Washington-Land ausgenommen, das ganze Gebiet durchreist, über welches Dr. Kane's verschiedene Dk Rückreise. 313 Neiseabtheilungm gegangen sind, und habe die früheren Untersuchungen beträchtlich nach Norden und Westen erweitert. Aber die wichtigen Beiträge, die ich zur geographischen Kenntniß der Gegend zu liefern im Stande war, sind meines Erachtens nur von untergeordnetem Interesse; die Hauptsache ist, daß meine Neise die Möglichkeit dieses Weges zum Polarbeckcn nachgewiesen hat. Meine Rückreise von den Ufern des Polar-Meeres nach Süden ist in meinem Feld-Tagebuche nicht verzeichnet. Nachdem wir nn-sere Augen heimwärts gewendet, habe ich nichts mehr eingetragen. Das von Wasser durchweichte und überhaupt zerstört aussehende Buch, das jetzt auf dem Tische offen vor mir liegt, bricht folgendermaßen ab! „Wir haben auf der uuter dem Winde liegenden Seite einer ungeheuren Eisklippe Halt gemacht und suchen Schuh vor einem wüthenden Stnrme, der uns bald nach unserm Anfbrnch nach Süden überfiel. Wir haben etwa zehn Meilen gemacht und haben noch vierzig bis fünfzig zu machen, ehe wir Jensen erreichen. Wir haben den Hunden unsere letzte Nahrung gegeben. Es schneit und bläst fürchterlich." Den nächsten Tag hindurch dauerte der Sturm mit nuver^ minderter ftewalt fort, und als der Wind an den hohen Klippen hin henlte und pfiff und den Schnee vor sich hertricb, glaubte ich, daß ich kaum je etwas Schauderhafteres gesehen oder gehört Hütte, Nicht im Stande, die Kälte unseres mangelhaften Obdachs auszuhalten seine Schneehütte herzustellen hatten wir keine Mittel), drangen mir vorwärts; zu dem Erklettern der Felsen nnd Eis-massen, die, während wir nach Norden gingen, unsern Fortschritt überall n'uchr oder weniger gehemmt hatten, kamen noch tiefe Windwehen, durch die wir waten muhten. Sie waren oft so tief, daß die Hunde Mühe hatten, hindurchzukommen, uud sie mußten ihre ganze Kraft aufbieten, um den jetzt ganz leeren Schlitten zu ziehen. Mit der Zeit wurden sie so erschöpft, daß wir sie nur mit der größten Schwierigkeit vorwärts bringen konnten. Die armen Thiere fielen den Augenblick, wo die Peitsche ruhte, in ihren Fährten nieder, Ich hatte sie noch nie so matt gesehen. Halt zu machen konnte wenig nützen, denn Nuhe ohne Futter that eher Schaden als gut, uud da wir kein Obdach hatten und mit dem Artikel Nahrung ebenso schlimm daran waren wie die Hunde, so blieb uns Nichts weiter übrig, als auszuharren und 314 Ein letzte Ms. Jensen's Lager zu erreichen, oder im Sturme umzukommen. Zum Glück hatten wir den Wind im Rücken. Wir blieben bei unserm sich durch den tobenden Schnee windenden Wege und gelaugten endlich an die Nordseite der Bai ober halb Jensen's Lager; da sollte erst der schwerste. Theil der Reise kommen, Die Tour über jene Vai kehrt seht in mein Gedächtniß znrück wie die dunkle Erinnerung an einen garstigen Traum, Zch kann mich kaum noch besinnen, wie wir durchkamen. Ich erinnere mich nur eines endlosen PrügeluZ der Hunde, die sich bei jedem Schritt niederlegen wollten, des unaufhörlichen Wateus, des ewigen Knirschens der müden Füße, die durch die alte Schneetruste bra-chen, des mühsamen Kletterns über Eishöcker, des Schiebens und Hebens des Schlittens, — und besinne mich endlich noch, wie ich durch den blendenden Schnee das Land erblickte und das Bellen von Jensen's Hunden hörte, uud wie ich dann deu Fuß des Eises hinauf nach seiner Schneehütte kroch. Diese ganzen letzten Stunden hindurch fühlten wir ein Verlangen, Halt zu machen und zu schlafen; zum Glück verloren wir das Bewußtsein der befahren nicht, welche dies für uns hatte. Ohne zu warten, bis sie gefüttert wurden, fielen die Hunde den Augenblick, wo sie sich selbst überlassen wnroen, nm und legten sich auf den Schnee. Wir schleppten uns in die Hütte hinein, die McDonald zum Schutz für seinen kranken Geführten hergestellt hatte, und fielen in einen tiefen, tiefen Schlaf. Jensen merkte die Zeit an. Wir waren, seitdem wir nnser Obdach unter der Eisklippe «erließen, zweiundzwauzig Stunden unterwegs. Als wir erwachten, hatte sich der Sturm gänzlich gelegt und die Sonne schien glänzend. McDonald hatte die Huude besorgt und für uns schon einen Topf heißen Kaffee und ein reichliches Frühstück zurecht gemacht, auf dessen vollkommene Würdigling uns ein vierunddreißigstündiges Fasten vorbereitet hatte. Dadurch erfrischt, erstieg ich die Hügelwand, um uoch einen letzten Blick ans das Meer zu werfen, das wir soeben verlassen wollten. Der Sturm hatte eiuigeu Eiufluß auf dasselbe gehabt. Der dunkle Wasser-Himmel nach Nordosten war nns die Küste herab gefolgt, der Wind hatte auf die offenen Stellen im Eise gewirkt, und die tlei nen Wellen halten die Ränder des letzteru abgenagt und die erstern bedeutend vergrößert, während viele der alten Flarden endlich dem ungeheuren Drnct des Windes nachgegeben, sich in ihren Winter- Das Küsteneis. 345 ankern in Bewegung gesetzt und das morsche Eis um sie herum zerrissen hatten. Mehrere Spalten hatten sich fast bis an's Ufer geöffnet, und das „Charnier" des Eisfußes war sehr abgesprungen. Jensen war besser, konnte aber noch immer nur mit vieler Mühe und Schmerz gehen. Wenn er jedoch auf dem Schlitten säße, glaubte er seine Hunde treiben zn können. Ich gab daher Knorr nnsere ganze Fracht. Diese Fracht hatte sich jetzt bedeutend vermindert und bestand nur noch aus unsern Büffelfellen, einer Vnchse, meinen Instrnmenten und einigen gesammelten geologischen Gegenständen, Unsere Nahrung war bis auf's letzte Pfund verzehrt, und wir mußten daher, wenn wir nicht unser 'nächstes l'och erreichten, wo wir, falls die Bären es nicht enldeckt, eine einzige Mahlzeit unter eincm Haufen Steine ucrgraben hatten, ohne Abendessen gehen. Den 5, Juni. Ich fahre in meiner Erzählung fort. Der Marsch nach dem Loche war sehr langweilig, aber wir hielten ihn für gemächlich, beendigten ihn in sechszehn Stunden und fanden unfer Essen unangetastet. Da wir wiederholt Halt machen mußten, um die Hunde ruhen zu lassen, so hatte ich reich liche Mufte, zwischen den Kalksteintlippen nach weiteren fossilen Ueberresten zu suchen, und nieine Bemühungen wurden mit einer werthvollen Sammlung belohnt. Es ist vielleicht zn viel gesagt, wenn ich nach einer eiligen Untersuchung behaupte, daß die Fossi-lien der silurischen Zeit angehören; aber ich halte es für mehr als wahrscheinlich. Auch hatte ich Gelegenheit, einige der Eismassen zu messen, die auf die Küste getrieben worden waren. An vielen Stellen waren diese Massen zusammengehäuft nnd bildeten eine fast nn-übersteigliche Barrwre. An anderen Stellen war der Fuh des Eises durchgerissen und all einem Orte eine sechzig Fuß dicke und hundertuudzwanzig Fuß lange und breite Platte, auf das ab. schüssige Ufer gedrängt worden, wobei sie die losen Felsentrnmmer, die am Fnße der Klippen lagen, in die Höhe schob; als die Masse Packeis, welche die Störung verursacht hatte, hinweggetriebcn war, blieb dieses Stück mit seiner untern Kante über der Fluth liegen. Nings um dasselbe waren uoch andere Mafseu aufgestapelt, und um vorbeizukommen, mußlen wir weit an der Bergwand hinaufklettern. 346 Wn sehen Grönland. Unsere nächste Tagereise war noch schwieriger, da wir unterhalb Cap Frazer in tiefe Schneewehen verwickelt wurden und wegen der morschen Beschaffenheit des Eises, das die Küste einfaßte, nnZ nicht auf die Eisfelder flüchten tonnten. Wir versuchten es zweimal nnd hätten das Experiment beinahe theuer bezahlt. Das eine Mal gerieth ein ganzes Gespann in'Z'Wasser und wurde mit Mühe wieder herausgezogen, und beim zweiten Male rettete ich mich, während ich, wie gewöhnlich, den Führer machte, vor einem kalten Bade mit meiner Eisstange, die durch das morsche Eis sank, aus den Augen verschwand und mich dadurch rechtzeitig warnte; so begaben wir uns denn wieder zum Land-Eis zurück, das sicherer war. In der Bai unterhalb Cap Napoleon fanden wir am folgenden Tage sicheren Grund für die ^üf;e und erreichten Cap Hawks ohne Schwierigkeit in noch zwei Märschen. Von da zogen wir weiter, um unserer alten Vahn durch die Gishöcker zu folgen. Da die Schlitten jetzt leicht waren und Jensen sich so weit gebessert hatte, daß er gehen konnte, so kamcn wir weniger in Verlegenheit als auf der Hinreise; aber die Hnnde waren jetzt in einem ganz andern Zustande, und die Leichtigkeit der Last machte die Eishöcker nicht eben und die steilen Stellen nicht weniger steil, auch das Eis nicht weniger scharf und die Schneekrusten nicht weniger verratherisch. Die Arbeit war im höchsten Grade ermüdend und erschöpfend, — eiu harter Kampf, der die Lebenskraft der Menschen in gleicher Weise wie die der Hnnde zerstörte. Es war einiger Schnee gefallen, aber zum Glück hatte der Wind ihn au vielen Stellen von unseren Bahnen hinweggetrieben, und wir fanden den Weg zu den kleinen Löchern, wo wir auf der Reise nach Norden Proviant zurückgelassen hatten, und glücklicherweise waren sie alle bis auf ein einziges der Witterung der Bären ent-gangen; da wir aber am ersten Tage von Cap Hawks aus einen guten Marsch gemacht hatten, so luden wir das erste Depot, an das wir kamen, auf und erhielten dadurch die Nahrung für einen Tag, — ein Muck, auf das wir nicht gerechnet hatten. Endlich stieg vor uns die Küste von Grönland auf; sie stieg vou Tag zu Tag stetig, "nd wir saheu auch die Cairn-Spitze; aber einige Zeit vorher wurden wir durch den dunklen Wasserhimmel, der vor uns lag, an das schnelle Vorrücken der Jahreszeit gemahnt, denn er zeigte, daß das offene Wasser sich bis zu Auf einem Eisfloß treibend. 317 der Spitze hinauf erstreckte, nach der wir unsern Weg richteten. Auf der Nordseite derselben schien jedoch das Eis fest zn sein. In der Meinung, daß wir in dieser Richtung das Land erreichen könnten, drangen wir vorwärts, suchten nns einen Weg über das rauhe und dickere Eis, und vermieden das jüngere, das überall porös und danil nnd wann vollständig zerstört war. Endlich kamen wir, etwa noch eine Meile vom Lande, auf einen Riß, der sich nicht mehr als einen Fuß weit geöffnet hatte. Wir setzten über denselben nnd hielten uns direct nach der Spitze hin, aber unglücklicherweise blies der Wind stark den Sund herab, und als wir nns dem Lande näherten, fanden wir, daß das Wasser zwischen das Eis und Ufer eingedrungen war, nnd mußten die Küste hin-anf fahren. Zu unserm Entsetzen und Schrecken entdeckten wir jetzt, daß der Niß, über den wir gesetzt waren, sich wenigstens sechzig Fuß geöffnet hatte, nnd daß wir aus einem Eisfloß in offenem Meere trieben, ohne uns helfen zu können. Die Bewegung des Eises war langsam. Nachdem wir unent-schlosfen, welchen Weg wir verfolgen sollten, kurze Zeit gewartet hatten, bemerkten wir, daß das äußere Ende der abgetrennten Flarde sich bewegte, während die innere Kante fast still stand; dies rührte von einem kleinen Eisberge her, der auf dem Grunde saß und an die Flarde selbst befestigt war, so daß er eine Angel bildete, um welche wir uns drehten. Wenn dieser Berg aushielt, so mußte die Flarde offenbar an's Land stoßen; wir begaben uns daher näher an ihren Rand. Was wir so sehnlich gewünscht hatten, geschah jetzt. Als der Zusammenstoß eintrat, stürzten wir vorwärts und ermöglichten es auf das Land-Eis zu kommen. Die Fluth, die gerade am höchsten war, erleichterte das Unternehmen. Die Berührung dauerte nicht lange. Die morfche Kante der Flarde brach von dem kleinen Eisberge, der uns diesen höchst glücklichen Beistand geleistet hatte, los, und wir waren nicht betrübt darüber, daß wir das Eisfloß ohne uns fortschwimmen sahen. Jetzt waren die Hunde matter geworden. Während der Reise nach Norden hatten sie vortrefflich ausgeharrt, aber das kärgliche Futter, das wir für die Rückreise hinterlassen hatten, reichte nicht hm, sie bei Kräften zu erhalten, zumal da fie eine Zeit lang auch noch Jensen's Gewicht zu ziehen hatten, Mit einem von ihnen wurde es vollständig aus; er starb während der ersten Tage- 318 Wir flüchten uns auf's Land. reise in den Eishöckern in einer Ohnmacht; bald darauf folgten zwei andere, und noch einer wurde erschossen, da er weder im Stande war zu ziehen, noch nachzulaufen. Zu meinem großen Erstaunen flogen, sobald die Kugel ihn getroffen hatte, die ihn nur leicht verwundete und ihn veranlaßte, ein schreckliches Gebell zu beginnen, seine Kameraden im Gespann auf ihn und zerissen ihn in einem Augenblick in Stücke, nnd diejenigen, welche so glücklich waren, ein Stück von ihm zn bekommen, rissen das Fleisch von den Knochen, fast ehe das Echo seines letzten Geheuls in der Einöde verhallt war. Das Meer unterhalb der Eairn-Spitze war mit losem Eis angefüllt, das ein ganz kürzlicher Sturm gebrochen nnd den Wellen preisgegeben hatte. Indem wir aus dem Land-Eis blieben, ermöglichten wir es, uns die Küste hinab einen Weg zu bahnen, und kamen um Cap Hatherton herum; aber unterhalb desselben war llnch der Fuß des Eises fort, nnd wir mußten nns auf das Land flüchten. Mit unseren Schlitten über die Berge zn fahren, war natürlich unmöglich; wir waren daher gezwungen, sie im Stiche zu lassen, bis wir in einem Boote heraufkommen nnd sie holen konnten. Die Landreise war sehr langweilig und mühsam, denn wir waren bereits erschöpft und an den Füßen wnnd; aber wir kamen noch besser fort als die Hunde. Die meisten derselben schlichen sich weg, sobald sie von den Schlitten losgelassen waren, und wollten nicht mit uus gehen, nnd als wir nach ihnen snchten, tonnten wir sie nicht finden. Ich war nicht besorgt nm sie, da ich annahm, daß sie blos Ruhe bedürften und unserer Spnr bis zum Schiffe nachgehen würden, Nur drei blieben bei uns. Der eine ist das edle alle Thier Usisoak; der zweite ist die brave Königin Arkadik, und der dritte Nenuk, der schönste von Kalulnnah's Hunden. Drei andere haben sich seitdem cingefnnden; aber vier fehlen noch. Ich habe hinausgeschickt, um sie zu suchen, aber ohne Erfolg. Ich fürchte sehr, daß sie nicht die Krasl mehr haben, sich bis znm Schiff zu schleppen. So ist denn meine Ncise beendigt. Wenn sie ihre Widerwärtigkeiten hatte, so hatte sie anch ihre Triumphe nnd Erfolge. Es war ein Unglück, daß ich das Boot nebst einem gucen Proviantvorrath nicht über den Sund bringen konnte; da aber dies mißlang, so war das Mißlingen der Gesellschaft zn Fnßc von ge- Ein neuer Sund, 319 ringer Bedeutung. Kein Beistand hätte mit Schlitten allem mir weiter nach Norden helfen oder, wenn ich weiter gekommen wäre, mich ie wieder zurückbringe» können. Den tt. Juni. Ich bin mit dem Entwurf meiner Karte fertig und finde, wie ich schon zu bemerken (Gelegenheit hatte, daß die Küstenlinie von Cap Sabine bis Cap Fmzer sich etwas anders darstellt, als sie nach meiner Reise im Zähre 1,854 angegeben ist, dir unter den Beschwerden einer theilweisen Schneeblindheit und einer dunstigen Atmosphäre gemacht wurde. Der wichtigste Pnnkt bei jener allen Aufnahme der Küste ist die Thatsache, daß der Sund, der sich vom Smith-Sund oberhalb Cap Sabine ans nach Westen öffnet, früher meiner Veobachtnng entging. Daß dieser Sund vorhanden ist, bestätigte sich während meiner Rückreise vollkommen, und meine Materialien, die jetzt geordnet uud zu Papier gebracht sind, geben mir die richtige Gestalt der Küste, Der Sund ist elwas breiter als der Smith-Snnd, verschmälert sich jedoch stetig von einem breiten Eingänge aus, einigermaßeu dem Whale-Sund ähnlich. Ob er sich, parallel mit dem Jones- und Lancaster-Sund, nach Westen fortsetzt und das ClleZmere-Land Inglefield's von dem C^rinnell^ande meiner früheren Reife trennt, bleibt natürlich noch zu beweisen; daß dies aber der ^all ist, daran zweifle ich nicht. Ich gebe diesem Snnde den Namen meines Schisses (United States), Das erste hervorragende Cap, das sich alls seiner Süd seite zeigt, nenne ich Cap Seward und den entlegensten Punkt von sichtbaren! ^and jenseits desselben Cap Viele. Die drei letzten hervorragenden Caps auf der Nordfeite nenne ich folgendermaßen -das westlichste Cap Bater, das nächste Cap Sawyer und das dritte Cap Stetson, ^ie dem Anschein nach tiefen Einschnitte der Küste, die zwischen diesen kühnen Vorländern liegen, werden als Ion-Bai und Peabodu-Bai bezeichnet. Die zwei grohen Inseln in der Mündung des Sundes habe ich als Bache-Insel und Henry-Iufel unterschieden. Oestlich von Cap Stetson habe ich solche Name» angewandt, die mir zurUnterscheiduug der hervorrageuden Landmarken geeignet schienen; es ist jedoch unnöthig, sie hier zu erwähnen, da man sie auf der Karte findet. Bei denjenigen Thei len der Küste, welche Dr. Kane nach meiner alten Aufnahme entwarf, habe ich mich bemüht, mich so weit als möglich an seine 330 Benennung. Benennung zu halten, und für solch? Punkte dor Ufer des Kennedy-Kanals, die Morton allein sah, habe ich meistentheils einfach Dr. Kane's Namen gebraucht, ohne in Betreff ihrer entsprechenden Stellen auf den beiden Karten eine genaue Untersuchung anzustellen. Ich halte dieses Verfahren überhaupt für besser als jenes etwas verwirrende System, das den Capitän Inglefield um die Vortheile seiner Untersuchung des Smith-Sundes brachte. Außerdem habe ich das Vergnügen, mich I),-. Kane darin menschlichen, daß ich so vielen ausgezeichneten Männern der Nissenschaft, todten und lebenden, die gebührende Achtung erweise, und keinem unter ihnen mit größerer Freude als Mons, de la Roqnette, dem Vice-Präsidenten der geographischen Gesellschaft in Paris, Sir Roderick