Original scientific paper Izvirni znanstveni članek DOI: 10.32022/PHI31.2022.122-123.2 UDC: 161.2:130.121 Finks phänomenologische Auslegung des SchematismusKapitels in der Kritik der reinen Vernunft Alexander Schnell Lehrstuhl für Theoretische Philosophie und Phänomenologie, Bergische Universität Wuppertal, Gaußstraße 20, 42119 Wuppertal, Deutschland schnell@uni-wuppertal.de Fink's Phenomenological Interpretation of the Schematism Chapter in Critique of Pure Reason Abstract Fink's phenomenological interpretation of the chapter "Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe [Of the Schematism of the Pure Conceptions of the Understanding]" (schematism chapter) in Kant's Critique of Pure Reason represents Phainomena 31 | 122-123 | 2022 a significant contribution to how the relation between being and time can be thought phenomenologically. In a reading closely based on Kant's text, the essay reconstructs how Fink highlights the fundamental relation of time, imagination, and ego. Keywords: Kant, Fink, schematism chapter, time, imagination. Finkova fenomenološka interpretacija poglavja o shematizmu v Kritiki čistega uma Povzetek Finkova fenomenološka interpretacija poglavja z naslovom »Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe [O shematizmu čistih razumskih pojmov]« (t. i. poglavja o shematizmu) v Kantovi Kritiki čistega uma predstavlja pomemben prispevek k fenomenološkemu dojemanju razmerja med bitjo in časom. Članek skuša z natančnim razbiranjem Kantovega besedila rekonstruirati, kako Fink opredeljuje temeljno razmerje med časom, domišljijo (upodobitvijo) in jazom. Ključne besede: Kant, Fink, poglavje o shematizmu, čas, domišljija. Alexander Schnell Finks phänomenologische Auslegung des Kapitels, das „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" in Kants Kritik der reinen Vernunft handelt, stellt einen bedeutenden Beitrag dazu dar, wie das Verhältnis von Sein und Zeit phänomenologisch gedacht werden kann. Fink stellt darin den grundlegenden Bezug von Zeit, Einbildung und Ich heraus. Es lohnt sich daher, seiner eng an Kants Text angelegten Lektüre des Kapitels, das Heidegger als das „Kernstück" (Heidegger 1927/28, 194, 287, 386, 429) der Kritik der reinen Vernunft angesehen hatte, zu folgen. Um Finks Interpretation des Schematismus-Kapitels ins rechte Licht rücken zu können, muss zunächst auf die einsichtsvolle Art eingegangen werden, wie Fink das „Auszeichnende der Transzendentalphilosophie" Kants überhaupt auffasst. In dieser geht es, ganz allgemein formuliert, um die Möglichkeit eines „reinen" Bezugs auf Gegenstände durch und mittels unserer Vorstellungen. Hierfür kann auch der Begriff der „Subsumtion" verwendet werden: Es geht dann darum darzulegen, wie Gegenstände bzw. Vorstellungen derselben legitimerweise unter reine Vorstellungen „subsumiert" (also „rubriziert" oder untergeordnet) werden können. Dafür bedarf es einer Regel. Im empirischen 17 Denken besteht die Regel in Begriffen des Allgemeinen. Die Erfahrung gibt die Einzelfälle vor, die für die entsprechenden Subsumtionen in Frage kommen. In der Transzendentalphilosophie dagegen werden nicht nur die reinen Regeln a priori, im Lichte derer die Subsumtion erfolgen kann, sondern auch der Fall ihrer Anwendung vorgegeben. In ihr werden also nicht bloß jene Unterordnungen vollzogen, sondern immer schon die Fälle und die reinen Subsumtionsverhältnisse vorausgedacht! Diese reinen Subsumtionsverhältnisse, so lautet Kants These im Schematismus-Kapitel, finden in der reinen Anschauung der Zeit statt: Indem die Transzendentalphilosophie die Kategorien mit jenen reinen Verhältnissen in der reinen Anschauung verbindet, sichert sie den Bereich, auf den die Kategorien angewandt werden können, sofern wirkliche Erkenntnis zustande kommen soll. Dieser Bereich wird durch die Grundweisen des sinnlichen Erscheinens gebildet. Die transzendentale Urteilskraft ist also diejenige, die a priori den Anwendungsbereich der Kategorien auf die Grundverhältnisse des sinnlichen Erscheinens vorgibt. (Fink 2011, 265; Hervorh. A. S.) Phainomena 31 | 122-123 | 2022 Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Schematismus sich zwar auf die in der transzendentalen Ästhetik zur Darstellung gebrachte Sinnlichkeit bezieht, dieser „Anwendungsbereich" hier aber auf eine neue Weise spezifiziert wird. Diese Spezifikation besteht darin, dass die genauen (transzendentalen) Bedingungen, unter denen die Gegenstände der Erfahrung in Übereinstimmung mit den Kategorien gegeben werden, ausdrücklich angegeben werden. Damit sind also Funktion und Tragweite des Schematismus unzweideutig bestimmt: Es geht um die sinnlichen, aber apriorischen Bedingungen für den Gebrauch der Kategorien. Fink geht auf die unterschiedlichen Probleme, welche die Subsumtion bei Ursprung, Inhalt usw. der Vorstellung stellt, nicht weiter ein, sondern lenkt die Aufmerksamkeit unmittelbar auf die Frage, wie das „Dritte" beschaffen sein muss, damit die Subsumtion im Falle des Verhältnisses von Kategorie und Erscheinung - also im Falle dessen, was Kant dann das „transzendentale Schema" nennen wird - möglich ist. Und die Antwort lautet bekanntermaßen: Die gesuchten transzendentalen Schemata sind nichts anderes als 18 „transzendentale Zeitbestimmungen". Interessant und bemerkenswert ist, wie Fink diese auslegt. Zunächst eine Vorbemerkung: Unter „transzendentaler Zeitbestimmung" darf bekanntlich nicht verstanden werden, dass dadurch die Zeit selbst bestimmt würde. Die Schemata sind keine transzendentalen Eigenschaften der Zeit. Es handelt sich vielmehr um eine zeitliche Bestimmung, die Kant als „transzendental" kennzeichnet - aber eine zeitliche Bestimmung wovon? Antwort: