Hie belnik'lck'rl und hetirrililläen j^chei«8«ße» llHem ^eii. Prrdigt von Jugust Hnirs^irer, ^aiöach. Im Selbstverläge des Verfassers. — Druck von Klein L Kovae. 1884. Diese Predigt wurde im evangelischen Bethause in Fiume am 3. Februar 1884 gehalten und aus Verlangen in Druck gegeben. Darmherziger Vater im Himmel! Du wohnest in einem Lichte, d r Niemand zu kommen kann! Aber dein Licht ist zu uns gekommen; deine Herrlichkeit ist aufgegangen über uns durch die Sendung deines heiligen Sohnes. Hilf uns denn, daß wir wandeln als deine Kinder im Lichte deiner himmlischen Wahrheit! Amen. Meine andächtigen Freunde! Wir stehen gegenwärtig in der Epiphanienzeit. Epiphanien heißt Erscheinung, Offenbarung. Diese Epiphanienzeit will uns das erste Hineinscheinen des himmlischen Lichtes in die Finsternis der heidnischen wie jüdischen Welt, das erste Aus¬ strahlen der Herrlichkeit des Erlösers in die Herzen der Menschheit veranschaulichen. — Obwohl wir, meine Lieben, allen Grund haben, dem lieben Gott zu danken, dass er das Licht seiner Wahrheit auch unfern heidnischen Voreltern hat scheinen lassen, dass auch ihnen, und nicht allein dem „auserwählten Volke", das Evangelium ist gepredigt worden; denn dadurch ist das Licht auch zu uns gekommen, die alte Nacht des Wahnes, die Todesschatten des Aberglaubens sind auch von uns weggescheucht; obwohl unsere Väter schon vor vielen Jahrhun¬ derten vom Götzendienste sind bekehrt worden, jener geistigen Finsternis, in welche der Mensch sinkt, wenn er seine unsterbliche Seele lässt be¬ herrscht werden von dem sinnlichen Triebe der Natur; wenn sein Gei¬ stesauge, durch diese Triebe verfinstert, die Offenbarungen des einigen Gottes nicht erkennt, und der Mensch sich nun seine Götzen bildet, wie der sinnliche Trieb ihn leitet: so sind doch die Prophetenworte: „Werdet ein Licht in dem Herrn!" nicht so leicht und rasch erfüllt worden an der Menschheit. Die heidnische Welt ist nicht so bald bezwungen worden von dem Licht des Herrn und der Macht des neuen Geistes, das „auserwählte Volk" nicht so bald niedergesunken vor der Krippe des Erlösers; der lebendige Glaube, die thatkräftige Erkenntnis des einigen, wahrhaftigen Gottes und seines Gesandten Jesu Christi vermochte nicht so leicht das ganze Leben zu durchdringen und vermag es nicht bis auf den heutigen Tag. Das Wort des Herrn Jesu hat sich vielmehr erfüllt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert." Und es be¬ stätigte sich das andere Wort: „Ich bin gekommen, anzuzünden 1" 4 ein Feuer und ich wollte, es brennte schon." — Und nicht allein während seines irdischen Lebens ist der Herr selbst eingetreten in diesen Kampf; nicht nur in der Apostel-Zeiten erfüllte sich das Wort: „Den Juden ein Aergernis, denHeiden eine Thor- heit;" nicht nur in den Jahrhunderten blutiger Verfolgungen be¬ kämpften sich auf Leben und Tod die alte und die neue Welt: nein, innerhalb der christlichen Kirche selbst, da am Himmel des geistigen Lebens die Sonne der ewigen Wahrheit längst aufgegangen, und die Herrlichkeit des Herrn längst offenbar geworden in dem reinen Strahle der Gotteswahrheit, in der heiligen Wärme der Gottesliebe durch Jesum Christum, — innerhalb der christlichen Kirche selbst dauert dieser Kampf fort — der Kampf der Abwälzung einer Ungeheuern Last von den Gewissen der Menschheit. Es ist dies ein Kampf der Freiheit, in dem, was das Eigenste und Freieste ist in der Menschenbrust, in der Religion, gegen die Uebermacht der Materie und ihre Verherrlichung, gegen den Götzendienst der Sinne einerseits und gegen die Knechtschaft unter einen bevor¬ zugten Stand und seine Gebote andererseits; es ist ein Kampf der Gesinnung, der