Nou Or. J! ali v v Maximilian Strpischnegg Fürstbischof oou Lavaut. In zwei Bänden. I. Land. M it Porträt. Wien, 1879. Wilhelm Ll r a u m ü l l e r k. k. Hof- und Universitätsbuchhändler. 11334K Alle Rechte voebrchUtcii. Vercitts-Buchdruckerei in Graz. i Wovwovt. „Nicht Wird erlöschen das Andenken an ihn." (Loolesiastious XXXIX, 13.) Aas vorliegende Werk entstand ans meinen langjährigen, immer entgegen fortgesetzten Aufzeichnungen über die neuesten Zeitereignisse, und zwar habe ich dabei die verläßlichsten, mir zugänglich gewesenen Quellen benützt. Mein Standpunkt, von dem aus ich diese Aufzeichnungen zu¬ sammenstellte, war ein möglichst objeetiver. Deswegen referire ich ja meist nur einfach Thatsachen, ohne lange Reflexionen daran zu knüpfen. Der Leser möge sich selbst ein richtiges Urtheil daraus bilden. Jede Absicht, irgend Wen und irgendwie Persönlich zu verletzen, lag mir vollkommen ferne. Nur die Sache und Princip ien hatte ich im Auge. Nur denselben gelten meine Bemerkungen, wenn ich nach meiner UÜber¬ zeugung mit ihnen nicht einverstanden sein kann. Ich sehe in der katholischen Kirche eine unmittelbar göttliche Stiftung; ein anderer Begriff von ihr ist nach dieser meiner Ucbcrzcugung nicht der richtige. Doch weiß ich recht gut — oft unverschuldeten — Jrrthum von absichtlicher Fälschung zu unter¬ scheiden. Immer setze ich lieber das Erstere voraus, als das Zweite. Als frei in ihrem Bereiche stiftete der Herr seine Kirche. Diese Freiheit gebührt ihr also von Gottes- und Rechtswegen. Nicht minder hoch halte ich die Freiheit des Staates auf dem ihm eigcnthümlichen Gebiete. IV Vorwort. Nur im einträchtigen Wirken beider Gewalten - der staatlichen und kirchlichen — liegt nach meiner innigsten Ueberzeugung das Heil. Immer neue, wechselnde, sogenannte moderne Theorien über das Verhältniß zwischen Kirche und Staat werden es nicht fordern. Auch im vorliegenden Werke schwebte mir einzig und überall der Ausspruch des Herrn vor: „Gebet Gott, was Gottes, und dem Kaiser, was des Kaisers ist." Marburg in Steiermark, im Mai 1879. Der Verfasser. 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8 Z N H cr t t Erster Theil. Nie katholische Kirche. Erstes Hanptstück. Erlebniste um! Kchickstile üer Iratiwlstcilen Kircire. L. Euwpcr. Seite 1. Papst Pius IX. I 2. Das öknmcnischc vaticanische Coucil (6onoiiimn Vntiannum) ... 36 3. Zur Literatur über das baticanische Concil.43 4. Die katholische Kirche in Oesterreich .47 5. Fortsetzung. Concordatssturm iu Oesterreich, Aufhebung des Coucordatcs 63 6. Fortsetzung. Oesterreich-Ungarn nach der Aufhebung des Coucordatcs 78 7. Dio katholische Kirche in Preußen.105 8. Fortsetzung. Aus dem sogenannten Culturkampfo.135 9. Die katholische Kirche in Baiern .209 10. Die katholische Kirche in der oberrheinischen Kirchcuprovinz. Der Erz¬ bischof bon Freibnrg i. B. und die respectiven Regierungen. Die Kirche in deren Staaten.245 11. Die katholische Kirche in anderen Staaten Deutschlands.279 12. Die katholische Kirche in anderen Staaten Deutschlands (Fortsetzung) . 282 13. Nachträge aus dem kirchlichen Leben in Oesterreich und Deutschland . 288 14. Der österreichisch-preußische Krieg. Die Neugestaltung Deutschlands . 301 15. Deutsch-französischer Krieg. Einigung Deutschlands als Kaiserreich . 308 16. Einiges aus dein geeinigten Deutschland.316 17. Weiterer Verlauf des sogenannten Altkatholicismns in und außerhalb Deutschlands.334 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat nnd Piemont.355 VI Inhalt. Seite 8 19. Dic katholische Kirche in Neapel.381 8 20. Die katholische Kirche in Toscana nnd Modena .385 8 21. Der Kirchenstaat nnd das neue Königreich Italien.386 Z 22. Italien nach der Occnpation Noms .405 8 23. Die katholische Kirche in Frankreich .443 Erster Weil. Dir katholische Kirche. Erstes Hanptftüek. Erlebnisse und Schicksale der katholischen Kirche. 2V. Guvopa. tz 1. Papst Pins IX. Äiu I. Juni 1846 starb Papst Gregor XVI. und schon am 16. desselben Monates wurde der Bischof von Imola, Cardinal Graf Johannes Maria Mastai-Ferretti im Conelnve gewählt, worauf am 21. Juni seine Krönung erfolgte. Als Papst nahm er zum ehrenden und dankbaren Andenken au Pius VII., welcher auch Bischof von Imola gewesen, den Namen Pius IX. au. Er war am 13. Mai (ein Sonntag) 1792 zu Sini- gaglia im Kirchenstaate geboren (der jüngste der vier Söhne des Grafen Hieronymus Mastai-Ferretti und Katharina, geb. Gräfin Svlazzi). Anfänglich war er für den Militärstaud bestimmt; ') aber epi¬ leptische Zustände hinderten ihn daran. Seine früheste Erziehung erhielt er, nachdem er 1802 das väterliche Haus verlassen, im Piaristen- Collegium vvn Volaterra in Tvseana, wo er 1809 vom dortigen Bi¬ schöfe Tecontie die Tonsur erhielt; 1814 kam er nach Rom. Daselbst wohnte er im Hause seines Oheims, des Grafen Paulinus Mastai, Canvnieus zu St. Peter, und hörte die Vorlesungen aus den betreffenden Lehrgegenständen am 6oUoKium rvmanmu, an der Gregorianischen Universität, am ^aunnnrinm romannin bei Sant' Apol- linare und an der Prälatenschule, der XeLuclonnn oLolesiustiou. ') Was von Einigen — ohne Grund — bestritten wird. Stepischnegg, Papst Pius IX. und seiue Zeit- I Bd. I 2 I. Theil. l. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Nach einer Wallfahrt nach ZN. Lvretto bald für immer von den epileptischen Anfällen befreit, entschloß er sich fest znm geistlichen Stand. Am 5. Jänner 1817 ließ er sich vom Cardinal-Bischof della 6lsnKa, dem nachmaligen Papste Leo XII., die vier niederen Weihen ertheilen. Am 18. December 1818 zum Subdiakon geweiht, verwendete er sich schon als solcher in dem in der Nähe der Kirche 8. Nnua der Uals- Kurrmi gelegenen Waiseuhause, genannt Natu 6iovauui, 1) und erhielt am 6. März 1819 das Diakonat, endlich am 10. April 1819 von Monsignore Pietro Cap rano, Erzbischof von Jconinm i. p-, die Priesterweihe. Die Ordination geschah in allen drei Fällen in der Privatcapelle des herzoglichen Palastes Doria-Pamfili. In der ob¬ genannten kleinen Kirche St. Anna las er am I I. April 1819 seine erste hl. Messe. Es war Ostersonntag. Unter Leo XII. begleitete Graf Mastai-Ferreti im Jahre 1823, bis wohin er der Anstalt Data (Uvvanni Vorstand, eine päpstliche Gesandtschaft, an deren Spitze der Erzbischof von Philippi (Johann) Giovanni Mnzzi stand, als Auditor nach Chile; wurde nach seiner Rückkehr 1825 Canonicus am Cnpitcl von 8t. Llaria in via lata und Director der Verwaltung des Hospizes von S. Michele in Uipa xrands. Präcvnisirt im geheimen Consistorium vom 21. Mai 1827 als Erzbischof von Spoleto, erhielt er am Pfingst¬ sonntage (3. Juni) desselben Jahres in 8. Uietro in Vinooli vom Cardinal Castiglioni (nachmaligen Papste Pins VIII.) die bischöf¬ liche Weihe. Im Jahre 1832 nach Imola transferirt, wurde er am 14. December 1840 von Gregor XVI. als Cardinalpriestcr prvclamirt. — Es muß einer späteren Feder überlassen bleiben, das Wirken Pins IX. allseitig zu schildern; wir wollen hier nur mehr blos erinnern an das, was sich in unseren Tagen zngetragen hat und wodurch das Ponti- ficat Pius IX. zu einem der denkwürdigsten Abschnitte der Kirchen- und Weltgeschichte geworden ist. Kaum hatte je ein Papst das Steuerruder sowohl der katholischen Kirche als auch seines eigenen Staates unter so gefahrdrohenden Um. ') 'Inta Kiovanni oder I'.Pu (Vater) Johannes (eigentlich hieß er Giovanni Borgi) Ivar ein armer Maurer, 1732 zu Rom geboren, 1798 gestorben. Erhalle Mitleid mit den vielen halbnackt nnd verwahrlost in den Straßen hcrnmlanfcndcn Kindern nnd fing an sie zn sammeln, gab sie bei Handwerkern in Arbeit und unter¬ richtete sie Anfangs selbst im Katechismus. AllmLlig erwuchs das fromme gemein¬ nützige Werk zn einem großartigen Waisen-Jnftitute. Europa. Z I. Papst Pius IX. 3 ständen in die Hand genommen als Pius IX. Der Boden Europas, iusbesvndere Italiens, war durch die revolutionäre Propaganda und durch das Freimaurerthnni, hier Carbonarismns genannt, unterwühlt. Der Ursprung der Carbonari wird mit der größten Wahrscheinlich¬ keit in die Abruzzen und in die Gebirge Calabriens verlegt. Weil viele aus den Mitgliedern dieser Gesellschaft anfänglich dem Gewerbe der Hvlzkohlenbrenner (ourbonaso) oblagen, so erhielt sie selbst diesen Namen. Ihre Versammlungen nannten sie „Vmnkito" — Verkaufs¬ stellen (zusammengezvgen „Vonts"), welche sich in den Ebenen befanden und wo sie den Kohlenhandel betrieben. Uranfänglich waren sie dem angestammten Kvnigshause der Bour¬ bonen ergeben — noch bei der J n v a s i v n M n r at' s —; hatten also ursprünglich eine royalistische und katholische Tendenz. Nur zu bald schlug diese durch die aufgenommenen liberalen Elemente in das gerade Gegentheil nm. — Der zum letzten, höchsten Grad Zugelassene schwört den Untergang aller Religion und aller bestehenden Re¬ gi e r n n g s f o r m e n. In der Instruction der sogenannten hohen Venta für die Häupter der untergeordneten Venten (verfaßt im Jahre l818) heißt es: „Unser Endziel — die Befreiung der ganzen Welt, die Brüder-Republik und Harmonie der Menschheit — ist das Vvltaire's und der französischen Revolution, die vollständige Vernichtung des Kathvli- eismns auf ewige Zeiten und selbst der Idee des Christenthumes, die, wenn sie über den Ruinen Roms aufrecht bliebe, später zu dessen Fortsetzung führen würde." — „Der Papst, wer immer es sein möge, wird niemals zu den geheimen Gesellschaften kommen; es ist also an den geheimen Gesellschaften, den ersten Schritt znr Kirche und zum Papstthum zu thuu, in der Absicht, alle Beide zu überwinden." (Das ist denn doch erbärmlichste Heuchelei, und wirklich wird im Weiteren Unterricht sn Mail darin ertheilt.) Die hohe Venta setzte sich seit 1819 zum alleinigen Zweck, gegen das Papstthum, gegen die Kirche, gegen Religion und Moral anzukümpfen. Dem Carbonarismns überlicß-sie, Staaten und Throne zu nnterwühlen. Diesen Zustand und seine Hanptnrsachen kannte und schilderte der Papst selbst sehr gut in seiner Encyklika „(ftü plaribns« vom 9. No¬ vember 1846. 1» 4 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Als solche bezeichnet er unter Andern das moderne Heidenthum, den Religions-Jndifferentismus, die geheimen Gesellschaften u. s. w. Gegen den Jndifferentismus sprach er sich wieder entschieden in der Allvcutivn vom l7. December 1847 aus. Die liberalen Reformen, die der Papst, welcher schon alsbald nach seinem Regierungsantritte (16. Juli 1846) eine umfassende Amnestie gewährt hatte, wohl in bester Absicht (ob aber nicht zu hastig?) und im viel größeren Maße vornahm als sie das Memorandum der fünf Gro߬ mächte vom 31. Mai 1831 Gregor XVI. Vorschlag, konnten dem Sturme nicht mehr Vorbeugen. Im Juli 1847 erlaubte er die Einführung der Bürgerwehr — xunräin oivicm. Nachdem die Stadt Rom am 1. October 1847 eine Municipal- verfassung erhalten, gab er seinem Staate am 23. April 1848 das Ltntntv tnixlnmeutnle. Auch eine Art von Parlament, nämlich die vonsnltn 6i stato, hatte er eingesetzt (15. Octvber 1847), welche zum ersten Male am 15. November 1847 im Vatican zusammentrat und (1848) Laien in das Ministerium aufnahm. Die Zeitvcrhältnisse führten diese wie bemerkt gewiß wohlgemeinten liberalen Bestrebungen über ihr Ziel hinaus. In der Allocution vom 4. October 1847 beklagt sich bereits der Papst, daß von einigen Auf¬ ständischen hie und da frevelhafter Mißbrauch mit seinem Namen ge¬ trieben werde. Denn gerade in Italien mehr wie sonst wo hatte sich die Begeisterung für Nationalität und Politische Einheit, weil fortwährend geschürt, ') bis zum verheerenden Brande gesteigert. An der Spitze der 6iovnus Italia, „des jungen Italiens", stand als der eigentliche Stifter dieser Gesellschaft, welche sich speciell „die Wiederbelebung Italiens, als einer unabhängigen Nation von freien und gleichen Männern" zum Ziele fetzte, der verwegene, vor keiner Frevelthat zurückschandernde Advocat Giuseppe Mazzini (geb. 1808 zu Genua, gestorben 10. März 1872 zu Pisa). Sein Plan war schlau genug ersonnen. Niemand Anderem hatte er die Rolle, sich an die Spitze der nationalen Erhebung Italiens zu >) Und zwar auch vom Auslande her, insbesondere von England, wo sich der Minister Palmerston das Epitheton „Lord Feucrbrand" verdiente. Er sandte zum obigen Zwecke schon 1847 Lord Miuto nach Italien. (Henry Temple Lord Palmerston, geb. 20. October 1784, gest, am 18. October 1865.) Europa. Z I. Papst Pius IX. 5 stellen, zngedacht, als dem Papste Pius IX. (Siehe seine „Ansprache an die Freunde Italiens" vom October 1846.) Dieser sollte sein ganzes moralisches Gewicht als Oberhaupt der Kirche in die Wagschale legen und dadurch das gefügige Werkzeug der Demagogen werden, dessen sie sich nach gemachtem Gebrauche schon zu entledigen wissen würden. ') M a z z ini wagte es sogar, offen eine solche Zumuthung in einem Schreiben an den Papst (8. September 1847) zu machen. „Ich halte Dich für würdig", ruft ihm Mazzini zu, „der Anfänger eines ge¬ waltigen Unternehmens zu sein." Wie aufrichtig es aber Mazzini mit Pius IX. meinte, sagt er selbst in einem Briefe an den Redactenr der „U'Italia dal papola" vom 10. October 1856. „Damals, als ich dem Papst schrieb, glaubte ich schon so fest wie heute an das unwiderrufliche Ende des Papstthnms." Aehnlich wie Mazzini schützten viele Andere Ergebenheit und Be¬ wunderung für Pius vor, die sich bald als seine giftigsten Feinde entlarvten. Immer lauter und ungestümer drängten die Fanatiker den Papst, nachdem er schon so weit nachgegeben und gegen die Besetzung der Festung und Stadt Ferrara Seitens der Oefterreicher durch den Staats¬ sekretär Ferretti protestirt hatte, mit der Forderung, er solle sich au dem Kriege gegen Oesterreich förmlich betheiligen, gegen welches im März 1848 in Ober-Italien der Aufstand überall ausgebrochen ^) und in dessen Besitzungen der König von Sardinien, Carl Albert, treulos, ohne vorläufige ordentliche Kriegserklärung, eingefallen war, indem seine Truppen am 25. März den Tessin überschritten. Da sich Pius stand¬ haft weigerte, als der gemeinschaftliche Vater aller Gläubigen (siehe Allocntivn 29. April 1848) dem Begehren zu willfahren, trotzdem daß seine Macht fast ganz vernichtet und er so Manches nicht mehr zu hindern im Stande war — z. B. den Freischaareuzug aus seinem Staate unter General Dur ando und Oberst Ferrari gegen die >) Hatte ja schon 1843 Vincenzo Gioberti in einer Schrift behauptet: „zur Durchführung von Italiens Einheit und Unabhängigkeit habe man des Papstes durchaus nöthig". Zuerst am 18. März.jn Mailand. In der Nacht vom 22.-23. März verließ Feldmarschall Graf Radetzky die nicht zu haltende Stadt und concentrirte vorläufig die k. k. Armee am Mincio und bei Verona. — Der Erzbischof von Mailand, Cardinal Graf Gaysrnk, war am IS. November 1846 gestorben. Sein Nachfolger wurde Graf Romilli. 6 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Oesterreicher, so war auch sein Sturz beschlossen. Der Papst weinte, die Truppen gehen nur an die Gränze, nm den Kirchenstaat zu schützen. In diesem Glauben segnete er sie. Als Durando eigenmächtig über den Po gegangen war, erschrack darum der Papst, und betheuerte in der oberwühnten Alloeution ckclv. 29. April den Truppen keinen Befehl zum Kriege gegen Oesterreich gegeben zu haben. Freilich hatte Durando von Bologna aus laut verkündet, wie der Papst die Waffen seines und des sardinischen Heeres gesegnet habe, und daß der Krieg gegen die Oesterreicher ein Krieg der Bildung gegen die Bar¬ barei, ja ein christlicher, heiliger Krieg sei. (!) Wie machtlos der Papst bereits war, zeigte die Einsetzung des Ministeriums Ma miau i am 5. Mai t848. Graf Terenzio Mami- ani, als Philosoph und Dichter angesehen, war in die Freiheitsbe¬ strebungen von 1831 verwickelt, und hatte sich flüchten müssen. Von der Amnestie des Jahres 1846 machte er im September 1847 Ge¬ brauch, ohne daß ihm der Eid der Treue wäre abgefordert worden. Einem solchen Alaune mußte Pius IX. das Ministerium des Aeußern anvertranen. M a m i a ni begünstigte den Krieg gegen Oester¬ reich , und ließ Durando im Vereine mit den Sardiniern vperiren. Im Programm, welches er in der ersten Sitzung des Unterhauses (9. Juni 1848) vorlegtc, theilt er dem Papste ohne Scheu die Rolle zu: „in dem ruhigen Frieden des Dogma zu leben; die Sorge für die zeitlichen Angelegenheiten aber zum größten Theile der Weisheit der Volksvertreter zu überlassen!" Bekanntlich blieb Ala miau i auch in der Kammer zu Florenz Einer der entschiedensten Gegner der weltlichen Herrschaft des Papstes. Einen mächtigen, sehr nachtheiligen Einfluß ans die Menge übte Angelo Brunetti wegen seiner volksthümlichen Beredtsamkeit, genannt Ciceruachio, Karrenvermiether und Schcnkwirth in Rom, aus. (Im December 1850 zu Ibjähriger Galeerenstrafe verurtheilt.) Er bearbeitete die Massen im Sinne des Clubs „eireolo Uonmno" ; auch der ältere Sohn des Lucian Bonaparte, der Fürst von Canino, war unter den Hanptwühlern. Die stürmischen Hvsannah, welche dem Papste Anfangs bis zum Uebcrmaß überall entgegen gejauchzt wurden; die unaufhörlichen „Uvivn Uio X"nc>«, die Pius-Hymne, welche an allen Ecken Italiens erscholl - alles dies verwandelte sich nun in: „An's Kreuz mit dem Verräther!" Europa. Z I. Papst Pius IX. 7 Das „Ornx cis «rass« fing an in Erfüllung zu gehen. So erscheint nämlich Pins in einer, unbestimmt gerade wann abgefaßten, dem hei¬ ligen Malachias, zuerst Bischof von Connereth in Irland, dann Erzbischof von Armagh (geb. zu Armagh 1094, st zu Clairvaux 1148), des hl. Bernhard, seines Biographen, Freunde, wohl nicht mit hin¬ reichendem Grunde zugeschriebenen Prophezeiung über die zukünftigen Päpste bezeichnet. Am 15. November 1848 loderte in Rom die Empörung in Hellen Flammen auf; nachdem am Morgen dieses Tages der Ministerpräsident Graf Pellegrino Rossi (geb. 1787 zu Carrara, unter Ludwig Phi¬ lippi. französischer Gesandter in Rom) in der Vorhalle des Abgeord- neten-Palastes — OanssIIaria Xpsstolion. —- au: Fuße der Treppe meuchlings erdolcht worden war. Die Unmenschen hatten sich Tags zuvor unter Anleitung eines Wundarztes au einer Leiche förmlich Ungeübt, wie der Todesstoß zu fuhren sei. Sie zeigten, daß sie hiezu Anlagen haben. Graf Rossi Ivar augenblicklich tvdt. Den bluttriefenden Dolch trugen die Meuchler im Triumphe durch die Stadt. Vor dem Hanse des Gemordeten schrie die Meute so, daß die Witwe es hören mußte: „Gesegnet sei der heilige Dolch! gepriesen die Hand, die ihn traf. Hoch lebe der neue Brutus!" Einem ähnlichen Schicksale entging am folgenden Tage nur kaum ein anderer Manu, dessen Name mit der Geschichte des Kirchenstaates innigst verflochten ist, Luigi Lambrnschini. Er war geboren 1776 zu Genna, trat in den Barnabiten-Orden, wurde 1819 Erzbischof von Genua, 1827 Nuntius zu Paris, 1831 Cardinal, 1836 Staats-Se- cretär und starb am 12. Mai 1854 als Bischof von Porto, Santa Rufina und Civitü-Vecchia, und Snbdecan des hl. Collegiums. Da mau ihm zunächst die Schuld an dein unter Gregor XVI. herr¬ schenden Regierungs-Systeme beimaß, so verfiel er dem ganzen Hasse der Reformpartei. Der Papst selbst wurde in seinem Palaste, dem Qnirinal, am 16. November von den Meuterern förmlich belagert, als er die von Josef Galletti (einem amnestirten Staatsverbrecher) im Namen der Revolutionäre an ihn gestellte Forderung einer eonstituircndcn Ver¬ sammlung und eines neuen Ministeriums anfangs zurückwies. Ihre Kugeln fielen in seine Zimmer, wo sie seinen Privat-Seeretär Palma (bekannt als Kirchenhistoriker) tödteten. 8 I. Theil. l. Hnuptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Um noch Schrecklicheres zu verhüten, gab der Papst nach, erklärte aber vor den Gesandten, daß er dies nur gezwungen thue, und der künftigen Regierung gänzlich ferne bleiben wolle. Pius sah sich endlich zur Flucht vor seinen eigenen, mit Wvhlthaten von ihm überhäuften, undankbaren, freilich von Bösewichtern irregeleiteten Unterthemen genö- thiget.') Dem bairischen Gesandten, Grafen Carl Spaur (si 1854 zu Florenz) und seiner Gemahlin Theresia (si 27. März 1873 zn Inns¬ bruck) gebührt das Verdienst, mit Gefahr ihres eigenen, und ihrer Familie Lebens den Papst — als Dr. Alertz (dessen Leibarzt, ein Deutscher aus Aachen) — in der Nacht vom 24. auf den 25. No¬ vember 1818 über die Grenze gerettet zu haben. Die Flucht aiks dem Quirin al selbst ermöglichte aber der französische Botschafter, Herzog von Harcourt. Ehrfurchtsvoll begrüßte König Ferdinand II. von Neapel mit seiner Familie den apostolischen Flüchtling zu Gaöta, wo der Papst bereits am 27. November eine Proclamation erließ. Von Gaöta über¬ siedelte Pius am 4. September 1849 nach Portiei (am Vesuv, zum Theil auf dem verschütteten Hereulanum stehend, gleichsam eine Vor¬ stadt von Neapel). Von Portiei ans richtete der Papst eine Encyklika an die Erzbischöfe und Bischöfe Italiens äcko. 8. December 1849, worin er unter den vielen Gefahren der Neuzeit auch vor dem „ Communis mus" und „So- cialismus" warnt. Die Katholiken aller Länder bezeugten ihm ihre Thcilnahme (ihre Adressen an ihn wurden in zwei Bänden von etwa 800 Seiten unter dem Titel: „Der katholische Erdkreis an Pius IX." herausgegcben) durch öffentliche Gebete, die sie für ihn verrichteten, und durch Geld¬ beiträge, den sogenannten Pcterspfennig (mitunter betheiligten sich auch Akatholiken daran), welche aber der Papst meist zu wohlthätigen Zwecken verwendete. Rom, wo im December Garibaldi an der Spitze einer großen Menge Freischärler eiuzog, war indcß der Herrschaft der Radicalen anheimgefallen. Die Ooustitusuts ituliunu schaffte die weltliche Re¬ tz Am 22. November hatte er vom Bischöfe von Valence, Pierre Cha- trousse, die Büchse zum Geschenk erhalten, in welcher Pins VI. während seiner Verbannung das Sanctissiinnm auf der Brust zu tragen Pflegte. Jetzt bediente sich ihrer Pins IX. zn dem nämlichen Zwecke. Europa. Z 1. Papst Pius IX. 9 giernng ab, und rief am Capitol die Republik aus (9. Februar 1849). Artikel I. des diesbezüglichen Fnndammtal-Decretes lautete: „Das Papstthum ist thatsächlich und von Rechtswegen abgesetzt von der welt¬ lichen Regierung des römischen Staates." Artikel II. „Der römische Papst wird alle nothwendigen Garan¬ tien für die Unabhängigkeit in der Ausübung seiner geistlichen Macht haben." Gegen dieses Decret hielt Pius IX. zu Gaäta die Allocution vom 20. April 1849. Mazzini, einer der Triumviren (die andern zwei waren Carlo A r m e llini und A u r e l i v S affi) wurden mit dietatvrischer Gewalt bekleidet. Der glaubenslose Demagoge setzte sich in der Peterskirche an den Platz des Statthalters Christi. Weil sich die Canoniker von St. Peter nicht herbei lassen wollten (weshalb aber auch Jeder mit 120 Scudi gestraft wurde), celebrirte am Ostersonntage ein interdicirter Militär- caplan. Nach beendeter Messe gab er von der großen Loggia der Pe¬ terskirche unter Kanonendonner den Segen mit dem Sanetissimum. (Man nannte diese Feier das „Xovnm Uaseliu".) Rom war der Schauplatz von allerlei Gewaltthaten und Freveln geworden. Als am 18. Februar in der Nationalversammlung vom Minister Carlo Rusevni der Protest des heiligen Vaters riäo. Gaäta, 14. Februar, gegen die Einführung der Republik vorgelesen wurde,') decretirte die Regierung allsvgleich am selben Tage, daß alle Pferde der sogenannten apostolischen Paläste und des Corps der Nobelgarden für den Gebrauch der einheimischen Artillerie-Batterien zu requirireu seien; wie zum Hohne wurde beigefügt: „Da der zweite Artikel des Fundameutal-Decretes des römischen Republik (vom 9. Februar dem Papste die freie Ausübung seiner geistlichen Macht garantirt hat (?), so wird die Regierung alles Nothwcndige zu der geziemende» Bedienung desselben anvrdnen." Mit Decret vom 21. Februar erklärte die constituirende Versamm- ') Wohl auch, nm zu zeigen, daß er sich noch immer als Souverän betrachte, traf Pius IX. noch von Gaöta ans — 17. Juni 1849 — nähere Bestimmungen über den Pius-Orden, welchen er bereits am 17. Juni 1847 wieder hergestcllt hatte (gestiftet wurde er eigentlich schon von Papst Pins IV.). 10 1 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der knth. Kirche. lung alle Kirchengüter des römischen Staates als Eigenthum der Re¬ publik, welche die Diener des Cultus geziemend dotiren werde (?). Die überflüssigen Glocken sollen in Kanonen nmgegossen werden (24. Februar). Tags darauf wurde die Jurisdietion der Bischöfe über die Universitäten und alle anderen Schulen der Republik mit Ausnahme der bischöflichen Seminarieu abgeschafft und (12. März) der geistlichen Gewalt jeder Einfluß auf die Verwaltung der Hospitäler, Waisenhäuser nud sonstigen Wohlthütigkeits-Anstalten entzogen. Ein Deeret vom 14. März erklärte die sogenannte todte Hand überhaupt als unfähig in irgend einer Weise etwas zu erwerben — ausgenommen sind die Anstalten der öffentlichen Wohlthätigkeit —; jenes vom 27. April spricht die Nichtanerkennung der beständigen Gelübde in den religiösen Orden ans; gibt jedem einem solchen Orden angehörenden Individuum die volle Erlaubnis;, sich von seinen Regeln zu trennen, und verspricht ihm hiebei Schutz gegen jede Opposition. Das; Klöster in Strafhänser, Magazine, Wohnungen um¬ gewandelt wurden, kann nicht auffallen. Aus mehreren Kirchen wurden die Beichtstühle verbrannt oder zum Baue von Barrikaden weggenommen. Am 20. Mai forderten die Trinmviren „obwohl heute die wahre Sache der Religion, die Sache der freien nud unsterblichen Seelen sich ganz auf die Bürger-Barrikaden concentrirt" doch auf, die Beichtstühle in die Kirchen zurückzubriugen, damit daraus „das tröstende Wort für die alten Mütter (!) der Streiter der Republik hervorgehe." Noch am 27. Mai wurde dem heiligen Hause von Loretto die Lieferung von 30.000 Scudi an die Armen auferlegt. Priester und Ordenspersvnen waren während der Republik geächtet. Das geistliche Kleid allein setzte der Todesgefahr aus. Drei Unglück¬ liche wurden als Jesuiten nach Rom geführt, aber schon bei der Brücke St. Angelo vom wüthenden Pöbel in Stücke zerrissen. Zambianchi machte in Rom förmlich Jagd auf Priester und Ordensbrüder, hielt sie in St. Callisto gefangen, um sie daun abznschlachten. 14 schlecht be¬ grabene Leichnam«; sollen im Klostergarten gefunden worden sein. Noch am Tage des Einzuges der Franzosen wurden zwei oder drei Priester erdolcht. Man holte Buhldirnen aus den Gefängnissen von 8nn Ni- obsla in die Spitäler, wo sie vor den Angen der Kranken und Ster¬ benden Schündlichkeiten trieben. Aehnliche Grausamkeiten und Ans- artnngen fielen an anderen Orten des Kirchenstaates vor; so in An¬ cona, wo die fremden Consnln darüber der Regierung ihr Bedauern Europa. Z 1. Papst Pius IX. II ausdrückten, durch dm dortigen Blutbund, „Verein der .-V in a utori"; in Sinigaglia, wo sich die „höllische Gesellschaft" organisirte, in Civitü-Vecchia n. a. O. Tie Feinde der Kirche frohlockten, doch schlugen ihre Pläne und Erwartungen auch diesmal fehl. Die katholischen Mächte Frankreich, Oesterreich, Neapel und Spanien ermannten sich, indem sie Truppen nach dem Kirchenstaate sandten, tun dem Papste, der schon am 14. De¬ cember 1848 die Hilfe aller Fürsten, vorzugsweise aber jene der be¬ nannten Machte angernfen hatte, das Erbe des hl. Petrus wieder zu verschaffen. Sogar Preußen und Rußland boten dem hl. Vater ihre Hilfe an. Letzteres versicherte in einer Note, daß es an der Lage des hl. Vaters nicht weniger lebhaften Antheil nehme, als die katholischen Mächte. — Die Initiative ergriff eigentlich Spanien, indem cs bereits am 21. De¬ cember 1848 in einer Note an die Regierungen Europa's sich ent¬ schlossen erklärte: „Alles zu Gunsten des Papstes zu thun, was noth- wendig erscheine, nm das sichtbare Haupt der Kirche in denjenigen Zustand der Freiheit, Unabhängigkeit, Würde und Anctvrität wieder einzusetzen, welche die Ausübung seines hl. Amtes gebieterisch verlangt." Am 25. April 1849 landeten die Franzosen unter General Ondi not (st 1863) in CivitL-Vecchia, wurden zwar nm 30. April von Gari¬ baldi vor Roms Mauern znrückgeschlagen, nahmen aber dann Rom doch ein, wo sie am 3. Juli 1849 einzogeu, und wohin — aber erst am 12. April 1850 auch Pius IX. znrückkehrte, nachdem ihm der Genievberst Niel, nachmaliger Marschall, (gestorben im August 1869 als Kriegsminister) die Stadtschlüsseln nach Gaäta am 5. Juli 1849 überbracht, und nachdem er am 17. Juli 1849 von Gaäta aus eine Proclamativn an seine Unterthancn gerichtet, eine mit außerordentlichen Vollmachten versehene Regierungs-Commission ernannt, und im Notu- proprio vom 12. September 1849 verschiedene Verfügungen getroffen hatte. Die bitteren Enttäuschungen nach der ersten Amnestie vom Jahre 1846 hielten Pius IX. nicht ab, eine zweite am 18. September 1849 zu bewilligen, für die er wahrlich keinen besseren Dank erntete. Nur verhältnißmäßig Wenige waren davon ausgeschlossen. Alle Gut¬ gesinnten, welche sich mm auch ihrer eigenen Erlösung ans der Tyrannei der Revolutionsmänuer freuen konnten, hießen Pius IX. in Rom willkommen. 12 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. In der Allocntivn vom 20. Mai 1850 dankte der Papst allen Mächten, welche ihm zu seiner Rückkehr nach Rom thätigc Hilfe und Beistand leisteten; insbesondere Oesterreich, Frankreich, Neapel und Spanien. Wir verzeichnen im Folgenden einiges Hauptsächliche aus der kirch- lichen Regierung und aus dem Leben Pius IX. In Folge der Mißernte 1846 brach in Irland eine schreckliche Hungersnot!) aus. Der Papst forderte im Schreiben vom 25. März 1847 alle Bischöfe auf, Gebete und milde Sammlungen für die Lei¬ denden zu veranstalten. Schon mit apostolischem Breve ckcko. 20. November 1846 hatte Pius IX. ein allgemeines Jubiläum ausgeschrieben, wohl wissend, „in welchen Schwierigkeiten der Zeiten und Verhältnisse er sich befinde," nm durch Gebete die gegen die Heerde Christi angefponnenen Nachstel¬ lungen zu befeitigeil. So wie dieses wurde auch das vom Papste nach feiner Rückkehr aus Gaöta am 21. November des Jahres 1851 an¬ geordnete Jubiläum überall mit der gewöhnliche!: Feierlichkeit und mit großer Theilnahme Seitens der Gläubigen begangen, was auch vom Jubiläum gilt, welches der hl. Vater mit der Enehklika vom l. August 1854 bewilligte. Bereits am I I. Februar 1849 hatte Pius IX. von Gaeta aus ') ein Rundschreiben „Obi primum" an alle Patriarchen, Primate, Erz¬ bischöfe und Bischöfe der ganzen Welt erlassen, worin er sie aufsorderte, in möglichst kurzer Frist Kunde zu geben von der Andacht, welche Clerus und Volk zu der unbefleckten Empfängnis) der hl. Jungfrau hegen, und wie das Verlangen sich äußere, daß diese Angelegenheit vom apostolischen Stuhle endlich entschieden werde; besonders aber möchte er ihre eigenen — der Bischöfe — Wünsche in Betreff dieser Sache in Er¬ fahrung bringen. Es langten über 600 Antworten von Bischöfen ein, von denen bei 550 unbedingt für die Dogmatisirung lauteten. Am 20. November 1854 hatte die erste Versammlung der per¬ sönlich nach Rom gekommenen Bischöfe im Vatiean statt; am 24. die letzte; endlich, nachdem auch die eigens hiezu eingesetzten Commissionen von Cardinälen und Theologen die Frage reiflichst discutirt hatten, sprach der hl. Vater in der Peterskirche am 8. December 1854 es >) Zn Gaeta hielt er eine Allocntivn am 20. April 1849, worin er mehrere Jrrthümer und anch die geheimen Gesellschaften verdammt. Europa. H I. Papst Pius IX. 13 feierlich aus: „Die unbefleckte Empfängniß Mariä fei ein von Gott geoffenbartes Dogma". (Bulle „Inellndiiis Deus'-'.)') Am Tage nach der Promulgation des Dogma von der unbefleckten Empfängniß Mariä, (9. December 1854) sprach er im geheimen Com sistorium von dem iiberhandnehmendcn Unglauben, Rationalismus, Jndifferentismns und vou der Vergewaltigung der Kirche durch die weltlichen Regierungen, und ermahnte die anwesenden Bischöfe auf die zweckmäßige Heranbildung der Kandidaten des Priefterstandes ein auf¬ merksames Auge zu haben. Tags darauf (10. December) nahm er die feierliche Consecration der St. Paulus-Kirche an der Straße nach Ostia vor, welche schon Constantin der Große erbaut hatte, die aber im Jahre 1823 durch eine Feuersbrunst zerstört wurde. Vier Päpste, von Leo XII. an arbeiteten an ihrer großartigen Wiederherstellung. Im Jahre 1855 errichtete Pius IX. im Palaste St. Apollinare zu Rom das Lowinarinw kinm behufs vollkommenerer Ausbildung befähigter theologischer Zöglinge aus dem Kirchenstaate. Da bis 1773 in dem genannten Pälaste das unter Gregor XIII. gestiftete OvIIexinm 6er- mano-Hnng-srienm seinen Sitz hatte, so überwies Pins IX. demselben nun als Entschädigung den palačo Lorrvineo in der Nähe der Gre¬ gorianischen Universität. Nachdem das gleichfalls nach ihm benannte englische Collegium Pinm schon am 21. November 1852 eröffnet worden war, ermöglichte er im Jahre 1866 die Gründung des „polnischen Priesterseminars" in Rom; wie er auch Kirche und Kloster 8. Nuria clell' Ilmiltn — früher bis 1849 im Besitze der Salesinerinen, welche auf den Palatin übersiedelten — für ein Collegium nordamerikanischer Missionäre einrichtete. Fast wunderbarer Weise entging der Papst am 12. April 1855 einer Todesgefahr. Er hatte nut mehreren Cardinälen und anderen Notabilitäten zu 8. ^xness lüvri la inura gespeist, als durch den Bruch eines Balkens der Speisesaal cinstürzte und Alle in das untere Erdgeschoß herabfielen. Der hl. Vater kam unverletzt davon, wie über¬ haupt Niemand das Leben eiubüßte, nur einige erlitten Quetschungen. Schon Papst Benedict XIV. beabsichtigte eine Revision, nämlich eine historisch-kritische Sichtung des römischen Breviers. Pius IX. ') Am 8. September 1857 weihte Pins IX. das Denkmal auf die Dogma- tisirung der Immnentntn Qonevptio II. V. LI. auf der ?inM-r äi 8xmAnn in Rom ein. 14 I Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. setzte zu diesem nämlichen Zwecke (1856) bereits eine Commission nieder, doch wurde dieselbe wieder aufgelöst, vermuthlich, weil mau be¬ sorgte, eine, wenn auch nur theilwcise Reform der römischen Liturgie mit dem Gregorianischen Choral könnte die Einführung derselben in Frankreich, wo man sie eben durchzuführen begann, behindern. — Mit Breve vom 18. Juli 1856 erhob Pius IX. das im Jahre 1843 vom Bischöfe von Nancy und Toul, Fvrbin-Janson mit dem Abba Jammes, Canonicus zu Paris, gegründete „Werk der hl. Kindheit" (l'Oouvro llo la. 8uinto Lnt'anaa) znm Range kanonischer Stiftungen. Der Zweck dieses Werkes ist, heidnische, zumal in China ausgesetzte, oder weggeworfene Kinder anfzusammeln, zu taufen, uud wenn sie am Leben bleiben, zu erziehen. Dieser Berein fand allenthalben, auch in Oesterreich, Eingang. Seine Mitglieder sind zunächst auch Kinder. In der französischen Diöcese Langres hatte sich 1846 der Verein „Der Vertheidiger des allerheiligsten Namens Gottes und der Svnn- tagsfeier" gebildet. Pius IX. trat dem Vereine selbst bei und genehmigte ihn 1848 mit Breve vom 10. August und wieder mit Breve vom 17. August 1855. Mit Decret der OvnKrog-atio supsr uoxot. oyisooy. llllo. 3. April 1857 ertheilte der Papst der Priester - Cvngregation der Eudisten (ge¬ stiftet schon 1643 vom ?. Jean Eudes (geboren in der Normandie) mit der Hauptaufgabe der Leitung von Diöeesan-Seminarien) die förm¬ liche Approbation.') Das Gleiche geschah noch im nämlichen Jahre mit der zu dem nämlichen Zwecke und für Abhaltung von Missionen von dem im Jahre 1835 verstorbenen Priester Bandon in gestifteten Cvngregation der Lntunts clo Llariv Immuoulos, deren Mutterhaus sich in der Diveese Luyon befindet. Die Reise Sr. Heiligkeit (4. Mai bis 5. September 1857) nach Maria-Loretto nnd durch den Kirchenstaat bis Bologna, wobei er auch Tvskaua und Modena besuchte, glich freilich einem Triumphzuge, aber wenige Jahre später, und die nämlichen Städte, die ihm jetzt zujauchzten, zertrümmerten die päpstlichen Wappen, und unterwarfen sich einem exeommunieirten Könige. Wohl crwahrte es sich da, was Pins IX. in Ravenna am Grabmale Dante's in das Gästebuch cintrug: y Endes ist auch der Gründer des Ordens der „Frauen vom guten Hirten" zunächst zum Zwecke der Rettung gefallener Mädchen oder der Bewahrung in Gesahr befindlicher vor dem Falle. Europa. Z I. Papst Pius IX. 15 „Xon L il iunnc1g.il I'NMOI'6 altroolis NU linto Di vcmto, cbs or vu csnincli eä or va gniiwi D mntu Homo, perolw uintn. lato." (O:uitü pcn'Aut. emi. 2.) Laut Allventivn clclo. 27. September 1857, die der Papst zugleich an den gesammten Episkopat der katholischen Welt gerichtet wissen wollte, forderte er denselben auf, öffentliche Gebete in den Diöcesen zu veranstalten, damit die Kirche täglich mehr gedeihe, und gewährte zu diesem Zwecke wieder einen vollkommenen Ablaß in der Form eines Jubiläums bis zum Ende 1858. Mit der Enehklika „änuautissiiui Ikeclonitoris^ vom Jahre 1858 (3. Mai) verordnete er, daß die Seelsorger für ihre Parochiancu die hl. Messe auch an den abgebrachten Feiertagen zu applieiren verpflichtet seien. Im Breve vom 14. Juli 1859 ertheilte er dem bereits seit 1853 in Nom bestehenden französischen Collegium, in welchem junge frnn zösische Priester die höhere theologisch-wissenschaftliche Bildung erhalten, die Bestätigung; so wie er mit jenem vom 15. März 1859 , Pročelnim iimtitntu olmritutirD das deutsche Pilgerhaus „08pimo cksll' nuiunD organisirt hatte, worin außer Pilgern auch junge talentirte deutsche Priester für einige Jahre Aufnahme finden sollen, um sich in den theologischen Fächern mehr auszubilden. Laut Decret der s. ritnuin eon^roAMtio, ckäo. l2. Mai 1859 erhob der heilige Bater über Aulangen der 1854 zn Dublin versammelt gewesenen irischen Erzbischöfe und Bischöfe das Fest des hl. Patritius, Patrons von Irland (17. März) für die gejammte katholische Kirche zum Döstuni ckuplox minim. Viele Seligsprechungen fanden unter Pius IX. zu Rom statt. Wir nennen nur einige, als: der Maria Anna de Paredes h Flores, des Johann de Britto, 8.,!., Johann Grande, Paul vom Kreuze, des Stifters der Passionisteu (f 1775), der Germana Cousin, des Andreas Bobola und des Neger-Apostels Petrus Claver, beide 8. .1., PetruS C a m bi a uv, des armen Pilgers Josef L abrö, Petrus Canisius und Johann Berchman, beide 8. ck.; der Maria clogli /Vnesli, des Weltpriesters Johannes Sarkander am 6. Mai 1860. Dieser Letztgenannte war in der jetzigen Erzdiöeese Olmütz geboren, lag einige Zeit im Seminar zu Graz, in welches er am 6. September 1604 ausgenommen wurde, den theologischen Studien ob, und erlitt am 16 1. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. 17. März 1620 als Pfarrer and Dechant za Hvlleschau in Mähren van den Utraquisten den Martertod. Wahrhaft großartig wurde am Pfiugstfeste (8. Juui 1862) die Heilig fprechung der sogenannten (26) japauesischen Märtyrer (sie hatten 1597 zu Naugasaki ihr Blut vergossen für den Glauben) und des sel. Michael de Sanetis aus dem Orden der Trinitarier begangen. Anwesend waren 44 Cardinale, 243 Bischöfe und das diplomatische Corps. In der Tags darauf gehaltenen Alloentivu beklagte der Papst die allseitigen Bedrängnisse und Anfeindungen der Kirche, bedauerte aber auch, daß aus Portugal keine Prälaten anwesend sein konnten. Aus Italien durfte keiner erscheinen. In der Adresse an den heiligen Vater, llllo. 8. Juni, betonten die versammelten Kirchenfürsten insbesondere auch die Nothwendigkeit der weltliche!: Herrschaft des hl. Stuhles. Sehr richtig bemerkten sie darin: „Wie sollten wir uns noch hier in Rom um unseren Oberhirten schaaren können, wenn hier ein Anderer regieren würde?" Dnpanlvup sagte damals in Rom: „lei non8 somums oliW Nous«, d. i. Wir Katholiken sind in Rom zu Hause. Am 31. August 1872 wurde Peter Faber, einer der ersten Gefährten des hl. Ignatius, selig gesprochen; am Allerheiligenfeste (1. November 1873) der Stifter des Institutes der Brüder der christ¬ lichen Schulen Jean Baptist llo In Lullo; im Jahre 1874 die 1647 gebvrne, 1690 gestorbene Nonne vom Kloster der Heimsuchung zu kuru^ Is Noulul in Frankreich, Marguerite Alacoque; im Jahre 1875 (November) der spanische Augustinermöuch Orvczo und der italienische Franziskaner-Laienbruder Carlo Seeze. Mit Decret vom 14. Mai 1876 erklärte der heilige Vater in der Canonisations-An¬ gelegenheit des Clemens Maria Hofbauer, Priesters und General- vicars der Kongregation des allerheiligsten Erlösers (geb. 1751 zu Taßwitz in Mähren; f 1820 in Wien), daß er die Cardinal-Tugenden in: heroischen Grade besessen habe. Die Bulle, llllo. 6. Jänner 1862, „Homani I'ontiüoes" ordnete die Errichtung einer besonderen Abtheilung der „OouxroAutio llo pro- paxanllu kille" für die Angelegenheiten der orientalischen Kirche an. Siehe die lichwtolu ^novelica l'ii IX. an alle Patriarchen, Erzbischöfe und Bischöfe des griechisch-katholischen Ritus, llllo. 8. April 1862. Eine unglaubliche, und für den, der es nicht wüßte, daß sich fast die gesammte sogenannte liberale Presse — zumal in gewissen Haupt- Europa. Z 1. Papst Pius IX. 17 stüdtcn — in den Händen Jung-Jsraels, d. i. von Juden, die sich vom mosaischen Glauben mehr minder emaneipirt haben, befindet — mit denen leider auch katholisch getaufte Liberale hie und da gegen ihre eigene Kirche ollorns machen — unerklärliche Sensation verursachte die En- cyklika des heil. Vaters, llllo. 8. December 1864, „Huuuta miru/ die wir eben deshalb etwas näher besprechen. In derselben erklärt der Papst, daß er schon bei verschiedenen Gelegenheiten, zumal in dem Rundschreiben vom 9. November 1846 und in den beiden Alloeutionen vom 9. December 1854 und 9. Juni 1862, die Umtriebe und monströsen Irrlehren verdammte, die zum großen Schaden für das Heil der Seelen, und selbst zum Nachtheil der bürgerlichen Gesellschaft herrschen und nicht nur der Lehre und den Rechten der katholischen Kirche, sondern auch dem natürlichen Gesetze und der Vernunft entgegen sind. Er spricht gegen die Religionslosig¬ keit des Staates; gegen die schrankenlose sogenannte Gewissens- und Cnltnsfreiheit; gegen den Terrorismus der sogenannten öffentlichen Meinung, und gegen die Politik der (wider göttliche und menschliche Rechte) „vollbrachten Thatsachen"; gegen die Grundsätze des Commu- nismus und Svcialismus; gegen die Behauptung, als hänge die ver¬ bindende Kraft der Kirchengesetze von der Genehmigung der Staats¬ gewalt ab; gegen die schlechte Presse u. s. w. Am Schlüsse verleiht Pins IX. allen katholischen Gläubigen einen vollkommenen Jubiläums- Ablaß, zu gewinnen in der Frist Eines Monates des Jahres 1865 in der im Breve: „Brenna cliviuns provillontins oousilio« vom 20. November 1846 angegebenen Weise. Zugleich mit der Encyklika erschien ein Verzeichniß — Syllabus — von 80 irrigen, vom heil. Stuhle ausdrücklich verdammten Lehrsätzen, gegen welches eigentlich sich die ganze Wuth der Liberalen in aller Herren Ländern kehrte. Meinten sie ja, der schwache, ohnmächtige Greis ans St. Peters morschem Throne sei ein willenloses Werkzeug Napoleons; er habe in seinem eigenen Hause genug zu thun, um es vor Einsturz zu bewahren, — und jetzt dieser unerwartete Muth, vor der ganzen Welt offen es aus¬ zusprechen, daß der moderne Liberalismus, in so weit er seine Spitze gegen Religion und Kirche gerichtet, eitel Lüge und Täuschung sei! Die 80. und letzte als vcrdammlich bezeichnete Thesis lautet: Der römische Papst kann und soll sich mit dem Fortschritt, mit dem Libe- St'epi^schnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. '2 18 I. Theil. !. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kcith. Kirche. ralismus und mit der neuen Bildung (aivilitrcks) aussöhnen und ver¬ gleichen. (Siehe Allocution 660. 18. März 1861.) Man suchte, um den Erfolg dieser päpstlichen Kundgebung ab¬ zuschwächen, dieselbe als das Werk der jesuitischen Partei in Rom dar¬ zustellen, in deren Händen sich der altersschwache Papst befinde. Wie¬ der Andere fanden es in ihrer vermeintlichen Klugheit heraus, daß die Encyklika eigentlich nur ein Coup gegen Napoleon fei ob seiner mit Victor Emanuel abgeschlossenen Convention vom 15. September 1864. Einige Regierungen ignorirten die Encyklika mit dem Syllabus ganz; andere nahmen je nach ihrem Standpunkte verschiedene Stellung zu ihr. In Italien ertheilte das königl. Decret, llllo. 6. Februar 1865, der Encyklika das Exequatur. Der Justizminister richtete bei dieser Ver¬ anlassung auch an die Bischöfe ein — lächerliches — Schreiben, in welchem er sie aufforderte, „sich bei der Verkündigung der Encyklika lediglich abstract und lehrhaft (!) zu verhalten" (all nn mstvllo astratto s llottrinals.) — Zu Neapel verbrannten die Stndirenden am 7. Jänner 1865 die Encyklika und den Syllabus vor der Statue Giordano Bruno's. — In Frankreich verbot der Minister des Cnltus und der Justiz, I. Baroche, llllo. 1. Jänner 1865, den Bischöfen die Ver¬ öffentlichung der Encyklika mit dem Syllabus — mit Ausnahme des Theiles über das Jubiläum; was jedoch die meisten Bischöfe, die da¬ wider protestirten, nicht hinderte, ihren Gläubigen den ganzen Inhalt des päpstlichen Rundschreibens mitzntheilen. Das kaiserliche Decret vom 5. Jänner 1865 sagt im Artikel 2: „Der vorerwähnte Theil genannter Encyklika (enthaltend das Jubiläum) ist angenommen, ohne irgendwelche Gutheißung der darin enthaltenen Clauselu, Formeln und Ausdrücke, welche den Gesetzen des Kaiserreichs, sowie den Freiheiten, Immuni¬ täten und Grundsätzen der gallikanischen Kirche zuwiderlanfen, oder auch zuwiderlaufeu könnten." Im Canton Thurgau „placctirte" die Regierung die Encyklika deßhalb nicht, „weil sie Lehren und Ermahnungen enthält, welche mit hierwärtigen verfassungsmäßigen und gesetzlichen Vorschriften, so wie mit den für einen paritätischen Staat nöthigen Toleranzgrundsätzen in Wider¬ spruch stehen." Der Bischof von Basel legte dawider energischen Protest ein. In der Allocution vom 25. September 1865 verdammte Pius IX. Europa. Z 1. Papst Pius IX. 19 Wieder nach dem Vorgänge Pius' VII., Leo's XII., Gregor's XVI. und schon im 18. Jahrhunderte Clemens' XII. und Benedict's XIV., den Freimaurer-Orden nnd überhaupt die geheimen Gesellschaften: „Wir sahen nicht ohne Schmerz, sagt der Papst, wie so heilsame katholische Gesellschaften, die sowohl dazu geschaffen waren, die Frömmigkeit an¬ zuregen und den Armen zu Hilfe zu kommen, angegriffen und an man¬ chen Orten selbst vernichtet wurden; während diese finstere Freimaurer- Gesellschaft, die der Kirche und Gott so feindlich und selbst der Sicher¬ heit der Staaten so gefährlich ist, aufgemuntert, oder doch wenigstens geduldet wird." — „Wir haben es deshalb als eine Pflicht betrachtet, von Neuem diese Gesellschaft zu vcrurtheilcn, weil man sich leicht aus Unwissenheit die falsche Meinung bilden könnte, sie sei nicht anstößig; sie habe lediglich die Wohlthätigkeit znni Zwecke und wäre folglich auch von keiner Gefahr für die Kirche Gottes." Mit Decret, ckllo. 13. Juni 1865, an die nordamerikanischen Erz¬ bischöfe und Bischöfe dehnte die Congregativn des hl. Officiums die apostolischen Constitutionen gegen die geheimen Gesellschaften auch auf die Fenier aus. Schon vom Beginne seines Pontifikates an lagen dem hl. Vater die religiösen Orden, ihr Wiederanfblühen, und als dessen Bedingung, ihre heilsame Reform, wo sie nvth that, sehr am Herzen. Laut Ency- klika, ) Sv insbesondere das Breve, ) Neber die apostolischen Visitatoren der Klöster in Oesterreich siehe H 4. 2* 20 I. Theil. I. Hauptstnck. Erlebnisfc uud Schicksale der kath. Kirche. cution, welche der Papst am 26. Juni im öffentlichen Cvnsistorium hielt, drückte er seine Freude über die Anhänglichkeit der Bischöse an den Stuhl Petri, und seine Zuversicht aus, daß die Anschläge der Feinde der Kirche erfolglos sein werden, und kündete zugleich seine Absicht an, bald ein ökumenisches Concil einzuberufen. Ain I. Juli unterbreiteten die anwesenden Bischöfe eine Ergeben¬ heits-Adresse an den hl. Vater, worin sie auch dieser Absicht vollkommen beistimmten. Mehrere Tage früher, am 6. Juni l867, war im Auftrage des Papstes ein Circularschreiben des Cardinals Caterini an den katho¬ lischen Episkopat versendet worden. Das beiliegende Verzeichniß ent¬ hielt i7 Punkte über die kirchliche Disciplin, damit die Bischöfe darüber ihr Gutachten abgeben, respective Bericht erstatten sollen. Es blieb aber jedem Einzelnen freigestellt, noch andere für ersprießlich befundene Gegen¬ stände vorzulegen. Unter Einem mit dem Centenarium hatte am 29. Juni g. I. die Canonisations-Feier statt des Josaphat (Joseph) Knnczewics,') Erz¬ bischofs von Plock; Petrus Arbues, Inquisitor von Saragossa, Beider als Märtyrer; — des Nikolaus Pieck mit seinen Gefährten: 16 Priestern und 2 Laien im Ganzen l9 Märtyrer (von Gorkum in den Nieder¬ landen im Jahre 1572) und der bereits Genannten: Paul vom Kreuze, Maria und Germana und des Ueonurcio u portu N u u c i 7. i o. Zum Zwecke der Vorarbeiten für das Concil setzte der Papst sechs besondere Commissionen nieder, wozu in neuester Zeit noch eine siebente kam. Ueber diesen Commissionen stand eine leitende, aus acht Cardi- nälen zusammengesetzte Congregation. Mit der Bulle „^.eterni Untris UniK6uitu8 UiliusZ ckcko. Rom tertio Oaleuckag ckulii, (29. Juni) 1868, sagte der hl. Vater das schon erwähnte allgemeine (ökumenische) Cvucilium förmlich au und bestimmte dessen Eröffnung auf den 8. December 1869. „Es ist Allen bekannt und offenkundig", spricht der hl. Vater, „von welchem schrecklichen Sturm die Kirche jetzt gerüttelt, uud vvu wie ') Die Reliquien des hl. Joseph ns Kunczewics ruhten in der Pfarr¬ kirche von Biala in Podolien. Die rnfsifche Regierung lies; sie 1873 aus dein Hoch¬ altar, wo sie der Gegenstand der Verehrung zahlreicher Gläubigen waren, entfernen und im Kirchengewölbe beifetzen. Europa, Z I, Papst Pius IX, 21 vielen und großen Nebeln auch die bürgerliche Gesellschaft heimgcsucht wird," Diesen allseitigen Bedrängnissen und Nebeln ab¬ zuhelfen, die Unversehrtheit des Glaubens, die Wiederherstellung der Kirchendisciplin, die Besserung der Sitten, die christliche Erziehung der Jugend, der gemeinsame Friede und die Eintracht u. s, w, werden Auf¬ gabe und Sorge des Coneils sein. Mit dem apostolischen Schreiben „^raano ckivinaa provickeutius eoimilio« vom 8. September 1868, lud er hiezu auch die schismatischen Bischöfe (vinuss axisoopos ocmlsmarum ritns orisntulm evmmuinonmn aum apo8tolioa 8scls non Iiabsut68); und mit jenem ckcko. 13. Sep¬ tember d. I., „llam vo8 omn68 novsritm«, sogar auch die Protestanten („OHES Nrvt68tants8 aiio8gns ^outlioliav.?") ein, in der edlen Absicht, wenn nur möglich eine Einigung mit ihnen anzubahnen und herbei¬ zuführen. Am 12. Octvber des nächsten Jahres, 1869, legte im Auftrage des Papstes Cardinal Berardi vor der Kirche 8. kiotro in Mvntorio den Grundstein zu einer Denksäule des zukünftigen Coneils. Mit Breve vom Februar 1869 erhob der hl. Vater den Gebets¬ verein N. L. Fr. vom heiligsten Herzen zum Range einer Erzbruder¬ schaft für die Diöeese Bourges. Von Jssvudnn, im Departement Indre, ans — in der genannten Diöeese — verbreitete sich dieser seit 1855 bestehende Verein bald über die ganze katholische Welt. Für Oesterreich und Deutschland wurde zwar ein eigener, aber der Erzbrnderschaft von Jssvudnn affiliirter. Gebetsverein errichtet, der seinen Hanptsitz im Servitenkloster zu Innsbruck hat, so wie dies mit der Erzbruderschaft des Gebets-Apostolates an der dortigen Jesuitenkirche der Fall ist. Am I I. April 1869, (zweiten Sonntag nach Ostern), feierte die katholische Welt die Secnndiz, d. i. das 50jährige Priesterjubilänm Pius IX. Der Papst las um acht Uhr in St. Peter eine hl. Messe — Tags darauf in dem ihm lieben Institute Meta (Uovunni. Die erste Anregung zur Feier ging von den Jünglingsvereinen zu Venedig und Bologna aus. Deputationen — auch aus Oesterreich — beglückwünschten den ehrwürdigen Jubelgreis. — Die Glückwunsch-Adressen der österreichischen Katholiken beantwortete Pius IX. dankend nnterm 10. Mai 1869. Während der Cvneilsfeier wurde in Rom eine Ausstellung von Gegenständen christlicher Kunst vom hl. Vater ungeordnet. Er selbst 22 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. eröffnete sie am 17. Februar 1870 in den Thermen Diocletians, nun Karthänserkloster, neben der Kirche 8. Ilaria Xn^elfi und schloß sie auch persönlich am 16. Mai. Auf Ansuchen vieler Bischöfe erklärte Pius IX. mit apostolischem Decrete vom 8. December 1870 den hl. Joseph zum Schutzpatron der ganzen Kirche (outbolioas oeolesiuo I'utrouuiu) und erhob dessen Fest¬ tag zum tdstum ckuplsx primae olassis ohne Octave. Am 23. März 1871 aber erklärte er über Antrag der donKroKutio rituum den hl. Alphonsus Maria cle ImAorio, (canonisirt 1836), Stifter der Congregation vom a. h. Erlöser (Redemptoristen) zum Doetor seelesiao. Am 16. Juni 1871 vollendete Pius IX. das Vierteljahrhuudert seines Pontificates — was, außer dem hl. Petrus, noch Keinem seiner Vorgänger beschieden war. Die ganze katholische Welt feierte selbstver¬ ständlich dieses Ereigniß in freudiger Stimmung. lieber 11.000 Glück¬ wunschtelegramme und Gratulationen aller Fürsten, mit Ausnahme des Königs von Dänemark, gingen dem hl. Vater zu. Victor Emanuel sandte den General Bertole-Viale den Papst zn beglückwünschen. Cardinal Antonelli empfing ihn höflich; den hl. Vater sah er nicht. Von Seite des Kaisers von Oesterreich kam der Obersthofmeister Fürst Hohenlohe mit einem eigenhändigen Schreiben seines Sou¬ veräns an den Papst nach Rom. Zum Andeukeu an diese Jubelfeier sollte durch freiwillige Bei träge der Katholiken aller Orten das Portal, der Kirche 8. iVluriu cksssli XnAsli in den diocletianischen Thermen entsprechend hergestellt werden. In der Encyklika äcko. 4. Juni hatte der Papst die Ordinarien zur Spendung des päpstlichen Segens (kcmoäietio ^pvstolicm) und des vollkommenen Ablasses an die Gläubigen ermächtiget. — In jener aber ääo. 5. August dankt er für die vielen Beweise kindlicher Ehrfurcht und Liebe gelegenheitlich seines fünfundzwanzigjährigen Papst-Jubiläums. Den ihm von Italienern zugedachten Ehrentitel „der Große" und den durch Subscriptionen zu erzielenden „goldenen Thron" lehnte Pius IX. im Schreiben an Marchese Cavaletti äcko. 8. August ab, und ersuchte, die Summe zum Loskauf der italienischen Priester- Alumnen von der Militärpflicht zu verwenden. Am 23. August 1871 erreichte Pius IX. die dies 8. I'otri Europa. S I. Papst Pius IX. 23 («ach der gewöhnlichen Rechnung) im Pontificate; am 13. Mai 1872 aber vollendete er das achtzigste Lebensjahr. Auch bei dieser Veran¬ lassung erhielt er zahlreiche Beweise treuer Anhänglichkeit. Mit der Bnlle ctüo. I V. Oalaaclus Leptembris 1872 „^.postolieno Lentis vt'tieium« regelte der hl. Vater die Privilegien der Urotouotn- riornin npostcüioornm nct instar purtivipnntium, die hie und da zu Beschwerden Veranlassung gaben. Nach langer Zeit hielt Papst Pius IX. wieder am 23. December 1872 ein geheimes Consistvrium, worin er mehrere Bischöfe präconisirte — unter Anderem auch für Italien und für St. Pölten in Oester¬ reich. Unmittelbar früher richtete er eine Allocution an die versam¬ melten (31) Cardinale. Darin beklagt er die noch immer fortdauernde Occupation seiner Provinzen und Roms; die von der „snbalpinischen Regierung" der Kirche zngefügten Unbilden und Schädigungen; die bereits von ihr vollbrachte Vertreibung mehrerer religiöser Genossen¬ schaften aus ihren Häusern und das bevorstehende Gesetz, „wenn man ihm überhaupt den Ehrennamen eines Gesetzes geben will, da es dem natürlichen, göttlichen und socialen Rechte widerspricht," welches „nun auch in Rom, diesem Mittelpunkte des katholischen Glaubens, den reli¬ giösen Genossenschaften den Garaus machen soll." Der hl. Vater geht nun über auf die „schonungslosen Verfol¬ gungen, denen die Kirche auch anderwärts ausgesetzt ist, hauptsächlich aber im neuen deutschen Reiche" 0 — in der Schweiz, berührt das dem Bischöfe von Hebron Seitens der Genfer Regierung angethane Unrecht; fährt dann fort: „Nicht Geringeres leidet auch die Kirche im katholischen Spanien von der weltlichen Gewalt. Wir haben nämlich vernommen, daß unlängst ein Gesetz eingebracht, und von der gesetz¬ gebenden Versammlung angenommen wurde, ein Gesetz über die Dv- tirnng des Clerus, durch welches nicht nur feierlich geschlossene Ver¬ träge gebrochen, sondern jede Norm des Rechtes und der Gerechtigkeit mit Füßen getreten wird" u. s. w. Dann verurtheilt der Papst das Treiben der schismatischen Ar¬ menier, deren „legitimer Patriarch, durch ihre Ränke vertrieben, zu Uns fliehen mußte" — und die „zu einem Afterconcil zusammentraten und sich einen schismatischen Patriarchen aufstellten". ') Wir bringe» den Deutschland betreffenden Wortlaut im Z 16. 24 I. Theil. I. Hauptstiick. Erlebnisse nnd Schicksale der kath. Kirche. Zum Schlüsse belobt er die „bewunderungswürdige Standhaftig¬ keit und Thätigkeit des katholischen Episkopates" und wünscht, daß, damit „die Baude des Glaubens und der Liebe, welche Geister und Herzen umfangen, täglich enger und inniger werden," — „die Metro politcn der Kirchenprovinzen mit ihren Suffraganen auf die möglichst beste Weise — wie es eben die Zcitverhältnisse erlauben — sich be- ratheu". Die Vorgänge gegen die Kirche von Seite verschiedener Regie¬ rungen, zumal in Preußen und in der Schweiz u. a. mögen den hl. Vater zum Breve „Romanns Rontiksx" U. guinto Oalenclas 8ep- temdris 187i->, enthaltend die „Oonstitntio snpsr vieariis Asneralilms nee non slsetis et nominatis ad sedss spiseopales vaeantes^ ver¬ anlaßt haben. Darin wird bestimmt, daß der vom Capitel eines vacant gewordenen Bisthums aufzustellende, oder sonst rechtmäßig zu bestel¬ lende „Vioarins totam ordinariam Rpiseopi sunsdietionem" besitze und vom Capitel darin in keiner Weise beschränkt werden dürfe; ferner, daß das Capitel den gewählten oder vom Regenten ernannten Bischof nicht als Viear bestellen nnd der Gewählte oder Ernannte die Leitung der Diöcese durchaus nicht vor seiner Bestätigung durch den Papst übernehmen dürfe. Der hl. Vater hegte wohl die begründete Besorgnis;, daß so etwas in den erwähnten Ländern eintreten könnte, nnd dadurch die Einheit und Freiheit der Kirche noch mehr geschädiget würde. Diese Oonsti- tntio erklärten einzelne Regierungen als nicht rechtskräftig und unter¬ sagten im Voraus schou deren Vollziehung. (Darüber an geeigneter Stelle.) In der spistola sne^oliea „Rtsi mnlla luetnosa" ddo. 21. No¬ vember 1873 läßt sich der hl. Vater beklagend und verurtheilend aus über die Klosteraufhebungen in Rom, die Kirchenverfolgung in der Schweiz, in Preußen; verwirft die Wahl Rsinkens zum Bischöfe der sogenannten Altkatholiken und excommunicirt ihn sammt allen seinen Anhängern. ,Mn soinm elsotiouem nmmorati .lossplü Huberti Rsin- lcens, oontra saerornm oanonum sanetioueni kantam, i limitam inanem et vmnino imllam, ejusgne vousserationem saerilexam deelaramus, resieimns ao detsstamur; sed et ipsum dosepbnn» klubertnm, et gni en in eliKere attentarnut, et gni sacrilexae eonseerationi o;>eram eommodarnnt, anetoritats Omnipotentis Dei exeomninnieamus st Europa. Z 1 Papst Pius IX. 25 -rnutbomntizunnm, utgno ab Uoolowno oomninniono 80Ar6Auto8 6t in 60IUINI nunisro Imd6Nlio8 6886, 8, Quorum 60N8U6tnckin6 eon »N'688UgU6 816 OUUÜl)U8 6!ni8ti Üln8, nt N66 UV6 illi8 llieore lli86rto pruoaeperit (I66laruuni8, oclioiunw et inanckumn8?° Zunl Schlüsse ermuntert der hl. Vater die Bischöfe, den Mnth nicht sinken zu lassen und im Gebete ansznharren, daß in seiner Barmherzigkeit der Allmächtige sich erhebe, den Stürmen gebiete und Ruhe schaffe. Reinkens erwiderte in einem sogenannten Hirtenbriefe an die Seinen. Darin stellte er — eine Parallele ans zwischen sich und dem hl. Athanasius! Mit Breve äcio. VII. Iclu8 vooombrm 1873 bestätigte der hl. Vater die Echtheit der drei heiligen Leiber, nämlich die unter Nerv gemarterten Blutzeugen Gervasius und Protasius und des hl. Ambrosius, welche jüngst in der von diesem hl. Kirchenlehrer in Mailand erbauten alten Kirche aufgefunden wurden. Das Breve enthielt zugleich eine Ablaßausschreibnng für die katholische Welt. Die italienische Regierung verbot im letzten Augenblicke die auf den l I. und 14. Mai 1874 festgesetzte Processivn in Mailand gelegenheitlich der Uebertragung der hl. Reliquien. Am 22. December 1873 ernannte Papst Pius IX. zehn Car- dinalpriestcr, darunter auch den Fürsterzbischvf von Salzburg Maxi¬ milian Josef von Tarnoezy und den Fürstprimas von Ungarn und Erzbischof von Gran, Johann Simor; — insgleichen zwei Cardinal- diakonen und zwar den Jesuiten U. Ca will ns Tarquini (der aber schon am 15. Februar >874 starb) und den Augustiner-Eremiten U. Thomas Martinelli. Im Jänner 1874 brachte die „Kölner Zeitung" in deutscher Uebersetzung eine seinsvllende päpstliche Constitution „^postolloaa 8ecki8 mnnu8" ckclo. 28. Mai 1873, worin der Papst die alten Normen der Papstwahl aus eigener Machtvollkommenheit ganz abgeändert haben sollte. Auffallender Weise geschah diese Pnblication gerade vor den Wahlen in den deutschen Reichstag. Dis Constitution — fälschlich auch als (nie existirende) Bulle „Uru686nt6 ouäavsro" citirt — stellte sich als apokryph heraus. Als solche bezeichnete sie auch Cardinal Anto¬ nelli ausdrücklich im Rundschreiben an die päpstlichen Nuntien clcko. 17. Jänner. Die preußische Regierung erklärte schon im Voraus, daß sie einen neuen, nicht nach früheren eanonischen Regeln gewählten Papst 26 l- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. nicht anerkennen würde. Auch die österreichisch-ungarische Regierung soll im Vatican Vorstellungen dawider gemacht, aber auch im Qui- riual auf die Uuerläßlichkeit der vollsten Unabhängigkeit des eventuellen Conclave hingewiesen haben. Wirklich erließ die italienische Regicrnng (Minister Visconti- Ven o st a) an ihre sämmtlichen Repräsentanten im Auslände eine Cir¬ cularnote llcko. 1. Jänner 1874, worin sie die Zusicherung gibt, das Conclave an jedem Orte, an welchem es zusammentreten möchte, frei von jeder Beeinflussung und jedem Druck seine Function üben zu lassen. Zum Beweise, wie frei der Papst selbst jetzt sei, beruft sich das Rund¬ schreiben darauf, daß er ja eben erst neue Cardinäle ernannt habe. (!) Cardinal Antonelli widerlegte in einer Circularnote die Behaup¬ tungen Visconti-Ven vsta's über die Möglichkeit eines nm üm vivendi. Wieder präconisirte der hl. Vater im Cvnsistvrinm vom 16. Jänner 1874 mehrere Bischöfe. Das Gleiche that er im geheimen Consistorium vom 4. Mai, in welchem er auch an den drei neuen Cardinälcn: Regnier, Bischof von Chambery, Tarnoczy, Fürsterzbischof von Salzburg und Falcinelli, gewesenen Nuntius in Wien, die Inve¬ stitur mit Hut uud Ring und die Ceremonie des Schließens und Oeff- nens des Mnndes vornahm. Der Erstere erhielt den Presbyteraltitel der Kirche 8. Driuitü al Konto kineio; der Zweite jenen von 8. Nu¬ ria in ^ruooli; ') der Dritte jenen von 8. Nuroollo. Cardinal Fal¬ cinelli starb schon am 29. Mai 1874 zu Rom.-) Als am 17. Juni 1874 das Cardinal-Collegium dem hl. Vater zum vollendeten 28. Jahre feines Pontificates die Glückwünsche ab¬ stattete, sagte er unter Anderem: Ich wiederhole in Gegenwart der Versammlung, welche mich umgibt, die feierlichsten Proteste gegen die Usurpation der weltlichen Herrschaft des hl. Stuhles, gegen die sacri- legische Beraubung der Kirchen, gegen die Abschaffung der religiösen Orden, und mit einem Worte gegen alle von den Feinden der Kirche >) Bon dieser seiner Titularkirche nahm Cardinal Tarnoczy persönlich am 14. Mai Besitz. y Mariano Falcinelli Antoniacci war geboren 1806 zu Assisi, trat in das Benedictinerkloster 8. knolo tüori W murn, wurde dort Abt; 1853 Bischof von Forli; 1857 Erzbischof von Athen i. p. und Jnternuntins in Brasilien, von wo er 1863 nach Wien kam. Europa. Z 1. Papst Pius IX. 27 Jesu Christi verübten saerilegischen Acte. . . . Weiter sagte er, daß ihm — es ist noch nicht lange Zeit her — von verschiedenen Seiten Zu- muthungen gemacht wurden, sich den neu Angekommenen (nämlich Victor Emanuel und seinen Anhängern) zu nähern. — Man verlangt einen IN0ÜU8 vivsudi. Aber, fuhr er fort, könnte man dies je mit einem Gegner zuwege bringen, welcher beständig den modim noosndi, den niotln.8 autoraudi, den mocins (lestruendi, den modn8 ooeidondi in der Hand hält? u. a. in. Weil am 21. Juni (Sonntag), als dem 29. Jahrestage der Krönung des Papstes, nach dem Da vsum in der St. Pcterskirche viele Stimmen den hl. Vater, als er von der Tribüne über dem Ein¬ gänge der St. Peterskirche, wo er dem 'Io Ideuul beiwohnte, in seine Gemächer zurückkehrend, an einem offenen Fenster des Baticans vor¬ übergehend, bemerkt wurde, jubelnd begrüßten - Einige auch den Ruf „Viva, il ?apa Il876 das vollendete dreißigjährige Poutificat Pius' IX. Da der hl. Vater die jährlichen drei ein halb Millionen Lire des sogenannten Garantie-Gesetzes nie anrührte, so erklärte sie, „weil sie innerhalb fünf Jahren nicht erhoben wurden", der Staatsrath für ver¬ fallen. Was znr Kränkung des hl. Vaters beitragen konnte, unterblieb gewiß nicht. So ließ u. A. das Mnnicipium die meisten Statuen der Päpste, sowie jene Carl's von Anjou aus dem Rathssaale des Ca¬ pitols entfernen (1876). Zuin ersten Male seit der Occupation Roms empfing der hl. Vater in der — zu diesem Zwecke für das übrige Publicum abgesperrten Europa. Z I. Papst Pius IX. 31 Peterskirche eine Deputation; nämlich die spanischen Pilger am 16. October 1876, an der Zahl 5000 bis 6000, geführt vom Erz¬ bischöfe von Granada. Am 6. November 1876 starb der langjährige (seit 1849) Staats¬ sekretär Seiner Heiligkeit, Cardinal Giacomo Antonelli. An seiner Stelle ernannte der Papst den Cardinal Giovanni Sime o n i (geboren den 23. Juli 1816 zu Paliauo, Diöcese Palestriua), Pronuntins in Madrid, zum Staatssekretär. Der so oft genannte, gewiß auch deshalb sehr bedeutende, weil bestverlänmdete Mann — Giacomo Antonelli — wurde am 2. April 1806 zu Gonnino bei Terraciua geboren. Sein Vater war ein reicher Holzhändler, der später nach Terracina und von da nach Rom über¬ siedelte und von Gregor XVI. für sich und seine Nachkommen den römischen Grafentitel erhielt. Pins IX. creirte Giacomo Antonelli am 12. Juni 1847 zum Cardinal. Antonelli erhielt nie die Priester¬ weihe; er war nur Diakon. Nicht lange hernach traf den hl. Vater ein anderer sehr empfind¬ licher Verlust, nämlich durch den Tod seines am 17. December gestor¬ benen Generalvicars, Cardinalbischofs Constantino Patrizi (geboren 4. September 1798 in Siena. Noch Papst Gregor XVI. designirtc ihn zum Cardinal, 1834). An seiner Stelle wurde Cardinal Raffaele Monaco La Valetta, Generalvicar (geb. 23. Februar 1827 zu Aqnila). Tags darauf (18.) präconisirte der Papst im geheimen Consistorium mehrere Bischöfe. Um dieselbe Zeit empfing der Papst die Exkaiserin Eugenik mit ihrem Sohne Prinz Napoleon, dessen Taufpathe er Ivar, auf Besuch. Der hl. Vater begegnete der Witwe Desjenigen, der so viel an ihm und dem Kirchenstaate gesündiget, mit gewohnter Freundlichkeit. Das nm die Erziehung der weiblichen Jugend, zumal aus besseren Stünden, sehr verdiente Institut der „englischen Fräulein" — so ge¬ nannt von ihrer Stifterin Maria Ward", welche des Glaubens wegen im 17. Jahrhunderte aus England flüchtete — entbehrte, obwohl dessen Regeln schon Papst Clemens XI. im Jahre 1703 mittelst Breve bestätiget hatte, noch der förmlichen Approbation Seitens des hei¬ ligen Stuhles. Pius IX. ertheilte dieselbe laut Decretes der 8. Oou- KisMtio llo I'ropug'Lnäu lläo. 15. Februar 1877 am 4. genannten Monates. 32 k Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Nach vorausgegangener Allocuüon ereirte der hl. Vater am 12. März 1877 acht Cardinal-Priester und drei Cardinal-Diakone, zugleich prä- cvnisirte er mehrere Erzbischöfe und Bischöfe. In der oberwähnten, sehr merkwürdigen, sämmtlichcn beim hl. Stuhle beglaubigten Botschaftern und Gesandten übermittelten Allocution - die wir ebendeshalb etwas weitläufiger im Auszuge geben — zählt der hl. Vater die seit der Occupation Roms von der nsurpatorischen Regierung erlassenen, der Kirche und dem heiligen Stuhle feindseligen Gesetze und die speeiell verübten Gewaltthatcn, Unterdrückungen und Beraubungen kirchlicher Anstalten auf. Insbesondere verurtheilt er das jüngst im Parlament votirte Gesetz „über die Mißbräuche des Clerus", und sagt: „Sobald dieses Gesetz fertig und verkündet sein wird, wird es bei dem weltlichen Gerichte stehen, darüber zu urtheilen, ob und wie der Priester bei der Spendung der Saeramente, beim Verkündigen des Wortes Gottes das öffentliche Gewissen und den häuslichen Frieden gestört hat; und die Stimme der Bischöfe und der Priester wird sich in der Lage befinden, unterdrückt und zum Schweigen gebracht zu werden, ebenso wie die Stimme des Statthalters Christi selbst, der, obgleich man sagt, er solle für sich selbst aus politischen Gründen keiner Strafe unterworfen sein, dennoch in der Person Jener, die an seiner Schuld theilgenommen haben, bestraft werden fall, wie dies ein Minister des Reiches in der Versammlung der Gesetzgeber öffentlich anzudeuten kein Bedenken trug, indem er mit Beziehung auf Uns unumwunden erklärte, daß es bei Gesetzen weder neu, noch ungewöhnlich, noch von der criminalrechtlichen Theorie und Praxis abweichend sei, wenn die Teilnehmer an einein Verbrechen der Strafe untersteheil, in dein Falle, wo der Haupturheber nicht bestraft werden kann. Daraus erkennt man, daß nach dem Sinne der Gewalthaber das Geschoß dieses Gesetzes auch gegen Uns gerichtet ist, so daß da, wo Unsere Worte oder Handlungen gegen dieses Gesetz verstoßen, die Bischöfe und Priester, welche Unsere Reden oder Ermahnungen entweder verbreitet vder ausgeführt haben, die Strafe für das angebliche Verbrechen erleiden werden, das Wir als Hauptnrheber verbrochen und verschuldet haben sollen." Weiters führt der hl. Vater ans, daß er ungeachtet der heuch¬ lerischen Gegenbehauptungen der Feinde in der Regierung der allge¬ meinen Kirche nicht frei sei. „Sicherlich, — sagt er — der römische Papst ist nicht im Besitze Europa. Z I. Papst Pius IX. 33 seiner vollen Freiheit nnd seiner ungeschmälerten Gewalt, und wird es nie nnd nimmer sein, so lange er in seiner eigenen Stadt fremden Herrschern unterworfen ist. Kein anderes Loos kann ihm in Rom be- schieden sein, als das Loos des obersten Fürsten oder des Gefangenen; auch kann der Friede, die Sicherheit nnd die Ruhe der katholischen Kirche niemals bestehen, so lange die Ausübung des höchsten aposto¬ lischen Amtes den Parteibestrebnngen, der Willkür der Herrschenden, dem Wechsel Politischer Wahlen, den Absichten nnd Werken verschla¬ gener Menschen, welche der Gerechtigkeit den Nutzen vvrziehen, unter¬ worfen ist." Zinn ersten Mal seit der Oeenpation Roms durch die Piemontesen nahm der Papst am 15. März wieder die Ceremonie der Hutverlcihnng an die seit 1870 creirten, damals in Rom anwesenden Cardinäle vor. Wieder wurden erzbischöfliche nnd bischöfliche Stühle vom hl. Vater im Consistorinm vom 20. März besetzt. In der ganzen katholischen Welt wurde das fünfzigjährige Bischof- jnbiläum des heiligen Vaters (3. Juni 1877) festlich gefeiert. Daß dies zumal in Rom geschah, versteht sich von selbst. Unzählige Pilgcrschaaren waren schon seit einiger Zeit dahin geströmt, nm dem Jubilanten ihre Huldigung darzubringen. So hatten die deutschen Pilger bereits am 17. Mai feierliche Audienz, bei welcher der Papst unter Anderem die Worte sprach: „Manchmal spricht Gott mit zärtlicher Stimme, die zum Herzen dringt. Wenn diese Stimme nicht ansrcicht, dann spricht er wie ein brausender Stnrm." Die österreichischen Pilger — mehr als 700 — kamen am 27. Mai an die Reihe. Katholische Souveräne beglückwünschten ihn brieflich; der Kaiser von Oesterreich aber durch einen eigenen Specialgesandtcn, Graf La¬ ri sch, der auch ein eigenhändiges Schreiben seines Monarchen über¬ brachte. Den Mittelpunkt der kirchlichen Feierlichkeit bildete die Kirche 6. Uiotro in Vinaolo. — Unabsehbare Wagenreihen — man zählte an 3000 Equipagen — bewegten sich am 3. Juni gegen den Vatiean. Gar- ärmlich hoben sich dagegen die eii-an 150 Wagen ab mit fast nur offi- ciellen Gratulanten für Victor Emanuel, die zur selben Zeit zum Qnirinal hinauffuhren. Warum? Auf den nämlichen Tag fiel nämlich die dreißigste Jahresfeier der früheren piemontesischcn, nun aber ita¬ lienischen Verfassung, welche laut der Verfassungsurknndc stets am ersten Sonntage des Monates Juni festlich begangen werden muß. — Mit S tepischnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. Z 34 I- Theil. 1. Hauptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. der Jubiläumsfeier war eine Ausstellung zumal von altkirchlichen Ge¬ genständen im Vatiean verbunden. Im geheimen Consistorium vvm 22. Juni ernannte der Papst zu Cardinälen den Erzbischof von Agram, Joseph Mihalovitz; den Fürst¬ erzbischof von Wien, Johann Kutschier, und den Erzbischof von Bologna, Lueido Maria Parocchi. Ueberdies besetzte er den Patri¬ archenstuhl von Venedig und einige Erzbisthümer und Bisthümer welches letztere wieder am 25. Juni geschah. — Am nämlichen 22. Juni richtete er eine Allocution an die Cardiuäle, in welcher er seiner dank baren Freude und seinem Troste wegen der anläßlich seines fünfzig¬ jährigen Bischvfjubiläums aus der ganzen katholischen Welt empfangenen Beweise kindlicher Ergebenheit Ausdruck gab. Mittelst apostolischen Deeretes Orbis st Orbis ckcko. 19. Juli 1877 erhob der Papst den hl. Franziscus Sa lesi ns zum vostor Lsslssius. Wir verzeichnen wieder kurz die folgenden, vom hl. Vater vor¬ genommenen Prüeonisationen von Erzbischöfen nnd Bischöfen am 21. Sep¬ tember l877 nnd am 28. December 1877, wo nach einer kurzen Allv- cution zwei Cardinäle creirt wurden. Mit Breve vom 4. September l877 hatte der hl. Vater den im Benedictinerstifte Lambach (Diöcese Linz) gegründeten Verein „der ewigen Anbetung des heiligsten Saeramentes unter dem Schutze des hl. Be¬ nedict zur Rettung der armen Seelen im Fegefeuer" zur Erzbru- d e r s chaft erhoben. Das Befinden des hl. Vaters war noch Anfangs Februar als ein verhältnißmäsfig gutes geschildert, obwohl er des Fußleidcns wegen zuletzt meist das Bett hütete. Da erschütterte die katholische Welt die Plötzliche Nachricht, daß Pius IX. am 7. Februar 1878 um 5 Uhr 40 Minuten Nachmittag nach mehrstündiger Agonie verschied. Das Parere der vier Aerzte, die ihn behandelten, lautete wörtlich: „bloi sottosmitti uttsstiniuo, ebs In Luutitä. . und Vicar au der Peterskirche Aloisius Puccher- Europa. Z 2. Das ökumenische oaticanische Concil. 37 Passavalli. In der Allocution betonte der Papst die Größe und Bedeutung der Aufgabe, die das Concil zu erfüllen haben werde. — Anwesend waren: 721 Väter, nämlich, 49 Cardinüle, 9 Patriarchen, 4 Primaten, 122 Erzbischöfe, 480 Bischöfe, 6 Acbte nullius (das ist exemte), 22 Generaläbte, 29 Ordensgenerale und Gcneralvieäre. Früher schon, am 4. December (prillio Xonus vsosmdris) erließ der Papst eine „Oonstitutio llo olootiono Uomuni Uoutiliois si oon- tinxnt, sellow ^po8toliouw vuaure lluranto Oonollio 0oouw6nio u 8) gusrslurnui (st ooutro vsr8i uruiii). — Je fünf Väter wurden in geheimer Abstimmung gewühlt, von welchen die Ersteren über die Entschuldigungen und Gesuche wegen Ausbleibens zu berichten und die Letzteren über Cvnfliete und Schwierigkeiten wegen des Vor¬ trittes zu entscheiden hatten. 6. Oe o tkivi ul ibn 8 Oonoilii. Von diesen war schon die Rede. Zum Coneils-Secretär ernannte der hl. Vater den Bischof von St. Pölten, Or. Josef Feßler. 7. Os ev n g- r e A'n ti o n i b n 8 8' s s r n I i l> n 8 Oatruiu. Im Namen des hl. Vaters führten darin den Vorsitz fünf Cardinale; nämlich: Karl Graf von Reis ach (geboren 6. Juni >800 zu Roth in Mittelfranken), und nach dessen Tode (st 26. December >869, factisch präsidirte er nie) Philipp Cardinal cis ^.uxsli8 (Erzbischof von Fermv); Anton cis Onou; Josef Andreas Bizzari; Alois Bilio, und Hannibal Cap alti. In diesen General-Congregationen wurden die Reden der Väter gehalten, und wurde mündlich abgestimmt. Ein wichtiges Mittelglied bildeten die vier „(loputations8 OatrunO, und zwar die erste über Glaubenssachen; die zweite über Gegenstände der K irch e n z ncht; die dritte über Fragen betreffend die religiösen Orden; die vierte über Angelegenheiten der morgenländischen Riten, und zugleich über die apostolischen Missionen. Jede dieser Deputationen bestand aus viernndzwanzig, in geheimer Abstimmung gewählten Vätern, und jeder stand ein vom Papste ernannter Cardinal vor. 8. Os 8688ioiiidu8 publioi8. Diesen präsidirte der hl. Vater selbst, und geschah die Abstimmung mündlich und zwar nur entweder mit „plaost« oder „non plusst", während in der General- Congregation auch mit „plasst fnxtn moiluni" zu stimmen gestattet war. Nach der Sammlung der Stimmen erfolgte die Bestätigung Seitens des hl. Vaters und svdannige Promulgirnng der 0rmoiis8 und Osvrstn. Europa, ß 2. Das ökumenische vaticamsche Concil. 39 9. Os nou äisesäsnäo u Oousilio. 10. Inänltum np os t o Ii o nin äs uon rs8iäsutin pro Ü8, gui Oousilio iutsr8uut. Die erste General - Kongregation tagte am 10. December. Am 6. Jänner 1870 fand die zweite öffentliche Sitzung statt (die erste war die Eröffnungssitzung am 8. December 1869), in welcher nur das Trideutiuische Glaubensbekenntnis), und zwar zuerst vom hl. Vater, dann von allen Bischöfen beschworen wurde. Noch ehe das Concil eröffnet wurde, meinten manche Bischöfe, zumal Deutschlands, es werde über die päpstliche Jnfallibilität auf demselben nichts entschieden werden. Das erste unter die Concilsvüter vertheilte Kelismu äs Osslemn enthielt nichts davon. Es bestand aus 15 Capitelu, deren neuntes die Aufschrift hatte: „äs Osslssins iu- tnllibilitatsund 21 Canones, welche letzteren durch irgend welche Jndiscretion zuerst in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" in die Ocsfentlichkeit kamen, und so viel Lärm erregten. Die liberalen Blätter wußten aus diesen svgenanuten „Fluchcauoncn" — wie sie dieselben schalten — in ihrer Weise Capital zu schlagen. Da richteten an 450 Bischöfe ein postulntum an das Concil um die Dvgmatisirung der päpstlichen Unfehlbarkeit in Fragen des Glaubens uud der Sittlichkeit. Es erschien ein „Oapnt nääsuäum ässrsto äs Uoinaui Uvutitisis priiuntn. Uomnuuiu Uontiüssm in rsbu« tiäsi st worum ästmisnäis srrurs non p08ss." Laut öffentlichen Blättern lagen der dogmatischen Commission noch drei andere Petitionen und Formeln um die erwähnte Dvgmatisirung vor; nämlich eine von neapolitanischen Bischöfen; eine von anderen italienischen Bischöfen, und die dritte, am bestimmtesten gefaßte, von spanischen Bischöfen. Die Väter der sogenannten Minorität — an 137 — richteten an den hl. Vater Vorstellungen (die deutschen, österreichisch-ungarischen und die französischen unterm 12. Jänner; die amerikanischen unterm 15; die orientalischen und die italienischen unterm 18. Jänner), worin sie ihren Bedenken gegen die Opportunität einer solchen Dogmatisirnng in der ehrfurchtsvollsten Weise Ausdruck gaben. So insbesondere auch in der „Ustitio n pluritum Oallins (Oermnuins), Jmstrins ns Uuu- xnrine, Uni ins, ^n^lins, Itibsruins, st -tmsitsns 86ptsiutnounti8 ^rsbispiosopm st Opmsopm, Umiusntissimis souoilii ossnmsnisi Urnssiäibns sxbibitn, ääo. 10. ^prili8 1870?' 40 1 Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Der Papst ließ diese, wie überhaupt alle nvch später au ihn adressirten Eingaben der dogmatischen Commission überweisen. Es cireulirte noch eine, mehr vermittelnde Formel über die Un fehlbarkeit unter den Concilsvätern. Als Zusatz zu der früher erwähnten Geschäftsordnung des Coneils „Llnltiplieas interch in Betreff welcher nvch ein paar Postulate von Bischöfen verlauteten (einiger französischen nvch vor dem 10. December 1869 und einiger deutschen und österreichisch-ungarischen vom 2. Jänner 1870) erschien unterm 20. Februar 1870 unter Fertigung der fünf Präsidenten und des Cvucilssecretürs, I)r. Joseph Feßler, Bischof von St. Pölten, wieder ein Normale, in welchem es anfangs heißt, daß der hl. Vater darin auf die „exposinlutiones, guna u plorisgne Oonoilii Uutrilnm banck samal axlnbitua 8nnt ex oo, guock ctisoeptu- lionnin Oonailiuriuin 8oriö8 in Inn^nin ^In8 uegno protrubutur^ (in der That wurde hie und da etwas zu viel — auch nicht strenge zum Fragegegenstaude Gehöriges gesprochen) Rücksicht genommen habe. Die Hauptbestimmung dieser neuen Geschäftsordnung besteht darin, daß auf Grundlage der schriftlich eingereichten Bemerkungen zunächst die betreffende Synodal-Cvmmisfivn das Schema (so heißen die Vor¬ lagen) nochmals umarbeiten kann. Erst, wenn dies geschehen, findet die mündliche Discussion statt. Punkt I I bestimmt: „Wenn die Dis- cnsfivn über einen bereits hinreichend besprochenen Gegenstand (wegen der noch angemeldeteu Redner) sich über die Gebühr hinauszieheu soll (plu8 ueguv grotrubutur), so können die präsidirenden Cardinäle, wenn wenigstens zehn Concilsväter dies schriftlich verlangen, die General- Congregation fragen, ob sie die Discussion noch fortgesetzt haben wolle? Und nach durch Aufstehen oder Sitzenbleiben abgegebener Er¬ klärung können die Präsidenten die Debatte schließen, wenn dies der Mehrzahl der versammelten Väter beliebt." Diese so ab geänderte Geschäftsordnung rief zwar Bedenken einiger der sogenannten Minoritäts-Bischöfe hervor, welchen sie in der schriftlichen Vorstellung, ctäo. I. März 1870, an die präsidirenden Car- dinäle Ausdruck gaben; — sehr heftige Anfechtungen hingegen erfuhr sie von anderwärts.') Nicht wie es in dem Decrete heißt, darin eine größere Garantie der Freiheit der Discussion erblickend (intogruiu >) So insbesondere von Or. Ignaz von Döllinger in der „Angsbnrger Allgemeinen Zeitnng" von: 10. Mürz. Europa. Z 2. Das ökumenische vaticanische Concil. 4k servumlo emn üissussivnnm libsrtatom, gnao eatliolioae Loolssias Lpisoopvs äeoout), wollten Coneilsgegner Punkt 11 und andere Be¬ stimmungen mit dieser Freiheit nicht ganz vereinbarlich finden. Insbesondere meinten einige irrig, über Dogmen solle nicht mit bloßer Mehrheit, sondern mit moralischer Stimmeneinheit ent¬ schieden ; also ein solches Decret, gegen welches irgend eine erhebliche An¬ zahl bischöflicher Stimmen sich erkläre, als abgelehnt betrachtet werden. Bei der ersten Abstimmung über die dogmatische Constitution „6s ücls ontbolisn? am 12. April 1870 stimmten 515 Bischöfe mit „plusst«; 83 (85?) mit „pluest suxtu moäung« d. i. wenn die von ihnen be¬ antragte Aenderung vorgenommen wird, mit „non plrmst« Niemand. Am 24. April, (am weißen Sonntage), war wieder öffentliche Sitzung (die dritte), in welcher der hl. Vater nach erfolgter ein¬ stimmiger Annahme (die Zahl der Votanten betrug 667) die sonstitntio sanctionirte und pnblicirte. Nach der dritten öffentlichen Sitzung gelangte zuerst das kurze Schema „6s parvo Oatsslnsmo" (vom kleinen Katechismus) zur Ver¬ handlung, der nämlich in Zukunft in der ganzen Kirche für den ersten Religionsunterricht die gleiche Grundlage sein solle. Die Schlust¬ abst! mmnng ist nicht erfolgt. In dem ersten Kolismn <1o osslssiu handelte Capitel 1l vom Primate. Mehrere Bischöfe verlangten, daß zuvor die Capitel 13 und 14 über das Verhältnis; der Kirche zum Staate in Verhandlung gezogen würden. Indessen erfuhr das ganze Schema eine vollständige Umänderung, in welcher es sodann als die sonstitutio äo^mutisa. prima 6s llsolsma erschien, die vier Capita zählt, und nur vom Pri¬ mate handelt. Es begannen nun darüberund über die päpstliche Unfehlbar¬ keit die Verhandlungen. Die Generaldebatte dauerte vom 13. Akai bis 3. Juni 1870 und umfaßte 14 General-Congregationen. Auf Grund der erwähnten geänderten Geschäftsordnung genehmigte das Präsidium (am 3. Juni) über Antrag der Majorität den Schluß der General¬ debatte, obwohl noch viele Redner (bei 40) vorgcmerkt waren, andere im Sinne hatten, sich noch zu melden. Die Specialdebatte hatte (vom 15. Juni an) ihren Fortgang, bis auch sie, und zwar nachdem noch mehrere Redner beider Parteien — welche sich gemeldet — auf ihren Vortrag verzichtet halten, geschlossen 42 I Theil. I. Hanptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. wurde (4. Juli). Bei der Vorabstimmung über die Jnfallibilitäts- Erklärung am 13. Juli hatten von 60 l anwesenden und abstimmenden Vätern 451 mit „pluest"", 88 mit „uvu pluost" und 62 mit „plasst .juxtu wockuiu" gestimmt. In der vierten öffentlichen Sitzung am 18. Juli 1870 wurde über das ganze Schema äs Urimutu einschließlich der Jnfallibilitäts- Erklärung endgiltig abgestimmt. Es votirten von 535 anwesenden Vä¬ tern 533 mit „pluest," zwei mit „non planst"'. (Einige Bischöfe hatten Rom bereits verlassen.) Der Papst bestätigte und promnlgirte den Ma¬ joritätsbeschluß, und schloß mit einer Allocution, worin er sagt: „IIIu- iniust Osus sensu« st sorcku, nt owns8 usescksrs pv88int uck 8innni patri 8, 6Ini8ti ÜS8U, in tei'i'18 inäigni Vioarii, gni sv8 ainat, 608 ckilixit, st sxoptat nnnni 888s snin illi8. " In der General-Congregation am 16. Juli wurde ein Protest der Cardinal-Präsidenten gegen die Verlänmdungen, welche die Presse, zu mal zwei anonyme Flugschriften: „6s, cpn 8e pu88s au Oonsils^ und „l^a cksrnisrs Iisnrs ckn Oonsils^ sich gegen das Cvncil hatte zu Schulden kommen lassen, an sümmtliche Bischöfe vertheilt, von diesen unterzeichnet, und sodann dem Secretär des Cvneils zur Aufbewahrung in den Acten übergeben. Nach der öffentlichen Sitzung konnten alle Bischöfe, die aus Ge¬ sundheitsrücksichten oder wegen wichtiger Amtsgeschüfte in ihre Diö- cesen zurückzureisen wünschten, dies thun, wozu sie einen Urlaub bis zum 11. November erhielten. Doch die bald, in zwei Monaten, ein¬ getretene Katastrophe in Rom veranlaßte, ja nöthigte den hl. Vater, das vaticanische Concil mit Bulle vom 20. October „Uv8tguam vsi munsrs" bis auf bessere Zeiten zu vertagen. Der am 11. April 1869 verliehene Concils-Ablaß dauerte laut der Bulle noch fort. Inzwischen wurde noch den in Rom zurückgebliebenen Vätern ein Schema über die Missionen zur Prüfung übergeben, worüber sie ihre schriftlichen Bemerkungen bis zum 23. August einzureichen hätten. Am 13. August hatte in der Aula noch die 87. General-Con- gregation, bei der sich nur 152 Väter einfanden; am 1. September aber die 88. General-Congregation stattgefunden. Es war factisch die letzte. Zu welchen Agitationen — zumal in Deutschland — die Decrete des vatieanischen Concils, insbesondere jenes über die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes, Veranlassung gaben, wird am betreffenden Orte Europa. Z 3. Zur Literatur über das vaticanischc Concil. 43 erzählt. Der hl. Vater benützte die Gelegenheit, als ihm am 20. Juli 1871 eine Deputation der Akademie der katholischen Religion auf¬ wartete, sich darüber auszusprecheu. „Unter den Jrrthümern sei der malitiöseste jener, welcher behauptet, es sei in der päpstlichen Unfehl¬ barkeit das Recht eiugeschlossen, Fürsten abzusetzen und die Völker vom Eide der Treue zu entbinden, wahrlich eine gräuliche Verwirrung! Dieses Recht sei einigemal in äußerster Noth von den Päpsten ausgeübt worden; habe aber mit der päpst¬ lich e u Unfehlbarkeit durchaus nichts zu t h un. — Die gegenwärtigen Verhältnisse seien ganz und gar verschiedene von den früheren, und nur Bosheit könne so verschiedene Dinge und Zeitver- hältnisfe mit einander vermengen, als hätte ein unfehlbares Urtheil über eine Offenbarungswahrheit irgend welche Beziehung zu einem Rechte, welches die Päpste, gerufen von den Wünschen der Völker, ausüben mußten, wenn es das gemeinsame Beste verlangte." Diese authentische Erklärung ist, sollte man meinen, deutlich und beschwichtigend genug. In Folge päpstlichen Deeretes, intiiuirt von der 8. OonAesKutiv Oonoilü, «Uta. 20. Immer 1877, wurden in die von den Bischöfen und sonstigen kirchlichen Beneficiaten u. dergl. zu beschwörende Eides¬ formel, welche Papst Pius IV. 1564 vorschrieb, nach der Stelle: „^ruooipuo u 8u6ro8unotu Deidontinu Z^nodo" folgende Worte ein¬ geschaltet: „6t ul> O6onin6nioo Ovnoiiio Vuticano trudita., doünita 8.6 doolurutu, pimesertiin do Uomkun Lontitmis Lriinutu ot iuüdlidili muKistorio." 8 3. Jur Literatur über das vaticanischc (Lonril. Wie nicht anders möglich, veranlaßte das vaticanischc Concil eine eigene, nicht unbedeutende Literatur. Bei den einzelnen Staaten geschieht davon, insoferne da eben von der Stellung der Regierung oder der Bewohner zum genannten Concil die Rede ist, znm Theile Erwähnung. Wir führen hier übersichtlich nur einige Hanptschriften gegen und für das Concil auf mit wenigen einschlägigen Bemerkungen. Daß wir hiebei von den bloßen Zeitungsblättern Umgang nehmen, versteht sich von selbst. Obenan stehen wohl die „Römischen Briefe," wie sie in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" und daun in einer Separatausgabe 44 l. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. unter dem Titel „Hnirinns" erschienen. Ihre Tendenz ist, das vati- ennische Concil in der öffentlichen Meinung als ein ganz nnfreies, also des ökumenischen Charakters ermangelndes, hinzustellen. Zur Wider¬ legung gab der Bischof von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler heraus: „Die Unwahrheiten der römischen Briefe." Im gleichen Coneils- und Rom feindlichen Sinne — zunächst auch gegen die päpstliche Unfehlbarkeit gerichtet, erschien: „Der Papst und das Concil" von Janus (Pseudonym). Eine weiter ausgeführte und mit dem Quellennachweise versehene Neubearbeitung der in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" erschienenen Artikel: „Das Concil und die Oiviltn," wogegen Professor Dr. I. Hergenrother zu Würzburg den „Anti- Janus" schrieb. Jnsgleichen erschien von ihm: „Katholische Kirche und christlicher Staat in ihrer geschichtlichen Entwicklung und in Be¬ ziehung ans die Fragen der Gegenwart. Historisch-theologische Essays und zugleich ein -lutstumw vinllioutns." Auch Professor I)r. I. M. Scheeben zu Kolu trat dawider auf, zumal in der Zeitschrift „Perio¬ dische Blätter zur wissenschaftlichen Besprechung der großen religiösen Fragen der Gegenwart." Eine Concils-Apologie ist auch: „Ontbockru Uoinnnn oder der apostolische Lehrprimat. Nach Maßgabe der Lehrbestimmnng des Oou- oilium Vutioanmn." Von I. B. Andries. Wider Lord Acton's, Or. von Döllinger's Schüler „Send¬ schreiben an einen deutschen Bischof des vaticanischcn Coneils," mit welcher Broschüre derselbe das Exemplar der Nürnberger Erklärung an die deutschen Bischöfe begleitet hatte, richtete der Bischof von Mainz die Abfertigung: „Die Minorität auf dem Concil". Lord Acton schrieb aber wieder: „Zur Geschichte des vatieanischen Coneils," worin Wahres mit minder Wahrem in einer Weise verquickt ist, — wie fast bei allen gegen das Concil gerichteten Schriften — daß das Urthcil des Lesers sehr leicht irre geleitet wird. Vom Professor I)r. Friedrich Ritter von Schulte ging die Bro¬ schüre aus — in vermehrter Auflage — „Die Macht der römischen Päpste über Fürsten, Länder, Völker, Individuen nach ihren Lehren und Handlungen seit Gregor VII. zur Würdigung ihrer Unfehlbarkeit beleuchtet und den entgegengesetzten Lehren der Päpste und Cvneilien der ersten acht Jahrhunderte über das Verhültniß der weltlichen Ge¬ walt zur Kirche gegcnübergestcllt." Der Verfasser sucht insbesonders auch Europa. A 3. Zur Literatur über das vatieauische Coucil. 45 die Staatsgefährlichkeit des neuen (?) Dogmas darzuthnn. Zn seiner gründlichen Widerlegung schrieb Ur. Josef Feßler, Bischof non St. Pölten: „Die wahre nnd die falsche Unfehlbarkeit," worin der Autor die päpstliche Jnfallibilität nach dem Wortlaute des vatieanischen De¬ kretes auf das rechte Maß zurückzuführen sticht. Ur. Fr. von Schulte gab auch heraus — nicht als eigener Ver¬ fasser: „Das Unfehlbarkeits-Decret vom 18. Juli 1870 ans seine kirch¬ liche Verbindlichkeit geprüft." Tas Resultat soll freilich die Nichtverbind lichkeit des erwähnten Dekretes sein; doch wird das Schriftchen kann« Jemanden, der auch selbst zu Prüfen im Stande ist, überzeugen. Kaum ein halbes Jahr nach dem Erscheinen der Broschüre: „Die Macht der römischen Päpste" u. s. w. rückte Professor I)r. Fr. R. von Schulte mit zwei neuen Schriften hervor. Die kleinere: „Denk¬ schrift über das Verhältnis? des Staates zn den Sätzen der päpstlichen Constitution vom l8. Juli 1870, gewidmet den Regierungen Deutsch¬ lands nnd Oesterreichs" soll dazu dienen, die Regierungen zur Abwehr gegen das staatsgefährliche (?) Dogma aufznfordcrn, und ihnen zn zeigen, wie sie dies thun sollen. Die andere, umfangreichere Schrift mit dem Titel: „Die Stellung der Coneilien, Päpste und Bischöfe vom histo¬ rischen und canonistischcn Standpunkte, und die päpstliche Constitution vom 18. Juli 1870" Null darthun, daß der Papst uud der Episkopat seit dem 18. Juli 1870 nicht mehr als Repräsentanten der von den Staaten anerkannten katholischen Kirche gelten können, weil sie vom alten katholischen Glauben abgcfalleu (!) seien; mithin habe auch die ganze vom Papst und Episkopat abhängige kirchliche Gemeinschaft anfgehört, eine anerkannte zu sein, und sei für den Staat eine ganz neue geworden. Zwar auch im gegnerischen Sinne, sonst aber ein fleißig geschrie¬ benes und brauchbares Sammelwerk ist: „Sammlung der Aktenstücke zum ersten vatikanischen Concil mit einem Grundrisse desselben" von Ur. Emil Friedberg, ord. Professor der Rechte an der Universität Leipzig (Tübingen 1872). Als Fortsetzung erschienen von ihm 1876 die weniger brauchbaren „Aktenstücke, die altkatholische Bewegung be¬ treffend." Eine kurz gefaßte nnd apologetisch gehaltene Geschichte des Coneils lieferte Ur. I. Feßler in: „Das vatikanische Cvncilinm, dessen äußere Bedeutung und innerer Verlauf." -tl, I. Thcil. I. HlNipistiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Gegen Professor I)r. Langeu's zu Bonn: „Das vatieanische Dogma von dem Universal-Episkopat nud der Unfehlbarkeit des Papstes in seinem Verhältnisse zum neuen Testamente und der patristischeu Exe¬ gese" richtete Einer seiner früheren Schüler das offene Sendschreiben: „Katholisch oder nicht?" vr. I. Friedrich in München schrieb eine Geschichte (?) des vatieanischen Concils und veröffentlichte: „Ooonmonta all illustraminm Ooinülium Vatioanum," doch sind nicht vollständig alle dies¬ bezüglichen Doenmentc darin enthalten. Von welcher feindseligen Ge¬ sinnung gegen Rom dieser Autor erfüllt sei, ist wohl zumeist aus seinem „Tagebuch während des vatieanischen Coneils" zu ersehen. Mit Indis¬ kretion verwerthet er zu seinem Zwecke auch ganz Private und vertrau liche ihm in Rom gemachte Aenßerungen. Dagegen erschien: „Das Coneil und die deutsche Wissenschaft." Nach Friedrich' s Tagebuch beleuchtet. Lesenswerth ist: „Meine Auseinandersetzung mit den Janus-Christen" von Or. A. Thiel, Domherrn in Frauenburg. Der Verfasser wider¬ legt kurz und bündig die Haupteinwürfe gegen das vatieanische Coneil. Vom Bischöfe von Paderborn, 0r. Conrad Martin, erschien (1873): „Die Arbeiten des vatieanischen Concils," und: „Omnium evneilii Vutienni ckosumsntorum sollsstio." Ju Rom selbst aber, unter den Augen des hl. Vaters: „8torin cksl Oonoilio Vutisano." 8orittn sui ckoenmsnti originali ckn llmAsnio Osssoni, onnoniso ckslln illstropolitann Oiorsntina, ckott. in tllsol. (Später Erzbischof von Florenz.) (Dipo^rapina. Vatioaim 1872.) Dieses Geschichtswerk, von welchem der zweite Band bisher noch nicht an das Licht kam, wurde in seinem ersten Bande im Auftrage des hl. Vaters in's Deutsche über¬ tragen von Or. Wilhelm Molitor, Domcapitular zu Speyer. Auch im Jahre 1873 gab ein Italiener unter dem Pseudonym: komponio Ostn (ein Humanist aus dem Ende des XV. Jahrhun¬ derts) heraus: „Otto mesi a Koma, ckurnnts il Oonoilio Vutioano. Imprsssioni ck'nn oontong>oran60." llicen/.e, Os Llonnio. Der Standpunkt des Verfassers ist der eines sogenannten liberalen Katholiken. Er sympathisirt unter Anderem mit der sogenannten Koblenzer Laienadresse (von der später). Als eine bloße Mystificativn entpuppte sich die von einigen liberalen Blättern, so auch von der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" Nr. 70 Europa. 8 4- Die katholische Kirche in Oesterreich. 47 vvm Jahre 1877 gebrachte Nachricht, „daß der bekannte liberale römische Senator iVInrguis nobila Vitollosoki die Herausgabe einer gnasi-Ge- schichte des vatikanischen Coneils beabsichtige, deren Verfasser nie¬ mand Anderer sei, als sein Bruder, der 1875 ereirte nud gestorbeue Cardinal Salvatore Vitelleschi. Darin soll dargethan werden, daß das Cvncil der zur Giltigkeit seiner Beschlüsse nvthwendigen Freiheit entbehrt habe". (?!) Zunächst gegen den oberwähnten Professor vr. Friedrich in München schrieb der Erzbischof von Westminster, Cardinal Manni ng, eine im Jahre 1877 erschienene Geschichte des vatikanischen Concils: „Tina 8tor^ ok tlia Vatioau 6vnoil." Eine recht brauchbare Arbeit — wenn mich nur mehr Registrirung über das vatikanische Cvncil ist zumal die erste Lieferung von „Kirchen¬ geschichtliches in chronologischer Reihenfolge von der Zeit des vatika¬ nischen Concils bis auf unsere Tage" von vr. Hermann Rolf ns. 8 4. Nie katholische Kirche iu Oesterreich. Die Politischen Ereignisse der verhängnißvollen Jahre 1848 und 1849, wie sie ganz Europa durchzuckten und deren Nachwchen noch jetzt fühlbar sind, möge die Profangeschichte ausführlich erzählen. Uebcr- sichtlich aufgeführt sind es: Der Sturz des Bürgerkönigthumcs iu Frankreich und die Promulgirnng der Republik zur Ueberraschnng der ungeheueren Mehrheit des Volkes in den letzten Februartagen 1848; der österreichisch-sardinische Krieg in Oberitalicn, mit den anfäng¬ lichen Vortheilen des Sarden-Königs (spacka ck'Itaka) C a rl A lb c rts >) und seinen nachherigen schnell aufeinander gefolgten Niederlagen, welche ihm das tapfere österreichische Heer (in dessen Lager damals, wie der gefeierte vaterländische Dichter Grillparzer — gestorben am 22. Jänner 1872 in Wien — sang, Oesterreich war) unter dem greisen Heldenmar¬ schall Grafen Radetzky noch im Jahre 1848 in Oestcrreichisch-Jtalien; im folgenden Jahre 1849 aber schon im eigenen Lande beibrachte, wor¬ auf Carl Albert (Morgens 24. März 1849) zu Gunsten seines Sohnes Victor Emanuel II. abdankte und in der Fremde, in Por- ') Früher Prinz vonCarignan, hatte er nach dem Tode des Königs Carl Felix am 27. April l83l den Thron bestiegen. So verrätherisch wie ehedem am Liberalismus handelte er dann an Oesterreich. 48 1. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. tugal zu Oportv, starb (28. Juli >849).') Die feige, grauenhafte Niedcrmetzelung des kaiserlichen Friedeuscommisfürs, Grafen Franz Phi¬ lipp vvn Lamberg, am 28. September 1848 in Pest und des Kricgs- ministers, Grafen Theodor Baillet de Latour, am 6. Oetober in Wien; — die zweimalige Flucht des Kaisers Ferdinand I. (18. Mai 1848 nach Innsbruck; 7. Oetober d. I. nach Olmütz); — der Anf- ') Wir geben hier eine kurze Skizze des sardinisch-österreichischen Krieges im Jahre 1848 und 1849. Bis zum Abend des 9. April hatte ein Theil des piemon- tesischen Heeres bereits au drei Stellen, und zwar bei Goita, Pozzolo und Mon- zambano, deu Mincio überschritten. Zwar behielten die Feinde bei Pastrcngo 28. bis 30. April die Oberhand, verloren aber die Schlacht von S. Lucia (bei Verona) am 6. Mai. Das österreichische Heer konnte nnn zur Offensive übergehen. Das Glück begünstigte seine Waffen bei Cnrtatone und bei Montanara (29.), nicht so am 30. bei Goitv, worauf, und da mittlerweile die Festung Pcschicra sich hatte ergeben müssen, der vorläufige Rückmarsch der k. k. Armee vom Mincio gegen Vicenza erfolgte, welche Stadt am I I. Juni Morgens capitnlirte. Daselbst hatte der päpstliche General Durand o (gest. 27. Mai 1869 zu Florenz) befehligt. Der Wicdcruntcrwcrfung Vicenza's folgte jene von Padua und der Fall von Treviso. Am 12. Juni traf Feldmarfchall Radetzky selbst wieder in Verona ein, nm von da abermals die Offensive zu ergreifen. Nach den glücklichen Gefechten bei Sonna und Sommacampagna (23. Juli) schlug Feldmarschall Graf Radetzky den Feind in der entscheidenden Schlacht bei Custozza (25. Juli). Nach dem Siege bei Volta (27.) den Feind unaufhaltsam vor sich hertrcibend, zog er am 6. Augnst wieder in Mailand ein, wo am 9. vorläufig ein sechswöchentlicher Waffenstillstand ab¬ geschlossen wurde. Die Lombardei war wieder bis zum Tessin vom Feinde geräumt. Im Venetianischen hatten Fcldzcugmeister Graf Nugent, Fcldmarschall- Lientenant Baron Melden und Fcldmarschall-Lieutenant Graf Gyulai operirt. Ilm 22. April ergab sich Udine. Nach einem mißlungenen Angriff auf Vicenza stieß Feldmarschall-Lieutenant Graf Thnrn am 25. Mai bei Verona zur Armee des Feldmarfchalls. Am 15. Juni zog Baron Weiden in das (wie früher bemerkt) capitnlirte Treviso ein. Am 14. October ward die schon früher cernirtc Bergfestung Osoppo besetzt. Am 12. März 1849 kündigte Piemont plötzlich den Waffenstillstand aus; schon am 20. war der Uebergang der k. k. Armee über den Tissin bei Pavia in das piemontesifche Gebiet bewerkstelligt. Nach den glücklichen Gefechten bei Borgo, San Syro und Gamboli siegte die k. k. Armee am 21. März bei Mortara und am 23. in der blutigen Schlacht bei Novara, wodurch die völlige Niederlage Pie¬ monts entschieden war. Gleich darauf schloß der neue König von Piemont Victor Emanuel II., Carl Alberts Sohn, in dem zwei Miglien von Novara entfernten Orte Vignale den Waffenstillstand mit Graf Radetzky ab. Der Feldmarschall hatte hiebei die ausdrückliche Bedingung gestellt, „daß Se. Majestät der neue König die Con¬ vention in eigener Person unterschreiben müsse, da ihm der ritterliche Europa. Z 4. Die katholische Kirche in Oesterreich. 49 stand in Ungarn, wo der Reichstag die Abdankung Kaiser Ferdi¬ nand I. (als König von Ungarn V.) nicht anerkannte, und nun den Soldaten vorspiegelte, daß sie für diesen ihren rechtmäßigen König kämpfen, bis der Debrecziner Convent am 24. April l849 sogar die Unabhängigkeit Ungarns und die Thrvnentsetzung der Dynastie Habs- bnrg-Lvthringen proclamirte, welcher Aufstand mit Hilfe der Russen unter dem Feldmarschall Grafen Paskiewitsch unterdrückt wurde und sein Ende erreichte, als der kühne Rebellen-Obercommandant Arthur Görgey am 13. August 1849 mit 23.000 Mann bei Bilagos capi- tnlirte, indem er sich dem russischen General Rüdiger ergab; >) — biedere Charakter dieses Monarchen allein genügende Bürgschaft treuer Erfüllung gebe". Der ehrliche alte Krieger bcurtheilte denselben nach seinem eigenen wirklich ritterlichen Charakter. Im Artikel I verpflichtete sich der König von Sardinien, baldigst mit Oester¬ reich einen Friedcnstractat einzugchen (der erst am 6. August erfolgte). Im Artikel III wurde für die Dauer des Waffenstillstandes die militärische Besetzung des Landstriches zwischen dem Po, der Sesia und dem Tessin und der Hälfte des Platzes von Alessandria mit l 8.000 Mann Infanterie und 2000 Manu Cavallerie österreichischer Truppen gestattet. Während des Aufenthaltes der k. k. Armee in Piemont pflanzte Brescia wieder die Fahne des Aufruhres aus, wurde aber nach der Eroberung am I. April vom Fcldmarfchall-Lieutenant Baron von Haynan strenge gezüchtigt. Nach der Bezwingung Piemonts besetzten die Oesterrcicher die Herzogthümer Modena, Parma und Piacenza, nähmen am II. April Livorno, zogen am 25. Mai in Florenz ein, am 16. war auch Bologna in ihre Hände gefallen und am 19. Juni Ancona für den legitimen Souverän, Papst Pius IX., in Besitz genommen. Nur Venedig trotzte noch immer und wollte ungeachtet immer engerer Ein¬ schließung von Uebergabe nichts wissen. Dort commandirte der Neapolitaner General Ulloa. Manin war Präsident der provisorischen Regierung. Am 27. Ma! besetzten die Oesterrcicher das Fort Malghera, am 24. August erfolgte endlich die förmliche Uebergabe Venedigs, wo am 28. der Corpscommandant General der Cavallerie Gorczkovski und am 30. Augnst Feldmarschall Graf Radetzky selbst feierlichen Einzug hielt. (Aus dem Werke: Der Feldzug der österreichischen Armee in Italien im Jahre 1848 u. 1849. Wien, aus der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1852, 2 Bände.) Marschall Radetzky starb am 5. Jänner 1858 zu Mailand. ') Görgey wurde durch russische Vermittlung nach Klagenfurt internirt; K o s s uth aber war entflohen, nachdem ihn unmittelbar früher Gör g ey zur förm¬ lichen Abdankung seiner Präsidentschaft vermocht hatte. Er nahm die Krone des hl. Stephan und die übrigen Reichs-Kleinodien mit sich, die man im September 1853 zufällig bei Alt-Orsowa fand und ausgrub. Stepischuegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 4 50 I Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. ferner der Verrath im österreichischen Reichsrathe selbst zu Wien; die offene Empörung der Kaiserstadt und ihre Bezwingung durch die treuen Truppen unter Feldmarschall Alfred Fürst Windischgrätz (31. October 1848), der später auch in Ungarn befehligte und am 28. Februar 1849 bei Kapolua siegte;') - — früher schon — in den Märztagen — die Auflösung des deutschen Bundestages; die ohne Gott und Gebet am 18. Mai begonnene, ?) darum ohne Ruhm auseinander- gegaugene Nationalversammlung mit ihren unpraktischen Debatten über die Grundrechte und künftige deutsche Reichsvcrfassnng in der Paulus- kirche zu Frankfurt am Main, wo das Vorparlament bereits am 31. März i 848 eröffnet worden war; das Reichsverweseramt des Erz¬ herzog Johann (gestorben 12. Mai 1859); die Ermordung der preußischen Abgeordneten Fürst Felix Lichnovsky und General von Auers Wald (18. September 1848) zu Frankfurt am Main; — die allenthalben in Deutschland ausbrechende Empörung; — die noch zu Frankfurt am Main am 28. März 1849 geschehene Wahl des Königs von Preußen zum deutschen Erbkaiser, welcher aber dieselbe ausschlug; die demungeachtet fortdauernden Umtriebe der sogenannten kleindentschcn Partei — der „Gothaer" (so genannt nach dem von der vorigen Rechten der Pauluskirche — der Partei Heinrichs von Gagern - am 26. Juni zu Gotha eröffneten, aber nur ein paar Tage ver¬ sammelten Nachparlamente); die Mairevolntionen in Sachsen, Pfalz, Baden, wo Preußen intervenirte; das sogenannte Rumpfparlament in Stuttgart; die zweideutige Politik Preußens, wie sie sich ins¬ besondere durch die Berufung des Erfurter Parlamentes für die zur Union unter Preußens Oberherrlichkeit zusammengetretenen Staaten (1850) kund gab; — die Wiedereröffnung des Bundestages durch Oesterreich in Folge des diplomatischen Sieges, den es über Preußen aus den Verabredungen zu Olmütz (29. November 1851) davontrug; der kaum vermiedene Ausbruch des Krieges zwischen Oesterreich und Preußen, lieber alles dies, und so manches Andere noch, was gewiß >) Er war geboren zu Brüssel I I. Mai 1787, gestorben zu Wien 21. März 1862. Mit ihm commandirten Fcldmarschall-Lieutenaut Graf Carl Auersperg (gestorben 1859) und der Banns von Croaticn Graf Jellaöiv. r) I)r. Müller, Bischof von Münster, wünschte, die Versammlung möchte durch ein Gebet eröffnet werden. Die Mehrheit wollte nichts davon wissen, nnd Raveaux entgegnete höhnend: toi, st Is siel t'uicksru!" Europa. Z 4. Die katholische Kirche m Oesterreich. 51 von hohen: Interesse ist, schreiten wir zu unserer nächsten Aufgabe, uämlich die Geschichte der Kirche Christi bis in die Gegenwart zu erzählen. Wir beginnen mit Oesterreich, als dem ersten und mächtigsten der znm ehemaligen deutschen Bunde gehörigen Staaten. Die Umwälzungen der Jahre 1848 nnd 1849 hatten, wie die Throne, so — ja noch mehr — auch die katholische Kirche in Deutsch¬ land und Oesterreich bedroht. Diese, die im Sturme nicht schwankte, mit der Revolution nicht liebäugelte, soudern immer als eine iu der That konservative Macht sich bewährte, nahm, während überall der Ruf nach Freiheit erscholl, worunter aber Viele nur völlige Ungebnndcnheit verstanden, auch die ihr schon genug lange vorenthaltene von Gottes- und Rechts¬ wegen gebührende Freiheit in Anspruch, nm nämlich ungehindert ihre Aufgabe erfüllen zu können. Die Fesseln größerer politischer Freiheit, welche das Jahr 1848 fast allüberall sprengte, waren auch für die Kirche nicht länger zu halten. Darum nahm schon die deutsche Nationalversammlung zu Frank¬ furt a. M. an: 11. September 1848 das allgemeine Princip an: „Jede Neligionsgescllschaft (Kirche) ordnet nnd verwaltet ihre Angelegen¬ heiten selbstständig," welches Princip alsbald auch in die preußische, österreichische und andere Verfassnngsurknndcn und Staatsgesctze überging. Der Cardinal Friedrich Fürst zu Schwarzenberg, Erzbischof von Salzburg (seit 1850 Fürstcrzbischof von Prag, Nachfolger des Alois Josef Freiherr:: von Schrenk), versammelte in: Herbste 1848 seine Snffraganbischöfe in der Metropole znr Besprechung kirchlicher Angelegenheiten; worauf sie, gleich den Bischöfen anderer Kirchenpro¬ vinzen, eine Adresse an die Neichsversammlnug richteten. Die verlangte Freiheit, d. i. das Recht, i h r e A n g e l e g c n h e it e n selbstständig, nicht gehemmt durch die weltlichen Regiernngsorgane und durch eine unwürdige Politik des Mißtrauens zu besorgen, wurde der Kirche unmittelbar iu: und nach den: Jahre 1848 wirklich mehr oder weniger allmälig in Deutschland zu Theil. So auch in Oesterreich, wo, wie gesagt, der Episkopat der einzelnen Kirchenprovinzen dies¬ bezügliche Adressen an den constitnirenden Reichstag richtete. Auch die ungarischen Bischöfe sagen in ihren: Memorandum aus dem Jahre 1848: „Da Seine Majestät der König sein oberstes Jn- 4* 52 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. spectionsrecht über die äußerlichen Angelegenheiten der ungarischen katho¬ lischen Kirche bisher durch die politischen Dikasterien ansgeübt, so em¬ pfand es die Kirche in vieler Hinsicht, daß sie nicht srei war und die vom Staate nicht protegirten Religions-Genossen¬ schaften größere Freiheit besaßen." Am 2. December 1848 hatte Kaiser Ferdinand I., während der Reichstag in Krcmsier tagte, wohin er von Wien verlegt worden war, in Olmütz zu Gunsten seines Neffen (Sohnes seines, auf die Thronfolge verzichtenden Bruders Erzherzogs Franz Carl) die Regie¬ rung niedergelegt. Schon Kaiser Franzi, (gestorben 2. März l835) dachte daran, die Josephiuischeu Gesetze, insvferne sie die freie Wirksamkeit der katho¬ lischen Kirche beeinträchtigten, abznschaffcn. ') — Was ihm selbst, man¬ nigfacher Hindernisse wegen, auszuführen nicht bcschieden war, sollte nach seinem Tode geschehen, und ein Concordat mit dem hl. Stuhle abgeschlossen werden. Der schöne Wahlspruch Kaisers Franz Joseph l. „Haitis viribus" wurde auch dadurch zur Wahrheit, daß er mit der Kirche das Bündnis; der Eintracht schloß, um mit ihr vereint das Wohl seiner Unterthemen desto leichter zu befördern. Bereits das kaiser¬ liche Patent zur österreichischen Reichsverfassnng vom 4. März 1849 (mit dem a. h. Cabinetsschreiben clelo. 