Ein KlemstiMer in FcMtcu. Neise von Bognmil Golh. „Die Gerechtigkeit kommt nicht aus dem Gesetze der NaNir und dessen Werken." (Epistel Pauli an die Nomer.) Z»«o schreibe dies Buch! — In demsclbigen Augenblicke erschien vor meinen verzückten Blicken der lichte Genius meiner Kindheit. Er hielt eine Schrift in Händen, auf deren Titelblatt in farbenglühenden und goldigen Lettern „Kindheit" zu lesen stand. Als iä) erwachte, sah ich, daß ich wieder einmal in „ Duhster - D u hsel n" so schön geträumt. Aber diesmal hielt ich den Traum feste und machte Ernst mit der Schriftstellerei, und fiel doch nicht ans meiner Rolle, sondern in den tiefsten Seelentranm, in den Mittelpunkt der Natur, in „die heiligen Paradiesträume der Kindheit" zurück und schrieb sie nieder, und nannte sie „Buch der Kindheit," und verkaufte mein Bischen Hab und Gut, und ging Hausiren mit meinem Manuskript; unter andern in Pregel- und Spree-Athen, und erhielt an beiden seelenvollen Orten die naive und XIV tiefgefühlte Antwort: daß mein Buch für diese profane Welt und Zeit viel zu schade sein dürfte und somit auch für den Druck. Endlich fand sich doch aber ein reellerer und derberer Sachkenner, der es „gerade gut genug" hielt und so nachdrücklich empfahl, daß es ein Zweiter ganz materialistisch mit Lomsd'oren honorirte, nnd dieser Jemand war mein ehrenfester und freundlicher Verleger H. Zimmer in der schönen, billigen uud manierlichen Stadt „Frankfurt am Main". Und derselbige reelle Manuskriptenl'enner und Käufer bezahlte mir später mein Buch „vom Menschen-Dasein", und weil ich eben ein Bischen nach Aegypten reisen wollte, prännmerando baar und blank, uud das war mein Glück. Ohue dieses Geld wäre ich keincsweges nach der Heimath der Träume des Menschengeschlechts gekommen, denn Reisen kostet zum ersten- und zum letztenmal und hinter allen andern Kosten, z. B< des eingebüßten Sitzfleisches, der urväterlichen Ruhe, Begnügsamkeit und Naivetät, immer noch wieder Geld. Dies ist so ein Stückchen Biographie, meinen verehrlichen Lesern auf die Köpfe gcfchosseu, damit sie doch von ihrem jüngsten Cicerone für Aegypten wissen: woher, womit, worin, woraus, warum und wie so! Wollte Gott, ich wüßte den Schuß in der Leute Herz; XV denn mn' nüt herzigen Menschen, mit Men Freunden lebt und reiset, liefet, spricht und verständigt es sich lebendig richtig, leicht und schön. Mit Gleichgültigen, Förmlichen oder Nebelgesinnten, mit Neummdneuuzigklugen tommt inan beim besten Willen und Rechte, wie bei den besten Talenten, nicht zu Nande und zu Stand. Mein Aufenthalt in Aegypten war zu knrz, mn mehr als die unmittelbaren Eindrücke wiedergeben zu können, die ich dort empfing. Gelehrte Forschungen mußten mir ferne bleiben; was ich aber aus eigener Anschauung kennen lernte und sonst erlebte, das werde ich ehrlich uud so viel au mir ist zum Besten geben; gelegentlich auch das, was Andere gesehen oder gesagt. Die ersten Gindrücke sind nicht selten die richtigsten; die spätere Reflexion verdirbt oft mehr als sie in Ordnung zu bringen vermag. Länder muß mau entweder im Fluge sehen oder ein halbes Leben lang studiren, um eiues objektiven Urtheils einigermaßen gewiß zn sein. In der Jugend und Eile täuscht uns die Sinnlichkeit, und im Alter mit Zeit und Weile täuscht uns der Verstand! XVI Zeit und Nachdenten machen unsere Urtheile billign und vielseitiger, aber charakterll)ü und blaß. — Die sittliche Indignation, gleich wie die Begeisterung, gehören dem ersten, herzlichen, lebensinbrünstigen, divina-torischen Vcrtehr mit den Menschen, den Dingen und Geschichten dieser in s» wunderbaren Gegensätzen pro-zesfirenden Welt. Diese Wahrheit ist es, die ich im Allgemeinen zur (srt'lcmmg und Entschuldigung meiner Art und Weise anführen will, daß ich dabei immer !wch die Nachficht der wirtlichen Sach- und Fachverstäudigen erbitten muß, versteht sich uon selbst. Thvrn an der Weichsel, 5. Januar 1853. Inhaltsverzeichnis Seite Widmung. Vorwort. Ein Wort über das Ncisen.......... 1 Abfahrt vo» Trieft und Auf dem Meere...... 5 Corfu.................. 10 Alexaudrien................ 24 Erster Anblick und Eindruck, — Nusschinuna,. ^ Kleine Abenteuer mit den Eseljunssen und Wasserschläuchen, — Der Nakschiesch. — Erster «Andruck vom Gassen-leben, — Die boila Von«/.ill,. - Gasthau^Ncmims-zeuzen von westpreuhischenImmediatstädten. ^- Rumpel» kammeru und allegorische Rammelei in Alercm-drien und in der gnmcn Welt. — ANssemcine Skizze von Alcrandncn. — Arabische Konversation mit den GseljmraM. — ^ichteuderg und Frau Angelika Kauft mann in Venedia,. - (^vstecj ^laniren zu Esel m Alerandrienö ^aü'eu und Plänen. — (^in geschorenes Kamee!. -^ Eine '^erlodung^ und BeschneidungSfeicr« lichkeit als Straßcnpro.,ession, — Differenzen und Miß< Verständnisse zwischen dem EseljunaM und dcin Autor. — Experimente ;u Fuß auf's Gerathewohl, — AuS< xvm Seitc beuten für die erste wüthende Neubegier im Bazar :e. und in den Gassen der Profcssiouisten. — Rencontre mit einen, arabischen Schulmeister, — Ein Kaffeehaus. — Marktplätze. — Brunnen und Wasserräder. — Gälten und Gartenmauern. — Ein Bruunenhciliger. — „Wo die letzten Öäuser stehen." — Mahlmühlen lind ?uinpenbeduinen — und eine Hundesiiudftuth. — Ein neu aufgegrabener Sarkophag. — Gme Cleopatra m Pferde, Ausflucht nach den GavarrilMen........ <^i Szenerie von Plätzen. — Der Maymuditanal und seine Allegorie. -- Nii'chnei-Nowgorod. -- Ein Gesicht von der ägyptischen Staatowirthschaft. - See Mareotio, — Nlerandrien ein Hydrarchos. — Ein Ritt durch die Alleen, die ^u den Gabarrigärten führen, — Der Said-Pascha zn Ron. ^- Gin Odalistengarten, — Zweite Ausflucht Mm Mareotissce, — Oin Ritt auf einem Damm in der Niederung des Mareotiö. — Aegyptische Gartenardeiter. - Eine ägyptische Wasserleitung. — Eine Medusenmojcul als Aegyptcns Symbolum. Ponlpcjus-Sänle.............. 7« Gelehrte Notion. — Welche Philosophie die Säule predigt. — Harmonie und Maß ein Weltgesetz — Der Oseljunge patzt als Bcld auf die Säule. — Narrenhände beschmieren Tisch und Wände, auch Säulen und Pvramiden. TaM'chsnotizcn iu Mcxandrien......... «4 Nlercmdnnncde PMwther, — Ein italienischer und ein deutscher /Flickschneider. - Eine Matratze, — Einkäufe für eine Nilreisc. — Klein Geld in Aegvpten. — AegyP' mche Prärie und Technologie. -^ Mahlmüblc.' — Aegyptische Passivität und Temporiftren. — Büchsen-schäfter. — ,^olchauen und Bauen. — Artillerie, Pfeifer und Trommelschläger. — Tl'inscbloß von Hol,^. — Technologie im Arsenal. — Aegyptischcs Dampfickiff. — Aegyptlschc Industrie. - Uimlogie zwischen Aegyp-tern und Juden. — Lebensbedürfnisse, Waaren und XIX Seite woher sie bezogen werden. — Oelfladen. — Preise der Lebensmittel. — Liebesäpfel und I^tin^ni. — ?sc-«HÜFi, — Kaktusfeige. — Wildschwein. — Die Aauna und Flora — Kamäleon. — Konfitüren und Bcina-nen. — Abhanden gekommene Naturprodukte. — Sau-bohnen. — Das Kameel, — Dac! arabische Pferd nach Lamartine. — Der Vergnügungsort Ätabareiudeli. — Ei'el und ihre Treiber. — Branntwewtrinken in Alerandria. — Die Einäugigen. — Die Schleier der Weiber. — Die junge Frau eines Barkenreis. — Geldgier-Anekdote — Abgewiesene Philosophie, — Tracht und körperliche Kraft. — Negerinnen und Neger. Italienische Landwirthschaft........... 12<> Zimmerkomfort und Einrichtung. — Baulichkeiten. — Kcmalmederung. — Landgartcn- und Berliner Thier-garteu-Eiablissciuento. Eine arabische Mcht anf dem Maiimndilana! .... 134 Die Abeiidfahrt. — (5in B«ramfm, — Die Miickeu haltm auck ein Fest. — Aegnptische Lebensarten bei Eventualitäten mit dcr Barke. — Bezugnahme auf die christliche Ncligion. Paradieses- nnd Hadess^eneu an dcu Schleusen in Atfeh I4o Eine Reisephilolophie. — Erster Anbli^ deo Nilo und seine Szenerie. — Lebensarten der Schiffer an den Schleusen, mit daran geknüpfter Philosophie. AeMtifche Architektur auf dem Torfe :c......14'.» Erklärung derselben aus dein ägyptischen Charakter. — Multerdorfer. — Veluugliickte Neuerungen im Bauen zu Alerandria. — Die Baulichkeiten spiegeln das Eingeweide der Aegypter zurück. Schilibelchit, iiMtische Lebensarten und Lielicnswnrdin-leitcn................ i'!0 Eine Noti^ über Araber und Acgypter vo« LepsiuS. — Jahrmarkt in Schibbelchit. — Ein Hausvater, der feine Hütte baut. — Die Aegypterin eine Kuchen-bäckerin. — Unempsindlichkcit des FellcchweibeS gegen Schmutz. — Schaullosigkeit des Fellah. — Versuchte XX Seite Entschuldigung ans der Naivetät. — Taschenspieler und Nettier lind ihre Grimassen. — Rückblicke auf die heilige Sckrift, alten wie neuen Testaments. — Der Aegypter ein Kratehler. — Narkenschiffer und ihre Art und Weise. — Chinesen. — Arabische Schrift und Sprache. Erster Anblick der Pyramiden von Battn el Ballern . . 180 Kahirn..................183 Erster Anblick der Pnramiden. — Der Neg von Bulak nach dein Frankenvicrtel. — Ezbekiehplatz. — Große Hotels. — Allgemeine Umschreibungen Kahira's. — Historische Erinnerungen. — Kahira's Topographie und Statistik. — Foltat. — Das Kapitel von den Uebertreibungen der Reisen aus künstlerischem Gesichtspunkte uentilirt. — Ich mache micli noch Abends auf die Gaffen von Kahira hinaus. — Das erste Erwachen in Kcchira, — Kopfüber in das Gassenlabvrinth gestürmt und den Rahm der Abenteuer abgeschöpft. - Die Meschrebijehs oder Paltone. — Erster Eindruck der Architektur. - Die inneren Höfe und Kaufläden. — Eine Menagerie. — Die (Giraffe. — Gin junges Nilpferd. — Wikabchü Hallen der Kaufleute. — Die Architektur verglichen mit der gothischen. ^ Die Minarets. - Mcnschenstrudel und Abenteuer in demselben. — Eventualitäten. — Aegvptiichc Polizei. — Die 'Wai'serspendcn in Kahira." — Notizen auö dem Hadramant. — Reitende Damen und die kahirimschm Hunde. — Ein wüthendes Fellahwcib vor der Kanf-bude. - Granen, ,^othfladcn auf dein Haupte bcilcm-circnd. — Silbergroschenbuden in Kahira, — Possen^ reißer, Märchenerzähler, Bajaderenphantasieen, Ausrufer nach H. Schubert, - - Eßwaarcn auf der Gasse. — Die Mueddins und ihre Gebete von den Minarets. Die Citadelle...............234 Erster Eindruck. — Die massakrirten Mameluken. — Dcr IussufSbnmnen. — Aussicht. XXI Seite Tie KalifeuaMer.............. 241 Die Hllssailsmoschee............. 246 Der versteinerte Wald............ 254 Eine Kindheiterinnerung. Tie Wüste eine Mutter der arabischen Phantasie und KlMst................260 Die Wüste................264 Htliopolis................269 Gin Morgcnritt. — Historische Reminiszen.M. ^ Alt-cigyptischc Theosophie. — Schluhbetrachtungen. — Sonst und jetzt. Echnbra und illoda............278 Adieu au Kahira..............239 Die Pyramiden...............295 1^ D e r Ritt zu den P yramidcn. — Scenen i n Fostat und beiin Ucdcrschc« über den Nil. Erster Eindruck in der Nähe 2> Materielle Notizen. - Maße u. dc,l. — Der Sphinx. — Das Eingeweide der Pmamiden. 3) Auosicht von der (5hcopspvramide. — Die Ehephrenpyramide. — Die Pvrannden des Myterinus. — Dic Bnmnen. — Unterirdische Gängc zwischen dem Sphiur, den Brunnen und den Pyramiden. — Beschreibung des Splunr im gegenwärtigen Zustande. 4) Die Besteigung der Pyramiden. — Oben. — Reflexionen und b'mpfindunge«. — Die Nilniederung und die libysche Wüste. 5! Nüchterne Auffassungen. — Acgyptische nnd modern'e Baukunst. «»Symbolik und Ausdeutung dcr Pyramiden, mit Znhülfenahme der deutschen Münster, 7) Lepsius üdcr das Labyrinth und den See Möris. Auf deni Nil...............255 Abfahrt von Kahira. — Ockonomika. ^ Prouiant. — xxu Seite Klein Geld. — Schwäbisches Zureden, — Dogana. — Zur Physiognomie der Gegend. — Wiesen, Gebirge und Grabtammern il» Zusammenhang uiit dcr Spek-takelwutl' der Aegvvter. ^ ^iue Ni> Paradicsscene. — Die Wasserräder und Ein kleiner Dialog Mischen dein Autor und zwei Schneidern ans dem Nil. — Eine Schneiderp bantasie vom Affenberge in Algier. — Drogleichen von einem Monstrum in Syra, — Dergleichen von dein ersten Eindruct Algeriens. — Analoge Momente zwischen einer ägyptischen Reise und dem deutschen Stvl. Gelohsoleh, ein Dorf am Nil. — Nilstindel, — Wir werden ins Trakseil gespannt. — v^okebci el t«r. — Koptischer Pope. — Acgyptische ^„d^^thschaft. — Der Schneider und der juuge Wn« ,in der Durrab. — Daß nur so „gcknahstert." — Fahrt bei Mondenschcm. — Minych bei der Nacht uud am Tage. — Zur Charakteristik des Landes und Klimas. — Sittlicher Profit in Aegypteu. — Korrektionen fürs ganze Leben. — Ein arabisches Thürschloß uud Balkon ^u Mnyey, — Girgeh und seine User. — Ein ägyptischer Buchhalter, Schnapswirth und Koch zu Minyeh. ^ Experiment ins Innere von Minyeh einzudringen. — Ein maltesischer Dolmetsch. - Meine Ausrüstung für dir Fahrt nach Thel'en, — Todesangst auf dem Nil. — Wasservögel auf dem Nil. — Adeud'zcnen. — Experimente in, Arabischen. — Zum arabischen Signalement Unverschämtheit und Hadersucht. — Ghristus ein Friedens-Prediger. — Aegyptische Kontraste. — Em Effendi. XXIII Seite ^ Pflügn mit Nameelen. — Kleines Abenteuer. — Kopten/— Wasseruögel. — Durchsichtigkeit der Luft. — Ein kleines Krokodil!. — Die Bibel auf dem Nil. — Achmibm. — Nachtfahrt. — Todcoangst. —Szenerie.— Verlorne Hemden. — Arabische Gemüthlichkeit. — Träninerei im fremden Welttheil, — Eine Stuimfahrt. — Zur Naturgeschichte der Varkenfchiffer.— Engländer auf dem Nil. — Hunde, ^ Die Töpferei nnd der Tbon in Aegvpten. — Barkenschifferei und ihre Eventualitäten, Ausrüstung :e. — Waschökonomie und Profit jeder Nodinsonade. — Nichanwendnngen und Selbsttorrestionen, — Gerechtigkeit tomutt nicht aus dem besetz der Natur. — Schwärmerei für Akten, Polizei und andere Anstalten ivie Apparate der Zivilisation. -^ Büffel. — Kcnneh, Empfehlungen. — Nacht be such in Kenneh. — Die Lösung der Nacht» invstencu bei dem Apotheker. ^- Die biblischen Geschichten und ibre Wahrheit in Aegypten. — Die Ratten in der Wüste bei Alerandrja. — Die ^äuse, Flöl^e und Wangen. — Man nimmt sich überall hin mit. — Wasserkrüge, die nicht mehr M Wasser gehen. — Sänger und Gcsangsweisen. — Abgehauene Dauinen. — Eine Nmeneidechse. — Theben. T>cr Tcmpelpalast in Kurnah..........47!ang eines angesessenen Lebens nur in seltenen Abschnitten darbietet, es heißt hnnoertnuil ini Jahre, die Fälle des gewöhnlichen Lebens erfahren; Wesen, welche die Vorsehung anf unsern Weg führt, rennen zu lernen, lieb zu gewinnen und zu verlieren, Abreisen ist wic sterben: wenn inan jene fernen Länder verläßt, ist: ein laugcs Leben in wenift Jahre zusainmcnfassen; cinc der stiirtsten Uebungen, die der Mensch seinein Herzen, wie seinem Verstände iNiflegen kann. Der Philosoph, der Politiker, der Dichter sollten viel gereist sein. Aenderung des moralischen Hm'izünteö ist Aenderung der Ideen. — (Lamartine's Reisen im Orient,) Das dilettantische Reifen ist so ein Luxus, wie der Verkehr mit hochgebildeten und hochgestellten Leuten; mit Schöngeistern, Gelehrten und Genies; — man kann auch anders bestehen. Der Himmel wölbt sich über allen Ländern, die Wunder der Natur in Tages- und Jahreszeiten sprechen an allen Orten zum menschlichen Herzen, — und innerhalb dieses Herzens — in Liebe, Glaube und Leidenschaft — ist der älteste 1 — 2 -^ und jüngste, der ungebildetste, der gewöhnlichste und geringste Mensch ein Urmensch, ein Adam, ein Christenmensch, ein Genius, ein Seher, ein Dichter, ein Original, ein Märtyrer und ein Held —! Die Natur und der Mensch bleiben sich in ihren Grundzügen, ihren Glementarprozessen, ihren Geschichten, ihrer übersinnlichen Zeichenschrift und ewigen Bedeuwug — unter allen Himmelsstrichen, auf allen Alters- und Bildungsstufen und in allen Weltaltern gleich! — Aber diese Gleichheit schlicht keineswegs die Mannigfaltigkeit aus — sondern ein. Die Heiniath übt erst am Gegensatz der Fremde den vollen Reiz auf das menschliche Gemüth. — Die Formen und Prozesse des Daseins, mit denen wir alle Tage verkehren, lassen uns gleichgültig und wiegen zuletzt unsere innern und äußern Sinne in Schlaf, - - bis sie ein fremder Himmel, eine nie gesehene Natur- uud Menschcnwclt zu neuem Dasein erweckt, und wir durch den Vergleich und Kontrast — die heimathliche, die uns von Kindesbeinen zugcbildctc und zugewöhnte Welt von Herzen und mit Schmerzen verstehen —! - So gehen Bruder und Schwester leidenschaftslos, oft lieblos neben einander her, — und doch entzündet die verschlossenen Sinne oft em einziger Blick aus fremden Augen, entfesselt er alle Leidenschaften eines kühlen Herzens; — und nun geschieht es: — daß sich die Geschlechter erkennen, daß der Mann in dem Weibe eine Eva, und daß das Weib im Manne einen Adam erblickt. — — 3 — Wie wir also außerhalb des Elternhauses, —die Geliebte zu suchen gehen, — wie wir in der Fremde unser Handwerk, oder unsre Kunst und Wissenschaft, wie wir in weiter Ferne unser Vaterland, unsre Sprache, die Menschheit und unser ganzes Herz erst recht verstehen, — so begreifen und erkennen wir auch, unter einem andern Himmel, in seinen Wettern, in fremden Jahres- und Tageszeiten die gottliche, die übernatürliche Bilderschrift, die volle Schönheit und Bedeutung, ^- die Seele der heimischen Natur, —und fortan geschieht es, daß wir in ehelicher Liebe und Treue mit ihr stehen. — Ein herzcnseinfältiger Mensch besteht auch ohne Reisen ganz wohl. Mit dem ,,01-3, et I^doi-g," macht man die Reise um die Himmel und zmu Mittelpunkte der Welt. Gin herz-und gewissenloser Mensch wird vollends nichtswürdig, glau-bens- und charakterlos in der Fremde; ein Beschränkter: „vcrtümmclt", anmaßlich und konsus. Ein gescheiter und herziger Mensch aber schäumt und klärt feinen Geist und erweitert seinen Hcrzpunkt zu einer peripherischen Weltempfin' dung, zu einem Gemüth, in welchem sich die Vernunft einzufleischcn vermag, welche bei ungerciseteu Gelehrten, der Seele und Sinnlichkeit, oft nur parallel zu laufen pflegt und ihnen zufolge keine Fakultät genannt werden soll. So ungefähr kann man Reisebilduug und Vcrbildung formulircn. 1' __ ^ __ Das Leben selbst aber prozesfirt in und über aller Formuli-rung odrr a priori'schen Konstruktion; — denn seine Faktoren sind das Feste und das Flüssige, Absolutismus und Liberalismus, Freiheit und Gesetzlichkeit, Natur und Geist, Grammatik und Poesie zugleich. Alles, was die Weisesten so sagen und konstituiren, wird von der Natur» und Weltgeschichte mit Variationen aufgespielt, auf daß die Thoren nicht lauter Nieten ziehen und der alte Gott, der ewig Gerechte und Nnpartheiische bleibt! AMn-t ran Tnejt unlt auf äem Meere. Trieft sieht su kaufmännisch aus, als nnißte ma» gleich lÄa> leerenfklauc n'erden, falls n>>ni seinen (Geldbeutel verliert, Vlan spricht hier nicht, man zahlt. Die alte Stadt wit einem illyrischen Vettelgesicht, kriecht hoher nach dem Verge hinauf, um das Kastell her, Wwrirt »oil den ueueil steinernen Fremdlingen, — Handelsstädte und große Gelehrte muß man aus der Ferne ansehen. (Lanbe'Z Neise-Nov essen.) Dcn 29. September 1849 auf dem österreichischen Lloyd-Schiss, welches nach Alexandrien hinüber fährt. Ich mustre die Passagiere, und werde gemustert; also wieder die Welt im Auszuge, und dies so recht der Begriff des Lebens auf einem Schiff. Ein garstiger Kerl von altem Engländer diktirt nur unwissentlich die nachfolgende Notiz: „Man kann wohl alt werden, aber nicht mit Zügen wie ein alter Schimpanse oder Mandrill. Man muß Exemplare dieser blasirten, englischen Travellers in Augenschein nehmen, um zu erfahren, bis zu welchem Grade das Menschenantlitz, das Ebenbild Gottes, verzerrt werden kann: der in Rede stehende Passagier hat Augen, die seit undenklichen Zeiten keine — 6 — Augen und am wenigsten Seelenspiegel sind; — sondern wie ein Paar Stückchen Gallerte, oder wie krepirte Fischaugen aussehen. Dann ziehen sich von den Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln zwei Falten wie an einem alten Schlafrock herab. Gin Mensch kann freilich alt werden und alt aussehen, aber doch wie ein alter Mensch, nicht wie ein Leder auf der Stange, und darf nicht Falten kriegen wie ein Nhinozeros, und nun vollends wie ein Schlafrock, dem das Oberzeug ein» gekrumpfen und das Futter herausgebeutelt ist; pfui! das kommt von einem abscheulichen Materialismus her." — Das Meer ist wie der Himmel und wie die ganze Natur. — Es spiegelt alle Farben und bleibt keiner getreu; es ist das Mannigfaltigste und doch das Einfachste, das Ruhigste und Unruhigste zugleich; — das Passivste und eine heillose Aktivität. i?s erzeugt Schäume und Wellen auf Wellengebirgen, und löst alle Gestalten jeden Augenblick in ein Nichts. Auf der Oberfläche ewig bewegt, herrscht die Ruhe auf seiner Tiefe wie am Himmel, der diese Meereswasser in Kbbe und Fluth bewegt. Sie scheinen.himmelblau, smaragdgrün, wie Beryll, und dann wieder schwarz wie die stygischen Gewässer, und wenn ein Zephyr diese Urwasser kräuselt, so überzieht sich jede Wette mit M'llenspielen, die sich dem Auge darstellen wie Melonengeflecht. In jeder Mondnacht ist jedes Schiff ein Geisterschiff. Der Mond steht bleich am Himmel; — der Steuermann wie ein ._ 7 — Gespenst oder ein Zauberer an seinem Rade, mit dem er das Steuer und das Schiff lenken muß. Ein Paar Gestalten in Kapuzenmäntel verhüllt halten die Wacht, sonst ist Alles stille und todt. Und das Meer stört dicsc Todtcnstille nicht, und ist mit seinem, gleichförmigen Brausen nur die Sprache der Wasfcr-wüste, der Weltcinsamkeit, des Geisterschweigens, das Nachtönen der Stimme Gottes, des „Werde", welches die Schöpfung ins Dasein rief. Und so haben diese Wellen seit Anbeginn der Schöpfung gerauscht; und es sind dieselbigen, welche in der Sündfluth die Menschheit verschlangen, und so fluthen und rauschen sie, bis zum jüngsten Tag! — Es ist etwas Ungeheures, auf fernem Meere, in fremder Zone, umgeben von einer großartigen Natursceneric zu sein —: aber auf der Höhe der Pyramiden oder des Himalaia, wie im Krater des Aetna, nimmt der Mensch seine Persönlichkeit mit. Er setzt sich schwerlich eine Linie zu, aber eben deshalb kommt er vielleicht nur scheinbar unter sein natürliches Maaß. Gewohnheit stumpft die außerordentlichsten Scenen und Vor» stellungen ab. Man schläft, durch eine Plautenwand vom Meere und vom Tode getrennt; man wird von diesem Meere eingewiegt, und schläft zuletzt so ruhig wie zu Hause im eigenen Bett. — Man meint zuvor, nicht fassen zu können, unter fremdem Himmel, in einem neuen Klima zu sein, uud ist zuletzt wie 8 daheim, oder eigentlicher ssesagt: man gewöhnt sich wohl schnell genug an die Fremde, und an die Vorstellung, im andern Welttheil zu sein, aber man begreift das Wunder der Welt und seines Selbst so wenig in der Fremde wie zu Haus. — Mütter sagten mir einmal: es mag so scheinen, als wenn wir über das Wunder, Kinder geboren zu haben ganz beruhigt find, uns selbst scheint es einige Zeit so; aber in vielen Augenblicken fassen wir es in keine Wege, daß solche selbstständige Wesen von unsrer Seele abgezweigt, und wie sie unser eigenes Fleisch und Blut geworden sind. Es ist unbeschreiblich, wie einer jungen Mutter zu Muthe ist, wenn sie nun in der Stille der Nacht erwacht, und bei Lampcnschein, aus der Wiege des ersten Säuglings, zum erstenmal von zwei Augen angeblickt wird wie vom Andern ihres Selbst! Natur und Einsamkeit erziehen Weltreformatoren und große Verbrecher. Auch das Meer bildet Helden, kräftige, bieder» sinnige, freie Männer; und rohe, thierisch entartete Matrosen. Die bloße Natur wird Bestialität, und die bloße Uebernatürlichkeit wird Unnatur und Wahn. Der Mensch soll eben die Versöhnung, die Ineinsbildung sein: von Materie und Geist, von Gott und Thier, von Natur und Uebernatürlichkeit. — In einem Faktor allein ist die volle Wahrheit nie, sondern in der lebendigen versöhnten Mitte, die in den Extremen wiedergeboren wird; — in dem regelmäßigen Wechsel von Ausdehnung und Zusammenziehung, von Leben auf der Peri- __n _ pherie und im Punkt, — von Vernunft und Herz, von Ebbe und Fluth. — Wie uns aber die durchgeistigte, die wahrhaft gebildete Natur das veredelte, vernunftgezngelte, wenn auch uuge-schulte Herz treibt, so müssen wir vorzugsweise sein; und diese Doft^elnatur ist in jeder Seele eine andere, und dennoch dieselbe in dem einigen Geiste Gottes, der in allen Menschenkindern derselbige ist, von Anbeginn der Welt bis zum Weltende. oZo^U. Was hat man in den Iugendjahren Alles von den griechischen Inseln in der warmen, stillen, Südfrüchte reifenden ^uft des Binnenmeeres geträumt, welches drei Welttheile an seinen Ufern vereint! ^ Hente liegt nun eines der schönsten und fruchtbarsten jener paradiesischen Eilande, in demselben Meere, auf welchem Odysseus umhergetrieben wurde, im Funkeln einer gloriosen Morgensonne, vor meinen durch Einbildungskraft fast närrisch erhitzten Sinnen: und die Wirklichkeit hält diesmal der Phantasie, den tausend Ueberlieferungen und Fabeln Wort! Auch der Dichter, der Landschaftsmaler muß cingestehen, daß, falls seiner Seele oder Querköpfigkcit ein anderes Bild von Corfu vorgeschwebt hat: — das wirkliche darum nicht minder reizend erscheint. Ja, hier ist das nackte Dasein, das bloße Athemholen eine Wollust und Glückseligkeit. — Die Meereswasscr sind flüssige Smaragde und Saphire, welche, die Sonnengluth vom blauen Himmel und von der grünen Erde abgeschmolzen _ n _ hat. Es ist ein Schimmer und Geflimmer, ein elektrisches Wellenzittern, eine Magie in den Lüften, auf den Ächt getränkten Wogen, welche im schneeigen Gischte ihre Buhlerei mit Sonne und Aether ausschaumen — daß die Seele trun» ken und taumlig werden muh. Und in diesem natnrheiligen Rausche, wenn alle Sinne mit den himmlischen Elementen in Nichts zerrinnen wollen: da deucht es dem Abenteuernden, wie wenn das in blauen Duft gehüllte Amphitheater von Oel- und Eypressenbergen dem Schiffe entgegenkäme, es iu seinen Schooß aufzunehmen —: ein schwimmendes Para> dies! — Aber auch dieses irdische Eden, wo Milch und Honig fleußt, und gleichermaßen Wein und Oel, hat doch nicht Oel genug, daß es alle Sturmwellen glättete. Und, wenn man mit ruhigen Blicken über die bepflanzten Vordergründe hiuwcgschweift, so starrt da am äthcrblaueu Horizonte ein Gebirge von nacktem, zerklüftetem, breunendem, unbarmherzigem Gestein! — Eine glückliche Weile dauerte gleichwohl die Täuschung und der schöne Schein. Ja, der Zauber wurde noch erhöht, als von den zierlichen und schönen, mit Zeltdächern geschützten Fahrzeugen, die in der Nähe und Ferne blinkten und flaggten, auch leicht gebaute, und leicht geruderte Gondeln mit den viel verheißenden Produkten des Landes auf uns zufuhren. Ich träumte mich auf dem stillen Ocean vor Otaheiti, auf der Weltumsegelung mit George Forster und Cook. — Die — 12 — Corfioten brachten Truthühner, Enten, Tauben, Trauben, glatte, goldgelbe Wassermelonen (ganz wie unsere nordischen Kürbißungeheuer anzuschauen); desgleichen Aepfel, nebst unsern vaterländischen Kartoffeln und Gemüsen, die man so fern Uon der Heimath keineswegs mit prosaischen Augen anschaut, sondern vielmehr eben so naiv gemüthlich mit den Südfrüchten zusammenzählt und leidet, wie die unaussprechlich „dämlichen" und prosaischen Puthen mit den schönen Krepper-Tauben, die um ihrer wunderlieblichen Geberdung und Gestalt so die rechten idyllischen Staffagen und Paradiesvögel sind; selbst wenn man nicht an Amor und Venus, an Turteltauben, an Taubenherzcn, an Brieftauben, an die Taube mit dem Oelblatte und an die Pfingsttaube denken will. Für eine Abkühlung ist aber hienieden bei jeder Poetischen oder phantastischen Gelegenheit gesorgt. Auch diesmal blieb die Reaktion nicht aus. Wahrend ich im Uebcrmaaße des Entzückens den Bast von den Händen ringen wollte: saßen ein halbes Dutzend feiner Damen an einem großen runden Tische unter dem Veroeckgczelte, und strickten, und schneiderten, und pfriemten an Schuhen; und wichsten Zwirn, und schnitten gemüthlich zu, und kümmerten sich solcher Gestalt um den Paradies.Ausschnitt und Ausverkauf vor ihren Augen keinen Deut. Sie hatten nämlich die ägyptische Tour von Trieft nach Alerandrien schon ein paarmal gemacht, und da- bei ihre Bewunderung verbraucht. — Der Maschinist erklärte mir das als Antwort auf meine Ereiferung über die gräuliche Schneiderei unter griechischem Himmel; und sehte mit großer Seelenruhe hinzu: Man wird ja Alles gewohnt; ich fahre auch nicht mehr über schöne Aussichten aus der Haut, und falls ich es zu Stande brächte, was hätt' ich denn davon, als ein Elend, wenn ich wieder in meinen Oel- und Fcttdunst zurückfahren muß. — Für unser Einen ist das Paradies doch nicht gewachsen, so macht man sich mit der Bewunderung nicht erst zum Narren. Man muß Alles aushalten können, also auch die Begeisterung, meine ich. — Unser Konrektor sagte den Jungen, die zu oft anzeigten, sie könnten es nicht mehr aushalten: „Na denn haltet es ein"; und das wird wohl in vielen Stücken das Richtige sein. — Diese Maschinisten-Philosophie läßt noch heute meine Begeisterung schwacher gehen, und so kann ich mit ziemlicher Gcmüthsruhc berichten, daß jener travellernde Inglisman mit den gemüthlichen Schlafrocksfalten im Gottes ebenbildlichen Antlitze, Angesichts jener paradiesischen Scenerieen, seine Schimpanse-» Visage in ein großes Buch gesteckt und auch nicht früher herausgebracht hat, als bis wir weiterhin vor der Stadt und Festung Corfu anlangten, um derentwillen der Litcraturver» hexte gleichwohl nicht von seiner Lektüre absolvirt worden ist, sondern weil es vor der Festung sechs englische Linienschiffe anzuschauen gab. — Dieser Vaterlandszauber und die an ihn gebundene National°Parole und Politik — 14 — besiegten also selbst die unverwüstliche, weil angeborene Pedanterie und G e s ch in acklosigkeit. Der Engländer sagte der aschgrauen Büchertheorie Valet, und klammerte sich an des Lebens goldengrünen Baum, der ihm in dem vorliegenden oder vorschwimmcnden Augenblick ganz und gar ein englischer Mastbaum zu sein schien. Eben um dieser liebenswürdigen Verwechslung von Vaterland und Welt, von Na-tionalehre und Privatehre, von Mastbäum und Lebensbaum, — von englischer Marine und Lebenspoesie: verzieh ich dem garstigen Patron die Pedanterie und die Schlafrocksfalten im Gesicht. In derselben Zeit aber hatte sich auch schon ein Ersatzmann in der Gestalt eines „alten Franzosen " eingestellt. — Der ausgedörrte Narr (ein Kerl wie der Schwiegervater von einem Stockfisch anzuschauen) verglich jetzt die Wirklichkeit mit seiner Vuchbeschreibung so gewissenhaft skrupulös, als ob dies und nichts Anderes sein Reisezweck sei. — Daß in seinem ttuiäa auch zufälliger Weise die englische Flotille mit 90 und 120 Kanonenschiffen gestanden hat, glaube ich nicht. — Die Schiffe gewährten, so viel ist gewiß, einen schönen und imponirenden Anblick; — und selbst der Feind sah sie wohl nicht ohne Respekt. — Es müssen wahrhaftig viele Dinge und Geschichten, viel Verstand und viel Siege voraufgehen, und viel Dummheiten oder Uumachten von der ganzen übn» gen Welt mit, im Spiele sein, bevor es zu einer solchen Seemacht und Weltherrschaft kommen kann. Mit diesen „schwim- ^ 15 - mcnden Festungen", wie die Linienschiffe erschöpfend bezeichnet werden, — hält England die ganze Welt im Schach, und die hundcrtköpfigc Hydra Staaten-Politik im Zaum. — Diese Meerriescn schiebt es überall, so weit die Erde flüssig ist, dem politischen Schachbrettspiel auf den Rand, und sie halten an den Thoren der Städte und Reiche, die auf die See hinausguckeu, mit grimmiger Miene und metallenen Kanonenrachen Wacht. Die Stadt (5orfu präsentirt schöne hohe Häuser; ihre Festungswerke sind wie aus dem Felsen geschnitzt. — Rings umher sieht man Dörfer, Flecken, Landhäuser, Gärten und Oel« Pflanzungen in einem durchsichtigen blauen Duft. — Meine von vorhin deprimirte Begeisterung wollte mir eben wieder über den Kopf wachsen, — als zugleich mit jenen Gondeln, welche Südfrüchte brachten, ein höchst prosaisches, über die ganze Erde verbreitetes, unter allen Klimaten wucherndes (Ävilisationsprodukt zum Schiffe gelangte: nämlich die Lan-despolizei in Gestalt einer Sanitätskommission. Die Passagiere der zweiten Klasse, unter welchen ich mich als unbemittelter Skribente befand, machten vor den sehr wichtig thuenden Herren Beamteten, Graduirten, Betitelten und Nniformirtcn komplette „Front"; — ich konnte mich der Fatalität nicht entziehen; — dergleichen kühlt ab. — Lieber wären mir ein Paar Gläser frischen Wassers gewesen, aber auf unserm Schisse gab es dergleichen, selbst in der Nähe Corfu's, nicht für Geld. — Ich habe also die sechs — 16 — Tage und sechs Nächte der Ueberfahrt fast in ununterbrochenem Durst zugebracht, da ihn das lauwarme Tonnenwasser nicht löschte. Was mich zum andernmal aus meinen corfiotischen Paradiesträumen aufstören durfte, war das an Bord nehmen von Kohlen und Wasser. Vier Barken voll brö'cklicher Kohlen wurden mit Wasser begossen, damit sie nicht stäubten; das gab dann einen Brei und Koth, der das Schiff und die Arbeitsleute auf eine gräuliche Weise inkrustirt hat. Von der nächsten Wirklichkeit, von einer Fatalität ganz und gar zu abstrahiren, welche meine Umgebung, meine Mitmenschen betrifft, dies ist nicht meine Art und Virtuosität. — Unter den* verharzten und verstäubten Aegyptern, unter den chronisch und originell verstänkerten, mit materiellem und immateriellem Schmutz einbalsamirten Italienern wurde mir wenige Augenblicke ganz wohl. — Eine stehende, oder vielmehr laufende und „trapsende" Fatalität war das Scheuern des Verdecks mit furchtbar „buff-senden" Schrubbern von Holzkloben und hartem Seegras gemacht. — Diese Hantinmg ging mit einem solchen Teufels« lärm und in einer solchen Unmittelbarkeit über den Köpfen derjenigen Passagiere vor sich, welche gleich mir unter den gescheuerten dünnen Brettern in ihren I V, Fuß hohen Cojen lagen: daß wir sammt und sonders eine Empfindung ver° - 17 — spürten, als kamen uns die originellen Seegras-Schrubber auf die eigene Haut. An einen süßen Morgenschlaf konnte unter so dämonischen Reinlichkeitserzesscn keinmal zn denken sein. Man setzte vielmehr mit Entsetzen und mit einein Satze aus seinem Sarg-kästen, wie ein Hase, der vom Lager gescheucht wird. — Gleichwohl thut der Morgenschlaf um deswillen wirklich Noth, weil man sich in den schönen und kühlen Nächten von der Tageshitze abfrischcn muß, die der Passagier zweiter Klaffe entweder in der drückenden Lnft der Kajüte, oder ohne Gezelt auf dem Verdecke zubringt, auf welchem der Sonnenbrand, im Verein mit dem Kohlendunst und Fcttgestank der Ma« schinc, oft eine verzweifelte Attnosfthäre fabrizirt. — Gs hat demnach so seine besonderen Schwierigkeiten, einen Ncisccnthusiasmus festzuhalten, wenn man auf einem Schiffe unterwegens ist, und gehörte es auch dem österreichischen Lloyd. Es ist nicht in allen Augenblicken romantisch und geheuer, oder gar bequem, sich durch eine bloße Planke von der brüllenden See geschieden zu sehen, falls man, zumal bei Wiuters« zeit, die felsigtcn und unwirthlichen Küsten Italiens entlang schifft. Wenn ein Mühlstein ins mittelländische Meer fällt, so wird er freilich nur naß, — mit einem reiselustigen Schiffs« Passagier aber passirt doch eventualiter ein wenig mehr. Unstr Dampfschiff, 140 Fuß lang und einige 20 Fuß breit, ist für die direkten Fahrten nach Alerandrien bestimmt, 2 - 18 — — die es in der Regel und bei gutem Wetter in sechs Ta« gen und Nächten zurücklegt, und wofür der Passagier zweiter Klasse etwa 85 Thaler preußisch, mit Ginschluß der Viergclder, so wie der Ein« und Ausschissungskosten 90 Thaler bezahlt. Es arbeiten zwei Maschinen init je 60, also 12N Pferdckraft. Zu jedem Dampfkessel gehören sechs Feuerungen. — Der Kohlenbedarf, — den der Dampfer für 19 Tage einzunehmen im Stande ist, — beträgt für die Stunde 12 Centner Kohlen, von denen einer in Corfu 10 Sgr. kostet. — Die Räder machen in der Minute 25 Nmschwünge. Gin eiserner Kesselboden kann fünf Jahre ausdauern (versichert der Maschinist) und das ganze Llvydschiff kostet 200,000 Kaisergulden (falls es akkurat so viel macht). Sollte mir der Maschinist, der ganz wie ein solider Mann erschien und sprach, falsch diktirt haben, so schreibe ihm ein klügerer Passagier nicht mehr nach. Die Matrosen sind Dalmaticr, d.h. ganz so schmutzig, gutmüthig, begnügsam, frugal und vergnügt, wie diese Race in der gemeinen Klasse überall angetroffen wird, — und unsern auf der Weichsel schiffenden Galiziern oder Wasserpolak-ken so ähnlich, wie ein gut gefütterter Herr Bruder seinem schlecht gehaltenen zu sein pflegt. — Die Schiffsleute werden gut gespeiset und traklirt: mit Makaroninudcln, Reis und Fleisch. — Zum Getränke ist auf dem Verdeck eine Tonne nut einein Gemisch von zwei Drit-theilen Wasser und einem Drittheil Rothwein aufgestellt, von — 19 — welchem Mischwekn selbst die Schiffsjungen so viel trinken dürfen, als ihnen beliebt. Wenn man die Nüchternheit der Schisssleute und Passagiere erst wegbekommen hat, so wird einem nichts weniger als romantisch, sondern vielmehr ganz ordinär und werktäglich zu Muth. Das Grdenleben sieht sich der Hauptsache nach überall ziemlich gleich, und es ist wahrhaftig kein natürlicher Grund vorhanden, warum es eben auf dein Mittelmeer und im Süden beständig poetischer, als im Norden und auf dem Festlande sein soll. — Ich lobe mir vielmehr die Heimath und den festen Grund! Auf so einem Schiffe kann man am eindringlichsten und thatsächlichsten materielle Ordnung lernen und die Oekonomie mit dem Raum. In einer Kajüte, die so groß wie ein bescheidenes Stübchen ist, befinden sich zwanzig Schlafstätten, ringsum Divans und in der Mitte ein Tisch, an welchem acht bis zehn Personen speisen. An den Wänden (in welchen die Schlafstätten etagenweisc vertieft sind) laufen gepolsterte Sitz-und Lagerstätten umher. Der Koch kocht für dreißig Personen und für mehr in einem Raume, in welchem eine großstädtische Köchin sich kanm umzudrehen und Feuer anzumachen versteht. Die Passagiere der ersten Klasse sitzen während des Sonnenbrandes unter einem Gezelt und trinken mit Eis gekühltes und filtrirtcs Wasser, haben auch Ziegenmilch zum Kaffee, — 2* - 20 — wir schlechtes Pack Nr. II genießen unsern Kaffee schwarz, schmoren an der Sonne, trinken lauwarmes Wasser (was durch Zitronen und Zucker noch schlimmer wird) und müssen mit dem vorlieb nehmen, was den Herrschaften Nr. I nicht mehr beliebt. — Gleichwol ist das Essen kein Abhnb von der großen Tafel, sondern im Ucberfluß vorhanden, mit einem Nachtisch von Weintrauben und Orangen, mit Rothwein und Madeira versehen, durchweg kräftig und gut. — Es giebt keine eingesalzenen Speisen oder Leguminen, sondern Geflügel, Makaroni und Reis. — Die Bedienung ist ebenfalls für bil» lige Forderungen hinlänglich freundlich und gut. Das ginge also schon, aber von dem Rothwein wird man hartleibig, die Limonade schlägt durch und der Uebelkcit ist kein Ende, wenn sie auch bei ruhigem Wetter nicht bis zur wirklichen Seekrankheit entwickelt wird. Das veränderte Klima ist für einen ältlichen Menschen eine große Pönitenz; dazu das Lager in der engen Eoje, — mit kaum 1 '/2 Fuß Raum über dem Gesicht, ein Kreuz und eine Noch für Einen, der Luft und Raum über sich braucht, oder sich nicht kreuz- und hüftenlahm liegen will. — Das Erwachen auf dem Schiffe ist, wie berichtet, nichts weniger als romantisch. Oft wird man von einem Ketten« gexassel aufgestört, das in der Hölle nicht großartiger fein kann. Will man auf dem Verdeck spazieren gehen, fo muß es breitspurig geschehen, und indem man in die Nähe der Mafchine geräth, allwo der schmirgelnde Fettdunst der Schnn- — 21 — rage mit dem Kohlendunst zu einem Totalgestank, und mit der Hitze des Tages zu einem Klima gegattet ist, daß die geruchfcsteste, und selbst eine nasenlosc Natur alterirt und zu „Abweichungen" genöthigt wird. Dazu brennt die Sonne in diesen ersten Oktobertagen von sieben Nhr an mit einer Präzision und Gewissenhaftigkeit, wie bei uns in Westpreußen an den heißesten Tagen des Juli und August, die Nächte dagegen sind lau und märchenhaft schön. — Das Meer zwischen Candia und Alexandrien (wo viel Sturm zu sein Pflegt) erscheint, zumal am Schisse, im Sonnenschein vollkommen saphirblau in einer unglaublichen Reinheit und Durchsichtigkeit der Farbe; — ohne schwärzliche Schatten, — und mit diesem Wellcnblau hannonirt der schneeweiße Gischt an den bewegten Rädern, daß man sich nicht satt daran sehen kann. Das Seewasser, welches die Pumpen heraufbringen, ist vollkommen geruchlos und klar. Ich lebe und konversire mit drei alten Italienern aus dem Mittelstande seit drei Tagen und Nächten. — Diese „Orangen-Philister" sind ganz wie die preußischen „Kartoffel-Seelen" anzuschauen; und auch sie lehren mich wieder auf's neue, daß Pietät, Höflichkeit und vollends Schüchternheit auf Reisen nicht sonderlich rcntiren. Wer übrigens keinen alten, plappernden Italicner gesehen hat, weiß nicht, was die Geschwätzigkeit eines Greises sagen will. Gs ist grauslich: so ein alter, runzliger, pommeranziger Italiener hat komplette — 22 — Diarrhöe anf der Zunge; bevor der Kerl nicht ausspeit, kommt man nicht zu Worte. — Und dabei bewegen sich dem Rede-Patienten die welken Backen, Ganaschen und Hautfalten wie an einem defekten Blasebalg, und verursachen beim Zuschauer die Empfindung, als wenn die Sprache etwas wäre, das aus einem alten Gesichtsleder herausgebeutelt, gepumpt und über die alte schleimige Lilazunge zum zahnlosen „ausgcfaumelten" und gaumenharten Maule hinaus gemuffelt werden muß. Pfui, lieber unter der Erde, wie so ein säkularisirter, vernutzter, zum Skandal lebendiger Greis! Ich finde überhaupt nichts Liebenswürdiges auf dem ganzen Schiffe, als einen jungen Pudel; —meine eigene Person aber am unleidlichsten, weil ich teineswegcs in meinem 1^886 bin. Mein bischen konversationeller Trost ist der Maschinist, ein Rheinländer. Seine Philosophie dürfte freilich etwas zu nüchtern und trivial erfunden werden; aber die Sachen sind sicherlich auch so, wie so Einer sie sieht. Gr meint: — Ich habe alle diese Kuriosia um das Mittelmeer hemm gesehen, ich habe mich an die zehn Jahre im Oriente nmhergctricben. Es ist bei den Reisenden viel Selbsttäuschung im Spiel. Wenn man eine griechische oder ägyptische Ruine gesehen hat, hat man sie wesentlich Alle gesehen. Was sieht man z. B. an diesen Pyramiden? Einen Haufen Steine; — 23 ^ oder weiß man denn eigentlich, was man daran sieht? — Tie Religion wird selbst einem guten Christen verdächtig, wenn man ihren schamlosen Mißbrauch im Oriente gewahr wird. — Die Pilger sind vollends ein Gesindel; — ganz Jerusalem eine religiöse Babel, ein Ort des Aergernisses und der Säuerei in jedem Sinn. — (So lautete auch das Urtheil eines Dieners des Bischof Gobat in Jerusalem; mit welchem Herrn ich von Tcrranah nach Cairo auf dem Nil zusammen gereiset bin.) Man muß auch die Herzensmeinung und das ungcnirtc Urtheil der inferioren Geister hören; solcher Gestalt wird die ideale Auffassung durch gesunden Realismus ergänzt. Die Dinge sind „so und so." Eine so wundervolle Vollmondnacht, wie die zwischen Ithaka und Kandia erlebte, entschädigt für den heißesten Tag! — Dies ist etwas, das der Seele verbleibt, und mit ihr in die Ewigkeit hinübergcht. Der Vollmond verwandelt einen breiten Streifen des Meeres in eine wogende Masse geschmolzenen Silbers und silbernen Schaums, und was ist dies noch für ein armseliges und abgeschmacktes Bild ^ ! Wo hat denn Silber und Gold diesen Schimmer und diese Durchsichtigkeit —? Es ist eine elementare Zauberei, ein Kampfspiel von Silber und Diamanten, die zu Wasser werden wollen: eine Naturbuhlerci des Mondenlichtcs mit dem Meere, bei welcher die arme elementare Menschensecle unwillkürlich wie Gö'the's Fischer unter das Wasser gezogen wird. — Alex n n a r i n. Wer nie auf dem Meere eine längere Reise gemacht, wer nicht die große gewaltige Abgeschlossenheit von der lebendigen Welt gefühlt, und noch nicht Tage lang schwankend auf dem trüg« lichsten (Elemente nur den Himmel iiber sich, und des Himmels Trugbild — das Mecr init seinen Leichenbegicrigen Ungeheuern unter sich gesehen, ivein die furchtbaren hungrigen Zungen der Sturmwoge noch nicht den Leib geleckt, und wein die düstre Wclfeuslurmgluth noch nicht ins Auge geleuchtet hat, der taun die Nonne deö Seefahrrvs nicht ermessen, wenn es vom Mast- I n liuK W o s e u. Das Vcrgniigen sprang wie ein Gassenbube über sein Vesicht. (Üanbe's Reisenouellen,) Uln Mitternacht erschien das Fanal, -^ das Feuer des Leuchtthurms von Alcrandrim wie cm Abcndstern ganz niedrig am Horizonte. Die Maschinen wnrden anbehalten, und ich legte mich mit der Gewißheit in meine Coje, am andern Tage den neuen Welttheil zn schauen. Mit Sonnenaufgang kam der arabische Pilot auf das Schiff. Als ich das Verdeck betrat, fiel zuerst mein Auge auf ihn. Er stand auf dem Radkasten, und gab im Vollgefühl seiner Würde, obgleich mit — 25 — nackten Beinen, und lichtblödc „zwinkernden" Augen, Zeichen, indem er von Zeit zu Zeit den linken Arm erhob, — denn, in der rechten Hand hielt er eine Tasse Kaffee. — Gs ist einem wunderlich zu Muthe, wenn man zum erstenmal so ein Exemplar aus einem andern Wcltthcil und Glauben Vor sich sieht; man begreift kaum, wie so Einer mit Anstand Kaffee trinken kaun, aber ich hatte bald mehr zu thun: — Die Welt dcr Palmen, der Ruinen, der Kamecle, der halb nackten Araber, der Wüsten, der Kalkstcmfclsen — die ich bis dahin nur aus Büchern, Maskeraden uud Dekorationen kennen gelernt hatte, lag jetzt vor meinen Poetisch verdutzten Sinnen, und ich wunderte mich gewissermaßen, daß ich das so aushielt, und nicht ganz und gar außer mir gerieth. Ich dachte mir bis dahin, man könnte gar nicht mehr Derselbe bleiben in dem Augenblicke, wo man eine funkel-hagel-nagel-ucuc Welt zu sehen bekäme; aber ich habe von Anfang bis zu Ende erfahren, daß, und wie mau unter kcmm Umständen aus seiner Haut zu fahren vermag, wiewohl ich zugleich bemerken muß, daß allerdings diejenigen Augenblicke die genug-thuendsten sind, in denen unseren Sinnen das als handgreifliche Wirklichkeit entgegentritt, was so viel Jahre und ein halbes Leben hindurch uur Gcdankending und Ginbildung war. Diese auf der Uebcrfahrt wenig vorbereitete Ucbersetzung von Europa in Afrika; diese, Plötzlich meinen innern und äußern Sinnen vorgezauberte neue Welt, mit ihren ganz neuen Lebensarten und Erscheinungen, für die ich gleich- — 26 - wohl die alien fünf Sinne behielt; das war es eben, was mich die ersten Stunden in den Straßen von Alerandrien wie ein Wachträumcn umfangen hat. Wir fuhren bald in den gewaltigen Hafen ein. Das waren imposante Scenen um uns her. Uns umgaben ägyptische Kriegsschiffe, Fregatten und Dreidecker, englische Dampfer, Schiffe aller Nationen und ein Gewimmel von Böten, deren eine Masse, wie im Angriff auf unser Schiff losfuhr. — Auf ganz niederer Küste lag lang und schmal, wie ein versteinertes Meerungeheuer, „Alerandrien", mit seinen weißen, würfelförmigen Häusern, seinen weitläufigen, auf Felszungen weit ins Meer vorgeschobenen Festungswerken, seinen hundert achtflügcligcn Windmühlen und schlanken Minarets. — In dem Augenblicke, als so die letzten Passagiere in einer Hast, wie wenn Tod und Leben vom raschen Anslandkommen abhinge, sich in die Böte warfen, überfiel mich doch eine Art von Bcsorgniß und Verzagtheit, wo ich denn in der wildfremden Stadt bleiben, und wie ich da mit den Leuten konversircn würde; denn ich mißhandle, zcichenrcde und drille nur französisch aus den barbarischen Schulzeiten her; — und habe erst später auf der Neisc etwas arabifch und italienisch in puren Todesnöthen gelernt. — Wie ich nun so rathlos da stand, offerirte mir ein ganz manierlicher und fein ausschauender Garyon oder Commissionair irgend eines großen Hotels, der mit den Varken-Arabcrn an Bord gekommen war, in französischer Sprache feine Dienste. — 27 — Ich begab mich aber nur mit der Bedingung unter seine Leitung, daß er mir eine möglichst billige Privatwohnung zuweise; indem ich kein Engländer, sondern nur ein armer deutscher Vücherschreiber sei. - Ich muß dem Manne nachrühmen, daß er nach dieser ziemlich altfränkischen Offenheit von meiner Seite nichts an Artigkeit und Dienstfertigkeit von der seinigen verlor, und auch so nobel und zugleich billig bis z» meinem Abschiede von Alcrandrien verblieben ist. — Die Ausschiffung kostet für die Person, mit gewöhnlichem GePack, nur ein Paar Piaster, also vier Silbergroschcn oder höchstens deren sechs. — Am Nfer empfängt oder zerreißt den Reisenden vielmehr eine durch Gewinnsucht, wie rasend erscheinende Iudenschule von halbnackten Eseltreibern (Kinder nnd Erwachsene), die wie besessen dnrch einander schreien, sich und ihre Esel anpreisen, sich durch einander stoßen, zanken und schlecht machen, — und dem betäubten Fremden dermaßen thätlich zn Leibe gehen, daß er sich alles Ernstes seiner Haut wehren muß, wenn er nicht nolens vol6U8, auf einen Esel gesetzt, und mit seinen Kisten und Kasten zu einem Hotel entführt sein will. — Wenn es geschähe, wär' auch nichts Ucblcs dabei; —denn diese armen nackten Esclbuben siud selbst mit ihren unverschämtesten For-derungen noch spottwohlfeil; und im Allgemeinen so verlässig und gutartig, als es kaum vou einem Naturmenschen und Halb'Wilden erwartet werden kann. — Was mich aber nun betraf, so konnte ich mich schon iu Rücksicht auf meine knappen Diäten nicht so den Zufällig- — 28 — ketten und den nackten Humoren dieser arabischen Jugend überlassen. — Ich hatte einmal meinen Führer vom Schiffe her und stieß also die ausdringlichsten Naturmenschen mit so gutem Erfolg zurück, daß ich sofort Luft bekam. - Energische, d. h. handgreifliche Manöver bei wenig Worten und anscheinender Gelassenheit werden bekanntlich im unpolizirten Afrika, wie im überpolizirten Europa, und in der ganzen wilden wie gebildeten Welt, am schnellsten und nachhaltigsten respektirt. Die Eseljungen unterhandelten nun mit weniger Schreiwuth und Gewaltthätigkeit, und einige waren sogar über die Art und Weise, mit der unter ihnen aufgeräumt worden, sichtlich amüsirt. Mein Führer verhielt sich bei dem kleinen Intermezzo so unbefangen und passiv, wie wenn er bei Wellenschlag gebadet, oder ihm ein Wirbelwind den Hut vom Kopf gerissen hätte. — Er beschränkte sich in Worten und Werken auf die Nothwendigkeit und drängte sich mit mir zur Dogana hindurch, die mit ihren Magazinen unweit des Landungsplatzes der Böte fast unmittelbar am Wasser liegt. Es war Freitag (der muhamedanische Sonntag), mein Lederkoffer blieb also im Magazin, die Ledertasche aber, die ich um den Leib hängen hatte, und mein Nachtsack, den ich in der Hand trug, wurden mir nach einem flüchtigen Betasten auf Verwendung meines Mentors, der ein Bekannter der Beamten zu sein schien, frei zurückgestellt und zwar ohne Biergeld, hier „Vakschiesch" genannt, mit dem Accent auf dem'gedehnten „schiefch". Und wenn Einer stocktaub wäre: dies Bakschiesch hört — 29 — er in Aegyptenland durch, und wenn er kein arabisches Wort weiter aussprechcn und behalten lernte: diese Parole der ägyptischen Proletarier und der Gselbuben, dies „Bakschiesch" bekommt er vom ersten Augenblick fort. Gs tönt ihm von einein Ende Aegyptens bis zum andern, und über das Meer bis nach Haus; — von Alerandrien bis zu den Katarakten, und wahrscheinlich bis zu dem Orte, wo noch irgend ein Reisender hingekommen ist, und die Geldgier dieser armseligen, nackten Menschen gereizt hat. — Dieser Bakschiesch also zeigt demjenigen, welcher die Nilquellen verfolgt, wie weit seine Vorgänger vorgedrungen sind. Von diesem Trinkgelde, Gastgeschenk oder Ghrensold, von diesem Fremdentribut und Neisezoll, — diesem metallischen Andenken, — diesem silbernen Ham-merschlag, den man insbesondere den lebendigen Bildsäulen der reisenden Engländer abzuschlagen und ab« zudividiren versteht: — träumt und spricht der arme Araber, der orientalische Eckensteher, der Fellah, der Gscljunge oder Kameeltreiber, der Bettler, Proletarier und Taugenichts, wo er geht und steht; und wo er mm den Geber dieses höchsten Gutes erblickt, — da stürzt er ihm mit dem verhexten und wahnwitzig-leidenschaftlichen Geschrei: „Bakschiesch Howaje", „Bakschiesch Gffendi", (Iassihdi oder Kawadje) „Herr, ein Trinkgeld" auf den Leib! Ein ältlicher, halbnackter Lumpenkerl von Araber trug meinen Handsack für 1'/. Piaster, das ist für drei preuß. Silbergroschen zur I^ooanä«. „dsila venQ2i'a." — 30 — Diese Speisewirthschaft zweiten Ranges hatte mir auf dem Schiffe Giner dcr beiden Gcsundheitswächter rekommandirt, die von Trieft aus zu unserer bessern Beglaubigung und Kon-trole mitfahren mußten, weil am letzter« Orte die Cholera ausgebrochcn war, — und nur dieser Vorsichtsmaßregel verdankten wir eben die prkttioa, d. h. die Erlaubniß, in Alexau-drien ans Land zu gehen Mit Zittern und Zagen sahen wir also der prMicll entgegen, und siehe da, die Praktiken waren diesmal nicht so mächtig, wie Liberalismus und Vernunft. — Das sind so einige „Abschnitzel" von den Aengsten, Widerwärtigkeiten und Besorgnissen, von dem N n g c h e u e r: „ R c i s e u n b e q u em-lichkeit", „Reisezufälligteit" und „Reiseabenteuer", mit dem man nach Afrika und dem Oriente zu Schiffe gehen muß! — Weiterhin mehr davon, nämlich auf dem Nil. Gleich beim Anslandsteigen hatte ich ein Phantasieabenteuer, das gar leicht und spaßig durch ein bischen Besinnens und kalt Blut in die gemeine Ordnung der Dinge ausgedeutet wurde; aber nicht alle Reiseabenteuer werden so wohlfeil und erbaulich aplanirt. — Ich sah nämlich unter dem Getümmel von Eseltreibern auch Esel und Kameele mit eben gefangenen Seethiercn von unerhörter Gestalt beladen. Sie sahen ungefähr wie eine fabelhafte Robbenart, wie ungeheure, ziegen« große Maulwürfe, oder neuholländische Schnabelthiere aus, denen der Kopf bereits abgeschnitten war; ^ und wie Gott .den Schaden meines überrumpelten Verstandes besah: — da — 31 — waren jene unbekannten, triefenden, pechschwarzen Seethiere: Wasserschläuche, von behaarter, schwarzer, ganzgclafscner Ziegen haut. — Selbst der Hals und die halben abgeschnittenen Beine werden zugebunden und an dem Felle gelassen, welches, vom Nasser aufgetricben und Robbenglatt geworden, der exaltirten Einbildungskraft eines Ankömmlings im Wunderlande Afrika, in einem kuriosen Augenblick wie ein Wundertier erscheinen kann. Ich wanderte nach dieser Enttäuschung, nichtsweniger in unerhörter Stimmung und Spannung, durch ciu Wirrsal von engen und weiteren, ungcpflasterten Gassen, auf kalkigem, unebenem, überall mit allen möglichen Nbgängseln verunsauber-tem Vodcn, zwischen Häuserwürfeln, die ohne eine Spur von Dach, aber mit unregelmäßig angebrachten Speichcrluken, vergitterten Fensterlochcm und elenden Jalousien, — gleich wie mit Magazinen- und Arbeitsräumen im Erdgeschoß vcr° sehen waren und drängte mich zuletzt weiter fort, durch einen uon Menschen wimmelnden Bazar; unter lauter halbnacktem, beturbantem oder bemühtem Gesinde! (fast wie die polnischen Juden in kleinen Städten anzuschauen). — Nicht lange, so waren wir in der Speiseanstalt zur ,,doUa vone-in," angelangt, allwo eine Dame, von der intimsten Bekanntschaft meines gefälligen Führers, mir, auf dessen Empfehlung, ein erträgliches Zimmer im zweiten Stock gegen eine tägliche Entschädigung von sieben Piastern (vierzehn Silbergrofchcn) abtrat. — 32 - Das Mittag an der tabls ä'liotu im Erdgeschoß, wo man italienische Küche nach der Karte verfpeisete, kam für einen mäßigen Gast mit Rothwein und einem Nachtisch, der ans frischen Datteln und schönen Weintrauben bestand, zehn bis zwölf Silbergroschen zu stehen. — Die halbe Quartflasche Rothwein wird dabei ungefähr mit drei Silbcrgroschen be« rechnet, da derselbe von 100 Thlr. Werth nur 5 Thlr. Eingangssteuer zahlt, und die Sorte trinkt sich, zumal mit dem Nasser des Mahmudi-Kanals, ganz so gnt, wie der rothe Gerbewein, welcher bei einem Preise von 15 bis 20 Silbergroschen die 'V, Quartflaschc in den kleinen unschuldigen westpreußischen Landstädten, nngefähr so wunderschön wie rothe Dinte zu schmecken Pflegt, zu welcher noch ein bischen schwarze als Liqueur gegossen ist; — prol^tum ost, geliebter Leser, — Probire es, reise nach Westpreußen, in die Im mediat-Städtchen versteht sich, bleibe da über Nacht bei dem zu-thulichen Gewürzkrämer oder dem Apotheker, dem Vielgewandten, nimm Deinen Nachttrunk in rothem oder weißem Wein, und sieh dann zu, ob dem biblischen Versprechen zufolge, — „Dein Herz erfreut und Deine Gestalt (d. h. zunächst Dein Gesicht) schön oder verzerrt werden wird." Aber darauf verlaß Dich, schlafen wirst Du, falls Dir die Gurten» bettstelle nicht durchreißt, und der sogenannte Zapfen im Halse vom Niedrigliegen mit dem Kopfe nicht herabfällt, und falls die am Bettende bloß liegenden Füße Dich nicht von unten auf erwecken, und falls Dir nicht allerlei von demjenigen — 33 — Malheur Passirt, welches z. B. in Schweinclieben-Mummel« bürg, oder in Hühnerhorst, — in Grün Grasingen, in Flachsenfingen, — in Kuhschnappcl und Dusel-Zwieseln zu Hause zu sein pflegt. Ich habe mir diese Abschweifung im Interesse der westpreußischen Krähwinkelei und Polizeilich taxirten Gastfreundschaft erlaubt, um von vornherein ersichtlich zu machen, daß ich keineöwcges ein in jedem Betracht ungeprüfter, unvorbereiteter, oder ein gar zu unbilliger und chikauöser Reisender bin. — Im Gegentheil: wer cö in unsern paradiesartigen, noch im Kindesalter der Welt befindlichen „Immediat» städtchen" riökirt, wer allda Essen und Trinken, Wachen und Schlafen verassckurirt gehabt hat, der beklagt sich nirgend und niemals mehr auf diefer Welt. Wenn ich davon abstrahire, daß die Fenster meines Zimmers unmittelbar auf den neuen Hafen hinausgingen, dessen Wellen bis an die Fundamente des Hauses brandeten, und dort Bruchstücke von liegenden Granitsäulen glattschliffeu, so konnte ich mich in heimathliche Träume wiegen: eine so echt jüdisch-polnisch-westpreußische, kleinstadtisch-dörfliche, unverwüstliche, unverbesserliche, unergründliche; eine so wclten unter» gangsmäßige, alle Versuchs-Reinlichkeiten sofort absorbi-rende chronisch-historische Nnrcinlichkeit, befand sich rund um Mich her. Aber es war etwas Originelles und Pikantes da-» bei im Spiel, nämlich eine Kreuzung von italienischer Und arabisch-ismaelitischer Schmutzerei. 3 — 34 — Meine Frau Wirthin Wittwe, deren Portrait als Gasthausschild ausgehängt werden konnte, fo frappant glich sic einer schönen Veuetiauerin. — Diese feine Dame hatte unter andern Lurusmö'bclu und Lebensarten einen NiPpestisch mit Iaspiskugeln, Muscheln, Mineralien, Straußeneiern und andern Raritäten des Landes, z. B. mit Briefpapier, Dinte, geschnittenen Federn, Petschaft und Lack; und unter diesem Tische lag sogar bei der Nacht eine Hunde-Menagerie 8«,n8 Aöne. Bei der ersten Begrüßung fand ich die edle Venetiaucrin in ihrer Rumpel- und Trödelkammer, mitten unter einem Haufen Schwarzzeuges, das, wie zur großen Wäsche, aus den Winkeln hervorgeholt schien; — wie sich aber hinterdrein er-gab, war das die Weißwasche, die Wohnstube, und die ungestörte Lebensordnung des Tages; — und ich närrischer Reifender hatte mich im Stillen bereits über die Unordnung und Unreinlichkeit dieser vermeintlichen alerandrinisch-venc-tiamsch-ismaelitischcn Rumpelkammer moquirt. — Warum diese patcntremliche Wittwe sich nicht bereits mit dem Herrn Gast« oder Hauswirth verheirathct hatte, begriff ich weiterhin keineswegs: denu draußen unter meinem Fenster, im Auge-sichte des brüllenden und weißschäumendcn Meeres, befand und befindet sich noch auf einer Art von Balkon oder hcraus-gebauten Estrade des ersten Stockes ebenfalls ein Schurr« Murr oder Museum von alten Kameel- und Esel-Sätteln, von Hühnerbauern und Schilfstühlen, von auseinandergcgan- — 35 — genen Kisten (die von Palmblatt-Stielen zusammengefügt Werden) und von so verfertigten aufrecht gestellten Divange« stellen slwklilsb), die wie die Rachegcspenster der faulen arabischen Ruhe aussehen. — Uud zwischen diesen garstigen, ver-> wesenden Scheiterhaufen der unverbrennlichen Schatten und Gespenster, verbrauchter Lebensarten, Moden, Luxusartikel und Commoditäten: da schiefstchen, balanciren, kippen und wippen, da wirrsalen, spuken, rosten und konversiren fort und fort hartnäckige, ausgediente Gisenpfanncn und Tiegel mit eingebrochenem Boden (die trotzigen Beine rathlos nach oben gekehrt), da greifen eingeplatzte kolossale Wasserkrüge Platz, die wie Todtenurnen aussehen! — Diese Kruge, die nicht länger zu Wasser gehen, — desgleichen die Hühncrbaucr von Palmenzweigen, — dazu die abgedankten Pack- und Rcitsättel von Eseln und Kameelen, deren Knochen gleichfalls in der Wüste oder auf den Gassen der Städte bleichen: bilden den Grundstock, die bleibenden Wcmente jedes ägyptischen Gerüm» Pels auf innern Höfen und vereinsamten Balkönen, in finstern Speichern, Magazinen und am Sonnenlichte auf dem platten Dach. — Dieser unbegrabcne Mcnschentrödel, den die Gespenster des Wcrkeltagslebens, der verreckten Moden und Comforts umspulen, haben für mich in allen Weltteilen und unter allen Bedingungen die abscheulichste Hades-Physiognomie. -^ Der elendeste Fried hos ist eine baarc Poesie, wenn man ihn mit solchen unbegrabenen, unvertilgbaren Fetzen und Ab-gängseln der Biographieen, solchen auf dcn Markt und anS 3' — 36 — Tageslicht hinaus gestellten, nirgend und nie zur Ruhe kommenden, profanirtcn Symbolen und Wahrzeichen unserer ver« endenden Historien und Wandelleichen vergleicht! Und dabei habe ich die Narrheit, daß ich mich darüber nicht zufrieden geben kann: was wohl der Schurr-Murr AlleS gewesen ist, wo er herstammt, wozu er gebraucht worden, — ob er nicht noch zurechtgeflickt und ms Leben zurückgebracht werden könnte, oder was andernfalls und zu allerletzt aus ihm geworden sein, zu welcher Zeit und bei welcher Gelegenheit z. G. so ein alter Filzhut, so eine alte zähe Schuhsohle, oder so ein gußeiserner Grapenfuß, gänzlich verweset, zerrostet, zerstiebt und in die Atome aufgelöset sein wird. — Man begreift, es ist dies ein Thema, das in allen Haus- und Straßenwinkeln, in allen Kisten und Kasten, — und was das Unvcrtilgbarstc ist, in allen Winkeln der Seele immer wieder ersteht und auf jedem Düngerhaufen frische Nahrung erhält. Es sind diese Trödelmystcrien ein Appendix zum Antiquitäten-studium und eine Contrebalance zur ästhetischen Archäologie, aber wer das auszubalanciren hat, kommt beinahe vom Verstand. Dabei sag' ich mir indeß zum Troste: Wer die Hades- und Werkeltags-Geschichten der deutschen Klcmslädtcreien und Staatercicn, wer die symbolischallegorische Nummelei der irdischen Künste und Wissenschaften, der Convcmenzen und Politiken, nicht in den wirklichen Polter-und Trodeltammern, in Bibliotheken, Museen, Archiven, Pergamenten, auf Auktionen, in Papiermühlen und hinter den — 37 — Koulissen; — wer die, bei, lebendigem Leibe kreftirende Misere des irdischen Seins und Scheins nicht an ausgejubelten Jubel« Greisen, an ausgesungcnen und ausgeklungenen Lieblings' Sängerinnen, an den Aspasien im Sftitale; oder nn ausgetrunkenen (5hampagnerflaschcn, an „ausgeballertcn" Schieß-Mörsern, an durchlöcherten Transparenten, an abgebrannten Feuerwerken und ihren übriggebliebenen Drahtgerüstcn; wer sie nicht an verblichenen Blumen, Bändern und Locken, — an alten Chapeaubashüten und hackenlosen seidenen Strümpfen, an großmütterlichen Brautschuhen und Kothurn-Absätzen auf dem Miste; — wer die Natur- und Menschengeschichten nicht bereits zu Hause an modernden Familienakten im Keller oder unter dem Dache, an der klassischen Literatur in Pfeffer-outen, an metaphysischen Manuskripten auf cincm Papierdrachen, —> an lyrischen auf geräucherten Gänsebrüsten, an vergilbten Liebesbriefen und Stammbuchblättern; untcr LcbmS-und Todeswehen studirt hat: der begreift auch die ägyptischen Pyramiden und Obelisken, ihre Tempel, ihre Grotten, Gräber und Labyrinthe, ihre großen und kleinen Uebcrblcibfel nimmermehr! Es ist in diesem Leben Gines wie NlU's, und Eines in Allem; überall ein Wechselspiel von Geist und Materie, von Trieb und Sättigung, von Steigen und Fallen, — von Ebbe und Fluth, von Entstehen und Vergehen, von Nuhe und Bewegung, von Sinn und Unsinn, von Schönheit und Häßlichkeit, von Licht und Dunkelheit, von Leben und Tod. -- Es sind überall, im Großen wie im Kleinen, dieselben — 38 — Historien, Prozesse, Lebensarten, Schicksale und Wirrsale; derselbe Sinn und Geist, dieselbe Gewissensmahnuug, dieselbe Zeichensprache des Todes zum Leben, dieselbe himmlische Allegorie und Oekonomie, die den Tod ins Leben flechten darf. — Wer Vaterlands« oder Europamüde ist, wem die Civilisations-, die Socictätsmiseren und seine eigenen Bildungs-Vernünftigkeiten allzuviel Langeweile machen, wer mal ganz was Neues sehen und sich so recht nach Herzenslust auswun-dcrn will, der gehe, falls er noch nicht ganz und gar blasirt ist, direkt nach Cairo oder Alcrandrien, am besten von Trieft. Gr tritt dann, fast ohne Vorbereitung, in eine unerhörte Welt. — Einem guten Alt-Prcns;cn und Kleinstädter wenigstens kann es nicht kurioser im Monde vorkommen, wie die ersten Stunden in diesem „Skendcrih." Es ist ein sinnverwirrendes Durcheinander von Trachten, Sprachen, Nationen, Lebensarten, Zeitaltern, Anmahnungen, .Ruinen, eine Kulturmosaik, die gleichwohl nur den Gindruck einer augenblicklichen Wcltmaskcrade oder Operndekoration macht. Hohe Dattelpalmen mit goldgelben und t'armoisinrothen Fruchtbündeln überragen die wcißschimmernden StcinwüNel der Häuser, und die ganze Babel ist mit donnernden Meereswogen, die zu allen Hauptstraßen hineinschauen, in Naturscene gesetzt! Ich studirte das Alles in einem comftletten Sinnentaumel, mit wollüstiger Neubegier. — Diese arabischen Proletarier, mit nackten, gelb- oder schwarzbraunen Armen und Beinen, in schmutzig weißen oder blauen ärmellosen Hemden, mit — 39 — schmutzigen Turbanen oder rothen Troddclmützcn auf den Köpfen; diese Mahagonigcsichter und Gliedmaßen in allen Farbenabstufungcn, bis zum blitzenden Kohlschwarz des Nu» biers; diese hastige massenhafte und allgemeine Eselreiterei uon Halbnackten, und dann wieder von Honoratioren mit Prachtgewändern in Gold und Seide; von deutschen Handwerksleuten in deutscher Blouse, von italienischen oder engli» schen Lion's; Jene mit modernen Fracks und den feinsten Pariser Hüten, Diese mit breitrandigen weißen Filzbcdeckungen und mit allerlei Fantasiekleidagen kostimurt: Dieses fragmentarische, grelle, kunterbunte, hastende Menschenwirrsal, durch' schnitten uon laugen Zügen melancholisch brüllender, Speichel schleudernder, mit Palmenscilen gekoppelter, hintereinander drauf los tapsender Wüstenkameele. Diese erste Schmeckprobe von einem in alte und neue Wunder gehüllten Heiden-Welttheile benahm mir Adepten dergestalt den Kopf, daß ich instinktmäßig nach der Taschenuhr griff, ob sie nicht zu« gleich mit meiner armen eingeäscherten Christen- und Kleinstädterseele vor Verwunderung stehen geblieben wäre. — Ein Paar muntere, echt deutsche, graulich bescheidene Sperlinge, die mir die vaterländische Parole zuzwitschcrtcn, brachten mich jedoch „binnen Bälde", wie die moderne gespreizte Styli-stik sagt, zu Raison, vul^o zu ordinairem Menschenverstände. Der Weg von der Dogana zur deila vene-in, hatte mich so lüstern gemacht, daß ich ohne Cicerone, vielmehr ganz auf eigne Faust und Gefahr, mich kopfüber in die dicksten Nbcn- — 40 — teuer zu stürzen beschloß. Ich fing in dieser nagelneuen Welt mein Leben offenbar wieder von frischem an. — Ich warf mich also mit den Empfindungen des Schul- und Gassenjungen, der in einer großen Stadt frei umhervagabondircn darf — zum Flaniren in das modern ägyptische Labyrinth. — Um mich an einem solchen Tage durch nichts, und am wenigsten durch Rücksichten der Convenienz behindert zu sehen, gab ich keine meiner Empfehlungen ab, ging nicht mal auf's Consulat, und nur zu einem Mecklenburger O'onditor am Frankenplatze, an den ich durch den Maschinisten vom Schiffe adrcssirt worden war, und dies that ich wahrscheinlich, um Jemand zu haben, der, falls mir ein Unglück Passirte, dasselbe dem Consulat anzeigen, eventualiter meine unglückliche Leiche rekognosciren und meine Habseligkeiten zur Post nach Thorn geben ließ. Vor dem Conditorladen standen eine Masse von Esel-jungen mit ihren gesattelten numn,r'« (Eseln). Ich durfte also dem Mecklenburger nur ein Wort sagen, so machte er den Handel für mich ab; aber ich hatte bereits in einer Kneipe zu A*** mit einem Drechsler, der in Aegypteu und Jerusalem gewesen war, noch um Mitternacht Bekanntschaft gemacht; und dieser interessante Spießbürger, nunmehr ein Schnaps» Wirth, hatte mir einen kürzesten Auszug aus seinen: sehr un« glücklich prononcirten und buchstabirten arabischen Taschen-Vokabularium eingepauckt. — Das: „anns aus liuinai-' (ich will einen Esel) und: „dokam äi ttörsok oder ttruwok" (wie — 41 — viel Piaster), das hatte ich gleichwohl richtig fortbekommen; denn der gute Baier hatte z. V. die Lefeart ,Mr8«li" und ..Nummer" adoptirt. Jedenfalls genoß ich jetzt den Kitzel, mich für eigene Rechnung und Gefahr in arabische Handlungen, Redensarten und Reitgeschafte verwickelt zu sehen. Ich gab also meine Redchieroglyvhcn mit der Satis» faktion eines Kindes von mir, das zum erstenmal artikulirte ^autzeichen ausstößt. Als ich vollends von zehn und zwanzig Eselbuben augenblicklich so wunderschön verstanden wurde, daß sle mir Alle auf einmal ihre Esel offerirten, welches sie wahrscheinlich auch gethan hätten, wenn ich nichts gesprochen, da fühlte ich mich wie einen Zauberer, der die Beschwörungsformel richtig getroffen hat. ^ Aber etwas Sonderbares mußte gleich' wohl den verzwickten Eseln an mir oder meinem Arabisch aufgefallen sein, denn sie verscheutcu sich unzweifelhaft vor meiner Person. Selbst ein solid und schwermüthig in der Nähe weilendes Kameel schien unruhig zu werden, und ich kann nicht sagen, weshalb das geschah, wenn nicht aus Alteration über meine arabische Pronunciation. Diese zweideutigen oder unzweideutigen Wahrnehmungen hatten mich ebenfalls kopfscheu oder zweifelhaft in meinem Sprachtalent machen können — aber es geschah gleichwohl Nicht. — 42 - Ich hatte mich zwar nur an der Käste, aber vermöge meiner Einbildungskraft mitten im wüsten Arabien auf eigene Hand Arabisch sprechen gehört, und mich durchdrang ein wol-lustiges Gefühl, wie schön ich mir in diesem abenteuerlichen Weltthcil zu helfen wüßte: <— das war's: — Ich schwang mich also nach dieser „Aktnahme" meines Reise-Genies mit einer Sicherheit und Leichtigkeit in den Sattel, als wenn ich in Alexandrien zu Hause gewesen wäre. Der Escljunge fragte mich wahrscheinlich „wohin", ich fühlte mich aber für den Augenblick mit meinen arabischen Fonnu-lirmigen und Zauberparolen am Rande und sagte in einem sehr abbrevirten Styl: „kuNo, KM^-, — so viel wie „Alles, Alles" (nämlich will ich sehen). Der Escljungc nickte dann sein „taid auno arot" — gut ich verstehe. Ich selbst war jetzo meiner Sprachfähigkeit absolut sicher: der Gscl wurde auf die ewig wund erhaltenen Hinterstellen (die stehenden- Fontanellen feines Eigensinns und seiner Faulheit) gekitzelt und geprickelt, bis cr sich in Galopp mit mir setzte, und ich flog in den ersten besten Knäuel von Fußgängern, Reitern und Gassen hinein, daß es nur so eine Art, oder daß es eben keine hatte, denn ich Wichte weder wohin, warum, wie weit oder wie so; — aber das war eben der Witz und die Vust; — denn ich war wieder ein Jüngling, ein Junge, ein Halbwilder, die bekanntlich Alle wider jede Grammatik, ZwecklicMit, Lebensund Vcrnunftordnung verschworen find. Ich war also mit Alexandrien und Arabien auf denselben zerstreuten, konfusen .„ 43 — Ton und Rhythmus gestimmt; und das war eben der richtige Takt, wie mir heute noch scheint. O, wie köstlich und süß sind selbst noch diese nachgebore° nen Dummheiten, Unwissenheiten, Geniestreiche und Abenteuer; — diese Lebcnsstyle aufs Gerathewohl ins Blaue hinein, ohne eigentliche Berechtigung und Zweck und mit halbein Gelde, so daß man den Witz mit auswechseln und zusetzen Muß. — Ich war so hitzig losgeritten, oder vielmehr der Gseljungc, der seinem „Humar" in allen Allüren als vollkonmmer „Mensen-Ernst" nachzufolgen verpflichtet ist, hatte im mali-tiöfen Humor nicht sobald fortbekommen, daß ich ein ganz frischer Ankömmling sei, als er mich recht in den dicksten Haufen wie einen Keil hineintrieb; und da die arabischen Esel keineswegs so unempfindlich und ehrlos, wie die deutschen Langohre, sondern häufig so feurig und ambitiös, wie die brstcn Pferde sind, so gerieth ich in die Gefahr, meine Kniescheiben zerbrochen oder mich von den Nebergerittenen garstig zu Raison gebracht zu sehen, wenn ich nicht aus dem Gedränge kam. Ich ersah also die Gelegenheit und lenkte in eiuen großen, Halbwüsten Marktplatz hinein, woselbst aus einem Haufen von Kindern und Gesinde! ein furchtbares Ka-meelgebrüll erscholl. Ich befand mich nun, außer der schon angedeuteten allgemeinen Stimmung, noch in ganz absonderlichen Spiel- und Tonarten der Seele, die man sich etwa so zur Grundstimmung denken kann, wie allerlei musikalische - 44 — Instrumente oder Flötenrcgister zum Pedal und fortklin-gelndcn Stern. Zu diesen Spezialstimmen gehörte denn auch die romantisch-grausliche Furcht vor Mord- und Todschlagsscenen in den abgelegensten Winkeln und Gassen, womöglich unter meinen Augen und auf öffentlichem Markte. Ich war beinahe in der Stimmung, wie Frau Angelika Kaufmann in Venedig, die, am frühen Morgen durch einen Efelschrei geweckt, im Hemde zum Fenster stürzt, indem sie, zu ihrer Reisegefährtin gewendet, händeringend ausruft: „Ach Gott, da ermorden sie schon wieder einen Unglücklichen und es ist noch so früh am Tag!" Ich dachte nun wohl im Ernste nicht an Menschenmord auf jenen Schrei des Kameels, aber wie bei uns in den kleinen Städten das Schweincschlachten nicht selten auf der Gasse unter der Zuschauerschaft eines Rudels von Schulkindern und unter ohrzerreißcndcm (ein Kindesgewissen zwickendem) Schreien der zu Wurst und Sülze bestimmten Kreatur vor sich zu gehen pfiegt, — so fuhr niir etwas von Kameelwürsten und Kameel-schlachten, von dahin bezüglichen Opfern und Operationen durch den Sinn. — Ich hatte mich aber diesmal ganz umsonst in Phantasicstücke hinciubrüllen lassen, denn dem allerdings mit Baststrickcn gebundenen, auf der Erde mit Jubel von Esel« und Kameeljungen festgehaltenen Vecste fehlte weniger als nichts. — Es wurde vielmehr sehr sorgfältig am ganzen Leibe geschoren, und statt seinen Wohlthätern dankbar die Hände zu lecken, geiferte, brüllte und stöhnte es wie ein bei lebendi- __ ^H gem Leibe gespießter arabischer Delinquent. — Ich hatte mich noch nicht von diesem Abenteuer erholt, so nahm mich bereits ein anderes, mit nicht weniger lauten und räthselhaften Naturtönen, und ebenfalls in Gestalt eines vorwärts bewegten Mcnschenknäuels in Beschlag. — Es kam eine Prozession, eine Art von feierlichem, oder von närrischem Aufzuge, — was hier zu Lande ziemlich synonym zu gelten scheint — auf uns los; — und meiner kuriosen Neugierde war die Vermischung solcher Lebensstyle, die bei uns Vernunft-Gebildeten, falls nicht zufällig ein Bischen Rebellion angesagt ist, scpanrt ausgespielt werden, — vollkommen », ^«^os. Diesmal hatte ich ein Volksvergnügen aus der Bourgeoisie vor Altgen, und das machte sich, nach seinen pittoresken Um« rissen skizzirt, ungefähr so: dem Jubel und Trubel vorauf geputzte Kavaliere auf fchön geschirrten Pferden; dann zwei Kinder von etwa drei und vier Jahren mit feideucn KaftanS (alias: Warschauer Schlafröcken angethan), Blumen und Nürnberger Knistergold in den Haaren, oder vielmehr um die geschorenen, kleinen Bonzenköpfe festgemacht. — Beide närrische Prinzen auf einem und demselben vernünftigen Esel sitzend, von Verwandten gehalten und bewahrt. Dann mehrere Ka> wecle mit Gestellen, die wie quer über den Rücken gelegte breite und kurze Leitern aussahen, so daß der Höcker durch die sprossenfreie Mitte dringen und die Balance feststellen konnte; und auf jeder dieser naiven Kunstreiter-Tragbahren - 46 — oder ambulanten Estraden vier xru lm-mn. verschleierte, lebensüppige und neugierige Nciblein auf den Fersen hockend in einer Neihe (zu jeder Seite des Kameelbuckelö je zwei). Vorauf ging ein Kerl wic eine Art lustiger Person in einem (Kostüm von freier Erfindung, der einen Weibcrrock oder seidenes Hemde mit horizontal gereckten Aermeln (wie zum Aus» klopfen) und über denselben eine Maske auf einer Stange, also nach unserm Geschmack eine Vogelscheuche, einhertrug; wiewohl mit einer Miene, als wenn er mit einer Prozessions-fahne chargirt gewesen wäre. Die Kameele gingen bei dieser ehrenvollen Betheiligung in stiller Billigung und ohne Schmerzcnsseufzer ihre Stelzen» schritte fort. Die Weiber dagegen brachten mit Zungenschlag und Kehlki'msten ein frappant absonderliches, „blubbernd" tre« mulirendes, durchdringendes und unartikulirtes Ton-Unwesen, etwa wie wilder Waldvogelgesaug in Urwäldern (vor der Simdfluth und der Einführung eines geläuterten Naturge-schmacks) hervor. — Volksgeschrei bildete den Chorus und das menschlich bestialische Volksganze war, wie ich später erfuhr, Hochzeit und Bcschueidung auf einen Hieb. Bei dieser arabisch-feierlich-närrischen Gelegenheit stellte oder ritt es sich vielmehr durch mich heraus: daß mein Eseltreiber und ich selbst ganz entgegengesetzte Gelüste, Intentionen und — 47 — Direktionen im Sinne hatten. Er kitzelte seinen Esel (wcl-cher doch vorläufig der meinige sein sollte) in den Augenblicken, wo ich anhalten, — und hielt ihn wiederum an, wo ich weiter reiten wollte: das schien ein offenbares Miß-Verhältniß und Mißverständnis; Zu sein. — Meine ägrirtcn Geberden und plastisch-mimischen Telegraphengesten mit Handen und Füßen, sowie meine preußisch-arabischen Zungenucr-renkungen, Gurgclungen, Röchelnngen und respektiven Wörter-verschlnckungen oder Uebcrschlagungen von kehlwärts gekehrten Manifestationen, bei denen nach der arabischen Grammatik die Zunge hinuntergeschluckt und im höchsten Ingrimm wieder herausgegeben, und dem mißverstehenden Gegner ins Angesicht gespieen werden muß, falls es echt ägyptische Pöbelvollblur-Conversation sein soll — ich sage: meine dilettantischen Protestationen wie Andeutungen wurden von jenem an ganz Plastischere und handgreiflichere Buckelhieroglyphen gewöhnten Natursohn in allen Momenten verkehrt gedeutet, oder ignorirt. — Er that mit der harmlosesten Naivetät das Seine, Und ließ meine Dcklamirflossen und Spazierzinken vom Esel herab das ihrige thun. Ich sah es wohl, der von der Feier» lichfeit mit fortgerissene Escljüngling gehörte seiner verjüngt herumwucherndcn Freundschaft und einer sich aus ihr mit Neber« schuß entbindenden Conversationsempfindung zu sehr an, um für die momentanen Bedürfnisse eines Fremdlings insftirirt und auf dein Punkte reell intercsfirt zu sein. — Es ging uns Beiden, wie der witzigste Naturforscher aller Deutschen, der — 48 — ergötzliche Lichtenberg, erzählt, daß es ihm mit einem „Bullkalbe" gegangen ist. — Er verfiel nämlich eines Tages auf die naturneugierige Idee, einem solchen Kalbe das Appor-tircn beizubringen, wie einem Hund! — Am Anfang — berichtet er nun — schienen wir uns nicht gänzlich mißzuver-stehen, aber gegen das Ende hin wurde das Schisma immer größer und zuletzt verstanden wir uns auf keinem Punkt." — Derselbe Lichtenberg schrieb mal an seinen Sohn einen, wie es scheint, sehr lebenslustigen Studenten etwa dies: Mein lieber Sohn; wenn sich Prügel schreiben ließen —über Post, meine ich, mag das freilich schwer halten, aber t6to ü, töte geht es ganz gut), so solltest du diese Zeilen mit dem Rücken lesen?c. — Auch diese Cardinalcorrespond^nz zwischen einem guten Vater und seinem Sohne, „der ihm Freude macht," fiel mir in meinem Mißverständniß mit dem Sohn der Wüste bei, und ich meine, ich meine, falls ich dem Gseljungen mein mangelhaftes Arabisch und meine Redehiero-glyphen nur auf den Rücken geschrieben hätte statt in die Luft: er hätte mich augcnblicks kapirt. — Das beste Abkühlungs-mittet im Acrger bleibt aber der gute Humor, und da mir in Jenen afrikanischen Augenblicken ungemcin gutlamng zu Muthe war, so nahm ich das in Rede stehende Exemplar afrikanischer Gseljugend wie ich «s fand, — und bemerke nur noch für Diejenigen, welchen selbst die ideelle Nutzanwendung des Lichtenbergischm Schreibens schon anstößig sein möchte, daß die arabischen Eseljungcn, so arm und schnelllänferisch sie — 49 - auch leben, und so gutartig sie auch im Allgemeinen erscheinen, gleichwohl witzig, dreist und boshaft genug sind: einen Fremden und Neuling, der sich nicht energischen Rath weiß, vicl« mehr zu billig und nachsichtig operirt, dergestalt zu hänseln, zu ärgern, zu prellen und in Desperation zu bringen, wie wenn er ein Affe wäre oder sonst ein kurioses Thier. DieS ist der Eseljungenhumor mit Solchen, die in ihrem harmlosen und gutmüthigen Wesen verrathen, daß sie hier noch nicht zünftig geworden sind; — dabei versteht sich von selbst: der größte Theil der hier angesiedelten Europäer und der Ankömmlinge benimmt sich so brutal, gewaltthätig und gefühllos gegen diese armseligen, halbnackten, afrikanischen Proletarier und PariaS, daß der Charakter und die Repressalien der Letztern als ein naturnothwendiges Product der zivilisirten Barbarei anzusehen sind. "!