choralnotationen der mittelalterlichen liturgischen kodizes des 14. und 15. Jahrhunderts in slowakischen archivbeständen EVA VESELOVSKÄ Slovak Academy of Sciences, Slovakia Izvleček: V slovaških arhivskih zbirkah je 15 v celoti ohranjenih notiranih kodeksov: pet bratislavskih antifonalov (Bratislavski antifonal I, II, III, IV, 15. stol., se poslužujejo metensko-gotske notacije, Bratislavski antifonal V, 15. stol., pa češke notacije); Bratislavski misal I (eszter-gomska notacija, 14. stol.); Notirani misal Nr. 387 nekdanje Licejske biblioteke v Bratislavi (kvadratna notacija, 13. stol.); Kartuzijanski gradual-psalter iz Martina (kvadratna notacija, 15. stol.); Psalter iz Košic in Misal iz Vzhodno-slovaškega muzeja v Košicah (metensko-gotska notacija, 14.-15. stol.); Evangelijar iz Nitre (ekfonetski znaki, 12. stol.); dva rokopisa iz Prešova (metensko-gotska notacija, 14. stol.); dva kodeksa iz Spiša: Gradual Georgiusa iz Kezmaroka in Antifonal iz Spiša (metensko-gotska notacija, 15. stol.). Ključne besede: notacija, kodeks, srednji vek, Slovaška Abstract: In Slovakian archives there are 15 completely preserved medieval music manu-scrips: five Bratislava antiphoners (the Bratislava Antiphoners I—IV, 15th century, written in the Messine-Gothic notation, the Bratislava Antiphoner V, 15th century, in the Bohemian no -tation); the Bratislava Missal I (Esztergom notation, 14th century); the Notated Missal Nr. 387 from the former Lycean Library in Bratislava (square notation, 13th century); the Carthusian Gradual-Psalter from Martin (square notation, 15th century); the Košice Psalter and the Missal from the East-Slovakian museum in Košice (Messine-Gothic notation, 14th-15th century); the Evangeliary from Nitra (ekphonetic signs, 12th century); two manuscripts from Prešov (Messine-Gothic notation, 14th century); two manuscripts from Spiš: the Gradual of Geor-gius of Kezmarok and the Antiphoner from Spiš (Messine-Gothic notation, 15th century). Keywords: notation, codex, Middle-Ages, Slovakia Die Denkmäler der einstimmigen liturgischen Musik vom Gebiet der Slowakei bilden ein wertvolles Quellenmaterial, dank dem wir die mittelalterliche Musikkultur in der Zeit vom 9. bis 15. Jahrhundert rekonstruieren können. In der Slowakei ist leider nur sehr geringe Anzahl vollständiger Handschriften erhalten. Die Materialien bilden einen kleinen Teil der hierzulande im Mittelalter verwendeten liturgischen Bücher. In jüngster Zeit wird daher der Erforschung von fragmentarisch erhaltenen Handschriften, die sich in verschiedenen Archiven, Museen und Bibliotheken der ganzen Slowakei befinden, großes Augenmerk gewidmet.1 Im Rahmen des Projekts der Agentur für Wissenschaft und Entwicklung (APVV) Nr. APVV-51-043605 - Quellen mittelalterlicher Kirchenmusik in der Slowakei des Instituts für Musikwissenschaft der Slowakischen Akademie der Wissenschaften und der Katholischen Universität in Ruzomberok läuft seit 2006 eine systematische Erforschung von mittelalterlichen notierten Materialien aus allen Archiv-, Museums-, und Bibliotheksinstitutionen vom gesamten Gebiet der Slowakei, verbunden mit ihrer detaillierten Erfassung, Analyse, Auswertung und Digitalisierung.2 Dieses Projekt knüpft an die Forschungsergebnisse des slowakischen Musikwissenschaftlers Richard Rybaric, des slowakischen Kodikologen Julius Sopko, der ungarischen Musikhistorikerin Janka Szendrei sowie an Quellenforschungen an, die in der Dissertationsarbeit der Autorin bearbeitet worden sind.3 Die neuesten Ergebnisse der Quellenforschung wurden in zwei Publikationen, die Bratislavaer Kodizes und Fragmente beschreiben,4 im ersten Band der Edition Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia - Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi e civitatibus Modra et Sanctus Georgius5 und in den wissenschaftlichen Studien der Mitarbeiter des Projekts veröffentlicht.6 Eines 1 Ende 2004 wurden im Rahmen der Ergebnisse der Dissertationsarbeit der Autorin insgesamt 275 mittelalterliche Kodizes oder Fragmente vom Gebiet der Slowakei erfasst. 