31. December 1851 „als den Verhältnissen des Kaiserstaates nicht angemessen und nicht ausführbar" außer Kraft gesetzt) sprach (Z 2), nach dem Vorgänge der „Vcrfassungs- urkunde" vom 25. April 1848 für alle anerkannten christlichen Con- fessionen — also auch für die katholische Kirche -- das Recht der selbst stündigen Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten, den gesicherten Besitz und Genuß der für ihre gottesdienstlichen Unterrichts- und Wohl- thätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, ans. Dabei blieb es auch bei den mit obigem Cabinetsschreiben verfügten Aendernngen der Verfassung. Ueber Einladung des Ministeriums Schwarzenberg, resp. des Grafen Stadion, Ministers des Innern, dem zugleich die An¬ gelegenheiten des Kultusministeriums übertragen waren, versammelten sich die Erzbischöfe und Bischöfe jener Kronlünder, für welche das kai- ') In dem Systeme des Fürsten Metternich war sür die Freiheit der Kirche kein Platz. — Der Mürz 1848 stürzte Metternich; er starb am I I. Juni 1859 zu Wien in sehr hohem Alter (geboren 15. Mai 1773). Europa. Z 4. Die katholische Kirche iu Oesterreich. 53 serliche Patent vom 4. Mürz 1849 Geltung hatte, in Wien, um der Regierung ihre Wünsche und Vorschläge bezüglich der künftigen Stel¬ lung der Kirche zum Staate vorzntragen. Am 30. April hielten sie ihren Einzug iu die Stephanskirche, und darnach wurden die Berathungen begonnen, deren Resultate im Namen der Bischöfe der Präses der Ver¬ sammlung, Cardinal Friedrich Fürst zu Schwarzenberg unterm 30. Mai, 6., 13., 15. und !6. Juni g. I. dem k. k. Ministerium mittheilte (siehe: Actenstücke, die bischöfliche Versammlung zu Wien be¬ treffend). Bereits am 7. Mai unterbreiteten die versammelten Bischöfe dein Kaiser selbst eine Adresse, welche derselbe huldvoll erwiderte. Am 17. Juni erging ein gemeinschaftliches Hirtcnschrciben der versammelten Bischöfe an die Gläubigen, so wie an die Geistlichkeit ihrer Diäresen. Die kaiserlichen Verordnungen vom 18. und 23. April 1850, welche über Vortrag des Ministers des Cultus und Unterrichtes, Grafen Lev Thun eillo. 7. und 13. April 1850 an Seine k. k. Majestät erflvssen, willfahrten in der Hauptsache den Bitten der Bischöfe; ins¬ besondere wurde durch die erstere das sogenannte plaostum rsxium aufgehoben, d. i. der Verkehr der Bischöfe und Gläubigen mit dem Papste in geistlichen Angelegenheiten, und ebenso der Bischöfe mit ihrem Clerus und ihren Gemeinden, wenn sie an diese über Gegenstände ihrer Amtsgewalt Ermahnungen und Anordnungen erlassen, freigcgcben, also nicht mehr von der vorläufigen Zustimmung und Genehmigung der Staatsbehörde abhängig gemacht. Ein bischöfliches Comito blieb in Wien, um dem Ministerium bei Ausführung der gemachten Zugeständnisse rathend zur Seite zu stehen. Noch im Jahre 1850 wurde von den Bischöfen eine Prcisbewerbung für neue Religions-Lehrbücher an den österreichischen Gymnasien ausgeschrieben. Der Ministerialerlass vom 16. Jänner 1854 unterstellte alle katholischen Gymnasien bezüglich des Gesammtunterrichtes der Aufsicht der Bischöfe. Den Schlußstein erhielt die angebahnte Vereinbarung zwischen Staat und Kirche in Oesterreich durch das förmliche Concordat. Dasselbe wurde zu Wien am 18. August 1855 — am Geburtstage Kaisers Franz Joseph I. (geb. 1830) -— in Wien von den betreffenden Bevollmächtigten; nämlich von dem Pronnntius Sr. Heiligkeit am k. k. Hofe Cardinal Viale- Prela (noch im Jahre 1855 zum Erzbischof von Bologna und Le- 54 1 Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. gaten ernannt; im nächstfolgenden Jahre 1856 trat an seine Stelle als Nuntius in Wien Antonio 6s Uuon früher in gleicher Eigen¬ schaft in München, Erzbischof von Tarsus, ehemals Professor au der Sapienza in Rom und Herausgeber der „^.nnnli clsila soisnns aeals- 8iu8tioll6") einerseits, und dem Bevollmächtigten Sr. k. k. apost. Ma¬ jestät, dem Fürsterzbischofe von Wien Joseph Othmar Ritter von R a u- scher (Nachfolger des am 14. März 1853 verstorbenen Erzbischofes Vineeuz Eduard Mild e) anderseits unterzeichnet. Das nämliche Datum haben die ans der Basis des Concordates von dem k. k. Bevollmäch¬ tigten in dessen Note an den Bevollmächtigten Sr. Heiligkeit abgege¬ benen zwanzig Separatartikel. Nachdem die beiderseitigen Ratificationen am 25. September 1855 in Wien ausgewechselt worden waren, erfolgte am 5. November g. I. >) das kaiserliche Patent, womit das Cvucordat knndgemacht und angeordnet wurde, daß die Bestimmungen desselben, mit Vorbehalt der in den Artikeln I und II des Patentes angcdeuteten Anordnungen über die Leitung des katholischen Schulwesens und die einzuführenden bischöflichen Ehegerichte, im ganzen Umfange des Reiches von dem Zeitpunkte der Patents-Kundmachung an, in volle Gesetzes¬ kraft zu treten haben. Das nämliche Datum (5. November 1855) führte das Breve „Optimo nosoitis" Sr. Heiligkeit an die Cardinale, Erz¬ bischöfe und Bischöfe des österreichischen Kaiserreiches bezüglich der Hand¬ habung des Concordates. Das Coneordat enthält 36 Artikel.'-) Darin ist die Autonomie der Kirche anerkannt, und mit dem Febronianismus und Josephinismus gebrochen. Der Grundgedanke, dein das Concvrdat sein Entstehen ver¬ dankt, ist in dem obbemerkten kaiserlichen Kundmachungspatente vvm 5. November ausgesprochen. „Seit Wir" — sagt Se. Majestät — „durch die Fügung des Allerhöchsten den Thron Unserer Ahnen bestiegen haben, war Unsere unablässige Bemühung darauf gerichtet, die sittlichen Grund¬ lagen der geselligen Ordnung und des Glückes Unserer Völker zu erneuern ') Der Kaiser ratificirte das Coneordat und unterfertigte es in Ischl am 23. September; der Papst bestätigte es mit der Bulle: „I)su8 luuimmm 8niuti8 uuotor" am 3. November. r) Es sind demselben auch neun Beilagen beigegcben: Briefe des Fürst- Erzbischofes von Rauscher an den apostolischen Nuntius Viale-Prela, und Dieses an Jenen über einzelne concordatliche Gegenstände, z. B. tlcbertritt von einer christlichen Confessio» zur anderen; religiöse Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen n. dergl. Europa. Z 4. Die katholische Kirche in Oesterreich. 55 und zu befestigen. Um so mehr haben Wir es für eine heilige Pflicht erachtet, die Beziehungen des Staates zu der katholischen Kirche mit dem Gesetze Gottes und dem wohlverstandenen Interesse Unseres Reiches in Einklang zu setzen." Während die Abschließuug dieses Concordates die Katholiken auch außerhalb Oesterreich als ein freudiges Ercigniß begrüßten, nach dem Beispiele des hl. Vaters in der Allocutiou vom 3. November 1855; während selbst bei billig denkenden Protestanten dieser Aet kaiserlicher Gerechtigkeit Anerkennung fand, suchten alsbald kirchenfeindliche Blätter, ihren Aerger darüber schlecht verhüllend, denselben von der gehäßigsten Seite darzustellen. Sie griffen, um das öffentliche Urtheil irre zu führen, wohl auch zu den Mitteln absichtlicher Verdrehung, offenbarer Unwahrheiten und Wohlfeilen Spottes. ') Da es auch in politischer Beziehung von Wich¬ tigkeit war, daß bei der Durchführung des Coneordates in allen Divcesen des Reiches nach gleichen Grundsätzen vorgegangen, und daß demnach den Bischöfen des Reiches Gelegenheit zur gemeinsamen Berathung ge¬ boten würde, lud der k. k. Minister des Cultus und Unterrichtes, Graf Leo Thun, über Auftrag Sr. Majestät mit Schreiben vom 25. Jänner 1856 sämmtliche Erzbischöfe und Bischöfe zur Theiluahme an den gemeinsamen, in Wien am zweiten Sonntage nach Ostern zu eröffnenden Conferenzen ein. Papst Pius IX. welcher, wie bereits be¬ merkt, mit apostolischem Schreiben äcko. 5. November 1855 sämmtliche Bischöfe Oesterreichs auf Einiges bezüglich der Ausführung des Concvr- dates aufmerksam gemacht hatte, gab mit neuerlichem Sendschreiben vom 17. März 1856 bereitwilligst seine Zustimmung hiezu. Dadurch sollte allen Schwierigkeiten vvrgebaut werden, welche sich aus einem einseitigen Vorgehen (wie in Folge der italienischen Konferenz in Rho, einem Flecken bei Mailand im December 1855 zum Theile geschehen) ergeben Hütten. Am anberanmten Tage, 6. April 1856, wurde die bischöfliche ') Es ist unglaublich, wie viel Albernheit über das arme österreichische Con- cordat — weist von Leuten, die vielleicht noch nicht Einen Blick in dasselbe gcthan, vorgebracht wurde. Machten ja gewisse Blätter und Zungen sogar das Concordat für die Niederlage Oesterreichs im Kriege mit den Preußen (1866) verantwortlich, weil es jene „Intelligenz" hemme, welcher in der Gegenwart allein der Sieg Vor¬ behalten sei! 56 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Versammlung in Wien mit einer kirchlichen Feier im Stephansdome eröffnet; am folgenden Tage hatte die erste Berathung im erzbischöflichen Palais statt. Am 12. April überreichten die Bischöfe Sr. Majestät die Dank¬ adresse für den Abschluß des Concordates, welche der Monarch hnld- voll entgegennahm. Am 17. Juni bewegte sich abermals der Zug der österreichischen Kirchcnfürsten — fünf Cardinale, 55 Erzbischöfe und Bischöfe — nach dem Stephansdome zur Schlußfeier der Conferenz. Den wesentlichsten Antheil am Zustandekommen des Concordates hatte der Cardinal, Fnrst- erzbischof von Wien, Josef Othmar Ritter von Rauscher, der auch die „Uwtruetio pro üuäieiis lÜLLlLsiustiois Iwpsrii ^.nstriaoi guouü 0UN8L8 iuatriiuvu>a,Is8" Visuuuo 1855 verfaßte. Diese Instruction trat zugleich mit den geistlichen Ehegerichten mit dem I. Jauner 1857 in's Leben, nachdem mit dem kaiserlichen Patente üäo. 8. Oetober 1856 auch das frühere bürgerliche Ehegesetz entsprechend abgeändert worden war. Der Staat anerkennt darin das alleinige Recht der Kirche Ehehindernisse der Giltigkeit aufznstellen nnd beschränkt sich auf die Befugniß, Bestimmungen bezüglich der bürgerlichen Rechts Wir¬ kung en der Ehe zu treffen, und blos die bürgerlichen Ehever¬ bote zu erlassen. In Bezug auf die katholische Hierarchie im österreichische» Kaiser¬ staate bemerken wir, daß der Fürsterzbischof von Olmütz, Maximilian Josef Freiherr von Somerau-Bekh (st 31. März 1853) im Jahre 1850; der Fürstprimas von Ungarn, Erzbischof von Gran, Johann Scitowsky von Nagy-Ker im Jahre 1853 (er war geb. 1. No¬ vember 1785, wurde 1827 Bischof von Rosenau; 1838 Bischof vou Fünfkirchen; 1849 Erzbischof von Gran — st 19. Oetober 1866); der schon genannte Fürsterzbischof von Wien, Josef Othmar Ritter von Rauscher im Jahre 1855 Cardinale wurden. Im Jahre 1852 (12. Dee.) erhob Se. Heiligkeit das früher zur Metropolie Calocsa gehörige Bisthum Agram zum Erzbisthume mit dem Suffragan-Bis- thümern Kreuz (gr.-unirt) und Diakovar. Ucbcr Vorschlag Sr. k. k. Majestät wurde der erste am 8. Mai 1853 iustallirte Erzbischof vou Agram, Georg v. Haulik, vom Papste im Consistorium vom 16. Juui 1856 als (Kron-) Cardinal präconisirt. ') Im nämlichen Jahre erhielt h Cardinal G. von Haulik von Varallya, geb 20. April l788 zu Tyrnan, Europa. A 4. Die katholische Kirche in Oesterreich. 57 auch der greise griechisch-unirte (ruthenische) Erzbischof von Lemberg, Michael Lewickh (fi 1858) das Cardinalbarett. Der neue Patriarch von Venedig, Trevisanato (geb. 15. Februar 1801 ebendaselbst) früher Erzbischof zu Udine, wurde 1868 zum Cardinal ernannt. Er war dem am 25. September 1861 gestorbenen Patriarchen Angelo Romazotti gefolgt, und starb im Mai 1877. Den religiösen Bedürfnissen der nnirten Griechen wurde (1853) durch die Errichtung der Bisthümer: Szamos-Ujvar (Armenvpolis) in Siebenbürgen, und Lugos im Banat als Suffragansitzen der Metropolie — früher Eparchie — Fogaras (mit der Residenz in Balasfalva, d. i. Blasendorf) Rechnung getragen. Fogaras (^Ikrr ünlia) schon früher (seit 1721) Bisthum, wurde uämlich (1850) zur Metropolie erhoben, und ihm auch das griechisch-unirte Bisthum Großwardeiu, bisher zum Erzbisthume Gran gehörig, untergeordnet (siehe .4IIvoutio kii IX. in oonsmt. seoroto 19. Ooooiub. 1853). Im Jahre 1858 besuchte der apostolische Nuntius in Wien, Erz¬ bischof de Luca, über Auftrag Sr. Heiligkeit die soeben erwähnte neue Kirchenprovinz, mit rumänischer Kirchensprache. Für die Unirten mit rnthenischer Kircheusprache betrieb Pius IX. gleich beim Beginne seines Pontificates die Errichtung eines neuen Bisthums zu Stanislav in Galizien. Die schon vor geraumer Zeit beantragte Regulirnng der Diöcesen Gurk, Lavant und Seckau ging auch endlich mit Genehmigung Sr. Heiligkeit und Sr. k. k. Majestät vor sich. Mit Bulle, ckcko. soxtn (.70. Ooo. 1857, unterdrückte der Papst die Diöcese Leoben in Obersteier¬ mark, deren Antheil an Seckau fiel, weshalb dafür von da zehn Deca- nate in Untersteiermark an Lavant kamen, dieses aber seine seitherigen sechs Dccanate in Kärnten an Gnrk abtrat. Der Fürstbischof von Lavant übersiedelte mit seinem Capitel unter Beibehaltung des Namens „Lavant" für die Diöcese von St. Andrä in Kärnten, wo das Bis¬ thum 1228 gestiftet worden war, nach Marburg in Untersteiermark (1. Sept. 1859.) Hie und da in der Monarchie regte sich der Sectengeist wieder. So 1850 in Äsers, einem südlich von Brixen in Tirol gelegenen Berg- dvrfe. Zur Zeit der Auswanderung der Zillerthalcr soll Einer der- scit 1837 Bischof von Agram, gest. II. Mai 1869. Sein Nachfolger wurde Mi- hajlvviü, geb. 1814 zu Torda im Torontaler-Couiitate. 58 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. selben in das Enneberg'sche, ein Anderer aber nach Ufers gekommen sein, von woher sich die Abneigung gegen die katholische Geistlichkeit alldort datirte. In Böhmen machte sich das Hussitenthmn, gemengt mit Soeialismus bemerkbar, wofür insbesondere der Pastor Friedrich Kossuth in Prag agitirte.') Im Jahre 1852 tauchten in der König- grätzer Diveese Fanatiker nach Art der „Adamiten" unter dem Land¬ volke auf. Freiheit auch vom religiösen Zwange war ihr Ziel. Im selben Jahre 1852 wurde in Wien die Secte der „Neu-Jern salemiten", „Neu-Salemitcn", „Johannesbrüder", „Bekenner der reinen christlichen Lehre" eingeführt durch den I)r. mmi. Johann Kopp, wel¬ cher mit dem ständischen Beamten Carl Markt in Verkehr stand. Nachdem Ersterer sich aus den österreichischen Staaten entfernt hatte, wurde M a rkl der Verbreiter dieser neuen Lehre. Er starb als Katholik nach Empfang der hl. Sacramente am 7. April 1862. Diese Sectirer waren eine Art Swedenborgianer; sie langneten die Nothwcndigkeit der äußeren öffentlichen Gottesverehrung, und erkannten keine kirchliche Auctorität an. Der Ministerialerlaß, clüo. 26. März 1858, erklärte die Seete als unzulässig, und Alle als strafbar, welche dieselbe beför¬ dern, oder an ihr Theil nehmen. Erst noch am 8. Juli 1861 wurden deshalb in Wien einige Personen gerichtlich verurtheilt. ?) Eine an sich anfangs unbedeutende und nicht zahlreiche Secte waren die sogenannten „Nachfolger Christi," von ihrem 1857 verstorbenen Stifter Fröhlich, welcher sich bald in der Schweiz, bald in Frank¬ reich aufhielt, auch Fröhlichianer genannt. Einige Anhänger gewann sie in Niederösterreich, Böhmen, Ungarn und im Banate. Sie verwarfen auch jede kirchliche Auctorität, und umgingen bei der Schließung der Ehe eben so die weltliche Macht, wie die Kirche. Ihres gemeingefähr¬ lichen Charakters wegen wurde gegen sie im Strafwege verfahren, z. B. im Jahre 1859 gegen 32 derlei Sectirer in Ungarn. In Temesvar traten demnngeachtet im Jahre 1862 bei 100 Individuen — meist aus den Fabriksarbeitern — als „Nazarener" „Christi Nachfolger" auf. Da sie die Taufe ihrer Kinder verweigerten, mußte die politische Behörde ') Derselbe war in die Bewegung des Jahres 1848 verwickelt und ging in's Ausland (Westphalen), weshalb das Staatsmiuisterium seine Wahl 1862 zum Pfarrer der Prager reformirten Gemeinde nicht bestätigte. ?) Gegen das Scctenwesen war neuerdings eine k. k. Ministerial-Berordnung vom 5 April 1859 ergoßen (XIII. Stück des Reichsgesetzblattes). Europa. Z 4. Die katholische Kirche iu Oesterreich. 59 einschreiten. Uebrigens gilt ihnen die Taufe der Erwachsenen wvhl als Sacrament, so auch das Abendmahl, worin sie beiläufig die Ansichten der Calviner theilen. Als Glaubensqnelle anerkennen sie nur die hl. Schrift. Sie haben kein besonderes Priesterthmn. Ihren Ursprung scheint die Secte nicht in Ungarn zu haben. Ein Erlaß des k. k. Mini¬ steriums für Cultus und Unterricht vom Jahre 1875 spricht neuerlich den Nazarenern die staatliche Anerkennung, und speciell ihren Ehen jede bürgerliche Giltigkeit ab, wie dies schon mit der Verordnung vom 20. Juli 1860 geschehen war. Eben im Banat tanchte 1861 eine übrigens gleichfalls kaum der Erwähnung werthe neue Seete auf „der neue Katholizismus," deren wenige Mitglieder sich zu einer Art Fatalismus bekannten. Im Jahre 1848 fielen wohl auch in Oesterreich einzelne Katho¬ liken, aber doch nur verhältnißmäßig wenige von der Kirche ab. Meh¬ rere seit etwa 1867. Sogar Abfälle zum Judenthume kamen in Wien vor. Große Schuld daran trug die mitunter über allen Begriff kirchen¬ feindliche und eynische Presse. Zu apostolischen Visitatoren der Kloster in der österreichischen Monarchie ernannte Se. Heiligkeit 1852 die beiden Cardinäle und Erz¬ bischöfe von Prag, Friedrich Fürst zu S chw arzen b erg, und Gran, Johann von S c it o w s ky. In Folge dessen wurden einzelne Reformen in einigen Orden vvrgenvmmen. Das Unterrichtswesen erfuhr, nicht nur hinsichtlich der Theologie, deren einzelne Fächer in Folge des von den 1856 in Wien versam¬ melten Bischöfen gefaßten Beschlusses nun in anderer Ordnung in den vier Jahrgängen vorgetragen werden; sondern auch bezüglich der Gym¬ nasien manche Reformen, meist dein Studienplane in Deutschland nach¬ gebildet. — Der Universität Innsbruck fehlte bisher die theologische Faenltät. Eine solche wurde am 16. November 1857 daselbst von Jesuiten eröffnet, und damit im folgenden Jahre ein theologisches C v n v i c t o r i um verbunden. Von dem regeren kirchlichen Leben in Oesterreich geben auch die Synoden Zeugniß. Am 18. October 1858 wurde in Wien unter dem Vorsitze des Fürsterzbischofs Cardinals I. O. Ritter von Rauscher die Wiener Provincial-Synode (seit dem Bestehen dieser Kirchenprovinz die erste) eröffnet und währte bis 9. November g. I. 60 I. Theil. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Das Gleiche geschah schon früher — an: 19. September (17. Sonn¬ tag nach Pfingsten) 1858 — unter dem Vorsitze des Fürstprimas von Ungarn mit der Grauer Provineial-Syuode, welche am 3. October g. I. geschlossen wurde. Am 18. October 1859 erfolgte zu Venedig in der St. Marcuskirche die Eröffnung der dortigen Provincial-Synode unter dem Vorsitze des Patriarchen Ramazotti. Am 9. September 1860 trat in Prag das Provincial-Concil für Böhmen zusammen, und schloß am 23. September; — jenes von Calocsa begann am 7. und endete am 20. September 1863. Der durch das kaiserliche Pateut vom 5. März 1860 einberufene vermehrte Reichsrath erhielt bald eine andere Gestalt. Durch die kaiserlichen Patente vom 20. October 1860 und 26. Februar 1861 war nämlich Oesterreich förmlich in die Reihe constitutivneller Staaten eingetreten. Aus Veranlassung der im kaiserlichen Patente, llcio. 8. April 1861, den Protestanten gewährten unumschränkten Religivnsübnng und völligen Gleichstellung vor dem Gesetze richteten die dem Reichsrathe angehören¬ den Metropoliten und Bischöfe am 6. Mai 1861 eine Adresse unmittel¬ bar an Se. k. k. Majestät, worin sie um ungeschmälerte Anfrechthal- tung der Rechte der katholischen Kirche,') zugleich aber darum bitten, daß bei Ausführung des erwähnten Protestanten-Patentes auf die eigenthümlichen Verhältnisse Tirol's und auf den Wunsch des dortigen Volkes Rücksicht genommen werde, und den bedrängten Papst dem Schutze des Kaisers empfehlen. In dem ausschließlich katholischen Tirol hatte nämlich das neue Protestauten-Patent eine ungewöhnliche Sensation erregt. Der Landtag machte schon 1861 und dann 1863 den Gesetzesvvrschlag, daß auch fernerhin das Recht der öffentlichen Religionsübnng nur der katho¬ lischen Kirche zustehe, die Bildung nicht katholischer Gemeinden unzu¬ lässig sei, und Akatholiken unbewegliches Vermögen in Tirol nur aus¬ nahmsweise sollen erwerben können — welcher Vorschlag höchsten Orts abgesendet wurde. ') Dabei aber sagen sie ausdrücklich, daß sie nicht das Geringste dagegen cinzuwcnden haben, daß dis Christen des augsburgischen und helvetischen Bekennt¬ nisses ihre religiösen Angelegenheiten nach den Grundsätzen ihrer Religivn un¬ gehindert ordnen und dieselben staatsbürgerlichen Rechte wie die Katholiken genießen. Europa K 4. Die katholische Kirche in Oesterreich. 61 Zur Erhaltung der ..Glaubenseinheit" wurden sogar öffentliche Gebete und Bittgänge veranstaltet, was natürlich den katholikenfeind¬ lichen Blättern Stoff genug gab, über „mittelalterlichen Fanatismus," über „Priesterumtriebe und Agitation" u. dergl. zu schreien. Im Antwortschreiben, ckcko. 5. September l86l, auf die Adresse der Vertrauensmänner Tirols billigte der hl. Vater die Anstrengungen zur Rcinerhaltung des katholischen Glaubens. Das Gleiche that er in einem Schreiben an den Fürstbischof von Brixen. Auch gegen das neue Rcligivnsediet der Regierung vom 28. Februar 1862, welches voll¬ kommene Toleranz und Gleichberechtigung der Confessionen decretirte, wehrten sich die Tiroler. llnterm 7. April 1866 erfolgte die kaiserliche Sanetion des Ge¬ setzes bezüglich der Akatholiken in Tirol, theilwcise in der vom Land¬ tage neuerlich — im Februar — beschlossenen Form; nämlich: „Die Bildung einer selbstständigen Gemeinde oder Filiale der Evangelischen des Augsburger oder helvetischen Bekenntnisses, von welcher Bildung das Recht der Ausübung des öffentlichen Gottesdienstes abhängt, kann innerhalb der Landesgrenze der gefürsteten Grafschaft Tirol von den eompetenten Behörden nur über Einverständnis; des Landtages bewilli¬ get werden." Das Petitum IV. der Anträge des Landtages vom 25. Februar 1863, wvrnach die Akatholiken zur Erwerbung unbeweg¬ lichen Eigenthums in Tirol von Fall zu Fall eines Landesgesetzes be¬ dürfen sollten, wurde aber nicht gewährt. Nachdem von Beust an das Staatsrnder gekommen, 1867, wurde die Bitte der Tiroler vom 1. März, nicht gewährt, es möge „solchen Beschlüssen der Rcichsversammlnng, die den Landesgesetzen Tirols Eintrag thnn könnten, die allerhöchste Ge¬ nehmigung nicht ertheilt werden, ohne allergnädigst verordnet zu haben, das; dieselben dem Tiroler Landtage zur verfassungsmäßigen Behandlung vorgclegt werden". Auch in Tirol sollte der Artikel 15 des Staats- grnndgcsctzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger maßgebend sein, so wie das Reichsgesetz vom 23. Jänner 1866 über die Bildung einer neuen Kirchengemeinde. Das sogenannte Mühlfeld'sche Religionsedict, entworfen vom auf Antrag des Abgeordneten I)r. Mü h lf e ld (gestorben 24. Mai 1868) am 1. Juni 1861 niedergesetzten Ausschüsse, welches die katholische Kirche völlig nm ihre historische Berechtigung gebracht, ja den Staat entchristlicht Hütte, blieb glücklicherweise ein tvdtgebvrnes Kind. 62 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der tath. Kirche. In Wahrung des katholischen Charakters der Universität zu Wien, als einer katholischen Stiftung, entschied sich das U n i- v e rsitäts - Consistorium gegen das Andringen der protestantisch-theo¬ logischen Lehranstalt um Einverleibung in den Universitäts-Verband (1863). Am l. Juni l863 verlor (zu Ebenzweier in Oesterreich) der deutsche Ritterorden durch den Tod seinen edlen, würdigen Großmeister Erzherzog Maximilian von Este (geboren 1782 zu Mailand; in der Großmeisterwürde Nachfolger des im Jahre 1835 gestorbenen Erzher¬ zoges Anton Victor, Bruders des Kaisers Franz l.). Großmeister wurde nun Erzherzog Wilhelm. Großmeister Erzherzog Maximilian rief auch das Institut der „Deutsch-Ordensschwestern" nach mehr als zwcihundertjährigcr Panse wieder in's Leben. Er selbst entwarf die Ordensregeln, welche er nach eingeholter päpstlicher Bestätigung 1855 den Ordensschwestern übergab. Großartig war die dritte Säenlarfeier der Beendigung des Coneils von Trient (1863) in eben dieser Stadt, welche von 20. bis 29. Juni incl. währte, und an der sich außer den apostolischen Legaten Cardinal Graf R e i s ach mit den gleichfalls aus Rom gekommenen Erzbischöfen V i t e l e schi und F r a nchi, zwei Cardinäle (Fürst Friedrich Schwa r- zenberg, Fürsterzbischof von Prag, und Trevisanatv, Patriarch von Venedig), sechs Erzbischöfe und neunzehn Bischöfe beteiligten. (So viele waren in der Ergebenheitsadresse an den hl. Vater unterzeichnet.) Im nämlichen Jahre wurde in allen Diöcesen mit slavischer Be¬ völkerung das tausendjährige Jubiläum der Christianisirung der Slaven durch das hl. Brüderpaar, Cyrillus und Methodus, festlich be¬ gangen; selbstverständlich besonders in Mähren — zu Welehrad, dem ersten Schauplatze ihrer apostolischen Thätigkeit, 5. Juli — und in Böhmen. Anch der tausendjährige Todestag des hl. Cyrillus (er starb 869 auf der Reise nach Rom) gab zu gleicher erhebender kirchlichen Feierlichkeit Anlaß. An der großartigen Wallfahrt nach Welehrad bethciligten sich die beiden Fürsterzbischöfe von Prag und Olmütz und die Repräsentanten des höchsten Adels. Die Feierlichkeit begann am 19. August 1869, und dauerte durch acht Tage. Aber auch die Hußfeier hatte im nämlichen Jahre statt, und zwar zu Prag und im Städtchen Hussinetz, wo Magister Johannes Huß vor 500 Jahren das Licht der Welt erblickt hatte. Das Fest hatte eine Europa. Z 5. Concordatssturm iu Ocstcrrcich. Aushebung d. Concord. 63 stark nationale, nnd eben nicht besonders katholikenfreundliche Färbung. Die Regierung war nicht ganz ohne Sorge gegenüber den tschechischen Kundgebungen. Das Gespenst des Panslavismus schreckte sie; wurde ja auch der im Spätjahre l869 ausgebrochene und kaum mit Mühe ge¬ dämpfte Aufstand in Dalmatien aus seiner Quelle hergeleitet. — Im Jahre 1875 wurde die wieder beabsichtigte Hußfeier von der Regierung verboten. Am I I. Jänner 1868 starb zu Kaltern in Tirol im dortigen Tertiarinnen-Kloster die ekstatische und stigmatisirte Jungfrau Maria von M örl, geboren zu Kaltern am 15. Octobcr 1812. Ueber sie schrieb auch, und zwar im gläubigen Sinne, Josef von Görres in seiner „Christlichen Mystik". Anlangend den österreichischen Episkopat nur wieder einige Daten: Am 24. September 1862 starb zu Marburg in Steiermark der Fürst¬ bischof von Lavant Anton Martin Slomšek, rühmlich bekannt als slo- venischcr Literat. — Ottocar Maria Graf von Attems, Fürstbischof von Seckau zu Graz iu Steiermark, f 12. April 1867; fein Nachfolger wurde I)r. Johannes Baptist Zwerg er, Dompropst zu Trieut. 8 5. Fortsetzung. Lonror-ntzsstnrm in Oesterreich. Aufhebung des Cvnrordatea Wir haben schon bemerkt, daß das österreichische Coueordat gleich Anfangs sich so wenig, wie irgend ein anderes, ja noch weniger, des Bei¬ falls der „Liberalen" zu erfreuen hatte. Der dawider organisirte Sturm brach aber erst im Jahre 1867 aus. Dem neuen Reich srathe war es Vorbehalten das Cvncordat zu stürzen. Anlaß znm eigentlichen Coneordatsstnrme gab die Adresse, welche 25 in Wien versammelte cisleithanischc Erzbischöfe nnd Bischöfe (unter ihnen auch der Fürstbischof von Breslau) am 28. September 1867 an den Kaiser richteten, und worin sie um die Aufrechthaltuug des Con¬ cordates baten mit der Motivirung, daß der mehr minder künstlich er¬ regte Sturm dawider eigentlich der Kirche selbst, ja überhaupt dem Positiven Christenthume gelte. Was später geschah, zeigte, daß die Bischöfe mit dieser ihrer Be¬ hauptung so Unrecht nicht hatten. Beweis die liberalen Hetzblätter. Unterm 12. October g. I. erging als Antwort ein kaiserliches .Handschreiben an den Cardinal Rauscher. Am Schluffe sagt Se. Ma- 64 I. Theil. I. Hmlptstück Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. jestät: „Ich vertraue, daß die Bischöfe sich versichert halten, wie ich allezeit die Kirche zu schirmen und zu schützen weiß, daß sie aber der Pflichten eingedenk sein werden, die ich als conftituti vneller Regent zu erfüllen habe." Zu Petitionen um die Aufhebung des Concordates, um die Tren¬ nung der Schule von der Kirche u. dcrgl., wurden Leute, die davon hie und da wohl keinen Begriff hatten, gepreßt, und ihnen Ausfälle — oft der plumpsten Art — über Kirche und Geistlichkeit in den Mund gelegt, von denen sie nichts wußten. Vorstellungen entgegengesetzter Art wurden als „clericale Agitation" und dergleichen vorhinein gebrandmarkt. Eine ruhige, besonnene Benrtheilung der Sache war geradezu unmöglich. Die bereits l86I in Rom österreichischerseits beantragte Revision des Concordates wnrde damals von der Curie nicht aceeptirt. Im Laufe des Sommers l867 wurde der österreichische Gesandte in Rom, Freiherr von Hübner, nach Wien berufen, um an Besprechungen theil zu nehmen, welche eventuelle neue Verhandlungen mit Rom zum Gegenstände hatten — zu welchen es aber damals nicht kam. Der ehemalige königlich sächsische Minister, Freiherr von Beust, nunmehriger österreichischer Reichskanzler, hatte mit dem neuen Jahre l868 ein neues „parlamentarisches" (vvlksthümlichcs) Ministerium beim Kaiser durchgesetzt, nachdem bereits am 21. December 1867 die neuen „Staats¬ grundgesetze" die kaiserliche Sanetion erlangt hatten, und statt des früheren k. k. Gesandten zu Rom, Freiherrn von Hübner, Graf C ri¬ tz elli dorthin abgeordnet worden war, zunächst um dem hl. Vater zu erklären, daß es dem Kaiser durch die seinen Völkern verliehene Verfassung unmöglich geworden sei, das Concordat in seiner ganzen Ausdehnung anszuführen; daß aber der kaiserlichen Regierung feind¬ selige Absichten wider die Kirche durchaus ferne liegen. In den Instruc¬ tionen, die Baron Beust dem Grafen Crivelli unterm l6. De¬ cember 1867 mitgab, heißt es: „Nous no oöcloiw-pcw, ga Is ropate, ü cko8 tenclenass nntiralixisnsss, gno non8-somms8 las Premiers ü claplorar". Den Vorschlag, das Concordat für aufgehoben zu erklären, und dafür eine neue „dem Geiste und dem Bedürfnisse des gegenwärtigen Systems in Oesterreich mehr entsprechende Vereinbarung" einzugehen, lehnte der hl. Stuhl entschieden ab; fand sich aber bereit, „die Mög¬ lichkeit einer theilweisen Revision des Concordates zuzugestehen, und den Europa, tz 5. Coucordatssturiu in Oesterreich. Aufhebung d. Coucord. 65 Wunsch nach einer genaueren und eonereteren Formulirung der An¬ sprüche der k. k. Regierung auszudrücken." Deshalb erhielt Graf Crivelli den Auftrag, der päpstlichen Regierung ein Promemoria zu überreichen. Die Antwort des hl. Stuhles beschränkte sich darauf, „die vorge¬ schlagenen Basen als ebensoviele Gegensätze zu deu Prineipicn der Kirche zu bezeichnen." Baron von M ey s e n bug, k. k. Unter-Staatssecretür wurde mit einer Mission nach Rom betraut (15. April l868). Er hatte sich einer wohlwollenden Aufnahme zu erfreuen, aber Resultat erzielte er keines. Wenn noch irgend ein Zweifel darüber hätte obwalten können, welche Stellung das neue Bürger-Ministerium zur Coneordatsfrage einnehme, so hätte er durch den Erlaß des k. k. Ministers des Inneren, Or. G iskra, äcio. 15. Februar 1868, Z. 636, an den Statthalter von Steiermark und an den Statthalterei-Leiter von Oberöfterreich gründlich behoben werden müssen. Während von liberaler Seite gegen das noch immer zu Recht bestehende Concordat in der Presse und sonst ganz nach Belieben gearbeitet werden durfte, forderte der obige Erlaß die politischen Behörden auf, zumal auf die Geistlichen ein wachsames Ange zu richten; denn „nach glaubwürdigen Mittheilungen (?) bereitet uran sich auf elericaler Seite zu einer lebhaften Agitation gegen die bevorstehende verfassungsmässige Gesetzgebung in Betreff der Ehe, der Schule, und anderer bisher als ausschließlich (?) kirchlich betrachteter Angelegenheiten vor, und gedenkt besonders die ländliche Bevölkerung wider die Tendenzen der Gesetzgebung und gegen die Regierung auf¬ zuregen." Reichskanzler Freiherr (dann Graf) von Beust hatte indessen den „Dualismus" zu Stande gebracht, wodurch Oesterreich in zwei Reichshälften: Transleithanien. (Ungarn mit den Nebenlündern) und Cisleithauien (die übrigen dcutsch-slavischcn Kronländer) gc- theilt wurde. Am 8. Juni 1867 hatte die Krönung des Kaisers Franz Josef l. und der Kaiserin zum Könige von Ungarn in Ofen stattgefunden. Nach der Annahme des Delegations-Gesetzes gab es außer zwei Reichstagen, einen in Wien, den anderen in Pest, die sich in Wien (hier zum ersten Male am 19. Jänner 1868) oder in Pest ver¬ sammelnden Delegationen der beiden Reichshälften. Stepischnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 0 66 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. In Transleithanim, wo ohnehin das canonische Recht, ins¬ besondere in Ehesachen, von jeher galt, war das österreichische Concordat eigentlich nie znr vollen Durchführung gekommen. Die kirchlichen An¬ gelegenheiten nahmen daselbst theilweise einen anderen Gang, als in Cisleithanien. Schon im Memorandum der am 8. April l848 für dort abgehal¬ tenen gemischten Katholiken-Conferenz heißt es: „Nachdem unsere Kirche dem fürstlichen Patronate entrissen und in die Reihe der recipirten Confessionen gestellt wurde, . . . muß die Kirche sich unter den Schutz ihrer eigenen Gläubigen begeben... Zu diesem Zwecke müssen aber die Gläubigen den Jnter- essender Kirche genähert werden... Die in den welt¬ lichen Katholiken wahrzu nehmen de Gleichgiltigkeit gegen die Angelegenheiten unserer Kirche sind nicht so sehr dem Mangel an Religiöfität zuzuschreiben, als vielmehr jener Exclusivität, mit welcher einerseits die Regierung, anderseits der Clerus auch die äußerlich enAngelegenheiten derKir- che ausschließlich behandelte. In Zukunft werde auch den Laien ein Einfluß in die äußerlichen Kirchen-An¬ gelegenheiten gegeben. Was nicht streng religiöse oder geistliche Sache ist, das soll fürderhin in gemischten Kirch enrüthen, in denen auchdasVolk durch seine gewählten Männer repräscntirt ist, behandelt werden. — Demzufolge sollen in jeder einzelnen Pfarrei aus den Reihen der Verständigeren kirchliche Rät h e errichtet wer¬ den, deren Aufgabe wäre, das Kirchengut und die Ortsschulen zu be¬ aufsichtigen. Aus diesen Äirchenrüthen entsendete Vertreter bilden die kirchlichen D i st r i c t s - C o m m i s s i v n e n, und aus diesen dann ginge der Central-Diöcesan-Ausschuß hervor. Alle diese Reprä¬ sentanzen sollen aus doppelt so vielen weltlichen Mitglie¬ dern bestehen, als sie geistliche Glieder haben. Das unbedingte Haupt und Präses (in der Diöcese) könnte nur der Diö- cesan-Bischof sein." Der ungarische Cnitns- und Unterrichts-Minister Michael Hor¬ vath, (von der revolutionären Regierung (1848) ernannter, aber nie confirmirter und consecrirter) Bischof von Csanad, berief auf den 20. August 1849 den sogenannten „Kirchcncongreß", der zu einem Europa. Z 5. Cvucordatssturm in Oesterreich. Aufhebung d. Concord. 67 Drittheile aus geistlichen, zu zwei Drittheileu aber aus weltlichen Mit¬ gliedern bestehen sollte, ein; derselbe kam jedoch nicht zu Staude, denn sünf Tage früher, am 15. August 1849, erfolgte die Uebergabe bei Vilügos, welche der ungarischen Revolution ein Ende machte. Von da au bis zur Ernennung des verantwortlichen ungarischen Ministeriums (17. Februar l867) trat in kirchenrefvrmatvrischer Hin¬ sicht eine Pause ein — der Status war beiläufig der von 1848. Nachdem die am 10. Jänner 1866 unter dem Vorsitze des Bischofs von Siebenbürgen, Michael F v g a r a s sy, zu Klausenburg zusammen¬ getretene Versammlung der „römisch-katholischen Stände", bestehend aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern, nm die Wiederherstellung der „Autonomie in kirchlichen und Stiftungs-Angelegenheiten" gebeten, wurde in Folge Allerhöchster Entschließung des Kaisers cläo. 19. August 1867 die bisher bei dem siebenbürgischen Guberuium bestandene „Outliolieu eommissio" aufgelöst und deren Geschäfte mit „Vorbehalt des Aller¬ höchsten Patronats- und Jnspeetionsrechtes" an die Repräsentanz der römisch-katholischen Stände Siebenbürgens übergeben, welche hierauf vom 8. bis 15. Februar 1868 zu Karlsburg tagten. Die da gefaßten Beschlüsse der svgenanntcu cleriealen Majorität riefen lebhaften Wider¬ spruch der Laien-Minoritüt hervor, und erhielten nie die königliche Bestätigung. Der ungarische Cultus-Miuister Josef Freiherr von Eötvös (st Jänner 1871), der Nämliche, welcher hernach, am 28. Februar 1870, dein ungarischen Reichstage einen Gesetzentwurf über die freie Ausübung der Religion und die Gleichberechtigung der Glaubensbekenntnisse vvr- legte, richtete im Juli 1867 ein Schreiben an den Fürstprimas und Erzbischof vvn Gran, Johann Simvr, worin er auseinandersetztc, es sei zur Sicherstellung der Antvnvmie der katholischen Kirche in Un¬ garn nvthwendig, daß künftig auch "„den ungarischen katholischen Laien ein Einfluß bezüglich der Schulen, des Kirchenvermögens und anderer kirchlicher Interessen gewährt werde." In der Antwort ääo. 8. September genannten Jahres erklärte sich der Fürstprimas damit im Prineipe einverstanden, bemerkte aber auch, daß der ungarische Episkopat schon früher Schritte in diesem Sinne gcthan, und widerlegte die Ansicht des Ministers, es sei in der bisherigen Ausschließung des Laienelementes die einzige Ursache des überhandnehmenden kirchlichen Jndifferentismus und dergleichen zu suchen. 5* 68 6 Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Im October 1867 lud der Fürstprimas die Bischöfe der drei ungarischen Kirchenprovinzen (Gran, Coloesa und Erlau) so wie den exemten Erzabt von St. Martinsberg zu einer Konferenz nach Ofen ein. Es erschien ein im September 1868 veröffentlichter, vom unga¬ rischen Episkopate ausgearbeiteter „Entwurf gemischter, aus Geistlichen und Laien bestehender Kirchenversammlung zum Zwecke der Aufsicht, Verwaltung und Cvntrole des Unterrichts, sowie des Kirchen- und Schulvermögens." Dies Institut zerfällt in den pfarrgemeindlichen Kirchenrath unter dem Vorsitze des Pfarrers; in den Decanats-Kirchcn- rath unter dem Vorsitze des Decaus; in den Diöcesan-Kirchenrath unter dem Vorsitze des Bischofs, und endlich in den Landes-Kirchenrath unter dem Vorsitze des Fürstprimas. Die Deputirten sollten auf drei Jahre gewählt sein und keine Diäten beziehen. Im Erlasse ckcko. 25. October 1867 hatte der Fürstprimas den Geistlichen die regste Sorgfalt für den Volksschul-Unterricht eingeschärft; in jenem vom 20. December genannten Jahres theiltc er die Statuten des sogenannten „katholischen Volkserziehnngs-Vereincs" mit, der in jedem Pfarrbezirke gebildet werden soll. Auch in Ungarn steuerte der Liberalismus auf eine bedenkliche Laienherrschaft in der katholischen Kirche durch eine Majorität freisin¬ niger Laien los. Auf dem 1868ger Landtag wurden in dieser Richtung neue Gesetze über Confessionswechsel, gemischte Ehe, Scheidung derselben und reli¬ giöse Erziehung der Kinder aus solchen, Feier der kirchlichen Festtage und über die Volksschulen beschlossen, worüber der Fürstprimas eine Instruction am 30. December 1868 und 2. Februar 1869 an den Clerus richtete. Zur Erzielung und Regelung der „katholischen Autono¬ mie" und zur Abwehr unberechtigter, mit der katholischen Kirchenver¬ fassung unvereinbarlicher Laien-Forderungen; anderseits aber, um doch das „Laien-Elemcnt" mehr au das kirchliche Interesse heranzuziehen, beriefen die ungarischen Bischöfe unterm I. Mai 1869 eine aus Geist¬ lichen und Laien gemischte Versammlung auf den 20. Juni nach Pest, nm unter dem Vorsitze des Primas die Statuten auszuarbeiten, nach welchen die Mitglieder der autonomen Versammlung einberufen wer¬ den fvllen. Die Mitglieder der katholischen Notablenversammlung sind nach den Europa. Z 5. Concordatssturm in Oesterreich. Aufhebung d. Coucord. 69 vom Vorcongrosse — das ist von dessen aus 18 Mitgliedern bestehendem Cvmitv — entworfenen Wahlstatuten die katholischen Landesbischöfe (24), der Erzabt von St. Martinsberg und die in jeder Diöcese von dem Klerus, von den Capitcln, und von fünf sich dem Unter¬ richte widmenden Mönchsorden, gewählten Geistlichen und die Laien; nämlich auf je 60.000 Laien ein und für sämmtliche Kirchenpatrone vier Vertreter, also im Ganzen oiroa ein Drittel Geistliche und zwei Drittel Laien. Präsident des constitnirenden Kongresses ist der Fürst- Primas. Nichts desto weniger lauteten die Begehren der Laien in Betreff des Einflusses und der Kompetenz noch immer so weitgehend, daß daran der ganze Plan zu scheitern drohte. Das Wahlstatnt für den constitnirenden Katholiken-Congreß erhielt unterm 20. October 1869 die königliche Genehmigung. Durch die Ab¬ reise der Bischöfe zum vaticanischen koncil erlitt freilich die Angelegenheit der Katholiken-Autonomie eine Verzögerung. Der Fürstprimas schrieb noch die Einleitungen zu den Conscriptionen der katholischen Wähler aus. Bis Ende Jänner 1870 sollten die katho¬ lischen Conscriptionen beendet sein. Vom 9. bis 31. März 1871 tagte in Pest wieder der ungarische Katholiken-Congreß zunächst nm das Elaborat seiner in der vorjäh¬ rigen Session aufgestellten, Siebenuudzwanziger-Commission über die Lösung der katholischen Kirchenfrage zu berathen, respective zum Be¬ schluß zu erheben. Die Majorität, mit dem Fürstprimas an der Spitze, und die etwas demokratisch gefärbte Minorität geriethen ziemlich scharf an einander. Am 29. März nahm der Kongreß in dritter Lesung den „Orga- nisationsentwnrf der lateinischen und griechisch-katholischen Kirchen-Au¬ tonomie Ungarns" an. Gegen die Beschlüsse des KM;vliken-Kongresses in Pest protestirten die Griechisch-Unirten in Siebenbürgen, als für sie — die unirten Ru¬ mänen — nicht bindend. Sie verlangten einen eigenen Kongreß am 13. April 1871 zu Karlsburg. Nicht günstigere Bestimmungen für die Kirche und ihre Diener als das Wehrgesetz in Cisleithanien vom 5. December 1868, dessen Z 25 von den Begünstigungen des geistlichen Standes hinsichtlich der Wehrpflicht handelt, enthält jenes in Ungarn (auch von diesem Jahre). Ja während die Bischöfe auf dem vaticanischen Concil in Rom 70 I- Thcil. I. Haiiptstilck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Waren, erschien plötzlich folgende Verordnung des königlich ungarischen Ministeriums für Landesvertheidignng vom I. Jänner 7870. „Die dem geistlichen Berufe angehörigen Individuen sind, mögen sie erst noch ihre theologischen Studien fortsetzen, oder bereits eine höhere Weihe erhalten haben, gleichfalls einzureihen, nud bei gleich¬ zeitiger, nach Ablegung des Fahneneides zu erfolgender Befreiung vom wirklichen Dienst, auf Friedens zeit zu beurlauben." Die erste Bresche in das österreichische Coneordat in Cisleithanien waren einige Bestimmungen des Gesetzes über die allgemeinen Staats¬ bürgerrechte und jenes über die richterliche Gewalt (in den sechs Staats¬ grundgesetzen) cicio. 21. December 1867, weil schon durch dieselben im Principe wesentliche Rechte der Kirche, zunächst ihre geistliche Ehegerichtsbarkeit, gefährdet erschienen. Die dem Herrenhause angehören¬ den Erzbischöfe und Fürstbischöfe enthielten sich (28. November) der Theilncchme an der Berathung dieses Gesetzes, und hatten dies Tags zuvor in einer Zuschrift dem k. k. Ministerium für Cultus und Unter¬ richt unter Mittheilung der Gründe angekündet. Eine andere Zuschrift der Erzbischöfe und Bischöfe cldo. 30. März an den Ministerpräsidenten Fürst Carlos Auersperg über die Aus¬ legung der mittlerweile vom Kaiser am 21. December 1867 sanctionirten „Staatsgrundgesetze" wurde von jenem am 5. April in höflicher Weise beantwortet, ohne näher in den Inhalt der Zuschrift einzugehen. Inzwischen waren die neuen, vom Abgeordnetenhause vvtirten Ehe- und Schulgesetze auch im Herrenhause mit Stimmenmehrheit durchge¬ gangen. (Das Ehegesetz am 21. Mürz, das Schulgesetz am 31. März.) Am 25. Mai 1868 erfolgte die kaiserliche Sanctivn der sogenannten confessionellen Gesetze; nämlich: I. des neuen Ehegesetzes, wodurch die Vorschriften des zweiten Hanptstückes des allgemeinen bürgerlichen Ge¬ setzbuches über das Eherecht für Katholiken wieder hergestellt; die Ge¬ richtsbarkeit in Ehesachen der Katholiken den weltlichen Gerichtsbehörden überwiesen und Bestimmungen über die bedingte Zulässigkeit der Ehe¬ schließung vor weltlichen Behörden erlassen werden (die sogenannte Nvthcivilehe zugelasfeu wird); 2. des neuen Schulgesetzes, wodurch grundsätzliche Bestimmungen über das Verhültniß der Schule zur Kirche erlassen werden; 3. des Gesetzes, wodurch die interconfesfivnelleu Verhältnisse der Staatsbürger in den darin gegebenen Beziehungen geregelt werden. Europa. Z 5. Coucordatssturm in Oesterreich. Aufhebung d. Coucord. 7 s Schon 660. 26. Mai übergab der päpstliche Nuntius zu Wien dein k. k. Minister des Auswärtigen den Protest gegen diese Gesetze, welchen Baron Ben st unterm 30. Mai erwiderte: „8a Llajssts, heißt es in der Note, (lssirs vivsmsnt, gus la 8aiu1-I^srs veuills bisu tsuir ovmpte 6es äiKsultss 6s In Situation st soit psrsuaäö sn insms tsinps 6n (Isvonsmsnt inaltsrabls, 6ont 8a Najsstä rssts auimes aujouinl'liui eonnus ponr Is passe, ponr la personno 6n 8onvsrain I'outils st Iss intvrsts 6s l'IÜAlisö oatlioligus." Die Blätter hielten einstweilen mit den Ausfällen auf den Episkopat inne. Man wollte eben abwarten, welche Stellung die Bi¬ schöfe zu den neuen Gesetzen nehmen werden. In ihren, von jedem Unparteiischen als durchaus gemäßigt anerkannten Hirtenbriefen und Instructionen an den Clcrus betonten sie es freilich, wie sie pflicht¬ schuldig nicht anders konnten, daß die eoncordatlichen Bestimmungen als Kirchengesetz - zumal das kirchliche Eherecht, als die Katholiken im Gewissen verpflichtend, fortbestehen — ermahnten aber zugleich zur Beobachtung der Staatsgesetzc in so weit sie nicht mit den unveräußer¬ lichen Rechten der Kirche und dem katholischen Gewissen nnvereinbarlich sind. Und doch ergoß die Judcnpresse auf einmal wieder die volle Schale ihres Geifers über die in gemeinster Weise geschmähten Ober¬ hirten. Zur vollsten Wuth steigerte sich derselbe, als die Allocutivn des hl. Bakers vom 22. Juni — welche die Warnungsdepesche Beust's an Meysenbug 66n. 17. Juni nicht anfzuhaltcn vermochte — be¬ kannt wurde, worin derselbe, ohne der Person des Kaisers zu erwähnen, die Aufhebung des Cvncordates Seitens der österreichischen Regie¬ rung und die daraus hervorgegangencn die Rechte der Kirche verletzenden Gesetze verurtheilt. Die Antwort Beust's gegen die Allocution, gerichtet an den in außerordentlicher Mission in Rom anwesenden k. k. geheimen Rath, Freiherrn von Meysenbug, 660. 3. Juli dieses Jahres, wurde gerade während des Wiener-Schützenfestes veröffentlicht. Wie früher gegen das Coneordat, so wurden jetzt gegen die Päpst¬ liche Allocutivn allenthalben Proteste und Zustimmungs-Adressen au das Ministerium, meist mit den gehässigsten und Plumpesten Ausfällen auf den Papst, Kirche und Clerus von liberaler Seite veranlaßt. lieber das Verhältniß der k. k. Regierung zum heiligen Stuhle, wie es sich nach der Allocutivn gestaltete, sagt das Rvthbuch Nr. 3: „Es erschien nvthig, in Rom weder Täuschungen über die Festigkeit 72 I. Theil. I. Hnuptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. des Von der Regierung des Kaisers und Königs behaupteten Stand¬ punktes obwalten zu lassen, noch der Mißdeutung ausgesetzt zu bleiben, als ob die Regierung, von feindseliger Gesinnung gegen die Kirche be¬ seelt, das große Interesse nicht zu würdigen verstehe, welches jeder Staat an der Erhaltung ungestörten Einklangs zwischen den kirchlichen und weltlichen Gewalten zu nehmen hat." Wenn der Cnltusminister, Eduard Ritter von Hasner, in seinem höflichen Rundschreiben an die österreichischen Bischöfe ckcko. I. Juni l 868 die Hoffnung ausspricht, „daß auch a n f d e r n e u g e s ch a ff e n e n Grundlage das Verhältniß freundlicher Gegenseitigkeit zwischen Staat und Kirche nicht getrübt zu werden brauche" und versichert, daß „es die ernste Absicht der Regierung sei, die Freiheit der Kirche zu schützen, die ihr gebührende Achtung mit allen berechtigten Mitteln der Staatsge¬ walt aufrecht zu erhalten," so meinte I)r. Giskra, der Minister des Innern, über solche Rücksichten sich Hinwegsetzen zu können. Bei ver¬ schiedenen Gelegenheiten — auch Deputationen von Arbeiter- und der¬ gleichen Vereinen gegenüber — erklärte er, daß auf der eingeschlagenen Bahn ohne Rückhalt vorwärts gegangen werde, und trug — nach dem „Pester Lloyd" — den Statthaltern in einem Rundschreiben auf, „anf's Aenßerste den clericalen Agitationen (?) entgegen zu treten, und Gesetz¬ widrigkeiten, die etwa durch die päpstliche Alloeutivn da oder dort beim Clerns angeregt werden könnten, ohne jede Rücksicht zu ahnden." (!) Zur Ausführung des Gesetzes in Ehesachen vom 25. Mai erließen die k. k. Minister der Justiz, des Cultus und des Innern eine Ver¬ ordnung cicko. !. Juli 1868 zumeist bezüglich der bei Schließung einer Civilehe zu beobachtenden Modalitäten. Der Jnstizminister vr. Herbst richtete aber noch überdies unterm 28. August ein Amtsschreiben an alle Oberlandesgerichte darüber, wie gegen die Ordinariate — resp. gegen jene Bischöfe — vorzugehen sei, welche die Auslieferung von Ehegerichtsacten verweigern. „Das (weltliche) Gericht kann, heißt es darin, zu diesem Zwecke Geldstrafen verhängen, ehe es zur gewaltsamen Wegnahme schreitet; es kann aber auch, ohne vorher Geldstrafen verhängt zu haben, den mit der Uebernahme der Acten betrauten Abgeordneten ermächtigen, die zur Erlangung der Acten nöthigen Zwangsmittel anznwenden." Unterm 31 . December 1868 erfolgte die kaiserliche Sanetion zweier neuer Gesetze in Ehesachen, von denen das erste den die Scheidung an- Europa. Z 5 Concordatsstnrm iu Oesterreich. Aushebung d. Coucord. 73 strebenden Eheleuten früher obgelegene Verpflichtung, diesen Ent¬ schluß ihrem ordentlichen Seelsorger zu eröffnen, so wie die Ver¬ pflichtung des Letzteren, über die Versöhnungsversnche ein schrift¬ liches Zeugniß anszustellen, anfhebt, und eventuell dem weltlichen Gerichte die Vornahme dieser Versvhnnngsvcrsuche überträgt; das zweite aber die Schließung der gemischten Ehen auch nur vor dem akatho¬ lisch en Seelsorger allein gestattet, während früher jede solche Ehe bei sonstiger Nichtigkeit von dem Seelsorger des katholischen Brauttheiles — sei es auch nur unter passiver Assistenz — geschlossen werden mußte. (Zur kirchlichen Giltigkeit einer gemischten Ehe ist dies in Cisleithanien noch immer erforderlich; nur in Ungarn und dessen Nebenländern sind auch vor dem akatholischcn Pastor geschlossene Ehen kirchlich giltig — vüls die päpstliche Instruction an die Bi¬ schöfe Ungarns vom 30. April 1841). Der Justizminister hatte zwar noch am 28. Jänner 1869 in seiner Antwort ans eine Interpellation im Abgeordnetenhause versichert, „es sei ihm nicht bekannt, daß der Versuch gemacht wurde, Eheentscheidungen mit bindender Kraft zu erlassen," nichts desto weniger erklärte aber schon am 19. Februar d. I. der Minister des Innern im Einverständ¬ nisse mit den Ministern der Justiz und des Cnltus im Erlasse an die Länderchefs: „Es ist uns zur Kenntniß gekommen, daß einige Or¬ dinariate in Eheangelegenheiten mit Ueberschrcitnng der ihnen für den Gewissensbereich zustehenden Verfügungsgewalt eine Gerichtsbarkeit ans- znüben beanspruchen" n. s. w. Daran knüpften die genannten Herren Bürger-Minister Drohungen mit Strafen — sonderbar unter Berufung ans eine Verordnung clüo. 20. April 1854 aus der Blüthezeit des Absolutismus unter dem sonst perhorrescirtcn Ministerium Bach! Wie bereits am 30. Mürz 1868 so wahrten die österreichischen Erzbischöfe und Bischöfe in der Collectiveingabe ) Dcak war gebaren am 13. October 1803 zu Kchida im Szabader-Comitat Ungarns — nach einer anderen Version am 17. October 1803 zu Söjhör — und starb am 28. Jänner 1876 Nachts. Er stndirte die Rechte und wurde Advocat. Im Ministerium Ludwig Batthyanyi war er Jnstizministcr. Am Zustande- 74 l. Theil. 1. Hauptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Kirche im freien Staate" wolle, für die Belassung der kirch¬ lichen Ehegerichte für die Katholiken und Nichtunirten aus, weil diese Cvnfessivnen unter ihre Glaubensregcln auch die zählen, daß über die Giltigkeit ihrer Ehen nach den festgesetzten Glaubensprincipien entschieden werde." Die Durchführung der neuen Schulgesetze stieß namentlich in den Diöcesen Brixeu und Linz auf große Schwierigkeiten, weil daselbst die Bischöfe ihrem Clerus den Eintritt in die neuen Schulbehörden ver¬ boten. Der Tiroler Landtag erklärte sich auch gegen das neue Schul¬ aufsichtsgesetz, und wurde deshalb von der Regierung am 8. Ok¬ tober 1868 geschlossen. Das Gleiche erfolgte am 29. October 1869 wegen der oppositionellen Stellung des Landtages überhaupt gegen die Verfafsungsgesetze vom 21. December 1867. Wenn anderwärts die Bi¬ schöfe ihren Geistlichen den Eintritt in die neuen staatlichen Schulbe¬ hörden erlaubten, so kann sie deshalb kein Tadel treffen; denn laut Mittheilung des apostolischen Nuntius zu Wien ckcko. 24. Februar 1869 überließ es der hl. Stuhl dem Urthcile der Bischöfe, ob — mit Rück¬ sicht auf die besonderen Verhältnisse — den Geistlichen ihrer Diöcesen der Eintritt in die Schulräthe zu gestatten sei oder nicht. Insbesondere veranlaßte die Ablegung des Eides, die Staats¬ grundgesetze unverbrüchlich beobachten zu wollen, welchen die Regierung von Allen — auch Priestern — die eine öffentliche Stelle bekleiden, fordert, Anstände. Auf eine diesfüllige Anfrage erklärte der hl. Stuhl (18. August und I. September 1869) den Eid nur unter der ausdrück¬ lichen Klausel zulässig: „unbeschadet der Gesetze Gottes und der Kirche". Die k. k. Regierung hingegen beschloß, daß keine, wie immer beschaffene Verclausulirnng des vorschriftsmäßigen Eides zu gestatten, und daß jedes verclansulirte Gelöbniß der Verweigerung des Gelöbnisses gleich zu achten, also der Betreffende zur Amtsübernahme nicht zuzulasfen sei. Die fortgeschrittensten Liberalen Hütten die Ausweisung des ge¬ jammten Religionsunterrichtes und aller religiösen Uebungen aus den Schulen am liebsten gesehen; sic waren daher mit dem Cultus-Mini- kommen des Ausgleiches mit Ungarn (1867) nahm er unmittelbar thütigen Anthcil. — Die Leichenkosten bestritt Ungarn. Deak starb als Katholik, versehen mit den hl. Sterbesacramenten, die ihm auf eigenes Verlangen, als er noch bei vollem Gebrauche seiner Geisteskräfte war, gereicht wurden. (Siehe „Ung^ur ^.Nnm".) Europa. Z 5. Concordatssturm in Oesterreich. Aufhebung d. Concord. 75 sterialerlasse üüo. 3. April l870 Z. 2916 nicht zufrieden, welcher be¬ stimmte, daß an dem Schulgottesdienste zu Anfang uud zu Ende des Schuljahres, dann an Svnn- und Festtagen, endlich an dem Empfange des hl. Saeramentes der Buße und des Altars zu Anfänge und zu Ende des Schuljahres und zur österlichen Zeit festzuhalten sei. Ungeachtet der Säenlarisirung mehrerer van Ordensmitgliederu versehenen Gym¬ nasien, z. B. des ersten Staatsgymnasiums zu Graz, jenes zu Ru- dvlphswerth und anderer, kvnnte der Minister vvn Stremayr den: Verdachte und Vorwurfe des Clericalismus (!) Seitens liberaler Blätter nicht entgehen. Das neue Ehegesetz erkennt dem früher bei Schließung einer ge¬ mischten Ehe vvn der katholischen Kirchenbchvrde geforderten „Reverse" iiber die Erziehung s ü m m tlicher Kinder in der katholischen Religion keine rechtliche Wirkung mehr zu. Der „evangelische Oberkir¬ chenrath" forderte nun aber, das Ministerium solle das Abverlangen und die Ausstellung solcher Reverse geradezu verbieten, was aber Mi¬ nister vvn Stremayr als mit der durch Artikel XIV. des Gesetzes vom 21. December 1867 Jedermann gewährleisteten vollen Glanbens- nud Gewissensfreiheit nnvereinbarlich erklärte und ablehnte. Im Krakauer Carmeliterinen-Kloster befand sich eine seit Jahren schon irrsinnige Nonne, Barbara Ubryk, die ihrer Manie und der in diesem Zustande geführten anstößigen Reden wegen unter Verschluß — übrigens ohne daß sie irgend welche Mißhandlung erlitten hätte — gehalten werden mußte. Eine willkommene Veranlassung, um eine Art von Klosterhetze in Scene zu setzeu. Minister I)r. G i s k ra sprach schon, ehe die Untersuchung ein greifbares Resultat zu Tage förderte, im Er¬ lasse an den Statthalterei-Leiter in Lemberg vom 29. Juli 1869 von „empörenden Vorgängen" im Krakauer Convente; ja ein Ministerial- Rescript vvm l. Jänner 1870 entzog 'den Carmeliterinen die ihnen in Folge allerhöchster Entschließung vom 5. Juni 1867 wegen Vorenthal¬ tung der denselben aus dem Königreiche Polen gebührenden Bezüge Seitens der kais. russischen Negierung vorschußweise aus den österrei¬ chischen Staatsfinanzen gewährte Subvention jährlicher 1800 Gulden. „Barbara Ubryk" wurde ein Spectakelstück, welches über die Bretter sämmtlicher Vvlkstheater — von den Wiener Vorstadtbühnen angefangen — ging. Man putzte die armselige Klostergeschichte zu einer Schandergeschichte heraus, wie sie erschrecklicher und rührender (?) nicht 76 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. in den Schauderromanen eines weiland Spieß und Konsorten hätte bearbeitet werden können. Alles zum Nutz und Frommen der Volks¬ bildung und Humanität! Und das Resultat der eingeleiteten gerichtlichen Untersuchung war? Freisprechung der eingezogen gewesenen Aebtissiu, und die Constatirung, daß Barbara Ubryk wirklich an „vollständiger und unheilbarer Geistesstörung" leide — also wohl nicht leicht anders, als wie als „Närrin" behandelt werden konnte. In Angelegenheit des vaticanischen Coneils hatte Graf B e u st an den österreichischen Gesandten zu Rom Graf Trautmannsdorf die Depesche vom 10. Februar 1870 gerichtet, welche Cardinal Anto¬ nelli unterm 20. April erwiderte und die Befürchtungen des öster¬ reichischen Reichskanzlers berichtigte, ähnlich wie in der Depesche Mo. 16. März für den französischen Minister Dary. Ehe noch diese Rückäußernng des Cardinals Antonelli cin- langte, ließ Graf Beust am 10. April eine neue Depesche an den Grafen Trautmannsdorf abgehen, worin er den österreichischen Botschafter anwies, die von dem französischen Cabinet in Rom über¬ reichte und vom Grafen Dary unterzeichnete Denkschrift zu nnter- stützeu. „Wir beanspruchen — sagt der Reichskanzler — nicht irgend einen Zwang auf die Berathungen des Coneils auszuübcn, noch uns, in welcher Weise es auch sei, in die Debatten dogmatischer Natur ein¬ zumischen. Wir wollen nur unsere Stimme ebenfalls erheben, um uns vor Verantwortlichkeit zu verwahren, und die beinahe unvermeidlichen Folgen zu sigualisiren von Acten, welche betrachtet werden müßten als ein Angriff auf die Gesetze, die uns regieren." Bezüglich der Ansichten der k. k. österreichischen Regierung über das vatieanische Concil, ihrer Hoffnungen und Besorgnisse über das¬ selbe gibt den besten Aufschluß das österreichische Rothbuch Nr. 4, S. 93—121. Im Vortrage des Ministers von Stremayr au Se. k. k. Ma¬ jestät Mo. 25. Juli 1870 suchte derselbe nachzuwciseu, daß die völlige Aufhebung des Concordates vom 18. August 1855 in Folge der vom vaticanischen Concil promulgirten päpstlichen Jnfallibilitüt von selbst ge¬ boten sei; denn — dies ist das Hauptargument des Ministers — „der Compaciscent (der Papst) ist ein anderer geworden". Dabei wollte aber der Minister den Artikel XlX. des Concordates, nämlich das Ernennungs-Privilegium zu den Bischofsstühleu, dem Kaiser Europa. Z 5. Coucordutssturm iu Oesterreich. Aufhebung d. Coucord. 77 auch fernerhin unverändert aufrecht erhalten und gewahrt wissen; „denn, sagt er, dieser Artikel evnstatirt nicht erst das Recht Eurer Majestät zur Ernennung der Bischöfe, sondern bezeichnet dasselbe als ein kraft eines apostolischen Privilegiums Höchstihren Allerdurchlauchtigsten Vor¬ fahren überkommenes Vorrecht". In katholischen Blättern konnte man damals das Naisvnuement lesen, daß der Papst eben so gut hätte sagen können, „der Compacis- cent (der Kaiser) sei ein anderer geworden"; denn er sei in Folge der gegebenen Constitution nicht mehr der absolute Regent, der er früher war. Es sei für den Papst, resp. für die katholische Kirche in Oester¬ reich, durchaus nicht gleichgiltig, ob die Bischöfe vom absoluten, dabei nur seine katholische Ueberzeugung zur Richtschnur nehmendem, oder vom evnstitutio nellen, also die Ansicht seiner, möglicherweise der katholischen Kirche gar nicht augehörcnden Minister einholenden Kaiser ernannt werden. Daß die Ernennung der katho¬ lischen Bischöfe kein Souveränitäts-Recht des Kaisers sei, stellt auch der Minister nicht in Abrede. Doch der heilige Stuhl folgte dem Minister nicht auf das Feld solcher Schlüsse. Das Ernennungsrecht des Kaisers blieb vollkommen unangefochten — im gerechten Vertrauen auf die nie angezweifelte kirchliche Gesinnung des erhabenen Monarchen Oesterreichs. Graf Beust, der österreichische Reichskanzler, beauftragte in der Depesche rill«. 30. Juli d. I. den Stellvertreter des abwesenden k. k. Gesandten, Grafen Trautmannsdorf, Obsvrrlisr cis (loloinkrr, die „päpstliche Regierung" von der Aufhebung des Concordates in Keuntniß zu setzen. Die Depesche schließt: „^.smu-M-lo (Io 6ouvsi usuieut poutiüorrl), VN UISMS tsmps, gus risu u'sst plus loiu cis N08 cissirs, gus cis llouusr Is signal cis nouverrux soüliits sutrs Is pouvoir seole- sirrstigus st Is pouvoir oivil. dii oslui-si rsprvuci srr libsrts, ii n'su t'srrr pas rrssursmsut uu usrrxs llostiis rrux iuterets ) Im Jahre 1873 erschien nämlich vom General Lamarmora, ehemaligen k. italienischen Premierminister, das Werk: „On nc> piu äi Mos seo.", d. i. „Etwas mehr Licht. Enthüllungen über die politischen und militärischen Ereignisse des Jahres 1886". (So lautet der volle Titel in deutscher Uebersetzung.) Mit authen¬ tischen Dokumenten ist darin die unqualificirbarc Politik Preußens und Italiens Oesterreich gegenüber dargethan — die Abmachungen beider Mächte zum Ruin Oesterreichs, und deren Bemäntlungen, ehe der Krieg wirklich ausbrach. Dies¬ bezüglich geben insbesondere Licht genug das fünfte Capitel: „Sendung des Generals G o v o n e nach Berlin und erste Unterhandlung" und das sechste Capitel: „Fortsetzung der Unterhandlungen" wegen der Allianz in Berlin. 88 l. Thcil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. gründet 973 durch Herzog Ladislaus den Frommen unter Ver¬ mittlung seiner als selig erklärten Schwester Milada — wurde in feierlichster Weise begangen. Die vier böhmischen Bischöfe hatten dies¬ bezüglich unterm I. August 1873 ein gemeinsames Hirtenschreiben er¬ lassen. Als Festprediger fungirten außer dem Bischöfe von Budweis auch der Bischof von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Ket¬ tel er und der Bischof von Regensburg. Unterm 15. September erließ der hl. Vater ein beifälliges Schreiben an den Cardinal-Fürsterzbischof von Prag über die große kirchliche Feier. Ain 1. October fand die feierliche Grundsteinlegung zum Ausbaue des Prager St. Veit-Domes statt. Zum Andenken an diese am 5. Oc¬ tober geschlossene Säcularfeier veröffentlichte das Metropolitan - Capitel von Prag ein in der dortigen Domschatzkammer befindliches Werk in phvtotypirter Ausgabe; nämlich: „Scriptum supar euiu iiuuK'iuibus" eine Erklärung der Apokalypse mit trefflichen Federzeich¬ nungen. Das Original selbst wurde im Jahre 1244 beendet und zwar war der Verfasser höchst wahrscheinlich ein deutscher Franziskaner- Bruder. Der veröffentlichte Codex ist eine Abschrift obigen Originals, und stammt sammt den Federzeichnungen aus dem XIV. Jahrhunderte, vermuthlich aus Avignon im südlichen Frankreich. Aus der Ausweisung der wenigen Jesuiten ans ihrer Niederlassung in Repnje in Krain (Oetober 1873) schöpften die Liberalen wieder einige Hoffnung, daß das sogenannte preußisch-deutsche Jesuitengesetz auch in Oesterreich zur allgemeinen Anwendung kommen werde. Sie täuschten sich. Die Schließung des Jesuiten - Institutes Fa gnani in Brixen (1875) erfolgte wohl zunächst deshalb, weil die Zöglinge fremder — italienischer — Nationalität waren. Nachdem seit dem Tode des Freiherrn von Kübeck der Botschafter- Posten am päpstlichen Hofe zu Rom ziemlich lange unbesetzt geblieben, wurde derselbe dem Grafen Paar, bisherigen Gesandten in Kopen¬ hagen, verliehen. Es fiel auf, daß dessen Ernennung mit der Anwesenheit des deut¬ schen Kaisers und Preußenkönigs Wilhelm in Wien zusammenfiel. Sollte dieser Umstand darthun, daß Oesterreich nicht mit Preußen gegen den Batican operiren wolle, wie ihm von den liberalen Kirchen¬ stürmern mehr oder minder offen angesonnen wurde? Europa. Z 6. Oesterreich-Ungarn nach der Aufhebung des Concordates. 89 Hingegen konnte der Präsident des neuen, aus den directeu Wahlen hervorgegangenen Abgeordnetenhauses, sich nicht enthalten, in seiner An¬ trittsrede vom 10. November t873 die Katholiken mit dem Passus zu ver¬ letzen: „Wir werden bei der Behandlung der (auch in der Allerhöchsten Thronrede ckcko. 5. November in Folge Aufhebung des Concordates in Aussicht gestellten, das Verhältniß zwischen Staat und Kirche betref¬ fenden) Gesetze dafür eintreten müssen, daß dem Staate seine volle Sou¬ veränität gewahrt werde; denn, meine Herren! der Staat müßte ab¬ danken und aus den Reihen der souveränen Staaten treten, welcher dulden würde, daß die Wirksamkeit und Giltigkeit seiner Gesetze von der Billigung oder Mißbilligung derselben durch eine auswärts stehende, vaterlaudslose Macht abhüngt." — Redner bezeichnete selbstver¬ ständlich den Papst mit der Phrase „vaterlandslos" — worin eben das Verletzende für die Katholiken liegt. Weil die katholische Kirche eine kosmopolitische, d. h. nicht ans ein einzelnes Reich beschränkte, also keine bloße Nationalkirche sein will, ist deshalb ihr Oberhaupt, sind ihre Diener, ja alle Katholiken sammt und sonders „vaterlandslose" Leute? In diesem Sinne ist dann folgerichtig die Wahrheit überhaupt — diese meint ja jede Konfession zu predigen — ist auch die Wi s s e n- schaft und Kunst — kurz alles in höherer Bedeutung Ideale Vater landslos, und ein Vaterland hätte nur Derjenige, welcher mit allem seinen Sinnen und Trachten einzig auf der heimatlichen Scholle haftet, wie die den Felsen bedeckenden Flechten auf diesem. Die beiden von Sr. Heiligkeit am 22. December 1873 zur Car- dinalswürde erhobenen Kirchenfürsten erhielten aus den Händen des Kaisers das Cardinalsbarett unter großem Pompe und zwar der Fürst¬ erzbischof von Gran und Primas von Ungarn in Ofen am 12. Jänner 1874; der Fürsterzbischof von Salzburg und Primas von Deutschland aber in Wien am 15. Jänner. An der Stelle des gleichfalls mit dem Purpur geschmückten bis¬ herigen Nuntius zu Wien, Falcinelli, der nach Rom siedelte, er¬ nannte der hl. Vater den NoiwiZwors Imckovioo ckueobini, Urotono- torio ^postolwo Uartseipanto und Secretär der Propaganda für den orientalischen Ritus zum apostolischen Nuntius nm kaiserlichen öster¬ reichischen Hofe. Am 25. März weihte ihn der Cardinalvicar Patrizi im Lateran zum Bischöfe (Erzbischof von Thessalonika i. p. ins.). Am 21. Jänner brachte das k. k. Ministerium im Abgeordneten- 90 0 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Hause die vom Kaiser schon in seiner Thronrede 6 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath Kirche. Gegen das Gesetz sprachen Graf Falkenh ayn als Wortführer der Minorität; die drei Cardinale, die Fürstbischöfe von Brixen, Gurk nnd Lavant, Fürst Alfred Windischgrätz, Fürst Czartoryski; zu¬ letzt Graf Leo Thun als Generalredner. Wie vorausznsehen war, wurde schließlich (am 13.) der Antrag der Minorität auf Uebergang zur Tagesordnung abgelehnt und in die Specialdebatte cinzugehen be¬ schlossen — mit 77 gegen 43 Stimmen, worauf alsbald die Kirchen- fürstcn mit vielen Mitgliedern der Minorität den Saal verließen. Die Speciäldebatte wurde noch am selben Tage beendet, nachdem sie nicht mehr als drei Stunden in Anspruch genommen hatte. Das Herrenhaus nahm aber außer ein paar anderen ganz un¬ wesentlichen Aenderungen an den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses auch an Z. 54, wo von der Verwendung der Ueberschüsse aus dem Kirchenvermögen zu anderen kirchlichen Zwecken die Rede ist, eine vor, indem es statt des Passus „nach Ein Vernehmung" des bethei- ligten Ordinariates, setzte: „im Einverständniß" mit dem Ordinariate. Das Abgeordnetenhaus beharrte in der Sitzung vom 16. April auf seiner — der Kirche ungünstigeren — Fassung, und das Herrenhaus gab nach. Die nltraliberale Fraction im Abgeordnetenhause konnte die Nieder¬ lage in der Angelegenheit der Innsbrucker theologischen Facultät nicht verwinden. Ein Stimmführer dieser Partei, Fux, Stadtschreiber von Znaim, brachte in einer mit vielfach abgenützten Phrasen vollgepfropften Rede den Antrag ein ans Ausschließung der Jesuiten und der sogenannten affiliirten Ordens-Congregationen aus Oesterreich. Das Haus wies diesen Antrag am 15. April bei Namensabstimmung mit 147 gegen 21 Stim¬ men einein Confcssions-Ausschusse zu. — Die Minister hatten sich vor der Abstimmung aus dem Hause entfernt. Erfolg hatte der Antrag keinen. Ain 16. April nahm das Abgeordnetenhaus mit großer Majorität in der Generaldebatte die (eigentlich am vierten Platze stehende) Gesetz¬ vorlage, „betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesell¬ schaften" an. Am nächsten Tage schon geschah dies in zweiter und dritter Lesung. Darauf vertagte sich das Haus bis zum 23. April, wegen der mittlerweile am 20. April durch den Kaiser in Pest voll¬ zogenen Eröffnung der Delegationen. In der am 23. April begonnenen Generaldebatte über den Ent- Europa. Z K. Oesterreich-Unparii nach der Aufhebung des Concordatcs. 95 Wurf des Gesetzes, „mit welchem behufs Bedeckung der Bedürfnisse des katholischen Cultus die Beitrage des Pfründenvermögeus zum Religions- fonde neu geregelt werden," sprachen Fürst Lob ko Witz und die Car¬ dinale Josef Othmar R. von N a u s ch e r und Fürst Friedrich Schwa r- zenberg dagegen. Die Cardinale erklärten, daß die Bischöfe bereit seien, eine namhafte Besteuerung des Kirchengutes zuzulassen; nur möge man mit ihnen verhandeln. Darauf erwiderte der Cultusminister, es sei allerdings richtig, daß bis in die jüngste Zeit Anträge seitens der Bischöfe cingelaufen sind. Die Antwort darauf sei das vorliegende Gesetz. Der Staat müsse eben auch auf diesem Gebiete seine Selbstän¬ digkeit wahren. Der Eintritt in die Spceialdebatte wurde mit 66 gegen 20 Stimmen beschlossen, und am nächsten Tage der Regierungs-Ent¬ wurf in der Fassung des Ausschusses in zweiter und dritter Lesung angenommen, aber mit wesentlichen Aenderungen des diesbezüglichen Beschlusses des Abgeordnetenhauses, indem speciell die Besteuerungsscala zu Gunsten der steuerpflichtigen Objecte geändert wurde, weshalb der Gegenstand wieder an das Abgeordnetenhaus zurückgeleitet werden mußte. Dieses trat den Aenderungen des Herrenhauses bei (1. Mai). Der Gesammtertrag dieser Steuer blieb hinter der Erwartung der Regierung zurück. Daher denn die sogenannte Staatssubventiou von der bisherigen halben Million von der Regierung pi-o 1876 ans nur 600.000 fl. erhöht wurde. Eine ans die Anfrage des Bischofs von Linz vom 6. Mai 1876 erfolgte Entscheidung des hl. Vaters, clcko. 29. Mai, machte es überhaupt den Bischöfen möglich, bei der Bethei- lnng dürftiger Seelsorger aus obiger Subvention zu cooperireu. Uebcr den Entwurf eines Gesetzes „über die äußeren Rechtsver¬ hältnisse der klösterlichen Genossenschaften" begann die Generaldebatte im Abgeordnetenhanse am 25. April. Nachdem vier Redner gegen, und fünf für die Vorlage gesprochen, wurde das Eingehen in die Special¬ debatte mit bedeutender Majorität beschlossen, und dieselbe am 28. eröffnet. Der Znaimer Stadtschreiber F u x beantragte für die Special¬ debatte das Amendement: daß zur Errichtung neuer Klöster ein Reichs- Gesetz nöthig, und der Abgeordnete Kopp stellte den Antrag, daß der Eintritt in ein österreichisches Kloster nur österreichischen Staatsbürgern gestattet sei, und kein Kloster einem Vorsteher unterstehen dürfe, der nicht österreichischer Staatsbürger ist, und in Oesterreich seinen ordent¬ lichen Wohnsitz hat. Das Haus nahm diese Amendements an; der Cultus- 96 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. minister aber erklärte, daß die Regierung nicht zustimmen könne. In der zweiten Lesung am 29. April wurden sie abgelehnt und die Be- rathung über das sogenannte Klvstergesetz zu Ende geführt mit dessen Annahme in dritter Lesung am l. Mai. Am 6. Mai nahm das Herrenhaus den Gesetzentwurf, betreffend „die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften" ohne Debatte in der Fassung des Abgeordnetenhauses an. Die kaiserliche Sanetion der zwei ersten sogenannten eonfessivnellen Gesetze über die sogenannten äußeren Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche und über die Pfründenbesteuerung erfolgte am 7. Mai in Buda-Pest. Während man in Cisleithanicn mit dem Projecte der obligatori¬ schen Civilehe noch innehielt, berieth (6. Mai) in Ungarn das Sub- comits des kirchenpolitischen Ausschusses über die Einführung derselben. Sämmtliche Mitglieder, auch der Cultusminister, erklärten sich im Prineipe f ü r die obligatorische Civilehe. Der Justizminister wurde auf¬ gefordert den auf das Eherecht bezüglichen Theil des bürgerlichen Gesetz¬ buches noch in diesem Jahre vorzulegen. Doch — man sagte auf höhere von Wien erfolgte Weisungen — wurde die Debatte über die Ein¬ führung der Civilehe auf unbestimmte Zeit vertagt. In der am 9. Mai in Pest — wo unmittelbar früher auch die meisten Mitglieder des ungarischen Episkopates unter dem Vorsitze des Fürstprimas Cardinal Simor zu einer Conferenz versammelt waren, um zunächst über das, der katholischen Kirche uachtheilige, die Reform der Mittelschulen betreffende, Gesetz sich zu berathen — stattgefnndenen Sitzung des Finanzausschusses der Reichsraths-Delegation interpellirte der Berichterstatter vr. Schaup den Minister des Aeußeren, Graf Andrassh darüber, welche Stellung derselbe gegenüber den „Provv- catvrischen" Aeußerungen des Vaticans anläßlich der neuen eonfessivnellen Gesetze eingenommen habe. Graf A n d r a s sy erwiderte: Es sei in An¬ gelegenheit der Eneykliea von Seite des Ministeriums des Acußern eine einzige Note erlassen worden, beiläufig folgenden Inhaltes: Diejenigen, welche die Eneyklika inspirirten, waren vielleicht zu wenig von dein Be¬ streben geleitet, einer Collision zwischen Kirche und Staat vorznbeugen. — Die neuen Gesetze seien durchaus nicht dogmatischer Natur, sondern in dem souveränen Gesetzgebnngsrechte des Staates begründet. Die Regierung werde auch in ihrer erschwerten Lage nichts thnn, Europa. Z 6. Oesterreich-Ungarn nach der Aushebung des Concordates. 97 was eine Collisivn zwischen Kirche nnd Staat provociren würde; aber den Gesetzen des Staates in jeden: Falle Achtung verschaffen und seine Rechte wahren. In der nämlichen Sitzung vom 9. Mai beantragte vr. Groß, den Botschafterposten beim hl. Stuhle in Rom zu streichen; denn der Kirchenstaat als solcher habe aufgehört; Oesterreich stehe der Curie als einem evnfessionelleu Oberhaupte gegenüber, das zufällig in: Auslande weilt, und die Gesandtschaft am k. italienischen Hofe vermochte ja auch die etwaigen Geschäfte der Botschaft zu versehen. Minister Graf An- drassy that dar, daß und warum dies nicht geschehen könne. Der Antrag des Or. Groß wurde abgelehnt. Erst nach der Sanetionirnng der beiden ersten sogenannten confes- sivnelleu Gesetze brachten die Blätter das Schreiben, gefertigt von drei im Herrenhause anwesend gewesenen Cardinälen, an den Papst Mo. 26. Mürz über das, was den neuen Gesetzen gegenüber geschehen, und die Antwort des hl. Vaters Mo. 29. April, worin er dem Eifer der Bischöfe in der Wahrung der kirchlichen Rechte — zumal auch durch ihre Reden in: Herrenhause, Anerkennung zollt. Au: 20. Mai sanetivnirte Se. Majestät der Kaiser das dritte so¬ genannte eonfessivnelle Gesetz, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften. Jin Schreiben clclo. 13. Mai 1874 an den ruthenischen Erz¬ bischof von Lemberg, Sembratv wicz, und die übrigen Bischöfe des nämlichen Ritus, schärft der hl. Vater, ausgehend von der Bestimmung des Papstes Gregor XVI., daß an den liturgischen Gebräuchen der Kirche nichts geändert werden dürfe, selbst nicht unter dem Vorwande der Wiederherstellung alter Ceremonien, so lange der apostolische Stuhl nicht seine Genehmigung dazu ertheilt, neuerlich ein, daß sich nach diesen Grundsätzen auch die liturgische Disciplin der Ruthenen zu richten habe. — Dem hl. Vater war es nicht unbekannt, daß sich schismatische Bestrebungen auch unter den österreichischen Ruthenen bemerkbar machen. Jin ervatischen Landtage gelangte ein neues Schulgesetz zur Vorlage nnd Verhandlung, welches die Communalschnlen — Ivie anderwärts — zu confessionslosen Schulen stempelt. Am 20. October 1874 eröffnete im Namen des Kaisers der Ban von Crvatien die neue Universität zu Agram. Der Gesetzentwurf über die Rechtsverhältnisse der sogenannten Alt- Sl epi schuegg, Papst Pius IX. uud seine Zeit. I. Bd. 7 98 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. katholiken ill Oesterreich gelangte im Abgeordnetenhaus!! am 16. und 17. März zur Verhandlung. Die dabei anwesenden Minister stimmten dagegen. Recht ungelegen kam den Liberalen, die sich für die Alt- katholiken, freilich nicht um dieser selbst willen, interessirten, ein Hirtenschreiben des Cardinal-Fürsterzbischofes von Wien cUlo. 7. April 1875, worin derselbe den „Alt"-kathvlicismus gehörig beleuchtet, seine Apostel, als Alois A n t o n und Andere nach Gebühr kennzeichnet, aber auch darthut, warum Preußen in seinem „Culturkampfe" rsets „Ver¬ nichtungskampfe" gegen die katholische Kirche die neue Seele so auf¬ fallend begünstige. Darauf erwiderte der „Obmann des Kirchenrathes" der altkatholischen Gemeinde in Wien mit einem „offenen Schreiben", worin er sich mehr in Jnvectiven gegen den Cardinal ergeht, als seine Sache vertheidigt. Am 29. Juni 1875 verschied Kaiser Ferdinand I. in Prag, wo er seit seiner Verzichtleistung auf den Kaiscrthron seinen ständigen Aufenthalt genommen hatte. Seine Wohlthätigkeit für Kirchen und fromme gemeinnützige Institute war unerschöpflich. Gegen zwei Millionen hatte er alljährlich darauf verwendet. (Er war als ältester Sohn des Kaisers Franz I. und der Prinzessin beider Sieilicn, Maria Theresia, am 19. April 1793 zu Wien geboren. Am 28. September 1830 zum Könige von Ungarn gekrönt, succedirte er seinem Vater als Kaiser mir 2. März 1835, nachdem er sich 1831 mit der Prinzessin Maria A n n a Carolina Pia Vvn Sardinien vermählt hatte. Wien sah er¬ lebend nicht mehr. Am 4. Juli Nachts 11 Uhr traf seine Leiche dort ein und wurde am 6. Juli in die kaiserliche Gruft bei den U. U. Ka- Pneinern eingesenkt. Bei der Leichenfeierlichkeit waren unter anderen fürstlichen Persönlichkeiten auch die Kronprinzen vvn Preußen, Ru߬ land und Italien zugegen.) Einen völligen Bruch mit der katholischen Kirche und ihrem Dogma vvn der Unauflöslichkeit der Ehe involvirtc der neue ungarische C ivi l eh e g esetz - Entwurf, indem derselbe nicht nur Ehen zwischen Juden und Christen, sondern sogar auch die Wi e d e r v e r e h e lich n n g geschiedener Katholiken gestattet. Damit verband er die Ein¬ führung von Civilstandsregistern. Und doch befürwortete der nie con- secrirte „Bischof" Michael Horvath (f 18. August 1878) als desig- nirter Nachfolger des verstorbenen Denk im Landtage n!! seiner Pro¬ grammrede die Einführung der obligatorischen Civilehe. — Wie schon Europa. Z 6. Oesterreich-Ungarn nach der Aufhebung des Concordates. 99 erwähnt, war dieser Herr seiner Zeit nnr von der ungarischen revo¬ lutionären Regierung zum Bischof von Czanad ernannt worden, erhielt aber weder die päpstliche Cvnfirmativn, noch die Consecration. Unter derselben verwaltete er das Cultnsministerinm. Am 24. November 1875 Nachmittags 3 Uhr verschied der Car- dinäl-Fürsterzbischvf von Wien, Josef Othmar Ritter von Rauscher, an den Folgen einer Lungenentzündung, die er sich am 12. desselben Monates zugezogen hatte. Die außerordentliche Theilnahme, die alle Schichten während seiner Krankheit an den Tag legten, zeigte sich auch bei seinem Begräbnisse am 27. November. Selbst der Kaiser wohnte der Leichenfeierlichkeit nach seinem einstmaligen Lehrer im Stefansdvme bei. Cardinal R a n s ch e r war geboren in Wien am 6. Oetobcr 1797. Die Priesterweihe erhielt er am 27. August 1823. Nachdem er zwei Jahre als Caplan in Hütteldorf bei Wien gewirkt, wurde er Professor der Kirchengeschichte und des Kirchenrechtes am k. k. Lyceum in Salz¬ burg; 1832 Directvr der orientalischen Akademie in Wien; 1849 Fürst¬ bischof von Seckau in Graz; 1855 Erzbischof von Wien. Daß er ein hervorragend wissenschaftlich gebildeter Mann, ein Heller Kopf war, wagte Niemand zu bestreiten. Oesterreich verlor an ihm einen treuen Patrioten; die Kirche einen Bischof, der in den schwierigsten Zcitver- hältnissen energisches Eintreten für ihre Rechte mit weiser Klugheit zu vereinigen wußte. Sein Nachfolger auf dem erzbischöflichen Stuhle von Wien wurde der dortige bereits erwähnte Weihbischvf vr. Johann Kutschker. Die Rcichsraths-Verhaudlungen des Jahres 1875 boten einiges auch kirchlich Interessantes. Die Ehegesetzgebung schien Einigen im Ab¬ geordnetenhause noch nicht hinreichend fortgeschritten zu sein. Sie brachten mehrere Aenderungcn des bisher geltenden bürgerlichen Eherechtes in Vorschlag; so insbesondere, daß das Hinderniß der höheren heiligen Weihen und der feierlichen Ordcnsgelübde für a u s d e r k a t h v li s ch e n Kirche austrctende Priester; für Ordensbrüder aber schon daun aufzuhören habe, wenn sie den Orden verlassen. Noch mehr Anstoß nahmen sie an der bisherigen Bestimmung der Unauflöslichkeit einer sogenannten gemischten Ehe, das ist einer Ehe, die schon bei ihrer Ab¬ schließung eine gemischte war, nach für den nicht katholischen Ehetheil. Fernerhin solle nur die Beschaffenheit der Ehe z n r Z eit ihrer Ver¬ la n g t e n T r e n n n n g maßgebend sein; also der nicht katholische Theil 7* 100 Theil. I. Hauvtstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. sich noch bei Lebzeiten des anderen, katholisch bleibenden, verehelichen dürfen. Am 9. Febrnar 1876 nahm das Abgeordnetenhaus die ganze Ehegesetznovellc nach dem Wortlaute des Ansschußantrages irr zweiter Lesung an. Dabei hatte es vorläufig sein Bewenden. Speeiell Tirol fand sich durch diese Reichsraths-Session berührt. Or. Wildauer stellte den Antrag, daß das neue Schulgesetz, insvferne es die vollkommene Trennung der Schule von der Kirche bezweckt, auch in Tirol rückhaltslos zur Geltung zu kommen habe. Dieser Antrag wurde im Herrenhanse mit 34 gegen 34 Stimmen abgelehnt, — aus Grund seiner augenblicklichen Unvpportunität. Der Kultusminister gestattete im V e r v r d n u n g sw e g e die förm¬ liche Cvnstituirung zweier evangelischer Gemeinden zu Innsbruck und Meran. Gegen dieses, als Verletzung des Landesgesetzes aufgefaßte Vor¬ gehen des Ministeriums verlas am 9. März 1876 der Obmann des eonservativen Landtagclubs, Graf Anton Brandts, einen Protest. „Wir erachten es für unsere Pflicht, diese Versammlung zu ver¬ lassen — heißt es zu Ende -- deren verfassungsmässige Thätigkeit die Regierung nicht achtet." Sofort verließen sämmtliche conservative Ab¬ geordnete den Landtagssaal, wodurch das Haus nicht mehr beschlu߬ fähig wurde. In Folge dessen wurde der Landtag im Auftrag des Kaisers wegen „Pflichtwidrigen Benehmens der Mehrheit seiner Mitglieder" vorläufig geschlossen. In feierlicher Weise vollzog sich in Bozen am 23. Juni die Er¬ neuerung des „Herz-Jesu Bundes" zur Erinnerung an die glänzenden Siege, die Tirol über die bairische» und französischen Truppen im Anfänge dieses Jahrhunderts erfochten und zur Erstehung der G l a n b e n s e i n h eit. Das kaiserliche Patent vom 23. Jänner 1877 löste den Tiroler- Landtag ganz auf unter Anordnung von Neuwahlen, si U Im Landtage (October 1878) wurden zwei Interpellationen eingebracht, nämlich: ob die Regierung die Verletzung des Landesgesetzcs vom 7. April 1866, wodurch die Bildung von Protestantengemeindeu vom Laudtagsbeschluß abhängig gemacht wurde, in Zukunft auch noch dulden wolle? und — ob die Regierung die ungesetzliche Art der Constituirung der zwei Protestantengemeinden zu Inns- Europa. Z 6. Oesterreich-Ungarn nach der Aufhebung des Concordates. 101 Das von der Regierung eingebrachte Klostergesetz, nämlich über die äußeren Rechtsverhältnisse der klösterlichen Genossenschaften, war, wie schon erwähnt, vom Abgeordnetenhause mit einigen Aenderungen ange¬ nommen werden. Das Herrenhaus verschärfte es zum Theile noch. Nach der am 14. Jänner 1876 begonnenen und dann am 15. und 17. fortgesetzten zweiten und dritten Lesung wurde es zwar angenommen, mußte aber an das Abgeordnetenhaus der einzelnen Modifikationen wegen znrückgeleitet werden. Die einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzes sind Ausnahms-Maßregeln zu Nngunstcn der Klöster, eingegeben vom Geiste des Mißtrauens gegen sie, als staatsgefährliche Institute, deren polizeiliche Ueberwnchung nothwendig sei. Wie durch das neue Besteu- ernngsgesetz vom Jahre 1874 finanziell, so müßten durch dieses Gesetz die Klöster in ihren: inneren Bestände ruinirt werden. Bezüglich des soeben bemeldeten „Klostergesetzes" beschloß der kon¬ fessionelle Ausschuß des Abgeordnetenhauses, am 27. Jänner 1876, mit 1 l gegen 5 Stimmen die on bloo Annahme der Fassung des Her¬ renhauses, obwohl der Cultusminister erklärte, daß die Regierung das Gesetz, so, wie es vorliege, der Krone zur Sanktion nicht em¬ pfehlen könne. In der Denkschrift unter dem Titel: „Erklärung der österreichischen Erzbischöfe und Bischöfe über den im Reichsrathc verhandelten, die klösterlichen Genossenschaften betreffenden Gesetzentwurf" <16. Octoberbrachten sie den Antrag einer Adresse an den Kaiser ein, worin sic nm Schutz und Abhilfe wider die (nach ihrer Ansicht geübte) Vergewaltigung des katholischen Volkes in Tirol bitten. 102 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der lath. Kirche. ung Unverträgliche des Klvstergesetzentwurfes. Der Schluß dieses zu¬ treffenden Actenstückes lautet: „Der Beruf und das Wirken der Klöster liegt offen vor aller Welt. Sie haben das Recht zu verlangen, daß inan sie nach dem beurtheile, was sie leisten und thun; nicht nach dem, was Mißtrauen und Verdächtigung ihnen unterlegt. Sie beanspruchen keine besonderen Staatsprivilegien, sondern den allgemeinen Schutz des Gesetzes und die Freiheit, wie sie jeder Staatsbürger besitzt. Sie sind um so mehr dazu berechtiget, als ihre Thätigkeit dem allgemeinen Besten dient. Sie haben daher das Recht, sich schwer verletzt zu fühlen durch einen AnSnahmszustand, den man ihnen zu bereitet: im Begriffe steht, welcher sie bedrückt anstatt fordert, ihren Bestand gefährdet anstatt sichert, ihr Leben verdächtiget ohne Gründe zu Habei: oder Be¬ weise zu erbringen. Die unterzeichneten Bischöfe geben sich daher der sicheren Hoffnung hin, ein Gesetz solchen Inhaltes und von so verderblicher Wirkung werde nicht zu Stande kommen. Sollten sie jedoch in dieser vertrauensvollen Erwartung sich getäuscht finden, so müssen sie Pflichtgemäß gegen ein Gesetz Verwahrung einlegen, welches eine der Lehre Jesu entsprechende, von der Kirche gebilligte, und zum Heile der Seelen gereichende Form des christlichen Lebens zu schädigen geeignet ist; ein Gesetz, welches die Gleichberechtigung und die Persönliche Freiheit des Staatsbürgers, die Würde der Religion, die Ehre der katholischen Kirche und der Mit¬ glieder des Ordensstandes in gleichem Blaße verletzt, lind insbesondere müßten sie gegen die Unterstellung Protestireu, als ob die katholische Kirche jemals einen religiösen Orden gestatten oder billigen könnte, dessen Berns und Wirksamkeit jene mißtrauischen, verdächtigenden Ma߬ regeln, welche in dem vorliegenden Gesetzentwürfe zum Ausdruck kommen, verdienen würde." Ob diese bischöfliche Erklärung auf das Ministerium einen Einfluß geübt hat? — Den: sei wie es wolle; an: 18. Februar beschloß der Ministerrath definitiv, das Klostergesetz in seiner gegen¬ wärtigen Fassung nicht zur kaiserliche:: Sanction zu empfehlen. Das Abgeordnetenhaus ließ sich auch dadurch nicht irre machen, sondern nahm am 21. Februar das „Klvstergesetz" in der Fassung des Herren¬ hauses an. In: November 1876 theilte der Cultnsminister ans eine bezügliche Interpellation mit, daß der Kaiser das „Klvstergesetz" nicht sanetionirt; Europa. Z 6. Oesterreich-Ungarn nach der Aufhebung des Concvrdates. 108 aber ihn — den Minister — zur Einbringung eines neuen Klostergesetz- Entwurfes ermächtiget habe. Am 4. April verschied der Cardinal und Fürsterzbischof von Salzburg, Maximilian Josef von Tarnoczy (geboren 24. Oetober 1806 zu Schwaz in Tirol, Erzbischof seit 1850). Zu seinem Nachfolger wählte das dortige Metropvlitancapitel den Abt des uralten Benedietinerstiftes St. Peter zu Salzburg, vr. Albert Eder (geb. 30. Jänner 1818 zu Halbem), Präeonifirt im geheimen Konsistorium vom 29. September; consecrirt zu Salzburg am 22. Oetober; mit dem Pallium daselbst deeorirt am 24. Oetober. Endlich erschien im Abgeordnetenhaus«! — Oetober 1876 — die Regierungsvorlage über die definitiv sein sollende Dotations-Aufbesserung der katholischen Seelsorger, und wurde da nicht dem finanziellen, sondern dem eonfcssionellen Ausschüsse zugewiesen. Der Entwurf befriedigte die darbenden Seelsorger nicht vollkommen. Die vom Abgeordnetenhaus«: beschlossene, oben besprochene Ehegesetz¬ novelle wurde vom confessionellen Ausschüsse des Herrenhauses nicht unwesentlich mvdifieirt. Sie schließt nämlich auch fernerhin die Ehe zwischen Christen und Nichtchristen aus, d. h., sie hält das Ehehinderniß der „Relusionsverschiedenheit" aufrecht, und untersagt auch fernerhin die Wiederverheirathung getrennter Ehegatten (bei Lebzeiten eines Theils), von denen der eine Theil bei Eingehung der Ehe katholisch war, selbst für den Fall, wenn beide Theile aus der katholischen Kirche austreten. Wohl aber sollen die Ehehindernisse der höheren Weihen und des Or¬ densgelübdes erloschen, sobald die Betreffenden aufhvren Mitglieder der Kirche zu sein, welche ihnen eine Eheschließung nicht gestattet. (Das Abgeordnetenhaus wollte, wie schon bemerkt, das zweite Ehehinderniß durch den bloßen Austritt aus denn Orden erloschen lassen.) Bei der zweiten Lesnng der Eh'egesetznovelle im Herrenhause führte die lebhafte und interessante Generaldebatte am 19. und 20. Februar 1877 zu einem den Liberalen unerwarteten, und nichts weniger als angenehmen Resultate. Es wurde zwar der Antrag des Fürsterzbischofes von Wien I)r. Johann Rudolf Kutschier auf Uebergnng zur ein¬ fachen Tagesordnung in namentlicher Abstimmung mit 53 gegen 39 Stimmen abgelehnt; dagegen aber der Antrag des Fürsten Friedrich Liechtenstein auf Uebergang zur motivirten Tagesordnung, welcher da lautete: „In der zuversichtlichen Erwartung, daß die hohe 104 1 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Regierung in naher Zukunft ein vollständiges bürgerliches Ehegesetz cin- bringen werde, wolle das hohe Haus beschließen, über den dermaligeu von der Commission beantragten Gesetzentwurf zur Tagesordnung über¬ zugehen", mit 57 Stimmen gegen 32 angenommen (20. Februar). Auch die anwesenden Kirchenfürstcn stimmten mit I a, nachdem früher der Fürsterzbischof von Wien in seinem und ihrer Aller Namen die Erklärung abgegeben hatte: „In der Voraussetzung, daß das in Aus¬ sicht genommene Ehegesetz in keiner Beziehung mit den Principien der katholischen Kirche in Widerspruch stehen wird, nehmen die Bischöfe keinen Anstand, dem gestellten Anträge auf motivirte Tagesordnung beizustimmen". Für diesmal gelangte also das aus der Initiative des Abgeord¬ netenhauses hervorgegangene fragmentarische Ehegesetz zum Falle. Vom 16. bis inclusive 28. April waren die meisten österreichischen Bischöfe Cisleithailiens — entweder in Person oder mittelst Stellver¬ treter — zur Besprechung kirchlicher Angelegenheiten abermals in Wien versammelt. Sie richteten eine Zuschrift an den k. k. Minister für Cultus und Unterricht. In einer Jminediat-Eingabe an Sr. Majestät den Kaiser schilderten sie dem Monarchen die bedenklichen, durch die neueste Gesetz¬ gebung geschaffenen Schulzustände und in einer zweiten — gleichfalls nicht für die Oeffentlichkcit bestimmten Adresse — baten sie den Mon¬ archen, das Mögliche zur Erleichterung der vom Papste in der Allo- cution vom 12. Mürz geschilderten Nothlage zu thnn. Endlich richteten sie au den hl. Vater selbst anläßlich seines nächsten fünfzigjährigen Bi- schofjubilünms eine Ergebenheitsadresse. Die katholische Generalversammlung Oesterreichs, welche, nachdem der hl. Vater mit Breve clllo. 19. März den Veranstaltern seinen Segen verliehen, in Wien vom 1. bis inclusive 3. Mai tagte, verlief in bester Ordnung. In meisterhaften Reden zeichneten insbesondere Graf Leo Thnn (I. Mai) die traurigen Schulzustünde und Prinz Alois Liechtenstein die nicht minder desperate sociale Lage, wie sie der doctrinäre unprak¬ tische Liberalismus geschaffen. Die Resolutionen des allgemeinen österreichischen Katholikentages be¬ treffen: Katholisches Leben; Schule; Sociales; Kunst- und Vereinsthätigkeit. In der solennsten Weise beging der katholische Gesellenverein in Wien am 4. Juli die fünfnndzwanzigjährige Jubelfeier seines Bestehens. Europa. Z 7. Die katholische Kirche iu Preußen. 105 Das altehrwürdige Benedietiuerstift Kremsmünster aber feierte im August 1877 (>7. bis iucl. 20.) unter aufrichtiger Theiluahme -- auch von Seite der Regierung — das Fest seines 1100jährigen Bestehens. (Gestiftet wurde es vom Baiern-Herzoge T h a ss il o II.) Vom 28. Sep¬ tember bis I. October 1877 feierte das gleiche Andenken das auch vom Herzoge Th as silo II. gestiftete weltpriesterliche Collegiatstift Mattsee im Salzburgischen. Schon als die sogenannte Orientfrage nur erst als schwarzer Punkt am politischen Himmel stand, drohte der österreichisch-ungarische Aus¬ gleich über die Bankfrage u. dergl. zu scheitern. Das ganze ungarische Ministerium Tiß a hatte am 7. Februar seine Dimission genommen. Zwar kam in letzter Stunde die Verständigung mühsam zu Staude und Tißa blieb am Ruder von Transleithanieu, aber dennoch ging es mit den Ausgleichsversuchen nicht vorwärts. Die Ungarn meinten von ihren Forderungen nicht ablassen zu sollen. Aus ähnlicher Ursache dimissionirte das ganze c i s l e i t h a n i s che Ministerium im Jänner 1878; doch rcactivirte es sich schon nach einigen Tagen. Endlich kam im Juli 1878 der Ausgleich über die Bankfrage, und was damit zusammenhing, zu Stande. 8 7. Die katholische Kirche in Preußen. Am 7. Juni 1840 starb König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und folgte ihm sein Sohn Friedrich Wilhelm IV. in der Regierung. Der neue König faßte sein Verhältniß zur Kirche richtiger auf, als sein Vater, und war entschlossen dem positiven Christenthnme den ihm gebührenden Einfluß möglichst wieder zu verschaffen, den es unter dem Kultusminister Altenstein durch die vereinten Bemühungen der Hegelianer und Rationalisten beinahe ganz verloren hatte. Er entließ die beiden Erzbischöfe von Köln, Clemens August, Freiherr von Droste- Vischering, und von Posen, Martin von Dunin, ihrer Haft, ge¬ währte selbst den Altlutheranern ein großes Maß von Religionsfreiheit und ernannte den christlich gesinnten Eichhorn zum Kultusminister, um nut seiner Mitwirkung der systemmäßig, insbesondere durch die in den Schullehrerseminarien nach Adolf Diesterweg's (ß 1866) Plan ge¬ bildeten (verbildeten?) glaubenslosen Schullehrer betriebenen Entchrist- lichnng des Volkes Einhalt zu thun — was freilich keine so leichte Sache 106 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Ivar. Die „Berliner Freien" nnd die „Lichtfreunde"nnt ihren Kvry- phüeu Pastvr Wislicenus zn Halle, Uhlich von Magdeburg und Regimentscaplan (protestantisch) Rupp zu Königsberg, blieben des Ministers unversöhnliche Gegner. Selbst daß der König gemeinschaftlich mit England 1841 ein protestantisches (anglv - preußisches) Bisthnm St. Jacob zn Jerusalem stiftete,') hatte nicht den Beifall der rationa¬ listischen Opposition. Erst dem späteren Kultusminister von Raumer gelang es, Manches durchznsetzen, was E ich h o r u vergebens augcstrcbt hatte — so zumal die Reform des Volksschulwesens (1854) obwohl auch sein Schulregulativ immer heftig angefochten wurde. Dem unchrist¬ lichen Liberalismus war es das verderblichste Stück, welches die kirchlich- politische Reform zu Tage gebracht hat. Die Preußische Verfassung vom 5. December 1848 (vom Könige revidirt und pnblicirt am 31. Jänner, beschworen am 6. Februar 1850) gewährleistete im Artikel XII -) auch der römisch-katholischen Kirche Selbstständigkeit in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten und hebt im Artikel XIII. das I'iuoet ans. --) Aber zunächst die Artikel über das Unterrichtswesen (XX—XXV) veranlaßten schon (1850) einige Bischöfe insbesondere den von Breslau, Melchior von Diepenbrock, ihren Geistlichen den Eid auf die Ver¬ fassung nur mit dem Vorbehalte der Rechte der katholischen Kirche zu gestatten, was der genannte Fürstbischof von Breslau in einem Schreiben an den k. Unterrichtsminister von Ladenberg rechtfertigte. Demungeachtet bestand das Ministerium auf der unbedingten Eidesleistung der in Staatsämtern angestellten katholischen Geistlichen, widrigens sie von >) Mitunter auch zu dem Zwecke, daß „die orientalischen Kirchen gegen das Umsichgreifen des römischen Stuhles gestärkt werden sollten". — Erster Bischof wurde Or. Alexander, aus einer deutschen jüdischen Familie, bisher Professor der hebräischen und rabbiuifchen Literatur zn London. -) In der revidirten Verfassungs-Urkunde hat dieser Artikel die Nummer XV. Er ist gleichlautend mit dem Artikel XVII der deutschen Grundrechte (Artikel OXI-VII der Reichsverfassnng von I84S): „Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig" — ohne den hier befindlichen Zusatz — „bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen". 3) Die Denkschrift der deutschen Bischöfe von 1872 sagt: „Unter allen deutschen Verfassungs-Urkunden dürste die preußische vom 81. Jänner 1850, Artikel XV bis XVIII die rechtmäßige Selbständigkeit der römisch-katholijchen, wie der evangelischen Kirche in der klarsten nnd umfassendsten Weise verbrieft haben." Europa. Z 7. Die katholische Kirche in Preußen. >07 ihrem Amte suspcndirt, und im Disciplinarwcge entfernt werden sollen. Endlich fand man einen Ausweg in dem von solchen Geistlichen vor oder wohl auch nach der Eidesleistung schriftlich gemachten Vor¬ behalte, eigentlich Willensmeinung, in welcher der schwörende Priester erklärt, daß „der neue Eid die Rechte der Kirche, und seine (des Priesters) Verpflichtungen gegen dieselbe nicht beeinträchtigen; folglich auch seine kirchliche Stellung in Nichts ändern kann." Eine solche Er¬ klärung fand das k. Ministerium (25. April l850) unbedenklich. Einige spätere ministerielle Verfügungen und Zusätze erregten eben¬ falls, als theilweise Beschränkung des früher Zugesicherten, Besorgnisse, und riefen Reclamationeu der Bischöfe hervor (so schon jene von Juli 1849). Dies geschah insbesondere auch bezüglich der Ministerialverord- uungen vom 22. Mai und t6. Juli 1852, welche den Jesuiten- und Redemtvristcu-Missivnen in Gegenden vvn überwiegend protestantischer Bevölkerung Hindernisse in den Weg legen und — was auch schon früher der Fall war — inländischen Candidateu der Theologie das Studium im Oollagriim A-mcmnnianm in Nom, an der dortigen Pro¬ paganda, oder auf Anstalten, welche von Jesuiten geleitet werden, ohne vorgängige Erlaubnis) der Regierung, nicht gestatten. Zugleich wurden die Behörden angewiesen, ausländischen Jesuiten und Geistlichen, welche in Jesniten-Anstaltcn stndirt haben, die Nieder¬ lassung in Preußen nicht zu gewähren. Diese Maßregeln wurden jedoch in praxi nicht strengstens gehandhabt; vielleicht weil in der Jmmediat- Einlage an den König vorn 14. December 1852 die katholischen Mit¬ glieder beider Kammern dieselben zur Sprache brachten. Darin baten sie auch um die Errichtung eines eigenen katholischen Ministerial-De- partcments unter einen: katholischen Chef für die katholisch-kirchlichen und Unterrichts-Angelegenheiten. Die Katholiken Preußens vermißten noch immer eine rein katholische Universität, und beklagten sich, daß bei Besetzung von Staatsämtern und Professuren auf sie zu wenig Rücksicht genommen; ') daß katho- ') An der Universität zu Königsberg wurden noch immer bis in die neueste Zeit Katholiken so wenig wie Juden zur Docentur zugelasseu. Die katholischen Studireudeu der „paritätischen" Universität Bonn reichten am l9. Februar 1862 eine Beschwerde ein wegen „Zurncksetznng des katholischen Elementes", welcher sich jene von Münster mit 430 Unterschriften, auch stndirende Preußen zn Tübingen und München anschloßen. 108 I Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. lisches Stiftungsvermögen zu Gunsten von Protestanten verwendet, daß die katholische Presse beengt werde, wovon unter Anderen auch die Unterdrückung der „Deutschen Volkshalle" in Köln (1855) einen Beweis lieferte. Insbesondere steht das den weltlichen Richtern eingeränmte Recht, die von von Tisch und Bett Geschiedenen cingegangenen anderweitigen Ehen für giltig zu erklären, mit dem katholischen Dogma von der Unauflös¬ lichkeit des Ehebaudes im Widerspruche. Im Jahre 1854 fand die Regierung die Abhaltung der General¬ versammlung der katholischen Vereine in Köln nicht zu gestatten. — Die Haltung des katholischen Clerns während der Revvlntionsperiode war im Ganzen eine durchweg musterhafte; um so kränkender also der Verdacht, welchen der Minister des Innern, von Westphalen, (1854) in einer Circular-Verfügung gegen denselben aussprach, als ob er mit der Demokratie in Verbindung stände, und mit dieser gegen Rußland aufreize. So war es auch nicht eben ein Beweis von Toleranz, daß noch im Jahre 1860 der katholische Priester Ak üller wegen der Führung der Frohnleichnamsprocession durch Charlottenburg zur Strafe gezogen wurde. Zwei preußische Bischöfe wurden vom Papst Pius IX. mit dem Purpur geschmückt; nämlich (1850) Johann von Geißel, seit 1842 Coadjutor (oum furo sueoossionis), dann nach Clemens August's Tod (19. October 1845) sein Nachfolger auf den: erzbischöflichen Stuhle von Köln; und Melchior Freiherr von Diepen brock, Fürstbischof von Breslau. Unter schwierigen Verhältnissen hatte dieser Letztere (ge¬ boren 6. Jänner 1798 zu Bocholt, im ehemaligen Territorium des Bisthnms Münster) sein Amt angetrcten, zu dessen Annahme er (da¬ mals Domdcchant und Generalviear zu Regensburg; früher des Bischofs Michael von Sailer Secretär) nur durch den ausdrücklichen Wunsch Papst Greg or's XVI. bewogen werden konnte. Das Breslauer Dom¬ kapitel wählte ihn am 15. Jänner 1845, zum Fürstbischöfe. Durch päpstliches Breve vom 24. April bestätiget, ward er zu Salzburg vom Cardinal und Fürsterzbischofe Friedrich Fürsten von Schwarzen¬ berg am 8. Juni consecrirt. Am 27. Juni erfolgte seine Inthronisation. Trefflich wußte er Festigkeit und Milde in seinem Thun zu vereinigen. Mit demselben Muthe, mit welchem er für das gute Recht der Kirche einstand, rief er in den gefahrvollsten Tagen (1848), als der Reichstag in Berlin die Einhebnng der Stenern untersagte, den Gläubigen das Europa, 7. Die katholische Kirche iu Preußen. 109 Wort des Herrn zu: „Gebet dem Kaiser (Könige), was des Kaisers ist;" und als es sich um die Wahlen zur neuen Nationalversammlung han¬ delte, legte er ihnen ebenso eindringlich (mit Hirtenschreiben clcko. am Feste der Menschwerdung Jesu Christi 1848) ihre Pflichten als Wähler ans Herz. In seinem Hirtenschreiben vom 10. Juni 1852 nahm er öffentlich die Missionen wider die amtlichen Angriffe in Schutz. Da¬ gegen richtete der Berliner Protestantische Oberkirchenrath Hahn einen Erlaß ckcko. 29. Juli, in welchem er einige katholischen Lehren — als: über die Heiligenverehrung u. dcrgl. einen „Wahn" nannte, den aber an Statt des schon erkrankten Cardinals das Breslauer Dvmcapitel in einem entschiedenen Schreiben nach Gebühr abfertigte. Nach längerem Leiden, in welchem ihm das Gebet der Katholiken in ganz Deutschland zum nicht geringen Troste gereichte, starb Cardinal Diepenbrock auf dem Schlosse Johannisberg, im österreichischen Diöcesantheile, am 20. Jänner 1853. Der verewigte Kirchenfürst schrieb selbst religiöse Dichtungen, aber auch Ucbersetzungen solcher, zumal aus dein Spanischen und Italienischen. Alle seine Werke zeichnen sich durch edle Sprache und durch das innigste religiöse Gefühl aus; so z. B. „Geistlicher Blumenstrauß aus christ¬ lichen Dichtergärtcn den Freunden hl. Poesie dargeboten." — „Heinrich Suso's, genannt Amandus, Herkunft, Leben und Schriften" u. s. w. Zum Nachfolger erhielt Diepenbrock den Breslauer Dvmeapitnlar Or. Heinrich Förster (geboren 24. November 1799 in Grvß-Glogau). Der Bischof von Trier, I)r. Wilhelm Arnoldi hatte — jedoch nicht, wie es hieß, in Folge päpstlichen Breves — 1853 für seine Diöeese ungeordnet, daß bei gemischten Ehen der evangelische Bräutigam mittels eines Eides geloben müsse, alle Kinder beiderlei Geschlechtes in der katholischen Religion erziehen zu lassen. Leistet er diesen Eid, dann kann die Eheschließung zwar wohl vor dem katholischen Pfarrer, aber doch nur außerhalb der Kirche, also ohne Einsegnung, statthaben, sonst aber gar nicht. Durch einen eigenen Armeebefehl ) Siehe auch: „Nachtrag von Actenstücken über die Stellung des Fürsten Bismarck und des Gesandten des Norddeutschen Bundes, Arnim, zum vati- cauischeu Coucil" im Archive für katholisches Kirchenrecht, 1877, Heft 4. 1l8 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. dem „modernen Staat" aus den vermntheten Concilsbeschlüssen er¬ wachsen könnten. („Augsburger Allgemeine Zeitung" dir. 120 v. I. 1874.) Schmeichelhafter allerdings lautet das Schreiben Arnim's an Döllinger ckcko. Rom 6. Jänner 1870.') In der Thal sehr interessante Aufschlüsse, und läßt sich leicht be¬ greifen, daß durch diese Enthüllungen der Riß zwischen Arnim und Bismarck noch mehr erweitert wurde. Graf Harry Arnim verließ Paris, wo ihn Fürst Hohenlohe, der ehemalige baierische Minister¬ präsident, als Gesandter des deutschen Reiches ersetzte. Durch seine Rechtfertigung, die er irr der „Spener'schen Zeitung" versuchte, machte er die Sache noch schlimmer. Durch königliche Ordre vom 15. Mai wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt. ?) Ja es traf ihn sogar Processirung wegen Unterschlagung von di¬ plomatischen Aetenstückeu aus dem Gesandtschafts-Archive zu Paris. (Dahin lautete die Anklage.) Graf A r n i m vindicirtc den meisten dieser Acten die Eigenschaft von Privat-Correspondenzen, zu deren Ausfolgung er sich nicht für verpflichtet halte. Er wurde zur Haft von 3 '/2 Monat mit Einrechnung von einem Monat bereits erstandener Untersuchungs¬ haft verurtheilt. Besonderes Interesse verdient unter den erwähnten Actenstücken eine Cireulardcpesche Bismarck's vom 14. Mai 1872, die künftige Papstwahl betreffend, worin derselbe offenbar auf ein Schisma nach dem Tode Pins IX. specnlirt. Am 14. Juni 1875 wurde der Proceß Arnim wieder aus¬ genommen. Der Staatsanwalt beantragte Schuldigerklärung und ein¬ jährige Gefängnißstrafe. Graf Arni m selbst war nicht erschienen. Das Berliner Kammergericht verurtheilte ihn zu neun Monaten Gefüngniß, mit Abrechnung eines Monates Untersuchungshaft. Eine im November 1875 in Zürich erschienene Broschüre mit dem Titel „Uro Xilülo«, deren Autorschaft man allgemein dem Grafen Arnim selbst beilegte, und von welcher 1878 eine zweite Auflage erschien, thut dar, daß an des Grafen Sturz zumeist nur B i s m a r ek' s ') Dasselbe, sowie auch ein Promemoria Arnim's, betreffend das vati¬ kanische Concil siehe Archiv für katholisches Kirchcnrecht, 1878, Heft l. y Nachzulesen wäre unter Anderem „Das vaticanische Concil und die Diplo¬ matie" in den „Periodischen Blättern", 3 Jahrgang, 5. Heft. Europa. Z 7. Die katholische Kirche in Preußen. ng Eifersucht (?) Schuld trage. Denn der Reichskanzler vermuthete in ihm seinen prädestinirten Nachfolger. Die Broschüre wurde in Preußen behördlich confiscirt; ja die Oberstaatsauwaltschaft beantragte, deu Grafen Arnim, als vermeint¬ lichen Verfasser, wegen Landesverrat Hs in Anklagestand zu setzen. Der Staatsgerichtshvf erhob in der That gegen den — damals in Florenz abwesenden — Grafen diese Anklage (März 1876); die Verhandlung begann am 11. Mai. Am 16. Mai wurde vom Stadt¬ gericht ein Steckbrief wider Arnim erlassen, aber mit Verfügung vom 4. August bis auf weiteres wieder zurückgenommen. Am 5. Oetober begann der Proces; Arn in: abermals vor dem Staatsgerichtshofe in Berlin. Wegen Laudesvcrrathes und Beleidigung des Kaisers und des Fürsten Bismarck wurde Graf Arnim (October 1876) zu fünf J a h r e n Z n cht h a us (!) verurthcilt. Ter „Reichs-Disciplinarhof" zu Leipzig bestätigte (3. März 1877) das auf „Absetzung" lautende erste Erkenutniß der Potsdamer Disciplinarkammer ckcio. 