Murchison, dem Präsidenten der königlichen geographischen Gesellschaft in London, und I)r. Norton Shaw, seinem Secretär. Auch darin bin ich Or. Kane gefolgt, daß ich die Küstenkette, die einen so hervorragenden Zug von Grinnell-Land bildet, als Victoria-und Albert-Gebirge bezeichne. Den nördlichsten Punkt, den ich erreichte, habe ich Cap Lieber genannt, eine bcmerkenswcrthe Bergspitze, die sich über das Cap erhebt, Church's Monument, und die Bai, die unterhalb desselben liegt, hat ihren Namen zur achtungsvollen Erinnerung an Lady Franklin erhalten. Das ansehnliche Vorland, das ich am letzten Tage meiner Reise nach Norden vergeblich zn erreichen versuchte, habe ich Cap Eugenie genannt und glaube dadurch an den Tag zu legen, wie hoch ich die vielen Beweise der Begünstigung dieser Expedition und des Wohlwollens gegen mich selbst, die ich französischen Bürgern verdanke, würdige, indem ich an ihre Kaiserin erinnere. Ein zweites hervorragendes Vorland, das sich jenseits desselben zeigte, bezeichne ich zu Ehren des Königs von Dänemark, dessen Unterthanen in Grönland ich für so viele dienstfertige Aufmerksamkeiten verpflichtet bin, als Cap Frederick VII. Und dem stolzen Vorlandc, das sich in mattem Umriß von dein dunklen Himmel des offenen Meeres abhob, - dem nördlichsten bekannten Lande auf dem Erdball, — gebe ich zur Eriunernng an einen Vertrag, der einem Volte Gedeihen brachte und eine Nation gründete, den Namen Cap Union. In der Benennung der Bai, die zwischen Cap Union und Cap Frederick VII. liegt, möchte ich meine Bewunderung für Admiral Wrangel aussprechen, dein an Nuhm für arktische Entdeckung nur Sir Edward Parry gleichkommt. Und Washington-Land. 321 dm hoheu Gipfel, der hinter Cap Eugenia hervor das Polar-Mecr überblickt, neinic ich Parry'Verg. Mit diesem großen Forscher will ich nun die Ehre der weitesten Neise nach Norden theilen; denn wenn er die britische flagge ans dein Meere näher an den Nordpot getragen hat, als bis dahin irgend eine Flagge ge^ tragen worden war, so habe ich die amerikanische Flagge weiter im Norden auf das Land gepflanzt, als zuvor eine Flagge gepflanzt worden ist. Die Bai zwischen Cap Frederick VII. nnd Cap Engenie benenne ich zu Ehren des ausgezeichneten Geographen I)i/. Angnst Petermann, nnd zwei große Baien weiter die Küste hinab mögen an Carl Ritter und William Scorsby erinnern. Beim Entwerfen meiner Aufuahme bin ich mit dem Washington-Lande, wie es anf Dr. Kaue's Karte erscheint, cm wenig in Verlegenheit gekommen, und ich fühle mich stark versucht, es zwau-zig Meileu nach Osten fortzuschiebcu; denu es ist nicht möglich, daß der Kennedy.^anal weniger als fünfzig Meilen breit sein kann, und da ich glaube, daß der Smith-Sund sich zum Polarbeckcn erweitert, so muß ich Washington-Land blos als eine Iusel iu seiuem Mittelpunkt betrachten, — indem der Kennedy-Kanal zwischen ihm uud Grillnell-Land im Westen liegt nnd der Hninboldt-Gletscher das ansfüllt Ž was einst ein Kanal anf der rechten Seite war. Haycv, D>i<5 ossmc ^ >n M>'c>'. ^l tNmmddrcilngstcs Kapitel. Besichtigung des Schooners. — Methode der Ausbcsferunc,, - Der Schaden ist bedeutend. — Der Schooner zu jedem weiteren Zusammenstoß mit Vis untauglich, — Prüfung ineiucr Hülfsmittel, Pläuc für die Zulunft, Die im vorigen 5kapitel mitgetheilten Auszüge aus meiuem Tagebuch werden genügt haben, dem Veser ein Verständnis; nieiuer Frühlings- und Sonnuer-Schlitteufahrt zu gcbeu, und er ivird bemerkt haben, daß ich sic so betrachtete, als hätleu sk> cinon richtigen <^lnnd fnr tünstigc ^orschliiiss gelogt. Mit dein Charakter des Mses ini Smilh-Sund luar ich vcrlranlcr geworden, und die genane Bestimmnng der Küstculinicn sehte nnch in den Ctaud, den Einfluß der Bewegung despises i>n Soninler leichler zu berechnen, während der morsche Zustand desselben im Kennedy-Kanal, selbst m einer so frühen Zeit des Zahres, wie der Mai ist, und das Vorhandensein offenen Wassers jenseits desselben mir leinen Zweifel lieft, daß man unter mäßig günstigen Verhältnissen der Jahreszeit ein Fahrzeug durchbringeu töuuc. Mau wird daher gemerkt haben, daß meine künftige Handlungsweise von dem Zustande des Schooners abhing. Obgleich ich Mr. McCormick'Z Bericht über den Schaden, den das Fahrzcng erlitten hatte, nur im Vorbeigehen berührte, so wird der Vcser doch aus meinem Tagebuch entnommen haben, das; es mir viel Sorge machte. Nach meiner Rückkehr von der Neise war ich zu zerstört, um gleich iu den ersteu Tagru jene vollständige und genane Besichtigung vorzunehmen, die nöthig war, um mir ein richtiges Urlheil zn bilden. Zch tröstete mich jedoch einigermaßen Besichtigung des Schooners. ^2.'5 über den Verzug damit, daft ich die Nothwendigkeit crkanute, was auf meiner Nückreise vorgefallen war, niederzuschreiben, während ich es noch frisch im Gedächtniß hatte, nnd ans meiner Karte die Beobachtungen und geographischen Entdeckungen zu verzeichnen, die ich gemacht hatte. Als dies gethan uud meine Kräfte hinlänglich wiederhergestellt waren, nm mich zu rechtfertigen, wenn ich meine Kajüte verließ, nahm ich eine sorgfältige Untersuchung des Schooners nnd der Mittel und Wege vor, die mau zu seiner Ausbessernng angewandt hatte. Diese Mittel waren durchaus uuverwerflich und machten Mr. Messormick, sowie auch den, Steuermann Mr. Dodge, der ihm eifrigen Beistand geleistet, viel Ehre. MeCormick hatte damit begonnen, das; er von den Bugen bis zum Kiel hinunter das Eis abgrub uud dadurch den gauzcu vor^ deren Theil des Schiffes so vollständig bloßlegtc, als ob er in einer trockenen Docke läge. Der Schaden war noch größer gewesen, als wir geahnt hatten, und es war merkwürdig, daß die vorderen Planken und Innenhölzer sich uicht so weit geöffnet hatten, daß sie das Wasser in Strömen dnrchließen und wir sofort versanken. Die in den Vorsteven eingelassenen Köpfe der Planken waren alle herausgespruugcu; die äußere Plankcnbrklcidung war los und klaffte; die eiserne Spikcrhaut des Schaftes uud der Bnge war zerrisseu und zusammengeringelt, als wären es fichteue Hobelspäne; der Vorsteven war abgesprungen, und der Schaft selbst war vollständig weggerissen. Durch sehr bedeutende Anstrengung und die Benutzung von Bolzen und Spikern, — dnrch Ersetznug des weggerissenen Schaf-les, sorgfältiges Kalfatern und Ernenernng der Cisenplattcn, — war, wie es schien, der Schooner seefest geworden; aber ich mußte meinem Kapitän beistimmen, daß er, wenn er wieder in's <3is genet!), sicher versank. Das Hintertheil des Schooners war anf dieselbe Weise in eine trockene Docke gebracht worden wie die Buge, und es fand sich, daß die starke Vcrstanchnng, die er auf der Höhe der Littleton Insel bekam, den Hintersteren abgesprengt hatte, an welchem das Steuerruder häugt; das Steuerruder selbst war abgedreht und die Nuderhakcii cntzweigcschnivvt worden, als ob sie von Pfeifenlhon wären. Dieses Unglück mit dem Steuerruder war ganz unvermeidlich gewesen, denn wir befanden uns in dem Augenblick, wo 324 Meine Hülfsmittel. es eintrat, in einer solchen Lage, daß wir die Vortheile,, durch die es sich mit Leichtigkeit losmachen lies;, nicht benutzen tonnten. Es war McEormick gelungen, einige tüchtige Schranbenbolzen hineinzubringen, nnd durch einen geistreichen Einfall hatte er es ermöglicht, das Nndcr in einer Weise einzuhängen, daß wir uns beim Steuern des Schooners ans dasselbe verlassen konnten; aber eine Berührung mit dem Eise oder sonst einen heftigen Ruck hielt es nicht ans, nnd es ließ sich nicht losmachen. Die Seiten des Schooners waren sehr zerrissen imd abgerieben, aber einen wesentlichen Schaden schien er nicht gelitten zu haben, der nicht mit noch einigen Nägeln znr Befestigung der abgesprungenen Planken nnd dnrch ein allgemeines Kalfatern zum Schließen der Nähte wieder ausgebessert wurde. Ich ärgerte mich sehr über die Wendung der Dinge. Es schien sehr wahrscheinlich, daß im Hinblick anf den rcttloscn Zustand des Schooners der Plan, mit ihm in den Kennedy-Kanal zu kommen nnd das Polar-Mecr zu befahren, für jetzt müsse aufgegeben werden, nnd daß daher nieine Aussicht für ein zweites Jahr sich mir anf Boot nnd Schlitten stützte. In dieser Richtnng gab es Nichts, was ermuthigcn konnte. Ein Boot über solches Eis zu schaffen, wie im Smith-Snnd lag, war ganz unmöglich, nnd in Betreff der Hnnde war ich jetzt noch ärmlicher daran als vorher. Nur sechs Thiere hatten die letzte Reise überlebt. Von diesen starb nach einigen Tagen noch einer, wie es schien, weil er alle Lebenskraft verloren hatte; und einer wnrde Kalntnnah zurückgegeben. Unter diesen Umständen wnrde es eine Sache ernster Ucber-legnug, ob es nicht klüger wäre, nach Hanse znrnckzufahren, meine Hi'llfsmittcl wiederherzustellen, dieselben — was von hoher Wichtigkeit war — durch Dampfkraft zu verstärken und dann sofort wiederzukommen. War ich einmal mit einem geeigneten Fahrzeug all Eap Isabella, so war ich fest überzeugt, daß ich in das nördliche Wasser gelangen und einen Weg nach dein Pole finden konnte, wenn es anch einen harten uud gewagten Kampf setzen mochte. Dnrch Dampf wnrden die Aussichten anf Erfolg bedeutend erhöht. Andererseits, wenn ich blieb, wnßte ich nicht, wie ich nach Norden hin etwas Weiteres entdecken sollte, als bereits entdeckt worden war. Ich mnßle daher erwäge», ob sich meine Zeit u»d Pläm> sür die Iutunst. 335 Mittel besser anwenden ließen, wenn ich schnell znrückkehrte nnd mich wieder ausrüstete, als wenn ich jenes unvermeidliche Nesnltat auf ein weiteres Jahr verschob. Ich hatte die ganze Verantwortlichkeit für die Crpedilion übernommen, nnd von der Zeit an, wo ich Boston verlieft, bis dahin, wo ich die Forschung, die ich nnter-nommen hatte, vollendet haben würde, nahm ich nur vor, die Küsten, die bisher verschiedene Genossenschaften nnd einzelne Manner mit mir getheilt hatten, jetzt ausschliesslich für mich zu gewinnen. Ich mußte deshalb mit meinen Hülfsmitteln haushälterisch umgehen nnd mit Vorsicht und Neberlegnng handeln. Ich will jeltt den ^escr nicht mit den vollständigen stinzel-heiten der Pläne anfholten, die ich mir für die Zukunft machte, nm ans dieser nenen Verlegenheit zu kommen; es mag genügen, wenn ich bemerke, daß ich, nachdem ich Jensen nnd Kalutunah zu Nalhe gezogen hatte, mich fest überzengte, daß, wenn ich zwei Schiffe herausbrachte, — vo» denen ich das eine inPortFoulke vor Anker legte, während ich mit dem andern nach Norden vordrang, -~ fich ein ausführlicher Forschungsplan beginnen ließ, und daß dann sowohl sein Gelingen gesichert als für unsere Sicherheit gesorgt war. Zu diesem Zwecke nahm ich mir vor, in Port Foulke eine bleibende Jagdstation oder Colonie zn gründen, um diesen Ort herum alle Eskimos zusammenzubringen,*) eine lebhafte Jagd einzurichten, nnd diese Jagd Alles liefern zu lassen, was zur unbeschränkten Untcrftühnng eines ausgedehnten Forschnngs systems nach dem Nordpol hin wesentlich war. In der Ausführbarkeit des Planes, eine solche Station zu errichten, stimmte mir Jensen, der m den grönländischen Kolonien bedeutende Erfahrnng gemacht hatte, vollkommen bei; er frente fich sehr darüber lind nahm mci. nen Vorschlag, er solle Oberanfsehcr derselben werden, ohne Zögern an. Kalnlunah war entzückt über die Aussicht, sein ganzes Volk zusammenzubringen, nnd schon in dieser Hinsicht hatte der Plan Vieles, was mir persönlich angenehm war. Mein Verkehr mit dieser schuell hinschwindenden Nace hatte mir ein tiefes Interesse für fie und Mitgefühl für ihre nnglücktiche Lage eingeflößt. *) Die Eskimos können bis zu einem bestimmten Umfang bei einer For-schttngsnisc s»M' nützlich gemacht wcrdcn, wie die Erfahrung Mr, C, F, Hall'S gczcigt hat. dcv stinc Entdectun^n wchlich von der Ncpnlsc-Bai cmnu'sch betreibt und sich dabei nur auf die Eingcbormcn vcvläßt. .'i26 Pläno fur dio Zukunft. Die Beschwerden ihres Bebens übten eine traurige Wirkung auf sie, und wenn sie nichl dl>rch christliche Menschenliebe und Wohlwollen gerettet werden, so werden in weniger als einem halben Jahrhundert diese armen Wanderer des Eismeeres alle verschwunden sein. Meine Pläne für die Zukunft nahmen zcdoch in der .^cit, von der ich schreibe, keine bestimmte Gestalt an, auch konnten sie dies nicht, bis der Schooner befreit war. Fünsimddreißigstes Kapitel. Der arknschc Frühling, Der Schnee verschwindet. — Die Pflanzen geben Lebenszeichen von sich, — ^ciicktehr der Vögel, — Veränderung im Meere. ^ Wiederauilriistuilg des Schooners, — Nie Eskimos, - Besnch bei Ka< lntnnah....... Kalntnnah's Bericht über die EstimoTradilioncn, — Dic Jagd' gebiete sind durch die Auyäilfung des Eises verkleinert worden, - Beschwer-den des Bebens der Eslunos, — Ihre ^,'ahrung. Die Race schwindet 'dahin, Besnch am Gletscher, Nochmalige Vermessung dc« Gletschers. — Katntunah fängt Vögel. ^ (5in Schneewcttcr nnd ein Sturm, — Der Mitlag des arktischen Sommers, 1^1 ich entschlossen war, mich durch Umstände leiten zu lassen, wie im letzten Kapitel dargestellt ist, so hatte ich jcht nur auf das Aufbrechen des Eises uud die Pefreiuug des Schooners zu war-tni, eiue Sache, der ich uicht ganz ohuc Bangigkeit cutgegen-scheil tonnte, weil bei unserer Bloßstellung nach Südwcsten der Vruch mitten iu einer schwereil Anschwellung vom Meere her eintreten mußte, die uns in einer sich wälzenden Packeismassc hin-wegtricb. Als ich von Norden zurncklehrte, lvar der Frühling schon völlig eingetreten, uud jeden Tag riß das Wasser mehr vom Eise "b. Seit meiner Abreise im April hatte ein wunderbarer Wechsel stattgefunden. Die Temueratnr war uon 'il>" F. unter Null (^25" R.) bis auf eben so viele (>nade nber ^tnll (1«,:ii N.) stetig gestiegen- der weiße Wintermantel, der die Hngel uud Thäler so lange eingehüllt hatte, wich unter dem Einfluß der warmen Strahlen der Souue; Ströme des geschmolzeneu Schnees stürzteu wild die zerrissenen Schlnchten herab oder sprangen in Kaskaden von den hohen Klippen nieder, nnd die Luft war überall mit dem 828 Der arktische Frühling. angenehmen Naufchen fallenden Wassers erfüllt. In einem Becken hinter dem Observatorium hatte fich ein kleiner See gebildet; ein spielender Bach rieselte aus demselben, längs dem Gestade das Eis wegspülend, über die Kiesel iu den Hafen herab, und die Ufer des Sees und des Baches waren durch das Thauwetter aufgeweicht und zeigten, von ihrer Nintcrdcckc befreit, so früh im Juni Spuren einer zurückkehrenden Vegetation. In die Weidenstämmc war der Saft gestiegen, währeud Eis und Schnee uoch rings um die Wurzeln lag, und die Moose und Mohncu und Saxifragen uud die Cochlearia und andere abgehärtete Pflanzen hatten zu sprossen begonnen; die Luft war von dem Geschrei der Vögel erfüllt, die für den Sommer zurückgekommen waren; die Klippen waren von deu kleinen Alken belebt; Echaarcn von Eidergänsen zogen im raschen Fluge über den Hafen, dem Anscheine nach noch nicht entschieden, welche der Inseln sie zu ihrer Sommerheimath wählen sollten; zierliche Sceschwalben flatterten und schrieen uud spieltcu über dem Meere; die Bürgermeister-Mövcu und die Geierfalken segelten mit feierlicher Würde um uns herum; das fchrille „Ha-ha-wi" der langschwünzigen Ente hörte mau oft, wenn die Vögel eilig quer über den Hafen schössen; die Schnepfe flog um die wachsenden Si'chwassertcichc hcrnm; die Sperlinge zwitscherten von Felsen zu Felsen; lauge Ncihcn schnatternder Gänse segelten hoch oben dahin, einen entfernteren Punkt des Nordens sucheud; das tiefe Vrüllcu des WalrosseZ kam von den Eisflösseu her, die der Sommer auf dem Meere flott gemacht hatte; die Bai und der Fjord waren mit Seehunden besäet, die sich von unten durch das Eis cmporgegrabcu hatten und in der warmen Sonne lagen, und der Ort, deu bei meiner Abreise der kalte Mantel des Winters umhüllte, war jetzt in die schönen Gewänder des Frühlings gekleidet. Der Wechsel war mit unglaublicher Schnelligkeit gekommen. Der Schnee auf der Oberfläche des Eises schmolz rasch, uud -wenn wir aus dein Schiffe gingen, wateten wir durch Cchneewnfscr. Das Eis selbst verfiel schnell nnd sein Rand nach dein Mecre hin brach ab. Die „Zwillinge" waren von ihren Ketten losgelassen worden uud fortgeschwommen, und eine Menge Eisberge, von Formen, die uns fremd waren, segelten in stattlicher nnd feierlicher Proecsfion den Sund hinaus und nahmen ihren Weg nach dem wärmeren Süden zu, wobei ihre Krystalle in Foutainen vou ihnen herabstürzten. Wiederaufrüstung des Schooners. 