Ewige Liebe Eine C ri m i n a l - N o v elle. Rach wirklich«! Ereignissen erzählt Laibach 18«7. Druck und Verlag von Jgn. v. Kleinmayr ei Fed. Bamberg. I- Schoner. - ' , ) j l 1 : Ü - '! » j !l! j 1 ! > Ewige Liebe. Eine C ri m i n a l - N o v elle. Nach wirklichen Ereignissen erzählt von I. Schoner. / L - Laibach 1867. Druck und Verlag von Jgn. v. Kleinmayr L Fed. Bamberg. 1. Vor dem Schreibtische. ^l)as Zimmer war im Halbdunkel; der Schirm über der Lampe legte die Tapeten der Wände in Schatten, auf dem Plafond langweilten sich die schön gemalten Götter seit langen-Jahren, nur ein Tüeil des Gemäldes war beleuchtet, das Licht bildete in jener Hälfte des Zimmers, wo der Schreibtisch stand, an der Decke einen Hellen Kreis. Es herrschte Todtenstille in deni Gemache. Ein Mann, groß nnd stark, saß an dem Secretär und stierte vor sich hin. Zwischen dem Zeige- nnd Goldfinger der linken Hand hielt er eine rauchende Cigarre, der Ballen des Danmens. lehnte an der Stirn. Eine schwere Pendeluhr markirte die Pulsschläge der Zeit. Die Wollen der Cigarre, so bleich wie die Haare des Mannes, der an dem Tische saß, erstarben wie das Feuer; so verfliegen die Träume der Liebe mit deni Feuer der Jugend. Wie lang mochte der vornehme Herr gebrütet haben? „Ja, so will ich es machen," murmelte er endlich vor sich hin. Er schlng die Theile seines eleganten Schlafrockes auseinander, zog aus seiner Tasche einen Schlüssel und erhob sich. Die Cigarre legte er ans ein Aschen¬ kästchen und schlug den Schirm der Lampe auf. Das Zimmer war nuu ganz erleuchtet. Ein Kleiderstock, ein Divan, zwei Fantcnils waren nebst dem Schreibtische das ganze Mobiliar. An der einen Wand hingen alte nnd moderne Gewehre, zwei Pistolen, mehrere Degen, Säbel und Hirschfänger. 1 - — 2 — Der alte Herr öffnete eine Lade des Secretärs und zog ein Päckchen Bank¬ noten heraus. Nachdem er die Lasse wieder geschlossen hatte, setzte er sich wieder und seufzte. „Euch zu finden, habe ich mich verloren," murmelte er vor sich hin. Von dem eleganten Schreibzenge nahm er einen Bleistift und machte in das linke untere Eck jeder Banknote ein li, so klein, daß es nur einem aufmerk- amen Auge bemerkbar war. s Der Alte saß gar lang bei diesem Geschäfte; er hatte viele Banknoten zu bezeichnen. Endlich holte er tief Athem. „So! Nun wollen wir sehen." Er legte die Banknoten wieder in die Lade zurück und verschloß sie. Der kräftige Mann war sehr aufgeregt. Er fuhr öfter mit den Händen durch die langen, grauen Haare, die ihm sehr schön standen. Sie mußten einst eine Zierde seines Gesichtes gewesen sein. Nun schrieb er auf einen Bogen Briefpapier: Hochgeehrter Herr Polizeidirector! Aus meiner Lasse sind in jüngster Zeit zweimal je hundert Thaler ent¬ wendet worden. Ich habe heute am 20. December alle meiue Füufthalerscheiue iu der linken unteren Ecke mit Bleistift durch ein I< kenntlich gemacht. Sie erhalten diese Anzeige morgen, damit sic glaubwürdig ist, gegen einen Hausdicb, der später ertappt werden kann. B ... den 20. December 18 .. Dr. K la n sen. Die Uhr schlug Eilf. Doctor Klausen verließ sein Arbeitszimmer und begab sich iu das daran stoßende Schlafgcmach. Er ging zn Bette. Bevor er dasselbe bestieg, legte er den Schlüssel zur Lasse — er war mit einem rothseideuen Bande versehen — neben sich auf das Nachttischchen. Er war gewohnt, sich ohne Diener zu entkleiden, und lag schon geraume Zeit, ohne jedoch zu schlafen, als sich die Thüre öffnete, welche durch ein Cabinet aus dem Vorzimmer iu daS Schlafgcmach führte, und ein schlanker, junger Mann in's Zimmer trat. „So zeitig, Richard?" fragte Doctor Klausen. „Ja, Papa, obgleich wir uns köstlich amüsirten. Die Tante war unendlich aufgeräumt, und selbst meine liebe Stiefmutter lachte heut, denu wir entdeckten an Fritz eine neue Vortrefflichkeit. Dieser Hofmeister ist doch alles, was er sein will. Heute declamirt er elastische Stellen aus allen Sprachen, morgen producirt er sich — 3 - auf einem Dutzend Instrumente und singt wie ein Opernsänger, ein andersmal porträtirt er sich sogar als Carricatur, daß Alle lachen und Du ihm doch nicht böse sein kannst, und willst Du cs, so dämpft er Deinen Zorn durch die Erzählung feiner Erlebnisse im Kriege." „Run, die Soldaten tilgen viel." „Nein, Papa, Fritz lügt nicht! Denke Dir, heute war der sonst immer ernste Mann zur Verwunderung Aller heiter und sang Couplets aus einem von ihm gedichteten und in Thalwein aufgeführten Stücke, Couplets, um die ihn ein Nestroy beneidet hätte. So habe ich ihn noch nie gesehen." „Wo ist er jetzt?" „Wahrscheinlich auf dem Heimwege." „klud die Mutter?" „Ebenfalls." „Sonderbar!" „Das Ankleiden der Mama und Abschiednehmen von der Tante, wobei die Damen doch noch immer ganze Capitel der Hauswirthschast gründlich besprechen, dauerte mir zn lang und ich eilte voraus. Der Bediente wird die Mama und Fritz begleiten." „Du besuchst heute das Casino nicht mehr?" „Nein." „Auch sonderbar," murmelte der Alte. „Was ist Dir, Papa?" fragte der junge Manu sehr angelegentlich. „Nichts, mein Sohu. Gehe zur Ruhe." Vater und Sohn schliefen seit Richards Kindheit in demselben Zimmer, Jener hatte sich die Erziehung seines Nettesten selbst Vorbehalten, während er dem jüngeren Karl in der Person des Fritz einen eigenen Hofmeister hielt. Diese beiden bewohnten ein Appartement auf der andern Seite des Vorzimmers. Ihre Fenster führten nicht auf die Gasse, wie die aller übrigen Wohnzimmer der Familie, som dcrn in einen schmalen Lichthof. „Dich beunruhigt etwas, Papa. Darf ich es wissen ?" begann Richard wieder. Er blickte mit scharfen Augen dem Vater inS Antlitz. Es war scheinbar ruhig, kalt. „Nichts, sage ich, nichts, lieber Richard." „Hast Du Dein Schreibzimmer wohl versperrt?" „Ja. Warum fragst Du das?" „Es geschehen jetzt so viele Einbrüche, Papa, daß man nicht vorsichtig genug sein kann." Der Alte war betroffen. Er schwieg. Richard ging zu Bette. „Schlafe wohl, Papa." — 4 — „Gute Nacht." Auch Richard hatte sich schnell ausgezogen und seine Kleider nachlässig aus Divan, Stsihle oder gar auf den Boden geworfen. Der Diener suchte früh alles wieder zusammen. Wieder herrschte Todtenstillc im Zimmer, mir die Wanduhr Pickte. Richard lag bald in den Armen des Schlafes, sein Vater aber wachte, die Schläge seines Herzens flogen schneller, als die der Pendeluhr. Doch endlich mochte auch seine aufgeregte Seele dein Schlummer ihren Tribut zahlen. II. Fritz. Der Hofmeister Fritz war in der That ein merkwürdiger Mann. Niemand hatte den allerdings immer Ernsten und Verschlossenen je traurig gesehen. Auf seinem sonst blassen Gesichte lag beständig ein milder Sonnenschein. Aber in den oft aufblitzenden Augen war ein trüber Schatten, ob ein Makel, wer konnte es wissen, wer durfte es behaupten ? Vielleicht lag in jenem Dunkel nur ein Gehcimniß Vielleicht aber ein Verbrechen. Fritz war von der Universität weg assentirt worden und hatte noch vor einem halben Jahre in einer Kanzlei gearbeitet, deren Vorstand Major Klausen, der Bruder seines jetzigen Brvdherrn, gewesen war. Der Major war in einem Straßen¬ kampfe gefallen. Freilich sagten böse Zungen, der Schreiber Fritz habe ihn aus dem Fenster der Kanzlei erschossen. Aber wer konnte cs beweisen? Man meinte damals, Fritz räche sich, weil der jähzornige Major ihm einst zngerufen: „Hund! Ich ertappe Dich einmal doch!" Es waren dem Major Klausen, dessen Wohnung an die Kanzlei stieß, viele Kleinigkeiten verloren gegangen. Fritz hatte wegen politischer Unbesonnenheiten seine Wissenschaften mit dem Militär-Reglement vertauschen müssen, und Major Klausen hielt nichts Gutes von dem Charakter des jungen Mannes. Als er damals Fritz einen Hund titnlirte, mußte er kühne Worte der Entgegnung vernehmen, und kurz darauf wurde er im Straßenkampfe verwundet. Und Fritz? Fritz ward einige Monate später begna¬ digt und aus dem Militärverbande entlassen. Fritz trat als Hofmeister bei dem Advocaten Dr. Klausen, dein Bruder des Majors Klausen, in Dienst. Der Major hatte auf dem Sterbebette versichert, Fritz sei ein ehrlicher Mann. Die Fran des Advocaten hatte sich damals entfärbt und dem Major gar lebhaft beigestimmt. Ihrem Genial war die Aufregung seiner Frau nicht entgangen. - 5 — Und doch war er nicht im Stande gewesen, dem pardonirten Studenten die an- gesuchte Hofmeisterstelle in seinem Hause zu versagen, denn sein Sohn Richard protcgirte denselben, die Frau aber wehrte sich gegen die Aufnahme des entlassenen Soldaten mit sonderbarer Aengstlichkeit und ungewöhnlicher Energie. Vielleicht gerade deshalb entschied ihr Genial für Fritz nach dem Wunsche Richard's. Die junge Frau des alten Advocaten schien mit der Aufnahme des neuen Hofmeisters sehr unzufrieden. Die alte Therese, welche im väterlichen Hause der Fran Advocatin diese als Kind gewartet hatte und in alle Angelegenheiten der Familie eingeweiht war, bemerkte einst am Ende eines längern Gesprächs: „Den Fritz haben sie Ihnen zum Trotz und Aerger ins Hans genommen. Ich glaube sie wissen Alles. Fritz benahm sich zuvorkommend, aber auffallend demüthig gegen seine Herrin. Sie aber Ivies jeden Dienst verlegen zurück. Bei einer solchen Gelegenheit äußerte Fritz, und seine Stimme klang schneidend: „Ich bin nun einmal doch Ihr Diener, gnädige Frau." Ihre Entgegnung war: „Sie quälen mich." Doch nach und nach hatte sich die junge Danie an die Gegenwart des Hofmeisters gewöhnt. Aber noch vor Kurzem, als sie zum Sommeraufenthalte sich auf dem Landgute befanden, war sie jedesmal in große Aufregung gerathen, wenn Fritz des Abends das Lied: „In die Heimat macht' ich wieder" sang und die Zither dazu spielte. Das Landgut, das ein Theil der Mitgift seiner Gemaliu war, hatte Dr. Klausen nach der Billegiatur verkauft, uni sich aus finanziellen Verlegenheiten zu retten. Er glaubte dies um so gewisser thun zu dürfen, da der Later seiner Frau im verflossenen Winter gestorben war Der Doctor rettete sich, aber er war doch nicht glücklich. Sonst hätte er seiner jungen Fran mehr heitere Stunden bereitet. Die Frau war nicht blühend, aber schön. Die Schönheit ihres Mannes, einst allge¬ mein bewundert, war verblüht; denn er war mehr als noch einmal so alt als sie. Er ließ sic stets zu Hause, kaum daß sich die Verwandten ihrer annchmen durften. Anfangs fürchteten diese eine nähere Bekanntschaft mit ihr; denn der Doctor hatte ihnen gesagt, sie sei unendlich beschränkten Geistes. Sie wußte nicht viel von den neuesten Pariser Moden zu sprechen, und diese Dinge waren sowohl in seinem väterlichen Hause, als auch während seiner ersten Ehe Tagesgespräch gewesen. Seine erste Fran war eine geborene Baronesse, da wurde nur von den Potentaten Euro¬ pas, den Familiengeschichten des Adels und höchstens noch vom Militär gespro¬ chen. Dieser hochelegante Gcsprächstou war allerdings nach seiner zweiten Heirat nicht wiedergckehrt, und da ihm und seinen Verwandten, die sich zumeist in den höchsten Kreisen der Residenz bewegten, gerade jene Dinge Bedürfnis; waren, welche der jungen Fran Widerwillen cinflößten, so schien cs ihm, als hätte er sich durch die Vermälung mit einer Bürgerlichen von dem Boden losgerissen, in welchem sein Dasein wurzelte. Dr. Klausen hatte eine Stiefschwester. Diese allein gewann — 6 — die junge Frau lieb und ehrte sie wegen ihrer Häuslichkeit. Sie hatte auch Mit¬ leid mit der armen verlassenen Schwägerin. Die war wohl nicht so glücklich, wie vor