lzc Wcstcrm.niü. 1855. Inhalt des zweiten Vande» Zcitc. Knechtschaft.......... t Bureaukratie. Oeffentlicht und geheime Polizei . . . 39 Instiz...........^8? Knechtschaft. Emc große Fiirsim sagte zu einem ?lusl>»»del, der sich ül'cr die llincinlichkeit des geineincn Volks ihrcs Reichs beklagte: „Naruni wollen Eie, daß sic f»r einen 2«b Sorge tliigcn sollen, der ihnm nicht zx^ehört!" Vm Dolchstich i»i!tm diuch d>is Herz dcö Gmuiö der lvtenschheit! K l i ll g r l. MühlMd. II 1 Denkt nicht, eö müsse Herrn und Knechte geben, Arbeiter gibt es nur im Weinberg Gottes! Ihr säet nicht, und wollt doch ernten. Ihr hant nnd baut, und zimmert nicht! Vom Norden weht kein milder Hauch herüber. Pan nasch, sszerny Georg. „Die Welt ist vollkommen überall, Wo dcr Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual!" Ist das nicht wcchr? Nein! es ist nicht wahr! Wo Knechtschaft meine Nachbarschaft ist, und die Ungerechtigkeit auch an Dem sich vergreift, was meiner Seele theuer M oder ich es ängstlich nur schützen kann, da ist die Welt nicht vollkommen, sondern der Spruch nur eine Schwulst der Phantasie, cine Seifenblase dcr Schwär mcrei, mit der Geliebten der Welt zu cntsageu. und uutcr weidenden Hccrben die idillische Welt zu genießen. In Rußland kennt mau das Menschengeschlecht ohne Qual nHt. und ans den andern Specialkartcn ist auch das Land nicht 3" finden, wo die Seligkeit hauste, oder die 8«i.i,)lei-w allemanäe sich constitutionel colonisiren konnte. Aber es gibt Länder, wo das Fcgfcner brennt, und dcr Mensch für vergangene und künftige Sünden büßt. 1' 4 Knechtschaft. Die Nationen ssuropa's haben eine großartige Epoche durchlebt. Das Jahr 178N hat allen seinen mächtigen Einfluß hinterlassen. Sie sind bewußter ihrer Kraft am heimischen Heerdc. IcdeS will den Kampf seiner Unabhängigkeit nach Innen nnd Außen bestehen, sie wahren, oder sclbstständig werden. Nur an Einem ging das Oute unbeachtet vorüber, welches von jenem welthistorischen Iahrc ausging, am russischen. Wenn die Todten die Lebendigen richteten, so würden die auferstandenen Russen Peters unstreitig ihren Nachkommen bezeugen: „Gewaltiger Fortschritt in Ench! Ihr habt zn unsern vaterländischen Badestuben ncne Schwitzbäder, die Bälle, eingeführt, nnd Dies und Jenes nachgedruckt und nachgemacht; allein im Käuzen seid Ihr, in Seide gewickelt, geblieben was wir in Wolle waren, Ihr füllt den traben so gut wie wir." Peter würde sagen: „Ich habe genug Reliquien, meine Stöcke, hinterlassen zum Gebrauch für Alle, aber ohne Ansehen der Person." Der Phalanx von Rußlands Lobhudlern und falschen Freunden hat es nie unterlassen, dessen Volk vor dem giftigen Auslande zu warnen. Auch der Minister deS öffentlichen Unterrichts spricht in einem Berichte von <83 u>ä! (Eßt Herr! ivcnn es kein Gift ist)!" rief mir ein dreister Bcngel zu, indem er mir das Papier mit dem (Mor an den Mund hielt. Ehe er sich's versah, flog eine Ohrfeige aus meiner Hand an seine beschmutzte Wange. mit den Worten: wirst Du Alles fressen, was mau Dir vor das Maul hält? I>l'.-nv<1c!, I>l-3vvVlwk! (sich, sieh' ein Polizei-Hacken!) schallte es nun in dem Volkshaufcu. Die ganze Masse eilte von der Brücke dem Krutschok, welches in Rußland die generelle Benennung für ein Polizeiglicd und für jeden Gauner ist, in der ungchcnchclten Absicht entgegen, ihn zw ru,^i i. c>. nissisch sittlich, durchzuprügeln. Weiß der Hinnnel wie es kam. meine Zuuge ge-ricth in's Stocken, und ich betete still für mich: Herr, Dein Wille geschehe im Himmel wie auf Erden! Die Polizei füttert ihre Pferde gut. Flugs ließ der Nadsiratcl wenden, und die vier Füße warm schneller als die Legion, die ihn eine Strecke verfolgte. Eine Hauptversammlung der Bauern während des Cholcrabc-suchs war auf dem Heu- und Victualicn-Markte. In einem winzigen Gäßchm daselbst war ein Choleralazareth angelegt. Lebendige trug man hinein, und Todte heraus. Das paßte nicht in den Sinn des großen Nationaleonvcnts, und er beschloß, die von den Aerzten zum Tode Verurtheiltm zu retten. Die uniformirtcn Mediziner wurden vertrieben, versteht sich ^ ru,^i, die Bettstellen auf die Straße geworfen, die Kranken in ihre Wohnungen gebracht, und — o medici! z)i'» «nncln .lupkoi'! — sie genasen. Wer sollte nun der Dummheit die Pulsader öffnen? Die Polizei durfte sich nicht blicken lassen, und sie befolgte auch den Volksbcfthl mit einer Ge-wissenl>astigkcit, die ihr sonst weder zum Vonvms noch zur Tugend gemacht wird. Der Militair - Gouverneur fnhr in den Convent mitten hinein. Wie oft ging ich durch das große Oblongum als Vorzimmer der It Knechtschaft. Wohnung dieser Befehlshaber, und sah daselbst dic Brüder dieser Bauermassc, mit ihren Stirnen die Krde berührend, hingeworfen zu den Füßen des Mächtigen kriechen und sie küssen, indem sie ihre Bitten vorwinseltcn; ^« I«a! hörte ich dann ans seinem Munde. (<3s geht nicht an!) Aa >8»! war der Bescheid für den Einen. ns l8.-l! für den Andern. Dies Majorat k'e I5>l ist übrigens an kcin Vollblut gebunden, es geht vom Nüssen auf den Deutschen, vom Deutschen auf den Russen, auf Alle welche die Statthaltcrschafts-Wohnuug beziehen. Des Nüssen Klauben au Gerechtigkeit in seinem Lande liegt in seinem Sprichwortes der Himmel ist hoch. der Czar ist weit! Jetzt auf dem Heumarktc war die Decke des Au-diemzimmcrö für das Volt der freie Himmel. Unter ihm fühlte es Platz zum Stehen vor Menschen, da liegt sein Gesicht vor Dem im Staube, der die Schisse auf dem Meere zerbricht, die Meere in das Trockne verwandelt, und dessen Rechte voll Gerechtigkeit ist. Das Volk umstand den Wagen. Der Gcncralgouvcrncur war kein böser Diener des Kaisers, aber schwach, schwach, schwach, und die Sterne auf seinem liebenden Busen leuchteten nicht hinauf bis zur Gabe des Redens. Er erhob sich im Wagen, drohte, und setzte sich ohne Zögern wieder. da er sah, daß sein Text übel gewählt war. Von fernher flogen Kartoffeln. Zwiebeln, Gurken, Mohren, auch Stein-arten in den Wagen. Der Kntscher hieb auf die Pferde, und fort rollte der Befehlshaber der Stadt als zögen ihn Rennthicrc. Gern wär' er wohl noch General geblieben, aber der Tod sprach: un l8»! Mehre Tage dauerten die Volkscomiticn auf dem Hellmarkte. Mitten in dem vielköpfigen Haufen wurden Gemüse, Geschirre, Heu gekauft, lind Niemand geschah ein Leid, Alles blieb in seinem gewöhnlichen Schlendrian. Der Groll des Volks machte sich nur einmal Lust gegen Personen, von denen es weiß oder meint, daß Knechtschaft. iä von ihnen Bedrückungen ausgehen, und mit denen es in seinem elenden Leben mcisteuthcils zu thun hat. Indeß auch gegen sie sprach sich nnr der Sinn aus- Bleib uns auö den Augen. Schou verloren sich Viele, aus den täglichen Versammlungen durch Besonnene ruhiger gestimmt, als der Kaiser auf dem Hcumarkte erschien. Er stieg bei der verstärkten Hauptsache daselbst ans dem Wagen. Plötzlich schmolz der Volkohauft zusammen und rückte fern. Der Kaiser betrat die Stufen der dicht an der Wache stehenden Kirche und ließ die Rctirircnden näher treiben. Die Ehrfurcht zog die Mützen ab, aber man blieb auf den Beinen. „Nieder auf die Knie!" rief der Monarch. Und nieder sanken die Knie. Jetzt hielt er mit erzürnter Miene der immer noch zahlreichen Versammlung eine kurze Rede, deren Anfang war: WaS habt Ihr gethan ? Und vorbei war cö in der That. Der Kaiser Nicolauö kennt sein Volk. das Volk weist, dasi cr die Gerechtigkeit will. und am Willen, seine Herrschmuacht für einc feste Justiz in seinem Lande zu üben, daran fehlt es dem Kaiser ganz und gar nicht. Das zahl- und namenlose Unrecht, welches in seinen Grenzen ausgesprochen nnd vollführt wird. geschieht ohne sein Wissen, und ich spreche ihn in dieser Hinsicht aus vollkommener Ueberzeugung von jeder Schuld frei, zu welcher der Schein als auf ihm ruhend, verführt. Ich kaun cö thun, weil ich durch Beispiele reichlich belehrt bin, wic ihm Dinge zur Entscheidung vorgetragen werden, nnd welche Fähigkeiten, selbst abgesehen von jedem bösen Willen, sic ihm vortragen. Es genügt nicht, in Nußland lange gelebt zu HMn, o bei weitem nicht, man must der Seele des russischen Wesens inö Gesicht geblickt haben, und vom Zufall begünstigt worden sein, die Hinterthüren und Wendel- und Scitentreppen zu beobachten. 16 Knechtschaft. Ich spreche den Kaiser nicht vom Fehlen frei, Organismus und Erziehung iufluircu ans ihn ebcn so um auf andcrc Menschen, aber vorsätzlich, aus seinem Willen heraus, geht er gewiß uicht die Wege zum Unrecht. An diesem kräftigen Willen zweifeln, hieße behaupten, der Kaiser kenne zwar das Gcbot der Prinzipien von Vernunft uud Gerechtigkeit, allem er kümmere sich uicht um das Thun. Allerdings fiudet man in Rußland Wort und That gespalten, allein cs geht Rußland nicht allein so. Jungfrau Europa kann sich überall an der Nase zupfen, wo sie sie hinstcckt. Ucbcrall hört und liest sie als diplomatische Weisheit, daß praetische Menschenliebe, Vernunft und Gerechtigkeit nur in Köpfen idcalischcr Schwärmerei spukten, nud daß Wissen und Nichtthun nichts anderes sei, als die wahre Lcbcnsklughcit. Diese StaatswciSheit ezistirt seit cs mehr als zwei Menschen giebt. Nicht die Körperkraft spannte die Menschen in das Joch, sondern die geistige. Der Klügere ward der Unterdrücker; er richtete die Sperber auf die Tanben ab. Der Kunst-griff, zum Ziele zu gelangen, bestand von jeher wie heute in dem äivicl« ot impoi'l». Die Beziehung der wahren Religion auf bestimmte Güter und Nebel dieses Lebens wurde umgetauscht gegen ciue Mcugc mit Aberglauben und Schwärmereien verfälschten Religionen, die mit der Anmaßung austrateu, den Menschen eine jede nach ihrer Weise zum Glück zu verhelfen. Die reinste der Religionen, die vom Himmel unter Fischern sich niederließ, endigte mit Hierar-chen, Grcnadircn, Fürsten, und die Doctorcn suchten nun Gott, wie die Chcmistcn ein neues Metall. Den ersten Lehrsatz der christlichen Gemeinde, Gleichheit der Glieder, vernichtete die hierarchische Herrschsucht und Habsucht, und das Heute lebt vom Gestern. Wenn sieh gestern das Faustrccht nicht obenan gesetzt hätte, so würden durch die geistigen Kräfte des Rechts heute nicht so viel UnbilliMt Knechtschaft. 4? und Ungleichheiten das Leben verbittern. (^ fehlt der Erde nicht an Liebe, cö fehlt ihr aber an Wahrheit nnd Treue. Das Urtheil der Welt bringt bei allen Männern, die sich bemerkbar machen, dic Unistände, die scinc Geburt umstanden, seine socialen Verhältnisse und Erziehung in Anschlag. Ein russischer Kaiser kann davon nicht ausgeschlossen stin, weniger wie jeder andere Monarch Europas, weil man geneigt ist, ihn für Alles verantwortlich zn machen, was in seinem Reiche geschieht. In gewisser Hinsicht ja! denn wer sich als Führer voranstellt, übernimmt anch die Schwierigkeit nnd Verantwortlichkeit seiner Nolle, ^liu^ «lriclo M8tio« n'esl. p»8 ^U5ti00. >'l, il n'v n sju« lusjuili:, l^ni 5<)il. convl^-nadle ü l'Iwmme. Möge dieser Auöspruch seiner Großmutter anch bei Beurtheilung des Kaisers Nieolaus gelten. Schon nm dic Windel eines Großfürsten liegt Orden nnd Admiral- oder General-Diplom, und bejahrte Befehlshaber überreichen ihre Rapporte dcm Chef 01, miiliiunro. nnd legen sie ans sein Wic< gcnkissen. In seinem Auge stehen daher die blitzenden Brnststernc beständig wie scinc Trabanten, und wenn er noch in den Händen weiblicher Pflege ist, weiß er schon, das; die Männer mit den bieg> samen Rücken ihm solidarisch verpflichtet sind. Ans den hohen Fcn-stern lernt er frühzeitig dic Menschen nnr von fern betrachten. Erziehung, Lehre, Gesellschaft, Beispiel entwickeln, nähren und bilden seinen aristokratischen Sinn, bis nach und nach dic Gndlückc zn Neigungen, zn Vornrthcil verknorpeln und endlich zu Grundsätzen verknörchern. Ecin Deliit auf der Sonne des öffentlichen Lebens ist gebietender Art. (5r sieht in der Kirche und auf der Straße die Dmuühignng und Anbetung vor den bildlichen Repräsentanten des Göttlichen und Heiligen. Er sieht dasselbe und in derselben Form auch zu seinen Füßen. Sonn» nnd festtäglich tönt von allen Nichlmiv. II. 2 48 Knechtschaft. Altaren des Reichs seiu Name mit allen denen seiner Familie im Gebet. Er liest und hört: Ein Gott im Himmel, Ein Gott auf Erdcn. Der Ordengott ist sein Vater, nnd er sein Sohn. Soll er für Das. was er durch Erziehung, Beispiel, Lehre, als Lebens-bcdiugung in seiner Sphäre kennt, das auf ihn mit dcr Erwartung übertragen ist, er werde cS als rühmlichcö Wcrk fortsetzen, nnd wag grundgesetzlich in ihm ausgebildet ist, soll er dafür verantwortlich sein? Allein darf er sich über Unrecht beklagen, wenn seine Gesinnungen und Handlungen angefeindet werden? Wird ein von den Vorfahren überkommenes Unrecht zum Recht, dasselbe fortzusetzen? Ich rede vom Uebel dcr Sklaverei. Mein Gefühl kennt keinen Unterschied zwischen ihr und Leibeigenschaft. Man hat dem Nüssen die Welt, in dcr er ist, genommen, nnd ihm eine künftige dafür versprochen. An Besitz hier soll er nicht denken, sondern stiuen unbeschreiblichen Reichthum über den Sternen suchen. Das ist keine czarischc, keine königliche Erfindung, es kam ans dem wundervollen Quell des gewaltigen Bonzcnhceres, welches über die ganze Erde cantouim. Wo Sklaverei ist, da ist auch Willkür. Es waudelt die Sklaverei nicht in einen Blumengarten nm, wenn ein guter Ncgcut auf den Thron steigt. Dcr beste Mensch strauchelt. Es ist Keiner auf Erden, dcr sagen könnte: „mich hat im Leben nie eine Laune angewandelt !" Mir ist jeder Mensch ein Echreckbild. und wenn er ein Moses, ein Titus, cm Solon ware, dem frei stcht, alles Gute, aber auch alles Böse zu thun. Was hilft alle Weisheit, Güte und Legalität, wenn das Prinzip bleibt, welches unglücklich machen kaun, und unglücklich macht. Was helfen dem Harzer alle Aufmunterungen der Regierung zum Gartcubau, wcun cr wie ein Wilddieb gesetzlich erschossen werden kann, uud erschossen wird, salls Knechtschaft. 19 n sich gtgcu die Haftn, Rehe, und wilden Säue wehren will. dic seinen- Kohl abfressen, seine Bäume beschälen, und Kartoffeläcker umwühlen! Milton sagt von dcr Hölle: Es war mir soviel Licht, um die furchtbare Finsterniß zu sehen, die herrschte. Dic Stelle ist mir iu dem russischen Chaos oft eingefallen. Dcr Polizcistaat ver-dnukelt den Rechtsstaat. Oder kaun dieser da erMren, wo dcr Mensch kein Eigenthum am Boden hat? Die Sklaverei ist die dicke Filzdecke, unter welcher Das liegt, was Rußland charakteristisch aus-zcichuct: KricgMuth ohnc Entschlossenheit, Naufllist. wilde Titten, Eis über Kopf und Herz, Gährnngen. Verschwendungssucht. Un< wissenhcit, Aberglaube, übelverstandener Nationalstolz statt Nationalgeist, Starrsinn statt Männersinn, Nohheit statt Biederkeit, Hinterlist und Schlauheit statt Verstand, Pfaffeudienst statt Oottes-glaube, nach der Eeite von Kuropa zu ssannevas ausläudistber Sitten, Pharaonen, Semiramidcn, Cyrushof. Mangel großer Ne^ gcnten und großer Männer. Der Russe blicke in das Land seines Nachbars, gleich hoch mit ihm im Norden, nach Schweden. Tapferkeit bei Menfchenwetth, Originalfleisi und Originalwissenschaft, Sitte und Zucbt. Nationalthätigkeit nnd Natwnalwirksamkeit, Gesetzgebung der Mcnschennatur anpassend. National- und Wissenschaftsgcist und Geist der schönen Künste, Gallerte großer Regenten. So zeigt sich der Nachbar. Das russische Volk hat nie andcrc Zeiten als die der Herabwürdigung gehabt. Es kaun sich in seiner ganzen Geschichte auf keinc Epoche geistiger Erhebung berufen; nnd seine Lobhudler hüten sich wohl, mit der Vergangenheit vor den Nichterstnhl dcr allgemeinen Prüfung zu treten. Potemkin ließ mim Kaufmann aus Movtau durch die Po- 2» 20 Knechtschaft. lizei nach Petersburg schleppen, nni einer Danu' seinen langen Bart zu zeigen, die an dessen Länge zu zweifeln schien. Der Kaufmann ward in der Residenz abgeliefert, und Monate lang in Ketten gehalten, bis sich Potemtin des Barts gelegentlich erinnerte. Nach Besichtigung der Merkwürdigkeit reiste der Moskowitc mit Verlust seiner Gesundheit zurück, fand sein Vermögen zerrüttet, und seine Frau vom Gram getödtet. Die Zeiten sind vorbei. Wohl wahr, die Zeiten, aber noch nicht Das, was dergleichen Thaten erzeugt, die Willkür, die Gefährtin der Tkavcrci. Und wo beide seit Jahrhunderten sich eingc-ftcssen haben, da kann ein Schnitt von 50 Jahren noch lange nicht an ihre Wurzel gekommen sein. Dasselbe Beispiel ist nicht wiedergekehrt, so wenig wie derselbe Pilz noch einmal wnchert, aber andere sprossen in derselben Nacht. Wir haben keine Staaten ohne Willkür. Europa's Civilisation hat noch keine erschaffen. Diesen Einwurf hab' ich oft von Nüssen gehört. Mag sein! Es giebt Gesetze, die ärger wie Willkür sind. denn sie stempeln das Unrecht. Am deutschen Rhein, „ den sie nicht haben sollen", besteht heute noch das Gesetz im Kriminalverfahren, daß die Gesetze den Angeklagten nicht gegen die Anwendung beliebiger Zwangsmaßregcln zur Erzielung eines Beweises durch Gc-ständniß schützen. Anderwärts ist es durch besondere Befehle Verwaltungsbehörden anheim gestellt, im Interesse innerer Staatspolizei Verhaftungen ohne (Einmischung der Justiz vorzunehmen. Es geschehen in Hinsicht auf Beliebigkeit in allen Landen Dinge, dic in Rußland kaum vorkommen, aber hier wieder solche, von denen ganz Europa sich wegwendet. Portugal, Spanien, Frankreich, Großbritlamen. Belgien und die Litanei fort bis ans Ende der Türkei, alle leiden am Alpdruck der Willkür; allein der Portugiese .^nccht schaft. 21 Spanier, Franzost, Engländer u. s. w. haben Entschädigung in die Waagschale zu legen, und auch die drcißigfache Verwandtschaft hinkt zum Baume der Freiheit wie Hephästion zur Göttcrtafcl. Alle preisen o, ^l,!< wohner der Residenz. Wie ist sein Leben? Seine Kleidung im Sommer sind leinene Pantalon und ein Hemd, welches bis an dic Hälfte der Lenden darüber hängt. Nin Strick oder Niem um die Hüften hält beide. Die Qualität dcr Leinwand ist die der gewöhnlichen Mchlsäcke. Strumpfe kennen seine Füsic nicht, er wickelt sie in die schmutzigsten Lumpen bis an die Knöchel, und zieht darüber nicht Schuhe, sondern Latschen vom gröbsten Lindenbast, oder von Stroh. Einem erfahrnen Ncidmanne ist daher dcr Irrthum verzeihlich, wenn er im Schnee die Fährte eines solchen Pedals für die eines Riescnbärm der Vorzeit verfolgt. Im Winter hängt über diesem ssostümc ein Schafpelz, dcffen Aussenseite man sich lebhaft vcrsinnlichen kaun, wenn man die Karte des deutschen Reichs an, sieht. Im Stricke um den Leib hängt direkt am Sitz der Hämor-rhoiden das Beil, das einzige Werkzeug, mit dem er sein Haus, seine Bank, seinen Tisch baut und glättet. Kehrt er am Abend lunde von der Arbeit heiin, so trägt er ein Stück von einem Brett oder Valken auf der Schulter, um seine Wohnung zn heizen oder sich cine Snftpc zn kochen. Und wo ist seine Wohnung in der Residenz? In den Souterrains, in einem Stalle, in einem Schoppen. Wer diese arbeitende Klasse. Weiber nnd Männer in ihren gemeinschaftlichen Schlafstellen sehen will, dcr vermöge es über seine Rcspirationswerkzcugc, und besuche die unterirdischen Löcher am Heumarkte im Lcsnikowschen Hause und in andern Häusern. 5l> bis NW liegen auf dcr Diele und kauen Zwiebeln, einen stinkenden Fisch zmn Brot, odcr schnarchen. Mit dem Qualm aus Knechtschaft 25 diesen Hotten war Pandorcus Buchst gefüllt. Woraus besteht das tägliche Mittagsmahl? Im Sommer aus kaltem QuaS (gesäuerter Wasscranfgusi auf Mehl) Brot oder Grütze uud grüne Zwiebeln hincingeschnittcn. Im Muter ununterbrochen Schtschi. (Suppe von gehacktem Kohl mit Fett, in den Fasten mit Hanföl). Dic 1M0 (l'külo wird auf Barken, oder sonst einer Stelle öffentlich gehalten. Eine Menge Brüder des Elends sitzen auf der Erde. Um eine Schüssel? So weit perstcigt sich der Luxus nicht. Sie löffeln mit hölzernen Stummeln aus dem Eimer, aus welchem das Vieh eben getränkt ist. Reiset man in Nußland nicht mit der Post, so kehrt man oft lieber bei einem Bauer ein als in dem elenden, schmutzigen Wirths-hanst. Man ziehe die Schublade des Tisches. Da liegt das angeschnittene Brot. und Tausende pon Tarakancn (die großen schwarzen Schaben) glänzen und legen Eier darin. Der Nussc klopft sie nur heraus, und schmaust ohne den geringsten Ekel. An der Thür hängt ein thönerner Topf, ans dem man sich wäscht. In eine Ecke ist das cingeräucherte Bild genagelt, vor dem er niederfällt, sich kreuzigt nnd zn dem die Familie betet. Auf dem Ofen ist Platz für sie zum Schlafm. Eine Bank an der Waud nnd zwei, drei Schemel sind die Möbel. Man besuche den Laudmann bei seiner Feldarbeit. So langc im Herbst der Schnee die Erde noch nicht völlig bedeckt, so lange jagt er sein Pferd nnd sein Vieh hinaus. sich von crfromcn Grashalmen zu nähren, nnd im April, wenn schneefreie Stellen sich zeigen, muß cs von Dem das Leben fristen, was der geschmolzene Schnee durchweicht, und die Sonne wieder getrocknet hat. Ich habe mit eigenen Augen, nicht einmal, sondern uiclmal gesehen, das; dic Kühe in den Ställen mit Stangen in die Höhe gehoben werden 26 Knechtschaft. mußten, nm am Sanct-Gcorgentagc auf das kahle, todte Feld gc-tricbcu zu werde», weil sie zu schwach waren, aus eigenen Kräften sich auf die Beine zu helfen. Noggcnstroh ist das Winterfuttcr, dem aller nährende Stoff durch dic Hitze bei dem Dörren des Ge« treides entzogen ist. Bei früh eintretendem Winter langt auch der Strohvorrath nicht zu. Man deckt die Dächer ab, inn nnt altem Dachstroh das Vieh am Leben zn erhalten, nnd bis zur neuen Ernte geben die nackten Dachsparren den Beweis der Wohlhabenheit der Dörfer. Im Mai soll das Pferd pflügen. Es schleicht über seine Kräfte vor dem leichten Pfluge, der den nur zum geringen Theil gedüngten Acker ritzt. Neber dein Pfluge jubelt die Lerche, aber über dem Kirchhofe in der Brust des Pflügers singt keine. Nur „in der Höhe wohnt Freiheit! Der Hauch der Grüfte Dringt nicht hinauf in dic reinen Lüfte." Dic Egge bürstet über den Boden hin. Eie besteht ans aneinander gefügten jungen Tanncnbäumchen, an deren einen Seite man die Enden der Zweige als Eggeuzähne läßt. Sott sie nicht blos über den Acker hüpfen, so werde«, Steine ausgelegt. Das (besagte gilt von den preußischen und polnischen Grauzen an bis nach Ar» changel und Sibirien, wo der Roggen noch gedeiht. Hat doch die Residenz in ihrer Nähe nnd in ihrem ganzen Gouvernement noch keine andere Kultur erwecken können. Ich zweifle nicht, daß das Ausland ansierordentliche Dinge und Fortschritte in der Landwirthschaft in Rußland gelesen hat. Im Kabinct z. B. der Petersburger ökonomischen Gesellschaft sind Modelle von allen möglichen Maschinen zu sehen. Wer sich ein gründliches Studium der Landwirthsehaft wirklich angelegen sein läßt. Knechtschaft. 27 sind die Gutsbesitzer in Kurland, Lievland und Esthland. Die Erfolge ihres Denkens und FlciM sind auf ihren Fluren sichtbar. Auch die Vaueru dieser Provinzen gehen iin Ackerbau den Nüssen voran. Der größte Theil der begüterten Russen überläßt scine Be« sitzungeu ausländischeu oder leibeigenen Verwaltern, lind cm Studium der Agrikultur ist nach ihrer Einsicht von dein Düngergernch nicht zu trennen, wcöhalb sie sich dazu nicht erniedrigen können. Eine Hecrde unnützer, müsiiger Sklaven in seinem Hause ist ihm nothwendiger als deren Hände ans dem Felde. Die russischen Gutsbesitzer, die in Petersburg. Moskau und andern Gouvernemeulsstadten dem Hose, einer Anstellung, dem Vergnügen, der Zerstreuung und Verschwendung leben, finden das Interesse an ihren Besitzuugeu und die Freude daran nur in den Nu> del», die der Verwalter ihnen einreicht, und die er dem Schweiße und Elende der Leibeigenen erpreßt hat. lind wer sind diese Verwalter? Etwa der Landwirthschast Kundige? Wozu das? Ob das Feld vor Segen sich beugt, oder leere Strohköpft schnurgerade zum Hinnnel schauen, einerlei! Der Bauer muß doch das ihm Auferlegte zahlen, je weniger er selbst behält, desto gehorsamer nach russischem Prinzip. Tschiuownike. die iu Aemtern nicht unterkommen, Füchse im Gaunern und Esel als Laudwirthe, verwalten die Güter. Ihr Geschäft ist „Obrok einzutreiben." Aber meisterlich verstehen sie die Kunst, die abwesenden gnädigen Herren in guter Laune zu erhalten, und ihre Sehnsucht nach PluS zu stillcu. Die Gnädigen sehen ja die Daumschrauben nicht, die dem Bauer angelegt werden. Wie aber, wenn dieser klagt! Wem? Dem Herrn? O welche Riegel sind da, die Pforte zu Klagen zu schließen. Die nächsten Umgebungen des Gebieters sind mit in des Verwalters Interesse gezogen. 28 Knechtschaft. Es sind 8 Jahr her, als vier Leibeigene nach Petersburg zu ihrer Erbfrau kämm, um sie zu bitten, um dieses Jahr, der Mißernte wegen, mit geringern Obrok Geduld zu haben. Sie klagten über Mißhandlungen des Verwalters, eines Etatsraths, und einer derselben entblößte weinend seinen blutigen Arm, um auf den Zustand des ganzcu Körpers schließen zu lassen. Und die gnädige Frau? „Ihr Bestien, Ihr Kanaillen, Ihr 8kc»lnm! (Vieh) wollt nicht zahlen! Ihr wollt noch klagen? Wer hat Euch erlaubt, zu mir zu kommen! Ihr sollt ein andermal nicht wiederkommen!" Die Armen wurden gepeitscht, und — ja! sie sind seit der Zeit nicht wiedergekommen. Es ist unbeschreiblich, und Dem, der es nicht sieht, unglaublich, mit welchen Betrügereien diese Herrfchaften und die Krone auf dm Kronsgütern von den Verwaltern Hintergaugen werden. Anf der andern Seite sind Beispiele keine Seltenheit, daß rechtschaffenen Männern, die als Aufscher von Gütern jahrelang ihre Obliegenheiten treu erfüllen, von dem Grundbesitzer Veruntreuungen und auderc Fehler angedichtet wurden, blos in der schändlichen Absicht, um ihr auf redliche Art Erspartes ihnen abzunehmen, und sie um ihre Forderungen zu betrügen. Ich kenne Männer, die wohlhabend auf dergleichen Anfsehcrstellcn in den Provinzen gingen, und in Dürftigkeit nach Petersburg zurückkamen, um das ihncu mit Gewalt abgenommene Eigenthum dnrch einen Prozeß wieder zu erlangen. Konnte es ihnen gelingen? Man hat aus Deutschland verständige Oekonomm nach Rnß< land verschrieben. Lernten sie nicht von den Russen die Kuust, durch Bedrückung der Sklaven sich zu bereichern, so fanden sie gewiß nicht ihrc Rechnung und verließen das undankbare Land. Erst 1843 kehrten drei Zöglinge cincö landwirtschaftlichen Instituts am Knechtschaft, 2V Nhem, von einem russischen Fürsten auf seine Güter gelockt, wieder heim. betrogen iu ihm, Erwartungen und erhaltenen Versprechun» gcu. Die Zeitungen sogar gaben davon Kunde. Fragen ob der russische Leibeigene seinen Zustaud fühle, hieße zweifeln daß er ein Meusch sei ^ denn uiau spräche ihm das Vermögen ab, einen Zustand gewahr zu werden. Die Apologeten seiner Sklaverei thun im Grunde nichts anders als daß sie ihm das Menschsein absprechen, wenn sie behaupten, der Nüsse sichle sich in seinem Zustande zufrieden und glücklich, und er sei wohl gar bcnci-denöwerth. Diese Lobdichter Philosophien also: „Der Sklave war in fernen Jahrhunderten schon seines Zustandes sich bewußt, er sah Freie, frei sein wollte er nicht, er gab seinem Zustande den Vorzug, ein nach unsern Wünschen vorgezogener Zustand ist ein guter, und eine Neihe solcher guten Zustäude ist die reine Glückseligkeit." Das klingt ganz wie die Logik: Ner tüchtig trinkt, ist glückselig! Denn wer gut trinkt, der schläft gut. Wer gut scblaft, sündigt uul't. Ohne Eünde kommt niau in den Himmel! Im Himmel ist Glückseligkeit. 5,-F.> wer tüchtig trinkt, ist glückselig! — Mich dünkt beide Syllogismen decken einander. Daß der russische Bauer sein Elend fühlt uud kemtt, ist gewiß. Aber eben so gewiß ist, daß der individuelle Mensch und ein ganzes Volk, durch einen von der cttrburt an nie nachlassenden Druck, in ciucn Stumpfsinn gcralhen kann. daß wenn man sie in eine bessere Lage versetzt, sie wie in einer fremden Welt stehen nnd sich umsehen wo der Druck und Stoß geblieben. der sie weiter treibe. Kein Wunder daher, wenn der Erbrusse sowohl als der Freigelassene bei seinen Handlungen hinter sich nach der Faust oder dem Stocke blickt, die er gewohut ist, für die Wasserräder seines innern Mal'lwerks zu halten. 30 Knechtschaft. Es hat mich schmerzlich ergriffen, wenn ich manchen wackern Mann, der mehr an wahrem Gehalt wog als ein ganzes Vund von Senatoren lind Generalitäten, schüchtern als sei es ein Verbrechen, den Wunsch aufsprechen hörte: Ach! daß ich mit den Mcinigcn frei wäre! Die reichen Kaufleute in den Mckutinschcn Buden zu Petersburg, Leibeigene deo Grafen Sch creme tics, und andere vermögende und rechtliche Menschen, bieten Summen über Summen für ihre Freilassung, obgleich Graf Sch crem et i es, ein Matador der Seelenrcichcn, scinc Bauern nicht drückt, allein sie baten und bitten vergeblich. Wärc es nicht unverantwortlich, wenn das Erbe, in vernünftigen Menschen bestehend, geschmälert, und nicht auf Kindcs-kinder übertragen werden sollte! Daunt eö ja hübsch beim Alten bleibe, und der Sklave seine Glückseligkeit nicht verliere! Es nimmt daö ganze Mitleid in Anspruch, wcun man sieht, wie der Aermstc Alles aufbietet, um zu dem Ziclc seines höchsten Wunsches zu gelaugen, znr Freiheit, und noch dazu zu einer recht erbärmlichen, zn einer Freiheit die nicht den Namen verdient. Er weiß z. B. sein gcldbedürftiger Herr würde ihn für 500 Nubel Banko freilassen. Der Arme hat aber nicht einen Groschen im Vermögen. Er sncht sich also Jemanden, der eines Kutschers, Dieners oder sonstigen Arbeiters bedarf, und macht sich verbindlich, ihm fünf, sechs und mehr Iahrc zn dienen, bis er die stipulirte Summe seinem Gebieter für scinc Freilassung abtragen kann. Diese Dienstjahre muß er vielleicht bei cinem Tschiuownik zubringen, der selbst keine Seele, sich aber in seinem Postcn so viel zusammen gestohlen hat. dasi er bru-talisiren kann: ich habe meinen Erbkcrl heute durchgeprügelt, daß er krumm liegt! Der <5outrakt ist schriftlich auf bestimmte Zeit gemacht. Ist der Termin nah, so weiß der Dienstherr den: Dienstpflichtigen cin Laster anzudichten, und er jagt ihn sort. Der Arme Knechtschaft. 21 geht klagm? O nein! er weis, zu gut, daß seine Klage durch dic Hände der Polizei mnsi. die schon gegen ihn bestochen ist. (5r sucht einen andern Dienstbcdnrftigen. und es geht ibm vielleicht nicht besser oder noch schlimmer. Junge Wittwen, Mädchen weiden zu l'»N bis 200 Rubel Bank» aufgeboten. Ich lasse die Gardine unten. Wer Weiler deukt. sieht auch die Greuel hinter derselben, die eine solche Scelenvcrkäufcrei unvermeidlich in ihrem Gefolge haben muß. Zu Pauls l. Zeit las mau in der Peteiöbnrger Zeitung — z. B. in Nr. 50. <7W. — „Wer eine ganze Familie, oder einen lungm Burschen und ein jnnges Mädchen einzeln kaufen will, kann sich au die Scidcnwäschcriu wenden, die der kasanischen Kirche gegenüber wohnt. Der jun^c Menscl, beißt I w a n und ist 21 Iabrc alt. er ist gesund. stark und kann Damen frisiren. Das Mädchen ist hübsch gewachst», gesund, hcisü Marfa. ist t."> Jahre alt. und taun näbcu und sticken. Mau kann sie in Augenschein nehmen, und zu billigen Preisen haben. Im nämlichen Hause ist ein holsteinischer Hengst zu verkaufe,,." Helitc — nämlich l845 .^ ist f^ täglich im Intelligenzblattt der Petersburger Zeitung zn lesen: z. V..' „Im Hause Nr. 33 in dcr Newsti-Perspective ist eiu junges Mädchen, welches sich auf weibliche Arbeiten versteht, zu vernn'ethen. Auökuuft ertheilt der v>vo?mk (Hausknecht)." „Nr. 38 in der großen Million sind ein Kutscher und ein Koch zu vermietben. Zu erfrage,, in dcr !^1 ^^.>." „Im Hause Nr. re machten. Meist vermiethet eiu Besitzer von 5 und einigen Menschen mehr, diese Erbgchörigcn, weiblichen Geschlechts für 4 bis 3 Nubel monatlich, männlicher Na«.-c für 10 bis 20 Rubel Banko und elende Kleidung. Von diesem Lohne bekommt die vermiethete Sache keinen Groschen. Dem Scelmvcr-inicther ist es gleichviel, wem und zu welchen Leistungen cr sein lebendes Kapital übcrgiebt. Dies Kapital ernährt in Petersburg und Moskau cine Menge Müssiggänger. Die vermicthete Seele hat dreierlei Znchtmeister. falls sit sich sollte einfallen lassen über tyrannische Behandlung zu klagen, den Miether, den Vermicther und die Polizei. Will der Leibeigene den Gedanken an sein Elend unterdrücken, sucht er Erleichterung. Muth zum Ertragen, einen Reiz zu Genusi, Knechtschaft, 33 will er froh sein. oder in den Kampf gegen Leid, so langt er nach dcm Becher. Kein Volk ist dem Branntwein so ergeben wie das russische. Ist das Kind aus der unbekannten Welt in die bekannte von Stapel gelassen, so betrinkt sich freudvoll und leidvoll der Va-tcr, und die, Mutter uimmt einen Schluck zur Stärkung mit. Mit der Muttermilch trinkt der Säugliug sein küuftigcö Freudenclement. Knaben werden von Erwachsenen mit Branntwein traktirt. um sich über ihr Taumeln und ihren Unfug 5,, ergötzen. Mit Branntwein geschieht die Brautwerbung; trinkt die Erwählte von dein ihr gereichten Nektar, so ist das Jawort gegeben. Die Hochzeit ist uur dann würdig gefeiert, wenn die Gäste unter den: Tischt liegen, und im Stalle zur Besinnung ausschlafeu. Jedes Glück wird zur law gen Dauer mit Branutwein begossen, und jedes Unglück damit in die Lethe versenkt. Der wichtigste Tag im Jahr. der Namenstag, nimmt seine Feier aus der Schenke. Wozu hätte man das Jahr hindurch gearbeitet und einige Nubel erspart als zu diesem Fest! Es ist des Kaisers, der Kaiserin. des Thronfolgers, dcr Zarewna, u. s. w. Namenstag. Die Polizei befehligt die dampfenden Fettlampen für den Abend auf die Trottoirs, uud der treue Unterthan trägt den Branntweinpächteru sein Opfer in die Trinkstube. Warschau ist erobert! Kinder seid lustig! Und die 3nst sprudelt in Fontaine« innerhalb und außerhalb der Branntwemkneipen. Dic Kirchenglockcn tönen, es ist Sonntag, lnst also cinigc Tausend Kreuze, und nach der Messe zum Labsal als Befestigung des Glaubens. Ein Todesfall. Der Schmerz nimmt überHand. Brüderchen, es wird Dir leichter werden, nimm ein Glas. Noch eins; — und noch eins! Das Hausmittel hilft. Auf dcm Kirchhof erneuert sich das Weh. „Brüderchen! Schwesterchen! Gott wird helfen, komm nur erst nach Hause, der Gran, ist schädlich, man kann doch R>,Mid, II. 3 34 Knechtschaft. nichts gegen Gott machen, trink cms, das wird Dich bcru» higcn!" So ist der Bauer. Treu nach der Natur gezeichnet, eine reift Frucht der Despotie. Viclc der Sklave» trinken sich besinnungslos aus Gram über ihren Zustand der Schmach. Für dies angestammte Laster lassen sich Milderungögründe anführen. Die Herren stöhnen der Völlcrci aus Vergnügen. Herr und Sklave folgen der Sitte ans der großen Landstraße. Durch Leitung ließe sich auch im russischen Volke die Neigung zur Trunkenheit schwachen und tilgen, wie jeder Trieb, der den Menschen mit Gewalt ergriffen bat. Wenn jedoch die Regierung seit Alcxan ders I. Zeit das Branntwein-Monopol an sich selbst nahm, und das Etaatscinkom-mm mit dessen Verpachtung um 120 Millionen Rubel vermehrte; so liegt darin wohl eine Leitung zum piteni vom, (Trinkhaus, wie die Branntwemschcnkcn auf dein Schilde heißen) aber keine Ableitung des Lasters. Die Regierung selbst halt dem Zecher den Becher vor. Wenn etwas Höheres dem Verstände des Volks gereicht würde, so würde sich das russische Volk so gut wie jedes andere aus dem Niedern erheben. Der irische Bauer hat keinen Pater Matthew mit seinen Ermahnungen nöthig, wenn es einer patriotischen Bewegung gilt, denn er fühlt sich als nicht auszulassendcs Glied seiner Verfassung. Die Griechen, Deutschen, Polen, Tyroler, Franzosen, Spanier haben ihre Begeisterung nicht alls der Flasche geholt. Um das russische Volk mit anderen Nationen in Reih und Glied zu stellen, sei nur nicht etwa 1612 vorgeschoben! Dumm und stumm, wie erschlagen lag das geftüchtcte Volk m den Waldungen. Erst als vom Himmel das Unglück über das feindliche Heer zusammen brach und eS erdrückte, da sprangen die Gescheuchten aus ihren Verhauen hervor, nicht mit dem Gedanken die Freiheit zu Knechtschaft. 3ll fordern, sondern die Leichen von Dem zn befteien, was die Kosaken ihnen übrig gelassen hatten, und ihre Rache an hülfiofen Vcrwun-dctcn zn üben. DcS KMrs Alexander Worte: „ Wir gehen den Völkern Europas als die Ersten für Tugend und Freiheit voran" hatten die gute Absicht. Alles zum Besten zu kehren, und deckten die Begeisterung seines Volks eben so, wie heute die Niederlagen im KautasnS mit einer Rekrutirnng von 7 i»-a wilw gedeckt werden, und mit Belohnungen der russischen Befehlshaber. Singt der Sklave nicht? Lacht er nicht? Ist er ausgeschlossen von öffentlichen Freudenfesten? Jubelt er nicht auf Straßen und Märkten? Sind ihm nicht auch Wege gezeigt, die ihn zn adligen Rechten führen? Sind die Tschinownike. die Kaufleute erster Gilde, entweder unmittelbar eben ans dem Stande der Leibeigenen getreten, oder vmn Vatcr davon erlöst, nicht Beispiele, daß ans diesen Wegen ein anderer Zustand erzielt werden kann? — Alles wahr! Jedoch da« Kalb macht auch noch lustige Sprünge, wahrend der Schlächter das Messer neben ibm wetzt. Hinter den Freuden. zu denen der Sklaoe besttllt wird, steht die Verherrlichung ftiner Ge-"lttcr. und die Wege, die ihn zum Herrn machen können. sind auf stUlc Tasche berechnet, um Sklave, nur mttcr anderer Form, sein Lebelang zn bleiben. Trotz dem in Nußland eingewurzelten Verderben, glanbe ich nicht, daß die Rnssen dadurch der Freiheit unfähig wären. Wobl aber glaube ich stst. daß Sklaverei die Ursache ist, die sie am Tugend-haftwcrden hindert. Männer, die sich ihren Freiheitösinn noch nicht haben cmssMM lassen, besitzt Rußland. Es würde nicht schwer sein. ans recht ausgezeichnete hinzuweisen, die der Lenker des Staats nicht fände, weil 3" 3"» Kuc chips'a ft. sic die Klugheit lehrt, sich lieber mit dem Schein des Mittelmäßigen zu umgeben, als sich dcr Nndiildung und mchr »och auszusetzen. Ich kcnne eincn in äußerer und inncrcr Würde hochstehenden Nüssen, dcr iin Kampfe zwischen dieser Klugheit und seiner angebor-lien Tugend und wahrer Vaterlandsliebe sich einst zu Gunsten der letztem entschied, uud ein Jahr darauf empfinden mußte, wie gc^ fährlich co sei, da dem Zuge der Geistcorechtschaffenheit zu folgen, wo ihr Werth leicht dic Kolonne des Verdachts berühren kann. Dem Verstände des Sklaven mit Schulweisheit zu Hülfe kommen, ihn wirklich aufklären wollen, ihn aber in seinen Fesseln lassen, heißt dcn Menschen höhnen, nnd ihn bissig machen. So schlimm meint es aber die russische Sonne der Aufklärung nicht. Ihre Photosphärc ist kindlicher Art. Sie sendet die Strahlen nach Zahl und sorgt dafür, daß sie wie Schneelicht die einmal angeleg» ten Wege finden lehren. Die Ministcrialberichtc voll neuer Schulen hal'cn den Sklaven noch nicht um ein Haar breit vorwärts gebracht. Er ist vor wie nach roh. Ueber sein Herz ist eine Kruste gewachsen, die das Betasten seiner Gefühle weniger schmerzhaft macht, aber auch Daö abhält, was die Vernunft darin anbauen möchte. Er rauft sich mit Vater und Mutter herum. Der Schncc hängt uui ihr greises Haupt. Er muft sie ernähren. Er muß mit den Eltern theilen, was ihm selber kaum das Lebm fristet. Er sehnt sich nach ihrem Tode. Seine Tugenden lagern im Magen und auf dem Nucken. Der Magen ist der Behälter geselliger Tugenden, nnd stcht das Thermometer auf dem Rücken auf Null, ist er noch ungeprügelt. so ragt er als Ehrenmann unter seinen Brüdern hervor. Beständig hört und liest man von dcr Stimmung des Oberhaupts, die Leibeigenschaft aufznheben. Aus Katharinas II. Knechtschaft. 