2006 verschob sich die Zahl der neuregistrierten Fragmente an die Grenze von 400 Einheiten. Ende 2007 bewegt sich die Zahl der bearbeiteten Materialien bereits im sechsten Hundert fragmentarisch erhaltener Handschriften. 2 Die Quellenforschung wird unterstützt durch die Agentur APVV aufgrund des Vertrags Nr. APVV-51-043605. Projektziel ist die Gestaltung einer zentralen Datenbank mittelalterlicher notierter Materialien vom Gebiet der Slowakei (Bearbeitungsstellen sind: Institut für Musikwissenschaft der Slowakischen Akademie der Wissenschaften und Institut für Musik, Wissenschaft und sakrale Musik der Pädagogischen Fakultät der Katholischen Universität in Ruzomberok). Leiterin des Bearbeiterkollektivs ist die Autorin der Studie. Stellvertreter ist Doz. Dr. Rastislav Adamko, der sich der Analyse und Komparation der mittelalterlichen Liturgie im Hinblick auf musikalische Quellen vom Gebiet der Slowakei widmet. Mitbearbeiterin des Projekts ist Dr. Janka Bednáriková, die sich auf Forschung und Analyse der ältesten Materialien mit deutscher linienloser Neumennotation vom Gebiet der Slowakei spezialisiert. 3 Eva Veselovská, Stredoveké liturgické kódexy s notáciou v slovenskych archívnych fondoch, Stredoveké notacné systémy z územia Slovenska [Mittelalterliche liturgische Kodizes in slowakischen Archivbeständen, Mittelalterliche Notationssysteme vom Gebiet der Slowakei], Bratislava, Ústav hudobnej vedy SAV, 2004 (Diss.). 4 Eva Veselovská, Mittelalterliche liturgische Kodizes mit Notation in den Archivbeständen von Bratislava, Bratislava, Musaeum Musicum, 2002; Eva Veselovská, Mittelalterliche liturgische Kodizes mit Notation in den Archivbeständen von Bratislava II, Bratislava, Ústav hudobnej vedy SAV, 2006. 5 Eva Veselovská, Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi e civitatibus Modra et Sanctus Georgius, Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi in Slovacia, Tomus I, Bratislava, Ústav hudobnej vedy SAV, 2008. 6 Eva Veselovská, Mittelalterliche Notationssysteme vom Gebiet der Slowakei - zu den neuesten Forschungsergebnissen, Musicologica Istropolitana IV, hrsg. von Marta Hulková, Bratislava, STIMUL, 2005, S. 9-39; Eva Veselovská, Die böhmische Notation in der Slowakei im 14. und 15. Jahrhundert,Musicologica Istropolitana VI, hrsg. von Marta Hulková, Bratislava, STIMUL, 2007, S. 9-56; Eva Veselovská, K najnovsím objavom stredovekych notovanych fragmentov z Univerzitnej kniznice v Bratislave [Zu den neuesten Entdeckungen der mittelalterlichen der Schwerpunktgebiete war die Erforschung der mittelalterlichen Notationssysteme im Gebiet der Slowakei im 14. und 15. Jahrhundert (die absolute Mehrheit der Quellen stammt aus dem 14. und 15. Jahrhundert). Im Rahmen der realisierten Forschung zu mittelalterlichen notierten Quellen aus der Slowakei wurden seit 1999 insgesamt etwa 550 Quellen erfasst, identifiziert und ausgewertet. In den slowakischen Archivbeständen befinden sich derzeit nur 15 vollständig erhaltene Kodizes mit Notation - 5 Bratislavaer Antiphonarien,7 das Notierte Missale Nr. 387 der ehemaligen Lyzeumsbibliothek in Bratislava, das Bratislavaer Missale, das Kartäuser Gradual -Psalter aus Martin, der Kaschauer Psalter und das Missale aus dem Ostslowakischen Museum in Kosice, das Evangeliar aus Nitra, 2 Kodizes aus Presov, 2 Zipser Kodizes (das sog. Zipser Graduale des Georgius aus Käsmark und das Zipser Antiphonar). Von