27. April 1876. Zwar nicht mehr dem uns beschäftigenden Zeiträume angehörend — weil in den letzten Monaten des Jahres 1878 erschienen — ist die Broschüre „Der Nuntius kommt", als deren Verfasser sich in der zweiten Auflage Graf Arni m, damals im Schlosse Gösting bei Graz ansässig, offen bekannte, aber wir können sie hier nicht unerwähnt lassen. Die gereizte Stimmung gegen Bismarck ist darin nicht zu ver¬ kennen; was ihr aber allgemeineres Interesse verschafft, ist des Verfassers Ansicht über dessen „Kirchcnpolitik". Arnim hat aus seinen bitteren Erfahrungen nichts oder gar wenig gelernt zur richtigeren Beurtheilung des Papstthums und der katholischen Kirche. Ja, er hält einen wirklichen Ausgleich zwischen Rom und Berlin geradezu für unmöglich. (Die Ausgleichsverhandluugeu veranlaßten eben den etwas picanten Titel des Schriftchens.) Aber mit dem von Bismarck heraufbeschworenen „Culturkampf" ist er nicht einverstanden. Er vermißt darin die „Gerechtigkeit", ohne die denn doch ein nachhaltiger Erfolg nicht zu erwarten ist. In der bald darauf gefolgten Broschüre: „silnici iüoirunus uv8?« spricht sich Graf Arnim positiver aus, wie er es anstellen würde. Obenan würde der Satz stehen: Die ehemalige (?) römisch-katho¬ lische Kirche hat in Folge der vom Papst decretirten und von den Preußischen Bischöfen acceptirten vaticanischeu Constitution „kutor ustsr- 120 I. Theil. I. Hcmptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath Kirche. »us« aufgehört zu existiren (sie!). Das Rechtssubject für die Rechte der alten Kirche fehlt. Alle Kirchengüter fallen an den Staat zurück. — Der Staat erkennt die vom Papste regierte Kirche als eine neue R e li g i o n s g e s e ll s ch a ft an. (!) — Jedenfalls ist Arni m, der sich jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Kirche enthalten und z. B. die die Anstellungen der Geistlichen nicht an¬ zeigenden Bischöfe nicht „absetzen", wie es die Maigesetze thun, sondern sie sammt Jenen blos des Einkommens und der Amtswohnung ver¬ lustig erklären — also ihre staatliche Anerkennung zurück¬ zieh e u oder verweigern mochte, nicht so ungeschlacht der Kirche gegen¬ über als Bismarck. Ob er ihr aber nicht etwa noch gefährlicher wäre? Auch Arnim ist ein Beleg dafür, wie in Preußen Protestanten über die katholische Kirche, für deren Verfassung sie kein rechtes Verständnis; haben, ja haben können, zu Gericht sitzen und entscheiden, daß sie in Folge des Vaticanums wesentlich eine andere geworden sei! Unter solchen Umstünden ist freilich wohl ein Ausgleich unendlich schwierig.- Bald mußte Manches die Katholiken Preußens über das Vorgehen der Regierung gegenüber der Kirche sehr beunruhigen. Der Cultus- minister von Mühler hatte unterm 30. December l87O dem aka¬ demischen Senat der Bonner Universität auf die Verwendung zu Gunsten der theologischen Professoren, denen der Erzbischof von Köln die missi« onnonioa. entzog, erklärt, daß dadurch „die rechtliche Stel¬ lung dieser Professoren in dem vom Staate ihnen anvertrauten Lehr¬ amte" nicht alterirt werde. Unterm 10. Jänner 1871 verbot er den katholischen theologischen Facultäten streng eine directe Correspondcnz mit den Bischöfen. Er untersagte auch die Neubildung der sogenannten marianischen Cvngregativnen katholischer Stndirenden. Den katholischen Religions- lehrern wurde bedeutet, daß sie Erlässe oder Bekanntmachungen ihrer kirchlichen Oberbehörde in den Schulclassen nur nach vorgängiger Ge¬ nehmigung durch die Directoren der respectiveu Anstalten mittheilen dürfen. Der schon erwähnte Bischof von Ermeland, Philipp K r e m e ntz (geb. 1. December 1819), hatte dem Religionslehrer am Gymnasium zu Brannsberg, ll>c. W o ll m a n n, wegen beharrlicher Renitenz gegen Europa. Z 7. Die katholische Kirche in Preußen. 121 die vatieanischen Concilsbeschlüsse — worin ihm der Seminardirector Treidel beistimmte — zuerst die inissio ennouion entzogen, endlich ihn sogar excommnnicirt (4. Juli 1871). Der genannte Cultusminister aber, welcher bereits nnterm 27. März dem Bischöfe auf seine Anzeige erwidert hatte, daß er seinen Maßnahmen eine rechtliche Wirkung auf das von dem Betreffenden bekleidete Staatsamt nicht zngestehen könne (ähnlich nnterm 20. April), befahl, daß die katholischen Gymnasial¬ schüler entweder nach wie vor den Religionsunterricht W o ll m a n n' s zu besuchen oder die Lehranstalt sofort zu verlassen haben. Im Schreiben an den Bischof ctdo. 29. Juni 1871 motivirt der Minister seine Ver¬ fügung mitunter damit, daß Wollmann „heute noch dasselbe lehre, was er vor dem 18. Juli 1870 mit Zustimmung der Kirche gelehrt hat". Gegen diese Entscheidung legte der Bischof nnterm 9. Juli feierlich — aber fruchtlos — Protest ein. Der Cultusminister erwiderte nnterm 21. Juli: „Für den Staat ist Ur. Wollmann nach der Excommuni- cativn ebensowohl wie vor derselben ein Mitglied der katholischen Kirche (!) und enthält dieses neu hinzugetretene thatsüchliche Moment keinen Anlaß, die Entscheidung vom 29. v. M. abznändern." Der Bischof erließ (22. Juli) einen den Sachverhalt beleuchtenden Hirtenbrief an feine Diöcesanen. Mehrere katholische Studirende verließen das Brannsberger Gym¬ nasium. Die Regierung erlaubte nicht, daß den die Vorlesungen I)r. Woll- mann's nicht Besuchenden ein sogenannter infallibilistischer Religivns- lehrer Privat-Unterricht ertheile. Die Jmmcdiat-Vorstellung des Bischofes an den König cblo. 8. October erhielt nnterm 25. November durch den Cultusminister eine Beantwortung ähnlich jener an den Erzbischof von Köln nnterm näm¬ lichen Datum. Herauf ließ der Bischof dem Cultusminister eine aus¬ führliche Erwiderung 841) und verfügte die Ueber- 122 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. trcigung deren Geschäfte auf eine einzige nengebildete Abtheilnng für die geistlichen Angelegenheiten. Die Motivirung der offieiellen Blätter, daß diese Maßregel ans der veränderten Stellung sich ergebe, welche die Staatsgewalt durch die Verfassnngsurkunde den Kirchen und Religionsgesellschaften gegen¬ über erhalten habe, konnte nicht überzeugen. Bim: erblickte in katho¬ lischen Kreisen darin nur eine Entgegnung auf den Syllabus und auf das Vatieanum, was unter Anderem die „Provincial-Correspondenz" unumwunden eingestand.') Die Preußischen Bischöfe unterbreiteten dem Kaiser Wilhelm eine Jmmediat - Eingabe, däo. Fulda (wo sie vom 6. bis 8. versammelt waren) 7. September 1871 — unterfertiget sind 13 — worin sie die wider sie und das vaticanische Concil vorgebrachten Verdächtigungen ablehnen und auch die Erlässe des Cultusministers. in der I)r. Woll- mann'schcn Angelegenheit als den katholischen Prineipien widerstreitend beleuchten. Beigefügt war eine Denkschrift vom nämlichen Datum über die katholischen Anschauungen und Grundsätze in Betreff des Dogma von dem unfehlbaren Lehramte des Papstes. Der Kaiser er- theilte den Bescheid an den Erzbischof von Köln am 18. October 1871. Er sagt darin, die Beschwerden der Bischöfe haben ihn um so mehr befremdet, weil „von den Bischöfen, insbesondere aber von Seiner Hei¬ ligkeit dem Papste, bisher jederzeit anerkannt worden war, daß die katholische Kirche in Preußen sich einer so günstigen Stellung erfreut, wie kaum in einem anderen Lande." — „Es wird Aufgabe meiner Regierung sein," fährt er fort, „daß die neuerlich vorgekommenen Couflicte zwischen weltlichen und geistlichen Behörden, soweit sie nicht verhütet werden können, ihre gesetzliche Lösung finden. Bis dies auf verfassungsmäßigem Wege erfolgt sein wird, liegt mir ob, die bestehen¬ den Gesetze aufrecht zu erhalten, und nach Maßgabe derselben jeden Preußen in seinen Rechten zu schützen." Im Schreiben, (Ido. 25. November 1871, gleichfalls an den Erz¬ bischof von Köln, führt, mit Berufung aus das kaiserliche Rescript der Cultusminister von Mühl er des Weiteren ans, daß durch die vati¬ kanischen Decrete vom 18. Juli 1870 in der früheren Lehre der katholischen Kirche von dem mit dem Papste verbundenen Ge- ') Wir verweisen hier auf den interessanten Artikel „Zur Vorgeschichte des Cultmkampfes" in der „katholischen Bewegung", Jahrgang X, Heft V. Europa. Z 7. Die katholische Kirche in Preußen. 123 sammt-Episkopate als Träger des unfehlbaren Lehramtes eine Aenderung eingetreten sei; daher „der Staat weder verpflichtet, noch auch berechtiget sei, die Anhänger der alten Lehre in ihrem Verhält¬ nisse zum Staate als Abtrünnige zu behandeln." Der Erzbischof ent¬ gegnete unterm 30. December. In einer neuen Jmmediat-Eingabe bat der preußische Episkopat den Kaiser und König um Schutz der Jesuiten gegenüber den wider sie — insbesondere vom Darmstädter Protestantenverein — beantragten Ausnahme- und Willkürmaßregeln. Die in Berlin erscheinende „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" hatte sogar die Kühnheit, von einem Bündnisse der sogenannten Ultra- montanen mit den Commnnisten — „der schwarzen und rotheil Inter¬ nationalen" zu reden. Belgien, sagte sie, sei der Sammelplatz dieser beiden Todfeinde Deutschlands. Derlei fanatische Hetzereien mußten die Katholiken zur Nothwehr herausfordern. Cultusminister von Mühler galt den Liberalen noch immer für zu wenig energisch; mit größeren Hoffnungen begrüßten sie die Er¬ nennung des geheimen Ober-Justizrathes Ur. Falk (22. Jänner 1872) an des Genannten Stelle. Bald darnach — am 30. und 31. Jänner — hielt der Reichs¬ kanzler Fürst Bismarck im Abgeordnetenhause gegen das conservative Centrum — eigentlich gegen die Katholiken insbesondere — Aufsehen erregende Reden. Freilich war er klng genug, zwischen sogenanntem Jesnitismus und Katholicismus zu unterscheiden, und seine Hiebe nomi¬ nell gegen jenen auszutheilen. Einige Aussicht zur endlichen Beilegung des Braunsberger Con- flictes eröffnete der Erlaß des neuen Cultusministers, llcko. 29. Fe¬ bruar 1872, worin es heißt: „Jn^ffentlichen höheren Lehranstalten ist hinfort die Dispensation vom Religionsunterrichte zulässig, sofern ein genügender Ersatz dafür nachgewiesen wird. ') Ein späterer Ministerial-Erlaß äclo. 23. Juli besagt aber, daß solche Dispensationen an den Schullehrer-Seminarien nicht eintreten dürfen. In denselben kann der Religions-Unterricht nur von Einem Neligivnslehrer ertheilt werden. tz Aehnlich das Ministerium iu Baiern am 3. April. 124 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath Kirche. Durch diesen Kunstgriff sicherte sich die Regierung das Recht, (?) auch durch einen altkatholischen Religivnslehrcr die Abiturienten für befähigt erklären zu lassen, selbst nöthigenfalls in einer Elementar¬ schule Religions-Unterricht, freilich altkatholischen, zu ertheilen. Hitzige Debatten verursachte in beiden Häusern das neue, soge¬ nannte Schulaufsichtsgesetz, wodurch die Schulaufsicht in den unteren Schulen allmälig nur an weltliche Organe gelangen soll. Wider Er¬ warten erlangte der erste entscheidende Paragraph dieses Gesetzes auch im Herrenhause bei der Abstimmung am 8. März 1872 die bedeutende Majorität voll 125 gegen 76 Stimmen. Die königliche Sanction er¬ folgte am II. Mürz. Das Pastorale der Preußischen Bischöfe vom 11. April 1872 traf Anordnungen in Betreff der Befolgung dieses Gesetzes, wenngleich ohne innere Billigung und Zustimmung zu demselben. Die „allgemeinen Bestimmungen über das Vvlksschul - Präparan- den- und Seminarwesen" sind vom 15. October datirt. ') Immer mehr mußten die Zweifel daran schwinden, daß es dem Reichskanzler Fürsten Otto von Bismarck wirklich nm die Beschrän¬ kung der katholischen Kirche, nicht aber einzig nur, wie die vfficicllen Blätter glauben machen wollten, um die Niederhaltung einer sogenannten ultramontanen, dem Wicderanfblühen des deutschen Reiches feindseligen (?) Fractivn zu thun sei. Man weiß ja, daß nirgends ein¬ gestanden werden wolle außer von den ausgeprägten Feinden jeder Religion - daß es gegen die katholische Kirche losgehe; sondern daß es nur dem „Ultramontanismus" gelten solle und dem „Jesuitis- mus." — Man lese Bismarck's im Reichsrathe und im preußischen Landtage, zumal die in dem Abgeordnetenhaus am 30. Jänner und in der Schulaufsichtsdebatte am 9. Februar diesbezüglich gehaltenen Reden. Ein durch Jndiscretivn in die Oeffentlichkeit gelangtes Privat¬ schreiben des katholischen Abgeordneten Wi n d t h vrst (aus Hanno¬ ver), worin er seinen Wunsch ausspricht, daß die weltliche Herrschaft des Papstes wieder hergestellt werde, ohne daß er aber ein kriegerisches Einschreiten befürwortete, benützte Fürst Bismarck, wie sich der Ab- ') Am 7. März 1872 brannte in Erfurt das Waisenhaus — ehemaliges Augustiner-Eremitciiklostcr — ab, mit der Zelle, welche Luther als junger Mönch bewohnte. Auch die hier anfbewahrte Bibel mit Luther's Randbemerkungen wurde ein Raub der Flammen. Europa. Z 7. Die katholische Kirche in Preußen. 125 geordnete von Schvrlemer in der Sitzung vom 23. März äußerte, dazu, „um die Seeschlange des ultramontan-polnisch-cvnservativen Bünd¬ nisses in grellem Lichte wieder erscheinen zu lassen." Auch daraus, daß der Papst dem Erzbischöfe von Gnesen-Posen, Grafen L e d o chow s ki, den alten, übrigens mir Ehren-Titel eines „Primas von Polen" bestätigte, schlugen officielle Blätter Capital, als läge darin Seitens des Papstes eine Anerkennung des ehemaligen Königreiches Polen, respeetive eine Ermuthigung zur Losreißnng der nun preußischen, russi¬ schen und österreichischen Bestandtheile Polens. (!)^ Wegen verfügter Entsetzung des von seinem Ordinarius zu Erme- laud excommunicirten sogenannten altkatholischen Curaten Grunert zu Insterburg von der Militärseelsorge gerieth auch der Feldprvpst Bischof Namszanowski in Conflict mit der Regierung. Und weil er in der, von den sogenannten Altkatholiken mitbenützten St. Panta¬ leonskirche in Köln die Abhaltung des Militärgottesdienstes untersagte, wurde er von der Staatsregierung am 28. Mai vom Amte einstweilig suspendirt und gegen ihn die Disciplinar-Untersnchung ein¬ geleitet. Aehnlich wurde der Divisionspfarrer Lünnemann entsetzt; erhielt aber später eine Civilpfründe. Die Regierung ließ dem Feldprvpsten kurzweg die aus Staats¬ mitteln angeschafftcn bischöflichen Insignien, das Amtssiegel und das Kirchen-Inventar wegnehmen; nur das Pectvral und der Ring blieben ihm, welche ihm seine frühere Dceanatsgeistlichkeit in Königsberg ge¬ schenkt hatte. Statt der abgenvmmenen Insignien verehrte ihm im November 1872 der „Verein der katholischen Edellente Deutschlands" einen neuen Bischofsstab und Mitra. In der Untersuchungsklage gegen den Feldpropst und Bischof Namszanowski wegen der Kölner Pantaleonskirche und wegen Ungehorsams gegen die Befehle des Kriegsministers (!) erklärte sich (14. December 1872) der Disciplinargerichtshof für incompetent, und erkannte vadnrch an, daß der Angeschuldigte innerhalb der kraft seines geistlichen Amtes ihm innewohnenden Befugnisse gehandelt habe. Nur darin sei derselbe schuldig, daß er sich ohne Urlaub vvu seinem Amts¬ sitze (Berlin) entfernt habe, und sei ihm deshalb eine Warnung zu er- theilen. (Er hatte sich nämlich auf ein paar Tage im April zur bischöf¬ lichen Conferenz nach Fulda begeben.) Gegen dieses erstinstanzliche Erkenntniß appellirte die Staatsanwaltschaft. 126 Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kcckh. Kirche. Oeffentliche Blätter berichteten nicht nur von einem Erlasse an die Militär-Commando's, wornach die katholischen Soldaten gefragt werden sollen, ob sie ferner der römisch-katholischen Kirche angehören, oder als Altkatholiken gelten wollen? sondern sogar von einem Cireular- schreiben des Kriegsministers von Roon, daß Militärpriester, welche gesonnen seien, zum Altkathoticismns überzutreten, durch die Militär¬ behörde eine Aenderung ihrer Stellung nicht zu befürchten hätten. Klingt dies nicht wie Aufforderung zum Uebertritte? Eine königliche Verordnung vom 15. März 1873 hob die seit 1868 bestehende preußische Feldpropstei auf. Hievon wurde Cardinal Antvnelli einfach in Kenntniß gesetzt, ohne daß früher eine Ver¬ handlung mit dem hl. Stuhle gepflogen wvrden wäre. Gegen den Feldprvpst wurde das Diseiplinarvcrfahren fortgesetzt. Endlich, am 26. Jnni 1873, erfolgte das Endurtheil des Staats- ministerinms, welches das Erkenntniß der ersten Instanz dahin ab¬ änderte, daß der Angeschuldigte wegen Verletzung seiner militär- amtlichen Pflichten mit Wartgeld einstweilen in den Ruhestand zu versetzen; ihm auch die Kosten des Verfahrens zur Last zu legen seien. Den Erzbischof von Köln, die Bischöfe von Ermeland und Breslau forderte die Regierung zur Erklärung auf, wie sie ihre Exeommu- nicationen mit dem Gesetze vereinbaren zu können meinen? Minister Falk, der im Schreiben, «Iclo. II. März 1872, an den Bischof von Ermeland sogar erklärte, daß, wenn derselbe den Widerspruch seiner Censurdecrete mit den Landesgesetzen nicht heben könnte, die Staats¬ regierung in die Lage gesetzt sein würde, seine „staatliche Aner¬ kennung als Bischof von Ermeland als hinfällig geworden anzusehen," deutete hiebei nämlich auf die Paragraphe 55 — 57, Theil II, Titel l I des preußischen Landrechtes hin: „Wegen bloßer von dem gemeinen Glaubensbekenntnis^ abweichenden Meinungen kann kein Mitglied ans der Kirchengesellschaft ausgeschlossen werden. Wenn über die Recht¬ mäßigkeit der Ausschließung Streit entsteht, so gebührt die Entscheidung dem Staate. Soweit mit einer solchen Ausschließung nachtheilige Folgen für die bürgerliche Ehre des Ausgeschlossenen verbunden sind, muß vor deren Veranlassung die Genehmigung des Staates cingehvlt wer¬ den." Diese Bestimmungen lassen allenfalls eine Anwendung zu gegen¬ über der Protestantischen Kirche, deren snmmns Kpmoopus der Regent ist; durchaus nicht aber gegenüber der katholischen Kirche, deren Selb- Europa. Z 7. Die katholische Kirche in Preußen. 127 ständigkeit in ihren inneren Angelegenheiten sie geradezu anfheben. Der Fürstbischof von Breslau verfügte also demungeachtet noch Anfang Mai l872 die „größere Excvnununicativn" über den Professor Or. Rsin¬ kens und Andere. Der Bischof von Ermeland antwortete ckcko. 30. März, und betonte, daß „die kirchliche Excommunication die bürgerliche Ehre des Gebannten nicht beeinträchtige." Diese Antwort wurde nicht als genügend befunden. Unterm 2t. Mai erging Seitens der Staatsregierung an den Bischof die Aufforderung: erstens, daß er mittelst einer entsprechenden amtlichen Kundgebnng die Beeinträchtigung beseitige, welche die Excommunicirten (vr. Wollmann und vr. Michelis) durch die öffentliche Verkündigung des großen Bannes an ihrer bürgerlichen Ehre erlitten haben, und daß er zweitens der Staatsregiernng die Erklärung abgebe, daß er fortan die Staats¬ gesetze in vollem Umfange befolgen werde. Wenn diesen Forderungen keine Folge geleistet würde, so würde dadurch der Bruch mit dem Staate für vollzogen angesehen und demgemäß verfahren werden. Der Bischof entgegnete, nachdem ihm eine peremtorische Frist von acht Tagen gesetzt worden, . t5. Juni, daß er dem Ersuchen des Cnltnsministers nicht entsprechen könne, weil er einen wirklichen Wider¬ spruch zwischen seinen Censnrdecreten und den Landesgesetzen nicht er¬ kenne; übrigens sei er bereit, seine Diöcesanen wieder zu belehren, daß mit der Excommunication keine bürgerlichen Rechtsfolgen verbun¬ den seien. Gegen die Staatshoheit oder gegen die Staatsgesetze habe er nicht verstoßen, wie er denn „die volle staatliche Souveränität des Staates durchaus anerkenne und stets anerkannt habe". Der staatsbürgerlichen Pflichten, insbesondere der eidlich gelobten Pflicht der Treue und des Gehorsams gegen Seine Majestät..den König sei er sich vollkommen bewußt." Der von den unter dem Vorsitze des Erzbischofes von Köln aber¬ mals in Fulda versammelten preußischen Bischöfen — 1 l; jener von Culm war vertreten — unterzeichnete Hirtenbrief an den Clerus, clciv. 11. April, hat das neue Schulanfsichtsgesetz zum Gegenstände. Die Geist¬ lichen sollen sich von der Schule nicht zurückziehen, sondern mm mit ver¬ doppeltem Eifer den Religionsunterricht ertheilen und „in dem höchst verdienstlichen Werke der christlichen Erziehung und gesummten Bildung 128 I- THE, I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. der Jugend nicht ermüden." Jeder Pfarrer hat die Lvcalinspectivn über die Schulen seiner Pfarrei zu führen, ohne daß es einer besonderen bischöflichen Genehmigung bedarf; eine solche ist nur nvthig znr Ueber- nahme der Kreisschulinspection oder einer Ortsschuliuspection außer der eigenen Pfarrei. Unter nämlichem Datum machten obige Bischöfe auch eine Einlage an das königliche Staatsministerium, worin sic ihren künftig einzuhaltenden Standpunkt in der Schulangelegenheit darlegen. Unerwartet hatten kurz vorher öffentliche Blätter eine günstigere Wendung im Verhältnisse der Regierung zum Episkopat signalisirt und betont, daß ungeachtet eines augenblicklichen Dissenses die preußischen Bischöfe ja immer die loyalsten Gesinnungen bewiesen. Der König, respective Kaiser Wilhelm dankte in einem sehr huldvollen Schreiben, tlcko. 27. März, dem Bischöfe von Ermeland für seinen Glückwunsch zum Geburtsfeste. Desto mehr überraschten die nachgefolgten vberwähn- ten Maßnahmen der Regierung, dellen andere folgten. Ein Erlaß des Cnltusministers vom 15. Juni 1872 verfügte im Allgemeinen die Ausschließung geistlicher Congregativns- oder Ordens¬ mitglieder von dem Unterrichte an den öffentlichen Schulen. Darüber interpcllirte im Abgeordnetenhause am 28. November 1872 Mal¬ linckrodt den Cultusminister wegen Verfassungsverletzung; fein Antrag wurde aber mit 242 gegen 83 Stimmen ab gele Hut.') Am 22. Oetober 1872 wurde die Auflösung der marianischeu Akademiker-Cougregation an der Universität zu Bonn ungeordnet. Der König, respective Kaiser Wilhelm, hielt sich — so hieß es — durch die Ansprache des hl. Vaters an den katholischen deutschen Lesevercin in Rom <24. Juni) verletzt, weil darin der Papst von der „bereits vorbereiteten und begonnenen Verfolgung der Kirche in Deutsch¬ land" sprach, und „vom ersten Minister einer mächtigen Regierung (Bismarck), der der Haupturheber der Verfolgung ist." Vorzüglich aber gereichten folgende Worte zum Anstoße: „Wer weiß, ob nicht bald sich das Steinchen von der Höhe loslöst, das den Fuß des Colvsses zerschmettert?" Unter diesem Colosse konnte, meinte man, der Papst nur das neue deutsche Kaiserreich verstanden haben. Der Papst selbst aber erklärte später bei einer Gelegenheit obige ') Als Curiosum sei gemeldet, daß unter Anderem der Oberbürgermeister zu Trier den Auftrag erhielt, den dortigen acht Schnlschwcstern zn eröffnen, daß ihr Unterricht am Schluffe des Schuljahres anfhöre, „zugleich aber deu Damen der Europa, ß 7. Die katholische Kirche in Preußen. 129 Worte im Allgemeinen von dem Mißbrauche der Macht und von der dem Hvchmuthe folgenden Demüthignng. Ein Erlaß des Cultusministers vom 4. Juli an die Provineial- Schuleollegien hatte bei Strafe der Entlassung den Studirenden an Gymnasien nnd anderen höheren Unterrichtsanstalten die Mitgliedschaft an religiösen Vereinen, als insbesondere an den marianischen Congre- gationen, Erzbruderschafteu der hl. Familie Jesus, Maria und Josef u. s. w. verboten. Das Gesuch des Bischofs von Ermeland, virile (!) preist er als geeignete Mittel zur Knechtung der Kirche an. O Herolde der Freiheit! Dieser nämliche Rechts lehrer setzt in seiner Schrift: „Das deutsche Reich und die katholische Kirche" auseinander, warum man den Wün¬ schen nach voller Trennung der Kirche vom Staate durchaus nicht nach¬ geben dürfe. „Im Gegentheile - - sagte er unter Anderen! in einem Vortrage über das Verhältnis; von Staat und Kirche in der „Gemein¬ nützigen Gesellschaft" zu Leipzig, laut der „Deutschen Allg. Zeitung" — „der Staat muß dahin wirken, daß der Kirche die Macht über das Volk entrissen nnd seine eigene Macht fester begründet werde." Er sieht darin eine große Gefahr, daß die katholische Kirche „allzusehr mit dem Volke verwachsen" ist. Ja Ur. E. Friedberg scheute sich nicht, den Millionen Katho¬ liken in's Angesicht zn rufen: „Würde sich eine Rcligivnsgesellschaft mit Grundsätzen, wie sie die katholische Kirche nach dem vatikanischen Cvncil als Glaubensgesetze hingestellt hat, heutzutage neu bilden wollen, so würden wir es zweifellos für eine Pflicht des Staates erachten, sie zu unterdrücken, zu vernichten, mit Gewalt zu zer¬ treten." ') Dies veranlaßte den Bischof von Mainz zur Veröffentlichung der Broschüre: „Die moderne Tendenzwissenschaft," beleuchtet am Exempel des Herrn Professors Ur. Emil Friedberg — worin er bemerkt, daß sie „von der wahren Wissenschaft eben so weit entfernt ist, wie es die griechische Sophistik von der wahren Weisheit Ivar." Zum Schlüsse gibt er dem Dvctor zu bedenken, daß seine angebliche Wissen¬ schaft nichts sei, als „Servilismus des Geistes nnd Erniedrigung der Wissenschaft im Dienste der Macht, welche augenblicklich die Herrschaft in Händen hat." Die Schrift des Bischofs von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr» von Ketteler hatte Ur. Emil Friedberg durch den „offenen Brief" beantwortet. Die ihm geneigte „Nat.-Ztg." selbst sagt von dem¬ selben: „Dieser Brief ist von exemplarisch gelehrter Grobheit." ') Jahrbuch von Dr. F. von Holtzeudors, 1872, S. 474. 13k I. Theil. 1. Hauptstuck. Erlebnisse uud Schicksale der kath. Kirche. Die Interpellation von Reich cnsperg er (Olpe) im Landtage (27. November 1872) bezüglich vr. Wollmann's beantwortete der Cultusminister Falk — dem Sinne nach dahin, daß W oll mann Staatsbeamter sei, und nur nach den S ta a ts g eschen ent¬ lassen werden könne. (!) Die Regierung „wolle und könne nicht entschei¬ den, was Dogma in der katholischen Kirche ist" — sie halte die beiden innerhalb der katholischen Kirche kämpfenden Parteien für Katholiken, und schütze deshalb W o ll m a n n in seiner Stellung. Sie aeceptire das Unfehlbarkeitsdogma nicht, und könne auch dessen Consegncnzen nicht anerkennen. — Reichensperger's Motion fiel mit 264 gegen 83 Stimmen. Bom 19. bis 22. September 1872 tagte in Köln der zweite General-Congreß der sogenannten Altkatholiken. Zum Präsidenten wurde Professor vr. I. N. von Schulte aus Prag gewühlt. Bom Auslande waren n. A. anwesend die anglieanischen Bischöfe von Lincoln, Mary¬ land und Ely; der jansenistische Bischof Heinrich Loos von Utrecht, der Rector der geistlichen Akademie von St. Petersburg, der anglica- nische Geistliche Langdon aus Florenz, der anglieanische Dechant von Westminster in London u. A. Eingeladcn war auch der grie- chisch-schismatische Erzbischof von Syra und Tunis, A lex a n d c r. Er entschuldigte sich mit feinen Geschäften in Cvnstantinopel, ckcko. I. (13.) September, unter Versicherung seiner Sympathie für die Be¬ strebungen des Congresses. Professor Or. H. R c n sch erläuterte einen von einer Commission ausgearbeiteten Antrag in 14 Paragraphen, darunter auch über die Wahl, Dotation, staatliche Stellung altkatholischer Bischöfe; Prüfung voll Mißbräuchen und Durchführung der entsprechenden Reform, welche „den verfassungsmäßigen Organen der Kirche Vorbehalten bleibt" und dergleichen. Aus dem Munde der Professoren 1)r. Schulte, Rein- keus u. A. fielen so harte Worte und Urtheile über Papst, Bischöfe, Mißbräuche iu der Kirche u. dergl., wie sie auch auf ciuem „Prote- stantentag" noch kaum schärfer gelautet haben. Bluutschli, der auch sprach, drückte sich gleichfalls derb ans. Es wurde auch die Bildung eines Ccntrnl-Comitö's beschlossen, und zwar in München für Süd¬ deutschland und in Köln für Norddcutschland. Die preußische Negierung ging auf dem Wege der Maßregelung katholischer Geistlichen und Lahmlegung der katholischen Kirchengewalt Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogenannten Culturkampfe. 135 mit eiserner Conseguenz vorwärts. Geistliche Schulinspeetoren wurden entsetzt — auf andere Priester das L u tz'sche Gesetz angewendet; klöster¬ liche Institute geschlossen, z. B. jenes der Lrwra aoonr-Damen zu Aachen; Missionspriester ansgewiesen u. s. w. Wir sind nun beim förmlichen sogenannten Culturkampfe an¬ gelangt. Wie er zn diesem Namen kam? Wohl vom Gegen theile dessen, was er zu sein vorgab. Die unparteiische Nachwelt wird ihn als das bezeichnen, was er in Wirklichkeit war — als den Kampf nicht nur gegen die katholische Kirche als solche, sondern gegen das christliche Gewissen überhaupt; — als den Kampf rücksichtsloser, auf ihre vermeintliche Allmacht pochender Staatsgewalt gegen freie christliche Ueberzeugung; — als den Kampf gegen Cultur, deren Trägerin auch in Preußen durch geraume Zeit die katholische Kirche fast allein gewesen ist, und für welche sie auch jetzt noch in ihren gut geleiteten Lehr- und Humanitätsanstalten als die eifrige uneigennützige Pflegerin sich bewährt hatte. Der Sturm — erregt von undankbarer Selbstüberschätzung und Unduldsamkeit — hat diese Anstalten hinweggefegt; dafür aber die Wege geebnet für Verwilderung, Glaubenslosigkeit und für alle Um- stnrzpläne des Soeialismus. Werin wir — ob auch mit Widerwillen — im folgenden Para- graphe Thatsachen und Scenen aus diesem Culturkampfe aufführen, so werden dieselben — cs sind nicht alle — leider hinreichen, obiges Urtheil zu rechtfertigen. tz 8. Fortsetzung. Ans dem sogenannten Lnltnrlrampfe. Gegen Ende 1872 wurde dein Landtage folgender Gesetzentwurf vorgelegt: Z 1. „Kein Religionsdiener ist befugt, Straf- und Zuchtmittel anzndrohen, zu verhängen und zu verkünden, welche weder dem rein religiösen Gebiete augehören, noch lediglich die Entziehung eines inner¬ halb der Kirche, der Religionsgesellschaft wirksamen Rechtes oder die Ausschließung aus den letzteren betreffen." 8 2. „Kein Neligionsdiener ist befugt, gesetzlich zulässige Straf¬ oder Zuchtmittel zu verhängen oder zu verkünden wegen Vornahme einer Handlung, zn welcher die Staatsgesetze oder die von der Obrig- l,36 l. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. keit innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Anordnungen verpflichten. Ebenso wenig ist er befugt, derartige Straf- oder Zuchtmittel anzu- drohen, zu verhängen oder zu verkünden, um dadurch zur Unterlassung einer der vorbezeichneten Handlungen zu bestimmen." H 3. „Kein Religionsdiener ist befugt, gesetzlich zulässige Straf¬ oder Zuchtmittel zu verhängen oder zu verkünden, weil öffentliche Wahl- vder Stimmrechte in einer bestimmten Art nusgeübt, oder weil sie nicht ausgeübt worden sind. Eben so wenig ist er befugt, derartige Straf¬ oder Zuchtmittel anzudrohen, zu verhängen oder zu verkünden, um da¬ durch eine bestimmte Art der Ausübung oder die Nichtausübuug öffent¬ licher Wahl- oder Stimmrechte herbeizuführen." Z 4. „Kein Religionsdiener ist befugt, gesetzlich zulässige Straf- und Zuchtmittel unter Bezeichnung der davon betroffenen Person öffent¬ lich bekannt zu machen." ß 5. „Wer den Vorschriften der Paragraphe I—4 zuwiderhan¬ delt, wird mit Geldstrafe bis zu lOOO Thalern, oder mit Gefängnis; bis zu zwei Jahren bestraft. Daneben kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aeinter, einschließlich der Kirchenämter, auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. Der Versuch ist strafbar." H 6. „Zu den Religionsdienern im Sinne dieses Gesetzes gehören alle Personen, welche in der evangelischen, der römisch-katholischen Kirche oder in einer anderen Religionsgesellschaft als deren Organe, als Geist¬ liche oder als Beamte thätig sind." Der Erzbischof von Posen und Gnesen, Graf Ledvchowski, erließ einen Hirtenbrief, worin er zu Gebeten für die bedrängte katho¬ lische Kirche aufforderte, und diese unter den Schutz des heiligsten „Her¬ zens Jesu" (8. December) stellte Um die Abhaltung der diesbezüglichen, in dem am 1. December überall verlesenen Hirtenschreibeu angeordneten Andacht zu verhindern, befahl die Regierung, die darin eine Demon¬ stration gegen sie erblickte, daß am 8. December sowohl in der Ghmnasial- kirche in Posen, als auch in allen der Regierung gehörigen (?) katho¬ lischen Gotteshäusern in der ganzen Erzdiöcese der Gottesdienst zn unterbleiben habe. (!) Die königliche Cabinetsordre vom 21. December 1872 enthob den Fürsten Bismarck auf sein Anlaugcn von dem Präsidium des Staats¬ ministeriums, welches künftig an den ältesten Staatsminister überzngchen Eurvpa. Z 8. Preußen. Aus dem sogenannten Culturkampfe. t37 habe. Jetzt wurde der Kriegsmiuister Graf Rovu Ministerpräsident. Da aber der Reichskanzler Bismarck fortan dennoch die leitende Seele des Ministeriums blieb, so änderte dies an der preußischen Po¬ litik gegenüber der katholischen Kirche nichts. Es wäre keine Wendung zum Besseren eingetreten, auch wenn nicht die päpstliche Allocution vom 23. Deeember dazwischen gekommen wäre. Diese lieferte nur den will¬ kommenen Vorwand zu noch rücksichtsloserem Vorgehen. Die officiellen Blätter fanden darin eine förmliche „Kriegserklä¬ rung" des Papstes an Deutschland und speeiell eine unerhörte persön¬ liche Beleidigung des Königs und Kaisers Wilhelm. Es wurden sogar Blätter blvs deswegen confiscirt, weil sic die Deutschland be¬ treffende Stelle der päpstlichen Allocution in deutscher Ueb er¬ setz ung (!) brachten. Ain 29. December schickte die eben in Bonn tagende Versamm¬ lung des Mainzer Katholikenvcrcines ein Telegramm an Cardinal An¬ tonelli ab, worin der Dank an den hl. Vater für die Allocution ausgedrückt war. Dagegen richteten am 5. Jänner l873 mehrere Ein¬ wohner Boun's eine Adresse an den Kaiser und König Wilhelm, worin sie ihrer Indignation über jenes Telegramm und ihrer Treue zu Diesem Ausdruck geben. Das große Wort führte hiebei Professor von Sy bet, Protestant. Gegen die zwei adeligen Unterzeichner des Telegramms wurde sogar die Anklage wegen „Majcstätsbeleidigung" erhoben, nämlich gegen den Grafen Ferd. von Hompesch-Boll- Heim und Freiherrn E. von Bö s e l a g er. Das Urtheil lautete aber auf Freisprechung in allen Punkten. Der Staatsanwalt hatte eine Ge- fängnißstrafe von drei Monaten beantragt. Selbst liberale, einigermaßen unabhängige Preßorgane fragten sich erstaunt, worin denn eigentlich die unerhörte Beleidigung des Königs und Kaisers in der Allocution liege? Auch wir fragen uns so, und geben den Text in wortgetreuer Uebersetzuug im Z l 6. Verschärfte Maßregeln gegen die katholische Kirche ließen nicht lauge auf sich warten. Zwar wurde das Project der obligatorischen Civilehe vorläufig wieder fallen gelassen; aber zumeist nur deshalb, weil man mit Grund besorgte, daß dieselbe mehr der evangelischen, als der katholischen Kirche zum Schaden gereichen werde. Gegen den Gesetzentwurf über die Errichtung von Kirchenvorstän¬ den und Gemeindevertretungen für die katholische Kirche in Preußen, 138 1. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. welchen das königliche Ministerinm einigen — nicht allen - - Bischöfen znr Begutachtung mittheilte und worüber es im Erlasse vom 30. Octvber 1872 gewisse Fragen an die katholischen Pfarrer stellen ließ, legte der Bischof von Paderborn, welcher keine amtliche Mittheilung erhielt, an den Kultusminister I)r. Falk unterm 17. December g. I. Verwah¬ rung ein. Das Gleiche that unterm 31. December g. I. der Bischof von Münster, welcher bemerkt, daß dem Gesetzentwürfe die irrige An¬ sicht zu Grunde liege, als sei die katholische Kirche in Preußen bis jetzt in korporativer Beziehung ohne rechtliche Existenz gewesen. Ain 9. Jänner 1873 brachte der Cultusminister vr. Falk im Abgeordnetenhause zum ersten Male einen Gesetzentwurf znr Sprache, betreffend den Austritt aus der Kirche, geltend von allen Religions- genossenschasten mit Corporativnsrechtcn. Zugleich brachte er aber auch zwei Gesetzentwürfe zur verfassungsmäßigen Behandlung, von denen einer die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, der andere die kirchliche Disciplinargewalt und die Errichtung des königlichen Gerichts¬ hofes für kirchliche Angelegenheiten betrifft. Dieselben heben geradezu den Artikel XV" der preußischen Verfassnngsnrkunde über die Selbstän¬ digkeit der Kirche auf ihrem eigenen Gebiete auf. Sie schreiben unter Anderem ein dreijähriges Universitätsstudium für Theologen und eine Staatsprüfung nach zurückgelegtem theologischem Studium als Bedin¬ gung der Anstellung von Geistlichen vor; ferner setzen sie die bestehen¬ den Knabenseminarien und Convicte auf den Anssterbe-Etat und unter¬ sagen die Gründung neuer solcher Anstalten, und gestatten und regeln den sogenannten recmrsas ub ulumn. Die Stimmung der Katholiken war schon düster genug. Der west- phälische Adel z. B. hatte den Beschluß gefaßt, allen Festlichkeiten für die laufende Wintersaisvn zn entsage». Derlei nene Maßregeln gegen die Kirche mußten die Gemüther noch mehr erregen. Der „Staats-Anzeiger" veröffentlichte diese drakonischen Gesetz¬ entwürfe. Am 16. Jänner begann im Abgevrdnetenhause die Berathung der¬ selben, und zwar zuerst über die Vorbildung und Anstellung der Geist¬ lichen. Als Erster bekämpfte Abgeordneter Reichensperger (Olpe) die Vorlage vom katholischen Standpunkte aus. Nach ihm that das Gleiche Abgeordneter Duncker, wenn auch aus anderen Motiven. Er wünscht Cavvnr's „freie Kirche im freien Staate" (?!) auch in Europa. Z 8. Preußen. Aus dein sogenannte» Kulturkämpfe. 1Z9 Deutschland verwirklicht. Das Gesetz scheint ihm nicht opportun zn sein. „Ich fürchte," schloß er, „daß das Gesetz seinen Zweck nicht er¬ reichen werde; es wird uns keine national gesinnte katholische Geist¬ lichkeit schaffen. Es wird im Gegentheile dazu beitragen, das Gefühl der Solidarität der katholischen Interessen der ocwlamn ojiprcwsa in allen katholischen Kreisen zn starken." Außer diesen soeben genannten zwei Rednern sprach am obigen Tage nur noch Einer (Graf von Lim- burg-Stirum) und zwar für die Vorlage. Am 17. Jänner sprachen Graf Bethnsy-Hnc und Cultnsminister l)r. Falk für; Strvsser (von der alt-evnservativen Partei) und Windthorst (Abgeordneter für Meppen) als überzeugungstrener Katholik gegen den Entwurf. Hierauf nahm der Ministerpräsident, Graf Roon, das Wort. Er betonte sein Einverständniß mit den übrigen Ministern in den zn be¬ handelnden kirchlich politischen Fragen, und wovon hätte er als Kricgs- minister füglicher reden können, als eben vom Krieg? „Ich war," sagte er, „mit dem Gesamintininisterinm lange überzeugt, nicht daß wir Rom mit Krieg zn überziehen Hütten, wohl aber, daß wir uns gegen Rom zn wehren haben." Armes Preußen das aus deni Stande der Nothwehr gar nicht herausznlvmmen scheint. Wer sollte dies besser wissen, als eben der Kriegsminister? Kaum hatte es sich Fraukreich's erwehrt, muß es sich schon wieder gegen Rom wehren! Am 20. Jänner trat das Abgeordnetenhaus in die erste Bera- thnng des Gesetzentwurfes über die kirchliche Diseiplinargewalt und die Errichtung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten ein. Zum Wort meldeten sich eilf Redner für, acht gegen die Vor¬ lage. Unter diesen Letzteren sprach auch der Protestant von G c rla ch, Senior des Hauses; wieder Reichensperger (Olpe); — bei der Fortsetzung der Debatte am 21. Abgeordneter Strosser, der da betonte, die Kirchenzucht, in welche der Staat eingreifen wolle, sei nicht Menschenwerk, sondern von Christus selbst eingesetzt; von Mal¬ linckrodt, R e ich e n s p e r g er (Coblenz). Noch während der Verhandlung legte der Bischof von Paderborn — unterm 17. Jänner — gegen die bemeldeten Gesetzentwürfe Ver¬ wahrung an das Staatsministerium ein. „Ich würde," sagt er darin, „wenn diese Gesetzentwürfe wirklich zu Gesetzen erhoben würden, unter keinen Umständen, und nicht zur Vermeidung der größten zeitlichen Nach¬ theile, zur Ausführung solcher Gesetze jemals meine Hand bieten können." 1-10 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Dies benützte wieder der Cultnsminister I)r. Falk, um durch die Hindeutung, wie „auf die Unbotmäßigkeit des Bischofs lwu Erme- laud, so auf die Gehorsamsauskündigung des Bischofs vvu Paderborn" die Nothivendigkeit der Feststellung der Rechte des Staates nachzu- weisen, und das Abgeordnetenhaus zur Annahme der Abänderung der Artikel XV und XVIII der Verfassung zu stimmen (ZI. Jänner 1878). Die Debatten darüber begannen am 30. Jänner. Zum Verständnisse des Nachfolgenden bringen wir hier zuerst den Wortlaut der beiden Artikel der Verfassungsurkunde vom 31. Jänner 1850. Artikel XV lautet: „Die evangelische und die römisch-katholische Kirche, so wie jede andere Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, und bleibt im Besitz und Genuß der für ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten An¬ stalten, Stiftungen und Fonds." Artikel XVIII: „Das Ernennungs-, Vorschlags-, Wahl- und Bestäti¬ gungsrecht bei Besetzung kirchlicher Stellen ist, soweit es dem Staate zusteht, und nicht auf dem Patronat oder besonderen Rechtstiteln be¬ ruht, aufgehoben. Auf die Anstellung von Geistlichen beim Militär und an öffentlichen Anstalten findet diese Bestimmung keine Anwendung." Weil sich nnn in den Rahmen dieser Fassung der Artikel die vorhabenden Maßregelungen der katholischen Kirche — denn daß es, wie schon betont, zumeist nur auf diese abgesehen war, mußte dem blö¬ desten Auge klar sein nicht einstigen ließen, so beantragte die dazu eingesetzte Commission mit 14 gegen 6 Stimmen folgenden Abänderungs- Entwurf, welcher eben den Gegenstand der Verhandlungen bildete: Artikel XV hat zu lauten: „Die evangelische und die römisch- katholische Kirche, so wie jede andere Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig; bleibt aber den Staats- gesetzeu und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates unterworfen. Mit der gleichen Maßgabe bleibt jede Religiousgesellschaft im Besitz und Genuß der für ihre Cultus- Unterrichts- und Wohlthätigkeits¬ zwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds." Artikel XVIII: „Das Ernennnngs-, Vorschlags-, Wahl- und Be¬ stätigungsrecht bei Besetzung kirchlicher Stellen ist, soweit es dem Staate zusteht, und nicht auf dem Patronat oder besonderen Rechtstiteln be¬ ruht, aufgehoben. Europa. Z 8. Preusten. Aus dcm sogenannten Culturkauipfe. 141 Auf Anstellung vvn Geistlichen beim Militär und öffentlichen An¬ stalten findet diese Bestimmung keine Anwendung. Im Uebrigen regelt das Gesetz die Befugnisse des Staates hinsichtlich der Borbildung, Anstellung und Entlassung der Geistlichen und Religi uns diener, und stellt die Grenzen der kirchlichen Disciplin argem alt f e st." Znm Wvrt hatten sich 12 Redner gegen, 9 Redner für die Vorlage gemeldet. Am 30. Jänner sprachen dagegen insbesondere Glaser (Prote¬ stant), Reichensperger') (Abgeordneter für Olpe), vvn Mal- — am 31. I)r. Ludwig Wi n d t h vr st (Abgeordneter für Meppen, geb. 17. Jänner 1812 zu Toldcndorf, im Fürstenthum Osna¬ brück, früher kvuigl. hannoverischer Minister). Ain nämlichen Tage nvch wurden sümmtliche Amendements des Artikels XV abgelehnt, und der Vorschlag der Commission in zweiter Lesung bei namentlicher Abstim¬ mung mit 262 gegen 117 Stimmen angenommen; zugleich aber auch schon in die Discussivn des Artikels XVIII eingetreten. Wieder ergriff Abgeordneter Reichensperger (Cvblenz) für die Kirche das Wort. Auch dieser XVIII. Artikel wurde unverändert in der Fassung der Commission angenommen in namentlicher Abstimmung mit 255 gegen 114 Stimmen. Bei der dritten Lesung am 4. Februar, wv Abgeordneter vvn Gerlach (Protestant), von Mitschke-Cvllande, vvn Sch vr¬ lem er-Al st ausgezeichnet dagegen sprachen, wurde die Gesetzes- Vorlage, betreffend die Aenderung der Artikel XV und XVIII der Ver¬ fassung gleichfalls angenommen, und das ganze Gesetz in namentlicher Schlußabstimmnng mit 245 gegen 110 Stimmen vom Abgeordneten¬ haus!: genehmiget. Am 28. Februar und I. März nahm das Abgeordnetenhaus die verfassuugsmüßig nvthwcudige nochmalige Berathuug der Aendcruugeu der Artikel XV und XVIII der Verfassnugsurkunde vor, und geneh¬ migte dieselben wie vvrauszusehen — nach erneuerter dreimaliger Lesung bei namentlicher Abstimmung mit 228 gegen 108 Stimmen. >) August, geb. 1808 zu Cvblenz, und Peter Rcichensperger 28. Mai 1810 ebendaselbst — Beide ausgezeichnete Verfechter der katholischen Sache sind Brüder. 142 I Theil. I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath Kirche. Dagegen hatten gesprochen Graf Praschina, von Schorle¬ in e r - A lst, R e ich e n s P e r g er (Coblenz). Schon am 30. Jänner 1873 legte der Gesa m m t-Ep i sk o P a t Preußens dnrch die Erzbischöfe (von Köln nnd Posen) „zugleich im Namen und Auftrage aller übrigen Bischöfe des Landes" einen eben so rnhig und maßvoll gehaltenen, als entschiedenen Protest gegen die erwähnten Gesetzentwürfe dem Staatsininisterinm vor. Derselbe be¬ leuchtet die Härte, Rücksichtslosigkeit und Unvereinbarlichkeit der Gesetz¬ entwürfe mit dem Wesen der katholischen Kirche und mit den auf gvtt licher Anordnung beruhenden Rechten nnd Pflichten der Bischöfe. Die Denkschrift schließt: Wir bitten und beschwören: „uns nicht zwangs¬ weise Gesetze aufzulegen, deren Beobachtung für jeden Bischof unvereiu bar mit den von ihm beschworenen Amtspflichten, und für ihn sowohl als für jeden Priester nnd jeden Katholiken mit dem Gewissen in Widerspruch, moralisch unmöglich ist, deren gewaltsame Durchführung aber namenloses Unglück über unser treues katholisches Bolk nnd unser geliebtes Vaterland bringen würde." Der Episkopat vieler Länder erließ Zustimmnngsadresseu an die preußischen Bischöfe; sogar der Erzbischof von St. Francisco in An stralien, nicht minder die Bischöfe Nordamerikas. Aehnlichc Vorstellungen richtete der Preußische Episkopat an den Kaiser selbst >) nnd an die beiden Häuser des Landtages (5. Februar). Inzwischen hatte die Regierung dem suspendirten Professor Nlieol. Ur. Reinkens zu Breslau iu Anerkennung seiner außerordentlichen Verdienste (nm den Altkatholicismus?) eine Gehaltserhöhung von 200 Thalern bewilliget. In der Provinz Posen snchte sie das polnische — katholische - Element wo möglich zu verdrängen nnd zu beeinträch¬ tigen. In den Gymnasien und höheren Lehranstalten (ausgenommen in den Städten Posen und Ostrvwv) ordnete sie die deutsche, den meisten Schülern minder oder gar nicht verständliche Sprache, als Unterrichts¬ sprache für die katholische Religivnslehre an. (Ministerin! - Verfügung vom 16. November 1872.) Dawider erklärte sich offen der Erzbischof von Posen, Graf Ledochowski, in einem Rundschreiben vom 23. Fe¬ tz Das Gleiche that die katholische Geistlichkeit von Elsaß. Trefflich beleuchtete der Bischof von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Kettel er, die Gesetz¬ entwürfe in seiner Broschüre „Die preußischen Gesetzentwürfe über die Stellung der Kirche zum Staat". Europa. Z 8. Preußen. Aus dein sogenannten Cultnrkampfe. 143 bruar 1873 an die katholischen Religionslehrer. Dies wurde freilich wieder als Auflehnung gegen die Staatsgesetze gedeutet und klug z. B. tunu Ministerpräsidenten Grafen Roon und Cultusminister vr. Falk ausgebeutet, um insbesondere das Herrenhaus zur Annahme der kirch¬ lich, politischen Gesetzesvorlagen zu stimmen. Die katholischen Religivnslehrer an den höheren Lehranstalten in Posen wurden von der Regierungsbehörde (Erlaß vom 18. März) anf- gefvrdert, sich zu erklären, ob sie betreffs der Unterrichtssprache ihre (der Regierung) oder die Anordnungen des Erzbischofs befolgen werden. Im zweiten Falle soll das Provineial - Schnleolleginm mit Amtsent¬ hebung und Einleitung des Diseiplinarverfahrens auf Dienstentlassung gegen sie vorgehen. Da sie sich für den Gehorsam gegen ihren Oberhirten entschieden, so wurden sie von Regierungswegen suspendirt, und sollten nun welt¬ liche Lehrer den Religionsunterricht crtheilen. Der Erzbischof hingegen, wider den nicht eiugeschritten wurde, drohte diesen nut der Excvmmn- nieation, wenn sie es thäten, da er ihnen hiezu keine missio ennonien ertheilt habe. Die königliche Negierung in Posen hingegen erließ unterm 18. April ein Cireulare an die Landräthe der Provinz, worin sie beauftragt wer¬ den, die vom Erzbischöfe getroffene Sorgfalt für Privat-Religivuslehre in den Orten, in denen die Schulaufsicht den betreffenden Geistlichen entzogen wurde, „durch amtliches Einschreiten zn verhindern." (!) Ein Erlaß des Provineial-Schnlcvllegiums an die Direetoren der höheren Lehranstalten verbot den Schülern bei Strafe der Entlassung den Besuch des Privat-Neligionsuntcrrichtes, wie ihn der Erzbischof anordnete. In der Antwort, 8io volo, mo guboo, 8tut pro rutiona vo- Innta.8.) — 8 18, welchen wieder von Mallinckrodt bekämpfte; tztz 19, 20, 21; 8 22, wogegen Abgeordneter Reichensperger ') Doch dieser „Geist Melanchthoii's genügt Bielen bei weitem nicht mehr. Man lese z. B. die beiden pseudonymen Schriftchcn „Die Znkunft der theologischen Facultäten" von Pacific ns Sincerns und „Die Vorbildung der Theologen" von Janus. Die Ansichten ihrer Verfasser gipfeln in dem Satze: Die Theologie hört in demselben Maße aus Wissenschaft zu sein, in welchem sie positiv kirch¬ lich wird, Europa. 8 8. Preußen. Aus dem sogenannten Cnltnrkampse. 145 (Coblenz) bemerkte: „daß mail so die Bischöfe durch Zwangsmaßregeln nöthigen wolle, ihren bischöflichen Eid zu brechen; und 8 23, den von Mallinckrodt dahin charakterisirte: daß man die Kirche revolutionire, den Untergebenen gegen den Oberen aufhetze und dadurch zugleich die ganze Staatsordnung unterminire. Ebenso genehmigte es bei der fortgesetzten zweiten Berathnng des vberwähnten Gesetz-Entwurfes am 14. März die 88 24 bis inclusive 30 und 8 3, über welchen die Beschlußfassung bis nach Annahme des 8 26 ausgesetzt worden war. Darauf schritt das Haus noch am selben Tage zur zweiten Berathnng des Gesetz-Entwurfes „über die kirchliche Dis- eiplinargewalt und die Errichtung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten", und nahm die ersten eilf Paragraphe an. Gegen 8 i „Die kirchliche Diseiplinargewalt über Kirchendiener darf nur von deutschen kirchlichen Behörden ausgeübt werdeu", sprach ins¬ besondere Abgeordneter R e ich e n s P e r g e r (Olpe), indem er als nvth- wendige Cvnsegnenz desselben ansführte, daß hiedurch die Diseiplinar¬ gewalt ans der Hand der kirchlichen Oberen genommen und in die Hände des Staates gelegt werde. Das Recht, welches der Staat hier für sich in Anspruch nehme, verstoße gegen alle und jede Grundrechte der Soeietätsverhältnisse. Und in der That, wer sieht es nicht ein, daß die Spitze dieses Paragraphes zunächst gegen Rom, gegen die Jnrisdietivn des Papstes, gekehrt sei, und daß damit geraden Weges ans die Etablirnng einer deutschen N a ti v n a l kirch e losgestcnert werde. Sogar 8 3 „Die körperliche Züchtigung ist als kirchliche Dis- ciptinarstrafe oder Zuchtmittel unzulässig" wurde nicht fallen gelassen, obwohl Abgeordneter von Mallinckrodt bemerkte, daß er ja g e g e n- standslvs sei. — Will man etwa glauben machen, daß die katho¬ lischen Priester und Laien von ihren..kirchlichen Oberen mit Stockftreichen, mit Hand- und Fnßschellen oder auf der Folterbank bisher gemartert wurden? Fortsetzung der zweiten Berathnng des obigen Gesetz-Entwurfes im Abgeordnetenhanse am 15. März mit der endlichen Annahme der 88 12 bis exclusive 32, desgleichen von 8 32 bis 37, welche von der Einsetzung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten handeln. Am 18. März beschäftigte sich das Abgeordnetenhaus in zweiter S t e p i s ch n c g g, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 1g 146 1- Theil. I. Hauptstück Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Berathung mit denn Gesetz-Entwurf über die Grenzen des Rechtes zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel. Angenommen wurden — wie vorausznsehcu war — die 88 i (dagegen sprachen unter Anderen Abgeordneter von S ch o rl c m er - Alst, Windthorst (Meppen), 2 und 3 (dagegen Reichensperger fCoblenzf), 4, 5 und 6. Am 19. März zweite Berathung des Gesetz-Entwurfes betreffend den Austritt aus der Kirche, und Annahme desselben in eilf Paragraphen. In der dritten Lesung — am 20. März — nahm das Haus den Gesetz-Entwurf über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen bei namentlicher Abstimmung mit 222 gegen lOO (dagegen sprachen wieder R e ich e n s P e r g er fOlpej und von Gerl a ch) und jenen über die kirchliche Discipliuargewalt und den Kirchengerichtshof mit 215 gegen l>9 Stimmen (dagegen redete Reichensperger fCoblenzf), ferner auch noch den Gesetz-Eiltwurf über die kirchlichen Straf- und Zucht¬ mittel an. Tags darauf geschah dies in der dritten Lesung mit dem Gesetz Entwürfe betreffend „den Austritt aus der Kirche". Diese Gesetzesvorlagen hinderten den Bischof von Ernieland nicht, den Pfarrer Grunert, welcher in Frauenburg selbst „altkathvlischen Gottesdienst" hielt, im Schreiben an den Diöeesanelerns für der vom vaticanischen Concil ausgesprochenen Ereommnnieativn verfallen zu er klären (April 1873). In der Sitzung vom 24. April hielt das Herrenhaus die Vor- berathung des Gesetzes über die Vorbildung und Anstellung der Geist liehen. Fürst Bismarck erklärte dabei unter Anderem, man müsse sich durch die Annahme der kirchenpolitischen Gesetze — vvrsehen, „daß der König Herr im Staate bleibe und nicht die Ccntrums- fractivn". (!) Gegen die Gesetzesvorlage sprachen unter Anderen der ehemalige Minister von Manteuffel-Crossen, von Gruner, Graf Kras svw, von Kleist-Retzow, Graf Brühl. Am 25. begann die Specialdisenssivn, und wurde am 26. und 28. fortgesetzt. Ungeachtet der Gegenreden wurden, mit Ausnahme des gestrichenen 8 20, alle Paragraphe mit wenigen unwesentlichen Aenderungen an genommen. Europa. Z 8. Preußm. Aus dem sogeuauuteu Culturkampfc. 147 Am 29. fing das Herrenhaus die Vorberathung der Gesetzvorlage über die kirchliche Diseiplinargewnlt und den Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten an. Der Cnltnsminister vr. Falk wiederholte während dieser Debatten den Bekämpfen: der Gesetzvorlagen gegenüber — und der Ministerpräsident Graf Roon (gestorben 23. Febrnar 1879) seenn- dirtc ihm daß ein bloßer Nothwchraet des Staates (wieder Noth- wehr!) gegen die Uebergriffe (?) der römischen Kirche kein Eingriff in die Rechte der katholischen Kirche sei. (?) Am 30. April beschäftigte sich das Herrenhaus wieder mit dem Gesetze über deu Gebrauch der kirchlichen Straf- nnd Zuchtmittel und über den Anstritt ans der Kirche, und genehmigte in der Schluß- berathung am 1. Mai die vier Kirchengesetze mit nicht unerheblicher Mehrheit. Die geplanten sogenannten kircheupolitischen reeta kirchenfeindlichen Gesetze waren wohl Veranlassung genug, daß die preußischen Bischöfe abermals zur gemeinsamen Berathung sich versammelten. Am 29. April wnrde ihre Cvnferenz unter dem Vorsitze des Erz¬ bischofs von Köln wieder zn Fulda eröffnet nnd dauerte bis inclusive 2. Mai. Von den anßerprenßischen Oberhirten fanden sich IB-. Lothar Kübel, Bisthnmsverweser von Freiburg, nnd der Bischof von Mainz ein. — Jener für Hohenzollern, dieser für den preußischen Antheil seiner Diöcese. Im Rundschreiben <1. 5). Sogleich nach der Bischvfswahl wurde in der Synodal-Repräsentanz im Vereine mit dem Bischof der Entwurf einer „Synodal- und Gemeindeordnung für die Altkathvliken des deut sehen Reiches" ausgearbeitet. Die Bischofswahl selbst fiel auf den schon erwähnten I)r. Josef Hubert R e i n k e n s (geb. zu Burtscheid bei Aachen, 1848 zu Köln zum Priester geweiht, zuletzt Professor der Theologie zu Breslau). Seine Consecration hätte der jansenistische Erzbischof von Utrecht, Heinrich Loos vornehmen sollen; aber sonderbar! er starb am nämlichen 4. Juli Nachmittags 4 Uhr an einer acuten Lungenentzündung. Da hiemit der sogenannte Altkatholieismus in ein neues Stadium trat, so eröffnen wir für ihn eine eigene Rubrik, nnd zwar im An¬ hänge an Deutschland, da ja dieses seine Geburtsstütte ist. Die Ausführung der sogeuanuteu Kirchengesetze Seitens der Re¬ gierung ließ nicht lange auf sich warten, worin sie zweifelsohne auch durch eine Zustimmuugsadresse, ücko. 14. Juni, einiger „schlesischen Katholiken" an den König unter der Führerschaft des Herzogs von Ratibor (Bruders des Cardinals Fürsten Hohenlohe) bestärkt wurde. Man nannte sie die „Staats-Katholiken." Ein paar Geistliche hatten obige Adresse auch unterschriebe», aber dauu ihre Fertigung wieder zurückgezogen. O. Schrotter, Religions- lehrer am Posener Schullehrer-Seminar, verweigerte ungeachtet der kategorischen Aufsorderungen seines Erzbischofs, ckcka. 9. Angnst nnd 26. September, den Widerruf. Wegen der dem genannten Geistlichen an gedrohten Exeommunication wurde der Erzbischof auf den 21. Oe- tober vor das Criminalgericht zur Vernehmung vorgeladen. Es ver- urtheilte ihn zu 800 Thalern Geldbuße, eventuell zweimonatlichem Ge- fängniß. (!) Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogcuaimteu Culturkampfe. Die Bischöfe hingegen hielten fest und trcn an ihrer Fuldaer Erklärung, was ihnen van den Regierungsblättern freilich als Wider¬ setzlichkeit ansgelegt wurde. So der Erste der Bischof von Paderborn, als er auf die Einladung des Oberpräsidenten von Westphalen, Rio. 24. Mai, die Statuten, den Leetivnsplan re. der dortigen philosophisch- theologischen Lehranstalt einzureichen, unterni 5. Juni höflich aber ent¬ schieden ablehnend antwortete. Aehulich der Erzbischof von Posen am lO. Juni. Unterni 18. Juni erklärte nun der Präsident von Westphalen das bischöfliche Heminnrinm RIwodorinnnni zu Paderborn für verlustig der staatlichen Anerkennung; in Posen aber nahmen die Eivilbehörden selbst die Revision des geist¬ lichen Seminars vor. Obwohl die Suspension nnd Entsetzung des Breslauer Domherrn Freiherrn von Richthofen Seitens seines Fürstbischofs noch vor¬ dem Erlasse der sogenannten Kirchengesetze erfolgt war, so schützte ihn doch die Regierung in seiner Stellung nnd im Fortbezuge des Ge¬ haltes. ') In einem speeiellen Falle entschied schon damals das Obertribnnal, der höchste Landesgerichtshvf, daß die „Alt"kathvliken zu den vom Staate anerkannten christlichen Kirchen gehören. Wir verzeichnen nvch folgende drakonischen Verfügungen der könig¬ lichen Regierung: Bei Strafe von 50 Thalern für den betreffenden Geistlichen verbot sie zu Ostrvwv den vom Erzbischof von Posen an- gevrdnetcn Religionsunterricht sogar in der Kirche in der polnischen Sprache für nur derselben kundige Studirende. Gegen den Erzbischof von Köln und feinen Weihbischof !)r. Baudri wurde die Criminal - Untersuchung eingeleitet auf Grund des in dem „Kirchlichen Anzeiger" für die Erzdiöcese Köln in lateinischer Sprache veröffentlichten Erlasses, durch welchen über die Vicare R a bb e rts in Gürzenich nnd Paffrath in Burscheid wegen ihres Abfalles zum sogenannten Altkathvlieismns die Amts-Suspension und größere Exeom- munieation ausgesprochen wurde. Die Rathskammer des Landesgerichtes in Köln wies die Klage zurück als unbegründet; wogegen die Staatsanwaltschaft Berufung ein- >) Freiherr von Richt Hofen wurde dann Altlnt heran er, als welcher er am 7. März 1876 in Folge erlittener Petroleums-Brandwunden starb. l52 4. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der knth. Kirche. legte. Die Sache kam mm vor das Zuchtpvlizeigcricht. Davan später wieder. In einer Entscheidung, 6. August dem Kreisgerichte vorher anzeigte, denn, sagt er darin, „die kanonische Institution eines Geistlichen zu einer Propstei ist ausschließ lieh eiu kirchlicher Art, zu dessen Vollziehung jeder Diöcesanbischof nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist." Uebrigens bezieht er sich auf den Cvlleetiv Protest des preußischen Episkopates gegen die söge nannten Kirchengesetze. Die Criminal Deputation des Kreisgerichtes beschloß, auf die persönliche Vernehmung des Erzbischofs zu verzichten und in aonlnnlnvinni zu verhandeln, wenn der Erzbischof der neuer¬ lichen Vorladung auf den 28. August auch nicht Folge leisten sollte. Dies that er selbstverständlich nicht, und wurde in aantumnoinm zu 200 Thalern Geldstrafe verurtheilt. Auch das Schreiben des Ober- Prüsideuteu, dcln. 24. Juli, worin ihm zugemnthet wurde, das geist liehe Seminar im Einvernehmen nut einem Regierungs-Commissär nm Mindern, beantwortete er am 8. August dahin ablehnend, unter Be¬ ziehung auf eine frühere Erklärung vom 10. Juni, daß „sich keine weltliche Regierung das Recht aneignen könne, zu bestimmen, wie und in welcher Weise ein katholischer Geistlicher ausgebildet werden soll, nm später in Gottes und der Kirche Geiste zu arbeiten." Das Seminar wurde nun mit Regierungs-Erlaß, (läo. 21. August, vom 23. an geschlossen, bis der Erzbischof und der Seminar-Regens „sich bedin¬ gungslos den Bestimmungen des Gesetzes vom l I. Mai d. I. und den auf Grund dieses Gesetzes von den Staatsbehörden erlassenen Ver¬ fügungen unterwerfen werden." Treffend hatte der Erzbischof dem Oberpräsidenten in einem Briefe vom 28. August unter Anderem geschrieben: „Ich muß darauf Hin¬ weise», daß die Kirche, welche von unserem Herrn Ies n s C h ri st us gegründet ist, von Anbeginn, so oft die weltliche Macht im Wider¬ spruche mit den Grundsätzen des Glaubens und der den Gläubigen durch den Erlöser anferlegteu Vorschriften Verordnungen erließ, diese Verordnungen stets nnberücksichtiget ließ. So wurden in den ersten Jahrhunderten des Christenthnms durch Staatsgesetzc Opfer für die 154 I. Theil. l. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. heidnischen Götter vorgeschrieben, aber die Christen ließen sich trotz der Vorstellungen und Strafen nicht zur Ausübung dieser gesetzlichen Vor¬ schriften zwingen" u. s. w. Gegen die vberwähnte Schließung des Seminars reichte der Erz¬ bischof einen Protest ein unterm 17. September, worin es heißt: „Ich behalte mir und meinen Erzdiöeesen das Recht vor, für das von uns erlittene Unrecht Schadenersatz zu fordern. Da es aber dein Christen nicht geziemt, Gewalt gegen Anordnungen der Regierung anzuwenden, selbst wenn er sich in seinen heiligsten Rechten schwer verletzt fühlt, so erkläre ich, daß ich nach Ablauf der Ferien das Clerikal Seminar in Posen nicht wieder eröffnen werde" n. s. w. Wir können nicht alle einzelnen Pfarrbesetznngen ohne frühere Anzeige an die weltlichen Behörden anführen. Die darauf gefolgten Er klärungen der Regierung lauteten immer dahin, daß die von solchen nicht staatlich antorisirten Geistlichen vorgeuommenen kirchlichen Amts¬ handlungen ungiltigs!) seien. «Siehe darüber unter Anderem „Archiv für katholisches Kirchenrecht" 1873, I. Heft 4.) Der Bischof von Fulda hatte den Alumnatspriester Weber zum Caplan an der Dvmpfarrei, und den seitherigen Domeaplau Helfe- r i ch zum Pfarrer von Dipperz ernannt, ohne sich an das Stantsgesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen zu kehren. Tas Kreisgericht verurtheilte ihn zu äOO Thalern Geldbuße, subsidiär zu drei Monaten Gefängnis;, und in die Kosten. Der Gesammtelerns von Fulda richtete an seinen gemaßregelten Oberhirten unterm 29. August eine schöne Ergebenheitsadresse. Am 4. September traf den 72jährigen Bischof ein Schlaganfall. Der Tod entrückte ihn am 14. Oetvber wei teren Quälereien. Die Geldstrafe wurde durch Pfändung ans seinem Nachlasse her- eiugebracht. Bischof Christoph Florentius Kött war geboren zu St. Martin in der Diöeese Straßburg am 7. November 1801; die Priesterweihe erhielt er zu Würzburg am 18. Deeember 1824; zum Bischvf wurde er gewühlt am 29. Mürz 1848, und zwar nach dem Tode des Bischofs Johann Leonhard Pfaff. Damals war er Stadtpfnrrer zu Cassel. Pius IX prüeonisirte ihn am II. Deeember 1848 im Consistorinm zu Gaöta. Ain I. Mai 1849 wurde er vom Freiburger Erzbischof Hermann von Vicari eonsecrirt. Europa. H 8. Preußen. Aus dem sogenmmten Cutturkampfe. 155 Für die durch das Gesetz vom I I. Mai angeordnete wissenschaft¬ liche Staatsprüfung der Cnndidaten des geistlichen Amtes (IM. nur für diese; nicht auch für die Juristen und Medieiner) hatte der Cnltns- uiinister I)r. Falk schon am 26. Juli eine Instruction erlassen. Der 8 I lautet: „Der Zweck der Prüfung ist, zn erforschen, ob der Can- didat sich die für das geistliche Amt erforderliche allgemeine wissen¬ schaftliche Bildung erworben hat." 8 2 aber: „Die Gegenstände der Prüfung sind: Philosophie, Geschichte und deutsche Literatur. Diese Staatsprüfung ist abznlegen nach znrückgelegten dreijährigen theolo¬ gischen Studien auf einer deutschen Staatsnniversität, oder auf einem kirchlichen Seminar, in Betreff dessen der Minister der geistlichen An¬ gelegenheiten nach 8 des Gesetzes vom I I. Mai d. I. anerkannt hat, daß das Studium auf demselben das Universitätsstudinm zu er¬ setzen geeignet sei, sofern der Kandidat dem Sprengel angehört, für den das Seminar errichtet ist" n. s. w. Der sogenannte königliche Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten wurde am 4. September inangurirt. Schon in der damaligen ersten Sitzung kam die Beschwerde des — und zwar noch v o r den sogenannten Maigesetzen — suspendirteu Caplaneiverwesers Monn icke zu Lipp- springe gegen seinen Bischof von Paderborn zur Sprache. Unterm 7. Jänner 1874 entschied der sogenannte Kirchcngerichtshof, daß die den Klager (Mönnicke) des Amtes entsetzenden Verfügungen des Bischofs vom 13. October 1870, und des Generalvicariats vom 29. November 1870 null und nichtig seien. (!) Dein Bischöfe ging ("9. März) der Auftrag zu, bei Strafe von 500 Thalern die vernichteten Ver¬ fügungen wider Mönnicke binnen vier Wvchen nach Erhalt vollends anszuheben. Der Bischof erwiderte dem Oberpräsidentcn (I. April), daß er die Cvmpetenz des königlichen Gerichtshofes hierin nicht anerkenne. Die wiederholte gleiche, mit der. Androhung von neuen 800 Tha¬ lern verschärfte Geldbuße — nachdem die 500 Thaler nunmehr als ver¬ fallen erklärt worden - - verbundene Aufforderung des Oberpräsideuten, ckcko. I I. Mai, wieder mit vier Wvchen Termin, Ivies der Bischof unterm 16. Mai 1874 entschieden zurück. Am Schlüsse seines Schrei¬ bens sagt er: „Bitte sich überzeugt halten zu wollen, daß ich meinen heiligen bischöflichen Eid nie und nimmer brechen werde." Der Ober- Präsident schrieb dem Bischof unterm 26. Juni, daß auch die 800 Thaler verfallen seien, und bestimmte ihm eine dritte Frist von vier Wochen 156 l. Theil. 1. Hauptstück Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. mit Androhung von 1000 Thalern. Der Bischof antwortete, ckcko. 10. Juli: „Ich kann, ohne die Ew. Execllenz schnldigcn Rücksichten hintanznsetzm, mich nicht tveiter äußern, und ich sehe mich daher zu meinem Bedauern genöthiget, jegliche Korrespondenz über diese Ange legcnheit mit Hochdenselbeu hiermit abznbrecheu." si Die Nichtigkeits-Erklärungen Seitens der königlichen Regierung von pfarrlichen Anstellungen durch die Bischöfe ohne staatliche Keneh inignug mehrten sich und damit die Verwirrung. Sogar eine solche Anstellung vor der Pnblieativn der sogenannten Maigesetze traf das staatliche Jnterdiet. Die Polizeibehörden der Provinz Posen wurden von der Regierung angewiesen, überall, wo Geistliche gegen die soge¬ nannten Kircheugesetze eingesetzt sind, auf die Kirchen- lMatrikel-)bücher und Kirchensiegel Beschlag zu legen und sie einzuliefern. Die Regiernngs- vrgaue werden selbst auf Antrag der Interessenten Zeugnisse ans dem Kirchenbnche ertheilen. Dies geschah wirklich zu Anelam, dein Propste A r n dt zu Filehnc n. a. O. Diese Verfügung wurde mit Verordnung vom 1Z. Oetober allgemein getroffen. Die traurigen preußisch-kirchlichen Zustände führten auch eine Spat tuug unter den schlesischen Malthesern herbei. Einige traten ans dem bisherigen Verbände und bildeten eine eigene Fraction unter der Führer¬ schaft des an der Spitze der sogenannten Staatskatholiken stehenden Herzogs von Natibor (Fürst Hohenlohe).-) Mit 1. Oetober wurde nun auch über den Erzbischof von Posen Gnesen die Tempvraliensperre verhängt und ihm die am obigen Tage fällige Staatsrente — jährlicher 12.000 Thaler — nicht mehr ans- bczahlt, und zwar so lange nicht, bis sich der Erzbischof bereit erkläre, die Stelle des Propstes definitiv Z zu besetzen. Selbst liberalerseits fand man es auffallend, daß die in dein Filchncr Propstei-Prveesse verhängte Geldstrafe Pr. 200 Thaler nicht >) Der erwähnte suspendirtc Caplan Anton Mönnicke starb unversöhnt mit der Kirche am 5. Juli 1877. si Als Kaiser Wilhelm im September 1875 in Vrcslan war, sprach er zu diesen Malthesern: „Ich freue mich Sic zu sehen, Sic sind treu geblieben, und ich habe das nicht vergessen". Als ob die ihrer Kirche treu Gebliebenen dadurch Ihre Treue zum Monarchen gebrochen hätten! Kein leichter Vorwurf ans des Monarchen Munde! 0 D. i. im Sinne der Maigesetze, also durch Jemand Anderen als durch A r n d t. Europa. Z 8. Prenßen. Aus dem sogenannten Cultnrkampfe. 157 aus der gesperrte» Rente bezahlt werden durfte, alsv exeeutiv bei¬ getrieben werden müsse. Wirklich wurden die Pferde nnd die Equipage des Erzbischofs exeeutiv abgepfündet — spater auch eine zweite Equipage und Meublement. Gegen die Gehaltssperre legte der Erzbischof Protest ein, ckäo. 4. November. Wegen ungesetzlicher (?) Anstellung der Vieare B a r a n i e s ki und Wend land wurde Erzbischof Graf Ledochvwski abermals zur Geldbuße von 600 Thalern, eventuell zu viermonatlichem Gefängnis), verurtheilt. ') Auch der Verweser des Erzbisthnms Freiburg als Ordinarius von „Hohcnzvllern" mußte die Segnungen der preußischen Kirchengesetze ver¬ kosten. Wegen der sogenannten ungesetzlichen Anstellung eines Geistlichen vernrtheilte ihn das Gericht zu einer Geldstrafe von 200 Thalern, eventuell 40 Tagen Gefängnis;. Dein St. Fidelishause zu Sigmaringen wurde am 4. Oetvber untersagt, neue Zöglinge aufzunehmen, weil das¬ selbe eine kirchliche Anstalt ist, welche den Zweck hat, Knaben, welche sich dem geistlichen Stande widmen wollen, im Geiste nnd nach den Anordnungen der Kirche Ml. nicht des Dr. Falk) zu erziehen. Unmittelbar erst vor der Abreise des Königs, respeetive Kaisers, und des Fürsten Bismarck nach Wien brächten öffentliche Blätter einen Briefwechsel zwischen dem Papste und dem Könige, respeetive Kaiser Wilhelm, dessen Echtheit Anfangs - aber nicht mit Grund — »»gezweifelt wurde. Von Rom ans war kein Dementi erfolgt. Wir geben ihn dem vollen Inhalte nach: „Im Vatiean, 7. August 1873. Majestät! Sämmtliche Ma߬ regeln, welche seit einiger Zeit von Ew. Majestät Regierung ergriffen worden sind, zielen mehr und mehr auf die Vernichtung des Katho- lieismns ab. Wenn ich mit mir selber darüber zu Rathe gehe, welche Ursachen diese sehr harten Maßregeln veranlaßt haben mögen, so bc- >) Auch der alte Bischof llou Culm, v d. Marwitz (geb. 20. April 1795 zu Tuchliu im Regierungsbezirke Danzig) blieb nicht verschont. Mit sichtlichem Wohl¬ behagen berechnete» liberale Blätter, daß die Summe der gegen den Erzbischof von Posen verhängten Geldstrafen bis Mitte November schon 2800 Thaler betrug, daß ihm dann wieder 2000 Thaler dietirt wurden oder ein Jahr nnd ein Monat Gefängnis; nnd daß dem Bischöfe von Paderborn >000 Thaler ans einmal auf- crlegt wurden u. s. w. 158 1. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der knth Kirche. kenne ich, daß ich keine Gründe anfznsinden ini Stande bin. Anderem seits wird inir mitgetheilt, daß Ew. Alajestüt das Verfahren Ihrer Regierung nicht billigen, und die Härte der Maßregeln wider die katholische Religion nicht gutheißen. Wenn es wahr ist, daß Ew. Majestät es nicht billigen — und die Schreiben, welche Allerhöchst- dieselben früher an mich gerichtet haben, dürften zur Genüge darthun, daß Sie Dasjenige, was gegenwärtig vvrgeht, nicht billigen können wenn, sage ich, Ew. Majestät es nicht billigen, daß Ihre Regierung auf den eingeschlagenen Bahnen fortfährt, die rigorosen Maßregeln gegen die Religion Jesn Christi immer weiter auszndehnen, und letztere hiedurch so schwer schädiget, werden dann Ew. Majestät nicht die Ueberzengung gewinnen, daß diese Maßregeln keine andere Wirkung haben, als diejenige, den eigenen Thron Ew. Majestät zu unter¬ graben? Ich rede mit Freiniuth, denn mein Panier ist Wahrheit, und ich rede, um eine meiner Pflichten zu erfüllen, welche darin besteht, Allen die Wahrheit zu sagen, auch Denen, die nicht Katholiken sind; denn Jeder, welcher die Taufe empfangen hat, gehört in irgend einer Beziehung, oder auf irgend eine Weise, welche hier näher darzulegen nicht der Ort ist; gehört, sage ich, dem Papste an. Ich gebe mich der Ueberzengung hin, daß Eure Majestät meine Betrachtungen mit der gewohnten Güte aufnehmen, und die in dem vorliegenden Falle erfor¬ derlichen Maßregeln treffen werden. Indem ich Allerhöchstdenselben den Ausdruck meiner Ergebenheit und Verehrung darbringe, bitte ich Gott, daß er Ew. Majestät und mich mit den Banden der gleichen Barm¬ herzigkeit umfassen möge. Pius." Der König (Kaiser) antwortete: „Berlin, 3. September 1873. Ich bin erfreut, daß Ew. Heiligkeit mir wie in früheren Zeiten die Ehre erweisen, mir zu schreiben; ich bin es umsomehr, als mir dadurch die Gelegenheit zu Theil wird, Irr thümer zu berichtigen, welche nach Inhalt des Schreibens Ew. Heilig¬ keit vom 7. August in den Ihnen über deutsche Verhältnisse zugegan geneu Meldungen vvrgekommen sein müssen. Wenn die Berichte, welche Ew. Heiligkeit über deutsche Verhältnisse erstattet werden, nur Wahrheit meldeten, so wäre es nicht möglich, daß Ew. Heiligkeit der Vermnthung Raum geben könnten, daß meine Regierung Bahnen einschläge, welche ich nicht billigte. Nach der Verfassung meiner Staaten kann ein solcher Fall nicht eintreten, da die Gesetze und Negiernngsmaßregeln in Prenßen Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogenannten Culturkampfe. t59 nimm' landesherrlichen Zustimmung bedürfen. Zu meinem tiefeu Schmerze hat eiu Theil meiner katholischen Unterthanen seit zwei Jahren eine Politische Partei vrganisirt, welche den in Preußen seit Jahrhunderten bestehenden cvnfessivnelteu Frieden durch staatsfeindliche Umtriebe zn stören sticht. Leider haben höhere katholische Geistliche diese Bewegung nicht nur gebilligt, sondern sich ihr bis zur offenen Auflehnung gegen die bestehenden Landesgesetzc angeschlossen. Der Wahrnehmung Ew. Hei¬ ligkeit wird nicht entgangen sein, daß ähnliche Erscheinungen sich gegen¬ wärtig in der Mehrzahl der europäischen und in einigen überseeischen Staaten wiederholen. Es ist nicht meine Aufgabe, die Ursachen zu untersuchen, durch welche Priester und Gläubige einer der christlichen Confessivnen bewogen werden können, den Feinden jeder staatlichen Ordnung in Bekämpfung der letzteren behilflich zu sein. Wohl aber ist es meine Aufgabe, in den Staaten, deren Regierung mir von Gott anvertraut ist, den inneren Frieden zn schützen und das Ansehen der Gesetze zn wahren. Ich bin mir bewußt, daß ich über Erfüllung dieser meiner königlichen Pflicht Gott Rechenschaft schuldig bin und ich werde Ordnung und Gesetz in meinen Staaten jeder Anfechtung gegenüber aufrecht halten, so lange Gott mir die Macht dazu verleiht. Ich bin als christlicher Monarch dazu verpflichtet, auch da, wo ich zu meinem Schmerz diesen königlichen Berns gegen die Diener einer Kirche zu erfüllen habe, von der ich annehme, daß sic nicht minder wie die evan¬ gelische Kirche das Gebot des Gehorsams gegen die weltliche Obrigkeit als einen Ausfluß des uns geoffcnbarten göttlichen Willens erkennt. Zu meinem Bedauern verleugnen viele der Ew. Heiligkeit unterworfenen Geistlichkeit in Preußen die christliche Lehre in dieser Richtung und setzen meine Regierung in die Nothwendigkeit, gestützt auf die große Mehrzahl meiner treuen katholischen und evangelischen Unterthanen, die Befolgung der Landesgesetze durch westliche Mittel zu erzwingen. Ich gebe mich gern der Hoffnung hin, daß Ew. Heiligkeit, wenn von der wahren Lage der Dinge unterrichtet, Ihre Autorität werden anwenden wollen, nm so der unter bedauerlicher Entstellung der Wahrheit und unter Mißbrauch des priesterlichen Ansehens betriebenen Agitation ein Ende zn machen. Die Religion Jesu Christi hat, wie ich Ew. Heiligkeit vor Gott bezeuge, mit diesen Umtrieben nichts zu thnn, auch nicht die Wahrheit, zu deren von Ew. Heiligkeit angerufeuen Panier ich mich rückhaltslvs bekenne. Noch eine Aeußernng in dem Schreiben Ew. Heilig- I(>0 I. Theil. 1. Haaptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. keit kaun ich nicht ohne Widerspruch übergehen, tvenn sie auch nicht uns irrigen Berichterstattungen, sondern ans Elv. Heiligkeit Glauben beruht; die Aeußernng näinlich, daß Jeder, der die Taufe empfangen hat, dem Papst angehöre. Der evangelische Glaube, zu dem ich mich, wie Ew. Heiligkeit bekannt sein muß, gleich meinen Vorfahren und mit der Mehrheit meiner Unterthanen bekenne, gestattet uns nicht, in dem Verhältnis; zu Gott einen anderen Vermittler, als unfern Herrn Jesnm Christum anzunehmen. Diese Verschiedenheit des Glaubens hält mich nicht ab, mit Denen, welche den unseren nicht theilen, in Frieden zu leben und Ew. Heiligkeit den Ausdruck meiner Persönlichen Ergebenheit und Verehrung darzubringen. Wilhelm." Alle liberalen Blätter priesen, wie nicht anders zu erwarten, den königlichen Brief als „ein epochemachendes Ereignis"; in dem Papst lichen sahen sie nur einen neuerlichen Beweis „unerträglicher römischer Anmaßungen". Der Augsburger Bürgerverein vvtirte dem Kaiser Wilhelm darob sogar eine Dankadresse V. (Wilhelm Ema¬ nuel, Bischof von Mainz?) einen „offenen Brief" an den König, respective Kaiser Wilhelm. Am Ende desselben heißt es: „Staats feindliche Umtriebe" haben Ew. Majestät im Angesichte Europas uns vorgeworfen. Entweder bewegt sich unsere Agitation innerhalb der Schranken der Gesetze, und dann waren Sie nicht berechtigt, uns diesen Vorwurf zu machen; oder sie geht über diesen Boden hinaus, und dann begründen staatsfeindliche Umtriebe das Verbrechen des Hvch- verrathes. Nun denn, Majestät! befehlen Sie Ihrer Regierung auf Grund der Thatsachen, die Ihnen ja Angesichts eines solchen Vorwurfs zu Gebote stehen müssen, unsere Führer als Hvchvcrräther vor Gericht zu stellen. Nachdem Sie einen so furchtbaren Vorwurf gegen die Ehre, Europa, tz 8. Preußen. Aus dem sogeuauuteu Culturkmupfe. 161 gegen die Integrität des Charakters, gegen die Loyalität ihrer Gesinnung geschleudert, gestatten Sie wenigstens diesen Männern, Ihnen zu be¬ weisen, wie übel Sie berichtet waren." Es verlautete von einem zweiten Schreiben des Papstes an den Kaiser und König Wilhelm I., welches aber nicht in die Oeffentlich- keit gelangte. Ende Oetvber waren gegen den Erzbischof vvn Köln wegen „gesetz¬ widriger" Anstellung vvn Geistlichen nicht weniger als fünfzehn Unter¬ suchungen anhängig. In sechs Fällen lautete seiue Verurtheilung zu je 200 Thalern, eventuell zwei Mvnaten Gefängnis;. Die königliche Regierung zu Düsseldorf machte die öffentlichen kirch¬ lichen Prvecssivnen, Wallfahrten und Bittgänge von der schriftlichen Genehmigung der Ortspolizeibehörde abhängig. Wohl ein Vorläufer des vvn liberaler Seite sehnlichst gewünschten gänzlichen Verbotes der Prvcessionen und Wallfahrten n. dergl. Als durch königliche Ordre vom 9. November 1873 Fürst Bis¬ marck anf's neue zum Präsidenten des Staatsministeriums ernannt wurde, konnte sich die katholische Kirche oder wie man in Preußen zu sagen beliebte, die „Hierarchie" — auf noch Schlimmeres gefaßt machen. Auch die Thronrede, mit welcher am 12. November der preu¬ ßische Landtag eröffnet wurde, ließ darüber keinem Zweifel Raum. Denn es hieß darin: „Die in der letzten Session berathenen Gesetze, dnrch welche die Beziehungen des Staates zu den großen Kirchen gemeinschaften klarer und fester als zuvor geregelt worden sind, haben zum Bedauern der Staatsregiernng bei den Bischöfen der römisch kathv lischen Kirche einen unberechtigten Widerstand gefunden. Je mehr die Regierung Sr. Majestät vvn der Ueberzeugung durchdrungen ist, daß das religiöse Leben der verschiedenen Cvnfessivuen dnrch diese Gesetze in keiner Weise gefährdet wird, um so entschiedener wird die Regierung, unbeirrt dnrch jeden Widerspruch, die Gesetze auch ferner zur Durch führung bringen, und alle weiter erforderlichen Schritte rechtzeitig folgen lassen, um die ihrer Obhut anvertranten Interessen vor Schädigung zu wahren." Am nämlichen Tage (12. November) verhandelte das Justizpolizei- gericht von Köln gegen den Erzbischof Melchers und den Weihbischof Baudri wegen Verletzung der bürgerlichen Ehre vvn vier altkathv- lischen Geistlichen, deren Exevmmunieation, wie bereits erwähnt, im Stepi'schnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. H 162 I. Theil I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. „Kirchlichen Anzeiger" in lateinischer Sprache verkündet wurde, nnd wegen Verleumdung (?) der altkatholischen Gemeinden in Köln und Bvnn. Der Strafantrag lautete gegen den Erzbischof als Verfasser auf drei Monate Gefängnis) nnd 400 Thaler Geldstrafe, eventuell auf weitere drei Monate Gefängniß; gegen den Weihbischvf wegen Auf¬ nahme des Artikels auf ein Monat Gefängniß nnd 200 Thaler Geld¬ strafe, eventuell weiteres Gefängniß. Die evrreetionelle Kammer des Kölner Landgerichtes setzte aber die Strafe herunter, für den Erzbischof ans 50 Thaler, eventuell l 4 Tage Gefängniß; für den Weihbischvf auf 25 Thaler, eventuell auf acht Tage Gefängniß. Von der Anklage der Verleumdung wurden sic freigesprochen; die Verurtheiluug geschah nur, weil der Excommnnicativns-Erlaß in beschimpfender Weise veröffentlicht worden sei, nnd weil die Nltkatholikcn zu Köln nnd Bvnn vffent lich, wenn auch nicht verleumderisch, beleidigt worden seien. Bald darauf folgte wieder eine Verurtheiluug des Erzbischofs von Köln wegen fünf Anstellungen zu je 200 Thaler Geldbuße, eventuell zu zwei Monaten Gefängniß. — Anfangs December belief sich die Strafsummc schon auf 2600 Thaler. Im November 1876 wurden auf Geheiß des Cnltnsministers das Oollexinin ^nA'nstnnnnnm und das Priesterseminar zu Gaesdvne in der Diöcese Münster geschlossen. Eine schon am 24. October vom Cultnsminister an den Ober¬ präsidenten gerichtete, aber erst im November bekannt gewordene Ver fügung erklärt zu Genüge den bethätigten Eifer der Behörden wider die Bischöfe nnd Priester. Der Minister fordert sie auf, hierin nicht zu ermüden, auch vor der Eventualität, daß die Geistlichen vn zur Haft gebracht würden, nicht znrückzuschrecken. „Die Geistlichen", sagt der Minister, „sollen unausgesetzt mit immer neuen Strafanträgen verfolgt werden, bis sie dem Gesetze sich fügen." Dieser Weisung kam man getreulich nach. Das Kreisgericht ver urtheilte den Erzbischof von Posen, welcher ein päpstliches Ermnn ternngsschreibcn 8 Geistlichen zu 3600 Thaler Strafe vernrtheilt. Der Oberpräsident vvn Straßburg ließ das Knabenseminar in Finstingen schließen, nachdem der dagegen ergriffene Reeurs vom Reichs¬ kanzler verworfen worden war. Weitere Drangsalirungen, Geldstrafen, Pfändungen u. s. w. von Bischöfen hatten statt. Die preußischen Bischöfe erhielten unter Anderem auch von den im Prvvineial-Coneil versammelten Bischöfen der Kirchenprvvinz Bourges ein Trost- und Zustimmungsschreiben. Unterm 6. December erslvß eine königliche Verordnung, wodurch eine neue Eidesformel vorgeschrieben wurde, welche die katholischen 11* 164 I Theil. 1. Hanptstiick. Erlebnisse und Schicksale der knth. Kirche. Bischöfe in Preußen vvr ihrer staatlichen Anerkennung künftig beschwören sollten. Daß darin des unbedingten Gehorsams gegen die Staatsgesetze Erwähnung geschieht, versteht sich von selbst. Nachdem der König am 9. December znm Gesetzentwurf, betreffend die Standesbuchfuhrnng durch die Civilbehörden und die obligatorische Civilche die Erlaubnis; ertheilt hatte, wurde derselbe in die beiden Häuser eingebracht. Der unmittelbar früher im Abgeordnetenhanse vvn Reichen¬ sperger gestellte Antrag auf Aufhebung der sogenannten Maigesetze fiel natürlich durch (lO. December). Ueber das Civilehegesetz fand die erste Berathnng im Abgevrd netenhanse am 17. December statt. Fürst Bismarck, der sich auch daran betheiligte, stellte das Gesetz wieder als eine Nothwehr gegen den Ultramontanismns dar, und erkühnte sich sogar, die katholischen Bischöfe ulit dürren Worten als „Revolutionäre" zu bezeichnen. Darauf erwiderte in der Sitzung vom 15. Jänner 1874 der Abgeordnete Schorlemer-Alst, indem er die Bischöfe gegen obigen Ailwurf in Schutz nahm unter Anderem: „Verbündet mit den Erz- revolutionären hat er (Bismarck) 1866 die ungarischen und dalma tauschen Regimenter durch die Herren vvn Usedom und Barral aufgefordert, ihren Kriegsherrn in; Stich, und die ungarische Legion unter Klapka sich bilden zu lassen. Ein Mann, dessen Ver¬ gangenheit mit solchen Thatsachen belastet ist, darf am allerwenigsten gegen die Bischöfe den Vorwur revolutionären Verhaltens erheben."') In der Sitzung vom 20. Jänner lehnte das Abgeordnetenhaus den Gcrlach'schen Antrag auf Beibehaltung des Tanfzwanges, und jenen des Eheverbotes zwischen Inden und Christen ab. Am 23. Jänner nahm das Abgeordnetenhaus das ganze Civilehegesetz mit 284 gegen 95 Stimmen an. Gegen die Civilehe und gegen den Fürsten Bismarck ließ Ernst Ludwig von Gerl ach eine Schrift vom Stappel: „Die Civilehe und der Reichskanzler." Sie enthält sehr scharfe — aber wahre — Stellen. Gegen den Verfasser wurde das Criminalvcrfahrcn eingeleitet. Und wirklich vernrtheilte das Gericht am 11. September 187 4 ihn, den Appcllationsgerichts - Präsidenten vvn Magdeburg und Mitglied des ') Siehe „Augsburger Allgemeine Zeitung" Nr. 18. Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogeuaunteu Culturkampfe. 165 Stnatsrathes (seit mehr als 30 Jahren), der durch fast 60 Jahre seinem Vaterlande und dreien Königen treu gedient, wegen seiner obigen Druckschrift gegen die Civilehe in ooutnmumam zu 200 Thalern Geld¬ strafe, eventuell zu sechswöcheutlicher Haft, und erkannte ans Vernich¬ tung der vorhandenen Exemplare der incriminirten Druckschrift. Von G e rlach —- dieser Ehrenmann, bekannt auch als ehemaliger „Rnndschauer" der „Kreuz-Zeitung" -- war geboren nm 7. März l795 zu Berlin, und starb daselbst am l7. Februar 1877. Im Herreuhause sprachen unter Anderen gegen das Civilehegesetz am 17. Februar Graf Brühl (Katholik), der überhaupt auch die Auf¬ hebung der kirchenpolitischen Gesetze beantragte, und von Kleist- Retzow (Protestant), von Manteuffel (früher Ministerpräsident), Graf zu Lippe, Graf Krassow, Graf von Schulenburg- Br e tz e n d v r f (Protestanten). Dennoch nahm das Herrenhaus in der Schlußabstimmung vom 20. Februar das Civilehegesetz mit unwesent¬ lichen Mvdifieativnen mit 89 gegen 5l Stimmen an. Das Abgeord¬ netenhaus stimmte bei am 24. Februar. Im „Staatsanzeiger" vom 16. März 1874 wurde das königlich Preußische Gesetz „über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung vom 9. März 1874" publicirt. Der erste Abschnitt enthält „Allgemeine Bestimmungen"; der zweite handelt von den „Geburtsregistern"; der dritte von der „Form der Eheschließung und den Heiratsregistern"; der vierte vvn den ..Sterbercgistern"; der fünfte von der „Beurkundung des Personenstandes der auf der See befindlichen Personen"; der sechste von der „Berichtigung der Standes- register"; der siebente enthält „Schlußbestimmnngen". Mit dem I. Oktober 1874 trat das Civilehe-Gesetz in Preußen in Kraft. Die sogenannten Maigesetze erschienen den Ministern und Libe¬ ralen in Preußen noch zu zahm. Es wurden am 19. Jänner 1874 im Abgeordnetenhaus wieder zwei neue verschärfte Gesetzvorlagen vom Cultnsminister eingebracht, und zwar über die Verwaltung erledigter (zunächst durch sogenannte staatliche Entsetzung erledigter) katholischer Bisthümer, und^über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte dafür, daß sich die preu¬ ßische protestantische Regierung als absolute Herrin der katholischen Kirche betrachte, und daß das Endziel ihrer Bestrebungen wirklich die 166 I. Theil. I. Hanpistiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Knechtung der katholischen Kirche sei, wie diese bisher bestand und vrganisirt war, so liefern ihn diese Gesetze. Im ersteren wird sogar dem Patron und der Pfarrsgemeinde die Auswahl und Bestellung des Seelsorgers eingeräumt., wenn der sonst hiezu Berechtigte dies inner¬ halb einer bestimmten Frist nicht thut. Dieses Gesetz geht von der bisher wirklich unerhörten Annahme sim Z 5) aus, daß durch Erkeuntuiß des sogenannten Staatsgerichtshvfes für kirchliche Angelegenheiten auf Amtsentsetzung eines Bischofs der bischöfliche Stuhl desselben — also das bischöfliche Amt als solches — auch überhaupt erlediget sei. Welch ein Eingriff! — Kurz der Staat gerirt sich als Quelle und Spender der Kirchengewalt. Da wäre es freilich kürzer gewesen, ohne Umschweife einen einzigen Paragraph aufzustellen, dahin lautend, „die katholische Kirche hat in Preußen fernerhin kein Recht mehr, zu existiren." Oder, wie der Abgeordnete Reichensperger in der Sitzung vom 5. Februar sagte: „Man sollte lieber statt allen der vielen Gesetzes- Paragraphen nur den einen setzen: In Preußen wird die katholische Kirchenverfassung nicht mehr anerkannt." Die preußischen Domcapitel reichten wider ersterwähnten Gesetz¬ entwurf über die Verwaltung erledigter katholischer Bisthümer Ver¬ wahrung ein, mit der Motivirung, daß sie im Falle einer vom geist¬ lichen Gerichtshöfe ausgesprochenen Absetzung des Bischofs eine Sedis- vacanz anzunehmen nicht in der Lage wären. So das Domcapitel von Köln, dda. 30. März; von Trier, dda. 10. März; von Münster, dda. 19. März; von Paderborn, dda. 4. April; von Gnesen-Posen, dda. 23. Mürz; von Cnlm, dda. 26. März; von Breslau, dda. 13. März; von Ermeland, dda. 19. Mürz; von Hildesheim, dda. 6. Februar; von Osnabrück, dda. 21. April; von Fulda, dda. 16. April; von Limburg an der Lahn, dda. 13. April, zugleich mit einer Denk¬ schrift, betreffend den mehrerwähnten Gesetzentwurf. Gegen den Erzbischof von Posen-Gnesen war der förmliche Ab- setzungs-Proceß auf den 14. Jänner eingeleitet worden. Im Schreiben, dela. 7. Jänner, hatte er erklärt, der Tags zuvor ergangenen Vor¬ ladung vor den Untersuchungsrichter des Staatsgerichtshvfes wegen dessen Jneoinpetenz nicht Folge geben zu können. Am 3. Februar um fünf Uhr Früh erfolgte seine Verhaftung und Abführung in's Gefängniß — zuerst hieß es nach Frankfurt au der Oder — auf Cvntre-Ordre aber nach Ostrowv in der Provinz Posen. Europa. Z 8. Peenßen. Aus dem sogenannten Cultnrkampfe. 167 Nicht einmal im Gefängnisse ließ man den Erzbischof unbehelliget. Das Kreisgericht Pasen lud ihn ans den 24. Februar vor zur öffentlichen Verhandlung wegen Vergehens gegen die Maigesetze und wieder auf den 5. März. Das Anstichen des Erzbischofs, den Hauseaplan nnd einen Diener bei sich zu haben, nnd in einer Zelle eine Hauseapelle errichten zu dürfen, beschied die Gerichtsbehörde abschlägig. (Sehr human!) Daun wurde die Meßbewillignng an unannehmbare Bedingungen geknüpft. Am 27. Februar wurde ihm eine einjährige Gefängnißstrafe Pnbli- eirt statt der wieder zuerkannten 8000 Thaler Strafe. Da es im ganzen neuen deutschen Reiche keinen Gegenstand einer Jefuitenhetze mehr gab, so erklärte ein Erlaß des königlich preußischen Cultusministers, lläo. 23. Februar 1874 den Besuch der von Jesuiten geleiteten thcvlvgischeu Facultät zu Innsbruck für preußische Can- didaten der Theologie als unwirksam. Dorthin hatten sich nämlich nach Schließung der geistlichen Seminarien mehrere Theologen, zumal aus Posen, zur Fortsetzung ihrer Studien begeben. Einem protestantischen Sympathie Meeting in London drückte König Wilhelm von Preußen in einem Handschreiben, ctcko. 18. Februar, an Lord Rüssel seinen Dank aus. Darin sagt er unter Anderem: „Es liegt mir die Führung meines Volkes in einem Kampfe ob, welchen schon frühere deutsche Kaiser si Jahrhunderte hindurch mit wech selndem Glück gegen eine Macht zu führen gehabt haben, deren Herr¬ schaft sich in keinem Lande der Welt mit dem Frieden und der Wohl fahrt der Völker verträglich erwiesen hat, und deren Sieg in unseren Tagen die Segnungen der Reformativn, die Gewissensfreiheit nnd die Autorität der Gesetze nicht blos in Deutschland in Frage stellen würde. Ich führe diesen mir ansgedrnngeuen Kampf u. s. w." Wieder das Nämliche vom au.fgedruugenen Kampfe, von Nvthwehr u. dergl. Die katholische Kirche hat auch Preußen keinen Kampf aufgedrungen. Sic wehrt sich nur um ihre Existenz. Ist dies ein Verbrechen? Die Gefangennehmuug des Erzbischofs von Posen veranlaßte die übrigen Bischöfe Preußens (auch des von Mainz und des Bisthums- verwescrs von Freiburg i. B. hinsichtlich ihrer in Prenßen gelegenen Diöeesen-Antheile) zu einem würdevollen Colleetiv-Hirtenschreiben, llll«. ') König Wilhelm meint wohl die Snlier nnd Höhenstnnfen. 168 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Februar, welches fast wie cm Abschiedswort au ihre Gläubigen klingt. Sie weisen mit feierlichem Ernst den doppelten Anwurf non sich, als seien sie „Revolutionäre, Rebellen gegen die weltliche Obrigkeit, und hätten sie dadurch Herz- und gewissenlos die katholische Kirche in Deutsch land, Clerus und Volk, in die gegenwärtigen schweren Drangsale und Gefahren gebracht." Wider die darin vorkvmmenden Bemerkungen über den sogenannten Altkatholieismus erließ die „Synodal-Repräsentanz der Altkatholiken des deutschen Reiches" eine Remonstration. Am 6. März 1874 wurde auch der Bischof von Trier, vr. Ma¬ thias Eberhard, verhaftet und in die dortige Strafanstalt, soge¬ nannte Dominicaner, abgeführt, um die ihm wegen Uebertretnng der Maigesetze zuerkannte subsidiarische Gefängnisstrafe von zwei Jahren und drei Monaten abzubüßen, da er den Rest der Geldstrafe mit 6400 Thalcrn nicht zahlen wollte. Unterm 16. April richtete der Episkopat Englands an Bischof Eberhard ein schönes Beileids¬ schreiben. Die Professoren wurden aus dem Trierer Priester-Seminare ausgewiesen nnd dasselbe Polizeilich geschlossen. Ani 31. Mürz Morgens erfolgte die Verhaftung des Erzbischofs von Köln, Or. Paulus M elch ers, nnd dessen gewaltsame Abführung in das Arresthaus am Klingelpütz. Auf die Nachricht hievon antwortete der hl. Vater an den Weihbischvf I>. Baudri, daß er den Erz¬ bischof um seiner Standhaftigkeit willen preise und beglückwünsche. Die Freilassung des Erzbischofs erfolgte ain 9. October. Auch die Freilassung des Bischofs von Trier wurde um die nämliche Zeit von der ersten und zweiten Instanz angeordnet; das Obertribunal aber casfirte (29. October) diese Erkenntnisse. Sie geschah am 31. December. Ein Theil der Diöeese Olmütz liegt in Preußen. Das königliche Kreisgericht zu Leobschütz verurtheilte am 13. April den Erzbischof von Olmütz, Friedrich Landgraf von Fürstenberg, wegen gesetzwidriger (?) Anstellung zweier Capläne zu Gröbnig und Badewitz zu einer Geld strafe von 600 Thalern, eventuell zu vier Mouaten Gefüngniß. Da das Einsperren des auf österreichischem Boden weilenden Kirchcufürsten selbstverständlich denn doch nicht so leicht von Statten ging, wie mit einem preußischen, so wurde auf die Revenuen der Herrschaft Stolz mütz, Kreis Leobschütz (beiläufig sechs- bis achttausend Thaler jährlich) Beschlag gelegt. Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogeuaunten Culturkampfe. Am 15. April sprach der königliche geistliche Gerichtshof zu Berlin die Amtsentsetzung (!) des Erzbischofs von Posen, Grafen M. Led li¬ eh owski, aus — und zwar wurde er in avntnmuviuin verurtheilt, weil er nicht Persönlich erschien. Die Anklageschrift hatte die Vergehen des Erzbischofs in sechs Gruppen eiugetheilt. Sogenannte ungesetzliche Anstellungen von Geistlichen zählt sie 45 ans, wovon 34 Fälle bereits abgeurtheilt waren, nnd zu einer Gesammtstrafe von 29.700 Thalern(I) führten. Wenige Tage später (20. April) wurde der Domherr nnd stell¬ vertretende Offieial Valentin W o y c i e chow s ki von Gnesen zur Ver¬ büßung seiner Gefängnißstrafe nach Bromberg abgeführt. Seine Ent¬ lassung von dort erfolgte am l8. November >874. An der Krankheit, deren Keim er sich im Gefängnisse zugezogen, starb er zu Gnesen am 8. Juni l875. Um diese Zeit ließ der Cultnsminister vr. Falk am Gymnasium zu Brannsberg den für alle Schüler obligatorischen Studien-Gottes¬ dienst durch den altkatholischen Religionslehrer lör. Wollmann er¬ öffnen. Anderwärts aber hatte, aus Anlaß einer Vorstellung des Magistrates zu Flatvw, die Bezirksregiernng die Ertheilnng von Reli¬ gionsunterricht in den katholischen Schulen durch Geistliche für unstatt¬ haft erklärt, und der Schul-Deputation aufgegeben, mit diesem Unter¬ richt die Lehrer zu betrauen, den G e i st l i ch e n aber den Schul¬ besuch zu untersagen. Am 6. Mai beendete das Abgeordnetenhaus die zweite Berathnng des Gesetzes über die Verwaltung der „erledigten" (?) katholischen Bis- thümer, mit der Annahme aller Paragraphe, ausgenommen den Z 13, betreffend die Temporalicnsperre der Doincapitelmitglieder, die eine Neu¬ wahl des Bischofs verweigern. Diesen Paragraph lehnte das Hans ab, nachdem der Cultnsminister die Streichung des Paragraphen einer Amendirnng desselben vorgezogen hatte. Bei der dritten Lesung am 9. Mai wurde das ganze vorerwähnte Gesetz mit 257 Stimmen gegen 95 genehmiget. Das Gesetz, betreffend „die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern" hat das Datum vom 4. Mai 1874. Am 7. Mai begann im Abgeordnetenhanse die zweite Berathnng des Gesetzentwurfes wegen Declaration nnd Ergänzung des Gesetzes vom I I. Mai 1873 über die Vorbildung und Anstellung der Geist¬ lichen. Auch die Annahme dieses Gesetzes erfolgte am 9. Mai in der dritten Berathnng. Desgleichen genehmigte das Herrenhaus nm 13. Mai 170 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. beide vorerwähnten Gesetze in der ersten Berathung; ebenso in der zweiten Berathung am 15. Mai, und zwar das erstaufgeführte Gesetz in namentlicher Abstimmung mit 81 gegen 46 Stimmen. Die königliche Sanetivn des Gesetzes über die „Verwaltung er¬ ledigter katholischer Bisthümer" erfolgte Rio. Wiesbaden 20. Mai 1874; jene des Gesetzes „wegen Declaration nnd Ergänzung des Gesetzes vom I I. Mai 1873 über die „Vorbildung und Anstellung der Geistlichen" (wie schon bemerkt) am nächstfolgenden Tage — 21. Mai. Wir können uns nicht enthalten, das Urtheil der protestantisch- englischen Zeitung „Unll LUUI" anzuführen: „Wenn die Hoffnnngen der deutschen Staatsmänner sich erfüllen, so wird die katholische Kirche, was ihre Verwaltung und Regierung anbetrifft, von: V a ti e a n voll¬ ständig getrennt und sie zu einer deutschen National¬ kirche n m g e s ch a f f en." Der Graf von Königs m a rk hatte in Camnitz „zur Pflege von Kranken des Gutsbezirkes uud der Umgegend" ein kleines Kloster mit drei „Mägden Mariä" eingerichtet. Wenige Tage nachher (l2. Mai) wurde es durch den dortigen Landraths-Amtsverwalter ge¬ schlossen. (!) Wenn sogar der Abgeordnete Lasker (Jude) im Abgeordneten¬ haus«: am 19. Mai -aus anderer Veranlassung — sagte: „Unsere Gesetze fallen der Polizei gegenüber zur völligen Bedeutungslosigkeit herab. — — Ich halte dies als unwürdig für den Staat; bei solcher Sachlage sind alle unsere Gesetze überflüssig," so hatte er damit die preußische Justiz der katholischen Kirche gegenüber wohl am besten gekennzeichnet. In diesem Geiste ging es fort. Ans dem Ursulinenkloster zu Posen, das sich doch mit der Er¬ ziehung der weiblichen Jugend beschäftiget, wurden die nicht „staats¬ angehörigen" Ordensschwestern ausgewiesen (April 1875). In Schlesien beschloß der Fürstbischof von Breslau, die Capläne nicht mehr förmlich anznstellen, um ihnen Blaßregelungen Seitens der königlichen Regierungsbehörden zu ersparen. Er gab ihnen die Be- fugniß, sich im Seelsorgsdienste, wo nöthig, verwenden zu lassen. Die ersten Anfänge bloßer Missionen für deutsche Katholiken. (!) Der Bischof von Paderborn richtete in Anbetracht seiner dem- nächstigen Verhaftung ein Hirtenjchrciben an seine Diöcesancn, Rio. 3. Mai, worin er sie insbesondere zum Festhalten an dem Felsen Petri Europa. Z 8. Prenßen. Aus dem sogenannten Cnlturkampse. 171 (am Primate), gegenüber dem Abfalle der sogenanten Altkatholiken, ein¬ dringlich ermahnte. Dieses in allen Pfarrkirchen vorgelesene Schreiben ließ die Negierung überall eonfiscircn. Ein sehr schwerer Verlust traf die Katholiken Preußens, als Gott den wackeren Vertheidiger und Kämpfer für die Freiheit und Rechte der katholischen Kirche, den Abgeordneten Hermann von Mallinckrodt (geb. 5. Februar l82! in Minden) am 26. Mai in Berlin, sozusagen auf dem Kampfplatze, abrief. Er starb nach ganz kurzem Leiden an einer Lungen- und Rippenfellentzündung, mit der einen Hand die Rechte seiner ihm erst vor wenigen Monaten angetrauten Gattin, mit der anderen das Kreuz fest umfassend. Selbst seine liberalen Gegner konnten ihm das Zengniß nicht versagen, daß er ein „ganzer Mann" war, der großes Talent mit völlig tadellosem Charakter verband; daß er „ehrlich gekämpft und das Beispiel mannhafter und selbstloser Ueberzeugungs- treue gegeben habe." Sie fanden an ihm „etwas Antikes in seiner Art und Weise." (Augsburger Allgemeine Zeitung, Nr. 149.) Wir aber sagen: Er starb als wirklich überzengungstreuer, aufrichtiger Katho¬ lik, als welchen er sich in Wort und Leben bewährte — ein deutscher O' C v n n el l.>) Die erste Anwendung des sogenannten Jnternirnngs-Gesetzes erfuhr Pfarrer Wehn von Niederberg (Kreis Coblenz), wegen welchen eben der selige Mallinckrodt den Minister im Abgeordnetenhause inter- pellirt hatte. Unterm 25. Mai wurde ihm der Aufenthalt in den Re¬ gierungsbezirken Coblenz und Wiesbaden untersagt. Dieser Jnternirung folgten andere. Dir Strenge der preußischen Kirchengesetze erfuhr auch der Car¬ dinal-Erzbischof von Prag. Auf seine Anzeige, daß er in der zu seiner Diveese gehörigen Grafschaft Glatz eine nenerbaute Kirche einzuweihen und au einigen Orten die hl. Firmung zu spenden beabsichtige, erhielt er von Berlin (Icka. 30. Mai 1874 die Mittheilung, daß die königliche Regierung zur Zeit Bedenken tragen würde, die nach Preußischen Gesetzen zu kirchlichen Functionen für ihn erforderliche Genehmigung zu ertheilen. ') An mehreren Orten fanden Tranergottesdicnste für den Dahingeschiedenen statt. Sogar der hl. Vater ließ der Witwe Mallinckrodt's dnrch seinen Ge¬ schäftsträger in München sein Beileid ansdrücken. — An M a l li n ckr o d t' s Stelle übertrug die Centrnmsfraetivn den Vorsitz an Burghard Franz Freiherrn von Schorleiner-AIst (geboren 20. October 1825 in Westphalen). 172 I. Theil. l. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche In Folge des staatlichen Absetzungs (!) - Nrtheils des Erzbischofs von Posen Grafen Ai. L e d o chow s ki wurde das Erzbisthums- und das gesammte kirchliche Vermögen der beiden Diöcesen mit Beschlag be¬ legt, die Verwaltung und die Aufsicht darüber zwei Landräthen über¬ tragen und die beiden Domeapitel von Posen und Gnesen vom Ober- prüsidentcn aufgefvrdert, einen Capitelviear zu wählen. Selbstverständlich verweigerten sie es rundweg, da sie den erzbischöflichen Stuhl nicht als erledigt ansehen können. Dem Weihbischof von Posen, J a n i c z ew s ki, wurde vom !. Juli 1874 ab der Gehalt gesperrt und am 4. Juli bei ihm auf die päpstliche Vollmacht zur Verwaltung der Erzdiöcese ge¬ fahndet; endlich er selbst am 27. Juli verhaftet, zu einem Jahre und drei Monaten Gefängnis) vernrtheilt und nach Kozmin abgeführt. Land¬ rath Mcsscnbach gerirte sich ganz als interimistischer Erzbischof in Diöcesan-Verwaltungssachen. Unter so traurigen Umständen versammelten sich die preußischen Bischöfe von Breslau, Ermeland, Limburg, Osnabrück, Hildesheim, Münster, Paderborn, der Bischof von Mainz und der Erzbisthums- verweser Lothar Kübel für ihre preußischen Diöces-Antheile wieder am Grabe des hl. B o n i f a e i us zu Fulda. Der greise Bischof von Culm und die gefangenen Oberhirten von Posen, Köln und Trier waren vertreten. Der am 24. Juni 1874 begonnenen Conferenz präsidirte der Fürstbischof von Breslau. — Es erschien kein Hirtenbrief, wohl aber erwiderte der Vorsitzende unterm 26. Juni die Begrüßungs-Adresse des Vorstandes der Mainzer Versammlung deutscher Katholiken vom vorigen Tage. Die Bischöfe versichern, ihrem und der Gläubigen Wahlsprnch: „Durch's Kreuz zum Licht" treu bleiben zu wollen. An die preußische Regierung ging durch den Fürstbischof von Breslau eine Erklärung ab des Inhaltes, daß die Kirche sich durchaus nicht einseitigen Staatsgesetzeu und Verordnungen über kirchliche Dinge unterwerfen könne; nur der Papst könne unter Wahrung jenes kirch liehen Prineipes den Regierungen Befugnisse in Betreff der kirchlichen Verhältnisse zugestehen. Die Antwort des königlich preußischen Staatsministeriums war eine einfache Empfangsbestätigung. Der Bischof von Paderborn wurde wieder zu 400 Thaler, even tuell zum entsprechenden Gefängnisse vernrtheilt. Wider seinen Willen, Europa, 8. Prenßeu. Aus dem jogeuauuteu Cultiirkaurpfe. 173 ja er prvtestirte ausdrücklich dawider, bezahlte ein Paderbvrner Bürger die 400 Thaler. Das dortige Kreisgericht entschied am 4. Juli, daß die 400 Thaler trotz des Protestes des Bischofs zu behalten und „der Bischof von der Haft zu liberiren" sei. Das Obertribunal stieß aber diesen Beschluß wieder um und entschied, daß Geldstrafen nur durch Zahlung Seitens des Bestraften getilgt werden können. Am 13. Juli 1874 schoß der Böttchergeselle Eduard Kullmann ans Neustadt bei Magdeburg auf den Fürsten Bismarck in Kissingen, wo er sich damals zur Cur befand. (Das Gericht zu Würzburg ver¬ urteilte am 30. Oktober Kull m a n n zu vierzehn Jahren Zuchthaus und nach erstandener Strafe zu zehn Jahren Entziehung der bürger¬ lichen Rechte und Stellung unter Polizeiaufsicht.) Bismarck wurde leicht an der Hand verwundet. Alsvglcich verdächtigten, ja beschuldigten geradezu preußische und sonst einzelne liberale Blätter die „Ultrnmvn- tanen" dieses Mvrdanschlages. Bismarck selbst gab gewissermaßen Anlaß dazu, da er in seiner Dankrede auf die ihm dargebrachten Gra¬ tulationen und Ovationen ') sagte, daß das Attentat nicht so sehr ihm Persönlich als dem von ihm verfochtenen Systeme gegolten habe. Er spielte nicht undeutlich auf deu Kampf der Regierung gegen die katholische Kirche an. -) Ein zufällig in der Nähe des Attentates gewesener katholischer Priester — Sigmund Hanthaler, Bicar zu Walchsee in Tirol, Salzburger Erzdiöcesc - wurde als der intellektuelle Mitschuldige verhaftet und in Schweinfurt verhört, wo sich seine völlige Schuld lvsigkeit hcrausstellte und sonach seine Freilassung erfolgte. Nichts¬ destoweniger und obwohl erwiesenermaßen Kull m a n n zwar von Ge bnrt Katholik, aber dein katholischen Leben fast ganz entfremdet, die That nur aus eigenem Antrieb vvllführte und das Attentat nicht minder y Auch das Protestanten Comitü in London übersandte ihm ein Gedcnk- Albnm. In einem Dankschreiben . l5. Juli Seitens der beiden königlichen Minister des Innern und der Justiz. In einer Versammlung zu Berlin evnstituirten nun am 30. Juli die Katholiken zur Wahrung ihrer Rechte einen Verein der Centrnms- partei behufs festerer Politischer Vereinigung. Vor dem Kreisgerichte in Bnrgsteinfnrt (in Westphalen) hatte am 20. Juli eine interessante Proeednr statt. Mehrere adelige Damen hatten nämlich in ihrer Beileids- und Ergebenheits-Adresse an den Bischof von Münster sich Ausdrücke bedient, worin der Staatsanwalt eine Be¬ leidigung der königlichen Behörden erblickte. Die Mehrzahl der Damen wurde wirklich vernrtheilt, und zwar die Gräfin Therese von D r v st e Vischer in g und Nesselrode Reich en stein zu 200 Thaler, eventuell sechs Wochen Haft; die übrigen zur Hälfte dieser Strafe. An fangs Deeember 1874 überreichte ihnen in Münster eine Deputation katholischer Edeldamen Englands, Schottlands und Irlands aus der höchsten Aristokratie eine mit nahezu 500 Unterschriften bedeckte Adresse in einem schönen silberverzierten Etui, auf dessen Deckel ein silbernes Maltheserkreuz mit der Inschrift: ast vietorin, gnna vineit innintnm, üüos nostrn" und das Datum der Vernrtheilung: 20. Juli 1874 angebracht sind. Am 20. April 1875 verwarf das Obertribunal die Nichtigkeitsbeschwerde der Damen. Europa. Z 8. Preuße». Aus dem sogcuauuteu Culturkampfe. Am 4. August wurde der Bischof vvu Paderborn, vr. Conrad Martin, verhaftet und zur Verbüßung einer achtzehnwöcheutlichen Gefäugnißstrafe in das dortige Jngnisitoriat cingeliefert. Es widerstrebt unserem Gefühl, en (ivtnil alle weiteren Ver¬ haftungen und Ausweisungen von Priestern, bei denen inan oft mit raffinirter Rücksichtslosigkeit vvrging, anfznzählen. Gleiches that man mit den ausländischen Mönchen und Nonnen der noch stehen gelassenen Klöster; unter Anderen mit den Carmc- literinen in Posen. Aber auch inländische Schnlschwestern mußten fort. Unterm 19. August wurde der königliche Oberpräsident von Posen vom königlichen Ministerium beauftragt, sogar gegen sogenannte Gebets vereine eventuell einzuschreiten, denn dieselben verrichten „vvrgeschriebene Pflichtgebete in der Intention, Gott wolle die weltliche Macht des Papstes wieder Herstellen und der Kirchenverfvlgung ein baldiges Ziel setzen". (Kapianti sat!) Ueberall standen die Priester treu zu ihren Bischöfen. In Posen fand sich jedoch ein Miethling, der Viear in Bvrek, Michael K n b e e z a k, dem die Regierung durch den Patron die (staat lich) erledigte Propstei Xivns verleihen ließ. Da der Decan Rzez niewski seine Einführung verweigerte, auch die Pfarrgemeinde den Eindringling perhvrreseirte, wurde sogar Militär zu seinem Schutze anfgebvten, nur um die Pfarrslente zum Staa ts-Kathvlieismus zu bekehren. Die Kirche und der Schrank nut den Kircheubücheru wnrdeu zwangsweise geöffnet, da der Biear von .Pions die Herausgabe dieser und der Kirchenschlüssel verweigerte. Unter Assistenz von Gensdarmen versuchte der neue Propst (?) seine kirchlichen Functionen auszuüben. (!) Am 6. September verkündete der Dečan R z e z n iew s ki Namens des apostolischen Delegirten in der Kirche von Wlvciejewki bei Pions die große Excvmmnnicativn des Pseudo-Propstes Kubeczak. Dafür wurde gegen ihn das gerichtliche Verfahren eiugeleitet, der Vicar in Pions, Bank, zwangsweise über die Grenze der Provinz geschafft und dann Rzezniewski selbst überdies wegen Verweigerung der Herausgabe der Kirchenbücher verhaftet, und zwar verurtheilt zn 1V2 Jahren Gefängniß. Im Jänner l877 folgte seine, sowie des Posener Domherrn Kurvwski Amtsentsetzuug. Dieser Letztere stand im Verdacht (!) eines Päpstlichen Geheimdelegaten. 