329 Alles um mich herum mahnte dann», daß ich gerade zur rechten Zeit ans dein Norden zurückgekehrt war. McEormick hatte sowohl außerhalb als innerhalb des Schisses tüchtig gearbeitet. Das zeitweilige Haus war von dein obersten Deck entfernt, und die Verdecke, Schanzkleidnngcu, Kajüten und das Vorderkastel waren aufgeputzt worden, und nach all' dieser Frühlingsreinignng sah der kleine Schooner so nett und sauber aus, als wäre er nie mit dem Nuß nud Lamveurauch des langen Winters beschmiert gewesen. Die Mannschaft setzte das Takelwerk au; Bugspriet, Klüverbaum nud Vorsienge waren wieder hergestellt, die Naacn in die Höhe gebracht wordeu; die Masten wurden abgekratzt, uud ein wenig Farbe nud Theer verliehen uuserm Schiffe wieder völligen Glanz. Tie Matrosen hatten sich aus dem Schiffsraum nach ihnn natürlichen Quartieren im Vorder-kastcl begeben, und Dodge war geschäftig, deu Inhalt des Vorratshauses wegzuschaffen uud unterzubringen, diejenigen Gegenstände ausgeuommen, die ich zurücklassen wollte; diese wurden sorgfältig in einer Felscnspalte niedergelegt und mit schweren Stci-ucn bedeckt. Die Eskimos trieben sich noch immer um uus herum. Tschei-tschengnak hatte auf der Terrasse ein Zelt aufgeschlageu uud hatte zum Gesellschafter einen neucu Ankömmling, Namens Alatak, und zur Haushälterin eine Frau, die keine feste Stelle und daher auf Niemanden besondern Anspruch zu haben schien, und die ich früher an der Booth-Bai gesehen hatte, wo sie nnter meinen Gefährten als ,/die sentimentale Wittwe" fignrirte. Hans war mit seiner Familie nach dem Chcster-Thal hinaufgegangen, wo er Alken zu Hunderteu fing uud in dem Zelte von Ceehundsfell lebte, das er von Cap ?)ork mitbrachte. Angeit lrieb sich noch immer um die Kombüse uud Speisekammer herum und fuhr fort, den Koch abwechselnd zu belästigen und zu belustigen lind des Stewards Bekehrnugs-versnchen standhaft zn widerstehen. Kalutuuah, meiu munterer alter Häuptliug, blü'b ununterbrochen in (Nah und sah mein reichem Verpflegnngsamt und meine große Freigebigkeit als die Quelle aller menschlichen Seligkeit an, Er war so reich geworden, daß er nicht wußte, wo er all' seineil Reichthum hiustcckeu sollte, und als ich nach Etah hin überging, um nach ihm ;u sehen, fand ich, daß er vor Faulheit fett und von Ueberfütternng dumm wurde. Er lag trag hinter einem Felsen im ivarmeu Sonnenschein, wie 330 Spuren von Eskimos. der Mönch im ,,Kloster", der uor dem ^ener sitzt und ,,an Nichts denkt." Er freute sich sehr, das; er mich wiedersah, fragte mich viel über meine Reise und >uo ich gewesen wäre, sagte, er sei in seinein ganzen 5/eben noch ine so glücklich gewesen, und stahl dem ehrlichen Sancho seine bedanken, wenn anch nicht sein Spanisch, wo derselbe nachdrncksvoll erklärti ,,Sie haben mir den Bauch gefüllt, und deshalb mein Herz gewonnen." Es that mir leid, daß ich ihm von den acht Hnnden, mit denen er mir aufgeholfen hatte, nur einen einzigen wieder zustellen konnte; aber er erklärte sich für befriedigt. Anfangs schien er start zu fürchten, daß ich, indem ich ihm seinen Hnnd zurückgab, meine Unterstützung zurückziehen werde, und war hoch erfreut, als ich ihm sagte, er solle hinüber kommen und so viel Nahrnng erhalten, als er fortbringen könne. Kalutnnah's erste ,^rage war, ob «ich Eskimos gefunden hätte. Ehe ich abreiste, hatte ich oft mit ihm über die Ausdehnung seines Volkes nach Norden gesprochen; er erzählte mir eine wohlgegrün-dcte Ueberlieferung des Stammes, daß die Eskimos sich einst sowohl nach Norden als nach Süden ausbreiteten, und daß endlich der Stamm, der jetzt die Küste von Enp i'jork bis zum Smith-Sund bewohnt, dnrch die Anhäufung des Eises sowohl oberhalb als nnterhalb desselben abgeschnitten wnrde, und er glaubte, daß gegenwärtig nach beiden Richtungen hin Eskimos lebten. Daß einst der Verkehr zwischen den Eingeborenen nm Upernavik hcrnin längs den Ufern der Melville-Bai nicht unterbrochen war, darüber kann kein Zweifel sein, und Kalutunah schien zn meinen, daß dasselbe sich auch in der entgegengesetzten Richlnng bewähre. Das Eis hat sich im Smith-Sund ebenso angehäuft wie in der Melville-^ai, und was einst, bis zur Vorderwand des Humboldt Gletschers hinauf, offenbar ergiebige Jagdgebiete waren, das find jetzt uufruchtbare Wüsten, wohin selten ein lebendes Wesen kommt. I)r. Kane fand längs der Küste an verschiedenen Stellen die Ueber-reste alter Hütten, lind weiter die Küste hinab nach der Müudnng des Sundes hin gab es viele aus neuerer Zeit. In der Nähe der Eairn-Spitze steht eine Hütte, die erst ein Jahr vor Dr. Kaue's Besuch von M)A verlassen nnd seitdem nicht wieder in (Gebrauch genommen worden war. Im Pan Nensselaer Hafen gab es mehrere Hütten, welche die letzte (Generation bewohnt hatte. Daß ich anf der Küste von Grinnell-^and blos Spuren von Eskimos entdeckt hatte, war für Kalntunnh nicht ganz befriedigend, Die Eskimos. 331 denn er hatte zuversichtlich erwartet, daß ich einige lebende Exemplare derselben finden und mit zurückbringen werde-, aber er freute sich dennoch, seine Traditionen bestätigt zn sehen, nnd behauptete, ich sei nicht weit gcnng gegangen, sonst winde ich Eingeborene in Menge gefnudcn hab.'n^, ,,denn," sagte er, „im Norden giebt es gnte Jagdgebiete, Moschnsochsen sUmemak) in Menge, und wo es gute Jagdgebiete giebt, da wird man anch Eskimos finden." Als ich mit Kalutunah über die Schicksale seines Volkes sprach, wurde er trauriger, als ich ihn je znvor gesehen hatte. ,,Ack!' sprach er, ,,wir werden bald Alle dahin sein." Ich sagte ihm, daß ich bald wiederkommen, nnd daß viele Jahre lang weiße Männer in der Nähe von Etah leben würden. „Kommen Sie bald wieder," sprach er, „sonst wird Niemand mehr da sein, der Sie bewillkommnen kann!" Es ist in der That schmerzlich, über das Schicksal dieses kleinen Stammes nachzudenken. Diese rohen Naturmenschen haben Vieles 'all sich, was Bewunderung verdient. Ihre tapferen nnd muthigcu Kämpfe um das nackte Dasein gegen die abschreckendsten Hindernisse, wie wir es ansehen würden, indem sie oft Tage lang ganz ohne Nahrung sind, nnd sich dieselbe nie verschaffen können, ohne Gefahr zu bestehen, machen die Erhaltung ihres Lebens sehr unsicher. Das Meer ist ihr einziges Erntefeld, nnd da sie keine Boote haben, in denen sie die Jagdbeute verfolgen können, so muffen sie warten, bis der Wechsel der Ebbe und ^luth und der Jahreszeit Spalten öffnet, längs denen sie hinwandern, den Seehund uud das Walroß suchend, die dorthin kommen, um Athem zu schöpfen. Die nngewissen (beschicke der Jagd bringen sie in der Wmterzeit oft in die Lage, sich in rohen Hütten von Schuce zu schützen, und im Sommer kommen die wandernden Nasseruögel, um an die Stelle des Seehundes nnd Walrosscs zu treten, die sie, wenn die Eisfelder fortgeschwommen sind, selten fangen können. Nach den Aufschlüssen, die ich durch Hans und Kalntnnah erhielt, schätzte ich den Stamm auf etwa hundert Seelen, — eine sehr beträchtliche Verminderung, seit Dr. Kane sie im Jahr 1«!'i5 verließ. Hans machte für mich eine rohe Karte der Küste von Eap Jorl bis zum Smith-Sund und verzeichnete auf ihr alle Dörfer, wenn man die bewohnten Orte so nennen darf. Diese Orte liegen immer dicht am Nande des Meeres. Sie bestehen selten aus mehr als eiuer Hütte, nnd die größten Dörfer aus drei Hütten. 3>">2 Wissenschaftliche Sammlungen. Ueber die Beschaffenheit dieser Wohnungen wird der Leser schon genug ans meiner Beschreibung uon Kalulunah's Höhle in Etah entnommen haben. Während ich auf das Herausthaueu des Schooners aus dem Eise wartete, konnte ich meine Zeit nur in der unmittelbaren Nähe von Port Foulte mit solcher Arbeit verbringen, die ich ausführbar fand. Es wurdeu die Pendel-Versuche des vorhergehende» Herbstes wiederholt und mehrere vollständige Bcobachtuugsrciheu zur Bestimmung der magnetischen Kraft gemacht. Die Aufnahme des Hafens und der Bai wurde vollendet; die Terrassen wurden ui-vellirt und anf die Karte gezeichnet, und die Winkelmessuugcu auf „Meines Bruder John's Gletscher" nmrden erncnert. Bei allen diesen Arbeiten fand ich in Mr. Nadcliffe einen geistvollen und unverdrossenen behülfen. Dieser Herr arbeitete auch fleisiig mit dem «holographischen Apparat, und durch seine geduldige Mitwirkung wurde ich endlich in den Staud gesetzt, mir eine große Anzahl erträglich guter Bilder zu vcrschaffeu. Auch einige werth-volle naturhistorische Sammlungen wnrdeu gemacht, nud in diesem Fache leisteten mir Mr. Kuorr und Mr. Starr nützlichen Beistand. Das Eis im Hafen bot ihnen, da die Spalten sich öffneten, gute Gelegenheit, und ihre Mühe wurde mit einer der schönsten Sammlungen von wirbellosen Secthiercn belohnt, die je in arktischen Gewässern gemacht worden sind."') Meine Neise nach dem Gletscher bcfchäftigte mich eine Woche. Wir fchlugen unser Zelt nahe am Alida-See auf und giugeu mit der Ausmefsung uud *) Ich bin I)'-. William Stimpson zu Dant verpflichtet für eine sorgjältigc Untersuchung und Verglcichuttg dieser Sammlung, dereu Ergebuisse von ihni >>l dcn„I'i-oeeo(ln!^8" dcr Akademie der '.>iatl!rwisscuschafteu zu Philadelphia, Mai I^>'>, veröffentlicht wnrden. Die Sammlung enthält Weniges, was ganz nen ist; aber: „Sic hat,'^ wie I)> Stimpson bemerkt, „viel Interesse, weil sie zum großen Theil in Gegenden gesunden winde, die viel näher am Pole liegen, als allen vorhergehenden Expeditionen anf dcr amerikanischen Seite des nördlichen Polartniscs M erreichen gelungen ist, Sie begreift manche Arten in sich, die bis je!^t nnr anf der europäischen Seite gefunden wurden, nud, dürfen wir hinzufügen, die Zahl der von I>l'- Hayes gesammelten Arten ist größer, als von irgend einer einzigen Expedition, die bis jetzt diese Meere besucht hat. so weit man nach den veröffentlichten Berichten urtheilen tann, mitgebracht wurde," Die Sammlung umfaßt ^ Arten Crustacceu, 1^ Arten Anneliden, 2l Arten Mollusken, 7 Arten Echinoderiueu, 1 Art Acalepheu, und außer diesen cinc beträchtliche Anzahl Rudi' brauchiatcn, Aetiuicu u, s. w,, die sich uach Exemplaren in Allchol nicht gut bestimmen lassen. Gletscher-Bewegung. 333 Photographirung unseres alten Bekannten vom letzten Herbste her systematisch zu Werke. Wir kamen am See inmitten einer sehr belebenden Scene an. Der Schnee war großentheils ans dem Thale verschwunden, und wenn auch noch keine Blninen zum Vorschein gekommen waren, so bedeckte doch die frühzeitige Vegetation die User mit Grün, und die schwachen Gewächse öffneten ihre kleinen Blätter fast gerade unter dem Schnee und standen lebcnsfrisch in dem gefrorenen Rasen, ansscheno, als ob sie sich ebenso über den Frühling fren-tcn, wie ihre Hochstrebenderen Vettern des warmen Südens. Zahlreiche kleine Nennthierheerden waren von den Bergen herabgekommcn, um sich vou dem neu knospenden Leben zu mästen. Strömende Bäche und phantastische Wasserfälle vermischten ihre augenehme Musik mit dem uuaufhörlichen Gesumme der Vögel, von denen Myriaden anf den Felsen der Hügelwand oder auf den Klippen saßen, oder durch die Luft segelten in so dichten Schwärmen, daß sie wie eine vor der Sonne vorüberziehende dunkle Wolke erschienen. Diese Vögel waren die schon erwähnten kleinen Alken (llriu, alls); es sind Wasservögel, nicht grüßer als eine Wachtel. Das schnelle Gestatter ihrer Flügel und ihr beständiges Geschrei erfüllte die Luft mit einem Vransm, gleich dem eines zwischen den Waldbäumen anrückenden Sturmes. Das Thal glühte vom Sonnenlicht des frühen Morgens, das über den Gletscher hereinströmte uud Hügel, Berg und Ebene in hellen Glanz kleidete. Hans hakte sein Zelt an dem entfernteren Ende des Sees aufgeschlagen, und Kalntnnah kam mit Myauk und Alatak her-anf, um sich ihm anzuschließen. Jensen schoß schnell ein Rennthier, und Hans brachte uns einige Alken, uud ehe wir au die Arbeit gingen, stellten wir uns nm einen großen Felsen hernm, ans dem wir einen Tisch machten, genossen zusammen ein kräftiges Mittagsmahl, das Carl bereitet hatte, lind spülten es mit dem reinsten Wasser vom Gletscher hinunter, während wir der Musik rieselnder Bäche und dem Gesänge der Vögel lauschten. Die Vorderwand des Gletschers hatte eine große Veränderung erlitten. Blöcke von ungehenrer Größe waren von ihr abgebrochen und lagen über das Thal an ihrem Fuße hin zerstreut, während der Gletscher selbst sich den Abhang hinabgedrängt und Fclseu, Echuee und die vor ihm liegenden Eistrümmcr anf einen verwirrten, wellenähnlichen Hänfen zusammengeschoben hatte. Das 334 Der Moschusochs. Fortrücken nach dem Meere zn war stetig nnd nnwiderstehlich gewesen. Die steife nach dein Gipfel des Gletschers war viel schwieriger als im vorhergehenden Herbst; der Schnee war meistenlheils hm weggeschmolzen; dies hatte die Felsen bloßgelegt und erschwerte uns sowohl die Ersteigung der Gletscherwand als den Weg in der Schlncht hinauf. Alles war naß und kothig, über dem Kopfe wie unter den Füßen. Die Oberfläche des Gletschers goß von allen Seiten Wasser herab, wie das Dach eines Hauses bei einem Thau-wetter im Februar, und die kleinen Strahlen, die an seiner Wand hcrabftofscn und sich mit dem Wasser des schmelzenden Schnees vereinigten, träufelten unter den Gletscher und tamen unten im Thale in reißenden Strömen wieder znm Vorschein; von da er gössen sie sich in den See und ans dem See nach dem Meere. Ich halte das Glück, meine Pfähle noch alle stehend zu fin-den, nnd da ich den Theodolit mit heranfgebracht hatte, so wieder holte ich die Winke lmessnngen, die ich mit Sonntag im vorhergehenden October vorgenommen hatte. Diese Winkel ergaben, als fie später reducirt wurden, daß der Mittelpunkt des Glclschers sich scchsundnennzig Fuß das Thal hiuabgeschobcn hatte. Das ganze Ehester-Thal ist in früheren Heilen ein Versammlungsort der Eskimos gewesen. Wir fanden dort mehrere alte Hüttenruinen; um manche herum lagen Knochen zerstreut, an denen mau sah, daß sie keiner sehr alten Zeit angehörten. Unter diesen Knochen, die meistens von Walrosscn, Seehunden und Vären stammten, fand ich auch eineil Theil von dem Kopf eines Moschus-ochsrn, und zwar in einer Lage, die es wahrscheinlich machte, daß das Thier, dem er angehört hatte, von den früheren Bewohnern der Ruine verzehrt worden war. Als ich die Sache Kalutunah erzählte, sagte er, man nähme an, daß die Moschnsochscn einst längs der ganzen Küste zahlreich gewesen wäre», nnd man sähe sie noch immer dann nnd wann. Erst vor dem letzten Winter hatte ein Jäger des Wolstenholme-Sundes in der Nähe eines Ortes, Namens Umeak, zwei solche Thiere angetroffen und eins derselben erlegt. Daraus würde hervorgehen, daß der Moschusochs in Grönland noch nicht allsgestorben ist, wie die Naturforscher angenommen haben. Ein Tag meines Aufeuthalts in dem Thale wurde dazu verwendet, eine Reihe Nivellirungen vom Fnß? des Glelschers bis znm Meere Alkenfang. 335 auszuführen, durch die ich fand, daß der erstere zwciundneuuzig Fuß über dem letzteren lag, nnd ein zweiter Tag wurde mit der Jagd verbracht. EZ ist unmöglich, sich eine genaue Vorstellung von der ungeheuren Anzahl Neiner Alken zu macheu, die uns umschwärmlen. Der Abhang auf beiden Seiten des Thales erhebt sich unter einem Winkel von etwa fünfundvierzig (^rad drei- bis fünfhundert Fuß weit, wo er die Klippen trifft, die noch clwa siebenhnndert Fuß höher emporstchen. Diese Vcrgwände bestehen ans losen Felsen, die durch den Frost von den Klippen abgespalten sind. Zwischen diese Felsen kriechen die Vögel, indem sie sich dnrch enge Stellen hineinwinden, legen dort jeder ein einziges (^i nnd brüten ihre Inugcn ans, vor ihren Feinden, den Füchsen, sicher, die in großer Anzahl ringsum jagen und immer auf eine Mahlzeit lauern. Da ich Kalutunah gesagt hatte, ich wollte ihn begleiten und ihm beim Alkenfang helfen, so kam dieses chrcnwerthc Individuum eines Morgens früh in mein Zelt, hocherfreut, daß der Nalegak-soak ihn so beehrt habe, und jagte mich iu frühester Stunde eilig nach der Hügclwand. Die Vögel machten mehr Lärm als gewöhnlich, denn sie waren eben in ungeheuren Schwärmen vom Meere zurückgekehrt, wo sie sich ihr Frühstück geholt hatten. *) Kalulu-nah nahn, ein kleines Netz mit, das ans sehr scharfsinnig zu-sammcngestricklen leichten Riemen von Seehuudsfell gemacht war. Der Stab, mit welchem es gehallen wurde, war etwa zebu Fuß lang. Nachdem wir über die holprigen, scharfen Steine geklettert waren, befanden wir uns etwa in der Mitte des Weges nach dem Fuße der Klippen hinauf; dort duckte sich Kalntnnah hinlcr einen Felsen und lnd mich ein, seinem Beispiel zu folgen. Ich bemerkte, daß die Vögel fast alle im Flnge nnd, mit wenigen Ansnahmen, nnr die Männchen waren. Die Länge des Abhanges, anf welchem sie sich versammelt hatten, betrug etwa eine Meile, und über ihn hin rauschte, nnr einige Fust über den Steinen, ein beständiger Strom.von Vögeln; nachdem sie in schnellem Flnge die ganze *) Die Nahrung der kleincu Alken, wie überhaupt die Nahrung aller art-tischen Wasscrvögcl, besteht in verschiedenen Arten, wirbelloser Seethiere, Haupt« sächlich Crustaceeu, an denen die arktischen Gewässer Ueberflnß haben. Der Reich, thmn des Nord Wassers an diesen niedrigen ssormcn des Bebens im Wcere ist der Grund, weshalb die Vögel sich wahrend der BrütcM, die im Juni beginnt und im August endet, dort m so großer Anzahl versammeln. 