den allgemein verwendeten Klassifikationen und Terminologien halten wir für unseren geographischen Raum (mit bestimmten Vorbehalten) die Gliederungen und Systematiken von Solange Corbin,8 Bruno Stäblein,9 David Hiley und Janka Szendrei10 für am besten geeignet. Und das vor allem aus dem Grund, weil sie von der St. Galler Notation, den französischen und deutschen Notationssystemen ausgehen, die für die Quellen von unserem Gebiet die primären und bestimmenden Notationssysteme sind. In Mittel- und Westeuropa wurden einige Notationsneumenschulen definiert und charakterisiert, die sich häufig gegenseitig beeinflussten und vermischten (Corbin verwendet für die Vermischung der Elemente der einzelnen Systeme einen hervorragenden Terminus - Kontaktneumen). Janka Szendrei konkretisiert die Termini Böhmische und Graner (ungarische) Notation nach den Zentren des kirchlichen und kulturellen Lebens dieser Zeit und bezeichnet sie notierten Fragmente aus der Universitätsbibliothek in Bratislava], Slovenska hudba XXXII/2 (2006), S. 152-170; Rastislav Adamko, Prispevok k problematike kalendara v Misali R. 387 [Ein Beitrag zur Problematik des Kalenders im Missale R. 387], Slovenska hudba XXXII/2 (2006), S. 144-151; Spissky gradual Juraja z Kezmarku (1425) [Zipser Graduale des Georgius aus Käsmark], hrsg. von Amantius Akimjak, Rastislav Adamko, Janka Bednarikova, Ruzomberok, Katolicka univerzita, Ustav hudobneho umenia, vedy a sakralnej tvorby, 2006; Janka Bednarikova, Novoobjavene hudobne pamiatky v archive UK SAV v Bratislave. Semiologicky pohl'ad na adiastematicke fragmenty [Neuentdeckte Musikdenkmäler im Archiv der Zentralbibliothek der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Bratislava. Eine semiologische Betrachtung adiastematischer Fragmente], Slovenska hudba, XXXII/2 (2006), S.171-183. 7 Das Bratislavaer Antiphonar II besteht aus zwei sich ergänzenden Teilen IIa und IIb. Möglicherweise wurden sie nicht als Ganzes geschaffen. In der slowakischen kodikologischen Literatur ist allerdings das Bratislavaer Antiphonar IIa und IIb unter einer, der Signatur II angegeben. 8 Solange Corbin, Die Neumen, Palaeographie der Musik, Bd I, Fasc. 3, Köln, Arno Volk-Verlag, Hans Gering KG, 1977. 9 Bruno Stäblein, Schriftbild der einstimmigen Musik, Musikgeschichte in Bildern, Bd III/4, Leipzig, Deutscher Verlag für Musik, 1975. 10 David Hiley, Western Plainchant: a Handbook, Oxford, Oxford University Press, 1993; David Hiley, Janka Szendrei, Notation (III, 1, Plainchant), The New Grove Dictionary of Music and Musicians 18, hrsg. von Stanley Sadie, London, Macmillan Publisher Ltd., 2001, Sp. 84-119; Janka Szendrei, A magyar közepkor hangjegyesforrasai [Notierte Quellen des mittelalterlichen Ungarn], Budapest, MTA Zenetudomanyi Intezet, 1981. als Prager und Graner Notation.11 Die Metzer Notation, die im Falle der Kodizes und Fragmente vom Gebiet der Slowakei dominant verwendet wird, bereichert sie um den Terminus „gotische" aufgrund des anderen Systems der Federführung und der eindeutigen Gotisierung der Neumenformen (erhaltener Charakter der Grundelemente der Metzer Notation). In der Slowakei sind mittelalterliche liturgische Quellen erhalten, die wir in 3 Notationshauptgruppen einteilen können: a) die deutsche linienlose Notation, b) die gotische Choralnotation und c) die Quadratnotation. Die gotische Choralnotation untergliedern wir noch in 4 Untertypen (Metzer-gotische, böhmische [Prager], Graner und deutsche gotische Notation). In der Slowakei findet man also 6 Typen mittelalterlicher Notationssysteme (geordnet sind sie nach der Zahl der erhaltenen Kodizes und Fragmente): 1. Metzer-gotische Notation (Metzer-gotische Mischnotation) ist das am häufigsten vertretene