Von der Art, wie Gegenstände überhaupt in der Zeit sind bzw. sein können. „Transzendental" meint dabei: die Art betreffend, wie darin der reine Bezug auf Gegenstände möglich ist. Dieses In-der-Zeit-Sein hat somit nichts mit Empirie und Erfahrung zu tun - dies ist wichtig, da das „Verzeitlichen" bei Kant prinzipiell stets den Bezug zu eben dieser Empirie herstellt. Hier geht es ausschließlich darum, jene Bestimmungen „im Medium der Zeit" zu denken, bzw. „das In-der-Zeit-Sein wird a priori gedacht" (Fink 2011, 268). Finks Hauptthese lautet nun: Die Anwendung der Kategorien auf die Erscheinungen kann nur dadurch vollbracht werden, „dass wir die Kategorien als die Gegenstandsformen der Gegenstände auf bestimmte Weisen des Inder-Zeit-Seins beziehen und sie temporalisieren" (ebd., 275; Hervorh. A. S.). Alexander Schnell Dadurch werde das „Sachproblem" (ebd., 269) gelöst, wie durch den Bezug der Kategorien auf apriorische Formen der reinen Anschauung Erfahrung allererst ermöglicht werden kann. Diese Hauptthese wird durch mehrere Argumente gestützt. Fink schreibt zunächst: Das Neuartige in dem Problem des Schematismus gegenüber den vorhergehenden Abschnitten der Kritik der reinen Vernunft besteht nicht darin, dass die reinen Verstandesbegriffe und die reine Anschauung als Zeit verbunden werden, sondern darin, dass diese Verbindung als transzendentale Zeitbestimmung, als Bestimmung von Zeitverhältnissen entwickelt wird. Die Temporalisierung der Kategorien meint nicht nur die Beziehung der Verstandesbegriffe auf die Zeit, sondern auf das Inder-Zeit-Sein der Gegenstände der Erfahrung. (Fink 2011, 274.) Unter „Temporalisierung der Kategorien" - die mit deren „Schematismus" gleichgesetzt wird - versteht Fink die Weise, „wie Zeithaftes in der Zeit ist" (ebd., 277). Sein Hauptargument, das die Funktion der transzendentalen 19 Schemata eindrucksvoll erläutert, besteht also in der Parallelisierung ihrer Rolle mit jener der Kategorien. Sowie es ein apriorisches Im-Voraus-Strukturieren der Gegenständlichkeit durch die Kategorien gibt, gibt es auch ein solches der Grundweisen des In-der-Zeit-Seins der Gegenstände durch die transzendentalen Schemata: Der apriorische Entwurf als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung und der Gegenstände der Erfahrung erstreckt sich nicht nur auf die Formen, in denen die Erscheinungen als Dinge strukturiert sind, sondern ebenso sehr darauf, wie die kategorial vorverstandenen Dinge auf bestimmte Weisen des In-der-Zeit-Seins angelegt sind. (Ebd., 273.) Die Rolle der Zeit wird zudem dadurch betont - und damit schließt Fink wieder an die übliche Rolle der Verzeitlichung bei Kant an -, dass die Zeit alles Empirische „durchdringe" und „unterlaufe"; jedes Empirische sei in das „Wasser' des Zeitflusses getaucht" und erweise sich somit als „konkreter als alles Konkrete" (ebd., 274). Phainomena 31 | 122-123 | 2022 Dabei tritt ein wechselseitiges Verhältnis hervor, das Fink als das der „Versinnlichung" der reinen Verstandesbegriffe und der „Verbegrifflichung" der Zeit bezeichnet. Und dieses „Zusammenspiel von Kategorien und reiner Sinnlichkeit" wird dann eben „in den reinen Zeitbestimmungen, den transzendentalen Schemata, thematisch gemacht" (ebd., 273). Fink führt in diesem Zusammenhang schließlich noch einen letzten Begriff ein - den der „Zeitdinglichkeit" (ebd., 274). Husserl hatte in seinen Zeitvorlesungen (die Heidegger 1928 herausgegeben hat) zwischen „zeitlichen Objekten" und „Zeitobjekten" (Hua X, 22f.) unterschieden. Während erstere Objekte in der Zeit bezeichnen (in ihnen aber genauso gut auch von jeglichem zeitlichen Bezug abstrahiert werden kann), haben letztere die Zeit(extension) gleichsam wesenhaft „in" sich. „Zeitobjekte" sind die Zeit als genuine „Gegenstände" verstanden. Wenn Fink hier nun von „Zeitdinglichkeit" spricht, die den Schematismus betrifft, dann handelt es sich gleichsam um eine Zwischenstufe. Die Zeitdinglichkeit ist keine reine Zeitobjektität, denn sie strukturiert durchaus zeitliche Gegenstände. Aber 20 sie fällt auch nicht mit diesen zusammen, sondern sie liefert den zeitlichapriorischen Rahmen, damit die Gegenstände in ihrem In-der-Zeit-Sein begriffen werden können. Hiermit wurde also herausgestellt, worauf es Fink vornehmlich ankommt, nämlich die grundlegende Bedeutung der transzendentalen Schemata hervorzukehren. Bevor er sich an die Aufzählung und Erläuterung dieser Schemata macht, wendet er sich den anderen beiden von Kant berücksichtigten Schemata-Arten zu (nämlich den Schemata „rein sinnlicher Begriffe" und jenen „empirischer Begriffe"), die beide dadurch ausgezeichnet sind, dass sie „Produkt[e] der Einbildungskraft" sind. „Produkt" meint hier nicht Hervorbringung, sondern lediglich Erzeugung in dem eingeschränkten Sinne, dass das Schema „dem subjektiven Vermögen der Einbildungskraft zugeordnet ist" (Fink 2011, 277). Zwar hat das Schema in diesen zwei Bedeutungen (also sowohl in Bezug auf die rein sinnlichen als auch auf die empirischen Begriffe) etwas mit dem „Bild" zu tun, vor allem geht es aber um das, was beide unterscheidet. Worin besteht dieser Unterschied zwischen Schema und Bild? Das Bild ist eine Anschauung, während das für das Schema nicht der Fall ist: Alexander Schnell Das Bild als Anschauung ist durch die Einzelnheit und Bestimmtheit, das Schema dagegen als das Vermittelnde zwischen Denken und Anschauung durch die Einheit im Sinne der Allgemeinheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit gekennzeichnet. (Ebd., 278.) Dem Schema kommt somit im Gegensatz zum Bild, das eine Anschauung ist, eine „Mittelstellung" zwischen Anschauung und Begriff zu. Einerseits steht es gewissermaßen in der Nähe