Izvirni znanstveni članek (1.01) BV 70 (2010) 3, 301-309 UDK: 27-789.32 Prejeto: 9/2010 Heinz-Meinolf Stamm Das Gelübde der Keuschheit in den Generalkonstitutionen des Minderbrüderordens Zusammenfassung: Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Promulgation des Codex Iuris Canonici erneuerte der Minderbrüderorden auch seine Consti-tutiones generales. In diesem Artikel geht es darum, dem Sinngehalt des Gelübdes der ehelosen Keuschheit nachzuspüren. Die Bestimmungen der Consti-tutiones generales basieren auf den Aussagen der Heiligen Schrift, der Kirchenväter, der Ordenstradition, des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Codex Iuris Canonici. Die wichtigsten dieser Texte werden hier vorgetragen. Auf ihrer Grundlage gestaltet sich in Zukunft das Leben der Minderbrüder in eheloser Keuschheit. Schlüsselwörter: Franziskus von Assisi, Minderbrüderorden, Generalkonstitutionen, Ordensgelübde, Keuschheit Povzetek: Zaobljuba čistosti v Generalnih konstitucijah minoritskega reda Po drugem vatikanskem koncilu in razglasitvi Zakonika cerkvenega prava je mi-noritski red obnovil tudi svoje Generalne konstitucije. V tem članku gre za raziskovanje vsebinskega pomena zaobljube čistosti in neporočenosti. Določila Generalnih konstitucij temeljijo na izjavah Svetega pisma, cerkvenih očetov, redovnega izročila, drugega vatikanskega koncila in Zakonika cerkvenega prava. Prikazana so najvažnejša izmed teh besedil. Na njihovi osnovi bo v prihodnosti oblikovano življenje minoritov v čistosti in neporočenosti. Ključne besede: Frančišek Asiški, red manjših bratov, generalne konstitucije, redovna zaobljuba, čistost Abstract: Vow of Chastity in the General Constitutions of the Order of Friars Minor Conventual After II Vatican Council and the promulgation of the Code of Canon Law, the Order of Friars Minor Conventual also renewed its General Constitutions. The present article tries to look into the meaning and the content of the vow of celibate chastity. The regulations of the General Constitutions are based on the statements of the Bible, church fathers, tradition of the Order, II Vatican Concil and the Code of Canon Law. The most important of these texts are presented. They represent the basis how the life of the Friars Minor Conventual will be formed in celibate chastity in the future. Key words: Francis of Assisi, Order of Friars Minor Conventual, General Constitutions, religious vow, chastity Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Promulgation des neuen Codex Iuris Canonici suchte der Minderbrüderorden, der erneuerten theologischen Sicht des Ordenslebens in seinen Generalkonstitutionen Ausdruck zu verleihen. Die so überarbeiteten Generalkonstitutionen wurden auf dem vom 12. Mai bis 22. Juni 1985 im Protocoenobium S. Mariae Angelorum de Portiuncula tagenden Generalkapitel des Ordens verabschiedet.1 Am 8. Dezember 1986, dem Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau Maria, wurden sie von der Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute gutgeheißen und bestätigt.2 Am 17. September 1987, dem Fest der Wundmale des hl. Franziskus, erlangten sie Gesetzeskraft.3 Gemäß der Weisung des Zweiten Vatikanischen Konzils dienten als Basis für die Erneuerung die Aussagen der Heiligen Schrift, der Kirchenväter, der Ordenstradition, des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Codex Iuris Canonici. Hier soll dem Sinngehalt des Gelübdes der ehelosen Keuschheit nachgespürt werden. 