Zeichensystem, Quellen aus dem 14. bis 16. Jahrhundert, davon 10 Kodizes: 4 Bratislavaer Antiphonarien, 2 Zipser Kodizes, 2 Kodizes aus Presov sowie Kaschauer Psalter und Missale; die meisten der Denkmäler mit Metzer-gotischer Notation halten wir für das Produkt der mittelalterlichen Skriptorien vom Gebiet der Slowakei. Im Rahmen des Reformprozesses wurde Mitte des 15. Jahrhunderts eine Kontaktnotenschrift geschaffen, die man nicht als reine Graner, aber auch nicht als Metzer Notation betrachten kann, weil in ihr starke Graner Elemente wirkten. Szendrei nennt sie Metzer-gotische Graner Mischnotation.12 Wir ordnen sie in die Metzer-gotische Gruppe ein, aber mit dem Attribut - Mischnotation. Die Entstehung dieser Notenschrift spiegelt das Bildungsniveau ungarischer Skriptorien wider, die zwar auf der alten Tradition aufbauten, sich aber auch nicht ausländischen Einflüssen verschlossen (vor allem unter Sigismund von Luxemburg, und in späterer Zeit). Die Vertreter der Metzer-gotischen Mischnotation sind zwei Bände mit Antiphonarien mit dem Graner Ritus von der Mitte des 15. Jahrhunderts (Graner Antiphonar Mss. I. 3 aus der Hauptdiözesanbibliothek in Gran). Zur Zeichen- und Formenstruktur des Graner Antiphonars gesellen sich die im dritten oder vierten Viertel des 15. Jahrhunderts entstandenen Neumenformen des Fragments der Kammerrechnung Nr. 3112 aus Modra.13 Ähnlich wie das Graner Antiphonar präsentieren auch die Bruchstücke aus Modra das Metzer- gotische Mischsystem, das durch die böhmische Notenschrift beeinflusst war (Scandicus ist im charakteristischen böhmischen Stil gestaltet, ihn bilden Punctum und Pes). Diese Handschriften sind die einzigen Quellen, die die Assimilation böhmischer Elemente in der Graner Notationsschule belegen. Bei der Gesamtbewertung der mittelalterlichen Notationen, die im mittelalterlichen Ungarn verwendet wurden, war das Metzer-gotische Mischzeichensystem ein bedeutender Notationstypus aus der zweiten Hälfte des 15. und vom Anfang des 16. Jahrhunderts. Es 11 Janka Szendrei, Choralnotation als Identitätsausdruck im Mittelalter, Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 27 (1985), S. 139-170; Janka Szendrei, Choralnotationen in Mitteleuropa, Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 30 (1988), S. 437-446; Janka Szendrei, Graner Choralnotation, Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 30 (1988), S. 5-234. 12 Janka Szendrei, Graner Choralnotation, S. 5-234. 13 Eva Veselovska, Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi e civitatibus Modra et Sanctus Georgius, Nr. 20, S. 75 (Graduale 3112, Kammerrechnung 1660). wurde vor allem in den zentralen ungarischen Skriptorenwerkstätten verwendet (Gran, Ofen). Die in dieser Notation notierten Kodizes waren mehrheitlich großformatige, reich geschmückte liturgische Bücher. 2. Quadratnotation ist das zweithäufigste System. Es sind eine Vielzahl von Fragmenten und 2 Kodizes erhalten (Kartäuser Gradúale aus Martin, Notiertes Missale aus der ehemaligen Evangelischen Bibliothek in Bratislava); die Provenienz der notierten Denkmäler ist wegen der Uniformität des Systems unsicher, es kann aber angenommen werden, dass die Mehrheit der Fragmente aus monastischen Skriptorenwerkstätten stammen. 3. Böhmische Notation dokumentieren mehrere Dutzend Fragmente und ein Kodex -Bratislavaer Antiphonar V; auf unser Gebiet wurde sie in der Mehrheit der Fälle importiert, es ist aber auch das Wirken böhmischer Notatoren im slowakischen Umfeld vor allem um die Wende des 14./15. Jahrhunderts und Ende des 15. Jahrhunderts anzunehmen. 4. Graner Notation ist in einem Kodex (BratislavaerMissale I) und auf einer kleinen Anzahl von Fragmenten aus dem Zeitraum vom Ende des 13.