^ WaS meinen mißverständlichen Casus betraf, so löste ^M sich ganz leicht zu meinem Profit. Mich hatten bereits bei dem kurzen Durchfluge durch die Gassen des Bazars eine solche Unmasse von fabelhaften Sehenswürdigkeiten, Lebensarten und Märchen angeblitzt, um Entree angebettelt und verstrickt, daß ich vollkommen däs Nn» Praktische einer allerersten Sinne betäubenden Bekanntschaft von Alerandnens Mysterien einsah, falls es ferner' „zu Esel" geschah. — Mysterien absolvirt und zahlt man schicklicher' Maßen ohne Zeugenschaft und mit seiner PDn^aM.'—' Mit dem Esel und feinem wie meinem Dränget Und Ahrat/ne^ 4 - 50 — waren wir aber zu Dreien. Ich konnte doch nicht in die Voutiken, die Gewölbe, die Waarenlager, in die Häuser und Thüren der Kaufleute, Handwerker und Wechsler; in alle Winkel und Höfe hinein, oder gar zu den geheimnißvoll und enge zwischen Mauerwänden fortführendenKalk-stein treppen hinaufreiten. Zu meiner unsäglichen, deutschgründlichen Neugierde, zu meinem absonderlichen Sinn und Verstande für die Allegorie und Poesie des afrikanischen Wer-keltagslebens und seine Methaphysik schickten sich nur meine beiden Beine allein. Vier Gselfüße waren für meine stata-rische Methode der Veaugenschcinigung von Weltwundern das überflüssigste Ding von der Welt. Ich gab also meinem Schnellläufer den Lohn für eine ganze Stunde, das ist zwei Piaster, die er nicht ohne wüthende Protcstationen annahm, obgleich ihm ein Einheimischer nur den vierten Theil gegeben hätte — und ich besah nunmehr Alles 8«1o zu Fuß. Von diesem ersten abenteuerlüsternen, tumultuarischcn und arabisch-berauschten Umherirren nu buntgcwürfelten und so gekütteten Alexandrien kann ich so wenig Positives, Förmliches und Gescheutes berichten, wie dies vou einem Traum oder verliebten Rendezvous möglich ist. Ich drehte, das weiß ich, meinen Kopf wie Einer, der durch Wundcikuren von einem steifen Genick geheilt worden ist: in alkn Probewendungen rechts und links, nach allen zwei und dreißig Richtungen der 51 — Windrose, im Oirkelschlag nach Oben und Unten zugleich. — Ich guckte um alle Ecken, in alle Winkel und Pränumerando in die fernsten Perspektiven der auf den Hafen hinauslaufenden Gassen — oder durch die arabischen Labyrinthe und Zickzack« Wege hindurch — bis in die offene See. Ich rannte mit halbscheuen Gelüsten in alle offenen Höfe und auf jeden kuriosen Mist; — ich visitirte die Tiefe der Brunnen, taxirte die Höhe der Minarets, schnellschnüffclte mit in den Wind gehobener Nase, und skizzirte mit ungeduldig zwinkernden Augen in allen Kaufmanns- und Handwerkerge-. wölben umher; naschte allerlei Früchte und Confitüren ohne Handeln und Appetit; verkehrte so mit dem afrikanischen Welt« theil auf der Zunge, sog die fremdländischen Gerüche in mich, die hier nicht alle Augenblicke arabische Weihrauchsdüfte sind; und buhlte mit den fremden Formen, Stoffen, Kunst- und Naturprodukten, mit den gurkcnähnlicheu, blauschwarzcn Pit» tinjans, mit Wassermelonen, Weintrauben, Dattelcompot, Bananen, Orangen, fetten Tabaksbündeln, Menschen-, Esel-und Kameelsphysiognomicn, wie ein allerweltsbegieriger Narr. Ich starrte die Nackten und die Verhüllten, die In» und Ausländischen an, bohrte mich durch die gröbsten und schmutzig« sten Schleier und spähte in deren offen gelassenen Seiten wie nach einer Odaliskenschönheit aus Tausend und einer Nacht; musterte iu heißhungriger Hast und ohne Ekel die garstigsten Lumpen, die geschorenen Köpfe (auch diejenigen, die eben-im Schooße des Gafsenbarbiers wollustseufzeten), die nackten Glied« 4* __ 52 __ maßen und die Gebreste des Vettelvolkes, gleichwie die mit Schnüren benähten Kaftans, Westen und Gamaschen der Effendis und Iaßidihs, ihre arabischen Turbane, ihr orientalisches Air und a ftlomb. Ich schaute verwundert den Pfeifenrohrbohrern und den Kunstdrechslern zu, welche mit Händen und Füßen zugleich arbeiteten und mit der linken Hand kunstfertiger wie mit der rechten zu sein schienen. Ich sah den Büchsenschäftern und Schwertfegern auf die Finger bei ihren imftrovisirten Diminutivfcldschmiedcn mit Handblasebälgcn, mit einem Dutzend Kohlen und halbwilden Handwerkszeugen, die kein deutscher Meister und Techniker zu handhaben versteht — (von dem Mittagscssen all' dieser arabischen Künstler: einem Tellercheu voll Saubohnen mit Oel- und Citronensaft abgemacht und einem Weizen- oder Durrahfladen dazu wird auch nur ein Warschauer Gassenjude, aber auf keiner Seite ein deutscher Bettler und vollends ein oft- oder westpreußischer Arbeitsmensch satt). — Ich gerieth auch in eine offene Elementarschule hinein, die selbst ein Jude mit einer Iudenschule verwechseln muß. Der junge Schulmeistergehülfe ging meiner auf der Schwelle stehen gebliebenen Gasscnneugierde mit einem Kansir kran^i (Schwein, Franke) dicht auf den Leib, welche Aufrichtigkeit ich aus bloßem Sprechkihel mit einen: deäa^i kanuir (Schwein, Araber) retour kutschirte und mit einem abwehrenden Stoße, von welchem der Faintiker die Balance verlor; worauf der alte Schulmeister, vernünftiger wie wir Beide, schiedsrichterlich zwischen uns trat. — 53 - Ganz erschöpft, erhitzt, bestäubt und über mich selbst verdutzt, wie wenn ich ein Anderer und mein Doppclgänger gewesen wär', hospitirte ich dann in Schnapsboutiken auf französischen Annis oder inländischen Dattelbranntwcin, zu welchen Likören ein Glas frisches Wasser gereicht wird; — und hierdurch zu größerer Courage verführt, trat ich, ohne zu wissen, ob man mich leiden, oder hinauswerfen würde, in ein Volkskaffeehaus ein, hörte daselbst auf zwei näselnden Kniegeigen — liubadn, genannt, — ä la Paganini auf einer einzigen Saite gewin» selte Iudenlamentationen, wie in den Iudenschulen erckutirt, und trank, zum erstenmal in meinem Leben, auf einer Matte und terrasfenartigen Gestellen hockend, in Gesellschaft eines übereinander situirtcn nacktbeinigen Publikums aus einem ara» bischen Duodeztäßchcn, wie auf einem Kinderkaffce, und wie wenn ich eS selbst nicht gewesen wäre, den schönsten Mokka ohne Cichorien, Zucker und Rahm. — Für den Augenblick überfüllt, abforbirt und betäubt, machte ich mich jetzt zu den engen Gassen und auf die luftigen Vorstädte hinaus. Von zwei entgegengesetzten Richtungen schimmerte mir bald der Hafen entgegen; ich wollte aber aus dem Getümmel in die Dattelplantagen, da wo die letzten Häuser stehen, und womöglich mitten in die Wüste hinein. Endlich schien ich die Längenausdehnung von Alerandrien und die Richtung getroffen zuhaben, welche direkt nach dem „Innern von Afrika" führt. Es dauerte nicht lange, als ich auf einen großen, Halbwüsten Marktplatz gerieth, wo Ziegen und Schaafe von den Fellahs feilgeboten und von Städtern erhandelt wurden, und zwar mit dem Getümmel, den Leidenschaften, den Manieren, den Kniffen, Pfiffen, Praktiken, Ge-behrdungen und Nichtswürdigkeiten wie bei uns. Brot-, Dattel-und Schnapsverkäufer, singende, blinde und sehende Bettler, und allerlei mühigen Pöbel zum Knäuel geballt gab es hier, wie auf einem polnischen Jahrmarkt in einem Iudcnstädtchen daheim. Dann aber wieder eine afrikanische Scene, so normal und original wie sich's gehört. An einem furch^ar knarrenden und winselnden tiefen Brunnen, der wie alle andern aus dem Mahmudicanal bespeiset wird, standen Kameele mit Wasserschläuchen, die wie ungeheure viereckige Federtaschen aussahen; an jeder derselben war eine Ecke offen gelassen und schlechtweg mit einem Riemen oder Baststrick zugebunden, das machte im kürzesten Prozeß den Krähn. Das Wasser wurde mit einem sogenannten Paternosterwerk von thönernen Krugen an einem von Ochsen getriebenen Rade (Lakik) heraufgewunden und war trübe und warm. Ich selbst, nicht durstig, trank dieses garstige Wasser aus Neugierde und Ginbildungskraft, wie wenn ich bereits ein verschmachtender Wüstenwanderer gewesen wäre! Als ich den Platz durchschritten hatte, gerieth ich in ei» Stadtviertel von langen, einsamen, kalkstaubigen Gassen, die durch weißgetünchte, hohe, bucklichte und wie in Eile aufge» führte Gartenmauern gebildet werden, über welche dickbe« stäubte Feigenbäume, gnomenhafte Kaktusungethüme, Ba- K.'I — nanen mit kolossalen, wundersam eingerifsenen, wie ungeheuere Schwungfedern gestalteten Blättern hinwegschauten; und von den hohen Dattelpalmen hingen die goldgelben und karmoisin» lackirtcn Fruchtbündel herab, je viere, sechse oder ihrer achte um die kuriosen Stämme; es war ein komplettes Paradies! So ungefähr hatte es sich meine Phantasie geträumt, daß es in Bagdads Vorstädten aussehen müßte, und so war es nun in Skenderih. — Wahrlich, darauf kann sich das Menschenkind verlassen, wie in der Phantasie, so sieht es ir-gendwo und irgendwann auch in der Wirklichkeit aus und der Poet antizipirt vollends die ganze Welt! Hier und da fand sich ein Eingang, eine offene Thüre zu diesen Halbwüsten und halbbebauten Gärten und Dattelplantagen, deren Halbdunkel, Scenerie, Physiognomie, Melancholi und Symbolik keine Stylisation anschaulich machen kann! — Ich spähte erst zaghaft und furchtsam wie ein Obstdieb, bald aber von Alles bezwingender Neugierde angespornt, im Trabe in allen Gängen und Bosquetten umher. Ich sah keine lebende Seele, aber mit Verwunderung und seltsamen Empfindungen unter alle den fremdländischen kolossalen Gewächsen, die man in Deutschland nur als zwerghafte Topf- und Treibhaus» Pflanzen kennt, auch die heimische Pflanzenwelt kultivirt: die blaue Winde, den Fuchsschwanz, die deutsche Studentennelke, auch Todtenblume genannt, und dergl. mehr. — Dann hörte ich Menschenstimmen, visirte einen Augenblick hinter einem Palmenstamm nach den Kommenden, fürchtete mich schon in — 56 — Haremsabenteuer verwickelt, im kürzesten Prozeß mit Bastonaden regalirt, rannte zum Garten hinaus in andere fabelhafte Mauergassen hinein und kam zu einem einsamen, tiefen Brunnen, an dem ein Bettler oder Heiliger mit einem schrecklich geschwollenen Beine, einem sogenannten Elephanten- oder Sträub-fuße, dasaß. — Dieser Unglückliche zog mit einem, an langen Seileu befestigten Topf Wasser aus dem in den Kalkfels gehauenen Brunnen herauf und bot es dann in einem seltsamen Zinngefäß, das wie ein Varbierbecken aussah, vielleicht auch ein solches war, den Vorübergehenden dar. Es kamen zwei Kameelführer und tranken, und empfingen eine Art von Segen und zahlten nichts. Dann trank ich aus demselben Varbierbecken, schon um mir den wunderlichen Brunnen heiligen und seinen entsetzlichen, von der Elephantiasis entstellten Straubfuh anzusehen; gab ihm zwei Fimfparastücke, hörte seine zwischen den Zähnen gemurmelten und gefeufzeten Gebetformulare, und besann mich erst weiter hin: daß ich unreiner Neins« (Deutscher) mit den reinen Arabern aus demselben Gefäße getrunken hatte, ohne zu Ungelegenheiten gekommen zu sein; und verfiel aus Anlaß meiner kuriosen Wanderung und Situation in eine Träumerei, aus der mich wieder ein vaterländischer Hahnkräh aufstörte, rannte weiter und kam zu Mahlmühlen mit Eseln getrieben, so einfach kon-struirt, wie zu Abrahams Zeiten; — und gerieth weiter wandernd in Barakenbezirke, zu einer Art von Lumpenbe-duinen, wo alte Weiber hinter mir her schimpften, welche __ 57 — türkischen Weizen zwischen Steinen zerquetschten und Grütze davon siebten; — und als ich mir diese Hexen betrachtete, wurde ich von nackten, am Kopf geschorenen Kindern mit kleinen Steinen geworfen, und von einer garstigen Race gelbbrauner und struppiger fuchsähnlicher Hunde (Alle wie auS demselben Neste), mit eingekniffenem Schwänze und Zähne-fletschen heiser angebellt, wie ein deutscher Hund nur dann zu thun Pflegt, wenn er toll geworden ist. Mehemed Ali hat mehrere Wochen lang eine Unmasse von Hunden, die sich früher in Meuten umhertriebeu, auffangen und im Meere ersäufen lassen; es sollen mit diesem Manöver an die 50M0 Exemplare, weniger oder mehr (ich vertrete die Anzahl nicht), über Seite geschafft worden sein, sind aber immer noch hier zu viel. Nach diesen wetterleuchtenden Vorspielen zu handgreiflicher« Abenteuern wurde meinem unschuldigen Novizenthum in Alexan-drinischen Mysterien doch zu bange. Ich hatte ihren Cham-Pagnerschaum geschlürft, ich hatte den alexandrinischen Staub und Schmutz, die Hitze, die Brunnen, die Vettelheiligen, die Wasserkameele, die Mühlen, die todtstillcn Gärten, die träum« wüsten Mauergassen und Plätze, die Palmen und die Va< nanen, die Kaktusfcigen, die Baracken mit der nackten arabischen Gymnastcu- und Schnellläuferjugend, ich hatte die bettet haften Gymnosophisten und die entsetzlich verschrumpften, bei lebendigem Leibe von Gift und Galle gar gegerbten alten Weiber Poetisch überträumt: ich machte mich also im — 58 - wörtlichen Verstande auS dem Staube, und fand so ziemlich den Weg, welchen ich gekommen war, zurück. Was die Alterthümer von Alexandrien betrifft, so find sie vielleicht schon zu oft beschrieben, jedoch mit Ausnahme eines erst im Jahre 1849 am alten Hafen an einer Grubenstätte entdeckten kolossalen wunderschönen Sarkophags, welcher aus einem einzigen Stück milchweißen Quarzes ausgehauen und mit von Genien gehaltenen Blumenguirlanden in Basrelief geschmückt ist. Ich entdeckte dies Prachtstück, als ich zum Thor von Rosette hinausgeritten, zur linken Seite, einem Kirchhofe vorüber, eine gepflasterte Römerstraße verfolgte, die etwa eine Viertelstunde weit zum Meeresufer führt. Der Sarkophag stand da aus seiner Gruft gehoben, unter freiem Himmel, der Beschädigung von Hirtenjungen ausgesetzt, die sich leicht den Zeitvertreib machen konnten, den Genien die Nasen abzuschlagen, dergleichen bekanntlich auch von civilisirtem Pöbel ausgeübt wird. — Wie es hieß, sollte der kostbare Fund auf fernere Unordnung des Said Pascha von der Stelle geschafft werden, was indeß nicht ohne Schwierigkeiten geschehen konnte, da die schwere Steinmasse einen Vergabsturz hinauf geschafft werden müßte, während es an Mechanikern und dem gewöhnlichsten Hebezeug gebricht. — 59 — Merkwürdiger und ergreifender wie alle Antiken sind dem Poeten die lebendigen modernen Bilder, welche sich alle Augenblicke in Alerandrien darbieten und eben nur hier so poetisch in Scene gesetzt sind. Kahira liegt zu fern vom Meere; — es ist ein zu ungeheuerlicher, fabelhafter, verhexter Steinklump als daß man sonderlich auf einzelne Personen achtete, die sich dort ins Freie hinausmachen; sie stehen auch mit einem so altgläubigen, überall abgesperrten, halbgespenstigen, durch tausend und ein Thor verschlossenen Stadtungeheuer in keiner Harmonie. Kahira verschlingt jede Staffage von Figuren, und wenn es lebendige Antiken unter ihnen gäbe, oder einen zweiten Napo-leon und Saladin. Aber Alerandricn mit seinen nach dem alten und neuen Hafen geöffneten Straßen, mit seinen breiten, lichten, luftigen Vorstädten zur Winter- und Frühlingszeit, — da wo die zerstreuten Paläste stehen, zwischen welchen der Blick frei über Felder und Gärten hinausschweifen darf: dies halbaufgelöste, halbmodernisirte, zerstreute, von Italiern, Schifföleuten und allen möglichen Fremden wimmelnde, einer Operndckoration und improvisirten Weltmaskerade gleichende Alcrandrien: ist der Ort, wo man die Spazierritte reicher englischer, französischer und russischer Familien ins Auge fassen muß. — Als ich zu den Nadeln der Cleopatra, die an dem Festungswalle liegen und stehen, hinausritt, hatte ich die Schicksalsgunst, so eine Scrap hsge st alt von sechzehn - 60 — oder siebenzehn Lenzen auf einem herrlichen weißen Araberroß, begleitet von Kavalieren, die ihre Brüder zu fein fchienen, dahin galoppiren zu fehen. — Ihr langes Reithabit und ihr Halsshawl blähten sich in der Morgenluft. Die Straußfedern des Varets wogten und fchwankten mit den üppigsten, halbaufgelösten Locken über der rosa angehauchten Wange; die Scenerie von Meer und Wüste, von Palästen und Obelisken schien nur die Staffage für diese wiederge» borene Cleopatra; Alerandrieu war kaum gut genug, der Fußschemel ihrer kleinen Füßchen zu sein! Ausstuckt imck ttm GaburngärtN unä sum MnreotisjlN- Del Dichter kaun die Natur besingen, der Maler giebt sie in reichen Bildern, — aber den Duft der Wirklichkeit, der auf ewig hineindringt und in der Seele bleibt, rermiigcn sie nicht wiederzugeben! — Glncs Dichters Bazar von Andersen. Nach den Gabarrigärten nahm mein gefälliger Führer, der Ornithologe Brchm, den meine haftigfrifche Neugierde ebenfalls in's Zeug fetzte, den Weg über Halbwüste und halbbebaute, fabelhaft weite Marktplätze und Räume, an deren Grenzen sich die isolirt stehenden Gebäude, kleinen Moscheen und Magazine in mährchenhafter Perspective verloren, - - wie wenn die Scene mir eine Decorationsmalerei oder ein Panorama von Gropius gewesen wäre. Aber die Contraste sind in Aegypten Stirne gegen Stirne gestellt, und so ging es bald zu andern Plätzen, durch Budenreihen und BazarS, mit einem Getümmel von Gseljungen, von beturbanten und be° — 62 ^ kaftanten Gestalten, über deren durcheinander bewegte Köpfe die langen Kamcelhälse mit ihren riesigen Schaafsköpfen hervorragten und wehklagten; und aus den brausenden Wogen des arabischen Lärmens und Tümmelns kochte von Zeit zu Zeit das Wuth- und Angstgcschrei eines gelangweilten Gsel-hengstes wie eine Fontaine, wie die Stimme eines Ungeheuers hervor, zum mindesten wähnte man einen hungrigen Wüstenlöwen auf dem Platze. Nach diesen Scenen endlich kam nicht etwa ein Dämpfer, fondern ein Klimax, aber in eine mir ganz neue Sphärc hinüber gespielt. Ich erblickte diejenige Strecke des Mahmudi-Kanals, welche im Wortverstande mit Nilbarkl'n überbrückt und wie gepflastert erscheint. Hier fallen dem Fremden vor allen Dingen die sechzig, siebcnzig und achtzig Fuß langen Segelstangen mit ihreu ungeheuern Segcltüchern ins Gesicht, die auf einem kurzen Mastbaum beweglich fest gemacht sind. — Jede größere Barke führt zwei folcher Segelungeheuer, die, nach beiden Schiffsseiten herüberhängend, dem Fahrzeuge daS Gleichgewicht und in der Entfernung das Ansehn geben: von einem ungeheuern, durch die Wellen fortschießenden Schwan. Wenn man von einer Unmasse Barken, mit einem Walde von ungeheuern, auf kurzen Masten schwebend gehaltenen und nach derselben Richtung geneigten Segelstangen, von einem Gewimmel nackter und wüst durcheinander schreiender Araber spricht: so scheint das dem ruhigen Leser, der in europäischen - 63 ^ Hafenorten war, eben nichts Außerordentliches zu sein; — und doch ist's dieses in einem Grade, in einer Weise, von der sich kaum eine leiseste Färbung, ein entferntester Ton, eine Ahnung geben läßt. — Es war etwa um die Vesper« zeit; — es war ein unerklärlich bezogener, mysteriöser und doch wolkenfreier Himmel, bei einer schwulen und staubigen Luft. Die Fellahbarken sind allesammt roh gezimmert, ohne Anstrich von Farben oder Theer; vielmehr häufig mit Schlamm und Dünger verklebt; — und dazu starrt die ungeheure Masse der gleichfarbigen, graubraunen Scgelstangen in derselben schräg aufsteigenden Richtung nach derselben Weltgegcnd in die Luft; wie die Spieße und Bäume von unbekannten Sturmmaschinen oder andern Ungeheuern, welche zum Kampfe gegen die kultivirte Welt ausgezogen sind. Und es ist noch etwas Anderes, Wüsteres, Fabelhafteres in dieser echt ägyptischen Scene, wovon die Seele traumgeängstet und die Brust wie von einem Alp gedrückt wird; es ist eine unausdeutbare Allegorie, und sie liegt, wenn man sich da hineinempfinden und hinübcrträumcn kann, in der Einförmigkeit, der Giufarbigkeit, der unsäglichen Monotonie, der Ruhe und Todtenstille von Wüste und Meer, zwischen denen diese bunten und lärmenden Bilder eingesetzt und festgerahmt sind. — Es ist mit diesem arabischen Kanallärmen wie mit einem Jahrmarkt, der in einer sybirischen Winterwüstc zusammen getrommelt ist; wie auf dem Weltmarkte von Nischney°Now- - 64 — gorod, wo Waaren hinkommen für 70 bis 100 Millionen Silberrubel an Werth; wo man Felle von Zobeln und blauen Füchsen, dazu Gold» und Silberbarren, )a sogar Edelsteine aus der Bucharei und Indien erhandeln kann, und doch nur der Lebensstrom des Geistes unter eisiger Decke fortströmen darf. — Es ist also wie eine Fackel, oder wie eine Feuersbrunft bei der Nacht, durch welche eben nur die Finsterniß sichtbar gemacht wird. — Und hier am Mahmudi» Kanal fühlt die hörige, freisinnige Seele aus alle dem bunten und wüsten Lärmen doch nur die pharaonisch-despotischen Steinpyramiden, den Mumientod, das Schweigen der schwülen Sandwüste, die betrüglichen Luftspiege« lungeu, die quellenlosen Oasen, das tückischeinschläfernde und einförmige Wellenspiel des rundum eingeschlossenen und von einem übermüthigen Inselvolke beherrschten Mittel° meeres heraus, welches nur durch eine enge Straße mit dem Weltmeere korrespon^'rt. — Ich kann die Ausdeutung, ich kann das Bild vom mästen« reichen und doch verschlammten, schmalen, flachen Mahmudi. Kanal, der über so viele Tausende Leichen der geopferten Arbeiter trübe und trage hinweg fließt, nicht weiter verfolgen; aber so viel ist gewiß: dieser Kanal giebt dem symbolischen Verstande das erste, die Seele durchschauernde Gesicht vom alten und neuen Aegypten, vom todten Leben und vom geschäftigen Tode auf dem Nil; von der ägyptischen Wirthschaft, die noch heute so tyrannisch und menschenmörderisch — 65 — ist, wie zu Möris*) Zeiten, der das ungeheure Nilbassin, den See Möris, ausgraben ließ. — Und was nicht das Meer und die Wüste und der geheimnisvolle Nil erzählen, dessen Quellenmysterien und Kulturgeschichten sich die voraushastende Phantasie in den schlammigen Nilwassern des Mahmudi'Kanals Pränumerirt, das träumt die Seele in den dunkeln, aus der Ferne herübcrschimmern-den und herüberfabelnden Schilfmafsen des See's Ma-reotis, welcher im Alterthume stark kultivirt war und 59 Karawanenstunden im Nmsange hielt. Im Jahre 1801 durchstachen die Engländer den Damm, der diesen See vom See bei Abukir trennt, und über welchen der Mahmudi-Kanal jetzt hinführt: da drangen die Mecrwasser von dort heran. Der Damm ist schlecht wiederhergestellt; der See wächst und fällt also mit dem Nil. Man gewinnt aus ihm große Massen von Salz. — Zwischen diesem Mareotissee und dem Mittelmeere reckt sich nun eben eine schmale Sand- und Kalkwüste, wie die staubige Zunge eines vor Hitze lechzenden Ungeheuers, hin, und auf ihrer Spitze liegt Ale. randers todtlebcndigc Stadt, mit ihren würfeligen, weißen Kalksteingebäuden, wie ein tausend-wirbliger antediluvianischer Hydrarchos unter ') Nach Pepsins' Entdeckung heißt dcr Erbauer dcs Laby-rinthrs und somit wohl auch dcr Urheber dcs gegrabenen Sce's: „Hmerlemnk", und war cr dcv sechste König der zwölften Dynastie. 5 — 66 — Palmen und am Meeresstrande ausgestreckt: ein Monstrum auf des Weltenstürmers Grabe? — Diese Romantik und Symbolik ist der Profit einer zu Grunde gerichteten und vom Naturalismus überwucherten arabischen Kultur; aber sie kommt allein dem kuriosen Reisenden zu guts der Acgyftter profitirt sie nimmermehr. — In solchen Träumereien ritt ich vom Mahmudi-Kanal fort, dnrch lange, herrliche, lichtdunkle Alleen von Sykomorrcn und Akazien, durch Plantagen, Frnchtfcldcr und Gemüsegärten, durch eine ganze mit Kunst und Sorgfalt, aber leider auch mit heilloser Brutalität und Tyrannei ins Leben gerufene Landschaft, die aus den Kanalwassern getränkt wird, gleich der Stadt selbst. Ich hatte die Augen überall und gedachte alles zu fassen und zu behalten, aber die Neuheit und Mannigfaltigkeit der Gegenstände, das Mährchcnhafte der Scenerie und meiner Situation, äscherte meinen so schon zu-sammcngeschnurrlen Verstand vollends ein und löste dann meine Ginbildungskraft in Schaum und Traum. — Ganz unerhörte Dinge, ganz neue Welten muß man meh-reremale sehen, um sie verständig zu begreifen, zu behalten, und um auszugestalten, was man gesehen. Ich habe daS auch gethan, ich bin noch einige Male am See Marcotis gewesen, aber so schön hat sich meine brennende Phantasie nie kopfüber in seine Wasser gestürzt und in seinen Wuuderu gebadet, wie dieses erste Mal. Das Topographische, das Botanische, Mineralogische, Zoologische und Geologische mag — 67 — indeß ein positiv gelehrter und informirter Doktor oder Magister registriren, ich hab' es auch auf der letzten Ausflucht nicht sonderlich inspizirt oder kapirt. Ich bin keineswegs nack Karten und Planen geritten und habe nicht mal cine Bous-sole im Stiefel oder ein Thermometer im Busen gehabt, denn mein kleinstädtisches Herz und meine weitläuftige Ginbildungs» kraft ließ zu Instrumenten und Experimenten keinen Raum. — Die Feldmesser und Physiker mögen mir das verzeihen. Gin Poete ist nun einmal ein flüssiges und halbkonfuses Subjekt und läßt selbst trockne Farben ineinander laufen, wie im türkischen Papier. Vei dieser phantastischen Lebensart habe ich aber wenigstens die muhamedanischen Gartenkünste mit einem muhamcdanischcn Geschmack und Sinnentanmel gesehen, und das scheint mir für die Gabarrigärtcn keineswegs ohne Raison. Was nun aber die Farben und Formen der afrikanischen Vegetation und Scenerie betraf, so bildeten sie sich meinen traumwachen Sinnen zu Rosetten und Chromatropen ein, ich mochte wellen oder nicht. — Das BewegnnaMmpo für diese Kaleidojkopspiele gab die Reitpeitsche und die Hast meinem (5sel unter den Fuß, der überdies so feurig war, wie nur ein westpreußifches Pferd; lind an der Transparenz fehlte es bei dem gluthenden Lichte der afrikanischen Sonne keinen Ntoment. Ich hatte also ein ägyptisch-chinesisches Feuerwerk in den Augen und im Kopfe, das sich keinen Augenblick recht be« schreiben läßt, weil es alle Augenblicke ein anderes ist. — — 68 - Gs war schon spät geworden; die karmoism glühende, in den Dünsten des Mareotis violett spielende Sonne konnte etwa noch cine Stunde am Himmel stehen, also jugen wir denn im unausgesetzten Galopp durch die endlosen Alleen fort und sort und mit uns ein ganzer Haufe Gselritter vom christlichen und mnhamedanischen Glauben, die bei dieser Gelegenheit ihre gegenseitigen Sympathise» in der Thier- und Menschenquälerei fanden. Endlich aber wurde ich durch eine von denjenigen Scenen aufgehalten, die ich so sehnlichst erwünscht hatte, wie nur den Anblick einer paradiesischen Vegetation, so wenig diese auch senem Grlebniß entsprach. — Aber es gilt ja eben in diesem Lande nud Welttheil die Contraste und nicht die Harmonie. — Und was bekam ich hier zum erstenmal zu sehn? — Einen Pascha, einen türkisch-arabischen Prinzen, den Sa'id-Pascha, den Bruder Ibrahims, den Schöpfer der Gabarrigärten, — einen ungeheuerlich dicken Herrn. Gr war im Begriff, seinen langsamen Abendritt durch die Zaubergärteu und Alleen zu machen, und zwar auf einem lustig wiehernden nnd schnaubenden, schön geschirrten, schneeweißen Hengst. — Das prächtige arabische Thier war schön und stämmig, war muthig und fromm zugleich ausgewählt, wie verhältnißmäßig in so glücklich edler Blutmischung kaum ein Menschenkind aufzufinden ist, — und der Reiter saß so breit und dickwanstig wie ein Fallstaff auf dem rund gerippten Roß. Mit der rechten fetten Faust hatte er eiuen schwarzen, neben — A> — dem milchweißen Thiere schreitenden Sklaven ins wollige Haar gefaßt; ein zweiter Neger oder Nubier hielt sich am linken Steigbügel fest und führte den tanzenden Hengst im ruhigen Schritt; und zwischen den beiden muskelgeschwollenen, dunkeln und schön modellirten Gestalten in kurzen Ärmellosen Hemden, mit seidenen Kaftancn in kurzen Pumphosen, die bloßen Beine vom Knie ab in Saffianschuhe gesteckt: -^ saß der Prinz wie ein modellirter und türkisch kostümirter Fettklumpen, wie ein seiduer Sack voll Sand; aber mit einem schönen Kopf und Gesicht. Und um den arabischen Abt von St. Gallen hemm und ihm vorauf, der iiber Tod und Leben, über Vastonaden und Geschenke mit einem Worte und einer Miene verfügt: da tummelten sich geschäftige und eilfertig rennende, mit gespannter Aufmerksamkeit zu den Seiten und hintennach gehende, des leisesten Winkes beflissene Diener und Nnteroffizianten, mit Sesseln, Teppichen, Gezelten, Gefäßen, Erfrischungen und Luxusartikeln; wie mirs schien, ohne Namen und Zahl. — Und dem mächtigen Plenipotenten von Alerandrien hinterdrein folgten in einer eleganten Pariser oder Londoner offenen Kalesche, die wie ein Spinnrädchcn fortrollte, ein Paar Adjutanten, HauSoffiziantcii, oder wie ich sie sonst titnliren soll; denn ich fragte sie nicht um ihren Dienst und Rang, sondern grüßte sie und den Prinzen respectvoll genug, um nicht eveuwaliter zu einer Bastouade herangewinkt zu seiu, die bekanntlich durch keinen Widerruf und keine Ehrenerklärung abgewascheu wird. — 70 — Das war die Scene, die ich ersehen, und der Mann, den ich in Alerandrien zu schauen begehrt. Ich guckte ihn mir im ehrerbietig langsamen Vorbeireiten so scharf an, als dies die Schicklichkeit gestattete und galoppirte dann, von arabischtürkischer Fürstlichkeit und Herrlichkeit illuminirt, zu dem schönsten der Gabarrigärten: zu demi/nigen, in welchem da« mals ein Sommerpalais gebaut und von italienischen Künstlern mit Plafondgemälden dekorirt wurde, was ai irese« geschah, ich aber dasmal in halber Dunkelheit besah. — Der Prinz hatte zu unserer Freude einen andern Weg eingeschlagen; wir ließen also unsere Esel von ihren unermüdlich mit« galoppircnden Antreibern halten und schlüpften durch eine auf unser Anpochen von einem Gartenwächter geöffnete Thüre und dann unter Pränumeration, wie Versprechungen von Bakschifch, in das arabische Paradies. Wie mir das Herz geschlagen hat, als mich die betäubenden, essentiellen Abenddüfte aller der Wunderblumen und gewürzigen Kräuter, — als mich die dunkeln Jasmin- und Rosenlauben umfingen, als ich zum erstenmale in meinem Leben in ein Wäldchen von Zitronen- und Orangenbäumen trat, deren Früchte und Blätter die flammende Abendsonne mit goldigen Tinten und einem magischen Lichtdunkel übergoß: das rührt man mit keinem Worte von Erden an. Und doch blieb mir von meiner jugendlichen Romanleserei und den Erinnerungen aus tausend und einer Nacht ein letzter Wunsch: die Sehnsucht nach der Spitze, nach der Blume der Belohnung jedes Abenteuers, __ 71 __ ohne welche alle Paradiesgärten Spott und lange Weile, wenn nicht Verzweiflung, Unnatur und bodenlose Melancholie zu sein pflegen: ich hatte keine Odaliske, keine Haremsbe« wohnerin auch nur von ferne erblickt. Gs hilft nichts, man muß entweder nicht in so ein natürliches Paradies hineingucken, wenn man noch einen Rest von Adamsnatur konser-virt, oder man thuts nicht ohne Sünde und Melancholie. Am Vormittage und bis zur Vesperzeit war die Hitze fur Exkursionen zu groß;— am frühen Morgen der starke Thau ein Hinderniß, um zu Fuße in irgend welcher Vegetation umherzugehen. Ich und mein ausdauernd dienstfertiger Führer, wir konnten also wieder nur an einem Spätnachmittage die Gabamanpflanzungcn bereiten. Diesmal hielten uns aber weder der Mahmudi-Kanal, noch der Prinz und seine Schloßgärten auf; und wir gelangten somit noch bei vollem Tage auf den Damm, der durch die Niederungsplantagen am See Mareotis hinführt. Wenn man nun erzählte: In dem fetten Marschlande, zu beiden Seiten des mäßig breiten und hohen Dammes, standen da junge und alte, hohe und strunkige Dattelpalmen (etliche wie paradiesische Kalmus-wurzcln anzuschauen); eine Gruppe derselben auf trockncrn Stellen, andere Bäume und Sträucher iu einem Sumpf, welcher von der Sonne eine Kruste von Schlamm, von zu> — 7ä ^ sammengeschwemmten, aschfarb vertrockneten und beschlammten Vegetabilien erhielt; — auf andern Quartieren des von der Ueberschwemmung abtrocknenden Niederungsbodens gab es Olivenbäume und Zuckerrohrpflanzungen, — zunächst am Damme bildeten preußische Weichselpappeln eine Allee; und an Küchengewächsen, z. B. an großen Massen von Zwiebeln und Radiesern, von Rettig und allen Arten von Kohl fehlte es keineswegs: ich sage, wenn man so referiren wollte, so könnte das für eine ganz richtige und verständige Beschreibung passiren, und doch wäre sie unrichtig, schon weil sie gar zu verständig und nüchtern: nur das Material, das trockne Holz, die Körperlichkeit und Handgreiflichkeit der Scene, gäbe, nicht aber ihre Beleuchtung, ihre Seele und Physiognomie, nicht ihren Grundton, — nicht das Lebens- und Schön-heitsvrinziv, in welchem die Natur diese Mareotisscenen kom° ponirt, gefärbt, tonfigurirt und transparent gemacht hat. — Es spricht freilich keine Zunge aus, es malt es kein Claude Lorrain, wie diese afrikanische Niederungsvcgewtion von Licht und Aether, uon Ruhe und Schweigen umflossen ist; wie ihre chaotischen Bilder, ihre sich aus Wasser und Schlamm herausarbeitenden Palmen und Orangen vom ägyptischen Himmel aktompagnirt und verklärt werden, über den nur dann und wann leise Wolkenschleier wie Sibcrgazen dahin ziehen, welche die tiefer und tiefer sinkende Sonne mit Rosa und hohem Purpurgolde umsäumt: aber ein naturbescelter, ein gewissenhafter Beschauer, so einer, dem die Seele der __ 75! __ Erscheinungen, dir himmlische Allegorie, dicMu' sit in allen natürlichen und menschlichen Dingen was zu schaffen macht; der deutet doch wenigstens solche Geschichten an; — der schreibt doch einige Noten hin, falls er auch riskiren muß, daß er stille Musik macht, ihn also Niemand hört und versteht, — oder daß man ihm nur auf einem Dudelsack akkompagnirt. — Muß doch zuletzt unser Herr Gott ruhig zusehen, wie seine schöne Welt selbst in Künsten und Wissenschaften, wie sie in sogenanntem Lieben und Glauben, in rohen Freuden nnd Leiden, von Ueberbildeten und Ungebildeten, von den Barbaren der Natur und der Civilisation: nach allen Seiten und in allen Sphären verhuuzt und verfratzt, gemißdeutet und übe! ausgebaut wird. — So kann es denn schon ein Winkelpoetc darauf ankommen lassen, ob man reproduziren werde, was ihm Klang nnd Sang wurde, Gottesmysterium und Natur-Poesie! Auch am heutigen Tage folgte diesen Bildern oeS stillen Segens und Wachsens, des hundeitfältigen Gedeihens, diesem heiligen Gottcsfrieden im Himmel und anf Erden: der die Paradiespalmen wiederum aus den Schlammwassern der verlaufenen Sündfluth ans goldne Tageslicht rief, — die Kehrseite der ägyptischen Wirklichkeit und Welt. Wir gelangten ruhig fortschreitend zu Vamverken und Garten, in denen Erdarbeiten durch aNerlei zusammengerafftes Gesindel: Männer, Wei-ber nnd Kinder ausgeführt wurden. — 74 — Nur wenige hatten Grabscheite, Hacken, Schaufeln, Schieb-karren oder ein anderes ordentliches Geräth. Die Masse arbeitete mit nothdürftig zurechtgemachten und lächerlichen Hilfsmitteln: mit Spähnen, Stöcken, Scherben und mit bloßen Händen. Die Aermsten trugen Erde in Körben und Schürzen, in ihren Hemden, in Töpfen und Schüsseln nnd auf Brettstückcn fort, indem die Last auf den Kopf gesetzt und entweder mit einer Hand oder ganz frei balancirt ward. — Das war mal wieder eine echt arabische Scene, eine Unordnung, ein Wirrwarr, ein Gefäuer, ein Gezänke und ein Geschrei, als wenn Holland in Wassersnot!) oder vielmehr Jerusalem in Belagerung gewesen wäre! Die Aufseher gehörten wohl selbst dieser ismaelitischcn Race an. Der Tag mußte sie auch bereits mürbe gemacht haben, und so schienen sie dem Getümmel und der Verwirrung von Babylon ziemlich theilnahmlos zuzuschauen; um desto toller aber wurde das Gc-wirre und Gezänke von Moment zu Moment. Ich stellte mich auf die Mauer einer in Kalksteinen und Kalkmörtel aufgeführten Wasserleitung, die an allen Stellen so ean amoro krunim und bucklicht, so pfuscherig zusammengeklebt und, wie ich weiterhin in Erfahrung brachte, so zickzackig fortgeleitet war: daß sie für ein vollkommenes Symbolum des arabischen Naturells und der Zickzackbewegungen in dem durch einander arbeitenden Menschenhaufen gelten darf. Wenige Schritte von dieser kunstbucklich-ten Wasserleitung befand sich ein ganz kleines Gebäude, wie — 75 — bei uns mi Gebetnhäuschen anzusehen, in welchem man durch ein vergittertes Loch cinen berühmten antiken Medusen» köpf sieht, der auf einer Steinplatte am Fußboden in alter Mosaik ausgeführt ist. Die untergehende Sonne überglänzte den Mareotis, in dessen Nohr- und Schilfmassen die Abendlüfte wühlten mit falbem und fabelhaftem Schein. Mir schien es, man brauchte ltnter diesen Scenen wahrlich kein extraordinärer Symboliker zu sein, um zu empfinden: das; hinter den Kompositionen der Wirklichkeit, wenn sich Natur- und Kulturgeschichten ineinö-biiden und begleiten, jede Dichtung und Ausdeutung dcs Menschenwitzes weit zurückbleiben muß. Gewißlich wahr, Aegypten hat vor allen Dingen Grund gehabt, ein Mosaikbild des versteinernden Medusenhaup' l^'s zu konserviren, denn das Symbolum und Princip seines Regiments und seiner Kultur ist Versteinerung und Mosaik. Die DomMisMe. Für die folgende Kleinigkeit über die Pompejusfäule sei mir, um einer leicht möglichen Mißdeutung vorzubcugeu, eine Bemerkung vergönnt. — Man kann nicht füglich von Alexandria, rcferiren, ohne die Alexandrinische Gelehrsamkeit zu bedenken. In verbindlicher Weife geschieht dies natiirlicherniaßcn nicht; — schon weil man an so viel Alcxandrinisches in unsern Tagen erinnert wird. — Mißliebige Anspielungen aber auf wahre, lebendige Wissen-schaft und Kunst wird sich Derjenige au, wenigsten zu Schulden kommen lassen, der in Aegyftteu oder in einem andern halbbarbarischen Lande erfuhr, wie wenig der Mensch die bloße Natur auszuhalten vermag; und daß eben der Geist, welchen echte Gelehrsamkeit vertreten und groß ziehen muß, den andern Pol und Factor aller segenbringenden Kulturgeschichten in sich begreift. Meine geehrten Leser wollen überhaupt weniger wissen, was ich in Alexandrien und in ganz Acgypten hätte denken sollen — als was ich dort gescheuter- oder närrischerweise — 77 — Wirklich gedacht; — und darum berichte ich ohne Winkelzüge und Schönpflästerchen harmlos, was ich meditirt und notirt. — Die aller Welt bekannten und eben deshalb von mir bis "n's Ende aufgesparten Merkwürdigkeiten Alexcmdricns, um derentwillen der Alterthumsforscher von dieser Stadt Notiz «u nehmen pflegt: sind die beiden ägyptischen Obelisken, die sogenannten Nadeln der Kleopatra (aus der Periode der Könige Illntiimoki» Hl. im 16. Jahrhundert vor Christo; später des Mg,in8S8.M-Hinun) und die Pompejus jaule, welche nach der griechischen Inschrift an der Basis dem Kaiser Diokletian vom Präfekten Publius geseht worden ist*). Die Höhe der ganzen Säule, die frei von Schutt auf einem elenden und sehr defekten Fundament von unbehauenen Steinen steht, beträgt mit Knauf und Sockel (welcher letztere cms einem besonderen Granitblocke zugehauen ist) nach der Angabe von Prokesch !)8 Pariser Fuft. - Der Schaft, aus einem Granit mit viel rothem Feld' spath eingesprengt und uon den Nil-Katarakten gebrochen, 'nißt 63 Pariser Fuß Höhe; oben 7 Fuß 3 Zoll im Durch- *> Lepfius hat noch einen bis dahin unbekannt gebliebenen ^öniaMameu, dcr auf den äußersten Rändern der vier Seiten ein-ssrschiil'bcn war, erbcutct; eben so auf einem Block des Unter» baucs an der Pompejussäule das Thronschild des zweiten Psam-"nticb erkannt. — 78 — messer, unten auf dem Picdeftal 8 Fuß 4 Zoll. — Die Säule verjüngt sich dem Auge wundervoll, und ist überhaupt ein Meisterstück der Proportion. Eben aus diesem Grunde geht es dem Beschauer mit dieser schönsten Kolumne der Welt, welche (die Alcrandersscmie in Petersburg ausgenommen) auch für den mächtigsten Monolith in Säuleuform gelten darf, -— wie mit der Peterskirchc und den Pyramiden, deren Kolossalität um ihres glücklichen Ebenmaßes vom Auge unterschätzt zu werden Pflegt. Sinn und Geist fassen selten vom ersten Moment mit vollkommenem Bewußtsein, was ihnen erscheint. Es bedarf dazu einiger Sammlung, des Kontrastes und eines Maaßstabes zum Vergleich. — Für die Pompejussäulc giebt es einen solchen nicht, sie steht einsam auf einer Anhöhe, mitten unter kahlen Kalkhügcln, in einer Wüste von Scherben und Schutt. Wie zur bestimmteren Ausdeutung befindet sich noch ein schöner Fned-hof ganz in der Nähe, mit Aloepflanzen auf den Gräbern, und aufrecht gestellten Grabsteinen, an deren oberen Enden Turbane ausgemeißelt sind: aber nirgend giebt es einen Baum, einen Strauch oder nur einen Grashalm, mit welchen« der Wind spielen könnte; denn jene stachlichten, steifen, dicken Aloe un geh euer erscheinen wie von grünem Stein oder Metall. Kein Ton einer lebenden Welt tönte zu dieser Todesstatte herüber; kein Vogel flog in jenen Augenblicken über diese Kirchhofstelle einer vernichteten Riesenstadt, die durch ^ 79 __ den allmachtigen Willen eines WeltenstürmcrZ aus dem Nichts hervorgerufen, für die gebildeten Geister dcr alten Welt nenn Jahrhunderte hindurch eine Weltstadt geworden war. — Die Jahrhunderte rollten vorüber, — sie versanken wie eben so viele Tage und Augenblicke im Meere der Zeit; und >nit diesen Jahrhunderten, den Weltsekunden, sank auch die cingewcidlose, Nimmersatte, bucklichtc Niesenhexe Schulgclehr-samkeit, die seelenlose, todtgeborne Tochter des Gedächtnisses, in ihr zeitlebens ausgeholtes Grab; und über sie hin stürzten die Trümmer ihrer Schulstätte, der wissensftolzcn Alexandria und über diese hinweg die alte und ncue Fluth: Menschen» leben, Weltgeschichte, Natur'. —Hier, zu dieser Grab« saulc der Alcxaudriniscben Weltgelchrsamkeit, die am hohlen Formalismus und Schematismus, am Notizenkram eines c»t-seclten Gedächtnißverstandes zerkrümelte und zerbrach: müßten die Schulweisen wallfahrten, um ihren Hochmuth zu Paaren zu treiben, um ihre thönernen Götzen: Grammatik, Logik und Mathematik, um ihren Vokabel«', Ohablonen» und Notizenverstand an diesen Topfscherbenbcra.cn, auf diesem Felde von Kalk- und Leichenmoder, in seinem letzten Stadio zu beschau'n. Und was spiegelt sich denn in der einen stehen gebliebenen Säule, was bedeutet sie selbst mitten in dieser Gräberwüste von Schutt? — Vielleicht das Gegentheil von überfressener todter Gelehrsamkeit, nämlich: Ebeinnaft, Schönheit, — Welt' Ökonomie; eine Harmonie, die auch den todten Stein beseelt, die erdenschweere Masse überwindet und an — 80 - ewig schönen Verhältnissen, in den ewig klaren Aether zum Himmel hinansteigen darf, — während die Ungeheuerlichkeit, der todte Mechanismus, die garstige Ver-standeßuuzucht und jede Sünde wider Lebcnsschönheit und Wcltökonomie in Scherben zerbröckelt, dem Grdenstaube zurückgegeben wird. Mit solchen Gewissensbissen flocht ich «alte Gedanken und neue Grillen" zusammen; aber es war mir, als sei ich verdammt, den Faden zu drehen, der durch das alte und neue Labyrinth der Weltmysterien führt. — So sann ich und käuetc an dem Staube, den mir die Alexandrmische Gelehrsamkeit aus Rache zwischen die Zähne warf, so stand ich vor der wunderschönen, durch Harmonie die alte und nene Welt verbindenden Säule, und neben mir me-ditirte vielleicht mein querköpfig obstinates Reiteseleiu, das zum Hündchen am Sockel der Riesensäule verschrumpfte, wic ich selbst zu einem Gnom: — das Alles schien mir verdammt anzüglich komponirt, daß machte mir immer melancholischer und fataler zu Muth: — da störte mich der Gseljunge aus dem Traum. Er mahnte zum Aufbruch, denn wir wollten noch zu den Granitnadelu der Kleopatra hin; und als ich nun diesen nackten (sicerone so recht ins Auge faßte, da schienen mir seine Glicdmaßen cbcn so proportions und schön, wie die Verhältnisse der Pompejussäule zu sein. Erkenne die ausgleichende Gerechtigkeit! tönte es in meinem Innern, welche die Menschenwerke, die Werke des — 81 — reftektirten Menschenwitzes, die falschen Künste und Wissenschaften zerschmeißt, aber die Schöpfungen der Natur und Rebernatürlichkeit, den Menschenleib, die Menschenschöne, die Seelenschönheit im Sturme und Sturze aller Zeiten heilig erhält und keinem Stande, keiner Race entzieht! Ich verbissener Tiefdenker, ich marinirter Kleinstädter harmonirte den Guckuck mit der wunderschönen Denksäule; aber der schlanke Eseljunge, das schien mir klar, der paßte nackt wie er war auch ohne Ziselirung und Drapirung als Bildsäule, als lebendiges Symbolum des heutigen Aegyp« tens und Alerandriens zu dieser Kolumne, und zwar oben hinauf!! Also: ob alte oder neue Welt:---------Schön- heit, Harmonie, Oekonomie bleiben ihrunverwüst« liches, ihr unsterbliches Prinzip! Zu diesem ethischästhetischen Schluß muß ich aber leider eine garstige Nachschrift hinzufügen: Vom untersten Theile des Schafts hat die Barbarei der alten Zeiten cin mäßiges Stück fortgeschlagen, — die moderne Kulturbarbarei dagegen mit ellenlangen und handbreiten schwarzen Buchstaben den ganzen Sockel bepinselt und die verdammten Namen schamloser Weise bis in das aus einem Stück mit dem Schafte gehauene, entweder nie ganz fertig gemeißelte oder ganz verwitterte korinthische Kapital, wie an einen ästhetischen Pranger hingeschmiert. Die Schwierigkeiten, da hinaufzukommen, sind so kostspielig und ihre Lösung setzt so viel Raffinement voraus, daß sie nur von bemittelten und 6 — 82 — sogenannten gebildeten Personagen absurder und schamloser« weise überwunden worden sind. — Die nackten Araber also haben der Säule keinen Schaden zugefügt, aber die bekleideten Europäer, die gebildeten Fremden, die Weltreisenden thun den schönen Kunstwerken, sich selbst und der Civilisation solchen Schimpf! — Gs wird aber nicht blos an der Pompejussäule oder an den Pyramiden und in den Gräbern zu Theben, sondern an allen Kunstwerken, Dingen, Orten und Stellen, die irgend abzulängen oder begreiflichermaßen nicht zu erreichen sind, diese Entweihung und Besudelung mit Nnmcninschriften verübt. Man findet kostspielige, halsbrechende, scharfsinnige, mühselige, ja ganz unerklärliche Manöver und Operationen im Dienste dieser chronischen Inschriftenmanie und Namens-Prostitutions-Versuche exekutirt; dergestalt, daß es mich stellenweife gleich« wohl gerührt und nachsinnend gemacht hat: denn das Ding will doch, so garstig und abgeschmackt es an sich erscheint, auf Verewigungs- und Unsterblichteitsbedürfnisse hin« aus. Die arme Dutzend- und Commißseele will nicht im Meere des allgemeinen Lebens ersäuft, sie will ihre Namenshieroglyfthe von der Welt buchstabirt, sie will also wenigstens einen Hauch und Schatten ihres Sonderwc-sens aus dem heillosen entsetzlichen Nichts, aus der Erden-uergänglichieit für ein paar Weltaugenblicke gerettet sehn, welche der Erdenverstand Jahrhunderte nennt; —und die Helden, die Propheten, die Genien aller Zeiten erreichen ja — 83 — auch nichts mehr. Gs ist ja Alles Schattenspielerei; und wenn der irdische Ruhm das irdische Verdienst und die irdische Weisheit oder Heiligkeit sich dem allgemeinen Grdennichts nicht entziehn, — wie wäre denn im Grunde besehen die Abgeschmacktheit und die Narrheit und die irdische Prostitution eine Realität oder viel mehr als ein Nichts! Vagebuckk-Iotken in Alemmlnen, bnnt und lrans. Das Haus des österreichischen Konsuls Laurin soll auf der Stelle stehn, wo nach Pausanias Beschreibung die Aleran« drinische Bibliothek gestanden hat. -— Ueber ihre Stelle (oder richtiger über eine von den Stellen) will man durch den einen noch aufrecht stehenden Obelisken der Cleopatra und die eben so weit zu schauende Pompejussäule orientirt sein. Auf der vermeintlichen Stelle der alten Bibliothek sind Bildsäulen und selbst Bücherkisten (7) oder solche Geräth» fchaften und Bruchstücke von Mobilien ausgegraben, die darauf hinweisen, daß sie zu einer Bibliothek gehörten und Spuren eines Brandes sollen deutlich an ihnen zu erkennen gewesen sein. „Hammer" behauptet (entgegen neueren Annahmen, zu Folge deren: ein Haufen fanatischer Christen unter Anführung des Erzbischofs Theophilus den Tempel des Jupiter Serapis, und mit ihm die Büchersammlung zerstört habe): 85 Omar sei und bleibe der Zerstörer der Alexandrischen Bibliothek, — die einstimmigen Zeugnisse der alten Schriftsteller würden durch nichts entkräftet. Alexandrien hatte in der Blüthezeit (>00,000 Einwohner. Gin Mamelukensultan stiftete auch eine Bibliothek zu Alexan« drieu, die bereits 000,000 Bände gezählt haben soll. Die von den Ptolemäern gestiftete Sammlung wurde auf 400,000 Bände oder Rollen geschäht und umfaßte die ge° smnmte römische, griechische und ägyptische Literatur. — Der größere Theil war im schönsten Theile Alexandria's, im Nruchium, aufgestellt, und verbrannte während der Belagerung durch Julius Cäsar, wurde aber durch die Pergamische Bibliothek ersetzt, welche Antonius der Cleopatra zum Ge» schenk machte. (Brockhaus' (5onverfationö-Lexikon.) Gin italienischer Schneider in einem schön dekorirten Magazin des Frankenviertels hinter Glasthüren arbeitend:c. for« dert für ein Klick, das er meinem tuchcnen Reiserock unter der Achsel appliziren soll, die Bagatelle von einem ägyptischen Thaler (1 Thlr. 10 Sgr.). Ich werfe ihm höhnisch ein Kuß. Händchen zu und acquirire mir richtig einen deutschen Schnei« der, der meinen Schaden für 10 Sgr. reparirt. Ein Deut' scher ist alfo nur zum vierten Theile fo unverschämt wie ein Italiener oder minder logisch und eben drum richtiger gesagt: — 86 — ein Deutscher ist sogar am unrechten Orte verschämt. Heute habe ich die ersten Ginkäufe für die Nilreise gemacht. Gine Decke von brauner Naturellwolle, wie sie jeder Araber zum Schlafen und gegen kalte Witterung gebraucht, für 27 Piaster (n 2 Sgr.); — ein großes Küchenmesser IN Piaster; — ein Blechbecher 25) Para (15, Pf.); — zwei Buch schönes Mundirpapier 5 Piaster; — ein viertel Quart< kruke mit D inte 4 Piaster; — acht Stahlfedern 2 Piaster; — Bleifedern a I Piaster; — ein Naturellstock wie von Faul« bäum 1 Piaster und 10 Para (2 V, Sgr.). -^ Dabei habe ich in einer ordinairen Voutike, zwei Gläschen (>yperwein mit Wasser und ein Weißbrot verzehrt.- machte 2'/2 Piaster, wofür man's bei uns nicht bekommt. Für eine auf zehn Stellen zerrissene uud geflickte Matratze mit einem ungeflickten Loche, daß man eiuen Kindskopf durchstecken konnte, — sollte ich 100 Piaster, also 6 Thlr. 20 Sgr., zahlen. Man versicherte mich, die pure Baumwolle, mit der die Matratze allerdings gestopft war, habe den geforderten Werth; die Einschüttung sei dabei umsonst. Da ich mich aber nicht auf den Baumwollenhandel, sondern nur zu Bette zu legen gedachte, so fiel meinem kind« lichen Gemüthe das liebenswürdige Reimlein ein: „Hab ich kein Bettelein, Schlaf ich auf Stroh, Sticht mich kein Fcderlem, Beißt mich kein Floh." und kaufte mit Hülfe eines deutschen Sattlers 8 Ellen sehr — 87 — breiten starken Sackdrillich k 2'/, Piaster die Me; — be» trug I Thlr. 10 Sgr., und der deutsche Meister fertigte davon eine Matratze zum Zusammenlegen eingerichtet und mit Stroh ausgestopft, auf der ich während der ganzen Nilreise, nämlich sieben Wochen hindurch, eine ganz leidliche horizontale Lebensart verführt habe, falls ich ein chronisches Hüftweh und einige akute Kreuzschmerzen aus der Matratzenrechnung fortlassen will. Wenn ich also die Wahrheit sagen soll, so geb' ich das nächstemal, Wenn's wieder so kommt, lieber 6 Thlr. 20 Sgr. für ein Baumwolllager als gar nichts für Stroh. Allzu« klug ist dumm. Falls ich die Nilreise von Alexandrien nach Kahira nicht mit dem ägyptischen Dampfschiffe machte, welches etwa .'M Stun« den gebraucht und auf dem zweiten Platze incl. freier Be« köstigung 20 Thlr. kostet, sondern mir auf einer ordinaire« Frachtbarkc eine Kajüte bedinge, welche 60 bis 80 Piaster zu kosten pflegt, so mich ich mich für die vier bis sechs Tage, einer mittelmäßig schnellen Fahrt, (denn sie kann auch 14 Tage dauern) freundlichst selbst beköstigen und bekochen; und brauche dann in diesem durchaus positiven Verhältniß vor allen Dingen circa nachstehende Dinge: Stearinlichte, Steinkohlen, ein kupfernes Kochgeschirr, welches hier sehr nett und praktisch fabrizirt zu haben ist, und aus einem allerliebsten ansgezinnten Kessclchcn mit genau — 8X — schließendem Deckel besteht, welcher Letztere den Teller hergiebt, Brot, Wein, z. V. Marsalla (ein gekochter und mit Sprit versetzter Madeira), lebendige Hühner, Gier, brauuschweiger Wurst, Zucker und Kaffee, Datteln, Reis, Käse, Annisbrannt« wein für die Schiffsleute und für mich (am Morgen gegen die kalte Luft), — ferner: Schuhwichse und Schuhbürsten, Pfeffer und Salz, — Zitronen und Apfelsinen, — Oel und Butter, auch Zwiebeln nicht zu vergessen, — und bittre Mandeln, um das Nilwasser zu klären. ......Vor allen Artikeln aber: Meines Geld, d. h. Piaster- und Drei-Piaster »Stücke — Fünf-Para- und Zehn-Parastücke. — Für einen österreichischen Maria-Theresienthaler (es kann auch ein Josephs- oder Franz-thalcrstück sein) giebt del- Alerandrimsche Wechsler 19 Piaster in ..I'aään" (kleine Münze), während der Thaler in der That 2l Piaster werth ist, und auch so in Zahlung angenommen wird. Gabeln, Messer, Blechlöffel, Handtücher, Servietten, ein Paar Topf tücher, ein halb Rieß Löschpaftier oder Makulatur, Wasserflaschen von gebranntem und ungebranntem Thon tttulü,) und dergleichen Schüsseln; mehrere Blechtöpfe und Blechgcschirre (hier sehr billig) sind gleichfalls nicht zu vergessen. — Zündhölzchen und Wachsstock habe ich bereits. — Sollte was Nothwendiges in die Gedächtnißritzen gescharrt sein, — so muß es der Witz wett machen. — Gine schöne Wirthschaft dürfte es aber mit mir jedenfalls abgeben, denn ich verstehe doch noch immer verdammt wenig Arabisch, — und mein französisch-arabisches Vokabularium, von 89 einem Consulatssekretair Nolden hier herausgegeben (1844), läßt in der Aussprache sehr ungewiß. Den Kochsssehülfen macht gegen Bakschiesch ein nackter Matrose auf dem Schiff. Wenn in Aegypten auch nicht im Ächte des Geistes große Geschäfte gemacht werden, so giebt es doch mancherlei Handgriffe, Praktiken und kürzeste Prozesse in ökonomischen und technischen Verrichtungen, die sich auch ein zivilisirtes und besonders ein gelehrtes Menschenkind kä notam nehmen kann. Ich habe mirs übrigens schon zu Hause gedacht: eiu Gescheuter ist nicht überall und immer gescheut, und ein Dummerjahn oder Barbar nicht in jeglichem Punkte und in allen Augenblicken barbarisch und unwissend oder dumm. — Es hat mich also außerordentlich belehrt und frappirt: wie sich der halb' nackte Araber in allerlei Künsten und Handwerken mit seinem Mutterwitz praktisch aus der Affaire zu ziehen versteht. — Diese Praxis besteht vor allen Dingen in einer Einfachheit, Kraftersparniß, Nnmittclbarkeit und Oekonomic, durch deren Wahrnehmung sich der Zivilisirte, falls er ein poetisches Ge> müth besitzt, sehr behaglich in die Zeiten von Abraham und Adam zurückversetzt fühlt. Solche Schmieden und Werkstätten, wie hier zu Lande, hat der menschliche Verstand sicherlich schon im ersten Dccen-nium der Schöpfung erfunden, oder gar im ersten Jahr. Hier liegen die Künste, die Handwerke und die ganze Lebens« — 90 — ökonomie in den Windeln. Nichts ergötzlicher und patriarchalischer, als wie hier z. B. Weizen und Spelt gemahlen wird. — Gs ist da ein senkrechter Vaum zu sehen; in demselben ist ein krummes Holz horizontal eingezapft, an welches ein Esel oder Ochse dergestalt angespannt wird, daß er in einer Art von Gurt, mit Hals und Brust wie in einem Pferde'Chomonte steckt. Am untern Ende des um seine Achse gedrehten Baumes befindet sich das Triebrad, dessen Zahne unmittelbar in die Kurbel greifen, die eben so ungenirt den kleinen Mühlstein zu drehen scheint; und Wenn's ihr auch aus Gründen der Mechanik ein bischen sauer anzukommen pflegt, so schiebt sie das auf den Esel oder Ochsen zurück, die dafür ein bischen strammer anziehen müssen, was dem Araber keine Kopfschmerzen macht. - Unter Kraftersparniß wird in diesem Lande eine unmittelbarste und handgreiflichste Arbeitserleichterung oder Arbeitsmuße für den Menschen und Herrn, sodann eine scheinbare, d.h. augenblickliche Geld ökonomie, endlich noch in allen Fällen Gedankenökonomie verstanden. Wenn eine Sache, eine Maschine oder Prozedur nur vorläufig — d. h. die ersten 24 Stunden oder Tage hält und geht, so ist das schon hinlänglicher Grund, sie einer kost« und zeit-fpieligern Vorrichtung und Operation vorzuziehn, selbst wenn dieselbe zehnmal so viel leistet und r-mal länger hält. — An die Zukunft denkt nun einmal der Araber nicht, und über die nachfolgenden Geschlechter oder das Ende der Welt zerbricht er sich nicht den Kopf. — Also seine angeborne Faulheit und — 91 — Lethargie giebt seinem gesunden Witz allerdings die möglichst kürzesten Methoden für alle Arbeitsprobleme an die Hand — aber ohne dabei aus dem Punkt in die Weltkreise, — d. h. über die Forderung und den Impuls des Augenblicks hinaus-zugchn. Die Göthe'sche gereimte Sprichwörtlichkeit: „Willst Du Dir ein gut Leben zimmern, mußt um's Vergangne Dich nicht kümmern," ist hier die überflüssigste Mahnung und die größeste Nngermntb/it von der Welt, und das „Ansichkom-menlassen" kriegt der dümmste Araber besser fertig, wieder klügste deutsche Praktikus oder Philosoph. ^ Beide sind, verglichen mit Halbwilden: viel, zu geschäftig, zu umständlich, zu kraftverschwenderisch', zu kihlich in Geschäftssachen, überhaupt zu hastig und aktiv. — Der Araber temporisirt. Am aber mein angefangenes Pensum herunterznmahlcn, so bemerke ich noch: die Art, wie das Korn von oben in die Mahlsteine geschüttet wird und unten als Schrot herauskommt, und wie dieses weiter von Kindern und alten Weibern zu Mehl gesiebt wird, ist so lustig einfach, daß man einen förmlichen Widerwillen vor aller ordentlichen und kom-plizirten Maschinerie bekommt; und daß einem die ordinärste Bockwindmühle, trotz ibrcs steifen Genicks, wie ein höchst fa-talcr, raffinirter und fast sündhafter Mechanismus erscheint. Man kommt bei so einfachen Instrumenten, Maschinen und Lebensarten in eine paradiesische Illusion! Eben so kunstlos, naiv und robinsonartig arbeiten die ara- - 92 — bischen Waffenschmiede, Schlosser und Büchsenschäfter. — Vor einem Blasbälglein, das lange nicht für einen „Bruder Redner" aushielte, find ein Paar Ziegeln zu einein kleinen Arbeitsaltar gemauert, aber weder Schornstein noch Rauch-mantel vorhanden, — da dem Dunst und Rauch der Abzug durch Thür und Luken unvenvehrt ist, falls er es sich nicht lieber bei den Leuten in der Werkstätte gefallen lassen will. — Und diese Natnrkünstler fabriziren nicht selten die kunst» reichsten Dinge —: eingelegte Arbeiten, Ciselirungen, Gravi-nmgen u. dergl. m. — Nichts destoweniger mußte zu der eingelegten Arbeit an ein Paar Pistolen für den Said Pascha ein Italiener herangezogen werden: denn die Araber waren auch zu dieser ihrer Lieblingsarbeit gleichwohl nicbt sorgfältig und kunstreich genug. Die Stickereien und die Schnurarbeiten auf Wämsern oder Lederschuhen und Gamaschen sind bewun» dernswerth; aber ein solcher Künstler näht keine feste Naht; und so werden selbst die Kommißuniformen von deut» scheu Schneidern gemacht. Holz wird wie in Berlin und Breslau mit zugeschärften Hämmern gespalten und dann mit scharfer Haue beHauen. — Gs kommen Stämme von Fichten und Lärchen über die See von Karamanieu Hieher; sie werden dann gebrettschneidert und zu Balken geschnitten, die nicht stärker wie starke Latten und höchstens wie schwaches Kreuzholz gerathen; und da hier weder Bau- noch Brennholz eristirt, so nimmt man so vor« lieb. Gleichwohl ist das Vauen in Alerandrien lnstig an° __ gZ __ zusehn, weil es gar so einfach, unschuldig und kunstlos vor sich geht. Man klebt Bruchkalksteine von jeder beliebigen Form, ohne alle Skrupulosität zu Wänden; lW Löcher für Fenster und Thür, die sich etwa so wie die Fluglöcher an Bienenstöcken ausnehmen; — deckt über die Umfassungsmauern Latten oder Stangen, verschmiert diese mit Kalk oder legt Bohnenstroh, Strauchwerk und Steine drüber hin; fertigt einen kürzesten Schornstein von Luftziegeln, wenn inan sehr witzig fein will, dazu eine ganz rohe Bietterthür, mit einem Holzriegel versehn; — und die Vorstadtwohnung ist comine il laut. So einem Gasfenbarbier sieht sich auch prächtig zu. — Die Messer schneiden so lustig, wie in christlichen Ländern auf einem gebrühten Schwein, das von den Haaren rein geputzt wird. Am Thor von Rosette habe ich Lafetten auf Radern gesehen, die aus zusammengefügten Bohlen bestehn: die öetztern rund geschnitten, mit Eisen beschlagen und in der Mitte für die Achse mit einem Loche versehn, geben das Rad für die ägyptische Artillerie, im unschuldigsten und kürzesten Prozeß. Bei uns wills doch mehr Umstände und eine kostspieligere — 94 — Kunst, bevor man laden und losschießen darf, und wenn auch nur vom Wall. Vor dem Thore von Rosette übten sich Trommelschläger und Pfeifer, zusammen 96 Mann ^ ich habe sie der Kurio> sität halber gewissenhaft gezählt. Die Hufeisen für Esel und Pferde sind hier eine Platte mit einem Loch in der Milte. — Die Nägel werden den Eseln so hoch hinauf in die Wand des Hufes genagelt, wie es bei Pferden niemals geschehen darf. Sonderbar, daß man Holz und Eisenwerk nicht mit Ocl» färbe streicht, da hier wegen der Mecresausdimstungen der Rost Schlösser und Riegel dergestalt verdirbt, dcch man mit solchen von Holz zu Hülfe kommen muß. — Diese Holz-ricgel find Meisterstücke des arabischen Raffinements; sie haben eine Anzahl Löcher nach einem Muster, das mit eben so vielen Pflöckchen oder Nägelchen auf ein besonders Instrument übertragen ist, mit welchem dann der kuriose Riegel erst nach einer Minute langen Arbeit von dem eingeweihten mid routinirtcn Sachverständigen fortgeschobcn zu werden ver« mag. ^ Dah ein Dieb Thür und Riegel mit einem Fuh< - i)5 ^ stoß zerbricht, ist eine Sache für sich; cs giebt doch ein Geräusch, und der Araber hat einen sehr leisen Schlaf, dem kein feiger Dieb so leicht traut; und feige ist der halbzivilisirte Araber gewiß. — So hatten sich denn die arabischen Künste, Eigenschaften und Lebensarten gegenseitig im Schach. Der deutsche Handwerksbursch arbeitet das Beste, hier, wie selbst in London, Paris und in der ganzen Welt. Der Deutsche ist der Handarbeiter i»lu' plvt'ereneo. Ich habe das Marinearsenal und ein fast fertig gewordenes Nildampfschiff gesehn. Deutsche Arbeiter machen die Tapezierung und die Fußbodenparketts. — Auch in diesem Schiff ist, wie überall, das Geschmackloseste und Stümperhafteste, — die Pfuscherei mit der Meisterschaft zusammengestellt. Die Gallcrie auf dem Verdeck wird von deu Ara> bern ganz ordinair abgeprudelt, und die ausgelegte Fußboden» arbeit ist eine wahre Kunstfertigkeit und königliche Pracht. In diesem Arsenal befinden sich Werkstätten mit Drehbänken, Maschinen und Modellen angefüllt. Es arbeiten da auch geschickte italienische und deutsche Gesellen, aber cs fehlt an Vollständigkeit des Materials, an Vollzähligkeit der Arbeiter, an ineinander greifenden Thätigkeiten, letzten Konsequenzen und Accenten, an einem das Ganze übersehenden und leitenden Kopf. - Es geschieht hier Alles halb. Man fängt unzählige Dinge mit Gifer an, erjchrickt auf halbe,» Wege - 96 — vor den Ausgaben und Schwierigkeiten, findet das Aufge» wendete für Spaß und Dilettantismus zu viel, für Ernst und Meisterschaft zu wenig und läßt mitten in der Arbeit und im Orgamsiren Alles stehn und liegen, bis es mit den historischen Ruinen und allen andern Alterthümern hübsch in Harmonie geräth. — Dies ist der hiesige poetische Verlauf in probirter Industrie. — Dilettantismus, Pfuscherei, Oberflächlichkeit, „furchtbare, unglaubliche Lüderlichkeit" ist dieser Araber und dieses Landes Fluch. — Der Araber ist unser Jude ganz und gar: unternehmend, erwerbslustig, spitzfindig, haarspaltend, fügsam und widerstandszähe zugleich — im Handel und Wandel ausdauernd, hartnäckig, praktisch, raffi« nirt und geschickt: ist er gleichwohl kein tüchtiger und ehrlicher Arbeiter, in keiner Handarbeit oder Dienstleistung zuverlässig, gewissenhaft, propre und akkurat. — Weil es so ist, werden die inländischen Arbeiten elend bezahlt, und weil sie so elend rentiren, werden sie, wenn möglich, noch schlechter verrichtet wie honorirt. Aus diesem Zirkel führt kein Weg hinaus. — Es ist eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Gs fehlt auch an inländischen Instrumenten, wie Handwerksschulen, und die fremden Profcssiomsten kommen nur ab und zu. Im obern Stockwert des Arsenals saß da ein Araber, der Elfenbein und Ebenholz abdrehte. Seine rechte Hand setzte mittelst eines Fiedelbogens die Drehscheibe in Bewegung; den Meißel führte er mit der linken Hand und mit den Zehen der Füße half er der Hand nach. __ H^ __ Die polnischen Juden in kleinen Städten nnd ihre Kinder haben mich vollkommen für die Araber praparirt. Hier wie in Polen unter den Juden: dieselbe Lüderlichkeit und Unregelmäßigkeit, derselbe Schacher und Schmutz. Keine Haltung, keine Einheit, keine Spur von Styl und Geschmack, bei irgend einer Gelegenheit, in irgend einem Akt oder Ding: außer in der ursprünglichen Kleidung und väterlichen Sitte, also in den Dingen, welche Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch der Natur» und Menschengeist krystallifirt und produzirt hat. Ob aber eine Sache krumm oder schief steht, ist den Leuten hier egal. Das Einmauern von Holz und Latten ohne be» sondern Zweck, bloß weil das Holz zur Hand lag, ist hier überall im Gebrauch. Der Araber wie der Jude bei uns haben für die besondere Natur der verschiedenen materiellen Stoffe und die in ihnen begründete Anwendung in Künsten und Handwerken keinen Sinn und Verstand. — Jude und Araber mengen und mischen was sich verträgt und nimmer vertragen will; sie haben keine Spur von Geschmack. Das Unverträglichste zu kombimren, ist für ihren Witz eine aparte Satisfaktion. Ein kleines Minaret haben sie von hinten auf eine Mauer, vorn aber auf zwei Säulen gestellt, von denen die eine ganz harmlos 1'/, Fuß niedriger wie die andere ist, und damit diese Verschiedenheit ausgeglichen werde, so sind über den Knauf der kürzeren Säule Bretterftückc gelegt. Ich rechne dergleichen nicht zur menschlichen, sondern zur bestialischen Naivetät. ? - 98 — Wer in Polen und Westpreußen solche schlechtgepfuscherten Iudenschulen und Synagogen oder Krug'Gasth auser in hoch-adeligen Dörfern gesehn hat, denen so cine Art von Fayade und Styl applizirt worden ist, der besitzt einen anschaulichen Begriff von dem modernen arabischen Baustyl und der auf ihn gewendeten Präzision. Die Maurerei ist unter der Schwalbenkritik und die Tischlerei unter den Produkten des russischen Beils, das ebenfalls Meisterstücke der Pfuscherei in Holz auszuhauen versteht. Keine Thür, kein Fenster und kein Eisenbeschlag ist mit Oelfarbc angestrichen, und gleichwohl verrostet dasselbe von der Seeluft durch die Zusammen-Wirkung von Hitze und Meeresfeuchtigkeit, aus der sich Salz niederschlagen muß, schneller wie irgendwo. Auch die türkischen und griechischen Schiffe erkennt man wie die ägyptischen an dem Schmutze heraus; sie sind weder mit Oel gestrichen noch getheert. Vei Engländern und Amerikanern erscheint Mcs schmuck und wie neu. Holz zum Bauen und Brennen kommt von Karamanien in Syrien. — Das Brennholz ist nur Knüppelholz. Der Zentner oder Kand ahr, das ist 44 Okka (105 Pfd.) kostet 12 Piaster. Holzkohlen kommen aus Griechenland, der Kan» dahr für 15—20 Piaster; — und sie werden meist zum Kochen gebraucht. Eine Kameelladung Wasser von 4 Säcken wird mit 3N—40 Para bezahlt. Spiritus wird aus Italien, — 99 — England und von den griechischen Inseln gegen zehn Prozent des Werths Eingangszoll bezogen. Alle andern Produkte zahlen fünf Prozent ihres Werthes und die Schiffe sind abgaben-frei. — Ein Franke zahlt in Aegyptcn keine direkte Steuer, feine Gewerbe» und Kommunalsteuer. Der ägyptische Unterthan aber entrichtet in der Stadt Gewerbesteuer und auf dem Lande den Zehnten. Gutsbesitzer und Bauern giebts auf ägyptischem Grund und Boden nicht; — dieser gehört dem Vizekönige, seinen Oberbeamten und Günstlingen, den Paschas und Bcys. Sie erhalten Güter zur Ginnahme anstatt eines baaren Gehalts, oder neben demselben zum Taschengelde. — Jeder Dattelbaum kostet für das Jahr zwei Piaster Abgabe; dies hat zur Folge gehabt, daß die Fellahs ganze Plantagen abhieben; — hinterher mußten sie für die abgehauenen Bäume zahlen; ein Datrelbaum aber trägt erst viele Jahre nach seiner Pflanzung Frucht. Das Kochen und Backen der Oclfladen, in welche Eier geschlagen werden, ist höchst einfach und schnell. Die Mahlzeiten werden überhaupt sehr frugal und ohne alle Umstände abgethan. So ein armer Araber kommt mit cinem ausgehöhlten Brode zum Dattelverkäufer, läßt sich dasselbe für fünf Para voll Frucht schütten und ist zur Noth für den ganzen Tag arrangirt, und jedenfalls vor dem Hungertcde geschützt. Das will in unserm Klima schon gründlicher bedacht und abgefüttert fein. Die hiesigen Mühlen beuteln kein Mehl, man siebt sich — 100 — also das Schrot zu Hause. — Der Preis des Speltes steigt nie bis auf 60 Piaster für das Ardeb (4 Verl. Scheffel). Am Ardeb Frucht haben drei Menschen drei Monate zu Brot und allein Bedarf, obgleich Brot hier das Fundament aller Mahlzeiten ausmachen muß. — Kartoffeln kommen von Malta (auch mitunter von da Kirschen). Eine Okka (2'/» Pfund Verl.) Kartoffeln kostet 60 Para (3 Sgr.) bis 2 Piaster (4 Sgr.). Eine Okka Butter 7 Piaster. Eine Okka Büffel-milch 50 Para. Gine Okka Reis 1'/^ Piaster. Geflügel, Eier und Reis haben hier den billigsten Preis. — 20-^2 4 Eier kosten 1 Piaster; ein Paar junge Hühner 1'/2 Piaster, alte Hennen 2 Piaster; eiu Paar Tauben 1'/- Piaster; — in der Brütezeit (durch Oefen) 8—12 Piaster. Auch bei Alcxcmdrien gicbts so viel Brutofen, daß ein Korb voll Hühner nur einen Korb voll Eier kostet. Eine Okka Mokka-Kaffee Prima-Sorle kostet 7 Piaster. Hier sind eine Art blauer Gurken zu Hause, blauschwarze „Petting ani". Es ist die Gurke von Zante, eine (5olo-auintenart; sie wird mit Reis und Fleisch (Pillau), und dann wird wieder das Fleisch mit Liebesäpfeln gefüllt, die hier „Pettingani achmer" (rothe Pettingam) heißen. Diese Liebesäpfel zusammt türkischem Pfeffer (MM), ungarisch p»-i)rika, ißt dcr Araber fast in jedem Gericht, wenigstens in jedem Fleisch; und ein Ragout ohne Liebesäpfel und MM ist keins mehr, und anch der deutsche Gaumen gewöhnt sich daran. — Was aber selbst demjenigen, welcher Neisspeisen für sein — 101 — Leben gerne mag, den Spaß bereits in Italien und vollends in Aegypten verdirbt, ist: daß in beiden Ländern dieser Reis nur halb und höchstens dreiviertel gahr und in keinem Falle ganz weich gekocht wird. Es giebt hier einen großen Zugfisch im Meere, Pala-tni^d es auf Griechisch genannt, der vortrefflich schmeckt, dessen Preis aber in Alerandrien mit der Wohlfeilheit der andern Lebensrnittel in keinem Verhältnisse steht, wiewohl er in den ordinärsten Garküchen zu haben ist. Dm ganzen Tag hört man von halbnackten Buben „Pekka-figi" (Feigenfresser auf italienisch) ausrufen. — Das find kleine Zugvögel, so groß wie Sperlinge oder Ortolanc. Der Araber legt fie um Mittag in den heißen Sand und schüttelt dann die so abgebrühten Federn ab. — Die Masse dieser Thierchen muß sehr groß sein, denn sie sind fpottwohlfcil und werden aller Orten verspeist. — Dieser Vogel ist der I dacht. — Was nur von Leguminen, von Bohnen, Lupinen, Kichern und Linsen, mit Ausnahme unserer weißen, gelben und grauen Erbsen, auf der Welt existirt, das wird in Aegypten-land gebaut. Jene Saubohnen heißen „I^Iil" und sind die gewöhnliche Nahrung für Menschen und Vieh, werden ge« mahlen oder geweicht, gekocht und dann mit Oel und Citronen» saft oder mit bloßem Salze verspeiset, ganz so, wie der pol» nische Jude seine „Kubi" (ebenfalls Saubohnen) verzehrt. Dem Kameel und Esel wird langes Heckerling mit Bohnen oder Gerste gegeben, bis das Grünfutter kommt. — Das Futter für einen Esel kostet täglich in Alexandria 30 Para (IV2 Sgr.) — Sein Kaufpreis variirt je nach Alter und Eigenschaften von 20 Thlr. bis zu 100 Thlr. österreichisch, also 30 bis 140 Thlr. preußisch. Ein Esel von der vorzüglichsten Race und Beschaffenheit ist gefuchter wie Maulesel und Pferd. — Die Kameelc sind alle einhöckerige Dromedare; — in Syrien trifft man häufiger auf das zweihöckerige Thier. Es ist größer und stärker und verträgt mehr Kälte wie das Dromedar. Die Kameele, welche nach Deutschland — 107 — kommen, sind in der Regel aus den Gestüten von St. Rosoro bei Pisa und aus Guastalla bei Piazenza*). Heute sah ich zu, wie ein Kameel mit Mahagouibrettern beladen wurde, jedes mindestens I V4 Zoll dick und 8 Fuß lang, und man packte dem fortwährend brüllenden, grunzenden und geifernden Thier 5N solcher Bretter aus, von jeder Seite Z5 Stück. Nimmt man jedes Brett nur zu 20 Pfuud an, so sind es !> (5tr. Gewicht; mit ihm mußte sich das Dromedar aufrichten. Die Last war offenbar zu groß. Das Thier mußte angestachelt werden, machte zuerst ohnmächtige Versuche und richtete sich dann, durch Mißhandlungen auf's Aeußerste gebracht, mit einer letzten Kraftanstrengung, zuerst mit den Hinterfüßen und dann mit dem rechten Vorderfuß in die Höhe, indem es unter Wlithgebrülle und mit einem Grunzen wie ein aufgestörtes Mastschwein den im Maule angesammelten „blub-berndeu" Speichel und Geifer mehrere Schritte weit von sich warf. Es war eine empörende Scene von arabischer Unvernunft und Thierquälerei, bei der man dem wüthenden, häßlichen und obstinaten Dromedar noch den Vorzug vor den besticnhaften Arabern gab. Für den Wüstenmarsch beladet ") i'evsius sagt: „Go hat sich von jebcr ein Unterschied geltend gemacht zwischen dem starten, schwerfälligen Vasttaniecl, schlecht-hin ,,Ac!insl" genannt, nnd dem jnngeni, geschmeidigern zugerittenen Rcittameel, welches „bs^ßw" genannt wird. —^'«>.^^o? c)/>a//«? sollte bei den Alten, 'vie der Name beweist, nichto de-deittcn als einen ?