1. Das Gelübde der ehelosen Keuschheit um des Himmelreiches willen Die Generalkonstitutionen betonen, dass das Gelübde der ehelosen Keuschheit um des Himmelreiches willen gewählt wird: »Im Gelübde der ehelosen Keuschheit führen die Brüder ,um des Himmelreiches willen' ein eheloses Leben in geistiger und leiblicher Lauterkeit, um so ungeteilten Herzens auf die Sache des Herrn bedacht zu sein und in brüderlichem Leben nach dem Evangelium ,mit ganzer Anstrengung, mit ganzer Zuneigung, mit ganzem Inneren, mit allen Wünschen und aller Willenskraft Gott den Herrn' zu lieben.«4 In den Evangelien des Markus (10,2-12) und Matthäus (19,3-9) wird berichtet, wie Jesus mit den Pharisäern in ein Streitgespräch über die Unauflöslichkeit der Ehe verwickelt wird. Die beiden Berichte mit der Antwort Jesu sind nahezu gleichlautend. Aber Matthäus fügt sodann drei Verse (19,10-12) hinzu: »Da sagten die Jünger zu ihm: Wenn das die Stellung des Mannes in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten. Jesus sagte zu ihnen. Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist. Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche Die Abstimmung über das Gelübde der ehelosen Keuschheit fand am 14. Juni 1985 in der 36. Sitzung statt. Acta Capituli Generalis 1986, 290. Congregatio pro Religiosis et Institutis Saecularibus 1987, XVII: »Congregatio pro Religiosis et Institutis saecularibus... vi praesentis decreti Constitutiones Ordinis Fratrum Minorum approbat et confirmat.« Ordo Fratrum Minorum: Minister generalis 1987, XIX: »Nos,... praesentis Decreti vigore, Constitutiones generales promulgamus et promulgatas declaramus. Edicimus vero ac iubemus, ut... vim obligandi sortiantur a die 17 mensis Septembris anni 1987.« Cf. etiam Wagner 1987, 3-7. Constitutiones generales Ordinis Fratrum Minorum 1987, art. 9, § 1: »Castitatis voto fratres, ,propter Regnum coelorum', vitam coelibem in puritate animi et corporis ducunt, ut indiviso corde quae Domini sunt cogitent, et in vita evangelica ac fraterna ,toto nisu, toto affectu, totis visceribus, totis desideriis et voluntatibus Dominum Deum' diligant.« 1 2 3 haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es.« Dieses Herrenwort findet sich nur bei Matthäus. Offensichtlich stand es ursprünglich in einem anderen Zusammenhang, und zwar in einem Streitgespräch Jesu mit den Pharisäern über die neue ehelose Lebensweise der Jünger. Jesus verteidigt die Lebensweise der Jünger. Sie können gar nicht anders, als so zu leben. Das Reich Gottes, das Himmelreich, dessen Gegenwart angebrochen ist und von ihm selbst zeichenhaft bezeugt wird, hat es den Jüngern angetan. Von diesem Reich geht eine Übermächtigung aus, die die Jünger mit einer alles Maß übersteigenden Freude erfüllt. Vor dem Glanz dieses Reiches verblassen alle sonstigen Werte. Für dieses Reich erscheint kein Preis zu hoch. Die Botschaft vom Anbruch der Königsherrschaft Gottes überwältigt die Jünger und richtet ihr ganzes Leben aus auf die Vollendung der Gemeinschaft mit Gott. Sie ist ein Geschenk, das alle Sinne überwältigt und mit sich reißt, das den stärksten Affekt entbindet und durch seine Größe in des Herzens tiefster Tiefe restlos beglückt und so tatsächlich zur Ehe regelrecht »unfähig« macht - eben um des Himmelreiches willen (Eilers 1972). 