zum Allgemeinen, da die Anschauung durch es als allgemeine eines allgemein Angeschauten bestimmt wird (das im Anschauen durch das Schema Angeschaute ist ein Allgemeines); andererseits hat es aber auch eine Nähe zur Anschauung, da ja das, was hier bestimmt wird, eben die Anschauung (bzw. deren reine Form) ist. Fink schließt hieraus für das Schema im Allgemeinen, dass es „im Kontrast zur Versinnlichung in einer einzelnen Anschauung [bzw. im Bild] als die allgemeine Versinnlichung bzw. als die Versinnlichung des Allgemeinen" (ebd., 283) gekennzeichnet werden kann. An anderer Stelle wiederholt er das ganz ausdrücklich: „Das Schema ist gleichsam die versinnlichte Allgemeinheit bzw. 21 die allgemeine Versinnlichung, das Bild dagegen das angeschaute Einzelne, Bestimmte." (Ebd., 287.) In den beiden Schemata-Arten wird eine Methode vorgestellt, die jeweils eine Vorstellung in einem Bild ermöglicht. Im Fall der rein sinnlichen Begriffe wird eine „Anweisung für [die] Veranschaulichung" (ebd., 280) bzw. „Erzeugung" (ebd., 282) gegeben. Im Fall der empirischen Begriffe ist das Schema „ein Mittleres zwischen dem bloßen Begriff und der anschaulichen Repräsentanz" (ebd.). Fink erläutert Kants Beispiel des Schemas eines Hundes, indem er auf eine eigentümliche Zickzackbewegung verweist: „Gleichsam das Hin und Her zwischen der Vorstellung eines bestimmten Hundes und der Vorstellung der Allgemeinheit des Hundes überhaupt bewirkt das empirische Schema des Hundes." (Ebd.) Der Unterschied zwischen den transzendentalen Schemata und diesen beiden Schemata-Arten besteht darin, dass jene sich in keiner Weise in ein Bild überführen lassen. Die Kategorien verfügen über keine Bilder. Zu den transzendentalen Schemata sei noch einmal wiederholt: Phainomena 31 | 122-123 | 2022 Das Schema eines reinen Verstandesbegriffs ist die reine Synthesis der transzendentalen Einbildungskraft gemäß einer Regel der Einheit, die in der Kategorie gedacht ist, die sich auf die Zeit als die reine Form des inneren Sinnes erstreckt und verschiedene allgemeine Weisen des In-der-Zeit-Seins von innerzeitlichen Erscheinungen bestimmt. In den transzendentalen Schemata werden die allgemeinen Verstandesregeln innerhalb der apriorischen Sinnlichkeit zu Zeitschemata versinnlicht. (Ebd., 285.) Fink kommt nun zu der präzisen Bestimmung der einzelnen transzendentalen Schemata, das heißt der Weisen, wie das In-der-Zeit-Sein der einzelnen Kategorien konkret aufzufassen ist. Seine ausführlichen Erörterungen dazu (er widmet jeder der vier Kategoriengruppen eine eigene Vorlesung) liefern einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis ihres genuinen Sachgehalts. Kants Grundaussage zum transzendentalen Schema der Quantität (was es damit auf sich hat, dass es nur ein Schema hier gibt und nicht drei, darauf 22 wird noch zurückzukommen sein) ist, dass das reine Schema der Größe (quantitatis) qua Kategorie die Zahl sei. Inwiefern hat die Zahl etwas mit dem In-der-Zeit-Sein der Quantität zu tun und warum spricht Kant überhaupt von der „Größe" und nicht von der „Quantität"? Hierzu macht Fink erst einmal eine wichtige Vorbemerkung. Kant sagt zunächst, dass Raum und Zeit jeweils ein „Bild"1 der „Größen (quantorum)" des äußeren und des inneren Sinnes bzw. „für" dieselben (ostpreußisch: „vor" denselben) seien. Wir haben hier also zwei Begriffe - den der „quantitas" und den der „quanta". „In dieser Differenz", so Fink, „liegt das eigentliche Problem des transzendentalen Schemas der Quantität." (Fink 2011, 287.) Um diese Differenz zu erläutern, unterscheidet Fink genauer zwischen „quanta", „quantum" und „quantitas". 1 Fink unterstreicht, dass dieser Begriff des „Bildes" nicht mit jenem verwechselt werden darf, der bei den Schemata der rein sinnlichen und der empirischen Begriffe im Spiel ist. Er erläutert diesen Unterschied (mit Bezug auf den Raum) so: „Der Raum als das reine Bild aller Raumquanta ist nicht wie das empirische Bild ein einzelnes Angeschautes, sondern er ist die eine Anschauung für den äußeren Sinn, wobei ,eine' soviel wie ,einzige' besagt." (Fink 2011, 287.) Alexander Schnell Das reine quantum des Raumes und der Zeit (oder auch: das „kontinuierliche Raum- und Zeitfeld") könne laut Fink als Bedingung der Möglichkeit der Raum- und Zeitquanta aufgefasst werden. Diese sind Raum-und Zeitgrößen, „Eingrenzungen in das Raum- und Zeitkontinuum [= Raum-und Zeitquantum], das selbst nicht begrenzt ist, aber die Ermöglichung für alle Raum- und Zeitquanta bildet" (ebd., 288). Soweit also zu „quantum" und „quanta". Wie verhält sich die „quantitas" zu diesen Begriffen? Die quantitas ist kein Allgemeinbegriff, der das Quantitätshafte von „quantum" und „quanta" enthielte, sondern [m]it der quantitas meint Kant die Seinsweise des Großseins. Er geht damit von dem reinen quantum des Raumes und der Zeit, das die Bedingung der Möglichkeit für Raum- und Zeitquanta ist, über zu dem Problem des Im-Raume-Seins und des In-der-Zeit-Seins von Binnenräumlichem und Binnenzeitlichem. (Ebd.) Die Erläuterung der „quantitas" als „Seinsweise des Großseins" macht 23 das Herzstück der Bedeutungserklärung des transzendentalen Schemas der Quantität aus. Hierfür lassen sich drei Interpretationsthesen Finks ausmachen. Erste These: Alles, was in der Zeit ist, muss eine Größe hinsichtlich des Inder-Zeit-Seins haben (vgl. ebd., 291). Und das wird dadurch gewährleistet, dass das transzendentale Schema des „Wiegroßseins" der Erscheinungen in der Zeit die „Bedingung der Möglichkeit für alle faktische empirische Bestimmung der Extensität der Erscheinungen in der Zeit" (ebd., 290) ist. Dieses transzendentale Schema bezeichnet Kant als die „Zahl". Was ist aber unter dieser zu