AN DIE REDAKTION TRADITIONES Im Heft 3 der »Traditiones« aus dem Jahre 1974 veröffentlichte Vilko Novak auf den Seiten 282—284 eine Rezension zum Studium von O. Kolberg: Obrazy Slowianszczyzny Poludniowej, einem Aufsatz des im Bd. 63 seiner Dziela wszystkie enthalten ist. In dem gleichen Heft ist die Abhandlung von V. Novak unter dem Titel: Balthasar Hacquet in slovenska kultura (S. 17—18) erschienen. Da beide Publikationen kritische Bemerkungen über die editorische Bearbeitung des Textes von Kolberg enthalten, die grösstenteils auf einem ungenügenden Verständnis der polnischen Sprache beruhen, aber ebenso der Grundsätze, von denen sich die Redaktion bei Herausgabe der Dziela wszystkie von O. Kolberg leiten lässt, erachten wir es für notwendig, bestimmte Faktoren richtig zu stellen und Ergänzungen vorzunehmen. Obrazy Slowianszczyzny Poludniowej ist eine Studie, die neben dem hauptsächlichen Interessengebiet Kolbergs entstanden ist und die sich nur in geringem Masse auf Autopsie stützt, dagegen aber vor allem auf Quellenangaben aus der Übergangszeit vom 18. zum 19. Jh. Dieses insgesamt eklektische Werk wurde von den Herausgebern als Beweis für das Interesse Polens an der Geschichte Jugoslawiens betrachtet. Sein historischer Wert besteht darin, dass dem polnischen Leser schwer erreichbare und wenig bekannte Quellen der Volkskulturgeschichte der Slawen zugänglich gemacht wurden. Die in der Einführung enthaltene Behauptung, dass es sich hierbei um einen in Polen erstmalig durchgeführten und einzigen Versuch handle, die südslawischen Gruppen systematisch darzustellen, bedeutet jedoch keineswegs, dass diese Arbeit sowohl damals als auch heute allen Ansprüchen genügendes, wissenschaftliches Kompendium sei. Die Arbeit der Editoren sollte und soll keine Wertschätzung des Quellenmaterials geben. Ziel der Herausausgabe von den Dziela wszystkie O. Kolbergs ist vielmehr die Veröffentlichung von aus dem 19. Jh. stammenden und von Kolberg gesammelten, ethnographischen und folkloristischen Materialien, die dazu beitragen sollen, die geschichtlichen Geschehnisse der Volkskultur kennenzulernen und die gleichzeitig Dokumente für eine bestimmte Entwicklungsetappe der Ethnographie und der Folkloristik sind. Aus diesem Vorhaben geht folgender, bei allen Bänden der Werke Kolbergs konsequent angewandter Grundsatz hervor: Die treue Wiedergabe des Quellentextes mit einem dazu gehörigen Kommentar, der das Verstehen des Textes erleichtern soll. Dagegen sind Interpretation und Werteinschätzung Themen weiterer Bearbeitungen, die erst nach der Herausgabe der gesamten Werke von Kolberg vorgenommen werden können. Diese Grundsätze sind im Vorwort zum Bd. 39 der Dziela wszystkie eingehend dargestellt und wir verweisen in der Einführung jedes weiteren Bandes darauf zurück. Daher haben sich auch die Redakteurinnen nicht mit der Bedeutung des Kolbergschen Textes und seiner Quellen beschäftigt, was vom Rezensenten völlig unbegründet behauptet wird. Im Hinblick auf den komplizierten Charakter der Studie von Kolberg bestand die editorische Hauptaufgabe in der sorgfältigen Prüfung des Quellen-materials, in der Feststellung, auf welche Weise es von Kolberg ausgenutzt wurde, sowie in einer möglichst genauen Verifikation der Biblio- graphie. Dadurch besteht die Möglichkeit, die in den Obrazy Slowianszczyzny Po-ludniowej enthaltenen ethnographischen Informationen und Beurteilungen chronologisch festzulegen und für ihre Werteinschätzung die notwendige Perspektive zu erreichen. Aus ähnlichen Gründen wurden die geographischen, ethnonomischen u. ä. Bezeichnungen beibehalten. Auch hier hat der Autor der Rezension nicht erkannt, dass dieses Vorgehen beabsichtigt war. Die Beibehaltung von verschiedenen Versionen der Benennungen, die häufig anachronisch, dialektal und vielsprachig sind, dokumentiert einerseits eine bestimmte historische Entwicklungsetappe, anderseits die individuelle Einstellung des Verfassers der Überlieferung, aber auch den Po-lonisierungsprozess der fremdsprachlichen Namenskunde. Dieses bewusste Vorgehen wird noch durch die Tatsache bestärkt, dass die von Kolberg ausgenutzten Ma-terialiein aus verschiedenen Zeiträumen stammen (17. Jh. — 19. Jh.) und die darin verwendeten Benennungen aus verschiedenen ethnischen und politischen Situationen hervorgehen — und demnach auch nicht einheitlich sein können. Ihre Modernisierung — wie es der Rezensent zu postulieren scheint — würde die aus dem Quellenmaterial hervorgehende, historisch-ethnographische Realität fälschen. Im übrigen ist das ein Grundsatz, der bei der Edition sämtlicher Werke von Kolberg, in Hinsicht auf Polen und auf andere