2. Das Gelübde der ehelosen Keuschheit als Zeichen der kommenden Welt Das Gelübde der ehelosen Keuschheit weist, so unterstreichen die Generalkonstitutionen, zeichenhaft auf die kommende Welt hin: »Alle Brüder sollen die ehelose Keuschheit als Geschenk Gottes ansehen: Sie ist ein Zeichen der kommenden Welt und Quelle überreicher Fruchtbarkeit. Um dieses Geschenk zu bewahren, sind alle von der Kirche und vom Orden empfohlenen natürlichen wie übernatürlichen Hilfen zu nutzen.«" Tertullian (ca. 160-220) prägt für die christliche Jungfrau den Begriff der »Braut Christi«. Die Jungfrau vermählt sich Christus. Ihm übergibt sie ihren Leib. Die Ehelose lebt nur Gott und bringt ihm Tag und Nacht Gebete und Opfer dar, gleichsam als ihre Mitgift in der geistlichen Brautgemeinschaft mit Christus. Sie wird in dieser Welt schon der Welt der Engel zugezählt. In ihrem Engelgleichsein wird bereits die zukünftige himmlische Vollendung sichtbar. Der Schleier, zunächst als Schutz gedacht, wird zum Ehrenzeichen, das auf die kommende Welt des Himmels hinweist (De virginibus velandis 14, 16; De exhortatione castitatis 1, 13; De orati-one 22; Ad uxorem I, 4; II, 1-4; Frank 1972, 77-99). Auch Cyprian, von 249 bis 258 Bischof von Karthago, erblickt in den christlichen Jungfrauen bereits das Zeichen der zukünftigen Welt: »Was wir dereinst sein werden, das habt ihr schon zu sein begonnen. Ihr habt die Herrlichkeit der Auferstehung schon in dieser Welt inne... Solange ihr keusch und jungfräulich bleibt, seid ihr den Engeln Gottes gleich.« (De habitu virginum 22) Daher rührt denn auch die hohe Wertschätzung der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen: »Sie, die Jungfrauen, sind die Blüte am Stamm der Kirche, sie sind die Zierde und der Schmuck der geistlichen Gnade, die erfreuliche Anlage, das reine, unversehrte Werk des Ruhmes und der Ehre, das der Heiligkeit des Herrn entsprechende Ebenbild Got- tes, der erlauchteste Teil der Herde Christi.« (De habitu virginum 3) Im diesseitigen jungfräulichen Leben erfüllen sich schon die Verheißungen der jenseitigen Vollkommenheit. Die Jungfrauen treten an die Seite der Märtyrer. Denn wie diese haben sie die Welt überwunden (De habitu virginum 3, 8-10, 18-23; De lapsis 2). Ambrosius (339-397) weist die christlichen Jungfrauen auf den himmlischen Siegespreis hin: »Ihr glücklichen Jungfrauen,... über euer züchtiges Antlitz ist heilige Scham ausgegossen, und lautere Keuschheit ist euer Schmuck. Menschlichem Auge nicht ausgesetzt, bleibt ihr, der Täuschung abhold, nur auf eure Verdienste bedacht. Eure Schönheit ringt um den Siegespreis, aber mit einer Waffe, die ihr der Reiz der Tugend, nicht des Leibes leiht. Solche Schönheit löscht kein Alter aus, kann kein Tod rauben, keine Krankheit entstellen. Ihres Reizes berufener Richter darf nur Gott sein, der auch in einem minder schönen Leib die umso schönere Seele liebt ... « Was soll ich von den Jungfrauen aus Bologna sagen, der stattlichen Streiterinnenschar der Reinheit, die den Weltfreuden entsagend in einer gottgeweihten Gemeinschaft von Jungfrauen leben? Nicht zu geschlechtlichem, sondern zu keuschem Zusammenleben brachen sie auf und verließen gegen zwanzig an Zahl und hundertfältig an Frucht ihr elterliches Heim und weilen in den Gezelten Christi: unentwegte Streiterinnen der Keuschheit. Ihre Stimme erschallt in geistlichen Gesängen... Alle breiten zum Aufstieg weit die Schwingen, heben die rauschenden Fittiche, schlagen die schimmernden Flügel, um zu dem keuschen jungfräulichen Reigen,... zu der umfriedeten Stätte der Keuschheit zu gelangen.« (De virginibus I, 30; I, 60-61) In Maria sieht Ambrosius das Bild der wahren christlichen Jungfrau: »Das Bild der Jungfräulichkeit nun sei euch das Leben Marias, aus dem wie aus einem Spiegel die Schönheit der Keuschheit und die Norm der Tugend widerstrahlt.