-16. Jahrhunderts erhalten; sie war das Produkt ungarischer Skriptorenwerkstätte aus der Umgebung von Gran. Außer den Paulinerklöstern verwendete diese Notation wahrscheinlich kein einziges Skriptorium direkt auf dem Gebiet der Slowakei.14 5. Deutsche linienlose Neumenschrift ist das älteste Notationssystem von unserem Gebiet; erhalten sind nur Fragmente aus dem 12. und 13. Jahrhundert (Bardejov, Bratislava, Kosice, Kremnica, Levoca, Martin, Modra). 6. Deutsche gotische Choralnotation dokumentieren mehrere Fragmente, vor allem in der Westslowakei (Bratislava). Auf unser Gebiet wurde sie auf Büchereinbänden aus der jüngeren Zeit importiert, sie ist das einzige Notationssystem, das nicht mit einem ganzen Kodex belegt und nicht in der ganzen Slowakei erhalten geblieben ist. Die erste Blüte der Kultur und Bildung verzeichnen wir im Mittelalter auf dem Gebiet der Slowakei zur Zeit Großmährens (9. Jahrhundert). Die byzantinische Mission des hl. Kyrill und des hl. Method übermittelte der slawischen Bevölkerung eine Fülle neuer religiöser und kultureller Anregungen. Mit dem Christentum war die slawische Bevölkerung schon in früherer Zeit in Berührung gekommen (deutsche Missionare). Zur Zeit der Konstituierung unseres ersten Staatsgebildes waren auf unserem Gebiet heidnische Bräuche und Religion vorherrschend. Eine starke Christianisierung der Bevölkerung begann nach der Ankunft der Mission der hll. Kyrill und Method auf Einladung des Herrschers Rastislav, also auf dem sog. Weg von oben, da das Christentum über die herrschende Gesellschaftsschicht in das Milieu der heidnischen Bräuche gelangte. Neben der byzantinischen Mission und der Tätigkeit der Apostel intensivierte sich im 9. Jahrhundert auch die Aktivität deutscher Priester und Missionare (lateinische Liturgie) auf unserem Gebiet. Nach dem Niedergang des Großmährischen Staates folgt eine Zeit der Rezession und Unterbrechung der Entwicklung von Kultur und Kunst. Die nächste Periode des Aufschwungs der Bildung beginnt erst zur Zeit der Eingliederung des Gebiets der Slowakei in den neuentstehenden Ungarischen Staat im Laufe des 10. und 11. 14 Im mittelalterlichen Kontext verstehen wir sie aber als einheimisches Produkt, also als Werk ungarischer Skriptorenwerkstätten. Jahrhunderts. Die Benediktinerkonvente auf dem Berg Zobor und in Hronsky Benadik, zusammen mit dem Kapitel von Nitra, gehörten neben dem Kapitel von Gran zu den ersten Urkundenherausgebern (hier befanden sich also die ersten Skriptorenwerkstätten).15 Eine große Bedeutung für die Entwicklung des handschriftlichen Schaffens hatte zweifellos das Dekret Stephans I. über die Gründung von Pfarrkirchen, für welche die zuständigen Bischöfe die liturgischen Bücher bereitstellen sollten. Zentren der Bildung und des religiösen Lebens waren außer den neugegründeten Klöstern auch Kapitel, Diözesanzentren und bedeutendere Städte. Während der Tatareneinfälle (1241-1242) wurden viele Buchdenkmäler, liturgische Behelfe und notierte Kodizes gerade aus dieser Periode vernichtet. Aus dem 9.-13. Jahrhundert sind in der Slowakei nur eine geringe Anzahl notierter Quellen (2 Kodizes, einige Fragmente) erhalten geblieben. Die ältesten Quellen aus dem 12. und 13. Jahrhundert sind nicht in der heimischen, sondern in der in die Slowakei importierten deutschen linienlosen Neumenschrift notiert. Sie spiegeln die kirchlichen Haupteinflüsse der damaligen Zeit wider. Man kann davon ausgehen, dass sie aus dem deutschen oder französischen Umfeld in die Slowakei importiert wurden bzw. in einem ungarischen Benediktinerkloster entstanden sind. Eine entwickelte Skriporentätigkeit nehmen wir in den oberungarischen Klöstern an, vor allem im Zobor-Konvent - Abtei des hl. Hippolyth auf dem Zobor bei