37 berühmten Instruction für Gesetzgebnng wird nur von heilsamen Absichten für das Volk gesprochen. Alexander I. Mb den Esthcn und Letten die Freiheit. Nie olaus I. schickt seine Ukasen in alle Gouvernements dasselbe Ziel überall zu erreichen. Ist aus dem Allem schon ein Körnchen Freiheit erwachsen? Wie schwer cs über' hanpt ist, ein Uebel aufzuschneiden, welches sich iief in das Fleisch gefressen hat, beweist die Aufhebung des Etlavenbaudels. Schon seit 40 Jahren ist sie gesetzlich ausgesprochen. Wilbersorce und Smith erlebten nicht dic Frcndc an einer Frucht ihrer Bemühungen. Wie lange ist es her, daß die großen europäischen Mächte zn jcnem gwccke sich einigten? Und ist heute das Nebel getilgt? Wo es Freie gab, faßt russische Eroberung sie in Knechtschaft cin. Die Ostsecprovinzen hatten nach heiligen, unantastbaren Verträgen Rechte ans den Zeiten ihrer freiern Bewegung. Eins nach dem andern ist ihnen genommen. Was gute Könige der Schweden zum Besten dieser Provinzen gethau hatten, und auch ferner zn fördern strebten, das verschwand mit dem russischen Besitze. 1784 erschien in Licvland ein Mas, daß der Baner, welcher gegen seinen Herrn eine Klage wage. der Knute und Sibirien anheim falle. Ist diese Nkase ein anderer Ausspruch als der, den ich vorhin erwähnte-Wie kann ein General gegen einen Innker Unrecht haben!? Stephan Bathory und Gustav Adolph hatten schon vor Iabrbunderten mehr für die Freiheit der Lieven gethan, als sie unter russischer Herrschaft darin weiter gekommen sind. Was sie heute an Wohl auszuweisen haben, basirt noch auf dem Menschenfreunde Gustav und den (5dcln des Adels. Was Karl XII. zum Besten seines Volks zn thnn angefangen hatte, ging mit dem Helden unter. Konnte Peter l. den glücklichsten Tag seines Lebens bei Pultawa entweihen durch die harte Behandlung der gefangenen Schweden 38 Knechtschaft. und deren Verweisung nach Sibirien, deren Nachkommen heute noch dort sich finden, so wird sich Niemand wundern, dasi er kein Herz für die neuen Unterthanen an der Ostsee hatte. Der Sinn für Unabhängigkeit in den Kosaken ist historisch. Seit Peter hat jeder l?zar nud jedc Czann fich bemilht, den Freiheitsgedanken dieses Volks in russischen Knechtssinu zu verwandeln, und Das zu tilgen, was die Völker am Don, am Ural. am schwarzen Meere hin, an ihre frühere Unabhängigkeit mahnen könnte. Die Sohne der ersten Familien jener Lander lernen die russische Freiheit als Adjutanten, und die Kosakeuregimeuter, statt iu Tschcr-^ kessien dem Vaterlande nützlich zu ftin, sind durch das ganze Reich' vertheilt wie Geisscln, um für die Rnhe an ihrem Hecrdc zu bürgen. Die tatarischen Fürstensöhnc setzen ihre ritterlichen Uebungm in der l>,zarenstadt fort, und die stirnsiuer vermehren die kaiserliche Wagenreihe bei festlichen Aufzügen. Ringsumher warnen schwimmende Trümmer eine« Nraks vor Gefahr. Das einzige freie Kind Nusilandö, Nowgorod, erstickte Despotie an ihrem Brnstknochen mit desto himmelschreienderer Oransamteit, je mehr der Klang „Freiheit" ihrem Ohr zuwider, nud Nowgorod durch scchöhundertjährige Freiheit erkräftigt war. Die mächtigste Stadt des Nordens, für dcren Kraft der Nnsse den Ausdruck hatte: „wer kann wider Wott und Nowgorod!", die reichste Niederlage der Hausa, die Vermittlerin zwischen Asiens und Europas Ucberfluft, wurde durch russische Tyrannei zertreten, und Handel. Fseiß und Freistaat waren für immer dahiu. Und auf wessen Gebot geschah die Vernichtung, ans wessen Geheiß wurden die unmenschlichsten Greuel dabel verübt? Durch dcn Czar, den die russische Geschichte mit dem Beinamen „der Schreckliche" bezeichnet, Iwan Wasi- Knechtschaft, hs licwitsch, durch denselben, von dem der russische Geschichtschreiber Kar am sin, welcher im Auftrage und der größten Begünstigung Alexanders des Ersten ohne Scheu das russische Rcgicrungs-prinzip: „der Zweck heiligt die Mittel" mit den Worten anßsprach: „zum Heile Rußlands ward ihm ein Wasil Wasilicwitsch gc-gcben!" nachdem Karamsin die verruchtesten Thaten dieses Satans erzählt hat. Man blicke bei dem Fall Nowgorod's vom Czar auf das Volk. Sechzigtausend Einwohner fielen als Opfer dem Messer des Tyrannen, aber seine Russen begleiteten ihn, jubelnd über die hingerichtete Freibeit in die Sophienkirche, um Gott zu danken. Man sehe den Bauer in Rußland in seiner Isba hingestreckt auf den heißen Ofen, daß er beim Aufwachen vor Aufgedunscnheit sich erst lange im Kopfe kratzen und besinnen muß. ob er schlaft oder wache. Man sehe ihn in seinem Hause selbstsüchtig und über sein Weib, Kind und den ganzen Hausstand als ciw^in (Wirth) despotisch gebietend, und wieder kriechend der Peitsche gehorchend, ' die über ihm knallt. Immer ein trauriges Bild als Mensch! Im grellsten Aberglauben versunken, nnempsindlich den Leiden und stumpf dm Freuden, die eine Höhcrc Quelle haben als die Sinne, naht sich seiner Seele nie ein Versuch, sich üw- die Stnfe seiner Erniedrigung zu erheben. Man sehe in die Geschichte dieses Volks, man trifft es immer nur in der nncrbörtestcn Entwürdigung. — Elendes Dasein! — Aber mit diesem elenden Dasein hat das czarische Scepter Schweden. Polen, Kosaken, Tataren gcdemüthigt. Häitc Deutschland zu fürchtm? Das meine ich nicht. Aber zu bedenken. Dürfen sich doch die Rnsscn rühmen. Deutsche eingepfercht, nnd von Deutschen schon einmal Tribut empfangen zu haben. Iwan II. ließ von dem Bischof Hermann von Dorpat Tribut einfordern. Dieser bewilligte. Da lachte der Nussc und sagte: 40 Knechtschaft. „Dies Kindlein wollen wir mit Weißbrod lind süßer Milch aufziehen!" Ja. „bedenken" meinte ich. bedenken den Tribut nnd dic czarischcn Worte, und die Maschinen, und die Expansiv»! durch die, Maschinen, und das Ausziehen, das 1^t0 das Urtheil, Spicßrnthcn zu lanfen. Durch seine Erniedrigung, im Staube den Russen um Gnade flehend und durch Fürsprache ward ihm der blutige Rücken erlassen. Die Leibeigenschaft soll aufhören. Warum macht man nie einen Anfang damit! Hcrauofordenmgskünste siud kein Anfang dazu, und Palliative heilen kein Uebel in eiucm Körper. Alexander I. hielt sich auch an dao Hinhaltungosystcm. Er sah den Lieven und Eschen auch für so anS- uud abgcmcrgelt an, daß sie sich durch den Genuß einer gesunden Nahrnng den Magcu verderben könnten. Er befahl eine dreijährige Vorbereitung. Während diefcr Jahre sollte der Bauer seine Seele mit der Idee bekannt machen, nicht mehr das Eigenthnm eines Andern zu sein. Er sollte sich nach nnd nach an das unendliche Glück gewöhnen, welches man ihm bereitete. Als aber dic Zeit vorüber war, war der Arme so klug wie vorher. Denn auch sonst wußte er, daß ihm ohne ein Stückchen Erde das Knechtschaft. 41 Vrod nirgends auf der flachen Hand wachsen werde, er mögt befugt sein, zu ziehen wohin er wolle, und daß es am Ende fönst besser für ihn war, da ihn, als Leibeigenen, sein Herr wenigstens nicht fortjagen durste, jetzt aber als freiem Sansculotten den Laufpaß geben konnte. Ferner soll der Verstand des Bauern erst heller werden. Man giebt ihm deshalb Dorf- und Krcisschulcn, und verbietet ihm die Theilnahme am Gymnasialnnterricht. Ein Ministerial-Rescript sagt die Gründe dafür- „In den Gymnasien und höhern Lehranstalten würden die Leibeigenen, deren Erziehung von Kindheit an gewöhnlich vernachläßigt ist, nnr zu oft den Knaben höherer Klassen ein verderbliches Beispiel geben, und manche Eltern veranlassen, ihren Kindern lieber eine häusliche Erziehung zu geben. Mein zeichneten sie sich auch durch Fleiß und gutes Betragen aus. welchen Vortheil würde das ihnen bringen? Bald würden diesen jungen Leuten, die an eine Lebensweise, an eine Art zu denken und zu fühlen gewöhnt wurden, die über ihrem Stande ist. die Arbeiten, welche sie nach der Heimkehr in ihre Familien wieder treiben müßten, unerträglich werden, und die Erfahrung hat bewährt, daß diese Menschen entweder in schwarzen Trübsinn verfielen, oder sich Ausschweifungen überließen. welche sie zuletzt in's Verderben stürzten." Dies Nescrivt aus dem Ministerium des öffentlichen Unterrichts enthalt Wurzel und Kubus einheimischer Humanität und Weisheit, und reizt um so mehr zu Bewunderung, wenn man das Sortiren des menschlichen Geistes in den einzelnen Schubladen etwas näher betrachtet. Der Unterricht in den Parochialschnlcn, in denen der Leibeigene sein Planetensystem mittelst seiner Eonjectmal-Astrouomic constrniren sott. hat drei Punkte, anf welche das Fernrohr gestellt wird, Lesen, M Knechtschaft. Schreiben, Anfangsgründc des Rechnens, und iu der Mitte steht als ssentralsonne mit Ncligionsgeschichtc der allem leuchtende Pope, dessen sanftes Licht wieder entlehnt ist. Im Winter sollen die Kinder täglich vier Stunden au dieser Sonne sich erwärmen, dagegen den ganzen Sonnner durch in den Dörftrn gar keine Erleuchtungen, gar kein Unterricht statt finden. Die hierauf folgenden Schulen in den Kreisstädten haben die Anweisung erhalten zu russischer Sprache, russischer Geschichte. Arithmetik, Geometrie, (Geographie, und in der Mitte steht wieder der Pope, der als Aufsichtcr dort und hier, in diesen Schulen die Religionsgefchichtc in seine erlernte Ncligwn verwandelt. Da zur Aufnahme in ein Gymnasium nichts als Russisch lesen und schreiben erforderlich ist, so wird sich Jedermann die unschädliche Erlenchtnng mit faulem Holze auf diesen niedern Schulbänken vorstellen können. Von den Gymnasialstudien kann man sich ebenfalls eine Idee schaffen, wenn man erwägt, daß z. V. auf der Petersburger Universität die l5rleruung der lateinischen Sprache mit Dörings Anleitung zum Uebersetzcn und mit einem Versuche, den Salnst zu übersetzeu begonnen, und die Kenntniß der gesammten Latinität damit geschlossen wird. Ich weiß. daß dem docirendcn Professor oft die Geduld riß, und er die sogenannten Stndenten zum fleißigen Lernen der Declinationen ermähnte. Eö ist hier nur von der Absperrung des Geistes die Nede. Man spricht vom Frciheitgel'tn. und zieht Mauern um den Geist Dessen, dem man geben will. ihn wenigstens den Willen dazu glauben läßt. Freiheit will keine Gnade, keine Bewilligung oder Schenkung sein, sie will als die wahre nur aus dem Geiste hervor. Ist das Vorbe-reiten zu einem bessern Zustande, wenn die Gränze abgesteckt ist, bis zu welcher niedrigen Stuft der Verstand sich erhebe» darf? Sind Knechtschaft. 43 jene Uiücrrichtsgcgcnstände, die überdies nur auf dem Papier stehen, Dinge, welche den Zustand dcs Leibeigenen verbessern? Ich habe unter den Russen, die nie cine Schnle besticht hatten, verständigere Menschen gefunden als im Bürger- und Adesstande. Die Kenntniß des Wechselbalgs. den man ihrm Kindern als Freihcitsmensch ausstopft, bedarf keiner Schule. Warum soll der Baner nicht weiter? Fürchtet mau Mchdeukm über Ungerechtigkeiten? Soll er nie aushören', nur Stock und Abgaben für „Regierung" zu halten? Wäre es nicht besser, wenn er sein Verhältnis! zu seiner Regierung etn-sähe? Warum dürfte der Verstand nicht frei ausgebildet werden, um die Wohlthäter ganz zu begreifen, die sich unaufhörlich mit dem Wohl der Unterthanen beschäftigen! Gesetzliche Beschränkung der Ausbildung des Verstandes ist gesetzliche Despotie, weil es keinen Berechtigten gibt. der dem (vciste das Maas, zu reichen hat. Warum soll das Kind nicht mehr lernen, als was der Erwachsene dem Etarost (den, Dorfschnlzcn) zu leisten verbunden ist? Wozu also Schulen, in denen eine Kindcrhcerde und ein Ignorant vor Dunkelheit die Thür zum Licht nicht finden können. Warum liesie sich mit der Freilassung nicht gleich ein Ansang machen, wenn der Wille dazn reif ist? Nur verbessern, nur erleichtern den unglücklichen Zustand? Ohne, Freiheit? Mn Tropfen Wasser anf eine vor Dnrst brennende Zunge ist nicht Stillung des Durstes, er ist nur ein Reizmittel, eben so wie daö Reden von Freiheit und die unerfüllten Erwartungen nur Gährungm erzeugen. Warum nicht den guten Hausvater und Haushalter, den Fleißigen, den Nüchternen, den Friedliebenden, dm Tugendhaften gleich freilassen? Aber nur nicht nut losgebundenen und an den Armen hängend bleibenden Stricken, sondern vernünftig ftei. Die Vernunft in ihre Rechte einzusetzen, ist an keine Zeit gebunden, und bei einem 44 Knechtschaft, Schritt für Mcnschcnrccht braucht die Politik nicht unruhig zu werden. Der Russe und alle Volksstämme, die scin Loos unter gleichem Scepter theilen, sind sie immer noch nicht reif Menschen zu sein, würden sie der Wucht der Freiheit erliegen? ftine Vorspiegelung von Freiheit wird sowohl von Stupidität als von Aufklärung gemißbraucht, und die cinlöthigcn, höchstens zweilöthigcn Andeutungen der Freiheit erschaffen in Nußland ein Nebel, das weder Pulver noch zwölfpsimdige Pillen heilen werden. Daran sind die Ausländer nicht schuld, sondern die eigene Theorie und Praxis. Sklaverei ist cm Zustand gegen die Natur. Freiheit ist die natürliche Seele des Menschen. Ohne sie ist er nicht mehr Mensch. Wo ist denn also der Zustand, der zu dem RuM spräche: „ich kann Dich nicht aufnehmen, weil Du noch kein Mensch bist!" Heißt Ncifscin zur Frcibcit, das Glück der Freiheit sei wohl für andere Nationen, nur nicht für deu Russen, weil er keinen Verstand habe, sich in eine vernünftige Freiheit zu finden? Engen ihn icht nicht ebenfalls Gesetze ein, und nur drückende, und durchbricht er die Schranken? Wenn hat er es gethan! Bei (Lessen? Bürdete man ihm bei dergleichen (>onvulsioucu. die der beste Staat haben kann und hat, nicht Zuviel als wirkliche Theilnahme aus? Ich will des wichtigsten Falles gedenken, den ich als beweisendes Beispiel kenne. Die bei der Thronbesteigung des Kaisers Nicola us zum AnS-bruch gekommene Verschwörung hatte einen Theil der Garde für sich als blinde Rekruten, gleichviel zu welchem Zweck, ansierdcm noch einen Haufen Landvolk. Woher dies? In den Dörfern geworben? Nein, es waren die armen Teufel in Bastschuhen und zerrissenen Schafpelzen und Kitteln, die an der Isaakokirchc arbeiteten, an deren Zaun der Hcerd der Rebellen sich lehnte. Knechtschaft. 43 „Luml! Ilunä! (Verschwörung) das Volk und die Soldaten rcbcllnen!" rief mir Einer nach dem Andern zu. der am Morgen zu nur kam. Ich glaubte an eine Verschwörung aber niemals an tine Empörung des Volts gegen das Oberhaupt des Reichs. Ich habe mich immer au die asiatische Ehrfurcht vor dcm Regenten, die dem Russen angeerbt ist, gehalten und tauschte mich auch diesmal nicht. Ich überzeugte mich selbst, Ein Hause Vaueru mit Soldaten vermischt, jubelte auf dcm Scnatöplatze. Von Zeit zu Zeit fratcr-nisirtcn Tschakos. Mützen und Hüte in der Lust. Die Bewohner der auf der Scnatöseite liegenden Häuser standen auf den Trottoircn und sahen dcm Treiben zu, aus dem Niemand klug werden konnte. Mau wollte Etwas, aber was man wollte, war Keiucm deutlich. Dic Seuatswache stand im Doppclgliedc, der Offizier spazirtc hin und her. Was bedeutet das? fragte ich ihn. ^ "nmu! (ich weis; nicht!) Was bedeutet das? wandte ich mich fragend an einen Bauer, dcr eben seine Mütze jauchzend in die Luft geschleudert hatte. Iloß «nno!.! (das mag ftiott wissen!) ich weiß selber uicl't. die Soldaten wollen den Kaiser nicht, sie warten hier auf Eo nstautin. dcr bald hier sein wird. Was schreit Ihr? fragte ich einen andern Schafpelz. ka Knechtschaft. herum. Int Spiegel seiner Vorstellung sieht cr stin Mcnschscin wie das Bild einer Gegend am Ufer eines Flusses, verkehrt. Unter sich sieht cr kein vernnnstfahigeö Wesen mehr, aber über sich eine lange Kette von Autoritäten, und sein Begriff von Necht zerstießt in Alles, was ciner Autorität ähnlich sieht. Seine Freuden sind Bälle auf Stelzen. Nenn die Frühlingssonnc einst dic Eisdecke über Nußlaild sprengt, dann halt kein Damm die empörten Wogen auf. Die Zeit wird kommen, aber bis dahin wird es an Deich-ineistcrn nicht mangeln, uud keiner von ihnen hat ^je den Schlüssel verdreht, der das Schloß der Schleuse ausschließt. Bis dahin werden die Hexen noch mancbes Schock Pier legen, und dm himmlischen Mächten, bei den Donnerwettern der irdischen angefleht, wird noch manches 'l<>'l<,!»m gesungen werden. Bis dahin können rnffische Skribenten noch Folianten über sibirische Freiheit schreiben, über die in Rußland täglich mehr um sich greifende Aufklärung und über die nahbevorstchende Abschaffmig der Leibeigenschaft. Noch lange können sie versichern, daß die Abschaffung zuverlässig schon längst erfolgt wäre, wenn nicht höhere Rücksichten und weise Vorsicht geböten, den Nest der Leibeigenschaft mit einem Schlage nicht zu befreien. vi<» Nubcl Banco und cine Medaille überwiesen. Ner würde sich nicht zur Freude gcstimutt füble», wmu der Menschheit ein natürliches und vom Christenthum bestätigtes Recht, das ihr entzogeu war, wiedergegeben würde. GS fragt sich nur. ob Autokratie dic Tochter dcs EvaugeliumS ist, ob sie den Altar, dcn sie selbst gebaut, wird zerschlagen wolleu? Es fragt sich, ob die Freiheit, von deren Bewilligung sie sprechen läßt, eine licvläu-dischc, bcssarabischc, sibirische sein würde. (>!.!<> «no^cl».) Dann. um Gotteöwilleu, nur keine Freiheit! Eolchc Achtel und Viertel erinnern blos an den Befehl des Sonnengottes fnr seinen Sohn: kni-««, preeo,-, 8iim„Ii^. ^! loili,^ iil^vo lo,^! '' " Sprecht mir von allen Schrecken des Gewissens, Von halber Freiheit sprecht unr nicht! 0rLmu5! Es fragt sich ftmer, ob Freiheit als Natur, uud Autokratie als Kunst den innigen Bund zu schließen geneigt wären, 'vie zwei lebenslängliche Archonten das Steuer des Staats zu führen, ob Neider politisches Barometer immer auf einerlei Wetter stehen würde? Ich bezweifle. Beide würden zwar sagen, wir wollen die Menschen zu Angeln machen, allein der einc Archont wnrdc ihlttn bleierne Flügel ankleben wollen, und der andre Adlerschwin-gcn gcbcn. Beide verkündeten gewiß, dic b'harte solle eine Wahr> hcit werden, aber einer würde sie dem andern stehlen, und die Charte heimlich verbrennen. Was mir die Hoffnung auf Abschaffung der Leibeigenschaft in Rnßland benommen hat, ist. abgesehen von der Lanze der Autokratie, das Wolftpaar. in dereu Gebisi der menschenfreundlichste Wille verbluten würde, der herrschende Aristokratiömus und die noch 4* 62 Knechtschaft, hungrigere Wölfin, die Justiz, Es hat mich nie getäuscht, wenn cin Aristokrat seine Leibeigenen frei ließ. Seine Schulden waren groß. Sein Menschenkapital schwand immer mehr dnrch seine Verschwendung. Noch war es sein, noch konnte er darüber verfügen. Er sammelte entweder das Lösegeld, oder er hatte andere Gründe zur Freilassung stiller Sklaven im Hinterhalte, der Sinn des Menschenfreundes bewog ihn nicht dazu. Habsucht geht durch den Staats-körper wie cin allein leitendes conservatives Prinzip. Selbst das Gesetz schließt sich nicht aus. Es knüpft an ein Verbrechen gegen den Staat Güterconfiscation. Die Justiz verwandelt das geringste Vergehen iu cin solches Verbrechen, wenn die Beute fttt und theilbar ist. Beständig hat die Krone sich iu Prozessen wegen Besitz und Cousiscatiou zu wehren. Sie schließt sich nicht aus vom Gesetz, sie will nach Necht entschädigen und in m^i'nm restituircn. Sie befiehlt die Untersuchung, und die Instiz folgt m ihren Entscheidungen der Logik jenes Todtengräbers, welcher cin bestelltes Grab gegraben hatte. Der Leichcnzng kam. Die Träger setzten die Bahre nieder. Da klopfte der Scheintodte am Sarge. Er stieg aus seinen sechs Brettern und vier Brettchcn. Er wcigcrt sich, für die Grube zu zahlen. Der Todtcngräber klagt. Er verlangt entweder Schadenersatz, oder daß der Erwachte in das für ihn bestellte Loch müsse, weil er offenbar dem Todtengraber eine Nase gedreht habe. nnd anzunehmen sei, daß er <^l„«e gehandelt habe. In Nußland gibt es nur Vertheidiger des Despotismus, weil jeder Nnsse selbst Despot ist. Dies ist der Grundstoff, der die russischen Gesellschaften so außerordentlich anziehend macht, daß es Ausländer nur mit Ueberwindung darin aushalten können. Form und Unterhaltung nehmen das Gepräge davon. Für die Liebenswürdigkeit dieser Zirkel, im Großen und Kleinen, können sich die Knechtschaft. 63 Deutschen cm nicht täuschendes Gefühl envcckm. wenn sie der russischen Agenten Beschreibungen nnd Behauptungen von ihrem Lande lesen. Wer den Drang in sich fühlt, einmal ganz Russe sein zn wollen, nud nicht weiß wie er cö anzufangen hat, der fasse Muth, und nehme den Tschinownik und Lcggcr (Bader) Wilhelm von Grimm als Widerleger Cust ine's vor. Schon auf der crstm Seite wird er russischen Wind empfinden. auf dcr zweiten Quas< und Zwiebeln schmecken, aus der dritte» schon nach Juchten riechen, und auf dcr vierten durch und durch vom l>>ni-jl.u5 u-emonäii8 rLo Ull<^l,!58imu5 eingenommen sein. Mit dieser stockscythischcn 1>anl« voiö« ü 1'm'llimm'L vcrsclione ich ineine Leser nud mich. Gott schütze jedes denkende Wesen vor dieser Misere! Ich habe mich oft gern nüt einem Redlichen in Unterhaltung nber Despotismus eingelassen. Ich gab uud gebe zu, daß manche Blume im Schatten des Despotismus zum Aufblühen gelangen kann, aber die Eehnsncht nach dem Sonnenlichte wird an ihrer Wendung zu sehen sein. Dcr Despotismus mag znweilcn Nutzen stiften, allein was nur zu Etwas nützlich ist. kann nicht die Sache oder das (Nut selbst sein. Die Numismatik kann nicht die Geschichte sein, dic Geometrie nicht die Physik. Es ist möglich, daß ein Volk die Nuthc des Despotismus verdient hat. allein eö kaun nicht die Bcstimmnng haben, immer darunter zu bleiben, nnd welcher Mensch, welches Volk, welches Iahrhuudert, nach Verdienst behandelt, ware vor Züchtigung sicher? Willkür kann nie ein Necht auf Gehorsam erwerben, noch erzwingen. Das Recht des Menschen, stei zn sein, ist unabhängig von allen Welt- und Tagsbcgebcnhciten, uud daß es so ist. werden sämmtliche Deftnsoren der Sklaverei der Vernunft nicht mehr strei- KH Knechtschaft, tig maHen, und wenn sie völkern'cise auf Erden aufständcu und ihre ^iehre predigten. Dic Tonne geht nicht auf, sie ist sieht widersprechen; sondern der Werth des Mannes nnd der Boden von Menschenfreundlichkeit durchglüht. sind dic Motive meiner An-regimg. Ohne Beides wäre mir die Nedc nicht aufgefallen. um so weniger, da es in memer Seele liegt. Achtung vor ausgezeichneten Männern zn haben. „Dem Verdienste seine Kronen!" Maccanlay. der Staatsmann und Schriftsteller, malte in seiner Nede im Unterhause am 2<>. Febr. d. I. mit den Farben ans warmem Herzen für Mcnscheuwohl und Menschenweh das gräßliche Elend der Sklaven in den Vereinigten Staaten, und ging dann zu einem Vergleich in Brasilien über. "Der Widerwille der weißen Ncvölkernng gegen Farbige be-steht in Brasilien in einer weit mildern Form. Es leben dort Tausende von freien farbigen und schwarzen Menschen. Sie sind von einer ehrenden Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft nicht ausgeschlossen, und mau fiudet unter il'ncn Nechtsgclebrte, Aerzte, Militairs uud Geistliche. Es ist dort teincsweges uugewöhnlich. weiße Andächtige in einem Beichtstuhl vor einem Schwarzen knien, und von ihm Absolution empfangen zn sehen, und cbm so ist es nichts Ungewöhnliches, daß Schwarze der weißen Gemeinde das Allcrh eiligste spenden!" Peel hat im März 1845 im Unterhause erklärt: „Die Lehrzeit für Emancipation der Sklaven in Westindien, die sonst von der englischen Regierung eingeführt war, czistirt 8« Knechtschaft. nicht mehr. Jeder Neger, dcr dorthin kommt, auf welche Weist dies mich fei, ist aller Nichte eines freien Menschen theilhaftig." Aus diesen Reden quillt Hoffnung. Die Vorbereitung ist da. Rußland hat sich abgesperrt gegen ausländische Seuchen, es ist noch die unbefleckte, rosenfarbigc Unschuld. Es hat mit der römifth-ka. tholischm Kirche die Rechnung abgeschlossen. Es besitzt selbst zwei ächte Stücke vom heiligen Rocke, eines in der Kirche des Winterpalasts und das andere im Kreml. Es jagt die römisch-katholischen Lehrer aus seinem frommen, unermeßlichen Tempel, oder laßt sie nach seiner Art iu Petersburg zustutzen, und es wird weder Katholik noch Protestant wagen, in Abrede zu stellen, daß die Popen richtiger als jeder andere Klerus verstehen, dem russischen Volke die wahre Nationalität und innere politische Stärke zu gcbcu, die dasselbe eben braucht, um sciuc Quarantine ciust aufzuheben, und seine verdichtete Olückseligkcit über alle Erde frei strömen zu lassen. Die nächste Zukunft wird beweisen, daß sich Rußland weder von England noch Brasilien feurige Kohleu auf das Haupt sammeln läßt. Stände das russische Volk au Einsicht und Sitte unter den westindischen Schwarzen? Die englische Regierung hat die Freiheit derselben ohne die mindeste Befürchtung ausgesprochen. Was könnte die russische bei der Deckung der allgemeinen Ruhe durch eine Kriegsmacht von einer Million zu besorgen haben? Dürften sogar die Sklaven Brasiliens sich einer bessern Lage als Nußlands Leibeigene erfreuen? Köuntc der warme Hauch der Menschenliebe aus Amerika's Süden nicht in die russischen Besitzungen dringen, und auch da zu einem Frühlinge erwecken? Die Guten sind reis und bereit der Völkerkönigin zu huldigen, Knechtschaft. »7 und ein reiner Wille findet Mittel und Wege. ohne Zögern Menschen zu beglücken. Nicht die Einwendimg, ein schneller Ucbcrgang von autokrati-schen zu freien Institutionen sei bedenklich. weil Privilegien bestehen, derm Aufhebung Klagen und Geschrei oder Gefahr hervorbringen fönnte! Hat sich je eine Autokratie bedacht, sich plötzlich auf den Thron zu setzen, und alleö Freie über den Haufen zu werfen? Necht in Unrecht umzuwandeln dürfte gleich und unbedenklich geschehen, und umgekehrt nicht? Waö gegen Natur und Völkerrecht besteht, hat auf kein Recht zu trotzen, und ich habe das Vertrauen zu 5,0 Millionen Menschen, daß unter ihnen, wen» es einem Kampfe für die Humanität gilt, Männer aufstehen werden, welche Mittel an die Hand geben, einer Läsion wahrer Rechte aus dem Wege zu gehen. Keine Freiheit mit l-:»I«nwnäf denen er längere Schritte machen kann, überspringt er Stufen, die Verdunste finden sich dann von selber, wie wir bereits an jenem verdicnstreicben Manne durch die Tante gesehen haben. Sollte es Schwierigkeiten geben, wegen contrarcn Windes über die Stnfen zn segeln, so hat man andere Wege zum Ziel zu gelangen, z. B. die Erwerbung eines Ordens, wie der Wladimir- und Georgcnorden, welche das Recht in sich schließen, um den Adel nachsuchen zu können. Nach den neuesten Bestimmungen wird 1) vom Fähnrich bis zum Stabsoffizier der persönliche Adel erworben, mit diesem Militärgradc der erbliche Adel. 2) im Civildienste erwirbt die t i. Klasse nur die Rechte des persönlichen Ebrenbürgerthums, die '.). Klaffe erst den persönlichen Adel. und die 5. den Erbadel. 3) hängt von dem unmittelbaren Ermessen deö Kaisers die Ertheilung deö persönlichen oder Erbadels ab. Nach der Legion von ambulirendcn Titeln wird man es auch natürlich finden, daß es in allen Staaten der Welt zusammengenommen nicht so viel Ordensträger gibt als in Nußland, noch dazu da Orden bezahlt werden muffen und die Staatsrcvenüen vermehren. Das kleinste Ordenchen, das Wladimir-Kr.'uzlein ist so gemein und trivial geworden, daß es viele Ritter verstecken, weil es im Munde der Nnffen den Werth hat, „ daß man darauf Läuse knacke." Wenn man weisi, wem, wofür, und wie Orden verliehen werden, wie Einer den Andern durch Versprechungen solcher sein sollenden Ehrenzeichen betrügt, wenn man in dies unsinnige Jagen danach blickt, wo soll da eine günstige Meinung für diese Auszeichnungen herkommen! Ein Kaufmann erster Gilde, Sprößliug ans der Volkshefc, 72 Vurcaukratic. und noch in reifern Jahren als Sackträger sein Fortkommen suchend, jetzt aber nicht dnrch Erbschaft, nicht dnrch Fleiß, nicht dnrch Recht und Gerechtigkeit, kurz ich weiß nicht durch was, über Millionen gebietend, wurde zur Zeit der Cholera zum Mitglied eines (5omit6 über ein Cholerahoopital ernannt. Chef war ein Etatsrath, dnrch dessen Speculation der Kalifmann mit in das Eomit« gebracht war. Dieser und der Chef standen bald in vertraulichen Unterhandlungen. „Wenn Sie nur. lieber Peter Grcgoro witsch, tausend Nu-bel leihen, sprach der Chef, nur auf kurze Zeit, so stelle ich Sie als verdienstlich um das Hospital zu einem Orden vor. Ich hoffe Sie haben Vertrauen zu mir, denn einen Schein könnte ich Ihnen über die Summe nicht ausstellen, Sie wissen wie leicht ein Papier in unberufene Hände kommeu und auf den Verdacht leiten könnte, ich wäre Ihnen für Geld zu dem Orden bchülstich gewesen. Da sei Gott für! Ich brauche nur eben das Geld, da ich in dieser angstvollen Zeit keine Besuche machen kaun wo ich Kapitalien stehen habe, man scheut mich, weil ich in das ssholerahaus gehe." . „O geehrter Fed or Alejandro witsch, mit Vergnügen, Sie erfüllen meinen größten Wunsch, wcnn Sie mir zn einem Orden verhelfen." Abgemacht. Die Seligkeit schwamm in den eommerzielleu Augen, und der Seligtnmkeuc theilte seine Nonne seiner Familie mit. Die, Söhne erzählten es weiter, die Tochter hatte Freundinnen, die Mutter wackelte mit der Freude zu allen Verwandten! Ein Kaufmann mit einem Orden! Welch ein Gedanke! Silberne und goldene Medaillen, ja die gab es in Menge. Aber ein Orden, ein Orden! Es war mit dein Manne kein Auökommcn. Wie eilte er fleißig ins Krankenhans. Einige Wochen darauf hieß es wieder: „Peter Grcgoritsch, wir wollen auf gemeinschaftliche Kosten Ocsfcutlichc und geheime Polizei. 73 unser Hospital durch besondere Einrichtungen auszeichnen, die Bewilligungen der Summen von der Duma sind schwach. „Das ist ein trefflicher Gedankt) gcebrter Fedor Alex an -dertsch, wie meinen Sie das?" „Hören Eic Peter Gregortsch, das soll uns beiden gute Zinsen tragen. Darmn möchte ich nicht die andern Mitglieder deS Commitü daran theilnchmcn lassen. ich weiß es schon zu machen, daß unsre Namen als große Wohlthäter glänzen sollen. Ich kann Ihnen vorläufig schon sagen, daß Ihr Name dein Kaiser genannt ist, und er hat gesagt: ich werde dem Manne danken." „Wirklich? hat er das gesagt? O ich bitte, machen Sie doch bald die Einrichtungen im Hospital. Wozn die Zeit verlieren!" „Ja lieber Peter Grcgortsch, das geht nicht so schnell. Sie wissen daß ich jetzt nicht bei Ocldc bin, ich bekomme erst..... „ I^milnÜL! (Erbarmen Eie sich) wie viel glauben Sie daß wir nöthig haben?" „Höchstens Jeder 500 Rubel. „Ich zahle Ihnen gleich 1000 Nubel, nur bitte ich, eilen Sie mit den Anrichtungen." „Ucbrigens Peter Gregortsch. haben Eic nicht nöthig, so oft in daS Hospital sich zu bemühen, ich werde Ihr Ausbleiben nicht bemerken, man ist vor Anstecknng nicht sicher, bleiben Sic also zn Hause." Gesagt, gethan. Der Ordensträumer rührte sich nicht, und mied das Krankenhans. Die l tt00 Nubel Hatte der Chef abermals eingestrichen. Von den Einrichtungen war sein Sinn weit entfernt. Den Monat darauf beehrte er den Ordcnssüchtigen wieder mit seiner kostbaren Gegenwart. „Hören Sic, Peter Grcgortsch, wir sind so gut wie am ?4 Vnrcau kl a tic. Ziel. Sie werden jetzt schon zum Wladimirkrcllz vorgestellt, daS bedarf keineö Opfers mehr. Aber was meinen Sie? Ich komme eben von meinem Freunde. Wenn Sie 2000 Nubel daran wenden, so erhaltm Sie den Annenorden, und so schwer es sonst sein würde, sür einen Kaufmann ihn auszuwirken, so leicht ist es in diesem Falle, versteht sich, falls es ihnen angenehm ist, diesen böhcrn Orden zu tragen, Sie wissen, wie man über das Kreuzchen lacht. Doch wie Sie wollen. Bedenken Sie was es heißt, ein Kaufmann hat für seine Verdienste den Annenordcn erhalten, und noch ein eigenhändiges Danksagungsschreiben vom Kaiser. Denken Sie welches Glück ihrer Tochter bevorsteht, sie kann noch Ministerin wcrdcn." Die 2000 Nubel wurden mit Freuden gezahlt. Die Unruhe stieg mit jedem Tage; die Erwartung verursachte schlaflose Nächte. Die Cholera hörte auf. Uud der Orden will noch immer nicht kommen? Ja, endlich erscheinen die Belohnungcu. Auch Peter Gre-gorowitsch erhielt von der Duma die Einladnng, sich cinzufinden, um die für ihn bestimmte Belohnung als Mitglied eines Commits der Cholcrahoöpitä'ler persönlich in Empfang zu nehmen. ?!,,<,'«! Mc«! i>le«8jem^! der Wann erstickt vor Seligkeit. Schicksal, nimm die Anncnordcn znrück, der Mann verliert den Verstand! Ach, das that wohl das Geschick) aber nnn male man sich den Schreck. Ein Bekannter brachte nach einer Stunde die Kunde, daß die Belohnung in der für alle Mitglieder der Comiteen verliehenen Medaille bestehe. 4000 Rubel verloren, am Nanenfeil geführt, von Allen verlacht, deueu der neunte Himmel Mnhamcdö schon mitgetheilt war, konnte der aus dem Paradiese Gefallene von Glück sagen, daß ihn nicht gleich ein Schlagfluß in die Arme der heiligen Anna führte. Der Gram magerte ihn ab, doch rächte er sich he« roisch nach großer Seelen Sitte. Er licsi die Medaille lange lauge Ocffcntlichc und gchcimc Polizei. ?ll ans der Duma liegen, und verschmähte sie abzuholen, bis er die ernstliche Mahnung erhielt, sie in Empfang zu nebmcu. Tausende armer Tschinowuike oder deren Wittwen sind nicht im Stande au die Erziehung ihrcs Sohnes etwas zu wenden. Der Junge wächst in Gesellschaft fremden Bedicntenvolks auf, und lernt ihre Laster. Was thut's? Weiß doch der Vater oder dic Mutter, daß er in einem Korps eingeschrieben wird, daß cr der Krone bestimmt ist. Was gehen sie Eltcrnsorgen an. Das Einschreiben muß frühzeitig geschehen, weil der Andrang in allen Anstalten zn groß ist. Alle Eltern wollen ihre Söhne sobald wie möglich los sein, und die Fütterung der Krone überlassen. Nach der Einschreibung bleibt der Bube vielleicht noch einige Jahre zu Hause, grübelt aber doch nun an den Fingern heraus, in welchem Jahre er als Fähnrich dm ersten Federbusch tragen wird, in welchem er Colle-gienrath sein oder Oberstepaulets tragen kann», weil festgesetzt ist, wieviel Zeit jeder Steiger auf einer Rangstufe Halt machen muß. Die Ausnahme in eine Anstalt und die Erziehung dariu hindert nicht, sich bei der Entlassung gleichviel welchem fernern Berufe zu> zuwenden. Wer im Vergcorps znm Mineralogen herangebildet wurde, sucht vielleicht beim Pvstamte eine Schreiberstelle, ein Zögling der Akademie der schönen Künste als Architekt entlassen, geht in das Finanzdepartement, ein Maler wird Schreiber bei dem Salz-depot, aus der Ingenieurschule geht man zur Commerz- oder zur Zettclbank, ans der Eommerzschule wird man Junker bei einem Nc-gimente u. s. w. Knrz man möge sich wenden wohin man wolle, wer dem Kalbfelle nicht folgt, wird Schreiber. Gefällt es in dem einen Bureau nicht, so wählt man ein anderes. Es ist nur um den Tschinownik zu thun, und der gedeiht überall, hat also noch Vorzug vor den Pilzen. 75 Bureaukratie. Das bruökireude: „ich bin Tschinownik!" geht weit über das „i'^.-u c' ezt, moi!" Je schwerer ein Vorgesetzter den Untergebenen ihre Nnllität fühlen läßt, desto anmaßender treten sie wieder auf, wo sie glauben, ihren Tsthin an den Mann bringen zu könne». Gaunereien fülle» den Kopf, vorstellen will man Etwas, und hat doch keinen Halt dazu in sich. Der Gehalt ist zu dürftig, um daston leben zu können, Aufwand soll gemacht werden, folglich bleiben die Schelmereien nicht au6. Gesittung fehlt, Achtung fehlt, Bildung fehlt, nur Völlerei fehlt nicht. Als moralisches Wesen betrachtet, steht dieses Titclrcich weit unter den Leibeigenen. Wir haben diese im Hange zmn Trunkc gesehen, gehen wir auch an der solidem Neigung der Herren nicht vorüber. Nicht Tschin und nicht das Knuzlem halten sogar von der Verworfenheit zurück, in den gemeinen Vranntwcinkncipen sich zu betrinkeu. Wer es in Petersburg noch nicht wüßte, der stelle sich in die Nähe der berüluntesten aller Kabalen, der Glasowschm, oder der nicht minder florireuden an der Fontauka am Gaßchen der Mi-kulinschcn Badcstubcn, oder auch anderer Kueipen, die Hinterthüren haben, und sehe wie die Tschinownikc zur Hinterthür hineln sich stehlen. Man sehe wenn diese .'»mmüli M'I:»il<,i von einem Namens' tage, einem Todtenschmausc. oder andern Gelage entweder auf eine Droschke wie ein todtes Thier, mit hin- und hcrschlotterndem Kopfe, geladen. oder zu Fuß auf der Straße taumelnd nach Hause gehen oder geführt werdeu. Das sind freilich nur die tiefunterstcn Rotten Kohra's; allein die Mode des Viel- und Uebertrinkmö in geistigen Getränken findet sich doch nirgends so national wie bei den Russen. Die meisten Flaschcnzüglcr bleiben der Simplicität, dem Ländlich - Sittlichen treu. sie trinken Pcnnik (Kornblanntwcin) aus einem Oeffcutlichc und gebcimc Polizei, 77 Kronsdepot, denn der Fusel in den Kabalen stiukt, und ist so ab-schelllich, daß selbst der durstigste Sauser das Gesicht verzerrt, wenn er das Glasvoll Eocvtuswasser lnnunterstürzt. Zecher, die sich mit Vorrath versorgen, gießen den Pennik ans Apselsin schalen, auf Kirschen, auf Ebreschbccren oder Kräuter. I»i Sommer sieht man ans den Fenstern überall gewaltige gläserne Haubitzen mit dcrglei-chm Aufgüssen, damit ihnen die Sonne die Benediction ertheile. Indeß destillirt wird das ganze Jahr hindurch. Schon um 9 Uhr dcö Morgens ruft der Dienst oder ein anderes Geschäft. Es wird ein heißer Tag werden. Also ein tüchtiger Schnaps erst vom Ausguß auf 32 Kräuter. Er vertreibt die Hitze, denn wenn man von Innen heizt, so suhlt man die Außenhitze nicht. Es ist fürchterlich kalt. Erst ein Schnaps, der erwärmt, und der Doktor hat gesagt: Der Apotheker Branntewein Läßt keinen Arzt zur Thür herein! Um 11 Uhr zum Frühstück, zu Hause oder auswärts. Also Schnaps. Noch einen! Wird'ö nicht zuviel? u>i Uo^u uii!l! (Bei Gott nicht!) DaS ist gesund. Es ist 3 Uhr. Aus den Bureaus tennt Alles hungrig und durstig nach Hause. Dic Suppe ist ser-virt. Also vorher eiu Schnaps; es schmeckt darauf besser. Diese Speise war fett! Ein Schnaps hinterdrein. Damit das Essen gut bekomme! Noch ein Schnaps! Abends ist Repetition. Trinkt man etwa in Absätzen? In Gläschen? Ja Du kommst mir schön an! Man setzt das wohlbcliebte volle Glas an die Unterlippe, öffnet so weit als möglich die Kieferladen, stürzt die ganze Seligkeit mit einem Male hinunter, wie man einen zwl ä« dlämln-t; zum Fenster hiuausgießt. macht eine crnstznftiedcnc Miene, und reicht das leere Geschirr mit einem ,.5lwl'c>^1w!" (Gut) zum Nuhmc des Wirths, dem Nachbar. Denn nur Ein Glas inacht 78 Vul'c^nN-atic. die Runde. Der nachgelassene Rest im Glase wird vom Nächsten mit verschlungen. So will es russische (Zivilisation und Reinlichkeit. Nicht gerade je höher, wohl aber je reicher, desto mehr verdrängt der Wein den Branntwein, ohne ihn deshalb außer Sitte, und Cours zu setzen. Man will nach der Orundabsicht nur mehr trinken können. Ob das Zeug, welches als Wein hincingcschwcmmt wird. der Gesundheit nicht noch nachtheiligcr ist als der Korn- und Kartoffelgeist, daran wird nicht gedacht, nnd die Mediemalpolizci, ladet die Sünde auch nicht auf sich. der Freiheit der Neinhändler in ihren Mixturen zu nah zu treten. Man kaufe doch aus einem Weinkeller, gleichviel welche Wcinsorte. nnd man wird sich von dem Gesöff überzeugen. Ein Bekannter bittet mich einst, mit ihm cincn Augenblick in den Weinkeller eines russischen Kaufmanns zu treten, mit dem er ein Geschäft hatte. Wir finden den Bärtigen mitten im Berufe. Um ihn herum volle Flaschen und kupferne Cimer. Er hat den Kopf nach hinten gebogen, und gurgelt Wein am Schlunde, den er nun in einen ssimcr spie, um uns zu grüsieu. „Was machen Sie da?" „Ich mache Madeira." Die ssimer enthielten die diffcrenten Sorten. Die Deutschen und Engländer geben übrigens den Nüssen in der Kunst Weine zn verfälschen nichts nach. verstehen nur das Handwerk besser. Man kaust auch bei ihnen Mcdoc zu 60 nnd 80 Kopeken (circa (l Ggr.) die Bouteille, und Gordon empfiehlt beständig mit Zuckerworten seiueu so eben direkt von Epcrnai empfangenen Champagner zu 5 Rubel Banko die Boutcille gegen (1'/- Thaler preußisch.) Die Einfuhr von Champagner allein beträgt in Nußland gegen 3 Millio- Ocsscütlichc und gchcimc Polizci. 