drei Jahren, wo sie noch ans dem Gute ihres alten Vaters den Knechten be¬ fahl und den Mägden gegenüber Verrechnung führte. Damals war eines Tages der Major Klausen auf das Gut in Quartier gekommen. Der verwitwete Bruder Dr. Klausen kam wiederholt zum Besuche des Majors auf das Gut, der Plan wurde ausgcarbeitet und gelang, Dank der Eitelkeit des Besitzers, eines gemeinen Emporkömmlings. Sein Töchterlein Hedwig wurde dem verwitweten Advocatcu als Braut zugesagt. Das Mädchen weinte durch viele Wochen, vielleicht that eS ihr wehe, das; sie einen grauhaarigen Mann heirathen sollte; aber endlich konnte die schöne Hed¬ wig nichts Besseres thun, als sich fügen. Die gespannte Erwartung auf all die versprochenen Herrlichkeiten der hohen Kreise der Residenz mochte den Gram ihres Herzens einigermaßen betäuben. Als sie an der Seite ihres Mannes aus der Kirche geschritten kam, stand in einem dunklen Winkel der Vorhalle ein Soldat. Der knirschte mit den Zäh¬ nen und preßte die Faust zusammen: „Meines Vaters Schweiß kommt nun in dritte Hände." Der Soldat hatte dann auch geweint und war sehr spät aus der Kirche gegangen. Es war Fritz gewesen. — Vor dem Kirchenthore standen damals die Leute des Dorfes Thalwein, und einer von ihnen sprach auch: „Was der Vater des Fritz, der kluge und tüchtige Wolf, zusammengebracht, gebaut und geschaffen hat, das kömmt nun wohl bald hinaus in alle Winde." „Die Stadtherren" begann ein anderer „verstehen sich selten auf Oeko- nomie und Fabriken. Ich hätte der Hedwig einen jünger» Mann gewünscht, wenn auch ihr Vater den Spitzbuben gemacht hat." „Schweig!" fiel ein anderer ein, „du kannst nicht beweisen, daß er seinen früher» Herrn, als der vor Schmerz über die Streiche seines Fritz auf den Tod hinsank, nm alles Vermögen brachte. Und wenn er, der ehemalige Werkführer, Dich hört, kannst Du einige Wochen im Loche stecken, wie unlängst der Holzhauer." Und in solcher Weise ging es noch lange fort, und Diejenigen, denen die Heirat gefiel, waren zu zählen. III. Die Verhaft n n Es war vier Uhr Morgens; der Mond stand noch hoch am Himmel, der in diesem Winter ausnehmend mildes Wetter sandte. Im Hause des Doctors Klausen lag scheinbar alles in tiefem Schlafe. — 7 — Scheinbar; denn die Frau des Hanjes saß halb angekleidei auf ihrem Divan. Das Zimmer war finster, doch bedeckte sie das aufgeregte Gesicht mit beiden Händen. Sie weinte. Diese Thränen sind unbeschreiblich. So weinte der erste Mensch, als er seines leid- und freudevollen Daseins fick) zum ersten male bewußt wurde. — Fritz stand im Vorzimmer beim Fenster. Er war sehr aufgeregt. Sein ganzer Körper bebte. „Was habe ich gcthan?" rief er unwillkürlich aus. „Mich befällt eine Angst, als müßt' ich sterben. — Wie ich's auch drehen und deuten mag, ein Dieb¬ stahl bleibt's, ich habe doch gestohlen! Schurke! nun bist Du ertappt. Rühre Dich nicht oder ich schieße Dich nieder" schrie plötzlich hinter ihm die Stimme des Advocaten. „WaS wollen Sie Herr Doctor?" fragte Fritz. Er wußte sonst nichts zu sagen. „Es ist unmöglich Papa", rief Richard, welcher hinter seinem Vater stand. Er war aus dem Schreibzimmer in das Vorhaus getreten. Der alte Klausen crschrack, als er seiner ansichtig wurde; er glaubte Richard schlafe. Sich umwen¬ dend fragte er: „Wie kommst Du hieher?" „Ich hörte Dich aufsteheu und folgte Dir nach." „So!" entgegnete der Alte und holte tief Athem. „Fritz muß gelogen haben, Papa." „Das wird sich zeigen. Hast Du gehört, was er soeben gesagt?" »Ja." „Gut, so haben wir es Beide gehört, daß er gestohlen hat." Fritz war wie vom Blitz gerührt. Er harte nicht gesehen, woher die beiden Männer gekommen. Und davon hing doch seine Entgegnung ab. Als er in das Vorhaus getreten war, hatte er Niemand bemerkt. Alles war still und ruhig ge¬ wesen. Und daß er einen Mann ans dem Vorhanse in jenes kleine Cabinet hatte schleichen gesehen, in welchem neben andern wenig gebrauchten Möbeln und Ge¬ rüchen sein Koffer und ein Kleiderkasten stand, und aus welchem man in das Schlafzimmer der beiden Klausen gelangte, hatte er nicht glauben wollen, er hatte die Erscheinung seiner Angst und seiner Aufregung zugeschriebeu. Also konnte jener Schatten doch von einem Menschen herrühren, er Ivar also nicht allein wach, nicht allein im Vorhause gewesen. Durch dasselbe Cabinet begab sich jetzt Richard, um Licht zu holen. Der alte Klausen stand mit der geladenen Pistole vor dem Hofmeister. Dieser schwieg und rührte sich nicht. Richard kehrte nicht durch das Cabinet in das Vorhaus zurück, sondern machte den Umweg ans dem Schlafzimmer durch das Arbeitszimmer deS Vaters. Er erschien mit dem Licht. „Deine Lasse ist geöffnet." — 8 — „Rufe die Köchin, das Kammermädchen und den Bedienten." Doch das war nicht nöthig; die waren auf den entstandenen Lärm erwacht und traten soeben in daS Borhaus. „Ist die Thiire zum Stiegenraum geschlossen? Geht alle hin." Richard, der Bediente und die erschrockenen Mädchen untersuchten die Thiire; sie war fest verschlossen. „Nun denn, nur ein Hansdieb kann die Lasse erbrochen haben." „Nur ein Hausdieb", wiederholte Fritz. „Und der sind hoffentlich Sie", schrie der Doctor. „Warum denn hoffentlich?" entgegnete Fritz. Der alte Klausen wußte nichts zn erwidern. „Gehen sie in dieses Zimmer", befahl er, und zeigte ans sein Schreibzimmer, dessen Thiire offen stand. Fritz gehorchte fast mechanisch. Dem Diener befahl der Doctor, sogleich zu dem Polizeidirector zn gehen, der seine Sergeanten schicken solle. Es war die Zeit, wo die Polizei sich noch in einem größer» Wirkungskreise bewegte. — Als Fritz und nach ihm die beiden Klausen in das Arbeitszimmer, in welchem der geöffnete Schreibtisch stand, getreten waren, schloß sieb die Thiire, welche aus den Appartements der Fran Doctorin ins Vorhaus führte, Hedwig hatte sie früher leise geöffnet und so erfahren, nm was es sich handle. Jetzt begab sie sich in jenes Gemach, welches neben dem Schreibzimmer ihres ManneS lag. Eine Thiire, die jedoch gewöhnlich geschlossen war, trennte sie von ihrem Genial, ihrem Stiefsohne und dem Beschuldigten. Diese Thiire war in frühem Zeiten nicht geschlossen gewesen. Aber wenn der Advocat seiner Geinalin Borwürfe gemacht hatte, daß sie in irgend einer Gesellschaft sich ungeschickt, zn offenherzig und kindisch benommen habe, wenn er von seiner Frau mit Verachtung und zornig weggcgau- gcn war, da hatte er diese Thiire jedesmal gesperrt. Zuletzt blieb sic für immer verschlossen. Es war dies dein Alten am angenehmsten. An dieser Thiire lauschte Hedwig. Ein weibliches Herz zitterte neben diesen Brettern nnd wollte schier zerspringen. Da klirrten Eisen. Es waren Fesseln. Sie wollte aufspringen von dem Fauteuil; sie konnte cs nicht. Die alte Therese trat zu ihr herein. „Im Koffer des Fritz haben der Gerichtsassessor nnd die Polizei viele Thalerscheine gefunden und einen Schlüssel zur Lasse des Herrn Doctors. O wer hätte Las von Fritz gedacht." „Was sagt Fritz?" „Nichts, gar nichts, gnädigste Frau." — 9 — Hedwig lebte mit ihre» weiblichen Domestiken in jo herzlichem Verhältnisse, wie mit den Mägden auf ihres Vaters Gute, und Therese war geradezu ihre Vertraute. Jetzt trat die Köchin in das Zimmer. „Ach, gnädige Frau, sie führen den Fritz auf die Polizei." Hedwig erhob sich heftig wild und schrie laut auf: „Er ist unschuldig, ich werde es beweisen, laßt ihn." — Sie wollte zur Thitre — aber sie sank bewußt¬ los zu Boden. IV. Das Verhör. Das Kind geräth in bange Furcht, wenn es sich verthcidigcn soll vor seinem Lehrer, bei dem ein böswilliger Schnlgenosse das unschuldige angeklagt, es zittert vor der unverdiente» Strafe; Verdächtigungen und Verfolgungen sind wir im Leben stets ausgesetzt: wer aber dem Präsideuteu eines Gerichtes und dessen Beisitzern, wer dem Crucifix gegeniibcrsteht, um Rede und Antwort zu geben über ein Verbrechen, dessen er beschuldigt worden, dem zittert das Herz im Busen, auch wenn es rein ist vor Gott. Denn die Menschen sind nicht allwissend und ihre Blindheit kann ihn deS Lebens berauben. O noch mehr, sie kann ihm das Leben lassen und die Seele nehmen. Bon der Ehre lebt der Mann. Ob wir nach dem Tode leben, schlafen, vielleicht ein träumerisches Schattensein fristen, oder für immer in Staub und Asche aufgelöst werden: wer kann es sagen? Der Tod ist ein Gericht, das niemand verschont und daher am mildesten verfahren würde, wenn cs nnS alle für immer auflöste. Die menschlichen Gerichte aber besitzen eine viel größere Gewalt; sic können uns verurthcilcu, als Todte unter Lebenden zu wandeln. Sie können deni Manne die Ehre nehmen. Sie verurtheilen vielleicht einen Unschuldigen, und zwar ohne, daß Gott sie deshalb für schuldig halten dürfte, warum gab er ihnen nicht Allwissenheit nnd Unfehlbarkeit? Darum zittert selbst der Unschuldige vor dem Gerichte, nm wie viel mehr kann und muß es der Schuldige? Der Hofmeister des Advocaten Klausen wurde vor das Gericht geführt. Dieser hatte jenes Billct, welches er am Abende des Diebstahls vor dem Schlafengehen an den Pölizeidirector geschrieben, bei der Festnehmung Fritzens sogleich der Behörde übergeben; es genügte zur giltigen Aussage, daß ihm aus der Lasse Geldbeträge von 10t) Thalcrn entwendet worden. Vor Gericht sagte oer Doctor ans, es könne ihm mehr gestohlen worden sein, als er wisse. Er sei erst durch die bedeutenderen Abgänge zweier rnuden Summen aufmerksam geworden. Den Schlüssel zur Geldlade habe er gewöhnlich bei sich getragen; — indes; gestehe er, denselben nicht immer sorgsam genug im - 10 - Auge behalten zu haben. An jenem Abende habe er ein neues Deficit wahr- genommen, daher seine Anstalten zur Eruirung des Diebes; er habe sich damals vorgenommen, den Schlüssel des Nachts immer neben sich auf das Nachttischchen zu legen. Nun aber habe man iu dem Koffer feines Hofmeisters einen zweiten Schlüssel zur Geldlade gefunden. Die Polizei hatte bei allen Schlossern nachgeforscht, ob nicht jemand einen Schlüssel nach einem Abdruck in Wachs bestellt habe. Ein armer, blöder Geselle aus der Vorstadt hatte die Frage bejaht. Er stand als Zeuge vor dem Gerichte. Der Präsident des Gerichtes war ein Mann mit unsympathischen Zügen und einer durchdringenden Stimme. Er hatte den Ruf strenger Gerechtigkeit. Bor seinem Stuhle galt kein Ansehen der Person, er war barsch gegen Jedermann. Im Privat- verkehre aber konnte er sehr bvflich sein; er war cs allerdings zumeist nur gegen hochgestellte und einflußreiche Leute. „Sie sind Friedrich Wolf ans Thalheim?" fragte er den Hofmeister des Advocatcu Klausen. Fritz antwortete mit einem einfachen „Ja." „Sie haben zwei Jahre beim Militär gedient?" „Ja." „Warum sind Sie nicht avancirt?" „Ich diente aus Strafe und durste nicht avanciren." „Sie haben Ins studirt?" „Ja." „Sie waren vor einem Jahre in der allgemeinen Amnestie politischer Ver¬ brecher inbegriffen?" „Ja." „Warum wurden Sie Erzieher?" „Es fehlte mir an Mitteln." „Wer gab Ihnen dieselben vor Ihrer Militärzeit?" „Mein Vater." „Warum entzog er Ihnen seine Unterstützung?" Fritz holte tief Athem, sein blasses Gesicht färbte sich und er antwortete: „Der war aus Gram gestorben." „Sie beerbten ihn also?" „Er hinterließ nichts. Wohl aber zeigte mir sein Geschäftsführer eine For¬ derung, die ich noch zu zahlen hätte." „Haben Sie dieselbe beglichen?" „Ich wollte sie im Dienste seiner Tochter, der Fran des Advocatcu Klausen, abtragen." „Sie kannten dieselbe?" „Bon