176 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Nichts anderes als ein neuer Act zum Schaden der katholischen Kirche war die (l874) begonnene Umwandlung der bisher rein katho¬ lischen, weil nur mit katholischen Fvndsgeldern gegründeten blühenden Akademie zu Münster in eine Paritätische — katholisch-protestantische — Universität. Eine schöne Bewunderungs-Adresse richteten die englischen, auf dem Generalcapitel versammelten Benedictiner uuterm 24. Juli 1874 an die Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands. Unterm 7. September forderte der Oberpräsident von Westphalen den gefangenen Bischof von Paderborn aus, binnen zehn Tagen das bischöfliche Amt niederzulegen, widrigens beim Kirchengerichtshvf in Berlin die Anklage auf Absetzung erhoben werde. — Wieder die näm liche Absetzungsgeschichte und Rücksichtslosigkeit wie mit dem Erzbischöfe von Posen-Gnesen. Selbstverständlich wies der Bischof diese Zumnthnng im Antwort¬ schreiben ckcko. 15. September auf das Entschiedenste zurück. Gegen den Schluß sagt er: „Keine staatliche Behörde hat mir mein Amt gegeben; keine staatliche Behörde kann es mir nehmen". Mitten in diese Zeit des Kampfes gegen den katholischen Episkopat füllt der Befehl des Königs Wilhelm I., auf seine Kosten die alte Cistercienserabteikirche zu Lehen, bei Brandenburg wieder herznstellen. Ein höchst ärgerlicher Vorfall mußte die katholische Bevölkerung auf's Aeußerste kränken. Der zu achtmonatlicher Gefüngnißstrafe ver- urtheilte und auch ansgewiesene Caplan Schneiders war nach ver¬ büßter Strafe zurückgekehrt und hielt am Feste Allerheiligen in der St. Laurentinskirche (Liebfrauenkirche) zu Trier das Hochamt. Wäh¬ rend desselben drangen Gensdarmeu, Pvlizeievmmissäre und andere Pvlizeibeamte in die Kirche, um den Caplan zu verhaften. Da sich die versammelten Gläubigen nm den Priester schaarten, um dessen Ver Haftung zu verhindern, hieben die Polizisten, von denen die meisten nicht einmal in der Kirche ihre Kopfbedeckung abnahmen, auf die Wehr¬ losen mit der blanken Waffe ein. Auch wurde die prachtvolle mar¬ morne Communivnbank, welche 1000 Thaler kostete, zertrümmert! In Folge strafrechtlichen Verfahrens wurden zwei abwehrende Per¬ sonen zu neun, respeetive sechs Monaten Gefängniß verurtheilt. Um dieselbe Zeit wurde der Obcrpräsident von Schlesien, Freiherr von Nordenflycht, zur „Disposition gestellt" (euphemistisch für: Europa. 8. Preußen. Aus dein sogenannten Culturkanipse. 177 abgesetzt), weil er in der Ausführung der sogenannten Kirchengesetze zu wenig Energie entwickelte. Noch immer spürten Regiernngsvrgane nach dem apostolischen De¬ legaten für die Erzdioeese Posen. Wer darüber nicht Auskunft ertheilen wollte, wurde bestraft. Ja, Einigen ans den deshalb Eingezogenen wurde sogar erklärt, daß ihre Haft so lange dauern werde, bis sie die geforderte Auskunft geben. Inzwischen wurde der Cultusminister I)r. Falk mit dem Rothen- Adler-Orden zweiter Classe mit Eichenlaub ausgezeichnet. Am 5. Jänner 1875 sprach der sogenannte Kir ch en g er i ch t s- h v f zu Berlin wider den Bischof Or. Conrad Martin von Pader¬ born die Amtsentsetzung (!) aus. Daß der Bischof auf die Vorladung nicht erschienen war, versteht sich von selbst. Da er die Entgegennahme des Urtheils verweigerte, so wurde dasselbe an das Innere seiner Gefüngnißthüre angenagelt. Es braucht nicht bemerkt zu werden, daß das Domeapitel von Paderborn die Aufforderung des Oberpräsidenten von Westphalen zur Wahl eines Bisthnmsverwescrs znrückwies. Die Regierung betraute einen weltlichen Beamten mit der Verwaltung des in Beschlag genom¬ menen Bisthumsvermögens. Auf das hin legten der Generalviear und geistlichen Beamten des Bischofs ihre Acmter nieder. Am Morgen des 19. Jänner wurde Bischof Oe. Conrad Martin nach der Festung Wesel abgeführt um die zweimonatliche Haft abzubüßen, zu welcher er wegen seines Hirtenbriefes vom 3. Mai 1874 am 21. September 1875 vernrtheilt worden war. Sogar sein in den Gymnasien der Rheinprovinz schon seit 1846 — selbst außer Preußen, z. B. in Oesterreich - - eingeführtes Religions- Lehrbuch hatte Minister 1)r. Falk für die Preußischen Lehranstalten verboten! Ein Protestant findet ein Religionsbuch eines katholischen Bischofes unbrauchbar! Auch etwas noch nicht D «gewesen es. llr. Falk suchte dieses Verbot in der Sitzung des Abgeordneten Hauses vom 11. März zu rechtfertigen. Noch nachträglich wurde der „vormalige" (so nannte ihn die amtliche Zeitung) Bischof von Paderborn durch ein die ersten Urtheile abänderndes Erkenntnis; des Paderborner Appellativnsgerichtes wegen des vberwühnten Hirtenbriefes zu drei Monaten Festungshaft unter Anrechnung der in Wiedenbrück erkannten Strafe vernrtheilt. Nachdem Stepischnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. j 2 t78 1 Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. der Bischof seit 20. März in der Stadt Wesel i n t e rnirt gewesen, mußte er am 14. Juni wieder auf Einen Monat die Citadelle der dortigen Festung beziehen. Die lange unfreiwillige Muße auf der Festung Wesel benützte der Kirchenfürst zur Verfassung seines „Katechismus des römisch-katholischen Kirchenrechtes". Da er au: Titelblatte „Bischof von Paderborn" (was er kirchlich nach wie vor war) genannt ist, so hetzten die Liberalen schon wieder gegen ihn, um seine Expatriirung zu erzielen. In der Nacht auf den 3. August verließ Bischof l)r. Conrad Martin — freilich ohne vorherige Meldung — die Stadt Wesel. Als Grund hievon gibt er im Schreiben an den Oberpräfidenten ckcko. 3. Angnst an, die Pflicht der Selbsterhaltnng, da seine Gesundheit sehr gelitten, und damit er, „wenn auch st a a t l i ch abgesetzt, vor Gott, vor der heiligen Kirche, und in den Angen der ganzen katholischen Welt mit der oberhirtlichen Sorge für seine vielgeliebte Diöeese belastet. . . seinen heiligen, unauslöschlichen oberhirtlichen Pflichten mehr gerecht werden kann". Das königlich preußische Ministerium des Innern und der geistlichen Angelegenheiten erklärte den Bischof der preußischen Staats¬ angehörigkeit verlustig. In der diesbezüglichen Kundmachung wird ihm auch znm Vorwurf gemacht, daß er sich trotz staatlicher Ab setzuug in verschiedenen an öffentliche Behörden gerichteten Schreiben noch immer als „Bischof von Paderborn" unterzeichnete. Der Bischof begab sich zuerst nach Holland. Auch dahin verfolgte ihn der Haß der preußischen Cnltnrkäinpfcr. Wegen sogenannter ungesetzlicher Anstellung von Hilfsgeistlichen ver nrtheilte ihn (23. September) das Gericht zn einer Geldbuße von 2400 Mark (800 Thaler), eventuell Gefängnis; von 24 Wvchen. Ja, das Kreisgericht in Paderborn erließ gegen ihn, wie gegen einen ge¬ meinen entsprungenen Verbrecher, einen Steckbrief mit Signalement! Im März 1876 verließ Bischof l)r. Conrad Martin Holland und ging nach England. Zweifelsohne erhielt er den Wink hiezn vom königlichen holländischen Ministerium auf Insinuation der königlichen preußischen Regierung, welche es nun einmal nicht dulden zn können meinte, daß sich ein von ihr „abgesetzter" Bischof noch immer selbst als rechtmäßigen Bischof, und diese Absetzung als einen unberechtigten Act weltlicher Em'vpa. A 8. Preußen. Aus dein sogenannten Culturtampfe. 179 Gelvalt ansieht. Der Bischof hatte nämlich van seinem Asyle in Holland ans den sogenannten „staatstreueu" Pfarrer Schaffeld von Hohen¬ gandern am I. Marz 1876 cxeommunieirt, wegen Insubordination und Appellation von der geistlichen Censur an das weltliche Gericht. Im Jahre 1877 erschien von ihm die Schrift: „Nicht Revision, sondern Aufhebung der Maigesetze." „Besser gar keine Kirche", heißt es unter Anderem darin, „als eine gefälschte und geschändete" (S. 13) — und „die eigentliche ent¬ scheidende Frage bei der Maigesetzgebnng ist: ob Christenthum oder A uti ch ri st e ut h u m" (S. 27, 3. Auflage). Ferner: „Drei Jahre aus meinem Leben"; 1878: „Die Schulfrage" n. A. Weil der Bisthnmsverweser vvu Fulda, Hahne die staatliche Revision und Beaufsichtigung der Vorlesungen im dortigen Priester¬ seminar nicht zulasten wollte, verfügte (Jänner 1875) das königliche Ministerium die allsogleiche Schließung desselben. Die Schuler mußten es o h n c A n f s chub , noch vor Ablauf des ersten Semesters verlassen. Ihnen folgten die Lehrer. So weihte der preußische „Culturkampf" in dem anneetirten Kurhessen eine katholische Anstalt, zu welcher der große Apostel der Deutschen, der hl. B v n i f a e i u s, den Grundstein gelegt hatte, dem Untergange! Mit Mühe konnte die ausgezeichnete und sehr reichhaltige von Savigny'sche Bibliothek, welche, für die in Fulda in Aussicht genommenen katholische Universität legirt, sich im Seminar befand, gerettet werden. Zum Glücke hatte sich von Savignh das Eigenthumsrecht einstiveilen Vorbehalten. Die Regierung nahm auch das Vermögen des B i s t h u m s Fulda in Beschlag, weil der bischöfliche Stuhl nicht nach 8 8 des Gesetzes vom 20. Mai 1874 binnen einem Jahre nach der Erledigung wieder mit einem staatlich anerkannten Bischöfe besetzt ist. Alle bisherigen Vexativnen der -katholischen Kirche und Maß regelungeu ihrer Bischöfe hielt die königliche preußische Regierung noch nicht für abgeschlossen. Denn in der Eröffnungsrede des preußischen Landtages am 16. Jänner 1875 kündete der Vieepräsideut des Staats Ministeriums, Camp Hausen, schon wieder eine neue Phase im „Cultnrkampfc an: „Als ein dringendes Bedürfnis? (!) — sagte er — hat es sich herausgestellt, auch den katholischen Kirchengemeiuden Ge¬ legenheit zu geben, ihre Interessen bei der Besorgung der kirchlichen Vermögensangelegenheiten durch gewühlte Organe wahrzunehmen. Ein IS* 180 I. Theil. 1. Heuptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. zu diesem Zwecke vorbereiteter Gesetzentwurf wird Ihnen baldigst zu¬ gehen." Dies geschah auch. Noch im Jänner gelangte derselbe an das Abgeordnetenhaus und begann die Debatte darüber am 16. d. M. Der Kern desselben ist die Bildung eines sogenannten Kirchenvorstandes nach Art der protestantischen Presbyterien. Dagegen sprachen insbeson¬ dere die Abgeordneten: Reichensperger; der Pole von J az iz¬ želo ski; Windhorst (Meppen), welcher am 17. unter Anderem sagte: „Praktisch käme der Entwurf nicht nur auf die Sücularisatiou, sondern auf die Confiscation des Kirchenvermögens heraus." Mit dem Datum 5. Februar 1875 richtete der hl. Vater eine Encyklika „tzuvä nungunin" an die Erzbischöfe und Bischöfe in Preußen. Darin erklärte er feierlichst auch die neuesten sogenannten Kirchengesetzc für „ungiltig, da sie der göttlichen Einrichtung der Kirche ganz und gar Widerstreiten"; gedenkt seiner ehrwürdigen Brüder, des widerrechtlich ihrer Amtsgewalt entkleideten Erzbischofs von Posen- Gnesen und des Bischofs von Paderborn; von den sogenannten Staats¬ pfarrern sagt er, „daß jene Gottlosen und Alle, welche in Zukunft sich durch eiu ähnliches Verbrechen in die Regierung der Kirchen eingedrängt haben, gemäß der hl. Canones rechtlich und thatsachlich der größeren Excommunieativn verfallen sind und verfallen". Mit einer wahren Wuth fielen die sogenannten Reptilienblätter über die Alloeutivn her, und tischten in allen möglichen Variationen den Unsinn immer wieder auf, daß der Papst preußische Unterthanen (die Bischöfe) zur Auflehnung gegen „Staatsgesetze" aufstachele! (Nicht um Staatsgesetze han¬ delt es sich, sondern es sind „Kirchengesetze" die der Staat allein zu erlassen sich herausnimmt. Freilich der omnipotente Staat ist in den Angen dieser Blätter zn A l l e m berechtiget, weil auch die Kirche seine Domäne ist!) Sonderbar! die sogenannte ultramontane „Germania" wurde evn- fiseirt, weil sie die Eneyklika brachte, während andere Blätter, als: die „Russische Zeitung", die „Krenzzeitung", die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" die sie auch enthielten, unbehelliget blieben! Ueber die wirklich das Ehrgefühl empörende Behandlung einzelner zum Gefängnisse abgeurtheilter Priester brachte in der Sitzung des Ab¬ geordnetenhauses vom 25. Februar Freiherr von H e u n e m a n n Ent¬ hüllungen , die mau in einem „Cultur"-Staate sonst wohl nicht für möglich gehalten Hütte. Europa. Z 8. Preußen. Aus dein sogenannten Culturkaiupfe. Aber wie sogar bereits freigelassene Priester behandelt wurden, davon ein Beispiel. Der Pfarrer ans Limburg a. d. Lahn mußte nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis; zu Ziegenhain eilt Protokoll unterschreiben, des Inhalts, daß er sich unter Androhung „weit här¬ terer Behandlung (sie!) in Zukunft eines rechtschaffenen Wandels zu befleißigen" und sich auf der ihm vorgeschriebenen Marschroute „des Bettelns und anderer Ungesetzlichkeiten zu enthalten habe". (Ob es ihm erlaubt sei, mit dieser gebundenen Marschroute zu verhungern ist nicht gesagt. - Auch die „Augsburger Allgemeine Zeitung" findet in Nr. 252 diese Behandlung „seltsam". Wir finden sie sogar „sehr inhuman".) Daß die königlich preußische Regierung auf die päpstliche Ency- klika vom 5. Februar die Antwort nicht schuldig bleiben werde, war vorauszusehen, so wie daß diese empfindlich genug lauten werde, ft Schon am 4. März brachte der Cultnsminister Oe. Falk einen Gesetz¬ entwurf ein, betreffend die Einstellung der Leistungen aus Staats¬ mitteln für die katholischen Bisthümer und Geistlichen in Preußen. Derselbe hat fünfzehn Paragraphe. Z t lautet: „In den Erzdiveesen Köln, Gnesen und Posen, den Diöcesen Kulm, Ermland, Breslau, Hildesheim, Osnabrück, Paderborn, Münster, Trier, Fulda, den Delegatur-Bezirken dieser Diöcesen, sowie in den Preußischen Antheilen der Erzdiöcesen Prag, Olmütz, Freiburg und der Diöeese Mainz, werden vom Tage der Verkündung dieses Gesetzes ab sämmtliche für die Bisthümer, die zu denselben gehörigen Institute und die Geistlichen bestimmten Leistungen eingestellt. Aus¬ genommen von dieser Maßregel bleiben die Leistungen, welche für An¬ staltsgeistliche bestimmt sind. Zu den Staatsmitteln gehören auch die unter dauernder Verwaltung des Staates stehenden besonderen Fonds." 8 2. „Die eingestellten Leistungen werden für den Umfang des Sprengels wieder ausgenommen, solmld der jetzt im Amte befindliche Bischof (Erzbischof, Fürstbischof) oder Bisthumsverweser der Staats¬ regierung gegenüber durch schriftliche Erklärung sich verpflichtet die Gesetze des Staates zu befolgen." U. s. w. lieber diesen Act, mit dem die königlich preußische Regierung die p Der verantwortliche Redncteur des „Westphälischcn Merknr" Freiherr von Wendt, Bruder des Landtags-Abgeordneten, wurde blos wegen Veröffentlichung der Eneyklika zu einjährigen! Gefängnis; vernrtheilt. Der Staatsanwalt halte gar zwei Jahre Gefängnis; beantragt. 182 l. Theil. 1 Hanptstllck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. dortigen Bischöfe aushungern, oder zur Anerkennung der Staatsomni Potenz zwingen zn können meinte, bildet sich jeder Vorurtheilslvse leicht das richtige Urtheil. Die königliche Regierung spricht von „Staats Mitteln", da sie doch nur einen kleinen Theil der eingezogenen ZI irch e n gütcr bisher an die Kirche selbst zurückbezahlte. Auch diesen behält sie nun zurück! Aber Gewissen sind nicht nm's Geld feil. Schon gegen den Gesetz-Entwurf legten auch die preußischen Domcapitel Berwahrung ein; als: jenes von Hildesheim am 10. März; von Köln am 31. März; von Breslau am 2. April; von Limburg an der Lahn am 2. April ; von Fulda am 5. April. Auch auf die italienische Regierung wollte Preußen einwirken, daß sie die sogenannten Garantiegesetze zu Gunsten des Papstes, wenn nicht ganz aushebe, so doch eiuschränke - das heißt sie solle dem Papste verbieten, etwas Preußen Unliebsames zn reden! Damit aber Bismarck doch auch römische Katholiken für sich auf führen könne, wurde ein Aufruf des Grafen von Franken berg an die „reichstreuen Katholiken", respeetive ein Protest von zehn preußischen Staatskatholiken veröffentlicht, am 27. Februar, gegen die päpstliche Encyklika, um dem Papste es begreiflich zu machen, daß er sich in Staatsgesetze') nicht einzumengen habe. Der Bvrstand der B e r l i n e r Altkatholiken erklärte seine vollste Zustimmung. Selbst vfsieivse Preu ßische Blätter mußten es eingestehen, daß die neuen Maßregeln der Regierung weit über die bloße Ab- und Nvthwehr hinauszielen. Also wohin zielen sie? Wohin anders, als ans den Ruin der katholischen Kirche! Man erwäge nur zum Beispiel die Tragweite des Gesetzes über die Vorbildung der Candidaten des Pricsterstandes. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 9. Mürz 1875 mußte auf eine Inter¬ pellation der Kultusminister 1)r. Falk selbst bekennen, daß er jüngst erst einen „Alt"-Katholiken von Braunsberg als Professor der Dog¬ matik an die Universität zu Bonn berufen habe, wo nur mehr ein römisch-katholischer Ordinarius augestellt ist. Selbstverständlich geschah dies gegen den Willen des Erzbischofes; ja im offenen Widerspruche gegen die mit dem früheren Erzbischöfe von Köln, Grafen Spiegel von Dessen berg getroffene Vereinbarung. Deswegen bemerkte der Abgeordnete Freiherr von Fürth in der erwähnten Sitzung, die Re ') Will sagen: In staatliche Kirchen-Gesetze. Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogeuauuteu Culturkampse. iKZ gierung scheine sich bereits offen zu dem Satze zu bekennen: „6ntbo- lieis non ost. sorvancln ückss^. Ein förmliches Spivnir- und Gewissensfolter-System wurde gegen katholische Beamte vrganisirt. Die geheime und nicht geheime Polizei wurde allarmirt nm auszuschnüffeln, wie dieselben zu den sogenannten Maigesetzen stehen, und ob sie deren Rechtsverbindlichkeit trotz päpstlicher Eneyklika anerkennen? Sv zum Beispiel ließ die königliche Regierung von Cvblenz durch ihre Landräthe zu obigem Zwecke ein Ver- zeichniß der unterstehenden Beamten katholischen Bekenntnisses anfertigen. Welches Halloh! ginge durch die sogenannte liberale Welt, wenn so etwas sonst wo, und gar von einer katholischen Regierung verfügt würde! Den Cultnrkampfern war dies nichts als „Staatshoheit" nnd „Nothwehr"! An: IO. begann die Berathung über den vom Abgeordneten Ilr. Petri eingebrachten Gesetzentwurf betreffend die Rechte der „alt"- kathvlischen Kirchengemeinschaften an dem kirchlichen Vermögen. Der Kern ist einfach die allmülige Neberlieferung der römisch-katholischen Kirchen und ihres Vermögens an die sogenannten Altkatholiken. Der wackere Abgeordnete R e ich e n s p e r g er beleuchtete diese Tendenz ganz gut, indes Minister Or. Falk von der Geneigtheit der Regierung in den Antrag cinzugehen kein Hehl machte. Die Verhaftung des Bischofs von Münster, I)r. Johann Bernard Brinkmann (geboren 4. Februar 1813 zu Ewerswinkel, in der Nähe von Münster), wegen Uebertrrtnng der sogenannten Maigesetze, erfolgte am 18. Mürz. Man führte ihn zur Verbüßung einer vierzehn¬ tägigen Haft nach Warendorf ab — gerade über Ostern. Drei Tage vorher — im Konsistorium voni 15. März — hatte der hl. Vater den noch immer gefangen gehaltenen (abgesetzten!?) Erz¬ bischof von Posen nnd Gnesen, Graf M i e e i s l a n s L e d v ch o w s k i, zum Cardinal ernannt. klüter großen Ovationen kehrte der Bischof von Münster nm 27. April wieder in seine Residenz zurück. Aber schon am 28. Mai erhielt er vom Oberpräsidenten die schriftliche Aufforderung, binnen 10 Tagen sein Amt niederzulegen. Da der Bischof dieser Aufforderung, wie nicht bemerkt zn werden braucht, nicht nachkam, so wurde nun auch gegen ihn das sogenannte Absetzungsverfahren beim sogenannten Gerichtshöfe für kirchliche Ange- 184 4- Theil. Haupt stück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirchs. legenheiten eingeleitet und als Termin zur Vernehmung des Bischofs der lO. Jnli — dann erstreckt auf den 23. Juli — bestimmt. Auf ärztliches Gutachten begab sich der Bischof zuerst nach Carlsbad. Das Abgeordnetenhaus, welchem kurz vorher eine Protesterklärung zugegangen war, die der Erzbischof von Köln für sich und seine Amts¬ brüder wegen des Gesetzentwurfes über die Verwaltung des katholischen Kircheuvermögens verfaßt hatte, nahm am t6. Mürz den Gesetzentwurf betreffend „die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bisthümer und Geistlichen" — man nannte es be zeichnend kurzweg das „Brodkvrbgesetz" — in Angriff. Die Polemik dagegen eröffnete Abgeordneter August Reichensperger. Er wies nach, daß „die Leistungen an die katholische Kirche auf P ri v a trecht s- titelu beruhen, die durch Staatsgesetz nicht beseitiget werden können. „ Laut Edict hatte der Staat als Gegenleistung für die Säe n- larisation des Kirchenvermvgens die Verpflichtung übernommen, für eine ausreichende Dotirnug der Kirche Sorge zu tragen." Darum sei das Gesetz „recht eigentlich ein Gesetz der Rache, nur um mit Bewußtsein Unrecht zuzufügen". Ihm entgegnete Minister Or. Falk — natürlich pro ckoiuo snu. Dafür sprach sodann auch der bekannte Geschichtsschreiber, Abgeordneter von Sybel. Und nun folgte ein Intermezzo. Als nämlich von Sybel zum Beweise der Staatsgefährlichkeit der „Ultramontanen" den Roman Conrads von Bolanden „Die Reichsfeinde" citirte, welcher die Dio- cletianische Verfolgung schildert, und hervorhob, daß unter Diokle¬ tian eigentlich Kaiser Wilhelm, und unter dem Minister Dio- cletian's, Marens Trebonins, den Bolanden später immer abkürzend „Mark" nenne, eigentlich Bismarck gemeint sei, (?) da, in demselben Momente tritt Bismarck selbst in den Saal. Gejnbel und Händeklatschen auf den Tribünen! Den Gesetzentwurf charakterisirte uach Gebühr sodann der greise, immer auf der Seite des gemißhandclten Rechtes stehende Abgeordnete von Gerl a ch (Protestant). Ebenso wahr als kernig sagte er unter Anderem: „Man will die römisch-katholische Kirche in eine national-deutsche umgestalteu." Dem Gesetzent¬ würfe, wie schon den früheren, liege der Satz zu Gründe: „Der Staat ist Gott und der jeweilige Cultusminister sein Prophet" n. s. w. Nun erhob sich Fürst B i s m a r ck. Die Reptilien Blätter fanden seine Rede niederschmetternd für die „Ultramvntanen", und doch enthielt sie meist Europa. Z 8. Preußen. Aus dein svgenauuteu Culturkampfc. 185 nur schon oft gehörte Schlagwörter vom — freilich unbedingten — Gehorsame gegen die Staatsgesetze; von solchem „Königsdienst"; von Befreiung vom „fremden Geistesdruck"; vom Schutz des deutschen Volkes „gegen römischen Druck" u. s. w. Gegen den 8 1 sprachen die Abgeordneten Freiherr von Wendt und Thissen, Dvmcapitular von Limburg. Zum größtem Aerger der Liberale:: verlas W e udt die Encyklika, was der Präsident nach der Geschäftsordnung nicht hindern zu können erklärte. Der 8 l wird mit 263 Stimmen gegen 88 angenommen. Den 8 - bekämpfte Windt- h o rst (Abgeordneter von Meppen). — Nach ihn: sprach wieder B i s- marck und rief hie und da „Heiterkeit" hervor. Auch der H 2 fand Annahme. Die zweite Berathung des „Brodkorbgesetzes" st geschah im Ab¬ geordnetenhause am 19. März. Die dritte Lesung au: 6. April, in welcher dagegen 10 Redner sprachen, darunter wieder Reichen¬ sperger, Graf Praschina, Freiherr von Hennemann, Windt- horst (Abgeordneter von Meppen). Die Sitzung endete mit der An¬ nahme des ganzen Gesetzes. Das Herrenhaus ging in die Berathung des „Brodkorbgesetzes" ein am 14. April. Gegen dasselbe sprachen Graf Brühl (Katholik), der ehemalige Justizminister Graf Lippe (Protestant), welcher die Cvmpctenz der Landesvertretung bestritt; von Kleist-Retzow (auch Protestant), dessen Besorgniß für die evangelische Kirche der Cultus- minister I)r. Falk damit zu beschwichtigen suchte, daß die Vorlage j a nur zur Niederkämpfung des katholischen Clerus be- st i n: m t sei. — Ferner Graf M i e l h n e s ki. — Fürst B i s m a r ck wärmte wieder den alten Kohl auf, daß sich der Papst seit dem va- tieanischen Cvneil an die Stelle der katholischen Kirche gesetzt habe, und die Bischöfe nunmehr blos seine Prä-fecten seien; sagte, der unfehl¬ bare Papst könne nicht als Nachfolger des Apostels Petrus anerkannt werden, denn der Apostel Petrus war nicht unfehlbar, weil er sün- ') lieber dasselbe sagte ein fortschrittlicher Abgeordneter, von Kirch mann, Vertreter Breslaus, unter Anderem: „Niemand wäre mehr (bei solchem Verfahren der Negierung) in seinem Eigenthum sicher, und es könnten Zeiten kommen, wo auf Grund solcher Präeedentien Demokraten oder Socialisten wegen Staatsgcfährlich- keit ihrer wohlerworbenen Rechte durch die Gesetzgebung für verlnstig erklärt werden könnten". 186 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. digte, was er nachher freilich bereute') und erklärte abermals zur Beseitigung j e dw e d e n J r r t h u m e s, er s e i k e i n F e i n d der katholischen Kirche, er habe sich als solcher nicht bezeichnet. Er bekämpfe nicht die katholische Kirche, sondern jenes Papstthum, welches die Verfolgung und Ausrottung der Ketzer -) als Princip hiustelle, welches ein Feind des Evangeliums und nothwendig auch ein Feind des preußischen Staates sei.") Am 15. April setzte das Hcrreuhaus die erste Berathung des „Sperrgesetzes" fort. Mit der Wärme und Entschiedenheit eines auf¬ richtigen Katholiken bekämpfte dasselbe Graf von Landsberg-We- leu und Gemen: — auch Graf Schulen burg-Betzendvrf protestirte dawider. Speciell gegen 8 I erklärten sich von Senfft Pilsach, von Witzleben, auch Graf von Pfeil. Die namentliche Abstimmung über 8 1 ergab !)I Stimmen dafür, 29 Stimmen dawider. Auch die übrigen Paragraphe wurden angenommen. Die zweite Berathung mit dem nämlichen Resultate hatte statt am 17. April. Mit Decret oino-Bild (October 1878) nach Johannisberg gesendet haben. („Allgemeine Zeitung" Nr. 306.) Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogenannten Culturkampfe. 195 ließ er sich obendrein von einem sogenannten altkatholischen Geistlichen tränen) Heini; wie die Meisten in ähnlichen Fällen, gab auch er eine Schrift gegen den Cölibat heraus. Der königliche Administrator der Erzdiöcese in tsrnporalibns trug dem dortigen Kirchenvorstande auf, nach wie vor dem nun mehr benöthigenden beweibten Propste das Pfründen¬ einkommen auszufolgen (über 6000 Mark jährlich.) Dafür wurde in derselben Zeit der Bischof von Trier zu nicht weniger als 91.350 Mark -— zn zahlen binnen einer Woche — verurtheilt, und zwar für die Nichtbesetzung der sogenannten Succursalpfarren. Die Pfändung hatte kein Resultat. Auf ein ähnliches bescheidenes (!) Maß bezifferte sich die Geld¬ buße des Bischofs von Hildesheim: nämlich auf 33.600 Mark. Später wurde ihm befohlen, seine bisherige Wohnung bis 1. October 1876 zu räumen. Am 3. November wurde gegen den Bischof von Limburg eine Exemtion in der Höhe von 1100 Mark vollzogen. Als etwas Erfreuliches verzeichnen wir die im September zu Kreuznach vollzogene Cvnversivu des Prinzen Karl zu Solms- Brannsfels auf Grafenstein zur katholischen Religion. Zwei Mo¬ nate später starb er. Am 24. November !875 ließ die Regierung das bisher nvch stehen gebliebene Priester-Seminar in Köln definitiv schließen. Der Erz¬ bischof von Köln selbst reiste am 14. December nach Holland ab, um seiner Jnteruirnng nuszuweichen, welche zweifelsohne erfolgt wäre, weil ihm bereits am 2. December vom Oberpräsidenten die Aufforderung zur Niederlegung seines Amtes — dieses Vvrstadinm znm sogenannten Absetzungsprvcesse — zugegangen war. Der Erzbischof erwiderte, daß er dem Staate das Recht nicht zuerkenne, Diener der Kirche abzusetzen; erklärt die moderne kirchenpvlitische Gesetzgebung für einen Vernich¬ tungskampf gegen die katholische Kirche; beruft sich auf seine auch von allerhöchster Seite anerkannte Treue und Gehorsam gegen den Staat in allen diesem zuständigen Dingen; aber Pflicht und Gewissen ver¬ bieten es ihm, sich den neuen kirchenpvlitischen Gesetzen zu unter¬ werfen u. s. w. Er wurde auf den 28. Juni vor den königlichen Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten geladen; am nämlichen Tage sprach derselbe seine Absetzung aus — selbstverständlich war der Erzbischof nicht er¬ schienen. 13* 196 l. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Das königlich Preußische Gericht schenkte ihm auch ferner noch seine Aufmerksamkeit. Wege» unbefugter (?) Amtshandlungen in zwei Fällen verurtheilte es den abgesetzten (!) Erzbischof zu 600 Mark Geldbuße, eventuell einen Tag Haft für je 20 Mark (Juli l877). In Münster wurde sogar der im Jahre 1683 von: Fürstbischof von Für sten berg gestiftete, mehrere hunderttausend Thaler betra¬ gende Fond für auswärtige Mission mit Beschlag belegt. Nach einer annähernden Schätzung des „Liborius Boten" in Münster sind bis October 1875 gegen katholische Bischöfe, Priester und Redacteure in Preußen oircm 1,200.000 Mark Geldbuße (ohne das sogenannte Brodkvrbgesetz), eventuell 50.000 Tage Gefängniß ver¬ hängt worden. — Nach der „Mayener Bvlkszeitnng" beträgt blos in der Diöcese Trier die Gesammtsumme der seit Beginn des „Cultur- kampfes" über Geistliche verhängten Strafen bis znm Anfang Sep¬ tember 1875 nicht weniger als 80.925 Mark, eventuell 10.074 Tage Gefängniß. — Gewiß eine schöne Summe, auf welche die „Cnltur- kämpfer" stolz sein können! Am 3. Febrnar 1876, Morgens fünf Uhr, wurde der Cardinal nnd Erzbischof von Pvsen-Gnescn, Graf Mieceslaw Ledvchowski, seiner zweijährigen Haft in Ostrowo entlassen. Es ward ihm bedeutet, daß er, falls er die Provinzen Schlesien und Posen, und die Regie¬ rungsbezirke Frankfurt und Marienwerder betreten sollte, in Torgan internirt werden würde. Selbstverständlich gab er keine bindende Zu¬ sicherung. Er reiste über Berlin nach Prag - - kam dann nach Krakau, wo ihm aber bedeutet worden sein soll, (?) seine Reise nicht weiter in Galizien fortzusetzen. Mehrere Tage verweilte er svdann in Wien. Mittlerweile brachte das Amtsblatt der königlichen Regierung von Posen cine Bekanntmachung, laut welcher dem Cardinal-Erzbischof ans Grund des Reichsgesetzes vom 4. Mai 1874 der Aufenthalt in der Provinz Posen definitiv untersagt ist. Am 3. März gegen Abend kam der Cardinal in Rom an. Anfangs 1876 verfügte sich der Cardinal Fürst Hohenlohe nach mehr als vierjähriger Abwesenheit wieder nach Rom. Die preu¬ ßischen Blätter brachten damit allerlei Gerüchte über ein anzubahnendes Compromiß zwischen der päpstlichen Curie und der königlich preußischen Regierung in Verbindung. In seiner eben damals erschienenen Schrift „Kulturkampf oder Friede in Staat und Kirche" legte aber der Ab- Europa. Z 8. Preußen. Aus dem jogeuaunteu Culturkampfe. 197 geordnete und Centrumsmitglied, Peter Reichensperger dar, daß an dem Kampfe zwischen Staat und Kirche nur der Erstere die Schuld trage; daß die sogeuannteu Maigesetze tief in das Innerste der katho¬ lischen Kirche cingreifen, und daß der Friede nur auf einem der drei Wege bewerkstelligt werden könne; nämlich: der einfachen Wiederauf¬ nahme der Artikel XV, XVI und XVIII der preußischen Verfassungs- urknudc, oder eines neuen Coucordates mit Rom, oder endlich der „Trennung von Staat und Kirche". Am 7. Mürz 1876 erfolgte im Abgeordnetcuhause die erste Lesung des Gesetzentwurfes über das Staatsaufsichtsrecht bei der Vermögens- Verwaltung katholischer Diöeesen (Bisthümer). Der Cultusminister ver¬ suchte nachzuweisen, daß dadurch die eonfessionelle Parität nicht verletzt werde. (?) In den nächsten Tagen wurde die Debatte fortgesetzt. Am I I. Akai ging das Haus in die zweite Berathung ein; am 13. Mai in die dritte. Am 7. Jnni sanetivnirte der König das die Freiheit der katho¬ lischen Kirche in Betreff der Vermögensverwaltung fast vernichtende Gesetz, welches mit I. Octvber 1876 in Kraft trat. Die Ausführungs- Verordnung dazu trügt das Datum vom 29. September. Der preußische Episkopat richtete wider das Gesetz eine Rechtsverwahrnng au das königliche Ministerium, mit dem Bemerken, daß die durch das Gesetz Betroffenen in ähnlicher Weise, wie solches dem Gesetze vom 20. Juni 1875, betreffend die Vermögensverwaltung in den katholischen Pfarr¬ gemeinden gegenüber im vorigen Jahre geschehen ist, sich genölhiget sehen würden, zur Ausführung des Gesetzes vom 7. Juni d. I. in- sofernc mitzuwirken, als dieses zur Abwendung der durch das Gesetz für den Fall der Renitenz angedrohteu schweren Nachtheile nvthweudig erscheint. Mit den Bischof-Absetzungen, ging man ohne Bedenken vorwärts. Am 8. März sprach der sogenannte königliche Gerichtshof für „kirchliche Angelegenheiten" die, wie erzählt, bereits angedrvhte „Dienstentlassung" des Bischofs von München I)r. Johann Bernhard Brinkmann aus. Die ganz überflüssige Aufforderung des Oberpräsidenten zur Wahl eines Bisthnmsverwesers wurde vom Dvmcapitel einstimmig zurück- gcwiesen. Der Bischof selbst begab sich zuerst in der Schweiz. Anderseits unterstützte die königliche Regierung ihre gefügigen Werkzeuge, d. i. die „Staats"-Geistlicheu, gegen die Bischöfe. 198 I. Theil. 1. Hanptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Das religiöse Gefühl der katholischen Bevölkerung kränkte es fast noch mehr als bisher schon geschehen, als der Cultnsminister vr. Falk eine den Religionsunterricht in der Volksschule betreffende Verfügung, ckcko. 8. Februar 1876, erließ, deren Endzweck kein anderer ist, als den bernfstrenen katholischen Priester ganz aus der Schule zu ver¬ drängen und dafür den „einen integrirendcn Theil des Unterrichtes an der Volksschule als bloßem Staatsinstitut bildenden Religionsunterricht" ausschließlich in die Hände sogenannter Staatsgeistlichen, oder gar glau¬ bensloser Lehrer zu spielen, das heißt die katholischen Schüler für die preußische Nationalkirche zu dressiren. Der Geistliche ist in der Schule nur zu dulden „so lange er durch sein Verhalten — sagt der Minister - nicht diejenigen Zwecke ge¬ fährdet, welche der Staat mit der Erziehung der Jugend durch die Volksschule verbindet". Nun — was das für Zwecke in Preußen seien, ist bisher männiglich sattsam klar geworden. In Preußen wollen die Culturkämpfer nur eine s o lch e K i r che, welche ihre Zwecke för¬ dert; sie selbst darf für sich keinen selbständigen Zweck haben — eben weil sie für den Staat nur Mittel sein soll. Die Redner des Centrnms des Abgeordnetenhauses bekämpften mit aller Ueberzeugnngstreue diese neuen Mißachtungen eines der heiligsten und wesentlichsten Rechte der katholischen Kirche, des Rechtes nämlich auf den katholischen Unterricht und Erziehung ihre r Schuljugend; so unter Anderem nm 14. Mürz Wiudthorst. „Ich will lieber — sagte er — daß die Schüler vollständig cvnfessivnslvs sind, und daß jeder Confession die Sorge für den Religionsunterricht überlassen bleibt, als das Mixtum eompositnm, das die Regierung uns jetzt bietet." Abgeordneter Reichens Perger brachte dawider am IO. Mai einen vom Centrum unterstützten Antrag ein, dessen Schicksal leicht vorauszusehen war. — Daneben aber hob Minister Falk eine Ver¬ fügung seines Vorgängers, daß ein Jude nicht Mitglied des Vor¬ standes einer christlichen Schule sein könne, auf. Ein tief verletzendes Attentat auf das katholische Gefühl war die Transportiruug bereits c o n s e c rirter Hostien ') durch Gens- darmen aus der Kirche zu Ohlau in Schlesien vor die Gerichtsbehörde anläßlich einer Untersuchung wider den Pfarrer von Kvttwitz, der — ') Die Thntsnche ihrer Cvnsecrirmig steht unbestritten fest. Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogenannten Culturkampfe. 199 über höheres Geheiß — seinen Caplan — einen Trunkenbold — snspendirt hatte, wogegen dieser an das weltliche Gericht appellirte. Der Abgeordnete vr. Franz brachte dawider am 18. Mai eine Interpellation im Abgeordnetenhause ein, die dahin bom königlichen Minister beantwortet wurde, daß die Gerichtsbehörde im Rechte war. Im nämlichen Schlesien wählte der protestantische Patron der römisch-katholischen Pfarre Ober-Herzogswaldau bei Freystadt den „altkatholischen" Prediger Strncksberg auf Grund der Mai¬ gesetze zum Pfarrer, obwohl sich dort nicht ein einziger sogenannter Altkatholik befand. Der Kirchenvvrstand erhielt den Auftrag, diesem Eindringlinge das Pfarrvermögen anszufolgen. Wieder befreite der Tod einen preußischen Bischof von ferneren Quälereien — nämlich jenen von Trier, vr. Mathias Eberhard. Er starb am 30. Mai l876 in Folge eines Schlaganfalles. Geboren war er am I. November 1815 in der Pfarre St. Gangvlph in Trier. Die Regierung ärgerte sich darüber, daß Cardinal L e d 0 ch 0 w s ki sich noch immer als Erzbischof von Posen-Gnesen geriete, obwohl sie ihn „abgesetzt" hatte. Der Cardinal hatte nämlich mit Schreiben cläo. 8. Juli 1876 deu Pfarrer Brenk in Piasky aufgefvrdert, binnen 90 Tagen die vvn ihm geschehene Anerkennung der kirchenpolitischen Gesetze zu widerrufen, widrigenS er den kirchlichen Strafen verfalle. Der „Staats"Pfarrer überlieferte dies Schreiben der königlichen Regie¬ rung. Es verlautete schon, daß die königliche Preußische Regierung von der italienischen Regierung die Ausweisung Ledochowski's ver¬ langen werde. Dies bestätigte sich zwar nicht; wohl aber wies sie die Behörde an, gegen jene Zeitungen, welche Erlässe „abgesetzter" Bischöfe veröffentlichen, die gerichtliche Verfolgung einzuleiten. Ja noch mehr. Der Gerichtsdieuer des römischen Znchtpolizeigerichtes übergab am 31. Jänner 1877 dem Cardinal.L e d v ch v w s k i einen Anklage- und Vorladungsact des Tribunals zn Posen für den 7. und 8. Februar, nm sich wegen der ihm zur Last gelegten Vergehen gegen die deutschen Kirchengesetze zn verantworten! Das Kreisgericht von Jnowraclaw verurtheilte den Cardinal —> natürlich in Abwesenheit — am 9. Februar wegen Uebertretung der Preußischen Maigesetze, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Maje- statsbeleidigung zn zweieinhalbjährigcm Gefängniß und 300 Mark Geld¬ buße, eventuell dreimonatlichem Gefängniß. 200 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Unbeirrt hiedurch excommunicirte der Erzbischof Cardinal Ledochowski auch den staatlich eingeführten Pfarrer von Exin, N o lvack i. Das erwähnte königliche Kreisgericht zu Jnvwraclaw erließ hinter dem Cardinal einen Steckbrief ckcko. 10. März, und da wieder ver¬ lautete, daß die königliche preußische Regierung von Italien sogar seine Auslieferung verlangte und da vom italienischen Ministerium ein solcher Pvlizeidieust wohl zu erwarten war, so bezog der Cardinal über Ein¬ ladung des Papstes eine Wohnung im Vatiean. Wieder verurtheilte ihn unter Erlassung eines Steckbriefes das Kreisgericht von Posen (26. Mai) wegen Vergehens gegen den Kanzel¬ paragraphen und Beleidigung Bismarck's zu einjährigem Gefängnis; und ferner wegen ungesetzlicher Vornahme amtlicher Handlungen und Gebrauch des Titels: Erzbischof von Posen und Gnesen zu 3000 Mark Geldbuße, eventuell Gefänguiß von sieben Monaten. Unterzeichnete ja Cardinal Ledochowski sogar auch die früher erwähnte Rechtsverwahrnng gegen das Gesetz vom 7. Juni 1876, und sagt am Schlüße seines Schriftstückes vom 23. September an das könig¬ liche preußische Staatsministerium: „Obgleich ich wenig Hoffnung habe, daß das Staatsministerium der Vorstellung der Bischöfe ein geneigtes Ohr leihen und ihre berechtigten Wünsche erfüllen wird, so bin ich doch gezwungen, diesen Protest und meine Verwahrung an das hohe Staats¬ ministerium zu richten, weil dies d i e Pflicht meines bischöf¬ lichen Amtes erfordert, so wie auch deshalb, weil ich weiß, daß es eine Gewalt gibt, die höher ist, als die menschliche Gewalt, welche jederzeit den Protesten der Kirche die Weihe einer unüberwind¬ lichen Kraft ertheilt." Der (staatlich abgesetzte) Bischof Di-. Brinkmann von Münster und dessen Generalviear Ur. Giese wurden vom dortigen Kreisgerichte auf den 7. December 1876 vorgetaden, nm sich gegen nichts gerin¬ geres, als gegen die Anklage wegen Unterschlagung von Geldern und Werthpapieren zu verantworten. Sie hatten nämlich dem Bisthum gehörige Gelder und Acten vor dem Staate, der sie sonst Ungezogen haben würde, in Sicherheit gebracht. Am 14. December wurde gegen den Bischof auf ein Jahr, gegen seinen Generalviear vr. Giese auf zwei Jahre Gefängnis; erkannt. (Steckbriefe durften nicht fehlen.) Von Antwerpen aus meldete der Bischof durch seinen Bevollmächtigten da- Europa. K 8. Preußen. Aus dem sogenannten Cnlturkampfe. 201 wider Berufung an; das zweitinstanzliche Erkenntniß, verkündet am 15. November 1877, sprach den Bischof frei; bei vr. Giese aber blieb es wegen Beseiteschaffung von Aeten nnd Urkunden bei dem Ur- theile auf zweijähriges Gefänguiß. Das Obertribunal aber sprach sämmt- liche Angeklagte ganz frei nm 13. Juni 1878. Auch den wenigen noch im Amte befindlichen Bischöfen sollte es nicht besser ergehen, als ihren schon exilirten Mitbrüdern. Der Bischof von Limbnrg erhielt am 17. Oetober 1876 vom Oberpräsidenten die Aufforderung, sein Amt niederzulegen, welche er natürlich gleich den übrigen Oberhirten znrückwies. Der Bischof von Ermeland wurde wegen Nichtbesetzung einer Pfarre in eine Geldstrafe von 500 Mark verurtheilt. Da die Regierung sogar auch die Ertheilung des Religionsunter¬ richtes in den Volksschulen den Priestern, welche treu zur Kirche hielten, unmöglich machte und damit nach Willkür weltliche Lehrer betraute, so sprachen sich die Pfarrer der Diversen Paderborn und Münster in Einlagen an ihre respectiven Bischöfe äcko. 28. Juni 1876 und Juli und August 1876 für die unbedingte Nvthwendigkeit der missio euno- nieu an weltliche Lehrer zu obigem Zwecke aus. Die Paderborner Geistlichen sagen darin: „Sofern ein Lehrer sich weigern würde, die verlangte Zusage, in treuem, engem Anschlüsse au die kirchlichen Vor¬ schriften den Religionsunterricht zu ertheilen, oder wenn er sich des ihm geschenkten Vertrauens thatsächlich unwürdig machen sollte, so würden wir — wenn auch mit schwerem Herzen — uns entschließen müssen, zur Versagung der kirchlichen Gnadenmittel unsere Zuflucht zu nehmen." Der Papst billigte diese Sorgfalt für die katholische Jugend in seinem Breve an den Bischof von Paderborn ckcko. 31. Juli 1876. Eine ähnliche Entscheidung des hl. Stuhles über die Nvthwendigkeit der mismo erfolgte an die Geistlichkeit der Divcese Münster. Die Pfarrer der beiden Diöeesen Münster nnd Paderborn erklärten in ihren Einlagen an den Kultusminister vr. Falk, sich demgemäß richten zu wollen und schließen mit der Bitte: „Ew. . . . wollen ge- neigtest alle diesen unseren Rechten entgegenstehenden regiminellen Ver¬ fügungen nnd Bestimmungen aufhebeu." Die königliche Regierung aber drohte allen Priestern mit den Strafen wegen gesetzwidriger Anwendung kirchlicher Zuchtmittel, wenn 202 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. sie die oberwähnte Versagung kirchlicher Gnadenmittel (Absolution u. s. w.) gegen Lehrer, welche die erwähnte Zusage verweigern, in Anwendung bringen würden. Minister Falk wies die beschwerdeführenden Psarrer, anch aus Schlesien, Diöcese Breslau — wie vorauszuschen — einfach ab. — Da viele (55) zum Theile hochadelige Manner von Westphalen ihre katholischen Genossen aufforderten, sich den Grundsätzen ihrer Geistlichen anzuschließen, so veranlaßte dies einen Mvnstreproeeß. Denn sie wurden angeklagt, durch Verbreitung von Schriften zum Ungehorsam gegen Gesetze aufgefordert zu haben! Doch sprach das Preisgericht zu Münster ein freisprechendes Urtheil (Februar 1877). Ueber die uachgerade zur traurigsten Gewissensbedrängniß gewor¬ dene Nothlage, in welche im Namen der königlichen Regierung Minister vr. Falk die katholischen Eltern, Kinder und Priester versetzte, bringt nähere Details das „Archiv für katholisches Kirchenrecht", Jahrgang l877, Heft 5. Ein Erkenntniß des Obertribnnals vom 14. Juni 1877 bejahte die Frage, ob im Bisthum Münster katholische Lehrer und Lehrcrinen nach den Staatsgesetzen oder nach den von der Obrigkeit innerhalb ihrer gesetzlichen Zuständigkeit erlassenen Anordnungen auch ohne daß sie die inissio ennouion erhalten haben, zur Erthei- lnng des Religionsunterrichtes in der Volksschule verpflichtet erscheinen. Wahrlich! einen solchen Eingriff in das innerste Heiligthum der katholischen Kirche wird eine unbefangen urtheilende Nachwelt kaum begreifen können. Welch betrübende Zustände! Ueber die bestbegründete Beschwerde Reichensperger's gegen die oberwähnte cultusministerielle Verfügung vom 18. Februar 1876, ging das Abgeordnetenhaus nach einer Gegenrede Or. Falk's am 24. Jänner 1877 einfach zur Tagesordnung über. Ja, die Regierung enthob sogar, auch als Antwort auf die Remon¬ strationen, sämmtliche Pfarrer der Diöcese Paderborn der Local-Schnl- inspectivn und ertheilte den Geistlichen gleichzeitig die Weisung sich fernerhin der Leitung des Religionsunterrichtes in den Schulen zu ent¬ halten. — Dabei aber gestattete die nämliche Regierung — freilich nur vorläufig — uoch die Fortdauer der geistlichen Schulinspectoreu in Elsaß- Lothringen. Zur Auffindung allfälliger Erlässe rc. des „abgesetzten" (!) Bischofs von Paderborn ließen die Behörden an gar vielen Orten der Diöcese Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogenannten Cultnrkampfe. pgz und der Rheinprovinz Hausdurchsuchungen, nicht nur bei Geistlichen sondern mich bei Geschäftsleuten und Andern — freilich ohne Erfolg — anstelle» (Jänner 1877). Ueberhaupt machten sie hie und da zu viel Aufsehen, wie zum Beispiel iu der Angelegenheit der Muttergottes- Erscheinungen bei Marpingen (einem ehemaligen lothringischen Dorfe, etwa zwei Stunden von St. Wendel), wo man die Kinder, welche die hl. Jungfrau gesehen haben wollten, in Verwahrung nahm, sodann aber, da sie bei ihren Aussagen beharrten, wieder frei gab. ') In seiner Thronrede zur Eröffnung des neuen Landtages am 12. Jänner 1877 kündete der König keine neuen kirchenpolischen Gesetze mehr an. Es war wirklich an den bisherigen schon mehr als genug! Welche Erbärmlichkeit hie und da der „Cultnrkampf" in Preußen zu Tage förderte, bezeugt unter Anderem die „Augsburger Allgemeine Zeitung". Wir lassen sie selbst reden: „Aus Westpreußen laufen trau¬ rige Nachrichten über schlimme Auswüchse des Cultnrkampfes ein, indem dort namentlich das Dennneiantenthum in voller Blüthe steht, und stellenweise in einer geradezu verabscheuungswürdiger Weise gehandhabt wird. So hatte ein Lehrer zu Nienstädt in Westpreußen dem Pater Guar¬ dian daselbst seine Beichte abgelegt nm ihn gleich darauf bei der Staats¬ anwaltschaft wegen Vergehens gegen die Maigesetze anzuzeigcn. Dabei spielte ein anderer Lehrer, der gleichfalls demselben Geistlichen gebeichtet hatte, die Rolle eines Zeugen. Das Gericht verurtheilte darauf den Pater wegen gesetzwidrigen Beichtehörens zu einer Geldbuße von 100 Mark, der im Nichtzahlnngsfalle zehn Tage Gefängnis) sub- stitnirt wurden." (Nr. 22 vom Jahre 1877.)Z Die nämliche Zeitung führt ein anderes (aus einigen ähnlichen) Beispiel enlturkämpferischer Inhumanität an (Nr. 26). „Vorgestern — ') Die Marpingcr Angelegenheit kam auch im Landtage (Jauner 1878) zur Sprache — wegen der Unkosten, welche die Gemeinde für die militärische Ein- qnartirnng bei ihr zu tragen hatte. ?) Dieser Fall steht nicht vereinzelt da. In der Sitzung des Abgeordneten¬ hauses vom 21. Februar 1877 kamen derlei frevelhafte Eingriffe in das Institut der katholischen Kirche zur Sprache. Deswegen sagte damals Abgeordneter Windt- horst (Meppen): „So lange diese Angriffe des Staates fortdanern, könne kein Friede einkehren". — Minister vr. Falk erwiderte 23. Februar unter Anderem: „Die Regierung werde beim Nachweis, daß einige Härten in den Maigcsctzen feien, der Sache näher treten; solche Beweise feien aber bisher nicht bci- gebrach t". 204 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. 22. Jänner — wurde der Pfarrer J o b e r t von Stambvrn nach fast dritthalbjähriger Gefängnißhaft ans dem Arresthause zu Saarbrücken entlassen; jedoch gleichzeitig angewiesen, den Regierungsbezirk Trier in¬ nerhalb zweimal viernndzwanzig Stunden zu verlassen. Jobert ge¬ hört nämlich zu der Categorie der maigesetzwidrig angestellten Geist¬ lichen. Eine nur neunmonatliche Verwaltung der ihm von seinem Bi schofe im Widerspruche mit den Maigesetzen übertragenen Pfarre zu Stambvrn hatte derselbe mit nicht weniger als 903 Tagen Gefängni߬ haft zu büßen. — Er hatte 27 Monate lang das harte Los der Ein¬ zelhaft zn ertragen, war ein ganzes Jahr hindurch auf die gewöhnliche Hauskost angewiesen; durfte sechs Monate laug die hl. Messe gar nicht lesen; l 4 Monate lang nur an Sonn- und Feiertagen, und erhielt erst in den letzten zehn Monaten die Erlanbniß zum täglichen Celebriren." Solche barbarische Acte dürfen der Vergessenheit nicht anheimfallen, sondern müssen als Illustrationen zur Toleranz- und Cultnrgeschichte des 19. Jahrhundertes aufbewahrt werden! Wegen Ertheilung von Fastendispensen in drei Füllen (nota bono bei st a a tli ch e r Erledigung des erzbischöflichen Stuhles) wurde (12. Fe¬ bruar) der Propst Rendzinski zu Posen zu sieben Monaten Ge- fängniß verurtheilt. Bei den früher erwähnten Debatten im Abgeordnetenhanse zeich¬ nete, wie bereits am 16. Februar vr. Franz, am 27. Februar mit lebhaften Farben Freiherr von Schorlemer-Alst die Ungerechtig¬ keit und unseligen Folgen des Preußischen Cultnrkampfes. „Es wird die Zeit kommen, schloß er, wo Alle, die durch den Cultnrkampf Schaden erlitten; wo alle durch die Maigesetze Verfolgten und Mißhandelten als eben so viele Ankläger mit den Cultnrkämpfcrn und dein Kultusminister Falk vor Gottes Richterstuhl kommen werden, und Gott wird richten." Selbst der Abgeordnete Lasker, ein Jude, befürwortete am 28. Februar eine Revision der Maigesetze; ebenso der gut katholische Abgeordnete Schröder. — Alles umsonst! Am 10. März wurde der ohnehin schon ganz geplünderte Bischof von Ermeland neuerdings mit einem Pfändungsbefehl über 3500 Mark heimgcsucht. Während allerlei Gerüchte über von Preußen angesponnenen Ver- söhnnngsversuche mit der sogenannten römischen Curie, recte mit dem Papste, auftauchten - welche aber von den Katholiken mit Recht als Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogeuannteu Culturkampfe. 205 verdächtig mit ungläubigem Kopfschütteln hingenommen wurden, so lange Preußen nm Principe der Staatsomnipotenz der Kirche gegen¬ über festhalte, wurde die politische Welt durch die Nachricht überrascht, der Reichskanzler Fürst Bismarck habe um seine Entlassung gebeten, welche ihm aber nicht, sondern nur ein mehrmonatlicher Urlaub vom Kaiser Wilhelm bewilliget worden sei. Mau fragte sich, ob Bismarck etwa gar schon des aussichts¬ losen „Culturkampfes" müde geworden sei?') Aber das Ganze war nicht so ernst gemeint. Bismarck blieb am Staatsrnder. Wieder eine staatliche Bischofs-Amtsentlassung (Absetzung)! Am 18. Juni l877 sprach nämlich der sogenannte Gerichtshof für kirch¬ liche Angelegenheiten dieselbe über den Bischof von Limbnrg, Dr. Peter Josef Blum aus. Auf die Aufforderung des Oberpräsidenten der Provinz Hessen- Nassan ckcko. Cassel 17. October 1876 das Amt n i e d e r zulcgen, hatte der Bischof am 25. October g. I. erwidert: „Eine staatsbehördliche Entlassung aus dem bischöflichen Amte gibt es nicht" u. s. w. In Heiligenstadt, Provinz Sachsen, saßen zwei katholische Priester eilf (!) Monate im Gefängniß — blos, weil sie ans Gewissensgründen sich weigerten, in einer Ehcdispcnssache Zeugnis; abzulegen. lieber das erbärmliche sogenannte Politische Dcnunciantenwesen gegen achtbare, auch weltliche Beamten Seitens der fanatischen Anhänger des „Culturkampfes" verdient die diesfalls gewiß unparteiische „Augsb. Allgem. Ztg." Nr. 286 Hanptblatt und auch der Artikel: „Des Sh- b el'scheu deutschen Vereins Spionirsystem und Denuncianteuthum" in der „katholischen Bewegung", Jahrgang XI, Heft 2, nachgelesen zu werden. Großartiges leistete hierin der unter der Leitung des bekannten Geschichtsschreibers Heinrich von Sybel, Directors der preußischen Staatsarchive stehende „Deutsche Verein der Rheinprovinz". Der — sogar gerichtlich abgeurtheilte — Spion I)r. Konitzer hat sich einen bleibenden Namen gemacht; denn „Konitzerei" ist als feile, servile Be- schnosfelung bereits sprüchwörtlich geworden. >) Als einfacher Herr von Bismarck-Schönhausen sprach er am 15. No¬ vember 1849 in der zweiten Kammer zu Berlin die bedeutsamen Worte: „Ich hoffe es noch zu erleben, daß das Narrenschiff der Zeit an dem Felsen der christlichen Kirche scheitert". 206 1. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Im Namm und im Auftrage von mehreren tausend am 14. Oetvber 1877 in Köln versammelten Katholiken aus allen Theilen der Provinz richteten 18 rheinländische Abgeordnete unterm 15. Oetvber an den Kaiser nnd König Wilhelm eine Jmmediat - Eingabe nm Behebung der Beschwerden über die kirchliche Bedruckung. — In gewohnter Weise fertigte Minister Falk dieselbe am 13. November in der Antwort an den Abgeordneten B a ch e m (Köln), der an der Spitze der Unterzeichner stand, ab, wie er es bereits am 13. Oetvber 1877 in Erledigung der auf der Bersammlung zu Pnderbvtn am 20. August d. I. angeregten Beschwerdeschrift ans den katholischen Schulgemeinden der Diöeesen Mün¬ ster und Paderborn gethan, worauf aber der Bevollmächtigte, Graf Droste zu Vischering die Antwort an den Minister ckdo. 16. Oetvber nicht schuldig blieb, und am 3. November mit einer Petition sich an das Abgeordnetenhaus gewendet hatte. Ueber diese, gegen den unverantwortlichen Gewissenszwang, welchen die königliche Regierung den katholischen Eltern und Kindern dadurch an- thut, daß katholische Schulkinder den Religionsunterricht in den Schulen auch von solch e n weltlichen Lehrern hören m ü s s e n, welche vom Bi¬ schöfe hiezu keine missio eanonierr haben, vom Grafen Drost e- Vischering und Genossen eingebrachte Meissen-Petition verhandelte das Abgeordnetenhaus zwar wohl am 23. und 24. Jänner 1878, an welch' letzterem Tage es aber darüber mit 267 gegen 104 Stimmen zur Tagesordnung überging. Ausgezeichnet, wie immer, hatte Abgeord¬ neter R c ich e n sp erger gesprochen. Im Abgeordnetenhanse erklärte Minister Falk am 22. November, nachdem Reichensperger und Windthvrst (Meppen) gegen die Maigesetze gesprochen, rundweg: „Die Frage der Aufhebung der Mai gefetze sei für die Staatsregicrung eine absolut indisentirbare; und die Staatsregicrung sei auch uicht in der Lage, der Erwägung, ob etwa in einer oder der anderen Bestimmung der Maigesetze sich eine Mvdi- ficativn empfehlen könnte, näher zu treten". ft) Mit der Annahme des Cnltus-Etats nach dritter Lesung am 18. De¬ cember hatten auch die Reden über den „Culturkampf" im Abgeord¬ netenhause ihr Ende. Am selben Tage beleuchtete der Abgeordnete Freiherr von Fürth die Zustände an der katholischen Universität zu Bonn, wo 87 römisch- katholische nnd zwei „altkatholische" Theologen studiren, aber drei Europa. Z 8. Preußen. Aus dem sogenannten Cultnrkanipfc. 207 „altkathvlische" Professoren und ein römisch-katholischer Ordinarius do¬ cken. Die Ersteren gehen der für sie bestimmten Stipendien verlustig, weil es ihnen ihr Gewissen nicht erlaubt, sich bei einem „alt"katholischen Professor dem Examen zu unterziehen. Selbst Virchow sagte vor dem Cultusminister unter Anderem: „Der Staat habe, anstatt barmherzige Schwestern zu verfolgen, allen Grund, diesen eine bevorzugtere Stellung zu gewähren." Ueberhanpt erhielt I)r. Falk so Manches zu hören — wogegen er sich am bequemsten hinter die Phrase, „die nun einmal bestehenden Gesetze müssen excquirt werden", flüchtete; diese aber zugleich für in- discutirbar erklärte. Diese Jndiscntirbarkeit der Aufhebung der Mai¬ gesetze erhielt auch die vom Reichstagsabgeordneteu Grafen Balle¬ st rem und 18 schlesischen Mitgliedern des Abgeordnetenhauses an den Kaiser gerichtete, mit 158,000 Unterschriften versehene diesbezügliche Petition auf allerhöchsten Befehl durch Minister Falk zur Antwort. Abermals wurden die „Cultnrkämpfer" eine Lücke in den sogenann¬ ten Maigesetzen gewahr, welche sic nun durch die Annahme des Minister Falk'sehen Gesetzentwurfes, der den Staats-Commissarien für die bischöf¬ liche Vermögensverwaltung das Executiv-Strafrecht vindicirte, im Abgeord- uetenhause am 5. Februar nach dritter Lesung ausfüllten. Das Herren¬ haus stimmte dem erwähnten Gesetzentwürfe in unveränderter Fassung zu am 7. Februar. Der König sanctionirte das Gesetz am 13. Februar. (Vergleiche im „Archive für katholisches Kirchenrecht", Band 3ö und 40 „Der Cnlturkamps im preußischen Abgeordnetenhause im No¬ vember und December 1877 und Jänner und Februar 1878.") So stand es mit der katholischen Kirche in dem zur Hege¬ monie Deutschlands gelangten Königreiche Preußen, als Pins IX. aus dem Leben schied. Ob in dem unseligen „Kulturkämpfe", welcher -- wahr ist's — der Kirche empfindliche Wunden "schlug, die staatliche Autorität er¬ starkte? Die Antwort darauf geben gewiß auch die verabscheuungs¬ würdigen zwei Attentate auf König Wilhelm I., die wenige Monate später den Abgrund anfdecktcn, an dessen Rand die bürgerliche Gesell¬ schaft bereits angelangt ist. Wird die Warnungstafel, auf dem bisheri¬ gen Wege inne zu halten und nmznkehren, so lange es noch nicht zn spät ist, berücksichtiget werden? Gott gebe cs! ') ') Sogar der protestantische Kirchciihistorikcr vr. Carl Hase in Jena fällt 208 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Zur Nachlesung empfehlen wir, was vr. Fr. M u a ß e n in seinem schon erwähnten Werke: „Neun Capitel über freie Kirche und Gewissens¬ freiheit" vom sogenannten Kulturkämpfe in Preußen schreibt Seite 447 bis 470. Nach einer prägnanten, zutreffenden Schilderung seines Wesens und seines Zieles schließt er: „Der Kampf, der jetzt ans märkischem Boden geführt wird, ist nicht der Kampf zwischen Protestantismus uud Kathvlieismus. Nicht um das, was Beide trennt, sondern um das, was sie verbindet, gilt es. Es ist der Kampf zwischen der auf die Indiffe¬ renz von gut uud böse gegründeten Preußischen Staatsmoral und dem Christenthume." Ein zwar scharfes, doch im Ganzen nicht unrichtiges Urtheil. Dabei aber dürfte es doch auch wahr sein, daß die leitenden Staatsmänner Preußens denselben für das von ihnen nur national ge¬ dachte Christenthum gegen das universelle, und dessen Trägerin, die katholische Kirche, führen. Eine preußische Nationalkirche, mit dem allfälligen Namen katholisch — freilich ein Widerspruch in uä- gaato — hätte nichts zu besorgen. Immer aber bleibt es richtig, daß auf den Gewinn aus diesem unseligen Kampfe zumeist Jene speeuliren, denen das Christen¬ thum überhaupt schon als überwundener Standpunkt gilt, und daß sie diesen Gewinn am Ende auch eiustreicheu werden, wenn Gott nicht Hilfe schafft. Wodurch? Durch die Erkenntnis; des Unrechtes und der Gewissens-Bedrückung dort, wo sie unter dem Aushängschilde sogenannter unveräußerlicher Staatsrechte uud vermeintlicher Omni- potenz geübt werden. Wird Friede? Seinetwegen braucht weder der Staat nach Canossa zu gehen, noch die Kirche durch das Candinische Joch. Gegenseitiges Vertrauen allein kann die vbangedeutete Erkennt niß und den Entschluß zur Umkehr anbahnen. „Diese Entschließung muß erleichtert werden — sagen auch wir mit Peter Reichensper¬ ger in: „Culturkampf und Friede in Staat und Kirche", S. 05, durch die belehrende und warnende Thatsache, daß der Culturkampf durchweg den lebhaften Beifall aller Derer gefunden hat, welche nicht blos den Altar, sondern anch den Thron für gemeiuschädliche Dinge erklären." in seiner neuesten Schrift (1878) „Des Culturkampfes Ende" über diesen kein günstiges Urtheil. ') Leider scheint die Rede des Ministers I)r. Falk, in der er im Abgeord¬ netenhanse am I I. December 1878 die Anträge des Centrnms-Mitgliedes WindU Europa. Z 9. Die katholische Kirche in Baiern. 209 „Die That redet lauter als die Warte - schreibt die „Germania" anläßlich der abweisenden Rede Falk's: „Man will keinen Frieden, den die Kirche, ahne sich selbst und ihre Grundsätze aufzugeben, ein- gehen kann. Wenn man vvn Frieden redet, se> meint man jenen trau¬ rigen Zustand, den der selige Hermann vvn Mallinckrodt treffend den „Kirchhvffrieden" für die Kirche genannt hat." Wir werden sehen! Lüge cs wirklich im Vortheile Preußens, die Trümmer, die seine Politik bisher schon geschaffen, noch mehr zu häufen? Nach einer beiläufigen Zusammenstellung betrug die Summe der bis Mitte December 1878 vaeantcn katholischen Seelsorgsstationcn in den zwölf Diöecsen Preußens mehr als 1063; nämlich Pfarreien 788, Hilfspriester-Stellen über 275. 8 9. Nie katholische Kirche in Kaiern. König Ludwig I. von Baiern hatte am 20. März 1848 ab¬ gedankt, worauf sein Sohn Maximilian II. als König Proclamirt wurde. Die Bischöfe Baierns, wo 1848 das deutsche National-Concil in Würzburg stattfand, waren am 1. Oetober (bis 20. October) 1850 zu Freisingen zusammengctreten, und hatten in Folge dessen eine Denkschrift, ckllo. 20. Octobcr (respective 31. October) g. I. dem König Max II. am 2. November überreicht, worin sic um vollständige Ausführung des Cvn- cordates vom 5. Juni 1817, mit Beseitigung des sogenannten Religions- Horst kategorisch zurückwies, wenig Aussicht auf eine baldige friedliche Lösung des Conflictes zu gewähren. Windthorst hatte nämlich (4. December) die Wieder¬ herstellung der Artikel XV, XVI nnd XVIII der preußischen Verfassung beantragt; aber auch den Antrag eingebracht: „Die Ausführung der über die Auflösung von Niederlassungen der Orden nnd vrdcnähnlichen Cougregatioucn der katholischen Kirche im § I des Gesetzes vom 31. Mai 1-875 enthaltenen Bestimmungen wird in Be¬ ziehung ans diejenigen am I. December l. I. noch nicht aufgelösten Niederlassungen, welche sich mit dem Unterricht nnd der Erziehung der Jugend beschäftigen, bis zu anderweitiger gesetzlicher Regelung hiednrch sistirt." Minister Ur. Falk war in der Lage, in seiner obigen Rede mittheilen zn können, daß von 81!) klösterlichen Lehr- und Erziehungs-Einrichtungen, beziehungs¬ weise Anstalten, welche bei Erlassung des Gesetzes vom 31. Mai 1875 bestanden hatten, bis zum I. Octobcr 1878 bereits 764 aufgelöst waren. Für den ganzen Rest von nur 55 bat aber Windthorst um — Pardon. Die Antwort lautete — Nein. Stepischnegg, Papst Pins IX. und seine Zeit. I. Bd. 14 210 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Edictes vom Jahre 1818 (dessen Urheber der Protestant Anselm Feuern b a ch war, und welches von der Regierung einseitig publicirt wnrde mit der Verfassungsurkunde vom 26. Mai, als der Beilage II) um so nach¬ drücklicher baten, weil der König Max Josef I. durch die Erklä¬ rung, ckcko. Tegernsee, 15. September 1821, versichert hatte, daß der Eid auf die Verfassung zu Nichts verbinden svlle, was den göttlichen und kirchlichen Gesetzen entgegen wäre. In dem Schreiben, Rio. 20. Februar 1851, an die Bischöfe belobte und ermunterte sie darob der Papst. Wie sehr das Religions-Ediet das Cvneordat in manchen Punkten wesentlich beschränkte, ersieht man unter Anderem daraus, daß die ßß 58, 59 und 61 des Religions - Edietes das plueetnm ro^inm fordern, während Artikel XII, lit. s, des Concordates die Commu- nication des Bischofs mit seinem Clerus und Volke, und hinwieder Aller mit dem hl. Stuhle in geistlichen Dingen und kirchlichen An¬ gelegenheiten völlig frei gibt. Die über die Denkschrift ergangene königliche Erledigung, ckcko. 30. März 1852 (mitgetheilt an die bäurischen Bischöfe durch das königliche Ministerium am 8. April g. I.) gestand nur mehr Außer¬ wesentliches zu, und verargte es nebstbei den Bischöfen fast, daß sie als Körperschaft petitionirten. Artikel I lautet nur allgemein beschwichtigend: „Bei Auslegung und Anwendung mehrdeutiger und zweifelhafter Stellen der zweiten Verfasfungsbeilage (des Religivns-Edictes) ist jene Interpretation au zunehmen, welche mit der Bestimmung des Concordates übereinstimmend ist, oder sich derselben annähert." In den Einlagen an den König, Rio. 28. April 1852, und 15. Mai 1853 beleuchteten die Bischöfe mehrere Punkte, in denen man der katholischen Kirche noch nicht ganz gerecht wnrde. Das Cnltns Ministerium erstattete nnterm 13. Jänner 1854 einen ausführlichen Vortrag an den König, worauf dieser nnterm 23. Februar 1854 mit einigen Zugeständnissen erwiderte, wofür die Bischöfe in der Erklärung vom 25. und 28. Juli 1854 dankteu, aber zugleich die Hoffnung ans drückten, es werde auch in den übrigen Punkten ihre Bitte Gewäh¬ rung finden. Hierauf erfolgte die Erledigung durch den königlichen Miuisterial- erlaß, llcko. 9. October 1854. Die Note des Cardinal-Staatssecretärs Europa. Z 9. Die katholische Kirche in Baiern. 211 Antvnelli, llllo. 4. Jänner 1855 an den baierischen Gesandten spricht die Erwartung ans, daß das Coneordat doch noch in allen seinen Theilen zur Erfüllnng kommen werde. Die die Jesuitenmissioncn beschränkenden Entschließungen von 1851 (21. Juni) nnd 1858 (8. April) blieben noch aufrecht. Am 25. Juli 1854 hatte zu Augsburg wieder eiue bischöfliche Cvnfercnz statt, uud noch im nämlichen Jahre (28. September) erfloß nach gepflogener Einvernehmung des Episkopats eine königliche Ver¬ ordnung bezüglich der Cvnenrsprüfnng der Pfarr- und Predigtamts- Candidaten. Laut derselben setzt wohl der Bischof die Prüfungs- Commission nieder; aber auch die Kreisregicrnng bestellt hiezu einen Examinator über gemischte, d. i. kirchlich-politische Gegenstände. Wir registriren hier einfach die Jmmediat-Eingaben des Erz¬ bischofs von München-Freising Karl August Grafen Reifach an den König, däo. 16. August 1853 und 12. März 1855; dann jene seines Nachfolgers Gregor von Scherr, llllo. 26. Februar 1857, worüber die königliche Ministerial-Entschließung vom 18. Mai 1858 erfloß; ferner die Eingabe des nämlichen Erzbischofs, llllo. 4. Jnni 1858, wieder über den Vollzug des Artikels V des Cvncvrdates. Eine Ministerial-Entschließnng vom 15. Deeember 1854 erlaubte die Berufung der „Schwestern des göttlichen Erlösers" vvn Nieder- brvn bei Straßburg zur Armen und Krankenpflege in öffentlichen An füllten der Pfalz nicht. (Obgenannte Cvngregativn wurde 1849 von der Elisabeth Erpinger (geb. 1814, gest. 31. Juli 1867) gestiftet, vom Papste aber erst am 9. März 1866 genehmigt.) Man sprach vvn einem neuen zwischen Rom und Baiern abzu- schließenden Cvnevrdate, das aber noch ans sich warten läßt. Im geheimen Cvnsistvrinm am 17. Deeember 1855 prvmnlgirte der Papst außer dem Fürsterzbischof in Wien auch den Erzbischof von München-Freising Graf Karl Reifach (geb. 6. Juli 1800 zu Roth iu Franken) zum Cardinal, welcher sodanu in Rom seinen bleibenden Wohnsitz aufschlng, weil der Papst den löblichen Entschluß gefaßt hatte, auch aus den außeritalieuischen Staaten, mit den Bedürfnissen derselben vertraute Männer an seiner Seite zu haben. In der nämlichen Absicht berief er den eben damals zur Cardinalswürde erhobenen Bischof vvn Rvchelle, Clemens Villeevnrt, in das hl. Cvlleginm. Den vaeanten erzbischöflichen Stuhl vvn München-Freising bestieg der (erste) Abt des 14* 212 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. (wiederhergestellten) Benedietinerstiftes Metten in der Diöeese Regens¬ burg, I'. Gregor von Scherr, (geb. 22. Juni 1804 in Neunburg vor'm Wald — Oberpfalz). Am 2. Juli 1855 war der Bischof von Augsburg, Peter vou Rich a rz, gestorben. In diese Diöeese hatte der Jrvingianismus Ein¬ gang und selbst unter den Geistlichen einige Anhänger gefunden. Der Bisthnmsverweser, Domprvpst vr. I. F. Allivli — bekannt durch seine vom hl. Stuhle approbirte deutsche Bibelübersetzung — schritt ener¬ gisch dagegen ein; namentlich der Deean und Pfarrer Lntz und der Domviear Spindler wurden exrommunicirt. Eine königliche Ministeriell-Entscheidung vom 28. März 1862 räumte den Jrvingianern (gleich den Mennoniten) die Rechte einer „Privat-Kirchengesellschaft" ein. Außer Schwaben machte der Jrvingianismus wohl nirgends unter den Katholiken eigentlich Propaganda; wohl aber unter den Prote¬ stanten — zumal in Preußen, selbst in Berlin. In Baiern wurde namentlich I)r. und Professor Heinrich W. Thi erseh Jrvingianer. Von ihm ist „Die Kirche im apostolischen Zeitalter." Zum Bischof von Augsburg war der Weihbischof von Bamberg, Michael vou Deinlein (geb. 26. October 1800 zu Hetzles in Ober¬ franken) ernannt worden; als er aber nach dem Tode des Erzbischofs Bonifaz von Urban (f 9. Jänner 1858) Erzbischof von Bamberg wurde, folgte ihm auf dem bischöflichen Stuhle von Augsburg der Decan und Stadtpfarrer von Nürnberg, Paukraz von Dinkel (geb. 9. Februar 1811 zu Staffelstein in der Erzdiöcese Bamberg). am und 20. Viel betrauert von seinem Volke starb König Maximilian II. 10. März 1864 (vr. Ignaz Döllinger hielt die Grabrede) es bestieg nun den Thron sein Sohn Ludwig II., (geboren Am 28. Februar 1868 starb auch König Ludwig I. zu Nizza im Alter von 82 Jahren. An ihm hatten nicht nur die Künste und Wissenschaften, zumal die ersteren, einen grvßmüthigcn Mäccnas; son¬ dern auch die katholische Kirche in Baiern hatte ihm manches zu ver¬ danken. Insbesondere dein Benedietinerorden erwies er sich geneigt. Noch im Jahre 1865 kaufte er das Kloster Schäftlarn und übergab es mit der nothwendigeu Dotation den Benedictinern. Ohne die Staatsmittel in Anspruch zu nehmen, Europa. H 9. Die katholische Kirche in Baiern. 213 eröffnete der Bischof von Speyer, vr. Nikolaus von Weiß — nach vorläufig an die königliche Regierung am 28. Mai 1864 erstatteter Anzeige — . in Gemäßheit des Cvncils von Trient (8ss8. V, e. 1 äs Ilstl — 8688. XXIII o. 18. cis lisl.) ein vollständiges Clerical- (erweitertes Knaben-) Seminar, dessen er bisher noch entbehrte, und wozu er sich laut Artikel V des Coneordates für berechtigt hielt. Doch der Kultusminister von Koch war anderer Meinung und Auslegung, als wenn Artikel V nur das letzte Praktische Vorbereitnngsjahr schvu absolvirter Theologen im Siune hätte, und ließ, nachdem er bereits am 17. August 1864 dem Bischof Gewaltmaßregeln in Aus¬ sicht gestellt, uud iu diesem Sinne auch eine telegraphische Weisung am 3. November an den königlichen Regierungspräsidenten von Hohe erlassen hatte, das Seminar „Polizeilich" schließen (26. November 1864). Dawider richtete der gesammte baierische Episkopat eine — fruchtlose — Colleetiv-Vorstellung an den König (30. Deeember 1864), worauf die ablehnende königliche Ministerial-Erledigung Rio. 23. Februar 1865 erfolgte, und berichtete auch an den Papst, welcher in der Rückantwort clclo. 23. Mürz 1865 das Vorgehen des Bischvfes von Speyer billigte, und meldete, daß er bei der königlich baierischen Regierung Schritte zur friedlichen Beilegung des Conflietes gethau habe. Im ehemaligen Schottenkloster zu Regensburg wollten seit October 1866 wenige (5) Jesuiten, unter welchen drei das baierische Jndigcnat besaßen, gemeinschaftlich, in klösterlicher Abgeschiedenheit wohnen, weil sie der Bischof, der bei dem herrschenden Priestermanget ihrer Aushilfe sehr bedurfte, dorthin berief. Die Regierung verbot dies; höchstens Auf- e n t h a lt s k a rt e n können den Jesuiten verabfolgt werden, wobei die¬ selben nach den bezüglichen polizeilichen Vorschriften zu behandeln seien. Der baierische Episkopat hatte sich am 17. Juli 1864 zu einer Konferenz in Bamberg versammelt, wo insbesondere die in Aussicht genommene Reform der Volksschule, die zu einer consessionslosen wer¬ den sollte, und die antichristliche Presse besprochen wurde. Die an ihn gerichtete Adresse, clclo. 21. Juli, beantwortete der König in entgegen¬ kommender Weise (29.). Auch au die Gläubigen erging ein Hirten¬ schreiben der Bischöfe, welche das päpstliche Breve, clclo. 18. August 1864, ob ihres diesbezügliche» Eifers belobte. Eine andere Vorstellung richteten die baierischen Bischöfe auf ihrer Versammlung zu Passau im Jahre 1865 an den König in Betreff des 214 1- Theil. 1. Hanptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Geschichtsunterrichtes an den höheren Bildungsanstalten (Gym¬ nasien), aus Anlaß des Planes, die Oberleitung dieses Geschichtsunter¬ richtes an den protestantischen Professor Giese brecht in München, Director des historischen Seminars, zu übertragen. Bereits in der Sitzung der Kammer der Abgeordneten vom 7. April 1865 hatte der Cultusminister von Koch ans eine Interpellation eine Reform des Volksunterrichtes in Aussicht gestellt, und gesagt, die königliche Staatsregiernug sei entschlossen: „hiebei nicht minder den berechtigten Anforderungen der Zeit und eines gehobenen Culturlebens Rechnung zu tragen, als im Anhalt an die geschichtlichen Ueberliefe- rungen und an die volksthümlichen Anschauungen des Landes der Volksschule den Charakter eine r Unterrichts- und E r z i e h n u g s- a n stalt aus r e ligiö s - s i ttl i ch c r G r n n d l a g e zu wahren." Doch dieses Programm wurde nicht ganz eingehalteu. Abermals wendete sich (14. September 1867) der baierische Ge- samint-Episkopat in Angelegenheit der Schulfrage an den König, „nur das Recht der Kirche, wie der Familie zu wahren gegen Bestrebungen, welche sicherlich zum Unheile der Staatsgewalt dieselbe zur einzige n und ausschließlichen Leiterin der Schule zu machen ge¬ denken." Die Bischöfe beklagen sich, daß nicht einmal ihr Gutachten bezüglich des Schulgesetzentwurses eingeholt wurde, dessen erstes Priueip die völlige Trennung der Schule von der Kirche — die „Entchrist- lichuug der Schule" sei. si Darauf erfolgte die Antwort des königlich bäurischen Staatsministerinms des Innern vom 31. Oetobcr, welche selbstverständlich den neuen, am nämlichen Tage sowohl den Bischöfen als den Kammern mitgetheilten Gesetzentwurf zu rechtfertigen versucht; die Bischöfe hingegen beleuchteten denselben vom kirchlichen Standpunkte aus in der abermaligen Denkschrift an den König vom November 1867. Unterm 21. März 1868 erließ das königliche Staatsministerium des Innern beider Abtheilungen an sämmtliche Regierungspräsidenten ') Nebstbei aber warnte der Bischof von Passau, Heinrich Hofstätter (geb. 16. Februar 1805 zu Aiudliug in Oberbaieru, Bischof von Passau seit 1838), im Erlasse vom 10. September 1867 feinen Clerus vor den Divcesauversammlungeu, sowie vor der vorbereiteten Generalversammlung des gesammteu baierifchcu Clerus, in Betreff der bevorstehenden Reform des Schulwesens, da diesbezüglich die Be¬ schlüsse des Episkopates abzuwarteu seien. Europa. Z 9. Die katholische Kirche in Baiern. 215 ein Ausschreiben, worin denselben aufgegeben wird, den Vorgängen, welche ans die „Agitation" gegen das Schulgesetz Bezug haben, sorg¬ fältige Aufmerksamkeit zuznwenden. (Wem diese Auf¬ merksamkeit vorzüglich zu gelten habe, war unschwer zu errathen. Eine andere Verfügung des königlichen Staatsministerinms des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 10. April 1868 besagt, daß die sonst für zwei Jahre geltenden Zeugnisse der politischen Behörden über das Verhalten von Geistlichen, die sich um Anstellung oder Beförderung auf kirchliche Pfrüudeu landesherrlichen Patronates bewerben u. dergl. als werthlos anzusehen seien, wenn ihr Inhalt „mit Vorkommnissen aus der jüngsten Vergangenheit nicht mehr überein¬ stimmt" — das heißt wohl: wenn der Inhaber eines solchen älteren Zeugnisses gegen das neue Schulgesetz ist. Das Rundschreiben des königlichen Ministers des Innern, von Hörmann, vom 28. October 1868 will den Umfang der gegen den Schulgesctzcntwnrf hervorgerufenen Aufregung nur mit dem Um¬ stande erklären, daß von demselben der größte Theil der Agitatoren (die Bischöfe und der Clerus?) und der Agitirten gar keine persönliche Kenntniß genommen hat,(!) sondern sich durch entstellende Mitthei¬ lungen darüber hat täuschen lassen. Andernfalls wäre es unerklärlich, daß ans dem fraglichen Gesetzentwürfe die Absicht der Regierung, die Schule zu entchristlichen, abgeleitet werden könnte. Zwar sprach sich die Regierung gelegentlich gegen C o m in n n a l- schulen, d. i. gegen die Aufhebung des confessionellen Charakters der Volksschulen — um so entschiedener noch gegen die Errichtung völlig c v u f e s s i o n s l o s er Schulen aus. Dennoch wurden Communal- schulen errichtet, so insbesondere in der Pfalz. Daß sie dein katholischen Clerus nicht willkommen sein konnten, versteht sich wohl von selbst. Bereits am 30. Juli 1867.. hatte sich das Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten an die Erzbischöfe und Bischöfe des Königreiches gewendet mit der „vertraulichen" Anfrage, ob es erstens bei der beabsichteten Verhandlung mit dem hl. Stuhle in Rom wegen der Reduction der katholischen Fest- und Feiertage auf das in der Diöeese Speier bestehende Maß der Festordnnng für das gestimmte Königreich Baiern auf ihre (der Bischöfe) Mitwirkung und gutachtliche Vertretung rechnen könne? und zweitens, ob die Verlegung der kirchlichen Feier der abgewürdigten Fest- und Feiertage auf den 216 I- Theil. 1. Haiiptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. nächsten Sonn- und Feiertag in kirchlicher Beziehung als zulässig er¬ scheine, nnd demgemäß bei der einzuleitenden Verhandlung mit Rom auch eine Modifikation des päpstlichen Breve vom 16. Mai 1772 in Betracht gezogen werden könne? Entschiedener, als irgendwo anders, traten sich in Baiern die ein¬ zelnen politischen Parteien gegenüber. — Daher die so lebhaften Wahl¬ agitationen. Während die „Fortschrittspartei" und auch die „Mittel¬ partei" zu Preußen hinneigten, wollte die sogenannte „patriotische" — auch katholisch - konservative — Partei von einem Anfgehen in Grvß- preußen nichts wissen, nnd verurtheilte die Politik des Premierministers und des Aeußeren Fürsten Hohenlohe. Es gelang ihr, die Ober¬ hand zu bekommen, nnd nach dem Abtreten Hvhenlohe's (Anfang 1870) ein „Patrioten"-Ministerium an's Ruder zu bringen, ungeachtet der neuen Zusammenlegung der Wahlbezirke. Fürst Hohenlohe hielt sich vor allen Anderen für berufen, auf die großen Gefahren (?) hinzuweisen, welche aus dem vatikanischen Cvnkilium für Staaten und Regierungen hervorgehen würden. Er rich¬ tete schon unterm 9. April 1869 eine diesfüllige Note an die euro¬ päischen Cabinete, welche sich einer sehr kühlen Aufnahme zu erfreuen hatte, und dem Fürsten nur ausweichende Hvflichkeitsphrasen eintrug. Auch der österreichische Reichskanzler Graf Beust erklärte in seiner Antwort vom 15. Mai 1869 „die k. k. Regierung habe in der Sach¬ lage, wie sie sich bis heute darstellt, keine genügenden Motive des Rechtes oder der Opportunität zu erblicken vermocht, um schon jetzt dem an sich so beachtenswerthen Vorschläge der königlich baierischen Regie¬ rung Folge zu geben." (Rvthbuch dir. 3.) Die spanische Regierung allein äußerte mehr Sympathie. Dieser augenblickliche Mißerfolg schreckte ihn nicht ab. Er wandte sich nun an die süddeutschen Cabinete mit dem Ersuchen um Einholung theologischer Gutachten. Der theologischen und juristischen Fakultät der baierischen Landesuniversität München und der theologischen zu Würz¬ burg wurden fünf Thesen zur Beantwortung vvrgelegt; nämlich: I. „Wenn die Sätze des Syllabus und die päpstliche Unfehlbar¬ keit auf dem nächsten Coueil zu Glaubenswahrheiten erhoben werden, welche Veränderungen würden hiedurch in der Lehre von den Bezie¬ hungen zwischen Staat und Kirche, wie sie bisher in Deutschland prak¬ tisch nnd theoretisch gehandhabt wird, herbeigeführt, und Europa. Z 9. Die katholische Kirche in Baiern. 217 2. Würden in dem vorausgesetzten Falle die öffentlichen Lehrer der Dogmatik und des Kirchenrechts sich verpflichtet erachten, die Lehre von der göttlich ungeordneten Herrschaft des Papstes über die Mon¬ archen und Regierungen (sei es als potL8tu8 llirsotu oder imlireotu in tenipornliu) als jeden Christen im Gewissen verpflichtend zu Grunde zu legen? 3. Würden die Lehrer der Dogmatik und des Kirchenrechtes sofort sich für verpflichtet erachten, die Lehre, daß die persönlichen und realen Immunitäten des Clerus ,jnn8 llivini seien; also auch zum Gebiete der Glaubenslehre gehören, in ihre Borträge und Schriften aufzunehmen? 4. Gibt es allgemein anerkannte Kriterien, nach welchen sich mit Sicherheit bestimmen läßt, ob ein päpstlicher Ausspruch ex oatbmlru, also nach der eventuell festznstelleudcn Coneiliums - Dvetrin unfehlbar und für jeden Christen im Gewissen verpflichtend sei? und wenn es solche Kriterien gibt, welche sind dieselben? 5. In wie weit dürften die angestrebten neuen Dogmen und ihre nothwendigen Cvnsegucnzen auch einen alterirenden Einfluß auf den Vvlksunterricht iu Kirche und Schule und auf die populären Lehr¬ bücher, Katechismus u. s. w. ausüben?" Die theologische Faenltät zu München äußerte sich (in zwei Gutachten) reservirt. — Eigentlich kann man in dem Gutachten der Majorität weder ein Ja noch ein Nein finden. — Ganz entschieden und zwar im Sinne der päpstlichen Jnfallibilitüt, sprach sich jene zu Würz¬ burg aus. In der Erklärung der juridischen Faenltät zu München heißt es unter Anderem: „Durch die Dogmatisirung der Syllabussätze und der päpstlichen Unfehlbarkeit würde das bisherige Verhältniß von Staat und Kirche prineipiell umgestaltet, und beinahe die gejammte Gesetz¬ gebung bezüglich der Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche in Baiern in Frage gestellt." Die Antwort der Würzburger theologischen Faenltät ltäo. 7. Juli 1869 lautete im entgegengesetzten Sinne. Sie findet in der Dogmatisirung der päpstlichen Jnfallibilitüt weder etwas Neues, uvch überhaupt Bedenkliches. In ähnlicher Weise legte das baierische Ministerium den katholisch- theologischen Facnltüten von München und Würzburg nach Proela- mirung des Unfehlbarkeits-Dogma eine Reihe von Fragen (Ul) zur 218 I. Thcil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Berathung vor über die Giltigkeit des Cvneils und über die möglichen Folgen jenes Dogma in staats- und kirchenrechtlichcr Hinsicht. Nach Erlassung des gemeinsamen Hirtenbriefes der zn Fulda ver¬ sammelten Bischöfe zog aber das Cultnsministerium jene Fragen wieder zurück. Im Jahre 1867 bestieg den bischöflichen Stuhl von Eichstatt Franz Leopold Freiherr von Leonrvd (geboren 26. August 1827 zu Ansbach). Am 13. December 1869 starb der Bischof von Speier, I)r. Ni¬ kolaus von Weiß, geboren 8. März 1796 zn Schvnhvf bei Rimlingen im Bisthume Metz, Bischof seit 1842. Er gründete mit seinem Freunde vr. Andreas Räß die Zeitschrift „Katholik", deren Redactivu er von 1821 bis 1836 allein führte. Die Ausschmückung und vollständige Restaurirung des Kaiserdvmes zu Speier ist großen Theils seinem Eifer zu verdankeu. Zum Nachfolger hatte er deu Seminars-Jnspector Courad Reit her. Aber auch Dieser starb schon am 4. April 1871. Nun wurde vr. Daniel von Haneberg, Benedictiner-Abt von St. Bo¬ nifaz und königlicher Universitäts-Professor in München Bischof und eonsecrirt am 25. August 1872. Geboren war er am 16. Juni 1816 in der Pfarre Lenzfried, unweit Kempten. Nnterm 20. April 1870 erließ auch der baierische Minister des Auswärtigen, Graf Bray, eine Depesche an den Gesandten in Nom, Grafen von Tauffkirchen, bezüglich der Cvncilsbeschlüsse. Dieselbe ermächtigte den Gesandten, sich der von der französischen Regierung in Rom überreichten Denkschrift anzuschlicßen. Zu den Bischöfen, die wahrend des Cvneils zn Rom starben, ge¬ hört auch der von Würzburg, Georg Anton von Stahl (geboren zu Stadtprozelten am Main 29. Marz 1805; gestorben 13. Juli 1870). Sein Nachfolger Johann Valentin Reiß mann (geboren 12. Novem¬ ber 1807 zn Allersheim), Dvmpropst zn Würzburg, wurde am 9. Juli 1871 cvnseerirt. Wegen beharrlicher Verweigerung seiner Unterwerfung unter die Beschlüsse des vaticanischeu Concils bezüglich der päpstlichen Unfehlbar¬ keit wurde Pfarrer Josef Renftle von Mering von seinem, dem Augsburger, Bischöfe am 16. November fnspendirt, und als er sich daran nicht kehrte, exeommunieirt (30. November 1870). Die Fort¬ schrittspartei bemächtigte sich dieser Sache zu einer Interpellation an Europa. Z 9. Die katholische Kirche in Baiern. 219 das Kultusministerium in der baierischen Kammer. Pfarrer Ren ft le selbst rief den Schutz der Regierung gegen seinen Bischof an. Mit der Ministerial-Eutschließung ckcko. 27. Februar 1871 wurde dein Bischöfe die weltliche Hilfe rücksichtlich seines Norgehens gegen Pfarrer Reuftle versagt. Darauf fußend entschied die königliche Re¬ gierung von Oberbaieru unterm 13. Juli, daß „die schulpflichtigen Kinder des Schulsprengels Mering gehalten seien, dem vom Pfarrer Renftle ertheilten Religionsunterricht, welcher nach den bestehenden organischen Vorschriften einen wesentlichen Bestandtheil des Gesammt- unterrichtes bildet, beiznwvhnen." -- Vicar Wiedeman, den der Bischof nach Mering sandte, dürfe die Kinder von: Religionsunterrichte nicht abhalten. — „Insoweit dagegen — so heißt es weiter — die Eltern oder deren gesetzliche Vertreter die Theiluahme ihrer Kinder am Religionsunterrichte des Pfarrers Renftle mit Rücksicht auf die von Letzterem in dem Kircheustreite vertretene dogmatische Richtung aus¬ drücklich verbieten, muß die verfassungsmäßig garantirte Gewissens¬ freiheit der Staatsbürger und das hiermit verbundene elterliche Erzie¬ hungsrecht respeetirt werden, und demgemäß den betreffenden Kindern die Nichttheilnahme am Renftle'schen Religionsunterrichte bis zur seinerzeitigen definitiven Lösung des Meriuger Kirchenstreites nnver- wehrt bleiben." Die Liberalen waren mit dieser Entscheidung nicht ganz zufrieden; die Katholiken aber dadurch schon genug verletzt. Denn so viel lag schon klar vor, daß die Regierung in Baiern den Bischof nicht mehr als den Glanbenslehrer nnd Glaubensrichter in seiner Diöcese aner¬ kenne, und dessen nüssio ounonien nicht mehr als die nothwendige Bedingung zur Befugnis;, den Religionsunterricht in einer katholischen Schule nnd Gemeinde ertheilen zu dürfen, ansehe. Dem königlichen Cultusministcr sollte aber bald Gelegenheit ge¬ boten werden, sich den vollen Beifall der Liberalen verdienen zu können, wie der weitere Verlauf des sogenannten Altkathvlieismus in Baiern zeigen wird. Der Bischof von Augsburg, Pankraz von Dinckel, brachte am 12. December 1871 wider den Kultusminister in der Kammer die Be¬ schwerde wegen V er fa ssn n g s v er le tz u ng — begangen insbeson¬ dere durch die obeitirte Entscheidung vom 27. Februar — ein. Die Abstimmung in der Knmmersitznng vom 27. Jänner 1872 ergab Stim- 220 I. Theil. 1. Hciuptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche, mengleichheit — 76 gegen 76, mithin — Verwerfung der bischöflichen Beschwerde. Renftle blieb zu Mering: verlor aber nach und nach alles Terrain daselbst. Deshalb verließ er 1878 diesen Ort und ging nach Heidelberg. Die Meringer baten den Bischof von Augsburg um die Wiederaufnahme in die katholische Kirche und am 2. Juui 1878 er¬ folgte die Wiedereröffnung ihrer Pfarrkirche für den römisch-katholischen Gottesdienst. Auf die Aufforderung des Erzbischofes von München «Ido. 20. Oc¬ tober 1870 erklärten die meisten (sieben) theologischen Professoren in der Antwort ddo. 29. November 1870 ihre Unterwerfung unter das von ihnen als ökumenisch anerkannte vaticanische Concil; also auch unter das Dogma der päpstlichen Jnfailibilitüt — mit Ausnahme I)r. Ignaz Dölli n g e r's, Dr. F ri e dri ch's und Dr. Silber n a g l's, welcher Letztere aber auch in seiner separaten Antwort an den Erzbischof äclo. 27. November sich in befriedigender Weise äußerte. Der akade¬ mische Senat bestritt sogar dem Erzbischos das Recht, von einem U n i- v e r s itüt s - P r o f e s s o r eine diesbezügliche Erklärung abzuverlangen. (Aehnlich in Breslau und Bonn.) I)r. Döllinger und Dr. Friedrich blieben bei ihrer Wei¬ gerung. Letzterer sprach dieselbe bereits im Schreiben an den Erzbischof ddo. 29. November 1870 aus. Im Auftrage des Erzbischofes richtete das Münchener Ordina¬ riat unterm 13. December an den a. v. Professor Dr. Johann Fried¬ rich wieder die Aufforderung, binnen vier Wochen „seine eigene Mei¬ nung dem Urtheile der Kirche zu unterwerfen". Dem Stiftspropst und Professor De. I. von Döllinger schrieb aber der Erzbischof am 4. Jänner 1871 selbst, daß er „mit dem größten Schmerze" unter den Mitgliedern der theologischen Facultät, welche am 29. November v. I. seine Zuschrift vom 20. October „in befriedigender Weise" beantwor¬ teten, „den Namen des ehrwürdigen Seniors dieser Facultät vermißt habe". „Ich bitte und beschwöre Sie, sagt der Erzbischof, hören Sie auf, dazu zu helfen, daß die Einheit und Einmüthigkeit unter den Glie¬ dern der Einen Kirche noch länger Schaden leide, nnd lösen Sie im heroischen Entschlüsse durch ein offenes kirchliches Bekenntniß den Bann, der bis zur Stunde noch manchen ehrlichen Katholiken fesselt." lieber die ungenügende Rückäußernng vom 29. Jänner erhielt Dr. Johann von Europa. Z 9. Die katholische Kirche iu Baiern. 221 Döllinger vom Erzbischöfe ckäo. 14. Februar 1871 eine Frist bis 15. März d. I. Die gleiche Fristerstreckung gewährte das Ordinariat dem vr. Johann Friedrich, vr. Döllinger ersuchte am 14. März, ihm die Frist noch um etwa zwölf oder vierzehn Tage zn verlängern. Der Erzbischof bewilligte sie ihm am 17. März bis 31. März. I)r. Friedrich erklärte am 15. März einfach bei seiner Ableh¬ nung zn beharren. I)r. von Döllinger aber richtete eine lange Erör¬ terung nnterm 28. März an den Erzbischof von München. Darin ver¬ langte er Gehör ans der nächsten Fuldaer Versammlung der deutschen Bischöfe, um den wissenschaftlichen Beweis der Unrichtigkeit des neuen Dogma's zu erbringen. Sollte dieser Vorschlag nicht annehmbar sein, so ersucht I)r. von Döllinger den Erzbischof „geruhen Euer Excellenz aus den Mit¬ gliedern Ihres Dvmcapitels eine Commission zu bilden, vor welcher ich meine Sache in der eben bezeichneten Weise zu führen vermöchte". Der Erzbischof könne dabei selbst präsidiren. Ironisch fügt Döl¬ linger bei: „Wenn Sie die Anwendung Ihrer obcrhirtlichen Gewalt an mir in Aussicht stellen, so darf ich mich doch wohl der Hoffnung hingeben, daß es das schönste, edelste und wohlthätigste, das am meisten Christus ähnliche Attribut dieser Gewalt sei, nämlich das Lehramt, welches Sie zunächst an mir zu üben vorziehen würden." Wenn mit Zeugnissen und Thatsachen überführt, wolle er öffentlichen Widerruf leisten. Diese Erklärung Döltinger's — die er auch in der „Augs¬ burger Allgemeinen Zeitung", außerordentliche Beilage Nr. 90 vom 31. März veröffentlichte — war, so zu sagen, der zündende Funke, wel¬ cher die Agitation gegen das vatieanische Concil, zumal gegen das Dogma der päpstlichen Jnfallibilität allerwärts, in Deutschland und Oesterreich, auflodcrn machte. Der einst mit Recht so gefeierte Theologe bildete — wohl kaum absichtlich — nun das Centrum einer gnt vrga- nisirten Bewegung nicht gegen das Dogma allein, sondern gegen das Papstthum selbst. Im Hintergründe war es die „deutsche National¬ kirche", ans die man lossteuerte. Der jüngst ergangene Hirtenbrief des Erzbischofes — vom 26. De¬ cember 1870 — sagt Döllinger weiter, könne ihn nicht eines Besseren belehren. Denn „es liege eine lange Reihe von mißverstan¬ denen, entstellten, verstümmelten oder erdichteten Zeugnissen vor". 222 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. „Diese Fälschungen Hube Derjenige, den der Erzbischof mit dieser Auf¬ gabe betraute, gewiß nicht selber ersonnen; sondern sie aus gutem Glau¬ ben von Anderen (von Car doni u. A.) entlehnt". Deutschland war in Politischer Hinsicht ein Einiges geworden; es sollte das Nämliche in kirchlicher werden. Freilich waren sich dieses Endzieles nicht Alle klar bewußt, welche die von allen Seiten an Döllinger abgehenden Znstimmnngsadressen unterschrieben. Der Name „Altkatholiken", den sich die Opponenten gaben, mochte Viele täuschen; insbesondere Jene, die wirklich meinten, daß sie gegen das Infallibilitäts-Dogma sich sträuben können, ohne sollst mit der katho tischen Kirche sich in Widerspruch zu setzen. (Was aber nicht möglich!) Sie Wichten nicht, daß sich unter Denen, die dem lR. Döllinger Beifall zujauchzten --- Wohl wird es Dieser selbst auch nicht gewußt haben — Viele befanden, die von der Sache, um die es sich handelte, gar keinen oder einen äußerst oberflächlichen Begriff haben; viele An¬ dere aber, die mit der katholischen Kirche — mit dem katholischen Glau¬ ben — auch schon vor dem 18. Juli l87O in ihrem Inneren vollends gebrochen; ja Manche, welche das positive C h ri st e n t h nnr über¬ haupt bereits über Bord geworfen hatten. Solchen sogenannten Katho¬ liken war einfach nur die Gelegenheit willkommen, ihren „kirchlichen Liberalismus" kundgeben und ihr Müthchen am „Ultramontanismns" kühlen zu können. A n s r i ch t i g er waren Jene, welche die Unterfertignng der Adresse nut dem Bemerken verweigerten, daß sie von Religion und Priester- thuin überhaupt nichts wissen wollen, und eben so wenig an die Uu fchlbarkeit der Kirche, als an jene des Papstes glauben. Protestantischerseits wurde lange nicht so viel Aufhebens ge macht mit dem sogenannten Altkatholieisinns. — Wohl verlieh z. B. die englische Universität Oxford dem I)r. Ignaz von Döllinger den Ehrentitel eines Doetor jnrw. Aber Unterschriften lehnten die Pro testanten sonst ab, indem sie dies damit motivirten, daß sie an dieser specifisch katholischen Frage kein Interesse nehmen. Wenn sie beifügten, daß sie zu bloßen Demonstrationen gegen die katholische Kirche sich nicht hergeben wollen, so gereichte diese Erklärung ihrer Einsicht und ihrer taktvollen Gesinnung gewissermaßen zur Ehre. Den Reigen der mit öffentlichen Protesten auftretenden Oppo ncnten gegen das Concil und sein Jnfallibilitäts-Deeret hatten Laien Europa. Z 9. Die katholische Kirche in Baiern. 223 Professoren der Münchener Universität eröffnet. Ihre schon Ende Juli 1870 in Umlauf gesetzte Erklärung soll von Mitgliedern der dor¬ tigen theologischen Facnltät angeregt, vielleicht auch redigirt worden sein. Dieser Erklärung schlossen sich einige Professoren der Universitäten zu Freiburg, Breslau und Prag und vier von der Akademie zu Münster an; während sich Bonner Professoren (wo in der Osterwoche eine Zu¬ sammenkunft von „Protestkatholiken" stattfand) an die Spitze der am Rheine für Personen aller Stände vrganisirten Bewegung stellten. In dem malerisch am Fuße des Siebengebirges gelegenen Städtchen Königs¬ winter gaben sie sich mit einigen gleichgesinnten Laien ein Rendezvous. Ende August kamen zu Nürnberg vierzehn anti-infallibilistische Theologen, Philosophen (Michelis, Knoodt, Löwe, Weber) und Kirchenrechtslehrer (Schulte aus Prag) unter Döllinger's Präsidium zusammen, nm einen gemeinschaftlichen Protest zu vereinbaren. Statt der daselbst auf den Herbst nach Erfurt ausgeschriebenen freien Gelehrtenversammlnng fand zu Bonn am Ende der Osterwoche 1871 ein Conciliabnlum statt. Eine eigene Protest-Erklärung eireulirte in „den höheren Kreisen der Gesellschaft" Münchens durch Vermittlung des Obersthofmeisters des Königs, von Moy. Gegen Döllinger's Manifest — denn so kann man sein Schreiben 5. April erhielt der Erzbischof von München ein Schreiben vom königlich baierischen Cnltusminister von Lutz Rio. 27. August, worin der theolvgisircnde Minister seiner Ueberzengung Ausdruck gibt, daß die Lehre von der „persönlichen" Jnfallibilität des Papstes „eine wesentliche Neuerung an dem Lehrbegriffe der katholischen Kirche" ent¬ halte und „daß diese Neuerung sammt ihren Conseqnenzen nicht blvs die inneren Verhältnisse der katholischen Kirche, sondern auch die Be¬ ziehungen zwischen Staat und Kirche alterire nnd dazu geeignet sei, Fnndamentalsätze des baierischen Verfassungsrechtes in Frage zu stellen nnd insbesondere die staatsbürgerlichen Rechte der Nichtkathvliken des Landes zu gefährden." Der Schluß, worin der Minister erklärt, daß die Staatsregicrung „jede Mitwirkung zur Verbreitung der neuen Lehre und znm Vollzüge von Anordnungen verweigern werde, welche von den kirchlichen Behörden in Rücksicht auf die neue Lehre und zu deren Durchführung getroffen werden", und „daß den Maßregeln, welche die kirchlichen Behörden gegen die das Dogma nicht anerken¬ nenden Mitglieder der katholischen Kirche ergreifen, jede Wirkung auf die politischen und bürgerlichen Verhältnisse der davon Betroffenen ver- Europa. Z 9. Die katholische Kirche in Baiern. 229 sagt werden müsse" lautete den Liberalen noch viel zu zahm. Sie ver¬ mißten positives Einschreiten der Regierung zu Gunsten der soge¬ nannten Altkatholiken. Nun — Herr von Lutz war — wie später erwähnt wird — nicht unempfänglich für derlei Andeutungen. Der Erzbischof erwiderte am 26. September in würdigem Tone, hie und da nicht ohne einen leisen Anflug vvu Ironie. Vor Allem macht er den Minister aufmerksam, daß der „urkundliche Ausdruck" nicht „persönliche Unfehlbarkeit" laute, sondern: „cko Komani Uontiüois inlnUidili nmZ-wtornw ; Seine Execllenz habe also ihre Dar¬ legungen „auf eülc morsche Basis aufgebaut", und da sich Seine Ex- eellenz „bereits mit theologischen Fragen beschäftiget habe", so ertheilt der Erzbischof den Rath, auch noch bei dem seligen vr. Heinrich Klee, der keiner Parteifärbung verdächtig ist, gefälligst die betreffende Aus¬ führung („Katholische Dogmatik", Band I, Seite 237 der dritten Auf¬ lage) uachzulesen und sich vielleicht auch der kurzen Andeutungen bei dem gewiß unverfänglichen Kreitlmayr („Vom geistlichen Rechte") zu erinnern. — Uebergehend auf die behauptete Staatsgefährlichkeit des neuen Dogma, bestreitet der Erzbischof dieselbe entschieden; wie er auch den Vorwurf zurückweist, als Hütten die baierischen Bischöfe durch die Prvmulgirnng des Dogma sich einer Verfassnngsverletzung schuldig gemacht. (Siehe „Acteilstücke", drittes Heft.) Der Bischof von Regensburg entgegnete dem Minister von Lutz besonders am I. Oetvber. Ebenso der Capitularviear von Speier am 5. Oetvber, der Bischof von Eichstädt am 30. Oktober. Nachdem Anfangs August in Heidelberg, so wie schon früher im April in Bonn, die Führer der sogenannten altkathvlischen Bewegung — mit Ausnahme Dölli n g er's und Schult e's — sich zusammen¬ fanden, tagte vom 22. bis 24. September in München — im Glas¬ palaste - die erste sogenannte altkathvlische Generalversammlung. Das den Delegirten zur Berathung vorgelegte Programm ckcio. 27. Sep¬ tember ist unterfertigt vom Redaetions-Comitv: Döllinger, R e i n- kens, Schulte, Huber, Maaßen, Langen, Friedrich. Auch Rouge hatte sich in München eingefnnden zu Vorträgen. Doch kam der Stifter der „Deutsch-Katholiken" in keine Beziehung zu den sogenannten Altkatholiken. Der Standpunkt dieser Letzteren ist ja für Rouge ein schon längst überwundener! Er ließ sich — ganz be¬ zeichnend im Gasthause znr „Neuen Welt" hören. 230 I. Theil. 1. Hauptstuck Erlebnisse uud Schicksale der kath. Kirche. Die Schlußrede am „Alt" katholiken-Congreß hielt am 24. Sep¬ tember Or. Fr. Michelis mit einer heftigen Philippika wider die Jesuiten. Der Präsident Professur Or. Fr. Ritter von Schulte em Pfahl den „Rheinischen Merkur" als Organ der svgeuannten altkathv- lischen Interessen, der daun den Titel annahm „Deutscher Merkur, Organ für die katholische Nefvrmbewegung". Es wurde aber auch dir Heraus¬ gabe eines eigenen „alt"kathvlischen Blattes: „Die katholische Kirchen¬ zeitung" beschlossen. Die Taktlosigkeit, mit welcher der Vorstand des Münchner Aktions- Comitä's, Wolf, von Sympathien des Königs Ludwig für die altkatholische Bewegung sprach, als er auf den jungen Monarchen ein dreifaches Hoch ausbrachte, wurde von diesem übel vermerkt. Im Hirteuschreiben vom 12. Oktober 1871 an die „katholischen Einwohner der Haupt- und Residenzstadt München" warnt der Erz¬ bischof, davon ausgehend, daß „der Stadtmagistrat zu wiederholten Malen die St. Nikvlaikirche auf dem Gasteige Priestern, welche no¬ torisch von der katholischen Kirche abgefallen sind, zu kirchlichen Funk¬ tionen für sogenannte „Altkatholiken" eingeräumt, uud deu Vollzug dieser gottesdienstlichen Handlungen durch seine . Organe habe sicher¬ stellen lassen; in jüngster Zeit die genannte Kirche sogar zu einem regelmäßigen sonn- und festtäglichen Gottesdienste der ,Altkatho¬ liken' bestimmt habe", st die Gläubigen „vor jeglicher Betheilignng an jenen nie genug zu beklagenden Handlungen, die Gottesdienste heißen, in der That aber schwere Beleidigungen Gottes sind". Vom sogenannten Congreß der „Altkathvliken" sagt der Erzbischof, daß sich unter jenem Namen „eine kleine Schaar von mehr oder we¬ niger erbitterten Feinden der Kirche zusammengethan, die zwar zur Zeit noch einige Reste des heiligen Glaubens aus der katholischen Kirche sich gerettet haben, aber einmal vom Felsen, auf dem der Herr seine Kirche gebaut hat, losgetrennt, immer weiter von dieser Kirche und deni Herrn der Kirche, unserem göttlichen Heilande Jesus Christus, sich entfernen werden". Wegen der „sakrilegischen Funktionen iir der St. Nikvlaikirche am Gasteig" richtete das erzbischöfliche Ordinariat München mehrere Protest- Einlagen an den König, respektive an das königliche Staatsministerium. Die Altkatholiken in München beanspruchten »on der Regierung schon iin October 1871 snr sich die größere sogenannte Studien- (Carmeliter-) Kirche. Europa. Z 9. Die katholische Kirche in Baiern. 231 Der Abgeordnete Herz interpellirte am 7. Oetober 1871 in seinem und im Namen von 45 Gesinnungsgenossen der liberalen Fortschritts¬ partei das Gesammtministerinm zu Gunsten der „Altkathvlikeu". In der Antwort darauf vom 14. October erklärte Minister von Lutz im Namen eben des Gesamuitministerinms, daß es den sogenannten Altkathvlikeu den vollen staatlichen Schutz und die Anerkennung ihrer Gemeinden, wenn und wo sich solche bilden, als katholischen Gemeinden zusichere. In der Allocutivn vom 27. October 1871 beklagt es der Papst, daß „rüieubi" (er meint Baiern, nennt cs aber nicht ausdrücklich) die „roipnlüiono aclniinistri" die Anfechter des vaticanischen Concils sogar noch patrociniren, und belobt die dortigen Bischöfe, insbesondere aber den Erzbischof von München (hier bezeichnet er ihn als solchen), sowie den Clerus und das Volk ob ihrer Glanbenstrene. Am 24. October verhängte der Erzbischof die Excvimnunication über den Pfarrcnrator Anton Bernard in Kiefersfelden, Decanat Rosenheim, gleichfalls wegen Verwerfung des vaticanischen Glaubens- decretes über die päpstliche Lehramts-Jnfallibilität. Das königliche Bezirksamt Rosenheim untersagte dem als Vicar bestellten Priester Josef Stangl jede „Einmischung" oder „Verküm¬ merung der Rechte" des Pfarrcuratcn. Das erzbischöfliche Ordinariat hingegen erklärte den Priester Anton Bernard der Pfründe entsetzt (10. November). Nichtsdestoweniger schützte ihn die Regierung auch fortan iin Gennße der Pfründe. Die Katholiken der Pfarre Kiefers¬ felden mußten nun sogar eine Nothkirche sich anfbauen. Anton Bernard resignirte aber dann seine Pfründe und starb am 17. Jänner 1873 in Tübingen, ausgesöhnt mit der Kirche. (Nach einer Version war er zuletzt geisteskrank.) Auch die Pfarrgeineinde Kiefersfelden sagte sich größtentheils vom sogenannten Altkatholicismus wieher los. Die dadurch unnöthig gewordene frühere hölzerne Nothkirche für die Römisch-Katholischen wurde von Kiefersfelden nach Mering überführt. Aus der gleichen Ursache wurde ani 28. October excounnunicirt und ain 10. November entsetzt der Pfarrer von Tuntenhausen, Gallus H o s e m a n n. Das erzbischöfliche Ordinariat brachte uuterm 7. December eine Beschwerde au den königlich baierischen Staatsrath „wegen Verletzung verfassungsmäßiger Rechte". 232 I. Theil. I. Hauptstück Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Anderseits verbeschied die Regierung den Pfarrer Renftle von Mering mit seinem Gesuche, es möchte dem jansenistischen Erzbischöfe von Utrecht, Heinrich von Loos, die staatliche Bewilligung crtheilt werden, in der Pfarre Mering die Spendung des Sacramentes der Firmung vornehmen zu dürfen, abschlägig (19. December), weil „sich die Staatsregierung zur Ertheilung einer Erlaubniß zur Vor¬ nahme geistlicher Handlungen, welche den Bischöfen Vorbehalten sind, ebensowenig, als zur Ertheilung einer Erlaubniß zur Vornahme der den Priestern zukommenden Handlungen, wie z. B. Blesselesen, für zu¬ ständig erachte". Später — Juli 1872 — kam aber der Erzbischof von Utrecht, Heinrich von Loos, dennoch, und firmte am 7. Juli in München 6, Kiefersfelden 21, Mering 184, Kempten 100, Kaiserslautern 27, Lan¬ dau 4-P und in Zweibrücken 57. Der Erzbischof von München veröffentlichte wider diese unbefugten Amtshandlungen eines fremden Bischofs einen Protest, ) Endlich — erst im October 1878 — eriilnmte der König den Proscssor der Moral- und Pastoral-Theologie, I>r. Franz Josef Stein, zn Würzburg znin dortigen Bischof (geb. 4. April 1832 zu Amorbach in Untcrsrankcn). Europa. 8 9. Die katholische Kirche in Baiern. 241 letzten Augenblicke, nachdem der königliche Minister von Lutz die Er- laubniß verweigert hatte, telegraphirt wurden, aber von dort keine Ant¬ wort eingelangt war, zu Oggersheim in Rheinbaiern anläßlich einer außerordentlichen kirchlichen Feier am 3. October die Festpredigt ge¬ halten. Dies ließ beiden Bischöfen der König — freilich nach vorheriger entsprechender ministerieller Darlegung des Falles — in ungnädigen Ausdrücken als gesetzwidrig vorhalten. Beide Bischöfe rechtfertigten sich brieflich, aber fruchtlos. Bei dieser Gelegenheit machten katholische Blätter auf die Ungleich¬ heit des Verfahrens aufmerksam. Der Firmuugsreise und den Predigten eines ausländischen — holländischen — j a n s e n i st i s ch e n Erzbischofes (Heinrich von L v o s von Utrecht) wurde seiner Zeit nichts in den Weg gelegt; einem katho¬ lischen deutschen Bischöfe aber wird das'Verkünden des Wortes Gottes nicht gut vermerkt! Das andere Factum steht in Verbindung mit den bereits erwähnten Adreßdebatten in der Abgeordnetenkammer. Der Eultusministcr von Lutz hatte nämlich in seiner Rede am 13. October behauptet, der Bi¬ schof von Regensburg, vvn Senestrep, habe seine Geistlichkeit in einem besonderen Erlaß angewiesen, zur Erzielung sogenannter cle- ricalen Wahlen auch die Unzufriedenheit der Bevölkerung auf social-politischem Gebiete auszubeuteu. Der Bischof forderte den Minister in einem offenen Schreiben cküo. 18. Oetober auf, den Beweis hiefür beiznbringen, indem er obige Behauptung als unrichtig hinstelltc. Am Schlüsse sagt der Bischof: „Also ich ersuche Sie noch einmal: Widerruf oder Beweis! Denn auch Staatsminister stehen nach meiner Ueberzengnng unter den Gesetzen der Ehre, der Moral und der Gerech¬ tigkeit." In der Antwort ckcko. 