änfcr vc>n der leichten Na«. — 108 — man ein Dromedar mit Z und 4 Ctr., auf sehr langen Reisen nur mit 2 (5tr.; 9 Ctr. sind ein Maximum auf kürzeste Strecken. Die in Rede stehende Bretterlast betrug wohl über 10 Ctr. und das Thier versagte doch nicht den Dienst. So ein Kamecl ist ein Bild der Mühsal, der Ausdauer, der Geduld und Resignation, aber zugleich auch ein gründ» abscheuliches Becst, wenn man einen Augenblick von seiner vollkommen zweckmäßigen Organisation für die Wüste und die ganze Wüstenmenschheit abstrahirt. Dies Kameol allein kann dem sinnigen und hörigen Men» schen eine vernünftige Weltordnung und einen Gottesglauben beibringen. Es giebt kein Thier, dem so viel Symbolik anhaftet und so viel Physiognomie. Es ist ganz und gar zum Marschiren, zum Lastentragen und zum Entbehren geschaffen. Der Höcker entzieht das Thier auf den ersten Blick dem Ve-reiche der Schönheit und überweiset es dem der Nützlichkeit und des matcru'llm Gebrauchs. — Der ganze Körper, gleich, wie die Disteln abschneidende Zunge und der Rachen sind mit Schwülen und hier in Alexcmdrien noch mit Schwären und Wunden bedeckt. Der ungeheure, Vorraih fressende und saufende Panzen ist bei den Hmtcrfchenkcln hoch aufgeschürft und zwischen den hochgespaltenen, weit ausgreifenden Beinen gleichsam in Schwebe aufgehängt. Und damit diese wie durch eine Maschineric vorwärts geschobenen Stelzbeine, zu welchen sich — 109 — der ^eib und das ganze Thier fast nur wie obligat zu erhalten scheint, nicht in den Wüstensand versinken, so sind sie von der vorsorglichen Natur und Gottheit auf fleischige Ballen gestellt, die man bei den in Europa gezeigten fast vertrocknet findet, die hier aber, wo es der Marsch durch die Wüste gilt, ein Häuptbedingniß und aus den ersten Anblick ein frappantes Symbolmn sind. Und siehe, jcht segelt das befrachtete, durchaus nur materiell zweckmäßig und nirgend schön erschaffene Monstrum von kolossalem Schaft und Rindvieh wie ein Wüstenschiff los, und streckt den langen Storchvogelhals, mit welchem es die kleinste Distel abweiden kann, in eine durch keinen Weg und Steg bezeichnete Weltgcgend, die es bei Verlorner Richtung mit seinem Instinkte finden und einhalten muß; und vorauf segelt wie ein Lootsenboot der wagerecht gehaltene, antediluvianisch modellirte, wie in Wellen auf und nieder bewegte fabelhafte Schafskopf, der mit den langsam forttapsenden schweren Schritten wie der Regulator au einer leibhaftigen Dampfmaschine zu korrespondiren scheint. Wahr» haftig, man kann dies Geschöpf einer abenteuerlichen Naturlaune und Gottcsökouomie nicht ohne die sonderbarste Gemüthsbewegung ins Auge fassen, und ohne von ihm, wie von einem in die sittliche Welt aufgenommenen, fast tugendhaft zu nennenden Ungeheuer ergriffen zu sein. Ich für mein Theil mußte an meine Kindheit denken, wo Kameele mit Bären und Assen gezeigt wurden; der witzigste oder dümmste Gassenjunge auf das zweihöckrige, unter Gebrüll - 110 ^ niederknieende Ungeheuer gesetzt und beim Aufstehen desselben fast heruntergeschleudert, sich unter wüthendem Volksgelachter von dem menschlich grimmassirenden Affen beim Kopfe nehmen und in der Reinlichkeit visitircn ließ. — Unter der nie rastenden Musik einer Pfcnnigpfeife und kleinen Trommel mit einem einzigen Trommelstock geschlagen, dektanürte dann der Volks-rcdner und Gassenprofessor der Naturgeschichte folgendes vom Geschrei des Kamccls unterbrochene, streng wissenschaftlich for« mulirte Signalement: „Meine Grrn und Damn, betrachte Sie diese gar wunderbare Thier; — das Thier hab' sich eine Kopf wie eiue Schaf, eine Schwanz wie eine Hok's, eine Pukkel wie zwei kleine Ameisehaufe, eine Hals wie eine „Storchvogehl". —Das Thier hab' sich gespaltene Klaue, es kann gehn, in ehnem „Tohge" und in chnem Drohbe (Trabe) 30 bis 40 Meile, ohne zu fresse und zu saufe; — wenn es aber zu viel belade ist, steht es nikö wieder auf. Jetzt mak sie eine Komplement vor die ganze Gesellschaft!" ^ Das Kamcel gehorsamte mit einem ohrzerreißenden „Aih!" — Ach das war noch schöner, iwch wunderbarer und uiel lustiger wie hier m Alerandrien, — und wie irgend wo in der Welt! — Ueber das arabische Pferd kann man nichts Schöneres und mehr Charakteristisches sagen, als „Lamartine" in seinen Reisen im Orient. — IN -. „Wir gingen von da mit einem der Stallmeister, um die Höfe und die Ställe zu besuchen, wo die prächtigen arabischen Zuchtpferde angebunden waren. Man muß die Ställe von Damaskus oder die des „Emir Beschir" besucht haben, um eine Idee von den arabischen Pferden zu bekommen. Dieses herrliche zierliche Thier verliert von seiner Schönheit, seiner Zahmheit und seiner malerischen Form, wenn man es von seinem Geburtslande und seinen heimathlichen Gewöhn» heiten in unsere kalten Klimate, in die Dunkelheit und die Einsamkeit unserer Ställe verpflanzt. Man muß es sehen vor der Thür des Zeltes der Araber der Wüste, den Kopf zwischen den Beinen, die lange schwarze Mähne wie einen beweglichen Sonnenschirm ausbreitend und mit dem Schweife, dessen Spitze immer purpurn bemalt wird, seine glatten Wei« chen wie von polirtcm Kupfer oder Silber bewedclnd; man muß es sehen in der Pracht seiner mit Gold und Perlenstickereien besetzten Schabracken, mit einem blauen oder rothen, von Gold oder Silber durchwirkten seidenen Netze, mit klingenden flatternden Nesteln, welche von seiner Stirne bis auf seine Nüstern fallen und mit denen es bei jeder Schwingung des Halses den glühenden, großen, verständigen, sanften und stolzen Ball seiner hervorstehenden Augen abwechselnd bald verhüllt, bald entschleiert. — Hauptsächlich muß man es sehen, wie es hier war: in einer Masse von zwei bis dreihundert Pferden: die einen auf dem Staube des Hofes gelagert, die andern mit eisernen Ringen gefesselt und an lange Stricke — 112 — gebunden, welche durch diese Höfe gehen; andere, die sich los' gemacht haben, auf dem Sande mit einem Sprunge über die Reihen der Kameele setzend, die sich ihrem Laufe entgegenstellen; diese an der Hand von jungen, mit scharlachenen We» sten bekleideten schwarzen Sklaven legen liebkosend ihren Kopf auf die Schulter dieser Kinder, andere frei, ohne Koppel, spielen gleich Fällen auf einer Wiese. Gins springt gegen das andere auf, oder sie reiben die Stirn gegen einander, oder belecken sich gegenseitig ihr schönes silberglänzendes Haar. — Alle betrachten uns mit einer unruhigen, neugierigen Aufmerksamkeit wegen unserer europäischen Tracht und unserer fremden Sprache. Bald aber werden sie zutraulich und recken zierlich den Hals nach unsern Liebkosungen und dem schmeichelnden Schnalzen unserer Hand. Unglaublich ist die Beweglichkeit und Durchsichtigkeit der Physiognomien dieser Pferde, wenn man nicht selbst Zeuge dauon gewesen ist. Alle ihre Gedanken malen sich in ihren Augen und in der krampfhaften Bewegung ihrer Backen, ihrer Lippen, ihrer Nüstern mit so viel Deutlichkeit, als die Gindrücke der Seele auf einem Kindergesichte. Als wir uns ihnen das erstemal näherten, verzogen sie das Gesicht mit Geberden des Widerwillens und der Ncugicrde gerade so, wie man sie an einem Menschen von starken Eindrucken beim Anblick eines unvorhergesehenen und beunruhigenden Gegenstandes hätte sehen können. Unsere Sprache hauptsächlich fiel ihnen auf und setzte sie in lebhaftes Erstaunen, die Bewegung der Ohren, welche sie spitzten und — 113 — zurück- oder vorwärts bogen, zeigte ihre Ueberraschung und ihre Unruhe. Vor Allem bewunderte ich einige Stuten von un» schätzbarem Werth, welche für den Gebrauch des Emirs selbst bestimmt sind. Ich ließ durch unsern Dolmetscher dem Stall« meister für eine der hübschesten bis auf zehntausend Piaster antragen; aber eine Stute von erstem Geblüt schlägt der Araber um keinen Preis los, und ich machte diesmal keinen Kauf." An einem Sonntage ritt ich zu Esel mit Hunderten eben so Berittenen auf der humplichsten, staubigsten und schlechtesten Ehaussee von der Welt nach „Maharembeh", einem Orte am Mahmudi-Kanal, eine starke halbe Meile von Alexandrien, wo man sich nach Kairo einzuschiffen pflegt, weil dort weniger Getümmel und Gedränge von Barken gefunden wird, wie z. B. an der Stelle, wo es nach dem See Mareotis und den Gabarri-Gärten hinausgeht. Es wird diese Exkursion für eine Art von Alerandrinischem Volks« und Bürgervergnügen an» gesehen. Wettjagcnde Handwerker, athemlose Eseljungen und Einspänner vor schweren Kabriolets; Kalk, Staub, Hitze, Esel. geschrei, Kameelgebrüll, Stutzer, Karossen mit schäumenden Rossen und in Schweiß zerfließenden Laufern; Bilder der Nacktheit, des Elendes, des Schmutzes, des Prunkes, der Knecht' schaft und des empörendsten Nebcrmuthes, bunt durcheinander getummelt wie zu Sodom und Gomorrah: das ist die Phy' siognomie dieser Exkursion. Von einem Vergnügtsem ist hier — 114 - nicht die Rede und auch nicht einmal die Idee, schon weil die hiesigen Italiener und die übrige Noblesse, mit Permission zu sagen, noch widerlicher und niederträchtiger als die Araber sind. Ich hade die Equipage deS Sa'id-Pascha, Onkels des jetzigen Abas-Pafcha, gesehen. Sechs köstliche Araberpferde vor einer Prachtkarofse, Mohren als Läufer voran, und Diener, die laufend herrliche Saumrosse führten. Zuletzt kam eine Kavalkade von Italienern auf Eseln von der Jagd. Diesen vorauf und hinterdrein rannten die nackten Araberburschen, oft nur Kinder von zehn Jahren, sich für ein Paar Piaster Brust und Füße wund. Das Herz thut einem Menschen bei solcher Barbarei weh. Diese alerandrmischen Honoratioren, Jäger und Eselrciter sehen aber nur von draußen wie Menschen aus; wie es sonst mit ihnen beschaffen ist, weiß Gott. Aber nicht bloß die Gselbuben, sondern ihre Thiere werden unverantwortlich gequält. — Diese armen kleinen Gsel haben am Hintertheil eine ewig wund erhaltene Stelle, eine Fontanelle vom Stacheln und Schlagen. Thierquälerei ist hier zu Hause. Gin mittelgroßes Pferd muß oft 5—<; Personen mit einem schweren Halbwagen auf einer gräßlichen Chaussee bei Hitze und Kalkstaub im vollen Trabe ziehn. Etwas Nutzbareres und Braveres von einer Kreatur wie diese Esel, ist gar nicht denkbar. Der größte Kerl wirft sich auf ein Exemplar, das oft nicht größer wie ein Kalb von — 115 — sechs Wochen ist, und fetzt es in Galopp. Diese schwachge« bauten Thiere gehn einen trefflichen Paß (einen Halbtrab), wo sie aber vollends die Kraft hernehmen, stundenlang einen ausgewachsenen Menschen selbst bei großer Hitze im Trabe und Galopp umherzuschleppen, das scheint mir fast über die Natur hinaus in die Eselmysterien zu gehn, die auch noch ihren Esel'Sue bekommen müssen, wenn Gerechtigkeit in der Weltgeschichte ist. Ein schon ältlicher, ganz abgerissener Araber trabte übrigens, meinen 50 Pfund schweren Koffer auf seinen Schultern, von der Dogona bis zur Velin, vens^ia, (wohl über V» Postmeile) mit meinem Esel in die Wette, und animirte mich zur Schnelligkeit, als ich langsam reiten wollte: Eine solche Kraftleistung bei ein wenig Datteln, Bohnen und Brot, von einem scheinbar elenden und ältlichen Menschen scheint mir auch ein physiologisches Mysterium und Problem. Ge« wohnheit und Verzweiflung, Uebung und Willenskraft sind freilich dabei im Spiel. Die gemeinen Araber trinken mit Leidenschaft Branntwein, wie die Polen und Wcstpreuhen; ein achtel berliner Quart auf einen Zug, und dann Wasser hinterdrein. Wein sieht man sie selten trinken; verstohlen thun sie das auch. Unsere Schiffsmannschaft auf der Fahrt von Cahira nach Theben schlürfte den ihr dargebotenen Nothwein (nobiä n,cnmer) mit der höchsten Gier, wenngleich nicht so unbefangen wie den „Rakki" (so wird der Branntwein genannt). Zu diesem gießen die Araber zur Verstärkung mitunter aufgelösten Vitriol, 8* — 116 — und behaupten buchstabengehorsam, Muhamed habe doch den Branntwein nicht verboten, fondern allein den Wem. An der persischen Grenze giebt es bekanntlich eine muha« medanische Sekte, bei welcher der Genuß des Weines förmlich gestattet ist. Branntwein aber wird in der Türkei, in Aegypten und allen Orten von den Muhamedanern so stark und leidenschaftlich getrunken, wie in der christlichen und nordischen Welt. Die vornehmen Araber und Italiener trinken gern ein Glas franzosischen starken Annisbranntwein mit so viel Wasser, daß er ganz milchig und unangenehm bitter wird; ohne Wasser ist er in rauher Morgenluft auf dem Schiff eine köstliche Restauration. Nicht von ungefähr spielen die Einäugigen in Tausend und einer Nacht eine solche Rolle. Es giebt ihrer bereits hier erstaunlich Viele. Der zehnte oder fünfzehnte Mensch hat mit den Augen ein Malheur, und die Kinder der Europäer leiden zum dritten Theile an Ophthalmie. Kopf und Leib müssen hier warm gehalten und darum selbst von den Europäern Tücher um die Mützen und Hüte gebunden werden, was ganz natürlich den Turban pro« duzirt. Die Kleider, Sitten und Lebensarten, gleichwie die Gesetze und Rcligionsverschiedenheiten sind zunächst vom Klima diktirt. Zwei Märchen « Erzähler, die einander ablösten und sonst seklmdirtcn, fand ich heute am Hafen, und __ D7 __ drei Blinde machten den Chor; das um sie hockende und stehende Publikum hörte höchst kontentirt und aufmerksam zu. Die arabischen Kinder und Buben schreien, greinen und geberden sich ganz und gar wie die Iudenkinder, werden in reitender Stellung mit gespreiteten Beinen auf der Achsel getragen und haben alle eine Augenkrankheit auszustehn. Gs ist für einen Europäer, und besonders für einen gründlichen und sinnigen Deutschen, des Unbegreiflichen in Aegypten so vielerlei und so viel, daß er bald genug vom Giübeln und Wundern ablassen muß. — Der Hälfte der arabischen Weiber hängt da. z. B. ein zwei Hände breiter Streifen Zeug, welcher an der Stirne festgemacht wird, vor dein Gesicht. Ein an» derer Mensch erstickt fast von Hitze und Staub, selbst wenn er frei athmen darf; — wie also diese halb und ganz Verschleierten zu der nothwendigen Portion Luft gelangen, scheint wiederum ihr aparter Witz zu sein. — Wenn sie nicht bemerkt zu sein glauben, nehmen sie freilich den Zeugstreifen zur Seite; denselben auch nur auf Augenblicke in großer Hitze vor Nase und Mund zu haben, scheint dem Nordländer eine unerträgliche Pein. — Auf der Fahrt von Kahira nach Minnyeh steckte der Reis sein junges Weib, um sie unsern Blicken zu entziehn, unter das Verdeck der Barke, wo das arme Geschöpf halb liegend und halb hockend, unter allerlei Gerumpel, mit — 118 — Hühnern und Ratzen und in einer Stickluft zubringen mußte. Freilich wird sie das Gesicht an eine Oeffnung in dem Fuß» boden über sich gehalten haben, sonst hätte sie bei lebendigem Leibe einen Sargdeckel auszuhalten gehabt; aber welcher fromme Christ hielte so eine Situation Tage und Nächte hindurch bei ein bischen Brot und Quarkkäse, bei Zwiebeln und Datteln und noch dazu mit einer Laune aus, wie ich sie dieser )ung verheiratheten Frau abgemerkt. Denn so oft ihr Herr und Gemahl zu ihr an die Luftöffnung niederhockte, so kicherte und plauderte sie wie Gine, der für ihren Komfort nichts in der Welt zu wünschen übrig geblieben war. Und zu dieser Stick- und Brühluft, in dieser abscheulichen Kerkerhaft, ohne freie LeibeZbewegung, trank die Iungverehelichte von Zeit zu Zeit aus einem irdenen, unglasirten Teller das lehmige Nilwasser, bevor sich sein Schlamm noch gefetzt hatte. Meine durch ihren Mann vermittelte Offerte von abgeklärtem Wasser wurde mit mokantem Kichern abgewiesen. — Weiterhin nahm die Verschämte Kaffee und etwas Branntwein an. Sie schien in interessanten Umständen zu sein, das machte ihr wohl das Leben in allen Situationen so erträglich und interessant! Von der Geldgier, Bctrüglichkeit und hartnäckigen Bestir lität des Arabers wird hier folgende Thatsache erzählt: Gin Steuererheber unterschlägt eine Summe von etwa hundert Thalern. Gr wird halb todt geprügelt, um das Geld heraus' zugeben, und gesteht nichts. Endlich kriegt er einen letzten — 119 — Schlag oder Fußtritt ins Gesicht, bei welchem ihm in halber Ohnmacht das gesuchte Geld aus dem Maule fäNt. Er hatte es in Goldstücken dort verborgen und war also gefaßt und entschlossen, lieber seinen Geist aufzugeben, als das ge« stohlene Geld —! Mag man sich noch so objektiv stellen oder rettifiziren und zurechtquälen: man sehnt sich unter diesen Menschenbestien und italienischen Kulturfratzen nach der deutschen Heimath und segnet die Zivilisation! Von einem einseitigen radikalistisch° romantisch-bornirten Ueberschätzen der puren Natur und Natürlichkeit, des südlichen Himmels und der orientalischen Poesie kommt man hier bald zurück. Erst am Gegensatz des Christenthums, der Zivilisation und des Verstandes ist Natur und Seele ein Segen, eine Wahrheit und Pocsie. Seit der Verbannung aus dem Paradiese halten wir die pure nackte Natur nicht mehr aus —: die Menschennatur will auch den andern Faktor, „den Geist." Man könnte sagen: Diese Araber sind lumpig, schmutzig und nackt; aber unter den Lumpen haben sie einen gesundern Körper als ihre reich bekleideten Herren, und die grobe Speise findet bei ihnen einen gesundem Magen und Appetit, als bei ihren Drängern und Tyrannen. Diese Leibeigenen haben we« Niger Gedanken, aber auch weniger Koftfbrechen, weniger feinen Genuß und Ehrgefühl, aber auch nicht so viel Herzeleid, Sorge und Schmerz. Man könnte so Philosophiren, und das Genre — 120 — ist bekanntlich bei den Gebildeten, den Aristokraten und leider sogar bei den Fürsten und Geistlichen so beliebt und exekutirt, daß es die Revolution in Europa verschuldet hat; aber: — das Raisonnement ist nicht wahr; denn sonst wäre das Thier besser daran wie der Mensch. — Der Mensch soll aber eben ein solcher in Leid und Freude bleiben, im Dichten und Denken, im Streben und Erringen, in Sorge und Besitz; und er soll in keinem Augenblicke, in keiner Lage ein Thier sein, das sich gedankenlos auf die Weide legt, wenn es nach harter Arbeit sich satt gefressen hat. Der Mensch soll durch Kunst und Wissenschaft, durch Zivilisation sich eine Menschen-welt, ein Menschendasein in der Natur und Gotteswelt erbauen. Er soll eine sittliche Reaktion ausüben, auf die bloß thierische Sinnlichkeit und die nackte Adamsnatur, die ihn für immer aus dem Paradiese vertrieben hat und durch die christliche Religion zur Uebernatürlichkeit erhöht worden ist. — Anders ist der Zweck der Menschheit nicht erfüllt, ihre Würde und ihr Sinu nicht begriffen und ihr Begriff und Prinzip nimmer realisirt. Halbnackte, thierisch arbeitende, thierisch ernährte, thierisch begnügte, thierisch ver° gnügte Wilde oder Halbbarbaren sind und bleiben aller Orten, in allen Welttheilen und Zeiten eine Schande für die Menschheit, für die Geschichte und ganz besonders für die europäische Zivilisation, die doch vor allen Dingen bis diesen Augenblick, Gott sei's gedankt, noch eine christliche sein will! Christus aber will mit heiligem und ewigem Rechte — 12l — den alten Adam, also den nackten Naturmenschen, ersäuft wissen, damit wieder geboren werde in Christo, im heiligen Geiste der Menschheit und christlichen Zivilisation ein neuer Mensch. So lautet der Spruch, und dieser Christ soll in keiner Weise thierisch begnügt, tarirt und abgefunden sein! Die orientalische Tracht kann gewiß für die kleidsamste gelten, wenn sie vollständig rein und gut ist; darum aber auch im andern Falle für die miserabelste und lächerlichste von der Welt. Diese armen alten Araber winden ein Stuck altes Zeug als Turban um den Kopf und scheinen sich dann, trotz der nackten Beine und Arme und im puren Hemde vollständig equipirt. — Etwas gräßlich Fratziges ist aber so ein Negerweibsbild in der „schnmdlichen" Haube mit alten seidenen bocken, mit schmutzigen und zerrissenen Handschuhen und Strümpfen, in einem Kattunkleidc, das sich ihr ohne die diskrete Vermittelung eines Unterrocks um die fettwulstigen Leibesparthieen klatscht; ungefähr so, wie es unsern Damen zur Zeit der griechischen Klcidermodc, vor vierzig oder fünfzig Jahren, bei Platzregen und Sturm wiedcrfuhr. Die arabischen Fcllah-Wciber sollen aber mitunter von dem Teint wie Italienerinnen und dann sehr reizend sein. Mit Glicderfülle und graziösen Bewegungen sind sie fast Alle von der Natur ausgestattet. Hände und Füße sind bei ihnen klein und oft zierlich modellirt; besonders zeichnen sich dadurch die Arme und Ellbogen aus. Im Gesichtsschnitt und Ausdruck gleichen die Mlah-Weibcr den Bäuerinnen in polnisch Ma» - 122 — suren (aus der Gegend von Mlawa und Szrynsk ?c.) auf die frappanteste Art. In den sogenannten „interessanten Umständen" sehen aber die Masuren-Weiber, zusannnt den zierlichen Araberinnen, bei Leibe nicht interessant, sondern vielmehr unglaublich monströse aus. Wer schöne muskulöse Körper und besonders solche Arme und Beine sehen will, der sieht hier am Bettelvolt'e eine Pracht. Die armen Teufel scheinen doch aber keine rechte Kraft zu haben, falls man das Tragen uon solchen basten oder das Nudern und Laufen und solche körperliche Leistungen ausnehmen will, auf welche sie ganz besonders eingeübt find. Eine gewisse Lebenszähigkeit und ihre große Frugalität im Essen läßt sie alt werden und erhält sie leidlich spannkräftig und gesund. — Wenn ein Deutscher, und besonders ein Westpreuße, der an massenhafte und zugleich kompakte Nahrungs. mittet, an Speckseiten, Erbsen, Klöße und Kartoffeln, an Schweinefleisch mit Sauerkraut und an Schrotbrot gewöhnt ist — die Speiseanstalten und Mahlzeiten der arabischen Arbeiter, z. B. der Mschiffslente sieht, dann begreift er schwerlich, wovon ihnen die verbrauchte Lebenskraft immer wieder zuschießen kann. — Unsere Drescher, Holzhauer, Vretschneider und Sackträger essen auch wenig Fleisch, aber desto mehr von den andern guten Dingen, die Gott giebt. — 123 — Auf dem Sklavenmarkte, einem halb wüsten Stadtviertel, steht man hie und da Negerinnen, die aber frei umhergehen, schon weil Flucht weder thunlich noch ein Profit, oder nur ein Bedürfniß für diese Aermsten ist. — Die, welche ich ins Auge faßte, waren bekleidet und zeigten sich dazu in einer Coiffüre von lauter fettglänzendeu, dichten, kleinen „Pfropfenziehcrlö'ckchen" am ganzen Kopfe um und um, so daß mir übel davon geworden ist. - Die schwarzen Mannsleute erscheinen weniger widerlich, aber auch bei ihrem Anblick wird dem Menschenfreunde, dcm gebildeten Europäer, unheimlich und beängstigend zu Muth. Auch dein Vorurteilsfreisten dünkt der Ausdruck thierischer Verwandtschaft bei dieser Meu-schenrace allzu beleidigend und frappant prononeirt. Vom Neger ist nicht blos zu merken, daß er eine schwarze Haut hat, soudern diese Haut bietet auf den Ellbogen, auf den Knieen und an anderen Stelleu eine Textur dar, wie die Haut des Weißen unter dem Mikroskop: sie erscheint schinnig, schuppig, in groben Poren, — glänzend wie eine Steinkohle, ja an vielen Stellen wie die Haut eines schwarzen Mastschweines, dem im sogenannten Brandstall von der Branntweinschlempe die Haare ausgefallen sind. Gs ist der Charakter einer thierischen Haut. — Noch augenfälliger tritt dies an den inwendigen Handflächen, zwischen den Fußzehen und an den Fußsohlen hervor, die Negerhaut erscheint da wie die eines schwarzen Affen; es wird einem weißen Christenmenschen, einem Professor der Anthropologie, der Mhik, der Aesthetik — 124 - und Theologie nicht besser davon. Den Affentypus vollenden die auffallend dünnen, oder klumpig und am unrechten Ort, z. B. halb auf's Schienbein, ssesetzten Waden; dic dünnen Barthaare, der mangelnde Backenbart und dieses pelzige Haupthaar, das sich zumal bei den Weibern ganz in der Weise zu dünnen Pfropfenziehern kräuselt, wie bei dem Negretti» (Merino-) Schaf; — dann das Gesicht mit den wulstigen schwär» zen Lippen, die wie durch einen Messerschnitt ins volle Fleisch entstanden scheinen und durch welche das Roth nur wie durch Traucrkrepp aufschimmern darf; — die glühenden Augen, die thierischen Kinnladen, der aufgewippte Nasenstumpf, daß weißleuchtende Zahngebiß, die mißgestalteten, oft ganz verpfuschten, nur skizzirtcn Ohren. Der Affenschädel endlich, mit seiner zurückliegenden, schmalen und niedrigen Stirne, drückt das Siegel auf diese Menschen-Bestialität. Mau muß gewisse Exemplare von diesen Negern und Nu< biern mit ihrem thierischen Schädel, Blick, Haar, Gebiß und Wesen, man muß den viehischen Ausdruck ihrer Leidenschaften, ihre Tigerwuth, ihr Nacheschnauben gesehen haben, um zu begreifen, wie der Sklavenhandel entstehen konnte und welche Beanstandung und Opposition die Freilassung der Schwarzen bei den Pflanzern gefunden hat. Es gehört alle Konsequenz, alle Kraft und Humanität eines zivilisirten und durchgebildeten Menschen, eines Christen, eines warmen und vollempfindenden Herzens dazu, um dieser schwarzen Race das volle Menschenrecht zu vindiziren und ihr die christliche Bruderliebe — 125 — zu widmen, wenn man sie täglich steht, wenn man stündlich mit ihnen zu schaffen hat; aber es kann freilich keine Frage sein, daß man sie sich im Staate wie im Herzen für ebenbürtig erklären muß, oder man ist immer nicht der richtige Menfch und ein Christ durch und durch. Owe iinIienittc!!"Mpikckll InmwuMcklP Heute, den 16. Oktober 1849, sehe ich am Mahmudi-Kanal die erste ägyptische ^andwirthschaft bci dem Vater des italienischen Kaufmannes Popolini, auf dessen Barke'ich von Alexandrien nach Taraneh abgefahren bin. Gs ist eine ägyptische Niederungswirthschaft, die in vielen Stücken, z. B. mit ihrem schwarzen fetten Thonboden, an die Weichselniederungs-Oekonomie erinnert, aber gleichwohl im Prinzip so seltsam, in allen Einzelheiten so unerhört ist, daß ich überall verzweifeln muß, wie ich das nur fassen, behalten, daguerotypiren und vollends mit dem fabelhaften Gindruck in die Seele des Lesers hinübergehen lassen soll, den es auf die meiniac gemacht. Was mau als Kind vom Häuser«, Höhlen- und Vuden-bauen geträumt oder davon mit kindischen Kräften intentio-nirt hat, das findet man hier in Aegypten als Wirklichkeit vor; finstere, niedrige, kellerartige, zu Magazinen, Speicher' - 12? ^ räumen*) und Polterkammem benutzte Souterrains; Treppen mit häufigen Absätzen und Ruhepunkten, sicher und fest zwischen Wänden hinaufgeführt; so daß sie den Gindruck machen, als wenn sie, wie in alten Rittcrschlössern, in einer ungeheuren doppelten Wand und auf geheimnißvolle Weise angebracht sind; — eine Menge kleiner, behaglicher Zimmer, mit korre-spondirenden Kämmerchen und erhöhten Bühnen in dem Zimmerraum selbst, — und sogar in den Kammern Ostraden mit Matten belegt, um darauf hocken zu können, und dazu gemauerte Divans und Wandnischen, wo allerlei Dinge und Hausgeräthe Raum haben; und dann wieder vor den größern und nach draußen liegenden Stuben Balköne und Verandas; — und das Eingeweide des Hauses: ein kleines Labyrinth von großen und kleinen Treppen (Stufen hinauf und herunter), von Korridoren, Verschlagen, Winkeln, Kreuz- und Quergängen, wie für Phantastische Kinder zum Vlinzwinkelspiel und überhaupt zum Spielen, zum Träumen und Phantasiren mit allem Fleiß aufgebaut. Wahrlich, die ägyptischen Grab-kammern und Labyrinthe haben ihr vollkommenes Abbild auch in den Gebäuden der Lebendigen, und der Italiener ') Weizen, von der Farbe und Beschaffenheit wie nnscre schlechteste rothe Art, war in dem Erdgeschoß in geflochtenen Körvm von Binsen oder Palmblättcrn sähnlich den Bienenkörben) und in thönernen Gefäßen (wie Wasscrtonnen groß) aufbewahrt. — 128 — hat, was die Ginrichtung von Häusern anbetrifft, ganz den ägyptischen Geschmack, wie ich das auf der Rückreise durch Italien erfuhr. Man muß diese Baulichkeiten gesehen haben, um ihre Komforts und Phantasiestücke zu begreifen. Es ist unbegreiflich viel Gelaß in maßig großen Gebäuden, eben weil Vieles au die vielen Wände und die vielen Winkel gestellt werden kann, und weil Ocfen und Kamine ausgeschlossen sind. — Der Kaffee wurde bei diesem alten, italienisch-ägyptischen Landwirth oben auf dem stachen Dache unter dem blauen Himmel von einer alten dicken Negerin und ihrem eben so alten Manne, oder guten Freunde und Beistande im Haus« Wesen, gekocht. — Wie einem kuriosen Reisenden das Alles vorkommen muh, geht über allen Redewitz hinaus. — Vater und Sohn hatten Vieles mit einander zu besprechen, und so visirte und flannirte ich ungemrt in allen Baulichkeiten umher und konnte mich keinen Augenblick zufrieden geben, daß ich auf Schritten und Tritten und in allen Winkeln die ägyptisch, labyrinthischen Winkel-, Höhlen«, Grotten-, Treppen» und Nischen-Gelüste meiner Kindheit und ihre Traumbauten ausgeführt fand. Und diese ganze Herrlichkeit und Logirbcquemlichkeit ist von Luftziegeln, aus Nilschlamm gebaut; von einem zerbröckelnden Material, das jede Ueberschwemmung aufweichen und fortführn muß, — wie das denn auch in der That theilweise bei der eben erst im Verlaufen befindlichen Wassersnoth vor - 1Z9 — jich gegangen war. Aber die eingestürzten Baulichkeiten wur« den schon wieder emsig wic von Schwalben zusammengeklebt; ^. V. eine Neihe von gewölbten, Backofen gleichen Räumen neb^n einander aufgeführt, unter sich durch Tlunen verbunden, nnd zwischen stärkere Umfassungsmauern gesteNt (in welchen sich wiederum eine Unzahl von kleinen Höhlungen für die Tau-den befinden), bilden Stallungen fur Pferde, Kamecle und Hornvieh. Durch diese Art zu bauen entgeht man der Anwendung ^ncs großen Daches, das um des mangelnden Holm's wislen zn kostspielig ist und vollends nicht ohne noch größere Schwierigkeiten im Ganzen und Großen wie eine Kuppel gewölbt werden kann. — Dünne Krcuzholzbalken von Palmenstämmen geschnitten sind hier schon eine Rarität, folglich muß eben so overnt wcrdeu, wie geseicht, und wie man's richtig den Schwalben abgesehn; und der ewig klare, regenfreie Himmel hat diesen Bauarten sein Vi»», gegeben. Die Stubcndecken sind von starken Latten und mit Rohrmatten belegt, es kann gar nicht natürlicher, zweckmäßiger und wohlfeiler sein. In so einem italienisch-ägyptischen Landgarten mnß man umherspazieren und über seine niedrige, flüchtig improvisirte Rohreinfriedigung hinweg in die unermeßliche Niederung; auf die schwarzen und grünen, überall von Gräben, Tümpeln und Dämmen durchschnittenen lind mit jungen Akazien eingefaßten Ackertafcln, auf die kleinen Villen schauen, die fo biblisch°pa° triarchalisch aus Dattelplantagen hervorgucken; und dann wie- 9 - 130 — der auf die den Backöfen ssleichen Lehmhütten von Schlamm, die mit ihren ans der Mitte der kleinen Kuppeln Herausssebauten Schornsteinen rundgebauchten Vocksbeutelflaschen gleichen: dies muß mau thun, — um vollends närrisch und träumerisch zu werden, wie es mir denn auch zum Ueberfluh geschah. — Aber ich denke, ich war gescheut und hab'mir mit keiner Gewalt und unnützlichen Geschäftigkeit die ägyptische Träunierei und Phantasterei aus den Augen gewischt; — denn wer das nicht mag oder ver« steht, der komme doch lieber gar nicht Hieher. — Ist für Einen die Nüchternheit ein Lebenselement und reflektirte Intelligenz allein sein Ziel, sein Prinzip und seine Satisfaktion: so hat er das wohlfeiler und an der Quelle, etwa in Berlin; auf dessen Lebensarten alle die Geister abonnirt zu sein Pflegen, die mit Poesie und Natur, im Interesse des guten Geschmacks, über den Bogen gespannt sind. So ein ägyptischer Garten wenigstens hat so wenig mit einem Garten in der Thiergartenstraße oder mit dem dortigen fein gebildeten Stadtlandleben in separat gemietheten Kaffee» lauben, mit einem babylonischen System von „persönlichen Klingelzügcu" (deren labyrinthischeu Drähte durch unschuldige Blumenbosketts laufen), mit gewissenhaft einzuhal' tenden Grenz- und Spaziergangslinien und mit diskret zu ignorirendcn Nachbarslebensarten irgend eine Aehnlichkeit und Analogie, wie wenn er im Monde oder in der Sonne belegen war. — Wie so ein ägyptischer Naturgarten eigentlich aussieht, und wie er meiner, in Abenteuern verbuhlten, kleinstädtisch- - 131 — ägyptischen, polnisch.lüdisch.weftpreußischen Naturalisten - Seele vorgekommen ist: dies mitzutheilen, plastisch und musikalisch, flüssig und fest zu machen: müßte ich Musiker, Maler, Dichter, Dagucrreotypist und Humorist in einem und demselben Athen« sein; und dann brauchte ich noch ein Publikum von demselben Genre und Universal-Genie. Um aber doch etwas zu beschreiben, so berichte ich: der Garten war eine halbwilde und halbzahme, phantastisch-träumerische, eine improvisirte und doch wieder eine mit ökonomischen Partikularitäten, z. B. Gemüsebeeten untermengte, humoristische Komposition: von Palmen, Feigen, Orangen, Oel» und Oleanderbäumen, Bananen, Weinlaubeu, Stachelfeigen, Kaktus, Akazien und kolossalen Vlmncnsträuchern, uud was weiß ich, wovon sonst; Alles in ägyptische Beleuchtung und Scene gesetzt. Diese jungen Dattelpalmen sind am Stamme wie riesige, antediluv ianische Kalmuswurzcln, oder zu Bäumen verhexte Artischokken und ungeheure, langgestreckte Selleriewurzeln anzuschauen; die Bananen wie ein fabelhaftes Schilf. — Der wehende Nordwind klappert und klatscht mit diesen Palmen und Bananenblättern wie mit einem Segel» werk auf dem Schiff. — Der Gindruck von alledem ist un« erhört, uud um die Fabeln zu vollenden, muß mau auf die nie erblickten Scenerieen und Gegenstände der Landschaft hinauöschauen, auf die weidenden jungen Kameele, die wie Robinsons zahme Lama's aussehen, auf die von der Ueberschwemmung noch überall stehen gebliebenen Wasser- 9* - 132 — tümpel, aus denen die schwarzen Büffel ihre wilden Köpfe mit glühenden Augen, wie eben so viele Teufel herausstecken, — und auf die halb oder ganz nackten arabischen Hirten, mit kohlschwarzen Nubiern und Negern untermengt. — Nichts ist aber bei diesen ägyptischen Natunnärchen so abkühlend, als die Nüchternheit des italienischen oder die Bestialität des arabischen Naturells. — Die Engländer und Franzosen kann man eben so wenig zur Mittheilung brauchen, also raisonmrt man inwendig und schreibt ins Tagebuch auf Teufel hol. Nicht weit von einem wie nach dem Modell kolossaler Terpentinslaschen gebauten Dorfe am Kanal, sah ich einen großen Kirchhof. Die Gräber erschienen nicht viel niedriger und kleiner wie die Hütten der Lebenden. Dic heutigen Araber scheinen stellweife so zu denken, wie die alten Aegypter, von denen Diodor in seiner historischen Bibliothek Folgendes beibringt: „Die Einwohner achten das zeitliche Leben ganz gering; hingegen auf das Fortseben nach dem Tode in rühmlichem Andenken legen sie den höchsten Werth. — Die Wohnungen der Lebenden heißen sie Herbergen, die Gräber der Verstorbenen aber nennen sie ewige Häuser; daher wenden sie auf den Bau derselben weniger Fleiß; um so eifriger sorgen sie aber für eine unübertreffliche Ausstattung der Gräber." — — 133 — Auf dem Hofe des italienischen Gutsbesitzers wurde ein höchst kurioses Gebäude gemauert, mit lauter kleinen Abtheilungen, 2'/2 Fus; im Quadrat und IV2 ?uß hoch. Ich begriff nicht, sollten es Hühncrställe oder Brutofen sein. Von den Italienern bring ich nur heraus, daß die (^lu,Uina bei dieser Architektur bctheiligt ist. Mau braucht auch nicht Alles auf einmal zu wissen, denn so wundert man sich desto mehr und hält die Ohren hübsch steif. Gine m'MjMe Unckt. Poesie und Fraherei auf den» Mahmudi-Kanal. Aus der Ferne ssesehe,!, hat der Orient fiii uns jenen maj«' statische,! Zauber, jc»e imponirende Anziehongstraft, welche die unerschütterliche Mühe über die bewegliche Unruhe hat. Nichts wünschen, verlange», erstreben; bei jedem Glncksfall sich fassen durch- „Allah Kerün" («Hott ist gros,), in jedem Iln-Mcköfall sich trösten dnrch- „Kiömeth" (Schicksal), das sieht wie wundervolle geistige Ucberlegenheit, wie Herrschaft über alle Naturen, ülbcr sie sind nicht erhaben; sie werden auch zerarbeitet von Leidenschaften, und die äußere Ruhe ist nur das O'e° renioniel, in welchem sie oor den Leuten erscheinen. — Sie ist ihnen anerzöge», errungen haben sie dieselbe nicht. In ihrem Hause cder wenn sie eiu Nmt bekleide», befehle,, sie nnbediugt und finden blinden Gehorsam; wahrend sie wicdcrnm dem Höheren im Auite und Dienst eben so blind gehorchen. Mit deines-gleichen hat der Mensch im Orient weuia, z» thun, i>»d das ist doch der Probirstein der Eha r a f t e r e. Er raucht eiue Pfeife nnt ihm u»d fiilii das gesellige Hchweigeü durch eine Tasse Kaffee. Der Orientale ist nach Sonnenuntergang unter Dach uud Fach, und geht mit den Hühnern schlafen. <^s giebt nicht Schenken, nicht Vierstuben, »och Woinhänser, nicht Schauspiele noch Soireen. (Orient. Nnefe »on Ida Hahn-Hahn.) „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben." ^ Für eine Nil» oder Kanalfahrt in AeMten mnß es heißen: — 135 — man lobe den Abend nicht vor der Nacht. Wie phantastisch und lieblich schön war meiner Seele der Abend; ein ge« mäßigtes, stilles Bei ram fest, aus der lärmenden Wirklichkeit in einen heiligen Wachtranm übersetzt. — Barken mit Laternen und Gesang glitten an uns vorüber, einmal ein langes Floß, wie ein schwimmendes Dorf. Buden mit Lichtern und „Phantasicen", wie hier jede Musik und Kurzweil genannt wird. Die trcmulircnden Klarinetten und Oboen von Rohr klangen wie gedämpfte näselnde Trauertrompeten und dann wieder wie eine Savoyardcnlcier. Die Milliarden Grillen akkompagnirteu diese Musik; die unablässigen, melancholisch-dumpfen, wohlabgestimmtcu Schläge des Tambourins, die regelmäßigen Nudcrschlägc belaubten die Sinne; der ägyptische Sternenhimmcl mit seiner schimmernden Milchstraße, die laue, stille, von Duften geschwängerte Luft wiegten die Seele in die uralten Träume von Paradiesesruhc und Glückseligkeit; es war mir wunder- und wounevoll, fast zu schön für diese Erde zu Muth; da kam der Nachtthau, da kamen die Miria-deu Mücken, von denen die menschliche Haut so unmenschlich, so eifrig und pünktlich bunt gestochen wird, bis man das, durch die Mücken-Akupunktur wüthend gewordene Geschöpf in dieser bunten Haut, wie cö sich so toll auf der Matrazc muherwarf, für eine Niescnschleie auf dem Bratrostc halteu konnte; und endlich saßen wir auf einer von den vielen Untiefen des verschlammten, schlecht und liederlich gemachten Mahmudi-Kanals fest. — 136 - Die Scene, welche ich nun unter den Anstrengungen zum Loskommen erlebte, ist unbeschreiblich, unbegreiflich und unglaublich selbst für Den, der ihr beigewohnt hat. Die Matrosen animirten sich gegenseitig zur höchsten Kraft« anstrengung im Abstoßen der festaufsitzenden Barke; aber mit welchen abscheulich widernatürlichen Manövern, Tönen und Grimassen thaten sie das! — Wer dergleichen erlebt hat, beruhigt sich darüber Zeit seineö Lebens und vielleicht auch in jener Welt nicht; — denn das Läppische, Grimassenhafte und Affenartige, das Häßliche ist nicht minder eine Sünde wider den heiligen Geist der Wahrheit, der Schönheit, der sittlichen Oekonomie, der Weltharmonie, als diejenigen Verbrechen, welche die Kriminaljustiz bestraft. — Wie diese ägyptischen Vootsknechte, so schreien, plappern, gurgeln, näseln, schnaufen und räuspern bei uns nur die Narren, die faselnden Schulbuben, die Wüthenden, die Rasenden, die Besoffenen in der Kulmination. Solche Worte, Töne, Rythmen, Accente, Tonarten, Geräuscharten und Lebensarten sind auch nicht mal im Tollhause Styl und Manier! Das waren nicht mehr menschliche Gebcrdungen, Töne und Ausdrucksweisen, das war Dämonie; eine Trias von Tod, Teufe! und Hanswurst! So stöhnen, ächzen, winseln, knarren und Pfeifen nur Thürangeln und todte Maschinen; — fo knurren, pruhsten, fauchen, fvinnen, miauen, möckern, bellen, sprudeln, blubbern, grunzen und gurgeln nur Affen, Katzen, Hunde, Ziegen, Schweine und Kameele. So unartikulirte, so fa- — 137 — selnd-läppisch zerhackte, zerquetschte, zermö'kkerte Lebenszei« chen oder Angstsignale stiebt nur eine Kreatur von sich, die von allem natürlichen Maß, von jedem Schönheitssinn, vo» jeder Harmonie, Norm und Geistesökonomie entblößt ist. — So etwas empört und ekelt im Innersten der Seele, das ist abscheulicher wie Bestialität, denn es ist Widernatür» lichteit, es ist Fratzen'i, willkürliche, gemachte, verschuldete Absurdität, die eben nur den entarteten, den halbwilden und halbzivilisirten Menschen charakterisirt. — Das ist die belobte und beliebte pure Natur, wenn ihr nicht der frei entbundene Menfchengeist, der Geist einer durchgebildeten Kunst und Wissenschaft, wenn ihr gar keine Schule und Norm zu Hülfe gekommen ist! — Die verwichene Nacht auf der Schlammbank, und diesen Morgen vor den Schleusen, habe ich den weiten Weg begriffen, den das arme Menschen« geschlecht machen muß, um sich dem Bestialischen, dem Fratzen» haften, der Dämonie, zu entziehen! — So säuisch wie diese Araber ist kaum ein Schwein; so unempfindlich gegen Koth und Ungeziefer, wie ein arabisches Kind und seine Mutter, die ihm nicht einmal die Fliegenklumpen von den fest mit Eiter verklebten Augen wischt, und die, mit denselben Fingern, mit welchen sie so eben unaussprechliche Reinigungen an ihrem ^eibe vollzogen hat, in den Durahbrei fährt, — kein Thier; so schamlos wie diese Aegypter nur ein Hund. — In solcher Weise wie diese Varkenschiffer, zerhackt und zersägt, so zersprudclt. zergeifert, zerkrächzt, zer» — 1Z8 — stöhnt und zerfetzt; — so zerschnalzt, zerfaucht und zerhaucht, — so verwimmcrt, entwürdigt und blutschändct kein Mensch die göttliche Sprache, der sich von der thierisch'sinnlichen Zerfahrenheit losgemacht, der irgend eine lebendige Idee von Einheit und Ganzheit, — irgmd eine maßgebende Norm und Oeko-nomie eingefleischt hat. — So verhäkelt und vcrpunktirt, so iiolirt und korrumpirt, so konglommerirt und konfnndirt kein vernünftiges, irgend sittlich oder schön empfindendes Wesen die Schriftzeichen, wie dieses arabische Volk. Kein Wunder also, daß bei ihm Vielweiberei Sitte geworden, das; es die Mosaik und einen verschnörkelten, grotesken Baustyl, — daß cs Arabesken und Phantasterieen erfunden hat; aber ein wcltewiges Wunder, und eine himmlische Gnade: daß aus dem Schooße des Iudenvolkes, dessen Zweig und Sproß diese jachzornige und zerfahrene Araberrace ist, der Weltheiland erstand. Gr, der die Mäßigung predigte, — den Friedfertigen das Himmelreich versprach, die Dämonie und Fratzigkeit in die Hölle zurückgeschcucht, und aus der, durch Teufelei und Narrethei zerstückelten, heidnischen Weltmosaik cin Menschen-Dasein hergestellt hat, in welchem wiederum die Gottesharmonie vernommen wird. Um mich bei dieser Schilderung nicht der Uebertreibung zu zeihen, muß man die Berichte anderer Reisenden, und unter Anderen Leusius Briefe überAegypten (bei Besser-Hertz - 139 — in Berlin 1852). Seite 188, einsehen. — Der Verfasser schildert dort eine Todten-Zeremonie in „^Voä Mäineb." „Es gab da eine Maskerade mit gellendem Geschrille (durch einen vibrircnden Zungenschlag hervorgebracht, der den Urvögeln abgelauscht zu sein scheint, und von mir bei Gelegenheit eincs Bcschneidungsfestes in Alerandricn beschrieben worden ist), — ferner einen dämonischen Verrcntungstanz, nach dessen Beendigung sich die Tänzerinneu anf den Boden warfen und mit Staub überschütteten, während Andere lallt heulten, grimassirten und schluchzetcn." — Das Auffallendste uud Widerlichste bei diesem Schauspiele (sagt Lepsius) ist: daß nichts mit entfesselter Leidenschaft, sondern Alles langsam, pathetisch und sichtlich cinstudirt geschieht. (Das Natürliche hat für barbarische Volker keinen Rci^, sondern der ergänzende Gegensatz des Gemachten, Affcktirten, also Mechanismus, und ein Zeremoniel, welches sich bis zu dämonischer Grimassenhaftigkeit, zu Narrethei nnd Teufelei steigert, — kurz: die Unnatur, wie das an den Chinesen zu ersehen ist. Is. <^.) Im zweiten Akte jener Maskerade und Todtenzercmonie kollern sich die Aktrizen unter betäubendem Gelärme einen Berg herab, indem sie sorgfältig die Kniee au den Leib ziehen, nm so das Gewand festzuhalten. Das Ganze (schlicht Lcpsins), macht durch seine alles überbietende Unnatur einen unbeschreiblichen Eindruck, Paradieses- m«d Hadcs-Sccneu an den Schlcnsrn des Mahmudi-Kllllals in ^tfch, und der erste Anblick des Ml. I» Nnter-Aegypteu ijt n,au fei,>ei und höflicher. Del ^lunadi ,»it ieinem Knabe», der jetzt von jedem Hausbesitzer ein Trinkgeld fur sein Ausschreien zu empfange» hat, geht, festlicher alö gewöhnlich geputzt, den Tag Vorher, ehe man hier bei Alttairo oder Fostat de„ '.>,'i>da»!>n du>chst!Ä)t und das Wasser in die Kanäle der ötadt ströiuen läsit, i» seinem ^tadtquartier heruni uud beide singen oder schreie» gc^en einandei: M, Der ^trim hat lteberfluß gegeben imd sein Maaß erreicht. ,tt. Gott hat den Ncbenlni! gesendet. Vt, Der Kanalteich ist gefüllt, i» den Gräben stvonit das Waffer. K. Gott hat den Nebcrrluft gesendet M, Die Fahrzeuge sind Nott. — Darauf, nach manchen ähnlichen Vcschreibimgen der Strouifnlle, fährt das Duett fort, die Bewichuei der einzelne,, Häuser anredend: Mögt ihi lange leben. — Dieser edle Mann (hier im Hause) liebt die (i« die Welt sick geschmückt hat. — Die Damen haben sich geputzt. — Der Iunggesell sieht sich nach Gesellinnen um, — Der Jungfrau bereilet man den Vraulschab,, Die fröhlichen Festlichkeiten, die man bei Kairo vor dem Durchstechen de5 Großen Dammes anstellt, sind schon oft beschrieben. (H. E chubert'ö Reise» im Movgenlande.) Am 17. Oktober 184!», 7 Uhr Morgens, habe ich zum erstenmal den wunderbarsten aller Ströme, den fabelhaften 141 ^ Nil erblickt. Zu sagen, was er für einen Seelenzustand in mir siewirft hat, geht über meinen Nitz. So viel ist aber gewiß: Diese ersten Augenblicke in außerordentlichen Situa» tionen, vor weltberühmten Scenen, Menschen und Dingen, fassen die Genugthuung in sich, um deretwillen sich der Poet auf Reisen bliebt, und um die cs sich überhaupt uerlohnt. Der Himmel wölbt sich über allen Ländern, Sonne, Mond und Sterne steht man überall am Himmel stehn; Morgen-und Abendroth überall am Himmel glühn; und au jedem Orte, iu jedem Augenblicke, iu jeder Erscheinung und Gestalt ist diese Natur eine heilige und wunderbare Gottesnatur: aber wir haben seit den Tagen der Kindheit und der Jugend den innersten Sinn, die Seele, die Begeisterung für diese natürlichen Weltwunder abgestumpft, — und es geschieht dann in der weiten Fremde, in andern Welttheilen, daß die neuen Naturerscheinungen, daß alle die neuen Dinge und Geschichten, unerhörten Sitten und Lebensarten: —unsere erste Lebensin» brunst, unsere heilige Naturlicbe, die seligen Träume aus den Tagen der Kindheit wiedercrwcckcn: Hierin liegen die sublimsten Genugthuungen, die beseligendsten Augenblicke und die Zauberei des Reifens, und doch legen die Gelehrten auf diese Reiscmystericn und Genugthuungen niemals den Accent! Es ist sicherlich an dem: Diefe Palmen sind nicht schlecht« weg schöner wie die Eichen und Buchen; — der dunkelblaue Himmel nicht wunderbarer, wie der vom blassen Blau in geisterhaftem Schein. Der ewig dürstende, glühende, staubige — 142 — Sommer muß ermattender und trostloser sein, wie der Wechsel von Winter und Sommer, von Hitze und Kälte, von Nässe und Dürre; wie ein nordischer, ach so verheißungsvoller Frühling, und wie unser Herbst, der so viel unaussprechliche Lebens« Allegorieen, Lebens-Mysterien und Wehklagen in sich schließt. Aber, wir nordischen Menschenkinder leben mit diesen vaterländischen Bäumen und Himmelswolken, mit diesen: gespenstisch-humoristischen Winter wie in einer gleichgültigen abgc-nüchterten Ghe; und die Palmen, die Orangen, der ewige Sommer, die dunkle Bläue, die fremden Thier- und Menschengestalten, die neuen Abenteuer und Situationen, die neuen Lebensarten und die Hinterlassenschaft aller Sorgen und Arbeiten, aller Verdrießlichkeiten, Beschränkungen, Miseren und Pedanterieen der Heimath: giebt uns die natürliche Spannkraft, die Jugend, die Poesie, den Liebesrausch im Verkehre mit allen erschaffenen Dingen; schenkt uns auf Augenblicke das verlorene Paradies, die Vaterlandsliebe, die tiefere Lebensruhc, den rein menschlichen Charakter zurück: nämlich einen gereiften, umfassenden, überall versöhnten Sinn und Geist! Welch' eine unnennbare Magie umwebt doch dieseu malten Nil, welch' ein Gcheimnißzauber die Vorstellung von seinen unentdeckten Quellen. — Er ist freilich nicht älter als die andern Weltströme, aber älter in der Kulturgeschichte, und darum älter in der Menschenphantasie, wie irgend ein Strom und ein Ding. Dazu hat man noch außer der paradiesischen Buhlerei mit seinen Ufern und Wassern ein ganz ab son der- - 143 — liches Träumen und Schäumen, um jener uralten Kultur-Historien willen, die mit Naturnothwendigkeit von dieseu Nilwassem uud ihrem befruchtenden Schlamm abhängig gewesen sind: Der erste Mensch aus Grden erschaffen und eine älteste Menschengcschichte, hervorgegangen aus Schlamm und Letten, die zwischen Felsen und Wüsten ein Weltstrom mit sicl) führt; welch' eine wunderbare erhabene Symbolik und Analogie! Der Nil scheint bei Atfeh so breit, wie die Weichsel an den breitesten Stellen, also etwa 1000 Schritte. Seine Wasser waren noch nicht ganz in die hie uud da mit hohem Rohr eingefaßten Nfer zurückgekehrt*). Im Hintergrunde aber tauchte auf beiden Seiten aus der verlaufenden Fluth (die hier den Gegensatz zur Sündfluth, nämlich das vornehmste Lebens« elemcnt bildet) je ein bethürmtes Städtchen in den Horizont. Die wasserfreien Strecken zeigten Überalls so weit das Auge reichte, grünende wie reifende Felder und Bäume, denen man ') Die Uebmchwemmung des Nil beträgt in unsern Tagen noch so vicl wie zu Herodots, Plinius nnd Kaiser Iulianus Zeit: nämlich 15—16 Fuß, die Breite übertrifft jeden vaterländischen Strom. Im engen Bette bei Lnrsor 1300 F.; bci MonttÄut und Ssynt aufWA4 bis 2800 während dcö mittleren Wasscrstandrö im Januar, weil hier zu beiden Scitcn kcin Gebirge dic Ausbreitung hemmt. Am 17. Juni ist die ^eilotk en Xnoktu.n: die Nacht des Tropfens, der vom Himmel in deu Nit fällt, und ihn so anschwellen macht — diese Nacht wird fröhlich m:d im Freien zugebracht. .^ 144 - die seltene Wollust anzufühlen glaubte, im Wasser oder am Wasser, im Schlamm oder im feuchten und frisch befruchteten Erdboden zu stehn. Die ägyptische Morgensonne glitzerte auf den dunkelgrünen, vom Nachtthau avgewaschenen und fetten Blättern der kolossalen Sykomoren ((ismus); sie vergoldete die bronzefarbenen Aeste und Zweige der Plantanen, daß sich die überall geplatzte feine Baumhaut wie in Sonnenwollust abzuschlauben schien, — und dann flammte das erdenlüstcrne Meteor durch die gelichteten Kronen der Akazien, deren kleine und dichtgeschaarte Blätter die Morgenzephire wie Klee kräuselten, daß es wiederum eine Vuhlerei von Licht und Morgenwind, auf Blättern gleich wie aus Wasserwellen gab. Und über dieser ganzen lichtgetränkten, sonneberauschten, luftdurchströmten und ätherverklärten Welt von Feldern, Wassern, Inseln, Ortschaften, Städten, Schiffen, Menschen nnd Thieren ragten hohe, schlanke, mit ihren Kronen und Zweigen zum getränkten Boden geneigte, fruchtbeladcnc, trau« merische Palmen in die Paradiesesluft hinein, die aus Sonne, Gold und Aetherbläue so himmlisch das Grün des Erdbodens zu weben verstand. Diese irdischen Paradiesesscenen, die ich gleich beim ersten Anlanden in Atfch noch vor der Passage durch die Kanal' schleusen, zu Fuße aufgesucht hatte, — indem ich mir, von - 145 — wüthender Sehnsucht nach dem Anblicke des wunderreichen Stromes ergriffen, aufs Gerathewohl einen Weg durch das Dorflabyrinth bahnte, wurden durch wahrhaftige Höllenscenen in Kontrast und Schatten gesetzt, als ich wieder zur Barke kam. Dieses Dorf Atfeh, am Mahmudi-Kanal, der hier in den Nilarm von Rosette mündet, in welchen die Barken durch zwei Schleusen emporgehoben werden, hat mir die Ueberzeugung gegeben, daß man nicht „böhmische", sondern „ägyptische Dörfer" sagen muß, und daß die babylonische Verwirrung keine Fabel, sondern eine Geschichte, eine ewig wahre und fortwirkende Thatsache im jüdischen Aegypten ist bis auf diesen Tag; gleichwie die vom ewigen Juden, der in jedem Juden ersteht, so lange ein Einziger noch auf Erden existirr. Mag sich ein Menschenkind, ein Poete, ein Phantast oder ein Tollhäusler die Weltverwirrung denken: eine Unordnung, ein Lärmen, ein Rasen und Schreien, ein Durcheinander von Menschen, Dingen, Geschichten, Stimmen, Gestalten, Aktionen und Prozessen wie er will; ein eben ausgebrochenes Tollhaus; eine wasserscheu gewordene, in einen bissigen Hnndeknäuel und Rattenkönig zusammengewirrte Welt; — hier in Atfeh bei den Schleusen kommt seine Phantasterei zum Bankerott. Man sieht das, man hört das und man begreift und glaubt gleich, wohl lange nicht, was man sieht und erlebt. Jeder Augenblick, jede Gruppe und Scene, jeder Sondcrlärm wird fort und fort dnrch das fabelhafte dämonische Ensemble übertüm-melt, verschüttet, übertönt und verlöscht! — Dieses Menschen« — 146 — Ghaos zu Atfeh ist ein ewiges, sich selbst verschlingendes, tausendköpfiges Ungeheuer, von mutternackten, hündisch-schamlosen, arabisch-dramatischen Wuth- und Schreileiden' schaften. Es ist der Weltwirrwarr im Extrakte, als chine-» sisches Feuerwerk angeschaut und durch hundisch-neidische, hün> disch-belfernde und hündisch-schamlose Menschenteufel, Dämonen, Narren und Fratzen in Scene gesetzt! Hier im Gedränge der Barken, die zu den Schleusen nach und von Kairo kommen, ist jede europäische, zivilisirte und christliche Verwirrung eine gottvolle Ordnung. Gegen diese Menagerie von Menschenstimmen aus fasernackten Menschengestalten, die in allen Farbenabstufungen von Weiß und Gelb, von Kupferfarbe und Schwarzbraun und Kohlschwarz durcheinander gewirrt sind; im Vergleich mit diesem Zanken, Keifen, Kreischen, Gewaltschreien, Wuthschreien, Brüllen und Stöhnen, das in allen Rhythmen und Tonarten, in allen Geberdungen und Aktionen verkörpert wird; gegenüber diesen unartit'ulirten, unmenschlichen, diabolischen Tönen ist aller Lärm und Ton> spektakel, wie ich ihn auf polnischen Iudenjahrmärkten, in blühenden Iudenschulen, in Synagogen während der langen Nacht gehört, ist der Gassen- und Marktlärm in Paris und auf der Londonbridge — Friede Gottes, Schamhaftigkeit und süße Harmonie! Bei solcher Gelegenheit kann man begreifen, daß und wie Häßlichkeit, Sünde und NnMichkeit nicht als die bloße Abwesenheit des Schönen, Wahren und Guten, sondern — 147 — als ein diabolisches, positives, gottvermaledeites und Welten« untergangsmäßiges Prinzip gefaßt werden muß — und daß es eine Harmonie, ein Zusammenspiel der Ungereimtheit und Absurdität, eine Macht in der Nnmacht, eine Konsequenz und Methode der Verrücktheit geben kann, von welcher die harmonische Seele in Stücke springen will. Halb nackt und wie vom Mutterleibe gekommen stehen diese mahagonifarbenen, schmutzig gelben und kohlschwarzen Bestien, diese Acgypterfratzen auf ihren Barken, oft nicht einmal eineu Schanddeckel um ihre Hüfte und so sprudeln, geifern und brüllen sie sich ihre hündische Wuth, ihre viehische Unvernunft ins gottähnliche, aber zur Frcche verzerrte Antlitz, — und so drängen sie ohne eine Spur von Ueberlcgung, ohne einen Hauch von Billigkeit, Ordnung und natürlicher Polizei, mit nicht mehr Mäßigung und Lebensart wie ein Häringszug beweist, Alle zugleich auf denselben Punkt. Eben durch diese Scenen findet sich jede bloße Phantasterei paralysirt. — Hier müßte man zankende Neapolitaner und wüthende Fischbrücksweiber herbringen und sie würden stutzig, ruhig uud schämig werden, ahnlich wie ein Narr erschrickt und sich zusammenzunehmen Pflegt, wenn er sich zu einem Rasen« den gesperrt steht. Hier denkt der bitterste Feind der Diszi-plin, der Kontrole und jeder Gewalt unwillkürlich an den russischen Kantschu und die Schnell ge recht igke it, das ist an die exekutive Polizei. Und diese Gewalchandhabung mangelt hier nicht ganz. 10' — 148 — Cs wird von Polizeibeamten und Profoßen mit dickgedrehten Baststricken ohne sonderliche Rücksicht auf Anatomie oder Osteologie, vielmehr auf gut rusfifch über die nackten Leichname gehauen; und die Gehauenen brüllen dabei die F ge» strichenen Noten zu dem ganzen Höllenkonzerr von Atfeh. Aber so lange diesen Race'Exemplaren nicht die arabische Seele aus dem Leibe fährt, bleiben sie eben Araber, Aegypter, Barbaren und Fratzen wie zuvor! Gs wollte kein Einziger auch nur um einen Strich und Schatten nachgeben, und wenn er gleich sah, daß er durch seine Rücksichtslosigkeit und Hartnäckigkeit mit zu Schaden und zu Grunde kommen mußte, es half nichts; denn der Aegypter besteht auf seinen Sinn. Und um dieses Chaos, diese Hölle sah man an hohen und steilen Lchmufern ein Labyrinth von Schmutzhütten und Schlammnestern, chaotisch terrassenartig über einander geklebt und auf den kuppeiförmigen oder flachen, mit Bohnenstroh und dem Wirrsal von trockenen Linsen- und Erbsenrankcn bedeckten Dächern der kegelförmigen Häuserwände schmutzten, kratzten, krähten und gurrten Hühner- und Tauben-schwärme umher, belferten und zähnefletschten abscheuliche Hunde, keiften alte Megären, katzbalgte und kugelte sich die junge und nackte Araberbrut: das war die Harmonie vom Lande zu der Wasser- und Schleuseu-Ockonomie. Kckibby! ck i i. Die ägyptische Architektur auf dem Torfe mit daran» geknüpfter Philosophie und Allegorie. Vom 17.zum 18. Oktober haben wir im Dorfe Schibbel-chit genachtct. Die Hütten liege» unmittelbar am Nil, so daß er sie überschwemmt haben muß. Ich wundre mich, daß nicht alle niedrig liegenden Dörfer mit ihren Lchmbuden aufgelöst worden sind. Mit einigen ist es geschehen, sie werden aber ohne sonderliche Arbeit und Kosten wieder aufgeführt, denn Holz und Steine, Glaser, Töpfer, Tischler, Zinimermann und Tapezier sind dabei nicht von nöthen, und den Maurer macht der Fellah nach dem Muster der Schwalben, wobei ihm seine Familie Handlangern muß. Die wenigen aus elenden Vretterstücken zusammengebastelten oder nur aus Flechtwerk gefertigten Thüren und Kisten rettet Jedermann vor der Fluth, und so sieht er ruhig von den hoher liegenden Stelleu und Dämmen zu, wie seine Backofenwohnung in den Schlamm aufgelöset wird, aus dem sie in Me zusammengeknetet und __ 1 ^^ bald genug von der Sonne zu Stein getrocknet ist. — Es regnet kaum dreimal im Jahr und dann ists nur ein himmlisches pro torina, das eben den Staub löschen darf. Kalt ist es nur wenige Wochen oder Tage, und auch an diesen nicht viel kälter, wie in Preußen in einem kalten Mai*), z. B. in einem solchen, wo Friedrich dem Großen die Potsdamer Orangerie erfror. Die Palmen vertragen also gleichwohl mehr Frost, denn sie erfrieren hier doch nimmermehr. — Also das Klima erlaubt im Allgemeinen diese ^ehmarchitektur ex iinprovik«, — und man darf ihr sogar nachsagen, daß sie nicht ohne ländlich sittliche Vortheile,.vielmehr in vielen Stücken von dem ägyptischen Himmel so fur den Fellah vorgeschrieben ist. — Die Hauvtrücfficht für eine hiesige Wohnung ist nämlich Schatten und Kühlung und für die kalten Tage ein enger Namn, der von dem kleinsten Feuer erwärmt; denn es giebt hier außer dem Kameel-, Esel- und Büffeldünger, oder wenigem Strauch, Rohrig und Palmenstielen kein Brennmaterial. — Zum Dritten-, Ersten- und Letztenmal aber müssen die Hütten so nahe wie möglich am Nilstronie stehn; — weil Wasser, Kühlung, Erfrischung, Vad und Reinlichkeit das vornehmste Vedingniß des Garten- und Ackerbaues, wie der Thiere und Menschen ist. — Die Büffelkuh steckt während ') Vcvsiuo klebte im Januar an den Pyramiden von Oizeh 5° R. Frost und einen Ncgenorkan, der in wenig Minuten kleine Bäche und Teiche im Sande bildete, seine Zelte mnnß und die Gerät hschaften auf Wcllen forttrieb. ^ 151 — der Tageshitze im Wasser bis an den Hals, — und die Mm« schen sitzen an den Ufern, um Bad und Labung bei der Hand zu haben, oder um das Wasser mittelst ganz einfacher Vorrichtungen in die großen und kleinen Kauäle zu schöpfen, von denen das kleinste Ackcrstück durchschnitten und aus welchem es mit Schaufeln begossen und bespritzt sein muß, wenn es irgend einen Ertrag geben soll. Wenn aber solchergestalt die Hütten am Wasser stehen müssen, so werden sie auch in den meisten Fällen während der Nilüberschwemmung halb oder ganz zerstört; und alsdann nur unter der Bedingung fast jahrjährlich aufgebaut werden können, wenn sie so leicht und klein und mühelos wie erdenklich eingerichtet und hergerichtet sind. — Geräumige, ordentliche Häuser, oder nur solche Hütten kann der arme, nackte, schlechtgenährte, von allen Hülfsmitteln entblößte besitzlose Leibeigene, in einem bren-nend heißen Klima, ohne anderes Baumaterial als seinen leicht zu knetenden, rasch und steinhart zusammentrocknenden Nilschlamm und Thon, -— doch nicht erbauen; und falls er dies Wunder auch einmal, in seinem Leben zu Stande brächte, so kann er'ö doch nicht alle Jahr! Verträglichkeit und Friedfertigkeit ist ferner die schwächste aller Arabertugenden so sehr, daß sie ihm sogar ganz und gar abzugehen scheint und man an Ort und Stelle erst den Akzent begreift, den der Weltheiland auf dieses echt jüdisch-arabische Menschenmalheur und Kriterion Hele^t hat, indem er bei aller Gelegenheit den Friedfertigen — 152 — Sanftmüthigen und Geduldigen das Himmelreich verspricht, indem er Liebe und Gehorsam als das erste und letzte Gebot hinstellt. Sintemal aber das arabisch-jüdische Naturell ein fo unverträgliches und, was zur Konsequenz gehört: ein so zerfahrendes, bei allen Gelegenheiten sich eigennützig und kitzlich absonderndes, schismatisirendes, disharmonisches und nirgend gemeinschaftlich auf einen Punkt hinarbeitendes ist: so wird auch sonnenklar, daß die arabischen Familien, selbst wenn sie Balkenholz und Bretter hätten, um größere Familienhäuser in gemeinschaftlicher Thätigkeit für ein gemeinschaftliches Beisammenwohnen aufzuführen, dies ihrer Absonderungssucht schlechtweg unmöglich wäre. Mehemed Ali hat ein oder ein Paar Dutzend vermeintlicher Musterdörfer in Unter-und Oberägypten aufbauen lassen; anstatt aber, daß die geräumig und regelmäßig eingerichteten Häuser und Gassen eine Nachahmung gefunden hätten, sind sie vielmehr selbst den« jenigen widerwärtig, unbequem und durchaus nicht zn Sinn, welchen man sie kostenfrei oder gegen die billigsten Verpflichtungen zur Wohnung angewiesen hat. Natürlich konnte das Experiment nur an den höher gelegenen Stelleu ausgeführt werden; — diese sind aber nicht immer in der Nähe des Wassers, der Bäume, der Palmen und des besten Bodens, oder der größern Ortschaften und Verkehrsorte zu haben, folglich nicht gut. — Gndlich ergeben sich die breiten Gassen, wenn sie nicht wie in den Bazars der Städte mit Palmbalken überbrückt und mit Matten belegt werden, als zu licht und — 153 — zu heiß. — DaS Zusammenwohnen ist aber schon um der hierdurch bedingten gemeinschaftlichen Gehöfte, wieder zusammengelegten Gemüsegärten dem Araber ein Scheue! und Greuel, da er, wie gesagt, überall seine aparte Welt und Geschäftigkeit haben, und gleich Kinderu, Weibern und allen Bauersleuten mit seinem Beschthum durchaus abgesondert wirthschaften, und nur nach Belieben, zum puren Vergnügen gesellig und plaudernd zusammenhocken will. Dies kostspielige Experiment des zu allen möglichen Neuerungen und Zwangs-vcrbesseruugen nur allzu entschlossen gcwcseueu Vicekönigs, der als Türke nichts von dem arabischen Gingeweide, also nichts von den natürlicheu Sympathieen, Antipathieen und Idiosynkrasie?« seiner Pflegbefohlenen begreift, — ist also ganz so in die Brüche gefallen, wie Alles, was in der übrigen Welt ohne Berücksichtigung des Himmelstrichs, der Naturen, der Sitten, der Lebcnsgewohnhciten, der Charaktere, der eingefleischten Vorurtheile, der festeingelebten Formen, der Race und Volkstümlichkeit, der materiellen und ökonomischen Ver° Hältnisse und endlich ohne Vermittelung mit der herrschenden Rcligionsform und Kirche neu organisirt und fundamentirt werden soll. — Gs ginge wohl, aber es gcht nicht.— Und wenn selbst den an sich wahren nnd vollständigen Theo-rieen und Ideen unter zivilisirten Nationen und in schulge-biloeten Ständen so gar langsam und mühselig ein Leib zu-gebildet werden kann, um wieviel schwieriger wird das mit halbwahren, abstrakten und konfusen Theorieen im kuriosen — 154 — und obstinaten Aegyp ten, unter Halbwilden der Fall sein! ^ Gs kann, da insbesondere von baulichen Verbesserungen und Neuerungen die Rede ist, Alexandrien angeführt werden als ein Beispiel verunglückter, weil abstrakter und un» praktischer Theorie. — Ihr zufolge sollte die Stadt breite und gerade Straßen erhalten; man hat zu dem Ende ein Stadtviertel ziemlich gewaltsam rasirt; — die breiten und geraden Gassen aber ergeben sich nur für diejenigen Leute bewohnbar, welche wohlhabend genug siud, sich durch alle mög« lichen Luxusmittel gegen Licht und Sonnenbrand und gegen Kalkstaub zu schützen, gleichwie im Winter gegen Regen, Kälte und Wind, welche elementarischen Prozesse in Alexandrien wegen der Mecresnähe manche Woche einem preußischen Herbst- und Frühlingöwetter komplett ähnlich sehn. Die engen und labyrinthischen Straßen können im Sommer, wie schon bemerkt, mit Matten verdeckt, sie können auch leicht mit Wasser besprengt werden und sind wiederum im Winter ungleich besser gegen Wind und Wetter vom Meere her geschützt. — Die wohlhabenden Alexandria bringen also den Sommer in Kahira's engen Straßenlabyrinthen zu und halten sich, falls sie den Winter in Alexandrien riskiren, durch Kamine, Polster, Decken, Teppiche, Matten und warme Klei" dungostücke gegen den Sturm, den Regen und Frost verwahrt, der unaufgehalten von einem Ende der schönen, lichten, breiten und geraden Straßen And zwischen — 155 — den überall unterbrocheneu Häuserreihen nach Belieben daherfegen kann. Man muß wie ich zur Weihnachtszeit die halbnackten Gseljungen und Proletarier in dcm neumodischen Frankenviertcl gesehen haben, um zu begreifen, daß in Aegypten der Hauptsache nach gerade so gebaut werden muß, als von Alters her wirklich gebaut wird. ^ Das Architektonische ist dem rücksichtslosen, abstrakten, überall egoistisch, mechanisch und tyrannisch zu Werke gehenden Türken — Mehemed Ali (dem es nicht mal beliebte oder glückte, daß er arabisch lernte), in jedem Sinne mißglückt. — Auch der Mahmudi-Kanal mit dem gewaltsamen Opfertode von vielen Tausenden der zwar widerspenstigen, aber doch nackenden, unwissenden und armseligen Fellahs ins Werk gerichtet, ist schlecht und verschlammt und keineswegs für die Dauer gemacht. Wahrhaftig, Staat und Humanität werden durch kein Rechenexempel allein realisirt. Von der arabischen Dorfbautuust ist noch dies zu merken, daß man, ungeachtet des separatistischen Charakters, ein sogenanntes Haus am liebsten unmittelbar an das andere klebt, damit eine Wand gespart werde. Zwischen den einzelnen Lehmbuden oder ihren zellenartigen Konglomerationen bleiben dann nur so schmale Gänge, daß sich eben nur eine Menschengestalt in ihnen fortbewegen kann. Dazu sind kleinere Hofräume (oft nur so groß wie ein Schlafkabinet, um etwas aus der Hand und aus dem Wege zu stellen, - die Nothdurft zu verrichten, mit dein Federvieh zu verkehren und — 156 — die Ziegen zu melken,) mit in den wunderlichen, ganz willkürlichen, plan- und regellosen Bau aufgenommen und umfriedigt. Diese kleinen eingeschlossenen Gehöfte vertreten wegen des immer trockenen Klimas unsere Rumpelkammern oder sogenannten Hausflure, Speicher und Magazine vollkommen gut,und noch mit dem Vorzuge, daß sie weder finster noch stockig, oder hermetisch verschlossen sind, wie bei uns. — Das Ganze so eines NildorfeZ ist in seiner Unregelmäßigkeit, seiner Vodenuneben-heit, seiner Nngleichartigkeit und Winklichkeit, mit seinen schmalen verdeckten und offenen Gängen, Höfen, Mauern, Stufen, Estraden, Absätzen, Löchern, Kegeln und abgestumpften Pyramiden, Würfeln, kleinen Kuppeln, welche den Hütten das Ansehen von Backöfcnbuden und thönernen Tcrpcntinflaschen geben, ein unbeschreibliches und unkonstruirbares Labyrinth, aus welchein sich kein Fremder, selbst mit einem Kompaß, heraus oder auch nur ordentlich hineinzufinden ver» mag. — Man versteht das Gingeweide der Pyramiden, die Grab» kammern, die Nekropolen und das alte Labyrinth, sobald man das erste beste ägyptische Dorf gesehen hat. Gs ist hier derselbe angebornc, durch das Klima und die eintönige, einförmige Wüste ausgebildete, naturnothwendig gewordene Hang zur Unregelmäßigkeit, zur Abwechselung, zur Mannigfaltigkeit, zur Höckerig keit, zur undulirenden Linie, zum Zickzack, zur Winkligkeit, znr Schläfrigkeit, zur Träumerei; und diese - 157 — Elemente sind dann zur delirirenden, zur faselnden, ungeheuer» lichen, konfusesten, willkürlichsten und abenteuerlichsten Lebensart, zur närrischen Kunst, zur läppischen Spielerei und Fratzerei in allen Gestalten ausgeartet; so scheint es mir. — Diese arabischen Bauabenteuerlichkeiten auf dem Dorfe sind die Karrikatur der altsarazenischen Archi' tektur. Die bunte Phantasterei und mysteriöse Konfiguration der letztern, ihre überall unterbrochenen undulirenden Vau» linien, ihre Rosetten, Sprossenwerke, Zinnen, Balköne und Erker, ihr mystisch vegetativ konfigunrter Styl, entartet beim Fellah zur närrischen Willkür und Formlosigkeit, zur Faselei, Konfusion und Absurdität überall. — Ganz so, wie der Ge> bildete und Zivilisirte, wie ein schnlgerccht erzogener Mensch die gerade Linie, die Symmetrie; wie er Gbenmaaß, Logik, Grammatik, Mathematik, Architektonik, Konstruktion, Styl, Einheit, Haltung, Würde, Stätigkeit, Charakter, Ruhe, Idee, Plan, Uebersicht, Ordnung, Gesetz, Regel, Norm, Klarheit, Auögeglichenheit, Harmonie, einfache, leicht zu kontrolirende, zu lehrende und zu lernende Oekonomie liebt —: so begehrt der Wilde, das Kind, — das weibliche Geschlecht, der bloße Naturalist, der Sinnenmensch und rohe Praktiker, der Winkelkonsulent, der Quacksalber, so begehren alle Sinnenmenschen, weil sie vom Augenblicke beherrscht werden, weil sie dem wechselnden Simicneindruck hingegeben nur an der Partikularität haften und nie ein Ganzes, ein Geistiges, Periphe-rischcs und Zukünftiges zu erfassen vermögen —: die Unregel- — 158 - Mäßigkeit, die Unordnung, die Willkür, die Gesetzlosigkeit, die Zerfahrenheit, die Zerstückelung, die Winkeligkeit, die Winkelzüge, das Zickzack, die Praktiken, die Hinterlisten, die Hinterthüren, die krummen Wege und Stege, das Chaos, die Auflösung, das Labyrinth: eine bunte Welt, in der es drunter und drüber, wo es kopfüber geht. Dieses labyrinthische, bunte, gesetzlose Innere bildet der Sinnenmensä) naturnothwendig auch äußerlich ab. Diese Zickzacksprünge, Winkelzüge, Undulationen und Zerfahrenheiten spiegelt also auch der Araber unter den Modifikationen seiner Bildung und seiner besondern Naturgaben, im Sprechen und Schreiben, im Bauen und Buchstabenzeichnen, in seinen Sitten und Geberden, — in all' seinem Thun und Lassen, willentlich und unwillentlich ab; wie z. V. in der Mosaik« und Arabeskenbildnerci, in der harmonielosen Musik, wie in dem komplizirten Nischen-und Grottenwerk, welches in dem Vaustyl der arabischen Moscheen so ungeheuerlich eigenthümlich ausgebildet erscheint, daß der schulgerecht gebildete, au große Baulinien und Bauflachen, an übersichtlich geebnete und einfach gehaltene Massen gewöhnte Mensch anfänglich durchaus nicht fassen und begreifen kann, was er mit einem solchen Grotten werk von sieben nebeneinander und siebenfach übereinander gestellten Kolossalnifchen in der Idee anzufangen hat, da zumal in jedem dieser Nischenungeheuer das ganze Nischen-und Grottenwerk bis zum Labyrinthischen wiederholt ist, wie — 159 — z. B. zu Kairo in der Hassamnoschee. Diese abenteuerliche, verworrene, Prinzip- und styllose, schmutzige Lehmklackserei, die an Termiten und Biber erinnert und mit dem reinlichen, akkuraten, mathematisch-regelrechten Zellenbau der Bienen nicht im mindesten verglichen werden kaun, ist ein Bild des heutigen Arabers. So zickzackig, so undulircnd, so Prinzip-und normlos, so abenteuerlich, willkürlich und jeder Zufälligkeit hingegeben, so unschön, zerhackt und absurd wie die Architektur, so bucklicht und ungeheuerlich wie das Wüsten» kameel sind diese Fellaharaber in ihrem Sinn und Geist. — Das Innere wird überall durch das Aeußere, das Nnfinnliche durch das Sinnliche abgespiegelt und erklärt: das ist dann eben Symbolik und Allegorie. Aegyptische Lebensarten und Liebenswürdigkeiten. Gr wuhte gar wohl, daß dort zwischen Kades und Varcd, bel dem Brunnen am Wege zu Sur, der Engel des Herrn Ha gar gefunden und zu ihr gesprochen hatte: Hagar, Earai Magd, wo rmnmst Du her und wo willst Du hin? und weiter: Du wirst einen Sohn gebären, des Namen sollst Du Iömael heifien darum, daß Dich der Herr erhöret bat! „Er wird ein wilder Mensch sein" —und Ismacl wußte eö gar wohl, daß er nur der natürliche Sohn seineö Vaters Abraham war. __ (Julius Mosen,) Lepsius sagt in seinen Briefen über Aegypten: „Araber ('Hr»,1i, plur. Urww) nenne ich nach der Sitte des Landes diejenigen Bewohner, welche sich nachweislich erst später im Nilthale niedergelassen und mit Gerechtsamen Dörfer gegründet haben. Sie unterscheiden sich durch ihre freie Abkunft und ihren männlichen Charakter sehr bestimmt von den Fellahs steht, absolut mechanisch, sinnlos, seelenlos, ohne einen Hauch von innerm Antriebe, von lebendiger, begriffener Genug« thuung vollbracht. — Bei solchen Thatsachen wenigstens wie der eben berichteten, verstummt und verdummt der Verstand der Verständigen selbst; das glaubt man kaum, wenn man es erlebt, denn man will seinen Augen lieber nicht trauen. Ein Thier hat ja Reinlichkeitssinn; Katze, Hund und Rind lecken und säubern — 167 — ihr Junges und sich selbst; und diese Araber, die sich den Vorschriften der Religion zu Folge so viele Male des Tages Hände und Füße waschen und das Gesicht, begreifen das Wesen, die Wohlthat, die Seele, das Symbolum, die Lust und das Leben der Sauberkeit nimmermehr; und bleiben an einem Ende und in einem Winkel schmutzig, während sie am andern Reinlichkeitsoperationen vollziehn. Sie bespülen sich den auswendigen und nicht den inwendigen Mund, das Auge und die Augenwinkel wieder nicht; sie fahren mit nassen Händen über das Gesicht und nicht mal über das Ohr oder dahin« ein. — Sie waschen das Kind einmal und zehnmal; falls es aber außer der vorgeschriebenen Reinigungszeit im Kothe steckt, belassen sie es in demselben harmlos, gemüthlich und vollkommen zufrieden, wie mit dem reinlichsten Ort. Aus so heillosen, unbegreiflichsten Kontrasten und Widersprüchen ist dieses Volk fort und fort zusammengesetzt. In diesem Augenblicke Putzt sich dieser Aegypter mit Turban und Kaftan, mit kurzer Pluderhose, Troddelmütze (Tarbusch), Leib« binde und feinem Hemd, und steckt gestickte Pantoffeln an den nackten Fuß; und dann wicdcr steht er nackt wie ein Thier vor seinem Nebenmenschcn, vor seiner Familie, vor seiner er» wachsenen Tochter, ohne daß er einen Augenblick zu ahnen vermag, warum dies anders sein soll. Das könnte für Para« diesesunschuld gelten, aber sie ist hicr weniger zu finden als irgendwo, und jenes Symptom gehört einer hündischen Schamlosigkeit an, die an das Klima gebunden scheint; denn die — 168 — Berichte Herodots und aller Späteren bekunden bereits die Unflat her ei der Aegypter und ihren Mangel an Scham. Dahin bezügliche Anekdoten von Fürsten greift das Volk nie aus der Luft. Gin Wilder, der keine Kleider kennt, mag dem Stande der Unschuld angehören, aber Kleiderftracht, ziuilisirte Gebräuche und Mißbräuche, — massenhafte Converfationen mit Hetären bei Dattelbranntewein und Musik, die ganzen Nächte hindurch, wie in diesen „(Hamaren" (Schenkhäusern) am Nil überall: zerstören nothwendig jene Unschuld aus Eden, und dulden die völlige Nacktheit nimmermehr. Von dem Augenblick an, wo der Mensch ein Feigenblatt vorgenommen hat, darf er es amb nicht wieder fortthun; und die arabische Trunkenheit, die Unzucht in Dörfern wie in Städten, verträgt und fordert wenigstens ein Hemde auf dem Leibe, wenn nicht mehr. Daß es unter diesen schamlosen Halbwilden nicht auch noch hin und wieder unschuldige Menschen giebt, wird dabei nicht in Abrede gestellt; man darfund kann aber, ohne feinen Sinnen, seinen stündlichen Erfahrungen und seinem unbefangenen Menschenverstände Gewalt anzuthun, — die splinter-faser-nackten Bar-kentreidlcr und Matrosen unmöglich für pure Adamiten und schuldlose Naturkinder ansehn. Was aber die ^asi-unschuldige Schamlosigkeit der Aegyftter betrifft, so hat sie eben die landesübliche Zudringlichkeit, Frechheit und jede Art von Unverschämtheit erzeugt. — Aus dieser Schamlosigkeit entspringt oder zu ihr gehört auch eine jeweilige beispiellose, bis zur wirklichen — 169 — Dämonie gesteigerte Abgeschmacktheit, Albernheit und Possen-reißerei der Aegyptcr, in welcher die letzte Spur von mensch« licher und persönlicher Würde untergegangen scheint. Hier in Schib belch it sah ich einen Bettler, der den wandernden Hanswurst und Grimassenschneider machte. Die italienischen Bettler können auch unverschämt werden, aber sie machen sich doch nicht zum Narren, sie reißen keine Possen und betteln nicht mit Geberdungen, in welchen das menschliche Antlitz geschändet und jeder Schatten von Scham fortgcwischt wird. Man muß es gehört und gesehn haben, was so ein ägyp« tischer Bettler oder gar ein Taschenspieler für Grimassen treibt, wie er singt und springt, wie er plappert und „schab-bert", wie er möckert und lacht, was er für Männchen macht, welche Töne und Anspielungen, welche plastisch-mimischen Attitüden und schauerlichen Handgreiflichkeiten er eventualiter mit seiner Frau um die Wette produzirt; wie er sich in allen erdenklichen Aberwitzigkeiten, Nnfläthercien und Bestialitäten ersauft, bis er eine Gurke, ein Stück Melone, einen sogenannten Liebesapfel oder eine Zwiebel für seinen Bettelsack ergattert hat; um zu begreifen, daß alle übrigen Bettler, verglichen mit den ägyptischen: Belisars und Tragöden auf dem Kothurn sind. — Aus dem kleine» unbemcrkiaren Keim« der na< türlich eil Neigung hat die christliche Religion den überschattenden Baum, Philanthropie genannt, entwickelt. Aus der wilden zasrig«» Wurzel ,n e»s chlicher N echtsch a ffenheit hat sie einen rechten Tinn flir die göttliche Gerechtig» keit großgezogen. — Aus dem Ehrgeiz: Macht und Ruhm zu erlangen, für mein elendes Ich, hat sie den Ehrgeiz gebildet, meines Herrn Neich auszubreiten. Eie hat meine Natur von dem um» gebenden Unkraut u»b den Auswüchsen befreit, — aber sie konnt« sie nicht ausrotten, und sollte es wohl nicht, bis da» Sterbliche mit dem Unsterb» lichen u erlausch t wird. (Jane liyre von (dürrer Vell.) Hier in Aegypten begreift man dic Gesetze Mosis, die Reinlichkeitsvorschriften, die Waschungen, die jüdischen Umstände mit Speise und Trank. — Hier die zehn Gebote und warum das: Du sollst nicht andere Götter haben neben mir, an die Spitze gestellt ist, denn die Zerfahrenheit und Zer» stückelung, das Viele und Mannigfaltige, ist noch heute in Aegypten eine Nawrreligion. — Hier faßt man die Geschichte vom goldenen Kalbe und die Nothwendigkeit eines — 171 — Wüstenzuges, der 40Jahre dauerte, damit die alte, verderbte, hartnäckige und unverbesserliche Race aussterben konnte. — Hier die Nothwendigkeit einer Absonderung des Volkes Gottes von den Nachbarvölkern, durch deren Einftuß und Beispiel daö sinnlich wetterwendige Iudenvolk immer wieder und wieder in Unglaube und Götzendienst verfiel. Unter diesen ewig hadersüchtigen Aegyfttern, — den Nachkommen Chains und Ismaels, fühlt man von ganzer Seele (Christi Ermahnung zu Liebe, Sanftmuth und Mäßigung, als das weltheiligste und als ein wahrhaft göttliches Gebot! — Hier in Aegypten begreift man die Weisheit der alten Gesetzgeber, das Heil strenger Gesetze und gefestigter Lebens« formen, gleich wie den Weltuntergang in einem naturalistischen Liberalismus, mehr als an irgend einem Orte der Welt! - Die Gemüthsstimmung des Aegypters ist bei viel liebens-würdigem und geselligem Element im Allgemeinen eigentlich der personifizirte Krakehl. — Jeden Augenblick zeigt er sich ungeberdig, störrig, verdrossen, galljüchtig, querköpfig, eigen» sinnig, gereizt zu Zank und Hader, zu Widerspruch und Händeln aufgelegt. Immerfort raisonnirt er auswendig und inwendig zugleich. In dieser Beziehung erscheint er ganz das Gegentheil vom Juden, der in Polen als beständiger Faktor und Commissionair alle entstehenden Schwierigkeiten, Unebenheiten, Verlegenheiten und Differenzen ausgleichen, überall den Unterhändler machen, Alles was krumm ist ins Gerade und — 172 - in Richtigkeit bringen, Haken und Oesen zusammenbringen oder auseinanderhäkeln muß. Eben so leicht befriedigt, unschwierig, vcrläugnend, bereit» willig, uneigcnwillig, fügsam, schmiegsam, nachgiebig, geduldig, ausdauernd, elastisch und passiv widerstehend der Jude im Verkehr mit dem Christen geworden ist, eben so sehr war er das Gegentheil von dem Allen zu seiner Väter, Rich' ter und Propheten und Mosis Zeit; kann er eö unter Umständen auch heute noch sein. Und das Gegenstück von allen christlichen und, deutschen Tugenden ist des Aegypters Signalement. Gr ist ein Halbwilder und obstinater Barbar, den nur eine eiserne Faust zur Raison zu bringen und zu zivilisiren vermag. — Aber freilich eine Faust, die nicht von Tyrannei und Haß, sondern von Menschenliebe und Menschenachtung geleitet, jeden Augenblick eine weiche, schonende Menschenhand ist! — Es ist nicht möglich, man wird aus diesen Aegyptern nicht klug. Vei allem Hange zum Individualisiren, Detailliren und Partikulansircn sind alle Dinge hier unpraktisch und pfuschrig gemacht. So haben z. B. die Bootsstangen, mit denen im seichten Wasser das Fahrzeug fortgestoßen wird, kein Kopfstück. Der Bootsknecht setzt vielmehr das zugespitzte Ende der Stange, allem gesunden Menschenverstände zum Trotz, gegen die Achselknochen, und wedcr der Schmerz, noch der Mangel an Effekt bringen den Aegypter auf die Idee, ein Polster anzubringen, was mit einem kurzen Querholz abge< - 173 — macht wäre. Ferner bei wirklicher Gefahr auf Untiefen oder an eine Barke anzufahren, sind die Leute so lange gleichgültig, bis das Malheur geschehen ist, — und wenn gar nichts los ist, bei Kleinigkeiten und leichter Arbeit, wird eine Geschäftigkeit, eine Lauferei und ein Lärmen bis zur Verrücktheit etablirt. Wer dieselbe in allen Tonen, Tonleitern und Rhythmen der Menschenstimme kennen lernen will, der begebe sich auf den Nil und höre zu, wenn die arabischen Schiffer sich mit den Bootsstangen von der Nntiefe losarbeiten, oder wenn sie im Wettrudern in ihrem Humor sind und das Aeußerste thun. — Das alsdann zum Besten gegebene Genre von Präludien in Tönen, Manövern und Geberdungen kann selbst Demjenigen, der für den Naturalismus schwärmt, den Geschmack au Naturmenschen auf immer verderben. Wenn es endlich nach allem Möckern, Stöhnen, Winseln, Seufzen, Tremuliren, Knurren, Miauen, Gurgeln und Schnaufen zum Singen kam, so wimmerte ein Snbjckt unablässig: ,Mi,no1i, oil deli, — ^Uali, ^Mkk-üL-oisli 8lül!" — Der (5horus aber ^ar mk kun"; oder dem ähnliche Klang- und Sangworte. Endlich aber nahm das Singen und Sprechen und das Rezitativ an Leidenschaft, Schnelligkeit und Absurdität dergestalt zu, daß ich komplette Verrückte vor mir sah, mit dem Vortheil auf Seiten zivilisirter Tollhäusler, daß diese unmöglich je so abgeschmackt „nd widerlich lappisch delirircn werden, als von diesen methodisch überschnappenden Barkenschiffern geschieht. — Sie richten — 174 — ein ordentliches Responforium von Tonfigurcn und Stimm« proben ein. — Auf die absurdesten, albernsten und unmög« lichstcn Locktöne und Gurgelexperimente, Lamentationen und Parolen wird regelmäßig geantwortet. Jede ausgespielte Abgeschmacktheit findet hier ein Echo, einen Klimax und wird durch alle erdenklichen Tonleitern fugirt. — Ganz kurz, ganz schnell und immer schneller und immer kürzer wird hier ge. seufzet, gestöhnet, gewimmert, gegurgelt, geröchelt, gefaucht, geknurrt und geknarrt; — und je weniger dieses Manöver zur Sache verfängt, desto toller wird es gesteigert und kar» rikirt. Ich sage es noch einmal, man muß es gehört haben, um zu begreifen, bis zu welchem Grade von Absurdität der Mensch ausarten und welche Hölle von Häßlichkeit selbst in bloßen Tönen und Rhythmen verwirklicht werden kann. Ich hatte diese Hölle oder diesen Hades zum mindesten wohl schon ein Dutzendmal ausgehalten, und jedesmal war ich wieder frappirt, indignirt und torquirt; denn diese Absurdität beleidigt die Menschheit und spiegelt die ganze Fratzigkeit, Bestialität und Dämonie einer entarteten Race zurück. — Die reine Natur ist freilich nicht abgeschmackt, sondern graziös, dies zeigt das wilde Thier; aber der Anfang und Ausgang der Zivilisation verfällt heillosen Absurditäten, wie das vielleicht an den Chinesen zu ersehen ist. — Das Hauptelend indeß muß in dem Raceprinzip liegen; — denn es giebt ja ganz- und halbbarbarische Völker und sie — 175 — sind darum nicht so läppisch, so abgeschmackt, so widerwärtig absurd, wie diese Nachkommen Ismaels und Chams. — Von den Chinesen weiß man vollends nicht zu sagen, — ist ihre Abgeschmacktheit in Sprache, Sitte und Zeremoniell als eine unvollendete, in der Mitte stehen gebliebene, als eine in der Krisis und im Gährungsprozeß umgeschlagene oder endlich als eine entartete und bereits lange abgestorbene Zivilisation anzusehen. Die Griechen waren doch auch Naturalisten und hoben sich mit dem Heidenthum allein, bei einem glücklichen Naturell und unter einem schönen Himmel, zu den Aetherhöhen der schönen Künste und Wissenschaften, zu einer Geschmacks-bildung in Sprache, Sitte und Lebensart, die für alle Zeiten gesetzgebend und unerreicht geblieben ist. — Warum sind nun diese Araber, Chinesen und Juden so abgeschmackt, unkünst-ierisch, formlos, maßlos und absurd? — Das weiß allein unser Herr Gott, denn es giebt bis zum heutigen Tage ge« schmackvolle Naturalisten und abgeschmackte Christen überall. Die Araber haben ganz und gar den unnützlich spitzfindigen, häckligcn, schismatisirenden, partikulansirendcn und dabei doch konfusen, unpräziscn Sinn und Verstand wie die Juden. Ihre Schrift beweist das zunächst. Diese arabischen Buchstaben haben Pünktchen und Häkchen, die Denjenigen zur Verzweiflung bringe», der sie lernen oder — 176 — lehren soll; und gleichwohl werden wiederum die Worte so dicht nebeneinander oder ineinandergeschoben, daß kanm ein Eingeweihter, geschweige ein Anfänger, ambische Schrift mit Leichtigkeit zu lesen vermag. Was zu trennen wäre, das wird mit stenographischen Abkürzungen dergestalt ineinandergezogen, daß eventualiter drei Worte ein einziges Zeichen bilden müssen; — und was zusammengefaßt, einheitlich, unter einer Idee und einem Bilde begriffen bleiben sollte, das wird streng gesondert und iudividualisirt, bis zur Dissipation. Hiefl'ir eine kleine Exemplifikation: Es giebt eine Frucht, welche ßim-Kim heißt; die arabi» schen Buchstaben für das Wort Kim sind ^ ^"">; der Vokal i bleibt wie im Hebräischen und in allen semitischen Sprachen fort. — Im Schreiben aber werden nicht nur m und 8 einmal, sondern beide Worte Lim 8im mit nachstehen» der Abkürzung zu einem Wortbilde tonfigurirt; und es wird also statt „ ^ ^""" ^ l^"" " nur dies Zeichen geschrieben: Wir ägyptisch-gearteten Deutschen haben bereits fünferlei S; nämlich S, s, s, ß, ss; — die Araber haben noch ein S mehr und kein „Z". Das N (Nun) wird auf viererlei Art geschrieben. Alle Buchstaben außer dem ^ (Alef) werden auf zwei und dreierlei Art geschrieben, je nachdem der Buch' stabe zu Anfange, in der Mitte oder am Ende zu stehen kommt. Was die ., S-Wirthschaft" betrifft, so giebt es ein: ßin, (schin), sehn, ßa, se, sal, sad. — ^. 