G G kcigion Vrv; die HIönck5'kepubllk. »ss Cine kellelklrre N. v. Sutmcmstticil. V>S liaiback 1403. kucküiuckeisi von v. iilommn^r L ke 6 V und last. but not least: noch einmal die Couplets nnd Chansonnetten im Restaurantgarten des Hotels Colombo anhören, die ich bereits auswendig kannte! Alles dies war mir zuviel des Guten, und ich beschloß, ans dem Schiffe zu übernachten. Vielleicht spielte auch dabei die recht törichte Hoffnung mit, daß, wenn alles verladen sein werde, das Schiff doch vielleicht früher absahren würde. Obwohl das Schiff mit Passagieren recht schwach besetzt war, konnte ich es nicht erreichen, eine Kabine für mich allein zu haben. Außer meinem Dragoman, der auch in meine Kabine einquartiert wurde, diente der eine Divan in derselben auch den Dienern der I. Klasse des Schiffes als Schlafftätte, welche auch abwechselnd darauf den beneidenswerten Schlaf des geborenen, kein Ungeziefer mehr fürchtenden Schmutz¬ finks schliefen. In allen Kabinen des Schiffes herrschte eine drückende Hitze und war keine Möglichkeit vorhanden, außer zwei kleinen Luken, die zur Erneuerung der Luft ganz ungenügend waren, irgend etwas zu öffnen. Ich hatte seit Mittag nichts gegessen und Proviant mitgenommen; darunter befanden sich harte Eier in einem Papierfack, wie ich dieselben aber ans meiner Kabine holte, fand ich, daß Mäuse den Sack durchgenagt und eines der Eier ganz aufgefrefsen hatten. Ebenso hatten sie in einen Laib Brot ein großes Loch hinein- gefreffen. T 7 T> Wir nachtmalten frugal mit dem, was die Mäuse uns übrig gelassen hatten, und nun trat die Frage des Schlafengehens an mich heran. In meiner Kabine wollte ich nicht verweilen, da jedesmal, wem: man mit dem Lichte hineintrat, alles darin von Mäusen lebendig wurde, auch ekelte mich die Nachbarschaft des den Dienern geweihten Divans. Am liebsten hätte ich mir auf der Kommando¬ brücke ein Lager, so gut es ging, hergerichtet, denn unten war die Schwüle geradezu unerträglich. Dies verwehrte mir jedoch ein freundlicher alter türkischer Militärarzt, der ganz passabel französisch sprach und mit seinem Harem nach Konstantinopel fuhr — er meinte, ich könne mich erkälten und Fieber bekommen; so entschloß ich mich denn, ans einem der Divans des «Salons» zu übernachten. Mein Dragoman folgte meinem Beispiele; außerdem schliefen noch im Salon der türkische Arzt und ein griechisches Mädchen, das mit rührender Hingebung seine arme, scheinbar tod¬ kranke Mutter pflegte. Alan stelle sich nun vor, draußen das beständige Rasseln der Ketten der Krane, die immer weiter arbeiteten, im Salon das Quitschen der Ratten und Mäuse und das Wimmern der armen alten kranken Fran, die unter der immer ärger werdenden Schwüle furchtbar litt; dies alles war nicht zum Schlafen einladend. Der Salon selbst erzählte von vergangener Pracht, alles mit grünem Wollsamt tapeziert, auf allen Seiten V 8 -D Spiegel, Vergoldungen, Palisander- und Mahagoniholz, aber in welchem Zustande. Unbeschreiblich! Und von dem Schmutz macht sich nur derjenige eine Idee, der im Orient gereist ist. Trotzdem legte ich mich nieder, nachdem ich meinen Divan mit einem Plaid bedeckt und reichlich mit Insektenpulver bestreut hatte, aber- vergeblich, denn nach kurzer Zeit begannen die Wanzen ihre Arbeit. Wenn es zu arg wurde, mußte ich anf- springen und einen Vernichtungskrieg unternehmen, aber ich sah mich wie die Engländer in Südasrika, immer neuen Feinden gegenüber. Schließlich über¬ mannte mich aber doch die Müdigkeit, und ich schlief ein. — Gegen 6 Uhr erwachte ich mit geschwollenem Auge, geschwollener Nase, Beulen am Halse und dem schrecklichen Bewußtsein, noch immer im Hasen von Salonich und um keinen Schritt dem Ziele meiner Reise näher gekommen zu sein. Trotzdem sämtliche Waren gegen 1 Uhr nachts bereits verladen waren, regte sich nichts auf dem Schiffe; noch keine Spur voll Vorbereitungen zur Abfahrt. Der alte Militärarzt und einige Türken vom Bord begaben sich ans Land, nm Einkäufe zu besorgen. Verkäufer aus Salonich kamen an Bord mit Er¬ frischungen, und allerwärts dieselbe Gleichgültigkeit und Indolenz. Da bemächtigte sich meiner eine wahre Ver¬ zweiflung : Wer weiß, ob nur auch heute noch abreisen würden? Eine zweite Nacht in diesem Wanzen- und Rattenheim wollte ich um keinen Preis mehr zubringen. -N 9 T «Eine schöne Vergnügungsreise!» dachte ich. Der mir sür Hagion Oros vergönnte Zeitraum wurde auch immer kurzer, und säst hätte ich diesen ganzen Ausflug, über deu ein böser Stern zu walten schien, ansgegeben und wäre mit dem nächsten Dampfer nach Athen zurückgekehrt, da erinnerte ich mich des Ausspruches meiner verehrten Freundin Mme. A. V., als ich auf eine folche Möglichkeit anspielte: «vous ne kbre^ pas ea, ee 86ra.it nne bonta-, und ich blieb. Um Halb 9 Uhr kam endlich der Agent der Gesell¬ schaft wieder an Bord. Ich stürzte auf ihn zu, beschimpfte sein Schiff «e' 68t nn6 eocbonnaria» und verlangte Aufklärung, warum nur von 1 Uhr nachts bis 9 Uhr morgens untätig bleiben mußten, wo man doch in aller Frühe hätte abreisen können; doch da prallte ich wieder an der Mauer des orientalischen Gleichmutes ab; der Agent zuckte mit den Achseln, lächelte bedauernd verbindlich, als ob ihn das alles nichts angehe, und dabei blieb es. Endlich um halb 10 Uhr, 18 Vs Stunden nach meiner Ankunft an Bord, lichtete der Dampfer die Anker, und wir dampften ab. Da wie mit einem Zanberschlage verließ mich das Gefühl der Verzweiflung, das sich meiner bemächtigt hatte. Ich sah alles in rosigem Lichte, war ich ja doch auf dem Wege zu meinem Reiseziele und nicht zur Untätigkeit verdammt. T> 10 -N Nun bemerkte ich wieder die Schönheit der Bucht von Salonich mit dem Olymp, der gerade aus den Wolken hervorgetreten war, und wandte auch meinen Reisegefährten mehr Interesse zu. Mit Ausnahme von mir, meinem Dragoman, den griechischen Damen und einem Albanesen waren ausschließlich Türken an Bord, Kapitän, Bemannung und Passagiere, doch hatte ich nicht einen Moment das Gefühl, mitten unter Angehörigen einer feindlich gesinnten Bevölkerung zu sein. Bald nachdem wir die Bai von Salonich ver¬ lassen und das Kap Tusla umschifft hatten, begann man den heiligen Berg in der Ferne zu unterscheiden, aber ganz weit, weit, in Nebel gehüllt und wie eine Fata Morgana. Das Wetter war eher trübe, so wie ich überhaupt während meiner ganzen Reise keinen ganz wolkenlosen Himmel sah. Dem verdankte ich auch, daß ich trotz der vor¬ gerückten Jahreszeit gar nicht von der Hitze gelitten habe. Auch regnete es täglich wenigstens einmal, doch zum Glück immer zu zeiten, wo ich mich unter Dach und Fach befand und es mich durchaus nicht störte. Den ganzen Tag an Bord, nährte ich mich und meinen Dragoman ausschließlich mit meinem mitgebrachten Proviant. Nachmittags wurde ich wieder aus das Verdeck gerufen, um den Berg Athos näher zu sehen, und da erblickte ich ein bezauberndes Bild: Wir fuhren eben beim Golf von Kassandra vorüber, hinter uns die 11 -D Halbinsel Kassandra, freundlich und fruchtbar, links in weiter Ferne die klassischen Formen der Berge von Chalkidike, vor uns die Halbinsel Longos mit ihren schroffen, steil ins Meer abfallenden Felsen, und hinter Longos, dasselbe mächtig überragend, den hei¬ ligen Berg in seiner ganzen Majestät, einer gigan¬ tischen Pyramide gleich, der Gipfel mit einer Wolken¬ kappe bedeckt, das Ganze von den durch Wolken brechenden Strahlen der Abendsonne beleuchtet! Da vergaß ich Wanzen, Mäuse, Ratten, die Mühen der Reise, den Ärger des Wartens, den Schmutz des Schiffes, kurz alle kleinen Miseren der letzten vier- nndzwanzig Stunden, ganz versunken in der Schönheit des sich mir darbietenden Bildes und in freudiger Erwartung idealer Kunst- und Naturgenüsse, die meiner harrten. Erst gegen zehn Uhr abends liefen wir in der Bucht von Daphne ein. Das ganze Athosgebiet lag in tiefer Stille da; es war ganz dunkel geworden und nur der Schimmer des bald ausgehenden Mondes ließ die Umrisse der Halbinsel Athos erkennen. Einzelne Lichter am Ufer und auf der Höhe der Berge ließen die Stellen er¬ raten, wo sich Klöster und Einsiedeleien befanden, aber wie sich das Schiff dem heiligen Berge näherte, wehten uns vom Lande die süßesten Wohlgerüche ent¬ gegen. Es war ein Gemisch von südlichem Nadelwald¬ geruch , Traubenblüten und Duft des griechischen T> 12 -W Blumenhonigs, der ganz bezaubernd wirkte und die üppige Vegetation ahnen ließ, die uns die Finsternis verhüllte. Am Ufer wurde es unterdessen lebendig, einige Barken glitten wie Gespenster heran und Mönche, griechische und russische, kamen au Bord. Nachdem ich herzlichen Abschied von den grie¬ chischen Damen und dem alten Türken genommen hatte, stieg ich mit Gepäck und Dragoman in ein Boot und fuhr ans Land. Da erwartete mich eine kleine Enttäuschung. Wegen der späten Stunde, es war bereits halb 12 Uhr geworden, konnte man keine Maultiere oder Pferde bekommen, um eines der Klöster zu erreichen, auch hätte uns kein Kloster zu so später Stunde aus¬ genommen, und so mußte ich mich wohl oder übel bequemen, die Nacht im Gasthause zu Daphnö zuzu¬ bringen. Allerdings war es kein Gasthaus nach modernen europäischen Begriffen, sondern eine Art Han oder Pilgerherberge; doch kränkte es mich noch nicht, die Gastfreundschaft der Klöster kennen lernen zu können. Ich schlief diese Nacht ziemlich schlecht, es juckte mich bedenklich; aber ich will nicht die Schuld daran dem Gasthause beimessen, denn wer weiß, was ich alles vom türkischen Schiffe mitgenommen haben mag. Donnerstag, den 6. Juni. — Um 5 Uhr aufgewacht, stand ich bald aus und stürzte zum Fenster, von wo man den Golf von Hagion Oros, einen Teil der süd- -N 13 -N westlichen Küste des Athosgebietes mit den längs der Küste Hingestrenten Klöstern Leropotamos, Russikon, Lenophon und Docheiariou erblickte. Es ist also doch wahr, endlich bin ich an das Ziel meiner Wünsche und trotz allen Zweifeln nnd Schwierigkeiten hatte ich meinen langjährigen Wunsch erreicht, Athos zu besuchen! — Die Ungeduld, nun bald mehr zu sehen, trieb mich an, mich rasch anzukleiden. Nachdem in meinem Zimmer keinerlei Vorrichtung znm Waschen vorhanden war, mußte ich mich mit einer oberfläch¬ lichen Wafchung bei der Wasserleitung am Gange begnügen. Nun handelte es sich vor allem, nach Karyäs, dem Hauptstädtchen der Mönchsrepublik Athos, zu gelangen, um dem dort residierenden Kaimakan mein Empfehlungsschreiben zu übergeben und dem heiligen Synod das Schreiben vom Metropoliten von Athen vorzulegen und dafür eine Zirkular-Empfehlung an alle athonischen Klöster zu erhalten, ohne welche ich in keinem Kloster empfangen werden und nichts sehen würde. Wir mieteten also Pferde und machten uns um halb 7 Uhr nach Karyäs auf. Der Weg bis Xeropotamos war ganz entsetzlich, kaum ein Weg zu nennen, nur Fels und Geröll. Eine zweite kleine Enttäuschung war es mir auch, die Reise ans Pferden machen zu müssen; ich hatte mich auf Maultiere gefreut, da in diesen Gegenden Maultiere viel besser fiud als Pferde, und sie auch viel sicherer geheu. Das Pferd null gelenkt T> 14 W und geführt werden, angetrieben und zurückgehalten, was auf Wegen, die man nicht kennt, und in Gegenden, deren Schönheit die ganze Aufmerksamkeit des Reiters in Anspruch nimmt, nicht immer leicht ist. Für jeden Fehltritt des Pferdes fühlt sich der Reiter verant¬ wortlich. Bei dem Maultiere ist es gauz anders: es strauchelt nicht, es fallt nie, ist nie erhitzt, nie müde, sucht sich die besten Stellen des Weges selbst aus und bei schwierigen und steilen Punkten ist es am besten, wenn man es ganz sich selbst überläßt