« (De virginibus II, 6) Mit Blick auf die himmlische Vollendung ruft Anselm, von 1093 bis 1109 Erzbischof von Canterbury, der jungfräulichen Seele zu: »Nun rüttele dein Herz und deine Seele auf, erhebe all deinen Geist und betrachte so viel du kannst. Wenn schon die einzelnen Güter angenehm sind, betrachte aufmerksam, um wie viel schöner jenes Gut ist, das die Heiterkeit aller Güter in sich birgt. Wenn das geschaffene Leben gut ist, um wie viel größer ist das Leben, das schafft. Wenn die Gesundheit ein erfreuliches Gut ist, um wie viel mehr das Heil, von dem alle heilsamen Dinge ihren Ursprung haben.« (Proslogion 24-25) Bonaventura (ca. 1217-1274) sucht die christlichen Jungfrauen zu ihrem höchsten Bräutigam zu führen: »Wenn du, Christi geliebteste Jungfrau, einige Verdienste guter Werke hast, steh in ihnen fest und schreite weiter voran... Jesus Christus, dein Geliebter, ruft dir in der Apokalypse zu: Dir gebe ich die Krone des Lebens... Zu diesem Preis und zu dieser Krone lädt dich dein geliebter Bräutigam Jesus Christus ein« (De perfectione vitae adsorores VIII, 2; cf. etiam Strack 1972, 116-122; Lang 1972, 149-158). 3. Das Gelübde der ehelosen Keuschheit gelebt in der Liebe der Gemeinschaft Die Generalkonstitutionen sehen in der lebendigen Gemeinschaft eine wichtige Stütze für das Gelübde der ehelosen Keuschheit: »Die Minister, Guar-diäne und die Brüder insgesamt mögen bedenken, dass die ehelose Keuschheit sicherer bewahrt wird, wenn die Liebe in der Gemeinschaft lebendig ist; daher sollen sie darauf achten, dass die brüderliche Liebe in der Bruderschaft gepflegt wird.«5 Das Zweite Vatikanische Konzil ruft die Ordensleute auf, in Treue zum Gelübde der ehelosen Keuschheit zu stehen: »Die Ehelosigkeit ,um des Himmelreiches willen', zu der die Ordensleute sich verpflichten, soll von ihnen als eine überaus hohe Gnadengabe angesehen werden. Sie macht das Herz des Menschen in einzigartiger Weise für eine Liebe zu Gott und zu allen Menschen frei. Darum ist sie ein besonderes Zeichen für die himmlischen Güter und für die Ordensleute ein vorzügliches Mittel, sich mit Eifer dem göttlichen Dienst und den Werken des Apo-stolates zu widmen. So rufen sie allen Christgläubigen jenen wunderbaren Ehebund in Erinnerung, den Gott begründet hat und der erst in der kommenden Welt ganz offenbar wird, den Ehebund der Kirche mit Christus, ihrem einzigen Bräutigam. Die Ordensleute sollen also treu zu ihrem Gelöbnis stehen, den Worten des Herrn Glauben schenken, auf Gottes Hilfe vertrauen und sich nicht auf die eigenen Kräfte verlassen, Abtötung üben und die Sinne beherrschen. Auch die natürlichen Hilfen, die der seelischen und körperlichen Gesundheit dienen, sollen sie nicht außer Acht lassen. So werden sie nicht durch irrige Meinungen, völlige Enthaltsamkeit sei unmöglich oder stehe der menschlichen Entfaltung entgegen, beeindruckt und werden alles, was die Keuschheit gefährdet, gleichsam instinktiv von sich weisen. Dazu sollen alle, zumal die Oberen, bedenken, dass die Keuschheit sicherer bewahrt wird, wenn in der Gemeinschaft wahre Liebe herrscht und alle miteinander verbindet.