24. October des Ministers ist kein stricter Beweis seiner Behauptung zu finden; weshalb der Bischof un- term 28. October eine nochmalige geharnischte Aufforderung an ihn richtete. — Der Minister nahm seine Behauptung nicht zurück. Der König lehnte den Empfang der Adresse der Abgeordneten¬ kammer ab, und nahm die Entlassung des Ministeriums nicht nur nicht an, sondern versicherte dasselbe (19. October) seiner vollen Zufric denheit und Zustimmung. Darob großer Jubel der Liberalen in Baiern; selbst außerhalb Baiern fehlte es nicht an Sympathiebezeugnngcn der Gesinnungsgenossen. Stepi sch negg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 10 242 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Das königliche Ministerium meinte auf der fortschrittlichen Bahn nun um so ungenirter vorgehen zu können. Eine königliche Verord¬ nung erließ die näheren Anordnungen zum Vollzug des Z 84 des deut¬ schen Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar l 874 hinsichtlich der Bildung der Stan- desbezirke und der Bestellung der Standesbeamten, das ist also bezüg¬ lich der obligatorischen Civilehe. Nicht gar lange vorher, am 16. Oetvber, fand in Oberammergau die Enthüllung der schönen eolossalen marmornen Kreuzigungsgrnppe, welche der König dorthin gewidmet hatte, statt. Die kirchliche Weihe vollzog der Erzbischof von München-Freising. Gewiß lag in den Zeitverhältnissen Gesammtdeutschlands und Baierns insbesondere ein Motiv für die bäurischen Bischöfe, sich wieder in einer Collectiv Eingabe, llclo. „Im Oetvber" an den König unmittelbar zu wenden. Die gegenwärtig „im deutschen Vaterlande der katholischen Kirche entschieden feindselige Strömung — sagen sie darin — ist leider auch an Baierns Grenzen nicht stehen geblieben." — Sie fürchten, „daß Baiern noch tiefer in den Kreis der religions- und kirchenfeind¬ lichen Mächte gerissen werden könnte". Sie wollen sich auf drei Gegenstände beschränken: „Ew. könig¬ liche Majestät möge zu verfügen geruhen, daß von nun an, der Wahr¬ heit und Gerechtigkeit gemäß, die Secte der Altkatholiken auch Seitens der bäurischen Staatsregierung von der katholischen Kirche unterschieden und gemäß dieser Unterscheidung überhaupt, und insbesondere in den wichtigen dadurch berührten Fragen über Recht nnd Eigenthum der der Kirche auch gehandelt werde." Für's zweite wird beklagt, daß das Recht der Kirche auf die Schule vielfach mißachtet und ihr berechtigter Einfluß auf dieselbe mehr und mehr verdrängt werde. Die Bischöfe berühren nun einzelne diesbezüg¬ liche Mißstände und bitten um Abhilfe. Der dritte Abschnitt befaßt sich mit den Orden und religiösen Genossenschaften und schließt, indem sich die Bischöfe auf ihre Einlage vom Oetvber 1873 berufen, mit der Bitte: „einer weiteren Ausdehnung des Reichsgesetzes vom 4. Juli 1872, den Orden der Gesellschaft Jesu betreffend, mit allen Mitteln entgegcn- zntreten und jegliche Nachahmung des Preußische» Klostergesetzes vom 31. Mai 1875 mit allem Nachdruck zu verhindern". Unterzeichnet sind sämmtliche Erzbischöfe und Bischöfe und der Capitularvicar von Passau. Europa. Z 9. Die katholische Kirche in Baiern. 243 Der König wies die bischöfliche Bestellung einfach dem Cultns- minister zu. In feierlichster Weise begingen das Benedietinerstift St. Bonifaz in München und die gleichnamige Pfarre am 20. nnd 2t. November das sünfnndzwanzigjährige Jubiläum der Einweihung. Die Festpredigt hielt der Bischof von Speier, Daniel von Haneberg, welcher durch 18 Jahre (1854 -1872) als Abt dem Stifte vvrgestauden war. Bei dieser seiner Anwesenheit in München legte derselbe die früher erzählte Angelegenheit wegen der Predigt des Bischvfes von Mainz bei. Selbstverständlich betonten es auch in Baiern die Bischöfe in ihren anläßlich der mit 1. Jänner 1876 in Kraft tretenden obligatorischen Civilehe hinausgegebcnen Hirtenbriefen, daß diese noch keine saeramen- tale, keine vor Gott und dem Gewissen giltige Ehe sei, sondern dies nur erst durch den Abschluß vor dein Pfarrer und zwei Zeugen werde. Unter großer Theilnahme der Katholiken von nah nnd fern wurde (außer in Coblenz und anderen Orten) insbesondere auch in München die Säcularfeier nach Josef von Görres (geboren 25. Jänner 1776 zu Coblenz) begangen. Es bildete sich zum Andenken des großen Mannes die „Görres Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland". Die am 21. Mai 1876 in München abgehaltene Versammlung katholischer Edellente hatte die Gründung eines Vereines unter dem Na¬ men: „Genossenschaft katholischer Edelleute in Baiern" zur Wahrung des Glaubens, Ausübung der Werke der Barmherzigkeit, Förderung des christlichen Familienlebens n. dergl. beschlossen. Am 10. September trat sie zur ersten Generalversammlung in München zusammen. Am 31. Mai 1876 starb der mehrgenannte gelehrte Bischof von Speier vr. Daniel von H a n e.b erg. Zn seinem Nachfolger ernannte der König den Stiftsdecan von St. Cajctan in München, Leonhard Enzler (geboren am 13. April 1817 zu Schönenbach in Schwaben), welcher aber noch vor seiner Cvnfirmativn resignirte, ohne daß von Rom aus Anstände wider ihn erhoben, oder eine Pression auf seinen Entschluß ansgeübt worden untre. Die Wahlen für das Abgeordnetenhaus im Herbste 1876 fielen für die sogenannte patriotische Partei im Ganzen nicht günstig ans. Innere Differenzen bedrohten sie mit dem Zerfalle. Dieser nnlängbare 16* 244 I. Thcil. I. Hanptstllck. Erlebnisse nnd Schicksale der kath. Kirche. Rückgang der katholischen Bewegnng — denn es wählten diesmal in Baiern 79.977 Patrioten weniger als im Jahre 1874, veranlaßte im Jänner 1877 die Constituirnng der neuen „Katholischen Volkspartei in Baiern". Auch erschien eine neue Wochenschrift „Die katholische Fahne". Im Leitartikel: „Was wollen wir?" heißt es unter Anderem: „Wir schreiten mit Riesenschritten dem Abgrnnde zu. Eine Rettung der mo deinen Staaten ist unmöglich; sie fallen dem Liberalismus, der sie be herrscht, und dem Svcialismus, der die Erbschaft des ersteren über¬ nehmen wird, als Beute anheim." Der Münchener Magistrat verbot die Abhaltung einer Prveession (am 10. Juni) zu Ehren des fünfzigjährigen Bischvfjubiläums des hl. Vaters, mit der Mvtivirnng, weil dieser in seiner Rede an die deut¬ schen Pilger (17. Mai), als er von der Verfolgung der katholischen Kirche sprach, entweder den Kaiser Wilhelm oder den Fürst Bis¬ marck (Keinen von Beiden) mit Attila verglich nnd hiedurch die ganze deutsche Nation verletzte, ja „schändete". (!) Am 24. October 1877 starb der Erzbischof von München, Gregor von Sch err. Selbst liberale Blätter spenden ihm das Lob, daß er ein edler, mild gesinnter Kirchenfürst war. Damit wußte er die treueste Anhänglichkeit an die katholische Kirche zu verbinden. Nach dem vati- eauischeu Cvncil zumal hatte er sie zu bewähren Gelegenheit. Nach sehr lebhafter Verhandlung nahm die Abgeordnetenkammer am 9. Jänner 1878 mit 77 Stimmen gegen 75 den Antrag des Peti- tivnsausschusscs an, den König zu bitten, die Verordnung von 1873 über die Einführung von eonfessionell gemischten Schulen wieder außer Wirksamkeit zu setzen. Die Kammer der Reichsräthe stimmte (Februar) bei. — Ebenso beschloß die Kammer der Abgeordneten am 18. Fe¬ bruar mit 77 gegen 72 Stimmen: I. „Es sei die Beschwerde der Pfarrer und Bürger Münchens wegen Einführung der Zwang-Simultan- schulcn in München als begründet zu erachten" und 2. „Se. Majestät der König zu bitten, der Beschwerde abhelfen zu wollen." st ') Die Kammer der Reichsräthe verwarf aber (Anfangs 1879) die Beschwerde, betreffend die Simnltanfchulen in München. Europa. Z 10. Dir kath. Kirche in der oberrheinischen Kirchcnprovinz. 245 8 10. Die katholische Kirche in der oberrheillischen Kirchen- Provinz. Der Erzbischof von chrrikurg i. K. und die resprrtivrn Keyierunyen. Die Kirche in deren Staaten. Ganz besondere Aufmerksamkeit zogen die kirchlichen Ereignisse in der Oberrheinischen Kirchenprovinz, zumal im Großherzogthum Baden ans sich. Wir meinen den sogenannten „Freiburger Kirchenstreit". Um dem Leser ein richtiges Urtheil hierüber zu ermöglichen, kom¬ men nur ans die ersten Ursachen und Veranlassungen desselben zurück. Im Jahre 1818 (24. März) hatten sich Abgeordnete der Regierungen mehrerer deutscher Bundesstaaten, als: Würtembcrg, Baden, Kur¬ hessen, Großherzogthnm Hessen, Nassau, Mecklenburg, der sächsischen Herzogthümer, Oldenburg, Waldeck und der freien Städte Frankfurt, Lübeck und Bremen, zum Behnfe gemeinsamer Unterhandlungen mit Ron: in Frankfurt am Main versammelt. Die in Folge davon abgefaßte „Declaration" wurde am 24. März 1819 dem Papste übergeben, welcher in einer ämtlichen Note seines Staatssecretärs, Cardinal Consalvi, vom 10. August 1819 einige der gemachten Anträge billigte, den größeren Theil derselben aber, weil den Satzungen der Kirche widersprechend, verwarf. Die übrigen Punkte, über welche eine Vereinbarung noch zulässig schien, wurden neuen Unter¬ handlungen Vorbehalten. Die Regierungen entwarfen eine neue „Kirchen- Pragmatik" von 48 Artikeln und das Formular eines „Fundations- Jnstrumcntes". Nachdem endlich die Vereinbarung über die Grenzen der Sprengel und über die Dotation der Bisthümer unter den ver¬ einten Regierungen zu Stande gekommen und dem Papste vorgelegt worden war, erließ Pins VII. die Circumseriptionsbulle „Uwvicka, müersgno" vom 16. August 1821 — genehmiget von den Regierungen am 8. Februar 1822 — wodurch die oberrheinische Kirchenprovinz gebildet wurde, und zwar aus dein Erzbisthume Freiburg in Baden, mit den Snffragan Bisthümern: Fulda im Knrfürstenthume Hessen; Mainz im Großherzvgthnme Hessen; Rvttenburg im Königreiche Wür- temberg, und Limburg im Herzogthum Nassau. In der Ergänzungs- bnlle: ,,.4r. Schreiber, vom Lehramte, weil er ihr porsonn iug-rntu geworden. Weil die am 5. Mürz 1853 badischer Seits erflvssene Regie¬ rungs-Erledigung, als Ergebniß der Carlsruhcr Cvnfercnz, aus die erste Denkschrift der baierischen Bischöfe durchaus nicht befriedigte, kamen diese am 6. April 1853 abermals in Freiburg zusammen, und richteten von da am 12. April g. I. eine wiederholte Collectiv- Erklärung an ihre Regierungen, worin sic sich nunmehr auf den Standpunkt unausweichlich hingetrieben bezeichnen, wo sie ihr Verhalten nach dem apostolischen Ausspruche bestimmen müßen „Man muß Gott niehr als den Menschen gehorchen" (^e,t. ap. o. IV). Sie werden 250 I. Theil. I. Hcmptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. künftig nur mehr das Dogma und das darauf beruhende Verfassungs¬ recht der katholischen Kirche als normirend für ihre Amtsverwaltnng betrachten; den Vorschriften aber, welche die weltliche Macht in Bezug auf die katholische Kirche bisher geltend zu machen beschlossen, die auf einem Systeme beruhen, welches wiederholt von dem Oberhaupte der Kirche als ein widerkatholisches und widerrechtliches nachdrücklichst und feierlichst verworfen worden, auf das Entschiedenste entgegeutreten. Uebrigens aber werden sie unter allen Umstünden die ihren Souverains schuldige Unterthancntreue mit derselben unerschütterlichen Standhaftig¬ keit bewahren, mit welcher sie ihre bischöflichen Pflichten in Ansehung der Vertheid ignng des Glaubens und der Verfassung ihrer Kirche bis zum letzten Athemzuge zu erfüllen hoffen. Eine neue Cvnferenz der Bischöfe begann zu Freiburg am 14. Juni 1853, die bis zum 18. dieses Monats dauerte und eine neue Denk¬ schrift des Episkopates von diesem Datum zur Folge hatte. Der Bi¬ schof von Mainz richtete am 16. Juli noch eine separate Einlage an seine, die großherzoglich hessische, Regierung. Unterm 7. November 1853 aber verordnete der Prinzregent, nachmalige Grvßherzvg von Baden, Friedrich (des verstorbenen Großherzogs Leopold jüngerer Sohn, denn der altere Ludwig Ivar geisteskrank; 1856 nahm Fried¬ rich den Titel „Grvßherzvg" an; Prinz Ludwig starb 22. Jänner 1857), daß zur Beseitigung der von Seite des Erzbischofes von Frei¬ burg versuchten thatsüchlichen Eingriffe in seine landesherrlichen Hvheits- rechte und zur Sicherung der hiedurch gefährdeten Staatsordnung, bis auf weitere Anordnung, keine vom Erzbischöfe selbst, oder in dessen Namen erlassene Verfügung im Großherzogthume verkündet, oder voll¬ zogen, oder ihr überhaupt eine äußere Anerkennung beigelegt werden dürfe, wenn dieselbe nicht von dem großherzvglicheu Speeialeommissär, als welcher der Stadtdireetor von Freiburg, Burger, aufgestellt wurde, durch seine auf die Ausfertigung zu setzende Unterschrift aus¬ drücklich zur Ablassnng zugelassen worden ist. Der Erzbischof hatte schon am 4. November die Anschuldigung zurückgewiesen, als wolle er durch seine Handlungen die Rechte der großherzoglichen Regierung ver¬ letzen, erklärte aber zugleich wiederholt, die Pflichten seines Amtes nach den Normen der hl. Kirche erfüllen zu wollen. Hierauf verhängte der Erzbischof ( 15. November) über den Speeialeommissär Carl B n r- ger und über die katholischen Oberkirchenräthe Leonhard August Pre- Europa. Z IO. Die kWh. Kirche iu der oberrheinischen Kirchenprovinz. 251 ft i n a ri, Carl Schmitt, Wilhelm Carl Müller, Leonhard L a nbis, Johann Mayer (diese beiden zugleich Priester) die Excommunicativn, welche er den Oberkirchenrüthen schon früher angedroht hatte, weil sie nicht binnen der ihnen bewilligten letzten Frist von vierzehn Tagen ihren „unbedingten Gehorsam unter seine Anordnungen und ihren festen Entschluß erklärten, alle iu der Denkschrift des oberrheinischen Episko¬ pates cillo. 18. Juni d. I. bezeichneten Forderungen nach Kräften zu unterstützen und weder durch Worte noch Handlungen denselben ent¬ gegen zu treten". Anderseits schritt die Negierung wegen Nebertretung der grvßherzoglichen Verordnung vom 7. November gegen einzelne Mit¬ glieder des Ordinariates und des Clcrus, welche dem Erzbischöfe ge¬ horsam blieben, insbesondere welche sein Hirtenschreiben vom I I. No¬ vember promulgirten, mit Geldstrafen ein; bald erfolgten auch Ver¬ haftungen und zwar meist mit großem Eclat. Das Beispiel der großherzoglich badischen Regierung fand Nach¬ ahmung im Herzogthnm Nassau. Der Bischof von Limburg, I)r. Peter Josef Blum (geboren am 18. April 1808 zu Geiserhcim im Rheingau), wurde auf den 18. No¬ vember 1853 vor die Schranken des Criminalgerichtes in Wiesbaden gerufen, angeschuldigt sammt Genossen (so nannte das Citationsdecret die Mitglieder des bischöflichen Domeapitels und Ordinariates) „des Verbrechens der Erpressung", weil er dem Pfarrverwalter Müller von Nendorf aus dem dortigen Pfarrfonde auch die Salarirung für die mitbesorgte Caplanci angewiesen hatte. Gegen den Pfarrverweser selbst lautete die Anschuldigung auf das Verbrechen des „Betruges"! Im Jahre 1858 ließ diese Regierung zwei eingeborene Prie¬ ster, Ibach und Kein, aus dem Wallfahrtsorte Marienthal im Rheiugan, ausweisen, wo dieselben mit Genehmigung ihres Diöeesan- bischofes von Limburg Seelsvrgsdienste versahen, und ein Jahr später sprach sie dem Bisthume Limburg die Erwerb- und Besitzfähigkeit ab, weil nach dem n a s s a n i s ch e n G e s e tz e d e m s e l b c n d ie Rechts¬ persönlichkeit nicht zu st ehe. (Ebenso 1862 dem Dvmeapitel.) Der Herzog Adolf selbst dachte billiger. Seine Entschließungen zur provisorischen Ordnung der Verhältnisse der katholischen Kirche im Herzvgthume (Ministeriell-Erlaß ctllo. 25. Mai 1861) machten an die¬ selbe einige Zugeständnisse, und ließen noch mehrere hoffen. Die zweite Kammer erblickte darin nur ein „Provisorium bis auf Weiteres". 252 I' Theil. I. Hcmptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. In Folge des Krieges 1866 wurde auch Nassau von Preußen annectirt, und Herzog Adolf „depossedirt". Es galt nun fürder auch hier die preußische Vcrfassuugsnrkunde in kirchlich-politischen An¬ gelegenheiten. Hatten früher die nassauischen Gerichtsbehörden, wie wir sahen, nicht nur Pfarrkirchen und dem Domcapitel, sondern sogar dem Bisthume die „juridische Persönlichkeit" abgesprochen, so gestal¬ teten sich jetzt die Verhältnisse der katholischen Kirche anfänglich gün¬ stiger. Die neue Regierung anerkannte diese „juridische Persönlichkeit"; glaubte aber anfänglich der Bieinung nicht beipflichten zu können, daß dieselbe ausschließlich in der Person des jeweiligen Bischofes, iin Ver¬ hinderungsfälle, des bischöflichen Ordinariates, vertreten sei, sondern daß die vermvgensrechtliche Persönlichkeit des Bisthums durch den ka¬ tholischen Centralkirchenfvnd des vormaligen HerzogthnmS Nassau aus¬ schließlich repräsentirt werde, wogegen der Bischof Peter Josef B l n m energische Verwahrung einlegte. Sie fand von der bisher in Nassau staatlicherseits geübten Mitwirkung bei Ernennung der Dečane abzuschen (1868); nicht minder erklärte sie dem Bischöfe von Limburg, bei der Besetzung der Verweser- und Lehrerstellen des Priesterseminars, bei der Anstellung des Generalvicars, der Offieialen, Vicariats- und Ofsieialats- räthe, Secretäre und sonstigen bischöflichen Beamten, fernerhin ein Mitwirknngsrecht nicht in Anspruch nehmen, sowie auch von der Mit¬ wirkung rucksichtlich der Festsetzung der pvrtio aonA-rna bei erledigten Pfarreien absehen zu wollen. Als Nassau 1866 preußisch wurde, war's eben dem Bischof von Limburg nicht zu verargen, wenn er im Hirtenschrciben cbio. 15. Oetvber 1866 dies nicht beklagt nnd bemerkt, daß „die katholische Kirche in Preußen verfassungsmäßig eine würdigere, ihrer göttlichen Stiftung und Sendung angemessenere Stellung cinnchmc, als anderwärts; daß ihr in Preußen auf die Oberleitung und Ueberwachung des Vvlks- schulwesens ein größerer Einfluß eingeräumt sei, als das bis jetzt irgendwo gewesen". Der Bischof sagt aber auch, daß „wenn auch in Nassau die kirch¬ lichen Zustände in vieler Beziehung manches zu wünschen übrig ge¬ lassen, doch der Herzog durch die Errichtung eines katholischen Lehrer¬ seminars, eines zum größten Theil katholischen Gymnasiums und durch Beseitigung mancher Mißstände einen Anspruch auf Dankbarkeit habe." Auch eine Jmmediat-Eingabe . 19. October 1866 richtete der Eurvpa. Z 10. Die kath. Kirche in der oberrheinischen Kirchenprovinz. 25Z Bischof an König Wilhelm, welche dieser nnterm 21. November wohlwollend beantwortete. Von: l. Jänner 1869 an fielen, in Ausführung des Artikels XV der Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Jänner 1850, die meisten staatlichen Beschränkungen der freien Verwaltung des Kirchenvermögens auch in Nassau hinweg; so wie es sich in Aus¬ führung des Artikels XVII der erwähnten Verfassungsurkuude in ganz Preußen nm die Aufhebung des Kirchenpatronates handelte. Wie es der katholischen Kirche und dem Bischöfe in Nassau im nachherigen preußischen „Culturkainpfe" erging, davon war bereits die Rede. — Der in: Jahre 1235 vollendete Dom zu Limburg — ehemalige Stiftskirche ucl tK. (leor^inm — erfuhr in neuester Zeit eine gründ¬ liche, sehr gelungene Restaurirung. Wenden wir nns nach Baden zurück. Am 14. November legte der Erzbischof dem Staatsministerinm eine neuerliche Protestation wider die geübten Maßregeln vor. Zahllose Adressen ans fremden, sogar außer¬ europäischen Diöcesen versicherten ihn der Theilnahme und Anerkennung feines Muthes seitens der Katholiken. Der Papst sprach sich ebenso in der Alloeutivn vom 19. December 1853 und in einem Briefe an den Erzbischof selbst, ckcko. 9. Jänner 1854, aus. Zur großen Befriedigung diente diesem auch, daß der König von Preußen seinen Wünschen be¬ züglich der Verwaltung der Kirche in den Hvhenzollern'schen Fürsten- thümern entsprechen zu wollen erklärte. Zwar nahm die Regierung in Baden die Ministerialvervrdnnng vom 7. November 1853 zurück (25. März 1854), sistirte aber nicht auch die Cvnseqncnzen derselben. Als außerordentlichen Gesandten ordnete sie den Grafen Lein in gen nach Rom ab. Als der Erzbischof, dessen Vorstellung an den Regenten ckilo. 16. Februar auch keinen Erfolg hatte, das theologische Convict zu Freiburg wieder eröffnen wollte, versiegelte die Behörde sämmtliche Thüren des Gebäudes, und stellte eine Wache in dasselbe. In: Mai 1854 wurde der Erzbischof in Anklagestand versetzt „wegen Mißbranchs seiner Amtsgewalt", wozu zunächst sein Hirtenbrief ckclo. 5. Mai, „die Verwaltung des Kirchenvermögens" betreffend, Veranlassung gab; ja nach vollzogener Hausdurchsuchung in: eigenen Palaste am 22. Mai als verhaftet erklärt. In einem abermaligen Hirtenschreiben ckcko. 3. Juni 951 l Theil. l. Hanptstück. Erlebnisse »nd Schicksale der kath. Kirche. 1854 vertheidigte er sich wider den ihm von der ministeriellen Presse gemachten Vvrwnrf des Eidbrnches nnd Meineides gegen die Regierung. Im nämlichen Mvnate (24.) wurde zn Rom zwischen dem Cardinal Antonelli und dem Grafen Leiningen, welchem der Staatsrath B r n n n er beigegeben war, ein Interim vereinbart, nnd in Folge dessen das Strafverfahren der Regierung gegen den Erzbischof eingestellt. Mittlerweile hatte auch die grvßherzvglich hessische Regierung unmittel¬ bar mit dem Bischöfe von Mainz eine provisorische Convention (Aus¬ gleichung) abgeschlossen (23. August l854). Selbstverständlich übte der hl. Stuhl auch seine Jngerenz hiebei aus. Im Schreiben voin 6. August l855 erwiderte das Ministerium die päpstlichen Bemerkungen; in einem weiteren vom 19. April l856 lehnte es verschiedene Forderungen des hl. Stuhles wiederholt ab; theils wurden aber auch Zugeständnisse gemacht. Eben gemäß dem Interim gestattete der Erzbischof von Freiburg zwar seinem Curatelerns in Stiftungssachen wieder mit dem ex- cvmmnnicirten katholischen Oberkirchenrathe in Geschäftsverbindung zu treten, er selbst aber und sein Ordinariat unterhielten den amtlichen Verkehr immer unmittelbar mit dem Staatsministerium. In Blüthe stand der Staats- und kirchliche Bnreaukratismus ins¬ besondere unter dem Ministerium Sch la her in Würtemberg, wv 1845 der Bischof Johann von Keller gestorben war, nnd 1847 den Deean vvn Echingen, Joses vvn Lipp zum Nachfolger erhielt. Um eine Convention') mit dem hl. Stuhle anzubahnen, sandte die königlich würtembergische Regierung, nachdem sie schon am 12. Fe- brnar 1854 eine Uebereinknuft mit dem genannten Bischöfe vvn Rotten¬ burg geschlossen, 1856 den Baron von O w und den katholischen Stadt¬ pfarrer von Stuttgart Daneker nach Rom, wo im Auftrage des Papstes Cardinal August Graf von Reisach mit ihnen verhandelte. Die Convention wurde wirklich am 8. April 1857 abgeschloßen, beider¬ seitig von den Bevollmächtigten, dem Cardinal Reisach und Baron Adolf vvn O w unterzeichnet und die Ratifieativnsurknnden am 5. Juni 1857 ansgetanscht; sie trat aber, wie weiter unten erzählt wird, ebenso¬ wenig in's Leben als die etwas spätere mit der großherzoglich baden'- schen Regierung eingegangcne. ') Concordate schließt der römische Stuhl eigentlich nur mit katholischen Regenten ab. Europa. S 10. Die kath Kirche in der oberrheinischen Kirchcnprooinz. 255 Pins IX. hatte' die Convention mittels Bnlle „Onm in 8nlllimn° lllla. 22. Jnni g. I. bestätiget und pnblicirt; wvrnach auch König Wilhelm I. mit Verordnung <1) Daß auch hier gegen die Cvuventiou agitirt wurde, versteht sich vvu selbst. Die Versammlung von mehr als 100 protestantischen Geistlichen zu Plochingen 272 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Zur Regelung der Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche wurde nun ein selbständiger Gesetzentwurf den Stünden vorgelegt, wobei es des Königs Wille sei, daß demselben der materielle Inhalt der gescheiterten Convention zu Grunde gelegt werde. Gegen die dem könig¬ lichen Rescripte, ääo. 13. Jnni 1861, angereihten principiellen Sätze legten am 16. Oetober g. I. mehrere katholische Standesherrcn, den höchsten aristokratischen Kreisen angehörend, Verwahrung ein „indem dieselben unvereinbar seien mit dem Organismus der (katholischen) Hierarchie, sohin mit dem wesentlichen Bestand und den Grnndcinrich- tungen der nicht jetzt erst zu redigirenden katholischen Kirche; dieselben Widerstreiten auch den der katholischen Kirche (schon ehedem garantirten) znr Seite stehenden verfassungsmäßigen Rechten und Sicherungen." Sie blieben aber in der Minorität. Eben so wenig Erfolg hatte die Note des Cardinals Antonelli, äclo. 3. August 1861, an den Minister des Auswärtigen, Freiherrn von Hügel, worin derselbe gegen die Verletzung eines beiderseitig eingegangenen Vertrages prvtestirte; — selbstverständlich auch der wiederholte Protest des Bischofs von Rottenburg. Die Verhandlungen der zweiten Kammer über die Regelung der Verhältnisse der katholischen Kirche zeigten es den Katho¬ liken, wie wenig man von den: alten Bevormundungs-Systeme ab- zugeheu geneigt sei. Am 27. November wurde das projectirte Kirchen¬ gesetz von der zweiten Kammer mit 67 gegen 13 Stimmen angenommen. Um nur Eines zu erwähnen: Nach Artikel XIII soll auch die Leitung des katholischen Religionsunterrichtes unter der Oberaufsicht der Staatsgewalt stehen, und die Einführung der zwar vom Bischöfe bestimmten Katechismen und Religionshandbücher von der Staatsbehörde ansgehen. Die erste Kammer, in welcher zwar das Kirchengesetz auch (19. December 1861), aber mit geringer Majo¬ rität, durchging, gab obigem Paragraphe eine günstigere Fassung. Das Gesetz erschien nun am 30. Jänner 1862. König Wilhelm I. starb am 25. Juni 1864. Das bischöfliche Ordinariat zu Rottenbnrg ordnete deshalb in allen katholischen Kirchen an eine Predigt, ein Gebet, und ein Votivamt clo 8s. I'rinitnto (also nicht ein sogenanntes Seelenamt) znr Danksagung für die während (3. Juni 1860) erblickte darin eine „Ansnahnisstellnng", die der katholische Epi¬ skopat einnehmen wolle. Europa. Z 10. Die kath. Kirche in der oberrheinischen Kircheuprovinz. 273 seiner Regierung erhaltenen Wohlthaten; aber auch als Bittopfer für den neuen König Carl I. des Vorigen Sohn. ') Auf den gleichen Standpunkt der katholischen Kirche gegenüber stellte sich die großherzoglich hessische Regierung. Die früher erwähnte Vereinbarung mit dem Bischöfe von Mainz (llllo. 23. August 1854) wurde heftig angefeindet. In seinem Hirtenschreiben vom 27. März 1861 „Soll die Kirche allein rechtlos sein?" u. s. w. hatte Dieser die Ungerechtigkeit der gegnerischen Partei nachgewiesen. Die zweite Kammer verwarf (1863) mit 38 gegen 6 Stimmen die Zulassung aller reli¬ giösen Orden, was jedoch die erste Kammer in dieser Allgemeinheit ablehnte und an dem Entwürfe des beantragten neuen Kirchengesetzes, welchen die Regierung unterm 14. November 1862 den Stünden vor¬ legte, auch einige sonstige Aenderungen — rcspective Milderungen — Vvruahm. Durch die großherzogliche Entschließung vom 6. Oetober 1866 wurde endlich die vberwähnte Vereinbarung förmlich außer Wirksamkeit gesetzt. Bei ihrem blos provisorische n Charakter fand sich der Bisch vf nicht veranlaßt dawider Beschwerde zu führen; Wohl auch hoffend, daß die neuesten großartigen politischen Ereignisse Deutschlands eine gün¬ stigere Auffassung der unabweislichcn Forderungen und Rechte der katho¬ lischen Kirche auch in Hessen-Darmstadt anbahnen werden. (Siehe dessen Schreiben an den Großherzog llllo. 20. September 1866.) — Laut vfficieller Erklärung gelegenheitlich der Aufhebung der Convention solle bis znm Zustandekommen eines Gesetzes nach den Grundsätzen Ver¬ fahren werden, auf welchen der den Ständen im Jahre 1862 vor¬ gelegte Gesetz-Entwurf „die rechtliche Stellung der Kirche und kirchli¬ chen Vereine im Staate betreffend" beruht, insoweit diese Grundsätze durch libereinstimmende Beschlüsse der beiden Ständckammcrn Anerken¬ nung gefunden haben. Weil sich der Minister von Dalwigk nicht herbei¬ ließ, gegen die katholische Kirche feindselig anfzntreten, traf ihn sogar der Vorwurf, „dieselbe auf Kosten der evangelischen zu begünstigen". >) Im -October 1867 trat Herzog Wilhelm von Urach, Graf von Würtem- berg, zum Katholicismns über. Bischof Josef von Lipp starb am 3. Mai 1869. Er war geboren am 24. März 1795 zu Holzhansen und stand seiner Diöcese seit 1848 vor. Sein Nachfolger ans dem bischöflichen Stuhle von Rottenbnrg wurde Or. Josef von Hefele, Professor der Theologie zu Tübingen (außerordentlicher seit 1837, ordentlicher seit 1840; geb. 16. März 1809 zu Unterkochen bei Ellwangen). Der Papst confirmirte ihn am 22. November 1869; consecrirt wurde er am 29. December g. I. Ktepischuegg, Papst Pias IX. und seine Zeit. I, Bi>. s g 274 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Insbesondere richtete sich der Haß der Liberalen anch in Hessen gegen die Jesniten, für die der Bischof von Mainz in die Schranken trat Dieser berief nämlich an die Pfarre St. Christof in Mainz Je¬ sniten zur Aushilfe in der Seelsorge, während die Pfarre selbst Decan Schneider, der Pfarrer der Quintinskirche, verwaltete. Die Stadt¬ gemeinde Mainz weigerte sich, ihren Antheil per jährlichen 2ü0 fl. am Pfarrgehalte von St. Christof weiter ausznbezahlen, weil die Pfarre nicht gesetzlich besetzt sei. Das Obergericht verurtheilte sie zur Zahlung; der Kassationshof aber annullirte dies Erkenntnis; (1867). Auch der Landtag strich bis zur „regelmäßigen Besetzung der Pfarrei" den Zu¬ schuß des Staates zur Pfarrsdvtatiou, während die Regierung in beiden Kammern die Auszahlung au die Jesuiten befürwortete. Darüber entspann sich eine ziemlich heftige Polemik für und wider in öffentlichen Blättern. Auf die vom evangelischen Laudesprälateu und von der evangelischen Geistlichkeit erhobene Anschuldigung der Ver¬ unglimpfung des evangelischen Glaubens, schrieb der Bischof von Mainz als Antwort „Die Grundlagen des religiösen Friedens" — ein zur Ein¬ tracht mahnendes Wort — wogegen aber die „Erwiderung" der drei evangelischen Superintendenten erschien, worin sie sich also vernehmen lassen: „Sv lange die katholische Kirche sich nicht entschließt, ihre Lehre von der alleinseligmachenden Kirche durch die Lehre von der unsicht¬ baren Kirche zu verchristlichen; (!) so lange sie sich nicht redlich lossagt von den Grundsätzen des kanonischen Rechtes über die Nichtkatholiken, d. h. Ketzer; so lange sic nicht das Streben nach äußerer Macht anf- gibt; so lauge sie uns nicht für gleichberechtiget im Staate hält; so lange sie nicht den Jesuitenorden entfernt, so lange kann von keiner Parität die Rede sein." In Darmstadt selbst bildete sich — wohl eben im Hinblick auf diese kontroversen — ein Zweigverein des deutschen Protestantenvereines. Der im März l878 den Ständen vorgelegte Gesetzentwurf über das Vvlksschulweseu hält freilich — wie fast überall — nicht nur die Ober¬ aufsicht, sondern auch die Leitung des gesummten Vvlksschulwesens durch staatliche Behörden entschieden fest, doch will er die bestehenden confessivnellen Schulen nicht plötzlich in konfessionslose umwandeln. Am 23. Juli nahm die zweite Kammer den Gesetzentwurf an. Die erste Kammer aber lehnte am 10. Oktober den Artikel über die kon¬ fessionslosen Gcmeindeschnlen mit 16 gegen 10 Stimmen ab. Europli. Z 10. Die kath. Kirche in der oberrheinischen Kirchenprooinz. 275 Das Nämliche geschah einstimmig am l l. Octvber mit dem von der zweiten Kammer beigefügten Artikel XXVIII a.) über das Verbot der Lehrthätigkeit der Mitglieder religiöser Orden, und wurde im Z 37 die Bestimmung, wornach Mitglieder geistlicher Orden und ordens¬ ähnlicher Congregationen von öffentlichen Schulstellen ausgeschlossen sind, gestrichen. Die zweite Kammer nahm dennoch am 10. November den gegentheiligen Antrag wiederholt mit großer Majorität an. Am 5. November zuvor hatte sie sich für die obligatorische Civil- ehe, für die Civilstandsregister, für Aufhebung aller abgesonderten Er¬ ziehungsanstalten für den Clcrus und der geistlichen Orden und Con¬ gregationen, für die Abschaffung der geistlichen Censuren über Laien u. s. w. ausgesprochen. Am 4. Februar 1874 trat aber auch die erste Kammer den Beschlüssen der Abgeordnetenkammer wegen Ausschließung der Ordens¬ geistlichen ans den Schulen mit 15 gegen 12 Stimmen bei. Das neue Vvlksschulgesetz datirt vom 16. Juni 1874. Nach dem Beispiele Preußens verbot auch die grvßherzvglich hes¬ sische Regierung (August 1874) den Staatsbeamten jede Betheiligung an den katholischen Vereinen. Am 4. September wurden die sogenannten „Kirchengcsetze" in der zweiten Kammer eiugcbracht. Es handelte sich hiebei um fünf einzelne Gesetzentwürfe über 1. die rechtliche Stellung der Kirchen- und Religions¬ gemeinschaften im Staate; 2. den Mißbrauch der geistlichen Amts¬ gewalt; 3. die Vorbildung und Anstellung von Geistlichen; 4. die reli¬ giösen Orden und ordensähnlichen Congregationen; 5. das Besteuerungs- recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Der betreffende Ausschuß befürwortete einzelne Verschärfungen des Entwurfes über die Vorbildung nnd Anstellung der Geistlichen. Am 1. Octvber trat die zweite Kammer in die Berathung der Kirchengcsetze ein, welche sie am 10. in erster Lesung nut der Annahme in allen we¬ sentlichen Punkten zu Ende führte; in zweiter Lesung am 14. Der Bischof von Mainz hatte in einem Schreiben an das hessische Ministerium uud an die beiden Kammern Verwahrung eingelegt gegen die projcctirten Kirchcngesetze, mit dem Beisatze, daß er lieber vollständige Trennung von Kirche und Staat wünsche; übrigens erklärte er, dem katholischen Glauben, so wie den Rechten und Freiheiten der katholischen Kirche nimmermehr etwas vergeben zu wollen. iS* 276 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Mit nur Einer Stimme Majorität verwarf die erste Kammer am 10. November den Antrag von D alwi g k' s, die vorliegenden Kirchen¬ gesetze in Rücksicht auf die in Preußen bestehenden Conflicte und in Erwartung einer befriedigenden Lösung derselben einstweilen beruhen zu lassen, und trat nun sofort in die Berathung der erwähnten Gesetz¬ vorlagen ein. In der Sitzung am 13. November beendete die erste Kammer diese Berathung, indem sie die Gesetzentwürfe mit wenigen Abweichungen vvn den Beschlüssen der zweiten Kammer annahm. So bezüglich der Entlassung von den Staatsgesetzen ungehorsamen Kirchendienern, worin die erste Kammer eine mildere Auffassung be¬ antragte; ferner, daß sie sich für die fernere Zulassung der Knaben- Seminarien aussprach; — weiters genehmigte sie zwar wohl den Antrag, daß neue Niederlassungen und Anstalten von religiösen Orden und ordensähnlichen Congregationen im Großherzogthume nicht zugelassen werden sollen; lehnte aber das Verbot der Aufnahme neuer Mitglieder für die bestehenden Niederlassungen oder Anstalten der erwähnten Art ab. — Die Sache ging an die zweite Kammer zurück; endlich am 8. April 1875 erfolgte die definitive Annahme der Gesetzentwürfe durch die erste Kammer nach den Beschlüssen der zweiten. Das Regierungsblatt vom 3. Mai 1875 brachte die Publieativn der „kirchenpolitischen" Gesetze. Die Signatur des Großherzvgs lautet vom 23. April. Der Bischof von Mainz veröffentlichte hierüber das Schriftchen: „Warum können wir zur Ausführung der Kirchcngesetze nicht Mit¬ wirken ?" Zur Ausführung des mit I. Juli 1875 in Kraft getretenen Ge¬ setzes vom 23. April über die Vorbildung und Anstellung der Geist¬ lichen erließ Ende Juni das grvßherzogliche Ministerium des Innern zwei Ausschrcibcn an die Kreisämter. Am 25. und 26. Juli 1875 feierte Mainz das 25jührige Bischofs¬ jubiläum seines Oberhirteu Wilhelm Emanuel Freiherrn vvn K e t t e ler unter aufrichtiger Anthcilnahme von Volk und Clerus. Seine liberalen Gegner hielten diese Veranlassung für Passend, ihn wieder mit den alten Vorwürfen und Anklagen zu bewerfen, daß er mit den anderen Bischöfen der Cvneils-Minvrität „unmännlich und charakterlos und unnativnal gehandelt habe, indem sie ihre während des vaticanischen Coneils geäußerten Ansichten (über die Unfehlbarkeit des Europa. Z 10. Die kath. Kirche in der oberrheinischen Kirchenprovinz. 277 päpstlichen Lehramtes) dem Urtheile der Kirche unterworfen haben." ') Der Bischof entgegnete in der Erklärung vom 4. August, worin er unter Anderem sagt: „Da der Katholik glaubt, daß das kirchliche Lehr¬ amt in seinen Entscheidungen über den Inhalt der göttlichen Offen¬ barung durch jenen göttlichen Geist der Wahrheit, den Christus der Kirche versprochen hat, vom Jrrthnm bewahrt wird, so liegt für den, der diesen Glauben hat, in der Unterwerfung des Privaturtheiles unter die Lehrautorität der Kirche nichts unmännliches, nichts charakterloses, sondern eine Unterwerfung des menschlichen Geistes unter den göttlichen Geist. Andersgläubige mögen diesen Glauben an eine übernatürliche, göttliche Leitung des katholischen Lehramtes verwerfen oder bekämpfen; sie haben aber kein Recht, uns deshalb charakterlos zu nennen, weil wir Katholiken und katholische Bischöfe sind; ebensowenig, wie sie ein Recht haben, jene Männer Katholiken zu nennen oder durch protestan¬ tische Mehrheiten oder protestantische Regierungen als solche erklären zu lassen, die ihr Privaturtheil über die Lehrautorität der katholischen Kirche setzen. Die Altkatholikcn sind schlechthin und einfach Protestanten, und ihre Unterstützung ist lediglich der Versuch, den Protestantismus in die katholische Kirche einznführen. Wer Katholik sein und bleiben will, muß sich der kirchlichen Lehrautorität unterwerfen" n. s. w. Am 24. Mai l876 stand Bischof von Kettel er wegen der im Widerspruche urit dem Gesetze vom 23. April t875 erfolgten Besetzung der Pfarre Castel, und Ernennung eines Decans für das Decanat Heppenheim vor Gericht. Das Obergericht anerkannte zwar die Jn- eompetenz des Bezirksgerichtes, weil dem Bischöfe nach dem kaiserlichen Decrete vom 20. April 1810 ein privilegirter Gerichtsstand zukam, weshalb die Sache an den Civilsenat des Obergerichtes geleitet wurde - doch der Cassationshvf entschied sich für die Cvmpctenz. Wirklich wurde der Bischof am 28. Februar 1877 wegeu zwei Fällen zu Geldstrafen von je 500 Mark und Ersatz der Kosten, eventuell zwei Monat Ge- füngniß für jeden Fall verurtheilt. (Auch zwei Caplüne von Nicder- Saulheim und Budenheim traf ein ähnliches Loos im geringeren h So nämlich lauten die Anwürfe in der Schrift: „Freiherr von K c tt c lcr und die übrigen Bischöfe der Minorität als Märtyrer der Uebcrzcugnng; Freunden der Wahrheit bei Gelegenheit des füufundzwanzigjährigcn Jubiläums des Bischofs von Mainz gewidmet von dem Verein zur Unterstützung der katholischen Refvrm- bewegung in Mainz". 278 I. Theil. I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Ausmaße. ') Das Obergericht aber sprach den Bischvf van Kette- ler frei. Aiil 13. Juni 1877 starb der Großherzog Ludwig III. Es folgte ihm sein Neffe Ludwig IV. in der Regierung. Auf der Rückreise von Rom, wohin er sich zum 50jährigen Bischofs- jnbiläum des Papstes begeben hatte, starb am 13. Juli 1877 im Kapnzinerkloster zu Burghausen (bei Nen-Oetting iu Baiern) der Bischvf von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von K e tt e ler — unstreitig einer der verdientesten Bischöfe Deutschlands. Staunenswerth war auch seine literarische Thätigkeit, mit der er insbesondere die brennenden Tagesfragcn auf kirchlich-politischem und soeialem Gebiete behandelte. Die Wahl des Dvmcapitels von Mainz zum Bisthumsverweser fiel auf den Domeapitnlar I)r. Monfang. Die Regierung erkannte sie aber nicht an, weil I)r. Moufang eine unbedingte Beobachtung der sogenannten kircheupolitischen Gesetze nicht versprechen konnte und durfte. Bald nach Bischvf von K e t t e l e r' s Tod wurden Priester wegen „unbefugter" Nornahme kirchlicher Functionen zu Gefängnis;-, eventuell Geldstrafen verurtheilt. Ein Schmerz blieb dem edlen Bischof erspart. Er sah nämlich die gänzliche Brachlegung seines von ihm am 2. Mai 1851 ins Leben gerufenen bischöflichen Seminars in Mainz nicht mehr. In Folge der hessischen Aprilgesetze (1875) durften keine Seminaristen mehr aus¬ genommen werden. Seit den letzten Ferien befindet sich wirklich kein Zögling mehr im Seminar. In Kurhessen, wo das Gesetz vom 29. Octvber 1848 die obli¬ gatorische Civilehe einführte; die Verordnung vom 13. April 1853 sie wieder aufhvb, erflvß nm 28. October 1863 ein Gesetz, die Gerichts¬ verfassung betreffend, welches im Widerspruche mit der Lehre der katho¬ lischen Kirche über ihre Auetorität in Angelegenheiten des Sacramentes der Ehe und mit H 132 der Verfasfuugsurkunde vom Jahre 1831 im 8 13 bestimmte: „daß die Obergerichte die erste Instanz mit aus¬ schließlicher Zuständigkeit für Ehescheiduugssachen auch der Katholiken bilden." Die erwähnte freisinnige Verfassung vom 5. Jänner 1831 hob ') In dieser Zeit erschien vom Bischof von Kettel er: „Die thatsächlichc Einführung des bekenntnißlosen Protestantismus iu die katholische Kirche". Europa. Z11. Die kath. Kirche in anderen Staaten Deutschlands. 279 der Kurfürst Friedrich Wilhelm I. auf, um an ihrer Statt jene vom 5. Mai 1860 einzufnhren, was Proteste von allen Seiten seines Landes, und selbst energische Einsprache des deutschen Bundes veranlaßte. Speciell Preußen drohte mit dem Einmarsch seiner Truppen (1862). Der Kurfürst sah sich wider Willen genvthiget, die Verfassung von 1831 wieder herzustellen; in der Wirklichkeit aber blieb es beim Alten; weshalb die Stände (14. März 1866) in einer Erklärung an das Land sich „gegen die Folgen dieser Mißregierung verwahrten." Nicht lange darauf horte Kurhesscn auf, ein eigener Staat zu seiu und wurde in Folge des Krieges mit Preußen einverleibt. Die katholische Kirche dort theilt um: das Schicksal der Katholiken Gcsammt-Preußens. 8 II. Die katholische Kirche in anderen Staaten Deutschlands. Wie mail noch in einzelnen kleineren Staaten Deutschlands die Toleranz gegenüber der katholischen Kirche, und deren im westphälischcn Frieden stipulirte Gleichberechtigung auslegte, zeigen einige Beispiele: Der Rittergutsbesitzer von Kettenburg im Grvßherzogthnme Mecklen¬ burg-Schwerin war 1852 zum Katholicismus übergetreteu, und nahm einen^ katholischen Priester auf, welcher in seiner Privatwohnung ihm und seiner Familie den Gottesdienst abhalten, und die Sacra- mente spenden sollte. Die Regierung untersagte ihm dies, und weil er den Geistlichen nicht binnen acht Tagen aus seinen Besitzungen ent¬ fernte, wurde derselbe (Johannes Holzammer) mittelst eines Gens- darmen über die Grenze geschafft. Diese Angelegenheit kam selbst vor den Bundestag, der sich aber derselben nicht anuahm. Unter Beschrän¬ kungen gestattete endlich (1856) der Großherzog dem Kammerherru von Kettenburg auf seinem Gute Matgcudorf einen Hauscaplau zu halten. Seit 1860 wohnte. Herr von Kettenburg zeitweise in Untersteiermark in der Nähe des neuen Bischvfsitzes von Lavant, Mar¬ burg, wo er die Herrschaft Faal käuflich an sich brachte, sie aber 1875 wieder veräußerte. Sonst konnten bis in die neueste Zeit nur in Schwerin und Ludwigslust die Katholiken Mecklenburgs Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse finden. Im Jahre 1872 durfte auch in Rostock ein beständiger katholischer Seelsorger angestellt werden. 280 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. In Mecklenbnrg-Strelitz hat es sich erst t860 zugetragen, daß der katholische Geistliche, Weiler es versäumte, zur Taufe eines katho- l i s ch e n Kindes die Regiernngserlaubniß einzuholen, mit fünfzig Tha- lern Strafe belegt wurde; denn es war dort einem katholischen Vater die katholische Taufe seines Kindes nur nach eingeholter Regierungs¬ genehmigung und gegen Einen Thaler 20 Schilling Schrcib- gebühren gestattet. Am 1. Juni 1875 consecrirte aber der Bischof von Osnabrück in Neustrelitz eine neue Kirche. Der Großherzog lud ihn sogar zur Tafel. — Im Herzogthnme Braunschweig, wo sich katholische Gemeinden (Pfarreien) zu Braunschweig, Wolfenbüttel und Helmstedt befinden, — aber früher ohne Parochialrechte — wurden noch immer jene harten intoleranten Verordnungen, z. B. bezüglich der gemischten Ehen, ge¬ handhabt, welche aus der Zeit des früheren, rücksichtslosen sogenannten Territorialsystems (vujns rs^iv, illins st religio) stammen. Die Katho¬ liken wurden nämlich nach dem Reglement vom 9. April 1768 ähnlich wie in Irland behandelt. Sie mußten die Stvlgebühren an den prote¬ stantischen Pastor entrichten; bevor der katholische Priester einem Katho¬ liken außerhalb obiger drei Städte die Sacramente spenden durfte, mußte er hievon dem protestantischen Pfarramte und der weltlichen Be¬ hörde Anzeige erstatten. Die Verfassung vom t2. October 1832 brachte keine wesentliche Acndernng. Endlich erließ Herzog Wilhelm das Gesetz vom 10. Mai 1867 nebst Vvllzugsvcrordnung, welches das erwähnte Reglement vom 9. April 1768 („8srom2mmi gnädigstes Reglement für die römisch-katholischen Geistlichen in der Stadt Braunschweig sowohl, als für alle derselben Religion zngethanen Personen in hiesigen Landen insgemein") und die empfindlichsten Beschränkungen, welchen die Katholiken Braunschweigs bisher unterlagen, beseitigte. Aber noch genießen sie nicht der vollen Gleichberechtigung mit den Protestanten. Der Bischof von Hildesheim, zu dessen Diöcese die Katho¬ liken in Braunschweig gehören, erwirkte es mit Mühe 1865, daß in Holzminden vom Ministerium ein katholischer Gottesdienst gestattet wurde; aber dasselbe versagte den dortigen Katholiken die Anerkennung als „Kirchengemeinde" und ist der katholische Geistliche alldort noch immer nicht berechtiget zur Vornahme pfarramtlicher Handlungen, als Taufen, Europa. Z N. Die kath. Kirche in anderen Staaten Deutschlands. 281 Trauungen, Beerdigungen — außer erst nach eiugeholter schriftlicher Erlaubnis; des lutherischen Pastors. Nach der letzten officiellen Angabe der herzoglichen Regierung be¬ läuft sich die Anzahl der Katholiken in Braunschweig auf 4869. Der apostolische Vicar (seit 1842) vvu Luxemburg, (welche hol¬ ländische Provinz zum deutschen Bunde gehörte, weshalb wir ihrer an dieser Stelle erwähnen) Josef Theodor Laurent, Bischof voll Chersones i. p., ehemals apostolischer Viear für Norddeutschland mit dem projeetirten Sitze zu Hamburg, mußte schon 1848 seine Stadt und Diöcese verlassen, und hielt sich seitdem meist zu Aachen, seiner Vaterstadt, auf. Im Jahre 1855 resiguirte er seilte Stelle. Erst 1863 wurde Nikolaus Adames als Bischof von Halicarnassus i. p. ins. zum apostolischen Viear für Luxemburg ernannt. - Eine rühmliche Toleranz übte der Fürst von Lippe-Detmold, indem er dem Bischöfe von Paderborn, zu dessen Jurisdiction die dortigen Katholiken gehören, (1854) die volle Freiheit in Ausübung seiner Rechte, in Er¬ richtung von Pfarreien, Schulen u. dergl. zugestand. Auch der Fürst von Waldeck hob in Folge Einschreitens des Bischofes I)r. Conrad Martin von Paderborn ciclo. 30. December 1859 und 4. Octvber 1860 durch die beiden Verordnungen vom 21. März 1861 wenigstens den ans den Katholiken bis dahin lastenden (evangelischen) Parochialzwang auf, und konnte der Bischof außer den bisherigen Pfarreien zu Arolsen und Eppe nun auch eine zu Pyrmont errichten. Die Regierung von Sachsen-Meiningen ließ 1857 den vom Bi¬ schöfe vvu Würzburg nach Hildburghausen bestellten katholischen Vicar durch Gensdarmen über die baierische Grenze transportiren, und fand sich erst nach einer energischen Vorstellung der königlich baicrischcn Regierung bewogen zu bewilligen, daß die dortigen Katholiken, statt alle Vierteljahre jeden Monat einen ordentlichen Gottesdienst haben können. Die Katholiken des Großherzogthnms Sachsen-Weimar gehören zur Diöccsc Fulda. Weil der dasige Bischof den Geistlichen den Homagial- Eid nur mit ausdrücklicher Wahrung der kirchlichen Freiheiten und Rechte zu leisten erlaubte, und dem katholischen Pfarrer zu Weimar den Eintritt in die sogenannte Jmmediat - Commission (eine unter dem Staatsministerinm stehende Behörde für das katholische Kir- 282 I. Thcil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. chen- und Schulwesen, worin aber nur zwei katholische Mitglieder sitzen sollen) nicht gestattete, kam er mit der Regierung in Conflict. Diese Jmmediat-Commission wurde durch das nämliche Gesetz vom 7. October 1823 ungeordnet, welches im Z 38 den katholischen Geist¬ lichen (als Zeugen) zumuthete, in g ewi s s e n Fäll e n d a s B e icht- siegel zu brechen. Doch ließ Z 176 der Strafproceßordnnng vom 26. März 1850 diese Zumnthung wieder fallen. Das neue Vvlksschul- gesetz für Sachsen-Weimar hat das Datum 24. Juni 1874. Im Herzogthnme Goth a ordnete das, mit dem herzoglichen De¬ crete vom 23. August 1811 herausgegebene Regulativ insbesondere die „Verhältnisse der katholischen Kirchengemeinden und ihrer geistlichen Vorsteher zum Staate". Damals waren diese noch keinem Bischöfe förmlich zugetheilt. Im Jahre 1851 kamen sie unter die Jurisdiction des Bischofs von Paderborn. Als solcher übergab l)r. Franz Drepper der Regierung sein, einige Aendernngen, respectivc Ergänzungen bean¬ tragendes Promemoria ällo. 13. Juni 1853 zum oberwähnten Reli- gions-Edicte vom Jahre 18II. Nichtsdestoweniger wurden 1857 dem katholischen Geistlichen die Functionen eingestellt und die Kirche geschlossen, weil derselbe den Eid auf die, wesentliche Rechte der katholischen Kirche verletzenden Bestim¬ mungen des Regulativs vom Jahre 1811 nicht leisten zu können er¬ klärte; die Sache wurde aber dann doch wieder beigelegt. Das Staatsgrnndgesetz für die Herzogthümer Coburg und Gotha vom 3. Mai (publicirt 14. Juni) 1852 hält im Z 35 das plnootnin aufrecht. 8 12. Oie katholische Kirche in audcrru Staaten Deutschlands. (Fortsetzung.) Im protestantischen Königreiche Sachsen ist bekanntlich das Ne- gentenhans katholisch, was jedoch nicht hindert, daß die katholische Kirche, der, von der Gesammtzahl der Bevölkerung von über zwei und ein halb Millionen, über 53.000 Einwohner (darunter ein Viertel Wenden) angehören, manchen lästigen Beschränkungen unterliegt, so daß nicht einmal die barmherzigen Schwestern noch Eingang finden konnten. Denn man beruft sich auf Z 56 der Verfassung vom 4. September des Jahres 1831, nach welchem (ungeachtet laut Z 53 Gleichstellung stellung der Katholiken mit den übrigen Confessionen bestehen soll) Europa, ß 12. Die kath. Kirche in anderen Staaten Deutschlands. ZtzZ „weder neue Klöster iw Lande errichtet, noch Jesuiten oder irgend ein anderer geistlicher Orden jemals im Lande ausgenommen werden dürfen". Unter obigeir § 56 der Verfassung können aber die barmherzigen Schwestern buchstäblich nicht snbsnmmirt werden, weil sie keinem eigent¬ lichen Orden angehören; sondern nur eine sogenannte Congregation bilden; auch nicht in Klöstern wohnen. Erst wieder 1857 fand das Ministerium die Petition mehrerer Katholiken um Bewilligung zur Be¬ rufung barmherziger Schwestern aus Münster an das katholische Kranken¬ haus in Dresden zurückznweisen. Selbst die protestantische „freimüthige Sachsenzeituug" glaubte zur Abwehr des Anwurfes ovu Intoleranz, der auf das „sächsische Volk" fallen könnte, gegen diesen Ministerialbescheid Verwahrung einlegen zu sollen. Zwar sicherte Z 57 der „Verfassung" allen Confessionen die Frei¬ heit, ihre inneren Kirchenangelegcnheiten selbst zu ordnen, aber das „Regulativ über die Ausübung des weltlichen Hoheitsrechtes über die katholische Kirche in Sachsen" vom Jahre 1846 (den Kammern schon 1837 vorgelegt) hob obige Bestimmung in der Wirklichkeit beinahe wieder auf. Nachdem König Friedrich August II. am 9. August 1854 in Folge eines unglücklichen Sturzes ans dem Wagen zu Brennbüchel in Tirol gestorben war (die Königin-Witwe Maria ließ dort eine Capelle errichten), bestieg sein Bruder Johann den Thron. Selbst¬ verständlich blieb dieser Wechsel ohne Einfluß ans die Stellung der katholischen Kirche. Das landesherrliche Placet wird noch immer strenge aufrecht er¬ halten; so auch die Berufung wider „Mißbrauch der kirchlichen Gewalt" au die Staatsbehörde; Katholiken erhalten an öffentlichen Schulen nicht oder schwer Anstellung ; die katholischen Geistlichen müssen bei ihrer An¬ stellung die bürgerliche Verfasstpig beschwören; sogar Alles, was sich auf die Gottesdienstordnung bezieht, bedarf der Genehmigung Seitens der Regierung, sobald es „über die Grenzen der einfachen H a n s o r d n n n g h iu a n s g c h t". Während man sich anderwärts mit der Einführung der Civilehe beeilte, wurden diesfüllige Anträge in Sachsen abgelehnt. Am I. No¬ vember 1869 bemerkte der Cultnsminister von Falken st ein in der zweiten Kammer: „Das germanische Element habe sich fortwährend gegen die Civilehe gesträubt." 284 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Im Jahre 1872 handelte es sich in Sachsen um ein neues Volks¬ schulgesetz. Wie anderwärts, ging die Tendenz auch hier dahin aus, die Schule der Kirche zu entziehen. Der Deputationsbericht der ersten Kammer lehnte die Beschlüsse der zweiten Kammer betreffs der Cvmmunalschuleu und der Lehrerwahl durch die Gemeinden ab und stellte die Aufsicht der Geistlichen über die Ortsschulen wieder her. In der Sitzung vom 14. November 1872 ent¬ schied sich die erste Kammer, gegen den Antrag der zweiten auf Simul¬ tanschulen, für eonfessionelle Schulen. Die zweite Kammer hingegen lehnte (10. December) bei der zweiten Berathung des Volksschulgesetzes die von der ersten Kammer gefaßten Beschlüsse über die confessionelle Stel¬ lung der Schule mit 41 gegen 26; über das obligatorische Schulgeld mit 49 gegen 18; endlich über die Zulassung kirchlicher Stiftungen zur Errichtung von Schulen mit 61 gegen 6 Stimmen ab. So auch später die ans dem ständischen Vereinigungsverfahren hervorgegangenen Propositionen zum Volksschnlgesctz, welche die erste Kammer angenom¬ men hatte. Das Gesammtministerium beschloß demungeachtet die Publi¬ kation des Volksschnlgesetzes (24. Jänner 1873), weil es denn doch nicht durch die verfassungsmäßig nothwendige Zweidrittel-Majvrität von der Abgeordnetenkammer verworfen worden war. Im April erfolgte die königliche Sanction des Gesetzes. Auf die Interpellation des Abgeordneten Ludwig über die Stel¬ lung der königlichen Regierung zum Vatieanum, insbesondere zum Un¬ fehlbarkeits-Dogma erklärte der Cultusmiuister Or. von Gerber in der zweiten Kammer am 26. Februar 1873: „Das Ministerium hat es seinerzeit (26. Juni I87l) abgelehnt, auf die Ertheilung des könig¬ lichen Placets bezüglich der amtlichen und förmlichen Promulgation des Unfehlbarkeitsdogmas auzutragcu, in Folge dessen ist auch dessen Publi- cation unterblieben. ') Die Regierung werde nicht dulden, daß bei der Beaufsichtigung und bei dem Religionsunterrichte in den katholischen Schulen ein ans jener Glaubenslehre abgeleiteter, dem öffentlichen Rechte unseres Landes widerstrebender Einfluß ausgeübt werde." Hierauf stellte der Abgeordnete L u d w i g , sich mit obiger Erklä¬ rung nicht begnügend, am 7. November in der zweiten Kammer den p Wohl aber wurde, und zwar mit Genehmigung deS Cultusministers von Falkenstein ckcko. 1871, der darauf Bezug nehmende Fuldaer Hirtenbrief in den Kirchen verlesen. Europa. Z 12. Die kath. Kirche in anderen Staaten Deutschlands. 285 Antrag, die Regierung svlle t. das apostolische Virariat wegen der Ver¬ kündigung des Unfehlbarkeits-Dogmas ohne Placet zur Verantwortung ziehen; 2. demselben auftragen, durch öffentlichen Anschlag in allen katholischen Kirchen Sachsens zur Kenntnis; der Glaubensgenossen des Landes zn bringen, daß die seinerzeit durch Verlesen von den Kanzeln erfolgte Verkündigung des Unfehlbarkeits-Dogmas den Landesgesetzen zuwider geschehen, und deshalb ohne jegliche Folge sei. Nach einer Aufklärung des apostolischen Vicars Fvrwerk, in der Herrenkammer am 7. Februar 1874, daß das Dogma auch abge¬ sehen von der Form seiner Prvmulgirung im Gewissen binde, wurde die Sache nicht weiter urgirt. Am 29. Octvber 1873 starb König Johann von Sachsen. Ihm folgte am Thron sein Sohn, König Albert, geboren am 23. April 1828 zn Dresden. Der verstorbene König war geboren am 29. De¬ cember 1801 als der dritte Sohn des Prinzen Maximilian und dessen Gemalin Maria Theresia von Parma. Er war ein edler Fürst. Bekanntlich hat er sich auch in der literarischen Welt durch seine deutsche Uebersetznng der Divinn ooineliin von Dante — unter dem Pseudonym Philalethes, ein bleibendes Andenken gesichert. Wie er lebte, so starb er auch — als ein überzeugungstreuer wahrhaft frommer Katholik. Am 8. Jänner 1875 aber verschied der apostolische Vicar von Sachsen Ludwig Fvrwerk, Bischof von Leontopvlis (als Bischof cvusecrirt in der Dvmkirche zu Prag, am 24. September 1854). Sein Nachfolger wurde der Consistvrial-Präses Franz Bernert (geboren I8ll zu Grafenstein in Böhmen). Einen fast ganz nach preußischem Muster verfaßten Gesetzentwurf über die Verhältnisse der katholischen Kirche in Sachsen, brachte die königliche Regierung ein. Am 4. April 1876 stand er zur allgemeinen Vvrberathung in der zweiten Kammer auf der Tagesordnung. Darin heißt es z. B.: „Jede geistliche Gerichtsbarkeit außerhalb des Landes (natürlich ist jene des Papstes gemeint) ist ausgeschlossen." — „Orden und vrdensähnliche Bruderschaften sind verboten. Auch als Einzelner darf ein Ordensangehöriger nicht im Lande seine Thätigkeit als solcher üben" u. s. w. Ein Abgeordneter war so naiv zu bemerken, der Gesetz¬ entwurf greife „ohne Gehässigkeit in die Verhältnisse der katholischen Kirche ein". Jnsgleichen sollte das plneotum re^ium für alle Anord- 286 I. Theil. I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. innigen des römischen Stuhles vder des apostolischen Vicariates, kurz für alle allgemeinen Verfügungen der kirchlichen Behörden fortan aufrecht bleiben, wenn diese Verfügungen entweder ganz oder theilweise, sei es auch nur mittelbar, in staatliche oder bürgerliche Verhältnisse cingreifen, wohin die „Motive" namentlich zählen: Ehesachen, Begehung von Sonn- und Festtagen, Wallfahrten, Proeessionen, Schulwesen, vermögens- rechtliche Angelegenheiten. Die zweite Kammer nahm diesen Gesetzentwurf im Wesentlichen am 2t. Mai gegen acht Stimmen Minvrität an. Nach¬ dem das Gleiche auch die erste Kammer gethan, erschien er als Gesetz vom 23. August 1876. Am Ostersonntag (8. April) 1855 war der Generalviear für Osnabrück und apostolische Prvviear der nordischen Missionen, Bischof von Anthedv in purt. ins., Lr. Carl Anton Lüpke, gestorben. Osnabrück erhielt nun wieder ein eigenes Bisthum, und wurde, nach¬ dem die diesfälligen Verhandlungen zwischen der königlich hanvverani- scheu Regierung ') und dem römischen Stuhle zum glücklichen Abschlüsse gediehen waren, der bisherige Dmndeean von Münster, 1)r. Paul Mel¬ chers, zum dortigen Bischöfe ernannt. Papst Pins IX. Präeonisirte ihn in dem geheimen, zu Bologna am 3. Mai 1857 abgehaltenen Cvn- sistorium, und ernannte ihn zugleich zum apostolischen Provicar der nordischen Mission in Dänemark und Deutschland, wie es früher vr. Lüpke gewesen. Dieses apostolische Vicariat des Nordens besteht seit 1667; sein ehemals ausgedehnterer Sprengel ist jetzt auf die dänischen Länder, aus Mecklenburg-Schwerin, Schleswig Holstein, Lauenburg, Schaumburg-Lippe, und die drei Hansestädte Hamburg (mit eirea über 7000 Katholiken, welches dagegen protestirt hatte, daß es der Sitz des apostolischen Viears kör. F. Th. Laurent sein sollte), Lübeck und Bremen beschränkt.-) Als der neue Bischof von Osnabrück Dänemark bereiste (1861), wurde er vom Könige in Kopenhagen freundlich auf¬ genommen, wofür der Papst dem Könige im Schreiben äclo. 31. De¬ cember seinen Dank anssprach. tz König Ernst Angust von Hannover war MN 18. November 1851 ge¬ storben, nnd sein blinder Sohn als Georg V. ihm ans dem Throne gefolgt. -) Die norddeutsche Mission gehört zu den durch die Oonxrvxntio Nro- pn^nnänv b'nwi in Rom verwalteten Gebieten, welche dem Papste unmittelbar unterstehen. Unter seinem Provicar — dem Bischöfe von Osnabrück — stehen zwei apostolische Präfecten; nämlich der Präfcct für die nunmehr preußische Provinz Europa. Z 12. Die kath. Kirche in anderen Staaten Deutschlands. 287 Als Paul Melchers l865 auf den erzbischöflichen Stuhl van Köln erhaben wurde, folgte ihm auf jenem zu Osnabrück sein General- viear und Dvmdecan Johann Heinrich Beckmann (geb. 23. Juli 1803 zu Osterdappeln unweit Osnabrück). Schon durch die Bulle: „Impaimn Ilomanornnck vom Jahre 1824 wurde zwischen dem päpstlichen Stuhle und der königlich hannovcr'schen Regierung die Ausstattung der Bisthümer Osnabrück und Hildesheim mit Grundbesitz und Grundgefällen statt mit Baarznhlnngen aus dem allgemeinen Klosterfonds vereinbart. Von dieser Gruuddvtatiou wurde aber (1865) wieder abgesehen, und dafür eine Erhöhung der Geld¬ dotation stipulirt. — Seit dem 1. Oetober 1867 gilt auch für das l 866 zur preußischen Provinz gewordene Hannover die Preußische Ver- fassnngsurkunde. In Oldenburg, zum Bisthume Münster gehörig, aber einem eigenen zu Vechta residirenden Official unterstellt, garantirt die Staatsverfassuug, nämlich die rcvidirte Verfassungsurkunde vom Jahre 1852, die freie Neligivnsübnng und die Selbständigkeit der Kirche. Freilich ist diese auch hier keine vollständige. Insbesondere bezüglich der Verleihung geist¬ licher Aemter. Durch den am 19. August 1863 erfolgten Tod des Herzogs von Anhalt-Bcrnburg fiel dieses Ländchen au den Herzog von Anhalt-Dessau Cöthen, der nnu den Titel „Herzog von Anhalt" annahm. Mit Einverständnis; der Negierung ernannte Papst Pins IX. den Bischof von Paderborn zum apostolischen Administrator von Anhalt (1868). Bisher waren die dortigen Katholiken dem päpstlichen Nuntius in München als apostolischen Viear unterstellt. Eine fürstlich Schwarzburg-Rudolstadter Verordnung vom Jahre 1872 regelte nach vorausgegangenen Verhandlungen mit dem Bischof von Paderborn, dessen Jurisdiction die dortigen Katholiken unterstellt wurden, die kirchlichen Verhältnisse des Fnrstenthums. Am 15. August 1857 wurde der altberühmte, ans der späteren Gothik stammende (katholische) Kaiserdom — in welchem die Krönung der römisch-deutschen Kaiser statthatte — zu Frankfurt am Main, da- Schlcswig-Holstein (gleichfalls in Osnabrück residirend) und der Präfett für den europäischen Theil des Königreichs Dänemark zu Kopenhagen. Die übrigen Theile des genannten Missionsgebietes sind dem apostolischen Provieare unmittelbar unter¬ stellt, weil sic keinen eigenen Präfectcu haben. 288 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. mals noch eine freie Reichsstadt, nun durch Annexion nach dein Kriege 1866 auch preußisch — durch Brand sehr beschädiget; bis 1878 aber wieder hergestellt. tz lli. Nachträge ans dein kirchliche» Leben in Gestcrreich und Deutschland. Am 23. Oetober 1848 — nachdem als Vorbereitung der Erz¬ bischof ovu Köln mit seinen Suffraganbischöfen: Wilhelm Arnoldi von Trier, Johann Georg Müller von Münster, und Franz Drepper von Paderborn in Köln eine Conferenz vom 10. bis 13. Mai abge¬ halten; wieder am 16. August g. I. gelegentlich der feierlichen Ein¬ weihung des Kölner Doms (15. August) mit den obgenannten und anderen Bischöfen Deutschlands, in Gegenwart des apostol. Nuntius zu Wien, Viale-Prela, eine vertrauliche Besprechung gehabt, auch eiir ausführliches Lromamorin, cläo. 25. September, dem Einladungs¬ schreiben, M-nsoinv ortdväoxns bidliotlisoa. sslvvtn"; „In elvorstn onneNii lintlwnornm Xnmososiwis nnimnclvvrsione.s tkwulo^ioo-ennonivnv"; „6os- Iv8ti8 nrlw gornsnlom" (Aphorismen) n. a. 294 I- Theil. I. Hanptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Katholik schrieb er: „Das dreifache Rom"; „Ans der Mansarde"; in zwangslosen Heften „Blumen und Früchte aus dem Garten der christ¬ lichen Weltanschauung und Lebensentwicklung"; „Das Christeuthnm und sein Urheber" n. A. Fr. Danmer starb am 23. Deeember 1875 in Würzburg. Im Jahre >861 eonvertirte der Erbprinz Karl von Jsseri¬ ll ur g - Bi r st e i n. Nach dem Muster des von: I'. Mathe w in Irland gegründeten Mäßigkeitsvereines bildete sich ein solcher in Schlesien durch den pol¬ nischen Mönch Brzozowski, den Papst Pins IX., auf Anregung des Cardinal-Fürstbischofes von Breslau, Melchior von Diepen- brock, als förmliche kirchliche Bruderschaft bestätigte; und ein ähn¬ licher im Norden Deutschlands durch Caplan Seling zu Osnabrück (gestorben 27. November 1860). In der Diöeese Königgrätz (Böhmen) entstand >851 der Verein des allerheiligsten Namens Jesu, dessen Mitglieder sich ebenfalls ver¬ pflichten, aller gebrannten Getränke sich zu enthalten, zudem die Sonn- nnd gebotenen Feiertage nach Vorschrift der Kirche zn heiligen. Mit der Bestimmung der Krankenpflege entstand die „Genossen¬ schaft der armen Dienstmägde Jesu Christi" im Herzogthnme Nassau mit dem Mutterhause zu Dernbach bei Montabaur; das päpstliche Dc- cret vom I. Juni 1870 bestätiget sie als Cvngregativn. — 1846 in Aachen die Genossenschaft der Schulschwestern vom „armen Kinde Jesu" zur Pflege und Erziehung verlassener Kinder. Der im Jahre 1857 in Wien gegründete Verein des hl. Josef von Arimathäa (ähnlich der „Miserievrdia-Bruderschaft" in Florenz) stellte sich die Aufgabe, dafür Sorge zn tragen, daß Leichen ganz Ver¬ lassener in menschenwürdiger Weise zur Erde bestattet werden. Viele Mitglieder zählt auch in Oesterreich nnd Deutschland das sogenannte „Gebets-Apostolat", zu welchem 1844 im Jesuitenevlleginm zu Bals bei Le Pah in Südfrankreich der Grund gelegt worden war. Gleichsam eine Wiedererweckung des im 17. Jahrhunderte von Bar¬ tholomäus Holzhäuser (geboren 1613 im Oberamte Ulm, nachmaliger Generalvicar des Bischofes von Chiemsee) eingeführten Institutes des ge¬ meinschaftlichen Lebens ist die (nm 1851) in der Diöeese Münster zn Kevelär in's Leben getretene Weltpriester-Congregation. Ein ähnlicher Versuch hiezu wurde in der Diöeese Paderborn gemacht. ') ') Auch in Frankreich war der Generalvicar Gadnel von Orleans — Holz- Europa. Z 13. Nachträge aus d. kirchl. Leben in Oesterr. u. Deutschland. 295 In dcm Fürstenthnmc Hvhcnzvllern, nun, lvic schon erwähnt, zu Preußen gehörig, hatte in der Pfarrgcmcindc Bintenhnnsen und Hvfen- dorf der Pietismus mehrere Katholiken angcsteckt; weshalb der Erz¬ bischof von Freiburg als Ordinarius, da wiederholte Warnungen und Belehrungen fruchtlos blieben, die Abtrünnigen von der kirchlichen Ge¬ meinschaft ausschloß (24. Februar 1858). Im Jahre 1860 fand wieder, wie alle zehn Jahre, das Passions¬ spiel zu Oberammergau, einem Pfarrdorfe in Oberbaiern, unweit der tirolischen Grenze unter ungeheuerem Zukaufe statt.') Auch Personen aus den höchsten Ständen besuchten diese Vorstellungen der schlichten Landleute, die mit einer selbst von Fachkritikern, z. B. Emil D evri ent, angestannten Richtigkeit und Wahrheit, weil mit religiöser Be¬ geisterung, ihre Rollen spielten. Der deutsch-französische Krieg im Jahre 1870 unterbrach damals die Aufführung. Sie hatte im nächsten Jahre statt. -) Zur Schattenseite des baierischen Volkslebens aber gehört es, daß der Erzbischof von München sich gcnöthiget sah, im Hirtenschrciben vom 2. November 1866 die größere Exevmmunieativn über die Anstifter und Theilnehmer des sogenannten Haberfeldtreibens zu verhängen. Neben dem erfreulichen Aufschwünge religiösen und kirchlichen Be¬ wußtseins wollte hie und da auch der Aberglaube sich einnisteu. Auch in katholischen Ländern in und außer Deutschland, aber nicht häufiger als in protestantischen, z. B. in Nord-Amerika, horchte man auf tisch- klvpfende Geister, und trieb die Psychographie ihren Spuck z. B. in München in den Köpfen zweier Frauenspersonen, Maria K a h l h a m- mer und Crescentia Wolf. (Die Secte der sogenannten „hl. Männer" zn Chemnitz in Sachsen — eine Art Mucker — wurde auch den Psychvgraphisten zugezühlt.) Gewiß ein sonderbares Seitenstück zum Materialismus, der in immer crasserer Form anftrat. Rom verdammte 1856 dies Treiben. Hauser's Biograph — unter Mitwirkung seines Bischofs, Felix Dupanlonp, bemüht, das Institut der Vita communis wieder einzuführcu >) Jin Jahre 1633 hatte die von der Pest schwer hciuigesuchte Gemeinde das Gelübde sür sich und die Nachkommen gemacht, alle zehn Jahre die Leiden des Herrn darzustcllen. Das erste Mal wurde 1634 gespielt. Von 1680 au geschah dies regelmäßig. -) Ein ähnliches Passionsspiel wurde — Juni 1868 — 511 Brixlegg, im Uuterinuthale Tirols, Salzburger Diöcesc, aufgeführt. 296 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Die Inquisition erließ auch ckclo. 60. Juli 1856 eiu Deeret an alle Bischöfe, worin dieselben aufgefordert werden, gegen die Mißbräuche des Magnetismus (Magnetisirens), des Somnambulismus und der Hell¬ seherei in ihrer Sphäre einzuschreiten. Es sei auch noch bemerkt, daß vom l5. bis 18. August 1861 die achte Säcularfeier des Kaiserdomes irr Speier statt hatte; im Jahre 1865 aber auf Veranstaltung des Bischofes von Osnabrück, als apo¬ stolischen Proviears der nordischen Missionen, die tausendjährige Jubel¬ feier zu Ehren des hl. Ansgar, Erzbischof von Hamburg und Bre¬ men, Apostels des Nordens, gestorben 3. Februar 865. Hauptsächlich zum Zwecke gemeinschaftlicher Besprechungen über- kirchliche Gegenstände, über welche voraussichtlich auf dem nächsten all¬ gemeinen Coneil zu Rom verhandelt werden soll, kamen wieder zu Fulda die meisten deutschen Erzbischöfe und Bischöfe (14; zwei aposto¬ lische Vicare und drei Stellvertreter zusammen. — Die Mitglieder des österreichischen Episkopates waren durch den dortigen Coneordatssturm gehindert zu erscheinen. Am 16. Octobcr 1867 begannen ihre Con- ferenzen unter dem Vorsitze des Erzbischofes von Köln und dauerten bis inclusive 23. g. M. Auf der bereits erwähnten Generalversammlung der katholischen Vereine zu Aachen im Jahre 1862 trat ein Comitö katholischer Laien zusammen, um nach den: Vorbilde der katholischen Universitäten zu Löwen und Dublin auch in Deutschland einen solchen Sitz katholischer Wissenschaft zu gründen, und zunächst die Mittel dazu herbeizuschaffen. Zur Ausführung dieses Werkes ernannte der Papst, welcher schon mit Breve vom 31. August 1863 sich über den Plan beifällig ausgespro¬ chen hatte, eine bischöfliche Commission. Es wurde jetzt die Errichtung einer katholischen Akademie zu Fulda beschlossen. Ein Aufruf des bischöf¬ lichen Comito's von: Oetober 1869, unterzeichnet vom Erzbischöfe von Köln und von den Bischöfen von Würzburg, Mainz und Paderborn, machte dies den Katholiken Deutschlands mit der Bitte nm Unterstützung des Vorhabens kund. Der hl. Vater hatte mit Breve ckckv. 28. Jänner 1869 an den Erzbischof von Köln einen allgemeinen Ablaß den Wohlthäteru gewährt; im zweiten Breve ücko. 24. April 1869 an das Comit« wünschte er dem Werke bestes Gedeihen. Jin Jahre 1872 vermachte, wie auch schon erwähnt, der ehemalige preußische Bnndestagsgesandte, Karl Friedrich Europa. Z 13. Nachträge aus d. kirchl. Leben iu Oesterr. u. Deutschland. 297 von Savi q ii y (Katholik), die' Bibliothek seines Paters, des berühmten Nechtsgelehrten, dein Bischöfe vvn Fulda zu Gunsten der daselbst neu zu gründenden katholischen Universität. Im September 1869 hatte eine großartige Katholikenversamm¬ lung zn Graz statt. Unter anderen Rednern trat auch Graf Gustav Blomc auf. Die deutschen Erzbischöfe (zwei) und Bischöfe (17) suchten vvn Fulda ') ans unterm 6. September 1869 in einem Hirtenschreiben die Gläubigen über gewisse Befürchtungen in Betreff des an gesagt en ökumenischen Cvneils zu beruhigen. Eine Frucht dieser Versammlung war nachfolgende Schrift: „()uu via 66ol68ia contra socnotatos seorota« prooseloro valent. Uxpomtio guain oeeumenioo eoneilio Vatieano a 8s. Uatro Uio IX. eouvo- oato episovsii Kerinaniae in eivitnte Uulüensi inennte inonss 8ep- tembri anni 1869 iuvieein eonkerentes linniillims oikorunt.^ Uo- ^nntiao. (Vom Bischöfe von Mainz verfaßt.) Selbe kam am Coneil nie zur Verhandlung. Als eine sehr erfreuliche Erscheinung begrüßen wir die katholischen Studeuteu-Vereine Deutschlands. Sv mancher hoffnungsvolle Jüngling wurde durch sie für die Kirche, aber auch für sein eigenes zeitliches Glück gerettet. Der älteste Verein dieser Art dürfte rvvhl die „Aeuauia" in Mün¬ chen sein, welche im Juli 1876 ihr fnnfundzwanzigstes Stiftungsfest feierte; ihr reiht sich an der 1853 gegründete „katholische Lescverein" zn Berlin. Wir nennen nvch folgende: „Arminia" zu Bvnn 1863; „Germania" zu Münster 1864; die „Walhalla"; die später wieder aufgelöste „Lütitia" am Polytechnikum zu Carlsruhc, an deren Stelle dann die „Carolingia" am Polytechnikum zu Aachen trat; „Winfridia" zu Göttingen; „Unitas" zu Breslau; die „Akadcmia" zu Innsbruck und die „Palatia" zu Heidelberg 1872/73; „Normannin" zu Greifs- waldc; „Erminia" nm Polytechnikum zu München. Im Jahre 1875 bestanden 23 katholische Studeuten-Verbindungen. Wieder von Fnlda aus erließen Ende August 1870 zwei Erz- ') Oeffcntliche Blätter brachten — aber erst 1872 — eine Adresse, welche angesehene katholische, znm Parlamente in Berlin versammelte Laien an den dentschen Episkopat richteten, als es hieß, das; er in Fnlda znsammentretc. Ihr Inhalt erinnert an die Coblenzcr, dem Bischof von Trier zngegangene Adresse 298 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. bischöse (von München nnd Köln) und fünfzehn Bischöfe Deutschlands, nämlich von Limburg, Fulda, Mainz, Hildesheim, Paderborn, Culm, Regensburg, Augsburg, Eichstätt, Trier, Ermcland, Erzbisthumsver- weser von Freiburg (Bischof i. p. int'.), der preußische Feldbischvf (Bi¬ schof i. p. int'.), der präcvnisirte Bischof von Münster und der präco- nisirte Bischof von Speier, einen gemeinsamen Hirtenbrief an den Clerns und an die Gläubigen, worin sie vom vatikanischen Coneil sagen, daß es „ein recht mäßiges, allgemeines Coneil sei; daß es keine neue, von der alten abweichende Lehre ausgestellt oder geschaffen habe; daß endlich dessen Beschlüsse ihre für alte Gläubigen verbindende Kraft durch die in der öffentlichen Sitzung vom Oberhaupte der Kirche in der feier¬ lichsten Weise vollzogenen Publikation erhalten haben". Das Schreiben der Bischöfe an den hl. Vater wurde von diesem unterm 28. Octvber l876 beantwortet, und zwar an den Erzbischof von München. Eben zu Fulda hatten sich am 12. Oktober 1870 katholische Männer — meist dem hohen Adel angehörig aus allen Theilen Deutschlands vereiniget, um am Grabe des hl. Bvnisaeius, durch seine Fürbitte die Hilfe Gottes für den schwer bedrängten hl. Vater Pins IX. zu er¬ flehen. „Wir wollen — erklärten sie — diese hl. Stätte nicht verlassen, ohne zugleich vor der ganzen Welt Protest zu erheben gegen die sakri¬ legische und völkerrechtswidrige Gewaltthat, welche die italienische Re¬ gierung durch die Oecupation Roms an der Kirche und ihrem Ober¬ haupte zu verüben gewagt hat." Angesichts der Gefahren, welche die Agitation gegen die Bescblüsse des vatikanischen Coneils allenthalben über die katholische Kirche her¬ aufbeschwor, erließen die deutschen Bischöfe (23) wieder im Monate Akai 1871 zwei gemeinsame Hirtenschreiben; eines an den Clerns, das andere an die Gläubigen. Entworfen wurden dieselben auf einer Ver¬ sammlung zu Eichstätt, wo zur Feier des tausendjährigen Jubiläums der hl. W a lb u r g a die meisten deutschen Bischöfe zusammengekvmmen waren. Im ersteren erklären die Bischöfe: „daß jeder Katholik, welcher wissentlich nnd beharrlich den Glaubensentscheidnngen des vatikanischen Coneils widerspricht, eben dadurch sich der Häresie schuldig macht, nnd dem von diesem Concil ausgesprochenen Anathema oder dem großen Banne mit allen seinen kirchlichen Folgen verfallen ist." Sie beklagen und warnen vor den Fälschungen des Sinnes der Coneils - Entschei¬ dungen, die sich neuestens in zwei Schlagwörtern eoneentrirt haben: Europa. Z 13. Nachträge aus d. kirchl. Leben iu Oesterr. u. Deutschland. 299 „die Allgewalt des Papstes, und die persönliche Unfehl¬ barkeit des Papstes." Beides sei nicht richtig. Auch bezeichnen sie es als eine „Lästerung", daß die Kirche und ihre Lehre die Fürsten und Staaten gefährde. Die Gläubigen aber ermahnen die Oberhirten zum treuen und standhaften Festhalten an dem Glauben der hl. kathvlischen Kirche, und protestiren zugleich mit aller Entschiedenheit gegen die Behauptung, als sei auf dein vatieauischen Coneile „eine neue, in der uralten Ueber- lieferung der Kirche nicht enthaltene Lehre verkündet worden; oder als sei durch die verkündigte Lehre von dem unfehlbaren Lehramte und der Amtsgewalt des Papstes das Berhültnisi der Kirche zum Staate ge¬ ändert, oder diese gar der Staatsgewalt gefährlich geworden." Das Vorgehen Preußens gegen die katholische Kirche gab Ver¬ anlassung zur Bildung eines „Vereines deutscher Katholiken" mit dem Sitze zu Mainz. Der Aufruf zum Beitritte ist vom 8. Juli 1872 datirt. Die Statuten bezeichne» als Zweck des Vereines: „Vertheidigung der Freiheit und der Rechte der katholischen Kirche und Geltendmachung der christlichen Grundsätze in allen Gebieten des öffentlichen Lebens durch alle sittlich und gesetzlich erlaubten Mittel; insbesondere durch Ausübung der verfassungsmäßig anerkannten und garantirteu staats¬ bürgerlichen Rechte". Unter Einem protestirt der Verein gegen die Beschlüsse in der Jesuiten-Angelegenheit. Ein Erlaß der königlich preußischen Regierung in Aachen bezeichnete die Tendenz dieses Katholikcnvereines als „höchst nnpatriotisch, ja staats¬ feindlich" und forderte die Behörden zur strengsten Ueberwachung auf. Am wenigsten dürfen Beamte, Lehrer und im Staatsdienste stehende Geistliche mittelbar oder unmittelbar sich an demselben betheiligen. In einer Erklärung protestirt der Vorstand des Vereines gegen derlei Maßregelungen: „Wir erkennen darin eine die persönliche Frei¬ heit und das Persönliche Recht verletzende Maßregel, welche weder durch die Bestimmung des Gesetzes, noch durch thatsächliche Verhältnisse ge¬ rechtfertiget ist." Die Beschuldigung der Staatsfeindlichkeit wird zurück gewiesen. In seinem Schreiben an den „Verein deutscher Katholiken" vom IO. Februar 1873 forderte sie der hl. Vater, iu Erwiderung der Adresse vom 12. December 1872, auf, sich ihrer politischen Rechte als 300 I. THOl. I. Hmiptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Bürger zu bedienen, nm den Gegnern nns gesetzlichem Boden mit Entschiedenheit entgegen zu treten, und die Religion gegen deren Willkür zu schützen. Durch Obertribunal-Erkenntniß wurde der Verein in Preußen als staatsfeindlich sogar ganz aufgelöst. Er erstand aber (1876) wieder unter der treuen Firma „Katholischer Verein für Deutschland". Der Präsident des aufgelösten Vereines, Freiherr von Loo, wurde vom königlich preußischen Disciplinargerichtshose mit Urtheil vom 23. SeP tember 1876 sogar seines Amtes als Landrath entsetzt. Die traurigen kirchlichen Verhältnisse in Deutschland verursachten cs, daß das Project einer specifisch katholischen Universität definitiv aufgegeben wurde. Die bereits dafür gesammelte» Beitrüge fließen dem Bonifaciusvereine zu. Die zweite, am 15. Juni 1874 in Mainz eröffnete Generalver¬ sammlung des deutschen Katholikenvereines Ivar eine wahrhaft impo¬ sante. Zum Präsidenten wurde Freiherr von Loö erwählt. Es lief sogar aus Amerika eine Sympathie-Adresse mit 4000 Unterschriften ein. Nachdem sehr zeitgemäße Resolutionen gefaßt, auch eine Ergeben¬ heitsadresse an den Papst abgesandt wurde, welche Dieser am 23. Juli huldvoll beantwortete, erfolgte der Schluß am 17. Juni. Am 22. September 1875 wurde die dritte Generalversammlung des Vereines der deutschen Katholiken in Mainz eröffnet. Ihre Resolutionen lehnen sich großentheils an jene der Katholikenversammlung in Frei¬ burg i. B. an. Bei der alle sieben Jahre stattfindenden sogenannten Heiligthnms- fahrt zu Aachen waren vom 9. bis 24. Juli 1874 nahezu 700.000 Personen eingetroffen. Daselbst werden bekanntlich hl. Reliquien, als: Kleid, Gürtel und Schleier der allerseligsten Jungfrau Maria; die Windeln und das Lendentuch des Herrn gezeigt. Zur Lösung der das Wohl oder Wehe der Zukunft entscheidenden socialen Frage bildeten sich in Rheinland und Westphalen „christlich¬ sociale" Vereine, welche durch besondere Delegirte vertreten, zum ersten Male in Elberfeld vom 6. bis 9. März 1870 tagten. Von da erließen sie einen Aufruf. Professor I)r. Schulte zu Paderborn ließ sich die Sache sehr angelegen sein. Versammlungen zu demselben Zwecke hatten auch anderwärts statt; so am 20. November die baierische Landes- Versammlung zn Bamberg. Außer der Adresse an den Papst wurde Eurvpa. >4 Ocsterr.-preaspschcr Krieg. Neugestaltuilg Deutschlands. ZO! auch eine au dm König gerichtet. „Es ist nicht abzusehen, heißt es in dieser, „welche Gefahren Europa bedrohen, wenn es der Revolution gelingt, den Thron zu zerschlagen, der älter nnd geheiligter ist, als alle Throne, die auf Erden stehen." 8 14. Acr Gcstcrrrichisch-prclchischr Krieg. Nie Keilgestnltung Dentschllmds. Der 1815 gestiftete „deutsche Bund" trug bei der Rivalität der Bundesmitglieder, zumal des immer mehr erstarkenden Preußen gegen die Präsidialmacht Oesterreich, den Keim der Auflösung in sich. Schon der 1832 zwischen Preußen und den Mittelstaaten begründete „Zoll- verein" ließ ahnen, mit welchen Zukunftsgedanken sich jene Macht trage. Die Demüthigung Preußens, welche 1851 (29. November) Oester¬ reich in Olmütz gelang, war für jenes ein Stachel, der es antrieb, seine Zeit klug abzuwarten. Durch seine, wenn auch indirecte, Theil- nahme am Krimkriege (1854) hatte Oesterreich Rußland verletzt. 1859 verlor Oesterreich die Hegemonie in Italien. Im nämlichen Jahre tagte die Minister-Conferenz zu Würzburg. Die im nächsten Jahre zu Baden-Baden stattgehabte Zusammenkunft Napvleon's III. mit dem Prinz-Regenten von Preußen, der ihm den Besuch im September 1861 im Schlosse von Compiägne zurnckgab, ließ bereits ahnen, daß ihm der Franzosenkaiser nicht hinderlich in den Weg treten werde, sollte es einmal wider Oesterreich losgehen. Daß auch Kaiser Franz Josef mit dem Prinz-Regenten am 25. Juli 1860 in Teplitz, und Beide mit dem Czaren am 22. Oetober g. I. in Warschau eine Besprechung hielten, konnte obige Besorgnis; nicht ganz beheben. Preußens Antrag auf Revision der Bnndesmilitär-Verfassung, welcher ihm die Führer¬ schaft im Norden im Falle eines Bundeskrieges gesichert hätte, wurde 1860 vom Bundestage abgelehnt; nicht anders erging es dem Anträge des damals sächsischen Ministers Baron von Beust (1861), daß Preußen und Oesterreich jährlich im Präsidium wechseln sollen; sowie jenem des österreichischen Premierministers, Grafen Rech berg, auf Anschluß auch des nicht-deutschen Oesterreich an den deutschen Bund. An dem, von Oesterreich nach Frankfurt a. M. berufenen, und daselbst am 17. August 1863 feierlich eröffneten „Fürstentage" wollte sich der König von Preußen nicht betheiligen, nnd protestirte gegen die 302 I Thcil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Refvrmbeschlüsse desselben. Dio Bevollmächtigten der zu Frankfurt n. M. versammelt gewesenen Fürsten tagten am 23. October noch einmal in München ohne eine Verständigung mit Preußen zu erzielen. Gelang die Neucvnstituirung Deutschlands den Fürsten nicht, umso weniger dem durch Parteiungen zerklüfteten Volke. Als Organ desselben geriete sich insbesondere der am 17. Juli 1859 in einer Ver¬ sammlung zu Eisenach gegründete und am 16. September 1859 in Frankfurt a. M. förmlich constituirte „Nationalverein", eigentlich nur die Fvrtsetzung der ehemaligen Mehrheit der Panlskirche, vder der so¬ genannten Gothaer-Partei. Sein Programm lautete: Einigung Deutschlands unter Preußen mit Ausschluß Oesterreichs — also „klein- deutsch". Dagegen vertraten die 1862 in Frankfurt a. M. beschlossenen „Reformvereine" die „gr v ß d ent sch e" Partei. Am 24. September 1862 hatte König Wilhelm I. von Preußen, nach Abdankung des vorigen Ministeriums den Freiherrn von Bis¬ marck-Schönhausen in sein neues Cabinet berufen, und schon am 8. October zum Chef desselben ernannt. Wessen man sich zn versehen habe, mochte man aus dem von Bismarck erzählten Ausspruch ahnen: „Die großen Fragen der Zeit werden nicht durch Kammerreden und Mehrheitsbeschlüsse, sondern durch Blut und Eisen entschieden." Ob Napoleon III. von Bismarck, welcher mit ihm im Bade Biarritz in der Nähe der Pyrenäen im Octvber 1864 zusammeutraf, über diese Politik nähere Aufschlüsse erhielt — weiß Niemand. Eben¬ sowenig, was der Hauptgcgenstand der Besprechung gewesen ist, welche Napoleon III. im selben Jahre mit dem Könige Wilhelm I. selbst zu Baden-Baden hatte. Vom 20. bis 24. August 1864 war König Wilhelm I. der freundlichst anfgenvmmene Gast des Kaisers Franz Josef I. zu Schönbrunn. Wohl ahnte damals kaum Jemand, daß nach kurzer Zeit sich die preußischen Adler — deren einer über der Ehrenpforte Schön- brunn's angebracht war, in feindlicher Absicht den Thoren Wiens nähern Werdern Der Wiener Friedensschlnß vorn 30. October 1864 machte dem zwischen Oesterreich und Preußen einer- und Dänemark anderseits ge¬ führten Kriege ein Ende (siehe Dänemark). In der darin stipnlirten gem ein¬ samen Herrschaft Oesterreichs und Preußens über die von Dänemark abgetretenen Länder war unschwer der Keim zum nachherigen Zerwürf- Europa. Z 14. Oesterr.-prcnßischcr Krieg. Neugestaltung Deutschlands. ZOZ nisse der siegenden Mächte unter einander selbst zu erkennen. Dies fühlten wvhl diese Mächte selbst auch heraus; deshalb, „überzeugt, das; das bisher bestandene Cvndominium zu Unzukömmlichkeiten führt, welche gleichzeitig das gute Einvernehmen zwischen den — obbenannten — Regierungen und die Interessen der Herzvgthümer gefährden", schlossen der Kaiser von Oesterreich und der König von Preußen durch ihre Bevollmächtigten: Gustav Graf von Blome und von Bismarck Schönhausen am 14. August 1865 zu Gasteiu eine Convention ab — genehmigt von den beiden Souveränen zu Salzburg am 20. d. Ai. — deren Hanptartikel I bestimmt: „Die Ausübung der von den hohen vertragschließenden Theilen durch den Artikel III des Wiener Friedens- traetates vom 30. Oetober 1864 gemeinsam erworbenen Rechte wird, unbeschadet der Fortdauer dieser Rechte beider Mächte an der Gesa mmth eit beider Herzvgthümer, in Bezug ans das Herzogthnm Holstein auf Se. Majestät den Kaiser von Oester¬ reich ; in Bezug auf das Herzogthnm Schleswig auf Se. Majestät den König von Preußen übergehen." Artikel II bestimmt Kiel zum nachmaligen Bnndeshafen. Artikel III nimmt Rendsburg als deutsche Bnndesfestnng in Aussicht. Artikel IV bis VIII handeln von den Militärstraßen und der Tele- grafenverbindnng für Preußen durch Holstein; vom Beitritte der Herzvg¬ thümer zum Zollverein; von der Preußen concedirten Führung des Nord-Ostsee-Canals durch das holsteinische Gebiet und von den von den Herzvgthümern zu übernehmenden financiellen Leistungen. Im Artikel IX überläßt der Kaiser von Oesterreich den; Könige von Preußen die im Wiener Friedeusvertrage erworbenen Rechte auf das Herzogthnm Lauenbnrg gegen die Entschädigung von zwei Mil¬ lionen fünfmalhunderttausend dänischen Reichsthalern. Feldmarschall-Lientcnant Freiherr von G a bl e n z') wurde k. k. Statthalter von Holstein; der königlich preußische Generallieutenant Frecher von Manteuffel Gouverneur von Schleswig. Es lag im Plane Preußens, die beiden Herzvgthümer früher oder später sich zu annectiren. Dies Ivar schon in der eigenmächtigen Besetzung Rendsburgs (Juli 1864) ersichtlich. Bestand Oesterreich ans >) Er erschoß sich in Zürich am 28. Jänner 1874 in Folge großer finan¬ zieller Verlegenheiten nnd Verluste. 304 I Thcil. O Hmiptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kcüh. Kirchen seinem wohl erivorbenen Rechte, wie es nicht anders konnte, weshalb es die preußischen Forderungen clllo. 21. Februar 1865 abgelehnt hatte, so war der Krieg unvermeidlich — der wirkliche Ausbruch desselben konnte vielleicht hinausgeschoben, aber nicht aufgehalten werden. Um die Verantwortung dafür von sich abzulehncn, sann Preußen auf einen Vorwand, nm Oesterreich als den verletzenden; sich selbst als den ver¬ letzten, heransgefvrderten Theil vor der Welt darzustellen. Ein solcher ward bald gefunden, zumal in der Einberufung der holsteinischen Stände, welche Preußen als Bruch der Gasteiner Con¬ vention dennneirte, obwohl sich Oesterreich dazu durch den Artikel l der nämlichen Convention für ganz berechtiget halten durfte. Die in der Bnndestagssitzung vom 9. Juni 1866 abgegebene preußische Erklärung hatte auch das als eine Verletzung schon der Stipulationen vom 16. Jänner 1864, sowie der Gaskeiner-Convcntivn bezeichnet, daß Oesterreich die ganze Angelegenheit der Herzogthümer zur Verfügung des deutschen Bundes stellte, und sich der Entscheidung desselben zu unterwerfen versprach. Als Preußen diese Sprache führte, war das preußisch-italienische Bündniß, in welcher der gleichzeitige Angriff auf Oesterreich im Norden und Süden seiner Grenzmarken verabredet wurde, schon eine vollendete Thatsache. Es datirt vom 8. April 1866. Wohl mehr Grund hatte Oesterreich, in dem Einrücken Preußischer Truppen in Hol st e i n einen Bruch der Gasteiner Uebereinknnft zu er¬ blicken: sowie in der Erklärung des Freiherrn von Manteuffel, die Regierungsgewalt auch in Holstein auf sich zu uehmeu, eine Ver¬ letzung des Wiener Friedensvertrages zu constatiren. In Folge dessen stellte Oesterreich unter Berufung auf den Ar¬ tikel XIX der Wiener Schlnßaete durch den Bundes-Präsidialgesandten Freiherrn von Kübeck am II. Juni den Antrag ans Mobilmachung sämmtlicher, nicht zur königlich preußischen Armee gehörigen Armee- eorps des Bnndesheeres. Mit nenn Stimmen gegen sechs wurde dieser Antrag in der Bnndestagssitzung vom 44. Juni angenommen (Baden enthielt sich der Abstimmung); Preußen aber erklärte hiedurch deu Bundesvertrag für gebrochen, und seinen Austritt aus dem bisherigen Bunde, indem es zum Abschlüsse eines neuen, mit Ausschluß Oesterreichs einlud. Der u n h e i l v v ll e K r i e g begann. Prinz Carl von Baiern Eurvpa. tz 14. Oesten'. preußischer Krieg. Neugestaltung Deutschlands. Z0.4 übernahm den Oberbefehl über das siebente und achte Bnndeseorps; Prinz Alexander van Hessen das Commandv des achten Bundes¬ corps : Feldzeugmeister Ritter von B e n e d eck (geboren 1804 in Oeden- burg) jeiren über die k. k. österreichischen Truppen. Die Preußen gingen als Sieger hervor. Die betrübenden Ursachen der Niederlagen — zumal Oesterreichs, dessen Truppen mit anerkanntem Heldemnnthe kämpf¬ ten, unparteiisch anfzudecken und darzulegen, wird erst Sache künftiger Geschichtsschreibung sein. Wir begnügen nns hier nur eine Uebersicht der Hauptschlachten zu liefern, welche die Karte Oesterreichs und Deutsch¬ lands — Oesterreichs zwar nur mittelbar — umstalteten. Bald nach dein verhängnißvollen 14. Juni rückten die Preußen schon in Hannover ein, sowie in Nassau, in Hessen-Darmstadt, Kur- Hessen, von wo der Kurfürst sogar als Staatsgefangener nach Stettin abgeführt wurde, das er im September wieder verließ; aber auch in Sachsen, weil König Johann sich der Forderung der „Sonnnation", entweder zu entwaffnen, oder sich Preußen anzuschließen, nicht fügen wollte (15. Juni). Am 18. Juni besetzten sie Dresden und Leipzig. Kaiser Franz Josef I. erließ am 17. an seine Völker das Kriegsmanifest, worin er es tief beklagt, „daß der unheilvollste, ein Krieg Deutscher gegen Deutsche, unvermeidlich geworden". Am 18. er¬ ließ auch König Wilhelm 1. ein solches an sein Volk. Nach der leichten Eroberung Sachsens brachen die Preußen auf österreichisches Gebiet ein und zwar rückte zuerst der Prinz Friedrich Carl westlich, dann der Kronprinz östlich ein. Die Feinde besetzten (23. Juni) Schluckenau und Rumburg in Böhmen — wohin sich die die sächsische Armee gezogen hatte. — Nach mehreren Gefechten, als: bei Liebenan (25. Juni), Nachod (26.), Podol (27.), Skaliz (28.), Münchengräz (28.) und Trantcnau, wo Feldmarschall-Lientenant Ga¬ li lenz (27.) siegte, Gitschin (29.) n. A. folgte die für die Ocsterreicher unter dem Obercvmmando des Feldzeugmeisters Ritter von Benedeck am Ende unglückliche entscheidende Schlacht bei Königgrätz (auch nach dem Dorfe Sadova benannt), am 3. Juli. Dem Kronprinzen von Preußen Friedrich Wilhelm war es gelungen, sich mit der Hauptarmee zu vereinigen. Durch sein Erscheinen am Schlachtfelde (Nachmittag) gab er den Ausschlag. Die Nordarmee verließ Olmütz, und zog sich nach Ungarn, wo sich unter K l a p k a vom Aufstande 1848 her bekannt — sogar eine sogenannte ungarische S t e p i s ch n e g a, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 20 806 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Legion gegen Oesterreich gebildet hatte. Das Treffen bei Blnmenau (bei Preßburg) wurde durch die mittlerweile abgeschlossene Waffenruhe (22. Juli) unterbrochen. Wien war so vor dem gleichen Lose der Be¬ setzung durch Preußen, wie es (8. Juli) Prag und (12. Juli) Bruun erfahren mußten, bewahrt. Die Friedeusnnterhandluug von Nikvlsburg (26. Juli) und daun jene in Prag führten zum dasigen Friedensvertrage mit Preußen clclo. Prag, 23. August >866, dessen Ratifieativnen eben daselbst am 30. d. M. ausgewechselt wurden. Von den deutschen Bundesstaaten hatte Baden von Anfang an eine mehr preußenfreundliche Stellung angenommen; daher auch nicht dem Mobilisirnngsantrage vvm 14. Juni unbedingt beigestimmt. Nach dem Kriege beeilte es sich mit Preußen einen Allianzvertrag abzuschließeu (17. August). — Die braven hannvveranischen Truppen mußten nach der für sie ruhmvollen Schlacht bei Langensalza (27. Juni), wo auch der Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg gegen sie focht, und zu¬ meist dafür vom König Wilhelm I. dann einen kleinen Gebietszu¬ wachs erhielt, weil isvlirt, eapituliren. Die bäurischen Truppen schlugen sich tapfer, ohne jedoch auch die Preußen aufhalten zu tonnen — so insbesondere im Treffen bei Kis- singen (II. Juli). Diese, welche am 14. Juli Aschaffenburg besetzten, schickten sich schon an, Würzburg selbst zu beschießen (27. Juli), als die Kunde von dem (28.) abgeschlossenen Waffenstillstände eintraf, der zwar erst am 2. August begann. Die Preußen besetzten die Stadt, und rückten auch iu Bayreuth, Nürnberg und Erlangen ein. In weniger als einem Vierteljahre war in Folge des Seitens des siegreichen Preußen zu Prag mit dem schwer getroffenen Oesterreich und dann mit den übrigen bnndestrenen deutschen Staaten abgeschlossenen Friedens Deutschland ein ganz anderes geworden. Der deutsche Bund, wie ihn der Wiener Congreß 1815 geschaffen, hatte zu sein aufgehvrt. Oesterreich mußte aus Deutschland ansscheiden. Das altehrwürdige Haus Habsburg, welches die deutsche Kaiserkrone durch bald 600 Jahre getragen hatte, und dessen Geschicke seit R u d v lf I. immer auf das innigste mit denen aller deutschen Stamme verflochten waren, sollte von nun an die Führung Deutschlands den: Hause Hvhenzvllern über¬ lassen, über das es einst zu gebieten hatte. Denn so heißt es im Prager Friedensvertrage Artikel IV in Neber- einstimmung mit Artikel II der zu Nikvlsburg am 26. Juli nbgeschlvs- Europa. Z 14. Ocsterr.-preußischer Krieg. Neugestaltung Deutschlands. 307 Mm Friedms-Prälnmnanm: „Se. Nlojestüt der Kaiser vvii Oester¬ reich erkennt die Auflösung des bisherigen deutschen Bundes an und gibt seine Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands vhne Betheiligung des österreichischen Kaiserstaates. Ebenso verspricht Se. Majestät das engere Bnndesverhältniß anzuerkennen, welches Se. Ma¬ jestät der König vvn Preußen nördlich von der Linie des Mains be¬ gründen wird (norddeutscher Bund) und erklärt sich damit einverstanden, daß die südlich von dieser Linie gelegenen deutschen Staaten in einen Verein zusammentreten, dessen nationale Verbindung mit dem norddeut¬ schen Bunde der näheren Verständigung zwischen beiden Vorbehalten bleibt, und der eine internationale unabhängige Epistenz haben wird." Im Artikel V überträgt der Kaiser von Oesterreich auf den König vvn Preußen alle seine im Wiener Frieden vom 30. Oetvber 1864 erworbenen Rechte auf die Herzvgthümer Holstein und Schleswig. Die in diesem Artikel enthaltene Stipulation wegen eventueller Rückerstattung des nördlichen Schleswig an Dänemark kam nicht zur Ausführung.') Artikel VI garanti rt den bisherigen Territorialbestand des König¬ reichs Sachsen, mit dem Vorbehalt näherer Regelung der Stellung desselben innerhalb des norddeutschen Bundes. Der Kaiser vvn Oester reich aber verspricht die vom Könige vvn Preußen in Norddeutschland herzustellenden neuen Einrichtungen einschließlich der Territv- r i a l v e r ä n d e r n n g e n anznerkenncn. Tie Kriegskosten-Entschädi- gnng Oesterreichs an Preußen wnrde auf 40 Millionen Preußische Thaler festgesetzt. (Artikel XI.) Außer einigen kleineren Gebietsantheilen von Baiern und Hessen- Darmstadt, annectirte sich Preußen nun ganz Hannover, -) Kurhessen, H >) Der Beitrag zwischen Oesterreich und Prenße» <üll> It. October 1878 setzte obige Stipulation förmlich außer Kraft. 2) König Georg V. schlug mit seiner Familie zuerst zu Hietzing bei Wien seinen Wohnsitz auf; wohnte aber auch in Gmunden und Paris, wo er am 12. Juni 1878 starb. Auch sein Privatbermögen wurde von der preußischen Regierung segnestrirt, nm ihm — wie sie sagte — das „Agitireu" gegen Preußen unmöglich zu machen Daraus zunächst wnrde der sogenannte „Welfenfond" gebildet, über dessen Verwendung das königlich preußische Ministerium auch noch im Jahre 1877 im Abgcordnetenhause interpellirt wurde, aber keine Aufklärung schuldig zu sein erwiderte. Eine solche Hütte cs aber füglich geben, und so die Verdächtigung wider¬ legen sollen, daß an dem „Welfenfonde" auch die Reptilien-Blätter nagen. Der depossedirte Kurfürst Friedrich Wilhelm starb in Prag am 6 Jänner 1875. 20* 308 I Theil. l. Haupistück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Hessen-Homburg, Nassau und die bisherige freie Bnndesstadt Frankfurt am Alain. Am 27. April 1868 wurde in Berlin das erste deutsche Zvllpar- lament eröffnet, auf welchem zum ersten Mal der norddeutsche Reichstag mit den Vertretern Süd deutsch la nds gemeinsame Inter¬ essen der ganzen deutschen Nation berietst. Den Norddeutschen — respeetive den Großpreußen — mochte wohl der Zeitpunkt des P r e nß i s ch - d e n t s ch e n K a i s e r t h n m s nahe gerückt erscheinen! — Die volle Verwirklichung dieser Idee wurde durch ein ebenso großartiges weltgeschichtliches, als ungeahntes Ereigniß herbeigeführt, und die Eini¬ gung Deutschlands vollbracht, ohne daß der — nie zu Staude ge¬ kommene, im Artikel IV des Prager Friedens vorgesehene „Südbund" eine Vorstufe dazu gebildet hätte. Es war der preußisch- oder besser gesagt, deutsch- französische Krieg mit seinem unerwarteten Ausgange. 8 1i>. Qentsch-frmiMschcr Krieg. Einigung Qcutschlnnds ass Kaiserreich. Die Erwerbung des linken Nheiuufers gehörte nicht minder als jene Belgiens zu den Licblingsplänen Napoleons IIl. Auch die Erhaltung seiner Dhnastie hielt er für bedingt durch dieselbe. Um den Uebergang der Krone au den Sohn zu erleichtern (Proclamativn Napo¬ leons an das Volk ckclo. 23. April 1870), hatte er am 8. Mai das Plebiscit in Scene gesetzt, welches in Frankreich selbst 7,210.296; in Algerien 41.213 Ja ergab. Umsonst suchte er sich durch friedliche An¬ erbietungen an Preußen, dieses in anderer Weise zu entschädigen, in den ersehnten Besitz zn setzen. Laut der von den „Times" nnterm 25. Juli 1870 gebrachten Enthüllungen, die Frankreich, wenn auch nicht geradezu in Abrede stellte, aber die Schuld Preußen znschvb, trat noch 1866 der französische Ge¬ sandte Graf Bcuedetti mit derlei Theilnngsverträgen und Alliauz- anerbieten Napoleons an Preußen heran und wurde — abgewiesen. Nun blieb dem Franzvsenkaiser kein Mittel mehr übrig, zum Ziele zu gelangen, als der Krieg. Die Veranlassung dazu ward bald ge¬ funden. Spanien hatte sich den Prinzen Leopold von Hohenzollern (Bruder des Fürsten Carl 1. von Rumänien) zum König auserkoren, Europa. Z 15. Drutsch-sraazösischcr Krieg. Einigung Deutschland-?. 309 nachdem es an mehreren Höfen Europas seine Krvne fruchtlos ange- bvten. Kaiser N a p v le v n erblickte darin, oder schützte dies wenigstens vor, die Absicht Preußens, sich mittelbar Spaniens zu bemächtigen, und Frankreich von zwei Seiten zn fassen. Ungeachtet König Wilhelm I. von Preußen der ganzen Ange¬ legenheit sremd zu sein und seine Zustimmung zur Candidatnr des Prinzen nur als Familienhaupt gegeben zn Haben erklärte; ungeachtet der Vater des Prinzen Leopold, Fürst Carl An ton, im Namen seines Sohnes dessen Verzichtleistnng auf die Kandidatur aussprach, und - selbst die spanische Regierung diese Verzichtleistung offieicll der fran¬ zösischen nüttheilte, so begnügte sich Napoleon damit doch nicht. Zunächst auf Drängen des Kriegsmiuisters Leboeuf und des Ministers des Auswärtigen, des Herzogs von G r a m v n t und O ll i v i e r s stellte er durch seinen Gesandten B e n e d e tti an den zu Ems weilenden König Wilhelm am 13. Juli die doppelte Forderung: der König solle sich förmlich verpflichten, für alle Zukunft dem Prinzen von Hohen- zollern die Annahme einer etwa noch auf ihn fallenden Wahl zum spa¬ nischen Throne zu verbieten; überdies solle er einen ent¬ schuldigenden Brief an den Kaiser Napoleon schreiben. Graf Benedetti mit der Erklärung des Königs: „er habe dem Prinzen die Annahme nicht befohlen; er könne ihm ebenso wenig die Nichtaunahine befehlen" nicht zufrieden, belästigte den König sogar auf der Promenade, weshalb ihm dieser durch seinen General-Adjutanten sagen ließ, er habe ihm nichts mehr m itzuth e i len. Dies wurde als eine Beleidigung Frankreichs angesehen, welche nur durch Blut gesühnt werden könne. Der Krieg wurde 17. Juli be¬ schlossen und am l 9. Juli die förmliche Kriegserklärung in Berlin ab¬ gegeben. Frankreich rechnete dabei wohl auf die Mitwirkung Oester¬ reichs und der süddeutschen Staaten. Es verrechnetest ch. Oester¬ reich blieb neutral; gegen sich aber hatte Napoleon das wie Ein Mann gesannnelte Deutschland. Alle deutschen Fürsten stellten ihre Truppen unter den Oberbefehl des Königs von Preußen. Die so vereinte Macht der Deutschen wird auf 1,124.000 Mann aller Waffengattungen ver¬ anschlagt. Frankreich konnte in Wirklichkeit ungleich weniger in's Feld stellen; auf dem Papier sigurirten freilich viel mehr. Am 1. August verließ König Wilhelm I. Berlin und folgte der Armee, uw — als Kaiser von Deutschland wiederzukehren. Als 310 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Kriegsehrenzeichen setzte er, lvie 1813 geschehen, wieder das. eiserne Kreuz ein. Am 27. Juli —- am nämlichen Tage, auf welchen König Wil¬ helm I. einen allgemeinen Bettag in seinen Landen angeordnet hatte war auch Napoleon III. zur Hauptarme uach Metz abgereist. Aber er sollte seine Hauptstadt nicht wieder sehen — Thron und Dy¬ nastie sollten ihm verloren gehen. Die Nemesis, wie sie die Vorsehung in der Weltgeschichte walten läßt, ereilte ihn. Dieser Mann hatte Manches verschuldet an der europäischen Menschheit — sein Fall war deshalb ein unbedauerter. Auch die Kirche Christi und der römische Stuhl hatten nicht Ursache, darüber zu trauern. Zu lange schon schien die Meiüung geherrscht zu haben, als sei das Schicksal der katholischen Kirche mit jenem Napoleons nothwendig verknüpft, und als halte sich das Papstthniu nur durch den zweideutigen Schutz Desselben, der in seinen jungen Jahren mitarbeitete an den Plänen zum Umstürze der päpstlichen Regierung. Beispiellos steht in der Geschichte der blutige deutsch-französische Krieg da. Die Deutschen flogen von Sieg zu Sieg, bis Frankreich völlig vernichtet, den Frieden aus des Siegers Hand annehmen mußte, unter welchen Bedingungen ihn dieser eben zu dietiren für gut fand. Wir liefern hier nur eine Uebersicht der Kriegsereignisse; ein Weiteres ist dem Zwecke unseres Buches fremd: Am 2. August nahmen die Franzosen Saarbrücken. Die deutsche Südarmee unter dem Kron¬ prinzen von Preußen ergriff die Offensive; ein Theil derselben über¬ schritt bei Weißenburg die frauzösische Grenze. Es folgte nun die Erobe¬ rung von Weißenburg 4. August; von Lauterburg 5. August; die Besitznahme von Hagenau. Am 6. August griff die deutsche Südarmee unter dem unmittelbaren Befehl des Kronprinzen von Preußen die vom Marschall At a e - M a h o n befehligte französische Südarmee bei W ört h (südwestlich von Weißenburg) an und erfocht einen großen glän¬ zenden Sieg. Am nämlichen Tage siegte eine Abtheilung Preußen und Baiern, welche Saarbrücken wieder besetzt hatten, und von hier in das fran¬ zösische Gebiet eingedrungen waren, bei Spicheren (am Spicherer Berg) über eine französische Division. Am I I. August überschritt König Wilhelm I. die französische Grenze und richtete eine Proclamation an das französische Volk. Darin sagte er: „Ich führe Krieg mit den französischen Soldaten, nicht mit Frankreichs Bürgern." Europa Z 15. Deutsch-französischer Krieg. Einigung Deutschlands. ZU Die drei deutschen Armeen rückten gleichzeitig auf französischem Gebiete vor und konnte sich schon jenseits der Mosel concentriren. Es wurde Besitz genommen von Saarburg und Ranzig (12. August), und in Elsas; und Lothringen bereits deutsche Verwaltung organisirt. Für die Deutschen handelte es sich nun zunächst darum, die Ber¬ einigung des Marschalls Bazaine (traurigen Andenkens von Mexiko her), welchen Napoleon, der sür seine Person vom Comniando nominell znrückgetreten war, znm Oberbefehlshaber der Armee ernannt hatte, mit Mac-Ma hon zn verhindern. Der Plan gelang vollkommen. Nach dem Uebergange iiber die Mosel bei Uout-n-LIonssou und nach den Siegen von Pange, bei lUurs lu Danr (unter dem Prinzen Friedrich Carl 16. August) schlug König Wil Helu selbst den Feind in der Entscheidungsschlacht bei Gravelvtte (18. August),') und mußte sich Marschall Bazaine mit seiner Hanptarmee nach Metz werfen. Seine von da gemachten Anstrengungen, die deutsche Belagernngsarmee zn durchbrechen so in den Gefechten von Noisseville 31. August und 1. September — schlugen fehl. Mit genauer Roth gelangte Kaiser Napoleon in's Lager von Chalons, wo er Mae-Mahvu mit den Resten seiner geschlagenen Armee fand. Beide verließen mit der Armee Chalons am 24. August und zogen gegen Paris zu. Chalons nahm nun der Kronprinz von Preußen. Am 25. August wurde die kleine Festung Vitry unweit Chalons genommen. Das Gleiche geschah mittlerweile mit der Bergfeste Maršal im Wasgau durch die Baiern und mit der Stadt Lunevillc durch die Südarmee. Inzwischen hatte Mac-Mahon seinen Plan geändert und zog gegen Metz, um es zu entsetzen. Geschlagen nm 30. August bei Beau¬ mont mußte er sich in der „blutigen Schlacht bei Sedan (Noisseville), die vom 31. August bis spät Abends am 1. September dauerte, mit der ganzen Armee auf Gnade und Ungnade kriegsgefangen ergeben. Im Namen des verwundeten Marschalls unterfertigte der erst 48 Stun¬ den zuvor aus Algier gekommene General Wimpffcn die Capitulation. ') Bei Gravelvtte fiel auch Prinz Felix von Salm-Salm, geb. 1828, der treue Begleiter des unglücklichen Kaisers Maximilian von Mexiko, den er mit seiner entschloßenen Gemahlin noch zn Qneretaro mit Gefahr seines eigenen Lebens retten wollte. 312 I Theil. I. Hanptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Auch Kaiser Napoleon III. war kriegsgefangen. „Ooinino jo n'ui pa» s>n nionrir un inilion cks inon armüo, ,jo rencl« nimi epöo n Volro Uaj68<6" - so schrieb er an König Wilhelm, dem er sich dann mit seinem ganzen Stabe im Hauptqnartier persönlich als Gefangener stellte. (2. Septeniber.) Der König von Prenßen wies ihm das Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel an, wo er schon nm 5. Sep¬ tember eintraf und sich der besten, ja kaiserlichen Aufnahme und Be¬ handlung zu erfreuen hatte. Zu seinem Unglücke setzte Frankreich den Kampf fort, statt jetzt schon Frieden zu schließen, der ihm noch unter günstigeren Bedingungen zugestanden worden wäre. Am 4. September wurde im gesetzgebenden Körper zu Paris die Thronentsetzung Louis N a p o l e o n s — der doch erst in diesem Jahre in dem sogenannten Plcbiseite die Wiederholung der Volksabstimmung vom Jahre 1852 für sich und seine Dynastie hatte in Scene setzen lassen — und seiner Familie ans ewige Zeiten ausgesprochen, und die Republik proelamirt. Die neue Regierung „der nationalen Vertheidigung" unter dem Präsidium Trochu's, bestand der Mehrzahl nach aus Advocateu, unter denen sich Favre für Auswärtiges und Gambetta für In¬ neres befanden. Noch in derselben Nacht (4.-5.) flüchtete die Ex-Kaiserin Euge- nie, nicht ohne Gefahr, nach Belgien, von wo sie dann nach Eng¬ land — Chislehurst in Kent, dritthalb Meilen von London über¬ siedelte. Die Sieger von Sedan rückten nun gegen Paris vor, weshalb die Regierung ihren Sitz zu Tours anfschlug. Es folgte die Einnahme der Festung Laon durch die Deutschen am 9. September; — die Verlegung des königlich preußischen Haupt¬ quartiers nach Versailles am 5. October. Am 19. September war die Cernirnng von Paris — mit seinen neuen Forts die größte Festung der Welt — vollendet. Ehe das schwere Belagerungsgeschütz anlangte, wurden wohl Unterhandlungen angeknüpft, die aber keinen Erfolg hatten, weil man in Paris von einer Landabtretnng an Deutschland durchaus nichts wissen wollte. Mittlerweile geriethen Straßburg und Metz in die Hände der Deutschen. Straßburg, vom tapferen General Ulri ch, einem Lothrin Europa. Z 15. Dentsch-französischer Krieg. Einigung Deutschlands. ,313 ger, vertheidigt, und durch das am 24. August begonnene Bombarde¬ ment (wobei auch der Minister mit dem Thurme und der berühmten astronomischen Uhr sehr litten und die reiche Bibliothek durch Brand zu Grunde ging) schrecklich hergenoimneu, capitulirtc am 27. Septem¬ ber, nachdem am 15. September Colmar und 1ö. auch Mühlhausen von den Deutschen besetzt worden waren. Alle Ausfälle der Besatzung vvu Metz waren erfolglos, und so mußte sich denn Marschall Baza ine mit seiner ganzen Armee — über l 75.000 Manu au den Prinzen Friedrich Carl am 27. Oetober kriegsgefangen ergeben.') Der Chef der französischen Regierung zu Tours, Gambetta, beschuldigte den Marschall Bazaine, der sich zu Napoleon nach Wilhelmshvhe begab, des Verrathes, wogegen sich dieser in einem offenen Schreiben nicht rechtfertigen konnte. Er wurde wegen der Ueber- gabe von Metz an die Deutschen gefänglich Ungezogen und im September l873 vor das Kriegsgericht verwiesen, welches am 6. Oetober 1873 zu Trianon seine Untersuchung eröffnete. Am l O. December verurtheilte es ihn einstimmig zur Degradation und zum Tode. Der Marschall-Prä sident Mac-Mahon verwandelte die Todesstrafe in zwanzigjährige Einschließung mit Nachsehnng der Formalitäten der Degradation, nicht aber auch ihrer Wirkung. Er wurde ans die Insel Sainte-Marguerite im südlichen Frankreich gebracht, von wo er aber in der Nacht vom 9. auf den lO. August 1874 entwich. Bereits am 23. September hatte sich Tonl nach achtstündiger Be¬ schießung ergeben. Am 8. November fiel Verdun; am 24. November Thionville; am lO. December Ham, wo einst Napoleon III. sechs Jahre gefangen saß; am 12. Pfalzburg; am 14. Montmcdy; am 2. Jänner 1871 Meziöres; am 6. Jänner Recroy. Mit nicht minder glücklichem Erfolge operirten die deutschen Truppen im Osten und im Süden Frankreichs. An den Vogesen suchte der der französischen R e P ublik zu Hilfe geeilte Garibaldi eine größere Macht zu cvncentriren. Am 24. October hatte Schlettstadt capitnlirt ; am I I. November Nenbreisach. Der badische General Angust von Werder schlag den Feind in mehreren Gefechten. g Unter den Kriegsgefangenen befand sich auch General Chang nrnie (geb. zn Nntun, gest. 14. Febrnar 1877 zn Paris). 