177 ^_ Ich erkläre mir diese Grundzüge und Eigenheiten des arabischen Oharakterö so: Alle Bildung beginnt mit der Entwickelung des sinn» lichen Verstandes. Der Verstand aber distinguirt und ana« lysirt, — er schismatisirt und artikulirt. — Später kommt die generalisirende Vernunft und ganz zuletzt erst die selbstbewußte Herrschaft und Reflexion dieser Ver» nun st, als worin die Freiheit des Geistes und Bildung besteht. — In statt ihrer, wirthschaftet im Aegypter die Phantasie. Sie bildet wenigstens die sinnliche Einheit und den Kitt für die bunte Sinnen- und Verstandes-Mosaik. Mit dem Chinesen ist eö derselbe Fall, auch er ist spitzfindig, zerfahren und partikularisirend und zerhackt eben drum die Worte in lauter Silben, scheint jedoch nicht überall so lüder» lich, unpräzise und unsäuberlich wie der Aegypter zu sein. fondern arbeitet vielmehr bei vielen Gelegenheiten unnachahm« lich künstlich, mühselig, sauber und nett. Das Prinzip der Zerbröckelung und Zerfahrenheit liegt in der arabischen wie in der hebräischen Sprache zu Tage. Gs giebt nichts Aermlicheres und M/lloscres, als das hebräische und arabische Verbum *). Die ganze Grammatik dieser ') Die arabische untz hebräische Sprache sind volltöniger, naturwüchsiger, kräftiger, männlicher, physiognoimereicher. fym° 12 — 178 — Mutter- und Tochtersprache ist eine Armseligkeit, eine Zerstückelung und Zerbröckelung, ein Stammeln, Mechanismus und Mosaik. Der Infinitiv muß wie bei den Kindern für alle Tempora gelten. Diese arabische Grammatik kennt keine Pathologie; die einzelnen Worte stehen in keiner sensiblen und flüssigen Beziehung, in keiner Gegenseitigkeit und Mitleidenschaft, wie das in der deutschen, griechischen und altrömischen Sprache der Fall ist, da es ja der lebendige Prozeß und die Seele so diktirt. Die Zerbröckelung der arabischen Sprache zeigt sich außer der Armuth und Empfindungslosigkeit in Deklination und Conjugation, auch in dem großen Mangel an Partikeln, an alle den Verbindungs- und Klickworten, durch die eine Sprache erst flüssig gemacht und zum Ganzen verbunden wird. Jedes Wort steht egoistisch, starr und sturr, Partikulariter, empfindungs-mitleidenschaftslos, unflüssig, vom Ganzen abgelöst für sich da; ganz wie die Inhaber dieser zusammengeketteten Mosaiksprache, die Araber und Aegypter, die eben um bo lisch er, wie irgend einc Sprache der Welt, Mau l,ört und fühlt ihren gehäuften Consouanteu, ihren Zischlauten, ihren Nachentöneu, dein dicken l —: die elementaren ^eugungs-träfte, die Schwangerschaft, dic Lebeuümmnttelbarkeit und deu ersten Hauch des frisch aufgebrochenen Erdreiches, der göttlichen Eingebung an, aus der sie hervonvucherten; ader Pathologie, Fluß, Form, Schönheit; Anmuth und Wohllaut, hadeu diese semitischen Spracheu nimmermehr. — 179 — dieser überall versündigten Zerstückelung keine heilen, heiligen, seelenvollen und Sympathie geschwellten Personen sind. — Die Schicksale haben hier Vieles verschuldet, aber Völker wie Individuen sind doch auch ihrer Schicksale und Geschichten Schmied. Die arabisch-jüdische Zerfahrenheit gehört der Race an. 12' Erster Anblick ller Pyrmnulm vor Lattn ei L^kera,. In Mitte der Krümmung, die der Nil vor Ng,ttn oi Vak-k«?r», (dem Bauche der Kuh), d. h. den Punkt macht, wo er die beiden Arme nach Rosette und Damiette entsendet, durch welche jenes fruchtbare Delta gebildet wird, das oft drei Grn« ten im Jahre hergeben muß: da bekam ich am Morgen des 21. Oktobers 1849 zum erstenmal die Pyramiden von Ghizeh zu Gesicht. Sie zeichneten ihre ungeheuern gleichseitigen Dreiecke in die durchsichtig ätherreine Luft! Man konnte denken: einer der altägyptischen Magier und Astrologen hätte da sein Grabdenkmal oder seinen mystischen Apparat. In dieser Entfernung erscheinen jene Weltwunder der Kunst, die es bis zum heutigen Tage geblieben sind, jene Zeit, Natur und Mode trotzenden Zeugnisse der vollendetsten Technik wie der kolossalsten Phantasie, so massenhaft und hehr, wie sie in Wirklichkeit sind. — 181 — Mit dent Anblick dieser fabelhaften Denksteine, die sich die Menschengeschichte selbst geseht zu haben scheint, fühlt sich der Ankömmling erst recht eigentlich auf ägyptischem Grund und Boden und in die ägyptischen Mysterien eingeweiht. Diese Pyramiden machen an dem gewaltigen Nil, an den Pforten der Wüste, an der Stätte des alten Memphis, gleichwie der Sarazcnenstadt Kairo und am Schlüsse des Delta, dessen Form sie zeigen: gleichsam die historischen Hon« neurs, aber auf eine Weise, daß selbst dem Pedanten und Höflinge die leeren und neumodigen Faxons in dem Augen« blicke entfallen müssen, wo ihm dieses pyramidale Cere° moniell aufs Gewissen gefallen ist. Es mag mehr wie sonderbar sein (aber der Mensch ist nun einmal so kurios, so aus purer Wundersucht zwcifelsüchtig und närrisch), genug, ich hegte noch immer so einen leisesten Schatten von einem irrsinnigen Argwohn, ob es denn wirklich solche Pyramiden geben könne.- so kolossal, so kurios; — und ob ich es eben erleben würde, sie mit leiblichen Augen zu sehn. Nnd als ich sie nun zum erstenmal erblickte, da dachte ich: also doch wahr, und du hast sie wirklich geschaut! Gin zweiter nicht minder außerordentlicher Augenblick ist der: wo das Menschenkind von heute unmittelbar vor diesen Wahrzeichen der alten Fabel- und Titanenwelt steht, wo der Epigone dieser cntgötterten, profanen und ausgenüchterten Zeit, wo der welke Glaubenszwcrg mit dem überkugelnden Riefenkopfe, vor diesen erdenewigen Grenzsteinen der alten — 182 — und neuen Zeit, des Lebens und des Todes weilen, und sie mit seinen Händen von Fleisch und Bein berühren darf. So gewaltig auch die Phantasie durch die Vorstellung von Kahira im Aufruhr, so vielfältig sie auch durch Alerandrien, feine Umgebungen, Geschichtserinnerungen und durch eine sechstägige Nil« und Kanalfahrt in Fluß gebracht worden ist: diese Pyramiden sind ein Dämpfer auf alle bloßen Farbenspiele und Entzündlichkeiten der Einbildungskraft. — Wenn man diese hehren Denkmale gesehn, schreitet man mit dem nothwendigen historischen a plomd, mit dem höchsten Maßstabe, mit Styl und Haltung, mit Orientirung durch das arabische Babylon, und findet sich fürder durch keine Welterscheinung mehr über die Maßen verwundert und beirrt: denn man hat eben das Wunderbarste, das Ungeheuerste gesehen. Man gehört fortan mit Fleisch und Blut zu den Novizen der Kunstuwsterien, der uralten Geschichten Gottes, die in den Menfchenwerken geoffen« baret worden sind; zu denjenigen Freimaurern, die das älteste Baugeheimniß angeschaut haben, welches kein Mund, kein Symbolum, kein Meister- und kein Schottengrad verrathen kann, welches sich den Erwählten von Innen heraus entsiegeln und versiegeln muß. Hakirn. Der Weg von dem Nilhafcn und der nördlich gelegenen, durch Anpflanzungen von Kahira ssetrennten Vorstadt „Bulak" nach der „Musky" (dem Frankenquartier) führt in gerader Linie durch schöne Plantagen und Alleen, die fchon um deswillen Bewunderung verdienen, weil sie aus einem See und Sumpfe hervorgegangen sind, in welchen viele von den Schutthügeln geworfen wurden, welche vor Mehemed Ali's Zeit die Stadt von allen Seiten mit einem Staub und Schmutz anfüllten, der noch bei den Kalifengräbern und an andern Orten zum topographischen Souvenir übrig geblieben ist. Der Gzbekieh-Platz bildet den großartigen Schluß und die Krone dieser von Mehemcd und seinem Sohne Ibrahim ge» schaffenen Anlagen, welche bis unmittelbar an die eigentliche Stadt reichen und von denen aus man durch wenige kurze Gassen mit ein paar Mal rechts und links Schwenken in das Frankenviertel, zur populär wohlfeilen, allen billigen Ansprüchen gemüthlich genügenden Lokanda Ludwig gelangt, falls mcm ein armer Teufel, d. h. ein Wanderbursch, ein obskurer — 184 — Abenteurer im ehrlichen Zuschnitte, ein Landschaftsmaler, ein studirender Architekt, ein Ausgewiesener, oder ein landerneugieriger Literat und Kleinstädter ist. Denn im andern und fashionabeln Fall, d. h. wenn man für 24 Stunden an sein Logis und die ganze Verpflegung etwa 3—4 Thaler preuß. wenden darf, logirt man in einem der großen, auf italienischem, französischem und englischen: Fuß eingerichteten Hotels, welche den Gzbekieh-Plcch ganz im Style einer europaischen Hauptstadt umgeben, durchaus so komfortable und fashionable wie in Berlin, Wien, London oder Paris. Der ankommende Fremde wird in jenen palastgroßen Gasthäusern von einer propre und elegant gekleideten Dienerschaft, eventualiter mit silbernen Kandelabern, auf denen Wachslichte brennen, desselbigen gleichen von Kourtoisie beflissenen, in drei oder vier Sprachen geübten Kellnern mit und ohne Servietten über den Armen, kurz, mit all' dem Apparat und Eklat, dem Terreur, den Fayons und den Geschmack verheißenden Offerten empfangen, wie nur an der luxuriösesten zivilisirtesten Stätte der Welt; und dieser Empfang macht trotz der augenblicklichen Vorwehen feiner heidnischen Kostspieligkeit sicherlich einen entzückenden Gindruck auf diejenigen .Reisenden, die zum erstenmal vom Wüstenstaube bedeckt und halb erstickt oder auch halb gebraten und ganz und gar verschmachtet, sich wie durch Zauberei aus einem quälenden Traum zur genußreichsten Wirklichkeit erwacht sehen. Diese Kontraste von wilden und zivilisirten Situationen, — 185 — Scenen und Historien sind es, welche Kahira so romantisch, abenteuerlich machen, die den Reisenden vom ersten bis zum letzten Augenblick frappirm und unterhalten, die selbst das blasirteste, europcnnüdeste Narreneremplar aufrischen und sich durch alle Sphären und Erscheinungen dieser Araber- und Wüstenhauptstadt wie durch ganz Negyptcnland ziehen! Kahira ist die bunteste, keckste Mosaik und Musterkarte aller Nationen, Lebensarten und kulturhistorischen Epochen, ein lebendiges Museum von alten möglichen und unmöglichen Formen, Fragmenten, Fehen uud Fratzen der Bildung, der Mißbildung, der Artung, der Ausartung, der Rohheit, der Sitte, der Künste, der Wissenschaften, des Heidenthums, des Christenthums, des Muhamedanismns (nämlich des aufgewärmten Iudenthums), der verwilderten Zivilisation, der Kulturbarbarei, der Neberseincrnng, der?ebensvergeudung, der Lebens-verkümmerung, der Verschwendung, der Bettelhaftigkeit, des Kleiderprunks, der Nacktheit, der Wollust, des Fakirthums, des Fanatismus, der Glaubcnslosigkeit, der Glaubensmengerei, der Paradieses- und der Wüstennatur. Drei Wclttheile berühren sich hier wie mit dcn Stirnen, und ihre Bewohner, ihre Reisenden, Gelehrten, Abenteurer. Handelsleute, Genies und Weltverbesserer geben sich hier ein Welt^ :'Rendez-vous. — 186 — Im neuen Kahira oder im alten Memphis, in Heliolo-polis, in Sais (bei S^-el-Hager, zwischen Atfeh und Nekleh) weilten, wurzelten und wirrsalten bunt durcheinander Abraham, Joseph, Moses, Herodyt und Cambists; Plato und Eratosthenes, Alexander der Große, Julius Cäsar, die Mutter Maria mit dem Weltheilande, der heilige Antonius und Napoleon Buonaparte; — also Juden, Perser, Griechen, Römer, Araber, Türken, Franzosen und die Seehelden von Albion. An jenen Stätten und in ihren Umkreisen, in ihrer Nachbarschaft, in der ägyptischen, der arabischen, der äthiopischen Wüste, in der Thebais wurden alle Religionen empfangen, gezeitiget, fortgepflanzt, zur Entwickelung und zum Märtyrerthum gebracht. Hier wurden die Geschichten Gottes, der Menschheit, die ältesten Krieges-, Religions-, Staats- und Kulturgeschichten begonnen und zu Ende geführt. In Aegypten verspannen und verwirrten sich ohne Unterlaß die Fäden der Welthistorien zu einem Wirrsal und gordischen Knoten von Weltkriegen und Weltprozessen, zu einem Netze von Gelehrsamkeit und Literatur, in welchem sich die alte und neue Spitzfindigkeit des Menschengeistes „neun Jahrhunderte lang" verfing; bis sich der verwirrte Sinn und Geist durch Barbarei, durch Völkerwanderung, durch den Untergang des römischen Welt< reichs und den Sonnenaufgang des christlichen Himmelreichs erlöset und zu einem neuen Leben, zu einer übernatürlichen Wahrheit wiedergeboren sah. Wer ein besserer Kulturhistoriker, Alexandriner und Kon« — 187 — rektor ist, der mag das besser oder schlechter ins Auge fassen; — ich lasse ihn in den historischen und geographischen Re> miniszenzen, Bruchrechnungen und Bruchstücken stecken und kehre zur Gegenwart, in die flüssige, konkrete Lebenöumnittel-barkeit, d. h. zum heutigen Kahira zurück. Mit der leidigen Topographie, der Statistik, Historie und Ethnographie von Kahira, mit der Aufzahlung der Hauser, der Moscheen, der Stadtviertel, der Einwohner, der Kameele und Esel, gleich wie mit der systematischen und vollständigen Beschreibung der kahirinischen Sitten, Gebräuche, Mißbräuche, Lebensarten und Unarten will ich die geschmackvollen Leser und mich selbst weder langweilen, noch gedäcktnißmartern oder verwirren und zerstreuen. Der gründliche, sach' und fachver« ständige Leser kennt diese wohlfeilen Notizen, und der kuriose Dilettant findet sie in dem trefflichen Werke von „Lane", in jedem (^onvcrsations-Lerckon, in der Schulgeographie und in jeder gewissenhaft geistlosen Rcisebeschreibung wiedergekäut. Zur Beruhigung der sehr Positiven Geister will ich indes; von vorne weg zum Besten geben, daß der altsemitische Name für Aegypten Alasr (im Dual Ui8rgim), zu deutsck „Schwarzerde" ist; — daß das italienische <^ir« und das französische (üairo auf arabisch ,,Nn,8r Kl ^adireli" nämlich die „Sieg« reiche" heißt, und zwar im Unterschiede vom Fostut oder „Näsr ei ätiqsk" nämlich W-Kahira, — ferner daß diese — 188 — Sarazenenhauptstadt von den Arabern auch Omm-eü äun>, d. h. Mutter der Welt, genannt wird, daß die Nilvorstadt Lulkk und daß Alt'Kcchira darum Fostar heißt (welches letztere Wort Zelt bedeutet), weil auf der Stelle von Alt-Kairo Amru, der Feldherr des Kalifen Omar, seine Zeltstange aufgeschlagen hatte, alö sich auf dieselbe eine Taube herabließ, was Amru als ein Zeicheu angesehen haben soll, an dersel-bigen Stelle eine Stadt hinznbauen. Daß Ml) Jahre später, im zehnten Jahrhundert, das eigentliche große Kahira von den fatimidischm Kalifen (den Nachkommen der Fatime, der Tochter Muhameds) gegründet worden ist; — daß die Stadt nunmehr fast eine Qnadratmeile Landes bedeckt; daß sie in der Vluthezeit gegen 400,000 Einwohner gehabt haben, einst» weilen aber nnr 240,000 Seelen, 30,^00 Häuser, 400 Moscheen oder Minarets und 20.000 Gsel zählen soll; und daß ich weder auf die Richtigkeit dieser noch anderer Ziffern, Namen, Notizen und Positivitäten schwören will, die von mir frischweg abgeschrieben sind. — Gs verkehrt und han-tirt sich wohl schön mit solchen Namen und Nomenklaturen, meint Famulus Wagner; denn man weiß doch gleich „wo und wie und wieviel". Kurz, e3 ist mit dem Positiven und in Zahlen Formulirteu wie mit dem Hentel am Topf; man weiß doch, wo und wie man ihn anfassen soll. Um aber dem Prinzip meiner ganzen Reise und Reise« beschreibung getreu zu bleiben, so gestehe ich im Gegensatz, oder eigentlich zur Ergänzung der positiven Beschreibungen: — 189 — Ich finde es so menschlich, so natürlich, so im poetischen und psychologischen Interesse, hören und lesen zu wollen, wie dem Fremden, dem Europäer und Christen die ersten Tage und Stunden in der Sarazenenstadt „zu Muthe" ge-wcsen und mitgespielt worden ist. Denn wo einmal Seele und Geist durch ganz neue Gegenstände, ja, durch eine unerhörte Welt ans ihrer Apathie geweckt und zu einem neuen Leben wiedergeboren werden, wo der Mensch seine ursprüngliche Lebenskraft gewinnt, der natürliche Lebensreiz wiederum in allen Pulsen hämmert, alle Adern schwellt und das Gehirn mit dem Herzen in Kontakt gebracht hat, da bedeutet das Individuum die Gattung, da wird die Menschheit einmal wieder vom einzelnen Menschen repräfentirt! Aus der Poesie, der Liebe, dem intensiv gewordenen Leben, entbindet sich die Idee, die ideale generelle Kraft des Lebens, und sie befaßt wiederum die Norm, den objektiven Ver» stand. Ohne Herz und Seele, ohne Subjektivität, giebt es keine beseelte Objektivität. Aber das liebetrunkene Herz ist inspirirt und die echte Lebensbegeisterung auch in Harmonie mit der Vernunft, schon weil die Natur mit ihr im heiligen Vnnde sein muß. Die objektive, die ideale und generelle Wahrheit muß nothwendig in einer Seele sein, welche in Lebensfreuden oder Schmerzen berauscht, von der Poesie und der Seligkeit des Daseins entzückt ist, wie dies dem Reisenden in Kahira ge« — 19N — schieht, falls er vom Phlegma keine Profession und von der Vlasirtheit keine vornehme Lebensart zu machen Pflegt. Die Schilderung des Gassenlebens in Kahira ist nicht selten in Einzelheiten übertrieben worden; auch finden die verschiedenen Scenen, Kuriositäten und Bilder sich nicht alle Tage und Stunden, in allen Gassen so auf einem Punkte vereint und bei einer Lebensgelegenheit auf den Haufen gepackt, wie sich das der Leser einzubilden Pflegt, wenn seine Phantasie durch lebhaft gefärbte und relief gemachte Schilderungen ins Feuer gebracht ist. Gleichwohl kann der Akzent nicht stark genug auf die Wahrheit und Thatsache gelegt werden, daß die übertriebenste Schilderung von den Scenen in Kahira und in Aegypten überhaupt nicht im entferntesten das auszusprechen oder im Leser zu erzeugen vermag, was die Wirklichkeit unmittelbar auf die geweckten lebensfrischen Sinne des Ankömmlings wirkt. Das Leben und die Wirklichkeit kaun gar nicht mit Worten übertrieben werden. Die höchste Kunst, die grellste Kunst bleiben nothwendig hinter den Urbildern der Wirklichkeit und der lebendigen Genugthuung zurück. Der Landschaftsmaler muß grellere Farben anwenden, er muß die einzelnen Schönheiten, Felsen und Vegetationen, das Liebliche und das Gr« habene, das Helle und Dunkle, das Verborgene und Offene, das Starre und Flüssige, kurz alle die tausend Gegensätze — 191 — der Natur und ihre Abstufungen näher zusammenrücken, als es die Wirklichkeit zeigt. Der Künstler muß auf einen ge« wissen idealen Effekt malen und komponiren, weil der bloße „Abtlatsch der Wirklichkeit" gar zu sehr unter dem lebendigen Gffekt bleiben würde. Diese Thatsache ist der Grund und die Nothwendigkeit einer gewissen Uebertreibung in jeder Kunst; sie gehöre der Poesie, der Malerei oder dem erhöhten ungebundenen Schreib styl an. Wenn das bloße Wort und Farben-Pigment, wenu die an sich todten Stoffe und Zeichen des Bebens mit der Lebens-nnmittelbarkeit den Wettkampf beginnen sollen, so ist das nur möglich, wenn die Ginbildungskraft des Lesers und Beschauers angestachelt wird, und dies geschieht wiederum nur durch Akzentuation, durch stark aufgetragene Farben, durch Licht lind Schatten, durch Grupftirung und Gliederung, durch Konzentration von Bildern, Einzelzügen und Effekten, die sonst nur zerstreut anzutreffen sind. Was aber auch auf einer Stelle und uach einer Seite hin in einer Sphäre mit Wort und Farben übertrieben werden möge, es fehlt nach andern Seiten und in andern Punkten und Lebensreichen um so mehr. Hundert lebendige Kreise, tausend beseelte und Pulsirende Herzpunktc, zehntausend Farbenabstufungen, Vermittlungen, Nebergängc, Harmonieen, Polarisationen und Prozesse; — der Fluß der Formen, das Ineinander des Gesonderten, die Totalität, das Klima, die Stimmung, die Seele des Lebens, - 192 — der heilige Zauber des Lebens, seine Magie, seine Berauschungen, sein himmlischer Duft, seine Blutwellen, seine Nerven-schwingungen, seine Energieen, seine Aether, seine Grazien, seine Humore, seine Symbolik; Licht, Luft und Glanz sind mit aller Uebertreibung im Einzelnen und Materiellen so wenig wiederzugeben, als aus Karmin und Kremnitzer Weift die Blutwelle, ihr Geäder, die Welt von Farbentönen, Lichtreflexen und Halbschatten gemischt werden kann, welche die Natur im wirklichen Fleische und auf seinen leisesten, dem Auge nur an den Farbenschatten bemerkbaren Mo-dellirungen produzirt! Aber der Maler muß sich nichts desto weniger zu grel' lern Fleischtöncn und überhaupt zu einer Palette, zu einer Kuustmanier, zu einer Uebertragung der Natur in ein künstlerisches Medium, zu einer künstlerischen Kon-venienz, Erhöhung und Idealität, zu einem Kothurn und Styl, ja zu einer leisen Maske bequemen, wenn er den Gffe kt der Natur erreichen und wenn diese Natur in seiner Willkür und Launenhaftigkeit nicht zuletzt aus der Art schlagen und alle höhere Einheit, allen Charakter, Styl und Typus verlieren soll. Kunst und Natur zu versöhnen, das bleibt freilich die höchste Kunst! Und wieviel sinnlichen, materiellen, handgreiflichen Vortheil hat der Maler nicht vor dem Poeten und dem bloßen Reisebeschreib er voraus'. Verlieren nicht bei dem großen Haufen der Leser die ab» ^ 193 — strakten Worte gegen die sichtbaren Farben und Formen so viel, wie die auf der Palette gemischten Farben gegen die lebengeschwcllte Farbenlciter, die flüssigen Formen der Natur? Nlso das beherzige der Leser wohl, was immer auch vom ehrlichsten und wahrhaftigsten Reisenden in Partikularitäten, in Augenblicken in gewissen Beziehungen, um der künstlerischen Oekonomie und Harmonie willen, — übertrieben werde: es ist mit dein lebendigen Ganzen verglichen immer noch seelenlos, kleinlich, farblos, hölzern und matt. Nur durch grell aufgehöhte Lichter uud Schatten giebt ja der Maler den Dingen auf der Leinwandfläche ein Relief, macht er aus dem todten Farbenpigment ein künstlich leuchtendes Licht! — oder giebt es irgend einen Künstler, der Licht malen, einen Dichter, der Leben zu sprechen und zu schreiben vermag? Aber daß er es nicht vermag, diese Verzweiflung treibt und zwingt ihn zu Uebertreibungen auf dem Puukte, da ihn der Instinkt oder die Kunstwissenschaft gelehrt, daß es die Lichter lind Schatten sind, durch dic er das Spiegelbild der Natur und Wirklichkeit gewinnt. — Gs war schon am Sonnenuntergange, als ich von Vulak auf einem galoppirenden Gselchcn vor der Lokanda Ludwig im Frankenviertel ankam und dort bei dem Wirthe, einem höchst gutmüthigen Oesterreicher, die dienstbeflissenste und wohlfeilste Aufnahme fand. — Bevor ich das nothwendigste in Ordnung gebracht hatte, war es, da die Dämmerung in Aegyptcn viel — 194 - kürzere Zeit wie i»i Norden dauert, bereits so finster geworden, daß sich von dem Bau der Häuser nichts mehr erkennen und von dem ^eben und Treiben auf den Gassen wenig pro> fitiren ließ, sintemal der Araber am liebsten mit den Hühnern zu Bette geht. — Gleichwohl machte ich mich mit einem ehrlichen und gefälligen deutschen Handwerker in brennender Neugier und höchster Aufregung noch im Dunkeln auf die Gassen hinaus; — hier mußten sich mit den ersten Schritten Abenteuer an meine Fersen heften. In der mäßig breiten Straße der Muöky (des Frankenviertels) mit ihren erleuchteten Kaufmannsund Droguericläden, Kaffeehäusern und Konditoreien sah es ganz zivilisirt aus; dann aber gcriethen wir in ein so schauer« lich finsteres Labyrinth von klafterbreitcn Gängen, daß ich mein phantastisches Gelüst eines Hcrumschweifens wohl auf« gebeu mußte und todtmüde, wie ich von Reisestrapazen und Aufregungen war, mich gerne zu meiner guten ^okcmda zurückführen ließ. — Dieser Entschluß schien auch schon um deswillen praktisch, weil wir keine Laterne mitgenommen hatten, und wiewohl kein Gingeborener aus dem gemeinen Volke bei eingetretener Finsterniß ohne eine Leuchte in Kahira umhergehen darf, wenn er nicht durch die Polizei arretirt sein will, so ist es in abgelegenen und engsten Straßen doch nicht so geheuer, daß der Fremde hier ohne Waffen, M)t und Dienerschaft mit vollkommener Sicherheit umherschweifen darf, sobald der Abend eingetreten ist. — — 195 — Einstweilen legte ich mich also auf den Divan meines hochfenstrigen und hochgebauten Zimmers, für das ich nur nach der Handwerkertaxe einen Piaster zu bezahlen hatte, mit meinem Paletot bedeckt zurecht und schlief wie ein Klotz. — Mit Sonnenaufgang aber war ich munter und vernahm die Töne des Ttraßculebcns mit der Lust und Neubcgier, die man in der Kindheit empfindet, wenn man zum erstenmal iu einer größcrn Stadt und überhaupt an einem Orte erwacht, von dem man sich Wunder und Abenteuer verspricht. — Meine Toilette war bald gemacht. Kamee lgebrüll, Eselschrei und das dumpfe Wogenbrauseu des erwachenden Lebens einer großen Stadt» tönte von der Hauptstraße des Franken-Viertels zu den undurchsichtig gewordenen, aus kleinsten Scheiben zusammengesetzten Fenstern der Lokanda Ludwig hinauf, die in einer schmalen Seitengasse zu Anfang der Hauptstraße des Frankenviertels liegt. Ich schlürfte also meinen Mokka in brennender Hast, verbrühte mir den Mund, steckte das Neizenbrötchen in die Tasche und rannte in meinem Nilkostüm, d. h. in einem abgetragenen Rock und Leinwandhose, mit einem breitrandigen Filzhut auf dem Kopfe und einem spanischen Nohr in der Hand, ohne meinem fragenden und rathenden Wirth Nede zu stehen oder für mich selbst irgend eine Eventualität in Frage zu ziehen, auf eigenes Risiko in die Gassen und in ihren abenteuerlichsten Knäuel hinein. Ich wußte wohl, daß mich jeder Gseljunge (Loi») von jedem Punkte der Stadt für einen halben oder ganzen Piaster 13* — 196 — nach „Ezbekieh", einem vor dem Frankenviertel gelegenen, mit schönen Hotels und Parkanlagen geschmückten ungeheuern Naum, — oder der Musky zurückbrächte, wenn ich ihm die Worte sagte: „».un« üus lil Nusk?" (ich will nach der Musky), falls mau aber nichts weiter als daS Wort „Ezbekich" oder „Musky" zum Eseljungen sagt, ist's auch vollkommen genug; und wenn der Fremdling gar nichts sagte, weil er stumm wäre, so würde er sicherlich zu einem fränkischen Hotel oder zu einem deutschen Handwcrksmann geführt. Es ist jedoch eine aparte Genugthuung, traktircn zu dürfen, was man nicht versteht. — Dilettantismus ist süßer als Virtuosität. Mit den ersten erlernten Worten einer wildfremden Sprache geht jeder Reisende wollüstig uud verschwenderisch um; ich hätte am liebsten jedem Gseljungen mein ganzes Vokabularium aufsagen und ihn dazu umarmen mögen, so arabisch, abenteuerlich, kahirinisch und tauscnd-kontentirt, so kurios-glückselig war mir zu Sinn. — Mit solchem Wollustgrausen erster Lebensneubegier muß Adam die ersten hastigzögernden Schritte im Paradiese gethan, oder des guten Feldprcdigers August Lafontaine zwischen steilen Bergen eingesperrt gewesener Naturmensch von jenen Höhen in die weite, ihm von seinem kuriosen Vater untersagte Welt hinausgeblickt haben: als mich über Leib und Leben durchschauertc, da ich mich au diesem ersten wundervollen Morgen in den kahirinischcn Wuuder- und Blinddarmgasscn losgelassen sah. — Ich schnellte, glaub' ich, wie ein angespannt gewesenes und plötzlich losgegebenes Stück — 197 — Gummi-Glastikum in den arabischen Quirl hinein, denn die Moslemin und selbst die Esel gaben verwundert Raum, und guckten mir wie einem ganz aparten Frcindenexcmplar nach. Die Franzosen sind nämlich bei ihrer Hastigkeit höflich und manierlich; die Engländer aber bei ihrer Rücksichtslosigkeit, Kuriosität und Abgeschmacktheit von gemessenerem Wesen und einem gehalteneren Styl. — Ich aber gebehrdete mich hastig und »an« lm/on aus demselben Sack. Nber was thut das in einer wildfremden Stadt. Auf Stnndcn, Tage und Monate so ein bischen naturwüchsig, gänzlich ungenirt zu fein, ist nicht der geringste Faktor der Reiselust und des Hmnorö am wilden und halbzivilisirtcn Ort. Dieö Gelüste ist sehr natmnoth-wendig im alten Adam, in der natürlichen Reaktion gegen lebenslange Schule, Konvenienz und Göne erklärt. Wer mal uach seinem Penchant, d. h. seinem aparten Humorc leben will, der nimmt nothwendig das Risiko einer Intonvenicnz, einer Formlosigkeit oder einer kleinen Lächerlichkeit und konventionellen Geschmacklosigkeit mit in den Kauf. — Von den ersten Schritten oder Wogcnbewegungcn in den flüssigen Elementen der Natur: in Luft und Wasser, werden wir schwindlig und taumlich; — weiterhin kommt eine Seekrankheit dazu; sie wird aber überwunden und macht nicht in jedem Falle Jedermann gleich übel zu Muth. In Kahira findet der Reisende die Scenen, die Bilder und insbesondere die Bauwerke verwirklicht, von denen er in Alexandricn geträumt. Die Beschreiberei und Spezifikation dieser Vau° und Gasscnwunder, — 198 — wie alle Wunderanalyse und Präsentation ist für mich eine Pein; aber hortet ist ein Brcttnagel, und Desperation giebt unterweilen den richtigen Witz. Ich berichte also wie folgt. Das Erste, was mich in Erstaunen setzte und meine Blicke fesselte, waren alle die Erker, die Mauerzinnen, die geschnitzten Thüren, die skulptirten Thoreinfassungen von Stein; die über-einandergestellten Säulenreihen von Kalkstein und Granit, welche Spitzbogen- und Rundbogengcwölbe tragen, und mit welchen die vielen innern Höfe der Paläste und größern Kaufhäuser geschmückt sind. Vor allen Dingen aber durchbohrte ich mit meinen Blicken die rundum verschlossenen und be« deckten Balköne (N«8<:1llt!di.^k), die aus dem wundervollsten durchbrochenen Schnitzwerk in Oliven, Buchsbaum und Orangen» holz, ja selbst an gewöhnlichen Hänsern aus einem Gatterwerk von geschnitztem Sykomorenholz oder von zierlich gekreuzten und geglätteten Palmholzstäben bestehen. — Die Motive für dieses ganz und gar den arabischen Geschmack und die arabische Phantasie abdrückende Bildwerk sind komplette Stick» und Spitzenmuster, ein Nctz° und Maschenwerk von Sternchen, Knötchcn und solchen Figurationen, wie sie ein Frauenzimmer etwa in Tüll und Mousselin mit Glanzgarn und Wolle zu Stande bringen mag. In diesen Mcschre-bijeh's giebt es kleine Guckfensterchen mit Schiebern und Ia-loufieen, durch welche dunkelglühcndc Frauen, und Odalisken» äugen auf die Gassen hinausschauen, ohne selbst gesehen zu werden. — Ich nahm mir aber nicht die Zeit, nach arabischen __ 199 __ Evastöchtern zu spähen, denn augenblicklich hatte ich es noch mit den materiellen Wundern in Holz und in Stein zu thun. Diese arabische Architektonik, die farbigen kleinen Glas-feuster hinter den Gittcrwcrken, die Skulpturen in Holz und Stein, die Gallericcn um die Höfe und um die Etagen der schlanken Minarets, die Korridore und verdeckten Gänge, die vielen Durchgänge, Thorcingänge und blinzivintlichtcn Gehöfte mit ihren Steinbrunnen und Steinsitzcn, mit ihren mysteriösen Ein. und Ausgängcn; — die Trag- oder Kraksteine, auf denen die Balkons oder die obern übergebauti'n Stockwerke ruhen; die übereinandergestellten Säulenhallen, die Spitzbögen, die Erlcrausbaue, die Maucrkränzc: dieser ganze so unendlich mannigfaltige Bauapparat und architektonische Humor erinnert auf das Lebhafteste und Genugthueudstc an die mittelalter» lichen Städte, an Nürnberg, Augsburg, Marburg, Danzig und Köln; an die alten Handelsstädte der Hansa, am frap» pantesten aber an das uralte Rouen. — Ich war außer nur vor Vergnügen, in Arabien Deutschland wiederzu» finden, und in Aegyptcn vaterländisch gemuthct und geaugcn-Weidet zu sein. — Ich licf also die ersten Stunden in so vielen Gassen umher, wie ich irgend ablaufen konnte; je närrischer um dic Ecke, je enger, je winklichter, ie gothischer, je arabischer, desto besser. Es giebt dort viele Sackgassen, — so mußte ich denn oft wieder des Weges zurück, den ich gekommen war. Dafür guckte ich denn auch in alle Durchgänge und Gingänge und in aNc offenen Magazine hinein, stahl __ 200 — mich halb ängstlich und halbnärrisch vor Vergnügen hastigzögernd wie ein Gelegenheitsritter in alle Thorwege und Hofwinkel hinein, wo ich eben keine Thürhüter (L^d's) oder sonst verdächtige Gesichter, Polizeianstaltcn und Schildwachten ersah, und profitirte für den ersten Anlauf mehr Kuriosa und nagelneue Geschichten, als ich mein Lebelang auszudeuten oder zurechtzufleien vermag. Ich müßte die deutsche Sprache, den guten Geschmack, die vaterländischen Sitten, die gewohnten Vorstellungen und uu'ch selbst in die Luft sprengen, falls ich detaillirt und vollständig schildern, malen, bildschnitzen und dagucrreotypiren wollte, was ich in jenen ersten Stunden Alles gesehen, geahnt, gekostet, gezüngelt, umgelernt, überdichtct und überdacht. In vielen Höfen gab es schöne Brunnen und Springbrunnen; in andern Orangen- und Palmenbäume, wieder in cmderen standen gesattelte Esel, Pferde und Dromedare bereit. Iu dem Hofe eines Palastes, der sich wie eine kleine Burg anschauen ließ, sah ich prächtige Adler, Pelikane, Affen und viel wunder« schönes zahmes Federvieh. Gleich beim Hinaustreten aus meinem Gasthause warm mir zwei halbnackte Araber, Jeder mit einem wunderschönen Flamingo in den Armen begegnet. — Ich starrte das an, aber ich dachte wundertrotzig, das müßte hier eben so sein; dafür wäre es die Wüsten- und Wunderstadt Kahira; es würde «och ganz auders kommen, und dem ist auch also geschehen: denn ich sah späterhin bei dem Thierbändiger und Menageriebesitzer Hartmauu, der sich — 201 — in Kahira zum Abgang nach London rüstete, einen kolossalen Strauß mit unbesiederten Schenkeln, die so dick waren, wie sie mancher Mann nicht auszuweisen hat. — Der Thierbändiger selbst durfte sich diesem Vögelein der Wüsten nur mit einer langen Gisenstauge uähern, die oben zwei stumpfe Gabelzinken hatte, mit denen man sich den Kopf und den laugen Hals des wüthenden Ungethüms vom Leibe halten konnte, welches ein Gelüst auf Menschcnhirn zu haben schien. Ein ungeheuerliches und doch wundcrschöm's Giraffenpaar mar-schirte dagegen völlig liebenswürdig und gezähmt auf seinen Stelzbeinen wie auf einer emauzipirten Maschinerie in einem fabelhaft hohen Magazinraume umher; und gleichwohl war der Mechanismus dieser Fußbcweguugeu mit der natürlichcu Grazie der Wüstenthiere gepaart. Das Thier ist in dem Sinne ein Philosoph zu nennen, als in seiner äußern Erscheinung alle möglichen Gegensätze in cius gebildet sind. Die Giraffe besitzt eine zierliche Pedanterie, eine.symmetrische Unsymmctrie (in der Thatsache, wie das Vordcrtheil und das jachabstürzeude Hintertheil zusammengefügt sind), ein balancirtes Ncbcrgewicht, eine harmonische Ungeheuerlichkeit, eine lächerliche Grandiosität, eine imposante Possirlichkeit. Die Giraffe zeigt eine Symbolik der Halsbewcgungen, durch welche die widersprechendsten Charaktere ausgedrückt werben: Stolz und Majestät in der Art, wie sie den Kopf trägt und auf Alles hcrabblickt, eine demüthige Harmlosigkeit und Naivetät, wenn sie Halme vom Boden aufsammelt; Spürsinn — 202 — und Diplomatie in den Aussenblicken, wo sie horchend die Kuh' ohren spitzt und zuckende Seitenbewegungen inacht. Manchmal gewährt sie den Eindruck eines Phantoms, eines verzauberten Menschen, der sich zurückwandeln will. (In Mundt' s Weltfahrten, Mona 1838, ist eine so frappant wahre, so originelle Schilderung der Giraffe gegeben, daß sie als ein Meisterstück symbolischer Ausdeutung und Thiercharakteristik gelten darf.) — Im Hofe des englischen Gesandten bekam ich das seltenste Beest zu sehen, welches selbst ein Wüstenjäger und ein Wilder zu Gesichte bekommen kann: ein lebendiges, ein Jahr oder ein halb Jahr altes, in Abyssinien gefangenes Nilpferd. Das Thier sah fast so wie ein kolossales Mastschwein aus, grnnzte und gebehrdete und bewegte sich so, war durchaus zahm und zuthätig, steckte den Kopf in des Wärters Schooß, der vor ihm sah, und mochte nichts lieber leiden, als wenn ihm der Mann mit der Faust in dem zahnlosen Rachen und auf den juckenden Gaumen hernmwirthschaftete; — man konnte nichts Fabelhafteres mitansehen, als diese „zitzkindlichen" Ammenmanöver mit einem antediluuianischen Schwein. Die Hallen und Läden der Kaufleute, „^ik^sw" genannt, befinden sich nicht selten in innern Höfen, deren In-und Ausgänge bei Nacht bewacht werden, da in der Regel dort die kostbarsten Waaren enthalten sind. Man sieht da die schönen Felle von ^öwen, Tigern, Panthern und Anti« lopen; Straußfedern, Edelsteine, Perlmutter- und Schildpattsachen; rothe Meerkorallen, zu Schmucksachen verarbeitet, ko° — 203 — lossale Bernsteinspitzen zu cinem Preise von 3000 bis 6000 Piastern. Korallenschnüre von köstlichem Bernstein, Karneol, (5halcedon und Obsidian; Mousselinzeuge mit Gold- und Silberfäden, aber auch mit den Fasern einer Pflanze gestickt, die mit ihrem Goldglanze täuscht; — endlich damaszirtc Nassen, Pistolen, Dolche (wie ein Schilfblatt gestaltet), lange Flintenlä'ufe ohne Schloß und Schaft, aber von einer Masse, die nicht zum Schein, sondern in der That aus lauter feinen Drahtrmgen zusammengeschweißt ist. Ein solches Rohr ist somit taum fnr eine Summe von 1000 Piastern (66 Thaler) feil.*) Das waren mal wieder Lebensarten, wie in den Kindheitstagen. Die Wunder schienen aus dem Vodcn zu wachsen, sie sprangen diesmal in Wirklichkeit für mich hinter jeder Hauöecke und aus allen Winkeln hervor; man dürfte nicht mal hinter die Thüren gucken, man athmete in Kahira die arabischen Mysterien, die Abenteuer aus Taufend und einer ') Gs giebt drcievlci damaszirten Stahl. Der geringste, Ctambnlta genannt, wird in Konstantinipel verfertigt; die Weitc Sorte in Damaskus, der beste inChorassan, Schwarz und Weiß; so daß es schwarzen und weißen Chorassanstahl giebt.— Die Araber nennen ihn ladakn. In der Muskystraße Werden damaszirte und oft sehr kostbare Waffen aller Art, prachtvolle Säbel. Messer und Dolche feilgeboten, deren Griff nicht selten ans einem köstlichen (Halcedmi oder einem anderen Halbedelsteine besteht. — Hcrabgelommcnc Familien übergeben solche Waffen den Trödlern in Vertrieb. — - 204 — Nacht am hellen lichten Tage und mit der bloßen Luft. — Sie attakirten mich auf offener Straße und Packten mich nordischkleinstädtischen, nachtigallncugierigen 3ump bei der Brust. — Mir war zu Muthe, wie einem, der sich zu Mysterien herangeschlichen hat und jeden Augenblick zum Tempel hinausgeworfen werden kann. Dies ist gewiß: falls man auch nichts weiter als die Architektur ins Auge faßt, so weiß man kaum, auf welchen Gebäuden und Ornamenten man den Blick haften lassen soll, so originell und köstlich, so solide in Kalk- und Sandstciuwerk-stückcn sind insbesondere die Häuser und Paläste der Vornehmen gebaut, so tausendfältig sind sie verziert. — Kahira ist reines Sarazenenwerk. — Die große Masse seiner älteren und ansehnlichern Häuser, wie seiner zu kleinen Burgen eingerichteten Paläste, seiner Hunderte von Moscheen und der Tausend Thore, durch welche in den fehdevollen Zeiten die Straßen von einander abgesperrt wurden, das Alles ist wie aus einem Guß.*) *) Es gab Zeiten, wo sich sogar dic Fellahs Jahrhunderte lang in zwei Parthcicn „8g.ä und (Haram" befehdeten. Noch dw heute werden diese Thore zur Nacht verschlossen. Wenn man anpocht, ruft die Wache: „Kim äur «" (wer ist das), der Pocher antwortet: „Ibn Leleä" (cin Bürger der Stadt). — Wo es noch auf alte Weise hergeht, sagt die Wache: „^Vaon IM ^Uan" duinen jeder Platanenbamu in der Nähe von Wohnungen aufs sorgfältigste und wie ein Hciligthum umzäunt. Dahingegen kennt der gemeine Mann in Polen und Westpreußen, der fix und fertige Christ, der dem Christenthum bereits entwachsen sein sollende Urwähler, notorischermaßen keine witzigere Genugthuung, als junge und alte Vämue an den Landstraßen zu beschädigen und ob er sich eben auf Gartenanpftanzungcn legt, danach mögen sich die gelangweilten Geschäftsreisenden in meinem lieben Vaterlande umthun. Selbst unsere ehrenwerthen Stadtuerordneteu und wohl» weisen Magistrate sind bei wenig Gelegenheiten so geschäftig, so gewissenhaft, flink und fträzis in der Exekution von Wünschen und Verordnungen, oder im strikten.Festhalten von Prinzipien, als wenn es das Niederhauen uon Bäumen vor den Häusern gilt, uud sollten es auch solche sein, die ohne Schaden und Gefahr noch in Gottes Namen hätten stehen bleiben können, gleichwie im Namen der Poesie und der elementaren grünen Natur, mit welcher allerdings die Polizei in Kon« flikte zu gerathen pflegt. Um aber wieder auf das Wasser zurückzukommen, so habe ich zu berichten: Fast in allen Gassen fallen dem Fremden die größern und kleinern, gewöhnlich im Halbzirkel gebauten, mit schönem Gitter- und Schnitzwerk in Holz, Eisen und Stein geschmückten Brunnenhäuser auf. Es sind Stiftungen von Reichen und Vornehmen, Wasserspenden für das Volk. Das klar und kühl gemachte Element des segensreichen Nils fließt da in steinernen Rinnen, oft in schönen Marmor-behältern zur Erfrischung für Jedermann. Eine Reihe blanker Messingbecher sind an Kettchen zum Gebrauch hingehängt, und der elendeste Bettler, der von der Wüste heimkommende verstaubte Kamecltreiber löscht vor diesen schönen, mit kühlenden Hallen, Hosen, Nischen und Sitzbänken versehenen Gebäuden an der „NHo kolda" (dem frischen Wasser) seinen ^ 21!) ^ Durst; und wen sein Weg an gewissen Moscheen vorbeiführt, der erhält auch noch, falls er ein Pilgrim und Bedürftiger ist, gegen den Hunger ein weißes Brot. Man muß diese Wasserspenden gesehn, man ums; verschmachtet, selbst mit» getrunken haben, um auch noch in der bloßen Erinnerung lebendig und mit Seele zu begreifen, was für ein schönes, natürliches und ewig wahres Menschcnthum sich in solchen Anstalten manifestirt, und in welch poetischer, jedes Menschenherz ergreifender Gestalt. Bis in die Vorstadt und in die Wüste hinein ziehen sich die kleinen Wasserspenden, ,,8FibikI" genannt, und in der ältesten Moschee, der von Amru, welche im einundzwanzigstcn Jahre der Hedschra aus alten Säulen und Fragmenten von der Feste Babylon am Mokattcnn gebaut worden ist, den ältesten (wiewohl vermauerten) Spitzbogen auszuweisen hat und deren Hauptkuppel das blaue Himmelsgewölbe vorstellen muß: Hier findet der Reisende nicht nur, wie in allen Moscheen, einen Brunnen für feine Abwaschungen, fondern eine Karavan-serei mit Stallungen für Esel und Kameel. Mit fast allen Moscheen und darum auch mit denen, welche man die Kalifengräber (Gräber dcr ägyptischen Sultane) nennt, waren ursprünglich milde Stiftungen von jeg> licher Art in Verbindung gebracht, die zum Theil bis aus diesen Tag noch bestehn. In diesen Moscheen gab und giebt es nicht bloß ein Unter- — 220 — kommen für Reisende, sondern Apotheken, Irrenanstalten, Hospitäler, Schulen und Austheilungen von Brot. Mit der Moschee El-Azhar sollen an die 26 wohlthätige Anstalten für alle muhamedanischen Nationen verbunden sein. Bei der alten Moschee Tulun bestand eine Apotheke, bei der Talauns, der „Moristan", ein Irrenspital, mit der Moschee El-Azhar ist noch heute eine Art von Akademie verbunden. Die religiöse Bedeutsamkeit von Damaskus hat sich im Verlauf der Zeiten auf Bagdad und von da solcher Gestalt auf Kahira übertragen, daß die Moschee Gl-Azhar der Mittelpunkt der heutigen arabischen Gelehrsamkeit geworden ist. Es wurde hier von dem Sultan Aziz-Nillah eine Hochschule für Theo» logie und Rechtswissenschaft gestiftet, sie erklärt seitdem den Koran und das weltliche Recht. Hier lehren die ausgezeichnetsten arabischen Gelehrten und geben in streitigen Fällen ihre Entscheidung mit einer Autorität, der man den Respekt nicht versagt. Zwölf Scheikhs stehen an der Spitze der Akademie und mehr wie 1000 Schüler bilden ihren Bestand. Außer den grandiosen Zeugnissen für die Humanität und das ideale Organ der Araber giebt es aber auch der kleinen und gewöhnlichen genug, und vielleicht heben sich die rein menschlichen Elemente an den barbarischen nur um so effektiver hervor. Denn, wenn irgend wo in der Welt, so sind in Kahira alle Kontraste auf dem Appell.' Hier wird die ge- — 221 — drängte, gestopfte Menge von dem Kawaß oder den Läufern der Prinzen, Generale und hohen Beamten mit Peitschen aus» cinandergetrieben, und dort werden Esel berittene Damen (8itteli8, die bis auf die gelben Saffianpantosselchen in große bauschige, schwarzseidcne Dominos gehüllt und mit Schleiern oder weißen Kattunmasken vor dem Gesichte versehen sind, das nur ein Paar dunkelblitzende, spähende Mährchen- nnd Oda» Men »Augen zeigt) nicht blos sorgsamlichst von ihrer Diener» schaft unterstützt, sondern auch vom gemeinsten Manne mit natürlicher Diskretion und in allen Eventualitäten z. B. im ärgsten Gedränge mit dein förmlichsten Respekte traktirt. Während im Ucbrigen aber in diesem Strcißenwirrsal Alles durcheinander kreiset und brüllt, als sollte Kahira noch ein Kcchira gebären, also von Ziel und Maß, von Ordnung, Polizei und von ordinairer Menschenvernunft kaum die Spur zu verspüren ist, halten die kahirinischen Hunde auf so strenge Disziplin, daß sich kein Hund aus seinem Revier in ein anderes hinüberpaschen darf, ohne sich sofort in feine Grenzen zurückgewiesen zu sehen. In diesem Augenblick hör' und seh' ich ein vor Wuth halb rasend gewordenes Fellahweib Himmel und Erde zu Zeugen des Betruges anrufen, den ein Quinquailleriekrämer bei dem Verkauf von ein Paar Vronzc-Ohrringcn (zum Preise von 6 oder 9 Pfennigen) an der Unglücklichen verübt haben soll, und da ich nordischer Psychologe und Ethnograph in diese echt arabische, wuthgeschnobene und schaumgeborene De. — 222 — monstration halb verblüfft meine Tiefdentern ase in it absolutobjektiver Parteilosigkeit hineinschiebe, um wo möglich Recht und Unrecht biö auf T Dezimalstellen zu berechnen, so läßt die schakalheulende, heiser schreiende Megäre einen unschuldigen Soldaten los. den sie als Zeugen bis dahin bei der wcißleincnen Uniformjacke fcstgcpackt hielt, und beschwört nunmehro meine Zeugenschaft, indem sie mich beim Kragen nehmen will, was mich dergestalt ins Gedränge bringt, daß ich die um 3 Pfennig Geschädigte mit einem Piaster schadlos halte, durch den sie sofort zur tanzenden Lust-Bachantin verwandelt wird. Während mm diese flühverwelkte Tochter der arabischen Natur die Freude über ihren unver-mutheten Schicksalswechsel in improvisirten Tcmztouren und Guttural'Rhapfodien (die eben nicht vou Bajaderen und Grazien diktirt schienen) dem um sie geschaarten Menschen« knäuel zum Besten giebt, bewegen sich junge Gassenweiber in der zierlichsten Haltung und Attitüde, mit den sonderbarsten Lasten, welche je von Grazien Häuptlings getragen worden sind, durch den wirren Strom. Und was bedeuten die in einem Netzwerk mit graziösester Armbewegung auf dem Kopfe halb gehaltenen und halb balancirten Cylinders Sind es Baumkuchen, oder Glaswaaren, oder Kopfzeuge, die mit so viel Delikatesse und mit so viel SchönheitZgefühl emporgehalten werden, daß die Beugung des zum Haupte cmporgchaltenen, schön modellirten Arms mit seinem feineu Ellbogen wie der Henkel einer griechischen Vase erscheint? Be- — 223 — wahre, es sind hochaufgestapelte Fladen von Dünger, der, zumal in der ägyptischen Kapitale, wegen gänzlichen Mangels an Brennmaterial, ein so gesuchter und kostspieliger Artikel ist, daß er von Kindern und armen Leuten fast in dein Augenblick aufgesammelt wird, wo ihn das Thier auf den Boden fallen läßt/) Jene dramatisch-plastische Scene vor dem Krambüdner im großen Bazar, der durch Matten von oben her in ein stehendes Halbdunkel uersctzt ist, an das man sich erst gewöhnen muß, und wo jeder Gattung von Waaren eine aparte Gasse angewiesen bleibt, ließ mich näher den Pfennigtand rekognos' ziren, der hier dem Volke feil geboten wird. Es sind die deutschen Silbergroschenbuden aufs Interessanteste und Phantasiereichste ins Arabische übersetzt. — Wer diese Reich» thümer von Muscheln, Bronze, Dattelkernen und GlaS, diese Mnf-Para.Viiouterien, diese Witz- und Phantasiestücke der Wohlfeilheit, diese himmelschreienden Hungerzeugnisse der Fa> brikenarbeiter, diese raffmirtesten Anschläge und Attentate auf ') Wie zähe man hier überhaupt im Ankauf von Feuenmgs-gegenständen ist, kann unter Andcrm aus der Thatsache abgenom' men werden, daß die Dampfmaschinen der Ncgienmg mit V aum-wollkcrncn geheizt werden. Diese enthalten allerdings Oel, fmd aber doch kein paffendes lind noch weniger ein gouvernemen-tales oder fürstlich anständiges Brennmaterial. — 224 — die arabische Geldzähigkeit nicht beobachtet, wer nicht gesehen hat, wie vor diesen Buden arabische Armuth und arabische Weiberknauserei mit nackter Putzlüsternheit und ägyptisch-kaufmännischen Neberredungslisten durch einandergekäm pst werden, mit welchen Phantasie- und Grfindungskünsten in den unscheinbarsten und gemeinsten Stoffen doch endlich von dem arabischen Fabrikanten und Kaufmann der Sieg über Vettelarmuth erfochten, und wie aus dem ausgefogenen Fellah, aus diesem verpreßten Oelkuchen, noch ein letztes Tröpfchen Oel im poetischen Destillationswege extraHirt wird, der hat keinen Blick in die kleinen und alltäglichen Volks-mysterien und in die arabische Seele hineingethan. Man kann nichts Interessanteres als diese arabische Bauern-quincailleriewaare sehen, die im Allgemeinen eine frappante Aehnlichkeit mit derjenigen hat, die von Band- und Bündeljuden auf polnischen und westpreußischen kleinen Jahrmärkten feil geboten wird; wenn gleich Artikel vorkommen, die nur in Aegyptm zu haben sind; als z. V. Ohrgehänge von wunderschönen ger st korngroßen Conchi lien, sogenannten Schlangenköpfen aus dem rothen Meer; Rosenkränze aus den alabasterweißen, knochenharten Fruchtkernen der Dom« oder Dum« Palme; Perlen und andere Arbeiten von rothen Korallen, Perlmutter, Jaspis, Karneol, Obsidian, edlem Gips und versteinertem Holz. Armringe aber und Korallen von farbigen Gläsern, die, wie ich hörte, in Palestina, in der Gegend des ehemaligen Haines von Mamre angefertigt werden, sind im - 225 — beliebtesten Geschmack; ebenso kleine Taschenspiegel und Taschen-kneife, d. h. bleiweiche Ginlegemesfer von der Sorte, die bei Polnischen Bandjuden im Gebrauche ist; vor allen Dingen aber die im Lande fabrizirten und in großer Menge um 5 Para (3 Pf.) feil gebotenen Pfeifenköpfe von rothem, feinem Thon, in allerlei Formen gepreßt, die auch auf pol» Nischen Jahrmärkten in ähnlicher Form zu haben sind. Und neben diesen Scenen des Marktens, des Feilschen«, bes Getümmels, des Gezänkes und einer tausendfältig genährten und in Scene gesetzten Leidenschaftlichkeit trifft man m allen Winkeln und auf allen Plätzen, insbesondere auf dem Nmneyleh oder Nomeliplatz (an welchen im Süden der lange Zkara-Meydanplatz grenzt), auf stillhockende, aufmerksam zu-horchende Volksmasscn, die um einen Gaukler, Athleten und Possenreißer, um einen Heiligen, einen drehenden Derwisch (8ikr) oder um Schlangenbeschwörer (I^Ilon*) und endlich *) Die Psyllen stammen aus uralter Zeit. Unter allerhand Bescherungen und ^ocktöncn, die dein Glucksen der Bruthi'chner ülmlich klingen, gelingt es ihnen, die Schlauen auS ihren Schlupfwinkeln hervorzurufen. Unser Derwisch brachte uns giftige Schlangen und Skorpionen ins Haus. Eine kleine Truppe Straßen» komödianten führten auf dem Markte ein Stück auf, in welchem eine verkleidete Mannsperson die Nolle eines zänkischen Neides darstellte und dm Hausherrn mißhandelte. Die Taschenspieler "Hhöwah" werden festgebunden in einen Sack gesteckt und dringen ^ Künste zu Nege, dk Keiner mit freien Händen verrichten Üinu. Unter all dciu Volk schleichen auch Zigeuner iMuMs) unchcr. 15 — 226 — um die allbeliebte und überall anzutreffende „Fantasia" grup-pirt sind. Die Araber nennen nämlich im Allgemeinen jede Art von vergnüglicher Unterhaltung eine Fantasie, im bestimmteren Sinne ist sie aber Tanz und Mnsik; der erstere von jungen Burschen ausgeführt, welche die üppigen Bewegungen der nach Gsneh verbannten Almehs und Hetären in der Hüftenpartie nicht eben auf die dezenteste Weise nachahmen. Die Musik aber wird auf der „Darabukah", einem dump fronenden Tamburin*) und auf der „Zumarah" gemacht, welches letztere Instrument in einer doppelten Rohrpfeife besteht, auf welcher ein Grundton wie beim Dudelsackspiel festgehalten und ein Ton produzirt wird, der wie eine näselnde Oboe oder eine Savoyarden-Leier klingt, an deren Darmsaiten ein Rad umhergedreht wird; wobei zu bemerken ist, daß die arabische Ton» leiter nicht nur aus halben, fondern auch aus Drittel, Viertel und Achtel-Tönen oder Intervallen besteht, die besonders beim Abgerichtete Hunde und andere Thiere ficht man oft. Man hat sogar gelehrte Kälber, die vor dem Volke aUcrband Künste machen, ihre Hochschule ist brim Grabe eines Heiligen; so berichtet Schubert, ^ichtenberg erzählt uon cincm mihlunssenen Versuch, ein Kalb zum Apporliren abzurichten, und dieser Witz wird in Aegypten zur Wahrheit gemacht, nil äs^poranäum, d. h. m diesem Falle; eo realisirt sich jede Tollheit irgendwo und wann oder wie in dieser bunten Welt. ") (Än trichterförmiges, aus Thon gebranntes Gefäß, welches an seinem weitern Durchmesser mit einer Haut überspannt ist. — 22? — Gesang in Anwendung kommen und eine unsägliche Melancholie und Wehklagen ausdrücken können. Wer Synagogen-Lamentationen, z. B. während der langen Nacht, angehört hat, der gewinnt eine Vorstellung von dem Charakter der arabischen Musik, die nebenbei gesagt, nur Melodie und nicht einmal die Elemente der Harmonie, das einfachste Zusammenwirken oder gar die Verflechtung mehrerer Stimmen zu einer Totalwirkung kennt und zwar aus dem Grunde, weil Harmonie eben daS Widerspiel der arabischen wie jüdischen Kultur und Natur zu sein scheint. Der Fluß und Wechsel der Melodie liegt dagegen viel besser im Element und Naturell dieses ewig reizbaren, farbenschillernden und Phantasie» geweckten Volkes. — Der Sohn des Steuermanns auf meiner Nilbarke, ein Junge von etwa 13 Jahren, sang mit merkwürdig klangreicher und in Figuren geübter Stimme höchst wunderbare und ergreifende Lamentationen ganz im Styl unserer jüdischen Musik. — Man wird bei jeder Gelegenheit erinnert, daß Juden und Araber derselben Nacc angehören und demselben Klima und Volksstamm entsprossen sind. Des stillsten Publikums haben sich die Märchenerzähler zu erfreuen, d>e an allen Orten und zu allen Tageszeiten, in 5er Regel zu Zweien und Dreien anzutreffen sind, so daß von Zeit zu Zeit ein assistirender Chorus und eine Ablösung möglich wird, so bald einer ermüdet oder von seinem Pbantasicwitz im Stiche gelassen wird. Hat man sich nur von dem ersten betäubenden und Sinne 15' — 228 - verwirrenden Lärm befreit, aus welchem die ewig ungeschmicrten Eset- und Ochsenkarren sich gleichwohl noch einen Separateffekt herausschneiden, der einem gefühlvollen und musikalisch gestimmten Reisenden noch über das Meer nachzuklingen pflegt: dann faßt man allmälig auch die eben angedeuteten und eine ganze Welt von nicht mehr aufzuzählenden Einzelheiten ins Auge, zu denen ertraordinairer Weise Hoch-zeits», Beschneidungs- und Begräbnißaufzüge gehören, die von mir bereits in Alerandrien mit angesehen und in der Schil« derung dieser Stadt nicht vergessen worden find. Die Ausrufer auf den Gassen verdienen aber noch eine Mittheilung, die in H. Schubert's Reise nach dem Morgenlande sehr getreu und speziell in nachstehender Weise gegeben wird: „Da kommen wir nun wieder einmal in der Hauptstraße recht in das Treiben des Volkshaufens hinein. Höre nur die sonderbare Art, in welcher hier die Verkäufer ihre Waaren ausrufen. Der mit den süßen, lieblichen Apfelsinen (ich habe sie noch niemals so süß gegessen als hier) schreit: „Honig, o Orangen, Honig" (H.8K1 ^3. Lurwkan, H^al); und doch hat der gute Mann wenig für sein Geschrei, denn er verkauft zwei Dutzend seiner prachtigen Lurtukans um sechs Kreuzer Münze; eine um einen Pfennig. Der Verkäufer der lirmis oder Lupinenkerne, welcher noch Wender für seine Waare einnimmt, schreit eben darum noch lauter sein ,Mäeä ^ Imbabsli, Noäeä," __ 229 __ d. h. Hülfe o Imbabeh, Hülfe; womit er darauf anspielt, 5>aß seine liriuis von daher sind, wo die besten ihrer Art gebaut werden: von der Gegend des Grabmals eines moslemiti« schen Heiligen Namens Imbabeh und des gleichnamigen Dörfleins. Gin junger Mensch, welcher Wollenzeug verkauft, das wit einer Maschine gefertigt wird, die ein Ochse treibt, ruft: "Acdukt es tor ^n, Venat,," d. h. das Werk eines Ochsen, o Töchter. Der Verkäufer der Gtronen singt mit heller Stimme: „Gott mache sie leicht, o Citronen!" weil er wahrscheinlich die Last seines Korbes, den er auf dem Kopfe trägt, lieber ganz als halb los wäre. Am lautesten von all' diesen Ver-käufern schreien aber zwei arme Kerle, denen man es ansieht, bah aus ihnen der bittere Hunger mitschreit: die Ausbieter von ,,l,ikd" oder von gerösteten Melonenkerncu, und der von einer Art von Scherbet, das meist nur aus einem mit Süß» holz verzuckerten Wasser besteht. — Jener brüllt in tiefem Baßtone: „o Tröster der Betrübten, o Meloncnkerne", dieser läßt sich dazwischen in einem hohen, gellenden Tone vernehmen: .für einen Nagel, o Süßmeth ", — weil nämlich der Lohn für einen Trunk seines Süßholzwafsers gewöhnlich in einem alten Nagel oder in einem andern Stücklein alten Eisens besteht, das die arabischen Dienstboten und Gassenbuben, die im Vorübergehen sich hier laben, im Schutt und Kehricht gefunden oder entwendet haben. Der Verkäufer von — 230 — Xunatek oder Nudeln dort im gegenüberstehenden Laden hört, ganz ruhig seine Pfeife rauchend, diesen Schreiern zu und meint mit Recht, seine Waare werde sich wohl stillschweigend verkaufen, auch kann der gute Mann jetzt ganz ruhig sein, seitdem der große Popanz Mustapha Kaschif todt ist. Dieser Polizeibeamte hatte die Aufsicht über das Innehalten der festbestimmten Preise, sowie des richtigen Maaßes und Gewichtes. — Gr übte sein Amt mit solcher Grausamkeit, daß er einen Nudelverkäufer, der vielleicht aus Versehen etliche Heller mehr für seine Waare genommen hatte als taxmäßig war, auf cin heißgemachtes Nudelblech setzen und dazn noch auspeitschen; einem Metzger, der beim Abwiegen einige Loth Fleisch zu wenig gegeben hatte, ebensoviel dem Gewicht nach aus seinein Rücken herausschneiden; Backern, welche das Brot zu leicht gemacht, die Nasenschcidewand mit einem Stück Eisen durch' bohren und das Brot daran hängen ließ, wobei die so Gemißhandelten den heißen Sonnenstrahlen ausgesetzt dastehn mußten. — Die gelindeste Aeußerung seines Zornes gegen Schuldige und Unschuldige war die, daß er ihnen die Ohr-lappchen abschneiden ließ." — Was am häufigsten feilgeboten wird, das sind geröstete Maiskolben, gekochte Bohnen (?u1inu ünnmos), die den westpreußischen «Saubohnen" gleichen und die Nacht hindurch in zugekitteten Töpfen in den Backöfen gar dampfen. — Butter« — 231 -~ kuchen niit und ohne Honig und Pastetchen (Nescii I)i ladin), zu deren Füllung auch das Fleisch von den Fettschwanzcn der Schafe benutzt wird. — An gewissen Orten werden sogar ssanze Schafe in einer Blechinaschine im Ofen gebraten, und Portionen dieses köstlich schmeckenden Fleisches zu einem Piaster von denjenigen, die sich dene thun Wollen, auf der Gasse verzehrt. Der Arme ist indeß zufrieden, wenn er zum Frühstück ein Stückchen Nosck (Brot) in Duok-Kan, d. h. in eine Mischung aus Salz, Schwarzkümmel und Pfeffer stippen kann. -^ Zum Fleisch.essenden Volke gehörte auch meine nordische Person, und ich habe in Kahira's Gassen Mi Portionen Vlech-Schafbraten von Dampf mit einem Appetit und einer Natürlichkeit verspeiset, indem ich dabei abwechselnd in ein schneeweißes Durahbrot und in eine ungeheure Burtukan (Apfelsine) hineinbiß, daß ich für einen Vollblut-Araber gelten konnte, und daß es mir heute noch schmeckt, wenn ich daran denke; und ich denke öfter daran und an ähnliche Situationen und Akte, als meiner Ruhe, d. h. der Erziehung meines Sitzfleisches, zuträglich ist. Man könnte und müßte sich todt erzählen, wenn man Alles erzählen wollte, was es auf diesen arabischen Gassen für Lebensarten und Dinge zu schauen giebt. Man muß sie nntgemacht haben, sonst begreift man sie nicht. Die beste Darstellung produzirt kaum eine Silhouette oder Anatomie. Man muß aber die lebendige Person vor sich haben und in ihrer Umarmung ruhen, wenn man wissen will, was Liebe — 232 — und Freundschaft ist, und so muß man auch als kurioser Reisender mit allem Wollustappetit seine kleinstädtische Neubegier in Kahiras Gassen gestillt haben, um zu wissen, mit welchen Farben, Rhythmen, Tönen und Luftspiegelungen die Sarazenen« stadt von unserm Herr Gott in Scene gesetzt worden ist und in welchen Aufruhr die Einbildungskraft des Fremdlings ge-rathen kann. Diese Kontraste von Ruhe und Unruhe, von Leidenschaft und Apathie, von Marktgetümnn'l und Todes» schweigen in den abgelegenen Gassen und Moscheen; von Le« bensübermuth und Märtyrerthum, von sinnlichem Welttreiben und religiösem fanatischem Wahn ergreifen die Seele in un» aussprechlichcr Weise. Hier, innerhalb dieser Mauern von Neubabylon, das bunteste, sinnverwirrendste Getümmel einer Mcnschcnwclt und Menschengeschichte in konzcntrirrcster Gestalt, und draußen die schweigende Wnste, die Pyramiden, die Ruinen der alten Welt, der ewig junge frische M; und in Kahira hineintönend, in all das Wirrfal, in den sinnbe» tüubenden bunten Kram und ^ärm: die Gebete der Mucd« dinß von den Hunderten Minarets und ihr stündlicher Ruf, der wie eine Geistermahnung der Gestorbenen an die Lebenden erklingt, und wo vernimmt der Mensch diese Mah« uung nicht! Auf den M.ibnchs der große«» Eultansmoscheen läßt ber Vtbekus' rufer auch ln der Nacht noch vor dem Ruf« zum Morssengebet zweim.il l«ine Ttimme vernehmen, zu», Trrste derer, welche w,ich sind auf iyrem — 233 — Lager. Das erste seiner Lieder, das er bald nach Mitternacht singt, heißt Ula. Es beginnt mit den Eingangsworten des gewöhnlichen Morgenrufes aller Minarets! „Gebet ist besser denn schlafen." Dann nach dein allge» meinen Glaubensbekenntnis, des Islams wiederholt der Mueddin noch dreimal den Ruf: es ist kein Gott außer Gott, und singt weiter: „Cr hat Keinen, der Ihm gleich wäre; Ihm gebührt die Herrschaft, Ihm ge» bü'hrt der Preis. Er giebt das Leben und sendet den Tod; Er aber lebet und stirbet nie. In seiner Hand ist Fülle des Segens, denn Er ist allmächtig. Es ist kein Gott außer Gott, und wir wollen keinen anbeten außer Ihn, dienend Ihm in aufrichtiger Gottesfurcht." — „O Herr" (Ja Rubb, diese Worte werden dreimal nnt sehr lauter Stimme gesungen) „Deine Gute hat kem Ende; Du bist uoll Erbarmen gegen die Abtrünnigen und be» schützest ihn; Du bedeckest das Niedrige,- lässest Deine Milde walten auch iiber den Knecht, und befreiest ihn au3 den Banden seiner Knechtschaft, o Du Gütiger. O Herr (dies wieder dreimal), meiner Sünden, wenn ich ihrer gedenke, sind viele, aber die Gnade meines Gottes ist noch mehr. Ich denke nicht an das Gute, das ich gethan, sondern am meisten an die Gnade Gottes. Erhaben sei der Ewige; Er hat in seinem weiten Reich Keinen, der Ihm gleich ist. ^ Auch in dem andern Nachtrufe, welcher „Ebed" (der Ewige) heißt, kommen einige gar schöne Stellen nor. Er beginnt mit dreimaligem Absingen der Worte: Ich bezeuge den unbegrenzten Ruhm Gottes, de» Ewigen, des Ginen Ewigen: Ich verkünd« den «»begrenzten Ruhm dessen, der alle Geschöpfe schuf, sie zählte und ihnen ihren Unterhalt bestimmte; der die Schicksale seiner Knechte ordnete i der durch seine Macht nnd Große cö verschaffte, daß reines Wasser floß vom Stein des Felsen. Er sprach mit Moses auf dem Gebirge, das aui Furcht uor Ihm zu Dampf und Staub ward; gepriesen sei der Name des Ewigen, Alleinigen. , «„ ^ , , (2 Hubert's Nei,en m, Morgenland«,) DilZ Giwttetly ron Hnlnrn. Selbst, wenn man aus den Geisterräumen der Hasfan-moschec zu Saladins Veste hinansteigt, kommt man nicht aus Märchen und Träumereien heraus; sie haben vielmehr in diesem wunderlichen Durcheinander von alten wie neuen Bau« werken ihr tausendfaltiges wundervolles Hexennest und Versteck. Diese Madelle ist ein in der ganzen Welt nicht zum an-derenmal anzutreffendes phantastisch-babylonisches Wirrsal von fabelhaften Höfen und mäandrischen Mauergängen, von Kasernen und Palästen, von jach abstürzenden Felsmauern und schauerlichen Mordwinkeln, in welchen die Geister der massa-krirten Mameluken-Häuptlinge und der heimlich umgebrachten Haremsschönheitcn umgehen. — Ruinen und Neubauten, Schutthaufen und Prachtbauten in Alabaster ausgeführt; Felsenbrunnen, die bis zum Nilspiegel hinabreichen, und Mi» narets, die wie ungeheure Wachskerzen auf Kandelabern, um das Heiligthum der Kuppeln aufgesteckt find, durchirrt hier der Fremdling mit beängstetem Herzen und zögerndem Fuß. Wenn man diese Kontraste in so allgemeinen Andeutungen — 235 — und Zitaten zusammenstellt, so ist es nur ein Schattenriß, eine abstrakte Formel, für die konkrete Proteusftoesie, für die dämonischen Phantasmagorieen, welche an diesem seltsamsten Orte und Bauwerte, in den unerhörtesten Verkleidungen, Gestaltungen, Tonarten und Metamorphosenspielen mnherspuken und dann wieder idealisch und natürlich zum Himmel wachsen, sobald der Beschauer die hohen Mauerzinnen betritt, von denen sich eine Aussicht nach allen Weltgcgenden hin, ähnlich wie von den Pyramiden oder dem rothen Berge, über das ägyptische Wunderland und die Wunderstadt eröffnet, welche der Araber in gerechtem Stolze Oinmoääui^a, d. h. Mutter der Welt nennen mag. — Mit welchen Worten, mit welchen Zauberformeln soll man denn nur entfernt die Mysterien andeuten, in die man hier untergetaucht wird; — die Geister, die Fühlungen, die Stimmen und Tonarten, die hier beschworen, die Register der Seele, die hier gezogen werden, so daß man kaum mehr weih, ob auch noch dem alten mitgebrachten Ich ein Winkelchen in dein Tummel platze fremder, Raum nehmender Geister und neu aufsprießender Organe übrig geblieben ist. Hat man den großen, stets von Märchenerzählern und Gauklern, zusammt ihrem Auditorio besetzten Rumeyleh-^'latz überschritten, der den Fuß der Citadelle umgiebt, so führt eine breite gepflasterte Straße zum H^b-Burgthore (2ad öl ^8ab) bergan. Links ist hier eine Menagerie mit schönen Löwen; — ihre Wüstenwildheit findet sich hier zu Menschen, — 236 — zu uniformirten Soldaten, zum freien Sohne derWüste, zwischen Burgmauern eingesperrt; — eine wundersam polari-sirte Harmonie! Bei dem Eintritt in die innern Räume der Citadelle bemerkt man die Spuren der alten Abtheilungen der Ianit-scharenkasernen und des Palastbezirks. — Eine Pulverexplosion im Jahre 1824 hat Saladins Prachtbau in Trümmer gelegt, und neben diesen wird die durch Mehemed Ali errichtete kolossale Moschee, aus durchscheinendem braungelbgewässertem köstlichem Alabaster, in eigenthümlich-phantastischem Style, langsam weiter ausgebaut. Dann befindet sich noch innerhalb der auf jähen Felsabstürzen hinangethürmten Festungsmauern eine Gewehrfabrik, eine Münze, der Divan, der Palast des Vizekönigs, mit einem schauerlich hoch und wüst hcrabblickenden Stockwerk, welches als die ehemalige Haremswohnung be« Zeichnet wird. Ein hohes Minaret mit einem Kuppelaufsatz von blaugrün glasirten Ziegeln, vollendet den fabelhaften Eindruck, den dieser formlos gygantische Palast mit seinen wüsten, himmelhohen, monotonen Mauerflächen und kleinen, unregelmäßig angebrachten Ialousiefenstern in der Seele her« vorbringen muß, weil man sich dort die Schauerraume und Labyrinthe aller möglichen Despotenausschweifungen, Leiden» jchaften und Verbrechen imaginirt. — So geschieht es denn ganz unwillkürlich, daß sich zu der abenteuerlichen Nomantik die Gespenster der Schauderempfindungen heranschleichen. Man durchschreitet all' diese von Wachen besetzten, todtenstillen, — 237 — weiten und engen Höft, diese in Trümmern liegenden alten Bezirke und neuen Abgrenzungen; diese.unbegreiflichen Versteck» Winkel und architektonischen Irrgänge, mit einem sonderbar aufgeregten Gewissen, mit einem Alpdrücken, wie wenn man selbst mit großen Verbrechen belastet wäre, oder jeden Augen, blick zu irgend einem graußlichen Torturverließ und Mord« Winkel fortgeschleppt werden könnte; — und wie Vielen ist's so geschehen! — Die Grundstimmung einer armen Winkelpocten« und Klein» städterseele in diesem kuriosen Rendezvous von alten und neuen Bauten und solchen Verbrechen; — vor diesen Henker« statten des schamlosesten Eidbruchs, des Pcrrathes einer unter Wilden heilig geachteten Gastfreundschaft, an den Hunderten der zusammcngehauenen und geschossenen Mamelukenhäuptlinge (von denen sich nur ein Einziger durch einen Sprung seines Rosses von hoher Mauer herab gerettet hat). DieS Alles ist ein unbeschreibliches Chaos von dämonischer Poesie. — Die Seele liegt hier in Traumdelirien, in wollustgrau-senden Märchen» und Abgrundsempsindungen, ohne Namcu und Gestalt. — Gs war in der romantischen Ordnung, daß Wir jetzt zum Iosephsbrunnen kamen, der 250 Fuß tief in ben Fels gehauen ist und um dessen Wände ein schneckm-artig gewundener Gang bis auf den Grund hinabführt; denn ich versenkte in seine unaussprechlich schauerlichen Tiefen, aus denen das 18 Grad 3i«amnur warme Nilwasser durch ein von Achsen getriebenes Schöpfwerk heraufgeholt wird, meine Traum» — 238 — gesichte und Teufeleien*) und sie durften sich nicht weiter zu mir finden, als ich an den Mauerbrüstungen stand, von welchen man die weltberühmte Aussicht über die tausend Schönheiten und Wunder des alten und neuen Aegypterlaudes mit verzückten Sinnen genießt. Zuerst schaute ich meiner Gewohnheit gemäß auf das nächste, also hier von steilen Mauer-abarnnden auf die Hassanmoschee, die Gebäude der Kanonengießerei, auf den lininsMIi und den sich ihm anschließenden langen Zkara-Maydanplatz herab. Aber, diese von oben wüst und fabelhaft anzuschauenden Näume, auf denen das Menschentreiben sich zu einem Gewimmel von Zwergen verjüngt, hielten mich nur einige Augenblicke von dem bis zur Wüste kreisenden, Leben athmenden Weltbilde zurück, das einer schwellenden Frucht ähnlich, nur seinen Steinkern in den Steinklumpen und Gassenlabyrinthen der Sarazenenstadt hat. Im Nord often dehnt sich am AbHange des Mokattam die Mamelukengräberstadt in einer Länge von mehr als drei' viertel Wegstunden gleich bei den Thoren der Stadt hin. — Jenseits derselben, am Saume einer weiten, nur spärlich von Sykomoren, Dattelpalmen und Tamariskengruppen, gleichwie von weißen Gebäuden unterbrochenen Ebene, die sich in die *) Dieser Wasserstollen wird Iosephsbrunuen genannt, wiewohl er von Iusuf Saladin bei dein Bau der Vcste zu Ende dcö 12. Jahrhunderts nur gereinigt sein soll, und wahrscheinlich ans der Zeit herrührt, wo auf der Stelle der Burg der verschwundene Ort I,wi I'kesowoini stand. - 239 — arabische Wüste verliert, taucht der hohe Obelisk von He-liopolis auf, wie ein Grenzstein des Weichbildes und Gesichtskreises der ungeheuern, im Schutze der Akropolis ausgebreiteten Hauptstadt des Nils, auf deren Gräber und Paläste, auf deren Siegesthoren und Schutthaufen, auf deren lebendige und todte Mysterien man aus der Vogelperspektive herabblickcn darf. Im Südwcsten führt da der alte Aquädukt die Nilwasser bei der malten ^miu-Moschee ins Land; und wie majestätisch treibt der geheimnißvollc, zur Gottheit gemachte Strom seine Wogen zwischen Gizeh und Alt-Kairo der Insel Rudah ent> gegen, die wie ein grünes Vollwerk und Wehr, oder wie eine schwimmende Opfergabe von Blumen und Früchten der alten Nilgottheit von der siegreichen Kahira entgcgengesendet wird. Dem paradiesischen Eilande schließen sich die Plantagen Ibrahims in Fostat an; aber in dem ungeheuern Panorama er» scheinen diese grünen Massen nur wie ein Smaragd, auf dem flüssigen Silber des scgenspcndendcn Stromes, welcher gleichsam einem unbekannten Nichts entquollen, sich wiederum im Welt-Meere in's Nichts zurückwandclu muß. Aber an seinen vorübereilenden, sich ewig bildenden und ewig