und sich nicht anmaßt, es führen zu wollen, was auch ganz unnötig wäre, denn es ginge doch nur nach seinem Kopf und seiner besseren Einsicht. Unterdessen kann man sich ganz frei und ungestört der Bewunderung der Natur hingeben. Beim Kloster A'eropotamos, an dessen Tor wir vorüberritten, wurde der Weg besser. Wie die meisten Wege im Athosgebiete, war er roh gepflastert. Auf der Höhe des Bergrückens angelangt, ritten wir beständig durch dichte Waldungen, die mich lebhast an meine Wälder Unterkrains erinnerten. Je mehr wir uns Karyäs näherten, desto lieblicher wurde der Weg. Einmal ging er an einer Einsiedelei mit saftigen, grünen Wiesen vorüber, die ganz den Ein¬ druck einer Alm im Hochgebirge machte. Endlich erschien eine Anzahl von reizenden Landhäusern, von Reben umrankt und von Wein-, Blumen- und Obst¬ gärten umgeben. Alan sagte mir, es seien die Konaks -N 15 T> der Repräsentanten der Hanptklöster bei der Zentral¬ regierung in Karyäs. Dann gelangten nur in ein kleines, unregelmäßig gebautes Gäßchen mit Kauf¬ läden, einem Seitengäßchen von Athen oder Galata gleichend, es war Karyäs. Wir hatten den Weg hieher in zirka zweieinhalb Stunden zurückgelegt. Sofort ließ ich mich zum Kaimakan führen. Er war ein freundlicher alter Türke, der recht gut fran¬ zösisch sprach — und sogar französische Visitkarten besaß, worauf «Nelnnoä Uimrev, 8on8 Omn-arnem- ä'^änöros» stand. Diesem übergab ich meine Emp¬ fehlung vom Vali von Salonich, worauf Kaffee hereingebracht wurde. Beim Kaimakan waren mehrere Mönche versammelt. Ich erzählte den Herren meine Absicht, in dreieinhalb Tagen alle merkwürdigsten Punkte der Halbinsel zu besuchen, und entwarf mit Hilfe des Kaimakans auf einer Skizze der Halbinsel einen Reiseplan, wobei mir das Studium von Athlestan Rileys Buch sehr zustatten kam. Die an¬ wesenden Mönche verfolgten meine Aufzeichnungen mit dem lebhaftesten Interesse, behaupteten aber, es werde mir unmöglich sein, so vieles in so kurzer Zeit zu sehen. Um so größer ist nun meine Befrie¬ digung, sagen zu können, daß ich mein damals fest¬ gesetztes Programm in allen Punkten eingehalten und noch überdies das Kloster Dyvnisios besucht habe, was ich ursprünglich nicht vor hatte. Nun forderte mich der Kaimakan auf, ihm vor die versammelten 16 T> Repräsentanten der Klöster zu folgen, und wir gingen in den Sitzungssaal, der in demselben Hause gelegen ist und einen ebenso einfachen, beinahe ärmlichen Ein¬ druck macht wie das ganze Gebäude und die Wohnung des Kaimakan. Um jedoch das Weitere verständlicher zu machen, muß ich hier einige Worte über Geschichte und Organi¬ sation des Athoser Gemeinwesens sagen. Die Legende verlegt die Anfänge der athonischen Einsiedeleien in die erste Chriftenzeit. Erst nm die Mitte des neunten Jahrhunderts, unter dem byzantinischen Kaiser Michael III. geschieht der Waldeinsiedler auf Athos urkundlich Erwähnung. Jedenfalls aber haben Jahr¬ hunderte vorher bereits fromme Ansiedler aus Athos existiert, die jedoch ohne feste, gleichförmige Regel in den Höhlen der Felsen und in Berghütten ein beschau¬ liches, gottgeweihtes Leben führten. Erst in der zweiten Hälfte des zehnten Jahr¬ hunderts gründete Athanasios von Trapezunt das erste geregelte geistliche Gemeinwesen, das Kloster Lavra, und führte Reformen im Mönchsleben ein, welche unter den frommen Bergbewohnern eine wahre Revolution verursachten. Trotzdem drang St. Athanasios mit seinem Willen durch und kann als der Begründer des Mönchsstaates in seiner gegenwärtigen Form angesehen werden. Fallmerayer sagt, daß die Erbauung der zwanzig Mönchsburgen, die man gegenwärtig aus Hagion Oros N 17 N findet, zwischen die Jahre 970 nnd 1385 n. Chr. fällt und St. Dyonis die jüngste und letzte sei. Die Sage und Legende verlegt jedoch die Gründung der meisten Klöster aus weit frühere Zeitpunkte. Jeden¬ falls sind diese Klöster von den byzantinischen Kaisern reichlich mit Gütern und Privilegien beschenkt worden, deren Urkunden (goldene Bullen) von den Mönchen so eifersüchtig gehütet werden, daß man sie nur sehr schwer zu sehen bekommt. Nachdem Salonich in die Hände der Türken gefallen war, das Oströmische Reich in allen Fugen krachte, die Mönche aus Athos den bevorstehenden Fall Konstantinopels voraussahen und bereits tat¬ sächlich ihres kaiserlichen Beschützers beraubt waren, blieb ihnen nichts übrig, als sich dem türkischen Sultan zu unterwerfen, solange sie noch Bedin¬ gungen stellen nnd ihre Freiheiten und Privilegien retten konnten. So wurde denn das Athosgebiet ein Teil des Türkischen Reiches, fünf Jahre vor dem Fall Konstantinopels, nnd wurde ihnen von dem Sultan eine Autonomie garantiert, die noch ausgedehnter war als jene der einstigen Donau-Fürstentümer. Die Athosregierung zahlt einen sehr mäßigen Tribut an die Pforte, welche durch den Kaimakan in Karyäs repräsentiert wird, der, wie ich mich mit eigenen Augen überzeugte, eine sehr bescheidene Rolle dem hei¬ ligen Synod gegenüber spielt. Ferner sind ihm ein paar untergeordnete Beamte beigegeben, zirka zehn Saptiehs 2 T> 18 T> und ein Finanzoffizier samt etlichen Wachen. Diese wenigen Leute repräsentieren die türkische Macht im Athosgebiete. Niemand dars sich im Gebiete des Hagion Oros niederlassen ohne Genehmigung des Synods. Der Synod in Karyäs wird zusammengesetzt aus je einem aus eiu Jahr gewählten Vertreter eines jeden der großen Klöster (Antiprosopi), welche während ihres Amtsjahres den Konak des betreffenden Klosters in Karyäs bewohnen, und einem Sekretär. Der von Lavra entsendete Sekretär sührt den Vorsitz. Der hei¬ lige Synod ist Parlament, sowohl gesetzgebender Körper als auch Gericht, und hat die gemeinsamen Finanzen zu verwalten. Der Mönchsstaat hat je einen Repräsentanten seiner Interessen in Konstantinopel und in Salonich. Die Haupteigentümlichkeit des Städtchens Karyäs ist, daß es, wahrscheinlich die einzige Stadt der Welt, ganz ohne Frauen ist. Alles Weibliche ist aus dem Athosgebiete verbannt und kein weibliches Wesen soll von der ausschließlichen Verehrung und dem Kultus der Gottesmutter abwenden. Der Ausschluß alles Weiblichen geht so weit, daß sogar keine weiblichen Haustiere auf der ganzen Halbinsel geduldet werden. Die gänzliche Abwesenheit der Frau fällt einem aus einer türkischen Stadt Kommenden weniger auf, da sich ja die Frauen in türkischen Stadtteilen wenig auf der Gasse zeigen. Auffallend ist es, daß es im ganzen Athosgebiete keine Hunde gibt, was mir von Mönchen 'N 19 N zugegeben wurde, ohue eiuen besonderen Grnnd dafür angeben zu können. Kater besitzt dagegen jedes Kloster mehrere. Als ich mit meinem Dragoman und dem Kaimakan in das Sitzungszimmer eintrat, waren in demselben bereits acht bis zehn Antiprosopi versammelt. Man wies mir den Ehrenplatz an und bald daraus kam der unvermeidliche Kaffee und Glyko (gewöhnlich Quitten-Gelee). Die Gesellschaft war sehr schweigsam, man hörte nur das Klappern der Kombologii, das sind Schnüre von Holz-, Bernstein- oder Perlmutter- kugeln, mit denen die Orientalen beständig spielen. — Ich überreichte das Empfehlungsschreiben, welches mir der Metropolit von Athen gegeben hatte, und bat daraufhin um eine Empfehlung au die athonischen Klöster. Nach dem Austausche einiger Artigkeiten wurde mir vorgeschlagen, unterdessen die Kirche zu besichtigen, was ich mit großer Freude annahm. Hatte ich doch gelesen, daß sich in derselben die schönsten, besterhaltenen Fresken vom byzantinischen Meister Panselenos befinden. Und in der Tat, endlich konnte ich die ganze Tiefe und Würde der byzantinischen Kunst bewundern. Bisher hatte ich nur schlechtere oder übermalte und stark restaurierte byzantinische Fresken gesehen und sie deshalb nie besonders geschätzt. Diese prachtvollen Fresken in Karyäs sind zwar zum Teil verdorben und beschädigt, aber was da ist, ist so, wie es der Meister vor über 700 Jahren geschaffen hat, 2* T 20 T) edel in der Zeichnung, glänzend und harmonisch in der Farbe und von ganz unglaublichem dekorativen Effekt. Manuel Panselenos aus Thessalonika soll im zwölften Jahrhundert gelebt haben und muß, nach allen Werken, welche auf Athos allein ihm zugeschrieben werden, zu urteilen, ein äußerst fruchtbarer Künstler gewesen fein. Eigentlich ist er aber eine sozusagen mythische Figur und sein Name repräsentiert eher eine Epoche und Schule der byzantinischen Kunst als eine genau präzisierte Persönlichkeit. Zum erstenmal sah ich auch in der Kirche von Karyäs eine der großen byzantinischen Korouas, d. i. ein Kronleuchter, welcher aus einem, in der Mitte der Kirche frei schwebenden, reich durchbrochenen und gearbeiteten Reif besteht, dessen Durchmesser fast dem der Kuppel gleichkommt. Am oberen Rande sind Kerzen befestigt und am unteren Rande hängen zahlreiche Straußeneier. — Nach Besichtigung der Kirche ging ich wieder in das Konseils-Zimmer und sah, wie mein Empfehlungs¬ schreiben an die Klöster mit dem Staatssiegel versehen wurde. Dieses Siegel (Stempel), die Panagia (Muttergottes) darstellend, ist in vier Teile geteilt, wovon ein jeder einem Mitgliede des Synods zur Aufbewahrung über¬ geben ist. Bei Benützung desselben werden alle vier Teile zusammengeschraubt, und nur mit Zustimmung und in Gegenwart aller vier Siegelbewahrer kann ein Dokument rechtskräftig gestempelt werden. -V 21 -N Nun ging ich ins Gasthaus, um mich für meine erste Etappe, den Ritt nach Vatopädi, zu rüsten, aber da fing es in Strömen zu regnen an, und ich mußte wohl oder übel im Gasthause geduldeu. Mein Dragoman ließ sich die griechischen Leckerbissen Kolokithakia (Kürbisse), mit faschiertem Arnaki (Lammfleisch) gefüllt, köstlich schmecken. Ich konnte mich nicht entschließen, ein Stückchen zu essen, und kaum hatte es ausgeregnet, bestiegen wir unsere Pferde und ritten davon. Es war zirka halb 11 Uhr. Der Kaimakan hatte mir einen Saptieh als Eskorte mitgegeben, was mir der Sicherheit wegen ganz unnötig vorkam, aber zur Erhöhung meines Nimbus in den Klöstern wesentlich beitrug; er hieß Ahmed und hielt sich stets in meiner Nähe, um mich eventuell zu beschützen. Beim Verlassen eines jeden Klosters feuerte er einen Schuß aus feinem Martini¬ gewehr als Abschiedsgrnß ab. Wo er in den Klöstern wohnte und wie er sich die ganze Zeit verköstigte, weiß ich nicht, ich kümmerte mich weiter nicht nm ihn. Anfangs war ich ihm wohl¬ gesinnt, doch als ich in Lavra von den geschwätzigen Auswärter-Mönchen erfuhr, daß er den christlichen Glauben aus Dienstesrücksichten abgeschworen hatte und Mohammedaner geworden sei, sank er tief in meiner Achtung. Die Umgebung von Karyäs ist ein wahres Paradies, überall Weingärten, Feigenbäume, Obst¬ gärten, hohe Haselnußstaudeu mit Früchten beladen, 'N 22 'N deren Kultnr eine Spezialität von Karyäs ist, üppigste Vegetation und von überall rieseln Quellen und Bäche hervor. Wir sind hier zirka 700 in über der Meeresfläche, und nun geht es stets bergab bis Vatopädi. Kaum ans Karyäs herausgetreten, fällt der Blick auf die russische „Skiti" Serai oder St. Andrei. Die grünen Dächer und Kuppeln der russischen Gebäude, die Zypressen, die sanft gegen das Meer abfallende Berglehne, mit reicher südlicher Vegetation bewachsen, und im Hintergründe das blaue Meer, es war ein liebliches, herrliches Bild. Nach Serai kamen wir in zehn Minuten und ich wollte es nur flüchtig besuchen. Serai ist eine „Skiti," das ist ein regelrecht organi¬ siertes Kloster, welches aber nicht selbständig ist, keinen Vertreter zum heiligen Synod nach Karyäs entsendet und von einem anderen Kloster abhängt. Serai oder Andreiewskii Skiti hängt von Vatopädi ab, obwohl es viel