314 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Am 3!. Oktober mußte sich Dijon ergeben. Orleans, wo am 11. Oetober die Deutschen — zumeist Baieru unter General von der Tann — siegten, erlag dem gleichen Schicksale. Zwar mußte der baie- rische General von der Tann in Folge der für ihn nicht glücklichen Schlacht bei Coulmiers (9. November) Orleans räumen und sich znrück- ziehen; aber in Folge siegreicher Gefechte vom 2. bis 4. December wurde Orleans au: 5. abermals von den Deutschen besetzt. Mittlerweile war am 19. Oetober Chatcaudun genommen: am 21. capitulirte Chartres. Die sogenannte Loire-Armee wurde vernichtet oder zersprengt. Zur See richtete die französische Flotte, obwohl der deutschen an Zahl der Schiffe so sehr überlegen, gar nichts aus. Die deutschen Seeküsten waren so gut geschützt, daß ihnen die Blveade nichts anhaben konnte. Kleine Seegefechte, wie z. B. am 18. November in der Havanna (Cuba), im December in den Gewässern von Peru, und im Jänner 1871 im Meere von Bordeaux uud andere, fielen sogar znm Vortheil der Deutschen aus. Am 10. December 1870 verlegte Gambetta deu Sitz der französischen Regierung von Tours nach Bordeaux. Nicht lange hernach ergab sich Tours au die siegreichen Deutschen. Nachdem das beuöthigte schwere Geschütz bei der Cernirungsarmee angelangt, und alle Hoffnung auf eine freiwillige Capitulativn von Paris verschwunden war, ertheilte König Wilhelm den Befehl znm Bombardement der Riesenstadt, in welcher das Elend und der Mangel schon einen sehr hohen Grad erreicht hatten. Tas Bombardement be gann am 27. December 1870 ans das erste Fort von Paris, nämlich ans das Vorwerk des Hügels Mont-Avron. Während der Belagerung von Paris erlitten auch die französische Westarmee — unter General Chanzy — und die Nordarmee — unter General Bourbaki — entscheidende Niederlagen. Am 12. Jänner 1871 wurde Le Alans eingenommen; im Norden aber hatten die Preußen bereits am 16. Oetober 1870 Svissvns erobert, schlugen die Nordarmee in mehreren Gefechten, zumal iu der Schlacht bei Moreuil, welche Bourbaki nach zehnstündigem blutigen Kampfe verlor. Schon am folgenden Tage capitulirte Amiens. Nm 6. December 1870 wurde Rouen, die Hauptstadt der Nor¬ mandie, besetzt: am 9. December der wichtige Seeplatz Dieppe. Europa. Z 15. Deutsch-französischer Krieg. Einigung Deutschlands. 315 Nicht glücklicher war Bourbaki's Nachfolger im Commaudo, General Faidherbe. Oesters geschlagen, verlor er am 19. Jänner 1871 wieder eine Schlacht bei St. Quentin, welches die Deutschen erstürmten. Am 25. zwangen sie Longwy zur Capitulation. Am 18. Jänner 1871 hatte im Schlosse zu Versailles in der ,,6alsris ckos Olaoss" die feierliche Proclamation des deutschen Kaiser¬ reiches statt, nachdem schon 1870 der König von Baiern im Namen der deutschen Fürsten und freien Städte den Antrag auf Annahme der erb kaiserlich en Würde durch das Buudesoberhaupt gestellt hatte. Es war eben der 170jährige Gedenktag des preußischen Köuigthums. — -Wohl die empfindlichste Demüthignng Frankreichs! Im nämlichen Schlosse, wo Alles an den ehemaligen Nebermuth Frankreichs gegen Deutschland erinnerte, nahm der nunmehrige deutsche Kaiser Wilhelm I. die ersten Huldigungen seiner Armee entgegen! Frankreich, dessen mehrhundertjührige Politik in der Schwächung und Uneinigkeit Deutsch¬ lands gipfelte, das eben nur aus diesem Grunde Deutschland zum Kampfe herausgefordert hatte, mußte es sich jetzt gefallen lassen, daß auf seinem eigenen Gebiete dieses nämliche Deutschland den Triumph der wieder errungenen Einigkeit und Stärke feierte. Die Annahme des deutschen Kaisertitels zeigte Graf Bismarck sofort durch identische Noten den auswärtigen Mächten an. ') Immer näher rückte die entscheidende Stunde für' das hart be¬ drängte Paris. Jules Favre, Mitglied der provisorischen Regie¬ rung, schloß am 28. Jänner zu Versailles mit Bismarck die Capi¬ tulation der Hauptstadt ab. Alle Forts vor Paris wurden den Deutschen übergeben und ein — später bis zum 25. Februar verlängerter Waffenstillstand ans 21 Tage vereinbart. Alsbald nach dem Fall von Paris mußte die ganz zersprengte Armee Bourbaki's — über 50.000 Mann — auf schweizerisches Gebiet übertreten. Am 16. Februar eapitülirte auch die Festung Belfort. Die Gar¬ nison durfte mit Kriegsehren abziehen. Am 26. d. M. wurden die Friedenspräliminarien in Versailles unterzeichnet (ratifieirt von der Nationalversammlung in Bordeaux am I. Mürz; vom deutschen Kaiser am 2. März), dahin lautend, daß >) Daß auch der Papst den Kaiser Wilhelm hiezu iui Schreiben UN". 6. März 1871 beglückwünschte, kann nicht befremden. Es war eben ein Act der Conrtoisie. 316 I- Thcil. 1. Hauptstück Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Frankreich Elsaß, aber ohne Belfort; Dentschlvthringcn mit Metz an Deutschland abtrete; ') fünf Milliarden Francs an selbes zahle, nnd Theile Frankreichs besetzt bleiben bis znr Abzahlung dieser Snnnne. Der Weltstadt an der Seine blieb die Demüthignng nicht erspart, am I. März dentsche Truppen einziehen zu sehen. Sie besetzten das linke Seine-Ufer. Der Kaiser Wil h e l m war nicht darunter. Doch räumten sie Paris bald nach zwei Tagen — wieder. Am 17. März zog Kaiser Wilhelm unter endlosem Jubel der Bewohner iu Berlin ein. Zwei Tage später (19.) verließ der Exkaiser Napoleon Wilhelmshvhe. Er ging nach England, wo er sich in Chiselhurst niederließ. Am 21. März wurde der erste deutsche Reichstag in Berlin vom deutschen Kaiser eröffnet. Am 24. d. M. nahmen die deutschen Truppen die noch immer Widerstand leistende Festung Bitsch. Der definitive Friede zwischen Deutschland und Frankreich wurde, nachdem bereits im März die Vor¬ verhandlungen in Brussel begonnen hatten, am 10. Mai in Frankfurt a. Bl. unterzeichnet, und die Ratificationen am 20. Mai ausgewechselt. Die Convention vom 29. Juni 1872 aber regelte genauer die Zahlungstermine für den Rest der Kriegsschuld (drei Milliarden) und die snccessive Räumung Frankreichs Seitens der deutschen Occupativns- truppen. Nach dem Vertrage zwischen Deutschland und Frankreich, 6. Einiges aus dem geeinigten Deutschland. 317 Fürstenstand erhüben zngeschriebene Wort „durch Blut und Eisen" war erfüllt. Das in Berlin am 2. September 1873, welcher Tag zum Andenken an Sedan zum künftigen Nativnalfesttag in Deutschland er¬ hoben wurde, enthüllte Siegesdenkmal sollte es der Nachwelt verkünden. An die Stelle des ehemaligen „römisch"-deutschen Kaisers — als solcher der natürliche Schirmvvgt der katholischen Kirche - war nun ein protestantischer Kaiser von Deutschland getreten. Welche Stellung nahm ihm gegenüber der Papst'? In öffentlichen Blättern wurde viel nicht nur über den erwähnten Brief gesprochen, welchen Pius IX. an Wilhelm I. bald nach dessen Proelamirnng als deutscher Kaiser schrieb, mehr noch davon, daß die katholische Centrumsfraetivu im deutschen Reichsparlamente zu Berlin, welcher man der Einigung Deutschlands unter einem protestantischen Oberhanpte feindselige Tendenzen unterschieben wollte, vom Cardinal Antonelli im Namen des Papstes desavvnirt, ja geradezu getadelt wurde. Dies Letztere ist aber so nicht richtig (siehe: von Ketteler „Die Centrnmsfractivn" S. 44 n. f.) Der Cardinal sagte nur in einer Privatnnterrcdnng, daß seines Erachtens die Absicht, den Reichstag zu einer Meinungsäußerung über eine zum Schutze der weltlichen Herr¬ schaft der Kirche zu beschließende Intervention zu vermögen, verfrüht sei. Dies versicherte Cardinal Antonelli in seinem Antwortschreiben, (Klo. 5. Juni 1871, ans die briefliche Anfrage, clclo. 18. Mai, des Bischofs von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherrn von Ketteler. Ans dem nunmehrigen deutschen R e ich s l a n d e Elsaß ') rich¬ tete der Gesammt-Clerus — die Zahl der Unterschriften betragt 797 — i» Frankenthal, der verletzten Station der Pfälzischen Bahn vor Worms, gegossen. Der erste Guß mißlang; der zweite ging zwar (November 1873) glücklicher von statten, aber die Glocke gab doch den gewünschten Ton nicht. Ihr Klang am Kaiser- gebnrtstage (22. März 1877), an welchem sie zum ersten Male mit den Glocken der anderen Kirchen zusammentönte,"war kein harmonischer. Das zwischen Deutschland und Frankreich vereinbarte Protokoll, betreffend die Feststellung der Diöcesan-Grcnzeu zwischen Deutschland und Frankreich hat das Datum vom 7. Octob'w 1874. Bereits mittelst zweier Constistorialdccrete vom IO. und 14. Juli d. I. hatte die römische Curie die Bisthüiuer Straßburg und Metz von der Kirchenprovinz Besannen abgelvst und dieselben für exenipt erklärt. ') Bis zum I. October 1872 währte die sogenannte Optionsfrist, innerhalb welcher sich die Elsäßcr und Lothringer für Frankreich oder Deutschland entscheiden konnten. Wer damals noch nicht nach Frankreich nusgewandert war, wurde fortan als deutscher Unterthan angesehen und behandelt. 318 I Thcil. I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. eine Adresse an den deutschen Kaiser, worin derselbe seiner Besorgnis; über einige, die dortigen bisherigen katholischen Einrichtnngen bedro¬ hende Maßregeln der neuen Beamten bezüglich der Volksschulen, Wohl- thätigkeitsanstalten und deren bisherige Leiter aus dem Ordensstande und barmherzigen Schwestern Ausdruck gibt, und um Abhilfe bittet. Der Bischof Dr. R a e ß vou Straßburg selbst begab sich anfangs November an das kaiserliche Hoslager nach Berlin. Ans die Adresse erfolgte erst am 25. März 1872 eine nicht befriedigende Antwort des Oberpräsidenten von Moller. Der Bischof wurde zwar vom Kaiser wohlwollend empfangen, aber von einem Resultate verlautete nichts. Ein Schreiben des Cardinals Antonelli au den Bischof von Straßburg, ticko. 3. Jänner 1872, gab Veranlassung zu dein irrigen Gerüchte, der Papst habe das Cvncordat vom Jahre 1801 für die nun nicht mehr französischen Provinzen Elsaß und Lothringen als nicht mehr verbindlich gekündet. Neber Antrag des baierischen Cnltusmiuisters von Lutz beschloß der zweite deutsche Reichstag in Berlin mit 179 gegen 108 Stimmen nachstehendes Gesetz, welches Kaiser Wilhelm I. am 10. December 187l sanctivnirte: Einziger Artikel. „Hinter 8 >30 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich wird folgender neue K 130 u eingestellt: Ein Geist¬ licher oder anderer Religivnsdiener, welcher in Ausübung oder in Ver¬ anlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschen¬ menge, oder welcher in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise, zum Gegenstände einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis; oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft." Dies der Wortlaut des sogenannten „Lntz'schcn Strafparagraphen". Die Verkündigung des neuen Gesetzes erfolgte am 14. December. Daß die Spitze desselben zunächst gegen den katholischen Episkopat und Clerns') gekehrt sei, kann Niemandem entgehen. Es fehlte nicht an Männern im deutschen Reichstage — zumal war es die sogenannte Ccntrnmsfraction — welche das Unwürdige, Gehässige eines solchen Ansnahmsgesetzes, unter welches man ') Ausgenommen sind freilich auch die protestantischen Geistlichen nicht. Europa. Z 16. Einiges aus dem geeinigten Deutschland. 319 den Clerus stellen wolle, sowie dessen Widerspruch mit den zur Schau getragenen liberalen und freiheitlichen Principien beleuchteten — z. B. der Bischof von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler, Peter R eiche n s p e r g e r, l)r. W i n d t h o r st, Freiherr von M a l t- zahn, Freiherr von Bl a ll i n ek r o dt, Freiherr von A r e t i n n. A. Im baden'schen Landtage wurde noch eine Verschärfung des Lntz'- schen Strafparagraphen eingebracht. War früher wirklich die Lage der katholischen Kirche in Preußen eine verhältnißmäßig günstigere, und bewegte sic sich freier, als irgend wo sonst in einem deutschen Lande, so sollte es nun im geeinigten Deutschland anders werden. Wir lassen hier die Worte eines Protestanten folgen: „Mit einem Male — der Friede war soeben in Frankreich unterzeichnet — erschollen Kriegsgerichte auf der ganzen Linie der inspirirtcn, der vffieiös an¬ gehauchten Presse. „Schon wieder Krieg!" seufzen die Einen. „Kampf gegen Rom!" jubeln die Anderen. Bald bringen selbst die offieiösen Blätter förmliche Kriegsartikel: Rom habe seit lange dem modernen Staate den Krieg erklärt, es sei der geschworene Feind auch aller frei¬ heitlichen und nationalen Entwicklung in Deutschland. Die nltramvntane Partei leiste diesen Bestrebungen offenbar Vorschub; ihr Gebühren werde mehr und mehr zu einer öffentlichen Gefahr; es gelte ihnen, es gelte den Ausschreitungen der römischen Kirche endlich ein Ziel zu setzen. Ja, die Stunde der Abrechnung, so hallt es wieder in der liberalen, und selbst eonservativen Presse, sei nun gekommen." (vr. Friedrich Fabri, „Staat und Kirche" S. 59 und 60). Als Hauptziel schwebte hiebei dem deutschen Reichskanzler nach vollbrachter politischer Einigung auch die kirchliche Einigung Deutschlands vor — eine deutsche N at i v n al kir ch e. Und hiezu bot die „alt"katholische Bewegung sich ihm allerdings als treffliche Bundesgenvssin dar. Anstatt des nach Paris übersetzten Grafen A r n i m, der einstweilen auch im Namen des norddeutschen Bundes — den baierischen Ge¬ sandten, Graf Tauffkirchen, vertrat, wvllte Fürst Bismarck den Cardinal Gustav Fürst Hohenlohe als deutschen Bot¬ schafter am Vatiean aecreditiren. Der hl. Vater, welcher das Schreiben des Cardinals am 26. April bcantwvrtete, verweigerte laut Note Antv nelli's vom 2. Mai die Genehmigung, indem er dieses „delikate und 320 I. Theil. I. Hnnptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath Kirche. wichtige" Amt eines Cardinals mit seiner Stellung als Mitglied des hl. Collegiums, zumal bei den gcgeuwürtigeu Umständen des hl. Stuhles, für unvereinbar finde. Bi s m a r ck fühlte sich durch die Ablehuuug ver¬ letzt. Deunvch eutschied er sich uvch für die Beibehaltung des Bot- schafterpvstens beim Papste. (Reichstags-Sitzung vom 14. Mai.) Mit Urkunde, düo. 28. April 1872, verfügte der deutsche Kaiser, „daß die durch eine glanzende Vergangenheit ausgezeichnete hohe Schule zu Straßburg in ihrer früheren einheitlichen Gestaltung als Universität wieder ins Leben trete." Die feierliche Einweihung der neuen Universität erfolgte unter reger Theilnahme aus Deutschland auch Deutsch- Oesterreich — am l. Mai. Vertreten waren 29 Universitäten. Für die katholische theologische Faeultät war bisher au der neuen Stra߬ burger Universität noch kein Platz. Au der neuen Straßburger Universität gab es pro 1874/1875 81 Professoren, darunter aber nur drei Katholiken; die übrigen 78 Pro¬ testanten obwohl die Bevölkerung des Landes zu fünf Sechsthcilen katholisch ist. ') Allgemeines Interesse wandte sich den Debatten in der dritten deutschen Reichstagssessivn zu Berlin über die Jesuiten zu. Es lagen 55 Petitionen gegen, 1392 Petitionen für die Jesuiten vor. Die ersten Verhandlungen hatten statt am 15. und 16. Mai. Mit 205 gegen 84 Stimmen ging (23.) der Antrag durch, die Re¬ gierung aufzufordern, „einen Gesetzentwurf vvrzulegen, welcher auf Grund des Einganges und des Artikels I V, Nr. 13 und 16 der Reichs- Verfassung, die rechtliche Stellung der religiösen Orden, Cvngregativnen nnd Genossenschafteil, die Frage ihrer Zulassung und deren Bedingungen regelt, so wie die staatsgefährliche Thätigkeit derselben, nainentlich der Gesellschaft Jesu, unter Strafe stellt". In die eigentliche Berathung des Gesetzentwurfes ging der Reichstag in der 43. Sitzung am 14. Juni ein. Gegen den Gesetzentwurf, und für die Jesuiten sprachen damals von Mallinckrodt ausgezeichnet; Windthorst, der Pole von N i e g o lew s ki, Graf B a ll e stre in. Mit 183 gegen 101 Stimmen wurde bei der zweiten Lesung (17. Juni), bei der dritten Berathung 9 Zinn crstcu Male nach dein Kriege behlchte Kaiser Wil Hel in Elsaß Ende September 187g. Europa. 8 16. Einiges aus dem goeiuigtcu Deutschland. 321 am I!l. Juni in der 48. Sitzung über mit 181 Stimmen gegen 93, der Gesetzentwurf in nachstehender Fassung angenvmmen: „8 1. Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden und ordens¬ ähnlichen Congregativnen sind vom Gebiete des deutschen Reiches aus¬ geschlossen. Die Errichtung von Niederlassungen derselben ist untersagt. Die zur Zeit bestehenden Niederlassungen sind binnen einer vom Bundes- rathe zu bestimmenden Frist, welche sechs Monate nicht übersteigen darf, aufznlösen. 8 2. Die Angehörigen des Ordens der Gesellschaft Jesu, oder der ihm verwandten Orden oder vrdensähnlichen Congregativnen können, wenn sie Ausländer sind, ans dem Bundesgebiete nusgewiesen werden; wenn sie Inländer sind, kann ihnen der Aufenthalt in be¬ stimmten Bezirken oder Orten versagt vder angewiesen werden, 8 3. Die znr Ausführung und zur Sicherstellung des Vollzuges dieses Gesetzes erforderlichen Anordnungen werden vom Bundesrathe erlassen/ Die Ueberschrift des Gesetzes lautet: „Gesetzentwurf, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu." Gegen das Gesetz hatten am 19. Juni unter Anderen noch die beiden ausgezeichneten Brüder Reichensperger gesprochen, und so¬ gar die Juden Lasker, Bamberger und Wvlffson, und ein paar Liberale bezeichneten dasselbe als eine Anomalie, wenn nicht geradezu als Schmach für eine freisinnig sein wollende Regierung. Einige enthielten sich der Abstimmung. Alle für das Gesetz Sprechenden betonten den Standpunkt der „Nvthwehr", in welcher sich der Staat gegenüber der, vom Jesuiten¬ orden beherrschten (?) katholischen Kirche befinde. Nicht die katholische Kirche als solche, sondern nur den in ihr zur Herrschaft gelangten jesuitischen staatsgesährlichen Geist (?) bekämpfe der Staat um seiner eigenen Existenz willen. Ob wohl alle diese Redner selbst an das von ihnen Gesagte ob sie an das vermeintliche Gespenst glaubten? In der nämlichen Sitzung am !9. Juni wurde die Resolution des I)r. Völk welche die Einführung der obligatorischen Civilehe und der Eivilstandsregister verlangte, mit 151 gegen 100 Stimmen angenvmmen. Auch hiebei lautete die Motivirung aus „Nvthwehr". Un- mittelbar darnach wurde der Reichstag geschlossen. Als Curivsnm möge gelten, daß beim Reichstag eine Petition aus Brandenburg eiugegangeu war, des Inhaltes, „daß die Güter und das Vermögen der auszuweisenden Jesuiten von Staatswegen evnfiseirt, St episch» egg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 21 322 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. und die Verbreiter der Unfehlbarkeitslehre mit Zucht- Haus bis zu z e h n J a h r eu b e straft werden sollen." (!) Der Bundesrath nahm das „Jesnitengesetz" in der Fassung des Reichstages au. In den von demselben am 28. Juni beschlossenen Aus- führungsbestimmungen zum Gesetze heißt es in Punkt I: „Da der Orden der Gesellschaft Jesu vom Gebiete des deutschen Reiches aus¬ geschlossen ist, so ist den Angehörigen dieses Ordens die Ausübung einer Ordensthätigkeit, insbesondere in Kirche und Schule, wie die Ab¬ haltung von Missionen nicht zu gestatten." Es handelte sich nur mehr nm die Sanetion des Kaisers, und zwar mit der Ausdehnung des Gesetzes auch auf Elsaß und Lothringen. Eine Deputation katholischer Notablen aus Aachen, Bonn, Coblenz, Essen und Köln beim Kaiser in Ems zu Gunsten der Jesuiten richtete nichts aus. Die kaiserliche Sanetion erfolgte: Bad Ems, den 4. Juli 1872; die Bekanntmachung der Ausführungsbestimmungen aber durch den Reichskanzler Fürsten Bismarck am 5. Juli. Ein Gesetz vom 8. Juli dehnte das Jesnitengesetz wirklich auch auf Elsaß und Loth¬ ringen aus. Sv war denn das zweite Ausnahmsgesetz gegenüber Dienern der katholischen Kirche zu Stande gekommen im geeinigten Deutschland! Die Maßregeln der deutschen Regierung gegen die Jesuiten riefen nicht nur eine feierliche Verwahrung der Katholiken im Elsaß, und des erwähnten jüngst eonstituirten Vereines der Katholiken Deutschlands, ckcko. Mainz 8. Juli, sondern auch iu England einen Protest der da¬ selbst seit einem Jahre bestehenden „katholischen Union" unter dem Vor¬ sitze des Herzogs von Norfolk hervor. Aufgelassen wurden alsbald die Jesuiten-Congregationen in Schrim, (Provinz Posen) wo den Jesuiten sogar jede einfach p r i e st e rliche, nicht seelsvrgliche Thätigkeit, z. B. das Messelesen, untersagt wurde (dieses aber daun bei verschlossenen Thüren wieder gestattet); in Pader¬ born, Münster, Köln, Bonn; ferner in Mainz. In Mainz wurde den Jesuiten (14. August) ein gleiches Verbot intimirt. Sie legten, wie in Schrim, dawider Protest ein, weil ihnen die „seelsorgliche Thätigkeit" an der Pfarrkirche St. Christoph vom Bischöfe anvertraut worden war. Auch der Bischof protestirte in zwei entschiedenen Schreiben an das großherzvgliche Ministerium, ckcko. 13. uud 15. August dawider. Die Bitte, die Ausführung der verfügten Europa, tz 16. Einiges aus dem geeinigten Deutschland. .823 Maßregel wegen des Feiertages (15. August) um einige Stunden zu verschieben, wurde abgeschlagen. — Ein bischöfliches Hirteuschreibeu an die Diöeesanen legte denselben die Sachlage dar. Die Niederlassung zu Maria Laach mußte bis zum I. Jänner 1873 geschlossen sein. Der westphälische Adel gab den vertriebenen Vätern der Gesell¬ schaft Jesu in einer Adresse. 66». 31. Juli 1872, ein ehrenvolles Zenguiß. 74 Namen ans den ersten Familien des Landes sind unter¬ schrieben. In Essen gab die Austreibung der Jesuiten (22. August) Anlaß zu Tumulten Seitens der hiedurch aufgeregten Bewohner. Militärmacht stellte die Ruhe wieder her. Hie und da wurde wirklich in sehr harter Weise gegen die Jesuiten verfahren. So z. B. mußte I'. Michael Zöller das Haus seines eige¬ nen Vaters in Seligenstadt, wo er Zuflucht suchte, binnen drei Tagen verlassen. Neuere ministerielle Verfügungen zur Ausführung des Reichs¬ gesetzes vvm 4. Juli 1872, respective des preußischen Gesetzes vom 31. Mai 1875, welches im Prineip alle Orden anfhvb, erfolgten in Preußen unterm 26. Juni 1875. Auch den Redemtoristcn in Trier wurde die Missivnsthütigkeit behördlich untersagt. Niederländische Adelige boten den vertriebenen Jesuiten auf ihren Gütern ein Asyl an. Auf Verlangen der Preußischen Regierung unter¬ sagte ihnen die holländische die Aufnahme. Die katholische „Volkszeitung" von Baltimore veröffentlichte ein Beileidschreiben des Erzbischofs von San Franeiseo in Californien und seines Clerus „an unsere hvchwürdigen Brüder, die verfolgten Ordens- Priester im deutschen Reiche." „ Bezeichnend für den Standpunkt und die Tendenz des deutschen Reichskanzlers, Fürsten Bismarck, ist die Antwort, welche er ans eine Zustimmnngsadresse zn seinem Vorgehen gegen die katholische Kirche dem Vertreter mehrerer Engländer, Arthur K i n n a ird, Mitglied des englischen Unterhauses, ertheilte (September I872>. Er spricht darin vvm Kampfe, „welcher nns gegen den Willen nnd die Erwartungen der deutschen Regierungen aufgenöthiget wurde". Aehnlich Minister Falk am 27. Deeember 1872 in seiner Antwort 21* 324 l. Theil. I. Hauplstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. auf eine eben solche Zustimmnngsadresse von Mitgliedern der Brann schweiger Landesversammlnng. Ob und intvieferne bei der Zusammenkunft der drei Kaiser (von Oesterreich, Rußland und Deutschland) zu Berlin in den ersten SeP tembertagen l872 auch kirchliche Angelegenheiten, zumal die sogenannte „römische Frage" Gegenstand gemeinsamer Besprechungen und Abma¬ chungen waren, ist nicht coustatirt. st Die kirchlichen Verhältnisse im neuen deutschen Reiche, welche sich immer mehr zu verwirren drohten, machten es den zu Fulda versam¬ melten Erzbischöfen und Bischöfen Deutschlands wohl zur Pflicht, sich darüber ansznsprechcn. Sie thaten es in der „Denkschrift der am Grabe des hl. Bonifaeins versammelten Erzbischöfe und Bischöfe über die gegen¬ wärtige Lage der katholischen Kirche im deutschen Reiche". Mit würde voller Ruhe, aber auch mit apostolischem Freimnthe beleuchten sie, daß „die katholische Kirche in Deutschland Völker- und staatsrechtlich aner¬ kannt ist, und in ihrer ganzen Integrität zu Recht besteht. An diesen Rechtsverhältnissen haben die wichtigen Ereignisse der letzten Jahre, welche die Stiftung des deutschen Reiches zur Folge hatten, und hat die Errichtung dieses Reiches selbst nicht das mindeste geändert." - Bischöfe, Priester und Gläubige haben sich stets, zumal auch in dem letzten Kriege als loyal bewährt. „Nichts dcstomeniger wurden schon während des Krieges aus gewissen Kreisen Stimmen laut, welche die Katholiken der Reichsfeindlichkeit und Vaterlandslosigkeit beschuldigten, und kaum war der Sieg errungen und der Friede geschlossen, als mau immer drohender hören konnte: nachdem der äußere Feind überwunden sei, gelte es nun einen noch schlimmeren inneren Feind zu besiegen, den Jesuitismns, Ultramontanismus, Katholicismus; nun müsse der Krieg gegen Rom begonnen und rasch zu Ende geführt werden." Es wird der der katholischen Centrumsfraetivn gemachte Vorwurf der Reichs¬ feindlichkeit abgefertigech dann die einzelnen gegen die katholische Kirche jüngst verfügten Maßregeln in ihrer Widerrechtlichkeit und Unbilligkeit ge¬ schildert. Dabei kommen auch das Recht der Excommunieation (diesfalls erklären sich die Bischöfe solidarisch einverstanden mit dem, was Bischof Krementz von Ermland gethan. „Wir würden im gleichen Falle uns das gleiche Recht nicht bestreiten lassen können.")' das Jesuiten - AuS- ') Wir cmpfchlen das Schristchcn: „Fürst Bismarck und die Drci-Kaiser- Znsammcnknnft" von Ad. Dechainps, belgischer Staatsminister. Europa. Z 16. Einiges aus dem geeinigten Deutschland. Z25 Weisungsgesetz; die Schmälerung, ja allmälige gänzliche Beseitigung des Einflusses der Kirche auf die Schulen; sdas nnchristliche Prineip der Staats-Omnipotenz; der ungerechte nnd kränkende Vorwurf der Reichs feindlichkeit nnd der Staatsgefährlichkeit der katholischen Kirche; das „vaticanische Deeret über den Primat und dessen Lehramt", durch welche eben „die katholische Kirche staatsgefährlich geworden sei", zur Sprache. Die Bischöfe sagen es offen und bündig, was sie „kraft der Freiheit und Selbständigkeit der katholischen Kirche in Deutschland als sein nn bestreitbares Recht derselben in Anspruch nehmen und schließen: „Die hier von uns ausgesprochenen Grundsätze werden immerdar die Richt schnür unseres Handelns sein, und wir erachten uns verpflichtet, dafür jedes Opfer, auch das schwerste, zu bringen, denn es sind die Grund¬ sätze, die unser göttlicher Lehrmeister selbst gelehrt, der gesagt hat: „Gebet dein Kaiser, was des Kaisers, und gebet Gott, was Gottes ist." Fulda, 20. September 1872. Unterzeichnet sind: Paulus, Erzbischof von Köln. Gregor, Erzbischof von München - Freising. Michael, Erzbischof von Bam¬ berg. Heinrich, Fürstbischof von Breslau. Andreas, Bischof von Straßburg. Peter Josef, Bischof von Limburg. Christoph Flo¬ rentius, Bischof von Fulda. Wilhelm Emmanuel, Bischof von Mainz. Ludwig, Bischof von Leontvpolis und apostolischer Vicar im Königreiche Sachsen. Conrad, Bischof von Paderborn. J o h a n- ues, Bischof von Kulm. Ignatius, Bischof von Regensburg. Pau- erat ins, Bischof vou Augsburg. Mathias, Bischof von Trier. Leopold, Bischof von Eichstädt. L o t h a r, Bischof von Leuea i. p. i., Verweser der Erzdiöeese Freiburg. Adolf, Bischof von Agathopvlis i. p. i. Carl Josef, Bischof von Rottenburg. Johann Bernard, Bischof von Münster. Johannes Valentin, Bischof von Würz¬ burg. W i l he l m us, Bischof von Hildesheim. D a n i e l B v n i f a c i us, Bischof von Speier. Hoppe, Domcapitular, in Vertretung des Bischofs Philippus von Ermeland. Nachträglich (weil in Fulda nicht selbst anwesend) sind obiger Denkschrift noch beigetreten: Heinrich, Bischof von Passau. Johannes Heinrich, Bischof von Osnabrück. Eine Erklärung gegen diese Denkschrift ließ die Commission des Kölner Altkatholiken-Congrcsses im October 1872 vom Stappel. Unter¬ zeichnet sind: l)r. von Schulte, Professor der Rechte. Or. Fried¬ rich, Professor der Theologie, vr. R e u s ch, Professor der Theologie. 326 I. Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. I)r. Michelis, Professor der Philosophie. Wülffi n g, Ober-Regie- rungsrath. Dr. H a s en e l e v er, Snnitätsrath. Di. M naßen, Pro¬ fessor der Rechte. Andererseits aber richteten der Erzbischof von Westminster, Heinrich Eduard Mnnning und die übrigen katholischen Bischöfe Englands (zehn, Liverpool war vaeant) eine Zustimmungsadresse ekt«. ,Maria Opferung" an die deutschen Bischöfe ob ihrer Denkschrift. „Ihr habt, sagen sie, als wahrhafte Hirten und nicht Miethlinge — ohne Furcht vor Gefahr und Drohungen, kühn und laut den Warnnngsruf er¬ hoben." Wie schon erzählt (H 8), gab die päpstliche Allocution vom 23. De- eember 1872 den Vorwand zur noch heftigeren Befehdung der katho tischen Kirche. „Der heftige Schmerz, der Uns — sagte der Papst — ob dieser und anderer der Kirche in Italien überall zugefügten Unbilden auf's Tiefste erschüttert, wird überdies nicht wenig vergrößert durch die schonungslosen Verfolgungen, denen sie auch anderwärts ausgesetzt ist; hauptsächlich aber im neuen deutschen Reiche, wo man nicht nur durch geheime Umtriebe, sondern auch mit offener Gewalt dahin arbeitet, sie von Grund aus zu zerstören. Selbst Männer, die nicht nur nicht un¬ seren hl. Glauben bekennen, sondern ihn nicht einmal kennen, nehmen für sich die Gewalt in Anspruch, über Glaubenssätze und Rechte der katholischen Kirche zu entscheiden. ') lind während sie dieselbe rncksichts los mißhandeln, nehmen sie keinen Anstand, ohne Scheu zu behaupten, es werde ihr von ihnen durchaus kein Leid zugefügt; ja sogar der Unbill Verleumdung und Verhöhnung zufügeud, scheuen sie sich nicht, die Katholiken der Urheberschaft dieser heftigen Verfolgung zu zeihen, weil ihre Oberhirteu und der Clerns im Vereine mit dem gläubigen Volke sich weigern, die Gesetze und Verordnungen der bürgerlichen Ge¬ walt den heiligsten Gesetzen Gottes und der Kirche vorzuziehen, und deshalb von ihrer religiösen Pflicht abzufallen. Möchten doch die Lenker der öffentlichen Angelegenheiten durch die tägliche Erfahrung belehrt, endlich zur Einsicht kommen, daß Niemand von ihren Untergebenen gewissenhafter dem Kaiser gibt, was des Kai- ') Was ist's denn anders, wenn der Protestant Minister Falk entscheidet, das; inan trotz der Verwerfung der vatieanischcn Glanbensdecrcte noch Katholik bleibe? Man sollte meinen, ein akatholischcr Minister werde sich nm eine so innere Angelegenheit der katholischen Kirche gar nicht kümmern. Europa. Z 16. Einiges aus dem geeinigten Deutschland. 327 sers ist, als die Katholiken, hauptsächlich deshalb, weil sie sich ja auch gewissenhaft bestreben, Gott zu geben, was Gottes ist." Wo kommt hier ein Wort vor, welches als persönliche Beleidigung des Kaisers Wilhelm gedeutet werden könnte? Das neue deutsche Reich ließ sich, nachdem Cardinal Hohen¬ lohe als Gesandter vom Papste nicht acceptirt worden, durch einen Legati ons-Secretär, Lieutenant Namens Stumm, bei der Curie vertreten. Dieser erhielt nun den Befehl, am 31. December schon von Rom abzureisen, um bei der Neujahrs-Vorstellung im Vatiean bereits durch seine Abwesenheit zu glänzen. Angesichts der zum Theile bereits in's Werk gesetzten, zum Theile vvrbereitetcu Maßregelungen der Katholiken in Deutschland veröffentlichte der Bischof von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Kettel er, Einer der Führer der sv arg verdächtigten sogenannten Centrnms-Fraction, in der Broschüre: „Die Katholiken im deutschen Reich" den Entwurf eines politischen Programmes, welches alle obaugedeuteten Verdächtigungen einer feindlichen Gesinnung gegen das neue deutsche Reich Lügen straft. Denn schon der erste der dreizehn Programmspunkte lautet: „Rückhaltslose Anerkennung der deutschen Rcichsgewalt innerhalb der Grenzen ihres jetzigen Rcchtsbestandcs." Wohl fordert Punkt IV, daß „die christliche Religion sowohl im Reiche, als in den einzelnen Staaten bei allen Einrichtungen, welche mit der Neligivnsübnng im Zusammenhänge stehen," zu Grunde gelegt werde, aber „unbeschadet der Religionsfreiheit". Im deutschen Reichslande Elsaß-Lothringen griff die Regierung nicht minder strenge ein, nachdem das sogenannte „Jesuitengesetz" vom 4. Juli l872 auf dort ebenfalls ausgedehnt worden war. Die so¬ genannte lex Init'/.inua wurde wiederholt in Ausübung gebracht. Ans den Schulen verdrängte man die Schulbrüder; die Schullehrer-Se- miuarieu änderte man zu confessionell gemischten Anstalten um mit prvtestautischeu Vorständen; bildete die ganze obere Schulbehörde ans Protestanten. — . Dem Bischöfe von Straßburg wurde, wie erzählt, bald ein Seminar geschlossen. Der Generalvicar von Straßburg, Rapp, erhielt, weil Vorstand eines mißliebigen Vereines, nämlich jenes zur „Wahrung der katholischen Interessen" den Befehl, das Reichsland binnen 48 Stunden zu verlassen. (Mürz 1873.) Ueber die Frage: „Welche Orden und ordensähnlichen Congrega- tionen als dem Orden der Gesellschaft Jesu verwandt anzuschen seien?" 328 I- Theil. 1. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. äußerte sich der Ausschuß für Justizwesen (29. April !873) dahin, daß dies von nachfolgenden Genossenschaften gelte: der Redemtoristen; der Lazaristen; der Priester vom hl. Geiste (0<>u«roMtio Zaneti Spi¬ ritus sul) tutolu iminuonluti oorclis I>. Vir-sims Alnrino) und der Gesellschaft vom hl. Herzen Jesu (dlooieto <1u d-uero Ooour cle .losus); demzufolge die in der Bekanntmachung vom 5. Juli 1872, betreffend die Ausführung des Gesetzes über den Orden der Gesellschaft Jesn er¬ lassenen Vorschriften auch auf die vorgenannten Genossenschaften urit der Maßgabe Anwendung zu finden haben, daß Niederlassungen dieser Genossenschaften spätestens binnen sechs Monaten vom Tage der Be¬ kanntmachung dieses Beschlusses au, aufzulvseu sind. In längeren Ausführungen suchte der Bericht des Bnndesraths- Ausschusses für Justizwcsen die Verwandtschaft der vvrbenannten vier Congregationen mit dein Jesuitenorden darzuthnn. Der Bundesrath nahm diese Anträge am 13. Mai einstimmig an. Am 23. Mai wurde die Bekanntmachung über diese vier Congre- gationen im Reichsgesetzblatte veröffentlicht. Sie ist vom Reichskanzler- Fürsten Bismarck unterfertiget und hat das Datum: 20. Mai. Der Bundesrath hatte nämlich in der Sitzung vom 22. Februar beschlossen, die Bundesregierungen, sowie bezüglich Elsaß-Lothringens, den Reichskanzler- zu ersuchen, nähere Mittheilungen über mehrere speeiell benannte Genossenschaften und überhaupt über die iu ihren Gebieten vorhandenen Orden und ordensähnlichen Congregationen, an den Vun- desrath gelangen zu lassen, um zu entscheiden, ob sie etwa auch mit dem Jesuitenorden verwandt seien? Zn derr Merkmalen des Jesuitenordens wurden aber gerechnet: 1. Das Streben der Herstellung einer „geistlichen Nniversal- herrschaft". 2. Die straffste „Ceutralisation" aller Kräfte zu obigem Zwecke. 3. Der Wirkungskreis des Ordens über die in Provinzen ein- getheilte ganze Erde. ') Nun ging es frisch an das Aufräumen mit den geächteten Con- gregativnen; z. B. mit jener der Redemtvristen in dem sehr besuchten Wallfahrtsorte Bvrnhofen bei Wiesbaden. Dafür, daß den Maßregelungen der katholischen Kirche in Deutsch- ') Mehreres hierüber iin „Archiv für katholisches Kirchenrecht", IK73, Heft 5. Europa. Z 16. Einiges aus dem geeinigten Deutschland. 329 land auch der Nimbus wissenschaftlicher Begründung nicht fehle, sorgte die zn Kassel am 13. und 14. Angnst tagende Conferenz deutscher Kirchenrechtslehrer. Unter Anderem waren zugegen: Dove aus Göt tiugen, Hin sch ins aus Berlin, Maser ans Rostock, Groß aus Graz, von Schulte aus Boun. Alle ihre Beschlüsse hatten eigentlich nur den Sinn: der Staat ist omnipotent; die katholische Kirche existirt nur ans seinen Gnaden, und hat nur insoweit Rechte, als sie ihr der Staat einränmen will. Deshalb ist er aber auch jederzeit befugt, sie nach Gutdünken zu beschränken oder ganz zurückzuziehen. Dem Reichskanzler Fürsten Bismarck war es darum zu thuu, die sogenannten Preußischen Maigesetze, und zwar in verschärfter Form, auch in den übrigen deutschen Staaten zur Geltung zu bringen. Im Namen der preußischen Regierung wurde daher am 24. Februar 1874 dem Bnndesrathe der „Entwurf eines Gesetzes, betreffend die aus dem Amte entlassenen oder wegen unbefugter Vornahme von Amts¬ handlungen bestraften Kirchendiener" zur Annahme — nebst Motiven vvrgelegt. Derselbe handelt vom Verluste der Staatsangehörigkeit und von der Beschränkung des Aufenthaltes; auf wen dies Anwendung finde; spricht endlich von dem Verfahren wider die der Staatsangehörig¬ keit für verlustig erklärten Kirchendiener. Sogar Baiern stimmte für den Gesetzentwurf, obwohl baierische Abgeordnete im deutschen Reichstage in einer Jmmediat-Eingabe, ckcko. 4. März, den König gebeten hatten, den Befehl zn ertheilen, daß dieser neue Eingriff in seine Souveränitätsrechte fern gehalten werde. Die erste Lesung des Gesetzes, betreffend die Verhinderung unbe¬ fugter (?!) Ausübung von Kirchenämtern hatte im Reichstage am 21. April statt. Für das Gesetz sprach unter Anderen anch vr. von Schulte. Dagegen Reichens Perg er (Olpe) und Andere. Die zweite Lesung begann am 23. April. Wider das Gesetz trat zumal Windthorst auf, auch I ö r g aus Baieru. Die Fortsetzung uud der Schluß erfolgte am nächsten Tage.. Die Sanetivn des oberwähnten Gesetzes durch den deutschen Kaiser Wilhelm „nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages" geschah in Berlin den 4. Mai 1874. Es enthält fünf Paragraphe. In der Sitzung des deutschen Reichstages vom 24. März begann die erste Berathung des von den Abgeordneten H i n s chius und Völk 330 I. Thcil. I. Hauptstuck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. vvrgelegten Gesetzentwurfes über die Beurkundung des Per¬ sone n st a n d e s und die Form der E h e s chließu n g. Gegen die Civilehe sprach unter Anderen Westermayer, katholischer Pfarrer ans München, während Dr. von Schulte die obligatorische Civilehe befürwortete. Bei der zweiten Berathnng am 26. März verfocht ins besondere Domeapitular I)r. Moufang ans Mainz den katholischen Standpunkt. Am 27. redeten wieder die beiden Letztgenannten, über dies von Windthorst dagegen und Andere. Das Gesetz wurde im Ganzen am selben Tage noch angenommen. Am 26. April hatte Kaiser Wilhelm in Person den Reichstag geschlossen. Der von diesem angenommene Entwurf eines Reichs-Civil- ehegesetzes war von den Bundesregierungen, respeetive dem Vundesrathe, abgelehnt worden — blieb also noch der nächsten Session Vorbehalten. Der Bischof von Mainz, Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler, erklärte im Ausschreiben, ckcko. l 9. August, daß die Katholiken sich nicht füglich an der von Preußen ausgehenden sogenannten Sedanfeier am 2. September 1874 betheiligen können, weil diese Feier nicht vom gesummten deutschen Volke, sondern hauptsächlich von einer Partei aus gehe, welche sich fälschlich als Vertreterin des deutschen Volkes gebende, und an der Spitze des Kampfes gegen das Christenthum und gegen die katholische Kirche stehe; — ferner auch deshalb nicht, weil so eben das katholische Deutschland für das Attentat eines verkommenen, närri scheu Menschen (nämlich des Eduard Kull mann) mitverantwortlich gemacht wvrdeu ist. Wohl unterliege die Abhaltung eines Bittamtes keinem Anstande, „daß uns Gott die innere Einheit wiedergebe, ohne welche die äußere Einheit nur ein leerer Schein ist." Es war vvrauszusehcn, daß sich im ganzen liberalen Lager Deutsch¬ lands darüber ein gewaltiges Geschimpfe erheben werde. In der Reichstagssitzung vom 4. Deeember 1874 zeigte ein Schreiben des Reichskanzlers Fürsten Bismarck im Namen des Kai¬ sers Wilhelm I. und in Folge Bundesrathsbeschlnsses an, daß der Ausgabeposten für den Gesandten beim päpstlichen Stuhle (53. I OO Mark) eingestellt sei, also der Gesandtschaftspvstcn daselbst aushvre. Am nächsten Tage ließ sich Fürst Bismarck selbst in der Reichstagssitznng dar¬ über des Weiteren aus, nachdem der Abgeordnete W i n d t h orst unter Anderem gesagt: „Wenn man glaubt, daß durch die Zurückziehung des Gesandtschaftspostens in Rom die Katholiken in Deutschland sich vom Europa. Z 16. Einiges aus dem geeinigten Deutschland. 331 päpstlichen Stichle entwöhnen würden, so irrt inan sich." Wieder be¬ hauptete der Reichskanzler, nicht die Regierung, sondern der Papst habe den jetzigen Kampf provoeirt. Ihm erwiderte der Abgeordnete R c i ch e n s P c r g er (Crefeld) auch damit, „daß die Aufhebung der Gesandtschaft beim Papste bei den Kathv liken zwar schmerzliche Erregung zur Folge haben wird; die Zahl der Katholiken wird aber durch diesen Schritt nicht vermindert werden, der iinr ein Schritt weiter in dem sogenannten Cutturkampfe ist. - Es handelt sich um die Frage, ob das Einzelgcwissen in dem Staats¬ gewisfen schlechthin anfgehen soll." Am 12. Jänner 1875 begann in der neuen Session des Reichs¬ tages in Berlin wieder die Berathnng des Civilehegesetzcs. Dagegen sprach zumal vr. Jorg aus Baiern; dafür unter Anderen vr. Bölk ans Augsburg. Der Versuch des baierischen Jnstizministers von Fünstle, die Einführung der obligatorischen Civilehe sogar mit dem baierischen Conevrdate in Einklang zu bringen, konnte freilich nicht gelingen. Die zweite Lesung fand am l4. Jänner statt; die Debatte darüber wurde fortgesetzt am 15., 16. (dagegen sprach zumal I)r. Westermayer, Stadtpfarrer in München) am 18. und I!). Da wurde auch H 79 an¬ genommen, welcher besagt, daß die kirchlichen Verpflichtungen bezüglich der Trauungen und Taufen durch das vorliegende Gesetz nicht berührt werden. Abgeordneter I)r. Wester map er nannte diesen Para graph „eine Oase, hineingeschneit in die Wüste" des cvnfessionslvsen Ehegcsetzes, und „ein Zeichen von Rene über das, was man in Preußen gcthan hat", gegen welche Anschauung der Abgeordnete Or. Fried¬ berg sich erhob. In der Schlußsitzung am 25. Jänner nahm der Reichstag das Civilehegesetz mit 207 gegen 72 Stimmen an. Im Bnndesrathe haben d.gwider die protestantischen Staaten: Sachsen, Mecklenburg, Oldenburg, Braunschweig und mehrere thürin¬ gische Staaten heftige Opposition gemacht, während Baiern so stimmte, daß die dortigen Katholiken mit Grund betrübt waren. Gegen eine Minderheit von 14 Stimmen nahm am 4. Februar auch der Bnndes- rath das Neichs-Civilehegcsetz an. Es wurde mit dem Datum 6. Februar veröffentlicht. Eine königlich Preußische Verordnung, ckcka. 4. Februar, führte den dritten Abschnitt des Reichs-Civilehegesetzes, betreffend die Erfor 332 I. Theil. I, Hauptstnck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. deruissc der Eheschließung, und den 8 H desselben, betreffend die Auf¬ hebung der Ehescheidung von Tisch und Bett (nn deren Stelle, wenn lebenslänglich, auf die völlige Trennung des Ehebandes gerichtlich er kannt wird) bereits mit dem I. März 1875 in Preußen ein.') Sämmtliche deutsche Bischöfe hoben bezüglich des mit I. Jänner 1876 in Kraft tretenden Reichs-Civilehegesetzes hervor, daß die Gläu¬ bigen die vom Gesetze geforderte staatliche Form einhalten mögen, aber nicht aus dem Auge verlieren sollen, daß sich das Saerament von der Ehe nicht trennen lasse; die eheliche Verbindung aber nur erst daun den saerameutalen Charakter erhalte, wenn sie nach der von der Kirche vorgeschriebenen Form geschlossen wird. „Jede andere Form der Ehe¬ schließung mache die Brautleute nicht zu wahren christlichen Eheleuten." (Sv z. B. wörtlich das bischöfliche Ordinariat Rottenburg im Erlaß vom 12. November 1875.) Anläßlich der schon erwähnten Cirenlardepesche des deutschen Reichs¬ kanzlers, Fürsten Bismarck, Rio. 14. Mai 1872, hinsichtlich der künftigen Papstwahl, veröffentlichte der deutsche Episkopat eine „Cvllectiv- Erkläruug", worin derselbe vorerst die Voraussetzung, „daß durch das vatieanische Cvncil und seine beiden wichtigsten Bestimmungen über die Unfehlbarkeit und die Jurisdiction des Papstes die Stellung des letzteren auch den Regierungen gegenüber gänzlich verändert sei", gründlichst widerlegt, und nachweist, wie unrichtig derlei Behauptungen seien, als: „die bischöfliche Jurisdiction ist in der päpstlichen anfgegangen"; „der Papst ist im Princip an die Stelle jedes einzelnen Bischofs getreten"; „die Bischöfe sind nur noch des Papstes Werkzeuge, seine Beamten ohne eigene Verantwortlichkeit"; „sie sind den Regierungen gegenüber Beamte eines fremden Svnveräns geworden, und zwar eines Souveräns, der vermöge seiner Unfehlbarkeit ein vollkommen absoluter ist, mehr als irgend ein absoluter Monarch der Welt" u. dergl. Zum Schlüsse sagen die Bischöfe: „Indem wir durch gegenwärtige ') Es verdient bemerkt zu werden, daß der preußische Staatsminister vr. Delbrück nur 28. Februar sich civil, am I. März aber kirchlich trauen ließ. Seine Verehelichung zeigte er aber mit folgenden Worten au: „Berlin, 1. Mürz 1874. Der Unterzeichnete beehrt sich, seine heute erfolgte Verbindung mit der verwitweten Frau Elise von Dycke, gebornen von Pommer-Esche, ganz ergebenst anzuzeigcn." Der Mi ui st er schien also selbst seine Civiltraunug zu igno- rircn und seine wirkliche Verehelichung erst von der kirchlichen Traunng an zu datiren. Europa, ß 16. Einiges aus dein geeinigten Deutschland. ZZZ Erklärung die in der Circnlardepesche des Herrn Reichskanzlers ent haltenen unrichtigen Darstellungen der katholischen Lehre berichtigen, ist es keineswegs unsere Absicht, aus die weiteren Ausführungen der Depesche in Betreff der künftigen Papstwahl näher einzugehen. Wir fühlen uns aber verpflichtet, gegen den damit versuchten Angriff auf die Vvlle Freiheit und Unabhängigkeit des Oberhauptes der katholischen Kirche laut und feierlich Einspruch zu erheben, indem wir zugleich be¬ merken, daß über die Giltigkeit der Papstwahl jederzeit nur die Auto¬ rität der Kirche zu entscheiden hat, deren Entscheidung jeder Katholik, Ivie in allen Ländern, so auch in Deutschland rückhaltlos sich unter¬ werfen wird." Unterzeichnet sind, und zwar „im Monate Jänner" l875: der Erzbischof von Köln, der Fürstbischof von Breslau; die Bischöfe von Straßburg, si Limburg, Mainz, Paderborn, Cnlm, Trier, Osnabrück, der Erzbisthnmsverweser von Freiburg und Bischof von Leuea i. i., die Bischöfe von Ermeland, Rottcnburg, Münster, Hildesheim, und der Bisthnmsvcrweser von Fulda. „Im Monate Februar" 1875: der Erzbischof von München Freising; die Bischöfe von Passau, Regensburg, Augsburg, Eichstädt, Würzburg, Speier und der Capitnlar-Vicar von Bamberg. Mit Breve vom 2. März an die deutschen Bischöfe billigte der Papst diese Collectiv-Erklärung derselben, und zugleich ihre Interpre¬ tation der vatieanischen Cvneilsbeschlüsse. Auch die „Katholiken Deutschlands" richteten eine Adresse au den hl. Vater, welche durch irgend eine Indiskretion schon früher in der „Frankfurter Zeitung" erschien, als sie in die Hände des Papstes ge¬ langte. In derselben versicherten die Unterfertigten das Oberhaupt der Kirche ihrer unwandelbaren Treue und Ergebenheit, und sagen, eben mit Hindcntung auf das erwähnte Circularschreiben Bismarck' 8: „Als rechtmäßigen Papst werden wir allezeit Denjenigen und nur Den¬ jenigen anerkennen, welcher nach den kanonischen Vorschriften ans den hl. Stuhl Petri erhoben wird." Am l5. August 1875 wurde bei Detmold auf der sogenannten „Grottenburg", einem der höchsten Berge des Osuing, in Gegenwart des Kaisers Wilhelm die Einweihung des Hermanns- fArminius-) ') Der Bischof von Metz unterzeichnete mir deshalb nicht, weil er der deutschen Sprache unkundig ist. 334 I Theil. 1. Haaptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Denkmals in feierlicher Weise vollzogen. Auch bei dieser Veranlassung enthielten sich einige „culturkämpserische" Redner und Blätter nicht, die Katholiken zu verletzen, indem sie die Niederlage der alten Römer im Teutvburgerwalde mit dem von ihnen gewünschten gleichen Schicksale des römischen Papstthums in Verbindung brachten. Abermals wurde der deutsche Reichstag in Berlin am 27. October 1875 eröffnet. Fürst Bismarck wußte es durchzusetzeu, daß der bei der zweiten Berathung mit vier Stimmen Mehrheit abgelehnte verschärfte „KanzelParagraph" (8 131 n der Strafgesetz-Novelle) unmittel¬ bar vor dem Schluffe des Reichstages — am 10. Februar 1876 — in dritter Lesung mit 173 gegen 162 Stimmen angenommen wurde, worüber Bismarck seine große Freude ausdrückte. Der Reichstagsschluß erfolgte am 22. December 1876. Die neuen Wahlen in den Reichstag thaten in einer selbst die Liberalen verblüffen¬ den Weise dar, welche erschreckenden Fortschritte der Socialismus ge¬ macht habe; denn eine Menge Socialdemokrate» erhielt wenigstens sehr viele Stimmen. Am 22. Februar 1877 eröffnete Kaiser Wilhelm wieder den deutschen Reichstag, ohne in seiner Rede des Verhältnisses zur Kirche auch nur mit einer Silbe zu erwähnen. Sein Besuch von Elsaß und Lothringen Anfangs Akai begegnete wider Erwarten sympathischen Ova¬ tionen. Leider brannte in Folge der Illumination die Bedachung des schönen Domes von Metz ab, wobei auch das Innere des Domes Schaden litt (7. Mai). 17. weiterer Verlauf des fogrununtcu Altkatholicismus in und außerhalb Ncutschlands. Durch die Wahl eines eigenen altkaiholischen Bischofs vollendete die neue Refvrmbewegung, die sich Altkathvlieismus benannt wissen will, ihre Trennung von der römisch-katholischen Kirche und lehnte selbst jede weitere Gemeinschaft mit dieser ab. Sehen ja die Altkatholiken nur sich als die der ursprünglichen katholischen Lehre und Verfassung Treuge¬ bliebenen an und hat nach ihrer Behauptung der Abfall davon nicht ans ihrer, sondern nur auf Seite Derjenigen stattgefunden, die sich dem vaticanischen Decrete über die Jnfallibilität und den Universal- Episkvpat des Papstes unterwarfen, s!) Europa. A 17. Weiterer Verlauf des sogenannten Altkatholicismus. Z.35 In der auf die Bischofswahl bezüglichen Bekanntmachung im „Deutschen Mercur" hatte Professor I)r. von Schulte zu Bonn als zweiter Vorsitzender der altkatholischen Synodal-Repräsentanz gesagt, daß die Altkatholiken nun „das Werk der Cvnsolidirnng ihrer kirchlichen Verhältnisse vollendet haben". Unter Einem theilte k)r. von Schulte die Namen der am 4. Juni in Köln gewählten Mitglieder der Synodal-Repräsentanz mit. Es sind: die geistlichen Professoren I)r. Knv v dt und Ne lisch in Bonn; die Laien Sanitätsrath lv. Hasen clever in Düsseldorf, Appellations¬ rath Rottals in Köln und I)r. von Schulte selbst, welch' Letzterer von den vorerwähnten und dem erwählten Bischöfe zum zweiten Vor¬ stande gewählt wurde. Durch Cooptativn nahmen sie noch die geistlichen Professoren vr. Friedrich und Dr. M ich e lis und die Laien-Prv- fessoren Cornelius in München und Gengler in Erlangen als Mitglieder ans. Die Conseeration des l)r. Hubert Reinkens nahm zugleich mit jener des Jansenisten-Bischvfes Caspar Johann R i n k el von Harlem der jansenistische Bischof Hermann H e y k a m p von Deventer am 11. August in der St. Laurentiuskirche zu Rotterdam vor. ') In seinem ersten Hirtenschreibcn clcka. I I. Angnst, das mit den Wvrten beginnt: „Josef Hubert Reinkens, katholischer Bischof, den im alten katholischen Glauben verharrenden Priestern und Laien des deutschen Reiches Gruß in den: Herrn", bespricht Bischof Reinkens zuerst die Lage der Altkathvliken. Vom bischöflichen Amte sagt Rein¬ kens, dasselbe sei kein persönliches Privilegium zur Bevorzugung we¬ niger Auserwählten, sondern ein Dienst für die Gläubigen. Die Weise seiner Wahl, ohne päpstliche Bestätigung, sei nur eine scheinbar neue; in Wirklichkeit aber die „alte, unterdrückte, die apostolische, wahrhaft kirchliche" — weil durch Clergs und Volk vollzogen. Ueber den Papst und die ihm „als ihrem Herrn" dienenden Bischöfe wird wacker los- gedvnnert. „Wäre Pas canvnische Recht im Bewußtsein der Gläubigen noch, in voller Kraft, heißt es weiter, so würde die Anschauung Ein¬ zelner sich allgemein Bahn brechen, daß der apostolische Stuhl zu Rom jetzt nicht besetzt sei, da ein in der Irrlehre hartnäckig beharrender Papst >) Jin December 1874 wurde derselbe zum jansenistischen Erzbischof von Utrecht gewählt. Zum Nachfolger als jansenistischen Bischof von Deventer erhielt er 1875 Diepcndahl. 33l> I. Theil. I. Hanptstiick. Erlebnisse und Schicksal,: der knth. Kirche. als abgesetzt zu erachten sei." ') Zu dem Amte des Bischofes gehöre auch, zum Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit zu ermahnen, nm des Herrn willen, des Gewissens wegen. Ein Bischof, welcher das nicht thue, wird znm Berräther an seinem Amte. — Selbstverständlich sollen dies kleine Seitenhiebe ans die katholischen Bischöfe, zumal in Preußen sein, zugleich aber uck captomlam bouevolontium der Regierung dienen. Interessant ist, daß selbst die protestantische „Berliner Krenzzeitung" nicht mir mit dem dortigen katholischen Blatte „Germania" in dem ungünstigen Urtheile über vr. Reinkens' Hirtenbrief übereinstimmt, sondern sogar im sogenannten Altkathvlieismus eine Art „katholischen Protestantenvereins", ein „Rongethum" der Gebildeten erblickt. In einem speeiellcn Falle entschied das königlich preußische Ober tribunal am 24. Mai l873, daß die Altkathvliken auf den Schutz vollen Anspruch haben, welchen das Gesetz der katholischen Kirche ge¬ währt, weil sie nicht eher aus dieser als ansgeschieden zu betrachten seien, ehe sie nicht selbst ihren Austritt erklärt hätten. Aehnlich entschied das badische Oberhofgericht am l 6. Juni 1873, daß nämlich die sogenannten Altkathvliken (vor dem staatlichen Forum) uoch Katholiken seien und daß ihren Gottesdienst anzugreifen unter ss l66 des Reichsstrafgesetzbuches falle. Der bäurische oberste Gerichtshof aber schien ans einer Ent¬ scheidung zu schließen — zur Zeit die katholische Kirche ans beiden Richtungen (Infallibilisten und Nichtinfallibilisten) z n s a m m e n g e s etzt sich zu denken. In Oesterreich entschied auch in einem speeiellen Falle — der k. k. oberste Gerichtshof unterm 29. April 1873, daß die Beschimpfung eines Seelsorgers der sogenannten Altkathvliken während seiner Function zwar wohl den Thatbestand einer als U e b e r t r c t n n g zu ahndenden Ehrend elcidigung , aber nicht jenen des Vergehens der Belei¬ digung einer gesetzlich a n erka n n t en K irch e o d er Religions- gesellschaft nach § 303 des Strafgesetzbuches begründe. Am 9. September — Geburtstag des Grvßherzogs - hatte Bischof Dr. Reinkens in Freiburg einen Festgvttesdienst gehalten. Den Inhalt ') Reinkens meint die JnsallibililiitS-Erklürnng nnd den llniversal-Epi- skopat des Papstes, wodurch die „göttlich geordnete Verfassung der Nirchc definitiv vernichtet" wurde. Europa. Z 17. Weiterer Verlauf des sogenannte» Mtkatholicismus. 337 seiner Predigt bildete zunächst wieder der unbedingte Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit. Den Altkathvliken - Congreß zu Cvnstanz eröffnete am t2. Sep¬ tember 1873 der erste Präsident vr. von Schulte. Außer den deut¬ schen Koriphäen der altkatholischen Bewegung trafen als Gäste nach die Professoren der evangelischen Theologie Holtzmann aus Heidel¬ berg und Heidenheim ans Zürich, Oberpriester Wasiljew aus St. Petersburg, der anglicanische Bischof von Albany in Nord-Amerika, der Calviner lü. äs Uro88sn8ö u. A. ein. Herr Loyson (Expater Hyacinth) durfte selbstverständlich nicht fehlen. Die eigentliche D e l e g irte n - Versammlung schloß schon am 13. September. Abends Festessen, woran auch Damen Theil nahmen. Tags darauf war altkatholische Volksversammlung. Bei der zweiten, nachmittägigen Versammlung am 14. September erlaubte sich I)r. Völk aus Augsburg Ausfälle auf die französische Nation, wes¬ halb cts 1Y-S886N86 und Loyson den Saal verließen. Der Erstere ließ sich über dieses Intermezzo im „äournnl äv8 Debüts empfind¬ lich aus. Die staatliche Anerkennung des Bischofs Dr. Rsinkens Seitens der königlich preußischen Regierung erfolgte am 19. September. In der bezüglichen kaiserlichen Urkunde heißt cs: „Wir Wilhelm. . . . befehlen Unseren Oberpräsidenten, Prä¬ sidenten und Landesevllegiis, wie auch allen und jeden Unserer Va¬ sallen und Unterthanen, weß' Namens, Standes (also etwa auch den römisch-katholischen Bischöfen?), Würden und Wesens sie sein mögen, hicmit so gnädig als ernstlich, daß sie gedachten Josef Hubert Rein kens als katholischen Bischof anerkennen und achten, auch den¬ selben alles Dasjenige, was an Ehren und Würden, Nutzung und an¬ deren Vvrtheilen von seinem Amte abhängig, dazu gehörig oder sonst erforderlich sein mag, geruhig, vollkommen und ohne Jemandes Ein¬ spruch besitzen, haben und genießen lassen, bei Vermeidung Unserer könig¬ lichen Ungnade und schwerer unausbleiblicher Ahndung; jedoch alles Uns und Unseren königlichen und vberlandesfnrstlichen Gerechtsamen in alleweg unbeschadet." So hatte denn vr. Rsinkens auf Allerhöchsten Befehl als „ka¬ tholischer" Bischof zu gelten. Der deutsche Nationalbischof war fertig. Als solcher wurde vr. Rei« kens am 7. October in Stepischncgg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 22 338 I. Theil. l. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Berlin vom Cultnsministcr in Pflicht und Eid genommen. Als Zeugen fungirten dabei von kirchlicher Seite der exeommunieirte Domeapitular von Breslau Freiherr von Richthofen, I)r. Elvenich, die Pro¬ fessoren I)r. Knoodt, I)r. Weber, Or. Schmölzers und der Snnitätsrath I)r. Hasenelever. Der Kultusminister vr. Falk betonte in seiner Ansprache die Staatsfreuudlichkeit des neuen Bischofs, dem also nnd den Altkatholiken auch der Staat helfen, müsse. I)r. Re in¬ tens hingegen versprach in seinem Eide alles um sv unverbrüchlicher zu halten, „als ich gewiß bin (sagte er), daß mich mein Bischofsamt zu nichts verpflichtet, was den: Eid der Treue und Unterthänigkcit gegen Se. königliche Majestät, sowie dem des Gehorsams gegen die Laudes¬ gesetze entgegen sein kann". Idr. Reinkens konnte es sich nicht versagen, nach seiner Ver¬ eidigung, nach welcher ihm obige Anerkennungsurkunde ausgefolgt wurde, im Sitzungssaals des Cultusministeriums wieder einen Seitenhieb auf die römisch-katholischen Bischöfe Preußens zu führen, auf „Diejenigen — dies waren im wesentlichen seine Worte — welche berufen find, das Volk zu belehren über die heilige Pflicht des Gehorsams gegen die Obrigkeit nnd ihre Gesetze, aber die Massen aufregen und mit Abnei¬ gung gegen diese Pflicht erfüllen." Gewiß ein wenig apostolisches Ge- bahren dieses lieblose Hindeuten auf Andere und dabei Hervorhcben seiner eigenen Loyalität! Dem neuen „deutschen" Bischöfe zu Ehren gab nun der Kultus¬ minister vr. Falk ein Festdinö, an welchem sich auch die übrigen Minister, außer jenem des Ackerbaues, betheiligten. Bei Gelegenheit der Provineialversammlung der westphälischeu „Alt"katholikeu zu Dortmund am lO. Oetober, wo I)r. Reinkens predigte, kam cs bald zu Ruhestörungen. Am 13. November 1873 feierte I)r. von Döllinger in Mün¬ chen sein dreißigjähriges Jubiläum als Professor. Auch der deutsche Kaiser Wilhelm zeichnete ihn aus, und zwar durch Verleihung des rvthen Adlerordens II. Classe mit dem Sterne. Mit welchen Gefühlen mag wohl der greise Mann diesen Orden empfangen haben, Er, der früher fast durch ein halbes Jahrhundert der Vcrtheidigung der rö¬ misch-katholischen Kirche, ja auch des Papstthums, seine Talente nnd Feder gewidmet hatte! König Ludwig von Baiern selbst beehrte den Jubilar mit einem Europa. Z 17. Weiterer Verlauf des sogeuamiteu Altkatholicisuius. 339 Gratnlativnsschreibcn cläo. Hohenschwangau, 12. November. Ebenso der Stadtmagistrat München äüo. 13. November. Im Etat des preußischen Kultusministeriums wurden für den neuen „alt"katholischen Bischof Ur. Reinkens jährliche 16.000 Thaler ein¬ gestellt, welchen Ansgabspvsten das Abgeordnetenhaus in der Sitzung vom 29. Jänner 1874 genehmigte. Für obigen Ansatz Plaidirte ins¬ besondere der Abgeordnete Petri, selbst Altkathvlik; dagegen hatte Ab¬ geordneter R e ich e n s P e r g e r gesprochen, auch Abgeordneter von Ni a l- linckrvdt. Nun! diese apostolische Armuth im Gegensätze zum vom Herrn Ur. Reinkens in seinem ersten Hirtenschreiben so scharf gezeichneten und gegeißelten Luxus der römisch-katholischen — in Preußen meist mit 8000 — nnr die beiden Erzbischöfe von Köln und Posen und der Fürstbischof von Breslau beziehen 12.000 Thaler — aus einge¬ zogenem Kirchengut dotirten Bischöfe, wird sich wohl ertragen lassen! Und daß ein Staatsbischvf denn doch von der Regierung besser bedacht sein müsse, als ein staatsgefährlicher, begreift sich am Ende nicht schwer! Nachdem Ur. I. H. Reinkens auch im Großhcrzvgthnme Baden durch Staatsministcrial - Entschließung vom 9. November als „katho¬ lischer" (?) Bischof anerkannt worden war, nahm ihm der Präsident des großherzvglich badischen Staatsministeriums, Ur. Jolly, am 22. No¬ vember den Eid ab und übergab ihm sodann die landesherrliche Aner¬ kennungs-Urkunde. Unter Anderen assistirten hiebei Ur. von Schulte und Professor Knvvdt von Bonn. Mittelst Urkunde «läo. 15. December erkannte auch der Groß- Herzog von Hessen Darmstadt den Ur. Josef Hubert Reinkens als „katholischen" (?) Bischof an, unbeschadet aller landesherrlichen Ober- Hoheits- und Oberaufsichtsrechte. Die baicrische Regierung aber wies (im April 1874) das Gesuch der altkatholischen Synvdal-Repräsentanz cläo. 23. Oetober 1873 um Anerkennung des Ur. Reinkens als Bischof der Altkatholiken ab, mit der Motiviruug, daß sie dies im Verwaltungsweg zu thun nicht be¬ rechtiget sei, sondern, daß es hiezu eines Gesetzes, und zwar eines Ver¬ fassungsgesetzes bedürfe. — Wider dieses baicrische Rcchtsgutachten ver¬ öffentlichte Professor Ur. I. R. von Schulte im „Deutschen Mercur" (Organ der Altkatholiken) eine beleidigende Kritik. — In der Sitzung 22* 340 4- Theil. 1. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. vom 3. Juli lehnte die baicrische Abgeordnetenkammer deu Antrag des 4)r. Völk auf Bewilligung von 7500 Gulden zur Dotation altkathv- lischer Seelsorger ab. Einen fatalen Streich spielte den „Alt"kathvliken Einer der Ihrigen nnd zwar l)r. Friedrich Maaßen, Professor des eanonischen Rechtes in Wien. In der „Kreuzzeitung" veröffentlichte er eine Erklärung tttto. 26. December l873 über seine Stellung zu der kirchenpolitischen Gesetz¬ gebung in Preußen, worin er sich feierlich gegen jede Solidarität mit den dem Hirtenbriefe und dem Eide des Bischofs Reinkens zu Grunde liegeudeu Maximen verwahrt. „R e i n k e n s habe sich nicht auf die Maigesetze verpflichten dürfen, selbst nicht auf die Gefahr hin einer Verweigerung seiner staatlichen Anerkennung, weil so mit jenen Gesetzen an die Stelle des unfehlbaren Papstes der unfehlbare Staat trete." Bereits in Constanz wurde beschlossen, Speeialcommissionen für die Unionsverhandlnngen einzusetzen. Eine constituirte sich für die Be¬ ziehungen zur anglicanischen Kirche und zu deu Protestanten mit Or. I. vou Döllinger als Vorsitzenden; die anderen für die Bezie¬ hungen zur russischen Kirche. In der Nacht vom 6. auf den 7. Februar verschied zu Bonn der Professor der Theologie I)r. B. I. Hilgers, einer der Hauptführer der Altkatholiken. vr. Reinkens celebrirte für ihn eine Messe in der Kirchhofscapelle zu Bonn, als die „Alt"katholikcu am 21. Februar die¬ selbe in Besitz nahmen. Der Ausschuß der Altkatholiken Baierns reichte nnterm 24. März 1874 beim königlichen Staatsministerium der Justiz eine an den König adressirte Petition ein, worin er um die Einführung der obligatorischen Civilehe bat. (!) Wohin der sogenannte Altkatholicismns steuere, verrietst der nun¬ mehrige Herr Loys v n (?. H h a c i n t h) in Genf, st Nach dem „St. Gatter Tageblatt" setzte er folgende Pnnktativnen auf: Der gestimmte Gottesdienst, Blesse re., in der Landessprache. Das Abendmahl unter beiden Gestalten. Abschaffung der obligatorischen Ohrenbeichte. Verwerfung der Transsubstantiation. ') Ueber dessen nachherige Wandlungen siehe Schweiz Z 29. Europa. Z 17. Weiterer Verlauf des sogenannten Altkatholicismus. 341 Aufhebung des Cölibates der Geistlichen. Wahl der Geistlichen durch die Gemeinden. Das Fasten wird ganz freigestellt. Auch der altkatholische Abgeordnete Petri sprach im preußischen Landtage von einer nur „unsichtbaren" Kirche, als dem Endziele, „in der alle edlen Menschen (ohne Unterschied des Glaubens) Platz haben". — Dazu genügt wohl das Freimaurerthum; wozu also die Anstrengung? Das Ceutral-Comitv der Altkatholiken in Bern wandte sich au die hl. Synode in St. Petersburg mit dem Ansuchen um irgend eine Schrift, die als Handbuch zur Erlernung der Grundlehren der gräco- slavischen Kirche — behufs Anbahnung einer Wiedervereinigung — dienen konnte. Der hl. Synod schickte den vom verstorbenen Moskauer Metropoliten Phil ar et znsammengestellten Katechismus. Die Ver¬ einigung wird wohl ein frommer Wunsch bleiben — in einem Punkte sind die beiden Parteien ohnehin schon einig; nämlich in dem Hasse gegen Rom. Dabei wird es sein Bewenden haben. In Karlsruhe hatte die zweite Kammer durch ihre Commission das aus ihrer Initiative hervvrgegangene Gesetz über die Rechtsverhältnisse der sogenannten Altkatholiken einer nochmaligen Berathung unterzogen. Der dicsfällige, den Altkatholikcn durchwegs günstige Bericht bildete die Grundlage der am 12. Mai 1874 begonnenen Verhandlung der Kam¬ mern. In der Sitzung vom 14. Mai protestirte vor der Schlnßabstim- muug der Abgeordnete Lender im Namen der Katholiken gegen die Annahme des Gesetzes, welches wider d i e V e rf a s s n n g und die völkerrechtlichen Vertrüge verstosse. Nachdem der Staats¬ minister Jolly diesen Protest als bedeutungslos bezeichnet hatte, ver¬ ließen die katholischen (sogenannten ultramvutancn) Abgeordneten den Saal, worauf das Gesetz einstimmig angenommen wurde. Die erste Kammer aeceptirte das sogenannte Altkathvlikeugesetz in der Fassung der zweiten Kammer mit allen gegen drei Stimmen. Die vom Grvßherzvg signirten Gesetze, die Rechtsverhältnisse der Altkathvliken betreffend, haben das Datum 15. Juni und 27. Juni 1874. Die Eröffnung der ersten „alt"katholischen Synode erfolgte am 27. Mai 1874 zn Bonn durch „Bischof" Or. Reiukcns, unter An¬ wesenheit von 28 Geistlichen. 57 Delegirte von Gemeinden waren an gemeldet. Der Schluß erfolgte am 29. 342 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Unter Anderem wurde in Bezug auf die Beichte festgestellt, daß sie im Allgemeinen beizubehalten, jedoch nicht vor jeder Kommunion nothwendig sei; auch sei die Erfüllung des Gebotes über die österliche Beicht und Commnnion nicht zu eontrvliren und dürfen kirchliche Ceu- suren wegen Unterlassung derselben nicht statthaben. Bei Abschluß von gemischten Ehen sei von einem Versprechen bezüglich der Kindererziehnng abzusehen; das Fasten soll dem Belieben der Einzelnen überlassen bleiben; die lateinische Sprache des Rituale sei, so viel thunlich, durch die deutsche zu ersetzen u. dergl. Das sind also die Katholiken, die auf dem Boden vor dem l8. Juli 1870 stehen! Wie bereits erwähnt, hatten die niederen Justizbehörden in Oester¬ reich die vor dem ehemaligen Seelsorger der Wiener Altkatholiken- Gemeinde (Alois Anton) geschlossenen Ehen für staatlich ungiltig er¬ klärt. Ueber Recurs der Betheiligten bestätigte der oberste Gerichtshof vollinhaltlich jene Entscheidungen (Juni 1874), da die altkathvlische Gemeinde nicht staatlich anerkannt ist, und demnach deren Seelsorger nicht als ordentlicher Seelsorger im Sinne des Gesetzes angesehen wer¬ den könne. Es sollen damals an 200 derlei Ehen gewesen sein. Ungeachtet die baierische Regierung die Anerkennung des altkatho¬ lischen Bischofs I)r. Reinke ns abgelehnt hatte, hinderte sie ihn doch nicht, die Firmung in Baiern auszuspenden. Der Kultusminister sagte freilich in der Abgeordnetenkammer am 14. Juli: Die Regierung könne eine solche Firmungsreise weder erlauben noch verhindern; sie sei nicht verpflichtet, ja nicht einmal berechtiget, der Kirche den weltlichen Arm zu einem Confliete zu leihen, der durch ein in Mißachtung des könig¬ lichen l'Iaoet proclamirtes neues Dogma entstanden sei. Am 28. Juli firmte Dr. Rsinkens in der Nieolaikirche zu München — gegen 20 Firmlinge. Dawider, daß „neuerdings ein sogenannter Bischof der fälschlich sogenannten Altkatholiken sich Jurisdietionsrcchte anmaße", rich¬ tete der Erzbischof von München-Freising unterm 31. Juli unmittelbar an den König selbst eine Protest-Vorstellung. Reinkens firmte auch in der Provinz Preußen. In Constanz setzten sich die sogenannten Altkatholiken bereits 1873 in den Besitz der Spitalskirche (wie schon erwähnt). In Heidelberg geschah zur Mitbenützung Aehnliches nut der Heiligengeistkirche. Sie wurde Polizeilich geöffnet, da der katholische Pfarrer die Herausgabe Europa. K 17. Weiterer Verlauf des sogenannten Altkathvlicismns. Z48 der Schlüssel verweigerte. In Passau übergab die fortschrittliche Stadt¬ vertretung den Altkathvliken kurzweg die hl. Geistkirche. Derlei deu sogenannten Altkathvliken znr M itb e n ü tz n n g kurz¬ weg überlassenen Kirchen gingen überall für die Katholiken verloren, weil dieselben zu Folge päpstlicher Entscheidung vvin 12. Mürz l873 durch jenen „saerilegischen Mitgebrauch" dein Jnterdiet verfallen. Vom 6. bis 9. September 1874 war der altkathvlische Jahres- Congreß zu Freiburg in Breisgau versammelt. Schon in der ersten Sitzung meldete der Präsident, I)r. von Schulte, daß ans vr. D ol- linger's Wunsch eine Cvnferenz vvn Vertretern der verschiedenen christlichen Confessivnen auf den 14. September nach Bvnn zusammen¬ berufen werde, wozu I)r. Döllinger selbst au hervorragende Mit¬ glieder Einladungen erlassen habe, nm zunächst über die dogmatischen Differenzen klar zu werden. Die Delegirten des Cougresses nahmen auch unter Anderem die Resolution an, laut welcher die Altkathvliken Theilnng verlangen in der Benützung und im Genuß der Pfründen, zu welchem Zwecke durch Ab¬ stimmung über die Annahme oder Nichtannahme der vaticanischen Coneils- beschlüsfe die Stärke der beiderseitigen Parteien zu cvustatireu sei. Als Reduer traten am 6. und an den folgenden Tagen außer dem Präsi¬ denten auf: Professor vr. Johannes Hube r aus München (gestorben 20. März 1879); Landammann Augustin Keller ans Aarau, dieser fanatische Feind der katholischen Kirche; Professor vr. Knoodt aus Bonn; Professor Or. Meßmer aus München; Professor I)r. Mi¬ chelis aus Braunsberg; Professor Or. H. Rensch aus Bonn; „Bischof" I)r. Reinkens u. A. Aus Mantua erschien und sprach der Marchese G u e r r i n i - G o n z a g a; ') aus England und Rußland ein Paar; aus Frankreich Abbä Michaud. Mehr oder minder war der Refrain aller Reden lein anderer, als: Nieder mit Rom! ') An eben diesen Marchese schrieb der altkatholische Bischof I)r. Reinkens eine Epistel, in welcher er sich alle Mühe gibt, geniäß den anderweitigen von Garibaldi unterstützten Bestrebungen, die italienische Regierung zur Aushebung der zu Gunsten des Papstes erlassenen Garantiegesetze zu vermögen. Darin sagt er unter Anderem: „Für Italiens Gesetzgebung kann der Papst nur der erste Landes¬ bischof sein, der den Landcsgesetzen Gehorsam schuldet, und für dessen internatio¬ nales Thun die italienische Staatsregiernng eine völkerrechtliche Verantwortung hat." 344 I. Theil. I. Hauptstnck. Erlebnisse nnd Schicksale der kath. Kirche. Die katholische Bevölkerung Freiburgs verhielt sich dem Kongresse gegenüber kühl. Am 1 l. November wurde an der Berner Universität die neue alt¬ katholische theologische Facnltät eröffnet. Profesfor Dr. Friedrich war aus München gekommen, nm ihr einstweilen auf die Beine zu helfen. Als Professoren traten auf daselbst außer dem Genannten die abgefallenen katholischen Priester Herzog, Hirsch Wälder nnd Görgens, und ans der Berner Jnristenfacnltät Gar eis (für das Kirchenrccht). Zuhörer gab es nenn, acht Schweizer und einen Polen. Statt des nach München zurückkehrenden Dr. Friedrich wurde von da der Laie, Dr. Philipp Wocker, als Professor der Kirchengeschichte requirirt. Der erste altkatholische Gottesdienst in Berlin hatte am 29. No¬ vember statt. Gemäß den Beschlüssen der Bonner Synode begannen — Anfangs 1875 — zuerst die „Alt"katholiken Badens (in Baden-Baden nnd Pforzheim) das Abendmahl zu empfangen ohne vorhergegangene Ohren¬ beichte, sondern nach dem allgemeinen Oonüteor — wie die Protestanten. (Das waren wieder Katholiken bis zum 18. Juli l87O!) Das Gleiche that der altkatholische Staatspfarrer zu Biel in der Schweiz. Er heirathete auch. Gegen die päpstliche Encyklika, ckcko. 5. Februar 1875, an die preußischen Erzbischöfe und Bischöfe veröffentlichte der altkatholische Bischof Dr. Reinke ns von Bonn aus einen sogenannten Hirten¬ brief, voll Servilismns gegen das in Preußen eben herrschende kirchen¬ politische System. Darin sagt er unter Anderem: Die Ermahnung der Apostel zum Gehorsam gegen die Staatsgcsetze sei „ohne jeden Vorbehalt geschehen"/ — Wie unrichtig dies sei, sicht jeder Urthcils- fähige leicht ein. Wenn die Apostel Gehorsam ohne Vorbehalt predigten, so hatten sie ja einen solchen selbst nicht geleistet, als man ihnen von „S t a ats"wegen verbot, von Christus zu reden; und eben so wenig hatten einen solchen Gehorsam die ersten Gläubigen bezeugt, als man ihnen wieder von „Gesetzes" wegen befahl, Chri¬ stum zu verlnugnen. — Waren dies nicht auch „Staatsgcsetze?" Wenn aber etwa doch Dr. Reinke» s selbst eine Grenze der Berechtigung von „Staatsgesetzen", wenn es sich nm Religion nnd Kirche handelt, zugcben mnß, wer zieht denn diese Grenze? Der Staat allein, ganz Europa. Z 17. Weiterer Verlauf des sogcnauuten Mkatholicismus. 845 nach eigenem Gutdünken und Belieben ? Ist das nicht von Seite des Staates wirklich Absolutismus, ja Gewisscnsbedrücknug; von Seite der Verfechter aber Servilismns? — Ungeachtet aller Anlockungen gab es in Preußen im Jänner 1875 nicht niehr als 17.674 sogenannte Altkatholiken. So viele zählt vr. von Schulte in seinem Verzeichnisse für die Kirchenvermögens-Com- Mission. Am 19. Mai 1875 eröffnete „Bischof" Reinkens die zweite „alt"katholische Synode zu Bonu, deren Schluß am 21. erfolgte, nach¬ dem noch beschlossen worden, eine von Reinkens verfaßte längere Ansprache au diejenigen katholischen Geistlichen zu richten, welche gleich den „Alt"katholiken das vatieanische Cvncil nicht anerkennen. (?) „Wir sind staatlich und kirchlich fest organisirt", ruft er ihnen zu.-„Tretet ein, Brüder, in dieses Haus und habet keine Furcht!" — Wie fortgeschritten bereits der „Alt"katholicismus sei, ersieht mau aus dem erschienenen „Katechismus", der manche nie von Katholiken nngezweifelte Wahrheit (z. B. die Ohrenbeichte, die Transsubstantiation u. s. w.) über Bord wirft, und aus dem neuen — durchweg deutschen — „Rituale". Unter Anderem ist daraus die Existenz eines „persön¬ lichen" Teufels verschwunden, und an seine Stelle die abstraete „Macht der Finsterniß" getreten. In den Bestimmungen über die Ehe ist wohl schon das ganze kirchliche Eherecht mit seinen dogmatischen Grundlagen — also das Sacrament der Ehe — dem Staate und seinem Civilehegesetzc (Neichsgesetz vom 6. Februar 1875) zum Opfer gebracht. Das Cölibatsgesctz geuirtc gewaltig hüben und drüben. Die vbcrwähnte zweite Bonner Synode beschloß: „Die Frage, ob verheirathete Geistliche als Seelsorger in altkatholischen Gemeinden sollen fnngiren dürfen, ist, so lange die. gegenwärtigen Verhältnisse nicht wesent¬ lich verändert sind, zu verneinen." Für die Beseitigung des Cvlibates plaidirte auch Dr. I. Fr. von Schulte in seiner Broschüre: „Der Cvlibatszwang und dessen Aufhebung" (1876). Selbst vr. F. von Reusche bemerkt hiezu in seiner diesbezüglichen Reccnsivn („Bonner theologisches Literaturblatt", Nr. 3 v. I. 1876): „Damit — nämlich mit der Aufhebung des Cöli- batsgesetzes - würde nach meiner Ueberzeugung der von den Alt- katholikcn unternommene Reformversnch bei dem Anfänge seines 346 I- Theil. Hcaiptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Endes a n g e k o m m c u sein." An derlei Bedenken kehrte sich z. B. vr. W a tterich, altkatholischer Priester und Professor zu Basel nicht. Er heirathete frischweg und schrieb hernach: „Die Ehe, ihr Ursprung, ihr Wesen und ihre Weihe". Eben in der Schweiz forderte (im Februar 1875) das „alt"kathv- lische Central - Comita zu Bern die „alt"katholischen Gemeinden nnd Vereine auf, ihre Delegirten für die demnächst abzuhaltende erste „schweizerische christkatholische National-Synode" bis zum 1. April zu ernennen. Auf der behufs Constituirung dieser Nationalsyuvde abgehaltenen Delegirten - Versammlung der liberalen Katholikenvereine der Schweiz fanden sämmtliche Tractanden Erledigung. Nur die Bischofswahl und vier Basler Anträge wurden ans die Herbstsynode verschoben. Die ersten zwei dieser Anträge betreffen die Cultnskleidung für die Geistlichen und die Liturgie in der Volkssprache. Antrag III lautet: „Die öffentliche Bußfeier, bestehend in der Gewissenserforschnng, dem allgemeinen Sündenbekenntniß, dem Rcnegebet und der Lossprechung ist zur Vor¬ bereitung auf die hl. Communion genügend." (Also von der Ohren¬ beichte keine Rede mehr. Auch vvrvatieanische Katholiken!) — An¬ trag IV: „Das Recht, in die Ehe zu treten, steht dem Geistlichen als solchem unveräußerlich frei." (Die heiratslustigen Nativnalgeistlicheu wurden also auf den Herbst vertröstet.) Die erste sogenannte „christkatholische Nativnalsynvde" der Schweiz fand am 14. Juni 1875 in Olten statt. Von 161 Abgeordneten waren 140 erschienen. Den wichtigsten Verhandlnngsgcgenstand bildete die Wahl des Synvdalrathes. Erstes Mitglied (im Ganzen neun) wurde der sattsam bekannte Klosterstürmer Augustin Keller aus Aargau; Pfarrer Herzog von Olten das siebente. Andere Tractanden, z. B. die Herausgabe eines Meßbuches in der Volkssprache, die Verfassung eines Rituals für die öffentlichen Beichtgebete, insbesondere auch die Bischofswahl, verschob man auf die Septembersitzung. Der am 31. August nnd I. September in Olten versammelt ge¬ wesene „Synodalrath der christkathvlischen Kirche der Schweiz" faßte selbstverständlich Beschlüsse ganz im obigen Geiste. Zu dessen Charak- terisirung genüge, nur zweier zu erwähnen: „Die erst im Jahre 1216 von der abendländischen vierten Lateransynode cingeführte Verpflichtung, wenigstens einmal des Jahres zu beichten (auch der Beichte als solcher Europa. Z 17. Weiterer Verlauf des sogenannten Mkatholicisinus. 347 überhaupt?) ist nicht obligatorisch", und: „Die Fähigkeit zur Beklei¬ dung geistlicher Amtsstellen ist nicht davon abhängig, ob der Priester verheirathct oder unverhcirathet sei." Auch die Synode des Cantons Bern zu Pruutrut (15. Oetober) schaffte beinahe einstimmig den Cölibat, die obligatorische Ohrenbeichte und — die Soutane, d. i. den Talar ab. Nach dem Zwcckessen folgte ein Ball. Ende Juli firmte der „alt"katholische Bischof Or. Reiukens im Großherzvgthum Baden, wo unter seinem Vorsitze zu Offenburg am 26. eine Versammlung der Vertreter der dortigen „alt"katholischen Gemeinden statt hatte, woran sich 56 Geistliche und Kirchenvorstände bctheiligten. Unter Anderem wurde daselbst beschlossen, das Land behufs eines festeren organischen Zusammenhanges in Bezirke zu theilen. In Oesterreich wollte die Sache der sogenannten Altkatholiken — wie wir bereits sahen — nicht vorwärts gehen. Niemand konnte sich für dieselbe so recht erwärmen. Ueber das von einigen Mitgliedern des Abgeordnetenhauses eiugebrachte, und von diesem genehmigte sogenannte Altkatholikengesetz beschloß der Ausschuß des Herrenhauses schon am 19. December 1875 zur Tagesordnung überzugehen, weil die gegen¬ wärtige Gesetzgebung für die in Frage stehende Angelegenheit vollkom¬ men ausreiche. Das Gleiche that das Plenum des Herrenhauses nach der zweiten Lesnng des erwähnten Gesetzes am 17. Jänner 1876, d. h. es wurde fallen gelassen. Wie von Bonn, so ging insbesondere auch von Breslau der erste Anschluß aus an Or. I. von Döllinger's Auftreten gegen das vatieanische Coucil. War ja der „altkathvlische Bischof" I)r. Rsin¬ kens selbst Mitglied der Breslauer theologischen Facultät. Im dor¬ tigen Domcapitel erklärte sich — wie schon gesagt - nnr Freiherr von Richthofen für den sogenannten Altkathvlicisinus. Er starb als Protestant. Ob der Altkatholicismns überhaupt sich davor wird bewahren können, auszumünden früher oder später in den Strom des Protestan¬ tismus, oder des uneingeschränkten Subjcetivismns? — Wohl nicht! Durch milde Beiträge, insbesondere auch fremder Kurgäste, brach¬ ten die Katholiken in Wiesbaden eine sehr schone Pfarrkirche zu Stande. Eine Verfügung des Kultusministers Or. Falk überlieferte sie brovi innnn dem dortigen Häuflein (3—400) sogenannter Altkatholiken zum Mitgebrauche, wodurch er, wie er gut wußte, es den Katholiken 348 I- Theil. I. Hanpistück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. — gegen 15.000 — unmöglich machte, sich ihrer, als einer nun execrir- ten Kirche, weiter zu bedienen. Es wird ja eben, wie in der Schweiz, dieses einfache Mittel angewendet, um die mit katholischem Gelde er¬ bauten Kirchen den Neuprotestanten in die Hände zu spielen. — Am 2. April 1876 hielt „Bischof" Or. Neinkens in der so wohlfeil erworbenen Kirche den erstell „altkatholischen" Gottesdienst ab. Seiner Predigt legte er die Textesworte (Joann. VIII, 46): „Welcher unter Euch kann mich einer Sünde zeihen?" zu Grunde. Der Herzog von Nassau (früherer, von den Preußen auch deposse- dirter Landesherr) ließ grvßmüthig den Katholiken Wiesbadens einen Raum in dem Parke des ihm noch gebliebenen sogenannten Schlößchens für die Abhaltung ihres Gottesdienstes anbieten. Aehnlich wurden die Katholiken anderwärts ihrer Kirchen ver¬ lustig. Ja, katholische Priester wurden zu mehrmonatlichem Gefängnis; verurtheilt, wenn sie aus den execrirten Kirchen die hl. Oele und das Sanctisfimum entfernten. (!) So in Reichenbach (28. April 1876) der katholische Pfarrer und fürstbischöfliche Commissär zu Schweidnitz wegen der Entfernung des Sanctissimum und der hl. Oele ans der Kirche zu Görlachsdorf vor dem Einzuge des „staatskathvlischen" Pfarrers zu sieben Monaten Gefängniß. Trotz alldem und alldem wollte der sogenannte Altkatholicismus nicht recht gedeihen, sogar in Berlin nicht. Die Zahl der dortigen selb¬ ständigen verheiratheten Gemeiudemitglieder betrug im April 1876 nur 60, wozu noch 45 unverheirathete und i57 Kinder kommen, unter letz¬ teren 39 im schulpflichtigen Alter, gegenüber mehr als 60.000 Römisch- katholischen. In der Schweiz genehmigte, zufolge Ansuchens des „Synvdalrathcs der christkatholischen Kirche der Schweiz" am 28. April 1876 der Bundesrath auf Grund der Nerfassungsbestimmungen der altkathvlischen Synode vom 14. Juni und 21. September 1874, Artikel XXI—XXV, die Errichtung eines Bisthums. Die in Olten versammelte Nativnal- synvde wühlte am 7. Juni 1876 den Pfarrer Herzog in Bern (geboren zu Schongau im Cautvu Luzern 1841 - iu Solothurn 1867 zum Priester geweiht) zum Nativual-„Bischof". Seine Conseerativn fand am 18. September zu Rheinfelden durch Or. Reinkens statt. In seinem sogenannten Hirtenschreiben suchte Herzog darzuthuu, daß seine Stellung eine vollkommen rechtmäßige Europa. Z 17. Weiterer Verlaus des sogenauutcu Altkatholicismus. Z49 sei. Er weiß von der Herrsch- und Habsucht der Päpste zu erzähle», und wie ihre Despotie schließlich durch die Verkündigung der Unfehl¬ barkeit und des Syllabus ihre Spitze erhalten habe u. s. w. Die schweizerischen Bischöfe fertigten in einer Gesammt-Erklürung das Pamphlet in gebührender Weise ab. Immerhin von Bedeutung ist, daß die Regierung von St. Gallen seine Anerkennung ablehnte. Wohl aber legte der Staatsrath des Clintons Genf dein dortigen großen Rathe an: 10. Oetober 1876 ein Gesetz vor, welches die katholischen (?) Gemeinden des Cantvns dem christ- katholischen (?) Bisthume der Schweiz unterstellt. Die förmliche An¬ erkennung erfolgte am 7. November. Im apostolischen Schreiben, ckclo. 6. December 1876, an die Bischöfe, den Clerus und das gläubige Volk der Schweiz erklärte der hl. Vater die Weihe des Herzog zum Bischof als s a e r i leg i sch, und sprach über ihn, wie über alle Helfershelfer die Excvmmunientivn und das Anathema aus. Bereits im September hatten sämmtliche schweizerische Bischöfe eine Erklärung wider das neue Schisma veröffentlicht, worin sie unter An¬ derem sagen: „Wer ist Derjenige, der, jede Rücksicht bei Seite legend, es gewagt hat, sich an die Spitze einer solchen Priesterschaar ') zu stellen? Wer ist in offenem Aufruhrs gegen die katholische Kirche viel weiter als alle Anderen gegangen? Wer scheute sich nicht, das verhäng- nißvolle Loos einer ganz nneanvnischen Bischvfswahl von der Hand eines vollmachtslvsen „Synvdalrathes" anzunehmen und die saerilegische Weihe durch den preußischen Schismatiker Reinkens am 18. Sep¬ tember zu Rheinfelden im Aargau über sich ergehen zu lassen? Dieser unglückliche Priester heißt Eduard Herzog, gebürtig von Schongau, Canton Luzern. Ebenso jung an Jahren, als arm an Demnth und kirchlicher Pflichttreue, hat er d.jesen Abfall von der katholischen Kirche vollzogen und ist zum Haupt des neueu Schisma geworden. Jhu trifft die Verurtheiluug, welche im dritten Jahrhunderte der hl. Märtirer Cyprian gegen Nvvatian und dessen Secte in den Worten füllte (5. 6)'pr. Upl. I, 44)" . . . n. s. w. Unterzeichnet ist auch „Eugen Lachat, Bischof von Basel" und Franz Fleury, Generalviear in ') Früher ist nämlich von den abtrünnigen, zumeist vom Anstande her be¬ rufenen, anrüchigen Priestern die Rede. 350 I. Theil. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Genf, für „Caspar Mermillvd, Bischof von Hebron, apostolischen Vicar von Genf". Die am 7. Jnni !876 zn Bonn eröffnete, am 8. Juni wieder geschlossene „dritte Synode der Altkathvliken des deutschen Reiches" lehnte vorläufig die Einführung der deutschen Sprache bei der Messe noch ab. Desgleichen die förmliche Aufhebung des Cölibatsgesetzes; doch sei die kirchliche Einsegnung einer Ehe, welche ein Geistlicher nach Auf- gebung seiner geistlichen Thätigkeit vor dem Standesbeamten abgeschlossen habe, nicht zu beanständigen. Dem neuen schweizerischen Bischof Herzog sandte die Synode telegraphischen „Brndcrgrnß". In diese Zeit fällt die Abfassung der Schrift Or. Reinkens': „Revolution und Kirche. Beantwortung einer Tagesfrage mit Rücksicht auf die gegenwärtige Tendenz und Praxis der römischen Curie." Der Inhalt derselben läßt sich schon aus den: Titel errathen, und läßt sich in dem bescheidenen Selbstlvbe zusammenfassen: Gott sei Dank! daß wir nicht solche Revolutionäre sind, wie die vaticanischen Bischöfe mit ihrem Papste. ') ') Im Werke „üüVIIamaxnu uux Rnillorias", welches bald nach Beendigung des französisch-deutschen Krieges erschien, erscheint auch Reinkens. In deutscher Bearbeitung vom jocialistischen Schriftsteller Bernhard Becker führt es den Titel: „Briefe deutscher Bettelpatrioten an Louis Napoleou". Reiukcus — damals Rector der Universität Breslau — hatte Diesem mit folgenden Werken gehuldigt: I. Religiöse Parabeln, 2. St. Hilarius von Poitiers, 3. St. Martin von Tours, 4. Geschichte der Universität Breslau. Ur. Reinkens verfaßte, schon als „Bischof": „Louise Hensel und ihre Lieder", in welcher Broschüre diese Convertitin nicht gar zart benrtheilt wird. „Es kann gar keine Frage sein", schreibt der Literarische Haudweiser" in Nr. 204 und 205 d. I. 1877, „daß die Dichterin schon vor mehr als 20 Jahren nicht wohl berathen war, als sie damals den jungen Breslauer Professor nnserkvr, auf Grund ihrer eigenen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen dereinst ihr Leben und insbesondere ,die Genesis ihrer Conversion zur katholischen Kirche' öffentlich darznstcllen. Denn wohl zu keiner Zeit wäre der Verfasser des süßlichen ,Sommerlinde^ ein glücklicher Interpret für Lieder gewesen, deren größter Vorzug in ihrer unvergleichlichen Schlichtheit und ergreifenden Unmittelbarkeit liegt. . . . So war ein Buch von Reinkens über Louise Hensel unter allen Umständen ein Unglück; jetzt y ist es ein Unrecht dazu." Wir registriren noch folgende Schriften I)r. Reinkens': „Uever die Einheit der katholischen Kirche", 1877 nnd „Kniefall und Fall des Bischofs Wilhelm Ema¬ nuel Freiherr» von Kettcler, gewürdigt von I. H. Reinkens, katholischer Bischof", v Nämlich nach dem Absalle Reinkens' von Rom. Europa. Z 17. Weiterer Verlauf des sogenannten Altkatholicismns. Z51 Als Reinke ns am 23. Juli 1876 (wieder wie schvn am 28. Juli 1874) in München firmte (30 Knaben und 20 Mädchen) predigte er über den Text: „Er redet nicht, wie unsere Schriftgelehrten und Pha¬ risäer, sondern als Einer, der da Macht hat." Auf Wen dachte er etwa dabei? Das erzbischöfliche Ordinariat hatte — fruchtlos — das könig¬ liche Cnltnsnünisterinm ersucht, und zwar mit Hinweisung auf die Ver¬ fassung, „diese an sich saerilegische, das gläubige Volk ärgernde, die öffentliche Ordnung verwirrende Cultushandlung zu iuhibireu". Selbst das liberale „Münchner Tagblatt" sah in dem Gebühren der Regie¬ rung, welche R e i n k e n s' Firmungen zugab, eine Verletzung der Ver¬ fassung. In Solothurn hätten die sogenannten freisinnigen Katholiken gar so gerne auch einen „alt"kathvlischen Pfarrer bestellt. Aber trotz aller Machinatiou gelang für diesmal der Plan nicht. Die dortige Kirchen- gemeindc lehnte mit Beschluß vom 10. September eine solche Wahl ab — mit 404 gegen 320 Stimmen. Wieder „Alt"katholiken-Congreß, eröffnet zu Breslau am 22. Sep¬ tember 1876 in Anwesenheit des „Bischofes" I)r. Reinke ns. Wie mag sich dieser befriedigt gefühlt haben, gerade in Breslau als „Bischof" auftretcn zu dürfen, dessen rechtmäßiger Bischof, der ihn excvmmnnicirte, staatlich „ab gesetzt" ist. (!) Auch die Cölibatsfrage kam auf diesem Congreß wieder zur Ver¬ handlung. Man beschloß durch amtliche Anfrage bei den Regierungen eine Erklärung darüber herbeiznführen, ob von staatlicher Seite Hinder- 1877. In der ersteren sucht der „katholische" (?) Bischof den Beweis zu führe», daß die katholische Einheit möglich sei ohne die päpstliche Gewalt, ja daß diese jeue nur vernichte; die zweite Schrift ist ein Pamphlet gegen den Bischof von Mainz, dem immer und immer wieder vvrgewvrfen wird, daß er den hl. Vater noch am 13. Juli 1870 bat, nicht zur Tvgmcitisirnng der Jufallibilitüt des päpstlichen Lehr¬ amtes zu schreiten. Ferner: „Ist au Christi Stelle für uns der Papst getreten?"') Ein Seitenstück zu „Louise Hensel" ist „Amalie von Lasaulx. Eine Beken¬ nerin" (Bonn 1878). Reinke ns nennt diese Schwester des 1861 in München gestorbenen Pro¬ fessors Ernst von Lasaulx so, weil sie, obgleich Oberin der barmherzigen Schwe¬ stern, die Entscheidung des vatikanischen Coueils über die Unfehlbarkeit des päpst¬ lichen Lehramtes nicht anerkannte. >) Eine abgeschmackte Frage. Wein ist denn noch je dieser Unsinn in den Kops gekommen? 352 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. nisse gegen die Aufhebung des Zwangscölibats-Gesetzes, nniuentlich so¬ lvent die Nutznießung der Benefieialgüter in Betracht kommt, vorhanden sind; ferner von jedem altkathvlischen Geistlichen ein Vvtnm über die Aufhebung des Cölibatzwanges einzufvrdern; > ) endlich von den ein¬ zelnen Gemeinden eine Beschlußfassung über den Gegenstand zu ver¬ anlassen. Auch die Reformen im Gottesdienste (Gebrauch der deutschen Sprache n. dergl.), die Einrichtung einer gemeinschaftlichen Bußandacht mit allgemeine m Süudeubekenntniß u. s. w. standen auf der Tages¬ ordnung. Der oberwähnten Synode lagen unter Anderen zwei Anträge zur Aufhebung des Cölibatszwanges vor: der eine von sieben badischen „alt"katholischcn Geistlichen — entschiedener und ungeduldiger lautend; der andere vom bekannten Pfarrer Grunert und Genossen — bedeutend zahmer gehalten. Ja nach diesem Anträge solle die Synode sogar „in Hinblick auf die traurige religiöse Lage des Volkes alle ge¬ weihten Diener der Kirche dringend bitten, um Christi Willen das Joch des Cölibates freiwillig weiter zu tragen und Allen Alles zu werden, nm Alle Christo zu gewinnen". Kaiser Wilhelm feierte am 1. Jänner 1877 sein siebenzigjäh- riges Militärdienst-Jubiläum, zu welchem ihn auch „Bischof" Iw. I. H. Reinke ns beglückwünschte. Das Antwortschreiben des Kaisers llllo. 6. Jänner, worin sich dieser Reinke ns' Gebete empfiehlt, veröffent¬ lichten Preußische Blätter mit der Hindeutung an die römisch-katholischen Bischöfe: Sehet, seid so loyal als vr. Reinkens und auch ihr könntet so begnadiget sein, anstatt abgesetzt und ausgewiesen zu werden! — O im Exil beteten sie für ihren König so innig, als Reinkens zu Hanse! In Oesterreich wollte aber den sogenannten Altkathvliken der Weizen noch immer nicht blühen. Ans wiederholtes Anlangen um staatliche Anerkennung bedeutete ihnen ein Ministerialerlass vom Jänner 1877, daß ihre Constitnirung imbehindert, aber nur nach Maßgabe des Ge¬ setzes vom 20. Mai 1874 statt haben könne; daß sie mithin nur mit Anrufung dieses Gesetzes und unter Erfüllung aller seiner Bedingungen und Voraussetzungen gestattet sein könne. — Das wollten aber die Altkatholiken eben nicht. — Sie wollen nicht als besondere Religivus- ') Daß dieses negativ lauten werde, brauchte man nicht zu fürchten. Europa, 17. Weiterer Verlauf des sogcuauuteu Altkatholicismus. Z5Z gesellschaft, als Quasi-Dissidenten, gelten, sondern als die „wahren Ka¬ tholiken" angesehen werden, als welche sie nur einfach die frühere An¬ erkennung für sich in Anspruch nehmen. Endlich aber bequemten sie sich doch, ans die ministerielle Forde¬ rung einzngehen. Das Reichsgcsetzblatt vom Jahre 1877 Nr. 99 brachte die Verordnung des Ministers für Cnltus und Unterricht vom 18. Oe- tvber 1877: „In Gemäßheit des, von Anhängern des altkatholischen Religionsbekenntnisses in den Eingaben cla yrnss. 13. October 1877 Z. 16.875 bis 16.877 gestellten Begehrens wird, da durch die beige¬ brachten Nachweise den Anforderungen des 8 1 des Gesetzes vom 20. Mai 1874 R. G. Bl. Nr. 68, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, genügt erscheint, auf Grund des § '2 eben dieses Gesetzes die Anerkennung der altkathvlischen Religionsgesellschaft unter der Bezeichnung „altkatholische Kirche" hiemit ausgesprochen." Also nicht, wie in Preußen, als Quasi-Bestandthcil der „Einen katholischen Kirche" — sondern als aparte Kirche erhielten die sogenannten Alt¬ katholiken in Oesterreich die staatliche Anerkennung. Sie sind „neue Altkathvliken" — freilich ein Widerspruch in torunnm. Damit erscheint ihren allfälligen Anforderungen ans das Gut, ans Gottes¬ häuser re. der römisch-katholischen Kirche von vorhinein die Spitze abgebrochen. Eine Verordnung der Ministerien des Innern, des Cultns und der Justiz vom 8. November 1877 regelt die innere Einrichtung und Führung der Geburts-, Ehe- und Sterberegister für die Mitglieder der altkatholischeu Kirche. Die dritte schweizerische christkathvtische Nationalsynvde eröffnete zu Bern am 23. Mai 1877 ihr Präsident, Landammaun Brosi von Solothurn. „Bischof" Herzog berichtete unter Anderem, daß der „christ- katholische Clerus" jetzt fünf Priester weniger zähle, als zur Zeit der letzten Synode — und zwar in Folge von Entlassungen, welche im Jura uothweudig geworden. >) >) Darüber gibt Auskunft auch der ehemalige „altkatholische" Pfarrer von Carouge und Im (llmnx ckv Boncks, P. Marchall (zur katholischen Kirche zurück- gekehrt) in seiner Schrift: „Die Reformatoren in Genf". Ein gar trauriges Sitten¬ gemälde! — Selbst der bekannte 1)r. Augustin Keller sagt in feinem Aufruf zu Sammlungen als Präsident des Synodalrathes (Juni 1877), daß dieselben dem Bedürfniß nach würdigen, gebildeten Seelsorgern besser abhelfen sollen, als es seither der Fall Ivar. Step ischn egg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 23 354 I. Thcil. 1. Hanptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Gerade zur selben Zeit — vom 23. bis inclusive 25. Mai — tagte auch die deutsche vierte „altkatholische" Synode zu Bonn. Sie faßte keine neuen entscheidenden Beschlüsse. Erwähnung verdient, daß auch der vcrheirathcte, ehemalige Posener Domherr, Suszczynski, als Abgeordneter der Gemeinde Königsberg zugelassen wurde. Der Be¬ richt über das abgelanfene Jahr constatirte eine nicht unbedeutende Ab¬ nahme von „alt"kathvlischen Gemeinden in Baiern; sonst aber eine Zu¬ nahme von 3832 Seelen gegen das Vorjahr innerhalb des deutschen Reiches. Auch wurde die von der Repräsentanz vorgelegte allgemeine Bußandacht angenommen und deren Einführung den einzelnen Gemeinden gestattet. Der am 28. September 1877 zu Mainz eröffnete „Alt"katholiken- Congreß und zwar hatte der Eröffnungs-Gottesdienst in der evan¬ gelischen Kirche statt — gab einigen Herren, als: Or. Michelis, Oe. Friedrich, Oe. Meßmer, Oe. Zirngiebl aus München wieder die erwünschte Veranlassung, weidlich über die katholische Kirche und der sie beherrschenden (?!) Jesuiten loszuzichen. — Am 29. September wurden zunächst zwei Anträge behandelt; nämlich die Regierungen nnd das Volk wider die päpstliche Anordnung vom 20. Jänner d. I., welche dem Simbolni» Riictonlinnin die dogmatische Definition des vaticani- schen Cvncils einzureihen befiehlt, zu stimmen; und für die volle Eman- cipation der Schule von der Kirche zu wirken (sio!). Sehr rührend schilderte „Bischof" Or. Neinkens die Unversöhnlichkeit des jetzigen Papstthnms mit der modernen Cultur. (!) Während so die „Altkatholiken" über ihren Glauben verhan¬ delten, schrieb ihr Organ, der „Deutsche Merenr": „Die Wunder Christi nnd der Apostel sind für uns kein Beweis der Gottheit Christi oder der Göttlichkeit des Christenthnms. Um dies sein zu können, müßte uns erst bewiesen werden, daß die im neuen Testamente wunderbaren Thatsachen wirklich geschehen, und daß sie wirklich Wunder sind, was beides unmöglich ist." Darf man da Denjenigen, die ans dem katholischen Boden vor dem l8. Juli t87O zu steheu vorgabeu, uicht zurnfeu: Wohin seid ihr denn schon gekommen? „Wächter! wie weit in der Nacht? Wächter! wie weit in der Nacht?" (Jsaias XXI, II.)') ') Die „Augsburger Allgemeine Zeitung" brachte in Nr. 323, Jahrg. 1878, einen Erlaß des Bischofs vr. Reinkcns bezüglich der Verheiratung „alt"kathv- Europa. A 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. 355 tz >8. Nie katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. Vvm Kirchenstaate haben wir zmn Theile schon gesprochen. Da auch die nachherigen Bedrängnisse nud herben Prüfungen des Papstes Pius tX. sowohl in seiner Eigenschaft als Kirchenoberhauptes, als insbesondere als souveränen Landesfürsten, zumeist durch Sardinien veranlaßt wurden, ') so wenden wir nns nun zu diesem Staate, welcher mit bald mehr, bald minder auffälliger Unterstützung des Kaisers von Frankreich das Papstthum und die römische Regierung nicht im nach Völkerrechte zulässigen gerechten Kriege bekämpfte; sondern durch nichts provveirte unerhörte Gewaltthaten und Rechtsverletzungen mißhandelte. — Nach Beendigung des unglücklichen ersten Krieges mit Oesterreich schien die Regierung des neuen Königs Vietor Ema¬ nuel ll. ihren ganzen Ingrimm gegen die Kirche wenden zu wollen, von deren Bekämpfung sie sich bessere Erfolge versprechen mochte. Schon im Oetvber l847 wurde die Presse frei, mit Ausnahme der bischöf¬ lichen Hirtenbriefe, welche vor ihrer Publieation der politischen Behörde vvrgelegt werden mußten, und schon vor dem Revolutionsjahre 1848 hatte ver liberale Priester, Vincenzo Gioberti, nachmaliger Minister Carl Albert's (gestorben zn Paris 25. Oetobcr 1852) in seinem Werke „Oosnitn mocksrno« zum Haß gegen die Jesuiten aufgestachelt, deren Gesellschaft im März 1848 aufgehoben erklärt, und sie selbst ver¬ trieben wurden. Doch blieb man dabei nicht stehen. Das Unterrichts¬ gesetz vom 4. Oetvber 1848 entzog den höheren Unterricht schon ganz dem Einflüsse der Kirche, mit Ausnahme der bischöflichen Seminarien Es folgten in diesem Sinne noch mehrere Verordnungen. Zum offenen Bruche mit dem hl. Stuhle führten, und eine Reihe von Gewaltthä- tigkeiten eröffneten aber die sogenannten Sieeardischen Gesetze vvm 9. April 1850. Der Justizminister Graf Siecardi hob nämlich mit lischcr Geistlichen. Diese hat unter gewissen Bedingungen keinen Anstand. Laut Punkt 1 hat der Heiratslustige Stand, Alter re. der Zukünftigen dem Bischöfe früher auzuzeigeu; 2. feine Absicht auch dein Kirchcnvorstande mitzutheilcn; 3. sein eigenes Aufgebot darf er nicht selbst vornehmen (Ja, warum deuu nicht?); 4. er muß seine Ehe auch kirchlich einsegueu lassen. (Diese Gefälligkeit werden sie sich wohl gegenseitig thun.) ') Sardinien führt das savoysche Kreuz im Wappen. Orux Na eines auf Pius IX. angewendet, kann also wohl heißen: Sein Kreuz (Leiden) rührt vom savoyschen Krenze, d. i. von Sardinien her. 23* 356 I Theil. I. Hnuptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Verletzung des bestehenden Conevrdates, ohne vorhergegangenes Enn vernehmen mit dem hl. Stuhle, die geistliche Gerichtsbarkeit und Im¬ munität auf; bot Feiertage eigenmächtig ab; untersagte den religiösen Gesellschaften das Recht, Eigenthnm zu erwerben u. dergl. Der radieale Depntirte, Brvfferiv, war einer der heftigsten Vertheidiger dieser Gesetze, gegen welche sich, wie überhaupt gegen die Anfeindung der Kirche, andererseits insbesondere der Graf «Io la Mar¬ garita erklärte. Weil der Erzbischof von Turin, Fransvni, deren Anerkennung versagte, und dawider — zur Wahrung der personalen und localen Immunität — am l8. April Weisungen an seine Pfarrer erließ; überdies zur Verantwortung vor dem Gerichtshof erster Instanz zu erscheinen sich weigerte, wurde er verhaftet (Mai 1850) und zu eiumvnatlicher Kerkerstrafe, wie zu einer Geldbuße von 500 Lire ver- nrtheilt. ') Zwar wurde er bald der Haft entlassen, aber nur nm noch Uebleres zu erfahren. Ans des Erzbischofes Befehl hatte ein Priester des Servitenklosters dem Handelsminister Santa Rosa die Sterbe- sacramente verweigert, weil er bezüglich seiner Betheilignng an den Siccardischen Gesetzen den verlangten Widerruf nicht leisten wollte. Das Begräbnißverbot nahm der Erzbischof nur auf die energische Forderung des Kriegsmiuisters zurück. Das Ministerium verlangte, der Erzbischvf solle sein Amt niederlegen; weil er dies zu thun sich weigerte, wurde er (im Juli l850 zum zweiten Male) verhaftet und nach der Festung Fenestrella abgeführt (August 1850). In Turin hatten Demonstrationen und Exeesse gegen die Geistlich¬ keit statt. Bald hernach wurde auch der Erzbischvf von Cagliari, Ai v- rangiu, verhaftet, weil er gegen die von der Regierung ungeordnete Beschreibung der Einkünfte und Ausgaben der Kirchen, wvhlthätigen Anstalten nnd Klöster Protestirte, nnd wider die Commissionsglieder, welche in seiner Wohnung die Sequestrirung der Papiere und Schriften vornahmen, die Excvmmunieation verhängte (4. September 1850). Erzbischof Fransvni von Turin wurde zur lebenslänglichen Aus¬ weisung vcrnrtheilt, und unter Gensdarmeriebedeckung in der Richtung gegen Besanyon über die französisch-sardinische Grenze geschafft (Septem¬ ber), worauf er sich nach Lyon begab, wo er am 26. März 1861 starb. ?) >) Päpstliche Allocutiou vom 20. Mai 1850. -) Fransoni war am 29. März 1789 zu Genua geboren; wurde 1821 Bischof von Fossano im Kirchenstaate; 1832 aber Erzbischof von Turin. Europa Z 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. Z57 Erzbischof Mo rang in aber wurde, weil er der am 21. Sep¬ tember 1850 an ihn gestellten Forderung, die Excommunieation binnen 24 Stunden znrückzunehmen, nicht entsprach, gleichfalls exilirt und ging nach Rom, von wo er erst 1866 in seine Diöcese zurückkehrcn konnte. Auch der Bischof von Salnzzv mußte seine Diöcese verlassen und der Erzbischof von Sassari war durch 30 Tage gefangen gehalten. Daß unter diesen Umständen die diplomatische Sendung Pinelli's nach Rom, der da mit dem apostolischen Stuhle unterhandeln sollte, keinen Erfolg hatte, ist erklärbar. — An der Universität zu Turnt lehrte Pro¬ fessor Johann Ncp. Nuytz (gestorben 1874) ungehindert ein der katho¬ lischen Kirche feindseliges Kirchenrecht, welches sowohl der Papst, der sich schon in der Allocution vom 1. November 1850 über das bisher in Piemont gegen die Kirche Geschehene bitter beklagt hatte, am 22. August 1851, als auch der sardinische Episkopat verwarf. Die Regierung schützte ihn; hatte ja der Minister des Unterrichtes bereits am 13. Mai 1851 verschiedene nnkirchliche Vorschriften an die Bischöfe bezüglich des theologischen Studiums erlassen. Der erste vernichtende Schlag, den nun der Minister Natazzi gegen die kirchlichen Genossenschaften und Kloster richtete, traf die 1843 insbesondere zu Werken der Wohlthätigkeit zu Turin gestiftete Gesell¬ schaft vom hl. Vincenz von Paul. Das Decret vom 30. Oktober 1851 gab freilich vor, sie refvrmiren zu wollen, enthielt aber eigentlich ganz einfach die Seqnestrirnng ihres sehr bedeutenden Vermögens, wel¬ ches am 17. Jänner 1852 förmlich Ungezogen wurde. Schon am 12. Juni 1852 übergab Buoncompagni einen Gesetzentwurf über die „Civilehe", welcher beifällige Aufnahme fand, aber doch noch nicht in's Leben trat. Ilm einen Beweis seines Entgegen¬ kommens zu geben, willfahrte der Papst dem Verlangen der Regie¬ rung von Piemont und minderte die Zahl der dortigen Festtage (siehe Allocution 19. December 1853). Demnngeachtet schritt dieselbe auf der einmal betretenen Bahn fort. 1854 wurde das Turiner erzbischöfliche Seminar unter Sequester gestellt. Am 28. November d. I. proponirte der Justizminister Ratazzi den Kammern einen Gesetzentwurf wegen Aufhebung der Collegiatcapitcl, Klöster und religiösen Institute mit Aus¬ nahme jener, welche sich mit dem Unterrichts- und Erziehungswcsen und mit der Krankenpflege beschäftigen. Dagegen legte zwar der ge¬ summte Episkopat der sieben Kirchenprovinzen, welcher zur Abwendung 358 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. der Aufhebung der Regierung fruchtlos 928.412 L. angeboten, Ver¬ wahrung ein, welche in der zweiten Kammer Graf Lolaro ckallu Nar- 8'arita in gewohnter kräftiger Weise unterstützte (II. Jänner 1855); auch der Papst verdammte diese Maßregeln in der Alloention vom 22. Jänner 1855, womit zugleich eine mit Doenmenten belegte Dar¬ legung der Unbilden, welche die Kirche im Königreiche Sardinien zn erdulden habe, ansgcgeben wurde, doch vergebens. Das sogenannte „Klostergesetz" vom 2. März 1855 hob schonungslos 365 Klöster auf. Gleichsam zum einigen Ersatz dafür wurde in Genna am 2. Februar 1855 das vom Marchese Brigu vle-Sales gegründete Seminar für auswärtige Missionen, auf 25 Zöglinge berechnet, eröffnet. Eben in Piemont, dessen Regierung sich dann so feindselig gegen die Kirche benahm, machte es sich der Priester, Nieolans Oli vieri (geboren 1792 in Genua), Beichtvater im Kloster zum guten Hirten in Genna, seit 1839 zur Lebensaufgabe, junge Negerinen aus Afrika, wohl auch hie und da Knaben, im Christenthume erziehen zu lassen. Er kaufte sie auf dem Sclavenmarkte in Alexandrien in Egypten und brachte sie dann in verschiedenen Klöstern Frankreichs, Italiens, auch der österreichischen Monarchie unter, von wo sie später zur Bekehrung ihrer Landsleute in ihre Heimat zurückkehren sollen. Nach dem Tode Olivieri's (25. Oetober 1864) setzte dessen frommes Werk der apv stvlische Missionär Blasius Vcrri fort. Ans den in Folge der erwähnten Gesetze und jenes vom 29. Mai 1855 eingezvgenen Klostergütern stiftete die Regierung die sogenannte K irch e n e a s s e, mit der Bestimmung der Besoldung und Unterstützung von Weltgeistlichcn; die aber durch üble Verwaltung bald bankerott wurde. Der Papst erklärte in der Allveutivn ) Nach Terenzio Mainiaui's Wunsch solle ja, wie wir schon hörten, der Papst in die „Regionen des Dogma" consinirt werden, wo er nur zu betcu, zu segnen und zu verzeihe» hätte. (!) r) Schändliche Unterschlcife waren Schuld, daß die armen Soldaten hungern Europa. K 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. 