^" ^/M^^ X Oypern. HeiZelmichte über lllllllr und Mschaft, Zlolk unb «eftjichtt von 7/M^n von ^oher. Stuttgart. Verlag d« I. G. Cotta'schen Auchhandlunci. 1878. Allo Koch to. iiin-Ji (liu dcr UoliorsoUnnir in lobende Sp) .kIicii , vorbehalten. Oypern. Ml^öberichte übcv Uatnr und Mschaft, llolk und Geschichte U»!1 Franz von Loher. Ktnitgart. Verlag der I. G. Cotta'schen Vnchhandlunss. , ' 1878. Alle Koclito. .ain:Ii die dvv Ucliersctznnu; in lebemlo Spnidicn, vorbehalten. Bxchdruckrrei der I. G. Coüllichcn Ä!,chliandllMü i» Ztutissürt. Zu y a lt. Seüe I. Port Said............... I U. An der Gegcntnste............ « III. Larnaka................ iu IV. «yprische Landschaft............ lil> V. Athicnn................ :;> VI. Öden im Frnchtn,artcu........... :^9 VII. Nilofia . ................ 46 VIII. Blüthezeit im Mittclaller.......... .">? IX. Des NittcrthnmZ Ideal von Stnat nnd Nccht , . «'.> X. San Khrysostomo............. ?^ XI. Bnffavcntu............... "i XII. Aus alter Turwizcit............ '" XIII. Halil Aga............... U»« XIV. Durch die große Ebene........... ^'^ XV. Evrychu................ N4 XVI. Bergfahrt................ >W XVII. Anf dcn Olymp............. 1^'' XVIII. Cypern im Mterthu,u........... ^!> XIX. Mittelaltcr llud Neuzeit.......... I-" XX. Trooditissa............... >">« XXI. Wildnis;................ 1'" XXII. Waldvcrwüstimg............. 15« XXlli. Heuschreckenplane............. 164 XXIV. «hrysorogiatissa.............. ^" XXV. Mieder au'6 Meer............. l?ü XXVI. VlMittincr nnd Slaven........... ^ IV Seite XXVII. Mngricchen..............^? XXVIII. Aoltscharaltcr.............'95 XXIX. Leiftungsf.ihia.leit............2«! XXX. Aaffo................20? XXXI. Alte Gedanken.............213 XXXII. Knklia................ 21« XXXIII. ^om alten PapyoZ........... 226 XXXIV. «pislopi.............. . 2il3 XXXV. .«olossin............... 239 XXXVI. PypernZ Landcönatnr..........24« XXXVII. Nuban nnter Semite» nnd Griechen.....252 XXXVIII. Landeskultur in der ütt'üier^eit.......257 XXXIX. Nübau unter Byzantinern, Aral'ern, ssranten nnd Tiirkcn ...............2«« XI.. Et. Nikolans.............2?! XI.I. Limafol...............275 XI.II. AmathuZ...............281 XI.III. Karrnbieh und Mazotos.........2«l! XI.IV. Letzte Tagc anf Pypern..........2N.^ XI.V. Teutsche ätaiserpläne ini ^iorqenland.....'l<»1 XI.VI. TaZ Oastmal in Limasol.........'!07 XI.VII. Kaiser Friedrich II. Herr von PMrn nnd Jerusalem .117» XI.VIII. Tic IbelinZ............, . !2:l X1.IX. Marfchall Felinczhcr............«2 1^. Nerschluürnng zn Allon..........-ü!« 1^1. kypcrn gewonnen und verloren.......>'!<<« I.II. Belagerung von Kcryneia.........'Mi I.III. Letzte Anstrengungen des Kaifers......W« I. H>ort Said. Wenn Austern frisch aus Secwasscr auf den Tisch kommen, liegt in ihrem Wohlgeschmack etwas, das fein prickelt und leise erregt. Die Austern waren ganz klein, und der edle Rheinwein von jener Art, die an kühle goldige Tiefen mahnt. Mit einem deutschen Herrn saß ich auf seiner Veranda, die dicht über dem Meere liegt, zu Port Said, dem hübschen Städtchen, das neu und blank, ganz wie ein amerikanisches, über Nacht an der Mündung des Suezkanals entstanden ist. Eine erfrischende Brise wehte über das Meer, und unter uns fuhren Dampf- und Aaggcrschiffe aus und ein. Als ich nun jene Bemerkung über die Austern machte, die so eben gefangen waren, schüttete mir der würdige Gastfreund noch mehr auf den Teller und sagte: „Nehmen Sie nur, nehmen Sie! In Zypern gibt's keine Austern mehr!" Ich wunderte mich darüber, da Cypern ja schon von Alters her berühmt sei als aller Köstlichkeiten Fülle. „Ja wohl," lautete die Crwiderung, „auch die Austern sollen auf Cypern von vorzüglicher Güte sein: allein das ganze Volk ist dort so heruntergekommen, daß Niemand mehr an feinere Genüsse denkt, weil schon das tägliche Vrot sauer genug zu erwerben. Ja, wenn Cypern zu Acgypten gehörte, dann könnte es auf der Insel bald anders aussehen." Ich erfuhr nun, daß die ägyptische Negierung noch immer mit stiller Leidenschaft nach Cypern und Kreta trachtet. Man "vhcr, Cypcrn, 1 hofft auf ihren Besitz für den Fall, daß die Türkei in die Brüche geht. Jene Inseln würden dann Aegyptens natürlichen Reichthum, so groß er auch ist, doch erst ergänzen, und etwas von dem Nest altgrichischen Volks, das sich im cypri-schen und kretischen Gcbirg ehalten, würde dann mit dem ausbündigen Handelstalent, das diesem Stamm angeboren, sich in Acgyptcn ansiedeln und den übermüthigen Engländern und Franzosen die Wage halten. Solche Wünsche, die man im modernen Kairo hegt, erinnerten uns daran, daß sckon die alten ägyptischen Könige sich mit den Persern um Cypern gerauft, und daß die Insel die ganze Ptolcmäerzeit dreihundert Jahre lang mit Aegyptcn verbunden gewesen. Von Cleopatra kam sie an die Römer, und bildete später ein glanzvolles Juwel in des byzantinischen Kaiserthums Krone, bis die räuberische Hand von Richard Löwcnhcrz es ausriß und das französische Königthum der Lusignans errichtete. Fast dreihundert Jahre lang blühete dies cyprische Königthum. Damals bildete die Insel den Arsenal- und Waffenplatz, wo man sich sammelte und rüstete zum Angriff auf die gegenüberliegenden Küsten des Festlands. Schisse auf Schiffe segelten heran voll Mönche und Ritter. Templer und Iohanniter erbauten sich stolze Burgen, und die andern Ritter ließen ihre Damen hier, ehe sie ausführen zum Streit. Die Flotten aber fanden auf Cypern einen überfüllten Markt sich aufs beste zu verproviantiren. Als die Krone von Jerusalem Christi Grab verlassen mußte, blieb sie noch lange Zeit über dem cyprischcn Ritterlande schweben, und ebenso lange blieb die Hoffnung rege, ihren Paladinen werde es gelingen, sie wieder hinüber zu führen ins heilige Land. Damals hatte die Insel wieder gute Zeit, Stadt auf Stadt entstand, und der Anbau von Wein, Oel, Seide, Baumwolle, Johannisbrot und Farbkräutern, der Bergbau, lebhaftes Gewerbe und weiter Seeverkehr trugen den Guts- und Handelsherren schöne Summen 3 cin. Weil aber der Königshof von Cypern und Sprache und Titte seiner ritterlichen Gesellschaft französisch waren, so erinnern sich die Landslcute der Lusignans gar gern an jene Zeit und meinen wohl, damals sei Cypcrn blühender gewesen, als unter den Ptolemäcrn, ja als in der alten griechischen Zeit, wo die Insel noch ihre Freistädte und ihre eigenen neun Fürstenthümer hatte. Noch vor einigen Jahren, ehe den Franzosen bei Metz und Sedan die Flügel gestutzt wurden, sollen sie insgeheim sich Hoffnung gemacht haben, cin günstiges Geschick tonne ihnen die edle Inselperle, die mehr werth ist als ganz Algier und dabei keine wilden Kabylen hat, wieder in den Schoß werfen. In den Perserkriegen der Griechen, unter den Lusignans, und etwa noch das folgende Jahrhundert unter den Vene« tianern, als Cypcrn das große Vollwerk gegen die Asiaten war, hatte die Insel politische und kriegerische Bedeutung in der Welt — sonst fast nicmals, wenigstens nicht im Verhältniß zu ihrer Größe. Als drittgrößte Inscl des Mittelmccrcs liegt sie zwischen Asien und Afrika einsam im Ostvicrcck des Mittclmeercs, wie ein Schinken geformt, und streckt ihr langes Schinkenbcin gerade in den Winkel zwischen Kleinasien und Syrien hinein, als zielte Cypcrn auf Herrschaft nach beiden Seiten hin. Toch im ganzen Alterthum, die früheste Phönizier-, Perser- und Acgypterzeit ausgenommen, bleibt es an Bedeutung hinter so viel kleineren Inseln wie Kreta, Nhodos, Lesbos, selbst hinter Aegina und Thasos zurück. Man hört nichts von ihm, als daß es überaus frucht- und metallrcich fei und der Sitz der Liebesgöttin und schwelgerischer Ueppigkeit. Von cyprischer Kunst, Literatur und Wissenschaft, von cypri-scher Nechts- und Staatsbildung, die andern Völkern zum Vorbild dienen, ist niemals die Nede. War es das Ucvpige und Weichliche des Klimas, das edlere Anstrengungen niederhielt, oder war es der Dienst der allvcrzchrcnden und all-gcbärcndcn Vcnus-Astartc? 4 Jenes rasche Aufblühen aber in Feld- und Bergbau, Handel und Gewerbe, das gleich nach der fränkischen Besitznahme eintrat, ist ein Zeichen, was Cypern sofort wieder würde, sobald europäische Hände sich der Insel bemächtigten, die wie ein Kleinindien vor der Welthandelsstraßc des Sucztanals liegt. Als ich von Kairo kommend in den Suezkanal einfuhr, die Menge der Schisse, welche diese ueue Weltstraße bcsuhrcn, und die Städte sah, die in wenigen Jahren hier entstanden, trat mir das Bild vor Augen, welches die Landschaften am Kanal und an den nächsten Küsten zu beiden Seiten seiner Ausmündungen schon nach einem Menschenaltcr darbieten werden. Diese Fortschritte aber müssen nothwendig auf Cypern zurückwirken, das gleichsam von den Gewässern des Nils und Suezkanals, wenn der Wind sie nach Norden treibt, bespült wird. Das Nildelta ausgenommen gibt es in allen Küstenländern der Osthälfte des Mittelmeeres nirgend so große fruchtbare Strecken, als in Cypcrn. Zur Zeit aber scheint sich kein Mensch auf der Welt um die altberühmte Insel zu kümmern, es sei denn in Konstantinopel, wo das Paschalik von Cypern hoch im Preise steht? Im Preise? Es ist nicht anders, jedes Paschalik hat am Bosporus seinen Preis. Er steigt und sällt je nach der Höhe und Menge der Angebote. Es gibt nämlich dort gar viele vornehme Familien, deren Oberhäupter ihre Lebensbestimmung darin finden, sich als Paschas zu bcrcicheru. Da das Geld ihnen aber durch die Finger läuft, denn die lächerliche Pracht und Putzsucht der Harems verschlingt unglaubliche Summen, so sind die Herren ewig in Gcldnoth, und wenn sie ein paar Jahre von Schulden gelebt, so kommt eines Tages der armenische Aanauier und erklärt.- jetzt müsse er durchaus sein Geld haben. Dann schickt der Herr ihn zu einem Minister, ihm ein Paschalik zu verschaffen. Nur durch dessen Erwerb taun er in den Stand kommen, seine Schulden zu bezahlen. 5 Der Minister will erst nicht, er hat schon genug gute Freunde zu bedenken, doch der Unglückliche hängt selber mit großen Posten bei dem Armenier oder dessen Geschäftsfreunde, der auch ein Armenier ist. Nun wird er leise gezwickt, selbst zu bezahlen, und die Zwickmühle läßt ihn gar nimmer aus. Endlich nimmt der höchste Beamte selbst ein gutes Geld und gibt das Paschalik her, natürlich unbestimmt auf wie lange. Der neue Pascha langt an in seinem Konak, so heißt das Residenz-schloß, das gewöhnlich aus einem schmutzigen und weitläufigen alten Steinkasten besteht, in welchem nichts zu finden als leere Wände und ein paar alte Divans. Anfangs spricht er viel von Verbesserungen. Dann läßt er fallen, dieser oder jener Unterpascha oder Kaimakam (Nczirkchauptmann) passe nicht recht an seinen Platz. Gleich kommen Andere daher mit vollen Beuteln und möchten die Stelle gern haben. Allein der Gefährdete, der länger in der Wolle sitzt, bringt noch vollere Beutel. Die Gefahr geht vorüber, und nun erholt er sich an seinen Bauern. Dorf für Dorf wird vorgenommen, Diesem so und so viel und Jenem so und so viel zu zahlen auferlegt. Die Mudirs und Agas (Stadt- und Dorfregenten) haben ein wachsames Auge auf jeden Mann, sie zählen täglich seine Schweine und Ziegen und was er an Früchten verkauft. Jeder von ihnen hat feine eigene kleine Steuerschraube, und wenn eine große Geldklopferei veranstaltet wird, so wollen sie auch keine Steine klopfen. Ein Vorwand für die Abgabe ist ja leicht gefunden, bestände er auch nur darin, daß der Herr seine Amtspferde müsse beschlagen lassen. Die Bauern erheben ein Jammergeschrei; denn die geforderte Summe würde für ein paar Reiterregimenter zum Pferdcbeschlag hinreichen. Aber wie, die Unseligen wagen es, sich zu widersetzen? Das verlangt Strafe, die Forderung steigt. Die Zaptiehs oder Polizei-soldatcn kommen und legen sich ins Quartier. Anfangs sind 6 sie still und gutmüthig, mit jedem Tage treten sie herrischer auf, endlich wie ebcn so viele Dämonen des Unheils. Die Forderung wächst beständig. Gefängniß und Körperstrafen drohen. Schon werden Einige fortgeführt. Dann fängt die Rajah an zu handeln, und nach vielem Flehen nnd Kreischen wird eine Abfindungssumme erlegt. Woher die Armen das Geld nehmen, ist unerklärlich. Die Zafttiehs reiten ab. Eincr bringt eilends das Geld zum Herrn, die andern legen sich ins Quartier im nächsten Dorfe. So fcheeren Paschas und Kaimakams ihre Schäflein mit lächelnder Gemüthsruhe und großer Gcschicklichkeit, man könnte es beinahe Schinden nennen, ja blutiges Schinden. Jedes Jahr gehen dabei auf den Dörfern ein paar Familien mehr zu Grunde, und wird eine Anzahl Acckcr mehr zur Wildniß. Was kümmert das die Herren? Sie müssen sich ja beeilen, denn plötzlich kommt ein neuer Pascha daher und beginnt das alte wohl-bekannte Spiel von neuem. So wandert fort und fort das Geld aus den Provinzen nach Konstantinopcl. Der kleinere Theil geht dort für Luxus auf, der größere verschwindet sogleich nach der Ankunft. Er wird zum todten Metall bei den Armeniern. Die Einen sagen.' sie legten es in ihren Klöstern nieder.' die Andern meinen: sie grüben es heimlich in die Erde. Unter solchen Gesprächen über Geschichte und Gegenwart der merkwürdigen Insel sank in Port Said der Abend hernieder, und mein liebenswürdiger Gastfreund gab mir das Geleit an Vord des Llovddampfers. Aeidc Verdecke waren überströmt von einer Völkerwanderung. Alles, was zum griechischen Osterfest nach dem heiligen Lande wollte, war von Neapel und Marseille, aus Griechenland und Aegypten, auch von Kon-siantinopcl und Smyrna nach Alerandricn gekommen, weil das Lloydschiff von hier geradcnwegs nach Jaffa ging. Es waren auck wohl zwanzig Tscbcrkessen da mit Weib und Kind ? und Sack und Pack. Von den Nüssen aus ihrer Heimath vertrieben, wurden sie von einer Küste zur andern geschickt, bis sie irgendwo ein fettes Vcrgeplätzchen fanden, in dessen Nachbarschaft sich auch wohl ein guter Naubgriff machen ließ. Ohne Zweifel gab es einst in der römischen Kaiserzeit genug ihrer germanischen Vettern, die auch so in der Welt umher-fahrteten mit diesen stählernen Sehnen im Arm und diesen scharfen stoßenden Geier- und Adlerblicken und dem stets lachenden Trotz im Gesicht mitten in Elend und Verbannung. Prächtige Vartvovcn sahen ernst gefaßt in das Gewühl hinein, als ständen sie anf den Höhen der Weisheit. Ich bin aber überzeugt, je höher irgend einer ihrer Ncihc stand auf den vielen Rangstufen griechischer Geistlichkeit, um so gewisser wälzten sich hinter der edlen breiten Stirn nur zwei Gedanken: entweder, wie werfe ich den Andern aus seiner geldrcichen Pfründe? oder, wie wirft der Andere mich aus meiner eigenen? Ein Häuflein französischer Nönnchen hielt sich ängstlich zusammen wie eine Schaar furchtsamer Hühnchen. Gar so bunt und schwcißdampfend und zwiebcldunstig hatten sie sich den Orient wohl nicht gedacht. Ich aber hatte eine hübsche Magyarin, ein echtes Nacekind, herausgefunden, die mit ihrem Mann, einem Deutschungar, nicht weiter wollte als bis Diar-bekr. Das drolligste Zeug sprudelte ihr nur so vom Munde, und dabei zeigte sie die reizendsten Veißzähnchen. Unterdessen steuerte das Schiff ins dunkle Meer hinaus, und da sah es sich fchön an, wie der Lcuchthurm von Port Said jede fünf Sekunden elektrisches Licht auswarf. Noch fern auf dem Meere in tiefster Nacht strahlte es zu uns herüber fast eben fo hell wie nahe an der Küste. Die Natur dieses quecksilbernen Lichts hat offenbar Aehnlichkeit mit blitzendem Sternenlicht. II. Ml der Kegeiiluiste. Ander» Morgens sah die syrische Küste dunkel aus Regenwolken daher, und ein scharfer Wind wehte vom Lande. Als wir aber näher kamen, stellte Jaffa sich einladend vor. Ein Berg von mäßiger Höhe und angenehmer Rundung ist ganz mit Häusern und Hütten überdeckt, und ringsum umgeben von Gartengrün und gelben Sandhügeln, die noch weithin die Küste entlang sichtbar. Einige, nur zu wenige Palmen erheben sich über der Stadt. Dahinter zieht in sanften Linien das dunkle Gebirge. An der syrischen Küste, die sich der ganzen Länge des Mittclmeercs entgegenstellt, rollen und schlagen die Wogen schwer ans Land, und der Wind brancht nur ein bischen von Westen zu stehen, so hat man hochschäumendc Brandung. Eine Menge starkgcbauter Landungsboote kam an das Schiff, und die Führer überschrien einander und das Wogengcbrause schon von weitem, um der Personenfracht nicht verlustig zu gehen. Kaum waren die bunt sich drängenden Haufen der Reisenden abgeschoben, so kamen große Kähne übers Wasser und förderten viele Hunderttausende von Orangen an Bord. Wer noch auf dem Schiff war, hielt Orangen in der Hand. Diese gehen von hier nach Vcyrut und Konstantinopel, Athen, Port Said und Alexandrien; denn die Iaffaorangcn sind von besonderer Güte und Größe. Da das Schiff sicher noch bis zum Abend mit Einladen 9 der duftigen Goldäpfcl zu thun hatte, so fuhr ich ans Land und gewann unter harten Stößen und naßkalten Spritzwcllen festen Grund. Bei dieser Gelegenheit hörte ich eine Anekdote zur Erläuterung der Lingua franca. Tcr Kaiser von Oesterreich wollte hier vor ein paar Jahren trotz heftigen Sturmes landen. Als das Boot schulternd auf die Felsen stieß, rief ihm der arabische Steuermann zu: .,M üdii- paura^ ^rau 8uKano, 80U0 Uu8tapl^ eon ti!" (Nicht haben Furcht, großer Kaiser, bin Mustapha bei Dir!) Wirklich rettete er durch seine Kraft und Gcschicklichkcit dem kühnen Fürsten vielleicht das Leben, und als ein Christ ihn später fragte, was der Kaiser ihm gegeben, sagte er: „Hundert Zecchincn und cIiL tu oreäer (was Du glauben)", indem er auf sein Knopfloch wies. Er meinte damit einen Orden, der die Gestalt eines Kreuzes hatte. Wenn man von Vollblutarabcrn nach Iasfa tommt, fällt sofort ins Auge, wie sich in Syrien eine Vlutmischung begeben hat. Eine Menge schmutzigen Volks kauerte in einem alten Brunncnhof: dieser bestand aus kleinen plumpen Bogenhallen, in welchen Kaufläden sich eingenistet hatten. Die roheste Form des Rundbogens ging hier aufs Natürlichste in den Schwibbogen über. Gar patriarchalisch muthcten uralte Cypressen an. Ihr Rauschen und Gcäste war beinahe wie bei Laubholz. Auf einem Hügel wurde ein Thurm bestiegen, und das Auge cr-auickte sich im rings ausgebreiteten Grün, aus welchem ein köstlich erfrischender Laub- und Blüthengeruch aufstieg; denn es war der 19. April, recht in der Mitte des Frühlings im Orient. An der einen Seite der grünen Wellung schaute gelb die Wüste herüber, auf der andern glänzte jenseits des breit-sandigen Strandes die Meeresbläue. Im Südosten rcäte sich das Gebirge aus in hohen Umrissen. Die Luft war leider nicht ganz klar, sonst soll man bis zum Hermon und Karmcl sehen. Linen schönen Nachmittag brachte ich zu bei unsern Lands- 10 leutcn, die ihrcn Seelenführern Hoffmann und Hardcgg nach der syrischen Küste folgten, um hier, unbehelligt von jeglichem Staatskirchenwesen, das reinste Urchristentum, den rechten Tempel Gottes wieder aufzubauen. Natürlich stammen sie aus Schwaben, dem alten Keimboden urchristlichen Strebens. Sie kamen 1668 an, kauften einer verunglückten amerikanischen Methodistensekte die Güter ab und brachten sie durch deutschen Fleiß und Verstand in Flor. Blühende Gärten umgeben die Häuser, untermischt mit arabischen Hütten. Neben dem Ertrag an Orangen denkt man jetzt an Wein- und Seidenbau, da die Erzeugung von Korn und Olivenöl nicht lohnend ist. Eine Stunde weiter, in Sarona, haben diese Ansiedler an 400 Tagwerk beisammen, einige wohnen in Jerusalem, und in Kaipha ist ihre zweite größere Ortschaft, ebenfalls gegen Z00 Seelen stark. Ihr Anfang war schwer in diesem Lande, das Schlimmste eine Epidemie, an welcher die Syrier wie Fliegen dahinstarben. Der Zimmermann, der selbst eben ging, sich in der gesunden Luft Deutschlands wieder zu stärken, vertraute mir: in fünfte-halb Jahren habe er in Jaffa scchszig Särge gemacht. Ausdauer aber und Gottvertrauen haben diese harte Zeit überwunden: jetzt erblickte ich nur Gedeihen. Die Mädchen- und Knabenschulen, verbunden mit Pensionaten, das Gasthaus, das Spital und die Apotheke waren musterhaft. Gebe der Himmel, daß bei Zusammenstößen im Orient, wenn wieder eine Christenmetzclei im Anzug, zur rechten Zeit sich wieder deutsche Kriegsschiffe an dieser Küste sehen lassen. Der ganze Küstenstrich bis Kaipha, der jetzt beinahe öde da liegt, soll fruchtbar sein. Freilich in Cypern, so hieß es, sei das Land noch viel mehr gesegnet und dabei spottwohlfeil. Allein man zog in Betracht, daß diese schöne Insel, obgleich dem Festland so nahe, doch wie ein weltentlegenes großes Landgut anzusehen, das den Türken zur rohesten Ausbeutung überliefert sei. Aus Nußland waren deutsche Mennoniten, 11 wcil sie Kriegsdienste thun sollten, weggezogen. Eie hatten zunächst an Cypern gedacht, ihre Abgesandten aber kamen mit der Nachricht zurück: das Land fließe allerdings von Milch und Honig, und die besten Ansiedlungsplätzc böten sich in Menge dar,- allein Recht und Gerechtigkeit sei auf der Insel unfindbar. Deshalb hatten sie vorgezogen, neue Heimstätten im fernen Amerika aufzusuchen, dort in der neuen Welt, wo ich einst in Kanada, am Ohio, und im fernen Westen so viele deutsche Ansiedlerhäuflein getroffen hatte, die sich ihr kleines Reich ungetrübten Friedens, eine Stätte evangelischer Reinheit und einfacher Christcnsitte gründen wollten. Hier an der syrischen Küste stieß ich unvermuthet wieder auf ein paar hundert Deutsche von ganz ähnlicher Geistcsrichtung. Wird ihnen jemals ihr Paradies erblühen? Ach, ein ideales Christenthum, entledigt von allem heidnischen Opferdienst und Furmclballast, es ist und bleibt doch die tiefste Sehnsucht des Jahrhunderts. Dies Ideal leuchtet wie eiu heller Silbcrstcrn über dunkelwogenden Gewässern, es hat seinen Theil am kühusten socialen wie philosophischen Beginnen. Selbst dem jüngsten vatikanischen Unternehmen lag sicher nicht bloße Herrschsucht zu Grunde, sondern die Hoffnung, die wilde Leidenschaft nnd Unruhcaual der Zeit allmählig zu bezwingen durch das höchste Princip der Autorität, dem sich alles Denken, Glauben, Wollen unterordnen müsse. Die Jesuiten, jene feinen Meister in der Menschensischerei, mochten wohl mit stillem Stolz ihren immer weiteren uud größeren Gewinn seit dem Beginn der Antireformation überschauen, sie mochten darauf weitere Schlüsse bauen, und dennoch haben sie sich verrechnet, wahrscheinlich gründlich verrechnet in den Machtmitteln des Staats und der Wissenschaft. Staat und Wissenschaft haben noch lange nicht die Höhe erreicht, welcher ihre jetzige Ausbildung und Bewegung sie zutreibt, und so lange spotten sie aller kirchlicher Fesseln. 12 Da bis in die Nacht hinein das Einladen der Orangen dauerte, so kamen wir erst andern Morgens, als cs schon .hell war, vor Kaipha an. Ein wenig bedeutender Bergrücken geht hier zur Rechten ins Meer, darauf steht ein Leuchtthurm-gebäude und dahinter das große Kloster des Karmcl. Gleich hinter dem Vorgebirge des Karmel öffnet sich eine weite schöne Bucht, welche das Hochgcstade in rundlich weiten, fast deutschen Bergformcn umzieht. Gerade vor sich hat man am Ufer klein hingedrängt die Stadt mit ihren weißlichen Häusern gleich Steinbrüchen. Und daneben erhebt sich eine zweite Stadt mit viel schöneren Häusern, mit Dampsmühlcn, Windmühlen, Gärten und Weinbergen, die weit das Gestade hinauf sich erstrecken.' dies war die erste Ansicdlung unserer deutschen Tempel-baucr. Mehrere kamen zum Schiff, und da hörte man hier und da das scharfe, aber trauliche Schwäbeln. Hier kam ein verehrter Bischof-Patriarch von Jerusalem mit Familie an Bord, und nun gab es genug des religions-geschichtlichen Erörterns und Nachdenkens. Wir sahen Mon schon von Kaipha aus. Als das Schiff vorüberfuhr, fiel ein dunkler Wolkenschatten darüber und lag nächtlich auf den Grabstätten von zahllosen Kreuzcsrittern, die noch keinen Sänger gefunden. Tarauf erblickten wir Tyrus, das sich vor der Küste auf einer Inselplatte ausbreitete. Dann zeigte sich das Nestchen von Sidon, jetzt Saida, gleich einem grauen Steinhaufen inmitten schöner Gärten. Bis hoch ins Gebirge hinauf zogen sich, wie ausgestreute Kalksteine, und immer zahlreicher die Drusenhütten. So fährt man betrachtend an dieser syrischen Küste vorüber und erblickt einen weltberühmten Ort nach dem andern, früheste Sitze des Welthandels, Geburtsstüttcn der Rcligions-mythen. Nun hat der Welthandel längst diese Küsten verlassen, um andere Landstriche zu beleben, aber die uralten Mythen leben noch und bildeten sich immer weiter in andern Formen. 13 Als mit dcn Phöniziern die syrische Astarte nach Cypern kam — die Herrschcrm ob dcn verhüllten Naturticfen und ihrer Furcht- und Fruchtbarkeit, die Göttin des ewig verschlingenden, ewig gebärenden Alllebens, — da wurde die grün prangende Insel, mitten in deren Ueppigkeit zu Zeiten Plötzlich unter glühendem Lufthauch alles Leben verdorrte, der Hauptsitz des Astartedieustes. Und als die Griechen Cyperu besetzten, formte ihre edlere Phantasie, die sich alles in klaren Umrissen ausdeuten mußte, aus der syrischen Allgötin die Aphrodite, die Göttin der Schönheit. Denn der entzückendste Reiz alles Lebens, seine feinste und höchste Blüthe ist doch das Schöne. Weltberühmt wurde jetzt der Aphroditekultus in dcn duftigen Blüthenhainen am spiegelnden Meer zu Paphos und Amathus: stets aber mischte sich hinein der alte wüste geistig und sinnlich schwelgerische Astartedienst. Das größte Hcilig-thum der geheimnißvollcn Weltallsgöttin blieb ein uralter tiefschwarzer Meteorit, der von den Priesterinnen an großen Festen gebadet und gesalbt und in weiße Tücher gehüllt wurde. Und siehe da, als das Christenthum die beseligende Lehre von der Gottestindschaft brachte, da schaffte sich das Volt neben dem himmlischen Vater gleich wieder eine Allgöttin, eine Gottes-gcbärerin, und umkleidete die reinen holdseligen Züge der jungfräulichen Mutter mit etwas Finsterem und Geheimnißvollem. Man braucht nur eines der ältesten byzantinischen Muttergottesbilder anzusehen: in den schwärzlichen Zügen waltet nichts von heiliger Liebesvertlärung, wohl ader der düstere Ernst der Gebieterin über Tod und Leben. Unser Dampfer kam, statt wie er sollte am frühen Morgen, erst am Abend vor Veyrut an. Die Stadt überraschte mich durch ihre Größe und Schönheit. Ein langer Bergrücken, leise gewölbt, streckt sich ins Meer, bedeckt mit großen und tleincn europäischen Häusern. Das Gebirge dahinter war von Regen- 14 wölken verhängt, öffnete jedoch andern Morgens deutlicher seine Falten, und nun blickte man oberhalb der Stadt in gewaltige Schluchten und Fclsgchänge hinein, und hoch darüber ragten hier und dort die schneeigen Höhen empor. Wir blieben den ganzen Tag vor Ankcr, und ich lernte etwas von der außerordentlichen Bedeutung Äcyruts kennen. Mit mächtigen Armen greift sein Handel bis tief in Asien hinein. Auch nach Cypern? Wenn diese fruchtreiche Insel irgendwo so nahe vor der europäischen Küste läge, täglich würden Dampfschiffe hin und her gehen. Und hier? Nur durch fremde Dampfschiffe hat Veyrut einigen Verkehr mit Cypern, jede Woche geht eines hin und ein auderes kommt her. Die Insel liegt da gleichsam von Gott und aller Welt verlassen, den Türken überantwortet, welche die Inscl zu schätzen wissen. So gründlich sie auch die Beutel der Bewohner wieder und wieder ausgepreßt haben, hier ist noch immer etwas zu holen. Deshalb steht das Paschalik von Cypcrn hoch im Preise in Konstantinopel. Nun aber wird's Zeit, nach der Insel selbst abzureisen und dort uns umzuschauen, ob alles wahr sei, was man an ihrer Gegenküste erzählte. Als das Dampfschiff sich gegen Abend zur Abfahrt rüstete, kamen zwei Reisegesellschaften heran gerudert. Die eine war die Cooksche aus England, die andere die Stangenschc deutsche, die ä^t Personen stark war. Die Engländer, noch um zwei Personen mehr, hatten auch Damen bei sich, denen sämmtlich ein alter Blaustrumpf aus den Augen guckte, und die Herren waren nicht viel anmuthiger. Engländer sind entweder sehr bedeutend an Geistes- und Leibesgcstalt, oder sehr armselig an bcidem, in letzterem Fall sehen sie aus wie Ladendiener oder Kleinarbeiter. Zur zweiten Klasse gehört natürlich die große Menge und gehörte auch die ganze Cootschc Gesellschaft, während die Deutschen durchgängig sich als frische kräftige Männer darstellten. Sie waren mit Zelten von 15 Jerusalem nach Damaskus gewandert, und alle befriedigt. Als nun das Schiff vom Lande abdampfte nach Cypcrn hin, da stellten sie sich auf dem Verdeck zusammen und sangen: „Wer hat dich, du schöner Wald!" und „In einem tiefen Grunde," und „(3s tönt ein Lied wie Schwerterklang." Hei, wie da der volle Mannerchor brausend über die syrischen Gewässer schallte! III. Larnaka. Griechische Landschaft hat einen Großblick, und auch wo er stumm bleibt, redet er noch eine Sprache, die Hohes und Edles verheißt. So dachte ich unwillkürlich, als wir am Morgen des 21. April auf der 3lhcdc von Larnaka den Anker fallen ließen. Es war eine weitausgcschweifte Vucht, hinter dem niedrigen Gclbrande des Strandes dehnte sich eine Ebene, darin erhob sich ein nackter steiniger Hügelzug, Berge schauten aus blauer Ferne herüber. Das Vild war schlicht und ernst, aber voll Schwung und Charakter in den einfachen Linien. In den Theilen von Deutschland, wo der Boden eben oder von Mittelgebirg überzogen ist, fesselt die Ortschaft den ganzen Blick.- die Gegend verschwindet gegen die Ansiedlungen. No Meer oder Hochgebirg hineinragt, fügt sich Dorf und Stadt in das Gemälde als ein Theil und Zubehör. In der griechischen Landschaft dagegen verschwindet Mcnschcnwcrt. Die unendliche Himmelsbläue, das unabsehliche Meer, der wunderbare Glanz, der aus beiden hervordringt und mit alllichtem Aether Baum und Fels umfängt, dabei der mächtige Schwung in jeder Erhebung des Bodens — das läßt die Städte und Bauten und Gärten der Menschen nur wie eine Zuthat, höchstens als einen helleren Schmuck der Landschaft erscheinen. So lagen auch jetzt Larnaka, Stadt und Hafenort, nur wie ein Flecken da in der weiten offenen Gegend. Eine Stelle an dem Halbbogen der Bucht ist von einer Häuserreihe besetzt, 17 über welcher die bunten Konsulatsflaggen wehen, überragt von einem spitzen Minaret und einem neuen Glockenthurm, und noch höher steigen die Palmen, die über den Strandgärten sich in blauen Lüften wiegen. Es mögen ihrer fünfzig sein: man möchte aber Tausende hinwünschen. Das ist der Hafenort Larnaka, und durch weite Felder getrennt liegt dahinter die Stadt. Die Schiffsoffiziere und der Arzt und Maschmist kamen, mn herzlichen Abschied zu nehmen. Ich war mit ihnen von Trieft nach Alexandrien und eine Woche spater die syrische Küste entlang gefahren. Der Kommandant empfahl mich auf das Angclegentlickstc dem Lloydagentcn. Dieser aber sagte: mein Zimmer stehe bereit bei dem deutschen Konsul. Und so fand ich, noch im Landungsboote stehend, schon vom Ufer her den freundlichsten Willkomm, und der Dragoman, der mich ins Innere begleiten sollte, kam auch herbei und hatte sich schon nach Neitthicren umgesehen, — Alles Dank der gütigen Fürsorge des deutschen und österreichischen Botschafters in Konstantinopel, die mir eine Empfehlung an die Konsuln vorausgeschickt hatten. Als ich mich etwas eingerichtet, durchstrich ich das Hafenstädtchen: die eigentliche Stadt liegt eine Viertelstunde mehr landeinwärts. Die Gaffen waren belebt, Händler und Handwerter bei ihren Geschäften, Schmutz überall. Die Häuferreihe am Strande, dahinter hier und da noch eine stattliche Wohnung , die Kirchen und die Gärten mit den Palmen am Meere -- das ist der Glanz des Städtchens. Alles Uebrige ist Orient, d. h. Unsauberkeit und Lumpen und erbärmlicher Lehm- und Holzbau. In der katholischen Kirche betete ein einsamer schwarzer Mönch. Die griechische zeigte sehr hübsches Schnitzwert am Bischofsstuhl und am Ikonostas, der Vildcrwand, die von einer Mauer zur andern laufend den Altarraum von der ^üher, Cypcrn. I 18 Kirche scheidet. Die Bilder, welche daran befestigt sind, weiden vom gemeinen Mann inbrünstig geküßt: darin besteht ein großer Theil seiner Neligionshandlmig. Man könnte diesem Zeichen der Verehrung, denn es ist doch wenigstens eine religiöse Anmuthimg des Gemüths darin, beistimmen, wenn es nur auch ein Kirchcngesetz gäbe, die Leute sollten sich vor dem heiligen Küssen das Gesicht waschen. Dann geschähe dies alle Wochen doch einmal, und die Kußstcllcn aus den gold- und silberglänzenden Bildern wären nicht von einem kleinen Schmutz-kreis umgeben. Alle bessere Vildung beginnt mit einem natürlichen Hang zur Reinlichkeit.- unfehlbar sinkt ein Volk, das heruntergekommen, gemach dem Gegentheil in die Arme. An dieser Kirche war ein Säulenkapitäl verbaut, hin und wieder erblickt man ein Stück antiken Marmors, der in einer Hausmauer steckt, oder es wird ein schmuckloser Sarkophag zum Behälter benutzt. Sonst erinnert nichts mehr an die uralte Großstadt des Handels, die einst in dieser Gegend stand, als clwa noch die Grabkammern, welche die früheren Bewohner in Menge zurückließen. In dem weichen Kalkstein, der unter dem Boden hinstreicht nnd hier und dort in Anhöhen zu Tage bricht, ließen sich die Gräber leicht aushöhlen. Einst waren sie voll von Marmorsärgen. Diese hat ein Jahrhundert nach dem andern herausgezogen und zerschlagen und verbaut. Davon trägt die Stadt wohl ihren häßlichen Namen, denn Larnaka heißt Särge. Andere sagen, der Name gründe sich darin, daß die Stadt jetzt auf einer Stelle sich befinde, wo im Alterthum der Kirchhof gewesen. Jedenfalls nahm die alte Stadt hier einen weiten 3iaum ein. Sie hieß Kiti, griechisch Kition, und in Asien nannte man danach die Bewohner von Cypern die Kitier. Phönizier hatten die Stadt gegründet, und sie blieb beständig ein Hauvtsih derselben, sie kehrt sich ja der syrischen Küste zu. Später kamen griechische Ansiedler — Händler Gewerbtreibende 19 Künstler — und bewohnten wahrscheinlich neben dcn Syriern ihren besondern Stadtthcil. Allmählig wurde alle vornehmere Bildung hier wie in Autiochien und Alerandrien griechisch in Sprache und Färbung. Latein dagegen tonnte niemals in dcn Orient eindringen. Erst die Ausdehnung der griechischen Kultur, dann die Eroberung durch Alexander dcn Großen und die Vcrtheilung unter seine königlichen Generale hatten der Nömcrsprache für immer die Osthälfte des Mittclmeers verschlossen. Die Griechen-spräche schritt dagegen nach Westen fort nach Sicilien und Italien, und bürgerte sich dort auch in der gebildeten Gesellschaft der Römcrstädte ein, während das Latein bloß Gallien Spanien und Afrika eroberte, diese Länder aber so lange be-herrschte, bis es von dort aus in dcn Unruhen der Völkerwanderung wieder vorrückte und das Griechische vom italienischen Gebiet wieder verdrängte. Alle folgenden Jahrhunderte konnten diese Scheidewand der Völker und Sprachen nicht mehr stürzen, nicht einmal mehr durchbrechen: sie steht heute noch aufrecht wie vor tausend Jahren. Cypern allein schien eine Zeit lang eine Ausnahme zu machen. In den vier Jahrhunderten der Lusignans und der Venetianer herrschte hier das Romanische, nnd jetzt? Spurlos ist cs verwischt und verweht. Das Neugriechische hat die ganze Insel wieder besetzt, man spricht cs auch in dcn meisten türkischen Häusern, verstanden wird cs überall. Wiederholt hörte ich in den tleinasiatischcn Küstenstädten, daß Griechisch dort beständig zunehme. Wo einmal ein paar dieses Voltes ansässig, kommen bald mehr, und noch frühcr als sie sclbst, vcrbreitct sich ihre Sprache in der ganzen Stadt. Wie das Gricchischc, scitdcm das kleine Königreich dieses Namens errichtet wurde, mit ungewöhnlich rascher Eroberung in das Innere von Hellas vorrückt, so dringt es jetzt schon nach allen Küsten vor, welche das Mittclmccr im Ostcn bespült. Das 20 ist um so merkwürdiger, als die Neugriechen ja selbst noch sehr weit davon entfernt sind, bis sie ihre alten Nationallaster, die keine geringen sind, abschütteln. Man darf solche Thatsachen nicht mißachten: sie geben Fingerzeige für die Zukunft. Im Hafenstädtchen von Larnaka wohnen die Konsuln von allen europäischen Völkern beisammen. Die Stätte des alten Kiti ist der Hauptort der Insel geblieben, denn hier ist Cy-perns beste Rhede, obgleich auch hier die Untiefe vom Strande so weit ins Meer geht, daß die Schiffe draußen bleiben müssen. Schaukeln ihrer mehrere in der Neihe auf den Wogen, so geben sie mit ihren schlanken Spieren lind Nacn ein hübsches Seebild. Vei den Konsuln und einigen andern Familien machte ich am Nachmittag Besuche und lernte dabei eine Menge phö-nizischer und altgriechischer Alterthümer kennen, die hier und dort bei Graben im Boden zum Vorschein gekommen. Ganz Cypern scheint ein großer Kirchhof zu sein: man braucht in seinen uralten Kulturboden nur die Hacke einzuschlagen, gleich kommen Alterthümer hervor. Die griechischen Gräber zu Ioalion waren drei Fuß unter der Erde, phönizische lagen unter ihnen drei bis vier Fuß tiefer. Sollten die Griechen, als sie ihre Grabstätten anlegten, nicht mehr gewußt haben, was darunter sich befand? Alle Gräber waren voll von Erde: mit dem eindringenden Wasser kommen die feinen Crdtheilchen und setzen sich im Laufe der Jahrhunderte immer dichter an, bis sie jede Höhlung ausgefüllt haben. Dazwischen finden sich dann allerlei hübsche kleine Sachen, Krüglein Schmuckgeräth Münzen Siegelstöcke und dergleichen. Auf größere Bildwerke ist man bis jetzt selten gestoßen. Belehrungen dieser Art erhielt ich vom amerikanischen Konsul, einem weltgewandten Italiener, welcher der Erste gewesen, der mit methodischer Betriebsamkeit und von Scharf- 21 sinn und Findertalent begleitet, sich eine große Sammlung aufgegraben, aus deren Verkauf nach Amerika er sich ein Vermögen gemacht hatte. Jetzt war er darüber aus, sich eine zweite ähnliche Sammlung zu bilden und dachte auch als Schriftsteller aufzutreten. ^ Vierzehn Tage vor meiuer Ankunft fand er bei Amathus fünf Minuten vom Wege einen großen Sarkophag aus Kalkstein, und arbeitete eben daran, die Bruchstücke zusammen zu setzen. Auf der einen Seite des Sarkophags standen vier schöne Weiber, die mit beiden Händen sich an die vollen Brüste faßten. Auf den andern Seiten sah man herkulische Männer mit Gehörn, daneben bewaffnete Reiter, und in einem Wagen ließ der Inhaber sich den schönsten Sonnenschirm zu Häupten halten. Weil Lotosblüthen an dem Sarkophag öfter wiederholt waren, so glaubte sein glücklicher Besitzer, das Kunstwerk stamme aus einer Zeit zwölfhundert vor Christus: es zeigten sich aber auch Eierstäbe und Nand-verzierungen im griechischen Stil. Offenbar waren die Lotosblumen uralt cypnsches Herkommen, welches die griechischen Meister beibehielten. Außerdem sah ich bei dem italienischen Amerikaner eine große Menge Geräthschaften, mit deren Hilfe man in das Familienleben längst vergangener Zeiten einblicken konnte. Da gab es die niedlichsten Figürchen, Saugflaschen für Kinder, die mannigfachsten Becher und Vasen von Glas und Thon, bergkrystallcnc Fläschlein, Serpentinvasen mit phönizischen Inschriften, Salbenkrüglein in allen Formen, und wieder andere kleine Krüglein, die offenbar dazu dienten, einander ein paar Tropfen wohlriechenden Wassers zuzuwerfen, indem man mit dem Finger das Loch am Halse zuhielt. Das Schönste waren 1 Snn Werk erschien später und heißt: „Cypern, its ancients cities and temples. A narration of researches and excavations by Genera] Louis Palma di Cesnola." Sonbon 1877. 22 cinerscil^ dic Halsketten und Ohrglockcn von feinem Gold, und andererseits die kleinen gelbblauen Vasen von vhönizischem Glas. Diese haben durchsichtige Henkel von Bernstein, und es gehen die scheinbar blos angemalten Ninge und schuppen-förmigen Verzierungen ganz durch das Glas durch. Von beidein sollte mir später das gute Glück zwei der schönsten Ercmplare, die sich vielleicht irgendwo finden, zuwerfen: die Goldkette mit Ohrgehäng aus Kreta, und eine der zierlichsten Vasen aus buntvcrziertem phönizischen Glas, die man in Lypcrn Finikia nennt, von dieser Insel selbst. Gegen Abend ging ich mit cincm griechischen Advokaten nach der Stadt Larnaka, wo wir dem Bischof Besuch machten und bei ihm dl'n Bruder meines Begleiters, den Studienicktor aus Limasol, fanden, der in München studirt hatte und noch gut Deutsch sprach. Es fanden sich noch mehr Geistliche bei dem Bischof ein, und alle schienen in gehobener Stimmung: denn am nächsten Morgen sollte die Feier des Gründonnerstags sein, wo sie das Abendmahl nahmen. Unsere Unterhaltung drehte sich hauptsächlich um das Schulwesen der Griechen, das auch auf Cypcrn ungemcin rasche Fortschritte macht. Vor dreißig Jahren durften sie noch nicht an Schulen denken. Jetzt gibt es in den meisten größeren Ortschaften Volksschulen, und in den drei Hauptstädten, Larnaka Nikosia und Limasol, höhere Schulen von drei Klassen, in welchen Geographie und Geschichte, etwas Anthropologie, und griechische Litcraturgeschichto gelehrt und Homer und Tcnophon gelesen wird. Die Schüler bezahlen je nach Vermögen der Eltern hundert bis dreihundert Mark unseres Geldes Schulgeld, die übrigen Kosten decken der Bischof und ein Zoll von ein- und ausgehenden Waaren. Die Bischöfe und viele Popen sind jetzt bereits auf einer dieser drei höheren Schulen oder in Athen gebildet. Man sindet aber noch viele Popen, deren ganzes Wissen blos aus cincr Dorfschule stammt. 23 Wir besuchten nun die Lazaruskirche, an welcher ein schöner Süulengang von Spitzbogen erfreut, der sich ring-? um das Gebäude zieht. Dieses inacht durch seinen Stil und seine Pracht einen gefülligen Eindruck. Der Haufttbau, ursprünglich in Krcuzfonn mit Kuppel in der Mitte, ist sicher uralt. Die Kirche besteht jetzt aus drei großen länglichen Nundgewölben, denen oben drei kleine Kuppeln aufgesetzt sind. Den türkischen Pascha Kudschuk Mehemcd, der in den dreißiger Jahren wie ein Bluthund auf Lypern wüthete, ärgerten die schönen Kuppeln. Nur Moscheen dürften sich damit schmücken, sagte er, nnd befahl sie einzureihen. Nach vielem Vitten und Flehen erlangte man soviel, das; sie blos; zur Hälfte abgetragen wurden; die Ocfsnungcn deckte man mit Vrcttern zu. Jetzt sind sie wieder aufgebaut, und vor fünfzehn Jahren kam auch ein reichverzierter Glockenthurm dazu, und zum Zeichen, woher die Vaugelder flössen, prangt davor der russische Doppcladler. Gar häufig ficht man in den griechischen Kirchen auf den prächtigsten Muttergottcsbildcrn, die von Gold und Silber blitzen, die Wappen der kaiserlich russischen Stifter. Schon im siebzehnten Jahrhundert machte inan es in Nußland sich zur Negel, die Griechen in der Türkei mit Geld für ihre Kirchen und Priester zu unterstützen. Auch wurde wohl für verarmte Gegenden in Konstantinopel der Tribut in Rubeln erlegt. Die Russen hatten ja von Byzanz her ihr Christenthum bekommen und behielten ein lebendiges Gefühl für ihre Kirchengcmeinschaft mit den Griechen. Peter der Große sprach es offen aus: der Krieg gegen die Türken sei für Nußland ein heiliger Krieg, gleichwie in unsern Tagen wieder ein entscheidendes Wort siel: er sei ein slavischer Krieg. Allein Völker haben immerdar ein kurzes Gedächtniß für Wohlthaten. Seit die Griechen merkten, worauf die Freundschaft hinauslief, wurden sie gegen die gütigen Nusfen kühl bis ans Herz 24 hinan. Ihre Geschenke aber würden sie noch jeden Tag mit größtem Danke annehmen. Als wir zum Lazarusgrabe hinabstiegen, war es dunkel geworden. Die Geistlichen standen in schwarzen Tataren mit Lichtern in den Händen, und das feierliche Blitzen und Glühen gab dem schwärzlichen Innern des Heiligthums etwas Mystisches. Der heilige Lazarus soll nach Cypern gewandert und hier zum letztenmal gestorben sein. Sein schlichter Steinsarg aus weißem Marmor ist nur durch eine Rose geschmückt und steht in einer engen Höhlung. Allein das Grab ist leer. Die räuberischen Venetianer sollen die Gebeine nach ihrer Stadt geholt haben. Nun sind sie aber in Venedig nirgends mehr zu finden. Alles Suchen und Fragen ist vergeblich gewesen. Man muß sich damit trösten, daß der Heilige selbst wohl wissen wird, wohin sein Leichnam gekommen. IV. Zyprische Landschaft. Andern Morgens früh wollte ich nach Nikosia abreisen, aber siehe da, so oft ich auch aus der Thür schaute, kein Reisezug wollte kommen. Erst im Laufe des Vormittags erschien der Eigenthümer der Maulthicre mit der Erklärung: er habe gemeint, ich würde mich schon bedenken und die Ostcr-tage über bei dem Konsul bleiben, da hätte ich es ja so gut, auf der Reise aber würden wir oft genug keinen Tisch gedeckt finden. An diese Ausrede hatte ich wahrlich nicht gedacht; denn die Griechen überlassen ja das Beste der religiösen Feier ihren Priestern. Als ich nun den Gründonnerstag zugab, kam die zweite Erklärung: die Reiseziele hätte ich für jeden Tag viel zu weit gesteckt, das halte kein Mensch und kein Thier aus, wir würden viel mchr Zeit brauchen. Lebhaft stimmte mein Dragoman bei. Jetzt wußte ich, woran ich war: offenbar hatte der Letztere seine Hände im Spiele. Dieser Mann, welcher der reichsten Familie des Landes angehörte, stammte aus Frankreich, hatte dort eine gute Erziehung genossen, auch cm bedeutendes Vermögen gehabt, jedoch im Handel verloren. Nun den Scchszigern nahe, hatte er sich einer Art billiger Philosophie ergeben, die ihm erlaubte, seine Tage in beschaulicher Muße hinzubringen, niemals sich anzustrengen, sich aber an jedem guten Nissen zu letzen, wenn er mühelos sich darbot. Ich erkannte sofort, daß ich in einem schriftlichen Vertrage genau meine Bedingungen machen und jeden Reisetag und alles Andere fest bestimmen müsse. 26 Nun war aber guter Rath theuer. Ich hatte gehofft, in Cypern eine brauchbare Karte dcr Insel zu finden. In Deutschland ließ sich außer dcr geologischen in Ungcrs und Kotschys Buche keine auftreiben, weil es noch keine gab. Aber da kam ich schön an. An eine Landkarte der Insel war auf dieser selbst gar nicht zu denken: die türkische Regierung, hieß cs, habe allerdings einmal das Land aufnehmen lassen, diese Karte besitze aber der Pascha in Nikosia. Es wollte sich aber auch Niemand finden, der um das Innere der Insel gut Bescheid gewußt hätte. In ganz Larnaka, in Stadt und Hafenstadt, wo doch so viele reiche und gebildete Leute wohnten, gab cs nicht einen Einzigen, der mir über das Gebirge, das nur zwei oder drei Tagereisen entfernt und der Insel Schmuck und Wasscrspcnder ist, Näheres sagen konnte. Ich wurde von Einem zum Andern geführt. Auf mein Vorwärtsdrängen hieß es, zu meiner Art von Reifen brauche es Eisenbahnen oder Luftballons, und stets blieb es unentschieden, ob ich von Nikosia in zwei oder drei Tagen auf den Olymp kommen, und ob das Kloster Trooditissa eine halbe oder zwei Stunden unter dem Gipftl liege. Zuletzt nahm gewiß ein Dutzend Herren an der Verhandlung Theil. Nach vielem Mühsal und Gerede hatte ich endlich meinen Vertrag mit Konsulatssiegel in der Tasche und erholte mich auf einem Spaziergang, indem ich immer am Meere hinwandelte nach Kap Kiti zu, welche Spitze den Namen der vhönizischen Handelsstadt bewahrt hat. O wie wohlthuend war diese Einsamkeit! Die Menschen zerren und reißen unaufhörlich an Einem herum, aus der großen einsamen Natur aber fließen unsichtbar tausend stille Quellen der Stärkung in alle Poren und Adern. Gar erst auf Seereisen wird cs, wenn sie länger dauern, zur größten Qual, daß sich im engen Schiffsraum den Leuten und ihrem nichtsnutzigen Geschnatter so schwer ausweichen läßt. 27 Hier an dieser menschenleeren Küste war jetzt all«' voll himmlischer Ruhe. Wie schön rollten die blauglitzcrnden Wogen daher, wie strahlte der glanzerfüllte Himmelsäther, wie duftete rings der Frühling! Mit jedem Schritte trat ich aus neue unbekannte Blumen und Kräuter. Tulpen Tazetten Hyazinthen und ähnliche Blüthen wachsen hier wild umher. Am meisten erfreuten mich die schönen weiten Umrisse der Landschaft, und als ich mich endlich zur Rückkehr wendete, hatte ich ein hübsches orientalisches Vild vor mir: das Hafenstädtchen verschwand von dieser Seite fast gänzlich hinter Palmen und hohen Hecken des breiten indianischen Kaktus. Die unbekannte Gegend lockte mich immer wieder ins Freie, und nach Tische ging ich in entgegengesetzter Richtung. Als ich zwischen den Häusern hervor ins Freie kam, fand sich nicht weit ein Hügel, von dem sich die offene Landschaft überschauen ließ. Sie war bis an den Horizont begrünt von Fruchtfeldcrn und belebt von Ziegen und Schafen. Wenn dies, wie man mir gesagt hatte, die schlechteste Gegend der Insel war, wie reich und schön mußte das Innere sein! Es lag aber über der Gegend ein gewisser großer und schwerer Ernst, der die Seele erfaßte, wohin man die Blicke wendete. Ich dachte an Zeno, der einst auf diesen Fluren gewandelt. Die ersten Eindrücke, welche der junge Geist erfährt, spiegeln sich ja wieder in den Ideen und Werken des Manncs-alters. Zeno war der Sohn eines reichen Kaufherrn und hatte in seiner Jugend ein großes Vermögen durchgebracht. Um ihn zu besseren Gedanken zu lenken, brachte ihm der Vater von einer Handelsreise nach Athen die neuesten philosophischen Schriften mit. Da fing sein Genie Feuer, er ging nach der Philosophenstadt, und da er von der Insel der Liebcs-haine kam und höchst wahrscheinlich in ihren tiefsten Waldgründen den Ekel gefunden hatte, so setzte er der anmuthigen Lehre EpikurZ, für deren tieferen lieblichen Adel er wohl kein 28 Verständniß hatte, seine harte sittenstrenge Stoa gegenüber. Bei ihm war alles wie aus stählernem Gusse. Des großen Stoikers Grabschrift konnte keine andere sein: „Wie Zenos Lehre war sein Leben," ein Ruhm, der nicht allen Lehrern der Weltweisheit blühte. Wenn es aber wahr ist, daß er im späten Alter freiwillig Abschied von der Erde genommen, so war der Philosoph entweder unglücklich verheirathct oder ein armer einsamer Iunggesell geblieben. Die hartnäckig starre Folgerichtigkeit aber, zu welcher Zeno sein System in Denken und Leben ausbildete, erinnert gar sehr an den Charakter jenes Volks, dessen Heer sich an einem Sabbath von den Syriern ruhig abwürgen ließ, bloß weil die starre Sabbathsruhe ihm Geist und Glieder umfing. In der späteren Griechen- und Römerzeit lief ja allerlei Volk durcheinander, wenn nur die Zunge griechisch geworden und der politische Wille römisch. Drüben im syrischen Verytus lehrte einst an der berühmten Nechtsschule Illpian, der Meister der juristischen Dialektik. Sollte nicht auch dieser ein Sproß von jenen Rabbis gewesen sein, die später ihren Talmud noch mit viel feineren Kommentaren ausschmückten, als sie jemals das römische Recht besessen? Von diesem aber ließen wir gut< müthigen Teutschen, statt es bloß zu unserer juristischen feineren Ausbildung zu benutzen, uns elend beirren, so daß wir noch heutzutage aus der römisch-juristischen Gefangenschaft nicht wieder heraus können. Gegen Abend ritt ich auf einem feinen Araber, dem wohlberechtigten Stolz meines gütigen Gastfreundes, nacki einem räthselhaften Bauwerk, das nicht weit von der Stadt liegt. Auf einer Stelle, wo das Felsgestcin ein wenig über dem Boden aufragt, steckt halb in der Erde ein kleines Rundgebäude. Man stelle sich einen Backofen vor, der in einen Felsen hinein gewölbt ist, so groß, daß man beaucm darin stehen kann. Die Seitenmauern sind aus mächtigen Steinblöcken 29 gebaut. Tic Wölbung darüber soll aus einem einzigen gewaltigen Dcckstein bestehen: mir schien es aber, als könnte er aus großen Werkstücken so fein und fest zusammengesetzt sein, daß sich die Fugen kaum verfolgen lassen. Das Gebäude hatte drei Theile: in die Hinterwand, welche aus lebendigem Fels besteht, ist eine kleine Kammer hineingehauen, und vor der größeren gewölbten Kammer gab es noch einen ähnlichen Vorbau, der aber beinahe gänzlich weggcbrochcn ist. Ehemals waren sowohl die hintere als die mittlere Kammer, wahrscheinlich auch die vordere, verschlossen durch breite Steinplatten, welche, man sieht noch die Reifen, von oben hinein gelassen wurden. Wozu das Gebäude diente? Offenbar zu einem phönizischen Grabgewölbe, und spater wurde es der Jungfrau-Mutter, der Phaneromenc Panagia geweiht. Wann zuletzt christlicher Gottesdienst darin gehalten ist, ist längst aus der Menschen Gedenken verschwunden. Der Ort aber hat für die Bauern-frauen der Umgegend seine Anziehungskraft behalten. Wenn eine mit unfruchtbarem Schoß oder schwerem Siechthum geschlagen ist, so pilgert sie heimlich hierher, eine Hängelampe unter den Kleidern verborgen. Am Eingänge zündet sie die Lampe an, tritt mit bloßen Füßen hinein und geht bis vor das letzte Gemach, dort betet sie zur Panagia und läßt die Lampe als Weihgcschcnk zurück. Auch Türkinnen sollen wohl einmal hier Hilfe suchen. Die ganze Art und Weise rührt ohne Zweifel noch aus heidnischen Zeiten her. Eine kleine Viertelstunde weiter liegt hart an der Küste, äußerlich jedoch mit dem Meere nicht verbunden, der berühmte See, aus welchem schon die Phönizier das beste Salz gewannen und weit und breit verführten. Die Güte des Minerals hat sich noch jetzt nicht verringert. Durch den Winterregen schwillt der See an, füllt sich mit brackigem halbsalzigcn Wasser: darauf locht es die Sonnenglut wie in einer ungc- 30 hcurcn Sudpfannc, bis im Juli oder August das Wasser verdampft und in der Mitte der Boden sich bedeckt mit einer lauteren Salzkruste von ziemlicher Dicke. Dann schickt die türkische Regierung, die natürlich auf die ganze Ausdehnung des kostbaren Sees ihre Hand gelegt hat, Arbeiter, welche die Salzkruste in Stücke zerschlagen und diese am Ufer zu kleinen Hügeln aufhäufen. Aus ihrem Verkauf kommen in guten Jahren — der Ertrag wechselt nämlich — an 40,000 Mark ein. Unter den Lusignans brachte das cyprische Salz einen Ertrag von 300,000 Dukaten jährlich. Die Nacht, welche in diesen Himmelsstrichen rasch herein bricht, meldete sich an. Die Sonne wars uoch einen Feuer-kuß auf die Insel und den See und das Meer, und das ganze Land erglühte wie in leidenschaftlichem Sehnen und Jammern, als schwände mit dem Sonnenlicht alle Schönheit, alles Leben dahin. Fahle Dämmerung senkte sich hernieder. Kein lebendes Wesen ließ sich sehen in der ganzen Weite, keine Menschcnstimme, kein Hahnschrci wurde laut. Ich ritt dahin wie durch leeres Dunkel, gleich als wäre ich irgendwo am Saume der öden Wüste. Schweigen und Oede wohnen jetzt ringsum, die Menschen sind hier und da zu kleinen Häufchen zusammcngekrochcn, und wie es irgendwo bei den Propheten heißt, ruft das schöne Cypern verlassen in Nacht und Dunkel: „Wächter, Wächter! Ist die Nacht bald hin?" V. U t h i e n u. Um sechs Uhr früh sollte es fort gehn, und ich mußte froh sein, daß wir eine Stunde später wirklich aufbrachen. Bei diesen Orientalen verharrt Ort- und Landschaft in ewig gleicher Ruhe, nichts ändert sich als im leisen Verfallen, sie haben immer Zeit: wozu denn sich aufraffen und anstrengen? Vor seinem Hause in der Stadt Larnaka stieg Monsieur Clemcntin, so lautete meines Herrn Dragomans Vorname, ab und zupfte seinen Anzug zurecht, schritt dann mit Würde voran und stellte mir seine hübsche Nichte vor und seine arme Frau, die an unheilbarem Siechthnm litt. Auf den ersten Blick wußte man, in dieser Familie war einst Glanz gewesen und trübe verblichen. Da Mr. Clemcntin mich mit einem guten Gewehr bewaffnet sah, schwang auch er seine alte Doppelftinte über den Nucken, die Gefährtin auf seinen fast täglichen kleinen Iagdgängeu, auf welchen er sich leichter Mühe sein Abendessen holte. An Vogelwild ist Cypern überreich. Auf jedem Felde schwirrten Lerchen auf. Ihre Menge schien mir ein wahres Wunder. Ich bekam Lerchcneier vorgesetzt und hörte dabei, daß jährlich viele Tausende in Larnaka auf den Markt gebracht werden. Die Eier der Rebhühner sind noch gesuchter, weil größer und delikater, gleichwohl hatte ich Abends zuvor aller Orten ihren Ruf im Grase vernommen. Als wir nun durch die langen Gassen von Larnaka zogen, 32 blieb alles still und leer. In vielen dieser netten Häuser wohnte vielleicht noch Glanz und Wohlhäbigkeit aus älterer Zeit.' aber wie bei uns in alten Bischofsstädten, die vom Handels- und Gcwcrbcverkehr der Neuzeit nur erst wieder berührt werden, hört man das Klappern des Pferdchufs die ganze stille Straße entlang. Platz genug ist überall vorhanden, fast jede Wohnung geräumig, und von eigentlichem Elend keine Spur. Ohne die türkischen Aussaugekünste würden auch die Aermcrcn erträglich leben und brauchten gar wenig zu arbeiten' denn Mutter Natur ist gar freigebig auf dieser Insel. Die besseren Häuser haben nach der Straße zu einen Hof mit Garten, in dessen Hintergrunde sich eine Art Vordach auf Säulenpfosten öffnet und dahinter das Haus. Tritt man von außen herein, empfängt uns Fricdsamcs und Wohlthuendes in dieser Wohnlichkeit. Wo die Straßen enger und winkeliger wurden, standen und gingen da auch Frauen und Mädchen aus dem gemeinen Volke. Diese sehen fast sämmtlich aus, als würden die Gesichter alle Tage ein wenig auf den Boden gedrückt und hin und her gewendet, damit sie hübsch rundlich und staubig verblieben. In einer Art Halle vor einem kleinen schmutzigen Kasfee-hau,e, es ähnelte einer schwärzlichen Höhle, saß ein alter lMdlcr und sah mit seinen gläsernen Augen mich so drollig an, daß ich einen Augenblick einhielt. Kaum dämmerte ihm etwas von der fremden Gestalt, so sang und siedelte er gleich hastig darauf los. Der gute Mann ließ schon am frühen Morgen sich vom Cypenvein verführen, dessen Adel und Sippen ich bereits ein wenig hatte würdigen gelernt. Es ist ein wahres Elend, daß Kunst und Musik und Liebe und alles fröhliche geistige Schaffen mit dem Weine so nahe verwandt sind. An den niedern Kreisen unseres Berufs geht's aus: die Armen wissen sich des Weinzaubers nicht zu erwehren. 33 Als wir endlich ganz ins Freie kamen, grüßte micb ein himmlischer Reisetag. Die Luft war voll Glanz und Frische, und würziges Duften zog allwärts her über die grünenden Fluren. Die Schwalben schnitten hin und her in die Lüfte ihren Krcuzflug nnd riefen einander lustig an, und die vielen Lerchen tirilirtcn ihr Meistes und ihr Nestes. Gar bald befanden wir uns zwischen kalkigen Acrgen, die grau und niedrig dahin zogen, und dann ging es stundenlang durch öde Wildnis; von bleichen und braunen Anhöhen. Es ist dies eine Hügelkette, die im Süden des Westgcbirges aus-läuft und in langer Linie bis zum Meere zieht. Nur einmal überraschte mitten in der grauen Dcde eine Hütte mit blühendem Garten, ein erquicklicher Anblick. Als wir die letzten Höhen erreicht hatten, schimmerte hinter uns durch einen Straßcneinschnitt das Meer bei Larnaka, und vor uns, wo die nördliche Hälfte der Insel lag, entwickelte sich drüben in ganzer Länge eine prächtige vielgipflige Bergkette, überhaucht von einem halbbräunlichen Ton, wie er nicht zierlicher sein tonnte. Das war der Bergeszug, der vom Norden des Westgebirges aus immer hart an der Küste sich hinzieht, bis er als ein einziger langer schmaler Rücken noch weit durchs Meer fortstreicht und die karpasische Halbinsel bildet, die ich mir schon mit einem Schinkenbein zu vergleichen erlaubte. Zur Linken stand breit und massenhaft dunkles Hochgebirge. Es nimmt die ganze Westhälfte der Insel cin, und sein Gipfel, der Troodos, einst der cyprischc Olymp, winkte schneeweiß herüber. Zu unsern Füßen aber, bis zu jener schöngipfligen Bergkette hin, dehnte sich eine weite grünbräunliche Ebene, hin und wieder durchzogen von leisen dunkler abgestuften Hügelwellen. Dies ist die berühmte Mesoriacbene, Cyperns unabsehliches Getreidefeld, das häufig mit der nil-bewäfsertcn Deltacbene Aegyptens verglichen ist. Um das afrikanische Bild noch mehr zu beleben, hielt auf 34 einem Anger an der Straße ein Zug von dreizehn Kamcclen, und mit ihrer Wartung machten sich zwei richtige Mohren zu thun. Offenbar waren sie gekaufte Wärter. Früher sah mau die Negersklaven auf Cypcrn häufig.' gegenwärtig haben nur noch wenige Türken das Geld, sie zn kanfen, alle aber ein heimliches Verlangen danach. Denn ein einziger Neger arbeitet so viel, als fünf griechische Taglöhner, und der Türke selbst haßt das Arbeiten gleich wie eine erniedrigende Qual. Auch hat sich bei den reichen Türken die alte Liebhaberei an schwarzen Sklavinnen noch nicht verloren: sie umschreiben jetzt den Einkauf für den Harem mit dem zarten Wort des Adoptircns. Die Regierung hat den Handel verboten, drückt aber gewöhnlich beide Augen zu. Man landet die Sklaven heimlich in einem nördlichen Hafen, und führt sie Nachts in das nahe Gebirge. Um Mittag erreichten wir das Dorf Athienn und stiegen vor dem Hause des Herrn und VermietherZ unserer Pferde Michaili Iohaunu ab. Fast das ganze Dorf trieb sein Gewerbe, und da die Athieniten dabei weit und breit die Insel durchziehen, so merkt man auf der Stelle, daß sie viel aufgeweckter und manierlicher sind, als ihre Landslcutc. Sie selbst aber leiten diesen Aorzug von ihrem edleren Alute ab, und das hängt zusammen mit der türkischen Eroberung von Famagusta, der schon im Mittelalter so berühmten Festung an der großen Ostbucht der Insel. Diese Küstcnfestung hatte nach dem Falle Nikosias, der Hauptstadt Cyperns, noch über ein Jahr lang der türkischen Macht Trotz geboten. Befehligt von dem tapferen Venetianer Vragadino, vertheidigten sich Vürger und Besatzung hclden-müthig, obgleich der türkische Feldherr, der Seraskier Mnstapha, unaufhörlich schießen und stürmen ließ. Sechszigmal rannten seine Schaarcn an, den Säbel zwischen den Zähnen, Faschinen und Leitern in den Händen.- sechszigmal wurden sie blutig zurückgeworfen. Mnstapha schäumte vor Wuth, fast s>,in ganzes Heer war hingeopfert, und tan: er uach Konstantinopel ohne Famagustas Banner, gab niemand für seinen Kopf noch einen Para. Da endlich, nachdem die Stadt ein halbes Jahr fest umschlossen gewesen, fehlten ihr Munition und Lcbensmittel. EZ waren nur noch sieben Pulverfäßchcn da, und tein Hund und kein Ratte mehr am Leben, die noch Speise gewährt hätten. Von der hungerbleichen Bevölkerung gedrängt mußte Vragadino die weiße Flagge aufziehen. Gern gewährte Mu-stapha den Tapfern die ehrenvollsten Bedingungen. Tie Besatzung sollte Waffen und Gepäck und fünf Kanonen behalten, und kostenfrei auf türkischen Schiffen nach Kreta übersetzen. Wer von den Bewohnern der Stadt auszuwandern Lust hatte, sollte frei abziehen mit all seiner Habe, und wer bleiben wollte, unbehelligt bleiben in Religion und Besitz. Von freien Stücken schickte Mnstapha den Hungernden Nahrung, und wo sich ein Venetianer zeigte, überhäufte er ihn mit Artigkeiten. Insgeheim aber dachte er nur, wie er die Christen zertheile und in feine Netze ziehe, um sie wehrlos zu erdrosseln. Am Abend des 5. August 1571 war die Besatzung von der türkischen Flotte aufgenommen, nur noch dreihuudert Mann hielten am Strande. Bragadino ritt heran mit drei Generälen und vielen Officieren, um die Schlüssel der Festung zu überbringen. Ueber seinem Haupte wurde ein rothseidencr Regenschirm gehalten, und sein Purpurmantel wallte bis zur Erde: denn das gehörte zu seiner Würde. Mustapha empfing ihn m seinem Zelte mit allen Ehren, kam dann inö Gespräch und ging von Forderungen zu Vorwürfen und Beschimpfungen über, und als Bragadino heftig antwortete, wurden die vier Generäle Plötzlich niedergeworfen, vors Zelt geschleppt, Bragadino Nase und Ohren abgeschnitten und die drei Andern in Stücke gc-hanen. Im selben Angenblicke wurden die Dreihundert am Seeufer überfallen und niedergemetzelt. Die Schiffe, welche die 36 Besatzung unter sich vertheilt hatten, stießen ab, lim die Christen zu fesseln und in die Gefangenschaft zu führen. Das ganze Türkenheer aber fetzte sich in Bewegung, ergoß sich über die unselige Stadt, schlug Thüren und Fenster ein, und schwelgte inl Plündern und Morden und allci: Schandthaten. Das dauerte zehn Tage lang, und als die Türken sich ini Blut gesättigt und für die Harems genug Mädchen und Jünglinge beisammen hatten, wurden schließlich noch alle, die römischkatholisch waren, hervorgesucht und in die Gefangenschaft abgeführt. Nur ein Rest von armen Edelleuten aus Venedig erhielt Erlaubniß, am Leben und auf der Insel zu bleiben unter der Bedingung, daß sie sich in der Mitte zwischen den drei vornehmsten Städten Nikosia Larnaka und Famagusta niederließen und Waaren und Leute als Maulthiertreiber von einem Ort zum andern brächten. So sagen wenigstens die Athieniten. Vragadino aber mußte, gemartert von allen Seclenqualen, die zehn Tage über auf seine Hinrichtung warten. Dann wurde er zuerst an einem Stricke an der Nae eines Schiffs in die Höhe gezogen, und indem man den Strick fahren ließ, ins Meer gestürzt. Wieder aufgefischt, wurde er mit zwei Körben Erde belastet, diese mußte er zu den neuen Türken-schanzcn tragen, und jedesmal, wenn der Unselige vor Mu-stapha vorbeikam, wurde er vor ihm niedergeworfen und sein Gesicht zur (5'rde gebeugt. Zuletzt wurde er am Boden ausgestreckt, angepflöckt, und langsam lebendig geschunden. Mu-stapha weidete sich an dem blutigen Schauspiel und rief dem Märtyrer zu: „Wo ist uun dein Christus? Warum erscheint er nicht, dir zu helfen?" Bragadino aber betete laut das Miserere, und als er zum neunten Verse tam, hauchte er seinc große Seele aus. Nun wurde seine Haut mit Heu ausgestopft, auf eine Kuh gesetzt, und unter dem Gespött und Gelächter der Türken durch Stadt und Lager geführt. Mustapha brachte im Triumph den ausgestopften Braga- 37 dino nach Konstantinopcl, wo die Haut im Gefängniß der Christ enstlavcn lange Zeit ausgehängt blieb. Der Sultan aber empfing den Eroberer Cypcrns mit großer Huld und Auszeichnung, konnte sich aber nicht enthalten, zu sagen: die Insel habe ihm mehr Leute gekostet, als noch darauf übrig seien. Wohl darf man fragen, welches Volk mit so viel gemeinen Blutthaten die Geschichte besudelt hat, als Türken und Mongolen? Und doch erscheint der einzelne Türke als ein so gelassener ehrlicher und gutmüthiger Mensch, der auf nichts mehr hält, als auf Ehre und Würde. Es ist das wirklich seine Natur so, aber in den verborgenen Tiefen dieser Natur steckt auch untilgbar die Anlage zum Wüthcrich. Wird sein Stolz, insbesondere sein National- und Glaubcnsstolz verwundet, seine Rachgier entzündet, so schießt ihm das Blut in die Augen und dann kann er grausam und niederträchtig sein ohne Grenzen und ohne Erbarmen. Bei einem Athienitcn also hielt ich das erste Mittagsmahl auf der cyprischen Rundreise, und niemals habe ich es dort in einem Kloster oder reichen Vauernhaus besser gehabt. Die vier Wände des Hauses umhegten ein einziges kleines Gemach mit Lehmboden, es war der Bewohner Einundallcs, aber es gab Tisch und Stühle darin, und das Beste war die Sauberkeit und die hübsche junge Frau, die ihrer pflegte. Das Ehebette prangte mit geblümter Decke, und darüber hing die Hängematte, worin ein junges Mädchen Nachts ihr Unterkommen fand. Vor dem Hause war ein Höfchcn durch eine Erdmauer von der Straße abgeschieden, und hatte sein Stallchen und sein Hüttchcn. Alsbald erschienen auf reinlichem Tischtuch Eier aus der Pfanne, dann ein gut gebraten Huhn, dann Pillaw, und zum Nachtisch Orangen und grüne Artischocken, und auch der schwarze Wein mundete vortrefflich. Als wir nun wohl gespeist hatten, mußte ich ein Lager einnehmen, das auf dcm Lehmboden von Kissen und Stepp- 38 decken bereitet war. 3a rauchte ich meinen weichen wohlriechenden Icnidschehtabak, dessen Güte ich da wo er wächst, an der thrazischen Küste, kennen gelernt. Monsieur Dragoman drehte sich Cigaretten, und Herr Michaili Iohannu hockte auf der Erde und rauchte als ein vornehmer Mann, der er war, mit Würde seine Wasserpfeife. Die junge Frau ging ab und zu und lies; ihren Säugling nicht vom Busen. Es herrschte tiefe Stille, und die wonnclächclnde Lichtbläue des griechischen Himmels strahlte in die offene Hausthür. Das war wieder ein köstliches Neisestündchen. O des himmlischen Nichtsthuns! Nur auf solchen Reisen, wird man ganz seines Segens inne: es stärkt wahrlich Geist und Glieder. Da Niemand Anstalt machte zum Aufbrechen, griff ich zuletzt zu Immermanns Epigonen, die ich mit ähnlichen gehaltvollen Erzählungen, wie man sie vor vierzig Jahren schrieb, mitgenommen hatte. Man kann sie zwei- und dreimal lesen; denn zwischen den Zeilen auillen stets wieder Ideen und Gebilde und Anmuthungcn hervor, jede Figur ist scharf Hinrissen, und alles frei von unnöthigcr Zuthat. Und doch wie Wenige erbauen sich uoch an Immermanns Werken, den Münch-hausen etwa ausgenommen! Wie verschollen sind selbst Tiets wundervolle Dichtungen! Ich erinnere mich, daß ein Novellen-bändchen „Mohntörner" in meiner Jugend Aussehen machte und man vergebens nach der Herkunft fragte. Die Verfasserin lebt noch in München, wer aber denkt noch ihrer hübschen Schriften voll reizender Lcbenswahrheit? Vielleicht wird heutzutage in Novellenform Feineres geleistet, uud im Noman haben wir selten soviel Gutes gehabt. Möchte man sich aber für irgend ein schönes oder gehaltvolles oder noch so gelehrtes Werk dieser Art verbürgen, daß es nur drei Jahrzehnte überdauere? Die Gegenwart hat wahrlich einen großen Magen, und Alt- und Vergessrnwerden ging niemals so behende vor sich. VI. Hden im Iruchtgarten. Als ich von meinem Lager auf dem Lehmboden in Athicnu aufblickte, hatten meine Begleiter sich längelangs anf dem Boden ausgestreckt nnd schliefen, als wollten sie vorzeitig Nacht machen. Nun trieb ich sie aber auf und, als wir draußen waren, zur Eile. So kamen wir nach etwa einer halben Stunde an ein elendes Dörfchen, das seinem Flusse, der auch Koprisi potamo d. i. Kothfluß heißt, alle Ehre machte. „Ist denn das Tali?" fragte ich. Mit verlegener Miene antwortete Monsieur: „Dies heißt Piroi, Dali liegt rechts, zwei Stunden weiter oben am Flusse, jetzt ist es zu spät geworden bis dahin." Er erläuterte weiter: weil es mir in Athienu so gefallen, habe er geglaubt, ich wolle Dali aufgeben. Nun kannte ich vollends meinen Mann und nahm mir vor, koste es was es wolle, mir in Nikosia eine Karte von Cypern zu verschaffen, damit er mir keine weiteren Streiche spiele. Dali aber, das alte Idalion, wo einst das berühmte Heiligthum der Aphrodite stand, ließ sich am Ende noch verschmerzen. Nach allem, was ich darüber in Erfahrung gebracht, gab es dort nichts mehr zu sehen, als Erdwälle, welche den Lauf der alten Stadtmauer bezeichnen. Von nah und fern hat man aus den Trümmern weggeholt, was irgend sich an Bausteinen verwerthen ließ. Immerhin aber hat es einen wehmüthigen Reiz, auch nur die Linien der Landschaft zn verfolgen, in deren Mitte vor 40 lang entschwundenen Zeiten die festlichen Züge zu den strahlenden Tempeln wallten. Wir hatten nun noch etwa vier Stunden Wegs vor uns bis zur Hauptstadt und durchschnitten die rechte Mitte der Mcsoria. Verwundert schaute ich mich um nach allen Seiten, ringsum graugrüne Ebene, keine Dörfer, leine Menschen, keine Bäume. Ich glaubte irgendwo auf einer ungarischen Pußta zu sein, wo hinter dem fernsten Horizont noch weite Flächen leise empordämmern. Hier aber schien unter des Himmels unermeßlichem Aether-glänz alles wie vernichtet und verschwunden, die fernen Bergeshäupter nur wie Säulen des blaukiystallcncn Lichtgewölbe«. Der griechische Name Mesora oder Mesoria, das Land zwischen den Bergen, entspricht ganz der Lage und Erdbildung. Die meisten griechischen Inseln haben ähnliche Ebenen zwischen den Bergen, die größten finden sich in Hireta und Cypcrn, die am schönsten gebildete auf Imbros. Ein Hauptstrom, dem eine Menge Wasseradern von beiden Bergsciten zufließt, bewässert solche Fluren. Eypcrn bildet darin eine Ausnahme, daß seine Fruchtebcne zwei Hauptflüsse hat, der große geht östlich und der kleinere westlich. Der große Strom heißt der Fluß, sein Hauptarm Dalifluß, weil er von Dali her-, und der kleinere Strom heißt Morfufluß, weil er nach Morfu hinläuft. Andere Namen scheinen den jetzigen Cypriern nicht einzufallen. Im Alterthume hieß der Hauptstroin Pcdias und sein Nebenfluß Satrachos, und beide haben mit dem Nil eine merkwürdige Aehnlichkeit. Wenn der Negen monatelang das Gc-birg berieselt, strömt der Fluß mit gclbschäumendcn Wogen, welche das fruchtbarste Erdreich tragen, in die Ebene: dann tritt weit und breit das Gewässer aus. Wenn es sich zurückzieht, bleibt eine feine Schlammdccke auf den Feldern zurück, die ihnen die größte Fruchtbarkeit verleiht. Aegypten so nahe gerückt, will Cypern auch feinen Nil haben: im Alterthum nannte man den Pedias wirklich den cyprifchcn Nil. ^I Nun zeigten sich auch bald die kleinen Tafelberge, welche der cyprischen Ebene eigenthümlich sind. Man sieht sie nahe und fern über den Flächen emporragen. Als das Meer einst zwischen den beiden Bergketten, welche die Ebene einfassen, durchflutete, haben seine Wellen hier Anhohen angehäuft, dort zerrissen, ausgewaschen, abgebröckelt. Oben sind sie platt wie ein Tisch, deshalb auch Tafeln O««?lt^,) genannt, zu den Seiten mehr oder minder abfallend. Die Bauern sagen: die Tafelhügcl wären Steinland und keines Anbaues fähig. Ich ritt auf zwei dieser Kleinbergc hinauf und fand die Angabe nur zum Theil bestätigt. Vlos auf einigen Stellen trat der kahle Kalkstein zu Tage. Weinreben und Futterkräuter könnten vielfach auch auf dem sogenannten Dürrlande noch fortkommen, wenn es nur ordentlich bebaut und bewässert würde. Was aber wollen die paar unbebauten Hügel bedeuten? Liegen doch weite Stellen des schönsten und fruchtbarsten Landes in dieser Ebene da schmählich vernachlässigt, seit Jahrzehnten nicht mehr von Pflug und Hacke berührt, und jedes Jahr wird die Ocde größer und weicht der Anbau mehr zurück. So verlassen und traurig hatte ich mir das Innere von Cypcrn doch nicht vorgestellt. Nicht einmal Schaf- oder Ziegen-Herden ließen sich blicken. Als ich von den Anhöhen umherschaute über die nackten Ländereien, schimmerte hier und dort eine Wasserfläche. Die schöne Insel kam mir vor wie eine verlassene Braut mit verweinten Augen. Diese selbe Mesoria-ebene hieß im Alterthum die //«x«^/«, die glückselige! Da wogte es hier auf und ab von Laub und Kornfeldern. Welch ein unabsehlicher Fruchtgarten würde auf dieser Fläche aufblühen, schwellend von allem, was da wächst und Früchte trägt, stünde Cypern unter einer guten Regierung! Aller Zonen Bäume und Kräuter würden auf dem ganzen Gebiet gedeihen, so weit das Austreten der Flüsse regelmäßig ist oder so weit durch ein Netz von Kanälen sich die Bcwäs- 42 serung führen ließe. Auf mehr als zwei Drittel seines Lauf-?, von Nikosia bis zur Mündung, haben der Pedias und seine Zuflüsse das fruchtbarste Erdreich in ihrem Überschwemmungsgebiete aufgehäuft. Au manchen Stellen liegt es zehn und zwanzig Fuß tief. Der andere Hauptstrom der Ebene, der Morfufluß, ist in ähnlicher Weise ein Landeswohlthäter gewesen. Aber auch weit von dem regelmäßig überschwemmten Lande breitet sich in Mulden und leisen Vertiefungen das beste Acker- und Gartcnfeld aus. Wie leicht ließe es sich wieder anbauen und die Menge des ausgeführten Getreides, die noch immer ins Gewicht fällt, verdoppeln und verdreifachen! Das Unglück ist aber, daß dies bei der fortschreitenden Waldverwüstung nnd Verödung des Landes nut jedem Jahre schwieriger wird. Die Vcnetiancr belohnten für jcdeu neuen Oelbaum, der gepflanzt wurde. Türkische Herren aber kümmern sich nicht um dergleichen, sie wollen nur herrschen, nicht regieren. Die türkische Negierung nimmt Steueru von dem, was da ist, und so lange etwas da ist, denkt aber nicht daran, Steuer-fähiges zu schaffen. Sie lebt eben von der Hand in den Mund, und nur wenn die Noth ihr an die Kehle faßt, rafft sie sich auf mit wilder Energie zu Maßregeln roher Gewalt. Freilich, so aller Kraft und Vorsicht baar, als jetzt das cyprische Volk erscheint, würde auch die sorgsamste Regierung harte Mühe haben, es zu größerer und klügerer Thätigkeit anzuspornen. „Zyprischer Ochs!" s/?«^ nl/nnio^/) hieß eo schon im Alterthum, um dies störrige Volk, das so schwer von Begriffen ist, zu bezeichnen. Noch jetzt hockt der ächte Cypriot in seinem heimatlichen Schmutzdörfchen, bleibt bei feinem alteil lässigen Brauch, und geht nicht weiter, als er sehen kann. Wir mochten noch eine halbe Stunde von Nikosia sein, da sah ich aus einem Gehöst an der Straße Soldaten eilig 43 ihre Pferde hervorziehen, sich hinaufschwingen und den Säbel in der Hand uns entgcgengaloftpiren. Als sie bei uns waren, hielten sie plötzlich an und falutirtcn. Weil ich nicht wußte, was das bedeuten sollte, ließ ich halten. Da ritt ein ältlicher Herr vor, schwenkte artig mit der Hand und sagte: der Pascha von Cyftcrn schicke ihn, seinen Kanzler und Dragoman, mich zu begrüßen und feierlich einzuholen: selbst mick aufnehmen in seinen Atonal könne er zwar nicht, weil darin gebauet werde i er habe aber sofort, als der Kaimakam zu Lar-nata meine Ankunft telegraphirte, den Wirth des Gasthauses dclla Spcranza rufen lassen, und alles sei dort aufs Schönste bereit, mich zu empfangen. Ich merkte nun wohl, wem ick das zu danken hatte. In Wien hatte unfer Gesandter die Güte gehabt, mich bei dem türkischen Botschafter einzuführen, demselben Naschid Pascha, der in den kritischen Tagen zu Konstantinopel Minister und von dein Tscherkessenhauptmann Hassan im vollen Ministcrrath erschlagen wurde. Der Dragoman, ein katholischer Armenier, war ein gemüthlicher alter Herr, und wir ritten, bald französisch bald italienisch plaudernd, eine breite Hügelwclle hinauf, die noch den Anblick von Eyperns Hauptstadt verdeckte. Allmählig erhoben sich hinter der Höhe Hunderte von Palmen, dann schlanke Minarets, dann ein gewaltiger Dom, und auf einmal lag da das herrlichste orientalische Stadtbild, — auf grüner flutzdurchglänzter Ebene im weißen Mauer- und Zinnenkranz eine große Stadt, über welcher hoch emporstiegen zahllose Palmen und weiße Minarets und auch hier und da Glockenthürme und gothische Kirchen. Ein märchenhafter Anblick! Und gerade jcht neigte sich die Sonne zum Untergang. Der ganze Himmel vor uno prangte im reinsten Geld und Purpur, das unsäglich zart und weich die Lüfte erfüllte. Jeder Etrahlenbüschel der Palmen, jede scharfe Thurmspitze war wie von sanfter Verklärung umgeben. Das Seltsamste aber blieb 44 der dunkclgraue halbgothische Tom, der sich mitten in dieser Pracht des Orients massenhaft emporhob. Man würde meinen, es müsse der Kaiserpalast sein, wenn Einem die Äauform nicht von den Ufern des Rheins und der Seine her so bekannt und heimisch wäre. Als wir aber ans Thor kamen, standen da bettelnd Aussätzige, der Eine gräulicher verstümmelt als der Andere, ein Anblick so furchtbaren Ekels, daß sich Einem das Herz im Leibe wendet. In die Stadt dürfen die Jammervollen nicht hinein. Jetzt setzte sich die Reiterei in Ordnung.