größer als das Mutterkloster ist und weit über doppelt soviel Mönche enthält. Von den russischen Niederlassungen auf Athos ist Serai noch die wenigst häßliche. Im allgemeinen jedoch, wenn man im Athos- gebiete ein Gebäude sieht, welches modern, geschmacklos, aber äußerst gut gehalten und wohlhabend aussieht, so kann man sicher sein, daß es von Russen bewohnt ist. Jedenfalls müßen dem Kunstfreunde und Manne von gutem Geschmack die häßlichen, großen, aufdringlichen Bauten der Russen auf Athos ein Greuel und ein 'N 23 -N Dorn im Auge sein. Mir kamen sie vor, wie eine Profanation dieser herrlichen Gegend. Ein russischer Mönch, Vater Gerontii, empfing mich recht kühl. Ich wies ihm mein Empsehlungszirkular vom Synod in Karyäs vor, was ihm aber wenig Eindruck machte, da er nicht griechisch verstand. Mehr Ansehen verschaffte ich mir durch Vorzeigen von Empfehlungs¬ schreiben der russischen Gesandtschaft in Athen, welche ich für das russische St. Panteleimon-Kloster hatte. Vater Gerontii, freundlicher geworden, führte mich in das Empfangszimmer, ein großes, europäisch möbliertes, recht prunkvoll, geschmacklos ausgestattetes Gemach mit glänzend gewichstem Fußboden, die Wände mit Litho¬ graphien und Farbendruckbildern bedeckt, Porträts der russischen Kaisersamilie und anderer Potentaten sowie wichtige politische Ereignisse darstellend. Nach dem Genüsse des unvermeidlichen Kaffees und Glyko bat ich, die Kirche sehen zu dürfen. Dieselbe ist erst im Vorjahre fertig geworden und hat eine Fassade aus weißem Marmor. Beim Eintritte in dieselbe bleibt mail sprachlos über den Reichtum, der sich einem darbietet. Der Boden dieser sehr großen Kirche ist parkettiert. Altäre und Verzierungen strotzen vor Ver¬ goldung, die, in so reichem Maße angewendet, erdrückend wirkt. Die reichen silbernen Ikons sind znmeist Ge¬ schenke der russischen Zarensamilie, und scheint sich Großfürst Alexei Alexandrowitsch ganz besonders für T 24 -V dieses Kloster zu interessieren. Bemerkenswert schien mir nur, daß an den Wänden große Bilder, die Stationen der Via Ornem darstellend, angebracht sind, was ich noch in keiner orthodoxen Kirche gesehen hatte. Die Bibliothek ist schön und gut gehalten, bietet aber kein besonderes Interesse. Ich hatte gehofft, daß mir etwas Solideres als die landesüblichen Erfrischungen serviert werde, da aber nichts zu kommen schien, empfahl ich mich, bekam noch vom Vater Gerontii ein Album mit Ansichten der Klöster, das mich sehr frente, und wir bestiegen wieder unsere Pferde, um uns nach Vatopädi zu begeben. Der Weg dorthin, zumeist auf dem Kamm des Bergrückens, war schattig und schön, immer unter Wäldern oder hohen Gebüschen. Ich kann jedoch die Ansicht Fallmerayers, daß es der schönste in Athos sei, nicht teilen, da der Weg von Nerokrio nach Hagia Anna alles andere an roman¬ tischer Schönheit übertrifft. Nach dreistündiger Wanderung, um zirka halb 3 Uhr, erblickten wir vor uns das stattliche, reiche Vatopädi; von den griechischen Klöstern das reichste und mächtigste. Der „Agoyate" oder Treiber der Pferde ließ uns ab¬ steigen, bevor wir ganz in die Nähe des Klosters gekommen waren, was gewissermaßen ein Akt der Courtoisie und Ehrfurchtsbeweis ist. Der Anblick Vatopädis entzückte mich und ich war gücklich, nun endlich das echte Klosterleben auf Athos kennen zu lernen. Wie die meisten der athonischen Klöster -N 25 'N ist Vatopädi eine Agglomeration zahlloser Gebäude und Kirchen, von einem mächtigen Turme überragt, welche sehr an die alten Burgen unserer Alpenländer erinnern würde, wenn nicht zahllose Balkone, Terrassen und Galerien aus Holz oder Fachwerk, aus den steinernen Mauern gleichsam herauswachsend, in verschiedenen Farben bunt bemalt und durch Spreizen aus Kastanien¬ holz gehalten, dem Ganzen einen heiteren, orientalischen Charakter verleihen würde. Ober dem Eingangstore, dem einzigen Zugänge zum Kloster, hängt, wie in den meisten Klöstern, ein Muttergottesbild in einem Glas¬ schreine, vor dem es Sitte ist, sich beim Eintritte zu verneigen und das Zeichen des Kreuzes zu machen. Im Eingangstore, das wie die Einsahrt einer Ritter¬ burg aussieht, sind billige Heiligenbilder, Rosenkränze, Schnitzereien der Mönche und einsache Lebensmittel zum Verkaufe für die Pilger ausgestellt, neben der Wohnung des Pförtners, aber man wird nie auf¬ gefordert oder gar gedrängt, etwas zu kaufen. Vom ganzen Athosgebiete ist Habsucht und Bettelei aus¬ geschlossen; man nimmt zwar Gaben an, wird aber nie angebettelt und ist mit allem zufrieden. Einem der Mönche, die im Tore weilten, übergab ich mein Empfehlungsschreiben aus Karyäs, das dann von Hand zu Hand bis zu den Obersten des Klosters gelangte und mir erst bei meiner Abreise wieder eingehändigt wurde. Dieser selbe Vorgang wurde denn auch in allen anderen Klöstern eingehalten. Das Empfehlungsschreiben 'N 26 V selbst wurde stets mit der größten Ehrsurcht behandelt und das Siegel, die Panagia darstellend, häufig von den Mönchen devot geküßt. Ich wurde in Vatopädi sehr freundlich aus¬ genommen und in ein Zimmer mit schöner Aussicht geführt, wo Kaffee und Glyko, diesmal köstlich ein¬ gemachte grüne Nüsse, serviert wurden. Doch da ich seit dem vorigen Tage nur mit schwarzem Kaffee und Glyko gefüttert worden war und es nun 3 Uhr ge¬ schlagen hatte, so ward ich so frei, um ein wenig Brot und Wein zu bitten, um meinen mitgebrachten Proviant verzehren zu können. Das ließen sich die freundlichen Mönche nicht zweimal sagen, und bald erschien ein vorzüglicher Imbiß, bestehend aus Eiern, Sardinen, Käse, Brot und Wein. Nachdem ich mich gestärkt hatte, führte mich Vater Chrysanthemos zu den Vorständen des Klosters, wo ich wieder mit Kaffee, Glyko und Masticha bewirtet wurde. Dann empfahl ich mich und begann unter Vater Chrysanthemos Leitung eine genaue Visitierung des Klosters. Bevor ich jedoch fortsahre, muß ich bemerken, daß es unter den Athosklöstern zwei Kategorien gibt, nämlich dieZönobien oder Kinovia und die Jdiorhythma Monastiria. Erstere sind monarchisch regiert mit einem ans Lebenszeit gewählten, mit absoluter Gewalt be¬ kleideten Abt. In diesen Klöstern hat niemand ein Eigentum, alles gehört dem Kloster; die Wohnungen 'N 27 N der Mönche sind gleichartig nnd die Mahlzeiten sind gemeinschaftliche. Die Jdiorhythma Monastiria sind republikanisch regiert. Die Vorstände, drei bis vier an der Zahl, werden in denselben durch Stimmen¬ mehrheit auf ein Jahr gewählt. Ein solcher Vorstand heißt Antiprosopos, welcher Titel ihm auch bleibt, wenn seine Amtszeit abgelaufen ist. Der erste unter ihnen heißt Proistamenos, hat aber keine besondere Gewalt über die Mönche. Jeder Mönch lebt in solchen Klöstern sür sich nach Maßgabe seines Vermögens besser oder schlechter, richtet sich seine Wohnung beliebig ein, ißt für sich von seiner eigenen Küche und nur was Kleidung und Gottesdienst betrifft, muß er sich den allgemeinen Regeln unterwerfen. Die russischen Klöster auf Athos gehören zur ersten Kategorie, die größten nnd mächtigsten der griechischen Klöster jedoch zur zweiten, welche dem demokratischen Geiste der Griechen, die jeder Disziplin abhold sind, besser zu entsprechen scheint. Vatopädi gehört zu den republikanisch regierten Klöstern. Ursprünglich und im Geiste des heiligen Athanasios waren alle athonischen Klöster Zönobien, was vielfach an der Bauart der Klöster und den zumeist prachtvollen gemeinschaftlichen Refektorien zu erkennen ist. Im vier¬ zehnten Jahrhunderte jedoch kam in den meisten dieser Klöster die leichtere Regel der Jdiorhythma Monastiria zur Geltung. Neuester Zeit macht sich wieder eine Nei¬ gung zur strengeren Richtung der Kinovia bemerkbar. 28 T> Das Zimmer, wo mich die Vorstände des Klosters empfangen hatten, war eine Art Klnbzimmer, welches die Väter benützten, um beim Kaffee und Glyko die Angelegenheiten des Klosters zu besprechen. Von der Terrasse, die sich an dieses Zimmer anschließt, genießt man die herrlichste Aussicht auf das Meer mit den Inseln Thosos und Samothraki am Horizont. Ich besichtigte die Kirche mit allen Reliquien, besonders den Gürtel der heiligen Jungfrau Maria; ich wurde hinter den Altar geführt, um die Reliquien zu betrachten, obwohl gerade Gottesdienst war. Ganz besonders siel es mir aus, wie dort sowie in allen anderen athonischen Klöstern wenig Umstände mit den heiligsten Reliquien gemacht wird. Die Reliquare, meist prachtvolle Werke der Goldschmiedekunst und Geschenke der byzantinischen Kaiser und Kaiserinnen, werden in die Hand genommen und gehen von Hand zu Hand ohne alle Zeremonien. Doch bei einem Volke, lvo der Diener mit aufgesetztem Hute in das Zimmer seines Herrn eintritt, wie ich es mit eigenen Augen im Hause eines ehemaligen Ministers in Athen gesehen habe, und sich ohne Umstände an den Tisch seines Herrn setzt, muß auch die Verehrung der Heiligen notwendiger¬ weise viel von ihrer zeremoniellen Förmlichkeit einbüßen, was jedoch der Aufrichtigkeit und Tiefe diefer Verehrung durchaus keinen Eintrag tut. Im großen Turme von Vatopädi ist dessen reich¬ haltige Bibliothek in drei Stockwerken, möglichst geschützt -N 29 T> gegen Feuersgefahr, aufgespeichert. Das Refektorium, prachtvoll mit alten Fresken dekoriert und mit Marmor¬ tischen und -banken eingerichtet, dient nur fünf- bis sechsmal jährlich für feierliche Bankette, die alle Klöster- insassen vereinigen. In Vatopädi sah ich zum erstenmal die Simantra, welche noch in allen byzantinischen Klöstern benützt werden. Es sind dies zirka ein Zoll dicke, freischwebende Platanenbretter, welche zur Zeit, wo Glocken noch ein höchst teurer, seltener Luxus waren, dieselben ersetzten. Man schlägt daraus mit einem hölzernen Klöppel, und obwohl nun jedes Kloster zahlreiche schöne Glocken besitzt, so findet man doch in jedem mehrere Simantra, welche für minder feierliche Ge¬ legenheiten benützt werden, um die frommen Väter zu versammeln. Die Kirche von Vatopädi enthält ein wundertätiges Muttergottesbild, von welchem die Legende folgendes erzählt: Die byzantinische Kaiserin Pulcheria (oder Placidia), welche besonders gerne in dieser Kirche ihre Andacht verrichtete, sei einst gerade in dieselbe eingetreten, als das Bild zu sprechen begann und sie fragte, was sie, ein Weib, hier suche; sie sei zwar eine Königin, hier sei aber eine andere, mächtigere Königin, »vorauf die Kaiserin die Kirche verließ, um sie nie wieder zu betreten, und die Mönche bauten ihr das Oratorium ober der Vorhalle der Kirche, von wo aus mm» dem -N 30 'N Gottesdienste folgen konnte. Daraus habe sich allmählich das Verbot für alle Frauen entwickelt, das ganze Athos- gebiet zu betreten. Im Schatze der Kirche gefiel mir besonders eine in köstlich ziseliertem und vergoldetem Silber gefaßte Achatschale. Im Hofe ist der schöne byzantinische, von eleganten Säulen umgebene Brunnen „Phiale" bemerkenswert. Nun bat ich Vater Chrisanthemos, den Hasen be¬ suchen zu dürfen. Natürlich begleitete er mich dahin, denn es gehört zur orientalischen Courtoisie, den Gast möglichst wenig allein zu lassen. Am Strande zeigte mir Vater Chrisanthemos dell Punkt, wo der kaiserliche Knabe Arkadius von der Panagia (Muttergottes) auf wunderbare Weise dem Tode in de>l Wellen entrissen und unter einen Busch am Ufer gelegt worden ist. Diesem Ereignisse schreibt die Legende den Namen und Ursprung des Klosters Vatopädi zu (auf griechisch heißt Batos der Busch uud Pädi der Knabe). Dann besichtigten wir die Orangen-, Zitronen- und Gemüsegärten des Klosters, die Maul- tierstallungen uud schließlich den Friedhof. Dieser ist sehr klein, jedoch genügend groß, da