ihrer Kindheit an. Ihr Vater war anfangs in Diensten bei dem meinigen." — 11 - „Und wurde daun reich?" „Wurde sein Geschäftsführer, und meiu Vater starb als sein Schuldner, wahrend ich beim Militär diente." „Hatten Sie Geschwister?" „Nein." „Warum traten Sie gerade bei dem Avvocatcn Klausen in Dienst?" „Ich Ivar als Soldat unter dein Commaudo seines Bruders gestanden." „Der hatte Sie des Diebstahles beschuldigt." „Aber auf seinem Sterbebette empfahl er mich doch seinem Bruder; er hatte in Erfahrung gebracht, wer ihn bestohlen." „Kennen Sie den Dieb?" „Ja." „Nennen Sie ihn." „Ich werde keine Person bezeichnen." „Warum nicht?" „Weil der Major, der die Wahrheit meiner Angabe bestätigen könnte, todt ist." „Warum hat er den Dieb nicht bei Lebzeiten angegeben?" „Die Ehre dieses Diebes durfte ihm nicht gleichgültig sein, er opferte der¬ selben die meinige." Plötzlich sprang der Inquisitor auf eine andere Frage liber. „Warum waren Sie am 21. December nm drei Uhr früh nicht zu Bette?" Fritz ward verlegen. Er schwieg eine Weile. „Antworten Sie!" Der Präsident wiederholte die Frage. „Ich betrachtete den sternenreichen Himmel." „Wissen Sie, daß Sie meine Frage nicht beantwortet haben?" „Ja. Ich kann und werde sie nicht beantworten." „Warum waren Sie im vollen Anzuge, wie zum Ausgeheu bereit?" „Ich hatte mich an jenem Abende noch nicht ausgezogeu." „Warum nicht?" „Ich habe schon manche Nacht zur Hälfte mit Arbeit zugebracht. War der Himmel rein, so blickte ich wohl auch eine Stunde durch dasselbe Fenster, bei welchem mich Doctor Klausen festuahm. Die Fenster aus meinem Zimmer führten in einen schmalen Lichthof, dessen hohe Manern den Himmel unsichtbar machten" „Sie wollen den Träumer spielen?" Das Wort „spielen" zog über Fritzens Gesicht eine dunkle Röthe, und in einem Tone, der wie ein Faustschlag auf den Tisch klang, rief er: „Wenn Sie Ihre poetischen Stunden vergessen haben oder nicht vergessen brauchten, so giebt Ihnen doch weder Ihr Alter, noch Ihre Stellung das Recht, mich mit den mei¬ nigen zu verspotten." - 12 — diichts auf Erden bringt prosaische Menschen so sehr in Harnisch, als Poesie. Der Präsident fuhr zornig auf. Er hatte Fritz nicht verstanden. Er wollte ihn auch nicht verstehen. Was dieser gesagt hatte, hielt er abermals für Maske. Fritz steckte den Verweis ruhig ein. ,,WaS hatten Sie," fragte er von neuem, „gemacht, bevor Sie an das Fenster traten?" Fritz schwieg. Sein Blick senkte sich, doch nicht bis zum Boden, sein Herz mußte heftiger klopfen, sein Athem ging schneller. „Sie antworten nicht? Die Herren Klausen hörten von Ihnen die Worte: „So habe ich doch gestohlen." — Können sie das leugnen? „Rein. Ich habe diese Worte gesprochen, aber sie waren eine Lüge. Ein Geschenk ist kein Diebstahl." „Sie sprechen in Räthseln, erklären Sie sich." „Nein, so lange ich leben werde." „Sv werden Sie die Folgen Ihrer Hartnäckigkeit tragen müssen. — Kennen Sie diesen Schlüssel?" „Er gleicht wahrscheinlich dem Schlüssel zur Casse des Herrn Doctors; so viel geht aus der Sachlage hervor, aber ich kenne ihn nicht." Nun erschien ans Befehl des Präsidenten der beeidete Schlosser aus der Vorstadt als Zeuge. Der Präsident fragte ihn: „War es dieser Mann, welcher bei Euch den Schlüssel nach einem Wachsabdrucke bestellte." Der Schlosser antwortete: „Ich weiß es nicht." „Habt Ihr ihn denn nicht gesehen?" „Es war in der Dunkelstunde." „Konntet ihr die Kleider nicht unterscheiden?" „Er war wohl so angezogen wie dieser Herr da, nnd auch so groß war er." Der Präsident befahl nun Fritz, den Schlosser nm Namen nnd Wohnort zu fragen. Nachdem Fritz Folge geleistet hatte, fragte der Präsident den Schlosser, ob er an der Stimme des Fritz nicht den Besteller jenes Schlüssels erkenne. Der arme Handwerker war Lurch die Fragen des Vorsitzenden so in Augst gerathcn, daß er dem Präsidenten einen Gefallen zu erweisen glaubte, indem er antwortete: „Ich glaube, cs ist dieselbe Stimme." Fritz rief nun voll Indignation dem Schlosser entgegen: „Erinnern Sic sich wohl, Sie haben mich in Ihrem Leben noch nie gesehen." Der Präsident verwies den Angeklagten zur Ruhe nnd fragte ihn hierauf, warum er einen Verthcidiger hartnäckig znrückgewiesen habe. Fritz antwortete: „Ich spreche die Sprache des Gerichtshofes, verstehe seine Formen nnd kann meine Gedanken besser ausdrücken, als ein Anderer, nnd frem¬ der Hilfe will ich nichts verdanken. Die Umstände sind gegen mich. Man hat in meinem Koffer 200 Fünfthalerscheinc und einen Schlüssel znr Geldlade des Doctors 13 — gesunden, ich wurde im vollen Anzüge in der Nahe der erbrochenen Casse und während einer zweideutigen Seibstantlage ertappt; ich stehe im Verdachte, meinen früher« Herrn bestohlen, ja erschossen zu haben, er ist tvdt und kann meine Unschuld nicht retten — aber ich bin unschuldig an allem, was hier gegen mich vorgebracht wurde — der Gerichtshof urtheile. — Nur eine Frage erlaube mir derselbe: „Sind der junge Herr Klausen und die Fran des alten zur Zeugenschaft angcrufen worden?" Nachdem die Frage bejaht worden war, wollte Fritz erfahren, was durch sie aufgeklärt worden sei. „Nnr Bestätigung der gegen Sie vorliegenden Gründe." „Dürste ich wohl um die Gnade bitten, mit Beiden confrontirt zu werden?" fragte Fritz. Seine Bitte wurde gewährt. Es erschien Herr Richard. Er war auffallend heiter. Dem Angeklagten stieg bei seinen! Anblicke das Blut in die Wangen und er fragte ihn hastig: „Wo haben Sie den Schlüssel zum Cassenzimmer hingethan?" „Zum Cassenzimmer?" wiederholte in fragendem Tone Richard, „den müssen ja Sie haben, den falschen, denn den echten hat Papa, Doch weiß ich nicht, ob diesem Herrn hier das Recht zukömmt, mich zu examiniren?" lind dabei blickte er den Gerichtshof an. Doch Fritz fuhr fort: „Ich erblickte eine Gestalt, welche sich aus dem Cassen¬ zimmer in jenes Cabinet begab, in welchem mein außer Gebrauch befindlicher Koffer steht, als ich aus dem Zimmer" — hier stockte Fritz plötzlich, sein Atheni blieb stille stehen und er senkte den Kopf. „Aus welchem Zimmer?" fragte der Präsident des Gerichtes. Fritz schwieg. „Ich verlange Antwort. Sie traten aus einem Zimmer in das Vorhaus und erblickten eine Gestalt, welche sich in das Cabinet begab, aus diesem Cabinete gelangt nian in das Schlafzimmer der beiden Herren Klausen. Aus welchem Cabinete traten Sie also in das Vorhaus?" Fritz konnte nicht antworten. Der Präsident fuhr fort: „In das Vorhaus gehen vier Thüren, die zur Küche, die zu den Appartements der gnädigen Frau, die in das Cassenzimmer und die in jenes Cabinet. Ein Gang führt in die von Ihnen und Ihrem Zöglinge Carl bewohnten Zimmer. AnS deni Gange kamen Sie nicht in das Borhaus. Sie traten in dasselbe, wie Sie soeben sagten, aus einer Thüre. Ans welcher? Aus dem Cabinet kamen Sie nicht, denn in dieses sahen Sie die Gestalt ver¬ schwinden; kamen Sie aus der Küche, so hatten Sie — der weiblichen Dienerschaft einen Besuch abgestattct, in den Appartements der gnädigen Fran hatten Sie um 3 Uhr früh nichts zu thun — aus welchem Zimmer traten Sie in das Vorhaus?" „Ich antworte nicht," entgegnete Fritz. „Man vernehme die Dienerschaft." — 14 — „Das ist geschehen. Alles schlief und wurde durch den Lärm Ihrer Gefangen nehmung geweckt. Ans der Küche traten Sie nicht in das Vorzimmer. Sie wollen doch nicht behaupten, daß — doch lassen wir der Fran Klausen selbst das Wort." Hedwig erschien. Die Röthe ihrer Wangen war verschwunden; ihr Auge war umflort und ihre Gestalt schien nm Vieles kleiner geworden zn sein. Sic warf keinen Blick aus den Angeklagten. Fritz heftete seine Angen auf die schöne Fran. Der Präsident fragte sic, ob sie irgend eine Auskunft darüber ertheilen könne, womit sich Fritz vor seiner Arretirung beschäftigt haben könne. Sie verneinte die Frage. „Sie wissen also nicht, aus welcher Thiire er in das Vorzimmer trat?" Ein schwaches „Nein" war die Antwort. Der Richter wandte sich nun an Fritz: „Konnte die Fran Doctorin wissen, aus welcher Thiire Sie in das Vorzimmer kamen?" Auf diese verfängliche Frage antwortete Fritz schnell nnd zornig: „Sic ver¬ letzen die Ehre einer geachteten Dame." „Sic haben nicht das Recht, Ihren Richter zn Hofmeistern. Sagen Sie also, ans welcher Thnre traten Sie demnach in das Vorzimmer?" Hedwig wandte ihren Blick auf Fritz. So blickt das verwundete Reh den Jäger an, wenn er ansholt, nm ihm den Todesstoß zn versetzen. Fritz sprach zn dem Präsidenten: „Aus welcher Thiire ich in das Vor¬ zimmer trat, ist nnn unzweifelhaft festgcstellt. Ich kam ans — dem Schreibzimmer des Advocate», wo der geöffnete Secretär stand." Die junge Fran holte tief Athem Ihre Ehre war gerettet. Fritz hatte gegen sich gezeugt. Seine Augen blickten sest ans die schöne, schwarzgekleidete Dame und er murmelte einige vernehmbare Worte, aber in einer nur Hedwig verständlichen Sprache. Er war mit Hedwig ausgewachsen. Als Kinder hatten sie zum Scherz oft in einer Art von selbst erfundenem Äaudcrwalsch mit einander geredet. Damals hatten sie unbeachtet vor aller Welt im Garten seines Vaters ost »litten im Spiele in dieser Sprache einander zngernsen: „Ewige Liebe." Diese zwei Worte waren cs, welche Fritz nun vor dem Gerichte murmelte. Sic drangen der Fran, des Advocaten wie zwei Schwerter in die Seele. Ewige Liebe hatten sich die Kinder scherzend gelobt. Sie hatte das Gclvbniß gebrochen; ewige Liebe hatte sie noch dein Jünglinge geschworen, als er die Stn- dentenkappe mit dem Czako vertauschen mußte. Darauf war sein Vater aus Gram erkrankt und gestorben. Der ihrige hatte alles Vermögen seines Chefs an sich ge¬ zogen nnd sie war dem Advocaten Klausen zum Altäre gefolgt: „Ewige Lwbe!" — 15 - V. Einst mW Jetzt. Vier Jahre vor der Verurtheilung unseres Fritz saß amPortale eines großen Gasthoses ein armes Weib, ans den Knien eine Korbschwinge voll Aepfel zum Ver¬ kaufe. Die Noch und der große Kummer machten ihr Antlitz den verwohnten Kindern Fortunens widerlich und alle zogen sie vorüber in den rauschenden Seiden¬ kleidern, von denen der Werth eines einzigen, ihren schmerzbcladcncn Busen erleich¬ tert, vielleicht beglückt hätte. Denn wegen einer Steuerschuld von dreißig Gulden sollte das Häuschen und die wenigen Aecker ihres Mannes verkauft werden, und ein Seidenkleid kostet wohl das Dreifache. Von dem Neberschusse hätte das arme Weib, das jetzt mit einer Bettlermicne ihre Aepfel feilbot, ihrem Töchterlein Brot und ein schönes Kleidchen gekauft. Ihren Kornvorrath hatte die Steuer verzehrt, von den Möbeln besaß sie nur noch das Bett, in welchem ihr Mann jetzt schon zehn Monate krank lag, einen wackligen Tisch und einen Kasten, der die Garderobe der ganzen Familie enthielt. Das schönste Stück darunter war jene einfarbige Tuchhose, welche ihr Mann als Reliquie von seinen! Militärdienste mitgebracht hatte und deshalb hochhiclt, weil durch sie eine feindliche Kugel ihm das Bein zerschmettert hatte, das jetzt ein hölzerner Stelzfuß ersetzte. Da saß sie nun vor dem belebten Gasthofe, die Hände über die Aepfel gefaltet und jeden Vorübergehenden mit ängstlich bittenden Augen anschend, mit Augen, in welchen die Thräncn der Angst und Noth nur mit Mühe zurückgcdrängt wurden. Da kam lärmend ein Trupp Studenten über den Platz dem Gasthofe zu. Einige von ihnen machten schäle Witze über das ArmcsünLcrgesicht des Weibes, oas wenig verstehe von amerikanischer Rcclame; einer aber von ihnen, der stärkste