- der Dragoman mahnte mich, es müsse so sein. Also nahmen die Spitze die beiden Zaptiehs mit blankem Säbel, dann kam der Hauptmann, dann ich, darauf nebeneinander die beiden Dragomans, und zuletzt unser Maulthiertrcibcr und Diener. So ritten wir rasselnd, so rasch die Maulthiere nur mitkonnten, durch die Stadt und durch den Bazar, und das Volk lief zusammen und die Meisten verneigten sich zu höflichem Willkomm. Tann ging's in eine kothige Enggasse hinein bis vor die Loeanda, wo der Wirth stand mit seinen Leuten und tiefen Bücklingen nnd mich auf den Divan führte. Der Armenier verabschiedete sich. Der Hauptmann aber nahm würdevoll neben mir Platz, und da ich weder Türkisch noch Griechisch, er aber kein Italienisch oder Französisch sprach, so saßen wir eine Weile nebeneinander und rauchten und schwiegen, und als ich endlich dachte, nun sei es genug, und aufstehen wollte, flüsterte mir Monsieur zu: „Zwei Medschidieho". Und der Würdige nahm die großen Thaler, und dann kamen die Zaptiehs, stellten sich vor mich hin und jeder empfing sein Geldgeschenk. Tas war das Ende der Narrethei. Kaum hatte ich mich umgekleidet, erschien der Armenier wieder, mich zum Statthalter abzuholen, der in der liebenswürdigsten Weise mir entgegenkam. Er stammte aus einer 45 fürstlichen Familie in Bosnien, hatte das türkische Gebiet in beiden Wclttheilcn bereist, auch Wien und Paris besucht, und war ein europäisch gebildeter Herr. Schon jetzt lernte ich nicht wenig über Cypern ans dieser Unterhaltung, und gern sagte ich zu, den nächsten ganzen Abend bei ihm zuzubringen. (5r sprach auch davon, ob ich nicht sein Schiff nehmen und rings um die Insel fahren wolle. Der Vorschlag lockte nicht wenig, allein ich hatte meinen Vertrag in der Tasche und durfte meiner Reisekasse nicht doppelte Kosten zumuthcn. Als' ich nun meine Noth klagte, daß ich keine Karte bekommen könne, nahm der gütige Pascha eine große Handzcichnnng von der Wand und verehrte sie mir zum Andenken. Es waren auf feiner Leinwand und in verschiedenen Farben Städte und Dörfer, Wege und Gebirgszüge, Flüsse und Flut- und Küstcnlinien sehr geschiät angegeben. Wenn auch alle Namen türkisch geschrieben, so blieb doch diese Karte für mich ein unschätzbares Vesitzthum. Der Kanzler geleitete mich wieder nach Hause, es war schon dunkel, und in der menschcuerfüllten Stadt regte sich auf den leeren Gassen kein lebendes Wesen mehr, es seien denn ein paar widerwärtige Hunde. VII. Nikosia. Niemals hat mich eine orientalische Stadt so eigenthümlich angcmuthet wie die Hauptstadt Cypcrns, die früher und noch auf den Karten Nikosia, bei den Griechen Levkosia und bei den Türken Lcfioscha heißt. Alles darin erschien fremdartig und doch wieder so heimlich vertraut, als befände ich mich irgendwo in einer alten verkommenen Bischofs- oder Hcrzogsstadt in Mitteleuropa. Es war mir immer, als wandelten da durch die engen Gassen orientalisch vermummte Gestalten, und wenn sie in die Thorwege zu den Wohnungen hineingingen, drehten sie sich um und lüfteten ein wenig Schleier und Mantel, und es grüßten lächelnd allbekannte Gesichter. Nirgends hat sich das Morgenland in Form und Aussehen der Gebäude, in Tracht und Sitten und Sprache der Menschen so eng mit dem Abcndlande uerschwistcrt, wie in Nikosia. Am ersten Tag weckten mich in der Frühe die türkischen Trompeten, welche über die ganze Stadt hin erklangen. Dann ließen die Muezzins von den vielen Minarets ihren Gesang erschallen in feierlich gezogenen Tönen. Darauf hörte man zahllose Naben und Dohlen, zahllose Hähne krähten, und das Äcchzen und Schreien der Esel und Kameele wollte kein Ende nehmen. Bald aber eilte heiterer Glockcnklang durch die Lüfte und antwortete sich von Thurm zu Thurm. 4? Am zweiten Tag feierte man das griechische Osterfest. Da sing fchon bald nach Mitternacht das Gebimmel an, es klang und bimmelte nnd läntetc an allen Enden und hörte gar nicht wieder auf. Dazwischen knallten die Freudenschüsse der Griechen, jeder alte Donnerkasten mußte hervor und Schall machen. Um so mehr strengten sich die ernsthaften Muezzins an, nnd Plötzlich gingen alle Töne wieder unter in einem heillosen Geschrei Gehenle und Gebrülle der Thiere, als würden sie in jedem Stall, auf jedem Vaum zum Angstgeschrei aufgestachelt. Gewiß warf sich jeder alte Türke in seinem Harcmölagcr von einer Seite auf die andere, und fluchte über dae> gräßliche Glockengebimmcl und Pistolcngcknatter. Das hätten die Griechen vor dreißig Jahren sich unterstehen sollen! Da wäre man mit blankem Säbel vor die Thüre gestürzt nnd hätte sie Achtung gelehrt vor ihrer Herren Nuhc. Wo ich nun in dem Gasscngcwirre stand und ging, da grüßte über die Mauern und durch die offenen Thorgänge Virn- und Acpfelblüthe, dazwischen dunkles Schattcngebüsch von Rosmarin und großblättrigen Feigen, und wieder lockten die rothen und gelbweißen Blüthen von Orangen und Citronen, Maulbeer- und Granatbäumcn. Keine Gartenmauer aber war so hoch, daß nicht dahinter Cyvresscn und Palmen nnd Minarets emporstiegen in die reine Himmelsbläue. Halb Mosia besteht ans Garten, nnd überall plätschert Wasser auä den Röhren, sie zu venässen nnd zu befruchten. Die Stadt schwimmt in lieblichem Wohlgeruch, und wo an den Ecken nur der leiseste Windzug athmet, da regt sich das Duftgemisch um fo frischer uud köstlicher. Der Himmel Cyperns hat das wunderbare tiefe Blau, wie es wolkenlos über dem Nilthale glänzt. Strahlend rein ist es und doch von unergründlicher Tiefe. Ach, und diese himmlische Luft! So weich und wonnig, fo schmeichelnd und verführerisch. Ueberall meint man das Nanschcn eines Seiden- 48 Neides von Jemand zu hören, den man wohl kennt. Ich begriff vollständig, warum unter all den Inseln Griechenlands, die vom Thau der Schönheit glänzen, gerade ssypern sich mit Hainen und Hciligthümern der Liebesgöttin bedeckte. Linen Augenblick dachte ich, wie herrlich es wäre, hier ein halbes Jahr umherzuschweifen und das Schönste der altgriechischen Literatur zu lesen und innig zu empfinden. Aber der nächste Gedanke war: würde man es wohl unter diesen Leuten, in dieser trostlosen geistigen Ocde aushalten? Die paar Europäer in den Küstcnstädten denken nur an Waaren und Gewinn. Die Griechen fangen eben erst an, noch für Anderes Interesse zu gewinnen, als für Geld und Kirche und Nationalität und ihre unaufhörlichen 3länke und Parteiungen. Und gar die Türken! Wenn man jeden Einzelnen von ihnen hernähme, ihn umstülpte und schüttelte und durchdrösche, nicht einen einzigen Geistesfunken, nicht eine Idee von Kunst und Geschichte würde man herausklopfen, und doch wäre der ganze Stoff des Mannes eitel Selbstgefühl und Hartnäckigkeit und Willenskraft. Blickt man aber von der Straße in die Gärten, so sollte man lauter stille kleine Sitze vermuthen, wo die Musen sich friedlich ansiedeln könnten. Alle bedeutenderen Wohnungen liegen tief in Gärten, umgeben von blühenden Bäumen und Gewächsen. Jede Familie lebt abgeschlossen für sich, abgekehrt von der Straße in ihrem Daheim, gleichwie in ruhigem wan-dclloscn Frieden. Da das öffentliche Leben im Orient so überaus matt und lahm ist, so muß ja das häusliche Ersatz bieten. Vei den Griechen ist es wohl der Fall: zu ihrem lebendigen Volks- und Religionsgefühl besitzen sie den Segen eines warm erfüllten Familienlebens. Die türkischen Wohnungen alle erkennt man sogleich daran, daß der Thorweg sorgsam von Brettern oder Teppichen verstellt ist, damit ja kein fremder Blick wie ein Geier unter das 49 Frauenzimmer stoße. Hinter den hohen Gartenmauern sind diese armen Menschenkinder, bloß weil sie nicht zum stärkeren Geschlecht gehören, venntheilt, angewurzelt wie die Pflanzen in der Erde die einförmig langen Tage dahin zu leben, Tag für Tag und Jahr für Jahr angewiesen auf Eheherrn und Kinder und sklavisches Gesinde. Die ganze übrige Welt ist für sie eine große dumpfe Leere. Sie zählen nicht mit darin. Und wenn es noch in ihrem verschlossenen Daheim, zwischen ihren duftigen Grünlaubeu nur ein wenig Weihe des Friedens wirklich gäbe! Auf Cyftern sollen die türkischen Herren sich gcsänftigter und friedlicher benehmen, und Ehen aus Neigung vorkommen. Gewiß aber sind die letztern nur Ausnahmcu. Die Wirthschaft in den Familien bleibt doch im Ganzen und Großen türkisch. Dieses Voltes Natur ist hart geschmiedet, sie verändert sich wenig. Auch in Nikosia schleichen hinter den Gartenmauern die Tage der Osmancn einförmig und düster dahin, nicht erhellt von der Liebe goldenem Licht und Leben. Wie kann das anders sein, wo man sich hcirathet, ohne einander vorher zu kennen, wo der Mann der Herr und Gebieter ist und so selten der Geliebte? Da aber die Ränke der Frauen, wo sie nicht lieben, von Natur unerschöpflich sind, und da sie insgemein auch klüger und listiger, als die Männer, so folgt, daß die Türkenfrauen zwar die hülflofcn Gefangenen der Männer, diese aber die armen Schlachtopfcr ihrer Gefangenen sind. Tagtäglich sitzen die Würdigen, dem Harem entflohen, wie angenagelt in ihrem Divan und üben sich stundenlang in stoischer Geduld. Treten sie dann einmal aus ihrer Hofthür auf die Gasse, so sind ihnen, glaube ich, der Koth und die Steine und die Lachen, zwischen welche sie hineintrcten, ganz recht. Vci ihren ge-trümmten Beinen, in ihren Haus- und Schlappschuhen, bei ihrem ewigen schweren Sitzbedürfniß möchte ein glattes Pflaster den Würdevollen Gefahr bringen. Löhcr, (iypcrn, 4 30 Zu Nikosia erscheinen die vornehmen Türlinnen nicht in den grell rothen und blauen und gelben Schleiermänteln, wie man sie in anderen Städten sieht, sondern die Oberhülle ist stets von zartem Weiß, und darunter tragen sie zierliche Seiden-lleidchen. Auch watscheln und wanken sie nicht einher, wie ausgestopfte und lebendig gewordene Säcke, sondern haben einen elastischen Gang und wissen überhaupt sich wohl zu nehmen. Entschieden gibt es viel mehr schlanke Gestalten unter ihnen, als in Smyrna oder Konstantinopel, und wenn nicht alles trügt, so findet die Sage, weit und breit gebe es in Nikosia die schönsten Frauen, nicht bloß auf die Griechinnen Anwendung. Die Stadt mag kaum noch 12,000 Einwohner haben. Andere wollen, es seien 18,000. Wer soll das genau in einem Lande wissen, wo man höchstens die Haushaltungen zählt? Der Türke sagt: Es ist ja ganz einerlei, ob ich es weiß oder nicht, wie viel Leute hier oder dort wohnen; wenn ich nur weiß, ob die, welche noch da sind, Geld haben oder ob sie keines haben. Im Mittelalter hatte Nikosia einen Umfang von ein paar Stunden, und war dreimal so groß als jetzt. Um den eigentlichen Stadtkern dehnten sich rings in den blühenden Gefilden des Pedias Gärten mit Landhäusern und Palästen aus. Es standen auch an den Gartcnstraßcn Kirchen und Klöster, von denen man nur noch Stücke der Grundmauern sieht. Die griechische Bevölkerung, die noch vor einigen Jahren schwächer war, mag jetzt der türkischen gleichkommen. Obwohl im Ganzen getrennt, vermischen sich doch beide Racen hier mehr, als irgend anderswo. In griechischen Häusern stößt man nicht selten auf türkische Diener, und manchmal geht eine Griechin zum Islam über, um einen hübschen jungen Türken zu heirathen, der ein Veg oder Aga d. h. ein Grundbesitzer ist. Die Tracht der griechischen Bauern ist halb türkisch, 51 besonders machen sie sich gern mit allerlei Umhang und weiten Umschlagtüchern zu thun. Der türtische Pillaw fehlt bei keinem Gastmahl auf der Insel. Es gibt sogar viele Muselmänner, die heimliche Christen sind, das Kreuz schlagen und ihre Kinder taufen lassen. Man nennt sie Mischzeug, Linopambaji d. h. Lcinwolle. Ihre Vorfahren haben äußerlich, aus Furcht vor den Türken, den Islam angenommen: wollten sie jetzt ösfentlich fich wieder Christen nennen, so Hütten sie manchen Schabernack von den Türken auszustehen und müßten sofort die Asterieh zahlen, das Eoldatengeld dessen, welcher nicht selbst Kriegsdienste leistet. Dies beträgt jährlich 27^ Piaster — etwa 8 Mark, — die für jedes männliche Kind gleich vom ersten Lebensjahr an zu zahlen sind — genug für einen armen Bauer oder Handwerker im geldarmen Lande. Von der Vcnetianer Zeit her haften in der Sprache der Insel-Griechen noch manche italienische Wörter: das Französische ist in Cypern gänzlich verschollen. Während aber in Nikosia die Griechen ihre eigene Mundart haben, bemühen sich hier die Muselmänner, ein reines und feines Türkisch zu sprechen. Es soll nach Konstantinopel das beste sein. Offenbar ist dieses edle Bemühen, wie manche andere bessere Gesittung, noch ein Nachklang aus der vornehmen Nesidenzzeit Nikosias, an deren Größe und Bedeutung noch fast alle besseren Häuser erinnern, jcdoch wohlgemerkt, nur in den Thorgängen und in den stattlichen Grundmauern ein paar Fuß über der Erde. Auf Manneshöhe und noch tiefer sind diese nämlich überall abgebrochen, und auf diesem alten Mauerrest hat man gleichwie in Noth und Eile ein elendes Bauwerk von Holz und Lehm aufgeführt, um nur unter Dach und Fach zu kommen. Die Leute sagen jetzt: wenn sie schöner und fester bauen wollten, würden die Häuser von Erdbeben doch wieder umgeworfen. Gab es denn ehemals auf Eypern keine Erdbeben? Die Staatsgebäude der früheren Zeit erkennt man leicht 52 an den Werksteinen aus bräunlichen Sandsteinauadem. Das Gebäude aber, das stets alle Blicke anzieht, ist der Sophien-Dom. Er hält, was sein Anblick, >vemi man sich Nikosia nähert, von Weitem schon verspricht' es ist ein erhabenes Gebäude im spätgothischen Styl voll prächtiger Verzierung. Aus einer Vorhalle von drei Schwibbogen führen drei große Portale in's hoch- und weiträumige Säulen-Innere. Aller Schmuck aber, der nicht von festem Stein war, ist geraubt, Vorhalle und Wände sind mit weißkalkigcr Lcichcnbittcrtünche überzogen, und damit die Türken sich auch am Farbenspiel ergötzen möchten, haben sie Säulen und Kapitale roth und grün und gelb angestrichen. Die schönen Bogenfenster jedoch haben sie mit ihren nationalen Holzgittern verkleidet, und auf den Rumpf der alten Glockenthürme zwei ungewöhnlich hohe Minarets aufgesetzt. Nahe bei dem Dom erhebt sich die Nikolaustirchc mit drei stolzen Seitenportalen, alle Nischen auf das Reizendste geziert durch lebendig sprossende Steinblumcn. Diese schöne Kirchen-Halle dient jetzt zum Getreidespeicher. Schenswcrth ist auch die erzbischöflichc Kirche, ein einfaches Schwibbogenschiff, alle Wände aber bedeckt mit uralten Gemälden, und in dem feierlichen Dnnkel schimmern goldblitzend der erzbischöfliche Thron und die Ailderwand. Dieser Kirche nachgeahmt ist die Katha-rincnkirche, die nun zur Moschee Emerieh umgewandelt ist: sie hat ebenfalls eine hübsche Vorhalle von drei Schwibbogen und Säulen mit korinthischem Kapital. Zwei stattliche Marmorsäulen lagen im Hofe: sie waren, mit dem steinernen Wappen-bilde, das sie trugen, von den Türken aus dem Portal weggerissen und, um Sitze daraus zu machen, zertrümmert worden. Ihre Tapferen aber, die bei der Erstürmung der Stadt gefallen, halten die Eroberer noch jetzt in Ehren. Sie schmückten ihre Gräber bei den Thoren mit kleinen Kuppeln, die sie 55 darüber bautcn, und auf der Stelle dcr Stadtmauer, wo diese dcr erste Türke erstieg und fiel, befindet sich jetzt neben einem netten Kuppelgcwölbc sein Grabgcmach. Dcr Grabstein ist von Marmor, dcr Sarkophag von Holz, und darüber breitet sich die grüne Farbe des Propheten. Alan nennt den Ort „Zum Vcyraktar." Noch jetzt gibt es in Nikosia eine ungemcin große Anzahl ^iirchcn und Moscheen. AIs die Stadt noch auf der Höbe ihres Glanzes war, soll man darin an dritthalbhundert Kirchen und Kapellen gezählt haben. Aber nicht bloß hier, aller Orten in Cypcrn zeigte man früher Grabstätten berühmter Heiligen. Die Insel lag ja Syrien und Palästina gerade gegenüber, nach ihr übers Meer flüchteten die ersten Christen, als auf dem Fcstlande Verfolgungen ausbrachcn. Cypcrn erfüllte damals, wie früher und später, seine Vcstimmuug zum Zufluchtsorte zu dienen. Noch im dreizehnten Jahrhundert gab es auf der Infcl nicht weniger als vierzehn Visthümer, und jedes weist in dcr Regel auf einen heilig verehrten Gründer der ältesten Zeit zurück. Wir wissen noch von einer dcr frühesten Christenvcrsamm-lungeu, die zu Antiochia stattfand. Sie erkor den Saulus und Varnabas, daß sie nach Cypern zögen und dort das Evangelium predigten. Man mußte also gute Kunde haben, daß die alte Sünderin Neigung verrathe, ihr Herz zum Herrn zu kehren. Die beiden Apostel, von ihrem Gehülfen Johannes begleitet, landeten zu Salamin nnd dnrchzogcn die Insel und predigten überall in den Synagogen der Juden. Denn es wohnten damals auf und ab hellenisirte Juden in den cypri-schcn Städten, und wenn sie zum Opferfcst in großen Schaarcil nach Palästina übersetzten, so empfing sie in Jerusalem ihr eigenem Heiligthum, und war mit dem Gebäude ohne Zweifel ein Chan zum Herbergen verbunden. Als die Apostel nun nach Paphos kamen, war da dcr römische Consul SerginZ 54 Paulus, „ein denkender Mann, der begehrte, das Wort Gottes zu hören." Da trat ihnen aber Elnmas der Magier in den Weg, wollte sich aus seinem Ansehen nicht verdrängen lassen, und trieb es so weit, daß er mitten in feiner Hexenküche das Augenlicht einbüßte. Der römische Statthalter aber wurde Christ, und Saulus nannte sick seitdem Paulus, wie denn das Namenverändern, so daß sie römisch klangen, damals bei Griechen und Juden gewöhnlich war. Barnabas wurde später, wie die Sage geht, bei Salamin, der Geburtsstadt der heiligen Katbarina, der berühmten vielverehrten Ritterpatronin, gemartert, verbrannt und begraben, und als man sein Grab unter Kaiser Justinian entdeckte, lag auf seiner Brust das Evangelium des heiligen Matthäus. (5s ist damals aus diesem Funde ein großes Wesen gcmackt worden, wahrscheinlich weil man den hebräischen oder vielmehr syrisch-chaldäischen Urtext erhielt oder vermuthete. Denn griechische Uebersetzungen des Matthäus gab es schon zweihundert Jahre früher in Menge. Ter Evangelist Matthäus aber hatte ursprünglich in seiner Landessprache geschrieben. Er hatte es bis zum römischen Zolleinnehmer gebracht und wohnte am schönen See von Tiberias. Offenbar war er ein gebildeter Mann und hatte wohl, wenn er einfam über die ruhlos treibenden Wellen fchaute, viel über Gott und Welt nachgedacht. Als sein Heimathsgenoffc aus Nazareth auftrat, wurde Matthäus innig ergriffen von der göttlich schönen Lehre, nnd hätte er uns nichts darüber aufgeschrieben, als die Bergpredigt, so müßte man doch sagen: dieser Mann hatte aufs Tiefste erkannt, worin des Menschengeschlechtes Heil und Fortschritt bestehe. Man muß sich in Nikosia erst darin finden, neben einem gothischen Dom Minarets, und wieder alte türkische Chans mit Spitzbogen und mit Palmen zu erblicken, die schlank aus der Mitte der Obstbäume aufsteigen. Auch der alte Köniqs- 55 Palast war im gothisch-normannischen Styl gebaut. Jetzt ist von ihm bloß der gewölbte Thorgang übrig. Fast alles andere, wa^ sich über den Grundmauern erhebt, sind rohe nackte Wände mit Fensterlöchcrn und Altanen mit hölzernen Gittern, darüber leichtes Dachwcrk: man kennt diese türkische Bauart schon von weitem. Ss wird dieses Negicrungsgcbäudc, der Sitz des Pascha, bald Atonal bald Serai genannt. Unter seinen Gemächern hat der Negierende das Vergnügen, Gefängnisse zu haben, die bei meinem Besuch mit Verbrechern ziemlich angefüllt schienen. Bei weitem aber die Meisten waren auv dem syrischen Küstcnlandc herüber geschickt, ihre Strafe hier abzubüßen. Die Zyprioten sind viel friedfertiger, und lassen.sich nicht leicht in Leidenschaft und Harnisch bringen. Ehe sie etwas Schwieriges oder Gefährliches ausdenken, thun sie lieber gar nichts. Im Hofe des Serai steht eine hohe Säule, und jetzt hat sich die Sage gebildet: der Vcrurtheilte habe sie besteigen müssen, um auf ihrer Höhe sein Loos zu vernehmen, Ich möchte glauben, daß es gerade eine solche Säule war, wie sie, gekrönt von geflügelten Löwen, auf dem Martusplatz in Venedig steht. Ein anderer Markuslöwe aus Marmor war noch vor ein paar Jahren über dem Thorgewölbe zu sehen, bis auch dieser unter dem vorigen Pascha ans reiner Lust am Zerstören in kleine Stücke zertrümmert wurde. Der Säule gegenüber lehnten an der Wand drei große Grabsteine mit Ritterwappcn und lateinischen Inschriften. Als ich am Abend bei dem Pascha speiste und mit ihm, der ein Mann von durchaus europäischer und humaner Bildung, lange allein war, kam auch die Rede auf jene Denkmäler und andere Bildwerte von Stein, von denen ich in den Moscheen und an den Gartenmauern noch hie und da Bruchstücke erblickt hatte. Ich bat um Maßregeln, wie diese Denkmäler der Geschichte zu schonen und zu retten. Der Pascha seufzte. „Was hilft 56 es," sagte er, „daß ich sorge? Unter meinem Nachfolger wird cs doch wieder anders." Nur zu sehr hatte er 3lccht. Der türkische Soldat, wenn er aus dem Innern von Syrien und Kleinasien kommt, bringt eine unzerstörbare Lust mit, alles Bildwerk was er sieht zu zerschlagen. Vekcnner des Islam sollen ja kein Geschöpf bilden, nicht mit Farbe, nicht aus Holz oder Stein. „Es würde sein» Seele von dir fordern!" so drohet der Koran. Als dem Propheten sich dieses Wort auf die Lippen drängte, schwebte ihm da vielleicht das Gefährliche der Kunst vor, die vom ewigen Vetcn und Glaubensstreiten abziehen würde zu lichtheitern himmlischen Gebilden? VIII. Müthezeit im Mittelalter. Als ich mitten in dem planlosen Durcheinander von engen und schmutzigen Gassen diese Menge Dome und Kirchen, die jetzt Moscheen, diese festen Thorgcwölbe und Grundmauern, über welchen sich einst Reihen der stattlichsten Gebäude erhoben, gesehen hatte; als ich mich der Schilderungen erinnerte, die Nei-sende im Mittclalter von der unabsehlichen Pracht, die sich einst in den Straßen und Wohnungen zu Nikosia entfaltete, hinterließen: da stand mir das fränkische Königreich von Eypcrn doch in sehr ansehnlicher Höhe und Bedeutung vor Augen. Ueberhaupt ist seine Erscheinung eine der merkwürdigsten, in der Geschichte. Necht im Herzen des Orients wird hier auf altem phönizisch-griechischcn Boden ein blühendes Königreich gegründet von durchaus germanischer Art, welches uns Necht und Gesetz unsers eigenen Mittelalters so scharf und bestimmt hinstellt, wie eö kaum irgendwo im ganzen deutschen und romanischen Europa geschah. Denn ein Ideal des Staatsund Rechtswesens, wie es das Miltelaltcr verstand, wollte man hier schaffen, ein Königreich so recht nach dem Herzen der Nitterwelt. Ich wüßte kaum ein ähnliches Beispiel in der Geschichte, es sei denn das Unternehmen der Engländer, in Virginicn eine feudale Verfassung aufzubauen, welche der berühmte Philosoph Locke höchst kunstreich ausgedacht hatte. Der jungfräuliche Boden Amerika's aber stieß das unsinnige Vorhaben 58 alsbald wieder von sich aus: hier in Cypern erhielt sich das mittelalterliche Ideal in blühender Frische und Reinheit bis ins letzte Drittel des Neformationsjahrhundcrts, während damals in Europa — durch das Eindringen des römischen Rechts lind der modernen Staatsideen — das alte Herkommen längst durchlöchert und gebrochen war. Crst als die Türken kamen und in Cypern außer der griechischen Kirche alles unterging, — erst da stürzte auch das Staats- und Rechtsgebäude der Kreuzfahrer. Es verlohnt sich daher wohl der Mühe, aus die vierhundert Jahre des Königreichs Cypcrn einen Blick zu werfen. „Das süße Eiland," wie die Dichter Cypern nannten, hatte beinahe neunhundert Jahre lang zum byzantinischen Reiche gehört, da riß es davon ab ein Handstreich jenes englischen Abenteurcrkönigs, dessen rohe Habgier und wildtrotzige Unbeständigkeit den dritten Kreuzzug, der unter Kaiser Friedrich I. so groß und gewaltig und den vollständigsten Sieg versprechend begann, in kleinen Erbärmlichkeiten zerschellen ließ. Es gab damals drei Parteien auf Cypern. Ein Prinz des Komnenischen Hauses hatte sich zum Kaiser aufgeworfen; ihm stand eine patriotische Partei gegenüber, die alles Byzantinische haßte; eine dritte Partei hing dem gesetzmäßigen Herrscher an. So wurde es Richard Löwenherz leicht, sich des Landes zu bemächtigen. Es waren englische Schiffe an den Strand von Cypern geworfen, ihre Besatzung dort in Ketten geschlagen, dem Schiff aber, welches Richards Braut an Bord hatte, hatte man die Landung verwehrt. Jetzt erschien der König selbst, erzwang bei Limasol die Landung, erstürmte die Stadt, schlug des Prinzen Armee aus dem Felde und eroberte im Fluge die ganze Insel. Als er nun Herr von Cypern geworden, sah er erst ein, wie reich das Land sei und ganz dazu gelegen, um als Sammelpunkt und Ausrüstungsplatz für alle christlichen Flotten und Heere zu dienen, die wider den Halbmond 59 zu kämpfen kamen. Da Richard aber selbst die Eroberung nicht behalten konnte, suchte er sie zu Geld zu machen, und zuletzt nahm der vertriebene König von Jerusalem, Wido (Guido) von Lusignan, die Insel für 100,000 Ducaten: denn er wußte wohl, wie viel größeren Werth sie habe, als das steinige Palästina. König Richard war von Anfang an ganz wie ein germanischer Heerführer der Völkerwanderung in Cypern aufgetreten. Die Hälfte des Landes nahm er für sich und feine Ritter, die Hülste blieb den Anwohnern. Von des Königs Hälfte wurde zuerst ausgeschieden, was Tafelgut, Klostergut, Kirchengut sein sollte; alles übrige Land wurde sodann in Lehensgüter zerstückelt und an Vasallen verliehen. Da segelten . geharnischte Herren und Knechte herbei, sie machten sich auf aus allen Ländern der (ihristenhcit, nnd empfingen auf Cypcru schöne Titel und Ritter- und Knappenlehen. Und die Sache gefiel ihnen so gut, daß nun dcr Gedanke nahe trat, dem armseligen Vyzantiner-Kaiser nicht bloß ein paar Provinzen, sondern Thron und Reich auf einmal zu entreißen. Sieben Jahre nach Cyperns Eroberung war Konstantinopel schon in den Händen der lachenden Ritter, die sich die herrlichsten Fürsten-thümer und Baronien aus den byzantinischen Gebieten herausschnitten. Das Morgenland war ja damals eine Abentcurer-welt, gleichwie später Amerika und Indien. Den übermüthigen Franken fiel gar nicht ein, daß alles, was ihr Schwert erobere, zuletzt doch nur die Beute werde der schlauen Venetiancr und Genuesen. Als nun später vom heiligen Lande Stück sür Stück verloren ging, kamen auch die Ritter und Mönche von dort herüber, und so viele davon in ihre längst entwöhnten Heimathsverhältnisse nicht zurück wollten oder durften, fanden auf Cypern ein lockendes Verge- und Warteplätzchcn. Wido von Lusignan selbst hatte schon 300 Ritter und 200 Knappen 60 mitgebracht. Akkon, damals die große lebcncrfüllte Hauptstadt der Christen in Syrien, ließ sich im Jahre 1291 vor den andrängenden Muselmanen nicht mehr halten. In einer Nacht schifften die Ritter sämmtlich nach Cypern. Andern Morgens zog der Sultan heran und befahl sofort den alten Branch zn vollziehen, nämlich das Gemetzel. Scchszigtausend Einwohner wurden getödtct oder weggeschleppt, und dann die Stadt an vier Enden angezündet. Was dem Blutbad entronnen, flüchtete entsetzt hinter den Rittern her. Die Templer bauten damals ihr Ordenshaus in Limasol, und als ihr Orden zwanzig Jahre später aufgehoben wurde, zählte er auf Cypern allein noch mehr als zweihundert Ritter. So sehr hatte sich diese Insel mit französischem und italienischem Adel angefüllt. Auch Engländer und ^Deutsche fehlten nicht. Zum zweitenmal erhob sich über der reizvollen Insel ein ganz eigenthümlicher Glanz, nach welchem man sehnsüchtig hinschaute von allen Küsten des Mittelmeercs. War es im Alterthum, als die finstere syrische Astarte auf Cypcrn sich abklärte zur holden Anmuth der Aphrodite, der Dienst der Göttin der Schönheit und aller Erdenwonnc gewesen, jetzt cr-dlühete hier und auf Rhodos strahlend die Blume der Ritterschaft. Wido, der erste Fürst, hatte kaum drei Jahre regiert, jedoch seine Zeit wohl benützt, um fleißig Burgen und Festungen zu bauen, welche die griechische Bevölkerung im Zaume hielten, hatte ihr aber auch eine lang entbehrte Wohlchat geschenkt, nämlich Recht und Ordnung. Unter seinem Bruder und Nachfolger Amalrich versammelten sich die Ritter und beschlossen: Cypern müsse ein ächtes Königreich werden, seine Krone daher zu Lehen nehmen bei dem höchsten Schutzherrn der Christenheit. Also wurde eine Gesandtschaft nach Deutschland abgeordnet. In Gelnhauscn empfing sie Kaiser Heinrich VI., er erwog die Wichtigkeit der Sache und gewährte 01 die Bitte. Erst sandte er die Lrzbischöfc von Tram und Brin-disi, ein königliches Scepter nach Cypern zu dringen. Die Krönung behielt er sich selbst vor, bis er nach dem heiligen Lande komme. Als sich das aber hinauszog und die Ritter die Krönung verlangten, erschien der kaiserliche Kanzler, der Bischof von Hildesheim, auf der Insel, nahm in seines Herrn Namen und Auftrag im September 1197 den Treu-Eid des ueucn Königs entgegen und vollzog in der Haupttirchc zu Nikona seine Krönung. Unter dem löniglichen Banner von Cypern entfaltete sich nun eine lange Reihe von ritterlichen Kriegszügen, welche die lange Linie der Küstenland» von den Dardanellen bis zur Nil-Müudung abstreiften, plünderten, zeitweise auch beherrschten. Grohe Thaten zur See und zu Lande zu verrichten — gleichwie den langen Tegen uud die kurze Streitaxt, auch trefflich das Steuerruder zu führen — danach ging Tag und Nacht daö Verlangen der ritterlichen Männer. Die Zeit von 1285 bis 1373, fast ein Jahrhundert lang, besonders unter den Königen Heinrich II. Hugo IV. Peter I., war Cyperns ritterliche Hcldenzeit. Smyrna und Alexandria wurden von Lypern aus erobert, die Emirs an der Küste zahlten ihm Tribut, und drei Königskronen schimmerten auf feinem Fürstenhaupte. War der König in Nikosia, der Hauptstadt seines Reiches, gekrönt, so folgte angesichts dco heiligen Landes die zweite Krönung zu Limafol, das Königthum von Jerusalem galt ja als nach Cypcrn übergesiedelt, und als das Königreich Armenien unterging, schwebte auch seine Krone noch eine Zeit lang übcrLypern. Zur selben Zeit war die Insel Hauptplatz des orientalischen Handcls. Die Waaren, welche von Indien nach Aegypten und ans dem innern Asien nach der syrischen Küste kamen, und die aus Europa nach dem Orient gingen, sammelten sich in Cypern an, wurden hier gegeneinander ausgetauscht oder von hier weiter verführt. Um so mehr Städte drüben m 62 muselmännische Hände fielen und ihre christlichen Herren verloren, nm so mehr Kauf- und Gewerbsleute flüchteten nach Cypern und um so mehr wuchs seine Handelsbedeutung. In den Städten Limasol Paphos Kerynia wimmelte es von Handels- und Vörsenleuten aus Konstantinopcl Damaskus Beyrut und Alexandria, aus Venedig Pisa Genua Barcelona und Marseille. Keinen wichtigeren Handclovlcch gab es am ganzen Mittelmcer, als Famagusta. Auch die Strömung der Pilger, welche fortwährend nach und von dem heiligen Lande ging, belebte unaufhörlich die Küsten von Cypern. Da nun auch der Land- und Gartenbau und die Industrie von fleißigen Händen betrieben wurde, so mehrten sich die Reichthümer, aber auch die Schwelgerei und Sittcnlosigkeit in unglaublichem Grade. Wir besitzen eine Schilderung des damaligen Lypcrn von Ludolf von Sudheim, der fünf Jahre im Morgenland reiste und um 1350 das beste Neisebuch seines Jahrhunderts schrieb. Er war Kaplan des Paderborncr Bischofs Baldwin von Etein-furt und wurde Pfarrer in Sudheim. ^ Die Liebe zu seiner Paderbornifchcn Heimath, aus welcher auch der berühmte Atha-nasius Kircher und andere fröhliche Weltfahrer hervorgingen, nahm er auch ins Morgenland mit: die Bewässerung der Landschaft Tripolis in Syrien vergleicht er auf das Genaueste mit den Paderquellen. „Cypern," so lautet sein Bericht, „ist die edelste und berühmteste Insel und auch die reichste, keine in allen Meeren lommt ihr gleich, und an allen Gütern ist sie fruchtbarer, als eine andere. Wie es in der Bibel heißt, wurde Cypcrn zuerst ^ Der neueste Herausgeber des lidor do irinei-u tori-ne zunotne, Dr. Tcycls (1851, Vcnid XXV dei Bibliothek des Stütlgarlcr Vcn'i„5) meint irligcr Wcifc: „Wer Ludolf gcwcscn, ist nichl leicht zu sagen. <5r uciml sich selbst reotoi' e««Io8iuo ^arocilinli» i« ßudiei», dercu Lage und Ott eln Räthsel ist." Vergl. Brsscii: Geschichte des Ü,i3-thiiins Plldcrborii 1620, I. 288. 63 von Noe's Sohne Iaphet bewohnt. Vor allen andern Ländern ist es nach der Größe höchst ausgezeichnet, und von allen Seestädten, nämlich Acgyptens Syriens Armeniens Turkicns und Griechenlands, wie von einem Gürtel nmgeben. Nach ihnen allen kann man in höchstens einem Tag übers Meer reisen. Nikosia ist die Hauptstadt und liegt mitten in Cypern unter den Bergen in der ebensten Gegend und allergrsündestcn Luft. In dieser Stadt wohnen wegen der Milde und Gesundheit der Luft der König von Cyftern und alle Bischöfe und andern Prälaten des gleiches, auch alle andern Fürsten Grafen Edle und Barone und Ritter wohnen da zum größten Theil, täglich obliegend den Waffensvielen Turnieren und besonders den Jagden. Es gibt auch in Cypcrn Bergwidder, wie man sie in andern Theilen der Welt nicht findet (eine Art Muff-Ions). Sie werden mit Leoparden gejagt, anders kann man sie nicht fangen. Auch sind auf Cypcrn Fürsten Edle Barone und Ritter und Bürger reicher, als in der Welt. Denn wer 3000 Gulden Einkünfte hätte, würde geringer geschätzt, als wenn er anderswo drei Mark hätte. Allein sie verbringen alles mit Jagden. So kannte ich einen Grafen von Jaffa, der mehr als fünfhundert Jagdhunde hatte, und stets haben je zwei Hunde, wie es Brauch ist, ihren befondercn Diener, der sie reinhält, badet und salbt, was dort für die Jagdhunde durchaus nöthig sein soll. Deß gleichen hat ein Adeliger wenigstens zehn bis zwölf Falkner mit bcfondcrn Löhnen und Kosten. Ich kannte mehrere Edle und Ritter auf Cypcrn, die bequemer zweihundert bewaffnete Leute, als ihre Jäger und Falkner hätten halten und ernähren können. Denn gehen fie auf die Jagd, so wohnen sie wohlmal den ganzen Monat in den Wäldern und Bergen in ihren Zelten, ziehen von Ort zu Ort umher und haben Muße mit Hunden und Falken, schlafen in Wald und Feld in den Zelten, und führen all ihr Nöthiges und das Futter auf Kamcelcn und Thieren mit sich." 64 Tann wird weiter erzählt, wie all? diese Fürsten und Herren vom heiligen Lande herübergekomnien, und wie man bei dem Zuströmen von Waaren und Pilgern aus aller Welt auf Cypern „von Morgens früh bis Abends spät Gerüchte und Neuigkeiten höre, und alle Sprachen der Welt verstanden und gesprochen und in besondern Schulen gelehrt würden." Tie reichste Stadt aber war Famagusta. „Ein Bürger dieser Stadt verlobte einmal seine Tochter, deren Kopfschmuck von den französischen Rittern, die mit uns gekommen waren, höher geschätzt wurde, als alle Kleinodien des Königs von Frankreich. Ein Handelsherr dieser Stadt verkaufte dem Sultan einen goldenen Reichsapfel, der bloß vier kostbare Steine an sich hatte, nämlich einen Karfunkel, eine Perle, einen Sapphir und einen Smaragd, für ^0,000 Gulden, und doch verlangte er später denselben Reichsapfel gegen einen Wiederkaufsvreis von 100,000 Gulden zurück, was ihm verweigert wurde. So hatte ein Konstabel von Jerusalem vier Perlen, die seine Frau an Stelle der Spange trug: diese versetzte er wann und wo er wollte für 3000 Gulden. In einer Apotheke dieser Stadt gibt es mehr Aloe-Holz, als fünf Nagen führen könnten. Von den Gewürzen schweige ich: die sind dort so gemein, wie bei uns Brod, und ebenso gemein werden sie geschätzt und verkauft. Aber ich wage nichts mehr von kostbaren Steinen und Goldtüchcrn und anderm Reichthum zu sagen,- denn es Wäre bei uns unglaublich und unerhört." Kuriose Geschichten erzählten sich auch die Ritter auf Cypern vom alten Venusdienst ihrer Insel. Unser Paderborner Hof-kaplan berichtet: „Vei Paphos stand einst die Venusburg. Dort pflegte man ein Idol der Venus anzubeten, und von fernen Ländern kam man her, ihre Schwelle zu besuchen, und alle edlen Herren und Damen und Fräulein kamen zu jener Burg zusammen. In diesem Tempel wurde zuerst über den Untergang Troja's verhandelt. Denn die Helena wurde, als 65 sie zu jenem Tempel wollte, unterwegs entführt. Nach diesem Tempel verlobten sich auch alle Fräulein und Mädchen um Heirath und Männer. Deßhalb sind auch in Lypern vor andern Ländern die Menschen höchst sinnlich von Natur. Denn würde man cyprische Erde, und besonders von dem Orte, wo die Vcnusburg stand, dem Haupte eine-? Schlafenden unterlegen, so würde sie ihn zur Lust und zum Weibe die ganze Nacht anreizen. In Farnagusta wohnen zahllose überaus reiche Courtisanen, einige haben mehr alo I»>üM0 Gulden, von deren Reichthum ich nicht mehr zu sagen wage." Cyperns hohe Blüthe dauerte fast zwei Jahrhunderte, da kam fein Unglücksjahr. Die Genuescn eroberten 1373 die ganze Insel, al-ö Niemand gerüstet war, ihnen zu widerstehen. Sie plünderten unter zahllosen Todtschlägen die Städte gründlich aus, und verheerten und zerstörten, was sie nicht mitnehmen konnten. Famagusta wurde nun die Hauptburg der Gcnuesen, von welcher aus dieses stolze und treulose Nauber-volk von Handelsherren auf die Insel drückte. Cypcrn erholte sich nicht wieder, und als die gauze Bevölkerung sich einmal wider ihre Dränger erheben wollte, da riefen die Ge-nuesen die Mameluken aus Aegyptcn zur Hülfe, denen Cypern fortan Tribut zahleu mußte. Jetzt brach auch das sittliche Verderben unaufhaltsam herein. Throustrcitigkeiteu in der Königsfamilie, Abfall und Zwietracht der Barone, allgemeines Schwelgen in gräulichen Lüsten — das war an der Tagesordnung. Jedermann nahm Unterricht, wie er Dolch und Gift geschickt handhabe. Es war zuletzt nock ein Glück für das Land, daß die schlauen Vcnetianer die Insel an sich brachten, indem sie eine ihrer Patriziertöchtcr, die schöne und reiche Katharina Cornaro, mit einem Prinzen aus dem Königshause Cyperns verhei-rathetcn, ihrem Gemahl zum Throne verhalfen, und sich schließlich von ihr, al>? sie Wittwe war und keine Kinder hatte, 66 ihr Neich abtreten ließen. Die venetianischcn Beamten stellten Neckt u»d Ordnung wieder her. Dann strebten sie mit Er-folg danach, den Land- lind Gartenbau, sowie den Sechandel, wieder gcwinnreich zu machen. Als anch Cnpern 1',71 unter die Todesschatten von Mohammeds Fahne trat, ging Alles mit einander rasch zu Grunde, und nur die stattlichen Dome Burgen und Klosterhallen zeugen noch von der einstigen Pracht und Größe. Nicht rühmlos siel das einst so herrliche Königreich Cypern, und hätten in seinem letzten Kampf Andere, als Venclianer, den Befehl gehabt, so wäre den Türken die Eroberung wohl noch schwerer geworden. Venedig besaß mehr Gebiet, als es mit seiner eigenen Macht behaupten tonnte, und es hatte nie daran gedacht, die Bevölkerung seiner orientalischen Länder wehrhaft zu machen, viel eher und mit großer Klugheit war das Gegentheil erstrebt und erreicht worden. Als nun die Türtenmacht unter Coliman II. furchtbar anfchwoll und selbst bis vor die Thore Wiens sich wälzte, erschrak man an der Adria bis ins Herz hinein. Im Jahre 1566 wurde beschlossen, auf Cypern wenigstens die Hauptstadt zu befestigen. Der Befehl erging: die Stadt müsse dreimal kleiner, mit Mauer und Graben und elf Bastionen umgürtet, alles was draußen liege niedergeworfen werden. Freudig gehorchten die Einwohner und der eyvrische Adel. Sie nahmen sogar die Arbeit und die Kosten auf sich, und halfen eifrig, ihre Villen und Häuser, foweit sie vor der neuen Befestigung lagen, dem Erdboden gleich zu machen. Selbst das Dominikaner-Kloster, in welchem Könige ihre Grabstätte hatten, wurde zerstört. Ltatt seiner elf Thore behielt Nikosia nur noch drei. Nun trank Solimans Thronfolger, Sclim II., über die Maßen gern Cyperwein, und sein Zechgenosse war ein portugiesischer Jude, Miguez Nassy. Dieser war schon einmal Christ gewesen, fand es aber bequemer, auch das Christenthum wieder 67 abzuschwören. Seinem kaiserlichen Gönner lieferte er den köstlichsten Cypcrwein, und cine^ Abends, als sie beide toll und voll waren, schwur Sclim hoch und theuer, sein Joseph solle Konig von Cypern werden. Eeit dem hing in des Juden Haus ein großer Schild mit Cyperns Wappen und der Umschrift „Joseph, König von Cypern." Wirklich wurde er bereits zum Herzog von Naxos erhoben, und höite nun nicht auf, zu treiben und zu schüren, bis zum Erobcrungszug nach Cypern gerüstet wurde. Das Arsenal in Venedig ging in Flammen aus, und man sagte: Nassy's heimliche Sendlinge hätten es in Brand gesteckt. Vald darauf, am I. Juni 1570, erschien die türkische Flotte mit dem Landuugsheer vor Limasol. Die Venetianer hatten weder Truppen genug noch tüchtige Generale geschickt, und das Landvolk wagten sie nicht zum Kampf aufzurufen' denn sie hatten sich bei ihm äußerst verhaßt gemacht, weil sie die Leute beständig zur Arbeit antrieben, die Früchte der Arbeit aber ihnen durch unbarmherzigen Steuerdruck entrissen. Tcr Proveditore Nicolaus Dandolo beschloß, die Insel dem Feinde preiszugeben und bloß Famagusta und Nikosia zu halten. Er hatte sich in den Glauben festgerannt, das große Türkenhecr müsse von selbst in Sonucngluth und Seuchen verderben. Die Türken konnten ungehindert landen. Alsbald marschirten sie mit hunderttausend Mann auf Nikosia, während ihre Flotte auf dem Meere Wacht hielt, daß keine Hülfe von Europa komme. Sieben Wochen dauerte die Belagerung. Die weichlichen Cypriotcn, besonders der alte Adel, schlugen sich wie Männer. Zweimal stürmten die Türken mit aller Gewalt, beidemal wurden sie glorreich zurückgeworfen. Ihre Flotte mußte zehntausend Mann frische Truppen schicken, selbst die Matrosen mußten heran. In Nikosia waren aber von Anfang an kaum zehntausend Bewaffnete gewesen. Am 9. September begann in der Nacht der dritte und 68 allgemeine Sturm. Das ganze Türkenheer warf sich auf die Stadt, vor Sonnenaufgang waren drei Bastionen erstiegen, und nun wälzten sich unaufhaltsam die schreienden wüthenden Massen hinein. Zwanzigtausend Menschen wurden erschlagen. Wollte man hie und da unterhandeln, gleich kam die nächste Türkenwoge lind machte alles nieder. Die Frauen stürzten sich vor den Verfolgern von den Dächern, und mehr als eine Tochter fand den Tod durch Naters- oder Mnttcrhand, damit sie nicht der Schande überliefert sei. Acht Tage lang dauerte das Brand- und Mordfest. Wo Nikosia gestanden, sah man ein weites Gefilde von brandgcschwärzten Trümmern, in der Mitte den trauernden Dom. Zweitausend Türken reichten hin, den Plah r'ortan zu halten. Die andern zogen auf Fama-gusta. Nikosia war für die Türkenherrschaft eingeweiht, im Orient die letzte christliche Hauptstadt verschwunden. . Unermeßliche Beute wurde fortgeführt, und das Vorzüglichste an Gold Juwelen nnd ^iunstsachen nebst tausend der schönsten Mädchen ans den Adelsfamilien auf drei Schiffe verladen, die nach Konstantinopel in See stachen, um Cypcrns Tribut dem Sultan zu bringen. Da fand eine Griechin den Weg zur Pulverkammer des Hauptschiffs, es flog in die Luft, und die beiden anderen Schiffe standen sofort in Flammen und brannten nieder bis auf den Grund. Nur ein paar Matrosen retteten sich durch Schwimmen. Vier Jahre später trat Sultan Selim, der jetzt die edelsten Lagen des Cyperweins gründlich durchkostete, in ein neues Marmorbad. Wände und Fußboden waren noch frisch und kalt, und da ihn fröstelte, rief er nach Commanderia, trank den Wein in vollen Zügen, wurde berauscht, stürzte auf dem glatten Steinboden und zerschlug sich den Schädel und kam nicht wieder zur Besinnung. Elf Tage darauf war er todt. IX. Zes Mtertljums Ideal von Staat und Aecht. Neben dcm edlen Wein, der noch auf der Iohanniter-Commendc wächst, ist uns aus Cyperns Vlüthezeit noch ein anderes Kleinod erhalten, unversehrt und unvergleichlich. Das sind seine Nechtsbücher, die berühmten Assisen von Jerusalem. Wenn überhaupt aus einem Werke, lernen wir aus diesem das reine und vollständige Ideal von Staat und Necht kennen, wie es etwa zur Hohenstanfcnzeit — denn jene Epoche war entscheidend für den christlichen Orient — der ritterlichen Welt Europas vorschwebte. Vollfrci war auf Cypern der Nitter und der Stadtbürger, okevaierie et doi-^8, jene größtentheils französischer und italienischer Herkunft, diese Griechen Romanen Tvrcr und Juden. Tic patrizischen Familien in den Städten standen den ritterlichen ziemlich ebenbürtig. Außerdem kamen in Burgen und Städten noch die Menge der Fremden aus Abend- und Morgenland und die Haussklaven in Betracht, die einen standen mit ihrer Person, die anderen auch mit ihrer Habe unter dcm Schutze der Gesetze. Die landbauende Bevölkerung aber war sämmtlich mehr oder minder unfrei, und zerfiel in drei Klassen: Leibeigene, Hörige, Freizügige. Die Ersten frohndeten ihrem Herrn zwei Tage in der Woche, und zahlten ihm Kopfgeld und cin Drittel 70 vom Ertrag ihres Landes. Tie Hörigen zahlten bloß Kopfgeld, blieben jedoch an den Boden gefesselt. Die persönlich freien Bauern, ^.tt^t^a,, waren anf eines Herrn Grund nnd Boden angesiedelt, lieferten ihm dafür als Zins die Hälfte ihre? Ertrags ab, konnten aber jeden Augenblick fortziehen. Der König trug feine Krone zu Lehen vom deutschen Kaiser, der Thronerbe hieß Prinz von Antiochia. Außer den Einkünften von ihren Gütern gehörten ihnen die Zölle und das Salz, welches noch mehr abwarf. Den Thron umgaben die vier großen Hofäntter.- Senefchall, Marschall, Kämmerer und Connetable' nach diesen kamen die freiherrlichen Vasallen, leg Iiommes 6li i'Ovlluil>6,' nach diesen deren Unterlehnsleute, 1(_>8 Iwinines 1i^>.>8. Die Freiherren zogen auf mit großem viereckigen Banner und hatten coui', c,-om, ^'U5tio6, d. h. Lehnshof für ihre eigenen Vasallen, Münzrecht, und Gerickt über alle ihre Untersassen. Erbrecht auf das Lehen besaß der älteste Sohn, und war kein Sohn da, die älteste Tochter. In den Besitz des Lehens trat man durch die Huldigung. „Wenn Mann oder Weib," heißt es, „Huldigung leistet dem höchsten Herrn des Königreichs, sollen sie vor ihm knieen und die Hände gefaltet in seine Hände legen und sprechen: Herr, ich bin euer Mann für dieses Lehen und gelobe, euch zu schirmen und zu vertheidigen wider Jedermann auf Tod und Leben. Und der Herr soll antworten: Und ich nehme dich an in Gottes und meine Treue, und soll ihn dann in Treuen küssen auf den Mund." War ein Fräulein Lehnserbin, so mußte ihr der Lehnsherr, wenn sie zwölf Jahre alt war, drei Ritter vorschlagen, damit sie binnen gesetzter Frist einen von ihnen zum Mann nehme. That sie es nicht, so verlor sie das Lehnsgut auf Jahr und Tag, nnd wurde dann wiederum aufgefordert jedes Jahr, bis sie sechszig alt und Kriegsdienstes lcdig war. 71 Die Dame hingegen batte das Recht, vom Lehnsherrn die Drei zu verlangen, und versäumte er es, so konnte sie wählen, wen sie am liebsten hatte. Alle dic Freiherren traten nun zu gesetzten Zeiten zum Oberen Hof, kaut« u?50 oour. der ebenfalls Rechtssachen entschied und auf seinem Gebiete nicht minder berechtigt war. „Und tommt der vornehmste Mann im Lande in den Niederen Hof und fchilt ihn falsch oder daß er falsches Urtheil mache, so soll er den Kopf verlieren." Vor diesen Hof gehörte das bürgerliche Necht, insbesondere das ge-sammte Handels- und Obligationen-Recht, auch Betrug und Diebstahl. Er war zusammengesetzt aus de»' Königs Vicomte und zwölf geschworenen Schöffen, die man aus der Klasse der freien Bürger nahm. Außerdem gab es noch besondere Handelsund Hafen - Gerichte. Das gesammte Recht nun, nach welchem in diesen Gerichtshöfen verhandelt wurde, das Staats- Straf- und bürgerliche Recht, ferner das Lehnrecht, endlich das Weichbildrecht ist, sammt den zugehörigen Gerichtsordnungen, in Büchern aufgezeichnet, die man die Assisen von Jerusalem nennt. Das Wort Assisen tönnlc man etwa durch das deutsche „Schöffenbänke" übersetzen, indem darunter das Necht verstanden wird, welches in den Echöffcnbänten verhandelt und hergcbrackt ist. Der Ausdruck kommt auch in Deutschland vor. Kaiser Friedrich II. verlieh dem deutschen Orden das Land Kulm und die. Eroberungen in Preußen mit den urkundlichen Worten: „auf daß die Ritter dort gute Bräuche und Rechtsgcwohnheiten gründen uud Assiscn und Statuten machen, durch welche sowohl der Glaube der Christen gestärkt wird, als überhaupt ihre 72 Unterthanen des ruhigen Friedens sich erfreuen und gebrauchen," ut bonos usus et consuetudines ponant, assisias faciant et statuta. Die Sage ging, Gottfried von Bouillon hade nach der Eroberung von Jerusalem die Vornehmsten und Weisesten zu-sammcnberufen und ein Gesetzbuch verfertigen lassen. Offenbar ist das eine Fabel. Schon das Wort Assisen, d. h. Schöffen-bänke, das genau unseren deutschen „Weisthümern" entspricht, deutet auf den Ursprung, und man könnte dreist „livre des az>ßi86L et boi^ ^(Nitume6" übersetzen mit „Buch der Weis-thümer und echten Rechtsgewohnhcitcn." Wohl aber fühlte man in Jerusalem, >vo so Viele aus den verschiedensten Ländern mit einander zu verkehren hatte», frühzeitig das Bedürfniß, mehr und mehr von westeuropäischen Rechtssätzen auf-zufchreibcn, damit sie nicht verdunkelt würden. Denn Jedermann brachte damals das Recht seiner Hrimath mit sich, wo er ging und stand, und nur nach diesem Rechte wollte er gerichtet werden. Ganz dasselbe Bedürfniß meldete sich an, sobald das Merowingcr und Karolinger Reich verschiedene Völkerschaften umfaßte. Erst fchrieb man einige wichtige Schöffcnsvrüche nieder, allmählig sammelten sich mehr dazu, und zuletzt gab sich ein verständiger Manu daran, die ganze Sammlung in lichtvollere Ordnung zu bringen. Sicher ist aber, daß in Jerusalem eine doppelte Rechtssammlung, die eine für den Oberen rdcr Lehns-, die andere für den Niederen oder Bürger-Hof, in großen Lettern geschrieben und vom König Patriarch und Vieomte untersicgelt, in einen Schrein gelegt, und dieser in das Schatzgewvlbe der .Kirche des heil. Grabes niedergesetzt und dabei bestimmt wurde: nur in Gegenwart von den drei Sieglern, zwei Geistlichen der Kirche und vier Schöffen, dürfe der Schrein eröffnet werden. Diese Nechtsversammlungen hießen die litres du s^ulci-e. Als Jerusalem verloren ging, wurden auch sie nicht gerettet, 73 wohl aber lebte dasselbe Recht nun in dein Oberen Hof zu Alkon oder Ptolomais wieder ans, und daraus wurde das neue Königreich Cypcrn damit bcwidmct. l Von hier gingen die Assisen 1Z04 nach Konstantinopel und 1210 nach Morea über. Die Iuristenschule aber, in welcher das Recht der Äfjisen seine höhere Ausbildung empfing, erblühte in Nikosia, — ein Beweis, wie viele tüchtige Männer die Insel vereinigte und in welchen bedeutenden und geordneten Verhältnissen sie lebten. Dieser Männer ist eine stattliche Neibe: sie sind Staatsmänner und Ritter und Juristen zugleich. Als der Gründer der Rechts-schulc erschien Johann von Ibclin, Baron von Beyrut, genannt Johann der Alte, zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Neffen. Gleichen Streben^ waren Raoul von Tiberias, Gottfried le Tort, Gerhard von Montreal, Philipp von Na-varra, Johann von Ibelin, Graf zu Jaffa Askalon und Rama, des Alten Neffe. Die Berühmtesten wurden die beiden Ibelins und Philipp von Navarra, der sich rühmte, er habe an allen bedeutenden Belagerungen und Stürmen seiner Zeit uud Gegend theilgeuommen. Der erste Ibelin und der Navarrese waren Anführer in dem langen und blutigen Streit, in welchem die französische Ritterschaft des Morgenlands Kaiser Friedrich U. Pläne vereitelte. Dieser wollle, unter Beihülfe deutscher Ordensritter, die politische und militärische Kraft von Cypern und Syrien, die unter der eigensinnigen Sclbstherrlichkeit der Ritter ewig zersplittert blieb, vereinigen durch die kaiserliche Oberherrschaft. Auch die andern vorgenannten Arbeiter am Assiscnrccht nahmen als Krieger und Diplomaten an diesem Kampfe Theil. Der Kaiser hatte bereits in seinen italienischen Lrblandcn den unruhigen Adel zu Paaren getrieben. Bei seinem kurzen l Tcr qiicchischc Tert ist jüngst hcrauc-gcgcbc,! von ss. N. Talhas: ^/5'«, sol' ^«<5,/.e,l,n r«v //««oFt^lll«!' ?a, 51^ ^l,.?«,«,- mit Iügabcn. Paris 1877. 74 Aufenthalte im heiligen Lande hatte er so Großes erreicht und seine Politik war so richtig, daß die Verständigeren ihm tlieils öffentlich theils im Stillen beistimmten. Um ein Necht zu haben, die Nassen gegen ihn stets von Neuem zu erheben, mußten die Ritter sich auf ihr Landesrecht, die Assisen, stützen. Seine Artikel erhielten jetzt ihre Feuertaufe und schärfere Bestimmung. Ticse Thatsache ist in dem französischen Hauptwerke über das Assisenrecht l „icht zur Geltung gekommen. Philipp von Nauarra fand bereits mehrere Rechts-sammlungen vor, hörte fleißig sich um in den Nechtshöfen zu Nikosia Akkon und Veyrut, und schrieb alles zu einem einzigen geordneten Buche zusammen. Sein Werk wurde von Johann von Ibclin dem Jüngeren, einem Kreuzzugsritter in Aegyvten unter Ludwig dem Heiligen, noch mehr zu großen und wohlgeordneten Büchern ausgeweitet und abgeklärt, welche im Jahre 1369, als König Peter I. gewaltsame Cingriffe ins Neckt mit seinem Tode ein (§noe nahmen, von seinem Nachfolger und allen Baronen feierlich beschworen wurden. Damals sind sie auch gleich den Ielii'^8 clu «eruiere in einem Kasten versiegelt und im Dom zu Nikosia niedergelegt. Damit ja kein Tütelchen daran verändert werde, im Zweifels-fall aber man darauf zurückgreifen könne, wurde auch hier angeordnet, daß nur der König mit vier Baronen den Kasten entsiegeln dürfe. So besitzen wir nun in diesen Assisen das vollständigste Nechtsbnch des Mittelalters, welches zugleich das in jener Zeit so seltene Glück hatte, als Gesetzbuch förmlich vom ganzen Lande anerkannt zu sein. Wohl verdiente es, nachdem die Franzosen so viel Treffliches dafür geleistet haben, daß auch 1 Beugnot. Assises de Jerusalem, Paris I. 1841. II 184a, im liecueil des historiens des croisades, Lois I. II. 75 eine deutsche Hand diesen Schad erschlösse. Sollte nicht endlich cin Kundiger sich angeregt fühlen, ihren Inhalt mit dem schönen Werke von Veaumanoir über das nordfranzösische Recht und mit den deutschen Ncchtsbüchern des Mittelalters zu vergleichen? Nur dürfte co kein bloßer Vüchcrgclehrter sein. Ohne Frage ist dieses Werk zugleich die reinste und üppigste Quelle zur Kenntniß der Kulturzustände im 14. Jahrhundert, überhaupt ein rechter Spiegel der Ideen und Gesinnungen, die damals in den westeuropäischen Ritterschaften und Bürgerschaften lebten, nnd im Orient, gleichwie in einem Neulande, unbehindert von alten Gesetzen und Einrichtungen zu Tage traten. Wir finden darin in größter Treue und Schärfe die Grundanschauungen von Recht und Staat, wie sie in Mitteleuropa vorhanden. Vieles aber ist feiner aus-und durchgebildet, entweder weil der bunte Völkcrverkehr es so verlangte, oder weil Ritter und Bürger es so aussannen. Im Handel und Wandel, heißt es zum Beispiel, komme nichts darauf an, ob einer Grieche oder Jude oder Sarazene sei, des Einen Geld sei so gut wie das des Anderen, und bezahlen müsse Einer wie der Andere nach Uriel und Recht. So konnte im Fall des Ehebruchs der beleidigte Gatte seine Frau und ihren Freund sofort todtschlagen und Niemand ihm darob etwas anhaben. Wenn er aber bloß eines von beiden todtschlug, mußte er an den Galgen, denn im ersten Fall hatte er den Bruch der heiligen Ehe, im zweiten nur sich selbst gerächt. Noch aus einen merkwürdigen Unterschied des heutigen Nikosia von dem Zustande, wie er vor dreihundert Jahren war, als die Assisen noch galten, will ich hindeuten. Die Lusignans hatten es sich viel tosten lassen, eine römisch-katholische Geistlichkeit auf Cnpern zahlreich und glänzend einzurichten. Neben den vier griechischen Bischöfen gab es vier lateinische, und neben dem griechischen Erzbischof in Nikosia 76 wohnte der lateinische Patriarch. Die Lateiner aber hatten überall den Vorrang. Wenn an den großen Kirchenfesten, die in Nikosia mit Pracht und Pomp ohne Gleichen gefeiert wurden, die Prozessionen daher zogen, so nnißten die Griechen, als die Untergeordneten, voran ziehen; nach ihnen kamen die lateinischen Vcttclorden mit den Indiern, Maroniten, Armeniern, Kopten und Nestorianern,' darauf in unabsehbaren,'!>eihcn die lateinischen Bischöfe und Geistlichen: endlich der Adel und die Beamten und Soldaten. Jedem Fremden, der damals diese langen Auszüge an sich vorüber ziehen ließ, wären gewiß die haßerfüllten Blicke des griechischen Klerus aufgefallen. Denn die griechischen Bischöfe Mönche und Popen betrachteten sich allein als die rechten Erben der uralten cyprischen Kirche: für sie waren die Lateiner nur freche Eindringlinge. Allein diese hatten damals die Macht allein. Und jetzt? Die Griechen sind noch alle da, in alle Winde zerstoben ist der zahlreiche prachtvolle Klerus der römisch-katholischen Kirche. Nur ein paar arme Franziskaner vertreten ihn noch auf Cypern. Sollte das nicht ein Zeichen sein, daß der Orient nur orientalisches Kirchenwcsen verträgt? Als ich die crzbischöfliche Kirche in Nikosia verlassen hatte, kam ein junger Kleriker eilig hinter mir her mit freundlicher Einladung zu einer Tasse Kaffee bei dem Herrn Erzbischof. Ich hatte aber noch fo viel Türkisches zu beschauen, das mich mehr anzog, und entschuldigte mich mit der Eile meiner Reisefahrt. Da sagte der Kirchcnzögling in unwilligem Tone: zum Erzbischof von Cypern tomine jeder Fremde, und ich werde wohl nicht der erste sein wollen, der das unterlasse. Ich tonnte aber wirklich seinem erhabenen Herrn nur den schönsten guten Morgen entbieten, nebst der Versicherung: wenn ick wieder nach Nikosia käme, würde ich mich um so früher anmelden. Es hat mir später leid gethan; denn das cyprische Kirchenhauvt soll ein sehr würdiger alter Herr sein, und ich 77 kam um die Wonne, einen lebendigen „Allerseligsten" zu sehen. Den Titel ^«He«^,^^«? sührt der Erzbisckof von Lypern wirklich, und dieser Titel gründet sich wohl in zwei Dingen, in kaiserlichen Ehren und in glänzenden Einkünften. Der griechische Klerus ist nämlich unvergleichlich glücklicher daran, als die ganze europäische Hof- und Äcamtcnwclt. Er kann sein ganzes Leben lang seine Sehnsucht nähren durch unaufhörliches klettern, eine wahre Jakobsleiter hinauf von Rang? nnd Nuhmeszeichen. Da gibt es verschiedene Farben der Gewänder, vom schlichten Schwarz durch Grün und Gelb und Noth bis empor zum Purpur: da gibt es einen und zwei und drei Querbalken am Kreuz; da gibt es Mitrcn mit einer oder mehr Schleifen; und der Levit, der den Leuchter uorausträgt, weiß gcnan, wie viel Rang-Arme dieser ausstrecken muß. Der Erzbischof von Eypcrn aber hat der Würdigkeiten Höhe erreicht: er unterzeichnet mit rother Tinte, siegelt mit einem Reichsadler, der zwei Köpfe hat, führt einen langen Hirtenstab mit der goldenen Weltkugel darauf, und einen Titel, in welchem die bloße Heiligkeit schon Voraussetzung ist. Die Cypriote« berichten: ihr crzbischöflichcr Stuhl sei so hoch geschmückt worden, als man auf ihrer Insel das Grab des heiligen Barnabas mit dem Matthäus-Evangelium gefunden. Daneben läuft eine boshafte Sage: die allmächtige Kaiserin Theodora, Instinians Gemahlin, die der Göttin ihrer eypri-schen Heimath eifrig gcnng huldigte, habe einen schönen Erz-bischof zum Allerscligsten gemacht. Seine Einkünfte aber theilen sich in genannte und stillschweigende. Zu den ersten gehören der Zehnt von den Bauern, das regelmäßige Geldgeschenk der Klöster, dito aller Kirchen je nach ihren Einkünften, dito von jedem Dorf für die jährliche erzbischöflichc Messe, dito von jeder Hochzeit, endlich noch die vielen und vielen Dispensgelder. Wieviel aber die stillschweigenden Einkünfte betragen, läßt sich vielleicht daran 78 abnehmen, daß auf hundert Griechen in Cypern ungefähr zwei Kleriker kommen, und daß von dieser übergroßen Menge nicht leicht einer seine Stelle erhält, ohne sich vorher mit den Oberen abzufinden, wie viel Geld er für die Stelle geben muß. Die Vischöfe müssen auch nach Konstantinopcl Geld schicken,- denn es ernennt den Erzbischof der Sultan, und obwobl die vier anderen Bischöfe von ihren Kapiteln erwählt werden, so müssen sie doch des Großherrn Bestätigung sich erwerben. Die arincn Popen auf den Dörfern können freilich nicht viel aufwenden. Sie werden jetzt zu Hunderten in Nikosia hergerichtet.' es genügt, wenn sie geläufig lesen können und die Ceremonien verstehen. Gibt ihnen ihre Gemeinde nicht genug zu leben, so können sie Schuhe sticken oder Vieh hüten, — ihrem geistlichen Amte thut das keinen Eintrag. Erinnert dergleichen nicht an Zustände, wie sie auch in Westeuropa eintraten, als die Völkerwanderung die alten Kulturländer überströmt hatte? Auch die politische Stellung der Bischöfe und Acbte ist in der Türkei eine ähnliche, wie bei uns in der Merowinger-Zeit. Sie sind die politischen Vertreter ihrer Glaubensgenossen und ihre Richter in tausend Streitigkeiten. Sie sind Diejenigen, welche die Beschwerden an die Regierung bringen, und Diejenigen, welche sich mit den Vornehmsten berathen, wie die regelmäßigen und die besonderen Steuern aufzubringen und das Landcsschuldenwesen zu ordnen. In der morgenlündischcn Kirche steht und dauert ja alles unbeweglich wie das Firmament. Länger als ein Jahrtausend hat sich in der Liturgie wie in Glaubenssätzen kaum etwas verändert. Erst in unserer Zeit beginnt in diese eiserne Starrheit ein wenig Leben und Bewegung einzufließen, deren Ausgangspunkt das kleine Hellas ist. X. San Khrisostomo. Cypern ist des Mittelmecrs äußerste Insel nach Osten hin und gehört uach der Natur seiner Ebene zu Egyvten und uach der Natur sciucs Gebirges zu Syrien. Sieht man aber weg von Lage und Landesnatur und denkt bloß an die hervorragenden Gebäude, so ist man mitten in Cypern auf einmal in westeuropäisches Mittelaltcr versetzt. Denn gothische Dome, trotzige Ritterburgen, malerische Abteirnincn sind Cy-perns Stolz. Gegen des Mittclalters Nücklaß verschwinden selbst die zahlreichen Gräber von Aposteln und Heiligen, die noch aus der ersten christlichen Dämmerung herrührcu, uud vollends erst die armseligen Ruinen von antiken Tempeln und Stadtmauern kennt und sucht nur der klassisch Gebildete. Von allen mittelalterlichen Burgen aber war die mächtigste und zugleich die seltsamste Vuffavento, das heißt Sturmc^trotz, und ich wüßte selbst in Spanien und Unteritalicn keine Burgruine, die an schroffer Kühnheit, Grösic des Baues, und romantischem Wildreiz mit Vuffavcnto zu vergleichen. Zu anderen Burgen steigt man ein paar hundert Fuße hinauf: Buffaveutos Thürme klettern am Löwenbcrg, einer düstern Felspyramide, empor bis zu dreitausend Fuß Höhe über dem Meere. Nach dieser Burg ritt ich erwartungsvoll am frühen Morgen des ä4. April, gefolgt von Dragoman, Zafttieh und Diener. Es ist von Nikosia ein Weg von etwa vier Stunden bis an den Fuß des Berges. Mein Dragoman und ich hatten die Jagdgewehre umgehängt, und als wir aus Thor kamen, wollten 80 die Soldaten sie uns fortnehmen. Wasfentragcn sei nicht erlaubt auf CMrn, sagten sie. Unser edler Athienite erblaßte, denn die wprischen Vauern, welche der Türken Faust an der Kehle fühlen, sind eingeschüchtert und Feiglinge alle mit ein-ander. Vom kretischen Trotz und ManneDolz ist bei ihnen kaum eine Spur zu finden. Der Dragoman erklärte den Soldaten: „Wer mit vier Pferden reise, müsse doch auch Waffen führen." Verdutzt sahen sie sich an. Da rief Hussein der Zaptieh: „Fort da, fort da! Das ist des Pascha Freund!" Da gewannen wir Luft und sprengten ins Freie, und endlich riß auch unser Cypriot sich von der Stelle und tan: hinter uns hergerasselt zu allgemeinem Gelächter. Wir waren nun wieder in der herrlichen Fruchtcbcne, die sich um Nikosia ausdehnt, der Mesoria. In den Feldern wogten die goldenen Saaten weit und breit. Kein Mensch oder Thier ließ sich blicten auf den unabsehlichcn Flächen. Nur die Lerchen sangen und jubelten in den blauen Lüften. Es war ja Morgenfrühe, wo es dem Landvolk nach alter Gewohnheit noch nicht recht geheuer scheint im freien Felde. Die Todtenstille, welche Cyperns Fluren umfängt, hat etwas Beängstigendes. Das Land ist so üppig, und doch diese endlose Leere, diese tiefe Stille! Wir kamen durch zwei kleine Dörfer, auch diese schienen wie verlassen, nur hie und da krähte ein Hahn, der auf der ärmlichen Lehmmaucr eines Höschens faß. Bei Manilia ritten wir durch das Bett des alten Pedias. Jetzt, zu Ende des April, war des Wassers im Flusse schon wenig genug, an rauschende Fülle gar nicht zu denken. Als wir auf die andere Seite kamen, traf ich endlich auf Leute im Felde. C's war ein alter Varttürke, der, seine lange Pfeife in der Hand, vier Weiber arbeiten ließ. Mit kleinen Handsicheln schnitten sie die Aehren ab und machten eine Arbeit wie Kinder. Die Jüngste war eine schwarze Sklavin: dieser rief der Türke, als ich auf ihn zuritt, etwas zu, und eilig 81 schlug sie die Gewänder vor's Gesicht und wendete sich ad. Bei den anderen Drei war die Neugicr größer, als der Schrecken. Sie eilten nicht sehr, sich zu verhüllen: es war auch wirtlich nicht mehr der Mühe werth. Vor uns her lief in einer Kette dreißig Stunden lang das Küstcngcbirge, welches Cvpcrns weithin gezogenes Bollwerk gegen Norden bildet und in der langen schmalen Landzunge der karpasischen Halbinsel auslüuft. Dieses Gebirge ist etwa den Vogesen zu vergleichen, nur ist es viel reicher und mannigfaltiger gestaltet. Weil der Bergzug über weite offene Flächen hinzieht, so stellt er sich sehr bedeutend dar, obgleich die.ttamm-hohc sich beständig nur zwischen zwei- und dreitausend Fuß empor hebt. Dieser Kamm aber besteht aus allerlei Kuppen und Hochrücken, Spitzen und Halen, zwischen denen der veilchenblaue Himmel Cvpern? durchscheint in glänzender Klarhen. Die Zacken und Nisse, die Kegel und Pyramiden, die der Bergwand oben aufgesetzt sind, die Bastionen Aufwürfe und Wellungen, die unten fich vorlagcrn, wurden stets von Neuem überhaucht bald von sanft rothbräunlichcm, bald von blauem und bläulichen! Duft, und das ist so schön und eigenthümlich, daß man die Augen nicht wieder davon lassen kann. Denn alle Form und Gestalt umfließt hier eine zauberische Helligkeit. Als wir näher kamen, hob sich das Land mehr und mehr, und ich sah, daß das ganze Gebirge nackt und kahl war; aber zwischen den Schluchten und Abstürzen der Felsen spielte das Licht in allerlei Gold- und Silberfarben. Jetzt traten die Bergzüge deutlicher hervor: wie die Schneiden in einem Tafchenmesscr lagen die Nucken scharf neben einander. Bald umsing uns die volle Einöde des Gebirgs, jeder Anbau hörte auf. Stumm und starr warfen sich die dürren Felsbänte empor, und die Sonnengluth strahlte heiß zurück von dem ausgebrannten Boden. Da grüßte uns das Kloster San Chlysostomo, altes und Lühcr, Lypcr». ^i 82 neues Gemäuer mitten zwischen lebendigem Baumgrün, cine wahre Erfrischung in dieser stillen starrenden Wüstenei. Dicht unter dem hochaufstcigenden, wildzerrissencn Steingcbirg war auf diesem Plätzchen Alles voll Grün und Gelbblüthen, der ganze Abhang damit überschüttet, Oleandeibüsche umsäumten einen Bach, hatten aber meist schon aufgeblüht. Oclbäumc stiegen bis hoch zwischen die Felsbrocken hinauf. Hier lud Alles ein zu wonniger Einsamkeit. Die Luft war voll frischen ziehenden Wohlgcruchs, nnd aus dem Gebirge über dem Kloster hörte man zu Zeiten Geklingel von weidenden Ziegen und Bcrgschafcn. Zwei Mönche standen an der Pforte und riefen ein über das anderemal ihr „Schön willkommen!" Tie ließen mit freundlichen Bitten nicht ab, bis ich abstieg und eintrat. Mehr als diese Beiden schienen das große Gebäude nicht mehr zu bewohnen, zwei alte granbärtige Einsiedler, die in weiten Halbruinen umherirrten. Die Zahl der Mönche ist in den cypri-schen Klöstern seit etwa einem Menschenalter in raschem Abnehmen. Auch an diesen geheiligten Orten bröckelt das alte ^irchenthum leise ab zum Verfallen. Im Klostergartcn standen drei hohe düstere Eypresscn und eine Palme, und der schwarze Epheu drängte sich zwischen die Aeste von uralten Aepfel- und Orangenbäumen, in deren tiefem kühlen Schatten sich anfathmend die Brust hob. Der Garten liegt schon 130« Fuß über dem Meere, gleich dahinter ragen die Stcinwände steil auf bis zu 2900 Fuß und darüber. Wenn ich erschreckend an ihren finsteren Massen empor-sab, wie labend war wieder der Hinau^blick aus dem kühlen Laubdunkel auf die weite Ebene, deren goldbraune Flächen sich da unten unabschlich ausdehnten! Den beiden Greisen war es offenbar eine Erquickung, wieder fremde Menschen zu sehen und von der Welt da draußen zu hören. Mit redseliger Gewalt wollten sie mich ein paar Tage festhalten, und mein Tragoman sah mich schon mit 83 wehmüthigen Blicken an, ob ich Barbar so viel Liebenswürdigkeit widerstehen könne. Ihm, der in seiner fugend reich begütert gewesen und nun in seinem Alter abgehaust, klang es wie eine himmlische Botschaft: ein paar Tage Nichtsthun bei freier Verpflegung. Ich mochte aber meine kostbare Zeit nicht verlieren, fclbst wenn mich nach der Gcmüsctafel der beiden alten Kirchenmäuse verlangt hätte. Cyprischc Mönche fasten eigentlich immer. Den einen Tag essen sie Rüben und Zwiebeln, den andern Tag Kürbisse und Bohnen. Unbegreiflich, wie fie dabei noch so gut aussehen. In einem Lande, wo die Klöster die einzigen stets offenen Gasthöfe, gehört die Fastengewohnheit nicht zu den Vorzüglichkeitcn. Als die Mönche erfuhren, ich käme aus Bayern, sagten sie, die Stifterin ihres Klosters, die berühmte Maria do Molino, wäre eine Bayerin gewesen. Ich glaube, sie hätten sie zu meiner eigenen Ahnmutter gemacbt, wenn ,'ie uns damit hätten feilhalten tonnen. Als ich mich aber in eine kühle Ecke fetzte, wehrten sie dies ab mit beiden Händen; denn ich sei noch heiß von der Reise, So-lautet das immer im Orient. Bist du müde und erhitzt, so trint' nicht, iß nicht, schlaf nicht, und fetze dich um Himmclswillen nicht dem Windzuge aus, sondern, wenn du kein Fieber haben willst, so hülle dich in deine Decke und warte ruhig die Abkühlung ab. Diese ewige Sorge und Vorsicht für das Gcsundblciben macht Einem das Reisen in heißen Ländern manchmal recht zuwider. Man hat die Ahnung, als stünde ein gefährlicher Baum in der Nähe mit lockenden Goldflüchten und giftiger Ausdünstung. Das Kloster des heiligen Chrysostomus ist zweifellos in sehr früher Zeit gegründet, von höchstem Alter darin ein Bild der Panagia. An den ursprünglichen einfachen Maucrkern hat sich nach und nach vielerlei angebaut und angesetzt, zuletzt auch Vorhalle und Portal. Die Kirche besteht auch hier wieder aus zwei groszen Kuppelkapellen, die man neben einander 84 gesetzt hat. In der Kirche trat man nur auf Mrthenzweige, des Osterfestes wegen war sie dicht damit bestreut. Die gute Maria de Molino aber, deren Gebeine hier in: Schatten des Gcbirgs in tiefer Einsamkeit ruhen, hat das Kloster offenbar nur verschönert nnd seine Einkünfte verbessert. Eine verwirrte Sage erzählt: als sie schwer am Aussah gelitten, habe ihr der heilige Ehrysostomns gerathen, sich in dem kühlen Wasserborn hinter dem Kloster zu baden: da sei sie genesen und habe aus Dankbarkeit gegen den Vater des Mönchtbums hier einen Sil; für seine Jünger gestiftet. Nach einer anderen Sage wäre ihr Schoßhund, der auch an einem häßlichen Ausschlag tränkte, hier ins Wasser gefallen und davon gesund geworden, und wäre siezn ihrem Glücke seinem Beispiel gefolgt. Gewiß ist, daß noch vor zweihundert Jahren die Aussätzigen schaarenweisc hicher pilgerten, um Heilung zu suchen. Jetzt hat das aufgehört, entweder weil Vach und Quelle wasserarm geworden, da auf den Höben die Waldung zerstört ist und keine Feuchtigkeit mehr ansammelt nnd entläßt, oder weil die Krankheiten zum Glücke auch ihre Geschichte haben, nach welcher sie keimen, wachsen, sich ausbreiten, und langsam wieder verschwinden. Außer bei Nikosia habe ich keinen Aussätzigen mehr ans Enpern gesehen. Dieselbe Maria de Molino, so berichtet wieder eine andere Sage, hätte Vusfavento erballt,' denn nur auf unerstciglichem Felsenriff hoch in den Wollen hätte sie vor den Tempelherren Ruhe gefunden. Im Kopfe einer angstvollen Dame hätte eine solche phantastische Idee wohl entstehen können: um sie aber auszuführen, mußte sie reich wie eine Königin sein. Schon von tief unten aufblickend wird das Auge befangen von der Größe und Ausdehnung dieser Bergfeste. Nimmt man aber hinzu, daß dieselbe Gebirgskette zwei ganz ähnliche Forts trägt, nämlich vier Stunden rechts von Bnffavento Kantara und vier Stunden links entfernt Et. Hilarion: ferner 85 daß diese Forts die Pässe durch das Gebirge vertheidigen; ferner daß drüben an der andern Seite die Wege bei Kcryneia zusammenlaufen, und daß diese Stadt, im Besitze des besten Hafens auf dcr Nordscite, ebenfalls von jeher stark befestigt war: so läßt sich die Vorstellung nicht abweisen, daß mächtige Eroberer, vielleicht schon in uralter Zeit, dieses Fcstungs-system gründeten, damit sie — im Besitz der Bergkette und der freien Nordtüste — die Insel im Zaume hielten. St. Hilarion hieß bei den Nittcrn Dien d'amour, und sie erzählten sich, wie dort ein Heiligthum des Liebesgottes gestanden, welchen dcr heilige Hilarion mit all seinen kleinen Teufeln ausgetrieben. Wahrscheinlicher ist wohl, daß der alte griechische Name des Berges Didymos zu der französischen Benennung und Fabel Anlaß gab. Busfavento aber, hoch ans feinem „Löwenbergc," ist die oberste nnd gewaltigste dcr drei Festungen. Es schaut ails seiner furchtbaren Höhe herunter recht wie der wildtrotzigc, abenteuerlich kühne Geist jenes Nitterthumcs, das aus dem Herzen Europas Hieher kam und mit seinen langen Speeren das byzantinische.Naiserthum über den Hauscu sticß. Als ich die Mönche zu San Chrnsostomo fragte, ob man bis zur Burg oben hinauf könne, verzogen sie bedenklich die Mienen. Niemand klettere da hinauf, hieß es, es sei ein paar tausend Fuß hoch, einen Wegweiser hätten sie nicht, von ihren Leuten sei Niemand oben gewesen. Es schien beinahe, als glaubten sie, böse Geister hauseteu da oben in den verfallenen Thürmen. Dann aber erinnerten sie sich an zwei Deutsche, die vor etwa zehn Jahren den Weg hinauf gcfucht, und dcr jüngere solle wirklich den Gipfel erstiegen haben. Das tonnte nur Kotschy gewesen sein, von dessen und seiner Bergfahrt linger i erzählt. Versuchen, dachte ich, kannst du es ja auch. > Ungci u,id Kölsch!) Tic Insc! ttypcm, Wicn 1865, S. 522. XI. Muffavento. Wir ritten nun zu Viert etwa eine halbe Stunde weit am AbHange hin. Der Weg verlor sich und fand sich wieder. Bienenstöcke zeigten sich hie und da. Jeder bestand aus ein paar hohen irdenen Töpfen, die man über einander gesetzt hatte' das Flugloch war ganz schmal und niedrig. Da, wo der Steig in5 Gestein hinaus ging, lag ein kleines Gebäude in Trümmern. Hier blühte ehemals ein schöner Garten, der so schön gewesen sein soll, daß man ihn das Paradies nannte. Vielleicht war er auch nur ein Paradies der Freiheit für die armen Hofdamen, die hier unten doch ein wenig spazieren gehen und Jemanden sehen konnten, wenn sie des engen Wohnens über den Wolken müde waren. Denn Ausfavento führte vorzugsweise den Namen Vtöniginschloß, Castello di Regina. Wahrscheinlich fanden Cyperns Königinneu in der heißen Jahreszeit dort oben gesuude Luft. Während sie auf Buffavcnto Hof hielten, mochten die weitläufigen Gebäude von San (5hrysostoitto widerhallen von zechenden Rittern und Knappen. Tes Hoftlosters gute Zeit verschwand, als Auffa-veuto in Trümmer fiel. Auf der Paradiesstellc stieg ich ab und schauete umher. Das mag hier ehemals ein schönes Leben gewesen sein, am plätschernden Bach, im rauschenden duftenden Vergwald, drunten die gesegneten Auen mit der prangenden Hauptstadt. Ich hatte das Glück, in der Ferne einen Hirtenbubcn zu erspähen, 87 und der Zavtieh galoppirte hm und sing ihn ein. Die Sache schien dem Vürschchen Spaß zu machen, und er war bereit, den Wegweiser zu spielen, ganz oben aber sei er noch nicht gewesen. Er stieg nun flint voran, ich folgte ihm, mir der Zaptieh, und hinter diesem kletterte mit manchem Ach und Wehklagen der Dragoman, der helle Angstschweiß stand ihm auf der Ctirne. Als wir nach einer guten halben Stunde den Rücken der Bergkette erreichten, brach Mr. Clcmentin zusammen und jammerte: „O wie komme ich da wieder hinuuterl" Mir aoer bebte da5 Herz vor (3ntzückeu. Trüben leuchtete endlos die lichte Meeresbläue, und zu Füßen fielen die Blicke tau-seud Fuß hinab iu ungeheure Schluchten und Schlünde, und tief unten, wo sich an den Bergzug das Land ansetzte, stürzte es sich gleich weg in kurzen Hügclwellen und lief ins Meer hinein, gerade als fürchte es sich vor dem drohenden Zacken-gcbirgc. Zwischen Strand und Vergmauer mag dao Land hier kaum eine Stunde breit sein, aber jede Handbreit davon ist kostbar. Alles ist mit Gärten und Fruchtbäumen besäet, in den Thälchen lächelt Feld- und Wiesengrün, und — eine Seltenheit auf Cnpern — längs des ganzen Küstensaume? sieht man von jeder Ortschaft stets noch eine andere. In diesem schmalen Gelände, das durch den hohen Gebirgswall gleichsam den Naubblicken und Eingriffen der Paschas und Kaimakams entzogen ist, lebt allein noch etwas von der alten Schönheit und Fruchtfülle. Es ist die reichste Gegend Cyverns, und, da sie unter dem erfrischenden Meercshauche aus Norden liegt und vom Gebirge zahllose rasche Bäche dem Strande zueilen, auch die gesündeste. Meme Blicke hafteten lange an Keryneia, dessen Burghügel sich vor dem Strande abzeichnete. Dort hatten deutsche Männer ihrem Kaiser und Lande (5hre gemacht, noch immer glänzt sie in Lnperns Geschichtsbüchern. Gerade zn Füßen, 88 als könnte ich einen Stein darauf werfen, erhob sich im Olivenhain Bellapais, welches für die fchönste Kloster-Nnine auf Cypern gilt. Kreuzgang, Refektorium, Rittersaal sind noch deutlich erkennbar. Der Prämonstratenser-Abt des Friedens-tlosters (ursprünglich lls 1a paix genannt) hatte vom Könige das Ehrcnrecht, Degen und goldene Sporen zu tragen, gleich als wäre ihm die höchste Ehre dcs Ritterthums, der förmliche Ritterschlag durch einen König, zu Theil geworden. In diesem Nitterlande, das im östlichen Meere dalag, wie die lwhe glanzvolle Burg, wo die ritterlichen Schaaren aus- und einfuhren zum Kriege für das Kreuz, hier waren die Klöster Festungen und verwandelten sick die Mönche zu Zeiten in streitbare Männer. Wendete ich mich nun um nach dem Innern der Insel, so lag da endlos wie eine zweite Meeresfläche die große Ebene, übersponnen von Goldfäden, die sich fern am Horizonte in leisen röthlichbraunen Dunst verloren. Dieses weite Flachland zwischen den Bergen, die Mesoria, nimmt beinahe die Hälfte der Insel ein und war noch vor zweihundert Jahren ein einziges ungeheures Fruchtfeld voll Korn und Wein, voll Obst und Gemüse, voll Weberei und Seidenzucht, und jetzt vertrocknet und verkalkt diese herrliche Fruchtebcnc mit jedem Jahre mehr und mehr. Und was jetzt versumpft oder vom Humus entblößt wird, bleibt wahrscheinlich auch dem nächsten Jahrhundert verloren. Das ist so unendlich traurig, so jammervoll in Cypern, daß über Alles, was man hier sieht und denkt, sich gleich die düsteren Schatten des Verfallens und Absterbens verbreiten. Ich begann nun an der ungeheuren Felspyramide emporzusteigen, die, von scharfen Zacken und Spitzen umgürtet, gegen den Himmel stand und die Aussicht ins Gebirge zur rechten Hand völlig verdeckte. An ihren Rändern zogen sich in langer Linie unabsehlich die Burggcbäude in die Höhe. 69 Mein Dragoman erhob sich, zu folgen, sank aber ermattet wieder zusammen. Mit brennenden Augen sah er uns nach, und ich meinte es zu hören, wie er vor sich hinsftrach: „O dieser vermaledeite Deutsche! Muß Der mm hicher kommen und all die blitzenden Juwelen, die schweren Münzen und Goldketten, lauter reines ächtes Dukatengold, aufsuchen! Und hat er die Schätze, die in seinen alten Schriften stehn, gefunden, dann landet er drüben, wo deiner daran denkt, heimlich mit seinem Schiffe und holt die Kostbarkeiten bei Nacht und Nebel, und wir, die wahren Söhne Cyperns, sind darum geprellt auf immerdar. Ach, wir sind und bleiben ja arme Schacher!" Offenbar hegten der Zaptieh und das Zicgenbübchen ähnliche Gedanke». Wo ich in eine halbzerfallene Fensternische trat oder ein Stück alten Gemäuers aufhob, behende ware» fie dabei. Wir traten in ein gewölbtes Burgthor eiu, das noch ziemlich erhalten war, und kamen langsam höher von einem in Trümmer zerfallenden Gebäude zum andern. Mehrere Gemächer waren in den Felsen hineingearbeitet, die tiefer liegenden Backöfen ähnlich. Wo irgend das Gestein sich abplatten ließ, hatte man darin eine Höhlung ausgeticft und Rinnen eingchaueu, um Wasser zu gewinnen. Wahrscheinlich gab es noch viele tiefere Cistcrncn, die jetzt verschüttet waren. Leichtere Gebäude wechselten mit unförmlich dicken Maueru. Alles war mit zähem Mörtel an den Fels wie angelöthet. Wie es schien, gab es sechs Abtheilungen, jede folgende stets höher als die nächstuntere, alle aber dnrch Gangmauern verbunden. Wurde wirklich eine untere Abtheilung genommen, zog sich die Besatzung auf die höhere zurück. Au Ergebung brauchte man nicht zu denken, fo lange Brot und Wein nicht ausgingen. So wanden wir uns kletternd und fpringend an den Felswänden empor nnd erreichten einen Thurm nach dem andern. 