es in den byzan¬ tinisch-griechischen Landen Sitte ist, die Toten nach drei Jahren wieder auszugraben. Vater Chrisanthemos zeigte mir die Kapelle auf dein Friedhöfe, wo die Knochen der ausgegrabenen Toten anfgespeichert und die Schädel in langen Reihen auf- -N 31 'N gestellt waren. Dieses Schauspiel, welches die weiften Menschen eher ernst stimmt, erweckte im guten Vater Chrisanthemos einen Ansall der größten und, wie es mir schien, höchst unzeitgemäßen Heiterkeit. Er schüttelte sich sörmlich vor Lachen, indem er mir die Honneurs aller dieser grinsenden Totenschädel machte. Ich sand es beneidenswert, sich dermaßen mit den Schrecken des Todes befreundet zu habeu, um sogar darin Anregung zur Heiterkeit zu finden. Nur handelte es sich eben um den Tod der anderen. Dann setzten wir uns in ein Gartenhüuschen und genossen die Ruhe und den Frieden dieses schönen Erdenwinkels. Vater Chrisanthemos erzählte Geschichten von Räuberüberfällen ans der Nachbarschaft. Die Sonne ging gerade unter, die Nachtigallen schlugen, die Abend¬ luft wehte kühlend und brachte uns die Wohlgerüche der blühenden Reben. Und welche selige Ruhe in diesem Klostergebiete herrscht! Kein Knarren der Räder, denn auf der ganzen Halbinsel gibt es kein Fahrzeug und sind Maultiere und wenige Pferde die einzigen Trans¬ portmittel zu Lande, kein Streiten, keine betrunkenen Menschen, alles ruhig, anständig, würdevoll, ohne Lärm und Übereilung, man begegnet nur schwarzen, schwei¬ genden Mönchsgestalten, die freundlich-ernst grüßen, und die bei den Klöstern verwendeten Arbeiter bemühen sich, den Anstand und die Würde der Mönche nach¬ zuahmen. T> 32 -N Einzelne Schafböcke weiden am murmelnden Bache und Scharen von Hähnen suchen sich im langen Grase ihr Fntter. Weibliche Haustiere sind aus dem Athos- gebiete verbannt! Auf Athos kann man wohl sterben, niemals aber geboren werden, jedoch an jenem schönen Juniabende schien alles zum Leben anfzufordern und düstere Gedanken ließ diese herrliche, üppige Natur nicht anfkommen. Doch wir mußten heim, da sich das einzige Tor des Klosters bei Sonnenuntergang schließt und nach¬ her für niemanden bis morgens öffnet. Das Nacht¬ essen für mich und meinen Dragoman wurde serviert. Wir aßen allein in einem Zimmer, von einem Mönche bedient. Die Tischwäsche, wie dann überall in den griechischen Klöstern auf Athos, kam mir anfänglich unglaublich schmutzig vor, dann sah ich aber, daß sie hauptsächlich vom roten Weine stark fleckig sei und nicht gut gewaschen. Das Essen bestand aus rohen Gurken, Eiern und Fischen, die, mit Worcester Sauce, die ich mithatte, genossen, ganz passabel waren, aber so oft Lamm- oder Ziegenfleisch erschien, war es für mich ganz ungenießbar. Eier sowie auch Milch werden natürlich von auswärts importiert, sind aber zumeist frisch und gut. Nach zehn Uhr wurde uns das Nachtlager her¬ gerichtet, welches darin bestand, daß man für mich und meinen Dragoman je ein Kopfkissen mit bereits vielfach benütztem Überzüge und eine schwere, wattierte -N 33 -N Decke brachte, die man auf dem harten, mit Teppichen bedeckten türkischen Divan in dem uns angewiesenen Zimmer breitete. Von Leintüchern keine Rede. Wäsche spielt überhaupt auf Hagion Oros eine minimale Rolle. Ich war von den Strapazen des Tages recht müde und schläfrig geworden und freute mich auf die Nacht¬ ruhe auf was immer für einem Lager. Zum Glück hatte ich einen reinen Polsterüberzug mitgenommen, die Decke legte ich beiseite und hüllte mich in meinen Plaid ein, den ich vorher der Sicherheit halber reichlich mit Zacherlpulver bestreut hatte. Nun hoffte ich schlafen zu können, doch welch ein Irrtum! Kaum hatte ich die Lampe ausgelöscht, als es mich fürchterlich zu jucken begann. Ich zündete das Licht wieder an und fand mich von Wanzen umringt. Massenhaft vernichtete ich sie, doch es war umsonst, kaum war das Licht ausgelöscht, kamen neue heran. Dazu war vor meinem Fenster eine Froschlache, wo die Frösche einen wahren Hexen- sabbath im herrlichen Mondschein aufführten, und die Fenster schließen konnte ich nicht wegen der drückenden Schwüle im Zimmer. Das war wieder eine fürchter¬ liche Nacht! Endlich gegen Morgen bemerkte ich, daß der Hauptschlupfwinkel für die Wanzen ein Wandteppich über meinem Divan sei. So legte ich mich dann auf einen anderen Divan — und da fand ich trotz Frosch¬ konzertes, das die ganze Nacht währte, ein paar Stunden erquickenden Schlafes. Aber während meines ganzen 3 -N 34 T> Athosausfluges schlief ich nie mehr wie vier bis fünf Stunden täglich und das nur übermannt von Müdig¬ keit. Die Zeit des Schlafengehens war entschieden die Schattenseite meines herrlichen Ausfluges, aber diese wenigen Stunden der Qual waren gleich ver¬ gessen, als ich wieder in dieser prachtvollen Natur erwachte, umgeben vou so vielerlei Anregendem und Interessantem. Als ich am Freitag morgens anfstand, mußte ich mich abermals, wie in Daphne, bei der Wasserleitung aus dem Gange waschen, da Waschgeschirre ans Athos unbekannte Gegenstände sind. Daß hiebei die Waschun¬ gen immer sehr oberflächlich aussallen, brauche ich nicht besonders zu betonen. Es wäre wohl ein Seebad sehr verführerisch gewesen, aber dazu hatte ich keine Zeit. Nach dem obligaten schwarzen Kaffee (Milchkaffee ist wegen gänzlichen Mangels an weiblichen Haustieren nicht zu haben) ver¬ abschiedete ich mich von den Mönchen. Ich fragte, was ich für Kost und Quartier schulde, sie sagten: gar nichts, es sei mir alles aus bloßer Gastfreundschaft und Nächstenliebe geboten worden. Daraus hinterließ ich ein Geldgeschenk für die Kirche und erhielt zum Andenken Ansichten des Klosters und von den Mönchen geschnitzte Gegenstände. Es ist aus Athos Sitte, daß die Reisenden vom Kloster, ebenfalls gratis, bis zum Kloster, das sie zunächst besuchen wollen, mit Maultieren oder mit N 35 'N dem Boote befördert werden. Diesmal hatte ich um ein Boot gebeten, um nach Jviron befördert zu werden. Wir schifften uns gegen halb 7 Uhr ein, das Wetter war angenehm kühl, der Himmel leicht umwölkt, es fielen sogar zeitweise leichte Regenschauer, die aber durchaus nicht unangenehm waren. Gleich neben dem bunten, farbenprächtigen Konglomerat von altem Ge¬ mäuer, Türmen, Kuppeln, Balkons und Galerien, als welches sich Vatopädi von der Seeseite darstellt, erschien auf einer Anhöhe die nüchterne Silhouette der Ruine einer Ende des achtzehnten Jahrhunderts unter Eugenius Vulgaris blühenden Akademie für junge Leute, welche sich für das Mönchsleben auf Athos vorbereiten wollten. Da jedoch die Ansicht vorherrschte, daß den Mönchen Frömmigkeit und nicht Gelehrsamkeit nötig sei, daß- erstere nicht in Akademien erworben werden könne und sogar Gefahr laufe, durch Studium vermindert zu werden, wurde diese Hochschule dem Untergange geweiht. Die Ufer, an denen unser Kahn vorübersnhr, waren großartig starrende Felswände mit Grotten und Vertiefungen. Auf den steilen Usern erblickte man ab und zu alte Warttürme oder Einsiedeleien. Es eröffnete sich ein Einblick in das Innere des Landes, und da erschien die Skiti des Propheten Elias. Ich erriet sofort, daß es ein von Russen bewohntes Kloster sei wegen der augenfälligen Wohlhabenheit der ganzen Niederlassung und der häßlichen modernen, unmalerischen Architektur der Gebäude. 3* T> 36 -N Obzwar ich nun bereits 36 Stunden am Fuße des Berges Athos geweilt, hatte ich deu heiligen Berg selbst noch nicht recht gesehen, nun aber umschifften wir ein kleines Vorgebirge, und es erschien der mächtige, 5000 Fuß hohe Kegel ganz rein vor mir. Zu seinen Füßen am Meeresufer gereiht die Klosterburgen Panto- kratoros, Stcwroniketa und Jviron; es war ein pracht¬ voller, entzückender Anblick nnd der zweitschönste Moment meiner ganzen Reise. In Jviron kam ich nach zehn Uhr an. Das Kloster ist kleiner als Vatopädi, der Eingang aber, ein Portal mit Marmorsäulen geschmückt, recht großartig, wie das Tor eines modernen Palastes. Die Mönche von Jviron waren ganz besonders freundlich und zeigten mir alles Sehenswürdige. An der Fassade der Kirche fielen mir besonders die in die Wand eingemauerten alten Teller und Krüge auf, meist Rhodusware, aber auch italienische Fatencen aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Die Mönche aber behaupteten steif und fest, sie stammen alle ans der Zeit der Er¬ bauung der Kirchenfassade, d. i. aus dem vierzehnten Jahrhundert. Mein Besuch in Jviron galt besonders dem wunder¬ tätigen Muttergottesbilde daselbst, von dem ich seit meiner frühesten Kindheit so viel gehört hatte. Die Kopie desselben, welche in Moskau in hohen Ehren steht, hatte ich gesehen. Von dem Originale geht die Sage, daß es im neunten Jahrhundert von einem -N 87 'N Bilderstürmer mit dem Schwerte durchbohrt worden sei, gerade an der Wange der heil. Jungfrau, und daß die Stelle zu bluten angefangen hätte. Darauf sei das Bild ins Meer geworfen worden und sei dann viele Jahre später am Gestade von Jviron, von einem Feuerschein umgeben, wieder zum Vorschein gekommen, wo die Mönche es prozessionell abholten und über das Tor des Klosters anbrachten, weshalb dieses Mutter¬ gottesbild auch „Portcntissa" genannt wird. Jetzt hängt es in einer eigens dafür erbauten Kirche. Der Anblick dieses Bildes, welches unzweifelhaft aus den ersten Jahrhunderten der Christenheit stammt, dem so viele Wunder zugeschrieben werden und vor dem so viele Tränen geflossen und inbrünstige Gebete gesprochen worden sind, rührte mich tief, und selten habe ich mich so sehr zur Andacht gestimmt gefühlt, als vor diesem ehrwürdigen Bildnisse der unbefleckten Beschützerin dieses ihrem Kultus geweihten irdischen Paradieses. Die Mönche auf Jviron waren besonders freundlich und entgegenkommend. Das einzige, was ich hier sowie in Vatopädi nicht besichtigen durfte, waren die gol¬ denen Bullen der byzantinischen Kaiser. Sonst aber wurde ich überall hingesührt, sogar auf den Glocken¬ turm, wo ich neben schönen aus Rußland stammenden Glocken einen großen hölzernen und einen eisernen, hufeisenförmig gebogenen Simandron sand. Nun wurde im Empfangszimmer das Mittagessen für mich serviert. Ich setzte mich mit meinem Drago- -N 38 T> man zu Tisch in der Mitte des Zimmers und wurde von zwei Mönchen bedient, während vier bis fünf andere Mönche auf dem niederen türkischen Divan, welcher sich an drei Wänden des Zimmers hinzog, faßen, mit ihrem Kombologii spielend, zusahen und mit uns lustig plauderten. Ich hatte mein Gepäck beim Pförtner gelassen und mit demselben auch die Worcester Sauce, was mich uicht wenig erschreckte; doch das Essen erwies sich auch ohne Sauce als genießbar und spielte diesmal leider das Fleisch eine zu große Rolle. Fleisch durfte an diesem Freitage in allen Klöstern gegessen werden, weil es die Oktav nach den griechischen Pfingsten war. Zum Glück aß mein Dragoman für zwei und so konnte ich den guten Mönchen bis zuletzt den Widerwillen verbergen, den mir ihre Küche ein¬ flößte. Der rote Wein, Eigenbau, behufs Konservierung leicht mit Harz vermischt, war ganz angeuchm. Zum Dessert erschien ein weißer Wein in Gläsern, der etwas Besseres sein sollte, in der Tat aber recht minder war. Da standen alle Mönche auf, je ein Glas in der Hand, und der scheinbar im Range höchste brachte einen Toast auf das Wohl Seiner Majestät unseres Kaisers aus. Innig erfreut über die Aufmerksamkeit der guten Mönche rief ich «hoch-, «Äto», worin die Anwesenden einstimmten, und trank dann auf das Wohl des Klosters Jviron und dessen gastfreundliche Mönche. -N 39 T) Nach 1 Uhr mußte ich mich verabschieden, da mir noch eine lange Reise bevorstand. Die Mönche