73 nen Nubel int Durchschnitt. Natürlich kommt er unmittelbar aus ben Kreidebergen Ariuorika'S, sogar der iulaudischc stark mussircndc Birkensaft. Seit dcr 200jährigen Bekanntschaft Rußlands mit dem Branntwein haben sich zweifelsohne die Laster vermehrt lind vergrößert. Ich hofft nur, böswilliger Interpreten halber, die Bemerkung in: Allgemeinen nöthig zn haben, daß nicht nnr der gebildete Adel, sondern überhaupt die gebildete Welt von Zucht und Sitte sich überall gleich ist, daß anch Nußland die seinige auszuweisen hat, die gewiß keiner fremden nachsteht, mit jeder wetteifert und in die Schranken treten kann^ dasi wen» man also von einem Nessel- und Kletteufelde spricht, eine Blumenflur mit Aurikel- und Blüthenpudcr darunter nicht gemeint sein könne, selbst wenn man behauptet, daß ein Verderben gcucrell sei, und Familien- wie Soeialleben durchdrungen habe. Ich gedenke dagegen hier noch eines zahlreichen Standes, von dem man glauben sollte, daß er sich von dem Laster des Trunks fern halten würde, weil man in seinen Häusern wenigstens ein höhcrn Kreisen nachgeahmtes Aeußere findet. Ich meine die erste Gilde der russischen Kalifleute. Man tritt in dic großartige Wohnung eines Negoziantcn dieses Ranges. Parqnettirter Fußboden. Salon auf jeden Fall, auch wohl zwei, eiue Reihe Zimmer, mit den theuersten Farben elegant, wenn auch geschmacklos gemalt, alle mit den modernsten, kostbarsten Möbeln von deutschen Meistern garnirt, alle in der pedantischsten Ordnung, und nur zum Empfange der Gaste bestimmt. Die, Wohnzimmer liegen seitwärts. Der bärtige Wirth, wenngleich, dem ersten Blicke zufolge, der feinen Welt nicht entsprossen, empfängt dennoch mit Zuvorkommen. 80 Bureaukratie. Seine Frau. freilich mit dem uncll) auf der Stirn geschrieben, begrüßt in ihren ächt türkischen Shawl gehüllt, von 3 bis 4000 Rubel und mehr an Werth, mit Gutmüthigfeit, auch wohl gar mit einer von der Tochter erlernten Manier, welche das Töchterchen als Nettobetrag der Erziehung profitirt hat. Tochter und Töchter werden auf Bitten präsentirt. Wie am Drahte gezogen beugen sich die Knie zur tanzmeistcrlichsten Begrüßung. Frisches, blühendes Gesicht.' Keckes Etumpfnaochen! Flcisch und Blut. Reich, das sagt die Kleidung, die großen blitzenden Ohrringe. Füßchen klein im feinsten Weiß. O Du vielgekostctes, goldenes, verlegenes Püpp-chcu. Du liebe unverkennbare ^m^Iici!,^ 8lm^iioN.Uuiu, Du wirkliche jungfräuliche Unschuld! Weift Du gar nichts zu sagen als „au! und mk!.?" Du schmuckes Kind aus dem hohen Liede, Du Blume zu Saron! Wie schön sind Deine zwei jungen Rchzwil-linge. Deine Lippen sind wie eine rosinfarbene Schnur, Dein Nabel ..... Halt! nicht eiue Silbe weiter! Salomo rede Du! Komm näher Du Nose im Thal, meiue Linke will ich unter Dein Haupt legen, uud meiuc Rechte soll Dich herzen, aber sage mir nur das Eine: Fehlt Dir denn gar nichts als die Grazie? Maltschik! ruft der Wüth. Der Junge kommt, uud servirt auf silbernem Prasentirtcllcr eine Boutcillc mit Madeira. Thee folgt, auch Kaffee, auch wohl Chokolade, vulul-, wi^eun-, Alles flugs hintcreiuandcr und untereinander. Das Ländlich-Sittliche guckt überall vor, aber auch mit seiner Gutmüthigkcit. Man fei zu Tische, zu einer Fete in einem solchen Haust gebeten. Säle und Zimmer voll Geladener. Sterne, Kreuze, Medaillen, Kaftane, Fracks, Bärte und glatte Gesichter im bunten Gemisch. Mumien in der höchsten Galla belagern die Stühle. Wie Ocffcutlichc und gchciuic Polizei. 3i die Todten im Gewölbe auf dem St. Bernhard ist eine an die aw dere gesetzt. Es sind die Damen. Es ist unschicklich zu sprechen. Die Herren sondern sich ab. Wehe der jungen Frau die mit Herren in Gespräch sich einläßt! Wie sie doch keine Erziehung hat, und ist doch bei Madame Oth in Pension gewesen. Wie sie frech ist! Man bittet zur Tafel. Erst also an den Schnapstisch. Damen schnapsen auch mit. Die Mumien belagern eine Flanke des Tisches, nach alter mongolischer Sitte. 4 bis 5 geborgte oder gemiethete Lakaien bedienen. Rechts und links Flaschen. Dort Madeira, Rheinwein, hier Portwein, süßer, sanrcr, rother, weißer. Nach Belieben. Die kurzen dicken Pottaboutcillen stehen wie Haubitzen dazwischen. Das junge Volk rottirt sich in ein anderes Zimmer. Warum? l^oni- ^renäre I0 mm-« aux lioMs. Nun sieh mal lieber Leser, von 1 bis 10 die vagabundircnden Gerichte, und Du bist eben erst am Dessert. Nun geht es erst an die hoch und niedrig prangenden Torten, Vämne, Confitüren, Früchte. Die Gesichter werden röther und schwclleu an, die Bäuche böotisch auch. Mein Nachbar schwitzt bei der Arbeit, daß er die Serviette und das Tischtuch zum Trocknen mit zu Hülse nimmt. Achtung! Die langen Champagnergläser treten auf. Das Stück wird interessanter. „Auf das Wohl Sr. kaiserlichen Majestät, des Selbstherrschers aller Reußcn Nic 0 lai Pawl 0 witsch! " Der erste Toast. „Hurrah! hurrah! hurrah! Das versteht sich von selber, ohne den gäb' es kein Leben und keinen Wein." .Auf das Wohl Ihrer Majestät der Kaiserin Alexandra Fe do row na! " 82 Bureaukratie. Abermals Hurrah, daß die Wände dröhnen. Die kaiserlichen Hoheiten, der Thronfolger, Gemahlin, das ge-sammle kaiserliche Hans folgen nach der Thronfolgcordnung, manchmal gedehnt, manchmal kürzer gefaßt, je nachdem die Flaschen anklangen. Sobald die Vaterlandsliebe befriedigt ist, schwingen sich die Vivats über Wirth, Wirthin und deren Familie en detail oder an Fi-08, je nach der Präsumtion des Vorraths. Dann gilt es einzelnen Freunden nnd Verwandten, nnd der glühende Wirth hält das Glas znm Exordium „ans das Wohl aller geehrten Gäste! " em» por. Hier noch ein Glas, dort noch eins, auch wohl zwei nnd drei. Still, Gläscrklang! Ein Ofsiziant. d. h. ein gemietheter Auswärtcr betet lant. Die Andacht läßt sich nur malen. Die Stühle rutschen. Der kann nicht stehen, Jener kann nicht stehen. Dort fällt ein Stern in ein Sopha, hier sncht ein Kreuz die Erlösung von der Erbsünde, in den Bärten sind noch duftende Perlen hängen geblieben. Das Mahl war reich nnd gnt. Ob glücklich vollbracht, das wird sich erst morgen offenbaren. Und die Unterhaltung dabei? Sonderbare Frage! Gewiß die cincs Nl'mcz. eines Kalbasnik! (Deutscher Wurstmacher). Ist man denn znr Unterhaltung gebeten? Eine vernünftige russische Tafel kennt dies profane Gericht nicht. Nun werde man aber in diesen ersten Kaufmannsfamilicn. deren Väter zuweilen im Winterpalais gespeist werden, näher bekannt, und vertrauter mit ihrem häuslichen Leben. Da wird Niemandem entgehen, wie das Laster der Trunkenheit jede Blüthe vernichtet, die sich ansetzen könnte. Der Vater, am Mittagstischc vollgeladcn, wirft sich hin, der Kopf brennt, er rülpst, er schnarcht sich aus, geht Ocfscntlichc und gchcimc Polizei. 83 dann wieder in scm Magazin oder an cin anderes Geschäft, und schläft Abends wieder selig ein. Wie oft hilft auch die Fran die Flaschen leeren. Wessen Herz aber nicht verrußt ist, dem thnt es weh, die Jugend dieser Familien im Abgrunde des Lasters jnbcln zu sehen. Denn schwimmt im Glast des Lasters nicht cin Gefolge? Die Söhne übertreffen die Alten. Da ist ^. der Commerzienrath. Nummer 1 der russischen Handelswclt, sein einziger Sohn ist Trunkenbold, sein 20jähriger Enkel suchte schon mit 16 Jahren Saufgelage und besoldete Actriccn. Dort ist lt., er hat seinen ältesten Sohn, nach schwerer Krankheit von den Folgen des Trunks, beerdigt, die jllnge tugendhafte Wittwe war am Altare verkaust, einen Schlemmer zn pflegen. Dort ist l^., seine zwei Söhne führen dic Trinker und Liederlichen an. Dort ist N., Vater lind Sohn haben sich geeinigt, wessen Kopf verträgt am Meisten? K, macht eine Anß-nahmc von der Regel. I?. anch. Diese Väter bctrinken sich nicht, und sie halten die Söhne ab vom Laster, weil sie ihnen nicht erlauben, Gesellschaften zu besnchcn. Vcrheirathet holen sie dao Ver-fänmtc nach. Von (^., II., I., K. bis 2. ist die Erbsünde testamentarisch und l»l> mtoxl.ilw eingeführt. Ich kenne Beispiele, daß der Sohn im vaterlichen Hause vom strengen, sittlichen Ueberblick bewacht, cin nüchterner, zn Geschäften branchbar heranreifender Mensch blieb. So wie aber die väterliche Gewalt durch seine Verhcirathung lockerer wurde, verfiel er den Gesellschaften des Soffs. Muß es die Eltern, die in dieser ersten Kaufmannskaste vom Laster rein sich erhalten haben, nicht tief schmerzen, die Hoffnung in ihren Kindern, sie als geachtete, nützliche Menschen zn sehen, in diesem Treiben gefährdet zu wissen? Der Einfluß des Kastenwesens ist besonders auf diese Jugend verderbend. Der 1.",, 1 «jährige Knabe ist eben der Petrischule oder 6' 84 Bureaukratie. einer Pensionsaustalt entlausen. Leer blieb scin Kopf. obgleich du Geschenke der Eltern ihm die besten Zeugnisse der Lehrer verschafften. Die ersten AnfangSgrnndc der Arithmetik weiß er. er schreibt eine gute Hand. Mehr verlangt der Vater in sein Geschäft nicht. Hat cr Litst dem Trommelfelle nnd der Querpfeife zn folgen, so wird er in einem Militaircorps als Kaufmannssohn erster Gilde eingeschrieben. Will cr in eine Kanzlei, so wird cr Tschinownik. Kurz der Bursch ist fertig zu einer Karriere. Den Mangel an Vildnng ersetzen adlige Gerechtsame. Zeigte er Anlagen in der Schule, so hört alles Lernen nun auf, das wenige Erworbene wird bei Seite geschoben, seine Richtschnur sind die Tschinownike. Diese suchen gern die reichen Kaufmannssöhnc auf, das Warum braucht keiner Analyst, und diese glauben wieder durch Umgang mit Betitelten an Ehre zu gewinnen. Ich habe dieses obersten Kaufmannsstandes hier erwähnt, weil er die Mittelschicht der Nation formirt. Nur bitte ich, nicht die falsche Folgerung zu ziehen, daß es um die untern Schichten noch übler bestellt scin müßte. Ich würde aus Nr. 2 und 3 der Han-delögilden Verständigcrc und Rechtschaffnere als aus den mit 1 Nu-mcrirten hervorziehen, weil diese nur durch den Geldkasten oder durch den noch ekelhaftem Dummstolz von jenen unterschieden sein wollen, während die Kobold stücken in ihnen mächtiger und schändlicher hausen, als in andern von ihuen über die Schultern angesehenen Brüder». Aus eiuer Anzahl leibeigener Bauern sogar greift man wahrhastig eher eine ehrliche Seele als aus einem gleichen Haufen vergildeter Handelsleute. Man könnte meiner Behauptung ein Beispiel aus dem laufenden Jahre entgegen stellen, daß der Kaiser bei der Ucberführung und Deposition der bekannten 70 Millionen Silberrubel in die Oeffeutlichc mid gchcimc Polizei. 8ls Festung ein besonderes Vcrtraucn in die Kaufmannschaft öffentlich au den Tag gelegt habe. Allerdings hat der Monarch bei dieser Gelegenheit wieder gezeigt, daß ihm seine Bcamten allein zu seiner Beruhigung nicht hinreichten, dasi er vollwichtigere Bürgen verlange. Ob aber die Zuziehung dcr Deputirtm von der Kaufmannschaft uud deren ängstliche Besorgnisse bei Ausführung des allerhöchsten Willens von einem vorzüglichen Vertrauen zu dieser Corporation herrührte, oder ob die Verantwortlichkeit des reichen Handelsstandcs das Motiv zu der Theilnahme an der Beaufsichtigung gewesen ist, das lasse ich dahingestellt sein. Jedermann folge seiner Vernunft! In manchen neuern französischen Geographien stehen die Russen als iicusi!« <^mi «vi1i5«. Das ist blos französischer Neid über das Plus, und wir kennen durch unsern Lichtcnbcrg was dergleichen Nackenstößc sagen wollen, aus dem Postscriptum des Briefes der Magd, die über die Literatur urtheilte: „Die Gretel thut auch als wenn sie Literatur hätte, aber die rothen Dosseln, die sie auf dem Wall anhatte, sind ein Brcscnt, ich weiß es wohl. ich wollte so was nicht haben." Nach deutschen Geographen gehört Rußland unter die civilisirten Länder. Das habe ich auch steif und fest geglaubt, bis ich in Polaugen die erste Abweichung der Magnetnadel von der Civilisation wahrnahm. Bei näherer Beobachtung uahm diese Deklination weit stärker zu als die von Kapi< tain Ross in der Baffinobai von 114 Grad bemerkte. Ich trug mich daher bis vor etlichen Jahren mit der hochverräterischen und rebellischen Idee herum, die europäischen Geographen aufzufordern, das Wort „Civilisation" von Rußland gebraucht, unter die Druck, fthlcr iu ihren Werken aufzunehmen, und statt dessen „Wildniß" zu setzen. V a n A m b u r g h half mir aus Verlegenheit und Vcr« zweifwng durch seine Belehrung. Dieser zweite Basedow legt 86 Bureaukratie. Löwen, Tiger und Panther aneinander, streckt sich darauf wie ans eumn weichen Divan aus, und spielt mit seinen zahmen Bestien wie mit jungen Hauskatzchen. Können Waldkatzcu civilisirt wer^ den, warum nicht Mensche!». An Civilisation in Rutland glaube ich also wirklich. Ich mache nur ans die Tiger- und Pantherflccke aufmerksam, und überlasse Jedem, sich damit einen schönen Hermc-linmantel zu schaffen. Beleuchten wir diese Civilisation weiter, so fallt das Licht auf einen Fleck von einer Größe, daß ihn die Welt kennt, an deffen Brande kein Zweifel sich regt, gegen welchen alles Beizen und Ausschneiden vergebliche Mühe ist. Der Brandsteck ist die allgemeine Bestechlichkeit der Beamten. Das ist die Boa. die um das Neich sich schlingt, und ihm das Gruudwescn eines Staats aussaugt, daS Recht. Wohin sie sich wälzt, wird Gras und Blume zerdrückt. Die Ncvcnüen Nußlands reichen nicht aus bei der über die Kräfte des Landes stehenden Heeresmachl, die Gehalte des Militairs und der Civilbeamten so voll zu gewahren, daß Soldat oder Civilist davon allein leben könnte. Der arme Offizier sucht sich bei Bekannten den Tisch, andere werden von reichen Kameraden unter-stüht. In der Armee und in Garnison hat der gemeine Soldat als jährliche Löhnung 9 Nubcl 45 Cop. Vco. ohngefähr 2 Thaler t6 gGr. sachsisch. Der Gardist empfangt 12 Rubel Bco. — 3 Tahlcr 1 gGr. Zu diefem Solde kommt noch Mehl und Grütze, davou muß aber Wichse, Kreide und andere Ausgaben zur Mondi-ruug bcstritten werden. Ehe jedoch dieses Nothdürftigc, Kümmerliche zum Söldner gelangt, bleibt Manches davon anderwärts kleben. Er soll z. B. täglich 3 Psnnd Brod haben. Er bekommt nur zwei. Daher eine gewöhnliche Erscheinung, daß Wachen bei Gefangenen um die Nachbleibsel vom Brod derselben betteln. Die Oeffcntlichc und gcheimc Polizei. 87 Bestätigung wird sich finden. Wird man sich also wundern, wenn der Soldat stichlt? Wird man sich wundern, wenn Ofsicierc stehlen? Hatte sich nicht ein Gardeoffizier vor mehrern Jahren auf schon lange getriebenem bedeutenden Dicbstahl. im englischen Magazin nnd andcm Orten begangen. ertappen laffen? Oder sollte Deutschland von keinen Fällen wissen, daß russische Obcroffiziere in Familien, wo sie nur Gutes genossen, iin befreundeten Lande, Sachen kaperten, sobald sie von Werth waren? Einzelne Falle!! Allerdings einzelne Fälle, aber nicht selten, und hört man sie von den Ofsiziercorps anderer Staaten? ES ist traurig gmng, daß in Rußland alle Augen aufgeboten werden müssen aufzumerfeu, sobald ein Soldat in ein Hans oder eine Stube tritt, zu verargen aber ist es nicht, weil es bekannt ist, daß bei dm Rckrutcnaushebungcn die. größten Taugenichtse abgegeben werden, und weil das Heer auch als Strafanstalt für Verbrecher constituirt ist. Wie vielen Tschiuowniken wird das Urthel für ihre Verbrechen, statt nach Sibirien zn wandern, Soldat zu werden. Die größten Sünden am Heere begeht das Proviantwescn. Millionen werden jährlich in diesem Sihc alles Nntcrschleiss gestohlen. Es ist weltbekannt und der Kaiser Alexander stempelte die Beamten dieses wichtigen Departements zur Strafe für ihre Ehrlosigkeit, indem er ihnen die schöne Uniform mit den goldenen Achsclschnnren auszog, und ihnen die häßlichste im Heere gab, die jetzige graue. Wer in den Beamtenfamilien des ProviantwesenS bekannt ist, der weiß am Besten, was die zum Mehl-cmkauf nach Nischnei oder in andere Gouvernements Befehligten in ihre Taschen für Geschäfte machen. Wie reich machen die überall uothwcndigen großen Magazine. Welche Mühe hat sich der nachmalige Finanzminister Cancrin als Intendant der Armee gegeben. Drdnnng in diesen wichtigen Zweig der Verwaltung zn bringen. 88 Bureaukratie. Nach dem Muster in Oestreich schrieb er ein Werk in russischer Sprache. Allein Rechtlichkeit in dic entarteten Menschen zu zwingen, das vermag kein Kaiser, keine äußere Macht. Sie stehlen in grauer Uniform eben so gut wie in grüner, und welcher Dank ward Nancrin für seine Mühe? Dic Nüssen schoben ihm eine Untcrsuchnngscommission auf den Hals, an welcher er 1820 noch laborirte. Seine Stütze war der Kaiser Alexander, der seine Rechtschassenhcit durch den Feldmarschal Barclay dc Tolly kannte, und ihn, trotz aller Commissionen wider den Mann, an die Spitze des beschwerlichsten aller Ministerien stellte. Man nehme übrigens ein Departement welches man wolle, nur durch Geld ist es möglich darin die Gewährung eines Gesuchs zu erlangen, mit Geld aber auch AlleS. Der regierende Kaiser richtete gleich anfangs seil: Aligenmerk auf die Vernichtnng ehrloser Käuflichkeit. Vor 8 Jahren erhöhte er zn Erreichung seiner Absicht die Gehalte um ein Bedeutendes-. Er strafte und straft fortwährend wo das Laster unvorsichtig sich blosistcllt. Er schöpft leider eimerweise aus der Newa um sie auszn-trocknen. Und setzte er die Gehalte noch zehnmal höher, er entwurzelte nicht das Böse, denn es fnßt in der unersättlichsten Habsucht, in der scheußlichen Gier im Dezimalsystem von Zehner zu Zehner in die Millionen fortzuschreiten. Schon der Großmutter des Kaisers wurde der Vorschlag znr Erhöhung der Gehalte gemacht. Sie weigerte sich,'weil sie daS Vergebliche voraussah. Wenigstens hat nun Nicolaus I. gerechten Grund, härter zn strafen. Die Einthcilnng des Reichs in Gouvernements und die Verfassung haben die Satrapenregierung eingeführt. Die meisten General-Gouverneure wählt der Kaistr aus seinem Heere, die Civil-und Vizcgouverncurc werden ihm von dm Ministern in ihren Gunst- Ocffcntlichc und gchcimc Polizei. 89 lingcn vorgeschlagen. Reich werden will Jeder, und Jeder bringt die erforderliche Weisheit mit in stiiic Stelle. Des Glückes Baum blüht nicht zweimal, wer würde die erste Blüthe nicht benutzen? Wie oft wird ein verschuldeter Verschwender als Gouverneur in eine Provinz geschickt, — um sich zu erholen. Und er erholt sich, daß er in wenig Jahren für seine Lebenszeit genug hat. und erreichte er Methusalems Alter. Angenommen einmal, der jährliche Sold sei 2000 Rubel Bco. eire.i 570 Thlr. Dies sind schon Posten höherer Ordnung. Davon soll nnn der Inhaber der Stelle alle seine Lebensbedürfnisse in einer theuern Stadt wie Petersburg und zwar standesmäßig bc-sireiten. Für 500 — 600 Nnbel könnte er nur in entfernten Stadttheilen eine Wohnung von zwei schlechten Zimmern haben. Für den Rest allein durchzukommen, obgleich in Petersburg höchst kümmerlich, ließe sich bei einem Mäßigkeit liebenden Manne noch denken. Allein so niedrig kann er nicht wohnen, sein Amt, seine Stellung gebieten höher hinaus. Seine Familie nimmt seinen Rang auch mit in Anspruch. Nebcneinkünftc wirft sein Posten gc-schlich nicht ab. Die Iiiuw der Frau sind in der Regel auch gleich Null oder von geringer Beisteuer, weil der Reicbtlmm im Allgemeinen nicht so dick sitzt, daß die Töchter außer mit Mobiliar mit großen Kapitalien ausgestattet würden. Was reich dotirt ist. gelangt nicht in diese Region. Dennoch sehen wir diesen Tschinownik mit seiner Familie in einer eleganten Wohnung von 1500, 2000 und mehr Rubeln. Ein Bedienter, Stubcnzofc, ein Koch oder Köchin stehen im Solde, zusammen von wenigstens 50 Nnbel monatlich. Die Frau macht strotzenden Aufwand, die Tochter ist in einer Privatcrzichungsan-stalt sür 1000 Rubel jährlich und mehr, der Sohn ebenfalls. Zwei, 90 Bureaukratie. auch vier Pferde stehen im Stalle, dic Equipage ist glänzend. Kutscher und Vorreiter müssen gut gekleidet sein. Man fetirt und wird fttirt. Und das Alles für 2000 Rubel Vanko Gehalt, auch selbst dann noch, wenn das Fixum geringer ist. Die 2000 Rubel mehren sich in's Unendliche. Sie lassen sich jährlich nicht verleben. Es bleibt Ueberschuß. Ein in der Bank angelegtes Kapital trägt nur 4 Pro> cent. Ein Haus bringt mehr. Man kauft eins, zahlt 59 bis 100,000 Rubel, und um sich gegen verläumdcrischc Vermuthung zu decken, als könnten diese Wunder nicht für 2000 Rubel Sold geschehen, so sichert man sein erworbenes Gut. Man läßt das Haus als Eingebrachtes der Frau Gemahlin verschreiben, obgleich Jedermann weiß, daß ihre Aussteuer in einem Bett und einem Dutzend Stühlen bestand, und ihre Eltern und Geschwister gar kümmerlich leben. O waS würde erst geschehen, wenn so ein Wundermann den Speck seines Amts allein verzehren könnte! Nein, er muß theilen. Der Präses, der und die Secretaire, der Stolnatschalnik (Tischvor-stcher) dieser uud jener Kanzellist, sie müssen auch bedacht werden, weil mit Hülfe ihrer die 2000 Rubel Gehalt übernatürlich sich mehren. Dieser Theilungen halber ist der thätige Mann auch berechtigt, sein Loos zu beklagen. „Wie geht's Kiril ä,ntono>vit8ck, gesund? eimäl)! ^N^Imo! (Schlecht, langweilig.) Was fehlt Ihnen? DellFi iiiul! (Kcin Gcld!) Schlechte Zeiten! Kiril .imlonl,.^, Sie scherzen. ^ei IloZu! (bei Gott!) die Zeiten smd schlecht. Alles ist theuer. Rindfleisch kostet jetzt 40 Kopeken das Pfund. Was glauben Sie Ocffcutliche und geheime Polizei. V1 wohl Franz Pctrowitsch, was mich mein Haushalt jährlich kostet? Ja liil'ii ^nwlN8c1,. ich glaube keine geringe Summe; 8000? ,,^li No^elio mm, FranzPetrowit seh, wo denken Sie hm!" Also wohl 10,000. Ha! ha! ha! Ich gebe Ihnen M Loxu! 12.000, wenn Sie mich dafür mit meiner Familie erhalten wollen. Vor 5 Jahren, ja da kam ich mit 18,000 aus, aber M i.o^u! nun gehts immer schwerer. Bedenken Sie doch Franz Petrowitsch, ich habe nur 1200 Rubel Bauko Gehalt, uud außerdem uicht ein Kopeken, M l^o^u! nicht ciu Kopeken mehr. .loi LoFn! ich weiß oft nicht, wo hernehmen. 2000 Rubel musi ich für Wohnung zahlen. Ohne Equipage kann ich nicht sein. Ich für mich brauchte freilich nur Pferd und Droschke, aber meine Frau muß zwei Pferde haben, wo 5rei fressen wird auch das vierte satt. Franz Pctrowitsch. Sie wissen selbst wie theuer das Leben in Petersburg ist, aber daran denken unsre Minister nicht, wenn sie uur warm sitzen, wir mögeu zusehen, wie wir mit 1200 Rubel auskommen. .Im N<^u! Franz Petrowitscl', meine Leute kosten mich mchr. Wir haben immer sehr wirthschaftlich gelebt, meine Frau ist eine grosie Wirthin, wir haben mit Nichts angefangen, durch Wirthsthaftlichkcit haben wir "spart, aber,,«i lioxu! das Leben wird jetzt zu schwer!" Wer dergleichen Unverschämtlmtcu iu Nusiland bei langem Anf-knthalt nicht gehört hatte, dem dürste mau Denken, Ohren und 'lnfticbtigkeit absprechen. Es gibt Stellen mit 100 und 200 Rubel Banko jährlicher Besoldung. Diese Gagen streicht in manchen Behörden der Präses U! sciue Tasche, uud der Tschiuownik bekommt uichts davou. Er fordert auch uicht diesen Gehalt. Dafür sieht ihm der Präses durch V2 V urea nkra tic. die Finger, und cr nährt sich auf dm unerlaubten Veiwcgcn. Dm-noch fehlt ihm nicht Droschke, aufgeputzte Familie, flottes Leben. Ist er unvcrheirathct. so reizen ihn seine eins, zwei. drei u. s. w. Gefährtinnen des Lebens noch mehr znm Plusmachcn, und jcmchr er zn gaunern versteht, desto aufmerksamer werden die Obern auf ihn, cr ist ein brauchbarer Manu, von Verdienst, und außeror» deutlichen Talenten. Er wird näher gezogen. Er gefällt wohl gar der Tochter eines Chefs, lind der vor 10 Jahren der Schule ent-laufene Ignorant spielt nun bald als Staatsmann seine Nolle. Als das Lyceum in Zarskoie Sclo, vom Kaiser Alexander gestiftet, vom regierenden Kaiser aufgehoben wurde, stopfte sich die unreife Jugend mit ihrem Viertel- nnd Halbuittcrncht ohne weiteres Lernen in die Behörden die ihr beliebten. Sogar die Gcsctzeom-mission nahm sie auf, Inngcrlcin zum Erbarmen, stolzircn heute als Etatsräthc, und rcvidircn Behörden. Peter I. rief einen muntern Jungen von der Straße in die Hofküchc. Aus der Küche stieg Meutschikof an den Thron, setzte Katharina darauf, und sah schon seine Tochter als künftige Czarin. Dergleichen Aufscl'ößlingc waren zu keiner Zeit Seltenheiten in Nusiland. Allein erst seit Alexander I. bildete sich das Tschinownikthum in unabsehbarer Menge aus. Die Kräfte des Staats warm dieser neuen Last nicht gewachsen, uud das Räthsel des Fortkommcus konnte sich nicht anders löscn als durch Nn^ Moralität. Es sott hier keiner Diskussion gelten, ob Favoritcnwirthschaftcn dem Lande mehr oder weniger gekostet haben, als die Erweiterung des Bureaukratenheercs. Von dem Schatze allein, den die Anhal-tcrin der überlaufenden Licbesfüllc ihres gefühlvollen Herzens opferte, hätten hunderttausend Beamte gut besoldet sich nähren können. OcfftnMchc und gchcimc Polizei. 93 Das Land hatte damals seme lube Noth. und hat sie noch. Daß aber die nencrn Zeiten dm frühern an Fülle von Ungerechtigkeiten gegen das Volk den Rang ablaufen, bestätigt schon die Vermehrung der Magen, die vom Unrecht leben. Gehen wir in eine Behörde. Im ersten Zimmer finden wir schreibende Wesen, entweder schon in Uniform, oder dic sich zur Uniform ausdienen wollen. „Ist Iwan I wan o witsch, der Sekretär wohl gekommen?" ^ 5UM! (Ich weiß nicht.) „Ist der Direktor hier?" ^L 5N.M I „Wer ist in der Kanzlei?" ^e 8n^u! „Könnteich wohl dm Stolnatschalnik Iwan Pctrowitsch sprechen?" Dies !>'« 8«cM antwortet jeder Mund bis etwa ein halber Sil-bennbcl oder eine blane Banknote (5 Rubel) in eine Hand gesteckt wird mit der Bitte i „ Thnn Sie mir den Gefallen uud rufen Tic I w an I w a n t sch auf einen Augenblick heraus." Gleich! gleich! er soll die Minntc hier sein. Der Schreiber geht. Aber er kommt nicht wieder. Line Stunde nach der andern vergeht, er kommt nicht. „Wo mag der Herr wohl bleiben?" ^>« 5n:,.ju! Wie heißt der Herr, mit dem ich hier neben Ihnen sprach? Ne 5N!,^i! Ich habe nicht bemerkt. „Ob ich ihn wohl erwarten kann?" 94 - Bureaukratie. Ein Silberstück wird abermals in eine Hand gesteckt. „Würden Sic die Güte haben, und dm Stolnatschalnik Iwan Petrowit sch zu ,nir rufcn?" „Die Minntc!" Der zweite nerv^ leium ß^i-6nä>-»i-um wirkt anf die Beine. Iokcl kommt auch nicht zurück, aber statt siincr der Empfänger des ersten Geschenks. „Iwan Iwantsch hat keine Zeit, er ist eben weggegangen; waö ist Ihnen gefällig?" „Ich wollte ihn bitten, mir eine Klage aufzusetzen." Sind Sie bekannt mit ihm? „Nein, mein Freund hat mich an ihn gewiesen." O wenn eö weiter nichts ist als eine Klage zu schreiben, das kann ich auch. Was betrifft's? „Ein Schelm ist mir 150 Rubel schuldig und will nicht bezahlen?" Haben Sie irgend ein Papier darüber? Ja! diesen Wechsel. Zeigen Sie. Wissen Sie was! Heute ist's zu spät, lassen Sie den Wechsel bei mir, ich schreibe Ihnen die Klage fertig, Morgen um 10 Uhr kommen Sie, und empfangen von mir Alles nach der Form. Ich muß den Wechsel abschreiben, jetzt habe ich keine Zeit, seien Sie versichert, ich werde machen daß Sie Ihr Geld bekommen, ich werde den Wechsel heute noch dem Direktor zeigen, er liebt mich sehr. „Ich danke. Also morgen um 10 Uhr. Hier an diestm Tische?" Ja! auf diesem Stuhle! Ocffcutlichc und geheime Polizei. 96 Still flüstert nun dcr Bereitwillige in's Ohr: „Sie werden für Stempel und meine Mühe hier lassen. Wieviel? „Dcr Stcmpclbogcn muß doppelt sein, also 2 Rubel, ich nehme mir 10 Nttbcl. Geben Sie indeß drei Blaue, das Ucbrige gebe ich Ihnen morgen zurück." „Schade, ich habe keine Blaue, ich habe nur Rothe bei mir. (ä 10 Nlib.)" „Das thut nichts! lassen Sie zwei davon, morgen gleichen wir aus." Ich zahle. Punkt 10 Uhr bin ich da. Der Herr ist nicht da. Er kommt auch nicht. „Ich habe den Namen des Herrn vergessen, den ich gestern hier neben Ihnen sprach, wie heißt er?" Re 8N.M I ich habe Sie nicht gesehen. „Erinnern Sie sich doch, Sie gingen ja in die Kanzlei, den Stolnatschalnik Iwan Petro witsch zu rufen!" „ Ich? — Ich erinnere mich nicht!" Mein Gott, ich gab ihm einen Wechsel, Sie haben es gesehen. Er wollte mir eine Klage schreiben. Ist cr vielleicht in dcr Kanzlei? „Darf ich hinein gehen?" Gehen Sie. Ein großer Saal. Eine Menge langer Tische. Arm an Arm schreibt. Keiner schaut alls. Könnte ich wohl den Sccrctar sprechen? 96 Bureaukratie. Ist cr nicht hier? „Ich sucht einen Herrn, dem ich gestern einen Wechsel einzuklagen gab, er ging in die Kanzlei." Ne 8i,.^,l! Kommen Sie morgen. Einige fehlen hcnte. Ich komme morgen. Dasselbe Schicksal. Eines Tages endlich finde ich dm Tschinownik. „ Schön, daß Sie kommen, ich bin krank gewesen. Ihre Sache ist fertig, nnd Alles wird gut gehen^ allein ich mnß erst noch mit Ihnen sprechen. Um wieviel Uhr speisen Sie Mittag'?" Gegen 3 Uhr. Gut, nm 3 Uhr bin ich hier fertig, da komme ich gerade zu Ihnen. „Ich erwarte Sie also zu Tisch. Kommen Tie gewiß? ^Li Loßu! mein Ehrenwort! Er kommt und läßt sich'S gut schmecken. Dann: „ Sehen Sie, hier ist die Klage. Es ist eigentlich nicht erlaubt, daß wir Schriften für nnser Collegium anfertigen, allein wer hilft nicht gern Freunden! Ich dürfte jedoch die Klage nicht selbst copi-ren, meine Hand ist kenntlich, ich habe sie durch einen Bekannten abschreiben lassen, ich habe das Alles von Ihren zwei Nöthen berichtigt. Wir können indeß die Sache weit kürzer abmachen. Würden Sie nicht lieber an der Summe etwas verlieren, als einen langen Prozeß führen?" „ O sehr gern; aber Sie sagten ja, daß Sie der Direktor sehr liebe?" — „Ja wohl! Ich sprach mit ihm, cr sagte, er könne sich mit dergleichen Kleinigkeiten nicht abgeben. Ich will die Sache mit Ocffcntlichc und gchcimc Polizci. 97 dem Sccrctar abmachen, ich habe mit ihm schon gesprochen. Wenn Sie 25 Rubel ihm geben, so erhalten Sic binnen 3 Tagen Ihre 150 Rubel." „Ich bin's zufrieden. Ziehen Sie also von dieser Snmme die 25 Nubel ab." „DaS geht nicht. Der Sccretär mnß erst dem Nadöiratcl 10 Rubel geben, dnrch den das Geld ohne viel Flausen gleich beige-tricben wird, der Seeretär behält also nnr 10 Rubel, weil er fünf wieder mir für die Recommendation abgeben muß. Sie sehen also, daß ich nur aus Freundschaft fik Sie handle." Ich bequeme mich zu dem Opfer. 50 Nubel bin ich los, ohnc einen Schritt weiter gekommen zu sein. Lndlich weiß ich nur, daß die Klage eingereicht ist, und ihren gewöhnlichen Schlendrian geht. So ist es buchstäblich einem Ausländer ergangen, der mit den Ränken der Beamten noch nicht bekannt genug war. Nach süns Jahren sah er von den 150 Rubeln nach Abzug aller Opfer und Aergernisse 8 Rubel, schreibe acht Nubel wieder. Jedermann zahlt Lehrgeld. Man wende sich mit irgend einem Gesuch an eine Behörde, au den Senat, an die Gouvernements-Regierung, Nprawa, Hofgericht, Kriminalgericht ?e. auf den Treppen lauern Tschiuownike und betteln uin eine Gabe. Ich berufe mich ans Alle, die in einem Tribunal zu thun hatten. Immer stößt man auf das hungrige Volk. welches aus den entfernten Stadttheilen am Morgen um !) Uhr den Departements zuströmt, das Gott und Menschen betrügt, um sich durch'ö Leben zu schlagen. Einer dieser Raben, der seine Laufbahn im Senat gemacht hat, "nd jetzt sein steinernes Haus und Kapitalien besitzt mit denen er Moßland. ll. 7 98 Burccnikratic. wuchert, cm total rohes Stück, rühmt sich öffentlich seiner Carriere: „Mein Vater wandte an meine Erziehung nichts, cr ist arm. Ich konnte nur lesen und schreiben. Schtschi (Kohlsuppe) war meine tägliche Kost. Da erhielt ich einen Schreib crp often im Senat. Von Gehalt war nicht viel die Rede, aber ich kannte bald meine Leute. Ich ward Sekretär, nnd im ganzen Senat waren wir nur fünf, die Alles leiteten und die Hauptsachen in Händen hatten. Da ging es vortrefflich. Ich diente mir wenige Jahre, und ich war 5i»>vu La^n! satt. Ea betrachten Sie aber meinen Verwandten ^v.-m ^V^itt^Il, er dient auch im Senat mit 129t) Nubcl Gehalt, nnd müßte mit seiner Familie verhungern, wenn ich ihm nicht hälfe, weil cr ein Esel ist, cr versteht nicht, sich zu nähren. Er könnte sich in seiner Stelle wenigstens 10,000 Rubel machen, aber der Kopf fehlt." DicS auf seinen Lorbeeren ruhende, in Denk- und Lebensweise wahrhast viehische Geschöpf war Mitglied des Senats. Noch nicht genng. 18i3 schob cr sich abermals in cm hohes Tribunal unter dem Vorsitz eines Fürsten, blos wie cr selbst sagtc, weil darin die einträglichsten Stellen des Reichs wären, nnd er den schwachen Fürsien wenden könne wie cr wolle. Und dieser Unhold, der das Recht wahren, der das Habe von Wittwen und Waisen schützen soll, flucht seinem rechtschaffenen Vater, und belegt ihn mit den scheußlichsten Schimpfwörtern öffentlich, weil cr arm ist, und er deshalb seiner sich schämt. Ich habe hier einen Repräsentanten der Tschinownikmasse prä-scntirt. M^l,i5 mu^oul^ suchet, so werdet ihr mehr finden! Es ist unglanblich, zu welchen Schurkereien diese Titelzünftigm sich ohne Blödigkeit bekennen, wenn sie auf ihren Thaten entlarvt Ocfscutlichc lind geheime Polizei. 99 werden. Ein Collcgicnrath lebte als z^-mä ^nit dm rohsten und ignorantesten Schreibern nm eine Beförderung wetteifern. Nach Ukas muffen alle Iurastndirte erst drei Jahr in cincm Gouvernement unter der Aufsicht eines Gouverneurs dienen. Von seinen Studien kann er hier nichts gebrauchen, cr vergißt was er gelernt hat, er hat sich nur mit dem üblichen Schlendrian, den jeder Covist innc hat. bekannt zn machen. Er hängt nicht nnr von der Willkür des Gouverneurs, sondern auch von der Gunst des Sekretärs, des Stolnatschaluiks und andrer Beamten ab, und weiß er nicht zu schmarotzen, will cr wohl gar Rechtlichkeit zeigen, nnd w die sichtbaren Betrügereien nicht einstimmen. so bleibt er unberücksichtigt, wird wohl gar als untauglich ausgeschlossen. Ans welche Weise diese jungen Männer in der dreijährigen Vorbercitnngszeit suh ausbilden, sagt deutlich die öffentliche Bekanntmaclnmg von 1844: „Da dic Berichte über mehrere der den Gouverneurs zur Aufsicht übcrgcbencn Studirten keiuesweges belobend ausgefallen sind, ft' haben Er. Majestät der Kaiser ihren Chefs bcsohlcn. ihnen öffentlich in Gegenwart aller übrigen Beamten, siin kaiserliches ?' 100 Bureaukratie. Mißfallen zu bezeigen, mid sie zur Besserung ihres Lebenswandels aufzufordern." Man blicke auf den Adel, welcher das Necht hat, die Gouvcr-ncmentsstellen ans seinem Corps zu besetzen. Im August 1844 berichtete der Instizminister über statlgesundene Unordnungen im Nowgoroder Criminal-Iustizhofc. Darauf erhielt der Minister vom Kaiser den Befehl, dem Adel des ganzen Reichs folgende Zoru-wolkc bekannt zu machen: „Mit vielem Kummer haben Sr. Majestät ans dein Berichte dcö Ministers ersehen, wie wenig der Adel das ihm übertragene Vertrauen zu würdigen weiß, welches ihn: das Vorrecht ertheilt, die, wichtigsten Gouvcrncmentschargen dnrch Wahlen ans seiner eigenen Mitte zu vollziehen. Höchstdicselben werden sich künftig gezwungen sehen, ihm dieses aus besonderer kaiserlicher Gnade verliehene Vorrecht zu entziehen, sobald er seine Würde nicht zu achten, uicht gewissenhaftere Personen zu seinen Nichtern zu wählen wissen wird. welche die Achtung des Corps, (Adels) erhalten, und sich durch eine würdige Amtsführung vor dem Monarchen auszcichum." Wenn der Kaiser gezwungen ist, das Ehrgefühl deö obersten Standes seines Reichs durch dergleichen Auosvrüche vor aller Welt anzugreifcu, bedarf es dann noch der Beweise einer von Grund aus verdorbenen Administration? Die, Schlechtigkeit wegen, durch einen Zufall entlarvten Beamten werden abgesetzt, und ihre Namen öffentlich zur Schande bekannt gemacht. Da liefet man: der Sekretär des Generalgonver-murs zu Wilna, Namens Pctrowski ist für unfähig erklärt, jc wieder im Staatsdienste angestellt zu werden; der Oberfiskal Kube in Riga ist wegen entdeckter Mißbrauche seines Amtes entsetzt, der Ocffeiitlichc und geheime Polizei, ittl Nath Anissimof bei der stiouverneuientoregierung zu Pleskow ist wegen bewiesener Parteilichkeit auf kaiserlicben Befehl aus dein Staatsdienste geschlossen u. s. f. Allein ist damit dem Nebel abgeholfen ? Jeder, dcr einen Posten mit reicher Eri^e anttitt, weiß das? er das Eisen schmieden müsse, während es heiß ist, weil er mir auf wenig Jahre den u«u5i>,,<'w5 besitzt, und andern Schnittern Platz zu machen habe. Er ist sogar darauf gefaßt, daß in seinem Abschiede die Schande stehen könne, zu jeder fernern Anstellung unfähig erklärt zu sein. Thut nichts! Der Reiz der vorgesetzten Schüssel ist zu mächtig. Nr wünschte und suchte ja eben deshalb um sich recht satt zu essen, eben darmn verschmähte er andere Stellen, weil ihre Trift zu mager war. Ich weiß ein Beispiel, daß ein Etatsrath so frech stahl, und seinen Raub keck in deu großartigsten Ballten aufstellte, daß es dem Kaiser auffiel, und dieser sich selbst von den schandlichsten Veruntreuungen überzeugte. Es kostete dem Schuldigen fast deu ganzen Werth des beraubten, um sich durch deffen Opfer von Sibirien loszukaufen, uud nur mit dein Verluste seines vollcu Oeltrugö davon zu kommen. Nur seine Aussicht in eine wiedererstattende Zukunft war nicht verloren. Um seiue Zukunft würfelten der Kaiser uud Weiber. Dcr Monarch wars mit drei Würfeln 18, die Weiber li>; und schon das Jahr darauf fuhr der Etatorath auf Präsentation eines in der Zeit Minister gewordenen Freundes in ein Gouvernement als Vizcgouvcrneur. Der Neichsrath besteht aus würdigen Großeu. die kaiserliche Familie hat Mitglieder darin, und dennoch wurde ein Obcrsckretar dieser höchsteu Bchorde wegen Nnterschleift daraus verstoßen, dem- 102 Bureaukratie. ungeachtet geschehen Dinge, von denen sich unsere Einfalt nichts träunOn läßt. Im Senate ruhen die Generalitäten aus, die vor der Front schon zu krumm zu Pferde sitzen. Der Senat ist für Viele I' lin^il,«! !