verschwindenden Wogen stehen als Gegensatz im fortwälzenden Strome der Zeiten, die inS Meer der Ewigkeit münden, die im vollen Sonnenlichte marmorweiß schimmernden Pyramid enmassen fest, wie die Felsen, durch welche die libysche Wüste in langer monotoner Linie von der grünen Nilniederung — 240 - abgeschnitten wird. — Und jene ewigen Bauwunder zeichnen ihre kolossalen Dreiecke in den klaren Aether, zum Zeichen, daß es in allem Wandel und Fluß der irdischen Dinge und Zeiteu auch schon hienieden ein Festes und Unwandelbares geben darf und soll. Dih Miftngmdey. Von Allem, ivas ciner christlichen Kirche zu >zlei. chem Zweck zu Gebete steht, Gemälde, Heiligen« bilder, glänzender Alt.nschmuck, Musit, Weihrauch, Vlumen, — hnt die Moschee nichts! — sie muß den Stein geschmeidig machen; und sie thut es. — ',u< die,,«, — M,,'M'»g, N'ährend die Mutra's und die Etlaven die Pferde zäninen, reißen zu'ei oder drei Araber die Pflöcke des Zeltes aus; fie nittel» an dem Pflock, welcher als Pfeiler dient; er fällt und das weit ausgebreitete Tuch, welches eine ganze Familie von Reisenden bedeckt hat, gleitet und fällt felbft zur Vrde herab als ein kleiner Ballen Zeug, den ein Kameeltreibcr unter den Arm nimmt nud an den Eattel seines Thiers hängt, — Es bleibt auf dcm leere» Platze, anf welchem wir so eben noch wie auf einem bleibenden Wohnort nns eüigerichtet'halten: Nichts übrig, als ei» kleines verlassenes Feuer, das noch raucht m,d bald in der Lonne erlischt; ein wahres, treffendes, lebendiges Vild des Lebens, wie es so oft in der Bibel beschrieben wird, und das mich jedesmal tief rnhrte, fo oft «Z sich nieineu Augen darbot, — Lamartine's Reise» im Orient, Die Neugierde hat in Wssypten auch im Sehen ihre Schwierigkeit. Man kann nur des Morgens vor Sonnenaufgang und des Abends sc recht in die Welt hineinschauen: — 265 — so groß ist die Intensität des Lichts. — In ihr liegt auch die Ursache der in ganz Aegypten verbreiteten Ophthalmic. — Den Nugcn kommen aber die trüben Tage zu Hülfe, die im Oktober bereits nicht so selten sind, wie man meint. So ein ganz gleichmäßig in einem trüben Medium verschleierter Himmel steht mit dem Charakter des Landes, mit seiner Regierung, Geschichte und Mysteriosität in unaussprechlicher Harmonie. Es giebt hier Tage, die ganz so eine Beleuchtung haben, wie ein Panorama oder eine Gegend im Traum. — Fabel" hafte und Halbwüste Plätze, wie die in Merandrien und Kahira, wenn man in dieser alten Sarazenenstadt von der Citadelle auf die tranmöden Räume hinabstarrt, in welchen die Gebäude der Kanonengießerci verloren stehen, vor allen Dingen die Wüste selbst, schicken den Geist in die Seele und die Seele in den Naturtranm zurück! Natur, Seele nnd Traum siud Gins. ^ Die Seele kann nichts anderes sein, als die eingefleischte Natur. Die natürlichen Leidenschaften sind die Fortsetzungen der elcmentarischcn Prozesse; die Seele ist die Summe und Personifikation aller natürlichen Geschichten und Sympathieen. Die Nrclcmente, die Grundformen sinnlicher Anschauung sind Zeit und Na um. Wo diese beiden Faktoren bcr Materie sich den Sinnen so ausschließlich behändigcn dürfen, wie in der Wüste geschieht, da wird naturnothwendig ber Geist absorbirt und die Seele lebendig gemacht; da — 266 - träumt sie, da wühlt sie sich tiefer ins verlorene Paradies zurück, wie auf lachender Flur; da hat sie Luftspiegelungen von himmlischen Oasen, da erschaut sie in der Jugend und bei arabischer Phantasie mit Muhamed als das Schönste im Himmel wie auf Erden ein schönes Weib und eine schöne Paradiesgartcnnatur! Dieser traumeutzündenden Wüstennatur entstammt die üppige Traumbildnerei der arabischen Baukunst, der Märchencharakter der arabischen Poesie, die Kleider- und die Waffen-Pracht des Arabers nicht minder.wie die Farbcngluth, mit denen das arabische Himmelsparadies ausgemalt ist, von welcher der Reflex auch an den bunten und Prachtvolleu Ge-zelten der Reichen und Vornehmen wiederstrahlen muß. — Diese Nüstenträumcrei lockte die ersten christlichen Heroen und Heiligen, die alten und neucn Propheten in den unermeßlichen, immerdar schweigenden Raum. In diesem Wüsten-, diesem Traum- und Naturschooßc entstanden und reiften die Religionen, und an dem Saume, dem Giugange der libyschen Wüste stellten die alten Pharaonen ihre Mausoleen, die Pyramiden hin, als die heiligen Pforten der Wüstenöde, in welcher Zeit und Raum formlos in Gins gebildet und ermüdet von der Weltschöpfung ruh'n! — Die alte Menschenseele fühlte diese Phantasiewerke als die Sinnbilder der Ewigkeit, und dem Beschauer aus diesen Zeiten können sie als ein Zeichen gelten wie aus der Bodencbene, aus dem formlosen, alle Gestaltung verschüttenden Sandmecre heraus sich - 267 — auch die Materie zum Himmel hinanbildet und in ihrer luft-zerfließenden Spitze dic Grdenschwere verliert. Alles tiefste und unschuldige Träumen, — der Traum der Kindheit und Phantasie ist Naturbildnerei und Natur« szenerie. Alle Natur und Liebe, alle Menschen- und Natur« schöne, alle wahre Natur» uud Liederpoesie macht träumerisch und melancholisch, weil durch sie der freibcwußte, frcicntbundene, frei mit der Welt uud den Geistern verkehrende Geist in der Seele ertränkt und die Seele in die Natur zurückgelöset wird. — In Träumen, im Dichten, im Naturalismuß, in der Ueber» natürlichfeit, der Andacht, der Geschlechtsliebe, aus dem Meere, >n der Wüste, in den Gebirgen gewinnen wir, entronnen den Fesseln, den Formen und dem Mechanismus der Kultur anfänglich die Freiheit unserer Seele zurück; aber zuletzt wird sie selbst von dieser Gottcsnatur, von den bildnerischen Elementen, den Lebenswogen, vou dem Meere der göttlichen Zeugungskräfte verschlürft: das ist dann die MelanchoIie. — Auch die Religion ist die Menschheit im Traum; aber in dein tiefsten Traume, welcher die Seele nicht nur in die Naturseele, sondern in den heiligen Weltgeist zurücklösen und aus ihm wieder mit einem Actherleibe hervorbilden darf. ^ Der übernatürliche Lösungsprozeß indeß ist gleich dem natürlichen, gleich demjenigen in Liebe und Leidenschaft, in Freude uud Schmerz, in Scheiden und Wiedersehen und gleich der Lösung unseres Wesens, welche durch Menschen und —- 26H __ Naturfchönheit, oder in wahrer Musik und Kunst vor sich geht: Melancholie und Traum! Dies ist der Sinn der Worte: „Unter Palmen wan-delt Niemand ungestraft." Denon sagt in Uebereinstimmung mit Ghrenberg (der eine Piece über die Wüste geschrieben hat): „Nach einem achttägigen Aufenthalt in der Wüsteneinsamkeit werden die Sinne bei der Rückkehr in das angebaute Land durch die geringsten Gindrücke aufgeregt. Ich kann es gar nicht sagen, was ich empfand, als ich in der ersten Nacht nach unserer Rückkehr von Kosseir am Ufer des Nils gelagert den Wind durch die Zweige säuseln und mit den Blättern der Palmen spielen hörte. Alles erwachte, Alles belebte sich, hier schien die Natur wieder zu athmen. Ghrenberg vernahm auf der Nachtwache vor dem Zelte ein unerklärliches Geräusch, von dem sich bei näherer Untersuchung ergab, daß es von einem Käfer herrührte, der ein Sandkügelchen wälzte; so schärft und steigert die Abgeschiedenheit in der Wüste die Sinne, — sie gewinnen durch Erholung ordentlich eine Wiedergeburt. — Jeliapolig. Der Weg nach Heliopolis, welches nordöstlich etwa eine starke deutsche Meile von Kcchira entfernt liegt (und jenseits dessen der gesegnete Landstrich Gosen beginnt), führt auf einem Damme, neben dem Nilkanal von Hadrian, der neuen Stadt» anläge „Abassia" vorüber, zwischen der Wüste Suez zur Rechten und der Nilnicderung zur Linken, durch Gärten, Felder, Oelplantagen und allen möglichen Anlagen zu dem Dorfe Matarieh. — Der junge Tag war auch diesmal so fabelhaft schön, daß er mir als die wache Fortsetzung meines Morgentraums erschien. Am fernen Wüstcnhorizonte färbte sich das Morgengrau in Violett und leises Windcswehen ging den Mysterien des nahenden Lichtes vorauf, bog die dürren Nüstengräser und kräuselte die leichten Wellen des Kanals. — Noch stand die Pflanzenwelt im Schutze des Nachtthaus; rasch leckten ihn die jach heraufblitzendcn Strahlen des neuerschaffenen gloriosen Sonnengottes auf: — es waren seine tausend mal tausend goldenen Pfeile, die er ohne Unter« — 270 - laß von seinem Sonnenwagen verschoß, und sie trafen die letzten Schatten, welche im Westen entfloh'«. — Mein heutiges Reiseziel war aber kein Bild des aufgehenden Tages, sondern daö einer untergegangenen, verschütteten und vergessenen Welt. Die Stätte von Heliopolis ist eine Schuttwüste, und die Orangengärten des Dorfes Matarieb setzen durch den Kontrast nur die Todtenstille und Wüsteneinsamkeit ins Vicht! — Der Reisende ^düuUalii' sah beide Obelisken des Sonnentempels und an dem noch stehenden ein Pyramidion von Kupfer aufgesetzt. Im Jahre 656 der Hcdfchra wurde sein steinerner Gefährte zu Boden gestürzt, seit so viel Jahrhunderten trauert Jener allein und flüstert vielleicht den Mauerwespen, die seine Hieroglyphenschrift verkleben, und den Rosmaringängcn, die zu ihm hinführen, und den Orangen« bluthen, die ihn umduften, seine fabelhaften Schmerzen und Geheimnisse zu. ^ Oder wo soll die fühlende alte Wcltsecle hier in diesem gefühllosen barbarischen Acgyptcn von heute hingekommen sein, wenn nicht in den ältesten Granitstem der alten Kunst und Schrift; denn ein solcher ist dieser Obelisk, auf dem der Kundige den Namcnsfchild des Königs ()8«rtH. 8sn I. (richtiger: 868urt,68on, 2300 v. Chr.) erblickt. ^ Dieser redende Stein steht in einem kleinen, rings umzäunten Orangen- und Aprikoscngarten iu der Nähe von ein Paar elenden Hütten tief im Schntt und ist gleichwohl noch über fünfzig Fuß hoch und fünf einen halben Fuß an jeder Seite — 271 — über dem Boden breit. Von diesem Gartenobeliöken, welcher zu einem Weltgrabmal geworden ist, — schreitet man nach Norden zu über einen mit Schutt und Sumpfstellen und nur mit wenigen Trünunerspuren bedeckten Boden zu den übrigen Hütten des gewöhnlichen Dorfes, dessen Name Matarieh „frisch Wasser" bedeutet; wahrscheinlich wegen des uralt berühmten süßen Quells der Sonne (auf Arabisch ^in Zclioms), der heute noch Menschen und Thiere labt, wie von Anbeginn, während das stolze Menschenwerk rings umher lange zu Grunde gegangen ist. An diesem Wasser, dein süßesten in ganz Aegypten. hat sich die Mutter Gottes mit dem Jesuskinde erquickt, und in der Nähe wird mitten in einem zierlich eingerichteten Garten eine uralte, gewaltige Sykomore gezeigt, unter welcher die heilige Familie Josephs auf ihrer Flucht geruht haben soll. Ich halte den Bauin nicht so alt; ich glaube nicht, daß man sich die Nuheftelle des unerkannten Neltheilandcs gemerkt haben wird; jedenfalls aber ist eine übliche Sage unendlich erquicklicher, wie eine Thatsache, durch Welche eine gemeine Alltagswahrheit erhärtet wird. — Vielen Lesern dürfte bei dieser Gelegenheit eine Notiz von Lepsius interessant sein, die fich in seinen ägyptischen Studien für die Staatszeitung findet und sich auf die Schicksale der Juden in Aegypten bezieht. „NHM363 II. besteigt den Thron 1394 v. Chr. Und ist Bedrücker der Juden. — NenoMos sendet 80,000 Juden ln die Steinbrüche; später wird ihnen die Stadt ^.dkri« an-sscwiesen, wo sie sich unter dein ägyptischen Priester Osarcliei. — 272 - (Moses) empören und Aegypten verlassen." — Frisch und labend quillt der Born der Poesie und des Glaubens und ertödtend dürre, staubig sind die Sandwästenkörner der aus-genüchterten, lieb- und glaubenlosen Wirklichkeit, welche einerseits zu lauter materiellem Iudustrieverstand und anderntheils zu seelenloser, purer, zerkrümelnder Dialektik geworden ist. Ein polnisches Sprichwort sagt witzig geuug: „aus Sand kann man keine Peitschen drehen;" die deutsche Dialektik scheint sich aber gleichwohl auf diese kuriose Kunst zu verstehen, und was das Allerkurioseste ist: sie geißelt sich mit diesen abstrakten Peitschen die konkrete Seele aus dem ^eibe heraus! — wohl bekomms! Zu den ältern beiden Obelisken, von welchen der Eine in jenem Gärtchen steht, hatte I'Kuran, der Sohn des tt^osti-ig, noch zwei Spitzsäulen aufrichten lassen, eine jede 150 Fuß hoch. Eine Allee von Sphinxen lief von da zum nordwestlichen Thore der Stadt, dessen Lage noch heute kenntlich sein soll; ich habe es nicht rekognoszirt, denn ich wußte kaum, hatte ich noch einen Kopf oder nicht. — Den Sonnentempel hat der historischliebenswnrdigc (5am-byses zerstört; zum Glück ist seine Nachkommenschaft und Wahlverwandtschaft doch nur so dünn in der Welt gesät, daß immer noch genug vom Alten übrig bleibt, um das Neue darin zu bewurzeln. ^ Gs muß auch solche Vestienheroen auf dieser Ordenwelt geben, aber man wird ihre Blutspuren nicht ohne Grauen gewahr..— - 273 ^ Strabo fand noch den Grundriß der Stadt deutlich aus den Trümmern heraus; heute dürfte das unmöglich geworden sein, denn es sind, wie gesagt, auch nicht mehr Trümmer zu sehen, falls man nicht Schutt dahin rechnen will. Die längste Ausdehnung dieses Schuttbezirks mißt 1500, die Breite 1150 gewöhnlicher Schritte. — Die Wohnhäuser lagen auf der nördlichen Seite, der Tempel war auf der Südseite erbaut. Am Thore von Heliopolis stand ein jüdischer Tempel, so lange wie der zu Jerusalem, den ein Priester Omas unter Ptolomäus Philometor errichtet hatte und der auf Vespasians Befehl zugleich mit dem von Jerusalem vernichtet worden ist. Sein Schutthaufen wird noch der der Juden genannt. 18 Eine d«t werthvollsten Früchte des Forschens der neuern Zeit ist der wissenschaftliche Vrweis der Thatsache, daß auch hier in Negyp ten, wie in Indien jene Religion der Altuäter dle älteste und anfänglichst« war, welche auf ein Erkennen des wahren Gottes, des Drei in Einem sich gründete; denn die früheste Ginndlehre der Tempel war die der Dreieinigkeit, l^rst später wurde statt jenes ^wissen und Unsichtbaren, der sich dem Ge-schlechte der Menschen in leiblicher Gestalt nahte, die leibliche, vergängliche Form selber vergöttert. Die Priesterstadt HeUopolis war das On dcr Genesis; On ein Tempel der Sonne oder des Phrö. On heißt im Koptischen „das was glänzt." Der Vater der Asnath, welche vom Pharao dem Joseph vermählt wurde, war (der Orthographie der Septuaginta zu-solge) Pete-Phre, d. h. Priester der Sonne, oder „welcher der Sonne angehört"; wie z. B. Pet-Osiris: dcr dem Osiris (seinem Dienste) gehört. (Von Pete-Phrc ist nach „Ampere" Potiphar gemacht.) Wie zu Sais bestand hier eine Schule der Tempelweisheit. Außer den Geheimlehren wurden hier Astronomie, Mathematik und Naturwissenschaften gelehrt. Hier sollen Orpheus und Dädalus, auch Homer geweilt haben. — 275 — Sicherlich waren da Lykurg und Solon, Herodot und Pythagoras, Plato und Demokritus, der Alexandrinische Bibliothekar Eratosthenes (aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.) und der berühmte Astronom Gudoxus. — Der Geograph Strabo (unter August) sah das Haus des Plato, der hier drei Jahre studirle, und das Kollegium wo er studirt. Gin Priester soll zu ihm gesagt haben „o Plato, Plato! ihr Griechen seid noch Kinder!" Der Priester Manetho schrieb hier im Auftrage des Ptvlo-mäers die Geschichte Aegyfttens aus den Archiven des Reichs, von der nur die lückenhaften chronikalen Register der Dyna-stieen auf uns gekommen sind. Und gleichwohl wurde auch hier an dem Quell der Weisheit der Stier Mmevis verehrt, wie zu Memphis der Apis. — Das war die Ausartung einer ältesten Weisheit, einer Anbetung des ,.?ktl^", des Vaters aller Götter, einer Erkenntniß des unsichtbaren, ewigen Gottes, des Ursprunges und Anfanges alles Seins, dessen Wesen ein Licht ist, „das auch in der Mitte der Nacht leuchtet wit der Klarheit des Tags. Die griechische Götterlehre und Philosophie hat ihre Wurzeln in der ägyptischen Theogcnie; aus ihr schöpfte Moses. Diesen Quell verleugnet auch die deutsche Bildung und Wissen« schaft nimmermehr. Dem ägyptischen Sinn und Geist lst der deutsche wahluerwandt, nicht aber dem griechischen Formen- und Schönheitssinn. Auch bei uns liegt, wie bei den alten Aegyptcrn, der Idealismus mit dem 18" — 276 — Materialismus, die Phantasie mit der Metaphysik, die Natur mit der Uebernatürlichkeit, die Symbolik mit der Vuchstäblich-keit im Kampfe, mit der Erhabenheit die Pedanterie. Wer darf noch seines Menschenwitzes, was darf noch seiner Erdendauer sicher sein, wenn solche Lehrstätten der Welt, wenn ihr ältester, in Heiligth innern, in Mysterien genährter und fortgepflanzter Geist so spurlos verschwinden konnte, daß nicht einmal die Zeichen feiner Hülle, die leeren Hirnkammern übrig blieben, der grinzcnde Todtenschadel, wormnen sich einst das kreisende Weltgehirn befand. Nur ein aufgerichteter Stein über dem eingesunkenen Grabe dieser ägyptischen Schaum- und Traumgestalt des Menschen-geistes ist stehen geblieben, ein Obelisk im Rosmarin« und Orangengarten zu Matarieh, ein Gedenkstein, den heute die Welle der steigenden Nilwasser, die durch Thebens und Memphis alte Herrlichkeit flössen, mahneud bespült, und dessen halbentzifferte Hieroglyphenschrift, die Mauerwespe mit ihren wunderbaren Sandzcllen überzogen hat, zum Zeichen, daß die ewig gcheimnißvoll schaffende und unerschöpfliche Natur fort und fort morgen verschleiert, was sie heute enthüllt. Aus dem spitzgeschliffencu Pnmkstein vor dem Sonnen« temftel der hohen Priester und Pharaonen, aus der Granitnadel (dem Obelos), dem Granitspcer, mit welchem der ägyptische Titane den Himmel eines unvergänglichen Nachruhms im ungetreuen Mcnschengedächtnisse erstürmen wollte, ist ein Leichenstein geworden in einem Gräbergarten, den eine meeresweite Wüste umgiebt; em hochemporgereckter Gran it-finger, welcher die kommenden Geschlechter bedräut, wenn sie solche Symbolik, wenn sie die Zeichenschrift verstehen, die zwischen den Hieroglyphen in „Geisternoten" steht. Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen und an der Stätte, wo vor Jahrtausenden die Riesen-Palme der Theosophie und Astronomie in den wolkenfreien ägyptischen Sterncnhimmel hineingewachsen ist, da zieht man heute in einem Raume, der für einen Kirchhofgartcn gelten muß, nordische Obstbäume, deutsche Apfel- und Birnbäume, im Interesse der arabischen Kuriosität. Beim hohen Himmel, es ist sehr wenig und sehr viel in Heliopolis zu lernen und zu sehen; denn nicht selten geschieht es, daß der rege, schaffende Menschcngeist, einer Neichsclpappel ähnlich, trockene Zaune und Stecken mit dem Grün und Silbergrau seiner Träume und Gedankenlaubmasscn überkleidet, während er zu vertrocknen und zu ersticken pflegt, wenn er in ein Walddickicht geräth. DclnlbiA unll Koäit. Gegen Abend athmet man die leichte, linde, frische ^uft. Die Sonne sinlt hinter das libysche Gebirge, das dunkelblan wie Email im Schatten liegt, während die Lichtstrahlen auf dem arabischen wie auf einem Prisma spielen und eö mit Farben uo» Blumen, Schmetterlingen und Edelsteinen schmücken. Wie große flammende Rllsen liegen einzelne Vlaffen da; wie Ketten uon Aniethyst in goldener Fassung die langgestreckten '^crge. Die stillen Wasser spiegeln gctren die schönen Gebilde zurück, nur mir einem leichte» Florschleier umhaucht. Frühlmgöduft erfüllt die Atmosphäre: Äübfamen-, Vohnen., Lnpinen», Wicken« und Nau,invollenfelder stehe» in Blüthe! Weizen und Gerste sind arulslang; Akaziengesträuch mit lilafarbene» nnd blauen Schlingpflanzen durchflochten, auch andere Gebüsche, die ich nicht tenne, ilmgeben die Wasserräder (Satieh genannt, welche ununterbrochen die Felder bewäfftr») oder wachsen anf ihre eigene Hand an> Ufer, da, wo eö nicht bebant ist, Frühlingöcdem maßte ich eigentlich diesen unbestimmten, balsamischen, erquickenden Geruch nennen, den unsere Felder »nd Wälder auch in d?r schönsten Zeit unseres Jahres, im Iunins aushauchen. Die wilden Tauben wiegen sich auf Palmenzweige», oder gurren und lachen lieblich ueckend wie fröhliche Mädchen aus den Gebüschen ; Wasfervögcl sitze» gejchaart beisammen auf den Sandbänken, marmorweiße hier, rabenschwarze dort, und zirpen oder schnurren ihr «intbn.'iacü Abeudlied, das sie von, eintönigen Geftlätscher der Wellen, zwischen denen sie leben, gelernt haben, (im großer Reiher fliegt zuweilen über die ganze Breite des !>>ilö, oder ein Pelikan, der mit schwerem Flügel» ichlag nach irgend einem Fisch untertaucht. (Orient. Briefe bo» Ida Hahn Hahn.) — 279 ^ Schubra ist ein Landhaus und Garten am Nil, Beide von Mehemed Ali mit orientalischem Luxus ausgestattet. Die Lage ist günstig, die Elemente kommen hier zu Hülfe, und so entstand ein kleines Paradies in einem Sultansge» schmack, dem auch ein Christ zu Zeiten verfallen kann, falls er kein Heuchler oder Selbsttäuscher zu sein versteht. Es ist schwer zu sagen, ob der Ritt nach diesem ägyptischen Sanösouci köstlicher ist oder der Ort selbst. Auf dieser Ausflucht begreift man, wie das Nnterwegssein noch schöner wie das Anlangen sein kann. Nach Schubra führt cine sechs Wagen breite gerade Allee von Sykomorcn und Lebbeck-Mimosen, wohl eine Stunde lang auf einem Damm, der von den alten Schuttbergen, zum Theil durch die Nilniederung aufgeschüttet worden ist. Die Kaffeehäuser und die Villa's, welche Abbas Pascha am Wege hat aufbauen lassen, gleichwie Reiter und Equipagen, könnten die Täuschung unterhalten, daß man sich in der Nähe einer europäischen Hauptstadt befinde, und mitten im Schooße der Zivilisation; und doch ist der heimathliche Text so fremdartig und fabelhaft in Szene gesetzt, so opernartig komponirt, daß man sich mehr wie je in fremden Zonen und unter einem Wunderhimmel fühlen muß. Zu beiden Seiten des Dammes wechseln Klee- und' Getreidefelder, ebenso Gemüsegärten mit Zucker-, Oelbaum« und Baumwollenplantagen. Andere Alleen durchschneiden die Haupt» — 280 — straße und führen nach Landhäusern, die mitten in Palmen-, Orangen- und Aprikosenhainen, wie in einem Feenzauber stehen. An vielen Stellen ist noch das Nilwasser zurückgeblieben, als Angedenken des Neberschwemmungssegens und als Nachspende für den immer durstigen Boden; und an den Kanälen befinden sich die Sakihs, d. h. die durch Ochsen getriebenen Schöpfräder, in knarrender und weit durch die Luft seufzender Tha« tigkeit, wie wenn selbst die todten Maschinen in diesem heißen Lande nichts thun konnten ohne Noth und Gestöhn. Aber auch dieser Schein von prosaisch-ökonomischer Thätigkeit ist von der romantischen Wundematur allhier, mit Akazien, mit Jasmin und wilden Rosen dekorirt. Sykomoren und Iohannis» bäume überragen das wilde Gesträuch, in dessen Schatten Thiere und Menschen „von des Tages Last und Hitze" ausruhen. Durch die zur linken Seite des Dammes gepflanzten Mimosen (welche ganz wie kleinblättrige Akazien aussehen) schim» merten hie und da die Silbermassen des Nil; aber die Riesensegel, welche in der Ferne wie ungeheure Pelikane oder Schwäne mit halbgeöffneten Flügeln aussehen, erinnern den Fremdling wiederum, daß er keine vaterländische Szene vor sich sieht. Die feurigen und ambitiösen (Ksel stellten dasmal wieder zu ihrer eigenen Genugthuung ein komplettes Wettrennen mit uns deutschen Phlegmatikern an. Die Arme ermüdeten mir zuletzt vom Halten, ich ließ also in Gukuks Namen laufen und durchstog mit einer Menge von deutschen Professionisten und Künstlern die Hälfte der Allee im wiegenden Galopp. — 281 — Die Gseljungen aber blieben uns als eben so viele Schnell« läufer hart auf den Fersen, ohne daß dies von ihnen irgend verlangt worden war. Die mäßige Hitze wurde durch den uns entgegenwehenden angenehmen Nordwind und den frischen Hauch des Nilstroms gemildert; Staub und Insekten be« lästigten uns keineswegs. An unsern Blicken flogen wie im Zauberfluge alle Zauberszenen vorüber, welche sich die nordische Einbildungskraft irgend vom Oriente zu träumen vermag; alle Sinne feierten in diesen natnr- und phantasietrunkeneu Augenblicken ihre Wiedergeburt. Die Lust der raschen, schaukelnden Bewegung auf den fanft galoppircnden Thieren verschmolz mit den Entzückungen des Schauens, des Einathmens alle der duftgefchwängerten Lüfte zu einer Wollust des Daseins, und doch war diesem Sinnengennß eine Reflexion und Absicht, eine übersinnliche und mystische Empfindung beigewischt. Der Himmel schien wunderbarer Weise wie mit einem leichten, dichten und doch matt durchsichtigen, silbernen Isisschleier verhüllt, eine Mysteriosität, die sich im Norden nur höchst selten auf einige Stunden oder Augenblicke in der heißesten Jahreszeit wahrnehmen und aus einer außerordentlich raschen Verflüchtigung der verdampfenden Feuchtigkeit er< klären läßt, vorzugsweise aber den ägyptischen Himmel in allen Jahreszeiten charakterisirt. Der Eingang in den Garten von Schubra, welcher manchen Reisenden nicht Prächtig und ostensibel genug dünkt, gewinnt eben durch die blühenden Schlingpflanzen, mit denen — 282 — das Thor romantisch umwuchert ist, etwas höchst Einladendes und bildet so den reizendsten Kontrast zu der Marmorpracht, die den Besucher mitten im künstlichen Paradiese überrascht. Hier findet ein romantisches und nach Abenteuern lüsternes Gemüth so eine von den Szenen, die ihm durch die Märchen aus Tausend und einer Nacht in einem orientalischen Sultans' garten versprochen worden sind und auf welche von ihm aus den Tagen der Kindheit und Jugendzeit her mit allen Seelenkräften pränumerirt und gefahndet worden ist. Hier sieht man in Wirklichkeit einen Kiosk mit Fontainen und Marmorverschwendmlgen, daß es die ersehnte Art und den freien Märchenspielraum hat. Um mich kurz zu fassen: Gin großes tiefes Mormorbecken, mit filtrirtem Nilwasser gefüllt, in welchem die Haremschönheiten baden, schwimmen und auf einem Nachen umherfahren können und zu welchem breite Marmorstufen hinabführen, ist von offenen Hallen, ans schön geschliffenen weißen Marmorsäulen in längliche»» Viereck umbaut. Die vier Winkel des Bassins sind mit wasserspeienden Marmorlöwen ausstafsirt, und aus der Mitte des Marmorteiches erhebt sich ein Marmoraltan, der von 24 wasftrspeienden marmornen Krokodilbestien getragen wird, damit man nicht vergesse, daß die Szene am Ufer des Nils hingezaubert ist. An die vier abgestumpften Ecken des doppelten Portikus, welcher sich mit lebhaften Wand' und Deckenmalereien im indischen Style geschmückt zeigt, sind vier luftige Pavillons mit Gemächern gelehnt. Das Ganze ist selbst nach dem Ur> — 283 — theile solcher Personen, die viel im Oriente gereiset sind, die Prächtigste und geschmackvollste Garteii'Architektur der Art, die im Sonnenaufgange gefunden wird: eine üppige Phantasterei, halb Fontaine, halb Kiosk, eine kostspielige Marmorspielerei, ohne besondern Kunstwerth, wenn man will; aber nichtsdestoweniger höchst charakteristisch für die Lebensarten und den Kunstgeschmack im Orient; höchst verführerisch für die Sinne, und zumal für eine zwischen kalten, feuchten, finstern Steinmauern brach gelegene nordische Einbildungskraft, die erst im April und mitunter noch nicht im Mai vom Schnee und Eis aufthauen darf. Es thut's nicht immer die Kunst im engeru Sinne; es thut's auch die Leb ens Poesie, die himmlische, lebendige und natürliche Kunst, von der alle besondern Künste nur die im todten Stoff vermittelten, endlichen, schwachen Abbilder und Ableger sind. Es ist aber ein Elend, daß die professio-nirten und Patentirten Herren Aesthetiker, Naturforscher, Alter° thümler und Gelehrten von dieser Kunst der Künste, von Symbolik, Seelenmysterien und von der allgemeinen natürlichen Poesie, welche alle Künste und Wissenschaften bespeisen muß, wenn sie nicht zum todten Holz vertrocknen sollen, oft nicht mehr wissen und verstehen, wie der trockne Zaunstecken von der grünen Vegetation, die sich über ihn himvcgrankt; oder wie der Perrückenstock, der ün grünen Walde den wunderschönen Signalements und No« tnenklaturen zu Liebe botanisirt und erst dann ganz glücklich - 284 — ist, wenn er ein neues Exemplar benamset, beschrieben, klassi-sizirt, in die wissenschaftlichen Rubriken, iu sein dorbarwm vivum und in seinen lebendigen Vokabelnkasten eingetragen hat. Das Palais am Nil ist mit schönen Gemächern eingerichtet. In denselben giebt es große Wandspiegel, Damast» Ottomanen, asiatische Teppiche, vergoldete Flügelthüren, Küh» lungs- und Baderäume, Springbrunnen in den Erdgeschossen, Decken- und Wandmalerei im chinesischen Geschmack und Alles, was der raffinirteste orientalische Luxus nur ersinnt und diktirt. Selbst einem nordischen Menschenkinde wird hier zuletzt ganz „schwirblich" und sultanisch zu Sinne vom bloßen Besehen. Man wandelt ungestraft weder unter Palmen noch in orientalischen Palästen umher. Der alte Adam wirft seine Hefe nach oben, wenn der sinnliche Grund aufgerührt wird. Zu Mehcmed Alis Zeiten wurden in Schubra zwei be» sonders große und schöne, mit orientalischen Palankins ausgerüstete Elephanten gepflegt. Ich habe sie nicht gesehn und weiß nicht gleich, was aus ihnen geworden sein mag. Eine halbe Meile von Schubra befindet sich ein Gestüt mit vortrefflich eingerichteter Stallung und Fütterungsökonomie. Es werden daselbst 36, nicht besonders skrupulös gewählte Hengste und l>00 Stuten ordmairen ägyptischen Schlages gehalten, somit nur eine Vastardracc erzeugt. Ich habe die Stutcrei uicht besucht und erzähle nur, was ich gehört. Als orientalische und naturwidrige Kuriosität ist anzuführen, daß man den Pferden hier die Schweife rasirt. Es ist dies — 285 - eine andere Art der überall adofttirten englischen Absurdität, welcher zufolge der Pferdeschweif koupirt werden muß, damit angeblichermaßen die Kraft im Kreuze desto besser konzentrirt verbleibt, und damit noch für reiche Leute ein aparter Fliegen-wedler hinter dem vornehmen Ritter und Reiter nothwendig wird. Do gustibus non est disputandum. An einem andern Tage besuchte ich die Insel Noda odcr Ruda. Nach so vicl Aufwand von Kunst und Natur in Schubra ist hier noch eine Steigerung in der Totalwirwng zu finden, die man nicht für möglich halten mag, wenn man zumal die Gabarrigärten bei Alexandrien gesehen. Der Fruchtgarten in Schubra bricht fast unter der goldenen Last von Scvilla-Apfelsinen, Zitronen und „Pomvel-Mlseu". Die Blumenboskets sind dio Wintermonate hindurch, außer dcn Rosen von allen Schattirungen, mit cincm schim» Merndcn, bunten Flor von Tulpen, Hyazinthen, Tazettm, IonqMen und, die Vlumisten wissen cs, mit was für andern Blumen geschmückt. Selbst die vaterländischen Apfel- und Virilbaumblüthett vcrlnählen sich hier mit dem Vlmuenstaube der Orangen, die fast zu aller Zeit in Frucht und Blüthe anzutreffen sind. Im weiten Pack, welcher zu dcm mit ge-> schoreucn Myrthcnhecken stcifgcsch>uückten, unt Parkettirten Wegen versehenen, in regelmäßige Vierecke zerschnittenen, echt — 286 — orientalischen Baumgarten im pikantesten Kontraste steht, jagen sich schlanke Gazellen und Strauße und gewähren so eine Szene, die kaum phantastischer und origineller gefunden werden kann, falls man nicht mit Giraffen. Nilpferden und Elephanten nachrücken will, wozu hier gleichfalls die Mittel geboten sind. Das Alles und unendlich mehr ist in Schubra zu Prositiren und gleichwohl vergißt man auf der Insel Noda Alles, was man in Schnbra gesehn: so neu ist hier wieder das Einzelne und die begleitende Szenerie ringsumher! Dieses HeZperideneiland theilt den majestätischen Strom und bildet mit den hart an ihm gelegenen Palästen zu Fostat, welche die Konsuln bewohnen und unter denen sich auch der Palast Mehemed Alis befand, eine Wasserstraße, die zumal für die Besitzer jener Prachtwohnungen ihres Gleichen nicht hat. Kühlung strömt von den Wellen des Nil zu den offen gehaltenen Lufträumen, Luftfängen und Ventilatoren jener Zauberpalästc, und Zephire tragen die Düfte von Orangen, Rosen, Akazien, Myrthen und Jasmin zu den Ialousieeu und leicht vergitterten Balkönen (den Mefchrebijehs) hinauf, durch deren Schicbfcnsterchen die großen brennenden Augen der arabischen Frauen alle Paradiesespracht dcs kleinen Inselreichs überschauen, das wie eine grünende, blühende und fruchtstrotzende Opfergabe dem alten Nilgott entgegenzuschwimmen scheint. Der majestätische, geheiligte, geheimnißvolle, sich immer — 287 — selbst gleiche Strom, mit jenen pyramidalen Stein thoren, „Welche die Zeit selbst zu fürchten scheint", am Saume der schweigenden Wüste, und über diesen Sinnbildern der Ruhe und Unwandelbarfeit der sich ewig gleiche afrikanische Sternenhimmel: das ist eine Harmonie von Szenen und Vorstellungen, wie sie nicht leicht an einem zweiten Orte der Erde dem Geiste, der Seele und den Sinnen zugleich aufgespielt wird. Um aber die konkreten Dinge nicht zu vergessen, so berichte ich zur Abfrischung von der Wüste, deren immer mehr um sich greifenden Zerstörungsprozessen kein Einhalt durch Menschenkräfte geschehen kann, wie folgt: Auf der Insel Roda befinden sich alle tropischen Gewächse im liebenswürdig tumultuarischcn Rendezvous. Da sind: Kaffeebäume, Vanillensträuchcr, Bananen, IohanniZbrotbämue, Bambusrohr, Tamarisken, Oleander, Kaktusfeigcn, Aloe, Quassiamimosen, Gummi-Elastikumbäume, Pompelmusen und Sykomorcn; da sind alle möglichen Orangen und Palmen» arten zu einer künstlichen Wildniß durcheinander gepflanzt worden und so inö Gelage hineingewachsen, daß z. B. eine Sykomore den Umfang von vier Klaftern erreicht hat. Hier giebt eS Fächerpalmen mit kuriosen Früchten, Delebpalmen oberhalb deg Senner unter dem 10. Grade nördl. Br. zu Hause, beide mit schöner glatter Rinde angethan; die Dom-Palme, die sich erst bei Ssiut findet; das schönste aber sind vielleicht Myrthen- und Hcbyskusheckcn von sechs Fuß — 288 — Höhe und fünf Fuß Dicke, die einen großen Theil der Gärten im nördlichen Theile der Insel durchziehen. Kanäle durchschneiden alle Rasenplätze, in Wasserbecken spiegeln und tränken sich die dürstenden Blumen und die Roscnmassen, welche in allen Schattirungen von Weiß, Roth und Gelb fast das ganze Jahr hindurch blühen. Eine breite Terrasse führt an der nördlichen Spitze, wo sich auch eine Muschelgrotte befindet, bis zum Nile hinab, der ununterbrochen zwischen den massenhaften Pflanzungen und Fruchtgärten von Alt-Kairo fortströmen darf, und an dem südlichen Ende der Insel steht der Nilmesser, unter dem man sich eine einfache Säule, den Zeiten der ägyptischen Kö-uigc entstammend, zu denken hat. Gin Morgenritt durch jene köstlichen und wunderbaren Plantagen, welche die ältere Stadt mit der neuern verbinden, gehört zu den Genüssen, die nur Kahira in solcher Weise gewährt. Gleichwohl zerstört auch hier ein dicker Staub auf allen Blättern nur gar zu positiv das geträumte wie das wirkliche Paradies. Aäieu nn Kntlira. Mit derÄnziehungs- und Abstußungökraft einer geizigen Atmo« sphäre, die ans unfaßbaren und unleugbaren Atomen um den Körper eines jeden Lebens gebildet ist, erkläre ich mir, was ich sonst nicht erklären kann. Wie ging es sonst wohl zu, daß Kairo nur so nngemein gefiele! Vine weite Fläche, charakterlose Höhenzüge, unendlicher Sand, dann auf dem kultivirten Boden einc sehr reiche, ich möchte sagen, köstliche Vegetation, welche aber, weil sie knüstlich und mühselig hervorgebracht wird, an Einförmigkeit leidet, wie z. B. die in Reihen gepflanzten Palmenwaldmigen, Das sind doch im Grunde genommen keine reizende» Elemente — und doch greift das Ganze so wunderbar ans Herz. < Ida H ,1 y n - H a h n.) Es ist ein eigcn Ding, von Menschen und Orten auf immer Abschied nehmen zu müssen. Wir kommen nicht zum Schlüsse eines Buches, das uns angezogen hat, ohne das befühl der Gndschaft aller Erdendinge, und nach einem fremden Welttheil kehrt man nicht so leicht zurück. Je glücklicher man an einem Orte und mit Menschen war, best-o stärker ergreift uns beim Scheiden die Vorcmpfmdung bes Todes, desto tiefer drückt dieser seinen Stachel in unser 19 - 290 — Herz, das eben an die Gestalten und Lebensarten dieser Erden« und Sinnenwelt gekettet ist. Man kann aber von Kahira ohne Uebertreibung sagen: es gebe für die Fremden wenig Orte solchen Zaubers und Komforts in der Welt. Für den Europäer hat das Lcben dieser Stadt einen wahrhaft großartigen Styl. Nirgend in der Fremde fühlt man sich so heimisch, so wohl aufgehoben, so wenig von Verwaltungs« und Polizeimaßregeln behelligt, so uon allen beengenden und kleinlichen Verhältnissen befreit, wie in diesem wunderbaren Ort. Es ist auch gar nicht anders möglich, wenn man irgend ein an Leib und Seele gesunder, einigermaßen geweckter und gebildeter Mensch ist. Kahira wirkt durch seine Umgebungen wie durch seine Bauart, durch Natur und Kunst zugleich, durch sciu Klima, feine Luft, feine gefällige, natürliche Lebensart, seine tausendfältige Szenerie, endlich durch seine Erinnerungen aus allen Zeiten, von der Sündfluth bis zum laufenden Jahr; durch den Magnetismus, welcher von all' den Wuudcrstättcn, von den Pyramiden, von Heliopolis, den Kalifengräbern, der Citadelle, von der Wüste, dein Nil nnd den köstlichen immergrünen Gärten auf Seele und Geist ausströmt, einen unaussprechlichen Reiz. An einer Stätte, wo drei Welttheile, wo drei Religionen zusammenstoßen, wo sich fast alle Nationen der zivilisirten Erde und selbst die halbwilden Völker in ihren bedeutendsten — 291 — Trägern und Repräsentanten, in Sklaven und Herren, in Reisenden und Gelehrten, in Künstlern, Kaufleuten, Hand-Werkern, in Weltverbesserern, in Verbannten und Glücksrittern ein Stelldichein geben; wo von den Pyramiden herab die Jahrtausende in jedes Gewissen reden und die Wüste der Bodenkultur, also der Natur selbst, den Untergang droht, aus einer Stätte, die fast aus so vielen Denkmälern untcrgegan» gener Menschengeschlechter, wie der Diluvialboden des Nilstroms aus Schlammschichtcn besteht, in diesem Tummelplatz, dieser ungeheuern Rumpelkammer von Kulturfragmenteu, auf dieser bleibenden Ausstellung von Nationalitäten; da muß sich die Spießbürgerlichkcit abschleifen, dic Ichsüchtigfeit und die nationale Eitelkeit sich im Sande verlieren, da muß die leere Förmlichkeit, die Unnatur, die leidige hohle Konvcnienz verrinnen, die abstrakte Schulbildung sich in die Luft geschnellt, doch in Nichts aufgelöst sehen. — Hier wird dem Pariiku» Zarismus, den kleinlichen, tausendfältigen Unterschieden, Rücksichten, Maßstäben, Intriguen und Motiven, welche die Menschenwelt so beklagenswert) zerkrümelt, so in ihren heiligsten und gemeinsamsten Interessen zerklüftet haben, durch die ungeheuersten Wclteindrücke, Weltbilder und Wcltmahnungen gewehrt. Hier sehen sich bei den gebildeten Fremden und in den tiefer organifirten Menschen Natur und Uebernatür» lichkeit wiederum in ihre urewigen Rechte eingesetzt. Diese Beduinen-Araber, die, in ihre weißen Mäntel gehüllt, mit ihren langen Stäben von der Wüste hereinkommen, 19" — 292 — diese schwarzen Sklaven, diese armseligen Fellahs und Eselbuben, das ganze nackte, frugale und doch fröhliche, begnügte Leben und Treiben des arabischen Volkes; diese ägyptischen Lüfte und Valfamdüfte, diese üppigen Fruchtfelder und Gärten, im Abstiche der Wüsten und Steinklüfte, zwischen denen ein Weltstrom seine Wogen zum Meere wälzt, pflanzen Natur in die Seele und Predigen Wissenschaft dem Geiste, wo anders noch für Beide ein fruchtbarer Grund und Voden übrig geblieben ist. Diese zertrümmerten Weltstätten und Weltreiche, die Wüsten, die Pyramiden und das Meer zeigen über die Endlichkeit hinaus in ein übersinnliches, in einüber' natürliches Reich. Man kann sich dieser irdischen und himmlischen Symbolik, welche sogar aus dem ewigklaren ägyptischen Sternenhimmel zum Menschen zeichenredet, nicht entziehen, wenn man anders ein denkender und fühlender Meusch ist. Man unterliegt hier also siderischen wie magnetischen Einflüssen, dem Naturalismus wie dem Supernaturalismus. Man wird in gleicher Weise, ohne daß man es weiß und will, Realist und Idealist, so daß es zuletzt eine echt menschliche und „konkretabsolute" Art hat, und dies, meine ich, ist dann eben der großartig.stc Styl, den es giebt. Eben in dieser Natürlichkeit der kahiriuischen Lebensweise, in dieser Weltatmosphäre, in der freien Physiognomie, die hier das Thun und Treiben der Fremden und Nicht-eingesessenen hat; in diesem Reiten, Pilgern, Umherschweifen, Ausruhen, Genießen und Wachträumen, in diesen unaussprech« - 293 — lichen Gegensähen des Materiellsten und Ideellsten, der Hin« gebung an den Augenblick und der Erinnerung an alle die Urgeschichten der Welt; in der Art und Weise, wie in diesem Lande Zukunft und Vergangenheit der Gegenwart im Schooßc ruhen; m und über diesen ungeheuern, vou allen kleinlichen Maßstäben, Sorgen, Intriguen und spießbürgerlichen Miseren losgerungenen Weltprozessen und Zukunflswchcn, in diesem arabischen Wüsten-Naturalismus, wo unter der Zengenschaft der Strauße und Giraffen, wie der ^öwcn und Hyänen die Religionen ausgebrütet und ausgebildet wurden, welche noch heute die Welt beherrschen: da liegt der große, der Himmels-wüchsige Keim einer wahren Mcuschcufrcihcit, der Befreiung von Dummheit und Unduldsamkeit, von Fanatismus und Förmlichkeit in jedem Sinn, da liegen die Bcdingnissc, die befruchtenden und erziehenden Elemente zu jeder großartigen Auffassung und Ansicht der Dinge, zu einer billigsten, objek-iwesten, wahrhaftigsten Beurtheilung von Geschichten, Völkern und Wcltuerhättmssen, da ist der Boden für eine abgeklärte "ebensstimmung, für eine Wclttoleranz, Humanität und Welt-Philosophie. Hier wird eine Aetherhöhe des Geistes und des Urtheils gewonnen, die mit den Sternen über den Pyramiden und mit dem Wcltstrome korrespondirt. Unter Palmen, geht die Rede, wandelt Keiner ungestraft, Weil der Mensch von heute deu Naturalismus, weil er die nackte Natur nicht mehr aushalten kann. In Kahira, in Aegypten aber findet dieser Naturalismus sein — 294 - genügendes Gegengewicht. Hier entsprossen alle Religionen, alle Künste und Wissenschaften, alle Kulturgeschichten haben hier ihren Quell. Hier bildeten sich von Anbeginn Natur und Uebernatürlichkeit in Eins. Wenn an irgend einem Orte der Mensch die Natur, den Genuß, die Poesie, die Träumerei, die Passivität auszuhalten, wenn er also irgendwo auf Erden „unter Palmen ungestraft zu wandeln" vermag, so darf es unter den Palmen von Kahira geschehen. Dieser Stadt bleibt um ihrer Lage und Geschichte willen eine große Zukunft aufbewahrt. Der Kitt 3u äen Pyrninitlen. (Uiino8ll k!,rn«3!i!,!,!l), welche als Heckeugewächs am Saume dcr, Dörfer und Felder steht, begann nnt ihrem feixen, iasminartigen Dufte das Lied der Wohlgerüche, dann folgten die zwischen den Palmcnwäloern weithin ausgebreiteten Felder der blühende» ägyptischen Vchucn, der Lupinen und des Alerandrini-schen so wie des Trigonellenklees mit einer Starke und Hlannig ° faltigkeit der Dnfte, wie sie ein Maienmorgen in unsern Orangen- weckt; alle («etrcidearten Negyptenö, untermischt nnt der jungen Aussaat des Hanfes und MohnS, prangten im frischesten Grün des jungen Halmes, Die Landleute waren in den Palmenwal-deni, deren anf unserm heutigen Wege eiuer auf den andern folgte, beschäftigt, die Dattelbämne zn reinigen, an deren Blätter^ schöpfe sich schon die Kolben der neuen Blntbcn entfalteten, Auf den Gipfeln der vereinzelt stehenden Vänme wiegte sich der große weihe Ibis s^mtillu« Ibi») mit rosenrothen Schwingen; dazwischen vernahm man den Gesang einiger lautftimmiger Vögel vom Geschlecht der Drossel und Lerche. Von Zeit zu Zeit öffnete sich durch die Lichtung der Palmenwälder die Aussicht auf den Nil und die mit günstigem Winde stromaufwärts segelnden Schifflein, auf die Felfenhöhen des rechten Ilferö bei Torrah mit seinen Landhäusern und Vurgcn. , (H. Schubert,) — 296 — In der Herbstzeit reitet man von Kahira, das am rechten Nilufer liegt, nach den Pyramiden, die auf dem linken Ufer stehen, in drei oder vier Stunden zu Esel hin, je nachdem Ulan der Kanäle und Wasserstellen wea.cn größere oder kleinere Umwege machen muh, und wird in M-Kahira, Fostat genannt, bei der Nilinsel Nuda über den Strom gesetzt. Gin munterer kräftiger Esel kostet mit seinem Fuhrer, welcher unermüdet zn Fuße hinter dem Thiere dnnn laufen muß, es gehe nun im Trabe oder Galopp, für die ganze Expedition nur 15 bis 20 Silbergroschcn und ein kleines Trinkgeld obenein. Ich machte mich am 6. Dezember 1849 mit Sonnenaufgang auf den Weg und war mit Sonnenuntergang wieder heim. Die Araber, welche den kuriosen Reisenden vor der Pyramide in Empfang nehmen, ihn in derselben mit Holzfackeln umherführen und eventualiter vier Mann hoch zur Plattform hinaufziehen, sind freilich erst nach langem Handeln mit einem Pausch-Quantum von 30—40 Piastern, also mit 2—3 Nthlr. zufrieden; je nachdem man den Piaster mit 2 oder mit 2 Sgr. 3—6 Pf. berechnen Witt. Gebratene Hühner, Gier, Brödchen, Apfelsinen und Anisbranntwein bilden den Proviant, welchen die Gscljungen gerne mitnehmen, weil davon etwas für sie abzufallen Pflegt. Die Esel aber reißen sich beim Pafsiren der Nilniedernng dann und wann ein Maul voll Klee ab, worin es ihnen noch die — 297 — arabischen Schnellläufer zuvorthun, welche ganze Hände voll verzehren, wie den köstlichsten Salat, und zwar ohne Essig und Oel; denn diese Zuthaten haben sie in ihrem Magensafte und Blut. — Der Ritt ist, zumal in Gesellschaft von Bekannten und Freunden, und an einem schönen Dezembermorgen, über jede Beschreibung erquickend, Poetisch, abenteuerlich, kurz so luftig Und schön, daß man sein Leben lang auf solche Weise, in solcher Stimmung, auf solchem Wege, in solchem Wetter, unter solchen Szenen und mit der Aussicht auf ein so wunderbares Ziel unterwegs sein möchte. — Man erlebt das Veste und Schönste aber nur einmal. Durch tms endlose Gassenlabyrinth Kahira's geht's im schärfsten Trabe und Galopp, und je besser die Esel rennen, desto toller werden sie gestachelt und gepeitscht. Ob man protestirt oder nicht, der Gseljunge, der für seine extraordinaire Thätigkeit doch zuletzt auf ein ertraordinaires Trinkgeld rechnet, lacht über alle Protestationen, indem er immer von frischem auf die Thiere losschlägt. Die Ambition der Esel und Reiter, die sich in allen Gassen strcckenweit zusammenfinden, kommt dazu; die Jungen schreien ihr „Icminak", "Schimlak" (weiche zur Rechten, zur Linken), oder wenn der Esel an Reiter und Mauern anzurennen droht, „Dahrak" (dein Rücken), „riglak" (deine Ferse), „gembak" (deine Seite), "uch alle diese stehenden Worte auf einmal; — und so geht bie Kavalkade wie toll und blind durch alle die bandwurm- — 298 — förmigen Gassen, der (Zitadelle vorüber (die links liegen bleibt), nach Fostat zum Nil. Hier wird täglich Markt mit allen möglichen Lebensmitteln gehalten, mit Fleisch und Fischen, mit Tauben, Hühnern, Giern und Apfelsinen; mit Bohnen, Lupinen, Linsen und „Kichern"; mit Weizen, Gerste, Durrcch, türkischem Weizen (dessen geröstete Kolben aus freier Faust verzehrt werden), mit Brodfladen, Zwiebeln, Rettigen und Gemüsen; desgleichen mit Gselheckerling, mit Taubenmist für die Gärtner, und was weiß ich womit sonst. Es ist auf dem Markte ein Gewühl von Weibern und Männern, von Fellahs und Bürgersleuten, von Bettlern und Lastträgern, von Kamecl-treibern und Gselbnben, daß man in die Wogen eines Men» schenmeeres geräth, in welchem man unterzugehen glaubt. Aber die Gscljungen sind unermüdliche und humoristische Platzmacher; was nicht freiwillig aus dem Wege gehen will, wird übergeritten und zur Seite gestoßen, ohne daß der übel Behandelte sich anders als mit einem Schimpfworte oder einer Zorngeberde rächt. Es ist mal so die arabische Lebensart, überall kurzen Prozeß mit persönlichen Hindernissen zu machen, und ganz besonders sobald Geld zu gewinnen steht. Man stößt und tritt und wird contra gestoßen und getreten. — Reisende zumal haben überall das prao, und in Prozessen ist grundsätzlich gegen die Ginheimischen der Verdacht des Unrechts und der Schuld maßgebend; das ist wenigstens Raison bei der Polizei. — Im Beistände solcher Parteilichkeit fühlt man sich denn durch den ganzen Jahrmarkt und jedes andere — 299 — Getümmel, wie einen Keil hindurchgetrieben und am Ufer des Nils, bevor man sich dessen versieht. Hier wollen die Thiere nie gutwillig in den Kahn, man bringt es ihnen aber mit fürchterlichen Hieben und unbarmherzigen Gewaltmanövern bei. — Ist ein Esel gar zu obstinat, so tragen ihn starke Kerle mit sammt dem Reiter, falls dieser sich bequem genug giebt, in den Prahm, und der ganzc Trödel wird von den Eseltreibern sowohl, wie von den Schiffern mit der unverwüstlichen Laune und Lebenslust abgemacht, denn am Ziele winkt der Bakschiesch, welcher nach Verhältniß der Umstände gezahlt werden muß. — Nenn der Reisende nun selbst guten Humor merken läßt, wenn er diesen SchneMufern von Eseljungen Branntwein, ^ier und Durrahfladcn austheilt; wenn er ihnen Bakschiesch verspricht, wenn er auf ihre Lustigkeit Halbwege eingehen will, dann übersteigt ihre Tollheit alles Maß, und in dem Falle erzwingt zuletzt doch nur cin Hieb mit der Reitgerte, so schwer er dem freien und gutmüthigen Reisenden ankommt, die nothwendige Raison; aber ein Schluck aus der Schnapsflasche, ein gutes Wort, machen wieder die plastischen Demonstrationen und Handgreiflichkeiten gut. — Es ist eine wahre Lust und eln wahrer Jammer, mit diesen Arabern und insbesondere wit den Gseljungen umzugehen. Man kann nie einig mit stch werden, soll man sie für gutmüthiger oder bösartiger, für obstinater oder dienstwilliger, träger oder lebhafter, verschmitzter oder naiver, begnügsamer oder unverschämter halten. — 300 - Sie find ein Quirl von allen möglichen entgegengesetzten Eigenschaften, aber Bicrgelderwuth, Scham- und Ehrlosig« keit sind die gräßliche Drei, welche das Hautrelief ihres im Allgemeinen liebenswürdigen Naturells ausmachen darf. — Und doch hat diese Liebenswürdigkeit um jener Scham- und Ehrlosigkeit und um der Geldgier willen etwas, worin sie der Septemberfliege bei uns gleicht, die ewig abgewehrt, ewig auf demselben Punkte angreift, wo sie mal Blut gesogen hat. — An jenein wunderschönen Tage standen noch überall Wasser-tümpel auf dem Niedcrungsbodcn; es ging also um diese herum durch kleine Palmcnhaine, durch Dörfer, durch kleine und große Kanäle, über Dämme hinweg, auf Dämmen entlang, durch große Klee- und Saatfelder, über Sturzäcker, kurz, durch eine solche köstliche, fabelhafte Agrikultur und Boden-Mannigfaltigkeit, durch so wechselnde Bilder und Szenerieen des Wachsthums, der Fruchtbarkeit, des himmlischen Segens und Gedeihens, und die Morgen-ZeMre buhlten dabei so lustig in den Vlüthcnhäuptcrn des dichtstehenden Klees und schwängerten die klarsten und frischesten Lüfte mit so wundervollem Arom, daß mein höchster Ungestüm, die bald näher und ferner, bald größer und kleiner scheinenden Pyramiden endlich unmittelbar vor mir zu sehen und mit Händen ab« zutasten, dieser Morgenlust weichen mußte. In folchen Augen-blicken empfindet man mit schwellendem Herzen und trunkenen Sinnen, trotz allem Erdenjammer, das alte und ewig — 301 — neue Paradies. Endlich waren wir an Stelle und Ort. Die Pyramiden erscheinen allerdings mehr und minder Massenhaft, je nachdem man ihnen ferner und näher steht, und sie von dem einen oder dem andern Standpunkte aus zu Gesichte bekommt: in allen Fällen aber ist der Gindruck dieser ältesten, gewaltigsten und räthselhaftcsten Bauwerke eiu so wunderbarer und bewältigender, daß die Seele bei wachem Muthe ins Sinnen und ins Träumen geräth. AlS ich nun wirklich vor diesen Weltwunderwerken stand, da mußte ich wie Wner, der Geister sieht, bei mir selbst ausrufen: also doch wahr, also die Giganten und Titanen keine Fabel, wirkliche Fclsberge von Menschenhänden gebaut! Ja, es ist ein Ungeheures mit diesem Bau; — er ist ein Spiegelbild der uralten Menschcnphantasie. Von gen Himmel gethnrmtcn Stcinmassen zeichenreden hier zu den Nclchgcbornen, zu Menschenkindern einer machtlosen Zeit: der älteste Mcnschenglaube, der adamitischc Natnr- und Gottes-wstinkt, die ungcschwä'chtc Thatkraft, die Hcrrschcrtyrannei, bcr Titancnübcrmuth. Die ältesten Kultur- und Naturgeschichten des Menschen« geschlcchts, die Jahrtausende selbst sind es, welche am Saume der Wüste ihre ungeheuern Denksteine zurückgelassen haben, Marksteine auf der Grcnzscheide zwischen Leben und Tod, zwischen dem libyschen Sandmeere und den Fruchtfeldern eines Neltstromes, der geheimnisvollen Quellen entstammend, — 302 — von todten Felsgcbirgcn auf beiden Seiten begleitet, aus unbekannten Ländern die befruchtende Grdc herbeiführt, welcher das alte Aegypten seinen Uebcrftuß, seine Macht und seine Geschichte, das neue Aegypten aber seine Lebensnothdurft selbst unter Tyrannengeiz und Habsucht verdankt! — Nicht die Massenhaftigkeit als folche, nicht die bloße Vorstellung der aufgewendeten Arbeit und Mühsal; wohl aber diese Felsen symbolik des altägyptischen Gemüthes, einer Mcnschcnkraft, welche Berge zu ebenen und ein Kunstgebirge aufzubauen vermochte; die Sinnbilder der Unendlichkeit, der Ewigkeit, „die zu den Augen sprechen", diese gegeneinander geneigten Pyranüdenwändc, die „wie zum Gebet emporgehaltene Steinhände" anzuschauen sind, — die uralte Gottesnothdurft, die bis zum heutigen Tage noch Thürme in den Himmel reckt, und solchergestalt schlanke, licht-durchbrochene, von der heidnischen Grdcnschwcre und Dunkelheit befreite, christliche Pyramiden zu den deutschen Münstern hingestellt hat; — die Sprache, die Mahnung der Jahrtausende, die im Todesschweigen der Wüste zum letzten Ueberrcste des altm Menschengewissens herübertönt: das ist es, was den Beschauer so allmächtig ergreift, was seinen Profanverstand so überwältigt, daß er die mitgebrachten Maßstäbe und Vorstellungen, daß er Heimath und Gegeuwart vergißt, daß er den Zusammenhang mit der modernen Welt und Zeit verliert, — daß er sich in die uralten Menschen' geschichten, in die Gottesgeschichten zurückträumt, die immer — 303 — und nimmer geschehen, daß ihm in dem unendlichen Nüstenraume, im sonnenlichten Feucräthcr, in welchem die Pyramidcnspitzen verglühen, zu Muthe wird, als wolle auch sein sterbliches Theil der Erdenschwere enthoben, in das All und die Ewigkeit zmückgelöset sein! — Materielles Signalement des Aeusiern und Innern der Cheopspyramide. „Alles fürchtet die Zeit, aber die Zeit fürchtet die Pyramiden," Arabisches Sprichwort. Es giebt Pyramiden bei, Gizeh, Abusir, Sakarrah und Daschur; — Pyramiden von Lischt, Meidum und Nigah, beim Labyrinth und ihrer Hundert in Meroe. — Pyramiden bei Barkal, Nun, Tankassi, Kurru und Zmna. Die merkwürdigsten sind jedoch ohne Vergleich die Pyramiden von Gizeh, sowohl was Alter, Phantasie und Kolossalitat, als was Baumaterial und Präzision in der Ausführung betrifft. Ich habe es also in der folgenden Beschreibung nur mit diesen Pyramiden bei Gizeh, d. h. bei Kahira zu thun. — Pcrrings Messungen und Anfnahmcn der Pyramiden sind die zuverlässigsten und eben darum auch vou ^epsius benutzt. Die drei Pyramiden in der Nähe des Dorfes Gizeh erheben sich etwa 100 Fuß über dem Nil, auf einem Plateau des libyschen Gebirges, das vollends durch Kunst geebnet zu sein scheint und sich hier im Sandmeere verliert, so daß jene — 305 — riesigen Bauwerke ohne Nebenbuhlerschaft von Gebirgshöhen wie ein Thor der weiten Wüste dastehen. — Der mächtigsten Pyramide, der des Cheops (Chufu), nähert man sich nicht ohne einige Kletterkünste auf ihrer südöstlichen Seite, die im Sande und im Schutt einer kleinen Pyramide oder den Ucberresten von Pylonen*) steckt, welche noch in Herodots Zeiten den Gingang zu der prächtig gepflasterten Plattform am Fuße dcr großen Pyramide zierten. Hier geschieht es also, daß man zuerst die Werkstücke betasten und beschauen darf. Der größte Theil derselben mag aus ein und derselben Gcbirgsmasse, dem sogenannten NummU' litenkalke von Thorrah und Messorah im gegenüberliegenden Mokattam bestehen; mau entdeckt aber sogleich Blöcke von verschiedenartigem Kalkstein und es werden wohl auch Werkstücke von dem Fels vorkommen, der beim nothwendigen Planiren des Gebirgsgrundes an Ort und Stelle gebrochen (und in Massen bei der zweiten ganz sichtbar Pfuscher« haft gebauten Pyramide, dcr des Chephren, angewendet worden ist). Die regelmäßig von allen Seiten behauenen Werkstücke, aus denen die Pyramide des Cheops mit vollkommener Sorg- *) Unter Pylonen versteht man die thnrmhohcn, pyramidenförmigen, oben abgestumpften und von cincm Simswerk ein-gefaßten Pfeiler der n'nnderbarcn Ricscnthoic, dnrch welche man noch hcute zu den Prachtruinen Thebens eingeht. 20 — 306 - fält, Akkuratesse, Kunstfertigkeit und Mechanik errichtet worden ist, messen zumeist gegen 6 Fuß Länge und sind etwa 3^ Fuß dick, so daß man auf den schichtweise von allen Seiten in einer Breite von 9'/2 Pariser Zoll eingerückten Steinen wie auf eben so viel tischhohen Stufen hinaufsteigen muß, was bei 202 Schichten, ungeachtet der Beihülfe von drei oder vier Arabern (die den Reisenden schieben und bei den Händen hinaufziehen), doch eine höchst anstrengende Gymnastik ist und die Veinmuskeln noch mehr anstrengen würde, wenn die Steine auf der obern Hälfte der Pyramide nicht um die Hälfte niedriger würden; dazu sind sie noch durch die von der Spitze herabgerollten Werkstücke so beschädigt worden, daß der Fuß oft genug kleinere Absätze findet, als eben solche von ßrei oder vier Fuß. — Die Eheopspyramide, welche 450 Fuß hoch und deren Spitze so weit abgetragen ist, daß ihr Plateau 14 gewöhnlicher Schritte ins Gevierte beträgt, bildete ursprünglich mit ihren vier Seitenflächen eben so viele gleichseitige Dreiecke, deren Grundlinie (Sockellinie) 753 Preußische Fuß mißt, so daß die Steinmasse eine Fläche von 21^ Morgen Preußisch bedeckt. Nicht die Flächen, sondern die Gcken der großen Py< ramide sind noch heute genau auf die vier Weltgegenden ge' richtet, ein Beweis, daß die Erdachse seit 5000 Jahren (so alt schätzt Lepsius die Pyramiden) ihre Neigung nicht be» merklich verändert haben kann. —^ — 307 — Dcr Eingang befindet sich auf der nordöstlichen Seite, 45 Fuß hoch über der Grundfläche in der 15ten Schichte der Werkstücke; da aber auch diese Seite in Trümmern und Wüstenfand begraben ist, so gelangt man von der vorbemerkten südöstlichen Seite zu der wundersamen Ocffnung, die mit ungeheuern 10 bis 12 Fuß langen und proportions dicken Granitblöcken eingefaßt ist. Zwei derselben, in horizon» taler Richtung übcreinandergclegt, bilden die Decke der Pforte und zwei Paar andere sind «och über jenen ersten Balkcn-steinen wie Dachsparren gegeneinander gestützt. Diese sechs behaucnen Granitblöcke und diejenigen, welche die beiden Pfosten bilden, nehmen in Höhe und Breite einen solchen Raum ein, daß nach der Entfernung dcr Verkleidung, d. h. der prismatisch gestalteten Polsterstcine, mit denen dieStufen -absätzc ursprünglich ausgefüllt waren, der Eingang leicht zu erkennen war. Die Steine, welche die Oeffnung verschlossen, sollen kegelförmig bchaucn und solchergestalt ver« lMtnißmäßig leichter zu entfernen gewesen sein. — Die unterste Steinschichtc, die mau am besten an der Meiten Pyramide des lHcphren (Chafra) untersucht, ruht auf dem, zu einem regelmäßigen Sockel von 5 Fuß ^'/2 Zoll Höhe behauencn Fclsgrunde, und ist in diesen selbst sieben bis acht Zoll hineinvertieft oder eingelassen, wie es genannt wird,*) "1 Man crsicht aus diesem massiucn Sockel, daß die auf 20- — 308 — Der Felsgrund erhebt sich beinahe 100 Fuß über den höchsten Wasserstand des Nil und hat, auf 200 Fuß Tiefe untersucht, dieselbe gediegene Steinmasse ssezeigt. Die Werkstücke könnten nicht leicht sorgfältiger behaucn, in geraderen Linien übereiuandergelegt und vollkommener zusammengefügt werden, als bei dem Vau der grölten Pyramide, ohne Zuhülfenahme von Kalkmörtel geschehen, da die Steine hin« länglich durch ihre bloße Schwere zusammengehalten sind, und der ganze Vau, die engen Gänge und verhältnißmäßig kleinen Kammern abgerechnet, keine Höhlung erhielt, sondern durchweg massiv ausgeführt ist. — Jeder Stein soll überdies an seinen vier Kanten der Länge nach in den auf ihm liegenden Stein eingefügt sein; der untere Stein, in welchen eine zwei Zoll tiefe Rinne ausgehauen ist, nimmt einen gleich großen Vorsprung (Leiste) von dem ihn gebaute Pyramide nicht allmälig von einem kleinen Kern swie dies öcpsius an einigen Pyramiden von Sakarrah und an mehreren in Meroe entdeckt hat) durch immer weitere Umhüllungen (Steinmäntel), sondern gleich im Anfange so massenhaft angelegt und ausgeführt worden ist.— sDa aber die Pyramide des Ohevhren zum großen Theil aus uube-hauenen und fchlechtbehauenen, kleinern zusammen-gemauerten Steinen und aus Bruchstücken der größten Pyramide besteht, so unterliegt keinem Zweifel, daß auch diese einen aus der Gebirgsinasse zugehauenen Sockel besitzt und also gleich Anfangs in ihrer gangen Großartigkeit projettirt und erbaut worden ist.) — 309 — obern Werkstücke auf. Ncich diesen Notizen über die äußer» liche Beschaffenheit der großen Pyramide ist noch Einiges über das Innere beizubringen. Man muß sich über diese Bauwerke mit Andeutungen und Bruchstücken begnügen, denn eine erschöpfende und gründliche Behandlung erforderte wohl ein ganzes Buch. Der Kalif „Mamun" versuchte mit einem großen Auf-wände au Geld, Zeit und Menschenkräften in das Innere des Weltwunders von Osten her einzudringen, also nmsonst. —- Als im Verlauf der Zeit eine dreieckige Platte von Kalkstein herabgefallen war, welche die Granitblöcke so lange verborgen hatte, war auch der Eingang entdeckt; und doch ist bis zum heutigen Tage das Innere selbst der großen Pyramide, die am öftersten und gründlichsten untersucht worden ist, schon um der materiellen Schwierigkeiten willen nur sehr Mangelhaft bekannt, denn weder ist die unvollendete Kammer, zu der man vom Eingänge unter einem Winkel von 27 Grad hinabsteigt, das Unterste, noch hat man das oberste Ende bes ausgehöhlten Innern erreicht, wenn man durch den ersten unt geschliffenen Granitplatten ausgelegten Gang, 100 Fuß vom Eingang wieder unter einem Winkel von 27 Graden emporsteigt, und so zuerst durch einen horizontalen Gang zur sogenannten Kammer der Königin, dann aber, auf der unter dein nämlichen Winkel sich fortsetzenden Gallcric zu der größten, höher gelegenen Königskammer gekommen ist. In neuester Zeit ist ein noch höher gelegenes Gemach entdeckt — 310 — worden, in welchem man das hieroglyphische Namenszeichen eines Saophis (des ersten Pharaonen der vierten Dynastie nach Manetho) gefunden haben will. Ein am Gingange der horizontalen Gallerie befindlicher Stollen oder Brunnen ist größtentheils in den unter der Pyramidenbasis befindlichen Fels eng rund gehauen. Er hat einen Durchmesser von 22 Zoll Breite und 24 Zoll Länge, und eine Tiefe, welche, wie es heißt, erst auf 200 Fuß untersucht worden ist. Unregelmäßige, in den Wanden des Stollens befindliche Ginschnitte haben das Hinabsteigen möglich, wenn auch fchon um der verdorbenen Luft willen nicht ungefährlich gemacht. Den arabischen Schriftstellern zufolge giebt es mehrere Brunnen und unterirdische Gallerieen, welche von der großen Pyramide auslaufen, und in dem Kopfe der aus dem Felsen gehauenen Nie sen sphinx vor der Cheopspyramide eine Oeffnung, welche zu den unterirdischen Gängen derselben hingeführt hat. — Die Nachgrabungen unter der Napoleonischen Expedition haben diese Behauptungen wahrscheinlich gemacht.*) Der die Sphinx verhüllende Sand wurde *) Denon crzäht: „Vor einigen Jahren lieh der englische Generalkonsul, Herr Salt, die Sphinx durch Herrn Eaviglia gcmz vom Sande befreien, wobei sich auswies: daß der Körper des Ungeheuers größtentheils aus dem Felsen gehauen, dagegen die Tatzen, dic gegen 50 Fuß Länge hatten, ans Mauersteinen gearbeitet sind. — 3N — für den Augenblick weggeräumt, und man fand, daß die Dimensionen zwischen den Hinterbeinen und dem Halse zu einem Eingänge gewählt waren, den die Pfeiler einer Thüre anzeigten und der zu Gallerieen führte, die so weit in den Felsen gehauen waren, daß ihre Kommunikation mit den Pyramiden kaum einen Zweifel übrig ließ. — Heute sieht man weder von dieser Aufgrabung, noch von jener früheren eine Spur; in Folge derselben wurde zwischen den Vorderfüßen der Sphinx ein Tempelchcn mit einer „Stele" entdeckt.*) Der erste zur Chcopspyramide abwärts führende Gang *) Lepsius sagt i,der die Sphinx: „Dic gewaltigen Äuc^raduugeu des Cam'glia im Jahre 1818 waren längst spurlos verweht. Durch tagelange Ausgrabungen riniger 60 bis ^ Personen gelangten wir fast Ins zum Fuße der Stele seinem <Äranitblock von N Fuß Höhe und 7 Fus; Breite), welche die Hinterwand des Tempelcheus bildet, von Thutmosis IV. aus dem ersten Negierungsjahrc datirt. Er faud also den Kolos; schon vor. — In einer fast ganz abgebrochenen Zeile dieser Stele wird der König Chephrcn genannt, warum führt aber das Bild der' Sphinx nicht feinen Namen? Es wird vielmehr als llar-om. oku, „Horns im Horizonte", als Bild des Sonnengottes, des Vorbildes aller Könige, bezeichnet; ebenso in einer vor der Sphnn gefundenen griechischen Zuschrift genannt. Auch kommt das Bild her Sphmr in jenen ältesten Zeiten der Pyramidenerbauer nicht vor. — Das Nälhsel der bärtigen Ricsensphinr ist demnach nicht gelöst." — 312 — von 3 Fuß 5 Zoll Höhe und Breite mündet in einen andern, eben so hohen und breiten, 202 Fuß langen Gang, welcher zwar in derselben Richtung, jedoch aufwärts bis zu der Höhe des Eingangs der Pyramide aufsteigt. Gin ungeheuerer Granitblock liegt genau in dem Winkel, wo beide Gänge zusammentreffen, und man mußte dieses Hinderniß umgehen, indem man die weichern Steine fortbrach, welche auf der rechten Seite des Ganges und parallel mit seiner Richtung die Grundmauer bilden. Auf diese Weise kam und kommt man heute noch in diesen zweiten Gang. An seinem Ende findet sich ein Ruheplatz und zur Rechten der Gingang in einen tiefen, in den Fclfm gehauenen Brunnen. Hier beginnt auch. ein horizontaler Kanal, der 19V2 Toisen lang ist, er fuhrt in eine Kammer, welche man die Kammer der Königin nannte, die 17 Fuß 10 Zoll lang und 10 Fuß 1 Zoll breit ist. Sie ist leer. — Kehrt man an den Gingang des horizontalen Ganges zurück, so gelangt man in eine neue (schräg aufsteigende) Gallcrie, welche 125 Fuß lang, 25 Fuß hoch und 6'/, Fuß -breit ist. Auf jeder Seite sind Bänke von 21 Zoll Höhe und 1!^ Zoll Breite. Acht und zwanzig Löcher von 12 Zoll Weite und 6'/2 Zoll Tiefe sind auf jeder Bank angebracht. Acht vorstehende Steinschichten bilden die Mauern dieser Gal-lerie und geben ihrem Plafond das Ansehen eines Gewölbes. An dem Ende desselben befindet sich ein Ruheplatz, und von da kommt man auf einen Vorplatz, der zu einer 3 Fuß — 313 — 3 Zoll breiten, 3 Fuß 5 ZoN hohen und 7 Fuß 10 Zoll langen Ocffnnng hinführt; es ist der Gingang zu der obern Kammer, welche die König ska miner heißt, der aber ursprünglich durch Steinblöcke verschlossen und verborgen gewesen ist. Diese Kammer hat man ganz von geschliffenen Granitblöcken erbaut; ihre Dimensionen nach Ghampollion sind: Höhe ... 18 Fuß — Zoll 5 Linien, Nördliche Breite 32 -2 - 8 ° Südliche - 32 ° 2 - 10 -Westliche - 16 - 1 - 5 » Oestliche - 16 - — - 1 -Am westlichen Ende der Kammer steht der Sarkophag, ebenfalls von Granit, 7 Fuß 1 Zoll lang, 3 Fuß 1 Zoll breit und 3 Fuß 6 Zoll hoch. Seine Stellung ist von Norden nach Süden, sein Deckel wurde nicht gefunden. Ueber dieser Grabkammcr befindet sich ein leerer Raum, der nur 3 Fuß hoch ist. Die Steine, welche diesen Raum bilden, sind ebenfalls von Granit, beHauen, aber nicht polirt, und die deö Fußbodens, der die Rückseite des Plafonds der königlichen Kammer bildet, sind von ungleicher Höhe und roh. Dieser lrcrc Raum bildet einen doppelten Plafond für die königliche Kammer, indem er sie gegen die Wirkungen des Drucks von ^ben schützen muß.— Der Sarkophag ist mit keinem ^Ude und keiner Hieroglyphenschrift geschmückt. Die Berechnung der für Rüben und Gemüse an die Arbeiter verausgabten Gelder, welche Herodot auf der Verkleidung der — 314 — größten Pyramide eingegraben fand, entstammt ohne Zweifel einer spätern Zeit. — Der Erbauer seines Mausoleums hatte überdies keine Veranlassung, mit dem Kostenaufwand zn Prahlen, der ihm so schon den Haß der gequälten und ge-brandschatzten Unterthanen zuzog. Aussicht von der Cheospyramide. Die Chefthrenpyramide. — Pyramide des Mofchcris. Brunnen und unterirdische Gänge der Sphinx im gegenwärtigen Zustande. Von der Spitze der großen Pyramide erblickt man ihn-Schwestern zn Nbusir; von sieben Pyramiden die bloßen Spitzen, ihrer fünfe ganz. — Noch südlicher wie diese liegen die von Sakarrah, und die letzten in dieser Reihe sind die Pyramiden von Daschur. Der nächste Gegenstand, den man von der großen Pyramide ins Auge faßt, ist ihre fast gleich kolossale Nachbarin, "ur durch einen Raum getrennt wie der, welchen die Basis des Bauwerks beträgt. — Diese Pyramide des Chephren hat noch ihre Spitze und "n dieser die Bekleidung konfervirt, so daß über das Vor-handeitgeweseusein einer solchen auch bei der ersten Pyramide kaum ein Zweifel bestehen darf. — Diese Bekleidung der zweiten Pyramide besteht aus dreiseitigen Kaltsteinpolstern — 316 — zwischen den Stufen und aus einer Art von Stuck darüber, den mau unten auflesen und untersuchen kann. — Was also über diese Verkleidung noch viel zu konjekturiren und zu streiten ist, begreife ich nicht. — Auf der nordwestlichen und südwestlichen Seite markiren sich, von oben herabgesehen, die vielen Grabmäler um die Pyramiden herum in dem Maßstabe vou gewöhnlichen Grabhügeln und Leichensteinen, so daß über die wissentliche und willentliche Haufttbestimmung der Pyramiden, als Königsmausolcen, kein Zweifel obwalten kann, — wie wohl von mir zum Schluß die wichtigere und schwierigere Frage: nach der Form, der Ko-lossalität, der ganzen Beschaffenheit uud Symbolik der Pyramiden zur Sprache gebracht werden soll. — Auf der südöstlichen Seite, mit dein Kopfe gegen Osten gerichtet, liegt die Sphinx. Ihr Kopfschmuck und Vordcrtheil ist ungeachtet der Ungeheuerlichkeit aus der Höhe nur wie ein kolossaler Pilz anzuschauen; der Nucken, von welchem noch ein Paar verwitterte Schichten aus dem Sande hervorkommen, verschwindet nothwendig in solcher Entfernung ganz. — Bei der zweiten Pyramide zieht sich ein Ueberrest von kolossalen Maucrwerten wie eine Straße m die Wüste hinein, von einer solchen kann aber schon um des Sandes willen keine Spur mehr vorhanden sein. — Das Heiabsteigen von der Pyramide hat für Einen, der seine Unaussprechlichen schonen will, viel mehr Fatalität,' wie die Ascension. Man kann viel leichter hinaufgezogen als herabgehoben werden, und 200 Sätze zu thun, verrenkt und verstaucht selbst einem Gym-nasten das Kreuz, wenn er eben kein Araber ist. Von dieser Nace war eine ganze Menge auf gut Glück mit mir gegangen, Knaben mit Wasserkrugen, und Einer sogar mit einein Spitzhammcr, der meinen Namen auf den Werkstücken verewigen sollte, was ich aber in dem gerechten Autorstolze, mich in deutschen Rezensionen der papiernen Unsterblichkeit ausgeliefert zu wissen, nicht gethan. Die Unart der Schule und Knabenzeit, das Beschmieren der Tische und Wände, und nun vollends der Pyrauudenwäude, juckt meine Hände nicht mehr. Die zweite von Belzoni eröffnete Pyramide ist aus viel kleineren Werkstücken wie die der (5heopspyramidc, und offenbar aus ihren Abgängscln erbaut. Die behauenen Steine wechseln hwr, wie schon gesagt, mit ganzen Reihen unbehauener, uu't Mörtel verbundener Bruchstücke ab. — Verglichen mit der Pyramide des Cheops, ist die des Chephren trotz ihrer Höhe von 400 Fuß und einer Länge der Grundfläche von ^0 Fuß ins Gevierte, — nur eine großartige Pfuscherei "nd Prudclci, sowohl in Betreff der Arbeit als des Materials. — Bereits von Außen nimmt man wahr, daß die Schichten ohne Sorgfalt und sogar in bucklichten Linieu aufeinander gelegt und resp. zusammengemaucrt sind. — Daß diese Eile und Unakkuratcsse vollends da ver« schuldet sein wird, wo sie den Augen verborgen bleiben muß, erhellt von selbst. — Daß von dieser Thatsache nirgend die Rede ist, kann eben so befremdlich scheinen als der Umstand, daß diese zweite Pyramide nicht auf dem Plateau des Gebirges, sondern in eine vierseitig ausgchaucne Vertiefung desselben aufgebaut, und also dergestalt in die Felsenmassc hinein-versenkt worden ist, daß der Vau von senkrecht zugehauenen und mit Graböffnungen versehenen 35—30 Fuß hohen Wänden eingefriedigt erscheint. - Zwischen ihnen nnd dem Fuß der Pyramide, die auf zwei Seiten vom Sande befreit, den nackten Fels des Gebirges als regelmäßig zugehauenen Sockel in zwei Staffeln vollkommen erkennen läßt, befindet fich ein breiter Gang, der indeß auf zwei Seiten von der Wüste verschüttet worden ist. — Zu dem Sande kommen noch die Massen des Schuttes von der verwitternden Pyramide selbst. — Ihr Material scheint nur zum kleinsten Theile von dem arabischen Gebirge hergeholt. ^ Die Ersteigung dieses Baues unterliegt eben wegen seiner Unregelmäßigkeit und Zerbrö'ckclung ungleich größeren Schwierigkeiten, als die der Pyramide des Cheops. Die Araber bringen für einen halben ägyptischen Thaler die Ascension in 1(1 Minuten zu Stande. Mich gelüstete nach dem Kunststücke keineswegs uud ich habe auch meine Araber nicht dazu animirt. In dem Innern der zweiten Pyramide ist noch weniger zu holen wie in dem größeren Vau. ^ Als Vcl-zoni im Jahre 1816 durch einen der beiden jetzt bekannten Gingänge in das Eingeweide dieser Chephrenpyramide einge- — 319 — druugen war, fasste ihm eine Inschrift, die er da antraf, das; er nicht der Grste sci, der diese Gewölbe aufgefunden, sondern daß schon von einem Sultan Ali Muhamed der Eingang eröffnet und wieder verschlossen worden fci. — An der dritten ohne Vergleich kleineren und wieder etwas sorgfältiger gebauten Pyramide dcsMytcrinus oder Men-kera sieht man 5 Reihen Granitblöckc an der Gin-gangsseite als äußere Verkleidung übereinander geschichtet, — aber die ganze Breite der Seite nehmen sie nicht ein. — Der Bau scheint nicht zerstört, sondern nie fertig gewesen zu sein; "^ denn eine Unmasse von Granitblöcken liegen dort umher; ganz und halb bchauenc Wertstücke, die meisten von etwa 100 Zentnern Schwere. — Es kommen aber auch Blöcke von 9—10 Fuß Länge und 4 Fuß Dicke vor. — An diesen Steinen konnte ich die Anwendung einer Steinsäge uicht herausfinden, es schienen nur Hammer und Meißel gebraucht. Die Reste einer Kunststraße, um die ausgeschifften Werkstücke nach der Baustelle zu schaffen, find unverkennbar bei dieser kleinen Pyramide, schwächer bei der zweiten zu sehen. — Zwischen den beiden großen Pyramiden und bis zur Sphinx hm sind mehr wie ein Dutzend Vrnnncn von 50—60 Fus; Tiefe in daS Felsgestein gehauen. ^ Sie haben, wie der Iosephsbruunen auf der Citadelle iu Kahira, jeder cincu Nm-Nang und engen Raum um die vier Wände, und sollen durch unterirdische Gänge mit der Sphinx, dem Nil und den Pyramiden in Verbindung stehen. — Dieselben Kanäle tonnten - 320 — freilich nie für Wasser und Menschen zugleich gangbar, und so werden sie denn doppelt vorhanden gewesen sein oder nur einem Zwecke gedient haben. — Wie einem Menschenkinde dieser Zeiten bei all diesen ober- und unterirdischen Geschichten, — diesen Gräber-, Brunnen-, Sphinx- und Pyramidclimyste-rien, diesen verwirklichten Räuber«, Ritter- und Märchengeschichten der Kindheit und Jugendzeit zu Muthe wird, ist ein Prozeß, von dem so wenig etwas im Konversationslexikon, als in irgend einer Psychologie zu lesen steht. Neben einem solchen Brunnen mit doppelten Wänden, den man durchaus nicht beschreiben, sondern mit seinem ganzen Akkompagncment von Sonne, Wüstenpyramiden, Gebirgen und der Sphinx an Ort und Stelle überträumen muß, — steht da unter Nndern ein gut erhaltener kolossaler Sarkophag aus Syenit, mit schön ausgemeißelten Hieroglyphen bedeckt, also das Heil igth um der finstern Gräber, auf das freie Feld und ans grelle Sonnenlicht hinausgestellt. ^ Wir traten jetzt an die Sphinx. Wenn man so mit ver» bundenen Augen oder mit Hülfe eines Schlaftrunks aus der modernen Welt und Nüchternheit vor dies Riefenphantom der alten Aegypterphantasie gebracht werden könnte, so käme man bei lebhafter Einbildungskraft und einem Neberrest von wahrer Poesie im Leibe in den ersten Augenblicken zur Clairvoyance. — Die ganze Länge des aus dem Fels gehauenen und mit ihm zusammenhängenden Bildes beträgt 117 Fuß. Der Umfang des Kopfes 81 Fuß; die Höhe von der Brust bis zum — 321 — Scheitel des Kopfes 51 Fuß. — Dieser selbst zeigt cine Höhlung von einigen Fuß im Umfange, ^ welche zu den unterirdischen Gallerieen der Pyramiden geführt haben soll. Itelata, rslßro; — ich war nicht im Kopfe und nicht in den Gängen; — denn überall kriecht nur ein kurios gewissenhafter Gng-länder hin. Ich hatte in jenen Stunden und seit meiner Ankunft in Theben so viele unerhörte Dinge gesehen und ssehört, daß mir Hören und Sehen fast verging. Eine hiero-glyphische Inschrift datirt aus der Regierung Ilmtkiuozi« IV. (oder 'Hiotnme«). Das Gesicht der Sphinx zeigt eine ganz erkenntliche, nu-bische Physiognomie, und zwar die eines Mannes. — Die Nase ist fort, an Stelle der Augen sind nur Höhle» zu sehen. Dem Munde fehlt der größte Theil der Oberlippe — und bein Kinn etwa der dritte Theil von unten. Die rechte Wange und ihr Ohr find so gut erhalten, daß man sogar noch die Glätte und die rothe Farbe der erstcrn wahrnimmt. ^- Ob der farbige Anstrich aus spätern Zeiten herrührt, weiß ich nicht; daß er sich unter dem bloßen Schutze des natür-lichen Daches, welches durch den gewaltigen Kopfschmuck gebildet wird, Tausende von Jahren erhalten haben könnte, ist nur selbst für den ägyptischen Himmel zu kurios; — aber eine rothe Färbung habe ich gesehen. — Um aber weiter in meinem Sphinxtexte fortzufahren, — so fehlt bem Munde fo viel von Ober- und Unterlippe, daß er fast nur für einen wüsten und ungeschlachten Schnitt odcr 21 — 322 — einen zerbröckelten, trocknen Felsgraben angesehen werden kann. — Am deutlichsten modellirt ist außer der Wange das Ohr. — Hals, Brust und Rücken zeigen nur ein verwittertes Ge» stein, ohne die Spür einer Modellirung und Kunst. Der Rücken zumal schaut nur eben aus dem Sande hervor, und ist so zerschülbert und verwittert, daß man es nur an dem Kopfe merkte, wo der Rücken fortlaufen foll; -^ das Haupt aber thut fast den vollen Effekt. — Die Gesichtszüge der Sphinx aber graben sich in die Seele des Beschauers und kommen ihm Zeitlebens nicht aus dem Sinn. — Man könnte sagen: das Räthsel, welches die ägyptische Sphinx aufgegeben habe, sei der Mensch selbst und dies Gottesräthsel sei von der griechischen Kunst gelöset wor« den, da von ihr die Menschengestalt in ihrer idealen Schönheit begriffen und abgebildet worden ist. — Aber der andere gewaltigere Faktor der Menschennatur ist doch die Geist es schöne, die Uebernatürlichkeit, die Wiedergeburt des alten Adam im Christenthum; und so wird das aufgegebene Sphinxräthsel erst dann vollkommen gelöset sein, wenn das Christenthum allen Menschenherzen, allen Handlungen und Geschichten; wenn der Kommunismus, welchen Christi Lehre und Leben gepredigt hat, allen Staatseinrichtungen und Kulturgeschichten einverleibt sein wird. — Unser Lebcnsräthsel ist also, Dank dem Christengotte, ein solches im geläuterten Herzen und im Geiste, — keines aber — 323 — im Mariner oder im Fleisch. — Der Leib der Heidensphinx ist verwittert und verschüttet, aber ihr Kopf ragt noch immer aus dem Wüstensande, und ihr Blick verhext noch heute im Naturalismus und Materialismus nicht allein die muhcune-dänische, sondern auch die Welt, welche sich die christliche nennt. 