hatten keine Barke für mich und da hieß es auf Maultieren Lavra noch vor Sonnenuntergang und Torschluß erreichen, um dort zu übernachten. Zuerst war der Weg ziemlich sonnig und felsig. Nach zirka einer halben Stunde kamen wir in die Nahe von Melospotamos, wo der Ex-Patriarch von Konstantinopel, Joachim, interniert war. Ich beschloß, ihm womöglich einen Besuch abzustatten. Der Weg dahin geht durch einen Olivenhain in einen schönen blühenden Garten, gefüllt mit Lorbeerbüschen und duftenden Kräutern. Das Wohngebäude steht auf den: etwas erhöhten äußersten Punkte eines kleinen Vorgebirges und besteht aus einem alten, hohen Turme und einigen zusammen¬ hängenden Gebäuden, von welchen man die herrlichste Aussicht auf das Meer genießen kann. Das Ganze gleicht einem Bergschlößchen in unseren Alpenländern, dem jedoch der Reichtum an Blumen und südlicher Vegetation alles Finstere und Düstere benimmt. Leider machte Se. Heiligkeit der Patriarch gerade sein Nach¬ mittagsschläfchen, da ich Eile hatte, konnte ich nicht warten. An demselben Tage aber, an welchem ich ihn besuchen wollte, wurde seine Wiedereinsetzung auf den Patriarchenstuhl in Konstantiuopel beschlossen, und ich erfuhr schon in Lavra die Kunde davon. Er dürfte sich oft im Phannr mit Freuden an das sorgenlose Idyll von Melospotamos erinnern. -N 40 T Nach einer weiteren halben Stande Weges, immer in der Nähe des Meeresnfers, passierten wir eine Art Burgruine. Die Mauern und der hohe, viereckige Turm waren im besten Zustande; das Gebäude sowie der Turm vor: tadellos erhaltenen Zinnen gekrönt, und wäre nicht durch die Fenster eine üppige Vegetation im Innern des Gebäudes zu erblicken gewesen, so hätte man das Gebäude sür eine noch bewohnbare Ritter¬ burg halten können. Es war eine verlassene Filiale des Klosters Caracalla. Und weiter zog sich der Weg nun immer ganz am Fuße des Athoskegels, den ich ab und zu zwischen Wolken beinahe senkrecht über unseren Köpfen hervorblicken sah mit der kleinen Kapelle der Panagia aus seinem äußersten Gipfel, welche von unten wie eine weiße Mücke erschien. In seinen Schluchten glänzte noch Schnee. Unten war es ungemein warm, und der Weg stieg steil empor und ging wieder so steil gegen das blaue Meer hinunter, daß wir es vorzogeu, den Abstieg zu Fuß zu bewerkstelligen. Wir ritten gerade durch Gegenden, welche vor zirka zehn Jahren durch Waldbrand ver¬ wüstet worden waren. An vielen Stellen standen noch die verdorrten Baumleichen, da hatte die südliche Vegetation jedoch ihre Zeit nicht verloren, und das Gebüsch war dazwischen üppig emporgewachsen, doch werden wohl Generationen vergehen, bis der ehemals prächtige Hochwald wieder ersetzt sein wird. In einem Tale bei murmelndem Bache unter einem Platanen- -N 41 'N Hain hielten wir Rast bei einem Bienenzüchter, der lange Reihen von Hunderten von Bienenkörben hatte, in nächster Nähe des Meeresufers. — Von da an wurde der Wald höher und dichter und die Gegend immer lieblicher. Zwei Drittel des Weges gegen Lavra hielten wir bei der Quelle, welche, wie die Legende erzählt, der heilige Athanasios auf Befehl der heiligsten Jungfrau durch einen Schlag seines Stockes gegen den Fels hervor- sprndeln ließ. Es ist ein malerischer Punkt im dichten Walde, die Quelle ist eiskalt und stießt ungemein mächtig aus einer kleinen Grotte. Daneben steht ein hölzernes Lnsthaus und ein kleinwinziges Kirchlein, ganz offen und ohne irgendeinen Wächter. Doch die Wanderer, welche möglicherweise diesen Weg gehen, können nur Mönche oder Pilger sein, wer möchte da wohl diesem Waldheiligtum irgendwelchen Schaden zufügen! Das Wasser der Quelle ist in einer Holzrinne bis zum Wege geleitet, wo es von einer Höhe von zirka 2 in als eine kleine Kaskade hernnterfällt. Zwei russische Mönche ruhten an diesem kühlen Orte aus. Ich knüpfte mit dem älteren gleich ein Gespräch an, überglücklich, endlich wieder ohne Dragoman sprechen zu können. Der jüngere schien durch unsere Ankunft gestört zu sein. Als ich dann in der Umgebung der Quelle hernmspazierte und wieder zurückkehrte, fand ich, daß der jüngere Mönch meine Abwesenheit benützt hatte, um sich schnell ausznkleiden und unter den kalten Wasserstrahl der Quelle zu stellen. -N 42 T> In der Meinung, es handle sich nm ein einfaches Bad behnfs Abkühlung, sagte ich ihm, er möchte doch lieber ins Meer baden gehen; der Mönch aber ant¬ wortete: «Nein, dieses Bad ist besser, denn dieses Wasser ist von der Mutter Gottes geheiligt.» Das Kloster Lavra liegt ans einer Anhöhe in einiger Entfernung vom Meere. Es ist dem Range nach das erste Kloster aus Athos und seiner Gründung nach das älteste. Wir erreichten es gegen halb 7 Uhr. Der äußere Anblick des Klosters kann am besten mit einem Stück der Stadtmauern von Konstantinopel verglichen werden, etwa die «sieben Türme,» mit zahlreichen Holzbalkons und Zubauten im byzantinischen Geschmack verziert. Der Eingang ist viel finsterer und schlechter gehalten als bei den anderen Klöstern, die ich bisher besucht hatte, uud überhaupt ist besondere Unreinlichkeit der charakteristische Zug dieses Klosters. Aber das Juuere entzückte mich! Dieses Gewirr von malerischen halb¬ verfallenen Gebäuden, offene Gänge, überall Stiegen und Bögen, die nur als Zierde zu dienen scheinen. Kleine Höfe, gefüllt mit Blumen und Orangenbäumen, alles uralt, alles zusammengedräugt und übereinander gebaut, und beinahe ruinenhaft, aber wie wunderbar im Tone und in der Zeichnung! Das Auge kann sich an diesem Reichtume künstlerischer Motive, aus welchen ein Maler jahrelang stets Neues schöpfen könnte, gar nicht satt sehen. 43 S> In ein großes Fremdenzimmer geleitet, übergab ich dem fettig glänzenden, freundlichen und geschwätzigen Aufwärter eine besondere Empfehlung, welche ich für den Proistamenos des Klosters, Vater Alexander, hatte. Inzwischen wurde Kaffee und Glyko serviert, worauf mich Vater Alexander in seiner Wohnung empfing. Ich fand ihn, wie sehr oft die Menschen, denen man besonders empfohlen ist, eher kühl. Bei ihm bekam ich ein anderes Glyko und Masticha. Er war sehr höflich und nachdem ich sagte, daß ich wenig Zeit hätte und am nächsten Morgen früh anfbrechen wolle, führte er mich selbst alle Sehenswürdigkeiten des Klosters besichtigen, aber er war ein Mann, dem eine feinere Lebensart anhaftete und der nicht die ein¬ fache, formlose Gutmütigkeit und Herzlichkeit, die ich bisher in den Klöstern gefunden hatte, zur Schau trug. Später erfuhr ich, daß er eiuer der wenigen griechischen Mönche auf Athos sei, der eine höhere Gelehrsamkeit besaß, ja, daß er sogar schriftstellerisch tätig sei. Die Bibliothek auf Lavra ist klein, aber sehr gut gehalten und enthält Manuskripte mit herrlichen Minia¬ turen. Wie alle interessanten Bücher auf Athos fast ausschließlich Evangelien und Kirchenbücher. Aber gerade in der Lavraer Bibliothek sah ich ein dickes, uraltes Manuskript über Pflanzenkunde mit zahllosen Darstellungen von Pflanzen und Blumen. Ich gestehe T> 44 T> jedoch, daß ich keine einzige der dargestellten Pflanzen erkannte. Die Hauptkirche ist schön und sehr alt, doch wenn man einige der griechischen Athoskirchen gesehen hat, so findet man, daß die eine genan so wie die andere aussieht, so zwar, daß man sie in der Erinnerung schwer anseinanderhült. Im Innern sind alle diese Kirchen mit byzantinischen Fresken bedeckt, nur sind die in der Hauptkirche auf Lavra nicht von Panfelenos, sondern stammen aus späterer Zeit, und sind nur im Stile und Geiste des Meisters gemalt; ein Teil der Wände rechts und links vom Ikonostas ist mit schönen Rhodns-Faienceplatten verkleidet. Einige prachtvolle Reli- quare wurden mir produziert, doch wurde ich nicht hinter den Ikonostas geführt wie in Vatopädi und Jviron, sondern sie wurden für mich herausgebracht. In einer Nebenkapelle der Kirche befindet sich unter einem Baldachin das Grab des heiligen Athanasios, des Gründers des Klosters; aus dem Grabe liegt der Stab, auf den er sich gewöhnlich stützte und mit dem er ans Befehl der Panagia aus den Felsen schlug, woraus die wunderbare Quelle aus demselben hervorsprudelte. Dieser Stab, den mir die Mönche in gewohnter Formlosigkeit in die Hand gaben, ist eine zirka andert¬ halb Meter lange, vierkantige, etwa anderthalb Zentimeter dicke Eisenstange, am oberen Ende mit einer Krücke versehen. Vor der Kirche steht ein zier¬ liches, von Säulen getragenes Tempelchen, welches G 45 T> den Weihbrunnen oder Phiale enthält; zu beiden Seiten desselben stehen die zwei kolossalen, üppigen, tausendjährigen Zypressen, welche der heilige Athanasios selbst gepflanzt hat. Das Schönste aber, was ich auf Lavra sah und was mir den größten Kunstgenuß aus meiner ganzen Reise bereitete, war das Refektorium, ganz mit Fresken von Panselenos bedeckt. Es ist ein großer Raum in Krenzessorm, spärlich von oben beleuchtet, an den Wänden läuft ringsherum eine Reihe von grauen Marmortischen von ebensolchen Bänken umgeben. Wenn man von draußen in dieses sonore Halbdunkel tritt, so schimmert einem von allen Seiten das Gold der Heiligenscheine entgegen. Allmählich jedoch gewöhnt sich das Auge an das gedämpfte Licht dieser Halle, an der feit vielen Jahrhunderten nichts geändert wurde und die dadurch, daß sie äußerst wenig benützt wird (Lavra ist auch ein Monasterion Jdiorhythmon), vor Abnützung geschützt ist. Da erblickt man ganze Reihen von über¬ lebensgroßen byzantinischen Kaisern in Rüstungen oder im Ornat, Kaiserinnen in ihren engen Kleidungen, Heilige, Engel, das Paradies, mit zahllosen Heiligen¬ scheinen; eine ganze Wand nimmt der Stammbaum Jesse ein. Doch nicht allein die Seligen sind in diesem Raume dargestellt, man erblickt auch das jüngste Gericht mit seiner Höllenpein, und der Höllenrachen ist an ver¬ schiedenen Stellen durch den offenen, mächtig feuerspeien¬ den Rachen eines walfischartigen Ungetüms versinnbild- T> 46 T> licht, in welchen die Verdammten hineinfallen. Diese unerquicklichen Darstellungen befinden sich in der Nähe der Eingangstüre. Im Hintergründe ist das Reich der Seligen dargestellt, als dessen Mittelpunkt ein großes Bild des Erlösers erscheint. Da funkelt es nur von Vergoldungen, denen die Zeit eine harmo¬ nische Patina verliehen hat, und die Würde und fromme Ruhe uud Hoheit der Darstellungen macht einen mächtigen, feierlichen Eindruck. Jetzt bat ich, noch die Kirche der Panagia Kukuzelisfa besuchen zu dürfen, wohin mich Vater Alexander auch führte. Die großen Athosklöfter enthalten nämlich inner¬ halb ihrer Mauern zahlreiche Kirchen und Kapellen. Vatopädi zum Beispiel enthält ihrer an fünfund¬ zwanzig. Jedem Heiligenbilde, welches besondere Ver¬ ehrung genießt, wurde eine besondere Kirche gebaut, sowie auch jeder Heilige, der sich einer besonderen Vorliebe erfreut, in einer ihm geweihten Kirche ver¬ ehrt wird. Die Kirche, welche ich gegenwärtig besuchte, war für ein wundertätiges Muttergottesbild gebaut worden, welches, wie die Legende erzählt, mit dem kaiserlich byzantinischen Hofsänger Knkuzelis, welcher sich auf Athos zurückgezogen hatte, gesprochen haben soll. Nun empfahl sich Vater Alexander und zog sich in seine Appartements zurück; ich aber irrte im malerischen Hofe umher, immer neue reizende Punkte und Motive darin entdeckend, pflückte zum Andenken Zweige von den vom heiligen Athanasios gepflanzten -N 47 -N Zypressen, und schließlich schlenderte ich zum Sommer¬ pavillon außerhalb des Klostertores, wo ich zahlreiche Mönche sand, welche die Kühle des Sonnenunterganges, umweht von balsamischen Lüsten, genossen. Sie kamen mir freundlich entgegen, und zu meiner großen Freude