>. Man vernehme die öffentliche Stimme in Petersburg, welches Vertrauen sie zu ihm ausspricht. Advokaten haben sich mit den Sekretären in den 6 Senatsdepartements als Norm zu 5 Procent auf festen Fuß gesetzt, nur dafür daß eine Sache nicht anfgchalten wird, von deren Entscheidung ist dabei noch nicht die Nede. Die Oouvcrnementsregierung in Petersburg ist in der öffentlichen Meinung, wegen Bestechlichkeit der Legion ihrer Beamten, längst geachtet. Vor zwei Jahren wollte Jemand einem Tjchi> nownik im Lombard für dessen Bemühung einen silbernen Dank in die Hand drücken. Er gab ihn mit den Worten zurück: „Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß hier die Prawlenie ist." Im Lombard giebt's andere Fischereien. Ich hatte Gelegenheit, die Pandekten der Käuflichkeit in dem ehemaligen Neichöjlistizeollegium kennen zu lernen. Ich habe Akten in Händen gehabt, in welchen dies Collegium z. B. den Magistraten anderer Städte die größte Strafbarkcit aussprach. und dennoch ein verdecktes Spiel mit ihnen trieb. Ich habe mich aber auch zur Genüge überzeugt, daß es in den Tribuualeu, in welche jene Behörde zersplittert wurde, nicht um ein Haar besser geworden ist. Um der Käuflichkeit Schloß und Niegel vorzulegen, ist der Wille des regierenden Kaisers strenger als der seine« Vorgängers. Behörden wurden untcr ihm gesäubert, umgeschmolzcn, ganz aufgehoben, die Mitglieder, unter Annahme daß sie alle als untaugliche Subjecte in solidum die Schuld büßen muffen, brodlos gemacht. Ocffcntlichc und geheime Polizei. 1U3 So ging cS vor sechs Jahren dem ganzen ersten Departement des Hofgerichts. Präsidenten, Nathc, Sekretäre, Kanzcllisten, alle die von dein Fette ihrer begangenen Ungerechtigkeiten gelebt haben, sieht man noch als Verstoßene nach neuem Brod suchen nnd herumirren. Ihre Familien mußten entgelten was sie verschuldet hatten. Andre hatten sich bald wieder in andere Behörden einzustehlen verstanden. Hart, hatt! rust das Mitleid, wenn das Loos in dem Haufen der Sünder einen trifft, der schuldig zwar, aber noch nicht genug errafft hatte, um von den Renten seiner Schuld leben zu können. Allein jedes Mitleid ist hier am unrechten Orte. Die Schändlichkeiten die begangen werden, sind empörend. Ohne Barmherzigkeit müsite mit der Brut verfahren werden. Voltaire hat sich um im Namen geirrt, wenn er sagt: <1 7 « e» 1Is)1l.-miK (Schelm) bin? Wissen Sie was es heißt, im Senat bestechen zu wollen? Sie sind unglücklich wenn ich Sie anzeige, wissen Sie daß Sie nach Sibirien dafür kommen? Ich verzeihe Ihnen, aber schämen Sich sich, Ihre Sache ist gewiß faul, hier nehmen Sie Ihr Geld zurück, und vergessen Sie sich ein andermal nicht wieder!" Mit Unwillen warf er das Geld hin. Wer war erschrockener als der Client, der nur der all« gemeinen Stimme, nnd selbst dem Rathe eines Frenndes des Sekretärs gefolgt war! Sein gerader Weg war zu diesem, ssr erzählte ihm das Vorgefallene. „Ich verstehe, versetzte der Nathgeber, warum mein Freund Sie so übellaunig empfangen hat. Sie sind in dieser Zeit nicht der einzige dem es so ging. Er als Sekretär hat sich jetzt mehr vorzusehen wie sonst, indeß glauben Sie meinem Worte, er wird Das wieder gut machen, was er dem Scheine nach gegen Sie vcrschul- Ocffcntlichc und geheime Polizei. ^l07 dctc. Um <» Uhr hat er sein Mittagsschläfchen geendigt, um diese Zeit trcffm Sic ihn allein, besuchen Sie ihn in seiner Wohnung, ich gebe Ihnen mein Wort, Sie werden kcinm Fehlgang thun." Der Rechtstichende, that den Schritt. Dcr Sekretär rieb sich noch die Augen, als der Kommende eintrat. Mit einem heitern Gruß ,,«»1rlnv5l,>vuil0,8nvl^vil8(?ll! " eilte er ihm entgegen, „sts freut mich sehr. Sie bei mir zu sehen, ich bitte setzen wir uns. Was werden Sie heute von mir gedacht haben. Ich weiß, Sie als einsichtsvoller Mann werden mich verstehen, wenn ich Ihnen bekenne, daß wir Sekretäre besonders jetzt einen schweren Stand haben. Sie haben vielleicht gehört, mit welcher Strenge man gegen jede Kleinigkeit verfährt. Sie können sich kaum vorstellen, wie wir uns vor Neidern und Laurern zu hüten haben. Ich wußte schon von meinem Freunde, daß Sie ein Gesuch haben. Daß ich Ihnen bcistchen würde, verstand sich von selbst, und ich mußte Sie und mich desto mehr zu schützen suchen, da ich wußte, daß im Nebenzimmer ein Senateur stand, daher vermied ich alles Geheimreden, ich gab Ihnen scheinbar sogar schon halb und halb Unrecht. Als Sie mir heimlich Papier in die Hand brückten, bemerkte ich, daß ein Kanzcllist dieö gewahrte. Es blieb wir also nichts übrig, als Ihren Versuch mich zn bestechen, lant zu mißbilligen. Dadurch gewannen wir beide. Niemand kann mir einen Vorwnrf machen, und Ihre Sache ist gedeckt. Daß Sie nüssiren, dafür will ich wohl sorgen." Kr dankte für die ersten 2W Nubcl jetzt um so demüthigcr, je brutaler er am Vormittage gewesen war. Die besten Sinekuren in allen Departements sind die Sckretär-Men. In den Händen ihrer Inhaber liegt die Leitung aller Geschäfte, und sie sind mn so wichtiger, da Chef und Mitglieder oft 108 Bureaukratie. wechseln, sic hingegen bleiben, und da dem Neucintrctenden Gesetze und ft^cschäftsgang fremd sind, so richten sic sich nach der Meinung des Sekretärs. Die crstc Regel für Alle, die ein Gesuch anzubringen haben, ist daher die, dcn Sekretär für die Sache zu gewinnen. Er besorgt Alles. Er empfängt dic Opfer in Masse, ist im Fordern nicht blöde, theilt die Mendometer, bald obcrwärtö, bald unterwärts, bald seitwärts, vergißt sich selbst am wenigsten, kurz überall hat man sich ein Spinngewebe zu denken, stark genug in snncn Fäden, um nichts wieder loszulassen, was in ihm sich fängt. Daß ts auch dem ganz niedrigen Tschinownikvolke aus den Kanzleien an Gelegenheit nicht fehlt, seinen Hunger zu stillen, babe ich bereits erwähnt. Zahllose Gaunereien könnte ich anführen. Sagen Sie>mir nur. fragte ich einst einen dieser Staatszöglingc, wie Sie ohne Vermögen mit dieser kümmerlichen Gage durchs Leben kommen? „O es geht! Wenn ich aufgestanden bin, trinke ich statt Kaffee oder Thee ein Glas Pennik. Nun weiß ich freilich uicht, wo ich etwas hernehmen werde. Allein Gott giebt schon was. Um 10 oder 11 Uhr habe ich gewiß schon von Jemand, der bei der Behörde zu suchen hat, zu einem Frühstück erworben, und bis 3 Uhr auch so viel, daß ich den Tag zu leben habe." Im Uten Jahre daraus unterhalte ich mich in dcr Newski Perspective mil einem Freunde, als eine elegante Equipage am Trottoir hält. Ein Tschinownik und eine Dame steigen aus. Sie kommen auf mich zu. Es ist derselbe, der vor acht Jahren des Morgens nicbt wußte, von wo er für den Mittag Brod hernehmen sollte. „Wohin in dieser schönen Equipage? " „Gefällt sie Ihnen? sie gehört mir." „ Sie scherzen." ,,^ei lic»F>i: es ist wahr. Das ist meine Frau." Ocffcntlichc und qcheime Polizei. 109 Cin stattlil'.r Bedienter lnd mich zum nächsten Sonntag zu Tisch. Ich ging, um meine Neugierdc zu befriedigen. Die Noh-nuug paßte zur Equipage. Dcr Mann hatte einen Kutscher und zwei Mädchen gekauft, hatte jeden Abend seine Kartenpartie, und lebte auf großem Fuß. Und das verdankte er? Scincr Frau, dic tin Satrap mit dieser einträglichen Stelle aus seinem Harem entlassen hatte. Wer ist das, dcr eben vorfahrt? Gallonen auf dnn Bock, (Gallonen am Vorreiter. Gallonen hinten auf. Blitzende Orden steigen aus. Dem Herrn sieht man die Wichtigkeit an. Nicht wahr, ein Minister? Nicht Minister, aber in seinem Kopfe zwischen Kaiser und Thronfolger. Seine Lebcnsgeschichte ist merkwürdig. Er ward gc^ boren, nud nahm cm Weib. Das Weib hatte eine Köchin zur Tante. Die Köchln gefiel einen: Großen, und dcr Große uahm die Köchin zum Weibe. Die Frau Großin nahm die Confine in ihr großes Haus. Da wohnte die Cousine mit ihrem gar zu nichtssagenden Männlein in einem dnnkeln Stnbchen mit Ciscngittern, und s'e halfen der Tante die Truthühner füttern. Dcr Große ward ^großer. Da er aber Großer und Kluger zugleich gewesen war, so war er auch reich. Sein schönes Geld mußte nun auch besorgt sein. Bei dem Besorgen entwickelten sich in dem Manne der Cow sme manche Talente. Cr lernte Gelder einkassircn und Nechmmgen schreiben. Der Große ward krank. Sein Testament war fettig, nur noch nicht unterschrieben. Sein Universalerbe war ein Neffe seines Namens. Der Mann dcr Cousine hatte aber im Stillen auch ein Testament fertig. In einer Nacht. in welcher der Kranke seine Rechnung mit dem Himmel abschließen wollte, verlangte er sem Testament zur Unterschrift. Der Cousine Mann führte seine H""d. In derselben Nacht holte Charon ab. Dcr Neffe ging Ill» Bureaukratie. lccr a::?, aber der Cousine Mann ward plötzlich Gutsbesitzer nnd Kapitalist. Nun stand die Wclt angelwcit offen. Dcr Neffe schrie allein u. s. w. u. s. w. u. s. w. Ein allgelucincs Drängen ist in die Departements, dic am be-sten nähren. Finanzsach, Zollämter, Hospitäler, Occonomstellcn in öffentlichen Anstalten, die Banken, dic Vormundschaftsbehörden, die Duma. das Proviantamt, das Domaineudcpartement und andere Felder sind bekannt, daß sie nic schlechte Ernten liefern. Nicht Krone, nicht die kaiserliche Familie, nicht Frennd, nicht Neich noch Arm, nicht das Gut von Wittwen und Waisen wird verschont. Das Schwert des Damoklcs schwebt am Pferdchaar über dein Haupte. Immerhin! Nicht gezaudert. Unter fünftausend trifft's Einen. Frisch zu! Und was thut's, wenn es trifft! Man mnß nicht Wenig stehlen, daS thun nur die Duraki (Narren). Das Geraubte muß gegen Sibirien, Kalikasus und Neknit schützen, uud doch muß übrig bleibeu, um als Rentier zu lebeu. „WaS meinen Sie wohl. daß ich schon geopfert habe? " fragte mich ein Gutsbesitzer, der einem Nachbar ein angränzendes kleines Gut gegen alles Necht abdrücken wollte, weil dieser arm, jener reich war. „Hier überzeugen Sie sich selbst aus dieser Conespondcnz." Aus den Briefen ergab sich ^unmu» ^umm.-n-mu 13000 Nubcl als NcttobestechuugSgclder. Wer schluckte sie? Ich frage ja nur. Der Preis, für welchen man das Recht kauft, hat keinen bestimmten Werth, keine feste Valuta. Gewöhnlich wird er zwar in Ocldc entrichtet, allein dcr Kauffchilling richtet sich nach den Bedürfnissen des Verkäufers. Der bietet seine Ehre aus, der seine Schwester, der seine Frau. dcr einen Prozeß, dcr Akten, dcr Dokumcute. dcr ein Amt, jener Menschen. Man geht nicht flugs auf die Forderung cin, die Leute sind oft zu unverschämt, sondern man handelt Ocffentlichc nnd gchcimc Polizei. til wic alif dcm Markte. Ein gewisser Lack dcr Civilisation darf nicht abschrecken, manchmal ist cr von Bernstein, manchmal von Terpcn-lln. Doch unter allen Lackirungen liegen die glcichcu fticsiiinungen dcö Schmutzes, jc seiner dcr Lack, desto dicker der Schmutz. Ich kmne cine Ftatsrathiu, die ihre leibliche Tochter einem wollüstigen Satrapen für den Gewinn eines Prozesses selbst in's Haus lieferte. Derselbe Wollüstling sehte einem redlichen Vater als einzigen Kaufpreis seines vollkommenen Rechts die Ehre von dessen schöner Tochter. Der Vater starb lieber in Dürftigkeit. Man kanft die Ueberzeugung eines, Beamten oft wohlfeiler als nnen Nock, als einen Schrank, anf den Treppen mancher Behörden für 80 Kopeken. Es gibt aber anch horrend hohe Preise. Ein Deutscher kaufte ein Haus auf der Petersburger Seite. Ehe er es sich versah, hatten ihn die russischen Krntschki (Kuiffe) umgarnt. Er hatte das Halls unter Einer Nummer gekauft. Nun fand man, daß das Haus untcr zwei Nummern eingetragen war, und man wollte ihm daher die Hälfte streitig machen. Ein Prozeß war unvermeidlich. Da erbot man sich, das alte Dokument für 500 Nubel zu vernichten, und ein neues zu des Käufers Gun-stm cinzuschieben. k'inl ^,5llli<-,! Das war Viel für Nichts und wider Nichts. Ich keunc einen Fall, wo der Kaufpreis noch über 100,000 Rubel betrug. Dic Geschichte ist nicht uninteressant. Ich will sie kurz erzählen. Ich komme einst später wie gewöhnlich nach Hause. „Hoftath X. war hier, und hat über zwei Stunden anf Sie gewartet. Ihm ist ein großes Unglück begegnet, er bittet Sie «m Gotteswillen zu ihm zu eilen." „Pferde vor! " Ich eile nach dem Landgutc. Nach Mitternacht komme ich an. Tiefe Stille. Ein Diener flüstert leise: „Dcr Herr ii2 Bureaukratie. hat sich hingelegt, hat aber befohlen, ihn zu wecken wenn Sie kä-inen." Ich steigt die Treppe hinan. Da kommt er mir schon entgegen, die lange Gestalt in einen weißen Mantel gehüllt. „O sind Sie es, Lieber! ich hörte fahren, ich dachte es wäre der Wagen, der mich nach Sibirien abholt." Am ganzen Körper bebend warf er sich stmmn an meine Brust. All mein Fragen blieb ohne Antwort. Nr weinte, daß mir der Schmerz durch Mark und Seele drang. Endlich loste sich die Zunge - „O Gott, welch ein Unglück! Ein größeres hat man in Nußland nie erlebt. Ich bin verloren, mein Hab lind Gnt ist verloren, ach Viele, Viele in Petersburg und andern Orten sind mit verloren, das Unglück ist unabsehbar. Meine armen Kinder ..." Er riß sich bei den Haaren, nnd lange hörte ich nichts als Iammerlante. „So sagen Sie mir doch, worin besteht das Unglück? Ist beuil jcdc Rettung dahin?" Ja, Alles, Alles verloren! Keine Nettung möglich! Ich fuhr zwar in der Angst zu Ihnen, wcil Sie der Einzige sind, zu dem ich Vertrauen habe, überall nur lanert Verrath, aber auch Sie können nicht helfen, es ist zu spät, jeden Augenblick erwarte ich, nach Sibirien abgeführt zu werden. „Ermannen Sie sich und reden Sie, was ist vorgefallen?" Nnn erst erfnhr ich, daß der Hofrath der erste Contrabandist des Reichs seit vielen Jahren war! daß ein bedeutendes Comptoir in einer Seestadt sein Eigenthum, nnd der Kaufmann der die Firma hergab und die Geschäfte betrieb, bereits nach England entflohen sei. Die größten Comptoirs im Reiche waren mit im Spiele. Das Gut war cm Strandgut. Die Schiffe landeten daselbst. Ocffentlichc und gcbcimc Polizei. 113 und die verbotenen Ladungen wurden gelöscht und geborgen. Keller Böden, Magazine, Scheunen waren damit gefüllt. Jetzt, nachdem dies außerordentlich reiche Geschäft in der grölten Sicherheit betrieben worden, war es verrathen. Mn Courier hatte schon die Kunde gebracht, daß der Revisor znr Beschlagnahme, und die Polizeioffi-zianten bereits unterwegs seim, welche den Hofrath arrctiren und weiter bringen sollten. „Und Sie wollen sich wie ein Schaf hier greifen lassen, wäl^ rend Sie noch Zeit haben, sich personlich zn retten? Kleiden Sie sich an, man darf Sie nicht finden, aus dem Hinterhalte laßt sich arbeiten." „Das wollte ich. aber ich vergrößere das Nebel, und stürze die, achtbarsten Familien in das Unglück. Alle Rettung ist zn spät; das Verderben eilt zu schnell. Meine Bauern sind schadenfroh und lieben mich nicht, der Adel meiner Nachbarschaft basitmich, Niemand würde das Wagniß über sich nehmen, nnd mich verlcngnen. Fliehen? Wohin? Ein Schiff ist nicht da. der nächste Hafen schon bewacht, Zn Lande kennt man mich auf jeder Station weit und breit." Ich bemerke hiebei, daß der Hofrath ein strenger Herr gegen seine Leibeigenen war, und daß er sich durch brutales Betragen alle Welt entfremdet und feindlich gestimmt hatte. „Warum sprechen Sie von Sibirien?" „ Lesen Sie selbst diesen Brief, den ich mit dem Courier erhielt." „ Ja, das sieht freilich schlimm aus, allein — kleiden Sie sich an. ich bringe Sie fort." „Ich darf Ihre Hülfe nicht annehmen, ich setze Sie der größten Gefahr aus." „Aber Ihre Kinder! wollen Sie sie nie wiedersehen?" 114 Bureaukratie. „O meine unglücklichen Kinder! Out, ich werde mich ankleiden." „Wann glauben Sie kann die beorderte Polizei hier sein." „In 3 bis 4 Stunden." „Also nicht gezögert!" Die Angst hatte den starken Mann schon entnervt. Er konnte nicht stehen. Ich führte ihn auf das Bette. „Ruhm Sie erst ein Stündchen. Noch ist Zeit." „Nehmen Sie die Schlüssel zn meinen Papieren, handeln Sie für mich; ich sterbe." Bei diesen Worten blieb er wie ohnmächtig liegen. Ich ließ seinen treuen Diener bei ihm. Allcs was nur einem Papier ähnlich sah, schnürte ich zusammen, und trug es in cinc Etnbc im untern Stockwerk. Es war die Stube des Hauslehrers. „Ich hoffe, sagte ich zu diesem, Sie nehmen sich der Kinder an." „Nein. nein, das geht nicht an. ich verlasse jetzt gleich das Haus. ich will mich nicht auch unglücklich machen." „Ich bitte Sie umö Himmelswillcn, was hätten Sie zu besorgen ! Nichts, bleiben Sie ruhig, Niemand wird Ihnen cin Haar krümmen; wer könnte so unchristlich sein, dem Unglück keine Hand reichen zu wollen! Sie sollen das nicht einmal, nur für's Erste die Kinder unter Aufsicht behalten, ich werde dann Nath schaffen." Eben stand ich mit dicstm achtbcinige» Hasen in Unterhandlung; als, — wer malt meinen Schreck, — cin Wagen mit 4 Pferden vorrolltc. Auf dem Bock saß ein Unteroffizier, hinten ein Soldat; und aus stieg der Kapitain der Landpolizci »nd noch eine Uniform. Ich stand mitten in den gefährlichen Papieren. Mit aller Kraft riß ich ein Repositorium voll Bücher, dem Hasen gehörig, von der Wand los, daß die Bücher über die Papiere stürzten, und sie ver- Ocsfentlichc und geheime Polizci. 11s schütteten. Die Thür öffnet sich. Der mir bekannte Kapitain steckt dcn Kopf herein. „Ei guten Morgen! Was machen Sie schon so früh hier?" „Ich bin zum Besuch. Ich klettere eben cuif ein Brett, um oben ein Buch herunter zn langen, und der ganze Kram stürzt mir über dem Kopse zusammen." „Wer wohnt iu dieser Stube?" „Hier dieser Herr, der Hauslehrer." „So! so! wo ist der Hofrath?" „Ich glaube er schläft." Wir gingen die Treppe hinan. Der Hofrath schwankte todtcn-bleich herbei. „Herr Hofrath, ich habe Befehl, Sie diesem Herrn und der Wache zu überliefern." „Ich folge," tönte es wie aus einer Todtcngruft aus der Brust des Erschrockenen. Mehr vermochte er nicht zu sagen. Er stand wie ein versteinertes Bild. „Nicht wahr, meine Herren, Sie erlauben, daß sich der Hofrath nur einige Stunden erhole, er ist zu angegriffen, auch Sie ruhen aus?" fragte ich. „Ich habe die strengste Ordre, wir dürfen nicht zögern, so schnell wie möglich Herr Hofrath, kleiden Sie sich an. Nur rasch." Die Kinder wurden geweckt. Der Halbtodtc war angekleidet. Kein Wort ging über seine Lippen, wie leblos ward er geführt und geschoben. Jetzt kamen die Kinder, der älteste Knabe 10 Jahre alt. Das Vaterhcrz schmolz in brennend heiße Thränen. Wer hätte nicht mitgcweint? „Herr Z.. wandte sich der Vater zu dem Lehrer, nchmm Sie 8* It« Bureaukratie. die Kleinen in Ihre Aufsicht, verlassen Sie sie nicht, ich vertraue sie Ihnen, bis weiter für sie gesorgt werden kann." „Herr Hosrath, cntgegnete der Herzlose, ick) verlasse jetzt gleich Ihr Hans, übergeben Sie die Kinder wem Sie wollen, ich bleibe nicht, ich kann wich nicht Gefahren aussetzen." „Himmel! unterbrach der Schmerz des Vaters, warum kann ich nicht gleich sterben! Nlm bin ich vollendet unglücklich, wer nimmt sich meiner Kinder an!!" „ Gehen Sie deshalb ruhig." versetzte ich, „ die Kinder sind mein, ich nehme sie zu mir." Er umarmte mich. „Nnn bin ich vollkommen beruhigt." Schwankend ging er die Treppe hinab. Noch Küsse, und dann in den Wagen, in der festen Ueberzeugung, sein Eigenthum nie wieder zu betreten, seine Kinder nie wieder zu sehen. Ehe sich der Kapitain zn ihm setzte, benutzte dieser einen Augenblick und sagte mir leise: „Ich freue mich, einen Menschenfreund bei diesem namenlosen Unglück zn finden. Uebcrmorgen Schlag 12 Uhr bin ich hier, Alles zu inventiren und zu versiegeln, eher kann ich nicht kommen. Leben Sie wohl!" Die Worte und der Händcdruck des edlen Mannes waren mir hinreichend. Seine Theilnahme war von so höherm Werthe, als sich der Hosrath mit ihm in einer mehr feindlichen als freundschaftlichen Stellung befand. Dies menschcnstcundliche Beispiel gab mir recht Muth. Durch ciuen Eilboten schrieb ich augenblicklich an einen vortrefflichen Manu, der als Nachbar des Hofraths sich ebenfalls nie über dessen Freundschaft zu freuen gehabt hatte. In wenig Worten sagte ich ihm das Geschehene, daß ich auf seinen Edelsinn bane und ihn sehnlichst erwarte. Ohne Zeitverlust war er da. Auf Ocffcutlichc nnd gcyciinc Polizei. 1t7 der Stelle flogen stille Befehle auf stinc Güter. Alle Bauern eilten mit Wagen herbei, ssbeu so balf ein anderer Ehrenmann aus der Nachbarschaft. Tag und Nacht wurde nun geladen und weggebracht. Zwei Weinkeller allein nahmen die Fuhren eines zahlreichen Gebiets die ganze Nacht durch in Anspruch. Dennoch waren wir an Fuhren beinah zu kurz gekommen, dcnu die hypcrboräischen Bauern hatten bei der Gelegenheit unterwegs herrlichen Rheinwein in seiner Reinheit kennen lernen. Sie hatten sich über cm Faß erbarmt, und sich das Faß hielt die Nagelprobe. Mehr als ein halber Tag ging dadurch verloren, Vater Rhein hatte mächtig gewirkt. Die theuersten Pferde, die besten Equipagen, Allcö was kostbar, wurde entfernt. Von Contrcbandc war nichts mehr zu fiuden. Die schönen Möbeln wnrden preis gegeben, nm keinen Verdacht zu erregen. Bis zum dritten Tage 11 Uhr war Alles in Sicherheit. Um 12 Uhr kam der Kapitain. Es wurde iuveutirt und versiegelt. Ich lasse hier den Vorhang nieder. Es genüge zu wissen, daß der Hofrath nicht gleich in das gelobte Land geführt, sondern daß es erst zu einer Untersuchung gebracht wnrde. Hierauf entschied die russische Justiz. Der Hofrath wurde frei gelassen, und wieder in den Besitz all seiner Habe gesetzt. Nur ohne eine Bestrafung kam er nicht davon, kein Gott und kein Teufel konnte ihn davon retten, eine Strafe vor der die Menschheit schaudert, bei der die Haare zu Berge stehen, er — ich scheue mich, das Urthel auszu-sprcchen, — er wurde des kaiserlich russischen Titels „ Hofrath/' für verlustig erklärt. nud durfte sich nur „ Rath" schreiben. Hofrath, Rath und Sache liegen im Grabe. Es ist begraset. Durch meine Erzählung kaun Niemandem ein Nachtheil erwachsen. Ich wollte nur im Angesicht russischer Justiz ein Beispiel liefern zu 118 Bureaukratie. unsers Dichters: Verzweifle Keiner je, dem in der bängsten Nacht der Hoffnung letzte Sterne schwinden. Welche Unterschlcife nnd von welcher Kroße sind in allen Seestädten, von den Zollämtern begünstigt, getrieben worden! In Riga wurden ganze Schiffsladungen aus der sogenannten rothen Düna verschifft nnd dort gelöscht. Eben so oberhalb Reval. Es ist noch nicht lange her, als ein Schoner mit Werg befrachtet, dessen Ausfuhr streng verboten war, für Rechnung eines Comptoirs und mit Wissen der Zöllner und Sünder, dic Newa herab, dem Zollamte in Petersburg desgleichen dem in Kronstadt vorbei, nnd in's Ausland segelte. Von Tugeudhaften wnnscb/ich nnr die Ueberzeugung zu gewinnen, daß ich in dem faltenreichen Mantel Rußlands manche Falte von einander biegen und hineinsehen konnte. In alle kann Keiner und Keine blicken, auch der Kaiser nur thcilwcise. Nur das Ahnen, was darin ist, ist für Alle, und jede Menschenbrnst in Rußland spricht bei dem Anblick russischer Verwaltung mit David : „Ich fürchte mich vor dir, daß mir die Haut schauert, nnd entsetze mich vor deinen Rechten!" Dic Bureaukratie hat verstanden, sich Mitglieder zu verschaffen, die eine Art Assekuranzcompagnic bilden, und die ohne Einsatz zu erhalten, für jeden Schaden nnd Riß haftet. Die russischen Kaufleute nämlich sind verpflichtet, in den Tribunalen als Mitglieder zu dienen. Alle 3 Jahr werden nene anf der Duma gewählt. Da hilft kein Sträuben, jeder commerziclle Bart muß sich in eine Uniform werfen, sich an einen Säbel schnallen, um wie die Gipssiguren ja oder nein mit dem unverständigen Haupte 3 Jahre lang zu wackeln. Dann ruht er 3 Jahr aus, und unterwirft sich cincr neuen Wahl. Der kluge Arme wird nicht gewählt, der reiche Gel- Otffeutliche und geheime Polizei, 119 lcrtsche Görge muß ins gcsihrlichstc Geschirr. Warum? Weil sein Habt für eine entdeckte Schelmerei der Behörde haften muß. Ich kenne Kaufleute, die nach 20 Jahren noch mit den Folgen ihrer Aemter gekniffen werden. Die gcfürchtetsten Zwangsstcllcn sind in den vormundschaftlichen Gerichten. Ich weiß daß Kaufleute 5000 Rubel zahlten, um sich davon loszukaufen und zu andern Behörden verwendet zu werden. Die Duma (Magistrat) besteht außer Sckretairen und Schreibern aus diesen Additionöcxempeln, welche horchen, was von Se-krctair mit dem Oolowa (Bürgermeister) abgekartet und entschieden ist. Dies Haupt ist auch ein Kaufmann. Connexionm, vorgearbeitete Wünsche vou alleu Seiten her, bringen auch Leute als Go-lowa an die Spitze der Residenz, denen die Bude wegen Betrügerei versiegelt wird. Gostinoidwor. (der Kaufhof) wird darüber genauere Auskunft geben. Der Golowa erhält guten Gehalt, hat auch Gelegenheit sich zu erholen, wenn seine Wechsel schlecht stchcu. Nußland ist eine ungeheure Grösie, eiue zusammengesetzte aus Völkern uud Stammresten von den deutschen Provinzen an, bis zu den Karagasscn im Nordosten Sibiriens. Alle sind verschieden in Stammung. Sitten, Bildung. Charakter. Nirgends ist chemische Mischung und Durchdringung, sonderu nur Anlagerung. Es ist möglich, um dies Konglomerat ein eisernes Band zu schmieden, aber nimmermehr geht daraus eine Einigung hervor. Feindliche Elemente, Idiosynkrasie wie Finne, Esthe, Licve und Nüsse, Kosack und Kleinruffc, Pole und Nussc einigen sich nie zu einem Gesetz der Bruderliebe. Das eiserne Band. das russische Gesetz, wird überall aufgezwungen, es verhärtet die Abneigung, aber nimmer stiftet es Frieden. 12 schcidung kommen. Das Nrthel ist zu Deinen Gunsten. Rechne wieder znsammen, was es Dich gekostet hat, um es dahin zu bringen. Glaubst Du aber, daß der Debitor zahlt? Entweder cr apvellirt, uud Du hast dcu Ritus von vorn zu beginnen, oder er läßt das Urthcl rechtskräftig werden. Du suchst um Execution «ach. Eic wird verfügt. Nun wild's besser, denn nun mischt sich die Polizei hinein. Ist der Schuldner nicht eine hohe Persönlichkeit, so erhält der Nadsiratel den Auftrag, das Geld beizutreibcn. Dieser durchdenkt nun mit Deinem Gegner, auf welche Weise Du geprellt werden sollst. Anfangs rapportirt er beständig eine gefährliche Krankheit, eine Reise, ein Suchen und Nichtsindcn und der-gleichen. Du mußt wieder die Taschen lüften, um der Execution Nachdruck zu gebe«. Dir reißt die Geduld. Du beschwerst Dich beim Polizeimeistcr. Der Nadsiratel lacht. Er erhält den schärfsten Befehl, ohne Gnade und Barmherzigkeit den Schuldner zu pfänden. Eich, da findet sich, daß er keinen Stuhl im Vermögen hat, all sein Habe gehört seiner Frau. Deine Forderung ist dahin. Du bist durch kleine uud große Ausgaben ärmer geworden. Den Gewinn trugen Beklagter nnd Beamten heim. Stützt sich Dein Recht auf einen Wechsel? Nach aNcr Form der Gesetze wirst Du vber ein Jahr herumgeführt, chc es zur Entscheidung der Zahlung kommt. Alles das gestaltet sich anders, wcnn Du in der Bekanntschaft Otsfcntlichc und grhcime Polizei. 131 eintö Polizcimeisters aufgenommen bist. Der Schuldner wohnt in eincm der ihm untergeordnete» Stadttheile. Dn schreibst mir Namen. Wohnnug und Snmmc desselben auf ein Zcttelchen, nud ill wenig Tagen hast Du Deine volle Summe ohne alle Umstände. Dic Ursache liegt in der Wahrheit, daß die Polizei beständig und genug Mittel besitzt, ans jegliche ihr beliebige Art zu verfahren, oder eigentlich zu chikaniren, und daß Jedermann lieber den Teufel im Hanse hat als die Gemeinheit dcr Polizei. Der Nadsiratel unterscheidet sehr genau, ob ihm ein Vcschl wird, der von einer Nichtpolizcibchördc ausgegangen ist, oder von einem seiner Chefs, und ob es dessen Interesse betrifft. In beiden Fällen weiß er sich verschmitzt zu verhalten. Ist es also nicht rathsam, daß man sich gleich au einen Polizei-mcister wende? Versuche dies aber. wenn Du ihm fremd bist. Er wird Dir vielleicht sogar höflich, doch gesetzlich antworten! Man hat Sic falsch beschiedcn, wie dürfte ich es wagen gegen Vorschrift zu Handel», das ist nicht meine Sache, darüber hat das Gericht zu entscheiden! — Daraus ziehe man sich die Lehre, daß man in Rußland zwar unter dem Gesetz steht, aber von Personen abhängt. Eine so eminente Wahrheit, daß nur der Dummkopf oder der Schurke sie abzuleugnen wagen würde! Die drei Polizeimcistcr theilen sich in die Aufsicht der zwölf Stadttheile. Ein vierter ist Chef in der Uprawa. Von ihnen an, nach nnterwärts, folgt mm der Schmutz, der jtdcs Gefäß der Gerechtigkeit wie Eanre das Kupfer zerfrißt. Obenan dieser niedern Polizei steht in jedem Stadttheile ein Pri-stav, und unter ihm die Nadsiratcl mit ihren Helfershelfern. Hier in diesem Bezirk sind die Kreaturen, entblößt von aller Kultnr und 9' 132 Vurecnikratie. Erziehung, entfremdet der Ehre. fern dem (befühl, dic nur das Studium aller erdenkbaren Ränke kennen, und von dem Fett der Ungerechtigkeiten sich nähren. Alle Stimmen im russischen Reiche rufe ich auf, welche Meinung sie von diesen Polizeidieuer« haben. Darf je einer von diesen Knechten in eine honnctte Gesellschaft sich wagen? Wird er dazu gebeten werden? Ihre Handlungen stellen sie dem Abschen bloß. ibre Uniform scheucht wie der Pranger. Nicht etwa die Furcht vor ihrer Macht zieht zurück, sondern die Scheu, sich durch ihre Nähe zu besudeln. Schon unter den Augen des Obcrvolizeimcisters, in seiner Kanzlei, werden falsche Dokmnente geschmiedet, falsche Quittungen z. B. über Rekruten ertheilt. Akten verbrannt. Die redenden Beweise werden wir in den Gefängnissen finden. Wenn das oben geschieht, wird das Vertrauen zu Besserm aufgehen, wo die Kröten in der Tieft schleichen? Ein Pristav ist der Chef des Polizeiamts im Stadttheile. Er, hat seine Kanzlei. Der Nadsiratcl ist der Vorgesetzte eines Stadt-Viertels. Er hat anch seine Kanzlei. Comptoir genannt. In diesen Kanzleien schreibt das ehrloseste Gesmdcl, welches nicht im Dienste des Staats ist, sondern im Dienste seines Herrn, der es für seine Rechnung miethet, und der es von Gaunereien leben läßt. Werden Rechtssachen von Justizbehörden der Polizei zu irgend einer Instruktion übertragen, so vollführen den Auftrag diese Nichts-würdigen. Dem gebildeten Manne bleibt nur Zahneknirschcn, wenn er sich in irgend einer Angelegenheit von diesen Thiermen-schcn muß vernehmen lassen. Er sieht sich genöthigt unter dem gräßlichsten Pöbel cingefangencr Malcsikantcn in einer Stube voll Gestank zum Ersticken zu warten, und zwar stundenlang, wenn er nicht gleich seine milde Hand aufthut, oder er muß noch anderer Unverschämtheiten gewärtig sein. Oeffciitlichc und gchcimc Polizei. 133 Welche Frechheiten erlaubt sich die niedere Polizei oft gegen Au^ lander. Nebe Dem besonders, welcher dcr Sprache nicht knn-dig ist. Diebe, Mörder, Hnrcn, Kanaillen aller Torten werden täglich, mit Stricken Arm an Arm geknebelt, von einen, Polizeisoldatm am Strickende gehalten, wie das Vieh von einer Instanz zur andern getrieben, vom Nadöiratcl zum Pri-stav, oder von diesem in die verschiedenen Behörden, und von da wieder znrück. Ketten an den Fuße» klirren auf dem Pflaster mitunter. Ja, meine Faust hat sich oft umvilltührlich geballt, wenn ich wohlgeklcidcte Manner, wenn auch ohne Strick, aber doch in diesem Auswürfe der Menschheit, von Polizeisoldatcn mit fortgetrieben nnd alle äußere Ehre öffentlich mit Füßen getreten erblickte. Was sagt man zu folgen« dem Beispiele? Ein deutscher Maler, ein Mann von verdientem Ruf und von Bildung, steht eines Morgens vor seiner Staffelet. Brutal tritt ein Polizciunterofsizicr cin. „Heißen sie X?" „Ja ich heiße X! " „Nun so kommt gleich mit mir!" „Warum?" „A0 5M!^l! Das ist nicht meine Sache. Eilen Sie, ich habe keine Zeit." „Ich will mich doch ankleiden." „Nein, ich kann nicht warten. Sie muffen gleich mit." L. ist erschrocken. Der Gardawoi drängt. Jener weigert sich, dieser bringt flugs einen Soldaten. „Werden Sie gleich kommen oder nicht?" X. will Aufsehen vermeiden. Er drückt 10 Kopeken Silber in 134 Bureaukratie. die Hand. Nun darf er sich hlntig aut'leidcn. Er folgt. An dcr Hausthür hält ein großer Zug geknebelten Gcsindels. „ Marsch! " A. wird mit dein Haufen getrieben. Es geht zum Oberpolizei' meister. Eingesperrt wird die Masse bis zur Vernehmung in ein Loch. X. nnt; er zweifelt au seinem Verstände. Er wird gefordert. Wache begleitet ihn. O er muß ein schwerer Verbrecher sein! Eine russische grüne Figur schnauzt ihn an. Er versteht nicht. Ein Deutscher wird gerufen. Er inquirirt: „Wer sind Sie? " „ Ein Ausländer." „Wie heißen Sie? " .? '" „Ganz recht. Haben Sie einen Tschiu?" „Was ist das ein Tschin?" „Ich stage, ob Sie einen Nang habcy?" „Nein, ich bin Maler, was soll ich mit dem Range! " „Wie hast Du Dich unterstehen können, gestern dem Nadsiratcl grob zu begegnen?" ,,Ich? Ich weiß noch gar nicht, was ein Nadsiratel ist, und wie er aussieht." „Was? Du willst leugnen? Soldat! bring ihn auf die Sieche! (Polizciamt.) Wart! Du sollst schon lernen, was Leugnen heißt!" In dem Augenblicke tritt zum lMck der Chef ein. X. redet ihn in französischer Sprache an, und erzählt ihm seine völlige Unschuld. ,,Wic heißen Sie?" ^effcutlichc und geheime Polizei. 13ll Der Chef prüft weiter, und cö zeigt sich ganz klar, daß ein Anderer gleichen Namens hat vorgeladen werden sollen. ..Verzeihen Sie, eö ist ein Irrthum. Sie sind nicht gemeint, Sie können nach Hanse gehen!" ,,Al>cr Euer Excellenz, bedenken Sie die Behandlung, die nur widerfahren ist!" ,,Das müssen Sie als verständiger Mann der Polizei zu Gute halten. Es ist Ihnen ja doch kein Leid zugefügt." „Freilich bin ich nicht geprügelt worden, aber meine Ehre ist getränkt." ,.O ich bitte Sie, Sie müssen die Sache nicht vvn der Seite nehmen, jedoch werde ich dem Nadsiratel zu Ihrer Befriedigung befehlen lassen, daß er künftig vorsichtiger ist. Ein Versehen ist zu entschuldigen. Gehen Sie nach Haust!" Noch ein Beispiel wie mit Ausländern verfahren wird. Ein Engländer, nicht etwa russischer Unterthan, nein! freier Brittc, fein gebildeter Mann, nnd von sehr guter Familie aus London, bat nach kurzem Auftnthalte in Petersburg das Unglück der Polizei zu verfallen. Er wird auf dem Polizeiamte eingesperrt, und — als englischer Unterthan, mit auf den Nucken geknebelten Armen, wic der gemeinste Verbrecher am Stricke öffentlich zur Schan geführt. Mau glaube nicht. daß diese Thatsache mit dem Schutze, welchen die englische Gesandtschaft brittischcn Unterthanen gewährt, im Wi^ derspruch stehe. Ehre dieser Mission! Wenn es Zeit ist. tritt die Sonne über das Dunkel. Hier kam es nur alls den Fingerzeig an. wie Rußland sogar mit gebildeten freien Ausländern verfährt, während seine Knechte in andern Ländern civilisirt behandelt werden. Als Siegel der öffentlichen Meinung in der Residenz daraus. 436 V urea ill vatic. daß sic die Glieder der Polizei auch als Mörder und Todtschlagcr vor ihr Gericht zieht, dicnc Folgendes. Das Gerücht verbreitete sich, es sei ein Mensch von einem Bu-dotschnik umgebracht und unter der Diele in der Budka verborgen. Diese Vndka in der Erbsenstraßc wurde beständig von einer Menge Neugieriger umstanden. Da erschien eine Publikation von Polizei-wegen, des Inhalts: „die Polizei habe sich aus das Gerücht eines Mords bewogen gefunden, in der verdächtigen Budka eine Nachsuchung anstellen zu lassen, ans welcher sich jedoch Nichts, das Gerücht Bestätigendes, ergeben habe, weshalb das Umstehen der Budka verboten werde." Ob durch dergleichen Untersuchung und Rechtfertigung in i'l-npiiil emi^l das öffentliche Urtheil besiegt werde, beantworte sich Jedermann selbst. Im Winter 1«i2 — 1843 miethet sich ein Reisender aus der Provinz in einem Privathause in der Erbsenstraße ein. Er wird krank. Er nimmt eine Frau als Pflegerin alt. Ein Ausländer wird sein Arzt. Im Zunehmen seiner Krankheit bittet er diesen Doktor, siir die in seinem Koffer verwahrten <»0,000 Nnbel Bank-scheine gefälligst zu sorgen, falls er sterben folltc, und sie dem Vcr» wandten zu übergeben, welcher dieser Angelegenheit halber in Petersburg anlangen werde. Der Arzt beruhigt ihn, ist jedoch vorsichtig genug, um sich schlimmstenfalls gegen Unannehmlichkeiten zu schützen, und vertraut die Sache dem Dberpolizeimeister mit der Bitte, die Wohnung des Krankell, ohne Aufsehen zu erregen, beaufsichtigen zu lassen. Dieser Chef überträgt das wachhabende Auge dem Pristav dcö Stadttheils der Fremdcnwohnung. Inzwischen tritt ciuc günstige Wendung der Krankheit ein, der Fremde geht der Genesung entgegen. Eines Morgens besucht ihn der Arzt. Oeffcntlichc und geheime Polizei. 137 Dieser findet ihn todt. Merkmale deuten ans Vergiftung. Der Arzt cilt ill das (^No^imi, wiilliciim und erbittet sich einen Colle-gcn. Man sccirt. Der Tod ist wirklich eine Folge von Gift. Von dem angezeigten Gelde ist keine Spnr vorhanden. Die Krankenpflegerin bekennt, der Pristav T. sei spät Abends gekommen als der Kranke geschlafen, nnd habe ihr besohlen, demselben ein Pulver in sein Getränk zu mischen, welches der Doktor verschrieben habe. Hierauf sei er nach etwa einer Stunde wiedergekommen, habe Papiere genommen nnd ihr gedroht, sie unglücklich zu machen, wenn sie verrathe, daß er dagewesen sei, ihr aber für ihr Schweigen 2000 Nubel versprochen. Nach geschehener Anzeige wird der Pristav vor den Obcrpolizcilncistcr gefordert. Er hat eben Gift genommen. Durch augenblickliche Gegenmittel wird es unwirksam gemacht. Kaum ist der Fremde beerdigt, so erscheint der Fremde. Er hatte sich die Nnmmern der Bankscheine aufgezeichnet, die mit den bei dem Pri-stav in Beschlag genommenen überein stimmten. Die Ehre der ganzen Polizei war zu stark angegriffen, als daß nicht Alles hatte ans-geboten werden sollen, den Schandfleck zu verbergen, und der Verantwortlichkeit und dem Skandal vorzubeugen. Es hieß, T. sei in strenger Untersuchuug, doch wahrscheinlich schuldlos. Kurze Zeit wurde er noch im Dienste behalten, dann aus der Polizei entlassen. Wer genauere Auskunft in dieser Geschichte wünscht, bekommt sie in Petersburg von Haus zu Haus, nebst vielen Thaten dieses Po-lizeiamtöchcfs. Dicbstahl siorirt außerordentlich in Petersburg, so daß in dieser Hinsicht, das ganze Jahr durch, blühender Frühling ist, und auch dabei zweifelt Niemand, daß die Polizcidieucr die wahren Gärtner dieser Blütheuzcit sind. Der Polizei muß man den Nnhm lassen, daß sie vorzüglich in diesem Kapitel äußerst gewissenhaft vcr- 138 Biil'taukratie. fährt, denn sie vublizirt, wie viel in jedeni Jahre in Petersburg gestohlen worden ist. 1841 z. B. waren durch die Diebscompag-nicn der Werth von 19l>,3U4 Silberrubel (Thaler) aus dm Häusern czportirt worden, die nicht z»r Anzeige gekommene Industrie ungerechnet. Davon hatte die Polizei für 24,172 Silberrubel wieder imvonirt, also noch nicht den achten Theil. Wo der jedesmalige Uebcrschuß hingekommen ist, bleibt Staatsgchcimuiß. Blos ans Neid nnd Aerger über dies Geheimthun. rächt sich das Publikum durch die sonderbare Meinnng. den Ucberschnß behalte die Polizei für sich. Man behauptet, und zwar so keck, daß cö in der Ncsidmz nicht einen Muschik giebt, der dieser Vehanptung nicht zugethan wäre, daß die Polizei immer die Diebe erwische, daß sie aber nur dann das Gestohlene restituirc. wenn der Bestohlene eine hohe Person sei, welcher die polizeilichen Schliche nnd Streiche bekannt wären, und welche zu viel Lärm blasen nuo der Polizei Vcrdrüß-lichkeiten bereiten könne. Wenn das nnn wahr wäre, wobei ich mich durch Verneinung an der Meinung des vcrehrlichen Petersburger Publitnms nicht versündigen will, so folgte daraus ganz arithmetisch, daß ^nno 18^1 von der Petersburger Polizei für »lMn 172,132 Silberrnbel gestohlen worden wäre. Man tischt allerlei Thatsachen anf, um die öffentliche Behauptung mit Beweisen zu belegen, e. g. ftinem Großen, ich mag ihn vor Schreck kaum X, nennen, war «ine ansehnliche Summe in Banknoten aus sciimn Mantel 'gestohlen worden, den er bei einem Besticht, im Vorzimmer abgelegt, und ans dessen Tasche er das Geld vergessen hatte herauszunehmen. Er gehörte auch zu denen, von welchen die sämmtlichen Polizcioic-ncr in tiefster Ehrfurcht sprechen.