und schönste, trat zu ihr, blickte sie fest an und fragte, was die Aepfel kosten. „Zu wohlfeil," entgegnete er, zog seine Brieftasche hervor, legte einen Thaler- schein auf die Aepfel, nahm einen von diesen, blickte dem Weibe noch einmal mit seinen treuen Augen fest in das bange Gesicht und ging mit den Worten: „Das gehört Euch," in den Gasthof. Vier Jahre waren seit damals vergangen. Dem armen Weibe hatte inan Haus und Garten unter dem Werthe verkauft; aber nachdem ihr Mann genesen war, hatte er als Invalide auf Verwendung der Behörde die Stelle eines Kerker¬ meisters erhalten und lebte nun sorgenfrei in zwei behaglich eingerichteten Zimmer- chen im Erdgeschosse des Criminals. Freilich hatte es lange gedauert, bis sein bravcS und verständiges Weib ihr gefühlvolles Herz an den Gedanken gewöhnte, das; sie im Criminalc wohne. Aber dieses Herz der Menschen gleicht dem Wander¬ hirten, der dort sich wohl fühlt, wo er sich und die Seinigen ernähren kann. Die Sehnsucht nach dem gewohnten Landleben erstarb immer mehr, je mehr das Töchter- — 16 — chen des Hanfes aufblühte. Jetzt glich Johanna der Knospe eines Centifolie, deren fchönc Ueppigkeit im Zweifel ließ, ob man ihr Aufblühen wünschen sollte. Jenen Studenten, welcher einst vor dem Gasthofe ihr für einen Apfel einen Thaler gegeben hatte, konnte die Frau des Kerkermeisters nicht vergessen, aber alle Bemühungen, ihn wieder zu sehen, waren vergebens gewesen. Es war an einem strengen Jannartage, als Gendarmen einen Verbrecher in das Criminal brachten. Die Frau des Kerkermeisters saß eben an dem niedrigen Fenster und hatte Zeit, den Gefesselten zu betrachten, während ihr Mann die Pforte öffnete. „Johanna, Johanna," schrie sie mit einemmale, „da ist er, nm Gottes¬ willen, da ist er." „Wer denn, Mutter?" fragte die Tochter und eilte zum Fenster. „Der Student mit den treuen Augen." „Welcher?" „Nun, dieser da." „Der Verbrecher?" „Ja, der in den Ketten. — O mein Gott, mein Gott, wie ist das möglich." Allerdings war Fritz jener Student gewesen. Jetzt wnrde ihm ein Kerker von dem Manne jenes Weibes geöffnet, welches ihm einst so bemitleidenswert!) geschienen, daß er .einen ganzen Tag den guten Humor verloren hatte. Jetzt weinte um ihn dies Weib und sein Töchterlein. Es war ein trauriger Tag, es war eine schlaflose Nacht, welche die Frau des Kerkermeisters nun hinbrachte. Ihrem Manne verbarg sie, ohne recht zn wissen, warum, die Ursache ihrer Ausregung. Ja, sie stellte sich gleichgiltig bezüglich des Neuangekommenen, und cs gelang ihr daher um so leichter, nicht nur seine Kerker¬ zelle, sondern auch die nähern Umstände seiner Vcrnrthcilung zn erfahren. Friedrich Wolf hatte die Universität besucht, war ans Strafe Soldat geworden und hatte sodann, von Mittellosigkeit gezwungen, eine Hofmeisterstelle angenommen; er war derselbe Student, der ihr jenen Apfel abgekauft hatte; an dem Ange schon hatte sie ihn erkannt. Sie mußte mit ihm sprechen. Doch erst nach mehreren Wochen gelang ihr das Vorhaben. Es war an dem Vorabende des Namenstages ihres Mannes. Sie bereitete ein besonders reiches und schmackhaftes Abendessen und sorgte für einen edlen Trunk, der bei heiterem Ansprüche unbesorgt genossen, seine Wirkung an dem wackcrn Soldaten nicht verfehlte. In seiner Zelle lag Fritz ans dem rauschenden Strohsacke. Seine Gedanken, das größere Unglück des Heimgesnchtcn, hatte der letzte Freund des Menschen, der Schlaf, überwunden und war in seiner liebevollen Sorge bemüht, den vom Schicksal Gequälten durch heitere Bilder zu trösten und zn kräftigen. Es waren nur Luft- gestalten, nur halb lebendig, wie ihr Besitzer, der freundliche Schlaf selber. Fritz sah die schöne Jugendzeit, die Stndentenjahre, den Taumel des „holden Blödsinns," den jenes Bild der Holdesten sonnenhell belebte, das er von seiner Kindheit an — 17 — in treuer Liebe im Herzen trug. Und mancher Augenblick trat aus dem grauen Meere der Vergangenheit inselartig hervor, sei es im lachenden Blumenkranz, oder als graues, wiudumheultes Felsenriff. Zu den unvergeßlichen Bildern gesellte sich auch jene Aepfelhändlerin am Portale des Gasthofes, jenes Weib mit den Angen voll trvckner Thräncn. Da knarrte die Thür feines Gefängnisses, er hörte das Geräusch im Schlafe, aber er erwachte nicht, er trat vielmehr zu dem Weibe und öffnete seine Brieftasche In seiner Brust lag der Frieden und die Seligkeit, geliebt zu sein, wie sollte seine Hand nicht Wohlthaten spenden? In die finstere Zelle traten behutsam zwei Frauengcstalten. „Er schläft," sprach Johanna, und hielt ihre Mutter zurück. Diese aber be¬ achtete den Druck von ihrem Arme nicht. Sie sah nur den Mann, sie sah nur den Studenten, dessen Spuren sie gelegenheitlich oft, aber immer vergebens nachgcforscht hatte. „Herr Wolf!" rief sie leise, wie eine Mutter, die ihren Sohn ungern aus dem Schlafe weckt, wenn der Abschiedsmorgen angebrochen ist, „Herr Wolf!" „Behaltet den Thaler. Denkt meiner, betet für mich. Ihr betet ja doch?" „Ja Herr Friedrich, ich bete, und ich betete oft für Sie, und es wird Ihnen noch wohl gehen auf Erden." Fritz erwachte. Nur kurze Zeit fesselte Verwunderung seine Zunge. „Wie kommen Sie hieher?" frug er sodann. „Kennen Sie mich, Herr Wolf?" entgegnete die Gefragte in mildem, fast ängstlich weinerlichem Tone. „O ja. Sie haben mir einst einen Apfel verkauft." „Nein, nein, Sie haben mir einmal einen Thaler geschenkt, wollten Sie sagen. Ich habe dafür meiner Johanna ein Kleidchen gekauft und meinem Manne, er lag damals gerade den zehnten Monat im Fieber — ach Gott, er sah aus, wie ein Märtyrer, es fehlte uns an Geld, die Fleischbrühe hat ihm damals gut gcthau. Er weiß aber nicht, daß ich mit meiner Tochter hieher zn Ihnen gekommen bin er hat morgen seinen Namenstag nnd wir haben ihm etwas zugesetzt, dem guten Alten, mit starkem Oesterrcicher; er schläft nun ganz ruhig nnd tränmt sich nichts, daß wir ihm die Schlüssel entwendet haben." — „Sie sind also wahrscheinlich die Frau des Gefangenwärters?" „Ja, und das ist meine Tochter Johanna. Aber damals, als Sie mir den Thaler schenkten, damals hatten wir ein eigenes Häuschen; ach es ist doch ein anderes, in Gottes freier Natnr, auf eigenem Grund und Boden, als hier, wenn man auch hat, was man braucht, und noch mehr." „Ja, das glaube ich Euch. Frei ist nur der Grundbesitzer, und glücklich nur der, welcher in der Heimat lebt. Heimat! Wissen Sie, liebe Fran, was Heimat ist? Heimat neune ich jenen Theil der Erde, welchen wir in nuferer Kiuderzeit zu übersehen vermochten. Alles übrige ist uns fremd. 2 — 18 — Fritz versank in stummes Träumen. Die Frau war verlegen. Da ergriff das Töchterchen das Wort: „Sie werden es uns nicht mißdeuten wollen, daß wir Ihre Einsamkeit unterbrachen. Wir wollen Ihnen unsere Dienste anbieten, wenn wir dadurch Ihre gewiß unverschuldete Lage in etwas verbessern können." Erst jetzt beachtete Fritz das Mädchen. „Es ist mir ein Trost," erwiderte er, „zu wissen, daß zwei so gute Herzen, wie Sje und Ihre Mutter sein mögen, chich für unschuldig halten. Ich danke Ihnen für Ihr freundliches, mitleidiges Anerbieten; allein ich will durchaus nie¬ mandem die geringste Bemühung verursachen. Ich bin unnütz aus Erden und — verzeihen Sie mir den Undank — es schmerzt mich, daß Sie meinetwegen sich Ungelegenheiten gemacht haben." Johanna empfand mit dem Gefangenen Mitleid. „Solcher Undank", sprach sie, „verzeiht sich leicht, denn er stammt, wie ich in einem Buche gelesen habe, nur von dem Trotze einer starken Seele gegen das unverschuldete Schicksal." Fritz blickte der Sprecherin mit weit geöffnetem Auge in das Antlitz. Sie hatte .ihm eine Wahrheit offenbart, der sein verschleierter Sinn sich nicht bewußt geworden war. Ein Kind, wie Johanna genannt werden konnte, hatte ihm eine Wohlthat erwiesen. Dies und der Geist des Mädchens beschäftigte seine Gedanken und er schwieg. Johanna setzte ihre Rede fort: „Es dürfte Ihnen vielleicht angenehm sein, Schreibmaterial und Lectüre zn erhalten. Sie werden beides bekommen, wenn Sie es wünschen." Fritz war beschämt und gestand es auch. Bon dein freundlichen Anerbieten machte er Gebrauch. Nachdem die Frauen sich entfernt hatten, reucte ihn seine Zurückhaltung. War er doch durch sein ganzes Leben Jedermann und somit Vielen, die cs nicht verdienten, vertrauensvoll entgegeugekommen, und diesem Weibe, das kein Eigen¬ nutz, sondern Dankbarkeit zu ihm geführt, hatte er sich verschlossen, er, dessen gan - zes Dasein freilich nur noch in dem Gedanken an Hedwig bestand. Ueber sie hätte er Erkundigungen eiuziehen können. Und hatten Johanna's Worte über seinen Trotz nicht wie ein Vorwurf geklungen? Er beschloß, durch die Frau des Gefangenwärters Nachrichten über das Haus des Advocaten Klausen eiuzuziehcn. Der Gefangenwärter selbst, der redliche Knauer, brachte ihm Vchreibrequisi- ten, Bücher und Zeitungen; seine Tochter hatte ihren alles vermögenden Einfluß bei ihm geltend gemacht. Sie hatte ihm versprochen, sich bei den Behörden die Er¬ laubnis; zn dieser Begünstigung des Gefangenen zu erbitten, und nur deshalb ge¬ stattete er schon im Vornhineiu, daß Fritz das Gewünschte erhielt. Bücher nnd Zeitungen ließ Fritz unbeachtet; für das Schreibmaterial dankte er besonders freudig. — 19 — Er schrieb viel, und was der Feder entfloß, war an Hedwig gerichtet. Mehrere Monate waren seit seiner Verhaftung vergangen, als er eines Ta¬ ges die Tochter deS Gefangenwärters ersuchte, ein versiegeltes Päckchen an die Fran Les Advocaten Klausen zu befördern. Johanna erfüllte die Bitte. Sie fand eine krankhaft blasse Dame; sie schrieb die Angegriffenheit derselben den gesegneten Umständen zu, in welchen diese sich befand. Der Einladung folgend, setzte sie sich neben die schöne Frau und erzählte, was sie von Fritz zu sagen wußte. Sie mußte versprechen, des andern Tages wieder zn kommen. Hedwig nahm sich vor, au Fritz zu schreiben. Als Johanna sich entfernt hatte, warf sich die unglückliche Frau auf ein Sopha. „Wenn ich vor Fahren einen Brief von Dir, mein Geliebter erhielt, legte ich ihn zitternd vor mich und erbrach das Siegel erst, nachdem ich Dein edles Bild betrachtet und Dich ganz vor meine Seele gebracht hatte. Und heute zittere ich, obgleich ich mehr als jemals Dein bin nnd die Mutter Deines Kindes werde." Thränen perlten über die Marmvrwangen. Sie öffnete und las den ersten der vielen Briefe: „Hedwig! Es ist vollbracht. Ich habe den Kelch der treuesten Liebe bis zum letzten Tropfen getrunken, ich bin gestorben, und es gibt auf diesem Sterne für mich kein Aufersteheu. Ich habe Deine öffentliche Ehre mit dem Tode der meini¬ gen erkauft, bist Du zufrieden? Denkst Du noch jenes Abends nach dem Haus¬ theater in dem Schlosse meines Vaters? Au jenem paradiesischen Abend im Schlosse meines Vaters kniete ich vor Dir und schwur Dir ewige Liebe, ewige Treue, ewige Reinheit; Du schwurst mir dasselbe und sagtest: ,Jch bin zufrieden mit meinem Fritz.' Nnd jedes Jahr, wenn ich aus der Residenz auf Ferien kam und nach der formellen Begrüßung vor Anderen in der ersten Stunde deS heimlichen Zusam¬ mentreffens in Deine Arme stiegen wollte, riefest Du mir schelmisch lächelnd und doch gar ernst ein Halt! entgegen und fragtest prüfend: ,Bist Du mir treu geblieben?' „Ich war es, und Du sprachst: ,Jch bin mit meinem Fritz zufrieden.' — Für Dich hab' ich gelebt, für Dich, Hedwig, bin ich gestorben, bist Du mit Deinem Fritz