336 Älkenfang, Länge des Hügels durchsegelt hatten, kehrten sie höher oben in der Luft zurück und durchflogm diesen ganzen Umkreis immer wieder. Von Zeit zu Zeit ließen sich einige Hunderte oder Tausende nieder, als ob sie einem Führer folgten, und in einem Augenblick wimmelten auf einige Nnthen Umfang die Felsen völlig von ihnen, — wobei ihre schwarzeil Nucken nnd rein weihen Brüste den Hügel sehr hübsch sprenkelten. Während ich diese Bewegungen mit vielem Interesse beobachtete, war mein Begleiter nnr anf'Z Geschäft bedacht und ermähnte mich, ich sollte mich weiter niederlegen, da die Vögel mich sähen und zu hoch flögen. Als ich mich endlich zur Zufriedenheit meines wilden Gefährten hingednckt hatte, begann der Fang. Die Vögel fingen an, näher an unseren Köpfen hinzufliegen, — sie kamen in der That so nahe, daß es fast schien, als könnte ich sie mit meiner Mutze fangen. Jetzt bemerkte ich, wie mein Begleiter sich bereit machte, da sich ein Flug von ungewöhnlicher Dicke näherte, und in einem Augenblick, hinauf ging das Netz; puff! flogen ein halbes Dutzend Vögel hinein nnd konnten, vom Stoß betänbt, nicht herausflattcrn, ehe Kalutunah den Stab geschwind durch seine Hände schlüpfen ließ und das Netz ergriff. Mit der linken Hand drückte er nun die Vögel nieder, während er mit der rechten einen nach dem andern herauszog, und in Ermangelung einer dritten Hand benutzte er seine Zähne, um ihnen die Köpfe zu zerquetschen. Dann wurden die Flügel quer über einander gebunden, damit sie nicht fortflatterten, und mit triumphirendcr Miene blickte der alte Kerl nach mir um, spuckte das Blut und die Federn ans dem Munde und fuhr mit dem Fange fort, indem er mit großer Geschwindigkeit sein Netz hinaufstieß uud niederzog, bis er etwa hundert Vögel gefangen hatte. Dann kehrten wir, da meine Nen ssierde reichlich befriedigt war, in's Lager znrück und stellten aus den Vögeln, die wir auf diese neue nnd unwaidmännische Weise erbeiltet hatten, eine tüchtige Mahlzeit her. Während eine ungeheure Masse Gedämpftes bereitet wurde, machte sich Kalutunah das Vergnügen, den Vögeln die Bälge abzureißen nnd das rohe Fleisch zu verzehren, indem es noch warm war. Unserm Aufenthalt am Gletscher wurde durch eineil gewaltigen Stnrm nnd ein heftiges Schneewctter plötzlich ein Ende gemacht, und wir selbst sowohl als unsere Eskimo'schen Gefährten waren geuöchigt, ein anderes Obdach zu suchen. Der Sturm kam Ein Ortan. lM von Nordost und das erste Unheil, das er anrichtete, war, daß er Hansens Zelt anfraffte, wie einen Luftballon das Thal hinab führte nnd endlich in den See fallen ließ. Ohne lange zn warten und über das Unglück zu jammern, brach die ganze Eskimo-Gesellschaft nach Etah anf. Als sie an unserm Zelte vorüberzogen, blieb Kalutunah einen Augenblick an der Thür stehen und ließ sich trotz des wüthenden Windes und des Schnees, der ihn am ganzen Leibe bedeckte, in seinem immerwährenden Grinsen nicht stören. „Sie Hütten Hansens Zelt sehen sollen!" sagte er, und der alte Kerl erschütterte ganz vor Lachen, als er sich an die lustige Scene er--innerte, wie die Gesellschaft plötzlich obdachlos wnrde, ihr Zelt nach dem See hill tobte uud vcrschwaud. Aber ihren höchsten Grab erreichte seine Freude, als er uns mittheilte, daß es noch starker zu blaseu anfange, und daß die Reihe sogleich an uns kommen werde. Wahrhaftig! es war so, wie der Wilde prophezeit hatte; denn bald darauf hö'rteu wir ein großes Getöse, — das photographische Zelt hatte nachgegeben, die Instrumente und Platten zerstreuten sich über die Steine hin, die Gläser wurden alle zu Neinen Stückchen zermalmt, nnd während wir aufsprangen, nm hinauszugehen und die Trümmer zn retten, gab das Seil nach, mit dem wir unser Zelt gegen den Wind befestigt hatten, uud unser Schutz von Segeltuch folgte dem Beispiele von Hansens Seehuudsfelleu und ließ uns gerade im Nachen des Sturmes stehen. Wie man vermuthen kann, zögerten wir nicht lange, unsern Weg zum Schiffe zurück zu suchen. Ich fand den Schooner in einer etwas bedenklichen Lage. Die Spieren waren in die Höhe gebracht worden und singen den Wind auf, nnd da das Fahrzeug noch immer fest in's Eis geschlossen war, so wurden die Masten einer gefährlichen Suannnng unter worfen. Einmal glaubte ich, sie würden vollständig aus dem Schooner gerissen werden, und hatte Taue an die Toppe befestigt und an Pfähle gebunden, die auf der Wiudseite in's Eis gcjchla gen waren. Das lose Eis wnrde alles aus der Vai geweht, die Eisberge wurden fortgetrieben, so daß man sie, nicht mehr sah, nnd das offene Wasser war nicht weiter als eine Viertclmeile von nns. Da die Sonne am 21. Juni ihre größte nördliche Declina tion erreichte, so befanden wir nns jetzt in der vollen Flamme des Sommers. Seitdem die arttische Mitternacht uns in Finsterniß hüllte, waren sechs ereignißvolle Mona ^laec; entstand. Ich stieg in diese Schlucht hinab und folgte den holprigen Ufern des Stroms, bis sie plötzlich an die hohe Klippe der Küste kamen, über welche das Wasser in ein tiefes und malerisches Thal hinabsprang, das es mit einer Wolke von seinem eigenen Schaum erfüllte. Die Stelle figurirt in meinem Tagebuche als Iulchen's Thal und Wasscrfall (I.ittie ^iii^ N1l>u ^nä 1^11). Sechsunddreißigstes Kapitel. Der arktische Sommer. — Die Flora. — Das Eis schmilzt. — Eilt Sommer-stürm mit Ncgeu, Hagel und Schnee. — Die Tenassm. — Wirkung des Eises, Erhebung der Küste. ^ Geologisches Interesse der Eisberge und dcs Landeises. - Eine Walroßjagd, — Der „Vierte", — Besuch auf der Littleton Insel. — Viele Eidergänse und Müvm. ^ Das Eis bricht auf, — Kritische Lage des Schooners. — Wir nehmen Abschieb von den Est'imos. — Adieu, Port Foulte. Der Leser wird bemerkt haben, welch' wunderbare Veränderung in der Natur eingetreten war, seitdem der Schatte,: der Nacht sich verzogen hatte. Weun er sich an die Kapitel erinnert, die von der Finsternis; und dem Schweigen der arktischen Nacht erzählen, — von der Todtcnstille, die iu der endlosen Dunkelheit herrschte, — von der Abwesenheit jedes lebenden Wesens, das der Einsamkeit ihre Schrecken nehmen konnte, — so wird er kaum darauf vorbereitet sein, ohue Staunen zu sehen, wie dieselbe Landschaft mit einer endlosen Lichtgluth bedeckt ist, wie Luft, Meer und Erde von Leben strotzt uud wimmelt, wie die wüsten Plätze von Grün funkeln und von Blumen glänze», — wie das Herz überall, wo vorher uur Finsterniß war, irgend einen ncueu Gegeustand findet, an dein es sich frcnen kann. Der Wechsel vou dem arkti-scheu Wiuter zum arktischen Sommer ist iu der That der Wechsel vom Tode, zum Leben, und die Stimme, die zu der Sonne und den Wiuden spricht und den fröhlichen Tag zurückbringt, ist dieselbe Stimme, die da sprach: „Sie ist nicht todt, sondern schläft," — und das pulslose Herz wurde wieder zum Schlagen gebracht und auf die blasse Wange tehrle die Vlülhe zurück. 22* ?W Der arktische schaft hielten. Jeder wählte sich ein Thier aus und wir schössen im Einverständniß über die Köpfe der Nndercr. Sobald die Büchsen abgefeuert waren, befahl ich der Mannschaft zu rndern, nnd das Boot schoß gerade nnler die erschrockenen Thiere, als sie sich bunt nntereinander in's Meer wälzten. Jensen hatte nach dem Kopfe eines der Bullen geschossen und ihn in den Hals getroffen - Knorr erlegte ein Junges, das im eiligen Gedränge mit fortgeschoben wnrde und versank, während ich eine MmMngel irgendwo im Kopfe des andern Pullen verbarg und ihm das fürchterlichste Gebrüll entlockte, — lauter, ich wage es zn sagen, als je der wilde Bulle Bashan's brüllte. Als er in's Wasser kollerte, was mit einem Gesprihe geschah, daß der Schaum über uns flog, berührte er fast die Buge des Bootes und gab Miller gute Gelegenheit, seine Harpune hineinzubringen, was er auf vortreffliche Weise that. Die bennruhigte Heerde schien sich geraden Wegs nach dem Grunde zu begeben, und die Leine spann sich in furchtbarer Schnelligkeit über den Dahlbord hinaus. Da wir aber mehrere Rollen im Boote hatten, so wurde das Ende nicht erreicht, ehe die Thiere zu steigen begannen; wir zogen den schlaff hängenden Theil ein und machten uns zu dem bereit, was folgen sollte. Dnrch die Spannung der Leine wurde das Boot um eiuige lose Eis-fragmenle herumgerissen, und da die Leine sich zwischen denselben verwickelt halte, so wären wir in großer Gefahr gewesen, wenn nicht eitler der Matrosen schnell hinausgespruugen wäre, dieselbe frei gemacht nnd das Boot gesichert hätte. In einigen Minuten erschien die ganze Heerde an der Ober^ fläche etwa 150 Fuß von uns; der harpunirte Bulle war dabei. Miller hielt seine Leine fest, und das Boot wurde schnell in Be wegung gesetzt. Das Emporkommen der Hecroe war das Signal zu einer Scene, die sich nicht beschreiben läßt. Die Thiere stießen einen einzigen wilden einstimmigen Schrei ans, als wäre es ein Ruf um Hilfe im Todeskampf; dann erfüllte sich die Luft mit ant wortenden Schreien. Das „Hut! huk! huk!" der verwuudeteu Bulleu schien überall ein Echo zu finden, da der Schrei von Flarde zu Mrde aufgenommen und weitergefchickt wurde, wie der in einer Schlachtlinie von Schwadron zu Schwadron gehende Hornstoß, und hinab von jedem Stück Eis stürzten die crfchrockenen Thiere, so schnell wie der Matrose ans seinem Hängebett fällt, wenn der Wirbel schlägt und auf den Poslc» ruft. Ihre häßliche»! Kopse 350 Eine Nalrosijnsid. gerade über dem Wasser und die Mäuler weit offen, kamen sie, das gräßliche ,,huk! Hut! Hut!" ausstoßeud, auf das Boot zu getobt. In einigen Augenblicken waren wir vollständig umringt, uud die Zahl vermehrte sich noch immer mit erstaunlicher Schnelligkeit. Das ganze Wasser wurde lebendig nud schwarz von ihnen. Anfangs schienen sie erschrocken und nuentschlossen zu sein, und eine Zeit laug hatte es nicht den Anschein als ob sie Böses im Sinne hätten; aber diese angenehme AnZsicht verschwand bald, uud wir mußten für unsere Rettung sorgen. Daß sie einen Angriff beabsichtigten, darüber konnte kein Zweifel mehr sein. Dem Sturme zu entgehen, war unmöglich. Wir hatten in erstaunlich knrzer Zeit ein anfgestörtcs Hornisscunest um unsere Ohren herum nnd mußten thun, so viel wir konnten. Selbst das verwundete Thier, an dem wir fest waven, wandte sich gegen uns, nnd wir waren der Brennpunkt von wenigstens tausend gähnenden, brüllenden Rachen. Die Walrossc schienen die Absicht zu habe», ihre Haner über den Dahlbord des Bootes zu bringen, und es war augenscheinlich, daß, im Fall ein solches Ungeheuer sich an uns hakte, das Boot in Stücke zerrissen wurde und wir hilflos im Meere schwimmen mnßten. Wir hatten daher guten Grnnd, thätig zu sein. Miller arbeitete von den Vngen aus tüchtig mit seiner ^anze und brachte manche ernste Wuude bei. Die Mannschaft schlug den Angriff mit ihren Nuderu zurück, uud Knorr, Jensen uud ich luden uud feuerten unsere Büchsen ab, so schnell wir nur konnten. Mehrere Male waren wir in großer Gefahr, aber der rechtzeitige Stoß eines Ruders oder die Lanze oder eine Kugel rettete uns. Einmal glaubte ich, wir wären sicher verloren. Ich hatte abgeschossen und beeilte mich wieder zu laden: ein boshaft aussehendes Thier stürzte sich auf uns, und es schien wahrscheinlich, daß es uns überwältigen werde. Ich hielt mit dem ^aden an nnd machie mich bereit, ihm meine Büchse in die Gurgel zu stopfen, als >tnorr, der seiu Gewehr fertig gebracht hatte, ihm eiucn tödtlichen Schuß iu den Kopf versetzte. Da bemerkten wir, daß wieder ein ungeheures Thier, das größte, das ich je gescheu hatte, und mit Hauern, die dem Anschein nach drei Fuß lang waren, sich den Weg durch die Heerde bnhute, den Rachen weit offen uud furchtbar brüllend. Ich war jehl, wie zuvor, wieder eifrig über dem ^aden; Knorr und Eine Walroüjagd. (5im Walroßjassd. 35^l, Jensen hatten ihre Gewehre abgeschossen und die Mannschaft arbeitete tüchtig mit ihren Rudern. Es war ein kritischer Augenblick, aber glücklicherweise war ich zur rechten Zeit fertig. Das Ungeheuer befand sich, den Kopf hoch über dem Boote, nnr noch zwei ssuß vom Dahlbord, als ich mein Gewehr aufhob nnd ihm in deu Rachen feuerte. Dcr Schuß tödtete es augenblicklich, nnd es fiel hinab wie ein Stein. Dies machte dein Kampfe ein Ende. Ich weiß nicht wärmn, aber die ganze Heerde gerieth plötzlich in Schrecken, und alle tauchten mit einem fürchterlichen Gespritze fast in demselben Augenblick nuter. Als sie, noch immer schreiend wir zuvor, wieder heraufkamen, waren sie eine Strecke von nns entfernt; ihre Köpfe waren alle seewärts gerichtet und sie eilten von uns hiuweg, so schnell sie nur konnten; ihr (Gebrüll wurde immer schwächer, je weiter sie sich zurückzogen. Wir mußten wenigstens ein Dutzend erlegt und noch viel mehr tödtlich verwundet haben. Das Wasser war stellenweise roth von Blnt und mehrere halbtodte und sterbende Thiere lagen schwimmend um uns herum. Der Bulle, au den wir befestigt waren, zog, uachdem die ganze Heerde zurückgewichen war, mit aller Macht, um fortzukommen, aber seine Kraft wurde bald erschöpft, und als seine Eile nachließ, ermöglichten wir es die Leine einzuziehen, und brachten ihn endlich so nahe, daß unsere Büchsen-kugeln die erwünschte Wirknng thaten, und zuletzt gab ihm Miller mit seiner Lanze den Gnadenstoß. Dann zogen wir ihn zu dem nächsten Stück Eis, und ich konnte meinen uaturhistorischeu Sammlungen bald ein schönes Exemplar hinzufügen. Von den anderen bekamen wir nur eiu einziges Stück; die übrigen waren gestorben uud versunken, ehe wir sie erreichten. Ich habe früher das Walroß nie für ein wirklich furchtbares Thier gehalten; aber dieser Kampf überzeugt mich, daß ich seinem Mnth großes Unrecht gethan habe. Sie kämpfen tüchtig, und waren wir nicht sehr thätig gewesen und hätten nicht eine bedeutende Selbstbeherrschung besessen, so wäre unser Boot in Stücke zerrissen und wir entweder ertränkt oder getödtet worden. Einen wüthenderen Angriff als den, welcher auf uns gemacht wurde, kann man sich kanm vorstellen, und ein Feind, der furchtbarer aussieht, als eius dieser kolossalen Ungeheuer, mit seinen gewaltigen Hanern uud seiner brüllenden Kehle, wird schwerlich zu fin- M Der „glorreiche Vierte". den sein. Das nächste Mal, wo ich es wieder mit ihnen «ersuche, werde ich nieine Äoolsmannschaft mit Lanzen bewaffnen. Die Büchse ist ein ärmliches Ding, nnd wären die Nuder nicht gewesen, so hätte nns die Heerde jedrn Angenblick überwältigt. Den 4. Juli, Der „glorreiche Vierte" bietet uns einen traurigen Gruß, — Negen, Hagel und Schnee sind ungewöhnliche Begleiter dieses nationalen Festtages. Der Thermometer ist fast bis auf den (^e frierpunkt gefallen; aber dessenungeachtet haben wir unsere Salve abgefenert und unsere Flagge wehen lassen, wie die Pflicht uns gebot. Dank den Jägern haben wir ein gutes Mittagsmahl von Wildpret und Vögeln gehabt, das mit einem Löffelkrautsalat endete -und wenn uns auch die Festrede fehlte, so wendeten wir doch unsere (bedanken um uichts weniger dem ewig theuren Lande zu, wo Alle fröhlich find, — Alle in gleicher Weise für den Augenblick die Unterschiede ihres Parteiglaubens nnd ihrer Partei-Interessen vergessen und sich unter dem breiten Banner der Nation vereinigen, um die wiederkehrende Morgendämmerung seiner wunderbaren Laufbahn zu begrüßen und volle Gläser auf brüderliche EinHeil ^n trinken. Gott segne den Tag! ^ Den 7, Juli. Ich bin drei Tage lang bis zur Littleton-Inscl hinauf ge^ wesen und habe das Eis beobachtet, gejagt u. s. w. Nir erlegten ein zweites Walroß und bestanden ein eil zweiten Kampf, aber diesmal hatten wir weniger Feinde und trieben sie sehr schnell ab. Die Littleton- und McGaru-Insel wimmeln buchstäblich von Vögeln, hauptsächlich Eiderenten und Bürgermeistern. Man hätte eine nnendliche Anzahl schießen können. Die Eier enthalten fast alle schon Junge, aber glücklicherweise haben wir bereits riuen guten Vorrath auf den Inseln des Hc^Fs gesammelt. Ich fand einen Flng Vrandgänse, tonnte aber ihre Nester nicht entdecken. Die Bürgermcister-Mövcn sind sehr zahlreich, aber Elfenbein- und andere Möven, die ich zn finden gehofft hatte, gab es nicht. Sie scheinen nicht so weit nach Norden zu kommen. Das offene Wasser ist immer weiter in's Eis eingedrungen. Die Inseln stehen jetzt alle im offenen Meere, und vom Schiffe bis zu seinem Rande sind nur einige Ruthen. Das Eis klammert Vorbereitungen zur Abfahrt. 353 sich noch immer fest an den Schooner, trotz aller unserer Anstrengungen, ihn frei zu machen. In der Ahnung, daß eine südliche Dewing in den Hafen tritt und das Eis bricht, habe ich die Mannschaft mehrere Tage arbeiten lassen, um quer über den Hafen vom Vorderreitknie des Schisses in der einen und voni Hinterstcven in der andern Richtung eine Spalte zu sägen. Das Eis ist jetzt nur 4'/, Fuß dick. Die Segel sind alle gespannt, unsere Ankertaue sind an Bord gebracht, unser Depot am Lande ist fertig, und wir sind au^ Alles gefaßt. Werden wir mit dem Eise auf'Z Meer hinausgeweht, so sind wir vollständig vorbereitet. Auf dem Berggipfel an der Nordseitc des Hafens haben wir einen Steinhügcl (oairn) errichtet, und unter ihm habe ich eine kurze Geschichte der Reise niedergelegt. Das Observatorium lasse ich stehen, und Kalutunah verpflichtet sich, daß die Eskimos es wahrend meiner Abwesenheit nicht stören. Alle, die hier waren, sind so reich geworden, daß ich glaube, ich darf mich auf ihre Ehrliche keit verlassen; gleichwohl hat das Holz großen Werth für fie, und diese armen Wilden sind nicht die einzigen Menschen, denen es schwer wird, der Versuchung zu widerstehen. Dcn 9. Juli. Ich habe den: Ehester-Thal noch einen Besuch gemacht und von „Bruder John" Abschied genommen. Wenn der letztere fortwächst, bis ich wiederkomme, so werden die Pfähle, die ich ihm in den Rücken geschlagen habe, manch nützliche Resultate zeigen. Das Thal war in das vollständige Sommergewand gekleidet. Die grünen Abhänge funkelten von Blumen, uud vom Allda-See war das Eis gänzlich verschwunden. Jensen schoß einige Vögel und machte einen starken Versuch, ein Rennthier zu fangen; während er damit beschäftigt war, bekam ich einen gelbflügligen Schmetterling und — wer sollte es glauben? — eine Moskito. Diese füge ich einer eutymologischen Sammlung hinzu, die bereits zehn Motten, drei Spinnen, zwei Hummeln und zwei Fliegen zählt, — ein ziemlich gutes Verhältniß der Klasse Insecten für diese geographische Breite, 78° 17' nördlich, bei 73" westlicher Länge. Den 10. Juli. Eine schwere Deining tritt von Südwesten her in den Hafen. Draußen ist offenbar starker Südwind gewesen, obgleich es m'er Hayes, Da« offnn' P^lar-Mcn', ^c! 354 Wieder Mt! nm' schwach geweh: hat. Das Eis ist während des Tages aufgebrochen worden, und eine Spalte nach der andern öffnet sich quer über den Hafen. Wenn es noch ;wölf Stunden dauert, werden wir befreit sein, Es ist eine Art Krisis, und es kann eine geführ-liche werden. Das Krachen des Eises ist ganz fürchterlich. Der Schooner bleibt noch immer fest in seiner Wiege liegen. Den ll, Juli Wir haben einen Tag in großer Aufregung verbracht und sind noch nicht frei davon. Das Hereinwälzen der Wogen dauerte fort und es entstanden quer über den Hafen noch mehr Spalten, bis die Deining endlich das Fahrzeug erreichte. Spät am heutigen Nachmittag öffnele sich das Eis nach fechsunddrcißigstündiger Ungewißheit dicht ueben uns, und nach einigen Minuten trat ein Spalt schräg über das ^ahr^cug ein. Das war es, was ich gefürchtet und zu dessen Verhinderung ich das Eis qncr über den Hafen hatte durchsägen lassen. Das Eis wurde jedoch schnell von den Bugen abgelüst, hielt aber am Hintcrthcil fest, und bei den Rucken, die der Schooner durch die ersten wenigen Bewegungen erhielt, fingen alle Innenhölzer wieder völlig an zu knarren; endlich kam die gesägte Spalte zu Hülfe; der Schooner trennte sich ein wenig und schlingerte nach dem Backbord, wodurch das Eis sich unter der Mlling ablöste und wir wirklich flott wurden; aber wir rieben höchst unbehaglich und reiben noch immer. Dm 12. Juli. Die Deining hat sich gelegt, die Sturmwolken haben sich verzogen, und die Ebbe führl das Eis hinaus und zerstreut es über das Meer hin. Wir sind völlig und wirklich flott und können wieder das Verdeck nicht ohne Boot verlassen. Es sind beut gerade zehn Monate, seitdem wir eingeschlossen wurden, und während dieser Zeit ist unser kleines Fahrzeug eher ein Haus als ein Schiff gewesen. Wir freuen uns, daß wjr wieder die Bewegung des Meeres fühlen, und „bemannt das Boot" erscheint wie ein ganz neuer Befehl, wenn man an's Kand gehen will. Wir warten nur auf Wind, damit er uns auf die See treibe. Den 13. Juli, Es ist noch immer Windstille, und wir liegen ruhig zwischen dem Eise, das uns noch kürzlich gefangen hielt, Ich bin am i/ande Abschied cion den Eskimos. 