verstehen? Die Zahl ist nicht die mathematische Entität „Zahl", sondern das „Zählen", also die „Zahloperation", qua zeitlicher Vorgang. Damit wird kein empirisches Zeitmessen gedacht, sondern das apriorische Verhältnis der Zeitbestimmung. In jener als Zählen verstandenen Zahl wird somit das Wiegroßsein von Etwas in der Weise des In-der-Zeit-Seins gedacht. Die zweite These hängt somit unmittelbar mit der ersten zusammen: Zweite These: Die Zahl (qua Schema der „quantitas") gibt eine Anweisung für die Bestimmung des Wiegroßseins. Phainomena 31 | 122-123 | 2022 Die quantitas ist also nicht der Allgemeinbegriff für alle quanta, sondern in ihr wird das Wiegroßsein der in das reine quantum eingezeichneten quanta gedacht. Die quantitas als das Wiegroßsein als solches ist keine Bestimmung, die dem Raum oder der Zeit selbst zukommt, sondern ist eine kategoriale Struktur des Verstandes, deren reines Schema die Zahl ist. (Ebd., 288.) Wie erfolgt aber genau die Bestimmung des Wiegroßseins durch die Zahl? Das wird mit der dritten These beantwortet. Dritte These: Die Bestimmung des Wiegroßseins hinsichtlich des In-der-Zeit-Seins geschieht durch das Erzeugen der Zeit als Begrenzen derselben. Unter „Erzeugen der Zeit" wird kein „Erschaffen" oder „Hervorbringen" derselben verstanden: Wenn Kant von der Erzeugung der Zeit in der Apprehension der Anschauung spricht, dann meint er nicht das Hervorbringen der 24 Zeit überhaupt, sondern das Durchlaufen von Jetzten, wodurch eine Zeitweile als so und so groß bestimmt wird. Wir erzeugen die Zeit, nicht indem wie sie hervorbringen - denn das Hervorbringen wäre selbst ein zeitlicher Vorgang, der nur auf dem Grunde der Zeit möglich ist -, sondern indem wir das reine Mannigfaltige, die Jetzte synthetisieren und dadurch eine bestimmte Zeitstrecke begrenzen, ein In-der-Zeit-Sein eines Zeithaften in seinem Wiegroßsein bestimmen. (Ebd., 290.) Worauf es bei der apriorischen Bestimmung der Erscheinungen in Bezug auf die Quantität wesenhaft ankommt, ist also die „grundsätzliche Messbarkeit der räumlichen und zeitlichen Erstreckung der Erscheinungen in endlichen Größen bzw. auf das endliche Anlegen des Maßstabes" (ebd., 293). Zu der Frage, weshalb Kant nicht die Schemata von Einheit, Vielheit und Allheit entwickelt hat, sagt Fink so gut wie nichts. Er merkt lediglich an, dass Kant das Schema der Quantität nur auf dessen allgemeines Prinzip hin befragt hat und dass die „Erscheinungen [...] insgesamt jeweils eine mit einer bestimmten Größe" sind, „mit vielen anderen zusammen" vorkommen und „in ihrer Gesamtheit eine Einheit höherer Art, d. h. die Allheit" (ebd., 292) bilden. Alexander Schnell Kommen wir nun zum Schema der Qualität. Hier wird nicht, wie für das Schema der Quantität, bloß das allgemeine Prinzip dargelegt; gleichwohl werden auch hier nicht alle Schemata der drei Kategorien der Qualität entwickelt. Kants Argumentation konzentriert sich auf die erste Kategorie der Qualität - also auf die „Realität". Das Schema der Negation leitet sich dann unmittelbar daraus ab. Das Schema der Limitation wird nicht behandelt. „Realität" bedeutet nicht „Wirklichkeit" oder „Dasein". Die Kategorie der „Realität" hängt mit der „Empfindung" zusammen. Die Realität „korrespondiert" einer Empfindung. Und die Empfindung sorgt dafür, dass die Erscheinung etwas Bestimmtes, „ein bestimmtes Etwassein" ist. Laut der transzendentalen Ästhetik wird die empirische Empfindung durch die apriorischen Formen von Raum und Zeit geordnet, das heißt: Jene setzt diese voraus. Wenn nun die Zeit vor dem Raum einen Vorrang hat, weil alles, was durch den äußeren Sinn gegeben wird, auch im inneren Sinn angetroffen wird, dann folgt daraus, dass die Empfindung zeitlich geordnet wird, wenn der Gegenstand das Gemüt affiziert. Das In-der-Zeit-Sein der Empfindung und 25 dementsprechend der korrespondierenden Realität ist also von vornherein gesichert.2 Die Frage ist, welches transzendentale Schema dabei geltend gemacht wird. Fink zeigt auf, dass die Argumentation von Kant über den Begriff des „Grades", das heißt der „intensiven Größe" geführt wird: „Das Sein der Erscheinungen als In-der-Zeit-Sein ist grundsätzlich durch intensive Größen bestimmt, deren Grade Grade der Bezogenheit zur Empfindung sind." (Fink 2011, 293.) Und diese Intensität ist nichts weiter als mehr oder weniger starke „Zeiterfüllung", „Zeitfüllsel" (ebd., 300). Das Schema der Realität ist somit erfüllte Zeit - genauer: „die kontinuierliche und gleichförmige Erzeugung der Realität als Quantität von Etwas, was die Zeit erfüllt" (ebd., 298). Das Schema der Negation ist dementsprechend abgenommene oder entleerte Zeit. 2 Fink schreibt: „Seiendes, was mit der Empfindung zusammenhängt, ist Seiendes in der Zeit. Etwassein von solchem, was in der Zeit ist, ist notwendig mit der Empfindung verbunden." (Fink 2011, 293.) Phainomena 31 | 122-123 | 2022 Was das transzendentale Schema der Limitation betrifft, wird dieses nach Finks Dafürhalten deswegen „übergangen", weil darin bereits eine Mehrheit von Erscheinungen in Zusammenhang gedacht wird, was bereits eine „Überleitung" zur Kategoriengruppe der Relation darstelle. Damit ist auch schon der Übergang zu derselben vollzogen. Für Fink hat die Gruppe der Relationskategorien insofern eine fundamentale Bedeutung, als sie die Zeitbezogenheit der Kategorien nicht nur auf einzelne Gegenstände, sondern hinsichtlich der „Gesamtstruktur der Erfahrung" (ebd., 300) betrifft. Dabei kommt jeder der drei Kategorien der Relation eine eigene und besondere Rolle zu. In der ersten dieser Kategorien - der der Substanz - wird das Verhältnis von Prädikaten oder Eigenschaften und dem Träger derselben gedacht. Kant bezeichnet