zufrieden?" Hedwig entsank das Blatt. Unter heftigem Schluchzen wogte ihre Brust auf und nieder; sie warf den Kopf in die Kissen des Divans nnd weinte laut. Sie las endlich weiter: „Ja, ich bin gestorben. Und wenn ein Geist mich plötzlich nach Amerika trüge, ich fände das Leben nicht mehr, denn ich habe die Ehre verloren. — Warum hat die Erinnerung an unser einstiges Glück solche Macht, daß ich au dem Abend meiner Verhaftung auf dem Heimwege von der Schwester des Doctors Klausen Dir gestehen konnte, aus Trotz habe ich jenes Haus gesucht, nm durch meinen beständigen Anblick Dich an Deine Treulosigkeit zu er¬ innern; solche Macht, daß Deine Thränen mein Herz erweichten und ich jede Krän¬ kung Dir abbat? Warum löschte nicht ein gütiges Geschick den Brand der Liebe — 20 — in meinen nnd Deinem Busen? Hedwig, cs ist alles finster vor mir, die klarsten, edelsten Leuchten sind mir, meinem Blicke erloschen/' Aehnlicken Inhaltes waren noch viele der übersandten Briefe. Der jungen Fran versagte bisweilen die Kraft nnd sie unterbrach die Lesung, nahm sie jedoch wieder auf, bis sie zu Ende war. Und der bittersüße Kelch dieser Schriften war ein schmcrzenreiches Bedürfniß für ihren Bnfen, dessen Treulosigkeit in den Vorwürfen des Geliebten einen Trost nnd dessen Wunden in der Mahnung an versunkenes Glück einen, wenn auch thränenvollen Balsam suchten. Des andern Tages erschien des Kerkermeisters Tochter wieder vor ihr und erhielt einen Brief, den sie ohne Anstände an Fritz abzugeben wußte. Der Gefan¬ gene lag, wenn er nicht schrieb, in dumpfer Gedankenlosigkeit. , Auf seine Zukunft hatte er nur einen Blick geworfen. Raumlose Nacht hatte er wahrgenommen nnd nichts in ihr als ein gespenstiges Phantom, und doch winkte es ihm freundlich; es war der Tod, in lichten Nebel verhüllt. Nur das Schreiben vermochte seinen Geist wieder zu binden, sonst schien es ihm, die Strahlen desselben gingen wie die eines verlöschenden Lichtes nach allen Richtungen in die Finsterniß, in die Finsterniß des Wahnsinnes. Jetzt aber, als er Hedwigs Brief in seiner Hand fühlte, erwachten seine Lebensgeister wunderbar kräftig. Er las: „Friedrich! Tausend, tausend Dinge habe ich Dir zu schreiben, und finde keinen Anfang. Ich erliege den Qualen, und noch sterbend werde ich Dich nm Verzeihung bitten, wie mein Herz im Leben dies schon millionenmal gethan hat. Ich habe der Eitelkeit meines Vaters meine Liebe geopfert, Len Himmel für die Welt gegeben, darum hat die Welt nichts Himmlisches mehr für mich. Jene eine und einzige Stunde, in welcher ich den Vertrag mit der Welt vergaß, um mit Dir aus dem lichten Reich der Liebe kurze Wonne zu genießen, o sie war ein Diebstahl und ich werde dafür gestraft. Hadere nicht mit Gott. Seine Versuchungen sind Prüfungen. Seine Strafe verdiene ick, ich habe Dir die Treue und ihm einen Schwur gebrochen. Die Liebe blieb, sie war und ist mein höchstes, mein einziges Gut, aber auch mein Verderben, denn ich hatte mich des Rechtes auf sie begeben. Gott straft und spendet zu gleicher Zeit. Jede Secnnde bringt mir einen vierfachen Schmerz; ich leide nm Dich, ich leide an meiner Schuld, ich leide bei dem An¬ denken au meinen Vater, und ich leide für ein Wesen, das in nicht gar langer Zeit mich zur Mutter machen und die kleinen Händchen vergebens nach seinem Vater ausstrecken wird." Fritz sprang heftig empor. Sein Auge begann zu flammen, die gelbweiße Wange färbte sich dunkelroth. Seit Jahren zum ersten male stand er in seiner ganzen Größe und Kraft da. Ein neues, ungekonntes Gefühl, das Pflichtgefühl der Mannheit durchwehte mit heiligendem Ernste sein ganzes Wesen. Stehend las er weiter: „—Und eben deshalb dürfte Dein väterliches Schloß nicht in fremde Hände kommen, wie Dein Bries fürchtet; die Klausen würden von — 21 — demselben ausgeschlossen, wenn ich den Muth besäße, der mir Lei Deiner Berurthei- lung mangelte. Denn im Testamente meines Vaters steht der Artikel: .Mein Schloß zu Thalwein vermache ich meiner Uuiversälerbin, meiner Toch¬ ter Hedwig, jetzt verehelichte Doctor Klausen, jedoch mit dem Beding, daß dasselbe nicht ihren: Manne oder dessen Kindern ans der früher» Ehe, sondern sammt' allen dazu gehörenden laudtäflich eingetragenen Bcsitzthumern, Rechten und Gerechtsamen auf ihre, d. h. der Nuiversalerbiu, Kinder so übertragen werde, daß der älteste Sohn oder, wenn sie nur Töchter erhielte, die älteste Tochter als Eigenthümerin laudtäf- lich intabulirt werde und nur der fünfte Theil seines Werthes an die jüngeren Kinder meiner Tochter Hedwig ansgezahlt wird.' — Meinem, Deinem Kinde gehö¬ ren somit die Liegenschaften meines Vaters, Deines Vaters. — Ein fürchterlicher Kampf zerreißt meine Seele. Ich möchte tausend Meilen weit fliehen aus dem Hause, das mich gefangen hält; ich möchte, das. Testament meines Vaters in der Hand, mich auf die Ecksteine der Gasse stellen und meine Schande öffentlich gestehen, um Deine Ehre wieder herzustellsn und unserem Kinde sein Eigeuthnm zu sichern; aber immer kehrt meine Schwachheit wieder zu dem Schatteubildc der „öffentlichen Ehre" zurück. Hilf mir, Friedrich! Hauche mir Muth ein gegen diese Klausen, von denen der Sohn mich kränkt und im Hause gefangen hält, und der Alte mein Kind als das seinige anschcn will, um das Schloß dennoch mit dein Namen Klausen zu verbinden, und Loch hat er, Gott ist mein Zeuge, mich nie zu seinem Weibe gewürdigt. Täglich ertrage ich unter Thrä- neu die entwürdigendsten Vorwürfe; meine Drohung, öffentlich die Wahrheit zu beken¬ nen, beantworten sie mit Gelächter und Gefangenschaft. Sie werden mich ermor¬ den, — ja eine Ahnung sagt mir, so wird es kommen. Sie werden mich und unser Kind ermorden und dann jene Clausel des Testamentes zur Geltung bringen, welche mein Mann von meinem sterbenden, fast bewußtlosen Vater zu erpressen wußte: ,Bleibt meine Tochter Hedwig kinderlos, oder sterben ihre Kinder, so fällt Las Schloß sammt allen Appertinenzcn an ihren Manu, den Doctor Klausen, oder dessen Erben.' O Fritz! Bald wird der Tod Deine Hedwig ergreifen, wirf keinen Stein des Vorwurfes in ihr Grab. — Ich habe Dich immer geliebt und nicht Dir, son¬ dern der Welt gelogen, die mich betrogen hat. Auf dem Hauch unserer Liebe wird mein sündiger Geist in ein besseres Jenseits lüuüberschweben, um Dich zu erwarten." Fritz küßte das Papier und maß unter der fürchterlichsten Erregung die ein¬ same Zelle. Nun war alles vergessen und verziehen, was Hedwig an ihm ver¬ schuldet. Sie war grenzenlos unglücklich, und zum größeren Theile durch sein Verschulden. Jetzt galt es, wieder thätig ins Leben einzugreifen, denn er hatte Pflichten. Und er konnte sich darüber freuen; je schwieriger seine Aufgabe war, desto lebhafter erwachte seine Thatkrast. — 22 — VI. Die öffentliche Ehre. Wer die hagere, mit eigenthlimlicher Leichtfertigkeit gekleidete und sich bewe¬ gende Person des Richard Klausen erblickte und Gelegenheit hatte, zu bemerken, mit welcher Sicherheit und Grazie der junge Manu über die Theaterzustände der Resi¬ denz, die Geschichte und Leistungen der einzelnen Diener der Thalia, über daS Verhältnis; der Huilde- und Pfcrderacen zu einander, und die Genealogie der einzelnen Indi¬ viduen derselben zu sprechen verstand, wer da wußte, daß Richard ost des Morgens um drei Uhr das adelige Casino verließ und Mittags um Eins ans dem Bette stieg; der mußte bekennen, daß er einen ungewöhnlichen Menschen vor sich habe. Selbst unter seines Gleichen ragte Richard durch ein tieferes Gepräge ihrer Sonder¬ heiten hervor. Er glänzte durch die weißesten Hände, die längsten Nägel, den klein sten Fuß, und seine Mama, die selige Hohe, war in Erinnerung an diese und ähn¬ liche Vorzüge leicht mit dem Troste verschieden, cs könne ihrem Nettesten dereinst die Hand der Vornehmsten nicht fehlen. Auch sein Papa, dessen eifrigstes Studium von jeher mehr dein Leben der höheren Kreise als der Advocatur gewidmet war, und der auch in eigener Person seinen Richard in demselben unterwies, war mit den Resultaten seiner Erziehung vollkommen zufrieden, denn Richard war in seinem zweiundzwanzigsten Jahre ein vollständig emaucipirter Lebemann vom besten Tone; zu bedauern blieb nur, daß er die schönen Seidenhaare uickü mehr mädchenhaft über der Stirne abtheilen konnte, sie waren ihm ausgegangen. Sowohl dem Vater als auch dem Sohne war diese Erscheinung des Glatzkopfes um so räthselhafter, da beide sich bewußt waren, wie sehr man cs von jeher vermieden hatte, Richards Ge¬ sundheit durch angestrengte Studien zu schwächen. Völlig unerklärlich wurde die Sache neben der Wahrnehmung, daß Richards Bruder, der stille, von Hofmeistern aufs strengste erzogene, von den Eltern vernachlässigte Karl, trotz immerwährender Studien bis in sein sechszehntes Lebensjahr eine von Kraft strotzende, blühende Ge¬ sundheit und die üppigsten Haare conscrvirt hatte. Jndeß tröstete man sich. Neigte sich doch Karl von jeher auch in seinem geistigen Wesen dem Bürgerlichen zn, und die psychologischen Kenntnisse der Klausen verdienten, wie der Vater öfter hcrvorhob, fast Bewunderung, denn man hatte Karl für den geistlichen Stand, oder wenn seine Neigung dagegen Ware, für den politischen Staatsdienst bestimmt. Richard sollte in Militärdienste treten. Und die Zeit war gekommen. Die stets gepflegten Verbindungen der seligen Mama mit hohen östcrrcichiscken Kreisen wurden nun angestrengt, um in diesem Staate'für Richard eine Ofsiciersstelle zu erwerben, natür¬ lich bei der Cavallerie. Dem Vater konnten die Summen, welche sein Richard schon jetzt bedurfte, keineswegs aufsallcn; ihre Ausgabe, ihre Hcrbeischaffnng war eine mit seinem Stande unlöslich verbundene Nothwendigkeit, in welche sich der - 23 — alte Klausen um so eher fügte, als er dem modernen Grundsätze huldigte: die Ju¬ gend muß austoben. Schon jetzt benahm sich Richard, als trüge er den Dolman. Allein wer ahnte seins geheimen Sorgen? Wem war es bekannt, daß ein junger Graf gerade jetzt, wo Richard mit Glanz die öffentliche Laufbahn ritterlicher Ehre antretcn sollte, ihm drohete, eine große Summe Spielschulden nicht nur dem Vater des Schuldners, sondern allen adeligen Kreisen der Stadt bekannt zu geben, wenn er, der selbst von Verlegenheiten gedrängt wurde, binnen drei Tagen nickst bis auf den letzten Heller bezahlt wäre. So begreiflich es auch dem alten Klausen schien, für seinen Sohn hie und da einen Schuldpvsten zu decken, so sehr hatte er sich Loch immer schon im vorhinein dagegen verwahrt, jetzt schon bedeutende Streicke vom Spieltische her wieder gut zu machen. Und davon der geheime Kummer seines Sohnes. Dieser war nicht so mittheilsam gegen den Vater, wie der alte Mann gegen seinen Erst¬ gebornen, von dessen Jugend er, wenn auch vergebens, Rath und Hilfe hoffte. Schwachheit des Geistes und Charakters hatte den Vater bewogen, Richard in die innersten Geheimnisse selbst seines ehelichen Lebens einzuweihcn. Er traute sich selbst nicht die Kraft zu, in dem Kampf gegen seine Frau, der nun unvermeidlich gewor¬ den war, Stand zu halten, und wenn er auch seinem Sohne keineswegs die Füh¬ rung desselben überlassen wollte, so flößte ihm doch der Gedanke, nicht allein zu stehen, hinreichenden Muth ein. Hedwig kam eines Morgens in das Schreibzimmer ihres Geniales. Sie hatte einen Umweg durch das Vorhaus machen müssen, da, wie schon erzählt, die Tbüre, welche aus ihren Appartements zn ihrem Manne führte, seit