90 Es ist ein seltsames Gefühl, solch eine öde Trümmerwelt bock in den Lüften zu durchstreifen, die seit Jahren keines Menschen Fuß berührt hat. Gefahr gab es eigentlich nirgends: man mußte sich nur hüten, auf zerbröckelndes Mauerwerk zu treten, das stürzend Einen in die Tiefe mitgerissen hätte. Von einem Hanptthurme standen noch Theile von zwei Stockwerken. Ich stieg hinauf und wurde durch die Gegensätze der Aussicht überrascht. Auf der einen Seite gräßliche Vergschlucht im grünen Gelände uud Meeresglanz, auf der andern die sonnige Ebene, der westliche Theil der Insel aber bedeckt von dunklem Hochgebirge mit des Troodos Schnechaupt. Aber uoch immer verstellte die Felspyramide eine Seite des Himmels und hinderte die volle Uebersicht des Gestades unten. Noch immer erschien hoch über uns auf dem letzten Gipfel ein Gebäude. Hussein war des .Aettcrns müde und wollte nicht mehr mit. Freilich sahen wir vor und ueben un5 blos glatte Felswände, unterbrochen nur von schroffen Niffen. Der Weg zum Gipfel hatte obne Zweifel ehemals viele Holzbrücken gehabt, die längst verfault und weggefallen. Vergebens suchten wir einen gangbaren Steig. Zuletzt faßte ich deu Buben an der Schulter, um ihn aufmerkfam zu machen, umschlang dann mit beiden Armen ein Fclsstück, hob und zog mich daran empor und sah ihn an. Das hatte er gleich verstanden: er lachte und nickte mit dem Kopfe, und als ich nun in die Höhe wieo, sprang er wieder voran und stieg und kletterte biegsam zwischen den Felsen empör, und hatte er einen erklommen, so blickte er darüber weg und zurück, gerade wie es die Gemsen machen. Zaptieh Hussein sal, uns ingrimmig »ach: jetzt entging auch ihm sein Antheil an den erträumten Schätzen. Wabrscheinlich tröstete er sich im Stillen damit, daß er sich vorsetzte, den Buben gelegentlich ins Gebet zu nehmen und herauszuquetschen, was ich oben gesehen und gefunden. Hätte Hussein aber noch einen andern Antrieb 91 gehabt, als seinen eigenen, so hätte auch er wohl den Weg gemacht. Tiefer war mühsam, aber für einen Schwindelfreien ziemlich gefahrlos. Indem wir uns hin und her an die Steinwände schmiegten, erklommen wir früher, als ich dachte, die höchste Felsplatte, auf welcher das oberste Gemäuer stand. Es war ein verfallender Thurm uud der Nest eiucr Mauer mit Fenstcrlucken uud Unterbauten. Lohnend aber über alle Maßeu war hier die Aussicht. Zu Füßen lief als ein langes grüngelbes Band der Küsten-säum zwischen Meer und Vergzug. Jenseits des Meeres in Mcin-Asicu staudcu wie eiuc lauge Nicscnwand, die obcu hell geweißt worden, die karamanischcn Berge, der cilicische Taurus. Anfangs fchiencn es helle Wolkcnbänke zu fein, bis das Auge sich hineinfaud in ihre Winduugen und Schneefclder. Auf der andern Seite blickte ich hüben über die Mesoria hin und drüben tief ins Hochgebirge hinein. Das Merkwürdigste war die Bergkette selbst, aus welcher der Gipfel des Auffavento, der mehr als 3000 Fuß über dem Meere hat, sich etwas hervorhob. Von dieser Höhe aus gesehen, stellten sich die Bergzüge dar wie zusammengepackt, ähnlich ungeheuren Ackerfurchen. Hauptcharakter blieb die ungemcinc Länge eiucr licht-bräunlichen dielte, die erst dem Strande entlang streifte uud daun weit, weit ins Meer hinauslief, so das; sie von beiden Seiten von Wellen bespült wurde. Jene schmale, fern sich hinziehende Landzunge, das Schinken-bein Cyperns, oder wie die Griechen sagen, dic Zuugc, welche cs nach dem Festlande ausstreckt, war die karpasische Halbinsel, auf welcher ein Schlag Leute wohnen foll, der blonder, kräftiger gebant, auch frohsinniger, als die übrige Insel-bcvölkeruug. Sie haben manche eigenthümliche Gebräuche, auch den, das; die jungen Männer ihre Geliebten erst rauben und nachher heiraten. Man glaubt, auf jenem fchmalen Land-strcifen, der sich einsam wie ein einziges langes Vorgebirge 92 in die Wellen ausstreckt, habe sich ein Rest germanischer Kreuzfahrer erhalten. In St. Andronika wird dort alljährlich ein Fest der Hagia Photn gefeiert, einer deutschen Fran zu Ohren, die aus Syrien herüber kam, dort in der Einsamkeit sich ansiedelte und nach frommen Leben im Gerüche der Heiligkeit gestorben ist. Andere aber wollen in der Sprache der Bevölkerung viele altgriechische Wörter entdeckt haben, die sonst auf Cyftern nicht mehr vorkommen. Ein Bekannter, der auf jener selten besuchten Landzunge gewesen, sagte mir: sie sei recht nnwirthlich, der Nordwestabhang voll Fichtenwaldung, das Volk etwas unreinlich und scheu vor Fremden, seine Nahrung Gerstcnbrot, seine Kleidung Sackleinwand, uud die Wohnungen beständen in Erd- und Felslöchern ohne Tisch uud Betten. Das Alles war nicht einladend, um selbst hinzugehen. Im Heruntersteigen von der Burg bemerkte ich deutlich, daß die Mauern und Thürme einst mit Pulver gesprengt wordcu. Dies thaten die Venetianer. Gleich nach ihrer Besitznahme der Insel im Jahre 1489 zerstörten sie absichtlich all die herrlichen Burgen nnd Schlösser im Iuucrn, die Aufständischen hätten zum Vergevlatze dienen können. Sie selbst bedurften dieser Burgen nicht,- hatten sie doch eine Flotte, durch welche sie hier oder dort Mannschaft auf den Strand werfen und gleich ins Land hinein niarschiren konnten. Deßhalb hielten sie blos die Sccfestungcn einigermaßen im Staude, namentlich Famagusta. Die Krongüter wurden von den Ve-nctianern an den Meistbietenden verkauft und dadurch eine Menge Neuadels von niederer Herkunft geschaffen, ein Gegengewicht gegen die Lchensbarone, die Lyvcrn zur Lustgnanszeit so streitbar und berühmt gemacht. Die alten Adelsgcschlechter fühlten sich höchlich beleidigt. Allein was wollten sie machen? Der hohe Rath zu Venedig ehrte sie mit dem Titel „Bundesgenossen," ließ ihre Assisen in voller Geltung, den Baronen 93 aber keine andere Beschäftigung als Feste Jagd und Mühig-gang. Sie zogen sich auf ihre Burgen und Abteien zurück und fingen nach und nach au, die Insel zu verlassen. Nie Venetian« hatten Cypern wehrlos gemacht, und indem sie zugleich ein scharf durchdachtes, erbarmungsloses Steuersystem einführten, ließen sie in der Bevölkerung den Wunsch nack Veränderung der Negierung aufsteigen. Den Türken wurde dadurch die Eroberung nicht wenig erleichtert. Die Zerstörer also von Vusfavento kennen wir, wer aber hat die Vurgfeste so hoch in die Lüfte hiuaufgethürmt und ausgebaut? Neuere Schriftsteller melden nichts davon: könnte nicht Kaiser Friedrich li. dabei betheiligt gewesen sein? Der Gedanke an das Auftreten des letzten großen Hohcnstaufen auf Lypern verließ mich nicht wieder, und da sich in geschichtlichen Werken zu wenig darüber finden ließ, nahm ich mir vor, auf die Berichte seiner Zeitgenossen über den fünften Kreuzzug zurückzugehen. XII. Uus alter Hürkenzeit. In Nikosia war ich kaum in meine Locanda eingeritten, als der Pascha kam in Begleitung seines Dragomans und ersten Sekretärs, meinen Besuch zu erwiedern. Mit liebenswürdigster Antheilnahme erkundigte er sich, was ich auf meinem Ausfluge gesehen und erlebt habe, und war nicht wenig verwundert, als er hörte, daß ich wirklich auf dem Gipfel von Buffavento gewesen. Man hatte ihm betheuert, es sei ganz unmöglich bis dahin zu gelangen. Am Abend, als ich sein Gast war, sehten wir unsere historisch-politischen Gespräche fort, und blieben bis tief in die Nacht selbander zusammen. In der That war mein vortrefflicher Gastsrcund durch langjährige Studien und Beobachtungen eingeweiht in die geschichtlichen Verhältnisse, die Morgen- und Abendland hier sich gegenüber stellten, um sie dort wieder mit einander zu verknüpfen. Welch ein Gegensatz gegen die Paschas, die früher in diesem Konak hausetcn! Gerade vor hundert und ein Jahren trugen sich in diesem selben Negierungsgcbäude die seltsamsten Geschichten zu. Unter allen Paschalits war keines so gesucht, als die fetten Anen von Cypern. Die Zustände des „Königreichs" — diesen Namen führte die altberühmtc Insel noch immer — waren noch von den Venetianern her ziemlich geordnet, die Najah 95 lücr außerordentlich geduldig, und wollte die Kopfsteuer nicht reichen, so tonnte man sicb an den Anöfubrzöllcn erholen. Denn Zyperns Wein Baumwolle Seide Iarbcngewächse, auch der Ueberfluß seines Weizen? waren noch immer gestickt, und wollte ein Schiff gute Ladung, so mußte es für die Erlaubniß der Ausfuhr sich je nach ibrcm Werthe mit dem Statthalter abfinden. Hier auf Cypern erlebte Johann Mariti, der Kanzler des österreichischen nnd tosccmischcn Consulates war, in den Sechziger Jahren einen Aufstand, welchen er in seinem orientalischen Neisewerke beschrieb. ^ Wie er und Andere den Hergang schildern, ergibt sich dabei eine ziemlich klare Einsicht in die damaligen Zustände des türkischen Reiches. Im Juli des Ialncs I7L4 kam Tzil Osman Aga als Statthalter nach Cypcrn, ein Mann, der Geld liebte und nöthig hatte. Das Erste, was er that, war ein Gebot, das cr ausgehen ließ: jeder (5hrist solle ihm 44^ Piaster, jeder Muselmann 22 bezahlen, nach damaligem Geldwerthe etwa 10 und 5 Francs. Das war gerade das Doppelte des Kopfgeldes, welches ein Statthalter zu seinem Unterhalte erheben durfte. Die Bcgs und Agas und die griechischen Bischöfe tamen zusammen, und Alle schüttelten die Köpfe und sagten' so viel könne kein Mensch bczablen. Tzil OZman Aga aber erwiederte, er werde schon sorgen, daß cr es bekomme, und schickte seine Ianitscharcn und Helfer aus, die noch viel mehr erpreßten. Neuen Vorstellungen begegnete cr mit der Hinweisung, Konstantinopel sei ja nicht aus der Welt, dort solle man ihn verklagen, wenn man glaube, ein Necht dazu zu haben. Nun gingen auch Abgeordnete nach dem Bosporus ab, jedoch Woche auf Woche verstrich und sie ließen nichts von 1 Joy. Mariti Nciien durch dic Insel Lypcin, dulch Synen m,d PalnMll 1700—1768, in cincm Auszug aus dcm Italienischen über» setzt von (5. H. Hase, AIte,ch»rg 1777. 96 sich hören. Da beschlossen die Bischöfe, ihnen nachzureisen. Der Statthalter ließ sie einfach festnehmen, jetzt mußten sie wohl da bleiben. Insgeheim aber gelang es ihnen, in Kon-stantinopel bessere Fürsprecher, als er sie dort hatte, in Bewegung zu setzen, und so landete am 31. Oktober ein Beamter des Großvezicrats, der Tschotodar, auf (5ypern und ließ den Statthalter ersuchen.- er möge vor dem Oberrichter in seiner Residenzstadt Nikosia erscheinen und die großhcrrlichen Befeble vernehmen. Dieser Befehle waren drei: er sollte die Hälfte der Kopfsteuer zurückgeben, über seine übrigen Erpressungen sollte Untersuchung, über seine Aathgebcr Strafe ergchen. Tzil Osman Aga aber dachte sick einen Hauptspaß aus. Er entschuldigte sich: für des Großhcrrn Statthalter sei es würdiger, wenn die Vorlesung der Befehle feierlich in seinem Rathssaale geschehe; Alle, die wider ihn geklagt hätten, möchten zuhören. Da entbot der Tschokodar die Bcgs nnd Agas und Kadis sammt den Bischöfen und andern vornehmen Griechen, und am 5. November zogen sie alle mitsammen hin und eine große Volksmenge folgte ihnen, die sich, als der Saal gc-füllt war, auf den Treppen und im Hofe vertheilte. Cs waren etwa Dreihundert im Saale, und „Gott ist groß und der Sultan gerecht" stand in den frohen Mienen zu lesen. Der Tschokodar setzte sich neben dem Statthalter auf den Divan, der sich am oberen Ende des Saales befand, nahm sein Schälchcn Kaffee, nnd sobald er es dem Diener zurückgab, begann die Vorlesung. Der erste Satz war gelesen, und die ganze Versammlung nickte zustimmend mit den Köpfen. Da bewegte fich der Fußboden und plötzlich brach er krachend ein, dicht vor dem Tschokodar fiel er herunter, und Alle über einander, die im Saale waren, stürzten in die Tiefe und lagen da im entsetzlichen Durcheinander voll Jammer und Gc-stöhne. Der Statthalter ab Fetwa verkündigt, so stürmte Alles nach dem Konat oder dem Negiernngsgebändc. Ter Statthalter aber batte sich vorgesehen, Leute und Munition ins Haus genommen, alle Eingänge verrammelt und stand schußfertig an den oberen Zensiern. Sobald Angreifer sich vorwagten, schoß er sie wie Hühner nieder uud lachte sie aus. Auch das Volk sing an zu schießeu, und es entwickelte sich ein Gefecht, das hüben lind drüben wohlgelcitet wurde. Nach zweisnindigem Schießen kam man auf den Gedanken, Stroh und Reisig an 9s das große Thor zu schleppen und dieses in Feuer zu setzen. Es gelang, das Thor branncc an und stürzte ein, das Volk aber in den Palast nnd schlug Alles nieder, was ihm vorkam. Endlich wurde auch der Statthalter angetroffen und gleich niedergestochen. Neunzehn seiner Leute waren im Gefechte gefallen, die übrigen geflüchtet. Eilig plünderte man die Kasna oder den Schatz und was sonst mitnehmenswerth. Dann ging jedermann ruhig nach Hanse. In drei Stunden war Alles vorbei, nnd da die Griechen gerade ihr Tcmetrius-Fest hatten, so öffneten sich die Buden wieder, und in der ganzen Stadt herrschte die schönste Ordnung, als wäre nichts vorgefallen. Fünf Tage später reiste der Tschokodar wieder ab, und alle Ortschaften lebten in Nuhc und Frieden, obgleich kein Statthalter auf der Insel war. Und so blieb es bis zum nächsten Ialire, als der neue Statthalter landete, Hafts Mohammed Effcndi, ein kluger und vorsichtiger Herr, welcher sich begnügte, sich aller Orten in den Besitz des Regiments zu setzen, nnd allgemeines Vertrauen erwarb. Nach einiger Zeit aber fanden sich bei ihm Leute ein, die sich ein Geschäft zu machen dachten und ihm eine Liste Derer überreichten, die bei dem Sturme auf den Konak sich hervorgethan. Sie redeten ihm zu, wenigstens Diejenigen, welche an seinen Amtsvorgänger Hand angelegt, dürften nicht straflos ansgehcn. Er überlegte sich die Sache hin und her, und da jene ihm sagten, seine eigene Würde komme in Gefahr, fo entschloß er sich zuletzt, ein Edikt ausgehen zu lassen des Inhalts: er sei nach Cypern gesendet, um die Ordnung wieder herzustellen nnd Allen, die sich Auf: ruhrs schuldig gemacht, den Kopf vor die Füße zu legen; er sei es jedoch zufrieden, wenn Türken und Griechen ihm für den Kopf eine Buße von 14 Piastern erlegten, Frauen Kinder und Greise ausgenommen: nach Zahlung dieser Strafe solle Alles vergessen sein und abgethan. 99 Nun freuten sich die Griechen, das; sie so wohlseilen Kaufes von der Geschichte loskämen, und singen an zu zahlen. Die Türken aber steckten die Köpfe zusammen und fragten einander, wie denn das wäre? i)b üe denn nicht in ihrem guten Rechte gewesen, als sie Tzil Osman Aga bestraften? Er fei ja als des Gesetzes und des Sultans Feind ordnungsmäßig erklärt worden. Da die Meisten diese Ansicht theilten, so ließen sie den Statthalter wissen: unmöglich könnten sie die 14 Piaster bezablcn; denn alsdann müßten sie sich ja selbst zu Rebellen erklären, während sie doch nur gehandelt hätten als Beschützer von Nccht und Gerechtigkeit, und als getreue Unterthanen des Sultans, den sie von einem Feinde befreit bätten. Der Statthalter erwiederte: feine Würde verbiete es ihm, das Edikt zurückzunehmen. Da rotteten sich ein paar Hundert zusammen und setzten sich in dem Dorfe Kytherea fest, wo die Mühlen sich befinden, auf welchen ganz Nikosia täglich sein Korn mahlen läßt. Auch leiteten sie der Stadt das Wasser ab. Darüber entstand nun großer Lärm, und der erschreckte Statthalter hielt es fürs Klügste, nach Kytherca Botschaft zn schicken und die Strafe zu erlassen. Gleich war Alles wieder ruhig, und kein Menfch verdachte es weiter dem Statthalter, daß er sich hatte Geld machen wollen. XIII, Der Statthalter aber fühlte sich in seinem Stolze peinlich verwundet, warb ganz in der Stille Leute an, sorgte für Pulver und Waffen, und als er glaubte, stark genug zu fein, verlangte er die Befolgung des Ediktes. Sofort standen die Männer wieder beisammen. Ihr Sammelplatz war diesmal die altberühmte Scefestung Keryneia, fünf Stunden nördlich von Nikosia, welche einst von Kaiser Friedrich II. Teutschen und Italienern so lange und so heldenmüthig war vertheidigt worden. Dort lebte auf seinem Schlosse ein angesehener und reicher Herr, Halil Aga, der eben so ehrbcgicrig als entschlossen war. Seine Feste starrte alsbald von Waffen, schon waren 2000 Mann darin, die am 15. August dem Statthalter turzwcg entboten: sie erhoben Aufstand wider ihn von wegen der 14 Piaster. Einige Tage später nahmen sie wieder die Mühlen von ^ytherca weg und erschienen vor der Haupt' stadt. Hafis Mohammed (5ffendi dachte, sie diesmal gleich tüchtig zu treffen: hastig machte er einen Ausfall, wurde aber blutig zurückgeschlagen.,, Die Aufständischen folgten, und wollten die Stadt im Sturm nehmen. Jedoch waren die Mauern lind Walle von Nitosia zu stark, und Halil Aga beschloß, die Stadt zu blokiren und die ganze Insel in Aufstand zu bringen. Aller Orten sah man seine Echaaren: wer ihnen nicht zu-schwören wollte, dem brannten sie als einem Feinde d'cs Landes und Gesetzes sein Haus nieder. Ganze Dörfer gingen in 101 Flammen auf. Der Statthalter wußte keinen Rath mehr. Schon meldete sich in Nikosia der Hunger an. Ta erklärte Hafts Mohammed zum zweiten Mal: er stehe ab von den 14 Piastern, alle Verschuldung sei erlassen. Tie Ruhe war wieder hergestellt, diesmal aber gingen die Rädelsführer nicht auseinander, ohne daß sie ihren Vund erneuert hatten. Während dies auf Lypern vor sich ging, waren insgeheim die drei Crzbifchöfe von Nikosia Basso und Keryneia nach >tonstantinopcl gesegelt, hatten der hohen Psorte ihre Beschwerden vorgelegt und so viel erreicht, daß man ihnen einen neuen Statthalter mitgab, Soliman Esfendi, einen guten alten Mann, den sie wie ihre Puppe zu lenken hofften. Auf ihren Rath landete Tiefer bei Keryneia, sendete an Halil Aga prächtige Geschenke und belobte ihn wegen seines Eifers fürs gemeine Wohl. Halil Aga versprach ihm Geborsam und ließ ihn landen und unbehelligt nach Nikosia ziehen. Nun gab es hier zwei Statthalter von Cypcrn, denn der alte erklärte' seine Ehre leide es nicht, daß er früher abtrete, als bis er den Aufstand, gegen welchen von ihm die Hauptstadt bisher so tapfer vertheidigt worden, gedämpft habe. Der gutmüthige Soliman Effendi war es zufrieden und begab sich gänzlich unicr Rath und Leitung seines Vorgängers, den er hatte ersetzen sollen. Er sendete an Halil Aga Boten auf Boten mit glänzenden Versprechungen und bat ihn, er möge doch nach Nikosia kommen uud die Reiterei als General kom-mandiren. Jener aber hütete sich wohl, den Kops in die Schlinge zu steckeu. Da aber weiter nichts vorfiel, so zerstreuten sich allmälig die Aufständischen, und wiederum trat Ruhe ein und währte das ganze Jahr hindurch bis zum Beginne des neuen. Ta meinten die beiden Statthalter, sie könnten doch die 14 Piaster auf den Kopf nicht cntrathen, und zum dritten-male erging der allgemeine Zahlungsbefehl. Hasis Mohammed 102 hatte sein Aeußerste5 aufgeboten, sich eine starke Partei zu bilden, und es gab in der That nicht Wenige, die um jeden Preis der ewigen llnruhe los sein wollten und ansingen, das Vlutgeld 'für den erschlagenen Statthalter zu zahlen. Die Meisten aber sagten: wer ein Muselmann sei, müsse auf Tod und Leben des Ediktes Vollziehung verhindern. Tics sei eine heilige Neligionssache, denn Religion und Necht sei eines und dasselbe. Dem Statthalter gehöre sein Charadsch und dem Sultan Zoll und Zehnten, Blutgrld aber für einen Erschlagenen könnten nur die Verwandten fordern, das stehe im Koran. Deßhalb habe der Molla sein Fetwa erlassen und die Ianit-scharcn, die rechten Vertheidiger der alten Religion und Freiheit, hätten ihm zugestimmt. Daher nahmen sie ihre Wasfen und eilten wieder nach ^cryneia,' 5000 Mann hatte Halil Aga unter seinen Fahnen. Wiederum war der offene Aufstand erklärt. Damit er von den drei Landesfestungcn zwei in seinc Gewalt bekomme, machte Halil plötzlich einen Angriff auf Famagusta, das am entgegengesetzten Ende der Insel liegt, wurde aber von der Besatzung zurückgeworfen. Jetzt schlug er ein großem Lager vor Nikosia auf und begann die Stadt zu berennen und zu belagern. Nichts Geringeres verlangte er, als daß man ihm die Hauptstadt übergebe und ihn als Statthalter von (iypern anerkenne. Als weder Mohammed nock Coliman dazu geneigt waren, ließ er ihnen sagen: er besitze geheime Befehle vom Sultan, sie sollten, damit er ihnen dieselben vorlese, zu ihm in5 Lager kommen. Das ließen sie aber wohl bleiben und dafür um fo fleißiger ihre Kanonen spielen, die ihnen einen Vortheil über die Angreifer gewährten. Während nun im ganzen Lande, wo Türken wohnten, man sich ereiferte und die Köpfe einander blutig schlug, versuchten vor Nikosia die Belagerer wiederholt, die Stadt zu erstürmen, und machten die Belagerten wiederholt Ausfälle: 103 wieder jedesmal ohne anderen Erfolg, als daß wer angriff verlor und zurüägefchlagen wurde. Endlich aber detain Halil Aga auch Kanonen und begann sofort die Stadt unbarmherzig zu beschießen. Jetzt gericthen die Einwohner in Angst und Noth. Auf Andringen der Friedliebenden kam der englische Konsul aus Larnaka herüber und versuchte zu vermitteln. Halil Aga verlangte Urkunde und Siegel erstens darüber, daß volle Amnestie gewährt werde und die Ianitscharen und Beamten, die unter seine Fahnen getreten, ihre Stellen wieder bekämen: zweitens, daß die Bevölkerung von Nikosia ihn als Statthalter anerkenne, wenn der Sultan es genehmige; drittens, daß inzwischen keine ungewohnten Steuern ausgeschrieben würden. Tie Statthalter wollten sich nur auf den ersten und dritten Punkt einlassen, und der Krieg dauerte fort. Unterdessen hatten sich die Nachrichten, wie co auf Cyvern herging, in den benachbarten Meeren und Ländern verbreitet, und wer dort eine Kriegsmacht bereit hatte, dachte daran, ob er nicht die Gelegenheit benutzen und die schöne Beute sich erjagen solle? Denn um ein reiches Paschalik mochte Jeder werben und kämpfen, der sich dessen getraute. Kam er thatsächlich in Besitz, so sendete er Gold und Schmeichler nach Konstantinopel und durste auf Bestätigung hoffen. Zuerst erschien also in Eyvern Ibrahim Bey, der mit zwei kleinen Galeotten auf dem Meere kreuzte. Da er sich aber zu schwach sah, etwas Ordentliches zu unternehmen, ging er wieder in See. Darauf kam ein anderer Korsar, Dschaffar Bev, mit einer Fregatte und drei kleinen Kriegsschiffen, brachte Truppen ans Land und befetztc das Schloß bei den Salinen von Larnaka. Ihm aber trat Halil Aga fofort und so geharnischt entgegen, daß auch er wieder das offene Meer suchte. Ter Dritte war der Statthalter in Karamanien, das Cypern gegenüber liegt, Namens Giergil Oghlu, der am 27. Juni 104 bei Famagusta mit cm paar hundert Mann ans Land stieg, die sogleich die Ortschaften mit Plündern und Morden und Frauenschänden heimsuchten, auch vor dem Thore der Festung sieben Griechen spießten und zwei Türken köpften. Zum größten Glück für die Umgegend war am selben Tage zu Larnaka Krwr Mohammed, Pascha von zwei Noß-schwcifcn, gelandet, mit 2000 Mann zn Fuß und 500 zu Pferde und mit des Sultans Befehl, auf der Insel Ordnung zu stiften. Er beschied die Konsuln der europäischen Mächte zur Audienz, und sie wunderten sich nicht wenig, als er ihnen erlaubte, in seiner Gegenwart zu sitzen. Nachdem er angehört, was sie ihm über die Zustände auf der Insel berichteten und anriethen, befahl er zuerst dem Giergil Oghlu, auf der Stelle mit all seinen Leuten heranzumarschiren und sich unter sein Kommando zu stellen. Tann mußte der englische Konsul einen Brief in das Lager von Nikosia schicken des Inhaltes: der Pascha wünsche, daß Alle ruhig nach Hause gingen; dann wolle er den ganzen Hergang in Nuhe untersuchen und Jedermann nach Recht und Gerechtigkeit zufriedenstellen,- denn er sei nicht als Ueberbringcr des Krieges, sondern des Friedens nach Zypern gekommen. Alsbald nach Absendung dieses Vriefes, am 1. Juli, setzte sich der Pascha mit all seinen und den taramanischen Truppen in Marsch auf Nikosia. Furcht und Schrecken ging vor ihm her. Das Gerücht hatte die Stärke seiner Kriegsmacht zehnfach vergrößert. Aus Halil Aga's Lager ritt Einer nach dem Anderen nach Hause, und bald hatte er nur noch etwa zweihundert Getreue lim sich. Da brach er auf nach seiner Seefestung Kcrnneia. Diese liegt an dem nördlichen Küstcnrande, hat hinter sich steil aufsteigende Felsgebirge, vor sich das offene Meer und beherrscht ein überaus schönes Küstenland, ein wahres Paradies, das aller Vlüthen und Flüchte voll ist. Halil's Offiziere 105 und wer es sonst vermochte, jeder nahm eine Geliebte mit sich und da Kerdncia eine sehr starte Festung ist, so dachten sie dort wie Kaiser Friedrichs Soldaten sick Jahr und Tag zu behaupten wider alle Welt. Schlimmsten Falls blieb ihnen die Flucht aufs Meer, denn die Festung hatte dorthin einen sicheren Ausgang. Sie versorgten sich also reichlich mit Kriegsund Mundvorrath, stellten flinke Schiffe in ihren festen Hafen ein, und waren guter Dinge. Vergebens kam aus Nikosia des Paschas wiederholte Aufforderung: Halil Aga solle die Festung übergeben, denn sie sei ibm vom Sultan anvertraut. Halil Aga antwortete: um so gewisser wolle er sie dem Sultan bewahren. Am 28. Juli schlug Kyor Mohammed Pascha sein Lager vor den Mauern von Kcryncia auf und fing sofort an, die tiefen Gräben auszufüllen und mit Sturmleitcru und Mauerbrechern die Festung anzufallen. Tic Belagerten wehrten sich herzhaft und wußten ihre Kanonen zu brauchen. Jeder Angriff wurde glänzend abgeschlagen. Nun kam das Linienschiff, auf welchem der Pascha seine Ueberfahrt nach Cypern bewerkstelligt hatte, um die Insel herum, legte sich vor den Hafen und schiffte Batterien aus, welche der Festung hart zusetzten. Und siehe da, es erschien auch Dschasfar Bey mit seiner Fregatte und drei kleinen Kriegsschiffen, nicht minder Ibrahim Bey mit feinen zwei Galeottcn, und sie schlössen Keryneia von der Sceseite so fest ein, daß dort Niemand heraus und Niemand hinein konnte. Um so verzweifelter fchlugen sich die Belagerten. Alle Anstrengungen des Paschas waren vergebens. Zusehends schmolz sein Heer dahin. Hinter ihm eröffnete sich die blutige Aussicht auf allgemeinen Aufstand. Da griff er zu einer schlechten List. Der Admiral des Linienschisfes, Melcky Bey, ersuchte Halil Aga um eine geheime Unterredung. Diese fand statt in der Nacht vom 1i. August, und 106 Mcleky wußte eindringlich vorzustellen, es sei für Halil Aga und seine Freunde am besten, wenn er an Bord des Linienschisfes komme und dadurch seine Geneigtheit, sich zu ver-söbnen, kund gebe. Dort sei er ja ganz sicher, denn es sei weltbekannt, das; die türkischen Scesoldaten sich eher in Stücke hauen ließen, ehe sie zugäben, daß ein Flüchtiger, der sich ihrer Ehre anvertraut, mit Gewalt vom Schiffe weggeführt werde. Melctn benahm sich so gewandt und schmeichlerisch, daß Halil Aga sich aus dem Kastell zum Strande und auf das Linienschiff begab. Aber schon anderen Tags wurde der Verrathene dem Pascha ausgeliefert. Diefcr behandelte ihn freundlich und anständig und ließ ihm ei» Zelt anweisen. Als man das in der Festung hörte, ergab sie sich am selben Tage. Jetzt änderte sich die Szene. Zwar die Frauen durften frei mit Hab und Gut abziehen, die Männer aber wurden für Gefangene erklärt, Halil Aga's Offiziere in Ketten gelegt, er selbst aufs Schärfste bewacht. Am 19. ließ ihn der Pascha vorführen. (§rst unterhielt er sich freundschaftlich mit ihm, um aus seinem eigenen Munde den ganzen Hergang des Aufstandes zu erfahren und wer die Anstifter und Führer gewesen. Dann erhob er seine Stimme, warf ihni die Untreue gegen den Großherrn vor, der ihm die wichtige Festung gewiß nicht zu einer Vurg des Aufruhrs anvertraut habe, und als er das gesagt hatte, traten Leute herbei und hingen Halil Aga auf der Stelle auf. Am )^1. mußte sich der Karamane Giergil Oghlu mit seinem wilden Gesindel einschiffen, ohne noch einen Fuß ins Land hineinzusehen. Dann zog der Pascha mit den Gefangenen ab und seine Häscher gingen ins Land. Wer sich schuldig fühlte und noch auf freien Füßen ging, machte, daß er Cnverns Küste hinter sich bekam. Viele wurden noch auf der Flucht ergriffen. Nun wurde zu Nikosia die Untersuchung eröffnet, und zum Beschlusse zweihundert Köpfe abgeschlagen, die mit 107 Halil Aga's Haupte eingesalzcn und nebst einer Geschichtserzählung nach itonstantinopel geschickt wurden, zum redenden Beweise, daß aller Aufruhr gedämpft worden. Die Erwiederung darauf war die Ernennung Kyor Mohammeds zum Pascha von drei Noßschweifcn und zum Statthalter des Paschalils von Koniah. Tann übergab er — den früheren Statthalter Hafts Mohammed hatte er bereits weggeschickt — die Regierung von Lypern noch auf ein Jahr an Soliman Effendi und verließ das unglückselige Land, das in den drei Auf-standsjahren gerade die Besten seiner türtischen Bewohner verloren und sich mit Ruinen bedeckt hatte. Kein Mensch dachte daran, die Trümmerstätten wieder zu besiedeln. Wo hätte er dazu die Mittel, taugliche Arbeitskräfte, ja nur den Muth gefunden? Bei der Dunkelheit der Zukunft, bei der Ungewißheit, ob nicht alte Forderungen und Pfandschaften und Bußgelder auf einem Grundbesitze hafteten, hätte mau ein Thor fein müssen, Geld und Arbeit hineinzustecken. Leben und Anbau, die einmal erloschen, blieben auf türkischem Boden für immer verschwunden. XIV. Zurch die große ^bene. (5s war am Morgen des 25. April, als ich Nikosia verließ, die Hauptstadt Cyperns, die durch ibre Dome und Palast-trümmcr fern i»l Orient an alles erinnert, was bei uns im Mittclalter groß und ideal war, gegenwärtig aber tiefer stets in Schmutz und Ruinen sinkt. 2ic einst so schöne Stadt, in welcher sich des Morgen- und Abendlandes Blüthe vereinigte, ist zerrüttet und entstellt wie ein edles Weib, in dessen blassen, abgehärmten Zügen noch immer zerrissene Spuren der einstigen Schönheit spielen wie ein trübes wehmüthiges Lächeln. Als ich in der Locanda della Speranza, dem einzigen armseligen Wirthshause, das außer drei türkischen Chans von den gastlichen Hallen der Könige Fürsten und Tempelherren noch übrig, die vielerlei Trinkgelder vertheilt und schon einen Fuß im Steigbügel hatte, kam der Wirth wieder beran und bat um Zahlung der Zeche von drei Tagen für mich und meine Leute. Zweifellos hatte fic der Pafcha schon berichtigen lassen i denn ausdrücklich als dessen Ehrengast hatte mich sein Kanzler hier eingeführt. Vergebens sah ich mich nach dem Letzteren, dem gemüthlichen, stets lächelnden Alten um: er ließ sich nirgends mehr blicken. Was wollte ich machen? Nochmal die Vörse zichn. Man muß dergleichen leichtblütig hinnehmen, namentlich im Orient, dessen Charakter nun einmal lächelnde Tücke Höflichkeit und Geldgier ist, verbunden mit allgemeinem stillen Widerwillen gegen den Sinn der Wahrhaftigkeit. Eine 109 Hand voll Geld läßt sich ja wieder erwerben: flüchtig aber ist das schöne Reiscglück, und jede köstliche Stunde, die man auf der Reise sich trüben läßt, bleibt verloren für immer. Fröhlich athmete ich auf, als wir aus deck dunkeln Thorgewölbe wieder in die weite lichte (ibenc kamen. Unabschlich nntcr dem glanzerfüllten Himmel, prangend in goldenen Saaten zogen sich die Fläcben bis ans Gebirge, das zur Rechten in langer Kette hoch im Prachtblan daher wallte, gerade vor mir aber fernab in schwärzlichen Massen aufgethürmt dastand. Tort vor uns hob siä? über die dunkeln Vergwogcn der schnee-schimmernde Olymp. Der Name „Olymp" begegnet uns fast in jeder griechischen Insel- oder Küstenlanoschaft, wo ein stolzes Echnechaupt stattlich auf freien Vergec-schultern in der Ätherbläne emporsteigt. Offenbar ist es dasselbe Wort wie unser „Alpe" und „Alnie". Diesem cyprischen Olymp wollte ich jetzt auf den Gipfel steigen, und es war, als ginge die Neise nach einem unbekannten weltcntlcgenen Gebirge. So viel ich auch gefragt und mich umgehört hatte, Niemand ließ sich antreffen, der selbst auf dem Troodos gcwefcn, so heißt nämlick jetzt der Berg, und es blieb noch immer ungewiß, ob das Kloster Trooditifsa auf seiuer Höhe oder irgendwo in einem nahen Scitcntlial liege. In Cypcrn liebt Vornehm und Gering die Gemächlichkeit, und reinste Thorheit scheint es, irgendwohin zu gehen, wo man keine Geschäfte hat. Wir waren noch kcine anderthalb Stunden geritten, da hörte der Anbau allmählig auf. Weit und breit lag fruchtbares Erdreich unbenutzt. Wieder fenkic sich das Gefühl der Oede und Verlassenheit, der Todtenftille auf diese Gefilde, die einst so reich nnd wonnevoll blüheten. Von den etwa fünfzig Stunden, die Cyperns längste Ausdehnung vom Cap Akamas bis zum dinaretischen Vorgebirge mißt, legte ich an diesem Tage ziemlich den vierten Theil zurück, und auf diesem ganzen 110 Wege scili ich nur drei oder vier Dörfer. >^in jedes lag an einem Flusse, der, wenigstens im Winter und Frühjahr, Aecker und Gärten bewässerte, aber ein jedes zeigte im Innern verfallene Wohnungen und am Rande seiner Feldflur Acker-gründc, welche der Pflug erst vor zehn oder zwanzig Jahren verlassen hatte. Wo wir uur herzogen, schwirrten Lerchen und Wachteln und Nebhühner auf. 2er Pascha hatte in seiner zuvorkommenden Güte mir einen Zaptieh ausgesucht, der mich durch die ganze Insel begleiten und ihm dann persönlich Rechenschaft ablegen sollte, während sonst da Brauch ist, daß man von einem Bezirk zum andern jedesmal einen neuen Zaptieh bekommt. Vor diesem meinem militärischen Schirm und Wachter hatte der Pascha auf meinen Wunsch ausdrücklich erklärt, ich dürfe jagen, wo und wie ich wolle. Nun brauchten ich und mein Dragoman, welcher, wie ich bereits bemerkte, sich in seinem Alter und Müßiggang noch der Jägerei ergeben hatte, uur ein paar Schritte rechts oder links zu gehen, so kamen wir gleich zu Schusse. Zaptieh Hussein war in seiner Art ein Prachtmensch. Er achtete auf Alles, wußte beständig Rath, und Wollen uud Thun war ein einzig Ding bei ihm. Man kann seine wahre Freude haben an diesen gemeinen türkischen Soldaten. Was sie in uud an sich tragen, ist roh und wenig, aber alles ist voll Kraft, voll Härte und Haltbarkeit. Wer sie zu behandeln weiß, hat an ihnen treue unverdrossene stets zufriedene Diener. Ich hatte bei der Vogelwildjagd, wahrscheinlich bei dem Auf- oder Absteigen vom Pferde, meinen Tabaksbeutel verloren. Der türkische Beutel war mit Inhalt ein Andenken aus Cavalla an der rumelischcn ,Mste, wo der feinste und mildeste türkische Tabak, der Ienidscheh, wächst. Kein Tabak — das ist im Orient ein großes Unglück. Wo Alles raucht vom Morgen bis zum Abend, die Sklavin neben ihrer Frau Ill auf dcm Teppich wie der würdige Aga auf dcm Tivan, da meint man zuletzt, ohne Rauchen werde das Leben gar zu fchwer. Als ich den Verlust anzeigte, zog der Dragomau betrübte Mienen; der Pferdediener erklärte sogleich, er habe nur noch ein wenig schlechten Tabak: Hussein aber sagte kein Wort, gab seinem Pferde die Sporen und war im Nu verschwunden. Wir ritten langsam weiter. Nach einer Stunde kam der Zap-tieh wieder und nahm meinen Tabaksbeutel ans seiner Vrust-tcische. Hat ein Pascha oder Kaimatam nur ein Dutzend solcher Männer, so ist er Herr in seinem Bezirk. Zehn Stunden weit kann er ihn schicken, einen Frevler zu holen: der Zaptich schlägt sich durch mit Handschar nnd Pistolen, bis er seinen Mann trifft, reißt ihn aus der Mitte von hundert zornigen Griechen heraus, fesselt ihn an seinen Sattelriemcn und bringt ihn todt oder lebendig seinem Herrn. Das sind die Leute, durch welche das türkische Etaatswcscn sich aufrecht hält, und die andere Ursache, daß seine Agonie, der unser Jahrhundert verurthcilt ist zuzuschauen, so entsetzlich lange währt, besteht in dcm zähen Manne^stolz der OsmanliZ und in dem still-glühenden Fanatismus, der noch in der Mehrheit der Musul-mans lebt. Für sie ist es keine Redensart, Gut und Blut zu opfcru, wenn Kalif und Religion in Gefahr. Da kommen aus dem geheimen Familien kästen die alten geizig ersparten Goldstücke hervor, und der vornehme wie der geringe Mann greift zu Säbel uud Flinte, und wochenlang ohne Sold und Verpflegung springt er dennoch freudig auf, wenn der Befehl kommt, gegen des Feindes todsprühendc Schanze anzustürmen. Hussein, der hier herum überall schon gewesen, kümmerte sich wenig nm Weg und Steg, sondern ritt in gerader Linie auf den Troodos los. Wie weit wir vor Abend kommen würden, war ungewiß, jedenfalls noch ins Gebirge. Der Boden war mit kurzem Gras und grünen niedrigen Büscheln 112 gleichwie Zwergpalmen bewachsen. Hin und wieder erschienen ganze Strecken mit rothen und gelben und blauen Vlnmen übersäet, besonders viele Tulpen - und Zwiebelgewachse kamen vor. (5s war ein prächtigem Reiten. Das ist gar herrlich in diesen Ländern des Orients, daß Luft und Himmel mit klarem Aether getränkt sind. Berg und Cbcne uud jede Fels- und Baumspitze zeichnet sich, wenn noch so fern, in scharfen Umrissen. Uud dabei sind die Lüfte so voll Glanz und Schimmer, so tief dnrchsichtig, daß man sich von lauter funkelnden Lichtmassen umwoben fühlt und stets versucht ist, noch immer tiefer mit den Blicken einzudringen in diese beitere unermeßliche Aetherbläue. Ohne sonst eine Ansicdlung berührt zu haben, langten wir gegen eilf Uhr Vormittage in einem Torfe an, das gute fünf Stunden von Nikosia lag. (5s hieß Akazi: ich konnte den Namen aber nur nach der Aussprache der Griechen aufschreiben, da die Handkarte, welche mir der Pascha zum Geschenke gemacht, nur türtische Schrift batte und diese weder ich noch Hussein noch meine beiden andern Begleiter lesen tonnten. In dem Torfe wurde gefrühstückt und dann angenehm zwei Stunden geruht. Die ganze Bevölkerung stand oder lag oder spazierte gruppenweise rings um die Kirche her, in welcher die Popen die Messe sangen. Denn es war Ostern bei den Griechen. Das Osterfest aber wird vier Tage lang gefeiert, zwei Tage vorder und zwei Tage nachher greift man zu dieser oder jener Arbeit und läßt sie wieder liege», uud so haben die Leute eine schöne lange Woche eitel Spielerei Kirchenfest und Müßiggang. All das Volk sah aber nicht siech und elend aus, sondern ziemlich gut genährt. Das muß um so mehr Wunder nehmen, als der Ausfall der Arbeitstage bei den vielen langen Kirchenfesten, an welchen nichts erworben wird, durch die vielen langen Fasttage, an welchen wenig oder nichts gegessen wird, Ausgleichung sindet. Zu deu zwei ordentlichen Fasttagen in 113 jeder Woche konimcn noch so viel außerordentliche, daß man die Summe der Fasttage in jedem Jahre recht gut auf ändert' Halbhundert rechnen kann. Also weit mehr als ein Drittel des Jahres wird gefastet, nnd zwar streng: nur Vrod nnd Grünes wird gegessen, nicht einmal Milch nnd Ocl dazn genommen. Uoberbaupt ist es ganz unglaublich, mit wie wenig Speise ein griechischer Haushalt Woche für Woche auskommt. Wo in acht Tagen zwei oder dreimal gelocht wird, ist es schon ein wohlhabendes Haus. Nun gar Fleisch- oder Fischspcise ist eine wahre Seltenheit. Ich erkläre mir das leibliche Gedeihen des Voltes nur dadurch, daß erstens dazu viel weniger Speise gehört, als man bei uns meint nöthig zu haben, daß aber zweitens die cyprische Erde bei noch so geringem Anbau schon eine Fülle von Früchten bringt, und daneben eine große Menge wildwachsender Kräuter, deren jedes in Blatt oder Stengel oder Frucht ein nährendes Mark enthält. Kinder und Erwachsene sieht man täglich allerlei Grünes frisch aus der Hand essen. Als wir wieder auf die offene Haidc kamen, lag darauf eine Eonnengluth, die gleich einem Uuthicr mit heißem Athem uns anhauchte. Tas Bild des gelben Löwen, der den Nachen aufsperrt, trat mir vor die Sinne. Es ist der afrikanische Wüstcnlöwe, der herüberspringt, - um der Insel Vlüthcn-gcwogc.zn verschlingen. Viel hatte ich schon von den Schrecken, der uuerträglichen Qual der Sommerzeit erzählen hören, wo die Luft schwer und dunstig, alles Laub und Gras verdorrt, kein Tropsen Wasser mehr zu finden, und Mensch und Thier nach einem frischen Athemzuge lechzen. Eicht man Cypern im Frühling, wo Alles grünt und blüht in hundert schönen Farben, so wird es schwer, sich das Aussehen der unglücklichen Insel in der heißen Jahreszeit vorzustellen. ^'Uh rr, Cypcrn. 8 XV. ^5 v r y ch lt. Gegen Abend näherten wir uns dem Gebirge und kamen zwischen die Hügel und Vorbcrge. Die grobe Ebene mit ihrer Weitlichte und Sonucngluth lag hinter uns. Hcllblinkendes Wasser rauschte und plätscherte in allen Tchluchten, und von des ^lympos Höhen zog ein frischco Wehen hernieder, das noch heimathlicher anmuthcte. Unbeschreiblich wohl thaten die kühlen Nergesschatten. Wir nahmen kurze Nast an einem Wald-, ströme, der ganz mit Olcandergcbüsch bedeckt war, unter welchem das Wasser in klaren Wirbeln dahinschoß. Wo aber blieb das viele Wasser? Ich hörte, daß im Gebirge aus jedem Thal ein Fluß oder Bach hervorströme, und meine Handkarte bestätigte es. Doch draußen in der Ebene lagen schon jetzt die' Flüsse ausgetrocknet wie auf einer großen Gluthpfanne. Das befruchtende Naß wird aber alsbald, wenn es das Gebirge verläßt, rechts und links abgefangen und auf die Felder geleitet. Jede Ortschaft läßt weniger Wasser zu der nicderlicgcnden kommen. Hat ein Fluß die Hälfte der Ebene durchmcssen, so ist nur noch ein langsames Vächlein da, welches nach und nach abnimmt, bis der dünne Wasscrfaden ganz verronnen. Nur im Winter und noch zu Anfang des Frühlings kann sich in Eypern Auge und Seele an srischglanzeuder Flußströmung erquicken, es sei denn, man steige ins Gebirge. Und auch in diesem ist das Vette, welches 115 der Fluß zur Regenzeit anfüllt, fünfmal größer, als in der übrigen Jahreszeit. Wir ritten nun eine gute Strecke in dem Flußthalc hinauf, und immer laubiger, hochästigcr und dichtschattigcr, immer mannigfaltiger wurde der Vaumwuchs, dessen Wurzeln vom Flusse das nährende Element an fich zogen. Die Anhöhen und Verghalden aber blieben nackt und kahl auf allen Seiten. Allmählich that sich das Gebirge weiter auf, erwartungsvoll fchaute ich hinein und fuchtc mir über feine Natur klar zu werden. Tagsüber hatte sich vom Olymp nur die oberste Kuppe gezeigt, die weiß über den dunkeln Höheu emporstieg, und ich glaubte, er habe bloß eine Schneekappe auf. Hier aber, wenn das Berghaupt zwischen den anderen Kuppen und Nückeu durchsah, merkte ich wohl, daß die Schnccumhülluug bis tief auf die Schultern hinuntcrhing. Von Alpcnnatur aber war fönst wenig zu fehen. Der Charakter des Mittel-gebirges herrschte entschieden vor, und worin ich mich fchwer hineinfand, das war die trostlose erdige Nacktheit der Berge, ohne daß irgendwo Steilwände oder mächtiges Felsgeklüft hervortraten. Das Wanzenkleid ist für die Crde das Kleid des Lebens. Fehlt es in der Ebene, so sehnt man sich nach menschlichen Ansiedlungen. Das Pflanzenkleid des Gebirges aber sind grüner Wald und grüne Matte: fehlt beides, wird man das Gefühl der Unnatur und Zerstörung nicht los. Noch im Hellen trafen wir in Evrycku ein. Dies ist eines der schönsten und volkreichsten Dorfer auf Cypern, und liegt iu einem lachenden Gebirgsthale, dessen Auen in Fruchtbarkeit fchwimmen. Ringsum steigen Berghöhen empor in malerischen Gruppen. Evrychu liegt 1700 Fuß über dem Meeresspiegel. Es zählt etwa siebenhundert Einwohner, unter denen es aber noch nicht hundert Familienväter gibt, die Steuer zahlen. Zehnmal mehr Menschen könnten in diesem herrlichen Thalc sich ernähren. 116 Das ganze Dorf war, da in der Kirche Abendgottesdienst gehalten wurde, in ihrer Hingebung versammelt. Ich glaube, es fehlte kein Säugling und kein steinaltcs Mütterchen, das sich schleppen konnte. Os war eben eine religiöse Versammlung nn Freien, von deren Heiterkeit ein Jedes seinen Antheil wollte. Doch was war das hier ein ganz anderes Volk, als draußen in der (5'benc und an der Küste! Dort kurze stämmige Gestalten, in deren Gesichtern Staub und Schweiß eingebacken schien: hier die Leute gut gewachsen und wohlgebildet, frische Wangen, eine Menge hübscher und feiner Mädchen. Das ließ sich nicht verkennen: hier im Gebirge gab es, wenn noch irgendwo auf Cyftcrn, Uebcrbleibscl vom alten Griechcnvolte, draußen nur Halbitaliener Syrier und Viertels-Mulatten.- Dort war alle" frühere Bevölkerung weggeschwemmt oder flüchtig geworden: hier im Schutze des Gebirges hatte sich wenigstens ein Theil erhalten. Dieselbe Wahrnehmung drängte sich in den nächsten Tagen auf. So weit das Gebirge ging, glich die Bevölkerung der auf Thasos Samothrakc und andern Inseln, auf denen höchst wahrscheinlich noch ein hellenischer Nest fortlebt, jedoch erschien er auf Cypern gemischter und nicht ganz so fchön und schlank, als ich auf jenen Stätten die Volksart gefunden hatte. Und wie nett und höflich wußten sich die Leute zu benehmen! Wir stiegen vor der Kaffeeschente ab, im Nu war ihr enges Innere dicht gedrängt voll Menschen, während Jene, die nicht mehr hinein konnten, von draußen in Thür und Fenster schauten. Alles aber saß und stand da artig und ehrerbietig, ohne uns nur im Mindesten zu belästigen, ja nur zu fragen. Auch den Frauen und Mädchen brannte die Neugierde in den Augen, aber voll Würde hielten fie sich in größerer Entfernung. Unser deutscher Bauer dagegen ist nur dann höflich, wenn cr's nicht weiß, wenn es ihm nämlich von 117 Herzen kommt. Sonst sitzt und steht cr daher und dcntt nicht daran, vor einem Fremden artig aufzustehen. Bei den Insel-griechcn aber scheint die Höflichkeit wie die ganze äußere Haltung nur wie ein Nachschimmcr uralter feinerer Bildung. Sie kommen einem beinahe vor wie heruntergekommene Leute, die ehemals vornehm waren. Ihrer Höflichkcitsformcn ist Legion. Ist man in einem Hause eine Weile eingekehrt, so kommen junge Mädchen oder Frauen und überreichen mit reizender Geberde einen Apfel: das gilt als Einleitung zu guter Freundschaft. Wenn man «was zu essen bekommt, und sei es auch trockene Speise, wird erst ein Tuch über die Kniee gelegt. Ein Glas Wasser wird auf glatter offener Hand überreicht mit einem Wunsch dabei, der Darreicher bleibt stehen, bis man das Glas zurückgibt, und dann folgt wieder ein Wunsch, daß der Trunk gedeihe. Bei dem Abschiede stehn wieder Frauen oder Mädchen da mit Kohlbecken und streuen Oelbaumblätter und anderes würziges Kraut in die Gluth, damit der augcnchmc Duft und Rauch dem Gaste, den sie förmlich damit anräuchern, ein freundliches Andenken an das Haus hinterlasse. Tausendmal gefälliger und ausdrucksvoller, auch gcfünder als unser lächerliches Hutabnchmen ist der neugriechische Gruß: die Haud auf der Brust mit leichter Vcrncigung. Der unermüdliche Hussein war unterdessen im Dorfe anf der Suche, hatte den vornehmsten Bauer herausgefunden und bei ihm Quartier gemacht. Dieser kam nun mit seinen Schwiegersöhnen heran, mich abzuholen. Sein Anwesen bestand aus drei kleinen einstöckigen Häuschen, jedes mit seinem Dache, die gleichsam zusammengeschoben waren, und aus einigen Stallen und Schuppen, die den kleinen Hof umgaben. Das Beste daran schienen die einigermaßen festen Wände nnd ein haltbares Dach, deren sich keineswegs die andern Wohnungen im Dorfe erfreuten. Die meisten 118 waren und blieben cben nur Nothhütten init Plattdächern, klein und dürftig von Lehm Fachwert und Reisig hergerichtet. Und wie die Hütte, ist gewöhnlich Geräth und Viehstand darin, Alles höchst kleinlich und ärmlich, aufgenommen nur Bett und Leinenzeng. Denn daß dieses gut und ausreichend, darauf halten die fleißigen und häuslichen Frauen. Mein Hansherr hatte vier Töchter, eine nach der andern erschien, alle anmuthig zu grüßen. Man sah es ihnen an, welche Ehre und Freude der Besuch dem ganzen Hause war. Ihre Augen glänzten, und sie tonnten sich nimmer genug thun, um dem Gaste es gut und beanem zu inachen. Auch die beiden Schwiegersöhne kamen, und einer brachte seine Schwester mit, und als ein Anverwandter stellte sich auch der junge Schulmeister vor. Von den Nachbarn aber, die in den Hof nicht hinein durften, wurden die Kinder eingelassen. Lustig und neugierig sprangen sie umher, Alles beschauend und betastend, keines zeigte die mindeste Verlegenheit. Nur Hausherr Schwiegersöhne und Lehrer setzten sich mit uns zum Mahle, jedes der Mädchen aber brachte eine Schüssel oder ein Tischgerät!'. Ich hatte zum Glück die fette Oster-woche getroffen. Es gab Fleisch wie bei unsern Bauern an Festtagen, wenn auch viel weniger, dabei in Mengc gefärbte Ostereier. Das Eiertippcn ging am Tische umher. Man hält seinem Nachbar die Eierspitze hin, während die Hand das Ei umspannt, und sagt „Ehrist ist auferstanden." Der so Eingeladene tippt unter denselben Worten mit seinem Ei darauf. Wenn die Kinder dies Spiel trieben, so schlugen sie kräftiger zu, und wessen Ei dabei zerbrach, hatte es verloren. Gar hübsch war es auch, wenn die Kleinen sich zusammenstellten und mit ihren hellen Stimmchcn ein Osterlied sangen. Da die Namen, mit denen sich die Geschwister anredeten, gar so altgriechisch klangen, so schrieb ich sie auf. Das machte ihnen besondere Freude, denn die Ncugriechen sind auf die 119 kleinste Ehre begierig, gleich wie ein Vogel auf die Kirsche stößt. Der Hausherr hieß Gavril, der reiche Schwiegersohn Kleobulos Christofthagu Gavrilidiö, der andere Eokratis, der Lehrer Michel Ioannidis, die vier Töchter Minerva, Terftsichori, Penelofti, Zoiza, das andere Mädchen Evanthia. Ich habe die Namen hier lediglich nach der Aussprache geschrieben. Wie wäre es möglich, daß diese Namen im VoMmundc so gewöhnlich blieben, wenn sie nicht zugleich mit altgriechischem Stamme forterbten! Als ich, wie in meinen „Griechischen Küstenfahrten" erzählt ist, auf einem kleinen türkischen Kutter den wir gemiethet, mit meiner Frau zwischen den selten besuchten Inseln an der thrazischen Küste umherfuhr, trafen wir aller Orten nur auf altgriechische Personennamen; im weltabgeschiedenen Camothrakc heißen drei arme Hirtenkiuder Hellini, Thespio, Kalliopi. XVI. Bergfahrt. Andern Morgens ließ es mich nicht ruhe»: cm heller, grüner, jubelnder Festtag stand draußen. Bald nach vier Uhr schlich ich mich aus dein Hause und weiter aus dein Dorfe. Wonniger Waldgeruch, eine langentbehrte Würze, wehte mir entgegen. In den Vergen zog und hallte leise der Wind. Prachtvoll standen die hohen Vaumgruftpen mit ihrem reichen Vlättergemisck am blinkenden hinschießcnden Flusse. Trosse! - und Nachtigallenschlag belebten sic. Tie Umzäunungen der Felder bestanden aus fortlaufendem Myrtcngcbüsch. Himmlisch wohl ward mir in dieser Berg- und Morgen-frischc. Es fehlte nur eines, das heilige Rauschen im Walde. Ach hier waren alle Hänge und Höhen erbärmlich abgeholzt. Man sah auf den ersten Blick, es lag da der beste Waldboden, doch nur hochblühcndcs Unkraut und Gestrüpp und Gebüsch und einige schwarze Baumstümpfe ließen sich blicken auf und ab. Als ich zurückkehrte, war es bei der Kirche schon lebendig. Auch an ihr ließ, wie so häufig in Cypern, sich leicht der Kern eines uralten Kirchleins unterscheiden, das später vergrößert wurde, wobei man alles Gewölbe im Spitzbogen setzte. Am Kirchcnwesen nimmt bei den Neugriechen Alles gerne Antheil. Tie Kirche ist ihnen nicht bloß ein religiöses, sondern auck ein geliebtes nationales Heiligthum- ihre Geschichte und ihr ganzes Volkswesen heftet sich daran. Jedoch ein Heilig- 121 thum nach Art der antiken Welt. Denn sie gehen nicht in die Kirche, um die Seele in Gebet und Gesang zu Gott zu erheben oder eine Predigt zu hören. Die orientalische Kirche hat ja keine Predigt, sie hat nur Messe und Sakramente, und die Wort- und Sangbcgleitung dazu machen die Priester in ihren Prachtgcwündern. Für die Gläubigen aber ist es genug, wenn sie durch ihre Anwesenheit und durch Gcberden und Aussprechen einiger Formeln Theil nehmen. Mit einem Wort, diese Art von Gottesdienst ähnelt noch in mancher Beziehung antikem Opferdienst. Ein Volk mit einer Religion ohne feste Dogmen verliert sich im Denken von Vielerlei und Allerlei, und eben deßhalb zuletzt in Denkfaulheit. Ist aber der Dogmcnschatz gar zu unabänderlich, gar zu sehr festgclöthct im Gehirn, so wird das Endergebniß ein ähnliches. Das Letztere ist das Loos der christlich-orientalischen Kirche. Alles ist fest und starr bei ihr, seit mehr als tausend Jahren änderte sich nicht das Geringste in Glauben und Liturgie. Dafür ist die orientalische Kirche auch reiner und schlichter, fast möchte man sagen, evangelischer geblieben, als die römische Papsttirche. Versunken in Simonie und Ceremoniel hat sie gleichwohl sich den einfachen Anschauungen der frühesten Christenheit näher gehalten. Sie besitzt außer den Bischöfen keine aktive und gelehrte Priesterschaft. Vollends bei den Priestern auf dem Lande ist es mit Kirche und Theologie höchst einfach bestellt: sie haben keine Bücher, und leben von dem, was ihre Gemeinde ihnen gibt. Ueberdenkt man, wie viel Nnhcil in der Welt schon schrift-gelchrte und mit festen Einkünften ausgestattete Pricsterschaften angestiftet, fo weiß man in der That nicht, ob für Kirche und Volk nicht evangelische Armuth in Geld und Wissen bei denen, welche dem Altar dienen, das Bessere sei. Hat sich aber die orientalische Kirche nicht weiter mit neuen Dogmen belastet, wie es die Kirche des Abendlandes that, in welcher 122 seit dem dreizelinten Jahrhundert die Dogmenbildung nicht wieder aufhörte, so ist auch bei den Griechen frühzeitig verstummt jener grimmige und tückische Geist der Herrschsucht und Verfolgung, der mit s3 viel Lügen, so viel Blut und Thränen die Blätter unserer Geschichte getränkt hat. Als die Pauli-cianer im Orient so schrecklich ausgerottet wurden, rühmte sich der römische Papst, er habe es angestiftet. Es ist unmöglich, daß im Leben der christlich-orientalischen Kirche jetzt nicht eine Wendung zum Besseren eintrete. Vielmehr die Wendung ist schon ersolgt. Der Schulmeister auf den Dörfern lehrt lesen,' können die Kinder lesen, muß er mit ihnen das Evangelium durchnchmen' dann muß der Katechismus folgen,- dann die Predigt, und dann wird dao milde Feuer echten Christenthums reinigend und beseligend wieder Volt und Familien durchwehen. — Als wir von Evrychu abritten, gab une>, wie es Sitte ist, der Gastfreund mit seinen Schwiegersöhnen das Geleit bis über die letzten Häuser hinaus. Nun ging es lange Zeit dem rauschenden Waldstrom entgegen. Das Thal wurde immer prachtvoller. (5s grüßte die erste Eiche mit jungem Grün. Auch aus den Maulbeerbäumen hatte das Laub noch den ersten gelblichen Schimmer. Frühling lachte von allen Höhen herunter, und unten drängten sich in kühlem Dunkel an das schäumende Gewässer Platanen nud Eichen, Oelbäume und Nadelholz, Myrte und Lorber. Kleine Abhänge erschienen ganz bedeckt mit weißen Lilien. In der Ferne erhoben sick im hellen Morgenlicht Steilhalden und Fclsgehänge, zu denen einzelne Fichten emporkletterten. Immer tiefer zogen wir in die Bergwildniß, in die volle Einsamkeit hinein. Es war eine einzige weite blühende Wildniß, Alles voll Nonne und Größe. Allmählich zog sich unser Pfad an einem breitgcdehntcn Bergeshang hinauf, und als wir in die Höhe kamen, wo es steiler wurde, hatte Hussein den Weg verloren. Wir mußten 123 schrecklich klimmen, mit den Pferden eine schwierige Sache, an Reiten war nicbt mehr zu denken. Der Grieche zog seine drei Thiere, die er hintereinander gefesselt hatte, mit sich fort und muthctc ihnen Unglaubliches zu. Hussein suchte unverdrossen hin und her den Weg, indem er seinen Schimmel-Hengst sorgsam durchs Gestein führte. Mein Dragoman aber, der abgchauste Fünfziger von italienischer Herkunft und französischer Sitte, stieß einen Angstschrei nach dem andern aus. „O mein Gott, mein Gott! Er hat den Neg verloren, ich bin todt, Alle sind wir verloren, alle mit einander!" So ging das in Einem fort, und dann setzte sich Mr. Clemcntin wieder hin und beklagte sein Schicksal, seine arme Frau und Tochter, sein ganzes Haus, und verwünschte die lumpigen Francs, um die er mir gefolgt sei. Die Figur war so kläglich, daß ich mich nicht enthalten konnte, ihm laut ins Gesicht zu lachen. Denn im Grunde war es, hätten wir nur die Pferde nicht mitschleppen müssen, eine Kletterfahrt, wie sie Einen jeden Tag im Gebirge treffen kann. Endlich waren wir oben und hatten den ersichtlichen Weg wieder unter den Füßen. Statt seinen Winduugen zn folgen, waren wir eine Stunde lang gerade auf geklettert: Hussein hatte seine Schanze im Sturm genommen. Wie schön aber, wie verheißend grüßte jetzt ein blendend weißes Schncchaupt herüber, der Olymp! Und als wir noch eine Zeit lang auf dem Bergrücken fortgeritten und höher kamen, da tauchte der weite stille Meeresspiegel auf, und da wallten zur Rechten die blauen nnd bräunlichen Vergzüge bis ans Meer, und drüben jenseits der blauten Seeflächc lief wie eine lange uugeheure Bastion über den Küsten und Vorbergen der cilicische Taurus hin, bedeckt mit hellem Schnee. Das war eine prächtige Rast hier oben angesichts dieser gewaltigen Herrlichkeit, umweht von Frische und Duft und Vergäthcr, — eines der Reisestündchen, wie sie unvergeßlich in der Erinnerung haften. 124 Nun lief unser Weg fast beständig auf lichten Höben hin, und die Aussichten blieben gleich herrlich. Toch nur gar zu licht blieben diese Verge. Das sollte hier alles voll dichter Waldung sein, der schönste Wald im ganzen Orient, so hatte man mir an der Küste gesagt, und wie kläglich war der Anblick! Nur hier und da schien an hohen Punkten noch ein Stückchen Waldung festzusitzen, und auck dort standen die Bäume weit auseinander. Die meisten Halden und Kuppen zeigten bloß niedriges Gebüsch, und vereinzelt erhob sich dazwischen eine Föhre oder ragte dunkel ein Baumstumpf empor, oder lag ein modernder Stamm, dem man die Acste abgehackt. Weit und breit nur die elendeste Waldverwüstung. Vlumcn die Hülle und Fülle, ganze Strecken bedeckt mit Cistrosen,, Hyazinthen, Narzissen — aber höchst selten ein Baum, der nicht angebrannt oder angehauen. Nirgends kam ein Mensch zum Vorschein, nirgends ließ sich flüchtiges HerdcnaMut vernehmen: nackt und todt blieben all diese Bergzügc und Thalungen. Es war nicht anders, als hätte ein großes Kriegs-bcer hier die Waldung ausgerodet und wäre dann fortgezogen mit dem Gebote, hier solle fortan Oedc bleiben und Verwüstung. Ach, auf allen cyprischcn Fluren scheint Stille und Leere so einheimisch, als hätte das Land seine Arbeit in der Geschichte gethan und sei nun im Absterben begriffen! XVII. Auf den Olymp. Als wir uns dem Gipfel des Olymps näherten, wurde der Wald ein wenig dichter. Nun ging der Weg zur Rechten nach dem Kloster Trvoditissa, links öffnete sich ein breites Bergthal, das zum Olymp hinaufführte. Ter erste Weg, sagte Hussein, sei nicht langer als zwei Stunden, zögen wir aber den andern über den Gipfel, so würden wir wohl drei Stunden brauchen. Als der Dragoman das hörte, bebten ihm die Kniee, und mit kläglicher Stimme erging er sich im Ausmalen, wie schrecklich der Aufstieg zu so furchtbarer Höhe. Schluchten gäbe es da und Felsgetlüfte und tiefe Gruben und WindeZ-brausen: er habe davon gehört, wie Viele schon darin verunglückten. Die Nacht werde uns überfallen, und dann sei es vorbei mit dem Leben. Tausendmal besser, erst zum Kloster zu gehen und dort frische Kräfte zu sammeln, dann wolle er morgen früh flink wie ein Vogel mich zum allerhöchsten Gipfel begleiten. Ich erwiederte, es sei erst zwei Uhr Nachmittags, und das; ich morgen weder Zeit noch Lust hätte, den Weg zurück zu machen, und redete ihm ins Gewissen: welche Ehre es sei für ihn und sein Haus, ja, für ganz Cyvern und Italien, wenn er als ein standhafter Dragoman, der bei dem Reisenden aushalten müsse, mich auf den Gipfel des berühmten Berges begleite. Seine Eitelkeit schwankte, doch seine Furcht war augenscheinlich noch viel größer. Während ich mich aber nach dem Herrn und Diener unserer Pferde umsah, war Der 12«^! auch schon eine Strecke fort und rief aus der Ferne.' solch ein schrecklicher Berg stehe nicbt in seinem Vertrage. Da schickte ich den italienischen Halbfranzosen hinter, dein tapfern Zyprioten her und hieß beide mich im Kloster erwarten. Nun allein mit dem braven Hussein, ritt ich in der schweigenden Ocde ohne Weg und Steg zum Berge hinan, und es ging Alles vortrefflich, bis der Schnee anfing. Da wollte mein Pferd durchaus nicht weiter. Wahrscheinlich war ihm der ungewohnte weiße Glanz zwischen den Füßen verdächtig. Kein Schlagen, kein Ab- und Aufsteigen half. Ich mußte es Hussein überlassen, der zu warten versprach, bis ich zurückkomme. So war ich der Einzige, der vielleicht seit langer Zeit auf diesen Berg kam. Bei uns würde er jedes Jahr von vielen Hunderten erstiegen, in Cvpcrn machen sich die Leute so viel Mühe nicht. Sie haben ja ohnehin stets die Augen voll von Prachtschönhcit des Landes, und die im Lande heimische Lässigkeit soll auch den Fremden allmählich fesseln, wenn er nur ein halbes Jahr auf der Insel verweilt. Der Schnee aber war uutcn thauig, von großen und kleinen Bächen durchflosscn, und ich sank ein paarmal ein bis an die Kniee. Weiter oben ging es eine Weile besser, kam aber am letzten Drittel der Berghöhe viel ärger. Denn hier war der Abhang steiler und der Schnee überfrorcn. Auf der harten glatten Kruste rutschte ich mehr als einmal zwanzig schritte, die ich mit vielem Schweiß erklommen hatte, wieder zurück. Zuletzt blieb nichts übrig, als geduldig jeden Schritt aufwärts herrichten, indem ich mit Stock und Fuß erst mehrmal in den Schnee stieß, um eine feste Höhlung zu bilden, in welche sich mit dem einen Bein eintreten ließ, um dann das andere nachzuziehen. So half ich mir in kleinen Zickzacks mühsam weiter, und wie es immer bei solchen Bergfahrten geht, hundertmal ist man dem Verzweifeln nahe und mit 127 einiger Beharrlichkeit kommt inan endlich oben, und plötzlich dringt mit Allgewalt in Sinn und Seele die lichtweitc Aussicht, und Brust und Auge und jeder Nerv fühlt sich freudig erfrischt und gekräftigt durch den Lebensäther, der als Ozon auf Vergeshöhe in den reinen Lüften webt. Tie Aussicht war nun eine der herrlichsten auf der Erde und dabei ganz eigenthümlich. Lypern ist drittgrößte Insel im Mittclmeer, gerade so groß wie das Königreich Württemberg, und diese ganze Insel sieht man unter sich ausgestreckt liegen, gebettet im Wcllenblau wie eine grünliche Perle, und ringsum von allen Küsten sieht man das Meer ansteigen gegen den Horizont, leis emporsteigen gegen den Himmel unabsehlich in stillem blauem Glanz. Im Nordosten aber steht wie ein Allherrscher in blendend weißem Gewände der Taurus und zieht von der cilicischcn Küste in langer Kette bis weit nach Kurdistan hinein. Gegen Südosten dagegen blauet und dunkelt der Libanon. Weil auf der Insel der Olymp an Höhe leinen Nebenbuhler hat, so überschauet man Alles mit einem einzigen Blick. Nur an drei Stellen ist die Aussicht ringsum auf die See vom Gebirge durchbrochen: die lichte Flut schimmert aber um so verlockender durch die breiten Lücken. Bedenkt man nun, wie groß Cypcrn ist — etwa 350 Onadratmcilcn — und aus wie prachtvollen Bergen und Ebenen und mächtigen Vor-sprüngcn die Insel zusammengesetzt ist, und wie hoch und gewaltig drüben in Kleinasien das Alpengcbirg sich vor dem Meere aufrichtet, als wäre es noch stolzer und trotziger als das unermeßliche Mecrgcwoge, so erhält man von der hehren Größe und Schönheit dieser Aussicht eine ungefähre Vorstellung. Ihr Eigenthümliches aber ist der scharfe Gegensatz von ein paar großen Massen, und die Klarheit, mit welcher diese ganz verschiedenen Massen gegen einander abstechen, nämlich 128 das Meer, das schneeige Alpengebirg, und die Insel selbst, die sich wieder ganz deutlich in drei Theile zerlegt, hier das dunkle Gebirg, das die Westhälftc Cppcrns überwallt, dort im Nordosten die lange Bergkette, die in den schmalen Bergstreifen der karpasischen Halbinsel ausläuft, und hell dazwischen ausgebreitet, gleichwie ein ausgespanntes gelblich-bräunliches Tuch, die ungeheure Ebene. Sollten die Höhen, welche ich in den letzten Jahren besuchte, mit bekannten Punkten in Deutschland verglichen werden, so möchte ich die Aussicht vom Ida auf Kreta der vom Watz-mann zur Seite stellen, den Olymp auf Lesbos dem Rigi, Dämonokastro auf Imbros dem Pfänder oberhalb Vregenz, den Olymp auf Cyftern aber noch am ersten mit dem Schafberg in den Salzburger oder der hohen Salve in den Tyroler Alpen vergleichen. Doch wie sehr treten all diese berühmten Höhen zurück gegen die Aussicht vom Pik auf Teneriffa, mit deren Erhabenheit sich nichts auf dieser Erde vergleichen laßt! In dem Büchlein über meine canarischen Reisetage habe ich versucht, jenen Anblick zu schildern. Auf dem cyprischen Olymp wurde ich durch das Ansteigen des Meeres ringsum an das gleichmäßige (imporwallen des Oceans erinnert, wie man es von der Dreizehntansendfußhöhe des Piks übersieht, und auf eiumal faßte mich eine wilde Sehnsucht dahin. Nur noch einmal im Leben möchte ich jenen so ungeheuren und doch so unsäglich schönen Anblick haben. Während ich dorthin gedachte, zog tief zu Füßen in langer Windung eine weiße Wolkenherde aus dem Gcbirg über die Ebene, röthlich beglänzt von der Spätsonne. Zu beiden Seiten des Wolkenzugs erschien die Fläche unten jetzt noch lebhafter gefärbt. An den Nordhängcn des Olymps aber ging vom Vergeshaupt der Schnee tief hinunter, und ich freute mich, daß mein Weg zum Kloster in anderer Nichtung lag. Die oberste Höhe war völlig schneefrei und ich konnte mich 129 nach jeder Weltgegend darauf ergehen. Drei einzelne Gipfel machen sich hier bcmerklich, jedoch wenig von einander verschieden nnd keiner an sich bedeutend. Der mittrlste war nach meiner Messung 6100 Fuß über dem Meere, also nicht 7000, wie gewöhnlich angegeben wird, auch nicht 5897, wie auf der kleinen geologischen Karte in Unger's Buche steht. Ich sah freilich nur auf meine kleine Meßuhr, jedoch hatte sie bisher immer richtig die Höhen angezeigt. Vergebens aber suchte ich nach Ruinen, die auf dem Gipfel des Olympos noch stehen sollten. Grasstellen, Schutt und Gebröckel, niedrige Hügel und Wälle, die aus lose aufgehäuftem Gestein bestehen, und hier und da eine Thonscherbe oder eine Schlacke, die auf früheren Bergbau zurückweist — das ist alles, was man auf der nackten Höhe findet. Auffällig, ja warum soll ich es nicht sagen, etwas unheimlich wurde mir zuletzt die Oede und das eherne Schweigen und die Abwesenheit alles Lebens in weiter, weiter Umgebung. Die Lüfte waren leer, nicht ein Raubvogel hing darin, und unten die Erde erschien noch leerer. Auf all den Wellcnhöhcn und den Thalungen des ringsum ausgegossenen Gebirgs, drüben in der ausgedehnten C'bene, noch ferner an all den Küsten — nirgends tonnte ich eine Spur von Menschenwcrk entdecken. Nur auf den kleinen Vorgebirgen schienen Ortschaften zu liegen, oder ragte dort nur Felsgcstein? Ich mußte mich begnügen, die Linien der schmalen und breitrandigen Halbinseln und vielen Vorgebirge zu verfolgen, die Cypern umstarren. Die rasch sinkende Sonne und etwas Frösteln mahnten zum Rückweg. Bald sah ich Hussein wieder, wie er unten bei den Pferden wartete. Ich schwenkte den Hut, er rührte sich nicht. Durch meinen Feldstecher sah ich deutlich, wie er beständig zum Gipfel hinaufschaute: so klar die Luft und so scharf sein Auge, sein Blick konnte doch die Luftwellen bis zur Höhe nicht durchdringen. 130 Als ich wieder herunter und bei ihm war, mahnte er zum eiligen Abreiten. Es sollten drittehalb Stunden bis zum Nachtquartier sein, aber es waren viel mehr, und es sing schon an zu dunkeln, als wir noch keine Spur vom Kloster zur Trooditissa entdeckten. Damit es schneller ginge, bot Hussein mir seinen Echimmelhengst an, denn er verstand es besser als ich, ein störrisches Reitthier in raschere Gangart zu bringen. XVIII. Oypern im Mterttjmn. Als wir nun in der Dämmerung und Einsamkeit um den Berg zogen und es immer tiefer dunkelte, wollte mich die Vorstellung nicht loslassen, wie selbst auf dem sechstausend Fuß hohen Gipfel dieses Olymps, zu dessen Heiligthum früher die festlichen Schaarcn wallten, nichts vom Tempel und Anbau übrig geblieben, wie sich unter der Bevölkerung selbst jedes Andenken daran verloren und selbst des Berges Name vollständig verschwunden. Von ganz Cypern ist das Alterlhum ja wie abgescheuert. Die wechselnden Zeitläufte der Insel zogen mir im Geiste vorüber. Schon steht Lypern in seinem zehnten Zeitalter: das erste war das vhönizische, dann kam das griechische, dann das persische, das ägyptische, das römische, das byzantinische Zeitalter; darauf das arabische, darauf das fränkische, darauf das vcnetianische: und jetzt muß die Insel schon dreihundert Iahie lang ihre schlimmste Zeit, die türkische, erdulden. Cyperns fiüheste Geschichte ist von grauen Schleiern verhängt. Lüften wir diese ein wenig, so erblicken wir eine große Waloinscl, ganz erfüllt von wogender Waldung. Eine große Stadt zeigt sich an dcr Südküstc. Aus ihrem Hafen stechen langgcschnäbclte kleine Schiffe in See, kühnes neugieriges goldsuchendes Volt darauf, das mit Nuder und Segel wohl Bescheid weiß und keck in die fernsten Meere hinein steuert. Es sind Phönizier, jene große Stadt heißt 132 Kiti, und wir gewahren noch eine Reihe von Ansicdlungen an der Sttdküste. Kiti soll nach der Bibel von Iavhet's Enkel gegründet sein: ans so vornehmem Alterthum ragte bereits das Andenken Cyverns herüber. Syrische Völker waren es, die von der Gegenküste hierher kamen, die üppigen Fluren anzubauen, ans den Prachtwäldern sich Schiffsholz zu zimmern, die Metallschätze aus der Erde zu heben. Korybanten und Daktylen, unter denen wahrscheinlich eine Art von Gewerbs-und Familien-Genossenschaften zu verstehen, bauten die Bergwerke an. Die Industrie Cnperns hatte schon damals solchen Ruf, daß Semiramis sich von Kiti Schisfsbaucr nach dem Euphrat kommen ließ. Mit den Phöniziern kam der Dienst der syrischen Astarte nach Cypern: zu Paphos, Amathunt, Idalion standen ihre Altäre. Wie lag so schön und hochbusig die große grün-schimmernde Waldinscl im Meere da! Alles auf ihr strotzende Fruchtbarkeit, Blütenfelder unabschlich. Aber dann überfiel sie regelmäßig der gelbe Löwe des Sonnenbrands und verschlang das letzte Blättchcn, das letzte grünende Ha'lmchen. War das nicht ein rechtes Ebenbild der Astarte, der üppig gebärenden und erbarmungslos verschlingenden Allgöttin? Cypern wurde ihr berühmtestes Heiligthum. Die Kultur aber der Semiten, die vom Tigris und Euphrat und aus dem Nillandc nach Phönizien und Cypern übersiedelte und hier neue Sprossen ansetzte, traf, als sie weiter nach Nordwesten wanderte, auf die Griechen. Diese, ein frisches geistvolles energisches Volk von arischer Natur, wurden von semitischer Kultur angeregt, befruchtet, unterjocht. Der Rückschlag konnte nicht ausbleiben, er erfolgte im trojanischen Kriege. Die Sage dieses Krieges erfüllt mit wunderbarer Macht Jahrhunderte lang die Erinnerung der Menschen. All die Heerführer und Völker, die am trojanischen Kriege Theil ge- 133 nommen, leben mit ihren Thaten und Schicksalen frisch und anschaulich in der Ueberlieferung fort. Aber wie steht es mit dem historischen Inhalte dieser Sage? Läßt sich etwas anders darin finden, als die ersten Vtriegszüge des Abendlandes nach dem Morgenlandes Etwa als eine längere Neihe Wikinger-sahrten, welche die lanzenfrohen Häuptlinge von den griechischen Küsten nach dem Osten unternahmen, um die reichen Handelsstädte in Vordcrasicn zu plündern. Endlich hatten sie deren Kömgin Troja erobert, vor ihren Mauern waren die längsten und blutigsten Kämpfe geführt worden, und auf den bleichen Gefilden Trojas sammelten sich nun die Schalten und der Nuhm all der Helden, bis ihre Geschichte sich zur schönsten Dichtung abklärte. Alsbald nach dem trojanischen Kriege faßten die Griechen üuch anf Cypern festen Fuß. Es segeln da heran Teuker, Akamas, Demophon, Agapcnor, Kephas, Prarander, und noch eine ganze Reihe von Gefolgsführern aus fast allen griechischen Stämmen. Sie suchen die Buchten ab und, wo das Gestade lockt, treiben sie eilig die waffcnklirrendcn Schiffe ans Land, stürzen in den Wald, hauen Baumstämme, bauen eine Vcrschanzung und erwarten unter Schild und Speer, ob die Landesbewohncr, die in der Ferne sich sammeln, sie angreifen. Nings an der Küste entstand eine der berühmten griechischen Städte nach der andern, und bald gingen die Ansiedler an den Flüssen hinauf uud grüudctcn auch da ihre Wohnsitze und kleinen Staaten. Die Griecken lebten auf Cypcrn noch lange Zeit unvermischt neben den Syriern von phönizischcr und jüdischer Herkunft und theilten erst allmählich ihnen ihre Sprache und Eilte mit, nachdem sie vorher nicht wenig von ihnen angenommen hatten. So konnte man sich lange nicht gewisse Inschriften erklären, die auf Cyvern gefunden worden, und man dachte schon an ein Volt, dao weit älter noch als die Phönizier: erst in den 134 letzten Jahren forschte der deutsche Gelehrtenfleiß es aus, daß die unbekannte Sprache uud Schrift eine griechisch-cyftrische Eigenart sei. Auch Cvperns Göttin der wuchernden Ueppigkeit, die Astarte, verwandelte sich unter der feinen griechischen Bildnerhand in das holdeste Weib, in die Aphrodite. Nun strahlte Cypern über die Mecrcswellen hin wie von hellem Noscnglanz umwebt. Dort wohnte die goldene Aphrodite, umgeben von Vlütengärten und lockendem Waldgrün, in dessen duftigen Tiefen das seligste Glück wohnen sollte, geadelt durch religiöse Weihe. Damals erblühten neun kleine Königreiche, deren Hauptsitze die Städte Kition (Kiti), Salamin, Amathuut, Kurion, Neupaphos, Kerynia, Lapithos, Soli und Chytros waren. Die zahlreichen Flüsse und Bäche, die aus dein Waldgebirg hervorströmten, verbreiteten mit Ihrer Wasserfüllc überallhin Leben und Fruchtbarkeit. An jeder Mündung eines Flusses oder Baches lag eine Stadt oder Ortschaft. Die Industrie stand auf ihrer Höhe, und aus dreißig Häfen liefen Flotten aus, die sich in den östlichen Meeren einen gefürchtetcu Namen machten. Unterdessen haben sich in den Welttheilen, mitten zwischen dcncn Cypcrn liegt, große Reiche gebildet, das assyrische, ägyptische, persische. Jedes trachtet nach der berühmten Insel uud es entbrennen langwierige Kämpfe um ihren Besitz. Im sechsten Jahrhundert vor Christus, als die vorherrschende Sprache noch die aramäische war, unterwarf sich endlich die Insel, um den beständigen Angriffen von außen und den innern Bürgerkriegen zu entgehen, freiwillig der ägyptischen Herrschaft. Als diese aber im Laufe der Jahre zu drückend wurde und des großen Cyrus Name Alles überstrahlte, riefen die Cyprier seine Macht zu Hülfe. Nicht weniger als 150 cyprische Langschiffe dienten Nerzes bei seinem Uebergang über den Hellespont. Nicht lange darauf nimmt Cypern seine Stelle 135 ein in dem großen Nationalkriege gegen die Perser. Die Griechen lassen es sich etwas kosten, die Insel zu behaupten, sowohl wegen ihres Reichthums an Metall und Schiffbauholz, an Früchten und Waaren, als weil sie so vortrefflich gelegen war zum Kriege gegen das asiatische Küstenland. Große Schlachten werden in den cyprischen.Gewässern geschlagen, an der Spitze der Flotten erscheinen die edlen Gestalten des Kimon und des Euagoras. Der Letztere hatte sich zum König von Salamin aufgeschwungen, die Perser fast aus allen Städten der Insel herausgeworfen, uud behauptete Cypern im zehnjährigen Kriege gegen die ganze Persermacht, — ein glorreiches Beispiel, das seines tiefen Eindrucks auf alle Griechen nicht verfehlte. Zuletzt aber behielten die Perser wieder die Oberhand, und eine Auhlcrin in Persepolis tonnte wieder in einer einzigen Nacht den Tribut aller neun cyprischen Könige verprassen. Tann aber tritt hellglänzend im goldnen Waffcnschmuct der große Mazedonier auf die Wcltbühne. Ohne seinen schlauen und gcwaltthätigen Vater Philipp wären die Griechen niemals einig geworden, Sie hatten mit einander verhandelt und gestritten und wieder gestritten und verhandelt, und wären von selbst nimmer fertig und nimmer einig geworden. Jetzt hatte die nordische Macht beides zu Stande gebracht, und jetzt vermochte es Philipps Hcldensohn, daß die griechischen Völker alle sich sammelten zum zweiten großen Heereszug nach Asien. Als Alexander vor Tyrus erschien, sandten ihm die cyprischen Könige von freien Stücken ihre hülfreichen Flotten und Aclagerungsmaschinen. Sie stritten sich, wer am reichsten die festlichen Spiele ausstatten könne, die er zum Nnhm seiner Siege feierte. Einige begleiteten ihn bis zum Indus, wo ihre Baumeister es waren, welche die Flotten ihm bauten, den Strom zu befahren. Der große Eroberer selbst trug einen Degen aus den Werkstätten zu Kition, der wegen seiner Schärfe und Feinheit bewundert wurde. 136 Seit aber des großen Alexander Heerführer Volksführer und aus Generalen zn Königen wurden, war blutiger Streit um die wcrthvolle Insel wieder an der Tagesordnung. Denn wer Cypern besitzt, hat eine Hand in den Küstenländern, und wer die Küsten hat und die Insel nicht, muß immer von Cypcrn her Einfalle befürchten. Zuletzt wurde es der Ptolemäer Eigenthum und blieb bei Aegyptcn zweihundert Jahre lang. Schwer lag auf Cvpern wiederum die Hand der Aegyptcr. Seine Städte und Dörfer zahlten starte Steuer, seine neun Könige sanken zu Schattenfürsten herab, der ägyptische Statthalter zu Salamin herrschte wie ein unumschränkter Monarch. Allein schon bereitet sich das Abendland zum drittenmal zum großen Kriegszug nach Tsten, schon erdröhnt von Italien her der wuchtige Sturmschritt römischer Kohorten. Wo sie einmarschiren, befällt die Prachtblüten griechisch-asiatischer Königshöfe ein Zittern, entblättert sinken sie zn Boden. Vom Recht oder Unrecht aber der Fürsten und Völker ist bei Nömern keine Nede. Das große Nilland wird eingezogen wie ein verfallenes Lehen, und der ägyptische Statthalter ans Cypern abgelöst durch den römischen Prokonsul, der seinen Sitz zn Paphos nimmt. Das römische 3legicrungssystem in den Provinzen unterschied sich eigentlich wenig von türkischer Paschawirthschast. Nur beschenkten die Römer ihre Unterthanen, was die Türken nicht thun, mit höherer politischer Kultur, mit festem bürgerlichem Recht, mit Friede im Innern, mit guten Wegen und Häfen, mit freiem Handel durch das ganze ungeheure Reich, und — was die Türken auch nicht gewähren und trotz aller schönen Versprechungen nnd Anfangsbeispielc nnr in winzigem Maßstab gewähren können — auch der Vewohncr von Cypern hatte im Mmerreich die Möglichkeit, sich durch Fleiß und Genie leicht zu den höchsten Staatsstellen aufzuschwingen. Das Eiland blieb im ganzen Alterthum der Sitz des berühmten 137 Gewerbes, Verg- und Landbaucs, daneben die Heimat aller Wollüste, und so tief auch die Römer in den Ecckel der Cyprier griffen, fo große Reichthümer sie hervorholten, immer blieb noch viel übrig. Zu Ende der römischen Epoche tritt ein merkwürdiges Er-eigniß ein. Eine alte Erfahrung, die des Unheimlichen genug enthält, lehrt uns, daß die Instinkte der Wollust, der Grausamkeit, der mystischen Frömmigkeit so ineinander verwachsen sind, als hätten sie nur eine gemeinsame Wurzel. Auf Eppcrn konnte dies Naturgesetz sich an einem ganzen Lande bewähren. Vor den Astarte-Mystcricn, in welchen grauenhafte Lust und Blut und Verderben gemischt sind, schließt man gern die Augen. Und siehe da, die düstere Nstartc wurde unter den Händen der feinen Griechen zur blanken schaumgeborenen Göttin, der Dienst aber der cyprischen Aphrodite behielt noch genng und übergenug bei von dem Kultus der allüvvigen, allverzehrenden Götter- und Menschenmuttcr. Jetzt verwandelte sie sich zum drittenmale. Wie nennt heutzutage das Volk auf Cyvcrn die Muttergottes, die Panagia? Ganz einfach wie die „Avhroditissa". Noch heutzutage ist sie dort auf den ältesten Bildern die schwarze Muttergottes und trägt die finstern Gesichtszüge, und wird ihr auf den gold- und silberblitzcndcn Bildern das Gesicht verhüllt, gerade wie im Alterthum der große schwarze Meteorstein, das Idol der Astarte-Venus, von den Priesteriuneu feierlich umhüllt wurde. Was aber sollen wir denken, wenn aus den Erdschichten, auf welchen sich einst die eyprischen Venustemvcl erhoben, Mittergottcssigürchen hervorkommen? Man betrachte znm Beispiel die fünf im Thronsessel sitzenden Göttinnen mit dem Kinde auf dem Schooße, die aus den Gräbern von Idalion stammen und in der Ambraser Sammlung in Wien verwahrt werden. Hier hat zwar die Göttinmutter durchaus antiken Charakter, und doch ist jede der fünf bereits eine fo voll- 138 ständige Muttergottes in christlicher Weise, daß man unwillkürlich an Fälschung denkt. Tie Umwandlung der Aphrodite in die Afthroditissa erfolgte schon in den ersten Zeiten des Christenthums. Die alte Buh-lerin Cypcrn wnrde eine seiner erstgcbornen bußfertigsten Töchter. Das Indeuthum aber, längst knirschend vor Wuth in der römischen Steuerpresse, gerieth jetzt, als anch die christlichen Ideen zersetzend in seine Poren eindrangen, in Lypcrn wie in Palästina in Grimm und Verzweiflung. Die zahlreichen Juden auf der Insel rotteten sich zusammen, bildeten ein furchtbares Heer unter Actemius Führung und erschlugen, wie erzählt wird, an 250,000 Menschen, auch ein Beweis, wie reichbeuölkert die Insel damals war, während sie jeht nach solch einem Verluste plötzlich so menschenleer würde wie Grönland. Seit jenem fürchterlichen Blutbadc dnrfte kein Jude mehr auf Cyftern wohnen. Um fo rascheren Fortschritt machte jetzt das Christenthum: in turzer Zeit waren dreißig Bisthümer da, die Insel wnvde ein rechtes Heiligenland. Äarrabas, Lazarus, Heraklides, Marion, Spiridion, Efti-phaueo, Johannes Lampadista, Johannes der Almoscnier, Katharina, Akona, Maura und noch eine lange Neihe von Heiligen stehen im Kalender, die alle ans Cypern. XIX. Mttelalter und Keuzeit. Auf die römische Epoche folgte das langsame einförmige Hinsiechen im byzantinischen Staatswesen. Die Insel wurde meistens von einem Militär- und Civilgouverneur verwaltet, doch waren öfter beide Eigenschaften in den Händen eines Satrapen vereinigt, welcher den Titel Herzog oder Katapan (der über Alles gesetzt ist) führte. Dieser trachtete dann, die fürstliche Würde in seinem Geschlechte erblich ,^u machen. Gelang es, so folgte in der Regel ein Versuch, die volle Unabhängigkeit zu erwerben. Denn gestützt auf seine Lage und den Reichthum seiner inneren Hülfsmittel erschien Cyftern wohl zur Unabhängigkeit berechtigt. Sie dauerte aber stets nur so lange, bis die kaiserliche Macht wieder erstarkte, die Flotte von Konstantinopel herbeisegelte nnd ein Heer ans Land setzte, welches den Aufstand niederwarf und bestrafte. Das vierte Jahrhundert, als (5ypern dem politischen und wirthschaftlichcn Verderben gemach in die Anne sant, war durch großes Landes-unglück bezeichnet. Erdbeben erschütterten die Städte. Wiederholt trat schreckliche Dürre ein: einmal soll es dreißig Jahre lang nicht geregnet haben. Als die Einwohner aus dem todtgeweihten Lande flüchteten, erschien die h. Helena, und wo sie herzog, floß nach der Legende wohlthätiger Regen nieder und belebten sich Städte und Möster wieder von zurückkehrenden Einwohnern. Von der Mitte des ?. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts 140 war cine Zeit schrecklicher Verwüstung durch Menschenhand. Schwärme von kleinen schwärzlichen Segeln zeigen sich vor den Küsten, blitzschnell sind Seeränber gelandet, werfen Feucr-brände in Städte und Dörfer, und während Alles schreit und flüchtet, greifen sie nach Geld und Frucht, nach Vieh und Menschen, und schleppen den Naub in ihre Schisse. Nasch, wie sie kamen, sind sie wieder davon. Vergebens trachtet die Regierungsflottc, sie zu verfolgen. Im inscl- und hafenreichcn griechischen Meer finden die Seeräuber bald hier, bald dort ihre Schlupfnester. Man weiß sich nicht anders zu helfen, als auf vorspringenden Punkten der Küste, wo sich auf und ab weithin schauen läßt, Thürme zu bauen und Wächter aufzustellen, die auf ihrer Höhe Feuer und Rauch anfachen, sobald fie Verdächtiges auf dem Meere erblicken. Tann flüchten die Leute mit ihren Rindern und Hccrdeu und ihrer besten Habe ins Innere, und wagen sich nicht eher wieder hervor, als bis die Kundschafter zurückkehren und sagen, die Küste sei wieder rein. Bald aber kamen schlimmere Räuber. Jene trachteten nur nach dem, was sich rasch fortschleppen ließ: diese sind Landräuber. Jene schlugen nur nieder, brannten nur weg, was sie hindern wollte: diese zerstören aus Instinkt und treiben die Menschen scharenweise in die Sklaverei. Es sind die Araber. Aus ihren Sand- und Fclswüstcn bringen fie einen grimmigen Haß mit gegen die Kunstwerke der alten Kultur und suchen sie dem Erdboden gleich zu machen. Jetzt erst fallen auf Zypern die alten Tempel und Staatsgcbäude, die noch aus der griechisch-römischen Zeit aufrecht standen. Tic Araber wollten ihrer neuen Religion, ihrem neuen Staatswesen Platz machen: sie brauchten dazu nackten Erdboden. Von Konstantinopcl aus machte man die äußersten Anstrengungen, die reiche Insel wieder zu erobern und zu behaupten. Auö Verzweiflung gab einmal der Kaiser Befehl die ganze Bevölkerung folle Cypern verlassen. Endlich, endlich hörte man das arabische Geheul 141 nicht mehr in den Lüften, die Bevölkerung sammelte sich wieder zuerst in den Ebenen und Küstenstädtcn, allmählig wurde es auch im Gebirge wieder lebendiger. 3luf diese Araberzcit folgte wieder eine ruhigere, iu welcher stch die Insel erholen konnte. Wäre nur die nachlässige, aussaugende, tückische Negierung der Byzantiner nicht gewesen! Sie dauerte mich noch ihre zwei Jahrhunderte. Wiederholt suchte sich Cyvcrn aus den Banden zu befreien, die seine Lebenskraft umschnürten. Es war vergebens. Die Insel blieb hineingezogen in das leise Absterben, welches das Schicksal aller byzantinischen Provinzen war. Lernt man das weströmische Naubsystem und die ganze Elendigkeit Ostroms näher kennen und erwägt dabei, daß das griechische Volk dreizehn Jahrhunderte lang solche Regierungen ertragen mußte-, daß unterdessen so viele Völlerstürmc der Germanen Slawen Araber und Turanier sich verwüstend über seine Fluren wälzten, wahrlich, dann muß man den unverwüstlich guten Kern anerkennen in diesem Volke. Es ist ein Wunder, das; so viele Jahrhunderte voll Truck und Naub und Jammer nicht noch mehr daran verdarben. Wir stehen am Ende des 12. Jahrhunderts. Das Abendland hat sich zum viertenmal gesammelt zu großen Kriegsfahrten nach dem Osten. Frankreich und Teutschland stehn an der Spitze der Krcuz-züge, Italien und England helfen. Seit fast hundert Jahren ist Cyfterns Gegenküste von Eilicien bis Aegypten wieder christlich geworden. Mittelpunkt ist das Königreich Jerusalem, seine Lehensreiche sind die Fürstenthümer von Tripolis Edcssa Antiochien, die Herrschaften Eäsarea Beyrut Sidon Tyrus. Nur Zypern wird noch im byzantinischen Banne gehalten. Da kommt Richard Löwenherz: gleichwie auf wildem Iagdritt erobert er die Insel und tritt sie an die Lusignans ab. Eypcrn hat wieder seinen eigenen König. Da verbreitet sich wie mit 142 einem Schlag neue Rührigkeit, neues fröhliches Schaffen über das ganze Land. Gewaltige Burgen, Abteien mit prachtvollen Hallen, die schönsten gothischen Dome steigen empor unter Cyperns veilchenblauem Himmel. Die Abhänge bedecken sich mit Wein- und Baumgärten, die Felder mit Saaten und Pflanzungen von lohnenden Gewächsen. Reiches Gewerbe, ein Handel übers ganze Mittelmccr belebt die Städte. Famagiista und Limasol stellen sich in die Neihc der großen Seestädte. Die schönsten Zeiten des Alterthums verjüngten sich. Seit mehr als anderthalb Jahrtausend abhängig von Memphis, von Persepolis, von Alexandricn, von Rom, von Konstantinopel, erlebt Cyvern wieder dreihundert Jahre der Selbst-ständigkeit, der Vlüte, des hohen Ruhms. Es erhält seinc neue herrliche Hauptstadt' ja, als das heilige Land verloren geht, nimmt es dessen Ritter und ihre Gesetze auf und wird einigender Mittelpunkt, wird zur strahlenden Krone eines Kranzes von fürstlichen Reichen, als da sind die Königreiche von Jerusalem und Armenien, die Fürstenthümer von Tyrus und Antiochicn, das lateinische Kaiscrthum zu Konstantinopcl, die Herzogthümcr von Lesbos Salonichi Morea und andere mehr. 0'yperu theilt ihnen sein Recht, sein Staatswcscn, seine Unternchmuugen mit: sie alle richten die Augen auf diese Insel. Gleich wie sie zur Zeit des Kimon und Euagoras das große Arsenal wurde, wo Griechenlands Flotten und Heere sich sammelten und ausrüsteten, um die Perser zu bekämpfen, so wurde Cypern jetzt der Christenheit Schild und Schwert. Cypern strahlte über die Gewässer bis an die fernsten Küsten als Prachtblüte, als das rechte Ideal der cnropäischen Ritterschaft. Von hier aus wurden die Ungläubigen unaufhörlich und lange Zeit siegreich bekämpft, wo immer sie sich niederließen in den langen Küstenstrecken von Smyrna bis nach Alerandrien. Diese herrlichste Zeit aber ward über (5ypcrn heraufgeführt 143 nicht mehr durch seine eigenen Einwohner, sondern durch die Ritter und Mönche und Städter, die aus dem Abendlandc heranscgelten und ihre Kenntnisse, Thätigkeit und Erwcrblust mitbrachten. Als die schlauen Venetiancr die Insel zn Ende des Mittelalters unter ihre Herrschaft brachten, sank sie wieder herab zu ihrer früheren Bestimmung. Lie wlirde wieder, was sie zur Zeit der Perser und Aegypter, der Römer und Byzantiner gewesen, Geldtruhc uud Kornkammer eines fremden Volkes. Schlauer als von Vyzanz, unbarmherziger als von Rom aus wurde jetzt Lypcrn von Venedig aus regiert. Die ganze Bevölkerung verlor ihr ritterliches Aussehen und versank in das weichliche und stumpfsinnige Wesen, das sie seitdem nicht wieder abgeschüttelt hat. Venedig bewirthschaftete die Insel einfach als ein großes werthvolles Pachtgilt, von welchem man möglichst reichen Ertrag haben wollte. Tie drei Laudesregcntcu, die beiden Schatzkämmerer, der Proveditorc mit seinen tausend Älbanesen, und die Kapitäns mit ihrer Kompagnie in jedem der zwölf Distrikte sorgten dafür, daß Ruhe nnd Ordnung herrschte, daß die Felder und Gärten wohl angebaut wurden, daß die Steuern regelmäßig eingingen. Nach Abzug aller Unkosten lieferte Cypern einen Reinertrag von einer Million Goldthalcr jährlich nach Venedig, und als der Snltan Aegypten erobert hatte, mußte außerdem die Insel für ihn noch jährlich einen Tribut von 600,000 Goldthalern aufbringen. Damit aber die italienischen Beamten nicht zu vertraut würden mit der Bevölkerung, wechselte man sie alle zwei Jahre. Die Insel bringt jetzt ihren Beherrschern höchstens etwa 7 Millionen Mark, eine winzig kleine Summe im Verhältniß zu den Einkünften der Venctiancr. Dercn Nachfolger bedürfen freilich auch nur 800 Mann, die in fünf Städten vertheilt liegen, um die ganze Bevölkerung in Zaum und Zügel zu halten, so sehr ist sie zusammengeschwundcn. Die 144 Venetianer hatten nämlich noch keine hnndert Jahre regiert, da wurde Lypern von den Türken erobert. Sofort verlor es an Freudigkeit, an Bevölkerung, an Selbstbewußtsein. Industrie Handel Ackerbau Vergbau Salzbercitung, Alles ging unaufhaltsam zurück. Und als hätte sich auch die Natur zum Unheil verändert, so fiel jetzt eine fürchterliche Geißel mit unaufhörlichen Schlägen auf das arme Land. In den Wüsteneien, welche der zurückweichende Anbau entstehen ließ, vermehrten sich die Heuschrecken und traten von da aus ihre gräßlichen, jedes VIatt und jeden Halm verzehrenden Wander-zügc an. Noch viel schwerer, als dieses Unglück, wiegt die fort und fort gehende Waldverwüstung, welche selbst das Gebirge bald ganz zu nackten Höhenzügen gemacht hat. In natürlicher Folge fließen Ströme und Bäche stets geringer und nimmt die Trockenheit zu und das anbaufähige Land ab. Solche Verluste dauerten jetzt gerade 309 Jahre, und jedes folgende Jahr ist schwerer, räuberischer, unheilvoller, als das vorhergehende. Cyftern glich, seitdem die Türken darüber kamen, einem Thier, dem gewaltsam der Rückgrat verrenkt und zerbrochen ist- es lebt nur so dahin. Auch ihre kleinen Moroseste haben die Türken auf dieser Insel gefeiert. Denn — so denken sie — eine vollbrachte Thatsache hat immer Verstand: die Todten beißen nicht mehr, und wer noch lebt, den lahmt heilsamer Schrecken. Gegenwärtig ist in Erpern, einige wenige Familien ausgenommen, jeder Sinn des Aufschwunges gelähmt, erloschen jede höhere sittliche Kraft, nichts rührt sich mehr in den Geistern und Armen. Erst in unseren Tagen belebte sich, jedoch hauptsächlich durch fremde Hände und Einwirkung, Handel und Anbau wieder etwas ani Meercsrand der so reichen, so schönen, so unglücklichen Insel. Wird nicht bald das Abendland sich aufmachen, um Rettung zu bringen? Will man etwa den Orient den Russen zum Raube lassen, die wohl Beruf haben, im weiten 145 Asien unter halbwilden Völkern eine große Kulturmission zu vollziehen, niemals aber in Ländern, in welchen ein so viel höher gebildetes Volk lebt, als sie es sind und der großen Masse nach kaum jemals werden. Wenn wir nun auf Cyperns Geschichte zurückblicken, welcke ungeheure Schicksalswechsel erlebte die Insel in etwa viertausend Jahren! Und was bedeuten viertausend Jahre gegen fünfzig- und hunderttausend und mehr Jahre, welche die Erde doch wohl noch ausdauern wird! Denn aus welchem Grunde sollte sie schon früher unbewohnbar werden? Und wie wenig bedeutet erst in solchen Zeiträumen ein ganzes Volksleben? 2o viel als das winzige Fünkchen eines Menschenlebens, als diese große Insel selbst nur ein Pünktchen im Weltall ist. Was ist hier Zeit, was Größe? Hier in diesem Ozean des Daseins, wo Alles unendlich, Alles unermeßlich ist! Löher, Vypcni, 10 XX. Irooditissa. Das Stolpern des Pferdes riß mich aus meinen Träumereien, denn cs ging rascher abwärts und war dunkle Nacht geworden. Der Weg zog sich, wie es mir vorkam, um scharfe Felsuorsprünge und wandte sich hin und her und steil hinunter. Ich folgte Hussein, der auch nicht abstieg. Auf einmal aber sah ich ihn nicht mehr und wollte mein Hengst nicht weiter. Das Pferd stand und tastete und stampfte, bis ich nach Hussein rief: dieser kam, sprang ab und mit einem Schreckensruf herzu und riß uns an den Zügeln rückwärts. Mit ein paar gewaltigen Sätzen bergaufwärts erreichten wir wieder den rechten Steig, von welchem ich in der Dunkelheit abgekommen, um, wie der Zaptieh mir anderen Tags zeigte, gerade auf den Absturz einer Felswand hinzureiten, an deren Rande sein kluges Thier still gehalten. Nun ging es noch eine lange Weile schroff abwärts, so daß ich mir die Lage des Klosters unten vor steiler Berghohe dachte. Endlich hörte das glicder-erschütterndc Stürzen und Schurren des Pferdes auf, wir waren in einem Thalc dicht am rauschenden Flusse und sahen in der Ferne große Lichter. Das mußte das Kloster sein. Als wir näher kamen, waren es Feuer, die nebenan jenseits eines Flusses auf freien Plätzen in einem Dorfe brannten und malerisch Hcllschein und Schlagschatten Zwischen die Hüttcn warfen. Um hin zu kommen, brachten wir die Pferde in das rauschende Gewässer hinein, das von hohen Bäumen umstanden 147 war, konnten aber, weil das jenseitige Ufer viel zu hoch, nicht wieder heraus, und ritten nun in dem Strome auf und ab und schrieen uns fast heiser, weil Niemand kommen wollte, uns zu helfen. Zuletzt gab man von weitem den Bescheid: wir müßten wieder zurück, das Kloster Trooditissa liege höher, jedoch sei es nicht weit bis dahin. Also ritten wir des Weges zurück. Aber wie und wo wir schauten, weder im Thal noch auf den nackten Höhen, wollte sich irgend etwas zeigen, was Umrisse von Gebäuden hatte. Im Suchen danach waren wir schon wieder eine Strecke denselben Berg hinaufgekommen, welchen wir vorher nicdcrgcrutscht. Fluchend und mit wüthenden Schlägen — es war ja nicht sein Schimmelhengst — ritt Hussein eilends zurück, und natürlich mußte ich hinter ihm drein, wollte ich nicht die Nacht an dem heillosen Berge umherziehn. Als wir nun wieder zu der Stelle kamen, wo die Osterfeuer brannten und die Strömung dazwischen lag, da rief Hussein ins Dorf hinein: man folle auf der Stelle mit Fackeln kommen, uns zu leuchten. Niemand erschien. Vergebens suchte er aus dem Wasser auf das Ufer drüben hinaufzukommen. Die Feuer brannten in der stillen Nacht, als wären sie sich selbst überlassen. Eines erlosch. Noch immer ließ sich drüben Keiner blicken. Da erklärte der Zaptieh, schreiend aus Leibeskräften: „Er habe auf des Pascha Befehl eine hohe Perfon heute noch auf das Kloster zu führen, und weiche nicht mehr von der Stelle. Komme Niemand, den Weg zu zeigen, so werde der Pascha Mann für Mann im Torfe Herberg und Buße zahlen lassen, oder ihm das Haus über dem Kopfe zusammenreißen." Das half. Zwei Männer mit Fackeln zeigten sich und schritten vor uns her. Sie erzählten, daß vor etwa zwei Stunden em fremder Herr, der aber ganz gut Griechisch gesprochen, mit einem Diener da gewesen und ebenfalls einen Führer zum Kloster genommen. Das konnte tein Anderer 148 sein, als mein sauberer Herr Dragoman, und ich meinte schon das Geknatter seiner französischen und italienischen Flüche und Stoßseufzer zu vernehmen, die er in Nacbt und Aengsten aussticß. Als unsere Fackelleute erfuhren, daß ich oben und allein auf dem Berggipfel gewesen, meinten sie, ich könne von Glück sagen, daß es noch so gut abgelaufen. Denn der Berg fei Wohnort fcindfeliger Geister. Habe doch, wie sie sagen gehört, selbst die Aphroditissa dort nicht ausdauern gewollt, und sei ihre Kirche deßhalb mit dem Kloster vom Gipfel tiefer ab gelegt. So muß nun der edleVerg, in dessen reinen Lüften Zcn?, der Vater alles Lichts und Segens, verehrt wurde, in der Menschen Vorstellung verfinstert sein von allerlei tückischen Unholden. Ich wundere mich nur, daß sie den Olymp, statt Troodos, nicht auch Dämonokastro nannten, wie den höchsten Punkt auf Imbros, wo sick die wundervolle Aussicht bietet, die ich in meinen „Griechischen Küstenfahrten" befchrieb. Freilich ging es einst in Deutschland nicht anders her. Die göttlichen Wesen, die unsern germanischen Vorfahren heilig waren, verwandelten sich in fürchterliche Riesen und Kobolde. Die Menschen müssen einmal des Nächtlichen, das düster in ihrer Seele wohnt, sich entlasten, indem sie es herausgestaltcn zu unheimlichen Geschöpfen. Haben doch selbst die feinfühligen Griechen ihre Götter umhüllt mit einem dunkeln Gewölk von Sagen und Geschichten, von denen im Grunde die eine immer kläglicher und lächerlicher ist, als die andere. Mir sollte aber der cyprische Olymp auch ohne Fabelwesen noch schrecklich genug werden. Das Dorf Fini, von welchem wir kamen, liegt ziemlich tausend Fuß tiefer als das Kloster der Trooditissa, und der Weg geht steilauf und oft zwischem rauhem Gestein. Nachgerade fühlte ich mich doch wie gerädert in allen Gliedern und wollte etwas rasten. Hätte ich eine Ahnung gehabt, daß dies derselbe Weg sei, der uns in 149 die Tiefe geführt, und daß cr fo furchtbar lang sei, länger als eine Stunde, so wäre ich tausendmal lieber in der elendesten Hütte des Torfes geblieben. Aber solch ein türkischer Zafttich kennt kein Erbarmen. Immer wieder trieb cr die Leute zur Eile an, und mir blieb in der pechfinstcrn Nacht nichts übrig, als mich willenlos dem Instinkt meines guten Schimmelhcngstes zu überlassen, indem ich nur darauf Ve-dacht nahm, mich möglichst fest im Sattel zu halten. Wie dankte ich dem Himmel, als wir endlich gegen eilf Uhr vor der Klosterpforte anlangten! Auch hier brannte ein Osterfeuer zwischen den Gebäuden. Es wurde die ganze Nacht bis gegen Sonnenaufgang unterhalteu: ein paar Baumstämme lagen brennend übereinander, und war das Ende aufgelodert, wurde der Nest sorgsam näher in die Glut geschoben, damit das Feuer vor Sonnenaufgang nicht erlösche. Im Orient besteht ja bei allen Religionen ein guter Theil in äußerlichen Uebungen, gerade wie in der Heidenzeit. Des Gesetzes Beobachtung ist nöthig und nicht die Gesinnung. Man führte mich in einen Raum, der mit einem Stalle abschreckende Aehnlichkcit hatte, es war aber das beste Gemach im Kloster. Kaum war ich an den Vohlentisch getreten, erhob sich Herr Clcmcntin von seinem Lager und fing fogleich an, in jammervollen Tönen die Schrecken und Leiden zu schildern, die er auf seiner Irrfahrt im trostlosen Gebirge erduldet. Und hungrig sei cr auch noch: die Mönche hätten ihm nichts zu essen gegeben, als klitschiges Brod, in welchem die Zähne hängen blieben. Für mich brachte nun ein Mönch ihr Oster-essen. In einem kleinen irdenen Napfe, der von Schmutz starrte, lagen kalte Rüben und ein Stück gekochtes kaltes Rindfleisch. Der Magen wandte sich mir um. Doch zum Glück erschien auch der Klostervorstehcr und hatte Erbarmen. Er ließ uns ein paar Eier sieden und Wein kommen. Der Wein war tre'jlich und löste die Zunge, die beiden Mönche 150 wurden redselig, wir stießen an, und siehe da, noch in tiefer Nacht entwickelte sich ein hübsches kleines Gelage. Der Wein hatte rasch die Müdigkeit verscheucht und kräftigte Geist und Glieder in wunderbarer Weise. Es war „Schwarzer" (Mavro), ein sehr dunkler Nothwein, aus dem Torfe Fini unten am Verge, wo zwar kein Lommanderia, aber doch ein höchst kräftiger und feiner Wein angebaut wird. Wiederholt machte ich auf Cyvern die Erfahrung, wie wunderbar nach Wegesmühn ein Gläschen Commanderia stärkt, und ich glaube gern daran, wenn es in Cupern heißt: bei jeder innern Krankheit sei der alte gute (iommandcriawcin die beste Medizin. Andern Morgens früh ließen mich die Glocken, die in dem niedrigen Gebäude dicht über meinem Haupte erschollen, nicht mehr ruhen. In der Kirche sangen schon die Priester, und auf dem kleinen Klosterhofe standen die Männer mit Lichtern, denn das Kirchlein hätte nicht den dritten Theil gefaßt. Die Frauen hielten sich mehr zurück. Als das Hochamt zu Ende, setzten sich die Frauen und Mädchen unten im Hofe auf Aaumstämme und tonnten essen, was sie sich selber mitgebracht. Die Männer aber stiegen die Stufen hinauf zu einer Art offener Galerie, die roh und fest aus hölzernen Stämmen gebaut sich vor dem Kloster hinzog, und reihcten sich auf Bänken. Die beiden Mönche, mehr waren nicht da, kamen mit Krugen und Körben, jeder Mann küßte ihnen die Hand, erhielt ein Leintüchlein über die Knie, und Arod und >tase und Wein zur Genüge, und zuletzt eine Tasse Kaffee. Unter den Frauen bemerkte ich mehrere, wenn auch von derber Vildung, doch mit klassischen Zügen. Zwei Mädchen aber hätte auch jeder Künstler für wahre Schönheitspcrlen erklären müssen. Alle aber wußten sich mit Anstand und natürlicher Würde zu benehmen. Während mich das alles vergnügte, ließ sich noch ein dritter alter Mönch herbeitragcn. Der Aermste litt große Qual an 151 einer Veinwunde und sichte den Fremden um Hülfe an. Die Wunde war gräßlich roh behandelt, und da ich früher einmal an einem Verwandten etwas Aehnlichcs gesehen, so zeigte ich ihm, wie man Eharpie mache und auflege und die Wunde reinige. Dann ließ ich reines Ziegentalg schmelzen, holte aus dem halb verwilderten Garten Wegebreitblättcr, ließ sie etwas klopfen, und legte ihm die Salbe auf und darüber die Blätter. Die Kühlung that ihm augenscheinlich wohl, der Glaube half mit dabei. Tann trat ich, v*on den München gefolgt, in die Kirche. Eie war, wie alle Klosterkirchen auf Eypern so uralt, daß man sich darin in die ältesten Zeiten zurückversetzt fühlte, wo das Christenthum zuerst feine Strahlen über dieses Waldgebirge fallen ließ. Das Kirchlein bestand aii5 drei Spitzbogcnhallen hinter einander, mit einem Dachfirst darüber. Gegenüber stand ein altes roh aufgemauertes Gebäude mit ein paar elenden Dachkammern, und daneben ein ähnliches Vauwerk. Das war das ganze Kloster. Wollte Einer acht Tage da bleiben, so mußte er erst von den Mönchen das Fasten lernen, sie sind nicht besser daran, als arme Banern auch. In ihrem düstern Heiligthum aber bewahren sie eine große blitzende Kostbarkeit: das ist ein fünftehalb Fuß großes und drittchalb Fuß breites Vildniß der Mutter Gottes, in Gold und Silber getrieben und die stopfe von Mutter und Kind auf Elfenbein gemalt. Als ich die Verhüllung, die beständig über dem Antlitz der Maria liegt, etwas lüften wollte, fuhr mir ein Mönch entsetzt in den Arm. Ein breites Band mit zwei großen Silberbuckeln hängt daran, und in den Buckeln ist der russische Doppeladler cingegrabcn mit der Jahreszahl 1799. Also schon damals wollte sich die kaiserlich russische Frömmigkeit hier ein Andenken stiften. Es war das recht gescheit von ihr,' denn etwas von der alten religiösen Anziehungskraft des olympischen Berges hat 152 die Troodos Panagia, die Trooditissa, bewahrt. Sie besitzt großen Ruhm in Heilung von mancherlei Unglück und Krankheit. Deßhalb ist das Kloster ein vielbesuchter Wallfahrtsort von fern und nah, und die armen Mönche hätten nichts zu beißen und zu brechen mehr, wenn die Pilger ein Jahr ausblieben. Denn fclbst arbeiten und Nahrung fchaffen, wie unfere alten Benediktiner, wie follte das den heiligen Leuten beifallen! Sie besaßen etwa anderthalb Stunden entfernt noch ein Nebenkloster, die Panagia tu Troodos, konnten es aber nicht mchr mit Leuten Gottesdienst und Anbau versehen und müssen ruhig zuschauen, wie es in Ruinen und Verwilderung verfällt. O, diese Zeit! Selbst gegen die uralten Klöster auf Clipern geberdet sie sich feindlich. Vci dem Abreiten erschien wieder der alte Mönch mit der Vcinwunde. Er winkte mich heftig zu sich heran, siel mir um den Hals, und unter Thränen küßte und segnete er den wohlthätigen Fremden. Nun ritten wir den Berg wieder hinunter, der mir am vorigen Abend so viel zu schaffen gemacht. Tas Kloster liegt schon zweitausend Fuß tiefer, als der Gipfel des Olymp: bis wir aber zum Torfe Fini kamen, brauchten wir fast eine Stunde. Ich entsetzte mich, als ich sah, wie ich im Dunkeln haarscharf an Abgründen vorbeigekommen. Eine so halsbrechende Fahrt mochte ich doch nicht im Sattel machen, Hussein aber dachte nicht ans Absteigen. Ein türkischer Zaptieh besteht rein aus Leichtsinn Kraft und Kühnheit, und doch bricht selten einer den Hals. XXI. B i l d n i ß. Ich wollte nun die wilde Einöde des Gebirges durchmessen bis zum Kloster Chrysorogiatissa: es sollten bis dahin sieben oder acht Stunden sein. Wir brauchten aber fast den ganzen Tag dazu. Vor dem Torfe Fini wendete sich der Weg und nicht lange darauf nahm ein prachtvolles Thal uns auf, umstarrt von braunen und röthlichen Bergen, aus deren Nacktheit die Felsen hervorbrachen. Tie Bäume blieben, wie am Tage vorher, in weiten Zwischenräumen über die Abhänge verstreut. Es erinnerte mich an die „offene Prairie" im amerikanischen Westen, wo alle hundert oder dreihundert Schritte ein Baum steht. Dort aber dienten sie zum Schmuck der Landschaft, hier erweckte ihr ärmlicher oder halb zerstörter Zustand nur zu häusig das Gefühl des Aergers und Mitleids. W begleiteten uns aber beständig, wenn auch vereinzelt, Seestrandskicfern, welche bis zu viertausend Fuß Höhe emporsteigen. Nur an den obersten Berqkämmen hing noch hie und da ein dunkler Waldrest von Schwarzföhren. Ganz anders aber war das Leben der Pflanzenwelt in den felsigen Thälern, in deren Tiefen immer ein Strom im Gesteine brach und plätscherte. Alle Waldnymphen, die erschreckt von den entblößten Halden geflohen, hatten sich hier in den kühlen Schluchten verborgen und mit den Grotten - und Wassergeistern gute Brüderschaft geschlossen. Von den Absätzen der 154 Steinwände hing langes wehendes Gras und Blüthengebüsch hernieder, zu Zeiten waren die Felsen ganz überwuchert mit Moos und glänzendem Grün und farbenbuntcn Gewinden. An den erdigen Abhängen zogen sich von der Höhe bis zur Tiefe Salbei Majoran Listrosen Arbutus Lorbeer- und Myrtcngebüsch. Und all das Gesträuch hätte gern das rinnende und blinkende Gewässer geküßt, aber da hatten dichtgedrängt mächtige Laub-bäume Posto gefaßt, Eichen und Platanen, Wachholder und Mastix. In das weiche Laub der Tamariske mischte sich hier das dunkle Tannengrün und daneben das Silbcrgrau wilder Oelbäume. Dabei war Alles belebt von zahllosem Gefieder, Vögelgesang und Wafserrauschen das wollte gar nicht aufhören. Auf jedem lieblichen Baum hielten die Vögel Landtag, und jede Schlucht war Brunnkammer, in welcher es von mosigem Gestein niederrauschtc und hell spiegelnd über den Bachkies schäumte. Zu Zeiten gab es wieder kleine sumpfige Stellen, wo Päonien Tulpen Tazcttcn fettige Kräuter uud allerlei Zwiebel-und Knollengewächse in Saft und Blüte standen, und lag da irgendwo ein modernder Stamm, so war er auch bedeckt von allerlei Orchideen lind seltsamen Gewächsen, die wucherisch sein Letztes verzehrten: Den zahllosen Blüten und Blumenkelchen und dem vielerlei aromatischen Laub entströmten so würzige Düfte, daß freier die Brust athmete, wenn wir aus den Thalwindungen wieder auf lichte Anhöhen kamen, über die ein belebender Lufthauch wehte. Wie köstlich war da die eigenthümlich erregende Berg-frische, der Weitblick über all die Bergrücken und Kämme und Kuppen hintereinander, und der heimathliche Fichtengeruch, an welchem ich mich nicht ersättigen konnte! Ein andermal lag in einem offenen Vachgrunde eine Hitze, als stiege sie vom Boden auf und könnte Einem das Gebein versengen. Jedoch habe ich in Cypern niemals die brandige Schwüle wahrgenommen, wie sie in Sicilien öfters fo lästig 155 fällt. Freilich, freilich — ich muß das stets wiederholen — ich reiste durch Cypcrn in der schönsten Jahreszeit, ini April. Nun muß man aber nicht denken, das; in diesem blumigen Gebirge Weg und Steg ohne jede Mühsal. Zahllos oft mußten wir in die stürzenden hallenden Waldströme hinein, deren Bette tief eingcrissen und mit Rollsteinen erfüllt war. Hatte das Pferd glücklich seinen Satz auf's andere Ufer gemacht, so ging'Z an scharfen Abhängen hin und über breite Fclsbänke, wo von einem Pfade kaum noch leichte Spur zu entdecken. Darauf verlor sich der Weg in kleine enge Schluchtgassen, wo man rechts und links mit dem Fuße anstieß, und lachte am Ausgang der Eteinwände ein offenes Thal, war es gewöhnlich hochbcsctzt mit streifendem und reißendem Gebüsch und Gestrüpp. So kamen wir nur langsam voran und brauchten auf jede Wegstunde eine starke Zeitstunde. Welche Richtung eigentlich die Reise nahm, wollte mir nicht klar werden. Wir geriethen beständig aus einem Bergthal in's andere, jedes hatte seinen großen oder kleinen Rauschebach, bald ritten wir an ihm hinauf, bald hinunter, und dann zog sich ein Ziegcnstieg wieder am Bergrücken empor, um jenseits wieder in Schluchtticfen sich zu verlieren. Zaptieh Hussein behauptete, es gebe keinen anderen Weg nack Chrysorogiatissa i Jedermann wisse das und er kenne ihn, darauf könne ich mich verlassen. Es blieb mir freilich nichts Anderes übrig, fragen ließ fich ja Niemand. Tragoman und Cypriot waren nie in der Gegend gewesen, und blicken ließ sich weder ein Mensch noch eine Hütte in diesen Wildnissen. Erst am Mittag, als ich auf einem blütenübersäeten Hügel zwischen tosendem Waldstrom und klarem Murmelbächlein Halt machen ließ, hörten wir Heerdengeläut. Melodisch hin und her hüpfend in dem Fels- und Bcrggchänge, näherte es sich, und bald erschienen zwei Hirten, die Flinte über dem Nacken. Mit 156 freundlichem Dank nahmen sie Theil an unserem Mahl. Es waren ein paar stattliche Bursche und sie erzählten gern von ihrem Leben im Gebirge. Sie sind in der That eine Art Bergnomaden, die den größten Theil des Jahres in diesen Gebirgs-odcn, die sich Tagreisen weit erstrecken, mit ihren Hecrdcn umherziehen. Wo sie keine Zweig- und Rindenhütte für die Nacht mehr vorfinden, ist leicht eine neue hergerichtet. Als ich fragte, ob es in ihrer Ortschaft noch mehrere gäbe, die fo im wilden Gebirge umherzögen, da lachten sie und erwiederten: alle Männer thäten das sehr gern und die Buben noch lieber, öfter gingen auch Frauen und Mädchen mit, und da lebten fie alle mit einander monatelang im Gebirge. Tie Frauen können ja ihre Wollspindel leicht überallhin mitnehmen, und diese leichte Spindel gefällt ihnen vi«l besser, als Hacke und Sichel für Feldarbeit. (5s war ganz dasselbe herumziehende halbmüßige Hirtenleben hier auf der südlichsten Griechcninsel, wie ich es im Norden auf Samothrake und Thasos kennen gelernt, auch ganz dasselbe Volt in Gesichtszügen Körperbau und Kleidung. Gerade wie die Hirten dort wußten diese hier den Schrei der Geier und anderer Waldvögel auf das Natürlichste nachzuahmen. Ich fragte auch nach Mufflons, einer gemsartigen wilden Vergziege, erfuhr aber, daß sie sehr selten seien: der eine der Hirten hatte noch niemals Mufflons gesehen. Offenbar geht diefes Wild auch hier rasch der Ausrottung entgegen. Die Mufflons können zwar ein weit ausgedehntes Gebirge durch-fchwcifen, allein, da die meisten Gipfel und Nucken nicht weit über fünftausend Fuß hinaufgehn und von Hirten und Harzbrennern leicht erstiegen werden, so hat das Wild nirgends Ruhe, wo es sich äsen und niederthun kann. Der einzige Schutz ist die Flucht in die Weite, die überall offen steht. Die Kitzchen aber werden oft von den Hirten gefangen, denen auch Fallgruben nicht unbekannt sind. Nur an einer Stelle, 157 in der Nähe des Vorgebirges Akamas, soll es noch kleine Nudel von Mufflons geben. Ein Mittagsmahl im Freien ist auf Reisen im Oriente bald beendet. Mit etwas Hamburger Rindfleisch nnd Sardinen, die ich von der Küste mitgebracht, mußte ich sparen, geschossen hatten wir gar nichts, und sonst gab es nur harte Eier Vrot Käse Orangen und grüne Bohnen nnd — Knoblauch. Das Letzte ist das beste, Knoblauch schmeät hier wie süße Nuß und erfrischt wie saftig Obst. Das Allerbeste aber ist der Wein. Wo Griechen wohnen, ist er überall gut, auf Kreta und Cyftern aber reiner Göttertrank, und dazu kostet die Oka guten Landweins, das sind fast drittchalb Flaschen, noch keine Mark. Es schlürft sich so behaglich in freier Vergwildniß, man liest ein wenig und dämmert dabei ein, umspielt von der himmlischen Luft, Brust und Seele getränkt mit Kraft und Heiterkeit. Ach, diese lichte unsägliche Klarheit griechischer Aethcrbläue! Leise rieselt sie gleichsam in's innerste Acderchen hinein. Nach kurzem Schläfchen ist man wie neugeboren und zieht gern wieder hinaus in die Wildniß und Einsamkeit. Der Menschen sind hier so wenig, und wo man ihrer wieder ein Häufchen beisammen sieht, da ist all ihr Thun so ungemein einfach und natürlich, daß sich alles von selbst versteht. Immerdar ist man mit der großen Natur zusammen, und nichts belebt die öden Landschaften, die man durchzieht, als die eigenen Gedanken an die Geschichte der Erde und der Völker, die über die Erde wandern, aufblühen, und wie Schatten verschwinden. XXII. Ualdverwüstung. Wenn nur manche Zeiten, die so rasch vorübcrgehn, nicht so viel Zerstörung hinter sich ließen, Verwüstung, die auszuwetzen es gleich ein Jahrhundert und mehr braucht! So hinterläßt das jetzige Geschlecht, das für Cyperns Fortschritt kaum die Hand rührt, der Insel ein Uebel, an welchem sie krank wird bis in's Hcrz hinein. Das ist die Waldverwüstung. Die Griechen, die Perser, die Aegyptcr, die Nömer, die Araber und Byzantiner, all die Völker, die in der Herrschaft der Insel auf einander folgten, machten sich ihren Reichthum an trefflichstem Werkholz, an Fichten und Föhren, an Eichen Platanen und Nußbäumen, wohl zu Nutze. In Cypern reichte die Waldung bis zum Meere, und auch aus dem Innern ließen sich die schwersten Stämme leichter, als aus den Fcst-landsgebirgcn, an die Küste schaffen. Am stärksten wurde in den Wald hineingehauen in den ersten beiden Jahrhunderten der Lusignans, wo die Insel unaufhörlich Holz zu der Menge Prachtbauten, noch mehr zu den vielen Handelsschiffen liefern mußte, die für alle großen Seestädte des Mittelmeers hier gebaut wurden, und noch mehr zu den großen Sceflotten, die fort und fort von Cypern aus in See stachen nach den klcinasia-tifchen fyrifchen ägyfttifchen Küsten. Dann kamen die Venc-tianer, die gutes Schiffsbauholz zu fchätzen wußten, jedoch scharfe Aufsicht führten, daß es vorhielt. Der Wald war nicht zu verderben: fo viel man auch nahm, alles wuchs gleich wieder 159 im fruchtbaren Boden und herrlichen Klima. Der eigentliche feste Bestand der Hochwaldung fcheint all die Zeit her wenig vermindert zu sein. Anders in den drei Jahrhunderten der Türkenherrschaft, da fiel jede Rücksicht fort. Um hundert Stämme auf die Kriegswerftcn zu bekommen, wurden gleich tausend niedergeschlagen. Wenn sie am Boden lagen, konnte man ja bequemer auswählen: die andern blieben liegen zum Verfaulen. Jedes Unglück, das die Türken zur See erfuhren, brachte den cyprischen Waldungen neue Verheerung. Dabei nahmen Paschas und Kaimakams und Agas Jahr für Jahr, was sie brauchen oder verkaufen konnten, und überließen das Uebrigc der freien Ausbeute. Der Wald gehört Gott dem Herrn wie Wasser und Luft, ist also Jedermanns freies Eigenthum — das wurde jetzt Glaube und Grundsatz auf Cypern. Je ärmer das Volk wurde, je mehr seine Nahrungsquellen versiegten, um so mehr erholte es sich am Walde. Mehcmcd Ali, der erste Vizekönig von Aegyftten, gab den Hochforsten den Gnadenstoß. Wo sich noch gute Bestände zeigten, da ließ er alles zusammenhauen, theils zum Verlauf über Meer, theils zum Flottenbau, das Meiste aber zur Ueberfuhr nach Aegyptcn, um dort die zahllosen Wasserräder und Kanalbauten einzurichten. Seitdem greift nun ein gründliches Verderben der letzten Ueberreste aller Orten um sich, und verhindert jede Heilung. Man kann nichts Niederträchtigeres an Waldverwüstung sehen. Sie hat sechs Ursachen: das Fortschleppen zum Verkauf über Meer, — die Art und Weise, wie man sich Brenn- und Bauholz schasst, — die vielen Waldbrände, — das freie Umherschweifen des Viehes, — das Harz- und Theerbrennen, — endlich noch der gemeine Haß, welcher Nachbargcmcindm entzweiet. Das Erste, der Verkauf über Meer, thut dem Walde noch am wenigsten weh, weil man dazu bloß die schönsten Stämme niederhaut, und auch diese nur, wenn sie 160 nicht zu weit von Pfaden stehen, auf denen sie sich fortbringen lassen. Man bindet die Stämme mit dem einen Ende an Maulthiere und Esel und läßt sie auf der Erde schleifend fortschleppen nach der Küste, wo sie in Schisse verladen werden. Tausendmal mehr verderben kleine Hände und kleine Acrte im Innern des Landes. Wo eine Ortschaft liegt, groß oder klein, regelmäßig zeigt siä, dort im weiten Umkreis Waldblöße. Dabei fällt auf, wie es hier vorzugsweise ganz junge Bäume sind, die man dicht über der Wurzel abgehackt. An den größeren Bäumen fehlen dagegen alle Zweige, so weit man vom Boden mit der Hand reichen tonnte. Steht irgendwo noch eine Eiche oder Esche, so ist ihr gewiß alles schwächere Astwerk genommen. War ein Baum aber gut zu ersteigen, so ist sicher bloß der Hauptstamm übrig und giebt es keine Acstc und keine Wipfel mehr. Etwas weiter von der Ortschaft entfernt findet man wohl noch stärkere Bäume, jedoch keinen einzigen, der nicht unten abgerindet, angehackt, angebrannt. Sie vertrocknen, modern einige Jahre, dann wirft sie Sturm und Wetter um, und man beeilt sich, wenn sie niedergestreckt sind, ihnen die letzten Acste zu nehmen. Der Stamm aber bleibt liegen zum Verfaulen. Diese kleinliche Art des Holzgewinncns erklärt sich folgender Gestalt. Erstens gibt es in keinem Dorf auf Eypern eine ordentliche Axt: sie zu erwerben würde ja Geld, sie zu schwingen würde ja Kraft,und Mühe erfordern. Man hat nicht einmal Baumsägen, nur Handbeile und höchstens eine kleine erbärmliche Säge. Zweitens aber sind es die Frauen, welche Brennholz herbeischaffen müssen, und diese helfen sick so gut sie können mit ihren fchwächlicben Kräften und Werkzeugen. Sie hacken daher erst die jungen Väumchen ab, dann das schwächere Astwcrk, und die stärkeren Bäume brennen sie an. Die Männer rüsten sich nur dann zum schweren Werk, wenn sie Sparren zu Dachdecken oder Thürsckwellen und Bretter 161 brauchen. Tausendmal lieber ist ihnen das Umherschweifen mit ihren kleinen Herden im Gebirge. Dadurch entsteht die dritte und vierte Ursache der Waldverwüstnng. Tag und Nacht liegen die Leute müßig bei ihren Hirtenfeuern und haben ihr Vergnügen daran, alte stolze Waldbäume anzubrennen. Bei dem lässigen und sorglosen Wesen, das allem cyftnschen Volk in den Gliedern sitzt, geschieht es dann in der heißen Jahreszeit, wenn Laub und Boden ausgedörrt sind, gar häufig, das; ein Waldbrand entsteht und so weit sich ausbreitet, als er Nahrung findet. Auf der Reise kam ich öfter an einem einzigen Tage an mehreren Stellen vorbei, wo die Waldbrände gewüthet hatten. Nur das weite Voneiuandcrstchen der Bäume und die Nacktheit des Bodens hatten den Grund gegeben, daß das Feuer zuletzt erloschen war. Ein weiterer Schaden aber, welchen die Waldbrändc anrichten, besteht darin, das; sie das Gesträuch und Gebüsch in der Nähe der Ortschaften verzehren, und uun die armen Frauen genöthigt sind, weiter ins Gebirge zu geheu, um Astwerk und iunge Väumchcn abzuhacken. Blieben nun die Waldblößen unangetastet liegen, so würde Laub- und Nadelholz ganz von selbst wieder aufsprießen. Denn es ist unglaublich, welch fruchtbare Keim- und Nährkraft der cyftrischc Waldbodcn enthält. Es ist das gerade wie in Amerika auf der Prairie. Sobald Pflug und Brand eine Stelle drei Jahre lang nicht berühren, gleich wachsen in buntem Gemisch die Bäume des alten Urwaldes wieder hervor, ohne daß Menschenhand irgend etwas dabei gethan. Selbst auf hohen felseckigen Vorsprüngen, auch wcnu sie noch so trocken schienen, sah ich auf der cyvrischen Gebirgsrcise wieder das hoffnungsvolle Grün von jungem Nadelholz. Das Unglück ist nur, das; das Vieh ungehindert überall umher zieht und steigt. Namentlich Ziegen und Schafe — von letzteren sieht man in Cypern hänfig die fcttschwanzigen — sind es, die alles, was eben hervorsprießt, wieder benagen und abreißen. Löhci, (5Mrn, H 162 So also wird den Scckiefern, Lichen und Platanen, Wach-holdern und Tamarisken mitgespielt, und rings um jede Ortschaft dehnt sich mit jedem Jahre weiter und weiter der Wald-leere Kreis. Noch aber gibt es stattliche Schwarzföhren, die an entfernten und hoch gelegenen Firsten und Kämmen stehen. Es wäre zu weit und mühsam, von dorther Holz zu holen. Aber in den Bäumen steckt Harz und Pech, welches dein Bauer zu seiner Weinbewahrung unentbehrlich scheint. Harz und Pech läßt sich leicht herunter schaffen. Da steigen sie denn hinauf und zerstören gerade die schönsten und lebenskräftigsten Bäume auf die elendeste Art. Erst rinden sie die Föhren ab, so hoch sie mit der Hand reichen können, jedoch eine jede nur an einer Seite. Nach dieser entblößten Stelle hin zieht sich nun das Harz und füllt alle Fasern. Bringt man dort Feuer heran, brennt das Holz gleich lichterloh, der ganze Stamm verkohlt, bricht zusammen, oder wird mit geringer Anstrengung und einigen Nachhieben umgeworfen. Dann werden Aeste und so viel man von Stammholz bewältigen kann abgehauen, zerkleinert, ein kleiner Ofen von rohen Bruchsteinen gebaut und dieser mit Holzstücken angefüllt. Unten auf der Erde hat der Ofen eine Ocffnung, durch diese wird Feuer hineingebracht, das Holz drinnen schwelt und schmaucht, lind durch die im Ofen verbreitete Hitze geräth das Harz in Fluß. Zuletzt läuft es unten in eine kleine Erdgrube, aus welcher man den ersten Kuchen als Kolophonium, die späteren als Pech, die letzten als eine Art schmutzigen Theers heraushebt. Die ganze Hälfte des Harzes wie des Holzes geht bei dem rohen Werk verloren, und haben diese Waldbrenner einen grünen Abhang mit den schwarzen halbverkohlten Trümmern ihrer Thätigkeit besäet, so klettern sie zum nächsten besten, dieselbe Verwüstung zu wiederholen. Man sollte denken, diese fünferlei Arten von Wcildvcr-wüstung wären genug und übergenug. Es gibt aber noch 163 eine Art, die viel schändlicher als alle. Die auf dem Wald-bodcn umherliegenden Hirten haben ihre Lust daran, wenn ein stattlicher Stamm in Flammen glüht und knistert und krachend und funkenstiebend zusammenbricht. In dieser Lust regt sich schon eine gewisse Bosheit: aus reiner Schlechtigkeit aber geschieht es gar häufig, daß die Gemeinden sich gegenseitig die Platanen und Eichen, aber auch Oel- und Iohannis-brodbäume zerstören. Benachbarte Gemeinden liegen gewöhnlich miteinander in Streit und Hader, besonders wenn Religion sie trennt. Dann läßt sich die Tücke und Schadenfreude an den armen Bäumen aus: das Anbrennen oder Abrinden und Anhacken läßt sich ja in heimlicher Nacht leicht ausführen. Was die Insel auf so elende Weise an Wald- und Fruchtbäumen verliert, berechnet sich jährlich nach Tausenden. Stellt man die Leute zur Rede über ihre Waldvcrwüstung, so ist die Antwort ein verlegenes Lächeln. Dringt man weiter in sie, so heißt es ärgerlich: „Ei, das ist immer so gewesen in unserm Lande." Macht man ihnen dann die bittern Folgen deutlick, so ist die letzte Ausflucht: „Die Regierung will es ja so." Diese Griechen sind so sehr gewöhnt, für alles Schlechte die Türken zu vermaledeien, daß sie selbst die eigene Fahrlässigkeit und Rohheit der türkischen Negierung Schuld geben. XXIII. Heuschreckenplage. Was könnte, was sollte nun geschehen, um dem entsetzlich raschen Aufzehren der letzten Waldung zu steuern? Zuerst müßte Feld und Wald unter strenge Aufsicht, absichtliches Verderben von Bäumen unter schwere Strase gestellt werden. Theer- und Harzbrennen müßte man ganz verbieten, nur in seltenen Fällen dürfte es auf Grund einer besondern Regierungs-crlauvniß stattfinden. Sodann ließen sich gewisse Bezirke als Negierungsforsten ausscheiden, in welchen bei Strafe nicht dürfte gehackt und geholzt oder geweidet werden. Tort würden die Seestrands-tiefer, die Lyperns rechter Waldbaum ist, und viele andere Bäume ungepflegt in kurzer Zeit wieder emporwachsen. Wo aber alle Wurzeln und Keime im Boden verdorrt sind, müßte man sich entschließen, wieder anzusäen. Der übrige Waldboden wäre unter die Gemeinden zu vertheilen und für eine jede ihr Bezirk durch Merkmale wohl ab-zugränzen. Dann müßte inan die Geistlichkeit, insbesondere die Schullehrer dafür gewinnen, daß sie die großen Vortheile geordneter Waldwirthschaft lehrten und die Leute dazu anhielten, sich für Kind und KindeZkind den großen Gewinn zu verschaffen. Wäre die Sache einmal im Zuge, fo würde die eigenthümliche Eitelkeit und Eifersucht der Gemeinden unter einander schon mithelfen. Ich fprach über dieses Kapitel mit dem Statthalter von 165 Cypern, einem ungewöhnlich gebildeten und wohlwollenden Pascha. Auch ihm war kein Zweifel darüber, daß der ganzen Insel Heil und Zukunft von künstlicher Wicderbcwaldung abhänge. Erfolge diese nicht, so müßten Flüsse und Bäche mit jedem Jahre mehr versiegen, also fruchtbares Land mit jedem Jahre mehr hier vertrocknen dort versumpfen. Der Pascha glaubte, daß vorzüglich Eukalyptus sich zur künstlichen Wiederbewaldung eigne, und man könne damit in der großen Ebene anfangen und die trockenen Höhenzügc und die kleinen erhobenen Tafelstücke, welche die Griechen Tische und Türrland nennen, mit Eukalyptus besehen. AIs ich aber fragte, ob wirklich Aussicht dazu vorhanden, da war die ganze Antwort ein tiefer Seufzer. Wie foll man in der heutigen Türkei an so große und weitausschcnde Maßregeln denken! Gleichwohl darf man noch nicht für immer verzweifeln. Das Erste und Nothwendigste zur Rettung ist noch vorhanden, die Walderdc liegt noch fast überall hinlänglich im Gebirge ausgebreitet. Wahrscheinlich bringt schon die nächste Zukunft dem Morgenland Besserung seiner Zustände, einerlei ob und wo die Türken in der Herrschaft sitzen bleiben oder nicht. Tann wird gewiß auch das fruchtbare Cypern wieder den Unternehmungsgeist anlocken, und Geld- nnd Arbeitsmittel könnten sich gerade auf dieser Insel, die so lange vcrnachläßigt da gelegen, allmählig zu gedeihlichen Versuchen zusammenfinden. Ist doch die Insel in unsern Tagen unerwartet von ihrem ärgsten Feinde, der nicht wenig dazu beigetragen, daß das Land so entvölkert und muthlos geworden, fast gänzlich befreit worden. Dieser Feind waren die Heuschrecken, eine noch etwas kleinere Art, als die gewöhnliche Wanderheuschrecke. Schon im Mittclaltcr ist Cypern von ihren verheerenden Zügen heimgesucht. Eine Chronik berichtet: in den drei 166 Jahren 1411 bis 1413 hätten alle Bäume nackt gestanden, „und es sah aus wie die Hölle." Doch muß das damals selten gewesen sein. Im letzten Jahrhundert kamen die Heu-schrcckenschwärme alle paar Jahre, wenn lange Nordwind wehete, von den karamanischen Bergen herüber geflogen. Im letzten Jahrzehnt aber des vorigen Jahrhunderts, als es mit dem Ackerbau so rasch rückwärts ging, hatten die Heuschrecken auf der Insel selbst ihre Heinistätte gefunden. Diese liegt auf dem östlichen Tafcllande, wo der Boden dürr und mager ist und von Pflng und Hacke nur theilwcisc berührt wird. Auf dieser Brutstätte legten sie alljährlich ihre Eier, und von dort begannen sie alljährlich ihren gräulichen Umzug rings um die Insel. Wenn sie zu Ende März aus den Eiern kriechen, sind sie so klein wie Erdflöhe und sammeln sich in zahllosen schwarzen Punkten um Halme und Büsche. Vierzehn Tage später, wenn sie sich zweimal gehäutet haben, sind sie schon einen Halden Finger lang, dann aber sind sie auch bereits kriechend und hüpfend eine große Strecke nach Westen gerückt, und haben kein grünes Grasblättchen auf ihrem Wege unverschont gelassen. Je größer sie werden, desto stärker wird ihre Gefräßigkeit, sie greifen bereits die Kornhalmc auf den Feldern an. In nochmal vierzehn Tagen haben sie sich wieder zweimal gehäutet und lange Flügel bekommen. Jetzt aber rücken sie in breiten Zügen rasch voran. Gräßlich tönt ihr Flattern und Geraschel in der Luft, uud foweit man blicken kann, ist die Erde mit dem kriechenden und hüpfenden Gewürm bedeckt. Ihre Freßgier ist entsetzlich geworden, sie nagen die Strohhalme bis in die Wurzeln ab, und wehe dem Garten wohin ein Schwärm fällt: in wenigen Minuten stehen die Bäume wie abgestreift vom Laube. Alles was wächst und nicht schon festes Holz ist, wird vertilgt. Der Hunger treibt sie selbst in die Häuser, und nirgends kann 167 man sich retten vor dem widrigen Gezücht. Eo ziehen sie weiter und lassen hinter sich breite ekelhafte nackte Striche Landes, bis die Sonne heißer sticht oder ihre Zeit um ist. Dann liegen sie in langen Streifen zu Hunderttausenden da, das Meer schwemmt ganze Haufen an die Küste, und ihre Verwesung erfüllt noch die Luft mit pestartigem Hauch. Genug ihrer sind aber bereits wieder auf ihre Brutstätte im Osten gekommen, um Millionen Eier zu legen fürs nächste Jahr. So war es noch vor wenigen Jahren, jahraus jahrein. Bald schwächer bald stärker kam der gefräßige Zug vom Osten her ins Land, und bangend, wohin er sich wende, freuten sich die armen Leute beinahe, wenn er frühzeitig ihre Flur traf, wo die Gefräßigkeit und die Verwüstung noch geringer war. Denn wo die Heuschrecken einmal gewesen, da kamen sie im selben Jahr nicht wieder hin, als ekelten sie sich selbst davor. Jetzt wird Cypcrn von seiner entsetzensvollcn Geißel befreit. Nicht durch Naturereignisse, bloß durch Verstand und Fleiß der Menschen. Seit ein paar Jahren weiß man wenig mehr von der ägyptischen Landplage, und das Volk fängt wieder an etwas aufzuathmen. Wodurch aber half man sich? Anfangs hielt man — mehr als zwei Drittel der Bevölkerung sind Christen — fromme Bittgänge, einen nach dem andern. In einem Jahr zogen einmal zehn Tage lang flehende und jammernde Prozessionen mit Kreuzen und Fahnen durchs Gefilde. Es half nicht. Da holte man berühmte Reliquien herbei, ja selbst das Haufttkloster Kikku mußte seinen großen Schatz herschicken, das Marienbild, welches der Apostel Lucas mit eigenen heiligen Händen gemalt. Man hielt es drohend dem gefräßigen Hcerzug entgegen. Aber die Millionen der kleinen Ungethüme rührte nichts, ihr Instinkt sagte ihnen nichts von den Hciligthümcrn, sie fraßen und schwirrten und hüpften ruhig weiter. Jetzt befahlen die türkischen Paschas: jedermann solle einige Okas Heuschrecken an die Regierung abliefern, 166 damit man sic in die Erde grabe. Das hatte die Wirkung von ein paar Wassertropfen auf einen heißen Stein: denn die Bevölkerung ist scbr dünn gcsäet, und die frefsenden Heerscharen wanderten rafch. Da setzte man das Gestrüppe in Brand, wo ihre Züge durchgingen; man zog weite Schutzgräben: man kam herbei mit Pferden und Ochsen und Soldaten und ließ die Heuschrecken einstampfen: noch besser, man zog Steinwalzen darüber hin. Alles half etwas, am meisten noch das Einsammeln der Eier und das Umpflügen des Bodens wo die Cier lagen. Man hatte aber weder Geld noch Leute genug, um diese Vcrtilgungsmittcl quer über die ganze Insel anzuwenden. Da kam ein Großgrundbesitzer — er selbst erzählte es mir, es ist Hr. Mattei in Larnata Hasen — auf den Gedanken, ein einfaches und gar nicht kostspieligem Mittel anzuwenden. Man hatte bemerkt, daß die Heuschrecken an Wänden, die nur einigermaßen geglättet, nicht herauskriechen tonnten. Es ward deshalb rings an der Festungsmauer von Nikosia, der Hauptstadt, ein Gürtel gezogen, in dessen Breite man die Mauer glatt gemackt und geweißt hatte. Mattei berechnete ferner, daß die Heuschrecke, selbst wenn sie ihre langen Flügel hat, sich doch nicht lange in der Luft halten kann, sondern in gewissen Zwischcnräumen wieder zu Boden fällt und weiter kriecht. Auf diese beiden Wahrnehmungen gründete er seinen Plan. Er ließ Gräben ziehen und dahinter niedrige Wände von Wachstuch oder Leinwand oder glatten Tascln und Brettern aufstellen, und in gewissen Zwischcnräumen dahinter wieder einen Graben mit andern Schutzgcstcllcn. Die Heuschrecken tonnten die glatten Wände nicht herauskriechen, fielen in den Graben, wurden mit Pfannen und Schöpflöffeln herausgezogen, rasch in Körbe und Säcke gethan und eingegraben, oder sie wurden auch schon im Graben selbst mit Erde überworfen und diese festgestampft. Die über die erste Stützwand hinüber- 169 flogen, entgingen der zweiten nicht, sicherlich nicht der dritten. Anfangs wurde diese Weise nur auf den Fluren uon Larnaka versucht, und weil sie sich bewährte, so ahmte man sie mehr und mehr und zuletzt allgemein nach. Die Folge war, daß keine Heuschrecken mehr zu ihrer alten Brutstätte im Osten dcr Insel zurückkamen, um Eier zu legen. Damit erlosch die schreckliche Landplage. XXIV. Ojjrylorogilitijsa. Während wir nun über Thal und Höhen zogen, fand ick mich allmäblig in der Landschaft zurecht. Unser einsamer Pfad kreuzte fort und fort Zuflüsse erst des alten Lykopotamos, der bei Episkopi, dann des Keropotamos, der bei Kuklia ins Meer geht, und endlich die Hauptarme dieser Strome selbst. Dazwischen ging eö einen Bergrücken oder Vorsprung hinauf und an der andern Seite wieder hinunter. Und stets von Neuem staunte ich über den Reichthum an Strömen. In all den Schluchten und Thälern flüstert und perlt und plätschert es, rauscht und hallt es von lebendigem Gewässer. Das ganze Gebirge ist wie eine einzige große Vrunnkammer. Das ganze Erdreich gab offenbar in diesen Tagen rasch alle Nässe ab, die es von Schnee und Wmterrcgen cingesogen. Da mußten im Sommer Bächlein und Flüsse wohl dünner und dünner stießen, und immer weniger Wasser in die Ebene führen, bis sie er-dürstend wieder da lag unter den brennenden Sonnenstrahlen. Gar prächtig aber war es, wenn man wieder ans eine erhabene Höhe kam und nun allumhcr lichtwcit das Gebirge gleichwie ein riesenhaftes Meer im Wellensturme auf und ab wogte, unabfehlich bis tief in den Horizont hinein. Nur ganz wenige Kämme und Scharfrücken und Nundkuppen ragten über der wogigcn braungrünen Masse empor. Jede Form des Gebirges aber ist hier so schön, so ganz vollständig ausgeprägt, al> wäre sie eben frisch in Metall gegossen. 171 In der Ferne sahen wir zur Rechten wie an einer Pyramide in den Lüften Kloster Kittn oder vielmehr, wie man es aussprach, Zkikku. Das ist das reichste nnd größte Kloster der Insel, das rechte Brutncst cyprischen Mönchthums. Es liegt in gerader Richtung nur etwa vier oder fünf Stunden westwärts vom Troodoskloster, ebenfalls auf dem obersten Gebirgsrücken, und man soll nur mit Mühe und Schweiß seine Höhe ersteigen. Das hindert aber nicht, daß aus fernen Landern die Pilger kommen: denn unter den vielen ganz echten Muttergottesbildern, die der h. Lukas so schwarz in Gold und Braun gemalt haben soll, besitzt die Panagia tu Kittn den Ruhm der allergrößten und allcrunzweifclhaftcstcn Echtheit. Erst gegen Abend erreichten wir das Torf Panagia, wo wiederum alles Volk um seine Kirche versammelt war. Die Kinder spielten und die Eltern lachten, und die Burschen und Mädchen schienen diesen Tag und Ort sich erlesen zu haben zum angenehmen Stelldichein. Es war ein friedliches, hübsch belebtes Bild da unter den hochschattigen Bäumen, welche das Kirchlein umgaben. Auch in dieser Ortschaft bemerkte ich wieder, wie alle unsere Obstbäume in Cypcrn fast ohne Pflege träftig und fruchtreich emporwachsen, ganz besonders aber Wallnuß und Mandel, Aprikose, Kirsche und Maulbcer. Und erst der Weinstock scheint dieser Insel eigenste Nattirgabe zu sein. Wohin man blickt, gibt es gute Plätze, auf denen die Fülle der edelsten Trauben gedeihen würde. Im Kloster Ehrysorogiatissa, wo wir im Dunkeln anlangten, waren die Spätkömmlinge, wie es schien, nicht gerade gern gesehen. Mönche und Dienstleute waren schon auf ihrem Lager und hatten sich, nach einigen Kennzeichen zu schließen, am Wein eine Güte gethan, was ihnen zum Abschied vom hohen Osterfeste herzlich zu gönnen. Nach ziemlichem Warten kamen ein Mohr und ein Mönch mit Brod und knöchernem 172 Ziegenbraten, und Veide konnten nicht mehr auf den Füßen stehen, weder der Naturschwarze noch der Weißmönch. In der Nacht hörte ich einen alten Bekannten an Thüren und Fenstern rasseln, es war ein tüchtiger hallender Sturm. Ich konnte ohnehin nicht viel schlafen: mein Lager war gar zu hart. Ich unterhielt mich mit wachen Traumen und es schwebte mir vor, wie bald dies weltvcrlassenc Eypern wieder aufblühen sollte, wenn es uns Deutschen gehörte! Es ist so groß wie ganz Württemberg, sein Werth aber wird durch unerschöpfliche Naturschätze, durch ein Klima, das allen Handels-pflanzen günstig, und durch eine unvergleichliche Lage noch bedeutend erhöht. Was der Erwerb Cyperns uns kostete, wäre in wenigen Jahren eingebracht. Hier hätten wir den besten Plan für unsern Handel, von wo er sich nach Syrien Aegyptcn Pcrsien und weiter ausdehnen würde. Der Orient braucht ja billige Manufatturwaarcn nnd wird immer mehr brauchen. Hier wäre ein Stützpunkt für unsere Missionen und Ansicd-lungcn, die jetzt auf eigene Hand und mitten in dornigen Hindernissen sich versuchen müssen. Freilich, das sind nur Träume, schon das Aussprechen erregt bei den Meisten Staunen oder Gelächter. Ob das nach fünfzig Jahren noch ebenso sein wird? Cs scheint doch, als hätten wir Deutsche unsern zweiten welthistorischen Gang angetreten, aber wir stehen erst wieder im Zeitalter der Ottonen. Am frühen Morgen zeigten sich Rloster und Berge von weißen Nebeln eingehüllt. Ich dachte mir wenigstens die Baulichkeiten anzusehen. Das Ganze war einer kleinen Bergfeste nicht unähnlich, mit dein elenden Gemäuer am Troodos aber nicht zu vergleichen. Nach Kikku ist Ehnisorogiatissa das zweitgrößte Kloster der Insel, hat fünfzehn Mönche und läßt durch fünfzehn Dienstlcute seine großen Ländcreien bearbeiten. Ein Theil der Aeckcr wird verpachtet. Die Klöster haben auf Eypern die besten Güter, bezahlen 173 der Regierung außerordentlich wenig Abgaben, müssen aber heimlich um so mehr aufwenden, die türkischen Beamten bei guter Lauue zu erhalten. In der Nähe der Klöster finden sich auch am meisten Pachtgüter, während die Insel im Uebrigcn den Vortheil hat, eine grosie Menge kleiner Bauerngüter zu besitzen. Entlang dem Hauptgebäude in Chrysorogiatissa laufen Säulenhallen mit Schwibbogen. Von der Pracht freilich, die in unseren alten Abteien herrschte, konnte hier im wilden Gebirge keine Ncde sein. Die Kirche ist ähnlich wie die erzbischöfliche in Nikosia gebaut. An dem Ehristusbild vor dem reichvergoldetcn Ikonostas war die zum Segen erhobene Hand so wie der Heiligentrcis um das Haupt von getriebenem Silber. An dem Schnitzwerk der Vilderwand erschien auch Eva nut dem Apfel, ihr Adam aber trug in paradiesischer Tracht seinen Echnurrbart. Ohne Schnurrbart kann sich ja die Griechin einen natürlichen Mann nicht denken. Als die Nebel zerrissen und hier und dort in die Thäler sanken, konnte ich mich der Landschaft erfreuen. Das Kloster steht etwas abwärts vom höchsten Vergzug nach Süden gekehrt und beherrscht eine gewaltige Aussicht. Das Gebirge liegt drunten ausgegossen so regelmäßig wie ein wellcnbewegtes Meer, und hinter den wallenden Zügen und Höhen sieht man in des wirklichen Meeres leuchtenden Großblick. Der Ort hieß früher Nogio, und da Rogiotis der Rogio-bcwohner heißt, so wurde, als das goldcingcfaßte Muttergottesbild Hieher kam, eine Goldrogiobewohnerin daraus, gleichwie die am Troodos die Trooditissa, die Troodosbewohnerm, heißt. Diese Erklärung gab mir der Abt, der zum Frühstück, das übrigens weit saftiger war als der Abendimbiß erwarten ließ, mir Gesellschaft leistete. Er erschien gefolgt von dem Mohr und einem dienenden Knaben, und Vcide standen da mit gefalteten Händen, bis der Hochwürdigste sie gehen hieß. Von ihm erfuhr ich auch, daß eigentlich hier der Visthumssitz 174 gewesen, und zwar von Alters her; erst seit dreißig Jahren ziehe der Bischof es vor, drunten in Vaffo, wo es lebhafter sei, zu wohnen. Auch wurde mir bestätigt, was zu glauben schwer fällt, nämlich die außerordentliche Ocde des Gebirges. Dieses umfaßt beinahe die ganze Osthälftc der Insel, hat durchgängig in den Thälern, an den Halden und auf den Hochbreiten fruchtbaren Boden, und dennoch ist es sieben Stunden weit nach Norden und sieben Stunden weit nach Süden und sieben Stunden weit nach Westen fast ganz unbewohnt, nur den süd-und westlichen Kustenrano und den mittleren Höhcnzug ausgenommen. Wo Schluchten sich erweitern, liegen fern von einander zerstreut ganz kleine Ansicdlungen von fünf oder zehn Erdhütten, im Winter kaum bewohnt, im Sommer von den Familien verlassen. Die Küsten, schon im Alterthum ihrer Fruchtbarkeit wegen berühmt, waren die Stätten der Venustempel: ob aber schon damals gerade die Mitte des Gebirges, gerade oben dicht vor dem höchsten Bergzug, bevölkert war wie jetzt, möchte ich sehr bezweifeln. Die Ortschaften ziehen sich an dem südlichen Abhang der höchsten Kette hin und sind zahlreich, auch wohlhabend, sofern überhaupt hier von Wohl« stand die Rede sein kann. Was ist der Grund? Besseres Land oder leichtere Bewässerung? Beides findet sich vorzüglicher weiter unten, wo Alles öde liegt. Oder ist es die reinere Luft? Auch diese weht überall, so weit die Berge ziehn. Der Grund aber lag gewiß in der größern Sicherheit, deren man sich in den versteckten Falten des Gebirges und auf feinen unzugänglicheren Abhängen erfreute. Tort fanden die Leute Schutz vor den Seeräubern, den Arabern, und zuletzt auch vor den türkischen Beamten. Diese wohnen an der See und je länger sie ihren Arm ins Gebirge hinauf-recken müssen, desto schwächer und seltener werden ihre Raubgriffe. XXV. Bieder an's Meer. Während ich mit dem wohlbcrcdten Abte mich noch unterhielt, kam Mr. Clementin, mein Tragoman, herein, äußerste Bestürzung im Gesicht. „Das ganze Gebirge stecke voll Räuber-gesindel! Ganz gewiß sei es, drei Unbekannte hätten vor einem Monat im Troodoskloster Geld gefordert, einer Frau dort schrecklich mitgespielt, und säßen jetzt gefangen in Nikosia. Es sei eine Gewisscnssache, in den Nebel hinauszuziehen: der Abt nmsse es mir verbieten. Auch Michaili, unser Pferdediener, wolle durchaus das Kloster nicht verlassen." So lautete wiederum der Klagegesang. Ick war der Schrullen des alten Müßiggängers müde und erklärte ihm: wenn er und Michaili sich nicht sofort zum Aufbruch fertig machten, so würde ich mit Hussein fortreiten, dann könnten sie sehen, wie sie aus dem Gebirge wieder heraus und zu ihrer Bezahlung kämen. Da der Abt lächelte, raffte Monsieur bleich und zitternd vor Angst und Aerger seine Siebensachen zusammen. Als ich nun von beiden Vorstehern des Klosters begleitet zur Pforte kam, fo standen da noch acht andere Mönche versammelt, um den Gast wenigstens bei dem Abschiede zu begrüßen. Es war die prächtigste Sammlung von grauen Breitbärten, und jeder Mönch eine wahre Hünengestalt. Lachend versicherten sie mir, Niesen ihres Gleichen wüchsen noch viele in diesen Bergen. Sie trugen alle ihr weißes Ordenskleid, ihre Gesichter aber schienen roth und braun von Wind und 176 Arbeit, und sah man näher zu, glichen sie auf ein Haar derben Bauern in weißlichen Mönchskittcln. Cs wächst in diesem Gebirg an Abhängen und in Thal-, gründen, welche die höchsten Ketten begleiten, ein keiniges Geschlecht. Die Männer lieben schwärmerisch ihre Verge und möchten um Alles nicht drunten an den Küsten wohnen. Es sind die Sphakioten Cypcrns, jedoch ohne Waffen. Eines ihrer Lieder lautet: Im Flachland wohnen Sklavm nur, Sind Unterthan don Tinten: Zur Hcimath habm Wiistcn wir, Zur Wuhiuiüg wilde Schluchten. Weit licsjcr als mit Türken ist's Mit wilden Thieren leben. Nun ging's den Klosterberg scharf hinunter, und Wind und Nebel schlugen uns ins Gesicht. Unten am Verge hockten bei ihren Kühen zwei Türkinnen weiß vermummt wie Gespenster im Grünen. Anderthalb Stunden weiter stand auf freiem Nundberg eine alte verlassene Kirche, die in Trümmer zerfiel. Dies Beides, dann die Schafe mit den dicken Fettschwänzen, die in der Nähe weideten, waren das einzige Fremdartige: im Uebrigen, je mehr wir abwärts uns der Küste näherten, hätte ich glauben können, die Reise ginge durch eine bergige Gegend Norddeutschlands, wo der Wald abgeholzt und die Accker die breiten Hänge hinaufgehen. Nur wenn ich zurück nach Nordosten blickte, erinnerten die schroffen Joche und Häupter an die Vogesen, jedoch war hier Alles noch reiner und schärfer ausgeprägt als im Oberelsaß. Freilich, deutsche Törfer mit schlankem Kirchthurm darf man im cyprifchcn Gebirge nicht vermuthen. Was sich von Ortschaften zeigt, stellt sich nicht besser dar, denn als ein paar Stücke von gelbbraunen Gartenmauern, die am Abhanq hinter- und übereinander gezogen sind, oben mit Erde bedeckt 177 zum Dach, und unten mit dunkelm Thürloch zum Cinkriechen. Die Bauart dieser Dörfer aber war hier im Süden des mittelländischen Meers ganz und gar dieselbe, wie ich sie oben im Norden in Samothrake gesehen, nur waren dort die Wohnungen doch etwas größer und sauberer. Ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß diese Wohnart noch aus dem griechischen Alterthum stammt. Nach vier Stunden Reitens sahen wir bereits das Meer die gelbgrüucn Ctrandebcncn umsäumen, und kamen nun ein langes einförmiges Cngthal hinab, das sich auf die Ebene öffnete. Die Gcbirgsreise näherte sich dem Ende. Im Ganzen genommen fühlte ich mich doch ein wenig enttäuscht. Klarschöne Bergformcn, blütenerfüllte und wasser-durchraufchte Schluchten, unabsehlich hinter einander Reihen von Wcllenzügen des Gebirgs, Vauernmönche, schlanke kräftige Vergnomaden, und ein Nest armseligen Volks mit halb städtischem Benehmen — das war alles, was in den vier Tagen sich etwa Merkwürdiges gezeigt hatte. Der sanfte Charakter Cyperns, aber auch das Trauern und Verfallen und Schweigen, welches der unglücklichen Insel anhängt, ziehen sich hinauf bis zu den erhabensten Häuptern ihrer Gebirgswelt! Diese lassen sich aber mit den hoch zum blauen Aether ansteigenden Bergfesten anderer griechischer Landschaften gar nicht vergleichen, noch weniger mit dem Prachtgcbirge Kretas oder der Canarischen Inseln, viel eher mit den Höhen des Harz- oder Nicsengebirgs. Nicht von ferne dürfte man einen Vergleich wagen mit unserm deutschen Alpenland. Das ist und bleibt doch der Sitz rechter Vergwonne. Wo auf der ganzen weiten Welt gibt es noch so kräftige Fülle der Gebirgslust als bei uns? Früh Morgens mit der Gemsbüchse emporsteigen immer höher in den Thalwindungen, der frische Duft von tausend würzigen Kräutern weht Einem entgegen, oben blinken die Alpenjoche und das steile Steingeschroff, unter den Füßen stürzt und 178 perlt und schäumt der Rauschebach, und das lustige Tannen-grün glitzert in den reinen Lüften von Thau behängt, und die kleinen Finken schlagen die benäßten Flügel, — dann tagsüber schweifen und jagen auf den lichten Höhen, die Brust dem pfeifenden Wind entgegen und jeder Nerv voll stärkenden Vergäthers, und jeder Schuß hallt wie der Donner in den Felsschluchten hin, — und dann Abends trinken und erzählen mit fröhlichen Gesellen, wo die helle Lust aus allen Gesichtern lacht und ein Witz den andern um den Tisch jagt, — dergleichen hat und versteht man doch nur im lieben Deutschland. Ucberhaupt, wir Deutsche haben sehr Unrecht mit unserm ewigen Seufzen und Sehnen in die Ferne, als wäre es dort tauseudmal schöner. Freilich, uns fehlt das Felsgestade bekränzt mit Olcandcrblütcn am leuchtenden Meeresspiegel, uns fehlt der Orangen- und Palmcnhain im ewig heitern Aether-glanz, uns fehlt die funkelnde Stcrnenpracht der wollüstig weichen Südnächtc. Ich habe das Alles öfter genossen, habe überhaupt von den Gebieten, die man auf dieser Erdkugel als die schönsten preist, ziemlich viel gesehen, und wenn ich auch gern einräume, daß es für den Anblick und auf ein paar Monate vorübergehenden Aufenthalts reizvollere Gegenden gibt als unser Land, so darf man doch deren tiefe Schattenseiten nicht verkennen. Rechnet man Eines in's Andere, so sind und bleiben von allen Ländern der Erde doch Deutschland, Frankreich, die brittischen Inseln, Obcritalicn, und die Neucnglandstaaten die besten Wohnplätze, denn sie erfreuen fich am reichlichsten dessen, wovon man am meisten und am längsten vergnügt leben kann, — gesunde Luft, Fülle an Korn Obst und Vieh, überall Wasser, fast überall Anmuth und Anregung iu wechselnder und theilweise schöner Landschaft. Deutschland aber gebührt in mancher Beziehung sogar der Preis: denn es besitzt am meisten Wald und Wasscrfrische, am meisten grüne Weide, am 179 meisten höher gebildete, frohhcrzige, treue Menschen. In keinem andern Lande wird so viel gelacht und gesungen und getrunken, gibt Liebe und Freundschaft, Religion und Wissenschaft, Kunst und Poesie so viel Glück und Qual. Ein großes Gut aber besitzt Deutschland nur theilweise — die Meeresnähe. Kaum hatte ich auf der Reise durch's Innere von Cypern die See ein paar Tage verlassen, kaum lag das Gebirge hinter mir, so gab, als dic Meeresküste wieder vor uns lag, das eine Empfindung, als wäre hier die rechte Menschen-Heimat, die Stätte an der ewig bewegten völkerverbindenden Meercsfiut. Deutschland hat seine schöne blaue Ostsee, seine dunkelwogige stürmevolle Nordsee, seine schimmernden Landseen und unaufhörlich strömenden Flüsse und Näche, — aber so wie man die norddeutsche Ebene verläßt, vermißt man den Meereshauch, die eigenthümlich anregende Secnähe. Aus dem cyprischcn Hochgebirge herkommend überschaute ich das Gefilde, auf welchem die Göttin der Schönheit und Liebe die allergrößte Verehrung gefunden, und zwar zweitausend Jahre lang in den besten Zeiten des griechischen und römischen Alterthums. Es war eine Küstenbrcite von anderthalb Stunden, die sich in der Länge von drei bis vier Stunden am Meere hin erstreckte, zu welchem sie sich leise abdachte. Gerade unter mir sah ich das Städtchen Ktima, und tiefer unten ein Seekastell. Tort lag einst Neupaphos, uud zur Linken, gute zwei Stunden entfernt, hob sich als dunkelgrauer Punkt das Dorf Kuklia hervor, einst Altpaphos: an beiden Orten standen die ältesten und berühmtesten Tempel der Aphrodite. Es war ein lichtwcites Gefilde, das vor dem schimmernden Meere ausgebreitet lag, in machtvollen schlichten Umrissen, groß und lieblich zugleich, alldahinter das dunkle Gebirge, alldavor das Meer, das zahllose kleine Zacken und Vorsprünge umränderte. Hier ward einst die schaumgeborene Göttin auf spielenden Wellen zum Lande getragen, an dieser Küste 180 stieg sie empor, und auf dieser lichten Höhe erhuben sich ihre strahlenden Tempel, umgirrt von weißen Tauben, umrauscht uou Liebeshainen, in denen, so träumte man es sich in der Ferne, die Seligkeit wohne und die ewige Unruhequal des Menschenherzens gestillt werde. Aus den vornehmsten Städten des Alterthums langten Voten und Pilger hier an, und dann wallten die bunten glänzenden Festzüge einher unter Flöten-klang und Gesängen zwischen Alt- und Neupaphos, bis die Thcilnehmer sich in der Tiefe der Tempel und Haine verloren. Mein Reisezug hielt in Ktima vor der Wohnung des Prälaten, der auch Vischof von Äasfo heißt. Von mehreren Seiten war ich aufmerksam gemacht.