lebendigen, innerlichen, des Gesin¬ nungsglaubens, gegen alle Aeußerlichkeit der Cereinonien und todten Werke, es ist ein Kampf der echten, vollen, menschlichen Sitt¬ lichkeit gegen eine angemaßte, übermenschliche Heiligkeit, und es ist ein Kampf der Natur, in ihren klaren göttlichen Ordnungen gegen die Unnatur in allen Formen. Und dieser Kampf hat nicht allein Leben und Glück und Vermögen Unzähliger dahingerafft, er hat über das ganze christliche Volk eine Verwilderung der Sitten und eine Er¬ starrung des geistigen wie kirchlichen Lebens gebracht, eine todte geistlose Rechtgläubigkeit, die Menschheit der Religion entfremdet und in das Irdische und seine Genüsse tief versenkt. So lasset uns denn, — nach Anleitung unseres verlesenen Bibel¬ wortes — , die drohenden Erscheinungen der Gegenwart betrachtend, fragen: 1. Was die Ursache dieser Erscheinungen sei? und 2. Was geschehen müsse, damit die gegenwärtige Menschheit für dieReligion wiedergewonnen werde? Das Wort unseres Textes: „Der Himmel ist roth und trübe, es wird heute Uugewitter sein," lässt sich auf die unheimlichen Erscheinungen der gegenwärtigen Zeit ganz genau an¬ wenden. Die schärfer Blickenden sahen schon lange diese drohenden 5 Zeichen am Himmel der Gegenwart aufflammen; „denn sie erkannten den Liefern Grund dieser Erscheinungen, dieser Krisen, welche nicht allein Geld- und Handelskrisen, sondern zugleich Herzens- und Sitten¬ krisen, durch welche nicht allein Häuser und Namen, durch welche Men¬ schen und Geschlechter gefallen, durch welche nicht allein Vermögens¬ zerrüttungen, durch welche Verbrechen enthüllt wurden —so kaltblütig, so gemein, so gewissenlos, daß wir sie kaum noch zu verstehen ver¬ mochten." Sie erkannten den liefern und letzten Grund dieser unheim¬ lichen Erscheinungen in der Verherrlichung des Sichtbaren und Ir¬ dischen, in der Vergötterung der Sinneuwelt. — Alles wendet sich heutzutage der Natur zu. Ihre Kräfte unter- than machen den Zwecken der Menschheit, sie zu erkennen, ihre Ge¬ heimnisse zu erforschen, ihr die verborgenen Schätze zu entlocken, sie anszubeuten und zuzubereiten durch kunstfertige Hand oder der Ma¬ schinen Kraft — das ist das Streben der Gegenwart. Die Erzeugnisse selbst werden vervielfältigt, der Verkehr erweitert, die Räume werden mit Windeseile durchschritten, die Zeit ausgekauft, die Thätigkeit ge¬ steigert mit maßloser Hast und Anstrengung. Ja, unendlich ist dies Drängen und Arbeiten, dies Rennen und Jagen, dies Wetten und Wagen — um zu besitzen und zu genießen. In der That es ist gro߬ artig! Und man könnte sich über dieses rastlos arbeitende Streben nur freuen, wenn dahinter nicht eine Gefahr verborgen wäre, eine große Seelengefahr, die Gefahr der Auflösung aller sittlichen Bande. Denn, wie jeder große Fortschritt zur Seite hat eine große Gefahr und Verirrung, so hat jedes große und allgemein-sittliche Uebel zu seiner Voraussetzung eine höhere Nothwendigkeit, zu seiner Folge einen Fort¬ schritt. Und diese Gefahr ist um so größer, da alle Werthschätzung des geistigen Lebens, die reinen und reinigenden Genüsse der Kunst und Wissenschaft, uns immer fremder geworden, da überall nichts als Er¬ mattung und Enttäuschung, Mittelmäßigkeit und Lauheit zu schauen. Das Verlangen nach einer unsichtbaren Welt des Geistes und der Liebe, wo andere Faktoren als die der rohen Uebermacht der mate¬ riellen Interessen und des Geldmarktes mit seinem kaltberechnenden Eigennutz iu Rechnung kommen und wo die ewigen Interessen des Gemüths ihren rechtmäßigen Gewinn und volles Genüge finden, ist längst in den Hintergrund getreten und beinahe verschwunden. An die Stelle des Dichtens und Denkens ist das Trachten getreten, das innere