langem ver¬ schlossen war. Als sie das Zimmer ihres Stiefsohnes Richard durchschritt, war dieser, erst halb angekleidet auf dem Ruhebett liegend, in einen französischen Roman ver¬ tieft, hatte sich jedoch erhoben, um seiner Stiefmutter zu folgen. Schon stand diese in dem Gemach ihres Mannes, als sie Richard bemerkte. „Bleiben Sie zurück", ersuchte Hedwig, „ich habe mit dem Papa Dinge zu besprechen, an denen Sie keinen Theil haben dürfen." „Verzeihen Sie, Madame", siel da der Alte ein, „zwischen mir und Richard giebt es kein Geheimuiß. Bleibe hier mein Sohn!" „Wenn ich mir aber die Bitte erlaube, mit Ihnen allein sprechen zu dürfen?" „So bedaure ich, dieselbe nicht erfüllen zu können." „Sie zwingen mich eine Scham abzulegen, die mich zu jener Bitte bewog." „Desto offenherziger wird das Gespräch geführt werden." „Herr Doctor, Sie reizen eine kranke Frau." „Meine Frau —" „Sie irren sich, Herr Doctor, das ist es eben, was ich mit Ihnen ins Klare setzen will, ins Klare setzen muß. Ich kann in diesem Hause nicht länger bleiben, es —" „Ereifern Sie sich nicht, Mama", begann Richard mit gar süßem Lächeln. „Jede Aufregung schadet Ihnen —" — 24 — Hedwig, welche sich auf einen Fauteuil gesetzt hatte, erhob sich und verlangte von dem Advocaten: „Heißen Sie diesen jungen Alaun sich entfernen. Die unver¬ schämte Glätte seiner Rohheiten treibt mir das Blut ins Gesicht. Sie dulden es, daß dieser unbärtige Knabe seit Monaten mich jede Stunde des Tages verletzt, so daß die Gesundheit meines Körpers gebrochen ist, und heucheln dennoch der Welt gegenüber den beglückten Vater meines Kindes? Sie dulden es, daß Richard jede menschliche Hilfe, um die ich bat, durch Jntriguen von mir ferne hält? Warum mußte gestern Abends der Dvctor, nach welchem ich geschickt hatte, vor der Thüre wieder umkchren? Mit welcher Stirne durfte Ihr Sohn demselben sagen, ich hätte mich erholt und wäre ausgefahren?" „Sie erdichten sich Märchen, Mama." „Schamloser Mensch, ich bin recht unterrichtet. Neunen Sie mich nicht Mama, Sie beleidigen mich." Richard lachte hell ans. Hedwig sank in den Fauteuil zurück und weinte vor Zorn und Schmerz. Sie war gereizt bis in die zarteste Faser ihres Wesens. Endlich erhob sie sich wieder und trat dem Advocaten kühn gegenüber. „Ich frage Sie, ob Sie ihre Zustimmung zu unserer gänzlichen Scheidung geben ?" „So weit wollen Sie gehen, Madame?" fragte Klausen etwas erstaunt. „Meine Stunden sind gezählt," antwortete sie! „Ich antworte mit Nein, und Sie werden mir Dank wissen. Ich begreife ihre Aufregung durchaus nicht. Betrachten Sie doch die Sache von meinem Ge¬ sichtspunkte, und Sie werden finden, daß ich an Ihnen edel handle. — Lassen Sie mich aussprcchen, Frau Gcmalin." „Nein, nein, nein! Nennen Sie mich nicht Gcmalin, dieser Titel brennt mich ins Herz hinein." Richard stellte sich knapp vor sie und spielte in leichtsinniger Tändelei mit seiner Cigarre. Hedwig barg das Gesicht in ihr Taschentuch und schluchzte. Nun glaubte Doctor Klausen in feinem Sermon fortfahren zu dürfen. „Sie sind krank, daher Ihre unrichtigen und verwickelten Anschauungen in einer so einfachen Geschichte. Vielleicht in wenigen Tagen wird unsere Familie um ein erwünschtes Glied vermehrt, wer sollte darin etwas Sonderbares erblicken?" „O über diese Niedrigkeit! Seit wann ist jene Thüre verschlossen, Herr Doctor? Und auch als sic geöffnet war?" „Ach, diese Thüre soll keinen Scheidungsgrund abgeben;" unterbrach Richard mit scherzendem Lächeln, stand auf und drehte den Riegel znrück. „Danken Sie Gott, Mama", setzte er fort, „daß unser Papa die Güte und Nachsicht hat, Ihre öffentliche Ehre zu retten." — 25 — „Meine öffentliche Ehre? Ihre rettet er, nnr Ihre, denn wer hat jene tausend Thaler entwendet, wenn — Fritz —" Aber Hedwig versagte die Stimme. Sie konnte den Namen des Geliebten, dem sie alles geraubt hatte, doch nicht benützen, nm jene öffentliche Ehre, an der sie noch immer fester hing, als sie selber glaubte, aufzugeben und zu der innern zu- rückznkehren, bei der allein sie zur Ruhe gekommen wäre. Richard aber trat mit dem Blick eines Tigers auf Hedwig zu und rief, während er in der Weise eines rauflustigen Holzknechtes ihr die Faust vor das Gesicht hielt: „Weib, Du verdächtigst einen Ehrenmann, um Seinen Geliebten, der zugleich ein Dieb ist, zn retten? Hedwig schrak zusammen. Ihr trat die innere, vvn der Erziehung nnr durch eine glatte Hülle verdeckte, aber nicht geänderte rohe Natur ihres Stiefsohnes in entsetzender Gestalt vor Angen. „Sie werben mich ermorden?" schrie sie, und wehrte ihn zitternd mit den Händen ab. Der alte Klausen ergriff sie beim Arm und wollte sie in ihre Apparte¬ ments führen. „Scheidung, Scheidung", schrie Hedwig im halben Wahnsinn. „Ich selbst werde Euch Räubern und Mördern den Proceß machen. Fritz will es, er wird mich nicht verlassen. O Gott, o gütiger Gott!" Während dieser und ähnlicher Worte wankte sie willenlos am Arm des Advocaten unter heftigem Schluchzen durch die von Richard geöffnete Thüre in ihre Appartements. Dort sank sie bis zum Tvde erschöpft auf ihr Ruhebett. AlS der alte Klausen in sein Schreibzimmer znrückkehrte, fand er seinen Sohn mit wnthflammenden Augen in dessen Mitte still und steif wie eine Statue stehen. „Wenn die Kinder, die Hedwig geboren, sterben, gehört das Gut Dir uud Deinen Erben. Ist es nicht so?" fragte er in entsetzlich festem Tone. „Ja", lautete die kluge Antwort. „Wenn sie Gelegenheit bekäme, so würde sie uns zu Lügnern stempeln", murmelte Richard mehr für sich. „Richard" begann der Alte. „Ich habe eine schwere Frage an Dich seit lange auf dem Herzen, über die Zunge wollte sie nicht. — Sage mir — bei allem was Dir heilig ist, Richard — wer hat die tausend Thaler entwendet?" Plötzlich stand vor dem Doctor wieder sein wohlerzogener, hochanständig lächelnder Sohn. „Ich begreife Sie nicht, Papa, wer anders soll sie gestohlen haben, als Fritz. O unsere Mama hatte Recht. Die Ariuuth kann nicht charak¬ terfest sein." Der Alte schwieg; Richard zog sich zurück. — 26 — VII. Aer Diel'. Der Tag war vergangen. Hedwig hatte sich zn Bette begeben müssen. Der Doctvr war geholt worden, beide Klausen hatten ihn an das Bett der Kran¬ ken begleitet; sie durfte seit Fritzens Verhaftung mit Niemand unbewacht sprechen. Nur ein- oder zweimal war es der Tochter des Kerkermeisters gelungen, H.dwig allein zu treffen. Doch kam sie öfter in das Haus der Klausen, brachte von ihr gefertigte weibliche Arbeiten und erhielt jedesmal ein Päckchen Stoff mit Anwei¬ sung zur Verfertigung der nun bald uöthigen Kinderwäsche. Johanna war auch heute gekommen. Doctor Klausen selbst hatte sie zum Bette seiner Gemalin geführt, wo sie einen kleinen Ballen Schnitte, Leinwand und Spitzen in Empfang nahm und sich entfernte. Aber in ihm war ein Zettelchen an Fritz verborgen. Daß Johanna die Tochter des Kerkermeisters Knauer war, wußten die Herren Klausen nicht; man hielt sie für eine Natherin, ohne sich weiter um sic zu kümmern. Nachmittags hatte sich Hedwigs Zustand gebessert, so wenigstens sagte sie selbst und der Doctor. Beruhigt zogen sich ihr Mann und ihr Stiefsohn zurück. Seit Fritzens Vcrurtheiluug waren acht Monate vergangen. In dem uns bekannten Schlafzimmer der beiden Klause» herrschte die Stille der Nacht. Auf einem Ecktischchen brannte hinter einem Deckschirm ei» mattes Lämpchen. Der Alte war heute früher als sonst zu Bette gegangen, weil Richard den Abend nicht im Casino, sondern bei der Tante zugebracht und ebenfalls zeitiger als sonst die Ruhe gesucht hatte. ' Dies war dem Vater nicht ausgefallen, er schrieb es der Müdigkeit seines Sohnes zu, der mit einigen Officieren und dem Grafen N. die letzten Tage eine Partie ins Gebirge unternommen hatte. Dag dieselbe dem Hazard gewidmet war, wußte er nicht. Wirre Gedanken beschäftigten ihn. Vor allem trat ihm die Scene vor Augen, die er heute mit seiner Gemalin erlebt. Sie hatte z'n verstehen gegeben, daß Fritz unschuldig sei, sie hatte gedroht, hievon die Anzeige zu machen, wenn er, ihr Mann, allen Ernstes sich für den Vater ihres Kindes ansehcn »volle nnd nicht die von ihm verlangten Schritte zur gerichtlichen Scheidung ihrer Ehe thue; in einer noch nie an ihr bemerkten Aufwallung persönlichen Muthes war ihr das Wort entfallen, sie selbst werde ihm den Proccß machen. Dies und die finstern Pläne gegen Diejenige, deren Vermögen allein die Ehre seiner Familie zu erhalten im Stande war, zogen durch seinen Kopf. Da näherte sich auch ihm der Schlummer und bedeckte mit leichtem Mantel alle jene Gestalten nnd Ereignisse, die seinen Geist munter gehalten hatten. Doch horch! Rickards Bett knistert, Richard erhebt den Oberkörper; der Alte konnte dies an dem Schatten an der Wand entnehmen. Was macht der junge Mann? was hat er vor? — 27 — Doctor Klausen verhält sich still, wie schlafend. Er will abwarten, um zu erfahren, was Richard beginnen werde. Er hatte von Nachtwandlern, von Mondsüchtigen gehört, aber nie einen gesehen. Handelt Richard im Schlafe? Richard zieht langsam und leise die Füße auf den Parketboden. Nun steht er aufrecht da. Er blickt auf das Bett des Vaters. Der Vater drückt die Augen zu, doch nicht völlig. Roch sieht er alles, was sein Sohn beginnt. Dieser hebt den Schlafrock von der Decke seines Bettes, er hatte ihn vor dem Schlafengehen dorthin gebreitet; er zieht ihn an und nähert sich aus den Zehen. Sein Tritt ist unhörbar; er hatte Strümpfe, aber keine Nacht¬ schuhe angezogen. Doch plötzlich richtet er den katzenartig gebeugten Rucken gerade auf und horcht. AuS dem Borhause war ein Geräusch zu seinem Ohr gedrungen. Es war, als hätte sich eine Thüre geöffnet und geschlossen. Auch der Vater glaubt es bemerkt zu haben. Daß er sich nicht täuschte, bewies ihm die Aufmerksamkeit Richards. Doch nun war alles wieder still. Kein Tritt, kein Wort, nichts ließ sich hören. Vater und Sohn mochten glauben, ihre Aufregung habe sie geäfft. Richard nähert sich dem Bette des Vaters. Nun steht er vor ihm. Er beugt sich fast so tief über das Antlitz des Va- ters, daß dieser seinen Äthern fühlt. Der Alte strengt sich an, auch in der schrecklichen Erregung den Athemzug regelmäßig zu erhalten. Richard ist nun überzeugt, der Vater schlafe. Sachte fährt er mit der rechten Hand unter das Kopfkissen des alten Man¬ nes. Der hatte dort stit Fritzens Verhaftung den Schlüssel zur Lasse verborgen. Diesen Schlüssel sucht Richard. Er findet ihn nicht so bald. Endlich ist er in seiner Hand. Noch ein Blick ans des Vaters Antlitz — er schläft, er athmet tief, aber regelmäßig, ja, er schläft. Wie zum Bette, so schleicht Richard nun zur Thüre, welche zum Schreib¬ zimmer des Vaters führt. Sie ist weder geschlossen noch eingeklinkt, Richard hatte sie vor dem Schlafengehen, ohne daß der Vater es bemerkte, geöffnet, aber doch bis zum Schlosse ungezogen. Geräuschlos drehte sie sich in den Angeln und Richard verschwand hinter ihr. Es währte nicht lange, so hörte der alte Klausen ein leises Schrillen, es war der Riegel im Schloß zu seinem Gelde; er kannte den Ton genau. Richard also, sein von ihm erzogener Sohn, war der Hansdieb, welcher auch jene tausend Thaler entwendet haben mochte, wegen welcher Fritz im Gefängnisse saß. — 28 — - Eine nur verstohlen, aber öfter anfgetanchte, doch jedesmal schnell unter" druckte Vermuthung des alten Advocaten stellte sich nun als Wahrheit heraus. Und wie glatt war Richard