- an dieser gastlichen Schwelle dürfe ich nicht vorüberziehn, den Vischof werde das kränken, und ich die beste Tafel auf der Insel nicht kennen lernen. Auf das Liebenswürdigste wurde ich empfangen, Tags zuvor war vom Kloster Chrysorogiatissa Nachricht meiner Ankunft gekommen. Der Nischof war ein noch junger ansehnlicher Herr, blühend von Gesundheit, und an den zehn Fuß langen Wasserpfeifen, die mit köstlichem persischen Tabak gestopft alsbald erschienen, an den prächtigen weichen Teppichen und schwellenden Polstern merkte ich, daß hier ein reicher Herr wohne, der das Leben von seiner schönen Seite nehme. Aus einer offenen Halle des obern Hauses trat man auf das glatte Dach des niedriger gelegenen, und hier bot sich eine prächtige weite Aussicht auf Meer und Küste. Landeinwärts aber hob sich das Gebirge, das von hier aus gesehen wie ein einziges gewaltig hohes Tafelland über der sanft ansteigenden (I'bene aufragte. Seit Kairo hatte ich nicht so schön gewohnt, und da es einmal nicht anders war, so ließ ich es mir behagen, obwohl ich sonst auf meinen Reisen gern allem aus dem Wege gehe, was mir die volle Unabhängigkeit verderben könnte. XXVI. Byzantiner und Slaven. Der cyprischcn Gebirgsfahtt verdankte ich eine gutc Ncisc-frucht: sie erweiterte und befestigte meine Ansicht über Schicksale und Zukunft des Griechcnvolkcs. Hätte Fallmeraycr diese Cypriote»! des Gebirges mit den Bewohnern der kretischen Svhakia und von Thasos, Samothrake, Imbros, Lemnos und anderen griechischen Inseln verglichen, wäre durch ausgedehntere Völkerschau sein Feingefühl geschärft für das eigenthümlich Leistungsfähige verschiedenster Völker, so hätte sein Urtheil über die Neugricchcn und des Orients Zukunft wohl anders gelautet. So aber fand sich der 'deutsche Schulprofessor plötzlich in den Orient versetzt. Verstand und Geschichte sagten ihm sofort, in welch ungeheuerlichem Irrthum fich die deutschen Schwärmer befanden, die da meinten, auf alter griechischer Erde wohnten noch alte Griechen. Er durchschaute die ganze Elendigkeit der Türken Neugriechen und Rumänen, und erblickte ihnen gegenüber in seiner Größe und Breite nur den russischen Koloß, dessen eisige Schatten damals über ganz Europa fielen. Wir befinden uns jetzt in glücklicherer Lage als Fallmerayer. Wie hätte des edlen Mannes Wesen sich stolz emporgerichtet, welche ticfausklingendc Wonne hätte seine Seele erfüllt, wäre ihm noch beschieden gewesen, die nationale Hochflut von 1870 zu erleben! Tann hätte er auch gewisse Folgerungen aus der Thatsache gezogen, daß zur Wahrheit wurde, was ich schon 182 vor dreißig Jahren schrieb' „Tas alte Deutschland einigt sich jetzt wieder, es nimmt seine Stärke wieder zusammen und erhebt sich und wird auch seine Herrschaft in Europa zurücknehmen," und .was ich vor fünfzehn Jahren schrieb: „Das deutsche Volk ist gewachsen wie ein Wald, man sieht sein stilles Wachsen nicht, aber die Welt wird sich noch wundern, wenn der Wald auf einmal dastehen wird in seiner Größe und Herrlichkeit." Wenn ich damals, auf historische Studien und auf eigene unbefangene Völkerschau gestützt, richtiger sah, als viele Andere, so darf ich vielleicht hoffen, daß man nicht von vorn herein als thörichte Hoffnungen abweisen werde, was ich hier noch über des Orients Zukunft zu sagen mich erkühne. Nehmen wir zunächst einen kurzen Neberblict über die Geschichte, den geistigen Kern und die Leistungen der Ncugricchen. Im Jahr 146 vor Christus verloren die Hellenen, nachdem sie fast tausend Jahre lang in Krieg und Staat, in Kunst und Wissenschaft, und allen Würden und Vlüten des Menschcndaseins herrlich dagestanden, ihre politische Selbständigkeit, und nun blieben sie fast zwei tausend Jahre lang an ein mehr oder minder fremdes Staatswcsen gekettet. Eine Zeit, furchtbar lang genug, um völlig zu entarten und sich felbst zu verlieren. Es geschah so, was nicht ausbleiben konnte: die Hellenen entarteten sehr, sie verloren sich beinahe ganz unter fremde Zuwanderer, und dennoch hatten die Griechen nach Perioden der entsetzlichsten Verwüstung stets wieder, wie im zweiten, sechsten, neunten, cilftcn und dreizehnten Jahrhundert nach Christus, eine Zeit, wo das Volk sich wieder sammelte und von innen heraus sich kräftigte. Jede kurze Frist, wo irgend eine Macht ihnen Schutz und etwas Freiheit gewährte, wurde benutzt, um in Handel und Gewerbe wieder zu materiellem, aber auch durch sofortiges fleißiges Lernen und Studiren wieder zu geistigem Vermögen zu kommen. Freilich kam ihnen hierbei zu Gute, was sonst ihre Schwäche 183 bildete, daß sie nämlich nirgends in ganzer Masse beisammen wohnten, sondern zerstreut über ein großes Gebiet verschiedener Länder Küsten nnd Inseln. Gingen ihre guten Sterne im Westen unter, so fingen sie im Osten wieder zu glänzen an, und wenn die schwere Faust des Turaniers oder Mongolen erdrosselnd in jede Schlucht Asiens hineingriff, ließ sie die Griechen in Hellas wieder zu Athem kommen. An einem Punkte blutig zerschlagen und vertrieben, dringt dieses Volk von einem andern Punkte wieder vor und gibt niemals die Hoffnung auf, auch die verlassenen Sitze wieder zu erobern. Kurz, elastische Kraft und Zähigkeit ohne Ende! Was anders aber ist ihr tieferer Grund als die geheimnißvolle Stärke geistigen und gebildeten Wesens, das leichter, aber unfaßbarer, das flüchtiger und doch widerstandsfähiger ist, als alle rohe Gewalt! In den beiden ersten Jahrhunderten des Nömerreichs kommen über die Griechen schwere Kriege und Heimsuchungen. Sie stäuben auseinander und wandern aus nach allen Weltgegcn-den, als wollten sie ihr eigenes Land leer werden lassen. Dann aber beginnt wieder rafches Aufblühen an allen Hauptstätten des griechifchen Lebens. Das Volk fühlt sich in seiner Vornehmheit: denn zu ihm kommt alle Welt, um die Lebens-wie die Redekunst zu lernen. Sein schöpferischer Trieb ist erlahmt, jetzt entwickelt sich die zierlichste Feinheit und zugleich die freiestc Sitte. Unter den vier hohen Schulen in Aleran-drien Athen Rom und Massilia bleibt Athen doch die erste: hier herrscht eine fast kindische Lust und Freude an der schönen Rede, hier aber blüht auch eine neue philosophische Schule auf, die neuplatonischc. Es treten Konstantin und Justinian auf die Weltbühne, Beide ausgeprägte Byzantiner. Der Eine verhilft dem Christen--thum znm Siege, der Andere tödtet die letzten Neste des Götterdienstes. Beide aber machen das Christenthum diensam 184 ihrem Ztaatswesen. Tic einfache christliche Gemeinde weitet sich aus zur Hof- und Staatstirchc, wird aber zugleich getränkt und durchzogen von allen Lebensadern der antiken Kultur. Noch immer blitzt die feine stählerne Streitart, welcbe die Philosophen schwangen: nur übt sie jetzt sich daran, Dogmen zu zerklüftcn uud die Splitter zu neuen Dogmen zuzuspitzen. Unter Justinian ist die Sprache im Heer, im Gericht, in der Verwaltung noch die lateinische, römischen Zuschnitt trägt das ganze Staats- und Kriegswesen. Wo aber Nömcr herrschten, romanisirtcn sie Staat lind Sprache und Sitte, so in Italien Afrika Gallien Spanien Britannien und an den Ufern des Rheins und der Donau. Vom deutschen Boden wird das römiscbc Wesen weggefegt durch die nationale Kraft der erwachenden Germanen: auf griechischem Boden ist es das feinere und gewandtere Wesen griechischer Politik, griechischer Sprache und Lebensart, welches über das römische die Ueberhand gewinnt. Bvzanz wird durch und durch griechisch, freilich spätgriechisch. Vom siebenten bis cilftcn Jahrhundert hatte Griechenland seine dunkelste Epoche, bester unglücklich, im Ganzen siegreich waren lange Zeit die Kämpfe geführt mit Gothen Langobarden und Vandalcn, mit Deutschen Persern und Arabern: endlich ließ sich die Völkerflut, die ringsum das byzantinische Kaiscr-thum umbrandete, nicht mehr zurückdämmcn. Slaven Bulgaren Auarcn strömen ein, besonders sind es Slaven unh später Albanescn, die bald in Gcwaltshaufen, bald wie Gewässer, die leise steigen bci Uebcrschwcmmungen, fast das ganze alte Griechenland überziehen. Ja, es muß in jenen Gegenden, wo wir bloß slavische oder albancsische Ortsnamen finden, das Hellenische völlig untergegangen, es muß Einöde gewesen sein. Denn sonst nimmt das einwandernde Volk die Ortsnamen an, die es vorfindet, und macht sie bloß sich mundgerechter. Gleichwohl läßt sich Fallmcrayer's Satz, auf welchen er 185 seine ausschweifenden Behauptungen zuletzt zurückzog, nicht aufrecht halten. Dieser Satz lautete: „Um das Jahr Eintausend nach Christus war die Halbinsel Peloponnes mit dem ganzen rückwärts liegenden hellenischen Kontinent, wenig ausgenommen , von scythischcn Slaven bebaut und von den Zeitgenossen als Slavenland anerkannt." Fallmcraycr lick; sich verführen durch Chroniken, deren spätere Entstehung und geringe Glaubwürdigkeit, und durch den Porphyrogcnetcn Konstantin, dessen Unzuverlässigkeit seinem Scharfsinn entging. Selbst in trübster Zeit, um die Mitte des zehnten Jahrhunderts, standen noch als griechische Städte da Athen, Taulis, Chalkis (Egribos), Naupaltos, Korinth, Argos, Sikyon, Paträ, Krisa, Lebadeia, Koronea, Amphissa (Salona), Oitylos (Bitylon), Lamia sZeitun), Hypata (Neopatra), Mcssene (Vulkano), Trözene ^Tamala), Gortys (Karitcna), Geronthrä (Gerati), Zarar <^Hieraki), ferner Nauplia, Monembasia, Arkadia, Christiano-polis und andere mehr. Während wir bestimmt wissen, daß diese Städte noch wie helle Punlte aus der schwärzlichen Um-flutung hervorleuchteten, gab es ohne allen Zweifel noch viele andere Ortschaften, in denen Griechen wohnen geblieben, felbst wenn die Gemeinden slavische Namcn erhielten. Dort, wo die slavische Strömung sich am stärksten fühlbar machte, find die Griechen ihr ansgewichen; aber indem sie sich zurückzogen, kam ihnen trefflich die eigenthümliche Gcbirgsnatur ihres Landes zu Statten, das überall von Berazügen umhegte Thäler und Kcffel und Halden bildet, in und auf welchen die Bewohner von der übrigen Landschaft gleichsam abgeschnitten leben konnten. Zweifellos blieben die Küstenplätze im Besitz der Griechen und den kaiserlichen Flotten offen. Was aber das Entscheidende ist, die ganze slavische Bevölkerung ist vollständig von der griechischen zersetzt, aufgesogen und umgebildet. Selbst die Sprache der Slaven erlosch beinahe vollständig. Von den festen Plätzen an der Küste 186 dringen byzantinische Heere, Beamte und Mönche in's Land ein, besiegen die Slaven, legen neue griechische Standorte und Ansiedelungen an, nöthigen alles Volk, Christen zu werden, und sobald Slaven das Christenthum annehmen, verflüchtigt sich ihre Sprache und Sonderart. Ueberall zeigt sich die slavische Natur weicher, schmiegsamer, untergeordneter, die griechische aber härter, schneidiger, gebieterischer. Diese gründliche Umbildung nimmt aber nicht etwa erst in den letzten Zeiten ihren Anfang, sondern energisch ist sie bereits im neunten Jahrhundert im Werke und vollendet schon im eilften. Nur in Lakonien und am Alvheios saß noch slavische Bevölkerung fest, doch auch sie konnte sich auf die Länge nicht mehr aufrecht halte». Seit den lchten sechs Jahrhunderten spricht und denkt in Griechenland alles, was ehedem slavisch war, griechisch. XXVII, Ueugriechen. In jener Zeu nun, wo Staat und Kirche der Byzantiner die slavischen Eindringlinge in scharfe Schule nehmen, gestaltet sich die neugriechische Sprache und Nation. Beide hätten von allem, was auf der Erde lebt und besteht, eine Ausnahme gebildet, wären sie allein dem ewigen Gesetze der Um-und Neubildung entzogen gewesen. Die griechische Schriftsprache hatte man immerdar in Büchern uor sich, von ihr abweichen hätte Mangel an Bildung verrathen. Anders die Volkssprache. Diese formt sich flüssig im Volksmunde je nach Umgebung, nach wechselnden Bedürfnissen und Ideen. Jedes Volk, mit welchem die Griechen lange zusammenlebten, hat dem Wörterschah wie dem innern Gefüge ihrer Sprache etwas mitgetheilt. Und eben so hat jedes dieser Völker, mit dessen griechisch gewordenen Nachkommen Hellenen sich verheiratheten, zu ihrer Bluts- und (iharaktermischung beigetragen. Es konnte gar nicht anders sein, an Stelle des altgricchischen mußte ein neugriechisches Volt entstehen. Denn die slavische Einwanderung war nicht die einzige i noch von vielen anderen Volksarten wurde der griechische Boden im Laufe der Zeiten überrieselt. Konstantinopcl aber war erst recht der große Schmelztigcl, in welchen fort und fort Bruchstücke von Asiens wie Europas Völkern hineinsielen, um als Ncugriechen daraus hervorzugehen. Gerade die ungeheure Bedeutung, die Konstantinopel schon seiner Lage wegen noth- 188 wendig erhielt und cin Jahrtausend lang behauptete, mußte am Bosporus eine Völlcrverschmelzung ergeben, die eben so reichlich bis auf die Höhe des Thrones als in das Dunkel der ärmsten Hütten hineinging, ein seltsamer Hergang, wie er sich nur etwa in Petersburg und den nordamerikanischcu Städten wiederholte. Ueberhaupt nimmt das ganze byzantinische Neich eine seltsame Stellung in der Geschichte ein. Ein alterndes Kaiser-thum — es war eine Fortsetzung des römischen —, das sich über ein großes Land- und Meergcbict erstreckt, das nur über eine weit zerstreute dünne Bevölkerung gebietet, das beständig ringsum von wilden Massen der Barbaren angegriffen wird, hält sich gleichwohl beständig aufrecht, nmß die wilden Völker hier einlassen, wirft sie dort wieder hinaus oder unterjocht sie, und bleibt stets von dein Gedanken beseelt, verlorene Länder zurückzuerobern. Dieses Kaiserreich hat eigentlich nur cin großes festes Bollwerk, das ist seine riesige Hauptstadt, die trefflich befestigt und wohlgelegcn zu jeglicher Hcrrschaftsübung. Und dennoch steht das byzantinische Kaiscrthum über tausend Jahre lang aufrecht, cin Triumph, der nur in der Ueber-legenheit beruht, welche ihm höhere Kultur über alle seine Feinde gewährte. Konstantinopcl war nicht nur das Wahrhaus der antiken Bildung und dadurch eine unendliche Wohlthat für die ganze Welt: diese Kaiserstadt blieb auch Sitz und Erbe jener römischen Neichspolitik, welche die verschiedenartigsten Völker zu beherrschen, zu verknüpfen und in eins zu formen verstand. Welch ein Meisterstück machten diese Byzantiner z. B. an den Gothen! Sie wußten sie aufzuhalten in ihrem Siegeslauf, zu vertheilen, zu christianisiren, schickten sie weiter nach Westen und besiegten sie endlich in Italien. Nichts als diese grundgescheidte Erbpolitik erhält das byzantinische Reich. Ihr Träger ist eine Beamten-Hierarchie, die 189 aus allerlei Volk beständig die besten Köpfe in ihre Reihen aufnimmt, zuschult nnd verwendet, und sie vom untersten Zolleinnehmer bis hinauf zum Kaiser ganz und gar erfüllt mit dem gleichen Bewußtsein der Staatsnothwendigteit, des Hcrrschertalents, des eigenen höhcrn Werthes. Nur die päpstliche Kurie brachte Aehnliches, und zwar noch ausgiebiger zu Stande. Finanzen, Heer, Diplomatie — das sind die drei Hebel, mit welchen das byzantinische Staatöwesen zu arbeiten versteht. Insbesondere die Diplomatie vergaß niemals die Kunst, wie man feindliche Nachbarn oder eingedrungene Wildmassen bearbeitet, zersetzt, lahm legt. Mit teuflischer Klugheit brachten die byzantinischen Gesandten und Agenten im Innern jener Völker Zwietracht, Aufstände, Zerstörung hervor. Die mächtige Helferin aber, mit welcher der Staat sich aufs Innigste verschwistert, war die Kirche, und es tonnte gar nicht anders sein, als daß dieses Kirchenwcscn, so verzweigt und verwachsen mit dem byzantinischen Kaiserthum, sich mehr und mehr von der abendländischen Kirche trennte. Dazu kam noch Eines, das man Konstantinopcl niemals nehmen konnte, das ihm stets aufs neue Geld und Mannschaft zuführte, das war das Meer mit Handel und Flotten. Wenn aber Vyzanz zu gleicher Zeit ein großes Nattennest von Tücken und Ränken und die rechte Heimat wüthender Hab- und Ehrsucht, Haß- und Nachgier wurde, wenn seine ganze vornehme Welt sich wiederholt in Blut und Lüsten badete, wie könnte das bei einem glänzenden, Pracht- und Instvollen Herrschersitz Wunder nehmen, in dessen Palästen Ueberfeincrung sich einigte mit einem durch und durch künstlichen Dasein, und die Antriebe statt von einem gesunden Nationalgefühl ausgingen von Mönchen und abenteuernden Damen? Den stärksten Stoß erhielt das byzantinische Reich durch die Franken, einen Stoß ins Leben, welchen es nicht wieder 190 verwinden konnte. Cypern zuerst wurde weggenommen, und als den fränkischen Rittern dort ein hübsches kleines Königreich erblühte, kam ihnen der Gedanke, den Kaiser in Konstan-tinopel selbst vom Throne zu reißen. Die schlauen Vcnetianer, die sich schon längst als des Kaisers „Diener" überall mit einträglichen Privilegien eingenistet, schürten die ritterliche Idee. Die Franken sollten ihnen erst die rohe Arbeit thun, damit sie später den Gewinn davon einzögen. Ihre Flotte führte die Kreuzfahrer nach Konstantinopel, die Stadt wurde erobert, ein Franke auf den Thron gesetzt. Nun dauerte das lateinische Kaiscrthum zwar nicht einmal sechszig Jahre, die Byzantiner trieben die Franken wieder heraus aus der Kaiscrstadt, allein es geschah das nur mit Hülfe der Gcnuesen, Venedigs Nebenbuhlern, die sich dafür ebenfalls mit Schlössern und Länderperlen bezahlen ließen, während Hellas, Morea, Cypern, Candia und andere Inseln dem Reiche entfremdet blieben. Venetianer und Genucscn spielten jetzt die Meister, und aller Orten, wo noch Handel und Gewerbe blühctc, siedelte sich italienische Sprache und Sitte an und gewann einen viel tieferen und dauernderen Einfluß als alles, was von Slaven herrührte. Noch zwei Jahrhunderte lang hält sich Vyzanz aufrecht. Vergebens werden die Mauern von zahllosen Feinden bcrannt, griechische Künste werfen sie zurück und machen sie ohnmächtig. Ocfter erobern die Kaiser durch ritterliche Thaten längst verlorene Provinzen zurück. Endlich naht das Verhängniß durch die Osmanen. Nicht in einem Ansturm, sondern in Kriegszügen, die sich zwei Jahrhunderte lang wiederholen, reißen sie eine Provinz nach der andern ab, immer näher umzingeln ihre drohenden schreienden Sturmhaufen die Kaiscrstadt, im Jahre 1453 fällt sie in ihre Hände. Durch die Türken aber setzt sich die rückläufige Bewegung fort: die neugriechischen Länder, die fränkisch oder italienisch geworden, werden von 191 Konstantinopel aus wieder erworben. Das byzantinische Reich ersteht wieder in seinen weitesten Gränzen, seine Herren aber sind Türken. Unterdessen hat sich, fast unbemerkt, in Griechenland eine neue Völkerwanderung begeben. Die Albanesen, die bereits zu Ende des eilfton Jahrhunderts anfingen, ihre alten Sitze zu verlassen, breiten sich mehr und mehr aus, bis sie Attika und Hydra erreichen, während Walachcn große Stücke von Thessalien und Epirus besetzen. Ein eigenthümliches Volk, diese Albanesen oder Skypetaren, d. h. Bewohner des Fels-gebirgs. Vergleicht man sie mit Ariern, so macht sich deutlich bemerklich die größere Kurzköpfigkeit, die Schädclbreite von Ohr zu Ohr gemessen, der untersetzte gedrungene Körperbau, die Schwärze der Augen, die Straffheit des dunkeln Haars, und eine Hautfarbe, die ins Gelbbräunliche spielt. In ihrem Geist und Charakter steckt viele Kraft und Zähigkeit, er ist aber umzogen von einem engen Horizont des Denkens und Unternehmens. Auf Viehzucht und etwas Ackerbau steht ihr Sinn, Krieg und Naub ist ihre Leidenschaft, und in diesen Beschäftigungen zeigen sie sich arbeitsam, abgehärtet und vielgeduldig. Ein Kulturvolk, das Staaten bildet und Geisteswerke schafft, sind sie nicht, und als hätten sie ein dunkles Bewußtsein davon, nehmen sie mit Leichtigkeit fremde Herrscher und Heerführer uud fremde Sprache an. Weß Stammes die Albanesen sind? Die Frage ist noch nicht ganz aufgeklärt. Sie scheinen nicht arischer und nicht mongolischer und noch weniger semitischer Art. Wenn sie kein Urvolk sind, wie Arier oder Mongolen oder Semiten, so müßte man glauben, es habe einst durch die illyrischen Gebirge und auf beiden Seiten der Abhänge des Balkans sich ein Volk verbreitet, das dem mongolischen verwandt war, und auf der großen Wanderung der Arier habe sich ein Zweig von diesen in jenen Gebirgen verrannt und mit jenem Volke 192 verschmolzen. Unter mazedonischen römischen und byzantinischen Generälen machten sich die albanesischen Stnrmhaufen einen großen Namen. Später wurde dieses Volt, sowcit es in den Bergen von Illyrien und Epirus steckte, völlig von der Geschichte vergessen, bis sich auf einmal zeigte, daß Albanesen ganz in der Stille sich den größten Theil vom mittleren Griechenland angeeignet. Auch von ihnen mußten die Ncugriechen nicht wenig in ihre Sprache und Volksart aufnehmen, ja mehr, wie es scheint, als von irgend einem andern Volke. Nicht zu ihrem Nachtheil - denn der Albancse ist kriegerische Hiraft und Entschlossenheit vom Wirbel bis zur Zehe. Nach den Albanesen hat die neugriechische Sprache am meisten von den Italienern angenommen, nach diesen von den Türken. Denn es war ganz unmöglich, daß sie vor diesem Herrcnvolke, das sie beherrschte und auspreßte, das sie aber wieder in Handel und Wandel, in Politik, Haus- und Felddienst tausendfach benutzte, ihre Volksart rein und verschlossen gehalten hätten. Im Gegentheil, wie von keinem andern Volke wurden sie von den Türken durchsetzt, und waren sie bereits von so vielen Nationen bekämpft und unterdrückt, so begann erst mit der Türkenhcrrschaft ihre schwerste und längste Leidcnsperiodc, eine furchtbare Periode von vierhundert Jahren. Und auch diese Zeit haben sie überdauert! Verachtet, mißhandelt, in den Staub getreten, haben sie freilich aller Listen und Tücken, der Waffen des Schwachen, sich bedient, um nicht unterzugehen, aber niemals haben sie sich mit des Unterjochers Voll und Glauben verschmolzen. Dafür hielten sie sich doch zu gut. Und gegenwärtig? Jetzt ist gar keine Rede davon, daß die Neugricchen als Volk nicht fortdauern werden. Was haben wir nun auf dem Gebiete der alten Griechen heutzutage für Leute vor uns? Vollständig ist das Hellenische 193 untergegangen in Italien und Sizilien und weiter westwärts, eben so in Aegypten und Syrien: dagegen auf den Inseln im Griechischen Meer und in den Ländern an beiden Seiten, auch in Kreta und Lypern, lebt überall noch ungebrochen in frischer Kraft ein Volk, das den alten Griechen noch immer fast so nahe steht, wie die meisten Völker der Gegenwart ihren Vorfahren, die vor zweitausend Jahren lebten. Ich will ein paar Resultate meiner Reisen im Folgenden zusammenstellen. Im Norden gibt es auf Samothrake und Thasos, im Westen im sphatiotischen Bergland auf Kreta, im Süden in dem Gebirge Cyverns eine Bevölkerung, die sich, soweit sie auch von einander entfernt ist, ungemein ähnlich sieht und in Sprache Wohnung Sitte Glauben und Neigung auffallende Uebereinstimmung zeigt. Man könnte slawische und gothische Gestalten darunter finden, noch mehr mittelitalienische und Dalmatiner: vorherrschend ist aber die schlanke Wohlgestalt des Leibes, welche der Kraft nicht entbehrt, die schöne natürliche Haltung, der leichte Gang, das ewige Gespräch, der helle scharfe Blick. Cs ist etwas Leuchtendes in diesen Köpfen, das Auge häufig stechend. In ihrer Sprache finden sich am reinsten altgriechische Wörter und EaMgungen, in ihrer Religion am meisten von altgrichischer Anschauung. Alles spricht dafür, daß wir auf den genannten Punkten Reste, wenn auch im Lauf der Zeiten etwas veränderte Reste altgriechischer Bevölkerung vor uns haben. Unverkennbar sind ihnen nahe verwandt fast alle Insel-gricchen und eben so die vornehmeren Neugriechcn in den See- und Handelsstädten, einerlei, ob sie am Ionischen oder Griechischen oder Schwarzen oder Syrischen Meer wohnen. Diese sind aus viel stärkerer Volksmischung, als die Vorgenannten in Kreta Thasos und Cypern hervorgegangen; aber diese Mischung durchbricht stets, wenn auch gedämpfter, die schöne helläugige griechische Art, der leicht bewegte, rasch Löhor, Cypcrn, 13 194 auffassende Geist, der Sinn für gesellige Bildung und häuslich feste Sitte, die Parteisucht und Eitelkeit, und das Handelstalent. Auf dem griechischen Festlande erscheint uns das alles abgeblaßter und zerrissener. Die Natur des Volkes ist viel melir slawischer, noch viel mehr albanesischer Art. Gleichwohl läßt sich die Verwandtschaft mit den Inselgriechen im Großen und Ganzen gar nicht leugnen. Volksart Sprache Religion, und in gewissen Hauptsachen auch Sitten und Neigungen haben ganz dieselbe Grundfärbung. Wie viel oder wie wenig dieses Mischvolk in Hellas Thrazien und Kleinasien noch von altgriechischem Vlut in seinen Adern führen mag, sicher war jedes Tröpfchen von einer feinen Kräftigkeit, die den ganzen Menschen bestimmte. XXVIII. Wolkscharakter. Wir haben hier also ein Volk, das auf weitem Gebiete im Wesentlichen überall dasselbe neugriechische Volk ist. Gewiß besteht es nicht aus alten Griechen: diese müßten ja recht greisenhaft geworden sein, wenn sie noch lebten. Es ist vielmehr hier nicht anders gegangen, als es in ganz Europa herging: eine Verjüngung, oder Verschlechterung, jedenfalls eine Neubildung erfolgte durch zuströmende neue Völker. Aber es ist nach einem ewigen Völkergefetze so hergegangen, daß das an Geist und Kultur höber stehende Volk die niedrigeren Arten umbildete und sich angliederte. Das Neugriechische hat, als es sich formte, mehr Albancsisches Italienisches Türkisches Slawisches mit sich verschmolzen, als die sprachen der Romanen Germanisches in sich aufnahmen: gleichwohl hat das eigenthümlich Griechische sich niemals so weit bewältigen lassen von den ins Land eindringenden Eroberern, wie das Slawische in der ganzen Ostbä'lfte Deutschlands oder das Celtische in Westeuropa und Großbritannien. Noch immer steht es dem Altgriechischen näher, als die Sprachen der Nomancn dem Latein. Verkennen wir doch nicht die große Wabrhcit: nicht Blut und Nieren, nicht Knochen und Schnen, nicht Leibes- und Schädelbildung ergeben den Volkscharakter, sondern der Geist thut es, jenes Unfaßbare in uns, welches denkt, Antrieb und Entschlüsse gibt, und die Energie und Farbe der sittlichen Eigenschaften bestimmt. Diese gcheimnißvolle Macht ändert gemach 196 auch den körperlichen Menschen um, indem sie in jeden Nerv, jede Hirnfaser, jedes Vlutkügelchen eindringt. Nicht aber wird vom körperlichen Wesen da-? geistige verändert nnd geformt. Ist nicht der untersetzte breitknochige Pommer ein so echter Deutscher, als der langgeschenkelte brustgewölbte Schwabe? Vor Allem ist es die Sprache, von welcher die Volksseele geätzt und geschlissen wird, welche sie durchdringt und beherrscht. Tie Sprache ist nicht Meid oder Rüstung, die man an- und ablegt- sondern die seelische Eigenschaft und das geistige Gesetz, welches sich mit den Lauten zur Sprache verschmolzen hat, theilt sich jedem mit, der sie annimmt. Niemand spricht ein feines Französisch und bleibt ein plumper Deutscher, und Niemand, der mit der edlen Sprache des Sophokles und Plato vertraut worden, setzt noch all sein geistiges Vermögen in Holz- und Pferdehandcl. Wohl aber sitzen in der Natur der Völker gewisse Neigungen lind Talente ungemcin fest und kehren in verschiedener Färbung wieder, wie der Türke und Magyar sie besitzt für Politik, der Deutsche für bürgerliche und geistige Schöpfungen, der Slawe für Ackerbau Viehzucht und Kleinhandel, der Jude und Armenier für Geldgeschäfte. Haben nun die Neugriechcn Geist und Charakter, Gemüthsund Sinncsrichtung der Altgriechen? Wer könnte die Augen schließen vor der dunkeln Kluft, die zwischen beiden liegt? Ist sie doch beinahe so groß, als der Anblick des Landes jetzt verschieden ist von der Pracht und Herrlichkeit Altgriechenlands. Ja, man meint oft die klagende Seele eines verlorenen Volkes zu vernehmen, wie sie umherirrt unter bleichenden Trümmern und kahlen Hügeln und Berggipfeln, und in weichen kindlichen Tönen und Liedern ihrer Trauer Worte verleiht. Sehen wir aber uäher zu, fo entdecken wir eine ganze Menge kleiner Brücken, die über jene Kluft hinüberführen. Am wenigsten altgriechisch, am meisten slawisch oder türkisch 197 ist die starre Unbeweglichkeit in kirchlichen oder religiösen Tingen, die nun schon tausend Jahre währt. Nicht ein Schriftzug in den Büchern, nicht eine Gcbcrde in der Kirche, nicht ein Gedanke in den Geistern hat sich geändert, ein wahres Räthsel bei der geistigen Lebendigkeit des Volkes. War es die unaufhörliche politische und nationale Noth, welche die Dentfrciheit in Fesseln schlug? Oder war es vielleicht ein glücklicher Instinkt, der die Neugriechen lehrte, an diesen einzigen Hort ihrer nationalen Religion und Kirche dürften sie nicht rühren, solle ihr Volk sich nicht in die Irre verlieren? Oder legte die Weltvorschung hier eine schwere Decke auf die Geister, damit um so gewisser und kraftvoller einst ihr Frühling aufbreche? Das Schönste, was die Neugriechen haben, ist ihr Familienleben. Die Glieder der Familie hängen wie die Kletten zusammen und theilen einmüthig Glück und Noth. Um für einen Sohn oder Bruder Reife- und Etudienkostcn zu erschwingen, sparen und hungern Eltern und Geschwister. Die Brüder heirathen nicht, ehe sie die Schwester versorgt wissen. Und es ist oft wahrhaft rührend zu sehen, wie greise Väter und Mütter, die man besonders in griechischen Familien zahlreich und verehrungswürdig findet, von Pietät umgeben sind. Die Herren Altgriechen gönnten sich viele Freiheit in Liebe und Gefallen an der sinnlichen Schönheit: ihre Weiber aber lebten zurückgezogen in fleißiger Hausarbeit, in Keuschheit und schöner Schamhaftigkeit. Das ist auch heute noch der Fall. Die Bedeutung aber der Frauen ist außerordentlich gestiegen. Vielleicht nimmt bei keinem andern Volke das Weib eine so wohlthätige Stellung ein, als bei den Neugriechen: sie vorzüglich ist es bei ihnen, welche die Familie zusammenhält. Die Frauen sagen bekanntlich: mögen die Männer Gesetze machen, wir schaffen die Sitte. Die Gesetze aber gehen erst aus der Sitte hervor, und je fester die Sitte eines Volkes, um so länger hält es aus. 198 Der Slawe ist Feldbauer und Kleinhandwerker, der Albanese Landsknecht und Viehzüchter, der Türke Krieger und Junker — ganz anders die Neugriechen. Diese sind ein rechtes See- und Handelsvolk, die besten Matrosen, die gcscheidtesten Großhändler, und statt der rohen lieben sie die feine Arbeit, den Anbau von Handelspflanzen, Fabrikthätigkeit, und Geldindustrie. Bei der wärmsten Anhänglichkeit an den heiligen Boden der Heimath sind sie gleichwohl jeden Augenblick bereit, in die Fremde zu ziehen, um Gut und Geld zu erraffen. Was sie aber hoch über alle Bewohner des Orients erhebt, das ist ihr beweglicher und elastischer Geist, der gar nicht umzubringen, nach jedem Drucke emporschnellt und wieder licht und heiter wird, wie der griechische Himmel nach dunkeln Stürmen. Die Wissenschaft zieht sie an, und feine Grazie und ein geistreiches Wort kann sie entzücken. Unwiderstehlich ist ihr Lern- und Bildungstrieb, für alle Dinge haben sie gleich ein Interesse, und nichts thun sie lieber als sprechen und erzählen. Das alles könnte nicht sein, wären nicht Verstand und Phantasie bei ihnen besonders kräftig und aufgeweckt. Nun aber auch von ihren Untugenden und Lastern! Ihre lächerliche Eitelkeit in tausend Dingen, hinter welcher man kaum sie suchen sollte, eben so den niedrigen Geiz möchte man ihnen noch hingehen lassen, da mit der Eitelkeit glühender Ehrgeiz, und mit dem Geiz Mäßigkeit und wohlgeordneter Sparsinn zusammenhangen. Wären nur der anderen sittlichen Uebel nicht so viele und so gräuliche, als wären alle Sünden des Orients in diesem Volke zusammengeflossen, und man sich nur wundern muß, daß es nicht längst darin ersäuft ist! Im bürgerlichen Leben nimmt die Spitze der Untugenden die Untreue und Unbeständigkeit, die Tücke und Verlogenheit. Von unersättlicher Habsucht, herzlosem Naubsinn, unversöhnlicher Nachgier finden sich zahllose Beispiele. An Nechtssinn ist solcher Mangel, daß, wenn ein Bauer Geschworener wird, 199 er stets geneigt ist, den Verbrecher freizusprechen, weil er in seinem Herzen denkt, vielleicht könne ein böses Schicksal ihn selbst nächstes Jahr auf die Bank des Unglücklichen führen. Fragen wir nach dem politischen Vermögen, so kann die Antwort nur lauten: höchst ausgezeichnet im Kleinen, niederträchtig im Großen. Wer wollte dem Ncugriechen politische Klugheit absprechen! Es fehlt ihm aber vollständig die große und nothwendige Tugend des Gehorsams. Offiziere und Soldaten erörtern und zanken sich, wo Jene befehlen und Diese gehorchen sollten. Kaum ist cine gute Anordnung verkündigt, so wird sie durch Spott und Kritik zersetzt und lahmgelegt. Der Neugricche ist der pfiffigste rührigste ausdauerndste Gesell, aber bloß um den Gegner zu werfen und den Staat zu betrügen. Gleichwie heillose Simonie die orientalische Kirche erniedrigt, so läßt elende Parteisucht den Staat niemals aus jammervoller Schwäche sich aufraffen. Die Parteien sind Gefolgschaften, jede Gefolgschaft kämpft für ihren Häuptling, nicht damit er Grundsätze und Maßregeln durchsetze, sondern damit er zu Gewalt gelange und seine Helfer mit Stellen und Vortheilen belohne. Diese sittlichen Uebclstände verbreiten über die Neugriechen so tiefe Schatten, daß die leuchtenden Punkte, als da sind Gastfreiheit Gemeinsinn Tapferkeit und höchste Vaterlandsliebe, sobald der edlere Ehrgeiz erwacht, in jenem Dunkel fast verschwinden. Allein dürfte man nun, weil Simonie ihre Kirche, Partei-und Naubsucht ihren Staat beherrscht, sagen: die Neugriechen hätten kein Prinzip, keine Kulturidee zu erfüllen? Mit anderen Worten: sie hätten nur ein Naturlebcn und keine unsterbliche, strebende Volksseele, wären daher nur zum Völkerdünger bestimmt? Wer möchte das behaupten, der nur ein wenig ernster sich in Länder- und Völkerkunde umgesehen! Die Griechen in Massen und zersplittert waren und sind 200 stets bereit, Türken und Iölam zu bekämpfen. Wo ihncn Muskete und Handschar aus den schwachen Händen sielen, da stritten und streiten sie noch mit ihrem rührigen Haudelotalcnt, ihrem Volks- und Familiengeist, ihrer ganzen höheren Kultur gegen den Feind. Das bedeutet doch schon etwas auf der Welt. Tie Griechen sind auch längst innerlich gerüstet, gegen eine viel stärkere Macht zu kämpfen, die russische. Sie hegen die unaustilgbare Zuversicht, daß ihnen gehört, was wir den Orient nennen, Syrien und Acgyptcn ausgenommen. Eie rechnen, daß sie langsam, langsam, aber doch endlich siegen werden. Wer ihnen diese Aussicht verschließen will, ist ihr bitterster Feind, und so lange er sie nicht Mann für Mann ausrottet, werden sie niemals aufhören, ihn heimlich und öffentlich zu bekämpfen. Sie würden sich nöthigcnfalls in ihre Gebirgsschlupfwinkcl zurückziehen und Jahrhunderte des Kampfes für nichts rechnen, bis sie endlich dennoch wieder an die Küsten und über's Meer dringen und ihr altes C'rbe Konstantinopcl gewinnen würden. XXIX. Leistungsfähigkeit. Aber, so fragt man, wie ist es denn nun mit der thatsächlichen Leistungsfähigkeit bestellt? Hat denn das Völklein Mittel genug zu solchen Aufgaben? Die beste Probe gibt die Erfahrung der letzten fünfzig Jahre. Was haben die Griechen in dieser Zeit geleistet? Es ist ein Geringes im Vergleich mit andern glücklicheren Völkern, es ist etwas sehr Großes im Vergleich mit dem. was sie vor fünfzig Jahren hatten und waren. Damals gab es nur einen schwachen Nest von Neugricchen, der dem Schwert, dem Hunger, den Seuchen entronnen! dieses Volt lebte in Lumpen und Elend i das Land taugte kaum noch zum Weideland für Ziegen und Schafe: die Wohnungen lagen da als halbzerstörte Stein- und Erdlöcher; in keinem Hause gab es einen Pfennig baares Geld. Jetzt, nach etwa vierzig Jahren, erblicken wir an Stelle der ehemaligen Piratennester, die sich Syra Athen Piraus Nauvlia Patras Kalamata u. s. w. nannten, ansehnliche Städte, die Ortschaften wieder aufgebaut und vergrößert, wimmelnd von Kindern. In den Häusern ist wieder Geräth und Vieh, in zahllosen Familien wieder etwas Vermögen angesammelt, in vielen sogar Reichthum. Ackerbau und Gewerbe, Handel und Schiffahrt haben sich gegen früher außerordentlich gehoben. Das gefchah trotz der denkbar schlechtesten Staatsverwaltung, die es dahin gebracht hat, daß es an Festungen und Kriegsschiffen, an guten Offizieren, an Ausstattung und Munition für die Soldaten fehlt, daß die Wege noch fast aller 202 Orten im gräulichen Zustande, daß jede Familie im durchschnitt nahe zehn Mark Steuern jährlich zahlt. Außerdem muß sie noch durch freiwillige Gaben die zahlreichen Bischöfe Priester und Mönche unterhalten, von denen der größte Theil seine Wolle auf das Allergeschickteste zu scheren weiß. Die Neugriechen rechnen ihres Stammes im eigenen und türkischen Lande neun Millionen. Ich glaube, diese Ziffer ist viel zu hoch gegriffen. Aber wie viel Hellenen waren nach dem großen Würgekrieg thatsächlich noch übrig? Seit jener Zeit hat sich die Volksmenge mehr als versechsfacht. Diese Volksvermehrung hatte aber nicht bloß im Königreich Griechenland Statt, sondern sie erfolgte gleichmäßig in Thessalien (5'pirus Mazedonien Thrazien Kleinasien, auf allen Inseln, an allen Küsten des griechischen Meeres. An tausend Orten, wo ehedem kaum ein paar Griechen lebten, sind sie jetzt zahlreich im Besitz von Gütern und Häusern. In ganzen Landschaften, in denen man früher kaum ein hellenisches Wort vernahm, herrscht jetzt ihre Sprache. Ein Volk, das, sobald es sich nur etwas wieder regen kann, so großen Vermehrungö-und Ausdchnungstricb entfaltet, darf wohl von Zukunft reden. Stärker aber fällt in dieser Beziehung in's Gewicht das Vermögen, anderssprachige Völkerschaften aufzusaugen und mit sich zu verschmelzen. Wie früher an den Slawen, hat sich das in den letzten Jahrzehnten glänzend bewährt an den Alba-nesen. Bei diesen sprechen im Königreich jetzt alle Männer griechisch, die Kinder lernen es gern in der Schule, höchstens ein paar alte Frauen verstehen es noch nicht. Und nicht das allein, diese Albancsen sind auch äußerlich den Griechen ganz ähnlich geworden, und man muß bereits hoch in's Gebirge steigen, um bei ihnen noch das Kennzeichen kulturloser Völker zu finden, nämlich bei dem Einen wie den Andern gleichen Stempel und Ausdruck der Gesichter, so wie bei Lappen und Pußta-Magyaren und früher bei unseren polnischen Rekruten. 203 Sobald nur ein wenig geistiges Leben ins Innere dringt, prägt es sich aus in individuellen Gesichtszügen. Und nun das beste Zeichen, welcher Kern in den Neugriechen steckt, das ist die Rührigkeit und der Erfolg ihres Lern- und Vildungstriebes. Kein Volk der Neuzeit hat, so ganz von der Wurzel anfangend, so viel für sein Schulwesen gethan, auch Deutsche und Nordamerikaner nicht. Tie Hoffnung König Ludwig I., von Athen solle die geistige Wiedergeburt der Hellenen ausgehen, geht jetzt auf das Vollständigste in Erfüllung. Athen sendet jährlich Hunderte von Schulmännern und Lehrerinnen in die neugriechische Welt aus, die an anderen Hauptorten neue Pslanzschulen hervorrufen. So , arm und klein das Volk, so unverhältnißmäßig viel Zeitungen und Bücher erscheinen in neugriechischer Sprache, so unverhältnißmäßig viele junge Griechen studiren in Deutschland. Noch keinem Volke, das neben den materiellen so sehr nach den geistigen Gütern trachtet, haben die nationalen Erfolge gefehlt. Wohl sehen wir also eine Leistungsfähigkeit, die Gutes und Großes verspricht. Aber ist sie mächtig genug, um ihr Ziel allmählich zu erreichen? Wird irgend etwas wie das byzantinische Neich jemals durch Nengriechen wiedererstehen? Zweifellos, sie brauchen nur etwas dazu, nämlich viele Zeit. Ob sie aber noch viele Zeit haben werden, ist fraglich geworden. Zwei Möglichkeiten liegen vor uns. Entweder besteht das Türkenreich noch ein Menschenalter, oder sein Ver-hängniß erfüllt sich schon früher. Stellen wir uus deutlicher vor, was im einen und was im andern Falle wahrscheinlich vor sich gehen wird. Ist der Türkei noch ein langer Vestand beschieden, so muß alles, was die Osmanen beginnen, das Gute wie das Schlechte, schließlich zu ihrer Zersetzung ausschlagen. Es verhält sich damit gerade so wie in revolutionären Zeiten, wo der Kampf für und gegen die Neuerung schließlich immer der letztern 204 dient. Ein Reich, das lediglich auf der kriegerischen Herrschaft einer kleinen und wenn auch kraftvollen, doch innerlich rohen Minderheit gegründet ist, muß nothwendig zerfallen oder eine andere nationale Färbung annehmen, sobald gleiches Recht und gleiche Kultur all seinen Bewohnern zu Theil werden soll. Dieser Hergang muß mit beschleunigter Bewegung erfolgen, wenn die bisher herrschende Minderheit so sehr klein an Zahl, so sehr dürftig an geistigem Vermögen, so sehr schwächlich an Arbeitskraft ist, wie die Osmanen es wirklich sind. Welches Volk aber muß allmählich an Stelle des herrschenden Volkes treten? Welches wird nach und nach die Zügel der Herrschaft an sich ziehen? Welches in ihrem Besitze sein, wenn sie bei irgend einem starken Anstoß von innen oder außen den Türken entfallen? Wer anders als die Griechen, — denn wer könnte es sonst sein? Die Griechen sind in dem Landgebiete, welches rings um das Griechische Meer durch ihr Königreich Epirus Thessalien Mazedonien den Archipel und die Küstenlandschaften von Thrazien und des vordern Kleinasiens gebildet wird, ganz ungleich zahlreicher als die Türken, und in diesem Landgebiete kommt auch weder die Volkszahl der Slawen, noch der Rumänen, noch der Armenier gegen die ihrige in irgend wesentlichen Betracht. Sie sind dabei das gebildetste begabteste rührigste Volt und ziehen beständigen Antrieb aus ihren historischen Erinnerungen. In welcher Weise aber dieser Herrschaftswechsel im bezeichneten Gebiete vor sich gehen würde, dies des Näheren hier zu erörtern, möchte zu weit führen, vielleicht auch noch zu verwegen sein. Wahrscheinlich wird das Türkenrcich in mehrere kleine Staaten- und Küstenlandschaftcn zerfallen- dazu leitet die ganze Natur dieser Länder an, die durch Gcbirgs-und Küstcnlauf in lauter kleine Landschaften zerschnitten sind. Früher oder später werden sich die Staaten, welche an der 205 griechischen Seite des Balkans und des von ihm nach Süden laufenden Scheidegebirges liegen, sich verbünden müssen, weil ihre gemeinschaftlichen Interessen es erfordern: die Hegemonie aber in diesem Vundesstaat kann den Griechen nicht entgehen. Die Türken wissen, daß diese ihre eigentlichen Erben sind, und so groß ihre Verachtung des listigen und wetterwendischen Volkes, ihr Haß und ihre Furcht sind noch größer. Setzen wir nun den andern Fall, den Sturz des ganzen türkischen Reiches in Europa schon in nächster Zeit. Dann würden die Griechen lernen müssen, wahrscheinlich noch auf längere Zeit andere Herren am Bosporus und im griechischen Meer zu ertragen. Aber es fragte sich, ob sie mit ihrer Zähigkeit und mit ihrer rührigen Thätigkeit, die d.er Landesnatur ganz gemäß ist, nicht jede fremde Herrschaft überdauern und sich fort und fort an Volk und Gütern vermehren würden, bis sie zuletzt doch wieder empor kämen, wie sie im Laufe von zweitausend Jahren aus den größten Gefahren und Nöthen stets wieder emporgekommen sind und auch die vierhundert-jährige Türkenherrschaft überdauert haben. Den Fall aber des Türkenreiches könnten nur die Russen verursachen. Wollten sie dann großmüthig Epirus und Thessalien den Griechen überlassen, die übrigen Länder aber unter irgend einer Form unter ihr Machtgebot nehmen, müßten nicht auch dann die europäischen Mächte sich immer wieder einmischen? Würden und könnten sie den Bann ertragen, der von den griechischrussischen Meeren aus sich lähmcud auf die gesammte europäische Verkehrsströmung legen würde? Dann könnte sich leicht wiederholen, was im dreizehnten Jahrhundert im Orient vor sich ging. Die Länder würden thcilweise kleine Fürstenstaatcn oder auch Republiken bilden unter westlichen! Protektorat, theilweise unter europäische Mächte vertheilt, gleichwie die Abendländer ehemals einen Kaiser von Byzanz, einen König von Cyvern, einen Herzog von Athen, einen Fürsten von Ealo- 206 nichi u. s. >v. einsetzten. Engländer und Franzosen können ja leicht wieder die Rolle von Venetiancrn nnd Genuesen im Morgenlcmdc spielen und üben sich schon lange darauf ein. Einmal untcr gute nnd kraftvolle Negierungen gestellt, würden die Gebiete des Morgenlandes wie mit Einem Schlage wieder aufblühen, gleichwie Eypcrn unter den Lusignans. Und wir Deutsche? Sollten wir bei solcher Wendung der Tinge die Hände in den Schoß legen? Wie immer auch in ihrer Rückwirkung die Dinge in Mitteleuropa sich gestalten möchten, das ist doch wohl zweifellos, daß wir den Orient nicht den Russen überlassen dürften. Durch seinen Besitz erst und seine Geldquellen würden sie uns übermächtig werden. Jene Gebiete aber gehören zugleich zu den wichtigsten für unsere Ausfuhr, dorthin weiset der Lauf unserer Donau und der Finger unserer Zukunft. Ehe wir uns von jenen Ländern durch einen russischen eisernen Gränzgürtcl abscheiden ließen, gleichwie Ost- und Westprcußcn sammt Posen durch die russische Gränzspcrre halb lahm gelegt werden, eher müßtcu wir denn doch die äußerste Anstrengung nicht scheuen. Unser Interesse also gebietet uns zunächst, einen Schild über die Neugricchen zu halten, damit sie in friedlicher Entwicklung ihre Bestimmung im Orient erfüllen können. Wie aber die Dinge dort auch gehen mögen, niemals dürfen wir uns ganz bei Seite halten, damit wir das Recht der Mit-enlscheidung nicht aufgeben. Käme es aber wirklich zum allgemeinen Zugreifen im Orient, so haben wir dort gerade so viel Recht, als Russen und Engländer, Italiener und Franzosen. Haben wir doch das altgricchische Gebiet in Asien und Europa zehnmal mehr, als irgend ein anderes Volk, mit unserm Geist und unsern Studien angebaut. Kaiser Friedrich II. hat sich auch nicht lange bedacht, als er Cypern als deutsches Reichslehen in Besitz nahm. XXX. V a f f o. „Venus, cine sehr schöne Tame, wurde in Aphrodisia, einer Stadt auf Cypern, geboren, und weil sie gar so schön war, so wurde sie nach Cythere gebracht, um dort erzogen zu werden unter Göttern und Göttinnen, und als sie erwachsen war und ihr Alter dazu paßte, wurde sie dem König Adonis vermählt und zur Königin von Cypern gekrönt. Die Dichter und Geschichtschreiber erzählen unendliche Dinge von dieser Dame, aber es wäre viel zu schwer, alles das zu ergründen und zu erzählen. Vegnügt Euch blos zu hören, daß man ihr den ersten Nang unter den Göttern und Göttinnen gegeben, daß man sie unter verschiedenen Namen angerufen, und daß man ihr viele Tempel erbauet hat, nicht blos in Cypern, sondern auch in vielen andern Ländern, ja in der ganzen Welt." So legte der Dominikaner Stephan von Lusignan, ^ als er zu Ende des sechszehntcn Jahrhunderts sein werthvolles Buch über Cypern schrieb, sich den hohen Nuhm der Dame Venus zurecht, gegen deren verführerische Macht alle Mönche der Welt nichts ausrichten tonnten. Der gute Pater steckte noch ganz in der Anschauung des ritterlichen Mittelalters, für welches alle Helden und Göttinnen der Heidcnzeit echte leibhafte Personen waren, die man mit Wort und Degen zu grüßen hatte. 1 Le P. Etienne de Lusignan Description de toute l'ile de Chypre. 1580. p. 39. 206 Jetzt erinnerte an die schöne Dame von Paphos nichts mehr, als der Name des Bisthums von Baffo. Der jetzige Inhaber schien noch etwas zu halten auf den uralten Nuhm seiner Gegend, und beklagte, daß so wenig Alterthümer erhalten seien. In der Arabcrzeit, so hat sich die Sage erhalten, sei Alles dem Erdboden gleich gemacht. Im Einverständniß mit dem gütigen Gastfreunde entwischte ich am Nachmittag meinem Tragoman, der einen Alterthums-krämer ausgetricben. Sie standen schon auf der Lauer, mich das alte paphische Gemäuer, so viel oder so wenig noch vorhanden, mit Schweiß Geld und Anhören ihres Geredes bezahlen zu lassen. Ich ging in gerader Linie abwärts zum Meere hinunter, eine Entfernung von kaum einer halben Stunde. Als ich mich umblickte, stellte sich das Städtchen Ktima sehr bedeutend dar. Seine Hütten und drei Minarets erhoben sich auf einem langen Steindamme, der jäh abgebrochen dastand wie eine Bastion gegen den Horizont. Tiefer unten am Strande traf ich auf eine andere Felsen-bant, die in freistehendem Sandstein und gewaltiger Masse eine lange Strecke dahin lief. Ich wußte erst nicht, was ich daraus machen sollte. Viele Stellen waren bearbeitet, Wände uerglättet, Sitze und Höhlungen darin angebracht. Oefter leiteten cingehauene Stufen auf die Platte oben. Am Boden der Felfenbank zeigten sich an der Meeresscite große und kleine Räume cingchauen, in viereckigen, seltener in runden Linien. In einem standen noch dorische Säulen aus dem Schütte hervor, an anderen war das Gestein halb zu Säulen und Pfeilern geformt, etwas wie Gebälk und Fries darüber. Im Hintergrunde inwendig öffneten sich andere kleine Kammern und Grotten, öfter mit Nifchen und Verzierungen. Bei einer war der Eingang noch überragt von breitem Dcckstein, bei einer andern steckte die steinerne Thürplatte halb in der Erde. Diese 209 Kammern hatte man tief in den lebendigen Fels hinein gearbeitet, auch wohl mehrere hinter einander. Offenbar waren diese Grotten ehemals Grabkammern, vor jeder ein großer oder kleiner Eäulcnhof, das Ganze ungeheure Werke von weiter Ausdehnung. Man nannte sie wie alle alten Bauwerke auf den griechischen Inseln, deren Bestimmung man nicht mehr kennt, die alte Burg, Palaiokastron. Jetzt scheinen sie zu nichts anderen mehr zu dienen, als Ziegen und Schafe und Rinder aufzunehmen, wenn sie aus der Sonnengluth kommen, und deren Auswurf zu bewahren von einem Jahrhundert zum andern. Aber auch die Felsplatte oben erschien häusig geglättet und auZgchauen, und ich möchte fast glauben, gerade wie bei Girgenti in Sizilien stand hier dem Meer entlang eine griechische Tempelreihe auf der Höhe der Felsplatte, und dahinter erstreckte sich die Stadt Ncuvaphos mit ihren Gärten bis zu dem oberen abgebrochenen Stemdamme, auf welchem sich die Akropolis, jetzt Ktima, erhob. Die Grabtammern aber unten in den Felswänden waren uralten phönizischcn Ursprungs, vielleicht nach geheiligtem Herkommen die Familiengräber der Kinyraden, eines Priestcr-geschlcchts, gleichwie die Koreyschiten in Mekka, jene erbitterten Gegner von Mahomets Neuerungen. Die Kinyraden leiteten ihren Namen wie ihr Geschlecht und ihre ftriesterlichcn Aemter noch aus entlegenem Alterthum her, als man nur erst der Astarte an dieser Küste huldigte, und sie genossen ein fürstliches Ansehen, welches die ganze Insel anerkannte. Während ich zwischen den Gräbern und Felsen umherstieg, war anf einmal Monsieur Clcmentin, mein Dragoman, mit dem jungen griechischen Alterthumstramcr da, und Beide sielen mich an mit Vorwürfen, daß ich ohne sie hierher gegangen. Sie allein wüßten hier Weg und Steg und was ein jcglich Stück bedeute. Der Händler wolle mir auch zeigen, wo seine 210 schönen Alterthümer gefunden seien. Offenbar hatten sich die Beiden längst verständigt. Als ich ihnen aber erwiderte, bei uns zu Hause hätten wir das alles viel besser in unsern Büchern, als irgend Einer auf der ganzen Insel es wisse, und ich wolle deshalb dic Alterthümer für mich allein untersuchen, da sahen sie verdutzt mich an. Weil sie aber stets wieder losplatzen und dies und das zeigen und erörtern wollten, so ertlärto ich ihnen: ihre Begleitung könne ich mir nicht verbitten, aber stillschweigen müßten sie. Kurz sie mußten schweigen, daß sie schwitzten, und endlich blieben sie zurück und verloren sich wieder. Am Strande weiter wandernd kam ich nach einer Viertelstunde zur Kassabah, einem Seckastcll, das von den Genucscn erbaut worden. Auch hier erhoben sich wieder Sandsteiubänkc in gleicher Linie wie die früheren, und auch sie waren ebenso vielfach bearbeitet, und an ihrem Fuße thaten sich tiefe dunkele Kammern auf. Hin und wieder ließen sich noch Stufen erkennen, die ins Innere hinabführten. Ueber der größten dieser Grotten war in den alten alteyprischcn Schriftzcichcn, die so lange räthselhaft geblieben, eine Inschrift eingehauen, und in der Grotte selbst, die zwei Gemächer hatte, in dem hinteren die Tccke wie eine Kuppel gewölbt, fanden sich an den Wänden halbzerstörte Inschriften. Nicht weit von dem Kastell ist eine Anhöhe am Meere, bedeckt von Trümmern, unter denen mehrere schöne Säulen-stücke im Gesträuche lagen. Hier soll der Hauvttcmpel gestanden haben. Nahebei war der alte Hafen, dessen Dämme man aus Ttcinblöcken aufgeführt hatte. Ein Flüßchen mündet in ihm aus, und es heißt, der Hafen sei ehemals viel tiefer ins Land hinein gegangen und wäre allmählich versandet und verschüttet. Tas Meer aber rauschte fort und fort mit dumpfem Hall weißschäumend ans Ufer, Gebüsch und Bäume dufteten von 211 würzigem Laub und Blüten, und das dunkele Gebirge bildete einen prächtigen Hintergrund zur Landschaft. Vom Kastell aus breitet sich landeinwärts ein Gartendorf, von Griechen und Türken bewohnt. Eine Menge Bäume und Gewächse, auch malerische Palmen ragen aus den Gärten über deren Stcinwälle, zu denen man allerlei alte Bau- und Säulenstücke zusammengeschleppt hat. Bei einer Kirche, die in Trümmern lag, standen noch kleine Säulen im Grünen, zwei von weißem Marmor, zwei von schön geglättetem Granit. Von einer andern Kirche ist nur der viereckige Thurm mit dem Ansatz eines Echwiebbogcns übrig geblieben. Inmitten der Ortschaft gibt es noch aus gewaltigen Quadern ein geräumiges Becken, einst ein Bad, aus dessen krystallener Tiefe die Griechinnen die marmorblanken schönen Glieder hervorhoben. Jetzt ist das Bad von Kuhdünger halb verschüttet. Je tiefer ich in die Ortschaft hinein kam, um so häufiger zeigten sich links und rechts herrliche alte Vautrümmcr, die in den elenden Mauern steckten. Wo die größte Granitsäule am Wege stand und ein Dutzend Marmorsäulen umher lagen, traf ich auch noch eine mächtige weiße Marmortafel, gar schön in Vierecken ausgereift, offenbar ehemals ein Dcckstein. Bei der jetzigen Kirche blickt aus dem Gemäuer ein weißgraucr Säulenkopf hervor, von welchem die Sage geht, an diese Säule gefesselt habe der Apostel Paulus die Geißclstrafc erduldet, und deshalb schlägt man sich kleine Stückchen ab und bewahrt sie als ein wunderthätig Gestein. Hinter dieser Kirche standen die drei größten Granitsäulen, und eine andere lag daneben umreift von zierlichen Schlangenlinien. Die Franzosen haben mit dem Besten, was von antiken Vauthcilen zu Tage stand, vor zehn Jahren aufgeräumt, dennoch mußte ich immer mehr staunen über die Menge kostbarer alter Vaustückc. Das ganze Dorf gleicht einer zusammen gesunkenen Stadt von Tempeln und Palästen, über und zwischen 212 deren Trümmern sich in einer wuchernden Fülle von Vaum-und Gartengrün armselig Volk ansiedelte, das ans den alten Cisternen noch das frische Wasser hervorzieht. Auch die besseren türkischen Häuser zeigten aus früherer Zeit nur noch ein paar Grundmauern oder halb zerfallene Steinthore. Als Kaiser Augustus regierte, wurde Neupavhos durch ein Erdbeben zerstört, der Imperator aber befahl den Neubau, und ihm zu Ehren nannte man die neue strahlende Stadt Augusta. Wahrscheinlich in der Zeit der Seeräuber oder Araber hat ein zweites Erdbeben hier gewüthet, die Ersteren allein hätten so viel Zerstörung nicht fertig gebracht. Wann dieses grauenhafte Unglück stattfand, ist nirgends aufgezeichnet. Wer hätte in jener Zeit voll Noth und Jammer daran denken sollen, etwas Geschichtliches niederzuschreiben. Wie vie! Werthvolles und Belehrendes aber würde sich bei Nachgrabungen hier, wie an den meisten Orten in Cnftcrn, noch finden! XXXI. Mte Hedanken. Aus dem Gartendörfchen wanderte ich zum einsamen Strande zurück. Der Abend war wunderbar schön, die Luft so welch und lieblich, und die letzten Sonnenblickc wechselten mit ziehendem Gewölk und frischen Windstößen. Ich konnte mich von dieser öden Küste und ihren wenigen trauernden Ruinen nicht losreißen. Ergreifend war der Gegensatz zwischen dem brausenden Völkerlcben, das im Alterthum diesen Ort erfüllte, und der jetzigen Leere und völligen Verlassenheit. Das Meer aber martirte anrauschend in ruhigen langsamen Takten die forteilende Zeit. So hatte es den Ablauf unfercr irdischen Zeit, wie sie in die endlosen Wellen der Ewigkeit verfließt, schon seit Jahrtausenden markirt. Die scheidende Sonne, die hinter dem glühenden Spiegel versank, die graue zerfallende Burg, die düstern Felsengräber, und die tiefe Stille und Einsamkeit rings umher, durch uichts unterbrochen als durch das stätigc Gleichmaß im Wechsel der Meeressiut, deren Andonnern und Wiederabrauschcn weit das Gestade hinab hallte — alles das war erhaben und traurig zugleich. Allmählich dunkelte es, der Nachtwind und das Wogen-rauschen verstärkten sich, und ihr Widerhall verlor sich seufzend unter den Grotten und Gesteinen. Wo waren all die Geschlechter, die Hunderttausende von Menschen, die auf dieser weiten Stätte der Vernichtung sich einst in glänzenden Gruppen zusammen drängten und jubelvolle Feste feierten? Die armen 214 Sterblichen, die so sorgsam ihre Ueberreste bargen! Auch nicht cine Spur war geblieben, als die leeren Felsgehäuse. Es genügt ja schon der bloße Ablauf der Zeit, um alles, was Mensch und menschlich Werk gewesen, zu vernichten. Und wo, in welchen unsichtbaren Tiefen des Weltalls webten und zitterten noch ihre unsterblichen Seelen? Es gab doch gewiß Denker genug unter ihnen, die ein starkes Gewicht ihrer geistigen Persönlichkeit fühlten und diese als ein unzerstörbares Wesen von allem unterschieden, was sie sahen, fühlten, dachten. Es lebt ja des Menschen eigentliche Persönlichkeit, sein geistiges Ich ein Sondcrleben, das in kein anderes Wesen aufgeht, und ebenso führt unser Leib, trotz der innigsten Verschmelzung mit Geist und Seele, doch auch seinen eigensinnigen Haushalt. Bei Mann und Weib macht der Leib wohlmal trotz empörten Widerwillens und Abscheues des Geistes seine Dinge so sicher und regelmäßig ab, wie eine Maschine, deren Feder berührt worden. Grauenhafte Nachtseiten unserer Natur treten in diesem Widerstreit zu Tage. Fast wie cine Erlösung klingt die Lehre, Geist und Seele seien nur Funktionen des Leibes, — ließe sich nur das heimliche Gelächter ersticken, das über solche Verneinung seines Wesens im Geiste entsteht! Gewiß also führte der natürliche Gcdankengang jene Philosophen zu einer Ahnung, ja Viele gewiß zu einer stillen seligen Ueberzeugung von persönlicher Fortdauer. Und doch, was sahen sie um sich her, nnd was sehen wir stündlich? Nichts, als Absterben und Vergehen im Einzelnen und unpersönliches Fortleben im Ganzen? Warum der Widerspruch? Sollten die Geschlechter, die Jahrtausende nach uns leben, auch verurtheilt sein, qualvoll an seiner Lösung zu arbeiten? Die Widersprüche stoßen uns ja überall ins Auge. Warum betet die Kirche für die Abgeschiedenen „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe", wenn sie unsterblich sind? Was ist besser, sich ein für allemal zu gestehen, daß unser 215 Menschenloos in Ungewißheit, Dämmerung, Zweifel auf immerdar versunken bleibt, oder sich gläubig und entschieden an die Lehre einer Religion anzuklammern? Aber verwehten nicht auch die Völkerreligionen wie Wolkenschatten, die der Wind über das Land treibt? Ist denn von der brünstigen Verehrung der Hunderttanscnde, die an diesem Gestade zur göttlichen Allmutter beteten und sangen und jubelten, auch nur ein Hauch übrig geblieben, es sei denn in unseren Büchern eine verwirrte Ueberlieferung vom Kultus der Astarte und Aphrodite? Und jene Denker, die damals mit selbständigem Geist und Willen in den Festzügen einhcrgingcn, dachten sie denn selbst sich etwas Klares und Bestimmtes unter der hier verehrten Urkraft, die ewig verhüllt dennoch alles durchdringt und formt, und unbekümmert um der Menschen Wollen und Echaffen ewig in sich cinschlingt, um ewig wieder zu gebären? Konnten sie es einander verhehlen, daß in diesen Mysterien doch nur niedere Lust sich dürftig mit religiösem Wahn verhüllte? Warum standen sie nicht zornerfüllt auf wider die Priester, die da lehrten, es sei ein der Göttin wohlgefälliges Werk, wenn in ihrem geweihten Hain die Jungfrauen ihr erstes Liebesopfer brächten, indem sie Unbekannten sich preis gaben? Oder fühlten jene alten Weisen vielleicht Mitleid mit dem armen Volke, das in seiner zehrenden Sehnsucht nach dem göttlichen Wesen, und in seiner kindlichen Hilflosigkeit es sich vorzustellen und dem Unfaßbaren sich in Ehrfurcht zu nahen, auf die seltsamsten Dinge verfällt, gleichwie der Wilde in seinem umnachteten Geiste, wenn er zufällig im Urwald auf ein knorrig geformtes Würzelchen, ein merkwürdig geädertes Steinchcn, oder in endloser Prairie auf ein gebleichtes Vogelgebein stößt, plötzlich von dem Gedanken ergriffen wird, in dem Dinge stecke eine höhere wunderbare Zauberkraft, mit scheuer Hand es an sich zieht und verehrt als seinen Manitu? Das war ja so in allen Ländern jener ewig verhüllten göttlichen 216 Macht gegenüber, in deren Hauch Völker? und Menschenleben spielen wie leichte Flocken: — wo ihr gegenüber das Wissen aufhört, setzt sich sofort das Glauben an. Der Glaube ist und bleibt eine gehcimnißvolle Kraft und Nothwendigkeit im Menschen, und die Sache rein praktisch genommen ist es viel besser, daß ein Volk nur überhaupt etwas Göttliches glaubt und verehrt, als daß sein Staats-nnd Gemeindewcsen, sein Denken und Handeln keinen rechten Kern hat. Was wäre die antike Kunst und Kultnr geworden ohne den griechischen Götterglauben! Und Indenthinn Christenthum Islam, wie hätten sie ihre Kultursendung vollbracht ohne jenen Glauben, der da eine drängende Stärke und Gewalt im Innern fühlt, als könnte er Berge versetzen! Vei meinem Phäakenbischof kamen dergleichen Ideen nicht auf den Tisch. Dafür war dieser um so besser bestellt mit allerlei schmackhaften Gerichten. Zur Nacht gab es einen delikaten Hammel am Spieß gebraten mit großem frischem Lattich dazu, Stippmilch wie in Westfalen, ausgehöhlte und mit Reis gefüllte Zwiebeln, und noch eine ganze Menge kleiner Süßgerichte, welche aus der türkifchen Küche in die griechische gewandert. Andern Tages in der Frühe erschien geröstetes Hrot mit fetten Käsestüctchcu, dann glänzender Ostertuchen mit Eiern darin und noch anderes Gebäck, dann Kaffee, und dann wieder die zehn Fuß lange Wasserpfeife. Gegen halb elf Uhr aber wurde schon wieder reichlich gefrühstückt. Zwischen durch kamen Popen und andere Geistlichkeit und gingen mit vergnügten Gesichtern wieder weg, und es schien mir, als hätten sie mit diesem Prälaten leicht verhandeln. Auch der Kaimakam stellte sich bei mir ein, hinter sich ein halbes Dutzend Kavasscn, und sein Besuch danerte fast eine Stunde. (§r erklärte feierlich: die Russen seien die größten Barbaren und ganz unfähig, im Orient etwas auszurichten- wer aber aufrichtig fein wolle, könne nicht anders sagen, als daß die 217 höhere Kultur jetzt bei den Türtcn mit Riesenschritten mar-schire. Ich hatte die größte Noth, dem Ehrengeleitc zu entgehen, das der Gütige mir in seinen Kavassen zugedacht hatte, und es schien ihm unbegreiflich, wie ein Herr sich dagegen sträuben könne. Bei Hinterwäldlern in Amerika bin ich wohl mal aus einem Vett ins andere geflüchtet, weil bei ihnen die Höflichkeit gebietet, daß man den Gast bei der Nacht nicht allein lasse. Dieser Brauch soll noch herrühren aus den wilden Indiancrzciten, wo Allcinschlafen die Gefahr vermehrte. Im Orient, so sollte mau beinahe denken, muß das Andenken an Raub und Entführung wohl noch frischer sein- denn man kann nicht gehen und stehen, ohne ein Geschleppe von dienstbaren Geistern, die alle Einem die nöthige Ehre geben wollen und natürlich keinen Schritt umsonst thun. XXXII. I u k l i a. Um Mittag endlich machte ich mick los, und nie vergesse ich das Iammergcsicht meines Nragomans. Ihn uild uns dem fetten gastlichen Hause so früh entziehen — das schien ihm der wahre Abgrund von Eigensinn und Vosheit. Im nahen Hierotipos, der Ort hat seinen alten Namen „der heilige Garten" noch unversehrt erhalten, sah ich den berühmten Ouell sein herrliches klares Wasser noch in Fülle hervor strömen, und der schönste Tercbinthenhain konnte sich davon belauben. Toch woher der Name 7i^c?s x/^oc,'^ Gab es hier im Alterthum einen geweihten Gartenbezirt, welchen das reichliche Wasser durchströmte? Wurde vielleicht in dem Vorne auch ein Idol der Göttin gebadet, wie drüben in Mpaphos? Oder hatten Ort und Wort eine paphische Nebenbedeutung ? Auch hier sind Grotten in den Fels gehauen, und der Boden schultert dumpf, wenn man stampft; denn das leicht bröckliche Gestein ist voll der Höhlen und Risse. Es kam ein Gartenbesitzer herbei, der vor zwei Jahren zufällig ein großes Grabgewölbe aufgefunden. Es bestand aus fünf Rundnischen mit Grabhölungen, und davor lag eine runde Halle, alle? von groben Werkstücken fest und zierlich gebaut, eine kleine Rundsäule als Weihaltar stand noch darin. Sonst hatte man blos die bekannten kleinen Fläschlein und Krüglein gefunden, die man lächerlich genug früher sich als mit Thränen gefüllt 219 dachte. Eie enthielten aber Salben und Harz, deren Wohlgeruch den ganzen Raum mit angenehmem Duft erfüllte. Wahrscheinlich war das Gewölbe schon früher entdeckt und seiner goldenen Ketten und Ninge entleert. Weil es nach Altpaphos oder Kuklia nur ein paar Stunden waren, so ritt ich zum Meer hinunter, aus dessen andonnernden Wogen ich schon aus der Ferne den Schaum aufspritzen sah, der weit ins Land flog. Als wir den Strand erreichten, überstürzten sich die Wellenkämme rastlos tosend, weißgckräuselt, in wilder heftiger Bewegung. Gleich dahinter aber blauete das Meer in frischglänzender Herrlichkeit, und von dorther wehte immerfort kühler Anhauch. Hinter uns stand es wie ein dunkles Gewitter, und Wolkenschatten eilten wie fliehende Heeresschaaren über See und Strand und Ebene. Zur Seite öffneten sich ab und zu kleine Schluchten, durch welche man ins Gebirge hinaufsah, und aus jeder Schlucht kam ein Fluß oder Bach daher geschossen, so daß man all die Küstenbreiten dnrch zweckmäßige Bewässerung leicht zu Prachc-auen machen könnte. Jetzt aber lagen weite Strecken wüst. So ritt ich bis zur zephyrischen Spitze, die einst ein Tempel krönte, welchen Philadelphus seiner Gemahlin Arsinoe weihte. Dieser Prinz aus dem Hause der Ptolemäer war Fürst von Cypern und suchte die Bevölkerung an sich zu ziehen, um sich unabhängig zu machen. Weil Arsinoe so sehr schön war, durste er es wagen, ihr Marmorbild als der Aphrodite leibhafte Erscheinung in den Tempel zu setzen, wo nun das Volk die „zephyrische Aphrodite" verehrte. Ihre Tochter war die Vercnike, welcher die Götter das prachtvollste Frauenhaar auf der Erde gefchenkt hatten. Da sie ihrem Gemahl, dem Ptolemäer Euergetes, zärtlich ergeben war, so gelobte sie dies Haar, als er nach Syrien in den Krieg zog, der Göttin, wenn sie den geliebten Mann ihr glücklich zurückführe. Nach drei Jahren kam er wieder als -großer reicher Eroberer mit 40,000 Talenten 220 Silbers, die cr erpreßt, und mit drittehalbtauscnd Götterbildern, die cr ihren Altären entfi'chrt hatte. Selbst das südliche Kleinasien war in seine Hände gefallen, und cr hatte dort die Städte Arsinoe und Verenikc gegründet. Da schnitt die Letztere sich die schönen Locken ab und hing sie auf als Wcihgeschenk in der Mutter zcphyrischem Tempel. Denn auch Cyvern hatte ihr Gemahl cndgiltig mit Aegyptcn vereinigt und zu einem Hauptplatz des Scehandcls gemacht. Ob nun ein wilder Sturm das Schönhaar abriß und ins Land ver» wehte oder ob ein Liebhaber es stehlen ließ, gemig es verschwand aus dem Tempel. Und da war ein Hofgclchrter, der Astronom Konon aus Samos, gefällig gcnug, zu sagen: es sei bis zwischen die Gestirne geflogen. Dort heißt das Siebengestirn am Schweif des Löwen noch jetzt das Haupthaar der Verenike. Der „heilige Weg", auf welchem zwischen Alt- und Neu-paphos ehemals die fremden Gesandten mit den Weihgcschen-ken einherwalltcn, zog sich mehr in der Höhe am Gestade hin. Wenn aber der Fcstzug dcm Strande näher kam, und es gerade der erste Frühling war und der Wind aus Südwcstcn wehte, dann machten sich die Theilnchmcr gewiß auf das viele Glänzendweiße aufmerksam, das im Meere schwamm, das den Strand umsäumte, und am 'Ufer hier und da zwischen Bäumen und Büschen hing. Und dann mögen wohl Manche voll Bewunderung die feine hellglänzende Schaummassc, die so leicht und doch so eigenthümlich zähe, in die Hand genommen und in stiller Ohrfurcht wie ein liebliches Wunder betrachtet haben. Auch mich fesselte die seltsame Erscheinung. Am Strande hin zog sich weit und breit eine glänzend-weiße Linie von Schaum. Ocfter waren weite Stellen im Meer einen halben Fuß hoch ganz bedeckt mit diesem Schaum und sahen aus wie Schnccfeldcr. Es ist eine Masse, die aus Milliarden Eiern und Schleim von mikroskopischen Krustaceen und Schleimalgen besteht. Die Erscheinung wiederholt sich 221 häufig, sobald im Frühjahr der Wind aus Südwesten steht. Dann wird an die paphische Küste unabschlich dieser Schaum angetrieben, vom Sturm cmporgeführt, zwischen die Bäume und Sträucher geschleudert. Wer denkt da nicht an die Schaumgeborene? Wirklich ist dieser Schaum in seiner Hellweiße so glänzend wie der reinste Alabaster, dabei so zart und zierlich und doch so festhaltend, daß die Vorstellung nahe liegt, aus solchem Schaum habe sich der Göttin lichter schneeiger Leib gesonnt und verdichtet. Der Dienst der Astarte Venus war ja übcr's Meer gekommen. Da dies einmal überliefert worden, und da Avhros Schaum hieß, so war das für spätere Dichter, wenn sie diese feinen'Schaum-masscn gerade am Gestade von Paphos erblickten, genug um auf den Einfall zu kommen, in den glanzvollen blauen Fluten sei die hehre Göttin aus zartem Schaum gebildet und hier ans Land gestiegen. Gleichwohl will zu der hübschen Dichtung in dem Namen Aphrodite nur das erste Wort der Zusammensetzung passen, nicht das zweite. Wer aber möchte wohl dem groben Aristoteles beistimmen, der die Sache äußerst realistisch erklärt? ^ Vielleicht gibt Tacitus cine bessere Andeutung, wo er erzählt, ^ wie den jungen Titus, „der seine lustvolle Jugend fröhlich auslebte, die Begierde gefaßt, den Tempel der paphischcn Venus, der so berühmt durch Eingeborene und fremde Pilger, zu besuchen und zu beschauen." Dabei gibt nun Tacitus die Erklärung: „Nach einem alten Gedenken war des Tempels Erbauer König Nerias. Einige behaupten, das sei der Name der Göttin selbst. Eine spätere Sage überliefert: von Kinyras fei der Tempel geweiht und die Göttin selbst, im Meer entstanden, hier angetrieben." Aerias aber heißt die erhellte Luft, 1 De generatione animal. II, 2. 2 Histor. II, 2. 3. 222 das Lichte, Glanzvolle, und dazu stimmt durchaus, daß, wie schon linger bemerkte, c^/<>og, im Sanskrit nbkrns, ursprünglich nicht Schaum, sondern Wolke und Aether bedeutet, und das Wort e>,>// mit Dione und dem Sanskritwort chu, d. h. Licht, zusammenhängt. Tic „Schaumgeborene" würde sich dadurch viel edler in eine „Aetherhelle" verwandeln. Der Stammsitz aber der Aetherhellen hat alle himmlische Anziehungskraft verloren. Eine alte Kastellruine, durch deren Löcher der blaue Himmel schien, und dahinter ein paar niedrige Hütten, das ist der Anblick, den Altpaphos gewährt, jetzt Kuklia genannt. Wir stiegen hier in der Kasfceschcnke ab, und diese war voll Zaptiehs, die als Strafsoldaten in Einquartirung lagen, um Steuern herauszupressen, zwei Mohren darunter mit fürchterlichen Mäuleru. Gruppen Landvolks standen umher, in den Gesichtern der Einen bleiche Noth und Angst, der Anderen Tücke und Verstocktheit. Alle aber verhielten sich still und anständig. Der Anführer der Soldaten redete ihnen zu mit würdiger und höchst ausdrucksvoller Gebcrde, und wieder fiel mir auf, wie Türken und Magyaren, die Brudervölker, sich auch in Wort und Geberde so ungcmcin ähnlich sind. Viel Gründe geben sie nicht von sich: was sie aber sagen, bringen sie vor mit breiter Kraft und Ritterlichkeit. All das Reden und Pressen aber, so sagte man mir heimlich, werde den Türken nichts helfen: die Leute hätten nichts mehr, als ihre Hütten, ihre Lumpen und ihre Kinder, und auch die Kinder kaufe jetzt Keiner mehr. Das Volk aber in Ktima und in den kleinen Ortschaften, durch die wir gekommen, sah dem hiesigen ganz ähnlich, durchaus verschieden von den Griechen im Gebirge. Einzelne starkgebaute Gestalten zeigten sich darunter, die meisten aber schwäch, lich oder rundlich, offenbar eine Mischung aus griechischem, syrischem, italienischem Blute. 223 Nach vielem Suchen, denn von den Türken im Orte wollte Niemand den Fremden aufnehmen, wurde die größte Hütte tauglich gefunden, mich zu beherbergen. Sie hatte nämlich eine Art Emporhütte, die auf der unteren halb aufstand. Da aber die Lehmwändc blos ein einziges Gemach umschlossen, mußte ich darin mit Dragoman Zaptieh und Pferdediener lagern. Etwas an Tcppichen und Decken war bald herbeigeschafft. Als ich mich ein wenig ausgeruht hatte und auf den Vorplatz trat, welchen das platte Dach der unteren Hütte vor der unsrigen bildete, fand ich mich verwundert in der seltsamsten Umgebung. Die Ortschaft bestand vornehmlich aus großen Trümmerhaufen, die gerade so aussahen, als beständen sie aus Vau- und Säulentrümmcrn antiker Paläste. Hier und da blickte auch etwas davon hervor. Die Hügel aber waren hoch bewachsen mit gelben Vlumen, und von zerstreutem Vaum-grün und einem Dutzend Palmen überragt. Dazwischen standen ein paar Hütten, mehr Erdaufwürfen und niedrigen Steinmauern ähnlich als menschlichen Wohnungen. Ich blickte auf einige hinab und auch in Höfchen hinein, in denen türkische Frauen handtirten. Auch hier blieben sie verhüllt und warfen das hinderliche Schleicrtuch bei ihren Geschäften bald rechts bald links. Nähme man ihnen plötzlich diese warmangcwöhnte Umhüllung, so würden sie, glaube ich, sich vorkommen wie geschorene Schafe. Es ist merkwürdig, an was alles der Mensch sich gewöhnen kann, so daß dessen Fehlen unerträglich wird. Wie oft habe ich um ihr billiges Vehagen die Stammgäste beneidet, die jeden Abend stundenlang um denselben Vier- oder Weintisch sitzen, jeden Abend ganz dieselbe Gesellschaft haben, ganz dieselben wenigen Redensarten verführen. Offenbar ist das nur eine Gewöhnung, in welcher sich etwas vom Instinkt der Heerdenthiere entwickelt hat. Es ließ mich nicht lange im Hause: ich mußte sehen, was 224 vom alten Paphos, das noch in der Spätrömerzeit so Koch und herrlich prangte, übrig geblieben. Viel war es nicht, das Wenige aber im kolossalen Charakter altägyptischer Bauten. In der That, das Tempelgebäude, von welchem man so viel sprach und fabelte in allen Ländern, mußte damals einen un-verlöschlichen Eindruck machen auf Jeden, der hierher kam. Aus cyklopischen Werkstücken aufgebaut steht noch ein Mauereck, die längere Seite an vierzig Schritte lang. Unten besteht die Mauer aus kleinen regelmüßig behauenen Blöcken, darüber aber sind der ganzen Länge nach Werkstücke zu einer Wand aufgerichtet, von denen je eines allein die Größe einer Zimmerwand besitzt. Ich maß einen dieser Steinblücke, er hatte 18 Fuß Länge, 9 Fuß Höhe, und entsprechende Dicke. Unten in diesem Mauerrest sieht man noch die Löcher, in welchen ehemals wahrscheinlich Tragbalken eingefügt waren, um darauf liegende Bänke zu tragen. Ein zweites Maucrstück ails riesigen wohl-bchaueneu Steinen bildete jetzt die Ecke eines Hauses. Daneben lag noch eine ungeheure Steinplatte. Weiter davon stand ein dritter Mauerrest von ähnlichen Verhältnissen wie die Wertstücke. An einem sah man noch Stufen angebracht. Winzig erschien gegen solche Trümmer das alte Christcntirch-lein, dessen Vorhalle von drei Schwibbogen verfallen war, nur das schöne Vorthor stand noch aufrecht. Mich erinnerten diese cyklopischen Baureste an ganz ähnliche, die ich in Samothrake und andern Orten gesehen. Diese hier waren unzweifelhaft semitischen Ursprungs, und sicher sind es auch all die andern in Griechenland, die gleichen Charakter tragen. Die noch vorhandene Ecke und das andere Mauerstück in gerader Linie mit ihr gehörten zu einer Umfassungsmauer, die ein ungeheures Viereck bildete. Der Naum inwendig war wohl durch Zwischenmauern in mehrere Abtheilungen oder Höfe geschieden, angefüllt mit Altären Bildsäulen und Weih- 225 gescheuten. Im letzten Tempelhof stand das Aditum, das eigentliche Götterhaus, welches wir nach cyprischen Münzen und Gemmen, auf denen es abgebildet, uns noch ungefähr vorstellen können. Es war ein viereckiger Hochbau mit großer Eingangspforte, zu jeder Seite ein niedrigerer Flügel. An des Portals Seiten ragten zwei Obelisken empor. Der ganze Vorplatz dieses innern Tempels war von einem Gitter umzogen, und in der Mitte darin stand der vornehmste Altar. Im Allerheiligsten aber dieses Tempels zeigte sich Denen, welche eintreten durften, das räthselhafte finstere uralte Idol der Astarte-Aphrodite. küher, Cypcrn, 15 XXXIII. Vom alten Gapljos. Hören wir, was Tacitus zur Zeit, als Titus Jerusalem zerstörte, aus Altpaphos berichtet hat. „Die Ovferthicre sind, je nachdem sie Einer gelobt hat. Nur müssen männliche ausgewählt werden. Die allergcwisscste Sicherheit gibt junger Böcke Eingeweide. Blut auf der Tcmpclflur umhcrzuspritzen ist verboten: durch Gebete und reines Feuer werden die Altäre verherrlicht. Auch werden sie niemals, obwohl ohne Dach, von Regenschauern feucht. Der Göttin Bild hat keine Menschenform, ist ein fortlaufendes Kreisrund, unten breit, nach oben abnehmend, gleichwie ein Kegel steigt es empor. Warum das so, ist dunkel." Also damals schon umdunkeltc tiefes Geheimniß diesen Kultus. Man wußte nur, so sei er aus uralter Zeit überliefert, und fragte wohl, was das bedeute: einzudringen aber wagte noch keine frevle Forschung. „Warum das so, ist dunkel." Aus andern Nachrichten wissen wir, daß der kegelförmige Stein, der im innersten Heiligthum aufgestellt war, schwarz gewesen. Am Gcburtsfeste der großen Königin der ewig gebärenden ewig verschlingenden Naturgrwalteu wurde der schwarze Kegel von den Pricsterinncn gebadet und mit reinen Tüchern umhüllt. Wahrscheinlich funkelte er in seiner geheim-nißvollcu Schwärze auch von Goldringcn und Edelsteinen. Auch ist nicht unbekannt geblieben, daß hier nicht die Aether-helle angebetet wurde. Die himmlische Aphrodite war zu 227 fernen lichten Höhcn entschwebt: in der Nachtfeier der cyvrischcn Göttin bargen sich andere Mysterien. Wer zugelassen wurde, bekam, ohne Zweifel gegen ein hübsches Eintrittsgeld an die Priester, als Einlaßkärtchcn das Symbol der Zeugung in die Hand, und etwas Salz dabei. Die drei Mauerreste und einige antike Baustückc, die hier und da aus den großen Trümmerhaufen hervorblickten, das war nun wirklich alles, was von Paphos übrig. In alle Welt mögen die großen Bausteine verschleppt sein. Auch zu dem mittelalterlichen Schlosse hatte man die eyklopischen Werkstücke verwendet, nachdem sie zersprengt und zu viereckigen kleineren Bausteinen bchauen waren. In der fränkischen Zeit stand zu Mpaphos eine neue Stadt auf den Trümmern der antiken: auch sie ist wieder verschwunden, die Burgruinen und die Kirchen noch allein ihr Zeuge. Der Zugang zum Kastell aber war jetzt halb verschüttet, eine Kirche, die »och ziemlich erhalten, als Viehstall benutzt. So trostlos dies alles, so erhebend war jeder Ausblick in die wonnige Landschaft. Der Tempel lag auf einer Hoch-breite, die in sanfter Neigung zum Meere niedergeht, welches mit glänzender Bläue den Strand umsäumt. Auf diesen Gefilden am Meer war jetzt alles voll grünsprosscnden Lebens. Aus dem Binncnlande aber traten in verschiedenen Ausläufern Hügel wie Bastionen hervor, und ringsum erhoben sich die anmuthigstcn Berge, die hier vielgestaltiger als zu Vasfo. Die Wolken zogen näher, und lange graue Regenstreifen standen über dem Meer, durchschienen von der westlichen Sonne, die unter und zwischen den Grauwolken das Meer zur blitzenden Spiegelfläche machte. Stellen der Landschaft waren öfter hell und golden beschienen, und gleich darauf hüllten sie sich in tiefes Blau und Dunkel. Es war ein beständiger Lichtwcchsel, und der hohe schlichte Charakter der Gegend, durch dessen Ernst die lieblichste Anmuth lächelte, bleibt mir unvergeßlich. 228 Leider sollte ich auch hier nicht allein bleiben. Jede Ortschaft, die sich der Alterthümer rühmt, hat auch ihren Führer und Krämer dafür, wenn cr auch so wenig davon versteht wie die Krähe vom Sonntag. Der mich hier erspäht hatte, war von Mitylene, wie er sagte, und wußte von Sappho zu schwatzen. Auch der Besitzer eines Tsckiftlitv (Pachtgutes) in der Nähe stellte sich ein, ein stattlicher Türke in Rock und Stiefeln, der aufs Haar einem ungarischen Landjunker glich. Wir gingen zusammen etwa eine Viertelstunde bis zu der Königinhöhle, s77r//).65/«p ?,/3 i"//'/^c^, die zu dem Gute des Herrn gehörte, und er erzählte mir: noch vor zehn Jahren sei sie fast ganz verschüttet gewesen,' als aber die Franzosen gekommen, habe er sie öffnen lassen, jedoch nichts darin gefunden als an die Wand gelehnt eine große Steintafel, die wohl fünf Fuß ins Gevierte gemessen, und auf beiden Seiten mit Inschriften bedeckt. Die Franzosen hätten sie mit großer Mühe herausgeschleppt, und da sie gar so schwer gewesen, sie zer/ schlagen und die Stücke mit in ihre Boote genommen. Wir gingen in die Grotte hinein: es waren vier Grabkammern hintereinander in den Fels hineingchauen, die beiden ersten hatten je vier Grabhöhlen, die dritte weniger, die letzte und kleinste Kammer gar keine. An dem Hügel fanden sich noch viele Grabkammern, tbeils offen theils verschüttet, und wie Pater Lusignan erzählt, waren sie scbon zu seiner Zeit durchstöbert und ihres Inhalts an Goldketten und allerlei Fläschchen und Krüglein entleert. Auf des höchsten Hügels Spitze fand man ebenfalls Neste von Mauerwerk. Es wurde ringsherum in die Tiefe gegraben, und da ergab sich, daß es blos ein viereckiger Thurm war, der weit in das Erdreich hinein ging. Mit großer Mühe wurde nun eine Seite des Thurms ganz weggeschafft, doch die gchofften Schätze kamen nicht, zum Vorschein. Nun wurde ich gefragt, was das für eine Bewandtniß mit diesem alten 229 Banwert habe? Es konnte aber gar nichts anderes sein, als ein hoher Wartthnrm für die Eeewache zur Seeräuber- und Araberzeit. Um in dem weichen Erdreich ihm ein Fundament zu geben, mußte man so tief hineinbauen, ihn auch unten breiter als oben machen, so daß die Mauern nach oben sich etwas zu einander neigten. Mit immer neuem Entzücken sah ich in die Landschaft des Frühlings hinein, welche recht die großen historischen Züge trug, und ich hätte vielleicht noch lange auf dieser Höhe gesäumt, wenn sich unten nicht Monsieur gezeigt hätte, der heftig winkte. Es wäre Schade gewesen, wenn ich ihm nicht folgte: unser Abendessen wäre darüber angebrannt. In Lar-naka und Nikosia hatte man nicht genug mahnen können, was alles ich an Proviant und Eß- und Kaffeegeschirr mitnehmen solle. Und siehe da, selbst in dem verschrieenen Kuklia gab es zu gutem Wein in reinlichen Schüsseln Eier Makaroni Bohnensalat, und aus dem Mitgebrachten war eine gute Fleischsuppe gekocht. Ich hatte den Lesbier Altcrthum^kcnner mitgebracht, der Hausherr setzte sich auch zu uns auf die Dachterrasse, und wir erfreuten uns der Tafel und des köstlickcn Abends. Nebenan in einem Höfchen saß eine Türkenfamilie um ein Feuer versammelt und lachte und scherzte. Unsere Hausfrau war noch ein junges Ding, das aber mit den großen Fcueraugen, dem schimmernden Pcrlengebiß und jungen zierlichem Gliederbau anmuthig anzusehen war. Anfangv that die kleine Wildin, wenn sie angesprochen wurde, entweder zornig oder verlegen oder lachte blos. Später wurde sie zutraulich und hockte auf der Thürschwelle und plauderte mit. Es ist nur zu beklagen, daß Mädchenfrühling im Morgenlande so bald entweicht und nichts zurückläßt als braungelbes Gerippe. Die Nacht war himmlisch, die Luft so sanft und wohlig wie weicher Sammet, und jeder leifc Windzug führte neue 230 Vlütendüfte. Die Silbersternc funkelten und blitzten, als wollten sie Einem tief in die Seele hincindnngen. Vci der Reinheit der Luft schienen sie tief herunter zu hängen: mit einem Wurfe, meinte man beinahe, ließen sie sich erreichen. Der Luftfrische wegen blieb die Thür des Gemachs, in welchem wir zu Fünft schliefen, die Nacht über geöffnet, und ich konnte vom Lager mitten in das stille tiefe Schwarzblau und zwischen die Gestirne hineinsehen und mit meinen Gedanken die uner: meßlichen lichterfüllten Himmelsräume durchirren. Die Frage über den sonderbaren Cultus der cyprischcn Göttin ließ mich lange nicht einschlafen. Es schwebten mir Szenen aus dem Machmalfestc vor, dem ich nicht lange zuvor in Acgypten beigewohnt. Nach uraltem Ärauch sendet Kairos Herrscher alljährlich ein kostbares Tuch nach Mekka, um den heiligen Stein in der Kaabah damit zu umhüllen. Der Aufbruch der großen Karawane, die das Tuch überbringt, gestaltet sich zu einem lauteu Volksfest, bei welchem man den religiösen Fanatismus der Kinder Mohameds noch in Vlüte sehen kann. Erinnern aber jener schwarze Meteorstein und seine feierliche Umhüllung zu Mekka nicht gar sehr an den heiligen cyprischen Kegel? Und steht nicht die Kaabah gerade so wie einst das paphische Heiligthum im Innern der Umfassungsmauer? Auch die Tauben feblen nicht im Tcmpelhof der Kaabah. Sie fliegen darin umher als geweihctcs Gevögel. Im Heiligthum des Jupiter Ammon in der lybifchen Wüste bestand das Idol ebenfalls aus einem Stcinkcgcl, der mit Smaragden uud anderem Edelgestein geziert war. Selbst im delphischen Tempel wurde ein solcher Stein verehrt, täglich mit Oel gesalbt, und au großen Festtagen mit weißer Wolle umhüllt. Und so finden wir im Alterthum noch in vielen uralten Tempeln, besonders in Syrien und Kleinasien, Bäthy-lien verehrt, heilige Steine, deren Namen schon, dstli-ai d. h. Ort Gottes, an semitische Herkunft erinnert. 