sand ich einen alten Mönch, welcher in seiner Jugend in Amerika gewesen war und leidlich englisch sprach. Leider war diese Freude von kurzer Dauer, denn kaum waren wir in ein lebhaftes Gespräch vertieft und trachtete ich auf meine eigene Faust und ohne der lästigen Intervention des Dragomans Informationen ans diesem freundlichen alten Kaloger (so werden die Mönche ans Griechisch genannt) zu schöpfen, der auch hocherfreut schien, sein Englisch wieder einmal zu ver¬ werten, als das Zeichen zur Rückkehr innerhalb der Klostcrmauern gegeben wurde. Die Sonne war unter¬ gegangen und das Klostertvr mußte folglich gesperrt werden. Ich verabschiedete mich von dem guten alten englischredenden Vater und sah ihn nicht wieder. Viel¬ leicht bin ich der letzte gewesen, mit dem er englische Worte gewechselt hat. Nun wurde das Nachtmahl in meinem Zimmer serviert, von dem ich aber nichts Rühmliches erzählen kann. Es war einfach gräßlich und wohl die schlechteste Mahlzeit, die ich in meinem Leben genossen habe. Ich aß nur ganz wenig davon, denn, obwohl ich nicht besonders heiklig im Essen bin, die Brocken wollten trotz reichlichen Übergusses von Worcester Sauce nicht W 48 -N hinunter. Zmn Glück waren weiche Eier nnd Kirschen da, und das übrige wurde von meinem Dragoman mit beneidenswertem Gleichmnte anstandslos bis ans den letzten Bissen verzehrt. Die beiden Aufwürter waren sehr unsauber uud geschwätzig. Nach deu gemachten Erfahrungen und bei der in diesem Kloster herrschenden Unsauberkeit machte ich mich auf eine schreckliche Nacht gefaßt, und nur mit Schaudern legte ich mich auf den niederen, harten Divan hin, in meinen stark mit Zacherlpulver ein¬ gestreuten Plaid gehüllt; doch o Wunder! Ich konnte unbehelligt die ganze Nacht durchschlafen und bemerkte diesmal nichts von Wanzen. Gestärkt und erfrischt erwachte ich gegen fünf Uhr, und nach der gewöhnlichen sehr oberflächlichen Toilette bei der Wasserleitung auf dem Gange und nach eingenommenem schwarzen Kaffee mit Masticha nahm ich noch Abschied vom Vater Alexander, warf noch einen Blick in das prachtvolle Refektorium uud machte mich auf den Weg. Ich wollte die nächste Nacht in Simopetra zu¬ bringen, welches mich durch seine, in Bildern erblickte romantische Lage anzog. Simopetra liegt auf der Südseite der Athoshalbinsel und, um am Laude hiu zu gelangeu, muß mail hohe, steile Abhänge erklimmen; allgemein wurde mir der Seeweg als der leichtere auempfohleu. -N 49 T) Da mir aber besonders darum zn tun war, die Schönheit der Gegend und das Innere der Waldungen kennenzulernen, ich außerdem auch die Eremitendörfer Kerassia und Hagia Anna sehen wollte, ersuchte ich um Maultiere und beschloß, den Landweg bis Hagia Anna zu benützeu. Und ich tat wohl daran, denn dieser Tag, Samstag, deu 8. Juni, war der genußreichste und interessanteste meiner ganzen Reise, und niemals erinnere ich mich, solche Naturschönheiten genossen zu haben als auf den waldigen Höhen der Ostspitze der Athoshalbinsel. Anfangs führte der Pfad durch steinige, öde Gegenden. Lavra von rückwärts gesehen, gleicht ganz einem Teile der Stadtmauern von Konstantinopel oder Salonich. Ungefähr eine halbe Stunde nach dem Verlassen des Klosters erblickte ich in der Ferne gegen das Meer die walachische Skiti „Prodromos", welche sich recht stattlich und wohlhabend, aber ziemlich neu und un¬ interessant präsentiert. Dann stieg der Weg immer höher und höher, und an den steilen Abhängen des Athoskegels herum kamen wir in Regionen des dichtesten Urwaldes. Obwohl die Bäume zumeist der südliche« Vegetation augehörten, hatte die Gegend ganz den Charakter unserer Hochgebirge. Quellen und Sturz¬ bäche überall; Baumriefen, die vor Alter ganz mit Moos bewachsen waren, andere waren aus Alters¬ schwäche umgestürzt, und niemand dachte weit und breit daran, das Holz zu verwerten. Uralte Platanen und 4 'N 50 -N Kastanienbäume bargen in ihren hohlen Stämmen Kammern, in welchen ein Mensch leicht hätte Unter¬ kunft finden können. Und die riesigen Exemplare der ^biss Oexlmloniea mit vor Alter halb vertrockneten und vermoosten Ästen, ganz wie die alten Tannen und Fichten aus den höchsten Almen unserer Hochgebirge. Und die herrlichen Büsche wilder Rosen über und über mit Blüten bedeckt und andere zahllose Blumen, mir unbekannte aber auch bekannte, nur in Pracht und Üppigkeit die Blumen unserer Wälder weit übertreffend. Mein Maultiertreiber war ein gelungenes Exemplar eines geschwätzigen Griechen ans Thasos. Er hieß Dimitri und hörte es gerne, wenn man ihn Hagi Dimitri nannte, weil er eine Wallfahrt nach Jerusalem gemacht hatte. Er hatte sich die Haare wachsen lassen und trug sie, in einen dicken Zopf geflochten, unter seiner hohen Filzmütze hinansgesteckt, ganz wie die griechischen Mönche, „nm mehr Ansehen zu genießen". Er schritt beständig an der Spitze unserer kleinen Karawane und schwätzte die ganze Zeit, sei es mit meinem Dragoman, sei es mit dem Saptieh. Von sich hatte er eine sehr hohe Meinung und hielt sich für frömmer als sämtliche Mönche, wahr¬ scheinlich auch für weiser. Über die katholische Religion stellte er unzählige Fragen, liber die Protestanten war er aber durchaus nicht gut zu sprechen: „Diese Menschen, die Geld und Bücher unter die Lente ver- G 51 T> teilen, um sie vom wahren Glauben abzubringen!" Wenn er einen solchen einmal treffen sollte, der mag sich vor ihm in acht nehmen! Überhaupt schienen mir die Protestanten ans Athos nicht beliebt, und obwohl in allen byzantinischen Klöstern gegen Rom naturgemäß eine gewisse Animosität herrscht, zollen sie doch dem römisch-katholischen Glauben eine gewisse Anerkennung, besonders wegen der Verehrung der Panagia, welche die Katholiken mit den orthodoxen Griechen gemein haben. Ich weiß nicht mehr, in welchem der griechischen Athosklöster es geschah, daß der Mönch, der mich gerade in der Kirche herumführte, von einem anderen Mönche befragt wurde, ob man mir etwas zeigen könnte. Ich verstand nicht, um was es sich handelte, doch der erste Mönch sagte: „Nein", dann aber fragte er mich, ob ich katholisch sei; als ich dies bejahte, führte er mich in eine Seitenkapelle und enthüllte ein kleines wundertätiges Muttergottesbild, wovon aber nur mehr die silbernen Teile die Darstellung erkennen ließen, die gemalten Teile jedoch nur eine schwärzliche, unebene Kruste zeigten. Ich fand es ungemein rührend, daß die guten Väter dieses Bild, welches durch das Alter geradezu unkenntlich geworden war, aber dadurch in ihren Augen nichts an Ehrwürdigkeit verloren hatte, nicht der Kritik und vielleicht gar dem Spotte skeptischer Freigeister oder der Gegner ihrer Mnttergottesverehrnng preisgeben wollten. 4* T 52 T> Gegen 10 Uhr hielten wir bei einer reichen, kristallklaren Quelle, welche „Nero Krio" benannt ist, deren Umgebung den ausgeprägtesten Hochgebirgs¬ charakter trug. Dort packte ich meinen Proviant ans und labte mich und mein Gefolge mit Käse, Brot und Schokolade, und nur tranken dazu das köstliche Wasser der Quelle. Von da ab ritten wir weiter östlich stets in einer Höhe voll zirka 700 m über dein Meere und stets im dichtesteil Walde. Hagi Dimitri bot sich an, mir als Führer zum Gipfel des Berges Athos zu dienen, doch leider reichte meine Zeit für diese Partie, welche einen ganzen und recht beschwerlichen Tag in Anspruch uehmeu würde, uicht hin. Der Weg von Nero Krio bis Hagia Anna ist entschieden der schönste, romantischeste und großartigste Teil der Halbinsel. Zuerst kommt man an eine Stelle, wo mall das Einsiedlerdorf Kerosfia in einer steil gegen das Meer abfallenden amphitheatralischen Bucht, zwischen zwei weit vorspringenden felsigen Vorgebirgen eingeschlossen erblickt. Dell Besuch der Eremitagen mußte ich wegeu Mailgels au Zeit aufgebeu, obwohl die freuudlicheu Häuschen, die wie Schwalbennester rebenumraukt am steilen Abhänge zu kleben schienen, recht lieblich und einladend aussahen. Sie sollen zumeist von Russen bewohnt sein, unter ihnen befindet sich eine größere Kirche; fast jedes Häuschen hat jedoch T) 53 -N seine eigene, mit Kuppel versehene Kirche und ist von tcrrassenartigen Gärten umgeben. Links von uns stieg nun das Kap St. George oder Papa Georgi, ein starrender, öder Felsblock, aus. Nachdem wir an diesem vorübergeritten waren, eröffnete sich vor meinen Augen ein feenhafter Blick! Tief, tief darunter, fast senkrecht zn meinen Mißen das blaue Meer in allen Nuancen vom lichtesten Türkis bis zum dunkelsten Kobalt, links die turm¬ hohen Felsen von Papa Georgi und am Horizont die Halbinsel Longos und das Festland von Chalkidike; alles dies von einer Höhe von 700 m gesehen, von der Jnnisonne beleuchtet, umgeben von üppigen, grünen Gebüschen, dazu der liebliche Sang der Vögel, welch ein unbeschreiblicher Zauber! Und weiter ging es an diesem lieblichen Abgründe entlang, bis wir die Ostspitze der Halbinsel umgangen hatten und uns nun an der südlichen Küste oberhalb der Einsiedelei von Hagia Anna befanden. Von da führt ein unglaublich steiler Weg über Hagia Anna zur See in einer halben Stunde senkrecht durch Felsen und Geröll hinunter. Von Reiten ist da keine Rede, so stieg ich denn ab und stürmte, vom wachsamen Saptieh gefolgt, hinunter. Mein Dragoman folgte mit Hagi Dimitri und der Bagage nach. Nachdem wir zwei Drittel des Weges znrückgelegt hatten, gelangten wir zu den Häuschen der Einsiedler. Freundliche Häuschen am steilen Abhange mit frucht- T> 54 V baren , wohlgepflegten Obst- und Gemüsegärrchen, wo das spärliche Erdreich durch Terrassen und Eskarpen aus diesem schroffen Felsen zurückgehalten wurde. Jetzt hatte ich auch die Kirche von Hagia Anna erreicht, wo wir uns ein bißchen ansruhen sollten nnd von wo ans ein Boot zur Weiterreise bestellt werdeu mußte. Ich dräugte sehr vorwärts, weil ich hoffte, uoch zum Mittagsessen das Kloster Dyouisios zu erreichen. Ich besichtigte also nur flüchtig die hübsche, freundliche, buntbemalte Kirche und wollte weiter. Doch so geht es im Byzantinischen Reiche nicht. Ich mußte noch den landesüblichen Kaffee und Glyko über mich ergehen lassen, mußte das endlose Fragen und Schwätzen der Mönche anhören. Das Boot sei noch nicht bereit, könne nicht so schnell fertig werden, ich solle doch etwas Kaffee nehmen, ob ich mich dem: nicht im Zimmer ansruhen wolle, und trotzdem ich mich eher uusreuudlich und ablehnend verhielt, nutzte es nichts, man kam nicht weiter, es läutete Mittag, es begann leicht zu regnen, und noch immer kamen wir nicht weiter. Endlich riß mir doch die Geduld, ich ging davon zum Meeresufer, das ich in zehn Minuten erreichte. Mein Gefolge mußte mir wohl oder übel nachkommen, nnd so waren wir also am Strande bei den Booten, aber das Boot mußte noch zur Fahrt hergerichtet werden! Endlich gegen halb 1 Uhr wurden wir flott. Der Blick von der See ans Hagia Anna ist reizend. Wieder viele nette, malerische Häuschen, welche wie T> 55 -N Schwalbennester am Felsabhange hingeklebt scheinen und einen höchst originellen Eindruck machen. Nach kurzer Fahrt erblickten nur twr uns eine Reihe der schönsten und mächtigsten Mönchsburgen des südlichen Athosufers. Zuerst St. Paul, welches etwas entfernter vom User auf einer sanften Anhöhe steht und dadurch um so imposauter aussieht. Der Charakter einer Burg ist in diesem Kloster, überragt von einem mächtigen Turme mit Zinnen, ganz be¬ sonders ausgeprägt. Überhaupt sind die Klöster, die sich mir jetzt au diesem östlichen Teile der Südküste der Halbinsel zeigen, finsterer, weniger bunt und haben ein defensiveres Aussehen als die der Nordküste, sowie auch die Ufer des Meeres hier weniger