- nainmu« l<> l,lm^>-L! Der Hcrr schlug Feuerlärm. O welche Mühe gab man sich. den Dieb z» entdecken. Tag und Nacht wurde gesucht, eingekerkert, gedroht, ge- Ocfscntlichc und a^heimc Polizei. 139 prügelt. Diesmal wirklich vergebens. Nadöiratel und Pristav rapportirtc»: oloum ot o^oiain pl>i-<1ill>m,i^! Ueber das Verzögern wurde der bcstohlene Herr zornig. Nun fand sich's. Ein Pristav erscheint bei dem Kroßen. Mit freundlicher Miene überreicht er ihm die gestohlene Smmne vollzählig mit dem Bericht, der Dieb sei vergangene Nacht gefangen, er habe sein Verbrechen gleich eingestanden, indem er sich heimlich in das Vorzimmer geschlichen, und ans dem Mantel das Geld gestohlen habe. „Jetzt brauche ich Euer Geld nicht, versetzte der Große, mein Bedienter hat heute früh beim Reinigen der Kleider bemerkt, daß mein Mantel an der Seite der Tasche ein Loch hatte, er hat das Geld unten im Mantelfutter wieder gefunden." Demungeachtet kann ich mir nicht vorstellen, daß die Polizei anders als höchst gewissenhaft mit dein den Dieben abgenommenen Gute verfahren sollte. Ich habe dafür zu triftige Gründe, wie folgt. Einer meiner Freunde ward bestohlen. Dcr Werth war zu bedeutend, er zeigte den Diebstahl in aller Form an. Schon am dritten Tage sagt ihm der Nadsiratel: ,,Freuen Sie sich. Ihre gestohlenen Sachen sind schon alle zu mir gebracht, der Dieb ist fest, er gestand augenblicklich, um 10 Uhr lasse ich denselben in Ihre Wohnung bringen, er muß am Orte der That die nähern Umstände, bekennen, erwarten Sie mich." Um 10 Uhr kommt der Nadöira-tel nebst Gefolge, dcr Dieb in Ketteln ssr zeigte auf welche Art er ein Fenster geöffnet habe, wie er eingestiegen sei, nnd eiuem Gehülfen außerhalb, die Sachen auö dem Zimmer zugelangt habe. Er erzählte, daß er zwei Uhren und ein Dutzend silberne Löffel yleich au: Morgen verkauft, das Andere noch verborgen gehabt habe. Die Käufer des Gestohlenen waren ebenfalls schon in Haft, und die 140 Bureaukratie. ihnen abgcnommemn Uhren. Löffel, und die übrigen Sachen befanden sich bereits in des Nadoiratels Hause, welche dieser genau beschrieb. „Nachmittag werde ich Ihnen Alles znstndm, sagte er, jetzt bin ich zn beschäftigt, Sie senden mir über den Empfang eine Quittung." Weinend stürzte der Dieb zn Füßcn, und bat um cm Almosen, da er so reuiges Bekenntniß abgelegt habe und Alles wieder erstattet sei. „Ist es erlanbt?" fragte mein Freund. „Mau muß freilich Mitleid haben, " versetzte der Nadsiratcl, „das Loos des Schelms ist nicht beneidenswert!), er kommt jedenfalls nach Sibirien." Der Dieb wurde also beschenkt und weggeführt. Der Nadöiratel empfing 25 Rnbcl, die ihm für seine schnelle Hülfe gern gegeben wurden. Aber der Nachmittag verging, es kamen weder Nadsiratcl noch Sachen. Er wird wohl den andern Tag kommen, Aber morgen verging wie gestern. Man sucht den Nadöira-tcl, er ist nie zu Hause. „O verzeihen Sie" sagte er nach mehreren Tagen, noch konnte ich nicht bei Ihnen sein, wir haben so wichtige Befehle auszuführen, daß ich Tag und Nacht fast nicht nach Hanse komme, in diesen Tagen komme ich lind beendige Ihre Sache." „Ich habe ja nur meine Sachen von Ihnen zu empfangen, das Uebrigc geht mich nichts an, da mir aber vorzüglich an der einen Uhr gelegen ist, so geben Sie mir jetzt dieselbe." „Das geht nicht, Sie empfangen Alles zusammen, ich lasse schon die Quittung schreiben, die Sie nur zu unterschreiben haben. Heda!" Ein Schreiber tritt ein auf das Heda! „Ist die Quittung fertig?" fragte der Nadsiratcl. „Noch nicht!" „.Veil til 5ll18<1ra>v8^vuit0, ^Il'i>n'5l,^v!iill> ? lieber I w an Constautin o -witsch! gesund? „8l!NVÄ n«ßu! «ilni'cnv." „Ich habe den Befehl, Sie zu arretirm, um >0 Uhr werden Abgeordnete hier sein/' „ O geehrter Nicolai S t e p a n o w i t sch, ich weiß daß Sie ein chrliebendcr Mann sind, seien Tie versichert, dasi ich immer danbar sein werde, hier zum Frühstück noch diese Kleinigkeit, 100 Rubel, Eie haben doch die 200 richtig empfangen?" „Ja! ich danke. Aber lieber Iwan Constantintsch. was machen Sie für Streiche! ich finde Sie angekleidet. Das geht nicht. Kleiden Sie sich gleich ganz aus, und legen Sie sich ill's Bette. Haben Sie Medizinglästr?" „O ja! bei den Kindern giebt es immer was zu apothekern." „Nnn so stellen Sie die Fenster voll. Wer ist Ihr Hausarzt?" „Doktor 3)." ..Schreibt er Ihum wohl ein Attestat, daß Sie krank sind, und ohne Gefahr des Lebens nicht aus dem Hause gebracht werden können?" ,.O ja, das thut er wohl." ,,Zur Sicherheit schicken Sie gleich zu unserm Polizeiquartalarzt, er ist ein gefälliger Mann, der soll Ihnen gleich ein Attestat schreiben, Sie verstehen schon!" ,, Out, gut! ich werde ihn gleich zu mir rufen lassen." ,,Wenn die ssommissäre kommen, so muß Ihre Gemahlin und 10* 148 Bureaukratie. Ihr Sohn ängstlich am Bette sitzen. Niemand zu dem Kranke» lassen, und sagen, er sei zu gefährlich krank und könne nicht das geringste Geräusch vertragen. Käme dennoch ein Neugieriger an's Bette, so rühre» Tie sich nicht, und antworten nicht, oder stöhnen recht tüchtig. Ich sott freilich auch dabei sein, allein was geht mich das Gericht an, ich habe wichtigere Geschäfte als ihre Befehle auszuführen, mögen sie mich suchen. Nur verlieren Sie keine Zeit, es ist schon 9 Uhr. Ich gehe jetzt fort. Machen Eie Ihre Sachen gut, auf mich können Sie sich immer verlassen. Noch Eins! Ihre Sachen sollen morgen alle inventirt werden, schaffen Sie also fort was möglich ist, Sie werden doch nicht das Gericht mit Ihrem Vermögen futtern wollen? Sie haben schöne Pferde. Sie werden ja wohl einen hohen Bekannten haben, in dessen Hans sich die Polizei nicht wagt. falls gesucht werden sollte?" ,,Ia, ich kenne den Kutscher des..... Br! da hatte ich gleich einen schönen Streich gemacht, und Jemanden genannt, vor dem die gesammte hohe und niedrige, öffentliche nnd heimliche Polizei einen gewaltigen Respekt hat! Also ,,Ia, ich kenne den Kutscher des und des X. der nimmt die Pferde in des Herrn Stall." ,.Sehr gut! rr:,»<^t5(!ll.',it« Iwan «onstantintsch! Gleich in's Bett!" „I'i-locli^cilliit^ l.xo!>05«,!!,»i Nicolai Stepantsch, Oxlieu! rechtschaffener N. St.)" Um 10 Uhr erscheinen die Deputirten. „Leise, leise! meine Herren, mein Vater liegt zum Tode krank." ,.C'r war ja gestern ganz gesund!" ,,Ia, aber diese Nacht glaubten wir, er werde sterben." „Wo ist Ihr Vater?" Ocsfcutliche und gchcimc Polizei. ^lHft ..Im Bette." ,.Wir müssen uns doch überzeugen." ..Meine Herren, was ist Ihnen gefällig? hier ist das Krankenzimmer meines Mannes." ..Was fehlt Ihrem Gemahl?" „Oott weiß! der Arzt will es nicht sagen, um mich nicht durch Schreck zu todten. Da sehen Sie diese Apothekcrftaschcn! " ,,Hat er die heute Nacht alle geleert?" ,,Ia, fast alle Viertelstunden wechselte der Doktor die Mediein." .,Wir wollen den Kranken iu einem Wagen in das Lazarett) des Gefängnisses bringen, dort wird er auch gut verpflegt, und Sic können ihn besuchen." ..Warum nicht gar! Jede Bewegung kann ihm den Tod brin^ gen. Hören Cie wie er stöhnt! Gleich mein lieber Mann, ich will nur die Herren abfertigen." ,.Wir wollen den Pristav abwarten. Wo bleibt er doch so lange. Schicken Sie doch Jemanden von Ihren Leuten zu ihm, er soll eilen." „Wie können sie verlangen, daß ich meine Leute nach der Polizei herumschickeu soll. was geht uns der Pristav an!" Der Pristav kommt nicht. Da bequemt sich ein Dcputirtcr selbst, ihn zu holen. Er ist nirgends zu finden. Zwei Stunden wartet man. dann zieht die Deputation davon, denn ohne Polizei darf nicht arrctirt werden. Der Kranke steigt genesen ans dem Bette, und mau crlnstirt sich «ber die Posse. Der Hansarzt schreibt lin Attestat, der Polizeiarzt übereinstimmend auch. Eine äußerst gefährliche Krankheit. Die Pferde stehen bereits im sichern Stalle, zu Verwandten und Bekannten sind alle Sachen von Werth gewandert. Nun befiehlt das Gericht Wache an die Hausthür. Für 1öl> Bureaukratie. dm armen Soldaten ein wüuschcnswerther Poste». Statt vor die Hausthür, setzt er sich in die Bedientenstube, trinkt, schmaust, schläft gut, und übt Religion wie Esau, der um einer Speise willen seine Erstgeburt verkaufte. Es wird inventirt. Leider stößt man alls lauter Eigenthu>n der Frau, Eigenthum deö Vlannes sind gebrechliche Stühle, zehn Hühner (er ißt gern frische Eier), ein Kettenhund und ein langzahniger Gaul zum Wasserziehen. Nach 15 Tagen dekretirt das Gericht wieder Abholnng in das (Gefängniß, oder in das Gefängnißhoopital. Ohne Pristav darf die Ausführung deö Dckreto nicht vorgenommen werden. 200 Rubel zeichnen it>m wieder dic Richtung vor. Dic Dcputirten komnien. der Krankenwagen fährt vor. Die ärzlicheu Attestate werden vor. gezeigt. Der Pristav ist nicht zn finden, nnd Deputirte uebst Krankenwagen kehren heim. Ob die gefährliche Krankheit noch im Steigen ist, kann ich jelzt der großen Entfernung wegen, nicht wissen, aber zur Vermuthung habe ich Gründe. Die Bedrückungen und Erpressungen der Polizei erstrecken sich über reiche und arme Familien. Hausbesitzer zahlen wie stehenden Gehalt dem Nadöiratel jährlich 25 Rubel nur dafür, daß er den Dworuik nicht chikamrt. wenn cr eine Stnndc zu spät die Straße fegt, oder wenn sonst eine Kleinigkeit vergessen wird. In ärmern Stadttheilen fallen zwar dergleichen Einkünfte spärlicher aus, allein auch die dürftigsten Handwerker sind nicht von den Ränken der niedern Polizeioffiziantcn frei. Stiehlt doch der Budotschuik von jedem seiner Budka vorbeifahrendem Holzsudcr ein oder einigt Scheite, um sie, gesammelt, fadcnweift zu verkaufen. Um sich gegen den Schein großer Nevenüen zu bergen, miethen die Nadsi-ratcl für sich und ihrc Schreibstuben Wohnungen, dcrm Schmutz ihren Gesinnungen analog ist. Alle wählen dazu dunkle Löcher. Ocffcntlichc und grhcimc Polizei. 131 ES gibt Nichts, aus dem die Polizei nicht ihren Nutzen zu ziehen verstände. Mehrmals sind bei theuern Vrotpreisen anf Befehl des Kaisers die Kronsmagazinc der armen Klasse geöffnet worden. Die Nadsiratel nnd Pristav nulsiten den Hülfsbedürfti-gen Attestate ertheilen. Die wohlhabendsten Personen wurden mit diese» Scheinen begünstigt, nnd die Nadoiratcl trieben durch gemiethete Arme einen förmlichen Mchlhandel, während die wahrhaft Bedürftigen nach wie vor dem Hungev zugewiesen blieben. Die Polizei bleibt auch in den Gouvernement«' nnd Provinzial-städtcn daffelbc auserlesene, liebevolle, Alles umarmende Wesen wie in Petersburg und Moskau. 8l>m,^i' >ä<'m. Ich kannte cincu Polizeimeister, dessen Frau selbst in den Magazinen, anf dem Markte, in den Fleischbänken herumging, nnd sich nach Belieben auswählte, ohne je an Bezahlung zn denken, und die awdanu Zeuge zu billigen Preisen wieder verkaufte. Die besten Braten kaufte man bei ihr. In der Nestdenz werden die kleinen Fisch-und Pktualicnhändlcr, wenn ihre Liefernugen nicht znr Zufriedenheit ausgefallen sind, oder sie damit zaudern, Iil-evi m»nu durchgeprügelt, und mit ihren Körben und Trögen bald hierhin bald dorthin verjagt. Sehr gründliche Ansichten darüber verschafft man sub auf dem Markte in der Nasi«>schaja Straße, von 9 biö 11 Uhr Vormittags ist gewöhnlich Prügcldistribution. Die erste Gesinnung, welche der gegenwärtige Minister des Innern bei Antritt seiner Funktion offenbarte, war Mißtrauen gegen die Polizei. (n> entzog ihr die Aufsicht über Maas;, Gewicht, Märkte oder mehr. Kr stellte zu diesem Velmf neue Beamte an, und meinte min dem Teufel der Bestechung Pfoten nnd Pferdefüße geknebelt zn haben. Die neuen Söldner zeigten hcrkömm- 432 Bureaukratie. lichermaßcn im Anfange unerbittliche Strenge, um sich im Sattel erst festzusetzen. Einige Fleischer und Bäcker, exempli F^ti» D in der Ncwökiperspcctivc und Z aus dem Krngloi Rinok, mußten zu leichten Gewichts halber Strafe zahlen, V sogar zweimal nacheinander, tiznge arme Hcrumträgcr wurden mit 5cr verbotenen alten schwedischen Waage erwischt, aber über ein Kleines war Alles wieder im gewöhnlichen liebenswürdigen Gleise, und die grüne Polizei lachte ins Fäustchen, daß sie jetzt Gesetzwidrigkeiten sehen, und an ihnen vorüber gehen durfte, ohne sie zu rügen. So staunte ich einst die Kraft der neuen Miuistcrialvcrcrdnungcn an, nach welchen in den Branntweinkncipen keine Drehorgel spielen sollte. Zwei Sonntage nach diesem Befehle tönte Tanz und Gesang nach diesen Instrumenten in zwei einander nahen Kabalen. Vor den Thüren standen Haufen von Znhörern. und unter diesen auch Polizisten. Ein Quartalnik rief scherzend einem Schenkwirth zu: „Ach Dn 5»I Uhr nicht abkommen. Erfüllen Sie unsere Bitte uns diesen Abend nm u Uhr bei H'. zu erwarten, wo wir gleich anfahren werden. Das Uebrigc mündlich. X. X. Pcterhof. 12 Uhr." Dies Billet empfing v. Z. Iudesfen hatte ich die Familie H'. in die Geschichte und meinen Plan eingeweiht. Man war über die Niederträchtigkeit empört, nnd neigte sich um so lieber meinen Bitten. Einladungen wurden an sämmtliche befreundete Familien erlassen, welche an der gestrigen Freude so herzlichen Antheil genommen hatten. Anch v. Z. wurde gebeten. „Ja! lautete seine Antwort, heute auf jeden Fall! " Nach der Verabredung mit der Mutter kam sie und Maria gegen A Uhr zurück. Die Thüren blieben verschlossen. Das Schwerste war, und das größte Weh von allen Seiten, die erste Liebe des herrlichen Mädchens durch die Entdeckung des abscheulichsten Betrugs zu vergiften. Mariens Liebe saß nicht im Dhr, sondern in einem tiefsühlendcn Herzen. Die Eltern hatten mich zu dieser erschütternden Scene erwartet. Leblos wie eine Bildsäule horte Maria zu. Wie vom Schlage gerührt blieben die Augen offen, starr aber trocken, bis der namenlose Schmerz der Eltern auch ihr Weh in Gefühl nnd glühende Thränen löste. Was hier aber über jede Schwäche den Sieg verschaffte, war die Möglichkeit, den schändlichen Betrug knall und fall ,nit allen Beweisen in die Sonne zu legen, so daß anch nicht der mindeste Zweifel statt finden konnte. Lust nnd Freude, dem jungen Herzen zum ersten Mal in aller Schönheit wie Roscnknospcn aufgesprungen, lagen zerschellt zu Ocffciitlichc und geheime Polizei. 1L7 Füßen. Der gekränkte Stolz der Unschuld wachte in seinem ganzen Werthe auf. Ihr Schmerz schnitt tief. O ihr Herz blutete znm Entsetzen, aber heiß sprachen auch ihre Thränen den Dank für ihre Nettmig noch zu rechter Zeit. Nie, nie werde ich den Sicg dieses Engelherzcns im ersten harten Kampfe seines Lebens vergessen, obgleich es noch lange blutete, ehe die Wunde vernarbte. Ich ver» mochte Marien sogar am Abende anch in der Gesellschaft zu crschci-nen. ,,Ich will doch sehen, sagte sie, ob es möglich ist, mir in die Augen zu blicken, versprechen Sie mir aber, seine Strafe nicht weiter als zu Beschämung zu treiben." Daö konnte ich versprechen, denn mehr lag auch nicht in meinem Plane. Um 7 Uhr fand ich bereits alle Freunde vor. Ich machte sie jcht mit dem Vorgefallenen bekannt. Anss Höchste gekränkt und erbittert wollte man mich durchaus dahin stimmen, die geheime Polizei durch Entlarvung des Unverschämten an den Pranger zu stellen, und den Vetrug dem Kaiser zu nnterlegen. Erst nachdem die erste Hitze verraucht war, gab man meinen Vorstellungen und Bitten nach. Nach meinem Wunsche sollte dcr Wirth des Hauses die Standrede an dcu Erwarteten halten, ich wollte ihn dabei nur mit den Papieren unterstützen. Er entschuldigte sich, sein Blut koche zu stark. Damit entschuldigten sich Alle. und stimmten dahin, ich solle den Z. empfangen und anreden. Auf Bitten Mariens gab ich nach. Noch vor !) Uhr ward der Delinquent angemeldet. So viel mau sich gesammelt hatte, so war doch allgemeine Aufgeregtheit. Er trat ein. ,,NnlW! «illu! mo» lwnllmu-!" rief er im ersten Zimmer, als er von weitem Maria erblickte, und eben wollte er auf die Frau des Hauses zum Handkuß zueilen, als ich ihm in den Weg trat. t63 Burcautrane ,,Herr v. Z. oder wie Sie sonst heißen mögeu. nicht einen Schritt wcitcr! So lautete das Exordium meiner Rebe. Den Inhalt meiner Predigt kann sich Jedermann denken. Sie war kurz und erbaulich, und hatte schon deshalb nicht dad Loos der Kirchenreden. Niemand schlief dabei ein, und bei meinem Exodion öffnete der Bediente die Thür, damit der Nichtswürdige nicht noch einmal dad Schloß mit seiner ehrlosen Hand betaste. Am vierten Tage darauf war er schon nach Warschau abgereist. Er hat Petersburg uic wiedergesehen. Wo der Verrath in Straße und Haus umhcrschlcicht. der Freund mißtrauisch gegen den Freund ist, wo Vater und Kinder sich zuvor umschcu, ob ein Dieucr. eine Magd nicht gegenwärtig ist, wenn cinc Aeußerung aus beklommener Brust über Bedrückung, die Mis-billignug einer Ungerechtigkeit sich Luft machm will, welch ein eingeschüchtertes Wesen muß da der Mensch geworden sein! Von der Anwerbung für die geheime Polizei schließt sich kein Stand aus, dem Rekrutiren unterwerfen sich Bediente, Kutscher, Dwornike, Freie, Leibeigene, Köchinnen. Kannncrjungfern, Geistliche, Beamte, Adel. Gelehrte. Alle öffentlichen Vergnügungen sind durch die Gewißheit verleidet, daß sich Spione dabei befinden, die Sprenkel und Dohnen stellen. Bei der Aeußerung: „er dient bei der geheimen Polizei." fallen die Lippen maschinenmäßig zu, und die Thüren verschließen sich vor ihm. Man lispelte nur, als ob das Vchm-gcricht an den Wänden lauschte, wenn der Name Ben ken dors zufällig berührt wurde. Man bebte nicht vor Kaiser und Großfürst, nicht vor Kriegsrath. Senat noch Synode, aber Schreck läuft durch alle Knochen, wenn es tönt: „der Chef der geheimen Polizei hat gefordert." Der gcsirchietc Graf Benkcndorf schreckt nicht Ocffcntlichc und gchcimc Polizei. 169 mehr. War renn der Mann so schrecklich? Dcr Mann nicht, aber das Amt, dessen furchtbarer Schlüssel, der sich aus sein Gebot nicht mehr im Schlosse dreht, wenn ein Unglücklicher fern von der Welt lebendig vermodern soll. Graf Bcnkcndorf war zu keiner Zeit ein böser Mensch, daß nahe Stellnngm an ihm aber nie eine gute Zeit hatten. ist eben so gewiß. Wer des Verstorbenen Memoiren schreiben möchte nnd dürfte, dem könnte ich Beiträge liefern. Ueber dic Schwächen, die sich weder mit dem Staatsmanne, noch mit dem bloßen Fedcrbusche vertragen, wachse Moos und Gras! Und doch wünschte ich, er wäre noch unter den Lebendigen geblieben. Nicht meinetwillen, sondern Millionen wegen. Ein Mann von Humanität, nnd fern jedem Anstrich von Brutalität, ist ans dieser Höhe in Rußland ein schönes Meteor. Gewiß, es ist dem Auge zn früh noch verschwunden. Wer zeigt es mir in der russischen Geschichte? Die Behauptung Heller's in seinem ..enthüllten Nußland" daß sich die Macht des Grafen Bcnkcndorf sogar über die Glieder der kaiserlichen Familie erstreckt habe, ist ein leeres zerlöchertes Boot, ohne Segel in den Ocean geschoben, es treibt an keine Küste, und ist ein Beweis, daß dem Verfasser die Idee ..Autokratie" in ihrer Klarheit nicht aufgegangen ist. ssr hätte nur die Thronfolge-ordnung berücksichtigen nnd bedenken dürfen, daß Das was Czarm-macht schafft nnd beliebig entfernt. über die Peripherie nicht tritt, welche die Photosvhärc des Throns bezeichnet. Die Czaremnacht vergißt nicht. in ihren Zauberkreis die tzarischcn Glieder mitzu-stcllcn. Auf dem Gipfel russischer Würden steht der Generalissimus, dessen Rechte in Militärangelcgenbeitcn scheinbar an jener Peripherie hinstrciftn. Schon dicfcr Approximation wegen hat weder Alexander l. noch Nicolaus 1. einen Generalissimus crcirt. Und würde 170 Bureaukrat e, ,Icmandem dicsc Gnade, so wäre es einc Gnade, mid der Würdenträger gewiß ein Mann, der im Schatten der Majestät unschädlich, sich ganz behaglich fühlte. Eine despotische Verfassung hat zu ihrer Selbsterhaltung Motive, von denen andere Staaten nichts wissen, nnd unter diesen Motiven geht mies voran, welches ans allen Verlegenheiten hilft und die Echamröthe erspart! „laß Dich nicht verplüffen!" Wird in Rußland cm siill in' rätherischcn Lüsten nach Petersburg in die dritte Scttion der eigenen kaiserlichen Kanzlei getragen. Der Gedanke, der noch auf dem ^csfcutlicke und gcheimc Polizei. 171 freien Meere laut geworden, wild von den Wellen dts Verraths dahin gespült. Reisender! ruf Deiner Zunge ..Hollah" zn! gib dem Gedanken den Dn hegst, nicht Sprache, wenn Dn gen Rußland ziehst! Die Wände hören, die 3icftn haben Ohren, und dic Höhen lauschen. Hör' zn! Ein Bnchhändler hatte einige Exemplare eines gegen Nußland sahnenden französischen Buchs erhalten. Kanin hatte er eö geborgen, so empfängt einer der obern ^U;,«!^ des Grafen Bcnkcndorf schon den Befehl, dieses cingeschmnggelte Buch ausspüren, und alle Vetheiligtcn bei dem Einschwärzen und der Kenntniß desselben in die Festung liefern zn lassen. Eine Familie mehr war wieder dem Unglück anheimgefallen. Noch war das Nnch nnausgegeben, als der Befehligte persönlich und allein im Buchladen erschien. „Sie haben im letzten Büchcrballen, in verschiedene Werke geheftet, drei Exemplare des und des französischen Werks erhalten." Der Buchhändler, in der Vermuthung man wolle nur forschen, hielt es für das Nathsamste, die Sache ganz zu lcngncn. „Ich bin nnr gekommen, Sie zn warnen, fuhr Jener fort, wenn Ihnen Ihre Familie lieb ist, so vernichten Sie diese cm^m-k äollcll augenblicklich, in einer Stunde dürfte es zu spät sein, mehr wollte ich bei Ihnen nicht." Der warnende Retter wollte sich entfernen, das fortgesetzte hart' nackige Leugnen des Buchhändlers aber reizte ihn. Er kehrte um. „So will ich Ihnen die Wahrheit zeigen!" Er führte den Betroffenen in eine andere Abtheilung des Buch-ladcns, ließ sich eine Ladentreppc reichen, stieg hinauf, nahm aus einer obern Bücherreihe einige heraus, nnd zog hinter denselben das verborgene französische Werk hervor. „Wenn es Ihnen gleichviel ist, ob Sie in einem Keller der 472 Bureaukratie. Festung sitzen, oder in der Mitte Ihrer Familie, so denken vielleicht Ihre Frau nnd Kinder anders. Madame X! hier sind zwei Bände eines Buchs, welches ihren Mann auf die Festung bringt, wc»n es nach einer Stunde in Ihrem Hause gefunden wird. oben stehen noch vier Bände, eilen Sie, alle augenblicklich zu verbrennen." Der Unbekannte entfernte sich. „Wer war der edle Mann?" Niemand wußte es. Eine Stunde später ward untersucht, und der Buchhändler war gerettet. Denselben redlichen Mann, der dem Unglück vorbeugte, wo er nur konnte, forderte einst der Kaiser Alezander auf, auf ein Buch Jagd zu machen, welches gegen die Majestät äußerst ungünstig gestimmt war, von dem ihm aber verrathen worden, daß es an den Hof gekommen sei. „Ich verlasse mich auf Dich. Das Buch bringst Du mir. den Inhaber auf die Festung." Schon nach wenig Tagen läßt sich der Befehligte anmelden. „Wo ist das Buch? Wer ist der Verwegene?" „Ew. Majestät werden das Buch im Kabinet Ihrer Majestät der Frau Kaiserin Maria Fed or own a auf dem Schreibtische hiutcr der ersten Bücherreihe finden." So war es. Es ist nicht hinreichend, daß ausländische geitnngcn zuvor Commissionen und der ängstlichsten Censur unterliegen, ehe sie ausgegeben werden, auch auf den Kaffeehäusern müssen diese kindlich uu-schuldigcn Blätter noch beaufsichtigt werden. In den Conditorcicn bei Isler und Berang er dejouriren beständig einige Glieder des heimlichen Ocnicwcsens. Meistentheils sind sie in ihrer Qualität nicht gekannt, aber heilige Ahnung ihrer Nähe begeistert das Ocffcntlichc und geheime Polizei. 1.73 anwesende Publikum. Man hört nur das Rauschen der Papier-blatter, das Klirren der Tassen, und dazwischen das Rufen nach Chocolade, Limonade, 5 l>» ^l^ce. Ich habe die genannten Con« ditorcien nie belagerter gefunden als zur Zeit der polnischen Campagne und die Jahre nachher. Viele des heimlichen Generalstabs waren mir durch die obenerwähnte Hintertreppe von Angesicht bekannt, und ihr Vigiliren auf Jeden, der ein Zeitungsblatt in die Hand nahm. ihr Schielen auf welchen Spalten ein Auge vorzüglich hafte, hatte für mich oft Interesse, rührte aber auch oft in meiner Galle. Um nur Stoff zu ihren verruchten Angebereien zu erbeuten, legten sie den Anwesenden dadurch Schlingen, daß sie unter sich, halblaut aber vernehmlich, eine Unterhaltung über irgend ein Kriegsfactum zischelten, um Unkundige zur Theilnahme zu reizen. Sie tadelten, äußerten Zweifel an offiziellen Relationen, um die nichts Arges vermuthenden Theilnehmer am Gesprach hinterrücks der Verantwortung zu überliefern. Als der Kaiser nach beendetem polnischen Kriege das erste Mal nach Polen reiste, die Warschauer Deputation um Vergebung des Vergangenen bittend sich ihm nahte, und ein großmüthiges, ver« söhnliches Herz zu finden hoffte. ließ er sie zwar vor sich, unterbrach sie aber augenblicklich, und hielt die bekannte alle Gemüther niederdonnernde Rede, die nie eine Vcrsöhnuug erwarten ließ. Von dieser nervösen Rede hätte die Welt höchstwahrscheinlich nie ein Wort erfahren, wenn sie nicht flugs der französische Konsul in Warschau nach Paris befördert hätte. Nun erschien sie im .lourna! äes üödüt« mit dessen herzigem und geistreichem Commeutar. Der Spiritus schmerzte, und brannte wie in eine Wunde gegossen. Aber davon erfuhr wieder das Petersburger Publikum uichts. denn die Nummer, Welche Rede und Commentar enthielt, war consiszirt> Die Ham- ^74 Bureaukratie. burger Matuschka (altes Weib) die Berliner allgemeine Kokette, und selbst ric den russischen Bart salbende Frankfurter Französin, hatten cs nichl über das Herz bringen können, das cousiözirte Gut in ihre Arme zu nehmen. Dafür wurden sie auch eousiszirt. Das Consisziren dauerte einige Posttagc nach einander, und wenn die äußerst interessante Petersburger Zeitung nicht mit ihren neuen Ordens - und TitelverlMmgen den Lücken zu Hülfe gekommen wäre, so hätte man sich in einem Kloster ohne Theilnahme an allcn Welt-Händeln wähnen können. Als aber nun alle auswärtigen Blätter mit der Conterbande vorführen, und man endlich einsah, daß es unmöglich sei. der Fluth einen Damm entgegen zu stellen, als die Neugierde des Publikums immer unleidlicher wurde und schon das dumpfe Munkeln begann, da half man sich mit einem sehr gewöhnlichen Hausmittel. In der Petersburger Zeitung nämlich erschien jene kaiserliche Red« nebst Commentar mit Variationen in rufsifche Musik gesetzt, und zwar mit dem officicllen Vorspiel, daß auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers die Publikation erfolge, damit daö Publikum sich überzeugen solle, wie wenig Sr. Majestät Dergleichen fürchte, wie vielmehr der Monarch diese unreifen Naisonucments verachte. In jener schlimmen Zeit waren, bei der unentgeltlichen und freigebigen Vcrthcilung der Wohnungen, in der Festung alle Quartiere vollauf besetzt. Eine hatte auch ein Familienvater erhalten, der in seinem Kreise als Biedermann bekannt war. Er hatte die Vergünstigung freien Logements, wie es hieß, wegen sehr strafbarer öffentlich geführter Reden erlangt. Durch Verwendung wurde er nach mchrcrn Wochen der Gnade wieder ledig. Da ergab sich nun sein verabscheumlgswerthcs Verbrechen. In jener kaiserlichen Ncde kommt die Ttellc ror: „der Kaiser werde bei der ersten cmfrüh- Tcffcntlichc und gcheimc Polizei. 175 rcrischcn Bewegung in Warschau die Stadt zu Schutt und Asche niederschießen lassen." Zu dieser Stelle hatte der Eingekerkerte auf Veranlassung eines .-^mn s»niva^!tLM'> den er natürlich nicht kannte, geäußert: ..Häuser lassen sich zwar niederschießen, aber mit Kanonen tilgt man kcinc Ideen." Kaum hatte er das Kaffeehaus verlassen, so bemerkte er. daß der Herr, mit dem er und Andere gesprochen, in einiger Entfernung ihn begleitete. Nach mehrcrn Stnndcn ward er vor die Behörde geführt, bei deren Neimuug es kalt »vie ciuc Todlcnhand über den Rücken streicht. An salschcn Zusätzen seiner Aeußerung hatte cö der Denunciation nicht gefehlt. Nur sein gutes Herz vermochte ihn. den Dank für seine Rettung unter freiem Himmel auszusprcchen: ,,Ich bin unter der gräßlichen Drohung entlassen, wenn ich es wagte, nn'incr Familie oder sonst Jemandem ven meinem Verhör nur ein Wort mitzutheilen, so träte ich ohne Barmherzigkeit die Neisc nach Irluzk an. Was bleibt mir übrig, als mich nnter leinc M enschen w i ed er zu w agen! " Ein Mann altadligen Stamms äußerte Freunden seinen Unwillen, daß er ans verschiedenen Anlassen schließen könne, die geheime Polizei habe Agentur in seinem Hause, und doch sei es un-möglich auf eiuc Spur zu gelangen. Lauge, lange ließ der Zufall zu einer Entdeckung auf sich warten. Ein russischer Kaufmann hielt einen freien Bedienten. Ein Ohngefähr entlarvte ihn alö Spion. Er hatte die Aufgabe, die Personen des Umgangs und die Gespräche aus dem adligen Hause zu rappomrcn. Zu dem Ende machte er sich an ein Mädchen, beschenkte fleißig dasselbe und versprach die Ehe. Seine Geliebte hatte wieder ein Erbmädchcn aus dicscm Hause zur Freundin. Dies Stubenmädchen hinterbrachte in schwatzhafter Unschuld alle erlauschten Geheimnisse und Gespräche 176 Bureaukratie, ihrer Vertrauten des Sonntags in der Kirche weil es außerdem keine Gelegenheit gab einander zu sprechen. Wenn ich das Spionwcscn zur Zeit der Regierung Alexanders l. und der des jetzigen Kaisers parallel stelle, so war jenes wilder, jetzt ist es systematischer und zur größten Vollkommenheit gebracht. Damals verschwanden Menschen, man wußte nicht wohin, und ohne je etwas wieder von ihnen zu hören, nnr Ahnung sagte, durch wen sie verschwunden waren. Ich wciß mich nicht zu erinnern, wenn ich nicht etwa ernstlicher nachdächte, daß unter Nicola us I. der Art Loose aus der gchcinmißvollen Urne gezogen wären. Auch heute zwar geht ein Familienvater in Geschäften ans. und kommt nicht wieder, und Niemand weiß wo er hingekommen ist. Doch in Petersburg hat man bei dem Vermissen eines Menschen zwei Wege zu sichern Vermuthungen, entweder verschwunden in den Wellen der Newa, oder in den Kellern der geheimen Polizei. Allein wenn man sich Mühe giebt, und Tag und Nacht fragt und sucht, so erfährt man wenigstens daß und wo Jemand eingesperrt ist. Diskrete Menschen werden ohnehin, des Warnm's wegen, nicht naseweis sein. Dazu wird die Justiz weiterhin Beispiele liefern. Zum Mindesten sehen wir, daß die Civilisation auch im geheimen Reiche Fortschritte macht, 0l-0mu5! Die Allmacht selbst, vor deren Blitzen die (5rdc erschrickt, behielt sich am Eigenthum des Menschen Nichts vor, als sie ihm den denkenden Geist tinblics. Mein ist der Gedanke auch versiegelt in dem Papier, und das öffentliche heilige Vertrauen drückt das zweite Siegel darauf. Auch die Frechheit wagt es nicht, dies Geheimniß öffentlich zu verletzen, sie thut es nnr heimlich. In Rußland ist man über das Schämen hinweg. Auf den Hauptpostämtern sind Commissionen und Bureaus zur beliebigen Ocffcutlickc und geheime P^li^ci, 477 ssrbrechung der Briefe. Es macl't feine Sorge, daß man öffentlich davon spricht, oder das verletzte Siegel mit verschiedenem Lack wieder verklebt.--------------- Wir wissen welebc unbeschreibliche Freude die Britten äußerten, als ihr Ministerium die sonst so stille Seligkeit laut anssvr.nl' - Ja, England ist auch so glücklich, dieo völlerbeglückende lieimliä'e Iw stitnt in aller Schönheit zn besitzen. Wir haben den Beifall gelesen, den des Ministers heileres Gesicht erntete, als er erklärte, daß zum Aergerniß aller Revolutionärs und müßigen Naisonueurs die moralische Heilanstalt zur Freude der Humanität und Vernunft beibehalten werden solle. Als die verschämte Angelegenheit in London auf das Tapet gebracht wurde, schien es. als ob sich in Deutschland auch eine gewisse Blödigkeit über stilles Glück rühre, wenigstens konnte man lclen, daß ein Polizeipräsident jungen Männern die amtliche Eröffnung gemacht habe, sie würden künftig unter polizeilicher Aussiebt stehcu, indem Agenten in Pivilkleidcr» sie unbemerkt überall begleiten und beobachten, und alle ihre Schritte lind Reden crforscben und zur Kenntniß der Behörde bringen würden. Hosianna in der Höbe' die ssi'istcnz einer Akademie der scbwarzen Künste hat sich doch nicht öffentlich bestätigt. I'i'o «Il'nm imm«u-ttl!ium! ein solches allgemeines Glück fehlte bloß noch zur Seligkeit Germaniens! Nein, Germania! Du bedarfst keiner Fütterung mit einheim^ schen Blindschleichen und Salamandern. Du wirst reicklich mit russischen gesättigt. Du kannst sie greifen von der Ost- und Nord. see an bis an Deinen Liebling mit den Trauben im Haar. Brauchst gar mcbt viel zu suchen. Du erkennst sie gleich an der stets in der Luft schnuppernden Nase. an den Augen, eins im rechten Augen- Rußland, II. 12 178 " Bureaukratie. Winkel, und das andere zu gleicher Zeit im linken. 3)l'einst Du icnc Reptilien, die unsern Professoren die Hefte vom Pulte stahlen, um Gift daraus zu saugcu, wärm erstochen? Kennst Du nicht die Rcproduktionekraft der Lurche und die Häutung der Seblangen mit der gespaltenen Zunge, dem stumpfen Gefühl, dem Bisamgenich, dem elastischen Maule und dem zähen Leben? Die Naturgeschichte wird Dir sagcn, daß gerade die giftigsten sich am besten abrichten lassen. Wer die gesellschaftlichen Einrichtungen im russischen Reiche und die für sie geschaffene Beamtcuwclt betrachtet, der versuche es, den europäischen Staat darauf zu gründen, den Peter I. gestiftet haben soll. Unvergeßlich bleiben mir die belehrenden Unterhaltungen zweier scharfen Denker, Kling er und Feßler, über diesen Gegenstand, die mit ihren Erfahrungen an Jahren und Geist mir viel rorangeeilt, meine innere Stütze väterlich blieben, mich mit meinem Begriff von „Staat" nicht in das russische Chaos zu wagen, so oft es von Außen Andrang dazu gab. Nnd dieser Begriff hatte zur Basis, daß ich Nttl't und Staat wie zusaunucngewachsene Zwillinge betrachte; und daß mir Staat eine zur Regierung nach Nccht gebildete nationale Gesellschaft ist. Aus dem russischen Chaos tonnte ich mir kein Licht dazu schlagen oder reiben. Man nimmt unter den Verfaffungsdefinitionen auch despotische Verfassung an. Als bloßen Begriff habe ich nichts dagegen, aber als cxistirend betrachtet, läuft mir der Staat davon, und zurück bleibt nur Gewalt und Knechtschaft. Despotismus ist die Maxime tines Negentcn, del» blinden Gehorsam zu fordern. Despotie ist da, wo der Regent vermöge der Verfassung den blinden Gehorsam fordern kann. Selbst der größte Vertheidiger und Freund des Ocffeiitlichc und gcbciüie Polizei, t7V Despotismus, Thomas Hobbes, sagt in seinem Wake id wo dieser kein Mcnschcnwesen noch unter sich sieht, so tyranni-sirt er das Vieh. Das Kriechen geht wieder rückwärts nach oben, bis die allgemeine Kriecherei in Einen Fokns sich hinstreckt. Der russische Große ist über der Selbsttaxation seines Ichwcrths 182 Bureaukratie, erblindet. Auf der andern Tcitc macht ihn die Menschenwürde, wo sie ihm begegnet, über eine nicht zu seiner Moral passende Civilisation verlegen. Die Verlegenheit greift wieder an sein Bewußtsein des Nichts seiner Existenz, und auf diese Weise zerfällt er mit sich selbst. Gegen die stinem Innern und seinen äußern Verhältnissen entgegen tretende bessere Welt weiß er mir durch einen brutalen Hochmuth zu kämpfen, der so sichtbar ans seinem Wesen herausragt. Es ist eiu Zwiespalt im Einzelnen. Von ihm gebt er in die Familien, von diesen in den Koloß. Ein Wille sagt: „ich will meine Unterthanen durch Gerechtigkeit beglücken!" Der andere Wille sagt- ..Sehr schön! Zum Anbeten schön! wir wollen dafür sorgen, daß sie es nicht werden!" Rußland liegt in unabsehbarer Ferne von dem Ziele ab, zur Gewährleistung einer Etaatsrerfassung und innerer Ruhe zu gelangen, weil das Zusammenwirken von Oberhaupt und Unterthan nicht statt finden kann. Das warme Mcnschenherz hat nicht die Che geschlossen. Es ist ein Harem zur, Vermehrung des Menschengeschlechts. Ich will mm meine Betrachtungen durch die Loupe eines Russen gehen lassen, eines der Pamvhlctisten gegen Custine. Um diese von ihm nicht wegzuleugnende Corruption gegen die Verdorbenheit anderer Völker zu vertheidigen, sagt Tolstoi als auf sein Volk angewandt i „Dic Verdorbenheit der Völker in ihrer Kindheit ist weniger eine natürliche Frucht des Bodens als vielmehr Ergebniß schlechter Angewöhnungen, die durch Unwissenheit und Vorurthcil erhalten werden, sie gründet sich anf festgewurzelte Mißbräuche, welche die Gewohnheit mehr oder wenig geheiligt hat; hier ist Qcffcntlickc unl gel'cimc P^lizci. 