231 Jene Steine aber waren Meteorsteine. Von trüber Nacht und Dämmerung fühlten sich die Menschen umgeben, sobald sie etwas zu wissen strebten vom Urgründe des Daseins und seinen göttlichen Kräften. Mußten sie da, wenn ein solcher Stein unter feurigen Erscheinungen aus der Luft, also aus dem Himmel, herunterfiel, nicht glauben, diese wunderbaren Steine, deren gleichen man auf der Erde nicht fah, seien himmlischen Ursprungs und göttliche Kräfte darin verborgen? Haben wir hier nicht Reste der ältesten Form von Gottes-vcrehrung bei dem ältesten kulturvolle, den Semiten? Ich möchte wohl wissen, wo jene Väthylien alle geblieben. Gewiß übergab der letzte Priester, der das Hciligthum vor heranstürmendcn Barbaren noch glüälich gerettet, mit zitternden Händen es seinem Sohne, der halb schon ungläubig auf dessen Wunderkräfte hinhörte. Die Enkel warfen dann den häßlichen Stein irgendwo in die Ecke. Ich mußte auch der schönen Sage vom Adonis gedenken, dessen Name Adonai derselbe ist, unter welchem Vaal wie Jehovah angerufen wurde. Adonis war ein Jüngling so göttlich schön, daß Aphrodite der Sehnsucht nicht mehr widerstehen konnte nnd vom Himmel stieg, sich ihm zu vermählen. Aber der Gott der kriegerischen Stärke, Ares, ergrimmte und ließ den Nebenbuhler, der blos schön war, durch eincu wilden Eber zerreißen. Da erfüllte die trostlose Göttin Himmel und Erde mit ihrem Wchrrnf, und durch ihre rührenden Klagen bewegt, rief Zeus den Jüngling wieder ins Leben. Doch nur die Hälfte des Jahres durfte der fchöne Frühlingsgott bei der Geliebten weilen: die winterliche dnnkle Jahreshälfte mußte er bei der Todcsgöttin zubringen in der finsteren Unterwelt. Dies Märchen läßt sich gar nicht anders fassen, als eine poetische Vorstellung, wie sich die blühende Natur mit dem Licht- nnd Sonnengott vermählt. Die griechischen Dichter wußten sich nur hübscher und klarer auseinander zu legen, 232 was bei den Semiten dumpf und verworren und furchtbar blieb. Diese sahen nur die eine große gewaltige Naturmacht, die aus unerschöpflicher Fülle alles gestaltet und alles wieder dem finsteren Tode weiht, und diefc üppige und dunkle Naturmacht hieß bei den Phöniziern Warte, bei den Syriern My-litta, bei den Phrygiern Kybcle, bei den Acgyptcrn Isis. Auch die cyprische Göttin blieb in ihrem innern Wesen Astarte und nahm von den Griechen nur die schmeichelnd schöne Form an. Gar lange Zeit blieben die Menschen stecken in dem Unvermögen , sich das Göttliche nur ein wenig deutlicher zu machen. Wie viel philosophisches Grübeln, wie viel ascetisches Ringen in der Wüste war Jahrtausende hindurch nöthig, bis sich die einfache beseligende Gottcsidec abklärte! Sobald aber die Religionen sich erkühnen, dem göttlichen Wesen Gestalt und Geschichte zu geben, kommt nichts heraus, als kindische Thorheit. In Amathus, wo die cyprische Göttin beide Geschlechter in sich verschmolzen hatte, hing ihr über den weiblichen Busen ein derber Männerbart bcrab. XXXIV, ^ p i s k o p i. Ich konnte nicht anders, ich mußte früh nach dem Aufstehen in Altpaphos wieder hinauf zu den Höhen hinter dem Dorfe, um nock einmal die prachtvolle Landschaft tief in die Seele aufzunehmen. Der Morgen athmete in köstlicher Frische. Das Meer kräuselte den langgezogenen Strand mit weißer Linie, seine Masse aber lag da schwer und regungslos wie Metall. Auch das Gebirge schanete bleich daher im dunstigen Schimmer. Nur das Dörfchen und sein fröhliches Saatengrün lächelten hcllbesonnt. Worin liegt nur der Zauber griechischer Landschaft, der uns immer wieder bis ins Innerste ergreift? Es ist am Ende nur das Zusammenwirken großcr Linien in feiner Anmuth, das harmonische Ineinandergreifen von Meer Land nnd Gebirge, das stille lichterfülltc Aetherblau darüber, und dazu kommt ein Hauch von Wehmuth, der über der Gegend liegt, weil alles so öde und verlassen ist. Auf der Rückkehr trat ich wieder in die Kaffceschenke ein, die gestern keinen schlechten Trank geboten. Die Steuerpresser lagen noch im Quartier, ihr Anführer saß mit langem Tschi-buk vor der Thür und machte mir sogleich ehrerbietig Platz. Ich setzte mich einen Augenblick zu ihm, und wir unterhielten uns durch Geberdensprache, indem ich fragend den Arm wie zugreifend ausstreckte und dann in die Tafche fuhr. Er erwiderte durch Oeffnen der Hand, wobei er über ihre leere 234 Fläche blies und noch dazu mit den Achseln zuckte, um auszudrücken, die Leute hätten nichts, gar nicht?. Das machte er mit so feinem Lächeln, als redete er von Perlen und Edel-gestein. Als wir nun aufbrachen, ging es gleich wieder zum Meer hinunter, dessen rollende Wogen sich weiß aufschäumend am Strande überstürzten, in ewiger Bewegung sprühend, donnernd, und weitabrauschend. Nach einer Weile nahm uns seitwärts ein Myrthenwäld-chen auf, und je weiter wir von der Küste bergauf kamen, gab es immer mehr wilde Oel- Karruben- und andere Väume, und es wurde der schönste Vuschwald. Mitten darin aber zeigten sich Prachtstättcn voll Wildrosen Orchideen Terzetten und anderen Sternblumen und vielfarbigen Blüten, ein blumiger Anger reihte sich an den anderen. Es waren da Frauen, welche Disteln die Köpfe abschnitten. Hussein erbat sich eine Handvoll Distelköpfe und schälte nur die Kerne heraus: sie schmeckten etwas trocken, sonst aber nicht übel. Fast alles Kraut enthält auf diesen Inseln etwas Eßbares. Eine greise Alte verkaufte uns auch wilde Artischocken, roh zu verzehren, die mir aber zu herbe schienen. Die Alte war türkisch gekleidet: weil sie aber ihr Schlcicrtuch nicht vorzog und ihr runzeluolles Gesicht sehen ließ, sagte Hussein verächtlich, sie sei eine Linopambagi, d. h. eine Leinwollenc. Unser Pfad zog sich eine Thalschlucht hinauf ins wilde öde Gebirge. Hier oben war alles mit Vuschwald überzogen. Unten in den Thalungcn aber standen trümmerhafte Cypressen, Oel- und andere Fruchtbäume ganz vernachlässigt. Der Boden war noch überall mit fruchtbarer Erde bedeckt. Hier könnten Hunderttausendc die schönsten Ortschaften haben und sich ihres Lebens freuen. Entsetzlich war an vielen Stellen die Waldverwüstung. Alle groben Stämme waren fort: ein paar, die noch am Boden lagen, gaben Zeugniß, welche Prachtbäume 235 hier gestanden. Nackdem der Hochwald zerstört worden, ging es nunmehr dem Vuschwald ans Leben. Erst brennt man im Frühling, wenn das Holz noch im Safte ist, das Laub weg, das Reisig flackert auf, aber die stärkeren Zweige und Bäum-chen sterben nur ab, und im Herbst haben die Frauen das Abhacken und Abbrechen um so leichter. Auf ganzen breiten Halden war auch nicht ein grünes Stämmchen übrig gelassen. Andere erschienen bedeckt mit mannshohem blühenden Ginster. Als ich etwas zu jagen hineinging, wäre ich bald auf eine giftige Otter getreten. Sie war grau mit schwarzen Ringen, armdick und anderthalb Fuß lang. Ein Melonengeruch kehrte hier und da wieder: als ich nach der Ursache suchte, war es eine gelbe Beere, die an einer krautartigen Pflanze wuchs. Tie Gebüsche aber steckten voll Vogelwild. Auch unbekannte Vögel schwirrten auf. Besonders häufig traf ich einen von Art und Größe unseres Nuschähers, sein Gefieder aber war viel glänzender durck blauen und rötblichen Schimmer. Nach der Karte hatten wir durch drei Dörfer tommen muffen. Hufsein aber wußte entweder kürzere Wege oder er theilte meine Leidenschaft für die Einöde. Wir berührten keine einzige Ortschaft, nur Avdimu sahen wir von weitem liegen.' Allein Hussein führte mich auch, statt auf die Höhe des alten Kourion, gerade daneben hinab, versicherte aber hoch und theuer, er sei oben gewesen und habe nicht das Geringste mehr gesehen, als ein paar alte Steinbrockcn. Roß erkannte vor zwanzig Jahren dort noch eine antike Nennbahn, von einer Mauer aus Sandsteinquadern umbaut. Desgleichen fand er eine Viertelstunde weiter Grundmauern und einige Säulen-trommeln vom Tempel des Avollon Hylates. Auch dort, so versicherten mich meine Begleiter, sei nicht das Geringste mehr vorhanden. Ich glaube es wohl, denn in den letzten Jahren schien alles verschworen, den wenigen Alterthümern, die Cypern 236 noch besitzt, rasch den Garaus zu macben. Wo irqend gebaut witd, hier oder in Syrien oder auch in Aegyvten, Lvvern liefert in seinen alten Maucrtrümmcrn Steinbrüche dafür. Gleich unter dem Felsen von Konrion nnd nabe vor Evi-skopi kamen wir wieder ans Meer hinab, das heute öfter eine reckte Augenweide gegeben. Wiederholt erschien, während wir im Küstcngcbirg umherzogen, seine lachende Äläuc zwischen weit sich verkrümmenden Kaps, wie eingefaßt in einer ungeheuren Schale. Oben auf der freien Höhe vor lZviskopi sah sich diese Reihe von Vorgebirgen, die auf der einen wie auf der anderen Seite ins Mccr liefen, nicht anders an, al^ wären sie sorgsam hinter einander gefältelt. In der Mitte streckte sich platt wie ein stundenbreites Vrett ins Meer die Halbinsel vor, deren beide Enden unten nock etwas ausgeschweift find. Im Alterthum hieß sie Kourias und gehörte zu der Stadt auf der nahen Sandsteinhöhe gleichen Namens. Jetzt muß sie, so lang und breit sie ist, sich begnügen mit dem Namen, den man auf all den griechischen Inseln den Landzungen gibt: Akrotirion, daö heißt das Aeußerste. Ihr östliches Vorgebirg heißt Capo delle gatte. Von dieser Aussicht auf der Höhe vor (§piskopi könnte ich noch viel erzählen, denn sie hat der Neizc gar viele. Blickte ich nach dem Lande, wie graziös erschienen da bei aller Größe des Gebirges leichte Wellungcn! Die Ortschaft selbst muthet, ja heimelt einen an. Sie liegt am Beginn der Halbinsel, wo der rauschende Lykos sich ins Meer stürzt, anf fortlaufender Anhöhe, umlcuchtet von der See und halb versteckt in einem Dickicht von Orangen- und Obstbäumen, über welchen sich ans schlanken hohen Schäften zicrlick die Palmen wiegen. Aller Orten zwischen den Häusern und Gärten stürzt und rauscht es von schäumenden Bächlcin, die unten eine schöne Fruchtebene bewässern. Ich möchte beinahe glauben, daß das 237 alte Kourion hier gelegen war und auf der Fclshöhe nur seine Akropolis hatte. Hussein lies; uns mitten in der Ortschaft halten, während er sich hinein begab, um Herberge auszukundschaften. Die Wohnungen waren viel bedeutender als am paphischcn Gestade, und die Türken haben hier alles, was ihr Herz verlangt: Nuhe, Baumgrün, murmelndes Gewässer. Wiederholt kam eine kleine Gruppe verhüllter Frauen daher. Man sah lauter dicke weiße Frauengcspcnster und an ihrem unteren Ende lauter dicke runde Watschelfüße, Beweis genug, wie die Inhaberinnen sich auf diesen fetten Auen nudeln ließen. Durch die Schleicrhülle schien manches schwarzbraune Gesicht. Denn weil Cpistopi der angenehmste Ort war, so zogen sich viele Türken hierher, und weil sie nicht Frauen genug fanden, so ließen sie sich aus Aegypten schwarze kommen, und ich bin überzeugt, weil es Sklavinnen waren, so hatten sie diese Gefährtinnen um fo lieber. Der Alttürke glaubt so fest, ein Mann könne nicht anständig leben, ohne daß ihm arbeitende Rajah Gold und Korn bringe, und ohne daß in seinem Hause Sklavinnen ihm zu Winke seien, gleichwie im Alterthum die ganze Welt über-zcugt war von der Nothwendigkeit der Sklaverei. Bei Aristoteles heißt es einmal: nicdcrstehcnde Völker seien von Natur eben so zur Sklaverei bestimmt, wie der Leib hinter der Seele, das Thier hinter dcm Menschen zurückstehe. Die Albernheit, die m solchem Ausspruche lag, merkte man nicht. Spätere Geschlechter werden wahrscheinlich über die gegenwärtige Art und Weise des Grundcigcnlhumo ähnlich denken, wie wir jetzt über Recht und Sitte der Sklaverei im Alterthum. Nachdem wir in Episkopi eine ziemliche Weile im Freien geharrt, kam Hussein zurück und berichtete: die Handvoll Griechen in der Ortschaft sei gar zu ärmlich, wir fänden bei ihnen weder Bett noch Speise noch Wein: die Türkenhäuscr 238 aber seien alle voll, freiwillig wolle uns Niemand eine Herberge einräumen, und er dürfe nicht daran denken, uns wider Willen einzuquartieren. Die Türken hatten also aus Episkopi trotz seines bischöflichen Namens die Griechen herausgeworfen, nur ein paar Hütten hatten sie ihnen übrig gelassen. Und auch deren Bewohner wagten es nicht, Fremde aufzunehmen, weil ihre türkischen Nachbarcn es nicht mochten. XXXV. Kolossin. Da es min mit dcm Herbergen in dem Türkenorte nichts war, so stimmte ich gerne ein, auch einmal Quartier bei einem großen Grundbesitzer zu nehmen, der noch drei Viertelstunden weiter zu Kolossin wohnen sollte. Ich schickte den Dragoman voraus, freundlich um Aufnahme zu bitten. Als wir nach einer Weile ihm folgten, sah ich schon von Weitem in Kolossin ein ungeheures Thurmuicrcck aus dem Gehöfte emporragen. Als wir näher kamen, merkte ich wohl, daß es ein mittelalterliches Bauwerk sei: für eine Vurg aber schien es zu einfach, für eine Festung zu vereinzelt. Der Hausherr empfing mich am Eingang des Hofes in der verbindlichsten Weise. Er war ein Mann von Tracht und Benehmen wie ein Weingutsbesitzer am Rhein, und seine Wohnung sah ungemein dem Anwesen eines kleineren Pächters im südlichen Frankreich ähnlich. Das untere Haus gehörte dem zahlreichen Gesinde: im oberen, das sich vorn auf eine leichtgebaute Vorhalle öffnete, zu welcher eine breite Holzstiege cmporführtc, wohnte die Herrschaft. Es wurde mir behaglich in diesen 3täumcn, alles verrieth europäischen Geschmack. Feine Jagdhunde kamen herein, eine Art Windspiel von weiß-gelblicher Farbe. Zum Gute gehörten fünfzehn Paar Eticre, aber es wäre Land genug, sagte der Besitzer, um zehnmal so viele zu beschäftigen. Nach kurzem Ausruhen ging es zur räthselhaftcn Vurg, 240 die in Begleitung des Besitzers mit Dienern und Fackeln von oben bis unten besichtigt wurde. Es ist ein aus mächtigen Quadern aufgebautes breites Viereck, hoch wie ein Thurm, und von so dicken Mauern, daß in den Seiten der Fensternischen lange Sitzbänke Platz finden. An den ganz einfachen Wappenbildern, die draußen in Stein angebracht sind, erkennt man sofort das dreizehnte Jahrhundert. Das Ganze ist durchaus im Stil der schr wenigen Vurggebäude, die noch aus den Zeiten der Hohenstaufen übrig, alles zweckmäßig, schlicht und würdig, und in sehr schönen Verhältnissen. Es ist vorzugsweise der englische normannische Stil: ick wüßte aber in ganz Europa kein ähnliches so wohl erhaltenes Gebäude dieser Art, nur etwa die bekannte Vurg in Hedingham läßt sich vergleichen. Zwei hohe Stockwerke erheben sich über dem Erdgeschoß, das kcllerartig in die Erde hineingeht. Das untere Stockwerk besteht aus drei, jedes obere aus zwei Abtheilungen oder weitgeräumigen Sälen in einfacher Wölbung. An den Kaminen oben sind Lilien angebracht, roh und ohne alle Verzierung, gleichwie die Wappenbildcr an der äußeren Mauer. Das Portal ist eng, und nur eine einzige schmale steinerne Wendeltreppe führt von einem Stockwerk zum anderen, und ganz oben ist eine große breite Plattform, die von Zinnen gekrönt ist. In den Kcllerräumen befand sich noch eine tiefe Cisternc, die halb verschüttet war. Der Besitzer wollte sie ausrcinigen lassen, und ich möchte ihm wünschen, daß er noch Schätze darin finde, um die außerordentlich großen Verluste, welche die letzten beiden Trockenjahre auf Cypern brachten, etwas auszugleichen. Offenbar war die ganze Vurg weniger zum Wohnen als zum Bergen eingerichtet. Da sie auf der Mitte der Halbinsel steht, da wo diese vom Lande wie ein halbes längliches Viereck sich platt ins Meer breitet, und auf der anderen Seite das Gebirge hat, welches im weiten Halbkreis über den Vorbergen 241 aufsteigt, so beherrschte dieser feste Platz die Halbinsel, das Meer, das Verggeländc ringsum. Weder mit Feuer noch mit Leitern noch mit Mauerbrechern war dem Koloß anzukommen, und die Vertheidiger konnten sich von einem Stockwerk zum anderen zurückziehen. Auf der Plattform aber fand eine große Menge Pfeilschützcn Platz, die, hinter den Zinnen geborgen, ihre tödtlichen Geschosse auf die Angreifer herabsendeten. Die Aussicht von der hohen Plattform war weit und prachtvoll. Die Sonne neigte sich zum Untergang, und die Wolte», die sie mit ihren Strahlen durchschien, bildeten schimmernd blutrothe Massen und Streifen, darunter lag ernst und tiefdunkel das Meer, nur von einzelnen Goldstrahlen überzogen. Das Gebirge aber schien wie von grauen Schleiern verhängt. Unten vor der Burg lag niedrig die alte Kirche, in deren romanischen Stil sich ebenfalls die Anfänge der Gothik einmischten. Ich erfuhr, das Schloßgut sei Krongut und gehöre dem Enltan in Konslantinopel. Ta wurden mir Ursprung und Bestimmung des Baues ans einmal tlar, und es durchflog mich eine freudige Ahnung: ich war im alten Mittelpunkt des weltberühmten Lommandcria. Nun war es mir um so lieber, auf dieser Stätte gewesen zu sein, von welcher so viel Gutes in alle Welt ausging. Ich muß mich wohl darüber näher erklären. Der Wein erfreut bekanntlich des Menschen Herz, ist ein Tröster in dunkeln Stunden und gibt Labe und Anregung in Tagen der Schwäche. Wo also Wein von vorzüglicher Güte wächst, da strömt eine Quelle reiner Wohlthat für alle Völker. Die Iohannitcr hatten, als sie das heilige Land verlassen mußteu, nach Cypern ihren Ordcnssitz verlegt, gleichwie später nach Rhodus, noch später nach Malta. Von Cypern aus, unter Schirm und Antrieb seiner ritterlichen Könige, bekämpften sie glorreich den Halbmond , und von der Kraft und Klug- Liih cr, Cypcru. i <> 242 heit dieser ritterlichen Mönche hing oft der Sieg ab. Der Bischof von Akkon, Jacques de Vitry, entwirft in seiner Darstellung des heiligen Landes folgende Schilderung: „Bedeckt von ihren weißen Mänteln mit dem rothen Kreuz, den Vcau-ccant, ihr schwarzweißcs Banner voran, rücken sie im tiefen Stillschweigen in den Schlachten vor. Sie haben kein Kriegsgeschrei. Erst wenn des Generals Trompete zum Angriff bläst, legen sie die Lanzen ein und stürmen an, sprechend den Psalm Davids: „Herr, gib uns den Sieg, nicht für uns, sondern für deinen heiligen Namen!" Sie stürzen sich stets auf die stärkste Stelle des Feindes und weichen nicht.' durchbrechen müssen sie oder ihr Leben lassen. Verliert einer der Brüder den Muth, so darf er ein Jahr lang den Mantel, die Nitter-chre, nicht tragen, und muß auf der (5'rde essen ohne Tischtuch, beunruhigt von den Hunden, die zurückzustoßen ihm verwehrt ist." Der Orden besaß bereite aus Cypcrn eine Lommende, — so nannten die Nitter einen Güterbesitz, der von einem Mittelpunkte aus, wo der Comcnthur wohnte, verwaltet wurde, — da empfingen sie durch König Hugo I. im Jahre 1210 große Privilegien. Sie durften Grundbesitz erwerben, wo sie wollten, hatten freie Ein- und Ausfuhr für alle Dinge und Erzeugnisse, und konnten unentgeltlich ihr Korn mahlen auf des Königs Mühlen, die unter dem Schlosse Vuffavento an dem Strom von Kythrca standen. Dabei erhielten sie Häuser und Gärten in Nikosia und Limasol, um dort ein Ordenshans zu bauen, und außerdem vier Ortschaften: Platanistia und Finita im paphischcn Bezirk und Mamgrullii und Kolofsin im Distrikt von Limasol. In Kolossin aber hatte schon früher ein Franzose Garin sich eine hübsche Herrschaft gegründet gehabt, alle Stücke derselben kaufte der König zusammen und schenkte den Rittern die ganze große Besitzung. Nun wurde Kolossin ihr Haufttort, 243 hier wohnte der Ordensgeneral, und hier erbauten sie deshalb, wahrscheinlich noch im ersten Drittel dcs dreizehnten Jahrhunderts, das gewaltige Schloß, welches im Kriege ihre Burg, in Friedcnszeiten die Stätte ihrer Feste und Versammlungen wurde. Nicht weniger als 41 Ortschaften gehörten noch zu Ende des Mittclalters zu ihren Besitzungen auf Cypern. Mit landwirthsckaftlichcm Verstand und haushälterischer Sorgfalt wußten die Iohanniter ihre Güter in blühenden Stand zu bringen. Weizen, Ocl und Wein, Zuckerrohr und Baumwolle ärnteten sie in Menge und ausgezeichneter Art, und weil nur von ihrcn Commcnden dcr Wein kam, der all-gemeines Aufsehen erregte, so nannte man ihn Commanderia-wein. Wir könnten das Wort mit Ordenswein übersetzen, ähnlich wie wir Kirchenstück, Iesuitcngarten, Hochheimer Domdechant haben: jener hatte den Namen von dcr Commandcria dcr Iohannitcrritter auf Cypern, und dcr Mittelpunkt dieser Commandcria war Kolossin. Dankbar gedachten wir bei dcr Tafel dcr braven Ordcns-rittcr und ließen uns den Wein schmecken, den sie auf diese Höhe von'Duft, mildem Feuer, und edlem Geschmack gebracht. Aus dcr Iohannitcr Zeit soll auch die Gewohnheit herrühren, kleine Vögel, die Fcigenschnepfcn, blos zu rupfen und dann gleich in einen Krug voll Commanderiawein auf einander zu packen. Dcr Wein durchzieht die Thierchen ganz und gar, hindert jede Verwesung, härtet sie etwas und gibt ihnen einen unübertrefflichen Wohlgeschmack. Ist diese delikate Speise, die ich auf Lypcrn öfter gegessen — man nimmt sie nach Belieben zwischen den Gängen — in Europa erst bekannter geworden, so wird sie der Insel Nutzen, dcn armen Vögeln dort Verheerung bringen. Am leichtesten und sichersten können die Bewohner Cyperns sich eine lohnende Ausfuhr durck dcn Wein schaffen. Noch immer liefert der Wein blos an Ausfuhrzöllen ein Sechszehntel 244 des ganzen Einkommens, welches die Regierung der Insel bezieht : aber noch fünfzigmal mehr dieser Weine könnte auf den herrlichen Ländereien wachsen, die jetzt halbwüst daliegen. Neue Anlagen sind äußerst selten, und wo eine Gemeinde sich dazu aufrafft, da tann es leicht vorkommen, das; der bloße Neid der Nachbaren die jungen Pflanzungen zerstört. Ganz wie auf Kreta wuchert Haß und Neid auf den Nachbar in den griechischen Ortschaften. Es scheint, daß die lange Unterdrückung die Untugenden der Sklaven gezeitigt hat. Weil der Eine sich unglücklich fühlt, soll auch der Andere es nicht besser haben. Wundern aber muß man sich wohl, wie bei der jetzigen Art und Weise des Weinbaues uoch ein so guter East ge-wonnen wird. Man kümmert sich wenig darum, ob Esel und Ziegen im Frühjahr durch die Weinberge schweifen und die jungen Reben abreißen. Die Trauben werden ohne alle Auslese abgeschnitten, auf der Erde über einander geworfen, und bleiben vielleicht im Negen liegen. Haben sie acht Tage lang gefault, werden sie auf die roheste Weise gekeltert und der Most in die großen irdenen Töpfe gegossen, diese aber in die erste beste Kammer oder unter einen Schuppen gestellt, wo Getreide, ranziges Oel, trocknende Blätter und Früchte, Harze und allerlei soust gut und schlecht riechendes Zeug umher steht und hängt. Unter diesen Düften mag der Most seine beiden Gährungen durchmachen, von deren Wesen die wenigsten Bauer» etwas verstehen. Auf dem Weiukrug liegt ein Schieferstein oder ein Teckel mit einem Löchlein. Durch dieses steckt man von Zeit zu Zeit ein Rohr uud saugt ein Schlückchen, theils um sich zu laben, theils um das Getränt zu probiren wie es geräth. Vielleicht ist es sauer geworden, vielleicht auch nicht i dieses Vielleicht nennen sie die Krisis. Hat der Wein sie glücklich bestanden, so kommen die Händler und taufen auf. Dieser Bauer hat einen oder einen halben 245 Krug, jener zwei oder drei Kruge gemacht. Alles wird zusammen geschüttet und in rohen harzverpichtcn Regenhäuten nach dem Ausfuhrplatze gebracht. Hier kommt der Wein auf Fässer, und dabei geht die Mischung verschiedenen Gewächses »och einmal vor sich. Kann man sich wundern, wenn der Commanderia so oft unterwegs verdirbt? Stammte er nicht von größeren Gütern, wo man doch wenigstens einige Sorgfalt auf Lese Keltern und Lagern verwandte, so trägt er nur zu häufig den Stoff zur Zersetzung schon in sich, ehe er aufs Meer kam, und langt im europäischen Hafen an als eine schändliche Brühe, statt Herz und Geist zu erfreuen durch seine würzige Vlume, seinen innern Reichthum an kernigen und weichen Essenzen, seine köstliche Verbindung von Süße Säure und leisem Geschmack von Bittermandel, insbesondere durch die feine Harmonie, mit welcher alles dies auf die Zunge fällt, und die wohlige Wärme, die er sofort im ganzen Körper verbreitet, — Eigenschaften, die ihm unter den Wcltweincn den ersten Nang anweisen. XXXVI. Oyperns ^andesnatur. Die Unterhaltung bei der Tafel in Kolossin drchcte sich hauptsächlich um Landcserzeugnisse, und es wurde mir deutlicher, was ich bisher schon ahnte, daß nämlich die Insel nur noch von Resten der Kultur lebt, welche theils das Alterthum theils das Mittclalter hier gegründet und gepflegt hat. Wir ergingen uns im Gespräche über die vielen Gewächse, deren cyprischcr Name ehemals weit und breit berühmt war. Es ergab sich, das; von vielen der Anbau sich ganz verloren, von andern nur noch kümmerlich fortlebte, bei keinem Artikel mehr auf der früheren Höhe an Güte und Ergiebigkeit steht. Sehr wenig Neues war hinzu gekommen. Ein geschichtliches Bild der Vegetation und des Anbaues eines Landes, wie sie vor- und rüctschritten und sich änderten, . ist nicht ohne Interesse. Am klarsten stellt es sich auf einer Insel dar, welche wie Eypern Kreta Kuba hinlänglich Naum und Mannigfaltigkeit bietet, jedoch sick in all ihren Theilen stets alö Ganzes übersehen läßt. Ich will hier ein solches Geschichtsbild versuchen, muß jedoch einen kurzen Ueberblick der Landesnatur voraus schicken und dabei zusammen fassen, was schon hier und da in der Reifeschilderung vortani. Betrachtet man auf Eypcrn das Gemäuer an einem öffentlichen Gebäude, so wird man durch dessen Bestandtheile an entlegene Zeiten erinnert. Die Steine aus den phönizischen Bauten wurden verwendet zu griechischen, dann zu ägyptischen und römischen Tempeln, aus diesen zu christlichen Kirchen und 247 arabischen Moscheen, später zu fränkischen Burgen und Domen, aus diesen zu türkischen Festungswerken, und jetzt auch wieder zu neuen Lhristenkirchen. Es haben hier nach einander alle Hauptvölkcr des Alterthums geherrscht, darauf im Mittelalter erst Byzantiner, dann Araber, dann wieder Byzantiner, auch einmal eine kurze Zeit Richard Löwenherz und der deutsche Kaiser Friedrich 11.^ darauf eine lange Zeit Franzosen, endlich, nachdem die Venezianer noch hundert Jahre sich Cyperns erfreut hatten, gehörten seine letzten drei Jahrhunderte den Türken. Im Wechsel dieser Negierungen hatte die Insel wiederholt Zeiten der Blüthe und Zeiten des Verfalls, bald länger bald kürzer, nur seit den letzten dreihundert Jahren siechte sie dahin ohne Wandel und ohne Hoffnung unter dem Todesschatten des Halbmonds. Fast gerade so groß als das Königreich Württemberg, hat sie kaum noch etwas über 150,000 Einwohner, im Mittelalter waren es zwei Millionen, im Alterthum vielleicht noch mehr. Gegenwärtig wird es auf Cypern an seinen Rändern etwas rühriger, und die Bevölkerung scheint sich wieder langsam zu vermehren. Wechselnd wie die geschichtlichen Zeitläufte zeigt auch die Pflanzenwelt der Insel verschiedenen AnbliÄ. Zwar in den Ebenen der Getreidebau, Weizen Gerste Hafer und Hülsenfrüchte, auf dem Gebirge die Scestrandssichte und die Schwarzführe, in den lachenden Thälern und Mstenbreitcn die stattlichen volllaubigen Eichen und Platanen und Eschen, die schönen Terebinthen, die schotenbehangenen Karruben, dann die vielen Gemüsearten, die hier noch wild wachsen, wie Spargel Arti« schocken Kohl Kapern Portulak und Kresse Salbei und Majoran, diese Gewächse blieben beständig sich gleich, ebenso das vielartige blühende Gebüsch mit würzigem Laube, das in den Thalschluchten und an ihren Abhängen sich drängt, Oleander und Myrthe Arbutus und Lentiscus Wachholdcr und Mastix, 246 ebenso der liebliche Vlumenteppich, der mit immer frischein Reize die Fels- und Verghaldcn schmückt, Rosen und Jasmin und vor Mem die auf Cypcrn einheimischen Knollengewächse, die ganze Strecken überziehen, Tulpen und Hyazinthen, Narzissen und Tazetten, Crocus und Anemonen. Eben so wenig änderte sich jemals die üppige Fruchtbarkeit des Bodens. Auf Cypern hat man niemals Düngen gekannt. Cowie die C'rde nur ein wenig bewässert wird, gleich schieben zahllose Pflanzenkeimc empor und wamsen und breiten sich aus in wuchernder Fülle. Immerdar bedurften daher die Saaten auf Cypern des Ncinigens, und das mühevolle Aus-reißen und Ausjäten des Unkrautes — das /i'o?'«,',^,,', botanisiren, wie man es dort nennt — fiel im Alterthume wie noch heutzutage, oft und mühevoll wiederkehrend, den armen Weibern zur Last. Bei alledem gibt c-> eine Reihe charakteristischer Gewächse, insbesondere Haudclopflanzen für die Ausfuhr, die in den verschiedenen Perioden auf einander folgten. Vald machte die eine, bald die andere Pflanze Cyperns Namen berühmt. Auch die Vewirthschaftung und damit Anblick und Ertrag des Landes änderten sich je nach den verschiedenen Völkern, welche die Insel bewohnten oder beherrschten. Manchmal war es Acrcchnung, welche neue Gewächse einführte oder die eingeborenen in Abgang kommen ließ: öfter lag der Grund in der heimatlichen Gewohnheit, welche das eine oder andere Volk nach der Insel mitbrachte. Tenn gleichwie nichts der Erde so vicl Leben und Wobnlichkcit verleiht als das fröhliche Grün der Saaten und Wiesen, der laubgeschmückte Wald und der blüthenfarbige Garten, so wollen auch die Menschen nichte lieber um sich haben als ihre heimatlichen Bäume und Gewächse, und ich erinnere mich noch wohl einer Paderbornerin, die im amerikanischen Westen mit ihrem Manne eine prächtige Farm bewirthschaftete und darüber zu weinen anfing, dcch es ilmen 249 durchaus nicht gelingen wollte, westfälische Pflaumcnbäume anzusiedeln. Ach, süß ist die Heimat und unvergänglich theuer ihre Sitte: innig aber verwoben mit der heimatlichen Luft und Sitte ist ihre Pflanzenwelt. Durchgehen wir deßhalb ganz in der Kürze die Geschichtsepochen Cyperns uud fügen bei jeder an, wie sich Anbau und Vegetation änderten. Zuvor aber nehmen wir einen raschen Uebcrblick über Vodcngcstaltung und Klima der Insel. Cyftern zerfällt bei dem ersten Blicke auf die Karte in drei Theile, die sehr von einander verschieden sind. An der ganzen Länge des Nordrandes zieht dicht am Meere hin eine lange schmale Bergkette. Sie hält sich in der Höhe von ä- bis 3000 Fuß und besteht aus Jura-Kalt, welchem sich an beiden Seiten Wiener Sandstein vorlagert. Den Westen und Süden Cyperns bedeckt ein Masscngcbirge, das die gute Hälfte der Infel einnimmt und von 2- dis 6000 Fuß Höhe wechselt. In seinen Hochrücken und Kuppen und der ganzen nördlichen Hälfte besteht es aus Grünstcin, während es sich nach dcr Südküste in tertiärem Kalk und Mergel abdacht. Mitten zwischen beiden Gebirgen breitet sich eine einzige große Tiefebene, bedeckt mit fettem Alluvialboden, der an vielen Stellen 10 bis 15, ja Ü0 Fuß tief geht, und durchschnitten wird von zwei vielarmigen Flüssen, von dcnen dcr eine nach Osten, der andere nach Westen zieht. Beide Ströme treten in der Regenzeit aus und überschwemmen weit und breit das Land, so daß man, da es keine Kähne gibt, wochenlang nicht von einer Ortschaft znr anderen kann. Ist das Wasser aber verdunstet oder zurückgetreten, so hinterläßt es wie bereits oben bemerkt wurde, auf den Feldern einen Schlamm, der in seiner Wirkung und bei chemischer Untersuchung auch in seiner Zusammensetzung mit dem Nil-Schlamme merkwürdig viel Aehnliches hat. Nings aber um die Insel gibt es kleine Etrandebenen und 250 saust ansteigende breite Abhänge, deren Untergrund ebenso wie auf der großen Ebene aus auartärcm Gebilde besteht, untermengt mit Gips Kalk und Mergel. Hier hat sich die fruchtbarste Erde abgelagert, die bewässert wird von zahllosen kleinen Flüssen und Bächen, die aus dem Gebirge hcrvor-strömcn. Zwischen den Bergen aber gibt es überall Thäler und Hochbreiten, welche ebenfalls den Anbau reichlich lohnen. Wegen seiner vielen vorspringenden Kaps und Halbinseln erschien den Alten Eyvern als ein gehörntes Haupt, und die seltsam lange schmale Halbinsel, in welche die nördliche Bergkette ausläuft, als die Zunge, mit welcher Eyvern in den Winkel zwischen Syrien und Klein-Asien hinciuleckt. Die große Ebene nun war von jeher der üppigste Garten-und Getreideboden. In den Küstenbreiten und Tiefthälern des Gebirges fanden alle Pflanzen und Bäume, die irgendwo in Europa Vorder-Asien und Aegypten wachsen, ihr Fortkommen und zum großen Theile ihr glücklichstem Gedeihen. Denn die Natur Cyftcrns hat entschieden etwas von allen drei Wclttheilen, zwischen denen es liegt. Auf dem Gebirge fand ich mich öfter nack Deutschland versetzt, die Südküste zeigte hin und wieder die prachtvollsten Gegenden Griechenlands, und in der großen Ebene brannte die Sonne wie im Nil-Delta. Die größte Abwechslung aber bietet Eyperno Klima. Ein Drittel des Jahres ist regnerisch wie an der Nordsee, ein zweites Drittel von köstlicher Frische und Lieblichkeit wie an den griechischen Küsten, und das letzte Drittel schrecklich wie in der glühenden Sahara. Man findet auf alten eyprischen Münzen und Gemmen einen Löwen, der den Rachen aufsperrt: er bedeutet den Alles verzehrenden Sonnenbrand, der die blühende Insel regelmäßig im Sommer überfällt. Manchmal ist über dem Löwen auch die Strahlensonne selbst angebracht. In der Winterszeit regnet es dagegen fast unaufhörlich. Schon um Mitte Oktobers 251 überzieht sich der Himmel mit Regenwolken, die sich fort und fort entleeren, bis zum Februar hin. Dann folgt eine himmlische Frühlingszeit, voll Blütbcnduft und heiterer Frische. Um Mitte März wird sie von neuen Regenschauern unterbrochen: diese enthalten zwar viel weniger Wassermengen als im Winter, dauern jedoch, mit mehrtägigen Unterbrechungen, bis gegen Mitte Mai, wo starte nächtliche Thaue sie ablösen. All die Zeit, beinahe ein Vierteljahr, ist es gar herrlich zu leben auf Cypern, dann aber kommt die heiße Zeit. Im Juni verschwindet jede Feuchtigkeit aus der Luft und zu Ende dieses Monates bricht eine glühende Hitze herein, die immer qualvoller sich über die ganze Insel legt. Der Himmel scheint waudellos eine eherne leuchtende Masse zu sein. Das Thermometer zeigt im Schatten 30 Grad. Nur von Zeit zu Zeit öffnen sich erfrischende Seewinde den Weg ins Land, und wie befreit athmet Alles auf. Das Schlimmste aber kommt erst. Gegen den September zu stirbt jedes leise Fächeln des Windes ab, die Luft wird dick und undurchsichtig, jeden Tag lastet sie schwerer in schwülem Dunste, ^iraut und Halm uer-dorrt bis auf die Wurzel. Die Bäume lassen die Blätter fallen und strecken ihr dürres Geäste gespenstisch über den trüben Dunstkreis. Jeder Tropfen Wassers ist aus den Bächen und Flüssen verscbwunden. Nur Abends oder in der Nacht kann man reisen oder Geschäfte machen. Die Menschen hegen nur den Einen Gedanken: Wenn doch erst wieder Regen käme! Man hat berechnet, daß es im Sommer in Nikosia, der Hauptstadt Cyperns, heißer ist als in Kairo, trotzdem das Meer und das Schneegcbirge in Klein-Asien mit ihrer Feuchtigkeit so nahe sind. Ich kann mir die Thatsache nur dadurch erklären, daß im Nil-Thale über dem ziehenden Gewässer beständig ein leichter Luftzug entsteht, und daß dort vom breiten Strome und seinen zahllosen Bewässerungsgräben beständig viel mehr Feuchtigkeit verdunstet, als auf dem trockenen Cypern. XXXVII. Anbau unter Semiten und Griechen. Treten wir jetzt der Geschichte der Insel näher. Aus Cyperns Alterthum steigt uns ein kräftiger Waldduft entgegen, es ist Urwaldsgernch. Berg und Thal und Ebene bildeten eine fortlaufende Waldun g. Am Südrande der Insel, wo die Föhren und Eichen und Platanen ihre Acste noch in die See tauchten, wo dic Waldbäume aber weiter auseinander standen und dazwischen sich Vlicke auf grüne Auen eröffneten, siedelten sich Semiten an. Hier lagen die ältesten Stätten des Astarte-Dienstes, hier auch die ältesten und berühmtesten Wein- und Weizenfelder. „Vrot und Wein, das giebt Kraft und Stärke" — diesen Wahrsftruch der Ilias sagte sich jedes Volk, sobald es vom Hirtcnwesen zu Ackerbau und festen Sitzen überging, lind ohne Zweifel hat Mutter Natur gleichwie den törncrtragendcn Graohalm, so auch die wohlthätige Weinrebe überall auf der Erde, wo zu fruchtbarem Boden sich dauernde Sonnenwärmc fand, sproßcn lassen. Man sucht öfter des Wcinstockes Heimat an den Abhängen persischen Gebirges, sei es uach dem taopi-schen See oder nach dem persischen Meerbusen hin, — allein wie hälifig habe ich in Amerika im wildesten Urwaldo das scköne Gewinde der Nebe die Stämme und Aeste entlang streben und schweben sehen! Der Weinstock hob sich auch wohl von der Erde gerade auf in prächtigen Säulen bis in die 253 Laubdeckcn hinein. EZ bedürfte nur der Veredlung mit europäischen Rcbaugen und man erhielt von der Urwaldrebe den herrlichen Katawba- und Isabellen-Wein. Auf semitische Wurzeln aber weisen unter zahllosen anderen Kulturzweigcn insbesondere die Anfänge und Fortschritte in Feld- Obst- und Gartenban zurück. Der Semite hat von Hause aus einen eigenthümlichen Hang, das natürliche Fort-pflanzungslebcn in Mensch Thier und Pflanze zu durchdringen und daran nach eigenem Geschmacke zu probiren, zu ändern und zu meistern. Verschiedenartige Zucht der Hausthiere, Nassenlreuzung, Saamenmischung, Pfropfen und Okuliren gehörten von jeher sozusagen zum nationalen Studium der Semiten. „Im Gartenwert — sagte Plinius — ist Syrien das emsigste Land, daher heißt es im griechischen Sprüchwortc: „In Syrien giebt es vielerlei Küchcnkraut." Für Cypern blieb es von Bedeutung, das; vom Anfange an der Feld- und Gartenbau, so wie er bei semitischen Völkern im Phönizier- Nil- und (ihaldäcr-Lande geübt wurde, all-mälig die Strandebenen und breiten Abhänge an der Eüdtüste in Besitz nahm. Eine Menge Kulturpflanzen, wie das Henna die Kassia Zimmct Myrthc Sefam und die Kolokasie, weisen auf syrische oder ägyptische Heimat zurück. Um so lockender wurde der Besitz der Insel für die Griechen, als sie bald nach dem trojanischen Kriege auch ihre Völkerwanderung hatten und nach allen Küsten und Inseln des mittelländischen Meeres ausströmten, bald in kleinen bald m großen Schaarcn. Die Griechen, empfänglich für gute Lehren und allezeit dein Nesseren zustrebend, nahmen die Kultur der Semiten an, die ja so viel höher stand als ihre eigene. Aber sie setzten das lebhafte arische Ehr- und Persönlichteits-gefuhl dem stillen zähen Gemeingefühle der Semiten entgegen, und wo diese ruhige Feldbauer Viehzüchter und Gartenkünstlcr blieben, da regte sich in den Griechen ein kriegerischer, sang- 254 reicher, hochstrebender Sinn, der unaufhörlich forschen und bilden und schaffen wollte. So entstand jetzt auf Enpcrn cin edleres uud fröhlicheres Leben. Und da die Griechen die Vcrghalden liebten, von denen weithin fich schauen ließ, und die kühlen Schattenthäler durchrauscht von klaren Bächen und Flüssen, so erblühten auch dort kleine Ansiedlungcn, die sich mit Hainen von Fruchtoäumcn umgaben. Das reichste Leben aber entwickelte sich an der Südküste. Hier bebaute der Grieche gemeinsam mit dem Syrier die sonnigen kleinen Ebenen und sie theilten einander mit, was sie Gutes hatten und hervorbrachten. Allein der dichte Wald setzte einer kräftigeren Ansicdlung nock Hindernisse entgegen. Vielleicht lag hierin eine Ursache, weßhalb nicht Eypern, sondern das entferntere Kreta im frühesten Alterthume die Stätte wurde, wo die Kultur von Osten her sich ansammelte, fortbildete, und dann strahlenförmig sich ausbreitete nach allen Dichtungen. Endlich ging man dem wuchernden Walde stärker zu Leibe. Hören wir darüber einen Bericht des Eratosthenes, der sich bei Etrabo erhalten hat. „Weder der Verbrauch" — heißt es — „des vielen Holzes, das bei dem Schmelzen von Kupfer und Silber aufging, noch das Entführen zahlloser Stämme, die man zum Schiffsbaue verwendete, wollte das Walddunkel lichten. Da wurde ein Gesetz gegeben: Wer Wald ausrode, behalte den Platz als sein Ackerfeld und Eigenthum und brauche keine Steuer davon zu zahlen." Nun wurde allmälig die große Ebene angebaut uud zu einem großen unabschlichen Weizenfeld umgcschaffcn, dem reichsten Getreide lande der Welt. Allein wehender Wald blieb einmal Cypcrns Nalurcharaktcr. Wo immer wir von Tempeln der goldenen Aphrodite hören, stets liegen sie umrauscht von grünen Hainen. Welch eine Wonne muß das in Cyperns schönem Gebirge 255 gewesen sein, als es noch überdeckt war von einem einzigen weiten grünwogigen Waldmeere, bloß die Thäler und Halden etwas angebaut, aus jeder Gcbirgöoffnung aber ein mächtiger klarer Strom hervorschicßcnd, der die große und all die kleinen Ebenen und Gehänge rings an der Küste bewässerte. In welcher Thaufrischc athmeten die Menschen damals und schwangen die schönen Gliedert Die alten Griechen reden nicht so häusig, wie es heutzutage geschieht, vom Walde: sie hatten seiner die Hülle und Fülle, und er erschien ihnen so natürlich zum Leben wie das Wasser. Wo aber griechische Dichter des Waldes erwähnen, geschieht es in Weisen, aus welchen wohl hervortönt, wie lieb und heilig und innig vertraut ihnen rauschender Vcrgwald. Der Semite liebte zu Korn und Wein ein Drittes: den kühlen Schatten des brcitblätterigcn Feigenbaumes, der ihm süße nährende Frucht spendete. Der Grieche konnte, sobald er die Stürme der Jugendzeit seines Volkes hinter sich hatte, nicht leben ohne seinen geliebten Oelbaum, diesen edlen Baum des Segens und des Friedens. Auf Cypcrn war er ursprünglich nicht wie in Attita einheimisch: nirgends sieht man ihn wie dort als wildwachsendes Gebüsch. Ja die Athener behaupteten sogar: alle Olivenhaine der Welt gehörten eigentlich ihnen, dcnn alle Ableger und Sprößlinge seien hergenommen von ihrem uralten, der Athene geheiligten Oelbaumc, der oben auf ihrer Burghöhe stand. Da dieser Baum aber kalkige Berge in Mecresnähe liebt, so gedieh er auf Cypern rings um die Insel ganz vorzüglich. Mit dem Oelbaume wurden auch Athcnens Heiligthümer nach der Insel verpflanzt. Die Göttin aber des hellen Verstandes und der scharfen Willenskraft, die zuletzt Alles besiegen, blieb auf Cypern immerdar überstrahlt von seiner übermächtigen alten Naturgöttin, die nunmehr aller holde Nciz der Aphrodite schmückte. Auf Cypern salbten — so singt 256 Homer — die Charitinnen ihre hohe Frau mit dem unsterblichen Ocle der Götter und tauchten, wie es in einem poetischen Fragmente heißt, ihre Gewänder in den Duft zahlloser Frühlingsblumen. Auf Cypcrn blühten ja in Fülle und Größe Krokus Safran Narzissen und all die anderen Vlnmen, in deren Deutung die griechische Phantasie so lieblich spielt. Cypern war ja das rechte Rosenland, wo die holde duftige Blume emporblühte auf jener Stelle, wo die dunkle Erde Adonis' rothes Blut getrunken. Von Cypern aus kamen auch die weißen Tauben nach Griechenland und Italien. Sie flogen in den Venus-Tempeln aus und ein und durften sich selbst auf der Göttin Bildnis; niederlassen. In ganz Syrien war ja die Taube der Astarte, Astaroth, Berath und wie sonst die Naturgöttin hieß, geheiligt. Warum wohl? Weil die Taube zärtlich girrt und kost? Oder gar, weil sie das Kaninchen unter den Vögeln ist? An Fruchtbarkeit wird sie freilich noch von den Sperlingen übertroffen, und die in natürlichen Dingen etwas offenherzige Sappho läßt den Wagen der Aphrodite von Sperlingen durch die Lüfte zichn. Der cyprischen Taube weißes Gefieder war ohne Zweifel ein Crzeugniß der semitischen Naturkunst; in fast allen Sprachen hieß sonst die Taube der graue Vogel. Merkwürdig genug gcbeu ihr die Griechen einen Namen (^«^0-7^63 Täuberich, ?rt^,t75kl>« Taube, Nk^i^r^io^ Täubchen), dessen flüsternde windschwirrende Laute sich wohl für eine Bachstelze eignen, nicht aber für eine Taube. XXXVIII. Landeskultur in der Aömerzeit. Zu ihrem vollen Werthe kam die Insel im Reich der Römer. Nach allen Richtnngen seines ungeheuren Gebietes konnten die Bewohner ihre natürlichen Reichthümer verführen, niemals wurden die zahllosen Märkte überfüllt, niemals erschöpfte Cypern seine Fruchtbarkeit. Die Schiffe, die nach Suricn Aegyvten Cyrcnaica wollten oder von dort kamen, alle pflegten bei Cypcrn anzulegen. Wo immer die römischen Tichter und Schriftsteller von der Insel sprechen — und sie thun das gern und häufig — stets schwebt d'npern ihnen vor als die Stätte des üppigsten Reichthums. Cicero nennt die Insel die tenera, die weiche und lustige, Virgil die fette, apiina ^vpruL, Valerius Marimus die an köstlichkeiten fruchtbare, sei-tiiissima öenoiln-um, und Ammianus Marcellinus sagt: auf Cyperu könne man ein Schiff bauen und ausrüsten vom Kiel bis zum Segel, dann ins Meer lassen, befrachtet mit allen Gütern der Welt, ohne daß man ein einziges Stück anderswoher zu nehmen brauche, als von der Insel selbst. Allein bei Martial findet sich auch eine Stelle, welche so lautet: „Lerne Cyvern kennen, das geschändet wird durch der Hitze Uebermaß, wenn auf der Tenne dörrt das krachende Getreide und der gclbgemähnte Löwe wüthet." Man suchte im Alterthum die Schäden und Qualen der dürren Zeit da-durck zu mildern, daß ein System künstlicher VewäMung Lülicr, Zypern, ^ 258 durchgeführt wurde. Noch sind große Zisternen vorhanden und Ninnen, die in Felsen eingehaucn, lind lange Linien von gemauerten Kanälen, alles aus der ältesten Zeit. In den „Vacchcn" des Euripides wird gerühmt: „Paphische Flur wird auch ohne Regen befeuchtet durch hundertthorigc Bewässerung aus dem Wildstrom." Dies antike Bewässerungssystem ist noch jetzt in Cypern allgemein im Gange, und man kann von ihm wahrhaft sagen, daß es die Insel am Leben erhält. Kein Fluß oder Bach, groß oder klein, aus welchem nicht schon bald nach seinem Ursprünge das Wasser in die Gärten und Felder geleitet wird. Je weiter die Ströme fließen, desto mehr von befruchtendem Naß wird ihnen entzogen, sie rinnen immer schwächer und dünner, und wenn sie bis ans Meer kommen, kann man die größte Zeit des Jahres über froh sein, wenn in ihrem Bette sich noch ein paar kleine Pfützen finden. Fragen wir aber näher, was im Alterthum am meisten aus Cypern ausgeführt wurde, so war es — außer Metallen und Schiffsbauholz — Weizen Oel Wein, alles von vorzüglicher Güte. Besonders berühmt war der zyprische Weizen, obgleich Plinius von ihm sagte: er sei dunkel von Farbe und gebe schwarzes Brot. Wahrscheinlich war zu viel Untrautsamen darunter. Plinius berichtet auch, daß man auf Cypern guten Essig aus Feigen bereite, und erwähnt dabei der Esclsfcige (lious L^comorus), die jetzt auf Cypcrn selten geworden. Der cyftrischen Göttin war besonders heilig der Granatbaum mit seiner rothglühenden Blüthe im Blätter-dunkel,- es hieß, Aphrodite selbst habe ihn auf Cypcrn geschaffen. Auch verdient das früher viel gebrauchte Rohr (eanna) Erwähnung, von welchem das Mädchen feine Spindel, der Hirt seine Flöte, der Winzer seinen Rebenträger schnitt, der Geschäftsmann seinen Canon, d. h. den Nichtstab für das Messen, der Kanzler das Schreibrohr, und der Proviantmeister 259 das Canastron, den geflochtenen Vrottorb, erhielt. Nach Dios-torides wäre das cyprische Rohr das beste gewesen. Wer immer auf Cypern herrschte, Phönizier Griechen Perser Aegypter Römer, alle holten sich aus feinen Waldungen die trefflichsten Bauhölzer, sowohl für Tempel und Paläste als zum Schiffsbaue. Berühmt waren Cyperns Fichten Eichen Platanen und N'ußbäume. Noch jetzt erreichen z.B. die Platanen auf dieser Insel eine ungewöhnliche Ast-und Laubentfaltung. Wer ist im Orient gereist und erinnert sich nicht dankbar dieses schönen Baumes, des Qucllenhütcrs, unter dessen tühlschattigcm Laubdacho bei wehender Frische und leisem Murmeln des Gewässers es sich so wohlig ruhte? Wenn jene Stunden und Minuten voll Glück sind, in denen wir all unserer Geister und Kräfte am meisten und am wohl-thuendsten gewiß werden, dann war wohl öfter nach langem Marsche in großartiger, aber heißer und öder Landschaft mit der wonnigen Rast in Platancnkühle das Gefühl, wenigstens die Ahnung solchen Glückes verbunden. Seit ich den edlen Baum so liebgewonnen, denke ich selbst vom alten Terres milder. Wie Herodot erzählt, kam der Großkönig auf feinem griechischen Kriegszuge in die Nähe von Sardcs und erblickte dort eine Platane, deren schlanke Schönheit ihn so im Gemüthe ergriff, daß er sie, gerade wie ein Liebender fein Mädchen, mit Armbändern und Goldketten bching und ihr für immer einen Wächter bestellte. Hervorzuheben sind noch zwei Gewächfe, die beide schon durch ihre Namen an die Insel erinnern und in der Nömer-zeit ihr eine besondere Bedeutung gaben. Die Cypresse, die sich wie in einem einzigen dunkelgrünen Strahle still zum Lichte erhebt, war den Iramern ein heiliger Baum, den sie gern vor den Eingang ihrer Tempel setzten. Diese Gewohnheit ging auf die Heiligthümer der phönizifchen Naturgöttin über. Man wußte aber auch sonst 260 den Baum zu schätzen. Das Cnpressenholz duftete bei Verbrennung und einmal gehärtet erschien es unverweslich. Die Pforten des Diana-Tempels zu Ephesus waren ebenso aus Cvprcssenholz gemacht wie so viele Jahrhunderte früher die Thüren zu Odysseus' Palaste auf Ithaka. Zu kostbaren Cärgen, zu Götterbildniffen und Weihgeschenkcn nahm man besonders gern dieses Holz, und Horaz spricht von Gedichten, die im leichten Lypressentastchen zu verwahren. Weil daher das Nutzholz von diesem Baume überall gesucht war, so konnte Plinius sagen: wer Cyftressen gepflanzt, habe für die Aussteuer der Tochter gesorgt. Vorzüglich aber zum Schiffsbau fchien Cpressen-holz so geeignet, daß Alerander der Große zum Baue seiner Flotte die behaucnen Stämme von Lypcrn nach dem Euphrat kommen ließ. Denn auf Cypern wuchsen die Cypressen so häufig und von fo ausgezeichneter Güte, daß sie eben daber den Namen „cyprische Bäume" erhielten. Dagegen das andere Gewächs, der Kypros, gab der Insel selbst den Namen, gleichwie Rhodos seinen Namen von <>0t)'u?' der Schwertlilie, und die Pityusen den ihrigen von ?r/7^3 Fichte erhielten. Das hebräische Wort «ozikei- bedeutet einen Strauch, der verschiedene Salben giebt, und dieser Name !>0pIiSi,- gab in Kyprus verwandelt weiter dem cyprischen Erze, dem Kupfer, der Kypresse, dem Fische Kyprinus die Benennung. Plinius meinte, der Kyprus sei ein Strauch dessen Same in Oel gekocht und ausgepreßt das Henna ergäbe, mit welchen schon den Mumien in Aegypten die Fingernägel gefärbt wurden, gleichwie es noch jetzt die Haremsdamen zum Färben des Haares, der Augenbrauen, selbst der Fingerspitzen eifrig benutzen. Viel wahrscheinlicher hieß ^oziliei- das im Alterthume vielbegehrte Ladanum oder Ledanum, ein wohlriechendes Harz, das noch jetzt ans Cypern ausgeführt und als feines Rauchwerk wie als Arzneimittel vielfach angewendet wird. Man glaubte früher, es brauche einer nur Ladanum 261 in der Hand zu tragen und öfter daran zu riechen, dann schütze es ihn gegen Pest und Ansteckung. Herodot berichtet: „Es ist wunderlich, wie das Ledanum, das höchst wohlriechend ist, an einem Orte häßlichen Geruchs cutsteht. Man findet es nämlich an den Bärten der Ziegen und Böcke, aus denen es ausschwitzt wie Harz aus dem Holze." Plinius wußte schon mehr darüber. „Es komme, wie Einige sagten, von den Epheublüthcu auf die Barthaare der weidenden Ziegen: nach Anderen gäbe es ein Kraut Leda, desseu Fettigkeit an Schnüren hängen bleibe, die man darüber hin- und herziehe." Beide Arten der Gewinnung sind noch heutzutage auf Eypcrn gebräuchlich. Das Leda-Kraut ist aber die kretische Cistro'o, «»tu« cations, ein Strauch von zwei bis drei Fuß Höhe, der sich mit seinen klebrigen Zweigen wie ein kleiner viel-. ästiger Busch ausbreitet. Er wächst im Gebirge in einer Höhe von 2500 bis 4500 Fuß, dort sieht man ganze Abhänge von seinen hellrothen Blüthen bedeckt. Die Aeste und Blätter sind mit Härchen beseht, an deren Enden sich eine harzige Flüssigkeit ausscheidet, an der Luft sich verdickt und in kleinen Tröpfchen daran hängen bleibt. Wenn nun Ziegen dazwischen weiden, so hängt sich die klebrige Masse an ihre Bärte und an die Haarbüschel der Beine, und wird entweder davon abgeschabt oder man schneidet die Haare ab und schmilzt sie aus über Kohlenfener. Auch fährt man wohl über die Felder der Cistrosen mit Rechen, an denen statt der Zähne zwei Reihen lederner Riemchcn hängen, die dann denselben Dienst thun wie die Ziegenbärte. Cypern gab im Alterthume, wo jedes Haus außerordentlich viel wohlriechende Salben und Harze bei Festen und Gastmählern, bei Opfern und Bestattungen verbrauchte, noch von zwei anderen Harzen reiche Ernten, Ambra und Mastix. Die Insel selbst verbrauchte nicht wenig davon, denn auf hundert Altären, so schildert Virgil, dampfte der Aphrodite 262 der Weihrauch. Das Ambra aber schwitzte aus Einschnitten, welche man in die Rinde eines Baumes macht, welchen das Volk Lhristusholz nennt, ^l/).c>v rov X(i,/75n5, der aber der liHuiämndtN' orienwÜL ist. Aus dem Mastixbaume wird ebenfalls durch Rindencinschnitte das Mastirharz gewonnen. Beiderlei Vaumarten sind jetzt auf Lypern selten geworden. XXXIX. Flnbau unter Byzantinern, Urabern, Iranken und Hürlien. In den langen Jahrhunderten der Byzantiner-Herrschaft finden wir nur drei Ursachen, welche Cyverns Anbau und Wohlstand hin und wieder etwas belebten. Das Erste war, daß wiederholt ein fürstlicher Herr sich zum erblichen Satrapen aufschwang. Dann gab er in der Ncgcl sich auch Mühe, sein cyprisches Fürstenthum volkreicher und werthvoller zu machen. Die zweite Ursache lag in der Einwanderung vom syrischen Festlande. Die dort Verfolgten flüchteten regelmäßig nach Cypern: so die ersten Christen, später viele Syrier Armenier Maroniten Iakobiten und andere christliche Secten. Die Thätigkeit der Syrier und Armenier kam Handel und Gewerbe zugute: die anderen Einwanderer waren stille, fleißige Gärtner und Feldbauer. Die gröhle Wohlthat aber erfuhr Cypern durch Einführung des Seidenbaues. Man hatte bisher den persischen Kaufleuten, welche die Seidenballen der Karawanen aus China und Indien auf den europäischen Markt brachten, dafür schweres Geld zahlen müssen, um so mehr, da Seide zu tragen als ein unerläßliches Zeichen der Vornehmheit erschien. Eines Tages brachten zwei Mönche, die sich bis nach Indien vorgewagt hatten, im Jahre 55? Seidenraupeneier dem Kaiser 264 Justinian. Dieser licß sie in den Provinzen vertheilen, und siehe da, nirgends gediehen die Raupen so sehr als iu Cypern. Die gleichmäßig stille Lust und Wärme der Insel, welche durch Stürme selten unterbrochen wird, behagten den Seidenthicr-chen ganz vorzüglich. Die Südtüstc und die Abhänge am Nordrande wurden rasch mit Maulbcerbäumen besetzt und die berühmten Seidenwebereien nahmen ihren Anfang. Ter Araber Einfälle bedeuten für Zypern nur Unglück und Verwüstung im Ganzen uud Großen: im Einzelnen dagegen kam, wo ihre Herrschaft sich festsetzte, sie dem Gartenbau zugute. Dieses Wüstenvolt war gewohnt, bei seiner Ankunft alle Herrlichkeit der alten Kultur niederzureißen, Kirchen und Tempel zu Trümmern, Bücher zu Asche zu machen. Waren die Araber aber im eroberten Lande heimisch geworden, dann wollten sie ihres Lebens froh werden und überließen sich edleren Regungen. Christen und Juden mußten herbei, ihnen Paläste zu bauen und die Werke der persischen Poesie und der abendländischen Wissenschaft ins Arabische zu übersetzen. Tie Araber selbst aber verlegten sich mit Vorliebe auf den Anbau der Gewächse, richteten sich herrliche Gärten ein mit regelmäßiger Bewässerung, und verpflanzten dorthin die Bäume und Stauden aus Syrien Acgypten uud Arabien. Auf Cypern fanden die Araber vor.- den Citronen- und Orangenbaum, die Dattelpalme, den Iohannisbrotbaum, den Sesam- Safran-llnd Seidenbau. Ohne Zweifel haben sie dort den Anbau dieser Gewächse verstärkt, ihr größeres Verdienst aber bestand darin, daß sie dieselben nach Afrika Sizilien und Spanien übersiedelten. Im dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderte erlebte Cypern eine Zeit schönster und reichster Blüthe, uud in den beiden folgenden Jahrhunderten ist der Anbau der Insel wenigstens im Ganzen und Großen nicht zurückgegangen. Damals — es war die ritterliche Zeit der Lusignans — verbreiteten sich unglaublicher Reichthum, unerhörte Ueppig- 265- keit über die ganze Insel. In allen Ländern rings um das Mittelmecr sprachen die Leute von Cypern als von einem kleinen Indien, das aller Schätze voll sei. Unternehmungslustige Ritter Kaufleute Gelehrte und Abenteurer strömten fort und fort herbei. Die Ursache aber des so raschen und so großen Aufschwunges der Insel lag nicht bloß in dieser neuen thatkräftigen Bevölkerung, sondern hauptsächlich darin, daß Zypern nicht mehr von fremden Herrschern ausgebeutet wurde, sondern seine eigene königliche Regierung und seine geordnete Verwaltung erhielt, so gut in wirthschaftlichen Dingen wie in Politik und Justiz. Wir wissen daher nicht bloß aus Geschichtschreibern, sondern aus den öffentlichen Verordnungen selbst, welcherlei Anbau in der zweiten Hälfte des Mittclalters die herrlichen Gefilde belebte. Weit und breit wurde eyprisches Getreide und Bauholz verführt. Die neuen Bewohner der Insel waren aber auch beständig auf der Ausschau, was sich an Handelspflanzen wohl für Cypern eignen möge. Das Erste, was die fränkischen Ritter und Mönche einführten, waren die heimatlichen Obst bäume. Es wollten aber Aepfel Birnen Pflaumen und Mispeln nicht recht gedeihen, um so vorzüglicher Kirschen Pfirsiche und Aprikosen: ganz ausgezeichnet sind noch heute die eyftrischen Wallnüsse. Die Banane wurde in Gärten mit Sorgsamkeit gepflegt und ergab schmackhafte Frucht. Dann ließ man Zuckerrohr aus Arabien kommen, wo es wild wächst, pflanzte es an und erhielt alsbald vortreffliche Ernten. In Massen wurde cyprischcr Zucker ausgeführt. Da man aber das Raffiniren noch nicht verstand, so ließ sich der Zucker nur in kleinen schwärzlichen Körnern herstellen. Der Weinbau, der auf Cypern uralt ist, nahm einen nie gekannten Aufschwung durch die Iohanniter und ergab von ihren Commcndcn den köstlichsten Wein der Welt, der in Massen ausgeführt wurde. 266 Gleichwie aber Cyperwein jetzt überall gesucht wurde, so standen in hohem Rufe die schweren Seiden- und Sammtstoffe aus Zypern. Denn mit dem sorgsamen Anbaue des Maulbcerbaumes -— den weißen aber kannte man noch nicht — ging die Verbesserung der Webekunst Hand in Hand. Syrischer Fleiß vereinigte sich auf Cypern mit europäischem Talente. Als der Seidenbau sich bereits zu hoher Blüthe entwickelt hatte, brachten Händler aus Persien Baumwollen-samen mit, und siehe da, auch die Baumwollenpflanze gedieh in (iypern so gut, das; Alles Baumwolle baute und die schönsten Getreidefelder mit dieser Pflanze besetzte. Man nannte die Baumwolle das Goldkraut, weil ihr Anbau so viel schöne Äucaten ergab. In Nikosia, der Hauptstadt Cyperns, entstanden jetzt große Nebereien, die für die Ausfuhr viel gesuchte feine Kattune lieferten. Es erhellt aus allem diesen, welch eine wichtige Stelle Cypern in der Pflanzen- und Handelsgcographie einnimmt. Es war im Mittelalter das große Versuchsfeld, die ^ultur-insel, auf welcher Pflanzen, die in Indien und Persien, Arabien und Aegypten einheimisch, angepflanzt und durch sorgsame Pflege unter einem günstigen Himmel und auf fruchtbarstem Bode» attlimatisirt und veredelt wurden, um von da weiter zu wandern nach Griechenland und Italien, nach Süd-Frankreich und Spanien, nach den eanarischen Inseln und Amerika. Wir haben noch kurz die beiden letzten Epochen Zyperns ins Auge zu fassen, die venetianische und türkische. Tie Venctianer wollten sich möglichst viel Geld aus Cypern machen, deßhalb wurde jeglicher Anbau, der Geld versprach, begünstigt, und wenn die Bevölkerung die Arme wollte sinken lassen, wendete die Negierung allerlei Nciz- und Etrafmittel an, um die Feld- und Gartenindustrie in die Höhe zu treiben. Noch jetzt geht die Sage auf der Insel, die Venetianer hätten für jeden neuen Oelbaum, der gepflanzt wurde, als Anerken- 267 nung eine Zecchine bezahlt. Allein trotz alledem wurde die Bevölkerung mit jedem Menschenaltcr schwächlicher und träger. Es zeigten sich die Nachwirkungen der Leiden und Kriegsgreucl während des fünfzehnten Jahrhunderts, als die Lusignans sich nur noch mit Mühe der muselmännischen Eroberer erwehrten, unter einander aber in blutigen Fehden lebten. Frische kräftige Ansiedler kamen nicht mehr nach (iypern, seit die neue Welt wie ein ungeheures glückverheißendes Gestirn im Westen aufgegangen. Die Wirbel der Verkehrsströmung zogen sich aus dem Osten hinweg. Dazu kam die Schärfe und Schlauheit der venetianischen Negierung, die planmäßig jeden Geist der Unabhängigkeit zerstörte und damit auch die Unternehmungslust lahmte. Cyperns Eroberung durch die Türken kostete der Insel den letzten Nest von freisinniger, arbeits- und wagclnstiger Bevölkerung. Das verödete und blutüberströmte Land empfing fortan keinen neuen Anbau, keine neuen Handelspflanzen mehr. Die türkischen Herren brachten höchstens ein paar neue Tulpen und Hyacinthen mit, denn sie waren stets große Blumenliebhaber. Auch pflanzten sie gern die Dattelpalme an. Eine Ortschaft, in welcher Türken wohnen, kündigt sich schon von fern durch die hohen Palmenwipfel an; allein der schöne Baum bringt auf Cypern selten die süße vielbegehrte Frucht. Auch der Tab atsbau kam unter den Türken nach der Insel, jedoch kaum für den Hausbedarf. Man kann ihn nur in Gärten ziehen, die mit so hohen Mauern umschlossen sind, daß die Wanderheuschrecke sie nicht überstiegt. Anregung aber zn geben, die des Landes Anbau gefördert hätte, dazu war die türtische Negierung viel zu träge und sorglos. Solche Art Regierung zehrt einfach vom vorgefundenen Bestände, der sich nothwendiger Weife stets vermindern muß. Seit die Türken Eypern eroberten, nahm jede Art von Industrie, jede Art von Feld- und Gartenbau, nahm aber 268 auch das angebaute Land selbst fort und fort ab. Nur die fürchterlichen Hcuschreckcnhccre und die ruchloseste Waldvcrwü-stung vermehrten sich fort und fort. Vor einigen Jahren machte sich ein Pope, welcher den Jammer nicht mehr ansehen mochte, auf nach Nikosia, klagte dem Pascha, daß in seiner Nachbarschaft gewiß zweitausend Fruchtbäumc rein aus Bosheit zerstört seien, und bat um Hülfe. Der hohe Beamte erwiederte, er wolle nachsehen lassen. Es erfolgte aber nicht das Geringste. Dieser Pascha war vom Hafen in Larnaka nach Nikosia gekommen und von Nikosia nach Larnaka: das waren die einzigen Reisen, die er auf Cyvern während seiner Verwaltung machte. Rechnet man auf (5ypern die felsigen Striche ab, die gar keinen Anbau znlasscn, so entbehrt vom übrigen Lande gegenwärtig mehr als die Hälfte irgend welchen Anbaues, alles dies liegt wüst und verdorrt oder versumpft. Der Anbau des Zuckerrohres ist ganz eingegangen. Vaum-wolle wird nur noch an wenigen Stätten erzielt. Zur Zeit der Venetianer führte die Insel noch 30,000 Ballen aus, jetzt keine 3000. Noch zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts rechnete man an Wein einen jährlichen Gewinn von 150,000 Eimern, zu Anfang des jetzigen sechsmal weniger. Kein Wunder: unter den unaufhörlichen Plackereien ließen die Bewohner entweder von freien Stücken ihre Weinberge eingehen, oder sie wurden bei der Bereitung und Lagerung des Weins lässig und liederlich, so daß der berühmte Cyprier in der Fremde zersetzt und zerfetzt ankam und ihn Niemand mehr mochte, als wer ihn in seiner Heimat selbst geprüft und ausgesucht hatte. Vom Gewinne feinen Obstes ist keine Nede mehr. Selbst der vielberühmte cuprische Gemüsebau hat beinahe gänzlich aufgehört, die Bevölkerung behilft sich mit wildem Spargel und Portulak, wilder Kresse und Artischocken. Gepflegt wird überall noch der Oelbaum, wenn man die sorgloseste Weise des 269 Aberntens und Pressens so wie des Anpflanzens von Setzlingen Pflege nennen darf. Was wollte die arme Bevölkerung ohne Olivenkost anfangen? Weizen Gerste Hafer Hülsenfrüchte werden überall gebaut, jedoch in unglaublich roher Weise: gleichwohl liefert Eypern nach Konstantinopel in guten Jahren an zehn, in schlechten an sechv> Millionen Kilo Weizen und Gerste. Daneben giebt es Kartoffeln in den Bergen und die Kolokasie mit ihrem Knollenmehle in den Ebenen, besonders reichlich aber und aller Orten Gurken Kürbisse und Melonen, die noch immer von vorzüglicher Güte sind. Einen Vewcis aber, wie leicht und vielfältig Eyperns Boden die fleißige Hand belohnt, liefern Krapp Seide Kar-rnben Wein. Seit in den letzten vierzig Jahren vom Westen her ein wenig frifchere Strömung durch die orientalische Stickluft ging, haben Griechen und Franken es hier und dort gewagt, sich auf größere Unternehmungen einzulassen. Was würde erst geschehen, wenn die öffentlichen Verhältnisse nur einigermaßen geordnet, Eigenthum Erwerb und Zukunft nur einigermaßen gesichert wären! Den Krapp braucht man zum Färben der Millionen von rothen Fessen. Der weiße Maul beer bäum nimmt mehr und mehr Gärten ein, aus denen seine Blätter durch die Maschinerie im Leibe einer unscheinbaren Raupe als glänzendes Gespinnst hervorgehen. Karruben kann Eypern nicht genug liefern, um die Epiri-tusfabriten in Frankreich England und Rußland zu füttern. Wein wurde in den letzten Jahren viel mehr erzeugt als früher, jedoch meist nur für Fremde: die Einwohner selbst trinken das ganze Jahr hindurch von ihren edelsten Weinen unglaublich wenig. Dieser kräftige Saft — fo fcheint es beinahe — ist dem armen Nolke zu kräftig oder zu theuer, denn der arme Bauer muß von seiner Weinärnte den Zehnten, die Grund- und Produktionssteuer, und gewöhnlich auch noch den Ausfuhrzoll an die Regierung zahlen. 270 Die Fortschritte aber iu der neueren Zeit geschehen nur vereinzelt und gleichwie in scheuer Probe, ob nichts Störendes dazwischen trete. Kein Zweifel, bei den jetzigen Handelsund Gcwcrtsverhältnisscn könnte die noch immer fruchtbare Insel leicht wieder aufblühen; dazu brauchte es nicht einmal uieler Geld-, Geistes- und Körperkräfte. Nur können sie nicht mehr aus dem Lande selbst, sie müssen von auswärts kommen. St. Nikolaus. In Kolossin tam die Rede auf die schönen antiken Marmorsäulen, die draußen im Hofe lagen, und ich fragte, ob sie von dem Apollotempcl in Kurion wären. Cs wurde mir aber versichert, von jenem Tempel sei nichts erhalten, als die Linie der Grundmauern und eine unterirdische Kammer; die schönen Säulen aber seien aus den Trümmern der Abtei 3t. Nikolaus geholt, die ein paar Stunden von hier einsam auf der Halbinsel läge. Alles, was ich nun davon hörte, machte mich gespannt, diese Klosterruine kennen zu lernen. Paulinzelle in Thüringen und Heisterbach im Siebengcbirge traten mir vor Augen, und ich dachte des tiefen Eindrucks, den ihre Gcwölb- und Bogcntrümmer, die in ihrer Trauer noch so schön, ehemals auf mich machten. Hier aber bei St. Nikolaus mußten auch noch antike Reste vorhanden sein. Andern Morgens sandte ich daher den Dragoman und den Athicniten voraus nach Limasol, um dort im Franzis-kanerkloster Quartier zu bestellen. Denn nachdem ich bei aller Welt im Orient zu Gaste gewesen, mochte ich auch einmal bei europäischen Mönchen einkehren. Ich selbst ritt mit Hussein und einem ebenfalls berittenen Führer im scharfen Trab wohl anderthalb Stunden lang auf die Südfpitze der Halbinsel zu, und dann rings um ihren Salzsee. Die Gegend war nackte ebene Haide, das Gewässer weit und breit von Röhricht umstanden. Ich brauchte nur 272 vor mich hin oder auf den stillen See zu blicken, um mich irgendwo in friesischem Sumpf und Moor zu glauben. Erhob ich aber die Blicke, fo stand da landeinwärts die Pracht des Gebirgs in langgezogenen graugrünlichen Hochwellen. Der weite See aber lag ausgebreitet unbewegt wie eine Glastafel, und das Wolkenspiel auf und über dem stillen Wasserspiegel war unbeschreiblich schön. Plötzlich aber verdunkelte sich die Luft, es sing an zu regnen und goß gleichwie mit Bächen. Wir machten, daß wir fortkamen durch triefende Rohrfclder und spritzendes Gewässer, um in der Ruine Obdach zu suchen. Es wollte aber nicht gelingen, alles war schon sehr zerfallen und das Kirchlein nicht offen. Ich duckte mich in eine Maueröffnung, zog das Pferd als Schutzwand quer vor mich hin und konnte nun unter ihm wegschauen, wie Sturm und Regen rasselnd und stäubend zwischen das Gemäuer schlug. Zum Glück dauerte das Unwetter nicht lange und der Boden war gleich wieder trocken. Ich sah nun, daß die hübsche kleine Kirche des h. Nikolaus eingebaut stand in der Mitte eines großen rechtwinkligen Gebäudes, das etwa im fünfzehnten Jahrhundert errichtet sein mochte. Die Kirche war noch ganz, das Gebäude lag überall in Ruinen. Allmählich bemerkte ich im Erdboden Linien laufen von anderem härteren Gemäuer: dies waren die Grundmauern des antiken Tempels. Auf feinen Trümmern hatte man einst das Nikolauskirchlein gebaut und später rings um diefes her die Abtei. Neben ihrer Hintermauer standen Säulenstöcke aufrecht und in gleicher Richtung: dort lief ehemals ein Säulengang die Abtei entlang. Ihre Front war gerade auf der antiken Grundmauer aufgebaut und davor war ein großer viereckiger Säulen-Hof gewesen. Ueber der Pforte, die ein hübsches Schwibboqen-ornament hatte, zeigte sich eine breite antike Marmortafel, in 273 welcher man fünf Wappenschilde ausgehauen. Das eine zeigte etwas wie einen Hostienschrein, das zweite einen aufrechten gekrönten Löwen, im dritten Schild war das Sinnbild weggehauen, im vierten erschien das Malteserkreuz, im fünften ein Kreuz mit vier Schlüsseln in den Ecken. Der antike Tempel aber, der hier über die stille Seefläche hin nach den Bergen schaute, war einst sehr ausgedehnt gewesen. Hinter deni Kloster standen seine Mauern noch ein paar Fnß hoch aufrecht und schlössen hinter einander- zwei Vierecke ein. In der Mitte des einen.Vierecks gab es noch einen kleinen runden Weihaltar von Kalkstein, daneben befand sich eine schr tiefe Listerne. Das antike Malierwert hielt hier wie Eisen zusammen, zum mittelalterlichen waren öfter Säulentrommeln, auch zwei korinthische Kapitaler als Werkstücke verwendet. Neun Säulen lagen noch vor dem Kloster umher, von zwei anderen die hübschen Häupter. Die schönsten Säulen aber sind alle fort; ich bemerkte nirgends so zierliche wie im Burghof zu Kolossin. Das muß im Mittelalter hier eine Eäulen-pracht gewesen sein, die Mönche hatten sich behaglich in das antike Erbe hineingesetzt. Jetzt lag die Trümmerstätte ganz einsam. Von Gärten und Anbau nichts mehr zu erblicken. Nur ein paar alte Oel-bäume verschlangen ilne Wurzeln mit dem antiken wie mit dem mittelalterlichen Gemäuer, dessen einförmiges Grau und Schwarz sie mit dem matten Cilberglanz ihres Laubes kaum ein wenig belebten. Ziegen trieben sich dazwischen umher. Aus den Nohrfeldern, welche den See umzogen, blickte hier und dort ein weißgrauer Salzkegel hervor,- denn auch dieser See enthält viel Salz, welches ähnlich wie aus dem See bei Larnaka gewonnen wird. Das weite Graugrün von Schilf und !)tohr, in der Mitte der ruhige Wasserspiegel, drüben das blauende Gebirge, dessen Farben jetzt wie frisch gewaschen erschienen, die Säulen- und i.'öhcr. Cypcrn, lg 274 Mauertrümmer, in ihrer Mitte das dunkle Kirchlcin — alles zusammen gab ein eigenthümliches Landschaftsbild. Daß eine Hügelreihc hinter dem Kloster den Blick aufs Meer zum großen Theil verschloß, machte die Stätte noch heimlicher und traulicher. Ich bestieg diese Anhöhen. Die Meeresfiäche glänzte drüben weit und herrlich wie immer. Kein Schiff auf ihr zu entdecken. Warum sollte auch ein Fahrzeug noch hierher den Kiel richten? Die alte Stadt Lamia, die angesichts des Meeres hier oben stand, war längst zerfallen, kaum ein paar Bausteine noch übrig. Hier war alles dahin, vergangen die Herrlichkeit des Alterthums, vergangen das Mittelalter mit seinem Chorgesang und Becherklang. Die Stätte erwartet die Thätigkeit der neuen Zeit. Der ganze Orient mit seinem rohen Staats- und Kriegswesen, seinem Grundgesetz der nackten Selbstsucht steckt ja noch im tiefsten Mittelalter. Er zehrt von dessen Leistungen und Nesten, aus seinem Schooße keimt kein neues eigenthümliches Leben mehr hervor. Auch Griechen Armenier und Juden mit ihrem Handelseifer gehorchen nur dem Pulsfchlag der europäischen Verkehrsströmung, die eben erst begonnen hat, in diese so lang vernachlässigten Küsten und Inseln ihr Geädcr hineinzutreiben. ^iimasol. Der Weg von den Tempel- und Klosteriuinen auf der südlichen Halbinsel, der nach der Hafenstadt Limasol nur etwa dnttehalb Stunden beträgt, schlingt sich um die Lachen des Salzsees und dann am Meere hin. Limasols Anblick ist europäischer als bei irgend einer andern Etadt auf Cypern. Lehmsteinbauten aber herrschen auch hier, besonders in den Quartieren der Türken. Lehm und Holz ist noch heutzutage der beliebte Baustoff dieses Volkes, einerlei, wo es sich angesiedelt hat. Auch ein Häufchen Türkinnen, das uns begegnete, machte es gerade so wie in Smyrna oder Konstantinopel. Wenn sie von ferne den Fremdling erblicken, hüllen sie sich über und über ein, und ist man in die Nähe gekommen, so lassen die Hübschen den Schleier etwas fallen, so daß man die lachenden frischen Züge erblickt. Der Frauenschleier aber scheint ein Ding, das dem Oriente einmal anklebt. Auch bei den Pullanen, die in den Zeiten der Kreuzzüge aus der Vermischung der Abend- und Morgenländer hervorgingen, wollten die Frauen nicht aus dem Schleier heraus. Wir ritten eine lange Straße entlang, und als wir zu einem stattlichen Hause kamen, machte mich Hussein aufmerksam, daß über seinem Dache der deutsche Reichsadler wehe. Mit innerem Jubel erblickte ich das theure Zeichen und las auf der großen prächtigen Flagge die deutsche Umschrift. Ich tilt vorbei und zum Franziskancrkloster, wo der kleine Mönch, 276 welcher der Anstalt vorstand, mich mit Freuden und väterlicher Gastlichkeit empfing. Kaum hatte ich das Kaffecschälchen genossen, mußte ich ihm auf mein Zimmer folgen und mich erst etwas ausruhen. Dann holte er mich ab, mir sein Kloster zu zeigen. Von dem Altane bot sich eine herrliche Aussicht nach den Bergen, die sich in ihrer schlichten und doch lieblichen Größe über der Ebene entrollten. Hinter dem Klostergarten lag in voller Abgeschiedenheit ein kleines schmuckloses Kirchhofchen: die geringe Zahl der Gräber drückte aus, daß für das Kloster schon seit langer Zeit zwei oder drei Franziskaner ausgereicht hatten. Es schien sich hier weniger um pastorale Dienste, als darum zu handeln, den Platz zu behaupten. Deshalb wurde auch eine neue schöne Kirche gebaut: die Summcn dafür kamen aus Rom, wo man jetzt immer Geld hat, um aller Orten auf dem Erdrunde, wo Katholiken wohnen oder neue sich ansiedeln, Kirchen und Klöster zu bauen. Als ich wieder in den Speisesaal kam, trat ein zierlicher Kaufmann aus Tyrus, der ebenfalls im Kloster herbergtc, heran und wollte mir eine Gemme, die dort gefunden sei, für einen ungeheuren Preis aufdringen. Er war nicht wenig verblüfft, als ich ihm sagte, sie wäre nur ein paar Piaster werth. Die Fabrikation von Alterthümern scheint in Smyrna Beyrut und Jerusalem ein einträgliches Geschäft zu sein. Nun erschien der deutsche Konsularagent, Kavaß und Dragoman mit großem Amtsstabe voraus, mich zu begrüßen, und Hussein ließ sich, als sie wieder fortgingen, es nicht nehmen, hinterdrein zu marschiren und so zogen sie durch die Stadt und den Bazar. Solches Aufsehen und Geschleppe liebt man in diesen Gegenden ungemein, die Neigung dazu stammt ohne Zweifel noch aus der byzantinischen Zeit her, die es von den Römern überkam. Der deutsche Vertreter in Limasol schien etwas ungehalten, daß ich an seinem Hause vorbeigezogen, und wollte durchaus, ich solle mit ihm gehen, es sei alles 277 auf das Schönste für mich bereitet. Der kleine Pater aber legte Beschlag auf meine Person und erklärte entschieden: solche Unehre dürfe ich feinem Kloster nicht anthun. Nun kamen auch der italienische Konsul und der Rektor der griechischen Schulen, und ich freute mich höchlich, daß all die Festhaltungsversuche vor der Gewißheit scheiterten, daß der nächste Dampfer nach Konstantinopel in drei Tagen von Lar-naka abgehe, und ich keine Woche übrig habe, acht Tage auf den folgenden zu warten. Ich machte nun mit dem Nektor einen Gang durch die Stadt: wir besuchten den Bazar, die Schulen, die Kirchen. In der höheren Schule der Griechen gab es Z0, in ihrer Volksschule 100 Schüler. Jedes halbe Jahr mehrt sich rasch ihre Anzahl. Hinter einer Kirche bemerkte ich eine Säule mit hübschem Kapital, die ebenfalls vom St. Nikolauskloster herstammte. Die Stadt macht auch im Innern einen europäischen Eindruck, denn sie ist erst in neuerer Zeit aufgeblüht, und zwar hauptsächlich — ein gutes Vorzeichen für Eypern — in Folge der vermehrten Ausfuhr des Lommendariaweins. Limasol hat jetzt etwa fechstausend Einwohner, von denen ein Drittel, und zwar die ärmeren, Türken sind, während es unter den Griechen bereits mehrere wohlhabende Kaufleute gibt. Die freiere Lebensansicht, welche der Handel mit sich führt, kommt hier auch den Leuten von Lein und Wolle zu Gute. Ihrer gibt es hier mehr als anderswo und bald nennen sie sich Iorris bald Mustapha. Wie es in einem vornehmen griechischen Hause hergeht, tonnte ich den Abend wieder bei unserm Konsularagcnten bemerken. Er selbst war ein junger Mann von feinem und höchst verbindlichem Benehmen, die Hausherrin voll Reiz und Schönheit, und die Mutter eine ehrwürdige Greisin, in deren Gesicht und Augen jener leise Schimmer lag, der vielberedte Zeuge langer Erfahrung und edlen AusharrenZ. Ihre Familie 278 gehörte zum ältesten Adel der Insel, und hatte doch auf Cypern noch nicht länger als anderthalb hundert Jahre gewohnt. Türkisches Szepter läßt die Familien nicht leicht zu alt und vornehm werden. Man wollte auch bemerkt haben, daß in den letzten Jahren die höheren türkischen Beamten, die von Konstantinopel kommen, selten mehr die gute Erziehung mitbrächten, die man früher an ihnen gewöhnt war. Wie kann es auch anders sein, wo Geld der Schlüssel zu allen Aemtern geworden? Selbst die Menge der grünbeturbanten Nachkommen Mohammeds soll rasch einschwindcn. Da versteht man sich in China besser auf die Fortführung altbcrühmter Namen. Nach der kaiserlichen ist dort des Philosophen und Staatsmannes Kung - fu - tsö (Confucius) Familie die berühmteste: sie blüht in etwa 10,000 Gliedern, als deren vornehmster der eigentliche Stammhalter, Fürst Kung, gilt. Bei den Türken dagegen nagt schon lange der Wurm im Innern jedes alten Geschlechts. In China muß ein ordentlicher Mann seinen Zopf haben. Ihn einbüßen bringt in den Verdacht eines heimlichen Hochverräthers,-denn die regierenden Mandschuhs haben ihn den Chinesen aufgedrängt, und wer mit ihnen fühlt, muß seinen Zopf ausweisen. Den Türken hängt unsichtbar hinten ein langer Zopf schwer zur C'rdc und hindert sie, vorn die Hände fleißig zu rühren. Dieser Unglückszopf besteht in dem Glauben, daß Arbeit und Anständigsein sich durchaus nicht mit einander vertragen. Gegen zehn Uhr setzten wir uns zur Tafel, und das erste Glas begrüßte unsere Reichsflagge, die über dem Hause wehte. Sie sei im Feuer geboreu, sagte der Hausherr. Zur Zeit aber zieht sie noch wenig Dculsche nach Limasol. Das ganze Jahr über läßt auf der Rhede nur ein oder das andere deutsche Schiff Anker fallen. Ich bin aber überzeugt, man würde ein hübsches Gesckäft machen, wenn mau ein Schiff ganz mit Wein belüde, selbst wenn es nur Landwein wäre, und drüben 279 in Deutschland znm Trinken frisch vom Fasse weg verkaufte. Edler Wein jedoch würde wohl erst Studien im Einkaufen und Ablagern erfordern. Wir unterhielten uns auch über Bevölkerung und Einkünfte der Insel, und hier bekam ich wieder neue Ziffern zu hören. Wer in diesem Lande sich die Mühe macht, einen Ueberschlag zu machen, kommt auf schwankendes Ergebniß. Die Türken geben 200,000 Einwohner und mehr an, die Griechen etwas über die Hälfte davon. Ein europäischer Beobachter, der längere Zeit in Eypern wohnt, rechnete 100,000 Griechen, 40,000 Türken, 1000 Maronitcn und Katholiken. Die Annahme von etwa 150,000, von denen kaum noch ein Drittel Türken, möchte vielleicht der Wirklichkeit am nächsten kommen. Ebenso verschieden lauteten die Berichte über die Einkünfte, obwohl ich nur Solche fragte, die ihres Amtes wegen im Stande waren, sich wenigstens einigermaßen auszukeimen. Da schätzte der Eine den jährlichen Betrag an Steuern und Zöllen auf 35, der Andere auf 30, der Tritte auf 24 Millionen Piaster, und eine noch niedrigere Tabelle möchte vielleicht am sichersten leiten, nämlich: Zehnten von allem Einkommen . . 7,000,000 Piaster. Zehnten von Wakufländcreicn . . . 400,000 „ Grundsteuer (Produktionszoll) . . . 5,000,000 „ Militärsteuer der Christen (Askerieh). 550,000 Kopfgeld von Schafen..... 700,000 Wagcfteuer bei Verläufen .... 300,000 Zölle und Salinen......1,500,000 Zoll der Weinausfuhr insbesondere . 1,000,000 Zoll der Seidcnausfuhr insbesondere. 