heute morgens über die Frage nach dem Diebe hiuwcggcgan- gen; beruhigt war der Alte dadurch freilich nicht worden. Sticht nm Richard zu entlarven und Fritzens Unschuld zu Ehren zu bringen, sondern lediglich, nm seinem Sohne das Handwerk zu legen, erhob er sich leise und schlich auf den Zehen Richard nach. Noch steht er hinter der Tbüre, doch an dem Scheine des Lämpchens, das seinen matten Schimmer gerade durch die offene Spalte auf den Schreibtisch im zweiten Zimmer lenkt, sieht er, wie Richard soeben ein Gebinde Banknoten in die Tasche seines Schlafrockes gleiten läßt. Plötzlich richtet der Dieb seinen Kopf aufmerksam in die Höhe. Eine Thüre war im Vorhaus aufgegangen. Anch der Vater hatte das Geräusch vernommen. Wer wagt es, um Mitternacht ab und zu zugehcn? Es müßte ein Mann sein; denn ein aufmerksames Ohr konnte Tritte ver¬ nehmen, so leise auch der Angekommenc austrat, die Tritte geschahen langsam, wie dies kein Frauenzimmer zu Stande bringt. Allein auch ein weibliches Wesen mußte im Vorhause sein, denn man hörte das Rauschen eines Kleides. War es Hedwig? Wollte sie entweichen? Doch sie war ja kränker und schwächer als je zu Bette gegangen und hatte eS den ganzen Tag nicht verlassen können. Neber diesen Gedanken hatte Doctor Klausen seinen Sohn aus dem Auge gelassen und nach der Thüre geblickt, welche aus seinem Schreibzimmer in das Borhaus führte. Das Schreibzimmer selbst war bis auf jenen schmalen, matt er¬ leuchteten Streifen in der Gegend des Secrctärs völlig finster. Richard hatte den Schreibtisch verlassen. Der Vater sah seinen Sohn nicht. Dagegen ward ein Geräusch an deut Schlosse der Thüre, welche ans dem Arbeitszimmer des Advocaten ins Vorhaus führt, lebendig. An dem äußern Drücker versuchte jemand zu öffnen, dies war gewiß und versetzte den Alten in größere Angst, als Richards Diebstahl vermocht hatte. Wenn die Thüre zufällig aufgeht und die Personen im Vorhause mit Licht versehen sind! Der Secretär ist nicht geschlossen, Richard kann entdeckt werden, die Ehre des Hauses steht auf dem Spiele. Doch nein, er, der Alte selbst hat die Thür zngesperrt. Genau erinnert er sich daran, und ein Trostseufzer entsteigt seiner beklommenen Brust. Richard konnte anch diesen Seufzer vernehmen. Wo, in welcher Ecke des Zimmers stand er? > Da knackt der Hahn eines Gewehres oder einer Pistole. Oder war es der Riegel in jenem Schlosse, an dessen Drücker soeben jemand zu öffnen versuchte? — 29 — Und noch einmal hört der Alte den Gang eines Gewehrhahnes. Diesmal täuscht es ihn nicht. „Wie, wenn Richard eine der geladenen Pistolen von der Wand genommen hat und an der Thllre steht, um deu Eindringeuden zu erschießen?" „Hat Richard den Verstand verloren?" „Nein, er will durch die Thüre ius Vorhaus und die dort Befindlichen des Diebstahles zeihen, deu er soeben selbst begangen. Vielleicht hat er mich seufzen gehört." Die widersinnigsten Bermuthungeu durchkreuzten den aufgeregten Sinn des alten ManneS. „Jedenfalls muß ich ciu Unglück verhüten", dachte er endlich, und beschloß zu interveniren. Richard hatte den Vater durchaus nicht bemerkt, da er sich der Ucberzeu- guug hingab, dieser liege in festem Schlafe. Ihn beschäftigte nur das Geräusch im Vorhause. Aber in der Aufregung liber seine verbrecherische Handlung raubte ihm dasselbe jede Ueberlegung. Der Wildschütz schlägt fast mechanisch an, wenn er ein menschliches Wesen in seiner Nähe bemerk, ein Holzweib treibt ihn zu derselben Sicherheitsvorkehrung, wie das Erscheinen des Försters. So erging es Richard. Im Besitz der Beute dachte er doch unwillkürlich an strafende Organe des Gesetzes. Hatte er doch an derselben Stelle einer Verhaftung beigewohut. Die Einsamkeit in dem finstern Zimmer und der Ernst seiner, wie erwähnt, bedrohten Lage, ersparten seiner thierischen Gewaltsamkeit die Maske, unter deren Lächeln sie vor den Augen der Menschen sich stets zn verbergen wußte. Er griff nach einer der beiden Pistolen, die er auch in der Dunkelheit unter den Waffen des Vaters zu finden wußte. Der Vater selbst hatte sic vor einigen Tagen geladen, als vor der Abreise Richards inS Gebirge seine Begleiter im Garten des Grafen N. ein Scheiben¬ schießen gehalten hatten. Damals war Richard der Absicht des Vaters, sic auszuschießeu, mit der zärtlichen und scherzenden Bemerkung entgcgengetretcn: „Da Du nun einige Nächte allein schläfst, Papa, so wird es zu Deiner Sicherheit dienen, zwei so geladene Dinger bei Dir zu haben. Der Degen neben dem Bette macht so nur Parade." Von Wein erhitzt war Dvctor Klausen, wie im-ner in diesen. Zustande, mit jedem Vorschläge seines Sohnes zufrieden gewesen. Eine von diesen Pistolen nun in der Rechten, trat Richard au die Thüre, als von außen an ihrem Schlosse gedrückt wurde. Der Alte hatte richtig gehört, Richard zog deu Hahn auf. Doch das zweite ähnliche Geräusch rührte von den, Ansdrchen des Thiirschlosses her, die Pistole hatte nur einen Laus. — .30 - In demselben Augenblicke, in welchem Richards übereilt Verbrecherangst die Thüre öffnen will, erfaßt ihn an der Seite ein Mann und ruft ihm ein militä¬ risches „Halt" zn. Richard schrickt zusammen — und geschah es absichtlich oder nicht, die Pistole geht los. Ein Schrei wird gehört. „Richard! — Du hast Deinen Vater — erschossen." In schwerem Fall sinkt Doctor Klausen zu Boden. Im Hanse entsteht überall Lärm. Richard läßt den Vater liegen, wirft die Pistole weg und will in das Schlafzimmer eilen. Da faßt ihn eine nervige Hand beim Kragen des Schlafrockes. „Laßt mich!" schreit er, und will sich los machen. Ein Ruck von der Hand seines Verfolgers, nnd er liegt mit dem Rücken auf dem Boden. „Ei, bist Du es, bist Du es wirklich? Bube, Dieb, Mörder!" rief Fritz, denn er war es, der Richard zu Boden geschleudert hatte. Hinter Fritz standen mehrere Personen, fast jede mit einem Lichte in der Hand, unter ihnen der Doctor der Fran Klausen, der, die Thüre im Vorhause verfehlend, an dem Schlosse, vor welchem Richard gestanden war, gedrückt hatte; auch Johanna, die Tochter des Kerkermeisters, welche den Doctor, einen Freund Fritzens aus alter Studienzeit, zu der tvdtkraukcn Hedwig gerufen und geführt hatte, war zugegen, so wie Hedwigs treue Kammerzofe, welche vor einer Stunde zu dem Kerkermeister Knauer mit der Botschaft geeilt war, Hedwig liege im Ster- ben. Der Kreis der Anwesenden vermehrte sich bald durch die herbeieilcudc Diener schäft und einige von dem Schüsse aufgeschreckte Hausbewohner derselben Etage. Während der Doctor sich mit deut verwundeten Alten zu thnn machte nnd mit seinen Ordinationen die Dienerschaft beschäftigte, batte Fritz den Verbrecher au der Brust gefaßt. Richard machte Versuche, sich los zu reißen. Sie waren vergebens, so sehr die Verzweiflung seine Kräfte erhöhte. Fritz ergriff ihn bei den Armen, hielt sie wie in einem Schraubstocke fest und zog Richard in die Höhe. „Die Casse geöffnet, der Vater erschossen! He, Bube, hast wieder einmal gestohlen?" sprach Fritz. „Laß den Alten", forderte er sodann den Doctor auf. „Da untersuche diesen Schurken. Greif nur in die Taschen seines Schlafrockes. Ei, ei, ein Bund Thaler- scheine! Nun fehlt es doch nicht an Zeugen, wer bei dem Advocaten Klausen der Hausdieb ist. Und diesmal war auch jene Thür geöffnet." — Fritz deutete gegen die Appartements Hedwigs. „Du hättest wohl einen Theil der Banknoten in das Zimmer Deiner Stiefmutter prakticirt nnd die Gemalin Deines Vaters zur Diebin gestempelt." — 31 — In der Thal hatten weder der alte Klausen noch Richard, welcher jene Thiire während der Scene mit seiner Stiefmutter am Morgen in muthwilligem Spott geöffnet hatte, im Laufe des Tages daran gedacht, sie wieder zu schließen; durch sie war Fritz in das Schreibzimmer gelaugt. Nur die anwesenden Fremden drück¬ ten ein Erstaunen über die Verworfenheit des „jungen Herrn" aus; dcr Doctor nnd Johanna waren in Fritzens und in die Verhältnisse des Hanfes Klausens einge- weiht, die Kammerzofe und sonstige Dienerschaft fand nur eine stille gehegte Ver- mnthung bestätigt. Fritz sckückte den Bedienten nach der Polizei. „Dich Elenden wollen wir vorläufig in Deinem eigenen Neste gefangen setzen." Mit diesen Worten führte er, begleitet von mehreren Personen, Richard in das Schlafzimmer des Vaters. Alle Thiiren desselben wurden fest verschlossen, die Schlüssel steckte Fritz zu sich und kehrte in das Schreibzimmer zurück. Hier lag der alte Klausen aus dem Ruhebette. „Lebt er noch?" fragte Fritz. „Ja", antwortete der Doctor, „aber die Sonne wird er nicht mehr auf¬ gehen sehen." „So ist Eile nothwendig." Und Fritz trat zu dem Verwundeten. „Herr Doctor", redete er ihn an, „sind Sie der Vater des Kindes Ihrer jetzigen Gemalin? „Rein, ich bin es nicht", antwortete entschieden der alte Klausen. „Bedenken Sie jedes Ihrer Worte. Viele Zeugen sind gegenwärtig, der wichtigste aber ist Gott, vor dessen Richterstuhle Sie bald erscheinen werden. Ha¬ ben Sie noch den vollen Gebrauch Ihres Geistes?" „Ja, und ich wiederhole: das Kind meiner Frau ist kein Klausen, es ist Ihr Kind, Herr Wolf." „Ja, es ist mein Kind!" Fritz zog aus der Tasche seines Rockes ein Paket Papiere nnd öffnete es. Eins nahm er heraus uud zeigte es dem Advocaten. „Hier sehen Sie eine amtlich beglaubigte Abschrift von dem Testamente Ihres Schwiegervaters. Am Ende desselben, noch hinter der Unterschrift der Zeu¬ gen nnd des Erblassers, steht eine Klausel, ich werde Ihnen dieselbe vorlesen. Sie lautet: .Bleibt meine Hedwig kinderlos, oder sterben ihre Kinder, so fällt das Schloß sammt allen Appertineuzeu an ihren Mann, den Herrn Advocaten Doctor Klausen, oder dessen Erben.' Sie liegen auf dem Sterbebette, Herr Doctor. Ant¬ worten Sic die Wahrheit, wenn ich Sie frage, ob diese Klausel der Wille des ver¬ storbenen Vaters Ihrer Gemalin war, oder nicht. Antworten Sie!" Wer widersteht der Macht und den tausend Schrecken des Todes und seiner Begleiter? Weder der Beste, noch der Schlechteste, noch die gewöhnlichen Menschen. So gestand nun der Doctor Klausen offen und vor allen Zeugen, jene Klausel — 32 -- habe er dem schon bewußtlosen Vater Hedwigs abgeschwindelt, und erklärte sich bereit, auf die rechtlichen Folgen derselben für sich und seine Erben Verzicht zu leisten. „Geben Sie auch Ihre Einwilligung zu der von Ihrer Gemalin verlangten gerichtlichen Ehescheidung? Machen Sie gut, was Sie im Leben Schlechtes gethan." „Ich gebe sie", lautete die Antwort. Nun ließ Fritz einen Notar holen und alle eben gemachten Erklärungen des Sterbenden mit der nöthigeu Zeugenschaft einiger anwesenden Männer zu rechtsgiltigem Abschluß bringen. Klausen hatte noch Kraft, den Hergang seiner Verwundung zu erzählen, er that es rückhaltlos und schonte, aus Furcht vor deni Jenseits, auch die Ehre seines Sohnes nicht. Mau hatte nach einem Geistlichen geschickt, er kam zu spät. Die Civilehe Hedwigs war nun gelöst, kein Baud fesselte sic an die Fa¬ milie Klausen; jener Zusatz zu dem Testamente ihres Vaters war getilgt, ihr und ihrem Kinde gehörte das Schloß und Gut zu Thalwein. Was konnte sie und Fritz hindern, sich nach langen Jahren bittern Leidens zu vereinigen und somit ihrem Kinde auch Fritzens Familiennamen zu erwerben? VIII. Sterbend e. Wie war cs dem gefangenen Fritz möglich gewesen, zu Hedwig zu eilen? Johanna hatte ihm die Zelle geöffnet. Hierauf war Fritz zu seinem Freunde, dem Doctor Wotke geeilt, mit dem er in den letzten Tagen durch