dieses Verhältnis als ein solches von „Subsistenz" und „Inhärenz". Wie lässt sich nun die Substanz als Weise des In-der-Zeit-Seins von Erscheinungen denken? Finks Antwort lautet: „Das Subsistieren in ein Zeitverhältnis übersetzt bedeutet im Gegensatz zum Inhärieren ein Bleiben, 26 Beharren im Wechsel." (Ebd., 301.) Dabei kommt es auf die Verschränkung von Bleiben und Wechsel an. Verschränkung heißt aber nicht Gleichzeitigkeit von Bleiben und Wechsel in dem Sinne, dass das eine bliebe und das andere wechselte bzw. umgekehrt. Mit dem transzendentalen Schema der Substanz wird vielmehr ein Substratum aller (empirischen) Zeitbestimmung, also ein Zugrundeliegen für jedes Bleiben und jeden Wechsel gedacht. Fink nennt dieses eine „vorgängige apriorische Zeitbestimmung" bzw. der Ansatz „eines grundsätzlichen Bleibens im Wechsel des Wechselbaren" (ebd., 302). Damit wird gleichsam das noematische Pendant zum Ich qua noetischer Instanz der Einheitsstiftung der Erlebnisse herausgestellt: Analog [...], wie das Ich als der identische Einheitspol die Bedingung für die Mannigfalt [sic!] der Erlebnisse im Wandel der Erscheinungen ist, wird in dem Beharren der Substanz ein Beziehungspunkt gedacht, der im Abströmen der Erscheinungen als dessen Bestimmungen beharrt und in diesem Beharren derselbe bleibt. (Ebd.) Alexander Schnell Fink betont nun aber, dass der „Substanz"begriff in diesem „Beharren der Substanz" geklärt werden muss. Versteht Kant die Substanz singularisch (wie Spinoza) oder pluralisch (wie Leibniz)? Kants Satz: „Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Dasein des Wandelbaren" (A 144/B 183), liefert laut Fink die Antwort auf diese Frage. Folgender längerer Passus gestattet es dann, die Weise des In-der-Zeit-Seins der Kategorie der Substanz zu fassen: Die Zeit selbst hat die sonderbare Struktur des Bleibens und Wechsels. Sie bildet den ersten Grundriss einer Verspannung dieser beiden Momente. [...] Die Zeit ist die immerseiende Voraussetzung des Nicht-immer-Seins der endlichen Erscheinungen in der Zeit. Diese Struktur der Verspannung von Bleiben und Wechsel nimmt Kant in den Blick, um von ihr aus eine analoge Struktur beim Inder-Zeit-Seienden aufzusuchen. Das In-der-Zeit-Seiende wird so vorgestellt, dass es einen Zeitinhalt darstellt, der beständig ist, der aber in immer neuen endlichen Gestalten erscheint. Dieser eine Zeitinhalt ist die singularisch verstandene Substanz, d. h. aber die 27 Weltmaterie, die die Zeit dauernd füllt und aus der die Figurationen und Kompositionen der endlichen zeitlichen Gestalten der binnenzeitlichen Dinge entstehen. Diese Urmaterie als der Zeitinhalt der beständig anwesenden Zeit ist die monistische Substanz, deren Akzidenzien die Dinge sind, die wir als endliche Substanzen auffassen. Das Verhältnis von Substanz und Akzidenz wird von Kant von den endlichen Einzelsubstanzen auf die Ursubstanz zurückgeschraubt. Sie als das Unwandelbare im Dasein der Erscheinungen korrespondiert der Zeit als der unwandelbaren und bleibenden. Im Hinblick auf die paradox zu beschreibende Struktur der Zeit als der Verspanntheit von Kontinuität und Diskretheit spricht Kant von dem ihr korrespondierenden Zeitsubstratum, das in allem Wechsel seiner Akzidenzien das Beharrende ist. An ihm gemessen, sind alle endlichen Dinge nur Erscheinungen, d. h. Bestimmungen der einen, in der Zeit unvergänglichen Substanz. So wie die Zeit verharrt und in ihrem Bleiben den Wechsel ermöglicht, so beharrt das der Zeit korrespondierende Zeitsubstratum und ermöglicht in Phainomena 31 | 122-123 | 2022 seinem Beharren den Wandel der Zeitlängen und Zeitgrößen der Erscheinungen als der Akzidenzien des Substratums. (Fink 2011, 304f.)3 Nach Finks Dafürhalten sind hierbei drei strukturelle Ebenen zu unterscheiden: die Struktur der Zeit selbst, die Struktur der monistischen Substanz und die Struktur der einzelnen Gegenstände oder pluralischen Substanzen. Letztere lässt sich von jener der einen Substanz und die Struktur der einen Substanz wiederum von der der Zeit selbst ableiten. So ist also die Definition des transzendentalen Schemas der Substanz - wonach sie „die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit" im Sinne des angesprochenen „Substratums" ist - zu verstehen. Das transzendentale Schema der Kausalität ist von nicht geringerer Bedeutung für das Erfassen der ursprünglich zeitlichen Gesamtstruktur der Erfahrung. Es betrifft nicht mehr die transzendentale Zeitbestimmung eines Einzeldinges, sondern jene der kausalen Verbundenheit der Einzeldinge 28 unter- oder miteinander. Durch es wird, wie Fink sich ausdrückt, die bloß zeitliche Folge - die „Nachfolge" - zu einem „Infolge". Das „Infolge" stellt dabei eine Verbundenheit zwei sich zeitlich folgender Zustände her, wodurch diese sich als „Verkettung" von Ursache und Wirkung erweist. Auffällig ist, dass die Notwendigkeit dieses Verbindungs- und Verkettungscharakters des transzendentalen Schemas der Kausalität - qua „jederzeitiger Folge eines Realen" - nicht erwiesen wird (das geschieht dann erst in den „Analogien der 3 Dieses Zeitsubstratum vertieft auf eine interessante Weise das, was man das „Idealismusproblem" in der Kritik der reinen Vernunft nennen könnte. In seiner berühmten Widerlegung des Idealismus in der B-Auflage kommt es Kant darauf an, auf die Wahrnehmung eines „äußeren" Beharrlichen zu verweisen, das mein Dasein in der Zeit zuvörderst (in Absehung auf die Begründung von Erfahrung und Erkenntnis) bestimmen muss - oder allgemeiner formuliert, es gilt ihm zu erweisen, dass innere Erfahrung nur unter der Voraussetzung äußerer Erfahrung möglich ist. Man könnte sich fragen, ob das hier herausgearbeitete Zeitsubstratum nicht