200,000 „ Zoll der Fischeausfuhr insbesondere 20,000 „ 16,670,000 Piaster. Wahrlich, für eine so große üppig reiche Insel, da ein Piaster etwa zwanzig Markpfennige werth ist, ein dürftiges Einkommen! Auffallen muß der geringe Ertrag von den Län- 260 dereien der Moscheen, Koransschulcn und andern milden Stif-tungen, die auch in Cypern einen ansehnlichen Theil der Insel in sich fassen. Diese Wakufgütcr stehen unter der Verwaltung der türkischen Geistlichkeit, und das Sprüchwort sagt: „Eher gibt des Todten Auge eine Thräne, als der Imam Geld." Auch in deu Ländern der lateinischen und anglikanischen und orthodoxen Kirche ist die Meinung nicht selten: die Geschichte habe es noch stets bewiesen, welch ungcmeine Kraft im Anziehen Sammeln und Festhalten von Gut und Geld den Amtsbrüdern der Imams beiwohne, und nothgedrungen müsse der Staat von Zeit zu Zeit den großen M'chenschwamm ein wenig auspressen. Darüber aber war auf (5ypcrn alles einverstanden, daß die verbuchte Steuer so ziemlich vollständig zum Bosporus abfließe' daß die Vcrwaltungstosteu, alles zusammen gerechnet, sich nicht über zwei bis drei Millionen Piaster bclicfeni und daß die Einwohner außer den verbuchten öffentlichen Steuern noch etwa deren Hälfte heimlich aufbringen müßten, um die türkischen Beamten zufrieden zu stellen. Stets mnß ja ein Beamter den andern bestechen, um sich in Amt und Würden zu erhalten. Für Straßen Brücken und öffentliche Gebäude fallen nur winzige Sümmchen ab. Auch das Militär kostet in Zypern wenig, bei dem schwächlichen (5haratter der Bewohner genügt geringe Besatzung. Aus andern Bezirken kommen Türken, um ihre Militärpflicht abzuleisten, gern nach der friedlichen Insel. Wie ganz anders steht im Neiche der Türken das hochragende Kreta da! Diese äußerst fruchtbare Insel wagen sie nicht mehr mit Steuern zu beladen, und alles, was Kreta für die Negierung aufbringt, muß diese wieder auf FestungZ-bauten Militärstraßen und öffentliche Anstalten im Lande selbst verwenden, zufrieden, die wichtige Insel nur zu behaupten, damit sie ihrer Herrschaft nicht entschlüpfe und durch ihren Zutritt zu Griechenland dieses kleine Königreich erst wahrhaft lebensfähig mache. XIII. U m a t ij u s. Der folgende Tag war so schön, als ich jemals einen erlebte. Wir ritten hart an der Küste hin. Oefter trabten die Pferde mitten zwischen hohen goldgelben Saaten, und seltsam war der Gegensatz, wenn die spiegelnde Bläue des Meeres energisch über die goldene leichtbewegte Flut am Strande empor tauchte. Ach und wie köstlich war die Luft! Tcr Athem der cyprischen Luft fächelt so sanft und lieblich, daß die Glieder s'ch lüstig strecken und das geistige Wesen leicht in weichlichem Sinnen dahin stießt. Ich begriff vollständig, warum Zypern der Aphrodite Weihinscl wurde, warum dies blütenvolle Land in der griechischen Kunst und Literatur immerdar so unbedeutend blieb, uud warum Spätrömcr und Türken, die ja außer im Staats- und Rechtswcsen so wenig Werke höheren Ranges geschaffen, sich so sehr nach den fetten Aucu Lyperns sehnten. Doch wie, was war das? Was hauchte da plötzlich über das Strandgefilde mit so afrikanischer Glut? Aha, der gelb-mähnigc Löwe des Sonnenbrandes reckte sich schon. Den Wilden hungerte darnach, Cypcrns blühenden Leib zu verschlingen. Wenn unter den sengenden Strahlen der Sommersonne Halm und Strauch bis auf die Wurzeln verdorrt, jedes Blatt-chcn vertrocknet von Halm und Strauch niederriesclt, dann hegen nur die Saaten und Gärten, die auf dem ebenen 282 Plan im Ufersande dahinlaufen, noch vom Meere her Feuchtigkeit. So dicht daher am Wasserrandc, als es die Flut nur erlauben will, wird der Flugsand hier weggeräumt und zwar möglichst tief- dann dringt die Nässe aus der Tiefe, wie von unten durch ein Sieb, im Boden herauf. Man nennt solche Feld- und Gartcnstückc mitten zwischen den Sanddünen, in denen alles Gemüse und jede Feldfrucht vortrefflich gedeihen, Livadicn d. h. Mecrwiesen, und sie gehören zu dem werthvollsten Boden auf der Insel. Kommt bei Ausmündung der Flüsse und Bäche noch Landwasscr hinzu, das durch den Sand sickert, so ist der Ertrag noch viel reicher. Gleichwie hier bei Limasol gibt es bei Eviskofti Kitin Larnaka Famagusta, sodann an der Nordküste bei Morphu Lavathos und an anderen Stellen noch viele dieser kostbaren Mcerwiesen, und gewiß könnte man noch manche neue anlegen. Nach etwa zwei Stunden Neitens kamen wir zu einem Nuinenstück, das, wie es schien, hart am Strande, von einer Kirche stehen geblieben. Hier lag eine Menge alter behauener Steine aufgeschichtet, die man nach Port Said zu Hafenbauten abholen wollte. Zur Linken stieg ein kahler Berg empor, und die Getreidefelder gingen bis hoch hinauf. Mein Dragoman wollte vorüber reiten, und als ich erklärte, dort oben müsse Amathus gelegen haben, betheuerte er mit großem Redeschwall, es sei nicht das Geringste mehr dort zu sehen. Ich berief mich auf das, was der Konsul davon erzählt hatte: da meinte Mr. Clementin, es sei eine gute Stunde Kletterns bis oben hin, und es war in Wirklichkeit kaum eine Viertelstunde freilich ziemlich steilauf. Oben sah ich mich verwundert auf einer Stätte um, wie sie für einen Wohnvlatz im Alterthum und Mittelalter, wo man stets gegen Angriffe mußte geborgen fein, nicht trefflicher sich finden konnte. Hier hatte die Natur in vollkommenster Weise bereits die Festung hergestellt. Es ist eine ausgedehnte 283 länglich runde Tteilhöhe, die auf drei Seiten jäh abfällt. Nur nach dem Meere hin senkt sie sich allmählich, und blos auf dieser Seite, wo der Felsgrund nicht so scharf abbricht, war noch eine Schntzmauer nöthig, deren Linie noch in ihren Trümmern deutlich aufsteht. Tonst aber blickt man ringsum in eine Tiefe: diese Tiefe aber besteht ringsum in einem schönen breiten Thal uoll Saatfelder, das gemach gegen die umliegenden Berge ansteigt, aus deren Falten noch eine Menge von Grünplätzchen hervorblickt. Hier stand einst eine große Stadt phönizischen Ursprungs, deren Name noch im hebräischen Hamath, d. i. Burgstadt, zu erkennen. Sie bedeckte oben das ganze Hochrund, und ihre Gassen gingen an der Mecresseite hinab bis an den Strand. Tacitus und andere Schriftsteller nennen Amathus Cyperns allerälteste Stadt, sie reden sogar von Autochthonen oder Ur-eingeborenen des Ortes. Jetzt kann man die Stadt die aller-gevlündertste nennen. Berg und Abhang sind bis zum Meeresrande wie abgeschoren: außer den Trümmerstücken einer Riesenvase, der niedrigen Mauerlänge oben, der Kirchenruine unten am Strande ist nichts mehr vorhanden, als zerschlagenes und zerbröckeltes Gestein und hier und da ein paar Scherben. Jedermann konnte von dieser verlassenen Stätte holen, was da war, und vor etwa zwölf Jahren verübten Franzosen den letzten großen Raub. Es standen nämlich auf der Höhe im Gebüsche zwei gigantische Gefäße, gleich wie runde Kessel mit Henkeln, hübsch ausgehauen aus festem Sandstein, die Wände fast einen Fuß dick. Die vier großen Henkel waren an jeder Vase regelmäßig an vier Seiten vertheilt und bildeten eine besondere Zierde. Sie erhoben sich in Halbbogen über Palmetten, und unter ihrem Halbrund waren vier schreitende Stiere abgebildet. Der innere Boden des eben so zierlichen als riesigen Eteinkeffels hatte, wie sich an dem noch vorhandenen Reste des einen abmessen 284 ließ, zehn ' Fuß Durchmesser, und wcnn jemand sich hineinstellte, so konnte er eben über den oberen Nand wegblicken. Noch jetzt steht von der einen dieser so ungeheuren und doch, ich wiederhole es, mit feinem Formgcfühl gebildeten Vasen anßcr dem Boden und unteren Nandc ein Seitenstück bis zur Palmettc, aus welcher der Henkel aufstieg. Das ganze Gefäß war vor zwölf Jahren, wenn auch in Trümmer gebrochen, noch vorhanden. Dicht daneben aber erhob sich das andere, und dieses war heil und vollständig. Als nun damals die Franzosen die eine große Vase wegholen wollten und die Stücke der anderen, welche dicht daneben stand, sie dabei etwas hinderten, so wurde diese von den Matrosen vollends in Trümmer geschlagen. Die Offiziere standen dabei und hatten es so angeordnet. (Hin vornehmer Herr aus Limasol war Augenzeuge und erzählte es mir; ich kann ihn jeden Augenblick nennen. Auch mein Zaptieh Hussein kam mit dem Pascha gerade vorbei, als man das Niesengefäß den Berg hinabschleppte, und konnte nicht genug schildern, welch eine gewaltige Arbeit das gewesen. Die Fregatte der Franzosen „lc Perdrix" ankerte unten, und der Befehlshaber, der Graf de Voguc'', hatte außerdem noch ein Dampfschiff zu seiner Verfügung. Von dem Henkel des einen Steinkessels fand ich noch Stücke am Verge zerstreut. Diese Niesenvasen hatten Jahrtausende die weltberühmte Höhe geschmückt, sie waren das werthvollste Stück des Alterthums auf Cypern. Sie hätten noch ein paar Jahrtausende überdauert. War es nicht die reine Barbarei, das eine wegzuholen und das andere vollends zu zerschlagen? Was aber war ehemals die Bestimmung dieser gigantischen Vasen? Aelmlichc Gefäße standen vor dem Tempel in Jerusalem, und die schreitenden Stiere hatten wohl eine religiöse Bedeutung: das ist alles, was wir wissen. Sollten die Gefäße in ihrem weiten Bauche eine geweihte Flüssigkeit bergen, 285 oder ein heiliges Feuer, oder gehörten sie vielleicht zu einem schauerlichen Opferdienst? Wir stehen hier vor einem ungelösten Räthsel, und merkwürdig genug, bei keinem Schriftsteller des Alterthums ist uns von diesen riesigen schönen Steintesseln, die doch gewiß schon zu ihrer Zeit angestaunt wurden, nur eine Notiz überliefert. Wäre aber auf der Höhe von Amathus, wo einst das berühmte Adonisfest gefeiert wurde, nichts mehr zu sehen, so verdiente sie doch den Anstieg ihrer Aus- und Nundsicht wegen. Ringsum frei ist sie einzig in ihrer Art. Auf der einen Seite lagert die breite Gewalt unendlicher Meeresbläue, auf der anderen ragen im weiten Halbrund über den Höhenzug, der, an sich schon bedeutend, das Thal zu Füßen des Stadtberges umfaßt, des dunkleren Gebirgs Kuppen und Rücken empor. Nach Limasol hin, das sich lockend an der Spitze seiner schön ausgerundeten Bai darstellt, und noch über diese Stadt hinaus dehnt sich die Küstenebene, und dahinter läuft die Halbinsel weit ins Meer hinaus bis zum Capo dellc gatte. Als wir wieder zum Strande hinabkamcn, waren da ägyptische Matrosen, schwarze und halbschwarze und alle zerlumpt, beschäftigt, Bausteine zu laden und auf ihr Schiff zu bringen, das auf der Nhcde ankerte. Ter Kapitän hatte sich ein Zeltlager aufschlagen lassen und lag rauchend auf seinem Teppich. Nach Port Said, der neuesten Stadt drüben auf dem Festland, wanderten nun Bausteine aus der ältesten Stadt Cyperns. Dort wurde ein neuer Welthafen für die Schiffe nach und von Indien gebaut, hier sah man vom alten Hafen nur noch das Naturbeckcn, so weit es nämlich von Felsen gebildet wurde, die etwas unter dem Wasser fortstrichen. Karnlbielj und Wazotos. Von Amathus führte der Weg eine Zeit lang durch trockene Anhöhen und Berge, die nicht den geringsten Reiz hatten. Ills wir endlich wieder an's rollende Meer kamen, spornte Hussein gleich seinen Hengst in dic weißschäumcnden Wogen. Allein ihr Rauschen und Wälzen schien doch auch dem tapferen Thier ungeheuerlich: der Hengst stand wie angenagelt und machte plötzlich Kehrt zu unserem Gelächter und des Reiters Aerger. Unter einem hohen Kap ging's dann wieder in ebene Küstenstriche hinein, auf denen sich zur Linken der Einblick in die prachtvollste Gebirgslandschaft eröffnete. Hier am Kap Karrubieh traf ich auf einen ungewohnten Anblick. Es lag da am Strande ein nagelneues Städtchen, und die Häuser erschienen viel fester und stattlicher, als man sie sonst auf Cypern zu sehen bekommt. Sämmtlich aber waren sie verschlossen und unbewohnt, kein Mensch zu erblicken, als ein Schwarzer in einer kleinen Schenke, bei welchem wir Kaffee tranken. Erst im August bevölkert sich diese Ortschaft mit wohl taufend Leuten, dann liegen all die Häuser voll Karrubcn, und viele Schiffe ankern hier, um die Frucht abzuholen nach Trieft und Marseille, nach Smyrna, Odessa und Petersburg. Wir waren im Hauptbezirk des Karrubcnbaucs, der zwischen Limasol und Mazotos die Küstcnhängc bedeckt und hier am Kap die Magazine füllt. Ner verachtete Iohannisbrotbaum ist nämlich ein Wohlthäter der Insel geworden. Früher dienten 287 seine Früchte blos dazu, Vieh zu mästen, etwas Syrup zu pressen, und in der mageren Fastenzeit mit Kost aufzuhelfen. Vor etwa zwanzig oder dreißig Jahren entdeckte man, daß sich ein guter Branntwein daraus brennen lasse. Da nun der Iohannisbrotbaum von Alters her auf (5ypcrn einheimisch ist und aller Orten als Strauch und Stamm wild wächst, so geben sich die Leute in der neueren Zeit Mühe, ihn zu veredeln. Im April haut man Acste und Wipfel ab und pfropft in die Stümpfe Reifer von guttragenden Bäumen. So roh es geschieht, fo sicher ist gleichwohl das Gedeihen der Pfropfreiser: in kurzer Zeit bedeckt sich der Baum mit den langen dunkeln Schoten, die unsere Kinder so lieben. Es ist das nur ein Beispiel, wie leicht Cypern wieder aufblühen könnte. Das Gold liegt fo zu fagcn auf dem Wege. Vom Kap Karrubich ging es fort und fort am Strande hin, und die Gegend wurde nun immer reizloser, da das Gebirge weitcr und weiter ins Land zurückwich. Von den breiten Strandflächen irrten die Blicke immer wieder auf's Meer und über seine geheimnißvollen Tiefen hin, deren unaufhörliches Wogen und Fluchen die Gedanken hinzog in ferne Urzeiten. Der Strand war wieder besät mit großen und kleinen weißen Punkten von Schleim und Schaum, den Wind und Welle unaufhörlich dem Lande zutrieb. Wie? Wenn die alten Griechen fchon geahnt hätten, daß alles Leben aus der ersten Zelle und dem ersten Schlcimklümpchcn entstand, daß es dann wuchs und um sich fressend sich weiter bildete und ausformte im langen Kampfe um das Dasein? Dann enthielte die Sage von der Schaumgeborenen den Kern, daß die 'Allgebärcnn, also auch alles, was erzeugt und geboren wird, aus dem Meercsschlcim entstand. Aber wären die alten Griechen bei dieser Erkenntniß gleich hingelaufen und hätten die Götter von den Altären gestürzt? Wenn ich nur wüßte, was mit Darwins Lehre denn fo 288 Großes gewonnen ist, daß sie eine solche Umwälzung bewirken soll in all der bisherigen Welt- und Gottesanschauung! Ob das Menschenkind, um zu werden, ein paar Sekunden oder ein paar Tage oder ein paar Jahrtausende brauchte, ist doch für das zeitlos, endlos flutende Weltall ganz einerlei, und für Gott erst recht einerlei. Oder um gleich das Weltende au den ersten Lebenskeim zu knüpfen — wie gar trostlos denkt sich mancher, der ein rechter Tarwinsjüngcr zu sein glaubt, der Dinge lehtes auf und von dieser Erde? Nach und nach wird ihre Kohlensäure und ihr Wasser aufgebraucht sein,' dann muß alles, was da lebt und athmet, verschwinden i die Erde wird ein todter lavastarrender Körper, der noch eine Zeit lang um die Sonne tanzt- allmählig zieht die Sonne ihn näher und näher an sich hewn, bi5 er schließlich mit ihr zusammenstößt und mit einem ungeheuren Knall verschwindet. Aber um des Himmels willen, wozu denn der ganze Aufwand? Weun's unserer armen Erde so geht, ist auch allen andern Weltkörpern kein besser Loos beschieden, denn alle müssen zulcht um Sterne von noch größerem Schwergewicht kreisen. Da bilden sich aus tosmischen Keimen, die im großen Naum umherfliegen, die Weltkörper, verdichten sich, formen sich ans, bedecken sich mit blühendem Leben, und dann vertrocknen und verdorren sie wieder, und auf einmal knallen sie in die Unendlichkeit hinein. Weggcblitzt sind sie, daß kein schimmernd Stäubchen mehr daran erinnert, wo ein Weltball mit so viel Jahrtausenden voll einstigen Lebens verduftet ist. Alle Sonnensnsteme hätten also ganz dasselbe Schicksal, wie das kleinste Insekt, das, von der Wärme grlockt, ein paar Stunden lebt und dann vergeht, ohne daß nur ein leiser Duft von ihm übrig bleibt? Ein paar Sonnenzeitalter bedeuten ja für das Weltall nicht mehr, als ein paar Sekunden für die Erde. Also ein ewiges tausendfältiges Entstehen und 289 Verschwinden, ein bewußtloser Weltstoss, der durch Aeonen dahinstürmt, Weltkörper wie Blasen aufwirft und verschlingt, aber ohne Sinn und Zweck, als eben dies Entstehen und Vergehen. Ehe mir diese Thorheit eingeht, halte ich mich doch lieber an andere Gcdankcnreihen, die zwar auch keine streng logisckcn Beweise enthalten, wenn überhaupt davon in solcken Fragen die Rede sein kann, aber doch mehr Trost und Behagen gewähren, insbesondere den Vortheil größerer Harmonie unsere-? Denkens und Schaffens mit all den Tingcn rings umher in Geschichte und Wirtlichkeit. Im kleinsten Pilzchen im Moos, im unsichtbaren Insu-sorienthierchen ist gerade so ein allgemeines Gesetz thätig, wie im Menschen: alles und jedes ist wunderbar auf seinen Lebenszweck eingerichtet. Und zugleich dient alles, das Sonnensystem wie der Gedanke, der im Menschen keimt, zu einem höheren Zweck, und all mein Denken von etwas, was da ist, führt mich auf eine höhere Ursache desselben. Da muß doch ein höchstes Wissen und Wollen da sein, aus dem die Tinge hervorgehen und seines Weltalls und seiner Weltordnung unendlich großen oder unendlich kleinen Theil bilden. Nur erkennen kann ich dies höchste Wesen nicht, nur ahnen und glauben als etwas Natürliches und Nothwendiges, das so sehr Größe und Güte ist, daß des Menschen Tenken vor ihm aufhört und er in Ehrfurcht sein Haupt neigt vor dem Namen Gottes, des Unerforschlichcn. Woher käme denn überhaupt — und das ist und bleibt doch der Kern der Untersuchung — hier in der Welt der Endlichkeit, wo Sinne und Erfahrung auf nichts stoßen, als auf Endliches, die Gottesidec, wäre sie nicht des Menschen Geiste eingeboren? Sie muß in gleichem Grad und mit derselben Nothwendigkeit in ihm aufblühen, als er sich selbst von der Außenwelt unterscheiden und ihre Dinge beherrschen lernt. 290 Wie aber konnte in des Menschen Ideen das Abbild entstehen, wenn ihm nicht ein Urbild entspräche? Das Ursächliche ist Grundcharatter dcs menschlichen Geistes: dieser aber könnte, wenn wir wirklich in einer ungeheuren Welt des Zufalls lebten, nicht allein anders gefügt und geartet sein. Solche Gedanken verkürzten mir den Weg, bis es zu dunkeln anfing. Wir hielten vor einem Vorgebirge, das sich lang und hcllweiß ins Meer streckte und den Weg abschnitt. Nun zogen wir landeinwärts, fast an der halben Länge dcs Vorgebirges hin, und kamen wieder etwas in die Höhe. Die Verge hüllten sich allmählich in Purpur und Blaudunkcl, und gerade, als die Nacht plötzlich wic mit schwarzen Fittichen alles überdeckte, ritten wir in den größten Bauernhof zu Mazotos ein. Auch bei einem wohlhabenden Bauer der Küstenebene wollte ich einmal Herbergen, um hier ebenfalls der Leute Art und Einrichtung kennen zu lernen. Von der Straße öffnete sich durch einen kleinen Stall ein Durchgang in einen Hof, der mit kleinen Häusern umstellt war. Zur Linken führte eine Stcintreppe empor zum besten Gemach, welches aber jetzt in der Erntezeit mit Getreide angefüllt war. Gegenüber lag die hochgcräumige Wohnstube, der einzige Aufenthalt für dic ganze Familie, deren Lagerstätten nun durch vier neue für die Gäste vermehrt wurden. Die Stube war mit Fliesen belegt und durch einen Schwibbogen in zwei Hälften getheilt. An der Rückwand lief ein wchlverzierter Vorsprung von Stein, welchen allerlei Geräthe besetzte. An den weißgetünchtcn Wanden hingen rings Kleider Netze Hängematten und lange Körbe, und standen weitbäuchige rothbraune Gefäße von gebranntem Lehm und große und kleine Kalebassen umher, gefüllt mit Brot Eiern Obst Mais Gemüse lind anderen Feld- und Gartenfrüchtcn. Die Küche befand sich in einem besondern Anbau im Hofe, und es war eine Freude ;u sehen, wie geschickt und fleißig 291 die Hausfrau wirthschaftete. Gesinde gad es nicht, die gewöhnlichen Geschäfte verrichtete die Familie selbst, zu dcn größeren Feld- und Gartenarbeiten wurden Tagelöhner angenommen. Ein Mann kann mit ein paar Ochsen eine Fläche von dreißig englischen Aeetcrn bearbeiten, und der Boden gibt im Durchschnitt dreißigfache Frucht. Bestellung und Abernten des Bodens geschieht aber leicht und obenhin, und ist man damit fertig, fo deuten die Wenigsten daran, noch etwas Anderes zu thun. Wer kein sehr großes Gut hat, behält deshalb auch keine Dienstboten im Hause, weil er zu wenig Arbeit für sie hat und sie ihm an Kost und Lohn viel zu theuer zu stehen kommen. Man behilft sich, soweit es eben gehen will, mit Taglühnern. Der Tagarbeitcr aber erhält in der Erntezeit täglich etwa zwei Mark unseres Geldes, dazu dreimal Essen. Wer das nicht geben würde, hieß e?, liefe Gefahr, daß ihm in der Hitze das Korn ausfalle, ehe er es im Hause hätte. Auch auf dieser entlegenen Insel hörte ich nur seufzen und klagen, daß der Dienstleute Anforderungen mit jedem Jahr größer, ihr Trotz und Ungebühr stets ärger, ihre Leistungen geringer würden. Es scheint wirklich, als ob das Uebel in der Luft liege. Kennte man nicht den großen Lauf der Weltgeschichte, so sollte man beinahe fürchten, aller Orten, wo Kulturvölker wohnen, bereite sich in fürchterlichen Kämpfen eine soziale Umwälzung vor. Mit größter Leidenschaft und wenigster Klarheit gährt es im dunkeln Schoße Nußlands. Frankreich ist in seinen Tiefen aufgewühlt, und der Schrecken der Communetage liegt ihm noch in dcn Gliedern. Im Osten verbindet sich mit der sozialen Bewegung cin wildes pansla-vistisches, im Westen ein fanatisch ultramontaneö Getriebe. Von beiden Seiten trifft eine heiße Strömung des Haffes auf das deutsche Ncich. Man hat bei uns vielfach keine Ahnung da- 292 von, wie das gewaltige Auftreten unserer Kriegsheere und die plötzliche Erhebung unserer Nation so Vielen rings um uns her ihre geheimen Lieblingspläne zertrümmert vor die Füße geworfen. Man war gewöhnt, das große deutscke Volk als unheilbar zerrissen zu betrackten. Wehe unserem Welttheil, wenn in seiner Mitte die wüsten Wogen nicht auf ein so festgefügtes Staatswcsen stoßen, daß die stürzende Brandung daran abprallt! Wird aber das deutsche Reich noch immer zögern, die Mittel Englands zu ergreifen und seine überschüssige unternehmungslustige Bevölkerung regelmäßig nach Kolonien abzuleiten? fetzte Hage auf Oypern. Als wir uns bei den: Großbauer in Mazotos zu Tische setzten, wollte kein Grieche mein Hamburger Rauchfleisch versuchen. Warum? Weil es Sünde sei, das Fleisch des Ochsen zu essen, der da im Felde arbeite. Es gibt eben wunderliche Gründe für ailes. Die Rabbiner haben sogar ausgetiftclt.-es sei wider Scham und Natur, Milch und Fleisch zugleich zu genießen. Eier und Hühner aber lassen sie bei einer Mahlzeit zu. Den Cyvrioten muß ich nachrühmen, daß ich auf ihrer ganzen Insel keine homerischen Schmutzfinken mehr getroffen, keiner riß mehr vom fettgebratcnen Lamm ein Stück mit dem Finger herunter, Messer und Gabel fanden sich auch in der ärmsten Hütte. In den cyprischcn Dörfern hat sich aber aller Welt Aberglauben angesammelt, heidnischer und jüdischer, christlicher und muhamedanischcr, darüber was man thun und was man lassen soll in den einfachsten Dingen, bei denen vom sittlichen Standpunkte aus das eine gerade so gleichgiltig wie das andere ist. Und nun erst bei den Kindern Mahomeds, wo sie noch ungemischt unter sich sitzen. Neun Zehntel ihrer Religion besteht in bloßem äußerlichem Brauch und Gesetz: Herz und Geist wird nur ganz obenhin berührt. Und sie sitzen so festgebannt in diefcn Gewohnheitsfesseln, daß gar nicht abzusehen ist, wie ihre Religion sich wieder verjüngen und die Seelen veredeln soll. Etwas begegnete mir jedoch Neues in Mazotos. Es war 294 wohl dem Umstände zuzuschreiben, das; die Ortschaft auf der vielbesuchten Straße zwischen den beiden Hafenstädten Limasol und Larnaka liegt. Der Hausherr machte mir nämlich auf Ersuchen eine Zeche. Const hat man im Oriente des Morgens bei dem Aufbruch gewöhnlich seine Noth, wie man, weil für Herberge und Zehrung kein Geld gefordert wird, ein Gastgeschenk oder eine halbe oder ganze Goldlire anbringt, in den Klöstern für dic Armen, in Familien für die Kinder. Bei Vornehmen, wo ein solches Geldanbictcn Veleidigung wäre, stehen bei dem Abreiten vier oder fünf Dicnstleute da, die alle ein Trinkgeld erwarten. Nun ist, was man unterwegs einkauft, Gerste Vrot Käse Wein Gemüse, alles zwar sehr billig, man macht die Rechnung nur in kupfernen Piastern, deren eine Handvoll auf einen Frank geht. Da aber eine Begleitung von drei Mann zu Pferde unaufhörlich allerlei braucht, so piastert sich tagsüber doch ein Sümmchen zusammen. Die letzte Tagereise war klein. Der Weg ging durch reizlose Ebenen voll Getreidefelder, die nnabsehlich sich ausdehnten. Am Meere blickte aus einem grünen Obsthain heimatlich eine Kirche hervor, dort stand das Dorf äiiti. Nicht weit davon lag im nackten Felde ohne Baum und Stranch cinc andere Kirche. Zur Linken aber erhob sich ein prachtvoller Verg, der in einem einzigen gewaltigen Sckwunge über 2900 Fuß hoch empor stieg. Auf der Spitze prangte das uralt berühmte Kloster zum heiligen Kreuz oder Hagios Stavros, dessen helle Gebäude, weithin auf dem Meere sichtbar und niemals von Nebel und Wolken bedeckt, den Schiffern einen Lichtpunkt geben. Dort oben hatte die gute Kaiserin Helene, als sie von der glücklichen Kreuzauffindung aus Palästina nach Cypern kam, ein fingerlanges Stück des Erlösertrcuzcs niedergelegt. (5-? war ein winziges hölzernes Kreuzchen, in Silber eingefaßt, und brachte lange Jahre dem Kloster lebhaften Zulauf mit 295 Geschenken. Aber siehe da, im benachbarten Kloster Levkara kam auf einmal ein ganz ähnliches Kreuzchen zum Vorschein, und die Mönche sprengten aus, das ihrige sei eigentlich das echte und wunderthätige, das die heilige Helena gebracht. Die Stavriten schrien über Betrug und Fälschung und forderten zur Vergleichung auf. Das eben wollten die Levkariten. Beide Parteien brachten ihre hochheilige Reliquie vor eine vornehme Versammlung, beide Kreuzchen sahen einander ganz ähnlich. Sie gingen von einer Hand zur andern, und man konnte nicht den feinsten Unterschied entdecken. Darüber kam es zu einem heftigen Wortwechsel, und zuletzt wußte kein Mensch mehr, ob er das eine oder das andere Kreuz in der Hand habe, und der erbitterte Streit ist bis auf den heutigen Tag noch nicht entschieden. Wunder werden von beiden Kreuzes-Partikeln ins Treffen geführt. Wo solcher Glaube wohnt, stellen ja Wunder von selbst sich ein. Als es noch hoch am Tage war, sahen wir bereits Lar-n.llka vor uns liegen. Die Getreidefelder waren, da cs Erntc-zeit, dicht mit Leuten besetzt. Gewöhnlich arbeitete ein Dutzend beisammen, und da Griechen immer sprecherisch sind, so hörte man von Hieher und dorther ihr lautes Gespräch. Wir hielten unser Mahl im Schatten eines großen Feigenbaumes, der breitblätterig an einer Wasserleitung stand, in welcher das klare schöne Clement murmelnd dahin schoß. In der Nähe flogen Kraniche auf und ganze Schwärme von Bcc-cassinen. Natürlich griffen wir zu den Flinten, und die Jagd ging bald durch Sümpfe, bald ans rollende blitzende Meer, bald über Felder, die belebt waren von Kameelen und Pferden und Leuten. Mr. Clementin kannte hier auf seinem Jagdgebiet alle Schliche und Pfiffe, wie dem viclartigen Vogelwild beizukommen. Es kostete Ueberwindung, mit dem Iagdvergnügcn in dieser eigenartigen Umgebung endlich aufzuboren. In der Stadt Larnaka, wo ich im Hause meines Drago- 29lj mans erst wieder dic unvermeidliche Tasse Kaffee ncbmcn mußte, hörte ich cine freudige Kunde. Trüben in der Hafenstadt war die Frau meines Gastfrcundes, die ich auf dem Krankenlager verlassen, wieder auf und gesund. Die junge Dame war aus edlem Florentiner Hanse nnd von feiner Bildung: die schönen Augen hatten mich durch ganz Cypern begleitet. Fröhlich war nun mein Empfang, noch herrlicher das Abendessen zu Dritt. Der Hausherr hatte die Güte, verschiedene Jahrgänge Cyfterwein aufzuführen: ganz jungen, voll Schwärze und Feuer, als lame er aus der Unterwelt — fünfjährigen, dunkelbraun, der köstlichste Wein, welcher mir vorgekommen, — endlich fünfzigjährigen, fast hell, jeder Tropfen Goldsaft, nur mit dem Fehler behaftet, daß man ihn singerhutvoll trinken muß, sonst macht er eigenthümlich Ziehen im Kopfe. Andern Tages, als ich Besuche machte, mußte ich in allen Häusern von meinen Fahrten durch die Insel erzählen. Da war des Staunens kein Ende, und das Gespräch schloß regelmäßig damit ab: der Fremde, der nur auf ein paar Tage ins Land gesprungen, habe ausgeführt, wozu sie in all den Jahren nicht gekommen seien. In der That durfte ich, so wenig schwierig die Reise gewesen, beinahe glauben, daß zur Zeit auf der ganzen Insel Niemand wohne, der so viel wie ich von ihr gesehen. Heimlich vertraute mir Jemand etwas von einer seltenen und köstlichen Augenweide. Wir gingen hin und ich freute mich schon einer unverhofften Bereicherung meiner Völkerstudien. Was war es aber^ In einem niedrigen Kaffeehause tanzte ein dickgcschminttcs halbnacktes Geschöpf, halb Mohrin halb Koptin, die wabrfchcinlich aus Aegypten herübergekommen, jenen häßlichen Tanz, in welchem das Haupttunststück jeden Augenblick wiederkehrt, nämlich ein rasches Vorstoßen, Schlenkern und Zittern des Bauches, so unschön wie möglich. Die Türken 297 sahen voll würdigen Ernstes zu, cm paar wohlgekleidete Griechen hatten sich ihnen zugesellt. Ganz Ähnlich hatte ich diesen Tanz im fernen Marokko wie jüngst am Nil gesehen, und möchte annehmen, daß er eine Ueberlieferung ist aus den cyprischcn Hainen der Aphrodite. Wahrscheinlich haben ihn die Hierodulen ehemals ziemlich ebenso getanzt, jedoch gewiß in veredelter Weise. Selbigen Tages war das Fest des heiligen Georg, des „Großmärtyrers und Siegbringcrs", ein kirchliches und politisches Fest zugleich; denn es war auch der Namenstag des Königs von Griechenland, den in der Stille fast alle Griechen in der Türkei als das rechte Oberhaupt ihres Volkes verehren. Eine halbe Stunde vom Hafcnstädtchen lag die Kirche im freien Felde, und als wir Nachmittags hinwandcrten, hätte ich trotz cyprischer Umgebung beinahe glauben können, es gäbe da irgendwo einen westfälischen Jahrmarkt noch in alter Weise wie zu meiner Jugendzeit. Turch das Glockcngebimmcl hörte man von ferne Pferdcgewiehcr und Esclgcschrci, und sah Reiter ins Feld jagen und zurückkehren. Um die Kirche her reiheten sich Buden, und dazwischen stand und wanderte eine große Menge Landvolts, alle im Sonntagsstaat. Wer zu den Wohlhabenden gehörte, zeigte sich gern und stattlich zu Pferde, und die jungen Leute flogen wie im Sturme daher. Um Pferde wurde hier und dort lebhaft gefeilscht und gehandelt: der Bauer schließt gern den Handel in der Nähe einer Kirche, weil er denkt, in ihrem heiligen Schatten würde er doch nicht übermäßig betrogen, wenigstens schwöre man dort nicht falsch. Wenn in Mitteleuropa irgendwo eine gleiche Menge Volks beisammen wäre, so würde man mehr kräftige Männer und vhnc Frage auch mehr Franenblüte bemerken. In Italien und Frankreich hervorstechend Schönes und Häßliches, in Deutschland und England mehr frische und liebliche Gesichtchen, aber auch mehr plumpe Gestalten. An letzteren war auch hier kein 298 Mangel, und wieder siel mir auf, wie es in den cyprischen Städten anch unter den Christen zweierlei Volk gibt, die edlere griechische Art nnd die gemeinere syrische Bildung. Die Kleidung aber ist bei allen ein buntes Gemisch aus griechischen türkischen und europäischen Moden. (5s waren cmch viele höchst ausdrucksvolle Schönheiten da, die (5incm beinahe bange machen tonnten mit ihren großen Glutaugen. Die Augenbrauen waren augenscheinlich schwärzer gemalt, eine falsche Haarwolke aufgethürmt, und nicht wenige hatten etwas tief ins Schminktövfchen gegriffen. Sehr hübsch ist aber die Sitte, duftende röthlichc Blüten ins Haar zu stecken: es gibt keinen schöneren Putz, künstliche Blumen erinnern stets an Wachsfiguren. Auch die Aermste zeigte glänzenden Metallschmuck, die reicheren Frauen trugen Ohrringe wie kleine Räder und hatten Brustkettcu und Medaillons von schwerem Golde umhängen wis eine Art Geschirr. Der Mann freut sich dessen, wenn seine Frau mit einer Menge Goldschmuck auftritt: es ist da^ des Hauses Schaukasten und der linder Sparbüchse. Denn hat Ciner Geld erspart, so bedenkt er sich zehnmal, ehe er es in einen Landlauf steckt. Werth und Sicherheit des Grundeigenthums sind gar zu großem Wechsel, gar zu arger Unsicherlieit unterworfen. Auffällig war mir auch hier, wie fest und starr die Gesichtszüge schon in jüngeren Jahren. Die Leute werden eigentlich sammt uud sonders nur zwanzig Jahre alt, dann sind sie fertig fürs ganze Leben. So wenig sie noch an Geist und Wissen zunehmen, so wenig ändert sich ihr Gesicht, bis erst im Alter der Verfall sich kund gibt. Auch sonst macht sich, je weiter man sich von dcr Mitte (5'uropas nach Osten oder Süden entfernt, desto mehr bemcrklich, wie die Gesichtszüge bei den Leuten fchon in der Jugend verhärten, bis man endlich bei Beduinen und Negern anlangt, denen die Natur für ihre 299 Lebenszeit nur ein Gesicht gegeben hat, und zwar gleich einer Menge ganz dasselbe. Als wir nach der Marine zurückwanderten, wurde es mir doch etwas wehe um's Herz, daß ich andern Tages Eypern verlassen sollte. Der Abend war so wundervoll, alles so rein und klar, voll so lieblichen Friedens. Die Cypressen und Palmen von Larnaka zeichneten sich in der Helligkeit der Luft ab, als wären sie aus grünem Erz gebildet, und dahinter umsäumte ein leiser Goldschcin das purpurne Gebirge. Im Städtchen sas; Alles vor nnd an der Hansthür, die ganze Familie war beisammen, Nachbarcn und Bekannte kamen, hier löseten dort bildeten sich größere Gruppen, und lebhaft floß überall das Gespräch von Munde zu Munde. Wahrlich, ein Volk von Bildung und vornehmer Glätte diese Griechen. Denn nur von ihnen rede ich: vor den türkischen Häusern ließ sich kein Huhn nnd kein Hahn scheu, sie schienen sammt und sonders düstere schweigende Kerkergebäude. Hinter ihren Mauern aber saßen ohne Zweifel die türkischen Familien in ihrem grünen Gärtchen und traulichen Daheim beisammen und freuten sich ebenfalls der erquickenden Abendtühle — im Gefängniß. Denn ein Gcfängnißlebrn bleibt es doch für Frauen und Kinder und Dienerschaft, und im Grunde für die Herren auch. Ihre ganze höhere Entwicklung sipt in dieser Haremsenge gefangen. Edlere Bildung eines Volten beginnt erst mit dem Zeitpunkte, wo die Häuser der Familien sich öffnen und Reiz und Regung eintritt in freier Geselligkeit. Am nächsten Tage sagte ich der schönen Insel Lebewohl, die in ihrer Ueppigkeit daliegt zerrissen und geschunden und wie gefesselt an Händen und Füßen. Das Dampfboot lenkte nach der südwestlichen Spitze von Kleinasien hin. Tort erhob sich aus blauer Mcercspracht hoch und höher eine Gebirgswand, lang hinlaufend und auf ihren Spitzen mit glänzendem Schnee Übergossen. 300 Tann kamen wir nach Nhodus, und die Blicke irrten umher zwischen den Thürmen und Bastionen der berühmten Ritterfcstung, die, noch in ihren Ruinen ehrwürdig, höchst malerisch über den Fluten stand. Von dort liefen einst fast jede Woche Schiffe mit wichtigen Nachrichten nach Cypern, und hatte man ein neues Unternehmen geplant, so stachen die Iohanniter in See, um sich unter den Admiral der cypri-schen Königsflotte zu stellen und bald am Nil bald in den Dardanellen die Ungläubigen zu bekämpfen. Hinter Nhodus traten wir hinein in ein Gewinde uon Inseln und Golfen, uon langgestrcckten Vorgebirgen, und hin-und herziehenden Meerengen.. Immer neue Inseln und Kaps tauchten hier und dort empor, bald wie riesige Maulwurfs-hügcl, gleichsam schwimmend auf dem Scespiegcl, bald in Zackcngipfcln, die wcitausgeschnittcnc Busen einfaßten, in der Tiefe schimmernde Berge. Und allüberall dazwischen ausgegossen die strahlende Mcercsbläue, und hoch darüber der liebliche und doch so energische Acthcrglanz des griechischen Himmels. Und so ging das unaufhörlich fort, bis wir in den prachtvollen Vufen von Smyrna einlenkten. " Zeutsche Kaiserpläne im Morgenland. Ich konnte von Cypern nicht scheiden, ohne eine historische Frage, die mich einmal lebhaft angezogen hatte, näher zu ergründen. Sie betrifft einen unserer größten Kaiser und zeigt deutlich Cyverns Weltstellung im Mittelalter. Hätte man im dreizehnten Jahrhundert so leicht Deutsch oder Italiänisch geschrieben, wie heutzutage, so würden wir vom letzten der drei großen Hohenstaufcn, der ohne Frage einer der genialsten Männer des ganzen Mittelaltero war, wohl mehr Schriften haben, und wahrscheinlich würden sie den Geist und Stil König Friedrich II. athmen. Vielleicht käme darin auch etwas über Cyvcrn vor, was uns nicht wenig cmmuthcn würde. Denn Kaiser Friedrich II. Auftreten in diesem Lande bildet an sich, und insbesondere für un5 Deutsche, vielleicht das anziehendste Vlatt der cyprischen Geschichte. (5r erscheint dort ganz im gewinnenden Zauber seiner Persönlichkeit, in der tiefen Klugheit seiner Morgen- und Abendland umfassenden Pläne, und es ist wunderbar wie leicht ihm das schwierigste Wert gelingt, um nach fünfzehnjährigem Bemühen zuletzt doch völlig zu scheitern, und zwar zum Theil am Zusammentreffen kleiner Zufälle. Cypern war damals ein wohlgeordnetes und blühendes Königreich, während der Schimmer der Krone, die man an das Grab Christi anhängte, längst sich verdunkelt hatte. Noch aber standen die christlichen Festen von Jaffa Akkon Tyrus 302 Sidon Beyrut Cäsarea Antiochia Tripolis und andere, deren Hcrrn und Befehlshaber über eine Menge dort ansäßigcr Ritter und Leute geboten. Nun sollten durch die kaiserliche Hoheit die in Syrien zerstreuten Kräfte der Christen vereinigt, in geschlossenen Reihen dem Halbmond gegenüber gestellt, Cypern aber die Geldquelle und zugleich Vollweik werden und Vergestätte für des Kaisers Heer und Beamten, damit man von hier aus das heilige Land erobere und behaupte. Das war offenbar Kaiser Friedrichs Plan: der erste Gedanke ging, wie es scheint, von Hermann von Salza aus, dem berühmten Hochmeister des deutschen Ordens. Dieser war es, der zuerst auf den Konferenzen zu Fcrcn-tino im Jahre 1ä2'!, an welchen der Papst, der Kaiser, und König Johann von Jerusalem theilnahmen, vorschlug: Friedrich solle des Letzteren Tochter Isabella heirathen und ihr Erbe, das Königreich Jerusalem, mit seiner Macht verknüpfen, während ihr Vater bloß Titel und Ehren eines Königs behalte. Der Vorschlag wurde von allen Seiten lebhaft ergriffen. Tie kaiserliche Hochzeit erfolgte im Jahre 1235 zu Nrindisi, wo der Brautvater in seines Schwiegersohnes Hände das königliche Szepter von Jerusalem übergab, nicht ohne Mthigung, wie später gesagt wurde. Friedrich nahm sofort die Huldigung der anwesenden Nitter ails Syrien und Palästina entgegen und sandte einen Botschafter mit dreihundert Rittern nach dem heiligen Lande, um auch dort die Huldigung für den Kaiser vollziehen zu lassen. Wollte Dieser den Kreuzzug zu gutem Ende führen, so mußte er im heiligen Lande als rechtmäßiger Landesherr auftreten können. (5'incn seiner eifrigsten und tüchtigsten Anhänger, den Grafen Thomas von Aeerra machte er zu seinem Statthalter im Königreich. (5ypcrn aber dachte Friedrich, wenigstens auf längere Zeit, vermöge Lehnrcchts an fich zu nehmen. Denn dieses Königreich war förmlich zu Lehen genommen vrn Kaiser Heinrich VI. 303 seinem Großvater. Tcr letzte König Hugo I. aber war vor zehn Jahren auf einem Krcuzzug erblichen, und bei scincm Tode der Sohn und Thronfolger ein Knäbchcn von neun Monaten. Von Rechtswegen stand also dem Kaiser als obersten Lehnsherrn und Vormund die Verwaltung von Cypern zu. Tie Vorgänge aber, welche auf Cypern sich abspielten und von der Inscl aus auf das gegenüberliegende Fcstland einwirkten, die Ursachen derselben, überhaupt die eigenthümliche Verknüpfung der beiden Königreiche Jerusalem und Cypern sind in unsern Geschichtsbüchern noch nicht hinlänglich gewürdigt. Von Cypern aus fällt ein breites Licht auf die Geschichte des fünften Kreuzzuges, und beleuchtet zugleich Zustände, die auch von kultur- wie rechtshistorischer Seite wohl Beachtung verdienen. Leider find die Aerichte der Zeitgenossen — wenige und gerade die kürzesten ausgenommen — von Parteileidenschaft und nationaler C'ngherzigteit arg gefärbt. Ihre Verfasser sind entweder päpstliche Agenten, oder französische Ritter, welche gegen den Kaiser stritten. Auch 6^ ^Iü8 I,tttti'i<^ der in seiner bekannten Ilistoii^ c!s Nie 6e Ol^pre Lous Is i'ößne clE8 z)i'iul:68 ÜS !», mmkon cls I^u8i^unn, dicscs Stück Geschichte unter den Neueren allein ausführlich erzählt hat, ist eben so geneigt, wie seine französischen LandZleute im 13. Jahrhundert, in der deutschen Herrschaft über Cypern eine „Giftpflanze" zu sehen, die um jeden Preis mußte ausgerottet werden. Gehen wir also überall zu den Berichten der Zeitgenossen des Kaisers zurück, entnehmen daraus dic reinen Thatsachen, und prüfen bei einer jeden, ob sie in glaubwürdiger Weife überliefert worden und zugleich mit dem ganzen Zusammenhang der Tinge in Einklang steht. — Kaiser Friedrich II. wußte längst, wie schwächlich es im Orient um alle politischen Dinge bestellt war. Die Nittcr und Kaufleute aus dcm Abendlande hatten sich hier ein Neich 304 ihres Gefallens errichtet. Die Barone mit ihren Lehnsleuten saßen auf ihren Schlössern in voller Unabhängigkeit, der König war nur ihr Anführer, der Lehnshof aber ihr Parlament, in welchem sie allein die Entscheidung hatten. Ohne Beschluß des Lehnshofcs konnte die Staatsgewalt tcin Urteil vollziehen, kein Unternehmen beginnen. Neben diesen freien Herren gab es drei Ritterorden, festgefügte und reichbegüterte Genossenschaften, eine Art von kriegerischen Halbmönchen, die für sich selbst und ihre Besitzungen Unantastbarkeit fast wie Geistliche forderten. Vollends der Klerus erschien gewaffnet und gepanzert mit fürstlichen Vorrechten. In den Städten aber hatten —' neben allerlei Volk, das je nach Religion und Nation in eigenthümliche kleine Kreise zerfiel — ihren Sitz große Gesellschaften von Kaufleuten und Rhedern aus Genna Venedig Pisa Amalfi aus der Provence und Katalonien, und alle diese wollten keine andere Gerichtsbarkeit annehmen, als die ihrer eigenen Konsuln. In leiner einzigen dieser Ortschaften gab es Stadtrath und Bürgermeister, die als gemeinsame Obrigkeit die Verwaltung dco Ganzen hätte führen können. Diese verschiedenartigen kleinen Mächte, die unaufhörlich mit einander haderten, zusammen zu fassen und gefügig unter eine Oberherrschaft zu stellen, war nun ein weit aussehendes Werk. Vorsorglich hatte Friedrich schon zu Fcrentino den Artikel betont: daß Eroberungen im heiligen Lande nicht mehr wie bisher vertheilt werden, sondern dem König, das heißt ihm allein gehören sollten. Viel besser stand es in Cypern. Hier war die obrigkeitliche Macht geordneter nnd die Gewalt des Königs umfassender. Auch erschien hier das Ansehen der Ritterorden viel schwächer, und wie mit den Templern und Iohannitcrn, so verhielt es sich auf der Insel trotz ihrer Anzahl mit der Geistlichkeit. Hier ließ also dasselbe Unter, nehmen, welches im sizilischen Königreich die großen Zerren wider den Kaiser in Harnisch brachte, auf Erfolg hoffen, das 305 Beginnen nämlich, den Eigenwillen der Lehnsbarone zu brechen und Verfassung und Gesetzgebung mehr in monarchischem Sinne durchzuführen. Stand aber des Kaisers Gewalt auf Cypern fest begründet, so konnte sich ihr die Gegentuste auf die Länge nicht entziehen. Wiederholt hat sich in der Geschichte die natürliche Bedeutung bewährt, welche dieser Insel durch ihre Lage vor den syrischen, kleinasiatischcn, cgyptifchen Küsten einer- und durch ihre üppige und unerschöpfliche Fruchtbarkeit anderseits verliehen ist. Cyvcrns Behauptung war daher vom Anfang bis zum Ende das nächste Ziel der orientalischen Politik des Baisers. Gegen die Cypricr ließ er der Schärfe seines Rechts und seiner Waffen freien Lauf, in Syrien und Palästina legte er sich lieber auf friedliche Unterhandlungen. Nun hatte der letzte König von Cypern, als er 1218 starb, auf dem Todbctte seine Gemahlin Alice zur Negentin eingesetzt. Ta die Ritterschaft nur ungern Frauenregierung duldete, so mußte die Königin auf Andringen des Lehnshofcs Herrn Philipp von Ibelin, Oheim des jungen Königs, zum Mitregcnten annehmen. In dessen Namen beherrschte sein Bruder Johann von Ibelin, Herr von Beyrut, ohne Frage einer der ausgezeichnetsten Männer seiner Zeit, das kleine so wichtige und wcrthvollc Königreich. Die Franzosen uud Italiener nannten die Brüder die Herren von Ibelin, sie hießen aber eigentlich Iblim; denn ihr Vorfahr, der ans Frankreich stammte, war nut dem Schlosse Iblim bei Namla in Syrien belehnt worden, und ihr Vater, Gemahl einer Königin-Witwe von Jerusalem, erwarb Veyrut und große Besitzungen in Cypern. Unzweifelhaft waren sie unter dem hohen Adel der Insel die Vornehmsten. Königin Alice aber hatte den Herrn Amalrich von Balas lieber als die stolzen und gestrengen Ibelins, und da die Brüder durch ihr herrisches Auftreten Uöher. Cypcru. 29 306 gegen die Einen, durch zu große Begünstigung der Andern sich viele Feinde machten, so wurde es Balas leicht, sich eine mächtige Partei zu bilden, welche der ganzen Ibclin'schen Sippschaft Krieg auf Leben und Tod erklärte. Neben Amalrich, einem ebenso kühnen und beherzten Ritter als geschickten Redner und Parteiführer, waren es besonders vier junge Adelige aus Cypcrns vornehmsten Geschlechtern, die sich mit ihm verschworen: Gavain von Chcnichy, Wilhelm von Rivet, Hugo von Giblct und Amalrich von Bcthsan. Unaufhörlich gab es Händel Zwcitämpfe und mörderische Ueberfälle. Die Königin Alice mochte vor Verdruß nicht länger auf der Insel bleiben, sie zog sich auf das Festland zurück und heirathete später Vohemund von Antiochien. Als sie aber die Regentschaft über Cypern zurück forderte und Balas zu ihrem Statthalter machte, widersetzten sich die Ibclins und ihre Anhänger, und der Lehnshof mußte ihnen zustimmen. Allmählig entzweiete sich feindlich die ganze Ritterschaft, und da Cypcrn das Hauptland der fränkischen Besitzungen im Oriente war, auch die Ritterorden und mehrere Barone hüben und drüben begütert waren, so theilte sich die cyprische Par-tciung dem Fcstlande mit. Mann stand wider Mann, jedes Ercigniü gab der Zwietracht neue Nahrung. Die Franken im Morgenland, die sich von den Byzantinern sonst gern abseits hielten, hatten deren schlimmste Gewohnheit angenommen: sie verfolgten ihre Feindschaften mit allen Ränken, ganz unbekümmert um ihren erhabenen Beruf, zu streiten wider die Feinde des Kreuzes. Gab dock den Rittern das übelste Beispiel der erbitterte Haß, der zwischen der lateinischen und griechischen Geistlichkeit herrschte und in Cypcrn noch kurz vorher nahe daran war, in blutigen Aufstand auszubrechen. XKVI. Zas Hastmal in Amasol. Als nun der Kaiser, das strahlende Haupt der christlichen Ritterschaft, nach dem Oriente aufbrach, gericth alles in Bewegung nnd war gefpannt, für welche Partei er sich erklären werde. Die Ibelins hatten bereits seinen Unwillen erregt. Tenn sobald sie vernahmen, der Kaiser habe den Titel eines Königs von Jerusalem angenommen, so beeilten sie sich, ihren jungen König, obwohl er eben erst zehn Jahre alt, feierlich im Dome zu Nikosia krönen zu lassen. Ein gekröntes Haupt, so dachten sie, werde ein kaiserlicher Lehnsherr nicht unter strenge Vormundschaft nehmen. Friedrich aber nahm die Sache ernst und schrieb der Königin und den Ibelins Briefe, in welchen er herbe die übereilte Krönung tadelte. Jedoch nannte er darin die Ibclins, was sie durch ihre Mutter und seine Gemahlin wirklich waren, seine lieben Oheime. Noch ehe Friedrich von Italien abreiste, fand sich bei ihm bereits Gavain von Chenichy ein, und schilderte Johann von Ibelin als des Kaifcrs Todfeind und als den gefährlichsten Menschen im ganzen Morgenland. Des Barons feines Benehmen gefiel dem Kaiser,- er behielt ihn eine zeitlang an seinem Hofe und schickte ihn dann mit ein paar Galeeren nach Syrien voraus. Als er bald darauf mit 40 Segeln folgte, kamen ihm in der Nähe des Peloponneses, wo bei den Inseln öfter Halt gemacht wurde, Amalrich von Balas mit andern 308 cyprischen Baroneil entgegen nnd führten laute Klagen über die Regentschaft der Ibelins. Sie beschuldigten sie, das; sie sich mit den Einkünften der Krone bereicherten, und riefen den kaiserlichen Lehnsherrn förmlich als Richter an. Zugleich ließen sie einstießen: wenn Friedrich Covern zu eigenen Handen nehme, so trage es ihm Geld genug, nin die herrlichste Hofhaltung Zu führen und noch tausend Ritter zu unterhalten. Der Kaiser tonnte das cyprische Geld wohl brauchen, er scheint darauf gerechnet zu haben, denn um die Schatzkammer auf seinem Schiffe war es schlecht bestellt. Toch er hielt an sich, er wollte selbst sehen und prüfen. Seine Seereise ging in vierundzwanzig Tagen von Vrindisi über Kreta und Rhodus nach Cypern. Als er nun am 21. Juli 1228 in Linasol landete, waren auch die vornehmen snrischcn Äarone Äilian von Sidon, Odo von Montbcliard und Andere herübergekommen, an ihrer Spitze des Kaisers Statthalter, der Graf von Acerra, und des Kaisers Marschall, Richard Felinghcr, dessen Namen die Italiener und Franzosen sich alo Filangieri mundgerecht machten. Ihn hatte er kurz vorher mit fünfhundert Rittern vorausgeschickt. Kaum hatte der Kaiser einen Fusi auf Cypcrns Vodcn gesetzt, so wurde er mit Klagen über die Regentschaft bestürmt. Er aber schrieb an Johann von Ibclin, — denn dessen Bruder Philipp war nicht lange vorher gestorben, — er möge getrost zu ihm kommen mit seinen Söhnen und Freunden und dem jungen König Heinrich. Ibelins Gefährten riechen ab und sagten, er solle sich wohl hüten, in des Löwen Höhle zu gehen. Er aber erklärte: man solle ihm nicht nachsagen, er habe das Werk der Vcfrciung des heiligen Landes geschädigt-er getraue sich auch wohl, seine Handlungen nach seines Landes Recht vor Gott und dem Kaiser zu verantworten. Es war dieß derselbe Ibelin, Herr von Bcyrut, der weit und breit bekannt war als das Haupt der Inristenschule für 309 die Assiscn von Jerusalem. Von dem Glänze der Assiscn trug sich auch etwas über auf Ibclin, den Meister dieses Rechts, der spielend die verwiäcltsten Fälle löste. Oeftcr, wenn er nn LchnZhofe mit glänzender Beredsamkeit seine Ansicht vorgetragen, wußten Schössen und Umstand sich vor Vergnügen kaum zu lassen. Er war dabei ein streng kirchlich gesinnter Mann und duldete keine Vernachlässigung der Fasten- und anderer Kirchengebote. Als Politiker aber wußte er immer Rath und steckte voll Listen und Fünde, und hatte er einmal ein Unternehmen angefangen, dann betrieb er es auch mit einem Feuereifer, der sich unwilltürlich seinen Gefährten mittheilte. Unter Diesen leuchtete Philipp von Navarra hervor, der Geschichtsschreibcr. Er war Ibclins Schüler und vertrauter Genosse, und mitten in seiner Thätigkeit im Feld und Gerichtshof stets ein Dichter nnd Philosoph, der für jeden Vorfall gleich ein schlagendes Gedicht bereit hatte. Er war in seiner Jugend aus der Navarra nach dem Orient gekommen, wurde Lehnsmann von Ibelins ältestem Sohne Balian, und hatte es durch sein schönes Vorlesen und durch angebornes Geschick zu Gut und Ansehen gebracht, sich auch einen Namen erworben durch ritterliche Thaten sowie durch sein vorzügliches Talent im Unterhandeln. Wo es eine Festung zu bestürmen oder zu vertheidigen gab, da kam sicher der Navarrcsc heran-geritten; denn er wußte, wie gern Alles lauschte auf den Klang seiner Leyer und seines Degens. Ibclin erschien zu Limasol, wie der Kaiser gewollt hatte, den zweiten oder dritten Tag nach dessen Ankunft, mit seinen Söhnen, dem jungen Könige von Cypern, und einem stolzen Gefolge all seiner Nittcr. Friedrich empfing sie auf das Freundlichste, und sie und der Königsknabe huldigten ihm als dem Lehensherrn von Cypern und kaiserlichem Obervormund. Es lag ja am Tage, daß das Königreich Cypern seit seinem 310 dreißigjährigen Bestehen zu Lehen ging vom Kaiser, und ihm daher dic Vormundschaft gebührte. Der junge Heinrich aber nahm fortan Wohnung bei dem Kaiser. Als sich Alles so gut anließ, sagte Friedrich, da er die Ibclins wegen des Bruders Tod in schwarzen schleppenden Gewändern erblickte, in seiner Heiterkeit: an des Kaisers Hof gehörten keine Trauer-kleidcr. Er sandte ihnen Mäntel von Scharlach in ihre Herberge zum Ehrengeschenk, dabei die Einladung zur Tafel auf den folgenden Tag. Da kam eins glänzende Gesellschaft zusammen, die ritterliche Pracht uom Morgen- und Abendlandc war vereinigt. Der Kaiser nahm Platz zwischen Johann von Ibclin, dem Reichsvcrweser von Cypern, und Walter von Eäsarea, dem Eonnetable des Königreichs. Ihm gegenüber saßen der junge König Heinrich und der Markgraf von Monfcrrat, der von Mazedonien herübergekommen war, um bei dem Kaiser um Ve-lehnung mit dem Fürstenthum Salonichi zu werben. Um diesen Mittelpunkt reiheten sich die übrigen kleinen Tische, an welchen die Erzbischöfe nnd andere Prälaten und Ritter ban-tettirten. Ibelins und Walters Söhne, Ansclm de Brie, und andere vornehme Jünglinge machten die Mundschenken und setzten die Schüsseln auf. Als die Tafel zu Ende ging, traten unvermerkt und nach und nach Bewaffnete in den Saal. Nun wendete sich der Kaiser zu Ibclin mit lauter Stimme: „Zwei Dinge, Herr Johann, verlange ich von Euch. Ihr müßt das Schloß zu Beyrut herausgeben, das zum Königreich Jerusalem gehört, und über die Einkünfte Eypcrns seit den zehn Jahren der Regentschaft müßt Ihr Rechnung legen, denn ich bin Herr darüber nach dem Rechte von Kaiser und Reich." Von diesen beiden Forderungen war die erste ohne Zweifel in der Verfassung des Königreichs Jerusalem begründet. Entweder konnte Niemand eine Festung, welche zu diesem gehörte, 311 als sein Eigen betrachten, oder Ibelin hatte, als ihm die Ländereien um Veyrut zu Lehen gegeben waren, aucd das verfallene Schloß an sich genommen. Zum zweiten Verlangen war dem Kaiser sicher Anlaß genug geboten. Wenn man sieht, wie Ibclin später, um Kriegsvolk zu gewinnen, mit den Rechten und Gütern des Königreichs Cypcrn umsprang, so läßt sich ihm und seinen Anhängern wohl zutrauen, daß sie im Güter- und Aemterverleihen an ihre Freunde keineswegs ängstlich verfuhren. Wenigstens war die Sache so ruchbar, daß cin Reisegefährte des Kaisers, von welchem die sog. kleine sizilische Chronik herrührt, sagen konnte: „Während der König (Heinrich) unmündig war, hatten Einige seines Landes all seine Güter verzehrt. Teßhalb verlangte der Kaiser von ihnen, daß sie gäben Rechenschaft von des König? Lande." Als Ibelin sich vom Kaiser so angeredet hörte, wollte cr erst so thun, als sei das nicht in vollem Lrnst gemeint und der Kaiser wolle bloß hören, was cr darüber dcnte. Tarob schien Friedrich zornig zu werden, und indem er die Hand zum Haupte erhob, sagte er.- „Vei meiner Krone, Ihr müßt thun, was ich sage, oder Ihr seid mein Gefangener." Da erhob sich der Herr von Veyrut und begann zu sprechen. In fließender Nede, klar und deutlich, setzte cr aus dem Assisenrecht von Jerusalem auseinander, wie Stadt und Schloß Veyrut durch Verleihung der Königin, seiner Schwester, und ihres Gemahls sein Hausgut geworden und wie er das Schloß aus seinen Trümmern wieder aufgebaut, und ferner, daß über Cyperns Einkünfte die Königin-Wittwe zu verfügen gehabt, er selbst aber nichts davon besitze. Im (5'ifer der Rede erhob er sich, wie es seine Gewohnheit war, auf den Fußspitzen und neigte sich etwas vorn über, und cr sprach so schön, daß der Kaiser mit offenbarem Wohlgefallen dem beredten Juristen zuhörte. Die Assisen von Jerusalem nahmen sein ganzes Interesse gefangen. Wahrscheinlich hatte Friedrich sich dieß 312 Nachspiel zu seiner glänzenden Tafel ausgcdacht- denn Ibclin war in Alton wie in Nikosia berühmt als gruncl ^lnicioui^ das ist als Redner vor Gericht, der für alles im Assisenrccht eine Entscheidung fand. Der Ruhm aber eines don plmdeur stand bei der Ritterschaft von Jerusalem und Cypern gerade so hoch, als der eines tüchtigen Kriegers oder Staatsmannes. Zuletzt erwiederte der Kaiser, Ibelin scheine doch gar wenig Freundschaft für ihn zu haben, und stand von der Tafel auf. Eine Weile später trat er aber zu ihm und sagte: „Herr Johann! Man hat mir nicht zu viel gesagt, welch cin Hauptsprecher Ihr wäret, und bei jedem Anlaß prächtig zu reden wüßtet. Allein wenn ich einmal will, so hilft Euch doch Alles nichts." „Und mir," erwiederte Ibclin ausweichend, „sind ganz andere Dinge von Eurer Hoheit gesagt; aber ich habe nicht daran glauben wollen, obgleich alle meine Leute mir abricthen, hierher zu kommen. Doch ich dachte, es handle sich um den Dienst unsers Herrn Jesus Christus." Dem Kaiser stieg die Röthc ins Gesicht, andere Herren und Prälaten traten hinzu, und Ibelins Sache wurde dahin geschlichtet, daß der Kaiser ihm zugestand, sich wegen Beyruts im Lehcnshofe zu Alton und wegen der Einkünfte von Eyftern im Lchcnshofe zu Nikosia zu Recht zu stellen. Mehr tonnte Ibclin selbst nicht verlangen. Zu Geiseln aber stellte er zwanzig Ritter und seine beiden Söhne Valian nnd Hugo. Ticse kamen und knieten, wie es Sitte war, vor ihrem Vater nieder, der einen nach dem andern mit seiner rechten Hand zum Kaiser führte, und sagte: „Herr, ich stelle sie in Gottes und Enre Treue, daß Ihr sie als Edelleute behandelt." — „Das verspreche ich," sagte Friedrich, „und gesällt's Gott, mache ich sie noch reich nnd mächtig." Als nun der Herr von Beyrut wieder in sein Quartier kam und mit seinen Freunden das Abenteuer überlegte, da ließ er sich, so gescheidt er war, doch zu einem Ritt verführen, 313 den er bereuen sollte. Die Heißsporne seines Anhanges beklagten sich bitter. „Jetzt sei ihr König gefangen und Cypcrn, so riefen sie aus, herabgewürdigt zu einem Königthum, das dem Teutschen Reiche Tribut zahle. Aber lieber, ehe sie das litten, würden sie hingehen und den Kaiser erdolchen mit dem Opfer ihres Lebens." Am ärgsten gebcrdete sich Anselm de Brie, ein schöner hochgewachsener Jüngling mit blonden Locken, IbelinZ Liebling, der ihn nur seinen jungen Löwen nannte. Ibelin selbst stellte sich immer wieder vor, wie der Kaiser von seinen Feinden umringt sei, und wie er nur seiner geschickten Rede es zu danken, daß er so gut davongekommen. Wirklich lagen Balas und scinc Anhänger Friedrich in den Ohren: er solle um Alles in der Welt willen den Veyruter festnehmen und nicht von danncn lassen, sonst gebe es Krieg und Unheil, der Kaiser kenne das Volk hier zu Lande noch nicht. Friedrich hatte besseres Vertrauen. C'in paar Tage später hörte man Nachts Wasfengeklirre und Pferoegetrappel. C'in Haufe Ritter und Knappen brach auf und ritt von bannen. Man sagte, es seien Ibelins Leute. Selbst die Geiseln, die er gestellt hatte, waren auf und davon, und hatten ihr Wort gebrochen. Alles, auch ihre Zelte hatten sie flüchtig im Stich gelassen, um nur eilig fort zu kommen. Dem Kaiser schien es unglaublich. Der Vorsicht wegen, weil man einen Ueberfall befürchtete, bezog er noch in der Nacht einen Thurm am Meereostrand, wo seine Flotte lag. Als er am Morgen hörte, die IbelinZ seien wirklich alle auf und davon, da verdroß es ihn doch, daß er sich in dem berühmten Redner so getäuscht hatte, und er dachte ihn gründlich zu züchtigen. Da er aber mit nicht mehr als hundert Rittern nach Cypern gekommen, — an zehntausend Mann hatte er nach und nach zum heiligen Lande voraus geschickt, — i'o fertigte er eilends einen Voten nach Atkon ab und ließ Reiterei kommen. 314 Am 17. August brach der Kaiser auf, den Treulosen bis ins Innere der Insel zu verfolgen. Im glänzenden Geleite cyprischcr und syrischer Fürsten und Herren ritt er an der Küste hin nach Larnaca, während seine Flotte ihm nachzog. Dort sammelte er seine Reisigen, und marschirte dann geraden-wegs nach Nitosia, und als er in die Gegend hinter Athienu kam, stieh der Fürst Vohcmund von Antiochien und Tripolis mit sechzig Rittern und noch mehr Knappen zu ihm. Der Kaiser komme mit Macht und Gewalt — dieser Ruf ging vor ihm her und brachte alle-) Volt in Aufregung. Es war Ibclins böses Gewissen gewesen, was ihn in Limasol plötzlich antrieb, so schmählich zu entweichen. Viel war davon geredet, wie heillos unter der Regentschaft der Ibclins mit den königlichen Gütern umgegangen sei, und seine Anhänger fürchteten, daß man sie selbst zur Rechenschaft ziehe wegen ungerechter Bereich«ung. Da hatte man Ibclin zugeflüstert, co reue den Kaiser, das; er statt der Pfänder ihn nicht gleich selbst festgehalten. Als er mit den Seinigen zu Nikosia angekommen, begannen sie sofort, nach den Gebirgs-festen Proviant und Kricgsgeräth zu schleppen, und sagten: „Unsere Augen sollen des Kaisers Antlitz nicht wieder sehen." Sobald aber die kaiserliche Maäit sich der Landeshauptstadt näherte, entwich Ibelin ins nördliche Gebirge und verschanzte sich in der schwer cinnehmbaren Feste Et. Hilarion. XI>VII. Kaiser Iriedrich II. Zerr von Oypern und Jerusalem. Friedrich zog in die Hauptstadt Cyperns cm. Da baten Bohemund und die anderen Fürsten und Herren um Gnade für Ibelin, Dieser sei mit all den Seinigen willig und bereit, sich zu unterwerfen und des Kaisers gerechten Zorn zu sühnen. Da Friedrich nicht Rache, sondern Recht wollte und es ihm vor allem darauf ankam, sich für den syrischen Fcldzug den Rückhalt in Cypcrn und dessen reiche Geldquellen zu sichern, so wurde die Sache bald soweit verhandelt, daß alle Barone des Kaisers Forderungen beistimmten und eine allgemeine Aussöhnung zu Stande kam, als deren wesentliche Bedingungen sich folgende erkennen lassen: Der Kaiser allein ist Vormund des jungen Königs Heinrich, bis dieser sein 25. Lebensjahr vollendet hat. Die Negierung von Cypern und seine Einkünfte gehen deßhalb auf den Kaiser über, und die Festen des Reichs werden ihm ausgeliefert. Alle cyprischcn Ritter, die dem Kaiser noch nicht als Regenten gehuldigt haben, schwören ihm jetzt als Solchem den Treueid. Ibelin erkennt den Kaiser in dessen Eigenschaft als König von Jerusalem für den Herrn von Beyrut an und huldigt ihm als Solchem: hinsichtlich der Ansprüche Ibelins auf das Schloß Beyrut foll im Lchnshof von Jerusalem verhandelt werden. Neber die Einkünfte seit dem Tode des Königs Hugo soll im Lehnshof von Cypcrn Rechnung gelegt werden. Die 316 dem Kaiser gestellten Geiseln werden frei. Ibclin und alle Barone des Königreichs Cypern leisten mit ihren Leuten dem Kaiser Hecrfolgc ins heilige Land und dienen ihm dort, so lange der Krcuzzug dauert. Diese Bedingungen wurden Punkt für Punkt vollzogen, die Eide geleistet, die festen Plätze sowie die Einkünfte an Friedrich übergeben. Er hatte den vollständigsten Sieg errungen: Cypern stand ihm auf mehrere Jahre zu Gebote, dessen König war förmlich zum Fürsten des Reichs der Teutschen erklärt. Der Kaiser sehte in die Schlösser und Aemter seine Befehlshaber und Rcntmeister ein und bestimmte, wie sie die Einkünfte erheben und ihm nach Syrien schicken sollten. Zu diesen Aemtern, sowie zu den Besatzungen der Schlösser verwendete der Kaiser vorzugsweise seine Ritter, die mit ihm gekommen, nnd gern die schönen Stellen annahmen. Als dies Alles geordnet war, ritt der Kaiser nach Fama-gusta und schon andern Tags — es war der 2. September, sieben Wochen nach seiner Landung auf Eyvern — stieg er zu Schiffe. Das Königsknäbchen nahm er mit sick, und mit ihm fuhren über's Meer Ibelin und die ganze Ritterschaft Cyperns. In den Küstcnstädtcn Beyrut, Sidon, Sarcpta und Tyrus wurde gelandet. Friedrich wollte die syrische Küste kennen lernen.- vielleicht auch legte er Werth darauf, daß das Heer der Kreuzfahrer, welches an den Befestigungen von Ei-don und Cäsarca arbeitete, in Atkon eintreffe, während er noch an der Küste verweilte. In dieser Stadt, der volkreichsten und wichtigsten im heiligen Lande, wurde der Kaiser empfangen mit großer Herrlichkeit. Die Kreuzfahrer, namentlich die Menge der Deutschen, waren voll Jubel. Die Geistlichkeit stimmte Lobgesänge an, und die Templer und Iohannitcr huldigten dem Haupte aller Ritterschaft, indem sie, wie es Sitte war, vor ihm die Kniee beugten und ihm die Kniee küßten. Friedrich aber wußte wohl, daß er, wie es in Ireidanks Beschreibung 317 heißt, in ein Land gekommen, wo weder Gott noch Mensch jemals Treue fand. Er sollte es bald genug erfahren. Die Eyprier bildeten den größten Haufen der morgcnländischen Ritterschaft, soviel von dieser sich zu des Kaisers Banner gesellen wollte. Der Reichsmarschall Felingher führte sie. Aber viel mehr als 2000 Helme wollten es nicht werden. Es war von Rom aus vorgesorgt. Oeffentlich wurde einc neue Bannbulle wider Friedrich verkündigt, jeder Ort, den er betrat, war zum Voraus mit dem Interdikte belegt. Voten vom Papst und Patriarch warben bei den drei Ritterorden, dem Kaiser nicht zu gehorchen, und im Volke wurde verbreitet, wie Friedrich von Gott und der Kirche verflucht und all sein Thun und Handeln nichtig sei. Eine Menge Kreuzfahrer, verzweifelnd am Gelingen des Zuges, reiste wieder ab. Templer und Iohanniter weigerten die Heerfolgc, auch die übrige morgcnländische Ritterschaft wollte nicht recht ins Feuer kommen. Die cyprischcn Barone hörten nicht auf zu erörtern, ob nicht dem Treueid, den sie dem Kaiser geleistet, der Lehnscid vorgehe, mit welchem sie ihrem König verbunden? Nur dic Deutschen bewährten im Morgenland ihrem König und Herrn einc goldene Treue. Die Ritter des Teutschordens bildeten den Kern seiner Macht, an ihrer Spitze der Hochmeister Hermann von Salza, dessen Befehl der Kaiser all die Mannschaften unterstellte, die er selbst geschickt oder mitgebracht hatte. Rechnete man aber Ritter und Knechte, Deutsche Siziliancr und Lombarden zusammen, so waren es kaum 12000 Maun. Da dieses Heer zu schwach, die morgcnländischc Ritterschaft theils feindlich, theils schwankend, die Geistlichkeit aber gehässig, so durfte Friedrich nicht daran denken, die Ungläubigen in freier Fcldschlacht zu bestehen. Er legte sich in seinem Lager bei Mon, und während er nach Joppe zog und auch diese Etadt befestigte, mit verdoppeltem Eifer auf die Unterhand- 318 lungen, die er mit dem Sultan im Geheimen schon von Italien aus angeknüpft und während seines Aufenthalts in Cyvern weiter geführt hatte. Ihm war sofort bei seiner Ankunft im Morgenlande klar geworden, was hicr das Nöthigste war und was sich erreichen ließ: der Wicdcrbcsitz der heiligen Orte, freier Reiseverkehr der Pilger in Syrien und Palästina und zwar unter christlicher Gerichtsbarkeit, Frieden durch den Schutz von Festungen und durch den Eidschwur der Muselmanen. Dieß Alles wurde auch erreicht. Jerusalem, welches fast ein halbes Jahrhundert in ihren Händen gewesen, wurde mit Umgegend den Christen wieder überliefert. Ferner erhielten sie Bethlehem und das Land zwischen ihm und Jerusalem, — Joppe und den ganzen Strich Landes von da bis nach Jerusalem, — Nazareth und den ganzen Strich Landes von Akkon bis dahin, — die fruchtbare Ebene von Sidon, — endlich in der Nähe von Sidon Schloß Turon, welches die Küste beherrschte, mit seinem Gebiet. Alle diese Städte und Schlösser durften aufs Neue befestigt werden: der Sultan aber machte sich anheischig, keine ncucu Festungswerke anzulegen. Alle christlichen Gefangenen, die zum Theil schon lange Zeit in den Händen der Musel-manncn waren, kehrten frei zurück. Zehn Jahre lang sollte diefcr Friede dauern. Das Alles wurde beiderseits mit den heiligsten Schwüren bekräftigt, und wer Anhänger des Korans kannte, wußte auch, daß sie ihre Eide hielten. Als dieser Friede in Joppe verkündigt wurde, da jubelte das Christenheer und zog mit dem Kaiser voll Freuden hinauf nach Jerusalem, wo er am Tage nach seiner Ankunft, den 18. März 1229, in der Kirche des heiligen Grabes diesem seine Verchruug bezeugte. Dann schritt er zum Hochaltar, setzte sich die Krone von Jerusalem auf, und kehrte zu seinem Platze zurück. Kein Priester, so hielt es Friedrich für gerathen, nahm an der Feier Theil, welche von dem Heere 319 mit Festlichkeiten aller Art begangen wlirde. Vor Volt und Kriegern aber trug der Hofmeister Hermann von Salza in lateinischer und deutscher Sprache ein Manifest dcs Kaisers vor, des Inhalts: daß er gar nicht früher habe kommen können; daß der Papst durch mißliche Umstände gedrängt den Vann habe aussprechen müssen,' daß aber Alles geschehen solle, um den Frieden zwischen den Häuptern der Christenheit herzustellen. Als andern Tags der Patriarch Jerusalem mit dem Interdikte belegte, kehrte Friedrich, nachdem er den Wiederaufbau der Mauern und Thürme Jerusalems angeordnet hatte, um seinerseits keinen Anlaß für Verhinderung dcs Gottesdienstes zu geben, sofort nach Joppe und von da nach Alton zurück. Hier blieb der Kaiser noch etwa fünf Wochen und that Alles und Jedes, was nur seine Würde erlaubte, um mit den Anhängern dcs Papstes, an deren Spitze der Patriarch von Jerusalem stand, zu Frieden und Eintracht zu kommen. Allein der Patriarch fand nach seinem ergötzlichen Ausdruck „in Friedrichs Vorgehen vom Scheitel bis zur Fußsohle nichts Gesundes," und schien gar zu erbost über alles das, was diesem Mann in so kurzer Zeit gelungen. Die stolzen Templer und Iohannitcr aber waren außer sich, daß nicht mehr sie, sondern die Deutschritter die erste Stimme hatten. Denn jene beiden Orden erschienen als Ziel und Hcimath aller Strebenden und Lüstlinge unter der französischen Ritterschaft. Auch die Geistlichkeit stammte größcrn Theils aus Frankreich, kleinern Theils aus Italien. Vielleicht aber war damals auf dem ganzen Erdrunde nirgends sovicl Stolz und Uebcrmuth und Sittcnlosigteit zu finden, als bei den Templern. Wohl moch-tcn sie fürchten, der Kaiser dcnke insgeheim daran, sie aus dcm heiligen Lande zu vertreiben. All seine Statthalter hatten offenbar den Vcfchl, kräftig gegen diesen Orden aufzutreten, und er sclbst hatte vom ersten Eintritt in Syrien darnach getrachtet, dcm deutschen Orden durch viele und ansehnliche Ver- 320 leihungcn das Uebergewicht zu geben, während er tauin seinen Vorsatz verhehlte, den ungeheuren Güterbesitz der Templer und Iohanniter nicht mehr der Ueppigkeit, sondern der Eache Christi dienstbar zu machen. Dafür lohnte ihm der glühende Haß der Tempelherren. Wäre es jetzt noch möglich, das Gewebe der Verschwörungen gegen Friedrich II. bloß zu legen, so würden wohl nicht wenige Fäden laufen von einem Templcrhaus zum andern. Na die wilden Händel, die ihm des Papstes Erbitterung in Italien erregte, dort seine Gegenwart gebieterisch erheischten, denn fast das ganze Land war von sengenden und«plündernden Truppen des Papstes erfüllt, so mußte der Kaiser eilen, die Verwaltung und Vertheidigung des heiligen Landes zu ordnen. Der allgemein geachtete Balian von Sidon, ein Neffe Ibclins, und Werner Alcmand, ein kirchlich gesinnter Mann, wurden zu Statthaltern bestellt, und alle festen Plätze mit Besatzung und Kricgövorrath wohl verschen. Vor Allem lag Friedrich Cyftern am Herzen. Tie reiche Insel sollte nun die Gelder schaffen, um die kaiserlichen Besatzungen und Beamten im heiligen Lande mit Sold, Proviant und Kriegsgeräth zu verschen. Das Königreich Jerusalem war ja nicht entfernt im Stande, aus seinen Einkünften die Kosten dieser Besatzung und Negierung zu bcstrciten. Es bestand ja nur aus ein paar Orten und dem syrischen Küstenrandc. Cypern hatte dem Kaiser bereits bedeutende Summen nach Syrien schicken müssen, und der Erzbischof von Nikosia hatte sich genöthigt gesehen, tüchtig beizusteuern. Nun kamen vor seiner Abreise nach Atton Amalrich von ValaZ, Gavain von Ehenichy, Amalrich von Vcthsan, Hugo von Giblet und Wilhelm von Rivet, eben jene fünf Herren vom vornehmsten Adel Cypcrns, die sich früher gegen die Ibelins verfchworen und es bei dem Kaiser dahin gebracht hatten, daß deren Herrschaft gcstürtzt wurde. Ohne Zwcisel waren sie alle 321 Fünf auf des Kaifers Nuf herüber gekommen. Er bielt es für gerathen, sich Eypcrns zu versichern, indem er seinen trcucsten Anhängern die Insel und den jungen Köuig anvertraute. Die fünf Herren sollten drei Jahre lang eine Regentschaft bilden und das Land schirmen und verwalten, jährlich aber 10,000 Mark von den Einkünften absenden, und zwar gleich direkt an seine Statthalter Aalian und Werner in Syrien. So hatte der Kaiser Alles in einer Weise geordnet, daß er hoffen durfte, seine Einrichtungen würden ein paar Jahre lang vorhalten und ihm Zypern und sein kleines Königreich Jerusalem bewahren. Nach Ablauf dieser Zeit hatte man sich entweder an den von ihm geschaffenen Zustand allerseits gewöhnt, oder er tonnte dann mit größerer Macht und Handelsfreiheit zurückkehren. Ein großer und wohlthätiger Eindruck seines Wirkens blieb wirtlich im heiligen Lande zurück. Liest man in den Briefen und Aufzeichnungen, welche aus jener Zeit von dortigen Geistlichen oder Rittern herrühren, so merkt man mitten im häßlichen Getriebe von Ehrsucht und Haß und Habgnr und von nationalen und Handelseifersuchten, die dort Aücs umspannten und lahmten, doch deutlich, wie in den nach-sten Jahren nach Friedrichs Abreise sich die Ueberzeugung oben hält, daß er mit redli^em Willen ein gntes Werk voll-führt yabc. Am 1. Mai, nachdem er im Ganzen noch nicht acht Monate im heiligen Lande verweilt hatte, schiffte sich der Kaiser zu Akkon cin, und zwar in Begleitung des jungcn Königs Heinrich und des Markgrafen von Montfcrrat. Mit den andern Herren gab ihm Ibelin das Ehrcngeleite. Tiescn hatte er, wie sein Zeugniß unter des Kaisers Urkunden erkennen läßt, bei wichtigen Anordnungen in Atkon zur Seite. Odo von Moutbetiard Eonnctable von Jerusalem, Balian von Sidon, Johann von Ilvlin, Walter l'Allcmand, ein Neffe Lühcr, <5>)pcn!, - ni 322 des Letzteren, und ein Neffe des Iohannitcrs Aimarus, diese Sechs sind es, welche die kaiserlichen Urkunden als Zeugen unterschrieben. Auch war Ibclin, als der Kaiser zum heiligen Grabe zog, wahrscheinlich der Befehl in Joppe anvertrauet, denn die Cyprier mußten dort bleiben. Ibelins ältester Sohn, Valian, war des Kaisers regelmäßiger Tisckgcnosse, und der jüngste, Johann, wollte ihm aus Anhänglichkeit nach Italien folgen, wo er vom Kaiser begütert wurde und den Namen von Foggia erhielt. Ibclin blieb auch im ruhigen Besitze von Veyrut, und von seinen Klagen vor den Lehnshöfen war keine Rede. Ibclin hatte sich wohl gehütet, Klage zu führen: der Kaiser aber mochte das Assiscnrccht nicht über seine eigene Rcchtshohcit stellen. Als das Boot, welches den Kaiser zum Schisse tragen sollte, vom Lande stieß, rief ihm Ibelin vom Ufer einen Abschiedsgrus; nach. Da hörte man, wie Friedrich etwas in den Bart murmelte. Dann aber erhob er sich im Fahrzeuge, grüßte heiter die am Ufer versammelte Menge und sagte: er reise ruhig ab, da er des Landes Hut in guten Händen wisse. Zie Ibelins. Die kaiserliche Flotte fuhr über nach Limasol. Hier feierte Friedrich die Hochzeit seines Mündels, des jungen Königs, mit Alice von Montferrat. Dann ordnete er die Angelegenheiten der Insel und trug der Regentschaft auf, regelmäßig in vierteljährigen Terminen an seine Statthalter in Jerusalem oder Akkon das Geld zu schicken, damit es seinen Besahungen und Beamten im heiligen Lande an nichts gebreche. Ganz besondere Wichtigkeit legte der Kaiser auf den Besitz der cyprischen Festungen. Schon im Jahr vorher hatte er die Vertheidigung geordnet und für eine jede Befehlshaber eingesetzt. Aus Akkon hatte er das überflüssige Kriegs- und Festungsgeräth mitgenommen, um die festen Plätze auf Cypern noch besser damit zu verschen. Als er die Insel zum zweitenmal verließ, machte er die Bedingung: die fünf Regenten sollten keine Macht über die Festungen bekommen, bis sie nicht die regelmäßige Ablieferung der Gelder in Gang gebracht und ausgeführt hätten. Tie Seestädte dyperns hatten damals, gleichwie die Hauptstadt Nikosia, noch keine oder nur geringe Festungswerke. Auch im südwestlichen Gebirge, obwohl es fast die Hälfte der Insel einnimmt, wird kaum eine wichtige Burg genannt. Dies Gebirge muß auch damals noch von wildverwachsencr Waldung bedeckt gewesen sein. Leben und Reichthum des Landes fanden sich rings an den herrlichen Küstenhängen und 324 insbesondere auf der großen Fruchtebene, die sich von der Küste zwischen Famagusta und Laruaca erstreckt bi-? zu dem Gebirgszug, der an der nördlichen Küste hinläuft. Hinter der Berglinie ist nur ein enger Küstcnsaum, aber voll köstlicher Fruchtbarkeit, und der Haupthafen dort Keryneta. Von dieser Stadt führen die Schluchtwege ins Gebirge zu den drei Festungen St. Hilarion, Auffavcnto, Kantara. Ich habe die Gegend sowie die Ruinen von Buffavento oben im zehnten und eilfteu Kapitel näher beschrieben. Tie drei Burgen erheben sich auf der Höhe der schmalen Bergkette, die schroff und felsig daherzieht in zahllosen Zacken und Kuppen. Vor Friedrich II. wird Bnffavento kanm genanut, nach ihm erscheint e^ im Vertheidigungvsystem der Insel als ein Haupt-plah, der gauz uneinnehmbar, so lange e« auf seinem Gipfel Wasser und Speise gab. Proviant ließ sich aber viel leichter auf die Höhe des weiter westlich gelegenen St. Hilarion schaffen, das auch viel größer war. Selbst Kantara im Nordosten hatte mehr als einen Maucrwall. Die Hafenstadt Kery-neia abcr,,welchc ans da^ Stärkste befestigt wurde, war trefflich gelegen, um Mannschaft, Proviant und Kricg^geräth, die von Syrien und Kleinasien oder von Italien kamen, aufzunehmen, um sie von dort zu den drei Gcbirgsfestcn hinauf zu schaffen. Hatte Friedrichs Adlerauge erkannt, wie und wodurch sich Cypcrn mit wenig Truppen behaupten lasse, so sollten die Ereignisse ihm bald Recht geben. CZ folgte nämlich ein mchr-jährigcr Kampf um den Vesih von Cypern, dessen Geschichte dav bunteste Spiegelbild ist der Ritterschaft über Meer, oli^vul^i-ik ouli^mei', so hieß die christliche Ritterschaft im Morgenlande. Homerische Kämpfe auf freiem Felde, Redeschlachten im Gerichtshof, Belagerung und Vertheidigung der Burgen unter tausend Ränken, feinste C'rgründung der Rechts-und E'hrenpuntte, beißende Spottgedichte und ncuc Kriegs- 825 gesänge — unaufhörlich folgt das aufeinander, gleichwie die plötzlichen Erfolge und Niederlagen auf beiden Seiten. Größte Tapferkeit versteht sich bei all dieseu Rittern von selbst. An der Spitze der Kaiserlichen stehen der ritterliche Marschall Richard Felingher, Valas, welchen Navarra in seinen Dichtungen den Fuchs, und Hugo de Giblct, welchen er seiner Grimassen wegen den Affen nannte. Ibelin zeigt sicb Allen überlegen. Seine tapfern Söhne und ihre nächsten Freunde, der fröhliche Poet Philipp von Navarra und der wilde Kampf-hahn Anselm de Arie, geben Stoff zu tausend Anekdoten. Während Ibelins Sohn dem Kaiser nach Italien folgt, erklärt sein Vater: er müsse das Asfiscnrecht, das heißt seines Landes Necht und Verfassung mit den Waffen gegen den Kaiser schützen, seines Königs Jugend aber ungerechten Vormündern entreißen. Cyvern leidet schwer unter der Zwietracht von zwei großen Adelsparteien, und ihre Feindschaft trägt sich wiederum nach Syrien und Palästina über, wo Tempelherrn und Iohanniter und was fönst noch zum Klerus hielt, ohnehin lein Maß ' wußten in Erbitterung gegen den Kaifer, dessen geistreicher Spott gar zu tief jede mönchische Albernheit verwundete, be-onders wenn sie, wie bei den überreichen Templern, sich mit unersättlicher Habgier verband. Tiefe eyprische Adclspartciung hat hauptsächlich verschuldet, daß zu nichte wurde, was Friedrich 1!. zur Vcfreiung des heiligen Landes theils gewonnen, theils klug und sorglich vorbereitet hatte. Jedoch eine Zeitlang blieb bestehen, was er sorgsam anordnete, obwohl der eine der beiden Statthalter im heiligen Lande, dem er soviel vertraut hatte, Walter l'Allemand, sich in die Genossenschaft seiner Todfeinde begab und Templer wurde. Friedrich unterdessen war kaum in Italien gelandet, als er wie ein Wctterstrahl über die päpstlichen Schlüssclsoldatcn hersiel und sie aus seinen Landen wegfegte. Tann begann 320 cr den Güterbestand der Templer, der sich auch in Italien unglaublich rasch vermehrt hatte, etwas zu mindern. Denn, wo einmal eine Ordens-Kommcndc errichtet war, da wußten die ritterlichen Mönche rings umher soviel Aecker, Mühlen, Schlösser, und Waldungen durch Kauf und Tausch, Schenkungen und Ncubruch zusammenzubringen, daß man bald die Landstücke zählen konnte, die ihnen noch nicht gehörten. Von den Templern hauptsächlich ging das Geschrei aus, Friedrich wolle die Königreiche Jerusalem und Cypern kaiserlich machen, so daß sie ein Theil des Reichs der Deutschen würden. Mit den Templern aber hetzte unaufhörlich der Patriarch von Jerusalem. Also wurde wieder das Assisenrccht ins Feld gerufen. Da nach diesem Landrecht das Königreich Jerusalem Friedrichs Eöhnchcn Konrad, die Vormundschaft über ihn aber dem nächsten Verwandten des letzten Kronträgers gehörte, so stiftete man die Königin Alice an, aus diesem Grunde die Regentschaft zu verlangen. Die Barone traten zum Lehnshof zusammen, erörterten die Sache hin und her, und entboten zuletzt der Königin die Antwort: Sie seien Kaiser Friedrichs Mannen, welcher das Land innc habe für seinen Sohn Konrad, deßhalb tonnten sie der Königin Willen nicht erfüllen. Zugleich aber beschlossen sie, nach Italien zwei Abgesandte zum Kaiser zu schicken, er möge ihren jungen König Konrad binnen Jahresfrist nach dem heiligen Lande senden, damit man ihm huldige. Friedrich? kurze Antwort war' er wolle binnen Kurzem das thun, was cr schuldig sei. Da nun im heiligen Lande jeder Wohlmeinende wohl einsah, das; sich des Kaisers Macht und Ansehen nicht entbehren ließ, so richteten sich der Gegenpartei Anstrengungen darauf, wenigstens Zypern vom Kaiser frei zu machen. Die Regentschaft der Fünf aber hatte auf der Insel leinen offenen Widerstand mehr, und hielt sich ganz nach des Kaisers Weisungen. Der junge König schrieb an seinen kaiserlichen Vormund: 327 wie er hoch erfreuet sei über die herrlichen Erfolge, die Friedrich über seine Feinde gewonnen, und wie sehr ihm daran liege, daß der Kaiser ihm öfter über den Stand der Dinge schreibe und seine Ansichten und Aufträge beifüge, indem er sehnlich wünsche, daß der Baiser sich wohl befinde wie er selbst, und noch sehnlicher, daß er ihn selbst mit eigenen Augen anschauen könne. Die Ibclins und ihre Anhänger aber bedurften eines Vor-wandes, um auf Cypern Händel anzustiften. Die Ncgenten schrieben — nach Allem zu schließen, geschah es zur Zeit der Frühjahrsbede 1230 — eine außerordentliche Steuer von 3000 Mark aus, welche der Kaiser befohlen hatte, an seine Statthalter im heiligen Lande zu schicken. Die Bewohner der Insel zahlten ohne Anstand jeder seinen Theil. Die Ritter von Ibeliii5 Partei erklärten dagegen' neue Steuern, welche der Lchnshof nicht bewilligt habe, seien ungesetzlich. Da ihre Gutsverwalter die Zahlung weigerten, so wurden sie gepfändet: man nahm ihnen Korn und Groß- und Kleinvieh. Ieht erschien Philipp von Navarra auf der Insel und sing an im Geheimen zu zetteln und Anhänger zu werben. Man ließ ihn erst gewähren, bot ihm sogar Nang und Güter an. Da aber seine Antworten ausweichend lauteten, so wollten die Ncgcnten ihn und Andere zwingen, Farbe zu bekennen. Alle Barone wurden zum Lchnshof geladen, und in Gegenwart des jungen Bönigs befragt, ob sie des Kaisers, des Königs und der Statthalter Freund oder Feind seien? Man brachte ein (ivangelicnbuch herbei, und Philipp von Navarra wurde zuerst eingeladen, auf das heilige Vuch Treue zu schwören, (ir verlangte insgeheim, zu Jedem der Statthalter zu sprechen. Das wurde abgeschlagen, da erklärte er: seine Treue gehöre der Königin-Mutter, seine Liebe den Herren von Ibelin. Wüthend rief Hugo von Giblet: „Ging es nach mir, so müßtet Ihr hängen, oder ich ließ Euch die Zunge ausrcißen." Und er rief Bewaffnete herein, den 328 Frevler zu verhaften. Da eilte Philipp zu des Königs Sitz, beugte sein Knie und sagte- es sei ihm Sicherheit gelobt von den Negenten, das wolle er mit dem Degen beweisen, und damit warf er seinen Handschuh hin. Mebrcre wollten nach dem Handschuh greifen, Philipp aber rief: nur mit den Regenten messe er seinen Degen, nur Diese seien seines Gleichen, und das wolle er beweisen. Nun wuiden dem Emporkömmling Fesseln angelegt mitten im Saale und er bis zum Dunkelwerden bewacht. Die Ucbrigcn alle aber leisteten den Eid, wie die Negenten ihn verlangten, und es wurde verkündigt: wer sich Diesen widersetze, verliere seine Lchnsgüter. In der Nacht, als man noch über Philipps Bürgschafts-stelluug verhandelte, verlies; er seine Herberge und kam in das Kloster der IDhanniter, die ihm Schutz gewährten. Hicr sammelte er lim sich gegen anderthalbhundert Mann, schaffte in den festen Thurm des Klosters Proviant und Kriegsgcräth und rüstete sich, da eine Zeitlang sich zu vertheidigen. :>ln Ibelin aber sandte er heimlich Notschaft, jetzt wäre es an der Zeit, und schickte ihm den ganzen Hergang, auf welchen er es angelegt hatte, beschrieben in Neimversen. Die Regenten mochten das Iohannitcr-Klostcr nicht an-angreifen, es hatte ja das Vorrecht geistlicher Häuser. Auf einmal hörten sie, Ibelin sei mit starker Macht in Gatria gelandet nnd marschire schon eilends auf Nikosia. Die Schaaren, die man in der (5'ile ihm entgegen warf, tonnte er leichter Mühe zerstreuen, und stand in kürzester Zeit vor der Hauptstadt. Dem juugen Könige hatte er Ehren halber einen Brief zugesandt, wie leid es ihm nnd den Scinigen thue, daß sie ihren Dienst im heiligen Lande verließen, aber sie könnten nicht anders, sie müßten ihre Besitzungen schützen: wolle man sie darüber verklagen, so ständen sie zu Recht im Lehnöhof. Die Negenten waren anf's Höchste überrascht. Sie rafften zusammen, was sie an Mannschaften hatten, und zogen aus 329 den Thoren. Vergebens suchte die Geistlichkeit zwischen den feindlichen Parteien Frieden zu stiften. Sie trafen sich — es war den 23. Juni — in grimmer Schlacht. Die Regenten trugen an ihren Helmen goldstoffcne Tiaren. Einer von ihnen, Gavain von Lhcnichy, erschlug Idelins Schwager, den alten Connctable Walter von Cäsarca. Anch Gerhardt von Montaigu und andere vornehme Freunde Ibclins verloren ihr Leben. Die Regenten aber wollten vor allen ihn selbst fassen: fünfzehn ihrer Ritter schritten eilends vor, ihn überall zu suchen. Darüber kamen, wie es scheint, die Reihen der Kaiserlichen in Unordnung, und da auch Philipp von Navarra mit seinen Leuten auf dem Schlachtfelds erschien, so erlitten die Regenten eine schwere Niederlage. Ibelin aber hatte sich vor seinen Verfolgern in einen Bauernhof gerettet und wus'te sich kaum noch zu vertheidigen, als er nach der Schlacht von seinem ältesten Sohne Valian und Anselm de Vrie befreit wurde. Jetzt bewährte sich des Kaisers Voraussicht, die GebirgZ-fcsten boten sichere Zuflucht. Noch am Abend nach der Schlacht machten sich Balas Vcthsan und Giblet mit dem jungen Könige und den besten Truppen auf nach St. Hilarion, Rivet ritt mit feinen Leuten nach Vuffavento, und selbst Chcnichy erreichte spornstreichs das viel weiter entfernte Kan-tara. Von diesen drei Äurgen aus hatten sie leichten Zugang zum offenen Meer bei Kcryncia. Ibelin beeilte sich, sie einzuschließen. Indem er selbst Keryncia umstellte, legte sich Balian vor St. Hilarion, und Philipp von Navarra vor Buffavcnto, während Anselm de Vrie Kantara angriff. Anselm erfann eine neue Art von Sturmboct, der viel bewundert wurde und rannte die äußere Mauer ein. Und da er cincn aufgezeichneten Scharfschützen hatte, der Chenichy persönlich baizte, so legte sich Dieser Tag und Nacht auf die Lauer, und als der Regent einmal auf der Wallhöhe sichtbar 330 wurde, erschoß er ihn mit meisterhaftem Pfcilschuß. Rivet, welcher Buffavcnto uneinnehmbar wußte, kam nun nach Kan-tara, und da er auch diese Feste noch in guter Wehr und Rüstung fand, so schiffte er hinüber nach Kleinasien, um neue Mannschaften zu holen, ist jedoch dort umgekommen. Die drei anderen Regenten aber saßen guten Muths auf der großen und starten Bergfeste St. Hilarion. Jeden Angriff wiesen sie zurück, und sobald man draußen uicht der äußersten Wachsamkeit sich befleißigte, so fielen sie aus, durchbrachen die Pallisadenwand der Belagerer, und holten sich neue Lebensmittel. Vci einem der Ausfälle wurde der Navarese mit Schlägen bedeckt und siel hin wie todt. Da hörte man auf den Wällen rufen: „Der Versemacher ist todt, mm kommt er nicht mehr daher mit seinen schlechten Liedern." Philipp aber erholte sich in der Nacht wieder und ließ andern Morgens sich auf seinen Felsen bei der Burg tragen, von dem er gewöhnlich, natürlich in guter Decknng, den Belagerten etwao vorsang, und ärgerte sie jetzt erst recht mit einem neuen Liede. Das Kriegsvolk in Keryneia wurde endlich lässig. Es empfing schon lange keinen Sold mehr und litt Noth an Lcbensmittcln. Ibelin bot der Besatzung an, alle Soldrückstände zu zahlen lind sie unversehrt nach dem Fcstande überzuführen. Es wurde ein Tag festgesetzt, und da bis dahin keine Hülfe kam und die Kaiserlichen sich ringsum abgeschnitten sahen, so übergaben sie Keryneia. Ibelin konnte jetzt um so kräftiger Et. Hilarion bedrängen. Allein die Festung trotzte nach wie vor, obwohl sie auf's Engste eingeschlossen war und aus Mangel an Lebensrnitteln, denn Ibclin hatte sich mittlerweile der ganzen Insel bemächtigt, in harte Noth kam. Auch der junge König Heinrich litt schwer unter den Entbehrungen, nnd sehr häusig erschien er auf der Mauer und schalt auf die Belagerer, die ihn wider Gott und Recht in solche Noth brächten, und nannte sie Verräther. 