« (Perfectae caritatis 12) Die brüderliche Gemeinschaft ist für das Leben in eheloser Keuschheit eine wertvolle Hilfe: »Das Leben in Gemeinschaft nach dem Beispiel der Urkirche, in der die Menge der Gläubigen ein Herz und eine Seele war, soll, genährt durch die Lehre des Evangeliums, durch die heilige Liturgie, vor allem die Eucharistie, in Gebet und Gemeinschaft des Geistes beharrlich gepflegt werden. Die Ordensleute sollen als Glieder Christi im brüderlichen Umgang einander mit Achtung zuvorkommen. Einer trage des anderen Last. Denn durch die Liebe Gottes, die durch den Heiligen Geist in den Herzen ausgegossen ist, erfreut sich eine Gemeinschaft, die wie eine wahre Familie im Namen des Herrn beisammen ist, seiner Gegenwart. Die Liebe aber ist die Erfüllung des Gesetzes und das Band der Vollkommenheit. In ihr wissen wir, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergeschritten sind. Ja, die Einheit der Brüder macht das Kommen Christi offenbar, und es geht von ihr eine große apostolische Kraft aus.« (Perfectae caritatis 15) Constitutiones generales Ordinis Fratrum Minorum 1987, art. 9, § 3: »Ministri, Guardiani et fratres omnes memores sint castitatem securius servari cum caritas in vita communi viget; ideo invigilent ut in fraternitate dilectio fraterna foveatur.« Diese Grundgedanken des Zweiten Vatikanischen Konzils greift auch der Codex Iuris Canonici von 1983 auf. Die evangelischen Räte sind ein einzigartiges Geschenk Gottes an die Kirche: »Die evangelischen Räte, grundgelegt in Christi, des Meisters Lehre und Beispiel, sind ein göttliches Geschenk an die Kirche, das sie von ihrem Herrn empfangen hat und dank Seiner Gnade allezeit bewahrt... Der um des Himmelreiches willen übernommene evangelische Rat der Keuschheit, der ein Zeichen der künftigen Welt und eine Quelle reicherer Fruchtbarkeit eines ungeteilten Herzens ist, bringt die Verpflichtung zu vollkommener Enthaltsamkeit im Zölibat mit sich.« (can. 575, 599) Die brüderliche Gemeinschaft ist bei der Verwirklichung des Gelübdes der ehelosen Keuschheit eine unentbehrliche Hilfe: »Das jedem Institut eigene brüderliche Leben, durch das alle Mitglieder gewissermaßen zu einer Familie eigener Art in Christus vereint werden, soll so geregelt werden, dass es durch gegenseitige Unterstützung allen dazu verhilft, ihre persönliche Berufung zu erfüllen. Durch ihre in der Liebe verwurzelte und gegründete brüderliche Gemeinschaft aber sollen die Mitglieder ein Beispiel für die allumfassende Versöhnung in Christus sein... Das Ordensleben macht als Weihe der ganzen Person eine von Gott gestiftete wunderbare Verbindung in der Kirche sichtbar und ist ein Zeichen der kommenden Welt. So vollzieht der Ordensangehörige seine völlige Hingabe gleichsam als ein Gott dargebrachtes Opfer, wodurch sein ganzes Dasein zu einer beständigen Verehrung Gottes in der Liebe wird... Das öffentliche Zeugnis, das die Ordensleute für Christus und die Kirche ablegen sollen, bringt jene Trennung von der Welt mit sich, die der Eigenart und dem Zweck eines jeden Institutes eigentümlich ist.« (can. 602, 607) 4. Das Gelübde der ehelosen Keuschheit in der Reinheit des Herzens Als ein herausragendes Merkmal des Gelübdes der ehelosen Keuschheit bezeichnen die Generalkonstitutionen die Reinheit des Herzens: »Um das Gelübde der ehelosen Keuschheit zu leben, sollen die Brüder die Reinheit des Herzens hegen und alle Geschöpfe in Demut und Ehrfurcht anschauen, im Bewusstsein, dass sie zur Verherrlichung Gottes geschaffen sind.«6 Franziskus von Assisi (1181/82-1226) stellt seinen Brüdern das Leben mit reinem Herzen vor: »Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden. Wahrhaft reinen Herzens sind jene, die das Irdische gering achten, das Himmlische suchen und nicht nachlassen, immer mit reinem Herzen und reiner Seele den Herrn, den lebendigen und wahren Gott, anzubeten und zu schauen.