21' Tie Ascension. — „Schwebe zwischen uralten Grillen und neuen Gedanken." — Die libysche Wüste und die Nilniederung. Die Besteigung der Pyramiden ist ungeachtet der unübertrefflichen Beihülfe von drei oder vier muskclkräftigen und gazellenbchenden Arabern für Jeden anstrengend bis zur Erschöpfung, der nicht für einen Turner oder einen mit ganz besonderen Veinmuskeln begabten jüngern Mann gelten darf. Denn die vier und zwei Fuß hohen Stufen machen aus der Ascension das Kunststück der höhern Gymnastik: wie ein Dilettant in bloßer Kraft der Begeisterung zweihundert übereinander gestellte Steintische und Vänkc hinauf und nach kurzer Nast wieder ohne Halsbrechen herabzusteigcn vermag. Wer's also bei diesem unerhörten Experimente nicht von Natur „in den Beinen" hat, dem hilfts weder in den Händen noch im Kopfe, und zuletzt läßt ihn selbst die Schwärmerei für dominirendc Aussichten und ägyptische Vogelperspektiven im Stich. — Gcwiß, ich habe auch wieder bei dieser „pyramidalen" Gelegenheit die sehr „nivellirte" Ueberzeugung an' gefrischt, daß der vollkommensten Begeisterung und Willens« — 325 — kraft ein Vehikel, eine materielle Vermittelung und eine Organisation in Fleisch und Blut, mit Haut und Haaren ent« sprechen müsse, falls der sublimste Geist nicht Haare lassen und Blößen geben soll. — Ich weiß nicht, ob mich die Nilruhr, die Nilkrätze, das Nilnngeziefer, die Nilmenage und die intermittirende Todesangst auf dem Nil so mitgenommen hatten; aber erinnerlich ist nur, wie ich dergestalt abgeäschert auf dem Plateau der großen Pyramide (das von unten gesehen nur drei Schritte zu haben scheint) angekommen bin, daß ich gleichgültig gegen alle Aussichten, Fernsichten, Um-sichten und Ansichten, wie ein „vergüschter" Jagdhund auf dem mit tausend Namen gravirten und bekritzelten Stein« boden ausgestreckt gewartet habe, bis sich wieder die natürliche, ordinaire Lebenskraft und Elastizität und mit ihr der Enthusiasmus zu mir fand. — Als ich wieder auf die Beine ge° bracht um mich schaute, fand ich mich nicht nur für meine Strapazen belohnt, sondern in der augenscheinlichen Ueber» zeugung, daß man immerhin von Europa oder von Krähwinkel Hieher und dann sofort wieder zurück geschickt sein könnte, ohne zu kurz und zu niedrig gekommen oder gar ge< Prellt worden zu sein. Um zuerst von der Aussicht zu sprechen, so sind viel ge-schmackvolle Leute und namentlich Damen des allzuidyllischen Pfühls, daß nur eine bäum- und grasgrüne Aussicht, die lebendige und erquickende, und daß eine solche allein die poetische gescheute und berechtigte sein kann. — — 326 — Was mich betrifft, so liebe ich mit den Humoristen das Grüne und Graue, Theorie und Praxis, Berge und Thaler, Fruchtfelder und Wüsten zugleich, und suche eben in den Gegensätzen von Altem und Neuem, von Todtem und Le-» bendiaem von Ruhe und Bewegung, von Flüssigem und Trocknem, von Winkel- und Weltgeschichten, — von Herzpunkt und Vernunftperipherie, — von Spieß- und Weltbürgerlich-keit, die Mysterien und Genugthuungen der Wahrheit wie der Poesie. — Kurios genug, dachte ich aber, indem ich so auf dem Plateau der Cheopspyramide bald rückwärts und bald bauch-wärts ausgestreckt lag, zunächst an das moderne Literaten-elend: meine u. pi-iorischen oder ^ poutm'iorischen Wcltpano-rama-Empsmduugen und Adamsgedanken vielleicht Jahre lang hinterher in Druckpapier auferstehen lassen zu müssen, — und meine Vorahnung scheint nicht umsonst gewesen zu sein. — Ich fühle mich in der That außer Stande, vor einem verehrlichen und geschmackvollen Publiko von hente aufzusagen, wie von meiner Kleinstädterseele auf der großen Pyramide die kleingroße Gegenwart vorwärts und rückwärts übertraumt worden ist. Auf dieser ältesten und höchsten Kulturstelle findet sich auch ein Epigone durch eine solche Kluft von Tagesanschauungen und Zeitungen getrennt, — so hinweggehoben über den Wirr« — 327 — warr des Augenblicks; und zwischen den Pyramidalen Pharaonen und den klcingroßen Meinungsgespcnstern, ihrer deutscheinheitlichen Katzbalgerei oder Vereinsftrügelei, liegen solche Meere und Sphären der Vergangenheit ausgebreitet, daß weder mit poetischen Schiffbrücken noch mit philosophischen Lllftgondeln, und selbst nicht mit politischen Dampfkräften hinüber zu kommen ist. — Auf dein Wege von den ägyptischen Pyramiden zu den Europamüden, von den pyramidalen Geschichten in Stein zu denen auf Druckpapier ohne Ende, lassen selbst einen Dialek-ttker und vernunfthistorischen 6an8-iknLr die Vegriffsvcrmitt-lungen im Stich. — So viel scheint gewiß, wer auf deu Pyramiden nichts zu denken versteht, der kann die Symbolik im Giganten style nicht vertragen; wer aber diesen Granitstyl in moderne Redensarten kleiden und mit den Tages« Meinungen in Harmonie bringen soll, der muß mehr wie ein Pyramidaler Philosoph, der müßte der zweite Weltheiland sein; — ja er müßte Pyramiden ans Wüstensand in den Himmel zu bauen verstehen. — Kein Gegenscch kann ergreifender sein, als der, welchen von der großen Pyramide herab die libysche Wüste mit ihren unabsehbaren Sandhügeln zur grünen Nilniedernng bildet, "on der cinen Seite ein farbloses, klangloses, einförmiges, unabsehbares, todtes Sandmccr, in dessen schrecklichem Gelb- — 328 — grau das Auge keine besondern Gegenstände zu unterscheiden vermag, also die furchtbar nivellirende, alles Lebendige durch Vernichtung gleichmachende, Alles im zehrenden Gruftsande verschüttende Republik des Todes; ein ungeheures Bild des Schweigens, der Ruhe, des Stillstandes, der Lebenshemmung, der unwandelbaren Gleichförmigkeit. — Was auch immer für ein lebendiges, wachsendes, lustiges, sich hervorthuendes Ding in diesen W üstenko mmun iömus hineingerathe: die Dürre erstickt und vertrocknet es. Die Atome eines verwüsteten Daseins, die Sandkörner, diese Milliarden mal Milliarden Grab zahne des nie rastenden Todes, zernagen an diesen heillosen Statten eines endlosen Raumes selbst das bleichende Gebein. — Vielleicht haben die Menschen schon um deswillen eine Anst»-» kratie, einen Unterschied der Stände und Bildungen von Anbeginn gelitten, und überhaupt eine Lebensmannigfaltigkeit wissentlich wie unwissentlich darum gefördert und erstrebt, um nicht durch Nivellirung und Gleichförmigkeit au die entfetzliche Gleichmacherei des Todes, auch selbst noch inmitten der Gesellschaft, des Staates, des schaffenden und prozessirenden Geistes, erinnert zu sein! Und doch, welch' eitles Bemühen auch um diese konventionelle Aristokratie! — Wo immer ein Sterblicher einen Kopf höher gewachsen oder künstlich empor« gehoben ist über die Masse, was hilft es ihm denn, da ihn der Tod so geschwinde einen Kopf kürzer machen darf, ohne daß ihm seine Korporation und der Mechanismus der künstlichen Staatsmaschine zu Hülfe kommen kann. Vom Plateau der __ gna __ Pyramiden erblicken wir auf einer Seite alle Geschichten, alle Spiegelbilder und Phantaömagorieen des Todes; den geheimnißverhüllten Eingang in das Innere eines unbekannten Welttheils, von dem wir durch die Wüste, durch eine angehaltene, gehemmte, zerkrümelte Schöpfung getrennt sind; ähnlich, wie vom Jenseits durch den Tod; — und von der andern Seite schauen wir den im Sonnenlicht blinkenden, mächtigen, fegenspendenden Weltstrom; an seinen Ufern die grünenden und blühenden Saaten, die von Kanälen durchschnittenen, fruchtschwangern und fruchtstrotzendcn Aecker, die überall ausgestreuten Hütten, Dörfer und Palinen, mit dem ganzen an sie gebundenen Hauche und Strome deS Lebens Wie der Lebensmannigfaltigkeit, alle Schifflein einer Haupt statte zutreibend: der in der Ferne mit ihren Hun« derten von Minarets und Moscheen im Sonncnäther erglän« zenden Kahira, der neuen Babel, dem Erdenpunkte, wo drei Welttheile und ihre Nationen sich berühren und verkehren, wo die alte und neue Welt, wo Barbarei und Gesittung, Heiden» und Christenthum noch bis zu diesem Tage nicht zur Scheidung gekommen sind. Nüchterne Fragen und Auffassungen. Aegyptlsche und moderne Baukunst. Verstandesmenschen fragen, wie denn diese ägyptischen Bauten durch bloße Kolossalität so gewaltig auf dic Seele wirken können. Abgesehen davon, daß die Bauwerke in Karnack Luksor, Medinct Habu und Gurna nicht bloß kalossal, sondern schön und künstlerisch vollendet erscheinen, so entspricht dem Räumlich-Großen dic Vorstellung des Geistig-Großen, so erweckt das vom Auge nicht mehr zu Neberschaucnde Gedanken der Unendlichkeit. Oder wodurch werden Meer und Wliste Bilder der Ewigkeit, wenn nicht durch ihre Masse, durch eine Ausdehnung im Raume, die nicht mehr von den Sinnen gefaßt zu werden vermag. Jedes Ding, dessen Anfang und Ende sich den Sinnen verbirgt, wirkt symbolisch, wirkt als Sinnbild der Unsterblichkeit, so wirken denn auch die Pyramiden und Obelisken eben durch ihre Form und Kolossalität, wie dadurch, daß sie sich allmälig verjüngen und in eine Spitze auslaufen, als eine — 331 — unfaßbare Größe, als ein Sinnbild, das über Zeit und Raum hinaus in die Ewigkeit zeigt, in eine übersinnliche Welt! Die rechnende Nüchternheit, der seelenlose Blödsinn, die Anpocsie sehen im Weltmeer eben nur ^Milliarden Wasser-tropfen und in der libyschen Wüste eben so viele Sandkörner, oder eine Portion weniger, wenn man will. Eine Streusandbüchse und eine Schüssel mit Wasser können gewissen Leuten also dem Wesen nach dasselbe gelten, wie Wüste und Meer. Der Menschengcist aber erfaßt in und an der Materie, an der Form einen göttlichen Sinn und Gedanken, und das giebt bann eben die Symbolik und Allegorie; das schöne fmnige Leben und die Poesie, welche zu ihren Faktoren Geist und Materie haben muß. Was sich Geist und Seele an den Dingen nicht einzubilden, was sie nicht aus sich selbst hervor« zurufen und einzubilden vermögen, das ist doch unmöglich für ste in Wirklichkeit da. Wer Seele und Geist, wer Vorstellungen, Empfindungen, Gefühle und Gedanken gar nicht als Realität zu fassen und zu glauben vermag, wem nur die Materie, an der Man sich ein Loch in den Kopf stößt oder weil sie stinkt und necht, die wirklichste Wirklichkeit, der lebendige Sinn und Geist aber, das bloße Produkt materieller Prozesse ist, den muß man lassen, wie cr's versteht und wie er ist. Was man also in die Pyramiden nicht hineinlegt, das lu'mmt man aus ihnen schwerlich heraus; aber das gilt, wie ^'cn gesagt, von der ganzen Welt und am eigentlichsten von — 332 ° — jedem Werke der Kunst. Dieses ist an und für sich nur ein todtes Machwerk. Der Mensch bringt keinen Organismus hervor, sondern nur das Abbild, die Zurückspiegelung eines solchen, die Schönheit, d. i. den lebendigen, vollkonnnnen, sinnreichen, zeichcnrcdenden Schein, welcher eben an Seele und Geist, an Einbildung und Verstand adressirt ist. Gin Kunst» werk ist ein Traumbild, ein Idealismus und keine lebendige, keine schöne Realität, wie ein Werk der Natur. Gin Gemälde ist an und für sich nur eine bepinselte Leinwand, aber für den sinnigen Beschauer eine Zeichenschrift und Sprache, mittelst deren sich die Geister bespiegeln und verständigen und an der die sichtbare, gleichwie die unsichtbare Natur der Dinge vor die Menschenseele tritt. Also sind auch dic Pyramiden rein objektiv genommen, und wenn man vom Veschauer abstrahirt, nur ein Haufen Steine; durch den Sinn und Geist ihrer Erbauer aber, der aus ihnen zeichcnredet, sind sie für den sinnigen Menschen eine beredte ergreifende Symbolik der ägyptischen Lebcnsfüh-lung, Ginbildungskraft und Organisation der uralten Zeit und Kunst so sehr, daß sie dem Beschauer fast ein lebendiges Wesen dünken, und in lolcher Stimmung stellt sich das abenteuerliche Innere der Pyramide wie das Eingeweide der uralten Geschichten oder eines versteinerten Sandwüstendämons dar. Selbst den Gebildeten wohnt nicht immer eine klare Ueberzeugung bei, was großartige Bauwerke auf sich haben, welche Phantasie und Bildung, welche Weltanschauung, Be- - 333 - sseisterung, Organisation und Glaubenskraft ein origineller Banstyl bedingt und dokumentirt, welch einen Himmel, welche Natur? Wir Modernen wissen wohl um unsre Ueberlegenheit über orientalische Bildung und alte Zeit, aber unsere Unmachten, die Miserabilität unserer Organisation, die Impotenz un» serer Seelenkräfte, die Korruption unserer Bil« dung, unsere Gemüthsflachheit, die ganze Zerfahrenheit, Gewissens- und Charakterlosigkeit unseres Wesens, unsere gleich-Mäßige Abtrennung von Natur und Uebernatürlichkeit und die Monstrosität unserer abstrakten wie konventionellen Intelligenz ist-NNs nur in Augenblicken klar. Nir können nichts mehr bauen. Wir sind schlechterdings unfähig, einen wirklichen Vaustyl zu erschaffen, und warum? Es drängt uns zu keinem Dinge, zu keiner Form, M keinem Thun und Lassen so recht aus der Seele heraus. Wir haben weder ein Glauben, noch ein Lieben und Heiligen, noch eine Urstimmunq des Gemüths auszugestalten. Unser bischen Lebensunmittelbarkcit, Natur und Uebcrnatnrlichkeit Wird von Schule, Konuenienz und Politik, kurz, vom Welt. Verstande und seiner Kritik aufgezehrt. Es gebricht nus also nothwcndigerweise an ursprünglicher Phantasie, an Seele, an Begeisterung, an idealer, an plastischer und an jeder überflüssigen Kraft. Was sich etwa von einer solchen entbindet, wird refll'ttirt, formirt und formulirt, was kann da übrig bleiben für die bildende Kraft? — 334 — Die Materie als solche, das Schaffen, das Bauen, macht uns keine absolute Genugthuung und keine Illusion. Wir sind zu abstrakt, zu nüchtern, zu blasirt und verbraucht, zu kultur« und lebensmüde, zu abgestanden und abgeraucht. Gin heilloser Egoismus frißt unsere Thatkraft, unsere Bildkraft und unser Herz. Die alten Aegypter wühlten sich mit kindlichem, mit wollüstigem Grauen in den Bauch des Gebirges hinein, sie thürmten Massen übereinander aus Lust an Kraftäußerungen und an einem Werk der Hände. Sie verfuhren bei dieser Baulust unbarmherzig mit dem Menschen, das war die Schattenseite. Wir aber würden auch dann nichts Selbstständiges und Bedeutsames, nichts Zcichenredendes mehr bauen, wenn wir die materiellen Kräfte dazu hätten, denn wir haben keine rechte Natur, und selbst unsere Barmherzigkeit ist, wie all unser modernes Lieben, Glauben und Heiligen, nur eine zcugungs» lose, unplastische Abstraktion, die durch den Staatsmechanismus, durch den Instinkt der Selbsterhaltung unter« baut und nur in eincr dünnen Schichte durch den herzlebendigen Genius des (Christenthums und der Humanität über Wasser gehalten wird. — Wir haben trotz allen Redens und Renommirens von konkreter Erkenntniß und Lebensart nur einen abstrakten, einen idealformalen, aber keinen poetischen, symbolischen, religiösen und beseelten Verstand. Die — 335 — Verwirklichung der Ideen oder Humore in Stein macht uns keine Genugthuung und keinen Spaß. Raum- und Zeitgrößen imponiren und begeistern uns nicht; die Kolosfalität der Formen und die Festigkeit des Materials läßt uns ohne Illumination. Ob Granit oder Ziegelstein, das ist uns ziemlich einerlei. Wir mengen Eisen, Glas, Papiermache und ge» cheerten Thon; alle Baustyle, alle Formen und Ornamente, alle Sphären und Rhythmen, denn wir sind mal im Nivelliren und Durcheinanderrühren. Unsere demokratische Bilderstür-lnerei im Reiche der Geister kann die Erhebungen, die Nntcr-skhiede, die Autoritäten, die verschiedenen Sphären und Potenzen, die Zuspitzungen nicht leiden, es sei denn in Redensarten, in der Stylisation. Wie sollte sie nun Kraft und Lust haben, Thürme, Pyramiden oder Kuppeln und Obelisken zu bauen. Es soll ja nichts in den Himmel steigen, sondern Alles in den Brei und Sumps der Gewöhnlichkeit, der Werk-» täglichkeit, der industriellen, staatsökonomischen, handwerksmäßigen, genielosen Gemeinsamkeit und Volksunifonnität untergetaucht sein! Wenn wir diese altägyptischen Bauten nach Verdienst wür-^gen wollten, müßten wir närrisch oder blödsinnig vor ihnen werden aus purer Desparation über unsre moderne Nüchternheit und Nnmä'chtigkeit. Es geht dem Reisenden mit diesen "««wundern wie mit denen der Natur, er faßt sie nimmer-"'chr ganz. Einzelnes scheint an diesen ägyptischen Kunst» werken, wie an denen der Natur leicht gewürdigt, verstanden — 336 ^ und besser gemacht werden zu können, aber das Ganze ist eine Evolution des Menschengenius, ein Produkt des Himmel st richs, der Natur, der Gottheit und einer durch sie gesegneten Zeit. Diese Bauten sind wahrhaftige Natur-, Kultur- und Gottesgeschichten in Stein; eine plastische Emanation und Verwirklichung der UrPhantasie; das Zeug» niß einer Menschenorganisation, einer Bildung, Begabung und Glaubensbcgeistenmg, einer Weltanschauung, einer plastischen und werkthätigen Kraft, für welche uns jüngsten Menschen» kindern der Maßstab, die Fassungskraft und jegliches Orga-non gebricht. Symbolik und vergleichende Ausdeutung der Pyramiden mit Zuhülfnahme der deutschen Münster. Des Geistes Dauer ist seine stete Beweglichkeit, und in der Wandclbarkeit begründet sich seine Gwigleit von Zeit zu Zeiten. So hat man diese Dome in die Wolken hineingebaut, >md der Geist w,ir in den Domen; und die Älenschheit hat ihn darin wie in seiner sichtbaren Erscheinung angebetet. Jetzt ist der alte Geist nicht mehr darin, aber die Dom« stehen noch, i» ihren gewaltigen Steinmassen scheinbar fester und getreuer, als der Geist, der sie erschaffen und verlassen hat. Gott Iaht sich nicht in diesen Münstern und Domen fesseln, er wandelt sich immer wieder i» neue Formen und Zeiten hinein, und die alten stehe» oft nur noch als eine versteinerte Illusion da, wie diese Münster und Dome, welche uns in ihrer himmelanftre« benden Glorie an die große Illusion des Christenthums als einer weltbeherrschenden und cinheitgründenden Institution der Menschheit gemahnen. Ob diese Illusion in anderer Form zur Wahrheit werden wird, nnch sich offenbarn, wenn die neuere Menschheit, ihre eigenste Lebenskrast zusammennewnend, etwas Fertiges daraus geschaffen I,at, das an Würdigkeit und Große des Gedankens mit jenen Münster-bauten sich dergleichen kann. Diese alten Kirchen, diese majestätischen Träume der christlichen Baukunst scheinen aber gleichsam um dieser Mahnung willen bis auf uns geblieben zu fein, um durch ihre» An. blick die neueste That der Geschichte von uns zu fordern; die That, welche die Einheit des Lebens, die wir verloren haben, auf unsere Art, in uniern Formen wiederbegründen soll! Ihnen gegenüber muh uns bange werben wegen derZusannnenschrumPfnng aller unserer heutigen Richtungen: und die Sehnsucht und der !1leid müssen den Geist quälen, der sich in seiner heutigen Art ebenfalls ausdehnen und 22 — 338 ^ entfalten mochte mit derselben göttlichen Freiheit, mit welcher da» mals, um den mächtigen Gedanken hervorzulüden, die schlanke Säule des Doms sich hochschwingen, und derVogen sich in die Lüfte wölben durfte. So tritt oft, wenn wir auf der Höhe dieser Viüustcr weilen, der Versucher zu uns Hera» und nährt uns mit dem haß gegen unsere eigene Zeit, die wir niil einem Blick uoll Wehe überschauen, nach allen ihren vor uns liegenden Weite» und Fernen. Und zuweilen kann man dann sogar den großen gothischen Riesenbau hassen, dem nnser Geschlecht so klein, arm uub thatlo« gegenübersteht, das, es sich uor jener stolzen That der Vergangenheit verhüllen muß, wie ein stummer Bettler. Wie Plato einst in seiner NepubM den Wunsch hatte, daß die Dichter alle bekränzt aus dem Lande geführt wurden, weil sie durch ihre Träume dem Volke die Kraft und den Glauben raubten, so tonnte man hier sich dem seltsamen Geiste überlassen, daß diese gothischen Thürme alle abgetragen werden mochten von der <3rde, weil ihr stolzes und titanenhaftes Wesen uns heute mit Meinmuth und Verzagtheit an uns selbst erfüllt, ober auch die Ge» müther magisch verlockt, dah sie träumerisch sich selbst und ihr Heute aufgeben und in den feudalen Geist jcuer Vergangenheit sich wieder einspinnen möchten, di« doch todt ist, trotz ihrer unerschütterlichen Dome, die sie noch aus dem Grabe der Zeiten so hoch emporstreckt, r Aegypten meinen Rath verlangen sollte, dem will ich ihn — 358 — mit so viel Nachdrücklichkeil, Detail, Aufrichtigkeit und Voll< ständigkeit geben, daß ihm die Haare zu Berge stehen sollen, wie mir selbst, als ich zu spät erfuhr, was es sagen will: aufs Gerathewohl und ohne alle Präftaration so ein Bischen nach Theben zu gchen. — Unsere Einkäufe kosteten 170 Piaster. Das Reisegeld war mit dem Fellahschiffer für uns drei und unsern Dolmetscher (Dertschoman), einen verschmitzten, schmierigen und frechen Malteserbengel von circa 20 Jahren, der zugleich den Koch machte und von den beiden Schneidern die Kunst erlernen wollte, — inclu». des Trinkgeldes auf 115 Piaster abgemacht. — Unsere Fahrt dauerte bis Minyeh sechs Tage; dazu gaben wir unterwegs noch für Hühner, Tauben, Milch, Gier, Brod und an Biergeldern etwa fünfzig oder sechszig Piaster aus. Die Reise kostete also bis zu jener Haufttstation Jeden von uns zirka 115 bis 120 Piaster, -^ und die ganze Fahrt von Ka« hira bis Theben und zurück berechne ich mir nur auf etwa 70 Thlr. preußisch, obgleich sie über sechs Wochen gedauert hat. Unser Herr Gott bewahre mich aber in allen Gnaden vor einer zweiten, so ganz und gar natürlich zugeschnittenen Exkursion. Auf der in Nede stehenden mußte ich uon Minyeh aus, wo mich die Schneider im Stiche ließen und der Herr Dertschoman fortgejagt wurde, nicht nur meinen eigenen Dolmetscher machen, sondern auch meine Waschfrau und meinen Koch. Es war ein Geniestreich, aber ich riskire ihn nicht mehr. Um aber solide Gins hinter dem Andern zu berichten, was — 359 — sich eben zugetragen hat, schreibe ich lieber mit den nothwendigsten Zusätzen und Korrekturen mein Tagebuch ab, wie es m Wirklichkeit und mit aller mir möglich gewesenen Gewissenhaftigkeit geführt worden ist. Vom frühesten Morgen ist gerüstet worden; um 5 Uhr Nachmittags sind wir mit einem schwachen Nordwinde von Bulak aus einem Wirrsal von Barken losgefahren. Abends 6 Uhr kamen wir bei der Nilinscl Ruda vorbei, die Ibrahim Pascha in fabelhaft schöne, mit aNen möglichen exotischen Gewächsen gezierte Gärten umgeschaffen hat. — Die Varke schwamm nun endlich dem wunderbaren Theben entgegen; ich begriff aber doch nicht klar, wie das möglich geworden, war. So lange wir da ohne Wind zwischen Hunderten von Fahr« zeugen eingeklemmt gelegen hatten, umbraust und umtobt von alle dem unbeschreiblichen Gelärme (ich für meine Person wenigstens von alle den Szenen nackter Natur- und Menschen-ssefchichten beängstigt und verwirrt), — konnte ich gar nicht fassen, wie es nur eines Augenblickes wirklich losgehen sollte, besonders da der .Herr Reis (der Kapitain) noch nicht da war und die Schiffsmannschaft (acht Mann an der Zahl) auf dem Verdeck ausgestreckt schlief. — Dazu hatte ich Zeit, ein wenig über das nachzudenken, was ich gewagt und was im Zukunfts-schooße verborgen lag. Von solchen und von anderen Reflexionen wird der armen Menschcnsccle keineswegs besser zu Muthe. — Der Schwabe mochte so etwas von meiner Rcisc-melancholie merken und zischte treuherzig: Schie schpinne Ge- — 360 — danke; das ifcht nicksch nutz in Ggypteland; mir scheind' ehrliche Leut', habe Schie denn kei Zschutraue zu unsch^ Diese Ansprache that ihre Wirkung. — In demselben Augenblick kam der Herr Reis auf die Barke, es erhob sich bald darauf ein leiser Wind, und als sich die Marked (die Barke) unter dem geblähten Segel bewegte, dachte ich nur ans Vorwärts und sagte Allem Valet, was hinter mir lag. — Die Menschenseele hat viel Aehnlichkeit mit Aegyfttenland und seinem jähen Wechsel in allen Erscheinungen der Natur. Die Morgen-- und Abenddämmerung ist hier schon viel kurzer, wie bei uns. — Mitten in der Luftstille fährt ein Windstoß daher, der die größte Barke umwerfen kann, — und die Finsterniß fällt wie ein schwarzer Flor vor den noch lichtgeblendeten Augen herab. — Ganz so jach und unmotivirt brechen die Leidenschaften hier aus; ganz so plötzlich schlagen sie in Apathie oder Lustigkeit um: es ist hier Alles hastiger, formloser und elementarifcher, und eben darum auch waghalsiger und abenteuerlicher, wie daheim. Alles eine unkontro« lirte, nackte Natur. Z. B.: ' Um 1U Uhr Abends segelte die Barke auf'S Gerathewohl durch die Dogana. Die Schneider hatten zwei Faß Rothwein und Kleiderstoffe zum Handel für Gsnch, wohin ihre Reise ging, mitgenommen. Es kreuzten aber Wachtbarken und hielten unser Fahrzeug an. Ich lag auf meiner Strohmatratze und schaute in behaglicher Stimmung zur Luke hinaus, als ich von dem Anruf der — 361 — Dossana-Beamten in die Höhe geschreckt wurde; dann gab es einen verzweifelt unromantischen Zank, der mir von Minute zu Minute weniger Spaß machte, und endlich aplanirte der allmächtige „Backschiesch", der ägyptische Friedens- und Un« friedenftifter. die Fatalität. Am Morgen um 5 Uhr legten wir bei einem kleinen Orte, gegenüber den Pyramiden von Sakarrah an; man sah ihrer drei und die Spitze der vierten. Unmittelbar am linken Nfer zogen sich unabsehbare Palmenwälder, fast so dicht wie bei uns ein Kiefernwald, hin; über die Palmen hinaus ragten die Pyramiden in die reine blaue Luft. Etwas weiter den Strom hinauf sahen wir auf einem Abhang des libyschen Gebirges die Pyramiden von „Daschur." Der östliche Gebirgszug, Mokattam genannt, welcher als breiter Plateaurücken den ganzen Landstrich zwischen dem rothen Meere und dem Nil ausfüllt, fällt gegen diesen meist in steilen Wänden ab, so daß zwischen den östlichen Nilufern und dem mäßig hohen Sand- und Kalksteinbergen nur hie und da .schmale Streifen Ackerlandes anzutreffen sind. DaS eigentliche kultivirte Niederungsland liegt auf der westlichen Seite des Nils, zwischen seinen Ufern und dem libv-scheu Gebirge, welches (dem östlichen Mokattam im Allgemeinen parallel laufend) das Ackerland vor dem libyschen Wüstensande beschützt. — Die durchschnittliche Breite dieses fruchtbaren Schlammlandes wird auf zwei geographische Meilen, seme Länge etwa auf 100 Meilen geschätzt. — Gs liegen — 362 — aber noch Sandstrecken, Sümpfe und anderes Unland in dem urbaren und fruchtbaren Boden zerstreut. — Die Gebirge zeigen nicht die mindeste Spur von Vegetation, kaum eine Flechte wie unsere Feldsteine, — geschweige denn Kraut und Strauch. - Wo Schlamm und Wasser ein Ende nehmen, ist nur der brennende Wüstensand und fein nacktes Gestein, und selbst an den Nilufern und in den Sumpfstellen giebt es keine Wiesen, kein feines, dicht stehendes, sondern nur ein grobes, weitläufiges Riedgras und Schilf. Mit den Wiesen hat es bereits in Italien ein Ende. — Vei Florenz sind einige Morgen Wieswachs wie eine Natur-seltenhcit geschont. In den italienischen Gebirgsthälern giebt es kleine Wiesflecken, sie brennen aber schon im Frühlinge von der Hitze und wegen Wassermangel aus. — Große herrliche Wiesenmattcn, Quadratmeilen von immergrünen Flächen, selbst unter Schnee und Gis, sind nur im Norden zu Hause. — Es ist nimmer alles Schöne auf einem Punkte und an einem Orte der Welt vereint. Also Wiesen, Bäume und Sträucher hat der Mokattam an keinem Orte; kaum irgendwo so viel Flcchtenmoos, daß sich ein Stäubchen daran festsetzen könnte; aber Grab kam-mern mit wenigen Unterbrechungen von Kahira bis Theben und an jedem Orte, dem die alten Ncgypter nahe gekommen sind. — Wer also ein Freund von Todesgcdanken ist, der schisse ja auf dem Nil. — Zwar sind Tod und Leben die Thatsachen und Begriffe, aus denen auch mein Bischen Phi- — 363 — losophie, wie eine gekappte Else aus den Wurzeln, auöschlägt; aber in Aegyftten und dem steinernen Mokattam entlang wurde es mir doch ein Vischen zu viel Todten- und Troglo-dyten-Philosofthie. — Das Leben kam ungeachtet der grünenden Reis- und Durahfelder und der Palmen, gegenüber diesen Höhlen der Lebendigen und Todten, zu kurz. Ein Paar hundert Quadratmeilen Ackerland sind hier von dem Todesgrausen der libyschen Wüste eingeschlossen; von ihrem ewigen Schweigen wird selbst der arabische Lärmen übertönt! Ich überzeugte mich zuletzt, diese Spektakeleigenschaften der nackten Aegypter sind unter diesen Szenen des Todes, der Höhlenwirthschaft und in der Wüstenei eine Naturnothwendigkeit, eine Naturtugend und Natnrökonomie. Wenn die Aegypter eine stille, in sich gekehrte, schweigsame Race wären, so hielte es der Tod selbst in diesem Lande nicht aus. Man sieht also bei jeder Gelegenheit: die Natur und unser Herrgott wissen zuletzt und zuerst, warum sie die Welt, die Menschen und die Naturgeschichten so und nicht anders getrieben, gestaltet, gestempelt und gemacht. Wir fuhren mit halbem Winde stromauf und nichts desto-Weniger flogen stromab kleine Barken an uns mit Windesschnelle vorüber; ein schlagender Beweis, daß die Aegypter den Wind in die Segel zu fangen verstehen. Die Aussicht auf Palmenwälder, bebaute Felder, Pyramiden und Gebirge w der reinen, klaren Luft ist entzückend schön. Ich sehe wiederum, wie Weizen „auf dem Schlamm" ausgesät wird; das scheint in der That die leichteste und naiürlichste Ackermig zu sein. Sie hat auch noch den Vortheil, das; der Same nicht von den Vögeln verzehrt werden kann. — Jedenfalls kommt man so wohlfeiler ab, als wenn, wie bei uns, drei- bis viermal gepflügt und eben so oft geeggt werden muß. Es «nr eine vollkommene irländische Landschaft. Der stets wechselnde Himmel, die schnell fliegenden Schatten, das helle Sonnenlicht, die gesegneten Felder, der breite schnellende Etroni, das dunkle Gebirge, von dessen höchster Spitze ein dnnncr blauer Streifen Damps emporstieg, — Alles ringsum war lächelnd, aber doch trail rig wie die Söhne des Landes selbst, über deren ernste Stirn Scherz und Freude hingleiten »nd die Tiefen r>er> bergen, welche darunter lauern, — Ich sas, nachdenkend über die seltsame Uebereinstimmung der Mensche» nüt dem Klima in meiner Barte da, (Der irländische Dragoner, enssi, Numan,) Wir halten vor einem Dorfe am flachen Ufer des Nil. ^ Die unmittelbar am Strom gebauten Hütten sind in Haufen geschwemmt, gleich den Grabhügeln, die immer im Zusammenhang mit den Hütten stehen. Das thut dem Dinge aber nicht fonderlich uicl, denn der Thon ist bald wieder zu Backsteinen geformt, getrocknet und zu einer Hütte zusammengeklebt. Zwischen übrig gebliebenen und mit Rohr halb-Kedecktcn Schlammwändeu saß eine Familie und trocknete goldgelbe Datteln. Der Strom liefert süßes Wasser und Fische; — das Ufer eine Weide für die Büffelkuh; — der Same gedeiht ohne Dünger und oft ohne Ackrnng in dem Schlamm, auf den er unmittelbar ausgesät wird; ^ Tau« — 366 — ben und Hühner vermehren sich ohne sonderliche Muhe; der Kameel- und Büffclmist giebt das Brennmaterial her; der Dattelwald steht um die Hütte her: es sind biblische und Patriarchalische Geschichten; — Schlaraffenlandszenen, — aber der Schein trügt! An diesem Tage schien jedoch aus dem ägyptischen Pa-radieöleben Ernst werden zu wollen. — Wir fuhren von jenem Dorfe Schobat nach dem Musterdorf Masruhne. M lag einige hundert Schritte weit vom Ufer; hart an demselben zog sich ein Palmenwäldchen hin, alle Baume mit Früchten beladen und mit Tauben besetzt. In dem kühlen, von Streif-lichtem durchblitzten Schatten hockten die Dorfbewohner gruppenweise beisammen, vor Körben mit Giern, Durahfladen und getrockneten Datteln. — Die frischen Früchte holten auf unsern Wunsch einige Männer mit natürlicher Kletterfertigkeit in ganzen Bündeln von den Bäumen herab. An das Wäldchen gränzte eine Zuckerpflanzung, weiterhin sahen wir weidende Ziegen, Schafe und Rinder; dann wieder von Rohr eingefriedigte Räume, wo auf Matten große Dattelmassen ge» trocknet wurden. — Der Boden unter den Palmen war nicht staubig, sondern noch feucht und weich von der UeberschweM' mung, aber doch so fest, daß man reinlich und wie auf Gummi-Elastikum trat. — Die Kinder jagten sich nackt umher, die Alten, Weiber wie Männer, spannen Wolle auf der Spindel und spazierten dabei unter den Palmen umher oder saßen in ihre Plaudereien vertieft. 367 Wir gingen mit dem Barkenführer zum Dorfe. Gs war klein, aber regelmäßig und gut gebaut. Die Häuser hatten ordentliche Wände, Höfe und Stallungen. — Unter den Thüren, die wie eine Art von Portal aussehen, fanden wir zum Zierrath häufig grüuglasirte Teller m den Thon eingeklebt. Anfangs verweigerte man Mensmittel; als aber doch ein altes Weib ihre Henne verkaufte, wurde der Markt vollauf mit Hühnern und Giern etablirt. Eine gute Henne kostete uns jedoch zwei Piaster; drei Gier fünf Para (drei Pfennige). Die Kinder warfen uns heimlich mit Thonbrocken, — und die Hunde zeigten uns die Zähne. Gs war also nicht ganz ein Paradies. — Bei dem kleineu Flecken liaKor ei Karmin giebt es große Dur ahfelder. — Diese Art Mais hat ausgewachsen einen Halm von 8—9 Fuß Höhe und pro° Portionirlicher Dicke; die Kolben sind von der Form und ^röße einer Limonie oder kolossalen Zitrone; die Samenkörner, welche das schönste Mehl geben, bilden eine massive Masse; ihre Gestalt und Farbe ist wie die von türkischem Weizen, sie sind aber etwa nur zum vierten Theil so groß. — Auf einer Weide am Nil sahen wir 23 Stück Kameele, sie machen beim Wiederkäuen einen Rachen, wie er am Nilpferde abgebildet wird; das Schroten der Kinnladen ist wie eme Maschine anzusehen. - - Diese Thiere können gereizt wüthend werden, brüllen, geifern, schlagen ihren eigenen Treiber 368 mit den Vorderfüßen zu Boden und beißen nicht so gar selten denen, die ihnen in ihrer Wuth zu nahe, kommen, die ganze Hand fort. — Unsere Araber drehen auf der Barke aus Dattelbast Stricke, beinahe so fest und akkurat wie von Hanf; dies Kunstprodukt wird in unglaublich kurzer Zeit mit bloßen Händen, ohne jedes Werkzeug und insbesondere ohne Scilerrad fertig gemacht. In Kahira wie auf den Dörfern werden aus den Zweigen der Dattelpalme Kisten, Hühnerkörbe, Deckelkörbe mit Ohren, prächtige Matten, Reisetaschen und alles mögliche Flechtwerk fabrizirt. — Hinter XaNr si ßaratin sah ich unmittelbar am Ufer zum erstenmal die einfachen Schöpfanstalten, mittelst deren das Nilwasscr dnrch Menschenhände in die Kanäle hinaufgebracht wird. Ueber zwei Säulen von Schlamm ist ein Querholz gelegt; auf diesem selbst eine bewegliche starke Stange befestigt, von deren einem Ende ein wasserdicht geflochtener Korb oder ein öcderkübcl mit steifem Nandc an einem steifen Vaststrick oder Palmenblattstiel herabhängt, mu solchergestalt von einem oder von zwei Männern ins Wasser gestoßen und heraufgezogen zu werden, was durch das Gewicht von einem Thon kl um pen erleichtert wird, welcher um das entgegengesetzte Ende der auf- und niederbewegten Stange festgeklebt ist. Die Bootsleute nannten diese Wasscrgalgen „kckotww'." Morgens den 25. Oktober befinden wir uns wiederum — 369 — Pyramiden gegenüber; — die Araber nennen die Gegend MliuouÄui, d. h. wohl Pyramidenort; denn Koiam oder Kirn, bedeutet Pyramide, und vier Dörfer endigen sich in der Gegend auf ,,83.ui." Es sind dies die letzten Pyramiden in der Reihe von Gizeh, also immer noch die von Daschur. -Wegen der außerordentlich häufigen und oft ganz rückläufigen Windungen des Nil befindet man sich oft nach 12- oder 24stündiger Treidelfahrt denselben GebirgZstellen und Gegenden gegenüber, die man vor so viel Stunden zum erstenmal zu Gesichte bekam. — Auf diese schlaugenläusige Weise geschieht es z. V., daß man die Pyramiden von Daschur von drei Seiten zu Gesichte bekommt, — selbst wenn man sich nicht aufs Land zu ihnen hinaus macht. Das Geknarre und Gepfeife der Wassergalgen, so wie der durch Ochsen getriebenen Schöpfwerke (Lakkidu), ist der Ton, welchen der Nilreisende von Sonnenaufgang bis Sonnen-Niedergang vernimmt, auch wo er nichts weiter zu hören bekommt. — In den meisten Gegenden befinden sich diese Schöpfanstalten so nahe bei einander, daß sich die Leute zurufen können. — Die Arbeiter werden den Tag über drei-oder viermal abgelöst und stehen an hohen Ufern in zwei Etagen auf Terrassen übereinander, so daß das Wasser zuerst in eine Grube auf dem ersten Uferabsatz und dann zum andernmal in den Kanal gelangt. Die Araber sind auch 24 — 370 — bei dieser Arbeit nackt und selten mit einem Blätterkranz um die Hüften bedeckt. — Für die Wasser« und Kanalwerke hat also der Araber den altägyptischen Fleiß und Verstand so ziemlich konservirt. — In den andern Bauwerken haben die beiden Racen nichts miteinander gemein. — Eben bekommen wir am Ufer Marmorfelsen zu Gesicht, und ganz nahe vor uns sitzen ein Paar kolossale Geier, so daß wir sie in der Entfernung für einen Esel gehalten haben, ohne deshalb Esel zu sein. — Auf einer Sandbank spazieren sechs Störche umher, vielleicht Landsleute v»n nur. Ich sah später schwarze Störche, sie haben mich aber kaum so schr wie die bei uns einheimischen weißen interessirt, wiewohl sich auch dann und wann ein schwarzer Storch nach Westpreußen verfliegt. — Meine Eltern verpflegten ein so rares, ich weiß nicht mehr auf welchem Wege ihnen zugekommenes Exemplar im Keller; aber der arme Acgypter gab seiucn Geist in der preußischen Finsternis; auf, es bangte ihn nach dem ägyptischen Licht. Für die Tauben, die in manchen Dörfern Wolkenzüge bilden könnten, sind auf den Plattformen der Hütten, die hier meistenthcils wie kleine abgestumpfte Pyramiden aussehen, kleine Thürmchen mit lauter Löchern zurechte geklebt. — — 371 ^ Bei den Pyramiden von Daschur weicht das libysche Gebirge, und dem Städtchen Benisuef gegenüber der Mc-kattaln von den Nilufern in die Wüste zurück, kommt abcr bald wieder nal)e heran. — Die libysche Bergkette nber zieht sich erst in Theben massenhaft zu den Ufern des Nils. — In der Nacht vom 26. zum 27. landeten wir im Dorfe Bib be. Gin alter Araber wunderte sich da über mein kleines Taschcnkämmchen und die Bürste in Duodez. Als ich ihm aber den Apparat zu einem Experiment für seine Toilette hinreichte und der Gute seinen grauen, krausen und kurzen Bart so schön ausgekämmt sah, sagte er mit großem Nachdruck: tkilid. iQilikcli! d. h. gut, vortrefflich! -^ Lieblings-Worte, mit denen besonders dem Fremden geschmeichelt und Dienstwilligkeit kund gegeben wird. — Man muß diese Araber Kaffee kochen sehcn. Sie brennen ein wenig Bohnen in einem Scherben oder flachen thönmien Gefäß (indem sic die Frucht mit eümn Spähn umrühren) so braun wie wir. Dann zerstoßen und zerreiben sie die gebrannte Bohne in einem kleinen aber starken Napf, der ganz so geformt ist, wie das Gefäß, in welchem der westpreußische deutsche Bauer seinen Schnupftabak präparirt. — Zum Stößel d>ent das erste beste Instrument, am liebsten ein langer Stock aus einem eisenharten Holze, der Nabuth genannt und mit 24* __ Z7Z__ 10 bis 12 Piastern bezahlt wird. — (Mit einem so gewachsenen Stecken, 6 bis 7 Fuß hoch, wehrt man sich schon einen Räuber oder Hund und Schakal vom Leibe.) Was nun den Kaffee anbetrifft, so ist der Witz der, daß eben nur eine solche Portion gebrannt und gerieben wird, als man auf einmal eben zum Kochen gebraucht, damit das Aroma so wenig als möglich verfliegt. Ueberhaupt wird in Aegypten der Kaffee nicht gemahlen, sondern in großen Giscnmörsern zerstampft, bei welchem Geschäfte gewöhnlich drei Menschen auf die Weise in Thätigkeit sind, daß der Jüngste und Behendeste, gewöhnlich ein Knabe, zehn bis fünfzehn Jahre alt, von Zeit zu Zeit den am Boden festsitzenden Kaffee mit der Hand rund herum und in der Mitte loskratzeu muß, ohne daß deshalb mit dem Stampfen einen Augenblick eingehalten wird. — Wer dieses gefährliche Manöver zum erstenmale mit ansieht, kann sich der Besorgnis; nicht erwehren, daß dem armen Jungen im nächsten Augenblicke die Hand in den Kaffee hineingestampft wird. — Schnupftabak dagegen stößt man bei den Gewürzkrämern mit einem langen hölzernen Stößel, an dessen oberem (3nde eine schwere Gisenkugel festgemacht ist; kurz, die Kuriositäten nehmen für den fremden Zuschauer kein Ende. — Zum Klären des Nilwassers, welches von vortrefflichem Geschmack und zum Thee wie zum Kaffee gleich gut zu brauchen ist, zwischen hartem uud weichem Wasser das rechte Mittel — 373 - halt, und seinen alten Ruf mit vollem Rechte verdient, — kann man mit merkwürdigem Erfolge gepulverten Alaun (8ekoddok) anwenden, — er ist aber nicht gesund. Bekanntlich sind gestoßene Mandeln das gebräuchlichste und unverfänglichste Klärungsmittel; ^ das Nothwendigste ist aber ein großer Was serkrug, in welchem sich der Schlamm zu Boden setzen muß, bevor das Wasser in die thönernen kleinen Kühlkrüge kommt. Wird so verfahren, so bedarf es keiner andern Operation. Gines von den größten gebrannten Thongefäßen, das etwa L0 bis 90 berliner Quart Wasser fassen kann, also den Umfang und die Höhe einer gewöhnlichen Wassertonne hat, kommt bis auf 8 oder 10 österreichische Thaler zu stehen. Der gemeine Araber hat in der Regel Thonkrüge bis zu dem Inhalte von ungefähr 10 und 20 Quart, die mit Wasser gefüllt, von den Weibern mit eben so viel Geschick als Grazie und Kraft auf dem Kopfe balancirt werden. Diese leicht gebrannten Wasserkrüge werden mittelst Palmenzweigen und Aestm künstlich zu einer schwimmenden Masse verbunden (etwa wie eine „Weichselholztrafft"), und solcher Gestalt von Kenneh nach allen Nildörfern den Strom herab bis nach Kahira gebracht. — Daß diese Topfflösserei slch nicht von den Ufern entfernen und im Winde still liegen umß, versteht sich wie vieles Andere nicht zu Beschreibende von selbst. — In Kenneh, einer Stadt etwa zehn Fahrstunden von Theben, werden die besten Kühlkrüge (ttuilk) gemacht. Sie bestehen aus ungebranntem Thon, kosten drei Pfennige - 374 — das Stück und halten bei diesem Preise an Flüssigkeit ein Quart. In ihrem engen Halse befindet sich ein durchlöcherter Boden eingesetzt, damit das Wasser nach Möglichkeit vor der warmen Luft geschützt ist. Die Wärme des Wassers ver» dunstet durch den porösen Thon; — es ist ihm aber gar keine andere Beschaffenheit anzusehen, als jedem andern Thon. Wie dem auch ftin mag, dies Faktum steht fest: „das in eine solche ^ulla unmittelbar aus dem Nil geschöpfte, lauwarme und stark mit Thon vermischte Wasser (ein gewöhnliches Wasserglas giebt einen singerdicken festen Satz) gießt sich etwa eine halbe Stunde darauf als ein ziemlich klares, ziemlich abgekühltes und ganz besonders wohlschmeckendes Wasser aus der Thonflasche heraus." Wegen der durchlöcherten Scheibe in dem langen Halse der 6u11a darf man in dieselbe aber nur solches Wasser gießen, das bereits in einem gröhern Schöpfkruge feinen Bodensatz zurückgelassen hat; andernfalls werden vom Schlamm die Löcher der Scheibe bald verklebt. — Unsere Barkenaraber machten bei keiner Gelegenheit Umstände mit dem Wasser und setzten ihren kleinen gebrannten Schöpfkrug in demselben Augenblick, wo sie ihn an einem kleinen Bastseil in die Höhe gezogen hatten, auch an den durstigen Hals. ^ Als ich die junge Frau des Reis, die unter dem Verdeck der Varke von uns Mannsleuten abgesperrt hockte, mit geklärtem und gekühltem Wasser er» frischt wissen wollte, lächelte ihr Mann dazu, wie über ein ganz überflüssiges Rezept uud eine komische Galanterie. — — 375 — Ich hatte mich ein wenig in das Dorf Bibbe und jenseits desselben bis auf die Felder hin ausgemacht, die sich zwischen dem Mokattam und dem Strome befanden, da der Ort am rechten Nilufer liegt. Diese Aecker gewähren einen Anblick, welcher dem unserer Flußniederungen gleicht, einem Wechsel von Weiden, Durahfelderu, Palmen, Vruchwiesen, Sumftf-stellen, Büffel» und Ziegenhrerdcn, der dem Auge wohlthut nach dem Staube und der Hitze im Dorfe selbst. In diesem aber sah ich den Fellah in allen Stadien, Stufen und Phasen seiner menschenschändenden und wc'ltenuntergangsmäßigen Fahrlässigkeit, Verwirrung, Lüderlichkeit und Nnflatherei. So uneben wie der Erdboden etwa von Natur angetroffen worden, so hat er ihn gelassen, und zwar ohne die mindeste Beeinträchtigung seines Komforts. Ist der Anlage einer Hütte ngend ein Gegenstand im Wege, ein Palmstamm, ein krepirter Hund, eine Sumpfstelle, ein Stein und was immer sonst, dieser Araber vermauert das Ding und Unding lieber in den sogenannten Bau, als daß er die kleinste Mühe im Forträumen anwendete. — Es ist aber nicht allein Faulheit, — es ist ssänzlichcr Mangel an Organ für Ordnung, Sauberkeit, Akkuratesse, Gleichmäßigkeit, Symmetrie, Ebenmaß und Obene: -^ ein instinktmäßiger Haß gegen jede irgend wie verwirklichte Grammatik, Logik, Geometrie, Einheit, Ganzheit und Gesetzmäßigkeit. — Chaos, Labyrinth, Wirrwarr, Lärmen und Schmutz — gelten dem Fellah für Poesie, Komfort und Lebenselement. — Jedes ägyptische Dorf (mit Ausnahme eines Dutzend von überwachten Musterdörfern) ist ohne Unterschied ein Bild des empörendsten Durcheinander und Uebereinander von Schutt, Staub, Ziegeln, Steinen, Backsteinstücken, Kehncbt, Federn, Menschenkoth und Aas, nur am Viehdünger fehlt es, weil er zum Brennmaterial verwendet wird. — Jedes Dorf ist in seinen sogenannten Straßen, Wegen und Stegen (für die kein Wagen und kein Karren in Anwendung kommt, da Alles auf Kameclen und Eseln transportirt wird) — bucklicht, krumm und schief, schmal und weit auf einen Hieb. Da giebt es große und kleine, hohe und niedrige, bedeckte und offene, viereckige und runde, zugewölbte und pyramidenförmigabgestumpfte Mauerwerke, mit Palmenstämmen, Rohr, Bohnenstroh und Strauch belegt; mit Hunden, Hühnern und Tauben auf der Plattform, — und nicht zu vergessen mit einem Schurrmurr und Mist von brauchbaren und vernutzten Gerathen, dessen bloßer Anblick einen vrdnungliebenden, reinlichen Ohristemuenschen auf Augenblicke seiner fünf Sinne berauben und komplet unglücklich machen kann. — Da giebt eß ferner zur vollkommener« Ausgestaltung des labyrinthischen Unwesens große und kleine Einfriedigungen von Backsteinen und Rohrwert; - große und kleine, runde und viereckige Hütten, Stallungen, „Kruplöcher", Taubenlöcher, Hundelöcher, Brutofen, Backöfen, Nischen, Gruben, Hofränme, Hühner- und Taubenhäuser; itoin bedeckte und offene, krumme und krümmere, schmale und noch schmalere, kothige und scheußliche - 377 — Gänge, Winkel und Verschlage, mit welchen verglichen selbst ein polnisches Labyrinth und Chaos eine Grammatik, Registratur und Oberrechnungskammer und jede Unflätherei eine holländische Reinlichkeit ist. Hier studirt man die Mysterien der universellsten, uolksthiimlichsten perennirenden Sauerei und eines konzentrirtesten, lächerlich-furchtbaren chronischen Gestanks. Hier ist die Nase nur noch zu ihrem Hohn und Skandal in der Welt und „binnen Bälde" ein krepirter Gcsichtstriangel, für welchen weder Geruch noch Gestank mehr eristirt. — Hier räumen die Säue den Menschen das Feld, welche Letztere die Rolle der Erstem vollkommen ausfüllen und darum von Rcligionswegm mit den Schweinen auf immer zerfallen sind. — Ein Schwein ist, verglichen mit einem Fellah, ein diskretes, reinliches und appetitliches Thier, schon um der Thatsache willen, daß es im Stalle die reinlichste Stelle zu seinem Lager aussucht, dasselbe nicht verunsaubert und nur bei Reinlichkeit und trockener Streu gedeiht. Die Taubenhäuschen von Schlamm sind hier in Bibbe in voller Glorie, Ausbildung und Normalität zu sehen. Sie gleichen ungeheuern Terventmölflaschen mit kurzem Halse. Der Bauch dieser kuriosen Architektur ist aber mit ausgerundeten Gefäßen von gebranntem Thone, wie halbe Bomben groß, besteckt, und diese mit der Hohlseite nach Außen ge» kehrten Halbkugeln bilden dann für jedes Taubenpaar ein abgesondertes Nest; denn Partikularismus und Echismatik — 378 — ist der arabische Verstand von Anfang bis zu Gnde. Diese Taubenflaschen stehen wie eben so viele Thürmchen zu Häuf, und bilden eine Art von Zinnen, Zierrath, Kuppeln oder zweitem Stockwerk auf den Häusern und sind als Nusputz auch nicht selten weiß gekalkt. Die Knotenringe und die schuppenförmige Rinde des Palm» bcmms bilden so gute Anhaltspunkte für die Hände und die nackten Füße der Araber, daß diese mit großer Leichtigkeit vor unsern Augen Probe kletterten und goldgelbe Datteln herabholten, die, obwohl reif und süß, doch so herbe, zusammenziehend und ungenießbar wie die polnischen Holzbirnen sind. — Abgelegen und an der Sonne auf Bast und Schilfmatten gedörrt, erhält diese herrlichste und dem Araber unentbehrlichste Frucht erst ihren köstlichen Geschmack. Der Branntwein, den sie liefert, giebt dem Franzbranntwein nichts nach. — Für glattere und schwerer zu ersteigende Palmbäume nimmt der Araber einen Strick zu Hülfe, der an der rechten Schulter festgemacht und so eingerichtet ist, daß er, um den Stamm geworfen, an der linken Rippcnseite des Kletternden leicht in eine dort befestigte Schlinge gezogen werden kann. — Das Manöver ist also demjenigen sehr ähnlich, nut welchem in polnisch Masuren die Kiefern erstiegen werden, in denen sich die wilden Bienenstöcke befinden. - Die polnisch-masurischen Weiber haben, beiläufig gesagt, mit den Fellah- — 379 — Weibern eine Raceähnlichkeit im Gesichtstypus, den Gliedermatzen und Bewegungen, die nicht schlagender sein kann. — In diesen Frauen ist auch der altägyptischc Menschentypus konservirt, — gleichwie in den heutigen Römerinnen die Race des, alten Roms. — Im Dorfe Bibbe sah ich zum erstenmal eine größere Menge Krähen auf den Palmen. — Sperlinge giebt's fast mehr wie bei uns. — Die Wiedehopfe sind hier zu Hause; und Wasfervögcl init einem spcrlingsgroßcn Leibe und hohen Beinen scheinen die Kunst des Wassertretens zu besitzen, so leicht und zierlich beschw immen und beherrschen sie ihr Element. In unserer Barke halten Ratten, wie junge Katzen groß, komplette Wettrennen und Hochzeiten, pfeifen und zwitschern wie Vögel, zernagen Schicbdcckcl, Stricke, Kisten und Koffer, sobald sie Eßwaaren wittern; klettern an einer glatten Bretterwand, an dem Mastbaum und an einem Strick in oic Höhe; ^ laufen dem schlafenden Menschen über das Gesicht, sind verjagt und blitzschnell verschwunden, im nächsten Augenblick ssanz vergnügt wieder auf dem alten Platz, und schauen aufrecht sitzend den erbitterten Passagier mit so verwunderten, klugen, grellen Gchkatzcnänglein an, als wollten sie ihm sagen: Du närrisches Menschenkind, Du, was zerargerst Du Dich denn so hastig über uns, wir sind ja ganz lustige und — 380 — manierliche Thierchen und waren lange vor Dir hier in unserem Vereich. — Kannst Du Dich nicht mit uns vertragen, so reise doch nach Haus! Diese allerliebsten und unglaublich natürlichen Thierchen, I'ar genannt, würgten mir die lebendigen Hühner (I^rokn,), die ich wegen Mangels eines Korbes im Bodenraum placirl hatte, — sodann theilten sie sich trotz aller Vorsichtsanstalten in meinen Proviant, den ich zuletzt in einer aus Vast geflochtenen und zugeschnürten Reisetasche an den Mastbaum aufgehißt hatte. — Eine halbe Melone soffen sie ungenirt in ganzen Familienhaufen vor meinen erstaunten Augen aus. — An einem Schiebkastcn durchnagten sie den Schieber und schoben ihn, indem sie den Leib gegen den überstehenden Rand der Kiste stemmten, so weit auf, daß sie zu dem Gbammcr Käse gelangten, den ich in Kenneh mit einem österreichischen Thaler bezahlt hatte. — Wenn ich Abends, auf meiner Matratze liegend, mitunter etwas ver-sfteifete, so sprangen diese Wasserthierchen über mich hinweg in die Lücke, an der ich lag, oder durch dieselbe ins Wasser, und waren dann wieder „eins, zwei, drei" an Bord. Zuletzt dankte ich Gott, daß sie meine Kleider unzernagt ließen und mich selbst. Mein Vater machte sich ei» Verssnngeu daraus, Jede», der ihn, in den Wurf kam, i«it einem Schwarz-dornstocke durchzupriisselu, durch und durch; den» uorn a» deni Stocke >var so was von 'ner Senfe, eine hübsche Waffe, seine Favoritwaffe; aber die mörderischen Spitzbuben, die Viehhändlei, die niemals wahrhaftes Gefühl für unschuldige VcMiüguiMN und Späße hatte», fielen über den armen Manu her und machten ihm den Garaus! Bei dem Orte Gefihre el Fogei, unterwärts der Berge von Fesch, eine gute Stunde vor dem Orte Elhebi, mit einer Moschee, passirte uns eine Fatalität, die mir vorläufig den Spaß an der Nilfahrt verdarb; denn Abenteuer erzählen und hören ist besser, als sie selbst erleben. Unsere Araber landeten an einer Stelle, um eine Masse Löschftapier aufzulesen, die in ganzen Büchern und bckotheten Ballen umhcrgestreut lag, ob von einem gestrandeten Botaniker oder Papierhändler herrührend, weiß ich nicht. In der Zeit, da die Leute unsere Barke verlassen haben, kommt eine andere heran, und einer von den Schiffern sagt so laut, daß es unser Dragoman hört: „Wir wollen diese Franken nehmen, es ist gute Gelegenheit." In demselben Augenblick kommen unsere Araber mit — 382 — dem aufgelesenen Papier zurück, sie werden von dem Anführer der Räuber aufgefordert, sich zu ergeben, stürzen aber, von mir und dem Malteser zur Gegenwehr ermuntert und von unsern blanken Säbeln unterstützt, mit ihren „Nabuts" und Bootsstangen auf die 'Angreifer los und treiben sie auf das Ufer eiu Stück ins Land. Jetzt aber kommt den Flüchtigen ein anderer Haufe zu Hülfe, wir müssen retiriren, gelangen mit knapper Noth auf unser Schifflein und halten uns die Verfolgenden nur durch die Doppelflinte vom Leibe, mit der der Schneider gegen das Gesinde! ganz tapfer im Anschlage liegen bleibt. Diese Waffenthat gab unserm Nimrod mit seiner Flinte Würde, Gewicht und Ladung für die ganze Fahrt, mir benahm das Abenteuer die paradiesische Unbefangenheit. Man muß nicht zu viel an seinem ersten Urtheil über Dinge und Menschen hcrummät'eln und modificircn, man verkünstelt und vertuscht nur die Wahrheit, statt sie bis auf ^«Dezimalstellen zu berechnen, wie man vermeint. In meiner Iüugliugszeit widerte mich die Unwissenheit, die Rohheit, die Lüderlichkeit, die Schmierigkeit, die Unflatherei, die Formlosigkeit und die fatale Geschmacklosigkeit der Handwerksburschen an. Weiterhin korrigirte ich dieses allzu summa« rische Urtheil ins Schöne und Poetische, denn ich hatte in Romanen vom deutschen Handwerksburschen gelesen, wie er frei und lustig und leichten Sinnes durch die Welt geht, wie er in der ganzen Welt Geltung hat, wie bei ihm noch Freundschaft, Kameradschaft, Gemüthlichkeit, Freude, Wanderlust, - 383 - Liedcrlust und alle echt deutschen Normaltugenden konservirt sind. Nachdem ich aber auf Reisen diesen belobten Handwerksburschen in der Nähe gesehen, nachdem ich mit ihm zu Wasser und zu Lande gereiset, auf dem Nil Tag und Nacht wit ihm zusammengelesen und in der ägyptischen Chamarra (der Vranntweinskncipe) mit ihm hinter denselben Fässern gelegen bin, nachdem ich ihn nüchtern und besoffen, in Freude und Schmerz, in Zorn und Liebe, in Sorge und Ncbcrmuth, M Noth und Ucberflus;, in guten und bösen Stunden und in allen Situationen gesehn, kehre ich in der Hauptsache, üeünetis üeäuctmäi», excopti« exeiMnäi» und inutatiä nmtanäis ZU Meinem Iugendurtheil zurück. Die besten Exemplare konserviren allerdings eine gewisse Natürlichkeit, Gntmüthigkeit, Gemüthlichkeit, Kameradschaft-Achtelt und Gastfreiheit, falls nämlich zu diesen Eigenschaften bie Natur bereits den Grund gelegt hat, denn die Lebensstellung des Professionisten und seine Lebensart begünstigt die Entwickelung der angeführten Tugenden und Liebenswürdig« keiten mehr wie ein anderer Stand; aber der Schmierigkeit, der Mierigkeit, der Lüderlichkeit, der Unflätherei in Worten Und Werken, der Zänkerei, des Iachzorns, der Gigcnwilligkeit, der Qnerköpfigkeit, der Unwissenheit, der Rechthaberei, der Konfusion, der Beschränktheit, der Abgeschmacktheit und aller wöglichen Untugenden, Korruptionen, Verrücktheiten, Willkür-lichtcitcn, Begriffsverwirrungen, Beestcreien, Teufeleien und Exzesse ist gar kein End', und ein ganz konfuses, sich jeden — 384 ^- Augenblick selbst ins Gesicht schlagendes, Alles mißverstehendes. Alles herausforderndes, Allem mißtrauendes, sich selbst keinen Augenblick begreifendes, sich überall verrückt anstachelndes, nie Frieden haltendes, nie fremde Rechte und Persönlichkeiten berücksichtigendes, inquisitorisches, attentäterndes „Gesellenpoint H'Konneui" seht allen Unausstehlichkeiten dieser Pro-fessionisten die Krone der Unerträglichkeit auf. Alle Trostlosigkeit, Verwilderung und Gefahr, alle Langweiligkeit, Trivialität, Wetterwendigkeit und Schnncherei, die mit einem gänzlichen Mangel an Erziehung, Herkommen, fester Heimath, Unterricht und Form verbunden zu sein pflegt, tritt dem Gebildeten unter diesen Wanderburschen entgegen. Sie verstehen nur unter einander fertig zu werden, sie können nur in ihrem Pökel, in ihrer gegenseitig afsekurirten Verwirrung, Vecstcrei, Schmierigkeit und Wetterwendigkeit mit einander leben und verkehren. Gin Anderer, der sich in dies Chaos hineinbegiebt, kommt auf die Dauer vor Ekel und Alteration darin um, ohne daß er den Rattenkönig von Be« griffsverwirrung und Lüderlichkeit aufgeknüpft oder mit dem Schwerte zerhauen hätte. In solchen Kultur-Monstrositäten, Sozietäts-Miseren und Korporations'Korruptionen, bei so einer Tollhäuslerei in allen Tonarten und Sphären hilft nur die Zeit, die ganze Welt- und Naturgeschichte, indem sie ja Berge versinken läßt und Berge aus den Thälern hebt, die Meerc austrocknet und Wasser aus dem Schooße der Felsen hervorbrechen läßt. — 385 — Geredet, gelehret, geschrieben, gepredigt und Probirt wild gegen diese Gescllenmisere genug und mit Recht, denn ohne Anfang ist nimmer ein Ende erhört; aber so schnell und handgreiflich, so geradeaus und ins Herz hinein, so im kür» zesten Prozeß und aus der richtigen Mitte heraus, wie die Wellbeglücker, die Weltverbesserer und die radikalen Demagogen wähnen, geht eS mit diesen Professionisten keineswegs. Bei den Vauerburschen findet sich in der Regel ein gesunder Untergrund, ein heiler und natürlicher Fleck, eine gesunde, derbe und massive Unwissenheit, Gläubigkeit und Religiosität; da hat die Schule, die Lektüre, die städtische Lebensart noch nicht alle Natur in Verwirrung gebracht, aber mit den Professio-nisten, mit den Wanderburschen ist es ein korruptes, anbrüchiges Ding. Wie man in diesem Brei von Natur und Kultur, von roher Sinnlichkeit und verrückten Ideen, von klitschigen Gefühlen und zerkrümelten Begriffen, von Beesterei und ver» kitzcltem, konfusem point ä'nonnour, den Grundstein künftiger, drutscheinheitlicher, korporativer und zugleich weltbürgerlicher Bildung legen soll, dies ist wohl nur dem Weltbaumeister, und weder den Sternkundigen noch den Freimaurern, oder den Radikalen bewußt. Ich weiß es wohl und es ist mein Lieblingsscch und Trost: die Gebildeten sprechen und handeln gescheuter und sittlicher, wie sie es begreifen, und die Leute aus dem Volke stellen sich wiederum konfuser, gemeiner und unsittlicher dar, wie sie cö in Wirklichkeit sind. Keiner ist so 25 — 386 — klug und so dumm, so gut und so böse, so gottlos und fromm, wie er handelt und scheint, wie er schreibt und wie er spricht. Es geschieht dies zufolge der urewigen Differenz zwischen Wesen und Form, zwischen Gewohnheit und Begriff. Man kann in den geschmackvollsten und gottseligsten Formen sehr ruchlos, gemein und abgeschmackt und man kann bei sehr rohen oder absurden Redensarten und Manieren ein grundgescheuter, ein frommer, verlässiger, hcrzcnsdelikater und ehrenfester Mensch sein. In der Regel aber steht fest: daß der Stoss sich in der Form manifeftirt, daß die Lebens- und Redensart den Cha» rakter darlegt, daß Schein und Form nicht minder in Acht zu nehmen sind, wie das Wesen, daß der Schein gewöhnlich nicht trügt, und daß Formlosigkeit eine Verstanoesunmacht, eine Prinzip- und Geistlosigkeit ist. Diese Gxpektorationen mögen die Ginleitung zu nächste« henden kuriosen Schmeckproben von weitgereiseter Schneider» bildung und Schneiderstylisation abgeben, die ich, ausgerüstet mit einigen stenographischen und mnemotechnischen Künsten, im Interesse eines unverfänglichen Neifehumors pure zum Besten geben will. Ich schreibe demzufolge mein Niltagebuch ab, wie folgt: „Der Berliner schießt in seinem Gelüste auf die kleinsten Vögel und trifft erst das zehntemal, um dann zu proklamiren, daß er neunmal unerhörtes Malheur gehabt und daß er z. V-in Beyrut jeden Sperling auf l>N Schritt weggeputzt :c. Der Schneider-Nimrod hat wieder einen Vogel aufs Korn — 387 - genommen und es entspinnt sich bei der Gelegenheit nachstehender Dialog: Der Schwabe. Ich weisch nit, wasch dasch für a Vogel sein kann, csch isch bald wie e Gnteart dasch. Meine Wenigkeit. Ich bin kein sonderlicher Kenner, aber eine Ente ist's nicht, die sieht ganz anders aus. Der Schwabe. Ja wische Sie dasch, esch isch dasch e ägyptische Gnt'. Ich. Gewiß ist sie das, aber eine ägyptische Ente hat in der Hauptsache einen so breiten und stumpfen Schnabel, so einen Kopf und Leib und solche Schwimmfüße, wie die Enten bei uns und in der ganzen Welt; dafür ist's und bleibt's eben eine Gnt'. Dieser Vogel hat aber einen langen spitzen Schnabel, einen „Tschups" Federn auf dem Kopfe und ähnelt in der Gestalt einem Wiedehopf oder Specht. Der Nimrod. Ja, dieses kann in der Wahrheit an dem sein, denn warum? wissen Sie, es ist keine Ente nich, wissen Sie, es ist ein «Geschlecht Nilvogel" ist dieses Thier. Ich will ihm mal schießen will ich. Ich. Sparen Sie lieber den Schuß, das Thierchen ist zu klein als Braten, fällt von dem Ast ins Wasser und wird stinken wie ein Wiedehopf, darauf verlassen Sie sich. (Meine Fürbitte wird von dem lüsternen Jäger nicht beachtet, er schleicht sich vom Ufer aus mit Manieren heran, wie zu einem schlafenden Löwen und brennt los. Ein Vogel fliegt auf, ein Anderer bleibt verdutzt sitzen.) — 388 — Der Jäger. Ich hab' ihm ssetroffen, der bleibt schonst sitzen. (Stürzt auf den Baum zu, um das vermeintliche „todt sitzengebliebene" Exemplar vom Aste zu Pflücken, wie eine Pflaume, diese fliegt aber auf und dem Schneider um den Kopf.) Schneider. Sehn Sie, er hats gekriegt, der Vogel fliegt auf den Nil (fühlt sich nämlich auf dein Lande nicht mehr sicher), er hat es in die Brust gekriegt, wissen Sie, nur freilich, daß er zu tief gesessen, wissen Sie, um dieses ist er mits Leben fortgekommen, daß er fliegen thut, aber mits Leben kommt er doch nicht davon. Ich. Gs thut mir eben leid, daß so ein armes Ding umkommen muß, ohne uns mal was zu nutzen. Jäger. Ja wissen Sie, dieses will ich Sie sagen, daß ein Niluogel ganz hartnäckiger iß mits Leben als ein anderer Vogel, ja. Wenn man diesen nicht in den Kopf rein treffen thut, so fällt er nicht. Darum ist es sehr schweer mit diese Thiere, zu schießen, wissen Sie. Ich. Glaube es schon und habe eß so eben gesehen, aber eben drum muß man ganz besonders auf Nilvögel eingeschossen sein. Jäger. Ja wissen Sie, wenn man dieses Thier nicht gerade in den Kopf drein schießen thut, so fällt er nicht. In Veyrut, wissen Sie, hab' ich jeden Sperling, was nur Sper« linge sein, um dieses zu sagen, jedes Thier, wissen Sie, auf — 389 — 60 Schritt in den Kopf drein getroffen, oder meinetwegen in den Flügel, oder wo man sonst 'nein schießen thut — will ich nur sagen. Aber per Exempel nur dieses, daß es mit diese Vögel in Aegvptenland, per Exempel bei den Nil mit diese Nilvögcl schr schwcer anzukommen ist; um dieses, daß sie weit zäher sind am Leben, zu krapiren, wissen Sie, bis man sie nicht in den Kopf drein schießen thut. Gezielt hab' ich ganz richtig, wissen Sie. Ja. Ich muß gestehen, ich halte viel auf Sprichwörter und Volksvorurtheile, jedoch meine ich, falls ein Schneider nur gescheut zur Welt gekommen ist, so bleibt er es wohl trotz der Schneiderei. Wenn er aber von Natur absurd oder bösartig ist, dann wird er eben wegen der erblichen Schneiderambition, der türkischen Lebensart mit untergeschlagenen Beinen und der stumm in die Kleider vernähten Gedanken und ehrgeizigen Leidenschaften doppelt so närrisch und schlimm, wie ein ähnliches Menschenexemplar, das sich hinlängliche Motion ver» schaffen kann, nicht so viel geärgert wird und auf männlichere Weise oeschäftigt ist. Ein ander Mal räuspertc sich der Niljäger im Angcsichte des Weltstromes, der Wüste, der Gebirgszüge, der Palmen» Wälder, der historischen Jahrtausende, der erstaunten Pyramiden und einer im Phalanx heransegelnden Schaar von Pe» llkanen, und berichtete, ewiger Wahrheit getreu, wie folgt: — 390 — „Um dieses will ich nur sagen, daß man auf Reisen Vieles sehen thut, wo man nicht der Möglichkeit denken sollte, daß es könnte in der Wirklichkeit sein. ?er NxeinM will ich nur dieses sagen: wie ich bin in das Algier drein gekommen, ganz in Philippeville und in die Städte, was da sein, da ist mich bewußt gewesen, wo ich dieses ständig gehört, von den großen Affenberg mit die viele große Affen, was da sein; weil man dieses immer gehört hat. Indem also, daß ich denke, du willst dir doch dieses selbsten in der Ueberzeugung nehmen, ob dieses in der Wahrheit sein könnte, wenn man es selbst anschauen thäte mit sichtlichen Augen: so bin ich drein gereist nach diesen Affenberg, indem sie mir gesagt haben, daß diese Thiere (mir zu Gefallen Pavianer oder Arinutans, oder was es vor andre Bestien sein könnten) ins Meer drein gehen und sich baden, in der Wirklichkeit, wie pure Menschen; indem daß dieser Affenberg ans Meer liegt. Und so springen sie drein ins Wasser und klettern wieder rauffer, ganz oben in den Spitzberg, alles wie wirkliche Menschen. So um dieses denk' ich: du willst dir doch selbsten mit dein eignes Auge, wo du dieses nie nich gesehen, überführen, willst Du. „Also bin ich in die Gegend richtig gekommen; gar nicht weit von den Affenberg haben mir gelegen ins Schiff; ganz dicht ans Meeres Küste, indem, daß dieser Affenberg ans Meer liegen thut. Ich hab' es aber nicht können glauben, bis mir der Kapitain aufgeweckt hat ganz in der Früh: „Herr Finger, — 391 — ich bitt' Ihnen stehen Sie aus, um dieses, wenn Sie jetzo dieses betrachten wollen in der Wirklichkeit, wie diese Thiere sich baden auf den Berg." — (Alles, wie ich dieses gehört in Algier drein.) — So sag' ich: „Lassen Sie mir zur Ruhe, Herr Kapitain!" — indem ich dieses nicht glauben konnte, so daft ich mir selbst erst von der Wahrheit noch überzeugen wollte mit diese Affen. Also bin ich doch aufgestanden, weil er mir gebeten, und geh' mit ihm, so hab' ich mit mein sichtliches Auge dieses Alles gesehn, daß diese Thiere, meinetwegen Paviancr und Orinutans will ich sagen (oder was nu vor Thiere sein): von dieser ganz spitzigten und ganz hohen Bergklippe ganz von oben herunter geklettert oder mir zu Gefallen herunter gesprungen seind, orntlich ins Meer drein; und haben sich wie Menschen gebadt, und wieder heraufgeklettert; und wie wir selbst seind in diesen Affenberg gegangen, gnnz drein (indem daß wir uns doch wollten dic Affen ganz in Vekenntschaft nehmen): also sind diese Thiere ganz zu sagen, wimmelnd an uns gekommen, daß wir sie mit Säbels und meinetwegen mit Geschütz zu sagen, Pistolen und Waffen, was Jeder gehabt hat. oder Stöcker meinetwegen, haben abgewehrt. — Kerls, sag ich Sie, solche Pauianer, wie rechte ausgewachsene Menschen in der Größe, was man gar nicht m der Möglichkeit sollte denken; und sind um uns gewimmelt, baß wir um sich gehauen haben, daß wir sind durchgekommen durch diesen Affenberg, daß es zu sagen grauslich gewesen ist, wo ich nie nich glauben konnte, daß es in der wirklichen — 392 — Wahrheit könnte die Möglichkeit sein, dieses, was ich mit mein sichtliches Auge, oder zu sagen alle beide Augen selbst gesehn habe, daß es ist: dieser Affenberg; — Ja!" — Zweites Fingersches Reiseabenteuer und Reiseresultat. „Der Mensch thut gewiß Vieles erfahren, wenn er sich auf Reisen will ich sagen begeben thut, in die Welt recht reiner; indem ihn dieses Alles nie nich zu Hause arreviren kann, keineswegs nich in: Mindesten, was mich in Syra selbsten passirt ist, mit ein scheußliches Mißgeburt oder Mondkalb; weil ich dieses nich möchte sagen, wo ich es nicht gesehn hätte mit dies mein sichtliches Auge. — „Um dieses: das; ich in Syra war, in das ganze Syrien und in die asiatischen Länder drein, wo ich bin gewest, fünfzig Stunden über Konstantinopel tief drein; von die Küste ganz entgegengesetzt bin ich gewesen; also war ich auch in Syra ans Meer, so sah ich in's Haff drein: „Ist da ein Dinges geschwommen, was die syraschen Metzger hineingeworfen haben (diese dumme Kerls), wo sie dieses lieber hätten sollen in die Stille ganz vergraben thun, als ins Haff; wo es vor alle Augen iß herumgeschwommen worden, indem dieses Thier einen ganz orntlichen Menschenkopf gehabt hat: Haare, Augen, Nase und Maul, meinetwegen Ohren, Alles, wie es in der Beschaffenheit richtig gefunden wird bei ein orntliches Kind ganz in der Natürlich» keit; und das Uebrige, Leib oder Leichnam ineinetwegen, ganz — 393 — wie ein Ochs oder Kalb will ick) sagen, und ein Schwanz ganz fein und klein, daß man's kaum mit Augen be» merkt hat, daß es ein orutlicher Ochsenschwanz oder Kuhschwanz mir zu Gefallen vorgestellt hat; um dieses: weil es schon ein Mensch oder Kind gewesen ist, weit mehr in der Wahrheit, als ein Kalb oder Rind, oder was diese Mißgeburten sein. — „Dieses Thiermcnsch, wie es iß ins Haff herumgeschwommen von die Metzgers, wo sie es hereingeworfen haben, hab' ich dieses förchterliche Unthier, wo ich dieses mein Lebtage nich gesehn habe, selbst gesehn, mit meine Augen sichtlich vors Auge gehabt, sonst hätt' ich es nicht geglaubt, um dieses, weil solches unmöglich der Wirklichkeit nach sein könnte nie nicht, auch vielleicht nie nicht sein wird oder gewesen ist, — wo ich es selbst in Syra hab' gesehn. — Das hab' ich. - Ja!" ______ An den ziemlich langen Abenden (es wurde ciwa zwischen sechs und sieben Uhr finster) gab sich Herr Finger in unterschiedlichen Abenteuern und Historien ganz so zum Besten, wie ihn die Natur und die Reisen gemacht hatten. — Von seinem ersten Gintritt in Algier berichtete er wie folgt: „Nur zu sagen dieses, was ich erfahren habe in das wilde Land, in dieses Algier drein, an die afrikanische Küste drein, wo ich dieses nie nich gesehn oder in die Idee gehatt, oder bekannt gewesen bin in die Vorstellung, daß dieses möglich — 394 — könnte sein! — Komm' ich an'ö Meeresküste, oder vielmehr daß ich ans Land steigen thu, so kommen die schwarze Menschen auf mir zu, mit diese ungeheure Kamöle, wo ich dieses nie nich gesehn oder bekennt gewesen bin. — In der ganzen Stadt, in das Algirr so zu sagen, nach Stroh gerochen; dieser Strohgeruch, wissen Sie, wie ein Dorf will ich sagen bei uns riechen thut. — Und um dieses: darnach diese Frauenzimmer mit die kurze Röcke, wo bei uns eine H... schon kurze Kleider trägt, por Rxompel bis an das Wadenbein will ich sagen, und um dieses: — diese algierische Frauenzimmer haben Röcke bis ans halbe Vein ganz oben; wo ich dieses nie nich in Vorstellung gehabt, oder gewöhnt gewesen bin. Und dazu, was diese wilde Araber oder Beduinen zu sagen, sein: mit ihre weihe Burnusse und ganz grimmig in'ö Gesicht, wie wild zu sagen. ^ Donnerwetter schauen mir diese Kerls an, wo ich dieses Afrika oder algierische Küste nie nich in die Idce gehabt, — war ich drein. — Um dieses will ich nur sagen, wo inan sich denken kann, wie mich zu Muthe gewesen iß, — da ich immer in die Gedanken gewesen bin: du muht nach das Afrika in fremde Welttheile drein gehn, mußt du; ^-und bin dieses erfahren, — wo ich mich keine Vorstellung gemacht oder Idee gehatt — von dieses. — Ja." Jedenfalls habe ich auf erbauliche Weise in Erfahrung gebracht, daß die Mysterien eines weitgereisten und alnbitio- — 395 — nirten deutschen Schneiderftyls lange nicht so genießbar, filtrir-bar, fruchtbar und beschiffbar sind wie der Nil; höchstens so schlammig, rückläufig, kataraktentoll und windig wie der agyp' tische Strom. Es ist überhaupt nicht aus dem Wege, wenn man in einer ägyptischen Reise auf den deutschen Styl zu sprechen kommt; denn es finden sich nicht nur im deutschen Schneider«, Schulmeister-, Barbier- und Perrückenmacherftyl, sondern in aller deutschen Schreibart, Naturgeschichte und Literatur, außer den Eigenthümlichkeiten und Abenteuern des Nilstroms, Labyrinthe, Pyramiden, Obelisken, Sphinxe, Sandwüsten, Strauße, reißende Bestien, Beduinen, lebendige und verschüttete Karawanenzüge, Zisternen, Luftspielungcn, Oasen, Palmen, Paradiesszcuen, Zugvögel, und dann wieder Aasgeier, Gräber, Grotten, Katakomben, ausgehöhlte Gebirge, Mumien-selder, versteinerte oder in Stein modellirte Historien und 'llles, was nur irgend sonst in Aegyptcnland angetroffen wird. Die Sache kann auch nicht viel anders sein; denn der Styl ist der Mensch. ^ und der deutsche Mensch dem ultcn Aegypter unendlich wahlverwandter, wie Ugend einer anderen Race in der Welt! Der Aegypter grnb seine Hieroglyphen-Symbolik in Stein, -" der deutsche Genius modellirt sie heute noch in Fleisch und Bein und macht davon „Geschichte und Staat," Wir wollen aber aus dieser ägyptischen Lebensart, aus der Symbolik und Träumerei heraus und in die Wirklichkeit - 396 — hinein: dies ist eben unser Prozeß. — Wenn wir ihn gewinnen, wenn wir die streitenden Mächte in uns und außer uns zum „Gleichgewichte", das heißt zum Staate bringen, wenn wir den Idealismus und Realismus unserer von Hause aus gezwiespalteten deutschen Natur, wenn wir das Natürliche mit der Uebernatürlichkeit äe tact« so versöhnen, daß ein solider Staat dabei herauskommt: dann wird nicht weiter die Frage sein, ob's äs^urs und auf breitester historischer Grundlage geschehen ist. — Das vollbrachte historische Faktum ist, wenn auch nicht für die Individuen, so doch für ein ganzes Volk, nach dem Gesetz der Natur, wie des Weltgeistes, das vollkommenste Recht auf dieser Welt. — Die Weltgeschichte ist wenigstens das irdische Weltgericht! — Heute Nacht, vom Sonntage auf den Montag, legten wir in einem bedeutenderen Dorfe, Gelohsoleh, vor dem Kaffeehause an, das zugleich Schenke, Bordell, Ressource, Börse, Restauration und alles Andere ist, was außer dem Hause von Fremden und Einheimischen gesucht zu werden pflegt. — Die Wohnungen sehen hier menschlicher aus, die Menschen aber scheinen um so viel verderbter, als sie bereits Bedürfnisse der Civilisation kennen gelernt haben. Die ganze Nacht hindurcb bis an den grauenden Morgen tönten von dem Wirthshause her, das unmittelbar am hohen Ufer steht und wie eine — 397 — Veranda eingerichtet ist, Zank, Lärmen, arabische Phantastenmsi k und Geschrei. Dabei weimerte und wimmerte ein unglückliches oder glückliches Subjekt eine Viertelstunde lang: „Aii Waii". Also auch in dieser charakterischen Wehklage und Iudenparolc sind die Araber Juden; und selbst in ihren Kirchhofbauten, diesen gemauerten Kästen oder kistenartigen Sarkophagen und Todtenhäusern über den Gräbern, erkennt man den jüdischen Sinn und Geschmack. Unser Herr Reis hat für gut befunden, seinen Geschäften nachzugehen. Wir haben jetzt nur zwei junge und zwei alte Kerle, zwei Schneider, den Malteser und einen westprcußischen Kleinstädter, nämlich meine Wenigkeit, am Bord. - Wir kommen in Stromschnellen. — Es ist Noch am Manne; — uh enkouragire also die Schneidergesellen, wir spannen uns sämmtlich in's Seil; unser Dolmetsch geht an's Steuer, und Nach übermenschlicher oder viehischer Arbeit, über und über nnt Schlamm bedeckt, pasfircn wir die Scylla und Kharybdis, b- h< Strudel, welche Trichter bilden, daß ein Kamee! darin verwirbelt werden kann, und allenfalls auch so ein elendes Schiff- — Hol' der Henker eine Romantik von dieser Art. Einen Nilsisch mit plattem Onappenkopf und langen Barten, ganz wie ein Wcls anzuschauen, an dreißig Pfund — 398 — schwer, kauften wir lebendig und eben gefangen auf einer kleinen Barke für sechs Piaster. ^ Der Angelhaken blieb dem Fisch im Rachen, und da wir nicht gleich Lust und Gelegenheit zum Schlachten und Kochen hatten, so ließen wir das Tbicr, an einem Strick festgemacht, hinter der Barke schwimmen. Bald that nur die Kreatur leid, und wir haben ihr dann den Garaus gemacht, die gekochten Stücke mit Oel und Essig in Töpfe eingelegt und lange davon geschmaust. Am Dschcbel ei Ter, neben dem Dorfe Scherihe, auf dein rechten Ufer des Nils, gegenüber dem großen Dorfe Ssama-lot, auf der linken Nferseite, giebt es eine christliche Gemeinde von Kopten, mit mehreren Geistlichen, einem Kloster und einem Obergeistlichen darin. Da unmittelbar am Dorfe Scherihe sich Ueberbleibsel von Bauwerken mit Skulpturen befinden, die in den Kalkfels gehauen sind, so legten wir an, fanden uns mit dein Ober-Geistlichen zusammen und nöthigten ihn an Bord. — Die Schneider schenkten ihm Perlenschnüre aus Jerusalem; der heilige Mann revangirte sich dagegen mit zwei Flaschen Dattelbranntwein, der sehr stark und von Geruch wie Geschmack dem echten Franzbranntwein durchaus ähnlich ist. Ich kann dem Ober-Popen viel Anstand und Bescheidenheit zugleich nachrühmen; er forderte nichts und nahm nur sehr zögernd, was ihm geschenkt und womit er bewirthet wurde. -. 