361 Napoleon zog für feinen Alliirten das Schwert und erklärte in seinem Kriegsmanifeste vom 4. Mai, „daß Italien frei sein müsse von den Apenninen bis zum adriatischen Meere." So strafte denn Napo¬ leon selbst das so laut in die Welt hinausposannte Prineip der „Nicht- Intervention" Lügen, nnd Italien hatte von da an kein Recht mit seinem „Italia tarn ) Schon vor dein Ausbruche des Krieges 1859 beschäftigte sich die vom Kaiser Napoleon inspirirte Broschüre Lagueronnier's: „Anpowon 111 at I'ltniis" mit dem Gedanken: Italien müsse zwar unabhängig, aber ein Fvde- rativstaat werden, in dem der Papst den Vorsitz hätte. Am 20. October 1859 schrieb Napoleon von St. Clond aus a» Victor Emanuel: „Mein Herr Bruder! Die Zeitumstände sind ernst, man muß jegliche Illusion ans die Seite setzen. Die Bedingungen, die ich zur Regeneration sür wesentlich halte, sind folgende: Italien sollte ans mehreren unabhängigen Staaten, die aber unter sich durch ein bundesstaatliches Band verbunden wären, zusammengesetzt sein" u. s. w. — Ja noch viel früher, 1843, forderte V. Gioberti in feiner Schrift: „Val primato moruls e oivils clvKl'Ituliuni" eine politische Co n föderativ n der ita¬ lienischen Staaten unter der schiedsrichterlichen Auctorität des P a p st e s. Europa K 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. Z63 welches Kaiser Napoleon, der auch an Victor E m a n n el eines richtete, durch Herrn von Menneval (Gesandter in München; 1860 trat er in's Priesterseniinar ein) dem Papste überreichen ließ, empfahl er ihm nämlich abermals, zur Pacificirung Italiens einige Reformen im Kirchenstaate, wobei er sogar auf die völlige Säcularisirung der Regierung, wenigstens in den schon abgefallenen Legationen hindeutete; zugleich trug er ihm den Titel und den Ehrcuvvrsitz eines Präsidenten der italienischen Konföderation an, in welche außer ihm auch der Kaiser von Oesterreich mit dem ihn: gebliebenen Venetien treten sollte. Der hl. Vater antwortete anfänglich, daß er diesen Vorschlag Wohl als den Ausfluß der kindlichen Ergebenheit des Kaisers ansehen wolle; doch sich vorerst über die ihm daraus erwachsenden Verbindlichkeiten unterrichten müsse, nm Prüfen zn können, ob ihm das katholische In¬ teresse die Annahme gestatte; jedenfalls aber mache er die Rückkehr seiner insnrgirten Provinzen zum Gehorsam zur Bedingung seiner Bei¬ stimmung. Diese Bedingung wurde nicht erfüllt. Louis Napoleon schrieb wieder dem Papste, er möge der Ruhe Europas das Opfer dieser Provinzeu bringen. „Die Thatsachen", sagt er, „haben eine unerbittliche Logik." Pius IX. ging also in den Plan Napvleon's nicht ein, was ihm dieser nicht verzeihen konnte, und ihn den ferneren Berandungen Piemonts schutzlos überlieferte, immer nur versichernd, daß er die Person des hl. Vaters in Rom zn schützen nicht anfhörcn werde. In den annectirten Legationen und in der Aemilia vertrieb die usnrpatorische Regierung, wie allerwärts, die Jesuiten, hob Klöster auf, setzte Mönche und Nonnen vor die Thüre, und duldete, daß Religion nnd Sittlichkeit durch eine zügellose Presse in den Kvth getreten wurden. Dawider erhob der Cardinal-Erzbischof von Bologna, Viale-Prela, im Hirtenschreiben von: 29. .August 1859 furchtlos seine warnende Stimme, und der hl. Vater verdammte wieder feierlich in seiner Allo- eutivn vom 20. September g. I. die durch den sogenannten Nativnal- Convent der Aemilia zu Bologna am 4. nnd 5. September decretirte förmliche Uebertragung der weltlichen Negierungsgewalt in dessen Pro¬ vinzen an den König Victor Emanuel. ') >> Einer der erbittertsten Gegner der päpstlichen Regierung zu Bologna war Montanari, ehemaliger Abba, dann Professor der Geschichte zu Bologna. 364 l. Theil. 1. Hauptstuck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Staatssecrctär Cardinal Antonelli protestirte in der diploma¬ tischen Note vom 7. December 1859 gegen die Beeidigung des Militärs und der Civilbeamten in der Romagna Seitens Bictor Emanuel's, der daselbst den königlichen Titel angenommen. Nicht nur der Episkopat der ganzen katholischen Welt, so insbeson¬ dere auch schon bei dieser Veranlassung, der Bischof von Orleans, Felix D n p a n l o n p, Mitglied der französischen Akademie der Wissen¬ schaften, sprach in energischen Protestationen seinen Abscheu aus vor dem an dein Papste und den übrigen legitimen Fürsten Italiens gegen alles Völkerrecht verübten Raube; sondern auch die Laien thaten das¬ selbe in unzähligen an den hl. Vater gerichteten Adressen. Zugleich bil¬ deten sich überall Vereine, und die „hl. Michael-Bruderschaft" ') zur Einsammlung des sogenannten Peterspfennig, um ihm für die versiegten Finanzguellen in den aufrührerischen Provinzen einigen Ersatz zu bieten. Der Protestant Heinrich Leo sagte diesbezüglich im Halle'schen Vvlksblatte: „Was sich noch am festesten zeigt, ist der Papst und die katholische Kirche. In ihnen lebt noch wirklich das Gefühl, daß Recht und Pflicht noch einen anderen Grund haben, als Convcnicnz und Opportunität — einen Grund, der jenseits dieser Welt liegt." Einen willkommenen Anlaß, das öffentliche Urtheil über das Papsi- thnm irre zu leiten, nnd den Haß wider dasselbe vom Neuen anzn- fachen, bot seinen Feinden in nnd außer Italien auch der Vorfall mit dem Judcnknaben Edgar Mvrtara, Sohn der jüdischen Eheleute Momolo nnd Marianna Morta zu Bologna dar. Denselben hatte, als er sich — Ein Jahr alt in einer Todeskrankheit befand, die christliche Kindsmagd des Hauses, Anna M o risi, getauft, weshalb der Knabe, als dies coustatirt war, auf Geheiß des heiligen Officinms gemäß Decretes des Papstes Benedict XlV. clüo, 28. Februar 1747 am 24. Juni >858 von seinen Eltern entfernt nnd in ein christliches Institut nach Rom gebracht wurde, nm dort, weil er nun einmal — Für die Anhänger der legitimen päpstlichen Regierung erfand man den Titel „Sanfedisten". p Aehnlich der St. Michael-Brnderschast in Deutschland bildete sich in Lyon die Erzbrndcrschaft „von: gescssclten Petrus" (Lroüimuilimio äs 8ni»t INorrv on lisns), welche, weil sie nicht die staatliche Genehmigung einholte, zumeist aber wohl wegeu ihres Titels — von der Regierung (1860) aufgelöst wurde; — uud in Rom selbst die „Erzbruderschaft des hl. Petrus". Europa. Z 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. 365 giltig getauft warben, christlich erzogen zu werden bis zu dein Alter, in welchem er sich selbst werde entscheiden können, ab er nach ferner dem Christcnthnme angehören walle aber nicht. Nachdem sich die pie- mantesische Regierung Bolognas bemächtiget hatte, wurde daselbst (1860) der Inquisitor des heiligen Ofsieiums, U. Pietro Gaätano Feiet ti, ans dem Dominikanerorden in Anklagestand versetzt, daß er am Abende des 24. Juni 1858 dem genannten israelitischen Ehepaare ihren damals fünf Jahre und zehn Monate alten Sohn Edgar gewaltsam habe weg nehmen lassen. Das Civil- und Criminalgericht von Bologna sprach ihn jedoch frei. Im Jahre 1867 trat Mortara freiwillig als Novize in das Kloster 18. Uietro in Viiwoli ein, nm später Mitglied der regulirten Chorherren von Lateran zu werden. ') Gegen die italienischen Bischöfe, welche zu Ehren Bi e t v r Em a nnel's und der kirchenräuberischen Politik Piemonts Ns Denn, zu singen und religiöse Feierlichkeiten abhalten zu lassen sich weigerten, schritt die neue Regierung mit rücksichtsloser Gewalt ein, und überließ derlei ungefügige Geistliche oft wehrlos den Insulten und Angriffen des Pöbels; so den Bischof von Bergamo, Speranza, dessen Palast am 3. September 1859 vom Pöbel gestürmt wurde;-) den Bischof von Rimini. Proteste, wie des Erzbischofes von Modena mit seinen Snffra- ganen, an den Dietatvr F a rini wider die Vertreibungen der Jesuiten, die Pnblieation der sogenannten Sieeardi'schen Gesetze u. dergl. blieben selbstverständlich unbeachtet. Da die öffentlichen Blätter als zuverlässig behaupteten, daß die Verwicklungen in Italien auf einem Congresse ihre Lösung finden sollen, so richtete der ganze preußische Episkopat eine Adresse an den Prinz¬ regenten, er möge seinen Gesandten dahin instrniren, daß dem Papste die weltliche Herrschaft, weil eine absolute Bedingung seiner Unabhän¬ gigkeit als Oberhaupt der Kirche, ungeschmälert gewahrt werde. Im Schreiben an den Cardinal-Erzbischof von Köln ckcko. 2. Jänner 1860 dankt Pins IX. dafür. Der Cvngreß unterblieb, wie be¬ reits bemerkt, vielleicht, weil es Louis Napoleon damit nie recht >) In Paris verarbeitete man die Mortara-Geschichte sogar zu einem pikanten Drama, dessen Mitverfasser der Cabinetsches Napolcon's III., Mocqnard, war. 2) Pius IX. bedauerte im Schreiben däo. 3. Octvber den Bischof deshalb und crmuthigte ihn, sich durch derlei „verbrecherische Ränke und Versuche" nicht einschüchtern zu lassen. 366 I. Theil, I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Ernst war, denn ein solcher hätte seine Pläne durchkreuzt. Er ließ diese zu früh dnrchblicken in der von (le In Onöronniöra, seinem Bro¬ schürenfabrikanten (gestorben 1875), gewiß nicht ohne seine Zustim¬ mung im December 1859 herausgegebenen Broschüre ?upo et le eonn'res^. Der kaiserliche Pamphletist wünschte diesmal zwar noch, daß der Cvngreß „als wesentliches Princip der europäischen Ordnung die Nvthwendigkeit der weltlichen Macht des Papstes anerkenne" denn es schien doch nicht rathsam, jetzt schon, wie zum Hohne der sich so entschieden äußernden katholischen Ueberzeugung, die weltliche Macht des Papstes als völlig unvereinbar mit den Fortschritten des 19. Jahr¬ hunderts zu bezeichnen — aber was war das für eine Svuverünetät, die man dem Papste einstweilen aus Gnaden noch belassen wollte? „Sein weltliches Besitzthum anlangend, sagte die Broschüre, so ruhe dessen ganze Bedeutnng in der Stadt Rom; alles klebrige ist eine Nebensache." Unter Rom meinte man aber etwas später eigentlich nur deu sogenannten Leoninischen Theil der Stadt; dieser sollte, wie sich Jemand trivial genug ausdrückte, das Ghetto des Papstes sein. „Denn was ist der Größe des höchsten Priesters an Qnadrat- meilen gelegen? fragt . 8. Jänner 1860 mit aller Freimüthigkeit antwortete, theilte er dem gesummten Episkopate in der Encyklika vom 19. Jänner 1860 mit: daß er nämlich nichts abtreten könne, weil die Besitzungen der Kirche nicht ihm, sondern allen Katholiken gehören. Er könne darauf nicht verzichten, ohne die heiligsten Eide, die ihn binden, zu brecheu. Auch habe er nicht unterlassen, dem Kaiser zu bemerken, „daß Se. Majestät sehr wohl wisse, durch welche Menschen und mit welchen (nämlich pienivntesischen) Geld und Hilfsmitteln die jüngsten Aufstandsversnche in Bologna, Ravenna und anderen Städten ange¬ facht und ausgeführt worden sind, während der bei weitem größte Theil der Bevölkerung von jenen Bewegungen, die er nicht im mindesten er¬ wartet hatte, wie vom Blitze Lerührt blieb, und sich in keiner Weise geneigt zeigte, jenen Aufrührern zu folgen." ") Auch die Antwort des Staatsseeretärs Antonelli vom 29. Fe- ') Im „Correspondant" schrieb damals der Herzog von Broglie: „Man wird nicht siegen. Die Kirche wird Allem widerstehen, nnd ihre Sache wird trium phircnd aus dem Kampfe herdorgehen." — Jnsglcichen der ehemalige Minister von Falloux: „Die Wahrheit hat verborgene und plötzliche Hilfsquellen; ihre Kräfte lassen sich nicht mit einmal anfzählen, und sie wächst im Handeln, weil es Gott ist, der ihr Bundesgenossen schafft." 368 1- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. brnar 1860 auf die Nvte des französischen Ministers Thvn venel tick«. 12. Februar g. I. sprach sich entschieden dahin ans, „daß der hl. Vater keiner wie immer beschaffenen Abdankung je znstimmen könne." In der Collectiverklärnng der Bischöfe von Belgien, Deutschland, Eng¬ land, Holland, Irland, Oesterreich, Schottland und der Schweiz heißt es unter Anderem: „Wenn der friedliche Thron des hl. Vaters durch solche Mittel gestürzt werden darf, so ist das Band des europäischen Völkerrechtes zerrissen. — Wenn die Ansprüche, die man im Namen der Nationalität erhebt, mehr gelten, als das Gesetz Gottes und die Pflichten des bürgerlichen Gehorsams, so ist über die mächtigsten Reiche Europas das Urtheil des Zerfalles gesprochen, oder ihr unverletzter Fortbestand ist doch keine Frage des Rechtes mehr; sondern unreine Frage der überlegenen Gewalt und des Zusammentreffens günstiger Ilmstände." Daß der „Univers" (gegründet 1832 vvin Abbv Mignet) unter dem Nedaeteur an duck' Louis V e n illot es wagte, obige Enehklika mit einigen, für die Regierung Napol e on' s nicht schmeichelhaften Be¬ trachtungen zu veröffentlichen, war wohl die Hauptveraulassnng, daß über diesfülligen Bericht des Ministers des Innern, Billanlt, an den Kaiser, jene Zeitschrift unterdrückt wurde (29. Jänner 1860). „Der „Univers", heißt es in dem Deerete, „habe eine religiöse Partei ge¬ schaffen, deren Anforderungen täglich mehr mit den Staatsgesetzen im geraden Widerspruche stehen. Seine unausgesetzten Bemühungen seien dahin gerichtet, den französischen Elerus zu beherrschen, die Gewissen zu verwirren, das Land anfznregen und die Grundlage der Kirche nnd der bürgerlichen Gesellschaft zu untergraben." Sv verloren denn die sogenannten „Ultramoutaneu" in Frankreich - wenigstens auf einige Zeit - ihr Hauptvrgan. Nicht nur Kaiser Napoleon, sondern auch König Victor Emanuel selbst behelligte den Papst mit dem Ansinnen, den bisherigen Kirchenraub, für welchen Napoleon sogar die Oesterreicher verantwortlich machen wollte, weil sie die Romagna räumten (!), zu sanetioniren. Der hl. Vater erwiderte ihm am 14. März 1860 in gerechter Entrüstung: „Der Gedanke, den Euere Majestät in Ihrem Briefe mir gegenüber ausspricht, ist unwürdig eines ehrlichen Mannes, eines Katholiken und besonders Desjenigen, der ans dem edlen Geschlechte des Hauses Savoyen stammt. Das Weitere habe ich in meiner Enehklika beantwortet. Ich weine nicht über Europa. K 18. Die katholische Kirche im Kircheustaat uud Piemont. 369 mich, sondern über den Zustand der Seele Euerer Majestät, welche für die auf den Rath Ihrer Umgebung verübten Thaten den strafenden Gesetzen der Kirche bereits verfallen ist, und noch weiter verfallen wird für jene Thaten, welche Sie Vorhaben." Schon nm l8. März nahm Vietor Emanuel das Plebiscit der Aemilia, und die Herrschaft über die Romagna an, wogegen der Protest des Cardinal-Staatssecretärs Antonelli, ücko. 24. März, an sämmtliche bei dem hl. Stuhle accreditirten Regierungen erfolgte. Im Schreiben an den hl. Vater, ckcko. 20. März 1860, spricht Victor Emanuel sogar davon, daß ihm der Papst behilflich sein möge, die Schwierigkeiten zu beseitigen, betreffend „einen Modus territorialen Besitzes, welchen der Drang der Ereignisse nvthig ge¬ macht hat." Die Antwort des Papstes, ckcko. 2. April 1860, protestirt einfach wieder „gegen die Usurpation, welche zum Nachtheile der Kirche voll¬ führt wird." Aehnlich Cardinal Antonelli an den Grafen Cavour unter dem nämlichen Datum. Er erklärt es für unmöglich, „die Unter¬ handlungen auf der Basis des Raubes eines Theiles der Staaten des hl. Stuhles zu eröffnen, eines Raubes, zu dessen Anerkennung bei- zntragen ihm Ehre und Gewissen verbieten." Ein in Rom am 29. März 1860 öffentlich angeschlagenes Breve, llcko. 26. März, verkündete den größeren Kirchenbann über alle Jene, welche bei der Rebellion, Usurpation, Invasion des Kirchenstaates han¬ delnd, befördernd, helfend, rathend oder zustimmend mitwirkten. War es schon ans Veranlassung der oberwähnten Encyklika oder dieses Excommnnikations-Breves — genug, der vfficielle „Moniteur" in Paris brachte die verschärfte Erinnerung (1. April), daß vermöge der organischen Artikel zum Cvncvrdat keine Bulle, kein Breve noch andere Ausfertigungen des Hofes von Rom, selbst wenn sie nur Privat lente betreffen, ohne Ermächtigung der Regierung in Frankreich weder veröffentlicht, noch gedruckt, noch sonst in Ausführung gebracht werden dürfen. Dem Kaiser Napoleon mochte wohl sein Gewissen sagen, daß er nicht minder als Victor Emanuel und Graf Cavour unter den mit dem Banne Belegten inbegriffen zu sein verdiene, daher sein Bemühen, dem Excvmmnnications-Breve den Eingang in sein Reich zu verschließen. Daß die piemontesische Regierung jede Veröffentlichung des Breve, sei es durch Verlesen vvn der Kanzel, durch Anschlägen an Stepischnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 24 370 1 Theil. I. Hauptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. den Kirchenthüren, durch Verkündigung in den Hirtenbriefen u. dergl. strenge untersagte, versteht sich vvn selbst. Den dalvider Handelnden wurde mit sofortiger Verhaftung und anderen Strafen gedroht. Der römische Stuhl, überzeugt, daß mit eiueiu Gegner, wie die Regierung Victor Emanuel's, nicht zu unterhandeln sei, was Pins IX. dem Könige im Schreiben vom 2. April 1860 deutlich genug bemerkte, und daß sich dieselbe mit dem bisherigen Raube nicht begnügen werde, mußte auf wirksamere Vertheidigungsmaßregeln sinnen. Msgr. Graf Franz Xav. Merode, päpstlicher Kämmerer, gewann den französischen, mit Ludwig Nap oleon noch immer nicht völlig ans- gesöhuten General La mori eiere, der sich in Algerien Lorbeeren gepflückt hatte, wo er schon bei der Einnahme Algiers unter Bo ur¬ in out (5. Juli 1830) sich betheiligte, dann am 31. October 1837 bei der Erstürmung vvn Constantine unter Damremont sich auszeich¬ nete, endlich am 2. December 1847 Abdel Kader gefangen nahm, für den Oberbefehl über die päpstliche, meist aus Freiwilligen ver¬ schiedener Länder zusammengesetzte Armee. In seinem ersten Tages¬ befehle voin 8. April sprach der General: „Auf Wunsch des Papstes und der in Besorgnis; versetzten Katholiken habe er wieder zum Degen gegriffen. Das Christenthum sei das Leben der Civilisation, und das Papstthum der Mittelpunkt des Christenthnms. Die Revolution be¬ drohe jetzt Europa, wie ehedem der Islam. Die Sache des Papstes sei die Sache der Civilisation und der Freiheit. Die Truppen mögen Vertrauen haben auf den Sieg der ihnen anvertranten Sache." Leider sollte diesmal der Sieg der gerechten Sache, für die sie fochten, nicht zu Theil werden! Msgr. Franz Xaver Graf llo Llorode (früher belgischer Jn- fanterie-Offieier -- auch in Algier unter Marschall Buge and kämpfend, Schwager des Grafen Montalembert; er starb am 9. Juli 1874; geboren war er in Brüssel am 26. März 1820. Der Papst hatte ihn am 22. Juli 1866 zum Erzbischof von Melitene i. p. ernannt; auch war er päpstlicher Almosenier) übernahm nun das Portefeuille des Kriegsministeriums, welches seit mehreren Jahren interimistisch Cardinal Antonelli verwaltet hatte. Znr Bestreitung der nvthwendig gewor¬ denen außerordentlichen Auslagen mußte der hl. Stuhl ein Anlehen von 50 Millionen Lire eröffnen, welches bald gedeckt wurde. Am 19. Mai wurde der Cardinal Corsi, Erzbischof von Pisa, Europa. Z 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. 371 gewaltsam nach Turin abgeführt, weil er jede Theilnahme am Ver¬ fassungsfeste (13. Mai) verweigerte. Erst nach mehreren Monaten er¬ hielt er die Erlaubnis), in seine Diöcese zurückzukehren. Einem zweifels¬ ohne gleichen Schicksale entging Cardinal Michael Viale-Prela, Erzbischof von Bologna (geboren 1798 zu Bastia auf der Insel Corsica, von 1838 bis 1845 Nuntius zu München, dann zu Wien) nur durch seinen Tod am 15. Mai. Sein Provicar Ratka wurde cingekerkert. Der Fiscus beantragte drei ein halb Jahre Kerker und 2500 Lire Geldbuße. Noch andere Bischöfe lehnten ihre Mitwirkung zum obigen Feste ab; auch der Erzbischof von Florenz, Limberti, welcher doch kurz vorher dem Repräsentanten der neuen Regierung, nämlich dem Statt¬ halter von Toscana, Prinzen Carignan, seine Aufmerksamkeit be¬ zeugt hatte. Am 13. Mai fand die Arretirnng der beiden Cardinäle, des Erz¬ bischofs von Ferrara, Vanieelli Casoni, und des Bischofs von Imola, B a luffi, sowie des Bischofs von Faenza, F o li e a ldi statt. (Dieser wurde zu drei Jahren Gefängniß und 4000 Francs Geldbuße verurtheilt). Der Bischof von Parma, Felice Contimvri, flüch¬ tete sich; jener von Piacenza, Antonio Ranza, mußte sich zur Ver¬ antwortung nach Turin stellen, und wurde dort zu vierzehnmonatlichem Kerker und 1300 Lire Geldstrafe; sein Generalvicar zu einem Jahre Gefängniß und 1000 Francs; die Domherren ein jeder zu sechs Mo- uatcu Gefängniß und 500 Francs Geldstrafe verurtheilt. Die Semi¬ nare Beider wurden von der Regierung geschlossen. Am Frohnleich- namsfeste fanden arge Tumulte gegen die Canvnikcr zu Piacenza statt. Der Bischof von Fvrli wurde in seinem eigenen Hause in Haft ge¬ halten. Auch der Bischof von Comachiv wurde verhaftet. Ans dem Einkommen der so verwaisteu..Bisthümer bestimmte die Regierung einen Theil für die suspendirten Priester. (!) Inzwischen organisirten sich unter den Augen der piemvntesischen Regierung die Freischaaren. Am 19. Juni überschritt ein Corps von 350 Mann die römische Grenze, und plünderte Latera; wurde aber in der Landschaft Le Grotte vom General Pimvdan auseinander ge¬ sprengt. In der Allocutivu, gehalten im geheimen Consistorium, üäo. 13. Juli 1860, beklagte der Papst wiederholt die von der sardinischen 24* 372 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Regierung der Religion und Kirche in Italien bisher angethaneu Un- bilden, aber auch den Abfall einiger Geistlichen, die, zumal iu Sicilien, sich den Feinden der Kirche und der gesetzlichen Ordnung anschlvssen. Graf Cavvnr forderte in der Note (Ultimatum), 660. tO. Sep¬ tember, den Cardinal - Staatsseeretär Antonelli, an den er auch schon am 7. d. M. einen Brief gerichtet hatte, auf, sofort Befehl zur Entwaffnung und Auflösung der Fremden-Corps (päpstliche Horden nannte man sie) zu geben, deren Bestand eine permanente Drohung für die Ruhe Italiens sei. Zugleich läßt er den Cardinal wissen, daß die piemvntesischen Truppen bereit seien, sich jeder Behinderung einer Manifestation der Bevölkerung in Umbrien und in den Marken (nämlich des auch hier von Cavour angezetteltcn sultrnKo universol zu Gunsten des Anschlusses an Piemont) mit Waffengewalt entgegen zu stellen. Im Antwortschreiben, ckcka. I l. September, wies der Cardinal die beleidigenden Ausfälle auf die päpstlichen Truppen zurück; „nicht diesen seien die Unordnungen zuzuschreiben, welche in den Staaten des hl. Stuhles vvrgekvnnnen; so falle auch der durch das gesetzliche Ein¬ schreiten der päpstlichen Truppen (unter dem Oberst-Cvmmandauten der Schweizer, Anton Schmidt am 20. Juni l859) unterdrückte Auf¬ stand in Perugia nur Demjenigen (Piemont) zur Last, der die Revolte von außen her veranlaßte. Bis auf den heutigen Tag kenne mau kei¬ nen Fall, daß irgend einer Regierung gewehrt worden wäre, fremde Truppen in ihren Dienst zu nehmen. Am wenigsten dürfte der Papst, als gemeinsamer Vater aller Gläubigen, verhindert werden, in sein Heer Jene aufzunehmen, die sich aus den verschiedenen Theilen der katholischen Welt zur Unterstützung des hl. Stuhles und des Kirchen staatcs aubieteu." Der Drohung Piemonts gegenüber appellirt schlie߬ lich der hl. Stuhl auf das Völkerrecht, unter dessen Aegyde Europa bis jetzt gelebt hat. Aber was galt der snbalpinischcn Regierung das Völkerrecht? Der Tagesbefehl vom l l. September ist voll unaufrichtiger Sophistik; ebenso das Memorandum der piemvntesischen Regierung an ihre Re¬ präsentanten im Auslande ckcko. 12. September. — Cavour hatte die Stirne, Europa gegenüber zu erklären, daß er nichts wolle, als: „travarsar Io tarritcnro pontikionl, pvnr lo clätbnckre eontro In r<> vulntion, n laguolla il nllnit livro bntnillo sur la torritvira nn- pvlitnin.^ (!) Europa. Z 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. 373 Ohne Kriegserklärung fielen die Truppen Piemonts in die Marken ein, nnd besetzten Pesaro, wo sich Oberst Zappi mit 400 Mann gegen mehr als 8000 tapfer gehalten hatte; am 14. September nah¬ men sie Perugia, wo der päpstliche General A. Schmidt erst nach blutigem Kampfe Fanti' s Uebermacht erlag; Fvligno und Spvleto. Orvieto wurde von den Freischärlern überfallen. Am 18. September wurden die päpstlichen Truppen unter Lamoriciöre selbst in der unglücklichen Schlacht bei Castelfidardo von der feindlichen Uebermacht unter General C i a l d ini, der im Tagesbefehle die päpstlichen Truppen sogar eine „Räuberbande betrunkener Fremden" nannte, erdrückt. Auch General Marquis Georg Pimvdan, der früher — am 19. Mai bei Mvntefiascvne die Freischärler zurückgeschlagen hatte — fiel daselbst. Sein Leichnam wurde in der Kirche 8. Nuriu 6i M-rmtevars in Rom beigesetzt.') Für die im Kriege gefallenen Helden (Prinz N a- pvleon wagte es, sie die „traurigen Ritter von Castelfidardo" zu uenneu) hatten überall feierliche Exequien statt. In der ihnen zu Ehren in der Cathedrale von Orleans gehaltenen Trauerrede sagte Bischvf Dupauloup unter Anderem: „Es waren Helden, diese edlen jungen Männer; Helden, als sie in das Feld zogen; denn sie weihten sich mit vollem Bewußtsein dem Tode; sie waren Helden, als sie sielen; denn sie haben gekämpft als brave Soldaten, keiner materiellen Macht wei- - chend, erdrückt durch die Zahl, nnd immer Widerstand leistend." '-) Der französische Gesandte in Rom, Herzog von Grammont, versicherte, wie öffentliche Blätter meldeten, noch Anfang September, daß die Fran¬ zosen einem Angriffe der Piemontesen auf das päpstliche Gebiet sich mit Waffengewalt entgegen stellen werden, st Lamorieiare konnte daher wohl mit Recht sagen: Xvus uvons ötö ussusiuös. st ') Sein Vater war General-Adjutant König Carl's X. von Frankreich, nach dessen Sturze er mit demselben nach Oesterreich kam. In der österreichischen Armee machte er 1848 nnd 1849 die Feldzüge in Ungarn und Italien mit. 2) Zum Andenken an den ehrenvollen, wenn auch unglücklichen Kampf stiftete Pius IX. die silberne sogenannte Castelfidardo-Medaille. 2) Er erhielt nämlich für den Cardinal Antonelli eine Abschrift des eigen¬ händigen Schreibens, welches Napoleon am 9. September von Marseille aus an Victor Emanuel richtete, und worin Jener Diesem geradezu erklärte, daß, falls die Piemontesen die päpstliche Grenze überschreiten, sie es mit Frankreich selbst zu thnn haben werden. 0 General Lamoriciöre starb einen anferbaulichen Tod am 12. September Z 74 I- Theil. I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Sollte Louis Napoleon den Piemontesen auch wirklich geboten haben: touolis/. pas n lioine, so genirte sie dies so wenig, als die Abberufung des französischen Gesandten von Talleyrand von Turin. Victor Emanuel wußte Wohl, was er von derlei Schein- manövern zu halten habe. In Folge der unglücklichen Schlacht von Castelfidardo ging auch Ancona verloren. Von der Seeseite durch Admiral Persanv hart bedrängt, mußte es capitnliren, nachdem das Bombardement der Stadt nicht weniger als zehn Tage gedauert hatte. ') Schon mit Note, clcko. 18. September, theilte Cardinal Anto¬ nelli dem in Roni residirenden diplomatischen Corps den Protest der päpstlichen Regierung mit gegen das Vorgehen Piemonts, „welches jedes göttliche und menschliche Recht vernichte, die Unabhängigkeit des Oberhauptes der Kirche und die Integrität seines weltlichen Gebietes verletze". In der Allocution, gehalten im geheimen Konsistorium vom 28. September 1860 brandmarkte der Papst selbst die Gewaltthaten der subalpinischen Regierung, welche noch unmittelbar früher die Ver¬ sicherung gegeben, daß sich ihre Truppen dem päpstlichen Gebiete nicht in der Absicht einer Invasion nähern, sondern vielmehr, um aufrühre¬ rische Schaaren davon zurückzuhalten (dasselbe behauptete der fran¬ zösische Minister Th o uvenel in seiner Depesche an die auswärtigen diplomatischen Agenten vom 18. October) und nennt es geradezu eine „Unverschämtheit und Heuchelei", wenn die Angreifer zn behaupten »vagen, sie hätten die päpstlichen und andere italienischen Provinzen nur betreten, um dort die „Grundsätze moralischer Ordnung wieder herzustellen". Mit Anspielung an Napoleon III. heißt es weiter: „Während Wir längst ans die Verwirklichung der wiederholten Erklärungen war¬ ten, welche Uns von Einem der mächtigsten Fürsten Europas gemacht wurden, fahren die Urheber und Begünstiger in der ungerechten Be¬ raubung fort, gleichsam als ob sie gewiß wüßten, daß ihnen Niemand ernstlich entgegen treten werde." st Schließlich fordert der hl. Vater alle 1865, 59 Jahre alt, auf seinem Schlosse Proncel. Bischof F. Dupanlonp hielt ihm zn Nantes eine glänzende Trauerrede. ') Vou hier aus richtete Victor Emauuel am 9. October ein Piemonts Politik hinreichend kennzeichnendes Manifest an die Volker Süditaliens. ') Das wußten sie wirklich. Als Spanien znm Schutze von Umbrien und der Europa. Z 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. 375 Fürsten Europas auf, eine so schreiende Verletzung des Völkerrechtes nicht zn dulden, weil auch ihre Sache dabei betheiliget sei. Aus den eben erst anuectirten Provinzen, wo Marchese Pepoli nut den Klöstern aufränmte, wanderten die Cardinale .4 n e Ii 8, Erzbischof von Fermo, und die Bischöfe von Ancona und Jest, und der Erzbischof von Urbino, Angeloni, ins Gefängniß. Gegen die in den usurpirten Marken, Umbrien, und einem Thcile des Patrimoniums Petri angeordnete Volksvotirnng richtete Cardinal Antonelli am 4. November eine neuerliche Protestation an das diplo¬ matische Corps, welche eben so wenig Erfolg hatte, als der Protest des Jesuitengcnerals Peter Beckx, <1) Victor Emanncl stellte ihn im Ministerium des öffentlichen Unter¬ richtes cm nnd verlieh ihm das Osficicrskreuz des St. Mauritius- und Lazarns- Ordcns. Europa, ß 18. Die katholische Kirche im Kirchenstaat und Piemont. Z79 Dogma äs immaonlata oonoeptivntz mit zu Rathe gezogen, und hatte er über dieses Dogma ein bändereiches Werk geschrieben. In der 1861 in Florenz zwar anonym erschienenen lateinischen Schrift: „Dio omma italioa ad oymooyos oatliolioos, anotoro presb^toro oatbolieo", zu deren Autorschaft sich jedoch D. Passaglia selbst bekannte, machte er dem Papste die bittersten Vorwürfe darüber, daß er die weltliche Herr¬ schaft nicht anfgebe, und die Einigung Italiens hintanhalte, obwohl er, erst 1860 lehrte, der Papst könne Niemandes Unterthan sein. In der Broschüre: „della soommnniea« spricht sich D. Passa¬ glia gegen die Excommnnication wegen z e i t l i ch e r Gründe ans. Seit Neujahr 1862 erschien von ihm in Turin die politisch-religiöse Wochen¬ schrift „II modiatoro«. Leider handelte auch ein Mitglied des Cardinal-Colleginms nicht pflichtgetren, nämlich Hieronymus d'Andrea. Wegen unbefugter Ab¬ wesenheit in Neapel (seit 1864) benahm ihm der Papst die Juris¬ diction in seiner Diöcese Sabina und Abtei Subiaco (12. Juni 1866). Der Cardinal blieb halsstärrig, und führte in seinem Rechtfertigungs¬ schreiben eine Sprache, wie sie von einem solchen Würdenträger wohl nicht zu erwarten war. Endlich fügte er sich, unterschrieb einen Wider¬ ruf, und kehrte nach Rom zurück, wo er am 14. Mai 1868 plötzlich starb. d'Andrea war am 12. April 1812 in Neapel geboren; von Pius IX. am 15. Mürz 1852 zum Cardiualat erhöbe«. Gekränkte Eigenliebe war die Hauptnrsache seiner Verstimmung. Er wäre gern Staatssekretär geworden. Nicht ans eine und dieselbe Linie mit derlei Gegnern der weltlichen Herrschaft des Papstes durfte man damals schon Männer, wie Dr. Ignaz von Döllinger, Professor zu München, unbestritten Einer der ersten katholischen Theologen Deutschlands, stellen. In zwei am 5. und 9. April 1861 im- Odeon gehaltenen Vorträgen sprach er Angesichts der bereits vollbrachten Thatsachen in Italien und der augen¬ blicklich sehr trübe sich gestaltenden Zukunft seine Ueberzengung dahin aus, daß die weltliche Herrschaft kein absolutes Requisit des Papst- thums sei, daß dieses selbst fvrtbestehen werde, falls auch j e n e vor¬ läufig zu Grunde gehen sollte. Ausführlicher noch entwickelte er seine Ansichten darüber in seinem weitläufigen, im Jahre 1862 erschienenen Werke: „Kirche und Kirchen, Papstthnm und Kirchenstaat". Freilich wohl hatte der berühmte Autor einige Mängel der weltlichen Re- 380 1. Theil. 1. Hauptstuck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. gicrnng des Kirchenstaates vielleicht etwas za freisinnig, und mit zu wenig zarter Schonung an das Tageslicht gezogen. Die Nothwendig- keit der politischen Unabhängigkeit des Oberhauptes der katho¬ lischen Kirche bestritt Döllinger übrigens damals durchaus nicht; >) ist sie ja selbst unbefangenen Protestanten einleuchtend, wie z. B. Gnizot in seiner Schrift: „pützlms et la sneiete obretieims en 1861" mit der des tiefblickenden Staatsmannes würdigen Meisterschaft und Unparteilichkeit dargethan hat. Die Allocntion, ckdn. 30. September 1861, in welcher der Papst wieder die höchst traurigen Zustände der Kirche in Italien, aber auch in Mexico und Neugranada, schildert, gab den „Times" Veranlassung zu der rücksichtslosem Aeußerung: „man werde bei der unmöglich ferne liegenden Umgestaltung des Papstthums im Interesse der Religion und des Anstandes (!) Sorge tragen, die sogenannten Allocntionen ganz und gar abzuschaffen". Ministerpräsident Baron Bettino Rieasoli schlug ciu neues Arrangement dem hl. Vater vor, welches er nicht nur in einem Schrei¬ ben au Cardinal Antonelli, sondern an den Papst selbst, ckcko. 10. September plausibel zu machen suchte, und dessen mit einem Schwulst von Phrasen umhüllter Sinn freilich kein anderer war, als daß der Papst, um frei zu sein, sich von den Banden der Politik befreien solle, damit auch Italien frei und einig werden könne. „Die Rechte der Nationalität sind unvergänglich", ruft er dem Papste voll Pathos zu. „Und wenn Sie großer sein wollen, heiliger Vater! als die Könige der Erde, so machen Sie sich frei von dem Ungemach des Kvnigthums, das Sie denselben gleich gemacht hat". Die „Armvnia" war boshaft genug, dem theologisirenden Minister durch wörtliche Citate nachzn- weisen, daß seine Kraftsentenzen nichts als ein Plagiat aus einen: Buche des Moutecassiner Mönches Luigi Tvsti: „I'rolog'vmini alla storia universale ckella eiiiesa" aus der Zeit N a p o l e o n's I. seien. (Der Vvlkswitz nannte nun den Minister Unter Rieasoli.) In: Rundschreiben, ckcko. 26. Oetvber, beschuldigte der Justiz¬ minister M i n g h etti den sammtlichen italienischen Episkopat, daß der- ') Ausdrücklich protestirte I)r. Döllinger selbst gegen die Verstümmelung und Ausbeutung seines Buches im piemoutesischcu Interesse durch Abbü Antonio Jsaiu, früheren Secretär des Cardinals d'Andrea. (Siche „Augsburger All¬ gemeine Zeitung" Ne. 82 des Jahrganges 1862.) Europa. Z 19. Die katholische Kirche in Neapel. Z8I selbe die Gewissen beunruhige, und die Religion dazu mißbrauche, um Aufruhr gegen die Regierung zu predigen, wogegen insbesondere die Bischöfe Umbriens entschieden protestirten. tz 19. Dir katholische Kirche in Neapel. Schon als Bvnrbvne, und weil mit dem österreichischen Kaiser- Hause enge verschwägert, abgesehen von seinen Regiernngsmaximcn, war König Ferdinand II.') (seine zweite Gemalin Theresia war eine Tochter des Erzherzogs Carl, Bruders Kaiser Franz l.; sie starb am 8. August 1867 zu Albano mit Hinterlassung eines Testamentes, worin sic auch ein namhaftes Legat zur Abhaltung von Bvlksmissionen bestimmte) der Partei der Jtalianissimi ein Dorn im Ange. Am 12. Jänner 1848 brach ein Aufstand in Palermo, am 29. in Neapel selbst aus, worauf der König am 10. Februar eine Verfassung gab. Doch auch hier halfen derlei Zugeständnisse auf die Dauer so wenig, als in Rom. Die treuen Schweizer bewältigten zwar den Maiaufstand in Neapel; aber in Sicilien wurde, zumeist auf Jnstigation Englands, Carl Albert's zweiter Sohn, Ferdinand, Herzog von Genua, am 11. Juli 1848 zum König gewählt. Erst im Mai künftigen Jahres schlng General Filan gieri den sieilianischcn Aufstand ganz nieder, den zuletzt der Pole Mieroslavski (der nämliche, der seine Hand auch in der badischen Revolution im Spiele hatte) geleitet hatte. Neapel konnte sich von den traditionellen staatskirchlichen An¬ schauungen aus der Zeit eines Tann ei nur schwer allmälig trennen. Einige Artikel der „(Rviltü ) Geboren 1836. Nettester Sohn König Ferdinands II. und seiner ersten — von Pius IX. beatificirten — Gemahlin Christine, einer sardinischen Prin¬ zessin, gestorben 1836. 2) Was die englische Regierung — respective Palmer ston — nicht gestand. Europa. § 19. Die katholische Kirche iu Neapel. Z83 reich) gefolgt war und mit ihm unerschrocken alle Gefahren der Be¬ lagerung durch die piemvntesischen Truppen getheilt hatte, hielt er sich, bis die ausgehungerte Festung sich ergeben mußte (13. Februar 1861). Nach der Capitulativn von Gaöta begab sich König Franz II. mit seiner heldenmüthigen Gemalin und der gestimmten königlichen Fa¬ milie nach Rom, wo ihm der Papst den Quirinal einräumte, und ihm nach Kräften die selbst einst auf neapolitanischem Boden genossene Gast¬ freundschaft zu vergelten bemüht Ivar. Das Königreich Neapel wurde nun auch der Schauplatz von Bar¬ bareien. Die noch übrig gebliebenen bvurbvnischen Truppen lösten sich in einzelne Guerillabanden unter kühnen, aber nicht nach einem be¬ stimmten vereinbarten Plane handelnden Führern auf, was auch ihren Untergang verschuldete. Die Piemontesen füsilirten alle in ihre Hände gefallenen Bri¬ ganten (d. i. Räuber; so nannten sie die Getreuen Franz II.). Schon am 20. October verkündete General C i a l d ini, daß er auch alle mit den Waffen in der Hand ergriffenen Landlente erschießen lassen werde. Er hielt Wort. Noch unmenschlicher verfuhr General Pinelli mit den „Reactionüren". Aehnlichen Blntbefehl erließen der Major Fumel am 12. Februar 1872 und Fantvni. In Folge Annexion Neapels und Siciliens an Piemont (durch das sogenannte Plebiscit vom 21. October 1860) erging es der Kirche und dem Clerus alldort so, wie in den übrigen Theilen Italiens. Weil der Erzbischof von Neapel, Cardinal Riario Sforza, sich weigerte, seine Geistlichkeit zur Unterstützung der neuen Ordnung der Dinge aufzn- fvrdern, ertheilte ihm Garibaldi den Befehl, binnen zwei Stunden Neapel zu verlassen. Er zog sich nach Rom, wie der gleichfalls ans- gewiesene Cardinal-Erzbischof von Benevent. (Außer ihnen befanden sich Anfangs 1862 29 neapolitanische Erzbischöfe und Bischöfe und vier Bischöfe i. p. in Haft oder im Exil.) Mit Decret vom 12. Juni vertrieb Garibaldi die Jesuiten nnd Lignorianer ans Sicilien; „in Erwägung, heißt es dort, daß die¬ selben während der traurigen Periode der bourbonischen Herrschaft die thätigsten Unterstützer des Despotismus gewesen". Selbstverständlich wurde auch da ihr Vermögen eingezogen, d. i. zum Staatsvermögen geschlagen. — Ein anderes Decret, welches die Güter der erz- nnd bischöflichen Stühle zu Nativnalgütern erklärte, und 384 4 Thcil. 1. Hcmptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. den betreffenden Würdenträgern Entschädigungen ans dem Staatsschätze bis zu 2000 Dueati (ü zwei Gulden) versprach, kam doch nicht zur Ausführung. Während man so die Vorsteher der Kirche maßregelte, Mönche und Nonnen aus ihren Häusern trieb und sie auf die Gasse warf, be willigte Garibaldi der Mutter des in Neapel Hingerichteten Sol¬ daten, Agesilao Milano (welcher den König am 11. December 1856 bei einer Militärparade meuchlings verwundet hatte), eine jährliche Pension. Wie alle sonstigen italienischen Eoneordate — das österreichische in der Lombardei nicht ausgenommen — wurde auch das mit Neapel im Jahre 1818 geschlossene einfach annnllirt (siehe päpstliche Alloention cicttt. 18. März 1861). Ein königlich piemvntesisches Deeret vom 20. No vember 1861 hob säinmtliche Männer- und Nonnenklöster im König¬ reiche Neapel auf, mit Ausnahme jener, die sich mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Werken beschäftigen. — Da der Cardinal Riariv Sforza vorzüglich wegen seiner während der Cholera bewiesenen Aufopferung bei den besseren Bewohnern Neapels sehr be¬ liebt war, lud ihn die Regierung Victor Emanuel's in ihrem eigenen Interesse ein, nach Neapel zurückznkehren, indem ihm F a rini alle Garantien für die freie Ausübung seines Oberhirtenamtes ver¬ sprach. Am 30. November 1860 kam der Erzbischof wirklich aus Rom wieder in Neapel an, aber nur, nur bald auch selbst zu erfahren, wie die neue Regierung Wort zu halten gewohnt sei; denn es währte nicht lange und er mußte wieder (31. Juli 1861) in die Verbannung, die er bis 1866 mit seinem Könige in Rom theilte. Mit Decreten vom 5. März 1863 und 12. März, wieder 23. Mai d. I. verbot die 8. OonArs^atio kUtnnin in kirchlichen Gebeten im Königreiche Neapel des V i c t o r E m a n uel als „Königs von Italien" zu erwähnen; so wie dieselbe Kongregation der Geistlichkeit wiederholt untersagte, sich ohne Erlaubniß der Bischöfe an den Functionen und Io vonin zur Feier der italienischen Einheit u. dergl. zu betheiligen. Unterm 4. Mai 1863 richteten die neapolitanischen Bischöfe an Victor Emanuel eine Vorstellung gegen die Verordnung vom 5. März d. I. bezüglich des Placets für alle päpstlichen Erlässe. Im vormaligen Königreiche beider Sicilien hatte Pius IX. die die beiden Bisthümer Gaöta nnd Catania zu Erzbisthümern erhoben; Europa. Z 20. Die katholische Kirche in Toscana und Modena. Z85 die Bisthümer: Cajazzo, Vastv und Foggia aber neu gegründet. Das Gleiche that er nut Gvzv auf der gleichnamigen Insel bei Malta. >) tz 20. Vic katholische Lieche in Toscana nnd Modena. Am 8. Februar 1849 mußte auch der Großherzog von Toscana, Leopold II.. als Flüchtling mit seiner Familie das Land verlassen, worauf er am II. d. M. als abgesetzt erklärt, nnd zuerst eine pro¬ visorische Regierung bestellt, bald aber gleichfalls die Republik ausge¬ rufen und Guerazzi zum Dictatvr ernannt wurde. Doch noch im nämlichen Jahre, 29. Juli, gelangte auch Leopold II. gleich den übrigen vertriebenen Fürsten, den Herzogen von Modena, Franz V. nnd Parma wieder auf seinen Thron. — Am 25. April 1851 schloß er mit dem heiligen Stuhle, statt des 1848 eingegaugenen, ein neues Cvneordat ab (ratificirt au: 19. Juni, in Wirksamkeit getreten am 25. August d. I., siehe Allveutivn cicio. 5. September 1851), wodurch die Levpvldinischen Gesetze bezüglich der Kirche aufgehoben wurden. Der Abfall der beiden Eheleute Franeesco (Schcnkwirth) und Rosa Madiai zu Florenz zum Protestantismus, hätte für ganz Toscana bald die bedenklichsten Folgen gehabt. Weil nämlich die Genannten Pr v s ely ten m a ch ere i trieben, so wurden sie nach dem Gesetze zur Gefängnißstrafe vernrtheilt (1852). Durch das ganze protestantische Lager erscholl der Nvthschrei, welch' grausamer Verfolgung die „Evan¬ gelischen" in Toscana preisgegcben seien; schon das bloße Lesen der pro¬ testantischen Bibel bringe auf die Galeeren vder gar auf den Scheiter¬ haufen (selbstverständlich unwahr). Aus England, Holland, Preußen, Würtemberg, der Schweiz u. s. w. machte sich eine großartige Depu¬ tation auf den Weg, um sich beim Großherzog für die „Märtyrer" zu verwenden. Der preußische Gesandte in Florenz fand die Sache wichtig genug für eine diplomatische Intervention. Um sich Ruhe zu ver¬ schaffen, ließ die grvßherzvgliche Regierung das gedachte Ehepaar im Frühjahre 1853 frei ziehen. Am 27. April 1859 zwang die Revolution neuerdings den Groß- ') Am 6. September 1862 starb zu Neapel der Bischof von Ariano, Ca¬ puto, der es mit der Nationalpartei und mit Victor Emanuel hielt. Der Aufforderung der Cougregation des Concils äüo. 28. Februar 1861, seine Stelle als königlich piemontesischer Groß-Almofenier niederzulegen, hatte er nicht Folge geleistet. Stepischnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 25 Z86 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Herzog Leopold II. zur Abreise (noch Oesterreich), worauf Victor Emanuel vorläufig das Protektorat in Toscana anuahm; bis ihm auch dieses Land durch das sogenannte Plebiscit zugespielt wurde. Am 21. Juli 1859 trat Leopold II. seine Rechte an seinen Sohn Ferdinand IV. ab. Er starb im Februar 1870 in Rom. — Das Concordat vom 25. April 1851 wurde (1860) kurzweg aufgehoben. In Pisa machte sich der sogenannte M v n t a ne lli-V er e i u geradezu den Sturz der katholischen Religion und Kirche zur Aufgabe. Pius IX. hatte in Toscana das Bisthum Modigliana neu errichtet. Modena erhob Pius IX. im Jahre 1855 zum selbständigen Erz- bisthume mit den Suffragan - Bisthümern, Reggio, Carpi, Massa und Guastalla. Mit Breve vom 13. Juni 1857 genehmigte Se. Heiligkeit einige Verfügungen der Regierung, welche die Befreiung der Kirche von der Mitwirkung einer Laienverwaltung ihres Vermögens mittelst fester Do¬ tation zum Zwecke hatten. Wenige Tage nach der Herzogin Louise von Parma (7. Juni 1859)') — wo einige Monate später der ehemalige Oberst Graf An- viti vom Pöbel in canibalischer Weise mißhandelt und endlich ent¬ hauptet worden war floh auch der Herzog F r a n z V. von Modena vor der Revolution auf österreichisches Gebiet, wo er am 20. November 1875 in Wien starb. Ungeachtet der Stipulation von Villafranca wurde auch Modena in Folge des in Scene gesetzten Plebiscites von Victor Emanuel annectirt (19. August 1859). tz 21. Der Kirchcustaat und das neue Königreich Italien. So war denn durch Mittel mancher Art — auch List und Ge¬ walt nicht ausgenommen — das neue „Königreich Italien" — am ') In Folge des Todes der Erzherzogin Marie Louise (Witwe Kaiser Napvleon's I.) am 18. December 1847 kam Lucca an Toscana; die bourbonische Linie in Lucca aber succedirte in Parma. Earl II. dankte 1849 ab; sein Sohn und Nachfolger Carl III. wurde am 27. März 1854 ermordet, worauf dessen Witwe Louise im Nameu ihres miuderjährigen Sohnes Robert I. die Regeut- schast übernahm; aber gleichfalls vor der Revolution flüchten mußte. Im October 1859 wurde Parma vou Piemont in Besitz genommen. Die Herzogin, Tochter der Herzogin von Berry, starb am I. Februar 1864 zu Venedig. Europa. Z 21. Der Kirchenstaat und das neue Königreich Italien. Z87 17. März 1861 nahm Victor Emanuel den Titel eines „Königs von Italien" an — geschaffen, sich erstreckend über die ganze schöne Halbinsel, mit Ausnahme des sogenannten Patrimoniums des hl. Petrus und des venetianischen Gebietes, welches letztere aber auch bald dem¬ selben zufiel. Nach und nach erhielt es, wie schon erwähnt, die Anerkennung der meisten übrigen Staaten (obwohl sie früher gegen die flagranten Rechtsverletzungen ans der italienischen Halbinsel durch Piemont Protest erhoben hatten) — „ans Grnnd der vollendeten Thatsachen". Zuerst von Seite Englands, Schwedens und Frankreichs n. s. w.; dann Ru߬ lands (dieses hatte 1860 sogar seinen Gesandten aus Turin abberufen) und Preußens (1862), Baierns (1865); im nämlichen Jahre auch von Spanien u. s. w.; endlich in Folge des unglücklichen Krieges Oester¬ reichs gegen Preußen, auch von jenem. Noch bevor der Schöpfer der „italienischen Einheit" sein Werk mit dem vollständigsten Erfolge gekrönt sah, rief ihn Gott vor seinen Richterstnhl. Graf Camillo C a v o n r starb nämlich bereits am 6. Mai 1861, in Folge eines Schlaganfalles/) wie er versicherte, als „guter Christ", und zwar versehen vom Pfarradministrator 8. Oinvomo ) Schon Anfangs 1861 soll das Chronogramm circnlirt haben: OlnVv (InVoVr nVnO Aknlstvr nnnVn IiIO tldl «Inlstor. 2) Am 8. November 1873 wnrde in Turin das ihm gesetzte Denkmal in Gegenwart des Königs enthüllt. 2) Zumal Baron Rica soli, Toscancr; Urban Ratazzi (geboren 1810 zu Alessandria, gestorben 5. Juni 1873 unversöhnt mit der Kirche), auf welchen Carlo Luigi F arini kam, den man in ein Irrenhaus bringen mußte, eine ehe¬ malige alte Abtei, welche über Antrag Farini's aufgehoben worden war, wo er 1866 starb. ') Die Verhaftungen von Bischöfen, als: des Bischofs von Sessa, des Erz¬ bischofs von Aqnila und des Pro-Generalvicars Garbassi (1861) zeigen dies. Ebenso jene des Vicars des verbannten Cardinal-Erzbischofs von Neapel, Ti paldi; des Bischofs von Fano, Filippo Vcspasiani; des Capitularvicars von 25* 388 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale» der kath. Kirche. Kaiser Napoleon hatte indessen seine Congreßgedanken nach immer nicht aufgegeben, oder besser gesagt, er wollte noch immer mit derlei Vorschlägen die Welt täuschen (Rundschreiben des Ministers Drvuyn de Lhnys, lläo. t8. Oetvber 1862), selbst auch dm hl. Vater. Dieser versicherte ihn in seinem Antwortschreiben, ckllo. 20. No¬ vember 1863, seiner „moralischen Beihilfe, damit die heut zu Tage so verkannten und mit Fußen getretenen Grundsätze der Gerechtigkeit znm Vortheile der so tief verwirrten Gesellschaft wieder aufgerichtet werden" u. s. w. (Vergl. Schreiben Napvleon's an La Valette in Rom, ällo. 20. Mai 1862; des Ministers Thon venel an denselben, ckllo. 30. Mai, und dessen Antwort, cküo. 24. Juni). Kein tiefer Blickender zweifelte schon damals, daß das eigentliche Endziel der Revolution in Italien die Republik sei. Garibaldi erhob offen das Banner der Empörung gegen die Regierung des Königs. Ueberall entflammte er die Massen zu dem fanatischen Rufe: „ü-oma 0 morto!" Am 29. August 1862 nahm ihn der Oberst Emil Pallavieini in dem Gebirge von Aspromonte, nordöstlich von Reggio in Calabrien, gefangen, von wo er nach Spezzia abgeführt, aber nicht lange hernach wieder freigelassen wurde. Was hätte auch Vietor E m a n n el mit ihm beginnen sollen? Ganz Italien anch das nüch¬ terne England, welches Garibaldi (1864) besuchte, trieb mit dem sich mühsam auf Krücken einherschleppenden verwundeten Abenteurer ge¬ radezu abgöttischen Cult. In eine neue Phase trat das Verhältnis) „Italiens" zum bereits so arg reducirten „Kirchenstaate" in Folge der — länger geheimen Convention, welche Kaiser Louis Napoleon mit König Victvr Emanuel ohne Mitwissen des Papstes am 15. September 1864 ab- schloß, (ans dem Rundschreiben des Cardinals Antonelli, ckcko. 19. November 1865, erhellt, daß die päpstliche Regierung erst am 28. September 1864 zur Kenntnis; der Convention gelangte) und worin sich Ersterer verpflichtete, binnen zwei Jahren die französische Besatzung aus Rom zu ziehen (dies geschah bis II. Deecmber 1866). Man fürchtete, dies sei gleichbedeutend mit: Pins IX. — trotz aller Bemäntlungen nnd Clauseln — an seinen Feind auszuliefern. Das war denn doch nicht der Fall. Hatte ja Drvuyn de Lhnys Bologna, Canzi; des Cardinals Morichini, Bischofs von Jesi (1864), der aber wieder bald in Freiheit gesetzt wurde; des Bischofs von Guastalla n. A. Europa. Z 21. Der Kirchenstaat und das neue Königreich Italien. 389 erst in einer Note vom 26. October 1862 gesagt: „Die italienische Regierung befinde sich auf einem Boden, wohin ihr Frankreich nicht folgen könne"; — ja Napoleon selbst hatte am 12. Juli l86t an Victor Emanuel geschrieben: „Ich werde meine Truppen solange in Rom lassen, als Ew. Majestät nicht mit dem Papst ausgesvhnt, oder der hl. Vater von der Gefahr bedroht sein wird, die ihm ver¬ bleibenden Staaten durch irgend eine reguläre oder irreguläre Macht angegriffen zu sehen." Die anderen Bestimmungen der Convention waren folgende: Italien verpflichtet sich, das gegenwärtige Gebiet des Papstes nicht anzugreifen, und jeden von außen her (also nicht auch einen in Rom selbst ausbrechcndcn Aufstand) gegen das besagte Gebiet kommenden An¬ griff zu verhindern. Auch wird sich die italienische Regierung jeder Ein¬ sprache gegen die Organisirung einer päpstlichen Armee enthalten. Flo¬ renz wird binnen sechs Monaten die Hauptstadt Italiens, und zwar sagt der vierte Artikel ausdrücklich, daß diese Verlegung der Hauptstadt ein ernstliches Pfand sei, und keineswegs eine Etappe auf dem Wege nach Rom. Der sechste Artikel aber lautet: „Frankreich behält sich die Freiheit der Entschließungen vor, wenn in Rom eine Revolution spon¬ taner Weise ausbricht." Also war die Positive Verzichtleistnug Italiens auf Rom die Basis der Convention. Im Falle einer Revolution behielt sich Frankreich das Recht vor, von neuem zu interveuiren. Der fünfte Artikel handelt von den Schulden, welche Italien für die annec- tirteu römischen Provinzen übernehmen solle. Die Ansicht Garibaldi's über die September-Convention geht unter Anderem aus seinem Briefe, ckckn. Caprera, 10. October >864, hervor: „Mit Bonaparte ist der einzige Vertrag dieser: Unser Land von seiner Gegenwart zu reinigen; nicht innerhalb zweier Jahre, sondern innerhalb zweier Stunden". Im geheimen Consistorium vom 21. December 1863 hatte der Papst schon einige Bischöfe für die entrissenen Provinzen ernannt. Die Negierung Victor Emanuel's aber erklärte, „alles anzuwenden, damit die Ernennungsbullen nicht das königliche Exequatur erhalten". Um wenigstens dem durch die Exilirnng und den Tod der Bischöfe verwaisten Zustande von mehr als 50 Sprengeln einigermaßen abzu¬ helfen, knüpfte Papst Pins IX. mit Victor Emanuel, an den er eigenhändig schrieb (>0. März 1865) Unterhandlungen an, ohne 390 l Theil. l. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath Kirche. übrigens dadurch dessen Recht weder auf die annectirten Provinzen des Kirchenstaates, noch auf die Länder der übrigen vertriebenen Fürsten anzuerkennen. Victor Emanuel schickte den Commendatore Ve- gezzi als seinen Bevollmächtigten nach Rom, welchem bald der Senator Graf Revel folgte.') Die Mission hatte nicht den beabsichtigten Er¬ folg, und scheiterte zunächst daran, daß man sich über den Eid, wel¬ chen die Bischöfe, zumal der annectirten römischen Provinzen und jener der depossedirten Fürsten, dem König Victor Emanuel schworen sollten, nicht einigen konnte. (Siehe Allocution vom Februar k867). Diese Verhandlungen, deren einziges Resultat damals die Rück¬ kehr einzelner exilirter Bischöfe war, hinderten indessen die Regierung gar nicht, ihre kirchenfeindlichen Maßregeln fortznsetzen. Beweis dessen das zwar 1865 zurückgezogene, daun doch erlassene Klösteraufhebnugs- Decret. Durch das Gesetz vom 6. Juli 1866 wurden die eingezogenen Kirchen- und Klostergüter zur Grundlage des sogenannten „Cultus- fondes" bestimmt. Die Verwaltung dieses Fondes ging selbstverständlich in die Hände von Laien über, deren splendide Besoldungen fast Alles absorbiren. Die Depntirtenkaminer beschloß 1864, der angehenden Geistlichkeit die Militärbefreinng zu entziehen; wogegen der gesummte piemontesische, lombardische und toscauische Episkopat Protestnote. Der Cultnsminifter P i s a n elli unterwarf die S e m i n a ri e n der Ueberwachnng der Re¬ gierung. Dagegen legten 26 Erzbischöfe und Bischöfe und 12 General- vicare der Marken und Umbriens Verwahrung ein; fruchtlos! Viele Seminarien, die sich der Jnspection nicht unterziehen wollten, wurden geschlossen. Der nämliche Minister Pisanelli verbot durch das Decret, 66a. 12. Juli 1864, den Ordinariaten, Pfarrer oder Vicare zu er¬ nennen, ohne vorher das königliche Ulnoat eingeholt zn haben. Die Erzbischöfe und Bischöfe von Neapel und Sicilien protestirten dawider. Es hatten wieder strenge Maßregeln gegen die Bischöfe und übrigen Geistlichen statt, die auf Grund der willkürlichsten Verdächtigungen massenhaft eingekerkert oder verbannt wurden. Das in der Kammer ') Herzog vonPersignp aus Poris, der gleichzeitig mitVegezzi in Rom war, scheint den Verhandlungen fern gestanden zn sein. Europa. Z 21. Der Kirchenstaat und das neue Könchreich Italien 891 zu Florenz (Mai 1866) votirte „Sicherheitsgesetz" lieferte die Hand¬ habe dazu. In das Programm des Liberalismus gehört überall auch die so¬ genannte Civilehe. Wie konnte sie in Italien fehlen? Man machte schon 1852 Miene, sie einzuführen, wie mir erwähnten. Der Papst schrieb an den König Victor Emanuel selbst einen Brief, ckcko. 9. Sep¬ tember 1852, worin er betont, daß das Sacrament nicht eine zufällig zum Ehe-Contracte hinzugesetzte Eigenschaft ist, sondern zum Wesen der Ehe selbst gehört. „Möge Cäsar behalten, was des Cüsars ist, und der Kirche lassen, was der Kirche ist. Es gibt kein anderes Mittel der Versöhnung. — Möge das bürgerliche Gesetz die Giltig¬ keit oder Ungiltigkeit der Ehe, wie die Kirche sie be¬ stimmt, zum Ausgangspunkte nehmen, nnd von dieser Thatsache ausgehend, die es nicht begründen kann (denn das liegt außerhalb seiner Sphäre), die bürger¬ lichen Wirkungen derselben regeln". (Siehe auch Allocntion, ckcko. 27. September 1852). Nichtsdestoweniger erlaubte bereits 1863 ein Erlaß des Justiz¬ ministers, daß gemischte Ehen auch vor dem politischen Beamten geschlossen werden können. In der Sitzung vom 29. März 1865 genehmigte auch der Senat den Gesetzvorschlag über die obligatorische Civilehe, welcher noch weiter geht, als das französische Gesetz, indem er die Civilehe auch Priestern und durch Gelübde bereits gebundenen Ordenspersonen gestattet. Sie trat mit dem I. Jänner 1866 in's Leben. Dagegen verwarf der Senat denn dvch für diesmal noch den von der Kammer (1864) angenommenen Gesetzvorschlag der Aufhebung der Befreiung der Seminaristen vom Militärdienste. Später aber ging das Gesetz durch -- vicke päpstliche Allocntion, äcko. 25. Juni 1869. Mit den Kirchengütern räumte Italien, welches stets Geld, viel Geld brauchte, gründlich ans. Nach anderen anfgctauchten nnd wieder anfgegebencn Plänen genehmigte die Kammer 1867 den vom Minister Ratazzi eingebrachten Vorschlag einer Staatsausgabe von 400 Millionen Lire, welcher durch Verkauf der Kirchengüter gedeckt werden sollte. Nach¬ dem die Sanetivn erfolgt war, sollte der Verkauf am I. September 1867 beginnen. Noch immer sah sich Italien nicht als fertig an, weil abgesehen 392 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. von Rom und dem kleinen päpstlichen Territorium, noch immer Vene¬ tien sich in Oesterreichs Händen befand, welches in dem für uneinnehm¬ bar geltenden Festnngsvierecke (Verona, Mantua, Peschiera und Le- gnago) Wache hielt. Preußen verschmähte es nicht, gegen seinen alten Alliirten, Oesterreich, mit dessen erbittertem Feinde, Victor Ema¬ nuel, sich zu verbünden. Der Kaiserstaat sollte zu gleicher Zeit an seiner Süd- und Nvrdgrenze eingefallen werden. Und so geschah es auch. Während in Böhmen das Kriegsglück den Preußen hold war, begünstigte es in Italien das österreichische Heer unter des Feldmar¬ schalls Erzherzog Albrecht's bewährter Führung. Victor Ema¬ nn el' s Plan, den Jahrestag von Solferino durch eine neuerliche Niederlage der Oesterreicher zu feiern, mißlang; er selbst wurde in der Schlacht von Cnstozza, wo L am ar mora (Marchese Alfonso Ferrero, geboren zu Turin l 7. November 1804; gestorben 5. Jänner 1878 zu Florenz) befehligte, vom Erzherzoge geschlagen (24. Juni). Auch ailf anderen Punkten, zumal in Südtirol, zogen die Italiener den Kürzeren; aber das Unglück der Nordarmee vereitelte die Früchte dieser Siege, und führte zu dem in der Geschichte noch nie erlebten Resultate, daß der geschlagene Feind dieselben für sich ciuerntete. Nach dem Unglückstage von Sadowa nahm der Kaiser Franz Josef U (5. Juli) die Vermittlung Napoleon's für ein Abkommen mit Preußen in Anspruch, und trat au denselben Venetien ab, der cs hinwieder, wie er 1859 mit der Lombardei gethan, an Victor Emanuel ver¬ schenkte. Hiezu gab Kaiser Franz Josef seine Zustimmung bereits im Prager Frieden (Artikel II) und wieder in dem speeiell mit Vietvr Emanuel zu Wien am 3. October 1866 abgeschlossenen (ratificirt ebendaselbst am 12. Oetvbcr) Friedensvertrage (Artikel III). Was half da die vom k. k. Vice-Admiral von Tegetthoff über den Admiral , Persanv so herrlich zu Lissa am 20. Juli gewonnene Seeschlacht?') Am 4. November nahm Vietvr Emanuel die eiserne Krone feierlich in Empfang. Daß die italienische Regierung in dem so wohlfeil erworbenen Venetien alsbald das österreichische Coneordat aufhvb, und sümmtliche ') Dem Admiral Per sau o wurde der Niederlage wegen der Proces; gemacht. — Tegetthof, geboren zu Marburg in Steiermark, Sohu eines k. k. Osficiers, starb am 7. April 1871. Seine Leiche wurde Ende October 1872 von Wien auf den Friedhof zu Graz (St. Leonhard) übertragen. Europa. Z 2l. Der Kirchenstaat und bas neue Königreich Italien. ZgZ kirchenfeindlichen Gesetze, insbesondere auch die Klösteraufhebung in An¬ wendung brachte, versteht sich von selbst. Nnr die Mechitaristen ans San Lazaro bei Venedig fanden vorläufig noch Gnade, und durften fortcxistiren. Gegen Ende 1866 sandte die Regierung Victor Emannel's wieder einen Unterhändler in der Person des Staatsrathes Tvnello nach Rom, jetzt mit besserem Erfolge. Der hl. Vater hatte zwar Grund genug gehabt, in der Allocution, ckcko. 29. October 1866, über die unausgesetzt fortbetriebene Unterdrückung der Kirche in Italien sich herbe zil beschweren. Ueber das Gesetz, welches die Civilehe einführte, sagt er darin: „Ein solches Gesetz tritt die Würde und Heiligkeit der Ehe mit Füßen, es zerstört ihre Einsetzung, es ermuntert ein ganz schmähliches Concubinat." Aber mit den verwaisten Bisthümern mußte denn doch eine Vor¬ kehrung getroffen werden. Im Consistorium vom 22. Februar 1867 prüconisirte der Papst auch Bischöfe für Italien, so unter Anderen end¬ lich auch für Turin, den seitherigen Bischof von Savona und Noli, Msgr. Graf A. R i c c a r d i. Nach dessen Tod, 1871, folgte der Bischof von Salnzzo, Laurentius Ga stal di; auf den erzbischöflichen Stuhl von Mailand aber kam der Bischof von Casale, Nazari cki 6a. la bin. na; Msgr. Balle rini, welchen die Regierung nie von jenem Stuhle Besitz nehmen ließ, wurde Patriarch von Antiochien mit dem Sitze in Rom. Zu einigem Troste mögen dem hl. Vater die vielfachen Beweise kindlicher Anhänglichkeit und katholischer Gesinnung, welche er auch aus dem unglücklichen Italien empfing, gereicht haben. So z. B. evnstitnirte 'sich der italienische Glaubensbund „.^ssoeia/üous eattolioa per la cki- lasa ckolla libortä ckalla eliiosa in Italia" (1866) mit der Ceutral- direction in Bologna. Das königliche Decret, e 68t aujonrd'Iini en NI68NI-6 cke Ini prvter.^ (Oesterreichisches Rothbnch Nr. l.) lieber die weiteren Verhandlungen und Noten der k. k. österrei¬ chischen Regierung unmittelbar vor nud nach der Einnahme Roms durch die italienischen Truppen belehrt uns das Rothbnch Nr. 4, Seite 121 —134. Der Hauptinhalt lautet dahin, daß die Negierung Sr. k. und k. Majestät für den hl. Vater etwas Wirksames zu thun sich außer Stande sehe. „Nam es u'o8t pa8 uno indickorouos, qua notro .-VnKamta Naitra ot Hon douvarnainont 8nnt loin do ro88ontir pour Io8 iotörot8 (in Laiut-HiÖKO et cke I'blAÜ8s oatlioli^iuo^ (so Graf von Beust an Ritter von Polvmba zu Rom ddo. 13. Sep¬ tember 1870.) Nnterm nämlichen Datum schrieb Graf Beust an den österreichischen Gesandten zu Florenz, Baron Kübeck: „Mus pon- von8 eoinpter eertaineinent 8nr l'o8prit (le Moderation, (pn aniins le oabinet de b'loreneo, et 8nr I'intention, (jn'il a souvent an- nvneee, de ne pa8 re8ondre 8enl la guo8tion roinaine.^ — Eine Woche später zeigte es sich der katholischen Welt, wie die italienische Regierung dieses Vertrauen rechtfertigte! Die Antwort darauf crtheilte Minister V i s c o n ti - V en o sta in der Depesche an den italienischen Gesandten zu Wien, Cavaliere Minghetti, ddo. 21. September : „Iw Oonvornomont iOontiüoal a vonln aontraindro Is 6ouvornoiuout du lkoi a 8S 8ervir da la toroo.^ Die alte Fabel vom Wolf und Lamme! In der Depesche an den Nämlichen ddo. 14. October sagt der Minister: Der Papst könne in Rom bleiben oder gehen, wohin es ihm beliebe; aber nirgends werde er so geehrt und so frei sein in der Ausübung seines geistlichen Amtes, als eben in Rom. (!) Durch die Duldung — wenn nicht directe Animirnng — der Europa. Z 21. Ter Kirchenstaat und das nene Königreich Italien. Z97 garihaldischen Freischaaren, welche sich unter den Augen der Regierung Victor Emannel's bildeten, mit der offenbaren, wirklich vvllführten Absicht, in den Kirchenstaat einzufallcn, hatte sich dieselbe unläugbar des Bruches der Convention vom 15. September 1864 schuldig ge¬ macht und Frankreich konnte sich füglich an dieselbe auch nicht mehr gebunden halten. Die Erklärung der Negierung — und Ministers Ratazzi — in der vfficiellen Zeitung vom 21. September 1867: „sollte Jemand versuchen, der Vertragstreue abtrünnig zn werden und jene Grenze verletzen, von der uns unser Ehrenwort fernehalten muß, so wird das Ministerium dies in keiner Weise gestatten, und überläßt den Zu¬ widerhandelnden die Verantwortlichkeit für die durch sie hervvrgerufencn Handlungen" konnte keinen Einsichtsvollen täuschen. Die Banden gingen trotzdem meist unbehelligt über „jene Grenze", wo sie konnten; wenn einzelne angehalten und zurückgewiesen wurden, so mochten sie wohl wissen, daß sie bald wieder kommen dürfen. So auch Garibaldi selbst, der noch in der ersten Hälfte Septembers d. I. bei dem soge¬ genannten „Friedeuscvngresse", eigentlich dem Stelldichein der revolu¬ tionären Häupter, als: Mazzini, Prim, Victor Hugo, Carl Vogt, Bakunin (Russe), welchen aber die Genfer selbst sprengten, anwesend war, und seine gewöhnlichen Wnthansfälle auf Rom und die Kirche machte. „Ich rufe das Volk von Genf an, sprach er, daß es nun Helse das Papstthum vollständig niederznwerfen. — Wir werden es vollbringen unter dem Beistand aller Demokraten der Welt." Von Florenz und Arezzo kommend, wurde Garibaldi zwar zu Asinaluuga „im Namen des Gesetzes" aufgefvrdert, nmzukehren, und als er sich dessen weigerte, nach Alessandria gebracht. Von da richtete er eine fulminante Prvclamativn an die Romer. Nicht lange aber währte es, und er stand ans päpstlichem Gebiet bei den „Seinen". Denn Ga¬ ribaldi ließ sich zwar wohl bestimmen, nach Caprera znrückzukehren, von wo er aber doch schon am 15. October, ungeachtet der strengen Ueberwachung (?) der Insel, entkam um geradem Weges auf sein Ziel — Rom — lvszusteuern. si ') Oesfentlichc Blätter «siehe „Augsburger Allgemeine Zeitung" Nr. 339) berichteten: „Als Garibaldi am 22. October mit einem Separatzng (von Florenz) abgcreist war, telegraphirte Rattazzi au den Uuterpräfectcn von Nieti: „er möge sich stellen, als ob er Garibaldi suche, ihu aber nicht finden". 398 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kalh. Kirche. Der französische General Dumont, welcher im Sommer 1867 nach Rom gesandt worden war, wird wohl über die Lage alldvrt nach seiner Rückkehr nach Paris dem Kaiser genauen Bericht erstattet haben. In seinem Rundschreiben an die diplomatischen Vertreter Frankreichs im Auslände, äcko. 25. October, hatte der Minister des Auswärtigen, Margnis da Lloustisr, ganz recht, wenn er sagt: „Der September¬ vertrag wurde von der italienischen Regierung hervvrgernfen und aus freien Stücken unterzeichnet. Er legte ihr die Verpflichtung auf, die Grenzen der päpstlichen Staaten nachdrücklich gegen Angriffe von außen zu schützen. Niemand kann heute mehr bezweifeln, daß diese Ver¬ pflichtung nicht erfüllt wurde, und daß wir im Rechte seien, die Dinge in den Stand znrückzusetzen, in welchem sie sich vor der loyalen und vertrauensvollen Ausführung unserer eigenen Verbindlich¬ keiten durch die Räumung Roms befanden. Unsere Ehre legt uns sicher¬ lich die Pflicht auf, nicht mißzuverkennen, welche Hoffnungen die katho¬ lische Welt auf einen Act gegründet hat, der unsere Unterschrift trügt." An: 27. October ging bereits ein Theil des französischen Expe- ditivnscvrps unter General da Urrill^ in Toulon unter Segel mit dem Auftrag, sich sofort nach der Ausschiffung in Civitü-Vecchia, wo das Pauzergeschwader am 28. ankam, mit dem päpstlichen Obergeneral und Pro-Minister der Waffen, Hermann Kanzler, in Verbindung zu setzen. Victor Emanuel's Ansinnen, mitinterveniren zu dür¬ fen, welches General Lamarmora in Paris persönlich vvrbrachte, wurde zurückgewiesen; demungeachtet marschirten (30. Octvber) italienische Truppen in das päpstliche Gebiet ein — „das Bewußtsein der natio¬ nalen Würde und der Pflicht, die Principien der Ordnung (!) und Freiheit zu wahren — so hieß es in der amtlichen Zeitung — hat der italienischen Regierung diesen Entschluß gebieterisch augerathen." Auf Befehl Frankreichs mußten sie aber alsbald wieder über die Grenze zurück. Französische Brigaden zogen in Rom ein, an dessen Bewohner General ds Uaill^ am 29. October von Civitü-Vecchia eine beruhigende Proclamativn erlassen hatte. „Der Kaiser der Franzosen, heißt es darin, sendet anf's neue ein Expeditionscorps nach Rom, den hl. Vater und den päpstlichen Thron gegen die Angriffe revolutionärer Bauden zu schützen." — Es war aber auch die Noth wahrlich schon auf das höchste gestiegen. In Rom selbst hatten Verschworene, unter ihnen auch zwei Maurer, Europa. Z 21. Der Kirchenstaat und das neue Königreich Italien. 399 Mvnti und Tognetti, die in der Nähe des Vaticans liegende Caserne der päpstlichen Zncwen am 22. October 1867 in die Luft gesprengt, wobei 25 Personen elendiglich nin's Leben kamen. Nachdem die beiden obgenannten Verbrecher am 24. November 1868 in Rom hingerichtet wurden, schrien die liberalen Blätter unisono über die blu¬ tige Grausamkeit der päpstlichen Regierung. Die Päpstlichen, zumal die Zuaven, kämpften tapfer gegen die Garibaldischen Freischaaren bei Aqnapendente, Bagnarea, Subiaco, Nerola, Monte Libretti, Vallecorsa, Monte Rotondo (25. und 26. Oc- tober), Orte, Borghettv, Ponte Molle, Viterbo, Tivoli; das entschei¬ dende Treffen aber, in welchem die Päpstlichen durch die herbeigeeilten Franzosen — fünf Bataillone unter General Polh 6s, einen Zug reitender Jäger, eine halbe Batterie, eine Abtheilung Genie - Soldaten und eine Ambulanz-Section — unterstützt wurden, und ohne welche sie wohl der Mehrzahl ihrer, im Rücken von den Italienern gedeckten Feinde unterlegen wären (diese zählten mindestens 10.000 Mann), hatte am 3. November zu Mentana (das alte Nomentnm) statt. — Der Sieg der Alliirten war ein vollständiger. Die Freischärler ließen über 600 Tvdte zurück. ') Allmälig zogen die Franzosen wieder vom römischen Gebiete ab; in Civitä-Vecchia verblieb ein Theil derselben als Besetzung. Tags nach der Schlacht bei Mentana war Garibaldi zu Figline verhaftet und nach Spezzia, dann in das Fort Varignanv auf der kleinen Insel Palmaria gebracht worden, aber noch im selben Monat frei nach Caprera entlassen, mit der Bedingung, diese Insel nicht vor¬ dem nächsten März zu verlassen nnd, falls sein Proceß statthaben wird (falls?), auf die erste Aufforderung sich zu stellen. Wieder trat die französische Regierung unterm 9. November an die europäischen Mächte mit -dem Plane einer Conferenz „pour oxa- ininor Iss Kravos gusstions soulsvess pur Io. Situation cku 8aiut- 8iöAS ot sslls cku ltovuumo ck'Italio" heran. ') Zur Erinnerung daran ließ der Papst silberne Medaillen — in der Form eines achteckigen Kreuzes — Prägen, zu tragen von den päpstlichen und französischen Soldaten, die bei Mentana fochten. «Breve ckclo. 14. November.) Am Friedhöfe zu 8an lun-onz.v kuori Io nnirn ließ er den für seine Ber- thcidigung Gefallenen ein schönes Monument setzen. Die am 20. September 1870 in Rom Eingcdrnngeneu ließen es zwar bestehen, hefteten aber eine Inschrift an, welche die päpstliche Herrschaft beschimpft. (!) >400 I> Thcil> 1> Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath> Kircher In der Depesche an den Gesandten zu Paris, Fürst Metter¬ nich, ckäo. 19. November 1867, erklärte Baron Benst die Bereit¬ willigkeit Oesterreichs, sich daran zn betheiligen. Es kam aber weder wirklich zu einer Conferenz, noch zu den, vom Grafen Bismarck nach Paris vorgeschlagenen „pom-purlers 6t nsKoeiutions proliiuinniros 8nr I'objet cks In Oontsreuvö" der fünf Großmächte. ") Im Reiche des Königs Victor Emanuel hatte die Cvrrnptivn schon auch sogar Depntirte in abschreckender Weise ergriffen. So z. B. Lobbia, welcher mit Anderen in einer Untersuchung wegen schmutziger Betheiligung an dem Tabakmvnopvlspacht und wegen Briefdiebstahls verwickelt war. Auch der Fingirnng eines Mordanfalls ans sich war er angeklagt. Das Florentiner Strafgericht verurtheilte ihn, ungeachtet er sich hinter das Privilegium der Immunität als Deputirter flüchten wollte, dennoch zu einjähriger und drei seiner Mitschuldigen zu mehr- mvuatlicher Gefängnißstrafe. (Siehe darüber die „Augsburger Allgemeine Zeitung".) Rohe, kirchenfeindliche Excesse des Pöbels fanden an mehreren Orten statt — so am 31. Jänner im Dome zu Padua — bei der Frohnleichnams-Prvcessivn in Venedig im nämlichen Jahre. -) Die Regierung legte den italienischen Bischöfen keine Schwierig¬ keiten in den Weg, dem vatieanischen Coneil beizuwvhnen. Sie hin¬ derte auch die Publication der ConeilSbeschlüsse nicht. Das vom Grafen Ricciardi prüsidirte Freimaurer-Concil (Gegeuconeil) in Neapel hatte die Regierung, aber nur wegen der Schmähungen auf Napoleon III., alsbald sprengen lassen (December 1869). In Paris erschien 1869 noch vor der Cvneilseröffnuug eine Flug schrift: „1-6 oonoils vaonmvmgna at les «lroik «la l'ütaU, welche ') Nach einem Artikel des Prinzen Napoleon über die Ereignisse des Jahres 1870 in der „ikvvun (los «lenx itlomws" (1878) Hütte Benst schon im Jahre 1868 und dann wieder 1870, um Italien znm Beitritte zur TrippeVAllianz (Oesterreich, Frankreich, Italien) zn vermögen, von dem den Papst noch inaner nicht ganz fallen lassen wollenden Kaiser Napoleon das Prcisgeben Roms an Italien gefordert. (!) Dies ist nicht wahr — weil auch mit der nachfolgenden Politik Bcust's, wie sie im osficicllen Rothbuch geschildert ist, nicht vereinbarlich. 0 Wie traurig es mit der öffentlichen Sicherheit überhaupt im geeinigten Italien bestellt sei, constatiren auch uicht-clerieale Blätter. Bon 1864 bis 1870 gab es 17.090 Morde und Todtschläge. Europa. Z 21. Der Kirchenstaat und das neue Königreich Italien. 401 man mit dem italienischen Ministerpräsidenten, M e n a b r e a, als von ihm ansgegangen, in Verbindung brachte. Dem Staate wird darin unter Anderem das Recht bei der Einberufung eines solchen Coneils sogar die Initiative zu ergreifen, dabei zu iuterveniren, activ einzu- greifeu u. dergl. viudieirt, und behauptet, daß kein Coneilieubeschluß Kraft habe, es sei denn, er werde durch den Staat angenommen und promulgirt. Die Schrift erhielt eine Abfertigung durch den römi¬ schen lickitoro cki kota, NonsiKnors Garcii. Der unglückliche Krieg Frankreichs mit Preußen blieb nicht ohne entscheidenden Einfluß auf Italien. Bald nach der französischen Kriegserklärung zeigte Frankreich dem Papste und der italienischen Negierung an, daß es seine Truppen aus dem Kirchenstaate zurückzichen werde, daß es aber dabei auf die Loyalität der italienischen Regierung gegenüber dem Papste rechne. In der dies¬ bezüglichen Depesche des französischen Ministers der auswärtigen Ange¬ legenheiten, Herzogs von Gramont, ckckv. 2. August 1870, heißt es wörtlich: „Die beiden Mächte finden sich zurückversetzt auf den Boden der September-Convention, in Kraft deren Italien sich verpflichtet hat, das päpstliche Gebiet nicht anzugreifen, und nöthigenfalls gegen jeden Angriff zu vertheidigen. . . . Indem wir jetzt in die Grenzen der Frank¬ reich auferlegten Verbindlichkeiten zurückgekehrt sind, bauen wir mit völ¬ ligem Vertrauen auf die wachsame Festigkeit, womit Italien alle es an¬ gehenden Bestimmungen erfüllen wird." Dieses Vertrauen wurde nicht gerechtfertiget. Die Regierung Vietvr Emanuel's dachte kleinlich genug, um von dem Unglücke Dessen gegen gegebenes Wort Vortheil zu ziehen, dem Italien Alles zu verdanken hatte. Und wie aufrichtig (?) ging sie hiebei vor! In der Depesche des italienischen Ministers des Aeußeren, Visconti-Venosta, am 4. August l87O au den italienischen Gesandten zu Paris ist zu lesen: Die französische Regierung hat uns kundgemacht, „daß sie zur Erfül¬ lung der Convention vom 15. September 1864 zurückkehrt, iudem sie ihre Truppen aus dem römischen Gebiete abbcrnft. Die Regierung des Königs nimmt Urkunde vvn dieser Entschließung der kaiserlichen Regie¬ rung. Sie, Herr Minister! kennen die Erklärungen, welche ich am .81. Juli letzthin vor dem Parlamente abgegeben habe. Ich bitte Sie, dieselbe Sprache bei dem kaiserlichen Minister der auswärtigen Ange¬ legenheiten zu führen. D i e R e g i e r u n g des Königs wird, was Stepischnegg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 26 402 I. Theil. l. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. sie betrifft, genau den für sie aus den Stipulationen von 1864 hervorgehenden Verpflichtungen nachleben. Ich brauche kaum hinznznfügen, daß wir auf eine billige Gegenseitigkeit von Seiten der kaiserlichen Regierung zählen." Noch am 19. August 1870 hatte der Minister des Aeußcren, Visconti-Venosta, in der Abgeordnetenkammer den Angriff auf dei: Kirchenstaat für eine Verletzung des Völkerrechtes erklärt. Aber schon am 29. August und 7. September zeigte er im Rundschreiben den Mächten an, daß die Besetzung des Kirchenstaates nvthwcndig sei. ') In dem Memorandum ;6 n ovnserver ton tos >68 in8titntivU8, 0 ffi668, 6t 6 v I' p 8 66ol68iu8tig!N68 6XI8tLNt ü ko NI 6, nin8i <1 n 6 Ion 1'8 6Mj>Io^68. ko 8'0NV6I'N6M6Nt 8'6NA'U8'6 n o 0 n 8 6 I'v o 1' 6 n t i ö I' 6 8 6t 8 NN 8 >68 8OUM6ttl'6 N «I 6 8 tNX68 8P60INI68 to»t08 168 pr 0 pri 6 t 6 8 6 6 61 68 i n 8 t I g u 6 8, (tont >68 I 6V6NN8 nppni'tiönnont n Ü68 6lini'8'68, vtkn-,68, eoi'poi'ntion8, iii8titnt8 et 60IP8 oeole8in- 8tigN68, n)nnt lonr 8168'6 n K0IN6 6t Üan8 In oit6 loonino.^ Diese und weitere Versprechungen stellte Italien unter den Schutz des Völkerrechtes. (XO. Es, welches das Völkerrecht in so flagranter Weise verletzte!) Denn es heißt im Memorandum: „Oo8 nrtiol68 86ront 6011811161'68 6ONNN6 NN 60Iltl'Nt pnl)ll6, Ililntoi'nl, ot toi'IN6I'ONt I'op- sot il'nn rioooi'ü NV66 >68 ^>N^88NNo68 N)'NIlt Io8 8Ng6l8 6ntliolign68.^ Wie unentschuldbar die Regierung Victor Emannel's allc diese Zusagen brach, wird der Verlauf der Geschichte zeigen. Ja! wenige Tage vor dem 10. September erklärte sie im Manifeste, daß nur Sorge für den hl. Vater sie nach Rom führe: ,,l>onr ii'nbnnilonnoi' n nnonn nooiüent Io 8ort nn Uactino reiste am lO. September von Rom ab; um l l Uhr Nachts des genannten Tages rückten auf drei Seiten 60.000 Mann italienischer Truppen über die päpstliche Grenze. Von Terni aus richtete General Eadvrna eine Proclamation am ll. Sep¬ tember an die Einwohner. „Wir kommen nicht", heißt es darin, „um euch den Krieg zu bringen, sondern den Frieden und die wahre Ordnung." (?) Unterm 14. g. M. setzte der Minister der Justiz und des Cultns Matteo Raeli (gestorben nn December 1875 zu Noto auf Sicilien) die italienischen Bischöfe von dem Verfügten in Keuutniß. „Welchen Entschluß der hl. Vater immer fassen mag", lauten die Worte des Ministers, „die Regierung wird nicht zugeben, daß der Kirche, ihren Dienern und ihrer geistlichen Amts¬ übung von irgendwem auch nur die gering st eBeleidi- gung zugefügt wird." Die Katholiken konnten sich bald über¬ zeugen, wie in Rom diese Zusage eingehakten wurde. — Der Minister 26* 404 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. ermahnt die Bischöfe und den Clerus, sich fein ruhig zu Verhalten; „gegen die Schuldigen wird mit aller Strenge des Gesetzes vvrgegangen werden" . . . Eine energische Antwort darauf erhielt der Minister vom Bischöfe von Mondovi am 17. September. Ain Vorabende der Einnahme Roms, also am 19. September, schrieb der hl. Vater an den General Kanzler einen Brief, worin er, jetzt, „da man im Begriff ist, einen großen Frevel und die ungeheuer¬ lichste Ungerechtigkeit zu vollbringen; jetzt, da die Truppen eines katho¬ lischen Königs ohne Herausforderung, sogar ohne den Schein eines Grundes, die Hauptstadt der katholischen Welt belagern", seinen Truppen „für die bisher bewährte herzhafte Haltung, die dem hl. Stuhle be¬ wiesene Liebe und die Bereitwilligkeit, sich gänzlich der Verthcidigung dieser Metropole zu widmeu" dankt. Zugleich befiehlt der Papst, daß, „sobald die Bresche geöffuct ist, Unterhandlungen in Betreff der Ueber- gabe angeknüpft werden sollen. In einem Augenblicke, da ganz Europa die zahlreichsten Opfer in Folge eines Krieges zwischen zwei großen Nationen (nämlich Franzosen und Deutschen) zu beklagen hat, soll man nicht sagen, daß der Statthalter Jesu Christi, wenngleich in ungerechter Weise angegriffen, in ein großes Blutvergießen gewilligt hat. Unsere Sache ist die Sache Gottes, und Wir legen in seine Hände unser Ver¬ trauen." Von keiner Seite konnte der Papst ans irgend eine materielle Hilfe rechnen — von Oesterreich war sie nicht möglich. Am 10. Sep¬ tember hatte der Gesandte Graf M i n g h etti aus Wien berichtet, daß die österreichisch-ungarische Regierung dem Vorgehen Italiens kein Hin¬ derniß in den Weg legen werde.') — Den guten, nicht unbegrün- ') Dies konnte er immerhin sagen. Aber entschieden bestreiten wir die Wahr¬ heit der sogenannten Enthüllungen in: „ämtorite et likerte" von Ontour cio Auulin, kant welcher Graf Beust an den Fürsten Metternich, österreichischen Gesandten zu Paris, geschrieben haben soll: „Den Tag, an welchem die Franzosen die päpstlichen Staaten verlassen, müssen die Italiener mit vollem Recht (?) und unter Zustimmnng Oesterreichs und Frankreichs in dieselben einrücken. Niemals werden wir die Italiener mit Herz und Seele für uns haben, wenn wir ihnen nicht ihren römischen Dorn ausziehcn." Im Gegentheilc, Graf Beust schrieb noch am 13. September 1870, also kaum sieben Tage vor der Occupatio» Noms, an den Ritter von Polomba in Rom unter Anderem: „Os druit s'sst aoorsäite, «ins o'ötait Is Oouvsrnement Imperial et lisz-nl, gui prsssait Is Onüinst cks 4'Iorenes, cls sture entrer ses troupes a Home. On 8'en ost vmu ü Ourw, nussi Europa. Z 22. Italien nach der Occupatio» Roms. 405 beten Rath ertheilten die Mächte wohl dem hl. Vater, daß er Rom nicht verlassen möge. Ob sie dabei auch die Verlegenheit fürchteten, die der zn einer oder der anderen ans ihnen flüchtende Papst ihr bereiten könnte? ') Am 20. September, 10 Uhr Morgens zogen die Truppen Victor Emann el' s nach kurzem Widerstande in Rom ein. Die päpstlichen Soldaten wurden entwaffnet — mußten aber, zumal die Zuaveu, Quälereien und Beschimpfungen sich gefallen lassen. Abermals sah die Hauptstadt der katholischen Welt Gräuel man¬ cherlei Art, Schamlosigkeiten und Sacrilegien, Gewaltthätigkeiten, ja Morde, insbesondere an Priestern verübt, in ihren Manern. Denn ans ganz Italien war Gesindel herbeigeeilt, dessen Treiben anfänglich kein Einhalt gethan wurde; man beeilte sich öffentliche Häuser zn errichten, welche sich mit Tausenden herbeigezogenen feilen Dirnen bevölkerten. So war denn der Beschluß der beiden italienischen Kammern vom 27. März 1861, welcher Rom zur Hauptstadt Italiens erklärte, aus- gcfnhrt — gegen das bisher für heilig gehaltene Völkerrecht. An dessen Stelle war das sogenannte Recht der Nationalitäten getreten, welches aber doch gewiß kein starker Staat an sich selbst, zu seinem Nachtheil in Anwendung bringen zu lassen geneigt ist. tz 22. Italien nach der Ocrnpation Noms. Wie hielt die nunmehrige Regierung ihr so oft wiederholtes Ver¬ sprechen, die Würde, die Unabhängigkeit des hl. Vaters zu wahren und zn schützen? Wie ihre Versicherungen, „der Anfrechthaltung des heiligen Stuhles mit allen seinen Aemtern, Einrichtungen, Kirchen und kirch¬ lichen Stiftungen, welche sich in Rom befinden? die», gu'n lioms, st pour msttrs tin n oss iinpntntions psn tonässs nous nvons äsvlnrs, gns nous rsstvrions sutisrsmsnt vtrnnA-srs nux pourpnrlsrs, gnv Io rnppsl äss truupss trnntznis ponrrnit provognsr sntrs Iss sndinsts äs ?nris st äs I^Iorsnss." Diese Depesche widerlegt obige sogenannte Enthüllungen hinlänglich. — Uebcr- hanpt liefert authentischen Aufschluß über die Haltung des k. k. österreichischen Ca- biuets gegenüber dem vaticanischcn Concil und der sogenannten römischen Frage nur das österreichische Rothbnch, speciell Nr. 4, Actenstücke Nr. 121 bis 156. 0 Der Verfasser der „Rundschau" (von Gerl ach) schreibt in „Kaiser nnd Papst", Seite 6: „Nach glaubwürdigen Berichten hat der evangelische deutsche Kaiser, ein halbes Jahr nach dem Vntiennnm, bald nach Annahme der Kaiser- 406 I Theil. I. Hanptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Wir registriren einfach die darauf bezüglichen T h a t s a chen. Sie geben die beste Antwort darauf. Anfangs hatte man dem Papst den sogenannten levninischen Stadttheil (d. i. den Stadttheil am rechten Tiber- nfer, welchen Papst Leo IV. im 9. Jahrhunderte gegen die Sara¬ cene» mit einer Maner umgab) frei zn belassen versprochen. Eine — alsbald nach der Einnahme vielleicht planmäßig angelegte — Meute, die den Papst selbst bedrohte, zwang den Cardinal Antonelli, den General Cadorna anfzufordern, Militär dorthin zu senden. Auch die Engelsburg wurde besetzt. An 5'/2 Millionen (Staatsgeld oder etwa Peterspfennig?) sollen aus der Casse, wo sie deponirt waren, weggenommen worden sein. Das Oollogimn romannm wurde iu eine weltliche Lehranstalt umgewandelt und theilweise auch mit jüdischen Lehrern besetzt. Von dem Portal desselben schlug man den in Stein gehauenen Namenszug des Erlösers herunter. Aehnlichem Schicksale entging das OoIioKiuin «ornnwivum nur durch das Aushängen der preußischen, respective nord¬ deutschen Fahne. Der Großmeister der italienischen Freimaurer, Fropolli, kün¬ dete den Logen an, daß der große Orient der Freimaurerei in Italien und seinen Colonien beschlossen habe, sich sofort in Nom niederzulassen. Noch am Tage der Invasion von Rom (20. September) richtete der Cardinal-Staatssecrctär Antonelli im Namen des hl. Vaters eine Protestnote dawider an das diplomatische Corps; der hl. Vater selbst aber nnterm 29. September ein Schreiben an die Cardinale, worin er sie von dem Geschehenen in Kenntnis; setzt und sagt, daß er der vollen Freiheit in der Regierung der Kirche Christi beraubt sei. Selbstverständlich wurde auch in Rom (2. Oetvber) und in dem annectirten Reste des Kirchenstaates das sogenannte Plebiscit in Scene gesetzt. In Folge dessen veröffentlichte das „Florentiner Amtsblatt" am lO. October ein Decret über die förmliche Einverleibung Roms und des Kirchenstaates mit Italien; dem Papste sollen die Würde, die Un¬ verletzlichkeit und die persönlichen Rechte eines Souveräns bleiben. Das würde in Versciilles, aus eine ihm überreichte katholische rheinisch-westphülische Mal- theser-Adrcsse unter Anderem erwidert: Er sehe in der Occnpation Roms einen Gcwaltact und eine Anmassung Italiens, und er werde »ach Beendigung des Krieges in Gemeinschaft mit anderen Fürsten Schritte dagegen in Betracht ziehen." — Und dann? — Europa. Z 22. Italien nach der Occupation Roms. 407 Ergebnis: des Plebiscites theilte Minister Visconti-Vcnosta in der Circulardepesche vom 18. October den auswärtigen Mächten mit. Auch darin die obligaten Phrasen von der Würde und Unabhängig¬ keit des Papstes, von dein Privilegium der Exterritorialität der Päpst¬ lichen Paläste und Residenzen u. dergl. und die Versicherung, daß „durch die Thatsache der Vollendung der italienischen Einheit die katho¬ lische Welt in ihren religiösen Meinungen nicht bedroht sein werde". Cardinal Antonelli antwortete darauf im Schreiben an die päpstlichen Nuntien ctcto. 8. November. Eine eigene Commission wurde niedergesetzt, welche ein dein ita¬ lienischen Parlamente vorzulegendes Gutachten bezüglich der „Garan- tirung des Friedens und der Unabhängigkeit des hl. Stuhles" aus- znarbeiten hatte. Es beginnt mit den Worten: „Jede politische Autorität des Papstes und des hl. Stuhles ist in Italien ab ge¬ schafft." Die Bulle des hl. Vaters cicto. 20. Octvber 1870 „Uostguum Dai mmwreZ womit er das vatikanische Concil vertagte, veranlaßte den Minister V is c o n t i- Ven v st a unterm 22. Oktober in einem Circulare an die italienischen Gesandtschaften, dawider zu remonstriren, weil in der Bulle als Grund der Vertagung „der Mangel an Freiheit angegeben war, den das Concil in Folge der neuen Ordnung der Dinge in Rom zu ertragen haben würde". (Etwa nicht so?) Der nämliche Minister erließ auch unterm I. December wieder¬ ein Rundschreiben, in welchen: er gegen die Note des Cardinals An¬ tonelli vom 8. November die italienischen Truppen bezüglich ihres Verhaltens bei der Einnahme Roms in Schutz nimmt. „Obgleich es nicht möglich ist", heißt es darin, „eine Stadt mit Gewalt zu nehmen, ohne Verlust und Schäden zu verursachen und Unordnung hervor¬ zurufen." (Also doch Unordnungen?) Augenzeugen der em¬ pörenden Sceuen von: 20. September berichten anders als der Minister. An mehreren Orten fanden Katholikenversammlungen statt, welche gegen die Beraubung des hl. Vaters lauten Protest erhoben — so in Mecheln (ll. Octvber), in Genf (gegen Ende October). — In Ron: selbst fehlte es nicht an Bezeugungen von Sympathie für Pius IX. Die weitaus größte Zahl seiner früheren Staatsbeamten verweigerte den unbedingten Eid der neuen Negierung und wählte sich lieber Elend und Nvth. 408 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Laut der Encyklika ,.Ue.8pioi6ut68 au cnnnia" cläv. t. November 1870 verhängte der hl. Vater den großen Kirchenbann über die Usur¬ patoren lind deren Rathgebcr und Helfer. Der König Victor Ema¬ nuel ist zwar darin nicht namentlich genannt, aber inbegriffen und deutlich genug bezeichnet mit den Worten: ,,evs omu68 gurrlidet cii^ui- tato, et irr ui 8peairrli88imrr mau ti ono rti^na, tnlA'onto8« rc. Die italienische Regierung schämte sich nicht, sogar den Quirinal mit Gewalt für sich in Besitz zu nehmen. Dieser Palast gehört zu den sogenannten palači apo8tolloi, d. h. er gehört den Päpsten als Nachfolgern des Apostelfürsten als Eigent hum, ist also nicht Staatseigenthum. Darin hatten die Papstwahlen statt. Die Päpste bewohnten ihn gerne im Sommer, während der heißen Jahres¬ zeit, weil er gesünder liegt, als der Vatican. Da Cardinal Antonelli als Präfect der prrirrM 8rrori die Schlüssel nicht ablieferu wollte, so wurden am 8. November die Schlösser im Quirinal erbrochen. Im Conclavesaale entfernte man die Taube, das Symbol des hl. Geistes, um au dessen Stelle das Wappen des Hauses Savoyen anzubringen; die Capelle des Conclave aber wurde in einen Ballsaal umgewandelt. Sogar das Colosseum, diese heilige Stätte, an der so viele Christen den Märtyrertvd starben, scheint zur Demolirung bestimmt gewesen zu sein. — Den Katakomben, diesen altehrwürdigen christlichen Ruhestätten, drohte auch die Säkularisation. Vom Coemeterinm des Urnotoxtatim an der vin /lppirr schreibt cto Uv88i in seinem Bnlletine: „Den Ar¬ beiten, die so lebendiges Interesse wecken, stellen sich neuerdings Hinder¬ nisse in den Weg, die von Privatansprüchen und gerichtlichen Zwischen¬ fällen herrühren. Ein erster Urtheilsspruch hat die kirchliche Behörde der Stadt Rom nnd die von derselben eingesetzte archäologische Commission für die religiösen Monumente im Besitze der streitigen Krypten bestätigt. Aber während ich schreibe, ist Appell gegen diese Sentenz eingelegt worden, und das Schicksal der ehrwürdigsten Denkmale des Ursprunges des Christenthums in Rom hängt vom Richtcrsprnch ab." Nur die Regierung der kleinen mittclamerikanischcu Republik Ecuador legte im Namen der dortigen Katholiken Protest ein bei der Regierung Victor E m a n n el' s wider die Occupirung Roms. ') >) Officielle Zeitung von Quito vom 18. Jänner 1871. Europa. Z 22. Italien nach der Occupatio» Roms. 409 28 österreichische Erzbischöfe und Bischöfe, und zwar ans Cis- leithanien, richteten in einer Denkschrift an Se. Majestät den Kaiser die Bitte: der italienischen Regierung eine unzweideutige Mißbilligung ihres Vorgehens gegen den Papst aussprechen zu lassen, und um die Rückgabe des ganzen Kirchenstaates, von welchem Victor Emanuel kein Dorf mit Recht besitze; ungesäumt aber für die sofortige Rück¬ stellung Roms niit einem angemessenen Gebiet zu wirken. Als Antwort konnte die private Zuschrift des Grafen Beust an den Cardinal-Fürst¬ erzbischof von Wien Othmar Ritter von Rauscher gelten. Darin wird — nicht unrichtig — bemerkt: Eine bloße Mißbilligung ohne materiellen, für Oesterreich jetzt unthunlichen, Nachdruck hätte keinen Erfolg. Unterm 9. November l870 hatte Cardinal Antonelli einen Protest gegen die gewaltsame Besitzergreifung des Quirinals an das diplomatische Corps gerichtet. Die neue Regierung kehrte sich nicht daran. In der Nacht vom 30. auf den 31. December kam der König unerwartet nach Rom, das unmittelbar früher von einer großen Ueberschwemmung heimgesncht war; stieg im Qnirinnl ab, schrieb einen Brief an den Papst und reiste am 31. um fünf Uhr Abends nach Florenz zurück. Darüber erließ Cardinal Antonelli die Note vom 2. Jänner I87l. Am 23. Jänner I87l aber schlug der Kronprinz Humbert mit seiner Gemalin Marga¬ rita (Enkelin des Königs Johann von Sachsen; Tochter des ver¬ storbenen Herzogs von Genua, eines Bruders Victor E m a n ue l's) im Quirinal sein Hoflager auf. Der päpstliche Palast sah Bälle und andere Carucvalsbelustignngen in seinen Räumen. Cardinal Antonelli richtete eine Note an die Nuntien ckcb». 24. Jänner, worin er auch bemerkt, daß Prinz und Prinzessin H n m bert nach ihrem Einzug von der nämlichen Loge des Ouirinals sich sehen ließen, von welcher der katholischen Welt bisher die Wahl des Papstes verkündet wurde. Wir notiren noch einige frühere Protestnoten des genannten Car- dinal-Staatssceretärs Antonelli: Vom 25. November 1870, worin er die Anerbietungen der italienischen Regierung hinsichtlich der Ga¬ rantiefrage beleuchtet, zumal mit Hindeutung auf die verfügte Beschlag¬ nahme jener Tagesblätter, welche die päpstliche Encyklika abgcdruckt hatten; jene vom 12. December 1870 bezüglich der Straßenscenen am 8. und 9. December. Am Festtage der unbefleckten Cmpfängniß wurden 410 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. nämlich zahlreiche Kirchenbesucher ans dem Platze vor St. Peter vom bezahlten, mit Pistolen nnd Messern bewaffneten Gesindel thätlich mißhandelt. Am nächsten Tage wiederholten sich solche Attentate auf den Hauptplätzen Roms gegen als Anhänger des Papstes bekannte Männer. Aehnliches geschah am 10. März 1871 in und vor der Jesuiten¬ kirche 8. Llnriu illuFK-iors kein anderer, als der von den Machthabern bereits annectirte Quirinal. Die im Quirinal erlassenen Deerete unterzeichneten nämlich die Päpste ehedem „apnel 8. Hlnriiun UnjoremZ weil der Quirinal nicht ferne von dieser altberühmten Kirche liegt; so wie die im Vatican unterzeichneten Breven u. dergl. den Beisatz tragen: „upnä 8. Uotrnm^ von der anstoßenden Petruskirche. Im sogenannten Garantiegesetze erscheint dann wohl der Lateran aufgefnhrt. Im apostolischen Schreiben an den Cardinaldecan und päpstlichen Generalviear Patrizi, ädo. 2. März 1871, sagt der hl. Vater über die sogenannten Garantien, die man ihm anbietet: N68oiu8, nnin ,u-i- iim8 touout nb8M'ro ra oatliolion tnonckn". Auf die Nachricht vom am IO. März 1872 in Pisa erfolgten Tode des alten Verschwörers wider Altar und Thron, Josef Mazzini, faßte am darauffolgenden Tage die Abgeordnetenkammer in Rom fast 414 1. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksule der kuth. Kirche. mit Einstimmigkeit den Beschluß: „Die Kammer, durch die Nachricht erschüttert vom Tvde Giuseppe Mazzini's, eingedenk seines langen Apvstelthums (sic!) für die Sache der nationalen Einheit, drückt ihren Schmerz aus und geht zur Tagesordnung über." Mazzini's Büste wurde ans dem Capitol aufgestellt. ') Selbstverständlich widmeten alle revolutionären und nltradeinokra- tischen Blätter Italiens dem Verstorbenen, an dessen Namen sich das Andenken an so viel Unheil, so viel vergossenes Blut, an so große Um¬ wälzungen knüpft, weihevolle Nachrufe. Die unparteiische Geschichte wird ihn einst unter jenen Männern ausführen, bei denen in der Wirklichkeit der Zweck das Mittel heiliget, und sei dieses auch das verwerflichste und schlechteste. ?) Am 7. April 1872 wurden päpstliche Gensdarmeu in Civil und ohne Waffen von königlichen Nationalgardisten mit Waffen vor der Stadt angegriffen; Einer aus den Ersteren getödtet, zwei schwer ver¬ wundet. Die Jury sprach die Gardisten frei. Mit Grund fragten sich die Katholiken auf die Kunde von diesem Vorfall, wie es etwa dem hl. Vater selbst erginge, wenn er sich einmal wieder auf den Straßen Roms öffentlich zeigen wollte! Im Frühlinge 1872 machte Kronprinz Humbert mit seiner Gemalin einen Besuch in Berlin, wo er das ncugeborne Kind des preußischen Kronprinzen als Pathe aus der Taufe hob. Er wurde mit ausnehmender Freundlichkeit empfangen, was eben als Zeichen einer neuerlichen Allianz beider Staaten gedeutet wurde, zunächst gegen etwaige Versuche der Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes. Die Depntirtenkaminer nahm (im Winter 1872) den vom Ilnter- richtsminister vorgelegten Gesetzentwurf über die Aufhebung der Faenl- täten der Theologie an den zehn Universitäten mit großer Majorität ') Warum ging die Kammer darüber so schnell hinweg? „Sitzen doch (so in der „Angsburger Allgemeinen Zeitung" Nr. 79) ans den Bänken der Linken so gut, wie ans denen der Rechten, ja wie auf der Ministerbank, Männer, welche einst in längstvcrgangcnen Jahren an Mazzini's alleinseligmachende Republik glaubten, und welche heute nicht gerne daran erinnert sein mögen." (O die über- zeugungstrcuen Männer!) In der Wiener „Neuen Freien Presse" wurde Mazzini — dieser Tod¬ feind Oesterreichs — „einer der e d c l st e n G c i st e r d e r M e n s ch h eit" genannt. Mit Recht geißelte Ritter von Schmerling in der Herrenhanssitznng vom 21. März eine so arge Verletzung des patriotischen österreichischen Gefühles. Europa. Z 22. Italien nach der Occupation Roms. 415 nii. Mau machte geltend, daß ohnehin die angehenden Priester fast aus¬ nahmslos nur in den bischöflichen Seminarien herangebildct werden, und daß der Fortbestand der erwähnten Facultäten nicht mehr recht zum Satze: „freie Kirche im freien Staate" Passe. Am 16. Jänner 1873 genehmigte auch der Senat obigen Gesetz¬ entwurf. Die italienischen Bischöfe dachten nun Wohl an die Errichtung einer eigenen katholischen Universität nach Art jener zu Löwen in Belgien; aber die Ausführung war noch nicht möglich. Aus Anlaß der bevorstehenden Einbringung eines Gesetzentwurfes in der italienischen Kammer betreffs der förmlichen Aufhebung der „religiösen Körperschaften in Rom" erließ der Papst ein Schreiben an Cardinal Antonelli ädo. !6. Juni 1872. Darin heißt es unter Anderem: „Wer kann läugnen, bestreiten, daß die Unterdrückung der religiösen Orden in Rom, oder auch nur eine willkürliche Beschränkung ihrer Freiheit, nicht blos ein Attentat auf die Freiheit und Unabhängigkeit des römischen Ober- Hirten ist, sondern daß ihm damit auch eines der mächtigsten und wirk¬ samsten Mittel zur Leitung der Universalkirche entrissen wird? . . . Die Unterdrückung der religiösen Orden in Rom ist nicht blos eine offen¬ bare Ungerechtigkeit gegen Individuen, die sich nm die menschliche Ge¬ sellschaft verdient gemacht haben, sondern sie ist ein wahres Attentat ans das internationale Recht der ganzen katholischen Christenheit." Der hl. Vater beklagt die nun in Nom herrschende „Lockerung der Sitten, die schamlose Ausgelassenheit in den öffentlichen Schauspielen, die fort¬ währenden Beschimpfungen, die den heiligen Bildern und den Dienern Gottes zn Theil werden, jene Profanativnen des Gottesdienstes, des religiösen Kultus, die abscheulichsten Verhöhnungen der heiligsten unan¬ tastbarsten Dinge, die systematische Unterdrückung jeder anständigen, der Kirche und dem Papste ergebenen Stimme". Er, der Papst, hätte sich freilich ersparen können, persönlich Zeuge eines so trostlosen, durch die Eindringlinge in Rom ncugeschaffenen Zu¬ standes zn sein, aber wenn er Rom nicht verließ, so geschah dies, „da¬ mit die Welt sich durch die That von dem Loos überzeugte, welches der Kirche und dem römischen Oberhirten Vorbehalten ist, wenn die Freiheit und Unabhängigkeit seines höchsten Apostolates durch das Auf¬ geben einer Position, die ihm providentiell von Gott angewiesen ist, in Frage gestellt wird". . . . „Nein! Wir können uns nicht beugen vor 4l6 I. Theil. I. Hanptstiick. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. den Angriffen gegen die Kirche, vvr der Usurpation ihrer heiligen nnd unverletzlichen Rechte, vvr der ungeziemenden Einmischung der bürger¬ lichen Gewalt in die religiösen Angelegenheiten. Fest und unbeugsam in der mannhaften Vertheidignng der Interessen der Unserer Obhut anver- tranten Heerde, mit allen Mitteln, welche Uns noch zu Gebvte stehen, sind wir bereit, nvch größeren Opfern entgegen zu gehen, und, wenn es sein muß, selbst unser Lebensblut zu vergießen, ehe wie irgend eine der Uns vvm höchsten Apostvlat auferlegten Pflichten versäumen." Von den sogenannten Garantiegesetzen sagt der Papst: „Das was gerade heute in Rvm selbst geschieht ') in einem Augenblicke, wv alles daran liegen müßte, Europa vvn der Kraft und Wirksamkeit des ge¬ priesenen Gesetzes zu überzeugen, ist der beredteste Beweis, um die Leere und Ohnmacht desselben darzuthun". Dies Alles solle der Cardinal den Vertretern der beim hl. Stuhle beglaubigten Regierungen bekannt machen, und im Namen des hl. Batcrs „gegen die begangenen, sowie gegen die angedrvhten Attentate gegen ihn, sowie gegen die ganze katholische Christenheit protestiren". Aehnlich sprach sich der hl. Vater ans in der Allventivn vvm 23. December 1872 an die Cardinale. Nicht blos der Cardinal-Erzbischof von Neapel, Riario Sforza, sondern auch der hl. Vater selbst gestattete die Theilnahme der Katho¬ liken, Priester und Laien an den M n n i c ip a l w ah le n.'Diese fielen aber, auch in Rom (4. August), zu Gunsten der Liberalen ans. Wie anderwärts, trug auch hier die Indolenz vieler Katholiken die Schuld daran. Zudem hatte Minister 1>r. Lanza ein Manifest gegen die „Feinde der Freiheit und des Fortschrittes" erlassen. An eben diesen Ministerpräsidenten Lanza richtete Cardinal Patrizi ans Veran¬ lassung der immer zunehmenden Zuchtlosigkeit der römischen Theater ein Schreiben cicio. 28. August 1872. Der Minister beantwortete es nnterm 6. September, zwar höflich, aber doch ist der Sinn kein anderer, als: die Regierung könne da nichts thun. Garibaldi's Brief an das Genueser „Movimento" vom 2. August 1872 hatte die Tendenz, die Action gegen die katholische Kirche neuer¬ dings in Fluß zu bringen. Zunächst galt es, das Gesetz vom Jänner 1866 wider die geistlichen Corporation«! in Nom selbst, im Mittel- >) Er spielte wohl auch an die Freisprechung der Mörder des päpstlichen tzscnsdarmen Delucca an. Europa. § 22. Italien nach der Occupation Roms. 417 Punkte des Kathvlieismns auszuführen. Das Ministerium wollte als von der öffentlichen Meinung dazu gedrängt, und dieser gezwungen nach¬ gebend erscheinen; — daher solche Jnseenefetzungen. Die Jesuiten mußten den größten Theil ihres Profeßhauses bei der Kirche 6 osn raumen, und einer Militär-Geniebranche Platz machen. Schon früher hatten sie ihr Kloster von St. Eusebius verlassen müssen. Der römische Jesuit 1'. Carlo Cur ei wollte zu Pisa ein katho¬ lisches Institut „psusiono nnivorsitarin" errichten. Der dortige Pöbel machte aber das Werk unmöglich; in der Absicht, den ?. C n rei sogar zu tödten, wartete er — vergebens — ans dessen Ankunft (13. Sep¬ tember). — Statt des von einem Freunde gewarnten und in Florenz zurückgebliebenen ?. Cnrci mißhandelte der Mob einen armen, für denselben gehaltenen, aus dein Eisenbahnwaggon ausgestiegenen Fran¬ ziskanerin buch blutig. In welcher Weise die italienische Regierung bereits in den ersten Jahren thatsächlich mit den geistlichen Gütern aufgeräumt hatte, ergibt sich aus folgender Zusammenstellung: Verkäufe derselben im Monate Juli 1873 3,516.433 Lire in den vorigen sechs Monaten desselben Jahres . 24,316.602 „ Zusammen . 27,833,035 Lire Sniiime aller Verkäufe vom 26. Oetober 1867 bis 31. December 1872 394,107.694 Lire welche zusammen mit obiger Summe von . . . 27,833.035 „ 422,030.729 Lire betragen. So ging es dann fort. Nun — nm 20. November 1872 - brachte der Jnstizininister in der Depntirteukammer den. Gesetzentwurf, betreffend die religiösen Körperschaften ein. Derselbe wendet die Gesetze wegen Abschaffung der selben und Convertirnng der Güter auch auf die Stadt und Provinz Rom an. Die Generalatshäuser sollen jedoch aufrecht blcibeu, die Stif¬ tungsgüter erhalten bleiben, aber nicht vermehrt werden dürfen. Diese Häuser genießen nicht die Rechte juristischer Personen. Die eingezogenen Güter sollen dem wohlthätigeu Stiftungszwecke erhalten sein; die Liqui¬ dation der Pensionen binnen Jahresfrist erfolgen. Die Pensionen schwan¬ ken zwischen 150 bis 600 Francs. Die Güter der religiösen Körper- Stepi sch negg, Papst Pius IX. und seine Zeit. I. Bd. 27 418 1- Thcil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. schäften der Stadt Rvm werden in eine nnverünßerliche Rente convertirt. Ausländische in Rom befindliche religiöse Körperschaften können inner¬ halb der Frist von zwei Jahren zu Gunsten der ihnen gehörenden Kirchen Stiftungen errichten und denselben ihre Güter abtreten. Nach Ablauf dieser Frist wird mit deu betreffenden fremden Regierungen wegen Bestimmung über ihre zn convertirenden Immobilien verhandelt werden. lind doch hatte Viseonti-Venosta, damaliger Minister des Aeußern, in dem schon erwähnten Memorandum an die europäischen Mächte, 8. Rartino dem hl. Vater über¬ geben ließ, versprochen, wie nicht minder der Minister des Innern allen italienischen Bischöfen das Wort gegeben hat, alle religiösen Institute in Rom unangetastet zu lassen. Im Colosseum sollte am 24. November 1872 eine sogenannte Volksversammlung abgehalten werden. Der Präfeet von Nom verbot sie aber, weil die Republieaner es auf eine Veränderung der bestehen¬ den Regiernngsfvrm abgesehen haben. Zweifelsohne wäre auch die Ver uichtung aller Klöster u. dergl. zur Sprache gekommen. Als das Abgeordnetenhaus auf Monte Citvrio am 21. December vor den Weihnachtsferien auseinander ging, schrien Pvbelhaufen zn Ehren derjenigen Deputirten, die am >5. für die Unterdrückung der geistlichen Orden sprachen. Daran wären sie wohl nicht gehindert wor¬ den, wenn sich in den Ruf: Nieder mit den geistlichen Körperschaften! nieder mit den Jesuiten! nicht auch jener gemischt Hütte: Nieder Lanza! nieder das Ministerium! Die bewaffnete Macht stäubte die Meute aus¬ einander. Bereits am 3. April 1872 erließ der Grvßpönitentiar Seiner Hei¬ ligkeit, in Beantwortung der aufgeworfenen Frage: ob gute Katholiken Offieiersstellen in der Nationalgarde annehmen dürfen, zn denen Nie- Europa. Z 22. Italien nach der Occupatio« Roms. 419 maud gezwungen werden kann, das Deeret: „Hnntemm concti nlilitinc namen (Isclcrint, ct ssrvant aas rrnimi cli8pO8itionc8, gnac iisinnctac sunt n Üacrn Uocnitciitiaiäa in rs8poi>8i8 cckitm ckic 10. Occcmkri8 1860, PO886 tolcrari, nt rul rcckinlciKinnl vcxntioncm (1nriori8 86r- vitii Araclnm aligimm ex infcrioril>n8 nccsptsut, in gno surnrimriti pi'N68tntio nnn cxiKÜlnr." Aus der früheren päpstlichen Hochschule Lnpimmn in Rom wollte die neue Regierung eine Muster-Universität »lachen. Aber wie gelang ihr dies? Anfangs 1873 waren bei zwanzig Lehrstühle daselbst vacant. Die an Zahl ohnehin geminderten Studenten entschlossen sich selbst zu einer Manifestation vor dem Uuterrichtsminister, um Pro¬ fessoren zu erlangen! Ganz müssig wollten sie doch nicht in Rom her- nmschlenckern. Ein königliches Deeret vom 26. Jänner 1873 verordnete schon wieder die theilweise oder gänzliche Exprvpriirnng von 16 Klöstern in Rom wegen öffentlichem Nutzen (per ntilitü publica!) Ihre bisherigen Eigenthümer erhielten vierzehn Tage Zeit für dell Umzug in andere Cvnobien ihrer Regel. Die Reetoren der fremden Collegien in Rom richteten an den Ministerpräsidenten Lanza einen Protest gegen die Besitznahme des römischen Collegiums (collc^inm romanom), weil dieses ein inter¬ nationales sei. Eine Abschrift dieses Protestes wurde all die fremden Gesandten und an die Bischöfe der betreffenden Nationen geschickt. Sogar dem „irischen Collegium St. Isidor" in Rom drohte die Expropriation, wogegen das „auswärtige Amt" (UorciAnc Olficc) sich in Rom bei der Regierung verwendete. Eben zunächst zum Zwecke, um vor dem hl. Bater selbst gegen die von der italienischen Regierung prvjeetirte Unterdrückung der Klöster und religiösen Institute in Rom feierliche Verwahrung cinznlegen, stellte sich ihm am 7. März 1873 eine großartige Deputation meist von Adeligen aus Oesterreich, Belgien, Holland, Frankreich, Deutschland, England, Irland, Italien, Spanien, Polen, Schweiz, Nordamerika vor, im Ganzen 163 Männer. Sprecher war Alfred Fürst von Liechten¬ stein ans Oesterreich. Der hl. Vater erwiderte dankend für diese Ma¬ nifestation katholischer Gesinnung, während die Kirche und ihre Insti¬ tutionell fast allüberall in ihren heiligsten Rechten verletzt und gekränkt werden. Drei Tage später (10.) hatten in entgegengesetzter Richtung 27* 420 I- Theil. 