Leben ist vom äußern ganz überwuchert, praktisch ist das Stichwort, Gewinnen und Genießen das Ziel. O, meine Lieben! Ihr fragt mich wohl, sind denn die Erschei¬ nungen des gegenwärtigen Weltlebens wirklich so betrübend und be- 6 drohlich, und die materiellen Interessen wirklich so allgewaltig und so allverbreitet in der Gegenwart? Erblicken wir doch um uns her in den nächsten Kreisen so wenig von ihrer verderblichen Macht, so viele gutmeinende, wohlwollende, liebenswürdige Menschen, so dass wir meinen möchten, zu grell seien diese Farben aufgetragen und zu scharf das verurtheilende Wort. Und dennoch habe ich nicht zu viel gesagt. Saget es selbst, wo finden wir sie noch — die Begeisterung für eine nach höherem Maße als dem der Gesellschaft, nach dem unwandel¬ baren göttlichen Gesetze gemessene Sittlichkeit? Wo ist die Liebe, die treu ist bis in den Tod? Wo der unversiegbare Quell der Freudigkeit, der dem Innern entsprudelt, unberührt durch feindliches Geschick? O, diese geistige Schlaffheit, die nicht mehr kämpft, nicht mehr strebt, nicht mehr hofft, nicht mehr sich freut, die keiner Erhebung mehr fähig ist, sondern das elende Leben fortschleift durch den Staub der Erde — sie ist der beginnende Geistestod. Und fragen wir nach dem rechten Wort, das die bedroh¬ lichen Erscheinungen der Gegenwart bezeichnet, das mächtige Treiben der Wirklichkeit zusammenfasst und in ein System bringt, — wir finden es unter dem Namen Materialismus. — Was heißt das? Das heißt nicht allein Leugnen Gottes und der Unsterblichkeit, nein! es heißt auch Leugnen des Geistes, des freien Willens, der sittlichen Forderungen alle, — Leugnen des Glaubens an die unsicht¬ bare Welt, an Liebe, an Treue, an Gewissen, an Aufopferung. Nach dem Materialismus unterscheidet sich der Mensch in seinem Ursprünge wie in seiner Bestimmung in nichts von dem vernunftlosen Thier. Von einer sittlichen Verantwortung des Menschen lässt sich auf diesem Standpunkte überhaupt nicht reden; denn wem sollte er verantwortlich sein? Etwa Gott oder dem Gewissen? — Das ist ja eitel Wahn und thörichte Einbildung. Ebensowenig lässt sich die Freiheit des Willens behaupten; denn sie ist nach materialistischen Grundsätzen — eine Selbsttäuschung; der Mensch handelt in jedem Augenblicke so, wie blinde Naturnothwendigkeit ihn zwingt. Dann ist aber auch jede Hand¬ lung, der Erweis höchsten Opfermuthes der Liebe, wie der Erweis der ordinärsten Gemeinheit vollständig gleichartig, weil der Mensch für sein Thun nicht verantwortlich sein kann. Die Unterschiede zwischen gut und böse, wahr und falsch, schön und hässlich, verlieren auf dem Standpunkt des konsequenten Materialismus ihre Bedeutung, — jedes Ideal ist Selbsttäuschung. — Und dies Leugnen alles Göttlichen und Geistigen gehört nicht allein den Kreisen des werkthätigen Lebens an, sondern ist zur Wissenschaft geworden und geberdet sich — allerdings mit ehrenwerthen Ausnahmen — als die Bildung und Wissenschaft 7 unserer Zeit. Und was bleibt übrig bei solcher Geistesleugnung? Nichts als der äußerliche Schein, als die leere Form gesellschaft¬ licher Anständigkeit. Ja, das ist das rechte Wort. Jene arm¬ selige Weltanschauung hat gar mannigfache Formen: feinere und gröbere, verhüllte und nackte, leidenschaftliche und schlaffe. Und unsere Zeit, die man die Zeit weitverbreiteter Bildung und allgemeiner Verfeinerung der Sitten nennt, hat auch den Materialismus verfeinert und mit den glatten gefälligen Formen der Bildung umgeben. Und wisset, der Engel der Finsternis, der sich in die Lichtgewänder kleidet, ist der ge¬ fährlichste. Und die Sünde, die die Schminke der Tugend anlegt, ist die hässlichste. Und der Hass mit der freundlichen