355 gewesen und HM' von meinen freunden, den Eskimos, Abschied genommen. Sie haben ihre Zelte in der Nähe aufgeschlagen, und, die armen Kerle! es thut mir wirklich leid, daß ich sie verlassen muß. Sie sind Alle treu und ehrlich gewesen, Zeder in seiner Weise, uud haben mir höchst wichtige Dienste geleistet. Die Munterkeit, mit der sie nur ihre Hunde zur Verfügung stellten (und ohne diese Hunde hätte ich durchaus Nichts machen können), ist der stärkste Beweis ihrer Liebe und Achtung, den sie mir geben tonnten; denn ihre Hunde sind für sie die kostbarsten Schätze, ohne die sie keine Sicherheit vor Mangel uud Huugersnoth für sich und ihre Weiber und Kinder haben. Ich habe ihnen manches Gute gethan und habe ihnen Geschenke von großem Werthe gegeben, aber die Stelle eines uerlomen Hundes läßt sich durch Nichts ersetzen, und vou alleu den Thieren, die ich von ihnen erhielt, haben nur zwei die Beschwerden meiner Frühlingsreise überlebt. Diese habe ich ihren ursprünglichen Eigenthümern zurückgegeben. Ich habe ihnen große Hoffnung auf ineiue baldige Rückkehr gemacht und in dieser Aussicht scheinen sie Trost zu finden. Es ist etwas Trauriges, über die Zukunft dieser seltsamen Menschen nachzudenken, und doch sprechen sie von einem Verhängniß, das sie als unvermeidlich betrachten, mit einer Gleichgültigkeit, die schwer zu begreifen ist. Der einzige Mensch, der bei der Aussicht auf die Verödung, die bald über ihre Dörfer kommen wird, im Ernste einen Stich durch's Herz zu fühlen schien, ist Kalulunah. Dieses sonderbare Wesen — ein Gemifch von Ernsthaftigkeit, Gut-müthigkeit und Verstand scheint auf die Ueberlieferungcu seiner Nace in Wahrheit stolz zu sein uud die Aussicht auf ihren Untergang ihn wirklich zu schmerzen. Als ich ihn heut bei der Hand nahm und ihm sagte, daß ich nicht wieder an's Land tonnneu würde, trateu ihm die Thränen in die Augen, und ich war gerührt you seinen ernsten Worten, — es war fast eine Bitte: „Kommen Sie wieder und retten Sie uns." Sie retten wollte und will ich, wenn es mir vergönnt ist zurückzukehren, und ich bin fest überzeugt, daß christliche Liebe und christliche Mildthätigkeit bei keinen Wesen in der ganzen weiten Welt würdiger angewandt sind, Den 14. Juli, Wir fahren bei leichtem Wind von Osten unter vollem Segel auf die See hinaus. Wir kommen nur wenig vorwärts, siud 356 Abschied von Port Foulte. aber im Stande, zwischen dem losen Eise unsern Weg zu finden. Im Vorbeisegeln sehe ich Haufen alter Blechkanncn, todte Hunde, Aschenhausen und andere Trümmer des Winters auf Eisftoßen auf dem Meere schwimmen, — Ueberreste der zehn Monate, die mit allen ihren traurigen und allen ihren angenehmen Erinnerungen vorüber sind. Als ich mich vom Verdeck zurückzog, sah ich die Eskimos am Strande stehen und uns starr nachblicken; das kleine weiße Obseruatorinm wurde in der Ferne düster, und ich bin hier unten angekommen mit einem freundlichen „Adieu, Port Foulke" auf den Lippen. Siebenunddreißigstes Kapitel. Wir verlassen Port Foulkc, — Versuch, Cap Isabella zu erreichen, — Wir stoßen auf Packeis und suchen Schutz an der Littleton-Inscl, — Jagd - Vicle Vögel und Walrosse, - Besuch auf der Cairn-Spitze, — Wir erreichen die Westküste. — Aussicht von Cap Isabella. — Pläue für die Zukunft, — Unsere Resultate. — Erörterung der Aussichten, das Polar-Mer zu erreichen. — Die Gletscher von Ellesmerc-Land, Der Schooner glitt sanft auf's Meer hinaus, aber der Wind legte sich bald völlig, nnd die Strömung führte uns in die untere Bai hinab, wo wiV an einem Eisberg ankerten. Ich ging on's Land nnd erlangte einige gnte Photographien voll Iulchen's Thal und Wasserfall, Sonntag's Monument, dem Krystallpalast-Gletscher und Cap Alexander, Obgleich über die Aussicht auf Erfolg zweifelhaft, beschloß ich doch, das Feld nicht zu verlassen, ohne daß ich noch einen Versuch machte die Westküste zu erreichen und weitere Aufschlüsse zu erlangen, die mir in der Zukunft von Nutzen sein konnten. Ich hatte noch immer einige Hoffnung, daß selbst bei meinem verkrüppelten Fahrzeug sich doch eine so gute Aussicht vor mir öffnen könne, daß sie mich rechtfertigte, wenn ich blieb. Wir stießen daher, sobald der Wind kam, von dem freundlichen Eisberge ab und steuerten noch einmal nach Cap Isabella zu. Während wir vom Lande hinwegschlichen, verstärkte sich der Wind zu einer frischen Brise, und der Schooner spraug, als ob er sich freute, daß er seine Freiheit wieder hatte, mit seiner alten Schnelligkeit über das Wasser hin. Aber leider lag schweres Packeis in unserm Cours, durch welche s wir, wenn der Schooner fest gewesen wäre, vielleicht eine Durch- 358 Auf der Littleton-Insel. fahrt hätten erzwingen können; da es sich aber nicht ohne häufige Zusammenstöße mit dem Eise ausführen ließ, so wurde der Plan aufgegeben. Das Packeis war nicht mehr als zehn Meilen von der grönländischen Küste entfernt; ich steuerte daher nach der Littleton-Insel zurück nnd beobachtete von dort ans die Vewe^ gungen des Eises. Wir fanden einen bequemen Ankerplatz zwischen der Littleton-und McGary-Insel und erreichten ihn gerade zur rechten Zeit; denn ein heftiger StmM mit dickem Schnee brach, wie ich nach dem Aussehen des Himmels geahnt hatte, von Norden herein und hielt mehrere Tage an. Unterdessen vergnügten sich die Leute mit der Jagd. Auf der Littleton-Insel wurde eine Hecrde Rcnnthiere entdeckt und die Walrosse waren sehr zahlreich. Von den letzteren wurden vier Stück erbeutet, — diesmal jedoch nicht von einem Boote aus, sondern von Hans auf die echte Eskimo-Art. Sie kamen in großer Anzahl längs dem Ufer her und legten sich auf dem Strande in die Sonne, wo Hans sich ihnen verstohlener Weise näherte und sich an eins nach dem andern mit seiner Harpune befestigte. Da die Leine an einem Felsen gesichert war, so wurden die Thiere gehalten, bis sie erschöpft waren, und dann hereingezogen, wo sie bald die Veute der Büchsen wurd-en. Da ich gern ein Junges als Exemplar für meine Sammlungen haben wollte, so schloß ich mich den Jägern an. Ich wählte mir aus der Heerde, die auf dem Felsen lag, eins aus, das für meinen Zweck paßte, feuerte auf dasselbe und erlegte es. Die anderen tauchten schnell in's Wasser. Die Mutter des todten Kalbes war die letzte, die den Felsen verließ, und sie schien es mit großem Widerstreben zu thun. In einigen Augenblicken kam sie an die Oberfläche, drehte sich herum und sah das Junge noch immer auf dem Felsen liegen. Da es auf ihr Geschrei nicht antwortete, stürzte sie sich rasend der Gefahr entgegen, und im vollen Anblick der Ursache ihres Wehes (denn ich war ganz nahe an die Stelle hingetreten), schleppte sich das unglückliche Geschöpf, nur auf die Rettung ihres Sprößlings bedacht und die ganze Zeit jämmerlich schreiend, aus dem Wasser, kroch um das Junge herum und schob es vor sich her in das Meer. Ich versuchte sie zuerst zu verscheuchen und dann mit einer frischen Kugel aufzuhalten und mein Exemplar zu retten; aber Alles war umsonst. Obgleich schwer verwundet, erreichte sie doch ihren Zweck; sie fiel mit der Vrust auf An Cap Isabella. 359 das todte Kalb, nahm es mit sich hinab, und ich sah sie beide nicht wieder. Gin stärkeres und rührenderes Beispiel von der Liebe einer Mutter zu ihrem Zungen habe ich unter den sprachlosen Geschöpfen nie gesunden, und es kam von einer Seite, wo ich es gar nicht erwartet hatte. Da ich, so lange der Tchneesturm dauerte, Muße hatte, so ging ich nach der Cairu-Spitze hinanf, um zu sehen, wie sich das Eis von dort aus zeigte. Nachdem ich eiueu Tag daselbst gewartet hatte, klärte sich die Atmosphäre aus, und ich konnte gauz deutlich bis Cap Isabella sehen. Die Grenzlinie des festen Eises erstreckte sich in einer etwas unregelmäßigen Curve den Sund hinauf von dem genannten Cup bis einige Meilen oberhalb der Cairu-Spitze. Von da in das Norowasser hinab war das Meer mit einer losen Packeismasse angefüllt. Deu Tag uach meiuer Rückkehr stachen wir in See. Da das Packeis jetzt sehr zerstreut war, so fuhren wir in dasselbe hi'nein und drangen ohne Schwierigkeit bis zum Nande dcs festen Eises durch. In zwei Tagen erreichten wir die Gale Spitze, die etwa zehn Meilen unterhalb Cap Isabella liegt. Von da bis zum Cap fuhr ich in einem Walfischboote; aber an dem Cap selbst konnte man nicht vorbeikommen; wir stcnerlen daher in die erste passende Bucht uud erstiegen den Hügel. Die Anssicht überzeugte mich, wenn ich es nicht bereits war, daß es thöricht gewesen wäre, mit dem Schooner noch irgend einen weiteren Versuch zu machen. Ich bedachte mich keinen Augenblick mehr. Meiue Ansichten wurden sogleich folgendermaßen niedergeschrieben: ,,Ich bin, wenn noch ein schwacher Zweifel blieb, nun völlig von der Nichtigkeit meines Entschlusses überzeugt, nach Hause zu-rückzukehreu und nächstes Jahr gestärkt und mn Dampf ausgerüstet herauszukommen. Wenn mein Herz mich verleitet, mit dem Cise noch einmal Versuche anzustellen, so beweist mir mein Verstand, duß ich dabei Alles auf's Spiel setzen würde. Man könnte eben so gut eiu Hudsondampfboot zum Sturmbock benutzen, wie diesen Schooner mit seinen geschwächten Bugen dazu, dem Eise des Smith-Suudes entgegenzutreten. ,,^nr die Zukunft habe ich folgende wichtige Vortheile erlangt und muß mich nothgedrungen für jetzt mit denselben begnügen: 360 Ergebnisse der Reise. ,,4. Ich habe meine Reisegesellschaft ohne Krankheit durch-gebracht und habe damit nachgewiesen, daß der arktische Winter an und für sich weder Scorbut noch Mißvergnügen erzeugt. „2. Ich habe nachgewiesen, daß Menschen im Smith-Sund sich ernähren können, ohne von der Heimath aus unterstützt zu werden. „3. Daß in Port Foulte eine sich selbst erhaltende Colonic gegründet und zur Basis einer ausgedehnten Forschung gemacht werden kann. ,,4. Daß die Erforschung dieser ganzen Gegend sich von Port Foulte aus vornehmen läßt, — denn ich habe von diesem Ausgangs-punkte meine Entdeckungen weit über diejenigen meiner Vorgänger hinausgeschoben, ohne daß eine zweite Gesellschaft im Felde war, die mit mir zusammenwirkte, und unter den widrigsten Umständen, „5. Es ist mit einem ziemlichen Grad von Gewißheit erwiesen, daß man mit einem festen Schifft den Smith-Sund b> fahren und jenseits desselben das offene Meer erreichen kann, ,,6. Ich habe nachgewiesen, daß das offene Meer existirt, „Und nun, da ich dies Alles bewiesen habe, werde ich nach Boston zurückkehren, den Schooner ausbessern, mir einen kleinen Dampfer verschaffen und im nächsten Frühjahr so zeitig, als ich kann, wiederkommen. Den Schooner werde ich in Port Foulke lassen; ich selbst werde dort nur so lange bleibeil, als nöthig ist, um die Maschinerie zum Beginn der Jagd, zur Versammlung der Eskimos und zur Herstellung der Mannszucht in der Colonie in Bewegung geseht zu sehen; dann werde ich Cap Isabella aufsuchen und auf dem schon bezeichneten Wege nordwärts dampfen. Kann ich das offene Meer in einem Jahre nicht erreichen, so kann ich es vielleicht im nächsten; in jedem Falle werde ich in Port Foulkc immer eine ergiebige Quelle von Nahrung und Pelzen und ein Fahrzeug haben, um sie nach Cap Isabella zu schaffen, auf das ich zurückweichen kann, und wenn ich Hunde brauche, so werden sie in jeder Anzahl, die etwa erforderlich ist, in der Colonie gezogen werden. Außerdem läßt sich, wenn es mir bei dieser Forschungsreise an Mitteln fehlen und die Expedition künftig ganz auf ihre eigenen Hülfsquellen angewiesen sein sollte, aus der Colonie ein hinlänglicher Gewinn an Thran, Pelzen, Walroß-Glfen-bein, Eiderdunen u. s. w. ziehen, um außer der Erhaltung der Cap Isabella. 364 Angestellten wenigstens noch einen sehr beträchtlichen Theil der Gehalte derselben zu bezahlen. Die ganze Gegend um Port Foulke herum strotzt von thierischem Leben, und ein einziger guter Jäger kann zwanzig Mäuler ernähren. Daß diese Ansicht richtig ist, be weist die Erfahrung, die ich sowohl im Winter als im Sommer gemacht habe. Das Meer ist reich an Walrossen, Seehunden, Narwalen und weißen Walfischen, das Land an Rennthieren und Füchsen, die Inseln und Klippen wimmeln im Sommer von Vögeln, uud das Eis ist das Gebiet, das die Bären durchstreifen." Soviel von der Zukunft; lassen Sie mich nun wieder auf die Gegenwart kommen! Inglefield hat die Ausdehnung des Smith-Sundes ganz richtig angegeben, wie ich sowohl bei meiner Ueberfahrt als auch von Cap Isabella aus zu beobachten die vortrefflichste Gelegenheil hatte. Einige Vorgebirge hat er zu weit nördlich gestellt, und einen kleinen Irrthum in der Are des Sundes Hai wahrscheinlich seine räumliche Anziehungskraft veranlaßt. Sein Victoria-Vorland ist das östliche Cap meiner Bache-Insel, und sein Cap Albert ist das östliche Cap der Henry-Insel. Die Aussicht von Cap Isabella den Sund hinauf war wahrhaft prachtvoll. Die dunkle, schroffe Felsenküste, die durch den Contrast mit dem ungeheuren weißen Mantel, der über ihr lag, noch dunkler erschien, wurde von zahlreichen Gletschern unter brochen, die durch die Thäler in das Meer vordringen. Das Uer äe ssiace hat einen großen Umfang, und da es viel steiler ansteigt und mehr zerklüftet ist, so macht es einen malerischen Effect, welcher der grönländischen Seite mangelt, und trägt viel dazu bei, daß diese Küste so großartig erscheint. Die Berge sind hoch und überall gleichmäßig mit Eis und Schnee bedeckt, und die Gletscherströme, die zum Meer hinabsteigen, machen fast den Eindruck, als wäre auf dem Berggipfel einst ein ungeheurer See gewesen, dessen überfließende, durch jedes Thal hinabströmende Wasser plötzlich gefroren wären. Cap Sabine gegenüber liegen zwei Inseln, die ich Brevoort und Stalknecht nenne, und eine andere liegt in der Mitte des Wegs zwischen ihnen und der Wade-Spitze, die ich Leconte nenne. Zwischen der Wade-Spitze und Cap Isabella öffnet sich eine tiefe Einfahrt, die mit der Cadogcn-Einfahrt des Capitän Inglefield 362 tzm „Tiamant m 0rr Wüste". parallel läuft und rings mit Gletschern umsäumt ist, welche in die dunkeln Felsen wie Brillanten in einen pechschwarzen Grund «ingelegt sind. Ich gebe ihr noch keinen Namen, bis ich weih, ob Inglefield dort eine Bai verzeichnet hat, da ich die officielle Karte über seine Forschungen nicht bei mir habe. Cap Isabella ist eine zerrissene Masse plutonischcn Gesteins und sieht aus, als wäre sie unvollendet autz dem Laboratorium der Natur hervorgegangen und aus dem Meere cmporgeschoben worden, während sie noch heiß war, um in der kalten Luf! zn zerspringen und in stücke zu zerbröckeln. Seine Oberfläche ist im höchsten Grade kahl; ungeheure Klüfte und Schlnndc, in denen es nicht die entfernteste Spur einer Vegetation gab, durchkreuzen sie nach allen Richtungen, — große gähnende Tiefen mit ausgezacktem Boden und zerbröckelnden Wänden, — sonnenlos wir die Kimmerischen Höhlen uon Auernus. Als ich über eine Felseuspitze nach der andern kletterte, glaubte ich zur Sommerszeit noch nirgends einen Ort angetroffen zu haben, der so des Bebens bar war; aber gleichsam zur Cntschä bigung für diese starre Unfruchtbarkeit, oder durch irgeud eine Grille der Natur erzeugt, lag zwischen den abschreckenden Hügeln ein reizendes becherähnliches Thal, und auf dieses stieß ich plötzlich, Balboa hätte kaum überraschter