Nitra16 und im Kloster Hronsky Benadik - Abtei des hl. Benedikt am Gran.17 Aus diesem geographischen Gebiet stammt eines der wertvollsten Denkmäler der Slowakei, das sog. Evangeliar von Nitra (auch Szelepchenyi-Kodex oder Codex Nitriensis Latinus), das heute in der Kirchlichen Schatzkammer der Burg von Nitra aufbewahrt ist (siehe Abbildung 1).18 Es ist der älteste liturgische Kodex in der Slowakei, er ist aber keine notierte Handschrift im echten Wortsinn. Es befinden sich dort Lektionszeichen (sog. litterae significativae - rhytmische: c [cito oder celeriter], t [trahere oder tenete]; melodische: s [susum oder sursum scandere]) und vereinzelte Neumenzeichen (deutsche linienlose Neumennotation: Virga, Pes), die auf die Art der Deklamation beim Lesen der Evangelien hinweisen. Nach Julius Sopko wurde das Evangeliar für die liturgischen Bedürfnisse des 15 Julius Sopko, Stredoveke latinske kodexy v slovenskych knizniciach [Mittelalterliche lateinische Kodizes in slowakischen Bibliotheken], Martin, Matica slovenska, 1981, S. 6. 16 Das Kloster Zobor entstand nach 880 in Anknüpfung an die Tätigkeit des Bistums Nitra [Neutra]. Richard Marsina, Nitra vo vcasnom a vrcholnom stredoveku [Nitra im Früh- und Hochmittelalter], Nitra, Bratislava, Obzor, 1977, S. 31-32; Julius Sopko, Skriptori a skriptöriä klastorov na Slovensku [Skriptoren und Skriptorien der Klöster in der Slowakei], Dejiny a kultüra reholnych komunit na Slovensku, Trnava, Trnavska univerzita, 1994, S. 85-96. Aus dem Kloster Zobor ist der Name des ersten Pädagogen Magister Valter belegt, der in den 30er Jahren des 11. Jahrhunderts wahrscheinlich auf Einladung des Bischofs Gerhard nach Csanad ging, wo er an der Kapitelschule Grammatik und Musik unterrichte (lectura et cantus). 17 Das Kloster in Hronsky Benadik [St. Benedikt] wurde 1075 gegründet. Damianus Fuxhoffer, Benedictini Pannonii. Monasteriologiae regni Hungariae libri duo totidem tomis comprehensi, Tomus I-II, Budapest, Societas S. Stephani, 1858, 1860, S. 193, 217. 18 Nitriansky kodex [Kodex von Nitra], hrsg. von Julius Sopko, Martin, Matica slovenska, 1987; Julius Sopko, Stredoveke latinske kodexy v slovenskych knizniciach, Nr. 195; Janka Szendrei, A magyar közepkor hangjegyes forrasai [Notierte Quellen des mittelalterlichen Ungarn], C 43. Konvents von Hronsky Benadik geschaffen.19 Die neuesten Forschungen von Jaroslav Nemes und Adrian Kacerik beweisen, dass das älteste hinterlassene liturgische Handbuch in der Slowakei aus Aachen (Burtscheid) stammt, einen stärkeren östlichen Einfluss Abbildung 1 Evangeliar von Nitra, Kirchliche Schatzkammer der Burg von Nitra, f. 27v pUun CTiUli dcdl uobif/ utr quem jdnioHum cgofemobif/ltn ^uoffäcwaf. ÖR.FSSl'5 3 «Ml N V 5 S H FSVS ,.-umdlfcipullflutf T?imf«}r fernem ceditm ubi emr oixuf-'mqucm inmnurr ipfe*'^" du' cifmbciuf-Sctebar Amern ^ludjf qmttttddbax-eum Lacum / cfuu. -¡remmrtcr ti'c ctmuenemr illuc cum dliciputiffsuf . lucWettip cumAccepiffetr cohmxem / aitx porttificibuf <r tfic. hixi uobtf-' cjmi cgo fum-S icraj' me querinfTinra- bof tmplenmir fermo quemdv?tc-'ciuia quaf et cd i/Ii rtnehi nem perdidt eye-tS cfuemcjuam-Eimern erQjs) petruf h-ibtuf q^idium «iu^rttreutn-7 pereufftr ptrnafictf ftnmm .^abfexd«- ¿tut^cuLwn eruf dc^ranm-jE ptr autettt nemxert feruo ifi.ilcinjf.Six*»^" enjo die p mv • hKirve- ^Ltdutm tuura / inu-ijin/tm - C Alicem qitein Sethe mtcbi pjixsr^ nonbibam iVLum.'^Cahorf ergo xribu m sf mwiAri tudcittiim- 'cothprebetticrunr x\fm -'tirhxgtue- futir cun»-'<**'addu;x-et*t»rcr cum Jnti4;n pnrmmi.i fmr enimlbeef auphe^-'tjuientr panxnfev Anrii lIiiuf-ifür Autrm CAipfwi* tjuiconfilmm dedemt wdeif-'quta pcpeAtc unutn hämmern mon prwpopulo. 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