183 das Laster unschuldig in stiner Unverschämtheit, es hat kein Bewußtsein über sich selbst, und gestützt auf zahlreiche Beispiele, findet es stin Benehmen ganz natürlich." Wenn der Russe selber Tratten ans seine Nation als Trassaten zieht, und deren Moralität als Valuta verschreibt, so darf er sich nicht beschweren. wenn damit Wechselreiterei getrieben wird, und das schlechte Papier sich Jedermann vom Halse schasst. Das Geständnis; von Liebenswürdigkeit des eigenen Vaterhccrdes genügt, um die Pathologie dieser Nationalität zu studircn. Wer hat aber dem Russen ein Kreditiv als Gesandter gegeben, womit er sich zu einem Urtheile über Nationen legitimireu kann, die seine unreife Ansicht nach dem Maaß ihrer TelbMiutnisi zu prüfen haben! — Kann die Nessel Feigen tragen, und der Upaö Mandelöl? — Russen! laßt Eure Eigenliebe erst auf dem Felde verfaulen, dann seht zu, ob Ihr Saat zu einem Urtheile auswerfen könnt über Nationen, die sich abmühten, Euch das A. B. E. beizubringen, die sich mit ihren BildungMitteln zwischen Herrn und Knecht legten, um zn Euerm Vortheil zu schaffen, und Euch begreiflich z:c machen, was Ihr erstreben mußtet, um nicbt auf dem Bärenfelle liegen zu bleiben. Es nimmt nicht für Euch ein, ivenn Ihr Diejenigen, die Eure Gebieter als Lehrer für Euch verschrieben, jetzt wie die ungezogenen Schulbuben ihre Wohlthäter behandelt. Bedenkt, daß man sich crst in Verhältnisse hinein gelebt haben muß, ehe man ein Urtheil darüber zu Mm fähig ist. und daß Ihr mit dem knechtischen Sinne den freien unmöglich verstehen könnt. Die Thür zur Erkenntniß ist niedriger als daß der dummstcife Kopf durchkommt. Wenn es unter Euch Anlagen gibt. fo fehlt es durch und durch an Wahrheit, Licht und Lauterkeit. Ihr kennt die Ehren, die mit dem Rauschen der Herbstblätter verrauschen, aber die Ehre, ä84 Bureaukratie. die dm Menschen erzieht, die kennt Ihr nicht. In dem Kreuze, das Eure Hand von dcr Stirn auf den Brustkasten mitten, links und rechts, in der Luft macht, besteht Eure Achtung für das Heilige, aber in das innerste Gemüth, in den Mittelpunkt des Menschen ist sie nicht gedrungen. Ihr verschmiert die Ritzen und Spalten der Gruft, in der Ihr Euer wirkliches Wesen verwahrt. Meint Ihr. Andere hätten den Schnupfen? Seht Ihr denn gar nicht den Leck, gegen dcn alles Pnmpen Eures Gebieters nichts hilft? Seid mehr als Ihr scheint, dann laßt sich über Zukunft mit Euch reden. Wenn an der Thür nur Waaren aushänge», im Magazin gibt's aber nur Fcigenblätterschürzen und Contrcbande, da sieht es windig mit Enerm Handel aus. Laßt von dein albernen Wahne ab, daß wenn Euer Niese das Wasser abschlägt, Europa ersaufen müsse. Jetzt sagt Euch jeder deutsche Bader, daß Goliath an Nervenschwäche leidet. Es kommt nicht darauf an, sagt Lichte nberg, ob die Sonne in einem Staate nicht untergeht, sondern was sie wahrend ihres Laufs in diesem Staate zu sehen bekommt. Ein Ausländer, ein treuer Diener ron einer Czariu und drei Czaren, hat 59 Jahr bei Euch als ein Vorbild der Unbestechlichkeit gelebt. Vielleicht erinnert sich mancher von Euch seiner, wenn ich sage, daß er kaiserlich-russischer General-Lieutcuant war, den Deutschen genügt der Name Kling er. Er meinte Euch als et schrieb' ,,Es gibt Länder, wo es Herkommen ist. den Staat zu bestehlen. Man erlaubt es wohl einem, ein Dummkopf oder ehrlickcr Mann zu bleiben; er hüte sich aber nur. daß dieses Verletzen des Herkommens nicht allzu ruchbar werde. Bei dcm Rückzüge der ersten aus dem Dienste sieht man recht, daß sie im Geiste dieses Ocffcntlichc und gchcimc Polizei. I8ö Herkommens gehandelt haben, dem: seine Verehrer lassen keinen dieser nnbelohut abtreten aber — weh den andern,' Diesen wird als Warnungszeichcn einer solchen Tugend ein schöner, aber schlecht nährender Lorbecrzwcig zugetheilt, den er. wenn es ihm beliebt, sogar in seiner einsamen Schlafkammer tragen darf, in der Einbildung nämlich/' I u sti > Die Wabcheit tn>gt ciu Tchwcrt, Gercchiigkclt liat c>< gl'schüucdct. Der Waffenschüncd Iiu Dienste Gvttcs g>au gcw^rdcu, Echan ist die Appe dcs Tchwntti«, Doch nicht vcrgiftct, O>^ tödtct !>u ehrlichm Kampfc, Karl Bcck. Naturrecht. Staatsreck't. Pnvatrccht und Moral haften wic vier Blätter am Kleeblatt nur an Einem Stiel „dcr Gesellschaft würdig sein." Aus allen Himmelsgegenden reicht die Vernunft der Menschheit dies Vicrblatt: „ich hab' es gefunden zu Deiner Ehre! " Auch da muß es dämmern, wo die Scrvitut aufrecht erhalten wird: n« tenebl-l8 otlieiatur. Die Zeiten sind nicht mehr, wo die Herren dcr Erde nur Gott und den Degen für Thronrecht erkannten, wo dcr Pudclgehorsam Tugend, uud der Trotz auf Gewalt der Auszug dcr Moral war. Dcr Fanatismus schleppt heute nicht mehr die Menschen nach dem heiligen Grabe., um von Luxus. Laster und Ketten zurückbegleitet zu werdm. Ein Fuß ist seit 1780 aus der Wiege gesetzt, und der andere steigt sichtbar nach. Völker freuen sich, und weise Fürsten mit. Die Zeit will keinen Despotismus mehr, weder von oben noch von unten. Das ist daZ moralische Ziel der Gegenwart. l)i«mn5 daß es so fortgehe, aber Handeln muß dabei sein. „Steh' auf und gehe! " hat die Stimme vom Himmel dem Gedanken zugerufen, und er steht auf und spricht: „Weg mit dcr Decke, die mir den Himmel verbirgt! " Gleichviel ob Jesuiten, Memas, Popen, oder Sultane und 490 Justiz, Sheiks dm Geist dcs Menschen in seiner Bildung hemmen, der Blick fällt da auf cine düstre Landschaft, auf keinen Plauenschcn Grund. Die Windc sausen melancholisch und beulen um das Dach, co wächst und blüht da Nichts zur Freude. . Auf das Mohnfeld kann Europa nicht wieder zurücksinken, auf dem zwei unbarmherzige Despoten die Köpft abschlugen. Auch der Despotismus erlaubt das geistige Vorwärts so weit, als es an den materiellen Fortgang sich heftet und seinen Egoismus fordert, sobald cs mir Mittel sein, nnd nicht zum Zweck sich machen will. Auch der Despotismus blickt, freundlich aus Civilisation und dcrm Fortschritt, aber er zertritt die Humanität, wenn sie ihn ans seinem Felde a/uirt, und mehr sein will denn er. Ein kluger Schäfer schecrt auch lieber cin veredeltes oder Mcrinoschaaf als ein schlechtwolligcs. Keine Regierung wird jedoch von einer Civilisation, die eine Macht geworden, gefragt, ob sie derselben den Eingang erlaube, sie muß daö Thor öffnen. Es ist der Genius der Menschheit, der sich fortbildet und nicht nach Sperre oder Eigensinn frägt. Etwas seht cr auf seiner Reise immer ab. Rußland ist daher cin treues Bild seiner Großen, sie scheinen alle Künste zu wissen ohne eine gelernt zu haben. Unter der dünn aufgetragenen Civilisatienöfarbc schimmert die garstige Grundfarbe zu stark hervor. Nußland kroch in die Form europäischer Civilisation und ließ sie auf der Oberfläche liegen. Das technisch Brauchbare für sein Regimen ward ausgebildet, sobald es die Hebclkraft des NegicnmgspnnzipK verstärkte. Wenn aiso die Verfassung Rußlands den Fortschritt in materieller Kultur zuläßt, ist ihm auch ein geistiger nicht abzusprechen. Justiz. l91 weil Eins an das Andere sich knüpft. Dieser darf jedoch nicht wagen, andere als erlaubte wächserne Flügel sich anzuschnallen. Allerdings haben die Nüssen seit Peter 1. gelernt in Betten zn schlafen, aber die allgemeinste Bettstelle ist doch noch der Ofen. Tic bauen Paläste und Kirchen, aber den Geschmack nnd die Lehrer liefert das Ausland. Sie sind zu richtigen Begriffen ron Pulver, Flinten und Kanonen gekommen, aber die richtigen Begriffe von Plitz und Donner hat ihnen ihr Krcuzschtageu bei einem Gewitter noch nicht beigebracht. Die Russen haben Fabriken, Manufakturen und in Petersburg große Zuckersicdcmcn, aber die Meister und Zu-ckersieder kommen aus der Fremde. Der russische auswärtige Handel ist bedeutend, aber in den Handen der Ausländer. Ein russischer Schacherer erster Gilde macht für Millionen jährlich Geschäfte, aber er versteht kamn in russischer Sprache einen Brief zu schreiben, und nimmt man ihm sein mongolisches Rechenbrett, so ist seine ganze ssommerzweishcit ein Nanb der Flammen geworden. Akademien und Universitäten liefern Maschinen, die schönen Künste und die gcsammte Literatur sind ausländische Pflanzuug von gar spärlichem Wuchst die höchstens inö,Holz treibt. Darf man auch nach der Ethik fragen? Wenn einst die Nüssen auf die Stufe gelangt sein werden, sich nicht mehr feierlich zu be trinkcn, nicht mehr zu kriechen und bei einer Bitte, wie die Würmer mit der Nase auf der Erde zu liegen, nicht mehr zu betrügen, wenn sie einst alle negativen Tugenden besitzen werden-, so ist von dieser Stufe bis auf die höherer Sittlichkeit noch eine lange Treppe. Mau betrachte dies Volk vou welcher Seite man wolle, immer stößt man auf den Mangel eines sittlichen Bodens. Wir haben den hchcrn Stand und den Leibeigenen m ihiem moralischen Werthe im 192 Justiz. Hellen gesehen, sic werden künftig noch deutlicher hervortreten. Wollen wir zur Vergleichung mit andern Völkern bis in das Son-terrain des menschlichen Lebens gehen, und den Russen auch da mit einem furchtbar gedrückten Volke zusammenstellen, mit dem Iren? Betteln ist in Irland eine Schande. Den irischen Bettler treibt die bitterste Noth. aber er deckt sie mit Scham. Der Russe bettelt aus dem Wonnegefühl des iwm in's Gefängniß geworfen werden kann? Aenßcrst gewandte Klugheit kann in jeder Gesetzgebung herr< schen und glänzen, aber nicht Weisheit in jeder. Jene geht politisch zu Werke, diese moralisch. Rom's Negierung vernichtete Völker unter dem Glänze seiner Klugheit, das Unglück bekam erst Aw gen, als ihm die Kette um den Hals paßte. Die Weisheit einer Gesetzgebung zeigt sich darin, daß sie kein Verstecken auf Kosten Anderer kennt, sondern mit der Wahrheit an der Hand öffentlich auftritt. Jeder Vogel baut sein Nest nach seinem Leibe und dem Gesetz seines Instinkts. Der Straus? reibt es in den glühenden Sand, der Adlcr baut den Horst auf den Fels in der kalten Höhe. Die Staaten machen es nicht anders. Die gebildeten bilden sich weiter und besser Justiz. ' 49? nach immer weisem ß^csetzcn. Andere fördern den Fleiß und preisen die Ameise als Beispiel, machen das Thicrchcn aber zugleich zum Gesetz im Weinberge nnd Fruchtgartcn, und die Gesetze despotischer Staaten sind Füchse, mit denen jeder Sinisou die Achrcn-feldcr der Philister verbrennen kann. Ehrfurcht vor dem Gesetz zeigt mit dem Finger alls Freiheit nnd Schutz; Furcht vor demselben auf dm Gend'arm und Beschränkung. Man vergleiche England uud Rußland. Was soll der Mensch im Tempel ohne Gott im Herzen, was ist er im Staate ohne Liebe zmn Gesetz! Ich bin überzeugt, der Kaiser Alexander sowohl wie sein Nachfolger hatten in ihrer Idee nicht blos eine Ukascnsammlnng vor Augen, als sie der Gcsetzcommission befahlen, ein Gesetzbuch für daS russische Reich abzufassen. Der Körper, den vorzüglich der gegenwärtige Kaiser erwartete, ist nicht Das geworden, ivas er sich versprach. Er wollte gewiß Vollkommeneres. Seine Absicht war gut, er wollte Recht und Gerechtigkeit, das bewies jeder Schritt gleich im Anfange seiner Regierung. Allein tief gewurzeltc Uebel konnte er durch Gesetze so wenig ausrotten, als ein Kranker sich zn heilen vermag, wenn er das papiernc Rezept des Arztes verschluckt. Rußland hat nichts gewonnen, daß die Bedrückung nach einem Code« geschieht. Einige hundcrt keunen die Gesetze. 50 Millionen, die darnach gerichtet werden, kennen sie nicht, und diejenigen von ihnen, welche von dem Vorhandensein eines Codex gehört haben, und sich Recht darnach holen wollen. kommen mit Rnthen für sich selber zurück. Dieser 8>vo chen? Dieser Vorschuß erneuert sich jedesmal bei einer Bitte um schnellere Förderung des Prozesses, wobei sich wieder die Klagen des Nechtsbcistandcs ergeben, dasi die Forderungen des Sekretärs der Behörde zu hoch waren, daß man jedoch ohne diese Opfer durchaus nichts auszurichten vermöge. „Sehen Sie. sagt er, die Sache ist schwierig. Nach einem Paragraphen der Gesetze müssen Sie zwar ohne Widerrede gewinnen, allein da ist noch ein anderer Paragraph, der diese Stelle zweifelhaft macht, und in einem dritten läßt derselbe Sinn des Gesetzes eine Zweideutigkeit zu. Um uns also sicher zu stellen, muß ich mehre Personen ans unserer Seite haben. Sie wissen, das geht bei uns nicht ohne Geld. Ich will Ihnen daher gleich einen flüchtigen Ncbcrschlag machen, was wir für's Erste nöthig haben, damit Sie sehen, wie gewiß ich meiner Sache bin. Der Sekretär nimmt für sich zur gründlichen Einleitung der Sache nur 200 Rubel. Er muß den Präsidenten gewinnen, er gibt ihm aber nicht mehr als er selbst bekommt, also auch 200 Rubel. Der Stolnatschalnik, der die Sache in die Hände bekommt, kann mit 50 Rubel zufrieden sein. Für kleine Ausgaben in der Behörde rechne ich nur 23 Rubel. Ich selbst brauche jetzt zu Fahrten, Stempel und dergleichen blos 100 Rubel. Sie haben also, um die Sache gleich richtig zu fundircn, vor- Justiz. 201 läufig ^umm.-l 8umm.-»sum 575 Rubel Banco zu zahlen. Höchstens in zwei Monaten ist die Sache entschieden und Sie am Ziel." Das Allernatürlicbstc jedoch für ten Clienten ist, daß alle Vorschüsse, alle Opfer auf ewige Zeiten in den Abgrund der Justiz gefallen sind. Eine ihm vorgeschwindelte Wiedererstattung vom Gegenpart hat er nimmer zu gewärtigen. Daß der Rcchtsbcistand auch die Angelegenheit des Gcgcnparts zugleich führt, und denselben auf gleiche Weise über das Ohr haut. ist keine Seltenheit. In Petersburg und Moskau atwocirt übrigens Jeder, der zu der Krutschkiwisscnschaft eine» innern Beruf fühlt. Der Copist, der Sekretär, der außer Brot Gefetzte, der verabschiedete Offizier, Alles was Finger hat zu schreiben und Zunge zu betrügen, gaunert als Streptschik in den Falten des Unterrocks der gefälligen Themis herum. Fand ich doch in dieser Ehrenlegion auch einen abgedankten russischen Kaufmannsprikaschtschik (Commis) der sich zu recht ansehnlichen Geschäften brauchen ließ. Der Unfug, der in's Unverschämte geht, könnte nicht statt finden, wenn die Unwissenheit einer Seitö, und die Nichtswürdigkeit auf der andern Seite nicht so groß wären. Welche Menge Beispiele könnte ich anführen, wie rechtschaffene Menschen durch Auf-dringlinge oder Angepriesene dieser Gauncrkaste um ihr Vermögen geprellt, und wie durch diescS Geschmeiß Dokumente gemacht wurden, deren salschc Anfertigung in andern Ländern allgemeine Verachtung, Pranger und Zuchthaus bestraft. In Petersburg erzählt es Einer dcm Andern ohne Staunen über Ungewöhnliches. In den Ostsceprovinzm ja, da hab' ick Rcchtsgelehrte unter Beamten und Advokaten gefunden. Unter ihnen war ein Advokat Struvc. jetzt auch dort M 202 Justiz. op lim 6, dessen gesunder Kopf Nußland einen Gefallen zu thun meinte, wenn cr eine allgemeine Gerichtsordnung für das Reich entwerfe, woran cs wie der Regen einem dürren Sommer fehlte, fehlt und immer fehlen wird, weil gerade Ordnung der vortreffliche Bcfcn wäre. der das Kehrig in einem Winkel zusammenfegte, und Reinlichkeit und Reinheit in die Staatskammer brächte. In einer geordneten Haushaltung läßt sich jede Unordnung entdecken, e»'3o fort mit der Ordnung die auf Finger und Sachen guckt! Strnve sandte sein gnt ausgearbeitetes Werk nach Petersburg an einm Freund mit der Bitte, es Speranski einzureichen. Der Freund brachte cs mir zur Durchsicht. Das Werk war für Rußland ein wahrer Schatz, allgemein passend, nnd mit mehr Sachkenntniß geschrieben, als je ein russischer Gcsctzkommissär an Verstand von sich gegeben hat. Jene Bitte enthielt den Wunsch, der Freund möge Speranski das Manuscript persönlich einreichen. Da er aber der russischen Sprache nicht mächtig war, so rieth ich ihm, sich znr Unterhaltung der lateinischen Sprache zu bedienen, da ich gewiß wußte, das Spcranski in dieser Sprache sich ausdrücken konnte, wenn auch nur als Popensohn im Popen-styl, ohngefähr wie einer dieser geistlichen Bärte mir seine Seminar-Weisheit bei Betrachtung eines Landschaftsgemäldes auskramen wollte! ,,1ne 5unt »«im «t kovi ol, nmili Iiommi!" Struve's Freund klagte, mehrmals vergebliche Gänge gethan zu haben, dcr Kammerdiener weise ihn immer ab, „der Herr sei eben zn sehr beschäftigt, er habe verboten, Jemanden vorzulassen." Ich lösctc ihm das Räthsel, er möge nur dem Diener einen kleinen Silbcrling in die Hand drücken. Richtig, das nächste Mal öffneten 25 Kopeken Silber mit vieler Bereitwilligkeit die Thür. Die Latimtät sprudelte wie ein ergiebiger Quell aus dcm Justiz. 203 Munde des Eintretenden. Speranski hörte lange und aufmerksam zu, und antwortete laut und vernehmlich auf die deutliche lateinische Aussprache russisch: ,,M ns ra^umhu pa nmu«>xki! (Ich verstehe nicht deutsch.) Fowonte i>o ru^ii" (Sprechen Sie russisch!) Der Deutsche radcbrechte doch soviel verständlich, daß der Strnvcscbc Fleiß zwar angenommen, aber auch begraben wurde. Als auch Balugianski an dies brauchbare Werk erinnert wurde, äußerte er: „Eine Gerichtsordnung brancht Nußsand nicht, das sind Ideen für Deutschland, die Deutschen können uns aber nicht belehren, was in unsrer Legislatur nöthig ist. Die Gerichts» ordnung ist bei unS musterhaft, und kein Staat kann sich in dieser Hinsicht Nußland gleichstellen." Wenn die Gerechtigkeit einst ihre Macht in Rußland bewahren, und freundlich, ernst und liebreich zu den Menschen das Recht reden wird, dann wird auch die Menschheit darin frei athmen. Die Gc-setzgebnng wird dann wo sie nicht erleuchtet hat, oder nicht erleuchten kann, Nachsicht haben. Auch die Natur ist in Gesetzen, aber ihre dienenden Kräfte sind keine Satyren darauf. Die Menschheit bewegt sich nnd schreitet vor durch Gesetze, aber Blätter mit Schand« flecken grünen nicht unter ihrem Laube. Die Gerechtigkeit ist's, die der Gesetzgebung sagt, sie dürfe den Schatz des öffentlichen Wohls an Die nicht verschwenden, die Nichts dazu beitragen, und das Gesetz müsse über Alle im Staate im gleichen Niveau stehen. Warum läßt sich wohl Rußland nicht zu der Gnade für Europa herab, nnd schließt die Todtcngruft ans, in welcher es die Kinder der Themi«, die abgeurtheltm Rechtssachen so behutsam verschließt? Ich verstehe darunter nicht das Verlangen, es möge dem Veispiclc derjenigen Staaten folgen, in denen die OeffentWkeit des Gerichts- 20H Justiz. Verfahrens die Finsterniß vertreiben hilft. Ich will vielmehr damit die Ansicht aussprechcn, daß es überhaupt Staaten und Einzelnen vom größten Nutzen wäre, wenn Fehler in bestehenden Verordmmgeu und dem Verfahren nach denselben, wodurch das Ganze leiden könnte, freimüthig und ohne Furcht deshalb für einen Rebellen angesehen zu werden, zur öffentlichen Kenntniß gebracht werden dürften. Wie auch eine Regierung angegriffen werden möchte, das gute Gewissen und der Wille, nur das Gemeinwohl vor Augen gehabt zu haben, würde sie nicht nur beruhigen, sondern ihr auch die Haltung geben, die sie nie ohne Vertheidiger lassen würde. Nur der Egoismus, das Verdächtige umgibt sich mit Geboten, der Prüfung und dem Tadel nicht ausgesetzt sein zu wollen. Wennauch Deutschland sich noch keiner Ocssentlichkeit zu rühmen hat, so freut sich doch der Menschenfreund über den Fortschritt, welchen die Humanität in der Rechtspflege gethan hat, und den unbestochmc Genien des Rechts weiter zu fördern streben. Ich bekenne mich zu einer besondern Vorliebe für Prenßens Iustizvcrfaffnng. Das was seit 100 Jahren darin gefördert ist, auf der festen Basis des Vertrauens des Mndmütters gegen den Trotz des Weisen auf dem Throne: „ da müßte kein Kammergericht in Berlin sein!" das ist's eigentlich was Preußen den schönen, ewigdauernden Ruhm in der Geschichte gesichert hat, ein gerechter Staat nicht zu scheinen, sondern zu seiu. Daß Preußen der deutsche Vorfcchter für Licht wurde, war eine natürliche Folge jener Basis, und daö im ganzen preußischen Volke vorspringende Rcchtsgefühl, durch diese Basis geworden und gekräftigt, kann dem gesunden, hellen Bewußtsein desselben nur Liebe und die höchste Achtung gewinnen. In der preußischen Gesetzgebung herrscht cine Actuation deS Justiz, 203 Rechts für alle Stände mit einer Rechtschaffenheit gclöset, daß daraus immer nur Edles und Großes hervorgehen kann. Ich finde darin anch den Hebel zn dem Ruhmc von 1813 des preußischen Volks. Nicht Hceresmacht, mit den Nnsscn vereint, war es, die an dem Hcbclsarme drückte, und die gewaltige Wnrzel aus deutschem Boden hob. wie Lichen und Bautzen bewiesen, sondern der Volksgeist. Dieser Löwe hattc schon in den Jahren vorher die Mähne über das ungewohnte Unrecht geschüttelt, und als cr anfstand im Vertrauen ans Recht und zu Recht, da brach das Eisen wie mürbes Holz. Warum hat Rußland das Nachbarland nicht als Muster zur Nachahmung in der Instizverfassung angenommen, warum um immer in Form und Einrichtungen des Militairwcsens? Die preußische Regierung öffnet ihre Registraturen des Rechts Allen, welche durch Sammlung von Beispielen, sowohl ans dem ssivil- als Cri-minalprozeß, den Geist preußischer Gcrechtigkeitspftege bekannt machen, und zur Förderung allgemeiner Gerechtigkeit beitragen wollen. In civilisirten Staaten geht der Nechtslichendc mit Vertrauen zu seiner Obrigkeit. In Nußland zwingt nur die Noth zu dem Schritte, um Hülfe von dem Fornm seinsollender Gerechtigkeit zn bitten. Man wählt lieber einen empfindlichen Verlust, als durch einen Prozeß oder eine Klage sich einem noch empfindlichern auszusetzen. Armen ist das Klagen m neuem Zeiten durch Erhöhung des Stcmpelpapicrs noch mehr versperrt worden als es schon war. Verzüglich der Dürftige, die Mehrzahl der Bevölkerung, wo ein Rubel schon eine bedeutende Ausgabe ist, kann sich jetzt selbst in einer ge--ringen Polizeiangelegenheit an den Oberpolizeimeister nicht wenden. 206 Justiz. ohne die Eingabe auf einen Stempclbogen von 1 Rubel, sonst nur von 50 Top. zu schreiben. Man frage den Handwerker in Petersburg. Moskau und überall, welche Verluste er erleidet, nur durch freiwilliges Entsagen seiner gerechten Forderungen an Große und Kleine als seine Schuldner. Oft mit der unverschämtesten Abweisung des Rechts wird Der behandelt, der durch Fleiß und Rcchtschaffcnhcit dem Staate tausendmal nützlicher ist, als der vornehme Nichtsthuer, der in verschuldeten Kleidern, in unbezahlter Equipage, von im Lombard versetzten Bedienten vor einem Tribunal ans dem Wagen gehoben wird. Jener sieht nnd ersährt es von Andern, daß all sein Mahnen, seine Gange vergeblich sind. Er mnß klagen, falls seine Umstände der Art sind, daß ihm ein Aufgeben seiner Forderung nicht zu schmerzhaft wird. Sein Haar sträubt sich schon bei der Klage. Es ist ein Va lumc, welches die Verzweiflung wagt. Eine Gerichtsordnung gibt es nicht. Niemand weiß sich in dem Ukasmgcwirre selbst zu helfen. Man nimmt die Zuflucht zu einem Schlendriankenncr. und einer betrügt wie der andere. Viele sehen sich genöthigt, im Lauft des Prozesses diese Handlanger der Krutsch-kiwissenschaft zwei, dreimal zu wechseln, jeder empfängt seinen Vorschuß und hilft seinen Clienten ausplündern. Weder Kläger, noch Beklagter, noch Zeuge hat einer gerichtlichen Citation entgegen zu sehen, die ihn mit dem Zweck seiner Vorladung bckaunt machte. Ein Flick Papier, von einem Papicrbogen gerissen, von einem Kanzlistcn oder Sekretär unterschrieben, manchmal auch gar nicht, sagt blos, man solle in die Kanzln kommen. Citirt die Polizei, so gibt ein Soldat ein Blattchcn, wie eine Visitenkarte groß, mit dcm Namen des Citaten, dem HauS-kerl. 8^i5. Justiz. 207 Der Vorgeladene erscheint in der Kanzlei. Niemand weiß etwas von der Citation. Oder er hört, er möge wiederkommen, heute sei keine Zeit, oder der Sekretär abwesend. Die Instruktion geschieht entweder nichtehrfnrchtverlangmd in der Kanzlei von einem Schreiber, oder ehrfurchtgcbietend vor dem scharlachrothen Tische und dem Gcrichtsspiegel darauf, auf dessen drei Seiten großgcdruckt steht, wie die Leute im Angesicht dieses Spiegels sich zu benehmen haben. Bei diesem Prisma fiel mir jedesmal Gcßlcrs Hut auf der Stange ein. „Ei! wünschte ich auch bisweilen, natürlich sprach ich den heißen Wunsch nicht aus, wenn doch einer wenigstens aus der reichen hinterlassenen Erbschaft von tüchtigen, noch sehr brauchbaren Stöcken Peters ans dem hölzernen Gcrcchtigkcitskästchen hervorbräche, und auch den versammelten Gerichtsrückcn ihr Benehmen nnt schlagenden Gründen vorhielte! " Aber Peter auf den Gcrichtstischcn kümmert sich jetzt so wenig um Nußland, wie zu Pserdc vor dem Senat. Der Citat ist da. Nun folgt die Instruktion. Der Präsident, vier oder mehr Mitglieder nehmen eine ernste, höchst wichtige Miene an. Sie blicken nicht auf, sie blättern still in Akten. Der Sekrc-tair beleckt den Falz eines Bogens Papier, reißt die Hälfte ab, falzt diese iu Quartform. und hebt «M^l lorm^iiu ani „Wie heißen Sie? wie alt sind Sie? An welchen Gott glauben Sic? Sind Sie gesetzlich zum Abendmahl gewesen und m welcher Kirche? u. s. w. Oder auf das Quartblatt wird eine Aussage geschrieben. Man liefet vor und läßt unterschreiben. DaS ist Protokoll und Instruktion. Nach der Instruktion besprachen sich einst Sekretär und Beklag- 208 Justiz. tcr im Haust dcs Letztern, und dieser wünschte im Protokoll eine Aenderung. „ Nun gut, tröstete der Sekretär, das Protokoll zerreiße ich, und schreibe ein neues! " „ Soll ich dann morgen zu Ihnen in die Behörde kommen um zu unterschreiben?" ,M naäa! (Nicht nöthig, daß Sie sich einer solchen Kleinigkeit wegen bemühen, Ihre Hand ist nicht schwer nachzumachen, ich unterschreibe statt Ihrer." Ein Ausländer X., der russischen Sprache vollkommen mächtig und die Schelmereien in dcn Tribunalm kennend, täuschte durch das Vorgeben, er spreche nur schlecht das Russische, lest und schreibe es gar nicht. Das war Wasser auf die Mühle. Der Stolnatschal-nik schrieb das Protokoll in der Kanzlei. Er las es X. ganz so vor, wie es nach dessen Erklärung hätte sein müssen. Er sollte nun unterschreiben. Da überblickte er völlig das Gegentheil seiner Aussage. Jetzt ließ er stin Russisch los in rechten Kern-ausdrücken, wie der Russe behandelt stin will, und sich behaw deln läßt, wenn er aus einer Gauucrci ergriffen worden ist Manches ,Mt," als der scheußlichste Fluch in Mund und Ohren, flog um die betroffenen Tschinownike so laut, daß ein Mitglied des Collcgiums aus der Thür trat und nach der Ursach dcs Zorns ftug. „Hören Sie selbst, was in Ihrer Kanzlei für Niederträchtigkeiten begangen werden, lesen Sie dies Blatt! " Da wurde das Blatt blitzschnell X. aus den Fingern gerissen, und war im Nu von einer Hand in die andere verschwunden. „Sie haben gesehen?" Justiz. 209 „Was soll ich gesehen haben! " „Wie man mir das Papier eben ans dcr Hand riß." „Ich habe Nichts gesehen! " Nun mußte F. siir seine Hitze die Drohung anhören: wenn er sich noch einmal in solchen Beschuldigungen vergäße, die cr nicht beweisen könne, so solle er dem ssriminalgericht überliefert werden. Ich darf wohl mit Gewißheit annehmen, daß außerhalb Rußlands noch nie der Gang eines Prozesses vor russischem Forum gelesen worden ist. ^Da bin ich nun so glücklich, mehrere Musterbilder zu besitzen, und mit dem Weihrauch, der im Tempel russischer Iu« stiz üblich ist, räuchern und bekannt machen zu können. Unter mehrern frischen Exemplaren will ich ein Veilchen mit der Wurzel ausheben, welches durch seinen Dnft gewiß allgemeine Anerkennung seines innern Werths sich erwerben wird. Ich bedauere nur. daß der Gegenstand nicht ein allgemein interessanter ist, der an alle Herzen des Jahrhunderts rührte, z. B. eine Eisenbahn oder eine halbe Million Thaler und dergleichen. Die Sache betrifft blos die Kleinigkeit, daß Eltern ihr Kind gestohlen wurde. Der Vater des Kindes hat 20 Jahr in Nußland gelebt, war geliebt und geachtet, uud hat jetzt in seinem Vaterlande nur zu bereuen, daß cr jenem undankbaren Lande die Hälfte seines thätigen und nützlichen Lebens opferte. Er erzählt selbst mit dcr gewissenhaftesten Treue. Die Thatsache in ihre Faktoren zerlegt, gehört der Philosophie aller Guten, als Gegenstand gerichtlicher Verhandlung dem Urtheile dcr Rcchtsgclchrtcn aller gebildeten Länder. Sie ist als Familiengemälde ein Beitrag zum Sittenbuchc Petersburgs und zur Kenntniß des menschlichen Herzens, und stellt das Prisma russischer Justiz auf, um hinter demselben dic Strahlenbrechung zu sehen. N>!ßl,',l,d. II. 14 2<0 Justiz. Es ist in Rußland ein alltägliches Manöver, daß des Einzelnen Untergang beschlossen wird, sobald sich mehre in Gefahr sehen, mit ihren gegen ihn verübten Ungerechtigkeiten zur Verantwortung gezo? gen zn werden. Ns ist nicht nöthig, daß ein dergleichen sauberer Bund eine Schcinbasis habe, auf welcher opcrirt werden kann, man bricht den Knittel vom Zaume, man erfindet, man lügt, und — es geht. Wieviel hoch und niedrig gestellte Männer, mit und ohne Schuld, unterliegen diesem systematisch gewordenen grünlichen Verfahren! Kein Minister, kein General, mögen seine Handlungen rein wie geläutertes Gold sein, geht an diesen Höhlen vorbei, ohne die spitzen Natternkövfchcn darin zn bemerken, oder auch von ihnen angefallen zu werden. Sie bissen einst zu Alexanders I. Zeit einen von Kaiser und Biedermännern geschätzten Mann, blos weil sie sein finsteres Auge auf ihre Thaten scheuen mußten, dergestalt, daß der Kaiser nicht umhin konnte, den redlichen Mann wegen schändlicher Beschuldigungen unter eine Untcrsuchungscommifsion zu stellen. Jahre dauerte diese, Schuld konnte man nicht finden, und doch wurde weiter gebohrt, um ztt finden. Hätte dieser Manu, der nachmals für Rußland so wichtig wurde, den Kaiser selbst und noch cincn Ehrenmann nicht zu Stützen gehabt, er hätte den Nattern unterliegen muffen. Tie Untersuchung wurde nicht geendigt. Der Monarch griff in das Nest und schleuderte es auseinander. Ich könnte Bände voll nur von dergleichen Beispielen schreiben, nicht die ich vom Hörensagen kenne, nein, die durch meine eigenen Hände gegangen sind, um der Ehre und Unschuld beizn-stehen. Ich habe den vorliegenden Prozeß mir absichtlich crbetcu, wcil Justiz. 211 er der Scclc russischer Justiz recht starr in's Gesicht schaut. Auch in dicscm Falle weist ich den Leser auf jenes Natternbündniß hin denn in diesem Prozesse waren soviel Abscheulichkeiten von Polizei-und Gerichtswegen verübt, daß der Appellationsinstanz nichts übrig blieb, als gegen Viele die Criminal-Untersuchung zu eröffnen, oder zu gewärtigen, daß die Sache vor den Kaiser gebracht wurde, falls ihr Urtheil in den Ton der vorhergegangenen Behörden hätte einstimmen wollen. Dieser Gefahr besonders mußte vorgebeugt werden. Man kam ihr zuvor. Man erfand, log geradezu, und es gelang. Meine obige Behauptung wurde bethätigt, der Einzelne, der Rechthabcnde, mußte fallen, damit Viele stehen blieben, und dem Monarchen nicht Gelegenheit gegeben werde, ein großes Echlan-gcumst seiner Beamten mit einem Male zu entdecken. Meine Erfahrungen in der Iustizscheune Nußlands sind größer als die des Bctheiligtm in diesem 11jährigen Prozeß. Ich mache daher auf Folgendes vorläufig aufmerksam. Von der Appcllationsbchördc wurde gar kein Urtheil gefällt. Verschleppt war die Sache, darin nichts gethan, der Sünden gab es viel und der Sünder nicht weniger. Irgend einer aus der obern Region in den Aktenschränkcn rührenden Haud ward der Aktmfascikel zum Kleinhacken mit untergeschoben. Ich wette darauf, daß diese Hand nicht die des Iustizmi-uistcrs war, sondern eine sich gern in Alles mischende, nach Verdienst suchende, es patriotisch billig findende, lieber einen Ausländer mit seinem trotzenden Rechte mit Gewalt und hinterlistig zu entfernen, als eine Menge Landeskindcr wegen Schändlichkeiten dem Zorn des Kaisers preis zu geben. Die Zukunft wird näher belehren, ob ich mich in meiner Ansicht täusche oder nicht. Der Russe vorzüglich, ohne Boden und Reif, der in seinem Lc- 14' 212 Justiz, bcnslaufe, durch Fortuna's Gunst in den Rücken gestoßen, von unten nach obenhin stolpert. vergißt in den ihm ungewohnten nnd daher ihn blendenden Strahlen gar zu leicht den weisen Zuruf: Uebrigcns kann es mich und gewiß Jeden, dem die topographisch moralische Karte von Petersburg nicht fremd ist. nur freuen, daß ein von russischer Justiz Gemißhandelter dem Machtspruche des Kaisers nicht die Schuld unterlegt, weil er von dem Gercchtig-keitswillen des Monarchen eine reinere Ueberzeugung hat als Diejenigen, die ihn zu Irrthum induciren. es mag aus Malice oder Ignoranz, oder aus einem andern Grunde geschehen. Ich habe mir die einzige Freiheit erlaubt. um meiner Formel für unbekannte Größen treu zu bleiben, den wirklichen Namen fremde zu substituircn. Das geht an. Nicht der Name, sondern die Sache. Der Auszug eines Briefes, so weit er Rußlands gedenkt, begleite. „Auch ich bin in Arkadien geboren!" Das soll heißen, ich fühle daß ich wieder in meinem deutschen Vaterlandc bin. „Ein schönes Arkadien mit seinen 39 Schäfereien!" lachten einige Unitisten, als ich mich derselben Worte in einem öffentlichen Garten bediente. Ehe ich sie aber weiter exklamirm und mich con-demmrm ließ, unterbrach ich: „Meine Herren, ich komme direkt aus Nußland!" Da schwiegen sie, und stießen mit mir an: „Vivat Oerm.inia'." Ich wünschte, ich könnte jedem Deutschen mein Wonnegefühl einflößen, daß ich in Deutschland bin. Das ist aber eine Nnmög/ Justiz. 213 lichkeit. Man muß das Vaterland entbehrt haben, und recht schmerzlich stets daran erinnert worden scin, um ganz Das zu empfinden, wie einem zn Muthe ist, wenn man wieder den Pillsschlag seines gemüthliche» Herzens fühlt. Da höre und left ich, daß viel hundert Kinder auswandern, die nichts mehr von ihrem Vater- und Muttcrheerde wissen wollen. Wegen Mangel an Brod? Nein! sie nehmen recht hübsche Summen mit. Schade, daß ich sie nicht bereden kann, an den großen Strom von Mandelmilch mit Rosmhonig versetzt, dort cm Stückchen noch über dem 60. Grade nördlicher Breite dicht an der neuen Pub kowaer Sternwarte, zu wandern, um daselbst an den Obstruction«! und Verschlcimungen von Milch und Honig für ihren tollen Gedanken zu büßen, und Jesum Christum so wie ihr Vaterland besser kennen zu lernen. Wenn ich die Gabe eines Peter von Amiens besäße, ja wahrhaftig ! ich predigte den unzufriedenen und ultraungcduldigen Deutschen nicht einen Krcuzzug zu Erobcrungcu, soudcrn zu einem Quaszuge, um sich an dein russischen Labsal recht satt zu trinken. Ich bin überzeugt, daß es dann zu Einem Deutschland in Gesinnung käme. Wenn mir unsre wahren deutschen Schriftsteller nur helfen möchten, einen Gang in die frische Milch im großen Eiskeller zu Stande zu bringen, das Wcißbrod dazu zum Einbrocken möchte ich wohl liefern. Der Eisbär müßte den Wanderern erst mit seinen Tatzen die Fliegen auf der Nase todtschlagen, dann würden sie gleich den verspotteten Michel wieder aufsuchen und streicheln, sie im Hanse zu behalten. Kennen Sie die Rothschild'schc Gcneralpumpe? Falls nicht. 244 Justiz. so kann ich Ihnen das lehrreiche Bild schicken. Wenn ick an diesem Pumpcnstengel auch hätte mitdrücken können, wissm Sie wozu ich gepumpt hätte? Kein Deutscher hätte auswandern dürfen, weder nach Brasilien noch Tejas, noch sonst wohin. Ich hätte sic alle gut besoldet, in Reih und Glied gestellt, hätte mir von keiner Majestät oder Königlichen Hoheit nur eine Maus Hülfe erbeten, sondern hatte mein Heer an der russischen Gränze aufgestellt, und Hurrah! Vorwärts! ich hatte ans den Heerd des Vaterlandes ein Andenken mitgebracht, von dem Millionen hätten leben können. Unstreitig hätte sich flugs ein Verein gebildet, der ein Denkmal für mich in Vorschlag gebracht hätte. Allein cs ist bei dem Hatte und Hätte geblieben, und ich habe von meiner Reise nichts mitgebracht als die mathematische Gewißheit, daß ich freiwillig den Kopf eher in ein Faß mit baier-schem Bier oder Moselwein steckte, und mich ertränkte, als daß ich noch einen Trunk aus dem russischen Mandclmilchstrome schluckte. Brauchte ich Sie. Freund, wohl zn versichern, daß mir von dem Zeuge heute noch so übel ist, daß wenn ich nnr daran denke, mein Gesicht sich verzieht, als ob ein russischer Spion als Pnrganz mir in den Eingeweiden säße, und mir eben in's Gekröse schriebe: „ Wir reden an der Newa eben so frei wie an der Seine und Themse!" Gibt's denn bei Ihnen auch Russenfreunde? Hier hab' ich welche aufgestöbert. Doch die Gärtner machen an den Bäumen unten am Stamm einen breiten Ring mit Theer, damit das Ungeziefer nicht höher kriecht. Russische Spione wachsen aber gewiß in Ihrer Gegend auch. Der harte Winter soll ihnen, zur Freude aller Gutgesinnten, doch nicht geschadet haben. Ein zähes Leben! Hasen und Repphuhner sind erfroren, sie nicht. Einem dieser Würdenträger begegnete ich in Leipzig. Sie können sich meine Freude Justiz. 2l3 kaum oorstellen. Der ganze Brühl roch nach ihm. 6s ist doch cine wohlthätige Einrichtung der Natur, daß sie den Juchten- lind Visamschwänzchen - Geruch nicht loswerden können. Mais laissons ceLLc j>lacc et cos homines pervers! Sachez <[ue je vivrais dans le fond des deserts Du travail do nies mains ehez mi peuple sauvage Plutol ({lie de rainper dans leur dur esclavage. Sehr heiter kann es mich stimmen, wenn mich Jemand fragt, wie es mir möglich gewesen sei, 20 Jahr in Rußland auszuhalten? Gewöhnlich fange ich dann meine Antwort damit an: „ Nicht wahr, im Hintergründe Ihrer Frage dammert's, es müsse doch nicht so gar schlimm sein, wenn man zwei Dezennien dort ausdancrn könne? Dann fließt mein Mund über, alö ob es 40 Tage und 40 Nachte obne Aufhören geregnet hätte, und ich freue mich, daß meine Fluth beim Zurücktreten anch daö sterilste Sandfcld mit der Ueberzeugung befruchtet hat, man könne unter Bedingnngen innere Zufriedenheit, inneres Glück selbst in Sibirien fühlen, ohne daß diese Wüste deshalb zum Elysium werde. Indeß hatte ich doch in meinem 20jälmgeu Exil Manches verlernt. Ich bin es erst hier gewahr worden. Wußte ich doch nicht mehr was Frühling nnd Herbst war. Das ganze Jahr war mir in einen achtmonatlichen Winter, in einen zweimonatlichen Sommer nnd in noch zwei Monate zusammengeschrumpft . die weder in der heißen. noch gemäßigten, noch Eiszone vorkommen, es ist etwas ganz Apartes, welches das Gefühl von Schauder erweckt, obwohl diese Empfindung die eigentlich vorherrschende im ganzen Jahre ist. Die erste Zeit meines Aufenthalts in der lieblichen Zone machte ich freilich die Hoffnung auf einen Lenz mit den Eingcborncn mit. 216 Justiz. wcnn gegen Ende April dic schmnhigc Eisdecke dcr Newa brach, und nun wochenlang noch die abkühlenden Lüftchen von Grönland und Kamtschatka hcr den Schweiß von der Stirn küßten, wcnn Ende Mai die Linden im Sommergarten immer noch zn blöde waren, ihr flatterndes Sommerkleid anzuziehen aus Furcht sich zn erkälten. Allem als darauf unmittelbar eine Hitze folgte, daß ich manchmal wie Abcdnego im brennenden Dfen hatte Baß singen mögen, da wirkte das Ncwawasscr wie ein Glas Lcthewafser, und purgirte mir jeden Glauben an Frühling ans dem Leibe. Ich habe in der Sonucngluth den blühenden Faulbaum gesehen, uud den Gehorsam der Erde auf daö Gebot des Himmels in einem warmcn Regen' „heute Nacht kleide dich grün, und schmücke dich mit Blüthen!" Aber ich habe keine fröhlichen Boten gesehen, die den Jüngling mit der Liebe in der warmen Brust verkündeten. Müde ging ich mich um eine Lerche zu hören. Hie und da war eine gekommen, aber der kalte Regen mit den Schneckristallcn da° zwischen vertrieben ihr das Singen wie mir. Das herrliche Blau» äuge dcs Himmels hab' ich gesucht, und ein kaltes, fahles Gran nannte mich einen albernen Schwärmer, der den ewigen Fricdm suche, und die Aesthetik im Entcnstalle studircn wolle. Das Verlorne, Vermißte hab' ich nun wieder! O nur des Freundes Herz kann mich verstehen. Als ich den Jüngling im Hirschberg Warmbrunncr Thalc wiedersah . da war ich auf der Verlobung der Natur. Die Titanen hatten grüne Lauben gebaut, an den Hügeln hingen Kränze, die Felder und Wiesen standen in Atlas und Taffet, und zwischen den unzähligen schneeweißen Beeten der Bleichen lagen lange, lange Blumengnirlandm. Ueber und neben mir jubelte das luftige Völkchen über seine Freiheit wie Johann der muntere Seifensieder. Justiz. 