Geberde ist der bos¬ hafteste. — Gesellschaftliche Anständigkeit ist der dünne Schleier, der ausgebreitet liegt über den in Fäulnis untergehenden Körper der Ge¬ sellschaft, ist die Maske, mit der die Menschen sich verbergen vorein¬ ander und vor sich selbst. — Und worin besteht diese Anständigkeit? — Darin, dass Alles mit gleisnerischem Schein umzogen ist; dass Lüge und Wahrheit, Tugend und Laster keine festen Grenzlinien mehr haben, ineinander fließen und sich miteinander mischen; darin, dass die gemeine Gewinnsucht und Genusssucht, daß der Geschäftsverkehr und Umgang den Schein der Freundlichkeit, Redlichkeit und Höflichkeit annimmt; dass das Gute nur noch das Zweckmäßige ist, das was von dem gei¬ stesschlaffen Urtheil der sogenannten guten Gesellschaft gebilliget wird. Oder, habt ihr nie tiefer hineingeschaut in das Familienleben, in das Familienglück derer, die mit dieser gesellschaftlichen Anständigkeit nicht allein andere, -- auch sich selbst betrügen und die sich eingebildet haben, gute und glückliche Menschen zu sein? Aeußerlich wohl schön und glänzend anzusehen war des Hauses Erscheinung, aber wurm¬ stichig sein Gebälk, und seine Pfeiler wankten. Und die Ehe, die nicht durch das feste Band der Liebe gebunden, welch ein hohler Schein, welch ein greller Misston, welch eine unselige Gemeinschaft! Und die Kinder, die nicht mit der Milch der Liebe genährt und in heiligem Ernste getragen und auferzogen, wie bald giengen sie ihren eigenen Weg, den Weg kalter Selbstsucht, den des Verderbens! Und wenn auch die innere Auflösung des Hauses, das Zerfallen aller sittlichen Le¬ bensmächte und aller wahren Lebensfreude sich lange selbst den Augen der Näherstehenden entzog, verhüllt durch den Glanz und Reiz der Jugend, oder durch des äußern Glückes trügerischen Schein, — glaubet es mir, die ewige Gerechtigkeit, schien sie auch lange zu zögern, nahte doch; sie nahte plötzlich wie ein Dieb in der Nacht! Die welken Blätter fielen! Und dann, wie furchtbar ihr Nahen! In gewaltigen, rasch aufeinander folgenden und auf einen Punkt gerichteten Schlägen 8 fielen alle die längst vom Moder angefressenen Stützen des Glückes und der Ehre! Da mit einem Male lag ein Menschenleben gebrochen und entwurzelt vor uns! Da stürzte das ganze Gebäude des Glücks mit Ehre, Ansehen, Vermögen, Sittlichkeit zusammen! Sehet darin die betrübenden und bedrohlichen Erscheinungen der Gegenwart. — Oder soll ich euch vielleicht aufmerksam machen auf die unzähligen Opfer, welche die Gewinnsucht und Genusssucht der gegen¬ wärtigen Zeit gefordert, auf die immer zahlreicher werdenden Ver¬ brechen, auf die Selbstmörder, die Betrüger und Fälscher aller Art, die Spieler mit dem Einsätze des ganzen Lebens, die schon in frühester Jugend der Genusssucht und Vergnügungssucht und eitlem Treiben aller Art ganz und gar ergeben und unter die Gewalt der Lust ge¬ kommen, der Sünde Knechte geworden waren, die nie auf den Geist, sondern auf das Fleisch gesäet haben, die nie von der Liebe heiligen Flammen entzündet und gereinigt wurden, die immer nur sich selbst geliebt, auch in denen, die ihnen am nächsten standen, immer nur sich gespiegelt und angebetet haben, — kurz, die nie an etwas anderes ge¬ glaubt als an sich selbst und an die Sinnenwelt! O, meine Geliebten, die Uebermacht der Materie und ihre Ver¬ herrlichung, der Aberglaube der Sinne ist die eine Ursache dieser be¬ trübenden Erscheinungen der Gegenwart. Und die andere liegt in dem entarteten, äußerlich gewordenen Glauben, — in der sogenannten gesetzlichen Richtung in der christlichen Kirche. Wie so oft in der Kirche, so ist auch in unserer Zeit das einfache Kreuz überwuchert von den Schlingpflanzen