slawische Länder, befolgt wird. Der Verfasser der Rezension stellt fest, dass die Festlegungen der Redaktion im Hinblick auf die Abhängigkeit des Kolbergschen Textes von seinen ursprünglichen Quellen (J. Pannonius Illyrien und Dalmatien..., J. Breton L’Illyrie et la Dalmatie ..., B. Hacquet Abbildung und Beschreibung ...) fehlerhaft und unzureichend seien. Dagegen bestätigen die vom Rezensenten veröffentlichten Informationen über das Quellenmaterial (»Traditiones« 3, S. 52 u. 59, 62—65), von denen L’Illyrie et la Dalmatie von Breton der slowenischen Ethnographie bisher nicht bekannt waren, grundsätzliche und frühere Feststellungen der Kolberg-Redaktion. So stellt V. Novak in der Rezension fest, dass das hauptsächliche Quellenmaterial von Kolberg — Illyrien und Dalmatien v. J. Pannonius — eine Umarbeitung der Studie von J. Breton sei, der für den französischen Leserkreis das Werk von B. Hacquet übersetzt und adaptiert hat. In der genannten Rezension unterzog V. Novak diese drei Versionen einer genauen Analyse. Die Redakteurinnen der Obrazy von Kolberg sehen keinerlei Widersprüche zwischen den Ergebnissen diesser Analyse und den eigenen, denen Feststellungen vorausgehen, die sich auf eine systematische Konfrontation des Textes der Obrazy mit den drei autorischen Versionen stützen. Es genügt hier auf die Seiten XLV—XLVI der Einführung zum Bd. 63 der Dziela wszystkie hinzuweisen, sowie auf die Anmerkungen 1, 2, 3 auf S. 28, die eine vollständige bibliographische Aufstellung dieser Arbeiten enthalten. Der Vergleich des Textes von Kolberg mit den Arbeiten von Pannonius, Breton und Hacquet — die von Kolberg benutzt wurden — war dank der Tatsache möglich, dass diese Exemplare in den polnischen, wissenschaftlichen Bibliotheken zugänglich waren (Biblioteka Glöwna Uniwersytetu w Poznaniu, Biblioteka Zakladu Narodo-wego im. Ossolinskich, Biblioteka Jagiellonska). Daher wurde auch ganz bewusst die zweite Ausgabe von Illyrien und Dalmatien von Pannonius benutzt, da Kolberg sich gerade auf diese Ausgabe stützte. Die Behauptung des Rezensenten also, dass die erste Ausgabe den Editoren unbekannt sei, ist demzufolge unbegründet und falsch. Ebenso unbegründet ist der Vorwurf des Rezensenten, dass die in diesen Quellen zitierten Arbeiten nach dem Werk von Pannonius vorgenommen wurden (s: »Traditiones« 3, S. 64). Pannonius gibt nämlich nur unvollständige und allgemeine bibliographische Anmerkungen an, dagegen würde ein aufmerksames Studium der Obrazy, einschliesslich des editorischen Kommentars, den Rezensenten davon überzeugen, dass der grösste Teil der von Kolberg zitierten Publikationen in Autopsie mit den glücklicherweise erhaltenen Originalen, die sich in den polnischen Bibliothekssammlungen befinden, verglichen und überprüft worden sind. Nur wenige Positionen konnten nicht überprüft werden und wurden deshalb mit einer entsprechenden Bemerkung in den Anmerkungen versehen (s. z. B. Anm. 1, S. 38 oder Anm. 1, S. 82). Neu dagegen ist für die Redaktion die Feststellung, dass der wirkliche Name des Verfassers von Illyrien und Dalmatien, der sich hinter dem Pseudonym Janus Pannonius verbirgt, Johann Schuster ist. Diese Information wurde zum ersten Mal als Neuentdeckung drei Jahre nach der Herausgabe der Obrazy von Kolberg veröffentlicht und zwar in der genannten Bearbeitung von V. Novak. Leider erhielten die Editoren bei der Bearbeitung der Werke von Kolberg vor 1971 keinerlei Hilfeleistungen bei der Aufklärung des Pseudonyms von Schuster seitens der jugoslawischen Wissenschaftler, ebenso wenig Antwort auf eine Reihe von in Briefen enthaltenen Fragen und Zweifeln. Eine solche Hilfe hätte sicherlich bei der Lösung vieler schwierigen und unklaren Fragen grosse Dienste geleistet, wie z. B. besonders bei der Identifizierung von einigen geographischen Bezeichnungen. Es sei hier noch bemerkt, dass die Verwendung der polnischen Version von geographischen Bezeichnungen, die im Einklang mit den polnischen orthographischen Normen steht, bewusst vorgenommen wurde. Trotz der kritischen Bemerkungen des Rezensenten wurde die Publikation beider Arbeiten von den Herausgebern der gesamten Werke Kolbergs mit Zufriedenheit aufgenommen. Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass die grundsätzlichen Festlegungen der Redaktion, die 1971 veröffentlicht wurden, mit den späteren Schlussfolgerungen von V. Novak, die 1974 in »Traditiones« erschienen, übereinstimmen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Arbeit Kolbergs in einem gewissen Masse die slowenischen Ethnographen anregt, Analysen dieses wenig bekannten Quellenmaterials durchzuführen. Elžbieta Miller, Agata Skrukwa