gewissermaßen eine idealistische Antwort auf die Idealismus-Widerlegung darstellt - die Fink anhand Kants Darlegungen zum Zeitsubstrat hervorkehrt! Und zwar nicht, um jene Widerlegung einfach umzukehren und einen platten Idealismus zu behaupten, sondern um herauszuarbeiten, wie ein doch subjektiv konstituiertes Zeitsubstratum die Scheidung von „innen" und „außen" allererst möglich macht. Alexander Schnell Erfahrung", die aufweisen, dass nur durch die Kausalgesetzlichkeit Erfahrung überhaupt möglich sein kann). Kant - und Fink auf dieselbe Weise - behaupten lediglich, dass das transzendentale Schema der Kausalität die „Nachfolge" zu einem „Infolge" macht. Die Erklärung aber, wie das möglich ist, gehört offenbar nicht zu den Aufgaben des Schematismus. Während also das erste transzendentale Schema der Relation die Beharrlichkeit und das zweite Schema die Folge (oder Sukzession) betrifft, führt das dritte Schema auch den dritten „Zeitmodus" (vgl. A 177/B 219) - nämlich das Zugleichsein - ein. „Das Schema der Gemeinschaft denkt die Verflechtung der Einzeldinge in der Form der universellen Gleichzeitigkeit." (Fink 2011, 308.) Die Hauptthese Finks hierzu lautet, dass die Gleichzeitigkeit sich nicht auf die empirische Feststellung der Messbarkeit zweier Phänomene bezieht, sofern diese im selben Jetztpunkt der objektiven Zeitreihe zusammenträfen, sondern die Aufweisung einer „beharrenden Gleichzeitigkeit der Substanzen" betrifft, die auf eine absolut vorausliegende Gleichzeitigkeit verweist (vgl. ebd., 310). Der Unterschied zu jener Gleichzeitigkeit der Verschränkung von Bleiben und Wechsel im ersten 29 transzendentalen Schema der Relation besteht darin, dass diese „statisch" ist, während die des dritten Schemas „dynamisch" ist. Dies verdankt sich der Tatsache, dass die dritte Kategorie einer Kategoriengruppe je eine Verbindung der ersten und der zweiten darstellt (und das somit auch auf die transzendentalen Schemata zutrifft). „In der Kategorie der Wechselwirkung und ihrem Schema wird die Statik der Substanzialität und die Dynamik der Kausalbewegung zusammengespannt." (Ebd.) Dadurch wird deutlich, dass das transzendentale Schema der Wechselwirkung die Substanz nicht als monistische denkt, sondern einen Pluralismus von Substanzen betrifft. Ob damit aber diesem dritten transzendentalen Schema der Gruppe der Relationskategorien ein Vorrang zukommt oder ob doch die erste weiterhin als „Grundstruktur der Zeit selbst" (ebd., 309) aufgefasst werden muss, bleibt in Finks Lesart letztlich unausgemacht. Genauso wie die Kategorien der Modalität das Besondere an sich haben, lediglichdasVerhältniszumErkenntnisvermögen auszudrücken,unterscheiden sich die transzendentalen Schemata der Modalität von den anderen dadurch, dass sie die drei Verhältnisse der subjektiven Vorstellung von einem Gegenstand Phainomena 31 | 122-123 | 2022 zur Zeit darstellen. Sie sind laut Fink „Reflexionsbestimmungen", durch welche die Vorstellung von einem Gegenstand in den Bezug zur Zeit gebracht wird. Dabei werden aber nicht nur die Modalitätsbegriffe selbst verzeitlicht, sondern die Modalitätsbegriffe werden insbesondere auch auf das Subjekt und dessen Zeitlichkeit zurückbezogen. Finks Hauptthese hinsichtlich der Modalitätsschemata besagt, dass allererst mit ihnen der Bezug von Sein und Zeit deutlich wird, denn dieser Bezug ist die Voraussetzung für das In-der-Zeit-Sein der Modalitätskategorien: Erst wenn wir den Seinsbegriff mit der Zeit verbinden, wenn wir Sein und Zeit zusammendenken und das Sein der Erscheinungen als Sein in der Zeit denken, können wir das, was wir im Möglichsein, Wirklichsein, Notwendigsein denken, unter transzendentale Zeitbestimmungen bringen [...]. (Ebd., 312.) Fink extrapoliert dies dann auf die Rolle der transzendentalen Schemata 30 überhaupt, sofern sich nämlich in der „verzeitlichten Grundstruktur eines Dinges als eines Gegenstandes der Erfahrung" „das Seins- und Zeitverständnis" (ebd., 329) zusammenschließen. Er geht sogar so weit zu sagen, dass hier das „Grundproblem des Kantischen Idealismus formuliert" werde, nämlich, dass „das ens nur ein solches sein kann, das in der Zeit ist" (ebd., 319). Die Aufzählung der transzendentalen Schemata der Modalität ergibt folgendes: „Möglichsein" und „Möglichkeit" gibt es nur im Horizont der Zeit. Für ihr transzendentales Schema bedeutet dies, dass es der „Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgendeiner Zeit" (A 144/B 184) entspricht. Damit ist gemeint, „dass die Schematisierung der Kategorie der Möglichkeit im Einbezug einer Vorstellung von einem erscheinenden Ding in das Zeitfeld beruht, ohne dass dazu angegeben werden muss, an welcher Zeitstelle sich das Mögliche befindet" (Fink 2011, 314). Das transzendentale Schema der Wirklichkeit - und zwar der eines Einzeldings - wird von Kant als „das Dasein in einer bestimmten Zeit" (A 145/B 184) gekennzeichnet. Auch hier ist der Rückbezug aufdas subjektive Vorstellen impliziert (gleiches wird auch für das transzendentale Schema der Notwendigkeit gelten). „Bestimmte Zeit" meint hier die Verortung auf einer bestimmten „Zeitstelle". Alexander Schnell Das transzendentale Schema der Notwendigkeit ist schließlich „das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit" (A 145/B 184). Notwendigsein muss mit Immersein gleichgesetzt werden bzw. Notwendigkeit muss als „Ständigkeit des In-der-Zeit-Seins" (Fink 2011, 314f.) aufgefasst werden, wenn der Gebrauch der Kategorie der Notwendigkeit möglich sein soll. „Im schematisierten Begriff der Notwendigkeit wird ein unablässiges, anfangs- und endloses Inder-Zeit-Sein gedacht." (Ebd., 315.) Fink fasst die Funktion der transzendentalen Schemata der Modalität