äußerlicher Lehren und Satzungen. Diese gesetzliche Richtung in der Kirche will niederkämpfen Alles, was des Menschen Herz bewegt, was die Gegenwart denkt, die Wissenschaft zweifelt und wohin der rastlose Geist drängt. Sie will den breiten Strom des gegenwärtigen Lebens eindämmen in das alte Bett, alle Erkenntnis beugen unter den Buchstaben, allen irdischen Le¬ bensgenuss regeln nach ihrem Mass. Sie will keinen Gewissensglauben kennen, wo doch aller wahre Glaube Gewissensglaube ist, der Glaube dem Gewissen gehört, das Gewissen aber Gott. Ach, meine Lieben, wie oft werden die edelsten und begabtesten Geister, die auf den Höhen der Menschheit wandeln, herausgetrieben aus der Kirche, aus ihren engumschlossenen Mauern, in welche die freiströmende Luft der großen Offenbarung Gottes in der Natur nicht hineinzudringen vermag. Wie schwer wird es dem Christenthum, das nicht im Mittelpunkt des Her¬ zens wohnt, der Welt wieder das Herz abzugewinnen! Und wie tief¬ betrübend und niederschlagend ist der Anblick, wenn wir die draußen stehen sehen, irrend und suchend und vereinsamt und ungetröstet, die 9 doch von dem göttlichen Genius berührt wurden, und auf deren lichter Stirn ewige Gedanken thronen. O, blickt nur hin auf den Sohn des Glückes, auf den großen Dichter des deutschen Volkes. Gott hatte ihm Leib und Geist mit reichen Gaben verschwenderisch geziert. Er wurde vom Schicksal auf weichen Armen durch's Leben getragen, und das Glück blieb ihm treu und hold bis zum Abend seines mehr als acht¬ zigjährigen Lebens. Die Fürsten und Gewaltigen freuten sich seiner Freundschaft, und er sonnte sich in ihrer Gunst. Er stürmte mit ihnen von Lust zu Lust, von Freude zu Freude. Und nach der stürmischen Jugend hielt er Maß und Regel, und folgte dem Gesetze der Natur. Und wie er selbst die schönsten Werke der Dichtkunst geschaffen, so hat er sein Leben geschmückt mit den höchsten und schönsten Blüthen der edelsten Kunst und Wissenschaft. Aber innere Befriedigung, den Frieden des Herzens, hat er nicht gefunden; er blieb draußen stehen, irrend und suchend und vereinsamt und ungetröstet. Wenn wir ihn flehen und klagen hören — innig und wehmüthig: „Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest, Ach, ich bin des Treibens müde! Was soll all der Schmerz, die Lust? Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust!"; — wenn er uns sein Innerstes enthüllt in den Worten: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen"; wenn ein tiefes und ungestilltes Heimweh durch seiu ganzes Dichten und Leben zieht, und er uns am Schlüsse desselben offen be¬ kennt: „Die Muse könne das Leben wohl begleiten, nicht aber leiten, nicht die Wunden der Erde heilen, nicht die Führerin zum wahren Frieden werden"; wenn der greise Dichter im hohen Alter das wehmüthige Bekenntnis aussprach, dass er auch nicht drei Tage vollen Behagens in seinem Leben finden könnte. Ja, die Kirche trägt eine große Schuld! — das Natürliche und das Heilige, die menschliche Freiheit und die göttliche Gnade, — sie erscheinen hier als große, un¬ vereinbare Gegensätze. Es ist die Kirche, welche sich in der bereits erwähnten, weitverbreiteten Richtung in diesen schroffen Gegensatz hin¬ eingestellt hat gegen die ganze natürliche Welt, und welche sie zu heilen vorgibt, indem sie sie zerstört. Sie breitet einladend und verlangend ihre Arme aus nach der irrenden Menschheit; aber sie will die Mensch¬ heit wieder in die Kirche hineinzwingen, das Evangelium zum 10 Gesetz erheben, die Liebe in Furcht verwandeln. Und das ist ihre Ein¬ seitigkeit und Unduldsamkeit! Das ist der enge Kastengeist und die enge Kastenbildung ihrer Vertreter. Das ist vor allem der enge und äußerliche