freundlich und bewachsen aber ungemein romantisch find. Nach St. Paul erscheint St. Dyonisios, St. Gre¬ gorios und im Hintergründe erhebt sich majestätisch, alle anderen überragend, Simopetra. Der Regen hatte anfgehört nnd die Jnnisonne war siegreich und warm hervorgekommen. Obwohl es nun bereits 1 Uhr war, hoffte ich doch im Kloster Dyonisios ein Mittagsmahl zu finden nnd hegte den Wunsch, die goldene Bulle des Kaisers von Trapezunt, des Komnenen Alexius, von der Fallmerayer eine so ausführliche, interessante Beschreibung gibt, zu sehen. St. Dionysios liegt auf einem schroffen Felsen über dem Meeresnfer. In zehn Minuten hatte ich den steilen Weg zum Kloster erklommen. Es war das erste zöno- 56 -N bische Kloster, welches ich betrat. Ich wurde von einem höchst unsreundlichen Mönch, dessen Gesicht durch ein gräßliches Feuermal entstellt war, mürrisch empfangen; doch nachdem ich wie gewöhnlich mein Zirkular-Empfeh- lungsschreiben vorgewiesen hatte, kam ein anderer Mönch, der mich mit der traditionellen athonischen Liebens¬ würdigkeit behandelte. Es erschien schwarzer Kaffee und Glyko, ein mageres Mahl für hungrige Mägen! Ich sagte sofort: der Grund meines Besuches sei der Wunsch, die goldene Bulle des Kaisers Alexius von Trapezunt zu sehen. Darob große Bestürzung des guten Mönches, es sei diese Bulle noch nie Fremden gezeigt worden, worauf ich entgegnete, es könne nicht richtig sein, da ich ausführliche Beschreibuugeu derselben: iu Büchern: fremder Zungen gelesen habe. Darauf wurden noch mehrere Schwierigkeiten gemacht, doch als ich noch dringender bat, mich dieses kostbare Dokument ansehen zu lassen:, ich wolle ja nichts abschreiben oder nur berühren, entfernte sich mein Mönch, indem er sagte, es müsse eine Sitzung behufs Besprechung meines Wunsches zusammen berufen werden, und er wolle sehen, was sich machen lasse. Nun wartete ich eine lange Zeit, während welcher ich immer hoffte, es werde etwas Eßbares erscheinen, doch vergeblich! Endlich nach langem Warten erschien wieder der frühere Mönch in Begleitung eines zweiten, eine Rolle tragend. Sie hätten mir aus ganz besonderer Gnade die Erlaubnis erwirkt, die Bulle zu scheu, nud brachten -N 57 T> mir sie min her. Nachdem die zahlreichen Papiere entfernt worden waren, in welche es eingemacht war, erschien nun das kostbare Dokument in seiner grün¬ seidenen Hülle. Trotz der vorhergehenden großen Schwie¬ rigkeiten durfte ich uuu damit so ziemlich uach Beliebe» Hautieren. Es ist eine sehr lange (Fallmerayer sagt, sechzehn Fuß lange und eineinhalb Fuß breite) Rolle ans dünnem Pergament, ganz mit zirka drei Zentimeter hohen, mir Laien ganz unleserlichen Schriftzeichen bedeckt. Der Name des Kaisers, der sich im Text oft wiederholt, erscheint stets in Goldbnchstaben geschrieben. Die Bildnisse der trapezuntischen Majestäten Alexius und Theodora sind ziemlich grob ausgeführte Minia¬ turen, welche wegen der Kostüme und der Farbeu- behandlnng von großem Interesse sind, jedoch keinen künstlerischen Wert haben. Die Gestalten sind stilisiert nnd die Gesichter starr und ausdruckslos. Die beiden Jnsiegel, welche oberhalb des Textes rechts und links angebracht sind, haben ganz die Form und Dicke gewöhn¬ licher großer byzantinischer Goldmünzen und schien mir die Art und Weise, wie sie mit starken Seiden- faden am Pergament befestigt sind, neueren Datums. Das Wunderbarste an dem Ganzen ist der außer¬ ordentliche Erhaltungszustand, in dem sich dieses über fi'ins Jahrhunderte alte Dokument befindet. Nachdem ich nun meine Neugierde in dieser Richtung befriedigt hatte, wurde ich durch die übrigen Räume des Klosters geführt: Kirche, Bibliothek, Refektorium; 'N 58 N im letzteren waren große Haufen frischer Brotwecken anfgehäust, wovon mein Dragoman und ich je ein Strick zum Andenken erhielten. Nach drei Uhr verabschiedeten wir uns und gingen znm Hafen hinunter, wo wir das Boot bestiegen, welches uns nach Simopetra bringen sollte. Im Boote holte ich den Rest meines Reiseproviants hervor, der in Käse, einer Büchse Schiukenkonserve und etwas Schokolade bestand, welche ich unter uns alle verteilte, dazu die auf St. Dyonifios erhaltenen Brote und ein Schluck Kognak, und wir konnten getrost und befriedigt den kommenden Ereignissen entgegensetzen. Nach einer Fahrt von einer guten halben Stunde fuhr mein Boot in den kleinen Hafen von Simo¬ petra ein. Am Hafen liegen ein Haus für die Boote uud ein paar kleine Gebäude, darunter eine Herberge mit einer auf das Meer hinausragenden, weinnmrankten Veranda, aus Holz gebaut, sehr wackelig und morsch, aber unendlich malerisch und heiter. Beinahe senkrecht über dem Hasen in schwindelnder Höhe liegt das Kloster selbst. Das Wetter war pracht¬ voll geworden, die Nachmittagssonne brannte. Unter diesen Umständen war ich ganz entschlossen, den etwa eine halbe Stunde weiten Weg hinaus nicht zu Fuß zurückzulegen, lieber hätte ich in der recht unreinlichen Herberge übernachtet. Doch dazu kam es nicht. Die Mönche, welche am Hafen wohnten, konnten sich mittelst Sprachrohres mit dem Kloster verständigen und erklärten 'N 59 -V sich bereit, mir auf diese Weise Maultiere vou obeu zu verschaffen. Es wurde also hinausgerusen, doch dauerte es eine Weile, bis die Klosterbewohuer auf den Ruf aufmerksam wurden. Endlich erschien eine schwarze Gestalt, ebenfalls mit einem Sprachrohre bewaffnet, auf einer der oberen Galerien. Man möge uns drei Maultiere gleich herunter senden, „Polykala" tönte die befriedigende Antwort ans dem oberen Sprachrohre herunter. Nun wurden wir anfgefordert, hereinzutreten: sie wollten uns mit Kaffee, Glyko und Masticha laben, doch hatte ich diese Süßigkeiten in den letzten Tagen so oft genossen, daß ich einen förmlichen Ekel davor hatte, und während sich mein Gefolge daran labte, zog ich es vor, am Meeresnfer im Schatten eines alten Maulbeerbaumes zu sitzeu und dessen köstliche, dunkel¬ rote und saftige Früchte zu genießen, welche nichts gemein haben mit den färb- und geschmacklosen Maul¬ beeren, welche in unseren Gegenden vorkommen. Endlich nach langem Warten kamen die Biaultiere und nur begannen den sehr steilen Ausstieg. Obeu an- gelangt, stiegen wir ab, und ich wurde durch einen finsteren, auswärts steigenden, engen Gang geführt, der am Fuße einer Treppe mündete, über die ich in den obersten Teil des Klosters gelangte. Dort wurde ich in das Empfangszimmer für Fremde geleitet, worauf der unvermeidliche Kaffee lind Glyko serviert wurde und der Abt selbst erschien, um T> 60 T mich willkommen zu heißen. Er ist ein hagerer, sehr alt und gebrechlich aussehender, würdiger Greis, dessen Kleidung sich in nichts von der der anderen Mönche unterscheidet. Die Macht und das Ansehen eines solchen Abtes innerhalb des Klosters sind sehr groß und kein Mönch oder Laie nähert sich ihm, ohne vor ihm niederzuknien und ihm die Hand zu küssen. Er plauderte eine Weile mit uns ganz leutselig, dann wurde ich in die Kirche gesührt, wo ich einen Mönch Namens Joaniki fand, der geläufig russisch sprach. Überglücklich endlich wieder jemanden zu finden, mit dem ich ohne Dragoman sprechen konnte, vertraute ich mich seiner Führung an und begann mit ihm eine detaillierte Besichtigung des ganzen Klosters. Simopetra ist, wie ich bereits erwähnte, auf der Spitze eines steilen Felskegels gebaut, und zwar so, daß der Gipsel des Felsens gleichsam in das Gebäude hineinragt und das Kloster infolge der Unregelmäßig¬ keit des Felsens an einzelnen Stellen nur mit einem Stockwerke an demselben ruht, an anderen Punkten jedoch bis siebenstöckig ist. Das Kloster ist schon mehreremal, und zwar das letztemal vor ungefähr zehn Jahren, gänzlich durch Feuersbrunst zerstört worden. Das Mauerwerk ist natürlich unversehrt geblieben, aber die zierlichen Holzgalerien, die sich längs der Fensterreihen eines jeden Stockes hinziehen, infolgedessen an gewissen Stellen sieben übereinander schwebende Reihen von Balkons bilden, was dem finsteren N 61 'N Gemäuer der Mönchsbnrg etwas Bewohntes, Heim- ticheres verleiht, mußten sämtlich erneuert werden. Die innere Ausschmückung der Kirche ging ganz zugrunde; dieselbe ist gegenwärtig uur weiß getüncht und sehr eiusach ausgestattet; auch die ganze Bibliothek wurde ein Raub der Flammen. Die gegenwärtig be¬ stehende Büchersammlung ist nur ans einer geringen Anzahl Bücher, Geschenke und Anschaffungen der letzten Jahre, zusammengesetzt, doch genügt sie den Bedürfnissen des Klosters, da sich die Mönche wenig mit Lektüre befassen. In der Bibliothek fand ich einen Mönch mit dem Einbinden von Büchern beschäftigt und bewunderte die hübschen, geschmackvoll und exakt gearbeiteten Einbände, die er geschaffen hatte. Durch alle sieben Stockwerke des Klosters mußte mich Pater Joaniki führen. Im unter¬ sten, der nur ans einem einzigen Raume besteht, befindet sich die Werkstätte des Klosterschnhmachers, ebenfalls ein Mönch. Der Fels, ans dem Simopetra thront, ist mit dem dahinter liegenden hohen Berge durch einen Aquädukt verbunden, dessen malerische Bogen den Reiz des Bildes von weitem bedeutend erhöht. Leider wird jetzt im Kloster viel gebaut und hinzugefügt. Die eng zusammen¬ gedrängten Gebäude genügen nicht mehr den Ansprüchen des blühenden Klosters; es werden ein neues Refek¬ torium, ein Spital und Wohnungen für mehr Mönche angebant. Mögen diese neuen Bauten nicht dem ehr- T> 62 -N würdigen alten Felsenneste seinen eigentümlichen, romantischen Charakter nehmen! Überall anders würde Simopetra nicht der Banalisierung durch dell Neubau entgehen, aber im Byzantinischen Reiche wird ja immer noch bei Bauten an alten Traditionen festgehalten, und selbst das Neueste sieht dort uie gauz neu aus. Ich bestieg noch den Glockenturm und setzte mich daun aus dem obersten Balkon oder äußeren Gang; dort war es herrlich schön. Das Ideal von dem, was Fallmerayer die «süße Schwärmerei» nennt. Alles so stimmungsvoll, so ruhig, so weltentrückt, so duftig. Die Sonne war gerade im Untergeheil, tief, tief drunten lag das Meer, still und dunkelblau, in den Büschen schmetterten Nachtigallen. Die Augeilblicke, welche ich auf diesem Balkon von Simopetra verlebte, waren reinster Genuß und der Gipfelpunkt meiner ganzen Reise. Um sieben Uhr wurde ich zum Abendessen gerufen. Au demselben nahmen teil außer mir und meinem Dragoman Vater Joaniki und ein russischer Mönch von athletischer Gestalt, der schon längere Zeit auf Simopetra weilte, mm griechisch zu lernen. Die Mahlzeit, die uns vorgesetzt wurde, war entschieden die beste, die ich auf Athos verzehrte. Zuerst kamen Eier, daun ganz vorzügliche, gebackene Fische mit famosem Gurken¬ salat. Die nächste Speise war mir allerdings eine arge Enttäuschnng: es war eine große Schüssel Makkaroni mit Tomaten, welche sehr appetitlich aussah, mit Käse bestreut, doch beim ersten Bissell mußte ich die Gabel -N 63 'N hinlegen, sie waren mit zu entsetzlichem Fett bereitet und statt mit Parmesankäse mit Schafkäse bestreut! Dann aber kam noch eine sehr gute süße Speise; Käse und Obst, das Brot und der Wein waren vor¬ züglich, und so stand ich im ganzen sehr befriedigt vom Tische auf. Um 8 Uhr erklang der Simaudron durch das ganze Kloster als Zeichen, daß der Abendgottesdienst beginne. Gewöhnlich müssen die Mönche täglich nm Mitternacht in die Kirche, jedoch angesichts des morgigen Sonntags und der Oktav nach Pfingsten begann dies¬ mal der Gottesdienst schon nm 8 Uhr abends und sollte die ganze Nacht dauern und das Amt am Sonn¬ tag morgens denselben fortsetzen! Ich plauderte noch lange mit dein russischen Mönche, der als Gast eine weniger strenge Observanz