399 — Seine übrige Persönlichkeit, Kleidung und Aussehen entsprachen seinem würdigen und guten Benehmen. Verschiedene Kopten kamen herbei, erklärten uns, daß sie Christen (N^ara,, im Singularis ^uslam) wären und zeigten mit großer Selbst, ssenugthuung ein auf dem Arme ein geuztes Kreuz. — Die Ruinen von Scherihe zeigen nur grob aus der Gebirgßmasse zugehauene Wände und Decken in einem großen Raum, — ein Paar große Thore, und sehen überhaupt so aus, als wenn sic ein nie fertig gewordenes Bauwerk gewesen sind. — Der Kalkstein scheint ganz und gar Muschel-Brcccie zu sein. Die Sandwüste ringsumher giebt der Stelle eine unaussprechliche Melancholie; uicht eine Flechte auf einem Stein ist zu finden; die Schakals und Hyänen haben da wohl ihr schönstes Rendezvous. Heute Nacht, den 31. Oktober 1849, blieben wir vor einer Fellah-Wirthschaft unmittelbar an, Nil zur Nacht. Es ist aber erst um die Vesperzeit; — ich sehe mir also die ägyptische Baucrwirthschaft in Zeit und Weile an, und zum erstenmale eiucn ägyptischen Pflug. Derselbe ist mit zwei guten Kühen von deutscher Race bespannt, und es wird auf einem halb abgetrockneten, schwarzen und bereits einmal zicmlick, mürbe gepflügten Boden Gerste durch Querpflügcn unter-siehakt. Gin Stück Acker, etwa zwei Magdeburger Morgen iN'oß, war bereits so bestellt, überall standen aber noch die — 400 — Büsche von Segge oder Schnittgras heraus: diese rodeten zwei Menschen ans; — der eine mittelst einer gewöhnlichen Hacke, der andere mittelst eines Holzes, an wachem ein kurzer Ast saß; um diesen wurde das Gras gewickelt, mit einer Hand fest am Boden gehalten und der starke Stock als Hebel beim Ausraufen angewendet, was ziemlich rasch und mit großer Geschicklichkeit von statten ging. Auf einem anderen Stücke schien bereits Weizen eingcsät zu sein; — denn einer der Arbeiter, dem meine Aufmerksamkeit Spaß machte, nahm ein Weizenkorn auf und zeigte es mir vor, wie eine Frucht, die ich vielleicht noch nicht gesehen. — Rings um das Gehöft standen große Felder reifender hoher Durrah, 9 bis 10 Fuß hoch in den Stengeln und so dick wie ein spanisches Rohr. — Am Hause gab es einen Garten von Akazien, wie wir sie bei uns kennen, und dann von einer anderen Art mit Miniaturblätterchen, die zu zwanzig oder dreißig an der Zahl in doppelter dichter Reihe am Stiele sitzen, so daß die strauchartigen Bäume wie Mimosen aussehen. Der Pflug ist im Wesentlichen nichts Anderes, als ein polnischer Haken, eine sogenannte „Tschapj igga", mit dem Unterschiede, daß der UnterPflug nicht ein krummes, sondern ein gerades Holz ist. ^ Quer über dem langen Pflugbaume lag, wie an der oftpreußischen Zochc, ein Iochholz, an welchem die Kühe mit Baststricken eingejocht gingen. - An anderen Orten sah ich eine Kuh und ein junges Kameel, nnd dann wieder zwei Kameele in den Pflug eingespannt. — 401 — Mein Schneidcrjäger wollte in der hohen Durrah von einem jungen Löwen angefallen sein. Er beschrieb das Abenteuer vorbntenus so: „Mich ist ein schönes Beeft, wissen Sie, was man sagen kann ein gefährliches Thier, aufgestoßen. Wie ich in das Fruchtgctreide oder Feld drein kommen thue, sieht mir dieses Scheusal, wilde Thier, mit zwei schrecklichen Augen an, ganz als wenn es mir angreifen will. Ich denke, entweder du kommst auf mir oder ich auf dir, und so will ich gerade abdrücken, was ich eingeladen habe, so hat es mir nochmals angeblickt, ganz grimmig, und ist davon gesetzt auf zwei Hinterfüße, daß nur so geknastert in das Rohr; daß ich gewiß denken kann, der Gestalt nach und Grimmigkeit, daß dieses Thier ein ^öwe gewesen ist, vielleicht noch nicht ganz ausgewachsen, aber doch schon in der Force, was man sagen kann, ein wirklicher Löwe, der mir angefallen hat." Auch bei dem beschriebenen Bauerhof, wie an allen geeig» new, Orten, geht ein sehr breiter und tiefer Graben, wie ein Kanal, in die Niederung hinein, so weit das Auge reicht, und kleinere Gräben, die sich zu immer kleineren verjüngen und zuletzt in bloße Rinnen auslaufen, durchschneiden alle Aecker, so daß sie an vielen Orten in stnbengroße Quadrate getheilt erscheinen, deren tägliche Bewässerung mit Schaufeln und Händen durch Weiber und Kinder vor sich gehen kann. — Nur einem so vollkommen ausgebildeten Kanal' und Beirässe-rungssystem verdankt der Aegyptcr seine Subsistenz; denn der 2« — 402 - Schlamm wird zusammengetrocknet so hart und unfruchtbar wie ein Stein. Große Massen von Zugvögeln durchzogen die Luft mit Geschrei. — Nm sieben Uhr Abends erhob sich ein frischer Nordwind, auf den wir bereits seit drei oder vier Tagen ge> warter hatten, wir blieben also nicht an jenem Bauerhofe zur Nacht, sondern spannten die Segel auf und kanu'n nach einer wundervoll schnellen und romantischen Fahrt bei vollem Mondscheine etwa zwischen zwölf und ein Uhr Nachts vor Minyeh an. — Die großen Näume vor der Zuckerfabrik, mit prächtigen Sykomoren umgeben, die in Alleen auslaufcn, nahmen sich bei der kühlen Mondnacht am rauschenden Strome wun-derbarlich schön und großartig aus, wie ein Gesicht im Traum; die Enttäuschung am Tage, im Staube und Sonnenbrand, war heillos! Schwimmende Aeser verpesteten auf dem Wasser, wie in den Straßen und auf den Stadtfeldern, die Luft. In den Gärten und Umgebungen des Ortes, der etwa drei- oder viertausend Einwohner haben mag, erregte der zusammengetrockncte, in unzählige Stücke zerborstene Schlamm mit seinen gräßlich ausdünstenden Pfützen und Gruben, die ein Chaos von faulenden Vegelabilien und Ani« malien bilden, ein wahn's Grauen. Ja, statt Freude und Grquickung hat man von einem vernachlässigten ägyptischen Garleu mit seinen nach Regen schmachtenden, fingerdick ver« staubten und zum Theil verbraunten Gewächsen nur Unbe» Hagen und eine ähnliche Pein, als ob man selbst an Durst — 403 — leiden und in Staubwolken ersticken müßte! — Es ist da nirgend ein Gras, geschweige denn ein Rasen zu sehen. Zwischen der Stadt und dem Nil, an stinkenden Tümpeln tampirte ägyptische Kavallerie unter freiem Himmel; vor jedem Pferde stand auf dem Boden eine kleine Krippe von Schlamm geformt, und dazu wurden die armen, von Hitze, Insekten und Staub geplagten Thiere mit Schlammwasser getränkt. Es waren Hadesszcnen, von denen mir alle Reiselust verging. Gin Land ohne Regen, ohne Quellen, ohne kühlende Winde, ein Land ohne Frühling und Winter, ^ ohne Jahreszeiten, ohne Wiesengrund, ohne Rasen und mit Bäumen, die von ewigem Staube bedeckt sind; — diese Nilniedernng, ein schmakr streifen fruchtbaren Ackers, zwischen nackte Steingebirge und wüsten eingeklemmt, kann wohl einem kuriosen Reisenden Spaß machen, der von den Bequemlichkeiten aller Welttheile umgeben, eine Spazierfahrt auf dein Strome unternimmt; aber es ist ein heilloses Land für einen armen, anf den Erwerb feiner Hände beschränkten Ginwanderer aus solchm Ge« ssenden, wo es regnet und schneit, wo es grünende Matten, "frischende Lüfte, Quellen und von den Wassern des Himmels erquickte Vegetationen, wo es ein von brennender Hitze mid Kälte gleich weit entferntes Klima giebt. Zu Aegypteus ewig trockenem, ewig regcndurstigem, hcis; und hatt gebranntem Thon- oder Wüstenboden, zu feinen 2(!* — 404 — Sandmeer- und Steinklüften, kommt der Quellenmangel, kom» men die Sumpfstätten, das warme Schlammwaffer des Nils. Zu diesem ewigen Staube einer glühenden, selten durch Winde abgekühlten Luft gesellt sich die gräßlichste Unordnung in allen Dingen; — der Mangel einer gemangelten und gut Prä» parirten Leibwäsche; — die unaussprechliche Unflätherei auf jedem Punkt. — Diesem Staube, der das erhitzte Auge und die Lungen zerfrißt, verbindet sich die Sonnengluth, die In« tensitäl des Lichts. Auf diese Tagesleiden folgt der Morgenthau und eine Morgenkälte, daß man die Zähne nicht fest zusammenhalten kann. — In der sengenden Hitze am Tage wird der Kopf noch mit einem Turban oder einem um den Filzhut gewundenen langen Tuche geplagt, wenn er gegen den Sonnenstich gesichert bleiben soll. — Zu diesem Hitzbade kommt die Annehmlichkeit einer Flanelljacke und Bauchbinde, wenn es nicht Ruhr und Kolikschmcrzm geben soll, und diesem Elende am Tage assoziirt sich das Ungeziefer bei der Nacht. Das sind aber nur die physischen Unbequemlichkeiten, und man muß noch weit mehr gegen die Eindrücke, gleichwie gegen die Insinuationen der ägyptischen Sitten und Lebensarten gerüstet sein. — Die Kontraste von Niederträchtigkeit und Hochmüthig-keit, von Knechtschaft und Tyrannei, von Dünkel und Unwissenheit, von Schwelgerei und Hunger, von Schimch und Prunk, von Pracht nnd Bettelei, von Nacktheit und Flitterstaat, von Aberglaube und Unglaube, von Fanatismus und — 405 — Ruchlosigkeit; der Widerspruch in dem Bekennen eines einigen Gottes, bei der Zerbröckclung alles Dessen, was heil und ganz bleiben soll: diese Lüge und Bestialität überall müssen auf die Dauer dem wohlorganisirten Menschen Höllenpein sein. Einen Gewinn habe ich, ich fühle es, von dieser ägyptischen Reise für mein Leben: ich erkenne auf's Neue und noch unendlich nachdrücklicher, wie schon bisher, daß der deutsche Mensch, der Christ, der Mann, der ein gutes Weib hat, nur seine Sinne aufzuthuu braucht, um sich mit Wohlthaten überschüttet zu sehen. Hier in diesem ägyptischen Chaos, diesem Sodom und Gomorrha, unter Barbareil und Heiden, unter Abenteurern, unter den Monstrositäten und Exkrementen der Zivilisation, in dieser Unordnung, Formlosigkeit, Unheilig» keit, Schamlosigkeit, Sauerei und Bestialität, da kommt selbst der nüchternste, der heilloseste Verstand zur Erkenntniß des Segens, der Glückseligkeit, der Lebensschöne, die ihn in der Heimath umfangen, im Schooße des Christenthums und der Zivilisation. O wie wahrhaftig, wie heilig empfinde ich hier alle die Ermahnungen zur Sitte und Tugend, alle die Spruch» und Stichwörter der Schule, der Erziehung, der täglichen Lcbcnsordnung und Zucht, die mir iu der Heimath zu pedantisch und orthodox erschienen, zu bedeutungslos, trivial und verbraucht, eben weil ich sie von Kindesbeinen an gehört. Ach wie ist Alles so wahr und wohlthätig, was uns in der christlichen Heimath wie ciue sittliche Lebenslust umgiebt! Wir spotten dieses christlichen Elementes, dieser Schule und Dis- — 406 — ziplin, dieser Haus» und Lebensordnung und wissen nicht wie, und müssen erst in der Fremde, unter Barbaren und Heiden erfahren, wie wir eben nur in diesen mißachteten, befehdeten und verspotteten Formen, in dieser Scham und Reinlichkeit, in dieser Sitte und Heiligung Menschen geworden sind und Menschrn bleiben können bis zum Ende der Welt! Nachdem die erste reine Mcnschennatnr verloren gegangen und entartet ist, gelangt der Mensch nur wieder durch Schule, Wissenschaft und Religion, durch Kunst und Zivilisation zu einer andern geistigern Natur und Ucbernatürlichkeit. Nachdem dies Paradies verscherzt, die Feigenblätter der Scham vertrocknet und mit Zeitungspapier, mit jeder Art von Oeffentlichkeit vertauscht sind, helfen und erretten nur Feder, Dinte, Papier und Vuchdruckerschwärze (wenn »nan die Letztere auch des Teufels Heilsalbe nennen kann). Alles Jammern und Züngeln und Sehnen nach der reinen Menschen» natur und Unschuld hilft nichts; — verloren bleibt verloren; uns retten nur Kultur und Zivilisation, — daß aber diese Begriffe so ganz verschieden gefaßt werden, macht das Unglück und den Streit. Hier in der ägyptischen Unordnung, Säuerei, Regellosia/ keit und Schamlosigkeit, im halben Heidenthume erfahre ich in tiefster Seele, aus allen Kräften und in allen Organen: was Ordnung, Schule, Sitte, Gesetz, Zucht, Scham und Säuberlichkeit ist. — Hier setzt sich mir die sittliche Welt in ihre Akzente; hier repetire ich mit Entzücken das Alphabet — 407 — der sittlichen Weltordnung und Lebensökonomie. Hier bittet wan dem Schöpfer der europäischen Kultur, der deutschen Schule, der christlichen Lebensordnung seine jeweiligen schnö« den Redensarten über sittlichen Rigorismus ab — und über Pedanterie. — Denn eben dieser Rigorismus und Formalismus ist es, der die lüderliche Freiheit und Willkür, die Phan« tasterei und den Naturalismus aufwiegen und wieder gut macben muß, welche Liberalismus und Romantik ver» schulden. Wer so recht von Herzen in den Tiefen seiner Seele, mit allen Kräften seines Gemüthes begreifen will, was und wie Ordnung, Reinlichkeit, Schule, Gesetz, Zucht und Scham, was Ruhe, Stille, Leidenschaftslosigkeit und Selbst» verlä'ugnung ist und wie in solchen Tugenden und Elementen erst menschliches, geistiges und göttliches Leben gewirkt und anerzogen wird, der gehe nach Aegypten, der thue sich mit verluderten Umtreibern und Abenteurern zusammen, der fahre auf dem Nil, kehre in Dörfern und Städten ein, lebe Tag für Tag und Stunde für Stunde mit dieser halb und ganz verlhit'rten korrmnpirten Fellahrace, — der logire wie ich in einem Pranntweinladen mit einem maltesischen frechen Lümmel, mit verwilderten Handwerksgesellen, der lege sich hinter Vrannt» Weinfässern schlafen und erwache unter dem Lärmen besoffener arabischer Scknapsgäste, wie ich. In diese ägyptischen Volksmysterien, in diese Detailhisto» nen eingeweiht, untergetaucht in den Schlamm und Pfuhl des Schmutzes, des Ekels, der Unzucht, der Nacktheit, der — 408 — Hundezucht, der gewaltthätigsten Willkür, des Lärmcns, des Widersinns; in solcher Vorhölle von Menschcnbestialität wird der Geist wiedergeboren zum lebendigen Begriff der Ordnung und Oekonomie. In Aegypten fragt auch ein Schul« Philosoph nicht mehr nach dem Wesen der Sittlichkeit und ihrem Prinzip, oder welcher Gestalt diese Sittlichkeit zwischen Natur und Uebernatürlichkeit mitten inne steht, und dergleichen mehr. Auf einer Nilreise nach dem Zuschnitte und mit den Abenteuern, wie ich sie gemacht, wird ein Zivilisirter schwerlich mehr die Kultur und Zivilisation verdächtigen, den Formalismus der Schulen oder die schulmeisterliche Pedanterie verhöhnen, oder wohl gar im nackten Naturalismus das Heil der Welt ersehen. Alles Natürliche hat ja nicht minder die heilige Bestimmung, in Begriffen vermittelt, als festes Gesetz gefaßt, zum Geistigen und Formellen entwickelt zu werden, als dieser reflektirte und firirte sittliche Geist wiederum in Seele und Natur zurückgelöst, flüssig und unmittelbar gemacht werden muß. Sittlichkeit, sittliches Leben ist nichts anderes, als die stetige Verwirklichung, die Ginfleischung des Gesetzes, daS ist: derjenigen Ordnung, Akkuratesse, Grammatik und Lebcnsökonomie, in welcher die Welt in dem Punkte wie auf der Peripherie besteht. Aesthetik ist die Symbolik dieser Oekonomie, der fchöue sittliche Schein. Wo alles äußere Thun nnd Lassen, wo das Leben in jeder Verrichtung und Hantirung zum Spiegelbilde der Pünktlich' keit, der Ordnung, des Maßes und Ebenmaßes, des Gesetzes, — 409 - der Säuberlichkeit, der Klarheit, der Wahrheit, der stillen Heimlichkeit, der Scham und Heiligkeit gemacht wird; wo das Neußerliche und Körperliche zum Abbilde des Innerlichen und Geistigen, das Partikulare zum Sinnbilde und Spiegcl-bilde des Ganzen erhoben, wo im Augenblicke die Ewigkeit abgefangen, das Einzelmoment mit Rücksicht und in Empfindung der Oekonomie des Universums gelebt, begriffen und ausgestaltet wird, wo es keine Widersprüche, keinen Rif; mehr giebt zwischen Geist und Materie, zwischen Sein und Denken, Wesen und Form, Thun und Wissen, Wollen und Sollen, zwischen Aeußerlichkeit und Innerlichkeit, Schein und Sein, Ewigkeit und Zeit, Person und Welt, Freiheit und Gesetz: da ist Sittlichkeit, da ist sittliche Welt! — Der sittliche Geist begreift, gestaltet und verkörpert das Gesetz, die Regel, die Ordnung, die Einheit, die Säuberlichkeit, die Totalität, und Integrität, das Absolute auch in der Unordnung, der Vielfältigkeit, der Regellosigkeit, der Willkür und Un-sä'ubcrlichkeit. — Der Genius entbindet immerdar im Schoonc der Sinnlichkeit und des Naturalismus den naturnothwcndigen Gegensatz des Gesetzes, des Geistes und der Uebernatürlichkeit. So erstanden die Propheten eben im Schone des jüdischen Volks. Ihr sittlich-religiöser Geist führte alle Regeln und Gesetze, alle partikulare Einheit, alle augenblickliche Ordnung nnd Sauberkeit auf die Urordnung, die Nreinheit und Ursäubcrlichkeit, auf die Gottcs-scham und Gottesfurcht, auf die Heiligung Gottes — 410 — zurück; ihr mußte also auch die Person und die ganze Welt Unterthan werden. — Glaube, Liebe, Hoffnung bezog der Weltheiland auf jene Ureinhcit und Urordnung im Schoße Gottes zurück, — und gab so der sittlichen Welt den absoluten Grund und den Schluß. Auf dem Nil muß man das alte und neue Testament lesen. Unter diesen Szenerien, in so unerhörten Gcmüths-zuständen mundet kein anderes Buch als das Buch der Bücher. Hier faßt und begreift man eindringlicher wie irgendwo seinen weltheiligen, wcltewigen, keuschnatürlichen und übernatürlichen Sinn und Geist. In Minyeh in der Nilschenke habe ich auch ein arabisches Thürschloß kenneu gelernt, so pfiffig, daß es km: Mensch mit dem zerbrechlichen hölzernen Schlüssel ohne eine Stunde Unterricht und eine vierteljährige Uebung aufmachen lernt. Selbst den Meister ließ es zu Zeiten im Stich. — Dann gab es da über den Nil hinausgehängt einen Balkon von Dattel' Holzbrettern und Balken, die jeden Augenblick herabzubrechen drohten, und auf diesen schauerlich gebrechlichen Ausbau, welcher eine Probe und Prangerauostellung der ganzen lüderlichen Hausarchitektur abgeben konnte, war noch ein höherer Balkon gestützt und auf diesen halsbrechenden Galleriecn zechten die arabischen Schnapsgäste ihren „Nt'avite" so ruhig, wie roenn Alles auf Fels gegründet worden, und doch unterspült _ 41l — der Nil das Fundament. Aber er unterwühlt und ersäuft bereits seit vielen Jahrzehnten das hart und hoch am Strom gebaute , Girgel)" dergestalt, daß die Trl'innner von Häusern und Menschen die Ufer bilden und die stehen gebliebenen Hälften von Bauwerken, gräßlich auseinandergcbrochen, ihre Gingeweidemysterien ans Tageslicht gekehrt haben; — und der Araber klebte neben diese gcviertheiltcn Häuser sinn- und ge» danb'nlos die neuen Nester hin, denn die Zufälligkeit, die Zerstörung und Zerbröckelung ist sein Lebenselement und seine Satisfaktion. Es ziehen sich an den hohen steilen Fünfern solche Fußpfade hm, auf denen Esel und Menschen selbstmörderische Gedanken ins Plastische übersetzen, und sich nach Belieben ersäufen oder das Genick abstürzen, oder auch in beiden Todesarlcn zugleich erperimenliren können; aber es denkt Niemand an solche Eventualitäten, als bis er revera Ami und Bein gebrochen hat, und beim nächstenmal bricht er sich womöglich eben so gedankenlos den Hals, wenn es s'ch irgend thun lassen will. Bei meinem Herrn Wirth, einem gräßlichen Schmuher und Saufaus, facht der Kochjunge, der zugleich Schenkjungfer und Buchhalter ist, das Hcerdfeuer an, indem er mit einer Art Rohrfächcr wüthend auf die Heerdfläche schlägt. Aber der Esclkoth will lange nicht so gut schweelen, wie er räuchert nnd stinkt, und das Messer dieses vielgewandtcn Koches will trotz allem Hin« und Her« wetzen nicht besser schneiden, als eines von Kupfer oder Blei, obgleich er es mit Kennermiene auf der Schneide probirt, wie - 412 — man bei uns die Rasirmesser uersucht. — Kein Instrument, kein Gcräth thut hier zu Lande seine Schuldigkeit regelmäßig, freiwillig, ohne GrfindunaM'mste seines Besitzers und ohne improvisirtcs Raffinement. Hier ist das Land der Praktiken, der Pfiffe, der Kniffe, der Abenteuer, der Zufälligkeiten, des Gerathewohls. — Hier ist nichts regelmäßig, übersichtlich, begreiflich, planmäßig, schnell, klar, zuverlässig, leicht und gewiß, ^- nichts auf die Stunde oder gar auf den Schlag der Uhr. Es führt keine einzige gerade fahrbare oder nur für Christen-menschcn gangbare Straße zur Stadt oder irgend eine Gasse gerade in sie hinein. Der Plan aller arabischen Dörfer und Städte ist eine Gedärmverwickelung, ein auskal« kulirter Irrgang, eiu Knäuel von Wandgängen, Höfen und Winkeln, — ein altägyptischcs Labyrinth. Man läuft da an Mauerwerken hin, welche mit schauerlichen Ialousieen verseben sind, mit Magazinlucken, welche den Fluglöchern au Bienenstöcken ähnlich sehen; und zu den Thüren gelangt mau von den Gehöften aus, falls man diese durch einen Zufall aufgefunden hat. Ich versuchte einmal, allein in den Kern von Minych einzudringen, gerieth aber in ein solches Wirrsal von Baulichkeiten und Exkrementen, in so fabelhafte Hades' und Mischlingsgcschichten, Geschichten von menschlicher und bestialischer Kultur, iu eiue solche Spukwirthschaft, solche Polterräume von Bruchstücken, Fetzen und Larven menschlicher Weise und Existenz, unter so verfratzte, verhexte alte Weiber, — 413 — unter so von Koth zusammengeklebte Nachkommenschaften, so zottlichc, schakalartig wüthende Hundebestien, daß es mir, bei der elementarischen Zugabe von Hitze und Staub, wie ein Chaos vor den Sinnen schwirrte, in welchem Hunde- und Menschengestalten, Hunde- und Menschenstimmen, Schlamm-mauern, Staub- und Kothmassen, Gestank und Sonnenbrand noch nicht auseinander geschieden waren. — Nur Eines rang sich nervcuerschütternd, rundbildncrisch und mit Eklat aus der babylonischen Nachschöpfung, dein arabischen Hades, der antediluvianischen Probeschöpfung hervor: das war Kamcclgcbrüll, und ihm antwortete in Mark und Vein erschütternden Stoßtönen die animalische Trompete des Gselgcschrcis. Wahrhaftig, meine Vorliebe für Abenteuer, für eine gewisse Abwechslung, Unregelmäßigkeit, Instinktlich-keit, Lebcnsunmittelbart'eit, Romantik, Paradies-Existenz und elementare Natur, entgegen halbkrepirter Schule, Förmlichkeit, Kultur und Konoenicnz, hat mich größtenteils nach Ggypten geführt, aber an Ort und Stelle gelangt, wird mir doch des Guten, des Romautischen, des Fabelhaften, des Natürlichen und Irregulären zu viel. Gs geht mir mit meinem Durste nach Urgeschichten und clemcntarischcn Existenzen wie einen», der bloß trinten oder auch ein Nischen schwimmen will und bei der Gelegenheit dem Orsaufcn nahe gekommen ist. Die ägyptische Romantik steigt mir bereits an den Hals, Das ist mal ein Vergnügen mit so einem Dolmetsch, ohne bcn man nichts machen kann und mit dem man doch bei der — 414 — übermenschlichsten Geduld nichts anfangen kann, weil er nicht nur versoffen, händelsüchtig., diebisch, betrügerisch, frech und verlogen ist, sondern noch obendrein eine Person zu sein affektirt. Dieser Miethling hat uns schon in hunderterlei Malheur nnd Wirrnis; gebracht, z. B. uns hinterbracht, daß wir in der Nacht vom Wirthe beraubt und eventualiter umgebracht werden sollen, und dem denunzirten Raubmörder wiederum zugeflüstert, daß wir sein anständiges Hotel für eine Diebeshöhle und Mördergrube hielten; — und dann wiederum uns erklärt, er müsse eine andere Wohnung haben, denn der Wirth sei in griechischer Liebe zu ihm dem Jünglinge entbrannt. Bevor wir nun hinter alle die miserabeln Kabalen kamen, brachten wir sehr originell romantische Nächte hinter den Branntweinton ncn mit blanken Säbeln und Messern bewaffnet zu. Dann kriegte die Maltheserbestie mitten in der Nacht Streit mit dein Wirthe und rächte sich dadurch, daß er den Zapfen aus einem vollen Fasse zog und mit dem Säbel auf seinen Widersacher losging, so daß dieser die Polizeiwache kommen ließ. — Das Alles war mir denn doch für (Kmst viel zu wenig und für Spaß mehr als zu viel. Und all' diese Fatalitäten wollen doch nichs sagen gegen die Tortur, die ich von der mehr als viehischen Sauerei unseres Wirthes und dieses Malthcserlümmels aushalten muß. Da mantscht dieser Bastard beim Kaffeetrinken an einem geschlachteten Fisch, greift dann mit den blutigen und schlci-migcn Klauen ein grobes Stück Zucker vom Tisch, bricht — 4:5 — davon ab und legt den gräßlich lakirten Klumpen wieder vor unsere Tassen hin; und die Herren Reisegefährten bröckeln von diesem Blut- und Schleimzucker harmlos ihr Bedürfniß weiter ad; — und ich — muß das Alles dulden, oder es kommt zu Wortwechsel, Erörterungen, Exzessen, Malicen, und ich bleibe allein. Um aber das gräßliche Subjekt dieser Maltheserrace nur los zu werden, faßte ich mir drei Tage spater gleichwohl den Muth und fuhr mit zwei Schwarzen, d. h. mutterseelenallein, in die ägyptische Welt weiter hinauf. Also nachdem ich in Minyeh drei entsetzliche Tage in Schmutz und Ekel, in Kümmernis;, Rathlosigkeit und selbst Todesangst zugebracht habe, finde ich zwei Nubier mit einer erträglichen Barke, die nach Kenneh hinaufschiffen, um dort Wallfahrer von Mekka für Kahira in Empfang zu nehmen. Die Fahrt auf dein rothen Niedre bis Suez ist für arme Leute zu kostspielig; sie setzen also nur von der arabischen Küste nach Kosseier über, ziehen von da gewöhnlich in drei Tagen nach Kenneh und fahren dann für ein Billiges in Masscn und wie Heringe zusammengeschichtet den Strom hinab oder hinauf. Meine Schiffeleute ließ n sich in Rücksicht darauf, daß weine Mitreise doch eigentlich nur ein Nebenverdienst war, der ihnen unvermuthtt zufiel, billig finden, und so zahlte ich von Minyeh bis Kenneh zweihundert Piaster und vierzig da« von auf die Hand. — Gs waren nur zwei Kerle auf dem — 416 — Schifflein, den dritten Mann versprachen die Beiden am andern Tage, ich weiß nicht woher, dazu zu nehmen, indem ihnen ein Matrose in Minyeh abhanden gekommen sei. — Ich hatte aber auf drei Mann akkordirt, um bei Sturm oder dem Festsitzen auf einer Schlammbank nicht mitarbeiten zu müssen, wie später in ell«u iiävei-»o allemal geschah, ^ denn ich mußte so schon meine Waschfrau, meinen Koch und meinen Dolmetsch vorstellen, in welchen Funktionen ich so schlecht wie möglich eingeübt war. Bei diesem ersten Kontraktbruch wurde mir also, in Aussicht auf alle noch wahrscheinlichen Varia« tionen und Modifikationen unserer Abmachung, die allerdings ein Schreiber in Minyeh unter der Zcugenschaft der Schneider und des dolmetschenden Malthcsers zu Papier brachte, nicht besser zn Muth. — Ich faßte mir aber eine Abenteurer-kourage und fuhr bei einem schwachen Nordwinde mit den beiden Schwarzen den 3. November 1849 bei Sonnenuntergang meinem ferneren Schicksale mit ziemlichem Troste entgegen. ^ Gs gab nun einmal keinen andern Rath, und ins baare, blanke Muß fügt sich ein nicht ganz ungebehrdigcr Mensch bald mit Geduld. - Die Herren Schneider hatten auf Anfertigung von Uni form stücken für die ägyptische Kavallerie zu Minyeh einen vortheilhafteu Akkord angenommen, etablirten bald nach meiner Abreise eine Schenke am Nil und lösten aus den mitgebrachten Fässern Rothwein, zu welchem sie auf Anrathcn des dortigen Arztes, eines Italicnerö, ein Drittheil „Nil" zugegossen hatten, ein so schönes Stück — 417 — Geld, daß sie bald genug frische Waare von Kahira holen durften. Aber mit dem Herrn Malthefcr, der ihren Lehrling abgeben sollte, ging es keineswegs so gut. Sie hatten viel Kreuz mit dem Vagabondcn und entledigten sich semer nur mit Hülfe der Polizei, wiewohl in Furcht vor der Rache, mit der sie von dcm Taugenichts bedroht waren, bis er endlich verschwand. Ich hatte die nothwendigsten Einkäufe gemacht und schien mir. da die Nachtfahrt glatt und angenehm von statten ging, mit meinem Bischen Proviant, z. B. einem Theil des mari-mrten Fisches, einigen Hühnern, Früchten und Branntwein, mit flüssiger Butter in Flaschen, einer Flasche voll gemahlenen Kaffees, mit meinem französisch-arabischen Vocabulaire, einem halben Dutzend möglichst schlecht gewaschener und ungeman-gelter Hemden, sowie im Beistände eines von den Schneidern erhandelten arabischen Säbels und eines kolossalen Küchenmessers, — ein erträglich arrangirter Mann. Von Gerathen und Bequemlichkeiten besaß ich nichts, als mein kupfernes Kochgeschirr, dessen Deckel meinen Teller abgab, meine Ma, tratze und Decke, ein Paar Wasserkrüge, einen Blcchlöffel, ein Taschenmesser, ein Paar kleine Thonschüsscln, einen Vlechbecher zum Kaffeekochen und eine gewaltige, einen halben Zentner schwere Schüssel zur Reinigung der Hemden. Das Monstrum wird auch zu einem tragbaren Feuerheerd benutzt, nachdem Thon hineingethan ist. — Mau hat dann an dcm Rande der Schüssel einen Schutz vor dem Winde und macht sich, 27 — 418 — mit Anwendung von Bruchkalksteinen oder harten Thon-klumpen, eine Stellage für das Kochgeschirr und einen Zug für das Feuer zurecht. Das war also mein Komfort und meine Oetonomie. Für grüne Halbquart «Flaschen hatte ich drei Piaster, das ist sechs Silbergroschen, gezahlt, so theuer ist Glas! Das Schlachten, Brühen und Abrupfen einer Henne vollbrachte der eine Schwarze gleich am Abende mit großem Gc-schick; so war ich denn für den andern Tag, und eventualiter für alle Tage, mit der fatalsten Präftaratur zu' meinem Mittagsessm im Klaren und stellte Gott das Große anheim, nachdem ich solchergestalt das Kleine in Ordnung gebracht sah. So ist mal der Mensch organisirt, die kleinsten Sorgen, Fatalitäten und Mühwaltungen chikaniren, kümmern und ergrimmen ihn in der Regel viel mehr, als eine große Arbeit und Noth. Das Schiffkin, so wie meine Tagcssorgen und Geschäftigkeiten, wiegten mich noch vor der Nacht, bis an den hellen Morgen in einen süßen Schlaf. — Gs war doch ein kurioses Ding, so mit zwei halbwilden und halbnackten Kerlen, allein nnd zum erstenmale im Leben auf dem Nile Tag und Nacht unterweges zu sein. Sie konnten mich ohne große Gefährlichkeit, schien es mir, berauben und todt mache«; meine Kajüte hatte nicht mal Schloß oder Niegel, und ich klemmte nur auf alle Fälle einen Bindfaden mit einem eingebundenen Stein in die Thüre, damit mich das Gepolw' — 419 — beim Oeffnen aufwecken möchte. — Die Besorgnis; vor Nil' räubern schien, abgesehen von dem bereits in Probe erhaltenen Abenteuer bei Fogei, — schon um der Nachtwache willen nicht ohne Grund, — die i/der Nilreisende union« volen« sich von Polizeiwegen vor jedem Dorfe gefallen lassen und mit einent oder zwei Piastern honoriren muß. - Sie besteht aus dem ttaünr (dem Dorfschulzen) und zwei oder vier Mann (ötnoilm oder arbak Iti^aiii). In der Schlacht hat der Mensch wohl ein anderes Gefühl vom Tode; — aber sich von Näubergesindel nackt ausgezogen, in die Wüste ausgesetzt oder lebensgefährlich beschädigt und bei herzhafter Gegenwehr auch ein Vischen todtgeschlagen zu deuten, ist ein grausliches ! gegen der Himmel nicht selten und Wolkenbildungen hat er, wenn auch viel seltener, so doch von Zeit zu Zeit wie bei uns. Die Redensart vom ewig klaren, wolkenlosen Himmel muß also nicht wörtlich genommen wer. den, um denn so Vieles nur euiu ^rkno «kli« und nicht buchstäblich verstanden werden darf. Achmihm ist etwa 5W Schritte von dem niedrigen Ufer 'ns Land hinein gebaut, jedoch keineswegs auf einer Höhe. — 438 — Wie sichs also in dem Lchmstädtchen zur Zeit der Ueber-schwemmung wohnen mag, begreife ich keineswegs. Es ist aber ein wahres Glück, daß man nicht Alles begreift, denn es dürfte vielleicht noch langweiliger, wie pure Dummheit sein. Sonnabend mit Sonnenaufgang, den 10. November, landen wir vor dem Städtchen, wo der Schifferknecht seine Familie und der Besitzer der Barke die dicksten Bekanntschaften hat, auch jedenfalls ein dritter Mann für das Steuer genommen werden soll. Dasselbe wird von einem Sitz auf der Kajütendecke regiert, welcher Sitz in dem natürlichen Gesäße des Stenerbeamten besteht. Wollte Gott, es wäre jeder Sitz und jede Stimme in der Welt mit etwas Natürlichem und a zio8toliolischem, d. h. mit Erfahrungen auf breitester Grundlage, aber auch mit einer festen, vernünftigen Richtung, also mit einem Steuer verknüpft. — Die Bewegung allem thut es so wenig in der Welt, wie der feste Sitz. Was aber unterdessen Achnuhm betrifft, so ist es eine ehemalige Mamelukenhauptstadt, wie Minyeh, Girgeh, Kenneh und alle die übrigen Nester aus der ?,eit, wo 40 Mameluken das unglückliche Aegyptenland unter sich ge vierzig theilt hatten, wiewohl ich nicht gerade weiß, obs 39 oder 41 Tyrannen und ägyptische Fürstenthümer, etwa nach dem Muster der „thüringischen", gewesen sind, und ob eben Achmihm eine richtige Kapitale vorgestellt hat. Daß ich aber von Kapitalsachen und Kapitalnotizen so meine aparten Definitionen ^ 439 — und Gewissenserleichterungen habe, ist gewiß. Es geht mir damit wie dem alten Universalhistoriker Schlosser, der, überführt, eine gewonnene oder Verlorne Schlacht an den unrechten Mann adressirt zn haben, mit schlagender Wahrheit versicherte: auf so einen alten Schlachtenirrthum, auf eine verwechselte Etiquette käme es in der Weltgeschichte nicht an. Ich selbst halte dergleichen Falsa sogar für die einzig liebenswürdigen Momente eines pedantischen Gelehrten und für eine Legitimation, daß ihm nicht alle Natur von der Schule absorb irt ist. Die Nachtfahrt gen Achmihm war schauerlich schön: Am bezogenen sterncnlosen Himmel die Mondsichel wie das leuchtende Symbolum und Instrument eines bösen Geistes, der Herrschaft über die Welt gewonnen hat; fortwährende Windstöße, welche die Barke umzuwerfen oder Mast und Steuer zu brechen drohen, und die beiden Schiffsleute berauscht, da sie zum Freitage ein halbes berliner Quart starken Dattclbranntwein auf einen Zug hinunter getrunken haben, ohne geübte Trinker zu sein. Mit uns segelte keine Barke, so war ich denn bei Sturm, in Nacht und Graus, auf einem höchst gebrechlichen und jämmerlich ausgerüsteten Fahrzeuge mit diesen Halbwilden auf einem reißenden Strom allein, dessen Veutezeichen in Barken Überresten aus seinen Schlamm-bänkcn hervorragen und der in jeder Jahreszeit seine Menschen« opfer verlangt. — 440 — Es ist ein entsetzliches Gefühl, sich in der Gewalt von Menschen zu wissen, denen man jede Schlechtigkeit und Nn-barmherzigkeit, Raub und Mord zutrauen darf. Meinem Todfeinde, dem schlimmsten Menschen gönne ich nicht die Empfindungen, die mich überkamen, als diese schwarzen Men« schl'nexemplare bei hereinbrechender Nacht fortwährend mit einander zischelten und mich von einer Schlammbank zur andern umherschleppten, zu den Orten, wo die Geier und Reiher sitzen, oder das Krokodil wie ein angefaulter Baumstamm ausgestreckt liegt. Die Amphibienstaffage gehörte wahrscheinlich meiner unschuldigen Phantasie, und die Schiffslente sprachen sicherlich so leise, um den Nilräubern unhörbar zu sein, die an gewissen Stellen ihren Zoll zu erheben pflegen, aber mir konnte es zuletzt einerlei gelten, ob ich den gemietheten oder den fremden Räubern in die Hände fiel. Und wie sollte der Muthigst? unter solchen Szenerieen und Umständen nicht auf den Gedanken kommen: die Schiffsleute verrathen und todten dich; diese Nacht kann leichtlich deine letzte fein. Freilich faßte ich den Entschluß, mein Leben theuer zu verkaufen, legte den blanken Säbel, gleich wie das Küchenmesser zurecht, es ist aber, wenn man nicht affcktiren will, ein scheußliches Gefühl, jeden Augenblick fürchten zu müssen: jetzt kommen sie und dann mußt du hastig dein Messer in einen Menschenleib stoßen, oder er thut dir selbst den Gefallen zuerst und läßt dich vielleicht halbtodt auf einer Sandbank zurück. So viel — 441 — 'weiß ich, ich entrire dergleichen Geniestreiche zu Wasser und zu Lande nicht zum zweitenmal. Die Schisssleute besuchen also ihre Verwandtschaft und Be« tantschaft, ich aber bleibe als Hüter meiner Habseligkeiten zurück und verkehre, indem ich das Schifflein keinen Augenblick aus den Augen verliere, mit den Leuteu, die am User schachern und plaudern; denn hier, wie überall, wo es an Quellen gebricht, verweilt, etablirt und amüsirt sich alle Welt an dem Orte, wo das Element fließt, welches der Kreatur so unentbehrlich ist, wie der feste Boden unter den Füßen, wie Luft und Licht. Die Ebene vor dem Städtchen ist noch von dem zurückgetretenen Wasser feucht geblieben; der Tag ist bewölkt und ohne beschwerliche Hitze, die Weiber kommen wit ihren zierlich auf dem Kopf balanzirten Wasserkrügen zum Strome, oder sie plaudern und waschen da ihr Zeug. Die Männer treiben allerlei Handel, Mandel und Kurzweil ^- das Getümmel und Geschrei ist nicht zu groß; eine unbeschreibliche herbstliche Ruhe ist über die ganze Szene ausgegossen. Die Menschen erscheinen manierlicher und gemüthlicher, als bei Kahira oder Minyeh; sie quälen sich, meine arabische Wörterbuchsmosaik zu verstehen, und ich schieße ihnen tapfer auf die Köpfe, was ich irgend an Vokabeln habhaft werden kann und meine, ich bin mit Kook in Otaheite und halte das köstliche ägyptische Idyll mit ttUen Sinnen und Geisteskräften fest. Es wird Ruhetag ge« halten, ein alter Araber besorgt mir also meine Wäsche auf — 442 — dem Schiff, wobei er mir ein Taschentuch verbrennt. Bei einer andern Gelegenheit flogen mir von einem plötzlichen Windstoß ein Paar Hemden von der Leine in den Nil, ohne daß ich sie ausfischen konnte, denn ich lag ermüdet vom Wa« schen ans meinem Strohsack und es war Nacht. Diesen zwei Hemdm von dein halben Dutzend, das ich besaß, sah ich wie einem Verluste an Leib und Seele nach, denn meine fleißige Frau hatte die Weißwäsche in langen nordischen Winterabenden genäht, und nun sollten sie von den Krokodillen zerrissen werden, und ich wußte wahrlich nicht, ob ich nicht zu demselben Schicksal ausersehen war. Morgen früh gchts gen Kenneh, wo ich von Kahira aus an eim'n italienischen Apotheker rekom« mandirt bin. Von Kenneh aber ist nicht mehr weit nach Theben, dem Ziele meiner Reise, und so scheint mir meine nächtliche Todesangst eine große Dummheit und die Kourage wächst mir wieder über den Koftf. So ist der Mensch, für böse Stunden hat er kein Gedächtniß, den Glückszufall nimmt er für ein Muß, den schönen Schein des Augenblicks für das Wesen, und das ist eben sein Glück. Ich will jedem Reisenden gerathen haben, sich dahin kontraktlich sicher zu stellen, daß der Herr Reis in keinem Orte ohne Erlaubniß des Passagiers anhalten und unter dem Prätext des Einkaufs von Lebensmitteln sich nach Belieben in den Dörfern umhertreiben darf. Windstille wird in der Regel zum Vorwand für solche Exkursionen genommen; da diese aber oft eintreten und sehr lange anhalten kann, so ist es — 443 — Raison, daß die Schiffsleute die Barke am Seile Men den Strom fortziehn. Auf großeu Barken giebts ihrer fünfzehn bis zwanzig, sie dürfen sich also bei dieser Treidelarbeit nicht mehr anstrengen, wie die Schiffsleute bei uns, und wenn sie gut bezahlt werden, scheint es billig und nothwendig zu sein, daß der Reisende weiter geschafft wird. Mich ließen meine Araber gleich am dritten Tage in der Gegend von Ssyuth so einen halben Tag mutterseelenallein an einem einsamen Ufer zurück. Die an einem elenden Vaststrick schlecht angepflockte Barke konnte von dem stark wehenden Winde fortgerissen werden, mich konnten die Hirten berauben, und unterdessen gaben sich meine gemüthlichen Aegypter mit ihren Freunden und Freundinnen in dem etwa eine Viertelmeilc vom Ufer entlegenen Dorfe ein lustiges Ncndez-vous. Es ist Wahr, diese Araber sind nicht ohne natürliche Gutmüthigkeit, ohne Anlagen und Ausbildung zu geselligem Zusammenhocken und Plaudern, sie können augenblicklich zärtlich und freundschaftlich und dasjenige sein, was mit Grund gemüthlich genannt wird; sie empfinden die Behaglichkeit einer geselligen Situation oder Stimmung und führen sie gerne herbei, aber sie stören dieselbe auch eben so oft um nichts und wieder nichts, weil sie eben als bloße Naturmenschen durchaus wetterwendig und ohne andere Normen und Impulse sind, als welche ihnen der Augenblick giebt. Und wie oft soll man es noch sagen, daß mit der Puren Gemüthlichkeit, selbst — 444 — wenn sie eine andauernde wäre, auf die Dauer eben so wenig die Welt zu bestehen vermag, als mit dem Verstände allein, der von Seele und Herz lospräparirt ist. Man muß mit lüderlich gemüthlichen, unpräzisen, wctterwendigen und gewissenlosen Leuten zu Hause in Geschäftsverbindung gestanden haben, um zu begreifen, wie hübsch sich mit so einer nackt arabi' scheu Gemüthlichkeit auf dem Nil besonders bei Windstille fortkommen läßt. Die Arbeit des TreidelnZ wird „8cniää ol 1e bakn" genannt, was sich diejenigen merken mögen, die ohue Dolmetscher reisen. Uebngens hilft in den Fällen, wo ein Araber seine aparten Gelüste hat, weder das Arabische noch ein Kontrakt, sondern allein die Gewalt und eiu russisches Muß. Opartot ist ein Vrcttnagel mit ciuem Hammer, die beiden schaffen eventualiter auch unter widerspenstigen und hölzernen Elementen eine Harmonie. Wenn die gemüthlichen Leute in Deutschland wie in Acgyptcn und in der ganzen Welt nicht handgreiflich und exekutionsweise von ihren Kontraktsderbindlichkeiten überzeugt werden, so entbinden sie sich eben aus purer Gemüthlichkeit von all den Arbeiten, Sorgen, Vcrstandsanstrcngungen und Resignationen, durch welche allein Verpflichtungen und Geschäfte erledigt werden, und erklären nach einer sehr gemüthlichen Reihe von Kneiptageu und Kneipjahren wiederum keineswegs ohne Gemüthlichkeit ihren gemüthlichen Banquemtt. In Geschäften führt die Gemüthlichkeit zur Schurkerei. — 445 — Glaube doch Niemand um deswillen wirklich im fremden Lande und Welttheil zu sein, weil er leiblich da angelangt, dort ißt und trinkt oder kauderwelscht und umherschnüffelt und umherstiefelirt. Ich kann ohne alle Uebertreibung, ohne im entferntesten etwas Auffallendes nnd Paradoxes sagen zu wollen, versichern, daß ich mit offenen Augen und Ohren hier in Aegypten, in Kahira, auf diesem Nil, in diesen Uferstädten, nn Angesichte dieser Gebirge, Wüsten und Pyramiden, dieser Palmen und Durahfclder, gegenüber diesen nackten Arabern und Nubiern, in diesem mir wildfremden Himmelsstrich, unter dieser verwirklichten Märchen- und Opernszcnerie nur ein Träumer bin. Ich kanns bis jetzt nicht fassen, nich t einmal den Gedanken, daß ich da in Wirklichkeit bin, wo ich bin, und um wie viel weniger die Sache selbst und die ägyptische Welt! Ich sehe und höre und vernehme Alles mit meinen Sinnen, aber ich habe es nicht meinem Ich assnmlirt. Gs ist noch nicht Körper und Seele, nicht reifer Sinn und Verstand in wir geworden, und am wenigsten Geschichte, Gewohnheit, Gemüth und eine zweite Natur. Das Bild, das Bewußtsein, das Leben der Heimath ist noch viel zu frisch und tyrannisch in mir. Dieses Wach träumen in weiter Fremde, in andern Welttheilen, ist ein Zustand, den man nur im Träumen be» greift; das Nervensystem wird davon unendlich affizirt. Bei Sonnenaufgang und Untergang und bei trübein Himmel, w o ^ Beleuchtung solchen Traumlandschaften gleich ist: da er- — 44« — scheint mir dies einsame Leben auf dem Nil ganz und gar ein Traum: „Nur cm Trcnnn ist unser Leben, Und die Träume selbst find Tramn!" Gin Sturm auf dem Nil ist anfangs lustig genug, bald aber verkehrt sich die Nomantik von Wind und Wetter in Todesangst, die Wellen thürmen sich wie auf dem Meer. Gin solcher Sturm übersiel uns zwischen Achmihm und Girgel). Die Schiffer wagten es und wir fuhren mit Sturmessausen wie auf Fittigen dahin. In zwei Stunden hatten wir Girgeh vor uns, also sechs Stunden gemacht. Das Wetter und das Wagstück ist glücklich überstanden, aber mit fortwährender Gefahr, ersäuft oder an den Felsen zerschellt zu werden. Zwei große, schöne Barken mit Engländern und Franzosen konnten nicht hinter uns drein und mußten die Segel reffen. — Ganz so plötzlich wie uns der Sturm gesaßt hatte, ließ er uns beim Ginlaufen in Girgeh wieder los. Das ist der Charakter Aegyptens in allen Dingen, so sind die Elemente, so sind die Menschen überall: Ebbe und Fluth in den Leidenschaften, Sing-Sang und Streit, Alles plötzlich uud jach. Es kommt und geht, man weiß nicht, woher und wohin; nichts vermittelt und nichts fträparirt. Die Art von Gleichgültigkeit, welche der Araber auf dem Wasser zeigt, ist nicht Seelenstärke, bewußte Todesverachtung — 447 — oder Gewohnheit und Ueberlegenheit über das Element, also Sicherheit in der Schisserei: es ist vielmehr baare Unvernunft, Gefühllosigkeit und thierische Gleichgültigkeit. Der Herr Reis fand für gut, erst während des Sturmes allerlei zn knüpfen und zu repariren, was er in guter Ruhe hätte abmachen sollen und was ich ihm ausdrücklich als unzuverlässig prophezeit hatte. Der Schiffsknecht war beschnapst und ergötzte sich angesichts der Todesgefahr mit seinem weimernden Iudengesange und mit Rauchen, statt auf das Seil in seinen Händen zu achten. Gs versteht sich, daß ich mich, ungeachtet der Protestationen des Trunkenboldes und unter Zustimmung des. Herrn Kapitains, mit eigenen.Händen dieses Strickes vom Segel, der bald nachgelassen und bald angezogen werden muß, und von welchem Tod und Leben abhing, bemächtigte. Gs geschah aber nicht ohne Gewaltthätigkeit. Wir kamen indeß nichts desto weniger heil und trocken davon. — Ich hatte mich auf's Schlimmste, d. h. auf meine Schwimmkünstc, gefaßt gemacht und arbeitete also im tiefsten Negligee. So muß man auf dem Nil reisen, wie diese Engländer. Nach der Seite des Komforts verstehen sie das Unterwegssein wie eine Profession und Kunst, und eine Oekonomie machen sie noch obendrein in Ncgypten daraus. So eine mit diesen englischen Menschen befrachtete Varke ist und schwimmt auf dem Nil, wie ein ordentlich ein« - 448 — gerichtetes Haus oder wie eine Arche Noäh, wenn man lieber will: nämlich mit lebendigen Hühnern und Tauben in groften Hühnerhäusern; mit milchenden Zügen, mit Katze und Hund. Vom silbernen Theekessel bis auf den Mahagoni-Stiefelknecht, von der Nachtmütze bis zum Reitfrack ist Alles, was zur Person und zum regulären Komfort gehört, in dem Schiff. Die Familie ist vollständig beisammen, und die Gouvernante so wenig vergessen, wie die Bibliothek und ein musikalisches Instrument, auf das sich kein Mitglied natürlichermaßen versteht. So geht denn Alles seinen förmlichen und geregelten Gang wie daheim: Unterricht, Lektüre, Korrespondenzen, Studien, Zeitvertreib, Fischen, Jagen, Gffen, Trinken, Schlafen und einsilbige Konversation, welche durch die unerhörte Szenerie nicht sonderlich belebt oder modifizirt zu werden pflegt, falls die Reifenden echte Repräsentanten ihrer blasirten und ewig ennuyirten aristokratischen Race sind. Auf der Barke giebt es Zimmer, Abschläge, Kabinets, Veranden, und darinnen Kisten, Kasten, Schränke und Säcke, Etageren voll Handbücher, Musikalien und Mappen mit Karten und Kupferstichen; ferner große Kisten mit Wäsche und Speise-uorräthen, mit Likören und Früchten. Die Fässer mit Wein, die Flaschenfutter, die geräucherten und getrockneten Eßwaaren verstehen sich von selbst. Was die Korrespondenz mit dem Barkenkapitain betrifft, so geht sie den gnädigen Herrn nichts an, der unter seinem Gezelt auf den bequemsten Polstern hingestreckt liegt. Alle — 449 — Fatalitäten macht der Dragoman, der Haushofmeister, dcr Reiscmarschall mit Zuhülfenahme der Dienerschaft ab. Alles wird hinlänglich bezahlt, folglich ist Jedermann dienstbeflissen, interessirt und attent. Die Waffen bilden ein kleines Arsenal, der Herr ist in der Regel ein ausgezeichneter Schütze, die Dienerschaft jeden Augenblick bereit, auf erhaltenen Befehl von ihren Waffen Gebrauch zu machen, oder in außerordentlichen Fallen der Schiffsmannschaft Hülfe zu leisten; der Herr Ka-Pitain, der eine Sicherheit bestellt haben und von der Polizei zu Protokoll genommen sein muß, ist mit einem kürzesten Prozeß bedroht, wenn er Irregularitäten ftrobirt; — auf solche Weife geht's. Daß diese verhungerten, sich im Sonnenbrände umher« treibenden Hunde nicht Alle toll werden, kaun da erklärlich sein, wo der Nil in der Nähe ist. In Alexandria und Kahira, wo die armen Hunde stellenweise eine starke halbe Meile oder noch weiter zum Wasser haben, müßten sie, Hunger uud Hitze dazu gerechnet, ihrer Natur zu Folge häufiger wasserscheu werden, als es der Fall ist. Die Natur und unser Herrgott verfahren aber, wie es mir vorkommt, bei allen Gelegenheiten mit der Kindheit, der Unschuld, der Dummheit, der Wildheit, der Thorheit, der Leidenschaft und der Barbarei viel glimpflicher und nachsichtiger, wie es ein vernünftiger und gealterter, ein richtig 29 — 450 ^ geschulter und zivilisirter Mensch seinem Schicksale nach» rühmen kann. Aegypten ist das Land der Hühner, der Tauben und der Töpfer; — der Ziegelstreicher, der Thonkünstler. Hier ist der echte Töpferthon, der Grund und Boden, auf dem sich alles Lebendige bewegt und auf dem alle Produktion von Lebensmitteln, gleich wie von Baumaterialien, Haus- und Kochge-räthen beruht. Wer von Aegyftten verhandeln will, und gleichwohl nicht von diesem Schlamm und Thon, oder von den Dingen refe-rirt, zu denen derselbe dient, die er vermittelt, verbindet und produzirt, und wie durch diese ägyptische Materie Iiar plLkorenoo (im Verein mit ihrem Vater, dem Nil), die Landwirthschaft, die Baukunst, die Industrie und das ganze ägyptische Dasein bedingt und gestaltet wird: der hat Aegypten nicht begriffen und kaum gesehen. Nilwasser und Nil" schlämm sind die beiden Faktoren und materiellen Pole, die Zwillingsgottheiten des alten und neuen Aegyptens. — Neben den Granit-Pyramiden hat man daher zu allen Zeiten Pyramiden aus Schlammbackstcinen zum Himmel gebaut, und die Hauptbedrückung der Juden in Aegypten war Zie-gelstreicherei. Alle Häuser, alle Bauten in den Nilstädten und Dörfern (den alten Kern von Kahirct ausgenommen, der aus Kalkstein, Sandstein und Granit ausgeführt ist), selbst viele Dinge, — 451 zu denen Holz durchaus nothwendig zu sein scheint, find hier von diesem Thon fabrizirt, der, da er meist sandfrei ist, keiner sonderlichen Präparatur bedarf, und kaum in die benöthigte Form gebracht, auch schon hart getrocknet ist. Backsteine, wie das meiste Töpfcrgeschirr, werden ungebrannt verbraucht, uud zwar mit dem besten Erfolg, da der Regm zu den exklusiven Phänomenen gehört und überdies das ordentliche Feuermaterial zum Ziegel- und Topfbrennen ganz und gar nicht im Lande eristirt. Mit diesem Thon- und Nilschlamme spielt das Kind, wirthschaften Mann und Weib, mit ihm Hantiren Fellah, Hirte, Handwerker, Baumeister, Gärtner und alle Welt. Auf diesen Schlamm, wenn er noch weich ist, sät der Landmann Weizen und Gerste. Diesen Schlamm pflügt und hackt er, wenn er halb trocken ist, — und den trockneu Staub dieses Nilschlammes, dem er die Subsistenzmittel des Leibes und somit auch das Vischen Geisteskultur verdankt, — denselbigen Muß der Aegypter einathmen, der darf ihm Augen und Brust zerfressen bis er in's Grab sinkt und Staub zum Staube Wird, und dann ist ein Bauwerk von diesem ägyptischen Stoff der Stoffe, von diesem Nilschlamm, sein Monument. Ganze Berge von Schutt, an den Nilstädten Minyeh und Hirgeh, an dem großen Dorfe Vellienih (zwischen Girgeh und Kcnneh) bestehen aus Schichten von Topfscherben. ^ Vor allen Orten aber muß man Alerandnen gesehen haben, um es glaublich zu finden, daß es eine Wüste von 29' __ 4H2 — Topfscherben giebt. Gesehen hab' ich's, — aber begreifen kann ich diese Scherbengebirge und Ebenen und eine pure antike Scherbenwelt nimmermehr. Es sei denn, daß die Älerandrinische Welt nur eine Töpferwclt gewesen ist, uud daß insbesondere die weltberühmte Älerandrinische Gelehr« samkeit eitel hohle Töpfe gedreht, also das Material zu welthistorischen Scherben geliefert, also eventuell von Rechts" und Naturwegen welthistorischen Fiasco gemacht hatte. Im richtigen Vorgefühle ägyptischer BarÜ'nschifferei und solcher Lüderlichkeitsverlegenheiten hatte ich so allerlei Dinge mitgenommen, die man bei allerei Eventualitäten brauchen kann, z. V. Bindfaden, Packnadeln und von Stricken ein kleines Sortiment; was mir das hinterdrein auf der Barken-wirthschaft prächtig zu statten gekommen ist! Aber was ich nicht hatte, das-fehlte gleichwohl. Die Herren Schifffahrer hatten kein Beil und keine Art; weder Bohrer, noch Säge, ja nicht einmal einen ordentlichen hölzernen Schlägel, oder einen Pfahl für das Seil, an welchem die Barke angepflockt wird. Auch fehlte ein Seil, um das Segel rasch hinaufzuziehen, ohne erst an der Segelstange in die Höhe klettern zu müssen. Ich gab ein solches also her und hatte nunmehr größere Satisfaktion von meiner eigenen weisen Voraussicht, als wenn die Leute dieselbe gehabt hätten; und so kindlich sind viele große Menschen gesinnt. Gs geht uns Allen nichts über die Genugthuung, unsere Mitmenschen kurzsichtig, nachlässig, einfaltspinfelig und schuld» — 453 — beschwert zu finden, falls unsere Tugend und unser Mutterwitz bei der Gelegenheit starke Relicfgeschäfte machen dürfen. — Beim rücksichtslosen Vorbeifahren an anderen Barken zerriß ein Theil des Segels und wurde nur mit meinem Bindfaden heil genäht, und mittelst meines starken Küchen» Messers spaltete ich das Holz zum Kochen und überhörte mir allemal dabei meine Vorsicht und mein Verdienst. (Ks ist allerdings eine verzweifelte Situation, so fünf Wochen seinen Koch, seine Waschfrau, seinen Haushofmeister, seinen Dolmetscher, mit Hülfe von mageren Hühnern und mit einem noch mageren Vokabulairc, machen zu müssen, -^ und mit ewiger Noth um ein wenig Brennmaterial. Es ging Mir in allen Stücken so kurios, wie mit der Wäsche. Ich hatte eine ganz vorzügliche uud sehr wohlfeile weiße Seife in Minych gekauft und schwamm dazu auf dem Nil; aber zur Wäsche gehörte außer Nilwasser und Seife noch „ Allerlei", von dem ich nur „Mancherlei" aufzubringen im Stande war. Das Schlammwasser mußte geklärt und gekocht wer« den; dazu bedürfte es größerer Gefäße, als meine kleinen Tnnkkrüge und Kochgeschirre waren. Ich konnte also nur wenig Stücke brühen und spülen. Um aber die stinkende Seife aus einem einzigen Hemde rein herauszuspülen, gehörte Mehr reines Wasser, als in alle vorhandenen Gefäße hinein-» ging. Böttcher giebt es hier nicht, weil sie kein Holz bekommen — 454 — und weil die Holzgefäße ohne Aufhören zusammentrocknen. Große gebrannte Wasferkrügo oder Wannen, welche mehrere Eimer in sich fassen, werden mit zehn ägyptischen Thalern bezahlt. Blecherne Gefäße rosten zu leicht; kupferne sind vollends zu theuer, und Zink verträgt sich vielleicht mit dem Klima nicht gut. Ich erzielte also nach den umsichtigsten und langweiligsten Manövern nur eingeseifte Hemden, und gemangelt oder gerollt waren sie nimmermehr; und was ist mm so ein reibeisenrauhes, nach Scifc stinkendes Hemde für eine elende Satisfaktion! Bei einer par tnut selbst übernommenen Oekonomie lernt man indeß eindringlich und ausführlich in lauter fühlbaren und sich dem Gedächtniß einprägenden Er< fahrungen kennen, was Alles zum menschlichen Leben, was zur bloßen Fristung des Daseins, zur Leibesnothdurft und Nahrung gehört; in welcher Summe von sogenannten Kleinig' keilen, von lauter scheinbar nichtsbedeutenden und gleichwohl nicht abzuweisenden Einzelmomenten das Menschenleben be» dingt ist und materiell besteht; wie Alles, Sandkorn um Sandkorn, zusammengetragen werden, wie alle Partikelchen, Augenblicke, Handgriffe, Sinne und Begriffe in einander greifen und zusammenspielen müssen, bis es zu einem solchen Komfort, bis es zu einer solchen Harmonie und Oekonomie kommt, die den Namen einer zivilisirten Menschensubsistenz und Existenz verdient. In solcher Allcinsorge lernt man eben das Wesen und den Beruf der Frauen kennen, und die Segnung, die durch ihre Art und Weise und ihrc Vorzugs- — 455 — weise auf Hausökonomie beschränkte Thätigkeit dem mann-lichen Geschlechte und der ganzen Menschheit unaufhörlich erwächst. Gin Weib, welches Verstand und Seele genug besitzt, ihre Bestimmung und Lebensstellung tiefer zu begreifen, wird auch eben darum fassen, daß und warum dieselbe eine Welt« stellung ist, auch ohnc sogenannte Emanzipation! — „Dienen", dem Ganzen, dem Großen, im kleinen Maßstabe dienen; und dieses Kleine und Materielle groß sehen und mit Virtuosität, mit Sinn und Seele verrichten und über» dichten, und sich in Hingebung, in Demuth, in der Resigna« tion üben, welche doch einmal das unvermeidliche Fazit für alle Sterblichen ist, für Mann und Weib, für Bettler und Fürsten, für Gelehrte und Laien, für Arme und Reiche, für die große Masse und die Genies: das ist gewiß nicht das schlechteste und schlimmste Loos. Im beschränkteren Lebenskrcise konzen» triren sich Herz und Witz, Thatkraft und Eingebung unend» lich leichter, wie in dem periphensch abstrakten Dasein und Wirken, zu welchem die Männer, namentlich in den gebil» deten Ständen, verdammt sind. Ob Glückseligkeit ein Letztes und Maßgebendes sei, darüber können verschiedene Ansichten eristiren, aber daß Glückseligkeit nur in gewisser Beschränkung und eben darum in dem natürlichen und sinnlichen Herzen ssroß gezogen wird. und daß keine Genugthuung der Welt auf die Dauer derjenigen einer glücklichen Hausfrau und Mutter zu vergleichen ist: darüber besteht wohl kein Streit. — 456 — Wenn man so einen Robinson auf dem Nile debütircn muß, da erfährt man, wie sich jede kleinste Fahrlässigkeit, Un-akkuratesse, Bequemlichkeit, Unhandlichkeit und Gedankenlosigkeit bestraft. — Jede Halbheit, jeder kleinste Mangel an Willens« und Thatkraft, an praktischer Logik und Grammatik, an Entschiedenheit, an Klarheit, an Kontrole, Sorge, Voraussicht, Umsicht und gesundem Menschenverstände wirkt, wenn man allein ökonomisirt, anf den Oekonomen mit der Unerbittlichkeit eines Naturgesetzes zurück. In solcher Iso» lirung wird unsere Unvermögenheit weder durch Personen noch Verhältnisse oder durch Geldwerthe übertragen. In der Gin° samkeit, in der Robinsonade stehen wir für den kleinsten Fehler und für Heden Riß. — Was wir hier vergessen und versehen haben, das essen und trinken wir nicht, — das wärmt und kühlt, das schützt und vergnügt uns keineswegs. Als ich mal das Salz vergessen hatte, blieb die Suppe ungesalzen; denn die Araber fasteten eben, essen wenig Gekochtes und machen nicht viel vom Salz. ^ Und welch' ein Malheur, wenn nun Niemand da ist, dem wir unser Versehen in die Schuhe schieben und den wir auszanken können! — Solche Situationen und Selbstftrozesse machen kirre und klug! —„8o1t-ssav«rnnloilt" heißt die Parole, welche der Dummheit und der Verarmung reell entgegenzuarbeiten vermag. Tag und Nacht, jede Stunde und Wochen lang nur durch ein Brett, durch Planken, die stellenweise nur mit Schlamm — 457 — und Dünger verstrichen sind — vom Wasser und vom Tode getrennt, und keinen Augenblick seines Lebens und Eigenthums, oder nur seiner Gesundheit, insbesondere seiner Augen und seines Kopfes sicher zu sein, — da ihnen Ophthalmic und Sonnenstich droht, das ist mehr wie ein Menschenkind meiner Gewohnheit und meines Naturells mit Gleichgültigkeit aus» halten kann. — Wie glücklich will ich mich fühlen, wie dankbar sein, wenn ich dieser heillosen Natur und nackten Natürlichkeit, diesem Spiel und Zufall, dieser Willkür und Tyrannei, diesem ewigen Wechsel, dieser Fühllosigkcit und Nn° barmherzigkeit der Elemente entronnen sein werde! — Es leben Ordnung, Zucht, Gesetz und Schule, cs leben Festland, fester Grund und Vodeu unter den Füßen, und daneben Polizei und Zivilisation!! — Wenn ich einen bevollmächtigten preußischen Gcnsdarmen und Polizisten hier auf der Barke hätte, er sollte mein Busenfreund werden. — Hol der Teufel alle Unordnung, alle Willkür, alle pure Natürlichkeit, alletz rein Elcmentansche: Wasser, Winde, Wetter, Sonnenbrand, Staub und RclMion, und die ganze Romantik dazu! — Ich bin in der ägyptischen Wildniß schon ans Gründen einer natürlichen Reaktion so zahm geworden, daß üh fast in einem berliner Salon Thee und Butterbröochen Präsentirm oder die Letztern spitzfingrig herauslangen und spitzmäulig vermuffcln könnte. — Was nicht die Elemente Alles ans einem Menschen machen können! — Ich bin von ihnen zwiefältig gewalkt, das Wilde haben sie mir zahm und ^ 458 — das Zahme wiederum wild gewandelt. — Gine Portion Inwendiges haben sie mir nach Außen und dann wieder das Haarige nach Innen gekehrt. -- Ich bin wie vertauscht und ftrobir's nicht so bald wieder mit sechswöchentlicher Wasser« einöde und Natur, — wenn auch im Paradiese; denn wenn kein anderes Malheur dabei im Spiele ist, so ist's das Gnnui, falls man nicht zugleich mit dem Paradiese in einen i^r tout herzenseinfältigen Adam umgeschaffen wird. Ich sag es noch einmal und immer wieder mit allem Akzent, den ich aufbringen kann: „Wir Modernen halten die pure Natur nicht mehr aus!" Wie wundervoll wahr beginnt die Epistel Pauli an die Römer mit der Inhaltsanzeige: „die Gerechtigkeit kommt nicht aus dem Gesetze der Natur und dessen Werken; denn alle Heiden sind Sünder und Ungerechte." Gs ist aber eine himmelschreiende Thatsache, daß eben die Menschen, welche am schlimmsten gegen Bibel und Christenthum eifern, Neides nicht kennen und dann betroffen und ordentlich erschrocken dastehen, wenn sie zufällig solche Stellen finden, die auch ein rohes und verhärtetes Gemüth und einen bloßen Verstandesmenschen bezwingen. So viel ist gewiß, in einem Lande, einem Orte und Verbältnisse, wo Dinte, Feder und Papier, wo Druckschrfften zu den Luxusartikeln und Kuriositäten gehören; — wo es keine — 459 — regulären Posten, keine trockenen Wegeverbindungen, feme Aktenstücke, Repositories Kontrolen und Polizeianstalten giebt; wo die Dinte eintrocknet und wie chinesische Tusche betrachtet wird, da ist auf die Dauer meines Bleibens nicht mehr. Die vier Elemente allein wollen es nicht mehr bei mir thun.*) Mag's sein, daß mich die Zivilisation bereits zum Philister gemacht hat, — aber ich denke, die Zivilisation und Kultur, die Kunst und Wissenschaft, die Sitte, die Re° ligion und Konvcnienz machen erst recht das Wesen der mensch» lichen Natur aus, und so gehören auch Aktenstücke, Bücher und Polizeianstalten zu ihr. ^ Nicht zu löschen oder zu dämmen, wo Feuers« oder Wassersnoth ist, wäre eine bloße Affennatur. Daß der Mensch mit den Elementen, also auch mit den Leidenschaften und Rebellionen, als den pcrsonifizirtcn Glementarkräften in Kampf tritt, unterscheidet ihn eben vom Thier, ist seine vernünftige Natur. Ueber die nackte Natur, ") Der Autor bittet seine billigen Leser und Rezensenten, bei dieser wie bei hundert andern Expektorationrn zu berücksichtisscm, „daß cin Kleinstädter sein Herz auf der Znnge hat, und daß ihm so wenig darauf ankommt, sich als objektiven Mustrrrrisenden oder fix und fertiss grbackenen Charakter darzustellen, das; er viel mehr ehrlicher und naiver Weise erzählt, wie ihm Land und Leute mitgespielt und zn welchen Thorheiten und Uebertreibungen sie ihn eventualiter verfährt. Diese Art und Weise kann nur für den Referenten Mißlichkeit und Martyrium, habeu, dem Leser, Psychologen und Ethnographen ist sie sicherlich a. xropoZ. — 460 — ihr Gesetz, ihre Oekonomie und ihr Recht hinauszugehen, ist eben die Aufgabe und die Bedeutung der Zivilisation wie des Staats, — wenn auch die Natur überall den Unter« gründ bilden muß. Nur die Büffel liegen bis an das Maul im Nil; — das deutsche Rindvieh steht wiederkäuend dabei und thut's nicht. So ist denn selbst unter den Hornviehracen und Individuen viel Unterschied, — und die Welt eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit. Die arabischen Jungen laufen große Strecken den am Ufer fortgezogenen Reisebarken nach und schreien ihr „Bak-schiesch", auch wenn nicht die Möglichfeit vorhanden ist, ihnen das erbetene Biergeld in ein Papier gewickelt mit einem Steine zuzuwerfen. Sie glauben lieber an ein Wunder und Kunststück, als daß sie ihr Bakschieschgeschrei aufgeben; hören es die Reisenden nicht, so durchzittert es doch die Luft, und nächst dieser ist Bakschiesch das Lebenselement, der Traum bei Tag und bei Nacht. Zwischen Girgch und Kenneh (die Araber sprechen Genneh) liegt noch das Städtchen Farschuht mit Zuckerfabriken, es sieht sich in der Entfernung freundlich uud nobel an. Eine halbe Meile von Farschuht liegt der kleine Ort Huh. Ein paar Minarets ragen aus den Häusern hervor. — 461 — Von Achmihm bis Girgeh werden 12 Stunden gerechnet, von da bis Kenneh etwa 18 Stunden; von Kenneh bis Theben etwa 20 Stunden mit gutem Winde. Endlich, endlich, Mittwoch Abends den 14. November 1849 Kennel) erreicht, also von Achmihm volle vier Tage auf dem Nil zugebracht, und davon zwei Tage mit starkem und zwei mit schwachem Winde gesegelt, und die Entfernung wird nur 30—36 Fahrstunden geschätzt. Solchergestalt differircn in Aegypten Theorie und Exekution. Wer hier nicht einen Hopfen-sack voll Geduld bei der Hand hat, ärgert sich ein Gallenfieber an den Hals. Wir hatten von Achmihm aus einen sehr guten alten Mann am Steuer, der im Charakter und Bmehmen ganz den Eindruck machte, wie ein alter, grundehrlicher, sehr ruhiger, vernünftiger, schlichter deutscher Mann. ^ In so verwunderlichen Ausnahmen gefällt sich die Natur, daß sie im Herzen von Deutschland so haftige, zerfahrene, eigensüchtige, tollköpfige und sinnliche Menschen wie Araber; und daß sie in Aegypten oder Arabien wiederum Charaktere erschafft, die, wie echte Weise und wie deutsche Prachtexemplare organisirt sind. — Dieser alte Steuermann war selbst in Details und Nuancen, im Ton der Stimme, in Mienen, in gutmüthig besonnener Art und Weise, in Achtsamkeit auf alle Kleinigkeiten, in Vorsorglichkeit, in immer gleicher Ruhe, Friedfertig» keil, Uneigennützigkeit und Bescheidenheit, so sehr das Bild eines guten alten weftftreußischen Bauersmannes meiner Be- - 462 — kanntschaft, daß ich in seiner Gesellschaft endlich der Besorg' niß vor Beraubung und Todtschlag durch die Schiffsleute überhoben war. Die letzten Stunden unserer Fahrt hatte uns der Wind ganz und gar verlassen, es war sehr finster geworden und die vom Treideln abgematteten Schiffer geriethen zuletzt noch unter die vielen Schlammbänke vor Kenneh. Das machte dann eine übermenschliche Anstrengung nothwendig; endlich aber waren wir am vorläufigen Ziel. Ich hatte Empfehlungen von dem Doktor Pruner, dem jedem Fremden durchaus gefälligen, gescheuten und gastfreien Leibarzt und Bey des Abbas Pascha, an den italienischen Doktor Diamanti, und von einem Großneffen des Dichters Salis in Kahira an den italienischen Apotheker F. in dieser Stadt. Diese Herren sollten mich für Theben im Detail orientiren und für die Rückreise meine Rathgeber sein, falls meine Schiffer sich mit den Pilgrimmen von Mekka einließen, — und ich dann meine Reisegelcgenheit verlor. — Ich suchte also noch am finstern Abende zwischen 9 und 10 Uhr zuerst den Apotheker auf, und hatte mir zu dem Ende bereits am hellen Tage, nicht ohne große Künste, vor meinem in Schibbelchit erkauften Handspiegelchen den Bart abgenommen, sorgfältig die Stiefeln gewichst, einen schwarzen Frack zu schwarzen Hosen und die letzte feine Wäsche ange» than, die mir noch aus Europa, d. h. aus Trieft übrig geblieben war. Als ich das weiße Halstuch über die gekraft-mehlten Vatermörder band, dachte ich unwillkürlich daran, ob ^ 463 - und wann ich wohl wieder europäische Wäsche und ein gut gespültes, glatt gerolltes Hemde auf dem Leibe haben würde. — Es war mir halb und halb zu Muthe, wie wenn ich meine eigene Leiche anputzte, und mir siel jener närrische alte Kauz ein, der, sich vor dem Trümeau zu einem Leichcnzuge anziehend, zu sich selbst sagte: „Wird mal eine schöne Leiche sein." — Also ich war in europäischer Galla, die meinen Arabern noch viel kurioser vorzukommen schien, wie mir ihr arabisches Kostüm. — Gs handelte sich jetzt noch um eine Vorsichtsmaßregel. Ich hatte in meinem Koffer einen Beutel mit )M österreichischen Thalerstücken, die konnte ich bei meiner Entfernung von der Varke nicht auf gut Glück zurücklassen. — Ich steckte also den Geldklumpen in eine Ledertasche, und mein Neis ging »nit einem von den Schneidern erkauften Säbel (?o zu sagen, mit einem hauenden Schwerte), dazu in einem saubern blauen Hemde und weißen Turban, mir als Sauve-ssarde voraus. So kletterten wir ein Schurtnfcr wie einen vulkanischen Aschenkegel hinanf, wanderten dann durch Getreide» Haufen an verhüllten Wächtergestalten und über Schlafende hinweg, die sich quer über die schmalen labyrinthischen Fuß-Pfade niedergestreckt hatten, durch die Phantasmagorieen von Acht und Finsterniß, und gelangten so in den Knauel der engen, tlafterbreiten, oben zum Theil mit Matten bedeckten Gassen des Bazars. Hier flackerten noch Lampen >m matten Schein; durch die Lücken eines Kaffeehauses sah man noch Ncht und verlorene Gäste; in den Wandnischen fabelhaft g/° — 464 — bauter Hauser schnarchten mumienhafte, in Decken fest gewickelte Gestalten, von ihren uns anknurrenden Hunden bewacht. Unter unsern Füßen wirbelte sich der am Tage aufgewühlte Staub noch ein letztesmal aus seiner Ruhe; eine schwüle, drückende Luft erfüllte die Atmosphäre. — Die auS Nilschlamm roh aufgebauten zweistöckigen Häuser in ihrer Grdfarbe, mit ihren gespenstigen Lücken, Löchern, Nischen und Ialousieen, schienen von Zauberern, Alchymisten oder von Raubgesindel bewohnt. Durch solche Traum» und Nachtgeschichten führte uns ein kolossaler Araber, welchen ich nach dem H^W- (Apotheker) Lüenäi I'iorllni gefragt; — den Ikcklciin (Arzt) Diamanti kannte er nicht. — Dem Riesen der Finsterniß gesellte sich dann noch ein entsetzlich verwachsener Zwerg von kaum drei Fuß Höhe hinzu, aber von einer unglaublichen Beweglichkeit, Lebhaftigkeit, Geschäftigkeit und einer Gangart, die es zweifel« haft ließ, ob der unglückliche Gnom aus einem oder zwei entgegengesetzt konstruirten und zur Chikane zusammen gekoppelten Zwergkrüppeln bestand. Ich mußte mir die Augen auswischen, um all die Fabeln und Nachtmärchen nur zu glauben, in die ich leibhaftig hineingerathen war. Aber ich stiefelirte mit meinem Thalerklumpen immer vorwärts drauf los, wie Einer, der einer Hexerei entgegengeht oder mit dem gewonnenen Schatze den Teufeleien entrinnen will. — Mir leckte bereits, der Schwech in die Stiefel; wir wurden endlose, ganz enge Gänge an der Stadtmauer und vielleicht in ein Mordloch geführt. — Ich hatte mein Küchenmesser blank gezogen, da — 465 — wurde endlich vor einem abenteuerlichen Hause Halt gemacht; wir waren beim Atahr angelangt. Da gab es wieder im untern Stockwerke Stufen hinab in die Erde; ein Untergeschoß mit Küchen und Laboratorien, wie es schien, desselbigengleichcn Dienstboten auf Matten hingestreckt, durch uns aus dem Schlafe aufgeschreckt, und zu verwunderten, konfusen, perpen-dikulären Fragezeichen umgehext. — Dann ging es eine enge Treppe (zwischen Wänden fortgeführt) hinauf, und endlich in ein kleines, niedriges Zimmer mit gemauerten, von Matten bedeckten Ottomanen und Wandnischen versehen. Hier spielte der italienische Herr Apotheker, drei andere Italiener und ein griechischer Schankwirth des Ortes mit klebrichten Karten um Bohnen, das war die Auflösung und der Schluß. — Ein Mittleres, welches der Mittheilung werth wäre, trug sich für mich an diesem Orte keineswegs zu. Ich gab meine Empfehlungen ab, nahm widerlich übertriebene Höflichkeitsund Freundschaftsvcrsicherungen in Gegenempfang, honorirte sie, so viel ich mächtig war, mit gleicher Müuze und vernahm endlich die betrübte Zeitung, daß Doktor Diamanti gar nicht in Kenneh anwesend sei, daß mir aber augenblicklich und jedenfalls morgen am Tage alles Mögliche und Uumögliche zu Gebote stehen solle. — Da ich nicht über Nacht bleiben wollte und konnte, so wurde ich zum Morgenkaffee eingeladen und ging dann, von Dienern mit Laternen begleitet, die Fabeln des Weges zum Schifflein zurück. Am andern Morgen zeigte wir und meinem Schiffskapitam der Zwerg, welcher sein Bier- 30 — 466 - geld von gestern aä notkin genommen hatte, wiederum den Weg; — es war aber am hellen lichten Tage nicht mehr so märchenhaft und so schauerlich schön. Kenneh ist auch am Tage ähnlich wie Benisuef, eine er» träglich reinliche und, nach arabischem Maßstab gemessen, eine nicht zum Unsinnigwerden verwirrt gebaute Stadt. Zu Kauf giebts auf dem Bazar was man irgend zur LeibeZnothdurft und Nahrung gebraucht, vor allen Dingen die berühmteste Fabrikation von thönernen Wasserflaschen, um drei Pfennige das Stück, für den Einheimischen und im Dutzend wird wohl der Preis kaum halb so groß sein. Meine Schiffsleute kauften hier solche Wafserkrüge auf Spekulation, und ich handelte von dem griechischen Höker, bei dem wir einkehrten und der fast in Artigkeit und freundschaftlicher Dienstfertigkeit zerfloß, einen Edammer Käse um einen österreichischen Thaler und pries mich glücklich, daß ich die weitläufige Landsmannschaft, wenn auch nur in Käse antraf. Was indeß Herrn F. den Athar betraf, so fand ich den guten Mann in der verwunderlichsten Stimmung und Leibesbeschaffenheit von der Welt. Er schien von furchtbarem Bauchgrimmen oder sonst wovon geplagt, und zog sich, grimmig höfliche Entschuldigungen stotternd, mit einer Manier zurück, daß ich glauben mußte, er habe beim Morgenschnaps eine unrechte Flasche gegriffen oder ein Buch mit sieben Siegeln verschluckt; denn es kam kein einziger brauchbarer Rath von ihm heraus. — Ich gwg also wie ich gekommen war, besorgte den Rest meiner Prä' — 467 — Parationen und Ginkäufe für Theben allein und segelte bei schwachem Winde dahin ab. Die Wallfahrer waren noch nicht angekommen, und so hatte ich durch Hülfe des griechischen Hökers, der etwas französisch und arabisch sprach, mit meinen SchiMeutm einen ueuen ums Doppelte kostspieligern Kontrakt bis Luqsor und für die Rückfahrt nach Kahira ge° macht. Die Sorge, wie ich den langen Nil wieder zurückkommen würde, war ich also im Allgemeinen los. — Wind und Abenteuer und Nilräuber blieben mir deshalb immer noch in der Ginbildungskraft einlogirt, aber man wird die schlimmste Einquartierung gewohnt. — Auch schmeichelte ^ch mir bereits mit dem Bewußtsein, ein interessanter Reisender und West» Preuße geworden zu sein. Die Bibel bleibt doch die ewige Urkunde für alle größesten wie kleinsten Geschichten, Kriterien und Charakteristiken der Welt. — So entnehmen wir bereits aus dem Buche der Bücher, was Aegypten für eine Ungezieferhecke ist. — Und wahrlich, falls ein Zoologe die Hausinsekten zu seinem Favoritstudium gemacht hätte, so müßte er auf den Nil. — Als ich in meinrr Kindheit in der Hospitalschule zu Königs, berg unter dem seligen ehrlichen Rektor Thiele die biblischen Geschichten an der Quelle studirte und bei Gelegenheit der Belagerung Jerusalems durch Sanherib las, daß eine Legion Mäuse zu seinem Lager gekommen wäre und ihn so gezwungen hätte, von der heiligen Stadt abzuziehen, so konnte ich so 30' — 468 — viel historische Mäuse keineswegs begreifen, weil ich selbst eventualiter mit vielen Tausenden fertig zu werden gedachte. — Hinterdrein habe ich in Iünglingsjahren und bei gereifter Manneskritik der Bibel den stillen Vorwurf stellenweiser Ueber» treibungen und naturhistorischer Unrichtigkeiten gemacht. Jetzt aber, nachdem ich Aegyptenland gesehen, hat sie an mir vollends einen rechtgläubigen Mann. — Gs ist eine Freude und ein Elend zugleich fnr den Reisenden, wie wahrhaftig die heilige Schrift erfunden wird, wcnn man sie an den Orten liest, von denen sie spricht. Sie hat dann auf dem Punkte so recht, wie in der Peripherie. — Wie Gott der Herr überall und nirgend ist, so geschehen die biblischen Geschichten „immer und nimmer"; immer im heiligen Sinn und Geiste der Schrift, und keinmal so materiell, wie sie der modern kritische Profan' verstand eraminirt! — Aber außer der symbolisch-allego-rischen, der übernatürlichen Wahrheit hat das geschriebene Wort Gottes auch eine buchstäbliche und natürliche Wahrheit, an die ich in Aegypten jeden Tag und jede Stunde gemahnt worden bin. In der Wüste Suez soll es Milliarden rothbrauner Ratten geben, — ich habe sie weder gesehen noch gezählt, wiewohl ich die Wüste um Kcchira beritt, aber ich habe mich in die Scherbenwüste von Alerandrien zum Thore von Rosette hinausgemacht und zu meinem Aerger in Er» fahrung gebracht, daß die Reitesel kaum drei Schritte thun konnten, ohne in Rattenlöcher zu versinken, so un« — 469 — glaublich ist ein unabsehbares Terrain an der Meeresküste von diesen garstigen Nagethieren unterwühlt. — Worin ihre Nah' rung, ihre Genugthuung eben in der Wüste besteht, wa« hier ihren Zeitvertreib ausmachen kann, ob sie Meereswasser zur Abkühlung saufen, ob sie Seespinnen fangen, ob sie Sandkörner, Panzer von antediluvianischen Infusionsthieren oder die Ueberbleibsel vom Zahne der Zeit zerschroten; ob sie sich hier mit dem überschüssigen Ungeziefer von Alexandrian ein diabolisch-komisches Reudezvouz geben, oder was sonst, das hab' ich Alles nicht ergründet, aber gedacht hab' ich bei diesen vierfüßigen Ungeziefergeschichten und bei vielen andern Gelegenheiten, daß unsere Geographie und Naturgeschichte noch sehr lückenhaft, sehr langweilig, skizzenhaft abstrakt ergründet und abgefaßt ist. Man erfährt erst auf Reifen, wie breit und hohl sich auch die gelehrte Unwissenheit machen darf. Immer wieder verfolgen mich die Gedanken über das Wesen, den Inhalt, das Wunder und den Begriff der Poesie. Also selbst in Aegypten, bei steter Furcht vor Räubern und anderem Unheil, werde ich mein ästhctisircndes und reflcktiren» des deutsches Menschen-Ich nicht los. So nimmt sich denn der Mensch überall mit, er steige auf den Tschimborasso oder m den Aetna hinab, er gehe über Land oder Meer, er wan» dere nach West oder Ost, von Pol zu Pol, er bleibt immer» fort der, welcher er von Hause aus ist. .,_. 