« (Admonitiones 16) So kann die Liebe zu Gott zu ihrer höchsten Entfaltung gelangen: »Lasst uns alle aus ganzem Hrzen, aus ganzer Seele, aus ganzer Gesinnung, aus aller Kraft und Constitutiones generales Ordinis Fratrum Minorum 1987, art. 9, § 4: »Ad votum castitatis vivendum, fratres custodiant puritatem cordis, et curent ut humiliter et devote aspiciant omnes creaturas, conscii eas esse ad gloriam Dei creatas.« Stärke, mit ganzem Verstand, mit allen Kräften, mit ganzer Anstrengung, mit ganzer Zuneigung, mit unserem ganzen Inneren, mit allen Wünschen und aller Willenskraft Gott den Herrn lieben, der uns allen den ganzen Leib, die ganze Seele und das ganze Leben geschenkt hat und schenkt; der uns erschaffen hat, erlöst hat und uns einzig durch sein Erbarmen retten wird, der uns Elenden und Armseligen, Üblen und Verweslichen, Undankbaren und Bösen alles Gute erwiesen hat und erweist.« (Regula non bullata 9) Thomas von Celano (ca 1190-1260), der erste Biograf des hl. Franziskus, berichtet von der Reinheit des Herzens der ersten Brüder: »So sehr hatte die Brüder die heilige Einfalt erfüllt, so sehr war die Lauterkeit des Lebens ihre Lehrmeisterin geworden, so sehr hatte die Reinheit des Herzens von ihnen Besitz genommen, dass sie gar nichts wussten von einer Zwiespältigkeit der Gesinnung; denn wie ein Glaube, so lebte auch nur ein Geist in ihnen, ein Wille, eine Liebe, stete Eintracht der Herzen, Einklang der Sitten, Pflege der Tugend, Gleichförmigkeit im Denken und Liebe im Handeln... Mochte ein Bruder noch so betrübt oder verwirrt sein, es gab keinen, bei dem nicht auf die feurige Rede des Heiligen hin jede düstere Wolke des Geistes verschwand und heiterer Himmel wiederkehrte.« (Vita prima 17) Auch die Liebe zur Natur des hl. Franziskus schildert Thomas von Celano: »Wie erheiterte doch seinen Geist die Blumenpracht, wenn er ihre reizende Gestalt sah und ihren lieblichen Duft einsog! Sofort lenkte er sein betrachtendes Auge auf die Schönheit der Blume, die leuchtend zur Frühlingszeit aus der Wurzel Jesse hervorging und durch ihren Duft Tausende und Abertausende von Toten belebte. Und wenn er eine große Anzahl von Blumen fand, predigte er ihnen und lud sie zum Lob des Herrn ein, wie wenn sie vernunftbegabte Wesen wären. So erinnerte er auch Saatfelder und Weinberge, Steine und Wälder und die ganze liebliche Flur, die rieselnden Quellen und alles Grün der Gärten, Erde und Feuer, Luft und Wind in lauterster Reinheit an die Liebe Gottes und mahnte sie zu freudigem Gehorsam. Schließlich nannte er alle Geschöpfe Bruder und Schwester und erfasste in einer einzigartigen und für andere ungewohnten Weise mit dem scharfen Blick seines Herzens die Geheimnisse der Geschöpfe; war er doch schon zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes gelangt.« (Vita prima 29) Thomas von Celano fasst seine Darstellung des hl. Franziskus zusammen: »Wie schön, wie strahlend, wie herrlich erschien er in der Rechtschaffenheit seines Lebens, in der Einfalt seiner Worte, in der Reinheit seines Herzens, in der Liebe Gottes, in der brüderlichen Liebe, in dem verzehrenden Gehorsam, in der einträchtigen Fügsamkeit, in seinem engelgleichen Antlitz! Liebenswürdig im Umgang, von Natur sanft, freundlich im Reden, taktvoll im Ermahnen, getreu im Anvertrauten, vorsichtig im Ratgeben, energisch im Handeln, gefällig in allem; heiteren Sinnes, von angenehmer Gemütsart, besonnenen Geistes, in der Beschauung ganz versenkt, im Gebet beständig, in allem voll Feuereifer; standhaft im Vorsatz, fest in der Tugend, beharrlich in der Gnade, in allem derselbe; schnell im Verzeihen, langsam zum Zorne, frei im Geiste, begabt mit einem glänzenden Gedächtnis, scharfsinnig bei der Erörterung, umsichtig in der Entscheidung und einfältig in allem, streng gegen sich, gütig gegen andere, feinfühlig bei allem.