0 Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. in Rom zwei Feierlichkeiten statt; nämlich am Jahrestage des Todes I. Mazzini's die Gründung des seinen Namen tragenden „Bildnngs- (?) Institutes" (wohl zur Heranbildung von Revolutionären) und die erste Jahresfeier der italienischen Bibelgesellschaft unter dem Vorsitze des Admirals F i s h b o ur n e im Theater (!) Argentina. Der apvstasirte Ex-Barnabit Gavazzi — einer der sechs evangelischen Redner — ließ seinem fanatischen Hasse gegen das Papstthum dabei ungezügelten Lauf. lieber das römische Klvstergesetz verfaßte der sogenannte Siebener- Ansschuß im Abgeordnetenhause seinen Bericht, in Betreff der Gene- ralate, dahin gehend, daß die Güter derselben veräußert, und nach Abzug der Lasten der Betrag dem hl. Bater zur Disposition gestellt; einstweilen aber in den Händen der Generale selbst uiedergelegt würde. Letzteren sollte eine Wohnung in dem ehemaligen Generalatsgebäude angewiesen werden. Die Prüfungs-Commission des Urentwnrfes des Klostergesetzes beantragte: 1. Das Eigenthnm der Klosterinstitute mit Krankenpflege wird für die ursprüngliche Bestimmung auch künftig verwendet; aber von den Stadtgemeinden. 2. Das Eigenthnm der bisher von Ordensgeistlichen besorgten Volks- und höheren Schulen behält seine bisherige Bestimmung, nach¬ dem die Verwaltung den Mnnieipien oder dem Staate überwiesen ist. 3. Der Besitz der mit Pfarrkirchen verbundenen Kloster ist unter die römischen Parvchien gleichmäßig zu vertheilen, wo er über den Bedarf hinausreicht. 4. Die mobilen und immobilen Güter der Ordensgeneralate oder Procuraturen sind nach der Trennung von heterogenem Zugehör dem hl. Stuhle zu übergeben; die Beziehungen der Ordensgeneralate mit den Ihrigen im Auslande zu unterhalten. 5. Die Güter aufgehobener Kloster, über deren Einzelverwcndung noch nichts bestimmt ward, bilden einstweilen einen Wohlthätigkeitsfvnd für die Stadt Rom. Auch über die künftige Stellung der fremden geistlichen Stiftungen in Rom erstattete der betreffende Cvmmissivnsausschnß sein Gutachten. Nicht wenig brachte die Liberalen die ungesagte große Natioual- Wallsahrt der Katholiken nach Assisi auf. Es fehlte nicht an Demon- Europa. Z 22. Italien nach der Occnpatwn Roms. 421 strationen dagegen, sv wie insbesondere in Rom selbst die kirchlich nnd päpstlich Gesinnten, zumal die Geistlichkeit noch immer häufig Insulten und Thätlichkciten ausgesetzt waren. Die Regierung untersagte bereits eine ähnliche Wallfahrt nach Cividale bei Udine; jene nach Jmpruneta bei Florenz fand zwar noch statt; aus der nach Assisi wurde aber nichts. Der Präfeet von Perugia verbot diese und andere Processionen in der Provinz — aus Gesundheitsrücksichten. (!) Ueber den Gesetzentwurf, betreffend -die Mediatisirnng der r ö m i- schen Klöster nnd ihres Besitzthums begann in der Kammer der Ab¬ geordneten die Debatte am 6., und dauerte bis zum 26. Mai. Am 9. Mai vertheidigtc hier insbesondere der Minister des Aeußern, V i s c o n ti - V e n v sta die Politik der Regierung zu Gunsten der Bei¬ behaltung der Ordensgeneralate, welche wirklich durchging. Der von der Kammer am l7. Mai mit 220 gegen l93 Stimmen angenommene Artikel II enthält die Bestimmungen, daß zur zeitweiligen Erhaltung der Ordensgeneralate in ihrer jetzigen Einrichtung, während die römi¬ schen Klöster mediatisirt werden, jährlich 400.000 Franken gegeben werden, nebst der Zuweisung entsprechender Wohnungen und Bnreaux, von welcher Begünstigung nach dem Anträge Weniger nur der Je- snitengeneral ausgeschlossen sein sollte. Natürlich war man schon da¬ mals darüber nicht in Zweifel, daß der hl. Vater dieselben wie seine eigene Civilliste, zurückwcisen werde. ') Mit l79 gegen 157 Stimmen verwarf am 20. Mai die Abge¬ ordnetenkammer den Antrag M a n c i n i' s, auf vollständige Ausweisung der Jesuiten; nahm aber am 27. Mai das sogenannte Klostergesetz definitiv mit 176 gegen 43 Stimmen an. Indessen durfte Giuseppe Garibaldi in seinem bombastischen Schreiben, <1äo. Caprera, 5. Mai, ungestraft zur Proclamirung der Republik auffordern. Unterm 2. Juni protestirten 82 unterschriebene Ordcnsgenerale und Generalanwälte gegen das Klöster-Aufhebungsgesetz. Der an den König, an den Präsidenten des Ministerrathes und an beide Kammer¬ präsidenten gerichtete Protest weist nach, daß die Aufhebung der Klöster >) Die österreichischen Bischöfe der Wiener Kirchcnprovinz und die böhmischen verwendeten sich, erstere unterm 9. Februar, letztere uuternr 3. März 1873 beim k. k. Minister des Auswärtigen, Grafen Andrassy, zu Gunsten der Ordens¬ generale. 422 I Theil. 1. Hauptstuck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. ein Attentat gegen die ganze katholische Welt sei. Die Ordensgenerale protestiren ferner gegen die in der Kammer geführte Debatte voll Ver- lüumdungen der Orden; gegen das ganze Gesetz, als der Verfassung des Königreiches zuwiderlanfend, und gegen die Expropriationen. Sie appelliren an den Papst, der schon früher jedes solche Attentat ver¬ dammte; an die Bischöfe, an alle Katholiken, an das Assoeiativnsrecht, an das Eigenthumsrecht, an das Völkerrecht, und endlich an den all¬ mächtigen Gott selbst, „bei welchem es kein Ansehen der Personen gibt, nnd dessen unerbittliche Gerechtigkeit wissen wird, wann immer es sei, den Ruf uud die Rechte der Verleumdeten uud der Unterdrückten wie¬ der herzustellen". Dieser Protest hinderte es selbstverständlich nicht, daß der Senat das sogenannte Klvstergesetz, Ivie er es von der Kammer überkam, und zwar am 16. Juni in den sieben ersten Artikeln annahm. Man hatte die zarte Rücksicht (8<ül.) für den obendrein noch nicht völlig hergestellten hl. Vater, gerade den Jahrestag seiner Wahl zum Beginne der Dis- eussivn zn wühlen. Die ihm tren Gebliebenen aber brachten ihm damals ihre Huldigung dar. Der Zndrang in den Vatiean gestaltete sich zu einer großartigen katholischen Demonstration. Graf von Co reell es, französischer Botschafter, übergab dem hl. Vater ein eigenhändiges Glückwunschschreiben des Präsidenten Ai a e - M a h v n. In der Rede, in welcher der Papst die Glückwünsche des Cardinal- Collegiums beantwortete, beklagte er das unbnßfertige Hinscheiden Urban Ratazzi's nnd tadelte scharf die Betheiligung der Geistlichkeit an seinem Begräbnisse zu Alessandria. Am 25. Juni pnblicirte die „(Uczottn ntUcünlo ü'Itulin" das italienische Gesetz vom 19. Juni, betreffend die Aufhebung der Klöster und Orden in der Stadt und Provinz Rom, sowie die Convertirnng ihrer Güter, genehmigt von den beiden Kammern nnd vom Könige Victor Emanuel. Artikel l lautet: „In der Provinz Rom wer¬ den verkündiget und ausgeführt mit den Ausnahmen und den Aende- rnngen, wie sie gegenwärtiges Gesetz noch näher angeben wird: 1. Das Gesetz vom 7. Juli 1866, 2. Das Gesetz vom 15. August 1867. 3. Das Gesetz vom 29. Juli 1868. 4. Das Gesetz vom I I. August 1870. Es folgen nun noch andere 28 Artikel. Europa. Z 22. Italien nach der Occupatwn Roms. 423 Es verlautete von diplomatischen Vorstellungen Frankreichs und Oesterreichs an das italienische Cabinet, in der Klösterangelegenheit mit Mäßigkeit vorzugehen — zumal bezüglich der Generalate, uämlich deren Fortbestand auch für die Zukunft zu sichern. Ein päpstliches Breve sus- Pendirte die Einberufung der Comitien zur Ernennung neuer Ordens¬ generale und bestätigte die gegenwärtigen in ihren Aemtern. Am 25. Juni, an welchem das von König Victor Emanuel nm 19. sanetivnirte Klvstergesetz veröffentlicht wurde, fiel auch zugleich das Ministerium Viscvnti-Veuvstn. Nach einiger Unterbrechung folgte ihm jenes: Minghetti. Im geheimen Cvnsistorinm vom 25. Juli präeonisirte der heilige Vater verschiedene Bischöfe, nachdem er vorher in der Allocutivu an die Cardinäle das sogenannte Klvstergesetz verworfen hatte, als widerstrei¬ tend dem göttlichen und kirchlichen Rechte, so wie jedem natürlichen und menschlichen Rechte entgegengesetzt; also schon seiner Natur nach nngiltig und null. Als solches erklärt es der hl. Vater überdies aus¬ drücklich, und daß alle „Förderer, Rathgeber, Anhänger, Vollstrecker und Käufer der Kirchengüter ohne Ausnahme in die größere Excvmmuni- cativn, andere Censnren und kirchlichen Strafen, welche die hl. Canones, apostolischen Constitutionen und allgemeinen Concilien, namentlich das tridentinische verhängen, verfallen seien; daß sie die strengste göttliche Ahndung auf sich laden und in offenbarer Gefahr der ewigen Ver¬ dammung schweben". Zuletzt fordert der hl. Vater zum Gebete für die Kirche auf und bewilliget allen Gläubigen, die dies thun und die hl. Saeramcnte wür¬ dig empfangen, einen vollkommenen Ablaß einmal an dein Tage, wel¬ chen in den einzelnen Diöcesen der Bischof bestimmen wird. Die Verbote der t h a tsä ch l i ch e n Wallfahrten Seitens der Re- gieruugsorgane bewogen den hl. Vater, mit Breve vom 19. August, die mit den ersteren verbundenen kirchlichen Ablässe auf die svgeuannten geistigen Wallfahrten, d. i. auf die blvße Intention gewisse Wall¬ fahrtsorte zu besuchen — und zwar in drei Dekaden, in der ersten zu den heiligen Orten Palästinas, in der zweiten zu den vorzüglichsten Heilig- thümern Italiens, in der dritten zu den hervorragenden heiligen Stätten unter den anderen Völkern, während des Mvnates September anszndehnen. Zur Abreise des Königs Victvr Emanuel nach Wien sandte ihm auch der „Lonmg'lio cks'Veeeln Onttolwi cki Koma« seine Wünsche. 424 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Garibaldi schrieb an den sogenannten altkatholischcn Erzbischof von Lydda, Domenico Panelli (geboren im Neapolitanischen) — einen gewöhnlichen Schwindler, dessen von den schismatischen Griechen erschlichene Weihe nichtig Ivar: „Mein lieber Erzbischof! Ihr schreitet muthvoll ans der Bahn der Wahrheit der Emancipation der Gewissen entgegen. Dafür danke ich Euch im Namen der irregeleiteten Mensch¬ heit. Rom, 5. Februar l875. Euer Garibaldi." Der genannte Panelli ließ sich in Neapel von etwa 200 Per¬ sonen zum Oberhaupte der „italienisch-katholischen Nationalkirche" er¬ nennen. Er konnte ehedem wegen Mangel au nöthiger Borbildung nicht die Priesterweihe empfangen; deshalb begab er sich in den Orient, wo er die griechische Religion annahm. Später wollte er in den Schooß der katholischen Kirche znrückkehren, und verlangte die Priesterweihe. Als ihm diese abermals verweigert wurde, unternahm er die Gründung der neuen italienischen Nationalkirche; Papst Pins IX. hatte den „Reforma¬ tor" (?) und seine Anhänger mit Breve vom 3. Juli 1875 excommunieirt. In dem vom Senator Terenzio M a m i a ni, Senator G. P v n zi und dem Deputirten Don Onorato Caetani, Fürst von Teano, (einem der wenigen dem Papste untreu gewordenen Nobili) unterfer¬ tigten Einladnngsaufrufe zum auf den 20. October anberaumten italie¬ nischen Gelehrtencongresse heißt es am Schlüsse: „wo — nämlich in Rom — nach gar vielen Jahrhunderten Vernunft und Wissenschaft jetzt zum ersten Male frei und ganz ihre Stimme werden hören lassen können." Schon diese Insulte auf die Kirche und das Papstthum ließ ahnen, welche Ausfälle Beiden aus diesem Congresse noch bevvrstehen. Am 6. October wurde auch der noch übrige Rest des großen Domiuicanerklosters 8. Uaria sopra Ninerva exprvpriirt zur Unter¬ bringung des Unterrichtsministeriums. Aehnliches geschah mit anderen religiösen Häusern. Der Convent der 8eala santu bei der Basilika von Lateran (Passionisten) entging vorläufig noch diesem Schicksale, weil er vom Papste Pius IX. in den letzten Jahren ans eigenen Mitteln gebaut ward. Nach der Rückkehr Victor Em an n el' s von Berlin bemerkte man bald ein rascheres Vorgehen gegen die Kirche. Cardinalvicar Pa- trizi erhielt die officielle Jntimation, daß vom 20. October an das Generalatshans der Jesuiten anfhvre, als Jesuiten-Nesidenz betrachtet zu werde». Europa. K 22. Italien nach der Occupatio» Roms. 425 Die Expropriationen der Klöster wurden wieder in größerem Ma߬ stabe vorgcnvmmen. Im Kloster des Oolloginin romannm verlas der Reetor einen Protest gegen die Besitzergreifung, weil das Collegium eilte päpstliche uud internationale Institution sei. Diesen Protest überwies der Minister¬ rath dem Staatsrathe zur Prüfung. Das Observatorium wurde einst¬ weilen dem berühmten Astronomen Ist Secchi überlassen. Die Lehr¬ anstalt (Universität) aber definitiv an: 20. Oetober 1873 unterdrückt. Auch die Rectoren der übrigen Klöster erhoben Protest. Das Anerbieten, seine Wohnung im Vatikan aufznschlagen, lehnte der Jesniten-General Beckx ab. Wohl aber wurden die Archive der Generalatshänser in den Vatiean überführt. Am I. November mußten die Ordensmänner ans ihren Häusern ziehen. Nur die zur Bedienung der Kirche erforderlichen Geistlichen durften Zurückbleiben mit Ausnahme der Jesuiten, welchen das Predigen und die feierlichen Functionen in ihren Kirchen sogleich untersagt wurden. Im November wurde die berühmte Bibliothek (oasnuntonsv) im Dominikanerkloster illinorva in Besitz genommen; wie dies auch mit den Bibliotheken: TVu^elion der Augustiner; Vnilioolliunu der Ora¬ torianer und mit jener im OnIIoKÜnm romuuum n. a. geschah. Wie ein den: Papste und der katholischen Welt hingeschleuderter Hohn klang es, wenn der König Victor Emanuel in der Rede zur Eröffnung des Parlamentes am l 5. November sagte: „Italien hat gezeigt, daß Rom die Hauptstadt des Königreichs werden konnte, ohne die Freiheit des Papstes (der einfach „il pantoüeo" genannt wird) in der Ausübung seines päpstlichen Amtes zu beeinträchtigen (?) und in seine Beziehungen zur katholischen Welt störend einzugreifen". ') Dann fährt er fort: „Fest entschlossen, die Religionsfreiheit und die religiösen Gefühle und Empfindungen zu respectiren, werden Wir aber nicht gestatten, daß unter dem Deckmantel dieser heiligen Rechte die Gesetze und Einrichtungen des Staates angegriffen werden." ?) Wie wenig die (obligatorische) Civilehe in Italien Anklang fand, ergibt sich aus der Thatsache, daß vom l. Jänner 1866 bis Ende 1871 >) Ja, die Ordens-Generalnte wissen unter Anderen davon zu erzählen. st Ob sich Victor Emanuel, als er dies sprach, wohl auch der Deck¬ mäntel erinnerte, unter welchen man ihn in den Kirchenstaat uud endlich nach Rom brachte? 426 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche nicht weniger als 120.421 rein kirchliche, also vom Staate nicht an¬ erkannte Ehen geschlossen wurden. Gewiß auch hier eine aufgedrungcne Errungenschaft — die Civilehe! Der neue Gesetzvorschlag vom Deeember 1873 lautete unter Anderem dahin, daß jeder eine Ehe vor deren bür¬ gerlichen Schließung einsegnende Priester in eine Geldstrafe von 200 bis 500 Lire; im Wiederholungsfälle einer Gefüugnißstrafe von zwei bis sieben Monaten verfalle. Sehr harte Bestimmungen enthält die neue Fassung der Artikel 0XVI bis 0X1X des Strafgesetzes: Der Geistliche eines Cultus (einer Confessio»), der sein Amt oder seine Autorität mißbraucht, um den öffentlichen Glauben oder den Familienfrieden zu stören, wird mit zwei¬ monatlicher bis zu zweijähriger Haft und 1000 Lire gestraft. Regie- ruugsaete in geistlicher Versammlung schlecht zu machen, wird mit drei Monaten Gefängnis) und 1000 Lire gebüßt. Wird Auflehnung wider das Staatsgesetz bezweckt, so steigt die Strafe von vier Monaten auf zwei Jahre und 2000 Lire. Jede Gesetzwidrigkeit eines Geistlichen wird um einen Grad höher bestraft. (Gleichheit vor dem Gesetze!) Wer kirch¬ liche Verrichtungen wider das Verbot der Regierung ansübt, den er¬ wartet drei Monate Gefängnis; und eine Geldstrafe von 2000 Lire. — Wer verkennt hierin die Aehnlichkeit mit den preußischen Bestimmungen, und daß das Gesetz zumal gegen die katholische Geistlichkeit ge richtet sei? Tief verletzte das christliche Gefühl die Entheiligung des Colossenms. Zwar gestattete die Regierung nicht die von der sogenannten „Loawtü cki daselbst beabsichteten Carnevals - Orgien (1874); aber unter dem Vorwande von Ausgrabungen altelassischcr Monumente ließ sie die an den Wänden befindlichen, ans der Zeit des hl. Leonhard ul ?ortu illanrima (17. Jahrhundert) herrührenden vierzehn Kreuzweg- Capellen demvlireu; auch das in der Mitte stehende Kreuz mußte fallen! Der erbitterten Stimmung der noch nicht ungläubigen Menge war die Wiederaufrichtnng desselben zu verdauten. — Man fragte sich, ob denn in Rom selbst an die Stelle des Christenthums wieder das Heideuthum treten solle? Im Ganzen und Großen stand das Volk noch immer treu zu seinen Bischöfen. In der Diöeese Mantua machten wohl z. B. die Pfarr¬ gemeinden 8. Oiovnuui (lül I)tt880, 1'uliänuo !->nu Custolo Opposition, indem sie den vom Bischöfe gesendeten Hirten nicht annahmen (1874); Europa Z 22. Italien nach der Occnpation Noms. 427 sondern sich selbst einen Pfarrer wählten. Aehnlich die Pfarrgemeinde 6iovi Oiiinsso bei Arezzo — und anderwärts. Bei diesen noch mehr vereinzelten Erscheinungen hatten die sogenannten Liberalen die Hand im Spiele. Ueber Auftrag Seiner Heiligkeit verwarf die 8. OonKroAmtio Oou- oilii mit Decret, . 23. INai 1874 derlei eigenmächtige Pfarrers¬ wahlen in Italien und in der Schweiz, und erklärte solche Eindring¬ linge für verfallen der größeren Exeommunieativn psonliaritor ro8sr- vatao. 8. 86olo rniuano^, welche sich insbesondere die Wiedererlangung der vermeintlichen Rechte des römischen Volkes (reote der jetzigen Liberalen in Rom) auf die Papstwahl zur Aufgabe macht, zu behandeln feien, antwortete die 8. ?06nit6»tiaria mit Decret 3. Oetober 1874 ver¬ ließ der „Orenogue" Civitu-Vecchia. — Die französische Regierung stellte aber ein anderes Schiff dem hl. Vater zur Verfügung — nämlich das Kriegsschiff „Kleber", welches von Toulon zu diesem Zwecke nach Ajaccio in Cvrsica beordert wurde. Im Jahre 1875 wurde der „Kleber" mit der Evvlntivnsflotille vereinigt. Welche Fortschritte — nicht im guten Sinne — Italien machte, bezeugen diesfalls unverdächtige Berichte. So heißt es unter Anderem in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" Nr. 326 vom Jahre 1874, wo von der Abnahme der wissenschaftlichen Bildung der Jugend die Rede ist: „Nicht die Clericalen allein, auch wohlmeinende Liberale sagen und schreiben: Italien eile auf diesem Wege einer Barbarei ent¬ gegen, die nach einigen Decennien es zum Gegenstände des Hohnes und der Fabel machen werde." Damit halte die physische Verkümmerung der Jugend gleichen Schritt. Demungeachtet stellte der König in seiner Thronrede bei der Er¬ öffnung des Parlamentes am 23. November 1874 die Zukunft Italiens rosig dar. „Die Wiedergeburt Italiens", heißt es darin, „von jeder Makel frei, wird anch den in der Geschichte von politischen Aen- derungen so seltenen Ruhm erlangen, nie dem Gedanken Raum gegeben zu haben, die öffentliche Treue zu verletzen." st (!) y Es kommt nur,darauf an, was unter politischer Makel verstände» wird, »ud ob ei» so völkerrechtswidriges Gebühren, wie es sich Piemont wider de» Papst erlaubte, nicht die öffentliche, sondern etwa nur Privat treue berühre? 430 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Da dir geistlichen Schulen Renns und der Provinz viel größeren Zuspruch hatten, als die von Laien geleiteten, so ging ihnen der Unter¬ richtsminister Bonghi (ein abtrünniger Priester!) mit einer Verord- nnng, bestimmt sie nach und nach anfzuheben, zu Leibe (December 1874). Am 24. Jänner 1875 kam Garibaldi in Rom an, zum ersten Male wieder seit 1849, und nahm am nächsten Tage seinen Sitz in der Abgeordnetenkammer auf Monte Citoriv ein. Die Regierung traf Vor¬ sichtsmaßregeln gegen etwaige Ruhestörungen. Was mußte sich der hei lige Vater gedacht haben, zumal als er hörte, daß der König diesen Erz-Revolutionär am 30. Jänner empfangen hatte? Die Unterhaltung zwischen Beiden — Vietor Emannel nnd Garibaldi — drehte sich laut Zeitungsberichten zumeist über Gari¬ bald i's Projeet der Tiber-Regulirnng und der Ausrottung der p v li¬ tini sch en Sümpfe. Anderer Art Sümpfe Italiens, bemerkt hiezn ein Blatt, blieben außer Betracht. Der Kronprinz Humbert stattete Garibaldi einen dreiviertelstündigeu Besuch ab. Minister und Andere warteten ihm auf. Die nämliche italienische Regierung, unter deren Augen fast tag¬ täglich das Oberhaupt der katholischen Kirche in maßloser Weise be¬ schimpft wurde; sie, unter deren Augen noch am letzten Sonntag des Carnevals 1875 öffentlich, am Corso und in den belebtesten Gassen die Frvhnleichnams-Prvcessivn verhöhnt nnd parodirt wurde, versicherte durch ihren Justizminister (Februar 1875), sie erkenne zwar die Un¬ verletzlichkeit des Papstes für dessen Reden und ämtlichen Kundgebungen an, mache aber Diejenigen verantwortlich, welche die die Staatsgesetze und die Staatsinstitutionen beleidigenden Kundgebungen des Papstes auf dem Wege der Presse anderweitig veröffentlichen. Das Schreiben des Justizministers an den Generalprocuratvr des Appellhofes fordert schließlich die Staatsanwaltschaft auf, die strafbaren Reden des Clerns zu überwachen und anznzeigen. Sie solle den Polizeiagenten einschärfen, den Fastenpredigten die größtmögliche Aufmerksamkeit zu schenken. (!) Diesen Eindringlingen in das Eigenthnm der Päpste und der Ge sammtkirche wäre freilich ein Papst erwünscht, der auf den Bruch alles Völkerrechtes das Siegel der Anerkennung drücken, nnd ihnen sich selbst nnd die Kirche auf Gnade und Ungnade ausliefern würde! Den Besuch Victor Emanuel's gelegenheitlich der Weltaus¬ stellung in Wien erwiderte der Kaiser von Oesterreich-Ungarn, Franz Europa. Z 22. Italien nach der Orcupation Roms. 43 l Josef I., auf der Reise nach Dalmatien, von welcher er am 15. Mai wieder nach Wien zurückkehrte, großherzig in Venedig (vom 5. bis 7. Mai 1875). Am 21. März, wo man in Venedig gewiß schon vom Besuche des Kaisers wußte, wurde in Gegenwart des Vertreters Vic¬ tor Emannel's, des Unterrichtsministers Bonghi, das Denk¬ mal Daniels Manin, dieses Revolutionärs gegen Franz Josef I. selbst nnd Dietators Venedigs, feierlichst enthüllt — wobei es selbst¬ verständlich an Reden über Manin's Verdienste nm den Sturz der Fremdherrschaft, um die „Wiedergeburt und Einigung" Italiens nicht fehlte. ' Obwohl der Papst das neue, schon erwähnte Recrutirungsgesetz, welches auch den Clerus zur Militärpflicht heranzieht, in seiner Ant¬ wort au die. vom Fürsten Hugo Windischgraz geführte intcrnatio nale Katholikendeputation am 13. April scharf tadelte nnd ungeachtet mehrere Bischöfe nm dessen Ablehnung petitionirtcn; insbesondere auch der Cardinal nnd Patriarch von Venedig — ging dasselbe durch. Am 27. d. M. nahm der Senat das Recrutirungsgesetz mit Artikel XI betreffend die Militärpflicht der Geistlichen an. Der König sanctivnirte es. Auf Grund dieses Gesetzes kann Jeder bis zu 40 Jahren, sei er was immer, selbst ein Bischof, seiner Kirche, Pfarrei oder Diöcese ent¬ rissen, in die Militärnniform nnd in ein Regiment gesteckt werden. (!) Ob Bischof Dnpanlvnp nicht Recht hatte? wenn er in einem zweiten Briefe an Minister Minghetti unter Anderem schreibt: „Italien glaube seine Auferstehung mir ans dem Grabe des Katholicismns feiern zu können." Wegen des sogenannten Garantiegesetzes wurde das königliche Mini sterinm in der Abgeordnetenkammer insbesondere von Mancini scharf interpcllirt (Mai 1875). Der Cultusminister Vigliani vertheidigte die Haltung der königlichen Regierung nnd meinte, das Garantiegesctz, mit Allem, was damit in Verbindung steht, habe bisher seine Probe glänzend bestanden. (?) st Mit 219 gegen 149 Stimmen billigte am 8. Mai die Abgeordnetenkammer das Verhalten der Regierung. Zumal in Sicilien war die Sicherheit von Person und Eigenthum Banditen nnd allerlei Verbrechern so preisgegeben, wie nie zuvor unter ') Beweis dessen unter Anderen! die Insulten, die dein für unverletzlich erklärten Papste fast tagtäglich angethan wurden — in und außerhalb der Presse. 432 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. der Herrschaft der Bourbonen. Diesen anarchischen Znstünden fällte das sogenannte Sicherheitsgesetz abhelfen, wie es am 16. Jnni von der Kammer und schließlich auch vom Senat angenommen wurde. Schon der Eingang desselben ist bezeichnend genug: „Bis andere Bestim¬ mungen getroffen werden, können in denjenigen Provinzen, Bezirken und Gemeinden, in denen die öffentliche Sicherheit durch Mordthaten, Straßenraub, gewaltsame Wegführnng von Menschen und andere Verbrechen gegen Person und Eigenthum schwer gefährdet ist, nach Vorschlag des Ministerrathes durch königliches Deeret folgende Verfügungen erlassen werden" u. s. w. Bei solchen Zuständen fand es dennoch der Präfeet von Neapel angezeigt, die sogenannten „Opsro pio" zu sperren (October), d. i. jene frommen Anstalten, in welche sich Personen weiblichen Geschlechtes zurück- zogen, ohne Gelübde abznlegen; sondern nm aus ihrem Vermögen dort bis znm Tode zu leben. Hiezu bemerkte ein Blatt: „Wenn ein weib¬ liches Wesen, statt sich von der Welt zurückznziehen, in die patentirten öffentlichen Häuser treten will, so steht Dem Nichts entgegen." Die königliche Regierung hatte längere Zeit die Bischöfe, welche sich um das königliche Exequatur, d. i. um die staatliche Anerkennung nicht bewarben, unbehelligt gelassen. Nun vertrieb sie plötzlich dieselben aus ihren Amtswohnungen. Von den so „gesperrten" Bischöfen ver¬ langte die Regierung dennoch die Einkommensteuer und sogar 13-20 Procent von den Almosen, welches der Papst denselben znkvmmen ließ! Die hundertjährige Geburtsfeier O'Cvnnell's in Dublin gab der „Loaiatä ckalla z-ivvontn vattoliaa, italiana" zu Bologna Ver¬ anlassung zur Stiftung der „I-SAL Oauialo O'Lonnoll per la libartü «lall' iu86g-n:>inonto outtoliao in Italia" mit der Aufgabe, für die Frei heit des Lehramtes zu streiten, wie selbe in Frankreich glücklich errungen wurde, also zur Wehre gegen die Entchristlichung der Jugend. Aus den den aufgehobenen Klöstern bisher abgenommenen Biblio¬ theken wurde mit königlicher Genehmigung (vom Juli 1875) eine große Nativnalbibliothek im ehemaligen 6oIwK-inm romannm gegründet, welche den Namen führen soll: „Victor Emannel-Biblivthek". Ans dem großen Convente der Franziscaner in Assisi errichtete der Cultnsminister Bong hi ein Nationalconvict für Söhne öffentlicher Lehrer. Gewiß eine sehr bequeme Art zu Büchern und zu Instituten zu gelangen! Daneben nimmt sich sonderbar der auch von Liberalen zugestan- Europa, ß 22. Italien nach der Oceupation Roms. 433 dene immer größere Verfall der römischen Universität ans. „Unter der vorigen Regierung, schreibt (1875) Or. C. Carlucci, nvch unter Victvr Emanuel, Rectvr der geuaunteu Universität, war die Sapienza vvu einer mehr als doppelt so großen Zahl Studirender be¬ sucht; zwei oder drei Beamte genügten, um die Kanzleigeschäfte zu be¬ sorgen. . . . Doch jetzt? Beamte über Beamte, Gehilfen, Wärter über Wärter n. a. m." Sogar die radirale „Kapitale" führt ein ganzes Register von Seg¬ nungen (soilioot) auf, welche der Einzug der Piemontesen durch die Bresche der Porta-Pia am 20. September 1870 für das „geeinigte Königreich" im Gefolge hatte. Sehr zahlreich besucht war der zweite italienische Katholikencongreß in Florenz (22. bis 29. September). Schon in der Eröffnungsrede for¬ derte der Erzbischof von Florenz die Versammlung auf, vorzüglich für die christliche Schule eiuzutreteu. Eben auch in Florenz bildete sich der Verein „clel ooüteu/.ioso anttoliov", meist ans frommen Advocaten bestehend, zum Schutze der kirchlichen Interessen im Conflictc mit den weltlichen. Um dieselbe Zeit, Ivie in Florenz der Katholikencongreß, tagte in Palermo eine Versammlung ganz entgegengesetzter Art; nämlich ein sogenannter Gelehrtcncvngreß, dessen Kleeblatt der Unterrichtsminister B o n g h i, M a m i a ni und — Renan waren. Als Held des Tages wurde der französische Christuslängner gefeiert. Am 18. October traf der deutsche Kaiser Wilhelm in Mailand ein, um dem Könige Victvr Emanuel persönlich den in Berlin 1873 gemachten Besuch zu erwidern. Er blieb daselbst bis 22. October. Eine Festlichkeit folgte der anderen. Da richtete der Verein der „6io- vontü onttoliou itiUinun" eine Adresse äcio. Bologna 18. Oktober 1875 an den Kaiser, worin,pr ihn bittet „um Gerechtigkeit und Frei¬ heit für die katholische Kirche in Deutschland; nm Gerechtigkeit und Freiheit für die gefangenen und in Ausübung ihres heiligen Amtes be¬ hinderten Bischöfe; um Gerechtigkeit und Freiheit für Millionen unserer Brüder, Ihrer Unterthanen, welche durch das bloße Recht der Gewalt im Bekenntniß ihrer Religion gestört sind." Einen Erfolg hatte diese Adresse nicht. Sie gelangte gar nicht in die Hände des Kaisers; son¬ dern wurde von dem deutschen Gesandten in Rom, Ken dell, un- term 7. November dem Präsidenten des Vereines, Giovanni Acqua- Vtepischnegg, Papst Pins IX. und seine Zeit. I. Bd. 28 -j 84 I Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. derni, mittelst Post zurtickstellt. ..Der Inhalt des Schriftstückes — heißt es im Begleitschreiben — erscheint mir nicht geeignet, Sr. Ma¬ jestät überreicht zn werden." Glücklicher waren die italienischen Fr ei m an re r. Durch eine Deputation begrüßten sie den Kaiser. Bei dem ihm zu Ehren veran¬ stalteten Bankett zu Mailand ließen sie — n a ch G a r ib a l d i, „diesem Musterbild aller manrerischen Tugenden" >) — auch den Kaiser hoch leben, wovon ihn der Präsident des Bankettes in Kenntnis; setzte. Die Deputation entließ der Kaiser in wohlwollender Weise. Anläßlich dieses Kaiserbcsuches erklärte Minister Marco Ming- hetti (31. October) zn Cologna (in Venetien), derselbe werde keine Aenderung in der Kirchenpolitik Italiens znr Folge haben; doch müsse Italien Vorsorge treffen, den niederen Clerns vor der Unterdrückung durch die hohe Geistlichkeit zu schützen und die Mitwirkung des Laien¬ elementes bei der Gemeindeverwaltung zu sichern. Die Regierung werde demnach im Parlamente einen bezüglichen Gesetzentwurf gemäß Ar¬ tikel XVII l des Garantiegesetzes einbringen. (Also wirklich keine Aen- dernng?) Die beiderseitigen Gesandtschaften von Berlin und Rom wurden zum Range von Botschaften erhoben. Als eine neue, dem Oberhaupte der Kirche angethane Kränkung kann die vom Untcrrichtsminister Bong hi kurz vor seinem Abtreten vom Minister-Fauteuil am 12. Mürz 1876 verfügte Schließung der sogenannten vaticanischen (päpstlichen) Universität angesehen werden. Ihr Ursprung datirt vom Tage der Einnahme Roms durch die Piemon¬ tesen. Das gleiche Schicksal hatte das Seminar zu Mantua. Nach dem Sturze des Ministeriums Minghetti (März 1876) kam ein noch radicaleres an's Ruder. Was von ihm zu erwarten war, kennzeichnet sein Programm unter Anderem damit: „Deutschland wird ') Garibaldi sand (1876) das Geschenk jährlicher 100.000 Francs doch annehmbar, sowie auch eine schöne Billa bei der I'orta ?ia. Dies brachte die radicalcn Republikaner schier zur Verzweiflung. „Sie haben ihn gemordet" rief Einer aus ihnen im „kopolo" von Genua. „Er war groß, ein Titan, ein Held der Sage, ein Ansnahmsmcnsch . . . groß, noch besonders groß durch seine Armnth. . . . Die monarchische Wuth hat so lange, so stark und so gut zu ziehen gewußt, daß sie ihn nach und nach von dem hohen Piedestal, aus dem er stand, herunter- gezogeu hat. . . ." Nun, Garibaldi war einsach der Erbsen und des Kohls von Caprera satt geworden! Europa. 8 -2- Italien nach der Occupatio» Roms. 435 sehen, daß die innere Politik Italiens ihm in der energischen Verfol¬ gung der Kirchenpvlitik behilflich sein werde." Die Depntirtcnkammer wollte den Eid, als religiösen Act ganz abschaffen und blvs die Worte beibehalten wissen: „Ich schwöre." Der Senat entschied sich wenigstens für die Formel: „Ich schwöre vor Gott und vor den Menschen;" aber der Heiland und sein Evangelium mußten doch weichen. — (Auch ein Zeichen der Zeit!) Der Minister des Innern, Baron Nicotera, verbot im Prin¬ cipe alle kirchlichen Prvcessivnen außerhalb der Gotteshäuser. Es ist dies der nämliche Nicotera ans dem Königreiche Neapel, welcher 1857 als Anführer und Freibeuter zu Sapri an der calabresischen Küste gefangen genommen und zum Tode verurtheilt, aber, weil er seine Partei verrathen, zum immerwährenden Gefängnisse begnadigt wurde, ans welchem ihn die Revolution 1860 befreite. Die „OmEts, 871.) Als im December 1877 das alte Ministerium abtrat und De- pretis ein neues bildete, erhielt Nicotera vom Könige für seine Verdienste (!) den Grvßcordon des St. Manritins und Lazarus- Ordens. Der Jnstizminister Mancini untersagte mit seinem Erlasse ckcko. 21. September den Behörden, irgend welche Anordnungen von Bi¬ schöfen, welche nur ihre staatliche Anerkennung nicht einschritten, zu respectiren. Eine Entscheidung der Kongregation der Inquisition vom 29. November erwiderte die Anfrage einiger Bischöfe, ob sie unter so schwierigen Umständen um das staatliche Exequatur einschreiten dürfen: „nttontm airoumstnntiis tolornri posss". Dem Katholikencvngreß zu Bologna ging es übler, als seinen Vor¬ gängern. Der liberale Pöbel erlaubte sich ähnliche Brutalitäten gegen die Mitglieder, wie sie anderwärts, z. B. in Belgien, in Scene gesetzt wurden. Auf das Verlangen der Tumultuanten löste der Präfect die Versammlung auf. (9. October 1876.) Der Präsident des Kongresses, Herzog Salviati, erließ an den Präfecten Tags darauf einen energischen Protest dagegen, worin er darauf hinweist, daß die Internationalen erst vor wenigen 28* 436 I. Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Wvcht'N sich unbehelligt in Bologna versammeln durften. Daß das Mi¬ nisterium gegen die Kirche und ihr Oberhaupt neue Pläne vorhabe — darüber täuschte sich Niemand. Die „Kölner Zeitung" brachte eine Jm- mediat-Eiugabe desselben an den König um Genehmigung von Ma߬ nahmen für den Fall des Todes des Papstes, welche unter Andern auch sogar zum gewaltthätigen Eindringen in den Vatican er¬ mächtigen würden. Zwar wurde diese Notiz selbst auch vom Minister des Aeußeren, Melegari, in einem Rundschreiben als Erfindung bezeichnet; aber der König erklärte in seiner Thronrede zur Eröffnung des Parlaments am 20. November unter Anderem: „Es bleibt uns noch eine Aufgabe zu lösen, die bisher noch nicht in's Auge gefaßt worden ist. Die Freiheiten, welche in unserem Königreiche reichlicher als in jedem anderen Staate der Kirche zugemessen sind, ') dürfen nicht in solcher Weise ausgeübt werden, daß darunter die öffentliche Freiheit leide, oder dadurch die Rechte der nationalen Svnveränetät eingeschränkt würden. -) Meine Regierung wird Ihnen diejenigen Maßregeln vor¬ legen, welche nöthig sind, um den im Garantiegesetze bereits enthaltenen Reserven und Einschränkungen Kraft und Wirksamkeit zu geben." Der Gesetzentwurf des Justizministers Mancini gegen die „Mi߬ bräuche" des Clerus ist ganz den Preußischen „Maigesetzen" Hochge¬ bildet. Die Debatten darüber hatten im Parlamente am 7. Jänner 1877 begonnen. Mit 150 gegen 100 Stimmen nahm die Abgeordneten¬ kammer am 24. Jänner den Ausnahms-Gesetzentwurf betreffend die „Mißbräuche der Geistlichkeit" (!) au. Bei den Verhandlungen erlaubten sich einige Depntirte, z. B. Bovio, ?etru66lli cltzlln Onttinn, die gemeinsten Schimpfereien auf die katholische Kirche, auf das Papstthum, uud speeiell auf Pius IX. Eine Sprache, fast wie die der Sansculotten der französischen Revolution. Das mit der Prüfung des Projectes betreffend die sogenannten Mißbräuche des Clerus betraute Comitv des Senats beschloß die Be- rathung desselben bis zur Discnssivn über den Strafcodex zu ver- >) Ist das nicht fast wie Hohn? Nach der völkerrechtswidrigen Bcranbnng und Plünderung noch eine solche Sprache! 2) Soll der Papst fernerhin nicht einmal mehr den Ranb und all' die der Kirche nnd ihrcni Oberhaupte zngesügte Schmach und Unbild beim rechten Namen nennen dürfen? Wurde und wird dies in Italien kraft der „öffentlichen Freiheit" und der „nationalen Svnveränetät" verübt? Europa. § 22. Italien nach der Occupatio» Roms. 437 schieben (5. Mürz). Der Senat ging aber nicht in diesen Vorschlag ein. Das Endresultat der nenntägigen Verhandlungen Seitens des Senates war die Ablehnung der Gesammtoorlage des Jnstizministers Mancini niit tO5 gegen 92 Stimmen — am 7. Mai. Nach längerer Unterbrechung sandte Oesterreich-Ungarn den bis¬ herigen Gesandten in Haag, Baron von H ah merle, als Botschafter an den Hof des Königs. Um dieselbe Zeit begannen die Jtalianissimi in Südtirol und Triest wieder ihr hochverrütherisches Spiel. Zum Programm des modernen Liberalismus gehört überall auch der Schulzwang. Wie sollte Italien darin zurückstehen? In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 5. März 1877 begann die Berathnng des vom Unterrichtsminister Coppiuo eingebrachten Gesetzentwurfes über den Schulzwang. In der Debatte plaidirte der genannte Minister dafür, daß der Religionsunterricht in der Volksschule nicht obligatorisch, son¬ dern nur faeultativ sein soll. Die Väter der Kinder sollen zn entscheiden haben, ob nnd welcher Religionsunterricht ihren Kindern zu ertheilen sei. Mit 208 gegen 20 Stimmen nahm das Abgeordnetenhaus am 10. März in geheimer Abstimmung das Schulzwanggesetz an. Aus Anlaß der bereits erwähnten päpstlichen Allocution im Con- sistvrium vom 12. März 1877 richtete der Cultus- und Justizminister Mancini ein Rundschreiben llllo. 17. März an die Generalprocnra- toren, worin er unter Anderm sagt, daß der Papst den Staat für die der Kirche in Italien gewährten Freiheiten nnd für die ihm selbst im Garantiegesetze bewilligten Concessionen mit Undank lohne. (!) — Keine Regierung könne eine solche Beleidigung und Herausforderung dulden. Unter Aufrechthaltuug des Priucips (!) der Unverletzlichkeit des Papstes könnten die Procuratvren zur Verfolgung der Journale ermächtiget werden, welche die Allveution..reprvdnciren. „Die Regierung wolle jedoch (lM. den Großmüthigen spielen) von der Verfolgung wegen bloßer Neprodueirnng der Allocution absehen; denn das Ministerium sei stark in dem Glauben an die Einheit nnd die Freiheit des Vaterlandes. Es wolle der Welt den klaren Beweis seiner Langmuth, Duldsamkeit und Kraft geben und darthun, welche außerordentliche Freiheit dem Papste gewährt sei." Wahrlich! villmilo ost satiram nou ckioero. Nach seiner völker¬ rechtswidrigen Beraubung, nach all den an dem Vermögen und Rechten 438 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. der Kirche verübten Gewaltthaten, nach all den ihm persönlich, zuletzt noch im Parlamente selbst, zugefügten Beschimpfungen, sollte sich das Oberhaupt der katholischen Kirche für solche „Unverletzlichkeit im Prin¬ cip" noch bei den Machthabern bedanken! Nach obiger ministeriellen Ennnciation ließ der Fiscus mehrere sogenannte clericale Blätter in Beschlag nehmen, weil sie außer dem bloßen Text der päpstlichen Allocution einige, den Machthabern nicht' zusagende Bemerkungen zur selben brachten. Obige Instruction des Ministers-Siegelbewahrers an die Gcneral- Procuratoren der Appellhvfe veranlaßte den Cardinal - Staatssecretär Simeoni, ein Rundschreiben an die apostolischen Nuntien, ckcko. 21. März, behufs Ueberreichung an die betreffenden Regierungen zu richten, in welchem das jüngste Gebühren der italienischen Regierung nach Gebühr beleuchtet und die Lage des hl. Vaters den Regierungen zur Beherzigung geschildert wird. Zum großen Troste gereichte dem heiligen Vater die bald hernach in Rom gegründete „8oeieta8 Uomnnn Urineep8 n Ustro .turi« 6on- miltnrnm et Orcusas in Unia .Pentium" — also von Rechtsgelehrten und Advocaten. „Nnnus nntein uo8tiuu> est — heißt es in ihrem Programme — rei 6atliolieae et Uetri Ksclis jura, voee, smriptm in tora, in enimis tueri; Uoutiüeii et 8neri jurm «oieutinin tovore nmplitienre, pcoterre; nckver8niÜ8 oi^istere; non operne non Intmci pnreere, ut uoeeutiuiu Iiominum, 8I8tNMU8." Am 28. April genehmigte der Papst das Unternehmen mit dem Wunsche, daß die Societät die weiteste Verbreitung fände. Gerade während der Vorbereitungen zu den Wahlen in Frankreich besuchte der italienische Kammerpräsident Crispi Berlin, wo er in auffallender Weise fetirt wurde. Trotz gegentheiliger Behauptung Seitens der beiderseitigen Diplomatie lag doch die Vermuthnng ganz nahe, daß zwischen Italien und Preußen abermals Abmachungen verabredet wurden, deren Spitze gegen Frankreich und — wie man sich in libe¬ ralen Kreisen auszudrücken pflegt — gegen den Vatican gerichtet sei. Denn so viel gestand man doch (in dem officiösen Berliner Blatte: „Norddeutsche Allgemeine Zeitung") selbst ein, daß ein sogenanntes „clericales", d. i. seiner Katholicität sich bewußtes Frankreich eine „per- Europa. Z 22. Italien nach der Occupation Roms. 439 mancnte Drohung gegen Italien" sei. Also um die Sicherung der in Italien und Deutschland vollzogenen „Annexionen" und wahrscheinlich auch um die Verpflanzung und Fortführung des „Kulturkampfes" nach preußischem Muster auf italienischen Boden handelte es sich zwischen den beiderseitigen Staatsmännern. Daß die Fäden in Bismarck's Hand lagen, versteht sich wohl vvn selbst. Er leitete das ganze Spiel. Crispi kam, nachdem er in London und Paris gewesen, auch nach Wien, wo diesem vvn früher bekannten Gegner Oesterreichs ver¬ dienter Maßen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. ') Großes — unuöthiges — Aufsehen erregte der bereits genannte Jesuit ?. Carlo Maria Curci. In einer nach zwei Jahren in die Oeffentlichkeit gelangten, ursprünglich nur für den Papst bestimmten, aus vier Theilen bestehenden Denkschrift hatte er darzuthun gesucht, daß die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstthnms unter den obwaltenden politischen Umständen eine Unmöglichkeit sei, und daher auf einen Modus der Aussöhnung mit dem neuen Königreiche Italien zu denken sein werde. Da ihm vom Ordensgeneral U. Petrus Beckx die Alternative gestellt worden war, entweder Widerruf zu leisten, oder den Orden zu verlassen, wählte U. Curci, der bereits 51 Jahre in der Gesellschaft Jesu gelebt, das Zweite. Mit dem Schreiben, ) Noch bei Lebzeiten seiner rechtmäßig ihm 1856 auf Malta angetranten Gemahlin Rosa Montmasson heiratete Crispi oiviliter im Jänner 1878 zn Neapel eine zweite. Wegen Bigamie angeklagt, wurde die Untersuchung gegen ihn behördlich eingestellt, weil „die auf Malta eingegangene Ehe ein rein religiöses Bündnis;, ohne civilrechtlichc Folgen sei und also den Abschluß einer zweiten Ehe nicht habe prüjndiciren können!" (Ein wahrhaft salomonischer Urtheilsprnch.) So etwas ist jetzt in Italien möglich! 440 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. miter seiner Leitung erschien. Noch nach der Oceupation Roms 1870 hatte er den „Verein für katholische Interessen" iu's Leben gerufen. Ihm, in Vereinigung mit Msgr. Nardi, verdankt auch die „Vooo cksllu Veri tu" ihre Entstehung. Also ein zweiter Passaglia! C n rci meinte, bei der Aussichtslosigkeit der Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des apostolischen Stuhles möge Dieser um so mehr seine geistliche Macht wahren. In Florenz gab der Expater die Schrift heraus: „II moderno ckismäio tru In (Missa s I' Italia, aonsielerato in oaaasinna cl'un tatto partieolars" in acht Capiteln: worin er wieder den Ausgleich des Papstthums, resp. der Kirche, mit dem Königreich Italien befür¬ wortet. Er versteigt sich sogar zur Behauptung, daß die Haltung des Vatieans Italien gegenüber für alle Uebel verantwortlich sei, welche die Kirche zu beklagen hat. Seine hier ausgesprochenen Ideen sind im Grunde die nämlichen, die er vor zwei Jahren im Briefe an den Papst entwickelte. Die liberalen Zeitungen belobhndelten selbstverständlich den Ex¬ jesuiten, und schlugen aus seiner Schrift Capital, aus welcher sie zu¬ meist solche Stellen aus dem Contexte rissen, die ihnen convenirtcn, obwohl dieselben im Zusammenhänge oft einen weniger anstößigen Sinn haben. Am 29. April 1878 aber legte Carlo Maria Cnrci eine unbe¬ dingt lautende Erklärung des Widerrufes uud der völligen Unterwerfung in die Hände des neuen Papstes Leo XIII. Zumal Pflichte er, heißt es darin, allem dem bei, „was die Päpste und jüngst Ew. Heiligkeit in der Eneyklika „Iimoi atubili" rc. in Bezug auf die zeitliche Herrschaft des hl. Stuhles lehren." Daß das Hosauuah der Liberalen nun in das Gegentheil umschlng, versteht sich von selbst. Wie es mit der geistlichen Macht des Papstes in Rom selbst bestellt sei, zeigt das Rundschreiben des Cardinal - Staatssekretärs, Simeoni, elcko. 26. Augnst an das beim hl. Stuhle beglaubigte diplomatische Corps, worin über die unnöthige, vexatorische, neuerliche Schließung der Kirchen St. Antonio ans dem Esquilin, und St. Marta auf dem Platze des Oolioxiuin komunam, sowie über die Besitznahme des mit der Kirche 8. IKuriu della 8aulu verbundenen Oratoriums Klage geführt wird. Europa. K 22. Italien nach der Occupation Noms. 441 Das Schreiben schließt: „Der unterzeichnete Staatssekretär kann nicht umhin, diese bedauerlichen Thatsachen Ew. Excellenz mitzutheilen, damit Sie dieselben zur Kenntniß Ihrer Regierung bringen als be¬ zeichnenden Commentar der stets wiederholten Be¬ hauptung, durch die Invasion Roms sei der souveräne Papst lediglich seiner weltlichen Herrschaft beraubt; dagegen seine g e ist l iche Autorität und s e i n e G e r i ch ts- barkeit über geistliche Personen und Sachen unange¬ tastet gelassen worden." Die „Voos üelbr Voi-itü" sprach von einem neuerlichen Circular¬ schreiben des Cardinal-Staatssecretärs vom 24. September 1877, wie¬ der Beschwerden enthaltend gegen die Regierung Victor Emanuel's; nämlich gegen ein Rundschreiben des Jnstizministers vom 22. August, welches die Bestimmungen des auf die kirchlichen Umzüge be¬ züglichen Circulars des Ministers des Innern vom 28. Juli 1876 aufrecht erhält. Nach ganz kurzer Krankheit (Lungenentzündung) starb König Vic¬ tor Emanuel 11. am 9. Jänner 1878 — versehen mit den heiligen Sterbesakramenten. (Er war am 14. März 1820 geboren — seit 12. April 1842 mit der Tochter des Vicekönigs von Lombardo-Vene- tien und Erzherzogs Rainer von Oesterreich, Adelaide, vermählt (gestorben 20. Jänner 1855). Die Leiche wurde am 17. Jänner im alten Pantheon — nun eine christliche Kirche — beigesetzt; also nicht in der bisherigen Gruft der Könige von Sardinien zu Superga bei Turin. Dadurch wollte man eben der Welt n<1 ocmlos demonstriren, daß Rom für immerwährende Zeit die Hauptstadt des geeinigten Italiens, und der Sitz seiner Könige sei. Der Papst war völlig außer Stande, dies zu hindern. Unter dem Titel: „Die.Wahrheit über den Tod und die Beer¬ digung Victor Emanuel's brachte die „lübertö" von Freiburg in der Schweiz ein Circular, welches auf Befehl Pius IX. vom Staats¬ sekretär Simeoni, <1<1o. Rom, 28. Jänner 1878 allen Mächten übersandt wurde, um die genaue Wahrheit darüber darzulegen, ob und wie Victor Emanuel mit der Kirche ausgesöhut starb, und des¬ halb kirchlich, obgleich nicht als König von Italien und Rom, sondern nur als r e u i g er Katholik begraben wurde. (Siehe „Vater¬ land" Nr. 165 vom Jahre 1878.) 442 I- Theil. I, Haaptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. In der Regierung succcdirte des Verstorbenen ältester Sohn, der bisherige Kronprinz Humbert (geb. 14. März 1844). Fast unmittelbar vor seiner Erkrankung hatte Victor Emanuel noch eine Unterredung mit dem auf einer „Mission" begriffenen fran¬ zösischen Agitator Gambetta (ein geborner Genueser Jude. So nennen ihn Zeitungen), von welcher man sich nichts Gutes versprach. Der ewige Richter trat dazwischen. In fast widriger Weise priesen liberale Blätter selbst in Staaten mit überwiegend katholischer Bevölkerung den Mann, der — freilich mehr ein bloßes Werkzeug der internationalen Revolution, als freithätig einwirkend — von dieser dazu gebraucht wurde, um durch Vertragsverletzungen und völkerrechtswidrige Annexionen ein einiges Ita¬ lien zu Wege zu bringen, und in dessen Namen der legitimste Thron in Europa — des Papstes — umgestürzt wurde. Nie noch wurde der Grundsatz so unverblümt ausgesprochen, als noch an der Bahre Victor Em anu el' s: Gewalt gilt vor Recht und der Zweck heiligt auch die vou der Völkermoral verworfenen Mittel. Als der neue König Umberto (er nannte sich als „König von Italien" Umberto I.) mit der Königin (19. Jänner) nach der Eides¬ leistung auf Monte Citoriv in den Ouirinal zurückkehrte, hob der deutsche Kronprinz, welcher auch zur Leichenfeierlichkeit gekommen war, am Balcon den italienischen kleinen Kronprinzen vor der versammelten Menge in die Höhe und küßte ihn. Gewiß eine deutliche Symbolisirung der antanta oorciiala zwischen den beiden nun geeinigten Ländern Deutschland und Italien. Gegen Wen sie zunächst gerichtet sein solle, war nicht schwer zu errathen. Die rührende Scene spielte sich ja im päpstlichen Palaste Qnirinal und auf der nämlichen loMia ab, von welcher früher immer — zuletzt noch 1846 - der nengewählte P a p st dem Volke verkündet worden war. Unterm 18. Jänner hatte Pins IX. dem bei ihm beglaubigten diplomatischen Corps einen erneuerten feierlichen Protest gegen die Usurpation des Kirchenstaates, respeetive gegen den Regierungsantritt des Königs U m b c rto als Königs von Italic n zustellen lassen. Denselben erhielten auch alle apostolischen Nuntien. Europa. Z 23. Die katholische Kirche in Frankreich. 443 8 23. Nie katholische Kirche in Frankreich. Die Februar-Revolution des Jahres 1848 hatte in wenigen Tagen den Thron des Bürgerkönigs nmgestürzt. Rnhmlos gab ihn Ludwig Philipp I. auf, floh wie ein Geächteter nach England, wo er am 3. Mürz landete, und wo ihm sein Schwiegersohn König Leopold I. von Belgien das Schloß Claremont einräumte. Da starb er am 26. August 1849; am 24. Mürz 1866 aber seine muthigere Gattin Königin Marie Amelie (geboren 26. April 1732, als die Tochter Ferdinands I. (IV.) Königs beider Sicilien, und Marie Ca¬ roline, der Tochter der Kaiserin Maria Theresia). ') Wie bei der ersten großen Revolution die Encyklvpädisteu Haß und Verachtung gegen Christenthum und Kirche schürten, so thaten dies jetzt von dem Katheder aus, vor der Februar-Katastrophe ein Jules Michelet (schrieb später unter Anderem „In bibla cko I'bu- nmnita"), Edgar Quin et und Andere. In den Abgrund der entsetzlichen Corruption, welcher fast alle Schichten der Gesellschaft verfallen waren, H ließ z. B. der Vergiftungs- proceß der Lagrange, und jener des Herzogs von Praslin, des Mörders seiner Gattin, einen Blick werfen. War's zu verwundern, da man sich von derlei Geistesprvdneten nährte, als da sind eines Vietor Hugo, des emaneipirten Weibes George Sand (Madame Dudevant), dieser Apologetin der Fleisches Emaneipation, (geboren 1804 zu Paris, gestorben am 8. Juni 1876 mit der Kirche ausgesöhnt; sie selbst bat um ein kirchliches Begräbnis)) eines Balzac, Soulie, Monte- pin, Dumas, Paul cko (log, Janin, Alfred cks Vig-n^, ') Die sterblichen Ueberrcste Louis Philip p' s und der übrigen Orleaniden wurden im Juni 1876 nach Drenx in Frankreich durch den Grafen von Paris abgcführt, zur Beisetzung in der dortigen Familiengruft. 2) In der Pariser Pfarre Mtra vnms äs Viotoirs wurden seit der Juli- rcvolutiou fast keine Sacrameutc mehr administrirt. Der seeleueifrigc Pfarrer Carl Eleonor Dufriche-Desgenettes (geboren 1778 zn Aleniou) gründete die „Erz¬ bruderschaft zum hl. Herzen Mariä" und wirkte mit sichtbar gesegnetem Erfolge. Er starb am 24. April 1860. — Eine ähnliche Heldin christlicher Liebe war Magda¬ lena Louise Sophie Barat (geboren 1779 zu Joignh, gestorben 25. Mai 1865), Stifterin und General-Oberin des Ordens „der Frauen vom hl. Herzen Jesn". Ihr Hauptaugenmerk war eine bessere Erziehung der weiblichen Jugend. 444 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Mer im Le, eines heuchlerischen Eugen S u e, welcher, während er in seinen „Geheimnissen aus Paris" die Noth der Proletarier mit glühenden Farben schilderte, in seinem Hause einen mehr als fürst¬ lichen Luxus entfaltete; der in seinem „ewigen Juden" zum gif¬ tigsten Hasse gegen die Kirche aufstachelte; in seinem „Martin und sieben H a u p tsü n d e n" nackte Unzucht und Gotteslästerung lehrte? Victor Cousin (gestorben 1867, nachdem er doch gebeichtet) kramte pantheistische Weisheit ans. — Aehnlich der genannte Edgar Quinet (gestorben 1875), August Comtö. Der Saint-Simonismus hatte seine reformatorische Rolle ausgespielt. Die Koryphäen desselben waren glückliche Speeulanten geworden. So Pore Enfantin, der im August 1864 starb. Aus jüngster Zeit erwähnen wir nur der schlechten Tendenzromane „Us Lluuclit" und ..Im lioligäonso^. Die „Union än libro inonriwst gegründet zu Amiens, vrganisirt die Opposition gegen das kirchliche Begräbniß. In Paris existirt eine eigene Verbrüderung zur Verhinderung des Empfanges der Sterbesacramente. Die blutigsten Kämpfe, welche die Straßen von Paris je früher gesehen, waren jene der Arbeiter und Blousemnänner gegen die Truppen der Republik in den Jnnitagen (23. bis 26.) 1848. Da war es, wo spät am Abende des 25. der Erzbischof von Paris, Dionys August d'Affre als Friedensprediger auf einer Barrikade von einer Kugel getroffen fiel (gestorben 27. Juni). Mit außerordentlicher Anstrengung gelang es dem General Cavaignac, welchem die Nationalversamm¬ lung die Dictatur während des Kampfes übertrug, und unter dem auch Lamorciöre befehligte, der Erneute Herr zu werden (Abends am 26. Juni). Der Socialismns unterlag für diesmal. Cavaignac trat einstweilen als Präsident an die Spitze der Regierung. Am IO. December 1848 erfolgte die definitive Wahl des Prä¬ sidenten der Republik auf vier Jahre. Mit mehr als 5'/„ Millionen Stimmen stieg ans den Wahlurnen der Name Louis N a p o l e v n' s hervor. Er war der dritte, am 20. April 1808 zn Paris geborne Sohn Ludwig Napoleon's, des Bruders Napoleon's I. und ehe¬ maligen Königs von Holland (gestorben 25. Juli 1846) und seiner Gemahlin Hortensia (Napoleon's I. Stieftochter, nämlich Tochter der Kaiserin Josephine aus ihrer ersten Ehe mit Beaumarchais, Europa. H 23. Dir katholische Kirche in Frankreich. 445 gestorben 5. Octvber 1837). Bereits i>n August 1848 war er durch fünf Departements zum Mitglieds der constitnirenden Versammlung gewühlt wvrdeu. Am 20. December beschwor er die neue Verfassung — auf wie lange, zeigte sich bald. Am 21. und 22. December 1851 wurde er zum Präsidenten der Republik auf zehn Jahre gewählt mit 7,439.216 Stimmen. Seine „Icköes ^npvlisnnas" reiften nun der vollen Verwirklichung entgegen. Die ihn für unfähig hielten, wie Thiers, oder als unfähig absichtlich ansschrieen, wie Victor Hugo in seinem Pasguill „^apoloon Is pstitch und ihn etwa als Mittel für ihre Zwecke brauchen zu können meinten, sollten sich gar bitter enttäuscht und in ihren Erwartungen betrogen sehen. Die Eingangs erwähnte Revolution übte auf die Kirche in Frank¬ reich keinen so zerstörenden Einfluß ans, als die früheren. Im Gegen¬ teile, Kirche und Clerus schienen wenigstens anfänglich zu größerer Freiheit zu gelangen, als ihnen unter Ludwig Philipp I. zu Theil war. Diese Revolution ging zunächst vom Volke aus, welches doch noch einen größeren Fond von Religion besaß, als die höheren Stände. Als dasselbe am 24. Februar die Tnillcrien plünderte, darin alles zerschlug, den Thron Ludwig Philipp's auf die Straßen schleppte und dort verbrannte, begrüßte es mitten in seiner Wuth ein schönes in den königlichen Gemächern Vorgefundenes Crncifix von Elfenbein mit Ehrfurcht. Alle zvgeu davor den Hut ab, und man trug es in die Rochuskirche. — Gewiß auch ein Beweis der geheimnißvollen Macht der Religion selbst über verwahrloste Gcmüther. Louis Napoleon kannte es sehr wohl, daß, wenn er sich ans den Kaiserthron schwingen wolle (der noch immer seiner Wünsche letztes Ziel war, wie einst bei den verunglückten, tollkühnen Versuchen am 30. October 1836 zu Straßburg uud am 4. August 1840 zu Bon- lvgne, wovon er den ersten.mit der Verbannung nach Amerika, von wo er aber im nächsten Jahre schon wieder nach der Schweiz znrück- kehrte, welche seine Ausweisung auf Ludwig Philipp's Postulation standhaft verweigerte; den zweiten mit der Gefangenschaft auf der Fe¬ stung Ham büßte, von wo er am 26. Mai nach London entfloh), er einer solchen Macht, wie sie noch der Clerus ansübtc, nicht vor den Kopf stoßen dürfe. — Uebrigens waren die Franzosen, wie schon an- gedcutct, während der Jnliregierung der Religion und Kirche gar sehr entfremdet worden. Zumal die sogenannte Bourgeoisie war mehr noch 446 I Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. als die höheren Stände vom V o lt a i r i a n i s m us; die Arbeiter nnd Armen aber vom C o m m n n i s m n s nnd S v e i a l i s m us angesteckt, zu dessen Hauptpredigern P. I. Prondhon (gestorben 1865), der in seiner Brandschrift: „(ju'sst-oo gno la propriota?" gegen das Eigenthum dieses geradezu als Diebstahl erklärte;') Pierre Leronx, Cousiderant, Theodor Jvuffrah, der närrische Cabet mit seinem „Jcarien" nnd Louis Blanc mit seinem Werke über die „Or¬ ganisation der Arbeit" (184t) gehörten. L o n i s N a p o l e v n war endlich Kaiser geworden. Das Plebiscit vom 2!. und 22. November 1852 erwählte ihn mit 7,864.189 Stim¬ men gegen 231.145 zum erblichen Kaiser. Am 2. December 1852 nahm er den Titel: Napoleon III., Kaiser der Franzosen an. Als Kaiser machte er mit den Häuptern der Socialiste» und Demokraten wenig Um¬ stünde. Die Geheimbünde der „Marianne", der „allgemeinen Menschen¬ rechte", des „^ickv toi, ot Io oiol I'nickoru" und Andere wurden ge¬ sprengt und ihre Führer in die Strafcvlonien nach Lambessa (in Algier) und Cayenne (in Französisch-Guyana) deportirt. Daß sich Louis Napoleon durch die Unterdrückung der Re¬ volution in Rom um den Papst und nm die ganze katholische Kirche verdient gemacht habe, unterliegt keinem Zweifel. Aber Befremden erregte schon sein vertrauliches Schreiben an Edgar Ney, seinen Ordvnnanz- Ofsicier in Rom (1849), worin er für die Wiederherstellung der Welt liehen Macht des Papstes, außer der zu gewährenden allgemeinen Am¬ nestie, auch noch folgende Bedingungen aufstellte: Besetzung aller Regierungsstellen und Aemter durch Laien und Einführung des Ovci» Mpoloon, welcher sogar die Civilehe gestattet. Freilich Z w a n g solle dem Papste nicht angethan werden, weil Pius für diesen Fall gedroht hatte, Rom nie wieder betreten und sich lieber in den letzten Winkel der Erde zurückziehen zu wollen. Am 17. September 1849 wurde die Provincialsynode von Paris eröffnet, was unter der früheren Regierung nicht so leicht hätte geschehen können. — Das neue Unterrichtsgesetz (25. März 1850), welches immer¬ hin ein Schritt zur Befreiung des niederen und mittleren (Elementar- und Gymnasial-) Unterrichtes aus den Fesseln des Staatsmonvpols ') Sagte er ja offen: „I>a proprists «'ost Is vol!" Zwei andere seiner berüchtigten Sätze heißen: „Vien o'sst 1s mnl" und „I^s msiUvnr xouvsrnvmsnt s'vst l'annrolüs Enrvpa. Z 23, Die katholische Kirche ia Frankreich, 447 war, enthielt einige Bestimmungen, welche den Bischöfen Frankreichs nicht unbegründete Bedenken einflößten; als: die staatliche Ueberwachung der kleinen Seminarien, die Berufung der Bischöfe in den obersten Unterrichtsrath, an welchem zugleich zwei protestantische Geistlichen und ein Rabbiner theilnahmcn; ferner die wenigstens Provisorische Errichtung sogenannter gemischten Schulen, d. i. für Katholiken und Protestanten zugleich. Aufsehen erregte das Zerwürfniß des Erzbischofs von Paris, August Sibvnr, mit dem alten verdienten Bischof von Chartres Ooimnigns Olan^ol cko Nontuls, weil dieser den Hirtenbrief seines Erzbischofs, worin er dem Clerus verbot, mit politischen An¬ gelegenheiten sich zu befassen, im „Univers" angegriffen hatte. Der Bischof fand einen Widerspruch darin, daß der Erzbischof selbst am 24. Februar l85l, am dritten Jahrestage der Proclamation der Re¬ publik, zur Julisäule ging, als sie die Republikaner bekränzten. Der Erzbischof lud ihn vor das Provincialconcil (18. Mürz 1851). Die Sache wurde beigclegt. Noch im selben Jahre (1851) gab Louis Napoleon das Pantheon mit seiner stolzen Aufschrift ,,^nx Francks IiommosZ und worin auch die Asche Voltaire' s aufbewahrt ist, dem katholischen Cultns zurück; es wurde wieder ein Gotteshaus (als welches es 1757 erbaut wvrdeu), der hl. Geuofeva, Patronin von Paris, geweiht. Einen Zwiespalt sogar unter dem französischen Episkopat verursachte (1852) der vom Abbö Gaume, Geueralvicar von Nevers, den alten griechischen und lateinischen Classikern — freilich Wohl wegen der Ge¬ fahr, welche deren einseitiger Gebrauch mit sich bringt — angekündigte Krieg, worin ihm außer dem „Univers" auch einige Bischöfe beistimmten, als Peter Ludwig Parisis, Bischof von Arras (gestorben 1866); indes andere, als: der Bischof, von Orleans, D n P a n l o n P, der Erz¬ bischof von Paris, sogar der Erzbischof von Lyon, Cardinal Bvnald und der Cardinal-Erzbischof von Bordeaux, Dounet, sich der ge¬ ächteten Klassiker im Interesse der humanen Bildung anuahmen, selbst¬ verständlich ohne die nöthige Vorsicht und Auswahl für die studirendc Jugend auszuschließen. Gaume's Ansichten erhielten auch in Rom nichts weniger, als volle Billigung. Der Erzbischof von Paris, kein Gegner der sogenannten gallicanischen Freiheiten, verbot (17. Februar 1853) seinen Geistlichen sogar das Lesen des „Univers", welchen hin- 448 1 Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. wieder unter Andern der Erzbischof von Avignon in Schutz nahm, wo¬ gegen der Hauptredaeteur, Louis Veuillot, kein Freund des Gal- lieanismns, sich nach Rom an den Papst wandte. In Folge des encyklischen Schreibens Sr. Heiligkeit cldo. 21. März 1853 an den französischen Episkopat, nahm Erzbischof Sibonr das Verbot des „Univers" zurück. Im erwähnten Schreiben spricht der Papst sich dahin aus, daß die jungen Cleriker in den heiligen, aber auch in den schönen Wissenschaften unterrichtet werden, und die wahrhafte Eleganz im Schreiben und Sprechen, und die Beredsamkeit sowohl ans den Werken der hl. Kirchenväter, als auch aus den a u s g e z e ich n e t st e n heid¬ nischen, von jeder Makel gereinigten Schriftstellern erlernen sollen. Zugleich ermähnte er die Bischöfe zur Eintracht, zum Frieden und zum Aufgebeu jeder Controverse. Hiemit war die Sache leider noch nicht völlig zu Ende. Der zwi¬ schen den Journalen „Univers" und „Lmi do In Religion" sich ent¬ spannende Hader gab dem Bischof von Chartres (gestorben 1857) Ver¬ anlassung zwischen die sich erhitzenden Parteien beschwichtigend zu treten, ohne aber seine Hinneigung zum „^mi" zu verläugnen. In seinem Pastoralschreiben vom 9. Oetober 1856 erklärt er offen: „daß er nie¬ mals einem religiösen Journal, welches immer es sei (er deutet auf das „Univers" hin), das ausschließliche Recht zuerkennen werde, unter dem schönen Titel rö m i s ch e r L e h r e n seine Privat m e i n n n g e n anfzndrängen, eine Art Druck in den Diöcesen auszuüben uud den Episkopat zu regieren". Jn's Jahr 1852 fällt die Wiederherstellung der 1790 aufgehobenen Kongregation des Oratoriums) welche in Frankreich 1611 der Car¬ dinal Peter äs Uein Ile gegründet, und die ehedem einen Massilon, Malebranche und andere berühmte Männer geliefert hatte. Als Louis Napoleon durch den Staatsstreich vom 2. De¬ cember 1852 zum erblichen Kaiser von Frankreich als Napoleon III. sich ansrufen ließ, begrüßte beinahe Alles, leider auch der Clerus (selbst Graf M v n t a l e m b e rt, der sich aber bald wieder zurückzog) ihn nur allzu hastig als den alleinigen Retter der mensch¬ lichen Gesellschaft vor den Gefahren, mit welchen sie der Soeialismns bedrohte und als den Beschützer der Kirche. Die nächsten Jahre schon sollten den schönen Traum zerstören und den blutigen Europa. Z 23. Die katholische Kirche in Frankreich. 449 Cvmeutar liefern zu den Worten des glücklichen Parvenü: „U'oinpiim o'ost In paix", welche er am 12. October 1852 zn Bordeaux ge¬ sprochen. Die fast acht Millionen Stimmen, welche das sullruzo nni- vorsol für ihn ergab, hatte er großen Theils dem Clerns und dessen Einwirkung auf das Landvolk zu verdanken — Grund genug für ihn, die Geistlichkeit anfänglich nicht unzart zu behandeln. Daß aber der neue Kaiser die Freiheit der Kirche eben nur in seinem Sinne verstanden wissen wollte, war schon daraus zn entnehmen, daß die Re¬ gierung die Pnblication der päpstlichen Encyklika ciclo. 1. August 1854 bezüglich des allgemeinen Jubiläums zwar nicht beanständete, aber da¬ von „alle Clauseln, Formeln und Ausdrücke ansschloß, welche der Con¬ stitution, den Gesetzen des Reiches, den Rechten, Freiheiten und Grund¬ sätzen der gallicanischen Kirche widersprechen oder widersprechen könn¬ ten". Deshalb erklärte die Regierung auch den uppol eommo ll'ubns an das weltliche Forum, welcher in den sogenannten „organischen Ar¬ tikeln" gewährleistet sei, für zulässig, wie es der Fall war mit dem Bischöfe von Mvnlins, von Dreux- Brezo, in der Kirchenprvvinz Sens, zunächst aus Veranlassung der vou ihm über den Abbe Mar¬ ti uet verhängten Suspension. Der Staatsrath leitete gegen denselben die Untersuchung wegen Mißbrauch der bischöflichen Amtsgewalt ei», obwohl der Bischof seine Kompetenz bestritt und das kaiserliche Deeret clcio. 6. April 1857 erkannte wirklich, daß in mehreren Acten des Bi schofes Mißbrauch bestehe. Es lag wohl nur mit in der Politik des Kaisers, den Prote¬ stantismus nicht zn begünstigen. Die Regierung schritt gegen Pastoren ein, wenn sie nicht antvrisirte gottesdienstliche Versammlungen ab hielten, und ließ mehrere, vom Staate nicht concessivnirte protestan¬ tische Bethänser schließen, wozu in diesem Falle die Behörde durch das kaiserliche Gesetz vom 12. März 1859 berechtiget war. Bei der Taufe des kaiserlichen Prinzen (1856) ließ sich der Papst als Pathe durch seinem Generalvicar, den Cardinal Patrizi, als ImA'utim n lutoro vertreten, welcher bei dieser Gelegenheit der Kaiserin Eugenie die geweihte goldene Rose überbrachte. Wohl mochte Pius IX. damals noch nicht ahnen, wie ihm Napoleon III. diese Auszeich¬ nung vergelten werde. Im Grunde nicht viel besser, als Victor Emanuel jene, daß der hl. Vater des Königs Tochter, P i a (nach¬ mals an den König von Portugal, Louis, vermählt), als Pathe aus Stepi sch»egg, Papst Pins IX. und seine Zeit. I. Bd. 2g 450 I- Thcil. I. Hcmptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. der Taufe hob. Den Neffen zu krönen, wie Pius VII. den Onkel krönte, dazu aber war der heilige Vater nicht zu bringen. Wer zweifelt daran, daß Lonis Napoleon dies nicht verschmerzen konnte, und dem Papste darob im Stillen grollte? Der Beginn des Jahres 1857 ist mit einer schauerlichen That bezeichnet. In der Kirche 8. Utienna du illout zu Paris erdolchte nämlich am 3. Jänner ein interdicirter Priester, Namens Verger, ans der Diöcese Meaux, den Erzbischof Maria Dom. Ang. Sibonr (geboren 1702; seit 1840 Bischof von Digne, seit 10. August 1848 durch General Cavaignac nach d'Affres Tod, Erzbischof von Paris) ans Persönlicher Rache wegen verweigerter Aufnahme in den Diöccsan- clerus. (Nach Anderen soll er im Angenblicke des Todesstoßes mit Bezug auf die Dogmatisirung der unbefleckten Empfüngniß Mariä gerufen haben: pas do voesso!) Er büßte auf dem Schaffot am 30. Jänner. Sibvnr's Nachfolger wurde der Erzbischof von Tours, Cardinal Franc. Nie. Magd. Morlot (gestorben 29. December 1862). Ihm folgte George Darbvy (geboren 1801, seit 1861 Bischof von Nancy). Zur Abwehr der Angriffe des „revolutionären Atheismus, des Ra¬ tionalismus und der protestantischen Propaganda" entstand im genannten Jahre der Verein des hl. Franz von Sales. — Im November (18. bis 25.) eben dieses Jahres wurde iu Rheims ein Prvvincialcvncil ab- gehälten; das dritte; das erste hatte zu Soissvns im October 1849; das zweite zu Amiens im Jänner 1852 statt. Die vielen Deutschen in Paris (man rechnet deren an 180.000) waren zumal in religiöser Beziehung meist sehr verwahrlost. Zu ihrer Unterstützung bildete sich daselbst der Verein vom hl. Joseph; und außer I'. Bervanger, den man den Vincenz von Paul unserer Tage nennt, nahmen sich ihrer insbesondere U. CH adle (am 8. December 1850 feierte er den ersten Gottesdienst in dem gemietheten Locale) und Abbö Cuny als Leiter der deutschen Mission an. Letzterer starb am 14. Jänner 1858; Jener (Chable) im Jahre 1859 zu Paris. In seinem Geiste leitete sodann die Mission U. Modeste. Das unwürdige, weil zweideutige Spiel, welches Napoleon III. mit Pins IX. trieb, mußte ebenso sehr jeden Katholiken im Innersten empören, als jeder Freund der bürgerlichen Freiheit nur mit Unwillen über das ganz Frankreich demoralisirende Joch erfüllt war, welches „der zweite December" einer sonst großen und edlen Nation Europa. Z 23. Dir katholische Kirche in Frankreich. 451 nnfwgtr. Trvtz aller schönen Worte wollte der Neffe das Pnpstthnm ebenso zu einem französischen Nativ nalinstitute herabwür¬ digen, wie ehedem sein Onkel. ') Der hl. Vater täuschte sich darüber nicht, „Looo guollo, erwiderte er dem französischen Gesandten, auf sein Crucifix hindeutend, olio non liu inni ingunnuto; in I^ni o In mir». ückuuxu!" Und doch war der sanfte Pius IX. gegen Napoleon immer so rücksichtsvoll! Dies zeigen auch zwei päpstliche Breven ckcko. 31. März 1857, durch deren eines er das Amt eines kaiserlichen Grvßalmoseniers für den Kaiser und sein Haus schuf; durch das andere aber ein Capitcl von Bischöfen und Priestern unter eben diesem Grvßalmosenier als Pri- micerius mit großen Vorrechten zu St. Deuis errichtete. Durch Güte wollte er N a p o l e v u zum aufrichtigen Beschützer des hl. Stuhles machen. Es gelang ihm — nicht! Bischof Dupanlvup hatte in einem Briefe an den „Consti¬ tutione!", welcher den früheren Bischof R v n s s e a n von Orleans gleich sam als Muster für den gesummten französischen Episkopat anpries, sowohl die nicht genug festen katholischen Grundsätze, als auch das fast servile Benehmen dieses seines Vorgängers gegen die erste kaiserliche Regierung gclegenheitlich der damaligen Einziehung des Kirchenstaates (1810) scharf und freimüthig beleuchtet, was ihm eine Klage der Nichte Ronsseau's (Witwe Bertin), hinter der freilich andere Gegner Dupanlvup's steckten, zuzog, deren Erledigung jedoch für ihn günstig ausfiel. Der Bischof selbst hielt am 19. Mürz 1860 eine glänzende Vertheidigungsrede. Mit Recht sagte eben dieser Bischof D n P a n l o up in seiner 1860 ') Wer zweifelt daran, daß der „rothe Prinz" vollkommen cingcwciht war in die Politik seines „kaiserlichen Vetters" und daß sie Beide in ihren Endzielen vollständig harmonirten — trotz "alles hie und da zur Schau getragenen Schmollens auf einander? Als Jener beim Ausbruche des preußisch-italienischen Krieges gegen Oesterreich bei einem Bankette des Emile clo Otiraräiu offen sich dahin äußerte: es handle sich zunächst um einen Kampf gegen den Katho li¬ ci sm us, fiel er deshalb etwa in Ungnade beim Kaffer? Auch das überzeugt uns noch nicht vom Gegcntheile, daß Napoleon (1865) seinem Vetter brieslich die allzu offen ausgesprochene Aeußeruug — gelcgen- hcitlich der Ausstellung des Napoleon-Denkmals zu Ajaccio auf Corsiea — „die weltliche Macht des Papstes sei seiner geistlichen Gewalt verderblich; deshalb ab- znschasseu" — verwies. 29* 452 I- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. ausgegebenen Schrift: ,,Oe In. sonveruinete poutilienle" die großen Worte: „Gerechtigkeit, Freiheit, Ehre scheinen nicht mehr den Sinn zn haben, den sie ehedem in dem öffentlichen Bewußtsein hatten." Der französischen Regierung kamen im Grunde alle Kundgebungen katholischen Mitgefühles an den Bedrängnissen des Oberhauptes der Kirche sehr ungelegen. Sie untersagte dem „Univers" die Veröffent¬ lichung der bischöflichen Rundschreiben und Hirtenbriefe über die Lage des Papstes - freilich unter dem lächerlichen Vorwande — womit sie jedoch Niemanden täuschte — „um die Schreiben und die Würde der Bischöfe den Angriffen der liberalen Zeitungen zu entziehen". Der „Correspvndant" und der „^i»i cks In reli^ion" wurden verwarnt, wegen eines Artikels, in welchem Graf von Mvntalembert es beklagt, daß Frankreich „die älteste Tochter der Kirche" die weltliche Macht des Papstes erschüttern nnd verringern lasse. Graf M o n t a le ul¬ k'er t selbst zog sich wegen seiner Schrift: ,,Uio IX. et In ldrnnoo an 1848 6t en 1859" eine gerichtliche Verfolgung zu. So wenig durfte man in Frankreich die Wahrheit frei heraus sagen! L n d w i g N a p v l e o n, im Grunde der moralische Urheber der Bedrängnisse Pins IX., wollte noch als dessen großmüthiger Be¬ schützer gepriesen werden! Auch die „Oaxetts eis Uvou" vertrat mit Muth nnd Energie die Sache der Kirche und des hl. Stuhles — Grund genug, sie zn unterdrücken (1860), wie es früher dem „Univers" widerfuhr. Ein an die Präfecten gerichtetes Circular des Ministers des Innern B i ll a nlt (clcko. 10. November 1860) unterwarf die in Broschürenform erscheinen¬ den bischöflichen Hirtenschreiben und Mandements dein Stempel und der gewöhnlichen Ueberwachung, „weil die Regierung, heißt es im Decrete, nicht zugeben kann, daß man Religion nnd Politik vermenge". Schon in der geheimen Instruction an dieselben ckcko. 17. Februar d. I. hatte B i ll a ult mit der Anwendung des Gesetzes vom 18. Ger- minal des Jahres X gedroht, und der Minister des Cnltns, Non- land, am nämlichen Tage sich an den Episkopat Frankreichs mit dem Ersuchen um Beschwichtigung der „herrschenden Agitation aus Anlaß der italienischen Ereignisse" gewendet. Das vfficiöse Pamphlet: „Uoine et les evognos cko Idruneo" bestritt geradezu die Noth Wendigkeit der weltlichen Macht des Papstes zu dessen Unabhängigkeit. Europa. Z 23. Die katholische Kirche in Frankreich. 453 Sogar die Sammlungen des Peterspfennigs konnten von den Prä- fceten als p o l i t i s ch e M a nö v e rs anfgefaßt und behandelt werden, sobald sie durch Comits's und permanente Associationen betrieben wer¬ den, „weil diese, wie sich der „Constitutione!" ausdrückt, unter ihrem Geheimnisse eben so gut politische Leidenschaften, als religiösen Eifer bergen können". Es erschien eine neue, gegen die päpstliche Souveränität gerichtete Broschüre „I^s ?aps et lllöinpsrsur", die ihren vfficielleu Ursprung trotz aller Desavvuirnng nicht verläugnen konnte. Der Papst nennt es in seiner Alloeution, ckllo. l7. Deeember 1860, eine unerträgliche Ver¬ wegenheit, daß der Verfasser derselben sich nicht nur nicht scheue, die weltliche Herrschaft der Kirche anzugreifen, sondern sich sogar eine eigenthümliche Kirche erdenkt, die in Frankreich begründet, der Anetorität des römischen Papstes gänzlich entzogen, und von ihm gänzlich ab- getreunt wäre. Bald hernach ließ Vicomte Arthur äs II, a ss n s r o n i s rs (gestorben 23. December 1875) abermals eine Broschüre vom StaPpel: „I^abllauss, Roms st Italis", welche die religiöse kirchliche Frage in eine bloße Partei-Frage umwandeln, und unter einem großen Aufwand von trügerischen Phrasen darlegen will, daß nur der Papst mit seinen Rathgebern an der schwierigen Lage, in der er sich befinde, Schuld trage, weil er sich nicht ohne Rückhalt in die Arme Napolevn's geworfen. Cardinal Antonelli widerlegte diese Anschuldigungen in seiner Depesche, 26. Februar 1861, an den Geschäftsträger des hl. Stuhles iu Paris, Meglia; das Nämliche thaten Bischof D ci¬ pa ulvnp uud Louis Veuillvt — Letzterer iu seiner Broschüre: „Us pups st la äiplomatis". Der Bischof von Poitiers, Pie, wurde wegen seines diesfälligen Hirtenbriefes, ääo. 22. Februar 1861, von dem Staatsrathe des Mi߬ brauches schuldigerklärt, weil er sich iu die Politik eiumische, uud seiu Erlaß wurde unterdrückt. Darin hatte er freilich Napo¬ leon III. mit Pilatus verglichen, der sich die Hände wusch und neutral bleiben wollte zwischen Christus und seinen Widersachern. Ein Justiz-Ministerialerlaß D e l a n g l e' s erinnerte an den Straf- Codex, wenn der Clerus sich herausnehme, die Regierung zu kritisiren oder zu tadeln. Der „rothe Prinz" durfte aber wohl am 2. März 1861 eine Rede 454 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. im Senat halten, wie sie von dem ärgsten Kirchenfeindc nicht besser hätte erwartet werden können. Zn Ajaecio ans Corsica sagte er in einer gleichfalls politischen Rede am 15. Mai 1865: „Für alle Freunde und Bekenner des modernen Geistes handle es sich jetzt darum, Rom, die letzte Festung des Mittelalters, mit Sturm zu uehmen." . Nicht ohne Bezug auf obige Schrift L a g u e r o uiär e' s erklärte der Papst iu der Alloeutiou vom 18. März 1861, daß von einer Aus¬ söhnung zwischen ihm und der Revolution keine Rede sein könne. „Wie kann, sagt er, das Papstthnm einer solchen Civilisation, welche den Zweck hat, die Kirche zu schwächen und vielleicht zn vernichten, die Hand reichen und sich mit ihr verbinden?" Gleichsam um die kirchenfeindliche Partei des „Siäcle" wegen der Rom gegenüber beobachteten Politik etwas zn versöhnen, si gab ihr die kaiserliche Regierung die christlichen Wohlthätigkcitsvereine preis. Das Rescript des Ministers des Innern, Grafen von Pcrsiguy, ckcla. 16. Oetvber 1861, verbot nämlich die bisherige Organisation der reli¬ giösen Vereine, zumal der 1833 begründeten Wohlthätigkeitsgesellschaft >8. Viaasnt (la ?aul, 2) welche in Conferenzen zerfiel, die wieder alle zusammen mit ihren besonderen Conseils unter der Leitung eines Ge¬ neral-Conseils zu Paris standen. Den Präfecten ward darin befohlen, die Provineialräthe und den Centralvorstand der Bincentins- vereine re. aufzulösen. Die Regierung selbst werde bestimmen, auf welchen Grundlagen und gemäß welcher Prineipien eine Repräsen¬ tation der einzelnen Lvealvereiue eingerichtet werden könne; — sie wollte also die bisherigen religiösen Vereine, welche sie als geheime Gesell¬ schaften nicht dulde, ganz einfach unter ihre Polizeiaufsicht gestellt wissen. Eben darin lag das Kränkende für derlei kirchliche ') In der Antwortsnotc des kaiserlich französischen Ministers Thouvenel an den k. k. Gesandten Fürsten Metternich clüo. 6. Jänner i86I war die Ver¬ sicherung enthalten, dcch die französische Regierung nie (?) einer Combination bei¬ treten werde, welche mit der Unabhängigkeit nnd Würde des hl. Stuhles unver¬ einbar wäre. 2) Einer der Mitbegründer der Looiütö üc> 8nint Virwont cko 1'niii war Friedrich Ozanam, ein junger Professor der Sorbonne. Er galt neben Lacor- daire nnd dem Grafen Montalenib crt als einer der Führer der liberalen katholischen Partei, zn welcher unter Anderen auch der Prinz üu ltroAliu, Enkel der Frau von St aal nnd Bordns-Dem onlin, der Verfasser der „ponvoirs oonstitunnts üa I'blxiiss" gehörten. Europa. Z 23. Die katholische Kirche in Frankreich. 455 Vereine, daß der Minister, indem er mit denselben zwar auch den Frei¬ maurerorden der staatlichen Beaufsichtigung unterwarf, diesen doch wegen „seiner philanthropischen Zwecke und seines be¬ währten Patriotismus" weit hoher stellt, ja mit Lob über¬ schüttet. Aber selbst die liberalen Blatter mißbilligten diese G ew a lt m a ß- regel als ein neues Attentat auf die Freiheit, was wohl den Minister mehr, als die Remonstrationen der Bischöfe bestimmt haben mochte, in einem neuen Rundschreiben an die Präfecten den Inhalt des ersten be¬ deutend zu mildern. Im Sprengel von Lyon war eine mitunter von der römischen abweichende Liturgie iu Uebuug gekommen. Der Cardinal-Erzbischof Jacob Ludwig Moriz cko Ito na Ick') versuchte vom hl. Stuhle die Beibehaltung der altehrwürdigen Gebräuche (1863) zu erwirken, was ihm nicht ganz gelang. Es heißt nämlich im Breve an ihn, ckcko. 17. März 1864: „Seine Heiligkeit freue sich, daß die Vorschläge des hl. Stuhles, das Nissale ro IN an um und das Brevier nach und nach einzuführen, und inzwischen die alte Liturgie zu künftigem Gebrauch von ihren uncanonischen Elementen und Neuerungen (plurilum nmncki« wisorv ovrrnptain) zu befreien, allen Eifers vom Cardinal verwirklicht worden." Im „Moniteur" aber erschien das Verbot, das päpstliche Breve zu veröffentlichen. Gelegentlich der im Jahre 1863 bevorstehenden Wahlen erließen die Erzbischöfe von Cambrai, Tours und Rennes, so wie die Bischöfe von Meß, Nantes, Orleans und Chartres eine Schrift: „Antwort mehrerer Bischöfe auf die Anfragen, welche bezüglich der bevorstehen¬ den Wahlen an sie gerichtet wurden". Die Regierung Napvlevn's unterdrückte dieselbe (16. August) — als Eingriff des Episko¬ pates iu die Politik. (!) Sv sehr verpflichtet sich Pius IX. dem Herrscher Frankreichs für dessen Schutz erachten mochte, so willfahrte er demselben doch nie, wenn es nicht ohne Verletzung höherer Interessen geschehen konnte. Einen Beleg dazu liefert auch nachstehender Fall: Die Regierung hatte dem hl. Vater (1864) für den Bischofssitz von Valence den gallicanisch ') Der Cardinal starb am 25. Februar 1870 im 83. Lebensjahre. Er war der Sohn des Vicomte Louis Gabriel Ambrosius ckv Lonnlä, des Verfassers der „IwAisiatiou prinntivs". 456 I- Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche, gesinnten Abbe Gueullette, Pfarrer zu Moulins, vorgeschlagen. Der Papst verweigerte die Bestätigung. Der Ablanf der in der Convention vom 15. September 1864 zwischen Frankreich und Italien festgesetzten Frist zur Räumung Noms durch die Franzosen gab dem französischen Episkopate Veranlassung, in Hirtenbriefen auf die bedrängte Lage des hl. Vaters hinzudeuten, st Nur jener des in vertrauterer Beziehung zu Napoleon stehenden Erzbischofes von Paris sah — vielleicht eben deswegen — dieselbe als minder bedenklich an, und suchte Vertrauen zur kaiserlichen Politik zu erwecken. Hiebei kam ihm die kaiserliche Thronrede vom 22. Jänner 1866, welche sich für die weltliche Macht des hl. Vaters günstig aus¬ sprach, zu statten. Die darauf bezügliche Adresse des gesetzgebenden Körpers betonte es gleichfalls, unter lauter Zustimmung, daß „der Vertrag, vom 15. September, redlich ausgeführt, eine neue Bürgschaft für die weltliche Souveränität gewähren werde, deren Aufrecht¬ haltung unerläßlich ist für die unabhängige Ausübung der geistlichen Gewalt des heiligen Vaters". Daß die Regierung V i e t v r Em a n n el' s die Convention nicht einhielt, haben bald T h a t s a ch e n dargethan, die denn auch das Rund¬ schreiben des Marquis cko illou stier, clclo. 25. Oetober 1867 an die Vertreter Frankreichs im Auslande (siehe Italien) veranlaßten. Jin gesetzgebenden Körper hielt der Staatsminister Rouher am 5. December 1867 eine mit Beifall anfgenommene Rede, deren mais", d. i. „niemals" wird nämlich Frankreich den Papst prcisgebcn — als Interpretation der Gedanken des Kaisers selbst ungeheures Auf¬ sehen — auch außer Frankreich — erregte. Aehnlich hatte der alte Thiers bereits am 13. April 1865 ge¬ sprochen: „Frankreich müsse die katholischen Sympathien überall pflegen. Wenn es den Papst schütze, werde sich auch der Episkopat beruhigen uud gerne vom Ultramvntauismns zum Gallicanismus nmlenken. (?) ') Den Papst selbst stimmte der Gedanke, daß die Franzosen ans Rom ab- ,ziehen sollen, nicht verzagt, aber wchmnthig. Er sprach zu den Ossicicren, die ihm die Glückwünsche zum Neujahr 1866 darbrachtcn: „Ich crtheile Ihnen meinen Segen zum letztenmal; denn Sie werden mich bald verlassen und ich bleibe hier allein. — Ich bete aber zn Gott für Sie, die Sie mich so lange beschützt haben, und für Frankreich und zuletzt auch für das unglückliche Italien." In den Angen mehrerer Osficierc standen Thränen. Europa. Z 23. Die katholische Kirche in Frankreich. 457 Die Lehre von der freien Kirche im freien Staate sei absurd. Dein Papste müsse stets eine angemessene weltliche Herrschaft bleiben, weil seine äußere Unabhängigkeit sonst zur Unmöglichkeit werde". Marquis ds U o n 8 tior richtete durch die Vertreter Frankreichs Einladungen an die auswärtigen Mächte zur Cvnferenz, welche über die „römische Frage" in Paris eröffnet werden solle (November 1867). Sie kam, wie schon bemerkt, nicht zu Stande. Zur internationalen Weltausstellung, welche in Paris am l. April 1867 eröffnet, und am 17. November geschlossen wurde, und welche fast alle Monarchen Europa's, sogar auch der Sultan, besuchten, y erschien ungeachtet wiederholter Einladung der hl. Vater nicht. Es wurde von ihm die zutreffende (ob wahre?) Bemerkung erzählt: „Was sollen Wir bei der Ausstellung in Paris? Wir sind selbst hier in Rom ausgestellt". Der Unterrichtsminister Duruy richtete (1868) eine Verordnung gegen die Mädchenerziehnug durch Klosterfrauen, mit der Intention auf Säcularisirnng der Mädchenschulen. Dawider schrieb Bischof F. D li¬ pan lonp von Orleans. Anlangend die Hierarchie in Frankreich sei nachträglich erwähnt, daß Pius IX. bereits mit Bulle: „Ubi primum", ) Am >6. April 1870 starb in ihrem Schlosse zu Brunnsee in Steiermark die Herzogin von Berry, Maria Carolina von Bourbon, Tochter des Königs von Neapel Franz I., geboren 5. November 1798; vermählt 1816 mit dem am 20. September 1820 von Lonvel ermordeten Herzoge von Berry, zweiten! Sohne des Grafen von Artois, nachmaligen Königs Carl X., Mutter des Grafen von Chambord, den die Legilimisten König Heinrich V. nennen. Europa. 8 23. Die katholische Kirche in Frankreich. 461 In Paris proclamirten die Insurgenten (18. Mürz) die „Com- mune", die nnn eine um so gefährlichere Schreckensregicrung ausübtc, als sie sich zu den Grundsätzen des nacktesten Atheismus, Socialismns und Cvmmunismns bekannte. Zu ihren Doctrinen gehörte der Satz: „Das Capital ist das Unglück des Volkes", aber auch: „Der Glaube an Gott muß ausgervttet werden. — Keiner, der ihn bekennt, darf Stimmrecht haben". Schon am nämlichen 18. März fnsilirten die Jnsnrgenten die in ihre Gewalt gefallenen Generäle L e c v m t e und Clement Th o m a s.') Das Messelesen für die in den Gefängnissen Jnhaftirten wurde abge¬ schafft. Ein Decret verfügte die Trennung der Kirche vom Staate; die Aufhebung des Cnltusbndgets, und erklärte das Vermögen der reli¬ giösen Gesellschaften für Nativnaleigenthum. — Das Kreuz auf dem Pantheon machte einer rothen Fahne Platz. Am 16. Mai wurde die Veudome-Säule nmgestürzt. -) Fünf Tage später — 21. Mai — rückten die Regierungstruppen in Paris ein. In ihren letzten Zuckungen brandmarkte sich noch die commnnistisch- soeialistische Revolution mit unerhörten Scheußlichkeiten. Angelegte Brände meist mittelst Petroleums — vernichteten vder beschädigten sehr- viele, zunächst öffentliche Gebäude: die Tuillcrien, einen großen Theil des Louvre, des Palais Royal, des Palais Lvuxembvurg, der großen Gebäude der Ministerien, des Elysäe und Andere, wobei sich insbe¬ sondere weibliche Furien betheiligten. Im Gefängnisse, früher Mazas, dann In Uognatts befanden sich als Geiseln auch der Erzbischof von Paris, Darb o y, welcher im Schreiben an den Papst ckcka. 2. März seine Zustimmung zu den vatieanischen Coneilsdecreten „pnronmnt. et mmplennznt" erklärt hatte; der Präsident des Cassationshofes, Bon- jean; der beliebte und geachtete Pfarrer von St. Madeleine, De- gnerrh; die Jesuiten IM. Ducvrdray, Clere und Abbö Al- l a r d. Diese sechs Unglücklichen wurden vvn den Wütherichen zusammen nm 24. Mai erschossen. Hierauf Andere. Dasselbe Loos traf über zwanzig Personen des Dvminieaner-Cvllöge .Vilmrt, la ^rund. Erst am 29. Mai war der letzte. Widerstand der Jnsurrection ge¬ brochen. >) Ihre Leichen wurden unter großem militärischen Pomp im December 1875 nach dem Pvre-Lachaise übertragen. ?) Wieder aufgerichtct im December 1875. 462 l. Theil. I. Hauptstäck. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Den erzbischöflichen Stuhl vvn Paris bestieg der bisherige Erz¬ bischof von Tours, Josephus Hippolytus Guibert. I'. August Josef Alphvns Gratry, Oratorianer, auch als phi¬ losophischer und theologischer Schriftsteller nicht ohne Bedeutung (ge¬ boren 1805 zu Lille), hatte gegen die Deerete des vatieauischen Cvneils geschrieben. Im Briefe an den Erzbischof vvn Paris ckclo. Montreux im Clinton Waadt, wo er krank darniederlag, 25. November l871 widerrief er Alles. Vergebens suchte er auch den Pater Hyaeinth zur Umkehr zu stimmen. Nicht lauge heruach, 6. Februar 1872, starb er. Um dieselbe Zeit, 5. Februar, erklärte Abbe E. Michaud, Viear an der Madeleine-Kirche, eine übrigens mehr unbedeutende Persönlich¬ keit, in einem Schreiben an den Erzbischof vvn Paris seine Nichtaner¬ kennung des vatieauischen Cvneils. Er machte in einigen Schriften seinem Unmuth Luft, und erging sich darin in Schmähungen »vider die Kirche und den französischen Episkopat. Sv in: „Der gegenwärtige Zustand der römisch-katholischen Kirche in Frankreich". Aehnlich zwei Priester aus der Diöeese Bordeaux. Unangenehm berührte es die Katholiken, das; Thiers denn doch, ungeachtet in der Nationalversammlung am 22. Juli 1871 über die Petitionen der Bischöfe um die Intervention zu Gunsten der weltlichen Herrschaft des Papstes von zwei Commissionen nicht nur die Recht¬ mäßigkeit, sondern auch die Nothweudigkeit der weltlichen Papstherr¬ schaft anerkannt wurde, und eine Petition gegen die Errichtung einer Gesandtschaft beim Könige vvn Italien vvrlag, einen förmlichen Gesandten bei Bietor Emanuel nach Rom in der Person Fouruier's, bisher als solcher in Stockholm, abvrdnete. Dessen Hal¬ tung in Rom mußte die Katholiken noch mehr verletzen. Fetirte er ja sogar Renan bei dessen Anwesenheit in Rom (1872); ja er scheute sich nicht, dem Christuslüugner Beifall zu zollen. Auch erklärte er offen, in Rom nur den Victor Emanuel als Souverän zu kennen. („Genfer Correspvndenz".) An die Stelle des nach Loudon übersetzten Grafen Harcourt's, welcher dem hl. Vater persona §rr>ta war, kam Bonrgoing als Gesandter im Vatican. Laut öffentlichem Blättern soll er den: Papste im Namen Thiers erklärt haben, daß sich dieser die Existenz der geistlichen Herrschaft des Europa. Z 23. Die katholische Kirche in Frankreich. 463 des Papstes nicht anders denken könne, als in Verbindung mit einem gewissen Maße weltlicher Macht. Am 3. Mai 1872 feierte der höchst verdienstliche Lyvner Verein „znr Verbreitung des Glaubens" seinen fünfzigjährigen Gründungstag. Der Entwurf des neuen Schulgesetzes für die Elementarschulen lautete für die Kirche günstiger, als anderwärts. Der Unterricht ist zwar in den Volksschulen obligatorisch, aber konfessionell. Für die Lyceeu und Colleges erließ der Uuterrichtsminister Jules Simon unterm 27. September 1872 ein Normale. Auch in Frankreich will die liberale Partei konfessionslosen, dabei obligatorischen Schulunterricht, wogegen die Stimmführer der Katho¬ liken: Venil lot, Fallvux, zumal Bischof Felix Dnpanlvup und Andere aukämpften. Im Herbste 1872 pilgerten Unzählige aus allen Thcilen Frank¬ reichs nach Lourdes, einem berühmt gewordenen Wahlfahrtsorte in der Nähe der Pyrenäen, Diöeese Tarbes. Daselbst hatte sich nämlich die hl. Jungfrau am l i. Februar 1858 zuerst einem armen Taglöhner¬ mädchen von 14 Jahren, Namens B ern ard ine, wie dieses erzählte, gezeigt. Weil der Maire von Nantes gegen die Verunglimpfungen der Pilger nicht genug energische Maßregeln getroffen, wurde er sogar vom Minister des Innern, vvn Goulard, entsetzt. Fcierlichst, in Gegen¬ wart von 35 Erzbischöfen und Bischöfen wurde die neue Basilika von Lonrdcs am 2. Juli 1876 eingewciht und das Bild in der Grotte gekrönt. Eine ähnliche Muttergvttes-Erscheiuuug ist die vvn „Im Ün- latts" nm 19. September 1846. Zn Ende des Jahres 1872 reichte der französische Gesandte beim päpstlichen Hvfe, Graf Bvnrgving, seine Entlassung ein, weil der Minister des Auswärtigen, vvnRemnsat, den Officieren der eigent¬ lich nur zum Schutze des Papstes bestimmten französischen Fregatte „I'Orvnogna" vor Civitn - Vecchia den Befehl ertheilte, zum Jahres¬ wechsel iu Rvm sowohl dem hl. Vater, als auch dem Könige Victor E m a n n el ihre Huldigung und Glückwünsche darzubringen. ') Der überzeugnngstrene Gesandte fand es mit seiner Ehre unverträglich, diesem Schankelsysteine länger zu dienen. Zn seinem Nachfolger wurde Graf Diraauir cka 6or9. November wurde jene auf weitere sieben Jahre mit 383 gegen 317 Stimmen angenommen und NN a c M a h o n unter Beibehaltung des Titels „Präsident der Republik" mit fast dictatvrischer Gewalt bekleidet. An die Stelle des genannten Fournier ernannte Mac Mahon den gut katholisch gesinnten Marquis von N o a ill e s, bisherigen Ge¬ sandten zu Washington, zum französischen Gesandten am Hofe Victor Emanuel's in Nom. Die Hirtenbriefe des Bischofs von Nancy, ckcko. 26. Juli l 873, dessen Jurisdiction sich nun noch über die an Deutschland abgetretenen Landes- theile erstreckte; des Bischofs von Nimes (Plantier, gestorben 26. Mai 1875), Angers (Freppcl) und Anderer reizte die Empfindlichkeit Preu ßens, weil sie sich über die Kirchenverfolgung in Deutschland selbstver¬ ständlich verurtheilend aussprachcn. In Folge Reclamationen des deutschen Gesandten erließ wirklich der Cultusminister ein höfliches Schreiben, (lclo. 26. December 1873, an die französischen Bischöfe, worin er sie ersucht, ihren sonst immerhin berechtigten Gefühlen insoweit eine Reserve aufznlegen, um nicht der Regierung Verlegenheiten zu bereiten. Das — deutsche — Gericht in Zabern vernrtheilte am 25. April so* 468 k- Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kcilh. Kirche. 1874 den Bischof von Nnney ob seines Hirtenbriefes in oontuuiueiaiu zu zwei Monaten Festungshaft. stXIl. Einen fremdländischen Ilnterthan!) Ja noch zn mehr mußte sich das gedcmüthigte Frankreich ver¬ stehen ! Auf die Beschwerde des deutschen Reichskanzlers snspcndirte die Regierung das „Univers" auf zwei Monate mit Decret dcko. 19. Jänner 1874, wegen des darin veröffentlichten Hirtenbriefes des Bischofs von Pcrignenx über die päpstliche Enehklika vom 21. November und einiger Artikel. In der Nationalversammlung gab der Minister des Aenßeren, Herzog von D e e a z e s, am 20. Jänner eine Erklärung ab, worin er sagte, daß Frankreich bei aller kindlichen Ehrfurcht für den hl. Vater und bei allem Interesse für seine geistliche Oberhoheit, Unabhängigkeit und Würde vhnc Hintergedanken mit Italien, wie es die Ereignisse nun einmal gestaltet haben, friedliche und frenndschaftliche Be¬ ziehungen unterhalten wolle. Eine ähnliche Verlegenheit erblickte die Regierung nicht lange her¬ nach in dem Hirtenbriefe des Cardinals und Erzbischofs von Paris, Gnibert, über die kirchlichen Zustände, zumal über die Lage des Papstes in Rom, welche der Cardinal ans eigener Anschauung kennen lernte, und freilich nicht im rosigen Lichte schildern konnte. Nach dem Sturze des Ministeriums Brvglie am 16. Mai 1874 kam jenes unter der Viee-Prüsidentschaft des Äriegsministers Cis seh. In der Sitzung vom 20. Mai nahm die Nationalversammlung mit 376 gegen 228 Stimmen den Gesetzentwurf, betreffend die Nevrgani sativn des Seelsvrgedienstes in der Armee an, nachdem Bischof D kr¬ pa nlvnp denselben sehr warm befürwortete. Im Jahre 1876 gelang es aber den Radiealen, die Subvention für die Fcldgeistlichkeit wieder zu streichen. Seit 1840 war die „juristische Persönlichkeit" der Diöcesen, d. i. der bischöflichen Stühle, nicht mehr staatlich anerkannt. Auch dieses Recht wurde 1874, und zwar vom Staatsrathe in seinen Sitzungen vom 29. April, 7. und 13. Mai wieder hergestellt; nämlich das Recht zu besitzen, letztwillige oder unter Lebenden gemachte Schenkungen an¬ zunehmen u. dergl. Da durch den Frankfurter Friedensvertrag Straßburg und Metz an Deutschland kamen, so loste — wie bereits erwähnt — der Papst diese Diöcesen aus dem Metrvpvlitanverbande mit Besanyon los, und Europa. Z 23. Die katholische Kirche iu Frankreich. 469 unterstellte sie unmittelbar dem apostolischen Stuhle. Zugleich nahm er im Hinblick ans die nunmehrigen Landesgrenzen eine neue Rcgulirnng der genannten und der noch französisch gebliebenen anstoßenden Sprengel, zumal Nancy, vor. Seitens der deutschen und französischen Cvmmissa- rien war die diesbezügliche Convention am 7. Oetober 1874 zu Paris unterzeichnet worden. Der Bischof F. Dupanlonp von Orleans veröffentlichte eine Zusammenstellung aller von der Regierung Victor E m a n n el' s an dem hl. Stuhle verübten Gewaltthaten und Spoliationen unter dem Titel: „Usttrs a öl. ölinglistti ministra ckes üuuusss cln roi Viotor lömuiulol sur In spaliution cis I'Ugüiss u Uoms st cm Itulis", ctclo. 25. August 1874, wofür ihn der Papst im Breve, äcko. 19. October, belobte. Die Gegenschrift: „Uss lois ecmlesiustiguss cis I'Italis. Uspouss :c ölsA-c. I'Uvsguv ci'Orleuns" (von Minghetti oder Terenzio Ma¬ min ui?) will n>eiß machen, was in den Blattern der unparteiischen Geschichte ewig schwarz bleiben wird. Bischof Dupanlonp, ebenso rede- als schreibgewandt, verthei- digte glänzend in der Nationalversammlung (insbesondere am 4. und 5. December) die Freiheit des höheren Unterrichtes, worüber ein Gesetzvvrschlag cingebracht war. Bischof Dupanlonp wollte näm¬ lich mit Beseitigung des diesbezüglichen Staatsmonopols, welches zwar für den niederen Unterricht bereits seit 1851 aufgegeben war, aber für den höheren noch immer bestand, auch der katholischen Kirche das volle, ungeschmälerte Recht, solche höhere Lehranstalten zu errich¬ ten, gewahrt Nüssen. Die Gegenredncr, zumal CH al lemel-Lacour, malten in ihrer Gespeusterfnrcht — wohl auch iu der Furcht vor B i s- marck und Preußen — die Gefahren einer katholischen Reaction, zu deren Herd sich Frankreich..mache, drastisch aus. Laut der neuen Verfassung Frankreichs, vom 25. Februar 1875, — der fünfzehnten (!) seit >789 — wird die gesetzgebende Gewalt von zwei Kammern ausgeübt, nämlich von der Deputirtenkammer und von dem Senat. Der Präsident der Republik wird mit absoluter Stimmen¬ mehrheit von beiden Kammern, die zn einer Natiemalversammlung zu¬ sammentreten, gewählt. Seine Amtsperiode dauert sieben Jahre; er ist wieder wählbar n. s. w. Gewiß ein sprechender Beweis des Aufschwunges kathvlisch-kirch- 470 I- Thcil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. liehen Lebens war die auffallend große Betheilignng der Pariser — zumal auch ans den höchsten Gesellschaftskreisen an der Oster-Cvmmn- uion 1875. An der General-Cvuiiunuion in der Kirche Xotro-Dnmo am 28. März nahmen wenigstens 5000 Männer theil - - unter ihnen der Premierminister Buffet, der Herzog von Broglie mit seinem Sohne, der Herzog von Nemours mit seiner ganzen Familie, der Graf von Paris, viele Abgeordnete, Generale, au hundert Cavallerie- Officiere in Uniform u. s. w. Die in Paris im März t875 abgehaltene fünfte Generalversamm¬ lung der katholischen Comitv's von Frankreich (die „Oeuvro «los or>- mitös ontboIigiiLs" wurde vor fünf Jahren iu's Leben gerufen) faßte ihre Resolutionen in fünf Punkten zusammen. Der erste beginnt: „Unsere Gesinnungen hinsichtlich des inneren Werthes der modernen Freiheiten stimmen vollkommen mit den Erklärungen der Eueyklika von 1864 und des Syllabus überein." Mit großer Feierlichkeit fand am 16. Juni die Grundsteinlegung der Kirche zum heiligsten Herzen Jesu auf Montmartre durch den Car dinal-Erzbifchvf von Paris statt. Am 3. März 1876 weihte derselbe die provisorische Capelle der neuen Kirche ein. Wieder kam in der Nationalversammlung (Juni 1875) die Frei¬ heit des höheren Unterrichtes (auch auf den Universitäten) zur Sprache. Dafür plaidirten unter Anderen Professor L a b o n l a ye und insbeson¬ dere Bischof Dupanloup im Interesse der Kirche. Der 7. Juni entschied im Prineipe zu ihren Gunsten. Die fortgesetzten Debatten be¬ trafen Detailfragcn. In der Sitzung vom 15. Juni wies eine Mehr heit von 369 gegen 323 Stimmen das Amendement Ferry's zurück, welches dem Staate allein das Recht, akademische Grade zu verleihen, zuerkennen wollte. Die Freimaurer, mit dem Gange der Verhandlungen nicht zufrie¬ den, nahmen in demonstrativer Weise den Professor Littrö in ihren Orden auf (Juli), den Nämlichen, gegen dessen Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften Bischof F. Dupanloup so energisch und nicht ohne Erfolg agitirt hatte. In namentlicher Abstimmung genehmigte am 12. Juli die National¬ versammlung das Gesetz über die Freigebnng des höheren Unterrichtes mit 316 gegen 266 Stimmen. Die „Amtszeitnng" verkündigte dasselbe am 27. Juli. Es enthält Europa. Z 23. Die katholische Kirche in Frankreich. 471 in vier Titeln und einer Uebergangsbcstimmnng 25 Artikel. Die Auf¬ schriften der Titel lnnten: I. „Die freien Vorträge und Anstalten des höheren Unterrichtes." 2. „Die behufs Ertheilung höheren Unterrichtes gebildeten Vereine." 3. „Die Verleihung der Grade." 4. „Straf¬ bestimmungen." Es wurden nun katholische Universitäten in Aussicht geuvmmeu uud gegründet. Mit Breve, (llll>. 19. Juni, sprach der Papst dem Bischof F. Du- panloup von Orleans die Anerkennung seiner Verdienste um das Zustandekommen des neuen Universitätsgesetzes aus. Im Jahre 1876 ernannte er den Cardinal-Erzbischof von Paris zum Großmeister sämmtlicher katholischen Universitäten und Facultäten Frankreichs. Mit der Zuversicht festbegründeter Anstalten ans alter Zeit, eröffneten im Oetober 1876 das Schuljahr die fünf bis dahin schon neu errichteten Universitäten zu Lille, Paris, Augers, Lyon und Poitiers. Dazu kommt Toulouse. Der katholische Congreß von Poitiers (19. August 1875) faßte . insbesondere die Organisation der neu zu gründenden katholischen Rcchts- Facultäten in's Auge. In der ersten Hälfte September 1875 wallfahrteten wieder viele deutsch-belgische Pilger (über Jssvudun) nach Lourdes, und von da nach 1'a.ra/ Io Llonial. Die französische Regierung ließ sich soweit durch Bismarck's Organe einschüchteru, daß sie den Pilgern nur in ein¬ zelnen Gruppen Frankreich zu Passiren erlaubte. Bismarck mit seiner Furcht vor reichsfeindlichen Demonstrationen wittert eine solche fast schon, wo sich Katholiken nur zum Gebete vereinigen. Die Wahlen in die beiden neuen Kammern — zumal in die zweite fielen vorwiegend republikanisch aus. Am 8. März >876 traten diese in Wirksamkeit, indem die -Gewalten der bisherigen Nationalversamm¬ lung auf sie übergingen, und so die neue Verfassung zur Wirklich¬ keit wurde. Ju dem neuen nun an's Ruder gekommenen Ministerium wurde Waddington Cultusmiuister. Das „Univers" bezeichnete ihn als „liberalen Protestanten". Gleich Anfangs erklärte er sich dahin, daß er für die Freiheit des Unterrichtes sei, aber jedenfalls das ausschlie߬ liche Recht der Verleihung akademischer Grade dem Staate znrückstcllen werde. Darüber sagte der Bischof von Orleans ganz richtig in einem 472 I. Theil. 1. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. Briefe, cläo. 22. März unter Anderem: „In der Thal, wenn den Prv- fessvren der freien Universitäten jeder Antheil an den Prüfungen ihrer Zöglinge und an der Verleihung der Grade entzogen wird, so haben sic nichts weiter zu thun, als was sie schon vor der Annahme des Gesetzes thun durften. . . Sie werden ganz einfach im Dienste der Staats-Facultäten und ihrer Professoren stehende Hilfs- und Vvrberei- tnngslehrer sein . . . Wir dürfen cs uns nicht verhehlen, daß das eine Kriegserklärung gegen die Kirche ist" . . . Der im April 1876 in Paris tagende katholische Congreß prote- stirte gegen den Gesetzentwurf, durch welchen die Bischöfe ans dem Oberunterrichtsrath ausgeschlossen werden sollen, als gegen eine Ver¬ stümmelung des Gesetzes vom 19. März 1873. Ausgleichen verwahrten sich die Bischöfe Frankreichs in einer Zuschrift an die beiden Kammern gegen den Gesetzentwurf, betreffend die Aufhebung der Artikel XIII und XIV des Universitätsgesetzes vom 12. Juli 1875. Ueber diese Aufhebung begannen die Debatten im Abgeordnetenhaus«: zu Versailles au: I. Juni. Gegen die Aufhebung sprachen unter Anderen Paul «io Keller; — in: Senate fing man damit am 18. Juli an, »vorauf er den Gesetzentwurf am 21. Juli mit 144 gegen 138 Stim¬ men verwarf. Die kirchenfeindlichere Strömung machte sich bald auch sonst be¬ merkbar. Der Abgeordnete Tir a rd stellte in der zweiten Kammer den Antrag auf Abschaffung der französischen Botschaft beim Vatiean. Aber selbst Gambetta, Thiers, das „.loncnnl dos Dvknts" und An¬ dere erklärten sich damit nicht einverstanden — freilich nicht aus reli¬ giös-kirchlichem, sondern zunächst aus politischem Motiv. Der Zeitpunkt mochte ihnen noch verfrüht erscheinen. Der Minister des Aenßeren, Herzog Decazes, lehnte den Vorschlag entschieden ab; er siel mit 17 gegen 7 Stimmen, worauf ihn Tirard selbst znrückzog. Wohl aber wurde im Juli 1876 die bisherige Gesandtschaft beim König Victor Emanuel auch zum Range einer Botschaft erhoben. König Victor Emanuel sandte den General C i a l d ini, Herzog von Gaöta — bekannt von Eastelfidardo — als Botschafter nach Paris. Eine sehr beachtenswerthe, für die Zukunft viel versprechende Er¬ scheinung in Frankreich sind die katholische Association: „üosus Hoi", gegründet zur Zeit der Gruudsteinlegung der Kirche zum hl. Herzen Europa. Z 28. Die katholische Kirche ia Frankreich. 473 Jesu am Montmartre (16. Juni 1875) mit dem ausgesprochenen Zwecke, möglichst katholische Negierungen anzustrcbeu, und die „Oeuvres ckesus Ouvrier" katholische Arbeitervereine, unter theilweise verschiede¬ nen Namen, welche sich in der „Union lies Oeuvres ouvrieres <1o la Ura»o<0 concentriren. Im Angilst 1876 hielten die katholischen Gesellenvereine einen Congreß in Bordeaux ab. In seiner Broschüre: „Ou allons — nons?" schilderte gerade um diese Zeit Bischof Dnpanloup mit lebhaften, gewiß nicht zu grell ausgetragenen Farben die Gefahren, welche der Kirche und der Gesell¬ schaft in Frankreich ans dem Vordringen des Radicalismns drohen. „Eilen wir, sagt er, Conservative aller Schattirungen, herbei, und ver¬ hindern wir, daß das Wasser dnrchsickere oder gar in Hellem Strome einbreche; später wäre es zu spät! Wir werden Alle in demselben Schiffbruch zu Grunde gehen." Er sieht nicht zn schwarz. Denn z. B. außer den Civilchcn und Civilbegräbnissen verfiel man in Frankreich schon auch auf den blasphemischen Unsinn von Civiltanfen. In Marseille nahm Jemand dieselbe (1876) mit folgendem Reim vor: „Uuisguo s'il rovenait snr tarro, Ua Olirist no sorait plus elirotioii, .4 n no in tis la Nature austöro cko to Inrptise oito^an!^ In der Abgeordnetenkammer brachte uran Seitens der äußersten Linken sogar den Antrag auf völlige Streichung des Cnltusbudget ein. Der rvthe Prinz Jerome Napoleon, Victor Emannel's Schwieger¬ sohn, erging sich in einer heftigen Philippika wider die sogenannten klerikalen, wofür ihm die verdiente Zurechtweisung durch den Abgeord¬ neten Keller, einen Elsässer, nicht entging (24. November). Der vberwähnte Antrag fiel mit.großer Majorität (440 gegen 62 Stimmen). Nm folgenden Tage (25. November) sprach sich der Cultnsminister (zugleich Premier) D n f a ure entschieden gegen die Trennung von Kirche und Staat aus. — Bei den fortgesetzten Debatten handelte es sich auch um die Frage der militärischen Ehren bei sogenannten Civil- d. i. nicht kirchlichen Begräbnissen verstorbener Mitglieder der Ehrenlegion, ob die¬ selben nämlich, und unter welchen Modalitäten zn erweisen seien? Mit zwar sehr unbedeutender Stimmenmehrheit (239 gegen 231) beschloß die Kammer, das Capitel von St. Denis — bekanntlich meist cine Ver- 474 I Theil. I. Hauptstück. Erlebnisse und Schicksale der kath. Kirche. svrgnngsanstalt für zurückgetrctene Bischöfe, auf den Aussterbe-Etat zil fetzen (28. November) und strich die Subvention für die höhere Studien¬ anstalt (die sogenannte Carmelitenschule) in Paris, welche den katho¬ lischen Universitäten Docenten und Professoren liefern soll. — Derlei kleine Niederlagen bewogen D n s a ure zum Rücktritt. Ihm folgte das Ministerium Jules Simon — aus der republikanischen Linken. Auf eine ausgezeichnete Rede des Bischofs Felix Dupanloup am 21. Deeember genehmigte zwar der Senat den Credit für die Feld geistlichen mit 223 gegen 45 Stimmen. Nichtsdestoweniger forderte eine Anzahl Mitglieder des linken Centrums und der Linken der Depntirten- kammer die Aufhebung des bereits erwähnten Gesetzes vom 20. Mai 1874 über die Garnisvnsgeistlichkeit. R a s p ail — ein Radikaler — brachte in der Abgeordnetenkammer am 6. Februar 1877 einen von 54 Abgeordneten gezeichneten Antrag ein, daß die Standesbeamten bei Strafe Civil Eheschließungen von selbstverständlich abtrünnigen — Priestern und Ordenspersoneu nicht verweigern dürfen — was bisher meist der Fall Ivar. Lauter Zeichen der Zeit! Am 29. Jänner 1877 brachte der Unterrichtsminister in der Ab¬ geordnetenkammer einen Gesetzentwurf ein, bestimmt die Unentgeltlich¬ keit der Schulen — und in ihrem Gefolge mich den staatlichen Schul¬ zwang. Dies gehört nnn einmal überall in das Programm der Libe¬ ralen; denn nnr durch solches Staatsmonvpvl hoffen sie die Schule ganz dem Einflüsse der Kirche entziehen — „eutchristlichen" zu können. Daß die Katholikenversammlungen — wie anderwärts — auch in Frankreich den Liberalen ein Dorn im Auge waren, versteht sich von selbst. Sie brachten es dahin, daß das katholische Comitö zu Paris vom Polizeipräfecten mittelst Verfügung vom I. April auf¬ gelöst wurde. Dennoch fand die Eröffnung des Katholiken-Congresses selbst am 3. April unter dem Ehrenvorsitze des Cardinal-Erzbischofs von Paris daselbst statt. Der zweiten Sitzung (4. April) präsidirte Bischof Mermillod. Geschlossen wurde der Kongreß mit der letzten Sitzung am 7. April. Die Allocntion des hl. Vaters vom 12. März ging selbstverständ¬ lich an den Katholiken Frankreichs nicht spurlos vorüber. Eine zur Unterschrift aufgelegte Petition, gerichtet sowohl an den Präsidenten, wie an die Senatoren und Abgeordneten, verlangte Schutz der Unab- Europa, ß 23. Die katholische Kirche in Frankreich 475 Häufigkeit des Papstes, ohne etwa zum kriegerische» Einschreiten für ihn aufzufvrderu. Dies galt freilich iu den Augen der Liberalen als „Agitation", gegen welche sie wieder den Polizeistvck anriefen. Der Episkopat wandte sich in angemessenen Hirtenbriefen an die Gläubigen, ihnen die Lage des hl. Vaters schildernd. Der Bischof von Nevers, Thomas Casimir