24? Mitten durch das Thal ging die Braut, die Liebe. Herzen flatterten vor ihr hin, und streuten Nosmblätter auf den Weg. Und wundervoll schön blickte das reine Sonncnaugc mit der dunkeln Vergißmeinnichtiris auf die große Fcier der Liebe. Ueberall tönte Mozarts: „Alles liebt und paart sich wieder." Da schoß ein Finke vom Baume herab auf den Nebenbuhler im Grast, dort cinc Lerche aus der Höhe in'ö Kornfeld zur Braut, daß ich mich in Gdankcn in die Newöki^ Perspektive versetzte, wo auch kein Mädchen vor den Finken bei hellem Tage sicher ist. Sie merken, daß mir Rußland immer zärtlich im Kopfe liegt. Zwanzig Jahr schassen Gedächtniß. Den Kynast hab' ich auch unverändert wiedergefunden. Als ich auf der Mauer stand, von welcher so viele ritterliche Narren, einer Kumgunde mit dem russischen Herzen wegen, den Hals brachen, da stürzte mein Phantasus den Despotismus den Thoren nach in den schauerlichen Abgrund, und da lag er an richtiger Stelle. Daß es aber blos mein Phantasus war, der die Frcvclthat beging, das beweise ich der Welt durch ein Bruchstück seiner gcsuud fortdauernden Existenz. Ich sende Ihnen. treuer Freund, nämlich nach Ihrer Erlaubniß meinen vierzehnjährigen Prozeß in Petersburg, als Muster russischer Justiz und als Leitfaden zu juristische» Vorlesungen auf deutschen Universitäten. Sauer ist es mir geworden, mich durch das Sodom durchzuarbeiten. Wenn man bei dein lautersten Bewußtsein, nur Tugend geübt zu haben, wenn man unter Bethcurung bei der Heiligkeit jeder Tugend der Welt mit dem reinsten Gewissen vor Augen tritt, und dennoch sagen muß, von der Justiz eines Landes, welches, wie scinc Freunde und Emissäre Europa ins Gesicht sagen, sich vor 218 Justiz. andern civilisirten Staaten aus Gewissenhaftigkeit abschließt, um seine Unschuld und Reinheit des Herzens mit deren Gift nicht verderben zu lassen, ohne den mindesten Beweis gleich scheußlichen Verbrechern 'gemißhandelt worden zu sein; dann stockt das Blut, es drängt stürmisch zum Kopse, und der Vernünftige wird begreifen, welche Gewalt ein empörter Geist sich anthun muß, um mit Nuhe und Mäßigung das erlittene Unrecht zu richtiger Beurtheilung darzustellen. Die Menschheit lann nur seufzen, wenn die Justiz eines Landes schlecht ist, wenn ihre Schlechtigkeiten nicht absichtlich aus ihrer Gemeiuheit, sondern au« ihren Gebrechen kommen, die ihr sogar einen Schein borgen, der sie gegen die Einwendungen und Bisse des Gewissens schützt. Schrecklich aber ist's, wo auch das Gewissen fehlt. Sie wünschen daß ich meine Ansichten über Rußland der Welt anssprechc? Ich gebe zu. daß zwanzigjähriger Aufenthalt in einem Lande eine Vollmacbt,dazu ausstellt, und daß mein Eigenerlebtes das Siegel darauf drücken kann. Ich ging anfangs wirklich mit diesem Gedanken um, wars aber schon nach den ersten Bogen meines Vcr-snchs die Feder weg. Ich will Ihnen meine Gründe vorlegen. Prüfen Sie selbige, und sagen Sie mir wo ich Unrccbt babe, ich folge Ihrer Belehrung gewiß. Erstens hat sich Rußland durch seine allgemein und auch auf mich personlich angewandte Justiz eine Ehrensäule errichtet, deren Spitze bis in den Krater des Vulkaus Kopernikuö reicht. Warum soll ich die Mondbewohner des Anblicks berauben, und am russischen Ruhme rütteln! Zweitens hat sich Rußlaud als Gemälde in meine Seele eingetragen, daß ich es in Feuer vergolden möchte, wobei Justiz, 219 die Farben leiden könnten. Drittens könnte ich lcicht mich vergreis sen, und ans Verschen, der Aehnlichkeit halber, statt Verbrechet!, die Justiz geißeln. Viertens könnte ich Nußland nicht anrühren, ohne von seiner Staatsgewalt zu reden. Wenn ich das gesammte Staatsrecht von Europa mit all seiner Vcrsassungswcisheit in einer Wagschalc sähe, und in der andern die Poesie mit ihrem Eldorado, an welcher der Schalen wünschen Sie daß ich genieße nnd lebe? Würde rs ein Maitrank für meine Seele sein, wenn meine ' Phantasie den rnssischen Morast und die immer alcichgesaulten Paläste darauf dnrchschweifte, und die bald sonnenhellen, bald verschleierten Thatsachen im Lande mir in die Feder diktirte? Oder spräche mich die Poesie meines Vaterlandes nicht inniger nnd lockender an? Jetzt zeigt mir Rübezahl alle seine Licblmgsstellcn von Stohns-dorf an bis hinauf zur Kapelle über die Vcilchenstcine. Dann will ich niedriger in die sachsischen Gründe, deren Kuhstall mich mehr begeistern wird, als das prachtvolle Michaelowschc Palais vermocht hat mit seinem menschenleeren Garten zum nichtigen Plitz. Die Harzthäler, das ehrwürdige Brockenhaupt will ich anch wiedersehen, und die malerischen Katarakte der Ilse mit den steifen Fontänen in Peterhof vergleichen. Nähert sich die Traube der Neift, so geht's in den Nheingan. Könnten Sie wirklich wollen, daß ich Tonnen voll des Tcufelsgctränks, russischen Qnas, mit einem Mundvoll Safts der köstlichen Beere vertauschte, daß meine Augen die Rhein-:md Neckarthäler, daß ich unser poetisches Deutschland mit den ge-müthlichen Menschen darin fahren ließe, nnd meine Gedanken bei der gar zu prosaischen Balalaika in Musik setzte? Daß Sie es über sich gewonnen haben, Rußlands Leben der Welt darzustellen, dafür lohne Sie Gott! Alle Guten aus Rußland werden Ihnen Dank für Ihren offnen Helm der Wahrheit zu- 22<» Justiz. rufen. Sie können sich unbefangener an eine Darstellung wagen als ich. Rußland hat Ihnen nichts gethan als Das, womit es alle redlichen und freimüthigen Menschen von sich stößt, mit dem Gor-gonenaublick seines Innern. Sie haben dies länger und tiefer sehen können denn ich. Zeigen Sie das treue Bild der Welt. besonders unserm Vaterlande. Gewiß, es wird Sie verstehen. Ich freue mich darauf wie das Kind auf den Weichnachtsbaum. Die Lichter kann ich mir deukcu. Laffen Sie also mein Kerzchen am Christbaum auch brennen. Lassen Sie es aber auf heimischer Erde brennen, nicht auf dem fremden Boden allein. Meinen deutschen Landsleuten in allen Gauen möcht' ich es in die Hand geben, sie leuchten so gern in das Dunkel. Die Entdeckung von Ercbos eigentlicher Iustizkammcr wird ihnen hohe Freude gewähren. Die Deutschen bleiben mir doch immer das liebste Volk. Ich kaun Heine nicht ableugnen: „Mau schläft sehr gut und träumt auch gut In unsern Federbetten. Hier fühlt die deutsche Seele sich frei Von allen Erdenkcttm." Doch wart' nur, Du Satyr, sollst schon ein Hurrah nachschmet-tem Deinen eigenen Worten: „Sie reiten gut, sie schlagen gut. Sie haben ausgeschlaftn." Mein Familienbaum hat folgeude hicrhcr hängende Zweige. Die Mutter meiner Frau war die verwitwete Hofräthin Anna Hcidrich, eine Fnui von wahrer Tugend, die bis zu ihrem Tode Justiz. 221 bei uns lebte. Mit ihr nahm ich zugleich ihren uumündigcn Tobn Alexander zu mir und erzog ihn, l'is cr die medico-chirurgische Akademie in Petersburg bezog. Er ist jetzt einer der illitänschen Aerzte, welche sich dort ebenfalls Doktoren nennen lassen, und treibt Würmer und Leben ab. Die wnrmstichichstc Seele Petersburgs ist hier iu einen Hoftath gefahren. In Strelna lebte noch eine Tochter meiner Schwiegermutter, Maria, im Hanse des EollegienrathZ Bauer. Von dessen Frau, Juliane, der Schwester meiner Schwiegermutter, war Maria als Pflegetochter zu sich genommen worden. Zugleich lebte in diesem Hause eine Tochter dcS Bauer ans erster Ehe. Elisabeth, an einen Nnsscn, einen Etatsrath, verheirathet, den sie aber gleich nach der Trauung verließ, um in ihrem väterlichen Hause nach ihren freiern Wünschen zu leben. Die Stiefmutter Juliane hasite diese um so mehr, je mehr sie ihre Pflegetochter durch Affenliebe verdarb und zu einem unausstehlich launenhaften Wesen machte. Eine natürliche Folge war, daß Maria Beherrscherin des Hauses wurde. Elisabeth hatte sich uur iu dcr Absicht verehlicht, einen Deckmantel für ihre Gefühle in Fleisch und Blut zu haben, die sie in vollem Maasic befriedigte. Wie hätte cs an Collision«,, an Eifersucht zwischen Elisabeth und Maria fehlen können! Die Stief- und Pflegemutter hatte keine leichte Nolle im Roman. Wahrend sic wollte, daß ihr Götze Maria allein die Schlüssel zu allen Uhlanmoffizierhcrzcn führe und Elisabeth aus-zutreiben strebte, setzte sich diese durch väterlichen Hinterhalt zur Wehre und behauptete, ein ebenso wohl erworbenes Echlüssclrecht zu besitzen. Elisabeth, als die Acltcre, empfand zuerst die Folgen ihres Leichtsinns. Die Nähe des Mannes in Petersburg, die Augen der Welt, das blitzende Gesetz der griechischen Kirche wegen Ehebruchs, die Blicke der Menge Rivalen — Alles gebot mächtig das 222 Justiz. Verbergen ihres Fehltritts. Die Stiefmama, die neidischen Augen Maria's bemerkten, man beschuldigte und Elisabeth leugnete. So blieb es, bis von jenen Beiden und cincr Küchcnzofc des Nachts Kindergeschrei und Gekreisch gehört wurde, welches jedoch bald darauf wieder aufhörte. Elisabeth war entbnndcn und das Kind in der Nacht durch eine bestellte Hülse verschwunden. Dies erfuhren wir aus dem Munde der Maria und Juliane. Durch die Besuche mit meiner Familie in Strclna war ich in die Baucrschc Hauszucht zur Genüge eingeweiht und über den Begriff von Moralität in diesem Haust einig. Ich sah weniger eine Jagd, als eine Hetze der beiden rivalisircnden Töchter nach Uhlancnossizic-reu. Meine Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Ich bemerke hierbei, das; alle Glieder unserer weit verzweigten Familie immer vor mir starken Schleichhandel mit ihren Absichten und Handlungen trieben, daß ich aber stets zu Rathe gezogen wurde, wenn man schon gescheitert war, oder wenn es etwas auszubessern gab. So erhielt ich auch im Frühjahr 1820 von der Iuliauc Bauer eine dringende Bitte, so bald wie möglich zu ihr nach Strelna zu kommen, ihre Einladung aber den Mcinigen zu verschweigen, sie habe mir Dinge von der höchsten Wichtigkeit zu vertrauen. Ich erfüllte die Bitte. Juliane führte mich bei Seite, sie brach in eine Thräncnfluth aus, Maria siel zu meine» Füßen: „Sie nur können helfen: Helfen Sie mir, ich stürze mich ins Wasser, oder ich morde das Kind!" Was ists? frug ich bestürzt, und da erfuhr ich denn, daß Maria den biblischen Spruch: seid fruchtbar und uiehrct euch! auch ohne Sakrament der Ehe angewandt hatte und tin zuverlässiges Pfand ihres Umganges unter ihrem Herzen trage. Jene That im Banerschcn Hause trat vor meine Augen. Ich Justiz. 223 konnte Marien, ihrer Launen und Buhlschaftcn wegen, nicht lieben, allein jeder Feind darf zu Hülfe mich rufen, wenn er in Gefahr ist. und ich lasse :ncht warten auf mich. Hier wurde ich nm zwei Punkte angefleht, den angeblichen Vater, einen Obersten, zur Ehe-lichung Mariens gesetzlich zu zwingen, nnd die Schwangerschaft und die Niederkunft der Welt, und besonders den Augen der Familie, zu verbergen. Gegen das Erste änßerte ich gleich meine Bc-denklichkeiten, für das Zweite gab ich mein Versprechen nur mit der Bedingung, daß ich meine Frau in daö Geheimniß ziehen müsse. Ich kannte den mir angezeigten Vater als einen guten, liebenswürdigen Mann, ich war übcrzengt, daß, wenn Maria die Wahrheit gesagt hätte, er zu rechtlich gesinnt war, sein Versprechen, sie zu ehelichen, abzuleugnen. Noch am nämlichen Tage schrieb ich ihm im Namen Mariens. Seine kalte Antwort lautete dahin, daß eben so gut wie er auch andere Offiziere die aufgedrungene Vaterschaft übernehmen könnten, daß er nie daran gedacht habe, mit ihr über ein Ehcbündniß zu sprechen, er gewärtige rnhig die Beweise. Später überzeugte mich eine mündliche Unterhaltung mit ihm nur von der Schlechtigkeit Mariens. Der Schleier über die Schwangerschaft war jetzt das Nächste, das Nöthigste. Bis zur Zeit, da sich das Zeichen dcr Fluth auf Erden einzustellen pflegt, ließen wir die dem Strel-n a'sch cn Publiko und den Hausgenossen zweideutige Jungfrau im Hanse dcr zärtlichen Tante, dann nahmen wir sie nach Petersburg zu uns auf mehrere Wocbcn. Niemand ahnte, nur dcr beobachtenden Mutter dcr Sünderin konnte das Geheimniß nicht länger verschleiert bleiben. Sie litt an dcr Wassersucht, der Gram steigerte itm Krankheit von Stund an. Es war die erste Folge des Snn-denfallcs, der edlen Mutter das Leben zu kürzen. Diese und meine Fran mietheten bei der Hebamme Isaak für 224 Justiz, Marien eine Wohnung, die mcin Fuß nic betreten bat, von d« ich bis diese Stunde nicht weiß, wo sie war. Ich bekümmerte mich von da an gar nicht »im Marien, weil ich sic in den besten Händen wußte. Ich crfnhr, daß der Bruder Alexander mit in das Geheimniß gezogen war, daß er seine Schwester besuche und daß er zwar als Doktor der Hebamme bekannt, doch als Mariens Bruder unbekannt, von ihr siir den Liebhaber Mariens gehalten wurde. Ein Junge hatte die Welt begrüßt. Er hatte seine Amme, und nachdem die Wöchnerin wieder volle Wangen und ihre frühere Gestalt angenommen hatte, erschien sie in meiner Wohnung wie von einer Ncise zu einem Onkel zurückgekehrt. Sie blieb bei uns. um die Frucht ihres Leibes täglich besuchen zu können. Auch die StrelnaWc Tante Bauer wohnte abwechselnd bei uns, um sich der That und Geschicklichkeit ihres Herzblattes zu erfreuen. Alles war in der gewohnten Ordnung, die Schande war gedeckt. Ich erwähne hierbei nochmals, daß ich Wohnung, Niederkunft, Hebamme. Amme, Besuche des Bruders, kurz Alles bis auf die kleinsten Umstände nur durch meine Frau und Schwiegermutter erfuhr, welche die Wöchnerin besuchten, daß ich selbst aber nie dahin gekommen bin. Es ist dies ein Hauptumstand, dessen Ermittelung im Laufe des nachmaligen Prozesses vom Nichter hätte verfügt werden müssen, wenn man die Wahrheit haben wollte. Die Amme, die Hebamme und vielleicht noch andere Zeugen im Hause der Niederkunft wären Beweise gewesen, ob ich jemals die Wohnung betreten hatte oder nicht. Mehrere Monaten waren vergangen, als die Bauer eines Tages meine Hand ergriff! ,,Gott nur kann Sie dafür belohnen, wie Sie sich meiner Marie angenommen und Alles zu ihrem Besten angeordnet haben; allein noch ist unsere Angst nicht vorüber, sie mehrt Iusti;. 226 sich täglich. Wir müssen uns mit einer nencn Bitte an Sic wenden. Daö Kind ist noch ungetanst) als unehrlich muß eö dcn Gesetzen zufolge im griechischen Glauben getauft und einst Soldat werden. Unsere gauzc Familie ist lutherisch, und der Gedanke, das; das Kind jenem Glauben und jenem Loose überliefert werden soll. läßt uns Tag und Nacht keine Ruh. Erbarmen Sie sich nochmals unserer Leiden, retten Sie das unschnldige Kind von dem Fleck dcrUnchclichkcit, schützen Sie uns auch für die Zukunft gegen Entdeckung der Schmach, nehmen Sic das Kind als Ihr eheliches an. und lassen Sie es in unserm Glauben taufen/' Diese Anmuthuug kam mir unerwartet, und mein Herz wurde dafür nicht warm. Ich bat die Tante nur, mir Zeit znm Bedenken zu lassen. Als ich mich lange nicht entschied und davon schwieg, wiederholten meine Frau und unsere würdige Mutter die nämliche Bitte. Noch höre ich die flehenden Worte der Letztcrn, als sie fühlte, daß meine Wärme für die Sache immer noch nicht höher gehen wollten ,,Meine Tage sind gezählt, ich habe Marien vergeben, aber der verborgene Gram wird meinem Leben bald ein Ende machen. Sie sind mein einziger Trost, nehmen Sie sich des unglücklichen Kindes an. Auch mir ist der Gedanke schrecklich, daß mein Enkel ein Götzendiener werden und eine Religion annehmen soll, von deren Alfanzereien und Betrügereien ich in Tnla, Moskau, Kiew so oft Zeuge gewesen bin. Wenn Sie auch mir die Bitte abschlagen, so ist dic Sache schlimmer fast wie vor der Niederkunft. Lassen wir das Kind russisch taufen, so kann durch die Anstalten dabei leicht die Schande entdeckt werden, uud ich habe dann keine Stunde ruhigen Schlaf mehr. Marie hat an der Elisabeth ein böses Beispiel gehabt, wer weiß, wessen sie aus Furcht vor der Schande fähig wäre. Sie werden bald auf meinem Grabe sitzen; von Ihnen hangt es ab, daß 226 I u si i z. mciu Abschied von dieser Welt mir nicht bitter ist; wir haben uns immer geliebt, erfüllen Sie meinen letzten Wunsch auf Erden! " Da schniolz mein Herz. Ich versprach, mit der Bedingung, wenn das Kind mir gefalle, da ich es nic gesehen hatte. Die Freude war allgemein und groß. Marie umfaßte dankend meine Knie, ich hatte Glückliche gemacht, ich fühlte mich also selbst auch glücklich. Schon am nächsten Vormittage, als ich von Geschäften nach Hallst kam, führte mich meine Frau an die Wiege. Der Engel schlummerte. Mit freudiger Rührung betrachtete ich ihn, mir wurde so wohl, so warm durch die Seele. Der erwachte Knabe wurde mir gebracht. Er lachte mich an, er kam auf meinen Arm, und von der Minute an war um uns beide ein so himmlisches Band geschlungen, daß er auf meinem Echooßc aß und spielte. Er mochte nicht ohne mich sein, ich nicht ohne ihn. Ich wende mich hier an das Gefühl jedes zärtlichen Vaters, eines jeden wahrhaften Kinder-freundes. Der Kleine war der Amme entwöhnt. Eme fremde von nns angenommene Wärterin empfing ihn als mein eheliches Kind, und um kein Gerede im Hause zu veranlassen, zogen wir in eine andere Wohnung. Ringsum wandte ich Vorsicht an; die Sache war vollendet gelungen. Wcr aber war nun glücklicher und froher als Marie! Vor allen Augen durste sie das Kind als dessen Tante herzen und küssen, konnte mit ihm ausgehen, die aufrichtigste, innigste Liebe öffentlich ihm beweisen. Zwei in dieser Zeit nacheinander folgende Ereignisse, die mir Mühe. Geld, Aergerniß, Zeitverlust in Hülle und Fülle kosteten, veranlaßten mich, die Taufe langer zu verschieben, als ich Willens war. Justiz. 227 Fast war dcr Kleine cm Jahr alt, als wir lit Tauft festsetzten; nicht etwa einen Tag. dcr das Licht dcr Welt zu scheuen habe, min! im vollen schuldlosen Gefühl meiner Handlung, cinc große, meine Vaterfrmde verkündende Festlichkeit. Zahlreiche Freunde und Verwandte waren Zeugen. Der Pastor, der uns getraut hatte, taufte auch unser Kind. Um auch den entferntesten Verdacht im Hause des Collegicnrathcs Bauer in Strelna zu beseitigen, hatten sich Juliane nnd Marie, welche bei dm Vorbereitungen zum Tauftage bchülftich gewesen warm, einige Tage vorher nach Strelna begeben, um dort. unserer Verabredung gemäß, die Einladungen zu erwarten. Diese kamen dort an. Der Eollegienrath war seit undenklichen Jahren nach Petersburg unter keinerlei Umständen zu bringen gewesen; sein Ausbleiben erwarteten wir. Auch Juliane entschuldigte ihr Nichtkommm wegen plötzlich eingetretener Unpäßlichkeit. Marie aber kam am Tage vor der Taufe. Früh am Morgen dieses Tages fuhr sie aus, uns um Verzeihung bittend, falls sie von der Tanfe wegbleibe; sie fürchte durch die Achnlichkeit dcs Kindes mit ihr, so wie durch ihre Aengstlichkeit bei jedem fremden Blicke, den man auf sie. dieser Aehulichkeit wegen, richten würde, sich Blößen zu geben, und wider ihren Willen das ganze, bis jezt so gut verschleierte Geheimniß durch ihre Schwache zu verrathen. Unsere Gegenvorstellungen schlugen in ihrem ohnehin störrigcn Charakter keine Wurzel, und sie fuhr zu einer Tante, die ich nebst ihrem Manne als schlecht denkende Menschen, von jeher von meinem Hause ausgeschlossen hatte. Bei der Taufe erhielt das Kind meinen Na-Nttn, Emil, der ihm gleich bei seinem Eintrittc in unsere Wohnung gegeben war, nnd mit dem allein es Marie liebkoste. Unter den Pathm nenne ich um die Verwandten, die Mutter Anna, deren Sohn Alexander, den Arzt, eine dritte vcrheirathete Schwester Ma- 228 Justiz. rieus, Wilhclmine Mönch, deren Mann, und Seitenverwandte des Alezander. Jeder Monat, jedes Jahr schlang ein mächtigeres Band um mich und unser Kind. Drei Jahre waren verflossen. Jetzt mehrten sich die Körpcrleidcn meiner Schwiegermutter, und als der Tod sich ihr nahte und sie den Ihrigen das letzte Lebewohl sagte, sprach sie zu ihrer Tochter Marie: ,,Verrathe Dich nie, daß Du das Kind geboren hast; auch im Grabe will ich Deine Schande nicht; der Himmel hat es so glücklich gemacht, trübe dieses Glück nie, und sei immer dankbar. Du kannst es nicht genug sein! " Aber kaum ist die Mutter, zu deren Sarge sie der Nagel war, in die (5rde gesenkt, da halt sich das Laster nicht länger im Zaume; die elende Tochter entehrt den Abschied der Mutter, wirft jede Decke der Schande von sich, und zeigt frech das ganze Schwarz einer boshaft niederträchtigen Seele. Marie stiehlt mein Kind, nicht wie ein einbrechender Dieb, nein! wie ein schleichender tückischer Vcrräther. Am Morgen saß sie an meiner Seite und freute sich, wie ich scherzend dem Kinde auf meinem Schooße das Frühstück reiche; wir trieben alle drei kindisches Spiel. Ich ging aus. und als ich spät nach Hause kam, fand ich meine Frau in Thränen. Kaum vermochte sie die Worte vorzubringen: ,.Dic Schwester hat uns das Kind gc-raubt; unter dem Vorwande, etwas cinznkanfen, fährt sie aus; auf ihre Bitte gebe ich ihr unsere Wärterin mit dem Kinde mit, weil das Wetter schön war; von Gostinoidwor schickt sie die Wärterin allein znrück. vorgebend, der Weg sei für sie beide zu schlecht, sie werde gleich mit dem Kinde nochkommen; sie möge indeß das kleine Zcttelchen abgeben." Die Wärterin gehorcht; es war unmöglich, Betrug zu ahnen. Meine Fran erschrak, als sie auf dem Zettel nur die Worte las : Justiz. 229 „Die Mutter hat das Kind weggenommen! " Das Kind war mein Liebling und auf die heimtückischste Art mir wieder entrissen. Vcrgc^ bcns wurde die Schamlose au allen bekannten Orten gesucht, bis wir sie mit ihrer Pflegemutter Juliane, die zur Ausführung des Bubenstückes nach Petersburg gekommen war, bei deren Schwester entdeckten, deren Mann in einer Kronsanstalt Aufseher war, und die beide sich freuten, cinc Gelegenheit gefunden zu haben, sich für den Unglimpf an mir zu rächen, daß ich ihnen mein Haus untersagt hatte. Meine Frau und Freunde suchten Marien auf. Das Kind war einem andern Orte verborgen. Man forschte vergeblich nach irgend einem Grunde zur That, man hörte nur: Marie will tS so! Ich erniedrigte mich und fuhr selbst zu dieser, um sie durch vernünftige Vorstellungen zum Bessern zu bewegen; aber Bitten, Drohungen. Alles scheiterte an dem Felsen der Dummheit und teuf-lischer Tücke; vergessen waren die unzähligen Wohlthaten von mir. vergessen, was Schande heißt und ist. Zwei Wege giebt es nur, um auf den Menschen zu wirken, durch die Vernunft uud das Herz, und wo an ihrer Stelle nur Halsstarrigkeit allein wie die Auster am Felsen sitzt, da verschwindet die Möglichkeit eines Eindrucks. Die Abschculichkeit war zwischen Juliane, Marie, dem Bruder Alexander, der Schwester Iulianeus uud deren Maune verabredet; ich fand sie beisammen. Nicht meine Seele allein war empört, Alle. welche das Ungeheuer von Undank kannten, waren es mit. Ich wußte wohl, daß ich nicht im Lande der Gerechtigkeit war. aber diese That ragte wie eiue glattgeschliffene Granitsäulc der Wahrheit empor, an der kein Zweifel sich in die Höhe heben konnte. Ich hatte den Weg der Güte versticht. jetzt mußte ich mcin Recht behaupten; denn „Güte, die vollblütig wird. erstirbt im eigenen Allzuviel! " 230 Justiz, Das Kind war auch in meinem Passe als man eheliches aufgenommen. Also Staat, Kirche und Pflicht gaben mir das Recht, die Unschuld den Händen der grenzenlosesten Dummheit, den Nacb-theilen unehelicher Geburt zu entreißen und meine Rechte durchzusetzen. Ich reichte meine Klage wegen Entwendung meines Kindes bei der kompetenten Behörde, der kaiserlichen Uprawa, ein. In meine Hände wurde der schriftliche Bcsehl an das Polizeiamt des Narwa'schen Stadttheils, in dessen Vereich sich Marie aufhielt, wegen Arrcstation derselben und Abnahme des Kindes gelegt. Mit diesem Befehle, ferner mit dem legitimen Taufscheine des Kindes, zum Ucberftuß sogar noch mit mchrcrn ««verwerflichen Taufzeugen, begab ich mich alls das Polizeiamt. Es war 6 Uhr Abends. Stunden vergingen ehe der Pristav kam. Er ließ einen Befehl an den Nadsiratel ausfertigen, mit welchem wir uns zu diesem verfugten. Wie eö hieß war er nicht zu Hause und nirgends zu finden, er wollte uns durch Warten ermüden und zum Fortgehen bewegen. Endlich gegen Mitternacht erschien er. Es kostete nicht wenig Mühe, densebcn zur Ausführuug des Befehls zu bewegen, von welcher er sich unter den nichtigsten Ausflüchten loszumachen suchte: es sei Nacht, er dürfe in eine Krousaustalt so spät nicht gehen. Deutlich ging aus seinen Reden hervor, daß er schon von der Sache unterrichtet war. Er weigerte sich. bis ich ihm erklärte, daß ich trotz der Nacht, seine Weigerung aus der Uprawa anzeigen werde. Da erst bequemte er sich den erhaltenen Befehl zu vollziehen. Er mußte die, die sich selbst entehrt hatte, Marien, auf Polizeiamt bringen. Er überlieferte sie dem Pristav. der sie allein vernahm. Endlich zu mir und meinen Zeugen tretend, mit einem Papiere in der Hand, das Niemand sehen durfte, sprach dieser mit wichtiger Amtsmiene: „Das Kind ist nicht Ihr eheliches, sondern das uneheliche ihrer Justiz, 23!, Schwägerin Mark Heidrich, denn sie hat sich jetzt eben vor mir als Mutter bekannt, und Sie haben das Kind ohne der Mutter Wissen evangelisch'lutherisch getauft, nachdem Sie sogar bei dessen früherer Tauft im griechischen Glauben Zeuge gewesen sind, wie das Alles aus dein Taufzeuguiß hier der griechischen Kirche hcrvor-vorgeht) das Kind gehört also der Mutter und ich gebe es Ihnen nicht. Morgen melden Sie sich auf der Uprawa um das Weitcrc zu crsahreu." So überraschend inir die nie geahnte Beschuldigung war, so mußte ich doch augenblicklich von einer im Verborgenen gespielten Intrigue überzeugt sein. Ich machte die Einwendungen ' daß ich allen Gruud habe, das angebliche Taufzeugniß der griechischen Kirche für falsch zu halten, bitte es mir daher zur Durchsicht aus, uud trage auf eine Confrontation der Marie mit mir und meinen Zeugen an. Beides wurde mir abgeschlagen. Ich cntgegnete ferner, daß, wenn das griechische Kirchenzeugniß selbst in aller Form richtig sei, welches ich durchaus bestreite, dennoch mein über allen Zweifel erhabenes Kirchenzeugnisi der ehelichen Geburt, sogar noch unterstützt von gegenwärtigen Zeugen, im Collisionsfalle, wie hier, den Vorzug haben, dasi mir also das Kind zurückgegeben werden müsse, indem es Sache der unehelichen Mutter sei, ihre vermeintlichen Ansprüche im Wege Rechtens gegen mich zu verfolgen. (3s folge sonst ganz natürlich daraus, daß jedes feile Mädchen durch einen produ< cirtcn Kirchenschein, dessen Gültigkeit erst gevrüft werden müsse, legitime Kinder trotz aller Taufzeugniffe und Zeugen aus dem Hause stehlen könue. — Es sei ferner so gut wie gar kein Beweis, wcun mein gemißbrauchter Name bei einer Taufe stehe, die ich nie gc-sehen und von der ich nicbts wisse, indem der Priester jeden belie» bigen Namen als Taufzcugen aufschreibe, den man ihm vorsage; 232 Justiz. das; also in keiner Hinsicht meine legitimen Ansprüche durch das prodmirtc Papier entkräftet oder gar annullirt würden, folglich auch mein Zeugniß jenem nicht nachstehen könne, welches von mir bestritten werte, um so mehr, da ich es nicht zu Gesicht bekomme. Einer mciucr Zeugen hatte von der Seite auf das Papier gesehen und flüsterte mir in's Ohr: es ist gar kein Zcuguiß, es hat nicht einmal ein Siegel. Ich bestand also nochmals darauf, mir das vorgebliche Zeugniß zu zeigen. Der Pristav schlug gravitätisch das Papier zusammen, fand meine Einwendungen unstatthaft und entließ uns mit der seinem Geiste genügenden Erklärung, es sei seiuc Pflicht, den Vorzug der griechischen Kirche vor allen andern Kirchen zu bewahren. Gewalt ging also vor Necht und mein Suchen nach Hülfe hatte ten ersten lahmen Ann der Justiz gefunden. Täglich war ich auf der Uprawa, man wollte von keinem Be-richte des Polizciamtco etwas wissen. und kam ich auf daö Polizeiamt, so wurde der Pristav entweder verleugnet, oder er behauptete, daß er den Bericht an die Nvrawa abgesandt habe. An Be< richten war mir nichts gelegen, ich forderte mein Kind zurück, und das erhielt ich weder hier noch dort. Endlich hörte ich vom Chef der Uprawa. einem Polizcimeistcr. in ziemlich ungeduldigem Tone: „Sie müssen Geduld haben, die Sachen gehen bei uns alle nach Nummern.'" Mit diesem Hinweis auf inuuerirte Gerechtigkeit war auch mein Vertrauen auf jede Justiz dahin. Deunoch war die Gerechtigkeit meiner Sache in meine Ucberzeungung wie ties in Fels gchanen nl,d ich verließ mich anf das Versprechen des stellvertretenden Obcrpolizcimeisterö, daß er mein Recht schützen werde. Ich kannte ihn als guten Mann und seiuc Theilnahme war um so sichtbarer, als sein Herz ein ähnlicher Faustschlag getroffen hatte. Man Justiz. 233 hatte ihm seine Frau entführt. Erst nach Zcit. bei meinen wiederholten Bitten um strengere Befehle an die Uprawa, kam ich zur Erkenntniß der unverzeihlichen Schwäche des Mannes. Kr störte wcdcr die Uprawa noch das Polizeiamt in ihrer Willkür, und nachdem ich wochenlang seine leeren Trostgründc angehört hatte, erhielt ich von ihn: denselben Bescheid. den mir die Uprawa ertheilt hatte: die Sache müsse ihren Rcchtsgaug haben und die Nprawa werde mir die nöthige Erklärung nicht vorenthalten. Um zu wissen, ob der mir vom Pristav gemachte Einwand Lüge vder Wahrheit sei, daß das Kind früher im griechischen Glauben getauft worden, war ich in das russische Cousistorium gegangen. Meine Frau konnte mir die Geburt des Knaben angeben und für zehn Nubel erhielt ich bei den Geistlichen die Gefälligkeit, daß man nachschlug, ob in der Wohnung der Marie zur Zcit ihrer Niederkunft eine Taufe stattgefunden habe. Nach langein Suchen fand sich iu der That, daß ein Kind griechischer Religion getauft worden war, welches ich für identisch mit dem mir später von der Mutter und Verwandten übergcbcucn annehmen konnte. Doch hell wie die Sonne leuchtete aus den dabei vorgenommenen Namensverfalschungen und fälschlich angegebenen Taufzeugeu eine Niederträchtigkeit sondergleichen hervor, wie sich spater aus dem von mir dem Gerichte eingereichten Zeugnisse deS griechischen Consistoriums zur Genüge ergeben wird. Ich machte auf der Uprawa das Anerbieten, durch ein Zeugniß der russischen Kirche augenblicklich die falschen Angaben Mariens zu beweisen. Man befahl mir damit zu warten, bis man mich werde fordern lassen. Dennoch beruhigte ich mich dabei nicht. Ich wandte alle Mittel an, das unglückliche Kind zu retten. Gin Frcuud. der bei dem Chef der Gend'armcrie viel vermochte, sprach mit demselben über 234 Justiz, die Abschenlichkeit der That und das widerrechtliche Verfahren der Polizei. Dessen Arm reicht überall hin, er versprach schnell Erkun-dignngen einzuziehen. Er hatte es gethan, und seine Hülfe verwandelte sich in die Worte: cs soll ja nicht sein Kind sein, er soll es nur für das seinige ausgegeben haben, es soll unehelich sein; es wird sich Alles finden. jetzt untersucht die Nprawa die Sache, dabei kann ich nichts helfen, wozu haben wir sonst Gerichte? Edle Seelen erboten sich, eine Bittschrift an den Kaiser gelangen zu lassen; als ich ihnen aber mittheilte, an wen ich mich bereits gewandt habe, meinten auch sie, daß dieser Schritt genüge. Man durfte nur wollen, und das Kind war wieder in meinen Händen. Marien blieb dann doch der Weg unbenommen, ihre vermeintlichen Ansprüche gegen mich geltend zu machen. Nach dieser vereitelten Erwartung beschwerte ich die Uprawa mit keinem Schritte mehr, und von daher erhielt ich auch nicht den geringsten Bescheid auf meine Klage. Die Zeit fing an auf meine Wunde zu wirken und der Verstand überzeugte mich, daß ich nichts ändern könne, daß ich an die Gednld verwiesen sci. Iemchr ich über die schändliche That der Inlianc Bauer und ihrer Pflegetochter zur Einsicht kam, desto fester ward mein Entschluß, den Knaben nicht mehr anzunehmen, um mit den undankbaren Verwandten nie wieder in irgend eine Berührung zu kommen. Ein Jahr verging. Die Uprawa war stumm und wir glaubten an eine Beseitigung und Beendigung der Sache, indem man Marien das Kind gelassen hatte, und meine Klage anf sich bmchen ließ. Zwei Jahre vergingen und auch das dritte, ohne daß aus der Uprawa oder sonst woher eine Vorladung oder andere Verfügung an mich erlassen worden wäre. Mein Erstaunen war daher nicht gering, als Justiz. 233 ich im vierten Jahre durch die Polizei eine mündliche Citation vor das erste Departement des Hofgerichts erhielt. Ich könnte das nun Folgende kurz zusammen fassen, wenn ich nicht zugleich Rechtsgelchrten zeigen wollte, wie in Rußland von Justizbehörden das Recht entwickelt wird. Ich erschien in der Kanzlei. Keiner der Schreiber.wollte oder konnte mir sagen, warum ich vorgeladen fei und von wem? man bcschied mich zu warten, bis der Tifchvorstcher komme (8t0wlU8o1ll>1n 2, und die Eingabe ^u^ 3, von ein und derselben Hand geschrieben waren. Die Uprawa hatte selbst die Nnvollkommenheit dcs von Marien geführten Beweismittels eingesehen, sie vergrößerte aber ihren begangene» Fehler noch dadurch, daß sie das Zeugniß der griechischen Kirche, trotz des mnan> gelnden Kirchcnsiegels, nicht von russischer Kirche oder Cousistorium bestätigen, sondern durch einen der Juliane Bauer, einer Mitschuldigen der Marie, auferlegten Eid bekräftigen ließ. Eide werden in Rußland in der Wohnung eines selbst gewählten Geistlichen geleistet. Juliane Bauer hütete sich wohl, diesen Eid vor ihrem eigentlichen Seelsorger, dem Pastor Hannuclmaun, abzulegen, der unsere Familie genau kannte; sie leistete ihn vor einem ihr unbekannten, dessen Auge sie nicht zu scheuen brauchte. Es war cin offenbarer Meineid, denn so wie ich später durch ein Zeugniß des russischen Consistorinms die Unächthcit jenes scinsollcndcn Tanfzcug-nisscs bewies, ging auch aus dieser Falschheit der begangene Meineid hervor, den die Bauer ans Fnrcht leistete, den Prozeß ihrer Pflegetochter zn verlieren, und in der Meinung, sich dadurch gegen jede Entdeckung ihrer Ränke zu decken. War sie nicht durch das Verfahren der Uprawa selbst zu diesem Wahne verleitet worden, indem sie sah, daß man Marien Recht geben wolle, sobald sie den Eid leistete? Ihr blieb kine Wahl, als man ihr den Eid auflegte, Justiz. 239 entweder sich zur Ablegung zu verstehen, oder sich gleich als Mitschuldige zu bekennen. Bei den Akten war daher 4) das Zeugniß dcs evangelischen Predigers, welcher den Eid abgenommen hatte, ohne Zeugen und ohnc mein Wissen; 5) mein der Klage beigefügtes unbestreitbares Kirchenzcngniß für mein lutherisches Kind. Die Uprawa hatte dies Zeugniß von der Kirche zmro bestätigt zurückerhalten. Zu bemerken ist also hierbei, daß die Uprawa zur Prüfling dieses, mit allen legalen Erfordernissen versehenen Docnments sich an die Kirche wandte, von welcher es ausgestellt war, daß sie es aber für unnöthig fand jenes Zeugniß der unehelichen Geburt, sichtbares Zeiche» der Unächthcit tragend, einer Anerkennung von Teilen der russischen Kirche zu unterwerfe!:, sondern daß sie die Zweifel dagegen durch einen Eid einer Mitschuldigen rechtskräftig machen wollte. Mit dieser Einsicht aus den Akten stellte ich mich vor der Hand zufrieden. Als ich aber mit dein Tischvorsteher über meine Gegenerklärung sprach, entdeckte er mir: „jene erste Citation erließ ich ohne des ssollcgiums Wissen aus eigener Macht, ich hoffte Sie zu einer Gabe zu bewegen, deshalb ließ ich Sie bis fast 4 Uhr Nachmittags warten, und als ich sah, daß ans ihrer Hand nichts fiel, versuchte ich das letzte Mittel und schrieb das Gegentheil ihrer Behauptungen nieder, weil ich wußte, daß sie so viel russisch vcrstaw den, daß Sie nichts unterschreiben würden, allein ich wollte Ihnen die Idee beibringen, daß Sie ohne mich nichts ausrichten könnten. Jetzt müssen wir wartcu, bis das Gericht Sie fordert." Dies geschah auf dieselbe Weise wie das erste Mal. Ich wurde im Sessionszimmer von dem Sekrctair vernommen, während der Präsident und die Mitglieder des Gerichts in Papieren blätterten «nd an der Vernehmung keinen Theil nahmen. Ein Quartblatt 240 Justiz, reichte hm, die Formalia von Fragen und Antworten und meine Erklärung zu fassen: „Daß ich von der heimlichen Tauft im griechischen Glauben nichts gewußt, daß ich die Beweise für die lügenvollen Behauptungen der Maria gewärtige, und daß ich allerdings befugt gewesen sei. das Kind als mein legitimes und mir geraubtes zurückzufordern, daß ich aber nunmehr daraus verzichtet habe, und es, des Frevels uud der grenzenlosen Undankbarkeit wegen, nicht mehr annehmen werde, selbst wenn das Gericht mir eö jetzt zuspräche." Da erhob sich ein Mitglied, ein Deutscher, und sprach russisch zu mir: Was wollen Sie von Nichtwissen reden, hier im Tauf-zeuguiß steht ja Ihr Name als Taufzcuge! Ich bat ihn, die Güte zu haben, deutsch mit mir zu reden. „Ich verstehe nicht deutsch!,, war die Antwort. Ich radebrechtc also russisch: „im falschen Tauf-zeuguiß steht sogar mein Name falsch augegeben, und selbst dann, wenn das Gericht sich erst durch das russische Konsistorium über das Zeugniß, belehrt haben wird, folgt noch nicht, falls es richtig wäre, aus dem Mißbrauch eines Namens, daß der Inhaber desselben auch eine ihm imputirte That vollbracht haben müsse." Seine Jurisprudenz war zu Ende, mein Verhör war es auch. . H Einige Tage daraufkam jeuer Kanzlcibeamte zu mir. '„Ich habe au der Thüre zugehört, als mau Sie vernahm. Ihre Antworten sind doch nicht getreu niedergeschrieben worden, zwar nicht falsch, aber sehr oberflächlich, und es ist daher nöthig, daß Sit nun eine Eingabe machen, in welcher Sie sich genügend aussprc-chcn." Er faßte die Eingabe ins Russische und empfing dafür abermals 25 Rubcl. In dieser Eingabe wurde hauptsächlich das Zeugniß der griechischen Kirche verdächtigt und auf die Achnlichkeit der Justiz. 