Offenbar nngsbegriff, welcher vom Ju- denthum stammt und das Judenthum im Christenthum ist. Und was hat die Kirche damit erreicht? Gerade das Gegentheil von dem, was sie gewollt. Das kirchliche Leben ist erstarrt und ertödtet, und namentlich die große Zahl der Männer hat sich von dem so ent¬ stellten und verzerrten Christenthum im Innersten hinweggewandt. Täuschen wir uns nicht, meine Lieben! Wie wir von der Ue- bermacht der Materie und ihrer Verherrlichung, wie alle Menschen und Christen von der Vergötterung der Sinnenwelt, als dem Hei- denthnm im Christenthum sich frei machen sollen; so soll sich die Kirche im Ganzen, soll jeder einzelne Verkündiger und Vertreter ihrer Lehre sich reinigen von diesem Judenthum im Christenthum; von dem Wahn, als ob Gott und seine Offenbarung dadurch herrlicher werde, dass sie nur zu einzelnen Zeiten und in einzelnen Personen hervorgetreten; von dieser falschen jüdischen Ausschließlichkeit; von dem kindischen Wahne, als ob der Gott der Wunder mächtiger sei als der der Na¬ turgesetze und der sittlichen Ordnungen. Die Kirche soll lernen von der Cultur der Gegenwart, lernen von der Unnatur zurückkehren zur Natur. Sie soll lernen die Offenbarung Gottes anschauen in der ganzen Natur und der ganzen Geschichte als eine große, zu¬ sammenhängende Einheit, als einen schonen, volltönenden Einklang! Sie soll lernen die Sprache der Gegenwart verstehen und die Gedanken der Gegenwart würdigen. Man gewähre dem Geiste Christi die Freiheit, ohne die er nicht leben kann, man beseitige alle und jede Art von Zwang und Druck in Sachen des Glaubens und des Gewissens; denn nur die Freiheit, nicht das Gesetz vermag des Menschen Herz zu be¬ zwingen, allein der Geist beherrscht die Geister! Und das ist ja das Wesen des Christenthums, dass es die Re¬ ligion des Geistes ist. Und diese Religion — sollte sie nicht ertragen können den Hellen Schein der Erkenntnis in allen Gebieten menschlicher Thätigkeit, sollte sie hemmen wollen die Entfesselung der Geister und die freieste Entwickelung aller Geisteskräfte? O, gewiss nicht! Das Reich des Geistes ist ein einiges mit allen seinen mannichfaltigen Kräften, seinen vielgetheilten Kreisen in Gesellschaft und Staat, in Recht und Sitte, in Kunst und Wissenschaft; alle Ströme des Geistes fließen ja aus der einen göttlichen Quelle, münden ja in das eine 11 Meer der göttlichen Liebe, welche allein aufschließt das verborgene Wesen der Dinge! Gott selbst ist ja der Geist, der unendliche, der Herrscher im Reiche der Geister, und er will, dass die ganze natürliche Welt geisterfüllt, geistdurchdrungen werde. Wie sollte denn die Liebe Gottes, die in Christo Jesu offenbar geworden, wie sollte dies einfache Evangelium der Liebe in Widerspruch treten mit der fortschreitenden Wissenschaft? O, meine Lieben, vom Mittelpunkte alles Lebens aus leuchtet es noch in die dunkeln Gänge der Forschung hinein, macht den Geist klar und frei von allem Menschenansehen, von allem Vor- urtheil und Meinungsherrschaft. Ja, dieser göttliche Geist, welcher allein die Macht hat über die Natur und ihre zerstörenden Kräfte alle umwaudelt in heilende und fruchtbringende, fasst die ganze Fülle seines Wesens zusammen in Einem: in der Liebe. Sie, die Liebe, ist ja — wie der Apostel Paulus im Galaterbriefe sagt. — die Frucht des Geistes. Sie ist es, die nicht verblüht mit der Zeit, sondern gesammelt wird in die Scheuern der Ewigkeit. Sie ist das Ziel unserer Entwickelung, für die alles andere nur Vorbereitung und Hülle, die allein andern Geistesleben erst seinen Werth gibt und seine Macht und sein Recht des Bestehens und Fortwirkens in der Welt, — ohne welche alle Blüthen todte Blüthen sind. Alle