« (Vita prima 29) 5. Schluss Das so neu orientierte und geistig vertiefte Gelübde der ehelosen Keuschheit erweist sich für den Minderbrüderorden als ein Leuchtsignal, auf das in Zukunft das Leben der Brüder ausgerichtet sein wird. Die Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute deutet es in ihrem Dekret an: »Um ein so vortreffliches, aber schweres Vorhaben leichter zu verwirklichen, bieten die erneuerten Konstitutionen neben der vom Seraphischen Vater verfassten und vom Apostolischen Stuhl bestätigten Regel allen Ordensmitgliedern eine kraftvolle Hilfe... Der heilige Franziskus hat Christus und die Kirche überaus geliebt. Mögen die Minderen Brüder nach seinem Beispiel mit neuem Elan darangehen, den Menschen auch unserer Zeit seine Nachfolge des armen und gekreuzigten Christus, seine höchste Kontemplation, seinen Eifer für die Wahrheit des Evangeliums und seine Treue zur Kirche zu bezeugen. Auch sei es ihnen Herzenssache, bei ihrem franziskanischen Apostolat den Seraphischen Vater in der Liebe und Zuwendung zu den Menschen, zumal zu den Armen, konsequent nachzuahmen.«7 Referenzen Acta Capituli Generalis Ordinarii Ordinis Fratrum Minorum in Protocoenobio S. Mariae Angelo-rum de Portiuncula (Assisii) a die 12 maii usque ad diem 22 iunii 1985 celebrati. 1986. Romae: Curia Generalis Ordinis Fratrum Minorum. Codex Iuris Canonici. 1983. Acta Apostolicae Sedis 75, pars 11:1-317. Concilium Oecumenicum Vaticanum II. 2002. Perfectae caritatis [Decretum] (diei 28 oct. 1965). Conciliorum Oecumenicorum Decreta. Vol. 3:939-947. Paderborn: Schöningh. Congregatio pro Religiosis et Institutis Saeculari-bus. 1987. Regula et Constitutiones generales Ordinis Fratrum Minorum [Decretum] (diei 8 dec. 1986), 1-81. Romae: Curia Generalis Ordinis Fratrum Minorum. Denziger, Heinrich, und Peter Hünermann. 1999. Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Freiburg: Herder. Eilers, Erwin. 1972. Die biblischen Grundlagen des Rates der Ehelosigkeit. Siehe Hardick 1972, 58-70. Franciscus Assisiensis. 2009a. Admonitiones. In: Francisci Assisiensis Scripta, 352-377. Grotta-ferrata: Editiones Collegii S. Bonaventurae ad Claras Aquas. ---. 2009b. Regula non bullata. In: Francisci Assisiensis Scripta, 242-289. Grottaferrata: Editiones Collegii S. Bonaventurae ad Claras Aquas. Frank, Karl Suso. 1972. Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen im Verständnis der frühen Kirche. Siehe Hardick 1972, 58-70. Hardick, Lothar, Hrsg. 1972. Leben in Ehelosigkeit. Werl: Coelde. Lang, Justin. 1972. Die eschatologischen Tugenden als Kennzeichen eines Lebens in Ehelosigkeit. Siehe Hardick 1972, 141-158. Minister Generalis Ordinis Fratrum Minorum. 1987. Regula et Constitutiones generales Ordinis Fratrum Minorum [Decretum] (diei 2 aug. 1987). Romae: Curia Generalis Ordinis Fratrum Minorum. Strack, Bonifatius. 1972. 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Item Seraphicum Patrem in caritate et cura erga homines, praesertim pauperes, in suo apostolatu franciscali constanter imitari cordi habeant.«