331 Ibelüi dachte schon daran, Philipp von Navarra, der in Verhandlungen ungemcin geschickt war und auch das Kriegsvolt in Keryneia überredet hatte, in'o Abendland zu senden UNd vom Papst oder dem französischen König Hülle zu holen. Wie, wenn die Regenten in einer dunkeln Nacht mit Heinrich auf's Meer flohen und ihn zum Kaiser brachten? Tann gab es kein Mittel mehr, die Verratherci, und das Kriegsunheil, das man über dao Land gebracht hatte, mit Erklärungen zu verdecken, die man dem Königslnabcn in den Mund legte. Ibclin mußte noch mehr befürchten. Obwohl er die ganze Insel in seiner Gewalt hattc, die Steuern erhob und schaltete und waltete wie ein König, so war doch die starte kaiserliche Partei auf der Insel noch nicht vernichtet. Je mehr sich die Belagerung in die Länge zog, um so eher konnte sic wilder Muth fassen und das Volk an sich ziehen, weil es. Mitleid fühlte mit seinem jungen Könige. Hatte Ibelin Tiefen erst wieder unter seiner alleinigen Obhut, so deckte des Königs Name all sein Beginnen i denn Heinrich „war ein Kind und leicht zu leiten." Deßhalb bot Ibclin Balian und seinen beiden Genossen an, wenn sie ihm den König und die Festung übergäben, so solle Niemand irgend etwas geschehen lind sie in ihren (5Hren und Gütern bleiben. Tie Besahung, schon lange Zeit von Noth jeder Art gepeinigt, sah den Hungertod vor Augen. Ibelin erhielt seinen Willen. Valas Bethsan und Giblet übergaben ihm den König und leisteten den C'id, nicht mehr die Waffen gegen Ibelin zu führen. Ta aber jeder Nitter ein kleiner Kriegsherr war, so schloßen sich Philipp und An-selm in den Frieden nicht ein und blieben in Feindschaft mit Aalas. XI.IX. Marlchass Felinghcr. Jetzt dürfte dcr Kaiser nicht länger zögern. Blieb ihm (5ypcrn verloren, so stand es schlecht mit seiner Herrschaft im heiligen Lande. Auf seinen Befehl hatte bereits sein Statthalter, der Herr von Sidon. die Ibelins ihrer Lehen verlustig erklärt. Jetzt ließ der Kaiser eine Flotte von 18 Galeeren und 15 Transportschiffen aufrüsten. Die Letzteren uahmen 300 Reisige und 1000 Mann zu Fuß auf, unter welchen sich Z00 Armbrustschützcn befanden. Ten Befehl erhielt Marschall Fclingher, welchen der Kaiser in offener Urkunde mit anhängender Goldbullc zu seinem Statthalter Groß-richtcr und ^bergencral im Morgenlands ernannte, und ihm freie Hand gab, so rasch wie möglich seine Mannschaften zusammen zu bringen. Unter diesen wurde besonders gern nach Solchen gegriffen, welche als des Papstes Schlüsselsoldaten gegen den Kaiser gekämpft hatten, ein bedenklicher Bestandtheil in dessen morgenländischem Heere. Ibelin aber unterhielt in Italien einen geheimen Kundschafter, und bevor die kaiserliche Flotte in Vrindisi unter Segel ging, verließ den Hafen ein Schncllscgler, welcher den Deutschordensrittern gehörte. Auf diefem Schiffe befand sich auch jener Kundschafter. Glücklich kam er nach Akkon, wo Ibclin sich damals aufhielt, und offenbarte ihm Alles, was er über Vorhaben und Ausrüstung dcr Kaifcrlichen ausgeforscht hatte. Eilends sammelte Ibclin al!e Mannschaften, die seine Leute und Freunde nur aufbringen konnten, marschirtc nach 333 Veyrut, setzte den Platz in guten Verthcidigungsstand, und fuhr dann hinüber nach Cypern. Hier mußte er sorgen, daß bei Erblicken der kaiserlichen Eegel seine Feinde sich nicht erhüben nnd dcn jungen König in ihre Gewalt brächten. Also bot er seine ganze Partei auf Cypcrn mit Rittern und Knechten auf, und als er eine zahlreiche Mannschaft znsammen gebracht hatte, legte er dcn einen Theil nach Limasol unter den Befehl seines ältesten Sohnes Balian, mit dem anderen Theil seiner Kriegsmacht nahm er selbst Stellung in Larnaca. An einem oder dem anderen Orte mußten die Kaiserlichen landen. Den König aber hatte er abgeholt, behielt ihn bei sich und ließ ihn nicht aus den An gen. Als nun die kaiserlichen Mannschaften bei Limasol an's Land wollten, stand am Ufer eine viel größere Kriegsstärke aufgepflanzt und verwehrte die Landung. Ihre Schiffe gingen deßhalb etwas weiter, und warfen in der Nähe von Gavata Anker. Alsbald aber erschienen in Limasol der Bischof von Amalfi und ein flandrischer und ein deutscher Ritter, nnd meldeten sich als Gesandte des Kaisers, die an den König eine Votschaft hätten. Man sagte ihnen, König Heinrich Herberge in Larnaca. Während sie nun in ihren^Galeeren dorthin fuhren, hatte Ibelin eilends in derselben Stadt einen Lehnshof versammelt, in welchem natürlich seine Verwandten und Parteigenossen die große Mehrheit bildeten. In dieser Versammlung richteten die kaiserlichen Gesandten ihren Auftrag aus. Der Kaiser verlange vom König als seinem Lehnsmann, daß er Johann von Ibelin und sein ganzes Geschlecht aus dem Lande entferne nnd nicht länger hege und Herberge, weil sie die Treue gebrochen. Da antwortete Herr Wilhelm Viseonta im Namen des Königsknabcn: „Meine Herren! Der König hat mir befohlen und aufgetragen, tz'uch zu sagen, daß es ihm sehr befremdlich scheine, wenn der Kaiser ihm Solches gebiete: denn der Herr von Äcyrut ist 334 seiner Mutter Oheim, und allgemein bekannt ist es, daß Dieser, seine Vettern, und ein Theil seiner Verwandten des Königs Lehnsleute sind. Tcßhalb kann er sich ihnen nicht entziehen und — die Kaiserliche Majestät in allen Ehren — der König kann und darf das nicht thun, was Ihr gesagt habt, und wenn er es thäte, so würde er gegen sie schlecht handeln." Darauf wandte sich Ibelin gegen den König und sagte: „Sire, ich bin Euer Lehnsmann, deßhalb bitte ich Euch, daß Ihr mich bei meinem Recht erhaltet, da ich bereit bin, Recht zu geben und Recht zu nehmen vor Euch und in Eurem Lehnshof, wenn Jemand etwas an mich zu fordern hat." Als die Gesandten Solches vernommen, standen sie auf und sagten: „Sire, Ihr habt gehört, was wir Euch von des Kaisers wegen gesagt haben, und wir haben Eure Antwort vernommen." Damit gingen sie fort und bestiegen ihre Galeeren, um nach Gauata zurückzukehren. Hier warteten die Kaiserlichen noch mehrere Tage, und da der Marschall nicht kam, sie auch wegen der großen Kriegsmacht Ibelins in Cypcrn nicht landen konnten, so hielten sie kurzen Rath, fuhren hinüber nach Syrien und nahmen ein Inselchen ein,'das gerade vor Vcyrut liegt. Tort schifften sie ihre Pferde aus, kamen an's Land und stellten sich in Schlachtordnung. Tann marschirtcu sie auf Äcyrut los, bereit zum Angriff. In der Stadt gericth Bürgerschaft und Besatzung in große Aufregung. Tic- Einen wollten sich ergeben, aus Achtung sei es des Rechts oder der Macht des Kaisers, die Anderen dachten sich zu widersetzen. Auf des Bischofs Vermittelung wurden die Thore der Stadt geöffnet, und des Kaisers Heer zog ein. Ibelins Befehlshaber aber, Johann Goncmme, eilte mit der besten Mannschaft auf die feste Burg und machte sich bereit, sie auf's Acußerste zu vertheidigen. Die Kaiserlichen dagegen, welche in der Stadt große Vorräthe von Lebensmitteln und Kricgszeug vorfanden, machten sich 335 alsbald daran, Maschinen zu bauen und die Burg zu bercnncn. Ringsumher nahmen sie die reichen Güter Ibelins in Besitz. Unterdessen erschien Marschall Felingher mit 15 Galeeren uor Limasol, und da er erfuhr, wie die Sachen standen, so ließ auch er nach Beyrut hinüber rudern und befahl die Burg noch eifriger zu bestürmen. Seinen Bruder Heinrich aber sandte er nach Tyrus, dessen Befehlshaber, dem Kaiser gehorsam, die Stadt und Burg übergab. Tyrus wurde nun der Hauptwaffenplatz der Kaiserlichen. Da aber die Belagerung der Veyruter Burg, die Ibelin vorsorglich stark genug gebauct hatte, sich in die Länge zog, so ging der Marschall nach Atkon und berief Ritter- und Bürgerschaft zur Versammlung im großen Saal des königlichen Schlosses. Hier wurde die Vollmacht mit Goldbulle vorgezeigt und vorgelesen, worin der Kaiser sagte, er habe ihnen den Marschall Richard Fc-lingher gesendet, seinen vertrauten Bevollmächtigten, daß er sei Statthalter des Königreichs, Recht und Gesetz aufrecht halte, und Groß und Klein, Ann und Reich in ihrcn Rechten beschütze. Tarauf setzte der Marschall auseinander, wie cr mit kaiserlicher Gewalt und mit dem Beirath der Barone und Ritter Recht und Frieden zu handhaben dcnte. Dicse Rede gefiel allgemein durch Würde und Inhalt. Wenigstens wagte sich kein Widerspruch zu erheben. Die Versammlung erklärte einstimmig, sie erkenne den Marschall als des Kaisers Statthalter und ihrcn Regenten an, und Alle würden sich seinen Anordnungen fügen. So ließen sich die Dinge überall vortrefflich an. All-mählig aber regte sich wieder der Nationalstolz der Watschen. Die Empörung, welche Patriarch und Templer gegen den Kaiser erfüllte, gab leine Ruhe, und es ließ sich auch die Vesorgniß nicht abweisen, des Landes freie Verfassung könne leiden unter dem herrischen Auftreten des Marschalls. Die Freunde der Ibclins aber gingen umher und deuteten fleißig 33 U darauf hin, wie der Marshall in seinem Herzen „ein gewalt-thätiger und hochfahrender Mann fei, ein Prahlhans ohne viel Verstand," und sie brachten es so weit, daß viele es glaubten, der Marschall trachte darnach, sie alle zu verderben und zu nichte zu machen. In der That hatte es den Anschein, alt' habe Felinghcr bloß dieß Eine vor Augen, daß der Baiser im Morgenlandc, auch in den Verträgen mit dem Sultan, stets als alleiniger Landesherr aufgetreten, und welches Beispiel er anderen Fürsten in seinen Erbstaatcn gegeben. Sollte ein Staatswesen überhaupt leistungsfähig werden, sollte Gesetz und Frieden im Lande herrschen, so mußte die Eelbstherrlich-teit der Lehnsmannen gebrochen und ihre gesammte Kraft unter des Königs Befehl vereinigt werden. Im heiligen Lande vollends war das Königthum nicht viel mehr, als ein goldener Schein, und seine Macht ewig zersplittert und gelähmt durch Eigensinn und Hader der Ritterorden und andern Herren. Die Ritterschaft hielt also großen Rath und man kam übcrem, sich zu dem Marschall zu begeben, und durch den Mund Balians von Eidon, des früheren kaiserlichen Statthalters, ihm Folgendes vorzustellen. Das Königreich Jerusalem sei nicht durch Fürsten, sondern durch freie Kreuzfahrer erobert, die selbst Verfassung und Gesetze geordnet hätten, welche noch jeder Fürst und seine Mannen beschworen. In diesen Rechten des Königreiches befinde sich ein Artikel, daß Niemand seiner Lehen und Güter entsetzt werden könne, als durch Urtheil und Beschluß des Lehnshofes. Ohne darnach zu fragen, seien Ibelins Stadt Aeyrut und seine dortigen Besitzungen weggenommen und werde seine Burg bcrannt. Ibelin müsse wieder in den Besitz seiner Stadt und Güter gesetzt, seine Burg jeder Vcdrängung ledig sein, erst dann könne ihm der Marschall den Prozeß vor dem Lchnshof machen, und verliere Ibelin, so seien sie bereit, mit aller Macht zu 337 helfen, daß das Recht seinen Lauf habe. Felinghcr antwortete ausweichend: er müsse sich darüber erst mit den Hauptleuten besprechen, die mit ihm gekommen und jetzt in Beyrut lägen, und reisete andern Morgens dorthin ab. Als die Versammelten das erfuhren, schickten sie zwei Abgesandte hinter ihm her, seine Antwort zu holen. Diese lautete: „Meine Herren, ich lasse Euch wissen, daß ich des Kaisers Mann bin, und ich bin gehalten, seine Befehle zn befolgen. Und deßhalb will ich, daß Jedermann es wisse, wie ich sie niemals übertreten werde noch tann in einer solchen Sache, die so einleuchtend ist. Tenn man weiß wohl, wie Johann von Ibclin sich gegen den Kaiser benommen und gehalten hat. Wenn Ihr aber unter einander glaubt, der Baiser handle wider Necht, so schicket zu ihm, denn er ist ein so gnädiger Herr und so rechtlich, daß er so verfahren wird, wie er schuldig." Wirklich finden wir zu Ende des Jahres 1231 die Abgesandten der morgenländischcn Ritterschaft, Valian von Sidon, Odo von Montbeliard und Walter l'Allemand bei dem Kaiser auf dem Reichstage zn Ravenna, wo sie einer neuen Land-schcnkung des Kaisers an den Deutschorden beiwohnen. Da sie aber nichts ausrichten konnten, so kamen die Ritter von Ibelins Partei auf's Neue zusammen, um zu planen und zu rüsten. Und weil sie Scheu trugen, sich förmlich, wie es bei Fehden und Aufständen Sitte war, zu einer Eidgenossenschaft zu verbinden, — denn die Verschwörung war ja gegen den Kaiser gerichtet, — so verfielen sie auf ein Mittel, das wahrscheinlich Ibelin, reich an Fünden und Ausreden und Listen, ausgedacht hatte. Sie suchten für ihre Vereinigung einen Deckmantel und für ihre Sache eine kräftige Stütze in jenem Bestandtheil der Bevölkerung, der sonst mit dem ritterlichen nicht pflegte Hand in Hand zu gehen. Lüher, EMIÜ. HI 5. Verschwörung zu Mkon. Bürgerliches Volk wohnte und wirthschaftete nirgends zahlreicher trotziger und üppiger, als in Äkkon. Diese Stadt, nicht Jerusalem, war und blieb die eigentliche Hauptstadt des Königreichs, die Residenz des Patriarchen und der Ritterorden. Sie war bewohnt von cincm bunten Völkergcmisch, und in Lüsten so versunken, als hätten Morgen- und Abendland sie hier zusammen gebracht. In Attons Hafen landeten die Massen der Pilger, die über Meer gekommen; vor seinen Thoren lagerten die zahlreichen Karawanen der Handelsstraßen, die aus dem Innern des Landes herbeiziehend hier das Meer erreichten. In Akkon gab es daher eine Menge von großen und kleinen Kalifleuten, Rhedcrn und Handwerkern. Indem die Ritter sich mit Niesen einließen, näherten sie sich zugleich den italienischen Seefahrern, die in Akton ihre Häuser Faktoreien und Werften hatten und mit der Bcvölke-' rung vielfach verknüpft waren. Unter ihnen entfalteten in den syrischen Gewässern die größte Macht die Gcnuesen, und gerade mit Tiefen war schon des Marschalls Vorfahr hart zusammen gestoßen. Der Kaiser hatte befohlen, die Genucscn heran zu ziehen, daß sie gleich anderen Seefahrern im Hafen zu Atkon den Kettenzoll entrichteten. Sie aber beriefen sich auf ein Privileg, das sie von dieser Abgabe befreie, und als der Statthalter nicht darauf hören wollte, hatten sie gleich 339 Kriegsvolt und Galeeren gerüstet, um sich mit Gewalt zu widersetzen. Man hielt es damals für's Klügste, einstweilen nachzugeben. Nun gab es in Akkon eine alte kirchliche Bruderschaft zum heiligen Andreas, die Gebet und Gottesdienst in Gemeinschaft zum Zwecke hatte. Sie besaß deßhalb auch ein königliches Privileg, daß Jedermann eintreten könne. Ibclins Anhänger versammelten sich, prüften das Privileg, besprachen sich mit Vorständen der Bruderschaft, und versicherten sich, wie die Sache anzufangen, ohne daß man ihnen nach Necht und Gesetz etwas anhaben könne. Nun warben und gewannen sie in der Stille eine Menge Bürger und Ritter für ihren Plan und einer nach dem andern ließ sich in die Bruderschaft aufnehmen. Nach und nach wurden es immer mehr, die alle danach trachteten, wieder andere Leute zum Eintritt zu bewegen. Unter der Hand verwandelte sich die Andreasbrudcrschaft in eine kriegerische Genossenschaft, deren Mitglieder sich eidlich verpflichteten, einander in Noth und Tod nicht zu verlassen. Als die Dinge auf dem Festlandc soweit gediehen waren, führte Ibelin in Cypern eines der politisch-juristischen Schauspiele auf, die er trefflich verstand in Szene zu setzen und mit glänzenden Erörterungen aus dem Assisenrecht zu beleben. Ta der Aufstand in Syrien nicht aufflammen wollte, denn alle Welt fürchtete sich vor dem Kaiser, so mußte die Anregung von Cypern herkommen. Hier mußte man es treiben bis zum erklärten Landeskrieg. Der hohe Lehnshof von Cypcrn trat zusammen unter des Königs Vorsitze, und vicl wurde wieder geredet, wie man in seinem Gewissen und um seiner Ehre willen verbunden sei, das alte heilige Recht nicht gegen den Kaiser, sondern gegen des Kaisers Beamte zu schützen, die Jedermann ohne Urtheil und Recht an feine Güter griffen. Zuletzt siel Ibelin vor dem jungen Könige auf die Kniee und rief flehentlich: „Sire! 340 Ihr wißt, wie ich und mein Hano beständig Euch große und treue Dienste geleistet, und wie ich für Euch gesorgt habe in Eurer Kindheit und Euch Gefahren entrissen. Wollte ich Euch und das Land aufgeben, würde der Baiser mich ruhig in Beyrut lassen. Aber nein, ich und die Meinigcn, die gerade so die Eurigen sind, wir verlassen Euch um nichts in der Welt und werden Euch nicht verlassen bis zum Tode, denn Ihr seid mein Neffe und mein Herr. Nun klage ich Euch, daß fremdes Kriegsvolk mir großen Schimpf und Schaden thnt: denn sie haben meine Stadt Neyrut und meine Güter dort weggenommen, und bestürmen meine Vurg, daß sie in höchster Gefahr ist. Und geht sie verloren, dann kann man sagen, sind die beiden Königreiche auch verloren und wir und unser ganzes Geschlecht mit verloren. Deßhalb flehe ich zu Euch, Sire, um Gottes und Eurer Ehre und meiner großen Dienste willcn, und um des verwandten Blutes willen, das in unsern Adern sließt, Ihr wollet mir helfen in meiner großen Noth. Auf das; Ihr befreiet und wieder erobert mein Land und meine Burg Bcnrnt, möget Ihr kommen und Eure Lehnsleute anführen, die hier sind. lind ich bitte sie alle als meine Freunde und Brüder demüthig, mir zn rathen und zu helfen." Dabei wollte er dem Könige die Füße küssen, dieser aber schlang dem Kniccnden seine Anne nm den Hals. Gleichzeitig warfen sich alle seine Freunde auf die.^,üee, und da sie alle riefen, sie würdcu helfen mit Gut und Blut, so wagten die Gegner nichts zu äußern, und es wurde der Beschluß verkündigt, mit gcsammter Hand hinüber zn fahren nach Syrien und Veyrut wieder zu erobern. Nun wurde auf das Eifrigste gerüstet, Famagusta war zum Sammelplatz bestimmt. Ibclin wäre am liebsten gleich in See gegangen: die heimlichen Gegner der Kriegsfahrt aber wandten vor, man müsse erst ruhiges Meer abwarten, und das trete nicht ein vor dem Frühling. Auch beredeten sie 341 bereits einen Anschlag, sich ii: die Burg zu Gastria zu werfen und dort sich einstweilen zu befestigen. Tas Geheimniß wurde entdeckt, und es war die Nede, sie als Verräther vor das Gericht des Lehnshofs zu stellen: Ibclin aber verhinderte es, damit nicht offenbar werde, wie wenig die Ritterschaft auf (5ypern gleichen Sinnes sei. Sobald das Wetter es nur irgend zuließ, am 25. Februar 1332, schiffte er sein ganzes Heer ein, und Balas und seine Anhänger mußten mit. Glücklich kam man an die syrische Mste, landete etwas nördlich von Vcyrut, und schlug das Lager auf. Schon in der nächsten Nacht entwichen achizig Ritter, Balas an der Spitze, und ließen Pferde und Rüstung im Stich. Als dieser schwere Verlust ruchbar wurde, waren Ibelins Anhänger nicht wenig bestürzt. Er aber sagte: „Testo besser, ich habe sie lieber vor als hinter mir." Jene aber waren nach Tripolis geeilt und erließen von dort eine Erklärung: nicht ihr minderjähriger König, der in fremder Gewalt fei, habe das erste Anrecht auf ihre Treue, fondern der Kaiser. Der Marschall sandte ihnen eine Galeere und lies; sie in sein Lager vor Veyrut abholen. Ibelin aber marschirte vorsichtig an der Küste hin, seine Schiffe immer zur Seite, bis er vor Beyrut kam. Tort schlug er am Gebirge sein Lager auf und hatte den Trost, daß man auf der Burg seinen Signalen durch Freudenfeuer antwortete. Er hütete sich wohl, sich in der Ebene zu zeigen, dort wäre er vor der kaiserlichen Reiterei verloren gewesen. Philipp von Navarra aber dichtete einen Kriegsgcsang, in welchem jede Strophe mit den Worten endigte: „Nun gebe Gott uns seine Kraft, daß Bcyrut wir beschirmen, daß wir erobern unser Gut und unsere Ehr' bewahren." Alis seinem Lager bei Beyrut erließ Ibclin einen Ausruf nach dcm andern an all seine Vettern und Freunde, an die Ritterschaft insgemein, und an das ganze Volk, daß man 342 sich allgemein erhebe in Waffen, oder dco Landes Freiheit sei für immer verloren. Seine Anhänger hetzten und schürten, was sie nur vermochten, und brachten es so weit, daß die Ritterschaft in Akkou bei seinem Neffen, Balian von Cidon, zusammen kam. Dort wurde großer Rath gehalten. Die Einen wollten Ibclin helfen, die Anderen sich die Sache noch überlegen. Zuletzt fanden sich nur etwas über vierzig Ritter, die erklärten, sie würden Ibelin helfen. Mit anderthalbhundert Reisigen und zweihundert Mann zu Fuß machten sie sich auf. Als sie aber in die Nähe von Tyrus kamen, wurden sie von Kaiserlichen angegriffen, die aus der Festung einen Ausfall machten, und entkamen noch eben glücklich in Ibe-lin's Lager. Dieser verlegte es nun näher an die Stadt, durfte aber noch gar nicht daran denken, die Kaiserlichen anzugreifen. Nun erschienen auch in Aeyrut der Patriarch, der Erz-bischof von Cäsarca, die Großmeister der Templer und Iohan-niter, die Konsuln der Venetiancr Gcnucsen und Pisaner, und mehrere andere vornehme Herren, und legten sich anf's Vermitteln. Sie zogen von einem Lager zum andern und machten hier und dort Vorschläge zum Frieden. Die Vermittler aber waren wohl selbst nicht ganz einstimmig, während Idelin um so hartnäckiger auf feinem Rechte bestand und der Marschall sich auf des Kaisers Befehle berief. So zerschlug sich jede Anstrengung, die zum Frieden führen sollte. Der unermüdliche Ibelin sandte sofort seinen ältesten Sohn Balian, Philipp von Navarra, und andere Unterhändler nach Tripolis, um bei dem Fürsten Vohcmund von Antiochien um Hülfe zu filchen. Dringend ließ er vorstellen, wie bei des Kaisers Auftreten kein Fürst und Herr im heiligen Lande mehr selbständig bleibe. Um seiner Werbung mehr Gewicht zu geben, schlug er vor, der jüngste Prinz des Fürsten folle des cyprischen Königs Schwester heirathen und reiche Lände- 343 reien auf der Inscl erhalten. Fürst Bohemund aber fürchtete des Kaisers Macht. Ja es verlautete, um Friedrichs Gnade wieder zu erwerben, wolle er Ibclins Abgesandte festnehmen lassen. Philipp kam unter des Sultans von Damaskus Geleite glücklich nach Akkon zurück, Balian mußte sich lange Zeit in der Nähe von Tripolis verbergen. So war Ibclins Unternehmen gescheitert. 6r tonnte bei seiner Schwäche weder das Schloß zu Veyrut entsetzen, noch die Stadt wieder erobern. Des Kaisers Ansehen und redlicher Wille hatten zu große Macht über die Gemüther der Ritter und Herren. Ibelin gerieth in Noth, die Lcbcnsmittel fehlten. Den Pferden mußte man Zuckerrohr zum Futter reichen. Den einzigen Gewinn hatte er von seinem Kriegszug, daß es seinem jüngsten Sohne Johann, demselben, welcher den Kaiser nach Italien begleitet hatte, in einer dunklen Nacht gelungen war, mit Proviant und hundert neuen Rittern sich bis zum Schlosse durch zu schleichen. Als dadurch die Burg wieder einigermaßen verstärkt war, verließ Ibelin die Umgegend von Boyrut und führte sein Hcer und den König nach Sidou. Cr hatte einen andern Plan gefaßt. Verhielt die Ritterschaft sich lau oder abweisend, so wollte er jetzt das Volk durch eine Handlung offenbarer Empörung in die Waffen bringen. (5r stellte Heer und König unter Befehl und Aufsicht An-selms de Arie, und begab sich mit dem eifrigsten Theil seiner Anhänger nach Akkon. Hier war der Sammelpunkt des Hasses und Widerwillen? gegen die kaiserliche Gewalt, dic Brüderschaft zum heiligen Andreas schien übermächtig geworden. Allein noch immer war nichts geschehen, was die Feindseligkeit zum Ausbruche förderte. Die kaiserlichen achtzehn Galeeren lagen ruhig im Hafen, dort zu überwintern. Als nun Ibelin mit den Seinigen ankam, vertheilten sie sich durch die ganze Stadt und sprachen und schrieen wider des Kaisers und seines 344 Marschalls herrisches Auftreten. Dann beriefen sie die ganze Stadt, Bürger und Ritter und das gemeine Volk, in die große Kirche. Neuer Dinge begierig, füllte eine wogende Volksmenge das Gebäude. Da schritt Ibclin vor Aller Augen zu dem Pulte, der mitten im Chore stand, und leistete feierlich den Schwur seines Eintrittes in die große Andrcasgcnossenschaft. Als er die Eidesformel gesprochen, wandte er sich zur Versammlung und fing an zu reden von Recht und Freiheit des Landes, die Jedermann schirmen müsse aus Gewissenspflicht, und von den fremden Kricgsvölkern, die in's Land gekommen wie tyrannische Eroberer, vor denen kein Recht und Eigenthum mehr sicher sei. Und immer prachtvoller und feuriger redete er, und plötzlich rief er aus: „Was steht Ihr hier müssig? Liegen nicht draußen im Hafen ihre Kriegsschiffe? Wollt Ihr ihnen die Schiffe lassen, damit sie überall hin den Krieg tragen wider uns?" Da erhob sich der Ruf „Nach den Schiffen! Nach den Schiffen!" Und das Volk stürzte wie rasend aus der Kirche lind nach dem Hafen und warf fich in die nächsten Fährboote und andere Schisse am Ufer. Eilends bewegten sich zahllose Fahrzeuge nach den Galeeren hin, die Menge umringte sie, sprang hinein und hatte sie in: Nu genommen. Von den achtzehn Galeeren konnte nur eine einzige, die zur Seite lag, sich in der Eile fertig machen, um aus dem Hafen zu entrinnen und die Votschaft nach Tyrus zu bringen. Jetzt mußten wohl Ritter und Bürgerschaft zu Atton sich auf das Engste zusammenschließen, denn sie hatten ihre Empörung zu vertheidigen. Sie thaten es, bestürzt die Einen, siegcsfroh die Andern. Was früher nur in Nothzeiten und vorübergehend vorkam, das wurde jetzt förmlich geordnet. All die kleinen Gemeinden und Körperschaften, in welche die Bevölkerung von Akkon zerfiel, wurden zu einer einzigen freien 345 Gemeinde vereinigt und wählten ihren Stadtrath und ihre gemeinschaftlichen Bürgermeister und Befehlshaber. Eine Bürgcrglocke wurde bestimmt, bei ihrem Geläute sollte sofort alles zur Versammlung eilen. Es war dies die erste Stadt-republit dieser Art im Morgenland. Ibelin ließ sein Heer aus Sidon herüberkommen. Akkon verwandelte sich in ein Heerlager aller Feinde des Kaisers. I.I, Oypern gewonnen und verloren. Marschall Fclingher war nicht wenig betroffen. Auf die erste Kunde war er nach Tyru? geeilt, und da er hörte, wie gefährlich der Aufruhr um sich gegriffen, gab er seinem Bruder Lothar, der ihn in Vcyrut vertrat, den Befehl, eilends da? Lager abzubrechen, die Kriegsmaschinen zu verbrennen, und unverzüglich mit dem ganzen Heere nach Tyrus zu kommen. Ibclin war bereits auf dem Marsche dorthin. Er hatte jetzt ein starkes Heer zusammengebracht. Die Gcnuesen hatten reichlich Waffen Proviant und Schiffe gegeben, und das lose Volk zu Akkon ließ sich jubelnd anwerben. Es war ein großes Unglück für die Kaiserlichen und fiel entscheidend in die Wagschale, daß Friedrich gerade zu dieser Zeit mit den Gcnuescn in offene Feindschaft gerieth. Wahrscheinlich hatten die schlauen Handelsherren es darauf angelegt, um bei dieser Gelegenheit, wonach sie längst schon strebten, den Handel des vielreichcn (5ypern sich überliefern zu lassen. Waren sie doch längst schon Handelsfreunde der Ibelins zu Vcyrut. Sie hatten im selben Jahr 1232 einen erklärten Feind des Kaiser? zu ihren: Bürgermeister gewählt, Friedrich aber das so übel genommen, daß er gebot, die Ge-miesen und deren Habe überall festzunehmen. Auch der Marschall hatte Befehl erhalten, die Genuesen anzutreiben. Sie aber sandten nach und nach Kriegsschiffe nach den svrischen Gewässern, bis sie dort eine sebr stattliche Flotte auf der 347 Tee hatten. Schon war cin Theil ihres Kricgsvolkes, vielleicht bei einem Ucbcrfall, mit dem Marschall feindlich zusammen gestoßen, wobei Dieser fast alle Leute, die er bei sich hatte, verlor und eilig nach Turns flüchten mußte. Die kaiserliche Flagge dürfte sich auf offenem Meere nicht mehr zeigen. Als Ibelin etwa vier Stunden von Akkon bis nach Easal Imbcrt. d. i. Imbertshofen, marschirt war, kam ihm ein Bote nach: der Patriarch von Antiochien sei in Akkon und verlange als Legat des Papstes und in dessen Auftrag Ibelins Gegenwart. Als ein Mann, der beständig seinen Eifer für die Kirche an den Tag legte, konnte Ibelin sich dem Rufe nicht entziehen. Mußte er doch auch fürchten, daß der apostolische Legat die Schilderhebung öffentlich für das erkläre, was sie war, für Rebellion gegen den gesetzlichen Landesherr». Ibelin ließ also bei Easal Imbcrt sein Heer cin Lager aufschlagen und stellte es wieder unter den Befehl seines viel-gctreuen Anselm von Brie. Während nun Ibclin zu Atkon das Aufsehen und den Eindruck, welche das Erscheinen des Patriarchen von Antiochicn machte, zu schwächen lind zu beschwichtigen suchte, rüstete sich der Marschall zu einem Hauptschlag. Kundschafter kamen zu Ansclm und warnten. „Ja wahrlich," erwiderte er, „Tie sollen wohl jetzt auf schlechten Wegen sech^ Meilen weit kommen, die nicht Lust hatten, bei Beyrut mit uns zu kämpfen, als wir sechs Bogenschuß von einander standen." Statt auf dem Wege nach Trirus hin legte er eine Vorhut in der entgegengesetzten Richtung nach Atton zu. Tiefen Vortrab befehligte der Sohn von Ibelins verstorbenem Bruder Philipp, und da dieser, al? er Graf von Jaffa und Askalon geworden, ebenfalls als Schriftsteller in Rechtssachen großen Ruf erwarb und wie sein Oheim Johann von Ibelin hieß, fo nannte man später ihn Johann den Jungen und den Oheim Johann den Alten. Mit Philipp von Navarra 348 sollten also die drei größten Juristen des Assiscnrcchts an dem Tage von Casal-Imbert bctheiligt sein. Wurde doch der ganze Krieg von leidenschaftlichen Juristen geführt, die gegen Freund und Feind und ihrem eigenen Gewissen gegenüber ihre Hartnäckigkeit mit dem alten Spruche beschönigten: kerekt, munslus, imt ^U8tilm! Denn das mußten sie sich doch selber sagen, daß gerade das, was sie gegen den Kaiser unternahmen, die geheiligten Hoffnungen der Christenheit zerstörte. Freilich, unter dem juristischen Mantel bargen sich auch die Ehre und Habsucht der Ibclins und ihrer Anhänger, und der glühende Nationalhaß der Franzosen gegen die Deutschen. Am Abend des 2. Mai 1232, als es dunkel wurde, zog Marschall Felinghcr aus den Thoren von Tyrus und mar-schirte mit seinen besten Truppen längs des Strandes, während eine Flotte von 22 Fahrzeugen den Nest des Heeres ihm hart an der Küste nachsührte. Die ganze Nacht wurde eilends marschirt und gerudert. Noch vor Morgengrauen kam man in die Nähe des feindlichen Lagers. In tiefer Stille wurde Alles ausgeschifft, jeder Haufen in Ordnung gestellt, lamlos auf das Lager zu marschirt. Plötzlich sielen sie darüber hcr, schlugen nicdcr was sich sehen ließ, drangen in die Zelte und tödteten die Cypricr auf ihrem Lager. Diese kämpften hier und dort, die Einen in Waffen, die Andern ohne Rüstung. Ansclm, Ibclins drei Söhne, der junge Johann von Ibelin wehrten sich wie Verzweifelte, mit Wunden bedeckt thaten sie noch ihr Aeußerstes. Die Verwirrung aber war zu groß, die Feinde stürmten von allen Seiten daher, und als es hrll wurde und noch die Nachhut von des Marschalls Schiffen anrückte, da gaben voll Schrecken die Cyprier Heil und Sieg verloren, ließen Alles im Stich und stoben auseinander. Mit genauer Noth wurde der König gerettet, der gerade an diesem Tage nach Assiscnrecht die Volljährigkeit erreichen sollte. Sein braver Hofmeister, Johann Vabin, stpte ihn aufs Pferd und 349 schickte ihn fort mit einem treuen Diener, während er selbst sich den anstürmenden Feinden zur Wehr fetzte und schwer verwundet in ihre Gefangenschaft gericth. Der Sieg der Kaiserlichen war vollständig, Ibelins Heer ganz zerschlagen, all sein Hab und Gut Beute des lachenden Feindes. Auf die erste Kunde, der Marschall sei aus Tyrus ausgerückt, hatten Ibelin, die Herren von Sidon, Eäsarea, Mont-beliard, Kaipha und andere vornehme Ritter sich auf'o Pferd geworfen und sprengten nach Casal Imbert. Ta kam ihnen schon der Schwall und das Entsetzen der Flüchtigen entgegen, und einer seiner Hausdiener rief Ibelin zu: „Herr, Eure Söhne sind gefallen." Er aber spornte fein Pferd vorwärts und that als wenn er es nicht hörte. Da rief Jener noch einmal: „v Herr, die schönen Jungen sind alle todt!" „Schweig, Schurke!" war des Vaters Antwort, „jeder Ritter muß sterben, wenn Leben oder Ehre in Gefahr." Als er nun auf das Schlachtfeld kam, waren die Sieger mit ihrer großen Beute schon abgezogen, und man tonnte nur noch ein Häuflein aufnehmen, das sich während der Schlacht in einen kleinen Thurm geflüchtet hatte. In Jammer und Betrübniß füllten die lteberlebendcn die Herbergen zu Attcn mit ihren klagen, daß sie Hengste und Rüstungen, Zeug und Zelte verloren und nichts mehr ihr eigen nennten, als die Kleider auf dem Leibe oder das Pferd, auf welchem sie geflüchtet. Hätte Felingher mit seiner ganzen Machi jetzt Akkon angegriffen, so wäre die große Stadi vielleicht sein gewesen. Die kaiserliche Partei in ihren Mauern war ja nur unterdrückt, jedoch längst nicht ausgerottet. Er aber wußte wohl, daß Cypern wichtiger sei als das Festland, und beeilte sich, Balas und -Genossen mit dem besten Theil des Heeres hinüber zu senden. Diese landeten glücklich, klopften die Besatzungen aus Fama-gusta Nikosia und Keryneia und anderen festen Orten heraus, 300 und schlugen ihre Feinde aus dem Fcldc, wo sie sich zeigten. Das gab wieder ein lustig Reiten und Jagen über Clock und Stein, wie es ein ritterlich Herz crfreuete, immer hinterher hinter den fliehenden Feinden, um sie zu fangen und reiches Löscgcld zu gewinnen, ooer sie zu erschlagen, wollten sie sich nicht ergeben. Tie Beamten und Anhänger der Ibclins flüchteten über das Meer oder in's unwegsame Gebirge. Die junge Königin Alice blieb mit ihren Damen in Nikosia: hatte sie doch der Kaiser ihrem Gemahle zugeführt. Ihre beiden Schwägerinnen aber, des Königs Schwestern Maria und Isabella, flüchteten nach dem Vergschloß St. Hilarion. Die Frau Va-lian von Ibelin war gerade bei den Franziskanern, als die Kaiserlichen in die Stadt eindrangen. Rasch entschlossen warf sie ein Mönchsgewand über und schlich sich durch, bis sie nach Vuffavento kam. Nur ihrem Feuer war es zu danken, daß sich der Muth der Besatzung wieder hob; denn der Commandant war alt und bedenklich, ob die Festung nicht von Rechtswegen dem Kaiser gehöre. Sie aber beeilte sich, frische Mannschaft aus dem Landvolt aufzuheben und Proviant auf die Burg zu schaffen. Die rasche Kunde aber von diesen Siegen ging weit und breit, und Alle jubelten, die zu dem Kaiser hielten, und spotteten über die armen Ritter der Ibelins. Friedrich selbst schrieb das den Genueseu und schickte ihnen zwei Botschafter, um fo rasch als möglich wieder mit ihnen in gutes Geleise zu kommen. Die Ibelins aber saßen in Syrien tief in Sorgen und Bestürzung. Ihre Hcercskraft war bei (5asal Imbert vernichtet, Cypern verloren, kein Geld in der Kasse. Die Ritter ihrer Partei ließen die Köpfe hängen und beklagten sich, daß sie bloß um der Ibelius willen Kaisers Feind geworden, und man wisse jetzt, was das zu bedeuten habe. Einige gingen den König an, daß er ihnen wieder Frieden und Sicherheit schaffe, er wolle ja jetzt großjährig sein. Andere suchten bneits mit 351 dem Marschall Felingher wieder anzuknüpfen. Es war ihncn auf einmal die Einsicht gekommen, auch das vielberufcn Assisen-rccht lasse sich drehen und wenden nach Gefallen, wenn man nur geschickt genug. Da, als Alles verloren schien, raffte sich Johann Ibclin der Alte auf. Jetzt erst zeigte sich sein findiger, betriebsamer, rastloser Geist in vollem Glänze. Er grisf zu jedem Mittel, wenn es nur augenblicklich half, gleichgiltig, welcher Nachtheil für die Zukunft darin liege. Er stachelte die syrische Ritterschaft mit den Worten, sie seien ja für immer der Teutschen Sklaven, wenn Cypern nicht wieder frei würde. Er versammelte alle Abenteurer und zahlte hohen Sold. Ihren Anführern versprach er goldene Berge und vertheilte und verschleuderte, um sie unter fein Banner zu ziehen, reiche Lehen auf Eypern, die er aus feiner Feinde Güter errichten wollte. Auch Pulanen, wie man damals die Levantincr nannte, wurden Lehen angewiesen unter der Verpflichtung zur See Dienste zu leisten. Ibelins Söhne und Vettern verkauften ihre Güter, um Geld zu schaffen, welches vertheilt wurde, um Waffen und Pferde zu kaufen. Die Tempelherren machten bei den Gutsvertäufen ein glänzendes Geschäft. Ibelin griff sogar zu dem Nothmittcl einer Art von Papiergeld. Eine Menge kleiner Pergamentzcttel wurden mit des Königs Siegel besiegelt, auf den Zetteln stand eine Geldsumme benannt und dabei des Königs Verpflichtung, sie zu bezahlen, sobald er sein Königreich Cypern wieder in Händen habe. Das wollte natürlich alles nicht hinreichen. Ibelin aber hatte bereits andere Helfer an der Hand, geld- schist's- und waffenrciche, die allein ergiebige Hilfe schaffen konnten. Zu fpät hatte der Kaiser mit den Genuescn Frieden geschlossen, indem er ihre Bürger und Leute und Sachen, die festgenommen waren, freigab und ihnen in den schönsten Worten versprach, sich besonders günstig gegen sie zu bezeugen. Den Herren zu 352 Genua lag uor allem daran, sich in Eypern erst aller Orten festzusetzen nnd seines gcsammtcn Produktenhandels sich zu bemcistcrn. Sie verlangten von Ibclin: daß sie auf ganz Cypern freien Handel erhielten, wie und wo sie wollten: daß sie überall frei feien von allen Zöllen nnd Sieuern und Ab-gabcn jeder Art, eine geringe und genau bestimmte Gebühr für Wügen lind Messen von Wein Getreide und Früchten ausgenommen; daß sie nur vor ihren eigenen Konsuln imd Vizekonsuln zu Necht zu stehen brauchten in allen Dingen, es sei denn um Todtschlag Hochverrath und Raub: daß der König ihnen in den vier Hauptstädten Nikosia Famagusta Limasol und Paphos für ihre Konsuln und Vizetonsuln einige Häuser und Plätze und noch dazu ein ganzes Dorf bei Limasol als ihr Eigen schenke; das; sie überall ihre eigene Bäckerei errichten könnten; daß sie zu Wasser und zu Lande für Person und Habe, auch wenn sie Schiffbruch litten, den vollen Schutz der Gesetze und Behörden genössen; daß Keiner von ihnen ob eineö Andern Verbrechen oder Schulden angetastet werden tönue; daß sie endlich niemals zu irgend einem Dienst oder Entgelt für alle diese Schenkungen und Privilegien herangezogen werden könnten. Alle diese Forderungen, welche auf den Besitz des Alleinhandels in Cyvern.abzielten, wurden von Ibclin zugestanden und verbürgt, und nun gaben sie Geld und Waffen und Schiffe her, so viel er verlangte. Noch war der Mai nicht zu Ende, als sein Feuereifer es schon so weit gebracht, daß er daran denken tonnte, mit Köniq Heinrich und einer wohlbemanntcn Flotte nach Eypcrn hinüber zu fahren und es zum zweitenmale zu erobern. Der Marschall kam ihm zuvor. Sobald er von den ernsten Rüstungen der Gcnucsen zu Atton hörte, ging auch er mit dem größten Theile seines Heeres nach Cypern, schickte, dort gelandet, sofort seine Schaaren nach allen Enden, und bald gehorchte das ganze Land wieder dem Kaifer, bloß die beiden 353 Bergfesten St. Hilarion und Vuffavento ausgenommen. Einen Theil seiner Flotte wies er den Ankerplatz an vor dem altberühmten Paphos. Schon am Pfingsttag, den 30. Mai, verließ Ibelins Kriegemacht den Hafen uon Akkon und fuhr der Küste lang bis nach Sidon, wo zur Ueberfahrt gerüstet wurde. Der (5onsul der Genuesen, Wilhelm von Orto, begleitete ihn: der Krieg gegen den Kaiser war ja halb ein genuesischer geworden. Semen Söhnen Valian und Johann hatte Ibelin Pcdalion Acra, das Vorgebirge zwischen Larnaca und Famagusta, als den Punkt bezeichnet, wo sie mit ihm zusammentreffen sollten. Balian kam dorthin mit noch andern genuesischen Schiffen, und Johann fchafftc den besten Theil der Besatzung aus dem Schlosse zu Veyrut cdenfalle glücklich hinüber nach Cypern. Als sie bei dem Vorgebirge beisammen waren, brachte ein Kundschafter Nachricht, der Marschall habe seine Hauptmacht in Famagusta versammelt, (iincr fragte den Kundschafter, wie start die Kaiserlichen seien. Ibclin kam der Antwort zuvor mit den Worten: „Genug, wir wissen, wo sie sind: siegen müssen wir!" Nun richteten Alle die Segel nach Famagusta, und da sie Furten und Untiefen an der eyprifchcn Küste besser kannten, als die Kaiserlichen, so gewannen sie nach einem Scharmützel mit den Vorposten ein Inselchen in der Nähe der Stadt. Von dort konnte man auf Barken selbst bei niedrigem Wasserstandc zum Ufer. Fclingher bereitete sich, sie kräftig zn empfangen. Sein Unglück war aber, daß seine deutschen und italienischen Landsknechte durch ihren wilden Uebermnth die Bevölkerung wider sich aufgebracht hatten. Allerorten mußte er auf Verrath gefaßt sein, insbesondere die Genuesen fürchten, die ihre Verbindungen hatten. In Nacht und Stille fuhren nun ein paar Boote von Ibclins Flotte in den Hafen hinein, die Besatzung stieg unbemerkt ans Land lind zog mit Lärm und Löhci, Cypcru. HI 354 Geschrei in Famagusta hinein. Die Vürgcr sprangen vom Lager auf, mehrere riefen ebenfalls „König Heinrich! König Heinrich!" und stürzten sich auf die Wachen. Da glaubte der Marschall nicht anders, als die Hccresmacht des Feindes sei bereits in Famagusta, die ganze Stadt i:n Aufstande. Eilig warf er Feuer in seine Schiffe, daß sie verbrannten, und zog seine Truppen aus Famagusta heraus, das Ibclm und die Gcnucscn sofort besetzten. Der Marschall erkannte zu spät, daß er gar zu vorsichtig und vorschnell gehandelt, und zog sich nach Nikosia zurück. Ibelin blieb über eine Woche in Famagusta stehen, um Verstärkungen von allen Seiten herbei zu ziehn. Auch war hier sein erstes Geschäft, den Gcnucscn ihr großes Pergament voll Freiheiten und Schenkungen auszustellen, — für Jeden, der es mit Cypern wohl meinte, eine Handlung, die man nicht anders als gewissenlos nennen konnte. Denn geringes Nachdenken gehörte dazu, um sich dessen völlig klar zu werden, daß es höchst gefährlich war, diesen Schlauen, Raudsüchtigen, nichts als ihren Vortheil Achtenden die Insel zu überliefern, und ihren Handel, ihre Ausfuhr, ihren ganzen Geldvertehr von den Interessen einer italienischen Stadtrepublik abhängig zu machen. Tic Gennescn setzten sich jetzt auf Zypern fcst, und es waren noch nicht anderthalb hundert Iahrc verflossen, da brachten sie das edle Königreich zu Falle. Marschall Richard hatte sich hinter Nikosia zurückgezogen bis auf's Gebirge. Die Königin Alice und ihre Hofdamen waren nach Keryneia geleitet. Vor der Schlucht, die nach dieser Stadt durch die Bergkette führt, hatte das kaiserliche Heer Stellung genommen, um seinen Angriff auf Et. Hilarion zu decken. Denn auch Kantara hatte Philipp von Navarra durch rasche Verhandlung gewonnen. Um so eifriger ließ Fclingher St. Hilarion berennen, jede Stunde erwartete er die Ncbcrgabe der wichtigen Bergfeste - sie hatte nur noch für 355 zwci Tage Brod. Tie ganze weite (5bcne der Mesoria aber hatte der Marschall, so weit nur seine Schaaren streiften, verheeren lassen. Die Kornfelder wurden angezündet, die Mühlen zerstört, alle Lcbcnsmittel fortgeführt. Dagegen ließ cr in Nikosia Lcbcnömittcl in Massen aufhäufen. Wahrscheinlich dachte er, des Feindes ganzer Troß solle sich hier sammeln und aufhalten, bis cr, unterstützt durch des Kaisers zahlreiche Anhänger in Stadt und Umgegend, darüber herfalle und die Ibclins und Gcnucfen vernichte mit einem einzigen Schlage wie bei Casal Imbert. Tas zyprische Heer nämlich, das in kleinen Tagreisen auf Nikosia marschirte, war unterdessen nicht wenig angeschwollen. Schaarenweise strömte das erbitterte Landvolk zu, und die Vornehmeren, die ins Gebirge geflüchtet, kamen wieder zum Vorschein. Aber fast Alle marschirtcn zu Fuß. Tic kaiserlichen hatten gegen zweilausend Pferde, die Cypricr nicht den achten Theil davon. Ibelins Ritterschaft war so arm geworden, daß die meisten Herren nur ein einziges Pferd hatten, und ihre ganze Rüstung au seinen Sattellnopf binden tonnten. Als nuu Ibelin in Nikosia ankam und die aufgehäuften Lebensrnittel sah, merkte er Unrath, dahinter mußte ein schlimmer Anschlag stecken, der Gefahr drohete. Nikosias Bürgerschaft war gut taiferlich, oder hatte doch die Regenten lieber, als die Ibelins, die schon früher arg gehauset hatten mit ihrcö Königs Recht und Gut. Noch am Abend seiner Ankunft verließ Ibelin die Stadt, und bezog ein Lager ein halbe stunde von da bei den Gärten von Trakona. Und schon andern Morgens, es war der 15. Juni 1Z3Z, brach cr auf mit all feinen Truppen und näherte sich, fo rafch cr nur konnte, der Stelle im Gebirge, wo die Kaiserlichen standen. Aus seinen Völkern bildete er vier Schlachthaufen, die geringe Breite und desto mehr Länge hatten und Cchclles, Leitern, genannt wurden. Jede Echaar hatte Befehl, un- 356 nöthiges Gefecht zu vermeiden und einzig danach zu trachten, wie sie in's Gebirge aufwärts dringe nnd hier oder dort an St. Hilarion herankomme, um Lebensrnittel und Mannschaft in die Feste zu werfen. Um jeden Preis mußte cr sie zu retten suchen: der Verlust von Et. Hilarion hätte sein Heer in Muthlosigteit, sein Unternehmen in's Unglück gestürzt. Je rascher aber seine Leute in die Höhe und auf die Gebirgc-steige kamen, um so weniger hatten sie von der Hauvtstärte des Feindes, von der Reiterei, zu fürchten. Ueber seine erste Echelle gab cr den Befehl seinem Sohne Hugo und Anselin de Brie, über die zweite seinem Sohne Valduin, die dritte führte fein Neffe Johann von Cäsarea, und den vierten Schlachthausen behielt er sich selbst bevor, indem cr den jungen König nicht von der Seite ließ. Ibelin war es gewohnt, aller Orten seine streng kirchliche Gesinnung an den Tag zu legen. Er gelobte, wenn er an diesem Tage Leben und Sieg davon trage, so wolle er Mönch werden, bevor cr sterbe. Seinem ältesten Sohne Valian, einem kühnen und tapfern Ritter, der sonst die Ehre des ersten Angriffes hatte, befahl cr, bei ihm im Hintertreffen zu bleiben. Valian hatte nämlich kurz zuvor eine nahe Anverwandte, cbcn jene muthigc Dame, die als Franziskaner verkleidet nach Buffa-vento flüchtete und diefe Festung rettete, zu allgemeinem Aergerniß gcheirathet und war deßhalb im Kirchenbann. Sobald sich der Verwegene aber unbeobachtet sah, entwich er seinem Vater nnd eilte mit Philipp von Navarra und vier andern kühnen Männern voran, und als sie an den ersten Haufen kamen, in welchem Ansclm de Arie befehligte, wollte Dieser auch mit. Sie ritten den Truppen weit voraus, bis sie auf Umwegen höher an einer Stelle anlangten, wo Felsen untermischt mit dichtem Myrthcngebüsch ihnen Schutz gewährten. Ta legten sie sich in Hinterhalt und warteten auf die Kaiserlichen, die hier sich dnrchwinden mußten. .^! ^, Diese standen weiter oben, wo sie hintcr sich die Schlucht, welche nach Keryneia führt, und das schroff ansteigende Gebirge hatten, auf dessen Höhe zur rechten Seite St. Hilarion trotzte. Vor ihnen senkte sich im raschen Abfall, unterbrochen von Gebüsch nnd starrendem Gestein, der Boden bis nach dem Dorfe Agridi hinab, bei dessen Häusern die Ebene begann. Ein anderer Theil der Kaiserlichen lag oben uor der Feste und hielt dieselbe eng umzingelt. Der Marschall war offenbar durch des Feindes Schnelligkeit überrascht. Er hatte nicht erwartet, daß Ibelin, der in Fama-gusta so lange gezögert hatte, so bald Nikosia verlassen würde, sonst wäre er ihm mit der Ucbcrinacht seiner Reiterei wohl schon auf freier Ebene entgegengetreten. Noch weniger hatte er vermuthet, daß Ibelin, nachdem sein Heer einen Marsch von drei starken Stunden auf fonncglühendem Vodcn zurückgelegt, noch am selben Tage angreifen würde. Als der Marschall nun feindliche Haufen aus dem Dorfe, aus welchem die Fußsteige nach 3t. Hilarion hinauf gingen, hervorkommen sah, fandte er ihnen die Reiterei entgegen. Diese stand unter dem Befehl eines Grafen Walter, der bei den Italienern Manupcllo, bei den Eypriern Mancpian heißt: wahrscheinlich war es ein deutscher Graf Mauhübel oder Manebcl. Er sollte den Feind in die Ebene hinab werfen uud zerstreuen, während der Hauptthcil des Heeres, befehligt vom Grafen Bernhard Manhübel noch wartete. Hinter diesem, in der Schlucht, hielt der Marschall selbst mit den anderen Truppen, bei welchen sich die drei Regenten von Eypcrn, die von den Fünf noch übrig waren, befanden. Hätte man am 15,. Juni eine Schlacht erwartet, so wären diese cyprischen Herren wohl, wie es sich ziemte, Führer in der Schlacht gewesen und hätten sich nicht im Hintertreffen gehalten. Graf Walter tonnte seine Rauflust nicht zähmen. Sobald er nur der feindlichen Schaaren ansichtig wurde, stürzte er sich 358 ihnen entgegen. Jeder Haufen aber wich ihm aus, jeder hielt sich eng zusammen, und jeder trachtete eilends höher zu kommen, wo es für die Reiterei unwegsam wurde. So kam es, daß der Graf mitten hindurch stürmte, und auf einmal sah er sich hinter den Cypriern, die schon weit über Agridi hinauf waren. Verwirrt darüber blieb cr stehen und wußte nichts Anderes zu thun, als ganz in die Lbcne hinabzureiten, um hier zu verschnaufen, bis er neuen Befehl erhalte. Unterdessen stiegen die Schlachthaufen Ibelins eilig empor. Schon von Weitem sahen sie wie die kaiserlichen, die sich lange Zeit nicht erklären konnten, was da mit ihrer Reiterei geschehen sei, und endlich auch vorrückten, von Valian und seinen Genossen aufgehalten wurden. Als sie endlich jenes Fels- und Myrthengewirrc gesäubert hatten, und auf den ersten Haufen der Lyftricr trafen, wurden Tiefe blutig zurückgeworfen. Aber die anderen Haufen rückten nach auf verschiedenen Wegen und eilten zum Handgemenge. Tie qroße Anzahl ihres Fußvolkes drängte sich zwischen die kaiserlichen und umringte hier und dort deren Anführer. Anselm de Brie warf sich auf den Grafen Bernhard, griff ihm an den Helm und stürzte ihn vom Pferde. Auf das Geschrei „Todt muß er, todt muß er!" siel man über ihn her und schlug ihm das Haupt ab. Mehreren seiner Ritter ging es ebenso. Die wogende Menge hob sie ans dem Steigbügel, und riß sie zur Erde, und dann wurden sie gleich erschlagen, während Alles schrie „Todt muß er, todt muß cr!" Diese Art des Fechtens brachte die Kaiserlichen in Unordnung, sie begannen sich zu zertheilen. Als nun der Marschall mit dem Nachtrab vorbrach, tonnte er die Ordnung nicht wieder herstellen und gab Befehl zum Rückzüge nach Keryncia. Da aber Ibclin in die Schlucht hinein nachdrängte, so waren die Kaiserlichen, die oben St. Hilarion umlagerten, ebensowohl, als die Reiterei unten in der Ebene, abgeschnitten. 359 Graf Walter hatte vollends den Kopf verloren und ritt spornstreichs zwölf Stunden weit bis nach Gastria auf der karva-fischen Halbinsel, wo die Templer eine (5ommendc hatten. Diese aber schlössen vor ihm die Thorc, und als der junqc Johann von Ibelin, der ihn verfolgte, heran kam, fand er die Ncitcr abgesessen, ohne Nahrung, müde und verzweifelnd in den Vurggräbcn. Sie ergaben sich nach kurzem Scharmützel und wurden nach Nikosia geführt. Die Hauptstadt, welcher man nicht recht trauen durste, war Philipp von Navarra's Obhut und Befehl anvertraut. (5r erfuhr, das kaiserliche Fußvolk, welches Et. Hilarion umlagerte, habe sich in der C'bcne nach Morphu hin zerstreuet und beginne bei Blessia sich zu sammeln. Eilig nahm or, was sich an Reiterei auftreiben ließ, marschirte nach jener Gegend, und als es Mitternacht war, fiel er in die Ortschaft ein und nahm etwa Dreihundert gefangen. Die Uebrigen suchten ihr Heil in der Flucht, und steckten später in Kirchen und Klöstern umher, wo man ihnen Zuflucht gewährt hatte. Belagerung von Keryneia. So endete die Schlacht bei Agridi für die Ibclins ruhmund erfolgreich nach allen Seite». Tic Verluste der Kaiserlichen waren übergroß. Fast ein halbes Tausend ihrer Ritter l^g todt oder gefangen. Nur Keryneia war noch zu nehmen. Diese Festling hatte keineswegs eine uon Natur fo trefflich geschützte Lage, wie Et. Hilarion Vuffavento und Kantara, allein der Marschall hatte ihre Burg ausgebauet und die Mauern verstärkt. Seine Galeeren ließ er jeht von Paphos herkommen, um Keryncia's Hafen offen zu halten und stcts mit dem Fcstlande verkehren zu können. Für hinlänglichen Proviant hatte er fchon früher gcforgt. Da aber sein ganzes Heer in der Festung nicht bleiben konnte, so ließ er tausend Mann Fußvolk und eine Schaar von fünfzig Rittern zurück, und fuhr hinüber nach Cilicicn in das Land des Königs Haithun uon Armenien. Walter von Aquaviva machte er zum Anführer der Nittcr-schaar, und den Oberbefehl vertrauctc er Philipp Genard an, einem Vrudcr des erschossenen Regenten Chenichy. Sobald Ibelin hörte, der Marschall habe mit dem größten Theil seines Heeres Keryneia verlassen, zog er heran, die Festung zu belagern. Vorher aber hatte er sich beeilt, diesmal sein Möglichstes zu thun, um seine Gegner auf (5ypcrn zu zerschmettern. Er hatte ja den König zur Seite, unter dessen Namen tonnte er 361 herrschen mit königlicher Macht und Gewalt. Denn trotz seiner Großjährigkeit nach Landrccht blieb Heinrich unfähig, das Reich zu verwalten. Gleich nach der Schlacht bei Agridi war der Lchnshof zusammengetreten und fällte das Urtheil über die cyprischcn Ritter und Leute, die zur kaiserlichen Partei gehörten. Sie wurden für meineidige Verräther erklärt, von der Insel verbannt, ihre Lehen eingezogen. Dies Urtheil traf außer den drei noch lebenden Regenten sechs vornehme Herren und noch Andere mehr, also einen großen Theil des Adels. Man brauchte ihre Güter, um die Abenteurer damit auszustatten, die ihren Degen an Ibelin und sein Glück verkauft hatten. Um Keryneia aber wogte nun ein langer heißer stampf. Hart wurde die Festung berannt, unaufhörlich gestürmt. Aber sie hielt sich. Tie Deutschen und Italiener, welche darin lagen, dachten nicht anders, als daß sie als tapfere Männer ihrem Kaiser die edle Insclpcrle festhalten wollten, bis er wieder komme mit Macht und Gewalt, oder Hilfe fchicke, um ganz Cypern wieder zu erobern. Sie fuhren öfter hinüber nach Tyrus, dem vornehmsten Waffenplatz der Kaiserlichen, wo des Marschalls Vrudcr, Lothar Felingher, befehligte, und holten sich Proviant und was sie sonst bedurften. Da erschienen dreizehn genuesische Galeeren auf der Nhede von Limasol, die Ibelin förmlich in seines Königs Dienst nahm, um die See zwischen Cypcrn-unddem Fcstlande zu bewachen. Trctz allcdem blieb die Gegenpartei auf der Insel nicht müssig, besonders in der Hauptstadt Nikosia, wo man die Ibelins mit ihrem syrischen Gefolge nicht mochte. T.en Befehl über die Scharffchützcn und die übrigen Fußvölker, die vor St. Hilarion lagen, führte Martin Roussel, dem auch die Aufsicht über die Vclagerungsarbcitcn oblag; denn Ibclin setzte das größte Vertrauen auf ihn. Nrussel aber glaubte an den endlichen Sicg dcs Kaisers und setzte sick mit dcn Offizieren in Kerrmeia 362 in Verbindung, verrieth die Pläne der Belagerer, und schaffte Jenen Waffen herbei, die er in Nikosia fertigen ließ. Die Ibclins hatten zwei große Vclagcrungsthürme von Holz erbauet und mit Rittern besetzt. Nousscl gab den Kaiserlichen einen Wink, sie machten einen Ausfall, erstürmten und zerstörten die beiden Vclagcrungöthürmc und schlugen ihre Besatzung nieder. Der Oberst der Scharfschützen, auch ein Lehnsmann des Königs Heinrich, war mit Noussel im Einverständnis;. Sie wollten es so einrichten, daß zu gelegener Zeit die Kaiserlichen mit ganzer Kraft hervorbrächen, dann gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen, mit dem Fußvolk über Ibclins Reisigen hcrfallcu und seiu ganzes Heer erschlagen und vernichten. Zufalliger Weise trafen die Letzteren einen Mann aus der Festung auf dem Felde und schöpften Verdacht. Auf der Faltet' MM tt den ganzen Anschlag. Nun wurde der Oberst der Scharfschützen in der Stille festgenommen, und alv man erfuhr, Roussel sei in der Hauptstadt, so warf sich Philipp von Navarra auf's Pferd und ritt mit einigen zuverlässigen Leuten cilcndo nach Nikosia und begab sich auf die Suche. (5>> glückte ihm, seinen Manu zu fassen, wie er gerade Waffen für die Kaiserlichen einkaufte. Die Schuldigen wurden vor den hohen Gerichtshof gestellt und geurthcilt, mau solle sie an den Schweif eines Pferdes binden, das sie schleife, bis sie todt seien und dann ihren Leichnam an den Galgen hängen. So geschah es. Nousscls Körper aber wurde noch auf eine Wurfmaschine gelegt und in die Festung geschleudert. In ihren Mauern lag die junge Königin Alice, welche der Kaiser vor drei Jahren bei seiner Abreise seinem Mündel Heinrich anvcrmählt hatte, auf dem Sterbelager. Während ihr Gemahl Ibelin folgen mußte, hatte sie sich zu den Kaiserlichen gehalten und hieß bei der Gegenpartei nur die Lom-barden-Königin. Denn die kaiserlichen Truppen wurden von 3L3 den Ibelino, man weiß nicht weßhalb, Lombarden genannt. Als nun die Fürstin starb, wurde die Leiche mit königlichen Gewändern geschmückt und ein Bote zu ihrem Gemahl gesendet, das; er sie, wie es einer Königin gezieme, beerdigen lasse. Ta wurde Vertrag geschlossen, daß alle Nassen ruhen sollten, bis zu dem Zeitpunkt, wo die Leiche in des Königs Herberge angekommen. Ehrerbietig empfingen sie die Ritter, und trugen abwechselnd den Sarg die vier Stunden Weges bis nach Nikosia, wo man ihn unter großen Feierlichkeiten im Tome beisetzte. Marschall Felingber aber war vom Könige Haithun auf das Ehrenvollste empfangen und blieb längere Zeit bei ihm, um ein neues Unternehmen gegen die Feinde seines kaiserlichen Herrn vorzubereiten. Allein es brachen Seuchen in seinem Heere aus, Viele starben und die Andern erkrankten. Fcling-her sah kein Heil mehr, als den Nest hinüber naä? Tyrus zu führen. Er selbst aber reisete mit den beiden früheren Regenten Valas und Vethsan nach Italien zum Kaiser. Dieser hatte, sobald er im Sommer von Fclinghcr's Unglück hörte, rüsten lassen, um ein neues Heer in'c- Morgenland zu schicken. Als aber Felingher und seine Begleiter bei ihm anlangten, — dies mochte etwa im Herbst 1232 geschehen — und auseinandersetzten, wie die Dinge in Cypern und Syrien eigentlich standen und wie start dorten die kaiserliche Partei noch sei, da hielt er es für räthlich, wieder die Bahn fricdsamer Erörterung der Dinge zu betreten, auf welcher er im Morgenlande früher fovicl erreicht hatte. Friedrich wollte, während kein Theil die Waffen aus den Händen legte, Ibelins Partei dnrch Unterhandlungen stürzen, und betrieb sie jetzt Jahre lang mit unablässigem Eifer. Das bezeugte schon die Wahl der Bevollmächtigten, die er einen nach dem andern schickte. Auf die Treue der Beiden, welche neben Ibelin die Häupter der Ritterschaft waren, nämlich Aalian von Sidon und Odo von Montbeliard, durfte er rechnen. Einer seiner 304 ergebensten syrischen Anhänger ciber, der Bischof von Sidon, befand sich an feinem Hofe. Tiefen sandte er nach Akkon mit Vollmacht und Briefen, in denen er, da der hochfahrende Marfchall Felingher fich gar zu verhaßt gemacht, Philipp von Maugastcl zu feinem Statthalter ernannte und alle Wclt um Ehristi Cache willen zu Frieden und Einigkeit, die Bürgerschaft von Akton aber zur Auflösung der Et. Andrcasbrudcr-schaft ermähnte, indem er selbst Vergessenheit alles Gcfchehenen gelobte. Ter Herr von Maugastcl aber, aus einer der ältesten Familien des Landes, war dem Kaiser so ergeben, daß er gewöhnlich in Tyrus sich aufhielt. Tic Gegenpartei schmähte ihn darob und redete ihm nach, er sei ein citcler Narr. der sich schminke wie ein Weib. Ter Bischof von Eidon, ein Mann ebenso klug als verbindlich in seinem Benehmen, wußte wirklich bald die Ritterschaft günstig zu stimmen. Sie versammelte sich zu einem großen Lehnshof, im Beisein des Patriarchen Gcrold von Jerusalem, in der Alkoncr Kathedrale, und alle Herren und Knechte waren bereit, dem Kaiser als Vormund seines Sohnes Konrad und als Regenten an dessen Statt auf's Neue den Treueid zu schwören und Maugastcl als feinen Statthalter anzuerkennen. Geschah dies, so war das Benehmen der Ibclins und ihrer Anhänger sowie der St. Andicasbrudcvschaft verurthcilt. Um keinen Preis wollte Ibelin es dahin tommen lassen, lieber den Lehnshof sprengen. Er hatte sich die Sache bedacht und wohl gehütet, selbst in Akkon zu erscheinen, dagegen aus dem Lager von Keryncia seinen jungen Neffen Johann von Eäsarea gesandt, der ihn vertreten sollte und wohl belehrt war, wie er sich verhalten und was er äußersten Falls thun solle. Dieser erhob, gerade als man zur Eidesleistung auf das Evangelium fchrcitcn wollte, in der Vcrfammlung ein großes Geschrei und beschuldigte den Kaiser und die Herren, sie wollten des Landes Recht und Verfassung verderben, die zu halten 365 sic doch geschworen hätten. Tarüber kam es zum Wortwechsel, denn man war geärgert über des jungen Mannen Worte und Benehmen. Im ärgsten Streiten gab Johann das verabredete Zeichen. Tie Bürgerglocke erschallte. Tie Manner der Andreasgenossenschaft standen schon auf der Lauer und in Waffen, die Genuescn schlugen sich zu ihnen, und auf einmal drang eine tobende Volksmasse in die Kirche mit dem Geschrei: „Schlagt sie todt, schlagt sie todt!" Tie Herren mußten flüchten, denn sie waren ihres Lebens nicht sicher. Ter Bischof von Sidcn tonnte sich nur retten, indem er sich in der Sakristei verrammelte. Hätte der junge Cäsarca die Vottswutb nicht zurückgehalten, s° hätte man den Bischof sammt den hochangesehenen Herren von Sidcn und Montbcliaro ermordet. Tic Gefahr für Ibclin war abgewendet, ohne das; man ihn bezüchtigen tonnte, er habe bei dem Aufruhr seine Hände im Spiele gehabt. Jetzt ließ er sich wieder in Mon sehen, und zeigte sich nicht abgeneigt, mit dem Aischof von Sidon, welchen Johann von Cäsarea mit anscheinender Groß-muth aus seinem bedrohten Zufluchtsorte gerettet hatte, zu einer Unterredung zusammen zu treten. Der Bischof behandelte ihn auf das Geschmeidigste und überreichte einen Brief des Kaisers. Friedrich wandte sich darin an Ibclins eigenes Gefühl für Recht und Ehre und für die heilige Sache der Christenheit. Er schrieb ihm offen und herzlich: sie wollten die alten Zw ist ig keilen fahren lassen, alles werde nach Ibelins Wünschen geordnet werden, nur müsse er in Tyrus erscheinen, und des kaiserlichen Ansehens und der Form wegen an den Tag legen, das; er des Kaisers Oberherrschaft anerkenne. Ta erzählte Ibelin dem eifrig zuredenden Vischof die Fabel von dcm leichtgläubigen Hirsch, welchen der Löwe erst gestreichelt, dann gekratzt, dann ihn wieder gerufen und wieder gekratzt und zuletzt verschlungen habe. „Nein," schloß cr, „zweimal bin ich des Löwen Krallen entgangen, zu Limasol und hernach :>ö<; zu Nitosia, zum drittenmal will ich mich seinen Griffen nicht aussetzen." Statt sich mit dem Baiser zu versöhnen, that Ibelin Alles und Jedes, um Alton zu einem großen festen Wasfenplatze seiner Partei zu machen, und zu diesem Zwecke schcucte er sich auch nicht, sich selbst zum Bürgermeister von Atton wählen zu lassen. Erst als er die Dinge nach seinem Sinne in's Werk gerichtet und seinen Neffen Johann von Cäsarca zu seinem Stellvertreter in Alton bestellt hatte, lehrte er nach Cyftern zurück. Hier war unterdessen Anselm von Brie gefallen. Bei einem Angriff auf .tteryncia hatte er im Eifer selbst in die Rüder des neugebauten Bclagcrungsthurms eingegriffen, um ihrl zur Mauer zu rollen, da traf ihn ein tödlicher Pfeil. Ibclin bcfchloß jcßt, Kcryneia zu nehmen, koste es was es wolle, damit er Cypern ganz besitze, ehe drüben auf dem Festland wieder eine Wendung der Dinge eintrete. Denn so lange Kcryneia'Z Festung ihm trotzte, so lange ihr Hafen seinen Gegnern offen blieb, so lange schwebte er in Furcht, die kaiserliche Partei könne in Syrien und selbst auf der Insel wieder das Haupt erheben. Aus allen Kräften wnrdc zu einem großen allgemeinen Sturm gerüstet. Ibelin selbst befehligte den Angriff auf die Stadt, während Valian zu gleicher Zeit die Burg berannte. Mörderisch war der Kampf, immer anf's Neue wurde angegriffen, doch jeder Angriff abgeschlagen. Vor Ermattung mußte man endlich aufhören. Ibelins Söhne lagen darnieder vor Wunden oder übermäßiger Anstrengung. Da brach der Alte in Wehklagen aus, aber fclbst sein Jammer nahm juristische Färbung an. „O warum habe ich mich nicht nach der Asiise von Valdcis gerichtet!" rief er aus. In Balbcis nämlich hatte König Amalrich, als dort auf dem Zuge nach Aegypten Lehnshof gehalten wurde, den Artikel verkündigt: kein Vasall brauche zu einer Belagerung zu stoßen, wenn die Feste 36? weiter als eines Tages Ncise von seinem Lchnsgute liege, es sei denn, daß es des Lehnsherrn eigene Person zu schirmen gelte. Um den heldcnmüthigen Widerstand der Besatzung zu brechen, blieb nichts übrig, als sie auszuhungern. Kcryneia mußte zur See wie zu Lande fest umschlossen, ihm jede Verbindung abgeschnitten werden. Zu diesem Zwecke schloß Ibclin mit all den Seinigcn — mit dem Könige waren ihrer gerade Fünfzig — am I. Dezember )ä33 zu Nikosia ein Bündniß zu Schutz und Trutz mit Gcnua auf fünf Jahre. Tie Cyprier verbürgten sick darin, jeden Gcnucsen und alle Rechte Freiheiten und Güter der Gcnucsen in beiden Königreichen gegen Jedermann, insbesondere gegen jeden Statthalter zu schirmen und zu vertheidigen, und umgekehrt machten sich die Gennescn anheischig, der Barone Person Habe und Nechte zu Wasser und zu Lande in Zypern und Syrien zu beschützen, und zwar durch die Kriegsmacht, die sie zur Zeit in Zypern stehen hatten. Auch sollte jeder Genuese, der sich im Morgcnlande aufhielt, auf Verlangen der Ritter dieses Vündniß ebenfalls beschwören. Jetzt gerieth Keryneia in große Noth. Die Lcbcnsmittel mangelten. Da die genuesischen Kreuzer das Meer bcstrichcn, war auf keine Zufuhr vom Festlande mehr zu rechnen. Allein trotz aller Entbehrung, trotz aller Kämpfe und Mühen hielten die Tapfern aus. Monat auf Monat schlich langsam dahin, die enge Einschließung ließ nicht nach, auf Entsatz war jede Hoffnung verschwunden. Als Ostern 1^31 vorbei und die Belagerung fast zwei Jahre lang gedauert hatte, tonnten sie dem Hunger nicht mehr widerstehen und ergaben sich auf ehrenvolle Bedingungen, die Philipp von Navarra vermittelte. Die vielen Gefangenen auf beiden Seiten wurden frei, die Besatzung behielt Wasfen und Habe, und wurde frei nach Akkon übergeschifst, von dort nach Lasal Imbcrt gebracht und an die Kaiserlichen von Tyrus übergeben. fetzte Anstrengungen des Kaisers. Friedrich gab sein Spiel noch nicht verloren. Der Papst war jetzt ganz eines Sinnes mit ihm, und setzte, statt des feindseligen Patriarchen Gcrold, den (nzbischof von Antiochien ein in Amt und Würde eines apostolischen Legaten im heiligen Lande. Dieser arbeitete getreulich zusammen mit dem Hochmeister Hermann von Salza, um die Ritterschaft in Syrien zu bestimmen, öffentlich und gemeinsam aufzutreten und — im Gegensatz zu der Ibclins-Partei auf Cypcrn — ihre Treue gegen den Baiser zu bekennen. Die Herren schwankten. Sie waren zum großen Theil mit den Ibelins in Verwandtschaft, billigten auch von Herzen deren Auftreten für die Unvcrletzlichkeit des Assisemechts. Allein sie wußten auch wohl, was das Land dem Kaiser, und insbesondere dessen persönlichem Ansehen bei den muhamedani-schen Fürsten verdankte. Im selben Jahr, als Kcryncia sich ergab, erschien dcr Erzbischof von Ravcnna M apostolischer Legat und zugleich als kaiserlicher Bevollmächtigter zu Akkon. Er überbrachte die Gebote von Papst und Baiser an Ritter und Bürger, es müsse unverzüglich ein friedlicher Zustand der Dinge hergestellt, Alles müsse sich dem Könige .Konrad und seinem kaiserlichen Vater unterwerfen und den Befehlen des Marschalls Fclingher gehorchen. Allen Gehorsamen versprach der Kaiser liebreichste Behandlung. Ar. Ibelin, den allzeit trcucn Betenner kirchlicher 369 Gesinnungen, hattc der Papst ganz besonders geschrieben. Gregor verlangte, das; er von seinem Aufruhr ablasse und seinem kaiserliche» Herrn Genugthuung leiste. Wenigstens solle er ihm sofort Voten schicken, das; er des Papstes Vermittelung annehme und sich dessen Aussprüchen, die ja nicht Zli hart lauten würden, fügen wolle. Wo nicht, müsse auch gegen ihn nach der Strenge des Rechts verfahren werden. Ibelin kam in's Gedränge. Aber sein juristisches Gewissen fand sich mit dem kirchlichen ab, und er erklärte: vor allen Dingen müsse erst die große kaiserliche Besatzung zu Tyrus aus dem Lande,' denn sie sei eine beständige Drohung für die Geltung von Necht nnd Verfassung. Allen Ernstes betrieb er einen Kriegszug gegen Tyrus. Der Papst sandte ihm ein entschiedenes Abmahnungsschreiben. Der Erzbischof belegte Akkon mit dem Interdikt. Die Ritterschaft aber sandte Zwei aus ihrer Mitte nach Italien. Sie sehnte sich nach Frieden und Vertrag. Dieser kam unter dem gewichtigen Veirath des Großmeisters Hermann von Salza zu Stande am Hofe des Papstes, der das Akkoner Interdikt aufhob. Alles sollte wieder ans den Stand der Dinge gesetzt werden, wie er war, ehe die Feindseligkeiten gegen den Marschall Felingher ansbrachen; dieser sollte nach dem Morgenland zurückkehren und Gehorsam finden,- jedoch wegen der tödlichen Feindschaft, die gegen den Marschall herrsche, werde ihn der Kaiser später durch einen andern ersehen: alle Verschwörung gegen den Kaiser sollte abgethan, die Andreasbruderschaft aufgelöst, Stadtrath und Bürgermeister zu Atkon abgesetzt, die BürgerHlocke herausgegeben werden. Der Papst erklärte sogar, weil er wußte, wie werthvoll gerade dies dem Kaiser sei, schriftlich: er werde ihm auch den König von Cnpern zu Gebote stellen. Die Härte der Bedingungen gab der Partei der Ibelins die Macht zum Widerstände. Als die Gesandten nach Atkon 370 zurückkamen und die Pergamente über die ^lrtitel des Friedens übergaben, geriet!) dir Stadt in Aufregung. Man überhäufte die beiden Abgesandten mit Schmähungen, warf sie ak- Ver-räther ins Gefängniß und wollte ihnen an's Leben. Zyperns König und Ritterschaft wurden aufgerufen, öffentlich dem Bunde wider den Kaiser beizutreten. In der That lies; selbst König Heinrich sich jeyt in die Andreasbrudcrschaft aufnehmen. Dies war, wie es scheint, Ibelins letztes Wert. Äei einem Sturze mit dem Pferde wurde er tödlich verwundet. Wie er am Tage von Agridi gelobt hatte, lies; er sich in Mönche tutte in das Kloster der Tempelherren tragen, und starb dort unter schweren Leiden, während er mitten in Schmerzen dic Strenge der Ordensrcgel beobachtete. Wohl selten hat sich so, wie in diesem Manne, das grösite juristische Talent mit dem eines Staatsmannes und Feldherrn vereinigt. Die Chro-nisten, welche dir Geschichte ihrer Helden ausschmücken, legen Ibelin eine Menge von Kernsprüchen in den Mund: einige davon wurden auch hier mitgetheilt, weil sich Geist und Färbung der <^ll«v.l! m^r darin abspiegelt. Ibeliu war in hohem Grade rechthaberisch, und wo es sein Interesse galt, räntevoll uud gewaltthätig. Friedrich durchschauete wohl des Maunes Gefährlichkeit. Hätte er früher, wozu die rüästän-digcn Einkünfte Cyperns Grund genug an die Hand gaben, sich Ibelins bemächtigt, so möchten Aalas und seine Mitregenten ihm Cypcrn wohl behauptet haben. Der ,Naiser aber hatte geglaubt, das offene und ehrenvolle Vertrauen, das er ihm bewies, und das Interesse für die heilige Sache der Lhristeu-heit, beides werde Ibelin ncne Empörung unmöglich machen. Unterdessen hatte sich im Westlande die Lage der Dinge wieder ganz verschoben. Des Papstes Grimm gegen den soviel jüngeren und doch so aalglatt gewandten Kaiser, diefer nn^ selige römische Hochmuth, welcher Friedrichs Unternehmen im Morgenlandc schon so unendlicl' geschadet hatte, lehrte jcht, 371 wo es sich wiederum zn gutem Ausgang zll neigen schien, in alter Hcftigleit zurück. Friedrich sah sich auf's Neue von duuteln Sorgen und Gefahren in Deutschland und Italic» NINdräNgt. An Ibelins Stcllc war scin ältester Sohn Valia» getreten. (3r theilte mit seinen Brüdern und Vettern sich in die großen Aemter. Sie schickten einen Vermittler ans einem genuesischen Schiff nach Genua, uon wo er sich mit den Briefen König Heinrichs und reichen Geschenken für Papst und Kardinäle zu ihnen nach Viterbo begab. Der Abgesandte war Gottfried leTort, der von Ibelin in (5ypern großes Lehnsgut erworben hatte nnd auch als Jurist sich einen Namen machte. Dieser höchst geschickte Unterhändler wnsite das Für nnd das Wider, die Gründe, welche seine Auftraggeber leiteten, und die Unmöglichkeit, das; sie anders tonnten, trefflich in's Licht zn sehen. Das (§ndc war, daß er, über Genua zurückreisend, »lit Briefen des Papstes nach Atton zurückkehrte, worin Dieser sich »lit den Ansichten der Ibclinspartci, sowie damit einverstanden ertlarte, daß die Ritterschaft in Cypcrn und Syrien slch sest unter einander und von Neuem mit den Genuesen gegen Friedrich verbünde. Dies geschah. Allein man merkte doch bald, daß der alte Ibclin die Seele des Widerstands gegen den Kaiser gewesen. Zwar tonnte Friedrich tein neues .veer senden, er mußte eittstweilen die Dinge gehen lasse», behielt aber das Morgenland stets im Auge. Seine Beamten dort behaupteten ihre Stellen. Das neu befestigte Askalon wurde von den fremden Kreuzfahrern, ausdrücklich zu Händen dco Kaisers, seinem Statthalter in Jerusalem übergeben, der dort unwidersprochen sein Amt versah. Allmählig legte sich auch in Alton die kriegerische Answalluilg, der lebendige Zusammenhalt zwischen Adel und Bürgerschaft löste sich ans, »nd die Andrea^bruderschast geriet!) in Schwäche. 372 So blieben die Dinge noch Jahr»: lang in der Schwebe. Papst Gregor hatte schon einmal — es war im Jahre 1^36 — Friedensartikel zwischen dein Kaiser und der Stadt Akkon zu Stande gebracht. Die kaiserliche Partei, die in Aklon unter den vornehmeren Bürgern beständig start gewesen, erhob nach langer Unterdrückung wieder das Haupt. Sie verständigte sich insgeheim mit Marschall Felingher, der mit seinen Brüdern und den taiserlichen Truppen fortwährend in Tyru^ stand, und eines Tages wurde cr im Jahre 12var die Ritterschaft hüden und drüben vielfach uerschwistert. (5nperu wurde jcht vollends dav Hauptland. Wer seine Krone trug, schlang sich auch den schmalen töniglichen Neif vom (^irabe Christi um die Stirne. Das Haus Ibelin nahm jeht vollende eine fürstliche Stellung ein. (is gebot über Cyvern wie über sein eigen Reich, und wußte seines Stolzes und unruhigen Ehrgeizes tein Maß. Denn König Heinrich blieb sein Lebenlang, so viele Jahre er auch regierte, eiu Schwächling, den man nur den fetten Köniq . März 1547: Baiser Friedrich sei von allen auf dem Lyoner Concil Versainmeltcn feierlich seiner deiche cniseht und dainit jeder Eid und sonstige Titel, durch welchen man ihm verbunden, hinfällig geworden. Den König Heinrich aber »volle der Papst noch ganz besonders von jedem Eide, durch welchen er Friedrich verpflichtet gewesen, frei-spreche» und ihn mit seinem Neiche unter des apostolischen Stuhles Schirm und Schul', nehmen, und ihm allein solle er sortan untcrthan sein, — „besondere," so seht der Papst mit leisem Hohn hiuzn, „da Deine Vorgänger am Aeich — Du sagst es ja — keiner weltlichen Macht unterworfen gewesen." So endigte Kaiser Friedrich II. Kampf um Cypcrn, über welchen ich die Nachrichten stückweise au^ Berichten nnd Andenlungen seiner Zeitgenossen zusammen suchen mnßte. Die Haupt-anelle, des ritterlichen, geschmeidigen, versgcwaudten Philipp von Havana 51icimwrrt (^L<,e8 ^^^i'iulc!8 ist verloren gegangen, steht aber sicher noch bestaubt und vergessen irgendwo in einer alten Bibliothek. Möchte doch das Buch sich wieder finden, natürlich blosi, um un5 daran zu ergöhen und zu wissen, wie die Dinge damals eigentlich lagen und sich ent-wickelten, und nicht etwa, um mit gewisser Nuhanwendung für die Gegenwart daraus zu lernen, welche Pläne unser großer Kaiser einst im Morgenlande hegte zu Deutschlands Ehre und Vortheil wie zn der Christenheit Heile, und unter welchen nationalen nnd örtlichen Echwierigleiten die Machtmittel, welche er dafür in Bewegung setzte, zuletzt versagten. Dergleichen Anschauung liegt den jetzigen Deutschen fern. Kümmern wir uns doch auch um unsere zahlreichen Landsleute in Ungarn nnd Siebenbürgen, in den russischen Ostsecprovinzen 876 in Nord- lind Südamerika, am ^iap und in Neuholland im Grunde so wenig, als hätten sie gar keinen deutschen Beruf mehr. Lngländer und Nüssen, Franzosen und Italiener wissen vielleicht lange nicht so viel wie wir von der Welt und ihren Gesetzen und ihrer Geschichte: das Eine aber wissen sie genau, wie weit nämlich ihre eigenen Interessen gehen und was diesen hilft oder schadet. Alle Völker richten jetzt ihre Alicke nach dem Orient und betrachten, was dort sich begibt, mit Unruhe vom Gesichtspunkte ihres eigenen Vortheils. Die Deutschen schauen mit derselben Gemüthsruhe zu, wie sie etwa das häusliche Ll'ben aus einen: Firstern betrachten würden, wenn unselc Fernrohre soweit trügen. ^