Johauna's Vcr mittlung in erneuerte Correspondcnz getreten war. Es gab zwischen ihnen kein Geheimnis!, Fritz konnte ihm um so rückhaltloser vertrauen, da beide aus Thalweiu gebürtig, Mitschüler seit der Dorfschule gewesen waren, und auch Hedwig in Wotke volles Vertrauen setzte. Mit den vom Notar ausgefertigten Urkunden eilte Fritz in Hedwigs Krankenzimmer. Sie lag in den heftigsten Schmerzen. Die Scene am Morgen batte sie dem entscheidenden Augenblick näher gebracht. Nachdem der Doctor den alten Klausen untersucht und verbunden hatte war er zu Hedwig geeilt, die seiner dringender bedurfte. ginn trat Fritz zum Bette der Kranken. „Hedwig," sprach er, „Du bist frei, Deine Ehe mit Klausen ist gelöst, die Klausel des Testamentes ist getilgt; v werde gesund, dann wirst Du auch glücklich mit mir und Deinem Kinde." „Ich bin glücklich, Fritz, aber gesund — ach — ich werde es wohl nimmer." „Verzweifle nicht! Warum hätten wir gelitten? Es lebt ein Gott, ein ge rechter Gott." — 33 - „Eben deshalb Fritz —" Hedwig unterbrach sich: „Lebt Klausen noch?" „Ja." „Sage ihm, daß ich ihn um Verzeihung bitte, wenn ich ihn jemals wissent¬ lich oder ohne Absicht gekränkt hätte." „Hedwig! Dn sprichst wie eine Sterbende. Willst Du mein Herz zerreißen ' jetzt, wo es Dich wieder gewonnen hat?" „Mein Geliebter!" — und Hedwig reichte Fritz ihre matte Hand — „zürne mir nicht, trauere nicht. Ich will ja leben, ich sollte leben, denn keine Mutter sollte sterben, aber —" Sie weinte und schwieg. Fritz drückte ihre Hand an seine Lippen. Da wurden Tritte von mehreren Mannern im Vorhause vernehmbar. Es waren die Sergeanten der Polizei mit einem Gerichtsbeamten. Fritz erhob sich. „Ich komme bald wieder, meine Liebe." Er entfernte sich, der Dvctor blieb bei Hedwig. Im Vorhause fand Fritz die Getichtspersonen. „Der Bediente", begann er, „wird Ihnen, Herr Assessor, den Vorfall wohl mit- gctheilt haben." «Ja. Wo ist der Verbrecher?" „Treten Sie ein." Fritz führte ihn in das Schreibzimmer, wo der alte Klausen auf dem Ruhe¬ bette lag. Er deutete auf die Thür ins Schlafzimmer: „Hier haben wir ihn ein- schlosseu." ' Der Assessor erblickte den Advocate» auf dem Ruhebette, trat zu ihm und ergriff seine Hand. „Der ist todt", sprach er. „Mit dem Morgen werde ich den Gerichtsarzt zur Aufnahme des Thatbe- standes schicken." Der Assessor selbst entfernte den Verband und betrachtete die Wunde. „Durch die Brust geschossen. Ist die Kugel entfernt worden?" „Dvctor Wotke erklärte es für unnütz." „Dvctor Wotke befindet sich hier im Hause?" „Ja, im Zimmer der kranken Frau." „Er ist der Gerichtsarzt unseres Bezirkes." „Desto einfacher und getreuer die Aufnahme des Thatbestandes." Run öffnete Fritz die Thür des Schlafzimmers, in welchem Richard gefan¬ gen gehalten wurde. Die Sergeanten, der Assessor und Fritz traten ein. Richard erhob sich von dem Bette, auf welchem er saß. Er lachte wild auf und trat Fritz keck vor das Gesicht. 3 — 34 — „Ersparen Sie sich die Mühe, entlaufener Arrestant. Sie werden rmch von hier nicht lebendig fortführen." Die Sergeanten nnd der Assessor blickten auf Fritz. „Sie kennen mich nicht?" fragte dieser den Assessor. „Haben doch Sie mich vor zehn Monaten hier fest genommen. Ich war unschuldig; dieser batte damals wie heute den Diebstahl begangen, ich werde es beweisen und Herr Richard wird es vielleicht selbst 'gestehen. Uebrigens läuft mit dem jetzt beginnenden Tage meine Strafzeit ab." Der Assessor wandte sich au Richard. „Sie sind Herr Richard Klausen?" „Lassen Sie, edler Knecht der Gerechtigkeit, die lumpigen Phrasen fahren. Ich bin Richard Klausen. Ter entlaufene Arrestant hier hat mir einen Bund Thalerscheine aus der Tasche gezogen, ich wollte sie von meinem Pater entlehnen — Donner und Wetter — Sie erlauben, meine Herren" — er setzte sich — „das verdammte Gift ist doch kein Champagner —" „Gift? Sie haben Gift genommen?" „Narr, Sie! Glauben Sie, ein Mann von Stand, wie ich, wird sich rädern oder hängen lassen?" „Und warum fürchteten Sie das?" fragte der Assessor. „Guter Mann, ich habe ja doch meinen Vater erschossen." Und Richard verzog das Gesicht gräßlich nnd wand sich unter den heftigsten Schmerzen. „Ich will einen Priester holen", fiel ein Sergeant ein. „Strengen Sie ja keinen der Herren an, er käme ohnehin zu spät." „Wußten Sie, daß es Ihr Pater war, ans den Sic schossen?" „Ist zwar nicht Schade nm ihn, aber — die Kugel war dem da zugedacht" — er deutete ans Fritz — „man soll auf Ahnungen nichts geben, aber ich wußte, der entlaufene Herr Arrestant stehe im Vorzimmer — nnd speculire aus meine tausend Thaler — ha, ha." Richard bot einen schrecklichen Anblick dar. „Haben Sie die ersten tausend Thaler, wegen welcher Herr Wolf verurtheilt wurde, ebenfalls entwendet?" Der Gefragte krümmte sich auf dem Bette wie ein Wurm. Dann wendete ?r sich zu deni Assessor und frug mit Lachen und Spott: „Was geben Sie mir, Bester, wenn ich Ihnen die Wahrheit sage? Den Gerichtsbeamteu widerte so viel Verkommenheit an; aber er entgegnete: „Ich bin dennoch im Besitz eines Geschenkes, daß Ihnen durchaus nicht gleichgültig sein kann, wenn Sie anch sterben." „Ei, das wäre?" „Das Versprechen, Ihre öfscntliche Ehre so viel als möglich zu schonen." „Sie Schlaukops! — Hätten Sie mir vor einer halben Stunde ein Gegen- — 35 — gift gebracht — Las wäre etwas — aber die Ehre — doch, damit Sie sehen, daß ich nicht als Schurke sterbe — der Herr Arrestant hier hat zehn Monate nnnöthi- ger Weise das Zimmer gehütet,-- ha, ha, das Gift — es war für sein Liebchen be¬ stimmt — und für sein Söhnlein — oder Töchterlein - - was die Brut eben wer¬ den wird — und nun — Richard, es ist ans —!" Noch einige Zuckungen, und Richard Klausen war nicht mehr. Der Assessor brachte die Aussagen des Verstorbenen zu Protokoll und ent- sernte sich mit den Sergeanten, Fritzens Ehre war vor dem Gerichte wiederhergestellt, denn Richard hatte ge¬ standen, auch Len ersten Diebstahl an der Lasse seines Vaters verübt zu baben. Und auch in dem Stnrm der Ereignisse und Gefühle überkam der Gedanke, vor aller Welt gerechtfertigt zu werden, Fritzens Seele wie die Freude eines neu ausgehenden MaitageS, So sehr ist der wahre Mensch das Geschöpf der Ehre, Die herbeigekommenen fremden Hausbewohner zogen sich zurück, und Fritz wollte nun wieder in das Zimmer Hedwigs, Bei seinem Eintritt in dasselbe, vernahm er das Geschrei eines Kindes, Sein Freund Wotke brachte ihm dieses entgegen. „Küsse Deine Tochter," sprach er, „und mache sie glücklich." Die Thränen des Vaters fielen auf die schreiende Kleine. Der Doctor entzog sie ihm jedoch wieder und übergab sie der treuen The¬ rese ; ihn selbst bat er, sich inLas Boudoir zurückznziehen, Hedwig sei bewußtlos und bedürfe seiner ganzen Aufmerksamkeit. Zwei bange Stunden brachte Fritz allein zu; endlich ward er gerufen. Wotke deutete ihm, leise aufzutretcn. „Du bist in Lieser Nacht reich geworden," sprach er, „aber — doch sage mir, ob Du Muth genug besitzest, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen." „Freund," entgegnete Fritz, „Du willst mich auf etwas Schreckliches vorbe- reiteu, ist es nicht so?" Und seine Stimme zitterte, sein ganzer Körper bebte. „Und wenn dem so wäre?" „Ist Hedwig todt?" srug Fritz hastig, währender den Doctor fast krampfhaft bei der Hand erfaßte. „Nein — dem Himmel sei Dank, noch nicht." . „Nock nicht? Noch nicht?" „Tröste Dich. Die Sonne geht auf, Hedwig wird den Tag überleben, aber ihr Blutverlust war zu stark. Gelänge es mir —und Wotke versank in stilles Nachdenken. „Hilf, Freund, greife in den tiefsten Schacht deines Wissens, Hedwigs halbes Vermögen —" „Schweige! Hedwigs Leben und Deine Freundschaft wiegen mehr. — Siehe, sie schlägt die Augen ans." Und so war es. Mit leiser Stimme rief Hedwig: „Fritz!" — 36 — Er trat an ihr Bett und ergriff ihre Hand. -,Wo ist mein Kind?" Therese brachte es, sie legte es neben Hedwig. Thränen, Lächeln, unbeschreiblich zärtliche, überglückliche Blicke einer Mutter. Therese wollte die Kleine wieder entfernen. „Laßt sie bei mir," bat Hedwig. „Wie schön sie ist," fuhr die glückliche Mutter nach einer Weile fort. -Es herrschte Stille im Zimmer, Friedensrnhc nach dem Sturme. Der Doctor stand in mäßiger Entfernung vor dem Bette, an welchem Fritz in stummer, seliger und webmiithiger Betrachtung verweilte, Hedwigs Rechte in seinen Händen. Die Kleine schlief den ersten Schlaf unter dem Lichte der Sonne; nur Therese schlich ab und zu, doch so leise wie ein Luftzug. Rach einiger Zeit begann Hedwig : „Fritz, schicke nochmals nach dem Notar." „Warum, meine Hedwig?" „Damit ich eben Deine Hedwig werde, bevor ich scheide." „Du wirst, Du darfst uns nicht verlassen —" Der Doctor wußte seinen Freund auf zarte Weise von dem Bette der Kranken zu entfernen. „Stur keine Aufregung," herrschte er ihn sodann etwas strenge au. Der Notar erschien. Er vollzog die Civilehe zwischen Hedwig und Fritz. In dem Ehevertrage übertrug Hedwig all' ihr Vermögen auf Fritz. „Dein war es", sprach sie zu ihm, „Dein soll es wieder sein." Der Notar glaubte für das Töchterlein sorgen zu müssen und fragte, was diesem an mütterlichem Erbtheil zngesichert werden solle. Hedwig entgegnete: „Nichts, mein Mann, ihr Vater, wird für Sie sorgen. Nicht wahr, Fritz? Und sie lächelte ihm zärtlich entgegen. Fritz antwortete, den Sturm seiner Gefühle unterdrückend, mit den Worten: „Ewige Liebe." „Ich verlange sie nicht, Fritz. Du bist jung —" Er aber unterbrach sie: „Ich habe sie geschworen, ich werde sie Dir über das Grab hinaus bewahren." „Und die Kleine soll Hedwig heißen; willst Du es, Fritz?" „Hedwig, ja. Es ist Dein thcnres Vcrmächtniß." Schluß. Wir haben nnsern Hesern nur noch weniges mitznthcilen. Es gelang auch der größten Sorgfalt des Doctors nicht, Hedwig zu retten. Ihr Kind war gesund und stark, sie selbst aber durch die geistigen Leiden der jüng¬ sten Vergangenheit so geschwächt, daß sie am zweiten Morgen nach der Geburt ihrer Tochter heimging in das Land des ewigen Friedens. - 37 — Fritz bezog mit der alten treuen Therese und seinem Töchterlein das väter¬ liche Schloß zu Thalwein. Er fand das Gut vernachlässigt, die Fabriken in schlech¬ tem Gange. In der Arbeit allein fand er Trost und Zerstreuung. In wenigen Jahren hatten Thalwein seinen alten Ruf und seine Bewohner den früher» Wohl¬ stand wieder erlangt. Den Gcfangenwärter Knauer nud dessen Weib und Tochter nahm Fritz aus daS Gut und baute ihnen ein Häuschen, nm welches Johanna und ihre Mutter ein Gärtchen anlegten. Johanna war die Pflegerin der kleinen Hedwig, welche unter der Erziehung ihres Vaters als eines der liebreichsten und edelsten Geschöpfe heranwuchs. Der junge Karl Klausen, Erbe eines mäßigen Besitzes, hatte das In¬ stitut, in welches er nach Fritzens Verhaftung hatte eintretcn müssen, verlassen und war als Ofsicier im Kampfe gegen die Dänen gefallen. Wenn Doctor Wotke in den Sommermonaten bisweilen seinen Freund in Thalwein besuchte, sprach er manchesmal: „Wer Dich so schaffen und walten sieht, wer die herrlichen Schöpfungen Deines Geistes, Fleißes und Glückes in ihrem blühendem Zustande betrachtet, der sollte glauben, Du wärest glücklich; aber Dir fehlt eine Frau." „Nein, mein Freund", entgegnete Fritz. „Hedwig lebt mir immerfort, jedes Plätzchen dieses Schlosses, zeigt sie mir in einer andern Gestalt. Ihr ganzes Abbild ist meine Tochter. Für diese lebe ich. Ewige Liebe!" Ende.