befolgte. Dann begab ich mich auf den Balkon, ergötzte mich an dem herrlichen Anblick des Meeres und der Felsen in den Strahlen des Mondes gebadet und lauschte dem Gesänge der Nachtigallen. Es wurde mir schwer, mich von der lauen Mond¬ nacht zil trennen, um eine zweifelhafte Nachtruhe zu suchen. Und in der Tat, meine bösen Ahnungen ver¬ wirklichten sich. Das Lager, welches man mir auf einem Divan im Empfaugssalou bereitet hatte, erwies sich als eine Folterbank, auf welcher ich nur gegen Morgen, als sich meine Peiniger an meinem Blute gesättigt hatten, vor Müdigkeit ans ein paar Stunden N 6i 'N einschlief. Bei meinem Erivachen nach 5 Uhr fand ich die Landschaft ganz verändert. Der Himmel war um- ivölkt, das Meer stürmisch nnd hatte seine schöne Farbe verloren, ein kühler Wind wehte, und es drvhte zn regnen. Unter diesen Umständen fand ich es geraten, sobald wie möglich aufznbrechen, um vor einem etwaigen Sturme Daphne oder St. Panteleünon zu erreichen. Ich verabschiedete mich vou dem guten Abte, die übrigen Mönche waren noch in der Kirche. Nun ging es wieder mit Maultieren bergab zum Hasen, wo ein Boot für uns slottgemacht wurde. Beim Verlassen des Hafens feuerte mein Saptieh seinen Abschiedsschuß ab, worauf der eine Mönch der Hafenherberge, ein Spaßvogel, seine Flinte herbeiholte und ebenfalls mit einem Schuß antwortete. Indessen hatte sich der Wind gelegt, und in einer- guten halben Stunde legten wir bei Daphne au. Dort hatte mein Dragoman unsere Teskeräs, ohne welche man im Türkischen Reiche absolut nicht reisen darf, deponieren lassen. Ich gab unzählige Ansichtskarten von Athos, welche ich aus Salonich mitgebracht hatte, ans der russischen Post auf. Dann begaben wir uns wieder in unser Boot und ließen uns zu dem wieder etwa eine halbe Stunde entfernten russischen Kloster St. Panteleimon, auch „Russikon" genannt, rudern, wo wir gegen 9 Uhr ankamen. Der Anblick von St. Pan¬ teleimon von der Seeseite ist der denkbar häßlichste S) 65 T und uninteressanteste. Das Kloster selbst verbirgt sich hinter einem kolossalen Neubau, welcher einem Fabriks¬ gebäude gleicht und verschiedene Unternehmungen des Klosters sowie wirtschaftliche Räume enthält. Beim Eintritt in das Kloster übergab ich die Empfehlungs¬ schreiben, welche ich von der russischen Gesandtschaft in Athen erhalten hatte, und wurde in ein freundliches Fremdenzimmer geführt. Da glänzte alles von Sauber¬ keit und Ordnung. Auf den neuen und reinlichen Divans ließe sich gut ruhen und wahrscheinlich ohne Ruhestörung durch Ungeziefer, aber wie prosaisch und uninteressant waren diese frisch getünchten Gänge, diese srisch lackierten Boiseries, diese lichten Zimmer mit den neuen, weißen Vorhängen und neuen mit Cretoune überzogenen Möbeln. Der Blick aus dem Fenster fiel auf einen wohlgepflegten Garten, aber welch ein Unterschied mit der wilden Romantik von Simopetra! Diesmal wurde Tee und Eingesottenes serviert, eine angenehme Abwechslung; dann erschien auf der offenen Galerie, welche vor meinem Fenster vorbeiging, die schwarze Gestalt eines älteren Mönches, der sich als Vater Lenophon, welcher früher Fürst Wiasemsky hieß, zu erkennen gab. Ich hatte schor: viel von ihm gehört und freute mich sehr, ihn kennen zu lernen. Er war zweimal verheiratet gewesen, hatte Weib und Kinder verloren und hatte sich ins Kloster zurückgezogen, nachdem die 5 W 66 T> Welt für ihn keinen Reiz mehr hatte. Seine einzige Freude waren mathematische Studien, denen er sich hier im Kloster nach Wunsch widmen durste. Vater Xenophon hatte auch nebenbei die Aufgabe, sich der Fremden anzunehmen und ihnen die Honneurs des Klosters zu machen. Da es Sonntag war, schlug er mir vor, zuerst dem Gottesdienste beizuwohnen, dann wolle er mir das Innere des Klosters zeigen. Diesen Vorschlag nahm ich mit Freuden an. — Die Hauptkirche von St. Panteleimon ist von außer¬ ordentlichem Reichtnme und ist die Fülle der Ver¬ goldungen beinahe erdrückend. Es wohnte eine sehr zahlreiche Assistenz dem Gottesdienste bei, fast lauter russische Bauern in Juchtenstiefeln und Kaftan. Es waren zumeist Pilger oder Bedienstete des Klosters. Ich wurde zu einem Ehrenplätze beim Altar geführt und konnte der geistlichen Handlung, welche leider ihrem Ende nahte, ans nächster Nähe folgen. Der Abt, Archimandrit Andrei, umgeben von zahl¬ reichen Geistlichen, zelebrierte die Messe. Die Gesänge, welche den Gottesdienst begleiteten, waren wunderschön und die Meßgewänder, bei denen an diesem Tage die grüne Farbe vorherrschte, strotzten von Gold und waren wie auch die sonstigen zum Kultus gehörigen Gegen¬ stände von einem Reichtnme, der mir alles, was ich derartiges in Moskau und Petersburg gesehen hatte, zu übertreffen schien, aber alles ganz funkelnd, neu, zumeist Geschenke der kaiserlichen Familie. Ganz -V 67 T besonders wurde ich auf eiu Heiligenbild, den heiligen Panteletmon darstellend, aufmerksam gemacht, das eiu Gescheut des Kaisers Nikolaus II. ist. Der Heilige selbst war in Email ausgeführt, die Einfassung über¬ aus prunkvoll ans ziseliertem Golde mit Email¬ verzierungen. Das Ganze, eine Arbeit von Hlebnikoff aus Petersburg, nicht besonders geschmackvoll, verdient jedoch, was Ausführung und Feinheit der Arbeit betrifft, die höchste Anerkennung. Vater Xenophon zeigte mir nach der Messe noch einige Lokalitäten und Gemälde, dann führte er mich in den Empfangssalon, wo ich dem Archimandriten Andrei vorgestellt werden sollte. Der Salon ist ein sehr großer, luftiger Raum mit zahlreichen Fenstern an drei Seiten. Die Dekoration des Raumes ist sehr licht gehalten, weiße Spitzenvorhänge umkleiden die Fenster, Blumentische mit Pflanzen stehen herum, au deu Wäudeu häugeu Gemälde, Lithographien und Photographien, zumeist Porträts von orthodoxen Potentaten, Fürstlichkeiten, Bischöfen, und Heiligen¬ bilder. Der Boden des Saales ist spiegelglatt, licht- braun lackiert, rings nm den Raum stehen rote Samt¬ kanapees, Fauteuils und Stühle, in der Mitte ein rundes, ebensolches Sofa, lauter Möbel aus den fünfziger Jahren. Außer mir wareu uoch zwei Gäste, eiu eleganter bulgarischer Herr mit einem Ordensbändchen, und ein Architekt aus Odessa. Beide waren in eleganter Salon¬ toilette erschienen, ich mußte wohl oder übel in meinem 'N 68 -N sehr abenteuerlichen Reisekostüm bleiben, da ich nichts anderes mithatte. Außerdem war noch eine größere Anzahl Mönche anwesend; wir saßen alle in einer Reihe längs der Wand und warteten. Es wurde Tee uud Eingesotteues serviert. Da endlich erschien der Archimandrit. Alles erhob sich und küßte ihm die Hände. Wir wurden ihm vorgestellt; er setzte sich auf das Sofa und plauderte mit uns. Er ist ein sehr korpu¬ lenter Mann von hohem Wüchse mit großem grauen Barte; er sieht schon sehr alt und schwach aus und soll auch kränklich sein. Er trägt ein schönes goldenes Pektorale an goldener Kette. Er ist ein freundlicher alter Herr, dessen Reden stets mit frommen Worten und Gebeten vermengt sind. Ab und zu kam ein Mönch, nm die Befehle des Archimandriten für irgend etwas einzuholen; dabei kniete der betreffende Mönch stets nieder und küßte dem alten Herrn die Hand. Nachdem wir längere Zeit geplaudert hatten, wurde das Essen angesagt, und wir wanderten in den Speisesaal, der sich unter dem Empfangssaale befand. Obwohl St. Panteleimon wie alle russischen Klöster Zönobe ist, so ißt der Abt mit den Spitzen der Kloster¬ geistlichkeit und seinen Gästen nicht im allgemeinen Refektorium. Das Mittagsmahl unterschied sich von den Mahlzeiten in den griechischen Klöstern dadurch, daß es sehr schön und sauber serviert war, auch war in der T) 69 T> Wahl, Reihenfolge, Anzahl und Zubereitung der Speisen eine gewisse Prätention bemerkbar, aber vielleicht eben deshalb kam es mir ebensowenig schmackhaft vor, ja es blieb sogar hinter dem Essen auf Simopetra weit zurück. Auch war mit ebenso schlechtem Fett gekocht, wie überall aus Athos. Nach dem Essen führte uns der Archimandrit noch in seine Privatgemächer und gab jedem von uns Frem¬ den Geschenke zum Audenkeu, unter anderen auch ein im Kloster selbst verfertigtes Muttergottesbild. Bevor er mir das meinige einhändigte, fragte er Vater Tenophon: „Kann man es ihm geben?" worauf ihn dieser beruhigte, ich sei ein Katholik, der ja die Muttergottesbilder auch in hohen Ehren halte. Nun verabschiedeten wir nns vom Archimandriten, und Vater Tenophon begann mit mir den Rundgaug durch das Kloster. Zuerst sahen wir das riesige Refektorium, wo über tausend Mönche täglich abgespeist werden, von da gingen wir durch eine Allee von rosa und weiß reich blühendem Lorbeer in ein Nebengebäude, wo sich die sehr reiche, große Bibliothek befindet, daun zur alten griechischen Kirche, dann zum häßlichen großen Gebäude am Meeresufer, wo ich das große Krankenhaus und die Malerschule besichtigte. Letztere ist ein sehr löb¬ licher Versuch, die athouische Kunst zu heben und zu entwickeln, jedoch bisher mit sehr ärmlichen Resultaten. Mit der steifen, hierarchischen, byzantinischen Manier ist zwar gebrochen worden, aber bis zu einer freien, T> 70 T> selbständigen Auffassung haben es die guten Mönche nicht gebracht. Dann bat ich Vater Xenophon, mich noch zu einer Einsiedelei zu führen, die sich in der Nähe befinden sollte. Das tat er sehr bereitwillig. Leider konnten wir den Einsiedler nicht sprechen, da er sein Nach- mittagsschläschen machte, aber der Garten war sehr nett und gut gehalten und meine theologischen Gespräche mit Vater Lenophon äußerst interessant, so genoß ich meinen Spaziergang ungemein. Kaum ins Kloster zurückgekehrt, wurde ich zum Nachmittagstee im Empfangssaal gerufen und nach dem Tee sagte man mir, das Boot sei bereit, um mich und die anderen Herren nach Daphne zu führen, wo der russische Dampfer bald ankommen müsfe, mit dem ich nach Salonich zurückkehren wollte. Nachdem ich herzlichen Abschied von Vater Leno- phon und den anderen Mönchen genommen hatte, fuhren wir davon. Vater Pmssi begleitete uns. Es war drei Uhr nach¬ mittags. Die Junisonne brannte heiß. In Daphne war eine unglaubliche Meuge vou russischen Pilgern zu¬ sammengeströmt, meist arme Leute, die im sehr primi¬ tiven Gasthause überall hernmlagen und ausruhten, bis der Dampfer kam, der sie nach Odessa führen sollte. Vater Paisfi proponierte mir, ein Seebad zu nehmen, was ich mit Freuden annahm, da es sehr heiß war und ich mich bereits vier Tage nicht recht gewaschen hatte. -N 71 'N Das Wasser war herrlich klar und warm; am roman¬ tisch zerklüfteten Ufer tauchten weißbärtige Mönchs- gestalten aus, die sich so wie greise Meeresgottheiten auf den Felsen herumlagerten. Vom Mittelalter glaubte ich mich in das graue, mythologische Altertum versetzt! Doch nicht lange währte diese Illusion, denn das russische Schiff Azow dampfte bereits heran; da hieß es sich geschwind ankleiden und Abschied nehmen von der gastlichen Halbinsel, wo ich leider nur vier Tage der Weltabgeschiedenheit und der reinsten Natnrgenüsse verbracht hatte, die mir unver¬ geßlich bleiben werden. Auf dem Schiffe traf ich eine sehr nette englische Fa¬ milie, mit der ich gleich bekannt wurde, einen vornehmen Türken mit seinem Harem, Juden, russische Pilger >c. Das Schiff war sehr rein, das Essen recht gut, das Bett — unbewohnt, Dinge, deren Wert ich jetzt zu schätzen gelernt hatte. Nach dem Essen begab ich mich aus Deck und sah mit Wehmut den stolzen Athoskegel schon in grauer Ferne, nur mehr ein Phantom. Am nächsten Morgen war ich schon wieder im Hotel Colombo in Salonich, um eine schöne Erinnerung reicher. Weizeolstein, Weihnachten 1902. SL6SISSSSSS vxaonvx