Blüthen des Wissens und Könnens, alles was glänzt über weite Zeiten hin, und in der Geschichte der Völker und Weltenreiche einen Namen hat, ist wahrhaft groß und dauernd und schöpferisch fortwirkend nur dann, wenn es seinen Lebeuskeim in der Liebe hat. Alles dagegen, was von außen kommt und der Welt der Sinne angehört, was aus dem leeren, charak¬ terlosen Talent geschaffen, ist nichtig und eitel, geht wieder unter in raschem Zusammensturz. O, meine Lieben! Wie still und anspruchlos und unscheinbar und im kleinen Kreise beginnend auch das Wirken der Liebe sei, es wächst weiter und weiter, und zieht immer größere Bahnen, und wurzelt sich immer tiefer ein, wie das Senfkorn des Evangeliums, wie das Christenthum, von Bethlehem ausgehend, die Welt durchwandert und die Welt überwunden hat — durch Liebe. Wir fühlen: alles andere ist nur zerrinnender Schaum, nur zerfallende Blüthe, nur glän¬ zender Schein — die Liebe allein bleibt. — Wir fühlen, es wird kalt und öde und freudlos in der Welt ohne die Liebe. Und auch unsere Freiheit und sittliche Kraft, Welt und Schicksal gegenüber, wie mögen wir sie bewahren, stehen wir nicht fest verbunden in der Ge¬ meinschaft der Brüder? Einer dem andern die Hand reichend, da wo er niedersinkt, einer den andern tröstend mit Wort und That, wenn ein schwerer Schlag auf sein Haupt gefallen. O, und die Noch und 12 die Krankheit und das furchtbare, schwere, letzte Sichlosreißen der Seele, von dem Leibe dieses Todes — wie möchte das arme Menschenherz das alles tragen und überwinden ohne die Liebe, die wir geben und wiedernehmen? Wohlan denn, Geliebte in dem Herrn, so lasset uns in dieser Zeit großer Seelengefahren, in der gegenwärtigen Zeit, da alle sitt¬ lichen Bande gelöst und die Menschheit nicht Zeit mehr hat, ernst und fromm zu sein, da die höheren geistigen Kräfte in dieser gewinn- und genusssüchtigen Welt abgenutzt werden, wie die feinen Räder einer Maschine, da die Erwerbssucht alle Klassen der Gesellschaft durchdringt, alle Stunden des Tags erfüllt, alle Kräfte aufzehrt, da das Auge kurzsichtig geworden, und immer nur in die Nähe sieht, da in diesem endlichen Treiben und Drängen der Sinn so platt, so stumpf ge¬ worden, daß wir gar nichts mehr für wichtig und bedeutend und un¬ serer Aufmerksamkeit Werth halten als das, was Gewinn bringt, oder in den Geschäftszimmern vorgeht und in den Akten steht; lasset uns in dieser Zeit, da oft auch das Christenthum, zumal in seiner einge¬ engten kirchlichen Form, so wenig es vermag, die Lasten der Erwerbs¬ und Geschäftswelt zu heben, den Blick nach oben zu richten, das ganze Leben zu weihen, — lasset uns vor allem retten und Pflegen, und reinigen und befestigen dieses natürlichste und heiligste Lebensgut — die Liebe; lasset uns zu Hülfe nehmen alle geistigen Mächte der Zeit! Sie sollen unsere Bundesgenossen sein gegen die Uebermacht und Vergötterung der Materie, wie gegen die gesetzliche Richtung in der christlichen Kirche! Mit der Liebe, ihrer Wunderkraft und All¬ macht, ihrer himmlischen Freudigkeit, ihrer selbstvergessenden Hingabe, ihrem Nichtmüdewerden, ihrer die Seele reini¬ genden Gewalt, gewinnen wir alle Geistesgüter; - und nur der ist ein Christ und Nachfolger Christi, der Christi Geist und Liebe hat. Das Christenthum ist nicht Lehre, sondern Geist und Leben. Es ist eine Kraft, eine Zuversicht und Freudigkeit, Trost und Friede. Es ist eine Kraft Gottes, selig zu machen. Es ist die Kraft seines Liebesgeistes, der durch Christum zuerst verkündigt und durch ihn die Menschheit erfüllt hat. Das ganze Evangelium fasst sich zusammen in der Liebe Gottes durch Christum, der die Menschheit geliebt bis zum Tode! Darum heisst auch das