470 — So viel steht erfahrungsmäßig fest, und wird mir auch in Aegyvten jeden Tag und jede Stunde bestätigt: man muß die Heimath quittiren, um im fremden Lande, unter einem andern Himmel die Schönheit des Vaterlandes in tiefster Seele zu erfchauen. — Man muß dem Tode ins Auge sehen, um das Leben zu erkennen, man muß ein Gut verloren haben, um es zeitlebens zu beklagen. Der Tod muß eine geliebte Seele von unserer Seele gerissen haben, dann erst sind beide aufs innigste und in Ewigkeit vermählt. Diese Aegyftter haben einc förmliche Wuth, Wasserkrüge und allerlei zerbrochenes oder ganzes Töft fergeschirr überall zu vermauern. — Grün glasirte Teller und Schüsseln sah ich nicht weit von Kahira in einem Musterdorf über den Hausthüren mit der gleißenden Seite nach Außen als kleine Nischen und Zierrathen eingesetzt. In Girgeh, Kahira, Mmyeh und an anderen Orten besteht der Knopf oder noch größere Theile am Aufsätze der Minarets, in Kahira die ganze Spitze eines Minarets auf der Zitadelle am alten Serail aus grünglafir« tem Thon. Die Frugalität dieser Aegypter ist bewunderungswerth. — Seit vierzehn Tagen, daß ich mit denselben Leuten auf dem Wasser bin, sehe ich sie nichts anderes essen, als Früchte, Brot und etwas rohes Gemüse, Datteln, Zwiebeln, Arbusen, Melonen und dergleichen, sehr selten und mehr aus Leckerei — 471 — ein hartgesottenes El. Ginmal haben sie einen Fisch gekauft und Ziegenfleisch ein andermal; dann und wann wird ein wenig Kaffee zur besondern Stärkung genossen, und wie ein Traktament; nur beim Branntwein unterliegen sie der Völlerei. Ihre ausdauernde Kraftcmstrengung im Rudern, Treideln und Losarbeiten des Fahrzeuges von Schlammbänken bei solcher kraft' und saftlosen Nahrung scheint ein Wunder zu sein. Wenn die Barke bei Windstille und während der größten Hitze angepflockt liegen muß und die Schiffsleute in Winkeln verkrochen schlafen, so ist mir zu Muthe, als ob es nie wieder von der Stelle gehen könnte, — und wenn nun plötzlich die Luft bewegt wird, fo entrafft sich der Schiffer der ermattenden Ruhe, das Schifflein ist im Augenblicke flott und stiegt dahin s als hätte es keinen Augenblick einen Stillstand gehabt. — Von Sonnenaufgang bis zu Sonncnniedergang knarren und ächzen diese Wassergalgen und Wasserräder in Ober» ägypten. — Drei Wohlthaten gab die Vorsehung diesem Lande, ohne die es schlechterdings nicht bestehen könnte: den Nil, den Dattelbaum und das Kameel, wenn man anders nicht den Schlamm und die Durah dazu zählen will, oder die ganze Organisation der Einwohner, die eben das Produkt der Elemente und gegebenen Verhältnisse geworden ist. - 472 — An der ägyptischen wie an aller barbarischen Musik ist dieS charakteristisch und merkwürdig, daß in allein Tremuliren und Figuriren ein Ton festgehalten wird, ganz wie beim schot» tischen Dudelsack, bei der öeiermusit der Savoyarden und in dem KosaklMgesang. Auch haben die Aegypter mit den Ko» saken einen Vorsänger und den Chor beim Singen gemein. Unter dem Rudern spricht Giner irgend welche Klang, und Reimworte, oft solche die keim'n Sinn haben, z. B. lieli eli — k« y1o8g,n, und die Uebrigen wiederholen die vorgesprochenen Worte, oder sie bilden ein Responsorium mit einem andern improvisirten Wort. — Die Sorglosigkeit dieser Araber ist über alle Beschreibung; sie verbrauchen ein Ding bis auf den Strunk, einen Vorrath bis auf die Krume, und erst, wenn Alles aufgezehrt ist, kommt das Stichwort, die Licblingsparole: „cl^^88" oder „ma tl8cli", — d. h.: Es ist Alle, Vasta, — es giebt nichts mehr. — Der Patron, welcher zuweilen meinen Kochsjungeu vorstellt, verbrennt ganz ruhig die letzten Späne, und meldet erst dann, wenn er wieder Feuer anmachen soll, „on^oliab ma M8on": es giebt kein Holz. Man muß diese personifizirre, naive Sorg/ und Harmlosigkeit zum Koch und Bedienten für den Nil engagirt haben, um einzusehen, wie viel Bestialität mit der Kindlichkeit, der Naivetät und Romantik in eins gebildet sein kann. Die Sykomore kommt mit ihren saftigen Blättern in Oberägypten nicht mehr fort; mimosenartige Akazien und au» — 473 — dere kleinblätterige, strauchartige Gewächse erscheinen auch nur hie und da; dagegen ist die schöne Dompalmc in Oberägypten anzutreffen. Die ersten Exemplare sieht der Reisende in Ssyuth. — Mit Hunden, Tauben, Hühnern und Wasserratten aber ist das Land gesegnet wie keines mehr in der Welt. Schon Kindern wird der Daumen an der rechten Hand ab» gehackt, um sie durch diese Verstümmelung vom Militair zu befreien. Mehemcd hat aber auf seinem Standpunkte mit richtiger Konsequenz aus den absichtlich Verstümmelten besondere Kompagnieen von Trainsoldaten formirt. — Es ist dieselbe Politik, zu Folge deren Diejenigen, welche ihre Dattel-Palmen umgehauen hatten, um keine Abgabe von denselben zu entrichten, die bestimmten zwei Piaster auch von den nicht mehr vorhandenen Fruchtbämnen zahl«» mußten. Auf diese Weise nur wurden die Daumen und Dattelbäume konservirt. ^ Diese Araber sind geschunden, find aber auch in billigen und nothwendigen Dingen obstinat. Selbst Proletarier entschließen sich hier sehr schwer zu Tagelöhnerarbeit; sie werden also für Staatsbauten mit Gewalt zusammengebracht, indem man sie auf Jahrmärkten Mo mtzis überfallt. Nicht alle Pferde in Aegyptcn haben Race und sind schön gebaut. — Das gewöhnliche Vaucrpferd sieht gerade so aus, hat eventualiter Kroupe, Kopf, Schweifansatz, Hundchacken, — 474 — Schweinekreuz, kurz denselben unedeln Leisten, wie in Deutschland und bei uns. Eidechsen von I V2 und 2 Fuß Länge sieht man zwischen Kenneh und Luror von Zeit zu Zeit an den Ufern des Nil hervorschießen. In Kurna, einer Ruinenstätte auf dem linken Nilufer, Luqsor schrägüber gelegen, brachten Hirtenjungen eine lebendige Eidechse an Baststricken schwebend getragen. — Das Thier war etwa drei oder vier Fuß lang, wehrte sich aus Leibeskräften, hatte Muskeln und Krallen wie ein junges Krokodil!, und spielte die gespaltene und pfeilförmige Fadenzunge wie eine Schlange weit zum Rachen heraus. In Alexandrien sah ich ausgestopfte Wüsteneidechsen von IV- Fuß Länge bei dem Dr. Reiz. Die Hirtenjungen hielten mich wohl für einen Engländer und boten mir die Eidechse mit der Versicherung an, daß es ein 880Fsier liinnsan wäre (ein kleines Krokodill). Obgleich ich selbst bei Theben kein Krokodill zu Gesicht bekommen habe, so dürften sie hier doch wohl nicht so ganz selten sein, denn die Araber nehmen aus Furcht vor den ,/1'im88ÄN8" bereits Anstand, ins Wasser zu gehen. Wenn man von Kahira kommt, landet man zuerst an dem linken Ufer in Kurnah, von den Arabern Gurnah ausgesprochen, das ist eine von den Stätten, auf denen die Ruinen — 475 — von Theben liegen; ein Ort, den man nicht mal ein Dorf nennen kann, weil er kaum ein halbes Dutzend zerstreuter Schlammhütten aufzuzeigen hat. Es war Sonnabend Abends den 17. November 1849, als ich die Gegend zu Gesichte be-kam, die man in vielen Rücksichten eine der merkwürdigsten dieser Erde nennen kann. — Großartigere Bauwerke giebt es an keinem Orte der bekannten Welt! Ich war ziemlich timide und mürbe geworden, aber der Gedanke in Theben zu sein und der Anblick einer von der untergehen» den Sonne vergoldeten Säulenreihe in dem am jenseitigen Ufer belegcnen Luqsor, gab mir selbst die körperliche Spannkraft für die Anstrengungen des folgendes Tages. Der UenM!-Palast in Jurnak. Mathematik und Konstruktion machen sich in allem Leben geltend; — bevor ich mich also in Detailbeschrcibungen verliere und Konfusionen bei meinen ungelehrten Lesern verschulde, gebe ich lieber zur Qrientirung über die Lage der merkwürdig» sten Ruincnstätten vom Hundertthongen Theben, welches an beiden Nilufern gebaut war und zwölf Stunden im Umfange hielt, Folgendes dem Gedächtnisse und der Generalanschau zur Notiz: Auf dem rechten Ufer, gegenüber einer grünen Insel im Nil (el Gedideh), liegt das Dorf Luqsor. Eine halbe Meile nördlicher, den Strom hinnb, an derselben Seite, aber etwas weiter vom Ufer entfernt: erheben sich die achtzig oder hundert Fuß hohen, pyramidenförmigen, abgestumpften Thürme der Riesenthore von Karnak, welcher Ort nur wenige zerstreute Hütten in sich faßt. Anf dem linken Ufer, wenig weiter nach Norden wie Karnak und hart am libyschen Gebirge, steht der Tempel» Palast von Kurnah, wiederum nur von wenigen und weit - 477 — zerstreuten Hütten umgeben. Südlich von diesem Tempel und dem Hauptthore von Karnak genau gegenüber, liegt das so» genannte „Memnonium", bestehend aus einem Portikus, einem halb zertrümmerten Thore mit Pylonen, der umge-stürzten Granitbildsäule von Rhamses, und den beiden Mem-nons- oder Rhamsessäulen, die aber jetzt eine Strecke von etwa 1500 Schritten gegen den Nil hin vorgeschoben erscheinen, weil der Raum zwischen ihnen und den in ihrem Nucken befindlichen Bauwerken nur mit Fragmenten von Bildsäulen und Trümmern ausgefüllt ist. — Luqsor gegenüber, das etwa nur fünf- oder sechshundert Schritte vom Ufer entfernt liegt, steigen die Tempel und Paläste von Medinet-Habu in die klare Luft. Der Tempel-Palast von Kurnah, das Memnonium und Medinet.Habu liegen weiter vom Nilufer wie Luqsor, fast gleichweit unter einander entfernt, und zwar solcher Gestalt, daß sie in dem vom libyschen Gebirge eingeschlossenen Nil-chale einen Halbkreis bilden, in dessen Mitte die Memnons-säulen schon aus weiter Entfernung wie die abgewetterten Thurmpfeilcr eines ungeheueren Thores anzuschauen sind. Aus den Grüften der Könige an's Licht hinaufgestiegen, schaut man von den Höhen des Gräbergebirgcs auf die ältesten und denkwürdigsten Stätten der Geschichte, der Gesittung, der Künste und einer untergegangenen Weltherrlichkeit: gleich. — 478 — sam die in Stein geschriebenen Blätter der Ur-Historien des Menschengeschlechts. Der von Sethos dem Ersten erbaute Tempel-Palast von Kurnah hat eine Facade von dreißig Fuß hohen Säulen, durch welche drei Thüren in drei Reihen zertrümmerter Gemächer führen, die, roie in allen Tempeln, schon um der Hitze und des allzu intensiven Lichtes willen, ohne Fensteröffnungen sind. Dieser Palast ist der kleinste der Palast-Bauwerke von Theben, aber merkwürdig, weil er der glorreichsten Epoche der Pharaonen angehört. Sein Ganzes hat eine aparte Physio» gnomic, und wenn sein Plan eine Privatwohnung verräth und die Form eines Tempels zu verbergen scheint, so beweist doch der Reichthum an Bildwerken, die Schönheit des Materials, die sorgfältigste Ausführung, daß dies Gebäude einst der Aufenthalt eines mächtigen Herrschers war. Er ist, wie alle andern Tempel und Paläste, von festen Sandsteinblöcken aufgeführt, welche, über die Säulen gelegt, Balken von fünfzehn Fuß Länge bilden und von Verhältniß-mäßiger Dicke sind. Merkwürdig abweichender Weise befindet sich am Gingange ein Mauerwerk von gebrannten Ziegelsteinen in Kalk' mörtel gelegt, welches, wie eine am Architrav von Cham-pollion ausgedeutete Infchrift besagt, schon dem ersten Plan und Ausbau angehört. Der Hieroglyphen-Gntzifferer übersetzt so: „Der mächtige Aroeris, der Freund der Wahrheit, der Herr des untern Landes, der Lenker von Aegyyten, der, welcher — 479 — fremde Länder gezüchtigt hat, der goldene Sperber, die Stütze der Heere, der größte der Sieger, der König, der Sonnen-Wächter der Wahrheit, von „Phre" anerkannt, der Sohn der Sonne, der Freund Amon's, der König der Götter, hat den Palast seines Vaters, des Königs, der dauerhaften Sonne der Gerechtigkeit, des Sohnes der Sonne, Menephta-Borci*), ver« schönert. Gr ließ Folgendes errichten.....(große Lücke) die Vorhallen des Palastes, und hat ihn mit Ziegelmauern, die auf ewig gebaut sind, umgeben; das hat der Sohn der Sonne, der Freund Rhamses, ausgeführt." Eine andere Inschrift an einem Plafond besagt nach Eham-polliou, daß der Haufttsaal (von 48 Fuß Länge und 33 Fuß Breite) das Manoskh, der Ehrensaal war, der Ort, wo die religiösen und politischen Versammlungen gehalten wurden, wo die Gerichtshöfe ihre Sitzungen hielten. Säle dieser Art Werden gewöhnlich „hypostylische"**) Säle genannt. Er ist mit vielen Bildwerken verziert. Auf allen Basreliefs sieht man den Gründer dieses Palastes, wie er Wohlgerüche, Blumen oder das Bild seines mystischen Vornamens der Thebai-schen Trias, und besonders dem Haupte dieser Trias, Amon-Ra, ') Di«sem Namcn zu Folge nennt auch Chamvollion den Palast das „Mcnephtcum", während Lcvsius, Ampere und öenormand das Bauwerk dem Sethos I. zuschreiben. — Wie das in Ordnung zu dringen ist, verstehe ich nicht. **) ^ssti^i-e/l/lil, herunter-, zuscmnnen-, einziehen; 5?r«ai-^ll,^a Strebepfeiler. — 480 — unter seiner ursprünglichen Form und unter der des Erzeugers, darbringt. Champollion erklärt: „An einer Wand ist die Kindheit des Königs dargestellt: der junge König in den Armen Muth's, der großen göttlichen Mutter, welche ihm ihre Vrust reicht. Die Legende, welche diese Szenen begleitet, lautet so: »Dies sagt Muth, die Herrin des Himmels: mein Sohn (der mich liebt), Herr der Diademe, Nhamses, Liebling Ammon's: Mir, die ich Deine Mutter bin, gefallen Deine schönen Werke; nähre Dich von meiner Milch." Die Reliefbilder, welche wie nbcrall alle Wände und Säulen bedecken, find ganz so flach gemeißelt und in die Wand- oder Säulenfläche hineingelassen, wie in den Gräbern der Könige. Die jetzige Umgebung dieses Tempels, wie aller andern in Theben, ist die Wüste. Neuere Reisende haben hier noch Palmbaumgruppen und Hütten gefunden, ich nur Sand und Gestein. Auf Säulenfragmenten sitzend, wartete ich hier mit Schmerzen auf meine Oelfladen und vor allen Dingen auf einen Krug mit Wasser, was sicherlich nicht geschehen wäre, wenn irgend eine Hütte in der Nähe zu erblicken gewesen wäre. Lepsius sD»in seinen ägyptischen Briefen: Der TemM von Gurna ist der nördlichste am westlichen Ufer und von Sethos I. erbaut. ^ — 481 — Weiter nach Süden liegt der Tempel des Rham< ses II., vielleicht der schönste in Acgypten. Rings um den zerstörten Theil des Tempels sind die weitläufigen „Ziegel« hallen" sichtbar, welche alle mit regelmäßig und sauber gebauten, zum Theil zwölf Fuß weit gespannten Ton» nenge wölben bedeckt sind und in die Zeit der Erbauung des Tempels selbst gehören. Dies geht unwiderleglich aus den Stempeln hervor, welche jedem Ziegel der königlichen Fabrik aufgeprägt wurden und die Namensschilder des Königs Rhamses enthalten. — Diodor giebt eine Beschreibung nach „Hecatäus" von diesem Tempel, unter dem Namen des Grabmals des Osymandias. 3l Ms Memnommtt. Der Weg vom Palast in Kurnah bis zum Memnonimn beträgt vielleicht nur eine Viertclmeile, aber meiner äußersten Hast und Aufregung war er doch zu weit. — Jenes besonders schöne Bauwerk (welches von Champollion das Menephteum genannt wird, nach Lepsius aber von Sethos I. erbaut worden ist) konnte nur für die erste Schmeckprobe gelten; jetzt ging es zu den Stätten, die einst sogar das unter Kunst' wundern lebende alte Rom in Alarm gesetzt hatten; wie pochte mir also das Herz! Wir zogen bei großer Nachmittagshitze am Gebirge hin. — Die beiden Memnonssäulen blieben mir zur Linken, in der Nähe des Nil. Die Luft war von der Sonne zu lauter Sonne, in einen Lichtäther verwandelt, in welchem kein Lüftchen und kein Ton eine Welle schlug. Die Kreatur sah und empfand jetzt kein anderes Element, als Licht, in welches sich selbst die träumende Mcnschenseele melancholisch zurück« lösen zu wollen schien. Die Sonnenstrahlen reuerberirtcn an dem nackten Fclsgestein in der Nähe und Ferne, bronzirten die ockergelben zerklüfteten Brec«enmassen und hüllten das arabische Gebirge jenseits des Stromes, gleich wie die ganze — 483 — Landschaft, in einen goldig elementaren Duft, der die spiegelhelle Silberftäche des Riesenstromes überhauchte; und die Palmen, die junge Nfersaat, flammten in grünem Feuer zu Ehren des Herrn der Welt. Der Künstler, welcher diese Natur in dieser Lichtatmosphäre malen wollte, müßte sich Rembrandt's Goldtinten borgen, müßte seinen Pinsel in Feuer statt in Farben tauchen, der müßte mehr als ein menschlicher Maler sein. Nur ein himmlischer Genius vermöchte es, eine ägyp» tische Mittags-Lvmdschaft zu konterfeien, falls er Licht in Licht zu malen und zu bilden verstünde: aber die urhcilige Gottesbildnerin Natur vollbringt diese Wunder gleichwohl. Und in dieser ägyptischen Actherbläue, vom goldenen Sonnenlichte leise mit grünen Schatten durchwebt, saßen und saßen die steinernen Nicsenzwillinge, ihr Antlitz dem Aufgang der Sonne entgegen gewendet, die Jahrtausende hindurch; — Und so war es endlich kein Wunder, daß der Stein einen Ton von sich gab, denn der Weltschöpfung ging ja das Sonnen« licht vorauf. Als es sich auf des Schöpfers Werde dem Chaos entrungen hatte, war das Neste gethan. Wie konnte selbst ein steinernes Götterbild die Jahrtausende im himmlischen Lichte, im Aufgange der Sonne sitzen, ohne endlich zn erwärmen und zu tönen! Gs geschah aber um die Zeit der Erscheinung des christlichen Lichtes, des Sonnenaufganges in der Geistcrwelt, daß der Heidenkönig Ameno» Phis III,, zu dessen Angedenken das Zwillingsbild am Strome aufgestellt worden ist, daß „der mächtige Aroüris der Sonnen» 31* — 484 — könig, der Sohn der Sonne, der Herr der Wahrheit, der Waltende über den reinen Glauben" (wie ihn die In« schrift der Thronlehne benennt), daß er zum erstenmal einen Ton hören ließ; denn um den Sonnenglauben war es mit dem Erscheinen des christlichen Glaubens gar bald geschehen! In diesem Lande begreift der Nordländer die parsische Lichtthcosophie, den Sonnendienst der alten Acgypter und das nothwendige Gegenstück, den Kultus, welcher den Nilwassern und ihrer Befruchtung gewidmet worden ist. Nasser, Licht und Letten sind ja die heilige Trias der Agrikultur, die Elemente des materiellen Menschendaseins, aus welchem sich im weiteren Prozeß das geistige Leben zn entbinden beginnt. Ich mußte meine christlich heidnischen Nawrempsindungen auf dem Wege nach dem Memnonium (welches eigentlicher Amenophium heißen soll) znm Besten geben, denn an der Wunderstätte selbst vergeht einem Menschen von lebhafter Einbildungskraft in den ersten Augenblicken zumal dergestalt Hören und Sehen, daß er Gott dankt, wenn er chronikalisch nüchtern aä acta, geben kann, was in Stein vor ihm gestanden oder vielmehr gesessen und ihn angepredigt hat! Ja, hier reden die Steine; hier tragen sie lebendiger Weltgeschichte vor, wie es die leibhaftigen Katheder»Professoren verstehen.. Jede Nachbildung, mich die des sogenannten Klassischen, ist eine schöpferische Arumth. Wir müssen so lange betteln, bisroie» der ein überwältigendes Dogma durch ali' unsere Lebenskreise gebrechen ist. Was hilft es ssuch jetzt, Kirchen und Schlösser zu bauen! Seid noch so rein gothisch, ober byzantinisch, oder so geschickt durcheinander griechisch, römisch und italienisch: ein wirk» lich herrschend Gebäude bringt Ihr nicht zu Stande; denn die, heutige Weltseele ist noch zersplittert, ssrst n'enn alle die <3mzel° hiiten wieder zu eine»! Glauben verdichtet sind, erst dann werdet Ihr ein Haus finden. Denn auch das Haus innß mitten aus der Seele einer Zeit wachsen, wenn es echt und gewaltig scm soll. Jetzt bant Ihr nichts als Studien, nnd in diesem Betrachte mögt Ihr KIen,;e loben, daß sein Talent eine gebieterische Darstellung im Ganzen zu bilden »ersteht, und uwgt Schinkcl preisen, daß er im Einzelnen fein uud schön zu ordnen weisii Original« habt Ihr »icht. Nildeudc Taleute, bearbeitende Talente gehen jetzt durch alle Fächer unserer Geistissl'cit, durch die Kunst der Schrift, durcb die Kunst der Farbe uud des Steins, und durch die Kunst des Tones! aber das Genie ist noch in den tausend nenen Atomen nnserer Zeit verstreut, es hat noch keinen Leib gefunden. (" aube 's Reisenovellcn.) Die sogenannten Memnonssäulen stehen wundersamer Weise auf dem Niederungsboden des Nil. Er war an jenem Tage noch mit Wassertümpcln bedeckt und trieb auf den abgetrockneten Stellen bereits grünende Saaten hervor. Ich wurde von meinem Barken-Rcis und dem Führer durch tiefe Wasser- — 486 — graben und Sumpfstellen getragen. Es war eine komplete Märchen ^Phantasterei, die sich nicht im Entferntesten mit Worten von heute anrühren läßt. — Endlich sah ich die weltberühmten Kolosse vor mir und tastete vor allen Dingen mit meinen Händen von Fleisch und Bein nicht ohne Noth das eine Fundament, da es, gleich dem andern, rings mit einer Wasserlache umgeben war. Jeder Mensch, der nicht expreß von dem vertrakt-Profanen Horazischen: „INI n,ämirari" Profession machen will, ist die erste halbe oder ganze Stunde von der Massenhaftigkeit dieser ein Thor bildenden, auf knrzlehnigen Thronsesseln neben einander sitzenden, ohne Fundament sechzig Fuß hohm Felsfiguren wie berauscht, und vielleicht noch mehr von dem Totalcin« druck, den die ganze Szene gewährt. Mag man nun seine Gedanken sammeln und sein modernes Bewußtsein examiniren wie man will: es hilft diesmal an diesem Orte zu Nichts. Denn der Anblick von Thaten, Psy-chologieen und Historien in Stein ist unerhört! Es fehlen die Maßstäbe, die Analogieen, die Anknüpfungspunkte an Bekanntes. Gs paßt nichts Mitgebrachtes, Ge< wohntes, Gedachtes, Gedichtetes, Gelerntes oder Erlebtes; -^ es reimt sich nichts Nordisches, Zivilisirtes und Christliches auf diese unmittelbar in Fels abgedrückte Pharaonenphantasie, auf diefe figurirten Initialen des Amenovhiums, die man auch für die plastischen Hieroglyphen einer in Stein model» lirten Welt- und Kulturgeschichte nehmen darf. — 487 — Durch diese ägyptische Symbolik wird die moderne Menschen« seele aus ihrer zivilisirten Apathie und Chloroformirung aufgeweckt, wird sie bis in den uralten Naturgrund aufgerührt. Hier wird der Professor der Psychologie, wenn er anders noch einen Rest von Natur und altem Menschengcwissen in sich trägt, gewahr, daß es in der alten Zeit ein Glauben und Träumen, daß es in der alten Menschcnsecle Sympathieen, Illuminationen, Intentionen, Prozesse und Genugthuungen gegeben haben müsse, von dmen der drcssirteste, der gelahrteste, der spitzfindigste und witzigste, moderne Welt« und Schulverstand keine Ahnung mehr aus seiner Gpigonenscele herauf-zuholen vermag. Oder was konnte diese alten Acgyptcr und Pharaonen antreiben, Felsen zu konfiguriren, Gebirge auszuhöhlen und wilder kunstliche Berge in Gestalt von Pyramiden-Krystallen auf der Wüstcnebene in die Lüfte zu bauen, wenn sie nicht zur Materie, zum Stein, zum Gebirgsschooße, zu allen natürlichen Mysterien und Formationen in einem un° endlich tiefern, seelischen wie sinnlichen nnd übersinnlichen Rapport standen, in einem spezifisch andern Kontakt wie wir: wenn sie nicht andere Seelen und Organisationen, eine wesentlich verschiedene Phantasie und ^ebensstimmung, eine unendlich mehr elementare Poesie und Theosophie hatten, wie heute der gute Geschmack und die schul formale Bildung diktirt. Uns ist die Materie an ihr selbst nichts weiter, wie ein Gedankending, sinnliche Vorstellung, geistiges Nichts, oder »ndern Falls das Vehikel des Geistes, ja das widerwärtige, — 488 — obstinate, todte Hinderniß des Kulturwitzes» und seiner ewig formenwechselnden Hast. Selbst unsern Baumeistern ist es leider nur zu oft gleichgültig, aus was für Material sie ihre Konditorspielsachen und großen Weihnachtsauöstellungen (die der moderne Sinn und Geschmack Bauwerke zu nennen beliebt) zusammenbauen, ob ans Ziegeln, Holz und Stein oder aus Prrßspähnen, Steinpappe, Papiermacht'e, Eisen, Glas, von Steintohlenlheer getränktem Thon. Die guten Leute mengen und mischen die heterogensten Stoffe mit derselben widernatürlichen Unempfindlichkeit, mit demselben unsymbolischen Verstände, mit derselben ästhetischen Bornirtheit und Gewissenlosigkeit, mit welcher sie Fragmente und Fetzen der Baustyle komponiren, die nicht selten auch bei bewunderten Prachtbauten nur über das Knie gebrochen, aber nicht aus ihren Elementen, in ihrer natürlichen Symbolik verstanden, und so zum Ganzen gefügt find. Diese Thatsache kann indeß demjenigen kein Wunder sein, der inne geworden ist, wie selten der moderne Verstand noch mit Seele, Natur und Ueberuatürlicheit in Rapport zu bleiben oder von einer lebendigen und eingefleischten Idee getrieben zu werden pflegt. Die beiden Bildsäulen, welche von den Arabern gegenwärtig Schama und Tama oder Sanamut, d. i. die Idole, genannt werden, sind nicht viel über die Breite ihrer unge- — 489 — heuern Fundamentblockc von einander entfernt. Sie sitzen mit dem Gesichte dem Osten, also dem Nil zugewendet und schauen somit nach Karnak und Luqsor über den Strom. Der nördliche Koloß (der zur Rechten, wenn man mit dem Gesichte dem Antlitz der Kolosse gegenüber steht) ist derjenige, welcher die Mcmnonssäule genannt wird. Der südliche Koloß ist ein Monolith, der Zwillingsnachbar aber wurde nach seiner Zertrümmerung durch ein Erdbeben auf Befehl des Septimius Seveniö, von den Ellbogen an, aus sechs oder sieben Schichten von Blöcken in die Höhe gebaut. Beide Idole wie ihre Unter» lagen (die aus ungeheuren, acht Fuß vom Nilschlamm bedeckten, also halbirten Würfeln bcstehn) sind aus der an sich schon spaltigen und klingenden Kieselbreccie des ganz nahen libyschen Gebirges gemacht und so abgewettert, so zerklüftet, wie dieses selbst. Zu Cambyses Zeiten wurden die Memnons« säulen so ruinirt, daß sich nur eben noch Arme und Beine und die allgemeinen Umrisse des Rumpfes und der Köpfe erkennen lassen. Die Gesichter, selbst die Mustelformen der Brust, des Bauches wie der Arme und Beine oder des Rückens existiren kaum auf einigen Stellen. Nur das rechte Ohr an dem südlichen Koloß läßt sich in seinen Formen erkennen, und ist der Beweis, daß die Figur sorgfältig ausgeführt war. An 'hrer rechten Seite am Beine steht eine weibliche Statue von 15 Fuß Länge, wie eine Puppe, da sie noch nicht zur Höhe des obern Knies hinanreicht. Eö standen je zwei solcher Fi' guren an jedem Kolosse und ihre Ausführung soll namentlich — 490 — am Kopfputze von bewundernswerther Feinheit gewesen sein, was heute noch stellenweise wahrnehmbar ist. Viel merkwürdiger noch wie die Memnonssäulen ist der zertrümmerte, geglättete Koloß, welcher unweit jener Idole vor den eingestürzten Pylonen des Memnoniums auf dem Rucken da liegt, wie ein kleines Gebirge von Granit, auf das man mit Beihülfe der Führer hinaufklettern muß. Der Stein ist in der Hauptmasse Quarz mit viel Feldspat!) eingesprengt, der eben die ro'thlichc Farbe giebt. Kopf, Brust nnd Bauch, die Ellbogen mit eingeschlossen, bilden drei zerklüftete Hauptmassen, jede gewaltiger wie die 2ö Fuß im Durchmesser haltende Granitvase vor dem Museum in Berlin; was man dann begreifen wird, wenn man weiß, daß die Schulterblätter des Kolosses eine Breite von 2 1 Pariser Fuß messen und daß die große Zehe an einem erhaltenen Fußblatt so dick ist, wie ein Mann im Leibe. Eine Touristin erzählt ohne Uebertreibung, daß sie mit ihren beiden Füßchen nur zwei Drittheilc der Breite der kleinen Zehe des Kolosses bedeckt habe. Die Beine und der Unterleib der enormen Statue, wahrscheinlich der größesten, welche je in Granit ausgehauen worden ist, bilden eine große Trümmermasse, aus welcher der ganze Koloß vielleicht doch noch so weit zusammengekittet werden könnte, daß es möglich wäre, die Umrisse des Ganzen anzuschauen. Das Gesicht ist zerschlagen; man hat sogar einen Schnitt hinein begonnen; die beiden Oberarme, auf deren — 491 — linkem der Namensschild (die Kartusche) Nhamscs Hl.*) sehr sauber eingemeißelt ist, — die linke Schulter und das linke Ohr sind am besten erhalten und zu sehen. Die rechte Schulter und Seite stecken halb im Schütte. Der Rücken ist unbegreiflicherweise nicht fertig gemeißelt. Ich nenne diesen Umstand unbegreiflich, weil die Statue in den Granitfelsen von Sycnc schon um deswillen vor dem Transporte ganz fertig gemacht werden mußk>, um ihr Gewicht auf das Minimum zu reduzircn, das so wie fo doch ein ungeheueres verblieb. Man erstaunt über die mechanischen Kräfte, mittelst deren dieser Koloß zertrümmert wurde, der vielleicht an Größe eine von den Memnonssäulen übertrifft, welche doch nur von dem viel leichter zu bearbeitenden und in der Nahe befindlichen halb verglasten Sandstein gefertigt worden sind. Aber die geschicktesten Ingenieure und Mechaniker unserer Zeit begreifen schlechterdings nicht, mit welch«: mechanischen Vorrichtungen jene Granitmasse ein- oder ausgeschifft, Strecken zn Lande fortgeschafft und wie sie nur den weiten Weg auf dem Nile transftortirt worden ist. — Gs muß mittelst eines ungeheuern Valtenflosses bei einem ausnahmswcisen hohen Wasser-stände ausgeführt worden fein. ') Dirser Rhamscs wird ebenfalls der Große genannt, und fiir denselben Pharao gehalten, an dessen Hofe Moses die Weisheit Aegyptms lernte. — 492 — Der in Paris befindliche Obelisk von Luqsor, der auf 4457 Zentner Gewicht abgeschätzt wird, ist nur ein Spielzeug, verglichen mit jenem immensen Granit-Idol, und forderte gleichwohl allen Witz und alle Hülfsmittel des französischen Mechanikers bei dem Transporte heraus. Er wurde von einer Blllkcmnasse rund umgeben, durch ein Dampfschiff den Nil hinab und dann ebenso von einem Seeschisse durch die mittelländische und atlantische See nach Havre geschleppt. Was nun die klingende Säule betrifft, so ist das über sie von Fachgelehrten Beigebrachte und für Jeden Wissenswürdige etwa dieses im Extrakt: beide Figuren stellen zu Folge der von Champollion entzifferten Inschrift auf der Rncklehne des Thrones den Pharao Amenofth oder Rhamses Sesostris III. aus der 18. Dynastie dar, dessen Namensschilder (Kartuschen) dreimal eingemeißelt sind. Er sah etwa um das Jahr 1680v. Chr. auf dem Throne, ist nicht mit einem ebenfalls berühmten Sesostris aus der 15. Dynastie zu verwechseln, findet sich auch Ph-Amenoph geschrieben und von den Griechen Ame-nophis genannt. Pausanias berichtet bereits als Augen- oder Ohrenzeuge, daß die Thebäer in der Statue des Memnon ihren König Phamenoph erkennen, nicht aber einen Sohn Tithon's und der Aurora, der jeden Morgen seine Mutter begrüße. Eines der Stadtviertel Thebens, auf dem linken Nilufer, in der Gegend der Gräber, führte im höchsten Alterthum den — 493 — Namen Memnonia, ein ägyptisches Wort, welches Begräbniß« Platz heißt. Dieser Name soll die griechische Eitelkeit verführt haben, die Amenophsäule zur Memnonssäule zu machen, bei welcher Leseart es auch bis auf unsere Zeiten verblieb. Ein Erdbeben zerbrach um's Jahr 27 v. Chr. den nördlichen Koloß, so daß nur die untere Hälfte bis zu den Ellbogen stehen blieb. Erst einige Jahre später verbreitete sich im Lande ein Gerücht, daß der übrig gebliebene Theil der Statue Töne von sich gebe; und erst von da an wurde die Fabel von der Memnoussäule erfunden und Wallfahrten mit Opfern von vornehmen Römern zur Mode gemacht. Die verstümmelte Statue endlich wurde unter Septimms Severus wiederum aus Blöcken hergestellt, und man vernahm seit der Zeit von ihr keinen Ton. (Hhampollion hat 1K29 nn verschiedenen Tagen mit dem ersten Morgenrothe auf ihren Knieen gesessen und vernahm nichts. Eine Masse von Inschriften, mit denen die Veine und der Sockel der Statue bedeckt sind, bezeugen das Wunder des Tones. Unter diesen Zeugnissen in Prosa und in Versen, die, 72 an der Zahl, sorgfältig abgeschrieben, von Letronne übersetzt, erläutert und zum Drnck besorgt sind, befinden sich die Expektorationen vornehmer Römerinnen, ebenso des Kaisers Hadrian aus dem Jahre 130 und seiner Gemahlin Sabina. Eine Dame, (5äcilia Trebulla, schrieb, nachdem sie Memnon zum zweitenmal gehört hatte: „Zuvor ließ Memnon, Aurora's und Tithon's Sohn, nur seine Stimme vernehmen; — 494 — jetzt hat er uns wie Bekannte und Freunde begrüßt. So hat denn die Natur, die Schöpferin aller Dinge, dem Steine Empfindung uud Sprache verliehen? Eine Inschrift von dem Richter Asklepiodot, kaiserlichem Prokurator in Aegypten, lautet so: „Vernimm, o Thetis, die Du im Meere wohnst, daß Memnon noch athmet, daß er, erwärmt durch die mütterliche Fackel, eine klangreiche Stimme erhebt am Fuße der libyschen Berge Aegyptiens, da wo der Nil in seinem Laufe das schönpfortige Theben theilt, während Achill, einst unersättlich im Kampfe, jetzt auf dem Gefilde Trojas wie in Thessalien verstummt." Man ersieht zumal aus der Inschrift der Dame, daß der moderne Gedanken- und Gefühlsstyl in der heidnisch-römischen Kaiserzeit sich bereits ganz so anhören läßt, wie bei uns. — Alles schon dagewesen, nichts Neues unter der Sonne! Was nun die natürliche Erklärung des Tonwunders betrifft, so ist nach de Roziers ausgemacht, daß die Granite und Breccien oft bei Sonnenaufgang einen Ton hervorbringen, was bei dem in Rede stehenden Koloß etwa so zugegangen sein soll: wenn die Sonnenstrahlen ihn trafen, so trockneten sie die reichliche Feuchtigkeit aus, womit der starke Nachtthau die ungeglättete Oberfläche bedeckt und die von ihr selbst eingesogen war. So entstand eine fortgesetzte Thätigkeit in dem Stein; Körner oder Blättchen der Breccie wichen und zerplatzten; und dieser Bruch verursachte in dem spröden, ein — 495 - wenig elastischen Steine eine Erschütterung, eine rasche Vibration auf der Oberfläche, und dadurch den Ton, welchen die Statue bei Sonnenaufgang hören ließ. Seit sechzehn Jahrhunderten ist sie ganz und gar verstummt. Die von Champollion gemachte wörtliche Uebersetzung der Hieroglyphen'Inschrift an der Thronlehne lautet so: „Der mächtige Aro^ris, der Herrscher über die Herrscher )c., der Sonnenkönig, der Herr der Wahrheit (oder der Gerechtigkeit), der Sohn der Sonne, der Herr der Diademe, AmenopH, der Waltende ülxr den reinen Glauben, der Liebling Ammon - Ra's x'., der strahlende Horus, — Er, der Vergrößern der Behausung.....(Lücke) auf immerdar, hat errichtet diese Bauwerke zu Ehren seines Vaters Ammon, und ihm geweiht dieses kolossale Standbild von hartem Stein :c.' Und auf den Seiten der Grundflächen liest man in mehr als schuhgroßen, zumal auf dem nördlichen Koloß mit der höchsten Vollkommenheit und Eleganz ausgeführten Hieroglyphen die Umschrift oder die besondere Devise, den Vor« namen und den Eigennamen des Königs, welchen die Kolosse darstellen: „Der unumschränkte Gebieter der Ober» und der Unterwelt, der Vcrbesscrer der Sitten, — Gr, der die Welt m Ruhe hält, der Horus, der gewaltig durch seine Kraft die Barbaren schlug, der Sonnenkönig, der Herr der Wahrheit, der Sohn der Sonne, Amenoph, der Waltende über den — 496 — ' reinen Glauben, der Liebling Ammon Ra's, des Königs der Götter." Von gelehrten Notizen ist noch beizubringen, daß die Beschreibung, welche Diodor von Sizilien nach dem griechischen Geschichtsschreiber Hecateus von dem wunderbaren Grabmale des Pharaonen Osymandias, aus der fünfzehnten Dynastie (25W v. Chr.), gemacht hat (und in welcher unter andern von einem astronomischen goldenen Zirkel die Rede ist, welcher 354 Vordirarmlängen l/500 Fuß circa^ im Umfange hatte) — die frappantesten Aehnlichkeiten mit dem Plane des Memnoniums (oder Rhamcsseums) darbietet, wiewohl die Größenverhaltnisse des Letzteren weit geringer sind als diejenigen, welche Diodor für das Grabmal des Osymandias rezipirt. Daraus würde also allenfalls das folgen, daß Nhamses III. sein Rhamessemn nach dem Plane seines Vorfahren aus der fünfzehnten Dynastie gebaut hat, — nicht aber, daß beide Mausoleen als identisch zu nehmen find. So viel für diesmal von dem gelehrten Kram, der in dieser encyklopädisch - alerandrinischen Zeit von der Oberfläche ge< schöpft, ohne übertriebene Mühe und Wissenschaft gar bald formulirt und in Suppentäfelchen zum gelehrten Dilettanten» Frühstück servirt werden kann. — Schwerer, wie gelegte Gier - 497 — aufzubrechen, oder wie Ruben zu ziehen und zu Präpanren, die auf gelehrtem Miste gewachsen sind, — ist es, sich lebendig und doch mit kritischem Bewußtsein zurückzutra'umen in die Urzeiten, in das Kindes- und Jünglingsalter der Menschheit, und mit einer adamitischen Phantasie dasjenige als ein Gauzes zu reproduziren, was nur noch in zerstreuten Bruchstücken existirt. Zwischen den Memnonssäulen und den Ruinen, welche in halb eingestürzten Pylonen mit dem Granitkoloß und einem Portikus, näher zum Gebirge hin, bestehen, und mit jenen Bildsäulen das ausmachen, was heute von dem Rhamesseum übrig geblieben ist befindet sich ein Raum von tausend oder fünfzehnhundert Schritten, von welchem (>hampollion sagt: «Man denke sich einen etwa achtzehnhnndert Schuh langen, burch die sich folgenden Niedersätze der Neberschwemnmng geebneten, von hohem Grase bewachsenen Raum, dessen auf vielen Puuktcn zerrissene Oberfläche noch Trümmer von Archi» traven, Stücke von Kolossen, Säulcnschafte und Fragmente von ungeheuern Vasreliefs hervorblicken läßt. Hier haben "lehr als achtzehn Kolosse cxistirt; die kleinsten von einer Höhe von zwanzig Fuß. Alle diese Monolithe von verschiedenen Materien sind zerbrochen, und man trifft da und dort ihre riesenhaften Glieder, die einen obenauf, die andern in der Tiefe von Ausgrabungen neuerer Forscher. Auf diesen versammelten Resten liest man die Namen einer großen Zahl 32 — 498 asiatischer Völker, deren gefangene Häuptlinge den Fuß dieser Kolosse umgaben, die ihren Besieger, Pharao Amenophis III. des Namens, darstellten. Denselben, welcher von den Griechen in ihren Heldensagen mit Mem.10n verwechselt worden ist." Die Fronten der Mauerwerke jener nach Innen zu halb» eingestürzten Pylonen sind mit kriegerischen Szenen aus den Eroberungen des Königs bedeckt; sie gleichen denen auf dem großen Pylon zu Luqsor, welcher einen Theil des sogenannten östlichen Rhamcsscums ausmacht, welches von Rhamses II. und II I. gebaut worden ist. Alle diese Basreliefs stellen offenbar ein und denselben Feldzug gegen asiatische Völker dar, die ihrer Physiognomie und Tracht zu Folge, wie die Antiquare behaupten, für Perser zu halten sind, d. h. für diejenigen Nationen, die zu jenen Zeiten in den weitläufigen Landen zwischen dem Tigris und Guphrat auf der einen und dem Orus und Indus auf der andern Seite wohnten. Dieses Land hieß bei den alten Aegyptern „Scheto" oder „Schto". Gin großes Kriegßbild, das in zwei Hauftttheile zerfällt, stellt eine weite l^bene dar, auf welcher Rhamses die „Scheto" besiegt; sie sind in voller Flucht. Zwei Prinzen oder Feldherren jagen dem Feinde nach. Die Belagerten leisten hier hartnäckige Gegenwehr, aber die Mauern werden mit Leitern erstürmt. — 499 — Die Hälfte eines gut erhaltenen Portikus von acht Pfeilern, an welchen sich zwei kolossale Mumienfiguren wie Karyatiden anlehnen, die eine Größe von fünfundzwanzig bis dreißig Fuß haben, ist das Vollständigste, was von den Bauwerken des Rhamesseums übrig geblieben ist. Vor diesem Portikus liegen die prächtigsten Fragmente von Ornamenten und Bildsäulen so obenauf und zum Mit' nehmen bequem, wie sie sich nur ein anderer Lord Elgin und archäologischer Freibeuter wünschen mag. — Ich sah da unter andern den vollkommen erhaltenen Kopf einer Kolossalstatue aus schönem schwarz blauem Granit von etwa acht bis zehn Zentner Gewicht. Der Umfang der Säulen des Portikus betrug vier solcher Klaftern, wie ich sie spannen kann, also genau zwciundzwanzig Nuß preußisch, somit ist der Durchmesser über sieben Fuß und die Höhe, zu Folge der Proportion, welche die ägyptische Säule hat, etwa vierzig Fuß. Säulen, Wände und Steinbalken über den Säulen sind mit stachen Vasreliefs bedeckt. Die Knäufe haben ganz und gar die Tulpen form, welche in der Dekorationsmalerei für ägyptische Tempel stereotyp geworden ist. :;2* Mbäinet-Nadu. Die Massen von Medinet-Habu, welche nicht so weit von dem Memnonium entfernt find, wie dieses von dem Tempel in Kurnah, verwirren in der ersten Stunde nicht nur durch ihre immense Ausdehnung und ihre Berge von altem Schutt, der an Stellen bis zu den Knäufen der prachtvollen Säulengänge hinanreicht, sondern auch dnrch die unerhörte Weise, wie in alle Räume und Höfe dieser Tempel, Paläste und Pyl-onenmassen, bis in die zweiten Stockwerke des kleinern Tempels hinauf, ein ganzes Dorf von ungebrannten Schlammziegeln hineingenistct, längst wieder verlassen und dergestalt verfallen ist, daß die unheimlichste Vermengung alter Prachtfragmente und zerbrochener Schwalbennester von Koth entstehen mußte, von denen noch Hcckerling, Mist und Federn umherliegen, ein Kontrast, der nicht unerträglicher ge' dacht werden kann und nur von den Szenen zu ^uqsor uber> troffen wird, weil die abscheulichen Schlammbuden, die daselbst bis zu den Decken der Tempel hinaufgeklcistert und gekothet — 501 — wurden, noch bewohnt geblieben sind, jo daß man sich durch nackte, um Bakschiesch schreiende Kinder, durch garstige arabische Hexenweiber und heiserbellende Hunde weiter schlagen, durch Schafe, Ziegen, Esel, Kühe und Kameele, durch Kehricht, Koth- und Heckerlinghaufen, durch Hühner- und Taubenhöfe, durch unaussprechliche Lebensarten und lebende Bilder, durch weltenuntergangsmäßige Gestanks- und Existenz Mysterien weiter tasten und „drengeliren", daft man wie ein zu Hadessseschichten Verbannter hinauf- und herabkk'ttern und labyrinth!siren muß, um sagen zu können, ich habe die wirkliche Unmöglichkeit oder die unmögliche Wirklichkeit, ich habe die ältesten Weltwunder und den neuen Weltskandal, die alten Heiligthümer und die neue Affenschande gesehen. — Dies ist auf gewissen Stellen im Sonnenaufgange dieser Erde der Fortschritt des Menschengeschlechts? — Wenigstens bekommt man doch in Medinet-Habu die lebendige Staffage dieser Koth° und Schano-ssemälde nicht zu sehen. — Schmach der Regierung, die solche Gräuel von Lebensarten verschuldet, solche Besudelungen der Blätter der Weltgeschichte; — solche Entartungen des menschlichen Geschlechts; und Schmach auch Denen, die den Entschuldigungen und Beschönigungen so unmenschlicher Verbrechen und Unterlassungssünden nicht abgeneigt sind. Zwei Paar Pylonen und zwei Vorhöfe des großen Tempels find von dem allgemeinen Schutt, von der Versandung und Verwüstung ziemlich frei geblieben. ^ Die äußeren Säulen-gange liegen meist in Trümmern. Die innern, mit Pfeiler- — 502 - kolossen geschmückt, sind noch in ihrer ganzenPracht zu schauen. An dem größten und schönsten Portikus, der mit doppelten Säulenreihen von etwa 40 Fuß Höhe einen prachtvollen Hof inmitten der chaotischen Massen bildet, ist die wohlerhaltene Decke mit einem köstlichen Blau gemalt, das nicht im Mindesten verbleicht scheint und den Himmel mit seinen Sternen darstellt. Viele Gemächer haben Thüreinfassungen von Granit; die Vasreliefs sind aber hier wie in dem Grabmal des Rhamseß» Mi-Amun, in einem Stuckmörtel modellirt, mit welchem die Steinwände überzogen sind; — das hat der Sauberkeit des Schnitts Eintrag gethan, während die Farben desto frischer erhalten sind. — An den Wänden dieses unaussprechlich wun° derbaren schattigen Hofes, dessen Todtenstille so zeichenberedt von Weltgeschichten und vom Menschengeschick ist, daß der Fremdling von ihren Geistern und ihren Stimmen erfüllt, in ihre Mysterien wie in Wellen untergetaucht, seine Heimatb und seine eigene Seele vergißt, befinden sich die historischen Bildwerke in farbigen Skulpturen, welche durch dk' dargestellten asiatischen und afrikanischen Völker mit ihren beigegebenen Namen kostbare Elemente für die Restauration des ethnographischen Gemäldes der alten Welt geworden sind. Gin Treppengang in der Mauer führt auf die Plattform des Portikus. Die Sandsteinwerkstücke, welche das Sims und Gebälke bilden, zeigen ebenso wie die in Karnak da, wo sie aneinander gefügt sind, sorgfältig ausgehauene Vertiefungen, — 503 — in denen, ihrer Form und Beschaffenheit zu Folge, nothwendig Metallklammern gesessen haben. — Rinnen und Löcher zum Abfluß des Wassers sind ganz so sorgfältig und umsichtig an-gelegt, wie auf Plattformen in unserer Zeit. Der älteste Theil der Gebäude von Medmet-Habu, welche nach Lepsius von Rhamses III., dem ersten Könige der 20. Dynastie, dem reichen R h ampsinit des Herodot, im fünfzehnten Jahrhundert vor (5hrifti gegründet wurden, und dessen gewaltige Krieges-züge zu Lande und zur See an den Wänden verherrlicht sind, — besteht aus einem Heiligthum, umgeben von Säulen-gallcrieen und aus acht Sälen verschiedener Größe. — Alle Theile sind mit Bildwerken überladen, ausgezeichnet durch die sorgfältigste Ausführung wie durch Styl. Kein anderes Bauwerk in Aegypten hat aber die Ausdehnung des gigantischen Palastes, den hier Rhamses'Mi'Amun errichtete. Alle Bildwerke an den obern Fayaden im Süden und Norden (sagt Champollion) wurden auf seinen Befehl ausgeführt; andere Dekorationen rühren von Möris (?) her. — „Um dies große Denkmal haben sich später die Gebäude von anderen Königen, Und mit ihnen — so zu sagen — die Jahrhunderte gruppirt. Die Künste finden hier ihre ganze Geschichte in einer Reihe von Werken aus den verschiedensten Perioden aufbewahrt: einen Tempel aus der glänzendsten Epoche der Pharaonen; einen unermeßlichen Palast aus der Zeit der Eroberungen; ein Bauwerk aus der Zeit des ersten Zerfalls unter der äthiopischen Invasion; eine Kapelle von einem der Fürsten, — 504 - welche das persische Joch abgeschüttelt hatten; ein Propylon von der griechischen Dynastie; Propyläen aus der römischen Epoche, und in einem der Höfe des Pharaonischen Palastes Säulen, welche einst den Giebel einer christlichen Kirche trugen; — so haben hier Nationen und Zeiten einander verdrängt." „Rhamses-Mi-Amun von der neunzehnten Dynastie war ein großer Eroberer. Den Beginn seiner Regierung setzt man in das Jahr 1474 vor Chr. Er führt in den Listen Manc-thos den Namen Sethos; auf den Denkmälern heißt er Rhamses, der Vierte dieses Namens. Sein Bruder war Arma'is Danaus, der vor ihm fliehen mußte; und diese Zeit stimmt mit der zusammen, welche für die Anknnft der ägyptischen Kolonieen des Danaus angenommen wird, nämlich mit dem Jahre 1450 v. (5hr." Ueber den Antheil des Königs Möris an dem ältesten Theil des Gebäudes sollen Inschriften sprechen, welche Oh am« pollion entziffert zu haben meint. Ihm zu Folge stellen die meisten Basreliefs, mit denen die Gallerieen und Zimmer geschmückt sind, Möris dar, wie er den Göttern Huldigungen darbringt und Geschenke oder Gnadenbezeugungen von ihnen empfängt. Auf der linken Wand des großen Saales oder Heiligthums wird dieser berühmte Pharao von der Göttin Achor und dem Gotte Ammon, die sich die Hände geben, zu dem mystischen Baume des Lebens geführt. Der König der Götter, Ammon-Ra, zeichnet sitzend mit einem Pinfei den Namen Thuthmosis auf daS dichte Blätterwerk dieses Baumes — 505 — und sagt: „Mein Sohn, Erhalter des Weltalls, ich setze Deinen Namen auf den Baum Oscht, im Palast der Sonne." Zeugen dieser Szene sind die fünfundzwanzig zu Theben angebeteten Gottheiten zweiten Ranges, in zwei Reihen aufgestellt. Eine Inschrift kündigt sie folgendermaßen an: „Hier folgt, was die anderen Gottheiten von Opht (Theben) sagen: linsen- Herzen freuen sich über das schöne Gebäude, welches der König, die erhaltende Sonne der Welt, erbaut hat. — So feierten die Götter und Menschen den Ruhm des Königs Möriö." Auf der äußern Mauer der Südseite findet man in großen Vertikallinien den heiligen Kalender eingehauen. Er ist durch Ausgrabungen wieder bloß gelegt, und es sollen genug Elemente gesammelt sein, um den bürgerlichen und religiösen Kalender der alten Aegvftter wieder hergestellt zu sehen. Im Innern des kleinen Hofes sieht man zwei massive Pylonen, auf deren Friefen die Inschriften und Vasreliefs des Gründers eingemeißelt sind. Champollion deutet und beschreibt die Wände der vier Gallerieen jenes prachtvollen Hofes, dessen ich zuvor Erwähnung gethan, so: Unermeßliche Bilder des Meißels und Pinsels ziehen überall die Aufmerksamkeit des Beschauers auf sich. Gern ruht das Auge auf deut schönen Azur der mit goldnen Sternen übersäeten Plafonds, aber bald verdrängen die Wichtigkeit und Mannigfaltigkeit der Bildhauereien jeden andern Eindruck. — 506 - — Vier Schilderungen, welche das untere Register der östlichen Gallerie links und einen Theil der südlichen Gallerie bilden, enthalten die Hauptumstände eines Krieges Rhamses Mi'Amuns (?) *) gegen die , Robu", asiatische Völker mit heller Gesichtsfarbe, Adlernase, langem Bart, in langen Tuniken und Oberröcken, welche blau und weiß der Quere nach gestreift sind. Diese Tracht ist ganz die der Assyrer und Meder auf den babylonischen oder persepolitanischcn Mindern. Erstes Bild. Große Schlacht. Der ägyptische Held steht auf dem im Schnelllauf dahin rennenden Wagen, er schießt Pfeile auf die Feinde, d^e in wirrer Flucht aufgelöst sind. — Man gewahrt auf dem ersten Plan die ägyptischen Hauptleute auf Wagen und ihre Soldaten mit den verbündeten „Fekkaro" vermischt; sie metzeln die bestürzten „Robu" nieder oder legen ihnen Fesseln an. Dieses Bild allein begreift mehr als hundert Figuren in Lebensgröße, ungerechnet die Pferde. Zweites Bild. Die Fürsten und Hauptleute des ägyptischen Heeres führen dem siegreichen Könige vier Reihen Ge° fangener zu. Schreiber zählen und verzeichnen die den gefallenen „Robu" auf dem Schlachtfelde abgeschnittenen rechten Hände und ^^os^^/lle^^. -^ Die Inschrift lautet wörtlich: „Vorführung der Gefangenen vor Seine Hoheit. Es sind ihrer tausend. Abgeschnittene Hände dreitausend. ^«5^-/2 ^/lls»e/> dreitausend." *) Nach ^i'psiuö sind cs. wie Eingangs bemerkt, die Thatm Nhamscs III. - 507 - Der Pharao, zu dessen Füßen man diese Trophäen nie« derlegt, sitzt friedlich auf seinem Wagen, dessen Pferde von Offizieren gehalten werden; er beglückwünscht die Krieger und spendet fehr naiv die größten Lobsprüche sich selbst. Auf dem sechsten Bilde spricht der König zu seinen Söhnen und Hauptleuten, und seine Rede schließt mit den Worten: ,,Amon-Ra war zn meiner Rechten und zu meiuer Linken. Sein Geist beseelte meine Entschlüsse. Amon-Ra hat meinen Feinden Verderben bereitet und die ganze Welt in meine Hände gegeben." Siebentes Bild. Des Pharao Rückkehr nach Theben. Man sieht die vornehmsten Hauptleute der überwundenen ,,Robu und Fekkaro", geführt von Rhamses, vor dem Tempel der großen thebaischen Trias, „Nmon-Ra, Muth und Ghons". Der Text der in dicser triumvhalischeu und religiösen Szene gehaltenen Reden eristirt noch größten Theils: Worte der Hauptleute des Landes Fekkaro und des Landes Robu, welche sind in der Gewalt Seiner Hoheit, und preisen den wohlthätigen Gott, den Gebieter der Welt, die hütende Sonne der Gerechtigkeit, Amon's Freund: „.Deine Wachsamkeit hat keine Grenzen, Du waltest wie eine mächtige Sonne über Aegypten. Groß ist Deine Kraft, gleich dem Bor« (Greif) bist Du an Muth. Unser Haupt gehört Dir, wie unser Leben, welches ist in Deiner Macht immerdar."" «Worte des Königs, des Herrn der Welt :c. an seinen Vater Amon.Ra, den König der Götter: „„Du haft mir ge» — 508 ^ boten. Ich habe die Barbaren verfolgt. Ich habe bekämpft alle Gegenden der Erde. Die Welt ist still gestanden vor mir. Meine Arme haben bezwungen die Hauptleute der Grde, nach dein Geheiß, das hervorging aus Deinem Munde."" „Worte Amon-Ra's, des Herrn des Himmels, Lenkers der Götter: „„Möge Deine Heimkehr fröhlich sein! Du hast verfolgt die neun Bogen (Barbaren), Du haft niedergeworfen alle Hauptleute. Du hast durchbohrt die Herzen der Fremden und frei gemacht den Odem der Naslöcher aller Derer, die ____(Lücke). Mein Mund zollt Dir Beifall."" Das nenn' ich mir eine französische Hieroglyphen-Fresserei! — Und wenn die ganzen Inschriften aus lauter phonetischen Hieroglyphen und Kartuschen, d. h. aus eitel Buchstaben beständen, so lautete die Uebersetzung für unsere Kenntniß des Altagyptischen und seine Verwandtschaft mit dem Koptischen doch zu flüssig und six zugleich. Die HöMMNtder Tu Meben. Gs scheint natürlich, etwas von der Stimmung zu sagen, mit der ich (au einem Sonntagmorgen) das linke Ufer bei den Paar elenden Hütten von Kurnah betrat und nach den Prachtvollen Tempeln, den fabelhaft kolossalen Säuleugäugen von Karnak und Luqsor hinüberblickte, aber es ist bei so außerordentlichen Griebnissen und Gemüthsbewegungen mehr ohne Schilderungen, als mit ihnen gethan. — Die ehrlichsten, die begeistertsten und glücklichsten Worte verklingen solchen Weltstätten, Weltruinen und wahrhaftigen Kunstwundcrn gegenüber zum citeln, tragikomischen Nichts. Zwischen den alten Titanen, welche Felsenstücke gen Himmel thürmten, und den modernen Titanen in, Frack, welche Worte, Formen und Normen auf breitester Grundlage in ^«ti-ucto zusammenkitten, ist eben die unübersteigliche Kluft, welche ewiglich zwischen Lebens- und Redensart, zwischen Gottesinstinkt und Schulverstand, zwischen Thaten und Worten, zwischen den — 510 - lebendigen Geschichten und ihrer Beschreibung befestigt bleiben wird. Der moderne Redeverstand ist kein Gefäß, um die uralte Aegypterseele und Phantasie darein zu fassen, die sich in Pyramiden, in Tempel- und Grottenbauten bespiegelte und ihre Worte den Steinen eingrub. Den Namen Theben kennt der Araber nicht, nur der Führer Achmed Ali in Luqsor, welcher italienisch und französisch sprach, kannte ein Theb. - - Zu mir fand sich gleich am frühen Morgen (den 1«. November) ein Gicerone Namens Achmed Girgar, ein alter, aber kräftiger Mann. In Betreff der beiden Achmeds muß ich bemerken, daß hier Jedermann Achmed heißt, wie bei uns Jakob oder Johann. — Dieser Girgar zeigte eine Menge Zeugnisse auf, unter andern vom Fürsten Colloredo Mansfeld. — Ein vom Führer initge» brachter Esel taugte nichts, ein zweiter herbeigeholter fiel nicht viel besser aus, war jedoch etwas stärker und größer als ein Kalb. Die Steigbügelriemen aber gingen beim Aufsitzen ent« zwei und wurden mit Stricken ersetzt. — Dergleichen kühlte meine Begeisterung so weit ab, daß es zur Gedankenkrystallisation kam. Endlich saß ich im Sattel, der Führer ging rüstig zu Fuße vorauf und mein Barkenkapitain neben mir her; dazu hatte ich mir meine Tyroler öedertafche umgehängt und zwanzig Thalerstücke hineingethan, um auf alle Fälle nicht ohne Geld zu sein. — Gs ging jetzt durch Fruchtfelder und wüste Strecken dem libyschen Gebirge entgegen, zu den Gräbern der Könige (I^b si meluk); sie liegen vom Nilufer 511 keine deutsche Meile entfernt, am Ende eines schauerlichen Thales, so uon zerrissenen, zerklüfteten und zerbröckelten hohen Kalkstemmassen eingeschlossen, daß man vollkommen auf die Nekropolis selbst vorbereitet wird. Wie ist die Velt ft schön, wenn ma» mit der Natur auf vertrauicm Fuße lebt, — Da blitzt der Krystall, da lacht die ülebe, da funkeln die Diamant«!, auch wenn man Krystall und Diamanten nicht selbst besitzt. Im Auge liegt die Welt, im fröhlichen Auge der Liebe liesst sie gewisi. — Liebe verklärt, Liebe besitzt, Liebe verjüngt! — O wer sie nie gesehen hätte, die schau rissen Schatten der Ein sanifeit; wer nie erbebt wäre von dein Anblick deöTode?! Da würden sie ferne geblieben sein die düstern (Pedanten, mit denen der grübelnde Mensch sich seinen Sonnenschein «erhängt, seine Lauben in Grüfte verwandelt, seine lachenden Feinfichten in Abgründe! Ein Kind, ein Kind zu sein unter Vlumeu und Früchten, nichts schleppen, als (jenem lieblichen dicken Dresdner Jungen dcö Rubens ähnlich) Tranben und Pfirsiche und tleine Kaninchen! o Seligkeit, es ist vielleicht die des Himmels anf Erden! —Und lvenns nun einst heiße» wird: die Seligkeit habt Ihr euch ja auf Erden entgehen lassen; Thoren, was sucht Ihr hier oben! Ach ich weiß, was im Zwischenreich hauset: es ist die bittre N e u e, (« » glow's Ritter vom Geist,) Diese Gräber, welche sich die Pharaonen der 19. und 20. Dynastie bei ihren Lebzeiten bauen ließen, befriedigen die ausschweifendsten Erwartungen, durch die unermeßliche Muhselia/ keit und Kunst, mit der sie in dem Bauche des Gebirges ausgehölt sind, welches aus einem fast marmorweißen, sehr feinkörnigen und harten Kalksteine besteht. — Man besucht und beschaut diese unterirdischen Wunder ohne irgend welche Gefahr und ohne andere Unbequemlichkeit oder Strapaze als die, welche mit dein Hinabsteigen auf zum Theil zerbröckelten und mit Schutt bedeckten Steintreppen, gleichwie mit dem Ginathmen einer drückendheißen, dumpfen, staubigen, von Mumien, Moder, Fackeldampf und krepirten Fledermäusen verpesteten Atmosphäre verbunden ist. — Die zu den Grab« sälen hinabführenden, etwa acht bis zehn Fuß breiten und 15 bis 20 Fuß hohen Treppenrämne sind indeß keineswegs so tief und gefährlich, und die Dünste nicht so unerträglich, daß der Enthusiasmus sich beeinträchtigt finden dürfte, welchen diese unterirdische Kunstwelt selbst im blasirtesten und Phantasie» losesten Menschenkinde erweckt. Hier zieht der Reisende (welcher mit der Besichtigung der Ruinenstätten der hundertthorigen Diospolis auf dem linken Nilufcr beginnt) das erste überwältigende Fazit seiner Mühseligkeit. Gr vergißt sie vor diesen unerhörten und im Wortvcrstande märchenhaften Thatendes alten Kunftverstandes und der alten Arbeitsreligion. — Die alte Menschcnseele hat sich an diesen Stätten Jahr» taufende hindurch mit Hämmern und Meißeln in das Ein> gewcide des Felsens hmeingewühlt, und eben so lange Zeit die Felsblöcke der Hunderte von Pyramiden zum Himmel "ufgethürmt! Die alten Aegypter haben von ihrem ehrlichen Kampfe Mit der Idee und der Materie zugleich in dieser unterirdischen Todtenstadt wie in den Pyramiden ein in Stein gegrabenes Zeugniß hinterlassen, das den modernen Menschenwitz mit 33 — 514 — seinen klügsten Parolen zerdrückt! Die Korridore und alle Räume messen in der Regel gegen 2t) Fuß Höhe. — Die Decken der Säle bilden entweder einen mäßigen Bogen oder eine Fläche. — Die vierseitigen Pfeiler, von dcnen die Decken gestützt werden, sind gleich den Wänden mit Hieroglyphen und Figuren bedeckt; die letzteren haben kaum ein fingerdickes Relief. Dasselbe ist aber auf solche Weise in die Wandfläche gctieft, daß es nur selten über ihre Rahmen hinaussieht. Alles Bildwerk ist farbig und die Menschengestalten sind meist braun» roth kolorirt; alle Farben so rein und frisch, wie von gestern und heute. Die Figuren haben meist Lebensgröße; dann wieder kommen sie in allen andern Maßen und mitunter ganz kolossal vor. Gs giebt etwa siebzehn Gingänge zu diesen Königs-gräbcrn, die zwar nicht mit einander in Verbindung, jedoch in naher Nachbarschaft sind. — Sechs (Eingänge werden ohne Gefährlichkeit besucht. — Ich selbst war nach der Besichtigung der drei merkwürdigsten dieser Gebirgsmausoleen, zu denen insbesondere das von Velzoni entdeckte gerechnet wird, aus dem er den Granitsarkophag nach England entführt hat, körperlich und geistig erschöpft. — Für Diejenigen, welche diese Stätten nicht als Fach- und Sachkundige besuchen, hat die Besichtigung sämmtlicher Gräber teincn Reiz und Zweck. --" Ihre Symbolik und charakteristische Beschaffenheit giebt sich in jedem Saale und Gange auf dieselbe Weise nnt unwesentlichen Abweichungen kund. — Von der englischen Manie, ein hundertstes Winkelchcn und Kuriosum ZU — 515 — beschauen, wenn bereits neunundueunzig gleich ausgeprägte besichtigt worden sind, und zwar in keinem anderen Interesse, als dem der Vollständigkeit, der Kuriosität, des verordneten Reiserezepts, also einer bornirten Gewissen» haftigkcit, von diesem freiwillig auferlegten Rcisefakirthum, das auf Händen und Knieen und auf dem Bauche, in den ungangbarsten Krypten oder in antiken Schornsteinen umher« rutschen muß, — selbst wenn das Resultat auch keinmal eine zerrissene Hose oder einen Mund voll Moder bezahlt machen kann, fühle ich mich frei. Man steigt durch tiefere und tiefere Korridore zu diesen Katakomben herab, die jeder Pharaone bereits bei seinen Lebzeiten aushauen und allmälig größer machen ließ, falls er sich noch ein längeres Lebensziel versprach. Zu beiden Seiten der Treppen bcfinde't sich eine fortlaufende Reihe offener Kämmerchen, ganz wie die großen Säle, mit gemalten Skulpturen bedeckt. Die Mitte dieser Grottenwerke wird in der Regel durch einen großen Saal gebildet, der ringsum durch enge Gänge, mit kleineren und größeren Gemächern, bis zu zwölfen an der Zahl, in Verbindung gebracht ist, während andere Gräber wiederum nur aus zwei Sälen, aus einem und fogar nur aus einem in augenscheinlicher Eile gcgrabcncu Kämmerchen mit roher Bemalung bestehen. In einem Saale lag cm mitten durchgebrochener Granitblock, so groß, daß man schwer begreift, wie er durch den Eingang fortgeschleppt worden ist. In einem anderen Grabe - 516 — sieht man einen Sarkophag von Granit, der einen ungeheuern ausgehöhlten und aus dem Groben gehauenen Würfel bildet, mit einem eben so kolossalen, von einer unbegreiflichen Gewalt zerbrochenen Deckel, auf welchem in Kaut rsiiek eine liegende Figur nur im ersten Anlauf ausgehauen ist. Der Umfang dieses Granitkastens betrug 6'/, Klafter, wie ich sie spannen kann (^ 5 Fuß menschen Reisenden ums enge Quartier in der immer enger werdenden Vrust. Ohne Licht und Luft, ohne Essen und Trinken, ohne lebendige Geselligkeit und recht viel Spielraum hält's doch der brennendste Enthusiasmus nicht lange in dieser Welt aus. Was mm den Inhalt und die Details der figurenreichen Darstellungen in diesen Räumen der Finsternis; und des Schweigens betrifft, so kann ich nur ein Paar Andeutungen von dem wagen, was eben mir in dieser unerhörten Welt noch extraordinär ins Gesicht geschlagen oder wie mit Messern in die Seele geschnitten hat; denn grell, barock, frappant, grotesk, kurios und ungeheuerlich ist Alles so sehr, das; man aus der dicksten Verwunderung gar nicht herauskommen kann. In dem Gedränge all der todten Götter, Geister, Gespenster und Fratzen wird der lebendige Geist dergestalt gestoßen, gekitzelt, geohrfeigt, genasenstübert, gekniffen, geknetet, geprellt — 519 — und außer Valance gebracht, daß sich zuletzt auch der pro-fessionirte Alterthümler dieses urhistorischen und urarchäologischen Todtenssräberspukes mit beiden Händen erwehrt, Man will allenfalls in Wundern und Abenteuern ein Bischen umher» schwimmen, aber das Untertauchen halten selbst die frosch-blütigen Amphibien nicht lange ans. Ich überstehe also die modellirten und kolonrten Darstellungen von allen Dingen, Geschäften und Bedürfnissen der alt«ägyptischen Werfeltagswelt, also die kleineren Gemächer, welche a,anz und star mit Waffen, oder allein mit Vasen, oder mit musikalischen Instrumenten, und dann wieder nur mit Fruchten, ja sogar mit lauter Tischen und Stühlen bemalt sind, und greife nur das Pikanteste aus diesen konfigmirtcn Märchen der bildnerischen Weltgeschichte heraus. Gleich in einer der kleineren Kammern, zur Seite des Einganges in das größte Mausoleum, stiebt es zwei Fissuren mit einund-zwanzig-saitigcn Harfen, welche letztere aber ohne Säule oder Stange gemacht sind. Oben daselbst sieht man ein großes, dickes Schwein (so eins von der ächt polnischen Race, mit borstigem Bogenrücken, also nicht etwa lang gestreckt deutsch), im vollen Laufe, den Schwanz in Waldhornwindunst ssebracht und Figuren mit Knittcln hinter dem Thiere her*). *> Man crsicl't ans 5c«dot'ö Schilderungen ÄeMMu5, das; Mo,>6 viele <^!6 berliner Fuß, also 12 Fuß Durchmesser, und bis unter der Architrar eine Höhe von 66 Fuß beträgt. Der ganze ungeheure Saal mißt I!>4 Fuß in der Breite, in der Länge aber 320 Fuß. Fuß Länge zusammengesetzt, noch ein zweites Stockwerk von vierseitigen Pfeilern, — die aber nur in einer Reihe stehen geblieben sind und mit den Säulen von 66 Fuß einc Totalhöhe von etwa 100 Fuß bilden, wenn das nicht unter der Wirklichkeit wxirt ist, die in solcher Entfernung und Verjüngung noch wendig täuscht. Die Säulenschafte find vollkommene (Zylinder; die Knäufe 35* .- 548 — haben die Form von Tulpenkelchen, deren Blätter zwar skulptirt, aber doch nur äußerlich und andeutungsweise modellirt sind. Alle Gebälke, Wände und Säulen, die bis auf ein Paar umgestürzte, ein Paar von ihren starken Nachbarn im Fallen aufgehaltene, und neun der Quere zerborstene, Alle aufrecht stehen, sind über und über mit kolossalen Basrelief »Figuren und Hieroglyphen bedeckt, so daß man kaum eine handgroße Stelle auffinden kann, wo nichts gebildschnil?t ist. Die Gesichter der Figuren, derm Ausdruck nicht bloß stereotyp, sondern oft lebendig, individuell und zugleich typisch edel ist, sind hier großenthcils konservirt. Der Schutt hat sich glücklicherweise in diesem von Säulen walddunkeln Saale selten über die Sockel hinaufgchäuft; aber die Werkstücke über demselben gehen an vielen Säulen einer Auflösung entgegen, die beklagen swerth ist. Die Wasser des Nil scheinen doch von Zeit zu Zeit diesen Wunderbau erreicht und eine Feuchtigkeit zurückgelassen zu haben, welche den Sandstein die Jahrtausende hindurch verzehrt. Aus dem Vorhofe gewinnt man eine Perspektive durch Säulenhallen und aufeinander folgende Thore, die zum Heilig-thume leiten. Dieser große Zllgang führt mitten durch den Riescnsaal hin; aber Seitenwege, welche nicht minder herrliche Thore hatten, mündeten mit ihren Portiken von Säulen und Kolossen in die Hauptstraße ein. Wir folgten ihr, sie hatte unS durch die ersten Pylonen in dcn ersten Vorhof gebracht, der zur hinken eine» Portikus, zur Rechten einen abgesonderten — 549 — Tempel hat. Wir kamen dann an jener zuvor beschriebenen einsam stehengcbliebenen Säule vorüber, die auf stchs zu Boden gestürzte und zertrümmerte Kameraden herabschaut; dann durch ein zweites ganz zertrümmertes, wie ein Bergsturz anzuschauendes Pylonen-Paar, vor welchem einst Kolosse Wache hielten, zu den Riesensäulen dcs Königssaals. Aus diesen Hallen traten wir durch zwei sechszig Fuß hohe Obelisken, von denen nur der eine sehr Beschädigte aufrecht steht, der andere aber zerbrochen am Boden liegt, wieder in einen mit Kolossen geschmückt gewesenen zertrümmerten Portikus, und abermals durch ein drittes Pylonen-Paar in eine zweite zerstörte Säulenhalle mit zertrümmerten Kolossen und eiuem größeren prächtigen Obelisken'Paar von siebenzig Fuß Höhe, von denen wiederum nur Einer aufrecht erhalten und glücklicher» weise M'mg beschädigt worden ist, — zur Pforte des Tempel» faales, der das Heiligthum umfängt, welches in zwei mäßig großen, von geschliffenen röthlichen Granitblöcken erbauten Gemächern besteht. Auch in dies harte Material sind anderthalb Fuß hohe Basreliefs hineingemeißelt und bemalt; die Decke ist mit gol> denen Sternen auf blauem Grunde geschmückt. — Die Pforte des Heiligthums besteht aus schwarzem Granit; und vor der» selben stehen zwei nur an den Spitzen beschädigte Granit» Obelisken von etwa fünfundzwanzig Fuß Höhe, die sich merkwürdigerweise dadurch auszeichnen, daß jede ihrer Seiten mit drei relief gearbeiteten tulpenförmigen Blumen geziert ist, ^ 550 — deren Stengel über die ganze Länge der Sftitzsäule fortgehen. Ein zweites Beispiel von Basrelief-Verzierungen auf Obelisken liegt meines Wissens nicht vor. Die Hieroglyyhenfchrift ist an allen vertiert, wie an einer Kamee. In der Nähe dieser fabelhaft anzuschauenden Granitkammern sah ich auch in den Trümmern eines Kabinets eine Art Divan aus Stein, und auf demselben enge nebeneinander sitzend zwei bis zu den Armen zerbrochene Kolosse, das Ganze aus einem ungeheuern Block von weißem feinem Kalkstein gehauen. Ueberall schauen aus Schutt und Trümmern Köpfe und Glied« maßen von ganzen und zertrümmerten Stein to lossen oder Säulen hervor. Gin Bein von geschliffenem Granit maß bis zum Knie 6'/2 Fuß. — An einem von den vielen Portiken sah ich viele Karyatidenkolosse von Sandstein, mit auf der Brust gekreuzten Händen bis an die Ellbogen im Schutt. — Der bloße Staub bildet an manchen Orten Massen, in die man fast bis zu den Knieen versinkt; au andern Orten muß man halb ausgetrocknete Tümpel mit Binsen Passiren; dann wieder über ganze Berge von Schutt nnd Gerölle, von Steinblöcken, zerbrochenen Säulen, Kolossen und Obelisken hinwegklettern, so daß man vor Anstrengung und Alteration, von der Unmasse tumultuarischer, tief in die Seele schneidender Eindrücke und unerhörter Szenerieen kaum noch seiner Sinne mächtig zu bleiben vermag. Die Niesenhalle ausgenommen, welche von Schutt und Trümmern ziemlich frei geblieben ist, wenn auch viele Säulen über den Sockeln sehr tief von Feuchtigkeit angefressen sind, thürmen sich Trümmer über Trümmern, Jahrhunderte über Iahrhuuderten, ähnlich den verschiedenen Erdschichten, welche die Sündflnthen abgelagert haben, und dic wiederum von deu vulkanischen Erdrevolutionen durchbrochen und durcheinander geworfen sind; und so ist denn Karncck derjenige Schauplatz dieser Erde, welcher die tiefste und trostloseste Melancholie erweckt; das Sinnbild eines Weltunterganges, einer Nichtigkeit alles irdischen Sems, welches den festesten Geist erschüttert und verwirrt, ein Zeugniß von Thatsachen, durch welche die Seele zermalmt werden muß! Unter alle dem Ruinen-Chaos findet der Forscher bei längerem Aufenthalte gleichwohl noch alle Hauptbauwerke und den ganzen Plan. Nnter den Tcmftelrcsten der großen Um-wallung ist auch ein Typhonium aus römischer Zeit ziemlich gut tonservirt. Jenseits der Granitgemächer geht es wieder weiter fort aus einem Portikus in den andern bis zu dem T!)»r, durch welches das Tempelgebiet geschlossen wird, und welches, wie schon bemerkt, den Giigangspylonen von der Nilsnte genau gegenüber gebaut ist. In diesen weiten Näumeu trifft man auf Bauwerke aus allen Jahrhunderten, also von wesentlich unterschiedenem Styl. auch von einem solchen, welcher Privatwohnungen erkennen läßt, die von den Reisenden so benutzt worden sind. Man __HH2 __ zeigt die Küche und das Schlafkabinet von Lepsius, mit wohlerhaltenen Decken, wenn auch ohne Fensteröffnungen, was wenig zu sagen hat, da man die Räume nur eben zum Schlafen benutzt. An einer Säule in diesen Bauwerken aus spätern Zeiten, wo man durchaus modern gearbeitete Säulen antrifft, sieht man auch den Namen Champollions in eine Säule gravirt. Auf dem Bruchstück einer granitnen Kolossalbildsäule vor einem Portikus, in der Nähe der Memnonssaulen, findet sich der Name Belzoni's mit der Jahreszahl 1816 eingehauen. An dieser hinteren Seite der Ruine von Karnak bemerkte ich auch zum erstenmal Quadern, die mit Mörtel verbunden sind. Wir nahmen nunmehr unsern Rückweg zu einem Thore von Granit. — Zuvor sah ich noch vor einem zerstörten Portal drei verstümmelte Kolosse in sitzender Stellung von einigen zwanzig Fuß Höhe aus weißem und rothem Kalkstein gemacht. Jenes Prachtthor ist aus kolossalen Granitblöcken cmfge> richtet, welchen die Bildnisse und Geschichten des bösen Gottes Tyfthon eingemeißelt sind. Vor dem Portal an der Binnenfeite stehen noch zwei Kolosse ohne Köpfe und gleichwohl einige zwanzig Fuß hoch. Von diesem Granitthor führt nach Luqsor eine zweite Allee von hundertuudzwanzig fchr verwitterten Sphinxen, die etwa zwölf bis fünfzehn Fuß ^ange, aber keine Köpfe mehr haben, da sie ihnen von kopflosen Bilderstürmern und Barbaren sorgfältig abgesägt worden sind. Trotz alles Spä-hens konnte ich nur uoch einen sehr beschädigten Mädchenkopf ^ 553 - entdecken. General Heilbronn er sagt von diesen Sphinxen Folgendes: „Die Widderköpfe auf den Sphinxen sind voll Treue und Wahrheit; — einen unverlöschlichen Gindruck machen aber Mei Mädchen-Sphinxe, — das Vollendetste und Orhaltenstc, was ich von ägyptischer Plastik gesehen. Der schalkhafte Blick der Gincn, mit dem schönsten edelsten Ausdruck des Gesichtes, wäre des Bildes einer Klcopatra werth und nimmt sich zwischen all dem übermenschlich Großen, und unter den stupenden Proportionen der Tempel von Karnak um so reizender aus. Wenn etwas geeignet ist, in Europa einen bessern Begriff von ägyptischer Skulptur zu erzeugen, so wäre es eines dieser räthselhaften Frauenbilder von Stein." Die Philosophen des Ostens, gewöhnt die ganze Schöpfung als die Wirkung einer gewissen mysteriösen Zeugung anzusehen, erdachten die Sphiux und vereinigten in ihr die männliche und die weibliche Natur, als das Symbolum der schöpferischen Kraft. — Der schöne Frauenkopf, in welchem aller Liebreiz konzentrirt ist, auf dem schlanken Leibe des zum Sprunge bereit liegenden Löwen, giebt für die Einbildungskraft, die in natürlicher Naivetät über den Unterschied der menschlichen und thierischen Bildung hinwcgschaut, ein herrliches Bild. Die Sonne ueigte sich scho» zum Untergänge, da hatte ich noch ein Bildsäulen-Abenteuer, was die Fabeln des Tages stanz in deren Sinn und Prinzip beschloß. -- 554 — In einem trocknen Graben bei einem Hugelabhange saßen da in der ungewissen Abendbelenchwng eine Masse von dunkeln schauerlichen Hexen, wie es mir schien. Als ich von meinem Thier gestiegen näher herzuging, waren es einige zwanzig Stück halbverschüttetc, aber aufrecht beisammen stehende Bildsäulen aus schwarzblauem Granit. Die Löwenköpfe dieser Idole deuten auf die Göttin Bub a ft is oder Pascht. — Diese Bildsäulen von nicht viel über Lebensgröße trifft man mehr und minder erhalten am häufigsten von allen andern Götterstatuen an. — Sie lagm in Luqsor und unweit der Memnonssäulen auf dem Felde umher; aber selbst die Antiquare und Museen scheinen bereits der alten Götter überdrüssig zu sein; und so gelten sie fortan nur für Feldsteine. Wenn der belebende Glaube, die begeistigende, schöpferische Idee entwichen sind, hinterlassen sie nur den todten Stoff, den Materialismus, eine moderne Verstandes» und Werkeltags-Philosophie! 8ic transit sslui-ia munäi. Nieiioglypkylj'cln'ijst. Da eine Menge von Lesern wenigstens einen allgemeinen Begriff von der Möglichkeit, ägyptische Hieroglyphen zu entziffern, haben wollen, so gebe ich in Nachstehendem über diese Materie einen kurzen Auszug, welcher der deutschen Bearbeitung eines französischen Werkes durch den Dr. C. A. Mebold uon mir entlehnt worden ist. „Durch die Inschriften aus allen Epochen Negyptens stellt sich der Gebrauch desselben National-Idioms beraus. Gine Menge Urkunden bürgerlicher Verträge oder Schriften von mannigfaltigem Inhalt, die einen älter als Moses, andere mit den römischen Kaisern gleichzeitig, sind in der nämlichen Sprache verfaßt. ' Vor den Gerichten war auch zur Zeit der griechischen Herrschaft nur der ägyptisch geschriebene Vertrag rechtskräftig und die griechische Abschrift reichte nicht hin. — — 556 Noch unter den Römern waren die mit den Mumien in die Särge gelegten Gebete ägyptisch geschrieben. Die PapyruZ-rollen in unseren Museen erhärten diese Thatsache. Das Zeugniß der Monumente wird unterstützt durch die alten Autoren; Plutarch meldet, Kleopatra, die letzte Königin Aegyp-tens, habe ohne Dolmetscher den Fremden Antwort ertheilt, während einige der Könige ihrer Vorfahren sich kaum die Mühe genommen hatten, die ägyptische Sprache zu lernen. St. HieronymuZ gedenkt der ägyptischen Sprache öfters in seineu Schriften. Er erzählt, St. Paul, der Eremit, habe griechisch und ägyptisch gleich gut verstanden, St. Antoniuß habe nur ägyptisch gesprochen. — Bis zum Einbruch der Araber war die ägyptische Sprache in Aegypten im allgemeinen Gebrauch. Die Litaneien und andere Gebete waren griechisch und ägyptisch, die Abschnitte aus der heiligen Schrift wurden griechisch gelesen und den Gläubigen ägyptisch erläutert. — Alle gegenwärtig uuter den ägyptischen Christen gebräuchlichen theologischen Bücher sind ägyptisch und arabisch geschrieben. Die ägyptische Kirche hat uns die ägyptische Sprache bis in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts aufbewahrt. „Als Pater Vansleb auf Befehl Ludwig XIV. die Levante bereifte, sah er denjenigen christlichen Priester, der, der Letzte von Allen, in der ägyptischen Sprache noch etwas bewandert war. Wenige Sprachen hatten wohl diese stete Fortdauer von mindestens viertausend Jahren. Es versteht sich - 557 - natürlich, daß wir die sogenannte koptische Sprache mit der ägyptischen für identisch halten. „Wer könnte auch vernünftiger Weise daran zweifeln nach den von Renaudot, Iablonski, Barthelemy und in unseren Tagen von Oua'tremere und de Sacy gesammelten Beweisen? Eine neue Masse ähnlicher Zeugnisse ergiebt sich aus den Ar» beiten des jüngern Champollion'über die noch existirenden Monumente des alten Aegyptens und aus der sehr großen Zahl von Beispielen in seiner ägyptischen Grammatik. „Werden die alten Texte in Hieroglyphenschrift nach Gham« pollion's Alphabet Zeichen für Zeichen in koptische Charaktere umgeschrieben, so bringen sie regelmäßige Worte und Redensarten der koptischen Sprache hervor, die also, da sie sich auf den ältesten Monumenten Aegyptens sindet, keine andere sein kann, als die ägyptische selbst. „Und nicht allein diese Worte und Redensarten sind es, die auf's augenfälligste die Identität dieser nur dem Namen nach verschiedenen Sprachen erhärten, sondern auch die Elemente der Sprachen, ihr innerster Organismus, ihre Artikel, Präpositionen, Fürwörter :c., die im Koptischen in griechischen Schriftzeichen wie vor Alters auf den Monumenten in heiligen Zeichen geschrieben sind. „Der grammatische Bau der ägyptischen Sprache war so, baß er sie gegen Verderbnis; und Zerfall schützte, gleichwohl die Ginführung fremder Wörter in das gesprochene und geschriebene Idiom nicht verhindern konnte. — Diese Aufnahme ... 558 — exotischer Wörter in Wurzeln, Vor- und Nachsehungen, ohne sie ihren Regeln zu unterwerfen, war für ihre zweite Periode charakteristisch. Die griechischen Wörter verschafften sich unter der mazedonischen Autorität Eingang. In dem mittlern Theil der Inschrift von Rosette steht ein grie< chisches Wort in ägyptischen Charakteren. «Die ägyptische Sprache ist in ihren Urwörtern einsilbig. Dies Prinzip gilt ohne Ausnahme. Jedes Wort von mehr als einer Silbe ist ein abgeleitetes oder zusammengesetztes Wort. Ein einsilbiges Wort kann zweiundvierzig Umwandlungen durchmachen, als eben so viele Modifikationen der Wurzel-Vorstellung, die ihm zu Grunde liegt. „Der Sinn jedes einsilbigen Wortes wird verändert durch Zugabe anderer Monosyllaben, als stehender Zeichen von Gattungen, Zahlen, Personen, Modi und Zeiten. Diese Bezeichnungen, durch welche die Wurzel nach und nach in den Zu-stnnd des allgemeinen Nennwortes, des abstrakten Nennwortes, des Nennwortes der Handlung, des privativen, des intensiven Beiwortes, des Partizipiums, des aktiven, negativen und transitiven Zeitwortes übergeht, geschehen fast immer vergröherungs-weise, sehr selten mittelst Endungen (Abwandlungen). „Trotz ihrer zahlreichen arabischen und hebräischen Fremdwörter ist die ägyptische oder koptische Sprache in der großen Masse des Sprachschatzes und der ganzen Grammatik von diesen beiden Idiomen und deren Sippschaft durchaus verschieden. Wie alle Ursachen geht sie von der Nachahmung - 559 — aus. So ist in Aegypten der Name der meisten Thiere nur die annähernde Nachahmung des dem Thiere eigenthümlichen Schreies. Der Gsel hieß z. V. ,..?o^', der Löwe „IVlui^, der Ochs ,.^lx>", der Frosch .,O»r", die Katze ,,^«l>au'^ das Schwein „iiir". der Wiedehopf ,,I^tkpr/'. die Schlange .,Nl<>" (II, tnplntispk krachen, uo«^8<:llul;68on kauen, Iiim schlagen, krclurem Geräusch, killc^okinllgol, mit den Zähnen knirschen, wltel tropfen, l>okk(Mil Glocke, Omlc verschlucken, 1ic>68clirLl38<:li reiben, Poliren, Olior^i^er schnarchen, Kni', i^et's blasen. Diese Nachahmungen waren bald erschöpft nnd man suchte Aehnlichkeiten. l^usu hieß der flüchtige Augenblick, die Stimme IIo. 8«l,u8e!lu schönthuu, lii-iägok Blitz, ^olu'l^elinr zerstören, I^lvii, I^ilai sich freuen. Endlich kam man zu den Vergleichungen! II<>t bezeichnet Herz und folglick Geist, (Ansicht, mit Einschließung der meisten moralischen Eigenschaften mittelst grammatischer Modifikationen des Wur^elwortes. Die Aegvpter sagten: II5l8«l»<>n! klein-berzig, feig, Iini'golnliöt langsamherzig od.er geduldig, «snoiliöt hochherzig, stolz, 88ndlil!t schwachherzig, !iötnl,8olit hartherzig, l^«t8Nl»,u zweiherziss, unentschieden, tamliet geschlossenen Her-zenß, hartnäckig, nc,ml>5t herzzehrend, reuig, -ttl,«t, herzlos, unfinnig. Aus eben diesen Wurzelwörtern bildete mau durch - 560 — bloße Zugabe des Monosyllabons ,M5t", Eigenschaft, die abstrakten Begriffe, z. B. ^ut-kst-sodem Kleinherzigkeit, I^i-Iiöt sein Herz kommen suhlen, nachdenken; tli^t-k^t das Herz mischen, überzeugen; ka-kör sein Herz setzen, vertrauen; tMt sein Herz geben, beobachten; ^8oli«m-Iiet Herz finden, wissen; m6-liöt das Herz füllen, befriedigen. So ist es auch mit andern Nrwörtern, z. B<: 'I'ot Hand; Utnt die Hand reichen: helfen; !,iwt dic Hand werfen: anfangen, ^ä8