sein könuen, als er die Hügel von Darien erstieg und zum ersten Mal den stillen Oeean sah. Es war in der That ein „Diamant in der Wüste", und die kleine Eremitage in der Wildnis; von Cngadi war für den Nitter mit dem liegenden Leoparden lein angenehmerer Anblick, als dieses Thal für mich war. Die wenigen abgehärteten Pflanzen, die ich sonst überall angetroffen, hatten auf den klippigen Abhängen dieses rauheu Vorgebirges tciue Wohnstätle gefunden, und die Felsen standen in nackter Kahlheit empor ohne die kleine Franse uon Vegetation, die sie anderwärts gewöhnlich umgicvt; aber in dieses Thal hinab waren die Samen des Lebens getragen worden; Gras und Moos bekleideten dasselbe mit Grün, und die Mohnen nnd Butterblumen schmückten es mit Blättern von Gold. In seinem Mittelpunkte lag eiu kleiner funkelnder See, wie ein Diamant in einem Smaragd sitzend, ^ in der That ein kleines ,,bczanbertes Meer", „Von wilden und eisgrauen Bergm umschlossen." Eme Gletscher-Grotte, (A3 und so zauberhaft und wundervoll wie irqend eins, das je den Stoff zu eiuer nordischen Sage lieferte. Vom untern R.'ndc dieses Sees stürzte ein Strom in einer Reihe Cascaden durch eine tiefe Schlucht dem Mecrc zu, und in dem Thale rieselten eine Anzahl kleiner Bäche zwischen den Steinen oder schlangelten sich sanft durch die weichen Moosbcttcn. Indem ich einem derselben bis zu seiner Quelle nachging, kam ich an eine Schlucht, die plötzlich au nnem Gletscher endete. Letzterer sah aus wie eiu in Falten gelegter Vorhang von weißem Allas, der quer über den engen Durchgang gezogeil war, als ob er ein geheiligtes Plätzchen in den Hügeln verdecken soMe. Als ick näher trat, nahm dieser weiße Vorhang festere Gestalt an, uud ich bemerkte, daß eine Menge glänzender Fontainen über ihn hinflatterten. Nahe an seinem Mittelpunkte führte ein enger gothischer Bogen gang in eine geräumige Grotte; sie war mit himmelblauem Licht erleuchtet und mit Gehängen von höchst phantastischer Gestalt und seltener Durchsichtigkeit verziert, die, sich iu der Men Oberfläche eines klaren Teiches wie in cinem silbernen Spiegel zeigteu. Aus dem Teiche strömte ein krystallheller Bach hervor, so rein und fun kelnd wie die von Cypressen umgebenen Wasfer, welche die jnng fraulichen Glieder der Iägerkönigin bespülten. Während ich in die verborgenen Nischen dieser wundervollen Höhle schaute, die so keusch uud ausgesucht war, wo die Einsamkeit allein und ungestört, außer durch die sanfte Musik strömen den Wassers, zu wohnen schien, wurde ich mir plötzlich bewußt, daß ich, Aktäon gleich, unvermuthet in Gefahr gelockt worden sei. Von der Vorderwand des Gletschers brach eine Masse Eis ab, zersprang in zahlreiche Stücke, und der Hagelschauer kam nahe an mir auf die Felsen und in das Wasser herabgestürzt und brachte mich in jähe Flucht, ohne daß meine Nengierde noch be friedigt war. Ich kehrte zum See zurück uud ging nng5 nm sein grünes Gestade herum. Während des Gehens pflückte ich eiuen Strauß glüuzcnder Blumen, an die sich eine so angenehme Erinnerung knüpft, daß fie ihren Platz nichl in den „botanischen Sanun lungen". sondern vielmehr in einer andern Sammlung — An denken — finde» werden, die, nienn anch iveinger geschätzt, dock stärker geliebt ist, und die Erinnerung, die ich an dieses reizende Thal und den silberfarbenen See und die gießenden Bäche und 364 Spuren von Eskimos. den Gletscher und seine Grotte mit mir nehme, wird noch erhöht werden, wenn ich dieselben zum Andenken an die schönsten Ge. stalten benenne, die je an dem Gedächtniß des sturmgepeitschten Wanderers vorüberzogen, und an die schönsten Finger, die je Afghan-Wolle in eine kunstvolle Arbeit verwandelten, um das Licht einer dunkeln Kajüte zu verstärken! Als ich an der Gale-Spitze an's Land ging, entdeckte ich Spuren von Eskimos, die viel frischer waren als diejenigen an der Gould-Bai und anderen Orten auf den Küsten von Grinnell-Land. Sie waren in der That so beschaffen, daß ich stark vermuthe, die Küste sei gegenwärtig bewohnt. Die Klippen bestehen aus dunklem Sandstein und gehen nördlich von der Spitze plötz' lich in eine weite Ebene über, welche sanft zum Nande des Wassers absteigt. Diese Ebene ist etwa fünf Meilen breit und ist im Norden ebenso wie im Süden von hohen Klippen begrenzt, die sich über die Urgesteine hinter Cap Isabella erheben. Die Ebene bestand aus losem Meerkies, der an vielen Stellen mit großen grünen Flecken überdeckt war, durch welche eine Anzahl breiter Wasserströme flössen. Diese Ströme entsprangen aus der Vorderwand eines Gletschers, der von dcm Ner äs ßlaoo das Thal herabragte. Er befand sich etwa vier Meilen vom Meere und begrenzte den grünen und steinigen Abhang mit einer großen, mehrere Hundert Fuß hohen weißen Wand, über welcher das schneebedeckte, steil aufsteigende Ner äe Mo6 das Auge zu den kahlen Gipfeln der fernen Berge hinaufführte, Als ich an diesem ungeheuren Eisstrom hinaufblickte, schien es, als ob ein Dutzend Niagaras zusammen in das Thal herabgesprungen und bei ihrem Fall gefroren und das ausmündende Wasser des Flusses unten vertrocknet wäre und Blumen in dem Flußbett blühten. Mein Tagebuch vergleicht ihn mit einem ungeheuren weißen Tuche, das auf einer, von einer Klippe zur andern gespannten Leine hängt. Hchtunddreißigstes Kapitel. Wir verlassen dcn Smith-Sund, - Fahrm über das Nord Wasser. — Begegnen dem Packeis. - Meer und Luft wimmeln von Leben, — Merkwürdige Luft-spiegelung. ^ Wir erreickm dcn Whalc-Sund. — Ich untersuche dcn Sund in einem Boote. — Wir treffen in Iteplit Eskimos. — Sitten der Eskimo«. — Hochzcits'Feierlicht'cit. — Abnahme des Stammes, ^ Ansicht von der Barden°Vai. - Der Tyudall-Gletscher. Da endlich mit einem östlichen Winde das Eis hereinkam, und wir keinen Hafen finden konnten (die Cadogen-Einfahrt war vollständig mit Eis gefüllt), so hatten wir keine andere Wahl, als uns nach Süden zu entfernen. Dies thaten wir in einem glücklichen Augenblick, denn das Eis drängte sich mit großer Schnelligkeit an das Ufer heran, und hätten wir länger gewartet, so waren wir nicht im Stande gewesen zu entkommen, und wären von der unwiderstehlichen EiZmasse auf den Strand getrieben worden. Wir nahmen den Wind immer mit uns die Küste hinab, bis wir die Talbot Einfahrt erreichten; da stießen wir auf schweres Pack-Eis und steuerten nach dem Whale-Sund, den ich gern erforschen wollte. Da wir dicht am Lande hinfnhrm, so hatte ich vortreffliche Gelegenheit, die Küste zu beobachten und die Karte zu vollenden, besonders von der Cadogcn- und Talbot-Einfahrt, die wir beide ihrem ganzen Umfang nach umsegelten. An der Küste stehen überall Gletscher hervor. Unter der Talbot-Einfahrt liegt innerhalb der Mittie-Inscl des Capitän Inglefield eine große Insel, die noch nicht auf der Karte verzeichnet war. Indem wir am nördlichen Rande des Eises hinfuhren, verfolgten wir einen nordöstlichen Weg quer über das Nordwasser an einem der reizendsten Tage, die ich unter dem arktischen Himmel 366 ^trttische Luftspiegelung. verbracht habe. Es wehte nnr die schwächste Brise, um auf dem Meere kleine Wellen zu erzeugen, und wir glitten über die stille» Wasser in glänzendem Sonnenschein, Das gan^e Meer war mil glitzernden Eisbergen und Stückchen von alten ^lardeu besät, nnd hier und da zeigte sich ein Streifen Eis, der vom Pack-Eis war abgerissen worden. Die Thiere des Meeres und die Vögel der Luft versammelten sich um uns, und das bewegungslose Wasser wie die ruhige Atmosphäre waren voller Leben. Die Walrossr kamen schnaubend nnd brüllend durch das Meer, als ob sie uns sehen wollte»; dir Serhunde steckten in großer Anzahl rings um das Fahrzeug bestündig ihre schlauen Köpfe in die Höhe; die Nur^ wale stießen in gewaltigen Schaarcn, trag ,,blasend", ihre Hörner aus dem Meere, und ihre gefleckten Körper folgten mit einer gra ziösen Curve uach, als ob der Sonnenschein ihnen behagte und sie ihn nngern verließen; große Mengen weißer Walsische schössen an uns vorüber; Luft und Eisberge schwärmten von Möven, und Flüge von Eilten nnd Alken zogen die ganze Zeit über uns hin. Ich saß einen großen Theil des Tages ans dem Verdeck, versuchte mit leidlichen, Erfolg die vortrefflichen grünen Farben des Eises, das an uns vorbeitrieb, in meine Mappe zu bringen, und beobachtete eine höchst sonderbare Erscheinung am Himmel. Dieser arktische Himmel macht bisweilen phantastische Kunststückchen, und in keinem Falle habe ich die Vorstellung in solcher Vollkommen heit gesehen. Die Atmosphäre hatte eine seltene Milde, uuo fast den ganzen Tag hindnrch war eine höchst merkwürdige Mirage oder Lnftspiegelnng sichtbar, — eine Erscheinung, die während der windstillen Tage des arktischen Sommers sehr häufig vorkommt. Der ganze Horizont erhob nnd verdoppelte sich beständig, und in großer Entfernung jenseits desselben stiegen Gegenstände wie durch eine seltsame Zauberei empor und schwebten in der Luft, mit jeden« wechselnden Augenblick eine andere Gestalt annehmend, Ferne Eisberge und schwimmende Eisfelder, Küstenlinien und Gebirge wurden auf diese Weise vor die Augen geführt; zuweilcu behielten sie einen Augenblick ihre natürliche Gestalt, dann wurden sie breiter oder länger, stiegen und sielen, je nachdem der Wind über das Meer wehte oder still wurde. Die Veränderungen waren eben so verschieden wie die sich auflösenden Bilder eines Kaleidoskops, und jede Gestalt, welche die Phantasie nur ersinnen kann, stand gegen den Himmel hervor, ,^n dem einen Augenblicke schoß Im Nebel vevlorou. 367 eine scharfe Thurmspitze, das verlängerte Bild einer fernen Berg-spitze, auf; diese gestaltete sich zu einem Kreuz oder einem Speer, oder nahm eine menschliche Gestalt an, und verschwand dann all-mälig, um durch einen Eisberg ersetzt zu werden, der wie eine auf dem Zipfel eines Berges stehende Burg erschien; die mit ihm heraufkommenden Eisfelder stankirten ihn auf beiden Seiten und stellten sich in einem einzigen Augenblick wie eine mit Bäumen und Thieren besetzte Ebene dar; dann zeigten sie sich wieder wie rauhe Berge, und nach einer Weile brachen sie auf und enthüllten eine lange Neihe von Bären, Hunden, Vögeln und Menschen, die in der Luft tanzten und vom Meere znm Himmel hüpften. Dieses seltsame Schauspiel ^n malen, wäre eine unmögliche Auf. gäbe. Die Gestalten, die jeden Angenblick erfchicncn und eben so plötzlich in andere (Gestalten übergingen, nahmen kein Ende. Vier Stunden lang beobachteten wir den ,,wesenlosen Anfzna/", bis ein Wind von Norden das Meer beunruhigte; da zerschmolz mit sei^ nem ersten Hauche die gan^e Scene eben so schnell wie das ,,gründ lose Gebäude" von Prosperous ,,Vision", und aus der Beobach tung dieser zerfahrenden Bilder und dem Gennß der milden Luft arbeiteten wir uns in einem Paar Stunden nnter eng eingcreeften Segeln dem Winde entgegen durch einen wüthenden Negen- und Hagel-Sturm. In der dicken Atmosphäre trieben wir uns manchmal widerlich umher und entkamen einigemal mit genauer Noth, ehe wir den Whale, Sund erreichten. Eine schwere Packeis-Masse, die dem An schein nach an den Carey-Inseln hing, trieb uns weit in dem Nordwasser hinauf, und um an unsern Bestimmungsort zu ge^ langen, mnßten wir uns dicht an die Haklnnt-Insel halten. Hier ruderte ich, da die Luft still geworden war, an's Land, und beim Aufbruch zur Rückkehr fanden wir nns in einen Nebel gehüllt, der uns einige Unruhe machte. Als wir ihn herankommen sahen, ruderten wir fort, um den Schooner einzuholen, ehe der dunkle Vorhang sich hinter nns schloß, wnrden aber von ihm ereilt, als wir fast eine Meile weit waren. Da wir keinen Eompaß hatten, so wußten wir nicht, welchen Weg wir steuern sollten; wir honen zwar die Schiffsglocke und dann und wann einen Flintenschuß, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu zieheu, aber so trügerisch ist das Ohr, wo das Auge nicht au der Leitung desselben betheiligt ist, baß uichl ^wei von uns den Schall aus derselben Richtung ver- 368 Der Inglefteld-Golf. nahmen; wir legten uns daher an unsere Nuder und vertrauten auf das Glück. Nach einer Weile erhob sich ein leichter Wind, und der Schooner, der abfuhr, steuerte aus reinein Hufall gerade auf uns zu und kam so plötzlich aus den dunklen Dünsten hervor, daß wir beinahe in den Grund gesegelt worden wären, ehe wir das Boot wegbringen konnten. In Folge der Nebel, Strömung nnd Eisberge hatten wir große Mühe, den Whale-Sund hinauf zu kommen; aber nach vielem geduldigen Ausharren langten wir endlich in der Barden-Bai an und konnten der Eskimo-Ansiedelung Netlik gegenüber ankern. Die Ansiedelung war verlassen. Am nächsten Tage stieg der Nebel und enthüllte viel schweres Eis, zwischen dem es gefährlich war sich auf den Schooner zu verlassen; ich nahm daher ein Walfisch-Boot und ruderte den Sund hinauf. Der Sund verschmälert sich stetig bis einige Meilen jenseits der Barden-Bai, wo die Küsten parallel laufen, bis das Wasser in einer tiefeinschneidenden Bai oder einem Golf aufhört. Diesem Golf habe ich den Namen des unternehmenden Seefahrers Eapitän Ingleficld gegeben, der zuerst den Eingang zu demselben überschritt. Die Küste anf der Nordseite läuft viel weiter südlich, als auf den alten Karten angegeben ist, und zwei hervorragende Vorlander, welche Inglefield fälschlich für Inseln hielt, habe ich auf meiner Karte mit den Namen bezeichnet, die auf der seinigen die muthmaßlichen Inseln haben. Eine Inselgruppe am hnttern Ende des Golfs nannte ich die Harvard-Iuseln, zur Erinnerung an die Universität in Cambridge, da ich den Mitgliedern ihrer medicinischen Facultät, während ich mich in Boston ausrüstete, für viele zuvorkommende Aufmerksamkeiten Dank schuldig bin, und einer Reihe prächtiger Berge, die am obern Ende des Golfs aufsteigen und, die Eisfluth im Zügel haltend, mit erhabener Würde das weite Nor äo ^luco überblicken, habe ich den Namen Cambridge Hügel gegeben. Auf der Südseite des Sundes, nach welcher die Harvard-Inseln sich hinzustrecken scheinen, stehen zwei hervorragende Enps, die ich Cap Banks und Cap Lincoln nannte, ^') wahrend zwei tief- *) Zu Ehren Sr. Excellenz N, P. Banks, ;ur Zeit meiner Abreise im Jahre 1860 Gouverneur von Massachusetts, und Sr, Ehren ff, W, Lincoln, da< Mals VÜMrmeistcr von Boston. Ein Eskimo-Dorf. 369 einschneidende Baien als Copes-Bai und Harrison-Bai bezeichnet werden. Eine andere auf der Nordseite erhielt den Namen Armsby-Bai. Zu meinem Bedauern konnte ich das hintere Ende des Golfes nicht erreichen. Das Eis blieb etwa zwanzig Meilen weit ganz fest nnd undurchdringlich, so daß ich mich zurückziehen mußte. Indem wir längs der Südküste hinfuhren, kamen wir auf das Dorf Itiplik und fanden es von etwa dreißig Leuten bewohnt. Sie lebten in Zelten von Seehundsfellen, deren es drei gab, und waren ganz entzückt, uus zu sehen. In der Nähe war ein Geniste Alken, ähnlich demjenigen in der Nähe von Port Foulke. Diese Vögel, uebst den Seehunden nnd Walrossen, die in allen Theilen des Sundes, wie wir bemerkten, sehr zahlreich waren, lieferten den Bewohnern des Dorfes reichliche Nahrung. Es wacen im Ganzen neun Familien, aber keine bestand aus mehr als vier Personen, — den Eltern und zwei Kindern. Die größte Familie, die ich unter ihnen gesehen habe, war diejenige Kalutunah's. Haus erzählte mir von mehreren Familien mit drei Kindern, und Tattarat, der jetzt einsamer Wittwer ist, lebt mit drei Waisen auf der Nor-thnmberland-Insel in der Nähe des dortigen Alkenhügels; sein Weib gebar ihm cin viertes Kind, das aber bald nach dem Tode seiner Mutter, während es noch Säugling war, auf eine geheimnißvolle Weise verschwand. Mit Hansens Hülfe versuchte ich mir einen richtigen Ueberschlag des ganzen Stammes zn verschaffen und schrieb, mit Cap I)ork anfangend, ihre Namen nieder. In dieser Gemeinde kann es keine hänslichen Geheimnisse geben, uud .Jeder weiß Alles, was jeder Andere treibt, -^ wo er im Sommer hingeht, und was er bei der Jagd für Glück gehabt hat, — und sie sprechen und klatschen darüber und über einander gerade so, als waren sie civilistrte Wesen, die kein gntes Haar an einander lassen. Aber ich hege starken Verdacht, daß Hans meines Fragens die Kreuz und Quere überdrüssig wurde, und blieb bei zweiundsiebenzig stehen. Ich habe iedoch guten Grund, zn glauben, daß die Seelenzahl des Stammes noch näher an hundert liegt. Ich erhiell ein vollständiges Ver-zeichniß der Todesfälle, die vorgekommen waren, seitdem Dr. Kaue sie im Jahre 18l>5 verließ. Sie beliefen sich auf vierunddreißig, und während dieser Zeit hatten nur neunzehn Geburten stattgefunden. haye«, Dai offene Powi6ot>au6 und den Alaoißr äu 6-6aut und ihre Nebengletscher bilden, alle geebnet würden. Anstatt der Mannichfaltigkeit, die sich in der Alpenansicht zeigt, stößt das Auge hier statt vieler Ströme auf einen einzigen sich ausdehnenden Strom, der immer schmäler Tijiidall'Oselscher im Whale-Kund. (Nach cincr Pb otograpbic von Dr. Hancs,) Gwsim'tisskeit der Gletscher. 375 wird, je näher er dem Passe kommt, bis er etwa noch zwei Meilen breit ist; von da steigt cr den steilen Abhang nach dem Meere hinab und zerbricht dabei, während er sich über die rauheren Stellen bewegt, auf die oben beschriebene Weise. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie Etwas gesehen, was die Grundsätze der Gletscherbewegung so vollständig darlegte und j-m flußähnlichen Charakter des krystallenen Stromes stärker erläutccte. Den Gletscher noch weiter zu ersteigen, stand nicht in meiner Macht; aber das Ange kletterte Stufe für Stufe durch den Gebirgspaß bis zu dem schwindligen Gipfel hinauf, und als die Phantasie von dieser Eiszinne aus über Meer und Gebirge wanderte, schien es mir, daß die Welt keinen eindringlicheren Beweis von der Größe und Gewalt des Allmächtigen enthalte, und ich dachte bei mir, wie schwach doch im Vergleich damit alle An-strengnngen des Menschen seien! Als ich mich wegwandte, und wieder den Gletscher hinabzusteigen begann, wiederholte ich jene Worte Byron's, die er niederschrieb, als seine Dichter-Phantasie die eisumgürteten Wände der Alpen hinanf und über die eisgekrönten Gipfel derselben wanderte: „......Seht hier sie ragen, Paläste der Natur, die ihre Kronm, Mit Schnee bedeckt, hoch in die Wolken tragen! Hier, wo die rollenden Lawinen wohnen, Die Schneegewitter, haust auf Eiscsthronen Die Ewigkeit!"*) 5) Lord Byron, Ritter Harold's Pilgerfahrt III, 62. Anm. d. Uebers. ReunuMreißigstes Kapitel. Aus der Heimreife, Einfahrt in die Melville-Bai, — Wir treffen mn emem Bär zusammen. — Stoße)! auf das Packeis, — Fahren durch das „Süd. Wasser," — Erreichen Upernavit, — Die Neuigkeiten. — Nach Goodhaven. — EdleS Benehmen der dänischen Regierung und der grönländischen Beamten. -- Durch einen Sturm aus der Vaffins-Vai hinausgetrieben. — Durch den Sturm rettlos gemacht und gezwungen in Halifax Schutz zu suchen. — Gastfreundliche Aufnahme. — Ankunft in Boston. — Ich lerne den Wirt-lichen Zustand des Paterlandes kennen. — Der Entschluß. - Schluß. Meine Geschichte ist bald zu Ende. Nachdem ich die Er-forschung des Whale-Sundes vollendet hatte, lichteten wir unsern Anker und steuerten südwärts. Der Himmel war hell und die Luft mild von einer Sommerwärmc, und als wir die wellenlosen Gewässer hinabglitten, die alle von Eisbergen funkelten, welche, langsam hinter uns unter den t'armosm rothen Schweif der Mitter nachtssonne versinkend, den Schauplatz unserer Abenteuer bewachten, schien es in der That, als wären die Meere glatt und die Winde sanft geworden, um uns nach Hause zu locken. Aber diese Ruhe der Elemente war von knrzer Dauer. Nach einer Weile erhob sich ein dunkler Vorhang über den sich zurückziehenden Hügeln und sandte uus einen Abschiedsgruft in der Gestalt eines Schnee- und Wind-Sturmes, so daß wir uns bald genöthigt sahen, einige unserer Segel einzuziehen und scharf auf der Hut zu sein. Mein Zweck war, das „West-Wasser" zu erreichen, indem wir nach der Ponds-Bai steuerten, dann das Mittel-Eis nach Süden zu umfahren und einen östlichen Cours nach der grön ländischen Küste einzuschlagen. Zusammenstoß mit einem Vären. 377 Die Atmosphäre klärte sich endlich auf, aber der Wind wüthete fort. Da er von Nordnordost kam, so schien er mir einer östlichen Fahrt günstiger zu sein als einer westlichen; als ich daher unterhalb der Breite von Eap 3)ork auf dem Meridian von 73" 40' angelangt war, ohne eine Spur von Eis zu entdecken, änderte ich meinen ursprünglichen Plan, gab dem Schooner einen andern Cours und fuhr direct über die Melville-Bai auf Upernavik zu. Das Resultat bewies, dast diese Aenderung klug war. In vier undzwanzig Stunden segelten wir fast zwei Breitengrade hinab und holten sieben Längengrade ein, so daß wir uns am Mittag des 10. August unter 74" 19' nördl, Breite und 6N° westl. Länge befanden, ohne Eis getroffen zu haben, das uns ernstlich beunruhigt hätte. Da die ^uft noch immer rein blieb, so hatten wir keine Schwierigkeit, die Eisberge zu vermeiden. Das Meer war jetzt sehr zornig geworden, und mir war fast eben so bange wie das Iabr zuvor, wo ich von Süden her in dir Bai einlief. Die Atmosphäre war jedoch vollkommen rein. Während wir dahin eilten, zehn Knoten in der Stunde zurück legend, fuhren wir fast über einen ungeheuren Eisbär weg, der im offenen Wasser schwamm, wüthend mit den Wogen kämpfte und sich dem Anscheine nach gern an uns machen wollte. Er war offenbar sehr erschöpft und, als er das Schiff nahen sah, ohne Zweifel auf dasselbe zugeeilt, um sich zu retten. Das unglückliche Thier hatte sich wahrscheinlich nm einem Eisstoß forttreiben lassen, das in den schweren Wogen unter ihm in Stücke gegangen war, Ob gleich die Eisbäre tüchtige Schwimmer sind, so fürchtete ich doch, die Wogen würden für den armen Kerl zu viel werden, da kein Fleckchen Eis zn sehen war, auf dem er Schutz finden konnte. Als wir vorbeifuhren, berührte er die Seite des Schooners, und Jensen, der eine Büchse ergriffen hatte, war eben im Begriff, seiner Laufbahn ein Ende zu machen; da hielt ich seine Hand zurück. Das Thier kämpfte so tapfer um sein Leben, daß ich es nicht wollte erschossen sehen, zumal da die Wogen zu hoch gingen, als daß wir hätten ein Boot hinablassen können, um seine Leiche zu bekommen, ohne eine Gefahr zu wageu, was die Umstände nicht rechtfertigten. Die Anwesenheit dieses Bären mahnte uns, daß das Packeis nicht sehr fern sein konnte; wir bargen daher einige Segel, und ich nahm meinen alten Posten oben auf der Fockraa wieder ein. 378 Wir fnhren wieder über die Melville-Bai. In der That, das Packeis war da, wie bald ein „Eisblink" bewies, und in einem Weilchen befanden wir uns dicht auf demselben. Wir holten bei dem Winde auf und fuhren einige Zeit an seinem Rande hin, ohne eine Grenze desselben zu entdecken, und da das Eis sehr lose und mürbe zu sein schien, so steuerten wir wieder in unsern südlichen Cours und fuhren in den ersten gün-stigen Kanal ein, Es war eine gewagte Sache, da wir, obgleich das Eis von demjenigen des Smith-Sundes ganz verschieden war, wegen des Zustandes der Buge des Schooners dasselbe nicht mit Sicherheit streifen konnten. Glücklicherweise begünstigte uns der Wind, nnd da der Schooner sich sehr gut steuern ließ, so ermög lichten wir es etwa zwölf Stnnden lang, die Flarden zu vermeiden, wenigstens ohne einen Stoß von ernster Folge; endlich war Windstille eingetreten, und da dieselbe einige Zeit fortdauerte, während die Temperatnr mehrere Grade nnter dem Gefrierpunkte stand, so bildete sich über das ganze Meer hin nenes Eis, das mehr als einen halben Zoll dick war. Es erhob sich wieder eine leichte nnd günstige Hrise, und wir waren abermals im Segeln; wir knirschten durch das krystallene Tuch znm großen Schaden der Seiten des Schooners, wo es kein Eisen gab, nnd kamen nur langsam vorwärts, denn wir staken oft vollkommen fest. Wir waren ziemlich froh, als die Brise steif wurde, das Eis in Stücke zerbrach uud uns eine freie Durchfahrt in das „Ost-Wasser" verschaffte. Am Morgen des 13. sahen wir Land uud fanden, daß es das Horse-Vorland war, Das Packeis war jetzt weit hinter nns, und unsere südliche Fahrt dnrch die Melville-Bai hatte ungefähr fünf Stunden weniger gedauert als die nördliche. Vom Horse-Vorlande segelten wir durch eine neblige Atmo^ sphäre mit gelegentlichen dicken Schneestößen nnd leichten veränder lichen Winden weiter, bis wir nach einem dreitägigen Tappen uus wieder im Upernaviker Hafen vor Anker fanden. Während die Kette noch im Klüsgatt klapperte, ruderte em alter Däne, der in Seehuudsfelle gekleidet war und ein kleines Quantum Englisch, aber eiue große Menge Handelsartitel besaß, mit einer Eskimo-Gesellschaft ab, fuhr zum Schooner uud kletterte mit wenig Umstanden über die Fallreepsplanke. Knorr ging ihm entgegen und fragte ohne alle Umstände, was es Nenes gäbe. „Oh! es giebt viel Neues." Neuigkeiten aus der heimath. M9 „Heraus damit, Mann! Nas ist es?" ,,OH! de Südstaaten die gehn gegen de Nordstaaten nnd es giebt viel Kampf." Ich hörte die Antwort, war neugierig, welch' seltsame Ver-wickelnng der europäischen Politik einen zweiten contmentalen Krieg entflammt habe, und rief diesen polaren Eumäns anf die Schanze. Hatte er Nachrichten aus Amerika? ,,OH! mich sprechen von 'merika! De Südstaaten, sehen Sie? Die gehn gegen de Nordstaaten, sehen Sie? Und da giebt's viel Kampf!" Ja, ich sah es! aber ich glaubte nicht, daß er die Wahrheit sagte, und erwartete die Briefe, die, wie ich wußte, mit dem däni schen Schiffe gekommen sein mußteu, und nach denen sofort in das Gouvernements-Haus geschickt wurde. Es bestätigte sich, daß Briefe augekommen waren und daß sie unser alter Freund, Dr. Rudolph, mitgebracht hatte, der einige Wochen zuvor von Kopenhagen Zurückgekehrt, und der so freund-lich war, sie selbst an Bord zn bringen, sobald er nnsere Ankunft erfuhr und fast ehe mein Bote das Ufer erreicht hatte. Diese Briefe und einige Stöße Zeitungen nebst dem Gedächtniß des Doctors theilten uns die wichtigsten Vorfälle mit, die bis nahe an das Ende des März 1861 in der Heimath stattgefunden hatten. Wir erfuhren die Einsetzung des neuen Präsidenten nnd die Hauptereignifse, die anf seine Wahl folgten, aber von den schrecklichen Dingen, die später geschehen waren, wußten wir Nichts. Wir konnten nicht begreifen, daß wirklich Krieg ausgebrocheu sei. Wir wußten nur von den Intriguen zu einer Theilnng der Staa-ten und von den Handlungen, die dies bezweckten. Wir erfuhren, daß Verdacht auf der einen und Verrath auf der andern Seite die Stunde beherrschte, daß Drohungen mit Gewalt und unem-schlosfene Berathungen die Gefellschaft in Gährung versetzt hatten, und daß die nationale Sicherheit gefährdet war; aber wir wußten Nichts von der Beschießung des Fort Sumter, noch von der bln. tigen Wunde, welche die Nation bei Bull Nun erhalten hatte, noch daß sich damals zum Schutz der Hauptstadt und zur Vertheidigung der Negierung ein ungeheures Heer an den Ufern des Potomac zusammenzog. Wir dachten wenig daran, daß in jeder großen und kleinen Stadt und in jedem Weiler die Beschäftigungen des Friedens bereits den leidenschaftlichen Aufregungen des Krieges 380 In Goodhaven. Platz gemacht hatten, baß durch das ganze Land ein Schrei der Entrüstung gegen Menschen gegangen war, die, verpflichtet die nationale Flagge nnd den nationalen Namen zu schützen, dieselbe aufgegeben nnd verschmäht hatten, oder daß unter dem Banner der Staatsrechte und nnter dem Antrieb des Ehrgeizes eine mächtige Partei der Vundesgewalt Trotz geboten und ihre Absicht erklärt hatte, den Vuudesvertrag zu brechen -, und hätten wir selbst diese Dinge gehört, es würde uns schwer geworden sein, uus so plötzlich vorzustellen, daß in einem einzigen Jahre menschliche Thorheit und menschlicher Wahnsinn so vollständig die Oberhand über Recht und Vernunft gewonnen habe. Während der Schooner bei Upernavik lag, beschäftigte ich mich damit, einen ueun Meilen breiten prächtigen Gletscher zu besuchen, der sich etwa vierzig Meilen von der Stadt in einen Fjord, Na mens Aukpadlatok, entladet, ^n der Nabe dieses (Gletschers giebt es eine Iagdstation desselben Namens, über welche ein Däne, Philipp, die Oberaufsicht hat. Er lebt dort im Genuß des Friedens und der Fülle mit einem Eskimo-Weibe und einer großen Anzahl Kinder, unter denen sich vier erwachsene Söhne von gemischter Race befinden, — wie man mir sagte, die besten Jäger nördlich von Pröven. Meine Messungen hielten mich mehrere Tage in Philipp's Hütte auf, nnd ehe ich Abschied nahm, hatte ich mit ihm selbst und seinen in Seehundsfelle gekleideten Söhnen, sowie mit seinem Weibe und seinen Töchtern die Uebereinkunft getroffen, daß sie mir Schlitten verfertigten, wo^u ich ihnen reich liche Materialien, Pelzkleider und ^ederstrünge gab; auch veran lahtc ich sie, für mich Hunde zu ziehen und zusammenzubringen, damit ich, wenn ich im nächsten Jahre zurückkam, gut versehen war. Nachdem wir Npernavit verlassen hatten, erhielten uns leichte und trügerische Winde vier Tage lang bei unserm alten Geschäft, den Eisbergen auszuweichen, Am Ende dieser Heit lagen wir in Goodhaven vor Anker und ich genoß, wie ich schon vorher wußte, die zuvorkommende Gastfreundschaft meines alten Freundes, des Inspector Olrik. Diese Ansiedlung liegt auf der Südseite der Disco-Insel und hat ihren Namen von der Vortrefflichkeit des Hafens, der vollständig vom Lande eingeschlossen ist. Es ist die Hauptcolome von Nordgrönlaud, und da sie der Sitz des Meeköuigs oder könig- Abschied von Grönland. 384 lichen Inspectors ist, so hat sich an dieselbe ein Anstrich von Be^ oeutung geknüpft, der den anderen Etationen fehlt. Herr Olrik geigte mir einen Befehl von seiner Regierung, durch den die grönländischen Beamten angewiesen wurden, meinen Forderungen Aufmerksamkeit zu schenken, und bot mir zugleich sowohl seine amtlichen als persönlichen guten Dienste an. Da ich mich auf dem Heimwege befand, so hatte ich wenig Gelegenheit, von diesem huldreichen Erlasse der dänischen Regierung Gebrauch zu machen; aber ich unterrichtete den Inspector von meinen kunf-tigen Absichten und sprach ihm meinen Wunsch aus, mich im nächsten Jahre der Vorrechte, die er mir gewährte, zu bedienen. Ich ergreife mit Freuden die Gelegenheit, meine Bewunderung für das Beuehmen der dünischen Negierung gegen die Nordpol-Expeditionen, von welcher Nation sie auch ausgehen mögen, öffentlich auszu sprechen, und in dem Falle, der mich selbst betraf, war es um so erfreulicher und wurde um so höher geschätzt, als ich keine Mini-sterial-Befehle hatte, womil ich meinen Ansprüchen hätte Achtung verschaffen können. Vom Oberhäudler, Herrn Anderson, sowohl als von dem Inspector wurde mir der freundlichste Beistand bei der Vervollkommnung meiner Sammlungen uud Vervollständigung meiner Neihe photographischer Anfichten zu Theil, und ich war so angenehm und zugleich so uortheilhaft beschäftigt, daß ich wirklich den guten Hafen ungern verließ i aber ich mußte nach Hause eilen, denn die Nächte wurden dunkel, und ich wollte nicht zwischen die Eisberge gerathen, ohne einiges Sonnenlicht zum Führer zu haben; als daher der erste schöne Wind kam, schaffte ich schnell meine Sammlungen an Bord, sagte Lebewohl, salutirte zum letzten Mal der dänischen Flagge und — uun, wir thaten immer wieder, was wir schon ein Dutzend Mal gethan hatten — tauchten in ein abscheuliches Nebelland, aus welchem eiu rauschender Wind hervorkam, der uns ein wenig schneller nach der Heimath hinschickte, als wir zu fahren Lust hatten. Es war ein richtiger Aequinoctial-Sturm uud ließ von der Zeit a», wo wir Disco verließeit, bis wir Newfoundland passirt hatten, in seinem Druck auf uns kaum eiu einziges Mal nach. Wir wurden aus der Davis-Straße noch wüthender hinausgeblasen, als wir hineingeblasen worden waren. Einmal wurden wir von einem vollkommenen Orkau überfallen, und es war ein 382 Wir stiegen vor dem Sturme dahin. Wunder, wie der Schooner durch denselben hinschwankte. Ulysses kann kaum schlimmer ausgestäubt worden sein, als seine dmmne Mannschaft alle Winde losließ, die Aeolus so gütig für ihn in den Sack gesteckt hatte. Außer dem kleinen Fetzen von einem Marssegel, nnter welchem wir vier Tage lang vor dem Sturme dahinflogen, indem wir einmal in vierundzwanzig Stunden zweihundertundzwanzig Vreitenmeilen zurücklegten, wurde jede Masche Segeltuch zerrissen. Die Wogen, die nns nachgestürzt kamen, jede dem Anschein nach entschlossen, sich über das Hintertheil zu wälzen, waren furchtbar, besonders wenn man hinaufblickte und sah, wie der kleine Lappen Segeltuch jeden Augenblick nachzugeben drohte, und so wie das Hintertheil nieder uud die Buge in die Höhe gingen, unter der Oilling das Wasser rieseln hörte, während hinter uns ein wahrer Niagara brauste und kurbettirte, als wäre er über die Vereitelung seines Zweckes toll geworden und bei jeder neuen Anstrengung entschlossener, das kleine Schiff zu erfassen, ehe es auf den Kamm der vorderen Woge stieg. Aber es entschlüpfte jeder drohenden Gefahr so graziös, wo nicht so ,,Schuctl, wic cin Ndkr, dcv spattct die ftüssigc !l.'uft," und ging, die zertheilten Wogen schäumend und brausend hinter sich lassend, triumphirend und unversehrt weiter. Als wir auf der Höhe von Labrador waren, zog sich der Wind plötzlich nach Westen; wir mußten daher die Jagd aufgeben und die Nase des Schooners dem Winde zukehren. McEormick hatte es ermöglicht, das Focksegel zusammenzuflickeu; ein dreieckiges Stück davon richteten wir zu einem Sturinsegel her, und nahmen uns vor, auf den Wind zu brassen. Dieses neue Wagniß schien nicht viel Aussicht auf ein glückliches Ende zu bieten, aber es ließ sich weiter Nichts thun. Das Segel wurde ausgesetzt-, und wir waren gerade zur rechten ,^eit zn diesem Entschluß gekommen, denn wir bekamen eine schreckliche Sturzsee über die Schanze, der Schooner legte sich nach der Leeseite um und stand dann so plötz lich auf, daß das kleine Marssegel, das uns so gute Dienste ge leistet hatte, in Bänder zerriß, die Stenge am Eselshaupt abbrach und dann der Klüverbaum nut einem Krach gerade hinwegsprang. „Halt dicht beim Winde!" war eine ziemlich melancholische Arl von Befehl, der unter diesen Umständen gegeben werden konnte, und als das Steuerruder hinabging, wurden wir, wie zu erwarten Empfang in halifar. IW war, in die Mulde der nächsten Welle geworfen, wo uns in der Mitte des Schiffs die abscheulichste Woge erfaßte, die ich je gesehen habe, und herab donnerte sie auf uus, schlug die Schanz-tleidungen ein, fegte die Verdecke vom Vorsteven bis zum Hintersteven rein und führte Alles über Bord, auch unsere Wafserfässer. Der Schooner zitterte durch und durch, als ob jede Rippe in sei-nem kleineu Leibe gebrochen wäre, und ich glaubte einen Augenblick sicher, er wäre zerschlagen' aber das kleine Schiff schien ein festeres Leben zu haben als eine Katze; es