241 Handschrift desselben mit der Eingabe Mariens an die Nprawa. so wie aus andere Merkmale der Verfälschung aufmerksam gemacht, besonders in der Absicht, dem Gerichte darzuthun, daß es durch eine Anfrage bei dein griechischen Consistorio das Dokument außer Zweifel zu ziehen habe. Es wurde ferner das Absurde der Behauptung Mariens auseinandergesetzt, daß sie von der lutherischen Taufe nichts gewußt habe. Ich konnte sogar durch mwcrwerfliche Zeugen diese nnd jede ihrer böswilligen Angaben nöthigenfalls entkräften. Nun fand sich auch ein Mitglied des Hofgcrichts bei mir ein. Seine Ansicht ging dahin: „Das Recht ist auf Ihrer Seite, vollkommen, aber vergessen Sie nicht wo wir leben. Unsere Gesetze lassen sich wenden, wie wir wollen. Necht ist noch nicht Sicherheit des Rechts, und ohne Opfer kann das vollkommenste Recht von keiner Behörde ertheilt werden, weil wir sonst verhungern müßten; ich habe kaum 400 Rubel Banco Gehalt, kann ich davon leben? Jetzt werden wir bald Zulage erhalten, was hilft das Alles, wir sind gezwungen uns Ncbencinkünftc zu machen." Ich »nachte ihm den Einwand, daß man von den Schuldigen, der Juliane Bauer und ihrer Pflegetochter, Opfer verlangen könne, sie wären dazu w reich genug. Er fuhr fort: „ Diese Schuldigen gehen lins jetzt gar nichts an, die Uprawa hat Sie als Schuldigen uns angezeigt und wir halten uns nur an Sie. Erst müssen Sie zusehen, aus der Ihnen gelegten Schlinge zu kommen; wir schnüren nur Den fest, den wir haben, Sie müssen opfern, die Zeit wird Sie belehren, daß ich Recht habe, und wenn Sie Ihr Recht, auf welches Sie trotzen, noch zehnfach vervollkommneten." Offenes aber schauderhaftes Geständniß eines Beamten! Dennoch verweigerte ich jcdeö Opfer. Mein Necht stand wie ein Sirius am Rußend. II, 16 242 Justiz, heitern nächtlichen Himmel vor meinen Augen. Es konnte durch keine Lügen entkräftet werden; ich hatte in allen Punkten zu viel juridisch unvcrwcrfliche Zeugen für mich, wie auch die Lügen gegen mich auftauchen mochten. Bereits waren wieder vier Jahre verflossen, seit das Hofgericht den Prozeß in Händen hatte, ohne daß etwas weiter darin verfügt worden war. Nach dieser Zeit ließ jenes Mitglied mich um eine Unterredung bitten. „Ich spreche mit Ihnen im Auftrage des Gerichts," sagte er, „Ihre Sache soll zmn Spruch kommen; wir haben zwar kein Gesetz, welches auf diesen speziellen Fall paßt, allein wir stützen uns ans einen alten Ukas, welcher die Jesuiten dcö Landes verwies, weil sie Prosclyten gemacht hatten, wir erkennen Sie also schuldig, wenn Sie uns nicht 500 Rubel Bco. zahlen; in diesem Falle werden wir das Urtheil fällen, daß Sie ganz unschuldig sind und damit ist die Sache für immer beendigt, aber weniger will der Präsident kein Kopeken nehmen." Ich brach die Unterhaltung mit den Worten ab: „Lassen Sie den Präsidenten und das Gericht ihre Pflicht thun. das Gesetz wider die Jesuiten kann nur als Absurdität gegen mich angewandt werden, ich bitte das Urtheil zu fällen, um von diesem theuren Comtoir der Justiz wegzukommeu." Damit entfernte ich mich. Die Versuche zur Erpressung waren noch nicht zu Ende. Nach einiger Zeit erschien «in Kanzleibeamtcr bei mir: „Ich komme. Ihnen eine wichtige Nachricht zu bringen; das Urtheil ist gefällt. Man hat Sie zn vierzehn Tagen Gefängniß vermtheilt; allein man hält die Publikation auf, weil malt glaubt, daß Sie lieber 500 Rubel zahlen werden, oder wenigstens 400." Ich verlangte das Urtheil, weil ich in den Händen dieser Verkäufer mein Recht nicht lassen mochte. Justiz. 243 Er erbettelte sich wenigstens eine klelne Belohnung für seme dargebrachte Nachricht. Die Sentenz des ersten Departements des Hofgerichts wurde mir nach vierjähriger Berathung vorgelesen. Ohne sich mn Aechthcit oder Falschheit des Zeugnisses der griechischen Kirche bekümmert, ohne Rücksicht aufweine Einwendungen genommen zu haben, ohne irgend eine Verfügung oder Verhandlung von i»ro und «unttvl ward ich zu vicrzehntägigcr Haft condcmnirt, mit Beifügung, im Wiederholungsfälle meines Vergehens, schuldig der Doppcltaufe, die Grenze zu passircn. Man hatte sich auf ein Gesetz berufen, in welchem nicht etwa von der in Rede stehenden Beschuldigung die Rede war, oder von einer ähnlichen, sondern überhaupt nur, wie in nicht gehörig erwiesenen Fällen ein Gericht zu erkennen habe, und zwar dergestalt, daß man dies Gesetz nicht auf zwei, sondern auf alle beliebigen Arten auslegen konnte. Von dem Ocgcnpart wurde gar nichts mvähut. Noch muß ich bemerken, daß ich schon vor vier Jahren dieser Behörde meinen Paß hatte abgeben müssen, der bei den Akten blieb, wodurch ich seit jener Zeit Stadt- und Staatsgefangener war. In der gesetzlichen Frist händigte ich dem Präsidenten im uäuv lichen Gericht meine Appellation ein. Er las sie, aber weder er noch die andern Glieder konnten die Augen aufschlagen, auf allen Gesichtern las ich den Schmerz, bei der Sache nichts vcrdimt zu haben. In der Appellation dcducirtc ich: 1) Daß das Polizeiamt des Norvaschcn Stadttheils eigenmächtig gehandelt habe. indcm ihm keine Entscheidung über Recht oder Unrecht zugestanden, und ihm nur von der Uprawa der Befehl ertheilt worden, die des Kmdcrraubs Beschuldigte aufzusuchen uud mir das 16' 244 Justiz. Kind zurückzugeben; daß die Ansprüche des legitimen Vaters durch Zeugniß der Kirche und gegenwärtige Zeugen vollkommen bewiesen, die des Gegcnparts aber sehr zweifelhaft wären, daß also, falls ein dergleichen eigenmächtiges Verfahren eines Polizeiamtcs Gültigkeit haben sollte, unausbleiblich daraus resultiren würde, daß kein legitimer Vater seiner Kinder sicher sei, weil sie ihm durch jedes falsche Zeugniß einer feilen Dirne gestohlen und von der Polizei abgesprochen werden könnten. 2) Daß die Uprawa den Fehler des Polizeiamtes nicht nur durch ihre Genehmigung unterstützt, sondern noch vergrößert habe, indem sie das lutherische Taufzcugniß erst von der evangelischen Kirche bestätigen ließ, statt dasselbe aber. auf gleichem Rechtswege, von dem russischen Consistorimn für das griechische Taufzeugniß thun zu lassen, einer Mitschuldigen und Taufzeugin, ohne mein Wissen, einen Eid auflegte, welcher das zweifelhafte russische Zeugniß bekräftigen sollte; daß dieser Eid gegen Vorschrift von Nccht und Gesetz gefordert und geleistet worden, ohne mir die Eidesleistung bekannt zu machen, meine Einwendungen dagegen zu hören, und ihn in meinem Beisein ablegen zu lassen; 3) Daß das erste Departement des Hofgerichts in demselben Verfahren der Uprawa fortgefahren sei; es habe meine Exceptionell gegen das rnssische Zeugniß gar nicht berücksichtigt, es sei ex oMia verbunden gewesen, das sichtbare Mängel tragende Zeugniß zuvor vom Konsistoriuni bestätigen zu lassen, es habe sich auf gar keine Beweismittel eingelassen, die Wahrheit zu erörtern, es habe das russische Zeugniß und die Angaben der Schuldigen vor der Polizei und Uprawa für wahr und bewiesen angenommen, hingegen mich und mcine Beweise gar nicht berücksichtigt; 4) Zu Begründung meiner Appellation legte ich ein vollgül- Justiz. 2i3 tigcs Zeugniß des russischen Consistoriums bei. welches anders lautete, als das von Marien beigebrachte, und dessen Fälschung bewies. Denn dieses selbstvcrfcrtigte Zeugniß der Marie lautete: „Daß ein uneheliches Kind Alexander in der Isaakskirchc ge-„tauft worden, wobei Taufzcugcn gewesen: eine Juliane Baner „und ein Iwan Fedorowitsch Collin." Das richtige, von mir jetzt beigebrachte Zeugniß des russischen Consistoriums aber enthielt: ..daß ein uneheliches Kind Alexander Bauer getauft worden war, wobei Zeugen gewesen: die Collcgienrathin Juliane Bauer, die Hoftäthin Anna Heidrich und der Doktor Iwan Fedoro-witsch Collin." Hier war ich also mit einem Stande aufgeführt, den ich mir nie beigelegt habe, in jenem falschen Zeugnisse war er deschalb aus-gelassen worden, und ebenso war mein Vorname nach russischer Bc-ncnnuugswcise nicht Iwan Fcdorowitsch, sondern Emil Fcdorowitsch, wie Freunde und Verwandte wußten. In den, Zeugniß des Consistoriums 'war ferner ein Taufzcugc mehr, die leibliche Mutter Mariens, deren Name so gut wie dermeinige gemißbraucht worden war. Vbmso hatte hier der Täufling den Familiennamen Bauer; 5) Obgleich sich schon aus dem Familienbande erkläre, daß es eine Unmöglichkeit gewesen wäre, den beiden Schuldigen die lutherische Tauft zu verheimlichen, besonders da beide bei uns wohnten; wenn gleich es ferner offenbar« Unsinn gewesen wäre, wider Wissen oder gar wider Willen der beiden Schuldigen die Taufe vorzunehmen und sie dennoch im Beisein von fünfzig Personen mit Zuziehung der nächsten Anverwandten zu feiern; so erbiete ich mich dcmungcachtet zum Beweise durch Zeugen. daß Maria zum Tage der lutherischen Taufe gekommen war. Dieser Beweis lag mir nicht 2W Justiz. ob. sondern der leeren Behauptung dcs Gegeuparts, dennoch offerirtc ich mich dazu. Ich hatte in meiner Appellation nichts unterlassen, um meine Unschuld klar an den Tag zu legen. Ich stand gerüstet und bereit zu jeder Aufklärung, meine Zeugen erwarteten die Citation. Ich durfte endlich nach der vieljährigcn Verschleppung dcs Prozesses und nach der hellen Darstellung der Wahrheit hoffen, daß sich das Recht nicht länger beugen lasse. Mit dem ruhigsten Gewissen überließ ich nun die nöthigen Verfügungen der Appellationsinstanz, dem sogenannten Kopfgcricht. Jedes Drängen um Beschleunigung konnte mir ausgelegt werden, als sehne ich mich nach Rache gegen die Schuldigen. und davon war meine Seele weit entfernt. Mir lag nichts au''der Bestrafung niederträchtiger Seelen, und als mir das obige Mitglied bei Cinreichnng der Appellation sagte: Warum haben Sie das Zeugniß des russischen ssonsistorinms nicht gleich in erster Instanz übergeben? jetzt steheu die Marie und die Juliane Bauer offen als Verbrecher da, es muß nun gcgm die Polizei und Uprawa eine Untersuchung eröffnet werden, Marie wird von Sibirien nicht frei kommen u. s. w., äußerte ich: „Da es des Richters Pflicht ist, in zweifelhaften Fällen jedes Dokument erst zu prüfen, so konnte ich vom Gericht erwarten, dasi es dieses durch die uöthigcn Verfügungen thun werde; allerdings hätte ich gleich durch das Zeugniß dcs russischen Konsistoriums die Wahrheit ans Licht bringen können, allein dazu habe ich mich nicht für verpflichtet gehalten, ich habe das Zeugniß nicht eher beizubringen nöthig gehabt, bis ich gewußt, daß ich auf Grund des falschen kondemnirt sei, ebenso wie ts juristische Regel sei, die Replik nicht schon in die Klage zu bringen, sondern dm Gegentheil mit seinen Beweisen und Gegenbeweisen sich erst in Schlachtliuie stellen zu lassen; ich habe mich da- Justiz. 247 her mit meiner Reserve nur in das mit der Wahrheit verschanzte Lager gestellt, nnd die Nprawa selbst hieß mich mit der Beibringung des Zeugnisses von der russischen Kirche warten, bis ich gefordert werde." Ich hätte in meiner Appellation bis znr Evidenz ferner beweisen können, daß der Bruder Mariens, der sogenannte Doktor Alexander Heidrich, dessen Namen das Kind auch in der Winkeltanfc erhalten, meinen Namen gemißbraucht hatte, da er hingegen scinen Stand als Doktor nicht verheimlichen konnte, weil er von der Hebamme Isaak und in der Wohnung der Schwester. wo sie niedergekommen war, als Doktor bekannt war, aber nicht dem Namen nach. Ich that dies nicht, weil es nicht in meiner Gesinnung liegt, BöseS mit Bösem zu vergelten. Der Bösewicht straft sich selbst, und wenn das Gewissen nicht eher erwacht, als am Sarge. Im Laufe der uuu folgenden Jahre trugen sich zwei Ereignisse zu, von deren erstem ich unmittelbaren Einfluß auf diesen Prozeß nach meiner Ueberzeugung erwarten durste. Der Kaiser war mit dem Hosgcnchte unzufrieden, es wurde aufgehoben. Präsident, Mitglieder und Sekretairc sah ich brodlos umhergehen. Meine von ihnen geforderten 500 Nubcl waren schon gerächt. Mein Glaube fußte nun auf mehr Gerechtigkeit in der Appellationsinstanz. Das zweite Ereigniß war das kaiserliche Manifest bei der Vermählung des Thronfolgers, nach dessen Inhalte auch mein Prozeß völlig niedergeschlagen war. Es war mir in so fern lieb, daß dadurch alle Bestrafung der Schuldigen aufgehoben war. Ich habe stets das Gefühl mciuer Frau als Schwester zu ehren gewußt. Daß dic Sache zu Grabe getragen sein mußte, gab auch die Zeit zu erkcunm. Seit Anmeldung meiner Appellation waren 6 Jahre vergangen. Nichts war seit anderthalb Olympiaden verfügt worden. Weder ich 248 Justiz, ncch cinc andere betheiligte Person hatte dic Appellationsinstanz betteten, das Gericht war stumm, der Vorhang war schon seit Jahren durch das Manifest gefallen, das Wort des Kaisers hatte Ruhe geboten. Am 29. April 1843 ward ich zu dem Nadsiratel dcs Stadtviertels meiner Wohnung gerufen. Der Nabsiratcl wußte von nichts, ich mußte seinen Schreiber abwarten. Dieser kam, setzte sich, schrieb ohne etwas zu fragen, und sagte mir dann: ,,Sic gehen mit diesem Soldaten auf das Polizciamt unsers Stadttheils!" „Warum?" „Das wissen wir nicht!" — Auf dem Polizeiamte fragte mich der dejourirende Polizist: Warum hat man Sie arrctirt und zu uns gebracht?" „Ich arrctirt? erwiderte ich, weshalb?" ,,Wir wissen von nichts, warten Sie, bis der Pristav kommt!" Das dauerte lange. Auch er konnte mir nur sagen, daß ich dem Kopfgericht abzuliefern sei; warum uud mehr wnßte auch er nicht. Mit Wache wurde ich in die genannte Behörde geführt. Nach Verlauf von vier Stunden wurde ich in das Sessionszimmer gefordert. Der Präsident schaukelte ein über das andere geworfene Bein, und nachlässig in seinen Lchnstuhl hingegossen, fragte er: „Verstehen Sie russisch?" „Etwas," cutgegnctc ich, und lächelnd, als ob seine Seele eine Freude zu verkünden hatte, sagte er: „Sie müssen ins Gefängniß!" „Ich bin in den Händen der Gewalt, sprach ich getrost, darf ich fragen, warum?" „Das werden Sie ein anderes Mal hören. treten Sie ab!" Wieder nach langem Worten wurde ich in das entfernte große Gefängniß geführt, an dessen Eingang Schuld und Unschuld wie an Dante's Hölle lesen können.- „Hier lasse ein Jeder die Hoffnung zurück!" Eingeschlossen war ich in das Haus der Verbrecher und bchan- Justiz. 2W dclt auf gleichem Fuße, mit gleicher Haltung wie der Mörder, dcr Straßenräubcr, dcr Dieb. Und warum? Das fragte mein Gewissen die Gottheit! Als ich auf die gemeinste Art durchsucht, und mir das Geringste abgenommen war, erblickte mich X. „Warum sind Sie hier?" „Das weiß nur Gott!" —„Wer hat Sie hergeschickt?" — „Das Kopfgericht!" — „O! in unsern Gerichten sitzen lanter Spitzbuben!" rief er recht von Grund seiner Seele. Er wandte sich zum Obersten des Gefängnisses: „Geben Sic dem Herrn eine Stube ft gut wie möglich!" Eine von den 6 großen Stuben voll des kaiserlichen Adels, Gauner aller Art, wurde mir als Aufenthalt angewiesen. Ein Brett wurde mir als Sitz, Tisch und Bette bezeichnet. Dcr Oberst hatte mir versprochen, meiner Familie mein Schicksal wissen zu lassen; dcr abgehärtete Mann that es nicht. Tag und Nacht wurde ich gesucht, bis man mich des andern Tages im Kerker fand. Am 1. Mai ward ich wieder in das Kopfgcricht verlangt. Ich erschrak, daß mein ganzes Innere erbebte) ich sollte in einen Vcr-brcchcrwagm kriechen. Ich bat den Oberst, mich zu Fuß durch einen Soldaten begleiten zu lassen. Er schlug es ab; die Bajonette blitzten ; ich mußte hinein in den Kasten mit Blutstrichen und Schmutz besudelt, gemeine Canaillen an meiner Seite. Ich fuhr nicht inS Gericht, ich wurde in die Hölle gestoßen. Von 9 Uhr Morgens bis i Uhr Nachmittags saß ich auf dcr Folter des Wartens, die Ohmnacht war mir nah, als ich endlich in dic Session verlangt wurde. Ein Mann in Uniform stand mit einem Bandc Aktcu vor dem GericlMtischc und redete mich in deutscher Sprache an: „ Auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Kaisers hat Ihnen diese Behörde hicmit folgenden Allerhöchsten Willen zu eröffnen!" — Er 280 Justiz. übersetzte mir aus russischer Sprache deutsch einen Vefthl, welcher wörtlich also lautete: „Auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Kaisers sind alle in der Sache betheiligte Personen von aller Strafe freizusprechen, der Ausländer kollin aber — weil er mit den Gesetzen des russischen Reichs nicht zufrieden ist. und weil er sich ungeziemender Ausdrücke dabei bedient hat, — ist über die Grenze zu weisen! " So lautete buchstäblich der Wille dcö Kaisers. Ich verlor nicht dic Fassung, aber die beiden mir vorgelesenen Gründe meines Czils pressten mir die Frage ab: „Darf ich wohl bitten mir nachzuweisen, wo meine Aeußerung über Unzufriedenheit mit den russischen Gesetzen geschrieben steht, darf ich um den Nachweis eines einzigen ungeziemenden Ausdrucks bitten?" — Die Antwort war: „Das ist nicht unsere Sache, es ist der Wille des Kaisers, mehr wissen wir selber nicht, wir haben nur zu gehorchen! " — „Gut! versetzte ich, hab' ich wohl Zeit, meine Familie davon zu benachrichtigen?" „Das wissen wir nicht, wir haben mit der Sache nichts zu thun, wir schicken sie gleich an die Regierung, dergleichen namentliche Befehle des Kaisers werden immer sehr schleunig ausgeführt! " Ich sprach nicht eine Silbe weiter, meine Seele war empört. Ich ward im Verbrecherkastcn in das Gefängniß zurückgebracht. Ich schrieb eine Bittschrift an Graf Benkendorf. Ich entwarf ihm ganz kurz eine klare Darstellung der Sache, bewies ihm durch eine Menge hoher vollwichtiger Namen, unter denen viele seiner Freunde, dasi ich vermöge meines Standes nicht zum Pöbel gehöre, sagte ihm, daß Gnade nur dem Verbrecher gehöre, daß ich also nicht um Gnade zu flehen habe, und legte ihm die drei Bitten vor: Justiz. 281 2) mir zu erlauben, daß mcine Familie mich begleiten dürfe; 1>) daß mir vergönnt sei, für meine Kosten zu Schiffe Rußland zu verlassen; c) daß ich einige Tage ausgeben dürfe, um mcine häuslichen Geschäfte zu ordnen. Waren diese drei Bitten vielleicht außerhalb der Grenzeu der Menschlichkeit, daß sie so großer Berattnmgen bedurften, ich weiß es nicht, gcnng, nach mehr als einem Monate erst erhielt ich vom Gra< fen die Auskunft, daß meine Familie, die ohnehin aus Ausländern und nicht ans russischen Unterthanen bestand. mich begleiten dürfe, daß ich mit Wache acht Tage zu Reguliruug meiner Geschäfte ans-gehen könne, daß ich aber auf eigeuc Kosten nicht reisen dürfe. Jene Worte: „Dergleichen namentliche Befehle des Kaisers werden sehr schleimig ausgeführt! " sind die beste vidimirte Schrift unter die kaiserlichen Machtsprüche, denn nachdem ich das „sehr schleunig" schon zwei Monate im Kerker durchdacht und durchfühlt hatte, ohne daß sich eine Ausführung blicken ließ, geschah es endlich auf eine Art, welche es mir zur Pflicht macht, sie Europa mitzutheilen. Nach zweimonatlicher Einkerkerung wnrdc ich zu Lande nach Kronstadt transportirt, daselbst saß ich wieder einen vollen Monat gefangen, und dann erst athmete ich wieder frei auf dem Schisse, welches mich unerhörten Verbrecher, der das Gluck nicht hatte verdienen wollen, Gnade! Gnade! zu erstehen, an Deutschlands Ufer setzte. So weit die 8pcoit!5 laeti. Es ist nicht meine Absicht, die Vettrtheilnng derselben mit allen Gründen hier juridisch auseinander zu legen, ich stibnnttire sie den Rechtögelehrten aller civilisirten Länder. Jedoch zu mehr Bestimmtheit und Verständlichkeit bitte ich noch Folgendes, aus meiner Ueber- 232 Justiz. zeugung und aus dem Kerne der Wahrheit genommen, zu berücksichtigen. Dcr denkende Leser wird dic Fragen auswerfen: ^,. Aus welcher Ursache stahl Marie das Kind auf so tückische Art, warum raubte sie demselben die Rechte ehelicher Geburt und warf es lieber in alle Nachtheile dcrUnehelichkcit; warum entriß sie es den Händen grenzenloser Liebe, um es fern von sich wie ein Thier heimlich auffüttern zn lassen, statt ihm die sichere Zukunft einer guten Erziehung zu gönnen; was vermochte sie. das gräßlichste aller Laster, die Undankbarkeit, auf eine so frivole Wnsc an den Tag zn legen, und sich selbst in aller Blöße an den Pfahl dcr Schande zu stellen, nachdem auf ihr Flehen ihre Schmach gedeckt war? Alle diese und ähnliche Fragen quellen gewiß zuerst aus jedem Herzen, dem menschliche Gefühle nicht fremd sind. Könnte ich nur eine dieser Fragen, wenn auch nur zur Wahrscheinlichkeit führend, beantworten, ich gestehe, ich wäre ruhiger, als da ich die Wahrheit öffentlich aussprcchcn muß: Marie, die Schwester meiner Frau, handelte nur aus Bosheit! Es giebt eine gedankenlose Menschennatur , die tief unter dem Thiere steht. Die Löwin ist dem Wärter ihrer Jungen erkenntlich, die Hündin dankt dem Wohlthäter ihrer Kinder. Hier giebt es ein deutlich redendes Beispiel, was der Mensch ohne Erziehung ist. Marie wurde in dem Hause ihrer Tante aufgefüttert, wo sie das Laster dcr Verstellung, dcr Wollust, dcn Familienzwist, die Irreligiosität, die Macht dcr Launen, den störrig-sten Eigensinn kennen lernte. Juliane Baucr war eine von den Seelen, die man als Ansfnllscl dcr menschlichen Gesellschaft überall hinwerfen konnte, eine Heuchlerin, die ihre Mienen mit Frömmelet überzuckerte, die Jemanden mit der größten Freundlichkeit aufnahm, Justiz.. 233 und gegen ihn in Schmähreden ausbrach, sobald cr sich entfernt hatte. So lernte ich sie gegen Hausgcuoffen und Fremde durchschauen. Marie war ihr Abgott, weil sie ebenfalls Schmeichlerin war; man wird sich daher nicht wundern, wenn diese das unerträglich launischste Geschöpf wurde. Sie konnte immer nur dem Impuls des Instinktes folgen, der fordernd in ihr sich regte und dem zu widerstehen sie weder Gemüth noch Verstand hatte. Nochmals wiederhole ich, es ist ein Thier in seiner ganzen bösen Natur, mit keinem Zuge von thierischer Güte. Als ich sie nach dem Raube in ihrem ver« borgenen Winkel fand und fragte: Was hab' ich Ihnen gethan, daß Sie mir diesen Schmerz verursachen?" antwortete sie: „Ich weiß. Sie lieben das Kind, aber ich brauche keine Gründe, ich will es so!" Welchen Vewegnngsgrund konnte sie vor der Uprawa angeben, als einen erlogenen, sie habe uns das Kind nur ans Zeit und gegen Bezahlung zur Pflege gegeben! — Die Lüge mußte sie beweisen, aber die russische Justiz fragt uicht uach Beweisen, weil sie auch auf das Prinzip sich stützt - ich will es so! — Hatteu wir Eltern das Kind nur zur Pflege, wozu dann heimlich es stehlen? Warum nicht mit seinem Rechte vortreten? warum zugeben daß ich das Kind für ehelich erklärte, warum die Taufe zulassen? Sind keine Beweise für solche Lügen nöthig, so ist der russische Sklavenhandel öffentlich erklärt. Dann macht sich der Händler beliebige Taufzeug-msse der russischen Kirche, tische Kinder, läßt sogar in der Zeitung publizirm, daß er sie gegen Bezahlung habe verpflegen lassen, läßt sich von der Polizei die Bestätigung als seine unehelichen geben, und zieht damit zum Verkauf aus. Oder war das russische Iustizverfahren gegen mich anders? Ich 234 Justiz. brauche des Unsinns kaum zu gedenken, daß man sich an cm Wcscn mit der größten Zärtlichkeit, mit der größten Aufopferung ketten würde, welches man für Geld nnr auf Zeit aufzieht. Galt die Bosheit allein mir? Nicht auch meiner Frau, der Schwester, die so liebreich für Deckung der Schande gesorgt hatte, deren mütterlichen Sorgen das Kind anheim gefallen war? Väter und Mütter! dic ihr alle in Ländern der Gerechtigkeit in dem sichern Besitze des Glucks und der Liebe eurer Kinder euch wißt, was würdet ihr fühlen, wenn euch die Bosheit eins raubte, und noch dazu in's Unglück stürzte! Was würdet ihr sagen, wenn ihr es endlich fändet, ihr froh zum Richter eiltet, ihm euer Weh klagtet, eure Zeugnisse, eure Zeugen ihm zeigtet, und er euch cntgcgnctc: ,,Hier ist eine Mctzc, die behauptet, es sei ihr Kind, ich weiß nicht, ob ihr Zeugniß gültig ist, sie hat keine andern Beweise; allein sie kann das Kind doch behalten; denn sie sagt, es sei griechisch getauft!" — Nnn denkt euch noch hinzu die Fnric der Undankbarkeit in ihrer wahren Mohrmgcstalt mit tatuirtem Gesicht und Körper, die euch das Kind stahl; denkt euch dazu, daß der Dieb euch das größte Gut schuldig war, Rettung seiner Ehre. daß ihr ihn mit allen möglichen Wohlthaten überhäuft hattet und daß er. ohne einen einzigen vernünftigen Grund auszuweisen, aus viehischer Dummheit und Bosheit der Räuber eures Kindes ist! Ich gehe weiter. L. War es möglich, daß Marie und ihre Tante roll der lutherischen Tauft nichts wußten, und daß wir Eltern sie gegen ihr Wissen und ihren Willen dennoch ausgeführt hätten? Es bcdurfk nur des Beweises dieser einen Behauptung, um meine Strafbarkeit, so wie die Rechtfertigung Mariens an das Licht zustellen. Was ist des Richters erste Pflicht anders, als das Streben, sich in dcn Besitz der Wahrheit zu setzen? Vierzehn Jahr brauchten Justiz. 288 drei Instanzen, und keine verlangte Licht. Alle drei begnügten sich mit leeren Ausflüchten der Angeschuldigten, und nahmen diese sogar als Basis der Wahrheit an, ohne an das nuäialur ot aw;,-« ^21-3 zn denken. Ich kann mir nicht vorstellen, daß in irgend einem Lande Europa's der Fall vorgekommen sei, wo drei Instanzen in einer Prozeßsachc 14 Jahre gar nichts thun, als den einen Theil nur cin einziges Mal l'urm>i!n0r zu vernehmen, und nm Beweise, um Entdeckung von Recht und Unrecht sich gar nicht kümmern, sondern die Sache liegen lassen und warten, bis cin günstiger Zufall sie von aller Verantwortlichkeit befreit. Hier war es eben so der Fall. Der Machtspruch bedeckte vierzehnjährige Verschleppung und Ungerechtigkeit, wofür in jedem andern Staate Strafe erfolgt wäre; wenn die Möglichkeit existirtc, daß es dergleichen Gerichte gäbe. Für ihre Behauptung, von der Tanft nichts gewußt zu haben, blieb also Marie den Beweis schuldig. Da sie ihn nicht zu liefern vermochte, da ferner zwei Behörden diesen Beweis nicht einmal gefordert hatten, so erbot ich mich, durch Zeugen zu beweisen, daß Marie zur lutherischen Taufe gekommen war. Ich konnte dieß durch Hausgenossen, durch andere Personen, und selbst durch Verwandte bewerkstelligen. Ich konnte beweisen, daß unsere Einladungen zur Tauft, wie in der «peeitü, l^li erzählt ist, nach Strclna ergangen waren. Wer würde es überhaupt nicht für ein Mährchen halten, eine große Taufe von fünfzig gebctcnen Zeugen. Personen zu verheimlichen, welche bei den Anstalten znr Feierlichkeit selbst mit thätig waren? Oder die Schwester der Inliane Ban er und Mutter Mariens, die Hofräthin Anna Heidrich, sie die fromme, aufrichtige, keiner Verstellung fähige Seele, hätte ihre Nächsten von einem Geheimniß ausschließen können, das ihnen verderblich oder gegen Nccht gewesen wäre? Es fehlte mir nirgends an vollkommenen Beweisen, 236 Justiz. selbst da, wo sie mir nicht oblagen. Wollte Gott, es wäre Richtern immer so leicht wie hier, durch Beweist eine Sache aufzuklären! (^. Warnm hatten Juliane Bauer und Marie das Kind heimlich griechisch taufen lassen, und wer waren die Zeugen bei dieser Taufe? Dieses Warum hat eben so satanische Bosheit zum Grunde, als der Raub des Kindes. Man baute demselben heimlich auf meine Rechnung eine Znkunft. Indem man es mir als mein eigenes abgab, hatte man vorher durch die griechische Taufe für die Zurück' nähme desselben gesorgt, nachdem es die ersten schwersten Jahre auf meine Kosten erzogen worden war. Auch bei diesem Warum war der Teufel das große Rad in der Maschine. In Betreff der Zeugen bei der russischen Tauft, so standen im falschen Zeugnisse zwei, im wahren des russischen ConsistoriumZ drei. In jenem war es die Iuliaue Bauer und ich, in diesem die Juliane Bauer, meine Schwiegermnttcr und ich. Hier figurirte ich unter einem Titel, den ich nicht trug, dort ohne Titel. Es war leicht sich davon zu überzeugen, ob ich gegenwärtig gewesen, denn die Hebamme, die Amme und Personen im Hause wurden mich doch gesehen, und der Priester, Küster, und der Himmel weiß, Mr, würden sich meiner erinnert haben. Ich war also bei der griechischen Tauft kein Zeuge, und nicht der geringste gültige Beweis hat gegen mich geführt werden können. Meine Schwiegermutter ist todt, aber auch sie war nicht Zeuge. Wir hatten einander viel zu lieb. Wir ehrten einander durch Vertrauen, und nie hätte sie über sich vermocht, mir eine dergleichen Thatsache zn verschweigen, erst Zeugin der russischen Tauft zu sein und dann wieder der lutherischen. Ihr und mein Name wurde von denen gemißbraucht, die sich schämten, ihre Namen bei der Tauft eines unehelichen Kindes einschreiben zn Justiz. 26? laffcn. Ich nenne diese Personen laut. Die wirklichen Zeugen bei der griechischen Winkeltaufe warm die Juliane Ban er, deren bos^ hafte Schwester Marie Gowrilof, welche den Namen meiner Schwiegermutter mißbrauchte, und der Bruder Mariens, der sogenannte Doctor Alexander Heidrich, der sich in meinen Namm kleidete nnd dem Popen sogar einen falschen Vornamen diktirte. Diese Verwandten schmiedeten auch den Plan, das Kind zu rauben. Ich fordere hiermit diesen Hofrath Alexander H eidrich auf, mit mir in die Schranken des Gerichts der öffentlichen Meinung zu treten, wenn sein Gewissen rein ist. Er fordere mich zu Beweisen ans, er erzähle selbst, wem er als größten Wohlthäter den Dank schulde. Ich breche ab, um meine Seele durch Ausmalen der undankbarsten Kreatur auf Erden nicht zu erschüttern. Vs wird an Gelegenheit nicht fehlen, das Laster zum Grauen aufstellen zil müssen. Wenn ich also nicht Zeuge bei der russischen Tauft war, wenn' kein Beweis gegen mich geführt wurde und werden konnte, reicht cs hin, den in einem Taufzcugnifsc angeführten Namen eines Zeugen, als vollkommenen Beweis anzunehmen, daß der Namensträgcr wirklich zugegen gewesen? Jedes Dokument, gegen welches sich noch -Zweifel erheben lassen, kann kein vollkommener Beweis sein. Bei einer Tauft werden dem Geistlichen Namen aufgegeben, um deren Personen er sich nicht zu kümmern, und wobei er nicht zu prüfen hat, ob die Zeugen wirklich diese Namen führen, oder ob sie fingirt sind. Die russische Kirche macht hievon keine Ausnahme. In einer großen Stadt wird ein Namcnsvcrzeichniß noch ungewisser, und das Einzige was ein dergleichen Kirchenzeugniß beweist, ist, daß ein Kind faktisch getauft worden ist. Anders wäre es, wenn die Taufzeugen eigenhändig unterschreiben müßten, und selbst bei Documcn-icn solcher Fälle werden die Unterschriften erst zur Recognition vor- Mnßl,1„d, II, 1? 238 Justiz. gelegt. Und Jemand konnte eincs Frevels, cincs Verbrechens beschuldigt und venirtheilt werden, ohne andern Beweis, als weil sein Name gemißbraucht sein kann in Fällen, wo cs gar zu leicht möglich ist, und gewiß cft gcuug geschieht! Hm war der Vorname sogar falsch angegeben, mit Beifügung cincs Titels, dm die Person nicht trug, welcher der Familienname angehörte. Wnrde dadurch das Zeugniß gültiger, oder nicht vielmehr schwächer? Oder gewann es an Kraft durch den von der Juliane Bauer geleisteten Winkeleid? Dieser Eid war gegen Gesetz und Recht. In meiner Appellation trat ich mit allen, sogar mir nicht obliegenden Beweisen vor. Es blieb darin nichts uncrörtcrt, die Wahrheit mußte siegen, das Laster in seiner Schwärze enthüllt, und meine That für uneigennützige Tugend erkannt werden. Dennoch erfolgte der Machtspruch, kein Urtheil. Ein Machtspruch bedarf keiner Beurtheilung, er richtet sich selbst. Mein Ich und das Herz dieses Ichs, meine Ehre und deren Gefühl können von der That einer Gewalt nicht abhängen. Wer mein Recht antastet und ohne Prüfung verdammt, greift mich auch als moralisches Wesen an. Jede Regierung hat durch die Gesetzgebung den Kreis gezogen, Aber den hinaus keine Idee der Macht gehen darf. Nm das Sit-tcngesetz kann den Schranken enthoben sein, weil sonst alles frische Wangenroth des Lebens dahin stürbe, wenn cs nur dem Boden socialer Verhältnisse cntsproßtc. Ich habe von keinem Staate meine Glück zu fordern, wohl aber den Schutz meiner Rechte. Positive Gesetze sind, gegen Tugend und dcrm Ueberzeugung betrachtet, nur todte Formen, wie oft sind sie nur die Rede am Grabe ihrer eigenen Wirksamkeit. Der Bürger kennt keine höher gebietende Person als das Gesetz. Justiz. 2!j9 Mit dieser Ueberzeugung tritt jeder Fremde in gleichviel welcben Staat, mit ihr lebt er drin, so lange er auf europäischer Erde sich weiß. Der Fremde kommt auch nach Rußland mit der Idee. daß cr sein Recht nicht selbst zu pflegen nöthig habe, sondern hier Anstalten zn Recht und Gesetz wie in jedem andern europäischen Lande vorfinde, weil die Regierung bei jeder Gelegenheit Europa betheuert, daß Rußland die allgemeine Civilisation theile. Was zwang hier zu einem Machtspruche! Und wenn ich tausendmal wußte, daß russische Gerichte käuflich seien, so unterwarf ich mich doch ihren Aussprüchcn. Hoffte ich nichts von ihnen, so hatte mich doch das Vertrauen aus die Gerechtigkeit des Kaisers nicht verlassen. Wozu Anstalten der Justiz, wenn sie Nullen und Masken vorstellen sollen. Hätte der Machtspruch gesagt: du hast das Reich zu verlassen, weil dn einen Prosclyten gemacht hast; so hätte cr sich wenigstens, gleichviel ob gerecht oder ungerecht, alls einen zur Sache gehörenden Grund gestützt. Mein Recht, meine Unschuld hätten gekränkt werden können, aber mein Gefühl hätte sich nicht empört gegen zwei Unwahrheiten, die mir aufgebürdet wurden, von dencn in den Akten keine Sylbe vorkommt, die meiner Seele ganz unbekannt sind. Ich habe niemals, weder mündlich noch schriftlich geäußert, daß ich mit den Gesetzen des russischen Reichs nnzuftiedeu sei. Ich habe mich niemals eines ungeziemenden Ausdrucks oder ciucr ungebührlichen Rede bedient, die als Strafgrund gegen mich angewandt werden könnte. Indem ich also hicmit diese Wahrheiten öffentlich behaupte uud bei Ehre und Gewissen bethcme, wird die russische Regierung hoffentlich nicht ermangeln, mir aus den von mir erwiesenen Aktenstücken die Gründe meiner Verweisung ebenfalls öffentlich zu beweisen. Hat sie dem Oberhaupte diese beiden Gründe 17" 260 Justiz. suppcditirt, so gebe ich dem Monarchen Gelegenheit, sich von der Gerechtigkeit seiner Rcgienmgsdiencr zu überzeugen. „Nicht ohne großen Gegenstand sich regen, doch einen Strohhalm selber groß verfechten, wenn Ehre auf dem Spiel!" So sagt Shakespeare; so fühle anch ich, und mit mir Tausende von Ehrenmännern. Wenn ich den beiden Gründen nm etwas mit der Leuchte der Prüfung naher trete, so weiß ich nicht, wo ich mein Verwundern bergen soll. Jede Schrift, die einem russischen kollegio übergeben wird, empfängt der Präsident desselben und liest sie in des Angebers Gegenwart durch. Findet sich nur eine anstößige Stelle, nur ein ungeziemendes Wort, so ist der Präsident nicht nur berechtigt, sondern nach Gesetz verpflichtet, sie zurückzugeben, er darf sie nicht acl lx'ln nehmen. Wie vielen Advokaten geht es so, die mit einem Verweise ihre Eingaben zurück erhalten. Im Laufe von 14 Jahren ward ich nnr dreimal veranlaßt, Schriften einzureichen: 1) meine Klage bei der Polizei, 2) meine Erklärung bei dem Hofgericht nnd 3) die Appellation. Alle drei wurden gelesen und ohne die mindeste Bemerkung angenommen. In-dem Urtheile erster Instanz wurde nichts von Unzufriedenheit mit den Gesetzen oder einer ungeziemenden Aeußerung erwähnt, folg" lich mußten die Schriften 1 nnd 2 frei sein von den Beschuldigungen, die also nur in der Appellation enthalten sein können. Ich gewärtige mit aller Ruhe eines guten Gewissens den Beweis. Welchen Gewinn würde sich ein Verständiger versprechen, in dessen Sinn und Character es nicht liegt, sich anftadclnswcrthe Weise vorzudrängen, sein Recht auf ungebührliche Art zn behaupten! Ich erwartete einen Aussprnch des Rechts in Form der Gesetze Justiz. 261 und mit Gründen aus den Akten genommen; aber nie dachte ich daran, daß man nöthig habe und sich nicht anders zn helfen wisse, als den Baum umzuhauen. Wer sein Gefallen oder Mißfallen über einen Gegenstand äußert, muß nothwendig ihn erst kennen, oder er ist absurd. Nun kann ich eidlich erhärten, daß ich die größte Ignoranz in Kenntniß der fünfzehn starken Baude voll Ukasen mit Millionen in Rußland getheilt, und nie Nciz gefühlt habe, sic kennen zu lernen. Fürsten, Grafen, Kammerherrcn, Genera» len, Präsidenten, Advokaten, Promratorm, Mitglieder des Ge-fÄngsniß-KouMs. die mich um daS Warum meiner Einkerkerung fragten, dcklamirtc ich Wort für Wort den Machtspruch vor: „AufSeiner Majestät Allerhöchsten Befehl ist der Ausländer Cottin, weil er mit den Gesetzen des russischen Reichs nicht zufrieden ist, und weil er sich dabei ungeziemender Ausdrücke bedient hat, über die Grenze zu weisen." Ich hoffte von allen diesen Fragenden hier und da eine Aufklärung zu vernehmen. Einige waren so vermessen zu lachen, andere lächelten und gingen von mir. Ich kam gar auf den Gedanken, ob ich vielleicht in zwanzig Jahren das Deutsche verlernt nnd den Dolmetscher mißverstanden habe. Ich sandte einen Advokaten zur Durchsicht des Befehls, auch andere Freunde dmchlascn ihn. und alle zuckten die Achseln: ja! so lautet er Wort für Wort! In zwei Schreiben an den Kriegs-gouvcrneur und den Grafen Ncnkendorf führte ich ebenfalls den allerhöchsten Willen an, in der Meinung, diese beiden wichtigen Männer würden auf die Idee gerathen. es walte gegen mich ein Irrthum ob. Der Erste antwortete gar nicht, dem gwciten war die Sache gleichgültig.--------------- Nachdem die Gewalt zwei Monate mich in ihren Mauern gelial-ten hatte, ging ein Zug Galeerensklaven von Petersburg uach Krön- 262 Justiz, stadt. 50 an der Zahl. Hwtcr dcr Kettenharmonie der Hölle, von Bajonetten getrieben, mußte ich folgen. Es kostete weniger Mühe als Geld, den Unteroffizier des Kommando's zu der Barmherzigkeit zu bewegen, daß ich bewacht, im Thau unter freiem Hinv mel, die Nacht zubringen durfte und nicht in dcr Peststube dcr zusammengedrängten Schaar der Geketteten, die in ihren Eisen, von Schweiß und Staub bedeckt, vor Müdigkeit und Schmerz hingesunken waren, ohne schlafen zu können. weil die Bewegung des Einen die Andern ausrüttelte. Ich trat mit der Hoffnung in Kronstadt an's Land. auf einem Schiffe mit dem kommenden Tage von aller Pein frei zu sein. Es hieß. cs sei kein Schiff fegelfertig. Vier Wochen wurde ich daher wieder auf der Polizei gefangen gehalten. Schreckliche Tage! Verdammt zu sein als Zeuge von dcr Nohheit russischer Polizeibcamtcn, eingesperrt, um Tag und Nacht das Geheul Gemißhandelter zu hö^ reu. die ehrlose Käuflichkeit dcr Beamten anzusehen und das Geschrei Schuldiger und Schuldloser unter unbarmherzigen Hieben zu vernehmen, die so lange fortgesetzt wurden, bis irgend ein Gcständ-niß abgcdrungen war, welches man dem unglücklichen Opfer bei jedem Schlage vorhielt! Endlich kam ein Schiff. Drei Monate hatte man durch Kerker und Qual aller Art mich begreifen gelehrt, was es heiße, einen kaiserlichen Befehl schleunig zu vollziehen. Drei Monate hatte man mir Zeit gelassen, den Gedanken anatomisch zu behandeln, daß die Regierungen die schönsten Strahlen des Ruhms durch die Anwendung ihrer Gesetze erhalten, daß die Art. wie man die Gesetze anwendet, der herrlichste Reflex auf die Gesetze selbst ist. Ich nahm die Ueberzeugung mit aus Rußland, daß die Gerechtigkeit in man- Justiz. 263 chcn Gefängnissen weniger Schuld zu richten findet, als in den Tribunalen. Ich bin überzeugt, dic russische Gerechtigkeit wird es nicht un-tcr ihrer Würde finden, auch dem einzelnen Ausländer, der sich dnrch ihre etwas gar zu starke Ungerechtigkeit gemißhandelt glaubt, und dcm> ihrer Gewalt erliegend, nichts übrig blieb, als mit ihr vor das Forum der öffentlichen Meinung zu treten, die wahren Gründe nicht vorzuenthalten, die sic zu ihrem Verfahren veranlaßten, weil dieser Einzelne so frei ist zu behaupten, daß die von ihr gegen ihn angeführten Gründe am Dasein aller Wahrheit litten, und weil er vor Dem, was er gethan hat, selbst falls es im Widersprüche mit russischen Prinzipien wäre, nicht erschrickt, vielmehr auch ferner durch keine Staatsgewalt der Erde sich würde nehmen lassen, der Stimme seines Gewissens und dem Gebote dcr Vernunft zu folgen, falls er nämlich dieses Staats Verlangen ohne jede Böswilligkeit verletzte. Ich bin dcr Meinung, daß solche Menschen keinem Staate gefährlich sind, ja daß jeder Staat nicht Unrecht thun würde, wenn er sich selbst dergleichen Grundsätzen fügte.