Christenthum am besten die Religion der Liebe, oder der Kundschaft, oder des Geistes. Denn diese drei sind Eins. Und wie kommen wir zu diesem neuen Geiste und werden leben¬ dige Glieder in seiner Gemeinschaft? Der Weg ist ein dunkler. Er geht durch Tod und Grab, und auf dem Grabe steht das Kreuz. Das 13 ist unwandelbar der Christen Zeichen. Und aus dem Dunkel steigen wir empor zum Licht, aus dem Tode erheben wir uns zu neuem Leben. Was also ist des Christenthums innerstes Geheimnis? Tod und Wiedergeburt. Wer durch diesen dunkeln Weg und diese enge Pforte hindurchgegangen, wer das alte Leben des Fleisches in sich überwunden durch den Geist, und wer aus diesem lebendigen, freien und freimachenden, lieberfüllten Geiste lebt — der ist ein Christ! Und das ist denn auch der einzige Weg, auf welchem die Menschheit der Gegenwart, die in die Arbeit des Erwerbens — in die Menge und Lasten der Geschäfte, in das Ge¬ räusch der Werkstatt und des Markts, mit seinem Reiz nach Gewinn, dem unerschöpflichen, mit seiner Gefahr, unrecht zu thun, mit seiner Unruhe und Unersättlichkeit, welche im innigsten Bunde steht mit der Herzlosigkeit und Gewissenlosigkeit, — tiefversenkt ist, die kaum das Auge aufschlägt zum Ewigen, wiedergewonnen werden kann für die Religion, — der Weg der Liebe, der Weg des Herzens, — der Weg, den die wahre Bil¬ dung der gegenwärtigen Menschheit nehmen soll. Sie steigt in die Tiefen des Gemüths, reinigt den Willen, bildet den ganzen Menschen um und erhebt den Sinnenmenschen in das Gei¬ stesleben. Das wahre Christenthum, welches ist Religion des Her¬ zens, ist vertraut mit dem innern Kampf, mit dem Schwert, das durch die Seele zieht. Es kennt des Lebens Ernst und seine heiligen Pflichten. Es ist nicht ein Glauben an hohe und unverständliche Lehren, auch nicht an Wunder und Buchstaben gebunden, es ist eine einfache Kindeswahrheit, eine tief innerliche Seelenerfahrung, ein Leben aus dem Geiste. Und so wende ich mich denn znm Schlüsse vor allem an euch, ihr Eltern, denen die heilige Aufgabe geworden ist, das Heranwachsende und kommende Geschlecht zu behüten und es auszurüsten für die schweren Kämpfe des Lebens, die Niemandem erlassen werden. So wisset denn und fühlet es lebendig auch in diesen Augenblicken, dass ihr Priester seid in eurem Hause, dass euch ein hochwichtiges und ernstes und hei¬ liges Amt übertragen in der Gemeinde der Kleinen, dass ihr die reinen Kindesherzen nach oben ziehen sollt und ihnen das köstliche Evangelium der Liebe deuten, predigen, nicht in hohen Worten und gesalbten Reden, sondern durch die Liebe selbst, die über sich hinausweiset aus den, der die lebendige Quelle alles Lebens und aller Liebe ist. Nähret das junge Leben mit der zarten Milch der Liebe! Erwärmet die Seelen eurer Kinder mit all den lieblichen Tugenden, die die freundlichen Begleiterinnen dieser Liebe sind — mit Sanftmuth, Geduld, Lindigkeit, 14 Güte in dem Eiseshauch dieser Zeit! Ueberwindet den kalten Sinn durch nicht aufhörende Freundlichkeit, dämpfet die aufwallenden Lei¬ denschaften durch Sanftmuth und Geduld, ruhend unter dem Schatten der Güte und Lindigkeit! Erhebet die zarten Seelen eurer Kinder von frühe an über die Welt gemeiner Gewinnsucht und Genusssucht in die höhere Welt sittlicher Zwecke, lehret sie Maß halten in jedem Genuss, speiset sie mit Geistesspeise, lehret sie achten das Recht und die Wahrheit, erzieht sie zu Kindern Gottes! Machet das Haus, die Familie zum Vorhof der christlichen Kirche! Und ihr Alle, die ihr mitten in dieser Welt der Nützlichkeit und Alltäglichkeit stehet, machet den Geist frei von diesem ertödtenden Druck, haltet fest an Liebe und Treue; seid männlich und seid stark! Amen.