stand augenblicklich wieder auf, schüttelte sich das Wasser ab, nahm die nächste Woge auf den Bug, stieg prächtig an derselben hinauf und schoß dann gerade iu den Wind. ,,Vrav gemacht, mein Schiffchen!" war McCormick's schmeichelnder Beifall für des Schooners gutes Per halten. Wir lageu drei Tage lang auf deu Wind gebraßt und fauden uns endlich zweihundert Meilen von unserm Oours abgetrieben. Mittlerweile war über deu Verlust uuserer Wasserfässer viel Lärm entstauden. Wir hatteu noch ein Paar Fässer im Schiffsräume, konnten sie aber nicht herausbringen, ohne die große Luke zu entfernen, woran wir nicht denken dnrften, da die Verdecke überschwemmt waren und das Fahrzeug zum Sinken gebracht worden wäre. Ich machte mich daher sofort selbst an's Werk, dem Uebel abzuhelfen, und es gelang mir vollkommen. Mit einen: Theekessel als Retorte und einem Flintenlauf als Conoensator machte ich es möglich, für die ganze Schiffsmanuschaft Wasser genug zu oestil-liren, und in weniger als drei Stunden nach dem Unglück verschwand aller Lärm, als es bekannt wurde, daß aus dieser neu-erfundenen Vorrichtung ein Strom reinen Wassers im Betrage von täglich zehn Gallonen in die Ofsicier-Cajüte träufelte. Der beschädigte Znstand des Schooners zwang uns, als wir uns auf der Höhe von Nova Scotia befanden, so schnell als möglich in einen Hafen einzulaufen; wir segelten daher Halifax an, Unfer Empfang daselbst war höchst erfreulich, uud wir hatten bei den wegen Gastfreundschaft berühmten Leuten reichlichen Grund, uns über die bösen Winde zu freiten, die uns so viel Gutes zugeweht halten. Der Admiral der Flotte Zhrer britannischen Majestät, die damals im Hafen von Halifax lag, war so großmüthig, nur die Benutzung der Hülfsmittel der Negierung zur Ausbesserung meines rettlofen Fahrzeuges anzubieten, und von den Civilbeamten 384 Ankunft in Boston. Ihrer Majestät, sowie von dem Geschwader und der Garnison, von dem Bürgermeister nnd vielen anderen Bürgern von Halifax, — ganz besonders von der medieinischen Gesellschaft, — wurden der Expedition Aufmerksamkeiten erwiesen, die nicht weniger von einer freundlichen Gesinnung gegen uns selbst, als von Achtung vor der Flagge zeugten, unter welcher unsere Forschungen gemacht worden waren. Bis zur Zeit unserer Anknnft in Halifax hatten wir natürlich keine weiteren Nachrichten, als die nns in Upernavik erreichten. Wir hatten kaum nnsere Anker ausgeworfen, als ein Bürger der Stadt und ein Landsmann von mir, denen Beiden meine Frennd schaft nnd Dankbarkeil nicht lange vorenthalten blieb, forteilten, um uns zu begrüßen und die Zeitnngen zn bringen. Sie hatten unterwegs einige Stöße New-Yorker Vlätter aufgerafft, und wir erfuhren bald von dem schrecklichen Kampfe, der schon viele Monate gedauert hatte. Obgleich durch die Kunde, die wir in Upernavik erhielten, nicht ganz unvorbereitet, hatten wir doch die zuversichtliche Erwartung gehegt, daß durch weise und kluge Rathgeber Feindseligkeiten wären abgewendet worden. Wir wurden so erschüttert, wie diejenigen, welche daheim den Fortgang der Ereignisse von Tag zu Tag beobachtet hatten, sich vielleicht kaum vorstellen konnten. Die erste Knnde, die ich von dem Kriege erhielt, war der Bericht über die Schlacht bei Bull Nun; dann hörte ich von der Beschießung von Sumter, und dann von den Aufständen in Baltimore, von der Zerstörung des Norfolker Schiffswerftes und der Wegnahme von Harper's Fähre, und dann folgte ein Bericht über die allgemeine Bewaffnung nnd die Anwerbung von Freiwilligen. Wir blieben in Halifax nicht länger, als nothwendig war, um die Neparaturen des Schooners zu vollenden; dann stachen wir wieder in See und sahen in vier Tagen die Vostoner Lichter. Wir rafften aus dem dicksten Nebel, den ich je südlich vom nördlichen Polarkreise gesehen habe, einen Lootsen auf und segelten mit leichtem Wind in den Hafen ein. Während die Nacht verging, lrat fast Windstille ein', als wir über das todte Wafser hin nach dem Ankerplatz trieben, wurde der Nebel, wenn das noch möglich war, immer dicker. Die Nacht war stockfinster. Die Lichter, die an den Masttopven der Schiffe hingen, an welchen wir vorbei-suhren, hatten den geisterhaften Schimmer von Wachskerzen, die Ich lerne den Aufstand wirtlich kennen. 385 in einem Veinhaus brennen. Wir sahen kein Schiff sich be-wegeu, als nnser eigenes, und selbst diejenigen, welche vor Anker lagen, erschienen wie gespenstige Fahrzeuge, die in der finstern Luft schwammen. Selbst in Zeiten wirklicher Gefahr sah ich die Schiffsmannschaft nie so leblos oder so niedergedrückt. Als wir nnsern Anker auswarfen, fing die Sonne an ein düsteres Licht in die Atmosphäre zu ergießen- aber es hatte nicht den Anschein, als ob wir in der Heimath wären, oder als ob eine große Stadt in der Nähe läge. Keiner sehnte sich an'sLand zu gehen. Es schien, als ob Zeder ein persönliches Unglück ahnte und den durch seine furcht prophezeiten Schlag verschieben wollte. Ich landete ans Long Wharf nnd fand meinen Weg in die State Street hinein. Durch die dicken Dünste bewegten sich zwei oder drei Figuren, nnd ihre feierlichen Tritte unterbrachen die Stille, die noch schlimmer als die arktische war. Ich erreichte Washington Street und lief ängstlich nach Westen hin. Da ging ein Zeitungsträger an mir vorüber. Ich ergriff ein Blatt, und das Erste, was mein Auge erblickte, war der Bericht über die Schlacht bei Ball's Blnff, in welcher viele der edelsten Söhne von Boston gefallen waren, nnd es schien, als ob die Luft selbst sich um sie in Traner gehüllt hätte, nnd als ob der Himmel um die Erschlagenen der Stadt Thränen weinte. Ich nahm meinen Weg nach dem Hause eines Freundes, aber ich hielt es für wahrscheinlich, daß er nicht dort sei. Ich fühlte mich wie ein Fremder in einem fremden Lande, und doch war ich mit jedem Gegenstände, au dem ich vorbeiging, vertraut. Freunde, Vaterland, Alles schien bei einem ungeheuren Unglück verschlungen worden zn sein, und zweifelhaft lind unentschlossen kehrte ich traurig und niedergeschlagen nm und fand durch den trüben, trüben Nebel meinen Weg wieder auf das Schiff. Die schreckliche Wirklichkeit war mir jetzt zum ersten Male vor die Seele getreten. Das Land, das ich im glücklichen Gennß des Friedens und der Nuhe verlassen hatte, war bereits mit Blnt getränkt; eine große Erschütterung war eingetreten, um die alten Landmarken der nationalcu Union zu zerstreuen, nnd das Land, das ich früher gekannt hatte, tonnte nicht mehr dasselbe sein. Mit diesen Betrachtungen vermischten sich Gedanken an meine eigene Laufbahn. Nieine Bestrebungen fallen zu lassen; einen Plan, auf welchen ich so viel Zeit nnd. Mittel verwendet, aufzugeben; ein Haycs, Daö osfcnc Polar M«v. ^ 336 Der Entschluß. Werk, an welches ich mein Herz gehängt und dem ich schon die ganzen frühen Jahre meines Mannesalters gewidmet hatte, gleichsam im Keime erstickt zu sehen; alle Hoffunngen und allen Ohr geiz zu opfern, die mich in Strapaze und Gefahr ermuthigt hatten, indem sie mir den Ruhm in Aussicht stellten, der anf die glückliche Vollendung einer großen Sache folgen sollte; von einem Unternehmen abznstehen, bei dem ich mir eine ehrenvolle Slelle unter den Männer», welche die Geschichte ihres Vaterlandes ver-herrlichl und die Flagge desselben mit Ruhm bedeckt haben, ^n ge^ winnen getrachtet hatte, waren bedanken, die mir zuerst im Ernste durch die Seele gingen, während ich anf das Schiff zurückkehrte und die blutige Geschichte von Ball's Bluff iu der Hand trug. Im Angesicht der schrecklichen Knndc, die zn mir gedrnngen war, seitdem ich in Halifax anlangte, und die jetzt ihren Höhepunkt er-reicht hatte; im Angesicht der Pflicht, die jeder Manu in eigcuer Persou seinem Vaterlaude schuldet, wenn sein Vaterland in Gefahr ist, konnte ich nicht zögern. Ehe ich meine Kajüte erreicht, und während unsere Freunde noch nicht wußten, daß wir uns in der Bai befanden, hatte ich mich entschlossen, die Ausführung des Werkes, das ich übernommen, zn verschieben, und ich schloß die Kreuzfahrt sowohl, als dm Plan damit, daß ich einen Brief an den Präsidenten schrieb, um sofortige Anstellung im Staatsdienst bat und meinen Schooner der Negiernng zn einem Kanonenboot antrng. Jetzt sind fünf Jahre verflossen, seitdem der Schooner ,,Uni^ ted Staates" dnrch die finsteren Dünste des Bostoner Hafens nach. dem Ankerplatz kroch. Der schreckliche Kampf, den ich mir damals zuerst als iu der Nähr befindlich richtig vorstellte, ist nun vorüber nnd ein geschichtliches Ereigniß geworden. Die Geschicke der einzelnen Menschen sind immer dem allgemeinen Besten untergeordnet, nnd bei großen socialen lind politischen Umwälzungen, wo Ideen mit Bajonetten umgeben werden nnd große Interessen mit einander im Streite liegen, haben die Menschen wenig Zeit, Fragen der Wissenschaft oder fernliegende Pläne zu erwägen, die mit der nationalen Wohlfahrt in keiner Verbindung stehen. Aufgeschobene, nicht nufgehoben« Pläne. 38? Daher kommt es, das; ich die weitere Erforschung der arktische» Gegenden während der letzten Jahre aus den Augen verlor. Die Mittel, die ich mir verschafft, nnd die Vortheile, die ich gewonnen hatte, sind seit meiner Nücktehr nach Boston im October 1801 größtcntheils geopfert worden, nnd ich kann deshalb nicht mit Zuversicht sagen, wann die Forschung wird ernenert werden. Der Plan ist jedoch nicht aufgegeben, nnd meine Ansichten haben sich in keiner Beziehung geändert. Ich beabsichtige noch immer mein ursprüngliches Vorhaben auszuführen nnd hoffe den in den letzten Kapiteln dieser Ncisebeschrcibnng dargelegten Entdecknngs-plan bald in'Z Werk zn setzen. Es ist noch immer mein Wnnsch, in Port Fonlke eine Colonie zn gründen, wie ich sie oben beschrieben habe, und dieselbe mit einem Eorps wissenschaftlicher Genossen zum Mittelpuukt eines weit ausgedehnten Forschungs-Sustems zu macheu, Der Plan hat jetzl nin so größeres Interesse, als er sich mit dein Versuch durch das Svitzbcrgensche Meer verbindet, den die preußische Negiernng beabsichtigt und der znerft von dem nllsgezeichnclm Geographen I)i'. Angnst Petermann angeregt worden ist. Wie mein eigenes Unlernehmen, hat auch dasjenige Dr. Petermann's zeitweilig dem Zwange des Kriegs weichen müssen; aber man hat mir mitgetheilt, daß die Expedition für den kommenden Frühling") beabsichtigt wird. Die Organisation der Expedition gründet sich, wie ich glaube, auf die richtige Annahme, daß das offene Meer und der Nordpol sich vielleicht erreichen läßt, indem man mit Dampfschiffen durch den Eisgürtel westlich und nördlich von Spitzbergen dringt, Dieser Weg bietet vor demjenigen dnrch den Smith-Suud eiuige Vortheile, hat aber auch einige Nachtheile. Die zeitweilige Anlegung einer Eolouie in Port Foulke giebt dem Wege durch den Smith-Sund in Nücksicht auf deu Forscher seinen Hnuptvorzug vor dem andern. Es wird nicht nöthig sein, hier die Vortheile darzulegen, die sich aus einer Fortsetzung der von nur angegebenen Forschungslinie ableiten lassen; — die Zeit, in der wir leben, hat zn viel gewonnen durch Untersuchungen in allen Fächern der Wissenschaft, die, nicht nnmittclbar mit dem Hinblick auf praktischen Nutzen betrieben, durch stetige Erweiteruug der Grenzen menschlicher Erkenntniß die Interessen des Handels, der Schifffahrt, der Künste und *) Dc,' Verfasse,' schreibt im October 1«sl<>. Anm. b. Nebe,,, W8 Vortheile arktischer Forschung. alles dessen gefördert haben, was sich anf die Bequemlichkeit, Ve-haglichkeit und das Wohlbefinden der Menschheit besieh!, Zn der That, die Civilisation hat ain meisten dnrch dieienigen Cnldecknngen gewonnen, die anfangs nur einen abstractcn Werth hatten und über die Wände der Akademie hi nails kein Interesse erweckten. Das nngeheurc System der Dampf-Communication, das sein end loses Industriegewcbe rings um die Welt webt, nahm seineu Anfang in den scheinbar nutzlosen Experimenten eines gedankenvollen Knaben mit dem Deckel des Theekessels seiner Mutter; das wundervolle Netzwerk vou Drähten, das sich über die Kontinente brei^ let nnd unter den Meeren liegt, nnd an welchem die bedanken der Menschen wie mit den Schwingen des Lichts hinfliegen, ent springt ans dem znfülligeu Umstaud, daß im Munde Volla's zwei Stücke Metall sich berühreu; die Vinsen von ,^ord Nosse's Niesen^ lelcskop, das den Himmcls-Mechanislnus praktisch uuhbar niachle, entstanden dadurch, daß er die Vergrößevungskraft eines Wasser kügelchens beobachtete; die Maguetnadel, welche die flotten der Well nach ihreu fernen Vestimmnngsorten führl, folgl anf die zn fällige Berührung eines Stuckes Älaglleleisenstein mit einem Stück-chen Stahl: ja überall sehen wir dasselbe beständige Nnwachsen aus Anfäugeu, die unnütz erschienen; — die Buchdruckerpresse, der Webestuhl, die Kllllst der Souneirinalcrei entsprangen alle ans der einen nämlichen Qnelle, - aus einem Geist, der gespannl war, die Natur zu befragen uud ihre Geheimnisse zu enthüllen, ohne das Gule ^, fl'nnen, das daraus hervorgcheu sollte. Der fortschritt wissenschaftlicher (i'ntdeckuug ist in der That der ^ort^ schritt des Menschengeschlechts, uud die ,vmge: cmi lx»n<»? wird jetzt von dem, der verborgene Wahrheiten enthüllen will, nicht mehr aufgeworfen. Wo nur immer Menschen ein weileres ^eld für Gewinn oder Macht oder Nützlichkeit snchten, da war die Wissenschaft mitten nnter ihnen, — führte, nuierstntzte und belehrte sie. Wo nur immer Menschen uuter barbarischeu Völkern das Sinu-bild der allein wahren Religion aufzupflanzen suchtcu, da ging sie voran, — öffnete die Thore uud bahute den Weg. Sie hat den Vorhang der Unwissenheit von dem menfchlichen Geiste hinweggezogen, und das Christenthum, das ihren uorrückeuden Fuß-stapfcn folgte, hat aus drm Westen die alten Götzendienste verbannt, nnd der finstere Pantheismus des Ostens nnd der fetischdienst der wilden Clümme sind im Verschwinden begriffen. Das Schluß. ZW Licht der Wissenschaft und das Evangelium unseres christlichen Glaubens sind Hand in Hand mit einander dnrch die Welt gezogen, haben die Schranken der Gewohnheit nbcvsprnnlzen und nnt nncigeninchMM (^iftr dem menschlichen Verstande stetig die materiellen Zntcressen, die dieses Vebcn l'eireffen, iiüd der menschlichen Seele die heiligen Wahrheilen der Ofsenbarnng enlsallet, die sich ans das Mnnftige Vebcn beziehen. E u d e. Drucl von ^, P ii^ in Naumvnrg a. d, ^aall'. Verbesserungen. S. 20 Z, 13 v. u, setze hinter Purpur, " S. 22 Z. I v. u, lies Shakespeares statt Schal'espeare's- S. 36 Z, 2 v. u. „ Kombüse statt Kambüse, S. 41 Z. ,^ v. u. „ hundert „ fünfzig. S. 74 Z. 16 v, o, ,, einzigen ,, einziges. S. «« Z, « v, N. „ die ^ehnc „ das Gehörn- S. 91 Z, 5 v, u. „ Grabmäler der Todten, sie stud noch dazu die traurigen Beweise von dem schnellen Hinschwinden einer Mw- schenrace- S. 128 Z. 10 v. o, ^ schwarze oder Gryll^Lummen statt Duvl'kie«. S. 131 Z. l"! v. n, „ Jensen statt Ianscn. S. l^3 Z. 19 v. o, „ die Lehne statt das Gehörn. S. 15»6 Z. 1.'^ v. u, „ llin Cisfußc (d. h. am Rande des Eises nach dein ^ande hin) eine Controle vorzilnehmcn, statt anf dem Unter satz von Vis ciil Zeichen zur Controle zu machen, S. !?!i Z, 7 v, u, „ über den Giöfnß statt auf das Eis Postament. S. 22« Z. 1« v, o, „ Schlitteülelme '., Schlittenhörner. S, 240 Z. 13 v, u. ., Niickcu „ Stücken. S. 242 Z. K v. n. „ sondern „ sonder. Im Verlage von Hermann Costenoule in Jena erschienen ferner folgende neue Werke: Bakel, Samuel White, Der Albcrt-Nyanza, das große Becken des Nil nnd die Erforschung der Nilqnellen. Deutsch von I. E. A. Martin. Antorisirte Ausgabe. Nebst 38 Illustrationen in Holzschnitt, 1 Chromolithographie lind 2 Karten. Zwei starke Bände. Eleg. broch. 5,^ Thlr. Gajtian. l)r. Ädols. Reisen in Siain im Jahre 18«3. (DieVölker des östlichen Asiens.) Studien nnd Reisen. Dritter Band. Nebst einer Karte von H inter-In dien von Prof. Dr, Kiepert. Le^>8. Eleg. broch. 3^ Thlr. Sastian, Dr. Hoolf, Reisen dnrch Kambodja nach Cochin-china im Jahre 1863, (Die Völker des östlichen Asiens. Stndien und Reisen. Vierter Band.) Lex.-8. Weg. broch. 3 Thlr. Henglin, M. Th. V0N, Reise nach Abessynien, den Gala-Ländern, Ost-Sudan nnd Khartum in den Jahren 1«61 und 1862. Mit 10 Illustrationen in Farbendruck nnd Holzschnitt, ausgeführt von I. M. Bern atz, nebst Originalkarte. Groß Lex.-8 Eleganteste Ausstattung. 5 Thlr. Mb, Ph. H., Feruand Mendez Pinto's abenteuerliche Reife dnrch China, die Tartarei, Siam, Pegn und andere Länder des östlichen Asiens. Lex.-8. (5leg. broch. «>>'0ii 1^ Thlr. Livingstone, David »nt> Charles, Nene Missionsreisen in Slid-Afrika, unternommeu im Auftrage der englischen Regierung. Forschungen am Zambesi und seinen Nebenflüssen, nebst Entdeckung der Seen Shirwa und Nyassa in den Jahren 1858 bis 1864. Autorisirte, vollständige, allein berechtigte Ausgabe für Deutschland. Alts dem Englischen von I, E. A. Martin. Nebst 1 Karte und 40 Illnstrationen in Holzschnitt. Zwei starke Bände. gr. 8. broch. 5'/2 Thlr. Martins, Charles, Bon Spitzbergen zur Sahara. Stationen eines Natnrforschers in Spitzbergen, Laftpland, Schottland, der Schweiz, Frankreich, Italien, dem Orient, Aegypten nnd Algerien. Autorisirte und unter Mitwirkuug des Verfassers übertragene Ausgabe für Deutschland. Mit Vorwort von Carl Vogt. Ans dem Französischen von A. Bartels. 2 Bde. Lex.-8. broch. 3^ Thlr. Verlag von Hermann Costcnoblc in Jena. Die MM! in Natur- und Lebensbildern. Dargestellt von H. A. Ocrlepsch. Mit l