in folgenden Worten zusammen: „Die unbestimmte Zeit, die bestimmte Zeit und die Allzeitigkeit bilden die drei Zeithorizonte, von denen her er die ontologischen Begriffe der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit temporalisiert." (Ebd.) Nach dieser Aufzählung der transzendentalen Schemata der Kategoriengruppen (bzw. der besagten Kategorien) wirft Kant noch einmal einen Blick auf die Schemata zurück. Es geht dabei noch einmal - und dabei in gewisser Weise näher betrachtet - um die Funktion der Zeit hinsichtlich des in der Zeit Erscheinenden. Fink fasst diesen Rückblick so zusammen: Das Schema der Quantitätsgruppe beruht in der Erzeugung (Synthesis) der Zeit selbst in der sukzessiven Apprehension eines Gegenstandes, das Schema der Qualitätsgruppe in der Synthesis der Empfindung mit der Vorstellung der Zeit, d. h. in der Erfüllung der Zeit, das Schema der Relationsgruppe im Verhältnis der Wahrnehmungen untereinander zu aller Zeit nach einer Regel der Zeitbestimmung und das Schema der Modalitätsgruppe in der Zeit selbst als dem Korrelat der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehört. Die Schemata sind daher, wie Kant sagt, nichts als Zeitbestimmungen apriori nach Regeln [A 145/B 184]. Sie erhalten ihre Ordnung nach der Ordnung der Kategoriengruppen und stellen die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung und den Zeitinbegriff dar. In diesen transzendentalen Schemata wird das In-der-Zeit-Sein der Erscheinungen nach einer Vierfalt von Hinsichten gedacht. (Fink 2011, 315f.) Diese „Vierfalt von Hinsichten" stellt sich für Fink so dar, dass das Sein der Einzeldinge aus dem Horizont der Zeit in einer vierfachen Richtung verstanden Phainomena 31 | 122-123 | 2022 wird nämlich als Zeitreihe, Zeitinhalt, Zeitordnung und Zeitinbegriff. Diese vier Begriffe werden dabei in einem gänzlich neuen Sinn verstanden, der von ihrer üblichen Bedeutung stark abweicht. 1.) Zeitreihe. Das transzendentale Schema der Gruppe der Quantität ist die Zeit als Zeitreihe. Mit „Reihe" bzw. „Reihenhaftigkeit" wird auf Extensivität (bzw. „Extensivsein") Bezug genommen, das heißt: auf „die vorstellende Erzeugung einer bestimmten Zeitgröße eines Gegenstandes" (ebd., 316). Es geht also, wie gesagt, um das „Großsein eines Dinges in der Zeit" (ebd.). „In der Zeitreihe tritt der Zeitaspekt der Abfolge in den Blick [...]." Dabei „gilt, dass alle Erscheinungen, die wir erkennen, eine innerzeitliche Erstreckung haben. Darin bekundet sich eine der Weisen, wie die Zeit das in ihr Seiende sein lässt und ihm seine Weile gewährt" (ebd.). 2.) Zeitinhalt. Das transzendentale Schema der Gruppe der Qualität ist „erfüllte Zeit" (Realität) bzw. „leere Zeit" (Negation). Damit wird der jeweilige (erfüllte oder entleerte) Zeitinhalt bezeichnet. „Der Zeitinhalt meint das zeitfüllende In-der-Zeit-Sein von Erscheinungen als ein Übergänglichsein 32 zwischen Nichts und einer bestimmten Intensitätsgröße, die auf die Gradualität der Empfindung zurückbezogen ist." (Ebd.) Das In-der-Zeit-Sein gibt sich hier gleichsam als „Schwanken des Realitätsgehaltes", der „Realitätsfülle" (ebd.). 3.) Zeitordnung. Das transzendentale Schema der Gruppe der Relation ist die „Zeitordnung". „Zeitordnung" ist nicht Ordnung der Zeit, sondern Ordnung der Erscheinungen hinsichtlich der Zeit bzw. in der Zeit. Das in der Zeit sich Erstreckende und die Zeit Füllende steht zugleich in einer bestimmten Ordnung in der Zeit, es unterliegt der Regel der Verspannung von Bleiben und Wechsel in der Substanz, der Regel der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität und schließlich der Regel des Zugleichseins nach dem Gesetz der Wechselwirkung. Kommt die Zeit als Zeitreihe hinsichtlich der Abfolge und als Zeitinhalt hinsichtlich ihrer graduell unterschiedlichen Füllbarkeit in den Blick, so erscheint die Zeit als Zeitordnung unter dem Aspekt der dreifachen Form, in der sich die Erscheinungen untereinander in der Zeit verhalten. (Ebd., 317.) Alexander Schnell Es bestätigt sich hier also noch einmal, dass mit der dritten Schemata-Gruppe die ersten beiden dahingehend „überholt" werden, dass hier die Erfahrung in ihrer grundlegenden (zeitlichen) Struktur in den Blick genommen wird. 4.) Zeitinbegriff. Das transzendentale Schema der Gruppe der Modalität ist der „Zeitinbegriff". Auch hier meint „Zeitinbegriff" nicht den Inbegriff der Zeit selbst, sondern das In-der-Zeit-Einbegriffensein. Damit ist der Zeitaspekt des „alle Erscheinungen Umfassenden" (ebd.) gemeint. Die Zeit, betont Fink, ist eine alles Erscheinende einbegreifende und ihm vorausliegende Totalität. Fink fasst schließlich die vier Schemata auf folgende Weise (welche die Aufzählung in umgekehrter Reihenfolge durchgeht) prägnant zusammen: [D]ie Zeit umgreift das Sein aller Erscheinungen; sie regelt durch die bestimmte Struktur der Verkettung alles in ihr erscheinende Seiende; sie ist das, was durch das Binnenzeitliche gefüllt wird, was sich einer Füllung durch Innerzeitliches öffnet; sie ist schließlich dasjenige, was dem sie Füllenden eine bestimmte Erstreckung zulässt. (Ebd.) 33 Damit wird das umrissen, was Fink Kants „Temporalontologie der Einzeldinge" nennt. In diesen transzendentalen Bestimmungen des In-der-Zeit-Seins der Erscheinungsdinge verliert die Zeit den sonst verkürzten Aspekt, dass sie nichts anderes sei als ein Medium, in welchem die Begebenheiten gereiht sind und in welchem es gewisse Ordnungen gibt. Die Aspekte der Reihung, Füllung, Ordnung und Einbegreifung werden von Kant von der Zeit her auf die innerzeitlichen Dinge hin gedacht. In ihnen vollzieht sich die temporale Durchmachtung des Binnenzeitlichen von der Zeit her. (Ebd., 317.) Jene „Temporalontologie" besteht somit darin, dass die Erscheinungsdinge zeitlich durchgliedert werden. Dies wird, so lautet Finks These, durch eine „doppelte Synthesis" ermöglicht. Das Mannigfaltige des inneren Sinnes (der Zeit) wird zum Einen durch die von der Einbildungskraft hervorgebrachten Zeitschemata synthetisiert; und die dadurch entstandenen Einheiten Phainomena 31 | 122-123 | 2022 werden zum Anderen ihrerseits durch die transzendentale Apperzeption synthetisiert. Und der entscheidende Punkt ist dabei, dass „Zeitschema und Ichbewusstsein [...] als die doppelte Synthesis der Einbildungskraft und der transzendentalen Apperzeption zusammenwirken" müssen, „damit Erkenntnis von binnenzeitlich [also ,objektiv' in der ,immanenten Sphäre'] erscheinenden Dingen möglich ist" (ebd., 318). Jede Dingerscheinung setzt das Zusammenspiel von Zeit, Einbildung und Ich voraus. So lässt sich Finks Auslegung von Kants Schematismus-Kapitel auf den Punkt bringen. Und, so vollendet Fink diese Auslegung, die sich ganz in den gnoseologischen Horizont der Erkenntnis von Gegenständen einschreibt, „[d]araus, dass die Kategorien einer Temporalisierung fähig sind, schließt Kant, dass sie einzig und allein unter der Bedingung dieser ihrer Temporalisierung Erkenntnisbedeutung haben können" (ebd.). Fink beschließt seine Auslegung des Schematismus-Kapitels mit zwei wichtigen Bemerkungen zu den Begriffen der „Bedeutung" und des „Phainomenons". 34 Wenn Kant behauptet, die „Schemata verschaffen den Kategorien Bedeutung", heißt das, dass jene „gegenstandstreffende Bedeutung" (ebd., 320) haben, und sich nicht auf das im Begriff Gemeinte beschränken. Die Schemata machen dabei den apriorischen Gegenstandsbezug möglich und komplettieren dadurch das Desideratum der Kategorien-Deduktion. Die Schematisierung gibt den Kategorien nicht ihre logische Bedeutung, die sie auch außerhalb ihrer Verzeitlichung haben, sondern sie verschafft ihnen den apriorischen Gegenstandsbezug, so dass wir in den schematisierten Verstandesbegriffen nicht nur auf eine ideale Bedeutungseinheit bezogen sind, sondern in ihnen das Gegenstandsein der Erfahrungsgegenstände erkennen. (Ebd.) Es gibt aber in diesem ganzen Zusammenhang noch einen anderen Bedeutungsbegriff, und dabei kommt der Begriff des „Phänomenons" (A 146/B 186) ins Spiel. Lassen wir abschließend Fink hierzu ausführlich zu Wort kommen: Alexander Schnell Das Schema als die Widerspiegelung der synthetischen Einheitsfunktion der Kategorie in den apriorischen Formen des In-der-Zeit-Seins nennt Kant auch das Phaenomenon, d. h. den sinnlichen Begriff eines Gegenstandes in Übereinstimmung mit der Kategorie. [...] Versinnlichung der Begriffe meint aber nicht ihre durch sinnliche Qualitäten, sondern nur ihren Bezug zum Zeithaften als solchen. [.] Wenn wir nun aber die Kategorien ohne ihren notwendigen Bezug zu ihren Schemata denken, so könnte es scheinen, als ob wir die Reichweite ihrer Erkenntniskraft, die zunächst durch die Verzeitlichung restringiert wurde, amplifizieren. Denn wir könnten dann meinen, dass die Kategorien in ihrer „reinen Bedeutung" ohne die Bedingungen der Sinnlichkeit die Dinge so erkennen, wie sie an sich sind, und nicht nur, wie die schematisierten Begriffe, wie sie erscheinen. In dem Ausdruck „reine Bedeutung" spricht Kant in einem anderen Sinn von „Bedeutung" als dort, wo er sagt, dass die Schemata den reinen Verstandesbegriffen allererst Bedeutung verschaffen. Dort meint „Bedeutung" soviel wie „sachbetreffender Bezug". Hier4 hat die „reine Bedeutung" den Sinn des in der Kategorie als Denkform jeweils 35 Gedachten als solchen, angesichts dessen der Gedanke aufkommen könnte, dass dieses das Ding in seinem Ansichsein und nicht, wie der schematisierte Begriff, in seinem Für-uns-Sein, d. h. in seinem bloßen Erscheinen betrifft. Kant identifiziert sich jedoch mit diesem Gedanken nicht, sondern er weist damit nur auf die Meinung des traditionellen Rationalismus hin, der das Denken des Seienden als ein solches versteht, das jenes in seinem Ansichsein erschließt, gemäß dem Satz: „dasselbe ist Sein und Denken". Diese Parmenideische Grundgleichung wird von Kant in der Kritik der reinen Vernunft auf entschiedene Weise angegriffen. Er löst das Problem von Sein und Denken dahingehend, dass er sowohl Elemente des Rationalismus als auch des englischen Empirismus aufgreift und in eine neue Beziehung bringt, wonach die apriorischen Elemente allein auf das zeithaft Seiende eingeschränkt werden. Die Kategorien haben für Kant nur in ihrer Verbindung mit den Schemata gegenstandsbezogene Bedeutung. (Fink 2011, 327f.) 4 Zum Bedeutungsbegriff bei Kant siehe: Cibotaru 2022 (voraussichtlich). Phainomena 31 | 122-123 | 2022 Auf diese Weise scheint Fink Heidegger darin Recht zu geben, dass Kant der erste Denker gewesen sei, der Sein und Zeit grundlegend zusammengedacht habe. Bibliographie | Bibliografija Cibotaru, Veronica. 2022 (voraussichtlich). Le problème de la signification dans les philosophies de Kant et Husserl. „Mémoires des Annales de Phénoménologie". Dixmont/Wuppertal: Association Internationale de Phénoménologie. Fink, Eugen. 2011. Epilegomena zu Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft. Ein phänomenologischer Kommentar (1962-1971) (= EFGA 13.1-3). Hg. von Guy van Kerckhoven. Freiburg/München: Alber. Heidegger, Martin. 1927/28. Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft (= HGA 25). Hg. von Ingtraut Görland. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Klostermann, 1987. Husserl, Edmund. 1969. Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins 36 (1893-1917) (= Hua X). Hg. von Rudolf Boehm. Nachdruck der 2., verb. Auflage. Den Haag: Martinus Nijhoff.